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Full text of "Neurologisches Centralblatt"

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UNIVERSITY  OF  CALIFORNIA 

MEDICAL  CENTER  LIBRARY 

SAN  FRANCISCO 


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L- 


NEUROLOGISCHES 


iSENTRALBLATT 


ÜBERSICHT      .      . 

DER 

LEISTUNGEN  AUF  DEM  GEBIETE  DER  ANATOMIE, 
PHTSIOIiOGIE,  PATHOLOGIE  UND  THERAPIE  DES  NERVEN- 
SYSTEMS  EINSCHLIESSLICH  DER  GEISTESKRANKHEITEN. 


HERAUSGEGEBEN 

VON 

Db.  £.  MENDEL, 

PROFESSOR  AN  DER  UNIVERSITÄT  BERLIN. 


FÜNFTER  JAHRGANG. 


LEIPZIG, 

VERLAG  VON  VEIT  &  COMP. 

1886. 

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Drock  Ton  Metztrer  A  Wittir  In  Letpxlif. 


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Seürologisches  Centr  albl  ah. 

m 

Uebersicht  der  Leistungen  aaf  denfi  Gebiete  der  Anatomie,  Physiologie,  Pathologie 
und  Therapie  des  Nervensystemes  einschliesslich  der  Geistestcrankheiten. 

Herausgegeben  von 

Professor  Dr.  E.  Hendel 
Ffaifter  *"  ^"°-  Jahrgang. 


Monatlich  eracheinen  zwei  Nummern.   Preis  des  Jahrganges  16  Mark.   Zu  beziehen  durch 
Alle  Buchhandlungen  des  In-  und  Auslandes,  die  Postanstalten  des  Deutschen  Beichs,  sowie 

direct  Ton  der  Verlagsbuchhandlung. 


1886.  1.  Januar.  M 1. 


Inhalt    I.  Originalmltfhellufigen.    Vorschlag  einer  ,,Normalelektrode"  f&r  galvanische 
Erregbarkeitsbestimmungen,  von  W.  Erb. 

II.  Itoforftto.    A n  ato  m  i  e.  .  1 .  On  Prof.  Hamilton's  theory  eoneeraing  the  corpus  eaUosum, 
bj  BMfor.   —   Experimentelle  Physiologie«     2.  Ueber  Zwangsbewegungen  bei  Zer- 
störung der  Hirnrinde,  von  Bechterew.  —  Pathologische  Anatomie.    3.  Ueber  die  Be- 
schaffenheit des  Bückenmarks  bei  Kaninehen  und  Hunden  nach  Phosphor-  und  Arsenik-Ver- 
giftang,  nebet  Untersuchungen  über  die  normale  Stmetur  desselben,  von  Kreyssig.    4.  Zu- 
aatzliche  Bemerkungen  zu  dem  Aufsätze  des  Hm.  Dr.  Kreyssig,  von  Schultze.  —  Pathologie 
des  Nerveneystems.    5.  Ueber  einen  eigenthümUchen  Symptomencomplex  bei  Erkrankung 
der  Hinterstrange  des  Bückenmarks»  von  Westphal.    6.  Sur  la  pathogenie  de  certains  acci- 
dents  paralytiques  observes  chez  des  vieillards,  leurs  rapports  probables  avec  ruräniie,  par 
Raymend.    7.  Deux  cas  de  my^ite  ascendante  observes  pendant  la  convalescenoe  de  la  do- 
thM^nent^rie»  par  Raymoed.    8.  Bleil&famung,  von  Remak.    9.  Ueber  Bleilähmung,  von  Schultze. 
10.  Double  optic  Neuritis  and  Ophthalmoplegia  from  Lead-Poisoning;  complicated  by  Typhoid 
Fever,  by  Wadiworth.    11.  Satumisme  etc.,  par  Mathlen  et  Mallbran.    12.  A  case  of  pro- 
gressive Muscular  Atrophy  foUowlng  a  blow  on  the  head,  by  Bultard.    18.  Ein  klinischer 
Beitrag  zur  Poliomyelitis  anterior  cm-onica  adultorum,  von  Stintzinp.    14.  On  the  nature  of 
the  spmal  leaion  in  Poliomyelitis  anterior  acuta  or  infantile  Paralysis,  by  Drufflmond.    15.  Et 
Tilfalde  af  Poliomyelitis  anterior  acuta ,  af  CarSe.    16.  Ueber  Veränderungen  des  Qesiohts- 
feldes  und  der  Farbenperception  bei  einigen  Erkrankungen  des  Nervensystems ,  von  Flnkel- 
steln.     17.  H6m]pl6gie   c^röbrale  infantile  et  maladies  infectieuses,  par  Marie.     18.  Des 
rapports  de  FAtazie  et  de  la  paralysie  g6närale,  par  Baillarger.     19.    Paralysie  generale 
chez  un  h^r^itaire,  par  Christian.     —  Psychiatrie.    20.  Les  faibles  d'esprit,  par  Gllson. 
21.  Sopra  alcune  forme  speciali  del  respiro  negli  stati  melancolici,  per  il  Museo.     22.   Note 
BOT  quelques  oaa  de  Sialorrhie  d'origine  nerveuse»  par  Mab!  He.    23.  On  Epileptic  violence,  by 
EcheverHa.  —  Therapie.    24.  Sulr  uso  del  tabacco  da  naso  nei  sani,  neipazzi  e  nei  delin- 
quenti,  per  il  Venturl.  —  Anstaltewesen.   25.  Presidential  address,  delivered  at  tiie  annual 
meetang  of  tiiie  medico-psychological  association ,  held  at  Queen's  coUege,  Cork  Aug.  4. 1885, 
by  Eanei. 

III.  Aus  den  Getellecliafleii.  —  IV.  BIbllograpM*.  —  V.  Pereonalien.  —  VI.  Vermisclites. 

I.  Originabnittliellungen. 


Vorschlag  einer  „Normalelektrode"  für  galvanische 

Erregbarkeitsbestimmungen. 

Von  W.  Erb  in  Heidelberg. 

Unsere  Methoden  der  quantitativen  galvanischen  Erregbarkeitsbestimmung 
motoiischer  Nerven  entbehren  noch  immer  der  wünschenswerthen  Ueberein- 
stimmmig  und  derjenigen  Einheitlichkeit,  welche  allein  vergleichbare  Ergebnisse 

yi2o 


—    2    — 

der  verschiedenen  Beobachter  garantiri  Es  mag  deshalb  erlaubt  sein,  einigi 
Bemerkungen  zum  Zwecke  der  Herbeiftkhrung  einer  einheitlichen,  allgemein 
adoptirten  Untersuchungsmethode  zu  machen« 

In  meiner  ausf&hrlichen  Arbeit  über  die  quantitativen  elektrischen  unter 
suchungsmethoden ^  und  wiederholt  in  meinem  Handbuch  der  Elektrotherapie^ 
habe  ich  bereits  als  wesentliches  Postulat  aufgestellt,  dass  die  Err^^^ng  der  zt 
vergleichenden  Nerven  immer  mit  genau  derselben  Stromdichtigkeit 
geschehen  müsse.  Nach  allgemeiner  Annahme  ist  ja  die  Stromdiditigkait  das 
Wesentlichste  für  die  Erregung  der  Nerven;  doch  scheint  es  mir  nicht  aosge* 
schlössen,  dass  auch  die  Stromstärke  an  sich,  d.  h.  die  Stromquantitat  ohne 
Bücksicht  auf  die  jeweilige  Dichtigkeit  einen  gewissen  Einfluss  habe.  Jeden&lls 
aber  dürfen  wir  neben  der  Bestimmung  der  Stromstarke  die  Bücksicht  auf  die 
Stiromdichtigkeit  nicht  bei  Seite  setzen* 

Nach  der.  bekannten  Formel  für  die  Stromdichtigkeit  (D=s-^,  wobei  J  die 

Intensität  des  Stromes,  die  absolute  Stromstärke,  Q  den  Querschnitt  des  Leiters, 
also  fär  unsern  Fall  den  Elektrodenquerschnitt  bedeutet)  ist  dieselbe  abhängig 
einerseits  von  der  absoluten  Stromstärke,  andererseits  von  der  Grösse  des 
Elektrodenquerschnitts.  Wir  werden  also  die  zu  vergleichenden  Körper- 
theile  nur  dann  unter  den  Einfluss  der  gleichen  Stromdichtigkeit  bringen  können, 
wenn  wir  bei  einer  bestimmten  absoluten  Stromstärke  stets  eine  genau  gleich 
grosse  Beizelektrode  also  den  gleichen  Querschnitt  benutzen. 

Die  genaue  Bestimmung  der  absoluten  Stromstärke  hat  ja  jetzt  keinerlei 
Schwierigkeiten  mehr,  seitdem  wir  im  Besitze  trefflicher,  nach  Einheiten  der 
Stromstärke  (für  elektrodiagnostische  Zwecke  nach  Milliamperes)  graduirter  Gal- 
vanometer sind.  Dagegen  hat  sich  die  Verwendung  einer  einheitlichen,  überall 
gleich  grossen  Beizelektrode  bisher  noch  nicht  Eingang  verschafft,  obgleich  diese 
Forderung  von  mir  bereits  1873  ausgesprochen  und  auch  neuerdings  von  ver- 
schiedenen Seiten  wiederholt  worden  ist  Und  die  neueren  Angaben  über  die 
galvanische  Erregbarkeit  der  Nerven  unter  Angabe  der  absoluten  Stromstärke 
können  deswegen  nicht  wohl  miteinander  verglichen  werden,  weil  sie  mit  Beiz- 
elektroden von  sehr  verschiedenem  Querschnitt  gewonnen  sind;  so  hat  A.  Eulek- 
BUBG  mit  einer  Elektrode  von  2Vs  cm  Durchmesser,  Bbrnhabdt  mit  einer 
solchen  von  2—272  cm,  K  BEifAJB:  von  i  cm  und  Gäbtnbb  endlich  nur  von 
1  cm  Durchmesser  untersucht;  daraus  berechnen  sich  Querschnitte  von  0,78 
bis  16  qcm  und  aus  diesen  natürlich  eine  sehr  verschiedene  Dichtigkeit  bei 
gleicher  absoluter  Stromstärke! 

Diesem  TJebelstande  abzuhelfen  erlaube  ich  mir  den  Vorschlag,  eine  far 
alle  quantitativen  Erregbarkeitsprüfungen  anzuwendende  Normalelektrode 
einzuführen,  welcher  sich  in  Zukunft  alle  Beobachter  bedienen  möchten;  nur 
auf  diesem  Wege  können  wir  endlich  einmal  übereinstimmende  und  unterein- 
ander vergleichbare  Besultate  erwarten. 


*  W.  Ebb,  Zur  Lehre  von  der  Tetanie»  nebst  Bemerihingen  über  die  Pr&fnog  der  elek- 
trischen Erregbarkeit  motorischer  Nerven.    Arch.  f.  Psych,  n.  Nenr.  1878.  IV.  S.  303. 

*  Elektrotherapie.  S.  149. 


—    3    — 

Die  Grösse  dieser  Nonnalelektrode  könnte  ja  nach  Belieben  gewählt  werden; 
ich  halte  jedoch  eine  solche  von  10  qcm  Querschnitt  für  weitans  die  zweok- 
massigste;  sie  hat  eine  sehr  handliche,  passende,  überall  anwendbare  Grösse^ 
und  ganz  besonders  wird  sie  uns  zur  Erleichterung  der  Notirung  der  Befunde 
dienen,  wenn  wir  die  Zahlen  für  die  zur  Wirkung  kommende  Stromdichtigkeit 
tiiiren  wollen. 

Diese  Notirnngen  würden  einfach  so  geschehen,  dass  man  etwa  ftkr  EaSZ 
imd  KaSTe  die  erforderlichen  Stromstärken  in  Milliamp.,  unter  stillsohwaigender 
oder  ausdrücklicher  Voraussetzung  der  Normalelektrode  angiebt,  z.  B.  „eiste 
KaSZ  bei  2  Milliamp.,  EaSTe  bei  8  Milliamp.  (Normalelektrode).''  WiU  man 
dann  die  absolute  Dichtigkeit  angeben,  so  braucht  man  die  betreffenden  Zahlen 
der  Stromstärke  nur  durch  10  zu  theilen  oder  in  einen  Decimalbruch  zu  ver- 
wandeln,  um  leicht  zu  yeigleichende  Werthe  zu  erhalten;  also  bei  1 — 3 — 5  Milli- 
amperes (Normalelektrode)  haben  wir  dann  eine  absolute  Stromdichtigkeit 
Ton  Vio— '/lo— 'Ao  <>der  besser  0,1—0,8—0,5. 

In  dieser  Weise  gestaltet  sich  die  Untersuchung  nach  der  bekannten  Me- 
Uiode  sehr  einfach  und  giebt  leicht  vergleichbare  Zahlenwerthe.  Ich  habe  bis 
jetzt  noch  keine  grosse  Zahl  von  Gesunden  mit  der  Normalelektrode  und  ab- 
solutem Gkdvanometer  untersucht,  aber  immerhin  genug,  um  diese  Methode  zur 
allgemeinen  EinfEUmmg  2u  empfehlen.  Die  bisher  gefundenen  Zahlenwerthe 
betaragen 

far  EaS  zwischen  0,25  und    2,0  Milliamperes, 

„   KaD        „        4,0      „    10,0 

''    ^^\  15  40 

und  AnOi       "         '       "        '  " 

für  KaO         „        5,0     •„      8,0  „ 

an  motorischen  sowohl,  wie  an  sensiblen  Nerven.' 

Ich  weiss  natürlich  wohl,  dass  damit  die  Schwierigkeiten,  welche  in  der 
anatomischen  Lagerung  der  Nerven,  ihrer  verschiedenen  Entfernung  von  der 
Oberfläche  etc.  gegeben  sind,  keineswegs  gehoben  werden.  Aber  die  werden 
anch  durch  keine  noch  so  feine  Ausführung  der  physikalischen  Anordnungen 
hei  unsem  Untersuchungsmethoden  am  lebenden  menschlichen  Körper  zu 
eümmiien  sein.  Und  diese  Schwier^keiten  werden  auch  für  die  neueste,  von 
GlBTKEB  angegebene  Untersuchungsmethode'  in  gleicher  Weise  bestehen.  Neben- 
bei gesagt,  vermag  ich  die  Bedeutung  der  von  Gabtneb  betonten  Fehlerqudle, 
welche  in  der  raschen  Yermindatmg  des  LW.  der  Epidermis  durch  die  Strom- 
wirkung liegt,  keineswegs  so  hoch  zu  tasuren,  wie  dies  Gabtneb  thut    Für 

^  Dieselbe  hat  in  rander  Form  einen  Dniehmeaser  von  8,5-— 8,6  em,  in  quadratischer 
Form  eine  Seitenl&nge  von  8,2  cm;  auf  absolute  Genauigkeit  kommt  es  ja  dabei  nicht  an. 
Ich  habe  beide  Formen  ganz  leicht  conTex,  mit  wohl  abgerundeten  Ecken  und  Kanten  her^ 
itellen  lassen  und  finde  sie  beide  in  gleicher  Weise  brauchbar. 

'  Genaueres  darftber  wird  in  der  im  Drucke  beflndMcheo  2.  Aufl.  meiner  „Elektrotherapie*' 
zn  finden  sein. 

*  G.  OlBTBBB,  üeber  ene  u<n(^  )(ett^odQ  der  elektrodiagnostisohen  Untersuchung« 
Wiener  med.  Jahrb.  1885.  6. 889. 


-    4    — 

gewöhnlich  werden  wir  die  Unteisaohnng  schon  bei  bereits  modifioirtem  Wider- 
stand ausfahren  und  überdies  gestattet  z.  B.  das  yorzögliche  grosse  EDSLMAim'sche 
Glalvanometer  durch  seine  wirksame  Dämpfung  eine  so  prompte  Ablesung  der 
Stromstärke,  dass  von  einer  erheblichen  Aenderung  derselben  in  dem  kurzen 
Zeitraum  zwischen  der  Schliessung  des  Stromes  und  der  Buhestellung  der  Nadel 
wohl  keine  Bede  sein  kann.    Und  darauf  konmit  es  doch  ausschliesslich  an, 
dass  wir  die  Stromstärke  in  dem  Zeitmoment  kennen,  in  welchem  der  erwartete 
ErregongSYorgang  im  Nerven  eintritt  —  mögen  die  Widerstände  sein,  wie  sie 
wollen.  —  JedenMs  müsste,  wie  mir  scheint,  die  eines  grossen  instrumentellen 
Apparates  bedürfende  GÄBXNEB'sche  Methode  bei  genauer  Nachprüfung  sehr  er- 
hebliche Vorzüge  erkennen  lassen,  wenn  sie  die  jetzt  übliche  üntersuchungs- 
metbode  mit  gutem  (Galvanometer  und  mit  Normalelektrode  verdrängen  sollte. 
Und  auch  bei  der  Anwendung  der  GÄBTNEB'schen  Methode  wird  es  wohl  am 
zweckmässigsten  sein,  sich  der  vorstehend  empfohlenen  „Normalelektrode'^  zu 
bedienen, 

Heidelberg,  November  1885. 


IL  Referate. 


Anatomie. 

1)   On  FrofesBor  Hamilton's  theory  oonoeming  the  corpus  oalloBum,  by 

C.  Beevor.     (Brain.  1885.  October  p.  377—379.) 

Wenn  Hamilton's  Ansicht,  dass  das  Corpus  callosum  nicht  eine  interhemi- 
sphärische  Commissor,  sondern  eine  Decussation  von  der  Binde  zu  den  Basalganglien 
und  der  inneren  Kapsel  der  entgegengesetzten  Hemisphäre  ziehender  Fasern  dar- 
stelle, richtig  wäre,  welche  übrigens  mit  klinischen  Thatsachen  im  Widersprach  stände, 
so  müsste  es  gelingen  den  Nachweis  zu  führen,  dass  überhaupt  Fasern  vom  Corpus 
callosum  zur  innem  Kapsel  ziehen.  Dieser  Nachweis  ist  dem  Verf.  auf  Mikrotom- 
schnitten von  in  Kaliumbichromat  und  Methylalcohol  gehärteten  Gehirnen  von  Menschen 
und  Affen,  auch  die  Färbung  mittelst  der  Weig  er  tischen  Hämatozyliu-  und  speciell 
der  Kupferacetat^Methode  niemals  gelungen.  E.  Bemak. 


Experimentelle  Physiologie. 

2)  Ueber  Zwangsbowegungen  bei  Zoratörung  der  Himxinde,   von  Prof.  W. 
Bechterew  aus  St.  Petersburg.    (Virchow's  Archiv.  Bd.  101.) 

Wenn  B.  bei  Hunden  und  Katzen  den  „etwas  nach  hinten  von  den  Gyri  sig- 
moidei  in  der  Nachbarschaft  der  Längsspaite  des  Gehirns^'  gelegenen  Bindenabschnitt 
—  welchem  also  beim  Menschen  die  (hegend  der  Scheitelwindungen  entspricht  — 
zerstörte,  so  traten  Kreis-  resp.  Beitbahnbewegungen  auf.  Dies  geschah  nach  Zer- 
störung der  Gyri  sigmoidei  selbst,  d.  h.  der  motorischen  Begion,  nur  dann,  wenn 
dieselbe  sehr  umfangreich  vorgenonunen  war,  mit  Uebersohreitnng  der  Grenzen. 

Das  betreffende  Thier  beginnt  mit  mehr  oder  minder  grosser  G^chwindigkeit, 
fast  immer  naöh  der  operirten  Seite  hin,  s^e  Kreisbewegangen  auszuführen,  den 
Körper  etwas  nach  der  Seite  der  Bewegungen  gekrümmt,  die  Augen  nach  der  gleichen 
Bichtung  gewendet.     Kein  Nystagmus. 


—    6    — 

Das  KjreiBen  hOrt  nafih  einigen  (bis  15)  Minuten  nach  nnd  nach  aof  nnd  das 
Thier  kann  nun  geradeaus  gehen,  zeigt  keinerlei  motorische  Störungen.  Nach  einiger 
Zeit  beginnt  jedoch  die  Kreisbewegung  yon  neuem  und  wiederholt  sich  so  einige 
Male,  aber  immer  schwächer  und  kürzer  dauernd.  Meist  hören  diese  Anfölle  schon 
im  Laufe  dea  ersten  Tages  auf,  bisweilen  sind  sie  während  mehrerer  Tage  nach  der 
Operation  zu  beobachten;  ja,  es  können  sogar  starke  und  andauernde  AnföUe  noch 
mehrere  Monate  nach  der  Operation  plötzlidi  sich  einstellen. 

Das  anfallsweise  Auftareten,  das  Fehlen  halbseitiger  Paresen,  sowie  der  Ort  der 
Verletsimg  (nicht  die  motorische  Zone)  sprechen  nach  B.  dagegen,  dass  es  sich  bei 
dieeen  Kreisbewegangen  um  Störungen  yon  Seiten  der  Extremitätenmuskehi  handele; 
es  sind  vielmehr  wirkliche  Zwangsbewegungen.  —  Auch  stellen  diese  Zwangsbewe- 
gangem  nicht  den  Effect  eines  Functionsausfalles  dar,  sondern  den  einer  Beizung. 
Denn  B.  konnte  zuweilen  durch  blosse  Application  reizender  Agentien  (Kochsalz) 
ohne  Zerstörung  des  Himgewebes  Beitbahnbewegungen  hervorrufen,  welche  anfalls- 
wmse  nnd  zwar  im  Anschluss  an  «neu  epileptischen  Anfall  auftraten. 

Bei  niedriger  stehenden  Thieren  (Kaninchen  und  Vögeln)  kam  ein  solches  Kreisen 
nur  ftnasent  selten  zu  Stande.  Eme  tiefer  greifende  Zerstörung  einer  Hemisphäre 
jedoch  wnrde  bei  allen  Thieren  nicht  selten  von  einem  Kreisen  in  entgegengesetzter 
Achtung,  nämlich  nach  der  gesunden  Seite  hin,  begleitet 

Anatonüsch  begründen  möchte  B.  seine  Beobachtungen  damit,  dass  ein  Bündel 
der  Bindearme,  unmittelbar  in  das  Gebiet  der  inneren  Kapsel  übergegangen,  Ton  hier 
aus  einen  bedentenden  Theil  der  sog.  Haubenstrahlung  (Flechsig)  bildet,  d.  h.  eben 
höchst  wahrsdieinlich  nach  den  Scheitelwindungen  der  Binde  zieht 

Zun  Schluss  führt  der  Verf.  —  ausser  3  Fällen  aus  der  Literatur,  in  denen 
Friedreich  resp.  Petrina  resp.  Mesnet  von  Zwangsbewegungen  nach  einer  Seite 
beim  Menschen  berichten  —  eine  interessante  Beobachtung  an,  die  er  in  der  Klinik 
von  Prof.  Mierzejewsky  gemacht  hat:  Ein  Geisteskranker  mit  alter  Kopfverletzung 
an  der  Grenie  der  linken  Scheitel-  und  Hinterhauptsgegend  zeigte  etwa  im  4.  Monate 
seiner  Krankheit  anüallsweise  auftretende  Kreisbewegungen  von  rechts  nach  links, 
wobei  zuerst  Augen  und  Kopf  sich  nach  links  drehten.  Im  Liegen  wurde  keine 
Drehneigung  bemerkt^  wohl  aber  beim  Sitzen.  Diese  Erscheinungen  dauerten  in  aus- 
geprägtem Grade  etwa  einen  Monat,  hörten  dann  im  Laufe  des  nächsten  Monats 
allmählich  auf.  ' —  Als  der  Patient  einige  Wochen  darauf  an  einer  traumatischen 
Pleuritis  starb,  fand  sich  an  der  Stelle  des  Gyrus  angularis  des  rechten  (?  Bef.) 
Scheitellappens  die  Pia  fest  verwachsen  mit  dem  Gehirn,  und  dieses  hatte  dort  einen 
encephalitischen  Herd  von  1 — 1,5  cm  Durchmesser  und  1  cm  Tiefe. 

Hadlich. 


Pathologische  Anatomie. 

3)  Ueber  die  BeBohaflfenheit  des  Büokenmarke  bei  Kanlnohen  und  Hunden 
nach  FhoBphor-  und  Arsenik- Vergiftung,  nebst  Untersuohungen 
über  die  normale  Btruotur  desselben,  von  Dr.  F.  Kreyssig.  (Virchow's 
Arch.  Bd.  102.) 

Die  analogen  Untersuchungen  von  Danilo  und  Popow  resp.  die  von  denselben 
gefundenen  Veränderungen  des  Bückenmarks  gaben  dem  Terf.  —  auf  Anregung  von 
Prof.  Schnitze  in  Heidelberg  —  den  Beweggrund,  zunächst  einmal  die  normalen 
oükroflkopiachen  Befunde  des  Bückenmarks  bei  Kaninchen  und  Hunden  zu  untersuchen 
and  aoch  festzustellen,  welche  Einwirkungen  etwa  von  den  Präparationsmethoden 
herrührten.  Da  fand  K.  denn  zunächst  auffallende  Verschiedenheiten  der 
Ganglienzellen  in  Bezug  auf  ihr  Verhalten  gegen  Färbemittel:  dunkel- 
gefärbte Zellen  mit  einem  pericellulären  Baume,  und  hellgefärbto  ohne  einen  solchen ; 


—     6    — 

bisweilen  fanden  edch  die  Zellen  der  einen  Seite  eines  Präparates  blass,  die  der  anderen 
dunkel  gefärbt  Modificirte  E.  aber  die  Erhärtungsmethode  in  der  Weise,  dass  er 
die  Präparate  aas  der  Müller'schen  Flüssigkeit  resp.  ans  dem  Wasser  nicht  sofort 
in  96^0  Alkohol  legte,  sondern  zunächst  in  10  7o  ^^^  ^^>^  ^^^^  ^^^  nach  erst 
in  den  starken  Alkohol,  so  liess  sich  eine  Verschiedenheit  der  Ganglienzellen  in  der 
beschriebenen  Art  kaum  mehr  wahrnehmen.  —  Aach  Vacuolen  kamen  in  den  nor- 
malen Präparaten,  zwar  recht  spärlich,  aber  sicher  Yor,  häufiger,  wenn  die  Präparate 
anfangs  in  Chromsäurelösung  gelegen  hatten.  —  Femer  traf  E.  nicht  selten  blasse 
Ganglienzellen  ohne  Fortsätze,  deren  Protophisma  das  Innere  der  Zelle  nur 
unvollständig  ausfüllte;  bei  jungen  Thieren  waren  sie  häufiger,  als  bei  ausgewachsenen, 
und  im  Hals-  und  Lendentheil  häufiger,  als  im  Brustmark. 

E.  fand  also  unter  gewissen  Umständen  im  Bückenmark  normaler  Thiere  all' 
das,  was  Danilo  und  Popow  als  pathologisch  beschrieben  haben;  an  frisch  unter- 
suchten Präparaten  dagegen  wurde  von  ihm  niemals  dergleichen  wahrgenommen. 

Was  nun  seine  mit  Phosphor  vergifteten  Thiere  betrifft,  von  denen  zwei  nach 
4 — 5  Tagen,  drei  nach  36 — 66  Ti^en  in  Folge  von  0,008—0,254  gr  Phosphor 
starben,  betrifft;,  so  konnte  E.  ausser  capiUaren  Blutungen  in  der  grauen  Substanz 
keine  pathologischen  Veränderungen  in  der  Med.  spin.  auffinden.  Und 
ganz  dasselbe  gilt  von  6  mit  Arsenik  (0,0376—1,36)  in  10 — 14  Standen  resp. 
nach  39 — 50  Ti^en  vergifteten  Thieren. 

Verf.  lässt  es  dahingestellt,  ob  etwa  bei  dauernder  Einwirkung  besonders  grosser 
Gaben  oder  unter  besonderen  Umständen  pathologische  Veränderungen  durch  die 
erwähnten  Gifte  eintreten  können;  aber  bei  den  angewandten  Versuchsbedingungen 
(analog  denen  bei  Popow  und  Danilo)  entwickeln  sich  Degenerationen  der  Med. 
spin.  nicht  als  regelmässige  Folge.  Hadlich. 


4)  ZiisätBllclie  BenAerkuBgen  bu  dem  AuftiatBe  des  Hrn.  Dr.  Ereyasig,  von 

Prof.  Dr.  Schnitze  in  Heidelberg.    (Ebenda.) 

Die  nach  dem  Abschluss  des  Ereyssig'schen  Aufsatzes  erschienene  Arbeit  von 
W.  V.  Tschisch  „Ueber  Veränderungen  des  Bflckenmarkes  bei  Vergiftung  mit  Mor- 
phium, Atropin,  Sübemitrat  und  Ealiumbromid",^  in  welcher  ganz  ähnliche  patholog. 
Veränderungen  gefunden  waren,  vnie  von  Popow,  veranlasst  Seh.  zu  der  Bemerkung; 
dass  es  vom  klinischen  Gesichtspunkte  aus  im  höchsten  Grade  aufEalle,  dass  die  ge- 
nannten so  verschiedenen  Stoffe  im  Wesentlichen  stets  die  gleichen  Wirkungen  auf 
die  Ganglienzellen  des  Bückenmarks  ausüben  sollen.  Auch  wisse  man  bei  den  meisten 
derselben  nichts  von  atrophischen  Lähmungen,  die  doch  nicht  ausbleiben  könnten« 
wenn  zahlreiche  Zellen  ihrer  Fortsätze  verlustig  gegangen  seien  etc.  Erklärlich 
werde  die  Sache  durch  Ereyssig's  Befunde  an  normalen  Bückenmarken.  —  Wenn 
Bilder  scheinbarer  Degeneration,  wie  z.  B.  Vacuolenbildung,  von  Popow,  Danilo 
und  V.  Tschisch  so  häufig  gefunden  seien,  so  liege  hier  vielleicht  etwas  Pathologisches 
vor;  aber  es  bleibe  zu  ermitteln,  ob  dies  eine  directe  Einwirkung  des  Giftes  auf  die 
Ganglienzellen  sei,  oder  eine  indirecte,  durch  die  capillären  Hämorrhagien,  die  venösen 
Stauungen  etc.  vermittelte.  Hadlich. 


Pathologie  des  Nervensystems. 

6)  Ueber  einen  eigenthümliohen  Symptomencomplex  bei  Erkrankung  der 
Hintemtrftnge  des  Büokenmarks,  von  Prof.  C.  WestphaL  (Archiv  für 
Psych,  etc.  1885.  Bd.  XVI.) 

^  Dies  Centralbl.  1S85.  S.  224. 


—    7    — 

W.  berichtet  über  Krankengeschichte  and  anatomischen  Befand  eines  Falles,  der 
eigenthflmliche,  mit  keinem  der  bekannten  Krankheitsbilder  congraente  Erscheinongen 
dargeboten  hatte.  Die  über  einen  Zeitraam  von  27s  J^l^^i^  sich  erstreckende  Be- 
obachtung ist  in  sehr  aasführlicher  Form  mitgetheilt,  die  einzelnen  Symptome  ein- 
gehend analysiri  TVir  müssen  ans  hier  mit  dem  Besamt  des  Symptomencomplexes 
imd  des  klinischen  Verlaufes  begnügen.  Es  handelte  sich  um  einen  47jährigen,  nicht 
belasteten,  von  Syphilis  and  Alkoholismos  freien  Mann.  Die  Krankheit  begann  mit 
Parese  eines  Aagenmuskels,  des  linken  Beet,  internus,  zu  der  später  Ptosis  trat  und 
Schwindel;  es  entwickelte  sich  eine  allmählich  sich  zu  fast  vollständiger  Lähmung 
mck  steigernde  Schwäche  der  unteren,  eine  geringe  der  oberen  Extremitäten.  In 
den  unteren  traten  Erscheinungen  von  Muskelrigidität  geringeren  Grades  in  einzelnen 
Moskelgmppen  au(  Steigerung  der  Kniephänomene  und  später  paradoxe  Gontraction, 
zuerBt  bei  Dorsalflexion  des  Fusses,  später  auch  bei  Plantarflexion  desselben  und  bei 
Bewegongen  in  den  Knie-  und  Hüftgelenken.  An  den  oberen  Extremitäten  nahm 
die  Schwäche  zu,  einzelne  Fingerbewegungen  fielen  gänzlich  aus;  auch  hier  zeigte 
sich  Steifheit  bei  gewissen  Bewegungen  und  die  Erscheinungen  der  paradoxen  Gon- 
traction. Später  wurden  ähnliche  Eigenthümlichkeiten  der  Innervation  auch  an  den 
Kiefermnakeln  beobachtet  Die  Gesichtsmuskeln  zeigten  keine  unzweifelhaften  moto- 
rischen Störungen,  wohl  aber  die  Zunge,  welche  nach  rechts  hin  abwich.  Eine  Sensi- 
bilitätsstürung  hohen  Grades  erstreckte  sich  allmählich  fast  auf  die  ganze  Körper- 
oberfläche; schliesslich  nahm  auch  das  Gebiet  des  Quintus  auf  beiden  Seiten  an  dieser 
Sensibilitätsabnahme  Theil.  Die  Hautreflexe  blieben  erhalten.  Abgesehen  von  Schwindel- 
gelühl.  Angstzuständen,  gestörtem  Schlaf  bestanden  keine  allgemeinen  Gerebralerschei- 
uungen;  erst  gegen  Ende  der  Krankheit  zeigte  die  Intelligenz  eine  gewisse  Abstumpfung. 

Fat.  erlag  einer  Pneumonie  im  Anschluss  an  tuberculöse  Lungenerkrankung. 

Eine  sichere  Diagnose  war  nicht  zu  stellen;  obwohl  einzelne  Züge  der  Krankheit 
auf  multiple  cerebrospinale  Sclerose  hinwiesen,  so  stimmten  andere,  besonders  die 
weitverbreitete  Anästhesie^  nicht  damit  überein. 

Das  ausgebildete  und  verbreitete  Phänomen  der  paradoxen  Gontraction  konnte 
diagnostisch  nicht  verwerthet  werden,  da  die  Bedingungen  desselben  noch  nicht  klar 
gestellt  sind. 

Die  Section  und  mikroskopische  Untersuchung  ergab,  dass  es  sich  um  eine  Er- 
krankung der  Hinterstränge  handelte.  Dieselbe  betraf  im  obersten  Halstheil  die 
inneren  Theile  der  Goirschen  Stränge  und  die  Grenzlinie  zwischen  diesen  und  den 
Bardach*schen;  weiter  nach  abwärts  rücken  die  peripherischen  Degenerationsfelder 
mehr  und  mehr  an  die  Hinterhömer  heran.  Im  oberen  Brusttheil  verbreitem  sie  sich 
in  Form  eines  Dreieckes  mit  der  Basis  an  der  Peripherie;  auch  die  erkrankte  Parthie 
der  Goll'schen  Stränge  ist  breiter  und  weiter  nach  vom  ausgedehnt.  Im  mittleren 
Bmsttheil  ist  der  Umfang  beider  Erkrankungszonen  ein  viel  geringerer;  im  unteren 
Brusttheil  hat  sich  ein  neuer  von  der  Spitze  des  hinteren  Septums  ausgehender  De- 
generationsstreif entwickelt  Letztere  werden  im  Lendentheil  breiter  und  länger, 
während  der  mittlere  Theil  der  Hinterstränge  im  hinteren  Drittel  der  Höhe  ganz 
frei  geworden  und  auch  die  Gegend  der  hinteren  Wurzelbündel  ganz  intact  ist 
Ausserdem  im  oberen  Halstheil  auf  kurze  Längenausdehnung  im  vordersten  Theil  der 
Seitenstränge  ein  kleiner  symmetrisch  gelegener  Degenerationsfleck  und  eine  (zweifel- 
hafte) Veränderung  der  Bandzone  der  Vorder«  und  Seitenstränge  im  unteren  Brust- 
bis  zum  LendentheiL  In  der  MeduUa  oblongata  fand  sich  eine  Bindegewebsvermehrang 
and  Atrophie  von  Nervenröhren  in  den  zarten  und  Eeilsträngen. 

Die  peripherischen  Nerven  der  rechten  Unterextremität  gemischte  Stämme, 
Mnskel-  und  Hautäste  boten  verschiedene  Grade  partieller  Faseratrophie,  einzelne 
mit  interstitieller  Bindegewebsentwickelung. 

Die  hinteren   Wurzeln   des   Lendentheils   Hessen   ebenfalls   einen    gewissen 


—    8    — 

Grad  von  Atrophie  zahlreicher  Nervenröhren  erkennen;  geringer  Faserschwnnd  in  den 
vorderen  Wurzeln  des  Lendenthells. 

Anch  die  Muskeln  boten  eine  mit  Volamsverminderung  von  Fasan  einher- 
gehende Veränderung  dar,  über  deren  Natur  sich  W.  nicht  näher  ausspricht. 

W.  macht  in  der  Epikrise  zunächst  auf  das  Abweichende  des  klinischen  Bildes 
von  dem  gewöhnlichen  der  Erkrankung  der  Hinterstränge  aufmerksam  und  sucht 
diese  Abweichungen  durch  eine  genaue  Analyse  der  Symptome  dem  Verständniss 
näher  zu  bringen. 

Das  Erhaltenbleiben  des  Eniephänomens  scheint  ihm  im  vorliegenden  Falle 
auf  das  Freibleiben  der  Wurzelzone  im  untern  Brust-  und  Lendentheü  bezogen 
werden  zu  müssen. 

Das  Fehlen  der  Ataxie  ist  nach  seinen  zahlreichen  Beobachtungen  an  para- 
lytischen Geisteskranken  mit  grauer  Degeneration  der  Hinterstränge  und  ohne  Ataxie 
nicht  auffallend;  wahrscheinlich  ist  der  Grund  in  der  relativ  noch  geringen  Intensität 
der  Degeneration  zu  suchen. 

Die  ausgebreitete  und  intensive  Störung  der  Sensibilität  wird  man  nach 
W.  nicht  von  der  Erkrankung  der  Hinterstränge  ableiten  können;  vielmehr  müssen 
dafür  wohl  die  peripherischen  Nerven  in  Anspruch  genommen  werden.  Der  Ausgangs- 
punkt der  Erkrankung  der  sensiblen  Nerven  dürfte  an  ihrer  Peripherie  zu  suchen 
sein,  da  die  Atrophie  an  den  meist  peripherischen  Abschnitten  der  rein  sensiblen 
Aeste  am  ausgeprägtesten  war.  Die  motorischen  Stämmchen  schienen  ein  ähn- 
liches Verhalten  darzubieten;  wie  weit  die  Degeneration  der  einzelnen  Fasern  in  den 
gemischten  Stämmen  hinaufging,  ist  natfirlich  nicht  zu  entscheiden. 

Den  Process  der  Degeneration  kann  man  als  primäre  Atrophie  oder  chro- 
nisch parenchymatöse  Neuritis  bezeichnen. 

Die  Erklärung  der  motorischen  Schwäche  ist  durch  die  Atrophie  ^er  grossen 
Anzahl  motorischer  Nervenröhren  gegeben. 

Die  Muskelveränderung  war  allerdings  nicht  die  gewöhnliche  der  dogenera- 
tiven  Atrophie,  sondern  besonderer  Art.  Ob  diese  Veränderungen  der  Muskelsubstanz 
(am  Tibialis  anticus)  mit  dem  Phänomen  der  paradoxen  Contraction  in  irgend 
einer  Beziehung  stehen,  lässt  W.  unentschieden. 

Auch  über  den  Ausgangspunkt  der  Erkrankung,  ob  peripher,  ob  spinal,  lässt 
sich  kein  sicheres  Urtheil  abgeben. 

Eine  gewisse  Beziehung  der  Nervenerkrankung  zu  der  bei  dem  Pai  gefundenen 
Tuberculose  darf  angesichts  der  öfter  beobachteten  Coincidenz  letzterer  Erkrankung 
mit  acuteren  Formen  der  Neuritis  wohl  vermuthet  werden.  Eisenlohr. 


6)   8ur  la  pathog^nie  de  oertalns  aooidents   paralytiques    observös   ohet 
des  vieillardfl,  leurs   rapports  probables  aveo   rurömie»  par  le  Dr. 

Raymond.    (Revue  de  m^d.  1885.  Sept.  p.  705.) 

R.  berichtet  über  eine  Anzahl  von  Beobachtungen,  bei  denen  es  sich  um  das 
Auftreten  apoplectiformer,  von  Hemiplegie  gefolgter  Anfölle  handelte,  ohne  dass  die 
Section  eine  Blutung  oder  eine  Erweichung  im  Gehirn  ergab.  In  allen  diesen  Fällen 
handelte  es  sich  um  Kranke  im  vorgerückten  Alter  mit  chronischer  interstitieller 
Nephritis  (Schrumpfhiere).  Im  Gehirn  war  meist  ein  deutliches  Oedem  nachweisbar, 
und  Verf.  ist  daher  der  Ansicht,  dass  die  betreffenden  nervösen  Zufälle  auf  dieses 
Oedem  zu  beziehen  sind,  dessen  Entstehung  mit  der  Nierenaffection  zusammenhängt 
Jedenfalls  haben  derartige  Beobachtungen  ein  diagnostisches  Interesse. 

Strümpell. 


—    9    — 

7)  Deax  cas  de  myölito  asoendaate«  obaervös  pandant  la  oon'valesoenoe 
de  la  dothidnentörie,  par  le  Dr.  Raymond.  (Revue  de  medecine.  1885. 
Aoüt  p.  648.) 

IfiUheiliiiig  zweier  Fälle  von  aufsteigender  L&hmung  mit  Betbeiligang  aller  vier 
Eztremitftten  nach  Ablauf  schwerer  Abdominaltyphen.  Die  Lahmung  war  mit  Atro- 
phie und  Entartungsreaction  verbunden,  die  Sensibilität  war  an  manchen  Stellen  der 
Haut  deailich  herabgesetzt,  an  anderen  Stellen  bestand  Hyperftsthesie.  In  beiden 
Fällen  klagten  die  Kranken  Aber  Eriebeln  und  Schmerzen.  Die  Patellarrefleze  waren 
erloschen.  Nach  einigen  Wochen  trat  v(^llige  Heilung  ein.  Verf.  diagnosticirt  eine 
,,sttbacate  aufsteigende  Myelitis'^  im  Zusammenhange  mit  dem  vorhergehenden  Typhus. 
Die  Annahme  einer  peripherischen  Nervenaffection  (sog.  multiple  Neuritis), 
welche  dem  Ref.  die  bei  weitem  wahrscheinlichste  zu  sein  scheint,  wird  gar  nicht  in 
Betracht  gezogen.  Strümpell. 


8)  BleiUhmimg»  von  E.  Remak.    (Enlenburg's  Realencyclopädie.  2.  Aufl.) 

Eine  treffliche  klinische  Darstellung  der  Bleilahmung,  die  unter  Berücksichtigung 
auch  der  neuesten  Literatur  in  gedrängter  Kürze  Alles  enthält,  was  wir  über  diese 
Krankheit  wissen.  R.  hat  bekanntlich  selbst  durch  die  Aufstellung  des  Vorderarm- 
und  Oberarmtypus,  wie  durch  andere  Beobachtungen  (cf.  auch  d.  Ctrlbl.  1882.  Nr.  7) 
das  klinische  Bild  erweitert  und  vertieft.  In  Bezug  auf  die  Pathogenese  der  Krank- 
heit gehört  R.  zu  den  Anhängern  der  centralen  Entstehung  der  BleUähmung:  die 
klinischen  Erscheinungen  der  Bleilähmung  drängen  unweigerlich  zur  Annahme  cir- 
cumscripter,  bei  ihrer  Ausgleichsfähigkeit  jedenfalls  nicht  immer  destructiver,  mög- 
licher Weise  nur  functioneller  Läsionen  (de  Watteville  und  Erb)  der  grauen 
Yorderhömer  des  Rückenmarks.  M. 


9)  Heber  Bleilahmung.  Nach  einem  auf  der  10.  Wanderversammlung  der  südwest- 
deutschen Neurologen  und  Irrenärzte  in  Baden-Baden  gehaltonen  Vortrage. 
Von  Prof.  Dr.  Schnitze  in  Heidelberg.    (Arch.  f.  Psych.  Bd.  XVI.) 

Verf.  berichtet  nach  kurzer  Einleitung,  in  welcher  er  die  von  Erb  und  Remak 
angefahrten  klinischen  Gründe  für  den  primär  spinalen  Sitz  der  Bleilähmung  zu 
widerlegen  sucht,  über  einen  mit  Granularatrophie  der  Nieren  combinirten  Fall  von 
BleUähmung  bei  einem  25jährigen  Gasinstallateur.  Die  typische  Lähmung  entwickelte 
sich  beim  Pai,  der  seit  seinem  14.  Jahre  mit  Blei  (Hennige)  zu  thun  hatte  und 
seit  5  Jahren  zeitweise  an  Kolik  litt,  im  Juni  1882  (ca.  2V2  Jahre  vor  dem  Tode), 
und  zwar  zuerst  im  rechten  Vorderarme  und  6  Monate  später  im  linken.  Ergriffen 
waren  rechts:  Alle  Grundphalangenstrecker,  die  Extensoren  der  Hand,  Extensor  poll. 
long.,  Inteross.  I  ext,  M.  opponens  und  Flexor  poll.  brevis  und  im  geringen  Grade 
noch  der  Adductor  polL  brevis;  links:  Extensor  digit.  comm.,  Ext.  carpi  rad.  und 
ulnar.,  Abductor  und  Extensor  poll.  longus.  Die  erkrankten  Muskeln  waren  sehr 
atrophisch  und  zeigten  vollständige  Entartungsreaction.  Merkwürdiger  Weise  zeigte 
sich  bei  der  Prüfung  der  galvanischen  Erregbarkeit  auch  im  gesunden  Deltoid.,  Biceps 
und  Triceps  ein  kurzdauernder  heftiger  Tremor.  Sensibilität  frei,  Hautreflex  normal, 
Sehnenreflexe  lebhaft  Pat  starb  am  6.  Jan.  1885  an  Granularatrophie  der  Nieren 
und  an  pneumonischen  Heiden. 

Section:  Neben  der  mit  Hypertrophie  des  linken  Herzens  verbundenen  Nieren- 
erkrankung und  der  catarrhalischen  Pneumonie  beider  Lungen  fand  sich  im  Pons  em 
frischer  erbswgross^r  Blutungsherd.  Die  obenerwähnten  Vorderarmmuskeln  zeigten 
sich  streifenweise  bis  total  degenenrt  Die  Nn.  radiales  erst  am  Vorderarm  deutlich 
grau  verfärbt    Am  Bückenmarki  au  den  untersten  Halsauschwellungswurzeln  und  an 


—     10    — 

einzelnen  Bfindeln  der  Csuda  eqaina  „leicht  grauliche"  VerArbnngy  im  Uebrigeo 
makroskopisch  nichts  Abnormes. 

Bei  der  mikroskopischen  Untersuchung  des  Rückenmarks,  die  unter  Anfertigung 
von  zahlreichen  Schnittserien  in  den  verschiedensten  Bückenmarksabschnitten  in  der 
sorgföltigsten  Weise  (aber  an  nur  gehärteten  Präparaten)  vorgenommen  wurde,  fanden 
sich  nur  unwesentliche  und  zum  Theil  zweifelhafte  Veränderungen  (Verdickung  der 
Qefässe  in  den  Meningen,  leichte  offenbar  angeborene  Asymmetrie  der  Med.  spinaL, 
geringer  Beichthnm  an  QanglienzeUen  im  HaLs-  und  Lendentheil»  besonders  in  der 
medialen  Gruppe;  Schrumpfung  verschiedener  Ganglienzellen,  die  aber  auf  Anwendung 
von  Alkohol  bei  der  Härtung  zu  beziehen  sei;  Aufbreten  einer  grösseren  Anzahl 
kleiner  Ganglienzellen  in.  den  Vorderhömem  und  dgl.)  aber  „keine  Spur''  von 
nachweisbaren  poliomyelitischen  Processen.  Der  Bau  der  grauen  Substanz 
völlig  normal,  ohne  Eömchenzellen,  ohne  Corpora  amylacea,  ohne  Axencylinder- 
quellungen,  wohl  aber  finden  sich  zerstreut  mitunter  recht  grosse  Spinnenzellen. 
Vordere  Wurzeln  frei. 

Die  Hauptveränderungen  im  N.  radialis  beginnen  unterhalb  des  Abgangs  dos 
Astes  für  den  Supinator  longus  und  decken  sich  so  ziemlich  mit  den  auch  von  an- 
dern Forschem  beschriebenen  Befunden.  Auch  im  linken  Plexus  brachial,  fanden 
sich  in  einem  der  Nervenstämme  fleckweise  auftretende  Partien  mit  Nervenschwund 
und  Eemvermehrung. 

Die  ergriffenen  Muskeln  zeigten  die  bekannten  atrophischen  Veränderungen  mit 
bedeutender  Eemwuchemng  etc. 

Unter  Berücksichtigung  dieses  nahezu  negativen  Rückenmarksbefundes  bekämpft 
Verf.  die  Theorie  vom  primären  Sitz  der  Bleilähmung  im  Bückenmark,  welche  die 
Hauptfrage  (warum  die  deletäre  Wirkung  des  Bleies  auf  ganz  bestimmte  Muskelgruppen 
sich  beziehe)  auch  unbeantwortet  lasse,  und  bestreitet  die  Beweiskraft  der  von  Vul- 
pian,  Referenten,  Oeller  und  Oppenheim  beschriebenen  Fälle  mit  positiven  Be* 
funden  in  den  Vorderhömem.  Nach  Ansicht  des  Ref.  ist  aber  der  Rückenmarks* 
befund  im  Falle  des  Verf.  in  manchen  Punkten  zu  unsicher  und  vieldeutig,  als  dass 
er  mit  solcher  Entschiedenheit  gegen  den  spinalen  Urspmng  der  Bleilähmung  ver- 
werthet  werden  dürfte.  Verf.  ist  Anhänger  der  Ley deutschen  Ansicht  vom  primär 
peripherischen  Sitz  des  Leidens  und  hält  unter  Verwerthung  der  Gombault*schen 
Beftmde  an  Meerschweinchen  die  Läsion  in  den  Ganglienzellen  fär  secundäre  Er- 
scheinungen („das  Blei  verbreite  sich,  nachdem  es  einmal  auf  irgend  eine  Weise  in 
die  Schwann*sche  Scheide  eingedrungen  sei,  centralwärts  in  der  Faser  der  Ganglien- 
zelle"). Die  bekannte  Erhasche  Hypothese,  nach  welcher  Atrophie  im  peripherischen 
Nerv  eventuell  auch  von  mit  unseren  gegenwärtigen  Methoden  nicht  nachweisbaren 
Veränderungen  in  den  Ganglienzellen  abhängen  könne,  verwirft  er  mit  Entschiedenheit 
Schliesslich  erklärt  Verf.,  dass  er  auch  die  primär  myopathische  Theorie  der  Blei- 
lähmung, die  eine  secundäre  Nervenerkrankung  zur  Folge  hätte  (Friedländer), 
nicht  ohne  Weiteres  von  der  Hand  weisen  wolle.  v.  Monakow. 


10)  Double  optio  NeuritiB  and  Ophthalmoplegia  firom  Lead*Poisoning; 
oomplioated  by  Typhoid  Fever,  by  0.  F.  Wadsworth.  (Boston  Medi- 
cal  and  Surgical  Journal.     1885.    8.  October.) 

Knabe,  9  Jahre  alt,  erkrankte  im  Sommer  1884,  während  eines  Aufenthaltes 
auf  dem  Lande,  an  Kopfschmerzen,  allgemeinem  Unbehagen  und  den  später  zu  er- 
wähnenden Augensymptomen.  Zu  diesen  Erscheinungen  traten  nach  ungefähr  1^/^  Mo- 
naten typhusähnliche  Stühle,  Uebelkeiten,  Vergrösserung  der  Milz  und  Leber  u.s.w. 
(Nephritis  fehlte.)  Der  Gesammtzustand  wurde  als  irregulärer  Typhus  abdom.  dia- 
gnosticirt.  Was  die  Augenerkrankung  betrifft,  so  wurde  schon  Ende  August  bemerkt^ 
dass  das  1.  Auge  nicht  so  präcis  bewegt  wurde,  als  das  rechte.   Verf.  sah  den  Fat 


—  11  — 

zuA  orsien  Male  am  8.  Octobor.  Das  1.  Ange  konnte  weder  nach  innen  noch  aussen 
bewegt  werden;  Bewegung  nach  unten  Terringert,  nach  aufwärts  gut  Am  r.  Auge 
war  nur  die  Bewegung  nach  aussen  beschränkt  L.  Pupille  grosser  als  rechte.  Be- 
actiosan  gut  Ophthalmoskopisch  war  deutliche  Neuritis  an  beiden  Nn.  optici  nach- 
zuweisen. Folsem,  der  consultirt  wurde,  vermuthete  Bleüntoxication.  Es  wurde 
Jodkali  yerordnet;  nach  drei  Wochen  wurde  von  E.  S.  Wood  Blei  im  Urin  nachge- 
wiesen. Die  Muskellähmungen  gingen  zurück;  die  Neuritis  fOhrte  aber  zu  Atrophie, 
▼on  den  Typhuserscheinungen  erholte  sich  der  Knabe  nach  etwa  zwei  Monaten  Tom 
ersten  Beginne  an  gerechnet.  Blei  wurde  im  Urin  bis  zum  folgenden  Mai  (7  Monate 
hindurch)  nachgewiesen.  Die  mögliche  Quelle  der  Bleüntoxication  wird  nicht  er- 
wähnt    Sachs  (New-York). 

11)  Satomisme;  h^morrhagies  odröbrale  et  bnlbaire;  hdmlplägie  et  para- 
lyaie  des  eztensenrs  du  mdme  oötö.  Hypertrophie  du  ventrioule 
gauohe»  nephrite  interstitielle»  albnminurie ,  par  Mathieu  et  Mali- 
bran.     (Progr.  m6d,.   1885.   No.  42.) 

Fall  von  Bleivergiftung  bei  einem  41  jähr.  Arbeiter,  der  im  Ganzen  19  Jahre 
Bleidämpfen  ausgesetzt  war  und  fast  ununterbrochen  an  Bleikolik  litt:  Bechtssei- 
tige  Hemiplegie;  satumine  Lähmung  der  rechtsseitigen  Extensoren  (Supiuator  longus 
frei).  Später  neuer  apoplekt  Insult  mit  Convulsionen  der  rechten  Körperhälfte, 
schlaffer  Lähmung  der  linken,  leichte  Deviation  des  Kopfes  und  der  Augen  nach 
rechts.  Tod  zwei  Stunden  nach  dem  letzten  Anfall  im  Goma  unter  Gheyne-Stoke'- 
Bcher  Bespiration. 

Die  Autopsie  ergab  Hypertrophie  des  1.  Ventrikels,  aUgem,  Arteriosklerose  und 
Interstitielle  Nephritis.  Im  Oehim  fanden  sich  1)  ein  hämorrhagischer  Herd  in  der 
obersten  Schicht  des  Pens  Yaroli  rechterseits ,  welcher  sich  etwas  auf  den  entspre- 
chenden Fedunculus  cerebri  fortsetzte;  2)  ein  Blutherd,  der  fast  die  ganze  rechte 
Hemisphäre  einnahm;  3)  ein  älterer  Herd  in  den  linken  Centralganglien,  mit  Yer- 
schonung  der  Insel. 

Bemerkenswerth  an  dem  Fall  erscheint  uns  nur,  dass  die  Bleüntoxication  erst 
lange  Zeit  periphere  Erscheinungen  (rechtsseii  Extens.  Lähmung),  später  die  cen- 
tralen Störungen  hervorgerufen  hat,  an  denen  der  Kranke  schliesslich  zu  Grunde 
ging.  Laquer. 

12)  A  OBse  of  progressive  Musoolar  Atröphy  following  a  blow  on  the 
head,  by  W.  A.  Bullard.  (Boston  Med.  and  Surg.  Journal.  1885.  Vol. 
CXm.  p.  369.) 

Das  Besum^  des  Verf.  wird  unseren  Zwecken  vollkommen  entsprechen: 
ISia  Mann  von  60  Jahren,  Mher  gesund  und  ohne  hereditäre  Belastung,  erhält 
einen  starken  Schlag  auf  die  Unke  Seite  des  Hinterkopfes.  Gleich  darauf  empfand 
er  starke  Schmerzen  am  Kopfe  und  Nacken,  die  bis  auf  die  Schulter  und  den  Bücken 
hinunter  ausstrahlen.  Es  entwickelte  sich  in  der  Folge  eine  allmählich  sich  stei- 
gernde Schwäche  der  oberen  Extremitäten  (anfangs  nur  links)  mit  Far-  und  Anäst- 
hesien auf  der  linken  Seite.  Diese  Schwäche  wird  begleitet  von  einer  fortschreiten- 
den Atrophie  der  Muskeln  der  Schulter,  des  Bückens  und  der  oberen  Extremität 
links,  späterhin  werden  genau  dieselben  Muskeln  auf  der  rechten  Seite  betroffen. 
Elektrische  Erregbarkeit  aller  betheüigten  Muskeln  herabgesetzt.  („Main  en  grifft" 
Q.  8.  w.)  Kach  einem  Jahre  geringe  Besserung,  soweit  die  sensiblen  Störungen  in 
Betracht  kommen,  und  in  Bezug  auf  die  Atrophie  der  Extremitätenmuskeln.  Dagegen 
bleibt  Anästhesie  des  Bückens  bestehen  und  die  Atrophie  der  Bücken-  und  Schulter- 
musculatur  nimmt  eher  zu   als   ab.    Verf.   fasst  dies  als  einen  deuteropathischen 


—     12    — 

Process  auf;  seine  vorläufige  Diagnose  lautet:  Packymeningitis  chronica  cervicaliB  not 
secundarer  Entzfindung  der  Vorderhömer. 

Ein  ähnlicher  Fall  von  Gull  (Guy's  Hospital  Reports.  1857.  p.  195)  wird  in 
detaillirter  Weise  mitgetheilt  und  mit  ohigem  Falle  verglichen. 

Sachs  (New«York.) 

13)  Ein  klinischer  Beitrag  aur  Poliomyelitis  anterior  ohronioa  adoltorum« 

Aus  dem  medicin.-klin.  Institut   zu  München.    Von  R.  Stintzing.     (Aerztl. 
Intelligenzblatt.   1885.) 

Ein  60  jähriger,  nie  inficirter,  in  kaltfeuchten  Arbeitsräumen  beschäftigter  B^ 
amter  war  innerhalb  von  sieben  Monaten  an  allmählich  zunehmender  schlaffer  atro- 
phischer Lähmung  beider  Oberextremitäten  erkrankt,  deien  unter  einer  coitralen 
galvanischen  Behandlung  zur  relativen  Restitution  fahrender  Verlauf  innerhalb  einer 
Beobachtungszeit  von  acht  Monaten  genau  verfolgt  wurde.  Aus  der  ausfährlichen 
Krankengeschichte  mit  sorgfältigen  elektrodiagnostischen  Befunden  (Strommessung 
mittelst  des  grossen  Edel  man  naschen  Einheitsgalvanometers  bei  Angabe  des  Elek- 
trodenquerschnittes) seien  das  Fehlen  von  Schmerzen  und  eine  Druckempfindlichkeit 
der  Nervenstämme,  dabei  leicht  circumscripte  Sensibilitätsstörungen  in  Form  von 
Parästhesien  und  eine  geringe  Vergrösserung  der  Tastkreise  im  Ulnarisgebiete ,  be- 
sonders aber  die  eigenthümliche  Verbreitung  der  elektrischen  Alterationen  hervorge- 
hoben. Am  schwersten  durch  complete  EAB  waren  beiderseits  die  Hand-  und  Finger- 
eztensoren  geschädigt,  während  bei  übrigens  ebenso  absoluter  Lähmung  der  gleichi- 
falls  vom  Radialis  innervirte  Supinator  longus,  sowie  die  gelähmten  Oberarm-  und 
Schultermuskeln  nahezu  normales  elektrisches  Verhalten  zeigten.  Nur  im  Brachialis 
internus  bestand  galvanische  und  faradische  EAR  und  in  den  hinteren  und  lateralen 
Abschnitten  des  Deltoideus  aufgehobene  faradische  Erregbarkeit  und  träge  galvanische 
Zuckung,  während  der  daviculäre  Abschnitt  normale  Reaction  und  erst  nach  der  func- 
tionellen  Restitution  noch  nachträglich  EAR  darbot.  In  einer  dritten  Gruppe  von 
Muskeln,  den  Beugern  des  Handgelenkes  und  der  Finger  und  den  meisten  Schulter- 
muskeln, auch  im  Cucullaris,  bestand  motorische  Schwäche  ohne  Veränderungen  der 
elektrischen  Erregbarkeit  Die  Motilität  kehrte  Mher  in  den  Muskelgruppen  mit 
erhaltener  elektrischer  Beaction  zurück,  erst  nach  mehr  als  Jahresfrist  nach  Beginn 
der  Krankheit  begann  die  Streckfahigkeit  der  Finger  wiederzukehren,  wobei  unter 
fortdauernder  galvanischer  EAR  nunmehr  des  Referenten  faradische  EAR  des  fix- 
tensor  communis  bei  noch  aufgehobener  Nervenerregbarkeit  für  beide 
Stromesarten  auftrat. 

Verf.,  welcher  die  Lehre  von  der  Poliomyelitis  durch  die  zur  Zeit  der  Neuritis 
günstigere  Strömung  nicht  für  abgethan  hält,  begründet  ausführlich  die  auf  Polio- 
myelitis chronica  cervicalis  im  Bereich  des  5.  Cervicalnerven  bis  1.  Brustnerven  ge« 
stellte  Diagnose  besonders  auf  Orund  der  fn^panten  Uebereinstimmung  der  Gruppi- 
rung  der  in  verschiedener  Intensität  von  degenerativer  Lähmung  afficirten  Muskeln 
mit  den  vom  Referenten  1879  aufgestellten  Localisationstypen ,  indem  der  Fall  den 
„Vorderarmtypus"  in  schwerer,  den  „Oberarmtypus"  in  leichterer  Form  erkennen 
liesse.  Wenn  Verf.  seinen  Fall  als  den  ersten  in  der  Literatur  anspricht,  in  wel- 
chem die  atrophische  Lähmung  in  der  Oberextremität  begann  und  auf  diese  beschränkt 
blieb,  so  hat  er  jedenfalla  zwei  einschlägige  ausführliche  Beobachtungen  des  Refe- 
renten (Beobachtung  II  und  IV  der  mehrfach  citirten  Monographie)  übersehen. 

Als  noch  nicht  beschriebener  elektrischer  Befund  wird  der  Uebergang  der  com- 
pleten  EAR  in  die  faradische  EAR  bei  noch  aufgehobener  Nervenerregbarkeit  für 
beide  Stromesarten  mit  Recht  hervorgehoben.  E.  Remak. 


—     18    — 

14)  On  the  natare  of  tbe  spiaal  ImIob  In  Foliomyalitis  anterior  aonta  er 

Inlkntile  Paxalysla,  by  David  Drnmmond.    (ßnin,   1886.  p.  14—20.) 

Bin  fltaiQfiliriges,  zur  Frflhstückszeit  seines  Todestages  noch  gesundes  Madchen 
erkrankte  kurz  nachher  unter  Erbrechen  und  fieberte,  nach  mehrstfindigem  Schlafe, 
den  Nachmittag,  an  welchem  sieben  Stunden  nach  Beginn  der  Erkrankung  der  Tod 
unter  Bespirationsparalyse  emtrat.  Da  die  Obduction  nur  eine  catarrhalische  Pneu- 
monie „Tom  Umfange  einer  WaUnuss''  ergab,  so  wurde  das  Bflckenmark  im  oberen 
Abschnitt  untersucht,  wobei  die  serumreichen  Querschnitte  von  der  Medulla  oblongata 
bereits  in  den  grauen  Vorderhömem  zwischen  dem  3.  und  4.  Cendcalnerven  einen 
rothen  Erweichungsherd  ergaben.  Nach  der  Erhärtung  fand  sich  eine  bedeutende 
Erweiterung  der  CapiUaren»  Schwellung  der  zahlreichen  und  deutlichen  Ganglienzellen 
der  VorderhOmer,  kleine  Blutungen,  auch  im  Bereich  der  Yorderseitenstrange.  Verf. 
glaubt  durch  Kemerkrankusg  der  Nv.  phrenid  den  Tod  erklären  zu  kennen. 

E.  Bemak. 

15)  St  TUflUde  af  PoUomyelitia  anterior  acuta,  meddelt  af  K.  Caröe.  (Hosp.- 

Tid.   1885.  3.  B.  m.  14.) 

Ein  24  1  alter  Schuhmachergeselle,  der  am  3.  Juni  1883  im  Frederiks-Hospital 
in  Kopenhagen  aufgenommen  wurde,  war  ohne  erbliche  Anlage,  früher  stets  gesund 
und  nie  syphilitisch  gewesen.  Ohne  andere  nachweisbare  Ursache,  als  anstrengende 
Nachtarbeit  und  vielleicht  Erkältung,  war  er  vor  8  Tagen  mit  Fieber,  Kopfschmerz, 
nächtlichen  Delirien,  Durchfall,  Ameisenkriechen,  Schnurren  und  ßchweregefOhl  in  den 
Annen  erkrankt^  woraus  sich  bald  Lahmung  der  Arme  entwickelte;  allmählich  stellte 
sich  auch  Lähmung  in  den  Beinen  ein,  zuerst  im  linken,  dann  auch  im  rechten.  Die 
Sprache  wurde  schwerfallig,  Athembeschwerden  traten  aber  nicht  auf.  Wenn  Pat. 
aufrecht  sass,  schwankte  der  Kopf  nach  der  Seite  zu  und  er  klagte  über  häufig 
spontan  auftretende  Schmerz  im  Nacken,  der  in  den  rechten  Arm  ausstrahlte  und 
sehr  heftig  war.  Ende  Juni  nahmen  die  Sprachbeschwerden  ab  uud  verloren  sich, 
das  vorher  vorhandene  Fieber  nahm  ab.  Am  Os  sacrum  entwickelte  sich  ein  Decu- 
bitusgeschwür  und  vom  Damme  aus  über  die  inneren  Flächen  der  Schenkel  und 
das  Scrotum  sich  erstreckend,  symmetrischer  Herpes  zoster.  Farästhesien  verschie- 
dener Art  traten  in  den  Gliedern  auf,  aber  Prickeln,  Stechen,  Formicationen 
waren  nicht  vorhanden.  Die  Lähmung  in  den  Beinen,  besonders  rechts,  ging  all- 
mählich  zurück,  auch  in  den  Armen  zeigte  sie  geringe  Abnahme,  aber  nur  ganz 
langsame  und  ajifangs  auch  nur  in  den  Fingern  und  in  den  Schultergelenken.  An- 
fang October  stellten  sich  Contracturen  in  den  Fingern  der  rechten  Hand  und  in 
beiden  Ellbogen,  später  in  allen  Armgelenken  ein.  Passive  Bewegungen  verur- 
sachten heftigen  Schmerz  und  man  nahm  dabei  Knacken  und  Beiben  wahr;  Geschwulst 
war  aber  nicht  vorhanden  in  den  Gelenken.  Die  Gelenke  an  den  Beinen  blieben 
frei,  nur  der  rechte  Fuss  hatte  etwas  Neigung  zu  Yaro-Equinusstellung.  In  den 
Beinen  sdiien  auch  die  Kraft  allmählich  etwas  zuzunehmen.  Während  der  ganzen 
Zeit  war  die  elektrocotane  Sensibilitftt  vollständig  ungestört  gewesen,  die  elektromus- 
culare  Contractilität  aber  war  zu  Anfang  in  den  Armen  ganz  aufgehoben,  in  den 
Beinen  nur  in  den  Beugemuskehi  in  geringem  Grade  vorhanden  für  den  Inductions- 
Strom»  für  den  eonstanten  Strom  aber  in  Armen  und  Beinen  erhalten.  Die  Umfange 
an  den  Gliedmaassen  hatten  constant  abgenommen,  schienen  aber  im  October  wieder 
Neigung  zu  Zunahme  zu  haben.  Die  Behandlung  hatte  zu  Anfang  in  Anwendung 
von  Stimulantien  bestanden  mit  temperirten  Bädern,  später  wurden  Jodkalium, 
Strydinin,  Galvanisation  und  Famdisation  angewendet. 

0.  hebt  in  der  Epikrise  den  Herpes  zoster  hervor,  besonders  aber  die  Aflbotion 
der  Gelenke  an  den  Armen,  bei  der  es  sich  jedenMs  um  ein  bedeutendes  Leiden 
der  Gelenkenden  selbst  gehandelt  hat,  wie  bei  Ataxie,  Hemiplegie,  traumatischen 
Afiectionen  des  Bückenmarks.  Walter  Berger. 


—     14     - 

16)  Ueber  Vertadenuigen  des  GesiohttfdldeB  und  dar  Ptobanperooptioii 
bei  einigen  Erkrankangen  des  If enrensysteme ,  von  L.  Finkelstein. 
(lüts^eiheilt  in  der  Octobenitzuig  der  Si  Feteraborger  psychiatrischen  G«- 
seUflchaft,  1885.    BnssiBch.) 

Die  Untersnchmigen  des  Autors  betreffen  hauptsächlich  Epileptische,  zum  Theil 
auch  Hysterische,  Nenrastheniker  nnd  chronische  Alkoholisten.  Von  besonderer 
Wichtigkeit  sind  die  bei  Epileptischen  gefundenen  Veränderungen  des  Gesichtsfeldes. 
Bereits  vor  dem  epileptischen  Anfall  stellt  sich  zugleich  mit  Frodromalerscheinungen 
allgemeiner  Natur,  als  Schwindel,  Kopfschmerzen,  Herzklopfen  etc.,  Verengerung  des 
Gesichtsfeldes  an  beiden  Augen  ein;  letztere  erscheint  zuweilen  in  hemianoptischer, 
meistens  jedoch  in  concentrischer  Gestalt;  diese  beiden  Verengenmgsformen  dfirfen 
nicht  als  zwei  verschiedene  Typen  betrachtet  werden,  nnd  ihre  Differenz  ist  nicht 
wesentlich,  unmittelbar  nach  dem  Anfall  ist  die  Verengerung  am  grSssten  und  nimmt 
an  den  darauffolgenden  Tagen  allmählich  ab,  ohne  jemals  stationär  zu  bleiben.  Die 
Einschränkung  des  Gesichtsfeldes  ist  nie  fCb:  alle  GrundÜE^ben  gleich;  sie  ist  stets 
am  stärksten  fCLr  grünes  Licht,  geringer  füür  rothes  und  noch  geringer  fOr  blaues. 
Zugleich  tritt  häufig  Dyschromatopsie  auf  —  hauptsächlich  wird  grün  undeutlich  ge- 
sehen und  mit  anderen  Farben  verwechselt.  Die  Bückkehr  der  Gesichtsfeldeinschränkung 
zur  Norm  geschieht  nicht  für  alle  Farben  zu  gleicher  Zeit,  am  spätesten  für  die 
grüne.  Während  des  Bestehens  der  G.-E.  werden  oft  Flimmerscotome  beobachtet,  die 
später  verschwinden. 

Die  nämlichen  Erscheinungen  kommen  bei  Hysterie  vor,  besonders  im  Anschluss 
an  hysterische  Anfälle. 

In  neurasthemschen  Zuständen  ist  ofb  das  Gesichtsfeld  fOr  weisses  Licht  unver- 
ändert^  während  für  farbiges  eine  starke  Einschränkung  besteht 

Bei  acuter  Alkoholintoxication  Hess  sich  keine  Gesichtsfeldeinschränkung  con- 
statiren;  dagegen  fand  sich  solche  beständig  bei  chronischen  Alkoholisten  im  Delirium 
tremens.  In  diesen  Fällen  kommt  die  hemianoptische  Form  verhältnissmässig  häufiger 
vor;  Dyschromatopsie  wird  meistens  an  beiden  Augen  beobachtet»  nicht  an  einem,  wie 
Magnan  behauptete. 

Abgesehen  von  den  angegebenen  Exankheitszuständen  tritt  deutliche  und  beider- 
seitige Verengerung  des  Gesichtsfeldes  periodisch  bei  gesunden  Weibern  auf,  und  zwar 
während  der  Menstruation. 

Die  Untersuchung  wurde  mittelst  des  F5rster*schen  Perimeters  in  der  Klinik 
von  Professor  Mierzejewsky  ausgeführt  P.  Bosenbach. 


17)  Hteiiplögle  cöröbrale  inftatile  et  maladles  infbotieuBeB«  par  Marie. 
(Progrte  mid.  1885.  No.  36.) 

Den  bekannten  MittheUungen  über  die  cerebrale  Kinderlähmung,  wie  wir  sie 
in  dea  Arbeiten  von  Cotard,  Strümpell,  Eichardidre  und  Moncorvo  finden, 
fügt  M.  weitere  Beobachtungen  hinzu,  die  aus  der  Charcot'schen  Klinik  stammen: 
es  ist  ihm  dabei  hauptsächlich  von  Wichtigkeit»  den  causalen  Zusammenhang  zwischen 
dieser  Affection  und  vorauf^henden  Mectionskrankheiten  des  Kindesalters  dansnthun. 

Ein  lOjähr.  Mädchen,  dessen  Vater  ein  Potator  gewesen  und  schliesslich  an 
Tabes  zu  Grunde  ging,  bekam  in  der  Zeit,  in  welcher  sie  an  Keuchhusten  litt,  plötz- 
lich eine  rechtsseitige  Hemiplegie,  an  welcher  Gesicht,  Arm  und  Bein  betheiligt 
waren.  —  Bald  nachher  traten  mehrere  Tage  hinter  einander  Convnlsionen  in  der 
rechten  Körperhälfte  auf,  die  Stunden  lang  dauerten  und  eine  Schwäche  der  rechts- 
seitigen Extremitäten  hinterlieasen,  die  sich  aber  im  Laufe  der  Jahre  bis  auf  geringe 
Spuren  zurückbildete.  —  Dagegen  traten  epileptoide  Absenzen  und  schliesslich  4  Jahre 


—    15    — 

oacb  dem  eüsten  Erscheinen  der  Hemiplegie  echte  epileptische  AnflUle  ein,  an  denen 
die  Fat.  auch  jetzt  noch  2 — 3mal  monatlich  zu  leiden  hat. 

Bei  einem  jetzt  2^/,  Jahre  alten  Knaben,  der  mütterlicherseits  stark  neuro* 
paihisch  behistet  ist,  trat  vor  3  Wochen  nnter  ausgesprochenen  Fiebererscheinungen 
Mums  auf.  3  Tage  nachher  stellten  sich  epileptoide  Convulsionen  mit  besonderer 
Betheiligung  der  linken  Eörperhälfte  ein,  die  etwa  12  Stunden  anhielten.  Mehrere 
Tage  lang  blieb  der  Pai  somnolent;  6  Tage  nach  dem  ersten  Auftreten  der  Krämpfe 
bemerkte  man  eine  deutliche  Lähmung  der  linken  KGrperhälfte  ohne  SensibUitäts- 
stdrungen.  —  Bei  späterer  Untersuchung  erwiesen  sich  Zungenbewegungen  und 
Sprache  intact  —  Die  Sehnenreflexe  der  linken  Seite  waren  deutlich  gesteigert!  — 
Leichte  Contracturen  in  der  oberen  und  unteren  Extremität  der  gelähmten  Körper- 
halfte.  —  Das  Kind  kann  nicht  allein  marschieren  und  ist  sehr  reizbar  und  jähzornig. 

Nach  M.  besteht  keine  zufällige  Coincidenz  zwischen  Lifectionskrankheiten  und 
Auftreten  von  cerebralen  Lähmungen,  wie  sie  eben  geschildert,  sondern  erstere  stehen 
zu  letzteren  in  einem  gewissen  causalen  Verhältniss,  welches  eine  gewisse  Aehnlich- 
keit  hat  mit  jener  Erscheinung,  dass  auch  bei  der  spinalen  Kinderlähmung  in  fast 
allen  Fällen  der  eigentlichen  Lähmung  ein  fieberhaftes  (infectiöses?)  Prodromalstadium 
vorausgeht.  Die  anatomische  Analogie,  wie  sie  Strümpell  behauptet,  kann  M.  nicht 
gutheissen,  da  der  cerebralen  Kinderlähmung  nicht  immer  ein  rein  polioencephalitischer 
Process  zu  Grunde  zu  liegen  braucht.  M.  erwähnt  schliesslich  noch  den  Möbius*- 
schen  Fall,  wo  sich  bei  2  Oeschwistem:  bei  dem  Knaben  von  3  Jahren  eine  infantile 
cerebrale  Hemiplegie,  bei  dem  Mädchen  yon  einem  Jahre  infantile  spinale  Monoplegie 
eines  Armes  gleichzeitig  unter  Fiebererscheinungen  einstellten.         Laquer. 


18)  Des  rspports  de  l'Ataxie  et  de  la  paralysie  g^n^rale,  par  Baillarger. 
(Annales  m^dico-psychologiques.  1885.  Sept.) 

B.  stellt  über  zwei  vor  60  Jahren  von  ihm  beobachtete  Fälle  von  allgemeiner 
Paralyse,  welche  sich  bei  schon  vorhandener  Ataxie  locomotrice  entwickelten,  seine 
damals  ausgesprochene  Ansicht  richtig.  Er  hatte  die  grauen  Degenerationsstreifen 
in  der  weissen  Substanz  damals  als  Hypertrophie  der  grauen  Substanz  des  Bücken* 
marks  beschrieben. 

Die  beiden  Krankengeschichten  bieten  neben  jenem  seltenen  Nebeneinanderstehen 
verschiedener  Degenerationsvorgänge  im  Eückenmark  und  später  im  Gehirn  nichts 
besonders  Erwähnenswerthee.  Doch  muss  hervorgehoben  werden,  dass  in  beiden 
Fällen  Syphilis  vorhanden  war.  Jehn. 


19)  Paralysie  gdndrale  ohes  un  hdröditaire«  par  Christian.  (Annales  m^dioo- 
psychologiques.  1885.  Sept.    Arcbives  clhiiques.  p.  215.) 

Die  mitgetheilte  Krankengeschichte  hat  eine  persönliche  Bedeutung  durch  die 
künstlerische  wie  politische  Bolle,  welche  der  Befallene,  letztere  unter  der  Commune, 
gespielt  hatte.  Der  Verlauf  der  Paralyse  war  insofern  absonderlich,  als  nach  Ablauf 
des  ersten  zweifelhaften  Anfalls,  dessen  Zugehörigkeit  zum  Qesammtbilde  der  Para- 
lyse sich  erst  später  herausstellte,  eine  ungewöhnlich  weitgehende  Bemission  eintrat, 
in  welcher  der  Patient  auf  dem  wohl  am  Leichtesten  die  geistige  Abschwächung 
verrathenden  Oebiete  der  Kunst  und  Literatur,  wieder  thätig  und  Werke  von  Werth 
zu  schafifen  im  Stande  war,  welche  jedoch  von  völliger  Uneinsichtigkeit  zeugten. 

In  dem  zweiten  Anfall  nunmehr  unzweifelhafter  Paralyse  erlag  der  Patient. 
Die  Section  ergab  ausser  dem  gewöhnlichen  Befund  echter  Periencephalitis  eine  auf- 
fiUlige  Asymmetrie  des  Schädels;  die  linke  Seite  war  bedeutend  geringer  entwickelt, 


—     16    — 

als   die  rechte   und   zwar  so,   dass  die  Ungleiobheit  an  der  Basis  oranii  besonders 
hervortrat 

Christian  hebt  in  dem  Fall  das  Ungewöhnliche  im  Gkade  der  Remission  be- 
sonders hervor  und  ft-agt  sich,  ob  nicht  aswei  Terachieden  geartete  Krankheitsaustftiide 
vorgelegen  hatten.  Die  Erklärung  sucht  er  aber  darin,  dass  die  Psychose  des  Fat. 
durch  die  starke  erbliche  Belastung  i  welche  in  jener  Schädelsymmetrie  sichtbaren 
Ausdruck  fand,  beeinflusst  war,  sodass  der  erste  Theil  des  Erankheitsbildes  melir 
durch  die  Heredität,  als  durch  den  gewöhnlichen  Symptomencomplex  der  Paralyse 
seine  Färbung  erhielt.  —  Ausserdem  wird  auf  das  mehrfach  angefochtene  Neben- 
einandervorkommen  der  Paralyse  und  Lungentuberculose,  welches  im  Yorliegenden 
Fall  unzweifelhaft  bestand,  hingewiesen.  Jehn. 


Psychiatrie. 

20)  lies  faiblee  d'esprit,  par  Gilson.    (L*Encäphale.    1885.   No.  5.) 

Gilson  theilt  eine  Studie  Aber  jene  auf  der  Grenze  zwischen  geistiger  Gesund- 
heit und  Alienation  stehenden  Menschen  mit,  welche  wie  die  Imbecillen  ihre  geistige 
Schwäche  mit  auf  die  Welt  bringen,  aber  doch  eine  Stufe  höher  als  jene  stehen,  die 
geistig  beschränkten  Menschen,  zu  welchen  nicht  nur  diejenigen  gehören,  welche  eine 
unvollständige  Entwickelung  der  Intelligenz  aufweisen,  sondern  auch  jene,  welche  in 
Folge  eines  Mangels  an  Gleichgewicht  nicht  im  Stande  sind,  ihre  Existenz  zu  regeln, 
wie  die  abnormen  Excentriker.  Im  Allgemeinen  zeigen  diese  Menschen  keinerlei 
Bildungsfehler,  doch  giebt  es  auch  wohl  solche  mit  ungesäumten  Ohren  oder  Fingem, 
welche  durch  Schwimmhäute  verbunden  sind  etc.,  manche  haben  Sprachstörungen  wie 
Stottern  oder  sie  lispeln.  Schon  in  der  Schule  kennzeichnen  sich  die  schwachsinnig 
Beschränkten,  trotz  aller  Hfllfismittel  bleiben  ihre  Leistungen  unzulänglich,  gehören 
sie  den  ärmeren  Klassen  an,  lernen  sie  mit  Mflhe  ein  Handwerk,  die  reicheren  leiden 
in  jedem  Berufe  Schififbmch.  Man  mnss  bei  ihnen  passive  und  aotive  Naturen 
unterscheiden.  Die  passiven  Naturen  sind  nicht  im  Stande,  allein  den  Kampf  nm*s 
Dasein  zu  fähren,  sie  bilden  die  gefügigen  Werkzeuge  derer,  welche  sich  iluiter  be- 
mächtigen; die  activen  dagegen  sind  trotz  ihres  geistigen  Mangels  aofigeblasen  und 
ehrgeizig. 

Trotz  der  unzureichenden  geistigen  Entwickelung  zeigen  solche  Leute  doch  oft 
irgend  eine  Fähigkeit,  welche  in  hervorragender  Weise  ausgebildet  ist,  oft  das  Ge- 
dächtniss  oder  Bechnentalent,  musikalische  Begabung  oder  Zeichentalent  Die  mora- 
lischen Fähigkeiten  zeigen  stets  Defecte,  sie  sind  ausser  Stande,  ihren  Trieben  ge- 
nügend zu  widerstehen  und,  obwohl  sie  Bewusstsein  von  der  Strafbarkeit  ihrer  Hand- 
lungen haben,  begehen  sie  doch  leicht  Gesetzesdelicte,  namentlich  geschlechtliche 
Excesse  oder  Schamlosigkeiten,  auch  selbst  Brandstiftungen,  und  bieten  dadurch  für 
den  Gerichtsarzt  schwierige  Fälle,  da  ihnen  doch  eine,  wenn  auch  geminderte  Ver- 
antwortlichkeit zugesprochen  werden  muss.  Als  hauptsächlichstes  Gausalmoment  der 
geistigen  Schwäche  muss  Heredität  angesehen  werden.  Zander. 


21)  Sopra  aloone  fonne  speciall  del  resplro  negli  stati  melanooUoi,  per  il 

dott.  Mus  so.    (Arch.  di  psichiatria,  scienze  pen.  ecc.  1885.    VI.  p.  292). 

Verf.  hat  die  Athembewegung  des  Thorax  und  Abdomen  mit  Hülfe  emes 
Marey*schen  Schreibapparates  bei  mehreren  Melancholikern  untersucht  und  kommt 
zu  dem  vorläufigen  Ergebniss,  dass  der  Rhythmus,  die  Frequenz,  die  Tiefe  und  die 
Dauer  der  einzelnen  Athembewegungen  bei  Fällen  von  Melancholie  mit  Praecordial- 
angst  der  Bespiration  bei  Vagusreizung,  und  bei  Fällen  von  Melanchoüa  agitata  der 


—    17    — 

Rmpiratkm  nach  Durehsdmeidnng  des  Vagus  gleicht.  Die  Zahl  der  Athemzüge  fiel 
m  den  erstersn  Beobachtungen  bis  anf  6  und  stieg  in  den  letzteren  bis  auf  55  pro 
Minnte.  Sommer. 

23)  Note  sur  quelques  oas  de  Slalorrhöe  d*origfne  nerreose«  par  Mabille. 
(Annales  m^dico-pfifjchologiqnes.   1885.  Sept.  p.  206.) 

Nicht  die  gewöhnlichen  Fälle  von  übermässiger  Speichelabsonderung  im  Verlauf 
stuporöser  oder  dementer  Zustände  interessiren  den  Verf.,  sondern  jene,  welche  ge* 
wissennaassen  anfallsweise,  wie  durch  eine  Beizung  von  Gehimcentren ,  das  massen- 
hafte Speicheln  auftreten  lassen.  Mabille  erwähnt  als  Stütze  der  Auffassung,  dass 
Sialorrhoe  nach  Reizung  von  Gehimcentren  auftrete,  das  Experiment  Vulpian's, 
welcher  nach  Beizung  der  Binde  beim  Hunde  Epilepsie  und  Sialorrhoe  erzielte. 

In  Anlehnung  an  schon  mehrfach  bekannt  gewordene  Fälle  intermittirender  Sia- 
lorrhoe berichtet  dann  Mabille  über  eine  Dame  von  60  Jahren ,  welche  mehrfach 
verschiedenartige  hysterische  Anfälle  gehabt  hatte  und  schliesslich  öfters,  sogar  mehr- 
fach im  Laufe  eines  Tages,  von  wirklichen  Anfällen  von  Sialorrhoe  betroffeu  wurde. 
Diese  wurden  zuweilen  von  einem  kurzen,  trockenen  Erampfhusten  eingeleitet,  worauf 
«ch  der  Mund  plötzlich  mit  Speichel  füllte  und  dann  ganze  Geisse  voll  entleert 
wurden«  Der  Speichel  zeigte  an  sich  nichts  AuffaUendee.  Meist  trat  der  Anfall 
ohne  jede  vorbereitende  Erampferscheinnng  auf.  Die  Kräfte  wurden  durch  diesen 
massenhaflen  Verlust  von  Flüssigkeit  merkwürdigerweise  wenig  oder  gar  nicht  alte- 
rirt.  In  der  Zwiechenzeit  war  die  Dame  völlig  wohl,  ihre  sonstigen  Excretionen, 
zumal  der  Harn,  normal 

Nach  erfolgloser  Anwendung  von  Atropin  gelang  die  Heilung  nach  Verordnung 
von  Bromnatrinm  und  Bromammonium  zu  4  gr.  pro  die. 


23)  On  Bpileptio  violenoe,  by  M.  G.  Echeverria.    (Journal  of  mental  science. 
1885.  April.) 

Anknüpfend  an  einen  bestimmten  Fall,  m  welchem  ein  Epileptiker  wegen  Er- 
mordung seiner  Schwester  und  Verwundung  seiner  Mutter  zum  Tode  verurtheilt^  aber 
von  der  Königin  begnadigt  worden  ist,  zeigt  Echeverria,  dass  die  Gewaltacte  der 
Epileptiker  nicht  selten  einen  so  eigenthümlichen  Charakter  von  Baffinement  zeigen, 
dass  es  fraglich  erscheinen  könnte,  ob  sie  als  im  postepileptischen  Irrsinn  ausgeübt 
angesehen  werden  müssen,  oder  ob  nicht  vielmehr  durch  den  hohen  Grad  von  Ueber- 
legung,  welche  die  AusfOhrung  erforderte,  bewiesen  wird,  dass  der  Epileptiker  die 
verbrecherische  Handlung  im  Zustande  der  Zurechnungsfahigkeit  verübt  hat.  Verf. 
zeigt,  dass  die  geistige  Störung,  welche  die  epileptischen  Anfälle  begleitet,  keines- 
wegs die  Existenz  von  vorhergegangener  Gereiztheit  bei  Verübung  eines  postepilep- 
tischen Gtowaltactes  ausschliesst,  und  dass  in  Fällen  von  epileptischer  Manie  keines- 
wegs Tölliges  Fehlen  von  Motiven  fär  die  Handlangen  allgemein  ist.  Hass  und 
Animosität  verbinden  sich  häufig  mit  Ueberlegung,  Ueberlegung  ist  aber  mit  (Geistes- 
störung nicht  unvereinbar.  Die  epileptische  Neurose  verursacht  jedesmal  einen  mehr 
oder  weniger  vollständigen  Verlust  des  Bewusstseins  und  dies  dauert  auch  noch  im 
postepileptischen  Stadium,  sei  es  für  einen  kurzen  Moment  oder  selbst  für  mehrere 
Tage,  an. 

Dear  Epileptiker  handelt  automatenhaf t ,  ohne  Fähigkeit,  sein  eigenes  Gebahren 
zn  controliren ,  die  Moralität  seiner  Thaten  zu  prüfen ,  während  der  ganzen  Dauer 
des  poetepileptischen  Stadiums,  wenn  er  auch  ganz  rationell  und  motivirt  zu  handeln 
acheint  und  deshalb  bleibt  der  Epileptiker  auch  nicht  verantwortlich.  Eine  grosHo 
Reibe  von  Fällen,  theila  eigener  Beobachtung,  theils  der  Literatur  entnommen,  dient 


—    18    — 

zum  Beweise,  daes  oft  eine  vor  dem  Anfalle  gefasste  Idee  in  dem  antomatiecbeii 
Stadium  nach  dem  Anfalle  planmäasig  anageffthrt  wird,  aber  doch  fehlt  das  Bewnasi» 
sein  bei  der  Ausführung,  oft  auch  die  Erinnerung  des  Geschehenen  yollst&ndig.  Die 
gefosste  Idee,  das  leitende  Motiv  steht  in  seinem  geringen  Werth  im  grellsten  Wider- 
spruch zur  Schwere  des  vollbrachten  Gewaltactes. 

Für  die  richtige  Würdigung  der  Fälle  vor  Gericht  ist  es  sehr  wichtig,  dass 
diese  Gewaltausbrüche  der  Epileptiker  häufig  der  psychische  Exponent  von  nicht 
beobachteten  Anfällen  von  petit  mal  sein  können,  es  darf  also  keinem  Epileptiker 
die  Verantwortung  für  Thaten  zugeschoben  werden,  die  er  während  jenes  automaten« 
haflien  Stadiums  bei  unvollkommenem  oder  aufgehobenem  Bewusstsein  vollbracht  Darin 
stimmt  Echeverria  also  mit  Falret  überein,  der  in  allen  Criminalfallen  den  Epi- 
leptiker von  der  Verantwortlichkeit  befreit  sehen  möchte.  Zander. 


Therapie. 

24)  Süll'  JXBo  del  tabaooo  da  dabo  nei  saiii,  nei  pasBl  e  nei  delinquentit 

per  il  Prof.  S.  VenturL    (II  Manicomio.   1885.  Jahrg.  I.  Heft  2  u.  3.) 

Ausführliche  Untersuchung  über  die  Häufigkeit,  die  Veranlassung  und  die  etwai- 
gen Gründe  zum  Schnupfen,  sowie  die  Empfehlung,  den  Gebrauch  des  Schnupftabaks, 
wenigstens  in  Irrenanstalten,  nicht  zu  verbieten,  da  seine  subjectiven  Vortheüe  für 
die  Gtowohnheitsschnupfer  zweifellos  sind  und  da  immerhin  auch  einmal  ein  objectiv 
nachweisbarer  Nutzen  geschaffen  werden  kann:  bei  einigen  stuporösen  Patienten 
glaubt  Verf.  entschieden  eine  günstige  Beeinfiussung  gesehen  zu  haben.  Die  Einzel- 
heiten entziehen  sich  natürlich  einem  kurzen  Referat  Es  sei  hier  nur  erwähnt,  dass 
in  Italien  etwa  15^0  ^^^  Männer  und  l'57o  ^^^  Frauen  im  Alter  von  über 
20  Jahren  schnupfen,  dass  mit  dem  steigenden  Alter  besonders  bei  Frauen  diese 
Gewohnheit  schnell  zunimmt  —  84  ^/^  aller  Frauen  über  50  Jahr  schnupfen  — , 
dass  Geisteskranke  im  Allgemeinen  häufiger  schnupfen  als  Geistesgesunde,  und  dass 
die  Ersteren  im  Durchschnitt  viel  früher  mit  dieser  Gewohnheit  begonnen  haben, 
als  die  Letzteren.  Verf.  schliesst  daraus,  dass  das  Schnupfen  aus  einem  ähnlichen 
Drange  nach  einem  Stimulans  entspringt,  wie  der  Alkoholgenuss,  und  dass  daher 
vorwiegend  Individuen  mit  abnormem  Nervensystem  in  Folge  von  neuropsychopathischer 
Veranlag^g,  Krankheit  oder  höherem  Alter  den  Tabak  gewissermaassen  als  Heil- 
mittel gebrauchen.  Aber  selbst  wenn  das  Tabaksschnupfen  nur  eine  liebgewordene 
Gewohnheit  wäre,  würde  man  in  Irrenanstalten  aus  humanen  Rücksichten  dasselbe 
nicht  verbieten  dürfen.  Auch  als  Anregung  resp.  als  Belohnung  für  geleistete  Arbeit 
wird  sich  gerade  das  Schnupfen  empfehlen,  da  es  die  kleinen  Bedenken  gegen  das 
Rauchen  und  die  Unreinlichkeit  des  Eauens  nicht  hervorrufL  Sommer. 


Anstaltswesen. 

26)  Preaidential  address,  delivered  at  the  annual  meeting  of  the  medico- 
psychologioal  assooiation,  held  at  Qneen's  oollege»  Cork  Aug.  4. 
1885,  by  J.  A.  Eames.     (Joum.  of  ment  science.   1885.   Oci) 

Verf.  hebt  in  seinen  Reden  hervor,  dass  nach  seiner  Meinung  die  Verbreitung 
von  Geisteskrankheiten  entschieden  in  der  Zunahme  begriffen  sei  und  macht  dafür 
die  Erschwerung  des  Kampfes  um's  Dasein  namentlich  für  die  niederen  Klassen  ver- 
antwortlich. Den  Beweis  für  seine  Annahme  schöpft  er  aber  nur  aus  der  unverhält- 
nissmässigen  Zunahme  der  in  seiner  Anstalt  erforderlichen  Plätze,  nicht  aus  einer 
allgemeinen  Irrenzählung. 


—    19    — 

In  der  folgenden  Bespreohfing  der  Anstalten  in  Irland  betont  Verfasser,  dass 
dieselben  entsprechend  der  weniger  verwöhnten  agricolen  Bevölkerung  des  Landes 
durchweg  eine  wenig  luxuriöse  sei,  dagegen  werde  für  angenehme  Zerstreuung  der 
Kianken  reichlicii  gesorgt,  und  namentlich  rühmt  er  den  guten  Einfluss  eines  von 
ihm  in  der  Anstalt  eingeführten  Amüsements  sehr,  er  veranstaltet  n&mllch  an  vier 
Abenden  wöchentlich  Tanzvergnügungen  im  QeseUschaftshause ,  an  denen  500  von 
ca.  1100  Patienten  theilnehmen. 

Eine  weitere  Specialitat  der  vom  Verf.  geleiteten  Anstalt  bilden  die  türkischen 
Bäder,  in  welchen  täglich  250  Patienten  baden  können,  sie  bieten  den  Vorzug  der 
grösseren  Beinlichkeit  und  ersparen  dabei  dem  Wartepersomd  viel  Zeit  und  Arbeit» 
da  Verf.  berechnet  hat,  dass  zu  jedem  gewöhnlichen  Bade,  wenn  jeder  Patient 
reines  Wasser  erhalten  soll,  wenigstens  V«  Stunde  gehört,  vorausgesetzt,  dass  ge- 
Dfigend  heisses  Wasser  vorräthig  ist  Vorzüglich  ist  auch  der  sanitäre  Einfluss  der 
türkischen  Bader,  für  Patienten  aber,  welchen  aus  ärztlichen  Gründen  das  türkische 
Bad  untersagt  werden  muss,  sind  natürlich  gewöhnliche  Bäder  vorhanden.  —  Beson- 
dere Würdigung  findet  dann  noch  die  Euirichtung  der  irischen  Universitäten,  durch 
welche  im  Examen  eine  Prüfung  in  der  Psychiatrie  obligatorisch  gemacht  ist,  und 
dass,  um  den  angehenden  Aerzten  einen  Cursus  in  einer  Anstalt  zu  ermöglichen,  ein 
Stipendium  von  1000  Mark  gestiftet  sei.  Zander. 


nL  Aus  den  GtosellBohaften» 

Berliner  medicinische  G-esellschaft    November  1885. 

Zur  diagnostisohen  Bedeatung  der  refleotorisohen  Fupillenstarre,  von 
Dr.  W.  ühthofl    (Autor-Beferat.) 

Nach  einleitenden  historischen  Bemerkungen,  Besprechung  der  Prüfüngsmethoden 
geht  U.  in  kurzreferirender  Weise  noch  einmal  auf  die  ICittheilung  in  Betreff  der 
reflectorischen  Pupillenstarre  von  Moeli,  Thomson  und  Siemerling  in  der  Ber- 
liner psjch.  Gesellschaft  (Sommer  1885)  ein,  wo  über  ein  Qesammtmaterial  von 
4000  Geisteskranken  berichtet  wurde.  lieber  diesen  MoelTschen  Vortrag  ist  seiner 
Zeit  in  diesem  Blatte  berichtet  worden.^  U.  hat  sich  nun  bemüht,  durch  mehijährige 
Untersuchungen  auch  auf  anderen  Gebieten  der  Pathologie  die  Lehre  von  dem  klini- 
schen Vorkommen  der  reflectorischen  Pupillenstarre  thunlichst  zu  erweitem.  Zunächst 
untersuchte  er  Hunderte  von  Gesunden  daraufhin,  bei  einem  notorisch  gesunden 
Menschen  wurde  niemals  eine  reflectorische  Pupillenstarre  gefunden,  wie  auch  Erb 
angiebi  In  zweiter  Linie  wurden  eine  grosse  Anzahl  innerlich  Kranker  berücksichtigt, 
welche  XJ.  im  Laufe  der  Jahre  zu  untersuchen  Gelegenheit  hatte,  unter  ihnen  waren 
es  eigentlich  nur  die  Nervenkranken,  wo  die  Pupillenstarre  vorkam,  kurz  Fälle,  wie 
sie  auf  der  Nervenklinik  sich  wiederfinden.  In  dritter  Linie  wurde  das  Material  der 
Nervenklinik  der  Charit^  (Geh.  Bath  Westphal)  mit  Gnauck  und  Oppenheim 
zusammen  untersucht  (550  Fälle)  und  viertens  das  Material  der  Schoeler*schen 
Augenklinik  (12000  Kranke),  ü.  hebt  noch  besonders  die  Vormchtsmaassregehi  und 
die  Schwierigkeiten  solcher  fortgesetzter  Untersuchungen  hervor.  Er  stellt  femer 
zwei  Beobachtungsreihen  auf;  in  der  ersten  die  reflectorische  Pupillenstarre  im  ge- 
wöhnlichen Sinne,  in  der  zweiten  die  eigentliche  Lähmung  des  Sphincter  pupillae  und 
der  Accommodation  (Ophthalmoplegia  interna)  (Hutchinson),  zu  der  ersten  Beihe 
sind  jedoch  auch  die  Fälle  mitgerechnet,  wo  auf  dem  einen  Auge  wohl  eine  Lähmung 
der  Accommodation  und  des  Sphincter  pupillae  vorhanden,  auf  dem  andern  dagegen 
eine  reflectorische  Pupillenstarre  im  gewöhnlichen  Sinne. 


>  Cf.  1886.  p.  854, 


—    20    — 

Die  eigentliche  refleotorische  Papillenstarre  kftm  im  GaazeD  ISGinil  zur  Be- 
obacbtang  bei  diesen  650  Nerren-  und  12000  Angenkranken.  —  1.  Bei  Tabes 
92mal  (67,6  %  ^^^  ^^®  ^^^  refleetoriscber  PapiUenstarre)  hierbei  nur  Smal  ein- 
seitige Lähmung  der  Acoommedaüou  und  des  Sphincter  pupillae,  femer  in  ca.  ein 
Viertel  der  F&lle  Pnpülendifferenz.  In  64  ^/^  aller  TabesfiUle  fehhe  die  Pupilien- 
reaction.  —  3.  Bei  Dementia  paralytica  12mal  (8,8  ^/o).  3.  Bei  cerebralen  Herd- 
erkrankungen  8mal  (5,8  ^^).  4.  Bei  Lues  11  mal  (8,1  ^/o),  hiervon  8  F&lle  von 
Himlues,  nur  3mal  ohne  zur  Zeit  bestehende  complidrende  Erscheinungen,  darunter 
2  Kinder  mit  Syphilis  congenita.  5.  Congenital  2mal  (1,4%)  gleichzeitige  rudi- 
mentäre Entwickelung  der  L*is.  6.  Multiple  Sderose  2mal  (1,4  7^),  die  reflectorische 
Pnpillenstarre  kam  in  fiast  4^/^  aller  F&lle  der  multiplen  Sderose  zur  Beobachtung. 
7.  Biulway  Spine  2mal  (1,4  ^/q).  8.  Retinitis  pigmentosa  mit  oongenitalem  Schwach- 
sinn (Imal).  9.  Kopfverletzung  ImaL  10.  Aneurysma  trunci  anonymi  Imal. 
10.  Tabakmissbrauch  ImaL  11.  Rechtsseitige  Hemian&sthesie  und  Hysteroepilepsie 
je  Imal,  letztere  beiden  F&lle  sind  nicht  gani  aufgeUArt  12.  Nur  3mal  vrar  kein 
ätiologisches  Moment  auügefanden,  aber  gerade  diese  3  F&lle  waren  nur  unzureichend 
beobachtet  und  deshalb  nicht  etwa  beweiskr&ftig  für  das  Vorkommen  von  reflectorischer 
Papillenstarre  bei  Gesunden. 

In  der  zweiten  kleineren  Beobachtungsreihe  von  isolirter  L&hmung  des  Sphincb^ 
pupillae  und  der  Accommodation  (Ophthalmoplegia  interna)  ist  die  Reihenfolge  der 
ätiologischen  Momente  eine  ganz  andere. 

1.  Bei  Syphilis  9mal  (29  ^/^  aller  vorkommenden  F&lle  von  Ophthalmoplegia 
interna),  meistens  einseitig.  2.  Trauma  2mal  mit  gleichzeitiger  Linsenloxation. 
3.  Bei  Tabes  3mal.  4.  Paralyse  der  Lrren  2mal.  5.  Exquisite  Erk&ltung  (?)  Imal. 
6.  Tumor  cerebri  Imal.  7.  Himtuberculose  Imal.  8.  Kein  Grund  nachweisbar 
12 mal  (39^/0)  meistens  doppelseitig  bei  verh&ltnissmässig  jungen  Individuen  und 
gewöhnlich  zurückgehend,  darunter  jedoch  auch  ein  Fall,  wo  doppelseitige  Ophthalmo- 
plegia interna  seit  20  Jahren  unverändert  bestand,  ohne  dass  sonst  krankhafte  Er- 
scheinungen von  Seiten  des  Centralnervensystems  gefolgt  waren. 

Hieran  schliesst  U.  noch  Bemerkungen  über  das  Verh&ltniss  und  Zusammenvor- 
kommen  der  Sphincter-  und  Accommodationsl&hmung  und  hebt  einzelne  Ausnahmen 
hervor  von  seinen  F&llen.  Femer  erwähnt  er  von  ihm  in  einen  Falle  beobachtete  kleine 
hippusartige  Gontractionen  des  Sphincter  iridis  bei  reflectorischer  Pupillenstarre  un- 
abhängig von  der  Beleachtung.  Zum  Schluss  wird  auch  noch  darauf  aufmerksam 
gwnacht,  wie  das  Oocaln  auch  noch  verdient,  in  diagnostischer  Beziehung  fOr  die 
Pupillenreaction  angewendet  zu  werden,  wie  das  auch  schon  Moeli  gethan  hat 
U.  führt  2  einschl&gige  F&Ue  an. 

Die  reflectorische  Pnpillenstarre  ist  auf  eine  verh&ltnissmässig  kleine  Anzahl 
von  Krankheitsgruppen  beschr&nkt  und  gerade  darin  liegt  ihr  hoher  diagnostischer 
Werth. 


Verein  für  innere  Medicin  zu  Berlin.    Sitzung  vom  30.  November  1885. 

Leyden:  Ueber  Kniagelenkaiffeotlo&  bei  Tabes. 

Vortragender  giebt  zuerst  eine  Uebersicht  über  den  Stand  der  Frage  des  Za- 
sammenhangs  von  Tabes  und  Arthropathien.  Er  selbst  habe  sich  bisher  (cf.  Artikel: 
Tabes  in  der  Eulenburg'schen  Bealencydop&die)  der  Charcot*schen  Anschauung 
angeschlossen,  dass  es  sich  bei  diesen  Aifeetionen  um  neurotische  Vorg&nge  handle, 
wenn  er  auch  die  Charcot*sche  Beobachtung,  der  in  einem  Falle  von  Schulteigelenk- 
affection  eine  Atrophie  des  grauen  Vorderhoms  derselben  Seite  (als  trophiaehen  Cen- 
trums) fand,  nicht  bestätigen  konnte. 

Neuerdings  sei  er  jedoch  wankend  in  Bezug  auf  diese  AufflEissung  geworden, 
und  neige  mehr  der  Volkmann*schen  Auffassung  zu,  der  die  Entstehung  derartiger 


—    21     — 

AffiBctionen  in  Traamen  (Distorsionen  etc.)  suche,  welche  eine  Entzündung  und  Exsu- 
dationen in  den  Gelenken  hervorrufe.  Dafür  scheinen  auch  zwei  FäUe  seiner  Be- 
obachtm^  zu  spreoheni  die  Vortragender  erw&hnt: 

1)  46jähriger  Arbeiter.  Tabes  mit  Erguss  in's  rechte  Kniegelenk.  Entleerung 
des  Kniegelenks.  Heilung  der  Knieaffection.  Jetzt  nach  ca.  8  Monaten  Kniegelenk 
wiedffl-  aufgetrieben,  verkrümmt;  Genuvalgum-Stellung.  Knirschen  und  Krachen  des 
Gelenks  bei  passiver  Bewegung. 

2)  Tabes  mit  starkem  Erguss  im  rechten  Kniegelenk.  Der  Gang  des  Patienten 
machte  eine  Distorsion  des  Kniegelenks  zweifellos,  eine  Distorsion,  welche  bei  jedem 
Schritte  neuen  Beiz  erfuhr.  Ein  von  Dr.  Beely  construirter  Apparat  wirkte  so 
günstig,  dass  innerhalb  zweier  Monate  die  Kniegelenka£fection  vollkommen  zurück- 
gebildei  ist 

Vortragender  erwähnt  schliesslich  die  orthopädischen  Apparate  von  Hessing 
in  Göppingen  bei  Tabes. 

Beely  beschreibt  seinen  Apparat,  der  ein  Hülsenschienenverband ,  wie  ihn 
Hessing  zuerst  angefertigt  (von  Kuby^  beschrieben).  Für  jeden  Apparat  musa 
em  besonderes  Modell  gefertigt  werden. 

Der  Apparat  wird  Tag  und  Nacht  seit  dem  31.  August  getragen.  In  einem 
andern  Fall  von  Tabes  mit  Spondylolisthesis  wirkte  ein  Stützapparat  ebenfalls  günstig, 
wenn  er  auch  auf  die  Ataxie  ohne  Einfluss  war. 

Oppenheim  erwähnt  Fälle  von  Gelenkerkrankung  und  Spontanfhu^uren  bei 
Tabes.  Tu  5  FäUen  von  Tabes  mit  Knochen-  und  Gelenkerkrankungen  zeigte  sich 
neben  den  Veränderungen  im  Bückenmark  erhebliche  Degeneration  der  peripherischen 
Nerven. 

Leyden:  Nicht  alle  Gelenkaffectionen  der  Tabiker  stehen  auf  gleicher  Stufe. 
Für  manche  ist  unzweifelhaft  der  Ursprung  nicht  traumatischer  Natur;  für  die 
grossen  Gelenke,  namentlich  für  die  Kniegelenke  weisen  aber  die  besprochoien  Ver- 
hältnisse auf  Distorsionen  oder  ähnliche  Traumen  hin.  M. 


8oci6t6  de  Biologie  ä  Paris.     Sitzung  vom  21.  November  1885. 

Pitres  zeigte  Femur,  Becken,  Dorsal-  und  Lumbalwirbel  von  einem  Tabiker, 
bei  dem  er  Arthropathien  diagnosticirt  hatte.  Der  erste  Lendenwirbel  ist  fast  voll- 
ständig zerstört,  auf  dem  zweiten  finden  sich  Osteophyten,  die  Körper  und  Apophysen 
bedecken.  Nirgends  findet  man  jene  weiten  Höhlen,  wie  bei  Krebs  oder  Tuberculosis. 

Diese  Wirbelarthropathien  entwickeln  sich  ohne  Schmerz.  Sie  können  Tuber- 
culosis oder  Neoplasmen  der  Knochen  vortäuschen.  M. 


Berliner  Gesellschaft   für  Psychiatrie  und  Nervenkrankheiten.    Sitzung 
vom  14.  December  1885. 

1.  Oppenheim  giebt  zur  Einleitung  in  die  Discussion  über  seinen  am 
9.  November  gehaltenen  Vortrag  (über  multiple  degenerative  Neuritis)  noch  einige 
Bemerkungen ,  die  er  ans  den  bisher  von  ihm  beobachteten  Fällen  abstrahirt  hat: 
Die  Kranken  sind  häufig  Alkohoüsten  und  der  Beginn  der  Symptome  war  oft  gleich- 
zeitig mit  ^em  Delirium  tremens.  Aber  alle  Alkoholisten  bezogen  ihr  Leiden  auf 
eine  nachweisbare  schwere  Erkältung.  Bei  manchen  Kranken  waren  schon  vor  Jah- 
ren geringere  Symptome  vorübergehend  aufgetreten.  Immer  waren  die  unteren  Ex- 
tremitäten ergriffen;   und  die  Ataxie,  nicht  selten  der  tabischen  vollkommen  gleich. 


'  Aerztliches  Intelligenzblatt    München  1879. 


—    22    — 

bot  manchmal  ein  besonderes  Bild  darch  die  vollständige  Lähmung  der  Füsse.  Die 
Ataxie  stand  übrigens  nicht  in  bestimmtem  Verhältniss  zu  den  SensibilitfttsstGrangen, 
weiche  meistens  nnr  ganz  geringe  waren. 

Immer  bestand  incomplete  Entartnngsreaction.  AufMend  war  der  Befand  bei 
einem  Patienten,  der  alle  Erscheinungen  (Parese,  Fehlen  des  S^niephfinomens,  Schmer- 
zen etc.)  nur  an  der  linken  unteren  Extremität  zeigte.  Bei  einem  Theile  der  atro- 
phischen Muskeln  fand  sich,  Tergllchen  mit  dem  Verhaltoi  der  rechten  Seite,  eine 
Steigerung  der  faradischen  Erregbarkeit  und  die  Zuckungen  erschienen  wulstf5rmig, 
rosenkranzfönnig.  Bei  directer  galvanischer  Beizung  erfolgten  träge  Zuckungen  mit 
Ueberwiegen  der  Anode.  —  Das  Eniephänomen  fehlte  immer;  es  kehrte  manchmal 
schon  nach  einigen  Tagen,  in  schweren  Fällen  nadi  5 — 6  Monaten,  ja  in  einem 
Falle  noch  nach  2^/,  Jahren  zurück.  Von  Himnervenaffectionen  sind  die  Augen- 
muskellähmungen bemerkenswerth:  Doppeltsehen  in  Folge  einer  Parese  des  Abdncens. 
—  Differenz  der  PupUlen  und  träge  Contraction  derselben  wurde  mehrmals  consta- 
tirt,  nur  einmal  Pupillenstarre,  zweimal  Nystagmus.  Mehrmals  Pulsbeschleunigung 
mit  Irregularität,  änmal  Pnlsverlangsamung. 

Siemerling  theilt  hierauf  einen  von  ihm  beobachteten  Fall  einer  34 jährigen 
Potatrix  mit,  die  an  Collaps  starb.  Negativer  Befund  an  den  OentiBlorganen,  keine 
E<>mchenzellen';  hochgradige  Degeneration  an  den  peripherischen  Nerven  der  unteren 
Extremitäten.  An  den  Muskeln  zeigte  sich  auf  Querschnitten  eine  erhebliche 
Eemvermehrung. 

Bernhardt  weist  auf  die  häufige  Ooincidenz  von  Tuberkulose  hin,  was 
den  Gedanken  an  das  Vorhand^iseui  organisirter  Stoffe  als  Ursache  der  multiplen 
Neuritis  erweckt. 

Bemak  setzt  auseinander,  wie  schwierig  jetzt  unter  Umständen  die  Unter- 
scheidung von  Tabes  und  multipler  Neuritis  sein  kann  und  betont  die  Nothwendig- 
keit  genauer  elektrischer  Prüfung. 

Moeli  hebt  dagegen  für  diesen  Zweck  die  Anwendung  von  Jendrassik's 
Kunstgriff^  bei  Prüfung  der  Eniephäaomene  hervor,  da  er  mittelst  desselben  bei 
multipler  Neuritis  die  sonst  nicht  nachweisbaren  Eniephänomene  noch  hervorrufen 
konnte,  bei  Tabes  aber  niemals. 

2.  Liman:  ,,War  Anna  Bother  (Process  Graef)  zurechnungsfähig?"  Die 
Frage  sei  unbedingt  zu  verneinen,  und  der  an  sich  triviale  Fall  biete  eigentlich  nur 
Interesse  durch  den  Conflict  zvrischen  den  Sachverständigen  und  dem  Staatsanwalt 
resp.  Untersuchungsrichter.  Die  Epilepsie,  vielleicht  Hystero-Epilepsie  der  A.  B.  sei 
als  sicher  erwiesen  zu  betrachten.  L.  hofft  denmächst  Zusammenstelfaingen  aus 
PKHzensee  zu  erhalten  über  den  Prooentsatz  der  Geisteskranken  und  der  Simulanten 
unter  den  Gefangenen  daselbst  Vorläufig  könne  er  nur  das  üronzOosche  Besultat 
wiederholen,  nach  welchem  man  unter  43  000  Gefangenen  264  Geisteskranke  und 
nur  einen  Simulanten  fand. 

3.  Thomson  demonstrirt  einen  Geisteskranken  mit  eigenthümlicher  Sensi- 
bilitätsstörung, einen  Alkoholisten,  33  Jahre  alt,  der  verwirrt  und  tobsüchtig  auf- 
geregt in  die  Charit^  kam,  dann  aber  in  einen  Zustand  massiger  Dementia  und 
Apathie  gekommen  ist  mit  intercurrenten  Anflillen  von  Angst  und  Verwirrtheii  In 
der  ganzen  Zeit  (2  Monate)  ist  eine  complete  Analgesie  an  Eopf,  Hals  und  Schultern 
stationär  vorhanden.  Man  kann  die  Haut,  die  Nasenscheidewand  durchstechen  ohne 
Schmerzäusserung  des  Eranken,  die  Cornea- zeigt  eine  ganz  geringe  Beaction.  Dabei 
sind  die  sensorischen  Nerven  hochgradig  afficirt:    Anosmie,   Geschmack  rudimentär. 


'  Dies  Centralbl.  1885.  S.  412.    In  der  Disoiusion  wurde  übrigens  noch  mehrfach  der 
Werth  diesee  Eunstgriffes  hervorgehoben. 


—    23    — 

starke  Taubheit,  Verlust  des  Farbensinnes,  concentrische  Gesicbtsfeldbescliränkang. 
Ausserdem  sind  beide  Hände  und  Fflsse  nebst  einem  Stück  der  Haut  der  Arme  und 
Beine  unempfindlich. 

Anamnestiscb  ist  noch  zu  erwilhnen,  dass  Patient  1881  einen  heftigen  Schlag 
gegen  den  Hinterkopf  erhalten  hat;  aus  der  entstandenen  Wunde  sind  nach  und 
nach  mehrere  Knochensplitter  eztrahirt  Seitdem  datiren  die  jetzigen  Erscheinungen. 
Krämpfe  sollen  niemals  dagewesen  sein.  Hadlich. 


IV.  Bibliographie. 

Des  oolonies  d'alldnös,  par  Victor  Qudart.   Gand  1884.    (Extr.  du  bullet,  de 
la  Soc.  de  m^d.  ment.  de  Belgique  1884.) 

Der  verdiente  Generalinspector  des  belgischen  Irrenwesens  giebt  in  vorstehender 
Schrift  zuerst  fttr  weitere  Kreise  Kunde  von  der  Anlage  und  Entwickeluifg  einer 
neuen  Irreucolonie  nach  dem  Muster  Gheels,  die  gewiss  auch  bei  uns  warmes 
Interesse  finden  wird. 

Verschiedene  ünzuträglichkeiten,  die  sich  aus  der  Unterbringung  wallonischer 
GeisteslEranker  in  dem  durchaus  vlämischen  Gheel  ergaben,  fahrten  zu  dem  Versuche 
der  Gründung  einer  Colonie  in  wallonischer  Gegend;  nach  längeren  Verhandlungen, 
in  welchen,  wie  Qu.  betont,  weder  das  religiöse  noch  das  humanitäre  Moment,  son- 
dern vorwiegend  pecunifire  Interessen  in's  Feld  geführt  wurden,  gelang  es  endlich, 
die  Oommone  läemeux  bei  Lüttich  bereit  zu  finden,  und  am  19.  April  1884  wurde 
der  Anüuig  mit  2  männlichen  und  2  weiblichen  von  Gheel  herObergebrachten  Kran- 
ken gemacht.  Durch  vorsichtige  Auswahl  der  Kranken  gelang  es,  die  Bevölkerung 
von  der  früheren  Opposition  soweit  zu  bekehren,  dass  zur  Zeit  der  Abfassung  der 
Schrift  sohon  28  Kranke  untergebracht  waren  und  die  Zahl  der  sich  meldenden  Pfleger 
zwischen  40  und  50  betrug.  Mit  Decret  vom  11.  Febr.  1885  genehmigte  der  König 
die  Anlage  der  Colonie  und  deren  Reglement,  das  sich  ziemlich  eng  an  das  von 
Gheel  anschliessi 

Wenn  etwas  in  demselben  unseren  hierländischen  Anschauungen  widerstrebt»  so 
ist  es  die  bekanntlich  auch  in  Gheel  geübte  familiäre  Pflege  von  ^^Unreinen''.  Un- 
zweifelhaft verdient  der  Versuch  unsere  vollste  Aufmerksamkeit,  da  er  manchen  be- 
züglich Gheels  in*s  Feld  geführten  Widerspruch  als  nichtig  widerlegt. 

(Auf  dem  letzten  psychiatrischen  Congresse  zu  Antwerpen  hat  Qu.  eine  Mitthei- 
lung über  die  neue  Colonie  gemacht;  einer  brieflichen  Mittheilung  desselben  entnehme 
ich  die  Aeusserung,  dass  der  Versuch  als  vollständig  geglückt  angesehen  werden 
kann.)  A.  Pick. 


La  Idgialation  relative  «uz  alldnäs  en  Angleterre  et  en  Eoosse.  Bapport 
de  missions  remplies  en  1881  et  1883,  par  A.  Foville.  Paris  1885. 
(203  Seiten.) 

Als  das  Resultat  zweier  im  amtlichen  Auftrage  unternommenen  Studienreisen 
verdifentlicht  F.  eine  eingehende  Studie  über  die  in  England  und  Schottland  gflltige 
Irrengesetzgebung,  welche  einen  Theil  des  im  Senate  früher  vorgelegten  Berichtes 
über  das  demselben  unterbreitete  Project  eines  neuen  Irrengesetzes  bildet 

Wer  selbst  einmal  einschlägige  Studien  gemacht,  wird  die  Schwierigkeiten  gerade 
dieser  Arbeit  ermessen  und  das  Dankenswerthe  derselben  umsomehr  anerkennen,  als 
F.  auch  eine  organische  Darstellung  von  der  Wirksamkeit  der  betreffenden  Gesetze 
giebt;  seine  Arbeit  erweist  sich  als  eine  durchaus  zuverlässige  Zusammenfassung,  die 


—     24     — 

es  em^gfic&t,  alich  ohti&  auf  die  Quellen  zurückzugehen,  alles  ffotbwendige  aus  ihr 
zu  s(^pfen;  aber  auch  ftlr  den  auf  die  Quellen  Zurückgehenden  wird  die  Schrift 
sich  als  werthvofier  Führer  in  der  zuweilen'  höchst  Terwickdten  Materie  erweisen. 

Die  Schrift  bietet  aber  noch  weit  mehr,  als  der  Titel  besagt;  sie  behandeld  atis- 
führlich,  gleichsam  als  Rückwirkung  der  Irrengesetzgebung,  das  Irrenwesen  der  beiden 
Länder,  sowohl  historisok  abs  nach  seinem  gegenwärtigen  Standpunkte*,  Hnd  auch 
dieser  Theil  des  Werkes  besitzt  die  von  dem  anderen  gerühmten  Vorzüge,  so  dass 
das  Gkmze  allen  Interessenten  wärmstens  empfohlen  sei.  A.  Pick. 


V.  Personalien. 

Dem  Oberarzte  am  Straf gefangniss  Plötzensee,  Sanitätarath  Dr.  Baer,  ist  der 
Preis  zuerkannt  worden  für  die  in  Born  ausgeschriebene  Concurrenzarbeit  „über  die 
in  diesem  Jahrhundert  (in  Italien  und  anderswo)  gemachten  Fortschritte  in  den  Stu- 
dien über  die  Anthropologie  der  Verbrecher  und  über  den  Werth  der  auf  Grund 
dieser  Thatsachen  aufgestellten  Theorien". 


Prof.  Dr.  V.  Erafft-Ebing  in  Graz  wurde  zum  ordentl.   Professor  der  Psy- 
chiatrie an  der  deutschen  Universität  Prag  emaimt. 


VI.   Vermischtes. 

Geistesstörangen  bei  Negern.  Kiernan  (Journal  of  nerv,  and  ment.  diseafie, 
1885,  V.  290)  weist  darauf  hin,  dass  die  Bncheinungen  des  Irreseins  bei  Negern  in  gewisser 
Hinaehi  charakteristisch  sind.  Besonders  auffallend  sind  Tobanfalle  mit  sexueller  En^^gnngp 
die  meietens  im  Frühjahr  ausbrechen,  und  die  wegen  der  sinnlosen  Baserei  mit  dem  berüch- 
tigten „Amoklaufen"  der  Malaien,  ja  mit  den  sexuellen  Wuthzustanden  der  Stiere,  des 
männlidien  Elephanten  und  der  Paviane  verslichen  werden  können.  Im  Uebrigen  ist  ihre  ge- 
nauere Beobachtung  sehr  erschwert  dnrcn  die  schnelle  Behandlung,  der  sie  unterworfen 
werden»  und  die  gewöhnlich  ,Jn  der  Application  von  Blei,  Hanf  oder  Stahl  in  genügender 
Menge,  um  Euthanasie  zu  bewirken",  besteht! 

Eine  eigenart^e  Färbune  erhalten  die  Psychosen  der  Neger  dadurch,  dass  sie  in  der- 
selben Weise,  wie  die  ungebildeten  Yolksklassen  bei  uns,  Hallucinationen  und  besonders  die 
schmerzhaften  Empfindnnestäuschungen  nicht  auf  elektrische  oder  magnetische  Emwirkungen, 
sondern  auf  geheimnissvdle  Kräfte  und  Sprüche  ihrer  Dämonen  und  Zauberer  zurückführen. 
Bei  den  Negern,  die  wenigstens  in  den  Vereini^n  Staaten  wohl  sämmtlich  als  Christen 
anzusehen  sind,  brechen  immer  noch  die  alten  afrikanischen  Aberglauben  gelegentiich  durch 
und  so  spielt  in  ihren  Verfolguneswahnvorstellungen  der  achtbare  Schlangen|^tt  Wudu 
eine  bedeutende  Bolle,  unangenehme  Sensationen  werden  nicht  durch  Galvaniamos  oder 
durch  Zauberei,  sondern  durch  „Wuduism**  bewirkt;  die  H^ncinanten  fahlen  sich  „gewiiduet*'. 
(Bei  einem  tobsüchtigen  Neger  oder  richtiger  Mulatten  von  Barbadoes,  Westindien,  den  Bef. 
zufallig  unter  seiner  Behandlung  hat,  soll  die  sexuelle  Erregung  vor  der  Aulhahme  in  die 
Anstalt  eine  exoessive  gewesen  sein;  später  war  nichts  besonders  aufißllig  und  in  der  Be- 
convalesoenz,  in  der  er  sich  jetzt  befindet,  wollte  der  verhältnissmässig  gebildete  Kranke 
nicht  mit  einer  Erklärung  des  „Wudu  -  Dienstes",  der  gerade  auf  den  Antillen  nodi  zu 
Orgien  und  Menschenopfern  Anlass  geben  soll,  heraus.) 

Erwähnenswerth  ist  noch  die  Beobachtung  Eiern an's,  dass  erst  seit  der  Sklaven- 
emancipation,  also  erst  seitdem  die  Neger  selbstotändig  in  den  Kampf  um's  IXaaein  haben 
eintreten  müssen,  Paralyse  bei  ihnen  häufig  geworden  ist  Sommer. 


Um  Einsendung  von  Separatabdrücken  an  den  Herausgeber  wird  gebeten. 

Einsendungen  für  die  Bedaction  sind  zu  richten  an  Prof.  Dr.  E.Mendel,  ^ 

Berlin,  NW.  Kronprinzen-Ufer  7. 


Verlag  von  Ybit  &  Comp,  in  Leipzig.  —  Druck  von  Mbtzobb  &  Wima  in  I^eipzig. 


NeurologischesCentralbutt. 

Uebersicht  der  Leistungen  auf  dem  Gebiete  der  Anatomie,  Physiologie,  Pathologie 
und  Therapie  des  Nervensystemes  einschliesslich  der  Geisteskrankheiten. 

Henuugegeben  toh 

Professor  Dr.  E.  Mendel 
Ftnfter  •«  "«*^  Jahrgang. 


Monatlidi  eneheiiien  zwei  Nummern.   Preis  des  Jahrganges  16  Mark.   Zn  beziehen  dorch 
alle  Bnohbuidlangen  des  In-  and  Avslandes,  die  Posfeanstalten  des  Deutschen  Beiehs»  sowie 

direot  von  der  Yerlagsbuehhandlung. 

1886.  15.  Januar.  M  2. 


Inhalt  I.  OriglnalmMhelluiigeB.  1.  Ueber  einen  Fall  von  progressivor  Ophthahno* 
plegie>  von  Prof.  Dr.  Adolf  StrDmpell«  2.  Zur  Anatomie  der  Glandula  pinealist  kurze  Mit- 
theihing  Ton  Dr.  L  Dartechewitseb. 

IL  Rilterate.  Experimentelle  Physiologie.  1.  Becherches  sur  la contraction  simul- 
tsafo  dea  musoleB  antagonbtes,  par  Bsiimlt.  2.  Förhällandet  af  nanrens  trirsnitt  til  de 
elektriska  retmedlen,  af  Bllx.  —  Pathologische  Anatomie.  8.  Des  d^änerations  secon- 
daires  de  la  moelle  ^piniäre  constotives  aux  l^ions  exp^rimentales  m^dulkires  et  corticales, 
par  Lotweirtbal.  —  Pathologie  des  Nervensystems.  4.  Ein  Fall  von  eorticaler  Epilep- 
sie u.  poetepUeptoiden  Lähmungen,  von  Nearonow.  5.  Ueber  die  sich  an  Kopfferle^ungen 
und  EoBchllttemngen  anschliessenden  Erkrankimgen  des  Nerrensystems,  von  Oppenheim. 
6.  Sur  deux  cas  de  monopl^e  bradiiale  hyst^iique,  de  cause  traumati^ue,  ohez  l'homme, 
le^on  de  Charcet,  recueillie  par  Marie  et  Gulnon.  7.  A  case  of  hystero-epüepsy  in  the  male, 
by  Oliver«  8.  On  a  muscular  phenomenon  obserred  in  hysteria»  and  analogous  to  the  »para- 
doxieal  contraction",  by  Cliareot  et  Richtr.  9.  Schwere  Hysterie,  von  äfletser.  10.  Gas 
d'hystäie  dans  lequel  les  attaques  sont  marqu^es  par  une  manifestation  rare;  ^temuments, 
par  Leite.  11.  Gases  of  ophthalmoplesia,  complicated  with  yarious  other  affeotions  of  the 
nenrous  system,  by  Bristewe.  —  Psychiatrie.  12.  Directe  Vererbung  von  Geisteskrank- 
heiten, von  Sloll.  18.  £tude  clinique  sur  les  ali^n^  hör^ditaires,  par  Taty.  14.  Einfinas 
der  erblichen  Belastung  auf  Entwiekelung.  Verlauf  und  Prognose  der  Geistesstörungen,  von 
Kalitdier.  —  Therapie.    15.  Pilocarpine  in  acute  Alooolism,  by  Jotbam. 

III.  Aas  den  OeMlIidiaHtn. 

IV.  Bibliographie. 

V.  Personalien. 

VI.  Vemitchies. 


I.  Originalmittheilungen. 


1.   Ueber  einen  Fall  von  progressiveir  Ophthalmoplegie. 

Von  Prof.  Dr.  Adolf  Strfixnpell  in  Leipzig. 

Die  grosse  Onippe  der  prünaTen  Degenerationen  des  zur  willkürlichen 
Bewegnng  dienenden  cortico-muscnlären  Leitangssystems  ist  ans  einer  Anzahl 
von  Erankheitsbildem  zusammengesetzt,  deren  Unterschiede  im  V^esentlichen 


—    26    — 

nur  durch  die  versohiedenen  FniiGtionen  der  gerade  befallenen  Mnskelgebiete 
bedingt  sind.  Die  Mehrzahl  der  Neurologen  ist  daher  gegenwartig  wohl  ein- 
verstanden mit  der  einheitlichen  Zusammen&ssong  der  hierher  gehörigen  Erank- 
heitsformen,  welche  früher  unter  verschiedenen,  noch  jetzt  üblichen  Namen  (pro- 
gressive MuskelatrophJe,  progressive  BulbärparalTse,  amyotrophische  Seitenstrang- 
sclerose  u.  a.)  als  besondere  Erankheitsarten  unterschieden  wurden.  Freilich  stützt 
sich,  zumal  bei  der  noch  sehr  ungenügend  bekannten  Aetiologie  dieser  Zustände, 
diese  Anschauung  vorzugsweise  auf  den  durchaus  gleichmässigen  klinischen  und 
anatomischen  Charakter  der  erwähnten  Krankheitsformen;  indessen  sdieinen 
dieselben  doch  auch  insofern  zu  einer  ätiologischen  Einheit  zu  gehören,  als 
sie  alle  wahrscheinlich  von  gewissen  Schädlichkeiten  abhängen,  welche  unmittel- 
bar krankmachend  auf  die  motorischen  Fasern  resp.  Zellen  selbst  einwirken. 
Diese  Schädlichkeiten  brauchen  nicht  in  dem  Sinne  „specifische''  zu  sein,  dass 
ihre  Folgen  nur  von  einer  einzigen  bestimmten  Ursache  hervorgebracht  werden 
können,  wie  etwa  der  Typhusprocess  in  der  That  nur  von  dem  „specifischen'' 
Typhusgift  abhängen  kann.  Die  primäre  chronische  Degeneration  der  motorischen 
Leitungsbahnen  bliebe  auch  dann  eine  einheitliche  Erankheit^  wenn  sie  durch  an 
sich  verschiedene,  aber  zu  denselben  Folgen  fahrende  Ursachen  hervoigerufen 
werden  könnte.  Unser  Ziel  kann  es  nicht  sein,  die  Krankheiten  ausschliess- 
lich nach  ihren  ätiologischen  oder  ausschliesslich  nach  ihren  anatomischen 
Verhältnissen  einzutheilen,  sondern  je  nach  dem  vorhandenen  Bedürfnisse  sollen 
wir  stets  den  wesentlichen  Gesichtspunkt  vor  den  nebensächlicheren  berück- 
sichtigen. 

Zu  den  einzelnen  £[rankheitsbildern,  unter  denen  uns  die  primäre  Degene- 
ration der  einzelnen  Abschnitte  des  motorischen  Leitungssystems  entgegentritt, 
gehört  auch  die  fortschreitende  symmetrische  Lähmung  der  Augenmuskeln. 
Da  dieselbe  aber  noch  weniger  genau  bekannt  ist,  als  die  übrigen  analogen 
Erkrankungen,  so  mag  der  folgende,  von  mir  in  meiner  Poliklinik  beobach- 
tete Fall  einen  vielleicht  wünschenswerthen  Beitrag  zu  der  noch  ziemlich 
spärlichen  hierher  gehörigen  Gasuistik  liefern.  Auf  eine  ausführlichere  Berück- 
sichtigung der  übrigen  Literatur  muss  ich  in  dieser  kurzen  Mittheilung  ver- 
zichten. Eine  Zusammenstellung  der  bisher  bekannt  gewordenen  Beobachtungen 
findet  man  in  dem  vor  Kurzem  erschienenen  Buche  von  Mauthneb  über  „die 
Nuclearlähmung  der  Augenmuskeln",  wobei  freilich,  wie  mir  scheint,  eine  etwas 
strengere  kritische  Sonderung  der  einzelnen  Fälle  wünschenswerth  gewesen  wäre. 

A.  Th.  Winkler,  50  Jahre  alt,  seit  seinem  12.  Lebensjahre  Gigarren- 
arbeiter,  welche  Beschäftigung  er  erst  vor  wenigen  Jahren  mit  der  eines 
Hausirers  vertauscht  hat  Eine  hereditäre  Anlage  zu  nervösen  Erkrankungen 
ist  in  keiner  Weise  nachweisbar.  Fat  war  früher  stets  gesund  und  kräftig; 
luetisch  inficirt  ist  er  niemals  gewesen.  Er  selbst  giebt  als  Ursache  seiner  Er- 
krankung eine  heftige  Erkältung  an,  welche  er  sich  im  Jahre  1861  während 
eines  grösseren  Brandes  in  Leipzig,  wobei  er  als  Feuerwehrmann  thätig  war, 
zugezogen  haben  will.  Wenigstens  bemerkte  er  bald  danach  zum  ersten  Male, 
dass  seine  oberen  Augenlider  herabgesunken  waren  und  dass  er  beim  seitlichen 


—    27 

Sehen  seinen  Kopf  mehr  drehen  musste,  als  Mher.  Er  nahm  wiederholt  ärzt- 
fiche  Hülfe  in  Ansprach,  doch  konnte  ich  leider  genauere  Angaben  über  den 
damaligen  objectiven  Befand  nicht  erhalten.  Sehr  langsam  und  ohne  alle 
sonstigen  Nebenerscheinangen  nahm  die  Bewegongsstörang  allmählich  za.  Irgend 
welche  schmerzhafte  Empfindnngen  hat  Fat.  niemals  gehabt  Er  litt  nie  an 
Schwindel  nnd  erinnert  sich,  niemals  Doppeltsehen  gehabt  za  haben.  Seine 
Sehkraft  war  anfanglich  ganz  normal,  warde  aber  allmählich  für  die  Nähe 
schwächer,  so  dass  er  eine  Brille  tragen  mosste.  Seit  vielen  Jahren  ist  sein 
Zastand  angeblich  unverändert  geblieben.  Fat  hat  sich  an  denselben  gewöhnt 
und  suchte  die  Foliklinik  nur  wegen  seit  Kurzem  bestehenden  rheumatischen 
Beschwerden  in  den  Knieen  auf,  bei  welcher  Gelegenheit  wir  auf  den  Zustand 
seiner  Angen  aufinerksam  wurden  und  folgenden  Befund  notirten. 

Fat.  ist  ein  mittelgrosser,  etwas  schwächlich  aussehender  Mann.  Sofort 
auffallend  ist  die  auf  beiden  Seiten  bestehende  starke  Ftosis.  Die  oberen 
Augenlider  hängen  tief  herab  und  können  nur  soweit  gehoben  werden,  dass  ein 
Spalt  von  knapp  4  mm  zwischen  beiden  Augenlidern  entsteht  Fat  muss  daher, 
um  zu  sehen,  fast  stets  seinen  Eopf  ein  wenig  nach  hinten  bi^n.  Beide  Aug- 
äpfel li^en  etwas  tief  in  ihren  Höhlen  und  sind  fast  vollkommen  parallel  ge- 
stellt Die  äusseren  Theile  des  Auges  sind  vollständig  normal.  Fordert  man 
den  Kranken  auf,  seinen  Blick  nach  den  verschiedenen  Richtungen  hin  zu 
wenden,  so  bemerkt  man,  dass  beide  Bulbi  fast  vollkommen  unbeweglich 
sind.  Nur  noch  Spuren  von  Beweglichkeit  nach  unten  und  nach  beiden  Seiten 
hin  sind  übrig  geblieben.  Fat  braucht  daher  zum  seitlichen  Sehen  stets  Be- 
wegungen seines  Kopfes.  Die  Fupillen  sind  von  mittlerer  Weite,  zuweilen 
sogar  ziemlich  weit,  und  zeigen  gegen  Lichteindrücke  eine  vollkommen  gute 
Reaction.  Irgend  welche  Veränderungen  an  ihnen,  wenn  Fat  sich  bemühen 
soll,  abwechselnd  einen  Gegenstand  in  der  Form  und  einen  in  der  Nähe  zu 
betrachten,  sind  nicht  deutlich  bemerkbar.  Um  über  die  Befractionsverhältnisse 
des  Auges  genaueren  Aufschluss  zu  erhalten,  bat  ich  Hm.  C!olIegen  Dr.  Schbötbb, 
den  Kranken  zu  untersuchen.  Derselbe  theilte  mir  freundlichst  folgenden  Be- 
fand mit:  „Links  Hypermetropie  Vso^  ^^hts  Hypermetropie  Vso*  D&hei  liest 
Fat  links  Jäger  1  erst  mit  +  10,  rechts  Jageb  2  mit  +  8,  was  also  auf 
Rechnung  einer  Accommodationslähmung  kommen  muss.  Sehschärfe  links 
^Uo  f  ^^^bte  ^^70*  ^^^^^  Oesichtsfeldbeschränkung.  Farbensinn  normal.  Augen- 
hintergrund ebenfalls  vollkommen  normal.'^ 

Im  Gebiete  der  bulbären  Nerven  sind  im  Ilebrigen  keine  ausgesprochenen 
Störungen  nachweisbar.  Nur  eine  gewisse  Schlaffheit  der  Qesichtsmuskeln, 
welche  im  Ilebrigen  aber  aUe  gut  beweglich  sind,  ist  vielleicht  bemerkenswerth. 
Die  Zunge  wird  gerade  herausgestreckt  und  zeigt  keine  Spur  von  Atrophie. 
Sprache,  Stimme  (Fat  singt  noch  jetzt  in  einem  Gesangverein  2.  Bass),  Schlingact 
ungestört  Gehör,  Geruch,  (Geschmack,  Sensibilität  des  Gesichts  und  der  Mund- 
höhle vollkommen  erhalten.  —  Auch  am  übrigen  Körper  (Limgen,  Herz,  Harn  etc.) 
nichts  Krankhaftes  nachweisbar.  Lasbesondere  fehlt  jede  Andeutung  von  tabischen 
Erscheinungen.    Fat  hat  beiderseits  ziemlich  lebhafte  Patellarreflexe. 


—    28     — 

Soxnit  stellt  unsere  Beobaofatong  erneu  reinen  Fall  von  beiderseitiger  pro- 
gressiver Ophthalmoplegie  dar.  Die  allmaUich  entstandene  Lähmung  betrifft 
sammüiche  „äussern''  Augenmuskeln  und  den  Accommodationsmuskel,  welcher 
letztere  Umstand  deshalb  besonders  hervorgehoben  zu  werden  verdient ,  weil 
das  Freibleiben  der  Acconunodation  von  einigen  Autoren  als  charakteristisch 
angesehen  worden  ist.  Somit  erscheint  aber  die  Abgrenzung  des  bdallenen 
Muskelgebietes  in  viel  naturlicherer  Weise  nicht  durch  die  Lage  (,,äu8sere''  oder 
,4nnere'')  der  betrefifenden  Muskeln  bedingt  zu  sein,  sondern  durch  den  Umstand, 
dass  alle  der  willkürlichen  Lmervation  unterworfenen  Muskeln  der  Degene- 
ration verfsdlen,  während  die  rein  reflectorisch  eintretende  Fupillenreaction  allein 
vollkommen  erhalten  bleibt.  Der  anatomische  Frocess  besteht^  wieausana^ 
logen  Beobachtungen  mit  grosster  Wahrscheinliohkät  geschlossen  werden  kann, 
ausschliesslich  in  einer  degenerativen  Atrophie  der  betreffenden  Nervenfasern 
und  Ganglienzellen  (Kerne  der  Oculomotorii,  Abducentes  und  Trochleares)  mit 
den  hinzugehörigen  secundären  Degenerationen.  Dass  sich  die  Atrophie  noch 
weiter  central wärts  entwickeln  kann,  ist  nicht  unmöglich,  aber  bisher  nicht 
nachgewiesen.  Ich  fasse  den  Frocess  ak  Tollständig  analog  den  übrigen  Formen 
der  primären  Degeneration  des  motorischen  Systems  auf,  deren  jede  gewisser- 
maassen  eine  besondere  LocaUsation  in  einem  sich  functioneU  abgrenzenden 
Muskelgebiete  darstellt.  Diese  Abgrenzung  ist  fireilich  durchaus  keine  ganz 
strenge,  wie  die  ja  recht  häufige  Gombination  spinaler  und  bulbärer  Amyo- 
trophien  zeigt  Auch  die  Atrophie  der  Augenmuskeln  kann  sich,  wenn  auch 
selten,  mit  anderen  bulbären  Atrophien  vereinigen.  Eine  gewisse  Unabhängig- 
keit der  einzelnen  Muskelgebiete  und  eine  dadurch  bedingte  Selbstständigkeit 
ihrer  Erkrankung  ist  aber  zweifellos  vorhanden.  So  giebt  es  z.  B.  Falle  von 
progressiver  Muskelatrophie,  die  Jahre  lang  auf  gewisse  Muskelgruppen  der 
oberen  Extremitäten  beschränkt  bleiben,  ebenso  Fälle,  bei  denen  nur  die  Zungen- 
Lippen-Musculatur  betroffen  ist  u.  a.  In  unserer,  oben  mitgetheüten  Beobach- 
tung ist  die  Beschränkung  der  Erkrankung  auf  die  Augenmuskeln  sehr  aus- 
gesprochen, da  das  Leiden  schon  25  Jahre  besteht  und  seit  vielen  Jahren  voll- 
kommen, abgeschlossen  erscheint.  Entweder  wirkt  die  krankmachende  Schädlich- 
keit nicht  mehr  ein  oder  der  Frocess  ist  zum  Stillstand  gekommen,  nachdem 
alle  der  Degeneration  überhaupt  zugänglichen  Theile  befallen  sind,  etwa  ebenso 
wie  eine  Flamme  von  selbst  erlischt^  wenn  alles  Brennmaterial  verzehrt  ist 
Einen  offenbar  sehr  ähnlichen  Fall  von  Ophthahnoplegie  mit  schliesslichem 
StiUstand  der  Affection  erwähnt  auch  A.  Gbaefe  in  seinem  Handbuch  der  ge- 
sammten  Augenheilkunde  (Bd.  VI,  1,  S.  74). 

Bemerkenswerth  ist^  dass,  wie  auch  schon  andere  Beobachter  hervorgehoben 
haben,  niemals  Doppeltsehen  bestanden  hat.  Dies  erklärt  sich,  wie  mir  scheint, 
am  besten  durch  die  Annahme  einer  Erkrankung  der  zu  den  associirten 
Augenbewegungen  gehörigen  Gkmglienzellen  resp.  Fasern,  so  dass  also  auch  die 
Lahmung  stets  eine  associirte  gewesen  sein  muss.  Diese  Thatsache  würde  mithin 
auch  gegen  den  peripherischen  Ursprung  der  Erkrankung  sprechen. 

In  Betreff  der  Aetiologie  des  Falles  lässt  sich  nichts  Sicheres  angeben. 


—    29    — 

Die  vom  Pat  selbst  hervorgehobene  Erkältung  durfte  schwerlieh  die  allein 
maas^bende  Ursache  der  Lähmung  gewesen  sein.  VieDeicht  ist  aber  die  Frage 
gerechtfertigt,  ob  nicht  die  Beschäftigung  des  Fat.  als  Cigarrenarbeiter  (seit 
seinem  12.  Lebensjahre)  zu  toxischen  Einwirkungen  gefuhrt  haben  kann.  Eine 
sichere  Entscheidung  hierüber  liesse  sich  aber  naturlich  erst  nach  ausgedehn- 
teren Erfahrungen  treffen. 


2.    Zur  Anatomie  der  Glandula  pinealis. 

Kurse  Mittheilang  von  Dr.  !■.  DarkBohewitaeh  aus  Moskau. 

Es  ist  in  der  letzten  Zeit,  entgißgen  der  Ansicht  von  Meynebt  ^  und  Hage- 
mann,' von  einigen  Autoren  (Schwalbe,^  Edinoeb^)  die  Meinung  ausgesprochen 
worden,  dass  die  Ol.  pinealis  nicht  als  ein  Ganglion,  sondern  als  eine  „einfache 
Drüse^  au%efasst  werden  muss.  Vor  kurzem  hat  sogar  Gionini^  eine  Mittheilang 
veröffentlicht,  in  welcher  er  behauptet,  dass  selbst  in  dem  Stiel  der  Ol.  pinealis 
durch  keine  Färbungsmethode  Nervenfasern  nachzuweisen  seien. 

Eigene  vergleichend-anatomische'  Untersuchungen  (Frosch,  Kaninchen,  Hund, 
Affe,  menschl.  Fötus)  haben  midi  zur  TJeberzeugung  gefuhrt,  dass  die  Ansicht, 
welche  die  nervöse  Natur  der  Ol.  pmealis  bestreitet,  eine  unrichtige  ist. 

Den  Nachweis  gedenke  ich  aber  nicht  für  die  zelligen  Elemente  des  Co- 
narium  zu  ftkhren,  da  wir  derzeit  keine  absolut  charakteristischen  Kennzeichen 
für  die  nervöse  Natur  von  Zellen  besitzen,  sondern  wende  mich  zur  Besprechung 
der  in  dem  Organ  auffindbaren  Nervenfasern. 

Wenn  man  sich  der  WEiGERT'schen  Hämatoxylintinction  bedient,  hat  es 
nicht  die  geringste  Schwierigkeit  sich  von  der  reichlichen  Existenz  von  Nerven- 
fasern in  der  Ol.  pinealis  zu  überzeugen ,  wie  dies  auf  der  beistehenden  Fig.  1 
zu  sehen  ist 


Fig.  1.   Frontalsobnitt  durah  den  Affenlunuitanim :  1.  Corp.  qnadr.  anp.,  2.  Glandula  pinealis. 

*  S^uoKsufs  Handbnoh  d.  Lehre  v.  d.  Gewebe.  Bd.  2.  S.  744. 

*  Ueber  d.  Bau  d.  Gonarhim.  1872. 

'  Lehrbach  der  Neurologie.  1881.  S.  478. 

*  Zehn  Vorlesungen  über  d.  Bau  d.  n.  Centralorgane.  1885.  S.  55. 

*  Sulla  Btrattnra  della  ghiandola  pineale.  --  Dieses  Centralbl.  1885.  S.  320  (Ref.  too 
Sommer). 


—    80    — 

Eine  eingehende  Untersuchung  dieser  Fasern  zeigt,  dass  man  de  nach  ihrer 
Herkunft  in  folgende  Systeme  ordnen  kann. 

1.  Fasern  aus  der  Gapsuhi  interna. 

2.  Fasern  der  Striae  medulläres. 

3.  Fasern  des  MBTNBBT'schen  Bändels. 

4.  Fasern  des  Tractus  opticus. 

5.  Fasern  aus  der  hinteren  Oehimcommissur. 

Die  Verbindung  der  Gl.  pineahs  mit  den  Fasern  der  hinteren  Gommissar 
des  Gehirns,  auf  die  schon  Metnbbt^  und  Pawlowsky'  aufmerksam  gemacht 
haben,  scheint  uns  besondere  Beachtung  zu  verdienen,  da  zwischen  den  Fäsem 
der  hinteren  Gehimcommissur  und  den  Kernen  der  motorischen  Augennerven 
eine  enge  Beziehung  existirt' 

Die  beistehende  Fig.  2  stellt  einen  Schnitt  des  Hundehims  dar,  an  welchem 
die  Verbindung  der  Fasern  der  hinteren  Commissur  mit  der  GL  pinei^  er- 
sichtlich ist 


^  Gl.  pinealia. 

%  Thalamos  opticm. 

f  CommiMora  posterior. 
#  Aquaedncttui  SyWii. 


Fig.  2.    Frontalschnitt  dareh  den  Hondehiinstaniiii. 


n.  Referate. 


Experimentelle  Physiologie. 

1)   Reoherohes   Bur  la  oontraotion  simultanöe  des  musolea  ant^gonistes, 

par   H.  Beaunis,   prof.  de  physiol.,   Nancy.     (Gaz.  m^.  de    Paris.   1885. 
28  et  29.) 

In  seinen  Untersuchungen  über  die  Form  der  Reflezcontraction  des  Muskels  im 
Jabre  1883  hatte  B.  häufig  gleichzeitige  Gontractionen  von  Streck-  and  Beugemuskeln 
constatirt.  Das  hatte  ibm  die  Prüfung  der  Frage  nach  dem  gleichzeitigen  Verhalten 
antagonistischer  Muskeln  nabe  gelegt.  —  Bekanntlich  hat  Duchenne  de  Boulogne 
die  alte  Lehre  von  der  Bewegung  umgestossen,  nach  welcher  man  annahm,  dass  ein 


»  1.  c.  S.  743. 

*  Ueber  d.  Faserverlanf  in  d.  h.  GebirncommiBsar.  ZeitMhr.  f.  w.  Zoologie.  1874.  Bd.  24. 

^  ,,Ueber  die  bintere  Commissur  des  Gehirns."    Dieses  Centralbl.  1885.  Nr.  5. 


—    31     — 

Mmkel,  doascn  Antagonist  in  Gontraction  sich  befindei  erschlafft  sei.  Er  lehrte,  was 
ölnigens  schon  Winslow  ausführlich  entwickelt  hatte,  dass  eine  Bewegung  nicht 
du  Besultat  einer  einfachen  Gontraction  eines  Moskels  sei,  sondern  der  Mitwirkung 
aach  seines  Antagonisten.  Denn  wenn  Duchenne  die  gelähmten  Vorderarmbeuger 
eines  Menschen  durch  eine  elastische  Kraft  ersetzte,  so  konnte  derselbe  yermittelst 
Innervation  seines  Triceps  hrachii  den  gestreckten  Vorderann  nach  Belieben  in  ver- 
scbiedenem  Grade  beugen.  Aus  diesen  und  anderen  Beobachtungen  leitet  Duchenne 
seine  Lehre  von  der  „Harmonie  der  Antagonisten"  bei  willkürlichen  Bewegungen  ab. 
B.  wmt  nun  darauf  hin,  dass  Duchenne*s  Beweisführung  nicht  einwandfrei  sei, 
and  bemüht  sich,  den  experimentellen  Beweis  für  dieselbe  zu  liefern  vermittelst  des 
Harey^schen  Mjographen.  Er  untersuchte  an  Fröschen,  Kaninchen,  Meerschweinchen 
imd  Hunden.  Die  Thiere  resp.  das  betreffende  Glied,  waren  natürlich  fixirt,  und  es 
Würde  eine  Reflexbewegung  mittelst  sensibler  Beizung  (elektrisch,  chemisch,  mechanisch) 
ausgelöst,  oder  man  wartete,  bis  das  Thier  spontan  eine  Bewegung  machte.  Die 
Thiere  waren  im  Uebrigen  entweder  intact,  oder  des  Gehirns  ganz  oder  theilweise 
beraubt. 

B.  beobachtete  nun  dreierlei  Arten  in  dem  Verhalten  der  antagonistischen 
Muskeln: 

1)  Die  beiden  antagonistischen  Muskeln  contrahiren  sich  gleichzeitig. 

2)  Der  eine  Muskel  contrahirt  sich  und  der  Antagonist  erschlafft  und  ver- 
längert sich. 

3)  Der  eine  Muskel  contrahirt  sich,  der  Antagonist  bleibt  unbeweglich. 

Im  ersten  Falle  beginnt  die  Gontraction  beider  in  der  Regel  in  demselben  Mo- 
ment, dagegen  hört  die  des  einen  häufig  etwas  früher  auf,  als  die  des  anderen; 
nach  Höhe,  Daner  und  Form  zeigen  die  beiden  Gurven  nicht  selten  Verschiedenheiten. 

Die  Erscheinungen  waren  die  gleichen,  mochte  man  die  Bewegungen  durch  sen- 
sible Beise  erregt  oder  auf  Bew^ungen  des  Thieres  einfach  gewartet  haben,  wobei 
B.  es  unentschieden  lässt,  ob  letztere  Bewegungen  als  willkürliche  bezeichnet  werden 
dörfen.  — 

Die  Bewegung  ist  also  das  Besultat  gleichzeitiger  Action  der  Antagonisten. 
Entweder  contrahiren  sich  Beuger  und  Strecker,  wobei  die  Einen  überwiegen,  die 
Anderen  nur  moderiren  (präcise  Bewegungen);  oder  die  Einen  contrahiren  sich,  die 
Anderen  erschlaffen  (rasche  und  intensive  Bewegungen). 

Als  nachgewiesen  betrachtet  B.  durch  seine  Untersuchungen  (Fall  2)  die  will- 
kürliche Erschlaffung  eines  Muskels.  Er  betont  femer  die  Nothwendigkeit,  bei  der 
Analyse  pathologischer  Bewegungsformen  die  neu  gewonnenen  Gesichtspunkte  zu 
verwerthen.  Hadlich. 


2)  Förh&Uandet  af  nervena  tvärsnitt  tu  de  elektriaka  retmedlen,  af  Magnus 
Blix.     (üpsala  läkarefören.  förh.  1886.  XX.  3.  Ö.  174.) 

B.  untersuchte  die  ReizungsverhaltniBse  an  Querschnitten  des  Iscbiadicus  von 
Fröschen  im  Vergleich  mit  weiter  abwärts  gelegenen  Funkten,  um  festzustellen,  in 
wie  weit  diese  verschiedenen  Theile  von  den  verschiedenen  Arten  des  elektrischen 
Reizes  auf  verschiedene  Weise  beeinflusst  werden.  Eine  Elektrode  berührte  den 
Nerven  an  möglichst  eingeschränkter  Stelle,  die  andere  stand  in  möglichst  grosser 
Ausdehnung  mit  dem  Nerven  in  Berührung. 

Aus  seinen  Versuchen  scheint  unzweideutig  hervorzugehen,  dass  Durchschneidung 
oder  Abbindung  des  Nerven  einen  ganz  bestimmten  Einfluss  auf  das,  Verhalten  des- 
selben (eines  Theils  der  motorischen  Nervenfasern  im  Hüftnerv  des  Frosches)  dem 
elektrischen  Beizmittel  gegenüber  ausübt.  Für  den  Schluss  der  galvanischen  Ströme, 
für  Inductionsströme  und  für  Entladungsströme  ist  der  Nerv  im  Allgemeinen  mehr 
reizbar,  wenn  die  Elektrode  die  Kathode  ist,  als  wenn  sie  die  Anode  ist.    Innerhalb 


82    — 

des  Querachnittes  ist  das  Verhalten  amgekehrt.  Die  Verftndenuig  tritt  wohl  am 
häufigsten  unmittelbar  nach  der  Dnrchschneidnng  des  Nerven  ein,  aber  sie  sdieint 
doch  mit  der  Zeit  stärker  ausgesprochen  zu  werden.  Sie  besdirftnlEt  sich  weni^steDS 
Anfangs  auf  die  allernächsten  Umgebungen  des  Schnittes,  oft  aber  scheint  sie  doch 
mit  der  Zeit  sich  wenigstens  bis  1  mm  unterhalb  des  Schnittes  zu  erstrecken. 

Diese  Veränderung  beruht  oflPenbar  nicht  auf  der  Umänderung  der  Vertheilnng 
der  als  Beizmittel  angewendeten  elektrischen  Ströme,  welche  eine  nothwendige  Folge 
der  Durchschneidung  des  Nerven  sein  mnss,  sondern  sie  beruht  auf  innwfaalb  des 
Nerven  liegenden  Ursachen,  welche  wahrscheinlich  mit  unter  denselben  Umständen 
auftretenden  Veränderungen  in  den  elektromotorischen  Eigenschaften  des  Nerven  in 
Zusammenhang  stehen. 

Das  ist  dieselbe  Veränderung,  der  die  Beizbarkeit  der  motorischen  Nerven  unter- 
liegt  bei  beginnender  Degeneration.  Walter  Berger. 


Patbologische  Anatomie. 

3)  Des  dögto^rations  seoondaires  de  la  xnoelle  äpiniöie  oonsteuttves  aux 
lÄBions  ezpörimentales  mMuUairM  et  oortioales.  Becherches  faites 
au  laboratoire  de  phjsiidogie  de  Gendve  par  Nathan  Loewenthal  (de  Mohilew 
sur  le  Dni^per).    Dissertation  inaugurale.  1885.  118  Seiten  und  2  Tafeln. 

Verf.  hatte  Gelegenheit,  das  Bückenmark  von  6  Hunden,  an  denen  Schiff  par- 
tielle Durchschneidungen  im  Bereiche  des  Oervicalmarks  vorgenommen  hatte,  zu  stadiren. 
Die  Versuchsthiere  konnten  3 — 10  Wochen  nach  dem  operativen  Eingriff  am  Leben 
erhalten  werden.    Die  Durchschneidungen  bezogen  sich  auf  folgende  Begionen: 

Hund  I.  Totale  Durchtrennung  sämmtlicher  Hinterstränge,  der  EGnterhömer, 
des  rechten  Seitenstranges  und  eine  partielle  Durchtrennung  des  linken  Seitenstranges 
in  der  G^end  des  Austritts  des  2. — 3.  Cervicalnervenpaares. 

Hund  n.  Völlige  Continuitätstrennung  der  Hinterstränge  der  Hinterhömer  and 
des  linken  Seitenstranges,  leichte  Streifung  des  rechten  Seitenstranges;  in  der  Gegend 
des  5. — 6.  Cervicalnervenpaares. 

Hund  III.  GHtozliche  Durchtrennung  der  linken  Bftckenmarkshälfto,  partielle 
Läsion  der  rechten,  (die  innere  Begion  des  Vorderstranges  und  Vorderhomes,  die 
Processus  reticul.,  die  Kerne  des  Goll*schen  und  Burdach'schen  Eeästmges  [par- 
tiell] umfassend);  ein  grosser  Theil  der  Hinterstränge  in  der  Umgebung  des  Hinter- 
homes  blieb  frei;  in  der  G^end  des  1.  Cervicabervenpaares. 

Hund  rv.  Zerstörung  des  hinteren  Segmentes  des  rechten  Seitenstranges  and 
Adneza  (äussere  Partie  des  Hinterhoms);  in  der  Gegend  des  4. — 5.  Cervical- 
nervenpaares. 

Hund  V.    Aehnliche  Verletzung  wie  bei  Hund  IV. 

Ausserdem  untersuchte  Verf.  das  Bflckenmark  von  27  Hunden,  denen  Schiff 
Bindenläsionen  im  Bereiche  verschiedener  Begionen  des  Grosshims  (hauptsächlich  des 
Vorderhims)  beigebracht  hatte.  2 — 10  Wochen  nach  der  Operation  wurden  die 
Thiere  durch  Chloroform  getOdtet;  2  Thiere  lebten  5  und  11  Monate  nach  der 
Operation. 

Die  recht  beachtenswerthen  Untenuchungsresultate  des  Verf.  lassen  sich  in 
folgender  Weise  kurz  zusammenfassen: 

1)  Abtragung  des  Gyr.  sigmoid.  hat  regelmässig  absteigende  Degeneration  im 
Bückenmark  zur  Folge,  es  können  indessen  auch  Läsionen  der  Binde  im  Bereiche 
der  nächsten  Umgebung  dieses  Gyrus  (besonders  parietalwärts)  denselben  Erfolg 
haben;  in  letzterem  Falle  mflsse  aUerdings  zugegeben  werden,  dass  die  Degeneration 
im  Bfickenmark  nicht  direct  von  den  den  Gyr.  sigmoid.  umgebenden  Windungen  ab- 
zuhängen brauche,  sondern  eventuell  Folge  der  Mitläsion  von  Fasern  sein  könne,  die 


—    88    - 

d0m  Gyr.  sigmoid.  entstammen  und  dicht  onter  jenen  Windungen  ziehen.  Auffallend 
m,  da»  ZeratGnmg  dee  ganzen  unter  jenen  Windungen  liegenden  Markes  von  einer 
schwächeren  and  rascher  sich  erschöpfenden  Degeneration  im  Bückenmark  begleitet 
werde,  als  isolirte  Abtragung  des  Gyr.  sigmoid.  —  Einseitige  Abtragung  im  Yorder- 
hirn  kann  bilaterale,  secund&re  Degeneration  im  Bfiekenmark  zur  Folge  haben,  doch 
ist  die  Degeneration  auf  der  gekreuzton  Seite  der  Läsion  erheblich  ausgesprochener. 
—  Abtragungen  aus  dem  Oebiete  des  Parietal-  und  Occipitalhims  (Zonen  D  und  £ 
des  Yerfassers)  rufen  keine  absteigende  Degeneration  im  Bückenmark  hervor. 

Die  secund&re  D^eneraüon  nach  Wegnahme  des  Gjr.  sigmoid.  zieht  sich  bis 
in's  Lendennuurk.  Die  degenerirte  Zone  liegt  auf  Querschnitten  in  denjenigen  Gebiet 
des  Seitenstranges,  das  den  Winkel  zwischen  Vorder-  und  Hinterhom  begrenzt,  von 
der  grauen  Substanz  wird  es  aber  durch  ein  schmales  Markfeld  getrennt.  Die  zur 
Degeneration  kommenden  Fasern  zeichnen  sich  durch  Feinheit  ihres  Kalibers  aus 
(vgl  Deiters,  Mayser,  Beferent^);  in  der  atrophischen  Zone  ziehen  aber  auch 
Fasern  derberen  Kalibers,  die  sich  an  der  absteigenden  Degeneration  indessen  nicht 
betheiligen.  Beide  Faserarten  erscheinen  ziemlich  mnig  gemischt  Die  feinen  Fasern 
entsprechen  den  Pyramidenfasem  des  Menschen. 

2)  Die  nach  Durchschneidung  des  Cervicalmarks  auftretenden  secundären  De- 
generationen zeigen  im  Verlaufe  des  ganzen  Bückenmarks  eine  weitaus  bedeutendere 
Ansdehnung,  als  nach  Wegnahme  des  Gyr.  sigmoid.  (vorausgesetzt,  dass  der  Seiten^ 
Strang  total  durchschnitten  wurde).  Ausser  verschiedenen  kurzen  Fasern  und  der 
Fyramidenbahn  konnte  da  der  Verf.  eine  ausgesprochene  Degeneration  eines  volumi- 
nösen ^stems  langer  Fasern  innerhalb  des  Seitenstranges  constatiren,  das  ventral 
von  der  Pyramidenbahn  liegt  und  sich  durch  Derbheit  der  Axencylinder  auszeichnet 
Nach  völliger  Durchtrennung  des  Seitenstranges  degenerire  diese  Bahn  in  intensiverer 
Weise,  als  die  Pyramidenbahn  und  es  sei  die  Degeneration  noch  tiefer  zu  verfolgen, 
als  bei  dieser.  Auf  Querschnitten  nimmt  dieses  Feld  den  ganzen  Baum  zwischen 
dem  Querschnitt  der  Pyramidenbahn  und  der  Kleinhimseitenstrangbahn  ein.  Verf. 
nennt  das  bezügliche  Markfeld,  das  durch  Läsionen  des  Grosshims  in  kemer  Weise 
beemflusst  wird,  „äussere  Zone  des  Seitenstranges''  und  fasst  es  als  ein  besonderes 
System  langer  Fasern  auf. 

Der  Seitenstrang  lässt  sich  somit  nach  dem  Verf.  in  3  concentrische  Zonen 
trennen,  die  eine  gänzlich  verschiedene  Bedeutung  haben,  nämlich  1.  in  die  Zone 
des  Pyramidenbündels,  2.  in  die  äussere  Zone  und  3.  in  die  Zone  der  Kleinhim- 
seitenstrangbahn. 

3)  Nach  Durchschneidung  der  Hinterstränge  zwischen  dem  5. — 6.  Cervicalnerven- 
paar  tritt  auch  aufsteigende  Degeneration  ein,  dieselbe  beschränkt  sich  aber  nicht 
nur  auf  die  GolFschen  Stränge,  sondern  sie  dehnt  sich  auch  auf  die  Burdach*schen 
Keilstränge  aus.  Im  Weiteren  degeneriren  nach  jenem  EingrifiT  in  aufsteigender 
Richtung  Seitenstrangfasem  in  der  ganzen  Peripherie  des  Bückenmarks  bis  in  die 
Gegend  der  vorderen  Wurzeln,  die  Gruppirung  der  zur  Degeneration  kommenden 
Fasern  ist  aber  eine  in  verschiedenen  Abschnitten  des  Querschnitts  ganz  verschiedene 
(Kleinhimseitenstrangbahn  von  Flechsig). 

Dieser  ausserordentlich  sorgfältigen  Arbeit,  in  der  beinahe  die  gesammte  ein- 
schlägige Literatur  eingehend  berücksichtigt  wird,  sind  eine  ganze  Beihe  schöner 
%Qren  beigegeben.  v.  Monakow. 


'  Die  im  Correspondenzblatt  flir  Schweizer  Aerzte  (1884.  Kr.  6  u.  7)  erschienene  Arbeit 
des  Referenten  „Ueber  Pyramide  und  Schleife*'  scheint  dem  VerÜBaser  entgangen  zu  aein. 


34    - 


Pathologie  des  Nervensystems. 

4)  Bin  Fall  oortioaler  BpUepsie  und  poetepUeptoiden  Iiftlunungen«    Secüon, 
Ton  W.  Nearonow.   (Morskoi  Sbomik.   1885.  October.  Hussisch.) 

Ein  d4jähriger  Mann,  seit  1878  syphilitisch  inficirt,  wurde  am  30.  April  1884 
mit  Pneamonia  chronica,  allgemeiner  Schwäche,  ausgebreitetem  Oedem  der  unteren  Ex- 
tremitäten und  Albuminurie  in*s  Kronstadter  Marine-Hospital  aufgenommen.  Er  klagt« 
seit  langer  Zeit  über  heftige  Kopfschmerzen.  Seit  Ende  Juni  1884  stellte  sich  Schwache 
der  linken  Extremitäten  ein;  am  20.  Juli  traten  an  demselben  zum  ersten  Male  Con- 
vulsionen  auf,  die  nur  einige  Minuten  dauerten,  ohne  jegliche  BewusstsseinstOrang  ver- 
liefen und  sich  drei,  vier  Mal  wöchentlich  wiederholten.  Im  Laufe  der  folgenden 
Monate  nahm  die  In-  und  Extensität  der  convulsiven  Anfälle  zu:  sie  wurden  heftiger, 
dauerten  10 — 15  Minuten,  wurden  von  Ablenkung  des  Kopfes  nach  links  und  Nys- 
tagmus beider  Augen  in  der  nämlichen  Richtung  begleitet.  Die  Anf&Ue  verliefen 
immer  bei  vollem  Bewusstsein  und  begannen  jedesmal  mit  Convulsionen  der  linken 
Hand,  denen  stets  subjective  Empfindungen  an  derselben  vorangingen.  Unmittelbar 
nach  dem  Anfall  konnte  man  vollständige  linksseitige  Hemiplegie  mit  Herabsetzung 
der  Hautsensibilität,  Erhöhung  des  Fatellarreflexes  und  Fussclonus  linkerseits  consta- 
tiren;  alle  diese  Erscheinungen  verschwanden  wieder  nach  1—2  Tagen  und  machten 
der  gewöhnlichen  geringfügigen  Parese  der  linken  Extremitäten  Platz.  Diese  typischen 
Anfölle  wiederholten  sich  im  Laufe  der  Krankheit  fünf  Mal,  in  3 — 5 wöchentlichen 
Zwischenräumen.  Seit  Januar  1885  verschlimmerte  sich  die  Allgemeinerkranknng  in 
bedeutendem  Maasse,  und  am  4.  März  erfolgte  der  Tod,  ohne  neue  Erscheinungen 
seitens  des  Nervensystems.  Da  die  Untersuchung  des  Speichels  die  Anwesenheit  von 
Tuberkel-BaciUen  ergeben  hatte,  so  war  die  klinische  Diagnose  auf  Himtuberkel  gestellt. 

Die  Section  erwies,  dass  sowohl  die  Lnugenaffection,  als  die  Erkrankung  anderer 
parenchymatöser  Organe  syphilitischen  Charakters  war.  Im  Gehini  fand  sieb  eine 
gummöse  Geschwulst  ziemlich  derber  Consistenz,  von  3  V2  ^^'  I^änge  und  3  Ctm. 
Höhe,  die  den  oberen  Kand  des  hinteren  Drittels  der  ersten  rechten  Stimwindung 
einnahm,  ungefähr  373  Ctm.  vor  dem  oberen  Ende  der  Bolando*schen  Furche;  die 
der  Geschwulst  anliegende  Himmasse  (graue  und  weisse  Substanz)  war  erweicht 
Ausserdem  sass  eine  ähnliche  Geschwulst  geringeren  Umfangs  an  der  Spitze  des  Hinter- 
hauptlappens, ebenfalls  in  der  rechten  Hemisphäre. 

In  klinischer  Hinsicht  betont  Verf.  besonders  den  Umstand,  dass  die  Steigerung 
des  Patellarreflexes  und  der  Fussclonus,  die  die  postepileptoide  temporäre  Hemipl^ie 
begleiteten,  nach  kurzer  Zeit  verschwanden.  Er  macht  auf  die  Unvereinbarkeit  dieser 
Verhältnisse  mit  derjenigen  Ansicht  aufmerksam,  die  benannte  Erscheinungen  in  Ab- 
hängigkeit von  secundären  anatomischen  Veränderungen  des  Bückenmarks  stellt. 

P.  Rosenbach. 

6)  Weitere  Mittheilungen  über  die  sieh  an  Kopfverletsungen  und  Br- 
sohütterungen  (in  speoie:  Eiaenbahnunf&lle)  ansohliesBenden  Er- 
krankungen des  Nervensy Sterns ,  aus  der  Nervenklinik  der  Charit^,  von 
Dr.  H.  Oppenheim.     (Arch.  f.  Psych.  XVI.  H.  3.) 

Den  früheren  Mittheilungen  über  diesen  Gegenstand  reiht  der  Verf.  weitere  10 
genaue  Krankengeschichten  an  und  gebietet  so  über  ein  stattliches  Beweismaterial, 
mit  denen  er  sich  gegen  die  Ausführungen  Charcot's  und  seiner  Schule  wendet, 
welche  in  den  beschriebenen  Symptomencomplexen  nichts  als  Fälle  von  Hysterie  sehen 
wollen. 

Die  Fälle  betreffen  vorher  gesunde  Männer  im  mittleren  Lebensalter,  welche  durch 
ein  Trauma  (Kopfverletzung,  Stoss  gegen  den  Bücken,  Erschütterung),  welches  zu 


—    35    — 

kainer  oder  za  keiner  erheblichen  äusseren  Verletzung  fährte,  in  einen  mehr  oder 
weniger  schweren  Erankheitszustand  versetzt  wurden.  Ausser  dem  objectiven  Trauma 
dfirfie  die  psychische  Erschütterung  und  der  Schreck  eine  Bolle  spielen.  »Mit  Aus- 
nahme mnes  Falles  folgte  stets  Bewustlosigkeit  dem  Unfall.  Die  Folgezustande  zeigten 
Verschiedenheiten  in  der  Intensität  und  in  der  Qualität  der  Symptome,  einige  der- 
selben sind  jedoch  constant  So  sind  alle  Kranken  psychisch  alterirt,  und  zwar  mit 
dem  Gnmdzug  der  ängstlichen,  traurigen  Verstimmung.  Dabei  sind  sie  weinerlich; 
ihr  Schlaf  ist  gestört  und  die  Angst  verfolgt  sie  bis  in  die  Träume;  viele  hypochon- 
drische Klagen  werden  produdrt.  Eigentlicher  positiver  Intelligenzdefect  fehlt  f&r 
gewöhnlich,  doch  findet  sich  GMächtnissschwäche.  Ohnmachts-  und  Schwindelanfälle, 
Anfalle  von  Petit  mal  und  echten  epileptischen  Bewusstseinspausen  sind  beobachtet, 
auch  daneben  hallucinatorische  Dämmer-  und  Traumznstände.  Die  subjectiven  Klagen 
der  Kranken  lauten  auf  Kopfdmck,  Kopf-  und  Nackenschmerz,  Faraesthesien  der  Kopf- 
haut^ wüstes,  Bausch-ähnliches  Geffthl  und  Schwindel,  sogar  mit  Erbrechen.  Flimmern 
vor  den  Augen,  Verschwimmen  der  (jegenstände,  Dunkelwerden  des  (Gesichtsfeldes, 
Gelbsehen  (in  einem  Fall),  Ohrensausen,  HOrschwäche.  Schmerzen-  und  Spannungs- 
gefaU  im  Bücken,  Gürtelgefühl  bei  Einigen.  Bei  5  Kranken  Erlöschen  der  Fotenz. 
Die  Sensibilitätsstömngen  sind  verschieden,  locale  und  totale  Anästhesien,  auch  sen- 
sorischer  Art,  in  verschiedener  Ausdehnung  und  Qualität.  Die  Gesichtsfeldeinschränkung 
fehlte  in  einigen  der  neuen  Fälle.  Bei  Manchen  wurden  Berührungen  auf  der  unteren 
Bückenhaut  schmerzhaft  empfunden.  Die  Haut-  und  Schleimhautreflexe  waren  meist 
herabgesetzt,  die  Sehnenphänomene  sind  normal  vorhanden  oder  leicht  gesteigert  Ob 
Motilitätsstörungen  bestanden,  war  ofb  zweifelhaft,  oft  waren  die  Bewegungen  wegen 
der  Schmerzen  behindert  Schwanken  bei  Augenschluss  war  nicht  selten,  ebenso  Tremor 
massigen  Grades.  Die  Blasenfunction  war  häufig  gestört^  insofern  sich  der  Harn  erst 
nach  starkem  Pressen  entleert  —  Obstipation  war  die  BegeL  In  Beob.  X  fand  sich 
Atrophie  des  Nervus  opticus,  positiver  Befund  am  Opticus  noch  bei  IX,  in  Beob.  V 
war  Pupillendifferenz  und  reflectorische  Pupillenstarre,  in  III  constante  starke  Fuls- 
beschlennignng  vorhanden.  — 

Diese  Symptomcompleze  einfach  ab  Hysterie  zu  bezeichnen  ist  unrichtig  und 
bedenklich.  Die  einzelnen  Fälle  varüren  zwar  unter  sich  in  mancherlei  Beziehung 
und  stellen  kein  einheitliches  Bild  dar,  welches  sich  mit  einer  der  bekannten  Krank- 
heitsformen  ganz  deckt,  sondern  sind  mehr  eine  Mischform  von  Psychose  und  Neurose, 
es  treten  jedoch  in  einem  grossen  Theil  der  Fälle  Symptome  hervor,  die  mit  Be- 
stimmtheit auf  eine  schleichend  verlaufende,  organische  Erkrankung  des  Nervensystems 
hindenten.  —  Die  Prognose  ist  bis  jetzt  wenig  günstig,  complete  Heilung  ist  von  0. 
noch  nicht  beobachtet  0.  warnt  vor  einer  Wiederbeschäftigung  der  Kranken  im  Eisen- 
bahnfahrdienst Siemens. 


6)  Sar  denx  eas  de  monoplögie  brachiale  hystärique,  de  cause  trauma- 
Üque,  ohes  rhomme.  Le^on  de  Charcot,  recueillie  par  Marie  et  Guinon. 
(Progr.  möd.  Nr.  34.  37.  39.  40.) 

In  dem  ersten  der  beiden  Fälle  stellt  Ob.  einen  Kranken  vor,  einen  Droschken- 
kutscher von  25  Jahren,  dessen  Vater  ein  Säufer,  dessen  Mutter  sehr  nervös  ge- 
wesen ist  —  Er  leidet  seit  seiner  Kindheit  an  einer  Wirbelverkrümmung,  hat  im 
16.  Lebensjahre  einen  Gk)lenkrheumatismus  durchgemacht  und  davon  eine  chronische 
Kniegelenksentzlbidung  sowie  eine  Atrophie  des  Qnadriceps  rechterseit  zurück  behalten. 
Im  December  1884  erlitt  er  durch  Fall  vom  Wagen  eine  Contusion  der  rechten 
Schulter,  die  aber  so  unbedeutend  war,  dass  er  unmittelbar  nacher  noch  5  Stunden 
lang  kntschiren  konnte.  Erst  am  6.  Tage  nach  diesem  Unfall  trat  eine  Monoplegie 
des  verletzten  rechten  Armes  mit  Anästhesie  ein,  die  4  Monate  später,  als 
Patient  2ur  genauen  klinischen  Beobachtung  gelangte,  in  derselben  Weise,  wie  am 


—    36    — 

Anfang,  fortbestand:  Vollständige  schlaffe  Lähmung  der  Muskeln  der  Sdmlter,  des 
Ober-  und  Vorderarms  (nur  die  Finger  madien  einige  kraftlose  Bewegungen).  Auf- 
hebung aUer  Empfindungsqualitäten  an  der  Haut,  an  den  Muskeln,  Sehnen  n.  s.  w. 
Veiiust  des  Muskelsinus.  Leichte  Erhöhung  der  Sehneareflexe.  Das  Volamen  der 
Muskeln  ist  aber  in  normalen  Maassen  erhalten,  elektrische  Beactions* Anomalien  sind 
weder  an  den  Muskeln,  noch  an  den  Nerven  des  gelähmten  Armes  su  constatiren. 

Bei  Besprechung  der  Natur  dieser  Monoplegie  führt  Ch.  zum  Vergleiche  einen 
Kranken  vor,  welcher  durch  eine  schwere  traumatische  Verletzung  des  Plexus  bracbialis 
sich  eine  ähnliche  motorische  und  sensible  Lähmung  an  der  rechten  oberen  Extremität 
zugezogen,  doch  ergiebt  schon  eine  Gegenüberstellung  der  anästhetischen  und  analgiscben 
Hautnervengebiet  in  diesem  und  einem  gleichen  von  Boss  veröffentlichten  Falle, 
sowie  das  Vorhandensein  von  schweren  vasomotorischen  und  trophiscben  Stöningen, 
wie  wenig  der  vorangestellte  Fall  in  diese  Kategorie  der  traumatischen  peripheriachen 
Paralysen  passt.  Aber  auch  die  Annahme  einer  organischen  CerebnQerkranknng  eines 
Herdes  in  den  Centnüganglien  oder  in  den  motorischen  Bindencentren  sei  aoszu- 
schliessen,  weil  alle  sonstigen  diffusen  Herderscheiuungen  beim  Eintritt  der  L&bnmng 
nicht  vorhanden  waren,  weil  femer  eine  so  reine  corticale  Monoplegie  ohne  Facia- 
lisparese  und  ohne  Aphasie  zu  den  grössten  Seltenheiten  gehören  und  übrigens  nach 
viermonatlicher  Dauer  längst  Erscheinungen  der  secundären  absteigenden  Degeneration 
veranlasst  hätte.  Ebensowenig  sei  die  Ursache  in  der  MeduUa  spinalis  zu  snchMi: 
es  handelt  sich  einzig  und  allein  um  eine  hysterische  (dynamische  und  fionciionelle) 
Laesion,  da  auch  sonstige  hysterische  Erscheinungen  nicht  mangelten:  Es  sei  eine 
allgemeine  rechtsseitige  Hemianästhesie  vorhanden,  bestehend  in  einer  Obnubilation 
des  Gehörs-  und  Geschmackssinnes  der  rechten  Körperhälfto,  femer  eine  conoentrisdie 
Gesichtsfeldeinschränkung,  sowie  die  sogenannte  Polyopie  monocnlaire,  wie  sie  Pari- 
naud als  ckarakteristisch  für  den  Hysterischen  beschrieben  hatte.  So  kommt  Gharcot 
zu  dem  Schlüsse,  dass  dieser  Fall  als  eine  hysterische  Lähmung  aufzufassen  sei,  ob- 
wohl hysterische  Attaken  nie  eingetreten  und  hysterogene  Zionen  an  dem  Körper  des 
hysterischen  Droschkenkutschers  nicht  aufzufinden  sind:  Durch  den  Mangel  diesor  beiden 
hysterischen  Attribute  unterscheide  sich  der  Kranke  von  einem  anderen  an  einer  links- 
seitigen Monoplegie  des  Armes  leidenden  Hysteriker,  den  Ch.  vor  kurzer  Zeit  erst 
beschrieb,  und  den  Bef.  in  Nr.  22  d.  Jahrg.  1886  dies.  Zeitschr.  ebenfalls  mitgetheilt 
hat:  letzterer  ist  übrigens  fast  vollständig  zur  Heilung  gelangt. 

Die  weiteren  sehr  ausfQhrlichen  epikritischen  Auseinandersetzungen  Charcot's 
beziehen  sich  auf  die  Aehnlichkeit  zwischen  derartigen  psychischen  (hysterischen) 
Paralysen  mit  denjenigen,  die  im  hypnotischen  Zustande  durch  Suggestion  hervorzu- 
rufen sind.  Zum  Beweise  wird  ein  hysterisches  junges  Mädchen  vorgeführt,  die  in 
den  somnambulen  Zustand  versetzt  wird  und  bei  der  in  einem  gewissen  Stadium  eine 
artificielle  Monoplegie  mit  Leichtigkeit  zu  erzeugen  ist.  Die  einzelnen  Abschnitte  des 
gelähmten  rechten  Armes  können  aber  von  Gh.  in  Bezug  auf  Motilität  und  Sensibilität 
entsprechend  wieder  „deparalysirt",  von  den  Functionsstörungen  befreit  werden,  üebri- 
gens  ist  eine  „Einflüstemng''  zur  Erzeugung  jener  hysterischen  Lähmung  nicht  un- 
bedingt nothwendig,  es  genügt  auch  eine  leichte  traumatische  Ursache,  ein  leichter 
Faustschlag  auf  die  Schulter,  um  den  Arm  der  Sonnambule  zu  paralysiren.  Der  hyp- 
notische Zustand  sowohl  als  ein  plötzlicher  Schreck  sind  nach  Ch.  nur  versohiedene 
Arten  eines  „Nerven-Shoks",  die  zur  Umschleierang  der  Psyche  (Obnubilation  da 
„Moi'O  führen  und  von  irgend  einer  localen  Gelegenheitsursache,  einem  Trauma  z.  B. 
unterstützt,  psychische  Lähmungen,  wie  wir  sie  eben  geschildert,  veranlassen  können. 
Die  Behandlung  muss  dementsprechend  wieder  eine  psychische  (mondische)  sein. 
Charcot  lässt  die  Kranken  täglich  leichte  Uebungen  mit  dem  Dynamometer  machen, 
welche  die  von  Tag  zu  Tag  zunehmende  Kraft  der  Extremität  ad  oculos  demonstriren, 
die  Hysteriker  ermuthigen  und  in  der  That  die  krankhafte  Idee  motorischer  Ohnmacht 
zum  Verschwinden  zu  bringen  scheinen.  Laquer. 


—    37     — 

7)  A  os«e  of  hystero-epileptfy  in  the  male,  by  James  Oliver.  (Braln.  1887. 
October  p.  397—400.) 

Ein  36jäliriger  DiamantscMeifer,  welcher  5  Jahre  zuvor  nach  einem  Sprung  aus 
dem  Fenster  eines  brennenden  Gebäudes  etwas  furchtsam  und  schlaflos  geworden  war, 
hatte  6  Wochen  vor  der  Aufnahme  nach  erneutem  Schreck  bei  dem  Ueberscbreiten 
emer  von  Wagen  überfGlllten  Strasse  eben  Bewusstlosigkeitsanfall  mit  Lähmung  der 
linken  Eörperseite  erlitten;  Faradisation  des  Armes  hatte  dann  den  ersten  Erampf- 
anfall  verüilasst.  Bei  ungestörten  Hautreflexen  und  nicht  gesteigerten  Sehnen- 
phänomenen besteht  Lähmung  der  linken  Extremitäten  mit  Hemiauaesthesia  sinistra 
auch  fttr  Geschmack,  Geruch  und  Gehör  und  Anästhesie  der  nasalen  Hälfte  der  linken 
Retina.  Typische  hysteroepileptische  Anfälle  meist  auf  die  linke  Seite  beschränkt, 
mit  den  obligaten  Contorsionen  traten  mit  Pulsverlangsamung  Yon  78  auf  48  ent- 
weder spontan  auf  oder  durch  Beizung  Ton  vier  hysterogenen  Zonen:  Aber  der  linken 
Carotis,  den  linken  Brachial-  und  den  linken  und  rechten  Feuioral-Gefässen,  wobei 
die  Compression  der  Geiässe  unwesentlich  ist,  sondern  einfaches  Eneipen  der  Haut 
in  diesen  Regionen  genügt,  den  Anfall  hervorzurufen.  !Es  besteht  Druckschmerz- 
haftigkeit  der  Supra-  und  Mraorbitalnerven,  das  Zwerchfell  ist  an  den  Erämpfen 
regelmässig  und  darüber  hinaus  durch  klonisohe  Spasmen  betheiligt 

E.  Remak. 


8)  On  a  mtisoular  phenomenon  observed  in  hysteria,  and  analogous  to 
the  „paradoxioal  oonfcraotion*S  by  Gharcot  aSid  Richer.  (Brain.  1885. 
Ociober  p.  289—294.) 

Die  Yerff.  haben  die  von  Westphal  1878  im  Arch.  f.  Psych.  X.  S.  243  u.  s.  f. 
bei  gewissen,  der  multiplen  Sclerose  wahrscheinlich  zugehörigen  Erankheitsformen  als 
„paradoxe  Mnskelcontraction"  beschriebene  Erscheinung,  dass  der  passiv  dorsalflectirte 
Fuss  durch  Contraction  des  M.  tibialis  anticns  in  dorsalflectirter  Stellung  verharrt, 
was  nach  W.  dadurch  bedingt  wird,  dass  die  Erschlaffung  des  Muskels  als  Reiz 
wirkte  zwar  nicht  bei  derselben  Affection  zu  sehen  Gelegenheit  gehabt,  dagegen  in 
gewissen  Fällen  von  Hysterie  eine  analoge  Erscheinung  beobachtet  und  analysirt. 

Bei  der  von  ihnen  sogenannten  contracturalen  Diathese  der  Hysterischen,  von 
welcher  sie  eine  somnambuKsche  und  lethargische  Form,  analog  den  entsprechenden 
Varietäten  der  artificiellen  Contracturen  bei  der  Hypnotisation  (vgl.  dieses  Centralbl. 
1882.  S.  133)  unterscheiden,  haben  sie  bei  der  lethargischen  Form,  bei  welcher  eine 
Neigung  der  Muskeln  besteht,  unter  dem  Einfluss  der  verschiedensten  Reize  in  einen 
Contracturzustand  zu  verfallen,  durch  plötzliche  Aufrichtung  der  Zehen  unmittelbar 
Contractor  entstehen  sehen,  welche  den  Fuss  in  dieser  Stellung  erhält.  Ebenso  ver- 
anlasst plötzliche  Beugung  des  Handgelenks  eine  Contractür,  welche  das  Gelenk  in 
Beugeetellung  fixirt.    Diese  Spasmen  können  mehrere  Stunden  andauern. 

Der  Mechanismus  dieser  Contracturen  hat  nach  den  Yerffassem  nichts  Paradoxes 
und  ist  nicht  aus  der  plötzlichen  Erschlaffung  eines  Muskels,  sondern  vielmehr  aus 
der  plötzlichen  Spannung  der  antagonistischen  Muskelgruppe  verständlich.  Zunächst 
würde  die  Hattimg  des  Fasses  nicht  bestimmt  durch  die  Action  einer  einzigen  Muskel- 
gmppe,  sondern  sie  sei  das  Resultat  zweier  antagonistischen  Muskelkräfte,  da  die 
Contractor  nicht  nur  den  Tibialis  anticus  betraf,  sondern  auch  den  (^astrocnemius 
und  Solans.  Es  sei  nämlich  ebenso  nnmöglich,  während  der  Contractür  den  Fuss 
noch  weiter  zn  dorsalflectiren,  als  ihn  zu  plantarflectiiBn. 

Während  durch  Eneten  eines  Muskels  für  gewöhnlich  Contractür  im  Sinne  des 
gekneteten  Muskels  entsteht,  könne  unter  differenten  Yersuchsbedingungen  ein  ent- 
gegengesetzter Erfolg  eintreten:  Wenn,  während  die  Wadenmuskeln  geknetet  werden, 
der  Foss  so  gehalten  wird,  dass  die  Entstehung  ihrer  Contractür  verhindert  wird, 


—     38     — 

so  sieht  man  entstehen  und  anwachsen  eine  Dorsalflexionsstellung,  die  um  so  aus- 
geprägter war,  je  mehr  die  Reizung  der  Wadenmuskeln  verlängert  wurde. 

Ebenso  wird,  wenn,  während  die  Extensoren  am  Vorderarm  geknetet  wwdon, 
die  Hand  halb  gebeugt  gehalten  wird,  die  BeugesteUung  immer  stärker,  obgleich 
die  Beizung  auf  die  Extensoren  beschränkt  wird. 

Verallgemeinert  wirke  ein  auf  eine  Muskelgruppe  applicirter  Reiz  auch  auf  die 
Antagonisten,  deren  Action  prädominiren  muss,  wenn  der  Bewegung  im  Sinne  der 
gereizten  Muskeln  ein  Hindemiss  entgegensteht,  was  bei  der  reftectonschen  Genese 
der  Contractur  aus  der  synergischen  spinalen  Innervation  antagonistischer  Muskei- 
gruppen  verständlich  sei.  Nach  Marey'scher  Methode  aufgezeichnete  Curven  »tnd, 
mit  Ausnahme  des  Beguins,  wo  bei  durch  Beugung  eines  Gelenkes  hervorgebrachter 
Contractur  sie  Steuer  sind,  sehr  ähnlich,  gleich  ob  plötzüche  Beugung  oder  Kneten 

das  excitirende  Agens  sind.  ,      ,t    x    •    i.       a- 

Die  Verff.  bestätigen  also  für  die  contracturale  Diathese  der  Hysterischen  die 
Auffassung  Erlenmeyer's  (s.  dessen  Ctrlbl.  1880.  Nr.  17),  dass  die  paradoxe  Mußkel- 
contraction  von  der  Dehnung  der  Antagonisten  bedingt  wird.  E.  Bemak. 

9)  Ueber  einen  FaU  von  sohwexer  Hysterie,  von  Dr.  H.  Engesser,  Preiburg. 
(BerL  klin.  Wochenschr.  1886.  13.  u.  14.) 
Der  ausführlich  beschriebene  Fall  ist  besonders  interessant  durch  das  Verhalten 
der  ürinsecretion  und  das  Auftreten  verschiedenartiger  Anfälle,  auf  Grund  welcher 
Verf.  die  Krankheit  als  Hystero- Epilepsie  mit  getrennten,  nur  manchmal  auch 
combinirten  Anf&Uen  bezfichnet.  Die  Anfälle  hatten  a.  Th.  einen  convulsiven 
Charakter,  klinische,  später  tenische  Krämpfe  mit  intectem  oder  nur  ««"  J^J^*^*"" 
gehend  geschwundenem  Bewusstsein  und  vollständiger  etwa  12  Stunden  anhaltender 
Amaurose;  aber  es  hostend  nach  initialen  Krämpfen  tagelang  Bewussüosigkeit  mit 
reactionslosen,  ad  maximum  erweiterten  Pupillen,  und  ünempfindlichkeit  gegen  die 
stärksten  faradischen  Ströme.  Z.  a.  Th.  waren  die  Anfälle  von  nicht -convul- 
siver  Form:  vorübergehende  Gereiztheit,  Amaurose  und  Aphasie  mit  Lähmung  der 
Extremitäten,  auch  sonnambulische  Zustände. 

Was  die  Anomalien  der  ürinsecretion  resp.  Urinausleerung  betrifft,  so  bestanden 
sie  in  Oligurie  und  Ischurie.  Fat.  hatte  sich  schon  vor  ihrer  Aufnahme  ein  halbes 
Jahr  lang  selbst  katheterisiren  müssen;  auch  in  dem  Krankenhause  trat  innerhalb 
2 — 3  Monaten  nur  ganz  selten  spontane  Entleerung  ein.  —  Und  femer  sistirte  zeit- 
weise die  ürinsecretion  fast  vollständig,  sodass  z.  B.  2  Tage  lang  gar  kein  Urin,  oder 
ein  anderes  Mal  in  3  Tagen  nur  200  Grm.  durch  den  Katheter  entleert  werden 
konnten;   dann  wieder  betrug  die  Menge  eines  Tages  300  Grm.,   im  Durchschnitt 

750—1000  Grm. 

Heilung  der  Urinretention  und  allgemeine  Besserung  trat  nach  allgemeiner  Fara- 
disation  mit  schwachen  Strömen  ein,  wobei  die  Füsse  und  der  eine  Pol  in  ein  Fqss- 
bad  teuchten,  und  ein  mit  dem  anderen  Pole  verbundener  grosser  Schwamm  auf  dem 
ganzen  Körper  herumgeführt  wurde.  Hadlich. 

10)  das  d'hyetärie  dans  lequel  les  attaques  sont  marquies  par  une  mani- 
feetation  rare;  ätemuments,  par  Souza  Leite.  (Arch.  de  Nenrolog.  1885. 
Vol.  IX.  No.  26.) 

Der  Fall  betrifft  eine  16jährige  erblich  belastete  Hysterica,  welche  ein  halbes 
Jahr  vor  der  Aufnahme  in's  Hospital  zuenst  einen  plötzlichen  AnfaJl  von  krampfhaftem 
Husten  und  Niessen  hatte.  8  Tage  später  ein  neuer  Anfall,  und  von  da  ab  weitere 
Atteken.  Der  Anfall,  wie  ihn  der  Yerf.  ausführlich  beschreibt,  beginnt  mit  einer 
Aura;  es  folgt  dann  ein  fortwährendes  Husten  und  Niessen,  dabei  auch  krampfhafte 
Bewegrungen  der  Glieder,  tenische  und  auch  klonische;   es  kommen  verschiedene  der 


—    39    — 

bekannten  »Phasen  des  grossen  Anfalls'  zur  Erscheinung,  jedoch  in  unregelmässiger 
and  inoonstanter  Weise.  Trois  des  Hustens  und  Niessens  wird  kein  Sputum  oder 
nemienswerthes  Kasensecret  producirt.  L.  meinte  es  könnten  verschiedene  kleine  Gon- 
Tulsionen  der  Exspirationsmuskeln  den  Husten*  und  Niessparoxysmus  bedingen. 

Siemens. 

11)  Oaaes  of  ophihalmopleglR,  oomplioated  with  varioua  other  affeotioiui 
of  the  nervouB  System,  by  John  S.  Bristowe.  (Brain.  1885.  October 
p.  313—344.) 

Von  5  mitgetheilten  F&llen  von  Ophthalmoplegie  mit  verschiedenen  nervösen 
Compllcationen  ist  der  erste  mit  Obductionsbefund  am  interessantesten.  Ein  20jähr. 
Mädchen  hatte  zuerst  Basedow/sche  Krankheit  mit  gelegentlich  hohen  Temperaturen 
ohne  entzündliche  Ursache,  3  Jahre  sp&ter  nur  wenige  Wochen  dauerndes  Doppel- 
sehen, wonach  Unfähigkeit  die  Augen  zu  bewegen  eintrat.  W&hrend  des  Kranken- 
bausanfenthaltes  seit  dem  Alter  von  25  Jahren  wurden  die  Symptome  der  Basedow'- 
schen  S[rankheit,  Fiebertemperaturen,  gastrische  Krisen  mit  Erbrechen  und  Durchfall, 
Blutspncken,  Ulceration  der  Corneae,  doppelseitige  Ptosis,  nicht  ganz  vollständige 
Lähmung  sämmtlicher  Augenmuskeln  (ohne  Defect  der  Accommodation  und  Pupillar* 
T^iction  bei  normalem  ophthalmoskopischen  Befunde)  später  complete  rechtsseitige 
Hemianästhesie  mit  Farbenblindheit  und  Gesichtsfeldeinschränkung  des  rechten  Auges, 
Verlust  des  Geruchs  und  (Geschmacks  rechts,  weiter  rechtsseitige  Olitis  externa  mit 
Taubheit»  Blutungen  aus  dem  rechten  Ohr  und  Nasenloch  (später  auch  links),  hart- 
näckiges Erbrechen  und  Hinterkopfschmerz,  endlich  mehrere  epileptische  Anfälle  be- 
obachtet, nach  derem  zweitem  eine  permanente  rechtsseitige  Hemiplegie  mit  Gontractnren 
und  „paradoxem  Phänomen''  am  Fusse  (ohne  Betheiligung  des  Facialis  und  der  Zunge) 
zurückblieb. 

Nach  dem  im  Alter  von  27  Jahren  unter  bronchitischen  Erscheinungen  erfolgten 
Tode  ergab  die  genaue  Untersuchung  des  Gehirns,  der  Abducentes  etc.  nach  der  Er- 
härtung nicht  den  geringsten  pathologischen  Befund.  Die  Augenmuskeln  waren  etwas 
Mass  und  das  rechte  Trommelfell  perforirt,  doch  bestand  keine  Yeränderung  des 
äusseren  oder  Mittelohrs,  so  dass  selbst  die  Blutungen  unerklärt  blieben. 

In  einem  zweiten  Falle  waren  bei  einem  15jähr.  Mädchen  unter  Kopfschmerzen 
erst  Parese  der  Abducentes,  und  Schwäche  und  Taubheit  des  rechten  Armes,  dann 
vollständiger  Verlust  der  Beweglichkeit  sämmtlicher  äusseren  Augenmuskeln  mit 
Strabismus  nach  innen  und  unten,  unsicherer  Gang,  theilweise  Anästhesie  der  rechten 
Körperhälfte,  Abweichung  der  vorgestreckten  Zunge  nach  rechts,  dann  linksseitige 
Chorea,  dann  epileptische  Anfälle  mit  hohen  Temperaturen,  nach  einem  solchen  rechts- 
seitige Armlähmung  mit  Gontracturen  aufgetreten. 

Bei  der  Analogie  mit  dem  ersten  FaU  glaubt  Verf.,  dass  es  sich  auch  hier  um 
fnnctionelle  Störungen  handelt,  fOr  welche  er  bei  dem  stetig  progressiven  Ver- 
lauf und  der  epileptischen  Anfälle  die  Bezeichnung  Hysterie  ablehnt 

In  einem  dritten  Falle  bei  einem  46jähr.  Manne  mit  zweifelhaften  syphilitischen 
Antecedentien  unter  Hinterkopfschmerz  erst  Ptosis  duplex,  dann  allmählich  fast  voll- 
ständige Lähmung  der  Augennerven  beiderseits  mit  Mydriasis  und  Reactionslosigkeit 
der  Pupillen,  Sensibilitätsstörungen  im  Bereiche  beider  Trigemini,  epileptische  An- 
fälle, Anfälle  von  Dyspnoö  bei  von  F.  Semon  constatirter  doppelseitiger  Abductoren- 
lahmnng.  Hier  erscheint  eine  organische  Erkrankung  am  Boden  des  vierten 
Ventrikels  wahrscheinlicher. 

Kurz  wird  noch  über  einen  Fall  von  Ophthalmoplegie  bei  einem  53jähr.  Manne 
mit  Mnskelatrophie  der  Schultern  und  Oberarme  und  des  rechten  Masseter,  und 
über  eine  fast  vollständige  Ophthalmoplegie  mit  Accommodationslähmung  bei  einer 
vorgeschrittenen  Tabes  berührt.  E.  Bemak. 


—     40 

Psychiatrie. 
12)  Ueber  cttieote  Verartrang  to&  (aeirteakimakhaitett,  von  Sioli,  Btinzhui. 
(Arch.  f.  Fayeh.  1886.   X¥L   H.  1.  2.  o.  3.) 

Die  mii  Oenan^eit  und  groBBem  fleifls  angesfedlteii  Unteisiiekimgeii  des  Verf. 
l>ezireckeii,  die  Gesetze  za  finden,  nach  denen  äch  die  Geistesknuikheiten  direct  ver- 
erben. Die  erbliche  Disposition  zn  Geistes-  und  n  Nenrenknuikeiten  wird  vielfach 
als  dieselbe  anfgefasst  and  hat  in  weiterem  Sinne  (eben  als  Fuailieadisposition)  auch 
Berechtigong.  Das  Wesen  der  direeten  Yerarbnng  anf  die  Deeoendenz  hat  schon 
Morel  unter  Gesetze  zu  bringen  versnchi  Aber  aach  er  beschfiokt  sich  nicht  anf 
die  Pfljchosen  im  engeren  Sinne,  während  die  identiscke  Uebertragong  schon  von 
Esqairol  gekannt  ist  Betreff  der  Frage  nach  der  gleichzeitigen  geistigen  Degene- 
ration ist  es  wichtig,  zu  wissen,  ob  und  welche  Unterschiede  in  der  Wirkung  der 
Vererbung  auf  die  Descendenz  unter  den  einzelnen  Formen  der  Psychosen  exisüren.- 
Hier  reicht  die  einfiush  statistische  Methode  nicht  aus,  hier  muss  ezacte  klinische 
Foischnng,  eine  kritische  Sichtung  einzelner  wohl  beobachteter  Fälle  Platz  greifen. 
Durch  mehrere  Generationen  hindurch  mtlssen  diese  Familien  bekannt  sein.  Verf.  be- 
müht sich,  dann  auch  noch  die  Frage  nach  dem  Kinfluss  der  Geisteskrankheit  der 
Ascendenten  auf  die  ganzen  Gtesundheitsyerhältnisse  der  Descendenz  zu  beantworten. 

S.  theilt  nun  sein  Material  in  2  Hauptabtheilungen,  in  A  werden  die  Familien  be- 
schriebm,  in  denen  die  Descendenz  allein  öder  doch  hauptsächlich  in  Folge  der  Ver- 
erbung erkrankt,  während  in  B  die  Familien  folgen,  in  denen  die  Erkrankung  der  Descen- 
denz wesentlich  durch  andere  veranlassende  Momente  neben  der  Vererbung  erfolgte. 

In  der  ersten  Gruppe  des  ersten  Theils  beschreibt  S.  drei  Familien,  in  welcheo 
äch  primäre  und  uncomplicirte  Psychose-Formen  direct  und  rein  vererbten,  und  zwar 
ergiebt  sich,  dass  sich  Melancholie,  Manie  und  Cyklothymie  in  reiner  Form 
bei  der  Vererbung  gegenseitig  ersetzen  können,  dass  anscheinend  regellos  eine 
mit  der  anderen  abwechselt  Das  Auftreten  von  anderen  Psychoseformen  scheint  bei  ihnen 
ausgeschlossen,  ebenso  schwerere  Degenerationserscheinungen;  ätiologisch  gemeinsam 
war  bei  den  Familien  der  Umstand,  dass  sich  der  Ausbruch  der  Psychose  gern  an 
gewisse  physiologische  Entwickelungzustände,  Pubertät^  Menstruation,  Gravidität  und 
Puerperium  anknftpfte. 

Die  zweite  Gruppe  zeigt  verwandte,  aber  complicirt  auffcretoide  Psychoseformen; 
hier  ist  die  Tendenz  der  gleichartigen  Vererbung  gleichfalls  noch  eine  grosse,  doch 
treten  verschiedene  Mischformen  und  bei  allen  Degenerationserscheinungen  auf. 

Die  Gruppe  HI  behandelt  2  Familien  mit  periodischen  Psychosen.  Bei  beiden 
wurde  die  in  der  Ascendenz  z.  Th.  nur  angedeutete  Periodicität  in  der  Descendenr 
ausgeprägter,  die  geistige  Abschwächung  nimmt  nur  langsam  zu  und  angeborene  Dege- 
nerationszeichen fehlen.    Die  Form  der  vererbten  Psychose  varürte  etwas. 

Die  vierte  Gruppe,  die  der  Verrückten,  zeigt  wohloharakterisirte,  meist  reine 
Formen  und  die  wichtige  Thatsache,  dass  die  vererbten  Krankheiten  mit  denen  der 
Ascendenten  identisch  sind.  Die  Uebereinstimmung  erstreckt  sich  bis  auf  gewisse  Einzel- 
symptome. Während  in  einigen  der  Famüien  die  Symptome  der  fortschreitenden  Dege- 
neration fehlen,  sind  sie  in  den  anderen  in  deutlicher  Weise  vorhanden.  Auch  zeigt 
sich,  dass  die  Degenerirten,  besonders  die  in  der  Zeit  der  Pubertätsentwickelung  Er- 
krankten, zu  Mischformen  neigen.  Angefügt  wird  noch  eine  Familie,  in  welcher 
Combination  der  Psychose  mit  constitutioneUer  Krankheit  besteht,  welche  letztere  die 
Degenwationssymptome  entsprechend  verstärkt 

Die  Untersuchung  der  Frage,  ob  der  erblich  belastete  Descendent  vor  oder  nach 
der  Erkrankung  des  Descendenten  geboren  ist,  ergiebt  das  Besultat,  dass  von  den 
Deecendenten  mit  directer  Heredität  nur  4  nach  dem  Ausbruch  der  Psychose  des 
Ascendenten,  von  den  11  Uebrigen  3  innerhalb  des  letzten  Jahres  vor  der  Erkrankung 
und  die  Anderen  8  mehrere,  z.  Th.  viele  Jahre  vorher  geboren  sind.  Das  beweist, 
dass  die  krankhafte  Anlage  beim  Ascendenten  schon  lange  vorher  besteht    Insbeson- 


—    41       - 

dere  bei  den  schon  in  der  Entwickelangsperiode  erkrankten  Ascendenten  ist  die  erb- 
liche Anlage  wohl  nnzweifeUialt  vorhanden  gewesen.  Vererbung  ohne  specielle  Anlage 
kommt,  wenn  anch  selten,  vor.  St&rkere  Disposition  nnd  von  Jagend  anf  bestehende 
Degenerationasymptome  sowie  fortsohrutende  Degeneration  finden  sich  bei  Yererbnng 
Tonngsweise  da,  wo  der  Ascendent  an  einer  Psychose  von  atypischem,  complicirten 
Chsrakter  oder  von  der  Form  der  Yerracktheit  litt  Wichtig  ist,  dass  Yerrflcktheit 
des  Ascendenten  nnd  reine  Manie  oder  Melancholie  der  Descendens  und  umgekehrt 
neh  ansschliessen.  Dies  ist  fttr  die  Lehre  von  der  Einheit  und  Selbständigkeit  ge- 
wisser klinisclier  Formen  von  Interesse. 

In  der  zweiten,  nicht  immer  von  der  ersten  scharf  zu  trennenden  Hanptgmppe  B 
sind  Familien  beschrieben,  bei  welcher  ausser  der  Yererbnng  noch  andere  z.  Th.  mäch- 
tigere Ursachen  die  Erkrankung  der  Descendenz  bewirkten.  Diese  anderen  Ursachen 
schwächen  im  Allgemeinen  die  Besistenzf&higkeit  der  Descendenz,  begünstigen  die 
geistige  Erkrankung  derselben,  auch  beeinflussen  sie  die  Form  meist  in  erschwerendem 
Smne,  obgläeh  die  Tendenz  der  Yererbnng  zur  gleichartigen  Fortpflanzung  auch  hier 
deutlich  ist  Das  Sterilwerden  und  Aussterben  der  Familien  wurde  nicht  beobachtet^ 
im  Qegentheil  waren  z.  Th.  viele  Kinder  vorhanden.  Siemens. 


13)  Stade  oUnkine  mr  loa  alUnte  hMäitairee,  par  Dr.  Theodore  Taty. 
Paris  1886.    BaiUike  et  Als.    114  Seiten. 

Die  sehr  fleissige  und  lesenswerthe  Arbeit  ist  aus  einer  Preisschrift  hervor- 
gegangen ftber  das  von  der  SociM  m^co-psychologiqne  gestellte  Thema:  ob  es 
Zeichen  gäbe,  die  gestatteten  zu  behaupten,  dass  eine  Geisteskrankheit  erblicher 
Katur  sei,  trotz  mangelnder  Eenntniss  Aber  die  Antecedentien  (1882). 

Die  Yerfiuner  (Taty  und  Brun)   waren  zu   folgenden   Resultaten  gekommen: 

1)  Es  giebt  Zeichen,  welche,  wenn  sie  in  einer  gewissen  Zahl  vorhanden  und 
sich  mit  genfigender  Intensität  manifestiren,  trotz  mangelnder  Anamnese  über  die 
Vorfahren  mit  einer  fast  vollständigen  Sicherheit  gestatten  zu  behaupten,  dass  eine 
Psychose  hereditärer  Natur  ist. 

Diese  Zeichen  sind  auf  dem  (Gebiete  der  Intelligenz,  der  Moral  nnd  der  phy- 
sischen Beschaffenheit  zu  finden. 

3)  Die  intelleetuellen  und  moralischen  Eigenschaften  haben  einen  grösseren 
Werth,  als  die  physischen  und  können,  auch  ohne  die  letzteren,  zur  Diagnose 
genügen. 

4)  Die  Hauptcharaktere  der  hereditären  Psychose  sind: 

a)  ein  bestimmter  Zustand  geistiger  Hyperactivität,  mit  dem  sich  ofb  moralische 
Defeete  verbinden. 

b)  Eine  gewisse  Resistenz  gegen  Dementia,  welche  immor  später  eintritt. 

c)  Die  Tendenz  zu  Paroxysmen,  Rückfällen  und  Remissionen. 

5)  Der  Beginn  in  der  ersten  Jugend  und  besonders  in  der  Pubertät. 

6)  Physische  Missbildungen  genügen  für  sich  allein  nicht,  um  die  Heredität  zu 
beweisen.    In  einer  gewissen  Zahl  vereinigt,  können  sie  ein  Zeichen  abgeben. 

7)  Bei  vielen  Geisteekranken  sind  die  besprochenen  Zeichen  nur  wenig  ausge- 
sprochen; man  kann  die  Heredität  nur  vermuthen. 

8)  Bei  manchen  Hereditarien  fehlen  alle  jene  Zeichen,  man  kann  die  Heredität 
nnr  aus  der  Kenntniss  der  Antecedentien  schliessen. 

Dieee  Sätze,  die  das  Resultat  von  75  genanor  beobachteten  Fällen  (Paralytiker 
ond  Idioten  sind  ausgeschlossen),  werden  nun  in  weiteren  Darlegungen  ausgeführt  und 
zun  Theil  durch  entsprechende  Krankengeschichten  (im  Ganzen  34)  belegt»  nachdem 
bereits  in  dem  ersten  Capitel  eine  allerdings  vorzugsweise  nur  die  fhmzösische  Literatur 
berücksichtigende  historische  Uebersicht  über  die  Hereditätsfrage  gegeben  worden. 

Das  zweite  Capitel  bespricht  den  dassischen  Typus  der  hereditären  Geisteskranken: 
Halb-Sdiwachsinnige,  raisonnirende,  erregte/  chronisch  maniacalische  Kranke. 


—    42    — 

Hervorgehoben  wird  die  Abwesenheit  bestimmter  Wahnvorstellungen  bei  geistiger 
Schwftche,  moralischen  StGmngen  und  dauernder  Erregung  in  der  einen  Seihe  von 
Fällen,  in  der  zweiten  Beihe  die  Bizarrerien,  die  plötzlichen  Paroxysmen,  der  Wechsel 
von  Depression  und  Exaltation  gleichzeitig  mit  Streitsucht,  Bosheit  etc. 

Das  dritte  Capitel  bespricht  den  Werth  der  physischen  Zeichen,  die  bei  der 
Idiotie  zwar  regelmässig  gefunden,  bei  den  Hereditarien,  von  denen  hier  die  Bede 
ist,  aber  nichts  Constantes  zeigen.  Nur  der  besondere  Geaichtsausdruck,  der  ,4eichter 
zu  erlcennen,  als  zu  beschreiben  ist",  hat  etwas  Typisches:  bizarr,  eckig  mit  etwas 
Ironischem  und  Mokantem,  flberflflssige  Oesten,  theatralische  Allüren  etc. 
Die  Schädelmessungen  ergaben  : 

Unter-Dolichocephalie    .      0  Männer    3  Frauen 
Mesocephalie     ....    3       „         2      „ 
Ünter-Brachycephalie  .    .    5       „       12      „ 
BrachycephfiJie     ...    12       „       32      „ 
In  dem  letzten  Capitel  endlich  wird  der  Satz,  der  oben  unter  4,  b  aufgefahrt 
ist,  weiter  erörtert  und  mit  Beispielen  belegt    Den  Schluss  bilden  dann  aber  2  F&Ue, 
in  denen  die  hereditäre  Psychose  zu  absoluter  Dementia  führte.  M. 


14)  Zur  Frage  über  den  Blnfluse  der  erblichen  Belaefeimg  anf  Bntwicke- 
Iting  Verlauf  und  Prognose  der  Gefsteaetdrungen,  von  Kalischer. 
Inauguraldissertation.    Berlin  1885.    90  Seiten. 
Eine  sehr  fleissige  und  umfangreiche  Darstellung  der  Literatur  über  den  be- 
zeichneten Gegenstand,  wie  sie  in  Dissertationen  nicht  oft  getroffen  wird,  mit  Hinzu- 
fügung eines  charakteristischen  Falles  ans  der  Menderschen  Anstalt.  M. 


Therapie. 

15)   Filooarpine  in  acute  Alooolism,   by  Dr.  Josham.    (Medcial  Times.  1885. 

Nr.  42.) 
J.  berichtet  in  den  Philadelphia  Medical  News  (19  September)  von  der  günstigen 
Wirkung  des  Pilocarpins  in  Dosen  von  2  Gentigramm  auf  die  Potatoren  in  körper- 
licher wie  psychischer  Beziehung.  Er  schildert  die  Thätigkeit  des  Mittels  nach  drei 
Richtungen  hin:  1)  erniedrigt  es  den  Blutdruck  im  Qehim,  2)  eliminirt  es  den  Al- 
kohol, 3)  befördert  es  die  SanerstofiEEiufhahme  des  Körpers.  Buhemann. 


in.   Aus  den  Oesellschaften. 

Oesterreiohisoh-nngarifloher  Fsyohiatertag. 

In  den  Tagen  des  26.  und  27.  Dec.  v.  J.  tagte  in  Wien  eine  Versammlung 
österreichischer  und  ungarischer  Irrenärzte  behufs  Beschlussfassung  über  eine  Anzahl 
von  Thesen  zu  der  vom  Antwerpener  Congresse  für  Phreniatrie  beschlossenen  An- 
bahnung einer  internationalen  Irrenstatistik. 

Zu  Vorsitzenden  waren  gewählt  die  Heiren  Benedikt,  Juama- Stern  egg 
(Statistiker)  und  Laufenauer. 

Gauster:  «,Ueber  Erhebung  der  Geisteekranken  aueser  Anstalten", 
empfiehlt  folgende  Sätze  zur  Annahme: 

1)  Eme  Erhebung  der  ausser  den  Irrenanstalten  befindlichen  Kranken  ist 
nothwendig. 

2)  Dieselbe  soUte  bei  der  Volkszählung,  dann  jährlich  durch  die  Gfemeinden, 
und  die  Ausweise  der  Versorgungshäuser  und  anderer  Asyle,  sowie  der  Gefängnisse 
durchgeführt  werden. 

3)  Bei  der  Erhebung  ist  blos  der  Nachweis  des  Geschlechtes,  Alters  und  des 
UmStandes,  ob  die  (Geistesstörung  angeboren  oder  später  erworben  ist,  zu  liefern. 


48    — 

4)  Im  Interesse  der  ständigen  Klarstellong  der  ausser  Anstalten  vorhandenen 
Irren  wäre  die  Einffihrong  von  Omnd*  oder  Standesbflchem  anzuempfehlen,  die  in 
jeder  Gemeinde  die  dort  domizilirenden  (Geisteskranken  zn  veneichnen  hätten. 

Eine  wesentliche  Debatte  knüpfte  sich  nnn  an  den  Pnnkt,  ob  bei  der  allgemeinen 
Yolkszählnng  die  Fragestellnng  »^geborene  oder  erworbene  Geistesstömng"  zn  lanten 
habe.  Der  Antrag  Pick's  anf  Beibehaltung  der  bei  den  früheren  Yolkszfthlnngen 
erhobenen  Kategorien  „geisteskrank  oder  blödsinnig^'  wurde  verworfen,  der  von  Inama- 
Sternegg,  einfach  nach  Ctoistesstömng  zu  fragen,  angenommen. 

Meynert:  «^BfnOieiliiiig  der  Oeisteskrankheiteii  für  die  Anstaltsstatiadk**, 
schlägt  folgende  Rubriken  für  das  Zahlblättchen  vor: 
Idiotie. 

Einfache  Geistesstörung: 

acute:  Melancholie, 
Manie, 
Wahnsinn, 
primärer  Blödsinn; 
chronische:  primäre  Verrücktheit, 

intennittirende  Gteistesstörung, 
secundäre  Qeistesstörung. 
Complicirte  Geistesstörung: 
paralytische, 

epileptiBChe<  und  hystero-epileptische  mit  Herderkrankungen. 
Toxische  Geistesstörung: 
Delirium  alcoholicum, 
Anhang. 
In  Beobachtung  stehende  Individuen, 

Selbstmord,  Delicto. 
Im  Uebrigen  beantragt  M.  en  bloc- Annahme  des  deutschen  Zahlblättchens. 
Ein  Antrag  Pick's,  die  ünterabtheilungen  der  einfachen  Seelenstörung  für  die 
officielle  Statistik  fallen  zu  lassen,  der  sich  vor  Allem  auf  die  Verhandlungen  der 
deutschen  Irrenärzte  stützte,  wurde  verworfen,  die  Anträge  Meynert*s  angenommen, 
jedoch  von  einer  Discussion  der  vorgeschlagenen  Formen  der  einfachen  Seelenstörung 
Abstand  genommen« 

Am  2.  Yerhandlungstage  wurde  auf  Grund  eines  ausführlichen  fieferates  von 
Benedikt  der  Antrag  angenommen,  durch  das  Bureau  bei  den  betderseitigen  Re- 
gierungen um  die  Einberufung  einer  Enquöte  zu  petitioniren,  welche  eine  Irrenstatistik 
in  den  Gefängnissen  anzubahnen  hätte;  schliesslich  ein  Antrag  von  Benedikt- 
Meynert,  auf  Veranstaltung  einer  bezirksweise  vorzunehmenden  Zählung  der  Epi- 
leptiker. 

Unterzeichneter  kann  nicht  umhin,  darauf  hinzuweisen,  dass  die  wenig  belang- 
reiche Discussion  zumeist  darin  ihren  Grund  hatte,  dass  die  von  einem  Wiener 
Comii^  vorbereiteten  und  von  den  dortigen  Gollegen  durchberathenen  Thesen  den 
zahlreichen  fremden  Fachgenossen  erst  zu  Beginn  der  Sitzung  eingehändigt  wurden. 

A.  Pick. 

Soci6t6  m^dic.  des  höpitaux,  Paris.    Sitzung  vom  24.  Juli  1885. 

TJeber  hysteriiohe  Tifthmnng  beim  Manne  nach  einem  Trauma  spricht 
Troisier.  Er  hatte  am  27.  März  v.  J.  einen  Mann  vorgestellt,  der  6  Tage  nach 
einem  Fall  auf  die  Schulter  eine  rechtsseitige  Armlähmung  bekommen  hatte.  Das 
Ausbleiben  der  Atrophie  der  gelähmten  Muskeln  sowie  jedes  Zeichens  einer  Degene- 
ration derselben;  das  gleichzeitige  Bestehen  von  Anästhesie  auch  derjenigen  Theile 
des  Armes,  deren  Haut  von  Aesten  des  Plexus  cervicalis  versorgt  wird;  dazu  der 
Umstand,  dass  die  Bewegungen  der  Finger  intact  geblieben  waren,  liess  T.  allein  die 


—  44    — 

Annahme  einer  hysterischen  Lähmung  übrig,  da  auch  eine  centrale  Erkrankung  aus- 
geschlossen werden  musste.  —  Seitdem  hat  Fat  einige  active  Beweglichkeit  der  Hand 
und  des  Vorderarms  wiedererlangt»  die  Sehnenphäaomene  sind  erhalten,  es  ist  keinM'lei 
trophisohe  Sttoing  eingetreten.  Herr  Oharcot  hat  den  Fat  auf  seiner  Abtheilang 
beobachtet  und  eine  complete  rechtsseitige  Hemianftsthesie  oonstatirt,  welche  sich  auf 
die  Haut  and  Schleimh&ute  erstreckt;  auch  besteht  rechts  eine  erheUiche  Schwer- 
hörigkeit, die  Zange  rechts  ist  unempfindlich  sowohl  ffir  Berühnmgs-  wie  für  Ge- 
schmackseindracke,  der  Geruch  fehlt  gleichfalls;  ausser  einer  Einengung  des  Gesichts- 
feldes ist  monocul&re  Folyopie  und  Micropsie  constatiri  —  Endlich  ist  rechts  der 
Muskelsinn  völlig  verloren  gegangen.  Contracturen  nirgends.  Es  ist  ausserdem  er- 
mittelt, dass  die  Mutter  und  eine  Schwester  des  Fat.  hysterisch  sind.  —  Dr.  F  er  ran 
hat  kürzlich  einen  ähnlichen  Fall  eines  jungen  Soldaten  veröfErotlickt  (Arml&hmang 
15  Tage  nach  einem  Fäll  auf  die  Schulter)  und  zwar  auch  unter  der  Bezeichnung: 
hysterische  Lähmung. 

In  der  Discussion  nimmt  Bendu  seine  am  27.  März  erhobenen  Bedenken  jetzt 
zurück. 

Joffroy  schUesst  sich  ganz  an  T.  an  und  theilt  einen  ganz  analogen  Fall  aus 
Charcot*s  Klinik  mit  Hier  hatte  allerdings  der  Kranke,  der  am  24.  Mai  1884 
auf  die  Schulter  gefallen  war,  dabei  das  Bewusstsein  verloren  und  sofort  nach  dem 
Erwachen  die  Lähmung  des  rechten  Armes  bemerkt  und  eine  linksseitige  Hemianäs- 
thesie  war  auch  sogleich  constatirt  worden.  Seit  März  1885  auf  Charcot*s  Klinik 
bot  der  Kranke  alle  Symptome  der  Hysterie,  hatte  grosse  Anfalle  auf  Druck  hyste- 
rogener  Funkte,  deren  er  mehrere  darbot  u.  s.  w.  Die  Diagnose  konnte  gar  nicht 
zweifelhaft  sein.  —  Handelt  es  sich  um  rein  traumatische  Lähmungen  der  Flexus 
brachialis,  so  kann  die  Anästhesie  sich  nicht  auf  Theile  erstrecken,  die  vom  Flexus 
cervicalis  innervirt  werden;  hat  aber  das  Trauma  den  Flexus  cervioalis  (resp.  dann 
auch  den  Sympathicus)  in  Mitleidenschaft  gezogen,  so  dürfte  Myosis  und  Verengerung 
der  Lidspalte  nicht  fehlen.  Immer  aber  mussten  die  gelähmten  Muskeln  verringerte 
elektrische  Empfindlichkeit  und  atrophische  Erscheinungen  darbieten,  was  bei  hyste- 
rischen Lähmungen  eben  fehlt. 

M.  Debove  hofft  nach  den  Mittheilungen  der  Vorredner  auf  künftige  genauere 
Beobachtung  und  Diagnose  ähnlicher  Fälle.  Er  erzählt  von  einem  Maime,  der  sich 
einen  Schlag  mit  dem  Hammer  gegen  die  Oberlippe  beigebracht  hatte  und  danach 
plötzlich  aphonisch  geworden  war.  Auch  diese  Aphonie  glaubt  D.  auf  eine  hysterische 
Lähmung  beziehen  zu  sollen.  Ha  dl  ich. 

Verein  für  innere  Medicin  zu  Berlin.     Sitzung  vom  7.  December  1885. 

Bothmann  berichtet  über  einen  Fall  von  Diphtherie  bei  einem  7jähr.  Knaben, 
in  dem  in  der  7.  Woche  nach  dem  Beginn  einer  Diphtheria  faucium  mit  nachfolgender 
Gaumensegellähmung  und  Accommodationspareee  im  Gesichtssinn  Lähmung  der  Be- 
spirationsmuskeln  auftrat,  die  die  höchste  Lebensgefahr  brachte.  Nach  subcutaner 
Anwendung  von  Strychnin  (0,001  pro  dosi)  und  Faradisirung  der  Phrenici  und  der 
Bauchmuskeln  besserte  sich  der  Zustand,  so  dass  nach  etwa  10  Tagen  der  Kranke 
ausser  Gefahr  war. 

In  der  Discussion  machte  F.  Guttmann  auf  seinen  im  59.  Bd.  des  Virchow'- 
schen  Archivs  beschriebenen  ähnlichen  Fall  aufmerksam,  der  tödtlich  verlief;  Leyden 
auf  die  Herzaffectionen  bei  Diphtherie,  die  ähnliche  Erscheinungen  hervorrufen  können. 
Der  Letztre  kann  ein  zu  grosses  Vertrauen  in  die  Strychninbehandlung  nicht  setzen. 

M. 

Acad^mie  des  sciences  de  Faris.    Sitzung  vom  12.  Oktober  1885, 

F,  Laulanie  lässt  durch  H.  Bouley  eine  Arbeit  verlesen  „über  die  feinsten 
Vorgänge  der  Muskelcontraction  an  Frimitivbündeln  gestreifter  Muskelfasern".  Er 
untersuchte  —  mittelst  des  Myoscop's  —  besonders  die  Froachzunge  und  oonstatirte 


-      45     - 

gua  bestimmt^  daas  hier  bei  der  Gontraction  keinerlei  Veränderang,  weder  in  Bezng 
anf  die  Streiftmg,  noeh  in  Bezng  anf  die  Anordnung  der  Theile  des  contractilen  Seg- 
mentes (der  hellen  Streifen  nnd  der  dicken  Scheiben)  eintritt.  Es  erscheint  bei  der 
normalen  Contraction  der  Mnskelprimitivbündel  der  Froschznnge  (seil.  derWirbelthiere) 
kerne  Lftngastreifdng,  w&hrend  sie  bei  den  Mnskeln  der  Wirbellosen  (Larven  von  Go- 
rethra  plnmicomis),  wo  die  Fibrillen  überhaupt  so  leicht  zu  isoliren  sind,  zn  Stande 
koDuni  —  EHe  bedien  Streifen  nnd  dicken  Scheiben  platten  sich  ab  nnd  dehnen  sich 
aos,  ohne  ihr  Yolum  zn  ändern,  sie  contrahiren  sich  beide  gleichmfissig,  die  Quer- 
streifong  wird  also  eine  äusserst  feine. 

Weiteres  konnte  L.  auch  nicht  ermittehn  und  verweist  zur  Deutung  der  bis  jetzt 
noch  unerklärten  Heterogeneit&t  der  Mnskelfibrille  auf  Banvier's  Hypothese,  nach 
welcher  die  Theilung  der  Fibrille  in  so  viele  wechselnde  Fragmente  eine  grosse  Ober* 
dächmvermehrnng  herstellen  soll  zur  Erleichterung  des  Ausgleichs  der  chemischen 
Procaese,  welche  die  Gontraction  begleiten.  Hadlich. 


Societö  de  Biologie.    Paris.    Sitzung  vom  17.  Oktober  1885. 

Gilles  de  la  Tourette  und  Londe  haben  auf  der  Gharcot'schen  Klinik 
Stadien  über  den  Qttaig  von  Kranken,  die  mit  Nervenleiden  behaftet  sind,  angestellt, 
ond  zwar  vermittelst  Abdrücke.  Sie  nnterscheiden  die  beiderseitigen  und  einseitigen 
Mecüonen  und  stellen  für  beide  Klassen  mehrere  typische  Formen  des  Gkmges  anf. 
Was  besonders  betont  wird,  ist  der  Umstand,  daas  der  pathologische  Gking  in 
seiner  Art  viel  regelmässiger  ist,  als  der  des  Gesunden,  und  zwar  nach  Länge  des 
Schrittes,  seitlicher  Abweichung  und  Winkelstellung  des  Fusses:  denn  es  bestimmt 
eben  die  von  der  Willkür  des  Individuums  unabhängige  Krankheit  den  Gang. 


Society  m^dicale  des  hOpitaux,  Paris.    Sitzung  vom  13.  November  1885. 

Jeffrey  weist  bei  Gelegenheit  der  Demonstration  eines  tabischen  Fnssgelenk- 
leidens  durch  Ghauffard  auf  das  schon  von  Trousseau  und  Leyden  erwähnte 
Vorkommen  von  Klnmpfüssen  bei  Tabischen  hin.  Es  kommt  pee  varus  und  pes  varo- 
eqninus  vor.  Im  Gegensatz  zu  den  durch  Gontractnren  bedingten  Formen  handelt  es 
sich  bei  der  Tabes  um  Lähmungsformen  resp.  durch  Muskektrophie  bedingte;  Druck 
und  Schwere  wirken  unbeeinflusst  durch  Mnskelzug  auf  den  Fuss  ein  und  erzengen 
die  Missform.  Hadlich. 

Society  d*anthropologie  de  Paris.     Sitzung  vom  4.  November  1885. 

P.  Bonnard  schlägt  vor,  um  die  Frage  nach  der  Verschiebung  des  Gehirns 
imierhalb  der  Schädelkapsel  bei  Bewegungen  endgültig  zu  entscheiden,  Leichen  in 
veischiedenen  Stellungen  gefrieren  zu  lassen  und  dann  zu  untersuchen. 

Labor  de  bemerkte  dagegen,  dass  dabei  doch  die  Verhältnisse  beim  Lebenden 
nicht  mit  Sicherheit  erkannt  werden  könnten. 

Manonvrier  hebt  hervor,  dass  die  Abdrücke  der  Gehirnwindungen  auf  der 
Schädelinnenfläehe  ein  ganz  unerschütterlicher  Beweis  nicht  nur  dafür  seien,  dass  das 
Gehirn  der  Schädelfläche  anliegt»  sondern  auch,  dass  es  ihr  unbeweglich,  unverändert 
anliegt  

Sociit^  de  Chirurgie  de  Paris.    Sitzung  vom  18.  November  1886. 

Le  Dentu  theilte  folgenden  Fall  mit  Ein  Mann  hatte  eine  Bevolverschnss- 
Verletzung  erhalten,  wobei  die  Kugel  etwas  links  von  der  Mitte  der  Stirn  eingedrungen 
war.  Es  trat  Lähmung  des  rechten  Armes,  Aphasie  und  häufiges  Erbrechen  auf. 
Nach  anfänglicher  Besserung  traten  Störungen  der  Sensibilität,  Motilität  nnd  Intelli- 
genz ein,  Coma  und  Tod.  Le  Dentu  hatte  eine  Verletzung  der  dritten  (unteren) 
linken  Stimwindimg,  des  motorischen  Gentmms  fAr  die  obere  Extremität  und  des 
diagnosticirt»  und  die  Sectien  bestätigte  die  Diagnose.         Hadlich. 


46 


IV.  Bibliographie. 

Die  Elektrioitftt  in  der  Medioin.  Stadien  von  Dr.  Hugo  y.  Ziemssen.  4.  Aafl., 
zweite  Hälfte  (diagnostisch-tlierapeutischer  Theil).  Berlin  1885.  Verlag  Ton 
August  Hirsch wald.    (190  Seiten.) 

Nur  ungefähr  halb  so  lange  wie  Mommsen  auf  die  Fortsetsang  seiner  römischen 
Greschichte,  nämlich  nur  ca.  14  Jahre  hat  uns  der  verehrte  Autor  der  ,,Elektricität 
in  der  Medicin"  auf  die  Fortsetzung  und  Vollendung  seines  allbekannten,  allbenutzten 
Werkes  zu  warten  genOthigt.  Den  meisten  Angehörigen  unserer  schnelÜebigen  Gene- 
ration wird  dieses  Zeitintervall  wahrscheinlich  als  so  beträchttlch  erschienen  sein,  dass 
sie  längst  darauf  verzichtet  haben,  die  versprochene  zweite  Hälfte,  den  „diagnostisch- 
therapeutischen Theil''  der  v.  Ziemssen*schen  Studien  vor  sich  zu  erblicken. 
Sie  mögen  diesen  Posten  gleich  so  manchem  anderen  längst  als  uneinziehbar  im  Verlast- 
conto  gebucht,  und  verschmerzt  haben.  Um  so  freudiger  in  diesem  Falle  jetzt  ihre 
Ueberraschung,  da  der  Autor  von  dem  zur  Verfügung  stehenden  Einwände  der  Ver- 
jährung keinen  Gebrauch  gemacht,  vielmehr  die  einst  gegebene  Zusage  ganz  und  voll 
eingelöst  hat 

Natürlich  ist  die  lange  Zwischenzeit  an  dem  Verfasser  so  wenig  wie  an  seinem 
Stoffe  spurlos  vorübergegangen.  Es  kann  nicht  befremden,  wenn  der  Verf.  Manches 
jetzt  in  veränderter  Beleuchtung,  unter  anderem  Gesichtswinkel  zu  erblicken,  wenn 
er  hier  und  da  mit  seiner  fiHheren  Darstellung  nicht  mehr  in  voller  Uebereinstimmung 
zu  stehen  scheint;  wenn.  Alles  in  Allem,  diese  „zweite  Hälfte"  weniger  eine  an- 
mittelbare Fortsetzung  und  Ergänzung  der  ersten,  als  vielmehr  eine  selbstständige 
Schöpfung,  eine  neue  Elektrodiagnostik  und  Elektrotherapie  ist.  — 

Das  Buch  beginnt  mit  einem  kurzen  Abschnitt  über  allgemeine  Methodik, 
worin  die  Schaffung  der  elektrischen  Einheit  und  des  absoluten  Galvano- 
meters als  die  Hauptgrundlagen  unserer  heutigen  Elektrodiagnostik  betont  werden. 
Wie  es  scheint,  hält  v.  Z.  seine  frühere  Empfehlung  des  Edelmann*schen  Einheits- 
galvanometers für  den  ärztlichen  (Gebrauch  aufgeht  —  hat  aber  noch  nicht  Gelegen- 
heit gehabt,  das  Hirschmann*sche  sowie  das  Böttcher-Stöhrer'sche  absolute 
Galvanometer  zu  erproben.  Er  hält  es  übrigens  auch  „für  gerathener,  dem  Physiker 
in  dieser  Frage  das  entscheidende  Wort  zu  überlassen''. 

Ein  grösserer  Abschnitt  (S.  9 — 46)  enthält  die  „Methoden  und  Ergebnisse 
der  Elektrodiagnostik  des  motorischen  Nerven  und  des  Muskels".  Aus 
den  methodologischen  Vorbemerkungen  verdient  die  empfohlene  Art  und  Weise  der 
Protokollirung  der  elektro-diagnostischen  Befunde  (zu  welchem  Zwecke 
gedruckte  Formulare,  oder  graphische  Auftragung  der  Befunde  auf  Gitterformularen 
in  Diagrammform  benutzt  werden)  allgemeinste  Beachtung  und  Durchfahruii^. 

Als  pathologische  Befunde  werden  zuerst  die  Erhöhung,  alsdann  die 
Herabsetzung  der  elektrischen  Erregbarkeit,  endlich  die  Entartungs- 
reaction  eingehend  besprochen.  Der  der  letzteren  gewidmete  Abschnitt  ist  natürlich 
der  breiteste  und  ausführlichste,  enthält  aber  der  Sachlage  gemäss  nicht  wesentlich 
Neues.  Hervorzuheben  sind  die  historischen  Ezcurse,  welche  sich  auf  die  Prioritäts- 
ansprüche von  Erb  einerseits,  v.  Ziemssen  und  Weiss  andererseits  beziehen.  Bei 
dieser  (Gelegenheit  bemerkt  der  Verf.,  „dass  sich  in  die  historische  Entwickelung 
dieser  Frage  manche  Irrthümer  zu  Ungunsten  seiner  Prioritätsansprüche  eingeschlichen 
haben".  Nach  der  gegebenen  Darstellung  hätten  v.  Z.  und  Weiss  die  klinjjschen 
Thatsachen  der  Entartungsreaction  gleichzeitig  mit  Erb  und  unabhängig  von  demselben 
entwickelt,  so  wie  auch  die  partielle  EaB,  experimentell  und  beim  Menschen,  zuerst 
beobachtet.  In  einer  soeben  erschienenen  Replik  („Historisches  von  der  Entartungs- 
reaction", Berl.  klin.  Wochenschr.  1885.  Nr.  47)  concedirt  Erb  nur,  dass  v.  Z.  und 
Weiss  zuerst  den  experimentellen  Nachweis  der  sog.  partiellen  EntartangsreactioD 


—    47    — 

geliefert  haben.  Im  üebrigen  beruft  sieb  Erb  darauf,  dass  seine  üntersacbxuigen 
7  Monate  früher  begonnen  und  (in  der  vorl.  Mitth.  vom  7.  Febr.  1868)  zn  einer 
Zeit  pnblicirt  wurden,  wo  die  Untersnchongen  von  v.  Z.  und  Weiss  „noch  nicht  zu 
abschliessenden  Beeultaten  gekommen  sein  konnten".^ 

Beil&ofig  sei  hier  erwähnt^  dass  unter  den  im  Anschlüsse  an  die  Baierlacher'- 
sche  Pnblication  aufgeführten  casuistischen  Beiträgen  der  des  Ref.  (Deutsches  Archiv 
for  klinische  Med.  II.  S.  70)  fehlt,  obgleich  der  Zeit  nach  hierher  gehörig  und  in 
der  3.  Auflage  des  v.  Ziemssen*schen  Buches  (1868)  an  der  entsprechenden  Stelle 
berücksichtigt.  Auch  hat  Bef.  das  differente  Verhalten  gegen  beide  Stromarten  bei 
der  satnminen  Lähmung,  sowie  die  gleichzeitige  Steigerung  der  mechanischen  und 
galvanischen  Muskelexcitabilität  dabei  zuerst  beschrieben  (Deutsches  Archiv  f.  klin. 
Med.  III.  S.  506  und  Berl.  klin.  Wochenschr.  1868.  Nr.  1  fif.). 

Methode  und  Ergebnisse  der  elektrischen  Sensibilitätsprüfung 
werden  nur  kurz  (S.  47 — 60)  berücksichtigt;  v.  Z.  weist  dieser  Methode  nur  einen 
geringen  diagnostischen  Werth  zu,  worin  er  doch  vielleicht  mit  der  Mehrzahl  der 
Cntersucher  im  Widerspruch  stehen  dürfte.  Die  Untersuchungsergebnisse  von 
Tschiriew  und  Watteville,  MObius  u.  A.  sind  hier  nicht  erwähnt;  auch  ist, 
wenn  Verf.  angiebt,  dass  qualitative  Anomalien  der  galvanischen  Beaction  der 
sensibeln  Nerven  bisher  nicht  bekannt  seien,  wohl  eine  von  Mendelssohn  bei 
Atactischen  mit  positivem  Ergebniss  angestellte  bezügliche  Untersuchungsreihe  seiner 
Beachtung  entgangen. 

Es  folgen  die  Methoden  und  Ergebnisse  der  elektrodiagnostischen 
Prüfung  der  Sinnesorgane  (S.  51 — 60).  Die  eigentlich  hierher  gehörigen  Unter- 
suchungen von  Aronsohn  über  das  Geruchsorgan  haben  an  einer  späteren  Stelle 
(S.  163)  nachträglich  Erwähnung  gefunden. 

In  der  Elektrotherapie  sind  die  allgemeinen  Einleitungsbemerkungen  von 
grossem  Interesse  —  besonders  wegen  der  pessimistischen  Besultate,  zu  welchen  der 
Verf.,  auf  Grund  einer  30jährigen  Beobachtung,  gegenüber  dem  „therapeutischen 
Optimismus  der  SpeciaUsten"  eingestandenermaassen  gelangt  ist.  Man  wird  v.  Z. 
wohl  darin  beistimmen  müssen,  dass  es  nichts  schaden  kann,  wenn  die  „ziemlich 
hoch  gespannten  Erwartungen  von  der  Heilkraft  der  Elektricität  etwas  herabgestimmt 
werden".  Andererseits  wird  doch  Jeder,  welcher  einige  Erfahrung  darüber  hat,  wie, 
womit  und  von  wem  in  den  Krankenhäusern  häufig  elektrisirt  wird,  sich  kaum 
darüber  wundem  können,  dass  die  Heilerfolge  der  Specialisten  hier  und  da  günstiger 
sind,  als  die  des  klinischen  Arztes.  [Dass  an  das  mit  den  vortrefflichsten  Hülfs- 
mitteln  und  ausreichendem  Personal  ausgestattete  Münchener  Institut  hierbei  nicht 
im  Entferntesten  gedacht  wird,  bedarf  -  wohl  keiner  besonderen  Versicherung.]  Aber 
zu  einer  endgiltigen  Entscheidung  der  so  wichtigen  therapeutischen  Fragen  würden 
wir  doch  erst  mit  der  Einrichtung  elektrotherapeutischer  Specialabtheilungen  an  den 
grossen  Universitätskrankenhäusem  und  mit  Uebertragung  derselben  an  geübte  und 
erfahrene  Specialisten  gelangen. 

Im  weiteren  Verlaufe  werden  die  elektrotherapeutischen  Methoden  (locali- 
sirte  und  allgemeine  Elektrisation,  elektrisches  Bad,  Franklinisation),  die  Dosirung 
der  Stromstärke,  Dauer  und  Häufigkeit  der  Sitzungen  etc.  erörtert.  Sehr  hübsch 
und  zutreffend  ist  die  Bemerkung  über  Elektromassage  (S.  77):  „Dieses  Verfahren 
wirkt  nicht  übel  und  impomrt  dem  Patienten  ausserordentlich,  da  er  sich  nachher 
wie  durchgewalkt  fühlt."  Die  „elektrischen  Hanteln"  erklärt  der  Verf.  dagegen  für 
Spielerei.  Auf  S.  74  ist  es  wohl  nur  ein  zufälliger  Lapsus,  wenn  bei  der  „centralen 
Galvanisation"  Beard*s  es  heisst,   dass  „die  Kathode  auf  das  Epigastrium  applicirt 

*  Seitdem  ist  von  Ziemssen  noch  eine  Erwiderung  erschienen  (Berl.  klin.  Wochenschr. 
1885.  Nr.  52),  in  welcher  er  seine  Ansprüche  den  Beanstandungen  Erb's  gegenüber  aufrecht 
erhält,  namentlich  auch  auf  die  klinischen  Mittheilungen  in  seiuer  Arbeit  vom  Jahre  1866 
(Berl.  kliD.  Wochenschr.  48—46)  hinweist. 


—    48     - 

wird,  dann  vorne  am  Halse  etc.  langsam  aaf-  nnd  abgeführt  wird''.  IHe  Streicbung'ei 
sollen  natürlich  \m  diesem  Verfahren  mit  der  Anode  aosgefQhrt  werden. 

Es  folgt  nun  eine  allgemeine  Darstellong  der  Heilwirkungen  der  Ele1c< 
tricität  (wobei  auch  den  Engelskjön^schen  sog.  Grundgesetzen  ein  nemlicbai 
Raum  gewidmet  ist)  und  die  specielle  Elektrotherapie  des  Oentralnerrensystems,  dei 
peripherischen  Nerven ,  der  Sinnesorgane;  weiterhin  wird  die  Elektrotherapie  hm 
Affeotionen  der  BespiratimiBorgaflie,  des  Herzens,  des  Yerdauungsapparates,  des  Uro- 
genjtalapparates  und  der  Drttsen  in  besonderen  Abschnitten  erörtert  ESn  n&heree 
Eingehen  auf  den  reichen  Inhalt  dieser  Abschnitte,  wobei  Verf.  ausser  einer  Ueber^ 
sieht  des  anderweitig  Geleisteten  meist  auch  die  Resultate  seiner  eigenen  Beobach- 
tungen giebt,  ist  leider  an  dieser  Stelle  unmöglich.  Hervorzuheben  ist  u.  A.,  daas 
V.  Z.  bezüglich  der  Phrenicus-Beizung  bei  Asphyktischen  ganz  an  seinen  früheren, 
seitdem  noch  vielfach  bestätigten  Ergebnissen  festh&lt  and  dass  er  die  Yerwendung 
des  Constanten  Stromes  bei  Schw&cheznst&nden  des  Herzens  (ohne  Klappenfehler) 
einer  weiteren  Prüfung  für  werth  h&lt. 

Die  Ausstattung  des  Buches  ist  des  Verfassers  und  der  Yerlagshandlung  würdig. 

A.  Eulenburg. 

Bealenoyolopädie  der  geaammten  fieiUraiide,  herausgegeben  von  Prof.  Dr.  Alb. 
Enlenburg.    Wien  u.  Leipzig,    ürban  &  Schwarzenberg. 

In  schneller  Folge  sind  den  fHlheren  Lieferungen  (cf.  S.  24  u.  S.  215  d.  CtrlbL 
1885)  10  weitere  gefolgt,  so  dass  mit  der  30.  Lieferung  der  III.  Band  vollendet  ist 
(bis  Cataplasmen).  Wir  heben  aus  diesen  letzten  Lieferungen  die  Artikel:  Bleilähmung 
von  Bemak,  Bulb&rparalyse  von  Eulenburgi  Gardialgie  von  Bosenbach  nnd 
Gatalepsie  von  Bosenthal  hervor,  von  denen  wir  die  erstere  bereits  in  Nr.  1  d.  Jahrg. 
besprochen  haben,  die  anderen  demnächst  besprechen  werden.  M. 


Biographisches  Lexioon  der  hervorragenden  Aerate  aller  Zeiten  und  Völker, 

herausgegeben  von  Prof.  Hirsch  in  Berlin.    Wien  u.  Leipzig  1885.    Urban 
&  Schwarzenberg.    (Cf.  S.  240  u.  407  d.  Ctrlbl.  1885.) 

In  den  weiteren  Lieferungen  21 — 24  (bis  Housselle)  finden  wir  die  speciell 
die  Neurologen  interessirenden  Biographien  von  Hagen  (Erlangen),  Marshall  Hall, 
Hammond,  Henle,  Hirschberg,  Hitzig  u.  A.  Wir  wünschen  dem  Werke  einen 
weiteren  günstigen  Fortgang  wie  bisher.  M. 


V.  Personalien. 

Der  Mitarbeiter  an  dieser  Zeitsohrifli,  Herr  Dr.  Zander,  bisher  2.  Arzt  in  Alt- 
Scherbitz,  wurde  zum  Director  der  am  1.  April  d.  J.  zu  eröfbenden  Irroianstalt  in 
Bjbnik  ernannt.  

Berichtigung:  Herr  Prof.  v.  Krafft-Ebing  wurde  zum  ordentlichen  Pro- 
fessor in  Graz  ernannt.  

VL   Vermischtes. 

Von  den  PreiBaufgaben,  welche  die  Aeadtoie  de  m^eeine  in  Paris  fQr  1880  aufgestellt 
hat,  erwähnen  wir  folgende: 

Prix  Fair  et  (1000  Fr.):  Des  rapports  entre  la  paralysie  g^o^rale  et  la  sjphilis  oMbr&le. 
Prix  Portal  (600  Fr.):  Le  goitre  exopbtbalmique. 
Prix  Civrieux  (1000  Fr.):  La  migrame. 


Verlag  von  Ybit  &  Comp,  in  Leipzig.  —  Druck  von  MsTsesB  &  Wittig  in  Leipzig. 


IeurologischesCentralblatt. 

,  (lebersicht  der  Leistungen  auf  dem  Gebiete  der  Anatomie,  Physiologie,  Pathologie 
und  Therapie  des  Nervensystemes  einschliesslich  der  Geisteskrankheiten. 

HeratiBgegebeii  you 

Professor  Dr.  E.  Mendel 
Flnfter  "  ^'"°-  Jahrgang. 


MoDatlieh  erscheinen  zwei  Nummern.   Preis  des  Jahrganges  16  Mark.    Zu  beziehen  durch 
aUe  Bnchhandliingen  des  In-  und  Auslandes,  die  Postanstalten  des  Deutschen  Beichs,  sowie 

direet  Yon  der  Yerlagabuchhandlang. 


1886.  1.  Februar.  M  3. 


Inhalt.  I.  OriginalmlttheilimgM.  1.  Bemerkungen  Qber  das  Unterkieferphftnomen 
r^er  die  Beaction  der  Sehne  des  Masseter  mit  Rücksicht  auf  einen  Fall  von  amjotrophischer 
IdOeralsolerons  mit  (Honus  des  Unterkiefers  Yon  E.  E.  Beeror,  von  Dr.  A.  de  Watteville. 
2.  Zur  Untersachnngsmethode  des  Knieph&nomens,  von  Dr.  Fr.  Peliiaeus*  S.  Zur  Pu^ddiyd* 
Wirkung,  von  Sommer. 

II.  aeferate.  Anatomie.  1.  Ueber  zwei  B&ndel,  die  zum  Bestand  der  inneren  Portioii 
des  hinteren  Kleinhimschenkels  gehören,  und  über  die  Entwickelung  der  Aousticuafaeem, 
von  Bechterew.  —  Experimentelle  Physiologie.  2.  Die  oculo-pupillären  Centren,  von 
Kals^uiowski.  8.  Esami  psieoraetriei  di  pazzi  morali  e  mattoidi,  pel  Harro.  —  Patho- 
logische Anatomie.  4.  Note  anatomiche  ed  antropologiche  sopra  60  crani  e  42  encefali 
di  donne  criminali  italiane,  pel  Varaglia  e  Silva.  5.  Contribution  exp^rimentale  a  la  paUio- 
logie  et  a  Fanatomie  pathologique  de  la  moelle  ^piniöre,  par  Hem^n.  6,  D^^n^rations  secon- 
dairea  aacendantes  da^s  le  bnlbe  rachidien,  dans  le  pont  et  dans  l'ätage  superieur  de  Tisthme, 
par  Loewenthal.  —  Pathologie  des  Nervensystems.  7.  Nevrose  vasomotrice,  par  Ferraud 
et  Ltenard.  8.  De  r^pflepsie  dans  ses  rapports  avec  les  fonetions  visuelles,  par  PIchon. 
9.  Over  de  aetiologie  aer  tabea  dorsalis,  door  Stephan.  10.  A  elinical  lecture  on  lead-poi- 
soning,  by  Oitver.  11.  Paralysis  and  mixed  Hypeitrophie,  by  Mitchell.  12.  Ender  et  Til- 
fUde  af  akut  Polyneurit.  af  Book.  18.  Zur  I«ehre  des  Zoster  cerebralis  und  zur  Pathogenese 
des  Zoster  überhaupt,  von  Weiss.  14.  Herpes  met  motorische  stoomiesen,  door  Walter. 
15.  Herpes  zoster  und  Lähmungen  motorischer  Nerven,  von  StrDbing.  16.  Primäre  Pachy- 
meningitifl  interna  tuberculosa  des  Halsmarks,  von  Weiss.  —  Psychiatrie.  17.  Contribution 
a  l'etade  de  la  looalisation  anatomo- pathologique  de  la  paralysie  ^^n^rale  sans  ali^nation, 
par  Lnys.  18.  Die  Aetiologie  der  Paralyse,  von  Graf.  19.  Ninfomania  paradoeaa,  pel  Loffl- 
broso.  —  Forensische  Psychiatrie.  20.  Sane  or  insane?  by  Manning.  21.  Acaserecord 
in  forensic  psychiatry,  by  lllorey.  —  Therapie.  22.  On  a  new  indnction  apparatus,  by 
Tiegel.  23.  Notice  historique  sur  Telectroth^rapie  a  son  origine,  par  Ladame.  24.  Heilbar- 
keit und  Behandlung  der  Tabes  dorsalis,  von  iacob. 

Hl.  Aus  den  Gesellschaften.  —  IV.  Bibliographie.  —  V.  Offene  Stellen.  —  VI.  Vermischtes. 

I.  Originalmittheilungen. 

1.  Bemerkungen  über  das  ünterkieferphänomen  oder  die 
Keaction  der  Sehne  des  Masseter  mit  Rücksicht  auf  einen 
Fall  von  amyotrophischer  Lateralsclerosis  mit  Clonus  des 

Unterkiefers  von  E.  E.  Beevor. 

Von  Dr.  A.  de  WatteidUe  in  London. 

Dr.  Beevob  beschreibt  einen  Fall,  den  er  vor  4  Jahren  beobachtet  hat, 
und  in  dem  bulbäre  Symptome  zusammen  mit  amyotrophischer  Lateralsclerosis 


^-    50    - 

vorhanden  waren.  Es  bestand  Atrophie  verschiedener  Muskeln  in  den  oberen 
Extremitäten  und  eine  gewisse  Rigidität  in  den  Beinen  mit  excessiven  Sehnen- 
reflexen.  Es  war  kein  Fussdonus  vorhanden,  wenn  aber  der  Unterkiefer 
herabgedrückt  wurde  >  erhielt  man  einen  regelmässigen  Glonus,  der  so  lange 
dauerte,  als  die  Muskeln  in  Spannung  erhalten  wurden. 

Dies  scheint  die  erste  PubUcation  eines  Falles  zu  sein,  in  dem  Unterkiefer- 
clonus  beobachtet  wurde. 

Der  Autor  spricht  von  dem  Zähneklappern  in  der  Kälte  als  einer  Form 
von  solchem  Clonus  und  erwähnt  einen  Fall,  in  dem  der  Fussclonus  bei  einer 
gesunden  Person  nach  einem  kalten  Bade  hervorgerufen  werden  konnte. 

Ich  habe  den  Unterkieferclonus  in  einem  Falle  von  hysterischen  Krämpfen 
der  Extremitäten  und  in  einem  Falle  von  organischer  Läsion  des  Hirns,  die 
wahrscheinlich  die  Pons-Bulbärregion  betraf,  gefunden.  Eine  Reihe  von  Ver- 
suchen, die  ich  anstellte,  zeigte,  dass  in  den  meisten  Fällen  bei  gesunden  Per- 
sonen ein  wahres  „Unterkieferphänomen''  von  derselben  Beschaffenheit  wie  das 
Kniephänomen  durch  eine  sehr  einfache  Methode  hervorgerufen  werden  kann. 

Man  drückt  den  Unterkiefer  mit  einem  Papiermesser  oder  einem  ähnlichen 
G^enstand  herab,  den  man  mit  seinem  Ende  flach  auf  die  Zähne  an  einer  von 
beiden  Seiten  des  Unterfdefers  auflegt,  und  schlägt  mit  einem  gewohnlichen 
Percussionshammer  so  nahe  als  möglich  den  Zähnen  auf  die  Breitseite  jenes 
Papiermessers.  Die  Kaumuskeln  antworten  auf  ihre  plötzliche  Dehnung  mit 
einer  Contraction,  welche  in  manchen  Fällen  von  Nerven-  oder  anderen  Krank- 
heiten sehr  gesteigert  sich  zeigt 

Weitere  Untersuchungen  werden  zeigen,  in  welchen  Fällen  das  Zeichen 
von '  diagnostischem  Werth  ist  und  besonders,  wo  der  Stoss  herabgesetzt  er- 
scheint Das  Resultat  der  mjographischen  Experimente  zeigt  eine  Latenz 
von  nur  0,2  Seounden,  eine  Zeit,  die  for  einen  wahren  Reflex  zu  kurz  ist,  be* 
sonders  mit  Rücksicht  auf  die  neulich  von  Walleb  gefundene  Thatsache,  dass 
der  Schluss  des  Augenlides  auf  Lichtreiz  eine  Latenz  von  0,5  Secunden  hat 


2.  Zur  üntersuchungsmethode  des  Kiuephänomens. 

Von  Dr.  Pr.  PelisaeuB,  dirigirender  Arzt  der  Wasserheilanstalt  Kreischa  b.  Dresden. 

In  meiner  Arbeit  „über  das  Kniephänomen  bei  Kindern''  (Wbstphal's 
Archiv  Bd.  XIY)  kam  ich  zu  dem  Endergebniss,  dass  es  erstens  bei  gesunden 
Kindern  mit  den  damals  üblichen  und  bekannten  Methoden  an  einzelnen  Tagen 
gar  nicht,  au  anderen  wieder  leicht  gelang,  das  Kniephänomen  zu  erzeugen, 
zweitens  dass  ein  gänzliches  Fehlen  auch  bei  sorgfaltiger  und  oft  vriederholter 
Untersuchung  eine  grosse  Seltenheit  sei:  Imal  unter  2403  Kindern.  Es  lag 
nun  nahe  daran  zu  denken,  „dass  bei  dem  einen  Knaben,  bei  dem  das  Phä- 
nomen andauernd  und  voUkonmien  fehlte,  schon  der  Keim  zur  Entwickeluog 
einer  chronischen  Rückenmarkserkrankung  gelegt  sei''. 


—    51     — 

Nun  hat  Jxndrassik  in  Nr.  18  d.  GentralbL  1885  nicht  allein  den  eisten 
Theil  meiner  Besultate  bei  Kindern,  das  zeitweilige  Fehlen  des  Kniephänom^tis, 
aodi  für  Erwachsene  bestätigt,  sondern  auch  eine  Methode  angegeben,  mittelst 
weldier  es  in  vielen  Fällen,  in  denen  es  nach  den  bisherige  Methoden  der 
Untersuchung  gar  nicht  oder  nur  bei  häufigerer  Untersuchung  das  eine  oder 
andere  Mal  gelingt,  das  fragliche  Phänomen  zu  erzeugen,  leicht  ist,  dasselbe 
herrorznrufen. 

Es  erschien  mir  wünschenswerth,  jetzt  3  Jahre  nach  der  früheren  ITnter- 
sochung  den  Knaben  noch  einmal  mit  Anwendung  der  JEND&AssiK'schen  Me- 
thode untersuchen  zu  lassen. 

Herr  Docent  Dr.  Rbmak,  der  schon  bei  den  fräheren  Untersuchungen  den 
Knaben  gesehen  hatte,  war  so  freundlich,  dies  zu  thun  und  kam  zu  dem  Resultat, 
«,das8  auch  jetzt  es  nicht  gelingt,  nach  den  gewöhnlichen  Methoden  mit  einiger 
Begelmässigkeit  das  Kniephänomen  zu  erzeugen,  dasselbe  ist  aber  sowohl  im 
Sitzen  als  auch  besonders  im  Liegen  beim  ersten,  vielleicht  auch  noch  zweiten 
und  dritten  Anschlag  zu  erzielen,  wenn  nach  dem  JENDBASSiK'schen  Verfahren 
der  Kranke  die  in  einander  gehakten  Hände  kraftvoll  auseinander  zerrt  Während 
dieser  Haltung  ist  also  ein-,  höchstens  zwei-  und  dreimal  das^  Kniephänomen 
za  erzielen,  dann  nicht  mehr,  auch  nicht  bei  fortgesetzter  Anspannung  der  Anne. 
Nach  einer  kleinen  Pause  gelingt  es  wieder  in  gleicher  Weise.'' 

Damach  wäre  also  das  Besultat  meiner  früheren  Untersuchungsreihe  in 
seinem  zweiten  Theile,  betrefiEs  des  vollständigen  Fehlens  des  Kniephänomens 
bei  gesunden  Kindern  dahin  zu  modificiren,  dass  es  zwar  in  einigen  Fällen 
ausserordentlich  schwierig  und  in  einem  einzelnen  nur  mit  Hülfe  einer  beson- 
deren —  der  jEND&ASsiK'schen  —  Methode  möglich  war,  die  Erscheinung  zu 
erzielen,  dass  aber  unter  2403  dasselbe  nicht  ein  einziges  Mal  vollständig  ver- 
misst  wurde.  Jendbasbik  selbst  bestätigt  dieses  bei  den  Kindern  gefundene 
Besultat  fär  etwa  1000  gesunde  Erwachsene. 


3.   Zur  Paraldehydwirkung. 

Von  Sommer  in  Allenberg. 

Paraldehyd  hat  sich  schnell  einen  hervorragenden  Platz  in  der  Reihe  der 
zuverlässigen  Hypnotica  erworben,  da  es  im  Allgemeinen  keine  unangenehmen 
Nachwirkungen  und  besonders  keine  Congestionen  und  Basherscheinungen,  wie 
Chloral,  hinterlässt  Von  allen  Berichterstattern  hat  nur  Eickholdt  (Deutsche 
WochenschrifL  1888.  Nr.  48)  nach  längerem  Gebrauch  Kopfcongestionen  und 
vasoparalytische  Zustände  gesehen. 

Ich  selbst  habe  Paraldehyd  seit  ungefähr  2^/^  Jahren  vielfach  bei  männ- 
lichen Geisteskranken  in  etwa  1100  Einzeldosen  angewendet  und  zwar  anföng- 
lich  ohne  besonderen  Erfolg.  Nachdem  indess  ein  vollständig  reines  Präparat 
(von   ScHEUNG,  seit  Januar  1884)  besorgt  worden  war,  wirkte  es  stets  sehr 


—    52    — 

befriedigend.  Dosen  von  3—5  g,  eventuell  mit  2—4  g  Bromkalianiy  in  reich- 
lichem Wasser  gelöst,  sind  nur  ganz  ausnahmsweise  wirkungslos  geblieben;  die 
Lösung  muss  allerdings  möglichst  ftisch  sein.  Keinmal  hatte  ich  störende  Nach- 
wirkungen gesehen  und  auch  bei  persönlichem  Gebrauch  nie  empfunden. 

Ganz  äberraschend  kam  daher  neuerdings  ein  Fall  mit  schweren  vasopara- 
lytischen  Erscheinungen  der  Hautgeffisse.    Ein  junger  Mensch  von  18  Jahrcoi, 
der  bei  katatonischer  Verwirrtheit  und  Aufr^ung  an  hochgradiger  Schlaflosig- 
keit litt,  hatte  seit  6  Tagen  je  4  g  Paraldehyd  Abends  erhalten  und  darnach  auch 
befriedigend  geschlafen.    Am  7.  Tage,  nachdem  er  wie  bisher  stets,  zum  sog. 
zweiten  Frühstück  eine  Tasse  Bouillon  und  eine  Flasche  Bayrisch  Bier  zu  sich 
genommen,  entwickelte  sich  in  wenigen  Minuten  eine  intensive  dunkelsoharlach- 
rothe  Injection  der  ganzen  Kopfhaut  mit  Ausnahme  der  Nasenflügel  und  der 
Mundwinkel    Bei  genauerer  Untersuchung  zeigte  sich  dieselbe  Färbung    auf 
dem  ganzen  Halse,  auf  dem  Rucken,  sowie  auf  den  hinteren  Flächen  der  unteren 
Extremitäten.    Ueber  die  Brust  und  den  Unterleib  waren  handgrosae  zack%e 
Flecken  unregelmässig  und  über  die  oberen  Extremitäten  aemlich  symmetrisch 
zerstreut.     Mechanische   Reizungen   bisher  nicht  injicirter  Hautpartien  riefen 
(nicht  ganz  exact)  den  Strichen  entsprechende  Nachfarbungen  hervor.    Dieser 
eigenthümliche  Zustand  von  G^efassparalyse  hielt  etwa  Vs  Stunde  an  und  schwand 
dann  fast  ebenso  plötzlich,  vrie  er  gekommen  war.    Da  kein  Herzfehler  vorlag 
und  da  der  jugendliche  Patient  keine  subjectiven  Beschwerden  zu  erkennen 
gegeben  hatte,  wurde  am  nächsten  Abend  noch  einmal  Paraldehyd  gegeben  und 
mit  demselben  Erfolge:  am  nächsten  Vormittag  hochgradige  Qefassparalyse  un- 
mittelbar nach  Einverleibung  einer  kleinen  Menge  Alkohol;  im  Uebrigen  wieder 
ohne  subjecüve  Beschwerden.    In  der  Folge  wurde  von  jedem  Hypnoücum  ab- 
gesehen und  vasomotorische  Störungen  sind  bisher  nicht  wieder  eingetreten. 

Wenn  derartige  Nachwirkungen  auch  sehr  selten  sind,  wenigstens  bei  reinem 
Paraldehyd,  so  wird  man  doch  bei  Oefassbrüchigkeit  etc.  vorsichtig  sein  müssen, 
und  wird  Paraldehyd  dann  nur  unter  Vermeidung  von  Alcoholicis  verabfolgen 
dürfen. 


n.  Referate. 

Anatomie. 

1)  Ueber  Ewei  Bündel,  die  Bum  Bestand  der  inneren  Portion  des  hin- 
teren KLeinhimschenkelB  gehören,  und  über  die  Bntwiokelung  der 
Aoufitkmsfbsem,  von  W.  Bechterew.   (Wratsch.  1885.  Nr.  25.  Rassisch.) 

Die  Untersuchung  fötaler  Qehime  lässt  erkennen,  dass  im  inneren  Abschnitt 
des  hinteren  Kleinhimschenkels  mindestens  zwei  besondere  Bündel  zum  Kleinhiro 
aufsteigen.  Eines  derselben  erhält  seine  Maxkscheiden  in  sehr  frühem  Alter,  bei 
einer  Fötuslänge  von  ungeföhr  28 — 30  cm;  das  andere,  einwärts  vom  ersteren  ge- 
legen, erst  bei  einer  Länge  von  35 — 38  cm.  Letzteres  entspringt  aus  einer  besonderen 
Anhäufung  kleiner  Zellenelemente,  die  hinter  dem  äusseren  Acusticuskem,  zum  Theil 
vielleicht  auch  in  demselben  liegt.  Es  steigt  neben  der  Aussenwand  des  4.  Yentrikels 
zum  Kleinhirn  auf,  geht  zwischen  den  Fasern  des  vorderen  Kleinhimstiels  hindurch 


—    63    — 

ond  IM  neh  zwiMhen  Kugdkern  nnd  Pfropf  auf,  ohne  «ine  Kreuaraag  mit  dem 
Bfindel  der  anderen  Seite  einzugehen.  Das  andere  Bündel  der  inneren  Portion  des 
hinteren  EleinhimsehenkelB  verl&nft  anawürts  yon  dem  soeben  beechriebenen,  steigt 
iwischen  letzterem  und  den  Fasern  der  directen  Kleinhimseitenstrangbahn  auf,  nm- 
liiflgt  TOB  aoflsen  und  oben  den  vorderen  Kleinhimstiel  nnd  zieht  zu  den  Dachkemen, 
aber  welchen  es  sich  zum  Theil  mit  dem  contnüatenden  kreuzt  Seine  Fasern  stammen 
ans  den  Oliven,  und  zwar  sowohl  aus  der  gleichaeitigen,  als  auch  aus  derjenigen  der 
anderen  Seite. 

Der  Acusticus  laset  sich  nach  der  Entwickelnng  seiner  Fasern  in  zwei  besondere 
Wurzeln  trennen :  die  vordere  Wurzel  der  Autoren  ist  bereits  bei  25  cm  langen 
Foeten  markhaltig,  w&hrend  die  hintere  erst  bei  ungefähr  30  cm  langen  ihre  Mark- 
beklttdung  erhält  Erstere  stammt  aus  dem  Vestibnlartheil  des  Aenstieas,  und  kann 
daher  Wurzel  des  N.  vestibularis  genannt  werden;  letztere  entspringt  aus  dem 
Cochlearast  des  Acusticus.  Beide  haben  keine  directe  Verbindung  mit  dem  Klein- 
hm.  Die  Wurzel  des  N.  restibularis  endet  mit  ihren  meisten  Fasern  in  der  oben 
bezeichneten  Zellenanhäufung,  die  Cochlearwarzel  dagegen  im  sog.  vorderen  Acusticus- 
kem  (Nucleus  anterior  Meynerfs).  Die  Fasern  der  Striae  acusticae  werden  viel 
später  markhaltig,  als  beide  Acusticuswurzeln,  und  sind  deshalb  nicht  als  directe 
Fortsetzung  letzterer  zu  betrachten.  P.  Rosenbach. 


Experimentelle  Physiologie. 

2)  Ueber  die  ooulo-pupillären  Oentren,  von  Dr.  P.  Katschanowski  aus  St 
Petersburg.     (Med.  Jahrb.  der  k.  k.  Gesellsch.  der  Aerzte  in  Wien.  1885.) 

Nach  einem  historischen  Ueberblick  Aber  die  betreffende  Frage  kommt  Yerf.  auf 
Grond  seiner  an  morphinisirten  Hunden,  denen  das  Schädeldach  in  möglichst  grossem 
Umfange  abgetragen  worden  war,  angestellte  Experimente  zu  folgenden  Resultaten: 

I.  In  dem  vorderen  Abschnitte  der  vorderen  Windungen  der  Hirnrinde  des 
Hondes  ist  ein  Centrum  fflr  eine  Anzahl  motorischer  Fasern  vorhanden,  welche  zu 
den  Augen  gehen.  Die  Beizung  dieses  Centrums  bewirkt  Eröffnung  der  Lidspalte, 
Exophthalmus,  Drehungen  der  Bulbi  und  Erweiterung  der  Pupille,  und  zwar  ist  die 
Wirkung  je  einer  einseitigen  Reizung  immer  bilateral. 

Q.  Aehnliche  Erscheinungen  ergeben  sich  bei  Reizung  des  Kopfes  des  Streifen- 
htigels;  also  abermals  Erö£hung  der  Lidspalte,  Erweiterung  der  Pupille,  Drehungen 
der  Bulbi  nach  der.  contrahitenüen  Seite  und  Exophthalmus. 

m.  Bei  Anwendung  solcher  Ströme,  bei  welchen  Femwirkungen  durch  Strom- 
schleifen ausgeschlossen  werden  konnten,  haben  wir  eine  Pupillenerweiterung  weder 
von  einer  anderen  als  der  oben  letztgenannten  Stelle  der  Hirnrinde,  noch  auch  von 
dem  hinteren  Absehnitte  des  Streifenhflgels  hervorrufen  können. 

lY.  Jene  motorischen  Centren,  deren  Beizung  die  Pupillen  erweitem,  bewirken 
dies  durch  Fasern,  welche  durch  die  Medulla  oblongata  zu  dem  Halssympathicus 
gelangeiL  Durchschneidung  je  eines  Yagosympathicus  am  Halse  sistirt  die  pupilläre 
Wirkung  jener  Beizung  auf  der  gleichnamigen  Seite.  Durchschneidung  der  Oblongata 
hebt  die  papilläre  Wirkung  jener  Beizung  beiderseitig  auf. 

y.  Reizung  eines  hinteren  Yierhflgels  bewirkt  Pupillen -Diktation  in  beiden 
Augen  und  flberdies  eontralateral  eine  Drehung  des  Bulbus  nach  aussen. 

YI.  Auch  diese  Centren  wirken  auf  die  Pupillen  vermittelst  Fasern,  welche 
durch  die  Mednlla  oblongata  nnd  den  Halssympathicus  laufen.  Durchschneidnng  des 
Halsmarkes  oder  der  Yagosympathici  vernichtet  die  genannte  pupilläre  Wirkung  der 
Fierhflgel-Beizung. 

Yn.  Die  pupillären  Centren  der  Binde  und  des  Corpus  striatum  sind  in  ihrer 
Wirkung   von   dem   Bestände  der  hinteren  Yierhflgel  unabhängig.    Die  Beizung  des 


—    54    — 

Streifenbflgelkopfes  hatte  noch  eine  Papillenerweiterong  zur  Folge,  nachdem  die  Vier- 
hügel zerstört  waren. 

yill.  Die  hier  genannten  Folgen  der  Reizungen  treten  nicht  ansnahmsloB  auf. 
Doch  stimmen  die  Erfolge  in  einer  so  grossen  Anzahl  von  Fällen  mit  einander 
überein,  dass  wir  die  Ausnahmen  wohl  als  durch  die  Narcose,  die  Blutungen  und 
mechanischen  Insulte  bedingt,  ansehen  dflrfen. 

Den  Schluss  der  Arbeit  bildet  die  Mittheilnng  einer  Anzahl  von  Protokollen 
über  die  Versuche.  M. 


3)  Saami  psioometrioi  di  pazzi  morali  e  mattoidi,  pel  dott.  A.  Marro.  (Arch. 
di  psichiatr.  sdenz.  pen.  ecc.  1885.  p.  359.) 

Verf.  hat  in  ähnlicher  Weise  wie  der  leider  zu  Mh  verstorbene  G.  Buccola 
und  Andere  Untersuchungen  über  die  Schnelligkeit  der  psychischen  Apperception 
sinnlich  wahrnehmbarer  Vorgänge  bei  Individuen  mit  psychischer  Degeneration  und 
moralischem  Defect  0,delinquenti-nati''  ==  ,,pazzi  morali'Oy  hei  originär  Schwachsinnigen 
(„mattoidi''?)  und  bei  Normalen  angestellt. 

Die  SchneUigkeit  der  Lichtwahmehmung  maass  er  durch  die  Dauer  zwischen 
einem  Druck,  durch  den  eine  Geissler*sche  Bohre  vermittelst  eines  elektrischen 
Stromes  ins  Leuchten  versetzt  wurde,  und  zwischen  dem  Moment,  in  welchem  die 
Versuchsperson  die  eigene  Wahrnehmung  der  Lichterscheinung  markirte;  für  die 
Untersuchung  der  Gehörsempfindung  wurde  eine  Glocke  durch  einen  Druck  in  Schwin- 
gungen versetzt  und  wieder  die  Zeit  bis  zur  Markirung  durch  die  Versuchsperson 
gemessen.  Die  Messung  selbst  geschah  durch  ein  Hipp*sches  Gbronoscop;  die  er- 
haltenen Zahlen  müssen  mit  0,0033  multiplicirt  werden,  um  die  ermittelte  Dauer  in 
Secunden  darzustellen. 


Im  Durchschnitt  erforderte  die: 


bei: 


Mpazzi  morali" 
.»Mattoidi«.  . 
„Normali"  .    . 


Sehempfindnng, 


maz. 


133 


163 


87 


med. 


mm. 


grösste 
Differenz 


86       23 


85 


46 


32 
23 


171 
100 


63 


GehSrsempfindung 


maz. 


123 


86 


50 


med. 


nun. 


52 


33 


22 


12 


6 


8 


grösste 
Differenz 


112 

80 


44 


Von  wesentlichem  Interesse  ist  das  Ergebniss  bei  den  Fällen  von  „Moral  In- 
sanity".  Wie  die  Minimalwerthe  zeigen,  erfolgt  die  sinnliche  Wahrnehmung  im 
günstigsten  Fälle  fast  ebenso  schnell,  wie  bei  Normalen;  im  Allgemeinen  aber  er- 
fordert sie  eine  fast  doppelt  so  lange  Zeit,  nnd  die  Differenz  zwischen  der  schnellsten 
und  langsamsten  Wahrnehmung  ist  bei  jenen  fast  dreimal  so  gross,  wie  bei  den  Ver- 
suchspersonen. Verf.  leitet  diese  Eigenthümlichkeit  aus  der  Energielosigkeit  der 
„Pazzi  morali"  ab;  sie  können  zwar  an  und  für  sich  aufpassen,  aber  wie  sie  jede 
geistige  oder  körperliche  Anstrengung  unangenehm  berührt»  so  ist  ihnen  auch  die 
gespannte  Aufmerksamkeit  lästig  und  schwierig.  Vielleicht  könnte  man  von  dieser 
Beobachtang  in  diagnostischer  Beziehung  gelegentlich  Gebrauch  machen. 

Sommer. 


—    55    — 


Pathologische  Anatomie. 

4)  Note  anatomiohe  ed  antropologiohe  sppra  60  orani  e  42  encefali  di 
donne  crüninali  italiane,  pei  Dott.  S.  Yaraglia  e  B.  Silva.  (ArcMvio 
di  i)8ichiatr.  sdenze  penaL  ecc.  1885.  p.  113  — 140,  p.  274 — 286  e 
p.  459—487.) 

Die  YerffL  haben  Gelegenheit  gehabt,  60  Scb&del,  welehe  von  yerbrecherischen 
Weibem  ans  Italien  stammten,  genauer  zu  nntersnchen.  Sie  wandten  zu  diesem  Be- 
hafe  das  Broca^sche  Messverfahren  an  und  haben  ausserdem  bei  jedem  Schädel  auf 
alle  pathologischen  und  anatomischen  Abnormitäten  geachtet. 

Auf  die  Einzelheiten  der  werthyoUen  Arbeit  kann  hier  natürlich  nicht  einge* 
gangen  werden;  die  allgemeinen  Ergebnisse  stehen  in  befriedigender  Uebereinstimmung 
mit  den  Lehren  der  Lombroso'schen  Schule.  An  allen  Schädeln  konnten  die  Yerff. 
deutliche  Zeichen  inferiorer  Bildung  gegenüber  den  Schädeln  moralisch  intact  ge- 
wesener Weiber  nachweisen.  Als  besonders  wichtige  Erscheinungen  der  somatischen 
Bniartui^  der  Verbrecher,  die  mit  der  moralischen  Hand  in  Hand  geht,  seien  hier 
nur  angeführt  eme  aufiEJEdlend  kleine  Capacität  des  Schädels,  daher  auch  ein  auf- 
fallend kurzer  Horizonfcalumfang,  dessen  Stimantheil  besonders  klein  ausgefallen  zu 
sein  pflegt.  (Auch  die  grössere  Schmalheit  des  Schädels:  von  60  verbrecherischen 
Italienerinnen  sind  76,6,  von  Normalen  nur  31,8%  dolichocephal,  dürfte  mit  Schaaff* 
hausen  als  ein  Kriterium  inferiorer  Schädel  resp.  Himbildung  anzusprechen  sein.) 
l>ann  häufige  und  bedeutende  Asymmetrie  zwischen  den  beiden  Schädelh&lften,  Häufig- 
keit der  Stimfortsätze  der  Schläfenschuppe  (bei  6,6  ^/^X  sowie  die  ähnlichen  Bildungs- 
anomalien  und  Schaltknochen  im  Pterion  (bei  11,6  7o)'  ungewöhnliche  GrOsse  der 
Augenhöhlen,  Unregelmässigkdten  in  der  Form  und  in  der  Enochenbildung  der  Bänder 
des  Foramen  magnum  (bei  11,6  7o)  ^^^  Verwachsungen  zwischen  flSnterhauptsbein 
imd  Aüas  (bei  3,3  ^/q).  Endlich  sind  noch  als  inferiore  Bildungen  zu  betrachten 
abnorme  Entwickelung  der  Augenwülste  und  der  Muskelansätze,  sowie  auffällige 
Plumpheit  und  Dicke,  selbst  Osteosclerose  der  Schädelknochen. 

Im  Ganzen  &nden  die  Yerfif.  an  den  58  Schädeln  (2  sind  in  der  tabellarischen 
Zasammenstellung  nicht  aufgeführt)  99  „Abnormitäten"  des  Schädels. 

Zahl  der  Zahl  der 

Schädel  Abnormitäten 

Mord  und  Körperverletzung     .        25  43 

Kindsmord 11  18 

Giftmord 5  9 

Sittlichkeitsverbrechen    ...          5  11 

Diebstahl 12  18 

(Brandstiftung 2  ?) 

Einen  werthvoUen  Anhang  büdet  die  Wiedergabe  von  8  der  bemerkenswerthesten 
Schädel  in  je  3 — 4  Ansichten  durch  Lichtdruck.  Sommer. 


5)  Contribution  expörimentale  a  la  pathologie  et  4  ranatomie  pathologique 
de  la  moelle  dpiniöre,  par  E.  A.  Hom^n.  Helsingfors  1885.  (112  Seiten 
7  col.  TafehL) 

Die  vorliegende  Schrift  bringt  ausführlichen  Bericht  über  H.'s  im  pathologisch- 
anatomischen Institute  der  Universität  Helsingfors  ausgeführte  Arbeiten  über  secnndäre 
Degeneration,  die  diesmal  durch  Mittheilungen  über  die  nach  Hemisection  des  Bücken- 
marks zu  beobachtenden  Functionsstörungen  erweitert  ist. 


•• 


_    66    — 

Ueber  diese  letzteren  berichtet  H.  im  Anscbluss  an  eine  historiscbe  Darlegang 
des  bisher  Bekannten  und  an  einige  Bemerkungen  über  die  Ursachen  der  Diflferenzen 
zwischen  den  Autoren  über  seine  eigenen  an  52  Hunden  gemachten  Versuche.  Nach 
Verschwinden  der  auf  die  Operation  zu  beziehenden  schweren  Erscheinungen  bleibt 
eine  motorische  Lähmung  auf  der  operirten  Seite  zurück,  die  bis  auf  anscheinend 
dauernd  zurückbleibende  Spuren  allmfihlich  verschwindet;  H.  erklärt  dies,  da  er  nie- 
mals Regeneration  in  der  Narbe  beobachtete,  durch  das  vicarürende  Einti^n  anderer 
Fasern,  deren  Localisation  er  an  der  Hand  des  bisherigen  Materials  festzustellen  ver- 
sucht. Die  Vergleichung  reiner  FfiJle  von  Hemisection  mit  solchen,  wo  ein  Theil 
des  jenseitigen  Vorderstranges  mit  durchschnitten  worden,  in  welch*  letzteren  die 
Parese  eine  bedeutend  schwerere  ist,  machen  es  wahrschenüioh,  dass,  wenigstens  in 
der  Begel  motorische  Willkürbahnen  auch  in  den  Vorderstr&ngen  yerlanfen,  was  noch 
dadurch  bestätigt  eischeint,  dass  in  Fällen,  wo  die  Vorderstränge  beiderseits  ver- 
schont sind,  die  Wiederherstellung  der  Motilität  am  raschesten  vor  sich  geht. 

Nach  Hemisection  in  der  Höhe  des  4.  Halswirbels  ist  die  Motilität  des  betr. 
Vorderbeins  ganz  zerstört»  in  geringerem  Maasse  die  des  entsprechenden  Hinterbeins; 
die  des  letzteren  auch  weniger  als  nach  Hemisection  im  Dorsalmark,  was  gegen 
Eusmin  und  für  Vulpian's  Ansicht  spricht. 

Hinsichtlich  der  Sensibilität  konnte  H.  im  Allgemeinen  nach  Hemisection  des 
Dorsalmarks  keine  deutliche  Verminderung  oder  Steigerang  der  Sensibilität  an  den 
Ifinterbeinen  gegenüber  den  Vorderbeinen  constatiren;  nur  in  den  ersten  Stunden 
nach  der  Operation  kann  sie  herabgesetzt  sein;  eben  so  wenig  &nd  sich  eine  deut- 
liche Differenz  zwischen  den  Hinterbeinen,  doch  fand  sich  kurz  nach  der  Operation 
leichte  Hyperästhesie  am  entsprechenden  Beine.  Fälle,  in  denen  neben  der  Hemi- 
section auch  der  Hinterstrang  der  anderen  Seite  durchschnitten  war,  zeigten  keine 
Differenz  hinsichtlich  der  Empfindungsleitnng  gegenüber  denen  mit  einfacher  Hemi- 
section. Bezüglich  der  Temperatarverhältnisse  nach  Hemisection  fand  H.  die  An- 
gaben der  Autoren  bestätigt;  Differenzen  in  den  Sehnenreflexen  fand  er  nicht,  glaubt 
jedoch  öfters  in  Fällen  nach  fast  völliger  querer  Durchschneidung  des  Bückenmarks 
eine  Steigerung  derselben  am  entsprechenden  Vorderbein  und  beiden  Hinterbeinen 
gesehen  zu  haben. 

Bezüglich  des  zweiten  Theils  der  Schrift,  welcher  sich  ausführlicher  in  der  vor- 
läufigen Mittheilung  H.*s  (Fortschr.  d.  Med.  1885.  IIl.  Nr.  9)  wiedergegeben  findet, 
kann  auf  deren  Befnrat  (d.  Ctrlbl.  1885.  S.  417)  verwiesen  werden.  11  sehr  schön 
ausgeführte  colorirte  Figuren  ergänzen  die  werthvoUe  Arbeit.  A.  Pick. 


6)  Dögänöratlons  seoondaireB  aseendantes  dans  le  bulbe  raohidlen,  dans 
le  pont  et  dans  l'ötage  supörienr  de  l'isthme,  par  le  Dr.  N.  Loewen- 
thal,  charg^  du  cours  d*Histologie  normale  ä  FAcad^mie  de  Lausanne. 
(Bevue  m^dicale  de  la  Suisse  Bomande.  1885.  15.  octobre.  No.  10.  1  Planche.) 

Im  Anschluss  an  die  bereits  in  seiner  Dissertation  publicirten  Untersuchungen 
über  auf-  und  absteigende  secundäre  Degenerationen  im  Bückenmark  nach  partieller 
Durchschneidung  des  Cervicalmarks  an  Hunden,  macht  Verf.  in  vorstehender  Arbeit 
Mittheilungen  über  den  Verlauf  der  aufsteigenden  Degenerationen  im  Qehim  (MeduUa 
oblongata,  Brückengegend),  an  den  nämlichen  Versuchsthieren  (Hand  I  und  11;  mit 
der  partiellen  Durchtrennung  des  Cervicalmarks  in  der  Qegend  des  2. — 3.  und  des 
5. — 6.  Nervenpaars  a.  a.  0.). 

Es  degenerirten  in  aufsteigender  Bichtung:  1)  die  Eleinhimseitenstrangbahn, 
2)  die  Goll*schen  Eeilstränge  und  3)  die  Burdach*schen  Keilstränge. 

Was  die  Degeneration  der  ersterwähnten  Bahn  anbetrifift,  so  zeigt  sich  das  er- 
griffene Bündel  aufwärts  bis  zu  den  Ebenen  des  Seitenstraugkerns  ganz  geschlossen;  daä 


—    57    — 

bezflgliebe  QaerachBittsfdld  nimmt  das  peripherische  Areal  zwischen  der  ventralen 
Pirtie  der  Snbstantia  gelatinosa  der  aufsteigenden  Qmntnswarzel  und  der  dorsalen 
jenes  Kerns  ein.  Von  da  an  zweigt  sich  Ton  dem  gemeinsamen  Strang  ein  nicht 
unwesentliches  Bündel  ab.  Während  nun  die  zum  Corpus  restiforme  ziehenden  Fasern 
(dorsale  Portion  der  Kleinhirnseitenstrangbahn;  „portion  dorsale  du 
faisceau  c^räbelleux")  sich  dorsalw&rts  gegen  das  Stratum  zonale  Amoldi  wenden, 
um  capitalwärts  das  ihnen  entsprechende  Feld  im  Strickkörper  zu  erreichen,  behält 
das  in  Frage  stehende  Bündel  (ventrale  Portion  der  Kleinhirnseitenstrang- 
bahn;^ aberrirendes  Seitenstrangbündel  v.  Monakow)  seine  ursprüngliche 
Yerlaufsrichtnng  bei,  bis  etwa  zur  Gegend  des  Ursprungs  des  N.  trigem.;  von  hier 
ans  zieht  es  die  lateralen  Partien  der  Brücke  durchsetzend  und  vom  peripherischen 
Rand  derselben  nur  durch  Brückenarmfasem  getrennt,  schräg  aufwärts  gegen  den 
Isthmus,  vrelchen  es  kurze  Strecke  hinter  den  unteren  Zweihügeln  erreicht;  es  lehnt 
sich  auf  dieser  H6he  an  den  Querschnitt  des  Bindearms  an,  wendet  sich  sodann 
merkwürdiger  Weise  in  retrograder  Richtung,  einen  Halbkreis  um  den  Bindearm  be- 
schreibend, auf  die  dorsale  und  laterale  Seite  desselben  und  zwar  in  der  Gegend, 
wo  der  Bindearm  sich  in  das  Kleinhimmark  erstreckt.  Der  weitere  Verlauf  dieses 
Tentralen  Bündels  Hess  sich  mit  Sicherheit  nicht  eruiren.  —  Diese  Abzweigung  in 
der  degenerirten  Kleinhirnseitenstrangbahn  konnte  bei  dem  Hund,  wo  die  Durch- 
tnmnnng  des  Seitenstranges  auf  das  dorsale  Dritttheil  beschränkt  blieb,  nicht  nach- 
gewiesen werden.  —  Die  in  Frage  stehenden  Fasern  ziehen  wohl  eine  Strecke  weit 
in  dem  Faserzuge  der  sog.  unteren  Schleife,  sie  stehen  aber  mit  jenen  Schleifenfasem 
nicht  in  Gontinuität.  Hingegen  entstammen  die  in  der  G^end  des  Isthmus  den 
Bindearm  umkreisenden  Fasern  partiell  der  Kleinhirnseitenstrangbahn.  —  Letztere 
Bahn  besteht  somit  aus  zwei  scharf  zu  trennenden  Portionen,  einer 
dorsalen  und  einer  ventralen. 

Bezüglich  der  aufwärts  degenerirenden  Hinterstränge  konnte  Verf.  constatiren, 
dass  nach  Durchschneidung  zwischen  dem  5. — 6.  Cervicalnervenpaar  nicht  nur  die 
Goll'schen,  sondern  auch  Theile  der  Burdach'schen  Stränge  auf  ziemlich  weite  Strecken 
der  Degeneration  verfallen.  Yerf.  unterscheidet  mit  Bücksicht  hierauf  in  den  Hinter- 
strängen dreierlei  Fasercategorien:  1)  kurze  Fasern  der  Burdach'schen  Stränge;  die- 
selben erschöpfen  sich  schon  1 — 2  Wirbelkörper  oberhalb  der  Läsionsstelle,  sie  nehmen 
das  Feld  dicht  am  inneren  Bande  des  Hinterhoms  ein;  2)  die  Goll*schen  Keilstränge; 
3)  lange  Fasern  der  BurdacVschen  Stränge,  die  bis  in  die  Medullfi  obL  degeneriren 
(nach  Durchschneidung  zwischen  dem  5. — 6.  Cervicabiervenpaar)  und  die  im  Quer- 
schnitt das  zwischen  den  erst  genannten  und  den  Goll*schen  Fasern  liegende  Areal 
einnehmen. 

Die  Degeneration  der  GoU'schen  Fasern  konnte  bis  zum  Kern  derselben  verfolgt 
werden,  welcher  sich  aber  an  dem  pathologischen  Process  nicht  betibeillgte.  Die 
fangen  Burdach'schen  Fasern  zeigten  sich  degenerirt  bis  zu  den  ersten  Ebenen  des 
4.  Ventrikels;  hier  zerstreuten  sie  sich  zum  Theil  in  der  grauen  Substanz  der  ent- 
sprechenden Kerne.    Letztere  erschienen  nicht  wesentlich  verändert. 

Weder  die  Ppumiden,  noch  die  Schleifen,  noch  die  Fibrae  arcoai,  noch  die 
innere  Abtheilnng  des  Kleinhimstiels  zeigten  irgend  welche  nachweisbare  aufsteigende 
I^enerationen. 

Zum  Schlüsse  bemerkt  Verf.,  dass  seine  Besultate  sich  mit  der  Flechsig'schen 
Ansicht,  dass  die  Hinterstränge  in  ihren  Kernen  endigen,  in  guten  Einklang  bringen 


^  Mit  Becht  macht  Verf.  aof  die  Identität  dieses  Bündels  mit  dem  vom  Beferenten 
beschriebenen  Maberriienden  Seitenstrangbündel"  aofinerkBam;   dasselbe  degenerirt^  wie  Bef. 

rigt  hat  (ffieses  Centralbl.  1885.  Nr.  12),  auch  abwärts  und  zwar  nach  Dnrohtrennung 
imteren  SebleÜb. 


—    58    — 

lassen  und  dass  sie  auch  mit  den  auf  experimentellem  Wege  gewonnenen  Besoltaten 
von  Yejas  und  Referenten  in  keinem  wesentlichen  Widerspruclie  stehen. 

V.  Monakow. 

Pathologie  des  Nervensystems. 

7)  19'evroBe  vasomotrioe,  par  Ferrand  et  Leonard.    (yEnc^phale.  1885.  Nr.  5.) 

Die  Yerff.  berichten  über  eine  anter  eigenthümlichen  Symptomen  aoftretende 
Neurose  bei  einem  jungen  Mädchen  von  20  Jahren,  welche,  von  einer  phthisischen 
Mutter  stammend,  in  ihrem  10.  Jahre  eine  Pneumonie»  im  16.  einen  Typhus  und  im 
Jahre  1884  eine  schwere  Bronchitis  durchgemacht  hatte.  Seit  dem  16.  Jahre  men- 
struirt,  aber  stets  unregelmässig,  leidet  Patientin  seit  ihrer  letzten  Erkrankung  an 
intermittirenden  epigastrischen  Beschwerden  und  Bfickenschmerzen,  nach  jeder  Mahl- 
zeit tritt  heftiges  Erbrechen  ein,  im  December  erbrach  Patientin  einige  Esslöffel  Blut, 
auch  ging  etwas  Blut  per  anum  ab.  Wenn  die  Backenschmerzen  eintraten,  wurde 
Patientin  zuerst  ganz  blass,  danach  folgte  eine  auffallende  Böthung  der  Stiine  und 
des  unteren  Theils  der  Arme.  Im  Spital  erbrach  Patientien  täglich  einige  Löffel  Blut, 
sie  erbrach  aber  auch  alle  Speisen  und  zwar  behielt  sie  anfanglich  dieselben  10  Mi- 
nuten lang  bei  sich,  später  aber  gab  sie  dieselben  alsbald  nach  dem  Hinabschlucken 
unter  einem  förmlichen  Speiseröhrenkrampfe  wieder  heraus;  trotz  völligen  Emährungs- 
mangels  magerte  Patientin  kaum  ab,  sie  hatte  aber  auch  nur  alle  5 — 6  Wotchen  (!) 
Stuhlgang  und  nrinirte  oft  mehrere  Tage  hindurch  gar  nicht,  der  gelassene  Urin  war 
arm  an  Harnstoff.  Die  anfänglich  beschränkte  Böthung  nahm  allmählich  an  Aus- 
dehnung zu,  erstreckte  sich  über  Kopf,  Hals,  Brust,  Ellbogen,  Kniee,  die  Enden 
der  Beine  und  Füsse  und  zwar  in  absolut  symmetrischer  Anordnung.  Zuerst  wurde 
die  Haut  blass,  dann  zeigten  sich  rothe  Pünktchen,  die  sich  vermehrten  und  con- 
fluirten  bis  zur  einförmigen  intensiven  Böthe,  welche  mit  einem  Qefühl  von  Hitze  ver- 
bunden ist  Das  Verschwinden  der  Erscheinungen  geschieht  in  umgekehrter  Reihen- 
folge. Mit  dem  Auftreten  der  Böthe,  welche  auf  Druck  völlig  verschwindet,  nahmen 
die  Schmerzen  an  Heftigkeit  zu,  je  heftiger  die  Schmerzen,  um  so  intensiver  und  aus- 
gedehnter die  Böthe,  welche  namentlich  in  jeder  Krise  das  Gesicht  befiel.  Diese 
Krisen  dauern  1 — 2  Stunden,  während  derselben  steigt  die  Körpertemperatur  bis  zu 
41^  G.  Störungen  der  Sensibilität  und  der  Motilität  fehlen.  Patientin  ^ürte  in  den 
Anfällen  Gongestionen,  das  Gesichtsfeld  ist  aber  stets  normal.  Die  Anfalle  treten 
täglich  zu  verschiedenen  Stunden  auf.  Yerff.  geben  eine  genaue  Krankengeschichte 
mit  Temperaturtabellen  und  Tabellen  über  den  Urin  und  dessen  Inhalt,  diese  müssen 
im  Original  eingesehen  werden. 

In  eingehender  Besprechung  der  Differentialdiagnose  wird  die  Möglichkeit  einer 
Verwechslung  dieser  eigenthümlichen  Eruption  mit  Erysipel  oder  auch  mit  Scharlach, 
Urticaria,  Boseola  und  Herpes,  ein  Erythem  in  Folge  von  Hitze-  oder  Kälteeinwirkung, 
auch  die  Möglichkeit  einer  Vergiftung  ausgeschlossen.  Pellagra  ebenso  wie  die  Ery- 
theme, welche  als  Folge  äusserer  Beizmittel  oder  mnerer  Medicamente  wie  Brom  oder 
Jod  entstehen,  werden  zurückgewiesen,  und  es  wird  dann  diese  stets  absolut  symme- 
trisch auftretende  Eruption  als  eine  vom  Genitalsystem  ausgehende  vasomotorische 
Beflexparalyse  erklärt,  auch  die  mit  der  Hautaffection  zusammenfallenden  Schmerz- 
anfalle, die  geringen  Blutungen,  das  Erbrechen,  die  Oligurie  werden  auf  Congestions- 
zustände  der  Schleimhäute  zurückgeführt.  Zander. 


8)  De  röpilepsie  daas  ses  rapportB  aveo  los  fonotlons  visuelles,  par  Georges 
Pichon.    Th^se  de  Paris  1885.    (243  Seiten.) 

In   dieser  sehr  fleissig   gearbeiteten,  auf  150  eigene,  vielfach  ausfOhrlich  mit- 
getheilten   Beobachtungen   und   eingehend   benutzter   Literatur    basirte    Dissertation 


—    69    — 

behandelt  P.  das  ganze  (Gebiet  der   bei  der  reinen  Epilepsie  vorkommenden  Seh* 
stönmgen  und  sonstigen  Yer&ndeningen  des  Auges. 

Die  wichtigsten  seiner  Schlossfolgerungen  sind  folgende:  Fnnctionelle  Störungen. 
ZwiBchen  den  Anfällen  fand  sich  in  Vi  4  ^^^  ^äU^  Farbenblindheit,  in  Vs  laichte 
concentrische  Gesichtsfeldeinschr&nkung  für  Weiss,  dann  fflr  Roth  und  GrOn  in  ab- 
steigender Reihe;  ein  Zusammenhang  derselben  mit  dem  psychischen  Zustande  fand 
sich  nicht.  Als  Yorlfiufer  des  Anfalls  kommen  zur  Beobachtung  die  yerschiedenen 
Formen  Yon  Hyper-  und  Anästhesie,  sowie  die  verschiedenartigsten  Halludnationen; 
das  gleiche  gilt  für  den  SchwindeluifaU  und .  das  epileptische  (auch  länger  dauernde) 
Delirinm.  P.  ist  geneigt,  diese  Erscheinungen  im  sog.  carrefour  sensitif  zu  locali- 
siren,  die  Aura  epilept.  in  den  optischen  Rindencentren.  Abnormitäten  der  Pupille: 
Unmittelbar  vor  dem  Anfalle  in  einzelnen  Fällen  Erweiterung  und  Starre  (doch  legt 
P.  selbst  kein  besonderes  Gewicht  auf  diese  Beobachtung);  während  des  Anfalls  Er- 
weiterung und  Starre;  ausserhalb  der  Anfälle  Aufhebung  oder  wenigstens  hochgradige 
Herabeetznng  der  Eeaction.  Augenhintergrund  während  des  Anfalls:  Niemals  Anämie 
der  Betina,  immer  beträchtliche  venöse  Congestion  charaktensirt  durch  Erweiterung 
der  sog.  centralen  Gefässe  und  Hyperämie  der  sog.  Himcapillaren  (Galezowski), 
deutlicher  Yenenpuls;  diese  Erscheinungen  sind  noch  einige  Augenblicke  nach  dem 
Anfalle  sichtbar.  P.  nimmt  fOr  das  Gehirn  während  des  Anfalls  den  gleichen  Zu- 
stand in  der  Circulation  an.  Als  dauernde  Störung  des  Augenhinteigrundes  fand  P. 
Hyperämie  der  Betina,  die  früher  oder  später  zu  der  häufig  gefundenen  Abblassung 
der  Papille,  in  8 — 9^/o  zur  Atrophie  derselben  führt,  wahrschemlich  durch  ein 
Stadium  von  Neuritis  opt.  hindurch.  Diese  stabilen  Störungen  sind  warscheinlich 
die  Folge  der  anfallsweise  auftretenden  Störungen.  A.  Pick. 


9)  Orer  de  aetiologie  der  tabes  dorsalis«  door  Dr.  B.  H.  Stephan.    (Weekbl. 
van  het  Nederl.  Tijdschr.  voor  Gtoneesk.  1885.  Nr.  51.)   . 

Wenn  man  der  Statistik  und  den  Thatsachen  Recht  widerfahren  lassen  wiU, 
kann  man  den  Zusammenhang  zwischen  Syphilis  und  Tabes  nicht  mehr  in  Zweifel 
ziehen;  doch  geht  man,  wie  St  meint,  zu  weit,  wenn  man  annimmt,  dass  die  Wahr- 
scheinlichkeit an  Tabes  zu  erkranken  fOr  Personen,  die  nie  syphilitisch  inficirt  worden 
sind,  nicht  vorhanden  seL 

Es  wird  immer  wahrscheinlicher,  dass  infectiöse  Gefässaffectionen  bei  der  Aetio* 
logie  verschiedener  Bückenmarksleiden  eine  bedeutendere  Bolle  spielen,  als  man  ihnen 
bisher  zuerkannt  hat;  in  Bezug  auf  die  Tabes  ist  man  darüber  allerdings  noch  nicht 
einig,  aber  es  scheint  doch,  dass  die  Beobachtungen,  in  denen  man  Gefössverände- 
mngen  als  die  primäre  anatomische  Ursache  aufCassen  zu  müssen  glaubt,  hnmer  mehr 
zunehmen;  auch  deuten  die  myelitischen  Veränderungen,  die  in  keinem  Falle  von 
Tabes  fehlen,  mehr  auf  einen  primär  entzündlichen,  als  auf  einen  degenerativen  Pro- 
cess;  endlich  lässt  sich  das  gleichzeitige  Vorkommen  von  Atherom,  resp.  Affection 
der  Aortenklappen  bei  Tabes  auf  die  ungezwungendste  Weise  erklären,  wenn  man 
eine  syphilitische  Gefössaffection  als  Ursache  von  beiden  annimmt 

Es  kann  nun  recht  wohl  möglich  sein,  dass  verschiedene  solche  infectiöse  Ge- 
fässaffectionen verschiedene  Bückenmarkserkrankungen  verursachen,  dass  z.  B.  Syphilis 
Tabes,  eine  andere  Gefässaffection,  die  nicht  syphilitischen  Ursprungs  ist,  eine  andere 
Form  von  Bflckenmarkserkrankung  herbeiführt.  A  priori  liegt  in  dieser  Annahme 
nichts  Widersinniges;  doch  ist  dagegen  zu  bemerken,  dass  bestimmt  FäUe  vorkommen, 
in  denen  der  Tabes  keine  Syphilis  vorausgegangen  ist,  dass  syphilitische  und  nicht 
syphilitische  Tabes  sich  weder  klinisch,  noch  pathologisch-anatomisch  von  einander 
imterseheiden,  so  dass  höchst  wahrscheinlich  der  Tabes  auch  Gefässaffectionen  zu 
Grande  liegen  können,  die  nicht  syphüitisohen  Ursprungs  sind. 


—    «0    — 

In  pathologisch-anatomiBclier  Hinsicht  l&sst  sich  nach  dem  bisherigen  Stand- 
punkte der  Erfahrung  höchstens  annehmen,  dass  in  den  meisten  FäUen  Yon  Tabes 
Sderose  der  Hinterstränge  ein  specifisches  Kennzeichen  des  Leidens  ist,  ob  darin 
aber  das  pathologisch-anatomische  Substrat  dieser  Bückenmarksaflfection  an  sadien  ist, 
lässt  sich  bei  der  Mannigfaltigkeit  der  gefundenen  anatomischen  Veränderungen  nicht 
feststellen.  Wenn  man  nun  die  Mannigfaltigkeit  der  bei  den  Sectionen  gefundenen 
Veränderungen  auf  der  einen  Seite,  die  zahllosen  klinischen  Erscheinungen,  ihre 
Gruppirung  und  ihre  Unregelmässigkeit  auf  der  andern  Seite  in  das  Auge  faast,  so 
scheint  es  St.  richtiger,  in  Fällen,  die  wir  heutzutage  Tabes  dorsalis  nennen,  mehr 
an  ein  allgemeines  Leiden  des  Cerebrospinalapparats  zu  denken,  als  an  einen  anf 
die  Hintttvtränge  des  Rückenmarks  beschränkten  Process,  und  ausserdem  meint  er, 
dass  auf  jeden  Fall  weder  aus  den  Ergebnissen  der  pathologisch-anatomischen  Unter- 
suchungen, noch  aus  den  klinischen  Erscheinungen  auf  eine  ausschliessliche  Locali- 
satlon  des  Syphilisgiftes  auf  die  Hinterstränge  des  Bückenmarks  geschlossen  werden 
kann.  Syphilis  giebt  auf  das  Mannigfaltigste  Veranlassung  zu  Gefässaffectionen,  nnd 
da  Tabes  die  am  meisten  yorkommende  Rückenmarksaffection  ist,  so  ist  es,  wie  St. 
s^  natürlich,  dass  Syphilis  bisweilen  der  Tabee  vorausgeht  Dass  Syphilis  aos- 
schliesslich  der  Tabes  und  keiner  anderen  chronischen  Rückenmarkskrankheit  ▼(»raus- 
gehen  sollte,  ist  eben  so  unwahrscheinlich,  als  die  Annahme,  dass  der  Tabes  kein 
anderes  Gefassleiden  zu  Grunde  liegen  sollte,  als  ein  syphilitisches. 

Walter  Berger. 

10)  A  olinioal  leoture  on  lead-poiaoning»  by  Th.  Oliver.    (The  British  med. 

Journal.  1885.  17.  Oct.  p.  731.) 

Lesenswerthe  Uebersicht  der  Symptomatologie  der  chronischen  Bleivergiftung. 
Da  für  dieses  Centralblatt  nur  die  Erkrankungen  des  Nervensystems  in  Betracht 
kommen,  so  sei  hier  nur  erwähnt,  dass  Verf.  die  Eztensorenlähmung,  sowie  die 
eigenttidien  Encephalopathien  auf  eine  unmittelbare  toxische  Wirkung  des  Bleis,  ohne 
nachweisbare  organische  Veränderung  des  Nervensystems,  zurückführt;  Albuminurie 
und  Urämie  auf  Grund  der  mit  Bleiintoxication  so  häufig  combinirten  Schmmpfniere 
können  allerdings  ganz  ähnliche  Himerscheinungen  herbeiführen. 

Ein  Fall,  der  durch  maniakalische  Delirien,  durch  ganz  plötzlich  einsetzende 
und  ebenso  schnell  wieder  schwindende  Zustände  von  Blindheit  und  Taubheit,  sowie 
durch  häufige  epileptiforme  Anfälle  charakterisirt  war,  ist  ausführlicher  mitgetheili. 
Die  Himsection  fiel  negativ  aus;  auch  chemisch  war  kein  Blei  nachzuweisen. 

Sommer. 

11)  PeralyaiB  and  mized  Hypertrophie,   by  J.  K.  Mitchell.    (The  Lancet. 

1885.  Vol.  n,  p.  253.) 
Verf.  berichtet  von  einem  nach  seiner  Ansicht  einzig  dastehenden  Falle,  in 
welchem  Paralyse  der  Unterextremitäten,  zugleich  Vermehrung  der  Muskelprimitiv- 
bündel, also  wahre  Hyperplasie,  und  enorme  Hypertrophie  der  Haut  und  des  sub- 
cutanen Fettgewebes  bestanden.  Pseudohypertrophie  war  auszoschliessen,  weil  die 
Muskelelemente  vermehrt  und  zugleich  um  das  Doppelte  im  Querdurchmesser  ver- 
grössert  waren,  —  es  wurden  Stücke  mit  der  Harpune  entnommen  — ,  femer  weil 
kein  Verlust  der  Krafb,  keine  Atrophie  der  Pectoral-  und  Dorsalmuskeln  zu  constatüren 
waren  —  Dinge,  die  nach  Gowers  für  die  Pseudo-Hypertrophie  charakteristisch  sind. 
Sderodermie  war  wegen  Fehlens  der  Induration  und  der  Pigmentation  ausgeschlossen. 
Abwesenheit  von  Fieber  und  entzündlichen  Zeichen  sprach  gegen  Elephantiasis. 

Buhemann. 

12)  Bnder  et  Tilf  ftlde  af  akat  Polynenrit  (multipel  19'earit).  —  I^tal  Ud- 

gang,  af  Cäsar  Boeck.    (Tidsskr.  f.  prakt  Med.  1885.  V.  18.) 


—    61     — 

D«r  34  Jahre  alte  Kracke  war  Yor  11  Jahren  in  New -Orleans,  nach  seiner 
Angabe  an  einem  Klimafieher,  erkrankt»  Yor  8  Jahren  hatte  er  sich  syphilitisch  in- 
fidrt,  seit  seiner  danmligen  Heilang  aber  kein  Sjmpton  dieser  Krankhmt  wieder  gezeigt. 
Im  Febmar  1884  bemorkte  Patient  Steifheit  in  den  Gelenken  der  unteren  Extremitäten, 
im  Joli  wurde  der  Gang  unsicher,  Patient,  früher  rührig  und  lebhaft,  wurde  tr&g  und 
traomeriscb  und  war  mitunter  wie  geistesabwesend,  im  August  traten  Wahnideen  hinzu. 
Patient  litt  an  reissenden  Schmerzen  in  den  Gliedern.  Am  20.  August  fand  £.  Ptosis 
des  rechten  oberen  Augenlids,  die  Pupillen  waren  aber  gleich  gross  und  reagirten  beide. 
Die  Muskulatur  der  Unterschenkel  und  zum  Theil  auch  der  Oberschenkel  war  em- 
pfindlich gegen  Druck,  sodass  Patient  nicht  im  Stande  war  behufs  Untersuchung  des 
Patelian-eflexes  die  Beine  übereinander  zu  schlagen.  Die  Hautsensibilitat  war  be- 
deutend geschwäoht  an  beiden  Unterextremitäten  bis  oberhalb  des  Knies,  an  den 
Oberextremitaten  bis  an  den  Eilbögen,  Nadelstiche  schmerzten  hier  nichts  An  den 
andern  Körperstellen  war  die  Sensibilität  Yollkommen  normal.  Der  Lokalisationssinn 
schien  Yerhältnissmässig  gut  erhalten,  ebenso  die  Hautreflexe,  die  Motilität  war  da- 
gegen in  allen  Extremitäten  deutlich  geschwächt.  Die  motorische  Paralyse  nahm 
aenüich  rasch  zu,  die  Schwächung  der  Sensibilität  schritt  etwas  langsam  Yorwärts; 
sie  war  am  stärksten  an  den  Fingern  und  Zehen  und  nahm  mehr-  nach  oben  zu  all- 
mählich ab.  Später  liess  sich  bedeutende  Empfindlichkeit  der  Nervenstämme  gegen  Druck 
nachweisen,  namentlich  an  den  oberen  Extremitäten.  —  Die  faradische  Erregbarkeit 
war  ganz  yerschwunden  in  den  Muskeln  der  Unterschenkel,  geschwächt  in  denen  der 
Oberschenkel,  der  Hände  und  Vorderarme,  normal  an  den  Oberarmen.  Die  galvanische 
Erregbarkeit  konnte  nicht  untersucht  werden.  Anfang  September  hatte  sich  die  Sen- 
sibilitätsschwächung über  die  ganzen  Extremitäten  ausgedehnt,  die  motorische  Para- 
Ijfse  hatte  rasche  Fortschritte  gemacht,  am  Rumpf  aber  blieb  Motilität  und  Sensibilität 
intact.  Am  7.  September  war  Schielen  in  Folge  von  Lähmung  des  linken  Abducens 
eingetreten  und  blieb  bis  zu  dem  unter  zunehmender  Entkräftung  am  9.  September 
erfolgenden  Tode.  Störung  des  Blasentonus  war  nie  vorhanden  gewesen,  der  Stuhl- 
gang war  in  der  letzten  Zeit  etwas  trag  gewesen,  aber  nicht  in  Folge  von  Störung 
der  Dannmuskulatur.  —  Die  Behandlung  war  durch  den  Eigensinn  des  Kranken,  der 
Nichts  einnehmen  wollte,  schwierig  und  unzulänglich.  Am  besten  schien  von  den  an- 
gewandten Mitteln  Jodkalium  zu  wirken,  während  Salicylsäure  weniger  gut  wirkte. 

Die  Section  musste  sich  auf  die  Nervenstämme  der  Extremitäten  beschränken 
und  einige  kleine  Hautäste  an  den  Vorderarmen,  Händen  und  Unterschenkeln.  Mikro- 
skopisch zeigte  sich  an  diesen  Nerven  nur  hier  und  da  Erweiterung  und  Ueberfüllung 
der  Blutgefässe  im  Perineurium.  Mikroskopisch  konnte  man  aber  den  mit  Osmium- 
saure  behandelten  und  mit  Pikrocarmin  geförbten  Präparaten  alle  möglichen  Grade 
der  Degeneration  der  Nervenfasern  bis  zur  vollständigen  Auflösung  der  Nervenscheiden 
in  kleine  Klumpen  und  Kömer  beobachten,  ja  bis  zum  vollständigen  Verschwinden 
des  Axencylinders  und  der  Markscheide,  sodass  nur  die  Schwan  nasche  Scheide  mit 
bedeutender  Vennehrung  der  Anzahl  der  Kerne  übrig  geblieben  war.  Manche  Kerne 
waren  bedeutend  vergrössert  und  deformirt,  einzelne  in  Theilung  begriffen.  In  den 
grösseren  Nervenstämmen  waren  übrigens  nicht  so  viele  Nervenstämme  degenerirt,  als 
man  nach  der  raschen  Zunahme  der  Erkrankxmg  kurz  vor  dem  Tode  hätte  erwarten 
sollen;  nach  der  Peripherie  hin  nahm  die  Zahl  der  degenerirten  Nervenfasern  zu.  Die 
Gewisse  des  Perineurium  waren  überall  mit  rothen  Blutkörperchen  ausgefüllt  —  In 
den  Muskeln  schien  die  Zahl  der  Kerne  im  Perimysium  und  Endomjsium  ebenfalls 
bedeutend  vermehrt,  Fettdegeneration  der  Muskeln  liess  sich  aber  nicht  nachweisen; 
aoch  die  Gefässe  des  Perimysium  waren  mit  rothen  Blutkörperchen  gefüllt. 

Walter  Berger. 

18)  Zur  Lehre  des  Zoster  oerebralis  und  sttr  Pathogenese  des  Zoster  über- 
haupt, von  M.  Weiss.    (Zeitschr.  f.  Heilkde.  1886.  VI.  8.  479.) 


—    62    — 

W.  berichtet  folgenden  Fall.  37jähr.  Mann,  ohne  Hereditat,  nach  depressiven 
Affecten  melancholische  YerstimmTing,  nenrasthenische  Beschwerden;  später  ziehende 
Schmerzen  in  den  ersten  3  Fingern  beider  Hände,  zuweilen  bis  in  die  Achselhöhle 
ausstrahlend;  darnach  an  der  Innenfläche  der  Finger  zerstreute  stecknadelkopfigrosse, 
wasserhelle  Bläschen,  die  nach  2 — 4  Tagen  vertrocknen  und  abschilfern;  seither  in 
unregelmässigen  Intervallen,  selten  14  Tage  überschreitend,  die  gleiche  Eruption  an 
dem  einen  oder  andern  der  genannten  Fmger;  fast  gleichzeitig  an  denselben  nach 
psychischer  Erregung  stärkere  Schweisssecretion,  sowie  zunehmende  Abmagerung  der 
Daumenballen,  besonders  des  linken  und  entsprechende  Parese,  Bissigwerden,  Fnrchnng 
und  Auftreibung  der  entsprechenden  Nägel,  die  Haut  der  Finger  dflnn,  glänzend.  Zeit- 
weise Photopsien,  Haut-  und  Sehnenreflexe  gesteigert;  die  beiden  Nn.  median,  im  Sulc. 
bicipitalis  gegen  Druck  schmerzhaft;;  die  elektrische  Erregbarkeit  der  paretischen  Mm. 
adduct  und  oppon.  poll.  für  beide  Stromesarten  herabgesetzt,  nicht  qualitativ  ver- 
ändert; „Daumenclonns",  der  Daumen  geräth  durch  active  oder  passive  Palmarflexion 
in  heftiges  Zittern,  das  15 — 20  Secunden  anhält  Durch  starken  Druck  auf  den 
N.  median,  im  Sulc.  bicip.  liess  sich  mehrmals  profuse  Schweisssecretion  an  den  be' 
theiligten  Fingern  hervorrufen;  Tast-,  Schmerz-  und  elektrocutane  Empfindung  an 
denselben  erhöht.  Diagnose:  Ernährungsstörung  (nicht  grob  anatomischer  Natur)  im 
Halstheil  des  Rückenmarks;  Therapie:  Psychisch,  Galvanisirung  des  Rückenmarks 
(nach  Meyer-Erb)  und  des  Medianus,  Faradisbrung  der  betroffenen  Muskeln,  Bromkali 
und  Atropin.  Anfänglicher  Erfolg,  gestört  durch  Affect,  später  dauernde  Bessenmg, 
fast  vollständiges  Verschwinden  aller  abnormen  Befände,  Ausbleiben  der  Paroxysmen. 

In  der  Epikrise  betont  W.  zuerst  die  Seltenheit  der  Reddive  eines  Zoster  sym- 
metricus,  und  discntirt  weitläufig  die  Gründe  für  seine  Ansicht  vom  centralen  Sitze 
der  seinem  Falle  zu  Grunde  liegenden  Läsion;  die  Bezeichnung  desselben  als  Zoster 
cerebralis  motivirt  er  durch  die  spinale  Störung  bedingende  cerebrale  Grundursache. 
Folgt  eine  Discnssion  bezüglich  der  ätiologischen  Eintheilung  der  Zosterformen. 

A.  Pick. 

14)  Twee  gevalen  van  herpes  met  motorisohe  stoomissen,  door  Dr.  G.  Walter. 
(Weekbl.  van  het  Nederl.  Tijdschr.  voor  Geneesk.  1885.  No.  35.) 

1.  Eine  68  Jahre  alte  Wittwe  wurde  von  sehr  schmerzhaftem  Herpes  an  der 
ganzen  rechten  Gesichtshälfte  befallen.  Nach  einigen  Wochen  gesellte  sich  dazu  totale 
peripherische  Facialisparalyse  auf  derselben  Seite,  mit  vollkommenem  Verlust  des  Ge- 
schmackes auf  der  rechten  Hälfte  der  Zunge.  Es  bestand  typische  Entartungsreaction. 
—  Die  vom  wie  hinten  genau  bis  an  die  Mittellinie  reichende  Herpeseruption  sprach 
für  Degeneration  eines  Nerven,  wahrscheinlich  des  Nervus  trigeminus,  worauf  auch 
der  heftige  Schmerz  hinwies.  Bald  nach  dem  Auftreten  der  Lähmung  verschwanden 
Herpes  und  Schmerz;  von  sensiblen  Störungen  in  der  Haut  war  nichts  zu  finden. 

2.  Ein  Ende  der  50er  Jahre  stehender  Mann  wurde  ohne  bekannte  Veranlassung 
von  Herpes  am  rechten  Oberarm  befallen.  Nach  8  Tagen  konnte  er  den  Arm  nicht 
mehr  aufheben,  beugen  oder  strecken.  Schwellung  oder  Schmerzhaftigkeit  der  Muskeln 
oder  Gelenke  war  nicht  vorhanden.  Die  elektrische  Beaction  war  normal,  die  Nerven 
des  Plexus  brachialis  waren  nicht  schmerzhaft.  Herpes  sowohl  als  Paralyse  deuten 
auf  eine  Affection  des  Nervus  axillaris  und  musculo*cutaneus.  Durch  Electridtat 
wurde  Heilung  erzielt.  Walter  Berger. 


16)  Herpes  soster  und  Lähmungen  motonsoher  19'erven,  von  Dr.  Strübing. 
(Deutsch.  Arch.  f.  klin.  Med.  37.  VI.  S.  613—526.) 

Abgesehen  von  den  Fällen,   in  welchen  Erkrankungen  der  Centralorgane  auf 
motorischen  Bahnen,  trophische  resp.  sensible  Nerven  afQciren  und  dadurch  Herpes 


—    68    — 

zoster  henrorrufen  kOimen,  abgesehen  von  den  andeiDi  in  welchen  Herpes  bei  Er- 
knmkungen  gemischter  Nerven  auftritt ,  giebt  es  femer  Processe,  bei  denen  ein  Zn- 
sammenhang zwischen  Herpes  um  Lähmungen  unverkennbar  ist,  trotzdem  sich  beide 
nur  auf  ganz  peripherem  Gebiet  abspielen.  So  ist  es  der  Fall  bei  dem  im  Aus- 
breitungsbezirk des  Trigeminus  entweder  als  Ursache  oder  Folge  einer  Facialis- 
Lahmung  auftretenden  Herpes.  Es  werden  8  Beispiele  angeführt,  deren  eines  vom 
Verf.  selbst  beobachtet  wurde.  Der  ursächliche  Zusammenhang  kann  nach  der  Be- 
schreibung der  Fälle  nicht  abgeleugnet  werden,  und  zwar  war  dabei  6mal  die  Facialis- 
Labmung  die  Folge  des  Herpes,  2mal  die  Ursache.  Verf.  weist  die  Annahme  von 
trophischen  Nerven  im  Facialis  (Eulenburg),  die  doch  nicht  recht  erwiesen  wäre, 
sowohl  wie  die  Aufihssung  als  „Beflexlähmung"  (Duncan)  zur  Erklärung  dieses 
Vorganges  zurück  und  erklärt  denselben  aus  einem  Uebergang  von  Krankheitspro- 
cessen  auf  dem  Wege  peripherischer  Anastomosen  von  sensiblen  zu  motorischen  Nerven 
und  umgekehrt  Sperling. 


16)  Ein  IUI  Yon  primärer  PaohjrmeningitiB  interna  tuberoulosa  des  Hals- 
markfl,  von  D.  Weiss.     (Wiener  med.  Wochenschr.  1885.  Nr.  7.) 

Ein  30jähriger,  an  rechtsseitiger  Lungenspitzenaffection  leidender  Schlossergehülfe 
erkrankte  unter  dem  Gefühl  von  Mattigkeit  in  Händen  und  Füssen,  heftig  ziehenden 
Schmerzen  in  der  Musculatur  beider  Vorderarme  und  des  Nackens,  magerte  bedeutend 
ab.  Als  er  in  Prof.  Draasche^s  Abtheilung  des  Wiener  allgemeinen  Krankenhauses 
aufgenommen  wurde,  zeigte  er  eine  durch  Schmerzen  beschränkte  Bewegung  des 
Kopfes,  ohne  Druckempfindlichkeit  und  Rigidität  der  Nackenregion,  Herabsetzung  der 
motorischen  Kraft  aller  Extremitäten,  vollkommen  erhaltene  Sensibilität  und  faradische 
Erregbarkeit^  gesteigerten  Sehnenreflez.  Später  trat  Parese  des  linken  Abducens, 
allmählich  auch  Paralyse  der  beiden  oberen  Extremitäten,  links  mehr  wie  rechts, 
3  Tage  vor  dem  Tode  auch  Lähmung  der  Beine  auf.  Eine  bestimmte  neurologische 
Diagnose  während  des  Lebens  zu  stellen  war  nicht  möglich. 

Die  Obduction  (Prof.  Kundrat)  ergab  ausser  diffusen  Processen  einer  tuber- 
culösen  Erkrankung  in  den  Lungen  und  in  den  Hirnhäuten:  Pachymeningitis  tuber- 
culosa  ad  basim  cranii  et  partis  cervicalis  cum  compressione  et  emollitione  medull. 
spinalis.  Die  Dura  mater  spin.  erschien  vom  Foramen  ocdpitale  bis  zum  Ende  der 
Halsanschwellung  verdickt,  dem  Wirbelkanale  fest  anhaftend,  an  ihrer  Lmenfläche 
von  einer  bis  zu  4  mm  dicken,  graugelblichen,  sulzigkömigen  Schichte  überdeckt,  die 
lose  mit  der  stark  injicirten  von  miliaren  Knötchen  besetzten  Arachnoidea  verwachsen 
war.  Das  Bückenmark  im  Halstheile  zum  Zerfliessen  erweicht.  An  den  Wirbel-  und 
Basalknocl^en  des  Schädels  keine  Veränderungen.  Laquer. 


Psychiatrie. 

17)  Contribution  4  l'ötude  de  la  looaUaation  anatomo-patfaologiqae  de  la 
paralyeie  gdnörale  sans  allönation,  par  J.  Luys.  (L'Enc^phale.  1885. 
No.  5.) 

L.  stellt  eine  Categorie  von  Fällen  von  progressiver  Paralyse  auf,  welche  alle 
Symptome  der  bei  der  Paralyse  vorkommenden  Lähmungen  zeigen,  ohne  aber  die  mit 
jener  Symptomenreihe  gewöhnlich  verbundenen  psychischen  Degenerationsmerkmale  zu 
bieten.  Während  in  zahlreichen  Untersuchungen  die  Regionen  der  psychisch  intellec- 
taellen  Sphäre  durchforscht  sind,  scheint  dem  Verf.  die  basale  Region  des  Gehirns 
fibergangen  zu  sein,  und  gerade  hier  will  er  die  anatomischen  Veränderungen  in 
Fällen  von  progressiver  Paralyse  ohne  Alienation  oder  mit  erst  ganz  secundär,  wie 
L.  sagt,  durch  contre  conp  erzeugter  stupider  Demenz  gefunden  haben.    In  beiden 


—     64     — 

von  L.  berichteten  Beobachtungen  fehlte  diese  terminale  psychische  Abstampfong  nicht, 
in  beiden  fand  L.  interstitielle,  bindegewebige  Hyperglesie  nnd  Sclerose  der  basalen 
Regionen  and  der  Thalami,  während  alle  übrigen  Gentra  nnd  namentlich  die  Rinde 
frei  von  jeder  pathologischen  Veränderung  waren.  —  Beide  Beobachtungen  sind  un- 
vollständig, weil  die  Vorgeschichte  vor  der  Aufnahme  zu  oberflächlich  behandelt  ist, 
der  mikroskopische  Befund  kaum  andeutungsweise  mitgetheilt  wird,  und  jede  Unter- 
suchung des  Rackenmarkes  fehli  Zander. 


18)  Die  Aetiologie  der  Paralyse  nach  den  Erfahrungen  auf  der  Hftnner- 
abtheilung  zu  Wemeok  in  den  Jahren  1870—1884,  von   Dr.  Graf, 

Assistenzarzt.    (Aerzü.  Intellig.-BL  1885.  Nr.  31.) 

Verf.  fand  das  Material  der  Anstalt  nur  beediränkt  brauchbar,  weil  Mher  die 
Aetiologie,  besonders  die  Frage  nach  der  Syphilis,  mit  geringerer  Sorgfalt  erörtert 
wurde.  — 

Von  allen  aufgenommenen  Geisteskranken  betrugen  die  Paralytiker  13,8  ^/^  (in 
ganz  Bayern  für  1876—80  11,8%,  für  1881  13,6%,  für  1882  12,5  <>/o).  — 
Das  Verhältniss  der  Männer  zu  den  Frauen  war  6,3 : 1.  —  Von  allen  Anfgenommenen 
standen  67^0  ^  ^^^  -^ter  zwischen  30  und  50  Jahren. 

Im  ersten  Jahre  ihrer  Krankheit  wurden  aufgenommen  55  7o  ^^^  Paralytiker, 
26  ^/o  im  zweiten  Jahre,  19%  später. 

Hereditär  belastet  waren  41,6%  und  zwar  die  Hälfte  davon  direct 

Was  die  Syphilis  betrifft,  so  fand  Verf.  ihr  Voraufgehen  sicher  constatirt  bei 
27,5  7o>  starken  Verdacht  ausserdem  bei  12,5  ^Z^;  oder,  wenn  er  nur  FäUe  reiner 
Paralyse  zu  Grunde  legte,  33  7o  ^^sp.  11 7o*  ^^^  diesen  j^üher  syphilitisch  ge- 
wesenen Paralytikern  waren  fast  die  H&lfte  (43,6  ^/o)  hereditär  belastet 

Excesse  in  Baccho  et  Venere  fand  Verf.  in  39  %  vermerkt  nnd  zwar  über- 
wiegend in  Baccho. 

„Die  Paralyse  ist  selten  die  Folge  einer  Ursache''  (unter  90  Fällen  5mal 
Heredität  allein  und  8mal  Syphilis  allein).  Die  Syphilis  spielt  eine  kaum  geringere 
Ursache,  als  die  Heredität,  nämlich  wie  37:41;  demnächst  sind  Excesse  wichtig. 
Die  anderen  Schädlichkeiten  sind  wohl  nur  auxiliäre.  Hadlich. 


19)  19'infomania  paradoasa,  pel  Prof.  C.  Lombroso.  (Arohivio  di  psichiatr.  scienze 
pen,  ecc.  1885.  VL  p.  363.) 

Unter  dem  Titel  „paradoxe  Nymphomanie"  theilt  Verf.  die  Leidensgeschichte 
einer  30jährigen  Frau  mit,  welche  aus  bester  aber  neuropathischer  Familie  stammend 
von  Kindheit  an  durch  „psychische  Sexualität"  im  höchsten  Grade  gepeinigt  worden 
war  und  die  sich ,  als  sie  endlich  im  24.  Jahre  das  Ziel  ihrer  erotischen  Wünsche, 
die  Heirath,  erreicht  hatte,  durch  das  absolute  Ausbleiben  einer  jeden  wollüstigen 
Empfindung  während  des  Geschlechtsactes  getäuscht  sah.  Da  örtlich  nicht  die  ge- 
ringste  Abnormität  im  Sexualapparat,  abgesehen  von  einer  Hyperalgesie  der  Vulva, 
nachzuweisen  war,  wie  denn  Pat.  ^otz  ihrer  sexuellen  Unempfindlichkeit  mehrere 
Kinder  geboren  hat,  so  glaubt  Verf.  eine  corticale  Functionsstörung  annehmen  zu 
können.  Für  den  centralen  Sitz  sprechen  femer  die  permanente  nymphomanische 
Erregung,  die  sich  zeitweise  bia  zu  tobeuchtsartigen  Zuständen  oder  bis  zu  der 
tiefsten  Depression  mit  Taedium  vitae  steigert,  der  Mangel  altruistischer  Gefühle  — 
Hass  gegen  die  eigenen  Kinder,  gegen  den  Gatten,  tödtlicher  Hass  gegen  alle  Weiber, 
denen  normale  Functionen  gegeben  sind,  —  nnd  manche  andere  Zeichen  psychischer 
Degeneration. 

Einzeljie  Bruchstücke  aus  ihren  Briefen  gestatten  einen  Einblick  in  die  Seelen- 
kftmpfe   des  durchaus  ehrbaren  Weibes,   das  unter  dem  Banne  der  Heredität  ver- 


—    65    — 

gebens  gegen  ihre  erotischen  Vorstellungen  ankämpft,  das  allmählioh  immer  mehr 
die  Selbstbeherrschung  verliert  und  das  endlich,  um  nicht  zur  Mörderin  zu  werden, 
ihre  Zuflucht  in  einer  Irrenanstalt  sucht.  Sommer. 


Forensische  Psychiatrie. 

20)  Saue  or  insaneP  by  F.  Norton  Manning.    (Joum.  of  ment.  science.   1885. 
October.) 

Ein  wegen  Brandstiftung  zu  mehrjähriger  Einsperrung,  darunter  9  Monate  Einzel- 
haft yerartheilter,  früher  schon  mehrfach  bestrafter  Verbrecher  wurde  vom  Gefang« 
nissarzte  als  ungeeignet  für  die  Vollstreckung  bezeichnet,  weil  er  sowohl  an  epilep- 
tischen Anfällen  leide,  als  auch  gewaltthätig  und  in  störender  Erregung  befindlich  sei. 
Zunächst  auf  eine  Ueberwachungsstation  versetzt,  kam  er  von  dort  in  die  Anstalt  für 
irre  Verbrecher,  und  zwar  auf  Grund  eines  sehr  verwirrten  Briefes,  der  verschiedene 
Wahnideen  zeigte,  die  auch  in  der  Unterhaltbng  wiederkehrten,  sodann  erschien  sein 
mürrisebes,  unzugängliches  Wesen,  die  Incohärenz  der  Gedanken,  Gedächtnissmangel, 
die  zeitweise  sehr  heftige  Erregung  und  die  durch  Zeugen  bestätigte  Schlafiosigkeit 
krankhaft,  obwohl  epileptische  Anfälle  2  Wochen  lang  nicht  beobachtet  waren.  In 
der  Anstalt  zeigte  der  Mensch  mürrisches  Wesen  mit  zuweilen  auftretender  Neigung 
zu  (}ewaltthätigkeiten,  Vergiftungswahnsinn  und  Sinnestäuschungen,  wurde  dann  aber 
mhiger  und  lenkbar.  Nach  einiger  Zeit  entstand  der  Verdacht  auf  Simulation,  weil 
der  Mann  mit  seinen  Geßkhrten  sehr  verständig  reden  konnte,  aber  den  Aerzten  gegen- 
über stets  stupid  that  und  allerlei  Wahnideen  brachte.  Der  Verdacht  wurde  dem 
Verfasser  zur  Gewissheit,  als  Verbrecher  in  einem  speciellen  Erankenexamen  seine 
Geistesstörung  in  übertriebener  Weise  darzuthnn  versuchte.  2  Tage  nach  dem  spe- 
deUen  Krankenexamen  folgte  ein  sehr  raffinirter  Fluchtversuch,  nach  dessen  Vereite- 
lung er  einen  epileptischen  Anfall  gehabt  haben  wollte,  und  dann  heftig  erregt  wurde. 
Da  sich  jetzt  auch  die  früheren  epileptischen  Anfalle  als  fingirt  erwiesen,  ebenso  wie 
der  verwirrte  Brief,  so  wurde  der  Verbrecher  als  Simulant  wieder  dem  Gefangniss 
überliefert.  Dort  machte  der  Gefangene  alsbald  den  Versuch  sich  zu  erhängen,  doch 
weil  man  der  Meinung  war,  er  habe  auch  damit  nur  Aufsehen  erregen  wollen,  blieb 
er  in  der  Zelle.  Eine  Stunde,  nachdem  man  ihn  zuletzt  gesehen,  wurde  er  dort  todt, 
erhängt  gefunden.  M.  glaubt,  dass  er  auch  das  zweite  Mal  darauf  gerechnet  habe, 
zur  rechten  Zeit  entdeckt  zu  werden,  um  dann  doch  für  geisteskrank  gehalten  zu 
werden,  eine  zufällige  Verspätung  der  Visite  vereitelte  dies.  M.  hat  die  Ansicht,  dass 
wirkliche  Simulation  vorgelegen  habe.  Zander. 


21)  A  case  reoord  in  forensio  pByohiatry,  by  H.  Illorey.    (The  Alienist  and 
Neurologisi    1885.   VI.  p.  87.) 

Wiederum  ein  Todesurtheil  über  einen  Irren  I 

Ein  62jähr.  Mann,  seit  längerer  Zeit  trunkfallig  und  verkommen,  hatte  seinen 
zweiten  Sohn  ermordet,  da  er  diesen  für  einen  Bastard  hielt.  Der  Geisteszustand  des 
Mörders  stellte  sich  zweifellos  als  pathologisch  heraus. 

Seine  Mutter  galt  mindestens  als  ezcentrisch,  sein  Vater  und  seine  Brüder  waren 
ausserordentlich  reizbar,  seine  Schwester  starb  verblödet  in  einer  Irrenanstalt.  Er 
selbst  litt  seit  Jahren  an  eclatanten  Verfolgungswahnvorstellnngen  und  Hallucinationen, 
wie  sie  bei  geistesgestörten  Trinkern  so  häufig  zu  beobachten  sind.  Er  hörte  Stimmen, 
die  über  die  Untreue  seiner  Frau  spotteten,  er  sah,  wie  sie  in  seinem  Bette  liegend 
ihn  durch  Chloroform  zu  betäuben  versuchte  und  dann  ihren  Liebhaber  einliess,  er 
fühlte,  wie  er  von  ihr  vergiftet  worden  sei.  und  erzählte  lange  Geschichten  mit  den 


—    66    — 

Tielf&ltigsten  Einzelheiten  über  alle  diese  nur  in  seinen  Halludnationen  und  Wahn- 
ideen ezistirenden  Vorgänge.  Seine  Frau  war  thatsächlich  ein  braves  Weib,  die  einzig 
durch  ihren  Meiss  die  Wirthschaft  zusammengehalten  hatte,  die  längst  über  die  Zeit 
der  Liebesabenteuer  hinaus  war.  Bekannten  war  es  aufgefallen,  wie  der  Mann  sich 
in  den  letzten  Jahren  verändert  habe,  und  er  galt  daher  allgemein  als  yerrficki  Trotz 
aller  dieser  Sachverständigen-  und  Zeugenaussagen  wurde  er  wegen  Mordes  zum  Tode 
verurtheilt.  Sommer. 


Therapie. 

22)   On  a  new  induotion  apparatos,  by  E.  Tiegel.     (Brain.  1885.  October. 
p.  380—391.) 

Des  Verf.  neuer  Inductionsapparat,  für  dessen  Detailconstruction  auf  die  Original- 
arbeit mit  Abbildungen  verwiesen  werden  muss,  ist  in  zweifacher  Beziehung  originell. 
Einmal  wird  in  die  secundäre  Inductionsspirale  neben  dem  Untersuchungsobject  ein 
Condensator  von  1  Quadratmeter  Oberfläche  (von  unendlich  grossem  Widerstand) 
eingeschaltet,  wodurch  der  secundäre  Schliessungsstrom  wirkungslos  wird  und  je  nach 
der  Verbindung  mit  dem  negativen  oder  positiven  Pol  des  Oeffnungsstromes  das  Unter- 
suchungsobject ganz  unter  der  Wirkung  seines  positiven  oder  negativen  (reizenden) 
Potentials  kommt.  Zweitens  wird  die  Abstufung  des  Stromes  durch  methodische 
Einschaltung  nach  Milliamperes  abgemessener  Widerstände  in  die  primäre  Spirale 
bewirkt.  E.  Bemak. 


23)  19'otice  historique  aur  l'eleotrothörapie  4  Bon  origine.  L'öleotrioitö 
mödicale  a  Oenöve  au  18.  sidole,  par  Ladame.  (Revue  m^d.  de  la  Suisse 
romande.  No.  10  etc.) 

Wir  machen  auf  die  fleissige  und  interessante  Arbeit,  die  sich  als  eine  Zu- 
sammenstellung historischer  Thatsachen  dem  Referate  entzieht,  an  dieser  Stelle  auf- 
merksam. Der  erste  Theil  beschäftigt  sich  mit  der  Anwendung  der  Elektricität  als 
Heilmittel  von  den  ältesten  Zeiten  an  bis  zu  den  Arbeiten  von  Jallabert  (1712 — 
1768),  der  zweite  Theil  mit  diesem  und  seinen  Zeitgenossen,  mit  besonderer  Berück- 
sichtigung der  Genfer  Elektrotherapeuten.  M. 


24)  Heilbarkeit  und  Behandlung  der  Tabes  dorsalia,  von  Jacob  in  Oudowa. 
Versammlung  der  balneologischen  Section  der  Gesellschaft  fttr  Heilkunde  in 
Berlin.     (Berlin,  Eugen  Grosser,  1884.) 

Nachdem  6  Fälle,  welche  von  J.  behandelt  wurden,  ausführlich  geschildert  sind, 
resumirt  er  sich  darüber,  wie  folgt. 

Es  wurde  also  in  diesen  6  Fällen  im  Anschluss  an  den  Gebrauch  von  unseren 
kohlensäurereichen  Bädern  das  Tastgefühl  stets  in  hohem  Grade,  in  Nr.  1  und  5  bis 
fast  zur  Norm  —  15  mm  statt  der  normalen  10  mm  an  den  Sohlen  der  Zehen  — , 
die  Ataxie  in  1  und  2  sehr  gebessert,  in  den  4  übrigen  geheilt,  ziemlich  entsprechend 
der  Besserung  des  Tastgefühls;  die  zum  Theil  vollkommene  Analgesie,  welche  in 
1,  2,  5  und  6  vorhanden  war,  geheilt;  die  Neuralgien  der  Gebesserten  wurden 
schwächer  und  seltener;  die  in  1  auf  8 — 4  Secunden  verlangsamte  Leitung  der 
Schmerzempflndung  auf  1 — 2  Secunden  gebessert,  an  den  Füssen  und  anderweitig 
ganz  beseitigt. 

Nur  einmal  wurden  geheilt  die  reflectorische,  Pupillenstarre  der  Mangel  des 
Patellarphänomens. 


—    ÖT    — 

Die  Dauer  der  an  Heilung  gprenzenden  Beesernng  ist  constatirt  bei  Nr.  5  anf 
4  Jahre,  bei  1  auf  3  Jahre,  bei  2,  3  und  6  anf  1  Jahr;  diejenige  der  vollkommenen 
Heilang  Nr.  4  anf  4  Jahre. 

Diese  6  Tabischen  entfallen  ans  einer  GFesammtzahl  von  24.  Zwei  von  der 
Gesammtheit  waren  überdies  vor  Beginn  der  Cndowaer  Cur  durch  Galvanisirung  von 
dw  Ataxie  bis  anf  Spuren  befreit. 

Alle  erfahren  bis  anf  2,  welche  im  paralytischen  Stadium  sich  befanden,  durch 
die  COj-Bäder  eine  Besserung  des  Tastgefflhls,  der  Geschicklichkeit  und  Ausdauer 
im  Gehen. 

BetrefiGs  der  verschiedenen  Heilmethoden  wird  gesagt:  Wir  sehen  demnach  an 
den  Bessenmgen  und  Heilungen  die  Ealtwassercnr,  die  kohlensauren  Stahlbäder  Cu- 
dowas,  die  Galvanisation  des  Bflckenmarks  und  die  periphere  Faradisation  mit  dem 
Pinsel,  das  Argent  nitr.  in  2  Beispielen  und  in  den  mit  Lues  combinirten  das  Queck- 
silber und  Jodkali  betheiligt  Keiner  dieser  Methoden  —  abgesehen  von  der  Anti- 
loese  —  liegt  eine  besondere  Indication  zu  Grunde,  und  keiner  ist  ein  Vorzug  vor 
der  andern  einzuräumen. 

In  vorgeschrittenen,  rapide  verlaufenden  hofhungslosen  Fällen  werden  gegen  die 
unerträglichen  Neuralgien  die  Moorbäder  von  28 — 30^  B.  empfohlen. 

Jastrowitz. 


nL  Aus  den  GtosellschafteiL 

Soci^tä  de  Biologie,  Paris.    Sitzung  vom  15.  December  1885. 

Dupuy:  »»Ueber  Looalisation  im  Oehim.**  Die  durch  elektrische  Beizung 
der  Binde  erzeugten  motorischen  Wirkungen  entstehen  nach  D.  nur  durch  Diffusion 
des  Stromes  vermittelst  der  Arterien.  Neuerdings  hat  D.  in  der  Capsula  interna 
4  erregbare  Zonen  gefunden,  durch  unerregbare  von  einander  getrennt,  jene  ersteren 
aber  sind  die  Umgebungen  von  Arterienästen. 

P.  Franck  beansprucht  energisch  die  Priorität  der  Entdeckung  der  4  getrennten 
motorischen  Centren  der  Capsula  interna  fOr  Pitres  und  sich  selbst  Auch  bringe 
Dnpuy  keinerlei  Beweise  für  seine  Behauptungen  bei. 

Dupuy  giebt  zu,  die  ältere  Arbeit  von  Pitres  und  Franck  gekannt  zu  haben. 
Em  Beweis  fElr  seine  Ansicht  sei,  dass  mechanische  Beizungen  der  betreffenden  Stelle 
keinen  Effect  hätten,  wohl  aber  die  elektrischen,  diese  also  durch  Diffusion. 

Franck.  Ganz  im  Gegentheil  erzielt  man  mit  mechanischen  Beizungen  wohl 
Effecte  und  damit  falle  Dupuy*s  Ansicht;  er  werde  nächstens  hierftber  berichten. 

Laborde  wendet  sich  gleichfalls  gegen  Dupuy's  Auffassung. 

Sitzung  vom  26.  December  1885. 

Orsay  (London)  hat  bei  Affen  und  Hunden  die  Schilddrüse  exstirpirt,  um  die 
Pathogenese  des  Myxödems  aufklären.  Die  Affen  starben  ausnahmslos  nach  5  bis 
6  Wochen  unter  den  Symptomen  des  Myxödems,  die  Hunde  kamen  bisweilen  mit 
dem  Leben  davon.  Von  Symptomen  constatirte  0.:  1)  Zittern  der  Beine  und  der 
Gesichtsmuskeln.  2)  Lähmungen,  ähnlich  denen  bei  Paralysis  agitans.  3)  An- 
schwellungen der  Augenlider,  der  Bauchwand  etc.  4)  MilzschweUung.  5)  Imbecillität. 
6)  Temperaturabnahme  bis  um  3^. 

Verf.  unterscheidet  danach  eine  nervöse,  eine  myxödematöse  und  eine  atrophische 
Periode.    Alte  Thiere  scheinen  die  Ezstirpation  besser  zu  vertragen,  als  junge. 

Auf  eine  Bemerkung  Laborde's  über  die  hypertrophischen  Schilddrüsen  des 


—    68    — 

Cretms  antwortet  0.,   dass   die  letsteren  entweder  atrophiaehe  SchilddrOaen  h&tten, 
oder  krankhaft  vergrösserte,  die  aber  fonctionell  ohne  Bedeutung  seien. 

Hadlich. 

Soci^t^  m^dicale  des  bOpitaux,  Paris.    SitEung  vom  27.  November  1885. 

Als  9,Hy8teri6  beim  Manne**  stellt  Ferr^ol  zwei  Kranke  vor.  Der  eine 
Patient,  34  Jahre  alt,  heredit&r  nenropathisch,  bekam  1871  plötzlich  Hemianästhesie 
und  Hemiplegie  links,  Erscheinungen,  die  sich  im  Laufe  der  Jahre  verloren,  bis  sie 
nach  einem  im  August  1884  erhaltenen  heftigen  Schlage  auf  den  Kopf  wieder  stark 
hervortraten.  Die  Hemianftsthesie  ist  total,  erstreckt  sich  auch  auf  s&mmtliche  Sinnes- 
nerven. Die  Motilit&t  des  linken  Beines  hat  sich  einige  Tage  nach  dem  Schlage 
(welcher  den  Kranken  bewusstlos  machte)  wieder  hergestellt,  der  linke  Ann  aber 
zeigt  schlafiPe  Lähmung  und  deutliche  Atrophie.  Die.  elektrischen  Beactionen 
sind  normal.  Patient  hat  seit  mehreren  Jahren  ausgesprochene  Anfälle  ohne  Verlust 
des  Bewusstseins.  Der  zweite  Patient,  25  Jahre  alt,  ist  vor  4^2  Jahren  durch  einen 
Wagen  umgestossen  und  seitdem  fast  bestandig  betü&gerig  gewesen.  Es  besteht  eine 
vollständige  rechtsseitige  Hemianästhesie  (incl.  Sinnesnerven),  Einengung  des  Qesichts- 
feldes,  monoculäre  Polyopie  links,  beiderseitige,  links  stärkere,  Ptosis.  Aber  diese 
Lähmungserscheinungen  sind  intermittirend,  sie  treten  nur  dann  auf,  wenn  Patient 
sich  ermüdet  hat.  Die  Muskeln  des  rechten  Arms  sind  atrophisch,  auch  die  M.  pecto- 
rales.  In  diesem  Falle  bestehen  nach  F.  neben  den  durch  das  Trauma  erzeugten 
Affectionen  wahre  hysterische  Lähmungen. 

Debove  stellt  gleichfalls  einen  hysterischen  Mann  vor,  36  Jahre  alt,  Familien- 
vater. Vor  etwa  1  Jahre  wurde  bei  ihm  eine  rechtsseitige  Hemianästhesie  constatirt, 
Transfert  mittelst  des  Magneten.  Der  Kranke  ist  leicht  zu  hypnotisiren;  aber  auch 
ohne  Hypnotismus  kann  man  bei  ihm  durch  „Suggestion''  (Beredung)  jeden  beliebigen 
Theil  des  Körpers  anasthetisch-paralytisch  machen.  —  D.  hält  alle  Fälle  mit  Hemi- 
anästhesie und  Hemiplegie,  die  als  durch  den  Magneten  geheilt  von  ihm  vorgestellt 
sind,  jetzt  fOr  hysterische. 

In  der  Sitzung  vom  11.  December  steUte  sodann  Miliard  noch  einen  Kranken 
als  hysterisohen  Hemiplegiker  vor,  35  Jahre  alt,  früher  ganz  gesund,  welcher 
seit  Juli  d.  J.  3  Anfälle  von  Bewnsstlosigkeit  mit  nachbleibender  linksseitiger  Parese 
gehabt  hat.  Gegenwärtig  besteht  nach  dem  letzten  Anfalle  im  November  eine  Hemi- 
parese  des  linken  Beines  und  vollständige  Hemianästhesie;  Abschwächung  des  Geruchs, 
keine  Störung  des  Farbensinnes,  keine  (^ehörstömng.    Langsame  spontane  Besserung. 

Sitzung  vom  18.  December  1885.  Jeffrey  demonstrirt  einen  neuen  Fall  von 
tabiflohem  KltunpfüBS.  Im  (Gegensatz  gegen  seine  frühere  Ansicht  muss  er  jetzt 
oonstatiren,  dass  die  elektrische  Erregbarkeit  der  Unterschenkelmuskeln  sehr  herab- 
gesetzt ist;  einmal  hat  J.  auch  Entartungsreaction  beobachtet.  Die  Form  des  Klump- 
fusses  kann  eine  verschiedene  sein,  doch  ist  es  meistens  ein  pes  varo-eqninus. 

Hadlich. 

Acad^mie  de  m^decine  de  Paris.     Sitzung  vom  29.  December  1885. 

Heilung  von  EpUepsie  und  Neuritia  optica  duroh  Enuoleatlon  eines 
verletaten  Auges,  von  Galezowski. 

Verletzung  und  Atrophie  des  rechten  Auges  im  Jahre  1877.  Nach  6  Jahren 
(1883)  trat  Erbrechen  und  starker  Kopfschmerz  auf,  alsdann  im  Mai  und  Juni  etwa 
10  epileptische  AntUle  und  sympathische  Entzündung  des  linken  Auges:  Neuro-reti- 
nitis  mit  venöser  Hyperämie,  perivasculären  Infiltrationen  und  einigen  Extravasaten. 
Nach  Beseitigung  des  rechtsseitigen  Augenstompfee  völlige  Heilui^  (abgesehen  von 
bleibenden  Veränderungen  der  Papille  und  einer  Lücke  im  Gesichtsfelde).  G.  ist 
der  Ansicht,   dass   die   sympathische  Augenentzündung  nicht  —  wie  die  deutschen 


—    69    — 

AotoroD  aoBehmen  —  durch  Fortpflanzung^  anf  dem  Weg»  der  Lymphbabnen  zu 
Stande  komme,  sondern  dordi  Fortleitnng  der  Entzündimg  längs  der  Blntgefösse,  nnd 
Termittelst  der  Taso-niotorisohen  Nerven,  am  N.  opticus  entlang  bis  snm  Gehirn  nnd 
am  anderen  N.  opticus  abwärts.  Hadlich. 

Äcademie  des  sciences  de  Paris.    Sitzung  vom  28.  December  1885. 

Yulpian  hatte  früher  einmal  einen  Fall  von  Verlust  des  Geschmacks  mitgetheilt» 
in  welchem  er  eine  Aflfection  der  Br&cke  und  der  Medulla  oblongata  diagnosticirt 
hatte;  jetzt  hat  die  Section  die  Diagnose  einer  Aflfection  der  Medulla  obL  bestätigt. 

Neuerdings  hat  Y.  Untersuchungen  über  die  Innervation  der  Speicheldrüsen  bei 
Hunden  angestellt  £s  sind  Aeste  des  N.  buccalis  vom  N.  nuudllaris  inf.,  welche 
zu  den  Speicheldrüsen  geheui  und  Heizung  des  N.  buccalis  erzeugt  starke  Speiohel- 
secretion.  Nun  bringt  aber  Beizung  des  N.  thgeminus  in  der  Schädelh^Ale  (oder 
des  N.  facialis  und  acusticus)  diese  Secretion  nicht  hervor,  wohl  aber  die  Beizung 
des  N.  glossopharyngeus;  von  diesem  also,  resp.  vom  Bamos  Jacobsonii  stammen  die 
excito-secretorischen  Fasern  des  N.  buccalis.  —  Heidenhain's  Beobachtung,  dass 
auch  die  Beizung  des  Sympathicus  Speichelabsonderung  hervorruft,  bestätigt  Y.  Da 
diese  Wirkung  sich  auch  auf  die  vom  N.  buccalis  versoi^n  Drüsen  erstreckt^  so 
schUesst  V.,  dass  dieser  Nerv  auch  sympathische  Fasern  enthält         Hadlich. 


Berliner  Gesellschaft   für  Psychiatrie  und  Nervenkrankheiten.    Sitzung 
vom  11.  Januar  1886. 

Thomson:  „Ueber  SenBibilitätsstörungen  bei  Gtoisteskranken.**  Die 
18  Beobachtungen,  über  welche  Th.  berichten  will,  beziehen  sich  ausschliesslich  auf 
{geisteskranke  Männer,  um  Hysterie  möglichst  ausznschliessen,  denn  die  Hemianästhesie, 
(ider  besser  „gemischte  sensorisch^sensible  Anästhesie  mit  Betheiligung  des  Farben- 
ond  Mnskelsinnes'S  ist  durchaus  nicht  bloss  der  Hysterie  angehdrig. 

Die  Sensibilitätsstörungen  bei  Geisteskranken  sind  sehr  ungleich.  Th.  unter- 
scheidet mehrere  Klassen,  je  nachdem  die  Hemianästhesie  eine  ganze  Körperhälfte 
einnahm  nnd  ganz  vollständig  war,  oder  aber  unvollständig  war;  oder  nicht  die 
ganze  eine  Körperhälfte  einnahm;  oder  in  fleckweisen  Anästhesien  von  ganz  bunter 
Form  bestand. 

Immer  waren  Haut  und  Sinnesorgane  betheiligt  Die  totale  Hemianästhesie,  die 
selten  ist  (3  Fälle),  zeigt  bisweilen  die  Eigenthümlichkeit,  dass  die  Haut  der  Geni- 
talien ästhetisch  bleibt  Oefter  bleiben  Theile  der  einen  Körperhälfte  frei,  z.  B.  der 
Vorderarm  so,  dass  zwei  Streifen  unempfindlicher  Haut  sich  anf  ihm  entlang  ziehen; 
auch  ist  bisweilen  die  Kopfh&lfte  und  die  beiden  Extremitäten;  aber  auch  der  Kopf 
ganz  und  beide  Hände  und  Füsse  anästhetisch  etc.  Femer  zeigen  sich  Yerschieden- 
heiten  in  dem  Mitauftreten  von  Dysthermie,  Analgesie  etc. 

In  der  Begel  war  die  Anästhesie  stationär  für  längere  Zeit,  Jahr  und  Tag, 
doch  zeigten  sich  schwankende  Yerhältnisse  an  den  Grenzen  der  unempflndlichen 
Hantstellen. 

Betreffs  der  Sinnesorgane  bestand  immer  concentrische  Einschränkung  des 
Gesichtsfeldes,  ausgenommen  ein  Fall,  in  welchem  dafür  leichte  Ermüdung  für 
Gesichtseindrücke  vorhanden  war.  Yöllige  Empfindungslosigkeit  für  einzelne  oder 
mehrere  Farben  bestand  in  6 — 8  Fällen  (Achromatopsie).  Das  Gehör  ist  immer 
berabgesetzt  nnd  zwar  meistens  am  stärksten  auf  der  Seite  der  Hemianästhesie.  — 
Geruch  und  Geschmack  waren  meistens  beiderseits  herabgesetzt  und  zwar  fielen  auch 
hier  einzelne  Qualitäten  ganz  aus  (Empfindung  für  süss  oder  bitter),  während  andere 
normal  waren.  —  Die  Störung  des  Mnskelainnes  war  bald  ein-,  bald  doppelseitig, 
doch  gleichfalls  anf  der  Seite  der  Hemianästhesie  am  stärksten. 


—    70    — 

Dieser  typische  Sympiomencomplex  nun  fand  sieb  sowohl  bei  chronisch  Qeistes- 
kranken,  als  auch  bei  Kranken  mit  transitorischen  psychischen  Störungen.  Bei 
8  Kranken  bestand  deutüche  Dementia,  bei  6  exquisite  Paranoia,  bei  4  transitoriscbe 
Angstzustandef. 

Aetiologisch  wichtig  erwiesen  sich  besonders  3  Umstände:  1.  KopfTerletzungen, 
2.  Epilepsie,  3.  Abusus  spirituosornm;  und  zwar  fand  sich  niemals  nur  eine  von 
diesen  Veranlassungen  allein  vor,  sondern  stets  eine  Mischung  mehrerer  derselben. 
Potatoren  waren  10,  bei  8  waren  Kopfverletzungen  voihergegangen,  11  litten  an 
Epilepsie. 

Was  die  Hysterie  angeht,  so  waren  3  Kranke  entschieden  hysterisch;  2  Kranke 
boten  Aehnlichkeit  mit  der  multiplen  Sclerose,  zeigten  das  Bild,  das  Westphal  als 
der  multiplen  Sclerose  ähnlich  beschrieben  hat,  weshalb  Th.  diese  Form  „WestphaP- 
sche  Neurose"  nennen  möchte;  —  Imal  kam  Blei-Intoxication  in  Frage;  —  Imal 
war  ein  Schlaganfall  vorhergegangen  etc. 

Th.  hält  diese  Anästhesien  für  functionelle,  central  bedingte  Störungen,  weil  sie 
ihrer  Vertheilnng  nach  als  peripherische  Aifectionen  nicht  zu  erklären  wären,  weil 
sie  femer  an  den  Grenzen  Schwankungen  zeigen,  weil  sie  mit  Störungen  der  Sinnes- 
organe verbunden  sind,  und  weil  sie  dem  Transfert  zugänglich  sind.  Der  Transfert 
wurde  allerdings  bei  den  18  Fällen  nur  7mal  versucht  und  gelang  bmni,  und  zwar 
2mal  ganz  vollständig,  mit  Einschlnss  d^er  concentriscben  Gesichtsfeldeinschrinkung, 
der  Herabsetzung  des  Gehörs  etc. 

Alle  diese  Fälle  auf  Hysterie  zu  beziehen  ist  entschieden  falsch,  wie  obige 
Angaben  erweisen;  aber  auch  das  Bestehen  von  Herdaflfectionen  bestreitet  Th.,  denn 
auch  in  dem  Falle  gerade,  in  welchem  1866  eine  Hemiplegie  mit  Sprachstörung 
dagewesen  sein  soll,  gelang  der  Transfert 

In  der  Discnssion  bemerkt  Uhthoff,  dass  ihn  das  häufige  Vorkommen  von  Achro- 
roatopsie  wundere;  er  kenne  nur  einen  Fall  dieser  Affection;  und  in  betreff  der  Orien- 
tirnngsfähigkeit  dieser  Kranken  mit  Btarker  concentrisoher  Gesicbtsfeldeinschränkung 
giebt  er  an,  dass  sie  nur  da  nicht  hervortrete,  wo  die  Einschränkung  nicht  erheblich 
sei;  in  Fällen  sehr  starker  Einschränkung  orientirten  sich  die  Kranken  schlecht 

Thomsen  fand  unter  den  18  Kranken  nur  Imal  Unföhigkeit  zum  Orientiren; 
doch  waren  allerdings  die  Einschränkungen  des  Gesichtsfeldes  meist  nur  massig  stark. 

Westphal  knüpft  an  das  au&llende  Freibleiben  der  Genitalien  von  der  Anästhesie 
die  Bemerkung  an,  dass  er  dieses  auch  einmal  in  einem  Falle  von  Paraplegie  mit 
Anästhesie,  welche  auf  palpablen  Ursachen  beruhte,  gesehen  habe. 

Siemerling  gab  einen  interessanten  Beiaeberioht  über  engUsohe  Irren» 
Anstalten«  in  welchem  er  besonders  ausfflhrlich  auf  die  Frage  der  familiären  Ver- 
pflegung und  der  Unterbringung  geisteskranker  Verbrecher  einging.  Wegen  der 
zahlreichen  Details  und  den  damit  verknüpften  Zahlen  mnss  auf  die  demnächst  im 
Druck  erscheinende  Arbeit  hingewiesen  werden.  H  ad  lieh. 


IV. 

The  nature   of  mind  and  human  automatism,  by  Morton  Prince.     Phila- 
delphia 1885.     (173  Seiten.) 

Der  Verfasser,  ein  Neuropathologe  von  Facb,  versucht  in  seiner  Schrift^  für 
welche  zufolge  seiner  Vorrede  das  „nonum  prematur  in  annum"  zutrifft,  auf  streng 
materialistischer  Basis  stehend,  jenes  Bäthsel  zu  lösen,  welches  Du  Bois-Beymond 
zu  dem  bekannten  Schlusssatze  des  Ignorabimus  geführt 

Dem  entsprechend  präcisirt  er  im  ersten  Gapitel,  nach  einer  Darstellung  des 
modernen  Monismus,  den  er,  wie  schon  von  anderer  Seite  betont,  nicht  als  Erklärung 


—    71    — 

anarkamity  das  Problem  dahin,  die  Entstehung  von  sweierlei  Eracheinangsweisen  nnd 
deren  Beziebimg  zu  einander  festzustellen  oder,  mit  anderen  Worten,  zu  zeigen,  wie 
aus  physikalischen  Vorgängen  eine  Empfindung  wird. 

Die  Antwort  giebt  folgendes  Theorem:  An  Stelle  einer  Substanz  mit  zwei  Er- 
scheinQDgsformen  —  Bewegung  und  Geist  —  nimmt  er  eine  Substanz,  den  Geist 
an,  deasen  zweite  scheinbare  Eigenschaft,  die  Bewegung,  nur  die  Form  ist,  unter 
weldier  diese  reale  Substanz  von  einem  zweiten  Organismus  aufgefasst  oder  begriffen 
wird.  Die  Bewegung  ist  die  Empfindung  des  zweiten  Organismus,  wenn  der  Geist 
auf  ihn  wirkt.  Die  Beweisfahrung  des  Autors,  basirt  auf  der  bekannten  Anschauung 
von  der  subjectiven  Natur  aller  Anschauungen  mit  dem  Fehlen  jeder  Kenntnis  des 
„Ding  an  sich",  l&uft  darauf  hinaus,  dass  die  psychischen  Vorgänge  mit  den  jenen 
Anschaanngen  zu  Grunde  liegenden  Vorgängen  identisch  sind. 

Um  dies  zu  beweisen  macht  er  folgende  Hypothesen:  Der  Sitz  des  Bewusstseins 
ist  im  Centnünervensystem,  jeder  Bewusstseinszustand  ist  begleitet  von  einer  mole- 
cnlaren  Veränderung  im  Gehirn;  die  beiden  letzteren  sind  in  unbekannter  Weise 
von  einander  unabhängig.  Als  einzig  annehmbare  Hypothese  hinsichtlich  dieser  Ab- 
hängigkeit bezeichnet  er  das  oben  aufgestellte  Theorem.  Den  Gegensatz  dieses  gegen- 
äber  der  bekannten  Deutung  des  Monismus  sieht  P.  darin,  dass  dieser  letztere  durch 
die  Annahme,  dass  beide  Zustände  nur  verschiedene  Erschemungsformen  eines  und 
dessellien  Dings  sind,  die  Actualität  beider  leugnet 

Von  diesem  Standpunkte  aus  erklärt  er  selbstverständlich  die  Frage  nach  der 
Natur  des  Geistes  als  absurd  und  bezeichnet  mit  Lowes  die  Hypothese  von  den 
molecnlären  Schwingungen  der  Nervensubstanz  nur  als  Hülfsmittel,  gleichwie  der 
Physiker  Licht  als  Schwingungen  des  Aethers  erklärt. 

Als  natfirliche  Consequenz  ergiebt  sich  für  den  Autor  das,  was  wir  seit  Grie- 
singer  als  psychische  Beflexactionen  bezeichnen,  in  deren  Kette  jedoch  das  Bewusst- 
sein  ein  activee  Glied  ist;  eine  weitere  Deduction  führt  ihn  zur  Annahme,  dass  die 
sog.  automatischen  Handlungen  nicht  ohne  Bewusstsein  vor  sich  gehen,  was  er  an 
dem  bekannten  Fall  von  Mesnet  nachweist.  Es  ist  dies  bekanntlich  der  Standpunkt, 
den  auch  die  neuere  Klinik  emnimmt. 

Weitere  Capitel  über  Selbstbestimmung  und  Materialismus  können  hier  übergangen 
werden. 

Es  ist  aus  dem  Vorstehenden  ersichtlich,  wie  sich  die  Anschauungen  des  Autors 
vielfaeh  mit  denen  deutscher  Forscher,  z.  B.  Fechner,  berühren;  diese  scheinen  ihm 
leider,  soweit  ersichtlich,  nahezu  ganz  unbekannt  zu  sein. 

Die  Ausstattung  des  Buches  ist  splendid.  A.  Pick. 


Inebrüam.  Fathologioal  and  psyohologioal  study,  by  T.  L.  Wright.  Golumbus 
(Ohio)  1885.    (222  Seiten.) 

Der  Grundgedanke,  welcher  die  vorliegende,  von  einem  Arzte  für  das  weitere 
gebildete  Publikum  geschriebene  Schriffc  durchzieht,  ist  der  Nachweis  der  pathologischen 
Nator  der  Trunksucht,  und  speciell  der  Dipsomanie,  der  das  Werk  fast  ausschliess- 
lich gewidmet  ist. 

Der  Besprechung  der  pathologischen  Basis  fOr  dieselbe  sind  mehrere  Capitel 
gewidmet,  die  sich  von  diesem  Standpunkte  aus  zu  einer  kritischen  Darstellung  unserer 
und  speciell  der  amerikanischen  Culturzustände  und  der  in  denselben  begründeten 
Neurasthenie  der  gegenwärtigen  Geschlechter  ausweisen,  aus  deren  Details  das  von 
der  Ueberanstrengung  in  der  Schule  Gesagte  besonders  hervorgehoben  zu  werden 
verdient 

Aus  der  Darstellung  der  Psychologie  und  Pathologie  leuchtet  überall  die  volle 
Saehkenatniss  des  Verfassars  hervor,   von  der  unter  Anderem  die  Capitel  vom  sog. 


-    ?2    - 

alcoholic  taraoce  Zeugniss  geben.  Aber  gerade  hierin  scheint  im  Hinblick  auf  d&s 
Publiknm,  für  welchee  die  Schrift  bestimmt,  eine  Klippe  gelegen«  und  man  moss  sicli 
billig  fragen,  ob  die  wenn  auch  nur  kurzen  Excorse  auf  das  Gebiet  der  nonnalen 
and  pathologischen  Gehimanatomie  und  Histologie  das  nöthige  VerständniBS  finden. 

Naturgemäss  finden  sich  yielfach  die  Beziehungen  des  Alkoholismns  zum  Gesetze 
erörtert;  interessant  ist  darunter  die  Kritik  der  Versuche  einer  gesetzlichen  Unter- 
di-fickuug  des  Alkoholismus,  die  in  dem  Nachweise  gipfelt,  dass  dieselben  fehl  gehen, 
weil  sie  zumeist  den  fertigen  Trinker  fassen  und  die  näheren  und  ferneren  Ursachen 
der  Trunksucht  ausser  Acht  lassen. . 

Die  Ausstattung  des  Buches  ist  die  von  amerikaniachen  Bflchem  gewohnte 
pr&chtige.  A.  Pick. 


In  Bezug  auf  den  über  die  Priorität  ,4^  Sachen  der  Entartungsreaotion"  be- 
stehenden Streit  zwischen  Erb  und  v.  Ziemssen  (cf.  d.  Ctrlbl.  1886.  S.  46)  findet 
sieb  in  Nr.  3  der  klin.  Wochenschr.  1886  noch  eine  Entgegnung  von  Erb,  welche 
die,  wie  uns  scheint,  richtigen  Grundsätze  hervorhebt,  nach  denen  Prioritätsansprüche 
zu  entscheiden  sind.  Die  Anwendung  derselben  sichert  in  der  bezflgücheu  Frage 
unzweifelhaft  Erb  die  Priorität,  eine  Ansicht,  der  auch  neuerdings  Bernhardt 
(Ztschr.  f.  klin.  Med.)  beigetreten  ist  M. 


V.   Offene  Stellen. 

Brandenburgische  Provinzialirrenanstalt  in  Eberswaldo  bei  Berlin:  3.  Arzt, 
3000  Mark,  freie  Dienstwohnung,  Heizung  und  Erleuchtnng,  möglichst  bald;  2.  Hülfs- 
arzt,  1200  Mark,  freie  Station,  zum  1.  April  d.  .T.  zu  besetzen.  Meldung  an  Geheimen 
Sanitätsrath  Dr.  Zinn,  Eberswalde. 


VI.   Vermischtes. 

Seit  dem  Jahre  1885  erscheint  in  Italien  eine  neae  Zeitschrift,  welche  der  Psychiatrie 
gewidmet  ist  und  der  wir  den  besten  Erfolg  wünschen.  Sie  fährt  den  Titel  „B  Manicomio" 
(die  Irrenanstalt)  und  mit  Recht.  Die  Aerzte  des  wohlbekannten  Asyls  Victor  Emmanuel  IL 
bei  Noeera  (Neapel)  liefern  (mit  .dankenawerther  Unterstützang  anderer  hervorragender 
Psychiater)  die  Beitrage  und  besorgen  die  Bedaetion,  während  Kranke  unter  Anleitung  eines 
Typographen  die  Hefte  setzen  und  drucken.  Die  Ausstattung  des  zweiten  und  dritten  Heftes, 
sowie  der  Druck  und  die  Correctur,  die  einzig  durch  Anstaltskrafte  hergestellt  sind,  verdienen 
in  jeder  Hinsicht  volle  Anerkennung.  Gerade  fßr  Kranke  aus  den  gebildeteren  Standen,  die 
zu  beschäftigen  bekanntlich  recht  schwer  fallt,  kann  eine  wohl  eingerichtete  Buchdmckerei 
ein  nutzbares  Arbeitsfeld  gewähren. 

Uebrigens  ist  der  erste  Yersoch,  eine  derartige  Thätigkeit  geeigneten  Kranken  zu  er* 
öffnen,  vor  längerer  Zeit  vom  Oberarzt  Dr.  Björnstrom  iu  der  Irrenanstalt  Konradsberg 
zu  Stockholm  gemacht  worden.  Sommer. 

Ein  neues  Mittel  gegen  Trigeminusneuralgie.  Nach  einem  kurzen  Referat  im  „Alienist 
and  Neurologist"  (1865.  p.  43S)  hat  Dr.  Josö  Ramirez  Tovar  in  Habanna  neuerdiogs 
einige  günstiee  tberapeutiBohe  Erfolge  bei  Gesichtsneuralgien  durch  die  Anwendnng  eines 
neuen  Alcaloids,  von  Parthenium  Hysterophorus  stammend,  berichtet.  Er  gab  Vi«gr  stünd- 
lich ;  die  dritte  Dosis  beseitigte  den  Schmerz.  Ein  Rückfall  am  5.  Tage  würde  durch  einige 
weitere  Dosen  gehoben;  die  Heilung  hielt  bis  jetzt  5  Monate  an.  Sommer. 


Um  Einsendung  von  Separatabdrücken  an  den  Herausgeber  wird  gebeten. 

-  -     -      ---      --  —    -■-    ■   —  __■ —  -■-_-    ^        -        _-  _  _  _  -^__       -  j  j^_ 

Einsendungen  für  die  Redaction  sind  zu  richten  an  Prof.  Dr.  E.Mendel» 

Berlin^  NW.  Kronprinzen -Ufer  7. 


Verlag  von  Vbit  &  Comp,  in  Leipzig.  —  Druck  von  MsTsesa^  &  Wncne  in  Leipzig. 


lEÜROLOGISCHESCENTRALBLAn. 

Uebersicht  der  Leistungen  auf  dem  Gebiete  der  Anatomie,  Physiologie,  Pathologie 
und  Therapie  des  Nervensystemes  einschliesslich  der  Geisteskrankheiten. 

Herausgegeben  von 

Professor  Dr.  E.  Mendel 
Fttsfter  "  "*"^  Jahrgang. 


Monatlich  erscheinen  zwei  Nammem.   Preis  des  Jahrganges  16  Mark.   Zn  beziehen  durch 
alle  Buchhandlungen  des  In-  und  Auslandes,  die  Postanstalten  des  Deutschen  Reichs,  sowie 

direct  yon  der  Verlagsbuchhandlung. 

1886.  15.  Febrnar.  M  4. 


Inhalt.    I.  Orlglnalnitihellungeii.    Ein  Fall  tou  Thomsen'scher  Krankheit,  von  Fischer. 

II.  Referate.  Anatomie.  1.  Neuere  üntersuchungsmethoden  des  Gehirns,  von  Fischl. 
2.  Ursprung  dee  N.  acusticus  des  Kaninchens,  von  Onufrewicz.  —  Experimentelle  Physio- 
logie. 3.  Traumatische  Polyurie,  von  Kahler.  —  Pathologische  Anatomie.  4.  Galea- 
reoas  gumma  in  the  Brain,  by  Barritt.  5.  Yillous  tumour  in  the  fourth  ventaricle,  by  Deuty. 
—  Pathologie  des  Nervensystems.  6.  Basale  Schädelfissuren,  von  Rosenthal.  7.  Com- 
pound oomminnted  and  depressed  firacture  of  skull.  8.  Compound  depressed  fracture  of  the 
skull,  by  Humphreys.  9.  Bullet- wound  of  the  cerebral  hemispheres,  with  hemiplegia^  com 
plete  recovery,  by  Pareons.  10.  Doppelseitige  Amaurose  bei  Epilepsie,  von  Heinemann.' 
11.  Epilepsia  acetonica^  von  Jaksch.  12.  Zur  Kenntniss  des  Zitterns,  von  Talma.r  18.  The 
Chin  renex,  by  Lewis.  14.  Commotion  de  la  moflle  ^pini^re,  par  Duminil  et  Petel. 
15.  Aneurysmen  der  kleinsten  Rückenmarksgefässe,  von  Hehold.  —  Psj^chiatrie.  16.  Clini- 
eal  observations  on  the  blood  of  the  Insane,  by  Riitherford.  17.  Contnbution  a  T^tude  de  la 
morphiomanie,  par  de  Montyel.  18.  Een  geval  van  periencephalitis  luetica,  door  Gieihers. 
19.  Note  sur  la  paralysie  g^n^le  chez  la  femme;  ae  Thyst^e  chez  les  femmes  atteintes 
de  paralysie  g^erale,  par  Rey.  20  Le  caract^re  dans  les  maladies,  par  Azam.  21.  Note  sur 
nne  Umon  grave  du  crane  d^couverte  sur  la  tete  d'un  suppliciö,  par  Hospital.  22.  Sur  Ui 
pr^ndne  mgilitä  des  os  chez  les  paralvtiques  gön^raux,  par  Christian.  28.  Du  degr^  d'im- 
portanee  au  point  de  vue  du  pronostic  drun  abaissement  extreme  de  la  temp^rature  dans  le 
cours  des  maladies  mentales,  par  Popoff.  —  Therapie.  24.  Alt^rations  de  la  moSlle  ^piniäre 
causte  par  Tälongation  du  nerf  soiatique,  par  Tamowskl.  25.  Feedin^  by  rectum,  by  Mlckle. 
26.  IcAs  over  elec&iciteit  bq  epüepsie,  door  Droeze.  27.  Cooaine  in  disofders  of  the  nervouK 
System,  by  Bauduy.  —  Forensische  Psychiatrie.  28.  Caao  di  parriddio  in  un  frenaste- 
nico,  pelr  avT.  Agiiglia.  —  Anstaltswesen.  29.  Legislation  on  Insanity,  etc.,  by  Harrison. 
30.  The  Insane  in  the  United  States,  by  Tuke. 

III.  Aus  den  Gesellschaften. 

IV.  Bihliographie. 
V.  Personallen. 

I. 


Ein  Fall  von  Thomsen'scher  Krankheit. 

Mitgetheilt  von  Dr.  Gig.  Fischer, 
Director  der  Heilanstalt  fQr  Nervenkranke  zn  Cannstatt. 

In  jüngster  Zeit  hat  W.  Ebb  in  diesem  Centralblatt^  Fälle  von  Thomsen'- 
scher  Krankheit  mitgetheilt,  bei  welchen  er  neue  und  überraschende  elektrische 

»  1886.  Nr.  13. 


-    74    - 

Beactioimformen  und  chaiakteristiscbe  anatomische  Veränderangen  beobachten 
konnte.  Durch  die  Freundlichkeit  des  Herrn  CoUegen  Stabsarzt  Dr.  Bückling  in 
Stuttgart,  der  mir  den  unten  zu  schildernden  Fall  zur  Untersuchung  überliess, 
bin  ich  in  der  Lage,  die  Befunde  Ebb's  bestätigen  zu  können  und  theile  im 
Nachfolgenden  meine  üntersuchungsresultate  mit  Was  an  dem  Erankheitsbilde 
allgemein  bekannt  ist,  habe  ich  nur  kurz  erwähnt  und  den  Nachdruck  auf  die 
elektrischen  und  anatomischen  Verhältnisse  gelegt. 

Jacob  Martin,  Bauemsohn  von  Tuttlingen,  21  Jahre  alt  Keine  Here- 
dität, Eltern  nicht  blutsverwandt  Drei  lebende  ältere,  keine  jüngeren  (jeschwister. 
Mit  14  Jahren  kommt  Patient,  der  Mher  vollständig  gesund  war,  zu  einem 
Schuhmacher  in  die  Lehre.  Dem  Erummsitzen  und  dem  bei  diesem  Berufe 
nöthigen  Anspannen  der  Kniee  und  Oberschenkel  will  er  die  Krankheit  ver- 
danken. Die  ersten  Anzeigen  derselben  hatte  er  mit  167«  Jahren.  Er  wird 
dann  Fuhrmann  und  fOhlt  sich  durch  sein  Leiden  in  diesem  Berufe  nicht  be- 
hindert 1884  in  ein  Stuttgarter  Infanterie-Regiment  eingereiht,  macht  er  das 
Exerdtium  ebenfalls  ohne  wesentliche  Störung  mit,  meldet  sich  aber  im  Früh- 
ling 1885  krank,  weil  er  meint,  im  Lazareth  Verständmss  und  Hülfe  für  seinen 
Zostand  zu  finden  So  wird  er  nach  gestellter  Diagnose  militärfrei  in  die  Hei- 
math entlassen.  Er  sucht  seinen  Zustand  zu  verbergen;  weder  seinen  Angehörigen 
und  Freunden,  noch  seinen  miUtärischen  Vorgesetzten  hat  er  erzählt,  was  ihm 
fehlt  Auf  Befragen,  ob  nicht  doch  in  seiner  Familie  ein  ähnlicher  Krankheits- 
fall vorgekommen  und  ebenfalls  verheimlicht  worden  sei,  meint  er,  dass  dies 
nicht  gut  möglich  sei,  weil  e^  selbst  die  Symptome  der  Krankheit  so  gut  kenne, 
dass  er  zweifellos  die  Sache  hätte  entdecken  müssen. 

Die  Erscheinungen  der  Thomsen'schen  £[rankheit,  wie  sie  die  Autoren  be- 
schreiben, sind  bei  den  Kranken  charakteristisch  ausgeprägt  und  erstrecken  sich 
auf  die  Musculatur  der  Extremitäten,  des  Rumpfes,  des  Halses,  der  Zunge,  die 
Masseteren,  das  Facialisgebiet,  vielleicht  auch  auf  die  Augenmuskeln.  Die  In- 
tensität erscheint  mir  —  der  ich  noch  keinen  Fall  von  Thomsen'scher  Krank- 
heit gesehen  hatte  —  noch  gering,  vielleicht  abhängig  von  dem  relativ  kurzen 
Bestand  des  Leidens.  Am  ausgeprägtesten  sind  die  Symptome  des  tonischen 
Krampfes  am  Morgen  nach  längerer  Bettruhe  und  bei  nüchternem  Magen,  dann 
sind  die  Extremitäten  bei  Gehversuchen  vollständig  steif  und  der  Patient  ist  in 
Gtefahr  umzufallen,  wenn  er  gehen  soll.  Nach  kurzer  Einübung  werden  die 
Glieder  aber  gelenkig  und  für  gewöhnlich  merkt  man  dem  Manne  Nichts  an. 
Nach  Alkoholgenuss  wird  die  Muskelspannung  geringer.  Auch  andere  Factoren, 
welche  die  Autoren  angeben,  wirken  hemmend  oder  begünstigend  auf  den 
Krampf.  Beim  Zusammenbeissen  der  Zähne  contrahiren  sich  die  Masseteren 
tonisch  und  der  Patient  kann  dann  den  Mund  nicht  öffiien.  Es  soll  schwierig 
sein,  das  B  auszusprechen.  Die  Angaben  hierüber  sind  etwas  unklar.  Wahr- 
scheinlich liegt  es  hier  an  mangelnder  Bewegung  des  Unterkiefers.  Eine  gewisse 
Unsicherheit  der  Augenbewegungen  bei  raschem  Wechsel  der  Blickrichtung  war 
einigemal  anfallend.  Die  Musculatur  ist  stark  entwickelt,  namentlich  am 
Halse,  an  den  Oberschenkeln,  der  Wadengegend,  den  Oberarmen.    Bei  dem 


-     75     - 

willkürlich  oder  dnrch  elektrischen  Beiz  hervorgerufenen  tonischen  Krampf 
treten  die  Mnskelbäuche  ansserordentlich  volaniinds  und  plastisch  hervor. 

Die  geistige  und  körperliche  Entwickelung  ist  im  Uehrigen  normal.  An 
den  inneren  Organen  keine  Abnormität  Keine  Dc^enerationszeichen.  Der  Herz- 
shock  kraftig  an  normaler  Stelle,  doch  auffallend  schwacher,  oft  wechselnder  und 
häufig  sehr  tarder  Puls,  Auch  häufig  Verminderung  der  Pulsfrequenz  auf  60. 
Dem  entsprechend  die  sphygmographische  Curve:  Schräge  Ascensionslinie,  häufig 
leichte  Anacrotie,  flacher  Gurvengipfel,  schwache  Bückstosselevation,  sehr  geringe 
Elasticitätserhebungen.  Die  Haut  ist  sehr  empfindlich,  häu%e  Gänsehaut,  rasche 
entzündliche  und  yasoparaljtische  Beaction  bei  elektrischen  Beizen.  Mit  den 
erwähnten  Abnormiföten  der  Haut  und  der  Kreislauforgane  hängt  es  vielleicht 
zusammen,  dass  die  Wundheilung  bei  dem  jungen  Mann  eine  äusserst  lang- 
wierige war.  Zum  Zwecke  der  mikroskopischen  Untersuchung  wurde  am  6.  Nov. 
ein  Stückchen  aus  dem  rechten  Biceps  brachii  excidirt.  Nach  4  Tagen  schien 
die  gut  vernähte  und  streng  antiseptisch  behandelte  Wunde  geheilt  Beim 
Herausnehmen  der  Nähte  zeigte  sich  aber,  dass  keinerlei  Vereinigung  erfolgt 
war.  In  der  vollständig  reactionslosen  Wunde  wurden  am  18.  Nov.  die  ersten 
Granulationen  beobachtet  Anfang  Deoember  war  die  Wunde  noch  nicht  völlig 
geheilt 

Haut-  und  Sehnenreflexe  sind  normal.  Es  treten  dabei  keine  tonischen 
Zuckungen  ein.  Bei  dem  von  Jendbabsik^  angegebenen  Yer&hi^n  wird  der 
Patellarreflex  verstärkt,  aber  nicht  tonisch. 

Die  grobe  Kraft  ist  im  Verhältniss  zum  Volumen  der  Muskeln  gering. 
Dynamometer  42 — 47  Kilo.  Doch  giebt  Pat  an,  dass  er  nicht  schwächer  sei 
als  Andere. 

Unter  günstigen  Verhältnissen  und  namentlich  nach  längerer  Buhe 
wird  eine  Naohdauer  der  willkürlichen  Muskelbewegungen  beobachtet 
Diese  Nachdauer  steht  im  Verhältmss  zu  der  aufgewandten  Willeusenergie,  so 
dass  bei  energischen  Muskelcontractionen  der  tonische  Krampf  25 — 27  Secunden 
anhält  und  dann  allmählich  vergeht 

Die  mechanische  Erregbarkeit  der  Nervenstämme  ist  nicht  erhöht 

An  den  Muskeln  dagegen  ist  die  mechanische  Erregbarkeit  durch- 
weg hochgradig  gesteigert  Schläge  mit  dem  Percussionshammer  verursachen 
tonische  Gontraction  und  Stehenbleiben  der  Gontractionswelle  als  Wulst  Längs- 
&lte,  Delle.  Die  Nachdauer  auch  hier  im  Allgemeinen  abhängig  von  dem 
Grrade  des  Beizes. 

Die  elektrische  Erregbarkeit  wurde  vielfach  untersucht  In  Nach- 
stehendem gebe  ich  die.  von  mir  constatirten  Thateachen  summarisch  als  das 
Resultat  zahlreicher  Einzeluntersuchungen,  welch'  letztere  allerdings  in  ihrer 
nothwendigen  Abhängigkeit  von  zeitlichen  und  äusseren  Einflüssen  nicht  inunet 
imter  sich  vollständig  gleiche  Ergebnisse  hatten. 

Faradische  Erregbarkeit  der  Nerven:  Bei  Einzel-InduotionsöShungs- 
schlagen  blitzartige  Zuckung,  wachsend  mit  der  Intensität  des  Stromes.    Bei 

^  Dies.  Centralbl.  1885.  S.  412. 


—     76       - 

faradischen  Strömen  mit  freischwingendem  Hammer  tritt  bei  einer  gewissen 
Intensität  immer  deutliche  Nachdauer  der  Gontraction  ein.  Bei  geringeren  In- 
tensitäten einfache  Beaction  während  der  Stromdauer.  In  einigen  wenigen 
Fällen  konnte  ich  auch  mit  starken  Strömen  keine  Nachdauer  des  Tetanus  er- 
zielen. Die  Schwellenwerthe  für  das  Eintreten  der  Nachdauer  li^n  an  Ter- 
schiedenen  Nerven  verschieden  hoch.  Als  längste  Dauer  der  tonischen  Nach- 
contraction  ivurde  18  Secunden  beobachtet  Manchmal  zeigt  sich  schon  von 
der  Stromöffiiung  an  ein  allmähliches  Zurückgehen  der  Zuckung.  Ein  häufiger 
Befund  war,  dass  nach  einigen  Schliessungen  kräftiger  Ströme  die  Nachdauer 
fehlte  oder  wenigstens  viel  schwächer  wurde  (also  wie  bei  wiederholten  will- 
kürlichen Bewegungen)  und  dass  sie  sich  erst  wieder  einstellte,  wenn  der  Nerv 
nach  längerer  Buhe  wieder  gereizt  wurde. 

Einigemal  wurde  auch  undulirende  Zuckung  während  der  Stromdauer 
bemerkt 

Am  Facialis  bei  erträglichen  Strömen  keine  eigentliche  Nachdauer,  sondern 
nur  ein  langsames  Abklingen  der  Gontraction. 

Galvanische  Erregbarkeit  der  Nerven.  Die  Schwellenwerthe  für  die  KSZ 
liegen  durchaus  normal  (0,5-'2,0  M.-A.  Untersuchungselektrode  »  ca.  10  Dem). 
Normale  Zuckungsformel.  Die  KSZ  mit  der  Stromstärke  wachsend.  Eigent- 
licher ESTe  tritt  erst  spät  ein.  ASZ  liegt  schon  nahe  bei  ESZ  (auch  hier  ein- 
zelne Ausnahmen)  AOZ  überall  vorhanden  auch  an  Nerven,  wo  sie  nach  meinen 
Erfahrungen  oft  fehlt  (GruraUs).  ADTe  wird  einigemal  beobachtet  EOZ  fehlt 
noch  bei  60  EL  ==  22  M.-A. 

Die  Zuckungen  sind  normali  blitzartig.  Nachdauer  nach  Stromöffiiung 
selten.  Häufiger  wird  einfaches  Abklingen  der  Gontraction  nach  EDTe  beobachtet 
Nur  am  linken  N.  radialis  finde  ich  bei  sehr  starken  Strömen  lange  Nachdauer. 

Bei  labiler  Beizung  der  Nerven  erfolgen  bei  langsamen  Stromschwan- 
kungen Einzelzuckungen,  bei  schnellen  Tetanus  mit  deutlicher  Nachdauer. 

Faradische  Erregbarkeit  der  Muskeln.  Einzelne  0-Schläge  haben 
nur  kurze  Zuckung  ohne  Nachdauer  zur  Folge»  Faradische  Ströme  dagegen 
vemisachen  schon  früh  deutliche  Nachdauer  mit  Stehenbleiben  von  Muskel- 
wülsten, Sehnenspannungen  etc.  Einmal  wird  die  Nachdauer  an  dem  (vorher 
nicht  untersuchten)  M.  cucuUaris  vermisst.  Einmal  nach  längerer  Faradisirung 
undulirender  Ghanikter  der  Zuckung.  Vielfach  fehlt  nach  wiederholten  Strom- 
schliessungen  die  Nachdauer,  ist  aber  durch  höhere  Intensitäten  oder  nach 
kurzer  Buhe  wieder  hervorzurufen. 

Galvanische  Erregbarkeit  der  Muskeln.  Die  Schwellenwerthe  für 
die  ESZ  nicht  erhöht  In  den  meisten  FäUen  tonische,  oft  fast  wurmformige 
Zuckung.  Oft  langsames  Anwachsen  der  Zuckung  während  der  Stromdauer. 
Manchmal  verlängerte  Latenzzeit  Ausgesprochene  Neigung  zu  Dauer- 
reactionen,  so  dass  schon  bei  geringen  Intensitäten  die  ganze  Stromdauer  yon 
der  Gontraction  ausgefüllt  wird*  Die  träge  Gontraction  wächst  proportional  der 
Stromstärke  und  geht  schliesslich  in  einen  starren  Tonus  über.  Die  ASZ  liegt 
nahe  bei  der  ESZ.    Sehr  bald  nach  ASZ  schon  ADTe,  oft  schon  bei  gleicher 


—   :77     — 

Ifitensität  Die  Danerreactioiien  geh^  in  der  Begel  bei  eintretender  Strom- 
öflhimg  zornck,  bei  stärkeren  Strömen  jedoch  nicht  sofort,  sondern  langsam  ab- 
klingend.   Alle  Oeffinmgsreactionen  fehlen. 

Dies  die  Befunde  an  den  Extremitäten  und  Bumpfmuskeln.  An  der  Zunge, 
bei  deren  Untersuchung  natürlich  nur  schwache  Strome  benutzt  werden  konnten, 
£Eknd  dch:  bei  foradischen  Strömen  kurze  Nachdauer  der  Zuckung,  bei  galvanischer 
Reizung  sehr  frSh  Dauerreactionen ,  bei  höheren  Intensitäten  secundenlanges 
Stehenbleiben  einer  Delle  oder  Längsfalte  nach  Stromöffnung. 

Bis  auf  kleine  Differenzen  ergaben  also  meine  Befunde  die  von  Ebb  1.  c. 
aufgehellte  „myötonische'^  Beactionsform,  allerdings  fand  ich  keine  deutlich 
gesteigerte  Erhöhung  der  directen  elektrischen  Muskelerregbarkeit,  wenigstens 
keine  Herabsetzung  der  Schwellenwerthe.  Auch  von  den  neuerdings  publicirten 
Fällen  von  Eülenbübg  und  Melghebt^  weichen  meine  Befunde  in. dieser  Be- 
ziehung ab.  Dass  ich  —  auch  vom  Nerven  aus  —  keine  KÖZ  erzielen  konnte, 
ist  ein  weiterer  Differenzpunkt. 

Glücklicher  als  die  letztgenannten  Autoren  war  ich  in  der  Cönstatirung  der 
von  Ebb  beschriebenen  eigenthümlichen  rhythmischep  Contractionswellen 
während  der  Einwirkung  stabiler  Batterieströme.  Die  ersten  Versuche  miss- 
glückten mir^  allerdings  ebenfalls  und  es  scheint,  dass  auch  dieses  Phänomen 
von  örtlicher  und  zeitlicher  Disposition,  Grestalt,  Lagerung  und  Ermüdung  des 
Muskels  abhängig  ist.  Nach  eingeholter  Information  wendete  ich  auf  deuBath 
von  Herrn  Professor  Ebb  starke  Ströme  an,  öffnete,  schloss  und  wendete 
wiederholt  und  fand  dann  wenigstens  an  einer  bestimmten  Muskelgruppe  die 
gesuchte  Erscheinung.  Die  negativen  Befunde  der  Berliner  Untersucher  sind 
vielleicht  darin  begründet,  dass  letztere  nur  eine  kleine  transportable  Batterie 
zur  Verfügung  hätten.  Herr  Prof.  Ebb,  welchem  ich  meinen  Kranken  nach 
seiner  Entlassung  zusandte,  fand,  wie  er  mir  mittheilt,  die  rhythmischen  Gon- 
tractionen  sofort  bei  der  ersten  Untersuchung  an  verschiedenen  Muskeln. 

Aus  meinen  Erfahrungen  führe  ich  zur  Sache  Folgendes  an:  Wenn  eine 
grosse  Elektrode  auf  dem  Kreuz,  eine  mittelgrosse  auf  der  Grenze  zwischen 
Muskelbauch  und  Sehne  des  M.  gastrocnemius  dexter  steht,  so  treten  bei  Ein- 
wirkung eines  Stromes  von  15 — 20  M.-A.  langsame  wellenförmige  Con. 
tractionen  in  dem  genannten  Muskel  auf,  deren  Richtung  schwer  zu  bestimmen 
ist,  und  die  sich  in  Pausen  von  15 — 30  Secunden  folgen.  Allmählich  wird  die 
Wellenrichtung  von  der  Ka  nach  der  An  deutlich.  Nach  VA  bleibt  der  Muskel 
einige  Zeit  in  Gontraction  stehen,  dann  beginnen  deutliche  rasche  und  rhyth- 
mische Wellen  von  der  Ka  zur  An.  Es  fällt  bei  dem  Versuch  auf,  dass  die 
Contractionen  in  den  verschiedenen  Bündeln  des  Muskels  wechseln,  auch  im 
Tempo  Veränderlichkeit  zeigen,  ohne  dass  die  Elektrode  verrückt,  oder  die  In- 
tensität des  Stromes  verändert  wurde.  Deutlicher  —  .bei  gleicher  Versuchs- 
anordnung —  wird  die  Sache  am  folgenden  Tage:  Rhythmus  jetzt  2 — 3  pro 
Secunde.  Richtung  Ka->^An;  bei  VA  und  umgekehrter  Stromrichtung  (An  auf 
dem  Muskel)  ist  die  Erscheinung  nur  undeutlich  zu  sehen.    Es  tritt  überhaupt 

*  Berliner  klin.  V^ocfaenschr.  1S85.  Nr.  38. 


—    78    — 

bald  Absohwäoliung  des  Phänomens  ein.  Bei  faradischem  Strom  nnd  gleicher 
Anordn^ung  der  Elektroden  schon  bei  massiger  Stromstärke  ifaythmisches  Oscil- 
liren  des  Muskels  mit  einer  Frequenz  von  ca.  200  pro  Minute.  Die  Eisdiei- 
nungen  fanden  sich  an  der  genannten  Muskelgruppe  bei  wiederholten  und 
wechselnden  Versuchen  regelmässig;  an  anderen,  wie  ich  gern  zugestehe,  konnte 
ich  sie  nicht  erzielen.    Die  Schuld  wird  wohl  an  technischen  Dingen  liegen. 

Die  mikroskopische  Untersuchung  eines  aus  dem  M.  biceps  brachii 
herausgeschnittenen  Muskelstückchens  ergiebt  Folgendes:  Am  frischen  Präparat 
und  nach  mehrtägigem  Liegen  in  Müller'scher  Flüssigkeit  findet  sich  schon  bei 
Loupenvergrösserung bemerkbare  V e r d i c k u n g  der  Muskelfasern.  Der 
Muskel  ist  auffallend  leicht  zu  zerfasern,  das  interstitielle  Bindegewebe  sichtlich 
gering  entwickelt;  die  einzelnen  Plrimitivbündel,  unter  sich  wenig  cohärent,  zeigen 
eine  gewisse  Härte  und  Steifigkeit  und  sind  gegen  Druck  und  Quetschung 
auffallend  resistent  Die  abgefaserten  Muskelbündel  bleiben  steif  und  gerade 
liegen,  wahrend  normale,  ebenfalls  mit  Müller'scher  Flüssigkeit  behandelte 
Muskdn  deutliche  Weichheit  und  Biegsamkeit  zeigen.  Die  Verdickung  der 
Fasern  ist  nahezu  constant  und  der  Querdurchmesser  beträgt  häufig  120 — 130  p^ 

Ausser  der  charakteristisohen  Dickenzunahme  zeigen  die  Fasern  bedeutende 
Veränderungen  der  Structur.  Schöne  Querstreifung  findet  sich  fast  nir- 
gends, die  Zeichnung  ist  verwischt^  fehlt  an  vielen  Stellen  ganz,  an  anderen  ist 
bei  schwacher  Vergrösserung  nur  Längsstreif ung,  erst  bei  stärkerer  feine  Quer- 
streifung zu  entdecken,  öfter  finden  sich  in  stark  erkrankten  Muskelfasern  ein- 
zelne circumscripte  Stellen  mit  erhaltener  sehr  feiner  Querstreifung. 

Die  Conturen  der  Fasern  sind  nicht  glatt,  sondern  zeigen  mannigfache 
grosse  und  kleine  Wulstungen,  unregelmässige  Einkerbungen,  quere  Fur- 
chen und  Bisse.  An  den  Bändern  und  auf  der  Oberfläche  der  Muskelbündel 
zahlreiche,  wohl  als  Sarcolemmakeme  anzusprechende  zellige  (Gebilde.  Es  mag 
dahingestellt  sein,  wie  weit  die  beschriebenen  Wulstungen  Ausdruck  der  durch 
die  Excission  gesetzten  mechanischen  Beizung  der  Muskelsubstanz  sein  können. 
Oegen  eine  solche  Annahme  spricht  allerdings  die  auffallende  Unregelmässigkeit 
der  Wülste. 

Der  Befund  am  frischen  Präparat  lässt  mit  Bestimmtheit  vermuthen,^  dass 
sich  auch  an  Schnitten  des  gehärteten  Muskels  diejenigen  Veränderungen  finden 
würden,  welche  Ebb  als  charakteristisch  für  die  Thom^n'sche  Krankheit  be- 
schrieben hat  Ich  habe  es  vorgezogen,  Herrn  Prof.  Ebb  zu  bitten,  die  weitere 
mikroskopische  Untersuchung  selbst  zu  übernehmen,  und  derselbe  wird  seinen 
Befund  im  Anschluss  an  die  ausführliche  Mittheilung  seiner  eigenen  Fälle  seiner- 
zeit veröffentUchen. 


^  Dieie  Verrnnthtuig  hat  rieh  inzwitchen  bestätigt 


—    79    — 


n.  Referate. 


Anatomie. 

1)  Eiftilinuigen  über  einige  neuere  Untersnohangsmethoden  dee  Gtohims, 
▼on  Josef  Fischl.    (Prager  med.  Wochenacbr.  1886.  Nr.  2.) 

F.,  mit  Stadien  über  die  progressive  Paralyse  bescbäftigt,  bat  die  verscbiedenen 
neoerdlngs  empfoblenen  Untersucbungsmethoden  nacli  dieser  Bicbtnng  bin  an  nor- 
malen nnd  patbologiscben  Pr&paraten  dorcbprobiri  Die  Weigert*scben  Fucbsin- 
ond  S&nrefuclisinmetboden,  sowie  deren  Modificationen  erwiesen  sieb  zur  Darstellnng 
der  feinen  Fasern  in  den  peripberiscben  Bindenpartien  als  nicbt  geeignet.  Das  Gleicbe 
gilt  aucb  Yon  der  Freud^scben  Metbode  und  Friedmann*s  Modification  der  Weigert*- 
schen  Hämatoxylinf&rbnng;  bezüglicb  der  Sablfscben  Doppelfärbong  ist  F.  bisber 
nocb  zn  keinem  bestimmten  fiesnltate  gekommen.  Als  vorzüglicb  dagegen  bezeicbnet 
er  die  neue  WeigerVscbe H&matoxylin-Blatlangensalzmetbode,  fand  sie  jedocb  capriciös, 
ohne  dasB  es  ibm  bisber  gelang,  die  Ursacbe  dieses  Yerbaltens  nacbzuweisen. 

Zur  üntersncbang  der  Ganglienzellen  empfieblt  aucb  F.  den  von  ibm  scbon  vor 
NissPs  Mittbeilnng  erprobten  Alkobol,  bezflglicb  dessen  er  nocb  angiebt,  dass  an 
Bo  gehärteten  Pr&paraten  die  Ganglien  viel  reicblicber  benrortreten,  als  an  den  in 
MflUer'sclier  Flflssigkeit  geb&rteten.  F.  fand  aber  femer,  dass  aucb  mit  Alaan- 
Carmin,  Borax-Carmin,  Safhmin,  H&matoxylin  ebenso  scböne  Bilder  wie  mit  Dablia, 
Yesuvin  zu  erzielen  sind,  ebne  dass  ein  Erw&rmen  der  Farblösung  oder  ein  Abweicben 
von  der  gewöbnliclien  Metbode  (Entwässern  in  Alkobol  etc.)  nötbig  gewesen  wäre, 
und  überdies  sind  diese  Präparate  baltbar. 

Als  ansgezeicbnet  bezeicbnet  F.  femer  die  Flemming*scbe  Metbode,  sowobl 
bezüglich  der  Untersuchung  der  Ganglienzellen,  als  auch  bezüglich  der  Eeme  der 
Glia  nnd  Gefässe;  die  schönsten  Bilder  ergab  Färbung  mit  Safranln  in  wässeriger 
Lösung  oder  mit  Böbmer'schem  Hämatoxylin,  weniger  schöne  alkoholische  Lösung 
▼on  Safranin,  oder  (^entianaviolett;  zum  Extrabiren  muss  gewöhnlicher  Alkohol  ge- 
nommen werden,  da  sauerer  die  Schnitte  entfärbt  Auf  Grund  seiner  Versuche  glaubt 
F.,  dass  für  das  Gehirn  die  Flemming*scbe  Härtungsflüssigkeit  zu  modificiren,  yiel- 
leicbt  der  Bisessig  zu  vermindern  ist. 

Die  Methode  von  Flesch  (Indig-Carmin  und  Borax-Carmin)  ergab  keine  so 
schönen  Bilder,  wie  die  früher  genannten  Methoden.  A.  Pick. 


2)  Ezi>erimenteller  Beitrag  bot  Kenntnias  des  Ursprungs  des  Kervus 
aoosticaB  des  Kaninchens,  von  6r.  Onufrowicz.  (Arch.  f.  Psychiatrie. 
Bd.  XVI.  3.) 

In  dieser  unter  ForePs  Leitung  gearbeiteten  Dissertation  tbeilt  der  Verf.  nach 
eingebender  Besprechung  der  gesammten  bis  jetzt  erschienenen  Literatur  über  den 
Ursprung  des  N.  acusi,  in  welcher  nach  Meinung  des  Autors  „sehr  viele  Behaup- 
tungen, aber  nirgends  ein  klarer  Beweis"  sich  finde,  die  Besultate  seiner  eigenen 
luich  y.  Gudden's  Methode  gemachten  Untersuchungen  mit  Verf.  studirte  unter 
Anfertigung  successiver  Frontalschnittreihen  zwei  Gehirne  von  Kaninchen,  an  denen 
bald  nach  der  Geburt  von  Forel  und  Kaufmann  sämmtliche  Theile  des  inneren 
Ohres  (durch  Perforation  des  Felsenbems)  zerstört  wurden,  lieber  die  Hauptergeb- 
lusse  Äeses  schwierigen  operativen  Eingrififo  wurden  bereits  iu  Nr.  5  und  9  dieses 
Centralblattes  (1885)  von  Prof.  Forel  und  dem  Verf.  vorläufige  Mittbeilungen  ge- 
niacht»  weshalb  sich  Bef,  hier  kurz  fassen  kann. 

Bei  beiden  Tbieren,  welche  6  und  27«  Monate  nach  der  Operation  lebten  und 
w&hrend  des  Lebens  eine  eigenthümliche  Schiefstellung  des  Kopfes  zeisrten,  erschien 


—    80    — 

dio  hintere  Acusücuswurzel  einscbliesalich  der  dort  eingelagerten  kldnen  Ganglien- 
zellen sehr  beträchtUch  atrophisch,  während  die  vordere  Wurzel  nnr  nnbedeatende 
Verkleinerung  verrieth.  Gleichzeitig  zeigte  sich  der  vordere  AcuBticnskem  (NucL 
acust.  lateral,  von  Henle)  8mal  schmäler  als  auf  der  gesunden  Seite  und  enthielt 
durchweg  degenerirte  Ganglienzellen.  Im  Weiteren  bot^  ebenfalls  in  beiden  Pr&parvten» 
die  von  Stieda  als  Tubercolnm  laterale  bezeichnete  Hervorwölbong  an  der  Aussen- 
seite  der  hinteren  Wurzel  (Tnberculum  acusticum  der  Knochenfische)  eine  deutliche 
Abflachung  dar.  An  diesem  Tuberculum  acusticum  unterscheidet  Verf.  drei  Schichten 
(äussere,  mittlere  und  tiefe  oder  Markschicht),  von  denen  die  letzte  (Markschicht) 
die  frappanteste  Volumenabnahme  zeigte,  während  die  mittlere  eine  nur  unwesentliche 
Beduction  der  langen  Zellen  darbot,  die  erste  hingegen  völlig  frei  war.  Sodann 
zeigte  ein  ventral  vom  Bindearm  liegender,  mit  blasigen  Ganglienzellen  bevölkerter 
Kern  scheinbar  eine  kleine  Einbusse  an  zelligen  Elementen.  Die  Striae  links  waren 
schräger  entwickelt  als  rechts,  liessen  sich  aber  über  die  Baphe  hinaus  nicht  ver- 
folgen. Alle  übrigen  von  den  Autoren  als  Acpsticuskeme  bezeichneten  Anhäufungen 
grauer  Substanz  zeigten  sich  absolut  intact  und  vor  Allem  Hess  sich  im  sog.  äusseren 
Acusticuskem  (Deiters'scher  Kern  von  Laura)  nicht  die  geringste  pathologische  Ver- 
änderung constatiren.  Ancb  die  Fibrae  arcuai,  das  Corp.  gen.  int.,  der  hintere  Zwei- 
hügel, der  Bindearm,  das  Corp.  restiforme.und  andere  Gebilde  zeigten  sich  auf  beiden 
Seiten  gleich  gut  entwickelt  und  völlig  normal. 

Aus  diesen  auf  operativem  Wege  erzeugten  secündären  Atrophien  zieht  der  Verf. 
hinsichtlich  des  Ursprungs  des  Nervus  acusticus  folgende  Schlüsse: 

Sowohl  der  äussere  (wie  bereits  vom  Ref.  nachgewiesen)  als  auch  der  innere 
Acusticuskem  haben  zum  K.  acusi  keine  Beziehungen.  Als  eigentlicher  Acusticus- 
kem des  Kaninchens,  d.  h.  als  dasjenige  Centrum,  welches  für  den  Acusticus  das 
ist,  was  die  ftinde  des  oberen  Zweihügels  für  den  Opticus,  ist  das  Tuberculum 
acusticum  (Tub.  laterale  nach  Stieda,  Kacken  des  Kleinhirnschenkels  nach  St i Hing) 
zu  betrachten,  in  welchem  aber  wahrscheinlich  nur  die  hintere  Acusücuswurzel  und 
zwar  nach  Durchsetzung  eines  Ganglions  (des  vorderen  Acusticuskems)  endigt,  und 
sei  die  secundäre  Atrophie  des  Tub.  acust.  als  eine  durch  den  vorderen  Acusticuskem 
vermittelte  anzusehen.  Dieses  letztere  aber  müsse  unter  Berücksichtigung  seiner 
enormen  Atrophie,  wie  sie  nach  Ausreissung  eines  sensiblen  Nerven  in  dessen  Kern 
unerhört  sei  und  im  Hinblick  auf  die  Resultate  der  Arbeiten  von  v.  Gudden,  Forel, 
Mayser,  Bellonci,  Golgi  und  Vejas  als  Homologen  der  Spinalganglien,  d.  h.  ein 
phylogenetisch  modificirtes  Spinalganglion  aufgefasst  werden.  Der  vordere  Acusticas- 
kem  gehöre  zur  hinteren  Wurzel  und  habe  mit  der  vorderen  nichts  zu  thun.  Das 
Centmm  der  vorderen  Wurzel  liege  entweder  im  Vermis  cerebelli,  oder  in  der  grauen 
Substanz  des  IV.  Ventrikels  ventral  vom  Bindearm,  oder  in  beiden.  —  Eigentlicher 
Hömerv  sei  wahrscheinlich  nur  die  hintere  Wurzel.  Die  vordere  enthält  allem  An- 
schein nach  die  Fasern  zu  den  Ampullen  der  Canales  semicirculares;  ob  sie  aber 
vielleicht  den  ganzen  Nerv,  vestibuli  bildet,  sei  ungewiss.  —  Die  Striae  medulläres 
dürfen  nicht  als  directe  Acusticusfasem  angesehen  werden;  es  seien  möglicherweise 
secundäre  Bahnen,  die  aus  dem  Tub.  acust.  hervorgehen,  möglicherweise  aber  haben 
sie  mit  dem  Acusticus  nichts  zu  thun. 

Dieser  sorgfältigen  Arbeit  sind  zwei  Tafeln  mit  zahlreichen  sehr  naturgetreu 
gehaltenen  Figuren  beigefügt.  v.  Monakow. 

Experimentelle  Physiologie. 

3)  Ueber  traumatiaohe  Polyurie,   von  Kahler.    (Prager  med.  WochenschrifL 
1885.  S.  509.) 
K.  macht  eine  vorläufige  Mittheilung  über  Experimente  zur  Erzeugung  dauernder 
Polyurie.     An   der   Hand  des  vorhandenen  literarischen  Materials  und  einer  eigenen 


—    81     — 

Beobachtung  fohrt  er  den  Beweifl,  daas  der  dauemden  Polyurie  die  Bedeutung  eines 
cerebnien  Herdeymptoms  zukomme,  das  mit  Wahrscheinlichkeit  in  der  Med.  oblong, 
u  localisiren  ist»  K.*8  Versuche  zur  weiteren  Klarlegung  der  Frage  schliessen  an 
die  Claude  Berns rd's  und  Eckhardts  an,  welche  bekanntlich  nur  Yorübergehende 
Polyurie  erzeugen  konnten;  es  gelang  ihm  durch  Injection  kleinster  Mengen  von 
Sübemitrat  eine  ganz  umschriebene  Zerstörung  der  Med.  oblong,  herbeizuführen,  und 
an  den  die  Operation  zumeist  überlebenden  Kaninchen  dauernde  Polyurie  und  Poly- 
dipsie nachzuweisen.  Ob  es  sich  dabei  um  Läsion  einer  bestimmten  Stelle  der  Med. 
oblcmg.,  um  eine  Ausfalls-  oder  Beizungserscheinung  handelt,  beh&lt  er  weiteren  Mit- 
theilungen  vor. 

(Bezüglich-  der  genaueren  Beschreibung  der  Yersuchsanordnung  siehe  das  Orig.) 

A.  Pick. 

Pathologische  Anatomie. 

4)   Gase  of  oaloareouB  gamma  in  the  Brain,  by  G.  Laey  Barriti    (Brain. 
1885.  Oct  8.  413—414.) 

Ein  d5jähriger  Mann,  welcher  12  Jahre  zuvor  Syphilis  acquirirt  hatte,  hatte 
schon  seit  2 — 3  Jahren  nächtlichen  rechtsseitigen  Kopfschmerz  an  der  Scheitel-  und 
Stimgegend,  aber  erst  seit  etwa  4  Wochen  vor  dem  Tode  in  Zwischenräumen  von 
einer  viertel  bis  einer  halben  Stunde  2  oder  3  Minuten  w&brende  partiell  epileptische 
ÄnfiÜle  ohne  Bewusstseinsverlust,  bei  welchen  zuerst  plötzlich  die  Nackenmuskeln  zuckten, 
80  dass  das  Kinn  nach  links  gestossen  wurde,  dann  zugleich  sämmtliche  Extremitäten 
ergriffen  wurden.  Die  Obduction  ergab  neben  leptomeningitischen  Adhärenzen  des 
rechten  Parietallappens  und  kleinen  Kalkknoten  in  beiden  Seitenventrikeln,  in  der 
Substanz  des  rechten  Schläfenlappens  eine  harte  wallnussgrosse  Cyste  wahrscheinlich 
gummöser  Natur  mit  verkalkten  Wandungen  von  ^/^  Zoll  Dicke.  Ueber  das  Hör- 
vermögen  findet  sich  keine  Angabe.  E.  Bemak. 


6)  Notes  and  remarks  upon  a  oase  of  villoiui  tamour  in  the  fourth  veb- 
triole,  by  J.  Harrington  Douty.    (Brain.  1885.  Oct.  S.  409—412.) 

Bei  einem  17jährigen  Knaben  hatte  ein  maulbeerartiger,  frei  beweglicher,  nur 
mit  dem  Dach  des  rechten  Ventrikels  locker  zusammenhängender  Tumor  mit  conse- 
cutivem  Hydrocephalus  internus  desselben,  des  Aquaeductus  Sylvii  und  der  Seiten- 
ventrikel ohne  ersichtliche  Veränderungen  auf  Schnitten  durch  den  Pens,  der  Medulla 
oblongata  und  das  Kleinhirn  intra  vitam  folgende  Erscheinungen  verschuldet:  taumeln- 
der Gang  bei  ungestörter  Coordination  der  Extremitäten  im  Liegen  (durch  Druck 
auf  den  mittleren  Kleinhimlappen)  Neuroretinitis  mit  Blindheit  des  einen  und  Am- 
blyopie des  audem  Auges,  Schwerhörigkeit  links  (Betheiligung  der  Acusticuswurzehi), 
andauernder  Priapismus  (Beizung  der  hinteren  Theile  der  Medulla  oblongata  nach 
Eckhardt),  Erbrechen,  Cheyne-Stockes*scher  Athem,  endlich  hohe  Fiebertemperaturen 
ohne  entztkndliche  Ursache  (Beizung  eines  Wärmecentrums  oder  Lähmung  eines  Wärme- 
hemmungscentrums?).  E.  Bemak. 


Pathologie  des  Nervensystems. 

6)  Zur  Kenntniss  der  basalen  Schftdelflssiireii,  von  Prof.  Dr.  M.  Bosenthal, 
Wien.    (Sep.-Abdr.) 

Verf.  theilt-4  interessante  Fälle  mit,   von  denen  sich  die  beiden  ersten  sehr 
ähnlich    sind.    Im   ersten  Falle   hatte   ein   heftiges   Trauma  die  rechte  Kopfseite 


—    82    — 

getroffen:  Bewusstlosigkeit,  Blotungen  ans  beiden  Ohren,  rechter  OberMeferbmch, 
rechtsseitige  partielle  Gksichtsrnnskellähmongen;  linkerseits  Lähmong  des  Ocnlomotorins 
nnd  Abdnoens,  Papille  weit  und  starr.  Nach  3  Wochen  fand  B.  aosserdem  eine 
beträchtliche  Herabsetzung  der  elektrocutanen  Sensibilität  der  linken 
Wange,  sowie  der  mechanischen  Erregbarkeit  der  Oonjunctiva,  Sclera 
und  Cornea;  in  letzterer  ein  kleines  Qeschwür.  Der  Geruch  links  schwächer.  — 
Nach  7 — 10  Wochen  verloren  sich  alle  Erscheinungen  bis  auf  die  Sensibilitäts- 
störungen am  TrigeminuSi  welche  erst  im  4.  Monat  schwanden. 

Im  zweiten  Falle:  Sturz  vom  Dache,  Bewusstlosigkeit  etc.,  Bruch  des  rechten 
Unterkiefers,  links  Hemiplegie,  Lähmung  des  Abducens  und  Facialis,  Anästhe- 
sie der  linken  Gesichtshälfte,  des  Bulbus  und  der  Cornea  mit  (Jescliwür 
an  der  letzteren.     Heilung  (unvollständige)  nach  8 — 9  Monaten. 

Die  Combination  der  Augenmnskellähmung  mit  der  Trlgeminusaffection  nnter 
Entwickelung  von  neuroparalytischer  Ophthalmie  hat  nach  B.  deshalb  hohe  diagnostische 
Bedeutung,  weil  sie  auf  Betheiligung  der  Nervenstämme  (seil.  Schädelfissur)  schliessen 
lässt,  während  bei  Herden  im  Föns  keine  Trigeminus-Ophthalmie  auftritt. 

Im  dritten  Falle  war  nach  einem  schweren  Trauma  des  Kopfes  Trübung,  des 
Bewusstseins,  Blutung  aas  Ohren  und  Nase  etc.  eingetreten;  am  vierten  Tage  totale 
Facialisparalyse  rechts  und  Lähmung  beider  Abducentes;  dann  Trigeminus- Anästhesie 
mit  Ophthalmie  rechts.  Nach  weiteren  8  Tagen  im  rechten  Facialisgebiete  Entartongs- 
reaction  im  vorgeschrittenen  Stadium.  Fat.,  der  an  Lungenphthise  litt,  ging  unter 
Entwickelung  tuberculöser  Meningitis  zu  Grunde.  Die  Section  ergab  in  der  linken 
Felsenbeinpyramide  einen  2  mm  weiten  Längsspalt,  von  welchem  ein  zweiter  quer 
verlaufender  Sprung  ausging. 

Endlich  der  vierte  Fall,  —  eine  Fotatrix  war  ohne  alle  Anamnese  dem  Krankoi- 
hause  zugeführt  — ,  welcher  anfangs  als  eine  typhoide  Erkrankung  anfigefasst  wurde, 
mit  Parotitis  und  Sinus-Thrombose,  erweist^  wie  schwer  unter  Umständen  Basis-Frao- 
turen  zu  diagnosticiren  sind.  B.  räth  deshalb,  bei  Trinkern  und  Epileptikern  an  die 
Möglichkeit  einer  Basisfractur  durch  FaU  auf  den  Kopf  zu  denken,  wenn  auch  nur 
protrahirte  diflfase  Himsymptome  mit  zeitweilig  exacerbürendem  Kopfschmerz  bemerkt 
werden.  Hadlich. 


7)  Ck>mpotind  oomminuted  and  depreBsed  fimotore  of  skoll.    (The  Lancei 
1885.  Bd.  n.  Nr.  IX.  S.  386.) 

Das  Interesse  dieses  Falles  liegt  in  dem  beinahe  vollkommenen  Fehlen  cerebraler 
Erscheinungen,  obwohl  die  Kopfverletzung  eine  sehr  bedeutende  war. 

Ein  Landarbeiter  wurde  von  einem  Fferdehufe  an  der  Stirn  getroffen.  Trotz 
des  sehr  heftigen  Schlages  war  er  nicht  einmal  betäubt,  sondern  ging  schnurstracks 
300  Tard  (900  Fuss)  nach  Haus  und  fuhr  alsdann  über  eine  englische  Meile  weit 
zum  Arzt.  Die  Wunde,  einen  Zoll  Aber  der  Orbita  auf  der  linken  Stirnseite  gelegen, 
war  2^/2  Zoll  lang  und  zeigte  in  der  Tiefe  neben  mehreren  kleinen  Knochenßragmenten 
ein  grosses,  loses  und  deprimirtes  Knochenstflck.  Nach  der  Untersuchung  leichter 
Shock,  Fuls  48,  kein  Erbrechen,  keine  Pupillenungleichheit. 

Unter  Chloroformnarcose  Entfernung  des  grossen  und  5  kleinerer  Knochenstflcke. 
Das  Gehirn  konnte  man  in  der  Tiefe  pulsiren  sehen.  Der  dem  grossen  Fragmente 
entsprechende  Gehimtheil  wurde  oberflächlich  entfernt.  Ausgezeichnet  fieberfreier 
Verlauf.  In  den  ersten  Tagen  etwas  Kopfschmerz,  einmal  leichtes  Delirium.  11  Tage 
nach  der  Verwundung  stand  Fat  auf.  Obwohl  die  Stimwindungen  getroffiBn  waren, 
der  angenommene  Sitz  der  Farbenperception,  so  fand  sich  dennoch  der  Farbensinn 
nicht  altenrt  Buhemann. 


—    8S    — 

8)  Oase  of  oompoond  dapressed  firaotnre  of  the  Bkull,  by  C.  E.  Humphreys. 
(The  Lanoet.  1885.  Bd.  n.  Nr.  VI.  S.  243.) 

Eis  lOjähriger  Knabe  wurde  von  elDem  Pony  am  Kopf  geschlagen  (19.  Sepi 
1884),  80  dass  die  Scb&delbedeckmig  hinter  dem  rechten  Tnber  parietale  zerriflS, 
und  der  Knochen  eingedrftckt  wnrde.  Die  Einsenkung  bestand  aus  fest  in  einander 
gekeilten  Knochenstficken,  war  ziemlich  rund  und  hatte  einen  Durchmesser  von  2  Zoll, 
ihre  Tiefe  betrug  im  Centrum  Vs — Vs  ^^^'  ^^  ^^^  Wunde  floss  ein  Theelöffel 
Gehimsubfitanz  heraus.  Der  Patient  war  zur  Zeit  des  Traumas  gefühllos  und  konnte 
nicht  zum  Bewusstsein  gebracht  werden;  Bespiration  langsam  und  leicht  stertorOs, 
Puls  68,  weich.  Pupillen  reagiren  gut.  Leichtes  Erbrechen.  Keine  Paralyse,  unter 
antiphlogistischer  und  derivirender  Behandlung  war  der  Knabe  im  Verlauf  einer 
Woche  völlig  hergestellt  und  zeigte  sich  bis  zum  19.  Februar  1886,  wo  ttber  ihn 
Bericht  abgestattet  wurde,  geistig  und  körperlich  vollkommen  gesund,  eine  bei  der 
Schwere  der  Verletzung  bemerkenswerthe  Thatsache.  Buhemann. 


9)  Ballet-wonnd  of  the  cerebral  hemiapheres,  with  hemiplegia;  oomplete 
recovery,  by  Dr.  H.  Parsons.  (British  med.  Joum.  1884.  18.  Oct.  S.  769.) 

Ein  13j&hriges  gesundes  Mädchen  wurde  von  einer  Bevolverkugel  auf  etwa  1  m 
Entfernung  so  getroffen,  dass  die  Kugel  durch  den  Processus  mastoideus  des  rechten 
Temporalbeins  eindrang  und  wahrscheinlich  an  der  g^enfiberliegenden  Stelle  der 
Schädelwand  stecken  blieb.  Schon  nach  einer  Stunde  war  die  anfängliche  Bewusst- 
losigkeit  geschwunden  und  es  bestand  nur  eine  völlige  Paralyse  der  linken  Extremi- 
täten und  Strabismus  des  linken  Auges.  Während  das  Kind  auf  der  linken  Seite 
lag,  wurde  ein  Kugelsucher  in  die  Wunde,  auf  deren  Boden  zerquetschte  Himmaase 
sichtbar  war,  eingefUurt  (!)  und  sank  sofort  durch  seine  eigene  Schwere  6  ^11  weit 
in  das  Hirn  hinein,  bis  er  am  Ende  des  Schosscanals  wahrscheinlich  auf  die  Kogel 
traf.  Eine  weitere  Operation  wurde  nicht  vorgenommen.  Die  Wunde  heilte  unter 
Jodoform,  kalten  Wasserumschlägen  und  prophylactisch  verordnetem  Bromkalium  in 
wenigen  Tagen.  Nach  einer  Woche  konnte  Patientin  das  Bett  verlassen.  Die  Läh* 
mmig  des  linken  Beins  verlor  sich  nach  einem  Monat,  die  des  linken  Arms  einige 
Wochen  später.  Es  blieb  nicht  die  geringste  Störung  zurAck  und  auch  jetzt  — 
18  Monate  nach  der  Verwundung  —  ist  keine  Functionsstömng  nachweisbar,  ob- 
Bchon  die  Bevolverkugel  noch  im  Hirn  oder  in  der  Sohädelwand  sitzt 

Sommer. 

10)  Bine  Beobachtung  von  in  Anfällen  auftretender  doppelseitiger  Amau- 
rose bei  Epilepsie,  von  Dr.  Carl  Heinemann  in  Vera  Cruz.  (Virchow's 
Archiv.  Bd.  102.  H.  3.) 

Eine  Frau,  erblich  nicht  belastet,  bekam  in  Folge  von  Schreck  in  ihrem  30.  Jahre 
zun  ersten  Male  einen  epileptischen  Anfall,  welcher  sich  seitdem  alle  3  Tage  zwischen 
7  nnd  8  Uhr  Abends  wiederholte  und  nach  2  Jahren  regelmässig  mit  einer  doppel- 
seitigen Amaurose  sich  complidrte,  die  1  Stunde  vor  dem  Anfalle  begann  und  mit 
dessen  Beendigung  wieder  verschwand. 

Nach  5jähriger  Erankheitsdauer  erste  Untersuchung  durch  Dr.  H.,  wobei  der 
Aogenspiegel  (zwischen  den  Anföllen)  nichts  Abnormes  erkennen  Uess.  Behandlung 
mit  Bromkalium,  Schröpfköpfen  etc.  l^s  Jahre  lang,  wodurch  erreicht  wurde,  dass 
keine  grossen  Anfälle  mehr  eintraten,  sondern  nur  noch  Amaurose  bisweilen,  und 
diese  nur  selten  von  Bewussüosigkeit,  niemals  mehr  von  Krämpfen  gefolgt^  sich  zeigte. 

Später  verheirathete  sich  die  Pai,  verlor  nach  ihrer  ersten  Entbindung  auch 
die  letzten  Krankheitserscheinungen  und  blieb  9  Jdir^  vollkommen  gesund. 


—    84    — 

Da  erfolgte  1882  nach  GemüthsbewegongeQ  irieder  ein  groaser  Anfidl»  dem 
bald  weitere  nachfolgten,  kleine  und  grosse. 

Bei  einer  Untersnchong  im  Jahre  1883  (in  welchem  die  Fat.  hanfige  Anfälle 
von  Amaurose  hatte,  denen  jedesmal  Bewusstlosigkeit  folgte,  und  wobei  nach  der 
Bückkehr  des  Bewusstseins  die  Amaurose  noch  eine  Stunde  andauert)  constatirte  H. 
in. der  anfallsfreien  Zeit  eine  unregelmässige  Einschränkang  des  Gesichtsfeldes  beider- 
seits —  bei  normaler  centraler  Sehschärfe;  nach  dem  Beginn  der  Amaurose  wurde 
die  Gesichtsfeldbeschränkung  erheblich  stärker,  Der  Augenspiegel  ergab  ,,das  Bild 
einer  totalen  Excavation,  obwohl  die  centralen  Fapillentheile  nicht  excavirt,  sondern 
im  Gegentheil  massig  geschwollen  sind'',  während  des  Wohlseins  der  Patientin.  Mit 
der  Amaurose  trat  dagegen  eine  vollständige  Ischaemia  retinae  ein,  Alles  war  blas^, 
von  Gefassen  kaum  Spuren  zu  sehen,  die  Arterien  namentlich  bis  zum  Yersch winden 
verengt.  ^  . 

Es  hatte  sich  übrigens  ausserdem  träge  Beaction  der  Pupilleu  und  im  ersten 
amaurotischen  Stadium  des  Anfalls  Lichtscheu  und  Augenschmerzen 
bei  Annäherung  einer  Lichtquelle  entwickelt;  daneben  neuralgische  Schmerzen 
im  rechten  Arme  und  Gedächtnissschwäche. 

'  Verf.  ist  geneigt,  an  einen  TUmor  zu  denken,  welcher  ausser  den  übrigen  Er- 
scheinungen reflectorisch  auch  die  Epilepsie  bedingt.  Die  Lichtscheu  und  die  Aogen- 
schmerzen  •—  bei  Amaurose  —  seien  vielleicht  (mit  Gastorani  und  Ol.  Bernard) 
auf  erhöhte  Erregbarkeit  der  TrigeminuSitEnden  zu  beziehen.  Hadlich. 


11)  Epilepsia  aoetonica,  ein  Beitrag  zur  Lehre  von  den  Autointoxlcätionen, 
von  Privatdoc.  Dr.  B.  v.  Jaksch,  Wien.   (Zeitschr.  f.  klin.  Med.  Bd.  X.  H.  4.) 

Als  eine  Gruppe  der  Autointoxicationen  betrachtet  v.  J.  die  Fälle,  in  welche 
Aceton  in  grosser  Menge  im  Urin  auftritt.  Diese  Fälle  sind  sehr  selten,  v.  J.  fand 
in  5  Jahren  unter  7 — 8000  Kranken  nur  5.  Höchst  bemerkenswerth  ist  ^Laronter 
die  folgende  Beobachtung,  welche  v.  J.  ausführlich  mittheilt. 

Ein  24jähriger,  hereditär  nicht  belasteter  Schmied  hatte  am  14.  October  1884 
Abends  einen  Diätfehler  begangen,  wurde  in  der  Nacht  bewussüos,  am  andern  Tage 
bewusstlos  in's  Krankenhaus  gebracht»  bekam  dort  Erbrechen  und. erlangte  hierauf 
das  Bewusstsein  wieder,  klagte  jedoch  anhaltend  über  starken  Kopfschmerz.  In  der 
Nacht  vom  17.  zum  18.  Qctober  bekam  er  7  Anfölle  von  anfangs  tonischen,  später 
klonischen  Krämpfen  der  ganzen  Körpermusculatur,  die  Augen .  vrurden  nach  oben 
gedreht;  dann  folgte  Dyspnoe  und  der  Anfall,  während  dessen  Fat.  bewusstlos  war, 
ging  vorüber.  Dergleichen  Anfälle  wiederholten  sich  7  Tage  lang  —  an  einem  Tage 
17mal,  in  den  letzten  Tagen  schwächer  — ,  bis  Ende  October  verloren  sich  auch 
die  Kopfschmerzen,  und  Fat.  war  wieder  subjectiv  wie  objectiv  gesund.  ^-  Den 
Anfällen  parallel  ging  das  Auftreten  von  Aceton  im  Urin,  und  zwar  am 
Tage  der  heftigsten  Krämpfe  in  grösster  Menge. 

Verf.  erörtert  nun  in  genauester  und  umfassendster  Weise  die  Frage  nach  dem 
Zusammenhang  der  epileptischen  Anfölle  und  der  Acetonurie.  Er  schliesst  zunächst 
das  Bestehen  echter  Epilepsie,  einer  bestimmten  Gehimkrankheit,  einer  Beflex-Epi- 
lepsie,  einer  urämischen  Intoxication  oder  einer  toxämischen  Epilepsie  aus.  —  Es 
kommt  auch  —  nach  seinen  Untersuchungen  an  etwa  60  Epileptischen  —  sonst 
nicht  zum  Auftreten  von  Acetonurie  nach  epileptischen  Anfällen.  —  Es  bleibt  also 
die  grosse  Wahrscheinlichkeit,  dass  hier  die  Anfalle  mit  dem  Aceton  in  ursächlichem 
Zusammenhang  stehen. 

Yerf.  ging  nun  zu  Thierexperimenten  über,  und  theilt  7  Versuche  an  Kaninchen 
und  Katzen  mit,  nach  denen  es  ihm  allerdings  gelungen  ist,  tonische  und  klonische 
Krämpfe,  Bewusstseinsstörungen  (in  einigen  Fällen  bis  zum  Tode>  durch  Aceton-In- 
halationen  herbeizuführen. 


—    86    — 

Sodann  forschte  er  nach  dem  Auftreten  ?on  Aceton  bei  G&hrongsforgangen  — 
mit  Bflcksicht  aof  dcoi  vielleicht  die  Aatointoxication  einleitend^  Diatfehler  seines 
Kranken  —  und  fand  solches  Auftreten  bei  der  Milchsanregahrong  des  Zuckers, 
nidit  bei  der  alkoholischen  Gahmi^.  Er  fand  auch  Gahrungserreger  im  Darm  (in 
dm  Faeees),  die  in  gewisse  Nährlösungen  gebracht,  nebst  anderen  flüchtigen  Crährungs- 
prodncten,  auch  Spuren  von  Aceton  zu  bilden  vermögen. 

Alles  in  Allem  glaubt  Verf^  den  oben  mitgetheilten  Fall  von  epileptischen  An* 
fallen  als  auf  einer  Antointoxication  mit  Aceton  beruhend  ansehen  zu  können. 

Hadlich. 

12)    Beitrag  zur   Kenntnlss   ^es  Zittems,    von   Prof.  S.  Talma   in  Utrecht 
(Deutsches  Arch.  f.  klin.  Med.  Bd.  38.  H.  I  u.  II.  S.  1—27.) 

Kach  einigen  Vorbemerkungen  über  die  verschiedenen  Erscheinungsformen  des 
Zittems,  deren  genaue  Charakterisirung  hoffen  l&sst»  den  Sitz  der  verursachenden 
Störung  aufzufinden,  beginnt  Verf.  seine  Betrachtungen  mit  der  Beschreibung  eines 
Falles.  Ein  22fjähriger  Mann,  Potator  strenuus,  leidet  an  „entsetzlichen  Schwingui^en 
des  Kopfes  und  der  Extremitäten'',  die  sich  in  4  Monaten  bis  zur  Höhe  ausgebildet 
hatten,  nachdem  sich  2  Jajire  vorher  bei  der  Arbeit  Zittern  zuerst  im  linken  Bein 
und  dann  im  rechten  Arm  eingestellt  hatte.  Zur  Zeit  der  Untersuchung  des  Pai. 
beginnt  das  sich  in  grossen  Amplituden  vollziehende  Zittern  am  Kopf,  und  nachdem 
es  hier  bis  zur  grössten  Stärke  angewachsen,  fingen  auch  die  Ober«  und  dann  die 
Unterextremitäten  an  zu  schwingen.  Nach  Verlauf  einiger  Minuten  hörten  die.  Be- 
wegungen plötzlich  auf;  dieselben  erschöpfen  den  Kranken. jedesmal  bis  auf's  äujsserste. 
Bei  jeder  willkürlichen,  besonders  jeder  feineren  und  jeder  angestrengtMi  Bewegung, 
beim  V^suche  zu  gehen  etcw  stellt  sich  ein  starkes  Zittern  in  Form  fibrillärer 
Zuckungen  ein  und  danebra  treten  Mitbewegungen  in  den  Muskeln  des  Bumpfes  und 
der  oberen  Extremitäten  auf,  sodass  Pat.  unfähig  ist,  ohne  Unterstützung  zu  gehen. 
Die  Befiexe  sind  hochgradig  verstärkt,  während  motorische  und  sensible  Störungen 
fehlen.  Die  Kopfmuskeln  sind  nicht  in  Mitleidenschaft  gezogen.  V^.  schliesst  aus 
den  Symptomen  auf  eine  Affection  des  Bückenmarks  und  zwar  auf  einen  gereizten 
Zustand  der  motorischen  Zdlen  der  Vorderhömer;  er  nimmt  nuQ  im  wesentlichen 
functionelle  Störungen  an  und  verordnet  demgemäss  ein  die  Beizbarkeit  der  Nervetf- 
Zellen  herabsetzendes  Mittel:  Kalium  brömatum.  Nach  9  gr  kann  Pat.  schon  allein 
grosse  Märsche  unternehmen;  nach  weiterem  Gebrauch  bessern  sich  die  Erscheinungen 
noch  mehr,  doch  bleiben  andere  als  irreparabel  zurück,  so  die  erhöhten  Befiexe  und 
eine  Schwerfälligkeit  der  Bewegungen. 

Daran  schliesst  sich  die  Mittheilung  zweier  eng  zusammengehöriger  Fälle,  bei 
deren  erstem  sich  nach  einem  Wuthausbruch  ein  Zittern  in  der  rechten  Hand,  die 
er  sehr  viel  zum  Schreiben  in  Anspruch  genommen,  einstellte,  daneben  bestehen  er- 
höhte Sehnenreflexe,  bei  anstrengenden  Bewegungen  Mitbewegungen  femer  Muskel- 
gruppen, keine  Sensibilitäts-  oder  Motilitätsstörungen.  Im  zweiten  wurde  nach  einem 
Schreck  —  es  handelte  sich  um  ein  Sjähriges  Mädchen  —  ein  Zittern  der  rechten 
oberen  Extremität  neben  erhöhten  Sehnenreflexen  hervorgerufen.  Die  Diagnose  lautete 
auf  Hyperkinese  der  motorischen  Ganglienzellen  des  Bückenmarks.  Das  Bromkalium 
wirkte  wiederum  ausgezeichnet. 

Bei  2  hysterischen  Mädchen,  welche  beide  an  Steifheit  des  linken  Arms  und 
Beins  verbunden  mit  fibrillären  Zuckungen  litten,  schlug  die  -Therapie  indessen 
nicht  ein. 

Es  gehören  3  Symptome  zusammen,  welche  eine  pathologische  Erhöhung  der 
Beizbarkeit  der  motorischen  Nervenzellen  des  Bückenmarks  diagnosticiren  lassen: 
1)  das  Zittern,  2)  die  erhöhten  Sehnenreflexe,  3)  die  Mitbewegungen.  Verf.  hat  sie 
vereinigt  gefunden  bei  den  4  Fällen  von  multipler  Sderose,  die  ihm  in  letzter  Zeit 


—    86    — 

zogegangen,  einmal  bei  einer  pernidöBen  An&mie,  öfters  bei  BeconvaLeecenteii  Ton 
Abdominaltyphns,  vobei  auch  von  Westphal  und  Nothnagel  ähnliche  Beobach- 
tungen geinacht  worden  sind,  einige  Male  bei  chronischer  Myelitis. 

Eine  längere  Betrachtang  widmet  Verf.  im  Anschluss  an  einen  mitgetheilten 
Fall  von  chronischer  Myelitis  der  Moskelsteifheit,  und  den  sog.  Mnskelcontraotionen 
bei  Bückenmarkskrankheiten.  Keineswegs  hat  man  es  hier  mit  ,,Contractnren"  im 
Sinne  der  Ghirorgen  zu  thun  und  die  „permanente  Bigidit&t'^  von  der  oft  gesprochen 
wird,  ist  hier  nur  scheinbar.  Die  Muskelcontractionen  treten  in  Folge  von  erhöhter 
reflectorischer  Beizbarkeit  bei  willk&rlichen  und  passiven  Bewegungen  auf;  doch 
lassen  sie  sich  bei  behutsamer  AusfQhrung  der  letzteren  auch  vermeiden.  Bei  Hirn- 
leiden  dürfte  sich  die  sog.  Bigiditat  auf  eine  absteigende  Degeneration  beziehen 
lassen.  Daran  schliesst  sich  die  Mittheilung  von  2  Fällen,  bei  denen  die  Muskel- 
steifheit ein  hervorragendes  Symptom  bildete:  Meningitis  venthcularis  (basilaris?) 
und  Malum  Pottii. 

Eine  aparte  pathologisch-anatomische  Grundlage  kann  dem  „Zittern"  nicht  zu- 
kommen; Verf.  betont  im  Oegensatz  zu  Freusberg,  dass  dasselbe  auch  noch  durch 
andere  Ursachen  hervorgerufen  sein  kann,  wie  der  Tremor  senilis  und  das  mit  diesem 
in  gewisser  Beziehung  übereinstimmende  Zittern  bei  Paralysis  agitans.  Um  eine 
Hyperkinese  der  motorischen  Ganglienzellen  der  vorderen  Wurzeln  diagnosticiren  zu 
können,  muss  sich  dem  Zittern  die  erhöhte  Beflezthätigkeit  und  die  Mitbewegung 
als  Symptome  hinzugesellen.    Die  Auffiissung  von  Paternatzky  wird  widerlegt 

Nach  kurzer  Darlegung  der  Therapie:  im  ersten  Stadium  grosser  Beisung 
geistige  und  körperliche  Buhe,  Bromkali,  Chloroform,  Ghloralhydrat,  daneben  Hydro- 
therapie, die  Verf.  für  sehr  wichtig  hält,  schwache  Galvanisation,  und  besonders 
warme  Vollbäder,  im  zweiten  der  Erschöpfung  der  Zellen  excitirende  Maassnahmen: 
Faradisation,  Franklinisation  und  Galvanisation  —  wird  über  die  Sehnenphänomene 
noch  ein  Wort  gesprochen.  Dr.  van  Tsendyk  hat  auf  Veranlassung  des  Verf.  ihre 
Genese  noch  einmal  durchforscht,  v.  T.  verglich  die  G^eschwindigkeit  des  Zustande- 
kommens des  Knie-  und  Fussphänomens  mit  der  Zeit,  in  welcher  die  Erschütterung 
sich  von  der  Sehne  bis  zum  Muskel  fortpflanzt,  vermehrt  mit  der  Zeit  der  Latenz 
der  Muskelzuckung  bei  directer  Beiznng.  Er  fand  die  erste  fast  doppelt  so  gross 
als  die  letzte.  Darauf  basirend  vertheidigt  er  die  reflectorische  Natur  des  Sehnen- 
phänomens. Sperling. 

18)  The  Ohin  reflez,^  by  Dr.  Morris  J.  Lewis.  (The  Practttioner.  1885..  Dec 
S.  461.) 
L.  macht  auf  einen  von  ihm  bei  einer  Operation  gefundenen  Beflez  anfiDMrksam, 
der  in  einer  plötzlichen  Erhebung  des  herabhängenden  Unterkiefers  durch  einen 
Schlag  auf  die  unteren  Zähne  oder  auf  das  Kinn  besteht.  L.  will  ihn  btt  Nerven- 
kranken« und  gelegentlich  bei  Gesunden  gefunden  haben;  er  ist  sich  über  das  Wesen 
dieser  Erscheinung  noch  nicht  ganz  klar,  vindicirt  ihm  aber  ein  gewisses  Interesse. 

Siemens. 

14)  Ck>mmotion  de  la  moölle  äpiniöre«  par  Dum^nil  et  Petel.  (Arch.  de 
Neurol.  1885.  No.  27.  Bd.  IX.  S.  307.) 

In  Verfolg  ihrer  früheren  Artikel  (s.  d.  Ctrlbl.  1885.  S.  324)  über  denselben  Gegen- 
stand besprechen  die  Verff.  noch  kurz  differentiell- diagnostisch  die  Bückenmarks- 
blutungen und  ihre  Folgeerscheinungen,  wobei  sie  ganz  kurz  noch  über  einen  Fall 
eigener  Beobachtung  berichten.  Zum  Schluss  ziehen  sie  aus  den  Aufisätzen  folgendes 
Besum^. 

1)  Die  Bückenmarks-Erschütterung  muss  als  solche  wissenschaftlich  festgehalten 
werden. 

*  Cf.  vorige  Nummer  dieser  ZtMhr.  8.  49. 


—    87    — 

2)  Sie  kftnn  zu  nachfolgenden  myelitischen  Läsionen  fahren. 

3)  Diese  Verändeningen  können  in  der  Form  der  Systemerkrankung  auftareten. 

4)  Die  Brscbüttenmg  kam  zunächst  latent  Terlaufen  und  sich  erst  doroh  die 
seeundären  Yeränderongen  enthüllen,  variirend  von  der  einfachen  vorübergehenden 
Gongestion  bis  znr  nnheilbaren  Sclerose.  Siemens. 


16)  Aneuiysmen  der  kleinsten  Büokenmarksgofftsse,  von  Dr.  Hebold  in  Bonn. 
(Arcb.  f.  Psych.  XVI.  H.  3.) 

Verf.  beschreibt  aneorysmatische  Erweiterungen  der  kleinsten  Bückenmarks- 
gefasse  in  einem  Falle,  welcher  intra  vitam  folgende  Erscheinungen  gezeigt  hatte: 
lijähriges  Mädchen,  vor  9  Monaten  heftige  Zahnschmerzen  und  angeblich  Gesichts- 
rose; die  Kranke  lag  5  Wochen  im  Bett  und  soll  auch  irre  geredet  haben.  8  Tage 
nach  dem  Aufstehen  trat  eine  Geschwulst  der  rechten  Backe  und  Strabismus  ein. 
Nach  4  Wochen  schwand  die  Geschwulst,  das  Schielen  bestand  fort.  Es  traten  Un- 
ruhe, Irrereden,  heftige  Kopfschmerzen  auf,  die  Haare  fielen  aus;  das  Seh-  und  Hör- 
vermögen war  herabgesetzt,  es  bestand  Hyperästhesie  und  Pupillenerweiterung.  — 
In  der  Anstalt  bestand  die  ängstliche  Verwirrtheit  und  Unruhe  anfangs  noch  fort, 
später  trat  Blödsinn  auf.  Daneben  wurde  linksseitige,  später  doppelseitige  Ptosis, 
Ptyalismns,  Schlafsucht,  Erblindung  (Stauungspapillen),  verschiedenerlei  motorische 
Störungen  beobachtet;  Knie-  und  Fussphänomen  rechts  stärker  als  links  etc.  Tod 
im  Marasmus.  Bei  der  Section  fanden  sich  Spuren  von  Meningitis,  Thrombose  des 
linken  Sinus  transversus,  zwei  Abscesse  im  linken,  einer  im  rechten  Schläfenlappen. 
Im  Bttckenmark  fand  sich  an  einer  näher  beschriebenen  Stelle  im  oberen  Dorsalmark 
eine  pnnktirte  Böthung,  welche  sich  mikroskopisch  als  durch  stärkere  Gefässfüllung 
hervorgerufen  erwies.  Hier  wurden  auch  aneurysmatische  Erweiterungen  der  Gefasse 
gesehen,  welche  des  Näheren  beschrieben  werden.  Die  Nervenfasern  und  die  Gang- 
lienzellen werden  als  nicht  stärker  verändert  angegeben.  Als  Ursache  dieser  Stauungs- 
gefass-Erweiterungen  wird  eine  thrombotische  Verstopfung  der  neben  dem  Central- 
kanal  gelegenen  Venen  angesprochen«  Die  Sinusthrombose  und  die  Abscesse  sind 
Folgen  desselben  Leidens,  welches  vielleicht  ein  Erysipel  oder  eine  phlegmonöse  oder 
auch  tnberculöse  Affection  gewesen  sein  mag.  Siemens. 


Psychiatrie. 

16)  CllnloaL  olMervations  on  the  blood  of  the  Insane,   by  S.  Bntherford 
Macphail.^    (Joum.  of  ment.  sdence.  1885.  Jan.) 

Verf.  hat  eine  Beihe  von  Blutuntersuchungen  an  Kranken  gemacht,  an  Kranken, 
die  er  verschieden  gruppenweise,*  nach  Erankheitsform,  Anstaltsaufenthalt,  Erregungs- 
periode, Behandlung  mit  verschieden  tonischen  Mitteln  etc.  zusammenstellte.  Die 
Ergebnisse  sind  zahlenmässig  tabellarisch  angeordnet,  zu  ihrer  Kenntnissnahme  muss 
auf  das  Original  verwiesen  werden.    Verf.  zieht  aus  denselben  folgende  Schlflsse: 

1.  Mit  vielen  Fällen  von  Geisteskrankheit  ist  Anämie  innig  verbunden. 

2.  Das  Blut  ist  bei  blödsinnigen  Anstaltsbewohnem  arm  an  Hämoglobin  und 
Blutkörperchen,  der  Mangel  wächst  mit  dem  Alter. 

3.  Das  Blut  von  Patienten,  welche  der  Masturbation  fröhnen,  ist  in  merklicher 
Weise  verschlechtert. 

4.  Das  Blut  ist  verschlechtert  bei  der  Paralyse,  und  zwar  ist  die  Beeinträch- 
tigung im  Stadium  der  Agitation  und  im  letzten  der  allgemein  gewordenen  Lähmung 
grösser,  als  in  dem  dazwischen  liegenden  Zeitraum  der  Beruhigung. 

«  Cf.  diese  ZtMshr.  1886.  S.  16. 


—    88    — 

5.  Auch  bei  Epileptiken  ist  die.  Qualität  des  Blates  mangelhaft,  aber  doch 
nicht  in  dem  Maaafle,  wie  bei  gewöhnlichen  Blödainnigeo  gleichen  Alte». 

6.  Länger  fortgesetzte  Darreichung  von  Bromkali  verschlechtert  die  Qaalität  des 
Blates  nicht. 

7.  Längwe  Erregungsanfälle  haben  verderblichen  .  Eünflnss  auf  die  Qualität 
des  Blutes. 

8.  Durchschnittlich  ist  bei  der  Aufnahme  in  die  Anstalt  das  Blut  der  Patienten 
unter  der  Norm  in  Bezug  auf  seine  Qoalitai 

9.  Mit  der  Genesung  bessert  sich  in  der  Anstalt  die  Blutbesdiafifenheit,  bis  es 
zuletzt  fast,  normal  wird. 

10.  Es  scheint  ein  enger  Zusammenhang  zwischen  Gewichtszunahme,  Besserung 
der  Blutbeschafifenheit  und  geistiger  Genesung  zu  bestehen. 

11.  Wahrend  eine  bestimmte  Verbesserung  der  Qualität  des  Blutes  während  der 
geistigen  Beconvalescenz  stets  eintritt,  ist  diese  Verbesserung  deutlicher  und  schneller 
bei  einer  Behandlung  mit  tonischen  Mitteln. 

12.  Nach  ihrer  Wirksamkeit  rangiren  die  angewandten  4  tonica  so:  1)  Eisen 
und  China  mit  Strychnin,  2)  Eiseh  mit  China,  4)  Eisen  allein,  4)  Malzextract. 

13.  Arsenik  hat  geringe  Wirksamkeit  auf  die  Verbesserung  des  Blutes,  Quassia 
tind  Leberthran  geben  keine  befriedigenden  Besnltate. 

14.  Die  enge  Verbindung,  welche  zwischen  Verbesserung  der  Blutbeschaffenheit, 
Gewichtszunahme  und  geistiger  Genesung  besteht»  ist  entgegengesetzt  dem  Verhalten 
bei  persistirendem  und  unheilbarem  Blödsinn.  Die  Wirkung  bestimmter  Medicamente 
sollte  die  Aufmerksamkeit  noch  mehr  auf  die  curative  Behandlung  der  Geisteskranken 
leiten.  Zander. 


17)  Ckmtribation  ä  l'itude  de  1»  moTphiomanie,  par  Marandon  de  Montyel. 
(Annal.  m^d.-psych.  1885.  Jan.  p.  45.) 

Zur  Eenntniss  der  klinischen  Aeusserang  der  chronischen  Morphiumvergiftung 
bieten  die  mitgetheilten  2  Krankheitsgeschichten  nichts  wesentlich  Neues. 

Doch  zieht  der  Verf.  aus  seinen  Beobachtungen  Schlüsse,  welche  an  und  für 
sich  anfechtbar  sind  und  in  ihren  logischen  Consequenzen  bedenklich  werden  können. 
Er  hält  sich  nämlich  berechtigt,  eine  einfach  neuropathische  und  auf  „psychische 
Wollust''  gerichtete,  und  eine  specifisch  nervöse  Wirkung  des  Morphium  als  unab- 
hängig von  einander  hinzustellen.  Daraus  entsteht  dann  der  Schluss,  dass  es  zwei 
Arten  von  Morphiomanen  giebt:  Solche,  welche  hur  aus  Bedürfniss  nach  Euphorie 
und  Solche,  welche  aus  vitaler,  unabweislicher  Notii wendigkeit  das  Moiphioin  be- 
dürfen. Wie  diese  beiden  Zustände,  von  denen  zugestanden  vrird,  dass  der  eine  aus 
dem  anderen  sich  entwickele,  von  einander  zu  unterscheiden  sein  würden,  wird 
nicht  gesagt. 

Wohin  diese  Annahme  aber  führt,  zeigt  eine  Episode  aus  der  ersten  Erankheits- 
geschichte.  Ein  gebildeter  Mann  (Jurist)  ist  Morphiomane.  Auf  einer  Seereise  von 
Genua  nach  Marseille  verliert  er  bei  Unwetter  seinen  Morphiumvorrath  und  ist  mehrere 
Stunden  in  peinlichster  Verlegenheit,  da  der  Schiffisarzt  die  Herausgabe  des  gewohnten 
Gifts  verweigert  Der  Morphiomane  kann  seinem  Verlangen  nicht  widerstehen  und 
erbricht  bei  vollem  Bewusstsein  und  nach  allen  Regeln  der  Kunst  und  mit  Beobach- 
tung aller  Vorsicht  die  SchiSlBapotheke,  um  seinen  Drang  nach  Morphium  zu  befriedigen. 

Verf.  wirft  nun  die  Frage  auf:  War  der  X.  in  diesem  —  übrigens  nicht  foren- 
sisch gewordenem  —  Falle  strafbar? 

Für  ihn  ist  es  völlig  erwiesen,  dass  es  sich  um  die  Beschaffung  eines  indis- 
pensablen Lebensbedürfnisses,  nicht  um  die  Befriedigung  eines  Verlangens  nach 
Euphorie  gehandelt  habe.  Er  hält  daher  den  Einbrecher  für  nicht  schuldig,  da  er 
sich  nicht  im  Zustande  freier  Selbstbestimmung  befunden  habe. 


—    8»    — 

Ffir  diese  letztere  Annabme  fehlt  aber  f actisch  jeder  Anhaltspunkt,  znmal  m 
dem  Aufsatz  kein  Wort  enthalten  ist,  aus  welchem  anf  das  Vorhandensein  der 
Inanitit^nsMrscheiniingen,  der  durch  die  Carenz  hervorgerufenen  Erregnngssymptome 
oder  Collaps  zn  schliessen  wäre.  Yielmehr  hat  der  Morphiomane  selbst  geäussert, 
er  sei  bei  voller  Besinnung  gewesen  und  hätte,  wenn  er  die  That  nicht  als  nur 
einen  leiGhtsinnigen  Streich  (gaminerie)  betrachtet  hätte,  sich  sehr  wohl  noch  be- 
herrschen können. 

Wenn  man  mit  dem  Schlusssatz  des  Verf.  auch  einverstanden  sein  kann,  dass 
die  Annsihnie  der  Schuldlosigkeit  für  im  Morphiumhunger  begangene  derartige  Delicto 
in  den  Fällen  fOr  gerechtfertigt  zu  halten  sei,  in  welchen  erwiesen  ist,  däss  die 
Horphiomanen  unter  einem  unwiderstehlichen  Triebe  nach  Selbsterhaltung  gestanden 
haben,  so  ist  es  doch  wohl  sehr  bedenklich,  die  Annahme  dieses  Zustandes  sich  so 
leicht  KU  macheu,  wie  der  Verf.  es  thut.  Legt  man  aber  die  Entscheidung  in  das 
subjeetive  Gef&hl  des  nach  dem  gewohnten  Gift  hungernden  Morphiottianen,  so  wtüde 
es  sich  natflrlich  wohl  fast  nur  um  die,  durch  jene  willkürliche  Unterscheidung  be* 
zeichnete,  „specifisch  nervöse"  Wirkung  des  Morphiums  handeln. 

Zu' erwähnen  ist  noch,  dass  vor  der  Gefahr  gewarnt  wird,  das  im  Uebermaass 
verwendete  Morphium  durch  entsprechend  grosse  Dosen  Alkohol  zu  ersetzen,  indem 
dadurch  nur  ein  Uebel  durch  das  andere  ausgetrieben  werde. 

Uebrigens  ist  Verf.  mehr  für  die  allmähliche  Entziehung  des  Morphiums,  als  für 
plötzliche  Unterbrechung  der  Zufuhr. 

Ein  allerdings  seltenes  Beispiel  von  Willensstärke  bietet  der  erste  Fall,  indem 
der  Morphiumsüchtige  durch  selbstständiges  Verringern  der  einzelnen  Injectionen  zur 
Entwöhnung  gelangte.  Es  ist  das  gerade  jener  Jurist,  welcher  sich  gewaltsam  und 
widerrechtlich  aus  der  SchifiEisapotheke  das  gewohnte  Morphium  verschafifte. 

Zur  Beurtheilung  des  schliessHchen  Ausgangs  ist  es  nothwendig,  die  allgemeine 
Constitution  und  eventuelle  Dispositionen  zu  Nerven-  und  Geistesstörungen  in  Betracht 
zu  ziehen. 

Der  zweite  mitgetheilte  Fall,  welcher  mit  dem  seltsamen  Symptom  einer  reiz- 
baren Schwäche  der  Genitalorgane  combinirt  war,  welche  Andeutungen  von  conträrer 
Sexualempfindungen  aufwies,  endete  in  hallucinatorischer  (Geistesstörung,  wie  Verf. 
annimmt,  in  Folge  von  Alkoholmissbrauch,  durch  welchen  der  Fat.  dem  Morphium- 
hunger zu  entgehen  versuchte.  Jehn. 


18)  Een  geval  Tan  periSnoephalitis  luetica.  Uit  het  officieel  verslag  omtrent 
de  behandelde  zieken  in  het  hospitaal  te  Salatiga  over  Februari  1885,  door 
P.  A.  Giesbers.  (Geneesk.  Tijdschr.  voor  Nederl.  Indiö.  1885.  XXV.  1.  S.  36.) 

Ein  44jähriger  Mann  hatte  Veränderung  des  Charakters  gezeigt,  Gesellschaften 
vermieden,  litt  an  gedrückter  Gemüthsstimmnng,  Störung  des  Gedächtnisses,  allge- 
meiner Geistesschwäche,  Muskelschwäche  am  ganzen  Körper,  besonders  aber  im  Ge- 
sicht, Kopfschmerz,  Störung  der  Sprache,  Muskelzuckungen,  unwillkürlicher  Harn- 
abgang, Verdauungsstörungen.  Das  Sehvermögen  war  bedeutend  geschwächt,  die 
rechte  Pupille  war  weiter  und  reagirte  weniger  auf  Licht,  als  die  linke.  Am  3.  Dec. 
1884,  14  Tage  nach  der  Aufnahme,  trat  plötzlich  ein  pseudoepileptischer  Anfall  auf 
mit  unwillkürlicher  iBntleerung  von  Harn  und  Faeces  und  Verlust  des  Bewusstseins, 
das  aber  unmittelbar  nach  dem  Anfalle  wiederkehrte.  Danach  besserte  sich  der 
Znstand  des  Kranken  wieder,  die  Intelligenz  wurde  freier,  das  Gedächtniss  kehrte 
wieder,  die  Sprache  wurde  besser,  der  Gang  wurde  besser,  überhaupt  Hessen  alle 
Krankheitserseheinungen  nach,  nur  das  Sehvermögen  besserte  sich  nicht.  Die  oph- 
thalmoskopische Untersuchung  ergab  auf  beiden  Augen  Neuroretinitis  apoplectica  mit 
Blutaustritten  in  der  Umgebung  der  Papilla,  die  Papilla  selbst  geröthet  und  undeut- 
lich begrenzt,  links /ausserdem  Trübung  der  Macula  lutea.    Da  es  bekannt  geworden 


—    90    — 

war,  daflfl  Fai  an  Syphilia  gelitten  hatte,  wnrde  eine  Inanctionkor  eingeleitet  wo- 
nach das  SehyennOgen  besser  wnrde  und  die  Blntaustritte  in  den  Retinae  raeorbirt 
worden.  Am  22.  Febr.  1885  bekam  der  Kranke,  nachdem  er  sich  den  ganzen  Ta^p 
sehr  wohl  gefühlt  nnd  keinen  Kopfschmerz  gehabt  hatte,  plötzlich  Abends  einen 
epileptiformen  Anfall,  der  rasch  vorüberging,  sich  aber  rasch  wiederholte.  Danach 
traten  sehr  h&nfige  Krampfanfölle  auf;  die  Kr&mpfe  begannen  am  Kop^  der  bin 
nnd  her  geworfen  wnrde;  dann  breiteten  sie  sich  anf  die  Glieder  ans,  sodass  immer 
die  Seite  in  Ck>nynlsion  sich  befand,  nach  welcher  der  Kopf  geworfen  wurde.  Am 
24.  Februar  Hessen  die  Muskelcontractionen  allmählich  nach,  die  Respiraüon,  die 
sehr  beengt  gewesen  war,  wurde  leichter,  das  Bewusstsein  kehrte  einigennaaseen 
zurück;  gegen  Mittag  aber  coUabirte  der  Kranke  und  starb  nach  einigen  Stnndeo. 
—  Die  Temperatur  war  zu  Anfang  der  Erkrankung  stets  etwas  erhöht.  Bei  der 
eintretenden  Besserung  sank  sie  und  war  Morgens  normal,  Abends  aber  immer  etwas 
erhöht.  Beim  Eintritt  der  Krampfanfalle  stieg  die  Temperatur  und  blieb  immer 
hoch.  —  Schon  zu  Beginn  der  Erkrankung  war  die  Diagnose  auf  Periencephalitis 
diffusa  (Encephalitis  interstitialis  diffusa)  gestellt  worden;  durch  die  BenüssioB 
wurde  sie  etwas  zweifelhaft;  Syphilom  kann  recht  wohl  der  Ausgangspunkt  der 
Periencephalitis  gewesen  sein;  Aufklärung  durch  die  Section  war  nicht  möglieb,  da 
diese  verweigert  wurde.  Walter  Berger. 

19)  Kote  anr  la  paralysie  gönärale  cbea  la  femme;  de  l'bystdrie  cbez  lea 
flmunes  atteintea  de  paralysie  g^närale«  par  Bey.  (Annales  m^dico- 
psychologiques.  1886.  Nov.  S.  421.) 

Man  hat  vielfach  geglaubt,  dass  sich  Paralyse  und  Hysterie  bei  dem  weiblichen 
Geschlecht  gegenseitig  ausschlössen  (R^gis),  femer  angenommen,  dass  die  auch  bei 
paralytischen  Frauen  schon  selten  Yorkommenden  hysterischen  Zufälle  bei  Männern 
ganz  fehlten  (A.  Yoisin).  Diese  letztere  Behauptung  ist  jedoch  durch  den  Nach- 
weis hysterischer  Krisen  im  Verlauf  der  Paralyse  bei  Männern  widerlegt  worden 
(Mittheilungen  von  Bey  uod  Camuset  in  den  Annales  m^-psychol.  1883 — 1885). 

Bey  hat  nun  7  Fälle  yon  30  Paralysen  des  weiblichen  Qeschlechts,  yon  welchen 
die  Antecedenüen  völlig  zu  ermitteln  waren,  zusammengestellt  In  diesen  7  Fällen 
waren  zweifellos  frühere  hysterische  Zufälle  nachgewiesen.  Eine  Untersuchung  der 
Symptome  dieser  Paralysen,  sowie  ihrer  Eigenthümlichkeiten  nach  Alter,  Erblich- 
keit etc.  ergab  nun,  dass  diese  auf  dem  Boden  früher  constatirter  Hysterie  entstan- 
denen Paralysen  sich  durch  nichts  Wesentliches  von  den  gewöhnlichen  Formen  unter- 
schieden. Nur  2  Fälle  zeichneten  sich  durch  aufiBLlliges  Hervortreten  erotischer  Züge 
und  grösserer  maniakaUscher  Erregung  aus;  einer  dieser  Fälle  wies  auch  noch  während 
der  Asylbehandlung  hysterische  Zufälle  auf. 

Bey  glaubt  danach  der  Meinung  B^gis,  dass  die  Hysterie  eine  Art  Hemmung 
auf  die  Entwickelung  der  Paralyse  ausübe,  widersprechen  zu  müssen;  nicht  einmal 
ein  „derivativer''  Einflnss  sei  bemerkbar.  Die  Hysterie  vermindere  sich  oder  ver- 
schwinde im  Verlaufe  der  Paralyse.  In  den  meisten  Fällen  sei  es  wahrscheinlich, 
dass  dies  mit  dem  Einsetzen  der  Paralyse  erfolge.  Jehn. 


20)  Le  caraotdre  dana  lea  maladiea,  par  Azam.  (Annales  mMico-psychologiques. 
1886.  Nov.  S.  386.) 

Bevor  Verf.  auf  die  den  einzelnen  Krankheiten  zukommenden  Charakterverände- 
rungen eingeht,  stellt  er  als  Allgemeingesetz  die  analogen  Beziehungen  fest,  welche 
die  Bethätigung  des  Geschlechtssinnes  —  die  „Matemitäf'  einerseits,  der  „rut"  an- 
dererseits —  auf  den  Charakter  des  Individuums  äussere.  Wie  Königin  und  Bett- 
lerin, Weiber  aller  Bacen  und  Oeschlechter  in  der  Erfüllung  der  Mutterpflichten,  in 


—    91    — 

Anfopferong,  Liebe  nnd  Trotsen  aller  Gefahreiii  welche  dem  S[inde  drohten,  gleich- 
stflodflii»  80  dass  alle  Fraaen  bezüglich  der  Matemit&t  Schwestern  genaant  werden 
könnten»  so  seien  alle  M&nner  Brüder  gegenüber  dem  Verhalten  des  Qeschlechts- 
triebSy  mit  der  Ausnahme,  dass  bei  ci?ilisirten  Völkern  die  Heftigkeit  des  Eifersachts- 
triebs durch  die  Erziehung  gemildert  sei 

Verf.  Ausführungen  bezüglich  der  Charakterrer&nderungen,  welche  besonders  die 
chronischen  Krankheiten  zu  begleiten  pflegen,  zumal  die  Schilderung  der  Reizbarkeit 
ond  Ungeduld  solcher  Patienten,  bieten  zwar  nichts  Unbekanntes,  sind  aber,  wie  die 
Krankengeschichten  I  und  II ,  lesenswerth,  nach  denen  eine  ganz  anfifallige,  bis  zur 
Psychoee  sich  steigernde  CharakterveräDderung  in  dem  schweren  Verlaufe  von  Ober- 
Schenkelbrüchen  auftraten.  Femer  wird  an  die  Reizbarkeit  der  Phthisiker,  das  finstere 
Brüten  der  Krebskranken,  an  die  Bosheit  der  mit  einem  Buckel  behafteten  erinnert. 
—  Die  weiteren  Ausführungen  der  Arbeit  über  die  Charakterveränderungen  im  Ver- 
laufe von  Psychosen  und  Neurosen  sind  meist  dtirte,  enthalten  Bekanntes  und  eignen 
sich  nicht  zum  Referat  Besonders  hervorgehoben  werden  noch  die  Charakterver- 
änderungen, welche  chronische  Störungen  der  Verdauung,  zumal  aber  solche  der 
Hamorgane  zn  begleiten  pflegen. 

Bezüglich  der  Localisation  der  Organe,  welche  auf  die  Aeusserungen  des  Cha- 
rakters Einfinss  haben,  schliesst  sich  Azam  der  Meinung  M.  Luys  an,  welcher  den 
Charakter  als  unabhängig  von  den  eigentlichen  inteliectuellen  Functionen  betrachtet 
wissen  will  und  nicht  abgeneigt  ist,  in  der  Innervation  des  Kleinhirns  einen  Einfluss 
auf  die  Art  und  Weise  des  Thuns  und  Lassens  der  Individuen  zu  erblicken. 

Jehn, 

21)  Note   Biir  une  Usion  grave  du  orAne   döoouverte  sur  la  tdte  d'un 
sapplioU«  par  Hospital.    (Annales  m^dico-psychol.  1885.  Nov.  S.  407.) 

Auf  der  Höhe  des  linken  Seitenwandbeins  eines  ca.  30jährigen  Decapitirten, 
dessen  Kopf  sofort  nach  der  Hinrichtung  untersucht  wnrde,  fand  sich  eine  3 — 4  cm 
lange  Narbe  und  direct  unter  derselben  eine  trichterförmige,  nicht  adh&rente,  einer 
Sch&delimpression  entsprechende  Einziehung  der  Haut.  Diese  entsprach  einer  der- 
artigen Impression  des  Schädels,  dass  die  Delle  die  Kuppe  des  kleinen  Fingers  auf- 
nahm. Die  weitere  Section  ergab  darunter  die  Loslösung  eines  Splitters  der  Tabula 
vitrea  in  der  Grösse  eines  80  Sousstücks.  Dieser  Splitter  war  mit  dem  Cranium  in 
Continuit&t  geblieben,  an  den  Bändern  verklebt  und  trotzdem  die  Wucht  des  offen- 
bar stumpfspitzen  Instruments,  mit  welchem  seinerzeit  der  Schlag  geführt  war,  selbst 
diesen  Splitter  der  Tab.  vitrea  gebeult  hatte,  nicht  zu  einem  Sequester  geworden. 
Unter  dem  Splitter  fand  sich  eine  entsprechende  Verdrängung  der  Himsnbstanz, 
jedoch  ohne  Erweichung  oder  Atrophie. 

Aus  dem  umstand,  dass  der  Hingerichtete  einföltig,  heftig  und  leichtgläubig 
gewesen,  vielfach  an  Schlafsucht  gelitten  und  Qedächtnissdefecte  gezeigt  habe, 
schliesst  Verf.,  dass  man  es  hier  mit  einem  nur  beschränkt  Zurechnungsfähigen  zu 
thnn  gehabt  habe.  Wunderbarer  Weise  sucht  er  diese  Meinung  dadurch  zu  unter- 
stützen, dass  der  Ort,  an  welchem  der  Splitter  die  Himsubstanz  verdrängt  hatte, 
dem  Gairschen  Centrum  für  „Affectionivit^  et  Tattachement  amical''  entspräche! 

Jehn. 

32)  Snr  la  pritendoe  firagilitd  dea  os  ohei  lea  paralytiquea  gfoäraux,  par 
Christian.    (Annales  m^dico-psychol.  1885.  Nov.  S.  412.) 

Verf.  will  die  viel  besprochenen  und  beschriebenen  Bippenbrüche  der  Paralytiker 
m  Frankreich  viel  seltener  bemerkt  haben,  als  dieselben  aus  andern  Ländern,  speciell 
aus  England  und  Deutschland  gemeldet  würden. 

Er  hält  die  Bippenbrüche  für  die  Effecte  äusserer  Gewalt^  wofür  er  die  eng- 
lische Statistik  und  den  Zusammenhang  mit  dem  „Non-restrainf'  sls  Belege  heranzieht. 


—    92    — 

Verf.  seUiesst,  daas  die  allgemerae  Pknüjse  kaneswegs  m  sich  eine  besondere 
Bröfbigkeit  da-  Knochen  bedinge,  mid  dass,  wem  Osteomalacie  im  Yerianfe  einer 
Ptoüjse  erwiesen  werde,  dies  etwas  rein  AccidenteUes  bedeute.  Jehn. 


M)  Da  degri  d'lmporfaee  au  pMnft  de  -wub  da  prcmosfcic  d'on  abaisse- 
meat  BxtximB  de  la  teiupiiataTO  dana  le  ocnm  dee  maladiea  nran.- 
talea,  par  N.  Popoff.    (Arcb.  de  NeoroL  1885.  IT.  8.  354.) 

Ein  Fall  Ton  sabnormaler  Temperator  bei  einer  Geisteskranken  ohne  schlimmen 
Ausgang.  Die  Temperator  sank  übrigens  nicht  anter  34,3^  im  Rectum  und  die 
ganze  Eischeinong  dauerte  nur  3  Tage.  P.  sagt  bdliufig,  dass  er  seit  Anfang  des 
Jahres  in  der  Franenabtheilung  des  Asyls  St  Nicolas  in  St  Petersburg  mit  gutem 
Erfolge  das  absolute  No-Bestraint  durchgeführt  habe.  Siemens. 


Therapie. 

M)  AJtiiationfl  de  la  moUIa  ^Initoa  oanaöee  par  Päongatioa  da  narf 
•oiatiaae,  par  Paoline  Tar nowski.  (Arch.  de  NeoroL  1885.  IX.  S.  289 
u.  X,  8-.  35.) 

Nach  einer  ausfOhrlichen  Angabe  der  Literatur  über  Nerrendehnung  zu  thera- 
peutischen Zwecken,  über  solche  mit  tödtlichem  Ausgang  und  nachfolgender  patho- 
logisch-anatomischer Untersuchung  und  über  experimentelle  Nervendehnung  bei 
Thieren,  aber  ohne  nachfolgende  Rückepmarksuniersucbaüg  wendet  sich  die  Ver- 
fasserin ihrem  eigentlichen  Thema  zu,  nämlich  der  experimentellen  Nervendehnnng 
bei  Thieren  und  deren  Einflüss  auf  das  Rückenmark.  Die  Versuche  sind  an  Kaninchen 
gemacht  und  es  wurde  der  Ischiadicus  als  gemischter  und  leicht  zugänglicher  Nenr 
gew&hH.  Die  Methode  wird  beschrieben.  Die  Kaninchen  er&ugen  den  Eingriff  rer- 
schieden,  je  nach  deV  gelungenen  Ausführung  des  Experiments.  —  Nach  dem  von 
selbst  oder  durch  die  Experimentatrix  erfolgten  Tode  der  Thiere  (les  animaux  sacri- 
flfe)  wurde  der  ganze  gedehnte  Nerv  und  das  Rückenmark  untersucht  und  gehärtet. 
Es  fand  sich: 

Der  Central-Canal  war  durch  ein  plastisches  Exsudat  ausgedehnt.  In  der  grauen 
Substanz,  besonders  den  HinterhOmem,  bestand  Hyperämie  und  capilläre  Hämorrhagien. 
Die  Kerne  der  Neuroglia  waren  gewuchert»  das  Bindegewebe  der  Hinterstränge  der 
operirten  Seite  war  vermehrt  und  mit  Stemzellen  durchsetzt,  die  Nervenr5hren  in 
Folge  dessen  gedrückt  und  z.  Th.  verschwunden.  Auf  der  nicht  operirten  Seite 
waren  die  Hinterstränge  gesund.  Das  Volumen  der  Eünterstränge  ist  je  nach  der 
späteren  Tödtung  der  Thiere  mehr  verringert,  ebenso  zeigt  das  Hinterhom  der  be- 
treffenden Seite  Verschmälerung.  Auch  das  Volumen  der  hinteren  Wurzeln  der 
operirten  Seite  ist  geringer,  die  strahligen  Züge  dünner  und  weniger  zahlreich.  — 
Weiter  sind  die  Nervenzellen  der  Vorderhörner  weniger  zahlreich  auf  der  operirten 
Seite,  sie  sind  blasser,  verlieren  ihre  scharfen  Gontouren  und  einige  verschwinden 
unter  Zurücklassung  eines  leeren  Raumes.  Auch  Vacuolisation,  welche  Verf.  für  ein 
sicheres  Zeichen  der  Degeneration  hält,  findet  sich.  —  Alle  diese  pathologischen 
Veränderungen  finden  sich  vorzugsweise  in  der  Lendenanschwellung,  dem  Lenden- 
und  Sacraltheil,  sie  verschwinden  nach  oben  allmählich.  Nur  bei  starken  Zerrungen 
des  Bückenmarks  fand  man  Capillarhämorrhagien  in  der  grauen  Substanz  des  Hals- 
marks und  Atrophie  der  Vorderhomzellen. 

Diese  für  das  Rückenmark  bedenklichen  Befunde  veranlassen  die  Verfasserin  zo 
der  Warnung  vor  der  Dehnung  des  Ischiadicus  bei  Tabes.  Siemens. 


—    93    — 

25)  Feeding  by  rectum,  by  Jal.  Mi  ekle.  C^^e  Practitioner.  1885.  Dec.  S.  407.) 

Bespricht  die  bekannten  Indicationen   und  Methoden  der  Ernährung  per  rectum 
nnd  erwäbnt»  dass  er  selbst  peptonisirte  Milch  vorzieht.  Siemens. 


26)  lets  over  electriciteit  bij  epilepsie,  door  Dr.  Xaver  Droeze.    (Psychiatr. 
Bladen.  3e  Jaargang.) 

Die  Kranke  hatte  in  der  frühesten  Kindheit  viel  an  Krämpfen  gelitten,  war  aber 
dann  ganz  gesund  gewesen  bis  zum  12.  Jahre,  wo  sie  eine  Pneumonie  durchmachte  mit 
nervösen  Erscheinungen  in  der  Beconvalescenz,  die  aber  nach  vollkommener  Genesung 
sich  wieder  verloren.  Die  Menstruation  war  stets  geregelt,  ohne  jede  Abnormität. 
Danach  war  die  Kranke  gesund,  nur  etwas  nervös.  Im  Alter  von  17  Jahren  stellten 
sich  epileptische  Anfälle  ein,  die  immer  heftiger  wurden  und  allen  Mitteln  trotzten. 
Vom  16.  Jan.  1883  wurde  die  Galvanisation  in  täglich  einer  Sitzung  in  der  Dauer 
von  5  Minuten  angewendet.  Die  breite  Anode  wurde  an  den  Vorderkopf  angebracht 
und  dieser  mit  ihr  bestrichen,  die  ebenfalls  ziemlich  grosse  Kathode  im  Nacken  unter 
der  Protub.  ocdp.  externa  aufgesetzt  und  in  entgegengesetzter  Richtung  von  der 
Anode  verschoben.  —  Diese  Behandlung  wurde  ungefähr  4  Wochen  lang  fortgesetzt 
und  während  dieser  Zeit  trat  kein  Anfall  auf,  während  die  Anfalle  vorher  einen  Tag 
um  den  andern,  manchmal  sogar  wiederholt  an  einem  Tage  aufgetreten  waren.  Jetzt 
wurde  nur  noch  einen  Tag  um  den  andern  galvanisirt.  Nach  kurzer  Zeit  trat  reiz- 
bare Stimmung  auf,  die  sich  zu  Wuthanfallen  steigerte.  Die  elektrische  Behandlung 
wurde  nun  aufgegeben  und  danach  blieben  die  Zufälle  eine  Zeit  lang  weg,  kehrten 
aber  später  wieder,  wenn  auch  seltener  und  weniger  heftig;  die  Pai  blieb  aber 
äusserst  reizbar  und  zommüthig.  Störung  in  den  Functionen  der  Sinnesorgane  waren 
nicht  vorhanden,  die  Untersuchung  der  Genitalien  ergab  nichts  Abnormes.  Der 
psychische  Zustand  der  Kranken  änderte  sich  nur  wenig  und  es  entwickelte  sich 
epileptische  Geistesstörung. 

Nach  X.  D.  ist  es  leicht  möglich,  dass  die  Krämpfe  in  der  Kindheit  ebenfalls 
epileptisch  waren«  so  dass  es  sich  um  recidivirende  Epilepsie  handelte. .  Ferner  weist 
der  Erfolg  der  elektrischen  Behandlung  darauf  hin,  das  eine  corticale  Epilepsie  vor- 
lag. Die  Corticalsubstanz  war  so  viel  als  möglich  unter  dem  Einfluss  der  Anode, 
also  künstlich  in  einem  Zustande  der  verminderten  Beizbarkeit;  die  positive  Modi- 
ficaüon  wurde  durch  allmähliche  Verminderung  der  Elemente  bei  geschlossener  Kette 
aufgehoben.  Das  motorische  und  vasomotorische  Centrum  (Pons  und  Med.  obl.)  standen 
zumeist  unter  dem  Einflüsse  der  Kathode,  die  auch  auf  den  Sympathicus  wirken 
konnte.  Bei  gewöhnlicher  Epilepsie  hätten  die  Anfalle  unter  solchen  Verhältnissen 
zunehmen  müssen,  weil  durch  die  Stellung  der  Pole  die  Beizbarkeit  im  motorischen 
und  vasomotorischen  Centrum  zunehmen  musste.  Auch  der  Umstand,  dass  für  die 
Anfalle  ein  psychisches  Aequivalent  sich  einstellte,  kann  vielleicht  für  die  corticale 
Natur  der  Epilepsie  sprechen.  iSine  Probe,  z.  B.  durch  Umkehren  der  Pole,  zu 
inachen  hielt  X.  D.  sich  nicht  für  berechtigt.  Ob  etwa  das  Aussetzen  der  galvanischen 
Behandlung  den  schliesslich  eingetretenen  Zustand  veranlasste,  lässt  sich  nicht  fest- 
stellen; in  andern  von  X.  D.  in  gleicher  Weise  behandelten  Fällen  folgte  kein 
psychisches  Aequivalent.  X.  D.  räth,  dass  man  bei  galvanischer  Behandlung  Epilep- 
tischer ängstlich  auf  die  Psyche  achten  und  bei  der  geringsten  Veränderung  die 
Behandlung  aussetzen  soll.  Walter  Berger. 


27)  Cooaine  in  dieorders  of  the  nervous  System,  by  Dr.  Jerome  K.  Bauduy. 
(Medical  Times.    1885.   Nr.  1842.) 

Derselbe  sprach  in  einem  Vortrage  vor  der  American  Neurological  Association 
ans,  dass  Cocain  in  den  Körper  gebracht  einen  voUkommenen  Abscheu  vor  Alkohol 


—    94    — 

und  Morphium  erwecke,  so  dass  letztere  gänzlich  und  mit  einem  Mal  ohne  irgend- 
welche Abstinenzschädigung  entzogen  werden  könnten.  Nur  soU  man  das  Mittel  in 
subcutaner  Form  einbringen  und  es  vor  dem  Fat  ebenso  wie  seine  Dosis  geheim- 
halten, weil  sonst  durch  eigenmächtige  Anwendung  desselben  seitens  der  Kranken  ein 
Gocainismus  eintreten  könnte,  der  in  seinen  Wirkungen  weit  schlimmer  sei  als  Alko- 
holismus und  Morphinismus.  Femer  ist  es  ein  promptes  Mittel  bei  dem  hartnäckigen 
Erbrechen  der  Schwängern  und  Hysterischen.  Nichts  könnte  nach  Ansicht  des  Yerf. 
die  gewöhnlichen  hysterischen  Erscheinungen  so  schneU  beseitigen  wie  die  subscutane 
Cocaineinspritzung.  Ebenso  ausgezeichnet  wären  seine  Erfolge  bei  Gehirn-  und  ROcken- 
marksanämien,  bei  Spinalirritation  und  Neurasthenie.  Sehr  wirkungsvoll  sollte  es  im 
Froststadium  des  Intermittensfiebers  sein,  wo  es  mit  einem  Schlage  das  Geffthl  der 
Wärme  zurückbringe,  vor  allem  jedoch  in  den  pemiciösen  Formen. 

Dann  preist  Verf.  es  als  schätzbares  Medicament  bei  Chorea  gravior,  in  der 
Beconvalescenz  von  langen,  erschöpfenden  Krankheiten  und  vor  allem  in  den  Geistes- 
krankheiten, wo  ihm  eine  grosse  Zukunft  bevorstehen  solle.  Hier  seien  es  besonders 
Melancholie,  hysterische  und  hypochondrische  Psychosen,  bei  welchem  das  Cocain 
nutzbringend  angewendet  werden  könnte.  Buhemann. 


Forensische  Psychiatrie. 

28)  Caso  di  parrioidio  in  un  firenastenioo,  pell*  avv.  Aguglia.    (Archivio  di 

psichiatria,  scienze  pen.  ecc.  1885.  VI.  p.  209.) 

Mord  des  Vaters  durch  einen  schwachsinnigen  jungen  Menschen,  der  von  jenem 
immer  schlecht  behandelt  worden  war  und  oft  nicht  einmal  genug  zu  essen  und  zu 
trinken  bekommen  hatte.  Bei  der  Untersuchung  stellte  es  sich  heraus,  dass  der 
hereditär  belastete  Mörder  in  frühester  Jugend  eine  schwere  HimafiTection  —  Meningitis 
oder  Apoplexie  —  überstanden  hatte  und  seitdem  in  der  geistigen  und  körperlichen 
Entwickelung  zurückgeblieben  war.  Er  stotterte,  zeigte  leichte  Lähmungserscheinungen 
der  linken  Körperhälfte  und  eine  aufwende  Asymmetrie  in  der  Grösse  und  Form 
der  linken  Gesichtsseite  gegenüber  der  rechten.  Geistig  war  er  in  hohem  Grade 
schwachsinnig  und  wurde  dabei  von  religiösen  Wahnvorstellungen  beherrscht,  die  mit 
intercurrenten  Gehörshallucinationen  und  anderen  Sinnestäuschungen  in  Verbindung 
zu  stehen  schienen.    Seine  Unzurechnungsföhigkeit  wurde  vom  Gerichtshof  anerkannt. 

Sommer. 

Anstaltswesen. 

29)  Legialation  on  Insanity.    A  oolleotion  of  all  the  lunaoy  laws  of  the 

States  and  territories  of  the  United  States  to  the  year  1888  inolu- 
sive,  also  the  laws  of  England  on  Insanity,  legialation  in  Oanada 
on  private  honses,  and  important  portions  of  the  Innaoy  laws  of 
Gtonnany,  France  eto.,  by  George  L.  Harrison,  LL.  D.  late  President 
of  the  Board  of  public  charities  of  Penn^lvania.  (Privately  printed.  Phila* 
delphia  1884.) 

In  einem  glänzend  ausgestatteten,  nicht  für  den  Buchhandel  bestimmten  und  auf 
eigene  Kosten  herausgegebenen  Bande  von  über  1100  Seiten  bietet  H.  eine  Zusammen- 
stellung der  in  der  üeberschrift  genannten  Irrengesetze.  856  Seiten  sind  den  Irren- 
gesetzen der  verschiedenen  Territorien  der  Vereinigten  Staaten  gewidmet,  die,  wenn 
auch  in  Einzelheiten  europäischen  Lesern  bekannt,  in  dieser  Vollständigkeit  bisher 
überall  nicht  zugänglich  waren.  Das  Hauptinteresse  derselben  knüpft  sich  an  die 
mehr  oder  weniger  weitgehende  Betheiligung  des  Laienelementes  an  der  Durchführung 
der  irrengesetzlichen  Vorschriften,  welche  auch  H.  als  IHchtarzt  in  einer  weitläufigen 


—    95    — 

Vorrede  eingehend  moÜTirt;  die  fOr  eine  riclitige  Benrtheilang  viel  zu  kurz  mitge- 
theilten  Falle  von  Freiheitsberaubung  angeblich  Geistesgesunder  dürften  hierl&ndische 
Fkclunanner  kaom  überzeugen. 

Wie  immer  man  auch  über  diese  und  andere  controyerse  Fragen  denken  mag, 
die  hochherzige  Gabe  des  Herausgebers  darf  allseitigen  Dankes  gewiss  sein. 

A.  Pick. 

ao)  The  TuBftTie  in  the  United  States,   by  D.  Hack  Tuke.    (Joum.  of  mental 
science.  1885.  April.) 

T.  hat  eine  grosse  Reise  durch  die  canadischen  und  amerikanischen  Irrenanstalten 
gemacht,  über  die  er  eine  eingehende  Schilderung  giebt.  Im  Ganzen  ist  Verf.  mit 
den  gewonnenen  Eindrücken  sehr  zufrieden,  die  Leitung  der  Anstalten  und  die  Kranken- 
bebandlung  ist  mit  wenigen  Ausnahmen  vorzüglich,  der  Westen  und  Süden  der  Ver- 
einigten Staaten  ist  entschieden  gegenüber  den  Fortschritten  des  Nordens  zurück- 
geblieben. 

AnfEallend  ist,  in  wie  vielen  Fällen  noch  Bestraint  angewendet  wurde,  nach  den 
Zählungen  waren  40992  Patienten  untergebracht,  von  denen  2242  oder  5,4  ^/^  unter 
Restraint  waren,  und  zwar  waren  notirt: 


Zwangsjacke  .    . 

887  Mal. 

Maffs  .... 

626     „ 

Zirangsstobl  .    . 

439     „ 

Handschellen 

147     „ 

Kugel  und  Kette 

21     ., 

Krippbetten  .    . 

111      „ 

Andere  Formen  von  Bestraint  111  Mal. 

T.  giebt  an,  dass  er  die  Anwendung  der  Krippbetten  als  zu  niedrig  angegeben 
glaube,  ihre  Anwendung  sei  so  bequem,  der  Gebrauch  der  Glieder  sei  unbeschränkt, 
daher  die  Verführung  gross,  auch  ohne  zwingende  Noth  sie  anzuwenden,  obwohl  der 
Anblick  an  ein  Thier  im  K&fig  erinnert.  In  einer  Anstalt  fand  T.  50  Krippbetten 
in  Gebrauch,  hauptsächlich  zum  Schutz  gegen  Selbstverstünunelung.  —  Durch  Sui- 
cidium  gingen  1  ^/^  der  Gestorbenen  zu  Grunde,  während  unter  allen  Aufnahmen 
15— 25^/o  Neigung  zum  Suicidium  zeigen.  Die  Schutzmaassregeln  gegen  Suicid 
sind  verschieden.  Oft  kommen  die  Patienten  für  die  Nacht  unter  Bestraint,  oder 
eine  specielle  Wache  wird  ihnen  beigegeben. 

In  einem  Asyl  sind  weibliche  Aerzte  für  die  Frauenabtheilung  angestellt,  sie 
haben  die  Aufgabe,  alle  Patienten  auf  Erkrankungen  der  Geburtsorgane  zu  unter- 
suchen, dass  aber  durch  stricte  Behandlung  der  Uterinleiden  ein  wesentlicher  Fort- 
schritt in  der  Besserung  der  Psychosen  erreicht  sei,  wird  absolut  verneint. 

Aus  der  Gesetzgebung  für  die  Irren  ist  die  schreckliche  Bestimmung  des  Staates 
Illinois  zu  erwähnen,  nach  welcher  kein  Kranker  der  Anstalt  zugeführt  werden  darf, 
der  nicht  vorher  einer  öffentlichen  Exploration  vor  Gericht  unterworfen  ist,  durch 
welche  das  Bestehen  der  geistigen  Erkrankung  constatirt  wurde.  Die  Staatsaufsicht 
über  die  Anstalten  ist  verschieden  organisirt^  mehr  und  mehr  wird  den  Armen-Com- 
missionen  die  Aufsicht  übergeben.  Erwähnt  sei  noch,  dass  in  den  Staaten  55  7q 
der  Geisteskranken  noch  nicht  versorgt  sind.  Zander. 


m.  Ans  den  GtosellscliafteiL 

Soci^t^  de  Biologie  de  Paris.    Sitzung  vom  1.  März  1886. 

Brown-S^quard:  Zur  Frage  der  trophisohen  Nerven.  B.-S.  hat  früher 
behauptet»  dass  niemals  eine  einfache  Durchsclmeidung  eines  Nerven  (resp.  die  Auf- 


—    96    — 

hebung  der  Thäügkeit  eines  Nerven  nach  einer  Erkrankung  des  Nervensystems)   an 
sich  eine  trophische  Störung  zur  Folge  hätte. 

Das  will  B.'S.  jetzt  nicht  mehr  vertreten;  aber  er  bleibt  dabei,  dass  die  äusseren 
Schädlichkeiten,  Traumen,  welche  den  betreffenden  Theil  treffen,  oft  eine  bestimmende 
Bolle  bei  den  sie  ergreifenden  trophischen  Störungen  spielen.  —  So  ist  die  schwere 
Ernährungsstörung  der  Pfote  des  Meerschweinchens  bekannt,  welche  eintritt  nach 
Durchschneidung  des  Ischiadicus.  Sie  kommt  aber  nur  dadurch  zu  stände,  dass  das 
epileptisch  gewordene  Thier  in  den  Anfällen  sich  in  die  Pfote  beisst  Macht  man 
bei  solchem  Thiere  noch  eine  einseitige  Durchschneidung  des  Bückenmarks  im  Dorsal- 
theile,  so  kann  das  Thier  die  Pfote  in  den  ErampfanfäUen  nicht  mehr  zum  Munde 
führen,  und  die  schwere  Ernährungsstörung  tritt  nicht  ein.  Hadlich. 


IV. 

Delirium  tremens  and  Delirium  traumatioum,  von  Prof.  Dr.  Böse.  Deutsclie 
Chirurgie,  herausgegeben  von  Billroth  und  Lficke.  (liieferung  7.  Stutt- 
gart, Enke,  1885.) 

Wenn  auch  die  vorliegende  monographische  Bearbeitung  des  Delirium  tremens 
speciell  für  die  Chirurgen  und  mit  Bücksicht  auf  den  Ausbruch  der  Krankheit  bei 
Verletzungen  bestimmt  ist,  so  bietet  sie  doch  auch  dem  Neuropathologen,  speciell 
dem  Psychiater  durch  genaueres  Eingehen  auf  die  psychischen  Erscheinungen  (die 
Hallucinationen,  Illusionen,  Delirien  etc.),  wie  auf  die  übrigen  Symptome  seitens  des 
Nervensystems  (Paresen,  Anästhesien,  Hyperästhesien,  Convulsionen  etc.)  bei  dem  Del. 
tremens  eine  Beihe  werthvoller  Beobachtungen  aus  des  Verfassers  reichen  Erfahrungen. 
Durch  die  klare  und  gefällige  Sprache,  durch  die  zahlreichen  praktischen  Winke,  die 
besonders  auch  in  der  Therapie  gegeben  werden,  empfiehlt  sich  das  Buch  auch  für 
Jeden,  der  Delirium  tremens  zu  behandeln  hat  Die  Ausstattung  ist  entsprechend 
der  Bedeutung  der  Mitarbeiter  an  dieser  „deutschen  Chirurgie''  eine  gute.     M. 


V.  Personalien. 

Unser  verehrter  Mitarbeiter  Herr  Prof.  Strümpell  hat  den  an  ihm  ergangenen 
Buf  als  Prof.  ord.  und  Director  der  med.  Klinik  in  Erlangen  angenommen. 


Am  30.  Januar  starb  zu  Halle  a./S.  nach  langem  Leiden  der  Assistenzarzt  an 
der  dortigen  Irrenanstalt,  Herr  Dr.  Oscar  Brückner.  So  lange  er  gesund  war, 
konnte  auch  diese  Zeitschrift  ihn  zu  ihrem  thätigen  Mitarbeiter  zählen. 


In  London  ist  auf  Anregung  von  Dr.  A.  de  Watte ville  eine  neurologische  (Ge- 
sellschaft gegründet  worden.  Hughlings  Jackson  wurde  zum  Präsidenten,  Wilks 
und  Crichton  Browne  zu  Vicepräsidenten,  Bennett  und  de  Watteville  zu 
Secretären  gewählt. 

Um  Einsendung  von  Separatabdrücken  an  den  Herausgeber  wird  gebeten. 

Einsendungen  fOr  die  Bedaotion  sind  zu  richten  an  Prof.  Dr.  E.Mendel, 

Berlin,  NW.   Eronprinzen-Üfer  7. 


Verlag  von  Vbit  &  Comp,  in  Leipzig.  —  Druck  von  Mbtzobb  &  WtTrie  in  Leipzig. 


Seürologisches  Centr  ALBUn. 

Uebersicht  der  Leistungen  auf  dem  Gebiete  der  Anatomie,  Physiologie,  Pathologie 
und  Therapie  des  Nervensystemes  einschliesslich  der  Geisteskrankheiten. 

HeraoB^egeben  Ton 

Professor  Dr.  E.  Mendel 
Ffaifter  »» B«riin.  Jakrgang. 

KonAtlieh  erMheinen  zwei  Nammern.   Preis  des  Jahrganges  16  Mark.   Zu  beziehen  dnreh 
ille  Bnchhandlimgen  des  In-  nnd  Auslandes,  die  Postanstalten  des  Deutschen  Beichs»  sowie 

direct  von  der  Verlagsbuchhandlung. 

» 

1886.  1.  März.  M  5. 

Inhalt.  I.  Origlnalmlttheilungen.  1.  Bemerkungen  über  die  antero-laterale  aufsteigende 
Degeneration  im  Rückenmark,  von  W.  R.  Gowere.  2.  Einige  Bemerkungen  über  den  Faser- 
Terlauf  in  der  hinteren  Commissur  des  Gehirns,  von  Dr.  U  Darktchewltich.  8.  Zur  Wirkung 
des  ürefchan,  Ton  Dr.  Emil  Kraepelin. 

II.  Raf«rate.    Anatomie.    1.  Die  Stützsubstanz  des  Centralnenrensystems,  von  Glerfce. 

"  Experimentelle  Physiologie.    2.  Becherches  exp^rimentales  sur  les  conditions  de 

l'actiTite  oMbrale  et  sur  la  physioloffie  des  nerÜB,  par  Beaunit.  8.  De  la  nutrition  du  systdme 

nerTeux  a  Petat  phvsiologique  et  patnologique,  par  Malrat    4.  Einfluss  geistiger  Arbeit  auf 

denUmsatz  von  Stickstoff  und  Phosphorsäure,  von  Raspopow.  —  Pathologische  Anatomie. 

5.  Centrale  Qliose  des  Bückenmarks  mit  Syringomyelie,  von  Schultze.  —  Pathologie  des 

Nervensystems.    6.  Himsyphilis,  von  Gerhardt    7.  Syphilitische  Hemiplegie,  von  Althaus. 

8.  Cerebral  affektion  beroendia  pä  hereditär  arfilis,  af  Pipping.    9.  La  malat&a  di  Friedreich, 

del  Vizloli.    10.  Des  pseudo-tabes,  par  Leval-PIcquochef.    11.  Morbus  Addisonii  mit  besonderer 

Berücksiohtigang  der  eijfenüiümlii^en  abnormen  Pigmentation  der  Haut,  von  Lewln.    12.  Halb- 

Mitige  progressive  Qesichstsatrophie,  von  Roshdestwenski.  —  Psychiatrie.    18.  Pathologie 

des  Qeoäehtnisses,  von  Pick.     14.  Studii  sulla  peptonuria  negh  alienati,   per  Maccabruni. 

15.  Allgemeine  Pandvse  der  Irren,  von  Nasse.    16.  Caae  in  which  haematuria  and  appea- 

nmces  as  of  severe  bruises  occnrred  spontaneously  in  the  curse  of  an  attack  of  maniacal 

ezdtement  and  in  which  after  death  there  was  found  tobe  extensive  internal  haemorrhagic 

paehymemngitis,  by  Savage.    17.  On  unusually  heavy  brain  in  a  general  paralytic,  by  Dowall. 

18.  Tabes  mit  Paranoia  und  terminaler  Paralyse,  von  Sommer.  —  Therai)ie.    19.  Counter 

imtation  in  ^neral  paralysis,  by  Davies.    20.  Influenza  di  alcune  applicazioni  idroterapiche 

Biüla  circolazione  cerebrale  nell'uomo,  dei  INusso  e  Bergesio. 

lil.  Aus  den  Gesellschaften. 

IV.  Mittfceilung  an  den  Herausgeber. 

V.  Vermischtes. 


I.  Originalmittheilungen. 

1.  Bemerkungen  über  die  antero-laterale  aufsteigende 

Degeneration  im  Rückenmark. 

Von  W.  B.  Gowers,  M.  D.  in  London. 

In  der  ersten  Ausgabe  meines  Buches  über  die  „Diagnose  der  Bückenmarks- 
kiankheiten^S  welches  1880  erschien,  erwähnte  ich  und  bildete  ich  eine  secundäre 


aufsteigende  Degeneration  in  den  Seitenstrftngen,  vor  tler  Pyramidenaeitenstraiig- 
babn,  ab,  welche  eisten  dnrch  die  donalen  and  cervicalen  Qegenden  des 
B&clcenmarkB  als  ein  bestimmter,  wohl  maikirter  Zog  von  Fasem  rerfolgt 
weiden  konnte. 

Ich  Termuthete,  dass  dies  der  Strang  sein  müsste,  in  welchem,  wie  Wo- 
BOSCBHiOFF  fand,  gewisse  Empfindungen  durch  die  Sdtensttänge  geleitet  verdeiL 
In  dem  NeoroL  GtxlbL  1885.  S.  155  ist  ein  Bericht  fiber  die  interessante 
Beobachtong  von  Bbohtbbsw,  dass  eine  gesonderte  Entwickelnng  dnes  Nerven- 
faseizuges  existiit,  welche  genau  in  der  Lage  äbereinatimmt  mit  jenem,  den  ich 
beschrieb  und  der  unzweifelhaft  derselbe  ist. 

Degeneration  an  dieser  Stelle  wnrde  von  mehreren 
Beobachtern  vor  nnd  seit  meiner  Mittheüung  ab^büdet, 
V  aber  sie  haben  nicht  die  Bedeatang  dsrselben  als  eines 
I  bestimmten  Zuges  aufsteigender  Degeneration  erkannt 
Dass  es  sich  so  verhält,  ist  nicht  zweifelhaft.     Ich 
habe  es  in  einem  andern  Falle  von  seonndärer  Degene- 
ration gesehen  und  es  ist  sehr  deatlioh  in  Iheilen  eines 
ähnlichen  Falles ,  der  mir  neuerdings  von  Dr.  Howabd 
TooTH  gezeigt  wurde.  loh  habe  es  auch  in  zwei  Fällen 
von  Tabes  ebenso  bestimmt  gesehen. 

Die  beigefikgten  Abbildungen  zeigen,  wenn  aach 
etwas  roh,  die  Degeneration  in  dem  ersten  Falle,  in  dem 
ich  sie  fand.  Einige  Details  werden  von  Interesse  sein, 
da  der  Fall  in  Deutschland  nicht  bekannt  geworden  zu 
sein  scheint 

Das  Bflckenmark  war  an  dem  oberen  Theile  der 
Lendenanschwellang  durch  einen  Bruch  mit  Dislocation 
der  Wirbelsäule  gequetscht 

Man  kann  sehen,  dass  die  Degeneration  am  inten- 
sivsten, d.  h.  der  Strang  am  dicksten  ist,  nach  vom  von 
der  Verbindung  der  Fyramidenseitenstrang'  und  der 
directen  Eleinhimseitenstrangbahn,  dass  er  sich  ausdehnt, 
nach  innen  eine  kurze  Strecke  vor  der  Pyiamidenaeiteii- 
strangbahn,  nach  aussen  erreicht  er  die  Oberfläche  des 
Rückenmarks  -  nach  vom  von  der  Eleinhimsatenstrangbahn,  welche  in  diesem 
Rückenmark  frei  von  jeder  D^neration  ist,  da  die  Verletzung  gerade  unterhalb 
ihres  Ursprungs  stattgefunden  hat 

Die  Degeneration  erstreckt  sich  nach  vorwärts  entlang  der  Peripherie  des 
Rückenmarks,  immer  begrenzter  werdend,  und  kann  bis  zur  Gegend  der  Pyrs- 
midenvorderstrangbahn  verfolgt  werden,  wo  sie  plötzlich  aufhört 

Dies  ist  nicht  gut  in  der  Abbildung  zu  sehen.  Bechtebew  konnte  den 
Strang  jenseits  der  vorderen  Wurzeln  nicht  verfolgen,  wahrscheinlioh  weil  er  zu 
dünn  an  deren  innem  Seite  wurde. 

Die  Degeneration  war  am  intensivsten  in  der  unl«m  DoTsalgtgend,  und 


—    99    — 

schien  sieb  zu  verdäniieDy  um  so  za  sagen,  mit  der  Ausdehnung  nach  oben, 
wafaisdiejxilieh  indem  gesunde  F^m  von  derselben  Function  aus  hoher  gelegenen 
Theilen  des  Körpers  hinzutraten;  oberhalb  des  obem  Theils  der  Gervicalanschwel- 
lung  konnte  der  Strang  nicht  weiter  verfolgt  werden.  Der  Patient  lebte  9  Monate 
nach  der  Verletzung  mit  Tollständiger  Paraplegie;  das  Oefohl  war  an  den  Beinen 
für  einige  Monate  yerloren,  aber  es  kehrte  ein  wenig  zurück,  sowohl  das  Be- 
rährongs-,  als  das  Schmerzgefühl,  mit  Ausnahme  des  linken  Beins  unterhalb 
des  EnieSy  wo  es  absolut  Terloren  blieb. 

In  manchen  FSQen,  in  welchen  D^neration  an  dieser  Stelle  gesehen 
wmde,  ist^  wie  Beohtebew  bemerkt,  augenscheinlich  dieselbe  für  Degeneration 
der  directen  Eleinhimseitenstrangbahn  gehalten  worden  und  in  andern  wurde 
die  peripherische  D^neration  fär  eine  oberflächliche  Myelitis  gehalten.  Das 
Aofhoren  der  Degeneration  an  dem  Pyramidenvorderstrang  unterscheidet  sie 
von  dner  entzündlichen  Veränderung. 


2.   Einige  Bemerkungen  über  den  Faserverlauf  in  der 

hinteren  Commissur  des  Gehirns. 

Von  Dr.  L.  Darkaohewitsch  aus  Moskau. 

Bei  der  Untersuchung  des  oberen  Vierhügels  menschlicher  Föten  an  Quer- 
schnitten, die  mit  Hämatoxylin  nach  der  alten  WsiaEBT'schen  Methode^  gefärbt 
waien,  konnte  ich  mich  überzeugen,'  dass  die  hintere  Oehimconmüssur  in  zwei 
Abtheilungen  zerlegt  werden  muss:  eine  ventrale  und  eine  dorsale. 

Den  Verlauf  der  Fasern  des  ventralen  Theiles  der  hinteren  Commissur  zu 
verfolgen  ist  nicht  besonders  schwierig,  weil  die  betreffenden  Fasern  scharf  aus 
der  Masse  der  übrigen  Fasern  durch  ihr  starkes  Galiber  hervortreten.  Die  bei- 
gegebene Abbildung  (Fig.  I)  steUt  ein  Präparat  dar,  an  welchem  deutlich  zu 
sehen  ist,  dass  der  ventrale  Theil  der  hinteren  Cionmiissur  (Fig.  I,  11)  Fasern 
fahrt,  welche  zum  Theil  aus  dem  oberen  Oculomotoriuskerne  (Fig.  I,  10)  ihren 
Anfang  nehmen,  zum  Theil  eine  direote  Fortsetzung  der  Fasern  des  hinteren 
Längsbündels  (Fig.  I,  9)  ausmachen.  Indem  diese  Fasern  immer  in  au&teigen- 
der  Richtung  verlaufen,  biegen  sie  allmählich  von  der  Seite  um  den  Gentral- 
canal  herum  und  gehen  nach  hinten  von  demselben  eine  Kreuzung  (?)  mit  der 
ventralen  Faserpartie  der  hinteren  Ciommissur  der  entgegengesetzten  Seite  ein, 
worauf  sie  sich  (?)  in  der  Glandula  pinealis  verlieren.    Ohne  Zweifel  entspricht 


^  FoitMbritte  det  Medioin.  1884.  15.  M&rz. 

*  TgL  Nenrolog.  CeDtralbl.  1S85.  Nr.  5:  „Ueber  die  hinteie  Gommissnr  dea  Ctohims." 
Bei  dieser  Gelegenheit  machen  wir  auf  einen  Irrthom  aoftnerkeam,  der  eich  S.  101  Z.  3  ▼.  o. 
ebgeeehlichen  hat;  der  Satz  ;,&nfniuih  wohl  'eine  wirkliche  Ci*ronu6ear",  ist  daselbst  zu 
itraelien.  -•       *  -    -       s-  -        *•..., 


-      100    — 

dieses  Faseisystem  demjenigen,  welches  Pawlowsky  ^  ans  der  Glandula  pinealis 
nach  nnten  in  die  B^on  der  Hanbe  zu  verfolgen  Termochte  nnd  als  „erste 
Gmppe  der  Fasern  der  hinteren  Gonunissor^'  bezeichnet 

Ungleich  schwieriger  ist  es  nach  Präparaten  menschlicher  Föten  darüber 
ein  ürtheil  zu  fallen,  welches  der  Verlauf  der  Fasern  des  dorsalen  Theiles  der 
hinteren  Gommissur  sein  dürfte.    Das  Bild,  welches  Querschnitte  menschlicher 

Fig.  1.    (Menschlicher  Fötofi.) 
IS  ± 


1.  Oberer  Vierhügel.   2.  Sehhügel.   2  a.  Innerer  Eniehöoker.   3.  MitUeree  Mark.   4.  Faeem  aos 

dem  mittleren  Mark.   5.  Pyramidenbahn.   6.  Himschenkelfoss.   7.  Bother  Kern.   8.  MBnrxBT*- 

Bchee  BündeL    9.  Hinteres  Langsbündel.    10.  Oberer  Oculomotoriuskem.    11.  Ventraler  Theil 

der  hinteren  Commissor.    12.  Tiefliegendes  Mark.    18.  Dessen  gekreuzte  Fasern. 


Gehirne,  an  welchen  diese  Fasern  schon  markhaltig  sind,  darbieten,  ist  so  ver- 
wickelt, dass  es  äusserst  schwer  hält  genau  anzugeben,  wo  die  dorsale  Faser- 
partie der  hinteren  Cionmiissur  entsteht  und  wohin  sie  zieht;  an  Oehimen,  wo 
die  Fasern  aber  noch  marklos  sind,  sind  dieselben  zu  blass  und  zart,  sie  um  mit 
Sicherheit  auf  weite  Strecken  verfolgen  zu  können.  Aus  diesem  Grunde  fertigte 
ich  eine  ununterbrochene  Beihe  von  Querschnitten  durch  das  Hirn  eines  er- 
wachsenen Kaninchens  an,  wobei  ich  auch  hier  dieselbe  Färbungsmethode 
beibehielt,  und  verglich  beide  Präparatenserien  unter  einander. 

Fig.  n  vergegenwärtigt  einen  durch  das  Eaninchenhirn  in  der  Weise  ge- 
führten Schnitt,  dass  die  dorsale  Partie  desselben  mit  der  Grenze  zwischen  dem 


^  „üeber  den  ^s6er^r!anf  in  dervhjnijerep  Grehinoommissar.''    Zeitsehr.  f.  w.  Zoologie. 
1874.  Bd.  24.  S.  285. «  -       •    .  - 


—    101     — 

forderen  nnd  mittleren  Dritttheile  des  oberen  Yierh&geU  zaBammen^t^  die 
Tentiale  mit  der  dorsalen  Hälfte  des  ChiaBma  Nervomin  optioomm.  Hier  sowie 
an  Präparaten  des  mensohlichen  Fötus  scheiden  sich  die  Fasern,  die  nacb  hinten 
rom  Gentraloanale  Teilsnfen,  scharf  in  zwei  Orappen:  eine  ventrale  und  eine 
dorsala  Der  ventrale  Theil  (Fig.  II,  8}  fährt  Fasern,  die  ungleich  Btärker  sind, 
als  alle  übr^n  und  dabei  eher  einen  verticalen  als  horizontalen  Verlauf  zeigen. 
Verfolgt  man  eine  Beihe  von  Sdmitten  in  der  Bichtnng  nach  oben  (nach  vom), 
90  ist  es  nicht  schwer  sich  zu  äbeizeogeti,  dass  die  Fasern  dieses  Theiles  eben- 
falls in  (?)  der  Glandtila  pinealie  ihi  Ende  finden  nnd  demnach  vollkommen  den 
Fasern  des  ventraleD  Theiles  der  hinteren  Commissar  mensdilicher  Föten  ent- 
sprechen. 

Fig.  n.    (ElrwMihBeiiea  Eaninohen.) 


1.  Fuern,  die  nftoh  der  Hinuinde  Eiehen. 

a.  MitUetM  Huk. 

S,  OberflftohlialieB  Hark. 

1.  FaHTn    dea   mittleren    Hukea    tat    dea 

W^  nach  der  Himrinde. 
5.  Tnotu  optieoB. 
8.  HinuchenkelfoBB. 

7.  Centnloanal. 

8.  Tentiskr  Theil  der  hinteren  CommiBanr. 

9.  Donaler  Th^  der  hlDteren  CommiMnr. 
bez.  die  krenzenden  Fuern  dea  sog.  tief* 
Uegendeo  Hwkei, 


Der  dorsale  Theil  der  in  Bede  stehenden  Fasern  (Fig.  n,  9),  der  dem 
dorsalen  Theile  der  hinteren  Gommissnr  menschlicher  Föten  entsprechen  mnss, 
erscheint  hier  sehr  stark  entwickelt  Nach  stattgehabter  Kreuzung  hinter  dem 
Centialcanale  ziehen  die  Fasern  dieses  Theiles  nach  aussen  und  b^ben  sich  in 
den  Bezirk  querdorchsohnittener  Fasern  (Fig.  n,  2),  die  nidits  anderes  vor- 
stellen, als  das  sog.  mittlere  Itlark  des  oberen  Yierhägels.  Hat  man  eine  im- 
unterbrochene  Beihe  von  Schnitten  vor  moh  und  verfolgt  an  denselben  daa  sog. 
mittlere  Mark  in  der  Biditung  nach  oben  (nach  vom),  so  kann  man  sich  leicht 
davon  übeizeagen,  dass  letzteres  in  seinem  Umfange  allm&hlich  abnimmt  in  dem 
Uaasse,  als  es  immer  mehr  and  mehr  Fasern  abgiebt,  die  (F^.  II,  4)  in  der  Ebene 
des  Sdmittes  in  der  Bichtang  nach  dem  Himschenkelfuss  verlaufen.  An  Schnitten 
aus  einer  mehr  nach  vom  gelegenen  Begion  als  die,  der  nnser  Präparat  ent- 
nommen, ist  es  leicht,  aadi  den  weiteren  Verlauf  dieser  Fasern  m  verfolgen 
tmd  dabei  gelingt  es  ganz  deutlich  zn  sehen,  wie  dieselben  durch  die  Capsula 
interna  in  die  Hasse  der  Stabkranzfosem  eintreten.    Unserer  Meinung  nach 


—     102    — 

sind  das  die  Fasern,  durch  deren  Atrophie  im  GANSEB'soheu  Falle ^  das  Ver- 
schwinden des  mittleren  Markes  des  oberen  Yierhügels  bedingt  war. 

Nachdem  man  sich  überzeugt  hat,  dass  die  Fasern  des  dorsalen  Theiles 
der  hinteren  CommiBSur  nach  erfolgter  Kreuzung  hinter  dem  Gentralcanale  der 
Rinde  sich  zuwenden,  ist  es  nicht  schwer  die  Frage  zu  entscheiden,  wo  dieselben 
vor  ihrer  Kreuzung  verlaufen.  An  Präparaten  aus  der  hinteren  Partie  des 
oberen  Yierhügels  lässt  sich  ohne  Mühe  sehen,  dass  in  die  Kreuzung  hinter 
dem  Gentralcanale  die  Fasern  des  sog.  tiefliegenden  Markes  des  oberen  Yier- 
hügels eingehen,  mit  anderen  Worten,  die  Fasern  des  dorsalen  Theiles  der  hin- 
teren Gommissur  reprasentiren  nichts  anderes,  als  die  kreuzenden  Fasern  des 
tiefliegenden  Markes. 

Wenn  man  an  solchem  Faserverlauf  im  Kaninchenhime  festhält,  so  ver- 
mag man  bald  auch  über  das  Bild  klar  zu  werden,  das  uns  ein  Präparat  aus 
dem  menschlichen  Fötus  darbietet  Hart  hinter  den  Fasern  des  ventralen 
Theiles  der  hinteren  Gommissur  liegen  die  ungekreuzten  Fasern  des  tiefliegen- 
den Markes  (Fig.  I,  12),  mehr  dorsal  sind  die  gekreuzten  Fasern  des  näm- 
lichen tiefliegenden  Markes  gelagert  (Fig.  I,  13)  und  mehr  nach  aussen  —  der 
Bezirk  der  querdurchschnittenen  Fasern  (Fig.  I,  3),  der  dem  mittieren  Marke 
des  oberen  Yierhügels  beim  Kaninchen  entspricht;  die  Fasern  (Fig.  I,  4),  welche 
aus  diesem  Bezirke  hervorgehen,  sind  die  gekreuzten  Fasern  des  tiefli^enden 
Markes  des  oberen  Yierhügels  auf  ihrem  Wege  nach  der  Hirnrinde  hin« 

Demnach  erhalten  wir  in  der  hinteren  Gommissur  des  Gehirns  zwei  ganz 
verschiedene  Fasersysteme,  die  mit  einander  nichts  zu  thun  haben:  einen  ven- 
tralen und  einen  dorsalen  Theil.  Der  erstere,  der  ventrale,  schliesst  in  sich  die 
Fasern  ein,  die  von  (?)  der  Glandula  pinealis  nach  dem  oberen  Oculomotoriuskeme 
und  im  hinteren  Längsbündel  verlaufen,  der  letztere,  der  dorsale,  repräsentirt 
die  Fasern  des  tiefliegenden  Markes  des  oberen  Yierhügels,  die  nach  stattgehabter 
Kreuzung  hinter  dem  Gentralcanale  nach  der  Hirnrinde  sich  hieben. 

An  dem  in  Fig.  U  abgebildeten  Präparate  kann  man  sehen,  wie  aus  der 
Yierhügelrinde,  aus  deren  mittieren  Partie,  Längsfasem  abzugehen  beginnen 
(Fig.  n,  1);  an  Schnitten  aus  der  mehr  nach  vom  (nach  oben)  gelegenen  Re- 
gion sind  diese  Fasern  in  ihrer  ganzen  Ausdehnung  zu  sehen,  und  dabei  stellt  es 
sich  heraus,  dass  dieselben  nach  der  inneren  K!apsel  der  entsprechenden  Seite  ihren 
Weg  einschlagen,  wie  dies  auf  der  in  Nr.  11  (1885)  dieses  Blattes  angefährtt^n 
Abbildung  dargestellt  ist'  Wir  bleiben  bei  diesem  Punkte  stehen,  um  auf  den 
Unterschied  und  die  wechselseitige  Beziehung  zwischen  diesen  Fasern  und  den 
Fasern  des  tiefliegenden  Markes  des  Yierhügels  aufmerksam  zu  machen.  Die 
einen  sowohl  als  die  anderen  entspringen  aus  der  Grosshimrinde  und  ver- 
laufen in  der  Richtung  nach  dem  Yierhügel,  die  ersteren  liegen  aber  mehr 
nach  vom  und  endigen  in  der  grauen  Substanz  der  Yierhügelrinde  derselben 


'  „Ueber  die  periphere  und  oeDtrale  Anordnung  der  Sehnervenfuem  eto."    Archir  fnr 
Psychiatrie.  iaS2.  Bd.  XIU.  S.  878. 

'  fJLwr  Anatomie  des  Corpas  qaadrigeminom." 


—     103    — 

Seite  (erstes  Glied  des  MsrnEBT'schen  Piojectionssystemes),  während  die  letzteren 
dieselbe  nur  passiren,  um  in  das  tiefliegende  Mark  des  Yierhfigels  der  entgegen- 
gesetzten Seite  überzugehen. 


3.   Zur  Wirkung  des  ürethan. 

Von  Dr.  Emil  S[raepelin. 

Das  Uretban,  der  Aethyläther  der  Carbaminsaore,  ist  bekanntlich  von 
ScHHiKDBBBBG  auf  Grond  physiologischer  Versuche  als  Hypnoticum  empfohlen 
und  seitdem  von  Jolly,  y.  Jaksch  und  Stickeb^  an  Ejranken  geprüft  worden. 
Da  die  bisherigen  Mittheilungen  im  Wesentlichen  günstig  lauteten,  habe  ich 
ebenfalls  das  Mittel  in  einer  grösseren  Zahl  von  Fällen,  zumeist  bei  Geistes- 
kranken, in  Anwendung  gezogen.  Meine  Versuche  umfassen  gegen  200  Einzel- 
gaben, die  sich  über  34  verschiedene  ErankheitsfUle  erstrecken.  Die  Dosis  des 
Medicaments  schwankte  im  Allgemeinen  zwischen  1—3  gr;  nur  je  einmal  wurden 
4  und  5  gr  gegeben.  Vor  Allem  verdient  bestätigt  zu  werden,  dass' niemals 
eine  unangenehme  Neben-  oder  Folgewirkung  des  Mittels  beobachtet  wurde; 
weder  von  Seite  des  Herzens,  noch  von  deijenigen  des  Nervensystems  machten 
sich  irgend  welche  bedrohliohen  Erscheinungen  geltend.  Die  eine  der  erwähnten 
grossen  Gaben  rief  bei  einem  an  Magenkatarrh  leidenden  Trinker  Erbrechen 
hervor;  Beeinträchtigung  des  Appetites  habe  ich  indessen  trotz  mehrere  Wochen 
lang  fortgesetzter  Anwendung  des  Mittels  niemals  gesehen. 

Die  eigentliche  Wirkung  des  TJrethan  ist  eine  wesentlich  hypnotische.  Der 
Einverleibung  des  Mittels  folgt  nach  10 — 15  Minuten  ein  zumeist  vielstündiger, 
ruhiger  Schlaf,  aus  dem  die  Kranken  ohne  jede  Eingenonmienheit  des  Kopfes 
erwachen.  Wird  dieser  Schlaf  durch  irgend  welche  äussere  Ursachen  unter- 
brochen, so  setzt  sich  die  Wirkung  des  Mittels  nach  Beseitigung  der  Störung 
gewöhnlich  weiter  fort;  die  Kranken  schlafen  wieder  ein.  Die  Ausgiebigkeit  und 
Sicherheit  dieses  Erfolges  hängt  natürlich  in  erster  Linie  von  der  Ursache  der 
Schlaflosigkeit»  in  zweiter  von  der  Dosirung  des  Medikamentes  ab.  Das  Urethan 
wirkt  nicht  sehr  energisch;  bei  sehr  lebhaften  Aufr^ungszuständen  versagt  es 
meist  vollkommen  und  steht  hier  dem  Paraldehyd  weit  nach.  Speciell  im  De- 
lirium tremens  sah  ich  nicht  den  von  Stickeb  erwarteten  Erfolg.  Vielleicht 
kann  man  indessen  hier  in  der  Gabe  noch  höher  gehen,  als  ich  bisher  wagen 
zu  dürfen  glaubte.  Andererseits  lindert  das  Urethan  keine  Schmerzen  und 
vermag  daher  das  Morphium  nicht  zu  ersetzen.  Dennoch  gab  ich  es  bei  einigen 
Phthisikem,  wie  v.  Jaksoh  und  Stioksb,  mit  entschiedenem  Nutzen,  halte  aber 
hier  die  Verbindung  des  Mittels  mit  kleinen  Gaben  Morphium  f&r  zweckmässig. 

Die  ersten  Empfehlungen  des  Urethans  beziehen  sich  auf  Gaben  bis  zu  1  gr. 
Fasse  ich  meine  Erfahrungen  über  diese  kleinen  Dosen  zusanmien,  so  habe  ich 
bei  Anwendung  von  1  gr  Erfolge  nur  in  etwa  54  7o  ^^^  F^lle  zu  verzeichnen, 

>  DentBche  mediciniBohe  WocheoBchrift  XI.  Nr.  48.  S.  824.  26.  Nov.  1886.  DaselbBt 
wdUre  Literatnnuiffabeii. 


—    104    — 

während  sioh  die  Zahl  der  günstigen  Wirkungen  bei  den  höheren  Oaben  bis 
zu  3  gr  auf  fast  70 7o  stellt  Da  hierbei,  wie  schon  erwähnt,  niemals  üble 
Zufalle  irgend  welcher  Art  bemerkt  wurden,  so  kann  ich  mich  nur  jenen  Be- 
obachtern anschliessen,  welche  die  sofortige  Anwendung  von  2 — 3  gr  des  Mittels 
empfehlen. 

Als  specielle  psychische  Erankheitsformen,  bei  denen  ich  das  ürethan  in 
ausgedehnterem  Maasse  versucht  habe,  kommen  vor  Allem  die  Paralyse  und 
Melancholien  in  Betracht.  In  den  Aufregungsstadien  der  Paralyse  blieben 
kleinere  Dosen  häufig  unwirksam,  während  es  mit  grosseren  wenigstens  in  60  7o 
der  Fälle  gelang,  einen  befriedigenden  Erfolg  zu  erzielen.  Bei  sehr  grosser 
Erregung  indessen  sah  ich  mich  bald  genöthigt,  wie  bei  der  Manie  und  dem 
Delirium  tremens,  zum  Paraldehyd  zu  greifen.  Günstiger  gestalteten  sich  die 
Erfahrungen  bei  melancholischen  Zuständen,  auch  solchen  mit  grosserer  Be- 
ängstigung (77  ^Iq  Erfolg);  die  betreffenden  Patienten  waren  allerdii^  sanunüich 
Frauen,  zumeist  mit  beträchtlioher  Anämie.  Erschöpfende  (auch  fieberhafte) 
Krankheiten,  femer  leichte  Aufregungs-  und  Depressionszustände  mit  gesunkener 
Ernährung  dürften  daher  in  erster  Linie  die  Indicationen  für  die  Anwendung 
des  Mittels  abgeben. 

ISn  grosser  Vorzug  des  Urethans  vor  dem  Paraldehyd  ist  ausser  der  längeren 
Dauer  seiner  Wirkung  die  geringe  Belästigung  des  Kranken  durch  Geschmack 
und  Geruch  des  Mittels.  Es  kann  zur  Noth  in  einfacher,  sehr  leicht  herstell- 
barer Losung  ohne  jedes  Gorrigens  genommen  werden;  will  man  den  an  Benzin 
erinnernden,  nicht  sehr  intensiven  Geschmack  verdecken,  so  genügt  etwas  Tinc- 
tura  corticum  oder  dergl.  vollständig. 


n.  Beferate. 


Anatomie. 

1)  Die  Stützsubstanz  des  CentralnervensystemB,  von  Dr.  H.  Gierke.    II.  Theil. 
(Arch.  f.  mikroskop.  Anatomie.  Bd.  26.  S.  129.) 

Der  II.  Theil  dieser  ausgedehnten  und  ausserordentUch  interessanten  und  ge- 
wissenhaften Arbeit  behandelt  die  Anordnung  der  Stützsubstanz  in  den  einzelnen 
Theilen  des  CentrahiervensystemB.  Ueber  seine  Auffassung  vom  Bau  der  Glia  hat 
Gierke  in  diesem  Bktte  (1883.  S.  361  u.  385)  bereits  Mittheilung  gemacht  In 
dem  vorliegenden  Aufsatze,  der  reich  an  Details  zum  kurzen  Auszuge  durchaus  nicht 
geeignet  ist,  schildert  er  zunächst  die  Glia- Auskleidung  des  Centralcanales,  dann  die 
Substantia  gelatinosa  Bolandi.  Die  letztere  besteht  aus  einem  Netzwerk  dicht  ge- 
drängter Gliazellen,  zwischen  denen  wenig  Grundsubstanz  und,  abgesehen  von  den 
hinteren  Wurzelfasem,  fast  kein  Nervenmark  zu  finden  ist.  Kleine  Nervenzellen 
und  sehr  zarte  nervöse  Fibrillen  füllen  die  Maschen  des  Glianetzes. 
Die  graue  Substanz  besitzt  als  Haaptstützgeflecht  ein  Netzwerk  kemarmer,  stern- 
förmiger verhornter  Gliazellen,  die  sich  durch  ihre  Ausläufer  mit  einer  ungehener 
grossen  Zahl  anderer  gleicher  Zellen  verbinden.  Die  Lücken  dieses  (Geflechtes  sind 
von  den  Nervenelementen  nicht  ganz  ausgefüllt;  es  lagerte  vielmehr  ausser  diesen 
noch  eine  feine   Grnndsubstanz  und   die   Capillare   dortselbsi    Die  Glia  giebt  den 


—     106    — 

feinen  Nervenfasern  Scheiden,  die  Mehrzahl  der  allerfeinsten  Fäserchen  aber  ist 
direct  in  jene  Grandsabstanz  gebettet.  In  der  Sabstantia  gelatinosa  Bolandi  tritt 
die  Gmndsabstanz  sehr  zarflck  gegen  die  Menge  der  Glia-  and  Nervenzellen.  Dazu 
kommt  dort  noch  ein  feines  Netzwerk,  gebildet  aas  den  allerzarteeten.  kaum  noch 
sichtbaren  Nervenfibrillen,  den  Ausläufern  der  Nervenzellen. 

Die  Lymphbahnen  sind  in  die  Grundsubstanz  eingegrabene,  häufig  von  Gliazellen 
belegte  Gan&le.  Als  hauptsächlichste  Anfänge  dieses  Ganalsystems  mflssen  die  peri- 
cellulären  Bäume  angesehen  werden,  welche  übrigens  im  Leben  ausserordentlich 
viel  schmaler  sind,  als  in  den  Präparaten.  Als  Sammelpunkte  stehen  diesen  Lymph- 
an&ngen  die  perivasculären  Bäume  gegenüber.  Diese  letzteren  münden  wieder 
in  den  perimedullären  Baum,  der  über  das  ganze  Centralnervensystem  sich  zwischen 
Innenflache  der  Pia  und  der  peripheren  Gliaschicht  ausbreitet. 

G.  bespricht  dann  eingehender  die  Verhältnisse  der  Glia  im  verlängerten  Mark, 
wo  er  namentlich  die  Eröffiiung  des  CentralcanalB  in  den  vierten  Ventrikel  genauer 
schildert  Es  erfahrt  dann  die  dicke  Schicht  der  Stützsubstanz  am  Boden  des 
Ventrikels  eine  genaue  Beschreibung.  Aus  der  Ala  cinerea  kommen  keine 
Vagusfasem,  der  Vaguskem  liegt  erst  unter  ihr.  Sie  besteht  aus  Stützsubstanz  und 
Bindegewebe,  enthält  aber  auch  ungemein  zarte  zellige  Elemente,  die  kaum  anders 
als  als  Nervenzellen  aufzufassen  sind.  Aber  keine  Spur  von  Nervenfasern  konnte 
dort  bislang  noch  gefunden  werden.  In  der  Ala  cinerea  liegen  zahlreiche  grosse 
Lymphraume  und  ein  grosser  Sammelraum  für  diese  an  ihrer  Kante,  dort  wo  die  Pia 
sich  anheftet  Es  scheint  sich  um  eine  besonders  wichtige  Stelle  für  die  Lymph- 
bewegnng  in  der  Oblongata  zu  handeln.  Verf.  will  später  Näheres  darüber  noch 
mittheilen. 

Die  Stützsubstanz  im  Kleinhirn  bietet  namentlich  in  der  grauen  Binde 
manches  Wichtige,  von  der  an  anderen  Stellen  bekannten  Anordnung  abweichendes. 
Doch  muss  für  das  Meiste  auf  das  Original  verwiesen  werden.  Hier  sei  nur  hervor- 
gehoben, dass  unter  der  äussersten  Gliaschicht  zahlreiche  kleine  Nervenzellen  liegen, 
die  bisher  meist  zur  Gtorüstsubstanz  gerechnet  wurden,  in  der  That  aber  in  das 
Fibrillennetz  eingefügt  sind,  welches  aus  den  Fortsätzen  der  Purkinje*schen  Zellen 
hervorgeht  Das  Glianetz  um  diese  letzteren  ist  so  dicht,  dass  Verf.  wiederholt  von 
„Körben"  spricht,  in  denen  die  Zellen  liegen  sollen.  In  der  äussersten  Gliaschicht 
wird  dann  noch  ein  feinstes  Netz  aus  Gtorüstsubstanz  beschrieben.  In  der  Kömer- 
achicht  liegen  ähnliche,  aber  feinere  Körbe  um  die  einzelnen  Zellen,  wie  sie  eben 
fOr  die  Purkinje'schen  Zellen  erwähnt  wurden. 

Die  graue  Binde  des  Grosshirns  ist  von  einer  mächtigen  Gliaschicht  über- 
zogen, welche  gleichzeitig  die  Wand  des  epicerebralen  Lymphraumes  bildet.  Diese 
Schicht  wird  sehr  eingehend  geschildert.  Dort  liegen  zahlreiche  pyramidenförmig 
verhornte  Glia-Elemente,  welche  ihre  Fortsätze  als  lange  Fäden  nach  innen  schicken. 
Aehnliches  hat  Verf.  auch  an  der  Binde  des  Gerebellums  gesehen.  Die  Stützsubstanz 
der  grauen  Binde  selbst  ist  ganz  nach  den  allgemeinen,  von  G.  für  die  Glia  ge- 
schilderten Prindpien  aufgebaut.  Bei  keinem  Thiere  treten  Nervenfasern  so  hoch 
hinauf,  so  nahe  an  den  epicerebralen  Baum  heran,  als  beim  Menschen.  Nirgends  ist 
die  äuBserste  Gliaschicht  so  schmal  als  bei  ihm.  In  den  nervenzellenreichen  Schichten 
der  Hirnrinde  werden  die  Gliazellen  ausserordentlich  verkümmert.  Nur  um  die 
grösseren  Ghmglienzellen  ist  wieder  das  durch  Gliazellen  gebildete  korbartige  Gtortkst 
ganz  deutlich  nachweisbar.  Am  besten  kann  man  die  Gtorüstsubstanz  in  der  Binde 
des  Ammonshornes  studiren.  Von  dem  G^childerten  abweichende  Verhältnisse 
bietet  sie  im  Bulbus  olfactorius.  Die  mehrgenannten  Gliascheiden,  welche  die 
Ganglienzellen  umgeben,  bilden  allein  die  Wand  der  pericellulären  Lymphraume, 
welche  sicher  kein  Endothel  haben. 

Zum  Schluss  resumirt  der  Verf.  nochmals  seine  Ansicht  über  die  Stützsubstanz 
etwa  in  der  folgenden  Weise:  Die  Stützsubstanz  geht  aus  dem  Ectoderm  hervor,  aus 


—     106    — 

den  gleichen  Bildnngszellen,  ans  denen  auch  die  Nervenzellen  hervorgehen.  Sie  be- 
steht ans  zwei  sehr  verschiedenen  Elementen^  ans  der  Gmndsnbstanz  nnd  ans  den 
Zellen  mit  ihren  Aoslänfem.  Die  erstere  ist  homogen,  stmctnrlos,  ohne  Einlagerungen 
(Molekel).  Die  Mehrzahl  der  Zellen  verhornt  allmählich,  aber  in  sehr  verschiedenen 
Graden.  Namentlich  die  Betheiligung  des  Kernes  an  der  Yerhomung,  die  GrOsse  des 
erhalten  bleibenden  Zellkörpers,  ist  sehr  variabel.  Ausser  dieser  geformten  und  un- 
geformten  Gtorfistsubstanz  kommen  im  Centralnervensystem  nur  noch  die  nervIVsen 
Elemente  und  die  Blutgefässe  vor.  Die  Epithelzellen  des  Centralkanals  und  des 
Yentrikelependyms  gehören  genetisch  zur  GrerQstsubstanz,  mit  der  sie  auch  direct 
durch  Ausläufer  verbunden  sind.  So  viele  Unterschiede  sich  nun  auch  im  Einzelnen 
im  Aufbau  des  Stützgerüstes  finden,  das  Princip  desselben  ist  stets  das  gleiche. 
Das  allgemeine  Grundgerüst  ist  sowohl  innen  nach  den  Hohlräumen  hin,  als  aussen 
an  der  Oberfläche  besonders  stark  und  enthält  keine  nervösen  Elemente.  Zwischen 
dieser  Ventrikelauskleidung  und  der  oberflächlichen  Gliahülle  ist  ein  (Geflecht  von 
Gliazellen  ausgespannt,  dessen  Lücken  die  Nervenelemente  enthalten;  zum  Theil  allein 
(weisse  Substanz),  zum  Theil  zusammen  mit  der  Grundsubstanz  (graue  Substanz). 
Eigene  Scheiden  aus  verhornten  Zellen  besitzen  nur  die  grösseren  Ganglienzellen  und 
die  gröberen  Fasern;  die  kleineren  Zellen  und  die  feineren  Fasern  sind  einfach  den 
Maschen  des  Gerüstes  eingelagert,  zum  Theil  auch  nur  direct  in  die  Grundsubstanz 
eingebettet 

Die  vorliegende  Arbeit  ist  so  reich  an  Einzelbeobachtungen  und  Beschreibungen, 
so  reich  an  Befunden,  wie  sie  nur  die  vollendetste  Technik  erheben  kann,  dass  sie 
für  eine  lange  Reihe  von  Jahren  wohl  grundlegend  sein  wird;  ganz  abgesehen  von 
den  schönen,  principiell  wichtigen  Resultaten,  zu  denen  sie  den  Verf.  geführt  bat 

Edinger. 

Experimentelle  Physiologie. 

2)  Beoherohes  expörimentales  sur  las  conditions  de  raotivitö  oöröbrale  et 
sur  la  Physiologie  des  nerfii,  par  H.  Beaunis,  Nancy.  U.  Etndes 
physiologiques  et  psychologiques  sur  le  somnambulisme  provoqu^.  Paris  1886. 
(106  Seiten.) 

Nach  einer  kurzen  Einleitung,  aus  der  wir  die  Bemerkung  herausheben,  dass 
zur  Hervorrufung  der  Hypnose  keineswegs  das  hysterische  Temperament  nothwendig 
sei,  ja  Hysterie  und  Neurasthenie  geradezu  jene  erschweren,  macht  B.  zahhreiche 
statistische  Angaben  aus  der  Praxis  des  Dr.  Li^bault  über  Zahl,  Geschlecht  Alter 
der  Hypnotisirten  und  den  Grad  der  Hypnose,  aus  denen  das  nahezu  gleiche  Ver- 
hältniss  der  Geschlechter  und  die  im  Gegensatze  zu  anderen  Angaben  sehr  häufige 
Hypnose  im  Eindesalter  erhellt.  Aus  dem  Capitel  I:  „AUgemeine  Charaktere  des 
Somnambulismus"  (des  5.  Grades  der  Hypnose)  sei  hervorgehoben  das  auch  B.  gleich 
seinen  Collegen  in  Nancy  nicht  zur  Beobachtung  gekommene  Vorkommen  der  drei 
von  Charcot  an  Hysteroepileptischen  beobachteten  Stadien.  Im  H.  Capitel:  „Me- 
thoden" empfiehlt  er,  behufs  Hintanhaltung  sträflichen  Missbrauchs  der  Hypnose, 
leicht  hypnotisurbaren  Personen  die  bestimmte,  von  Zeit  zu  Zeit  zu  wiederholende 
Ansicht  beizubringen,  dass  sie  nur  von  bestimmten  Personen  hypnotisirt  werden 
können,  was  dann  jedesmal  auch  zutrifft;  die  Gefahren  lange  fortgesetzter  Hypnose 
erklärt  er  für  weniger  bedeutend,  als  dies  von  anderer  Seite  geschehen. 

UI.  Modification  der  Schlagfolge  des  Herzens  durch  Suggestion.  In  einem 
Falle  gelang  es,  die  Zahl  der  Pulse  um  6  zu  vermindern,  nnd  später  um  13  (in 
der  Minute)  zu  vermehren,  in  einem  andern  von  17,8  und  18,4  (f&r  Ve  Minute) 
bis  auf  15,5  zu  vermindern;  im  Anschluss  daran  bespricht  B.  die  Beobachtungen 
über  willkürliche  Beeinflussung  des  Pulses  und  kommt  zu  dem  Schlüsse,  dass  es  sich 


-    107    — 

in  dem  ersten  seiBer  Fälle  um  directe  Reizung  oder  Hemmung  des  Hemmungscentrams 
Itkr  das  Herz  handelt. 

IV.  Erzeugung  von  Hautröthong  dorch  hypnotische  Suggestion. 

V.  Hier  werden  interessante  Beobachtungen  über  die  den  Wirkungen  eines 
Yesicans  gleichen  Folgen  einer  entsprechenden  Suggestion  mitgetheilt,  die  für  die 
Beortheilung  Stig^matisirter  von  Bedeutung  sind,  und  an  welche  B.  die  Aeusserung 
knüpft,  dass  so  zu  sagen  keine  organische  Function  der  Suggestion  entzogen  ist 

VI.  Dynamometrische  Untersuchungen  ergeben  im  Allgemeinen  Abnahme  der 
Kraft  in  der  Hypnose,  Steigerung  nach  dem  Erwachen  (Details  mit  Rücksicht  auf 
den  Grad  der  Hypnose  siehe  im  Original). 

In  den  folgenden  drei  Capiteln  behandelt  B.  den  Einfloss  der  Hypnose  auf  die 
Hörschärfe  und  die  Reactionszeit  für  acustische  und  tactile  Reize,  bezüglich  dessen, 
weil  die  Untersuchungen  nicht  abgeschlossen,  auf  das  Original  verwiesen  sei. 

Die  zweite  Hälfte  der  Arbeit,  „psychologische  Studien  über  die  Hypnose",  ist 
ein  Wiederabdruck  aus  der  Revue  philosophique  1885.  Das  Referat  darüber  muss 
sich  wegen  der  Fülle  des  Stoffes  auf  die  Capitelüberschriften  beschränken: 

I.  Vom  Gredächtniss  in  der  Hypnose.  II.  Die  Suggestionen.  UI.  Die  Sug- 
gestionen im  wachen  Zustande  und  vom  Zustande  des  somnambulen  Wachens. 
lY.  Die  Suggestion  von  Hallucinationen.  V.  Die  Spontaneität  in  der  Hypnose. 
VI.  Der  psychische  Zustand  in  der  Hypnose.  VII.  Die  Beziehung  des  Hypnotiseurs 
zum  Hypnotisirten. 

In  interessanter  Weise  findet  sich  darin  das  Thatsächliche  verarbeitet,  die  Be- 
ziehungen zur  Psychologie,  Psychiatrie  etc.  aufgedeckt.  In  einem  Schlusscapitel  dis- 
ctttirt  B.  die  Grundlage  der  Hypnose,  die  er  als  einen  unbekannten,  durch  eine 
Hemmung  herbeigeführten  Zustand  betrachtet,  der  durch  die  Fähigkeit  zur  Aufnahme 
von  Suggestionen  charakterisirt  ist. 

Ein  Anhang  enthält  ausser  einer  polemischen  Bemerkung  die  Mittheilung  einer 
nach  172  Tagen  ausgeführten  Suggestion,  sowie  einer  dnrch  Hypnotismus  geheilten 
Chorea  (ülustrirt  durch  3  Schriftproben).  A.  Pick. 


3)  De  la  nutrition  du  Systeme  nerveux  a  l'ötat  physiologlque  et  patho- 
logique,  par  Mairet,  Montpellier.  (Arch.  de  Neurolog.  1885.  IX.  S.  232 
u.  360.) 

Die  Fortschritte  der  pathologischen  Anatomie  des  Nervensystems  haben  ans  bei 
den  functionellen  Neurosen  und  Psychosen  im  Stiche  gelassen.  Um  diesen  Zuständen 
näher  zu  kommen,  müssen  die  Bedingungen  der  Emährang  der  nervösen  Organe,  ihr 
Stofi^echsel,  studirt  werden.  Dies  kann  nnr  durch  Vergleich  mit  den  an  Gesunden 
gemachten  Beobachtungen  geschehen.  Nach  dem  Vorgänge  Anderer  findet  M.  in  der 
Untersuchung  der  im  Urin  ausgeschiedenen  Phosphorsäure  (frei  und  in  Salzen)  ein 
Mittel,  um  der  Lösung  des  Problems  näher  zu  treten.  Er  erwähnt  zunächst  die 
Besultate  aas  einer  1884  von  ihm  pablicirten  Arbeit,  welche  sich  mehr  auf  den 
Einfloss  von  Vorgängen  im  Muskelsystem  und  in  der  allgemeinen  Ernährung  bezog, 
und  wendet  sich  dann  der  spedellen  Aufgabe,  nämlich  erstens  den  Verhältnissen  der 
^^hrung  des  Nervensystems  im  physiologischen,  und  zweitens  im  pathologischen 
Zustande,  bei  dem  Irresein,  der  Epilepsie  and  Hysterie,  zu.  Die  Einzelheiten  müssen 
im  Original  nachgesehen  werden. 

M.  kommt  zu  folgenden  Resultaten: 

I.    1)   Geistige  Arbeit  verringert  den  Stickstoff-Coefficienten  im  Urin. 

2)  Sie  vermehrt  die  Ausscheidung  der  Erdphosphate. 

3)  Sie  vermindert  die  Aasscheidung  der  an  Alkalien  gebundenen  Phosphor- 
säure. 

4)  Sie  verringert  die  Generalsumme  der  aasgeschiedenen  Phosphorsäure. 


—    108    — 

Die  Phosphorsanre  und  ihr  Yerhalteii  ist  innig  verknüpft  mit  der  Ernährung 
und  der  Function  des  Gehirns.  Das  Letztere  Terbraucht  bei  seiner  Thätigkeit  die 
an  Alkalien  gebundene  Phosphors&ure  und  giebt  an  Erden  gebundene  ab.  Gleich- 
zeitig wird  der  allgemeine  Stoffwechsel  retardirt. 

n.  In  pathologischen  Zustanden. 

1)  Die  maniakalische  Aufregung  beschleunigt  den  Stoff^v^echsel  sowohl  im  All- 
gemeinen als  insbesondere  den  des  Nervensystems.  In  den  verschiedenen  Stadien 
und  Phasen  der  Manie  ist  das  jedoch  verschieden.  In  der  Exaltation  ist  der  Stick- 
stoffgebalt und  die  an  Alkalien  gebundene  Phosphorsäure  vermehrt,  in  der  Remission, 
der  Depression  und  der  Beconvalescenz  verringeri 

2)  Die  Melancholie  verlangsamt  die  allgemeine  Ernährung,  vermehrt  die  Erd- 
phosphate (die  Umsetzung  der  an  Alkalien  gebundenen  Phosphorsänre  zu  den  Erden) 
durch  Vorgänge  im  Schoosse  des  Nervensystems. 

3)  Schwachsinn  und  Blödsinn  vermindern  im  Allgemeinen  den  Stickstofi^^ehalt, 
die  Erdphospbate  und  die  phosphorsauren  Alkalien. 

4)  Bei  der  Epilepsie  sind  innerhalb  der  AnföUe  und  Aeqnivalente  der  Stick- 
stoffgehalt und  die  Erdphosphate  vermehrt  (letzteres  wieder  auf  vermehrten  Umsatz 
innerhalb  des  nervösen  Organs  hindeutend).  Ausserhalb  der  Anf&Ue  normales  Ver- 
halten. 

5)  Bei  der  Hysterie  sind  die  Untersuchungen  noch  zu  wenig  zahlreich  und 
vollständig.  Siemens. 


4)  Ueber  den  Einfluas  geistiger  Arbeit  auf  den  Umsats  von  Stiokatoff  und 
Phosphonäure,  von  Raspopow.    (Wratsch.  1885.  Nr.  45.  Russisch.) 

Verf.  stellte  an  5  Subjecten  im  Alter  von  21 — 26  Jahren  Versuche  an,  in  der 
Weise,  dass  bei  geistiger  Anstrengung  und  ohne  solche  der  Stickstoff-  und  Phosphor- 
gehalt des  Harns  und  der  Ezcremente  genau  bestimmt  wurden.  Zu  diesem  Zweck 
liess  er  die  Versuchspersonen  mehrere  Tage  nacheinander  sich  angestrengt  beschäf- 
tigen (hauptsächlich  mit  der  Lösung  mathematischer  Aufgaben),  und  dann  einige 
Tage  in  geistiger  Ruhe  verbringen.  Selbstverständlich  wurde  dafür  gesorgt,  dass  in 
beiden  Fällen  die  Diät  quantitativ  und  qualitativ  gleich  war;  ebenso  auch  die  an- 
deren Versuchsbedingnngen.  Vergleichung  der  durch  die  chemische  Analyse  ge- 
wonnenen Zahlen  ergab,  dass  bei  vieren  von  den  untersuchten  Subjecten  die  Stick- 
stoff- und  bei  zweien  auch  die  Phosphorausscheidung  während  geistiger  Anstrengung 
abnahm  (erstere  um  0,4 — 7,7  ^Iq\  letztere  um  2 — 6,1%).  Bei  einem  stieg  während 
der  Arbeitstage  die  Stickstoffiiusscheidung  um  12,4  ^/^  und  die  Phosphorausscheidnng 
um  5,8  ^/q.  In  Anbetracht  dieser  widerspruchsvollen  Resultate  unterlässt  es  Verf., 
eine  bestimmte  Ansicht  über  den  Einfluss  des  Denkens  auf  den  Stoffwechsel  auszu- 
sprechen. P.  Rosenbach. 


Pathologische  Anatomie. 

6)  Weiterer  Beitrag  ssur  Lehre  von  der  centralen  Gliose  des  Büokemnarks 
mit  Syringomyelie,  von  Prof.  Dr.  Schnitze  in  Heidelberg.  (Virchow*s 
Archiv.  Bd.  102.  H.  3.) 

Ein  kräftiger  24jähriger  Bäcker  hatte  bei  der  gewöhnlichen  Arbeit  und  ohne 
jede  besondere  Veranlassung  sich  verschiedene  Enochenbrüche  zugezogen  (1882  rechter 
Humerus,  1883  linker  Radius,  1884  4.  und  5.  rechter  Metacarpalknochen),  ohne 
dabei  Schmerzen  zu  empfinden,  eben  so  wenig  wie  bei  absichtlicher  Bewegung  der 
Bruchenden.     Die  Heilung  verlief  normal.    1884  hatte  er  auch  Gefühl  von  Taubheit 


^     109    — 

im  «TBien  bis  driüen  Finger  rechts.  Am  3.  März  1885  starb  Pat.  nach  kurzer 
Krankheit  an  eitriger  Leptomeningitis  cerebrospinalis.  Die  Section  ergab  von  der 
Mitte  des  Dorsaltheils  an  aufwärts  eine  centrale  Gliose  des  Rückenmarks ,  welche 
sich  am  den  Centralcanal  und  in  den  Hinterhömern  bis  in  die  Med.  oblong,  hinein 
entwickelt  hatte,  fenier  bis  in  den  vorderen  Abschnitt  der  Uinterstränge,  in  den 
Glarke*schen  Säiüen  und  zum  Theil  in  die  Yorderstränge  und  Yorderhömer;  in  der 
Gegend  der  stärksten  Entwickelung  —  in  der  Halsanschwellung  —  und  nur  hier, 
fand  sich  Spaltbildung.  Das  pathologische  Gewebe  war  aufihllend  zerreisslich. 
Verf.  spricht  sich  im  Anschluss  an  diesen  Fall  dahin  ans,  dass,  wenn  auch  angeborene 
Anomalien  des  Centralcanals  und  des  Gliagewebes  vorkommen  mögen,  doch  anderer- 
seits die  spätere  Entwickelung  von  GUawucherungen  und  Spalträumen  in  denselben 
nicht  bestritten  werden  kann.  —  „Trotz  Zerstörung  eines  grossen  Theils  der  Gang- 
lien und  Nervenfasern  in  den  Clarke^schen  Säulen  fand  sich  auffallender  Weise  keine 
Degeneration  partieller  Art  in  den  Kleinhimseitenstrangbahnen,  wie  man  das  erwarten 
mOsste,  wenn  die  aufsteigend  degenerirenden  genannten  Bahnen  von  diesen  Ganglien- 
zellen ihren  Ursprung  nehmen  sollen." 

Bemerkenswerth  sind  femer  die  wiederholten  EnochenbrtLche  bei  vollständiger 
Analgesie.  Bernhardt  hat  in  einem  ähnlichen  Falle  (Berl.  klin.  Wochenschr.  1884.) 
Ernährungsstörungen  im  Knochen  angenommen.  Schnitze  fand  in  diesem  Falle  den 
Knochen  ganz  normal  und  glaubt  daher  energische  Muskelcontractionen,  deren  Stärke 
Fat  wegen  seiner  Analgesie  und  fehlenden  Mnskelsensibilität  unterschätzte,  als  Grund 
der  Fracturen  betrachten  zu  dürfen. 

Als  klinisches  Material  zur  centralen  Gliose  theilt  Seh.  sodann  noch  2  Beobach- 
tungen mit,  die  seiner  Meinung  nach  keine  andere  Deutung  zulassen.  Im  ersten 
Falle  bestand  progressive  Muskelatrophie  der  linken  Hand  neben  partiellen  Empfin- 
dangslähmungen,  vasomotorischen  und  trophischen  Störungen  (Blasenbildung),  er- 
loschene Patellarreflexe.  Im  zweiten  Falle  fand  sich  ausser  ausgedehnter  Analgesie 
und  erheblichen  Störungen  des  Temperatursinnes,  vasomotorischen  und  trophischen 
Störungen,  eine  degenerative  progressive  Muskelatrophie  an  beiden  Händen  und 
Armen,  Schwäche  der  Beine,  gesteigerte  Patellarreflexe  und  Andeutungen  von  Störungen 
in  gewissen  Bulbämerven.  Hadlich. 


Pathologie  des  Nervensystems. 

B)  Ueber  Himsyphilis,   von   C.  Gerhardt,  Berlin.    (Berl.  klin.  Wochenschrift. 
1886.  Nr.  1.) 

Es  ist  schwer,  von  dem  ebenso  inhaltreichen  und  formvollendeten,  wie  kurz  ge- 
fassten,  in  gedrängtester  Schreibweise  gehaltenen  Aufsatze  des  Verfassers  ein  kurzes 
fieferat  zn  geben.    Es  wird  immer  eine  Yerstfimmelung  bleiben. 

Die  Himsubstanz  selbst  wird  so  viel  wie  gamicht  von  syphilitischer  Erkrankung 
betroffen,  deren  AnÜEmg  die  endarteriitischen  Processe  bilden,  während  die  Gummata 
bat  ausschliesslich  von  den  Häuten  ausgehen.  —  Das  Auftreten  der  Himsymptome 
nach  der  PrimärafiPection  dauerte  in  9  Fällen  Imal  ^4  Jahr,  Imal  2  Jahre,  7mal 
&— 16  Jahre,  wohl  auch  noch  länger.  —  Zwei  Typen  des  Auftretens  sind  bemerkens- 
werth: der  eine  zeigt  fast  gar  keine  regulären  Secundärsymptome  und  spät  relativ 
milde  Himerscheinungen;  der  andere,  eine  in  jeder  Beziehung  bösartige  Infection, 
endet  mit  Himsymptomen:  dies  ist  die  unheilbare,  jene  die  heilbare  Form. 

Nicht  genug  betont  sind  Schädeltranmen  als  Gelegenheitsursachen  von  Him- 
^pbilis,  wie  Yerf.  an  Beispielen  zeigt,  und  wie  es  far  Himtuberkel  auch  von  Yir- 
^bow  anerkannt  sei. 

Die  Symptome  der  Himsyphilis  sind  sehr  mannigfach;  dennoch  muss  unser  Ziel 
%in,  in   weit   mehr   Fällen   noch   als   seither   die  Diagnose  aus  den  Symptomen  zu 


~~     110    — 

stellen,  aach  ohne  anamnestischen  Anhalt.  Gewisse  Einzelsymptome  sind  dabei  wichtig, 
die  Yerf.  anffihrt.  Aber  wichtiger  sind  einige  aUgemeine  Züge,  so  das  häofige  Auf- 
treten apopleddformer  Anfölle,  auf  Arterienverschliessnng  beruhend.  G.  bringt  über- 
haupt Apoplexie  in  ein  näheres  Verhältniss  zu  Lues,  denn  Vs  ^^n  63  FäUen  von 
Apoplexie  in  Würzburg  war  darauf  zu  basiren.  —  Femer  ist  wichtig,  zu  beachten, 
dass  die  Gummata  ganz  gewöhnlich  Beleggeschwülste  sind,  ah^o  Bindensjmptoroe  oder 
Himnervenl&hmungen  mit  sich  bringen,  aber  nie  die  Stichen  eines  grossen  massiven 
Hirntumors,  einer  Expansivgeschwulst. 

Vielgestaltigkeit  der  Symptome  ist  eine  Haupteigenschafk  der  Hinusyphilis. 
Jedenfalls  hat  die  genauere  Forschung  weit  mehr  Fälle  als  syphilitisch  begründet 
erkennen  lassen,  als  früher;  darum  müssen  noch  weit  mehr  geheilt  werden.  „Diese 
Fälle  müssen  so  früh  wie  möglich,  so  energisch  wie  möglich  nnd  so 
lang  wie  möglich  behandelt  werden.  Man  muss  ?iele  Wochen  lang  täglich 
3 — 7  gr  graue  Salbe  einreiben  und  2 — 5  gr  Jodkalium  einnehmen  lassen." 

_.       _  Hadlich. 

7)  Ueber   syphilitiaohe   Hemiplegie,    von  Dr.  Julius   Althaus   in   London. 

(Deutsches  Arch.  f.  klin.  Med.   Bd.  38.  H.  I  u.  II.  S.  186—192.) 

Die  kurze  Abhandlung  berichtet  über  einen  Fall  syphilitischer  Hemiplegie  bei 
einem  28jährigen  Menschen.  Die  Lähmung  der  rechten  Seite  ist  unvollständig;  mehr 
oder  weniger  gelähmt  sind  femer  der  linke  Oculomotorius,  Trochlearis  und  Abducens. 
Was  den  Fall  besonders  bemerkenswerth  macht,  ist  eine  enorme  Steigerung  der 
Sehnenreflexe  in  den  gelähmten  Gliedern.  Verf.  hat  schon  früher  gleiche  Beobach- 
tungen gemacht  und  glaubt,  dass  übermässige  Erhöhung  der  Sehnenreflexe,  besonders 
wenn  dieselbe  ausser  YerhäJtniss  zu  dem  Grade  der  Lähmung  und  der  Muskelstarre 
steht,  sich  im  Laufe  der  2^it  als  ein  wahrhaft  pathognomisches  Symptom  der  syphi- 
litischen Hemiplegie  herausstellen  wird. 

Die  Diagnose  lautete  auf  eine  Gummigeschwulst  an  der  Schädelbasis,  welche 
neben  den  betreffenden  Himnerven  die  in  den  Grosshimschenkeln  verlaufenden 
Pyramidenbahnen  comprimirte.  Sperling. 

8)  Cerebral    affektion    beroende    p&    hereditär    syfllis,    af   Dr.   Pipping. 

(Finska  läkaresällsk.  handl.  1885.  XXVI.  5  och  6.  S.  395.) 

Ein  5jähr.,  an  hereditärer  Syphilis  leidender  Knabe  hatte  Anfang  Aug^t  1884 
Kopfschmerz  bekommen,  sich  aber  trotzdem  gut  befunden.    Am  8.  August  konnte  er 
nicht  aus  dem  Bett  aufstehen;  das  linke  obere  Augenlid  konnte  nicht  gehoben  werden. 
Am  nächsten  Tage  konnte  Fat  nicht  schlucken,  die  flüssigen  Nahrui^mittel  regur- 
gitirten  durch   die   Nase.    Bei   der  Aufnahme  am  14.  August  war  Pat.  somnolent, 
antwortete  langsam  auf  Fragen.    Das  linke  obere  Augenlid  hing  schlaff  herab,  Stra- 
bismus, Parese   oder  Sensibilitätsstörungen   im  Gesicht   oder  an   den   Extremitäten 
waren  nicht  vorhanden,  doch  konnte  Pat.  sich  nicht  im  Bett  aufsetzen  und  sich  nur 
höchst  unvoUkommen  in  aufrechter  Stellung  erhalten;  beim  Versuch  zu  gehen  fiel  er 
nach   vom   über.     Das  Gktumensegel  hing  schlaff  herab,   ohne  Reflexbewegungen  der 
Gaumenbogen   bei   Berührung.     Der  obere  Theil  des  Larynx  und  die  Stimmbänder 
zeigten   normales  Aussehen  und   Beweglichkeit,   im   Kehlkopfeingang  waren  Mengen 
von  Schleim  angesammelt;  die  Respirationsbewegungen  erschienen  aber  normal.     Die 
Behandlung  bestand  in  Einreibung  von  Quecksilbersalbe  auf  den  Kopf  mit  Bädern; 
die  Ernährung  wurde  mittelst  der  Oesophagussonde  bewerkstelligt.    Nach  10  Tagen 
konnte  Pat.  wieder  schlucken,  bald  war  er  auch  vollkommen  bei  Besinnung,  konnte 
sich  im  Bett  aufsetzen,   aber  nicht  lange  in  aufrechter  Stellung  bleiben  und  nicht 
gehen  (zur  Zeit  der  Mittheilung  am  27.  Sept.  1884)  und  sprach  durch  die  Nase. 

Walter  Berger. 


—   Ill   — 

9)    La   malattia  di  Friedreioh  (atassia  ereditaria).     Studio  del  Dott.  Baff. 
VizioIL     (Sep.-Abdr.  ans  dem  Giornale  di  Neoropatologia.  1886.) 

Treffliclie  Monographie!  Nach  ausfCQirlicher  Darlegung  der  historischen  Ent- 
wickelung  des  Krankheitsbildes  ,,hereditäre  Ataxie'^  giebt  Verf.  eine  tabellarische  Zu- 
sammenstellnng  aller  genauer  bekannt  gewordenen  Fälle:  51  Männer  und  39  Frauen, 
=  90  Individuen  in  36  Familiengruppen. 

Dann  beschreibt  er  13  neue  Fälle  (12  eigene  und  1  Fall  von  Prof.  Palma), 
die  übrigens  in  den  oben  mitgetheilten  Zahlen  schon  berücksichtigt  sind.  Der  Stamm- 
baum der  ersten  Familie  des  Yerf.  mit  10  kranken  Individuen  verdient  hier  kurz 
skizzirt  zn  werden. 


Vater: 
reizbar;  Potator; 
t  75  J.  apoplect. 


Mutter: 
originär;  Convulsionen  als  Kind; 
zeitlebens  häufige  Anfälle  von 
Hemicranie;  f  72  J. 


I.  Generation. 


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» in.  Generation. 


Auch  der  neue  Fall  des  Prof.  Palma  verdient  eine  kurze  Erwähnung.  Die 
Mutter  des  7jährigen  Patienten  war,  wie  viele  ihrer  Angehörigen,  phthisisch  und 
dabei  sehr  hysterisch;  zwei  ihrer  Kinder,  darunter  den  Patienten,  hatte  sie  selbst 
genährt  und  beide  wurden  atactisch;  die  anderen  wurden  von  einer  Amme  aufge- 
zogen und  blieben  von  der  Krankheit  verschont 

Was  nun  die  Einzelheiten  aus  der  Arbeit  des  Verf.  betrifft,  so  ist  zunächst 
hervorzuheben,  dass  auch  er  in  ätiologischer  Hinsicht  die  Heredität  und  die  neuro- 
psychopatbiflche  Degeneration,  besonders  auch  den  Alkoholismus  des  Vaters,  fOr  sehr 
wichtig  hält  Directe  üebertragung  der  Ataxie  ist  in  der  ersten  Gruppe  des  Verf. 
nachgewiesen:   im  bereits  atactischen  Znstande  erzeugte  der  Patient  7  zwei  Kinder, 


—    112    — 

die  in  Mhester  Jagend  ebenfalls  atactisch  wurden.  Im  Uebrigen  ist  aber  die  in- 
directe  Uebertragung  (Ton  Onkel  anf  Neffe  etc.)  eben&lls  ziemlich  h&ufig;  gewöhnlich 
aber  handelt  es  sich  nicht  am  Fälle  von  Ataxie  bereits  in  der  ersten  Generation, 
sondern  am  nervöse  Degeneration  in  ihren  verschiedenen  Erscheinungsformen. 

Während  Friedreich  das  weibliche  Geschlecht  häufiger  erkranken  sah,  als  das 
männliche,  findet  Verf.  das  Yerhältniss  51  M.  zu  39  Fr.,  persönlich  glaubt  er  in- 
dessen,  dass  die  Morbidität  der  beiden  Geschlechter,  im  Gegensatz  zur  classischen 
Ataxie,  die  nämliche  sein  dürfte.  Auch  ist  noch  zu  erwähnen,  dass  bei  der  here- 
ditären Form  niemals  die  ätiologischen  Momente  der  individuell  erworbenen  Form, 
wie  Nässe,  Kälte,  Strapazen,  sexuelle  Excesse  etc.  erwähnt  werden.  In  seltenen 
Fällen  giebt  eine  Erkrankung  an  Typhus,  Scarlatina,  Variola  etc.  den  Anstoss  zum 
endlichen  Ausbruch  der  Krankheit;  meistens  fällt  das  erste  Auftreten  atactischer 
Erscheinungen  schon  in  die  Zeit,  in  der  die  Kinder  gehen  lernen.  Unter  60  Patienten 
war  die  Ataxie  ganz  deutlich  entwickelt  bis  zum  6.  Lebensjahre  bei  20,  bis  zom 
10.  bei  weiteren  19,  bis  zum  15.  bei  10,  bis  zum  20.  bei  9,  und  bis  zum  24.  Jahre 
nur  bei  2  Individuen. 

Bei  der  Symptomatologie  ist  hervorzuheben  das  Fehlen  aller  Prodrome,  wie  sie 
bei  der  Tabes  constant  sind.  Bei  der  hereditären  Form  ist  das  erste  Symptom  eben 
die  Ataxie  der  Unterextremitäten,  die  anfönglich  übrigens  einseitig  sein  kann,  und 
der  sich  verhältnissmässig  schnell  die  der  Oberextremitäten  anschliesst.  Im  weiteren 
Verlauf  werden  auch  die  Muskelbewegungen  der  Augen,  der  Zunge,  des  Halses  und 
des  Rumpfes  incoordinirt;  häufiger  als  bei  Tabes  treten  endlich  Paresen  und  Para- 
lysen auf. 

Die  elektromusculäre  Erregbarkeit  der  Muskeln  schwindet  nur  sehr  allmählich, 
während  die  Sehnenreflexe  bereits  in  firfihen  Stadien  aufgehoben  zu  sein  pflegen.  Die 
Thätigkeit  der  Sphincteren  pflegt  ungeschädigt  zu  bleiben. 

Sensibilitäitsstörungen  fehlen  im  Allgemeinen,  doch  sind  von  Carr6  sowohl  Blitz- 
schmerzen, als  auch  Gürtelgefühle  beschrieben  worden.  Dagegen  hat  Verf.  wie  schon 
früher  Friedreich  und  besonders  Musso,  ziemlich  häufig  intensive  Kopfschmerzen 
nach  dem  Eintritt  der  Ataxie  beobachtet;  noch  häufiger  wird  über  dauerndes  Schwindel- 
gefühl oder  über  transitorische  Schwindelanfölle  geklagt;  apoplectiforme  Anfalle 
scheinen  selten  zu  sein. 

Die  geistigen  Fähigkeiten  bleiben  ungeschädigt;  Verf.  hebt  sogar  hervor,  dass 
seine  Patienten,  obschon  die  Erkrankung  im  Allgemeinen  doch  in  den  Kinderjahren 
ausbricht,  auffiEdlend  lebhaft  und  schlagfertig  gewesen  seien. 

Im  Gegensatz  zu  der  aUgemeinen  Annahme,  dass  sich  bei  den  Patienten  bald 
Impotenz  resp.  Amenorrhoe  entwickele,  bemerkt  Verf.,  dass  in  fast  allen  seinen 
Fällen  selbst  nach  vieljähriger  Dauer  der  Ataxie  die  sexuellen  Functionen  mindestens 
in  Ordnung  gewesen  seien. 

Der  Verlauf  des  Leidens  ist  stets  ein  langsamer,  aber  unaufhaltbarer.  In  6  der 
Dauer  der  Krankheit  nach  bekannten  Fällen  betrug  die  Zeit  vom  Ausbruch  der  Ataxie 
bis  zu  dem  oft  durch  intercurrente  Erkrankung  erfolgten  Tode  8,  12,  15,  16,  24 
und  33  Jahre;  ein  Fall  des  Verf.  starb  nach  42jähriger  und  ein  anderer  lebt  noch 
nach  41jähriger  Dauer  der  Ataxie.  Sectionsbefunde  sind  in  6  Fällen  (5  von  Fried - 
reich  bereits  und  1  von  Brousse)  ausführlicher  beschrieben.  Die  pathologischen 
Veränderungen  betrafen  das  Bückenmark,  den  Bulbus  meduUae  oblong,  und  gelegent- 
lich auch  peripherische  Nerven.  Es  handelte  sich  dabei  immer  um  den  bekannten 
sderotischen  Process;  wie  er  ja  auch  der  classischen  Tabes  zur  Grandlage  dient. 
Da  übrigens  Verfasser  selbst  nicht  Gelegenheit  gehabt  hat,  die  Section  eines  seiner 
Patienten  vorzunehmen,  so  bespricht  er  die  leicht  zugänglichen  Befunde  der  Fälle 
von  Friedreich  und  Brousse  genauer;  über  die  Controversen  zwischen  diesen 
beiden  Forschem,  sowie  zwischen  Hammond,  Kahler  und  Pick,  und  Schultze 
mit  jenen  braucht  an  diesem  Orte  nicht  eingegangen  zu  werden. 


—   HS  — 

Der  therapeatische  Theil  der  vorliegenden  Arbeit  ist  leider  nicht  wesentlich 
tröstlicher,  als  dieselben  Gapitel  früherer  Autoren.  Besonderen  Werth  legt  Verf. 
auf  die  Prophylaxe:  abgesehen  von  den  an  sich  gebotenen  Heirathsbeschränknngen 
empfiehlt  er,  die  Kinder  in  jedem  verdächtigen  Falle  nicht  von  der  Matter,  sondern 
yon  einer  Amme  oder  auf  künstlichem  Wege  ernähren  zu  lassen.  Der  Fall  Palma 
and  das  Gesnndbleiben  der  2  nicht  von  der  Matter  genährten  Kinder  in  der  ersten 
eigenen  Beobachtang  des  Verf.  sprechen  allerdings  für  den  Nutzen  dieses  Bathschlages. 

Sommer. 

10)  Des  pseudo-tabes,  par  le  Dr.  L.  Leval-Picqaechef.  (Thtee  de  Paris.  1885.) 

In  dieser  anter  OharcoVs  Präsidium  gearbeiteten  Dissertation  behandelt  L.  die  in 
neuerer  Zeit  als  von  der  Tabes  dorsalis  zu  trennenden  erkannten  Symptomencomplexe, 
wobei  er  jedoch  die  durch  grobe,  nicht  strangfOrmige  Läsionen  der  Hinterstränge, 
sowie  die  dorch  Ergotismus  und  Pellagra  bedingten  Formen  ausschliessi  Die  rest- 
lichen theilt  er  ein  in:  1)  Pseudotabes  aus  Intoxication,  2)  nach  Infectionskrank- 
heiten,  3)  bei  Diabetes,  4)  bei  Neurasthenischen  (des  N^vropathes). 

Li  der  ersten  Beihe  widmet  er  der  Ataxie  des  AlcohoUsmus  eine  eingehende, 
auf  z.  Th.  onveröfifentlichte  Beobachtungen  gestützte  Darstellung;  an  diese  schliesst 
sich  die  der  Pseudotabes  nach  Intoxication  mit  Blei  und  Schwefelkohlenstoff. 

Im  folgenden  Abschnitte  behandelt  er  die  Pseudotabes  nach  Diphtherie,  Variola, 
an  welchen  sich  eine  Aufzählung  der  an  andere  Infeddonskrankheiten  anschliessenden 
Fälle  anreiht. 

Der  Dritte,  den  Tabes  ähnlichen  Erscheinungen  des  Diabetes  geiridmet,  giebt 
eine  kurze  Zusammenfassung  des  bisher  darüber  Bekannten;  im  Vierten  werden  den 
bisher  bekannten  Fällen  von  sogenannter  Tabes  dorsalis  Ulusoria  drei  neue  Fälle 
angereiht. 

Im  fünften  Abschnitte  ist  eine  breitere  Darstellung  der  Differentialdiagnose  der 
Pseudotabes  gegenüber  der  Tabes  dorsalis  gewidmet;  dieselbe  stützt  sich  auf  den 
raschen  Verlauf,  den  günstigen  Ausgang,  die  Aetiologie  und  das  Fehlen  der  trophischen 
Stönmgen,  der  ophthalmoskopischen  Befunde  und  der  reflectorischen  Pupillenstarre. 

Aus  der  differentialdiagnostischen  Besprechung  der  verschiedenen  Formen  der 
Pseudotabes  seien  hervorgehoben  die  der  Tabes  dorsalis  iUusoria  gewidmeten  Zeilen. 
L.  betont  deren  Aetiologie,  das  Vorwalten  der  sensiblen,  dabei  sehr  wechselnden  Er- 
scheinungen, den  grossen  Einfluss  des  psychischen  Factors. 

Im  Capitel  über  die  pathologische  Anatomie  wird  ein  neuer  Fall  von  Dresch- 
feld mitgetheilt,  in  welchem  sich  neben  intactem  Gehirn  und  Bückenmark,  an  den 
peripherischen  Nerven  (besonders  dem  Ischiadicus)  Kemvermehrang  der  Scheide, 
Wucherung  des  interstitiellen  Gewebes,  Fractionirung  der  Nervenfasern  und  stellen- 
weise Zerstörung  der  Markscheide  und  des  Axencylinders  fanden.        A.  Pick. 


11)  Ueber  Morbus  Addisonii  mit  besonderer  Berüokslohtiguiig  der  eigen- 
thüxnlichen  abnormen  Pigmentation  der  Haut,  von  Lewin.  (Charitö- 
Annalen.  1885.  S.  630.) 

L  stellt  281  Fälle  (2  eigene)  von  Morbus  Addisonii  zusammen  und  erörtert 
Bpedell  auch  die  Verhältnisse  der  Nervi  splanchnici,  wie  des  Ganglion  coeliacum, 
sowie  die  cerebralen  Symptome  (psychische  Schwäche,  Depression,  Abnahme  der  In- 
telligenz und  des  Gedächtnisses,  Energielosigkeit  in  33  Fällen  etc.)  dabei.  Da  der 
Schlnss  der  Arbeit  erst  im  nächsten  Jahrgang  erfolgen  wird,  so  sei  hier  vorerst  nur 
äuf  den  reichen  Inhalt  des  ersten  Theils  hingewiesen  und  wird  ein  ausführliches 
Referat  vorbehalten.  M. 


—     114     — 

/  12)  Ein  Fall  halbseitiger  progresslyer  Oeslohtaatrophie,  Ton  Boshdestwenski. 
(Mitgetheilt  und  demonstrirt  in  der  Octobersitzuig  der  Si  Petersburger  psychia- 
trischen (Gesellschaft.  1885.  Bassisch.) 

Der  Fall  betrifft  ein  russisches  19 jähriges  Mädchen,  dessen  Gesondheitsznstand 
in  anderer  Beziehung  —  abgesehen  von  zeitweisen  Kopfschmerzen  —  nichts  zu 
wünschen  übrig  lässt.  Die  linke  Qesichtshälfte  hat  ein  vollkommen  normales,  dem 
Alter  entsprechendes  Aussehen;  die  rechte  dagegen  ist  durch  beträchtliche  Einschrum- 
pfung und  tiefe  Furchenbildung  in  der  Wangen-,  Unterkiefer-  und  Einnregion  ent- 
stellt. Die  Atrophie  ist  durch  Schwund  des  Binde-  und  Fettgewebes  bedingt»  während 
die  Muskeln  selbst  anscheinend  intact  sind.  Letztere  sind  im  atrophischen  (rebiet 
deutlich  abgezeichnet,  ihre  Function  ist  vollkommen  erhalten,  und  ihre  faradische 
sowohl  als  galvanische  Erregbarkeit  mit  derjenigen  an  der  gesunden  Gesichtshälfte 
fast  identisch.  Die  Hautsensibilität  ist  an  der  afficirten  Seite  nicht  herabgesetzt, 
und  überhaupt  erwies  die  sorgfältigste  Untersuchung  an  derselben  sonst  nichts 
Abnormes. 

Patientin  will  seit  ihrem  13.  Jahre  bemerkt  haben,  dass  ihre  rechte  (Gesichts- 
hälfte leichter  friere,  als  die  linke;  ein  Jahr  danach  soll  das  Schrumpfen  derselben 
begonnen  haben,  welches  erst  langsam,  dann  schneller  zunahm  und  besonders  im 
Laufe  ihres  16.  Jahres  Fortschritte  machte;  in  der  letzten  Zeit  scheint  die  Atrophie 
wieder  langsam  fortzuschreiten,  und  Patientin  behauptet  sogar,  dass  sie  nach  systema- 
tischer Behandlung  eine  Besserung  wahrnehme. 

Aetiologische  Momente  lassen  sich  nicht  eruiren.  Jedenfalls  ist  zu  beachten, 
dass  Patientin  von  einem  50jährigen  Manne  gezeugt  wurde,  der  um  21  Jahre  älter 
war  als  ihre  Mutter;  eine  Menge  ihrer  (Geschwister  starb  in  Mhem  Alter,  ein  Bruder 
leidet  an  Dipsomanie.  P.  Bosenbach. 


Psychiatrie. 

13)  Zur  Pathologie  des  Gtodächtnissee,   von  A.  Pick.    (Arch.  f.  Psych.  XYII. 
H.  1.  S.  83.) 

P.  weist  an  einem  ausführlich  mitgetheilten,  zu  den  allgemeinen  und  progressiven 
(}edächtnis8st6nmgen  zugerechneten  Falle  nach,  dass  die  bisher  nur  durch  wenige, 
und  nicht  genauer  beobachtete  Fälle  gestützte  Begel  zutrifft,  dass  umgekehrt  wie 
beim  Oedächtnissverlust  die  Wiederkehr  der  Erinnerung  in  bestimmter  Beihenfolge 
vom  entfernter  zum  näher  Gelegenen  erfolgt;  er  zeigt  femer,  wie  die  Asymbolie 
(Wernicke*s)  ein  höherer  Grad  der  hier  beobachteten  GMächtnissstörung  ist;  ein- 
zelne psychologische  Bemerkungen  finden  sich  angeschlossen.  M. 


14)  Studii  Bulla  peptonuria  negli  alienati,  per  Dott.  U.  Maccabruni.    (Arch. 
italian.  per  le  malat.  nervös,  ecc.  1885.  XXII.  S.  408.) 

Verf.  hat  sich  in  Hinsicht  auf  die  zahlreichen  Arbeiten  über  Peptonurie,  deren 
Literatur  er  vollständig  bespricht,  die  Mühe  gegeben,  den  Urin  von  245  Irren,  zum 
Theü  mehrmals,  auf  das  Vorhandensein  von  Pepton  zu  untersuchen.  Zum  Nachweis 
des  letzteren  benutzte  er  die  Methode  von  Hofmeister.  Nachdem  etwa  7a  ^^^ 
Morgenurin  auf  das  Sorgfältigste  von  Eiweiss,  Mucin  etc.  befreit  sind,  wird  das  etwa 
vorhandene  Pepton  durch  Phosphorwolframsäure  niedergeschlagen.  Die  Flocken  werden 
durch  Aetzbaryt  irieder  gelöst  und  m  der  nun  filtrirten  Lösung  wird  die  Anwesenheit 
von  Pepton  durch  den  Eintritt  einer  rosenrothen  bis  dunkelvioletten  Färbung  auf 
Zusatz  einiger  Tropfen  von  Kupfersulfatlösung  angezeigt. 


--     115     — 

Bei  245  Irren  hat  Verf.  4lmal  Pepton  im  Urin  (bei  307  Untersuchungen) 
nachweisen  können;  keinmal  bei  100  rahigen  und  körperlich  gesunden  Irren,  4mal 
bei  95  aufgeregten  und  körperlich  gesunden  Irren,  und  *37mal  (unter  90  Unter- 
sodmngen)  bei  50  körperlich  kranken  Irren. 

Yerf.  glaubt  daher,  dass  Feptonurie  bei  einem  Irren  auf  die  Existenz  einer 
körperlichen  Erkrankung  desselben  hinweist;  speciell  scheinen  sich  Abscesse,  aber 
aach  entzöndliche,  brandige,  tuberculöse  Frocesse  etc.  durch  Feptonurie  zu  yerrathen. 
Zweimal  fand  Verf.  erst  bei  der  Section  der  Fatienten  den  durch  das  Auftreten  der 
Feptonurie  wahrscheinlich  gemachten  E[rankheitsherd.  Besonders  bei  aufgeregten 
and  der  ärztlichen  Untersuchung  widerstrebenden  Fatienten  wird  daher  die  Annahme 
einer  latenten  Entzündung  oder  Eiterung  etc.  durch  den  Nachweis  von  Feptonen  im 
Urin  wesentlich  unterstützt  werden  können.  Sommer. 


16)  Einiges  aar  allgemeinen  Paralyse  der  Irren,  von  Nasse,   Bonn.    (AUg. 
Zeitschr.  f.  Psych.  1886.  Bd.  42.  S.  316.) 

N.  hat  1870  eine  Reihe  von  anscheinend  genesenen  Paralytikern,  sowie  eine 
besondere  Erscheinungsform  der  Paralyse  beschrieben,  welche  letztere  er  als  Pseudo- 
paralysis  e  potu  bezeichnete.  Bei  einer  Revision  dieser  Punkte  und  nach  emer  ad- 
hoG  angestellten  Nachforschung  über  das  fernere  Schicksal  der  (7)  Paralytiker  ergab 
sich  ihm,  dass  zwei  dieser  Kranken  eine  Reihe  von  Jahren  (2  resp.  6  Ji^e)  genesen 
blieben,  dann  aber  der  eine  plötzlich  an  Apoplexie,  der  andere  nach  einem  der  Para- 
lyse ähnelnden  psychischen  Krankheitsprocess  an  hämorrhagischer  Pachymeningitis 
geworben  ist;  2  erkrankten  bereits  nach  einem  Jahre  wieder  an  voller  Paralyse  und 
starben;  der  nur  gebessert  (nicht  genesen)  Entlassene  starb  nach  4  Jahren  plötzlich, 
und  nur  einer  blieb  geheilt.  Bei  diesem  fehlten  jedoch  dazumal  die  Sprachstörungen 
und  N.  meint,  dass  er  der  Paralyse  wahrscheinlich  gar  nicht  angehört  hat  — 

Von  den  inzwischen  in  der  Literatur  Yeröfifentlichten  sogenannten  Genesungs- 
fäUen  erwartet  N.  noch  eine  Bestätigung  nach  längerer  Dauer  der  Zeit. 

Aus  eigener  Beobachtung  theilt  N.  dann  2  weitere  Fälle  von  Paralyse  mit 
nachfolgender  anscheinender  Qenesung  mit,  deren  Bestätigung  er  sich  noch  vorbehält 

Weiter  spricht  dann  N.  über  die  Fseudo-Paralyse  der  Trmker,  welche  er  als 
eigenartige  Yerlaufsform  der  paralytischen  Geistesstörung  bei  Alkoholikern  bezeichnet 
Er  hat  von  Doerr  eine  Dissertation  über  das  bezügliche  Material  der  Bonner  An- 
stalt schreiben  lassen.  —  Durch  das  Auftreten  der  Paralyse  auf  dem  Boden  alko- 
holischer Disposition  entsteht  ein  eigenartig  modificirtes  (combinirtes,  Ref.)  klinisches 
Bild.  Nach  einem  Yorbotenstadium,  welches  von  dem  der  Paralyse  nicht  unter- 
schieden, tritt  ein  Zustand  auf,  welcher  mehr  durch  die  Gesammtheit  der  motoiischen, 
der  Paralyse  eigenen  Störungen,  als  durch  die  psychischen  (Grössenwahn  weniger 
ausschweifend,  oft  nur  grosse  Verwirrtheit  und  Benommenheit,  geringer  geistiger 
Zerfall)  an  die  Paralyse  erinnert;  die  Sinnestäuschungen,  namentlich  des  Gesichts, 
tragen  einen  ängstlichen,  schreckhaften  Charakter.  Dieses  Bild  dauert  nur  kurz 
(Tage  bis  Monate),  die  motorischen  Symptome  blassen  ab,  dann  die  psychischen,  es 
fehlt  der  fortschreitende  Charakter,  die  Remissionen  treten  rascher  ein  und  sind 
vollständiger  und  dauerhafter  als  bei  der  Paralyse;  Ausgang  in  Besserung  nicht 
selten,  in  Genesung  zuweilen.  Bei  Becidiven  schliesslich  der  fortschreitende  Blöd- 
sinn mit  dem  gewöhnlichen  Befund.  — 

Schliesslich  berührt  N.  noch  die  Frage  des  ätiologischen  Zusammenhangs  der 
Paralyse  mit  der  Syphilis.  Er  ist  auf  Grund  seiner  Beobachtungen  der  Annahme 
eines  solchen  Zusanunenhangs  abgeneigt.    Die  Einzelheiten  siehe  im  Original. 

Siemens. 


—     116      - 

18)   Case  in  whioh  haematuria  and  appearanoes  aa  of  severe  bmlaes  oo- 
ourred  spontafieoualy  in  ihe   ourse  of  an  attaok  of  maniacal  ex- 
oitement  and  in.  whioh  after  death  there  was  fonnd  tobe  extensive 
internal  haemorrhagio  paohsrmeningitlB,  by  Geo.  H.  Savage.    (Joum. 
of  ment.  science.  1886.  I.    Witb  plate.) 
S.  berichtet  über  einen  Fall  von  hämorrhagischer  Diathese  bei  einem  Maniacus, 
nach  dessen  Tode  sich  eine  Pachymeningitis  haemorrhagica  von  exorbitanten  Dimen- 
sionen  ergab.    Von   den  Gefassen  wird  behauptet^   sie  seien  gesund  gewesen,  doch 
fehlt  der  mikroskopische  Befand.    Die  linke  Niere  war  verlagert,   doch  schien  sie 
von  normaler  Structnr. 

S.  ist  der  Ansicht,   dass  die  Pachymeningitis  haemorrhagica  theilweise  älteren 
Datums  und  somit  die  Ursache  der  acuten  Manie  gewesen  sei.  Zander. 


17)  On  iinusually  heavy  brain  in  a  general  paralytio.  by  T.  W.  Mc.  Dowall. 
(Joum.  of  ment  science.  1886.  I.) 
Verf.  berichtet  über  einen  sehr  rapid  verlaufenden  Fall  von  Paralyse,  der  sich 
besonders  durch  die  colossale  Schwere  des  Qehims  auszeichnete,  das  (Gewicht  betrug 
fiut  2  Kilo.    Leider  fehlen  die  Sch&delmaasse.  Zander. 


18)  Tabes  mit  Paranoia  und  terminaler  Paralyse,  von  W.  Sommer  in  Alien- 
berg.   (Allg.  Zeitschr.  f.  Psych.  1886.  Bd.  42.  S.  303.) 

S.  beschreibt  einen  interessanten  Fall  von  combinirter  Psychose,  gewachsen  auf 
dem  pathologisch  vorbereiteten  Boden  des  tabischen  Erankheitsprocesses.  Der  Tabiker, 
ein  41jähr.  neuropathisch  stark  belasteter  Kaufmann  und  Reservelieutenant,  welcher 
sich  schon  Mher  mit  seinen  Verhältnissen  nicht  in  Einklang  bringen  konnte,  im 
Feldzug  1870  schwer  verwundet  wurde  und  später  an  offenkundiger  Paranoia  er- 
krankte, hatte  schon  2  Jahre  nach  dem  Feldzuge  eigenthümliche  Sehstörungen  und 
unangenehme  Parasthesien  verspürt,  doch  wurde  das  Bückenmarksleiden  erst  im 
38.  Lebensjahre  (1877)  deutlich  erkannt.  Im  Februar  1880  erfolgte  die  Aufnahme 
in  die  Anstalt  Sprachstörungen  bestanden  damals  noch  nicht;  die  Pupillen  waren 
stecknadelkopfgross,  gleich  und  von  verminderter  Beaction,  die  Sehkraft  noch  gut 
(Geistig  bestanden  Verfolgungswahnideen  (Jesuiten,  Elektrisiren,  Oiftpulver  etc.)  und 
selbstüberschätzendes,  anspruchsvolles  Wesen.    Hallucinationen  verschiedener  Art 

Seit  Sommer  1883  wurde  Pat  dementer  und  nach  einer  Zeit  st&rkerer  Hirn- 
reizung  und  agitirter  Benommenheit  stellte  sich  das  Bild  der  gewöhnlichen  Paralyse 
her:  Sprachstörungen,  behagliche  Stimmung  und  colossale  Grössenwahnideen.  Der 
Kranke  erlag  dem  paralytischen  Marasmus  am  1.  April  1884. 

Die  Ergebnisse  der  Section  sind  die  bei  Tabes  und  Paralyse  gewöhnlichen. 

Siemens. 

Therapie. 

10)   Gounter  Irritation  in  general  paralysis«  by  Pritchard  Davies.    (Joum. 
of  ment.  science.  1886.  I.) 

Verf.  berichtet  über  einen  Fall  von  Paralyse,  in  welchem  durch  einen  Carbunkei 
im  Kreuz  auf  den  Verlauf  ein  sehr  günstiger  Eänfluss  ausgeübt  wurde.  Hierdurch 
wurde  D.  darauf  hingeleitet,  in  andern  Fällen  eine  Contrairritation  zu  instituiren. 
Die  besten  Dienste  schien  ihm  das  Jod,  welches  er  zu  beiden  Seiten  der  Wirbelsäule 
einpinselte,  zu  leisten.  Die  Behandlung  setzte  er  stets  wenigstens  einen  Monat  hin- 
durch  fort,  bei  fortwahrendem  Wechsel  der  Angrü&stellen.  Zander. 


—     117    — 

90)  fiEdtoensa  di  aloime  applioaadoxd  idroterapiohe  sulla  oirooluione  oere« 
brale  nell'uomo«  dei  doti  G.  Musso  e  B.  Bergesio.  (Bivista  speriment. 
di  Freniatria  e  di  Medidna  legale.  1885.  XL  S.  124.) 

Die  beiden  Verf.  haben  zum  zweiten  Mal  die  seltene  CMegenheit  gehabt,  bei 
einem  lebenden  Manne  die  CircnlationsYerhaltnisse  der  Hirnrinde  unter  verschiedenen 
äusseren  Einwirlnmgen  unmittelbar  zu  beobachten. 

In  dem  ersten  FUle,  der  auch  in  diesem  Centralbl.  (1884.  S.  290)  besprochen 
ist»  handelte  es  sich  um  einen  Patienten,  dem  durch  operative  Entfernung  eines 
kleinzelligen  Sarcoms  4  qcm  Hirnrinde  fi^i  gelegt  waren;  in  dem  letzteren  um  einen 
SOj&hr.  Mann,  der  nach  der  schnellen  Heilung  einer  complicirten  Splitterfractur  in 
der  rechten  Farietoocdpital-Gegend  einen  ausgedehnten  Knochendefect  davongetragen 
hatte,  der  nur  durch  eine  dünne  und  von  den  Himpulsationen  rhythmisch  gehobene 
Narbe  geschlossen  war.  Mit  Hfllfe  der  bekannten  Mosso*schen  Methode  wurden 
diese  Pulsationen  graphisch  fixirt  und  aus  den  Ergebnissen  folgende  Schlüsse 
gesogen. 

1)  Nach  einem  kalten  ToUbade  von  30  Minuten  Dauer  bei  20^  0.  trat  jedes- 
mal eine  arterielle  Gongestion  des  Iffims,  in  Folge  gesteigerter  Herzth&tigkeit,  und 
wahrscheinlich  eine  venOse  Stauung  in  Folge  verminderten  Abflusses,  ein. 

2)  Nach  einem  warmen  Vollbade  von  38 — 39^  0.  trat  in  den  ersten  3 — 4  Mi- 
nuten eine  venOse  Oongestion  mit  Yerlangsamung  der  Pulsschl&ge,  dann  aber,  und 
noch  Iftngere  Zeit  über  die  Dauer  des  Bades  hinaus  anhaltend,  eine  ausgesprochene 
Himanämie  und  Pulsbeechleunigung  ein. 

3)  Nach  einem  heissen  Fussbade  von  40 — 42  ^  C,  in  dem  die  Wasserhöhe  die 
Kntehel  um  4  Fingerbreiten  überstieg,  traten  dieselben  Erscheinungen,  wie  nach  dem 
warmen  Vollbade,  ein,  wenn  auch  in  geringerer  Intensit&t. 

4)  Eine  Eisblase  Hess  selbst  nach  2stündiger  Application  keine  Einwirkung  auf 
die  Höhe,  Form  und  Zahl  der  Himpulsationen  erkennen.  Der  günstige  Einfluss 
einer  Eisblase  kann  daher  nur  dadurch  erkl&rt  werden,  dass  sie  im  gegebenen  Fall 
die  Temperatur  der  Hirnrinde  unmittelbar  herabsetzt;  die  bekannte  Wirkung  protra- 
hirter  warmer  Bäder  auf  congesüve  Erregungs-  und  Angstzust&nde  ist  nach  dem 
Ergebniss  ad  2  leicht  erklärlich  und  wird  hoffentlich  noch  mehr  Narcotica  ersparen, 
als  bisher.  Sommer. 


TEL  Aus  den  Gtosellsoliaften. 

Sociötö  de  Biologie  de  Paris.    Sitzung  vom  2.  Mai  1885. 

Brown-S^quard:  Gas  d'alloohirie  (Uebertragung  der  Empfindung  auf  die 
andere  Seite).  B.-S.  beobachtete  in  2  F&Uen,  in  deren  einem  das  Bückenmark  durch 
einen  Messerstich  halbseitig  durchschnitten,  in  deren  anderem  es  durch  einen  syphi- 
litischen Tumor  halbseitig  comprimirt  war,  Henüanästhesie,  und  dabei  hatte  jede  Art 
von  Berührung  der  unempfindlichen  Seite  die  entsprechende  ganz  correcte  Empfindung 
auf  der  anderen  Seite  zur  Folge. 

David  Ferrier  hat  eine  analoge  Beobachtung  und  zwar  an  den  beiden  Ge- 
sichtsh&lften  gemacht. 

Oh.  ¥6r6  hat  seine  dynamometrischen  Studien  fortgesetzt  Er  konnte  bei 
Hypnotifllrten  durch  provocirte  Halludnationen  theils  eine  Vermehrung,  theils  eine 
Verminderung  (durch  unangenehme  Halludnationen)  der  dynamometrischen  Kraft  be- 
wirken. Bei  sich  selbst  erzeugte  er  durch  Bestreichen  des  Bachens  mit  einer  Chinin- 
lösung eine  sehr  unangenehme  Empfindung,  fand  aber  danach  eine  Verstärkung,  nicht 
Herabsetsung  seiner  dynamometrischen  Kräfte.  Ha  dl  ich. 


-     118    — 

Aus  der  Sitzung  der  Olinical  Society  of  London  vom  33.  Januar  1886.     (Biii. 
med.  Joum.  1886.  30.  Jan.  S.  207.) 

Dr.  Parker  theilte  die  Krankengeschichte  eines  12j&hrigen  Knaben  mit,  der 
wahrscheinlich  bei  der  Qebnrt  das  rechte  Schlüsselbein  gebrochen  hatte.  Jedenfialls 
wurde  die  Fractur  bald  nachher  entdeckt,  doch  bildete  sich  eine  Pseudarthrose  mit 
betrachtlicher  Verschiebung  des  einen  JBruchstftckes  nach  unten  aus.  Seit  dem 
3.  Jahre  fing  Pat.  über  ein  eigenthümlichee  Gtofühl  von  Schwere  und  über  Schmerzen 
im  ganzen  rechten  Arm  zu  klagen  an;  später  wurden  die  Schmerzen  sehr  heftig  und 
dann  traten  auch  Störungen  paretischer  und  atactischer  Art  in  den  feineren  Hand- 
bewegungen auf,  welche  der  Vortr.  mit  Schreibkrftmpfen  vergleicht.  Trophiscbe 
Störungen  in  den  Muskeln,  in  der  Haut  und  in  den  Nfigeln  stellten  sich  mit  der 
Zeit  ebenfalls  ein. 

Um  wenigstens  die  Schmerzen,  die  wie  die  anderen  Symptome  auf  Compression 
des  Plexus  brachialis  zurückgeführt  wurden,  zu  beseitigen,  machte  Vortragender  am 
26.  Aug.  1885  die  Besection  der  Pseudarthrose  mit  Naht  der  beiden  Knochenenden. 
Bei  sorgfältigster  Immobilisirung  des  Schultergürtels  durch  ein  Gypscorset  wurde 
schnelle  Verknöchemng  erzielt  Jeder  Druck  auf  die  Nervenstämme  wurde  daher 
entfernt  und  es  erfolgte  eine  vollständige  Heilung  der  ftmctionellen  und  selbst  dnr 
trophischen  Störungen. 

Dann  besprach  Dr.  Angel  Money  eigenthümliche  Sehstörungen  bei  Migräne 
und  ähnlichen  Zuständen.  Abgesehen  von  den  bekamiten  Hemiopsien,  vom  „Bastions- 
flimmem'',  von  momentanen  Lichtblitzen  etc.  beobachtete  er  bei  einem  29jährigen, 
durchaus  zuverlässigen  Mann  eine  auffiiUend  lange  Dauer  und  Deutlichkeit  der  Nach- 
bilder, und  was  ganz  neu  sein  dürfte,  das  bemerkenswerthe  Symptom  der  „¥^ort- 
verlängerung''  (momentary  lengthening  of  a  written  or  printed  word).  Pat  glaubte 
dann  mitten  in  einem  Wort  einen  oder  mehrere  Buchstaben  verdoppelt  oder  verdrei- 
facht zu  sehen,  sodass  dadurch  der  subjective  Eindruck  entstand,  als  sei  jenes  be- 
trächtlich länger  als  sonst  Verf.  scheint  dieses  Symptom  auf  eine  „Doppelwahr- 
nehmung" im  Sinne  Jensen*s  zurückführen  zu  wollen.  Sommer. 


KgL  Gesellschaft  der  Aerzte  zu  Budapest    Sitzung  vom  6.  Februar  1886. 
(Wiener  med.  Presse.  1886.  Nr.  7.) 

Dr.  Arthur  Schwarz:  Ueber  den  Einfloss  des  Gehirnes  auf  die  Beflez- 
thätlgkeit  des  BüokenmarkeB. 

Vortragender  will  jenes  Axiom  der  Physiologie,  dass  das  Gehirn  auf  die  Reflex« 
centren  des  Bückenmarkes  hemmend  einwirke,  vom  klinischen  Staudpunkte'  aus  einer 
Prüfung  unterziehen.  Widersprüche,  denen  er  bei  seinen  Untersuchungen  über  das 
Verhalten  der  Haut-  und  Sehnenreflexe  bei  Qehimkrankheiten  begegnete,  Hessen  ihn 
diese  klinische  Untersuchung  für  gerechtfertigt  erscheinen.  Nach  einem  kurzen  histo- 
rischen Hinweis  auf  die  Entwickelung  des  Satzes  von  der  Himhemmung,  bespricht 
Seh.  an  der  Hand  von  beobachteten  Fällen  vor  Allem  die  Beflexverhältnisse  des 
Bückenmarkes  nach  acuter  Durchtreunung,  bedingt  durch  Trauma,  und  hieran  an- 
knüpfend bei  acuter  Myelitis.  Er  kommt  in  diesen  Auseinandersetzungen  zu  dem 
Schlüsse,  dass  jene  Beflexerhöhung,  die  wir  im  späteren  Stadium  nach  erfolgter 
Durchtrennung  oder  nach  Leitungsunterbrechung  des  Bückenmarkes  beobachten,  ab- 
solut nicht  auf  den  Wegfall  des  hemmenden  Einflusses  des  (Gehirnes  bezogen  werden 
darf,  sondern  dass  diese  Beflexsteigerung  ausschliesslich  eine  Folge  des  anatomischen 
Momentes  der  absteigenden  secundären  Degeneration  sei,  deren  wesentlichste  Function 
eben  Beflexsteigerung  sei.  Diese  Beflexsteigerung  findet  ihre  ErUärong  in  jener 
Beizung  der  multipolaren  Zellen  der  Vorderhömer,  zu  der  die  Sderose  der  Pyra- 
midenbahnen nach  Gharcot  führt.    Vortr.  bespricht  nun  im  Folgenden  jenen  Ein- 


119      - 

flofls,  den  die  PyramidenbalmeD  Oberhaupt  auf  die  Haut-,  Sehnen-  and  Tonnsreflexe 
AMftben  und  knfipft  hier  an  Beobachtangen  an,  die  er  schon  frflher  im  „Archiv  für 
Psychiatrie"  mitgetheili  Diese  Beobachtungen  beziehen  sich  auf  Fälle  von  corticaler 
Epilepsie  und  von  frischer,  auf  Oehimblutung  beruhender  Hemiplegie.  Die  Deduc- 
tionen  des  Yortr.  gipfeln  in  dem  Satze,  dass  Reizung  der  motorischen  Centra,  sowie 
der  Fyramidenbahnen  immer  erhöhten  Sehnenreflex  bedinge,  in  vielen  F&llen  auch 
erhöhte  Uaatreflexe,  dass  aber  das  Verhalten  der  Hautreflexe  nicht  nur  von  dem 
Zustande  der  Pyramidenbahnen  abhängig  sei  Lähmung  der  motorischen  Centra, 
sowie  der  Pjramidenbahnen  bedinge  Beflexdepression  oder  Fehlen  der  Reflexe. 

Es  werden  nun  zunächst  die  Verhältnisse  während  des  Comas,  der  kflnstlichen 
Narcose,  sowie  des  Schlafes  besprochen,  Verhältnisse,  die,  wie  Seh.  glaubt,  gegen 
den  hemmenden  Einfluss  des  Oehimee  zeugen.  Seine  klinischen  Erfahrungen,  sowie 
die  von  ihm  angefahrten  physiologischen  Thatsachen  lassen  den  Vortr.  zu  dem  Schlüsse 
gelangen,  dass  die  normale  Beflexthätigkeit  des  Bfickenmarkes  an  ein  mittleres  Maass 
der  Innervation  gebunden  sei,  das  den  Befiexcentren  des  Bückenmarkes  fortwährend 
auf  dem  Wege  der  Fyramidenbahnen  übermittelt  wird.  Im  abgetrennten  Bückea- 
marksabachnitte  ersetzte  die  irritative  secundäre  Degeneration  diese  fortwährenden 
vom  Gtohim  ausgehenden  Impulse  und  dieser  secundären  Degeneration  verdanke  der 
abgetrennte  Bückenmarksabschnitt  seine  wiedererwachte,  ja  übemormale  Beflexerreg- 
barkeii.  Zum  Schlüsse  bespricht  Schwarz  noch  den  Vorgang  der  antagonistischen 
Beflexhemmung  von  Mank  und  Schlösser,  durch  die  er  die  von  ihm  aufgestellten 
Sätze  erg&nzt 


K.  K.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien.    Sitzung  vom  5.  Febr.  1886.    (Wiener 
med.  Presse.  1886.  Nr.  7.    Sep.-Abdr.  der  Wiener  med.  BL  1886.  Nr.  6.) 

Doc  Dr.  Wagner:  Demonstration  einer  neuen  Methode,  durch  Appli- 
eation  voii  CkK»in  bei  unirerletBter  Epidermis  oiroumaoripte  Anästhesie 
SU  eraeugen. 

Die  Methode  beruht  auf  der  kataphorischen  Wirkung  des  galvanischen  Stromes, 
die  darin  besteht,  dass  Flüssigkeiten,  welche  in  porösen  Leitern  vorhanden  sind,  in 
der  Bichtnng  von  der  Anode  zur  Kathode  fortbewegt  werden. 

Gegründet  auf  diese  Methode,  hat  man  wiederholt  versucht,  Arzneikörper  unter 
die  Haut  einzuführen,  aber  es  ist  nicht  gelungen,  und  zwar  weÜ  bei  dieser  Methode 
schon  sehr  kleine  Dosen  wirksam  sein  müssen  und  weil  die  Dosirung  keine  genaue 
sein  kann.    Diese  beiden  Schwierigkeiten  entfallen  beim  Cocain. 

Die  Art  der  Anwendung  dieser  Methode  ist  sehr  einfaco.  Man  taucht  eine  breite 
mit  Flanell  überzogene  Elektrode,  die  man  zur  Anode  emes  galvanischen  Stromes 
macht,  in  eine  Cknsainlösung  und  setzt  sie  auf  die  zu  an&sthesirende  Hautstelle,  nach 
wenigen  Minuten  ist  die  von  der  Platte  bedeckte  Hautstelle  vollkommen  anästhetisch. 
Die  Anästhesie  hängt  von  der  Stromdichtigkeit  ab,  die  kataphorische  Wirkung  ist 
um  80  intensiver,  je  schlechter  die  Lösungen  leiten.  Ooncentrirte  Lösungen  leiten  besser. 

Was  die  Anwendbarkeit  dieser  Methode  für  praktische  Zwecke  anlangt,  so  ist 
die  Angelegenheit  noch  im  Stadium  des  Experimentirens.  Nach  den  Versuchen,  die 
Wagner  auf  der  Billroth'schen  Klinik  angestellt  hat,  scheint  es,  dass  es  gelingen 
wird,  die  Methode  praktisch  zu  verwerthen.  Bei  den  subcutanen  Injectionen  von 
Cocain  ist  die  Anästhesie  intensiver  und  dauert  viel  länger,  wenn  man  unmittelbar 
nach  Einwirkung  des  Cocains  mit  der  Esmarch^schen  Binde  Blutleere  herstellt  In 
einem  Falle  von  Cocain-Anästhesie  nach  der  angegebenen  Methode  scheint  dies  auch 
^r  Fall  gewesen  zu  sein. 


120 


IV.  Mittheilung  an  dan  Harsosgeber. 

Geehrter  Herr  Bedacteurl 

Ich  ersuche,  in  Ihrem  Blatte  der  nachstehenden  Berichtigung  Baum  2u  geben. 

In  meinem  soeben  im  Archiv  fttr  Psychiatrie  (Bd.  XYII)  veröffentlichten  Aufisatze 
„Znx  Pathologie  des  Gedächtnisses"  heisst  es  S.  96  irrthümlich,  dass  der  Gang  des 
Gedächtnissverlustes  bei  progressiven  Gedächtnissstörungen  vom  fester  fizirten  zum 
weniger  fixirten  vor  sich  geht,  während  bekanntlich  und  wie  auch  der  dort  dtirte 
Bibot  richtig  ausführt,  dieser  Gang  vom  weniger  fizirten  zum  fester  fixirten  vor 
sich  geht. 

Genehmigen  Sie  etc. 

Dobrzan,  20.  Febr.  1886.  Dr.  A.  Pick. 


V.  VermisohteB. 

Dr.  Lang,  Wieu,  empfiehlt  in  der  Wiener  med.  Presse  (1986.  Nr.  5}  das  Hopeia  (von 
Williamson,  Smith  und  Boberts  besonders  gerühmt)  in  Dosen  von  mehr  au  0,02  gr 
auch  gegen  Agrvpnie.  Prof.  Hirt  macht  dagegen  (Bresl.  ärztl.  Zeitschr.  1886.  Nr.  8)  wahr- 
scheinlich, dass  nopain  in  der  That  nur  Morpmam  sei. 


Der  fünfte  Con^esg  für  innere  Medicin  findet  vom  14.~-17.  April  1886  zu  Wiesbaden 
statt  unter  dem  Präsidium  des  Herrn  Geheimrath  Ljsyden  (Berlin).  Unter  andern  kommen 
folgende  Themata,  welche  die  Neuropathologen  interieasiren,  zur  Verhandlung: 

Ueber  die  Pathologie  und  Therapie  des  Diabetes  mellitus.  Befeienten*.  Herr  Stokvis 
(AmsterdanO  und  Herr  Hoff  mann  (Dorpat). 

Herr  Zieeler  (Tübingen):  Ueber  die  Vererbung  erworbener  patholoffisoher  E^nschaften. 

Herr  Fiolc  (Wflrzburg)f  Ueber  die  Blutdrucnchwankungen  im  Herzventrikel  bei  Mor- 
pbiumnarcose.  

Anfangs  Sentember  1886  findet  in  Moskau  der  erste  Congrees  russischer  Irrenärzte  statt. 
Derselbe  ist  vom  Medicinaldepartement  des  Ministeriums  ftlr  innere  Angelegenheiten  inaugunrt. 
Die  Hauptpunkte  des  im  russischen  „Begierangsanzeiger**  veröffenüichten  Programms  des 
Congresses  sind  folgende: 

1)  Verpflegung  der  Geisteskranken  in-  und  ausserhalb  der  Irrenanstalten. 

2)  Administration  der  Irrenanstalten. 
8)  Amtliche  Ueberwachung  derselben. 

4)  Versorgungs-  und  Heilungsprincipien  der  Geisteskranken  in  den  Anstalten. 

5)  Irrengesetz^bung. 

6)  Irrenstatistik. 

7)  Classification  der  Geisteskrankheiten. 

8)  Spedell-wissenschaftliche  Mittheilungen  auf  dem  Gebiete  der  Psychiatrie. 

Behufs  Organisation  des  Congresses  ist  ein  geschaftführendes  Bureau  gebildet,  zu  dem 
folgende  7  Personen  fi^ehören:  Oberarzt  Djukow  (St.  Petersburg),  Professor  Kowalewski 
(Charkow),  Professor  Eoshewnikow  (Moskau),  Medicinalinspector  Ostrofflassow  (Moskau), 
Privatdocent  Bosenbach  (St.  Petersbure),  Director  Tscheremschanski  (St  Petersburg) 
und  Director  Tschetschott  (St  Petersburg). 

Beitrage,  die  für  den  Congress  bestimmt  sind,  müssen  bis  zum  1.  Juni  an  einen  der 
genannten  Herren  eingesandt  werden. 

Die  Verhandlungen  des  Congresses  finden  in  russischer  Sprache  statt. 

Um  Einsendung  von  Separatabdrücken  an  den  Herausgeber  wird  gebeten. 

Einsendungen  für  die  Bedaction  sind  zu  richten  an  Prol  Dr.  £.  Mendel» 

Berlin,  NW.  Kronprinzen-Ufer  7. 


Verlag  von  Veit  &  Comp,  in  Leipzig.  -    Druck  von  Mbt^obr  &  Wittiq  in  Leipzig. 


ÜEÜROLOGISCHESCENTRALBLAn. 

Uebersicht  der  Leistungen  auf  dem  Gebiete  der  Anatomie,  Physiologie,  Pathologie 
und  Therapie  des  Nervensystemes  einschliesslich  der  Geistesicranicheiten. 

HeraQBg6geb«n  von 

Professor  Dr.  E.  Mendel 
Pünfter  "  "*"^  Jahrgang. 

m 

Monatlich  erscheinen  zwei  Nummern.   Preis  des  Jahrganges  16  Mark.    Zn  beziehen  darch 
alle  Bnchhandlnngen  des  In-  und  Auslandes,  die  Postanstalten  des  Dentsehen  Reichs,  sowie 

direct  von  der  Verlagsbnehhandlnng. 


1886.  15.  M&rz.  Nä  6. 


Inhalt.  OriginalmltttielliingeR.  üebcr  die  Beziehungen  des  Strickkörpers  znm  Hinter- 
stnog  and  Hinterstrangskern  nebst  Bemerkungen  über  zwei  Felder  der  Oblongata»  Ton  Dr. 
L  Darkschewitsch  und  Dr.  Sigm.  Freud. 

II.  itefftrato.  Anatomie.  1.  Ueberbr&ckung  der  Centralfärche.  von  B|atelikow.  2.  Centn- 
bato  alla  morfoloffia  eellulare  delle  ciroouToluzioni  frontali,  del  Rotcloll.  8.  NouveUes  re* 
cberches  d'anatomie  compar^e  etc.,  par  Luyt.  4.  Himgewicht,  von  Rey.  —  Experimen- 
telle Physiologie.  5.  De  rezcitabilit^  relatire  de  l'^oorce  e^ebrale.  par  Tschldi.  6.  Be- 
cherrhes  ezperimentales  sur  le  tremblement  d^pendant  de  T^orce  srise  des  h^misph^res  du 
cerveau.  par  Qastematzvy.  —  Pathologische  Anatomie.  7.  Veränderungen  der  (Jross- 
hinirinde  im  Alter,  von  Kosf|urin.  8.  Lipome  de  la  pie-m^re,  par  FM.  —  Pathologie 
des  Nervensystems.  9.  Nenropathologische  Mittheüungen  Tun  Schulz.  10.  Ueber  para- 
Ijtifichen  Klumpfnss  bei  Spina  bifida,  von  E.  Remak.  11.  Ramollisscment  du  cervelet,  par 
Tbierry.  12.  Gase  of  almost  complete  de^tmetion  of  tbe  right  hemisphere  of  the  cerebellum, 
without  distinct  Symptoms  of  cerebellar  disease,  by  Ogiloce.  13.  Gase  of  sarooma  of  cere- 
bellum,  by  Hacgregor.  14.  Tumour  of  brain,  by  Turner.  15.  Kemig'Bche  Flezionscontractur 
der  Kniegelenke  bei  Qehimkrankheiten,  von  Ml.  16.  Tabes  dorsalis  mit  erhaltenem  Patellar- 
reflez,  von  Hirt.  —  Psychiatrie.  17.  Chronischer  Chlnralmissbrauch,  tou  Rehm.  18.  Zur 
Kenntniss  der  Mnrphiumj^ychosen,  von  Smidt.  19.  Katatonische  Erscheinungen  in  der  Para- 
lyse, Ton  KmcM.  20.  Epilepsie  und  Verrücktheit,  von  Va|as.  21.  Two  caaes  of  melancholia, 
by  Patton.  —  Therapie.  22.  De  l'emploi  de  l'alcool  sous  forme  de  vin  ou  de  biäre  dans  le 
traitement  des  maladies  mentales,  par  Brosius.  23.  Dosirung  galvanischer  Ströme  in  der 
Elektrotherapie,  Ton  Stein.  24.  Oannabinon,  von  Vogelsanf.  —  Anstaltswesen.  25.  Thirty- 
niutb  report  of  the  Commissioners  in  r<unacy.  26.  Some  points  in  Irish  Innacy  law,  by  Normann. 

III.  Aus  den  Gesellschaften. 

IV.  Vermisclites. 


I.  Originalmittheiltingen. 


Ueber  die  Beziehung  des  Strickkörpers  zum  Hinterstrang 
und  Hinterstrangskern  nebst  Bemerkungen  über  zwei  Felder 

der  Oblongata. 

Von  Dr.  Ii.  Darksohewitsoh  (Iffoskau)  und  Dr.  Sigm.  Freud,  Privatdocent  (Wien). 

Die  Ansichten  der  Hirnanatomen  über  den  Zusammenhang  zwischen  Strick- 
körper oder  unterem  Kleinhimschenkel  und  den  Hinterstringen  des  Rückenmarks 


—    122    — 

haben  4ne  Entwickdung  durdigemadhty  in  welcher  man  dm  veisohiedene  Perioden 
nüterscheiden  kann. 

In  einer  ersten  Periode  wurde  auf  Grund  des  makroskopischen  Anscheins 
der  Strickkörper  für  die  directe  Fortsetzung  der  Hinterstränge  zum  Kleinhini 
gehalten.  Mit  dem  Fortschritt  der  mikroskopischen  Untersuchung  gelangte  al>er 
die  Thatsache  zur  Bedeutung,  dass  in  der  angeblichen  Continuitat  von  Strick- 
körper und  Hinterstrang  eine  mächtige  graue  Masse,  der  (aus  Burdach'schem 
und  GolFschem  Kern  zusammengesetzte)  Hinterstrangskem  enthalten  ist  Man 
erkannte  (Deiters,  Meynebt),  dass  dieser  Kern  in  Beziehung  zu  den  Hinter- 
strängen steht,  und  dass  in  den  Strickkörper  andererseits  Fasern  von  complicirtem 
bogenförmigem  Verlauf  eintreten.  Der  Zusammenhang  zwischen  beiden  weissen 
Fasermassen  wurde  deshalb  fnr  einen  nur  indireoten  erkläxt,  und  sollte  nach 
Metnebt  in  der  Weise  stattfinden,  dass  die  Fasern  des  einen  Strickkörpers 
vermittelst  Bogenfasem  in  die  (gekreuzte)  Olive  eingehen  und  von  dort  aus 
duro&  neue  Bogenfasem  zum  Hinterstrangskem  der  dem  Strickkörper  entgegen- 
gesetzten Seite  gelangen. 

Eine  dritte  Periode  wurde  durch  die  Verwerthung  der  ungleichzeitigeu 
Markscheidenbildung  eingeleitet,  als  Flechsig  einerseits  die  directe  Kleinhim- 
seitenstrangbahn  als  Bestandtheil  des  Strickkörpers  nachwies,  andeieredts  zeigte, 
dass  die  Bogenfasem  aus  den  Hinterstrangskemen  nicht  in  die  Olive,  sondern 
durch  die  sog.  obere  Pjramidenkreuzung  in  das  innere  Feld  der  Oblongata  ver- 
laufen und  daselbst  die  Olivenzwlschenschichte  bilden.  Edikgeb^  hat  später 
für  die  Bogenfasem,  die  aus  dem  Hinterstrangskem  in  höheren  Ebenen  der 
Oblongata  entspringen,  ein  ähnliches  Verhalten  dargethan.  Damit  war  aus  dem 
MsTNEBT'schen  Schema  das  Mittelglied,  welches  die  Verbindung  zwischen  Strick- 
körper der  einen  und  Hinterstraüg  der  anderen  Seite  bewerkstelligen  sollte, 
herausgerissen,  die  Verbindung  der  Hinterstränge  mit  dem  Eleinhirn  aber  auch 
ganz  oder  zum  grossen  Theile  verloren  gegangen,  wie  eine  Uebersicht  der  seit 
Anwendung  der  neuen  Methode  gemachten  Angaben  lehrt 

Nach  Edingeb*  besteht  der  untere  Kleinhimschenkel  aus  a)  der  Kleinhim- 
9eitenstrangbahn,  b)  HinterstrangsÜBMem,  sicher  aus  dem  gleichseitigen,  fraglich 
auch  aus  dem  gekreuzten  Hinterstrang,  c)  Fasern  zu  den  Nervenwurzeln  (Acusticus 
und  Trigeminus),  d)  Olivenfasem  und  vielleicht  noch  anderen  später  markhaltig 
werdenden  Systemen.  Die  Hinterstrangsfasera  von  derselben  Seite  sollen  als 
kurze  Fibrae  arciformes  extemae  aus  dem  Goll'schen  Strang  kommen,  die  frag- 
lichen Fasem  aus  dem  gekreuzten  Hinterstrang  als  Fibrae  arcuatae  anteriores 
wahrscheinlich  aus  der  Olivenzwischenschicht  in  das  Feld  des  Strickkörpers  ein- 
treten. Der  Antheil  der  Hinterstrangsfasem  am  Aufbau  des  Strickkörpers  wäre 
ein  geringer. 

Flechsig^  unterscheidet  im  Strickkörper  ausser  der  Kleinhirnseitenstrang- 
bahn  und  den  Fasern  zu  den  grossen  Oliven  noch  Fasem  zur  Substantia  reticularis. 


»  Dieses  Centralblatt.  1885.  Nr.  4. 

'  1.  c.  nnd  „Zehn  Vorlesnnj^en  fiber  den  Baa  der  nervösen  Oentralorgsae."  1885. 

*  Plan  des  menschlichen  Gdiirns.  1888. 


—     123    — 

Die  Beadehungen  des  Strickkörpeis  zum  Hinterstrang  lässt  er  im  Dunkeln.  In 
einer  späteren  Mittheilung '  bestätigt  er  Ebingeb's  Strickkörpmxuwachs  aus  der 
Olirenzwischensehicht,  bezwäfelt  aber  noch  das  regelmässige  Vorkommen  solcher 
Fasern,  ebenso  wie  die  Bedeutung  der  aus  dem  Goll'schen  Strange  kommenden 
kurzen  Bogenfasem  zum  StoickkOrper.  Er  macht  dann  die  wkbtige  Bemerkung, 
dass  auf  Grund  der  Verfolgung  der  Markscheidenbildnng  im  Strickkörper  ein 
weiteres  Fasersystem  anzunehmen  sei,  welches  nach  d^  Kleinhirnseitenstrang- 
bahn  und  vor  den  Olivenfasem  markhaltig  wird  und  vielleicht  den  Kernen  der 
Hinterstrange  entstammt.    Doch  sei  er  hierüber  nicht  in's  Klare  gekommen. 

Zur  gleichen  Vermuthung  ist  v.  Monakow*  auf  Grund  der  experimentell 
erzeugten  Degeneration  des  Striokkörpers  gelaugt  Er  findet  die  Abnahme  des 
Corpus  restiforme  in  höheren  Ebenen  bedeutender,  als  dem  Ausfall  der  Klein-^ 
himseitenstrangbahn  entspricht,  und  nimmt  an,  dass  Fasern  aus  dem  Keil- 
Strang  derselben  Seite,  die  sich  in's  Corpus  restiforme  fortsetzen,  den  vermissten 
Bestandtheil  desselben  bilden.  Später  ist  v.  Monakow  allerdings  von  dieser 
Vermuihnng  zurückgekommen  (s.  dieses  Centralblatt  1885.  Nr.  6). 

Wir  sind  nun  auf  Grund  unabhängig  von  einander  angestellter  Unter- 
suchungen dazu  gelangt,  das  von  Flechsig  vermuthete  Fasersystem  nachzu- 
weisen und  damit  die  von  Meynebt  behauptete  ausgiebige  Verbindung  der 
Hinterstrange  mit  dem  Kleinhirn  wiederherzustellen.  Als  wir  die  vollkommene 
Uebereinstimmung  unserer  Ergebnisse  bemerkten,  haben  wir  beschlossen,  davon 
in  gemeinsamer  Publication  Mittheilung  zu  machen.  Unser  Material  bestand 
in  zwei  Querschnittsreihen,  einer  von  einem  6monatlichen  Fötus,  in  dessen 
Oblongata  die  OUvenfaserung  ganz  marklos  war,  und  auch  das  Mark  der  Oliven- 
zwischenschicht in  der  Höhe  des  Corpus  trapezoides  aufhörte  (Beihe  I),  und 
einer  anderen  von  einem  Fötus  nicht  genau  bekannten  Alters,  bei  welchem 
Olivenfaserung  und  Pyramiden  einen  sehr  zarten  Markgehalt  zeigten  (Reihe  II). 

Fig.  1  stellt  den  Strickkörper  in  den  unteren  Acusticusebenen  nach  Prä- 
paraten der  reiferen  (11)  Schnittreihe  dar.    Er  besteht  aus  einer  centralen  (mit 

Fig.  1. 
Schema  des  Strickkörpers  in  den  unteren  Acustioiuebeiieni 

1  Kopf  des  primären  Strickkörpers. 

2  Schweif  des  primären  Strickkörpers. 

3  Markarmer  Saom  (seoundärer  Striekkörper). 

Goldchlorid  und  Weigert'schem  Hämatoxylin)  dunkler  gefärbten  Masse,  die  an 
den  Präparaten  der  JKeihe  I  allein  ersichtlich  ist,  und  einem  lichteren  Saum, 

*  DiescH  Centralblatt.  1S85.  Nr.  5. 

*  Experimenteller  Beitrag  znr  Kenntniss  des  Corpus  restiforme,  des  „äusseren  Acnsticns« 
kernee"  und  deren  Beziehungen  zum  Bttckenmafrko,    Aigh.  f.  Psych.  1S83,  XIV, 


—     124    — 

welcher  der  reiferen  Beihe  atleio  zukommt.  Die  oentiale  Masse  wollen  wir  den 
„primäreD  Strickkörper"  beissen;  derselbe  hat  die  Gestalt  anßs  Kommas  mit 
dickem  Kopfe  und  daran  gesetztem  Schweif.  Den  maikarmen  Saum  bezeichnen 
wir  als  „aecundären"  Strickkörper.  £ine  Verfolgung  von  oben  nach  abwärt«; 
(apinalwärts)  ergiebt  nun  nachstehende  Aendeningen  dieses  Querschnitte  und 
Vertbeilung  seiner  Fasern. 

1)  Sobald  die  den  Strickkörper  aussen  bedeckende  graue  Substanz  (des 
Acosticns)  geschwunden  Ist,  geraUieD  die  Fasern  des  Saumes  in  Bewegung.  Sie 
treten  derart  nach  innen,  ilass  sie  ein  zwischen  Trigeminusqnerschnitt,  Deiters'- 
schem  Kern  und  Strickkörper  gel^^es,  in  der  Beihe  J  leeres  Feld  erfüllen, 
und  Terlanfen  von  dort  aus  in  dicken  Büsoheln  theils  durch,  Uieils  vor  und 
hinter  dem  Trigeminns  g^^n  und  über  die  Mittellinie;  dabä  lösen  sich  die  den 
Kopf  des  primären  Strickkörpeis  bedeckenden  Bündel  zuerst  ab,  so  daes  in  den 

Fig.  2. 


Qowschmtt  in  den  oberen  kbenun  des  Deiten'scheD  Eernee  (Reihe  II): 
1  Kopf  des  primkreD  SbicUörpers,  m  dem  Klfimpchen  grauer  Sututeni  aaftMten  (ku  ü«f«r«ti 

Ebnen  emgiMiebnet) 
3  Schweif  dewelben 

3  Secuidärei  Strickkörper  (ObTeng^Bteia)  tu  Ablösung  begnffen. 
F  AnbteigendG  TngemuiaBwnTMl 

VIII  Deiten'Bcher  Kern  mit  der  RaEBteigBnden  Aciutioaawnrzel  (Bollbb). 

IX  Anhteigrende  Wurzel  des  VagnaByateniB 

unteren  Ebenen  des  DErrsBB'schen  Kernes  noch  em  Saum  an  der  Ansaenseite 
des  Schweifes  vorhanden  ist  (Fig.  2).  Diese  markarmen  Fasern,  über  die  wir 
weiter  nichts  zu  sagen  haben,  smd  das  Olivensystem  der  Autoren. 

2}  Wenn  der  Deiters'sche  Kern  verarmt  ist,  tritt  im  Kopfe  des  primäFsn 
Strickkörpers  graae  Substanz  in  zeretreaten  Inseln  auf,  die  dann  zu  einem  Kern 
zusammenSiesst  und  rasch  den  Kopf  des  Kommas  —  und  zwar  nur  diesen 
allein  —  bis  auf  vereinzelte,  an  veiBOliiedenea  Stellen  erübrigende  Faserbündel 


—    125    — 

an&eiut  Es  ist  leicht,  dch  zu  fiberzengen,  dass  die  Abnahme  des  StriokkÖrpers 
a  diesen  Ebenen  nnr  durch  den  Kern  herbeigeffihrt  wird,  denn  die  Gestalt  und 
ligemi^  des  Soliveifes  ist  onveiändert,  und  ein  Ablenken  von  Fasern  gegen 
dea  Eleinhimseitenstran^  noch  nicht  za  bemerken  (Fig.  3). 

Dieser  Kern  ist  aber  nur  das  obere  Ende  des  Hinterstrangkemes  (resp. 
Bardach'schen  Eernes).  Da  dieser  Pnnkt  fOr  die  Auffassung  der  fr^lichen 
Verhältnisse  Ton  grosser  Wichtigkeit  ist,  haben  wir  nns  dorch  conännirliche 
Verfolgung  von  nnten  nach  aufwärts  flberzengt,  dasB  in  der  betreffenden  Gegend 
kein  abzngrenzender  neuer  Kern  auftritt,  sondern  nnr  der  Bardach'sche  sich 
vergTöesert  nnd  nach  aussen  rtlckt  Als  Anhaltspunkt  bei  dieser  Verfolgong 
dient  besonders  das  dem  Trigeminus  nächste  Bändel  der  Hinterstränge,  welches 
in  smen  Resten  eine  Hnfeisenform  hat  und  erst  hoch  oben  verloren  gebt  Die 

Pig.  8. 


Qoenduiitt  in  dsD  nnteien- EbsDeii  dea  DeiUn'iob«n  Kernes  (ßeih«  11): 

UiB  BeMichnongen  dieselben  wie  in  Fig.  2.    An  Stelle  dea  Kopfes  vom  primireu  Striok- 

kdrper  ist  der  Kern  I'  getreten. 

in  Bede  stehende  gtane  Substanz  ist  ahrigens  niemals  anders,  denn  als  zum 
Hinterstavngskem  gehörig  beschrieben  worden;  nur  Wbkhickb,  der  überhaupt 
nicht  verfehlt,  auf  directe  Beziehangen  des  Strickkörpers  zur  „Hinterstrangs- 
anli^"  aufmerksam  zu  machen,  spricht  von  einem  „Kern  des  Strickköipets". 

Eitüge  Faseibnndel  vom  Kopf  des  primären  Strickkörpers  steigen  weit  im 
Hhiteistrangskern  herab,  andere  vom  Saom  der  Bardach'schen  Stränge  eine 
lange  Strecke  im  Kerne  auf,  doch  konnten  wir  nicht  nachweisen,  dass  Fasern 
ans  dem  Hintetstrange  direot  in  den  Strickkörper  übergehen.  Wir  sehen  an 
unseren  Präparaten  vielmehr,  dass  die  mittleren  Höhen  des  Kemee  keine  Ein- 
lagerong  vertioal  verlaufender  Fasern  enthalten. 

Alsbald  nachdem  der  Kopf  des  Kommas  durch  den  Kern  ersetzt  ist,  be- 
ginnt der  letztere,  Bündel  von  Bogenßuem  zu  entsenden,  welche  zwischen  dem 


Fig.  4. 


—     126     — 

TrigemiuiiBdtirchschiiitt  nnd  dem  solitären  Bändel,  auch  über  dem  letzteren, 
verlaofen.  Diese  Fasern  (oberee  Bf^enfaseisTstem  des  Hmterstniogkeniee)  haben 
keinen  Zosammenliang  mit  den  OÜTen  und  lagern  sich,  wie  EniNQBfi  (L  c.) 
at^büdet  hat,  im  jenseitigen  lonenfeld  der  Oblongsta,  dorsal  von  der  ^gent- 
lichen  OlivenzwiBchenBchicht  ab.  Nach  ihnen  folgt  In  den  Präparaten  der 
Beihe  I  eine  dentliche  Lücke  in  dei  Bogenfiiserang;  das  ganze  Mittelstäck  des 
Kernes  entsendet  keine  Fibrae  arcnatae.  In  Beihe  II  sind  die  Bogenfaaem 
durch  die  ganze  Höhe  des  Kernes 
continoirlicb,  die  Lücke  also  durch 
ein  neoee  (mitüeree)  System  von 
Bogenfasem  ausgefüllt  Da  in 
B^e  n  die  OÜTen  bereits  Mark- 
fasem  eothalteD,  können  wir  die 
Beziehong  des  mittleren  Systems 
zu  den  Oliven  nicht,  wie  die  der 
beiden  anderen ,  ausschliesBen. 
Doch  ist  diese  Beziehung  unwahr- 
scheinlich. Dies  mittlere  System 
der  Bt^nfosem  ist  auch  in  höherem 
Grade  als  die  sonstige  OliTen&se- 
mng  markhaltig. 

Es  ist  hier  die  Möglichkeit 
zu  behandeln,  dass  der  Kopf  des 
primären  StrickkörperB  sich  direct 
in  die  Bogenfasem  des  oberen  (und 
mittleren?)  Systems  fortsetzt,  ohne 
mit  den  zelligen  Elementen  des 
Kernes,  den  er  durchzieht,  in  Ver- 
bindung zu  treten.  Unsere  Metho- 
den  w&rfSü  unzureichend,  diese 
Frage  in  verbindender  Weise  zu 
lösen,  doch  haben  wir  einige  An- 
haltspunkte, sowohl  allgemeiner 
Natur,  als  in  dem  beeoadeien  Ver- 
halten der  betreffenden  weissen  und 
grauenSubstanzeu,  um  die  erwähnte 
Möglichkeit  für  sehr  unwahrschein- 
lich zu  erklären  und  eine  Verbindung  sowohl  der  Strickkörperfasem,  als  der  Bogen- 
fasem mit  den  Zellen  des  Eemes  anzunehmen.  Die  Gründe  der  ersten  Art 
sind:  die  Analogie  mit  dem  unteren  Stück  der  Einteistrangskeme,  welches  nach 
den  E^bnissen  der  secundären  Degenerationen  unverkennbar  zwischen  den 
Fasern  der  Hinterstränge  und  den  Bogenfasem  zur  Ohvenzwischenschicht  an- 
geschaltet  ist,  und  der  Dmstand,  dass  für  den  so  hoch  hinaufreichenden  Kern 
Verbindungen    anderer  Art    nicht    nachzuweisen    and.      In    directer  Weise 


Qaeracbnitt  durah  die  „ob«re  FjnuuideDkreaiTtne:" 

(Beihe  O}-. 
a  Rest  des  Goll'achen  Stranges. 
b  Best  des  BoidtKh'scheD  StraDges. 
e,  c,  c,  Fasern  aiu  oberer  PjTamidenkreiiEDDg 

lom  Striokkörper. 
d  KleinhimKiteiigtraDg. 
e  Obere  PyrsmideD-<Sclileifen-)KreuzaDK. 


—     127     — 


sprechen  za  Ounsten  unserer  Annahme:  das  rasche  Verschwinden  der  Fasern 
?om  Kopf  des  Strickkörpers  bei  suocessiver  Entsendung  der  Bogen&serbündel, 
das  Zusammenfallen  der  Bogenfaserbildung  mit  dem  Auftreten  dieses  Kerns, 
and  die  Art,  wie  die  Bogen&sem  in  Bäscheln  aus  besonderen  Abtheilungen  im 
Hinteistrangskem  heryorgehen. 

3)  Der  Hinterstrangskem  ninunt  nun  nach  unten  immer  mehr  zu,  drangt 
den  Best  des  Strickkörpers  zur  Seite  und  erst  jetzt  sieht  man  auch  den  Schweif 
des  primären  Kommas  abnehmen  und  sich  durch  Schragschnitte  mit  dem  Felde 
der  Eleinhimseitenstrangbahn  verbinden. 


Fig.  5. 


Schema  des  Hinteratrangskernes  und  seiner 
Yerbindongen: 

A  Bordach'scher  Kern. 

B  Qoirscher  Kern. 

i  Kopf  des  primären  Strickkörpers. 

2  Schweif  desselben. 

3  Secnndärer  Strickkörper  (Olivensystem). 

a  1  Faser  ans  unterem  Bogenfasersystem 

a*  \  zum  Striokkörper  der  anderen  Seite. 

h  unteres  Bogenfasersystem  (obere  Pyra- 
midenkreuzung) zur  Olivenzwiscben- 
schichte. 

c  mittleres  Bogenfasersystem. 

d  oberes  Bogenfuersystem. 

9  Fasern  aus  Goirschera  Strang  (Fibrae 

arcuatae  extemae). 
K9  Kleinhimseitenstrangfaser. 
aK  Aeusserer  Keilstrang  (Armfasem). 
xK  Innerer  Keilstrang  (Beinfasem). 


4)  Endlich  überzeugt  man  sich,  dass  in  die  erste  Anlage  des  Strickkörpers 
Fasern  eingehen,  welche  in  den  Ebenen,  wo  noch  die  Marksaume  der  Hinter- 
stränge bestehen,  aus  der  oberen  Pjramidenkreuzung  („unteres  Bogen£5uersystem 
des  ffinterstrangskemes'^)  kommen  und  durch  die  eigentiiche  Olivenzwisohenschicht 
um  die  Peripherie  des  Schnittes  und  aber  die  Kleinhimseitenstrangbahn  ver- 
laufen (Edxngeb's  Fibrae  arcuatae  anteriores)  (Fig.  4). 

Wir  haben  im  Vorstehenden  einfache  und  leicht  zu  controlirende  Verhält- 
nisse des  Faserverlaufs  beschrieben.  Wenn  der  Zusammenhang  des  Kopfes  vom 
primären  Strickkörper  mit  dem  Kern  der  Hinterstrange  Beobachtern,  denen  die 
gleichen  Präparate  vorlagen,  bisher  nicht  klar  geworden  ist,  so  mag  dies  daher 
kommen,  dass  man  sich  beim  Studium  des  Oehimbaues  allzusehr  daran  ge- 
wöhnt hat,  "nach  Fortsetzungen  von  Faserbündeln,  und  zwar  nach  je  einer 
Fortsetzung  für  ein  bestimmtes  Faserbündel  zu  suchen,  und  die  grauen  Sub- 
stanzen erst  in  zweiter  Linie  zu  berücksichtigen.  Wir  halten  es  far  correcter, 
^on  den  grauen  Substanzen  auszugehen  und  die  von  ihnen  nach  verschiedenen 
Richtungen  ausgehenden  Fasermassen  au£susuchen.   Welche  dieser  Fasermassen 


*« 


—    128    — 

die  „Fortsetznng^'  einer  anderen  ist,  scheint  uns  keine  anatomische  Frage  mehr 
zu  sein  nnd  sich  der  Losung  dnrch  rein  anatomische  Methoden  im  Allgemeinen 
zu  entziehen.  Darüber  mtkssen  das  Experiment,  die  klinisch-pathologische  Be- 
obachtong  nnd  die  dnrch  die  secnndäre  Degeneration  enthflllten  Beziehungen 
Aufschluss  bringen. 

In  Fig.  6  haben  wir  demgemäss  yersuoht,  ein  Schema  des  Hinterstrangs- 
kemes  mit  den  yon  ihm  ausgehenden  Faseisystemen  zu  geben.  Man  ersieht 
aus  demselben,  dtas  der  Hinterstrangskem  einer  Seite  mit  den  langen  Fasern 
der  Hinterstränge,  mit  dem  Kopf  des  primären  Striokkörpers  derselben  Seite, 
mit  einem  Faserantheil  im  Best  des  primären  Strickkörpers  der  anderen  Seite 
und  mit  drei  Systemen  von  Bogenfasem,  die  im  Innenfeld  der  Oblongata  der 
gekreuzten  Seite  yerlaufen,  zusammenhängt  Durch  den  Kopf  des  printiaren 
Strickkörpers  ist  die  Möglichkeit  einer  (vorwiegend  ungekreuzten)  Verbindung 
der  Hinterstränge  mit  dem  Eleinhim  gegeben,  während  an  die  Systeme  der 
Bogenfasem  in  späteren  Stadien  der  Markentwickelung  die  (gekreuzte)  Grross- 
himverbindung  anknüpft  Wir  haben  dabei  yorwiegend  den  grosseren  Burdach'- 
schen  Kern  berücksichtigt,  dessen  Fasersysteme  denen  des  GroU'schen  Kernes 
in  der  Entwiokelung  yoraneilen.  Vom  GoU'schen  Kern  konnten  wir  an  unseren 
Präparaten  nur  die  Fasern  des  unteren  Bogensystems  (Schleifenkreuzung,  nach 
Reihe  II)  und  Edikoeb's  Fibrae  arcuatae  extemae  wahrnehmen,  von  denen  wir 
eben  so  wenig  wie  FLECHSia  angeben  können,  ob  sie  zum  Kleinhirn  verlaufen. 
Doch  vermuthen  wir,  dass  die.  später  entwickelten  Fasersysteme  des  (roll'schen 
Kernes  sich  denen  des  Burdach'schen  analog  verhalten  werden,  da  man  die 
beiden  Kerne  als  analoge  Bildungen  (den  Burdach'schen  für  die  obere, 
den  GoU'schen  für  die  untere  Extremität)  bezeichnen  darf. 

Es  mögen  noch  einige  Bemerkungen  über  die  Deutung  zweier  Felder  der 
Oblongata  hier  Platz  finden: 

Das  äussere  Feld  der  Oblongata  lässt  eine  einheitliche  Auflfassung  seiner 
Bestandtheile  zu:  Vom  Best  des  primären  und  vom  secundären  Strickkörper 
abgesehen,  enthält  dasselbe  vier  graue  Substanzen  mit  den  von  ihnen  ansehen- 
den F^iserqrstemen.  Die  äusserste  dieser  grauen  Substanzen  —  der  Hinter- 
strangskem —  ist  ein  unzweifelhaft  sensibler  Kern  für  die  Nerven  der  Extremi- 
täten, die  drei  andern  sind  Kerne,  von  denen  homologe  Antheile  der  sensibeln 
Himnerven  entspringen,  und  zwar  die  aufsteigende  Trigeminuswurzel  aus  der 
Substantia  gelatinosa,  wie  wir  gegen  Bbghtebbw  (vgl.  dieses  Gentnübl.  1885. 
Nr.  16)  festhalten  müssen,  die  gemeinsame  aufsteigende  Wurzel  des  Vagussystems 
aus  der  ihr  eigenen  grauen  Substanz,  und  die  aufsteigende  Acusticuswurzel 
BoliaEb's  aus  dem  Deiters'schen  Kern.  Angesichts  des  von  verschiedenen 
Seiten,  besonders  auf  Omnd  experimenteller  Degenerationen,  gegen  die  Existenz 
dieser  Acusticuswurzel  erhobenen  Einspruchs,  haben  wir  diese  Frage  neuerdings 
studirt  und  müssen  mit  noch  grösserer  Entschiedenheit  als  Bollbb  ^  selbst  dafür 
eintreten,  dass  die  im  Deiters'schen  Kern  enthaltenen,  daselbst  entstandenen,  so 

^  Arch.  f.  Psych.  1S83.  XIV.  —  Vgl.  auch  die  Mittbeilong  des  einen  von  nns  (F.): 
„Zur  KenntniBs  der  Olivenzwischensobicht"    Dieses  Centralbl.  1885.  Nr.  12. 


—     129    — 

regelmassig  grappirten  Fasern  durch  einfietche  TJmbeugang  in  den  K  acosticos 
äbeigehen  und  ihm  eine  aufsteigende  Wurzel  in  demselben  Sinne^  ine  die*  beiden 
anderen  Himnerren  eine  solche  besitzen,  zuführen. 

Das  innere  durch  die  Baphe  und  den  Eypoglossus  begrenzte  Feld  der 
Oblongata  enthält  in  den  EntwicMungsstadien  unserer  beiden  Schnittreihen 
nebst  dem  hinteroi  Langsbündel  Langsfasem,  welche  durch  Fibrae  arcuatae 
aus  den  Kernen  des  äusseren  Feldes  der  gekreuzten  Seite  hervorgegangen  sind. 
Dabei  lagert  sich  das  untere  Bogenfasersystem  des  Hinterstrangkemes  im  ven- 
tialsten  Theil  des  Innenfeldes  als  eigentliche  Olivenzwischenschicht  ab ,  das 
(mittlere  und)  obere  Bogenfasersystem  desselben  Kernes  nimmt  den  mittleren 
Theil  des  Feldes  ein,  die  Bogenfasem  aus  dem  Acusticus  —  und  Yaguskem 
des  äusseren  Feldes  der  Oblongata  bilden  die  dorsalsten  vom  hinteren  Längs- 
bündel kaum  mehr  abzugrenzenden  Fasern. 

Soweit  nun  die  LängsfEisem  des  Lmenfddes  der  Oblongata  aus  den  er- 
wähnten Kernen  der  gekreuzten  Seite  hervorgegangen  smd,  halten  wir  folgenden 
Verlauf  derselben  für  wahrscheinlich.  Sie  scheinen  Fasern  von  kurzem  Verlauf 
zu  sein  und  theils  nach  oben,  theils  nach  unten  hin  in  Bogenfasem  umzubieg;en. 
Ihre  Endigung  finden  sie  entweder  in  den  grauen  Massen  des  inneren  und 
mitüeren  Feldes  der  Oblongata  (Substantia  reticularis),  theils  in  den  sensiblen 
Kernen  des  Aussenfeides.  Die  Bogenfasersysteme  nebst  den  Längsfasem,  welche 
aas  ihnen  hervorgehen,  wurden  demnach  gekreuzte  Yerbindungen  der  sensibeln 
Kerne  der  Oblongata  mit  einander  und  mit  der  Substantia  reticularis  darstellen. 
Die  hinteren  Längsbundel  würden  sich  ihnen  als  analoge  Bahnen,  von  motorischen 
Kernen  ausgehend,  anreihen.  Wir  vermuthen,  dass  die  Orosshimfortsetzung  der 
sensibeln  Kerne  an  die  Endigung  der  erwähnten  Systeme  in  der  grauen  Sub- 
stantia reticularis  anknüpft. 

Paris,  23.  Januar  1886« 


IL   Referate. 


Anatomie. 

1)  Zwei  FUle  von  TTebeibrüokang  der  Oentnüfürohe,  von  Bjaschkow. 
(Mitgetheilt  u.  demonstrirt  in  der  Octobersitzung  der- 8t.  Feterdbnrger  psychiatr. 
Gesellschaft  1885.    Russisch.) 

Unter  86  Sectionen,  die  w&hrend  1884 — 85  an  der  Irrenanstalt  »,aller  Dnldenden" 
(zu  St.  Petersburg)  aasgeführt  wurden,  boten  zwei  die  bezeichnete  Anomalie  der 
Bolando'schen  Fnrche. 

Ein  Gtohim  stammte  von  einem  2Sj&hrigen,  an  der  8ob windsacht  vemtorbeneni 
mit  secondärem  Schwachsinn  behafteten  Manne,  der  in  der  Pobert&tsperiode  an  einer 
acuten  Psychose  erkrankt  war.  Das  Gtohurn  war  im  Ganzen  normal  entwickelt;  nur 
fand  sich  an  der  rechten  Hemisphäre  im  oberen  Drittel  der  Centralfurohe  eine  letztere 
vollständig  überbrückende  Uebergangswindang,  darch  welche  beide  Centralwindongen 
vereinigt  wurden.  Aufwärts  von  dieser  Uebergangswindang  setzte  sich  die  Central- 
forche  weiter  fort,  um,  wie  gewöhnlich,  an  der  medialen  Oberfläche  der  Hemisphäre 
zu  enden. 


—    130    — 

Dafi  zweite  Gehirn  gehörte  einer  79jährigen  Frau,  die  in  ihrem  50.  Jahre  an 
chronischer  Manie  erkrankt  nnd  dann  in  secnnd&ren  Schwachsinn  verfallen  war.  Die 
Ueberbrücknng  der  Gentralfarche  durch  eine  schmale  Uebergangswindong  fand  eben- 
falls an  der  rechten  Hemisphäre  statt,  ungefähr  2  cm  weit  von  derem  medialen  Band 
entfernt 

Aehnlicbe  Fälle  sind  —  B.*s  Angabe  nach  —  bisher  von)  Wagner,  Fdr^, 
Heschl  und  Giacomini  beschrieben  worden.  F.  Rosenbach. 


2)  Contributo  alla  morfologla  oellulare  delle  oiroonvoliudoni  firontali;  nota 
preventiva  del  Dott.  R.  Boscioli.  (Biv.  speriment  di  Freniatr.  ecc.  1885. 
XI.   S.  177.) 

Verf.  hat  mit  Hülfe  der  sog.  „schwarzen  Beaction"  Golgi*8  (Gombination  von 
Kalium-  oder  Ammoniumbichromat  mit  Silbemitrat)  die  Binde  der  ersten  Stimwindung 
beim  Menschen,  beim  Kalb  und  beim  Affen  untersucht.  Er  ist  dabei  zu  dem  Basnltat 
gelangt,  dass  eine  deutliche  Schichtung  der  Binde  nicht  nachzuweisen  ist,  wie  sie 
Meynert,  Major,  Lewis,  Betz  u.  A.  gefunden  haben.  In  allen  Niveaus  der  Binde 
herrschen  die  Pyramidenzellen  vor;  die  spindelförmigen  und  die  polygonalen  Zellen 
sind  in  einzelnen  Exemplaren  überall  zu  finden,  bilden  aber  nirgends  eine  zusammen- 
hängende Lage.  Die  Pyramidenzellen  sind  von  sehr  verschiedener  Grösse:  im  All- 
gemeinen herrschen  beim  Menschen  die  mittleren  und  beim  Kalb  die  grösseren  vor; 
beim  AfFen  finden  sich  in  den  vorderen  zwei  Fünfteln  der  ersten  Stimwindung  vor- 
wiegend die  kleineren  und  in  den  hinteren  drei  Fünfteln  die  grösseren. 

Golgi  unterscbeidet  bekanntlich  2  Haupttypen  von  Ganglienzellen:  solche,  die 
ihre  „Individualität''  bewahren,  deren  „nervöser  Fortsatz"  tbatsächlich  zum  Axen- 
cylinder  einer  Nervenfaser  wird,  und  solche,  deren  nervöser  Fortsatz  sich  in  zahl- 
reiche Zweige  verästelt,  welche  sich  in  ein  Netz  von  Nervenfibrillen  auflösen.  Fast 
alle  Ganglienzellen  der  ersten  Stimwindung  gehören  dem  ersteren  Typus  an.  Die 
Neurogliazellen  sind  rundlich  und  mit  kleinen  Verästelungen  besetzt,  die  mit  denen 
der  benachbarten  Neurogliazellen  zu  einem  zweiten  (nicht  nervösen)  Netz  zusammen- 
fliessen;  andere,  etwas  stärkere  Fortsätze  ziehen  ganz  deutlich  an  die  Scheiden  der 
kleinen  Blutgefässe  heran  und  machen  häufig  den  Eindmck,  als  seien  sie  röhren- 
förmig und  könnten  daher  den  Inhalt  der  Lymphscheiden  in  das  Innere  der  Neu- 
rogliazellen überleiten  (?). 

Weitere  Untersuchungen  über  andere  Partien  der  Hirnrinde  werden  folgen. 

Sommer. 

8)  Nouvelles  reoherohes  d'anatoznie  oomparöe  sur  les  rapports  des  616- 
ments  oäröbraux  et  des  ölöments  spinaux  au  point  de  vue  de  la 
struotare  du  Systeme  nerveux  central,  par  J.  Luys.  (L*£nc^phale. 
1885.  Nr.  6.) 

L.  hat  im  Jahre  1884  seine  eigenen  Befunde  über  den  Faserverlauf  der  weissen 
Nervenfasem  im  Gehim  veröffentlicht,  danach  enden  die  von  der  Rinde  herkommenden 
Fasern  in  den  snbopticalen  Ganglien  des  Stammes,  die  Fasern  mit  Bückenmarksursprung 
aber  enden  im  verlängerten  Mark.  Diese  seine  Befunde  verwerthet  L.  in  Bezug  auf 
vergleichende  Anatomie,  indem  er  es  dadurch  erklärt,  dass  beim  Menschen  mit  seiner 
verhältnissmässig  grossen  Hirnrinde  die  Protuberantia  einen  grösseren  Querschnitt 
haty  als  bei  den  grossen  Säugethieren,  z.  B.  dem  Pferde,  während  bei  diesen  wieder 
das  verlängerte  Mark  einen  grösseren  Querschnitt  hat,  weil  bei  ihnen  das  Bücken- 
mark stärker  entwickelt  ist,  als  beim  Menschen.  —  Es  bleibt  immer  noch  abzuwarten, 
ob  die  Prämissen  des  Verf.  Bestätigung  finden.  Zander. 


—    131    — 

4)  Ueber  Himgewioht,  yon  Bey.    (Soci^t^  m^co-psychologique.)    (L'Enc^phale. 
1886.  Nr.  6.) 

In  der  Sitzung  vom  27.  Juni  1885  hielt  Key  einen  Yoxtrag  über  die  GlewiGhte 
der  einzelnen  Himlappeni  je  nach  Geschlecht  nnd  Alter  unter  Zagnmdelegung  Broca*- 
scher  Tabellen.     Die  gegebenen  Zahlen  müssen  im  Original  eingesehen  werden. 

Zander. 


Experimentelle  Physiologie. 

6)  De  rezoitabilitö  relative  de  l'öcoroe  cerebrale,  par  W.  Tschich.   Travail 
du  laborat.  de  M.  le  prof.  Yulpian.    (Arch.  de  physich  1885.  30.  Sept.  Nr.  7.) 

Im  Anschluss  an  die  Untersuchungen  von  Boabnoff  und  Heidenhain,  und 
Bochefontaine  untersucht  T.  den  Wechsel  in  der  Intensität  der  durch  verschieden 
abgestufte  Beizgrösse  erzielten  Bewegungen  nach  elektrischer  Beizung  der  Grosshim- 
rinde.  Die  angewandte  Methode  bestand  im  Allgemeinen  in  der  Einschaltung  wech- 
sehder  Widerstände  in  den  Stromkreis  eines  faradischen  Stromes  (bezüglich  der 
Details  muss  auf  das  Original  verwiesen  werden);  geprüft  wurden  Beugung  und 
Streckung  aller  Extremitäten  der  Yersuchsthiere  (Hunde  und  Kaninchen).  Es  zeigte 
sich  nun,  dass  Beizgrösse  und  Bewegungseffect  in  geradem  Yerhältniss  zu  einander 
stehen,  und  dass  Maximum  und  Minimum  der  Beizbarkeit  während  der  gleichen 
Periode  in  constanter  Beziehung  zu  einander  stehen.  Die  Bewegungscurven  derselben 
Periode  bei  verschiedenen  Widerständen  zeigen  sich  different,  sowohl  hinsichtlich 
ihrer  Hohe  als  der  Breite.  Zur  Beantwortung  der  Frage  nach  dem  Yerhältniss  der 
Grösse  der  Ourven  zur  Grösse  des  eingeschalteten  Widerstandes  maass  T.  sowohl  die 
Höhe  jener,  als  auch  ihre  Basis,  wobei  sich  ergab,  dass  die  Schwankungen  während 
derselben  Periode  und  dem  gleichen  Widerstände  nicht  gross  sind  und  selten  ein 
Viertel  der  Höhe  übersteigen;  die  durchschnittliche  Höhe  der  Curven  ist  bei  geringerem 
Widerstände  immer  höher  als  die  grösseren.  A.  Pick. 


6)  Becherohes  exp^rimentales  aar  le  tremblement  däpendant  de  l'eooroe 
grise  des  hömisphöres  du  cerveau,  par  Gasternatzvy.  (Progr.  m^d. 
1886.  Nr.  52.) 

G.  hat  im  Laboratorium  von  Yulpian  elektrische  Beizversuche  an  der  Gross- 
bimrinde  von  Hunden  angestellt.  —  Unter  dem  Einflüsse  des  Chloroforms  nimmt  die 
Erregbarkeit  der  psychomotorischen  Bindencentren  sehr  wesentlich  ab,  dagegen  treten 
in  den  betreffenden  Extremitäten,  deren  Centren  getroffen  werden,  Zitterbewegungen 
ein,  die  G.  von  den  epileptischen  Zackungen,  wie  sie  gewöhnlich  beobachtet  werden, 
streng  sondern  zu  müssen  glaubt.  —  Das  Intentionszittem,  wie  es  die  Herdsclerose 
bietet,  hatte  G.  früher  experimentell  bei  Thieren  durch  Yerletzung  der  Yorderseiten- 
stränge  des  Bückenmarks  hervorzubringen  vermocht  —  Seine  neuen  Experimente  an 
der  Hirnrinde  von  Hunden,  von  denen  er  einzelne  ausführlich  mitteilt,  geben  ihm 
Veranlassung,  den  „Tremor  der  Paralytiker"  als  cerebrale  und  zwar  als  corticale 
Erscheinung  zu  denten,  wie  alle  die  andern  paralytischen  Symptome:  die  progressive 
Demenz,  die  epileptiformen  und  apoplectischen  Anfälle,  die  Anästhesien,  trophischen 
tmd  vasomotorischen  Störungen,  mit  denen  sich  das  Zittern  bei  Paralyse  so  häufig 
vergesellschaftet.  L  a  q  u  e  r. 


—     132     — 

Pathologische  Anatomie. 

7)   neber  Verändeniiigeii  der   Qrosshimrinde   im  Alter,   von  Kostjnrin. 
Vorläufige  Mittheilang  aas   dem   Laboratoriam   von   Prof.  Obersteiner    in 
'  Wien.    (Wratsch.  1886.  Nr.  2.  Russisch.) 

Die   histologische  Untersuchung   der  Grosshimrinde   alter   Leute   (Zahlen   sind 
nicht  angegeben;  —  Bef.)  brachte  Yerf.  zu  folgenden  Ergebnissen: 

1)  Die  meisten  Nervenzellen  der  Grosshimwindungen   erleiden   im  Greisenalter 
pigment-fettige  Degeneration  und  Yacuolisation. 

2)  Die  Nervenfasern  werden  atrophisch,  und  auch  ihre  Anzahl  wird  verringert 
in  Folge  fettigen  ZerfaUs  ihrer  Substanz. 

3)  Die  Gefässe  erleiden  atheromatöse'  Degenerationi  ihre  WandungMi  werden 
verdickt  und  mit  Kalksalzen  imprägnirt 

4)  An  Stelle  der  schwindenden  Nervenzellen  und  Fasern  findet  Wucherung  von 
Bindegewebe  statt. 

5)  In  der  peripherischen  Schicht  der  Rinde,  zum  Theil  auch  tiefer,  bilden  sich 
in  grosser  Menge  AmyloidkOrperchen. 

6)  Die  Intensität  des  atrophischen  Processes  im  Greisengehim  entspricht  eher 
dem  Gewicht  desselben,  als  der  Zahl  der  Lebensjahre.  P.  Bosenbach. 


8)  Lipome  de  la  pie-möre,  par  Chr.  ¥6r6,    (Soci^t^  anatom.)    (Progrte  m6d. 
1885.  Nr.  34.) 

F.  demonstrirt  einen  Fall  von  Lipom  der  Pia  mater  bei  einer  79jährigen  Frau. 
Die  Geschwulst  sass  in  dem  Zwischenraum  zwischen  den  beiden  Corpora  candicantia 
und  dem  hinteren  Theile  der  Zirbeldrüse,  also  an  einer  Stelle,  welche  als  Pradilectiona- 
Sitz  derartiger  Tumoren  von  den  früheren  Beobachtern  Yirchow,  Meckel,  Elob, 
Cruveilhier  u.  A.  beschrieben  worden  ist.  Laquer. 


Pathologie  des  Nervensystems. 

9)  Nenropathologisohe  Mittheüungen.  Aus  der  medicinischen  Abtheilung  des 
herzogl.  Krankenhauses  in  Braunschweig  (1884).  Von  Dr.  Richard  Schulz. 
(Arch.  f.  Psych,  etc.  1885.  Bd.  XVI.  H.  3.) 

I.  Unilaterale  temporale  Hemianopsia  sinlBtra.    Tumor  oerebrL 

Weiterer  Verlauf  und  Abschluss  eines  im  Jahresbericht  pro  1883  im  Deutschen 
Archiv  für  klinische  Medicin  publicirten  Falles.  Eine  49jähr.,  angeblich  niemals  syphi- 
litische Arbeiterin  bekam  ca.  2Va  Jahre  vor  dem  Tode  plötzlich  eine  einseitige  Hemia- 
nopsia temporalis  sinistra.  Dazu  gesellte  sich  Schwindel,  taumelnder  Qang,  Parästhesien 
in  Händen  und  Füssen,  rechtsseitige  Hemiparese  der  Extremitäten,  psychische  Störung. 
Später  entwickelte  sich  eine  homonyme  Hemianopsia  lateralis  sinistra,  hochgradige 
Paraparese  aller  4  Extremitäten  mit  Contracturen  der  Beine,  gesteigerten  Sehnen- 
reflexen, Dorsalclonus  an  beiden  Füssen,  objectiv  nachweisbare  Sensibilitätsstönmgen, 
Blasen-  und  Mastdarmparese.  Zuletzt  Delirien  und  Verfolgungswahn,  Decubitus;  Tod. 

Die  Diagnose  war  von. Beginn  an  auf  langsam  wachsenden  Tumor,  ausgehend 
von  der.  Hypophysis  cerebri,  gestellt  und  schien  durch  den  weiteren  Verlauf  bestätigt 
zu  werden. 

Die  Section  indess  ergab:  Pachy-  und  Leptomeningitis  cerebralis  chronica. 
Encephalitis  interstitialis.  Pachymeningitis  cervicalis  hypertrophica.  Stenosis  ost. 
Aortae.  Hypertroph,  ventric.  sin.  cordis.  Tuberculosis  apic.  pulmon.  invet.  Degenerai 
adipos.  renum.    Catarrh.  vesicae  urinar.  et  pelvis  ren.  sin.    Mikroskopisch  konnten 


—     133     — 

]>6g«Deratioiien  im  Chiaama  nnd  dem  Tract.  optic,  sowie  in  den  Ocdpitallappen  niobt 
mit  Sicherheit  nachgewiesen  werden.  Im  Rückenmark  zeigte  sich  Degeneration  der 
hinteren  Fortionen  der  Seitenstrange  abwärts  von  einer  erweichten  Stelle  im  Halsmark. 

Es  handelte  sich  also  anstatt  des  snpponirten  einen  Herdes  um  zwei  Erkran- 
kungen, eine  chronische  Meningitis  cerebralis,  besonders  um  das  Chiasma  und  eine 
Fachymeningitis  cervicalis  hypertrophica  mit  Gompressionsmyelitis. 

Auf  erstere,  die  chronische  Meningitis,  ist  Verf.  geneigt,  die  Hemianopsia  lateral, 
sinistr.  zurückzuführen. 


n.  Crampi  nervi  fiioialis  dextri.  Amnestiaohe  Aphasie.  Haselnussgroseer 

Herd  der  linken  Brooa'sohen  Windung. 

20jähriger  Bierkutscher,  ohne  hereditäre  Anlage.  Nach  längeren  Vorboten  und 
3  Tage  nach  einem  Fall  vom  Wagen,  Aphasie  und  Zuckungen  in  der  rechten  Gesichts- 
hälfle.  Die  Aphasie  charakterisirte  sich  als  „amnestische  Aphasie",  wie  Verf.  sagt; 
Ref.  würde  nach  den  wenigen  bezüglichen  Bemerkungen  eine  Form  der  motorischen 
Aphasie  (Wer nicke)  annehmen.  Die  Muskelzuckungen  im  rechten  Facialisgebiet 
trogen  ganz  das  Gepräge  der  „partiellen  Epilepsie"  corticalen  Ursprungs.  Das  Be- 
wusstsein  während  der  Attacken  war  aufgehoben,  öfter  bestand  Deviation  conjugu^e 
der  Augen  nach  links.  Später  kommen  auch  clonische  Krämpfe  der  Wadenmuskeln 
und  des  Zwerchfells  hinzu;  zuletzt  allgemeine  clonische  und  tonische  Krämpfe  mit 
Opisthotonus.     Der  Tod  erfolgte  nach  wenigen  Tagen. 

Bei  der  Obduction  fand  sich  ein  haselnussgrosser  käsiger  Knoten  (Tuberkel)  in 
der  Broca*8chen  Windung  linkerseits,  mit  der  darüber  liegenden  Pia  verwachsen. 

Die  partiellen  Krämpfe  führt  Verf.  auf  die  Nähe  der  betreffenden  „Centren" 
zurück:  was  die  Aphasie  betrifft,  so  scheinen  uns  seine  Zweifel,  ob  die  Broca'sche 
Windung  oder  die  erste  Schläfenwindung  dafür  verantwortlich  zu  machen  seien,  nicht 
recht  verständlich.  Nach  seiner  ausdrücklichen  Versicherung  war  das  Sprach  v  er - 
ständniss  bei  seinem  Patienten  erhalten. 

m.  Tetanie. 

Verf.  bestätigte  an  einem  Falle  von  Tetanie  bei  einer  Schwangeren  die  Steige- 
rung der  mechanischen  Erregbarkeit  der  Gesichtsnerven  und  die  Steigerung  der 
galvanischen  Erregbarkeit  der  Extremitätennerven. 

IV.  Primftres  Saroom  der  Pia  mater  des  BüokenmarkB  in  seiner  ganzen 

Iiftnge. 

Dieser  Fall,  ein  16jähriges  Mädchen  betreffend,  ist  interessant  durch  den  acuten 
klinischen  Verlauf  und  die  Ausdehnung  der  Geschwulstbildung,  aber  auch  durch  die 
hereditäre  Beziehung  —  ein  Bruder  des  Vaters  war  mit  gliomatöser  Hypertrophie 
des  Pons  behaftet.  Nach  längere  Zeit  vorausgegangenen  Bückenschmerzen  trat  läh- 
mungsartige Schwäche  der  oberen  Extremitäten  mit  Parästhesien,  bald  vollständige 
Lähmung  derselben  mit  Sensibilitätsverlust  und  vasomotorischen  Störungen  ein;  dem 
folgte  Lähmung  der  unteren  Extremitäten  mit  Aufhebung  der  Sensibilität  und  theil- 
weiser.  Auf hebong  der  Patellar-  und  Hautreflexe;  Blasenparese.  Heftige  Bücken- 
schmerzen begleiteten  den  Fortschritt  der  Lähmungssymptome.  Unter  Lähmung  der 
Respiration  trat  der  Tod  ein  wenige  Wochen  nach  dem  Beginn  der  paretischen  Symp- 
tome.   Die  Diagnose  war  auf  eine  acute  ^iyelomeningitis  gestellt  worden. 

Die  Section  ergab  einen  das  Bückenmark  in  seiner  ganzen  Länge  von  der  Cauda 
eqoina  bis  zur  MeduUa  oblongata  umgebenden,  von  der  Pia  ausgehenden  Tumor 
(Sarcom),  der  an  verschiedenen  Stellen  zu  myelitischer  Erweichung  des  Bückenmarks 
Veranlassung  gegeben  hatte.  Da  derselbe  jedenfalls  älteren  Datums  war,  als  die 
ernsteren  Symptome,  so  ist  der  Fall  wieder  ein  Beispiel  der  grossen  Accommodations* 
^higkeit  des  Centralnervensystems.  Eisenlohr. 


—     134    — 

10)  Ueber  imralytiBohen  KlumpAiBS  bei  Spina  bifida  (ErankenvorsteUang  in 
der  Berl.  medic.  Gesellflch.  am  3.  Juni  1885)  von  Dr.  Ernst  Bemak.  (Berl. 
Uin.  Wochenschr.  1886.  Nr.  32.) 

Ein  Knabe  Ton  1'/^  Jaliren  mit  Spina  bifida  lumbosacralis  zeigt  ausser  voll- 
ständiger Incontinenz  der  Blase  eine  Lähmung  der  Unterschenkel  mit  ausgesprochener 
Fes -varus- Stellung  der  Füsse.  Dabei  ist  der  Fuss  mit  Leichtigkeit  in  die  normale 
Stellung  zu  bringen,  kehrt  jedoch  sofort  spontan  wieder  in  die  falsche  Stellung  zurück, 
und  zwar  in  Folge  von  Contractur  des  labialis  anticus,  der  allein  von  allen  Unter- 
schenkelmuskeln mit  dem  faradischen  und  galvanischen  Strome  erregbar  ist  Die 
übrigen  Unterschenkelmuskeln  scheinen  lediglich  aus  Fettgewebe  zu  bestehen  and 
sind  vollkommen  unerregbar.  Die  elektrische  Erregbarkeit  der  Oberschenkelmuskeln 
ist  durchaus  normal,  das  Eniephänomen  beiderseits  vorhanden. 

B.  erinnert  nun  daran,  dass  er  schon  vor  10  Jahren  darauf  aufmerksam  gemacht 
hat,  dass  bei  gewissen  atrophischen  Unterschenkellähmungen  spinalen  Ursprungs  der 
M.  tibialis  anticus  allein  verschont  bleibt;  dass  andererseits  dieser  nämliche  Muskel 
allein  am  Unterschenkel  gelähmt  sein  kann,  gewöhnlich  mit  Oberschenkellähmungen 
im  Gebiete  des  Gruralis. 

Aehnliche  Verhältnisse  gesetzmässiger  Localisation  der  Lähmungen  hat  R.  im 
Gebiete  des  Plexus  brachialis  nachgewiesen  und  darauf  zurückgeführt,  dass  in  den 
grauen  Yordersäulen  die  motorischen  Ganglienzellen  nach  functionellen  Gruppen  an- 
geordnet sind,  sodass  bei  Erkrankung  bestimmter  Spinalsegmente  immer  bestimmt 
localisirte  Lähmungen  zu  Stande  kommen  müssen.  So  liegt  die  Kemregion  des 
Tibialis  anticus  benachbart  der  des  Eztensor  quadriceps  femoris  an  einer  höheren 
Stelle  der  Lendenanschwellung,  als  diejenige  der  übrigen  Unterschenkelmuskeln. 

Für  diese  plausible  Erklärung  lieferte  F.  Schulze  schon  1878  einen  anatomischen 
Nachweis  bei  einem  Falle  von  traumatischer  Poliomyelitis  acuta  anterior,  in  welchem 
eine  atrophische  Lähmung  des  gesammten  Ischiadicus-Gebietes  mit  alleiniger  Ausnahme 
der  Tibiales  antici  bestand,  und  wo  die  Section  eine  Atrophie  nur  des  unteren 
Theiles  der  Lendenanschwellung  nachwies. 

Nach  dem  vorliegenden  Falle  von  paralytischem  Elumpfuss  erklärt  B.  in  ana- 
loger Weise:  es  besteht  eine  solche  Localisation  des  Defectes  des  Bückenmarkes  — 
durch  die  Myelomeningocele  —  dass  der  obere  Theil  der  Lendenanschwellung  in 
normaler  Weise  entwickelt  ist,  di^egen  der  untere  Theil  derselben,  welcher  die  ge- 
sammten Muskeln  des  Unterschenkels  mit  Ausnahme  des  Tibialis  anticus  versorgt, 
sich  nicht  entwickelt  hat;  ebenso  nicht  das  tiefer  liegende  Centrum  fOir  die  Blasen- 
entleerung. 

Bei  dem  sog.  echten  Elumpfuss,  welcher  auf  Wachsthumsabnormitäten  der  Fuss- 
wurzelknochen  beruht,  zeigen  die  gedehnten  Muskeln,  so  wie  auch  sonst  bei  Inacüvitäts- 
atrophien,  eine  erheblich  herabgesetzte  elektrische  Erregbarkeit,  aber  sie  ist  doch, 
entsprechend  dem  Volumen  der  betreffenden  Muskeln,  vorhanden.        H  ad  lieh. 


11)  Bamolliesement  du  oervelet,  par  Thierry.    (Soci^t^  anatom.)    (Progr.  m^. 
1886.  Nr.  1.) 

Ein  d5jähriger,  sonst  vollständig  gesunder  Mann  erkrankte  unter  sehr  heftigem 
Kopfschmerz  und  Erbrechen;  es  gesellten  sich  Schwindelanfälle  und  eine  deutliche 
Schwäche  der  linken  Körperhälfte  hinzu,  die  den  Gang  des  Fat.  sehr  unsicher  machten 
und  ihn  zur  Arbeitsunfähigkeit  verdammten. 

Im  Krankenhause  wurde  eine  deutliche  schlaffe  linksseitige  Parese  ohne  Contrac- 
turen  und  ohne  sensible  und  trophische  Störungen  constatirt.  Femer  war  linkerseits 
hefüges  Ohrensausen  und  Schwerhörigkeit,  Amblyopie  mit  erheblicher  Pupillenerwei- 
terung vorhanden.    Der  Puls  war  bis  auf  50  Schläge  verlangsamt.    Der  Kopfschmen 


—     185    — 

des  Pai  war  ausserordentlich  heftig,  femer  waren  dauernde  Apathie  und  Somnolenz 
zo  Teneichneii;  der  Kranke  gpng  comatös  zu  Gmnde,  nachdem  das  Leiden  einen 
Monat  gedauert  hatte. 

Bei  der  Aatopsie  fand  sich  eine  Erweichung  der  linken  Eleinhimhemisphäre  fast 
in  ihrer  ganzen  Totalität  vor,  nur  die  centralsten  Theile  der  weissen  Substanz  hatten 
ihre  Consistenz  bewahrt;  die  Arter.  cerebellaris  inferior  posterior  der  linken  Seite 
zeigte  einen  Thrombus  von  1  cm  Länge.  —  Sonst  war  das  Gehirn  völlig  intact. 

Laquer. 

12)  Case  of  almoat  oomplete  destruotion  of  the  right  hemisphere  of  the 

oerebellum,  without  dlstinot  Symptoms  of  oerebellar   disease,   by 
George  Ogiloce.     (Brain.  1885.  Oct.  S.  405—408.) 

Ein  22jähriges  Mädchen  aus  tuberculöser  Familie  litt  seit  3  oder  4  Jahren  an 
Indigestionssymptomen,  dann  nach  mehrmonatlicher  Abwesenheit  aller  Krankheits- 
erscheinungen an  Uebelkeit  nach  der  Mahlzeit,  später  Schwindel,  Brausen  im  Kopf, 
anfallsweisem  Erbrechen,  Hinterkopfsschmerz,  Aussetzen  der  Athmung,  dann  Doppel- 
sehen,  endlich  Blindheit,  Taubheit  des  rechten  Ohres,  Beeinträchtigung  von  Geruch 
und  Geschmack,  Neigung  nach  rechts  zu  taumeln.  Dabei  war  sie  aber  noch  einen 
Tag  vor  ihrem  Tode  im  Stande,  mit  geschlossenen  Fflssen  fest  zu  stehen  und  konnte 
kein  Schwanken  oder  Coordinationsstörung  beim  Gange  bemerkt  werden,  welcher  der 
fast  völligen  Blindheit  auf  Grund  ophthalmoskopisch  constatirter  Sehnervenatrophie 
mit  reactionslosen  weiten  Pupillen  entsprach. 

Bei  der  Obduction  erschwerten  starke  Adhärenzen  der  hinteren  Schädelgrube  die 
Entfernung  des  Cerebellum,  dessen  rechte  Hälfte  fast  vollständig  zerstört  war  durch 
den  Druck  eines  knorpelartigen  Tumors  von  der  Grösse  eines  Hühnereis,  welcher  von 
der  Dura  mater  entsprechend  dem  unteren  Bande  der  hinteren  Schädelgrube  nahe  der 
Verbindung  des  Sinus  lateralis  mit  dem  Sinus  petrosus  ausging.  Die  Gompression 
des  Kleinhirns  war  eine  so  starke,  dass  nur  eine  dünne  Lage  von  Nervengewebe 
den  Tumor  bedeckte.  Der  rechte  Lohns  amygdaloideus  und  Flocculus,  der  Central- 
lappen  (Vermis)  und  die  linke  Kleinhimhälfte  waren  intact.  Die  MeduUa  oblongata 
QDd  die  Nerven  waren  bei  der  Obduction  verletzt  und  konnten  nicht  untersucht 
werden.  Die  histologische  Untersuchung  des  Tumors  ergab  Tuberkelmassen  mit 
Biesenzellen. 

Der  Mangel  directer  Kleinhimsymptome,  namentlich  von  Gleichgewichts-  und 
Coordinationsstörungen,  wird  auf  das  langsame  Wachsthum  des  Tumors  zurückgeführt. 

E.  Remak. 

13)  Case  of  sarcoma  of  oerebellum,  by  Macgregor.    (Medical  Times.  1885. 

Nr.  1842.) 

A.  E.,  11  Jahre  alt,  bekam  plötzlich  Anfälle  von  kurzdauerndem  Erbrechen, 
^^leitet  von  starkem  Kopfschmerz,  und  zwar  traten  dieselben  2  bis  dmal  in  der 
Woche  auf.  Leichte  Schwäche.  Temperatur  subnormal.  Bei  einem  Anfall  war  der 
Puls  56  und  unregelmässig.  Keine  Abnahme  der  Sehkraft.  Links:  Ausgesprochene 
^enritis  optica  mit  stark  gefüllten  und  geschlängelten  Gefässen.  Rechts:  Beginnende 
Neuritis  optica.  Später  leichte  linksseitige  Facialisparese  und  linksseitiger  Strabismus 
convergens.  Exophthalmus  beiderseits.  Einige  Wochen  später  war  der  Kopf  in  den 
Nacken  geworfen,  starker  Kopfschmerz  vorhanden.  Puls  56.  Pupillen  weit  und  auf 
Licht  reactionslos.  Incontinentia  urlnae.  Beim  Gehen  Tendenz  nach  vom  zu  fallen, 
^hkraft  erhalten.  8  Tage  nachher  starb  sie  im  Goma  nach  einem  heftigen  Anfalle 
Yon  Erbrechen  and  Kopfschmerz. 

Autopsie.  Die  Windungen  leicht  abgeflacht,  die  Venen  stark  gefüllt,  in  den 
Ventrikeln  beträchtliche  Menge  schmutzig  gelber  Flüssigkeit.   Die  linksseitige  Hemi- 


—    136    — 

sph&re  des  Kleinhirns  war  yon  einem  matt  fleischfarbigen  Tomor  eingenommen,  der 
sich  ans  einer  Ton  der  Gehimmasse  gebildeten  Kapsel  leicht  herausschälen  liess.  Er 
zeigte  mikroskopisch  kleine  Rnndzellen  und  losgelöste  Gehimelemente. 

Buhemann. 

14)  Tumour  of  brain«  by  Turner.    (The  Lancet.  1885.  Vol.  I.  S.  844.) 

Dr.  Gharlewood  Turner  zeigte  in  der  Pathological  Society  of  London  einen 
Gehirntumor,  der  einem  15jährigen  Mädchen  angehörte.  Dasselbe  zeigte  seit  2  Mo- 
naten doppelseitige  Amaurose,  der  eme  doppelseitige  Neuritis  optica  zu.  Grunde  lag, 
femer  schon  etwas  früher  Erbrechen,  Kopfschmerzen,  Schmerzen  in  der  linken  KOrper- 
seite.  Beide  Pupillen  weit,  schwach  reagirend,  Parese  der  linken  Seite.  Sensibilität 
intact.  Der  Inteilect  ungestört.  Der  Tod  erfolgte  in  einem  epüeptiformen  Anfall, 
dem  linksseitige  Facialisparalyse  voranging.  Die  Section  ergab  einen  weichen,  sarco- 
matösen  Tumor,  der  den  vierten  Ventrikel  ausflillte  und  von  dort  in*s  Cerebellam 
und  die  Medulla  oblongata  hineingewachsen  war. 

In  derselben  Versammlung  zeigte  Dr.  Dyce  Duckworth  2  Bundzellensarcome, 
von  denen  das  eine  in  der  rechten  Lunge,  das  andere  im  Corpus  striatum  der  rechten 
Hemisphäre  sass;  letzteres  haselnussgross.  Seit  wenigen  Monaten  bestand  linksseitige 
Hemiplegie  nach  einem  apoplectiformen  Anfall.  Buhemann. 


16)  Ueber  die  Kemig'sohe  Flezionsoontraotor  der  Kniegelenke  bei  Gehim- 
krankheiten,  von  Dr.  Ed.  Bull,  Christiania.  (Berliner  klin.  Wochenschrift 
1885.  Nr.  47.) 

Daa  von  Dr.  Kernig  in  Petersburg  bekannt  gegebene  und  diagnostisch  wichtige 
Symptom  besteht  bekanntlich  dann,  dass,  wenn  die  Schenkel  der  Kranken  in  den 
Hüftgelenken  flectirt  sind,  die  Kniegelenke  wegen  Contractur  der  Flexoren  nicht 
extendirt  werden  können,  was  sofort  möglich  wird,  wenn  die  Hüftgelenke  gestreckt 
werden.  Kernig  fand  das  Symptom  bei  Meningitis,  Gehirnblutungen,  Thrombose  des 
Sinus  transversus,  Cardqom  und  Hyperämie  des  Gehirns.  B.  bestätigt  das£ernig*Bche 
Symptom  für  je  einen  Fall  von  Meningitis  tuberculosa»  Tumor  cerebelli  und  Throm- 
bose des  Sinus  transversus  sinistr.  Als  gemeinsames  Merkmal  der  betreffenden 
Affecüonen  glaubt  er  die  Vermehrung  des  Himdrucks  betonen  zu  sollen  und  giebt 
für  das  Symptom  folgende  Erklärung:  bei  gleichzeitiger  rechtwinkliger  (nicht  spitz* 
winkliger  1)  Beugung  in  Hüfte  und  Knie  strammen  sich  die  hinteren  Schenkelmuskeln; 
und  bei  einem  Menschen  mit  einer  Gehimkrankheit  —  Gehimdruck  —  wirkt  dieses 
Strammen  als  ein  Reiz,  um  eine  krampfhafte  reflectorische  Ck)ntractur  der.  Beuge- 
muskeln hervorzurufen,  welche  Contractur  sofort  gelöst  wird,  sobald  durch  Extension 
des  Hüftgelenks  das  Strammen  dieser  Muskeln  gehoben  wird.  Hadlich. 


16)  Ueber  Tabes  donalia  mit  erhaltenem  Patellarreflez,  von  Prof.  Dr.  L.  Hirt 
(Berl.  KUn.  Wochenschr.  1886.  Nr.  10.) 

Verf.  berichtet  über  3  Fälle  von  Tabes,  in  denen  die  Patellarrefleze  durchaus 
normal  vorhanden  waren. 

In  dem  ersten  handelte  es  sich  um  einen  57jährigen  Former,  der  neben  weit 
verbreiteter  cutaner  Analgesie  Gürtelgefühl,  Ataxie,  Bomberg*sches  Zeichen  und  Enuresis 
gezeigt  hatte  und  an  einer  doppelseitigen  Pneumonie  zu  Grunde  ging.  Die  Krankheit 
hatte  8  Jahre  bestanden.  Die  Section  ergab  graue  Verfärbung  und  Atrophie  der 
Hinterstränge,  auch  im  Uebergang  aus  Brust-  und  Lendenmark  und  in  dem  letzteren. 
Genauere  Untersuchung  steht  noch  aus  (cf.  diese  Nummer  S.  143). 


—     137    — 

Der  zweite«  und  dritte  Fall  betrifft  eine  46jährige  FraUi  die  seit  15  Jahren 
krank,  und  einen  (?)  alten  Mann,  dessen  Krankheit  vor  6  Jahren  begann.  In  beiden 
Fallen  waren  bei  normalen  Patellarreflezen  die  ausgesprochenen  Zeichen  der  Tabes 
vorhanden.     Beide  leben  noch. 

In  einem  vierten  Falle  von  Tabes  war  der  Patellarreilex  auf  der  einen  Seite 
erhalten,  während  er  auf  der  andern  schon  seit  l^/,  Jahren  yerschwunden  war. 

M. 

Psychiatrie. 

17)  Chronischer  Chloralmlasbrauch,  von  Dr.  Böhm.  (Arch.  f.  Psych.  XVII.  1.) 

So  lange  das  Ohloral  bekannt,  so  alt  ist  fast  auch  die  Eenntniss  der  schädlichen 
Folgen  des  chronischen  Missbrauchs,  wie  der  individuellen  Intoleranz  Einzelner  gegen 
selbst  kleine  Dosen  des  Narcoticums.  B.  giebt  zunächst  eine  genaue  Zusammenstellung 
der  reichhaltigen  einschlägigen  Literatur,  an  die  er  dann  die  in  der  Blankenburger 
Heilanstalt  gemachten  Erfahrungen  anreiht. 

In  vielen  Fällen  bewirkt  das  Ghloral  gerade  eine  Steigerung  der  Symptome, 
gegen  welche  es  verordnet,  während  die  energische  Entziehung  des  Mittels  nachher 
das  ursprüngliche  Leiden  günstig  beeinflusst.  Auch  gegen  einfache  Schlaflosigkeit 
versagt  es  leicht  den  Dienst,  die  Patienten  werden  deprimirt,  apathisch,  klagen,  dass 
sie  stets  nur  beunruhigenden  Halbschlummer  ohne  StSJrkung  erzielten.  Um  eine  Ge- 
wöhnung des  Gehirns  an  Chloral  zu  verhüten,  empfiehlt  es  sich,  den  Gebrauch  öfters 
auszusetzen  und  ein  anderes  Schlafmittel  zu  substituiren.  Ein  Beizmittel,  wie  das 
Morphium  für  den  Morphiophagen,  bietet  das  Chloral  übrigens  dem  Körper  nicht. 
Die  schädlichen  Wirkungen  des  Chlorals  bestehen  zunächst  in  den  vasoparalytischen 
Störungen,  den  Hauterkrankungen  und  den  Entzündungen  der  Schleimhäute. 

Trotz  wachsender  Gefrässigkeit  magern  die  Kranken  ab,  es  kommen  Harnver- 
haltung und  auch  epileptiforme  Krämpfe  vor,  besonders  ist  aber  die  zerstörende 
Wirkung  des  Chloralmissbrauchs  auf  die  geistigen  Fähigkeiten  hervorzuheben  und  die 
Trübung  der  Stimmung. 

Die  physiologische  Wirkung  des  Chlorals  besteht  in  der  Lähmung  der  vaso- 
motorischen Centren,  entweder  durch  Chloroformbildung  oder  durch  die  Wirkung  des 
Chlors.     Die  Temperaturherabsetzung  beruht  auf  verminderter  Wärmebildung. 

Genauere  Temperaturangaben  fehlen  übrigens  den  mitgetheilten  Krankenge- 
schichten. Zander. 

18)  Zur  KenntniBB  der  HorphiumpayohOBen,  von  H.  Smidt.    (Arch.  f.  Psych. 

Bd.  XVn.  H.  I.) 

Yerf.  bespricht  an  der  Hand  vier  detaillirter  Krankengeschichten  die  auf  der 
Höhe  der  Morphiumintoxication  wie  während  der  Entziehung  vorkommenden  psychischen 
Störungen.  In  allen  Beobachtungen  spielen  die  Delirien  die  Hauptrolle,  welche  stets 
bei  wesentlicher  Beschränkung  des  Morphiums  auftreten,  es  sind  Inanitionssymptome, 
welche  begünstigt  werden  durch  die  in  allen  Entziehungskuren  wiederkehrende  Angst, 
die  sich  oft  mit  vasomotorischen  Erscheinungen  verbindet,  durch  die  allgemeine  Be- 
nommenheit und  durch  Accommodationsstörungen,  die  namentlich  bei  rascheren  Ent- 
ziehungen nie  fehlen;  damit  vergesellschaften  sich  Sensibilitätsstörungen  und  ebenso 
regelmässig  bei  jeder  Entziehungskur  sexuelle  Delirien,  welche  aus  dem  wiederer- 
wachenden Geschlechtstriebe  entspringen. 

In  einem  Falle  des  Verf.  bildete  sich  ausserdem  ein  länger  andauernder  Ver- 
folgungswahn aus,  in  einem  anderen  herrschten  paralytische  Symptome  vor. 

So  grosse  Aehnlichkeit  die  Morphiumpsychosen  mit  den  alkoholischen  haben, 
die  Prognose   möchte  Verf.  bei   den   ersteren   günstiger   stellen.    Aehnlich  wie  bei 


—    138    — 

Alkoholikern  bildet  sich  bei  manchen  Morphinisten  mit  der  Abnahme  der  gesammten 
psychischen  Fähigkeit  ein  gewisser  moralischer  Schwachsinn  ans,  doch,  wie  Verf. 
richtig  bemerkt,  sind  gar  viele  Morphinisten  schon  vorher  moralisch  defect  gewesen. 
Zum  Schloss  rühmt  Yerf.  die  günstige  Einwirkung  kleinerer  Dosen  Cocain  auf 
die  Hallucinationen.  Zander. 


19)  Ueber  die  katatonisohen  Ersoheinungen  in  der  Paralyse.    Vortrag  von 
Knecht     (Allg.  Ztschr.  f.  Psych.  1886.  Bd.  42.  S.  331.) 

Wie  der  paralytische  Himprocess  unter  jeder  Form  von  Psychose  neben  den 
ihm  speciell  zugehörigen  Symptomen  verlaufen  kann,  so  wird  auch  das  Bild  der  sog. 
Katatonie  bei  Paralytischen  beobachtet.  K.  unterscheidet  zwei  Gruppen  dieser  Kranken : 
bei  der  einen  verläuft  die  Krankheit  monatelang  unter  den  Erscheinungen  des  aus- 
gesprochenen melancholischen  Stupors,  bis  dann  plötzlich  eine  rasch  sich  steigernde 
Paralyse  auftritt»  welche  das  Leben  der  Kranken  beendigt;  die  andere  Gruppe  zeigt 
anfänglich  die  Symptome  einer  Paralyse,  welche  dann  später  von  einer  Katatonie 
abgelöst  wird,  während  deren  Bestehens  indess  wiederholte  paralytische  Anfälle  auf- 
treten. Der  Verlauf  ist  bei  der  letzteren  Gruppe  meist  schleppend.  Von  den  mit- 
getheilten  Krankengeschichten  ist  bei  dem  einen  Fall  der  zweiten  Gruppe  die  Diagnose 
Paralyse  zweifelhaft,  bei  den  übrigen  betont  K.  sehr  richtig  die  Auffassung  aller 
Symptome  als  die  eines  einheitlichen  Krankheitsprocesses.  Siemens. 


20)  Epilepsie  und  Verrücktheit.  Oastdatische  Beiträge  von  Pericles  Vejas. 

(Arch.  f.  Psych.  Bd.  XVII.  H.  I.) 

Vejas  theilt  4  Fälle  von  Complication  der  Epilepsie  mit  Verrücktheit  mit, 
deren  erste  beide  insofern  eine  gewisse  Aehnlichkeit  haben,  als  bei  ihnen  epileptische 
Anfölle  nach  dem  Ausbruch  der  Psychose  nicht  mehr  zur  Beobachtung  kamen,  nur 
zeigte  der  zweite  immer  noch  auraartige  schwindelhafte  Wallungen,  doch  konnte  er 
sich  vor  dem  drohenden  Anfalle  durch  Flüchten  in  den  Schatten  retten. 

Im  dritten  Falle,  einer  stark  hereditär  belasteten  Patientin,  leitete  sich,  nach- 
dem epileptische  Anfälle  schon  lange  bestanden,  die  Psychose  als  postepileptisches 
Irresein  ein,  an  welches  sich  einfache  Melancholie  mit  starken  Hallucinationen  an- 
schloss,  letztere  bildeten  später  die  Haupterscheinungen,  nach  jedem  epileptischen 
Anfall  in  verstärkter  Weise  auftretend.  Der  vierte  Fall  betrifft  ein  von  Jugend  an 
anormales  Individuum,  bei  dem  schon  sehr  früh  Illusionen  auftraten,  nach  statt- 
gefundener Masturbation  tritt  der  erste  Anfall  ein  mit  nachfolgenden  Gesichtshallu- 
cinationen.  Später  werden  anfallsweise  auftretende  Erregungszustände  mit  folgender 
Amnesie  beobachtet,  während  Convulsionen  in  den  letzten  Jahren  fehlten.  Auffallend 
ist  die  völlige  Widerstandsunfahigkeit  dieses  Patienten  auch  gegen  die  kleinsten 
Dosen  Alkohol. 

Bei  allen  4  Patienten  herrschen  die  Grössenideen  auffallend  vor. 

Zander. 

21)  Two  oases  of  melancholia,  by  Cl.  Patton.  (Joum.  of  ment.  science.  1886. 1.) 

P.  bringt  2  Fälle  von  schworer  Melancholie,  die  beide  aus  gleicher  Ursache 
hervorgingen,  nämlicli  in  Folge  eines  beim  Partus  entstandenen  ganz  schweren  Damm- 
risses. Der  erste  Fall,  bei  dem  auch  tiefe  Erosionen  des  Cervix  bestanden,  wurde 
mit  Arg.  nitr.  behandelt,  wodurch  eine  lebensgefährliche  Blutung  entstand,  die  durch 
Tamponade  gestillt  wurde.  Hiemach  auffallend  schnelle  Genesung.  Der  andere  Fall 
ging  in  Demenz  über.  Zander. 


—    139    — 

Therapie* 

22)  De  remploi  de  Taloool  soub  forme  de  vin  ou  de  biöre  dans  le  traite- 
ment  des  maladies  mentales,  par  le  Dr.  Brosius. 

In  emem  auf  dem  internationalen  Fsychiatercongress  am  7.  Sept.  1885  gehal- 
tenen Vortrage  bespricht  Verf.  die  therapeutischen  Wirkungen  des  Alkohols  bei 
nervösen  und  psychischen  Krankheiten  und  kommt  zu  den  Schlflssen,  dass  1.  der 
massige  Gtonuss  geistiger  Qetränke  an  und  für  sich  bei  Psychosen  und  Nervenkrank- 
heiten memals  schädlich  ist;  dass  2.  grössere  Dosen  (etwa  ^/^  Liter  Rhmnwein, 
Sherry  etc.)  bei  Aufregpuigszustanden  verh&ltnissmftssig  sichere  Beruhigungs-  und 
selbst  Schlafmittel  darstellen;  dass  3.  bei  allen  Patienten  mit  Nahrungsverweigerung, 
dann  bei  Dyspepsie  und  besonders  auch  bei  Paralytikern  der  Alkohol  als  ein  respi- 
ratorisches Nahrungsmittel  im  Sinne  von  Hinz  zu  betrachten  ist,  und  dass  4.  alle 
Entziehungscuren  nach  Morphinismus,  Bromismus  etc.  zur  Vermeidung  von  Collapsen 
eine  ausgiebige  Anwendung  geistiger  Getränke  erfordern. 

In  der  Discussion  wurde  die  Bezeichnung  Alkohol  dahin  pr&cisirt,  dass  nur 
Wein  und  Bier,  nicht  aber  Branntweine  etc.  (wegen  ihres  Gehaltes  an  giftigem 
Amylalkohol  nach  Magnan)  benutzt  werden  dürften.  Sommer. 


23)  Ueber  die  Dosirung  galvanisoher  Ströme  in  der  Elektrotherapie,  von 

S.  Th.  Stein,  Frankfurt  a.  M.    (Berl.  klin.  Wochenschr.  1886.  Nr.  4.) 

Nach  Darlegung  der  neueren,  besonders  von  Erb  angeregten  Bestrebungen,  die 
genaue  Angabe  der  in  der  Elektrotherapie  angewendeten  Stromstärken  zu  ermöglichen, 
beschreibt  St.  zunächst  ein  von  ihm  hergestelltes  constant  bleibendes  Trockenelement 
Es  ist  ein  Zink-Braunstein-Element,  bei  dem  eine  Mischung  von  Gelatine,  Glycerin, 
Salmiak  und  Salicylsäure  verwendet  wird.  Es  wird,  wie  beim  Leclanch^«Elemente, 
am  Zink  Zinkchlorid  gebildet  und  Ammoniak;  der  gleichzeitig  frei  gewordene  Wasser- 
stoff ozydirt  sich  mit  dem  aus  dem  Braunstein  abgegebenen  Sauerstoff  zu  Wasser, 
welches  an  SteUe  des  verdunsteten  Wassers  die  Masse  feucht  erhält.  Verf.  spricht 
diesem  Elemente^  —  der  einmaligen  Füllung  —  eine  mehrjährige  Daner  und  gleich- 
massige  Leistungsfähigkeit  zu. 

Die  „Dosirung''  besteht  nun  darin,  dass  in  Fällen,  wo  das  Selbstelektrisiren  der 
Patienten  nicht  zu  umgehen  ist,  dem  Mechaniker  vom  Arzte  eine  Anweisung  zur 
Anfertigung  eines  Apparates  von  so  und  so  viel  Elementen  und  so  und  so  grossen 
Beophoren  gegeben  wird,  welcher  gerade  diejenige  Stromstärke  hat,  die  der  Patient 
anwenden  soll;  er  kann  dann  eben  keine  andere  Stromstärke  und  Stromdichte  be- 
nutzen. Hadlich. 


^)  Ueber  Oaxmabinon.  Vortrag  von  Dr.  Yo geigesang.    (Allg.  Ztschr.  f.  Psych. 
1886.  Bd.  42.  S.  341.) 

y.  wandte  das  von  Apotheker  Bombeion  dargestellte  Cannabinon  theils  in  den 
Tabletten  (mit  Kaffeepulver  vertheilt),  theils  subcutan  (mit  Ol.  amygdalarum),  meist 
aber  innerlich  in  der  Formel  Cannabinoni  3,0:  Ol.  olivar.  150,0  zu  0,15  bis  0,6 
pro  dosi  an.  Die  subcutane  Injection  verursachte  beträchtliche  örtliche  Beizerschei- 
Düngen.  Bei  Geistesgesunden  bewirkt  schon  0,1  Schlaf  mit  angenehmen  Empfin- 
(iungen,  bei  Geisteskranken  ist  0,3  die  mittlere  Dosis.  Massige  Erregungszustände 
^^^  Hysterischen  etc.  sind  die  dankbarsten  Substrate.  Herzfehler  contraindicirt  das 
Cannabinon  (cf.  Neurol.  Centralbl.  1885.  S.  21).  Siemens. 

^  S.  Simon,  in  Firma  R.  Blänsdorf  Nachfolger  in  Frankfurt  a.  M.  fertigt  die 
%arate  an. 


—     140     — 

Anstaltswesen. 

26)  Thirty-ninth  report  of  the  oommissioners  in  Lunaoy  1886  July.  (Joum. 

of  ment.  science.  1886.  I.) 

Aus  dem  letzten  Rapport  der  Gommission  für  BnglaUd  ist  hervorzuheben,  dass 
seit  dem  1.  Januar  1884  bis  1.  Januar  1885  die  Zahl  der  Qeisteskranken  in  Eng- 
land um  1176  zugenommen  hatte,  so  dass  sie  79704  betrug,  und  damit  kam  ebenso 
wie  im  letzten  Jahre  auf  345  Einwohner  1  Kranker.  Die  Zunahme  war  also  ent- 
sprechend der  Zunahme  der  Gesammtbevölkerung.  Die  Zahl  der  Aufnahmen  betrag 
5,27  auf  10000  Einwohner,  insgesammt  14,512,  die  Zahl  der  Genesungen  betrug 
40,33  7o  der  Aufnahme.  Die  Zahl  der  Todesf&Ue  betrug  5332  oder  9,51  ^j^,  des 
durchschnittlichen  Fräsenzstandes.  Selbstmordfalle  sind  nur  18  vorgekommen.  Die 
Autopsie  wurde  nur  in  ^9  7o  der  Todesfalle  gemacht. 

In  Schottland  gab  es  insgesammt  10,918  Kranke,  die  Zahl  der  Todesfalle  be- 
trug hier  7  ^o*  li^  Schottland  ist  das  System  der  familialen  Verpflegung  sehr  aus- 
gebildet, 1861  Patienten  lebten  in  Frivatpflege,  diese  werden  wenigstens  einmal  im 
Jahre  von  einer  Commission  besucht,  der  Bericht  spricht  sich  über  die  Besultate 
günstig  aus.  Zander. 

26)   Some  Points  in  Irish  lunaoy  law,  by   Conolly  Normann.     (Joum.  of 
meni  science.     1886.    I.) 

Das  irische  Gesetz  bestimmt  fOtr  die  Aufnahme  in  die  Irrenanstalt  folgendes 
Verfahren.  Die  Fersen  soll  vor  zwei  Bichter  gebracht  werden  und  wenn  diese 
überzeugt  werden  können,  dass  die  Fersen  geistige  Krankheit  verrathe  und  den 
Vorsatz  habe,  irgend  eines  Vergehens  sich  schuldig  zu  machen,  für  welches  sonst 
eine  Verurtheüung  erfolgen  müsste,  so  soll  der  nächste  beste  Medicinalbeamte  her- 
zugeholt werden,  der  dann  nach  einem  Erankenexamen  in  einem  Certificat  den  Be« 
treffenden  als  einen  gemeingeföhrlichen  Irren  bezeichnet  und  darauf  soll  die  Auf- 
nahme in  die  Anstalt  auf  die  Verfügung  der  zwei  Richter  erfolgen.  In  der  Anstalt 
soll  die  Ferson  bleiben  und  behandelt  werden,  ebenso  wie  ein  aus  dem  Gefangniss 
der  Anstalt  zugeführter  Kranker,  jedoch  soll  es  gestattet  sein,  dass  Freunde  oder 
Verwandte  den  Kranken  unter  ihre  eigene  Obhut  zurücknehmen,  wenn  sie  dem 
Bichter  genügende  Bürgschaft  für  die  Sicherheit  des  Kranken  geben.  —  Dies  Gesetz 
ist  nach  des  Verf.  Meinung  keine  wesentliche  Verbesserung  des  alten,  nach  welchem 
die  Bichter  das  Recht,  einen  gefahrlichen  Geisteskranken  ins  Gefangniss  zu  senden, 
hatten,  denn  auch  jetzt  geschieht  die  Aufnahme  in  die  Anstalt  meist  so,  dass  Foli- 
zisten  den  Kranken  festnehmen  und  vor  den  Richter  schleppen,  vor  dem  dann  die 
Gremeingefahrlichkeit  des  Fat.  beschworen  wird  und  schliesslich  wird  Fat.  durch 
Folizisten  der  Anstalt  zugeführt.  Verf.  tadelt  das  Verfahren  der  Aufnahme,  wie 
auch  die  Möglichkeit,  den  Kranken  aus  der  Anstalt  herausnehmen  und  seinen  An- 
gehörigen zurückgeben  zu  können,  ohne  dass  die  Aerzte  der  Anstalt  bei  beiden  ein 
Wort  mitzureden  haben.  Zander. 


in.   Aus  den  Gesellschaften. 

Society  anatomique  de  Faris.    Sitzung  vom  8.  Januar  1886. 

Babinski  demonstrirt  Rückenmarks-Schnitte  von  einem  Fall  von  oombinirter 
Solerose.  Es  hatte  Ataxie  mit  gesteigerten  Sehneuphänomenen  und  Contracturen 
an  den  unteren  Extremitäten  bestanden. 

In  der  Höhe  der  Cerevicalanschwellung  bestand  eine  sehr  ausgesprochene 
Sderose  der  Hinterstränge,  der  gekreuzten  Fyramidenstränge ,  des  Türck'schen 
Stranges  und  der  Kleinhimstränge.     Das  Türck^sche  Bündel  war  nach  oben  weniger, 


—     141     — 

nach  unten  starker  afficirt,  bis  in  den  Lumbaltheil  Das  mikroskopische  Bild  war 
an  den  Hinterstrangen  das  einer  sehr  entwickelten  Sderose  mit  Erhaltung  einer 
geringen  Zahl  von  Nervenfasern;  im  Pjramidengebiete  dagegen  fand  sich  haupt- 
sächlich eine  grosse  Zahl  von  Kömchenzellen  ohne  erheblichen  Verlust  von  Ner- 
Tenfasern. 

Babinki  stellt  seinen  Fall  den  analogen  Fällen  von  Kahler  und  Pick  an  die 
Seite  und  glanbt,  dass  die  Erkrankung  der  Hinterstrange  in  seinem  Falle  anatomisch 
selbb'tetändig  ist  gegenüber  der  Erkrankung  der  anderen  Stränge  des  Rückenmarks. 

Hadlich. 

Society  de  Biologie  de  Paris.    Sitasung  vom  23.  Januar  1886. 

Bouz  hat  die  Endigungen  sympathischer  Nerven  im  Oesophagus,  Magen  und 
Darm  der  Crustaceen  untersucht  und  überall  an  denselben  Zellen  mit  zwei  und 
mehr  Ausläufern  gefunden,  welche  er  aber  alle  als  bipolare  auffasst,  weil  stets  ein 
Ende  als  centrales,  das  andere  als  peripherisches  anzusehen  ist..  Zellen  von  T-Form, 
vie  Ranvier  beschreibt,  hat  er  nicht  gesehen. 

An  einzelnen  Stellen  häufen  sich  die  Zellen  im  Verlauf  einer  Faser  an;  wenn 
der  Znsammenhang  jeder  Zelle  mit  ihrer  zugehörigen  Faser  nicht  mehr  zu  erkennen 
i«t,  spricht  B.  von  einem  Ganglion.  —  An  anderen  als  sympathischen  Nerven  hat 
fi.  diese  Ganglienzellen  niemals  angetroffen,  und  aus  diesem  Grunde  nimmt  er  mit 
Entschiedenheit  für  einen  kleinen  vom  ersten  Ganglion  thoracicum  zum  Pericardium 
bei  den  Crustaceen  verlaufenden  Nerven  —  dessen  sympathische  Natur  einzelne 
Aotoren  bestritten  hatten  —  den  Ursprung  aus  dem  Sympathicus  an. 

Hadlich. 

Berliner  Gesellschaft   für  Psychiatrie  und  Nervenkrankheiten.     Sitzung 
vom  8.  März  1886. 

Remak  demonstrirt  vor  der  Tagesordnung  zunächst  die  von  Erb  in  Nr.  1 
dieses  Jahrgangs  zu  elektrodiagnostischen  Zwecken  vorgeschlagene  Nonnalelektrode 
von  10  Dem  Querschnitt  In  kreisrunder  Form  mit  einem  berechneten  Durchmesser 
von  3,5  cm,  and  im  Anschluss  daran  behufs  der  neuerdings  angestrebten  exacteren 
Stromdosirung  auch  zu  therapeutischen  Zwecken  eine  nach  seiner  Angabe  von  Hirsch« 
mann  verfertigte,  für  verschiedene  Bedürfnisse  im  Decimalsystem  abgestufte 
Reihe  nach  Flächenmaassen  (15  Dem,  20  Dem,  30  Dem,  40  Dem,  50  Dem) 
graduirter  und  am  Schaft  entsprechend  bezeichneter  kreisrunder  Elek- 
trodenplatten, deren  Durchmesser  nach  gehöriger  Abrundung  der  berechneten 
^Men  4,4  cm,  5  cm,  6  cm,  7  cm,  8  cm  sein  müssen.  Die  von  Erb  für  die  Normal- 
elektrode vorgeschlagene  Berechnung  der  absoluten  Stromdichte  durch  Division 
<i<)r  in  Milliamperes  abgelesenen  Stromstärke  mittelst  des  Elektrodeninhalts  ist  bei 
diesen  Elektroden  ebenfalls  leicht  thunlich.  Beispielsweise  giebt  1  Milliampere  bei 
Verwendung  der  Normalelektrode  0,1,  bei  Verwendung  der  50  Dcm-Elektrode  0,02 
Pointe  Dichtigkeit.  Zur  Erzielung  derselben  Stromdichte  erfordert  die  Elektrode 
von  50  Dem  eine  5mal  grössere  Anzahl  von  Milliamperes  als  die  Normalelektrode. 
Menfalls  seien  übersichtlichere  Angaben  möglich,  als  nach  G.  W.  Müller  mittelst 
einfacher  Brüche,  in  welchen  die  Milliamperezahl  den  Zähler,  der  berechnete  Quer- 
schnitt der  beliebig  oonstruirten  Elektrode  den  Nenner  abgiebt. 

Bernhardt  berichtet  zunächst  über  einen  25jährigen  Mann,  welcher  als 
>»Mattirer"  in  einer  Enopffabrik  thätig  durch  seine  vom  Vortragenden  ausführlich 
erläuterte  Beschäftigung  sich  eine  SohnürungspareBe  fast  sämmtlioher  Hiukelii 
der  Unken  oberen  Extremität  zugezogen  hatte.  Nur  der  M.  deltoides  war  ver- 
schont    Neben  subjectiven  Parästhesien   in   der  Unken  Hand   und   den  Fingern 


—    142    — 

bestand  eine  aach  objectiv  nachweisbare  bedeutende  Sensibilitätsstörung  am  Ulnarrand 
der  linken  Hand,  in  Folge  der  Einwirkung,  welchen  beim  Proeess  des  Mattirens  der 
fein  verstaubte  und  mit  grosser  Gewalt  anschlagende  feine  Sand  auf  die  Haut  aus- 
geübt hatte.  —  Der  Vortragende  erinnert  an  die  Analogie  dieses  Falles  mit  den  von 
Brenner  und  ihm  beschriebenen  Armparesen  nach  polizeilichen  Fesselungen. 

Eine  zweite  Beobachtung  betrifft  einen  Mann,  der  Jahre  lang  schwere  Lasten 
auf  der  linken  Schulter  getragen  und  nehm  Schmerzen  im  Arm  sich  schliesslich  eine 
nur  auf  die  Mm.  supra-  und  infraspinati  beschränkte  atrophlsoho  Lähmung  zu- 
gezogen hatte.  Der  Druck  war  auf  den  N.  suprascapularis  ausgeübt  worden,  ähnlich 
wie  Wiesner,  Vortragender  u.  A.  dies  von  isolirten  Serratuslähmungen  beschrieben 
haben,  welche  durch  Tragen  von  Lasten  auf  einer  Schulter  durch  Druck  auf  den 
N.  thor.  longus  zu  Stande  gekommen  waren. 

Drittens  bespricht  der  Vortragende  zwei  Fälle  von  peripherischer  Facialifl- 
lähmung,  von  denen  der  eine  auf  eine  Otitis  media,  der  andere  wahrscheinlich  auf 
eine  Schädelbasisfractur  (nach  Fall)  zurückzuführen.  —  In  beiden  "Fällen  bestand 
zwar  auch  eine  Betheiligung  der  Stim-Augenäste  an  der  Lähmung,  doch  war  dieselbe 
so  massig,  dass  sie  bei  oberflächlicherer  Betrachtung  hätte  übersehen  werden  können. 
Im  Gegensatz  zu  den  die  schwere  Form  der  Lähmung  und  EaR  zeigenden  Nasolabial- 
ästen  zeigten  die  Orbiculo-Frontaläste  nur  Mittelform,  bezw.  nur  quantitative  Herab- 
setzung der  elektrischen  Erregbarkeit,  ohne  EaR.  Der  Vortragende  stellt  diesen 
Befunden  die  in  der  Literatur  schon  verzeichnete  Thatsache  gegenüber,  dass  bei 
Facialislähmungen  offenbar  centraler,  durch  Grosshimläsion  bedingter  Natur,  öfter  ein 
Befallensein  auch  der  Stim-Augenäste  an  der  Lähmung  verzeichnet  sei. 

In  der  Discussion  bemerkt  Mendel,  dass  man  doch  wohl  die  Facialis- 
Lähmungen  nicht  einfach  als  centrale  und  peripherische  unterscheiden  sollte,  sondern 
genauer  nach  der  Localität  der  Affection  definiren.  Es  ist  doch  —  nach  Ausweis 
pathologischer  Beobachtungen  —  schon  der  Rindenursprung  des  Facialis  für  die 
naso-labialen  und  für  die  orbiculo-frontalen  Aeste  ein  getrennter.  Liegt  der  die 
Facialis-Lähmung  bewirkende  Herd  vor  der  Vereinigung  beider  Aeste  im  Qrosshim,  so 
wird  voraussichtlich  nur  je  der  obere  oder  untere  Theil  —  erfahrungsmässig  meist  nur 
der  untere  —  der  Facialisäste  betroffen  werden;  bei  centralen  Affectionen  hinter 
dieser  Stelle  aber  voraussichtlich  der  ganze  Nerv.  —  Bei  peripherischen  Lähmungen 
hat  auch  M.  grosse  Verschiedenheiten  in  der  Ausdehnung  der  Lähmung  im  obern 
und  untern  Facialis  beobachtet. 

Bernhardt  bemerkt  hiergegen,  dass  in  dem  Samm*schen  Fall  von  grossem 
Bluterguss  im  Stirnhirn  der  ganze  Facialis,  andererseits  bei  buibären  Processen 
nur  ein  Theil  des  Nerven  gelähmt  gefunden  sei. 

Mendel:  Meine  Bemerkung  konnte  sich  natürlich  nur  auf  relativ  kleine  Herd- 
affectionen  beziehen. 

Bemak  erörtert  die  Verschiedenheit  peripherischer  Facialis-Lähmnngen  je  nach 
der  Oertlichkeit  der  bedingenden  Ursache,  die  bald  den  ganzen  Stamm,  bald  nur 
Theile  desselben  treffe.  In  Bezug  auf  die  Radialislähmungen  weist  er  darauf  hin, 
dass  nicht  nur  Druck,  sondern  auch  Zerrung  des  Nerven  sie  veranlassen  könne, 
wie  ihm  ein  Fall  bewiesen  habe,  in  welchem  ein  Mann  durch  Fall  lediglich  auf  den 
Rücken  der  Hand  und  dadurch  bedingte  Dehnung  des  Radialis  eine  Lähmung  dieses 
Nerven  bekommen  habe. 

Bernhardt  bemerkt  hierzu,  dass  er  nicht  von  isolirten  Lähmungen  des  Radialis, 
sondern  von  einer  solchen  aller  Armnerven  gesprochen  habe. 

Westphal:  Ueber  swei  Fälle  von  Tabes  dorsalis  mit  erhaltenem 
Kniephänomen.  —  Antopsie.  —  W.  richtet  schon  seit  langer  Zeit  besondere 
Aufmerksamkeit  darauf,  genauer  die  Stelle  des  Hinterstrangs  —  im  unteren  Dorsal- 
ond  Beginn  des  Lcndentheils  des  Rückenmarks  —  zu  ermitteln,  an  deren  Erkrankung 


—    143    — 

das  Verschivinden  des  Kniephäoomens  geknttptt  ist.  Qeirisse  F&Ue  wiesen  ihn  darauf 
bm,  dass  es  nicht  die  inneren  Theile  der  Hinterstränge  sind,  sondern  die  äusseren. 
So  fand  er  in  einem  Falle  von  Tabes,  in  welchem  erst  2  Monate  vor  dem  Tode  das 
Kniephänomen  verschwand,  die  Degeneration  in  Form  eines  Streifens  etwa  in  der 
Mitte  der  Bordach^schen  Stränge,  dessen  Entwickelung  nach  anssen  hin  sich  fort- 
setzte, so  zwar,  dass  das  hintere  Ende  der  Degeneration  sich  nach  aussen  gegen 
dio  Snbstantia  gelatinosa  Bolandi  hin  wandte. 

In  einem  anderen  Falle  bestand  lange  Zeit  nur  Amaurose  neben  Verschwinden 
des  Kniepbänomens,  keine  Ataxie.  Bei  der  Autopsie  war  dieselbe  Stelle,  wie  sie 
eben  beschrieben  worden,  afficirt,  aber  in  etwas  weiterer  Ausdehnung  nach  anssen  hin. 
Bei  einem  Faüe  von  Degeneration  der  Hinterstränge,  die  klinisch  nicht  das 
Bild  der  Tabes  dargeboten,  und  wo  intra  vitam  das  Kniephänomen  bis  zum  Tode 
fortbestanden  hatte,  fand  W.  den  degenerirten  Streifen  viel  weniger  nach  aussen 
entwickelt. 

Neuerdings  hat  W.  zwei  weitere  instmctive  Fälle  von  Tabes  beobachtet.  Der 
eine  betraf  einen  50jährigen  Weber,  dessen  Erkrankung  im  Sommer  1882  begann, 
und  der  im  Juli  1883  bei  seiner  Aufnahme  in  die  Charlte  deutliche  Ataxie  neben 
einer  eigenthfimlichen  Rigidität  bei  Abduction  des  Oberschenkels  und  bei  schnellen 
Beugungen  im  Kniegelenk  zeigte,  ausserdem  deutliche  Abnahme  der  motorischen 
Kraft  in  den  unteren  Extremitäten,  starke  Sensibilitätsstörungen,  Incontinenz  etc. 
Das  Kniephänomen  war  deutlich  vorhanden,  wurde  erst  seit  September  1883 
schwächer  und  verlor  sich  erst  im  October.  Die  Section  im  Anfang  1884  ergab 
wieder  eine  Aflfection  im  äusseren  Theile  der  Hinterstränge,  welche  nach  aussen  hin 
gerade  bis  an  den  Rand  einer  Zone  reichte,  welche  W.  als  Wurzelzone  der 
Hinterstränge  bezeichuen  möchte,  und  welche  an  das  Gebiet  der  Substantia  gela- 
tinosa Rolandi  sich  anschüesst  Wenn  man  von  dem  nach  der  Medianspalte  zu 
gerichteten  vorspringenden  Winkel  der  Substantia  gelatinosa  eine  der  Medianlinie 
parallele  Linie  nach  hinten  führt,  so  liegt  diese  „Wurzelzone"  der  Hinterstränge  nach 
aussen  von  dieser  Linie;  bis  etwas  über  die  Grenze  dieser  Wurzelzone  fort,  ein  wenig 
m  die  Zone  hinein,  ging  im  letzterwähnten  Falle  die  Degeneration.  Entsprechend 
dem  klinischen  Bilde  einer  combinirten  Affection  zeigten  sich  ausserdem  1)  die 
Clarke^schen  Säulen  erkrankt,  und  zwar  nicht  nur  die  Nervenfasern  geschwunden, 
sondern  auch  die  Zellen  klein  und  geschrumpft;    2)  Theile  des  Seitenstrangs. 

Ein  zweiter  Fall  war  ganz  ähnlich.  Beginn  der  Tabes  im  Jahre  1882,  Ataxie 
mit  motorischer  Schwäche  etc.  Das  Kniephänomen  normal  vorhanden  bis  zum 
24.  November  1884,  am  17.  Januar  1885  nur  noch  ganz  schwach,  am  23.  Januar 
gänzlich  verschwunden,  am  24.  Januar  Exitus  letalis.  Auch  hier  lag  eine  combinirte 
Affection  vor,  Mitbetheiligung  der  Seitenstränge  und  der  Clarke*schen  Säulen,  auch 
hier  reichte  die  graue  Degeneration  des  änsseren  Theils  der  Hinter- 
stränge nach  aussen  eben  noch  bis  in  das  Gebiet  der  „Wurzelzone'' 
hinein. 

Leider  ist  diese  Wurzelzone  topographisch  nicht  genau  zu  begrenzen,  da  ja  auch 
weiter  nach  vom  Wurzelfasem  in  die  graue  Substanz  treten,  jedenfalls  ist  es  aber 
wohl  ein  Theil  der  hinteren  Wurzelfasem,  um  deren  Affection  es  sich  dabei  handelt. 
—  Die  Degeneration  der  RQckenmarkswurzeln  selbst  ist  beim  Verschwinden  des  Knie- 
phänomens nicht  das  Wesentliche;  denn  wenn  auch  in  dem  einen  der  beiden  ge- 
nannten Fälle  die  hinteren  Wurzeln  des  Lenden-  und  Dorsaltheils,  und  auch  die 
vorderen  Wurzeln  im  unteren  Theile  des  Dorsaltheils  atrophisch  waren  (in  dem 
anderen  Falle  auch  die  peripherischen  Nerven),  so  hat  doch  hiermit  das  WestphaFsche 
Zeichen  nichts  zu  thun,  denn  die  (extramedullären)  Bückenmarkswurzeln  können  bei 
seinem  Vorkommen  ganz  intact  sein. 

Dass  in  beiden  beschriebenen  Fällen  combinirte  Erkrankungen  vorlagen,  konnte 
auffallen;  W.  hält  dies  indess  nur  für  Zufall. 


—     144    — 

W.  bemerkt  dann  noch,  dass  neuerdings  die  Franzosen  (Dejerine^)  bei  den 
combinirten  Tabesformen  die  Erkrankung  der  Seitenstränge  anders  auffassen,  als  die 
der  Seitenstränge,  nämlich  als  bedingt  durch  angrenzende  meningitische  Processe. 
W.  kann  dies  Letztere  durchaus  nicht  bestätigen  und  glaubt^  diese  Ansicht  als  eine 
allgemein  gültige  widerlegt  zu  haben  (Arch.  f.  Psych.  XIV.  3);  auch  in  den  hier 
beschriebenen  beiden  Fällen  war  die  Pia  fiber  den  Seitensträngen  ganz  zart  Syatein- 
erkrankungen  der  Seitenstränge  liegen  hier  auch  nicht  vor,  sondern  die  degenerirten 
Stellen  sind  zum  Theil  ganz  unregelmässig  gelegen.  In  den  beiden  beschriebenen 
Fällen  war  die  Abnahme  der  motorischen  Kraft  auf  die  Affection  der  Seitenstränge 
zu  beziehen,  und  wohl  auch  die  eigenthflmlicben  Erscheinungen  von  Rigidität  bei  dem 
ersten  Kranken,  analog  den  Erscheinungen  bei  der  spastischen  Lateralsclerose. 

Die  Discussion  wird  vertagt.  H  ad  lieh. 


IV.  Vermischtes. 

Am  Montag  den  1.  März  stand  die  Lunacy  Acts  Amendment  Bill  vor  dem  Oberhause 
in  London  zur  zweiten  Lesung. 

Der  Lordkanzler  meinte,  dass  die  Bestimmung,  dass  Jemand  einen  Dritten  als  Geistes- 
kranken auf  Qrond  des  Attestes  zweier  Aerzte  in  eine  Iirenanstalt  einsperren  lassen  konnte, 
in  der  Meinung  des  Publikums  sehr  „gesunken"  sei.  Die  Macht  wäre  ja  —  das  müsse  er  zur 
Ehre  des  ärztlichen  Standes  sagen  —  sehr  wenig  gemissbraucht  worden,  aber  der  mögliche 
Missbraucb,  der  damit  getrieben  werden  könne,  fordere  eine  Aenderung.  Nach  dem  vor- 
liegenden Oesetzentwnrf  dfirfe  die  Freiheitsberaubung  erst  eintreten,  nachdem  auf  Verlangen 
der  Angehörigen  oder  anderer  zuständiger  Personen  eine  richterUohe  Untersuchung  &tatt|^e- 
fanden.  Nur  in  dringenden  Fällen  sei  eine  Ausnahme  gestattet;  dann  müsse  binnen  7  Tagen 
der  richterliche  Befehl  nachgeholt,  oder  der  angeblich  Kranke  entlassen  werden.  Ein  richter- 
licher Befehl  sollte  fUr  S  Jahre  Gültigkeit  haben,  dann  müsnte  neue  Untersuchung  oder  Ent- 
lassung stattfinden.  Das  Verhältniss  der  Privatanstalten  hält  der  Lordkanzler  so  lange  für 
nicht  zufriedenstellend,  als  die  Besitzer  derselben  ein  pecuniäres  Interesse  babra;  da  er 
jedoch  eine  augenblickliche  oder  zu  bestimmter  Frist  fcsteosetzte  Unterdrückung  der  Privat- 
anstalten für  nicht  opportun  hält»  schlägt  die  Bill  vor,  dass  neue  Concessionen  für 
Privatanstalten  nicht  gegeben  werden  sollen,  und  die  bestehenden  nicht 
erweitert  werden  dürfen.  Dadurch  würden  die  öffentlichen  Anstalten  wachsen  und  die 
Privatanstalten  allmählich  verschwinden. 

Die  Stimmung  für  das  Gesetz  war  im  Oberhause  sehr  günstig;  Einzelne,  z.  B.  Lord 
Coleridge,  riethen,  in  Bezog  auf  die  Beseitigung  der  Privatanstalten  weiter  zu  gehen, 
Lord  Rsher  fand  3  Jahre  zu  lang  als  Dauer  für  den  richterlichen  Befehl. 

Dem  Interesse  der  Kranken  wird  sicher  durch  diese  beabsichtigte  Erschwerung  der  Anf- 
nahme  in  die  Anstalt  nidit  gedient;  geschädigt  wu*d  geradezu  eine  Anzahl  frischer  heilbarer 
Fälle  durch  das  Dazwischentreten  von  allerhand  Formalitäten,  gerichtliche  Proceduren  etc. 
vor  Au&idime  in  die  Anstalt.  Aber  es  ist  das  alte  auf  falschen  Vorstellungen  über  Geistes- 
krankheiten beruhende  Misstrauen  gegen  die  Irrenanstalten.  Obwohl  eine  Parlamentscou- 
mission  in  England  trotz  der  grössten  Mühe,  die  sie  sich  gegeben,  erst  neaerdings  keinen 
einzigen  Fall  von  widerrechtlicher  Freiheitsberaubung  hat  finden  können,  könnte  doch  ein- 
mal so  etwas  passiren,  sagt  der  Lordkanzler.  Geben  sich  2  Acr/.te,  die  das  Attest  ausstellen, 
und  der  Director  der  Irrenanstalt  zu  einem  schweren  Verbrechen  (abgesehen  von  den  Ver- 
wandten) her,  so  ist  nicht  einzusehen,  warum  nicht  auch  gelegentlicn  einmal  der  Richter  ein 
Verbrecher  sein  kann,  der  die  Aufnahme  eines  Gesunden  in  eine  Irrenanstalt  verfügt.  Dass  der 
letztere  sich  aber  leichter  bona  fide  in  Bezug  auf  Geisteskrankheit  irren  kann,  als  jene  ärzt- 
lichen Sachverständigen,  dürfte,  abgesehen  von  Jenen,  die  mit  ihrem  „sogenannten  gesunden 
Menschenverstand'*  über  schwierige  Fragen  der  Wissenschaft  hinwegkommen,  wohl  Jeder- 
mann einsehen.  Was  die  Privatirrenanstalten  anbetrifft,  so  lässt  sich  eine  „Verstaatlichung" 
derselben  wohl  discutiren,  aber  mit  Recht  bemerkt  das  British  med.  Journal,  dass  in  dieser 
Weise  die  Privatanstalten  zu  verdächtigen  und  sie  allmählich  hinzuschlachten  nicht  d»T 
beste  Weg  ist,  um  denselben  gute  Aerzte,  so  lange  sie  bestehen,  zu  erhalten.  M. 

>  S.  dieses  Centralbl.  1885.  Nr.  2.    Ref. 


Einsendungen  für  die  Redaction  sind  zu  richten  an  Prot  Dr.  £.  Mendel, 

Berlin,  NW.  Kronprinzen -Ufer  7. 


Verlag  von  Veit  &  Comp,  in  Leipzig.  —  Druck  von  Metzosu  &  Wittio  in  Leipzig. 


Ieürologisches  Centr  alblah. 

Uebersicht  der  Leistungen  auf  dem  Gebiete  der  Anatomie^  Physiologie,  Pathologie 
und  Therapie  des  Nervensystemes  einschliesslich  der  Geisteskrankheiten. 

Herausgegeben  von 

Professor  Dr.  E.  Mendel 
Ffliifter  ■"  ^^  Jahrgang. 

Monatlich  erscheinen  zwei  Nammem.    Preis  des  Jahrganges  16  Mark.    Zu  beziehen  durch 
alle  Buchhandlungen  des  In-  und  Auslandes,  die  Postanstalten  des  Deutschen  Beichs,  sowie 

direct  von  der  Verlagsbuchhandlung. 

1886.  1.  AprU.  M  7. 


Inhalt.  Orlginalmtttheilungen.  1.  Bemerkungen  ober  die  Struktur  der  Gaogli«*nzelien» 
ron  Prof.  Dr.  Max  Flesch  und  stud.  med.  H.  Koneff.  2.  Ein  Fall  von  totale?  Degeneration 
eines  Hirnschenkelfnsses,  von  G.  Rossolymo.  8.  Weitere  Bemerkungen  über  den  aufsteigenden 
&ntero- lateralen  Strang,  von  W.  R.  Qowers.    4.  Ein  Fall  von  Ponstuberkel,  von  Dr.  L  Bnins. 

II.  Referate.  Anatomie.  1.  Ursprung  u.  centraler  Verlauf  des  N.  acusticus  beim  Kanin- 
cheo,  von  Baginsky.  2.  Zur  Eenntniss  der  Nervenendigung  in  den  quergestreiften  Muskeln 
des  Menschen,  von  Flesch.  -—Experimentelle  Physiologie.  3.  Die  centralen  Organe 
für  das  Sehen  u.  Hören  bei  den  Wirbelthieren,  von  Munk.  4.  Effect  of  seotiona  of  the  spinal 
eord  upon  the  ezcretion  of  carbonic  acid,  by  Ott.  —  Pathologische  Anatomie.  5.  Note 
relative  a  Tatropbie  unilaterale  de  la  colonne  de  Clarke  observ^  chez  un  jeune  chat  etc., 
pv  Loewenthal.  —  Pathologie  des  Nervensystems.  6.  Deuz  nouvcauz  cas  de  scl^se 
laterale  amyotrophique  suivis  d'autopsie,  par  Charcot  et  Marie.  7.  Amyotrophische  Lateral- 
sclerose,  von  Sachs.  8.  Note  sur  rexistenoe  de  l'ovarie  dans  la  chor^e  de  Sydenham,  par 
■arie.  9.  Znsammenhang  zwischen  Chorea  minor  mit  Gelenkrheumatismus  u.  Endocarditis, 
YOD  Prior.  10.  Chorea  and  Epilepsy,  by  Hawkins.  11.  A  note  on  so-called  lead-neuritis,  by 
ieaffreson.  12.  Vei^ftung  der  Pferde  durch  Blei,  von  Schmidt.  18.  Eine  bestimmte  Form 
der  primären  combinirten  Systemerkrankung  des  Bückenmarks,  von  Strilmpelt.  —  Psychia- 
trie. 14.  Da  poids  compar^  du  cerveau  et  du  cervelet  dans  la  d^mence  paralytique,  par 
Baillarger.  15.  Note  sur  un  cas  de  sommeil  d'une  dur^  de  trois  mois,  par  Camuset  et  Pfands. 
—  Therapie.  16.  La  corea  ed  il  suo  trattamento  col  cnraro,  per  Ventra.  17.  The  influence 
of  treatment  of  chorea,  with  snecial  relation  to  the  füll  use  of  arsenic  and  its  results,  by 
Cheadle.  18.  De  la  curabilit^  ae  la  sclärose  en  plaques,  par  Cafsaras.  19.  Tetanus  trau- 
maticuB,  von  BercUian.  —  Anstaltswesen.  20.  Quarte  eensimento  dei  pazzi  ricoverati  nei 
diversi  manioomj  ed  ospitali  dltalia,  per  Verga. 

III.  Aus  den  Gesellschaften.  —  IV.  Bibliographie. 


I.  Originalmittheilungen. 


1.  Bemerkungen  über  die  Struktur  der  Ganglienzellen. 

Von  Prof.  Dr.  lEax  Fleaoh  und  stud.  med.  H.  Koneff  in  Bern. 
(Ans  dem  anatomischen  Institut  der  Thierarzneischule  in  Bern.) 

In  einem  vor  einigen  Monaten  erschienenen,  uns  durch  Zufall  erst  jetzt 
bekannt  gewordenen  Aufsatze  Ton  Dr.  Fbitz  Kbeyssio  ^  werden  Beobachtungen 

^  F.  Kbbtssiq,  üeber  Beschaffenheit  des  Rückenmarks  bei  Kaninchen  und  Hunden 
nach  Phoephor-  nnd  ArBenik-Vergiftongen,  nebst  üntersachnngen  über  die  normale  Struktur 
desselben.    VirchoVs  Archiv.  Bd.  102.  S.  286. 


-     146      - 

über  das  Verhalten  der  Nervenzellen  des  Rückenmarkes  mitgetheilt,  welche  in 
mehrfacher  Hinsicht  an  Befunde  sich  anschliessen,  die  wir  gelegentlich  einer 
Untersuchung  über  die  Zellen  der  peripherischen  Ganglien  feststellen  konnten.^ 
Indem  wir  die  ausfuhrliche  Mittheilung  der  von  uns  erzielten  Resultate  der  in 
Abschluss  befindlichen  Arbeit  von  Frln.  Koneff  vorbehalten,  werden  wir  in 
den  folgenden  Zeilen  einige  Einzelheiten  berühren,  welche  geeignet  sein  dürften, 
die  Angaben  von  Dr.  Ebeyssio  zu  vervollständigen. 

An  den  peripherischen  Granglien  —  untersucht  haben  wir  Spinalganglien  und 
das  Ganglion  Gasseri  —  finden  sich  überall  dieselben  Verschiedenheiten  in  der 
Tinctionsfahigkeit  der  Zellen,  wie  die  von  Ebeyssig  am  Rückenmarke  beschrie- 
benen. In  etwas  geringerem  Grade  lassen  sie  sich  auch  an  den  Ganglien  des 
Sympathicus  constatiren.  Schon  am  ganz  frischen  Präparat  (Zerzupfung  in  Koch- 
salz oder  Schnitte  mittelst  des  Gefhermikrotomes)  lassen  die  Zellen  eine  Verschie- 
denheit ihrer  Granulirung  wahrnehmen.  Die  Ungleichheit  der  Färbung  ist  in  den 
Spinalganglien  mit  Verschiedenheiten  im  Aussehen  der  Kerne  verbunden,  welche 
am  Sympathicus  und  im  Rückenmarke  nur  zum  Theil  wahrnehmbar  sind.  Auch 
an  Präparaten,  welche  in  S^o  Salpetersäure  erhärtet  wurden  (Einlegen  in  Sal- 
petersäure IV2  Stunden,  danach  Extraction  in  70  7o  Alkohol  bis  zu  neutraler 
Reaction),  sind  jene  Unterschiede  nachzuweisen.  Beide  Zellformen  lassen  sich 
auch  nach  Behandlung  mit  Osmiumsäure  im  frischen  Zustande  leicht  unter- 
scheiden. Sonach  müssen  wir  annehmen,  dass  die  Ungleichheit  der  Tinctions- 
fahigkeit der  Zellen  auf  Struktur-Verschiedenheiten  derselben  beruhe.  Der  Ein- 
fluss,  welchen  die  Härtung,  die  Zeit  nach  dem  Tode  u.  a.  m.  auf  jenes  Ver- 
halten ausüben,  wird  in  der  Arbeit  von  Frl.  Koneff  behandelt  werden.  Die 
Beobachtung  von  Kkeyssig,  dass  bei  allmählicher  Härtung  der  aus  Mülleb'- 
scher  Lösung  stammenden  Präparate  von  Kaninchen  in  Alkohol  die  Unterschiede 
fast  unmerklich  werden,*  ist  nicht  im  entgegengesetzten  Sinne  zu  gebrauchen; 
auch  besteht  ein  Widerspruch  der  eigenen  Wahrnehmungen  Kbbyssio's  insofern, 
als  an  einer  anderen  Stelle'  bezüglich  des  allmählich  gehärteten  Rückenmarkes 
vom  Hunde  mitgetheilt  wird,  dass  „die  Ganglienzellen  dieselben  Verschieden- 
heiten in  dem  Verhalten  gegen  Färbungsmittel,  dieselben  Lagen  und  Grössenver- 
hältnisse  wie  am  Kaninchenrückenmarke  zeigten.^'  Da  unsere  eigenen  Vergleichs- 
präparate vom  centralen  Nervensystem  keinen  Grund  erkennen  lassen,  an  eine 
Verschiedenheit  bezüglich  der  Tinctionsverhältnisse  hier  und  in  den  peripherischen 
Ganglien  zu  denken,  so  glauben  wir  unsere  Befunde  mit  jenen  Kbkyssig's  zu- 
sammenstellen zu  dürfen. 

,  Kbeyssig  bespricht  ferner  das  Vorkommen  von  Vacuolen  in  den  Zellen 
normaler  Präparate.  Wir  haben  dasselbe  gleichfalls  sowohl  in  den  peripherischen 
Ganglien,  als  im  Rückenmarke  verfolgt.    Sehr  selten  ist  das  Vorkommen  einer 


'  Kurze  Notizen  über  die  verschiedene  Tinctionsfahigkeit  der  Zellen  in  peripherischen 
Ganglien  finden  sich  in  Mittheilnngen  von  Prof.  Flbsch  in  den  Tageblättern  der  Katar- 
forscher-Versammlnngen  zu  Magdeburg  (S.  196)  und  Strassburg  (S.  412). 

«  1.  c.  S.  290. 

•  1.  c.  S.  293. 


—    147    — 

einzigen  centralen  Yacaole;  meist  treten  dieselben  in  grösserer  Zahl  in  dem 
Bandtheile  der  Zellen  auf.  Ihre  Entstehung  ist  nach  unseren  mit  jenen  Ebetssio's 
Qbereinstinmiendeii  Wahrnehmungen  eine  Leichen -Erscheinung,  sie  findet  aller- 
dings  bei  manchen  Thieren  besonders  günstige  Vorbedingungen  in  der  Struktur 
des  Zell-Protoplasmas.  Am  Ganglion  Gasseri  wie  an  Spinalganglien  des  Ochsen 
Qjid  des  Kalbes  haben  wir  sie  weitaus  besser  als  irgend  anderswo  gesehen.  An 
ganz  frischen  Objecten  sind  Yacuolen  selten  zu  sehen.  Ihr  Auftreten  und  Gon- 
flniren  fuhrt  schliesslich  dazu,  dass  die  Zelle,  statt  ihre  Kapsel  auszufüllen,  frei 
in  derselben  von  einem  Hohlraum  umgeben  zu  liegen  scheint  Ein  schmaler 
^>aum  der  Zellsubstanz  bleibt,  wenigstens  bei  den  peripherischen  Ganglien  an  der 
Kapsel  anliegend  erhalten;  unter  günstigen  Bedingungen  kann  sich  nachtraglich 
auch  dieser  Saum  ablösen,  so  dass  man  Bilder  erhält,  in  welchen  eine  vom 
Körper  der  Zelle  durch  Yacuolen  getrennte,  nur  durch  fein  granulirte  Brücken 
(die  Fortsatze  der  Zelle  zur  Kapsel  darstellend)  mit  ersterem  zusammenhängende 
Membran  innerhalb  der  Epithelkapsel  zu  existiren  scheint.  Am  Rückenmarke 
haben  wir  diese  Art  der  Entstehung  eines  pericellularen  Raumes  durch  Yacuolen- 
bildung  am  schönsten  an  Präparaten,  die  einem  3  Monate  alten  Bären  ent- 
stammten, gesehen. 


2.  Ein  Fall  totaler  Degeneration  eines  Himschenkelfusses. 

Von  Q.  Bossolymo,  Assistent  der  Nervenklinik  an  der  Uniyersität  Moskau. 

Natalie  F.,  Bauernfrau,  86  Jahre  alt,  befand  sich  zur  Zeit  der  Aufnahme 
in  die  Nervenabtheilung  des  Alt-Gatharinaschen  Krankenhauses  den  14.  Juli 
1B82  in  einem  Zustande  umnebelten  Bewusstseins  mit  Aphasie  und  totaler 
Lähmung  der  rechten  Eörperhälffce. 

Den  12.  Jnli  wurde  sie  in  gänzlich  bewusstlosem  Zustande  auf  der  Diele 
liegend  gefunden.  Die  Untersuchung  ergab:  pigmentirte  Hautnarben,  Hyper- 
plasie der  Hals-  und  Inguinaldrüsen ,  ein  Abscess  in  dem  vorderen  Theile  des 
Labium  maj.  sinist.  Das  Bewusstsein  bleibt  benommen,  vollständige  Aphasie; 
gänzliche  Paralyse  beider  Oberextremitäten  und  Paresis  des  rechten  Facialis; 
Schluckvermögen  intact,  Gemeingefühl  und  Sensibilität  normal,  Pupillen  erweitert, 
Temperatur  38®  C,  Puls  48,  aussetzend,  systolisches  Spitzengerausch.  Ander- 
weitiges nicht  constatirt 

Diagnose:  Embolie  der  Arteria  fossae  Sylvii;  Affectio  cordis;  Lues.  — 

Im  Erankenhause  klareres  Bewusstsein;  nach  3  Wochen  Anfange  willkür- 
licher Bew^ungen;  dabei  jedoch  Fressgier  und  Incontinentia  urinae  et  alvi.  — 
Während  der  ganzen  Zeit  im  Erankenhause  wurden  folgende  Schwankungen  im 
Kiankheitsznstande  beobachtet;  die  Aphasie  blieb  unverändert  ausser  den  Lauten: 
»ta",  „ta"  und  zuweilen  den  Namen  „Iwan"  und  „Natalie"  konnte  die  Kranke 
Mchts  hervorbringen.  Worttaubheit  bestand  nicht  Zu  der  Lahmung  der 
^teren  Extremitäten  gesellten  sich  späterhin  starke  Contracturen  bei  deutlich 


—    148    — 

erhöhten  Sehnen-  und  Enochenreflexen.  In  den  Gelenken  der  gelähmten  Ex- 
tremitäten zeigten  sich  durch  die  Gontraoturen  bedingt  starke  Schmerzen.  Der 
Tod  erfolgte  nach  einem  Jahre  und  vier  Monaten  in  Folge  chronischer  Lungen- 
entzündung. 

Die  Autopsie  ergab:  serös-fibrinöse  Lungenfellentzondung;  caseoee  ulcerirende 
Entzündung  der  ganzen  rechten  Lunge,  Endocarditis  valvulae  mitralis  recurrens, 
infarctus  lienis  et  renum. 

Die  detaillirte  Untersuchung  des  Centralnerrensystems  wurde  durch  die 
Güte  des  Herrn  CoUegen  Dr.  Wladimib  Roth  mir  überlassen  und  ergab  Fol- 
gendes: Die  rechte  Hemisphäre  war  normal,  die  linke  jedoch  zeigte  eine  be- 
deutende, die  beiden  Gentralwindungen  umfassende  Atrophie  und  hatte  die  Form 
eines  Gänseeies  mit  der  Spitze  nach  vom  gekehrt  und  war  mit  den  Gehirnhäuten 
eng  verwachsen.  Eine  geringere  Atrophie  erwies  die  erste  Schläfenwindung  in 
ihrer  vorderen  Hälfte.  —  An  der  Gehimbasis  konnte  als  Ausdruck  einer  Atro- 
phie des  linken  Hirnschenkels  der  Brücke  und  der  linken  Pyramide  eine  geringe 
Asymmetrie  bemerkt  werden.  Die  FLECHSia'schen  Durchschnitte  der  linken 
Hemisphäre  zeigten  gänzliche  Zerstörung  mit  caseoser  Umwandlung  des  linken 
Stimhimes  mit  Ausnahme  eines  geringen  Streifens  der  Insula  Beilii;  gänzlicher 
Schwund  der  Capsula  interna  mit  Ausnahme  einer  ganz  geringen  Stelle  ihres 
hinteren,  an  die  Sehhügel  grenzenden  Theiles;  gleichfalls  gänzlicher  Schwund 
des  Nucleus  caudatus,  des  Linsenkernes  und  des  Glaustrum;  Degeneration  des 
vorderen  grösseren  Theiles  der  Sehhügel,  der  tiefen  Schichten  der  äusseren 
Hälfte  des  Hinterhaupttheiles.  —  Es  blieben  also  bloss  verschont  die  oberfläch- 
lichen Schichten  der  hinteren  Hälfte  des  Scheitellappens  und  Schläfenlappens 
(besonders  letzterer),  wie  gleichfalls  der  ganze  Hinterhauptlappen  sammt  dem 
hinteren  geraden  Faserbündel  Meynebt's,  mit  Ausnahme  der  mehr  nach  vorn 
liegenden  Faserzüge  weisser  Substanz,  welche  einige  Erweichung  zeigten.  Auf 
Querschnitten  durch  die  Himschenkel  konnte  schon  mit  blossem  Auge  und  durch 
die  Lupe  eine  Asymmetrie  bemerkt  werden,  wobei  die  linke  Seite,  hauptsächlich 
an  der  Basis,  aber  auch  in  der  Substantia  nigra  Sömmeringii  kleiner  an  Um- 
fang erschien.  Uebrigens  war  auch  der  obere  Theil  des  linken  Himschenkels 
geringer  als  der  rechte.  Die  mit  Pikrocarmin  geerbten  Schnitte  und  noch 
besser  die  nach  Weigebt  mit  Hämatoxylin  bearbeiteten  Präparate  zeigten  be- 
deutenden Schwund  der  linken  Himschenkelbasis,  bedeutende  Degeneration  der 
hier  verlaufenden  Fasern,  weniger  ausgesprochen  in  geringem  Umfange  in  dem 
äussersten  Winkel  des  Durchschnittes;  einige  Yerschmälerung  liiücerseits  der 
Substantia  Sömmeringii,  schliesslich  eine  Verkleinerung  der  Durchschnittsfläche 
des  Tegmentum.  — 

Die  Untersuchung  der  Präparate  bei  bedeutenderer  Yergrösserung  zeigte^ 
dass  von  der  ganzen  Anzahl  der  Myelinfasem,  welche  die  Basis  des  Himschenkels 
durchziehen,  nur  geringe  Ueberreste  zu  sehen  waren  in  dem  bezeichneten  kleinen 
Theil  des  äusseren  Drittels  und  noch  in  geringerer  Quantität  in  dem  inneren 
Theile  des  inneren  Winkels,  wobei  auch  die  übri^  gebUebenen  Fasern  nicht 
normal  erschienen. 


—    149    — 

In  der  mittleren  Schicht  deis  Himschenkels  in  der  grauen  Substantia  Sonune- 
lingii  konnten  folgende  Veränderungen  oonstatirt  werden:  unregelmässige  Zu- 
sammenhäufong  theils  zerstörter  Nervenzellen  und  ebenso  veränderte  Nerven- 
fasemetze.  In  der  oberen  Schicht  des  Himschenkels  konnte  andererseits  weder 
in  den  Nervenfasern,  noch  in  den  Kernen  irgend  eine  Yeränderang  bemerkt 
werden.  — 

Die  pathologische  Veränderung  in  der  Brücke  (von  der  nur  aus  dem  mitt- 
leren Theil  Schnitte  gemacht  wurden)  besdiränkten  sich  ausschliesslich  auf  De- 
generation der  Fyramidenbahnen  der  linken  Seite;  alle  übiigen  Elemente  waren 
durchaus  normal. 

Der  Befund  im  Bückenmarke  war  der  einer  ganz  gewöhnlichen  Degenera- 
tion der  Pyramidenbahn  linkerseits.  — 

So  hatten  wir  es  denn  mit  einer  ausgebreiteten  enibolischen  Erweichung 
des  linken  Stimlappens,  der  grösseren  Hälfte  des  Scheiteltheils  des  Schläfen- 
lappens und  eines  kleineren  Abschnittes  des  Hinterhaupüappens  zu  thun,  und 
als  Folgeerscheinung  eine  secundäre  Degeneration  in  der  Hirnschenkelbasis,  nicht 
nur  in  dem  mittleren  und  inneren,  sondern  auch  in  dem  äusseren  Abschnitte 

1.  Degenerirter  Hirnschenkelfoss. 
i ,^K^^J3p^^^  r^  3r%    ^'  Faserbfindel  im  äusseren  Drittel  des  Himsohenkel- 


/ 


3.  Substantia  nigra  Sömmeringii. 


derselben;  weiter  nach  unten  war  die  Degeneration  in  den  classischen  Bahnen 
verbreitet  —  die  Brücke  hindurch  und  den  Pyramidenfasem  entlang  durch  den 
linken  Turck'schen  und  durch  den  rechten  Seitenstrang  verlaufend.  —  Das 
Hauptinteresse  des  Falles  liegt  in  dem  Umstand,  dass  die  absteigende  Degenera- 
tion die  ganze  Basis  des  Himschenkels  umfasste. 

Bisher  wurden  ausser  den  gewöhnlichen  Fällen  absteigender  Degeneration 
wohl  auch  solche  beobachtet,  wo  der  Process  auch  das  iimere  Drittel  umfasste. 

Der  Meinung  Bbissaud's^  folgend,  wurde  dieses  in  Zusanmienhang  ge- 
bracht mit  der  Läsion  des  Vordertheils  der  Capsula  interna.  Nur  in  der  aller- 
letzten Zeit  erschien  in  der  russischen  Literatur  eine  Mittheilung  von  Bechterew^ 
eines  Falles,  wo  bei  fast  gänzlicher  Zerstörung  einer  Hemisphäre  absteigende 
Degeneration  der  ganzen  Basis  des  gleichseitigen  Himschenkels  beobachtet  wurde, 
nnd  ein  anderer  Fall,^  wo  bei  Zerstömng  des  Scheiteltheils,  des  Schläfenlappens 
and  des  Hinterhauptlappens  Atrophie  der  äusseren  Hälfte  der  Himschenkelbasis 
gefunden  wurde. 


^  Bbissaüb,  Faits  pour  servir  ä  rhistoiie  des  dog^n^ratJons  secondaures  dans  le  p^don- 
cule  cerebrale.    Progr^s  m^d.  1879.  —  Thöse  de  Paris  1880. 
*  Wiestnik  Psychiatrii  etc.  1885.  1. 
'  Bbchtbbew.  Rnsskaja  Medicina.  1886.  33. 


—     150    — 

Was  unsere  Beobachtnng  betrifft,  so  ist  sie  nicht  nur  überhaupt  als  ein 
seltener  anatomischer  Befund  interessant,  sondern  hat  auch  einen  besonderen 
Werth  in  Hinsicht  einer  Aufklärung  der  Natur  der  das  äussere  Drittel  des 
Himschenkelfusses  zusanunensetzenden  Fasern. 

Der  Meinung  vieler  Autoren  entgegen  (Ghabcot  und  seiner  Schuler)  können 
wir,  auf  unsere  Beobachtung  gestutzt,  behaupten,  dass  das  äussere  Drittel  der 
Himschenkelbasis,  wenn  auch  seltener,  so  doch  in  die  absteigende  Degeneration 
mit  hereingezogen  wird,  womit  auch  die  Meinung  der  französischen  Schule  und 
Meynebt's  bestritten  wü:d,  wonach  diesen  Fasern  sensible  Function  zugeschrieben 
wird,  was  andererseits  mit  der  Meinung  Flbchsig's^  im  Einklänge  steht,  wo- 
nach hier  Fasern  aus  dem  Bündel  Metnebt's  verlaufen,  welche  in  dem  vorderen 
Theile  der  Brücke  enden. 


3.   Weitere  Bemerkungen  über  den  aufsteigenden 

antero-lateralen  Strang. 

Von  W.  B.  (Towers,  M.  D.  in  London. 

Seit  ich  meine  Bemerkungen  über  die  antero-laterale  aufisteigende  Degene- 
ration im  Bückenmark  im  Neurologischen  Centralblatt  (1.  März  d.  J.)  veröffent- 
lichte, habe  ich  ein  Bückenmark  eines  Falles  von  Tabes  dorsalis  untersucht,  in 
welchem  die  Degeneration  jenes  Stranges  sehr  bestimmt  durch  das  ganze  Rücken- 
mark zu  verfolgen  ist.  Dadurch  bin  ich  in  den  Stand  gesetzt,  meiner  vorläufigen 
Beschreibung  zwei  wichtige  Thatsachen  hinzuzufügen. 

1.  An  dem  obem  Theile  der  Cervicalregion,  in  der  Höhe  des  dritten  Nerven- 
paares, wo  der  Kleinhimstrang  weiter  vorwärts  liegt,  und  wo  der  Pjramidenstrang 
hinter  demselben  an  die  Obei^äche  tritt,  nimmt  der  antero-laterale  aufsteigende 
Strang  dieselbe  Lage  ein,  wie  weiter  unten,  aber  ausserdem  erstreckt  er  sich 
zwischen  dem  Kleinhirn-  und  Pyramidenstrang  als  ein  sehr  dünnes  Band  bei- 
nahe bis  an  die  Oberfläche  des  Bückenmarks. 

2.  In  der  Lumbarregion  liegt  der  Strang  gänzlich  in  dem  Seitenstrang, 
nach  vom  vom  Pyramidenstrang.  Er  bildet  ein  breites  Band  in  der  Höhe  der 
hinteren  Gommissur.  Dies  ist  genau  das,  was  wir  zu  erwarten  hatten,  wenn, 
wie  wahrscheinlich,  seine  Fasern  durch  die  hintere  Gommissur  gehen,  aus  den 
sensiblen  Wurzeln  der  entgegengesetzten  Hälfte  des  Bückenmarks. 

In  einem  Falle  aufsteigender  Degeneration  der  Goll'schen  Stränge,  bei  Er- 
krankung der  Cauda  equina,  konnte  ich  Degeneration  des  antero-lateralen  auf- 
steigenden Stranges  nicht  finden.  Daher  ist  es  wahrscheinlich,  dass  Nervenzellen 
die  sensibeln  Wurzelfasem,  deren  Fortsetzung  jener  Strang  ist,  unterbrechen. 

^  Zur  Anatomid  and  Entwickelungsgeschichte  der  Leitangsbahoen  im  Grosshirn  des 
Menschen.    Arch.  f.  Anat.  n.  Physiol.  1881.  Anat.  Abtblg. 


—    151    — 

4.    Ein  Fall  von  Ponstuberkel. 

Von  Dr.  Ludwig  Braus»  Assistenzarzt. 
(Aus  der  psychiatrischen  und  Nervenklinik  zu  Halle  a./S.) 

Arthur  Glöckner,  Büchsenmachersohn,  2^2  Jahre  alt,  poliklinisch  beobachtet. 

Anamnese:  Mutter  des  Patienten  im  März  1885  an  Lungenschwindsucht  ver- 
storben; eine  Schwester  leidet  an  Goxitis.  Besondere  Krankheiten  in  seiner  frühesten 
Jugend  hat  Patient  nicht  gehabt,  namentlich  auch  niemals  Krämpfe  und  hat  mit 
^2  Jahre  schon  gehen  gelernt.  Seit  längerer  Zeit  besteht  eitriger  Ausfluss  aus 
beiden  Ohren.  Vor  5 — 6  Monaten  bemerkte  der  Vater,  dass  das  Kind  links  „schiele" 
and  zwar  nach  Innen.  Dazu  kamen  Kopfschmerzen,  die  sich  dadurch  dokumentirten, 
dass  Patient  sich  häufig  nach  seinem  Kopfe  griff  und  weinte.  Später  trat  dazu 
lähmungsartige  Schwäche  des  rechten  Armes  und  Beines;  Patient  konnte  nicht  mehr 
gehen.  Genau  weiss  der  Vater  die  Zeit  des  Auftretens  dieser  letzteren  Ei^cheinungen 
nicht  anzugeben.  Seit  4  Wochen  besteht  Contractur  des  rechten  Armes,  auch  soll 
dem  Patienten  in  der  letzten  Zeit  das  Kauen  beschwerlicher  gefallen  sein.  Erbrechen, 
Ohnmachts-  oder  Krampfanf&lle  haben  nie  stattgefunden.  In  der  letzten  Zeit  zu- 
nehmende allgemeine  körperliche  Schwäche;  auch  habe  der  Kleine  viel  gehustet. 

Status  13.  August  1885. 

Am  Schädel  keine  Abnormität  In  der  Buhe  steht  das  rechte  Auge  in  Mittel- 
stellung, das  linke  Auge  im  inneren  Winkel.  Die  Bewegung  beider  Augen  nach  links 
hin  ist  sehr  beschränkt,  das  Unke  Aage  bleibt  bei  solchen  Versuchen  unbeweglich 
stehen,  das  rechte  bewegt  sich  etwas  dem  inneren  Winkel  entgegen.  Um  nach  links 
zu  sehen,  dreht  deshalb  Patient  den  ganzen  Kopf.  Die  übrigen  Bewegungen  der 
Bolbi  sind  erhalten,  nur  ist  die  Wendung  des  rechten  Auges  auch  nach  rechts  hin 
nicht  sehr  ausgiebig.    Die  Pupillen  sind  gleich,  mittelweit,  reagiren  auf  Lichtreiz. 

Ophthalmoskopisch:  Beiderseits  Stauungspapille,  links  noch  etwas  ausgeprägter 
als  rechts.    Keine  besondere  Einschränkung  des  Gesichtsfeldes. 

Beiderseits  Tuberkulose  des  Mittelohres;  mehrfache  unregelmässig  umrandete 
Perforationen  der  Trommelfelle. 

Im  Gebiete  der  Faciales  irgend  eine  Störung  nicht  zu  constatiren.  Die  elek- 
trische Erregbarkeit  beiderseits  normal.  Auch  Temporales  und  Masseteren  contra- 
lüren  sich  bei  intramusculärer  faradisoher  Beizung  rasch  und  kräftig;  doch  steht  der 
Mond  des  Patienten  fortwährend  offen.  Im  Gebiete  der  Trigemini  besteht  nur  eine 
auf  die  Conjunctiva  und  Cornea  beider  Augen  beschränkte  Herabsetzung  der  Tast- 
empfindung, die  übrigens  nur  links  sehr  deutlich  ausgesprochen  ist.  Im  Gesicht 
werden  Schmerzreize  empfunden  und  gut  locaUsirt.  Im  Hypoglossusgebiet  nichts 
Pathologisches  nachzuweisen.  Deutliche  Schwäche  der  Hals-  und  Nackenmusculatur; 
beim  Aufrichten  des  Patienten  fällt  der  Kopf  sofort  nach  hinten  über. 

Obere  Extremitäten:  der  rechte  Arm  im  Schultergelenk  adducirt,  im  Ellenbogen- 
gelenk  flectirt;  der  Unterarm  pronirt,  Hand-  und  Fingergelenke  gebeugt.  Die  active 
Beweglichkeit  der  rechten  Oberextremität  ist  nicht  ganz  aufgehoben,  aber  fast  bis  zur 
Lähmung  erschwert.  Passiven  Beuge-  und  Streckversachen  setzt  dieselbe  Widerstand 
entgegen.  Die  Schmerzempfindung  ist  überall  gut  erhalten.  Patient  greift  auch  mit 
dem  linken  Arme  nach  den  gestochenen  Stellen.  Deutlicher  Tricepsreflez,  jedoch  kein 
Unterschied  gegen  links.  Keine  Atrophie,  normale  elektrische  Erregbarkeit  der 
^enen  und  Muskeln.  An  der  linken  oberen  Extremität  ergiebt  die  Untersuchung 
normalen  Befund. 

Untere  Extremitäten:  Im  Liegen  ist  das  rechte  Bein  in  allen  Grelenken  gestreckt, 
^^r  Foss  steht  in  Equinusstellung.  Die  Starre  ist  nicht  so  ausgesprochen,  wie  im 
Anne,  and  wird  nach  längerer  Bohe  des  Patienten  geringer.    Die  Bewegungen  des 


—     152     — 

rechten  Beines  sind  alle  noch  erhalten,  geschehen  aber  schlaff,  wenig  ausgiebig,  wie 
nach  grosser  Ermüdung.    Auch  hier  besteht  keine  Sensibilit&tsstdnmg. 

Patellarclonus  rechterseits;  während  links  der  Unterschenkel  beim  Beklopfen  der 
Patellarsehne  nur  einmal  gestreckt  wird,  treten  rechts  3  bis  4  Streckungen  auf. 
Keine  Atrophie.  Normale  elektrische  Erregbarkeit  der  Nerven  und  Muskehi.  Links 
kein  pathologischer  Befund. 

Steh-  oder  Glehversuche  misslingen  vollständig,  da  Patient  sofort  mit  den  Beinen 
einknickt     Die  übrigen  Organe,  vor  Allen  auch  die  Lungen  geben  negativen  Befund. 

Die  Sprache  besteht  nur  in  einem  unverständlichen  Lallen.  Der  Kranke  lasst 
Stuhl  und  Urin  unter  sich  gehen.  Während  er  sich  bei  der  Untersuchung  sehr 
widerspenstig  benimmt,  fllllt  er,  wenn  man  ihn  in  Buhe  lässt,  sehr  bald  in  einen 
soporösen  Zustand. 

Es  bestand  also:  Paralyse  des  linken  Abduceus,  Parese  des 
rechten  Rectus  internus,  also  ooordinirte  Angenmuskellähmung 
nach  lin&s  mit  TJeberwiegen  der  Affection  im  linken  Auge.  Anäs- 
thesie der  Cornea  und  Gonjunctiva  besonders  links  bei  erhaltener 
Schmerzempfindung  im  übrigen  Gebiete  der  Trigemini.  Schwäche 
der  Kau-,  Hals-  und  Nackenmuskeln,  Parese  mit  Gontractur  und 
erhöhten  Sehnenreflexen  der  rechten  Extremitäten  ohne  Sensibili- 
tätsstörungen,  Kopfschmerzen,  Sopor,  allgemeine  S|chwäche.  Stau- 
ungspapille.   Beiderseits  alte  tuberculöse  Mittelohrentzündung. 

30.  August  1885.  Es  wird  beginnende  Gontractur  des  linken  Armes  constatirt, 
sonst  Status  idem.    Dann  verschwand  der  Patient  einige  Zeit  ans  der  Beobachtung. 

11.  October  1885.  Seit  gestern  Krämpfe.  Der  Täter  beschreibt  dieselben  als 
pleurothotonischer  Natur.  Gesicht  und  Extremitäten  sollen  an  den  Krämpfen  nicht 
theilnehmen. 

Nachmittags-Temperatur  38,5,  Puls  132.  Augen  wie  früher,  doch  besteht  jetzt 
staubige  Trübung  beider  Corneae.  Alle  vier  Extremitäten  sind  jetzt  contracturirt, 
doch  die  rechten  stärker  als  die  linken. 

Tiefes  Goma.    Beaction  weder  auf  lautes  Anrufen,  noch  auf  Nadelstiche. 

20.  October  1885.  Es  wird  constatirt,  dass  irgend  welche  Störungen  in  keinem 
der  Facialisgebiete  bestehen.  Die  Bulbi  stehen  wie  früher;  zu  irgend  einer  Bewe- 
gung derselben  ist  Pat.  nicht  mehr  zn  bringen.  Pat.  ist  heute  nicht  so  comatös, 
wie  am  11.  October,  er  reagirt  jetzt  auf  Nadelstiche  in  die  Beine  und  Anne  mit 
Weinen,  zieht  auch  die  unteren  Extremitäten  zurück.     Sonst  nichts  Neues. 

Am  Thorax  links  hinten  oben  Dämpfung.  Diarrhoe.  Temp.  38,8.  Puls  144. 
Besp.  30:   Cheyne-Stoke*schen  Charakters. 

24.  October  1885  Status  idem. 

28.  October  1885  Morgens  2  Uhr  Tod. 

Im  Verlaufe  der  Beobachtung  ist  also  hinzugetreten:  Paresen  und  Gon- 
tractur der  linken  Extremitäten,  dagegen  haben  sich  anderweitige 
deutliche  Sensibilitätsstörungen  nie  constatiren  lassen.  Allerdings 
konnte  der  Natur  des  Falles  nach  immer  nur  die  Schmerzempfindung  gepr^ 
werden.  Ebenso  ist  bis  zum  Tode  die  Intactheit  der  Faciales  constatirt.  Ton 
Allgemeinerscheinungen  einmal  Krämpfe,  die  allerdings  nur  vom  Vater  beschrieben 
sind.  Beginnende  neuropandytische  Keratitis;  femer  wurde  eine  Infiltration  der 
linken  Lungenspitze  und  fieberhafte  Temperatursteigerungen  constatirt 

(Schlass  folgt.) 


—     153    — 

II.   Referate. 


Anatomie. 

1)  üeber  den  Ursprung  and  den  centralen  Verlauf  des  Nerv,  aoustlous 
des  Kaninchen,  von  Dr.  B.  Baginsky.  (Sitzungsbericht  der  kgl.  preoss. 
Akad.  der  Wissensch.  1886.  25.  Febr.) 

Bei  3  Kaninchen,  denen  das  rechtsseitige  Gehörorgan  von  der  Schädelbasis  aus 
dicht  am  Kieferwinkel  zerstört  worden  war^  und  die  nach  7 — 8  Wochen  getödtet 
worden  waren,  ergab  sich  Folgendes: 

Vordere  Acusticuswurzel  intact,  hintere  fast  völlig  atrophisch.  Aeusserer  Acus- 
ticnskem  intact^  am  inneren  rechts  geringer  Schwund  der  den  Kern  durchsetzenden 
Nerrenfasem;  vorderer  Acusticuskem  rechts  fast  ganz  atrophisch.  Femer  Faser- 
schwund in  dem  Fasemetz,  das  medialwärts  von  der  inneren  Abtheüung  des  Klein- 
hirnstiels  zur  Baphe  geht.  Auch  am  Corpus  trapezoides  und  der  oberen  Olive  ein 
massiger  Faserschwund. 

Femer:  Schwund  von  Fasem  der  untern  Schleife  auf  der  linken,  Atrophie 
im  Brach,  conjunct.  post.  und  im  hinteren  Vierhügel,  dann  im  Corp.  geniculat.  int. 

Die  anatomische  Bahn  der  hinteren  Acusticuswurzel  würde  also  sein:  Schnecke, 
Tuberculum  laterale  und  vorderer  Acusticuskem  der  gleichen  Seite;  von  da  der 
Haupt faserzug  (ein  Nebenfaserzug  durch  das  Corp.  trapezoides  zur  oberen  Olive 
der  gleichen  Seite)  durch  die  untere  Schleife  der  entgegengesetzten  Seite 
ZQ  dem  hinteren  Vierhügel,  von  da  durch  Brach,  conj.  post.  zum  Corp. 
geniculat.  intern.  Kreuzung  findet  in  Medulla  oblongata  oder  im  Pons  statt,  und 
ist  vollständig. 

Nach  V.  Monakow  atrophirt  nach  Exstirpation  des  Schläfenlappens  das  Corp. 
?enicul.  int.;  dadurch  ist  dann  auch  das  letzte  centrale  Ende  des  Acusticus  gegeben. 
Danach  würden  hintere  Vierhügel  und  Corp.  genicul.  intemum  dieselbe  Bedeutung 
für  das  Hören,  wie  vordere  Vierhügel  und  Corp.  genicul.  ext.  für  das  Sehen  haben. 

M. 


2)  Zur  KenntnisB  der  Nervenendigung  in  den  quergestreiften  Muskeln  des 
Menschen,  von  Prof.  Dr.  Max  Flesch,  Bem.    (Sep.-Abdr.  1885.) 

Die  Untersuchungen  des  Verf.  wurden  an  den  Augenmuskeln  eines  Hingerichteten^ 
etwa  1^/2  Stunden  nach  der  Execution,  angestellt  und  zwar  ausschliesslich  mit  Be- 
nutzung der  Goldfärbung  —  ^^  ^/o  Goldchloridlösung  —  und  Einlegung  in  Glycenn. 
Hauptsächlich  studirte  Verf.  an  Querschnitten  der  Muskelfasern. 

Nachdem  F.  die  Anordnung  der  feinsten  Nervenfasem,  ihren  die  Muskelfasern 
umschliessenden  Endplexus  geschildert,  und  wie  die  letzten  Fasem  einzeln  an  die 
Muskelendplatten  —  Endhügel  —  herantreten,  beschreibt  er  diese  letzteren.  Eine 
fein  granulirte  kemreiche  Masse,  welche  breit  der  contractilen  Faser  aufsitzt,  von 
einer  zarten  Hülle  begrenzt,  die  theils  in*s  Sarcolemma,  theils  in  die  Nervenscheide 
fibergeht.  Auf  dem  Querschnitt  erscheint  der  Endhügel  dreieckig,  mit  den  spitz  aus- 
laufenden Enden  ^4 — W  selbst  bis  ^/g  der  Muskelfaser  umfassend.  Die  Theilung 
des  Axencylinders  geschieht  in  der  oberflächlichen  blasseren  Schicht  der  Endplatte, 
die  innere  Schicht  derselben  —  die  Plattensohle  —  ist  dunkel.  „An  vielen  Prä- 
paraten gehen  von  der  letzteren  kömige  Fortsätze  ab,  welche  die  scharfe  Abgren- 
zung zwischen  Endhügel  und  Muskelsubstanz  unterbrechend  in  die  letztere  eindringen 
und  hier  in  abnehmender  Stärke  sich  verzweigen,  zuweilen  durch  Ausläufer  sich 
verbinden."  F.  wendet  sich  in  längerer  Ansfühmng  gegen  die  Auffassung  dieser 
l^inge  als  Artefacte;  ihr  inconstantes  Auftreten  sei  abhängig  von  der  Phase  des  Ab- 
sterbens  des  untersuchten  Muskels.  —  Die  Endplatte  und  ihre  kömigen  Protoplasma- 


~    154    — 

fortsatze,  welche  in  directem  Zusammenhang  mit  den  an  die  Muskelkerne  sich  an- 
schliessenden Protoplasmazügen  stehen,  gehören  zur  contractilen  Substanz.  —  Verf. 
schliesst  sich  im  Wesentlichen  an  die  Ansichten  von  W.  Kühne  an. 

Hadiich. 

Experimentelle  Physiologie. 

3)  Ueber  die  centralen  Organe  für  das  Sehen  und  Hören  bei  den  Wirbel- 
thieren,  von  Hermann  Munk.  (Sitzungsbericht  der  kgl.  preuss.  Akademie 
d.  Wissensch.  1886.  Vn.  Vin.) 

Die  vorliegende  Arbeit  enthält  eine  Yertheidigung  der  früheren  Angabe  Munk*s, 
dass  der  Hund  durch  Totalexstirpation  der  von  Munk  sogenannten  Sehsphären 
dauernd  total  blind,  ,,rindenblind"  gemacht  werde,  gegen  die  in  Nr.  25  des  Jahr- 
gangs 1884  des  Gentralblattes  referirten  Angriffe  von  Goltz  und  —  in  gewisser 
Weise  wenigstens  —  von  Loeb.  Letzterer  wird  nämlich  unter  der  Bezeichnung 
eines  „Schülers^',  beziehungsweise  eines  „jungen  Goltz'schen  Schülers"  durch  einige 
Seitenhiebe  abgethan;  seinen  Namen  hat  die  Akademie  bei  dieser  Gelegenheit  nicht 
zu  hören  bekommen. 

M.  geht  von  der  wiederholten  Constatirung  der  erheblichen  Schwenkung  aus, 
die  Goltz  in  der  Localisationsfrage  gemacht  hat.  Letzterer  hat  zwar  die  Unter- 
stellung einer  solchen  Schwenkung  scheinbar  entrüstet  weit  von  sich  abgewiesen, 
aber  mit  dem  grössten  Unrecht. 

Für  die  Beurtheilung  dieser  Frage  ist  es  nicht  nur  in  historischer  Beziehung, 
sondern  auch  was  einen  guten  Theil  der  gegenwärtig  noch  bestehenden  Differenzen 
angeht,  von  grösster  Bedeutung,  den  ursprünglichen  und  den  jetzigen  Standpunkt 
Goltz'  zu  vergleichen. 

In  der  ersten  gegen  die  Untersuchungen  des  Beferenten  gerichteten  Abhand- 
lung 1)  sagte  er  8.  9  wörtlich: 

„Wir.  werden  sehen,  dass  der  Grad  der  Störungen  im  Allgemeinen  gleicheu 
Schritt  hält  mit  der  Grösse  des  Substanzverlustes.  Dagegen  ist  der  Ort  des 
Substanzverlustes,  so  weit  bis  jetzt  meine  Untersuchungen  gediehen 
sind,  von  keinem  entscheidenden  Einfluss,  d.  h.  der  Charakter  der  Störungen 
ist  derselbe,  ob  nun  das  Trepanloch  weiter  nach  vorn,  z.  B.  am  vorderen  Rande 
der  sogenannten  erregbaren  Zone  von  Hitzig  angebracht  ist,  oder  ob  dasselbe  weit 
hinten  im  Bereich  des  Hinterlappens  angelegt  wird;''  und  S.  38:  „Mochten  nun  die 
Trepanlöcher  vorn  oder  hinten  angebracht  sein,  wenn  nur  eine  erhebliche  Menge, 
d.  h.  einige  Gramm,  herausgespült  wurde,  so  war  der  Gang  der  Störungen  genau 
derselbe.  Thiere,  bei  welchen  die  Verletzung,  wie  die  Section  ergab,  allein  auf 
den  Hinterlappen,  also  die  unen*egbare  Zone  beschränkt  war,  zeigten  doch  durch- 
aus dieselben  Erscheinungen  wie  solche,  bei  denen  sie  weit  vom  im  vordersten 
Abschnitt  der  erregbaren  Zone  stattgefunden  hatte."  Jetzt  dagegen  sagt 
derselbe  Autor:  „Die  Lappen  des  Grosshims  haben  (demnach)  sicher  nicht  dieselbe 
Bedeutung.''  —  „Der  vom  operirte  Hund  etc.  tastet  schlecht  etc.,  tritt  mit  den 
Füssen  in's  Leere  etc.,  seine  Bewegungen  sind  plump  und  unbeholfen  etc.,  seine 
Sinneswahmehmungen  sind  nicht  hochgradig  geschwächt  etc.  Der  hinten  operirte 
Hund  etc.  scheint  gut  zu  tasten.  Er  tritt  nicht  in's  Leere  etc.;  seine  Bewegungen 
erfolgen  annähernd  mit  demselben  Geschick,  wie  bei  normalen  Thieren,  er  leidet 
an  einer  ho'chgradigen  allgemeinen  Wahrnehmungsschwäche."^ 


^  Befei«nt  hat  bereits  im  October  1876  (Beioherfs  und  du  Boia-Beymond's  Arch.  1876. 
H.  6)  den  von  Goltz  eingeBchlagenen  Weg  „als  einen  solchen  bezeichnet,  der  nicht  gerade 
zum  Ziele  führt,  mit  einem  Worte  als  einen  Umweg."  Der  Leser  mag  heute  über  die 
Bichtigkeit  dieser  Diagnose  entscheiden. 


—    155    — 

Der  Streit  dreht  sich  heute  vornehmlich  um  den  Grad  und  den  Inhalt  dieser 
„Wahmehmnngsschwäche''.  Nach  Munk  sollte  diese,  wie  gesagt,  mit  Bezug  auf  die 
Gesichtsreize  hei  doppelseitiger  Totalezstirpation  seiner  Sehsphären  absolut  sein,  nach 
Goltz  jedoch  zwar  hochgradig,  jedoch  nicht  absolut.  Nach  Munk  sollte  sie  nur 
den  Gesichtssinn  betrefifen,  nach  Goltz  alle  Sinne. 

Zunächst  bemängelt  Munk  die  Unbestimmtheit  der  Angaben  Goltz*,  sowie  dass 
er  nur  einen  Hund  „besonders  zum  Beweise  benutzt"  und  dass  gerade  dieser  Hund 
noch  am  Leben  war,  so  dass  die  die  Grösse  der  Läsion  controUirende  Section  fehlt. 
Gleichwohl  glaubt  Munk  aus  den  Angaben,  welche  Goltz  über  seine  Methode  der 
Abtrennung  des  Hinterlappens  machte,  schliessen  zu  können,  dass  von  einer  totalen 
Ezstirpation  der  Sehsphären  auch  bei  diesem  Thiere  nicht  die  Bede  war,  sondern 
dass  die  vordersten  Partien  derselben  erhalten  blieben,  wodurch  dann  die  Goltz'schen 
Beobachtoi^en  ihre  natürliche  Erklärung  finden  würden.  Ein  total  blindmachender 
Schnitt  hätte  nämlich  vor  das  absteigende  Hom  des  Seitenventrikels  fallen  und  fast 
das  ganze  Ammonshom  abtreimen  müssen,  währen  Goltzes  Schnitte  in  das  ab- 
steigende Hom  fielen  und  nur  ein  Stück  des  Ammonshoms  abtrennten.  In  ähnlichem 
Sinne  sprächen  auch  die  von  Goltz  angegebenen,  das  abgetrennte  Stück  betreffenden 
Maass-  und  Gewichtszahlen. 

Sodann  macht  sich  Verf.  an  den  directen  Beweis  seiner  Annahme,  der  sich 
auf  85  neuerdings  vorgenommene  Yivisectionen  stützt.  Vier  von  diesen  Thieren,  die 
bei  vollkommen  gelungener  Operation  mit  dem  Leben  davonkamen,  zeigten  genau  das 
von  Munk  früher  beschriebene  Bild  totaler  Blindheit  Dagegen  Hessen  sie  auf  den 
anderen  Sinnesgebieten  keinerlei  Wahmehmungsschwäche  erkennen.  Ebenso  wenig 
war  Letzteres  aber  bei  dem  von  Goltz  „besonders  zum  Beweise  benutzten  Hunde" 
der  Fall,  da  er  auf  die  Stimme  seines  Herrn  reagirte.  Fleisch  und  die  Hand  seines 
Herrn  roch  und  die  leiseste  Berührung  seines  Körpers  empfand.  Andererseits  ge- 
stattete die  von  Goltz  beschriebene  Beaction  seines  oder  seiner  Operirten  auf  Ge- 
sichtsreize den  Schluss,  dass  sie  nur  noch  mit  den  obersten  Betinapartien,  welche 
nach  Munk  den  vordersten  Streifen  seiner  Sebsphäre  entsprechen,  sehen  konnten. 
Verf.  beliees  deshalb  4  Hunden  theils  absichtlich,  theils  unabsichtlich  jene  Streifen 
und  fand  nun,  dass  sie,  der  Voraussetzung  entsprechend,  wirklich  das  von  Goltz 
beschriebene  Verhalten  zeigten.  Hitzig. 


4)  Effect  of  sections  of  the  spinal  oord  upon  the  exoretion  of  oarbonio 
acid,  by  Dr.  J.  Ott.    (Joum.  of  nerv,  and  ment.  disease.  1885.  X.  p.  431.) 

Kurze  Mittheilung,  dass  sich  nach  vollständiger  oder  theilweiser  Durchschnei- 
dong  des  Rückenmarks  bei  Katzen  und  Ratten  die  Körperwärme  und  die  Kohlen- 
säureausathmung  steigert.  In  Bezug  auf  die  Methode  der  Experimente  wird  auf  die 
Zeitschrift  für  Biologie,  Bd.  XI.  H.  4,  verwiesen.  Sommer. 


Pathologische  Anatomie. 

5)  Note  relative  &  ratrophie  unilaterale  de  la  colonne  de  Clarke  observöe 
ohes  an  jeime  ohat,  opörä  &  la  partie  införieore  du  bulbe  raohidien 
dans  la  premidre  quinzaine  aprds  la  naissanoe,  par  le  Dr.  Loewen- 
thal  ä  Lausanne.    (Revue  m^dicale  de  la  Suisse  romande.  1886.   15.  Jan.) 

Verf.  hatte  zum  Zwecke  des  Studiums  secnndärer  Degenerationen  im  Gehirn 
und  Bückenmark  einem  14  Tage  alten  Kätzchen,  mittelst  eines  feinen  Scalpells 
zwischen  Os  occipitale  und  Atlas  eindringend,  das  dorsal-kterale  Segment  des  Rücken- 
i&arks  auf  der  rechten  Seite  durchschnitten,  und  es  gelang  ihm,  dieses  Thier,  welches 


—    156    — 

den  operativen  Eingrifif  ziemlich  gut  überstand,  einige  Wochen  später  indessen  an 
schwerer  Diarrhoe  erlo'ankte,  6  Wochen  lang  am  Leben  zn  erhalten.  Die  Section 
zeigte,  dass  die  rechte  BückenmarkshSifte  anf  der  Höhe  der  sog.  unteren  Pyramiden- 
krenzung  partiell  durchschnitten  war,  in  der  dorsal-lateralen  Partie.  Burdach^scher 
Strang  und  Kern,  Hinterhom,  Processus  reticulares,  Kleinhimseitenstrangbündel  waren 
zum  grossen  Theil,  letzteres  vollständig  durchtrennt;  auch  der  Seitenstrangkem  war 
theilweise  lädirt,  während  der  zarte  Strang  sich  intact  zeigte. 

Bei  der  mikroskopischen  Untersuchung  fanden  sich  in  auf-  und  absteigender 
Richtung  beträchtliche  secundäre  Atrophien.  In  ersterer  Bichtung  atrophirten  yor 
Allem  die  Eleinhimseitenstrangbahnen  und  der  Fun.  cun.  auf  derselben  Seite  und 
die  Pyramide,  sowie  die  sensible  Portion  derselben  (wahrscheinlich  Schleife)  auf  der 
gekreuzten.  Der  Kern  des  Keilstranges  verrieth  in  den  lateralen  Theilen  ebenfalls 
erheblichen  Gkinglienzellenschwund,  der  Seitenstrangkem  war  aber  in  nur  massigem 
Grade  ergriffen;  beides  in  Uebereinstimmung  mit  den  Befunden  des  Bef.  nach  Hemi- 
section  des  Bückenmarks  auf  nahezu  derselben  Höhe,  an  neugeborenen  Kaninchen. 
—  In  absteigender  Bichtung  fiel  ausser  der  bald  sich  erschöpfenden  Atrophie  des 
Burdach*8chen  Keilstrangs  und  der  bis  in*s  Lendenmark  nachweisbaren  Atrophie  der 
Pyramide,  resp.  des  Seitenstrangs,  der  hochgradige  Schwund  der  Ganglien- 
zellen in  den  Clarke'schen  Säulen  (vom  6.  Dorsal-  bis  zum  3.  Lenden- 
paar) auf,  während  merkwürdigerweise  die  Kleinhirnseitenstrangbabn 
keine  absteigende  Degeneration  verrieth  und  beiderseits  gleich  schön 
entwickelt  war. 

Dieser  Befund  veranlasst  den  Autor  zu  dem  Schlüsse,  dass  die  Atrophie  der 
Clarke*schen  Säulen,  welche  Verf.  mit  dem  operativen  Eingriff  in  Zusammenhang 
bringt,  nicht  durch  Yermittelung  der  Kleinhirnseitenstrangbabn  erzeugt  wurde,  und 
dass  letztere  Bahn  mit  jenen  in  keiner  directen  Beziehung  stehe,  wie  es  Flechsig 
annimmt.  Auf  Läsion  welcher  Bahn  die  Atrophie  der  Clarke'schen  Säulen  zurück- 
zuführen sei,  lässt  Verf.  vorläufig  dahingestellt,  behält  sich  aber  vor,  diese  Frage 
durch  Anstellung  neuer  Versuche  an  neugeborenen  Thieren  zur  Aufklärung  zu  bringen. 

V.  Monakow. 


Pathologie  des  Nervensystems. 

6)   Deux  nouTeaux  oas  de  solerose  latörale   amyotrophique   snivis   d'au- 
topsie,  par  Charcot  et  Marie.    (Arch.  de  Neurolog.  1885.  X.  p.  1  u.  168.) 

Gleichsam  als  Krönung  des  Gebäudes  der  Charcot*schen  Pathologie  der  amyo- 
trophischen Lateralsklerose  geben  die  Yerff.  die  ausführliche  Beschreibung  zweier 
neuen  Fälle  der  genannten  Krankheit.  Die  Fälle  sollen  den  ununterbrochenen  Zu- 
sammenhang der  Degeneration  von  der  Binde  der  motorischen  Begion,  in  welcher 
die  grossen  Pyramidenzellen  des  Paracentralläppchens  atrophirt  gefunden  wurden, 
durch  das  Marklager,  die  innere  Kapsel,  Himschenkel  und  Brücke  hindurch,  längs 
der  Pyramidenbahnen  bis  in  die  YorderhomzeUen  und  schliesslich  bis  in  die  Muskel- 
endigungen  der  Nerven  und  damit  das  Wesen  der  ganzen  Affection  als  System- 
erkrankung definitiv  klarstellen. 

I.  Fall.  60jährige  Frau.  Anfang  mit  Steifigkeit  des  linken  Beins.  Sechs 
Monate  später  Parese  des  rechten  Arm^.  Leichte  Sprachstörung.  Sensibilität  intakt^ 
Sehnenphänomen  verstärkt,  kein  Zittern.  Nach  zwei  Monaten  Atrophie  des  rechten 
Daumenballens,  vermehrte  Sprachstörungen.  Zunehmende  Lähmungserscheinungen  an 
den  Extremitätenmuskeln;  die  spastischen  Symptome  treten  später  mehr  zurück. 
Störungen  des  Schluckens,  der  Bespiration,  der  Herzaction.  Tod  1  Jahr  nach  dem 
Beginn  der  Krankheit.  Post  mortem  wurden  in  den  Stimwindungen  viele  Kömchen- 
zellen,  in  beiden  Centralwindungen ,   bes.   dem  Paracentrallappen   die  Gkinglienzellen 


—    157    — 

atrophisch,  in  der  Marksabstanz,  der  innern  Kapsel,  dem  Hirnsehenkel,  Brücke  beider- 
seits Eömchenkugeln  gefunden  ((jefriermicrotom).  Die  vorderen  Wurzeln  der  oberen 
CerricalnerTen  waren  atrophisch.  Auf  den  Bückenmarksquerschnitten  fanden  sich 
die  Fyramidenbahnen,  sowohl  die  directen  als  die  gekreuzten  sclerosirt,  ausserdem 
erstreckt  sich  die  Affection  nach  vom  von  den  letzteren  bis  in  den  äusseren  Winkel 
des  Yorderhoms;  auch  waren  die  Qoirschen  Str&nge  bei  der  Oarminfärbung  stärker 
geröthet  als  normal.  In  der  grauen  Substanz  waren  die  grossen  motorischen 
Zellen  vermindert  in  wechselnder  Ari  Eleinhimseitenstrangbahn  frei.  Nach  unten 
m  nahm  die  Aiarophie  ab.  Peripherische  Nerven  und  Muskeln  wurden  nur  zum 
Theil  untersucht. 

n.  Fall.  60jährige  Frau.  Beginn  mit  Sprach-  und  Schluckstörungen,  zwei 
Jahre  zuvor.  Nach  4  Monaten  apoplectiformer  Anfall,  gefolgt  von  weiteren  Bulbär- 
symptomen.  Parese  und  Atrophie  der  oberen,  Paralyse  und  Contracturen  der  unteren 
Extremitäten.  Sensibilität  nicht  gestört,  Sehnenreflexe  verstärkt.  Tod  durch 
Syncope. 

Bei  der  Autopsie  fanden  sich  die  Meningen  und  Windungen  des  (Gehirns  macro- 
scopisch  normal.  Microscopisch  in  der  motorischen  Region  wieder  Schwund  der 
Biesenpyramiden;  Eömchenkugeln  in  den  Stimwindungen,  im  Marklager;  in  der  rechten 
Capsula  interna  viele,  in  der  linken  bedeutend  weniger  Eömchenkugeln.  Ausser  der 
Sclerose  der  Pyramidenbahnen  fand  sich  im  Rückenmark  auch  in  diesem  Falle  in 
den  Gollschen  Strängen  ein  gewisser  Grad  von  Sclerose.  Eömchenkugeln  vnirden 
auch  hier  und  da  in  anderen  Strängen  und  in  der  grauen  Substanz  bemerkt.  Atro- 
phie der  grossen  Yorderhomzellen  etc.  im  Wesentlichen  wie  in  Fall  I. 

Die  Details  der  Präparation  und  der  Darstellung  des  pathologischen  Befundes 
müssen  im  Original  nachgesehen  werden. 

Die  aus  den  Befunden  möglicherweise  gezogene  Behauptung,  der  Process  sei 
wegen  der  Mitbetheiligung  auch  andrer  Theile  kein  auf  das  System  der  Pyramiden- 
bahnen beschränkter,  sondern  eine  mehr  diffuse  Myelitis,  weisen  die  Yerff.  zurück; 
sie  geben  nur  eine  gewisse  Ausdehnung  des  sclerotischen  Processes  auf  die  nächste 
Nachbarschaft,  z.  B.  von  der  grauen  auf  die  weisse  Substanz,  zu.  Die  Affection 
der  Gollschen  Stränge  ist  ihrer  Ansicht  nach  andrer,  unbekannt  welcher  Art  und 
hat  mit  der  amyotrophischen  Latereralsclerose  nichts  zu  thun;  während  der  letztere 
mit  der  Absetzung  zahlreicher  Eömchenkugeln  einherging,  fehlten  diese  Gebilde  in 
den  afficirten  Partien  der  Hinterstränge.  Yielleicht  sind  in  Folge  des  chronischen 
Entzündungszustandes  in  dem  Rückenmark  diese  Befunde  nebenbei  entstanden. 

AufEallend  ist  die  ungleiche  Yertheilung  der  Eömchenkugeln  im  Yerlauf  der 
degenerirten  Bahn:  einzelne  Theile  der  Bahn  in  der  innera  Eapsel  und  der  Brücke 
hatten  nur  sehr  spärliche  Engeln  aufzuweisen.  Yerff.  glauben  hier  die  ungleiche 
ResorptionsßLhigkeit  der  betr.  Theile  und  die  zeitliche  Yerschiedenheit  der  Entwick- 
lung des  Processes  verantwortlich  machen  zu  müssen.  Aber  auf  den  Befund  der 
Eömchenkugeln  legen  sie  den  grössten  Werth.  Einsetzen  kann  der  Process  an 
irgend  einem  Punkte  des  befallenen  Systems  (zu  welchem  sie  das  bulbäre,  in  der 
Brücke,  resp.  in  den  Bulbär-Eemen  endigende  aus  dem  Stimhim  mitzurechnen 
scheinen). 

Elinisch  war  der  Fall  II  im  Anfang  rein  bulbär,  und  die  andern  Symptome 
kamen  nach.  Dies  ist  für  die  Yerff.  ein  Beweis  mehr,  dass  Bulbärparalyse  und 
amyotrophische  Sclerose  derselbe  Process  ist,  und  die  Fälle  von  Dejerine  und 
Blumenthal  sind  auch  nichts  anderes.  < —  Der  spastische  Charakter  ist  der  Angel- 
punct.  Der  Anfang  ist  in  der  Regel  an  der  Oberextremität,  aber  das  hat  Aus- 
nahmen, zuweilen  kann  der  Anfang  auch  am  Bulbus  sein;  der  Gesammtverlauf 
giebt  d^e  Beurtheilung.  Zu  bemerken  ist  noch,  dass  der  Anfang  mit  Bulbärsymp- 
tomen  (in  Fall  II)  keinen  rapiden  Yerlauf  zu  zeigen  braucht  Siemens. 


—    158    — 

7)  Ueber  amyotrophlBohe  IiateralsoleroBe,  von  Heinrich  Sachs.  (Inaagural- 
Dissertation.    Berlin  1885.) 

Verf.  fügt  der  ZusammensteUung  von  19  Fällen  von  amyotrophischer  Lateral- 
sclerose  2  Fälle  eigener  Beobachtung  ans  der  MendeFschen  Poliklinik  hinzu,  von 
denen  jedoch  nur  der  erstere  mit  Sicherheit  dieser  Krankheit  zugerechnet  werden 
kann.  In  diesem  handelt  es  sich  um  eine  57 jährige  Frau,  bei  der  der  B^inn  der 
Krankheit  ca.  6  Jahre  zurückliegt  Ursache  angeblich  Fall  und  Schreck.  Nach 
Schmerzen  und  Schwäche  in  den  Armen  trat  Contractur  in  den  Fingern  und  in  den 
£llbogengelenken  beiderseits  ein,  denen  Atrophie  der  Musculatur  folgte,  später  zeigten 
sich  Schmerzen  im  Knie-  und  Fussgelenk,  Schwäche  und  Steifigkeit  in  den  Beinen, 
schliesslich  Abmagerung  derselben.  Sensibilitätsstörungen  nicht  nachweisbar.  Hals- 
musculatur  dünn  und  atrophisch;  die  Stemo-deido-mastoidei  rigide.  Dann  folgte 
Atrophie  und  Contractur  der  Masseteren,  Atrophie  der  Lippen,  der  Zunge,  Heiserkeit, 
Schlingbeschwerden. 

(Die  Patientin  ist  im  Sommer  1885  unter  balbären  Erscheinungen  gestorben; 
Section  konnte  nicht  gemacht  werden.)  M. 


8)  Note   Bur  l'eziateiioe  de  l'ovarie  dans  la  ohoräe  de  Sydenham,   par 

Marie.    (Progr.  med.  1886.  Nr.  3.) 

Das  Symptom  der  „schmerzhaften  Wirbel''  haben  Dufosse,  G.  S^e,  Stiebel, 
Bosenbach  u.  A.  m.  als  eine  häufige,  fast  durchgängige  Erscheinung  bei  der  ge- 
wöhnlichen Chorea  minor  beschrieben. 

M.  hat  sich  nun  zur  Aufgabe  gestellt,  Chorea-Fälle  daraufhin  zu  untersuchen, 
ob  auch  die  Ovarial-Hyperästhesie  (Ovarie)  bei  dieser  Krankheit  so  häufig  zu 
finden  wäre,  wie  der  Druckschmerz  an  der  Wirbelsäule. 

Unter  33  Chorea-Kranken,  von  denen  27  Mädchen  und  6  Knaben  waren,  die 
alle  im  Alter  zwischen  9  und  15  Jahren  standen,  hat  das  Symptom  der  Ovane,  was 
die  Mädchen  betrififfc,  nur  3mal  gefehlt;  in  10  Fällen  sass  die  Hyperästhesie  des 
Ovariums  links,  in  eben  so  viel  Fällen  rechts,  4mal  fand  sie  sich  doppelseitig  vor. 
Bei  den  Knaben  war  nur  einmal  ein  Analogen:  ein  schmerzhafter  Punkt  in  den 
Weichen  zu  constatiren,  während  Hoden  und  Samenstrang  auf  Druck  nie  schmerz- 
haft waren. 

Bei  einem  Falle  von  Chorea  gravidarum  liess  sich  die  Ovarie  ebenfalls  nach- 
weisen, nur  sass  der  Ovarialpunkt  der  veränderten  Stellung  des  Uterus  entsprechend 
4  cm  über  dem  Niveau,  wo  er  gewöhnlich  zu  finden  ist.  Uebrigens  hat  die  Hyper- 
ästhesie des  Ovariums  gewöhnlich  auf  der  Seite  ihren  Sitz,  resp.  ihre  grössere  In- 
tensität, auf  welcher  die  ersten  Chorea-Bewegungen  eingesetzt  haben.  - 

M.  verwahrt  sich  dagegen,  dass  er  wegen  des  Vorkommens  von  Ovarie  bei 
Chorea-Kranken,  das  Leiden  als  eine  Form  von  Hysterie  aufgefaast  wissen  wollte. 
Bezügliche  Untersuchungen  haben  ihm  im  Gegentheil  gelehrt,  dass  die  charakteristischeB 
sensiblen  und  sensorischen  Erscheinungen  der  echten  Hysterie  (Hemianästhesie,  Ein- 
engung des  Gesichtsfeldes,  Convulsionen,  die  von  gewissen  Zonen  auszulösen  etc.),  bei 
der  Chorea  minor  fast  immer  fehlen.  La  quer. 


9)  Ueber  den  Zusammenhang  swisohen  Chorea  minor  mit  Gtolenkrheiima- 
tismufl  und  EndooarditiB,  von  Dr.  Prior.    Aus  der  med.  Klinik  in  Bonn. 
(Berl.  klin.  Wochenschr.  1886.  2.) 
Aus   dem  Aufsatze  des  Verf.  sei  hier  —  für  die  Zwecke  dieses  Centralbbittes 
—  nur   erwähnt,   dass   von  92  Fällen   von   Chorea   nur  5  alte  endocarditische  Er- 
scheinungen darboten,  und  unter  diesen  nur  2  Polyarthritis  rheumat.  hatten.  —  Der 
Zusammenhang  von   Chorea   mit  Endocarditis,   resp.  dieser  als  Theilerscheinung  — 


—    159    — 

mcht  Gomplication  —  der  Infection  mit  acutem  QelenkrheamatiBmos  ist  kein  anderer, 
als  er  aacli  bei  anderen  Jnfectionskrankheiten  (Scarlatina,  Morbilli,  Typhus,  Diph- 
therie) besteht.  Chorea  entsteht  ausserdem  auf  reflectorischem  Wege.  Dass  capillare 
Himembolien  die  anatomische  Grundlage  bilden,  ist  durchaus  unerwiesen  und  un- 
wahrscheinlich; jedenfalls  sind  es  nur  die  allerseltensten  Fälle,  in  denen  man  Gehim- 
embolien  beschuldigen  kann:  so  der  Fall  von  Guillery  (Deutsche  militärarztliche 
Zeitschr.  1885.  Nr.  3). 

Verf.  theilt  einen  interessanten  Fall  mit,  wo  ein  psychisch  Kranker  (Maniacus?), 
30  Jahre  alt,  an  Bheumatismns  articul.  acut,  mit  Insufficienz  der  Mitralis  und  Chorea 
ertonkt  war.  Der  Gelenkrheumatismus  wurde  beseitigt,  die  Endocarditis  gebessert, 
aber  die  linksseitige  Hemichorea  blieb  mit  dem  psychischen  Erregungszustande  bis 
beute  (nach  6  Monaten)  bestehen.  Hadlich. 


10)  Chorea   and   Epilepsy,   by  Dr.  Francis   Hawkins.    (The  Lancet.    1886. 
Vol.  L  p.  16.) 

Bei  einem  Kinde,  das  an  Chorea  gelitten  hatte,  traten  etwa  4  Monate  nach 
Aufhören  der  Bewegungen  plötzlich  auf  beiden  Beinen  bis  zu  den  Leistengegenden 
reichliche  Furpuraflecke  auf,  die  regelmässig  kamen  und  verschwanden  und  nach 
3  Monaten  ausblieben.  Abgesehen  von  Anämie  nichts  Krankhaftes,  vor  Allem  keine 
Herz-  und  Lungensymptome  zu  finden. 

Femer  erwähnt  Verf.  das  Auftreten  von  Chorea  bei  3  Geschwistern.  Während 
bei  zweien,  die  Mher  Scharlach  und  Masern  durchgemacht  hatten,  die  Chorea  schnell 
heilte,  traten  bei  der  dritten  Patientin,  die  später  Scharlach  bekam  und  Masern  über- 
haupt nicht  gehabt  hatte,  epileptische  Krämpfe  ein. 

Endlich  gedenkt  Verf.  noch  eines  Falles  von  Epilepsia  nocturna  bei  einer  ver- 
heiratheten  30jährigen  Frau,  die  jedesmal  nach  einem  Krampfanfall  Furpuraflecke 
bekam  und  zwar  waren  dieselben  über  beide  Gesichtshälfteu  and  den  linken  Nacken 
vertheilt.  Ihr  Auftreten  stand  im  geraden  Verhältniss  zur  Schwere  des  Anfalls  und 
nach  8 — 10  Tagen  war  nichts  mehr  von  ihnen  zu  sehen.  Buhemann. 


11)  A  note  on  so-oalled  lead-neuritis,   by   C.  S.  Jeaffreson.     (The  British 
med.  Joum.  1886.  27.  Febr.  p.  390.) 

In  Hinsicht  auf  Oliver's  kürzlich  veröffentlichte  Arbeit  über  Bleivergiftung 
hebt  Verf.  hervor,  dass  er  selbst  auf  Grund  seiner  zahlreichen  Krankenbeobachtungen 
zu  der  Ansicht  gelangt  sei,  Blei  an  sich  rufe  keine  specifische  Amaurose  hervor. 
Die  allerdings  nicht  gerade  seltene  Neuroretinitis  etc.  bei  chronischer  Bleivergiftung 
hänge  mit  dieser  wahrscheinlich  nur  mittelbar  zusammen  und  sei  eine  Folge  der 
hier  so  häufigen  Schrumpfhiere,  der  für  Frauen  fast  pathognomischen  Menstruations- 
womalien  und  besonders  auch  der  intercurrenten  und  sich  häufig  in  kürzester  Frist 
ausbildenden  hydropischen  Ergüsse  in  die  Himventrikel  mit  ihren  secundären  Druck- 
steigerangen im  Schädelinnenraum,  resp.  in  den  Lymphscheiden  der  Sehnerven  etc. 
Hierher  gehörten  besonders  die  Fälle,  in  denen  sich  unter  gleichzeitigem  Einsetzen 
anderer  Cerebralsymptome  Amblyopie  und  Stauungspapille  innerhalb  weniger  Stunden 
entwickelten.  Sommer. 


12)  üeber  Vergiftung  der  Pferde  durch  Blei,  von  Schmidt.    (Arch.  f.  wiss* 
u.  prakt.  Thierheilk.  XI.  5  u.  6.) 

Verl  bringt  neue   Beobachtungen  aus   seiner  Erfahrung  im  Beg.-Bez.  Aachen 
Aber  die   bereits  vielfach   beobachtete  Thatsache,   dass   Pferde   in  Blei  werken  und 


—    160    — 

Mennigfabriken  an  inspiratorischer  Dyspnoe  erkranken,  die  auf  einer  Lähmong  dee 
Recurrens  nnd  hierdurch  secnndär  eingetretener  Inactivitäts-Atrophie  des  M.  crico- 
arytaenoidens  posticns  nnd  lateralis  beruhen.  Die  Krankheitserscheinungen  treten 
zuweilen  schon  nach  12  Tagen  auf  und  verschwinden  nicht  wieder,  selbst  wenn  die 
Thiere  dauernd  in  bleifreie  Gegenden  versetzt  werden.  Bleikoliken,  anderweitige 
Bleilahmungen  wurden  nicht  beobachtet.  Die  Obduction  ergab  keine  pathologischen 
Veränderungen,  auch  im  Recurrens  nicht;  mikroskopische  Untersuchung  fehlt. 

M. 

13)  Ueber  eine  bestiminte  Form  der  primären  combinirten  Systemerkran- 
kiing  des  Bückenmarks,  im  Anschluss  an  einen  Fall  von  spastischer 
Spinalparalyse  mit  vorherrschender  Degeneration  der  Pyramiden- 
bahnen und  geringerer  Betheiligong  der  Kleinhirn -Seitenstrang- 
bahnen  und  der  Gk)ll'schen  Stränge,  von  Prof.  Dr.  A.  Strümpell  in 
Leipzig.     (Arch.  f.  Psychiatrie  etc.  1886.  Bd.  XVU.  H.  1.) 

Strümpell  hatte  schon  früher  auf  Grund  zweier  Falle  die  Ansicht  ausgesprochen, 
dass  es  eine  bestimmte  Form  der  combinirten  spinalen  Systemerkrankung  gebe,  deren 
klinisches  Bild  im  Allgemeinen  der  von  Erb  und  jClharcot  geschilderten  spastischen 
Spinalparalyse  entspreche,  bei  der  es  sich  anatomisch  um  eine  systematische  Affection 
der  Pyramidenbahnen,  Eileinhimseitenstrangbahnen  und  der  sog.  Goll*schen  Strange 
handle.  Er  theilt  als  weiteren  Beleg  dieser  Auffassung  einen  schon  in  seiner  Arbeit 
über  die  spastische  Spinalparalyse  berichteten  Fall  mit. 

Die  klinischen  Symptome  hatten  sich  bei  dem  z.  Z.  56jährigen  Kranken  sehr 
langsam  und  allmählich  in  einem  Zeiträume  von  nahezu  20  Jahren  entwickelt.  1878 
bot  der  Kranke  das  Bild  der  spastischen  Spinalparalyse,  spastischer  Gang,  bei  activen 
und  passiven  Bewegungen  in  den  unteren  Extremitäten  leicht  eintretende  reflectorische 
Muskelspannangen,  erhöhte  Sehnenreflexe;  an  den  oberen  Extremitäten  nur  Erhöhung 
der  Sehnenreflexe  ohne  sonstige  Störung;  normales  Verhalten  der  Sensibilität,  der 
Uautreflexe,  der  Harn-  und  Stuhlentleerung.  Das  Krankheitsbild  blieb  nahezu  gleich, 
bis  Pat.  Anfang  1885  an  Lungentuberculose  starb. 

Die  anatomische  Untersuchung  ergab  keine  Spur  von  chronischer  Meningitis  am 
Bückenmark. 

Bei  mikroskopischer  Untersuchung  Degeneration  der  Pyramidenseitenstrangbahn, 
vom  untersten  Lendentheil  bis  zum  oberen  Halsmarke  reichend,  am  stärksten  in  der 
ganzen  Länge  des  Dorsalmarks,  sowohl  nach  unten,  im  Lendenmark,  als  nach  oben, 
der  Halsanschwellung,  an  Umfang  und  Grad  abnehmend,  speciell  im  Halstheil  nur 
gering.  Von  der  Kreuzungsstelle  aufwärts  hörte  die  Pyramidenseitenstrang-Erkran- 
kung  völlig  auf.  Femer  eine  nach  vom  sich  erstreckende  Randdegeneration,  die  vom 
mittleren  Lendenmark  nach  oben  starker  wird,  die  Kleinhimseitenstrangbahnen  (bis 
zum  Beginn  des  Corp.  restiformia),  ausserdem  aber  auch  noch  die  tPeripherie  der 
Vorderseitenstränge  und  zum  Theil  auch  die  Vorderstrangbahn  einnimm.  Schliesslich 
eine  zwar  geringe,  aber  doch  deutliche  Degeneration  der  Goll'schen  Stränge,  die  an 
den  sog.  Kernen  der  Goll'schen  Stränge  beginnend,  im  obersten  Halsmark  und  der 
Cervicalanschwellung  verhältnissmässig  am  stärksten,  nach  unten  rasch  undeutlich 
wird.  Doch  finden  sich  noch  im  Lendenmark  einzelne  degenerirte  Fasern,  aber  keine 
geschlossenen  Bündel  solcher  mehr. 

Str.  fasst  seinen  Fall  auf  als  eine  combinirte  Systemerkrankung  und  zwar  vor- 
zugsweise als  eine  primäre  Erkrankung  der  Pyramidenbahn,  in  geringerem  Grade 
gleichzeitig  auch  der  Kleinhimseitenstrangbahnen  und  der  Goirschen  Stränge.  In 
klinischer  Beziehung  kommt  nur  die  Degeneration  der  Pyramidenseitenstrangbahn  in 
Betracht,  mit  dieser  hängen  die  spastischen  Erscheinungen,  die  Parese  der  unteren 
Extremitäten,  die  Steigemng  der  Sehnenreflexe  zusammen.    Letztere,  die  Steigerung 


—    161    — 

der  Sehnenreflexe»  ist  nach  Str.  nioht  von  einer  Erkrankung  der  motorischen  Fasern 
selbst  abhängig,  sondern  wahrscheinlich  von  besonderen  (hemmenden)  Fasern  der 
Fyramidenseitenstrangbahn. 

Str.  glanbt  den  mitgetheilten  Fall  zusammen  mit  den  beiden  früheren  als  Typus 
einer  bestimmten  und  besonders  abzugrenzenden  Form  der  combinirten  Systemerkran- 
kung  aufstellen  zu  dürfen.  Die  einzelnen  Systeme  erkranken  nach  ihm  in  der  Begel 
nicht  gleichzeitig,  sondern  nach  einander.  Fast  immer  scheint  zuerst  die  Pyramiden- 
bahn zn  erkranken  und  zwar  die  Pyramidenvorderstrangbahn  (wenn  vorbanden)  und 
Pyramidenseitenstrangbahn  zugleich.  Die  Kleinhimseitenstrangbahn  findet  man  ge- 
wöhnlich etwas  weniger  stark  erkrankt,  als  die  Fyramidenseitenstrangbahn.  Wenn 
das  am  vorderen  Ende  der  Kleinhimseitenstrangbahn  gelegene,  ebenfalls  afficirte 
Fasergebiet  eine  gesonderte  Stellung  einnimmt  (wie  Bechterew  und  neuerdings 
Gowers  behaupten),  so  handelt  es  sich  um  eine  weitere  in  gewissen  Fällen  vor- 
handene,  in  anderen  fehlende  Gombination.  Die  Erkrankung  der  Hinterstränge  ist 
in  allen  bisher  untersuchten  Fällen  im  Halsmark  am  stärksten  und  entspricht  jeden- 
falls im  Allgemeinen  den  Goll*schen  Strängen,  —  wahrscheinlich  entsprechen  auch 
die  in  den  unteren  Abschnitten  der  Hinterstränge  degenerirten  Fasern  (im  3.  Fall) 
den  Ursprüngen  der  GoU'scheu  Stränge.  Ausserdem  aber  zeigt  sich  nicht  selten  das 
von  Str.  sogenannte  Gebiet  der  hinteren  äusseren  Felder  der  Hinterstränge  bei  der 
in  Bede  stehenden  Form  der  Systemerkrankung  ergriffen. 

Aus  der  Ausbreitung  der  Erkrankung  in  der  Länge  der  verschiedenen  Systeme 
schliesst  Str.,  dass  die  primäre  systematische  Atrophie  der  Pyramidenbahn  eine  auf- 
steigende oder  primäre  Atrophie  der  Kleinhimseitenstrangbahn  und  der  GoH'schen 
Stränge  eine  absteigende  Degeneration  ist,  in  gmndsätzlichem  Gegensatz  zu  der 
Natur  der  secundären  Degeneration  der  betr.  Systeme. 

Die  Diagnose  der  betreffenden  combinirten  Erkrankung,  glaubt  Str.,  dürfte 
intra  vitam  wohl  kaum  noch  mOglich  sein,  obschon  man  in  Fällen  spinaler  Erkran- 
kung, die  das  Bild  der  spastischen  Spinalparalyse  ohne  Sensibilitätsstörung  bieten, 
stets  an  die  Möglichkeit  jener  anatomischen  Grundlage  wird  denken  müssen. 

Ueber  die  Aetiologie  lässt  sich  wenig  sagen;  für  die  Syphilis  als  ursächliches 
Moment  geben  Str.'s  Fälle  keinen  Anhaltspunkt;  vielleicht  spielt  höheres  Lebens- 
alter und  hereditäre  Disposition  eine  Bolle.  Ein  Brader  des  Str.'schen  Patienten 
bietet  nahezu  das  gleiche  klinische  Symptomenbild,  wie  dieser. 

Zum  Schlüsse  vergleicht  Str.  noch  seine  Form  der  combinirten  Systemerkran- 
kung mit  den  übrigen  bekannten  Formen.  Es  geht  aus  der  Analyse  der  in  der 
Literatur  niedergelegten  Fälle  hervor,  dass  einzelne  anatomisch  ähnliche  Combinationen 
zur  Tabes  gehören,  zu  der  die  Erkrankung  der  Pyramidenseitenstrangbahn  als  selbst- 
ständige systematische  Degeneration  hinzukam.  Andere  wieder  scheinem  dem  von 
ihm  aufgestellten  Typus  anzugehören. 

Dem  Beferenten  scheint  die  Einheit  des  klinischen  KrankheitsbUdes  durch  Str.*s 
bemerkenswerthe  Beobachtungen  noch  nicht  genügend  begründet.     Eisenlohr. 


Psychiatrie. 

14)  Du  poids  oomparö  du  oerveau  et  du  cervelet  dang  la  dömence  para- 
lytique,  par  Baillarger.     (Annales  m^dico-psychologiques.  1886.  Jan.) 

B.  bestätigt  seine  schon  1859  aufgestellte  Behauptung,  dass  das  Kleinhirn 
entgegengesetzt  dem  Grosshim  den  Vorgang  der  Atrophie  während  des  Verlaufs  der 
Dementia  paralytica  nicht  mitmache. 

Den  drei  Stadien  der  Paralyse  entsprechend  stellt  B.  drei  Golummen  auf,  je 
nachdem  die  Hemisphäre  der  57  Gehirne  1100 — 1200.  resp.  1000—1100,  resp. 
900—1000  Gramm  wogen. 


—     162    — 

Eine  Vergleichung  der  Durcbschnittszahlen  ergiebt  dann,  dass  wahrend  das 
Gewicht  der  Hemisphären  der  ersten  Serie  sich  zn  dem  des  Kleinhirns  wie  6,8 : 1 
verhielt  y  die  der  dritten  =  5,44:1  waren.  Während  die  Hemisphären  der  zweiten 
Serie  gegen  die  erste  im  Durchschnitt  133  Gramm  verloren  hatten,  verlor  das  Klein- 
hirn nur  2  Gramm;  die  dritte  Serie  zeigt  einen  Verlast  von  252  Gramm  f&r  die 
beiden  Hemisphären  nnd  nnr  von  6  fflr  das  Kleinhirn. 

B.  bringt  dies  Verhalten  mit  der  mangelnden  Betheilignng  des  Kleinhirns  an 
dem  interstitiellen  Entzündangsprocess  des  Gehimgewebes,  welche  von  einer  Reibe 
von  Autoren  behauptet  und  erwiesen  sei,  in  Verbindung.  Jehn. 


16)  Note  Bur  un  cas  de  sommeil  d'une  dur^  de  trois  mois,  par  Camnset 
et  Planes.     (Annales  m^dico-psychologiques.  1886.  Jan.  p.  23.) 

Ein  33jähr.,  an  Verrücktheit,  Lungenspitzencatarrh  und  Mastdarmvorfall  leidender 
Mann  klagte  eines  Tages  und  ohne  ersichtlichen  Anlass  über  eine  unwiderstehliche 
Schlafsucht,  welche  ihn  auch  am  hellen  Tage  und  bei  allen  möglichen  Verrichtungen, 
auch  beim  Essen,  überfiel.  Diese  Schlafsucht  steigerte  sich  binnen  Kurzem  zu  einem 
3  Monate  anhaltenden  Dauerschlaf,  welcher  dadurch  bemerkenswerth  ist,  dass  ihm 
jedes  Zeichen  von  Spannung,  Krampf  oder  Irritation  einzelner  Muskelgebiete  fehlte 
welches  gewöhnlich  die  (ßJschlich)  als  physiologisches  Schlafen  bezeichneten  kata- 
leptischen  Zustände  zu  begleiten  pflegt:  der  Kranke  behielt  die  Fähigkeit,  gewisse 
Handlungen  vorzunehmen,  z.  B.  die  Urinflasche  zu  ergreifen,  vermied  auch,  das  Lager 
zu  verunreinigen  und  deutete  seine  Bedürfnisse  dadurch  an,  dass  er  sich  aus  dem 
Bett  gleiten  liess,  wie  es  schien,  um  den  Nachtstuhl  zu  erreichen. 

Auf  Kneifen  und  Kitzeln  der  Fusssohle  erfolgte  deutliche  Beaction.  Die  elek- 
trische Contractionsfähigkeit  der  Muskeln  soll  normal  gewesen  sein;  Sinneseindrücke 
blieben  bis  auf  leichte  Reaction  der  Pupillen  ohne  Zeichen;  das  Erwachen  aus  diesem 
Zustande  erfolgte  langsam,  indem  der  Kranke  nach  und  nach  wieder  Handlungen 
verrichtete  und  schliesslich  auch  Aeussorungen  that.  Ueber  seinen  Znstand  und  die 
Empfindungen  während  desselben  wusste  er  nichts  anzugeben:  er  habe  übermässig 
grosses  Schlafbedürfniss  gehabt 

Die  Verff.  untersuchten  den  Fall  durch  Vergleichung  mit  ähnlichen  in  der 
Literatur  bekannt  gewordenen  pathologischen  Schlafes  und  kommen  zu  dem  Schluss, 
dass  es  sich  hier  nicht  um  die  häufige  Verwechselung  mit  Katalepsie,  sondern  um 
einen  Fall  wirklichen  Schlafes  abnorm  langer  Dauer  handele.  Jehn. 


Therapie. 

16)  La  corea  ed  11  auo  trattamento  eol  curaro,  per  il  dott.  D.  Ventra.    (11 
manicomio.  1885.  Nov.  p.  225—268.) 

Nach  ausführlicher  Mittheilung  der  älteren  und  neueren  Ansichten  über  die  Er- 
folge medicamentöser  Behandlung  der  Chorea  und  über  die  therapeutischen  Wirkungen 
des  Curare  im  Allgemeinen,  bespricht  Verf.  die  Literatur  über  die  Bekämpfung  der 
Chorea  mit  Curare  (Benedikt,  Day,  Drumond  und  Fulton]  und  veröffentlicht 
alsdann  3  eigene  Beobachtungen. 

Der  erste  Fall  betraf  ein  ISjähr.,  psychopathisch  belastetes  Mädchen,  das  nach 
einem  leichten  Fieber  mit  rheumatoiden  Beschwerden  und  im  unmittelbaren  Anschluss 
an  einen  heftigen  Aerger  an  Chorea  erkrankt  war,  am  6.  Tage  in  Behandlung  kam 
und  schon  nach  8  Tagen  genas. 

2)  15jähr.  Knabe,  nicht  belastet,  in  Folge  von  Schreck  erkrankt,  kam  erst  nach 
4  Monaten  in  Behandlung  und  genass  in  weiteren  30  Tagen. 


—    163    — 

3)  Neuropathisches  14jäbr.  Mädchen,  Icam  nach  14tagiger  Dauer  der  Chorea  in 
Behandlung  und  genas  nach  20  Tagen,  obschon  in  der  zweiten  Woche  die  Cur  durch 
einen  Zufall  auf  einige  Tage  unterbrochen  und  obschon  w&hrend  dieser  Pause  die 
bereits  erzielte  Besserung  wieder  geschwunden  war. 

Die  Behandlung  bestand  in  subcutanen  Injectionen  von  Curare  0,2  in  10,0  Aq. 
destill,  gelöst.  Anfangs  werden  2nial  pro  die  je  0,005,  dann  0,01  injicirt;  die  Dosen 
wurden  allmählieh  bis  0,02  zwei-  bis  dreimal  am  Tage  gesteigert  und  mit  eintretender 
Besserung  wieder  langsam  verringert.  Nebenerscheinungen  zeigten  sich  nur  in  der 
Termehrung  der  Harn-  und  Schweisssecretion. 

Verf.  empfiehlt  das  Curare  dringend  zu  weiteren  Versuchen  bei  Chorea. 

Sommer. 

17)  The  influenoe  of  treatment  of  Chorea,   with  special  relation  to  the 

fall   use   of  arsenio   and   its   results,  by  Dr.  W.  B.  Cheadle.     (The 
Practitioner.  1886.  XXXVI.  Febr.  p.  81.) 

Verf.  hält  auf  Grund  seiner  zahlreichen  Beobachtungen  von  Chorea  den  Arsenik 
für  ein  Medicament,  das  thatsächllch  im  Stande  ist,  den  Verlauf  jenes  Leidens  günstig 
zu  beeinflussen  und  besonders  abzukürzen.  Zum  Beweise  führt  er  folgende  Zusammen- 
stellung an: 

62  Fälle,  in  denen  er  Arsenik  nur  ausnahmsweise  und  immer  nur  ganz  kurze 
Zeit  hindurch  gegeben  hatte,  und  die  erst  nach  einer  Krankheitsdauer  von  im  Mittel 
63,3  Tagen  in  seine  Behandlung  gekommen  waren,  brauchten  noch  durchschnittlich 
36,01  Tag  bis  zur  Genesung.  105  andere  Falle  aber,  die  ebenfalls  nach  einer 
Krankheitsdauer  von  63,1  Tag  in  seine  Behandlung  gekommen  waren,  und  die  seiner 
methodischen  Arseniktherapie  unterworfen  wurden,  brauchten  nur  26,6  Tage  bis  zur 
Heilung. 

Verf.  giebt  3 — 5  Tropfen  Liquor  Kaüi  arsenioosi  in  Wasser  oder  Eisenwein, 
2 — 3mal  täglich;  alle  2 — 3  Tage  steigt  er  um  je  einen  Tropfen  bis  zur  vollen  Dosis 
von  10 — 12  gtt.  2 — 3mal  pro  die.  Diese  Dosis  wird  fortgegeben,  bis  die  Heilung 
ersichtlich  ist.  Sollten  sich  Intoxicationserscheinungen  einstellen,  so  wird  der  Arsenik 
ausgesetzt  und  Calomel  verordnet;  dann  wird  Arsenik  in  etwas  verringerter  Dosis 
wieder  aufgenommen.  Symptomatisch  werden  ausserdem  Chloral,  Chloroform,  Eisen  etc. 
verordnet;  gute  Ernährung,  Buhe,  Massage  etc.  sind  ebenfalls  zu  empfehlen. 

Zum  Schluss  macht  Verf.  auf  eine  eigenthümliche  Verfärbung  der  Haut  bei 
fortgesetztem  Arsenikgebrauch  aufinerksam,  die  er  mit  der  Bronzefärbung  bei  Morb. 
Addisonii  vergleicht,  und  die  gewöhnlich  im  Laufe  einiger  Monate  wieder  schwindet; 
in  einem  Fall  freilich  blieb  sie  dauernd  bestehen.  Das  Gesicht  pflegt  frei  zu  bleiben. 

Sommer. 

18)  De  la  curabilitö  de  la  sdörose   en   plaques,   par  Catsaras,  Äthanes. 

(Arch.  de  NeuroL  1866.  X.  S.  66.) 

Der  veränderlich  und  vielgestaltige  Symptomencomplex  der  multiplen  Sderose 
kann,  wie  bekannt,  Remissionen,  aber  auch  —  nach  C.  —  völlige  und  dauernde 
Heilung  zeigen.  Nach  kurzer  Citation  eines  älteren  Falles  von  Wilson,  welcher 
jedoch  nur  unvollständige  Heilung  bei  einem  Kinde  berichtet,  setzt  C.  einen  selbst 
beobachteten  Fall  auseinander.  Er  betrifft  einen  18jährigen  Studenten,  bei  welchem 
die  geschilderten  Symptome  bei  geeignetem  Regime  verschwanden  und  bei  welchem 
C.  daher  Genesung  annimmt,  deren  Dauer  indess  noch  bestätigt  werden  muss. 

Siemens. 

19)  Bin  Fall  von  Tetanus  traumaticus,  von  Dr.  Berckhan  in  Mainz.    (Berl. 

klin.  Wochenschr.  1885.  Nr.  48.) 


—    164    — 

Ein  53j&hrig6r  Mann  zog  sich  am  16.  Februar  1884  einen  complicirten  Ober- 
armbruch  zu.  Vom  4.  März  an  Erscheinungen  von  Trismus.  Es  wurde  anfangs 
Chloral  gegeben  in  allmählicher  Steigerung,  bis  auf  8:200  aqua,  Sstündlich  3  Ess- 
löffel, ohne  nachhaltigen  Erfolg.  Vom  24.  März  an  wird  (neben  Chloral)  Curare 
injicirt,  anfangs  0,01,  nach  und  nach  0,02.  Trotzdem  wurden  die  Erscheinungen, 
wenn  auch  sehr  langsam,  doch  immer  stärker,  es  kommt  zu  tetanischen  Krämpfen 
des  ganzen  Körpers,  während  solche  bis  dahin  auf  einzelne  Muskelgruppen  be- 
schränkt waren. 

Am  20.  April  fast  alle  3  Minuten  heftige  Anfälle,  Cyanose,  Temperatur  40,3. 
Da  entschliesst  sich  B.  zu  einer  Dosis  von  0,024  täglich  2mal:  am  anderen  Tage 
auffallende  Besserung.  Vom  24.  April  an  nur  noeh  Imal  täglich  0,024  Curare; 
vom  28.  April  an  nichts  mehr,  da  die  Erscheinungen  verschwunden  sind. 

B.  räth  demgemäss,  sich  bei  Nichterfolg  nicht  lange  bei  kleineren  Dosen  Curare 
(von  0,015  an  beginnend)  aufzuhalten,  sondern  ohne  Scheu  bis  zu  0,025,  täglich 
2mal,  zu  steigen.  Hadlich. 


Anstaltswesen. 

20)  Quarto  oensimento  dei  paszi  riooverati  nei  diverai  manioon^  ed  ospi- 
taU  d'ItaUa  (31.  December  1883),  per  11  dott.  A.  Verga.  (Archiv,  ital. 
per  le  mal.  nervös,  ecc.  1886.  XYTTT.  p.  21.) 

Aus  der  Schlussabtheilung  dieser  schon  theilweise  besprochenen  und  sehr  wich- 
tigen Arbeit  über  die  Zählung  der  am  31.  Dec.  1883  in  italienischen  Irrenanstalten 
und  Krankenhäusern  untergebracht  gewesenen  Geisteskranken  (10291  M.  und  9365  W., 
zusammen  19656  Irre)  sei  hier  noch  folgende  Zusammenstellung  über  die  Häufigkeit 
der  verschiedenen  Formen  der  (xeistesstörung  wiedergegeben. 

Von  je  100  Irren  litten  an: 


•  Männer 

Imbecillität 5,34 

Idiotie 2,83 

Cretinismus 0,23 

moralisches  Irresein     .     .     .  0.74 

cyclisches  Irresein   ....  1,04 

Manie 16,67 

Monomanie 5,35 

Melancholie 14,31 

primäre  Demenz      ....  2,52 

secundäre  Demenz   ....  20,76 

hallucinatorische  Verrücktheit  2,89 


hypochondrische  Verrücktheit 
hysterisches  Irresein 
Puerperalpsychosen  . 
epileptisches  Irresein 
alcoholisches  Irresein 
Pellagra  .... 
Paralyse  .... 
Greisenblödsinn  .  . 
zweifelhafte  Psychose 


1,14 


8,35 
5,38 
7,24 
3,89 
0,83 
0,49 


Weiber  Beide  Geschlechter 

4,90  5,13 

2,46  2,65 

0,30  0,26 

0,60  0,67 

1.23  1,13 
18,27  17,43 

4,16  4,98 

14,88  14,59 

1,84  2,19 

19,60  20,21 

3.24  3,06 
0,55  0,86 
6,22  2,97 
1,88  0,90 
5,90  7,18 
0,52  3,07 

10,69  8,88 

1,22  2,62 

1,36  1,08 

0,18  0,34. 


Zu  erwähnen  ist  noch,  dass  an  dem  Zählungstage  selbstmordsüchtig  waren  8,8  ^/o 
der  verpflegten  Männer  und  13,1  ^/^  der  verpflegten  Frauen,  zusammen  10,8  ®/o  aller 
Irren.    Die  Nahrung  verweigerteji  0,9  resp.  1,2  ®/o,  zusammen  1,1^0  ^l^^r  Irren. 

Sommer. 


—    166 


HL  Ana  den  GesellBOhafteii. 

* 

Sitzung  der  New  York  üeurological  Society  Tom  1.  Dec.  1885.    (Journ.  of 
nerv.  and.  ment.  disease.  1885.  X.  p.  467.) 

Ein  besonderes  Interesse  erweckt  der  Vortrag  W.  A.  Hammond^s  über  halb- 
seitige Halluoinationen,  von  denen  folgende  Fälle  ans  seiner  Praxis  mitgetheilt 
werden. 

1)  Ein  sonst  gesunder  Mann  machte  eines  Tages  die  eigenthümliche  Entdeckung, 
dass  das  Ticken  einer  Eaminuhr,  sobald  er  nur  mit  dem  linken  Ohr  hinhörte,  die 
Illusion,  als  würden  Worte  geflüstert,  hervorrief.  Bald  wurden  die  Worte  immer 
deuüicber  und  Fat  hörte  endlich  ganz  bestimmte  kurze  Befehle  aus  der  Uhr,  immer 
jedoch  nur  auf  dem  linken  Ohr.  Er  erkannte  die  Subjectivitat  dieser  Wahrnehmungen 
und  liess  sich  daher  nicht  weiter  durch  dieselben  beeinflussen. 

2)  Eine  junge  Dame,  yielleicht  im  Anschluss  an  eine  Oemüthserregung,  sah 
plötzlich  verschiedene  Gestalten  vor  sich;  wenn  sie  nun  ein  Auge  schloss,  so  schwand 
ein  bestimmter  Theil  der  Erscheinungen,  und  wenn  sie  dagegen  das  andere  schloss, 
80  schwanden  alle  Figuren,  die  vorher  sichtbar  geblieben  waren,  während  die  vorher 
verschwundenen  sich  jetzt  wieder  zeigten.  Waren  beide  Augen  geschlossen,  so  sah 
sie  zunächst  Nichts,  dann  aber  beide  Gruppen,  wenn  auch  nur  undeutlich. 

3)  Ein  junger  Mann  sah  einige  Wochen  nach  einer  Verletzung  dicht  über  dem 
linken  Ohr,  die  ihm  mehrmals  am  Tage  heftige  Schmerzanfälle  zu  verursachen  pflegte, 
plötzlich  eine  schwarze  Katze  vor  sich,  und  wohin  er  sich  auch  wandte,  die  Katze 
blieb  in  seinem  Gesichtsfeld.  Gegen  Abend  und  zur  Zeit  der  Scbmerzparoxysmen 
wurde  die  Erscheinung  regelmässig  deutlicher.  Der  Vortr.  schlug  in  diesem  Fidl  die 
Trepanation  vor,  um  einen  vermutheten  Splitter  der  Tabula  interna  an. der  Stelle  der 
Verletzung  zu  entfernen,  doch  wurde  dieselbe  nicht  zugelassen. 

4)  Eine  50jähr.  Dame,  welche  seit  längerer  Zeit  durch  beleidigende  anonyme 
Zuschriften  gekränkt  worden  war,  sah  eines  Tages,  als  sie  über  die  Urheber  derselben 
nachgrübelte,  plötzlich  2  Figuren,  einen  Mann  und  eine  Frau  vor  sich.  Anfänglich 
von  der  Realität  derselben  überzeugt,  bemerkte  sie  bald,  dass  sie  den  Mann  nur  auf 
dem  rechten  Auge  und  die  Frau  nur  auf  dem  linken  Auge  sah.  Sie  konnte  daher 
durch  Schluss  eines  Auges  ganz  beliebig  eine  der  beiden  Figuren  aus  ihrem  Gesichts- 
kreise ansschliessen.  Diese  Erscheinungen  wiederholten  sich  mehrmals  durch  einige 
Monate  hindurch  und  schwanden  später  wieder  vollständig.  Während  jener  Zeit 
konnten  sie  übrigens  auch  willkürlich  hervorgerufen  werden,  sobald  Patientin  den 
Kopf  tief  herabhängen  liess. 

In  allen  diesen  Fällen  ergab  die  genauere  Untersuchung  der  Hör-  resp.  Seh- 
Organe  keine  pathologische  Veränderung. 

In  der  sich  anschliessenden  Discussion  theilte  L,  Weber  einen  neuen  Fall  mit, 
in  welchem  ein  37jähr.  Mann  auf  Grund  von  häuslichen  und  geschäftlichen  Sorgen 
schlaflos  und  reizbar  wurde  und  etwa  2  Jahre  lang  durch  eigenthümlich  flüsternde 
Geräusche  im  linken  Ohr  beim  Einschlafen  gehindert  wurde.  Die  Geräusche  wurden 
immer  deutlicher  und  gestalteten  sich  zuletzt  zu  der  Illusion,  als  ob  zwei  Stimmen, 
eine  schmeichelnde  und  eine  befehlende  sich  mit  einander  abwechselten.  Patient  er- 
kamite  die  Subjectivitat  derselben,  und  als  bessere  Zeiten  für  ihn  kamen,  verloren 
sich  diese,  stets  auf  das  linke  Ohr  besohränkten  Erscheinungen. 

Spitzka  verlegte  mit  Recht  den  Sitz  der  zu  präsumirenden  Störung  in  dor- 
nigen Fällen  in  die  sensorischen  Gentren  der  Binde.  Sommer. 


—     166 


IV.  Bibliographie. 

Zehn  Vorlesimgen  über  den  Bau  der  nervösen  Centralorgane  fOr  Aerste 
und  Studirende,  von  Dr.  Ludwig  Edinger  in  Frankfurt  a.  M.    (Leipzig 

1885.     Verlag  von  F.  C.  W.  VogeL     138  Seiten  mit  120  Abbildungen.) 

Von  all*  den  verschiedenen  Specialwerken  über  Himanatomie  halten  wir  das 
vorliegende  für  das  einzige,  das  im  Stande  ist,  demjenigen,  der  nicht  etwa  diesen 
Theil  der  Anatomie  als  Specialstudium  betreiben  will,  sondern  sich  nur  mit  den 
Thatsachen  bekannt  machen  will,  ein  Bild  von  dem  augenblicklichen  Stande  der 
Wissenschaft  zu  geben.  Es  wird  sich  Jeder  ohne  besondere  Mühe  bei  der  klaren 
und  leicht  fasslichen  Darstellung  durcharbeiten  können,  und  das  Interesse  für  den 
Gegenstand  selbst  wird  durch  die  zahlreichen  eingestreuten  und  hinzugefügten  Be- 
merkungen über  die  physiologische  und  pathologische  Bedeutung  der  beschriebenen 
und  abgebildeten  Hirn-  und  Bückenmarkstheile  wesentlich  erhöht  werden. 

Mit  Becht  ist  bei  dem  Zweck,  den  die  Vorlesungen  verfolgen,  nicht  in  die  DiB- 
cussion  der  zahlreichen  Streitpunkte  über  einzelne  Dinge  eingegangen  und  auch  vnr 
wollen  auf  einzelne  abweichende  Anschauungen,  wie  z.  B.  über  die  mikroskopische 
Zusammensetzung  der  Hirnrinde  (S.  33),  über  den  Stabkranz  des  Linsenkems  (S.  48) 
u.  s.  w.  au  dieser  Stelle  nicht  zurückkommen,  mit  Becht  ist  auch  nur  dasjenige  auf- 
genommen, was  feststeht  oder  wenigstens  in  hohem  Grade  wahrscheinlich  ist 

Verf.  hat  sich  auch,  wie  wir  besonders  anerkennen,  nicht  durch  eigene  Arbeiten 
(mittelst  der  Flechsig'schen  Methode)  in  bestimmten  Gebieten  beeinflussen  lassen, 
diese  vorzugsweise  zu  behandeln  und  Anderes  mehr  zurücktreten  zu  lassen,  sondern 
giebt  ein  im  Wesentlichen  abgerundetes  Bild  unserer  Kenntnisse  vom  Centralnerven- 
System. 

Für  eine  zu  erwartende  neue  Auflage  würde  es  sich  vielleicht  empfehlen,  in 
einer  Vorlesung  im  Zusammenhang  den  centralen  Verlauf  der  12  Himnerven  zu 
behandeln,  der  ja  praktisch  von  grosser  Bedeutung  ist  und  hier  nur  an  verschiedenen 
Stellen  sich  erwähnt  flndei 

Die  Abbildungen   sind   sehr  g^t  ausgeführt,   einzelne  vielleicht  zu  schematisch. 

M. 

Die  ungemein  grosse  Fülle  der  Literatur  gestattet  bei  dem  bisher  begrenzten 
Baume  der  Zeitschrift  nicht,  über  Alles  zu  referiren;  besonders  müssen  oft  ans  diesem 
Grunde  rein  casuistische  Mittheilungen,  so  grosses  Interesse  sie  auch  an  und  für  sich 
bieten,  zurückgestellt  werden.  Um  jedoch  den  Ueberblick  über  die  einschlägige 
Literatur  zu  einem  möglichst  vollständigen  za  machen,  sollen  jetzt  die  nicht  refe- 
rirten  Arbeiten  aus  dem  Jahre  1885  (und  Ende  1884)  übersichtlich  zusammen- 
gestellt werden;  wobei  nicht  ausgeschlossen  bleibt»  dass  gel^entlich  eine  oder  die 
andere  der  betreffenden  Mittheilungen  noch  im  referirenden  Theil  aufgenonmien  wird. 

Tabes. 

(cf.  Begister  1885  S.  575.) 

Althaus:  The  sclerosis  of  the  spinal  cord.  London.  Longmous  &  Comp.  (Aach 
deutsch  bei  Wigand,  Leipzig.)  —  Baymond:  Tabes  dorsal  et  Tabes  spasmodique. 
Dictionnaire  encyclopM.  Paris  1885.  —  Belügen:  Becherches  sur  les  causes  de 
Fataxie  locomotrice  progr.  Progrös  m^d.  1885.  Nr.  35.  36.  —  Voigt:  •  Aetiologie 
und  Symptomatologie  der  Tabes.  Ctrlbl.  f.  Nervenhlk.  1885.  Nr.  8.  —  Petrone: 
Syphilis  als  Ursache  von  Tabes.  Gaz.  med.  it.  Lomb.  1884.  Nr.  8.  (Von  50  waren 
24  syph.)  —  Fournier:  Lebens  sur  la  Periode  pr^taxique  du  tabes  d'origine  syphi- 
litique.    Paris  1885.    Massen.  —   Lemonnier:   Symptömes  vesicaux  et  urethreuz 


—     167    — 

ioangurant  la  Periode  pr^ataxique  du  tabee  sur  bd  sujet  sypbil.  Annal.  de  dermat. 
et  sypk  1885.  Mai  25.  —  Adamkiewicz:  Die  Bückenmarksscbwindsacht.  Eine 
Vorlesung.  Wien  1885.  Töplitz  und  Deuticke.  —  Brieger:  Klinisches  über  Tabes 
dorealis.  Klin.  Wocbenschr.  1885.  Nr.  20.  —  Sydney  Roberts:  The  spinal  arthro- 
pathies.  Med.  news.  1885.  Febr.  14.  —  Atkin:  Two  cases  of  Gharcots  Joint  disease. 
Med.  chron.  1885.  April.  —  Barr^:  Contribution  ä  T^tude  clinique  de  l'arthropathie 
chez  les  ataxiques.  Thdse  de  Paris  1885.  —  Lumbroso:  Artropatia  tabetika.  Lo 
Sperimentale.  1885.  Mai.  (Mit  Literaturverzeichniss.)  —  Marshall:  Ueber  die 
Charcofsche  Krankheit.  Lancet.  1885.  Jan.  p.  41.  —  Maclag  an:  über  dasselbe. 
Ibidem.  —  Bivington:  dto.^  —  Chauffard:  Pied  tab^tique  et  scl^rose  des  cor- 
dons  post^rieurs.  Joum.  des  socl^t^  scientif.  1885.  4.  Not.  (cf.  auch  dieses  Ctrlbl. 
1886.  S.  45  u.  68.)  —  Dutil:  Fracture  spontan^e  au  d^ut  de  tabes.  Consol. 
reguliere  des  fragments.  Gaz.  mM.  1885.  Nr.  24.  —  Fanchon:  Contribution  ä 
Tetude  du  mal  perforant.  Thdse  de  Paris  1885.  —  Heusner:  Mal-perforans. 
Deutsche  med.  Wocbenschr.  1885.  Nr.  16.  —  Vivres:  De  la  diarrh^e  tab^tique. 
Th^  de  Paris  1885.  —  Yeilleau:  Grises  viscerales  de  Tataxie  locomot.  progr. 
Paris  1885.  Devenne.  —  Sahli:  üeber  das  Vorkommen  abnormer  Mengen  freier 
Salzsäure  im  Erbrechen  bei  den  gastr.  Krisen  eines  Tabikers.  Gorresp.  f.  Schweizer 
Aerzte.  1885.  Nr.  4.  —  Berbös:  Tabes.  Grises  laryng^es.  France  mM.  1885. 
Nr.  14.  —  Memschika:  Gontribution  ä  V^tude  des  accidents  laryngis  chez  les 
ataxiques.  Th^e  de  Paris  1885.  —  Amand:  De  lli^miatrophie  de  la  langue 
dans  le  tabes  dorsal  ataxique.  Th^e  de  Paris  1885.  —  Ballet:  Hemiatrophie 
der  Zunge  bei  Tabes.  Arch.  de  Neurol.  VII.  p.  191.  —  Raymond  et  Artaud: 
über  dasselbe.  Arch.  de  Physiolog.  1885.  April  p.  367.  —  G'alezowski:  Des 
tronbles  oculaires  dana  Tataxie  locomotrice.  Paris  1885.  Felix  Alcan.  —  Samel- 
sohn:  Ataxie  der  Linkswender  der  Blickebene  bei  Tabes.  Deutsche  med.  Wochen- 
schrift. 1885.  Nr.  25.  —  Hermet:  Taubheit  bei  syphilitischer  Tabes.    Union.  mM. 

1884.  Nr.  Sßi  —  Schlieper:  Ueber  eine  seltnere  Gomplication  der  Tabes  dorsal. 
Breslau  1885.  —  Gaugh:  De  quelques  symptOmes  insolites  de  l'ataxie  loc.  progr. 
Montpellier.  Böhm  A  fils.  —  Oppenheim:  Fall  von  Tabes  mit  Diabetes  mellitus. 
Klin.  Wocbenschr.  1885.  Nr.  49.  —  Border^my:  Des  remissions  dans  Tataxie  loco- 
motrice. Th^e  de  Paris  1884.  —  Ormerod:  On  the  combination  of  lateral  and 
posterior  sclerosis  in  the  spinal  cord.  Brain.  1885.  April.  —  Berbds:  Observation 
de  Pseudo-Tabes  ä  Fintoxication  par  le  sulfure  de  carbone.  France  m^d.  1885. 
Nr.  1.  —  Bonnet:  Des  tronbles  nerveux  dans  Tintoxication  par  le  sulfure  de  car- 
bone. Thtee  de  Paris  1885.  —  Bertoye:  Note  snr  un  cas  d'h^miataxie  locomotr. 
progr.  d'origine  professionelle.    Lyon  mM.  1885.  Nr.  38. 

Friedreich'BOhe  Krankheit. 

(cf.  dieses  Centralbl.  1886.  S.  111.) 

Ormerod:  An  account  of  two  families  screral  members  of  which  ataxia.  Med. 
chir.  Transact.  1885  (cf.  Ctrlbl.  1885.  8.  382).  —  Seguin:  Clinical  report  of  Fried- 
reich  disease.  Med.  record.  1885.  Nr.  24.  —  Sinkler:  Two  cases  of  Friedreich 
disease.     Med.  news.  1885.  Juli  4. 

Spastisohe  Spinalparalyse. 

Naef:  Die  spastische  Spinalparalyse  im  Eindesalter.     Inauguraldissert    Zürich 

1885.  —  Donkin:  A  note  of  spastic  paraplegia  and  the  treatment  of  some  cases 
by  resi     Brain.  1885.  October. 


>  Arthropathie]],  cf.  anoh  dieses  CentralbL  1886.  S.  20  a.  21. 


—    168    — 

Atrophische  Lähmungen. 

(cf.  Register  1885  S.  573.) 

Scbirmeyer:  Beitrag  zur  Kenntniss  der  progressiven  Muskelatrophie.  G(}ttingea 
1885.  —  Eliot:  Poliomyelitis  anterior  bei  Erwachsenen.  Americ.  Jonm.  of  med. 
scienc.  178.  p.  138.  —  Bockwell:  Poliomyelitis  anterior  bei  Erwachsenen.  New 
York  med.  Becord.  1885.  27.  August.  —  Page:  Acute  atrophische  Paralyse  bei 
Erwachsenen.  New  York  med.  Becord.  1885.  Februar.  —  Goutts:  On  arthropathies 
associated  with  infantile  paittlysis.  Med.  times  and  gaz.  1885.  Juli  18.  —  Marina: 
Uno  studio  sulle  amiotrofie.  Lo  Sperimentale.  1885.  Oct.  Nov.  —  Patella:  Della 
paralisis  spinale  atrofica  temporanea  e  diffusa  degli  adulti.  Gaz.  degl.  osp.  1885. 
Nr.  26 — 33.  —  Dreschfeld:  On  some  of  the  rares  formes  of  muscular  atrophies. 
Brain.  1885.  July.  —  Marie  et  Guinon:  Formes  cliniques  de  la  myopathie  pro- 
gressive primitive.  Forme  juvenile  de  Erb.  Bevue  de  m^d.  1885.  Oct.  —  Jacubo- 
witsch:  Zur  Lehre  von  der  Pseudohypertrophie  und  progr.  Atrophie  der  Muskeln 
bei  Kindern.  Arch.  f.  Einderheilk.  VI.  5.  —  Bourdet:  Gontribution  h,  l'^tude  de 
la  paralysle  pseudo-hypertr.  Bevue  mens,  des  malad,  de  Fenf.  1885.  Febr.  bis  ApriL 
—  Middleton:  über  dasselbe.  Glasgow  med.  Jonm.  1884.  —  Whitta:  Fälle 
von  pseudo-hypertrophischer  Paralyse.  Med.  times  and  gaz.  1885.  Februar  28.  — 
Elockner:  über  dasselbe.  Aerztl.  Intelligenzbl.  1884.  Nr.  40 — 42.  —  Grocco: 
Sulla  pseudo  -  ipertrofia  muscolare  nevropatica  degli  adulti.  Gaz.  med.  ital.  1885. 
Nr.  5.  —  Mingazzini:   Hemiatrophie  des  Gesichts.    L6  Sperimentale.  1885.  Febr. 

Multiple  Solerose  des  Hims  und  Büokenmarks. 

(cf.  Begistor  1885  S.  575.) 

T  ja  den:  Ein  Beitrag  zur  Kenntniss  der  multiplen  Sderose  des  Hirns  und 
Bückenmarks.  . Göttingen  1885.  Vandenhöck  &  Bupprecht.  —  Babinski:  Etüde 
anatomique  et  clinique  sur  le  scl^rose  en  plaques.  Th^se  de  Paris  1885.  —  Dalma: 
Gontribution  k  T^tude  de  Tatrophie  musculaire  survenants  dans  le  cours  de  la  scle- 
rose  en  plaques  disstfminte.  Paris  1885.  Devenne.  —  Schuster:  Ein  Fall  von 
multipler  Sclerose  des  Gebims  und  Bückenmarks  in  Folge  von  Syphilis.  Deutsche 
med.  Wochenschr.  1885.  Nr.  51. 

V.  Personalien. 

Der  Director  der  Prov. -Irren- Anstalt  in  Bügenwalde,  Sanitätsrath  Dr.  Seiffert, 
ist  gestorben.  Zu  seinem  Nachfolger  ist  Dr.  Flügge,  bisher  II.  Arzt  an  der  Uecker- 
münder  Anstalt,  ernannt  worden.    Die  letztere  Stelle  ist  zu  besetzen. 


VI.  VermlBohtes. 

Der  Plrovinzial- Landtag  von  Pommern  hat  zum  Zwecke  des  Baues  einer  neuen  Pro- 
viazial-Irren-Anstait  eine  Anleihe  von  2  Millionen  Mark  bewshlossen.  Die  Anstalt  wird 
wahrscheinlich  in  Hinterpommem  errichtet  werden,  da  für  den  Bau  in  der  Nähe  von  Greifs- 
wald das  nöthige  Entgegenkommen  von  Seiten  der  Staatsregierang  fehlt.  Für  die  Bedürf- 
nisse der  Universität  vrird  wahrscheinlich  von  Seiten  der  Unterrichts- Verwaltung  eine  Klinik 
eingerichtet  werden;  die  jetzt  in  Greifswald  bestehende  Provinzial-Anstalt  soll  eingehen.  — 
Der  Bau  der  neuen  Anstalt  soll  thunlichst  beschleunigt  werden,  so  dass  die  Vorarbeiten  im 
Laufe  dieses  Jahres  noch  beendigt  werden.  Siemens. 


Um  Einsendung  von  Separatabdrücken  an  den  Herausgeber  wird  gebeten. 


Einsendungen  für  die  Bedaotion  sind  zu  richten  an  Prot  Dr.  E.  Mendel, 

Berlin,  NW.  Kronprinzen-Ufer  7. 

Verlag  von  Vkt  &  Comp,  in  Leipzig.  ^  Druck  von  Mbtzqbb  &  Winre  in  Leipzig. 


NEÜROLOGISCHESCENTRALBLAn. 

Uebersicht  der  Leistungen  auf  dem  Gebiete  der  Anatomie,  Physiologie,  Pathologie 
und  Therapie  des  Nervensystemes  einschliesslich  der  Geisteskrankheiten. 

Heraasgegeben  von 

Professor  Dr.  E.  Mendel 
Fünfter  «iBnün.  Jahrgang, 

•  1 —        •* 

Monatlich  erscheinen  zwei  Nummern.   Preis  des  Jahrganges  16  Mark.   Zn  beziehen  durch 
alle  Buchhandlungen  des  In-  und  Auslandes,  die  Postanstalten  des  Deutschen  Beichs,  sowie 

direct  von  der  Verlagsbuchhandlung. 


1886.  15.  AprU.  M  8. 


Inhalt  I.  Originalmiitbeilungen.  1.  Ein  Fall  von  Ponstuberkel,  von  Dr.  Ludw.  Bruns. 
2.  Nachtrag  zu  dem  FaU  von  totaler  Degeneration  eines  Hirnschenkelfusses  in  Nr.  7  von 
6.  Rossolymo. 

11.  Referate.  Anatomie.  1.  Tbeilung  der  Art.  carotis  interna  in  der  SchädelhÖble,  von 
Flesch.  —  Experimentelle  Physiologie.  2.  Neue  Thatsachen  aber  die  Hautsinnesnerven, 
TOD  Goldecheider.  —  Pathologische  Anatomie.    Degeneration  der  äusseren  Portion  des 
HimschenkelfaBses,  von  Bechterew.    4.  Gliose  u.  HöhlenbUdung  in  der  Hirnrinde,  von  FOrstner 
^  StOhlinger.    ö.  On  a  case  of  miliary  Selerosis  of  the  brain,  bv  Gowers.  —  Pathologie 
des  Nervensystems.    6.  Contribution  a  T^tude  de  Taphasie:   ae  la  c^cite  psychicjue  des 
choses,  par   Bernheim.    7.  Des  aphasies  puerperales,  par  Poupon.    8.  Zur  Locaiisation  der 
Groashimfunctionen  u.  zur  Iiehre  von  der  secundären  Degeneration,  von  Brink.    9.  Aphasie 
^  ibre  Beziehungen  zur  Wahrnehmung,  von  firashey.    10.  Aphasie  bei  gleichzeitiger  Erhal- 
^g  der  Zahlensprache  und  Zahleuscmift,  von  Volland.    11.  Spastische  Cerebralparalvse  im 
Kindesalter  nebst  einem  Ezcurse  über  „Aphasie  bei  Kindern",  von  Bernhardt.    12.  Verlust 
des  SprachyermÖgens  und  doppelseitige  Hypoglossusparese,  von  Edinger.    13.  Doppelseitige 
I^hmung  des   N.  acessorius  Willisii,  von  Remak.    14.  Trophon^vrose  fadale  mMiane,  par 
Nicaise.     15.   Contribution  ä  l'^tude  de  quelques  •  unes  des  formes  oliniques  de  la  myo- 
paihie  progressive  primitive,  par  Marie  et  Gulnon.    16.  Note  on  ankle^clonus  as  a  s^^mptom 
in  oertain  forms  of  nervous  disease,  by  PJayfair.   17^  Sulla  meningite  cerebrospinale  epidemica 
10  Sicilia,  del  Biuffrft.    18.  A  case  of  paralysis  of  the  lower  extremities  with  hvperfrophy  of 
uie  skin,  subcutaneous  and  muscular  tissues,  by  Mitchell.   19.  Suiitätsberieht  über  die  deut- 
schen Heere  im  Kriege  gegen  Frankreich  1870/71:    VII.  Band:   Erkrankungen  des  Nerven- 
^tems.  ^  Psychiatrie.    20.  Fall  af  langvarig  näringsvägran,  af  B]0rck.  —  Therapie. 
^1»  Om  Behandlingen  af  Tetanus,  af  Leegaard.  —  Anstaltswesen.  22.  On  a  recent  visit 
to  Gheel,  by  Tuke.  / 

III.  Aus  den  Gesellschaften.  —  IV.  BIbilegraphie.  —  V.  Vermischtes. 


I.  Originalmittheilungen. 


1.    Ein  Fall  von  Ponstuberkel. 

Von  Dr.  Ludwig  Bruns,  Assistenzarzt. 

(Aus  der  psychiatrischen  und  Nerven -Klinik  zu  Halle  a./S.) 

(Schluss.) 

SectionsprotokoU  (Herr  Dr.  Brosin):  85  cm  lange,  grazil  gebaute,  muskel- 
^'n&e,  magere  Knabenleiche.  Thorax  nach  oben  zn  schmal  und  flach  gebaut,  nach 
QQten  glockenförmig  erweitert.  Abdomen  hervorgewölbt  und  gespannt.  Augenlider 
geschlossen.    Das  rechte  Auge  gerade  nach  vom  gerichtet,  das  linke  medianwärts. 


—    170    — 

ohne  horizontale  Abweichung.  Im  rechten  GehCrgang  flüssiger  Eiter.  Die  Oesichts- 
hälften  gleich  gebaut,  nur  erscheint  die  linke  untere  Wangengegend  flacher,  als  die 
der  rechten  Seite.  Die  Extremitäten  frei  von  abweichenden  Stellungen,  nur  sind 
die  Finger  flectirt  und  die  Daumen  in  die  Hohlhand  geschlagen;  doch  lassen  sich 
dieselben  leicht  strecken,  zeigen  aber  Neigung,  die  alte  Stellung  wieder  einzunehmen. 
Hand-  und  Armmuskeln  der  beiden  Seiten  lassen  eine  Massendifferenz  nicht  erkennen. 

Schädeldach  symmetrisch  gebaut,  an  den  Scheitelbeinen  reichlich  breit  und  nach 
vom  sich  dem  entsprechend  erheblich  Terschmälemd.  Enochennäthe  als  1  cm  breite 
weisse  Streifen  sichtbar,  Fontanelle  nicht  einmal  angedeutet.  Oberfläche  glatt,  bläulich 
durchscheinend.  Schädeldach  von  der  Dura  leicht  abzuheben,  sehr  zart  und  leicht, 
fast  überall  mit  einer  schmalen  Schicht  bläulicher  Diploe  versehen.  Innenfläche  glatt, 
Gefässfurchen  kaum  angedeutet,  dagegen  heben  sich  sowohl  am  Frontalbein,  als  an 
den  hinteren  Hälften  der  Farietalknochen  deutlich  und  tief  Impressiones  digitatae  ab. 

Dura  sehr  zart  und  fast  durchsichtig,  an  der  Stirn  in  flachen  Falten  abhebbar, 
ihre  Oberfläche  glatt,  die  Arterien  reichlich,  die  Venen  nur  massig  geffllli  Im  Sinus 
longitudinalis  ein  solides  Fibrin-  und  Blutgerinnsel,  welches  plötzlich  an  einer  Stelle, 
welche  der  Einmündung  der  Piavenen  der  hinteren  Scheitelgegend  entspricht,  in  eine 
anscheinend  ältere,  trübe,  graue  und  brüchige,  allerdings  der  Wand  nur  locker  an- 
liegende, thrombotische  Masse  übergeht  und  diese  Beschaffenheit  etwa  2  cm  lang 
behält  In  den  hier  einmündenden  Piavenen  beflnden  sich  nur  frische  Blutgerinnsel. 
Innenfläche  der  Dura  spiegelnd  glatt. 

Beide  Hemisphären  symmetrisch  gebaut.  Die  Pia  vollständig  zart,  ihre  ober- 
flächlichen Venen  ziemlich  reichlich  gefüllt,  besonders  rechts  hinten.  (Der  bisherigen 
Lagerung  der  Leiche  entsprechend.) 

Bei  Herausnahme  des  Qehims  bietet  die  Lösung  des  hinteren  Bandes  der  linken 
Eleinhimhemisphäre  einige  Schwierigkeit  und  besteht  hier  eine  lockere  Verklebung 
zwischen  Dura  und  Pia.  Es  sammeln  sich  in  der  hinteren  Schädelgrube  wohl 
60  kcm  klarer  Flüssigkeit  an.  Die  Pia  auch  an  der  Basis  durchaus  zart,  nur  dass 
sie  in  der  Gegend  des  Chiasmas  eine  schwach  hervortretende  weissliche  Eigenfarbe 
besitzt.  Zwischen  den  hinteren  Ghiasmaschenkeln  wölbt  sich  der  Boden  des  3.  Ven- 
trikels durchscheinend  vor. 

Der  Pons  zeigt  eine  Abflachung  seiner  rechten  Hälfte,  vielleicht  nur  im  Ver- 
hältniss  zu  der  stark  hervorragenden,  namentlich  medullarwärts  sackartig  sich  aus- 
buchtenden linken  Hälfte.  So  verläuft  auch  die  Arteria  basilaris  in  einem  flachen, 
nach  rechts  convezen  Bogen  und  schneidet  die  Arteria  cerebelli  superior  sinistra 
besonders  tief  in  die  Ponssubstanz  ein. 

An  den  Stämmen  der  Gehimnerven  lässt  sich  bei  oberflächlicher  Besichtigung 
ein  abnormes  Verhalten  nicht  feststellen.  Ebenso  sind  die  Arterien  der  Basis  normal 

Medulla  oblongata,  besonders  auch  die  Oliven  normal,  nur  dass  entsprechend 
dem  verschiedenen  Verhalten  der  Ponshälften  die  linke  Olive  unmittelbar  an  die 
Brücke  stösst,  während  die  rechte  von  ihr  durch  eine  grössere  flache  Grube  ge- 
trennt wird. 

Durch  die  Pia  hindurch  tritt  an  mehreren  Stellen  des  (rehims  eine  in  Herdform 
auftretende  gelbe  Verfärbung  (Verkäsung)  der  Binde  zu  Tage.  So  flnden  sich  am 
hinteren  Bande  der  linken  Eleinhimhemisphäre  zwei  an  einander  stossende,  unregel- 
mässig gerundete  und  je  etwa  1  cm  im  Durchmesser  haltende  derartige  Herde,  die 
noch  von  einem  mehrere  Millimeter  breiten  glasig  grauröthlichen  Hofe  umsäumt 
werden.  Ein  linsengrosser  Herd  liegt  an  der  entsprechenden  Stelle  der  rechten 
Eleinhimhemisphäre.  Ein  anderer  20pfennigstückgrosser  Herd  an  der  hinteren  Spitze 
des  linken  Ocdpitallappens,  sowie  ein  letzter  der  Art  4  cm  von  jenem  nach  vom 
und  2^/2  cm  lateral wärts  von  der  Längsfurche  in  den  hinteren  Partien  des  linken 
Scheitellappens.  Die  Pia  ist  sonst  an  Convexität  und  Basis  überall  f^ei,  namentlich 
auch  von  miliaren  Enötchen,  ebenso  zeigt  die  Dura  der  Basis  nichts  Abnormes. 


—    171    — 

Zar  weiteren  Besichtigang  des  Pr&paratee  wird  zmi&chst  der  Wurm  in  der 
MiiteUinie  dnrchtrennty  nm  sich  so  den  Einblick  in  den  vierten  Ventrikel  zn  yer- 
schaffen. 

Man  sieht  hier,  wie  sich  angeföhr  3  cm  nach  vom  vom  Galam.  Script,  der 
Boden  des  vierten  Ventrikels  in  der  Grösse  eines  Fün^fennigstücks  kngelig  vorwölbt. 
Die  Oberfläche  dieser  Vorwölbnng  ist  leicht  höckerig  und  von  dnnkelgranröthlicher 
Farbe,  und  fohlt  man  mit  dem  Finger  deutlich  eine  stärkere  Besistenz,  als  an  der 
entsprechenden  Stelle  der  anderen  Seite.  Nach. vom  erstreckt  sich,  nach  dem  Oe- 
MMe  zn  nrtheilen,  der  Tumor  bis  ungefähr  3  mm  abwärts  vom  Eingang  des  Aquae- 
ductus Sjlvii,  nach  hinten  bis  an  die  vordersten  Striae  medulläres.  Es  wird  ungeföhr 
3  mm  abwärts  vom  hinteren  Ende  des  Tumors  ein  frontaler  Schnitt  durch  die  ganze 
Medulla  gemacht,  und  es  zeigt  sich  nun,  dass  fast  der  ganze  Qnerachnitt  beider 
Ponshälften  in  dieser  Höhe  in  eine  krOmliche  Käsemasse  verwandelt  ist;  rechts  bleibt 
hauptsächlich  eine,  der  Aussenseite  des  Pens  und  dem  Boden  des  4.  Ventrikels  zu- 
nächst  liegende,  ca.  2  mm  breite  Bandzone  und  auf  beiden  Seiten  die  ventralsten 
Partien  (Theile  der  Pyramidenbahnen  und  Stratum  superficiale  der  Brücke)  frei. 
Der  ganze  Tumor  hat  nach  dem  Grefühl  zu  urtheilen,  die  Grösse  einer  Kastanie  und 
scheint  vollkommen  die  Oestalt  einer  Kugel  zu  besitzen. 

Auch  die  übrigen  in  Bezug  auf  ihre  Localisalaon  oben  schon  beschriebenen 
Rindenherde  erweisen  sich  bei  genauerer  Besichtigung  als  Solitärtuberkel,  die  sich 
mehr  oder  weniger  weit  in  die  Binde  der  betreffenden  Himparthien  hineinerstrecken. 

Medulla  oblongata,  Vermis  cerebelli,  Himschenkel,  die  grossen  Ganglien  und  die 
Centra  semiovalia  bieten  makroskopisch  keinen  pathologischen  Befund. 

Die  Seitenventrikel  und  der  3.  Ventrikel  sind  erweitert,  das  Ependym  ist  glatt. 

Das  Bückenmark  zeigt  auf  dem  Querschnitt  keine  Besonderheiten;  in  den  Hinter- 
seitensträngen keine  Kömchenzellen,  wohl  aber  im  rechten  Hinterseitenstrang  zahl- 
reiche Corpora  amylacea. 

Von  den  übrigen  Sectionsbefunden  ist  nur  noch  zu  erwähnen,  dass  in  beiden 
Langenspitzen  Tuberkelherde  gefunden  werden. 

Die  Diagnose  war  in  diesem  Falle  leicht  zu  stellen.  Es  mosste  sich  um  einen 
Tumor  des  Pens  in  der  mittleren  Partie  desselben  handeln,  der  zunächst  links  sass 
ond  sich  später  nach  rechts  ausbreitete.  In  Bezug  auf  die  Art  des  Tumors  konnte 
beim  Alter  des  Patienten,  der  hereditären  Belastung  und  der  länger  bestehenden 
Ohrtuberknlose  nur  an  einen  Tuberkel  gedacht  werden.  Ausser  der  schon 
charakteristischen  altemirenden  Hemiplegie  fand  man  ein  für  Tumoren  in  der 
Gegend  des  Abducenskems ,  wie  es  zuerst  Bboadbent^  hervorgehoben  bat, 
geradeza  pathognomonisches  Zeichen:  die  assodirte  Lähmung  der  beiden  Augen 
för  die  Bewegung  nach  links,  mit  Ueberwiegen  der  Lähmung  im  betreffenden 
linken  Abducens.  Dieses  Symptom  war  nach  den  Angaben  des  Vaters  das  erste 
Krankheitszeichen,  erst  später  traten  die  henuplegischen  Erscheinungen  der 
anderen  Eörperhälfte  hinzu;  es  bestand  also  eine  Zeit  dieses  Symptom  für  sich 
allein  und  würde  für  sich  allein  genügt  haben,  die  richtige  Diagnose  zu  stellen. 
£men  solchen  Fall,  wo  neben  der  assocürten  Augenmuskellähmung  nur  noch 
Facialislähmong  auf  der  Seite  des  gelähmten  Abducens  bestand,  beschreiben 
UiBBzxjEwSKT  Und  RosENBACH.^  Sie  besprechen  auch  ausführlich  die  Er- 
Uärungsversuche  dieser  Erscheinung,  die  sich  im  Wesentlichen  auf  die  Annahme 

1  Med.  Times  and  Qazette.  1872.  Vol.  I. 
^  Nenrolog.  CeDtralbl.  1885,  Nr,  16  q.  17, 


172    — 

eioer  directen  Yerbindong  zwischen  dem  Abducenskem  und  den  Ganglienzellen 
für  den  ihm  coordinirten  Bectos  internus  beschranken.    Auch  die  betreffexide 
Literatur  wird  von  ihnen  vollständig  angeführt.    Ebenso  findet  man  in  ,^er27- 
habbt's  Himgeschwülsten^'  eine  Zusammenstellung  von  30  Tumoren  des  Pons 
und  eine  genaue  kritische  Beschreibung  der  dabei  beobachteten  Symptome,  ^ot 
allem  auch  der  assodirten  Augenlähmung.  Den  sich  für  die  Sache  naher  inter- 
essirenden  Leser  kann  ich   wohl  auf  diese  beiden  leicht  zugänglichen  Quellen 
verweisen;  ich  wollte  diesen  Fall  nur  zur  Vermehrung  der  betreffenden  Gasuistik 
veröffentlichen,  was  immer  noch  von  einigem  Werthe  sein  dürfte.    Die  Herde 
im  Kleinhirn  und  dem  linken  Occipital-  und  Parietallappen  haben  die  Reinheit 
der  Beobachtung  wohl  kaum  getrübt;  vor  Allem  war  der  Wurm  des  Kleinhirns 
nicht  mit  betheiligt.    Zugestehen  will  ich,  dass  die  bei  Ponstmnoren  seltene 
Neuritis  optica,  2mal  in  30  Fällen  von  Bernhardt,  die  dagegen  gerade  bei 
Kleinhimtumoren  besonders  häufig  ist,  vielleicht  auf  die  Erkrankung  des  letzteren 
Organs  zurückzufuhren  ist. 

Hervorheben  möchte  ich  noch  das  bis  zum  Tode  wohl  constatirte  Fehlen 
irgend  einer  Affection  der  Faciales.  Bernhard  hat  unter  30  Fällen  nur  einen 
gleichen  und  ist  diese  Gruppirung  der  Symptome  bei  der  Hochgradigkeit  der 
Abdncensaffection  in  Rücksicht  auf  die  anatomischen  Verhältnisse  wohl  nur 
schwer  zu  erklären.  Das  Gleiche  gilt  für  das  Fehlen  der  Sensibilitätsstörungen. 
Vielleicht  wird  die  vorbehältene  mikroskopische  Untersuchung  des  Falles  mehr 
Lic^t  in  die  Sache  bringen. 

2.  Nachtrag  zu  dem  Fall  von  totaler  Degeneration  eines 

Himschenkelfasses  in  Nr.  7. 

Von  G.  BosBolymo,  Assistent  der  Nervenklinik  an  der  Universität  Moskau. 

Bald  darauf,  nachdem  jene  Mittheilung  an  die  geehrte  Bedaction  abgesendet 
war,  bot  sich  mir  Gelegenheit  einen  neuen  Fall  zu  untersuchen ,  in  welchem, 
nach  einer  Läsion  des  Scheitel-  und  Schläfenlappens  einer  Hemisphäre  eine 
secundäre  D^eneration  des  mittleren  und  äusseren  Drittels  des  Himschenkel- 
fusses  statt  fand.  Eine  ausführlichere  Mittheilung  hoffe  ich,  wird  bald  veröfient- 
licht  werden  können. 

Beide  anatomische  Untersuchungen  sind  im  Laboratorium  des  Herrn  Prof. 
A.  EoscHEWNiKOFF  gemacht  worden,  dem  ich  meinen  innigsten  Dank  für  seine 
Leitung  schuldig  bin. 

II.  Referate. 


Anatomie. 

1)  Ein  weiterer  Fall  von  Theilung  der  Arteria  carotis  interna  in  der 
Sohädelhöhle,  von  Max  Flesch  in  Bern.  (Arcb.  f.  Anat.  u.  PbysioL  1886. 
Anat.  Abth%.) 


—    178    — 

Das  Präparat  dntstammt  einem  22jähr.  Verbrecher.  Die  Art.  basilarifi  cerebri 
wird  fast  nur  aus  der  A.  vertebralis  sin.  gebildet,  da  die  A.  vertebr.  dextra  ungemein 
schwach  ist.  In  der  Art.  basilaris,  etwa  in  die  Mitte  ihrer  Länge,  tritt  von  links 
her  ein  über  2  mm  Durchmesser  starkes  Gefäss,  welches  aus  der  Art.  carotis  sin., 
da  wo  sie  im  Sinus  cavernosus  die  zweite  Biegung  macht;  es  gelangt  in  die  Schädel- 
böhle,  indem  es  aussen  und  oben  vom  N.  abducens  die  Dura  in  der  hinteren  Schädel- 
gmbe  durchbohrt.  Nach  vom  theilt  sich  die  Basilararterie  wie  gewöhnlich  zur  Bil- 
dung des  Girculus  arteriosus  Willisii. 

Besonders  interessant  wird  der  Fall  durch  gleichzeitige  Anomalie  der  Hirnwin- 
dungen, bei  welchen  die  transversalen  Furchen  so  fiberwiegen,  dass  Längswindungen 
nur  am  linken  Stimlappen  zu  erkennen  sind. 

Beiderseits  finden  sich  je  4  die  Breite  der  Hemisphären  fast  vollständig  durch- 
trennende Querfurchen,  eine  vor  und  eine  hinter  der  Centralfurche,  und  eine  sehr 
tiefe  vierte,  vrelche  den  hinteren  Ast  der  Parietalspalte  durchkreuzt. 

Trotz  dieses  Zusammentreffens  spricht  sich  F.  auf  Grund  zahlreicher  anderer 
Fälle  gegen  eine  Abhängigkeit  der  Windangsanomalie  von  der  Anomalie  der  Gefäss- 
stämme  aus;  letztere  bestehen  oft  ohne  abnorme  Windungsverhältnisse.  Eher  sprächen 
manche  Beobachtungen  dafür,  dass  von  der  normalen  Entwickelung  des  Nervensystems 
resp.  des  Gehirns  die  normale  Gefssvertheilung  im  ganzen  Körper  in  einer  gewissen 
Abhängigkeit  stehe,  weil  bei  Himmissbildangen  gleichzeitig  auffallende  Abnormitäten 
an  Arterien  und  Venen  gefunden  werden.  H  ad  lieh. 


Experimentelle  Physiologie. 

2)  Neue  Thatsaohen  über  die  Hautsinnesnerven,  von  Dr.  Alfred  Gold- 
scheider.  (Arch.  f.  Anat.  u.  Physiol.  1885.  Phys.  Abthlg.  Supplement-Band. 
Mit  5  Tafehi.) 

Verf.  giebt  eine  ausführlichere  Darstellung  der  von  ihm  in  früheren  Aufsätzen 
gemachten  Mittheilungen  über  die  Temperatur-   und   Drucknerven.     Die  Haut 
ist  nicht  überall  temperaturempfindlich,  sondern  nur  an  gewissen  Punkten,  und  zwar 
an  dem  einen  Theil  derselben  nur  kälteempfindlich,  an  dem  andern  nur  wärme- 
empfindiich.     Dieselben,   als  Kälte-  und  Wärmepunkte   bezeichnet,  liegen  unter  ein- 
ander gestreut,  fallen  aber  nie  zusammen.    Ihre  Anordnung  ist  im  Allgemeinen  fol- 
gende:  Sie  reiben  sich  in  Ketten  aneinander,  welche  meist  leicht  gekrümmt  ver- 
laufen.    Dieselben  strahlen  radienartig  von  gewissen  Punkten  der  Haut  aus,  welche 
als  Ausstrahlungspunkte    oder  Temperaturpunkt -Centren    zu   bezeichnen 
sind.    Die   Ketten   der   Kältepunkte  fallen   meist  nicht   zusammen   mit   denen   der 
Wärmepunkte,  ihre  Ausstrahlungspunkte  sind  aber  gemeinsam.     Letztere  fallen  vor- 
wiegend mit  den  Furchen  der  Haut  zusammen.    Die  Kältepunkte  sind  überall  zahl- 
reicher als   die  Wärmepunkte.     Werden  Kältepunkte  mechanisch  oder  elektrisch  ge- 
reizt, 80   entsteht  ein  punktförmiges   Kältegefühl;   ebenso   bei   den  Wärmepunkten 
Wärmegefühl.     Es  ist   dem  Verf.  gelungen,   durch  elektrische  und  mechanische  Er- 
i'^gung  von  Nervenstämmen   ebenfalls  excentrisches  Kälte-  und  Wärmegefühl  zu 
erzeugen.      Gegen    punktförmige   Berührungs-   und   Schmerzreize   erweisen   sich   die 
Temperaturpunkte  unempfindlich,  ausser  dass  sie  mit  Temperaturempfindung  reagiren. 
Hiemach  giebt  es  also  nicht  bloss  specifische  Temperatumerven,  sondern  speci- 
fische  Kälte-   und   specifische  Wärme-Nerven,   von  denen  die  ersteren  lediglich 
to  Kälte- Empfindung,  die  letzteren  der  Wärme-Empfindung  dienen;  dieselben  unter- 
liegen somit   wie   echte   Sinnesnerven   dem  Cresetze  von  den  specifischen  Energien. 
Bezüglich  der  Theorie  des  Temperatursinnes  geht  Verf.  auf  die  E.  H.  Weber'sche 
Vorstellung  zurück,  wonach  das  Sinken  der  Hauttemperatur  als  Kälte-,  das  Steigen 
derselben  als  Wärme  empfunden  wird;  durch  ersteres  werden  die  Kältenerven  erregt, 


-    174    - 

dorcb  letzteres  die  Wärmenerven.  Die  Hering'eche  Temperatarsinn-Theorie,  welche 
anf  die  Einheit  des  Temperatnrsinns  basirt  ist,  wird  widerlegt  Die  Temperatur- 
empfindlicbkeit  zeigt  an  der  Körperoberfläche  die  grössten  topischen  Verschiedenheiten ; 
sie  ist  an  jeder  umschriebenen  SteUe  der  Haut  direct  abhängig  von  der  Zahl  und 
Intensität  der  auf  ihr  befindlichen  Temperaturpunkte,  d.  h.  von  dem  localen  Beich- 
thum  an  Temperatumerven,  und  geht  Hand  in  Hand  mit  den  Ausbreitungsbezirken 
der  grossen  sensiblen  Nervenstamme.  Es  giebt  Körperstellen,  welche  ganz  temperatur- 
anästhetisch  sind. 

Ausserdem  unterscheidet  Verf.  in  der  Haut  allgemeine  Gefühlsnerven  und 
specifische  Drucknerven.  Letztere  endigen  an  gewissen  Funkten  der  Haut, 
welche  nicht  nur  besonders  empfindlich  gegen  äusserst  feine  Berührungen  sind,  son- 
dern ausserdem  die  Träger  eines  eigenen,  zwischen  ihnen  nicht  zu  producirenden, 
„kömigen''  DruckgefQhles  sind.  Diese  Druckpunkte  sind  nach  demselben  Typus 
angeordnet  wie  die  Temperaturpunkte,  stellen  aber  im  Allgemeinen  viel  dichter.  Sie 
allein  befähigen  uns,  die  Abstufungen  der  Druckstärke  wahrzunehmen;  ausserdem 
sind  sie  durch  einen  hervorragenden  Ortssinn  ausgezeichnet,  welcher  sich  weit  über 
die  bekannten  Weber'schen  Empfindungskreise  erhebt.  In  analoger  Weise  besitzen 
auch  die  Temperaturpunkte  einen  sehr  distincten  Ortssinn.  Beigegebene  Tabellen 
zeigen  das  Verhalten  desselben  an  den  verschiedenen  Körpertheilen.  Auch  beim 
Drucksinn  nehmen  die  Härchen  eine  hervorragende  Stellung  ein.  Die  Temperatur- 
und  Drucknerven  zeigen  vielfach  ein  reciprokes  Verhalten  bezüglich  ihrer  Häufigkeit. 

M. 

Pathologische  Anatomie. 

3)  Ein  neuer  Fall  von  Degeneration  der  äusseren  Fortion  des  HimBohenkel- 
fOBses  (des  Türok'sohen  Bündels),  von  W.  Bechterew.  (Busskaja  Medi- 
cina.  1885.  Nr.  33.  Russisch.) 

Im  Anschluss  an  eine  frühere  Publication  über  secundäre  Degeneration  des  Hirn- 
schenkeis  (Wjestnik  psychiatrii  i  nevropatologii.  1 885.  I.  Referat  im  Neurol.  Ctrlbl. 
1885.  S.  398)  veröffentlicht  B.  eine  Beobachtung,  in  der  Degeneration  der  inneren 
und  äusseren  Portion  des  Himschenkelfusses  gefunden  wurde,  während  die  Pyramiden- 
bahn von  derselben  fast  vollständig  verschont  geblieben  war. 

Es  handelt  sich  um  einen  35jährigen  Kranken,  der  im  September  1878  in  die 
Ijeipziger  Irrenklinik  mit  leichter  rechtsseitiger  Parese  der  Motilität,  deutlich  aus- 
geprägter Sprachstörung  und  apathischem  Schwachsinn  aufgenommen  war;  die  Kraok- 
heit  hatte  im  August  mit  einem  apoplectoiden  Anfall,  der  rechtsseitige  Hemiplegie 
und  Aphasie  znrückliess,  angefangen.  Der  Tod  erfolgte  am  12.  März  1885  ohne 
wesentliche  Veränderungen  des  Krankheitsbildes  —  abgesehen  von  wiederholten 
apoplectoiden  Anfallen. 

Die  Section  ergab  im  Gehirn:  ausgedehnte  Sclerose  und  zum  Theil  Obliteration 
der  Arterien  an  der  Basis;  an  der  Oberfläche  der  linken  Hemisphäre  grosse  Er- 
weichungsherde, hauptsächlich  im  Occipital-  und  Temporallappen,  zum  Theil  aucli  in 
.den  Scheitelwindungen;  in  der  nämlichen  Hemisphäre  einen  begrenzten  Erweichungs- 
herd  im  vorderen  Schenkel  der  inneren  Kapsel,  in  der  Nachbarschaft  des  Kopfes  des 
Nnd.  caud.  In  der  rechten  Hemisphäre  waren  die  Windungen  unversehrt,  aber  auch 
hier  fand  sich  ein  ähnlicher  £rweichungsherd  im  vorderen  Schenkel  der  inneren 
Kapsel.  Die  äussere  Portion  des  linken  Himschenkelfusses  erschien  atrophirt,  und 
längs  des  äusseren  Randes  desselben  konnte  man  ein  graues  Bündel  verfolgen. 

Die  mikroskopische  Untersuchung  erwies,  dass  im  linken  Himschenkelfuss  sowohl 
die  innere,  als  die  äussere  Portion  (jederseits  ungefähr  ein  Viertel  der  Breite  des- 
selben) degenerirt  war,  während  die  der  Pyramidenbahn  entsprechende  mittlere  Por- 
tion nebst   einem  Theil   der   inneren   intact  erschien.    Im  rechten  Himschenkelfuss 


—    175    — 

war  nnr  die  innere  Portion,  nnd  zwar  in  etwas  geringerer  Aasdehnung,  degenerirt. 
In  absteigender  Richtung  konnten  die  degenerirten  Fasern  nur  bis  zum  oberen 
Brückenabschnitt  verfolgt  werden.  Alle  anderen  in  Betracht  kommenden  Gebiete 
(Haabenregion,  Pyramidenbahn  etc.)  waren  unverändert 

Was  die  Bedeutung  des  beschriebenen  Befundes  anbelangt,  so  macht  B.  zuvör- 
derst darauf  aufmerksam,  dass  in  der  Literatur  —  abgesehen  von  seiner  früheren 
(s.  oben)  Publication  —  keine  Beobachtung  secundärer  Degeneration  des  Türck'- 
schen  Himschenkelbfindels  bekannt  sei.  Femer  sieht  er  in  diesem  Fall  die  Bestä- 
tigung der  von  ihm  in  jenem  Artikel  aufgestellten  Behauptung,  dass  Degeneration 
des  Türck^schen  Bündels  mit  Zerstörung  im  Gebiet  der  Hinterhaupts-  und  Schläfen- 
lappen zusammenhänge;  ebenso  werde  durch  das  Fehlen  von  Degenerationszeichen  in 
der  unteren  Brückenhälftie  die  auch  von  ihm  vertretene  Annahme  Flechsiges  be- 
kräfkigty  nämlich,  dass  das  Türck'sche  Bündel  in  den  Nervenzellen  der  Brücke  (der 
oberen  Hälfte  derselben)  endige.  —  Die  Degeneration  der  inneren  Portion  beider 
Himschenkelfusse  bringt  B.  mit  der  in  beiden  Hemisphären  gefundenen  Erweichung 
des  vorderen  Abschnitts  der  inneren  Kapsel  in  Zusammenhang. 

P.  Eosenbach. 

4)  lieber  Qliose  und  Hohlenbildung  in  der  Hirnrinde,  von  Prof.  Fürstner 
und  Dr.  Stühlin ger.     (Arch.  f.  Psych.  Bd.  XVH.  H.  1.) 

Die  Verff.  machen  in  vorstehender  Arbeit  Mittheilungen  über  4  Fälle  jener 
bisher  nur  von  wenigen  Forschem  beschriebenen  Erkrankung  der  Gehimoberfläche, 
die  sich  daidnrch  charakterisirt,  dass  sich  in  der  äusseren  Bindenschicht  einer  Reihe 
von  s(^enannten  Prädilectionswindnngen  (solche  sind:  die  Central  Windungen,  die 
3.  Schläfenwindung,  Klappdeckel,  Insel)  hellgelb  gefärbte,  ebene  und  höckerige 
Stellen  (Granula  nnd  Tubera)  sich  bilden,  in  deren  Inneren  es  zur  Höhlenbildung 
kommt.  Der  pathologische  Process  besteht  darin,  dass  von  den  Gefässscheiden  aus 
zahlreiche  Leucocyten  und  Spinnenzellen  sich  nenbilden,  durch  deren  partielle  Weiter- 
nnd  Rückbildung  neues  Gliagewebe  geschaffen  wird  und  Höcker  verschiedener  Grösse 
entstehen.  Durch  körnigen  Zerfall  des  bindegewebigen  Faserwerkes  entwickeln  sich 
in  jenen  Höckem  Höhlen,  ähnlich  wie  bei  Syringomyelie.  Die  Ganglienzellen  er- 
kranken secundär  und  nnr  in  der  zweiten  Bindenschicht,  während  die  tieferen  Schichten 
keine  krankhafte  Veränderung  zeigen.  Die  Gefässwände  bleiben  frei  von  Kemwuche- 
nmg.  Im  Weiteren  zeigten  sich  in  allen  4  Fällen  ausgesprochene  atrophische  Yor- 
f^nge  in  den  Nn.  optici  (in  einem  Falle  auch  im  N.  olfactorius)  und  in  den  Hinter- 
strängen. 

Das  diesem  pathologischen  Befunde  entsprechende  Krankheitsbild  glich  in  hohem 
Crrade  der  progressiven  Paralyse,  doch  hatte  es  in  manchen  Punkten  auch  Aehnlich- 
keit  mit  der  multiplen  Sclerose. 

In  klinischer  Beziehung  verdienen  diese  4  Fälle  jedenfalls  eine  ganz  besondere 
Würdigung.  Charakteristisch  sei  hier  vor  Allem  die  in  allen  Fällen  nachweisbare 
hereditäre  Belastung  und  der  sehr  frühe  Beginn  des  Leidens  (im  Kindeealter  in 
3  Fällen).  Möglicherweise  liege  dem  ganzen  Process  eine  abgelaufene  Leptomenin- 
gitis  im  Kindesalter  zu  Grande.  Von  der  multiplen  Sclerose  unterscheiden  sich  die 
Fälle  in  klinischer  Hinsicht  durch  das  Fehlen  des  Intentionszittems,  des  Nystagmus 
Qnd  der  scandirenden  Sprache.  Die  klinische  Verschiedenheit  von  der  Paralyse  sei 
mehr  gradueller  Natur  (die  Kranken  waren  perceptionsfahiger,  sie  nahmen  trotz  ihrer 
Blindheit  an  den  Vorgängen  in  der  Umgebung  mehr  Antheil  als  Paralytiker  im 
gleichen  Stadium),  auch  müsse  Gewicht  gelegt  werden  auf  das  Fehlen  von  Pupillen- 
differenzen nnd  der  Facialisparese  beim  Bestehen  von  tabischen  Erscheinungen  ver- 
^«nden  mit  Opticusatrophie  (in  allen  4  Fällen).  Nach  Ansicht  des  Ref.  genügen 
*W  diese  Momente  nicht  vollständig,  um  eine  Trennung  von  der  Paralyse  in  kli- 
nischer Beziehung  au  rechtfertigen. 


—    176    - 

In  patholo^ch- anatomischer  Bezlehang  sei  im  G^ensatz  zur  Paralyse  herror- 
znheben,  neben  der  Verschiedenheit  des  histologischen  Processes,  die  haaptsachliche 
Localisimng  der  Granula  auf  Insel  und  Klappdeckel,  bei  relativerem  Freibleibmi  der 
Stirnwindungen,  sodann  der  Mangel  an  Residuen  hyperämischer  Zustande,  das  Fehlen 
Ton  Gef&sserkrankungen  und  schliesslich  die  Beschränkung  der  Erkrankung  auf  die 
erste  und  zweite  Rindenschicht. 

Bemerkenswerth  seien  die  Differenzen  dieser  Fälle  von  der  multiplen  Sclerose, 
auch  in  anatomischer  Hinsicht;  es  lassen  sich  diese  zusammenfassen  in  folgenden 
Punkten:  1)  Beschränkung  des  Processes  in  allen  4  Fällen  auf  die  Hirnrinde,  Frei- 
bleiben anderer  Himregionen  (vor  Allem  Himstamm,  Markkörper),  2)  Auftreten  von 
tumorenartigen  Prominenzen  auf  der  Oberfläche,  verbunden  mit  Höhlenbildung,  während 
die  Plaques  bei  der  Sclerose  nicht  Qber  die  Oberfläche  prominiren,  3)  Intactbleiben 
der  eigentlichen  nervösen  Elemente,  wie  z.  B.  der  Ganglienzellen,  4)  Bildung  eines 
viel  derberen  Gewebes,  als  bei  der  Sclerose.  v.  Monakow. 


6)   On  a  oase  of  miliary  Solerosia  of  the   brain,   by  W.  B.  Gowers.    (The 
Lancei  1886.  Vol.  I.  Nr.  IV.  p.  145.) 

Die  Bezeichnung  „miliare  Sclerose"  wurde  zuerst  von  B.  Tuke  und  Ruther- 
ford bei  einem  Fall  von  Cerebellarathrophie  eines  Dementen  angewendet;  aber  die 
Degeneration  war  nur  mikroskopisch,  also  nicht  miliar,  was  hirsekorngross  bezeichnet; 
es  war  auch  ausserdem  wahrscheinlich  gar  keine  Sclerose  vorhanden.  Dagegen  be- 
richtet Verf.  einen  Fall  von  „extremer  Seltenheit",  bei  dem  die  pathologisch-ana- 
tomische Diagnose  „miliare  Sclerose"  nicht  umgestossen  werden  kann. 

'  59jähriger  Mann,  syphilitische  Vorgeschichte.  In  letzter  Zeit  dyspeptische  Stö- 
rungen und  in  Folge  von  Emphysem  und  Herzschwäche  bedeutende  Kurzathmigkeit 
6  Monate  vor  seinem  Tode  Vergrösserung  der  Milz  und  Leber,  Ascites,  Anasarca, 
aber  keine  Albuminurie.  Keine  Symptome  gestörter  Psyche.  Gehimnerven  und  höhere 
Sinne  zeigen  nichts  Abnormes,  Augenhintergrund  normal.  Keine  Schluckbeschwerden. 
Vollkommene  Paralyse  der  Arme  mit  Rigidität  der  Muskeln,  Contracturen  im  Ell- 
bogengelenk, main  en  griffe;  ebenso  complete  Lähmung  der  unteren  Extremitäten. 
Sensibilität»  Sphincteren  intact.  Nach  mehreren  leichten  Convulsionen,  die  in  der 
linken  Schulter  begannen  und  nur  die  linke  Körperseite  betrafen,  Tod  im  Coma  un- 
gefähr 10  Wochen  nach  dem  Auftreten*  der  ersten  nervösen  Symptome. 

Section:  An  der  hinteren  Fläche  des  Kleinhirns  fand  sich  an  beiden  Seiten  eine 
kleine  submeningeale  Extravasation.  Fast  überall  sah  man  am  Uebergang  der  grauen 
Corticalsubstanz  zur  weissen  Uirnmasse  multiple  bis  Senticomgrosse,  nicht  prominente, 
auch  nicht  eingesunkene  Stellen  von  dunklem  Colorit,  welche  an  mehreren  Strecken 
zu  grösseren  Conglomeraten  zusammenflössen  (Zeichnung).  An  einigen  Stellen,  wo 
die  Menge  der  Pünktchen  sehr  reichlich  auftrat,  bestand  in  der  weissen  Substanz 
diffuse  Röthe  mit  rothen  Linien  und  gelben  Flecken  durchsetzt  (innerer  und  hinterer 
Theil  des  rechten  Hinterhauptslappen  und  linker  Gyrus  praecentralis).  In  der  ganzen 
übrigen  weissen  Substanz  ebenfalls  die  oben  beschriebenen  Flecke.  Femer  fanden 
sich  solche  in  den  Claustris,  den  Linsenkemen,  den  Sehhügeln,  unter  den  Vierhügeln; 
dagegen  nicht  in  den  beiden  Streifenhügeln,  Pons,  Medulla,  Crura  cerebri  und  Cere- 
bellum. 

Mikroskopische  Prüfung:  Die  Veränderung  bestand  in  kleinen  runden  oder  ovalen 
Höhlen,  durch  Septa  von  fibröser  Structur  getrennt.  Die  Höhlen  waren  angefüllt  mit 
kömigem  Material.  Die  Höhlenstractur  zeigte  besonders  in  den  peripherischen  Theilen 
der  Flecke  spongiöse  Beschaffenheit,  im  Centmm  war  das  fibröse  Balkensystem  stärker 
entwickelt.  In  dem  Gewebe  um  die  pathologisch  veränderten  Stellen  zeigten  sich 
mit  deutlichen   Kernen   versehene  Spinnenzellen,   von   denen  einige  sich  bi»  in  das 


—    177    — 

fibröse  Balkennetz  bin  verfolgen  Hessen.  Die  Flecke  zeigten  keinen  directen  Za- 
sammenhang  mit  Gefässen,  von  denen  einige  innerhalb  jener  Yermebrang  der  Wand- 
seilen  oder  leichte  Verdickung  der  Wand  zeigten;  an  einigen  Gefässchen  sah  man 
aaf  beiden  Seiten  Spinnenzellen.  Die  graue  Binde  zeigte  sich  normal  und  wies  keine 
D^eneraüon  der  Ganglienzellen  auf. 

Hiernach  wäre  also  die  Bezeichnung  ,,niiliare  Sclerose^'  völlig  zu  rechtfertigen. 
Multiple  Sderose  wird  wegen  der  Grösse,  des  Sitzes  und  der  Multiplicitat  der  Herdchen 
ausgeschlossen.  Verf.  hat  einen  ähnlichen  Fall  noch  nie  gesehen.  Sonderbar^  ist  das 
Fehlen  jeder  psychischen  Aberration.  Dr.  F.  Greiff  (Arch.  f.  Psych.  Bd.  XIV.  S.  287) 
hat  einen  ähnlichen  Befund  gesehen;  aber  hier  waren  die  grossen  Ganglien  nicht 
afficirt,  ausserdem  war  die  Läsion  am  frischen  Gehirn  nicht  zu  sehen  und  bestand 
in  einer  „vitreous  degeneration''  des  Himgewebes  und  der  Ganglien;  sie  ging  überall 
von  den  Gefassen  aus  im  Gegensatz  zu  dem  Fall  des  Verf.  und  zeigte  analoge  Be- 
schaffenheit mit  einem  von  Simon  in  demselben  Archiv  beschriebenen  Befunde.  Das 
R&ckenmark  konnte  nicht  geprüft  werden.  Buhemann. 


Pathologie  des  Nervensystems. 

6)  Contribution  a  l'ötade  de  Taphasie:  de  la  oöoitö  payohique  des  ohoses, 

par  le  Dr.  Bernheim,  Nancy.     (Bevue  de  m^decine.  1886.  Aoüt.  p.  625.) 

Ein  63jähriger  Gärtner  wurde  am  13.  Mai  1883  von  einem  apoplectischen 
Insult  betroffen,  als  dessen  Folgeerscheinungen  eine  leichte  linksseitige  Hemi- 
parese  mit  Hemianästhesie,  linksseitige  Hemianopsie  und  aphatische  Störungen 
zorfickblieben.  Die  Combination  der  letzteren  mit  einer  linksseitigen  Hemiplegie 
steht  wahrscheinlich  mit  dem  Umstände  in  Verbindung,  dass  Fat.  linkshändig  war 
(dabei  aber  freilich  mit  der  rechten  Hand  schrieb).  Die  Sprache  wurde  bald 
wieder  so  gut,  dass  man  sich  mit  dem  Patienten  recht  gut  unterhalten  konnte.  Auch 
das  Schreiben  ging  leidlich,  entsprechend  dem  geringen  Bildungsgrade  des  EJranken. 
Dagegen  blieb  andauernd  zarück  eine  sehr  ausgesprochene  „SeelenblindheiV,  so- 
w<>hl  für  Buchstaben  und  Worte,  als  auch  für  Sachen.  Man  zeigte  ihm  z.  B.  ein 
Schlüsselbund.  „Was  ist  dies?"  „Es  dient  zum  Zeigen."  „Was  macht  man  damit?" 
Der  Kranke  versucht  mit  einem  der  Schlüssel  zu  schreiben  und  sagt:  „Dies  ist  eine 
Feder."  Darauf  bemerkt  er,  dass  dies  nicht  richtig  ist  und  denkt  nach.  „Ich  weiss 
OS,  ich  habe  es  hundert  Mal  gesehen,  es  dient  dazu,  um  Korn  zu  säen.  Es  ist 
eine  Egge."  Darauf  zeigt  man  ihm  den  Gebrauch  eines  Schlüssels,  indem  man  damit 
ein  Schloss  öffnet  und  schliesst.  Er  erkennt  noch  nicht  die  Bedeutung  davon  und 
findet  auch  das  Wort  noch  nicht.  Endlich  sagt  man  ihm:  „Womit  öffnet  man  eine 
verschlossene  Thür?"  Jetzt  sagt  er:  „Mit  einem  Schlüssel",  und  erkennt,  dass  es 
Schlüssel  sind,  die  er  in  der  Hand  hat.  Derartige  Beispiele  werden  von  dem  Verf. 
^^  grösserer  Anzahl  angeführt.  Besonders  erwähnenswerth  ist  dabei,  dass  es  sich 
um  reine  Seelen blindheit  handelte.  Sobald  ein  Buchstabe  oder  ein  Wort  ausge- 
sprochen wurde,  verstand  der  Kranke  das  Gesagte  vollständig;  er  zeigte  auf  Ver- 
langen alle  Gegenstände  und  erkannte  deren  Bedeutung,  sobald  er  ihren  Namen 
gehört  hatte. 

Der  geschilderte  Zustand  blieb  während  einer  2jährigen  Beobachtungszeit  fast 
ganz  im  Gleichen.  Pat.  wurde  einige  Male  von  halbseitigen  epileptischen  Anfällen 
ergriffen;  nach  denselben  trat  stets  eine  vorübergehende  Verschlimmerung  der  Seelen- 
blindheit ein.  Strümpell 


-      178    — 

7)  Des  aphasies  poerpörales,  par  U.  Poupon.     (L'Enc^phale.  1885.  Nr.  4.) 

Verf.  hat  ausser  einem  Falle  eigener  Beobacbtang  von  puerperaler  Aphasie  noch 
alle  ihm  aus  der  Literatur  bekannten  Fälle  gesammelt,  so  dass  er  im  Ganzen  über 
12  dieser  sehr  seltenen  Störungen  verfügt. 

Verf.  theilt  die  puerperalen  Aphasien  in  solche,  die  aus  Circulationsstörungen 
entsprungen  sind,  und  zwar  unterscheidet  er  vorübergehende  Störungen,  welche  auf 
Congestion  oder  auf  Anämie  beruhen,  und  bleibende,  welche  durch  Himhämorrhagie, 
Embolie  und  Thrombose  entstanden  sind.  Als  2.  Hauptgruppe  führt  er  die  Aphasien 
nervösen  Ursprungs  an.  Die  Prognose  ist  im  Allgemeinen  günstig.  Die  Behandlung 
muss  je  nach  dem  Ursprung  der  Störung  eine  verschiedene  sein.  Zander. 


8)  2itir  Localisation  der  Grosshimfanotionen  und  zur  Lehre  von  der 
seotindftren  Degeneration,  von  Dr.  Max  Brink.  (Deutsches  Arch.  f.  klin. 
Med.  Bd.  38.  H.  m.  S.  285—302.) 

Die  Abhandlung  knüpft  an  einen  ziemlich  complicirten  Fall  an,  von  dem  Verf. 
mit  Hintenansetzung  gewisser  unerklärbarer  Symptome  sich  die  drei  Herdsymptome 
herausgreift,  welche  mit  den  Sectionsergebnissen  in  Einklang  zu  bringen  sind.  Um 
mit  den  letzteren  anzufangen,  so  fand  sich  in  der  linken  Hemisphäre  ein  grosser 
Erweichungsherd  (es  handelte  sich  um  eine  alte  Frau  mit  hochgradig  atheromatösen 
Gefassen),  welcher  von  der  Hirnrinde  zwei  Stellen  mit  ergriffen  hatte:  1)  die  Um- 
gebung des  sehr  wenig  entwickelten  aufsteigenden  Astes  der  linken  Fossa  Sylvü,  und 

2)  einen  Bezirk  in  der  2.  Stirnvrindung,  diese  vom  untern  Bande  bis  zur  Hälfte  ihrer 
Breite  durchsetzend  und  an  der  Berührungsstelle  des  dritten  und  hintersten  Viertels, 
mehr  nach  letzterem  zu,  liegend.  Die  Oberfläche  beider  Bezirke  hat  anscheinend 
ungefähr  gleiche  Grösse  gehabt  Zwischen  diesen  beiden  ist  die  Rindenschicht  intact, 
aber  unter  der  beschriebenen  ganzen  Fläche  breitet  sich  eine  Erweichung  des  Centrum 
semiovale  aus,  und  zwar  derart,  dass  die  Stabkranzfasem  der  1.,  2.  und  3.  Stim- 
windung  sowohl,  wie  die  des  untern  Drittels  der  vorderen  Gentralwindung  getroffen 
sind.  Von  den  grossen  Ganglien  ist  nur  ein  kleiner  Streifen  des  Thalamus  opticus 
verletzt. 

Die  Symptome,  welche  sich  an  diese  Läsion  knüpfen,  sind  1)  zeitweilige  Parese 
resp.  Paralyse  des  rechten  Facialis.  Verf.  schliesst  aus  der  Inconstanz  der  Erschei- 
nung, dass  das  eigentliche  Rmdengebiet  des  Facialis,  welches  Exner  in  das  mittlere 
Drittel  des  vorderen  Bandes  der  vorderen  Gentralwindung  verlegt,  nicht  selber  ge- 
troffen sein  darf,  sondern  nur  ein  Stück  desselben  durch  die  Verletzung  von  Stab- 
kranzfasem von  dem  Nerven  abgeschnitten  worden  ist.  2)  Lähmung  des  Hypoglossus. 
Das  Rindencentrum  desselben,  nach  Exner  der  unterste  Theil  der  vorderen  Gentral- 
windung mit   dem   anstossenden  Theile  der  dritten  Stimwindung,  ist  hier  getroffen. 

3)  Parese  der  Fingerstrecker  an  der  rechten  obem  Extremität,  ein  Symptom,  welches 
nach  dem  Analogen  dreier  mit  angeführter  Fälle  aus  den  vorliegenden  Läsionen 
ebenfalls  erklärt  werden  kann;  im  letzteren  beti*af  die  Affection  mehr  oder  weniger 
die  zweite  oder  dritte  Stirn-  oder  beide  Gentralwindungen. 

Trotz  einer  weitgehenden  Verletzung  der  dritten  Stimwindung  fehlte  die  Aphasie. 
Unter  Herbeiziehung  von  5  Fällen  aus  der  Literatur  kommt  Verf.  zu  dem  Schloss, 
dass  die  Grenzen  des  Sprachcentrums  von  Broca  zu  enge  gezogen  sind  und  dass 
gelegentlich  auch  der  hintere  Theil  der  mittleren  Stimwindung,  sowohl  wie  beide 
oberen  Temporalwindungen  Aphasie  bedingen  können. 

Sehr  interessant  ist  die  secundäre  Degeneration,  welche  Verf.  genau  verfolgt 
und  mit  den  Resultaten  von  Flechsig  u.  A.  über  den  Verlauf  der  Bahnen  im  Ge- 
hirn in  Uebereinstimmung  zu  bringen  versucht  hat.  Es  fanden  sich  nämlich  De- 
generationen: 1)  in  der  inneren  Kapsel,  und  zwar  in  der  Mitte  zwischen  Kapselknie 


—    179    — 

und  der  Berührongssielle  des  IL  nnd  III.  Gliedes  des  Linsenkerns,  einer  Stelle,  an 
wdehe  Flechsig  ein  FaserbOndel .  hinverlegt,  welches  von  dem  hintern  Theil  der 
Stimwindungen  ausgeht  und  entweder  in  der  grauen  S abstanz  der  Brücke  endet,  oder 
dort  nach  dem  Kleinhirn  umbiegt.  Hinter  diesem  Bündel  liegen  die  Pyramidenbahnen. 
Demgemäss  wurde  auch  2)  eine  Degeneration  im  linken  Himschenkelfnss  und  3)  eine 
kleine  degenerirte  Stelle  in  der  vorderen  linken  Hälfte  der  Brücke  nahe  der  Baphe 
aufgefunden.  Eine  nur  bei  Färbung  nach  Weigert  in  dem  linken  Pyramidenstrang 
der  MedoUa  zu  bemerkende,  kaum  nennenswerthe  Degeneration  glaubt  Verf.  ganz 
ignoriren  za  dürfen. 

Die  Läaion  des  Thalamus  opticus,  welche  keine  secundäre  Degeneration  ver- 
anlasst hat,  lasst  den  Schlnss  zu,  dass  gewisse  von  der  Hirnrinde  kommende  Fasern 
im  Thalamus  opticus  endigen.  Sperling. 

9)   Ueber   Aphasie   und  Ihre   Beziehungen   zur  Wahrnehmung,   von   Prof. 
Grashey,  Würzburg.     (Arch.  f.  Psych.  Bd.  XVI.  3.) 

Die  Erörterungen  des  Verf.  knüpfen  an  folgenden  Fall  an:  Ein  27jähriger  Mann 
erlitt  am  24.  November  1883  durch  Fall  eine  Fractura  baseos  cranii  und  zeigte 
danach  vollständige  Lähmung  der  rechten  Seite  des  Körpers  ind.  Facialis  und  Hypo- 
glossus,  war  rechts  blind  und  taub,  hatte  Geruch  und  Geschmack  nahezu  vollständig 
verloren.  Ausserdem  bestand  eine  Sprachstörung,  so  zwar,  dass  Patient  für  Objecto, 
die  er  kannte,  die  Namen  nicht  angeben  konnte;  leichter  wurde  es  ihm,  aber  immerhin 
mühsam,  die  betreffenden  Namen  hinzuschreiben,  und  hatte  er  dies  erreicht,  dann 
konnte  er  sie  auch  aussprechen.  Die  Articulation  war  intact,  das  Lesen  ging  ganz 
geläufig;  und  nannte  man  ihm  einen  Gegenstand,  so  wies  er  denselben  sofort  richtig 
mit  dem  Finger.  Beim  Nachsprechen  beliebiger  Worte  blieb  er  anfangs  lange  auf 
dem  ersten  Buchstaben  haften,  und  wiederholte  denselben  mehrmals,  ehe  der  Best 
des  Wortes  herauskam. 

Prof.  G.  analysirt  nun  die  aphasischen  Erscheinungen  an  diesem  Kranken  auf 
das  Eingehendste.  Er  macht  sich  ein  Schema,  in  welchem  die  Centra  für  Klang- 
und  Gesichtsbilder  und  für  Symbole  d.  h.  Buchstaben,  femer  die  Verbindungen  dieser 
Centra  mit  denjenigen  für  die  Bewegungsvorstellungen  der  Sprache  und  des  Schreibens, 
endlich  die  Verbindungen  dieser  letzteren  mit  den  Kernen  des  Phonations-  und  Ar- 
ticulationsnerven  nnd  mit  den  Kernen  der  beim  Schreiben  fungirenden  motorischen 
Nerven  —  Alles  in  seinen  gegenseitigen  Beziehungen  zu  einander  erörtert  wird,  und 
was  davon  im  vorliegenden  Falle  pathologisch  verändert  ist. 

Bei  dieser  Analyse  der  Erscheinungen  constatirt  Verf.  nun,  dass  bei  seinem 
Kranken  (NB.  im  August  1884)  die  Klang-  und  Objectbilder  auffallend  schnell  wieder 
aus  dem  Bewusstsein  resp.  aus  dem  Gedächtnisse  schwinden.  Das  zeigte  sich  in 
^■^i^^nigfacher  Weise.  Wenn  G.  den  Patienten  einen  bekannten  Gegenstand  nach  und 
nach  mit  dem  Finger  betasten  liess,  so  konnte  er  die  einzelnen  Eindrücke  nicht 
Summiren  und  den  Gegenstand  erkennen,  wohl  aber,  wenn  er  den  ganzen  Gegenstand 
anf  ein  Mal  in  die  Hand  nahm.  Liess  G.  ihn  ein  Wort  buchstabiren,  so,  dass  der 
Keihe  nach  immer  nur  ein  Buchstabe  sichtbar,  die  anderen  verdeckt  waren,  so  konnte 
er  das  Wort  nicht  lesen,  was  ihm  sofort  gelang,  wenn  er  das  ganze  Wort  sah. 
Spricht  man  ihm  nach  einander  zwei  Worte  vor,  die  er  einzeln  nachspricht,  so  hat 
ff  das  erste  bereits  vergessen,  wenn  er  das  zweite  percipirt  n.  s.  w.;  dabei  ist  es 
mteressant,  zu  sehen,  welche  Kunstgriffe  der  Kranke  bei  diesen  Uebungen  macht, 
^m  Klang-  oder  Objectbilder  zu  behalten;  namentlich  sucht  er  dies  durch  beständiges 
Kachsprechen  des  betreffenden  Wortes  zu  erreichen. 

Verf.  knüpft  hieran  eine  eingehende  Untersuchung  über  die  Dauer  der  Sinnes- 
eindrflcke  bei  Gesunden  und  bei  seinem  Kranken  und  kommt  zu  dem  Schlüsse,  „dass 
^  eine  Aphasie  giebt,  welche  weder  aof  Funetionsunfähigkeit  der  Centren,  noch  auf 


—    180    — 

Leitungsunfäliigkeit  der  Verbindungsbahnen  beruht,  sondern  lediglich  auf  Vermin- 
derung der  Dauer  der  Sinneseindrücke  und  dadurch  bedingter  Störung  der  Wahr- 
nehmung und  der  Association.''  Namentlich  bei  Kranken,  welche  nach  einer  Hirn- 
erschütterung  oder  nach  einer  fieberhaften  Erkrankung  aphasisch  geworden  sind, 
dürfte  sich  diese  Aphasie  in  Folge  verminderter  Dauer  der  Sinneseindrücke 
finden,  während  Herderkrankungen  Zerstörung  von  Centren  und  Leitungsbahnen 
bedingen. 

Interessant  ist  nun,  dass  der  Kranke,  welcher  vom  August  bis  December  1884 
schon  deutliche  Symptome  geistiger  Schwäche  darzubieten  schien,  von  Ende  December 
an  sich  rasch  und  bedeutend  besserte,  sodass  Mitte  Januar  1885  die  Aphasie  völlig 
verschwunden  war,  nachdem  sie  länger  als  ein  Jahr  bestanden  hatte. 

Hadlich. 

- 

10)  Ein  Fall  von  Aphasie  bei  gleichzeitiger  Erhaltung  der  Zahlensprache 
und  Zahlenschrift«  von  Volland  (Davos-Dörfli).  (Münchner  med.  Wochen- 
schrift. 1886.  Nr.  4.) 

Ein  15jähr.  Bauerssohn  erlitt  in  Folge  eines  Sturzes  auf  das  rechte  Os  parietale 
3tagig6  Bewusstlosigkeit,  aus  der  er  ohne  Lähmung,  aber  mit  Aphasie  (nur  Anna 
konnte  er  sprechen  und  schreiben)  erwachte;  dagegen  konnte  er  bis  100  zählen,  das 
Einmaleins  aufsagen,  auch  auf  der  Tafel  gut  rechnen.  Die  Sprache  kehrte  nur  langsam 
wieder,  war  auch  noch  nach  einem  Jahre  nicht  vollständig  so,  wie  früher.     M. 


11)  Ueber  die  spastische  Cerebralparalyse  im  Kindesalter  (Hemiplegia 
spastica  infantilis)  nebst  einem  Excurse  über  „Aphasie  bei  Kin- 
dern", von  Prof.  Dr.  Martin  Bernhardt  in  Berlin.  (Virchow's  Archiv. 
Bd.  102.  H.  1.) 

Das  der  sorgfältigen  Bernhardt*schen  Arbeit  zu  Grunde  liegende  und  aus- 
führlich mitgetheilte  Material  besteht  zunächst  in  18  Fällen,  sämmtlich  Kinder  be- 
treffend, von  denen  noch  keines  das  zwölfte  Lebensjahr  erreicht,  mehrere  das  erste 
noch  nicht  vollendet  hatten.  Die  Eltern  der  Kinder  waren  mit  wenigen  Ausnahmen 
gesund;  und  &ia  sicheres  ätiologisches  Moment  konnte  nur  in  einigen  Fällen  ein 
deutlicher  Zusammenhang  mit  vorangegangenen  Infectiouskrankheiten  (Scarlatina  und 
Morbilli)  festgestellt  werden. 

Der  Verlauf  der  Krankheit  war  regelmässig  derartig,  dass  —  meist  ohne  pro- 
dromi  —  Convulsionen  mit  Verlust  des  Bewusstseins  Stunden  bis  Tage  lang  auf- 
traten, nicht  selten  wiederholt,  häufig  einseitig  resp.  vorzugsweise  auf  einer  Seite, 
und  dass  dann  sofort  nach  dem  Aufhören  der  Convulsionen  eine  vollständige  oder 
unvollständige  Hemiplegie  der  an  den  Krämpfen  betheiligt  gewesenen  Gesichts- 
(unterer  Facialis)  und  Köi-perhälfte  bemerkt  wurde.  Die  gelähmten  Theile  —  die 
oberen  Extremitäten  waren  fast  immer  am  stärksten  betroffen  —  zeigten  Spannungs- 
zustände,  oft  deutliche  Flexionscontractur.  Die  Sensibilität  schien  wenig  zu  leiden. 
Dagegen  bildet  ein  sehr  häufiges  Symptom  die  Sprachstörung,  welche  aUerdings 
bei  einigen  rechtsseitigen  Hemiplegien  fehlt,  andererseits  nach  rechtsseitigen  Con- 
vulsionen ohne  nachfolgende  Hemiplegie  auftritt,  auch  bei  Imksseitiger  Hemiplegie 
vorkommt,  und  in  fast  allen  Fällen  nach  Wochen,  längstens  nach  Jahresfrist 
vorübergeht. 

Für  den  weiteren  Verlauf  ist  der  Umstand  sehr  wichtig,  dass  fast  in  der  Hälfte 
aller  Fälle  erst  Schwindel-,  dann  ausgebildete  epileptische  Anfälle  auftraten, 
mit  den  gewöhnlichen  Folgen  auf  Intelligenz  und  Charakter,  bis  zu  völliger  Ver- 
blödung. 

Ausser  der  restirenden  Hemiplegie  waren  femer  Mitbewegungen  bemerkens- 


—    181     — 

werth,  und  zwar  an  den  gelähmten  Gliedern  theils  atactischer  Art,  theils  athetoide, 
d.  h.  Athetose  bei  Bewegangsintention;  an  den  gesunden  Gliedern  aber  jene  inter- 
essanten Mitbewegnngen,  die  genau  correspondiren  den  Bewegungen  oder  Bewegungs- 
versachen der  paretischen  Glieder  der  anderen  Seite. 

Die  elektrische  Erregbarkeit  ist  gut  erhalten,  die  Fatellarreflexe  auf  der  leidenden 
Seite  sind  nicht  aufi^llig  gesteigert.  Die  gelähmten  Glieder  bleiben  im  Längen* 
wachsthum  zurück. 

So  eigiebt  sich,  im  Allgemeinen  in  Uebereinstimmung  mit  früheren  Autoren  —  ein, 
wie  Verf.  sagt,  klinisch  gut  abgerundetes  Krankheitsbild;  schwierig  aber  bleibt  die 
Frage  nach  der  anatomischen  Grundlage. 

Indem  B.  die  von  den  verschiedenen  Autoren  (Jac.  v.  Heine,  Westphal, 
Wuillamier,  Boss,  Strümpell,  Gaudard,  Jendrassik,  Marie  u.  A.)  ver- 
tretenen Ansichten  bespricht,  kommt  er  zu  dem  Ergebniss,  dass  in  den  meisten 
Fällen  eine  genaue  pathologisch-anatomische  Diagnose  unmöglich  ist  Es  sind  diffe- 
rente  Formen  einer  primären  (entzündlichen,  vielleicht  vom  Gefasssystem  ausgehenden) 
Rindenaffection  anzunehmen  mit  secundärer  Atrophie  von  Theilen  oder  des  Ganzen 
einer  Gehirnhälfte.  —  Im  Gegensatz  zur  spastischen  Spinalparalyse  empfiehlt  B.  die 
Bezeichnung  „spastische  Cerebralparaljse  der  Kinder".  Strümpeirs  „Polience- 
pbalitis  acuta"  verwirft  B. 

Der  eingefügte  Ezcurs  über  Aphasie  der  Kinder  kommt  zu  folgenden  Ergeb- 
nissen: Die  auch  im  Kindesalter  durchaus  nicht  seltene  Aphasie  kommt  vorübergehend 
(Keflex-Aphasie)  bei  Magen-Darmaffectionen,  Neurosen,  psychischen  Ursachen  vor; 
femer  nach  Infectionskrankheiten.  Länger  dauernd,  aber  auch  meistens  nur  temporär, 
kommt  Aphasia  infantum  bei  den  verschiedensten  Gehimkrankheiten  vor,  aber  fast 
immer  nur  als  indirectes  und  vorübergehendes  Symptom.  Bei  dauernder  (directer) 
Läsion  der  linken  Seite  kann  die  rechte  Hirnhälfte  die  Function  jener  übernehmen. 
Der  Form  nach  handelt  es  sich  bei  den  Kindern  fast  immer  um  die  atactische  oder 
motorische  Aphasie.  Wenn  bei  der  Hemiplegia  spastica  infantilis  von  einigen  Autoren 
die  Sprachstörung  geleugnet  wird,  so  liegt  dies  eben  an  ihrem  vorübergehenden 
Charakter;  jene  Beobachter  bekamen  die  Kinder  erst  nach  Ablauf  der  oft  äusserst 
deutlichen  Sprachstörung  in  Behandlung.  Hadlich. 


12)  Verlust  des  Sprachvermögens   und   doppelseitige  Hypoglossusparese, 

bedingt  durch  eüien  kleinen  Herd  im  Centrum  aemiovale,   von  Dr. 
Ludwig  Edinger.    (D.  med.  Woch.  1886.  Nr.  14.) 

Ein  83jähriger  an  Dementia  senilis  leidender  Mann  wurde  12  Tage  vor  dem 
Tode  ohne  die  Erscheinungen  eines  Insult  apoplecticus  plötzlich  von  Aphasie  und 
Parese  der  Zunge  betroffen.  Die  Section  ergiebt  neben  ausgebreiteter  Atrophie  der 
Hirnrinde,  einer  grossen  Cyste  in  der  obem  Stimwindung  (welcher  Seite?),  3  Er- 
weichungsherde, von  denen  einer  im  rechten  Marklager  (ob  der  Mann  linkshändig 
war,  ist  nicht  bekannt)  von  der  Grösse  eines  Zwanzigpfennigstücks,  ^/^  cm  nach  aussen 
vom  Schwanz  des  Nucleus  caudatus  für  die  beschriebenen  Symptome  verantwortlich 
gemacht  wird.  Verf.  glaubt,  dass  an  dieser  Stelle,  die  etwa  der  Basis  der  unteren 
Stimwindung  und  dem  Snlcus  praecentralis  entspricht,  die  Bahn  von  der  Broca*schen 
Windung  zu  den  Bulbärkemen  durchgeht,  und  dass  auch  hier  die  Hypoglossusbahn 
zwischen  Rinde  und  Capsula  interna  über  die  obere  Kante  des  Linsenkems  hinwegzieht. 

M. 

13)  Bin  Fall  von  doppelseitiger  L&hmung  des  N.  aoessorius  Willisii  (Kranken- 

vorstellung im  Verein  für  innere  Medicin  am  1.  Juni  1885),  von  Dr.  Ernst 
Bemak,  Berlin.     (Deutsche  med.  Wochenschr.  1885.  Nr.  27.) 

Bei  einem  35jahrigen  Manne  hatte  sich  seit  6  Monaten  auf  syphilitischer  Basis 
eine  Lähmung  des  N.  accessorius  entwickelt.    Es  bestand  bedeutende  Atrophie  der 


—    182    — 

Mm.  cucuUares  (und  der  anderen  Nackenmoskeln,  des  Levator  scapulae,  des  M.  ser- 
ratos  ant.  etc.),  geringere  der  Mm.  stemodeidomastoidei  (der  M.  pectoraies,  einiger 
Armmuskeln  etc.)  und  dem  entsprechende  LälmiungszuslÄnde  und  exquisite  Ent- 
artungsreaction.  Zu  dieser  Lähmung  des  inneren  Astes  des  Nerv,  accessorius  trat 
6  Wochen  später  eine  Yollstandige  Stimmbandlähmung,  nachdem  schon  etwas  langer 
Heiserkeit  bestanden  hatte.  —  Der  Puls  wechselte  zwischen  90  und  115,  war  also 
immer  frequent.  Andere  Himnerven  waren  nicht  afficirt,  die  Sensibilität  intact;  in 
der  Nackengegend  heftige,  nach  dem  rechten  Arm  ausstrahlende  Schmerzen.  An  den 
unteren  Extremitäten  nichts  nachzuweisen,  nur  dass  die  Kniephänomene  anfi&dlender- 
weise  fehlten. 

B.  nimmt  einen  syphilitischen  Process  innerhalb  des  Wirbelcanals  an.  Er  hebt 
hervor,  dass  tibereinstimmend  mit  der  Annahme  der  Physiologen  die  Lähmung  sämmt- 
licher  innerer  Kehlkopfsmuskeln  für  den  Ursprung  dler  dieser  motorischen  Vagus- 
Nerven  aus  dem  Accessorius  spräche.  —  Seeligmüller*8  Fall  (Arch.  f.  Psych.  1871) 
sei  dem  seinigen  ungemein  ähnlich.  Hadlich. 


14)  Trophonövrose  fooiale  mödiane,  par  M.  Nicaise.  (Bevue  de  med.  1885. 
Aoüt.  p.  690.) 

Bei  einer  21jährigen  Frau  begann  im  dritten  Monate  der  Schwangerschaft  die 
Entwickelung  einer  Vertiefung  in  der  Mitte  der  Stirn,  von  der  Nasenwurzel  anfangend 
bis  einige  Centimeter  fiber  den  Haarrand  hinaus.  Beim  Beginn  des  Leidens  und 
auch  in  der  Folgezeit  zuweilen  heftige  Stimkopfschmerzen.  4  Jahre  später  hatte 
die  atrophische  Stelle  eine  Breite  von  ca.  2  cm  erreicht,  die  Haut  darüber  war  sehr 
dünn  und  etwas  dunkel,  die  Haare  an  der  atrophischen  Partie  spärlich,  sehr  dünn 
und  entfärbt,  die  darunter  liegenden  Muskeln  ebenfalls  atrophisch.  Der  Knochen 
schien  an  der  Atrophie  nicht  Theil  zu  nehmen.  —  Bemerkenswerth  ist  besonders  der 
Umstand,  dass  die  Affection  in  diesem  Falle  nicht,  wie  gewöhnlich,  einseitig,  sondern, 
von  der  Mitte  ausgehend,  sich  beiderseitig,  wenn  auch  nicht  vollständig  symmetrisch, 
entwickelt  hat.  Strümpell. 

16)  Contribution  &  l'ötude  de  quelques  -  unes  des  formes  oliniques  de 
la  myopathie  progressive  primitive«  par  P.  Marie  et  G.  Quin  od. 
(Bevue  de  m^d.  1885.  Octobre.  p.  793.) 

Die  vorliegende  Arbeit  enthält,  im  Änschluss  an  eine  Vorlesung  Charcot's, 
eine  Besprechung  der  wichtigsten  Formen  der  primär  myopathischen  Muskelatrophie, 
unter  Hinzufügung  einer  Reihe  neuer  interessanter  und  genau  angestellter  Beobach- 
tungen aus  der  Salpetri^re.  Indem  wir  auf  eine  genauere  Wiedergabe  der  Kranken- 
geschichten verzichten  müssen,  heben  wir  nur  die  wichtigsten  Punkte  der  Arbeit  heraus. 

Was  erstens  die  Pseudohypertrophie  der  Muskeln  betrifft,  so  betonen 
die  Verff.  zunächst  mit  Recht,  dass  die  Verbindung  der  Pseudohypertrophie  mit  ein- 
facher Atrophie  einzelner  Muskeln  nicht  eine  Ausnahme,  sondern  ein  sehr  häufiges 
Vorkommnlss  ist  und  dass  diese  einfache  Atrophie  vorzugsweise  die  Muskeln  des 
Schultergürtels  und  den  Biceps  betrifft.  Sie  kann  das  erste  Symptom  der  Krankheit 
sein,  zu  welchem  sich  die  Pseudohypertrophie  der  unteren  Extremitäten  erst  später 
hinzugesellt.  Ausserdem  heben  die  Verff.  hervor,  dass  das  Volumen  der  Muskeln 
überhaupt  nicht  maassgebend  für  den  Grad  ihrer  Erkrankung  ist.  In  FäUen  von 
progressiver  Myopathie  beobachtet  man  zuweilen,  dass  Muskeln  von  anscheinend 
normalem  Volumen  bedeutend  an  Kraft;  eingebüsst  haben.  Die  Verff.  berichten  über 
einen  11jährigen  Knaben,  der  in  ausgesprochenster  Weise  die  Functionsstörungen 
der  „Pseudohypertrophie'*  darbietet,  ohne  dass  an  dem  Volumen  sämmtlioher  Muskeln 
irgend  eine  besondere  Abnormität  zu  bemerken  ist. 


—     183    — 

Der  zweite  Abechnitt  der  Arbeit  behandelt  die  £rb*8che  juvenile  Muskel-* 
atrophie  und  enthält  die  ausführliche  Krankengeschichte  eines  typischen  hierher 
gehörigen  Falles. 

Der  dritte  Abschnitt  endlich  bespricht  die  zuerst  von  Duchenne  beschrie- 
bene  hereditäre  Form  der  Muskelatrophie  mit  Betheiligung  der  Gesichts- 
muskeln (man  vergleiche  unser  ausführliches  Referat  über  die  Arbeit  von  Lan- 
iluuzy  und  Dejerine,  dieses  Centralblatt  1886  S.  280).  Die  Verff.  theilen  4  neue 
Beobachtungen  mit,  zwei  Familien  angehörend.  Der  erste  Fall  zeichnet  sich  dadurch 
dua,  dass  die  Muskeln  der  einen  (rechten)  Seite  bedeutend  stärker  ergriffen  waren, 
aLs  diejenigen  der  anderen  Seite.  Sehr  auffallend  war  auch  die  Asymmetrie  der  Lippen 
(besonders  beim  Pfeifen  bemerkbar).  Die  Deltoidei  waren  intact  geblieben.  Die 
Affection  hatte  in  frühester  Kindheit  brennen,  schien  aber  seit  dem  20.  Lebensjahre 
still  zu  stehen.  Patient  war  zur  Zeit  der  Beobachtung  44  Jahre  alt.  Bei  seiner 
16jährigen  Tochter,  deren  Krankengeschichte  auch  mitgetheilt  wird,  hatte  das 
Leiden  bereits  einen  viel  höheren  Grad  erreicht.  Bei  dem  dritten,  52jähr.  Patienten 
hat  die  Krankheit  erst  im  30.  Lebensjahre  begonnen,  später  aber  einen  verhältniss- 
mäiisig  hohen  Grad  erreicht.  Bemerkens werth  war  auch  ein  deutlicher  Exoph- 
thalmus, den  die  Verff.  von  einer  Atrophie  der  Muskeln  in  den  Augenlidern  ab- 
leiten.   Der  17jährige  Sohn  dieses  Kranken  litt  seit  3  Jahren  an  derselben  Affection. 

In  den  Schlussbemerkungen  sprechen  die  Verff.  die  gegenwärtig  wohl  fast  all- 
gemein anerkannte  Ansicht  aus,  dass  die  einzelnen  Formen  der  Myopathie  nicht  ver- 
schiedene Krankheitsarten,  sondern  eben  nur  verschiedene  Formen  desselben  Leidens 
sind,  welches  von  der  Charcot*achen  Schule  „myopathie  progressive  primitive'' 
genannt  wird.  Die  vielfachen  Uebergänge  zwischen  den  einzelnen  Formen  und  das 
Vorkommen  verschiedener  Formen  bei  Mitgliedern  einer  und  derselben  Familie  sprechen 
unzweideutig  für  ihre  innere  Verwandtschaft. 

In  einer  Notiz  als  Anhang  zu  vorstehender  Arbeit  erwähnen  die  Verff.  beiläufig, 
dass  bei  der  anästhetischen  Lepra  eine  sehr  ähnliche  Ausbreitung  der  Muskelatrophie 
vorkommt,  was  unter  Umständen  in  diagnostischer  Beziehung  wichtig  sein  kann. 

Srümpell. 

16)   Note   on   ankle-clonus   as   a   Symptom   in   certain  forma  of  nervona 
disease,  by  W.  S.  Playfair.    (The  Lancet.  1886.  Vol.  L  p.  12.) 

Gowers  hatte  in  einem  Vortrag  vor  der  Medical  Society  über  den  „diagnostischen 
Werth  der  sogenannten  Sehnenreflexe''  (cf.  d.  Ctrlbl.  1885.  S.  546)  wie  in  seinem 
Buche  „Krankheiten  des  Bückenmarks"  hervorgehoben,  dass  das  Vorhandensein  des 
Fussdonus  hysterische  Paraplegie  oder  sonstige  functionelle  Neurosen  ausschliessen 
lasse  und  organische  Erkrankung  des  Centralnervensystems  anzeige.  Dagegen  haben 
Dr.  Buzzard  und  der  Verfasser  völlig  typischen  Fussclonus  in  manchen  Fällen 
hysterischer  Paraplegie  gesehen,  bei  welchen  nach  Heilung  durch  systematische  Be- 
handlung derselbe  nicht  mehr  hervorzubringen  war.  Verf.  erwähnt  als  Beleg  2  Fälle, 
die  er  zusammen  mit  Dr.  Buzzard  beobachtete,  in  denen  es  sich  um  echte  Epilepsie 
spinale,  nicht  um  den  „spurious  foot-donus''  Gowers  handelte. 

Eine  52jährige  Dame,  die  seit  25  Jahren  an  den  Beinen  gelähmt  war  und  nur 
gelegentlich  einmal  ihr  Bett  verliess,  um  auf  Krücken  durch  das  Zimmer  zu  gehen, 
zeigte  gesteigertes  Fussphänomen  und  Dorsaldonus.  Ein  Jahr  später  konnte  man 
letzteren  nicht  mehr  hervorbringen,  sie  war  völlig  wohl  und  machte  weite  Spazier- 
gänge und  Besuche. 

Ebenso  schwand  nach  2  Jahren  der  Kur  der  Fussclonus  bei  einer  17  Jahre 
lang  bettlägerig  gewesenen  Dame  von  35  Jahren. 

Femer  meint  Verf.,  man  solle  sich  nicht  zu  skeptisch  in  Bezug  auf  die  Prog- 
nose aussprechen  bei  Fällen  hysterischer  Paraplegie,  wo  ein  Exoess  der  myostatischen 
Contraction  wahrsunehmen  wäre.  Euhemann. 


—    184    — 

17)  Sulla  meningite  eerebroapinale  epidemica  in  SioUia.    Studii  ed  obser- 

yazioni  del  Dott  L.  Giuffrd.     Palermo  1885.    (49  Seiten.) 

Zunächst  sehr  aosffihrliche  Darstellung  der  geschichtlichen  Kenntnisse  über  die 
Cerebrospinalmeningitis  in  epidemiologischer  Hinsicht.  Die  ältere  Literatur  über 
Volksseuchen,  welche  mit  mehr  oder  weniger  Sicherheit  als  „Genickstarre"  ange- 
sprochen werden  können,  bereichert  dabei  der  Yerf.  durch  den  Hinweis  auf  die  Be- 
schreibung einer  Pest,  welche  im  Jahre  1558  die  Stadt  Palermo  verheert  hat;  die 
Schilderung  Ingrassia's,  die  15B0  niedergeschrieben  wurde,  giebt  ein  ziemlich  zu- 
treffendes Bild  von  den  bekannten  Symptomen  der  epidemischen  Meningitis. 

Die  erste  sicher  diagnosticirte  Epidemie  in  Sicilien  fiel  auf  die  Jahre  1842 
bis  1846.  Erst  nach  40  Jahren,  im  Januar  1882  stellte  sich  die  Seuche  wiederum 
ein,  und  auch  jetzt  ist  sie  noch  nicht  ganz  erloschen.  Die  ersten  Erkrankungen 
wurden  in  Kibera  beobachtet,  denen  sich  dann  freilich  viele  andere  grössere  und 
kleinere  Herde  anschlössen.  Die  Yertheilung  der  Erkrankungen  über  die  Insel  ist 
übrigens  eine  sehr  unregelmässige;  Malaria-Gegenden  scheinen  allerdings  mit  einer 
gewissen  Vorliebe  befallen  zu  werden.  Hauptsächlich  wurden  Kinder  bis  zu  15  Jahren 
ergriffen;  Kranke  über  20  Jahre  gehörten  schon  zu  den  Ausnahmen.  Das  männliche 
Geschlecht  wurde  zweifellos  häufiger  als  das  weibliche  befallen.  Vorwiegend  er- 
krankten übrigens  solche  Individuen,  die  in  dichter  Zusammendrängung  in  engen, 
feuchten  und  dunkelen  Wohnungen  und  unter  ähnlichen  hygienischen  Missständen 
kümmerlich  lebten.  Die  Mortalität  war  eine  sehr  wechselnde,  aber  im  Allgemeinen 
ziemlich  hohe:  es  starben  in  Misterbianco  von  21  Kranken  16  =  77%,  in 
Bibera  (7000  Einwohner)  von  560  Kranken  106  =  19  ^'q,  in  Cinisi  von 
250  Kranken  88  =  36%  etc. 

Der  Verlauf  der  einzelnen  FäUe  bot  keine  wesentliche  Abweichung  von  dem 
typischen  Krankheitsbilde  dar. 

In  Bezug  auf  die  Priorität  der  Entdeckung  ist  noch  der  Nachweis  charakteristischer 
Mikrokrokken  im  Meningealexsudat  erwähnenswerth.  Verf.  hatte  nämlich  mit  Prof. 
Federici  zusammen  schon  im  März  1882  eiförmige  Mikrokokken  im  subarachnoidealen 
Exsudat,  nicht  aber  im  Blut  oder  in  der  Milz,  gefunden.  Da  es  ihnen  aber  nicht 
gelang,  Keinculturen  zu  erzielen,  und  da  Einspritzungen  in  das  Unterhautzellgewebe 
und  in  den  Peritonealraum  bei  mehreren  Thieren  erfolglos  blieben,  konnten  sie  sich 
nicht  mit  Sicherheit  überzeugen,  ob  in  jenen  „ovalären''  Kokken  wirklich  die  Basis 
der  Cerebrospinalmeningitis  anzunehmen  sei,  und  es  unterblieb  daher  vorläufig  jede 
Publication. 

Leyden  veröffentlichte  dann  in  Nr.  10  des  Centralblattes  für  klinische  Medicin, 
1883,  seine  bekannte  Beschreibung  der  Meningitiskokken;  fast  zu  derselben  Zeit,  im 
Mai  1883,  jedenfalls  unabhängig  von  Leyden*8  Beobachtung ,  beschrieben  dann 
Ughetti  in  Catania  (Sicilien)  und  in  der  weiteren  Folge  andere  Beobachter  mehr 
oder  weniger  ähnliche  Kokken.  Im  Uebrigen  ist  der  Verf.  auch  jetzt  noch  nicht 
völlig  überzeugt  von  dem  Causalnexus  zwischen  den  Kokken  und  der  epidemischen 
Meningitis.  Sommer. 

18)  A  oase  of  paralysiB  of  the  lower  extremities  with  liyi>ertrophy  of  the 

Bkin«   suboutaneonB  and  musoular  tissues,   by   Dr.  Mitchell.     (Nach 
Referat  im  Journal  of  nervous  and  mental  disease.  1885.  X.  p.  510.) 

Verf.  glaubt  bei  einer  Frau  von  50  Jahren,  welche  Paraplegie  ohne  Entartnngs- 
reaction  und  eine  enorme  Hypertrophie  der  Haut,  des  subcutanen  und  interstitiellra 
Bindegewebes  und  der  Muskeln  (mit  hochgradiger  Verdickung  der  einzelnen  Fibrillen) 
dargeboten  hatte,  ein  neues  einheitliches  Krankheitsbild  gefunden  zu  haben. 

Glegen  die  Annahme  einer  Sclerodermie,  Elephantiasis  etc.  verweist  er  auf  den 
Verlauf  des   Leidens,  ohne  Erysipele,   ohne  Fieber,  ohne  Schmerzen,  ohne  Oedeme, 


—    185    — 

ohne  Härte  der  Haut,  dann  auf  das  Fehlen  der  Moskelatrophie,  und  auf  die  voll- 
standige  Symmetrie. 

Gegen  die  Annahme  einer  Pseudohypertrophie  verweist  er  auf  die  Entstehung 
des  Leidens  erst  im  höheren  Alter,  auf  das  normale  Verhalten  aller  anderen  Muskeln, 
besonders  des  Pectoraiis  und  der  Dorsalmuskeln,  und  auf  das  Vorhandensein  des 
Kniephanomens. 

Gegen  echte  Hypertrophie  spricht  die  Symmetrie,  die  Betheiligung  der  Haut 
und  des  Bindegewebes  und  vielleicht  das  Fehlen  der  gewöhnlichen  ätiologischen 
Momente.  Sommer. 


19)  Sanitäts- Bericht  über  die  deutsohen  Heere  im  Kriege  gegen  Frank- 
reioh  1870/71.  VU.  Band:  Erkrankungen  des  Nervensystems. 
Herausgegeben  von  der  Militär-Medizinal-Abtheiluug  des  königl.  preuss. 
Kriegsministeriums  unter  Mitwirkung  der  betreffenden  bayrischen, 
sächsischen  und  württembergischen  Behörden.  (Berlin  1885.  Ernst 
Siegfr.  Mittler  &  Sohn.) 

Kurz  nach  dem  allgemeinen  Theile  dieses  Werkes  erschien  der  vorliegende  Band« 
welcher  die  während  oder  in  Folge  des  Krieges  aufgetretenen  Erkrankungen  des 
Centralnervensystems,  bezw.  die  Geisteskrankheiten  abhandelt»  und  zwar 
sowohl  die  idiopathischen,  als  die  traumatischen  und  die  in  Folge  von  Infections- 
bankheiten  vorgekommenen  nervösen  und  geistigen  Störungen.  Neurologische  Mit- 
theilnngen  über  im  Kriege  vorgekommene  oder  darauf  zurückzuführende  Leiden  haben 
ibre  grossen  Schwierigkeiten,  und  es  verdient  Anerkennung,  dass  der  Bericht  mit 
dem  relativ  schwersten  seiner  speciellen  Theile  so  früh  debütirt.  Aber  wenn  die 
noch  ausstehenden  Bände  mit  derselben  Sorgfalt,  mit  derselben  wissenschaftlichen  und 
praktischen  Sachkenntniss  abgefasst  worden  sind,  wie  der  neurologische  Theil,  so 
dQrfen  wir  erwarten,  dass  das  Gesammtwerk  zu  den  klassischen  Büchern  unserer 
Wissenschaft  wird  gerechnet  werden  können.  Wur  müssen  es  uns  hier  versagen, 
auf  die  Einzelheiten  der  im  Werke  vorhandenen  hochwichtigen  Casuistik  einzugehen. 
In  abgeschlossener  Darstellung  liegen  nur  die  Abschnitte  über  Wundtetanus  und 
epidemische  Cerebrospinal-Meningitis  vor,  unser  Referat  wird  diese  besonders  berück- 
uchügen  und  aus  der  Reihe  der  übrigen  Beobachtungen  die  besonders  actuellen  Ge- 
sichtspunkte, sowie  einige  bemerkenswerth  erscheinende  statistische  Daten  hervor- 
beben. — 

Dass  die  betreffenden,  übrigens  vollständig  anonym  gebliebenen  Verfasser  nichts 
Neues  zu  entdecken,  k$ine  Hypothesen  aufzustellen  versuchten,  sondern  in  Anlehnung 
an  fast  alle  bekannteren  Autoren  der  Neurologie  und  unter  Benützung  von  älteren 
Publicationen  und  Frivataufzeichnungen  derselben  nur  zu  sammeln,  aber  auch  zu 
siebten  bemüht  gewesen  sind,  hindert  uns  nicht,  ja  giebt  uns  vielleicht  gerade  das 
^ht,  unser  unumschränktes  Lob  der  eingehenden  Keferirung  des  Buches  voraus  zu 
schicken. 

Fünfzehn  Jahre  sind  seit  dem  Kriege  vergangen;  die  tausendfachen  Invaliditäts- 
Ansprüche  haben  in  diesem  Zeitraum  die  Militärärzte  gezwungen,  mit  militärischer 
Strammheit  über  den  Verlauf  von  Nervenkrankheiten,  über  den  Erfolg  von  Heil- 
Qiethoden  u.  a.  m.  Register  zu  führen.  Wie  selten  sind  andere  Neurologen  in  der 
W^i  interessanten  Fällen  fünfzehn  Jahre  lang  nachzuspüren?  Die  Militärbehörden 
baben  aber  die  günstige  Position,  welche  ihnen  durch  ihre  verantwortliche  Stellung 
bei  Invalidisirungen  etc.  g^^ben  war,  wissenschaftlich  gut  auszunützen  verstanden, 
nnd  haben  Alles,  was  nicht  in  den  Akten  stand,  durch  sehr  genaue  Erkundigungen, 
^beilweise  durch  sehr  genaue  Explorationen  zu  ergänzen  gewusst.  Sie  verwerthen 
^ber  nur  die  absolut  sicheren  Fälle,  —  das  thut  der  Vollständigkeit  mancher  Mit- 
tbeilung  vielleicht  Abbruch,  erhöht  aber  deren  Werth  sehr  wesentlich.  —  Ueberhaupt 


—    186    — 

könnte  die  Wahrhaftigkeit  nnd  Ehrlichkeit^  mit  welcher  die  Verfasser  des  nenrolog. 
Sanitatsberichtes  zu  Werke  gehen,  manchem  mit  überreicher  Phantasie  begabtem 
mediciuischen  Foblicisten  zum  nachahmenswerthen  Vorbilde  dienen. 

Mehrere  Capitel  des  Buches  beschäftigen  sich  mit  der  Epilepsie.  Hierbei 
sind  es  zwei  Momente,  welche  ganz  besondere  Würdigung  von  Seiten  der  Bearbeiter 
erfahren  haben,  die  traumatische  und  die  Schreckepilepsie.  Da  sich  die  here- 
ditäre Epilepsie  gewöhnlich  bis  zum  20.  Ijebensjahre  manifestirt,  so  kommt  die  Erb- 
lichkeit bei  dem  im  Laufe  des  Krieges  epileptisch  gewordenen  Soldaten  idel  weniger 
in  Betracht.  Eine  ganz  hervorragende  Bolle  spielten  die  Traumen  und  zwar  sind 
sowohl  Fälle  verzeichnet,  in  denen  eine  reine  Commotio  cerebri  epileptische  Krämpfe 
auslöste,  als  auch  solche,  wo  eine  mehr  weniger  hochgradige  Verwundung  der  Schädel- 
kapsel oder  des  Gehirns  pathologische  Processe  setzte,  die  entweder  eine  reüectorische 
oder  eine  symptomatische  Epilepsie  im  Gefolge  hatten.  Aber  auch  Verletzungen  des 
Rumpfes  und  der  Extremitäten,  besonders  wenn  letztere  in  das  Gebiet  des  Ischiadicus 
fielen,  waren,  wenn  auch  im  Ganzen  seltener,  im  Stande,  Reflex-Epilepsie  zu  erzeugen. 
Unter  den  Feldzugs-Invaliden  befinden  sich  femer  138  Individuen,  welche  von  Ver- 
letzungen des  Schädeldaches  adhärente  grosse  Kopfnarben  zurückbehalten  hatten,  und 
über  periodischen,  gradweise  verschiedenen  Schwindel  klagten,  sonst  sich  völliger 
Gesundheit  erfreuten.  Nachdem  in  dem  einen  Falle  2  Jahre,  in  dem  zweiten  3  Jahre 
und  in  dem  dritten  gar  6^/3  Jahr  nichts  weiter  wie  diese  Schwindelgefühle  zu  ver- 
zeichnen waren,  traten  schliesslich  doch  noch  epileptische  Anfälle  auf,  die  jetzt  schon 
über  ein  Jahrzehnt  andauern.  —  Es  liegen  8  Krankengeschichten  von  traumatischer 
Epilepsie  vor,  in  denen  von  einem  operativen  Eingriff  die  Rede  ist;  4  sind  davon 
geheilt,  4  blieben  ungeheilt;  von  38  sonstigen  Reflexepilepsien  heilten  2  Fälle  spontan. 
Das  Resultat  der  operativen  Behandlung  der  traumatischen  Epilepsie  ist  also  ein  im 
Ganzen  günstig^.  —  Nussbaum  „dehnte"  bei  einem  Fall  von  Epilepsie,  deren 
Entstehung  auf  ein  im  Kriege  erlittenes  Trauma  zurückgeführt  werden  mnss,  den 
Plexus  brachialis,  da  ausserdem  ein  spastischer  Krampf  im  Arm  bestand:  er  beschrieb 
den  Patienten  als  gebessert,  resp.  geheilt,  —  wir  verweisen  auf  die  ausführlichen 
Mittheilungen  der  Berichterstatter  über  diesen  Fall,  welche  von  einem  weniger  günstigen 
Ausgange  desselben  zu  berichten  wissen.  —  Es  handelte  sich  um  eine  der  ersten 
Nerven-Dehnnngenl  —  An  das  physiologische  Experiment,  bei  welchem  Meerschweinchen, 
die  durch  Hammerschläge  auf  den  Kopf  epileptisch  geworden,  spätw  epileptische 
Nachkommen  erzeugen,  erinnern  2  Fälle  aus  der  Gasuistik.  Von  3  Kindern  eines 
zu  Nervenkrankheiten  disponirten  Patienten,  der  1870  durch  Fall  auf  die  Brust 
Epilepsie  bekan^,  litt  1883  ein  5jähriges  an  Fallsucht  Ein  anderer  Soldat,  hatte 
sich  durch  Sturz  vom  Pferde  eine  Gontusion  des  Rückenmarks  und  eine  dauernde 
Lähmung  der  Rückenstrecker,  sowie  eine  Reflex-Epilepsie  zugezogen.  Sein  lljähr. 
Knabe  laborirte  1883  an  leichter  Epilepsia  nocturna.  Posttyphöse  Epilepsie  ist  im 
Kriege  selten  zur  Beobachtung  gelangt;  von  den  66301  Typhusreconvalesoenten 
wurden  nur  22  epileptisch;  3  Fälle  endeten  tödtlich,  4  genasen,  15  sind  als  un- 
geheilt bezeichnet.  Aus  der  grossen  Zahl  der  im  Kriege  an  Epilepsie  resp.  „Krämpfen" 
überhaupt  Erkrankten,  —  es  sind  in  den  Zählkarten  2010  solcher  Patienten  auf- 
geführt, —  ist  nur  der  kleinste  Theil  wissenschaftlich  zu  verwerthen.  Von  Interesse 
erscheinen  ausser  den  schon  besprochenen  141  Fälle  von  idiopathischer  Epilepsie, 
die  hervorgerufen  wurden  durch  das  Kriegsleben  im  Allgemeinen,  —  durch  von  diesem 
ausgehende  somatische  und  psychische  Insulte,  welche  auf  die  Soldaten  gewirkt  und 
die  centrale  epileptische  Veränderung  erzeugt  haben.  Einmalige  heftige  psychische 
Eindrücke  haben  nachgewiesenermaassen  nur  bei  15  Soldaten  eine  Epilepsie  zur  Folge 
gehabt.  Aufregung  und  Anstrengung  in  der  Schlacht,  auf  Wache  und  Posten,  Er- 
müdung und  Ueberanstrengung  waren  viel  öfter  an  der  Erkrankung  schuld.  Bei 
50  ^/jj  aller  verwertheten  Fälle,  bei  im  Ganzen  71  epileptischen  Invaliden,  welche 
erst  in   den  letzten   Kriegsmonaten  den  ersten  Krampf-Paroxysmen  erlitten  hatten, 


—    187    — 

ohne  dass  sie  eise  directe  Schädlichkeit  dafür  anzugeben  vermochten,  mnssten  die 
geistig  und  k(}rperlich  nachtheiligen  Einflösse  des  Krieges  überhaupt  als  Ursachen 
beschuldigt  werden.  Dass  aber  auch  plötzliche  Erregungen  unmittelbar  epileptische 
Krämpfe  hervorzurufen  vermögen,  und  gerade  so  wie  Erschütterungen  und  Verwun- 
dangen  des  Schädels  resp.  Qehims  materielle  Veränderungen  im  Nervensystem  und 
demgemäss  andauernde  Epilepsie  verursachen,  beweisen  einige  prägnante  Fälle  von 
Entstehung  der  Epilepsie  mitten  im  Gefecht  bei  hereditär  nicht  belasteten  Leuten, 
deren  Lektüre  im  Original  wir  sehr  empfehlen.  —  Bei  8  Fällen  von  idiopathischer 
£pi1^8ie  trat  im  Verlauf  der  Krankheit  der  Tod  ein,  besser  wurden  die  Krampf - 
erscheinnngen  3imal,  schwerer  und  zahlreicher  gestalteten  sich  dieselben  bei  35  Pa- 
tienten, 57mal  blieb  der  Zustand  in  Bezug  auf  Frequenz  und  Schwere  der  späteren 
Paroxysmen  entweder  unverändert  oder  nicht  aufgeklärt,  nur  bei  7  Kranken  trat 
sichere  Heilung  ein.  Diesen  verhältnissroässig  geringen  Procentsatz  halten  aber  die 
Autoren  für  nicht  ganz  der  Wirklichkeit  entsprechend,  viele  Invaliden  mögen  von 
ihrer  Epilepsie  geheilt  sein,  ohne  dass  sie  davon  etwas  haben  verlauten  lassen. 
3  Epileptiker  wurden  übrigens,  trotzdem  sie  3  volle  Jahre  lang  Krampfanfälle  be- 
kamen, schliesslich  doch  noch  davon  befreit.  Am  ungünstigsten  verliefen  die  Schreck- 
epilepsien, am  günstigsten  die  Ermüdungsepilepsien  und  die  nach  acuten  Krankheiten 
entstandenen,  die  60  nicht  operirten  traumatischen  Epilepsien  wiesen  nur  4  Spontan- 
heilungen auf. 

Eine  sehr  interessante  Fülle  von  Einzelbeobachtungen  bietet  die  Darstellung  der 
Trophoneorosen  naoh  peripherischen  Verletzungen  dar.  —  Die  daraus  ge- 
wonnenen Thatsachen  bestätigen,  dass,  analog  den  bekannten  und  grundlegenden 
Arbeiten  von  Mitchell,  Keen  und  Morchouse,  nach  Verletzungen  der  Weichtheile 
nnd  Knochen,  —  sei  es  der  Epiphysen  oder  Diaphysen  —  Ernährungsstörungen  der 
gesammten  Giewebe  beobachtet  werden:  Es  sind  Atrophien  entweder  an  der  Haut  oder 
an  den  Muskeln,  oder  an  beiden  gleichzeitig,  die  sich  durch  eine  Dünnheit  und  Welk- 
heit der  Epidermis,  durch  glänzendes  Aussehen  derselben,  schnelles  Haar-  und  Nägel- 
wachsthnm  und  Abmagerung  des  entsprechenden  Unterhautzellgewebes,  sowie  der 
darunter  liegenden  Musculatur  charakterisiren.  Oder  es  kommen  auf  diesem  Wege 
Hypertrophien  zu  Stande:  Auftreibungen  an  Gelenken  und  Knochenenden,  Verlängerung 
und  Verbiegung  der  Diaphysen  ohne  Fracturirung.  Der  Bericht  unterscheidet  noch 
Dystrophien:  Herpesähnliche  Blasenbildung  mit  oder  ohne  Neuralgie,  entzündliche 
und  elephantiastische  Schwellungen  der  verletzten  Theile.  3  Jahre  nach  einer  Schuss- 
verletzung des  N.  ischiadicus  hatte  sich  sogar  ein  Mal  perforant  du  pied  heraus- 
gebildet Sehr  zahlreich  sind  hier  natürlich  die  Angaben  über  locale  Mnskelatro- 
phien,  theilweise  in  Verbindung  mit  Paresen  resp.  Paralysen.  Ein  rechtsseitiger 
Clavicularbrach  hatte  sogar  eine  progressive  Muskelatrophie,  die  am  rechten 
Arme  begann,  zur  Folge;  der  Fall  endete  tödtlich.  Quetschungen  der  Schultergegend 
werden  übrigens  noch  in  3  weiteren  Fällen  als  ätiologische  Momente  einer  progressiven 
Muskelatrophie  angesehen.  Alle  die  genannten  trophischen  Störungen  erscheinen  un- 
abhängig von  etwaigen  Veränderungen  im  Grade  der  Blutzufuhr;  die  Atrophie  setzte 
keineswegs  immer  eine  Anämie,  und  die  Hypertrophie  keine  Hyperämie  voraus. 

(Fortsetzung  folgt.) 


Psychiatrie. 

20)  Fall  af  l&ngvarig  näringsvägran«  af  Th.  Björck.  (Upsala  läkarefören.  förh. 
1885.  XX.  7.  L.  449.) 

Die  24jährige  unverheirathete  Kranke,  die  von  gesunden,  nicht  mit  einander 
blotverwandten  Eltern  stammte  und  vorher  keinerlei  körperliche  oder  geistige  Ab- 
normitäten gezeigt  hatte,   wurde  unter  dem  Einfluss  von  Ueligionsscrupeln  deprimirt 


üüd  gleichgültig,  sprach  wenig  und  antwortete  gewöhnlich  nicht  anf  Fragen;  die 
Bewegungen  wurden  langsam  und  tr&ge,  die  Pupillen  wurden  eng  und  reagirten 
etwas  träge;  die  Aufmerksamkeit  war  vermindert,  die  Auffiassung  tr&ge  und  die  Denk- 
thätigkeit  langsam.  Nach  14  Tagen  klagte  sie  Aber  Schmerz  im  Epigastrium  und 
im  Kopf,  ass  nicht,  wenn  sie  nicht  gezwungen  wurde,  „weil  ihr  der  B6se  die  Nah- 
rung missgönne";  mitunter  glaubte  sie  auch,  dass  sie  kein  Recht  habe,  zu  essen. 
Manchmal  glaubte  sie,  dass  sie  in  den  Abgrund  sinken  mflsse,  oder  dass  sie  am 
ganzen  Körper  brenne,  in  der  Nacht  hatte  sie  oft  Gesichtshallucinationen;  sie  wollte 
nackt  gehen  und  musste  mit  Gewalt  angekleidet  werden.  Ausserdem  glaubte  sie, 
man  trachte  ihr  nach  dem  Leben.  Als  die  Kranke  am  12.  Juni  1884  im  Upsala- 
Hospital  aufgenommen  wurde,  musste  sie  mit  der  Sonde  durch  die  Nase  gefüttert 
werden,  wogegen  sie  gewaltsamen  Widerstand  leistete,  wie  auch  gegen  die  Be- 
kleidung. Den  Tag  über  stand  sie  im  Hemd  unbeweglich  auf  derselben  Stelle, 
die  Fflsse  und  Unterschenkel  waren  in  Folge  dessen  geschwollen  und  cyanotisch; 
in  der  Nacht  lag  sie  still  und  ruhig,  schlief  aber  wenig.  Anfang  Juli  ass  die  Fat 
einige  Tage  lang,  vom  4.  an  musste  sie  wieder  mit  der  Sonde  gefüttert  werden, 
wogegen  sie  sich  in  der  nngeberdigsten  Weise  widersetzte,  mit  der  Nahrung  wurde 
ihr  theils  Morphium  und  Bromkalium,  theils  Abends  Chloral  gegeben.  An  verschie- 
denen  Körperstellen  fand  sich  Decubitus  ein,  der  allmählich  heilte,  als  die  Kranke 
nicht  mehr  im  Bette  gehalten  wurde.  Im  Sept.  aber  wurde  sie  so  schwach,  dass 
sie  sich  nicht  mehr  erheben  konnte.  An  verschiedenen  Stellen  bildeten  sich  Abscesse. 
Ende  October  und  im  November  stalte  sich  Husten  ein  mit  Schleimrasseln  in  der 
rechten  Lunge,  beim  Husten  bemerkte  man  penetrirenden  Gestank;  die  Behandlung 
bestand  in  Anwendung  von  Chinin.  Im  Dec.  nahm  der  Husten  ab  und  der  Znstand 
der  Kranken  begann  überhaupt  sich  zu  bessern,  der  Schlaf  wurde  besser  und  die 
Kranke  begann  wieder  zu  essen,  weshalb  die  Zwangsfütterung  emgestellt  wurde.  Die 
Abscesse  heilten,  die  Besserung  machte  stetige  Fortschritte  und  am  2.  Mai  1885 
wurde  die  Kranke  geheilt  entlassen.  Die  Nahrungsverweigerung  dauerte  über  ^2  *^* 
Am  23.  Dec.  war  das  Körpergewicht,  das  früher  150 — 160  Pfund  betragen  hatte, 
bis  auf  80  Pfund  gesunken,  von  da  an  nahm  es  rasch  wieder  zu  und  war  Ende 
April  bis  auf  130  Pfund  gestiegen.  Walter  Berger. 


Therapie. 

21)   Om  Behaadlingen  af  Tetanus,   af  Chr.  Leegaard.    (Klin.  Aarbog.  1885. 
Bd.  IL  S.  30.) 

Eine  causale  Behandlung  kann  nur  in  einzelnen  Fällen  in*s  Werk  gesetzt 
werden,  wesentlich  beim  Tetanus  traumaticus,  wenn  es  sich  um  eine  entfembare 
Ursache  handelt;  hier  kann  auf  operativem  Wege  oft  Hülfe  geschafft  werden.  Eine 
innerliche  Behandlung,  die  gegen  eine  Infection  gerichtet  ist,  erscheint  L.  wenig 
empfehlenswerth,  eine  solche  Behandlung  kann,  wie  L.  glaubt,  zur  Zeit  nur  prophj- 
lactisch  sein,  nicht  causal.  —  Von  Behandlungsmethoden,  die  gegen  das  Wesen  der 
Krankheit  gerichtet  sind,  kann  von  dem  gegenwärtigen  Standpunkte  unseres  Wissens 
keine  Rede  sein.  —  Dagegen  besitzen  wir  viele  und  gute  Anhaltspunkte  für  eine 
symptomatische  Behandlung.  Beim  Tetanus  gilt  es  zunächst,  die  Hyperirritabilitat 
des  Rückenmarks  herabzusetzen;  in  dieser  Hinsicht  verdient  das  Bromkalium  den 
ersten  Rang,  auch  die  Alkaloide  der  Calabarbohne,  Eserin  und  Physostigmin,  s'md 
wahrscheinlich  als  gute  Mittel  zu  betrachten,  auch  Eisbeutel  längs  des  Bückgrats 
und  der  constante  Strom  werden  empfohlen.  Danach  gilt  es,  die  von  dem  Qehim 
ausgehenden  Impulse,  sowohl  die  latente  Innervation,  wie  die  Willensimpnlse,  zu  hin- 
dern, auf  die  kranke  graue  Centralmasse  zu  wirken.  Unter  den  hierzu  verwendbaren 
Mitteln  ist  besonders  Chloralhydrat  und  Chloroform  hervorzuheben,  weniger  wirksam, 


—     189    — 

iber  dodi  aueh  hierher  sn  rechnen,  ist  Bromkalinm.  Lenbe  hat  die  kfinaUiclie  Be» 
spintion  empfohlen,  auch  continnirliche  warme  B&der  sind  empfohlen  worde».  MoN 
pMmn  ist  ebenfalls  unter  die  in  dieser  Weise  wirkenden  Mittel  za'  rechnen.  Ovrare 
halt  L.  f&r  werthlos  für  die  Therapie  des  Tetanns*  Verschiedene  andere  Mittttl  sind 
Doch  Tersneht  worden,  aber  mit  wenig  anfmnntemdem  Erfolg.  Die  Prognose  wirft 
nach  L.  so  lange  schlecht  sein,  als  man  sich  darauf  beschränken  mnss,  weeflnHich 
symptomatisch  zu  behandeln.  Walter  Berger. 


Anstaltswesen. 

22)  On   a   reoent  visit  to   Qheel,  by  Hack  Tuke.    (Joum.  of  ment.  science. 
1886.  I.) 

Verf.  hat  in  Gemeinschaft  mit  den  Mitgliedern  des  Antwerpener  Gongresses  einen 
Ausflug  nach  Gheel  gemacht  und  bespricht  nun  mit  grosser  Offenheit,  die  dort  ge* 
wonnenen  Eindrücke.  Im  Ganzen  äussert  sich  T.  befriedigt  über  das,  was  er  sah, 
doch  verhehlt  er  auch  nicht,  dass  ihm  manche  Dinge  ernste  Bedenken  einflössen.  So 
tadelt  er  die  ungenügende  Aufsicht  über  die  Kranken,  welche  recht  drastisch  dadurch 
bewiesen  wird,  dass  ein  Kranker  die  besuchenden  Herren  heimlich  Abends  nach  Ant- 
werpen auf  dem  Zuge  begleitete.  Femer  ist  T.  überzeugt,  dass  die  Anwesenheit  der 
Kranken  auf  das  Familienleben  der  Pfleger  einen  schädigenden  Einfluss  haben  werde. 
Seit  1850  ist  kein  Mord  in  Gheel  vollführt,  doch  1878  hat  ein  Fat.  einen  sckweren 
Angriff  auf  die  Tochter  seines  Pflegers  gemacht  Illegitime  Geburten  gab  es  seit 
10  Jahren  3  oder  4.  Selbstmord  ist  sehr  selten.  Zur  Zeit  sind  1600  Fat.  in  Gheel, 
eine  zweite  ähnliche  Institution  soll  bekanntlich  fär  die  Wallonen  geschaffen  werden. 

Zander. 

m.  Aus  den  (JesellBohaften. 

Soci^t^  de  Biologie  de  Paris.    Sitzung  vom  6.  Juni  1885. 

Gh.  F^r6  theilt  einen  Fall  von  linksseitiger  Hemiplegie  tmd  Aphasie  mit, 
nnd  zwar  Logoplegie  ohne  Agraphie.  Aber  Broca  behielt  doch  Recht,  denn  der 
Patient  war  linkshändig,  und  zwar  gebrauchte  er  die  linke  Hand  bei  allen  Yerrich- 
tungen,  ausgenommen  beim  Schreiben;  hierzu  hatte  man  ihn  mit  grosser  Geduld  und 
grosser  Strenge  genOthigt,  die  rechte  Hand  zu  gebrauchen.  Deshalb  konnte  er  nun 
nach  seiner  linksseitigen  Lähmung  Alles,  was  er  nicht  sagen  konnte,  sehr  gut  auf- 
schreiben. Hadlich. 


Intra-cranial  Tumours.    (The  Lancei  1886.  Vol.  I.  p.  251.) 

In  der  Pathological  society  of  London  wurden  kürzlich  die  Präparate  einer 
grossen  Anzahl  von  Gehirntumoren  demonstrirt,  deren  klinische  Symptome  viel  Inter- 
essantes bieten. 

Dr.  J.  S.  Bristowe  zeigte  einen  tuberculösen  Tumor,  der  die  Corpora  quadri- 
gemina  einnahm  und  auf  den  Aquaeductus  Sylvü  drückte.  Der  7  Jahr  alte  Enabe^ 
dem  die  Geschwulst  angehörte,  war  während  des  Lebens  an  allen  Gliedern  gelähmt» 
welche  zu  gleicher  Zeit  auch  zitterten.    Tod  durch  Meningitis  tuberoulosa. 

Dr.  Goodhart.  1)  Gliomatose  Degener^ition  des  Cerebellum,  des  Pens,  der 
Medulla  oblongata  bei  einem  9,  Jahre  alten  Knaben.  Hauptsymptome  während  des 
Ubens:  taumelnder  Gang,  Schluckbeschwerden,  totale  rechtsseitige  Hemiplegie,  Rigi- 
dität des  rechten  Armes  und  Beines,  Occipitalschmerz;  halbkomatOser  Zustand.  Dieser 
Fall  war  eine  Illustration  einer  ziemlich  seltenen  Afifektion,  Ton  der  Dr.  Wilks  ein 
Beispiel  im  Jahre  1856  der  Sodetät  vorstellte. 


—    190    — 

2)  Pflammosaroom  Ton  der  Yerbindimg  des  Tentoriiim  mit  der  Falx  cerebri  in 
•die  FisBim  longitadinalis  hineinwachsend.  Keine  Symptome.  Tod  durch  maligne  En- 
dooarditifl. 

8)  2  fibrosaroomatöse  Tumoren  an  der  Basis  des  Grosshims,  von  denen  der  erste, 
einer  26j&hr]gen  Frau  angehörend,  an  den  Anstrittsstellen  der  beiden  Faciales  sass. 
Symptome:  Taubheit,  starker  Supraorbitalschmerz,  Schmeraen  an  der  rechten  Kopf- 
seite, L&hmnng  des  rechten  Bolbns,  Unmöglichkeit  zu  gehen,  ohne  wirkliche  Para- 
lyse. Keine  Anaethesie.  Der  zweite  Tumor  nahm  die  Austrittsstelle  des  einen  Facialis 
ein.  Seit  6  Jahren  entwickelte  sich  auf  dem  rechten  Ohr  Taubheit;  Aphonie;  seit 
3 — 4  Jahren  Facialislähmung;  erschwertes  Schlucken,  Atrophie  des  rechten  Stemo- 
cleidomastoideus. 

4)  Fibröser  Tumor  am  linken  Ganglion  Gassen.  Symptome:  Anaesthesia  dolo- 
rosa des  Gesichtes,  Ophthalmoplegia  externa  und  interna.  Ophthalmosoopisch  nichts 
abnormes.    Der  Tnmor  drAckte  anf  die  Nerven  an  dem  Sinus  cavernosus. 

5)  Tumor  in  der  Mitte  des  ersten  rechten  Gyrns  temporo-sphenoidalis  nach  innen 
gegen  die  untern  Partien  der  beiden  Centralwindungen  vordringend  bei  einer  66jähr. 
Frau.  Epilepsie  w&hrend  des  Lebens  und  seit  vielen  Jahren  Schwachsinn.  links 
Fadalisparalyse,  Schmerz  und  Hyperaesthesie  der  rechten  Schläfegegend.  Linker  Arm 
schwach  und  steif,  nicht  das  Bein,  dem  Befiallensein  der  untern  Theile  der  Central- 
windungen entsprechend.  Keine  Taubheit,  obwohl  das  Gehörcentrum  mit  betroffen  war. 

Dr.  Frederick  Taylor:  1)  Gliom  am  Grunde  des  Ventriculus  quartus,  zugleich 
die  linke  Hälfte  des  hintern  Theils  des  Pens  einnehmend.  Hydrocephalus  internus. 
Symptome:  Frontal-  und  Yerticalschmerz,  rechts  Strabismus  divergens,  Neigung  nach 
rechts  zu  fallen  beim  Gehen,  schwankender  Gang,  zunehmende  Erblindung,  Maras- 
mus, Tod. 

2)  Gliom  des  Pens  mit  rechtsseitiger  Hemiplegie. 

3)  Gliom  an  den  rechten  Frontalwindungen  in  den  Streifenhügel  und  Linsenkem 
vordringend,  Erweichung  beider  lobi  olüactorii.  *  Bigidität  des  linken  Armes  und  Beines; 
halbkomatöser  Zustand. 

4)  Fibrosarcon  des  Flooculus  cerebelli  ohne  Symptome  während  des  Lebens. 
Dr.  Ord..  Tumor  der  linken  Hemisphäre  an  dem  obem  Theil  der  Fissura  Bo- 

lando»  die  aufsteigende  Frontalwindung  und  die  hintern  Theile  der  beiden  obem  gyri 
frontales  einnehmend.  Symptome:  Convulsionen  der  rechten  Seite  ohne  Verlust  des 
Bewusstseins,  allmählich  sich  entwickelnde  Hemipl^ia  deztra. 

Dr.  Saundby:  Gliom  nimmt  die  linke  zweite  und  dritte  Stimwindung,  femer 
die  aufsteigende  Frontalwindung  und  Insula  Beilii  ein,  drückt  auf  das  Corpus  striatam. 
Atactischer  Gang  ohne  besondere  Paralyse,  Schwachsinn.    Tod  im  Goma. 

Dr.  Gharlewood  Turner:  1)  Weiches  Gliom  der  linken  Hemisphäre  bei  einem 
31jährigen  Manne  liegt  in  den  Faserzügen  der  Corona  radiata,  die  zum  vordem  Theil 
des  Balkens  gehen  unterhalb  der  aufsteigenden  Frontal-  und  Parietalwindungen.  Fünf 
Minuten  dauemde  spasmodische  Anfalle  im  rechten  Arm  und  Bein  mit  eigenthümlichen 
schleichenden  Empfindungen  in  diesen  Gliedern.  Parese  des  rechten  Beins  ohne 
Anaesthesie.    Verlauf  3  Monate. 

2)  Corticales  Gliom  bei  einem  65  jährigen  Manne.  Dauer  6  Monate.  Beginn 
mit  Kopfschmerz;  zeitweilige  Bewussüosigkeit,  linksseitige  Hemiplegie  und  Hemi- 
anästhesie.  Ergriffen  war  der  hintere  Theil  des  lobiüus  parietalis,  wo  derselbe  in 
die  Schläfenwindnngen  übergeht.  Die  G^chwulst  drang  in  den  hintem  Theil  des 
Corpus  striatum  und  den  Thalamus  opticus  vor. 

Dr.  Samuel  West.  Gliom  im  linken  Lohns  temporo-sphenoidalis  ohne  Affektion 
des  Cortex  in  der  Capsula  interna  liegend  mit  eigenthümlichen  Höhlenbildungen. 
Symptome:  Amnestische  Aphasie.    Hemiparesis  dextra. 

Femer  wären  noch  Fälle  von  Tumoren  zu  erwähnen,  welche  Coupland,  Mac- 
donald, Hadden,  Lediard,  Savage,  Beevor,  Ogilvie,  Hebb,  Ashby,  Chaffey, 


—    191     — 

D'Arej  Power  nnd  Ernest  Clarke  mit  Anführung  der  klinischen  Symptome^  mit 
Beibringong  von  Zeichnongoi  und  mikroskopiBohen  Bildern  demonstrirten. 

Bahemann. 

E.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  zu  Wien.    8itznng  vom  19.  März  1886.   (Wiener 
med.  Fresse.  1886.  No.  13.) 

Hofrath  Prof.  Meynert:  lieber  die  Frontalentwloklmig  des  Gtohime. 
M.  beschäftigt  sich  mit  dem  Stimlappen,  dem  man  eine  hervorragende  anthropologische 
Bedeutung  zuschreibt  Man  ist  sich  aber  immer  noch  nicht  klar  über  die  Begrenzung 
des  Stimlappens,  und  zwar  ist  es  die  hintere  ürenze,  die  man  nicht  kennt.  Nach 
M.  müsse  man  die  vordere  Centralwindung  zum  Frontallappen  z&hlen,  so  dass  die 
Bolando*sche  Furche  die  hintere  Grenze  des  Frontsülappens  bildet. 

Der  Vortragende  thut  dies  dar  durch  vergleichend-anatomische  Studien  an  Ge- 
hirnen von  Affen  und  Baubthieren. 

Das  menschliche  Gehirn  stellt  sich  aber  nicht  in  seiner  HOhe  dar  durch  die 
Entwicklung  des  Stimlappens,  sondern  durch  die  enormste  Höhe  der  Sjlvi'sdien 
Gmbe.  Ausserdem  ist  beim  Menschen  noch  der  Schläfelappen  mehr  entwickelt,  als 
bei  allen  anderen  Säugethieren. 

Zu  den  anthropologisch  bevorzugten  Lappen  gehört  also  nicht  nur  der  Stirn- 
läppen,  sondern  auch  der  Schl&felappen,  wenn  auch  nicht  in  demselben  Maasse  wie 
ersterer.  Auch  macht  sich  ein  Consensus  in  der  Ernährung  des  Sim-  und  Sohläfe- 
lappens  dahin  geltend,  dass  die  Atrophien  (bei  Greisen  und  Paralytikem)  ihren  Aus- 
druck finden  in  der  Abnahme  des  Gewichtes  des  Stirn-  und  Schläfelappens,  während 
der  Parietal-  und  Ocdpitallappen  fast  gar  nicht  betheüigt  sind.  Während  de  norma 
sich  die  Summe  des  Gewichtes  des  Parietal-  und  OccipitallappenB  zur  Summe  des  Ge- 
wichtes des  Stirn-  und  Schläfelappens  wie  3  :  6  verhält,  ändert  sich  dieses  Verhält- 
nias  bei  Atrophien  in  4  :  5,  es  findet  also  eine  grosse  relative  Abnahme  des  Stim- 
nnd  Schläfelappens  statt 

Aerztlicher  Verein  zu  München.    Sitzung  vom  2.  December  1885. 

Büdinger  bespricht  3  Fälle  mit  hochgradiger  Veränderung  der  Broca*8chen 
Windung  und  tritt  für  den  Sitz  des  Sprachcentrums  an  dieser  Stelle  ein.  (Publication 
der  Fälle  ist  vorbehalten.) 

V.  Gudden  bekennt  sich  als  Gegner  der  bestimmten  Localisirung  mit  bestimmten 
Territorien,  kann  sich  auch  nicht  vorstellen,  dass  das  Sprachcentrum  sich  nur  links 
entwickele.  • 

Stumpf  theilt  hierauf  2  Fälle  mit  von  Aphasie,  in  dem  ersten  fand  Qich»  trotz- 
dem die  Sprache  sich  merklich  gebessert,  eine  Erweichung,  die  von  der  untern  linken 
Stimwindnng  bis  zum  Ocdpitallappen  ging.     •  M. 


IV.  Bibliographie. 

Looalisation  in  EOmrinde. 

(Begister  1885  S.  573.) 

Deschamps:  Absc^  du  cerveau.  Progr.  m^d.  1884.  Nr.  46.  —  Wilbrand: 
M  Yon  Gehimembolie.  D.  med.  Woch.  1885.  Nr.  51.  —  Morien:  2  Fälle  von 
Kopfverletzung  mit  Herdsymptomen.  Arch.  f.  klin.  Chirurg.  1885.  —  Exner:  Kri- 
echer Bericht  über  die  neueren  physiol.  Untersuchungen,  die  Grosshimrinde  betr. 
BioL  Otrlbl.  1885.  Nr.  1  u.  2.  —  Marique:  Becherches  exp^rimentales  sur  le  mäca- 
lüfline  de  fonctionnement  des  oentres  pi^chomoteurs  du  cerveau.    Th^  d*aggrägation 


—    192    — 

BmzdtoB  1885.  —  Schäfer  et  Horsley:  On  the  functions  of  the  margiiial  con- 
Yolntion.  ProceedingB  of  the  Royal  sodety  1884.  —  DelaTan:  On  the  localization 
of  the  eortiical  motor  centre  of  the  larynz.  Med.  Becord.  1885.  14.  Febr.  —  Lan- 
nois:  Y-a*t-il  im  centre  cortical  du  larynx?  Bev.  de  m6d.  1885.  Aoüi  —  Clinical 
sodety  of  London.  Jannary  9.  1885:  LesionB  of  the  firontal  lobe.  —  Allan:  Tbree 
casee  with  post  mortem  examination,  illustrating  some  points  in  cerebral  localisation 
of  fonction.  Lancei  1885.  I.  p.  797.  —  Leegard:  Bitrag  til  Lokalisationsl&re. 
Norsk.  Mag.  f.  Lagridensk.  1885.  p.  191. 

Aphasie. 

(cf.  Begiater  1885  S.  570.) 

Lichtheim:  lieber  Aphasie.  D.  Arch.  f.  klin.  Med.  Bd.  36.  S.  204.  —  Bibrach: 
A  case  of  tramnatic  aphasia.  Arch.  of  Med.  1884.  233.  —  Med.  Society  of  London. 
Jan.  12.  1885:  Aphasie  withoat  lesion  of  brain-convolution.  —  Bufalini:  Afasia 
notrice  eensa  oomplicazioni  e  saccessiva  amnesia  verbale  con  monoplegia  brachiale. 
Lo  Spenmentale.  7.  —  Bernard:  De  Tapfaasie  et  ses  diff^rentes  formes.  Paris  1885. 
Delahaye  &  Lecrosnier.  —  Mader:  Embolische  Erweichung  der  linken  vordem  Cen- 
tralwindimg  mit  rechtsseitiger  Parese  und  Aphasie.  Wiener  med.  Presse.  1885.  Nr.  3. 
-—  Prince:  How  a  lesion  of  the  brain  resolts  in  that  distnrbance  of  consdonsness 
known  as  sensoiy  aphasia.  J.  of  nerv,  and  mental  disease.  1885.  July.  —  Steffen: 
Zur  Aphasie.    Jahrb.  f.  Kinderheilk.  Bd.  33.  H.  1  u.  2. 

Iiooalisatiozi  für  Sehen. 

(Register  1885  S.  573.) 

Wilbrand:  Ein  Fall  von  rechtsseitiger  lateraler  Hemianopsie.  (}raefe*6  Arch. 
Bd.  81.  S.  8.  —  Dodds:  On  some  central  afifections  of  vision.  Brain.  1885.  April. 
—  Anderson:  An  unnsoal  case  of  hemianopia.    Med.  Times.  1885.  Nr.  1842. 

Monoplegien. 

Kidd:  Unilateral  convulsion  and  paralysis  of  the  arm  and  face.  Lancet  1885. 
II.  p.  564.  —  Wiglesworth:  On  the  cerebral  arm  centre.  Liverpool  med.  chir. 
Joum.  1885.  Nr.  8. 


V.  Vermischtes. 

• 

Die  XI.  WanderTersammlung  sfidwestdentscher  Neurologen  nnd  Irrenärzte  wird  am 
22.  and  23.  Mai  in  Baden-Baden  stattfinden.  Anmeldungen  von  Vortragen  sind  an  die  Ge- 
eeh&flfifUirer:  Geheimer  Hofrath  Prof.  Dr.  Bftnmler  (Freibarg  in  Baden)  nnd  Dr.  Fischer 
in  Blensn  (Baden)  an  richten. 

In  der  Pariser  Sociät^  d' Anthropologie  besprach  am  18.  März  1886  Dnval  das  Gehirn 
von  Gambetta.  Dasselbe  ist  aasgezeichnet  durch  eine  eminente  Entwickelung  der  nntereD 
Stimwindung,  deren  vorderes  Ende  verdoppelt  ist.  Ausserdem  zeigt  da8sefi>e  einen  sehr 
complicirten  PraecaneuB  dexter,  der  in  zwei  Theile  durch  eine  von  der  Fissura  parieto-ooci- 
pitaus  umgehende  Furche  getheilt  ist»  und  einen  äusserst  reducirten  HinterhauptslappeD,  be- 
sonders rechts. 

üeber  das  Gewicht  (nach  einer  Mittheilung  von  Bloch  in  der  Bevue  d' Anthropologie 
Oct.  1885  nur  1160  Gramm.    Bef.)  wird  demnächst  verhandelt  werden.  M. 

Um  Einsendung  von  Separatabdrücken  an  den  Herausgeber  vrird  gebeten. 

^W^^.  III  ■■■■■■■  I  i— i— ^  ■  I  ■   ■  ^^_— ^  ,  ,  — 

Einsendungen  fOr  die  Bedaction  sind  zu  richten  an  Prof.  Dr.  £.  Mendel, 

Berlin  9  NW.  S^ronprinzen-Ufer  7. 


Verlag  von  Ybit  &  Comp,  in  Leipzig.  —  Druck  von  MsTzosa  &  Wimo  in  Leipzig. 


NEmOLOGISCHESCENTRALBLAn. 

Uebersicht  der  Leistungen  auf  dem  Gebiete  der  Anatomie,  Physiologie,  Pathologie 
und  Therapie  des  Nervensystemes  einschliesslich  der  Geisteskrankheiten. 

Herausgegeben  yod 

Professor  Dr.  E.  Mendel 
Fünfter  "  "^""-  Jahrgang. 


Monatlich  erscheinen  zwei  Nnmmem.    Preis  des  Jahrganges  16  Mark.    Zu  beziehen  durch 
alle  Buchhandlungen  des  In-  und  Auslandes,  die  Postanstalten  des  Deutschen  Reichs,  sowie 

direct  von  der  Verlagsbuchhandlung. 


1886.  1.  Mai.  M  9. 


Inhalt.  I.  Orlginalmlttheilungen.  1.  Ueber  den  Einfluss  der  Grosshimrinde  auf  den 
Blutdruck  und  die  Herzth&ti^keit,  von  Prof.  W.  Bechterew  und  Prosector  Dr.  Misslawsky. 

2.  Ueber  den  elektrischen  Widerstand  des  Körpers,  von  A.  de  Watteville.  3.  Ein  Beitrag  zur 
einseitigen  Wahrnehmung  doppelseitiger  Reize  bei  Herden  einer  Grosshimhemisphare,  von 
Dt.  L  Bnins. 

II.  Referate.  Anatomie.  1.  Ueber  einen  besonderen  Bestandtheil  der  Seitenstränge  des 
Rückenmarkes  u.  über  den  Faserursprung  der  grossen  aufisteigenden  Trigeminuswurzel ,  von 
Bechterew.  —  Experimentelle  Pnysiologie.  2.  Physiological  studies  of  the  knee-jerk, 
and  of  the  reactions  of  muscles  under  mechanical  and  other  ezcitante,  b^  Mitckell  and  Lewis. 

3.  De  la  trdpidation  öpileptoKde  provoquöe,  par  Delorm-Sorb^.  4.  Contnbution  a  l'^tude  de 
Vaction  physiologique  de  la  cocalne,  par  Slglifcelll.  —  Pathologische  Anatomie.  5.  Zur 
Anatomie  des  Balkenmangels  im  Grosshim,  von  Anton.  —  Pathologie  des  Nerven- 
systems. 6.  Himsyphilis  und  deren  Localisation,  von  Resentkal.  7.  Des  syphilomes  de 
Vencephale,  n ar  Luys.  8.  Aural  and  nervous  Symptoms  of  secondary  syphilis,  by  Blake  and 
Walten.  9.  Myelitis  acuta  disseminata,  von  KOttner  und  Bresin.  10.  Une  Observation  de 
maladie  de  Thomsen,  par  Pitres  et  Dallidet.  11.  Un  caso  di  leucodermia  ereditaria,  pel 
Seppini.  12.  Due  casi  di  lesioni  dei  peduncoli  cerebrali,  pel  Rescioli.  13.  Ueber  ein  eigen* 
thämliches  Sputum  bei  Hysterischen,  von  Waoner.  14.  Sanitats-Bericht  über  die  deutschen 
Heere  im  Kriege  gegen  Frankreich  1870/71.  Erkrankungen  des  Nervensystems.  (Fortsetzung.) 
—  Psychiatrie.  15.  On  the  alleged  n*agility  of  the  bones  of  general  paralytics,  by  Christian. 
16.  Auditor^  hallucination  in  a  deaf  mute,  by  Stearns.  17.  Zur  Lebre  von  der  Paranoia 
hallQcinatoria  acuta,  von  Greldenberg.  18.  Sopra  un  caso  di  pneumonite  acuta  in  nn'alienata 
<»n  abbassamento  notevole  della  temperatura,  per  U  Alqeri.  19.  Insanity  from  cocai'ne,  by 
Brower.  —  Therapie.  20.  On  the  ose  of  Cocaine  in  the  Opium  habit,  by  Mann.  21.  On 
trpphining  in  epilensy  resulting  from  old  fracture  of  the  skull,  by  Clark. 

III.  Aue  den  GMellsehaften.  —  IV.  Bibliographie.  --  V.  Vermischtes. 


I.  Originalmittheilungen. 


1.    Ueber  den  Einfluss  der  Grosshimrinde  auf  den 
Blutdruck  und  die  Herzthätigkeit. 

Von  Professor  W.  Bechterew  und  Prosector  Dr.  MlBslawsky. 

Seit  Ende  vorigen  Jahres  beschäftigten  wir  uns  mit  dem  Stadium  des  Ein- 
flusses der  Grosshimrinde  auf  den  Blutkreislauf,  indem  der  Hauptgegenstaud 


—     194    — 

unserer  im  physiologischen  Laboratorium  der  Universität  ausgeführten  Unter- 
suchungen die  Veränderungen  waren,  die  bei  Beizung  yerschiedener  Binden- 
gebiete im  Blutdruck  und  in  der  Herzthätigkeit  sich  einstellen. 

AUe  unsere  Versuche  wurden  an  curarisirten  Thieren  angestellt^  yorzüglicb 
an  Hunden,  zum  Theil  an  Katzen.  Der  Blutdruck  und  der  Puls  wurden  an 
einem  mit  der  Carotis  des  Thieres  verbundenen  LüBwiG'schen  Eymographion 
registrirt  Zur  Beizung  benutzten  wir  einen  du  BoiB-BEYMOND'schen  Inductions- 
apparat  (5148  Windungen  der  secundären  Bolle)  mit  einem  GnENEr'schen  Element; 
als  Elektroden  dienten  zwei  um  4 — 7  mm  von  einander  entfernte  Nadeln,  die 
in  geringer  Tiefe  in  die  Hirnrinde  eingesenkt  wurden.  Es  wurden  nur  schwache 
Ströme  angewandt  —  solche,  die  eine  kaum  wahrnehmbare  Empfindung  an  der 
befeuchteten  Fingerhaut  oder  nur  an  der  Zunge  und  den  Lippen  hervorriefen. 
Die  Dauer  der  Beizung  betrug  in  den  meisten  unserer  Versuche  30  Secunden. 

Die  Ergebnisse  unserer  Versuche  zeigen,  dass  Erregung  bestimmter  Gtebiete 
der  Orosshimrinde  höchst  deutliche  Veränderungen  im  Blutdruck  bewirke,  die 
sowohl  in  Steigerung,  als  auch  Herabsetzung  desselben  bestehen  können.  Hierbei 
erwies  es  sich,  dass  die  wirksamen  Bindenfelder  nicht  auf  die  motorische  Zone 
(Gyrus  sigmoides)  beschränkt  sind,  sondern  sich  weit  über  die  Grenzen  derselben 
erstrecken.  Ausser  dem  genannten  BindentheU  wird  Beeinflussung  des  Blut- 
drucks von  den  Gebieten  aus  erzielt,  die  nach  aussen  von  derselben  liegen 
(der  vordere  Abschnitt  der  2.  und  3.  und  der  obere  Theil  der  4.  Urwindung) 
und  von  einem  ausgedehnten  Territorium  aus,  das  hinter  der  motorischen  Zone 
liegt  (dem  Scheitellappen  des  menschlichen  Gehirns  entsprechender  Theil  der 
Hirnrinde). 

Beizung  der  motorischen  B^on  bewirkte  in  der  überwi^enden  Mehrzahl 
unserer  Experimente  eine  au^eprägte  Differenz  im  Typus  der  Blutdruok-Curven, 
je  nachdem  ob  sie  im  vorderen  oder  hinteren  Abschnitt  derselben  stattfand. 
Nämlich  bei  Beizung  .der  ganzen  hinteren  Portion  des  Gyrus  sigmoides  (hinter 
dem  Sulcus  cruciatus),  der  hinten  anliegenden  Abschnitte  der  1 .  und  2.  Primär- 
Windungen  sowohl,  als  auch  des  medialen  Theils  der  vorderen  Portion  des  Gyrus 
sigmoides  (vor  dem  Sulcus  cruciatus),  erhielten  wir  stets  ausgeprägte  Steigerung 
des  Blutdrucks,  welche  sich  nach  einer  mehr  oder  weniger  langen  Latenzperiode 
einstellte.  Dagegen  hatte  Beizung  verschiedener  Punkte  des  ganzen  äusseren 
und  mittleren  Theils  der  vorderen  Fortion  des  Gyrus  sigmoides,  und  auch  der 
anliegenden  Gebiete  der  2.  Primär- Windung,  zuvörderst  mehr  oder  weniger  be- 
deutende Herabsetzung  des  Seitendrucks  zur  Folge,  worauf  dann  eine  oonsecutive 
Steigerung  stattfand;  in  einigen  Versuchen  jedoch,  besonders  bei  Beizung  des 
äusseren  Theils  des  vorderen  Abschnitts  des  Gyrus  sigmoides,  beobachteten  wir 
deutliche  Herabsetzung  des  Seitendrucks,  die  entweder  während  der  ganzen 
Dauer  der  Beizung  anhielt,  ohne  von  consecutiver  Steigerung  gefolgt  zu  sein, 
oder  allmählich  zur  Zeit  des  Aufhörens  der  Beizimg  abnahm. 

Sinken  des  Blutdrucks  mit  nachfolgender  Steigerung  desselben  kam  auch 
in  einigen  Fällen  bei  Beizung  der  Uebergangsregion  zwischen  vorderem  und 
hinterem  Abschnitt  des  Gyrus  sigmoides  (am  äusseren  Ende  des  Sulcus  crudatus) 


—     195    — 

ror;  doch  in  den  meisten  Experimenten  bestand  der  Effect  der  Beizung  dieses 
Gtebiets  in  mehr  oder  weniger  betrachilicher  Steigerung  des  Drucks,  die  nach 
einer  Latenzperiode  sich  einstellte;  also  er  stimmte  mit  demjenigen  Effect  überein, 
der  bei  Beizung  der  ganzen  hinteren  Portion  des  Gyrus  sigmoides  und  der  an- 
liegenden Gebiete  der  1.  und  2.  Primär- Windungen  erhalten  wurde. 

Bei  Beizung  der  mittleren  Partien  der  Hemisphäre  (der  Scheitellappen)  von 
bestimmten  Punjrten  der  2.  und  8.  TJrwindungen  und  dem  hii^teren  Ende  des  um 
die  Fossa  Sylvii  hemm  liegenden  Theils  der  4.  TJrwindung  aus  beobachteten  wir  in 
Fielen  Versuchen  ausschliesslich  depressorischen  Einfluss.  Dabei  dauerte  die  zu- 
weilen höchst  beträchtliche  Herabsetzung  des  Blutdrucks  entweder  während  der 
ganzen  Zeit  der  Apphcation  des  Beizes,  oder  sie  nahm  allmähUch  ab,  nachdem 
sie  bei  Beginn  der  Beizung  sich  eingestellt  hatte,  und  ging  noch  vor  Gessation 
letzterer  zur  Norm  zurück.  Eine  consecutive  Steigerung  des  Blutdrucks  wurde 
bei  Beizung  der  bezeichneten  Bindengebiete  in  unseren  Experimenten  nicht  be- 
obachtet 

Es  ist  beachtenswerth ,  dass  es  in  den  meisten  Fällen  nur  im  Anfang  des 
Experiments  gelingt^  die  depressorische  Einwirkung  von  den  angegebenen  Binden- 
territorien aus  zu  Gonstatiren;  die  bedeutenden  Blutverluste,  die  nach  Abnahme 
der  Dura  mater  stattfindende  Erkältung  und  Austrocknung  der  Hemisphäre 
sowohl,  als  die  wiederholte  Application  der  Beizung  haben,  wie  wir  uns  über- 
zeugen konnten,  einen  erschöpfenden  Einfluss  auf  die  vasomotorischen  Binden- 
centren,  und  besonders  auf  diejenigen  Bindengebiete,  von  denen  aus  depressorische 
oder  gefasserweitemde  Wirkung  erzielt  wurde.  Deshalb  kommt  es  auch  nicht 
selten  vor,  dass  der  im  Anfang  des  Versuchs  deutUch  ausgeprägte  depressorische 
Effect  bald  gänzlich  verschwindet  und  sogar  bei  Verstärkung  des  Stromes  nicht 
mehr  von  Neuem  hervorgebracht  werden  kann. 

Die  Hinterhauptgegend  der  Hemisphären  ist  anscheinend  am  wenigsten  an 
der  vasomotorischen  Einwirkung  betheiligt.  Wenigstens  gelang  es  uns  kein 
einziges  Mal  bei  der  oben  angegebenen  Stromstärke  von  diesem  Gebiet  aus 
deutliche  Beeinflussung  des  Blutdrucks  zu  erzielen. 

Was  die  Einwirkung  der  Binde  auf  die  Herzthätigkeit  anbetrifft,  so  bestand 
der  beständigste  Effect  in  unseren  Versuchen  in  einer  bedeutenden  Pulsbeschleu- 
nigung, die  besonders  bei  Beizung  der  motorischen  Begion  ausgeprägt  war  und 
sowohl  bei  gesteigertem,  als  bei  gesunkenem  Blutdruck  beobachtet  wurde.  Ein- 
fluss seitens  anderer  Bindengebiete  liess  sich  in  dieser  Hinsicht  nicht  feststellen. 
In  einigen  Versuchen  wurde  bei  Beizung  der  motorischen  Begion  nach  anfäng- 
licher Beschleunigung  des  Pulses  consecutive  Verlangsamung  desselben  beobachtet, 
doch  war  dieses  Vorkomnmiss  kein  beständiges. 

Eine  eingehendere  Beschreibung  unserer  Versuchsergebnisse  beabsichtigen 
wir  in  Bälde  zu  veröffentlichen. 

Kasan,  im  März  1886. 


—     1»6    — 

2.  üeber  den  elektrischen  Widerstand  des  Körpers. 

Von  A.  de  Wattevüle. 

Meine  Absicht  ist,  mehr  die  Auftnerksamkeit  des  Lesers  auf  gewisse  Phä- 
nomene der  medicinischen  Elektrophysik  zu  lenken ,  als  eine  vollständige  Be- 
schreibung ond  Auseinandersetzung  derselben  zu  geben. 

Schon  seit  vielen  Jahren  nahm  ich  bemerkenswerthe  Verschiedenheiten 
zwischen  der  Ablenkung  der  Nadel  eines  absoluten  Galvanometers  und  der  Zahl 
der  angewendeten  Elemente  wahr. 

Ich  suchte  die  Erklärung  dieser  Phänomene  lange  in  der  üngenauigkeit 
der  angewendeten  Instrumente.  Nachdem  ich  aber  im  Winter  1883—1884 
mir  einen  ausgezeichneten  Galvanometer  bei  Edelmann  hatte  herstellen  lassen, 
konnte  ich  mich  überzeugen,  dass  die  Ursache  jener  Differenzen  in  Alterationen 
des  Körperwiderstandes  lag.  Walleb  gelangte  unabhängig  von  mir  zu  demselben 
Schluss  mit  seinem  registrirenden  Galvanometer  (Brit.  med.  Joum.  1885.  25.  Julj) 
und  Stone  scheint  zu  derselben  Zeit  ähnliche  Beobachtungen  gemacht  zu  haben. 
Die  sehr  einfache  Methode,  die  Thatsache,  um  die  es  sich  handelt,  zu  beobachten, 
ist  folgende:  Man  setze  zwei  grosse  Elektroden  (aus  biegsamem  Metall,  mit  stark 
angefeuchtetem  Flanell  bezogen)  fest  auf,  und  beobachte,  nachdem  man  den 
Widerstand  der  Haut  auf  ein  Minimum  reducirt  hat,^  die  Ablenkung  der  Nadel, 
die  durch  jede  einer  gewissen  Zahl  von  Elementengruppen  gegeben  virird. 

Der  Doppelsammler,'  dessen  ich  mich  in  der  gewöhnlichen  Praxis  bediene, 
ist  für  diesen  Zweck  sehr  bequem.  Dann  füge  man  der  einen  dieser  Gruppen 
die  andere  hinzu,  und  man  findet,  dass  die  Zahl  der  ganzen  Ablenkungen 
grosser  ist,  als  die  Summe  der  partiellen  Ablenkungen.  So  fand  ich  in  einem 
Falle,  dass  jede  der  4  Gruppen  von  3  Leclanchte  einen  Strom  von  2  Milliamperes 
durch  den  Körper  gab.  Diese  Gruppen  mit  einander  verbindend  und  sie  so 
anwendend,  also  nach  einander  8,  6,  9,  12  Elemente,  stieg  die  Ablenkung  statt 
von  2  auf  4,  6  und  8  Milliamperes  von  2  auf  5,  8,5  und  11,8  Milliamperes. 

Eine  einfache  Controlbeobachtung  mit  einem  metaUischen  Widerstand  an 
Stelle  des  menschlichen  Körpers,  gab  eine  dem  Omc'schen  Gesetze  entsprechende 
arithmetrische  Progression  und  bewies  demnach,  dass  die  Differenz  aus  Altera- 
tionen im  Widerstand  des  menschlichen  Körpers  hervorging. 

Wir  können  es  denmach  als  ein  Princip  aussprechen,  dass  bei  den  gewöhn- 
hchen  ärztlichen  Applicationen  der  Widerstand  des  menschlichen  Körpers  (ab* 
gesehen  von  der  Epidermis)  sich  verringert  mit  der  Zunahme  der  angewendeten, 
elektromotorischen  Kraft,  oder  mit  anderen  vielleicht  correcteren  Worten,  dass 
der  durch  einen  Strom  hervorgerufene  Widerstand  im  Körper,  sich  nicht  ent- 
sprechend der  Stärke  des  angewendeten  Stroms  vermehre. 


'  Die  beste  Methode  ist,  einen  möglichst  starken  Strom  durchgehen  jfn  lassen  nnd  den 
Strom  mehrmals  in  der  Minute  zn  wenden. 

'  Dargestellt  in  Fig.  61  meines  Baches:  »Jtfedical  electricity",  2.  Ed.;  eine  deutsche 
üebersetzong  wird  gegenwärtig  dnrch  Dr.  Max  Wbisb  bei  Töplitz  &  Dentioke  in  Wien 
vorbereitet 


—     197    — 

Die  Beschaffenheit  dieses  hypothetischen  Widerstandes  ist  wesentUeh  ver- 
schieden von  dem,  der  von  der  Polarisation  herrührt,  insofern  er  ni(dit  mit  der 
Dauer  des  Stroms  varürt 

Es  ist  wohl  hekannt,  dass,  wenn  man  einen  Strom,  der  durch  den  Körper 
^eht,  plötzlich  umwendet,  der  Galvanometer  eine  Vermehrung  der  Starke  anzeigt 
Diese  Erscheinung  schob  man  auf  die  Polarisation  der  Elektroden  und  auf  die 
Verringerung  des  Widerstandes  der  Haut  Dagegen  ist  zu  bemerken:  1)  dass 
die  elektromotorische  Kraft  zwischen  Sauerstoff  und  Wasserstoff,  die  an  der  Ober- 
fläche der  Elektroden  sich  entwickeln,  nicht  genügt,  um  die  Zunahme  zu  er- 
klären; 2)  dass  die  Zunahme  nur  vorübergehend^  ist,  sobald  man  die  Vorsicht 
gebraucht  hat,  den  Widerstand  der  Haut  auf  sein  Minimum  zu  reduciren; 
3)  dass  man  oft  mit  einem  Galvanometer  ohne  Oscillationen  nach  der  Wendung 
eine  allmähliche  Ablenkung  der  Nadel  auf  ihr  Maximum  beobachtet. 

um  diese  Thatsachen  zu  zeigen,  bediene  ich  mich  einer  Batterie  mit  dop- 
peltem Sammler  und  des  grossen  EDELMANN'schen  Galvanometers.  Ich  applicire 
Elektroden  von  8  und  15  cm  auf  zwei  entsprechende  Punkte  des  Körpers,  lasse, 
nachdem  ich  den  Widerstand  der  Haut  reducirt,  einen  Strom  von  20  Milli- 
amperes durch  die  Haut  einige  Minuten  lang  gehen.  Mittelst  eines  zwischen 
Körper  und  Galvanometer  angebrachten  Commutators  wende  ich  den  Strom  und 
bt'obachte  dann,  dass  die  Nadel  mehr  oder  weniger  schnell  eine  Ablenkung  von 
23,  24  bis  25  Milliamperes  erreicht  Nach  einigen  Augenblicken  beginnt  die 
Nadel  wieder  zurückzugehen,  um  in  ihre  ursprüngliche  Lage  zurückzukonmien. 

Die  Grösse  der  supplementären  Ablenkung  und  die  Schnelligkeit  des  Zurück- 
sinkens hängen  von  der  vorangegangenen  Dauer  des  Stroms  ab.  Um  den  Ver- 
such zu  controliren  und  den  Effect  zu  eliminiren,  der  durch  die  Polarisation 
der  Elektroden  hervorgebracht  wird,  wiederhole  ich  denselben,  indem  ich  die 
beiden  Griffe  des  Doppelsammlers  auf  0  zurückführe,  anstatt  den  Strom  zu 
wenden.  Auf  diese  Weise  eliminire  ich  die  Batterie  des  Kreises,  welche  nur 
den  Körper,  den  Galvanometer  und  die  Elektroden  einschliesst  und  versichere 
mich,  dass  der  durch  die  elektromotorische  Kraft  (welche  an  der  Oberfläche 
dieser  letzteren  entwickelt  wird)  hervorgebrachte  Strom  nur  einen  BmchtheU 
eines  Milliampere  beträgt. 

Es  ist  demnach  augenscheinlich,  dass  der  galvanische  Strom  bei  der  ge- 
wöhnlichen ärztlichen  Applicationweise  in  den  Geweben  gewisse  Veränderungen 
hervorbringt,  welche  sich  durch  eine  temporäre  Zunahme  der  Kraft  dieses  Stroms 
kundgiebt,  wenn  derselbe  sie  in  entgegengesetzter  Richtung  durchfliessb  Diese 
Zunahme  lasst  sich  auf  zwei  Arten  erklären:  Entweder  ist  der  Widerstand  der 
Gewebe  verringert  für  den  im  entgegengesetzten  Sinne  durchfliessenden  Strom, 
oder  aber  es  entwickelt  sich  eine  elektromotorische  Kraft  unter  dem  Einflüsse 
der  Polarisation.  Die  zweite  Hypothese  ist  die  leicht  begreiflichste.  Sie  hat 
jedoch  gegen  sich  1.  die  Thatsache,  dass  die  supplementäre  Ablenkung  der 
Nadel  nicht  sofort  mit  der  Wendung  des  Stroms  eintritt;  2.  die  Thatsache, 


1  Wallbb  aod  OK  Wattsvillb»  Philosophical  Tranaaot.    BoyuX  Soc  1882. 

• 


—     198    — 

dass  bei  den  über  die  Polarisatiun  der  Elektroden  ausgeföhrten  GontrolTersacben 
die  vorher  durch  den  Strom  durchflossenen  Gewebe  nicht  als  seoondarer  Strom 
wirken  und  keinen  Strom  durch  das  Galvanometer  liefern. 


3.  Ein  Beitrag  zur  einseitigen  Wahrnehmung  doppelseitiger 

Reize  bei  Herden  einer  Grosshimheraisphäre. 

Von  Dr.  L.  Bnms,  früher  Assistenzarzt 
(Aus  der  Psychiatrischen  und  Nerven-Klinik  zu  Halle  a./S.) 

In  der  Nr.  23  dieses  Centralblattes  von  1 885  veröffentlicht  Oppenheim  ^  vier 
Fälle  von  einseitigen  Grosshimaffectionen,  bei  denen  er  durch  ejne  bisher  nicht 
verwerthete  klinische  Untersuchungsmethode  eine  noch  nicht  bekannte  Störung 
der  Sensibilität  entdeckte,  die  im  wesentlichen  darin  bestand,  dass  bei  Vornahme 
gleichzeitiger,  symmetrischer,  doppelseitiger,  sensibler  und  sensorischer  Beize  nur 
diejenigen,  die  die  nicht  unter  dem  Einflüsse  des  Himherdes  stehende  Eörperhälfte 
trafen,  zur  Perception  des  Kranken  gelaugten,  während  wenn  man  die  Sensi- 
bilität der  erkrankten  Seite  allein  untersuchte,  entweder  gar  keine  oder  nur 
geringfügige  Störungen  derselben  bemerkt  wurden.  Da  Oppenheim  selber  bis 
zum  November  1885  nur  in  4  von  einer  grösseren  Anzahl  von  einseitigen  Gross- 
himherden  dieses  Symptom  constatirt  hat,  dasselbe  also  ein  seltenes  zu  sein 
scheint,  da  ausserdem  die  üntersuchungsresultate  dieses  Autors  bisher  noch  von 
keiner  Seite  bestätigt  sind,  halte  ich  es  fOr  geboten,  einen  Fall  zu  veröfTent- 
lichen,  der  vollständig  mit  den  OppENHEiM'schen  Beobachtungen  übereinstimmt. 
Meinem  verehrten  früheren  Chef,  Herrn  Professor  Hitzig,  sage  ich  für  üeber- 
lassung  der  Krankengeschichte  meinen  besten  Dank. 

Str.  Gustav,  Sattler  aus  Zerbst,  50  Jahre  alt    Apoplecüscher  Anfall  am 

4.  Mai  1885,  Aufnahme  in  die  Klinik  am  3.  November  1885. 

Status  bei  der  Aufnahme:  Facialisparese  linkerseits  mit  Betheiligung  des 
Stirn-  und  Augenastes.  Parese  der  linken  Zungenhälfte.  Paralyse  mit  Con- 
tractur  und  erhöhten  Sehnenreflexen  der  linken  oberen,  Parese  mit  Contractur 
uiid  Patellar-  sowie  Achillesclonus  der  linken  unteren  Extremität  Abnahme 
der  Musculatur  der  linken  Körperhälfte;  sehr  herabgesetzte  Hauttemperatiir 
derselben  Seite.  Ophthalmoskopisch:  nichts.   Psychisch:  ziemlicher  Schwachsinn. 

üeber  die  Sensibilität  wurde  am  4.  und  11.  November  folgendes  notirt: 
Auf  feine  Tastreize  der  linken  Seite  wird  im  Anfange  der  Untersuchung  prompt 
reagirt  und  werden  dieselben  gut  localisirt  Der  Patient  verliert  aber  sehr  bald 
für  die  gelähmte  Körperhälfte  die  nöthige  Aufmerksamkeit  und  wird  dann  iu 
seinen  Angaben  unsicherer.  Schmerzreize  werden  auch  links  stets  prompt 
empfunden,  doch  häufig  zunächst  nur  als  Tastempfindung,  auf  die,  bis  eine 


'  Ueber  eine  durch  eine  klinisch  bisher  nicht  verwerthete  UntersachongBinethode  er- 
mittelte Form  der  Sendbilitatsstörung  bei  einseitiger  Erkrankung  des  Gfrosahims. 


—     199     - 

halbe  Minute  später  eine  dann  übertriebene  lebhafte  Sohmerzreaotion  folgt.  Der 
Temperatarsinn  ist  am  linken  Oberarm  und  Oberschenkel  gestört;  au  den  übrigen 
Partien  der  linken  Körperhälfte  wird  dagegen  im  Anfange  der  Untersuchung 
kalt  und  warm  gut  unterschieden. 

Am  12.  December  wurde  die  OppENHEQf'sche  üntersuchungsmethode  bei 
dem  Kranken  ausgeführt.  Während  der  Patient  Nadelstiche,  die  auf  die  linke 
Körperhälfte  allein  applicirt  werden,  sofort  empfindet,  kommt,  wenn  zugleich  die 
linke  und  rechte  Körperhälfbe  an  symmetrischen  Stellen  gestochen  wird,  stets 
nur  der  die  rechte  Seite  treffende  Stich  zur  Perception.  Diese  Sensibilitäts- 
störung umfasst  Kopf,  Rumpf  und  Extremitäten  gleichmässig.  An  den  unteren 
Extremitäten  kann  man  den  Beiz  linkerseits  ein  gut  Theil  länger  und  stärker 
bis  zu  einer  nicht  genau  zu  definirenden  Grenze  einwirken  lassen,  wie  rechts, 
ohne  dass  das  Uutersuchungsresultat  sich  ändert.  Wird  aber  diese  Grenze 
überschritten,  so  wird  sofort  eine  doppelseitige  Empfindung  angegeben. 

Am  15.  Januar  1886  wurde  dieselbe  Untersuchung  noch  einmal  genau 
wiederholt:  mit  demselben  Resultat.  Linksseitig  applicirte  Kälte-  und  Wärme- 
reize werden,  auch  an  den  Stellen,  wo  der  Temperatursinn  dieser  Seite  für  sich 
ein  normaler  ist,  bei  gleichzeitiger  und  gleichmässiger  Reizung  der  rechten  Seite, 
nicht  wahrgenommen. 

Eine  Prüfung  des  Gesichtssinnes  in  der  von  Oppenheim  beschriebenen 
Weise  war  unmöglich,  da  Patient  in  keiner  Weise  zur  Ruhigstellung  seiner 
Balbi  zu  bewegen  war.    Eine  Prüfung  des  Gehörs  wurde  nicht  vorgenommen. 

Wie  man  sieht,  bestätigt  der  oben  beschriebene  Fall  vollständig  die  Oppen- 
HEiM'schen  Beobachtungen.  Es  bestanden  hier  zwar  auch  bei  alleiniger  Prü- 
fung der  linken  Seite  Sensibilitätsstörungen;  doch  waren  dieselben  gering,  und 
kamen  jedenfalls  für  diejenigen  Reize,  mit  denen  die  doppelseitige  Untersuchung 
ausgeführt  wurde,  massig  starke  Nadelstiche,  nicht  in  Betracht.  Aehnliche  Ver- 
hältnisse finden  sich  übrigens  auch  im  Fall  III  von  Oppenheim. 

Bestätigen  muss  ich  auch,  dass  die  OpPENHEOi'sche  Sensibilitätsstörung 
eine  relativ  seltene  ist.  In  den  von  mir  von  Mitte  December  bis  Ende  Februar 
untersuchten  Fällen  von  Grosshimherden  habe  ich  sie  nur  dieses  eine  Mal  ge- 
funden. Mehrere  andere  Fälle  (Hirntumor,  Contusion  des  Grosshims  mit  Hemi- 
paresen)  boten  keine  Spur  davon.  Ebenso  habe  ich  sie  nie  bei  anderen  Krank- 
heiten des  Nervensystems  oder  bei  Gesunden  beobachtet. 

Berlin,  im  März  1886. 


II.   Referate. 


Anatomie. 

1)  Ueber   einen   besonderen  Bestandtheil  der  Seitenstränge  des  Büoken- 

markes   und   über   den   Faserarsprung   der  grossen  aufliteigenden 

Trigeminuswurzel,  von  Prof.  W.  Bechterew  in  Kasan.    (Arch.  f.  Anat.  u. 

Physiol.  1886.  Anat.  Abtheü.) 

B.  beschreibt  als  ,,Hinterwarzelgebiet  der  Seitenstränge"  einen  unmittelbar 

der  Austrittsstelle  der  hinteren  Wurzeln  anliegenden  Abschnitt,  zwischen  diesem  und 


«« 


—    200    — 

dem  Pyramideiifleiteiistrang  gelegen,  dessen  Fasern  sich  durch  bedeutend  geringeres 
Kaliber  unterscheiden.  Dieser  Abschnitt  beginnt  Markbekleidung  der  Fasern  zu  er- 
halten bei  einer  Fötuslänge  von  33  cm,  wenn  die  Hinterstrange  sie  bereits  Tollständig 
haben,  die  Fyramidenstränge  dagegen  noch  nichts  davon  zeigen.  Das  Hinterwurzel- 
gebiet nimmt  von  unten  nach  oben  an  Ausdehnung  ab,  ist  in  dem  obersten  Abschnitt 
des  Brustmarks  am  kleinsten,  nimmt  dann  rasch  wieder  an  Fasern  und  Ausdehnung 
zu  bis  zum  oberen  Halsmark  hinauf  und  macht  beim  Uebergang  in  das  verlängerte 
Mark  allmählich  den  dickeren  Fasern  der  aufsteigenden  Tngeminuswurzel  Platz. 

Lissauer  hat  bei  Tabes  dorsalis  auf  die  Degeneration  dieses  Theiles  der  Seiten- 
stränge aufmerksam  gemacht;  und  B.  kann  Lissauer^s  Angaben  über  den  Verlauf 
der  Fasern  dieses  Abschnittes,  des  Hinterwurzelgebietes,  vollständig  bestätigen,  dass 
es  n&mlich  feine  Fasern  aus  dem  äusseren  Bündel  der  hinteren  Wurzeln  sind,  welche 
aufsteigen  und  später  zum  Theil  durch  die  Substantia  gelatinosa  Bolando  hindurch, 
zum  Theil  um  letztere  von  aussen  herumbiegend,  in  die  graue  Substanz  des  Hinter- 
homs  eintreten. 

Die  grosse  aufsteigende  Tngeminuswurzel  erscheint  nach  B.  bereits  sehr  früh, 
bei  Föten  von  25 — 28  cm  Länge,  markhaltig.  Sie  beginnt  im  Uebergang  des  Hals- 
markes in  die  Med.  oblongata,  mit  Bündeln,  die  aus  der  Zellengruppe  der  Basis  des 
Hinterhoms  heraustreten.  Ungeföhr  in  der  Höhe  der  unteren  Abschnitte  der  oberen 
Pyramidenkreuzung,  zum  Theil  jedoch  unmittelbar  unter  letzterer,  biegen  fast  alle 
diese  den  Ursprung  der  aufsteigenden  Tngeminuswurzel  bildenden  Fasern  und  Bündel- 
chen nach  aussen  um,  ziehen  in  querer  Bichtung  durch  die  gelatinöse  Substanz  hin- 
durch und  legen  sich  an  die  äussere  Seite  letzterer  in  Gestalt  eines  compacten  Bündels 
an,  welches  bis  zum  Austrittsort  der  gemeinsamen  Trigeminuswurzel  aufsteigt.  —  Die 
gelatinöse  Substanz  ist  also  nicht  der  Kern  dieser  Wurzel,  wie  Krause  s.  Z.  irr- 
thümlich  annahm.  Hadlich. 


Experimentelle  Physiologie. 


2)  Physiologioal  studies  of  the  knee-jerk,  and  of  the  reaotdons  of  muscles 
under  meohanioal  and  other  exoitants,  by  S.  Weir  Mitchell  and 
Morris  J.  Lewis.     (The  Medical  News.  1886.  Febr.  13  and  20.) 

Ausgehend  von  Jendrässik*s  Arbeiten  machten  die  Verfif.  an  Menschen  und 
Thieren  sehr  sorgfaltige  Versuche  mit  folgenden  Hauptergebnissen: 

Oeftere  Erzeugung  des  Kniephänomens  in  einer  Sitzung  steigert  dasselbe  zuerst, 
um  es  nachher  abzuschwächen.  Tägliche,  nicht  zu  häufige  Erregung  steigert  es. 
Erzeugung  des  einen  Kniephänomens  beeinflusst  die  des  andern  nicht 

Jede  willkürliche  Bewegung  (schon  blosses  Lachen,  Phonation  etc.)  verstärkt 
das  Kniephänomen  beiderseits  für  längere  Zeit,  ebenso  auch  ein  auf  ein  bewegungs- 
unfähiges oder  amputirtes  Glied  gerichteter  Willensimpuls.  Fortgesetzt  starke  will- 
kürliche Bewegung  schwächt  es  schliesslich. 

Zum  Zustandekommen  des  Kniephänomens  genügt  dasjenige  Maass  von  Spannung, 
das  auch  der  ganz  erschlaffte  Muskel  hat  (gegen  Jendrässik,  Gowers  u.  A.; 
doch  sei  hiergegen  der  Einwand  möglich,  dass  der  Hammerschlag  selbst  zugleich  mit 
der  Reizung  auch  den  Muskeltonus  direct  verändere).  Massige  passive  Spannung 
des  Quadrieeps  begünstigt,  extreme  hebt  das  Kniephänomen  auf.  Auch  willkürliche, 
schwache  Innervation  des  N.  cruralis  steigert  es,  starke  hebt  es  auf.  Innervation 
des  K.  ischiadicus  steigert  es  stets. 

Berührungs-  und  Gtoschmacks-Empfindungen  beeinflussen  das  Phänomen  nicht, 
Schmerz,  plötzliche  schmerzhafte  Application  von  Kälte  oder  Wärme,  faradische  oder 
galvanische  Ströme  an  beliebigen  Körpertheilen,  blendendes  Licht  steigern  es;  Druck 
auf  den  N.  ischiadicus  schwächt  es,  dlrecte  elektrische  Reizung  desselben  steigert  es. 


—    201     — 

Galyanisatioii  des  Kopfes  steigert  das  Phänomen  ausserordenüich  (bei  polarer  Gal- 
Tuiisatioii  namentlich  der  negative  Pol),  ebenso  anch  Galvanisation  des  Eückenmarks 
(namentlicli  in  aufsteigender  Bichtong).  Starke  Galvanisation  des  Kopfes  zusammen 
mit  starken  willkürlichen  Bewegungen  wirkt  so  sehr  verstärkend,  dass  auch  ein  Schlag 
auf  die  Tibia  zur  Hervorbringung  der  Quadricepscontraction  genflgt. 

Da  Hautreflexe  durch  willkürliche  Muskelaction  und  Schmerzempfindung  nicht 
beeinflnsst  werden,  hingegen  Muskelphänomene  von  unzweifelhaft  nicht-reflectorischem 
Charakter  bei  mechanischer  Beizung  ganz  ebenso  wie  das  Kniephänomen  von  gleich- 
zeitigen willkürlichen  Muskelactionen  etc.  modiflcirt  werden,  so  schliessen  die  Verff., 
dass  das  Eniephänomen  auf  directer,  nicht-reflectorischer  Muskelreizung  beruhe.  Von 
andern  Muskelphänomenen  unterscheidet  es  sich  nur  dadurch,  dass  zu  seinem  Zu- 
standekommen ein  gewisser  Tonus  des  Muskels  und  daher  der  Zusammenbang  mit 
dem  Rückenmark  mittelst  des  N.  omralis  erforderlich  ist 

Durch  den  Beiz  elektrischer  Ströme  ausgelöste  Muskelcontractionen  blieben  bei 
allen  Versuchen  unbeeinflusst. 

Die  Verff.  vermuthen,  dass  die  Steigerung  des  Eniephänomens  durch  motorische 
Äction  und  sensible  Beize  auf  einem  gewissen  „Ueberfliessen"  (overflow)  einer  ner- 
vösen Erregung  auf  das  ganze  centrale  Nervensystem  beruht         Th.  Ziehen. 


3)  De  la  tröpldation  öpileptolde  provoquöe,  par  J.  Delom-Sorb^.  Bor- 
deaux 1885. 

Der  Verf.,  der  unter  der  Leitung  von  Pitres  arbeitete,  defiuirt  die  trepidation 
epileptolde  als  das  Phänomen  rythmischer  Muskelzuckungen  in  Folge  künstlicher 
Dehnung  der  entsprechenden  Muskeln.  In  historischer  Beziehung  betont  er  die 
Priorität  der  Charcot-Vulpian'schen  Beobachtung  des  Pussklonus  (1862).  Verf. 
betrachtet  jede  trepidation  Epileptolde  provoquöe,  die  er  streng  von  einer  Epilepsie 
spinale  spontauEe  unterscheidet,  als  pathologisch.  Die  folgenden  Untersuchungen 
beziehen  sich  namentlich  auf  das  „epileptolde  Zittern"  des  Fusses,  den  Fussclonus. 
Neu  schildert  er  ein  dem  Fussclonus  entsprechendes  Phänomen  des  M.  pectoralis 
major,  das  in  2  Fällen  von  fiävre  typhoide,  einmal  durch  brüske,  länger  unterhaltene 
Spannung,  das  andere  Mal  nur  durch  einen  Schlag  auf  den  gespannten  Muskel  zu 
erzeugen  war. 

Die  trEpidation  Epileptolde  zeigt  mit  grosser  Begelmässigkeit  5—8  Stösse  in 
der  Secunde.  Von  den  zur  Unterbrechung  des  Fussclonus  angegebenen  Mitteln  er- 
wies sich  nur  Esmarch*sche  Einschnürung  (de  Fleury)  als  sicher  wirksam. 

Unter  den  klinischen  Beobachtungen  (21  zum  TheU  schon  anderwärts  geschil- 
derte Fälle)  ist  namentlich  eine  interessant,  wo  schon  11 7a  Stunden  nach  einer 
Apoplexie  (ähnlich  wie  in  2  Pitres'schen  Fällen)  Fussclonus  auftrat  Verf.  folgert 
daraus,  dass  derselbe  nicht  stets  auf  Seitenstrangsdegeneration  zu  beziehen  ist.  Unter 
den  Fällen  progressiver  Paralyse  neigen  namentlich  die  mit  markirter  Sprachstörung 
verbundenen  zu  Fussclonus.  Nach  starken  epileptischen  Anfallen  findet  sich  fast 
stets  Fussclonus,  bei  Paralysis  agitans  nur  in  2  unter  6  Fällen.  Bei  Hysterischen 
kündigt  er  functionelle  Contractur  an.  Doch  kommt  dem  epUeptoiden  Zittern  eine 
unzweideutige  klinische  Bedeutung  nicht  zu. 

Verf.  geht  dann  zur  physiologischen  Erklärung  speciell  des  Fussclonus  über. 
Er  leugnet  mit  Fleury  (der  übrigens  nicht,  wie  Verf.  meint,  der  erste  und  einzige 
war,  der  diese  Ansicht  aufstellte,  cf.  die  Arbeiten  von  Gowers,  Jendrässik  u.  A.) 
die  Gleichheit  des  Ursprungs  von  Fussclouus  und  Westpharschem  Kniephänomen. 
Mit  dem  Fussdonns  wäre  am  Knie  nur  der  Clonus  des  M.  quadriceps  beim  Herunter- 
zerren der  Kniescheibe  zu  vergleichen.  Weiterhin  schliesst  Verf.  aus  der  mitunter 
sehr  langen  Daner  des  Fussclonus  und  aus  seiner  Unterdrückbarkeit  durch  £smarch*sche 
Umschnürung  (bei  erhaltener  Sensibilität,  Motilität  und  erhaltenen  Sehnenreflexen) 


—    202    - 

auf  nicht-reflectoriscbe  Entstehung  des  FusscIodus.  Vielmehr  ist  der  Muskeltonos  so 
sehr  gesteigert,  dass  die  Zerrung  des  Muskels  schon  durch  die  blosse  Verl&ngening 
desselben  und  die  damit  verbundene  Erleichterung  der  Gontraction  eine  solche  aus- 
löst, ohne  dass  ein  directer  Reiz  durch  Erschütterung  noch  erforderlich  wäre.  Die 
Fortdauer  des  Clonus  nach  Loshissen  des  Fusses  beruht  auf  analoger  Th&tigkeit  des 
Antagonisten.  Bei  dem  durch  sensible  Hautreize  ausgelösten  Fussclonus  ist  allerdings 
die  erste  Gontraction  reflectorisch,  der  weitere  Glonns  aber  beruht  wiedemm  auf 
gegenseitiger  Reizung  der  sich  zerrenden  Antagonisten.  Im  Ganzen  stellt  Verf.  seine 
Erklärung  der  tröpidation  ^pileptolde  als  eine  Ergänzung  und  Modification  der 
Westpharschen  hin.  Th.  Ziehen. 


4)   Contributiozi  &  l'ötode  de  Taotion  physiologique  de  la  oooalne»  par  ie 

Dr.  Sighicelli.    (Archiv,  de  Biologie.  1885.  YII.  p.  128.) 

Verf.  hat  in  Prof.  Albertoni's  Laboratorium  zu  Bologna  die  physiologischen 
Eigenschaften  des  Gocalns  untersucht  und  ist  dabei  zu  einigen  bisher  nicht  genauei 
beobachteten  Resultaten  gelangt,  die  er  in  der  oben  erwähnten  Arbeit  bespricht 

1.  Man  erhält  regelmässig  eine  vollständige  Lähmung  aller  Muskeln,  die  den 
Augapfel  bewegen,  sobald  man  etwa  1  ccm  Gocalnlösung  (3  7o)  ^°  ^  ^^^  ®^^ 
Versuchsthieres  (Hund  oder  Kaninchen)  einträufelt.  Selbst  mit  starken  faradischen 
Strömen  lässt  sich  weder  durch  Reizung  des  Oculomotorius,  Abducens  und  Trochlearis, 
noch  durch  directe  Reizung  eine  Muskelzuckung  auf  der  cocalnisirten  Seite  hervor- 
rufen. Die  Unerregbarkeit  der  quergestreiften  Muskelfasern  durch  locale  Einwirkung 
des  Gocalns  lässt  sich  übrigens  auch  in  jedem  anderen  Muskel  demonstriren,  voraus- 
gesetzt, dass  derselbe  im  Verhältniss  zur  angewendeten  Gocalnlösung  ein  kleines 
Volumen  hat. 

2.  Einträufelung  von  Gocalnlösung  in  den  Bindehautsack  ruft  innerhalb  von 
10  Minuten  eine  beträchtliche  Mydriasis  hervor  und  zwar  durch  Lähmung  der  glatten 
Muskelelemente  der  Iris. 

3.  Dieselbe  locale  Wirkung  des  Gocalns  lässt  sich  auch  an  den  glatten  Muskel- 
fasern der  Darmwand  zeigen.  Durch  Einspritzung  von  2  ccm  Gocalnlösung  in  eine 
Darmschlinge  wird  die  Muscularis  der  letzteren  unerregbar,  während  die  übrigen 
Darmpartien  prompt  auf  faradische  Reizung  reagiren.  Sommer. 


Pathologische  Anatomie. 

6)  Zur  Anatomie  des  Balkenmangela  im  Groashim,  von  G.  Anton.  (Zeitacbr. 
f.  Heilk.  Vn.  1.  S.  53.) 

A.  untersuchte  das  Qehim  eines  Tmonatl.  Fötus  (41  cm  lang,  1850  gr  schwer), 
das  ausser  Hydrocephalus  int.  vollständigen  Balkenmangel  zeigte;  die  Hemisphären 
erweisen  sich  ziemlich  symmetrisch,  die  linke  etwas  kürzer;  die  rechte  Hemisphäre 
zeigt  sich  sattelförmig  gegen  den  Lob.  occip.  abgegrenzt,  die  Fiss.  Sylvii  steil,  seicht 
und  kurz,  nur  eine  Inselwindung  vorhanden;  rudimentär  aber  deutlich  erkennbar 
die  Sulci  central.,  praecentr.,  interpariet.,  occipit  sup.  1  und  2,  tempor.  1.  Ausser 
dem  Balken  fehlt  auch  die  Gommissura  ant.  und  die  Gommissur  der  Fomixsysteme, 
die  Blätter  des  Sept.  pellucid.  sind  spurweise  vorhanden.  Entsprechend  dem  Beginn 
des  Gyrus  fomic.  und  mit  dem  Tubercul.  olfact  zusammenhängend  findet  sich  eine 
gracile  rundliche  l^/j  cm  lange  Winduug,  welche  nach  oben  sich  spindelförmig  zu- 
spitzend als  Fortsetzung  entUng  der  transversalen  Himspalte  einen  schmalen  Ftaerzag 
hat,  der  sich  später  mit  den  Fomixbündeln  verbindet  und  im  oberen  Theil  der  Fascia 
dentata   verschwindet.     Die  Windung   entspricht   offenbar   einem  Anfange  des  Gyru? 


—    203    — 

fornicatus,  die  Fortsetzung  dem  Nerv.  Lancisii,  wodurch  Meynert's  Lehre  von  den 
Beziehungen  des  N.  LancisU  zum  Geruchesystem  bestätigt  erscheint.  (Details  be- 
züglich der  Sulci  der  medialen  Flache  siehe  im  Original.     Ref.) 

Die  mikroskopische  Untersuchung  der  linken  Hemisphäre  zeigte  die  Markent- 
wickelung etwa  entsprechend  der  von  Flechsig  für  45  cm  lange  Föten  beschrie- 
benen; die  btbidelförmige  Einstrahlung  der  deutlich  markhaltigen  Fasern  des  äusseren 
Drittels  des  Hirnschenk^usses  in  den  Luys'schen  Körper  war  deutlich  nachweisbar, 
ebenso  die  Fasern  aus  diesem  Ganglion  in  das  innere  Linsenkemglied;  eine  Com- 
missura  ant.  konnte  nicht  nachgewiesen  werden.  In  der  Med.  obl.  erweist  sich  die 
rechte  Pyramidenbahn  als  bedeutend  stärker  wie  die  linke,  was  sich  im  Ualsmark 
als  fast  völliger  Mangel  der  linken  Pyramidenvorderstrangbahn  darstellt,  bei  nahezu 
symmetrischen  Pyramidenseitenstrangbahnen;  ob  dies  Verhalten  durch  centralen  Defect 
bedingt  war,  konnte  wegen  Läsion  der  linken  Hemisphäre  nicht  festgesteUt  werden. 

Mit  Bücksicht  auf  die  fehlenden  Commissuren  der  Hemisphären  ist  A.  geneigt, 
die  ihre  Entwickelung  hemmende  Einwirkung  in  die  Zeit  vor  dem  4.  Monate  zu 
verlegen,  und  den  Hydrocephalus  als  deren  Ursache  anzusehen.  A.  Pick. 


Pathologie  des  Nervensystems. 

0)  Heber  Himsyphilis  und  deren  Looalisation,  von  Prof.  Dr.  M.  Rosenthal 
in  Wien.     (D.  Arch.  f.  klin.  Med.  38.  III.  S.  263  -  284.) 

Solche  Fälle  von  Himsyphilis,  welche  sich  auf  ein  bestimmtes  Gebiet  beschränken, 
also  Herderkrankungen  sind,  vermögen  häufig  durch  die  intra  vitam  beobachteten 
Symptome  Ober  die  Function  der  betrofifenen  Centralstellen  Aufschluss  zu  geben. 

So  ist  B.  durch  seine  diesbezüglichen  Beobachtungen  in  der  Lage,  die  schon 
von  Physiologen  constatirte  Thatsache  zu  bestätigen,  dass  die  vordersten  Himpartien 
weder  mit  motorischen  noch  mit  sensiblen  Nervenbahnen  etwas  zu  thun  haben;  da, 
wo  sensible  Störungen  wie  halbseitige  Supra-  und  Infraorbital-Neuralgie,  Empfindlich- 
)(eit  der  Stirn  gegen  Druck  und  Percussion,  umschriebene  Hauhtyperalgesie,  die  später 
in  Anästhesie  übei^eht,  auftreten,  handelt  es  sich  jedesmal  um  eine  Affection  der 
vom  Quintns  versorgten  Dura  mater. 

Geht  dagegen  ein  entzündlicher  Process  etc.  auf  die  Centralwindungen  über,  so 
treten  sofort  motorische  und  mit  diesen  zugleich  sensible  Störungen  auf.  Die  Be* 
bauptung  vieler  Autoren,  dass  die  Centralstellen  für  Motilität  und  Sensibilität  in 
den  Centralwindungen  zusammenfallen,  hat  zwar  noch  ebenbürtige  Gegner  wie  Char- 
cot,  Pitres,  Ferrier,  aber  Verf.  muss  sich  nach  seinen  Beobachtungen  —  hier 
werden  2  Krankengeschichten  mit  Sectionsbefund  angeführt  —  auch  zu  der  An- 
schauung von  Goltz,  Exner,  Munk,  Moeli,  Wernicke,  Flechsig  u.  a.  m. 
bekennen. 

Was  nnn  femer  die  Grosshimganglien  anlangt,  so  steht  es  fest,  dass  Corpus 
striatum,  Nuclens  lentifonnis  etc.  zu  den  Pyramidenbahnen  in  keiner  Beziehung 
^hen.  Fälle,  in  denen  man  bei  Aifection  derselben  Lähmungen  fand,  sind  durch 
^ckwirknngen  auf  die  innere  Kapsel  zu  erklären.  Diese  Hemiplegien  pflegen  auch 
Allmählich  zu  entstehen  im  Gegensatz  zu  den  unmittelbaren  Insulten  der  inneren 
Kapsel.  — 

Klinische  und  pathologische  Beobachtungen  von  Kahler  und  Pick,  Wernicke 
^^d  Hutchinson  sprechen  für  die  bereits  von  namhaften  Physiologen  experimentell 
^abgewiesene  Centralstelle  für  Accommodation  und  Augenbewegung  am  Boden  des 
^n.  Ventrikels.  Danach  hat  es  der  vordere  Theil  des  Oculomotoriuskems  hauptsäch- 
lich mit  der  Accommodation  und  Iriscontraction  zu  thun,  vom  mittleren  wird  der 
Hectus  internus  und  inferior  und  vom  hinteren  Rectns  superior,  Obliquus  inferior  und 


—    204    — 

Leyator  pa1pel>rae  snperioris  versorgt.  Bemwkenswerih  ist,  dass  Hnicbinson  unter 
17  Fällen  lOmal  mehr  oder  minder  sieber  Syphilis  nachweisen  konnte.  Verf.  selbst  weiss 
neben  einigen  rein  cerebralen  Formen  von  10  Fällen  von  Ophthalmoplegie  in  Folge 
von  Affection  des  Ocnlomotoriuskems  zu  berichten,  die  znr  gleichzeitigen  Tabes  in 
Beziehung  standen.  Und  zwar  traten  die  Augensymptome  im  Initialstadinm  der 
Tabes  auf,  einige  Male  complicirt  mit  Trigeminus-Neuralgien,  die  Verf.  aus  einer 
Verbindung  des  hinteren  Theils  des  Oculomotoriuskems  mit  der  absteigenden  sensiblen 
Wurzel  des  Quintus  erklärt.  Unter  den  10  Fällen  war  bei  dreien  Syphilis  voraus- 
gegangen. Sperling. 


7)  Des  syphilomes  de  Teno^hale,  par  J.  Luys.    (L'Encephale.  1886.  L) 

Während  die  Gummata  des  Gehirns  allgemein  bekannt  sind,  hat  L.  sich  be* 
müht,  die  ersten  Anfänge  syphilitischer  Himerkrankung  zu  erkennen  und  die  speci- 
fische  Natur  der  gefundenen  Veränderungen  zu  erweisen.  Dem  sozusagen  embryonalen 
Zustand  der  Gebilde,  aus  denen  sich  später  Gummata  entwickeln,  will  L.  in  ganz 
leichten  punktförmigen  Sclerositäten  gefunden  haben,  und  zwar  habe  er  sie  mehr  durch 
das  Gefühl,  als  durch  das  Auge,  bei  alten  Leuten,  die  im  Verdacht  früherer  Syphilis 
standen,  entdeckt.  Der  Hauptsitz  dieser  punktförmigen  Läsionen  sollen  Bulbus  und 
Pens  sein.  In  einer  Section  ist  es  L.  gelungen,  alle  Uebergangsstadien  von  der 
feinen  punktförmigen  Sderose  bis  zum  fertigen  Gumma  vereinigt  zu  finden. 

Zander. 


8)  Aurftl   and  nenrous  Symptoms   of  soooxidary  BsrphiliB»  by   Blake   and 

Walton,  Boston.    (Sep.-Abdr.) 

An  der  Hand  zweier  Fälle  weisen  die  Verff.  auf  die  secundäre  Natur  mancher 
nervösen  Symptome  der  Syphilis  hin.  Die  letzteren  bestanden  im  ersten  Fall  in 
grosser  Reizbarkeit,  Schlaflosigkeit  und  falschem  Hören  der  musikalischen  Töne  auf 
dem  linken  Ohr  (bei  einem  Musiker),  im  zweiten  in  Amblyopie,  Schwindel,  schwankendem 
Gang,  Klingen  und  Schwerhörigkeit  des  linken  Ohres  (ohne  Mittelohrerkrankung). 
Jodquecksilberbehandlung  beseitigte  die  Symptome  in  beiden  Fällen. 

Th.  Ziehen. 

9)  Myelitis  acuta  disseminata»  von  Prof.  Dr.  B.  Küssner  und  Dr.  F.  Brösln 

in  HaUe  a./S.     (Arch.  f.  Psych,  etc.  1886.  Bd.  XVII.  H.  1.) 

Ein  24jähriger  sonst  gesunder  Mann  —  Schriftsetzer  —  wurde  ohne  bekannte 
Ursache  im  Lauf  weniger  Tage  von  Lähmung  der  Blase  und  der  unteren  Extremi- 
täten befallen;  bald  stellten  sich  Fiebererscheinnngen  ein.  8  Tage  nach  dem  Beginn 
constatirte  man  vollständige  schlaffe  Lähmung  der  unteren,  leichte  motorische  Schwäche 
der  oberen  Extremitäten,  Lähmung  der  Sphinkteren,  absolute  Anästhesie  der  unteren 
Körperhälfte  bis  zum  Niveau  des  12.  Brustwirbels  und  der  untersten  Bippen,  Fehlen 
der  Haut-  und  Sehnenreflexe  an  den  unteren  Extremitäten,  faradische  Reaction  der 
Nerven  und  Muskeln  erhalten.  Bald  Blasencatarrh,  Decubitus  auf  dem  Os  sacrum, 
Gangrän  der  Haut  und  Erysipel  an  Genitalien  und  Oberschenkeln,  continuirliches 
hohes  Fieber.     Tod  24  Tage  nach  dem  Beginn. 

Bei  der  Obduction  fand  sich  ein  intra  vitam  nicht  nachzuweisender  Herz- 
fehler (Verwachsung  zweier  Aortaklappen),  Embolie  der  Lungenarterien,  eitriger 
Blasencatarrh,  Pyelonephritis. 

Zum  Theil  schon  die  makroskopische,  genauer  aber  die  mikroskopische  Unter- 
suchung des  Rückenmarks  Hess  eine  Myelitis  constatiren,  die  sich  durch  Vor- 
handensein einer  grossen  Zahl  von  Krankheitsherden  hauptsächlich  im  Brust- 


—    205    — 

mark  kennzeicbnete.  Dieselben  standen  im  mittleren  Brnstmark  äosserst  dicht»  er- 
streckten sich  in  abnehmender  Zahl  bis  zam  mittleren  Halsmark  aufwärts,  bis  zum 
mittleren  Lendenmark  abwärts.  Die  genauere  Untersuchung  liess  eine  Beziehung 
derselben  zum  Gefäassystem  erkennen,  in  dem  gewöhnlich  das  Gentrum  eines 
aolchem  Herdes  durch  ein  Gefäss  dargestellt  wurde. 

Ansaerdem  fand  sich  eine  fortlaufende  Degeneration  in  den  Hinter- 
strängen des  Halsmarks  und  obersten  Dorsalmarks  —  jedenfalls  an  Umfang  das 
tiebiet  der  sog.  Goll'schen  Stränge  übertreffend,  und  eine  die  peripherischen  Ab- 
schnitte beider  Seitenstränge  des  unteren  Dorsal-  und  Lendenmarkes 
einnehmende  Erkrankung. 

Dieee  fortlaufenden  Strangerkrankungen  werden  von  den  Verff.  als  secundäre 
')egeneration  aufgefasst.  Die  Herde  selbst  sind  als  acute  Entzündungen  zu  be- 
zeichnen; in  der  That  entpsrechen  die  histologischen  Details  durchaus  dem,  was  von 
acut-:nyeliiischen  Veränderungen  sonst  bekannt  ist.  Eine  Form  grosser  Zellen  in 
den  Borden,  die  von  anderen  Autoren  schon  erwähnt  ist,  wird  von  den  Verff.  mit 
unbestreitbarem  Recht  als  Fettkömchenkugeln  bezeichnet. 

Bezüglich  der  Krankheitsursache  denken  die  Verff.  in  erster  Linie  an  einen 
infectiösen  Ursprung.  Eisenlohr. 


10)   Une    Observation   de   maladie   de   Thomson,  par   Pitres   et  Dallidet. 
(Arch.  de  Neurol.  1885.  X.  p.  201.) 

25j&hriger  Fabrikant,  dessen  Mutter  als  junges  Mädchen  anscheinend  eine  Zeit 
lang  an  Muskelrigidität  bei  intendirten  Bewegungen  gelitten  und  von  dem  einige 
nach  der  Mutter  geartete  Geschwister  ebenfalls  Symptome  der  Krankheit  zeigen.  In 
der  frühen  Jugend  bereits  scheint  die  Krankheit  ganz  allmählich  aufgetreten  zu  sein. 
Mit  22  Jahren  machte  die  Krankheit  rasche  Fortschritte,  besonders  in  der  kalten 
Jahreszeit  waren  die  Störungen  der  Bewegung  unangenehm.  Status  im  Jahre  1884: 
Die  Volumina  der  willkürlichen  Muskeln  sind  vermehrt,  die  Glieder  sind  kurz  und 
dick,  auch  die  Bumpfmuskeln  sind  dicker  als  normal,  ebenso  die  des  Halses.  Wenn 
die  Muskeln  sich  in  Buhe  befinden,  haben  sie  die  gewöhnliche  elastische  Consistenz, 
contrahirt  sind  sie  hart  wie  Holz,  dabei  beulig  und  unregelmässig  knotig  anzufühlen. 
Die  mit  dem  Dynamometer  gemessene  Kraft  erschien  geringer,  als  zu  erwarten  war. 
l>ie  elektrische  Erregbarkeit  war  im  Ganzen  normal.  Jedesmal,  wenn  der  Kranke 
eine  Bewegung  ausführen  will,  verspürt  er  in  den  botreffenden  Muskeln  eine  Hem- 
mung, eine  Härte,  welche  die  Bewegung  langsam  und  mühsam  macht.  Wird  die 
Bewegung  wiederholt,  so  verliert  sich  die  Spannung  allmählich.  Auffallend  war,  dass 
beim  Händedruck  z.  B.  der  Schlnss  der  Hand  rasch  vor  sich  ging,  aber  das  Los- 
lassen behindert  war.  Die  Verff.  zeichneten  mit  dem  Registrirapparat  interessante 
Bilder  der  Vorgänge  an  den  Muskeln.  —  Die  Kälte  vermehrt  die  Mnskelrigidität, 
boi  den  Ctesichtsmuskeln  bis  zu  krampfhaft  contracturirter  Grimassenstellung  und 
Sprachbehinderung.  Die  Furcht,  auffallig  zu  werden,  vermehrt  die  Erscheinungen, 
auch  andere  Gemüthsbewegungen.  Wenn  der  Kranke  ermüdet  und  echauffirt  ist, 
sind  die  Bewegungen  freier.  —  Sensibilität  intact;  Sehnenreflexe,  innere  Organe  etc. 
normal.     Intelligenz  gut.  Siemens. 


11)  IJn   oaso   dl   leucodermia   ereditaria,   pel   prof.  Seppilli.     (Archlvio    di 
psichiatria,  scienze  pen.  ecc.  1886.  VII.  p.  83.) 

Ein  iTjähiiger  Tischler  wurde  am  26.  Juni  1885  wegen  Tobsucht  in  die  Irren- 
anstalt zu  Imola  aufgenommen  und  in  den  ersten  Tagen  des  September  als  genesen 
ootlassen.     im  Uebrigen   ohne  Abnormität   im    Körper-  oder  Schädelbau  bot  er  eine 


—    206    ^ 

eigenthümlicbe  fleckweise  Yerfarbang  der  Haut  and  der  Haare  dar.  In  der  Mediaii- 
linie  der  Stirn  fand  sich  zunächst  ein  4  cm  breiter  Streifen,  der  sich  von  dem  Bande 
des  Haarwuchses  bis  in  die  Gegend  der  Kranznaht  erstreckte  und  dessen  weisae 
wachsglänzende  Haut  von  silberweissen  Haaren  dicht  besetzt  war.  Auf  dem  Körper 
fanden  sich  dagegen  sehr  zahlreiche  rundliche  Flecken  von  dunkler  Hantpigmentirun^, 
1 — 2  cm  im  Durchmesser;  dieselben  confluirten  z.  Th.  auf  der  Vorderseite  des  Halses, 
der  beiden  Schultern,  in  beiden  Ellbeugen,  auf  dem  linken  Vorderarm,  im  linkeu 
Hypochondrium,  in  der  linken  Kniebeuge,  und  auf  dem  äusseren  unteren  Drittel  des 
rechten  Oberschenkels.  Sehr  ausgedehnte  Pigraentirungen  zeigten  sich  noch  zusammen- 
hängend in  der  rechten  Lumbal-Glutaeal-Inguinal-Gegend  und  auf  der  Innenseite  den 
linken  Oberschenkels,  lieber  allen  Flecken  war  die  Sensibilität  normal;  die  Flecken 
selbst  waren  angeboren. 

Es  handelt  sich  also  um  einen  seltenen  Fall  von  congenitaler  Ijeucodermie  und 
gleichzeitiger  Melanodermie  anderer  Hantpartien  bei  einem  psjchopathischen  Indi- 
viduum. Besonders  erwähnenswerth  ist  aber  das  erbliche  Auftreten  des  weissen 
Haarschopfes.  In  dem  nachfolgenden  Stammbaum  sind  die  Träger  des  letzteren 
durch  fetten  Druck  der  Qeschlechtsbezeichnung  angedeutet. 

Urgrossvater? 


w 

w             w 

M 

M 

M       W 

IflL           M           nL        m.       M 

M 

M 

M          W    W 

fla     ^n      M      VL 

MW      M     W     M     W 

Sommer. 

(Patient.) 


12)  Due  casi  di  lesioni  dei  pedunooli  oerebrali,  pel  dott.  B.  Roscioli.    (II 
Manicomio.  1885.  Nov.  p.  305—319.) 

Verf.  beschreibt  2  Fälle  von  capillarer  Hämorrhagie  in  der  Substanz  des  Him- 
schenkelfusses. 

1)  Mann,  69  J.,  seit  fast  20  J.  wegen  secundärem  Blödsinn  in  der  Irrenanstalt 
zu  Nocera,  wurde  ohne  bekannte  Veranlassung  am  28.  October  von  einem  apoplecti- 
formen  Anfall  mit  zurückbleibender  Hemiparese  und  Contractur  der  rechtsseitigen 
Extremitäten  ergriffen.  Nach  scheinbarer  Besserung  trat  am  30.  dess.  Mon.  ein 
neuer  Anfall  ein,  der  die  Lähmung  und  die  Contractur  wieder  verschlinunerte;  Pu- 
pillen eng  und  nicht  reagirend;  die  Augenbewegungen  waren  ungestört,  während 
Pat.  bis  zum  Tode  am  2.  Nov.  nicht  wieder  zur  Besinnung  kam,  so  dass  die  Sensi- 
bilität nicht  untersucht  werden  konnte.  Auffidlig  war  der  eigenthümliche  Verlauf 
der  Kopftemperatur,  die  regelmässig  um  1 — 2^  niedriger  war,  als  die  Achselböhleo- 
wärme,  die  aber  zwischen  rechter  und  linker  Kopfhälfte  wesentlich  verschieden  war, 
so  dass  anfänglich  auf  der  der  Lähmung  entgegengesetzten  Seite  die  Temperatur 
fast  1  "  niedriger  war,  während  sie  mit  dem  3.  Tage,  vielleicht  mit  dem  Eintritt 
der  reactiven  Irritation,  um  1^  höher  wurde. 

Die  Section  ergab  eine  capillare  Hämorrhagie  von  10  mm  Länge  und  4  mm 
Tiefe  im  lateralen  Theil  des  linken  Himschenkelfusses,  etwa  1  cm  von  seinem  Aus- 
tritt aus  der  Brücke  beginnend;  ausserdem  Herzhypertrophie  und  allgemeines  Atherom. 

Nach  den  bisherigen  Erfahrungen  hätte  man  den  Sitz  der  Läsion,  wenn  über- 
haupt, dann  im  medianen  Abschnitt  des  Himschenkelfusses,  in  dem  bekanntlich 
motorische  Fasern  verlaufen,  vermuthen  müssen.  Die  3  Hypothesen,  durch  die  Verf. 
den  Widerspruch  zwischen  den  klinischen  und  den  anatomischen  Befunden  zu  er- 
klären versucht,  müssen  im  Original  nachgesehen  werden. 

2)  Mann,  54  J.,  vielfach  bestraft  und  sehr  leidenschaftlich,  mannigfache  Kx- 
ceese  in  potu  et  Venere;  im  April  1883  erlitt  er  augeblich  bei  einem  Einbruch  eine 
Verletzung   mit  Ausreissung  des   einen  Hodens  und  nachträglicher  Ezstirpation  des 


—    207    — 

anderen  Hodens,  vielleieht  aber  yerstOmmelte  er  sich  selbst  in  einem  (unbeobachtet 
gebliebenen)  ersten  Anfall  psychischer  Epilepsie  (?).  Jedenfalls  erfolgte  der  erste 
Krampfanfall,  der  bekannt  geworden  ist,  im  Mai  1883  und  seitdem  wiederholten  sich 
ähnliche  Anfälle  und  Aequivalente.  Im  Juli  1884  erfolgte  wegen  der  letzteren  und 
wegen  der  inzwischen  hochgradig  gewordenen  geistigen  Schwäche  mit  leichter  Sprach- 
ätömng  seine  Auftiahme  in  die  Irrenanstalt.  Am  24.  Nov.  trat  hier  der  erste  epi- 
leptische Anfall  mit  nachfolgender  tiefer  Benommenheit  und  Unruhe  ein,  Erscheinungen, 
die  in  wechselnder  Intensit&t  ohne  Fieber  bis  zum  27.  Nov.  anhielten.  An  diesem 
Tage  zeigte  sich  ein  apoplectiformer  Anfall  mit  rechtsseitiger  Hemiplegie  und  links- 
seitiger Facialislähmung;  dabei  bestand  allgemeine  Anästhesie,  Beugung  des  Kopfes 
nach  rechts  und  linksseitige  Mjose,  aber  keine  Deviation  der  Augen.  Am  nächsten 
Tage  stellten  sich  clonische  Zuckungen  in  den  gelähmten  Muskeln  ein  und  während 
die  Facialisparalyse  schwand,  bildete  sich  eine  Contractur  der  Nackenmuskelu  aus. 
Unter  steigender  Temperatur,  bei  der  wieder  auffallig  war,  dass  die  äussere  Kopf- 
temperator  links  vom  29.  Nov.  an  fast  1^  höher  war  als  rechts,  und  unter  dem 
Auftreten  mehrfacher  DecubitussteUen  an  den  gelähmten  Extremitäten  und  von  Oedem 
der  rechten  Hand  starb  Fat.  am  3.  Dec.  im  Coma. 

Die  Section  ergab  eine  Meningitis  besonders  über  dem  Vorderlappen  des  Gross- 
hims,  eine  hyperämische  Injection  des  Fusses  der  3.  linken  Stimwindung,  Oedem  des 
Kleinhirns  und  Oapillarapoplexien  in  der  weissen  Substanz,  hauptsächlich  im  medianen 
Abschnitt  des  linken  Grosshimschenkels,  die  bis  in  die  Capsula  interna  und  externa 
hineinreichten. 

Verf.  ist  geneigt,  die  epileptischen  Erscheinungen,  die  Geistesschwäche  und  die 
leichte  Sprachbehinderung  auf  die  Periencephalitis,  den  apoplectiformen  Anfall  aber 
mit  seinen  motorischen,  sensiblen  und  vasomotorisch-trophischen  Folgezuständen  auf 
die  rothe  Erweichung  des  Crus  cerebri  zu  beziehen.  Auffällig  ist  die  Nichtbetheiligung 
des  der  gelähmten  Seite  gegenflberliegenden  Oculomotorius. 

Im  vorliegenden  Fall  bestand  eine  gekreuzte  Fadalparalyse;  da  sich  dieselbe 
aber  sehr  schnell  zurflckbildete,  so  glaubt  Verf.,  sie  auf  eine  einfache  collateraie 
Gefässstörung  zurflckfflhren  zu  dürfen.  Sommer. 


13)  Ueber  ein  eigenthümliches  Sputum  bei  Hyaterisohen,  von  E.  Wagner. 
(Deutsches  Arch.  f.  klin.  Med.  Bd.  38.  H.  III.  S.  193^198.) 

Bas  vom  Verf.  in  sechs  Fällen  bei  Hysterischen  beobachtete  Sputum,  welches 
Wochen  und  Monate  lang  neben  den  Allgemeinsymptomen  das  auffiallendste  Krankheits- 
zeichen  bilden  kann,  gleicht  einem  „r&thlichen  oder  rothen  dünnen  Brei,  in  dem 
zahlreiche  kleinste  graue  Partikeln  den  Grund  bedecken".  Einmal  glich  das  Sputum 
einem  dünnen  Himbeergel^e.  Ausser  verhältmssmässig  wenig  rothen  Blutkörperchen 
findet  man  mikroskopisch  darin  zahlreiche  Eiterkörperchen,  Fflasterepithelien,  Kokken 
und  Bacterien,  aber  keine  dem  Larynx  oder  der  Lunge  angehörige  Zellen.  In  einem 
Falle  entdeckte  man  auch  Trichomonas  vaginalis  ähnliche  Gebilde,  in  einem  andern 
TuberkelbaciUen. 

Das  Sputum  wird  nicht  durch  Räuspern,  sondern  durch  wirkliches  Husten  ent- 
leert, und  zwar  vorzugsweise  Nachts  und  Morgens.  Ueber  die  Herkunft  und  Bildung»- 
Ursache  ist  nichts  Sicheres  zu  sagen;  jedoch  ist  die  Annahme  einer  Stomatitis  ver- 
bunden mit  kleinsten  Blutungen  in  solchen  Fällen  nach  Verf.  Meinung  das  Wahr- 
scheinlichste. Sperling. 

14)  Sanitäts- Bericht  über  die  deutschen  Heere  im  Kriege  gegen  Frank- 
reich   1870/71.      Vn.   Band:    Erkrankungen    des    HerventysteniB. 

Herausgegeben   von  der  Militär-Medizinal-Abtheilung   des   konigl.    preuss. 


—    208    — 

KriegsmiDisteriams  mitor  Müirirkang  der  betraffinden  bajrisc^en, 
sächsiseheD  und  württembergiBchen  Behörden.  (Beriin  1885.  Ernst 
Siegfr.  Mitüer  A  Sohn.)  —  [Fortsetzmig.] 

Unter  dem  Kamen:   „TrwunaJ^äche  BeflexUUmrang**  werden  in  dem  IBnche 
gewiflse  sensible  oder  motorische  Lähmungen  Terstanden,  die  in  einem  vom  ursprüng- 
lichen Verletzungsorte  entfernten  Nervengebiete  entstehen:  so  z.  B.  Panüysis  agitans 
der   ganzen   linken   Seite  nach  einem  Stich  in  die  rechte  Schulter  oder  nach  einem 
Schasse   quer   Aber  den   Bficken  mit  Yerletznng  der  Lendenwirbels&ale!  —  Beflex- 
Aphasie  dorch  Hjpogiossnskrampf,  später  Stottern.    Ebenso  sind  Kenralgien   er- 
wähnt, die  in  sensiblen  Nervengebieten  sich  localisirten,  welche  mit  den  nrsprOnglich 
-verletzten  Nerven  nichts  zu  thon  hatten.  —  Die  meisten  dieser  reflectoriseh  erzeugten 
Neoropathien  heilten  ziemlich  rasch.     Wohl  unterschieden  von  den  Beflexlahmnngen 
werden   diejenigen   Läsionen,   welche  nach   längerem  Bestände  und  in  den  späteren 
Stadien   der  peripherischen   Nervenverletzongen   nicht  plötzlich,   sondern  allmählich 
entstehen,   auch   nach   Heilung  der  ursprflnglichen  Wunde  und  der  am  getroffenen 
Gliede  bewirkten  Nervenstörung  selbstständig  fortdauern  und  unverändert  bleiben  oder 
langsam  heilen.    Dieselben  werden  „secundäre  traumatische  Lähmungen"  ge- 
nannt und  fast  durchgehends  als  Fälle  von  „ascendirender  Neuritis"  gedeutet 
Ich   erwähne  unter  den  19  mitgetheilten  Fällen:    1)  Eine  mehrere  Tage  nach  Yer- 
Wandung  des  rechten  Fersenbeins  entstandene  Lähmung  des  linken  Armes.     2)  Eine 
Schussverletzung  des  rechten  Ischiadicus,  nach  deren  Wundheilung  nearitische  Symp- 
tome in  diesem  Nerven,  später  Parese  sämmtlicher  Extremitäten  mit  vasomotorisch- 
trophischen  Störungen  eintraten.    3)  Eine  Granatverletzung  des  linken  UnterschenkelB; 
6  Jahre  später  Parese  des  linken  Armes,  Atrophie  des  Deltoideus  und  der  Hand- 
muskeln. — 

Einer  Aufzählung  der  tramnatiBOhen  laäsionen  der  motorischen  und  sensiblen 
Bahnen,  die  bedingt  waren  durch  directen  Druck  von  Fremdkörpern  oder  durcb 
Krflckendruck,  folgen  die  nervösen  Störungen  nach  Verletzung  der  Wirbel- 
säule und  des  Bückenmarks.  Es  sind  66  solcher  Fälle  tabellarisch  geordnet, 
welche  die  bekannten  Erscheinungen  der  Bückenmarks-Erschütterung,  Bückenmarks- 
Compression,   der   spinalen   Meningitis  und  der  Halbseiten-Läsion  darboten  und,  wie 

es  ja  die  Begel,  zumeist  in  Heilung  oder  in  wesentliche  Besserung  fibergingen. 

(Fortsetzung  folgt.) 


Psychiatrie. 

16)    On  the  alleged  fragility  of  the'bohes  of  general  paralytics,   by  T. 

Christian.     (Joum.  of  ment.  science.  1886.  L) 

Verf.  erklärt  sich  in  seiner  Arbeit  gegenüber  der  von  Foville  (Annales  med. 
psych.  1880)  vertheidigten  Ansicht  dafür,  dass  bei  den  Paralytikern  die  Brüchigkeit 
der  Knochen  durch  ihre  Gehimerkrankung  keineswegs  vermehrt  sei.  Directe  mikro- 
skopische Yergleichungen  der  Knochen  von  Paralytikern  und  anderen  Geisteskranken 
ergaben  negatives  Besultat,  doch  sind  dieselben  noch  nicht  genügend  zahlreich  aas- 
geführt.  Die  Coexistenz  zwischen  Psychose  und  Osteomalacie  zugegeben,  so  existiren 
doch  nicht  genügende  Beobachtungen,  welche  den  Causalnexus  zwischen  beiden  ansser 
Zweifel  stellen.  Gudden  constatirte  bei  100  Autopsien  (50  M.,  50  W.)  in  16  Fällen 
Bippenfracturen,  14  bei  M.,  2  bei  W.  und  davon  waren  8  Paralytiker,  während  Verf. 
in  einer  15jähr.  Praxis  nur  4  Fälle  sah,  und  zwar  waren  in  diesen  äussere  Traumen 
zweifellos  vorhanden.  Verf.  bestreitet  die  Beweiskraft  einer  post  mortem  Statistik, 
da  die  Fracturen  doch  schon  vor  dem  Eintritt  in  die  Ansialt  oder  gar  vor  der 
geistigen  Erkrankung  entstanden  sein  möchten,  oft  aber  äusserer  Gewalt  ihren  Ur- 
sprung verdanken.     Das  Hauptgewicht  aber  legt  Verf.  darauf,  dass  es  bei  aller  Sor^:- 


—    209    — 

faii  unmöglich  sei,  den  Paralytiker  vor  dem  Fallen  su  bewahren  und  daraus,  nicht 
aus  bestehender  Osteomalacie,  seien  die  Fracturen  der  Kippen  erklärlich. 

Zander. 

16)  Auditory  halluoination  in  a  deaf  mute»  by  Dr.  Stearns.    (Report  of  the 

Hartford  Betreat  1884,  refer.  im  Joum.  of  nervous  and  mental  disease  1885. 
X.  p.  574.) 

Eine  seit  ihrem  fOnften  Lebensjahr  in  Folge  von  Scarlatina  tanb  und  dann 
stumm  gewordene  Dame,  die  geistig  sehr  gat  veranlagt  gewesen  sein  soll,  wurde  im 
40.  Lebensjahre  auffallend  dick,  abweisend,  reizbar  und  bald  so  aufgeregt,  dass  sie 
einer  Irrenanstalt  übergeben  werden  musste.  Hier  stellte  sich  heraus,  dass  Patientin 
lebhaft  haliucinirte,  indem  sie  Stimmen  aus  der  Gegend  über  ihrem  Kopfe  zu  ver- 
nehmen glaubte.  Es  trat  zwar  Genesung  ein,  doch  wiederholten  sich  später  ähnliche 
Anfalle  tobsüchtiger  Erregung  und  Verwirrtheit  auf  Grund  der  wieder  einsetzenden 
Gehörstäoschungen.  Sommer. 

17)  Zur  Lehre  von  der  Paranoia  halluoinatoria  acuta,  von  B.  Greidenberg. 

(Wjestnik  psychiatrii  i  nevropatologii.  1885.  IL     Russisch.) 

Nachdem  Verf.  durch  Zusammenstellung  der  betreffenden  Literatur  nachgewiesen, 
dass  hinsichtlich  der  klinischen  Auffassung  der  mit  dem  Namen  „paranoia  hallucina- 
toria  acuta''  bezeichneten  Form  des  Irreseins  noch  keine  vollständige  Uebereinstimmung 
zwischen  den  Irrenärzten  erzielt  ist,  bringt  er  5  eigene  Beobachtungen  dieser  Er- 
krankung. 4  davon  endigten  mit  Genesung,  1  Fall  ging  in  primäre  (?  Ref.)  Demenz 
über.  Die  Erankheitsdauer  betrug  1 — 5  Monate.  Bei  der  Epikrise  seiner  Casuistik 
bespricht  Verf.  die  Schwierigkeit  differentieller  Diagnose  zwischen  acuter  Manie  und 
acuter  hallucinatorischer  Verrücktheit  (Verwirrtheit)  und  macht  auf  die  nicht  selten 
mögliche  Verwechselung  beider  aufmerksam.  Zum  Schluss  empfiehlt  er  gegen  acute 
Erregungszustände  häufige  Verabreichung  von  Ergotin.  P.  Bosenbach. 


18)  Sopra  un  oaso  dl  pneumonite  acuta  in  un'alienata  oon  abbassamento 
notevole  ,della  temperatura,  per  il  dott.  G.  AlgerL  (Archiv,  ital.  per  le 
mal.  nervös,  ecc.  1885.  XXII.  p.  458.) 

Es  handelt  sich  bei  diesem  Fall  von  croupöser  Pneumonie  mit  abnorm  niedrigem 
Temperaturverlauf  um  eine  45jährige  anämische  und  schlecht  genährte  Frau,  die  seit 
ungefähr  10  Monaten  wegen  schwerer  Melancholie  und  auf  Hallucinationen  beruhender 
Angstparoxysmen  in  einer  Irrenanstalt  untergebracht  worden  war.  Wegen  zufällig 
tieferer  Depression  wurde  Pat.  am  6.  Dec.  im  Bett  gehalten  und  als  bei  dieser  Ge- 
legenheit eine  abnorm  küble  Haut  constatirt  wurde,  wurde  Fat.,  selbstverständlich 
unter  allen  Gautelen,  gemessen.    Seitdem  zeigte  sie  folgende  Temperaturen: 

6.  XII.     7.  XIL     8.  XU.     9.  XIL    10.  XU.   11.  XU.    12.  XII.    13.  XII. 
Morgens      33,0         34,0         35,5         36,0         35,0         37,2         36,5         34,0 
Abends        35,0         34,0         36,0         37,0         38,0         37,0         36,0  t 

Erst  am  8.  XII.  Abends  war  objectiv  nachweisbar  leicht  tympanitischer  Schall 
über  der  Vorderfiäche  der  rechten  Thoraxhälfte,  Abschwächung  des  vesiculären  Ath* 
mungsgeräusches  und  leicht  orepitirendes  Rasseln  B.  H.  U.  Am  9.  XII.  war  Däm- 
pfung und  Bronchialathmen  vorhanden;  am  12.  XII.  zeigten  sich  Symptome  von 
Lungenödem  in  der  linken  Seite  und  Patientin  starb  dann  am  folgenden  Tage  durch 
Herzschwäche.  Die  Section  bestätigte  in  jeder  Beziehung  die  Diagnose:  croupöse 
Pneumonie  des  rechten  unteren  und  mittleren  Lappens,  sowie  Oedem  der  linken  Lunge 
und  Hypostase. 


—    210    — 

Wie  ans  den  oben  angegebenen  Zahlen  hervorgeht,  war  übrigens  der  Verlauf 
der  Temperaturcorve  auch  qualitativ  ungewöhnlich:  statt  der  rapid  ansteigenden 
Febris  continna  zeigte  sich  hier  ein  unregelmassig  remittirender  Verlauf  des  Fiebers 
mit  prämortalem  Abfall  desselben.  Sommer. 


19)  Insanity  from  oooaXne,  bj  Dr.  Brower.     (Joum.  of  the  American  Medical 

Association  16.  Jan.  1886,  nach  Referat  von  Eiernan  im  Joum.  of  nervous 
and  mental  disease.  1886.  Ueft  1.) 

Ein  35jähriger,  verheiratheter  Arzt  mit  sehr  ausgedehnter  Praxis  hatte  3  Jahre 
lang  Opium  als  Stimulans  gebraucht  und  nahm  dann  zu  Cocain  seine  Zuflucht;  schon 
in  Dosen  von  gr  ^/g  =  7,5  mg  verursachte  es  ein  Gefühl  von  Wohlbehagen  nnd  Kraft, 
wie  er  es  früher  nach  Opium  nie  empfunden  hatte.  In  kürzester  Zeit  stieg  er  bis 
auf  gr  XV  =  0,9  pro  die  und  nun  zeigten  sich  sehr  .bald  hochgradige  Reizbarkeit, 
Streitsucht  und  gewisse  Grössenwahnvorstellnngen,  dass  er  z.  B.  berufen  sei,  die 
gesammte  Medicin  durch  Einführung  des  Cocains  gegen  alle  Krankheiten  umzuge- 
stalten etc.  Unter  rapider  Steigerung  seines  Jähzorns  und  der  Unbesonnenheit  seiner 
Handlungen  verlor  er  bald  die  gesammte  Praxis  und  verarmte  völlig,  ohne  dass  ihn 
das  Geschick  seiner  Familie,  die  Vorstellungen  seiner  Freunde  und  Collegen,  die 
Mahnungen  des  Geistlichen,  denen  er  sonst  sehr  zuganglich  gewesen  war,  von  seiner 
Leidenschaft  hätten  abbringen  können.  Seiner  Gemeingeföhrlichkeit  wegen  wurde  er 
endlich  einer  Anstalt  zugefQhrt  und  des  Cocains  allmählich  entwöhnt.  Die  psychischen 
Symptome  blieben  indess  ziemlich  unverändert;  eines  Tages  entfernte  er  sich  heimlich 
aus  der  Anstalt  und  ist  seitdem  verschollen. 

Wie  K  lern  an  wohl  mit  Hecht  hervorhebt,  liegt  es  nahe,  im  vorliegenden  Fall 
weniger  an  eine  Cocalnpsychose  als  an  beginnende  Paralyse  zu  denken. 

Sommer. 

Therapie. 

20)  On  the  UBG  of  Cooaine  in  the  Opium  habit,  by  Edward  C.  Mann.  (The 

Alienist  and  Neurologist.  1886.  p.  51.) 

Nach  einer  längeren  Auseinandersetzung  über  die  physiologiscben  Wirkungen 
des  Cocains  empfiehlt  Verf.,  der  übrigens  die  allmähliche  Entziehung  bei  Morphinis- 
mus für  einzig  zulässig  betrachtet,  die  subcutane  Anwendung  des  Cocain  (zu  je 
10  Tropfen  einer  47o  Lösung)  gegen  die  psychische  und  motorische  Unruhe  und 
Schlaflosigkeit  auf  das  Dringendste,  sobald  Bromkalium  u.  A.  der  fortschreitenden 
Reduction  der  Morphiumdosis  gegenüber  wirkungslos  werden.  Auch  gegen  Ischias, 
Dysmenorrhoe  und  Ovarialschmerzen  rühmt  Verf.  das  Cocain,  doch  warnt  er  vor 
fortgesetzter  Anwendung,  da  dieselbe  ihrerseits  auch  zu  einer  deletären  Angewöhnung 
führen  könne,  und  räth  in  derselben  Hinsicht,  dem  Patienten  die  Anwendung  des  so 
hülfreichen  Mittels  zu  verheimlichen.  Sommer. 


ai)  On  trephining  in  epilepsy  resulting  from  old  firaoture  of  the  skull, 
by  Henry  E.  Clark.     (The  Lancet.  1886.  Vol.  I.  p.  243.) 

J.  M*L.,  12  Jahre  alter  Knabe,  erhielt  zwischen  seinem  5.  und  6.  Lebensjahre 
eine  Verletzung,  wovon  im  Juli  1883  noch  eine  deprimirte  Narbe  über  dem  rechten 
Tnber  frontale  zu  sehen  war.  Sechs  Monate  nach  Juli  stellten  sich  epileptische  An- 
flüle  ein,  die  allmählich  häufiger  und  stärker  vnurden.  Acht  Wochen  hing  bekam  er 
ohne  jeden  Erfolg  kleine  Dosen  Bromkali  mit  Borax.  Im  Anüedl  war  er  völlig  be- 
wusstlos,  biss  sich  auf  die  Zunge,  die  Convulsionen  betrafen  den  ganzen  Körper,  das 


—    211     — 

Gesiebt  war  bleich,  nie  stand  Schaum  vor  dem  Mande;  zuweilen  als  Aura  Schmerzen 
in  der  Narbe.     Die  Intelligenz  ist  herabgesetzt.    Im  October  92  Anfälle. 

Am  14.  November  ergab  die  Trepanation  eine  Verdickung  des  Frontalbeins  an 
der  Narbe,  völlige  Intactheit  der  Dura  mater.  (Die  Dicke  des  Stirnbeins  betrug  da- 
selbst '/,  ZolL)  Ausgezeichneter  Wundveriauf.  Vom  14.  November  bis  14.  December 
nur  33  AnfäUe  ohne  völlige  Bewusstlosigkeit,  mit  kflrzer  dauernden  und  massigen 
Convulsionen.  Nach  zwei  Monaten  hörten  die  Krämpfe  fast  völlig  auf.  Körperliches 
Woblbefinden,  Zunahme  der  Intelligenz. 

In  Bezug  auf  die  Trepanation  bei  Epilepsie  sagt  Verf.,  dass  Echeverria  in  den 
ArcbiTes  g^n6rales  de  M^decine  145  bei  diesem  Leiden  gemachte  Trepanationen  ge- 
sammelt hat  und  Verf.  50,  wo  freilich  mächtige  Schädeifracturen  oder  Tumoren  der 
Dura  mater  die  causa  morbi  bildeten.  Bei  so  geringfügigen  Veränderungen  ist,  ab- 
geseben  von  dem  beschriebenen  Fall,  von  W.  Parker  trepanirt  worden,  der  danacli 
die  Anfalle  ebenfalls  schwinden  sah  und  Fat.  2  Jahr  später  völlig  wohl  fand.  Aehn- 
licb  sind  die  Fälle  von  Brainard  aus  Chicago,  von  Bussel  und  von  la  Motte, 
femer  von  West  aus  Birmingham,  Bellamy  und  Lees.  In  diesem  Falle,  wo  die 
motorische  Region  nicht  getrofifen  war,  zeigten  die  Convulsionen  auch  keinen  regel- 
mässigen Gang.  Im  allgemeinen  verschlimmem  sich  nach  Verf.  die  traumatisch  ent- 
standenen Epilepsien  mehr  und  mehr  und  reagiren  auf  keine  Median.  Hier  kann 
die  Trepanation  Gutes  leisten,  wenn  auch  die  Besserung  allmählich  komipt  und  zwar 
in  den  Fällen,  wo  nur  geringe  Veränderungen  gefunden  werden  wie  hier.  Bei  Epi- 
lepsie, die  durch  complicirte  Splitterfractür  entstanden  ist,  ist  der  Erfolg  nach  guter 
Operation  und  normalem  Wundverlauf  oft  ein  schneller  und  anhaltender. 

Buhemann. 

in.  Aus  den  Gesellschaften. 

Soci^te  de  Biologie,  Paris.     Sitzung  vom  5.  Februar  1886. 

Dastre  hat  einen  eigenthümliohen  Idppenreflez  beim  Hunde  beobachtet. 
Wenn  man  nach  Ausschaltung  des  Gehirns  —  z.  B.  durch  Chloroformnarkose  — 
die  Schleimhaut  der  Oberlippe  reizt,  so  wird  die  Unterlippe  hervorgestossen.  Dieser 
Kefiex  erlischt  etwas  früher,  als  der  oculo-palpebrale  Reflex. 

Sitzung  vom  20.  Februar  1886. 

Babinsky:  Ueber  das  Verbftltniss  von  Muskelatropbie  zu  den  grauen 
Vordersäulen  des  Büokenmarks.  Nach  Charcot's  Angaben  über  Muskelatrophie 
bei  Gehimläsionen  mit  absteigender  Degeneration  des  Bückenmarks  findet  sich  als 
Bedingung  der  Muskelatrophie  auch  secundäre  Degeneration  der  Vorderhömer.  B.  hat 
einen  Fall  von  Erweichungsherd  rechts  im  Oentrum  ovale,  mit  secundärer  Degeneration 
des  gekreuzten  Pyramidenstranges,  sowie  des  ungekreuzten  Bündels,  genau  untersucht, 
in  welchem  Muskelatrophie  des  Armes  und  besonders  der  Hand  neben  Hemiplegie 
mit  Contracturen  bestand.  B.  hat  aber  die  Zellen  der  Vorderhömer  ganz  intact  ge- 
funden, auf  beiden  Seiten  ganz  gleich  gut;  auch  die  motorischen  Wurzeln  der  vier 
unteren  Hals-  und  des  ersten  Brustnerven,  ebenso  wie  die  peripherischen  Armnerven 
zeigten  nichts  Abnormes,  auch  nicht  an  den  Endapparaten.  B.  erklärt  sich  ausser 
Stande,  diesen  Befund  genügend  zu  erklären,  aber  als  Thatsache  müsse  er  betrachten: 
Muskelatrophie  ohne  Alteration  der  Vorderhömer  oder  peripherischen  Nerven. 

Hadlich. 

Sitzung  des  Vereins  deutscher  Aerzte  in  Prag  vom  19.  Februar  1886. 

Prof.  Pribram  bespricht  anschliessend  an  einen  einschlägigen,  demonstrirten 
Fall,  der  nach  einer  wiederholten  energischen  Schmiercur  bedeutende  Besserung  zeigte, 


—    212    — 

die  BeEiehungen  der  Tabes  aur  Syphilis  und  bu  AngenrnnskellfthmnngeiL 

G^enüber  den  für  eine  engere  Beziehung  der  beiden  ersteren  angefahrten  Statistiken 
und  den  anch  von  P.  erhärteten  Misserfolgen  anf  syphilitischer  Behandlung  nimmt  P. 
an,  dass  wo  der  Symptomencomplex  durch  eine  bereits  entwickelte  systematische  Scle- 
rose  bedingt  ist,  keine  Heilung  zu  erwarten  ist,  und  dass  wo  eine  solche  oder  wesent- 
liche Besserung  eintritt,  entweder  minder  vorgeschrittene  Veränderungen  der  Uinter- 
stränge  oder  ein  von  der  systematischen  Hinterstrangsderose  verschiedener  und  nur 
gleich  localisirter  Process  anzunehmen  ist;  ausserdem  sei  noch  die  Möglichkeit  einer 
sog.  Neurotabes  periph^rique  in  Betracht  zu  ziehen. 

Bezüglich  der  in  einem  Falle  beobachteten  Augenmuskellahmungen  (zuerst  Ptosis 
des  linken  oberen  Augenlides,  Lähmung  des  Beet.  oc.  snp.  and  Obliquns  Inf.  sin., 
später  Lähmung  der  übrigen  vom  Oculomot.  versorgten  Muskeln)  nimmt  P.  eine  Er- 
krankung in  der  Nuclearregion  an. 

Weiter  demonstrirt  P.  einen  Fall  von  multipler  Neuritis,  der  im  gegenwär- 
tigen Stadium  Aehnlichkeit  mit  der  Neurotabes  pöriphdriqne  zeigt. 

Kahler  hält  eine  Heilung  in  anatomischem  Sinne  für  nicht  bewiesen  und  auch 
für  nicht  annehmbar,  namentlich  mit  Bücksicht  auf  seine  diesbezügliche  Arbeit  aus 
dem  Jahre  1884;  bezüglich  der  sog.  (functionellen)  Heilungen  stellt  K.  das  Nitras 
argenti  an  die  erste  Stelle;  unter  seinem  allerdings  kleinen  Materiale  von  Tabes- 
föllen  habe  in  mehr  als  der  Hälfte  der  Fälle  sicher  keine  Syphilis  bestanden«  was  er 
jedoch  nur  in  dem  Sinne  des  Nachweises  einer  nicht  syphilitischen  Tabes  werwendet; 
seine  Ansicht  über  den  Zusammenhang  von  Syphilis  mit  Tabes  präcisirt  er  unter  Hin- 
weis auf  das  häufigere  Auftreten  der  Leukoplakia  an  der  gereizten  Mundschleimhaut 
früherer  Syphilitiker  dahin,  dass  ein  Syphilitiker  leichter  tabisch  wird  als  ein  nicht 
syphilitischer,  ohne  dass  deshalb  die  Tabes  eine  nothwendige  Folge  der  vorausge 
gangenen  syphilitischen  Infection  sein  müsse.  A.  Pick. 


Sitzung  der  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Zürich  vom  21.  November  1885. 
(Correspondenzbl.  f.  Schweizer  Aerzte.  1886.  15.  März.) 

Dr.  Haab  trägt  vor  über  einen  neuen  von  ihm  beobachteten  Papillenreflez. 
Wenn  man  in  einem  dunklen  Räume,  der  blos  durch  eine  Lampen-  oder  Eerzenflamme 
beleuchtet  wird,  die  Flamme  so  vor  sich  hinstellt,  dass  sie  etwas  seitwärts  steht  und 
man  an  ihr  vorbei  den  Blick  in*s  Dunkle  richtet,  so  kann  man,  sobald,  bei  gleich- 
bleibender Blickrichtung,  die  Aufmerksamkeit  auf  die  Flamme  gelenkt  wird,  eine  kraf- 
tige Contraction  der  Pupille  beider  Augen  beobachten.  Kann  man,  ohne  die  Fixation 
der  dunkeln  Wand  im  mindesten  zu  ändern,  seine  Aufmerksamkeit  recht  nachhaltig 
im  indirecten  Sehen  weiter  dem  Flammenbild  zuwenden,  so  bleibt  die  Pupille  ebenso 
lange  verengt.  Sobald  dagegen  die  Aufmerksamkeit  sich  dem  Fixationspunkt  widmet 
(einer  dunkeln  Stelle  der  Wand  etc.),  so  dilatirt  sich  die  Pupille  wieder,  obgleich 
während  der  ganzen  Zeit  genau  dieselbe  Lichtmenge  in  die  Augen  föllt  und  jede 
Ac^ommodations-  oder  Convergenzbewegung  ausgeschlossen  ist. 

Der  Vorgang  ist  ein  etwas  complicirter.  Man  hat  es  wohl  mit  einem  Refiex  zu 
thun,  der  durch  die  Hirnrinde  geht,  während  die  gewöhnlichen  Pupillenreflexe  (auf 
Licht,  Accommodation,  Convergenz  etc.)  wohl  meist  durch  Untercentra  vermittelt 
werden.  Denn  wir  dürfen  annehmen,  dass  der  Vorgang,  welcher  obige  Pupillenver- 
engerung hervorruft,  nämlich  die  Concentrirung  der  Aufmerksamkeit  auf  ein  Object, 
das  in  der  Peripherie  des  Gesichtsfeldes  liegt,  in  der  Hirnrinde  stattfindet.  Vielleicht 
wird  durch  die  Beobachtung  am  Kranken  sich  die  anatomische  Lage  der  Nervenbahn 
feststellen  lassen,  auf  welcher  dieser  Reflex  abläuft.  Einstweilen  ist  es  namentlich 
von  Interesse  zu  constatiren,  wie  sehr  Vorgänge  in  der  Hirnrinde  die  Pupille  zu  be- 
einflussen im  Stande  sind.  Vielleicht  dürfen  wir  annehmen,  dass  bei  jener  umfang- 
reichen Erkrankung  der  Hirnrinde,  wie  sie  bei  Dementia  paralytica  vorkommt,  die 


—    218    — 

manchmal  so  früh  schon  zu  beobachtenden  Anomalien  der  Pupillen  direct  auf  die  Er- 
krankung dee  Cortex  zu  beziehen  sind.  Femer  beweist  der  vom  Yortr.  aufgefundene 
Pupillenreflex,  dass  nicht  blos  Beizung  der  Macula  lutea  Pupillenverengerung  zur 
Folge  hat,  wie  schon  angenommen  wurde,  sondern  dass  vielmehr  Beizung  jeder  be- 
liebigen Stelle  der  Betina  durch  Licht  prompte  Pupillenverengerung  auslöst.  Yortr. 
erwähnt  u.  A.  noch,  wie  man  den  Beilex  an  sich  selbst  (entoptisch  oder  im  Spiegel) 
und  an  Andern  am  besten  beobachtet  und  demonstrirt  dann  ihn  an  sich  selbst. 

Sitzung  vom  5.  December  1885. 

Bleuler:  üeber  die  Färbimg  der  Otaaglienzellen  des  Gtohime  durch 
dl0  Methode  von  GolgL 

Seit  Gerlach's  Untersuchungen  werden  die  durch  die  Physiologie  geforderten 
Yerbindungen  der  centralen  Nervenendigungen  in  einem  durch  die  Yerzweigungen  der 
Protoplasmafortsatze  gebildeten  diffusen  Netze  gesucht»  obgleich  dessen  Existenz  (als 
Netz  anastomosirender  Fibrillen)  sich  nicht  beweisen  liess,  und  gewichtige  theoretische 
Bedenken  dieser  Annahme  entgegentraten.  Durch  die  Methode  in vidueller  Färbung  von 
Golgi,^  die  nicht  bestimmte  Arten  von  Elementen  (alle  Zellen,  alle  Fasern  etc.),  son- 
dern nur  einzelne  Individuen,  einzelne  Zellen  mit  ihren  Forts&tzen,  einzelne  Fasern  etc., 
sichtbar  macht,  ist  es  gelungen,  nachzuweisen,  dass  die  Protoplasmafortsätze  der 
Ganglienzellen  nicht  anastomisiren,  obgleich  sie  bedeutend  länger  sind,  als  bisher  an- 
genommen wurde,  dass  dagegen  die  (an  jeder  Zelle  in  Einzahl  vorhandenen)  Axen- 
cylinder  entweder  einige,  sich  wieder  mehrfach  verzweigende  feine  Fortsätze  aussenden 
oder  sich  ganz  in  sich  verästelnde  und  zerstreuende  feine  Fibrillen  auflösen.  Dem 
entsprechend  gibt  es  auch  Nervenfasern,  die  direct  in  Zellen  übergehen,  und  nur  die 
oben  erwähnten  spärlichen  Ausläufer  entsenden,  während  andere  ganz  in  ein  Netz 
feiner  Fibrillen  übergehen.  Es  sprechen  nun  gewichtige  Gründe  dafür,  dass  diese  von 
dem  functionellen  Fortsatze  ausgehenden  feinen  Fibrillen  die  functionelle  Yerbindung 
der  Nervenfasern  besorgen.  Da  sich  femer  die  Zellen  mit  directem  Uebergehen  des 
Axen<7linderfortsatzes  in  eine  Nervenfaser  im  Bückenmark  ganz  vorwiegend  in  den 
motorischen  Begionen  finden,  die  Nervenfasern  und  Axencylinder  aber,  die  sich  voll- 
kommen auflösen,  hauptsächlich  in  den  Hinterhömem,  so  ist  die  Annahme  gewiss 
nicht  unbegründet»  dass  die  Ersteren  motorischen,  die  Letztem  sensibeln  Functionen 
vorstehen.  Herr  Prof.  Forel  hatte  ihn  aufmerksam  gemacht,  dass  diese  Annahme 
auch  im  Einklang  stehe  mit  den  Besultaten  der  v.  Gudden*schen  Yersuche.  Nach 
Dnrchschneidung  eines  motorischen  Nerven  verschwindet,  wie  bekannt,  der  entspre- 
chende Nervenkem  total,  während  nach  Wegnahme  eines  sensibeln  Nerven  die  zu- 
gehörigen Zellen  nur  kleiner  und  spärlicher  werden,  wie  sich  z.  B.  schön  an  den 
primären  Centren  des  Opticus  sehen  lässt. 

Es  ist  nun  einleuchtend,  dass  im  erstem  Falle  die  totale  Atrophie  dem  directen 
Zusammenhange  jeder  einzelnen  Faser  mit  ihrer  Zelle  zu  verdanken  ist,  während  im 
zweiten  Falle  die  Ganglienzelle  unabhängiger  ist  von  der  Nervenfaser,  die  sich  in  ein 
Fibrillennetz  auflöst  und  erst  durch  dieses  indirect  mit  der  Zelle  in  Yerbindung  steht. 

(Demonstration  von  Zellen  beider  Categorien  aus  der  Hirnrinde  des  Kaninchens, 
nach  Golgi  gefirbt.) 

Dr.  V.  Monakow  bemerkt  in  der  Discusion:  Die  Golgi 'sehe  Theorie  lässt 
sich  mit  den  Besultaten  der  experimentellen  Untersuchungen  wohl  vereinigen  mit 
Bfioksieht  auf  das  oorp.  genic.  ext.,  nicht  aber  bezüglich  des  vorderen  Zweihügels, 
wo  naeh  Wegnahme  des  Bulbus  auch  die  Ganglienzellen  zu  Grunde  gehen. 


^  Sulla  fipa  anatomia  degli  organi  centrali  del  siBtemo  nervoso.    Studi  di  Camillo 
Golgi.    Mit  24  sehr  schönen  Tafeln. 


—    214    — 

Clinical  Society  of  London.     Sitzung  vom  12.  M&rz  1886.     (Brii  med.  Joam. 
1886.  20.  März.  p.  544.) 

Dr.  B.  Maclaren  besprach  die  ihm  gelungene  Heilung  eines  beträchtUchen 
GehirnYorfalls.  Ein  26jähriger  Mann  war  mit  einer  complicirten  Splitterfractur  der 
linken  Stimhalfte,  3  Tage  nach  der  Verletzung,  in  seine  Behandlung  gekommen.  Da 
der  Zustand  des  Patienten  unter  dem  Eintritt  von  tiefem  Goma,  häufigen  Gonval- 
sionen  etc.  immer  bedenklicher  wurde,  erweiterte  M.  die  Hautwunde,  entfernte  alle 
10  Knochensplitter  und  die  vorgefallene  und  zerquetschte  Gehirnsubstanz,  in  der 
jene  z.  Th.  tief  eingebettet  lagen,  durch  vorsichtiges  Wegschneiden  und  Fortschwemmen. 
Der  zurückbleibende  Defect  im  Schädel  hatte  3  Zoll  Länge  und  nahm  vom  linken 
Augenbrauenwulst  in  einer  Breite  von  etwa  ^/j  Zoll  beginnend  und  parallel  mit  der 
Crista  temporalis  aufsteigend  an  Breite  allmäMich  bis  auf  1  Zoll  zu. 

Die  Heilung  nahm  einen  verhältnissmässig  günstigen  Verlauf,  doch  zeigte  sich 
nach  14  Tagen,  am  14.  April,  ein  bedeutender  Vorfall  von  Himsubstanz.  Nach 
dessen  operativer  Entfernung  wurde  nun  eine  Silberplatte  in  den  Defect  hineingelegt; 
doch  zeigte  sie  sich  am  3.  Mai  seitlich  unter  den  Knochenrand  verschoben  und  es 
war  wieder  Himsubstanz  vorgefallen.  Diesmal  wurde  die  Platte  mit  Drahtsuturen 
befestigt,  sodass  eine  Verschiebung  unmöglich  war,  und  die  Hautwunde  wurde  über 
ihr  möglichst  geschlossen.  Als  die  Platte  wieder  entfernt  wurde,  zeigte  sich 
keine  Neigung  zu  weiterem  Prolaps  und  es  erfolgte  schnell  eme  feste  und  wider- 
standsfähige Narbenbildung.  Am  5.  Sepi  konnte  Patient  mit  Lähmung  des  rechten 
Armes  und  geringer  Parese  des  rechten  Beines  und  der  rechten  Gesichtshalfte  ent- 
lassen werden.  Der  Eintritt  eines  psychischen  Defectes  konnte  nicht  mit  Sicherheit 
angenommen  oder  ausgeschlossen  werden,  da  Patient  schon  vor  dem  Trauma  etwas 
imbecill  gewesen  sein  soll. 

lieber  weitere  Vorträge  und  Demonstrationen,  die  sich  auf  nervöse,  spinale  und 
bulbäre  Nachkrankheiten  nach  Pocken  bezogen,  und  über  die  lebhafte  Discussion,  die 
sich  an  jene  anschloss,  kann  erst  berichtet  werden,  wenn  die  Verhandlungen  aus- 
fflhrlicher  vorliegen.  Sommer. 


Verein  deutscher  Aerzte  in  Prag.     Sitzung  vom  12.  März  1886. 

Kahler  berichtet  in  Fortsetzung  früherer  Mittheilung  (s.  d.  Ctrlbl.  1886.  S.  80) 
über  die  LocaHsation  der  dauernde  Polyurie  erzeugenden  Himläsionen.  Eine  kritische 
Durchsicht  der  Literatur  und  eines  eigenen  Falles  ergiebt  eine  beiläufige  Localisation 
der  dauernden  Polyurie  als  Herdsymptom  in  der  hinteren  Schädelgrube;  aus  den 
Thierexperimenten  ergiebt  sich,  dass  Läsionen  des  Wurmes  und  speciell  des  Lobus 
hydruricus  (Eckhard)  keine  dauernde  Polyurie  erzeugen,  ebensowenig  solche  der 
medianen  Theile  des  ofifenen  Theils  der  Med.  obl.  und  der  Region  des  Corp.  trapez.; 
jedesmal  dagegen  trat  sie  ein  bei  Läsion  der  lateralen  Theile  dieser  Gegend.  Eine 
weitere  Localisation  ist  bisher  nicht  gelungen.  A.  Pick. 


Society  de  Biologie  ä  Paris.     Sitzung  vom  10.  April  1886. 

Dejerine  berichtet  von  einem  Tuberculosen,  der  keinen  PateUarreflez  hatte. 
Die  Untersuchung  des  Bückenmarks  wie  der  Nervenwurzeln  ergab  normale  Ver- 
hältnisse.    M. 

Soci^t^  m^dicale  des  höpitaux,  Paris.    Sitzung  vom  9.  April  1886. 

Troisier  und  F^r^ol  stellten  je  einen  Kranken  mit  Pied  tabötique  vor.  Bei 
dem  ersteren  bestand  auf  jedem  Fussrücken  eine  durch  die  Subluxation  der  zweiten 


—    215    — 

Reihe  der  Knochen  des  Tarans  gebildeter  Vorsprang.  Der  Fuss  war  dem  entsprechend 
verkflrzt»  aber  verdickt.  Plattfnss  bestand  nicht.  Bei  dem  zweiten  bestand  im  Gegen- 
satz dazu  Plattfoss.  M. 


IV.  Bibliographie. 

Diverse  Himtheile. 

Perzichetti:  Embolia  nella  porzione  motrice  della  Capsula  interna.  Gaz.  degli 
ospitali.  1885.  Nr.  51.  —  Schmidt:  A  case  of  destmctive  lesions  of  the  tegmentom 
and  thal.  opt.  Joum.  of  nerv,  and  ment.  dis.  1885.  July.  —  Le  Large:  Contri- 
bation  ä  T^tude  des  l^ons  du  cervelet  Thdse  de  Paris  1885.  —  Wulff:  Gliom 
des  Kleinhirns.  D.  med.  Zeitung.  1885.  Nr.  75.  —  Reinhard:  Zur  Kenntniss  der 
Balkenfunctionen.  Erlenmeyer*s  Ctrlbl.  1885.  Nr.  3.  —  Carnazzi:  On  a  case  of 
tumonr  of  the  corpora  quadrigemina.    Lond.  med.  Bec.  1885.  p.  320. 

Föns. 

(cf.  Register  1885  S.  574.) 

Bernardino:  Contribuzione  allo  studio  della  localizzazioni  cerebrali.  Emorragia 
nel  ponte  di  Varolo.  Gaz.  delle  clin.  1884.  Vol.  20.  —  Algeri  e  Marchi:  Con- 
tributo  allo  studio  delle  lesioni  delle  protuberanzi  annulare.  Riv.  sper.  1885.  Nr.  2  u.  3. 

—  Bleuler:  Zur  Casuistik  der  Herderkrankungen  der  Brücke.  Arch.  f.  klin.  Med. 
Bd.  38.  —  Ferraro:  Absteigende  secundäre  Degeneration  von  einem  Gumma  des 
Pons.  Riv.  intemaz.  di  med.  1885.  Nr.  7 — 9.  —  Bidot:  La  protub^rance  annulaire. 
Premier  moteur  du  m^canisme  c^r^bral,  foyer  ou  centre  des  facult^  sup^rieures.  1885. 
Bordeaux.  —  Banham:  Case  of  glioma  of  the  pons  Varoli.   Lancei  1884.  Oct.  4. 

Progressive  Paralyse  der  Irren. 

(cf.  Register  1885  S.  574.) 

Beatley:  General  paralysis  of  the  insane.  A  study  of  the  deep  reflexes  and 
pathological  condition  of  the  spinal  cord.  Brain.  1885.  April.  —  Duchenne:  De 
Taphasie  au  d^but  de  la  paralysie  gön^rale.  Th^se  de  Paris  1885.  —  Lion:  Des 
troubles  de  la  nutrition  dans  la  paralysie  g^n^rale  des  ali^n^.   Thdse  de  Paris.  1885. 

—  Bamadier:  fiber  dasselbe  Thema.  Thtee  de  Paris  1884.  —  Fortineau:  Des 
impulsions  au  cours  de  la  paralysie  g^n^rale  des  ali^n^.  Thdse  de  Paris  1885.  — 
Sutherland:  On  the  true  first  stage  of  general  paralysis.  Lancei  1885.  Aug.  — 
Goldstein:  lieber  die  Beziehungen  der  progr.  Paralyse  zur  Syphilis.  Ztschr.  f.  Psych. 
1885.  S.  2  und  Discussion  S.  268.  —  Leidesdorf:  Progressive  Paralyse  bei  einem 
I6jähr.  Mädchen.  Wiener  med.  Woch.  1884.  Nr..26  u.  27.  —  Tötard:  De  Fhöma- 
tome  du  pavillon  de  Toreille.  Th^se  de  Paris  1884.  —  Sage:  Contribution  ä  Fötude 
des  mouvements  choröiformes  chez  lee  paralytiques  gönöraux.  Lyon  1885.  Waltener 
et  Comp.  —  Blache:  Essai  sur  les  pseudo-paralysies  gönöraux.  Lyon  1885.  Dela- 
roche.  —  Meynert:  Allg.  Paralyse  der  Irren.  (Aus  dem  2.  Theile  seiner  Yorderhim- 
krankheiten.)  Jahrb.  f.  Psych.  1885.  1.  —  Parsons:  Obscure  and  early  symptom 
in  general  paresis.  Med.  Record.  1885.  Nr.  12.  —  Raggi:  Movimento  pupillare  in 
paralisi  progressiva.     Annal.  univ.  di  med.  e  chir.  1885.  Juli. 

ThomBen'Bohe  Krankheit. 

(cf.  Register  1885  S.  575.) 

Eulenburg  u.  Melchert:  Thomsen*sche  Krankheit.  Klin.  Woch.  1885.  Nr.  38. 

—  Bernhardt:  Thomsen'sche  Krankheit.    Erlenmeyer's  Ctrlbl.  1885.  Nr.  6  u.  9.  — 


—    216    — 

Bieder:  Ein  Fall  von  Thomsen'scber  Krankheit.    Militftr&rztl.  Ztscbr.  1884.  Nr.  10. 
—  Deligny:  idem.    L'ünion.  1885.  Nr.  5. 


V.  Vermischtes. 

Naeh  einem  Aofeatz  im  MAlienist  and  Nenrologiet"  (Januarheft  1886.  p.  184)  h»t  der 
YOijähiiffe  Aafiitand  in  Canada  leider  wieder  einmal  die  Hinriehtong  eines  Geisteekranken 
als  Naenspiel  gehabt.  Der  bekannte  Fflhrer  der  Bebellion,  Lonis  »»David"  Biel  (in 
(jlftnseftssehen  pflegte  er  stets  seinen  zweiten  Vornamen  zu  sohreiben)  war  bereits  zweimal 
in  Irrenanstalten  gewesen  nnd  litt  an  haUncinatorischer  Paranoia  mit  religiösen  nnd  poli- 
tischen Wahnvorstellungen.  Er  hielt  sich  für  den  Mittelpankt  der  socialen  Bewegungen  der 
Welt.  Er  glaubte  von  Christus  dauernd  umgeben  und  als  sein  Prophet  berufen  zu  sein, 
um  die  Zukunft  vorauszusagen,  ein  neues  Papstthnm  zu  errichten,  sein  Vaterland  in  sieben 
Königreiche  zu  zerlegen  und  als  oberster  Herrscher  die  neue  Heptarchie  zu  leiten.  Unter 
den  ungebildeten  Mi^liedem  der  Bebellion  nlt  er  daher  als  inspirirt;  als  neuer  Messiaa 
führte  er  mit  dem  Crucifix  in  der  Hand  und  laut  die  heilige  Dreieinigkeit  anrufend  seine 
Genossen  zum  Kampf  gegen  die  englische  Herrschaft.  Nach  nnglQoklichen  Gefechten  mnsste 
er  sich  aber  ergeben  und  wurde  im  Juli  1885  kriegsgerichtlidi  als  Aufrührer  zum  Tode 
verurtheUt,  trotzdem  mehrere  Sachverstandige  für  seine  Unzurechnungsfähigkeit  eintraten. 
Obschon  die  Jury  selbst  den  Unglficklichen  der  Gnade  empfohlen  hatte,  endete  er  am 
16.  Nov.  1885  am  Galgen!  Sommer. 


Die  Bedaetion  des  Journal  of  nervous  and  mental  disease  ist  in  die  ffimde  unse-es  ver- 
ehrten Mitarbeiters  Herrn  Dr.  B.  Sachs  zu  New  York  28  East  Sixty-secend  Street  flbergegangen, 
und  damit  sind  gleichzeitig  eine  Anzahl  Veränderungen  und  Verbesserungen  einge£)ten,  von 
denen  wir  das  monatliche  Erscheinen,  ausführliche  nach  der  Materie  geordnete  Keferate  vod 
tüchtigen  Mitarbeitern  hervorheben.  Wir  glauben,  unsere  deutschen  Collegen  dwrauf  hin- 
weisen zu  sollen,  Separatabdrücke  über  Arroiten  aus  dem  Gebiete  der  Neuropathologie  und 
Psychiatrie  der  Bedaetion  einzusenden.  M. 


Die  5.  Conferenz  für  Idioten-Heil-Pfl^e  findet  am  14.— 16.  September  1886  in  Frank- 
furt a.  M.  statt.  Präsident  ist  Hr.  Dir.  Dr.  Sengelmann,  Vicepräsiaent  Hr.  Dr.  Barthold. 
Alle  Freunde  der  Idiotensache,  Psychiater,  Aer^,  Gastliche,  Lehrer  sind  eingeladen. 


Der  Verein  der  Aerzte  des  Regierungsbezirks  Stettin  hat  am  Sonnabend  den  29.  Mai 
in  Swinemflnde  seine  Frühjahrsversammlung.  unter  den  angemeldeten  Vorträgen  findet  sich 
ein  Vortrag  von  Dr.  Zenker- Ber^quell;  Die  initialen  Krankheits-Erscheinungen  der  Dementia 
paralvtica»  und  einer  von  Dr.  Siemens-Ueckermünde:  üeber  die  geistigen  Erkrankungen  in 
der  ^eit  der  Pubertätsentwickelung. 

Der  Vorstand  des  Vereins  der  deutschen  Irrenärzte  hat  in  einer  Conferenz  am  26.  März  er. 
zu  Frankfurt  a.  M.  beschlossen,  die  diesjährige  Versammlung  des  Vereines  im  Anschluss  an 
die  Naturforscher- Versammlung  zu  Berlin  abzuhalten  und  zwar  am  17.  September  er.  Vor- 
mittags SVs  Uhr  im  Auditorium  Nr.  5  der  Universität. 

Vorläufig  zur  Besprechung  angenommene  Themata:  Ueber  die  Grundsätze  der  Auf- 
nahme und  fintlassung  von  (JästesKranken  (Bef.  von  Gudden).  Ueber  das  ^Open*Door- 
System"  in  Schottland  (Bef.  Siemerling).  Ueber  mechanisdie  Behandlung  der  Dem.  paral. 
(Ref.  von  Gudden). 

Zu  weiteren  Vorträgen  ladet  der  Vorstand  ein  und  bittet,  sie  bis  zum  1.  August  beim 
Secretär  Dr.  H.  Lahr  in  Schweizerhof  (Station  Zehlendorf)  gefälligst  anzumelden.  Im 
Laufe  des  August  er.  wird  die  definitiv  festgestellte  Tagesordnung  versendet  werden.  Es 
ist  ausnahmsweise  nur  eine  Sitzung  in  Aussicht  genommen. 

■  ■■-■■■■■  ■  ■  ■■—  —    ■■■I-  ■■  ■■■■■-■.■--■■■  -■  m.  ■_■  ■■!  I  ■■—»^.■__  ^^-      —■      —— 

Um  Einsendung  von  Separatabdrücken  an  den  Herausgeber  wird  gebeten. 


Einsendungen  für  die  Bedaetion  sind  zu  richten  an  Prof.  Dr.  E.Mendel, 

Berlin,  NW.  Kronprinzen-Ufer  7. 


Verlag  von  Vrit  &  Comp,  in  Leipzig.  —  Druck  von  Metzobr  &  Wittig  in  Ijeipzig. 


Neurologisches  Centr  albuh. 

Uebersicht  der  Leistungen  auf  dem  Gebiete  der  Anatomie,  Physiologie,  Pathologie 
und  Therapie  des  Nervensystemes  einschliesslich  der  Geisteskrankheiten. 

Herausgegeben  von 

Professor  Dr.  E.  Mendel 
Ffinfter  «Bwim.  Jahrgang. 

Monatlich  erscheinen  zwei  Nnmmern.   Preis  des  Jahrganges  16  Mark.    Zn  beziehen  durch 
alle  Buchhandlungen  des  In-  und  Auslandes,  die  Postanstalten  des  Deutschen  Reichs,  sowie 

direct  von  der  Verlagsbuchhandlung. 

1886.  15.  Mai.  m  10. 


Inhalt.  I.  Orlginalmlttheilungen.  1.  Eephalometrischer  Befund  bei  corticaler  ange- 
borener Blindheit,  von  Prof.  Dr.  Moriz  Benedikt.  2.  Die  Diffusionselektrode,  von  Prof.  Dr. 
Albert  Adamkiewicz.  3.  üeber  einige  seltene  Initialerscheinungen  der  Dementia  paralytica, 
von  Dr.  Pellzaeus. 

IL  Referate.  Anatomie.  1.  The  structure,  distribution- and  function  of  the  Nerves, 
which  inner vate  the  visceral  and  vascular  systera,  by  Qaskell.  —  Experimentelle  Phy- 
siologie. 2.  Zur  Cocainwirkung,  von  Feinberg.  —  Pathologische  Anatomie.  3.  A  con- 
tribution  to  the  topographical  anatomy  of  the  spinal  cord,  by  Tooth.  —  Pathologie  des 
Nervensystems.  4.  Ueber  hvsterische  Erkrankungen  in  der  Armee,  von  Oseretzkowski. 
5.  Sur  un  cas  de  cozalgie  hysterique  de  cause  traumatique  chez  Thomme,  le9on  de  Charcot, 
reeueillie  par  Marie.  6.  Paralysies  hyst^ro-traumatiques,  par  Poupon.  7.  Hystäro-^pilepsie  (?) 
instabilite  mentale  avec  perversion  des  instincts,  impulsions,  par  Bourneville  et  Leflaive. 
8.  Ein  Fall  von  Hystero-äpilepsie  bei  einem  Manne,  von  Sclieiber.  9.  Hysteri  hos  Mänd, 
äf  Ponteppidan.  10.  Un  caso  dl  paralisi  isterica  neirnomo  e  crampo  degli  scrivani  conse- 
cativo,  pel  Lombroso.  11.  Note  sur  un  cas  de  grande  hyst^rie  chez  Thomme,  avec  dedouble- 
mcnt  de  la   personnalitä.    ArrSt   de  Tattaque   par   la   pression   des   tendons,   par   Voisin. 

12.  Hystero - catalepsy  in  a  malen;   attacks  suspended  by  testicular  pessure,   by  Hamilton. 

13.  Du  matiame  hysterique,  par  Cartaz.  14.  Sanitats- Bericht  über  die  deutschen  Heere  im 
Kriege  gegen  Frankreich  1870/71.  YII.  Band:  Erkrankungen  d<:8  Nervensystems.  (Fort- 
setzung.) —  Psjchiatrie.  15.  Die  Intoxicationspsychosen,  von  Obersteiner.  —  Therapie. 
16  £1  Paraldehido,  por  do  Vicente.  17.  De  Texpectation  comme  möthode  de  traitement  de 
delirium  tremens,  par  Christian.    18.  Zur  Behandlung  der  Dipsomanie,  von  Popow. 

III.  Aus  den  Qetellschilten. 

IV.  Bibliographie. 

V.  Personallen. 

VI.  Vermischtet. 


I.  Originalmittheilungen. 


1.  Kephalometrischer  Befund  bei  corticaler  angeborener 

Blindheit. 

Mittheilung  von  Prof.  Dr.  Moriz  Benedikt  in  Wien. 

Yorläufige  und  gelegentliche  kephalometrische  Untersuchungen  vorwaltend 
an  blinden  Kindern  ergaben  mir  bisher  kein  einheitliches  Resultat.  Der  Grund 


—    218    — 

hierfür  dürfte  darin  liegen,  dass  bei  peripherischem  oder  basalem  Sitze  der  zur 
Blindheit  führenden  &ankheit  tiefgreifende  secnndäre  Entartungen  der  Hemi- 
sphären fehlen,  während  die  facüschen  Entartungen  bis  zu  einer  Region  reichen« 
die  einer  kephalometrischen  Untersuchung  unzugänglich  sind. 

Feinere  anatomische  Untersuchungen  mögen  in  Zukunft  freilich  eine  „System- 
Aplasie"  innerhalb  der  feineren  Structur  bestimmter  Hemisphärentheile  nachweisen, 
die  aber  nicht  zu  grober  Aplasie  fuhren. 

Desto  interessanter  ist  der  Befund  bei  einer  35jährigen  E^ranken  mit  an- 
geborener Blindheit.  Es  besteht  blos  eine  Spur  von  Lichtperception  auf 
dem  linken  Auge.  Die  durchsichtigen  Augenmedien  sind  normal  und  der  Augen- 
spiegelbefund zeigte  im  Mai  vorigen  Jahres  einfache  Verfärbung  (Königstbik). 

Die  Kranke  kam  im  Mai  1885  in  poliklinische  Beobachtung  w^n  heftiger 
Kopf-  und  Augenschmerzen.  Seitdem  hat  sich  eine  beiderseitige  Chorioiditis 
mit  Olaucoma  simplex  am  rechten  Auge  ausgebildet  (Jetziger  Befund  y.  Reuss.) 

An  der  Physiognomie  der  Kranken  ist  ein  gewisser  Zug  der  Senilität  auf- 
fallend, der  durch  die  vielfache  Faltenbilduug  an  der  Stirn  bedingt  ist  Femer 
ist  eine  ziemlich  beträchtliche  Nasenlänge  (58  mm]  bei  beträchtlicher  Höhe  und 
breitem  Bücken  vorhanden.  Der  Kopf  zeigt  im  Allgemeinen  Dimensionen,  die 
an  der  untersten  typischen  Qrenze  liegen.  Die  auffallende  kephalometrische  Er- 
scheinung aber  ist  die  hochgradige  Aplasie  des  Interparietalbeins 
(Schuppe  des  Occipitalbeins).  Während  z.  B.  bei  dem  weiblichen  Schädel  nach 
Weissbaoh  das  Minimum  der  Hinterhauptsbreite  99  mm  und  das  Minimum 
des  dazugehörigen  Querbogens  120  mm  beträgt,  finden  wir  hier  eine  Hinter- 
hauptsbreite von  88  mm  und  der  dazu  gehörige  Bogen  misst  90  mm!  Die 
mediale  Sehne  des  Interparietalbeins  beträgt  hier  48  mm,  also  jedenfalls  ein 
Maass,  das  etwas  unter  dem  normalen  Minimum  ist;  der  dazu  gehörige  Bogen 
beträgt  blos  50  mm,  so  dass  die  Krümmung  in  den  zwei  auf  einander 
senkrechten  Richtungen  als  nahezu  Null  angesehen  werden  muss. 

Aus  diesen  Maassen  erhellt  die  hochgradige  Aplasie  der  Hinterhauptslappen 
und,  physiologisch  ausgedrückt,  die  Aplasie  der  MuNK'schen  Sehcentren. 

Wir  werden  unzweifelhaft  diesen  Befund  nur  bei  angeborener  oder  früh- 
zeitig erworbener  Blindheit  finden,  die  mit  corticaler  Aplasie  der  Hinterhaupts- 
lappen einhergeht 

Wenn  ich  von  meinem  seit  lange  befolgten  Princip,  Einzelbeobachtungen 
und  Einzeluntersuchungen  nicht  mitzutheilen,  hier  abweiche,  so  geschieht  es  in 
der  Hoffnung,  dass  dieser  Fall  von  angeborener  Blindheit  werde  auf  die  Kurz- 
sichtigkeit der  Fachkreise  für  die  Bedeutung  der  Kranio-  und  Kephalometrie 
heuernd  einwirken. 

Es  kann  nicht  lange  mehr  dauern,  bis  man  einsieht»  dass  Qehimpathologie 
und  forensische  Psychologie  ohne  Kranio-  und  Kephalometrie  vielleicht  noch 
unbehülflichere  Wissenschaften  sind,  als  Pathologie  der  Brustkrankheiten  ohne 
Auscultation  und  Percussion. 

Wien,  im  April  1886. 


—    219    — 

2.    Die  DifiFasionselektrode. 

Von  Professor  Dr.  Albert  Adamkiewioz. 

Uuter  allen  Mitteln,  welche  im  Laufe  der  Zeiten  zur  Behandlung  von  Neu- 
ralgien empfohlen  worden  sind,  nimmt  der  coustante  Strom  einen  besonders 
hervorragenden  Platz  ein.  Er  ist,  zumal  in  seiner  Anodenwirkung,  eines  der 
mächtigsten  Agentien,  welche  auf  schmerzhafte  Erregungen  der  Nerven  be- 
ruhigend wirken.  —  Vor  kurzem  erst  habe  ich^  selbst  Gelegenheit  gehabt,  ein 
eclatantes  Beispiel  dieser  seiner  Eigenschaft  zu  geben.  — 

Doch  ist  der  constante  Strom,  wie  bekannt^  keineswegs  unl'ehlbar.  Auch 
er  lässt  häufig  im  Stich  und  nöthigt  den  Arzt,  seine  Zuflucht  zu  medicamentösen 
Mitteln  zu  nehmen. 

Dass  auch  diese  an  Zuverlässigkeit  der  Wirkung  noch  manches  zu  wünschen 
übrig  lassen,  mag  daraus  erhellen,  dass  die  grosse  Zahl  der  bereits  vorhandenen 
antinearalgischen  Mittel  neue  Vorschläge  und  Empfehlungen  nichts  weniger,  als 
entbehrlich  gemacht  hat.  — 

Diese  neuen  Vorschläge  beziehen  sich  fast  ausschliesslich  auf  Medicamente. 
Denn  da  die  Anwendungsweise  des  elektrischen  Stromes  ihre  natürliche  Be- 
schränkung hat,  so  kann  es  sich  bezüglich  des  letzteren  nur  um  die  Wirkung 
der  Anode,  höchstens  noch  der  E^athode  und  des  faradischen  Stromes  handeln, 
die  alle,  wie  die  Erfahrung  lehrt,  unter  Umstanden  ihren  Erfolg  haben  können. 

Wenn  nun,  wie  aus  dieser  kurzen  Betrachtung  hervorgeht,  einerseits  weder 
der  elektrische  Strom,  noch  das  Medicament  g^en  Neuralgien  zuverlässig,  an- 
dererseits aber  auch  nicht  ohne  eine,  wenn  auch  beschränkte  Wirksamkeit  ist, 
so  lag  es  nahe,  auch  einmal  daran  zu  denken,  ob  es  nicht  möglich  sei,  durch 
eine  Gombination  des  elektrischen  Stromes  mit  einem  Medicament 
ein  neues  Mittel  zu  schaffen,  welches,  indem  es  die  Wirksamkeit 
seiner  beiden  Gomponenten  verbände,  eine  entsprechend  grössere 
Oesammtleistung  entfalten  würde. 

Die  Ausführung  dieses  Gedankens  versprach  von  vornherein  um  so  mehr 
Erfolg,  als  die  Versuche  Wagnbb's^  gelehrt  hatten,  dass  ein  mit  einer  Lösung 
von  Cocain  getränktes  Bheophor  als  Anode  eines  mittelstarken  constanten  Stromes 
in  der  Haut  eine  auf  die  Applicationsstelle  zwar  beschränkte,  aber  intensive 
Anästhesie  hervorzurufen  im  Stande  sei.  —  Weil  ich  nun  von  vornherein  ai^- 
wohnte,  dass  der  hohe  Preis  des  Ciocain  die  allgemeine  Verwerthung  desselben 
zur  Kataphorese  sehr  erschweren  vrürde,  zumal  bei  der  Art  seiner  hier  noth- 
wendigen  äusserlichen  Verwendung  Verluste  nicht  zu  vermeiden  wären,  so  be- 
schloes  ich.  Versuche  mit  Chloroform  anzustellen,  dem  ich  von  vornherein 
deshalb  vertraute,  weü  es  mir  in  Gtestalt  der  (von  Sghnydeb  empfohlenen) 
Chloroformcompresse  gerade  bei  Neuralgien  öfters  gute  Dienste  geldstet  hatte. 

Gleich  beim  Beginn  meiner  Versuche  zeigte  es  sich  indessen,  dass  das 


1  Braslauer  ärztliche  Zeitsobrift.  1886.  Nr.  8. 
*  Wiener  med.  Blätter.  1886.  Nr.  6. 


-     220     — 

einfache  Befeuchten  der  in  gewöhnlicher  Weise  annirteu  Plattenelektrode  eio 
für  meine  Zwecke  unbrauchbares  Verfahren  war. 

Die  geringe  Menge  von  Chloroform,  welche  im  Ueberzug  der  Elektrode 
Platz  hat,  reicht  um  so  weniger  hin,  Uautanästhesien  hervorzubringen,  als  sie 
durch  schnelle  Yerdanstnng  des  Mittels  noch  zum  gröesten  Tbeil  während  des 
Versuches  verloren  geht  Ein  wiederholtes  Befenchten  der  Elektrode  während 
einer  Sitzung  würde  aber  zu  umständlich  und  aus  dem  Grunde  geiadezu  unaus- 
führbar sein,  weil  der  Vorgang  der  Katapfaorese  eine  Unterbrechung  tur  dem 
Eude  selbstverständlich  gar  nicht  duldet 

Ich  musste  deshalb  zunächst  eine  Vorrichtung  ersinnen,  vermöge  welcher 
die  eben  besprochenen  Nachtheile  des  Verfahrens  beseitigt  werden  würden. 
Die  zu  erfüllende  Aufgabe  war  klar  voi^ezeiohnet. 

Es  musste  eine  Elektrode  construirt  werden,  welche  1.  die  zur  Herstellung 
einer  rollkommeuen  Hantanästhesie  resp.  Beseit^ng  dnee  Schmerzes  nothwen- 
dige  Ghloroformmenge  auf  einmal  fassen  und  2.  dieselbe  während  der  Kata- 
phorese  uogeßhr  in  derselben  Menge,  als  sie  die  Haut  absorbirte,  an  dieselbe 
wieder  abgeben  würde.  — 

Ich  löste  diese  Aufgabe  so,  dass  ich  mir  ein  rundes,  hohles  Reservoir  von 
Metall  in  Gestalt  einer  gewöhnlichen  plattenförmigen  Elektrode  anfertigen  und 
in  dieses  Reservoir  als  Boden  eine  dQnne  Platte  von  sog.  „elektrischer"  Kohle 
ansetzen  liess.  Letztere  sollte  vermöge  ihrer  Porosität 
die  Diffusion  zu  unterhalten  und  vermöge  ihrer  elek- 
trischen IieituDgstähigkeit  den  elektrischen  Strom  zu 
leiten  im  Stande  sein. 

Ich  nenne  diesen  einfachen  Apparat  die  Diffn- 
8ionselektroda> 

Nebenstehende  Fignr  zeigt  sie  und  die  Art  ihrer 
Befestigung  an  dem  unteren  Ende  des  Elektroden- 
griffes  im  Darchsohnitt.  — 

D  ist  die  aus  Messing  gefertigte  Difiosionaelek- 
trode.  Sie  hat,  wie  die  gewöhnlidie  Plattenelektrode, 
die  Form  eines  Pilzes.  Ihr  Inneres  ist  hohl  und  fasst 
ungefähr  3  oc  Flüssigkeit  Die  Seitenwandhöhe  des 
Reservoirs  beträgt  0,8  cm  (kann  natürlich  auch  höher 
sein),  der  Durchmesser  dest  Platte,  wie  die  der  Normal- 
elektrode Ebb's,  3,1  cm.  —  Im  Straft  (Seh)  der 
DiSusionselektrode  befindet  nch  die  Schraubenmutter 
(Sj,  vermöge  welcher  die  Elektrode  an  das  untere 
Ende  des  Elektrodenträgers  (E)  geschraubt  wird.  — 
Durch  die  Hitte  sowohl  des  Sdiaftes  der  Diffusions- 
elektrode, als  des  unteren  Endes  des  Elektroden- 
tr^ers  geht  eine  Bohrung  (B),    die  an  ihrem  oberen  Ende  unter  rechtem 

'  Sie  wird  vom  hiengeo  Mechaniker  Preyor  verfertigt  Ich  habe  sie  in  d«r  GbhII- 
•chaft  der  Knkaner  Aerzte  am  21.  Ajiril  d.  J.  dcmonatrirt. 


—    221    — 

Winkel  abbie^  und  dicht  unter  dem  Stromunterbrecher  (U)  endet  Sie  setzt 
den  Innenranm  der  Diffüsionselektrode  mit  der  Luft  in  Gommonication  und 
verhindert  es,  dass  wahrend  4er  Eataphorese  im  Beservoir  der  Diffndonselektrode 
ein  Yacnom  sich  bildet.  Die  Entstehung  eines  solchen  würde  der  weiteren 
DifiFosion  der  Eataphoresenflüssigkeit  hinderlich  sein  müssen.  Damit  aber  auch 
der  Inhalt  der  Diffüsionselektrode  durch  die  obere  Oe&ung  der  Bohrung  nicht 
verloren  geht,  ist  letztere  noch  mit  einem  dem  Unterbrecher  ähnlichen,  laicht 
za  tuenden  Verschlussmechanismus  versehen.  —  Endlich  wird  noch  die  Dif- 
fosioiiselektrode  vor  der  Verwendung  mit  einem  über  einer  Metallkapsel  ge- 
spannten Leder-  oder  Leine wandüberzug  versehen,  da  bei  unmittelbarer  Appli- 
cation der  Eohlenplatte  (E)  an  die  Haut  die  Eataphorese  mit  Chloroform  sehr 
schmerzhaft  ist  und  so  stark  reizt,  dass  sie  anfangs  —  ähnlich  wie  die  Brenn- 
nessel  —  Papeln,  spater  sogar  kleine  Brandschorfe  und  Ekchymosen  hervorbringt 

Die  in  dieser  Weise  hergestellte  Diffüsionselektrode  wird  nun  in  folgender 
Weise  verwendet 

Nachdem  sie  mit  Chloroform  geladen  und,  damit  der  Eataphoresenstrom 
in  der  Richtung  von  der  Oberfläche  der  Haut  in  die  Tiefe  dringt,  an  den  mit 
dem  positiven  Pol  einer  Constanten  Batterie  verbundenen  Elektrodenträger 
angeschraubt  worden  ist,  wartet  man,  bis  ihr  üeberzug  sich  vollkommen  mit 
Chloroform  durchsogen  hat  und  bei  der  Berührung  mit  der  Eathode  einen  Aus- 
schlag der  Galvanometemadel  giebt  Jetzt  legt  man  die  Eathodenplatte  an  einen 
indifferenten  Ort  des  Eörpers  des  Patienten,  lässt  sie  dort  halten  und  applicirt  b  e  i 
vollkommener  Stromlosigkeit  der  Vorrichtung  die  Diffüsionselektrode 
an  die  vorher  genauer  fixirte  schmerzhafte  Stelle  (VALLSix'schen  Punkt  etc.). 

—  Der  Patient  fUilt  nun  ein  leichtes  Brennen.  —  Sobald  er  mit  diesem  Ge- 
fühl vertraut  geworden  ist,  öfhet  man  den  Strom,  den  man  zunächst  sehr 
schwach  wählt  —  Man  steigert  ihn  nun  sehr  langsam  bis  zu  derjenigen  Grenze, 
bei  welcher  ihn  der  ELranke  ohne  besonderes  Unbehagen  noch  gerade  zu  er- 
trs^n  im  Stande  ist    Diese  Grenze  schwankte  zwischen  8,  5,  7  Mühamp^res. 

—  Man  mächt  dabei  die  Bemerkung,  dass  sich  die  Stärke  des  Stromes,  offenbar 
in  dem  YerhältDiss,  als  sich  die  Widerstände  im  Eörper  in  Folge  der  Eata- 
phorese  vermindern,  nachträglich  noch  continuirlich  steigert.  Trotzdem  nimmt 
das  brennende  Gefühl  in  der  Haut  mit  der  Dauer  des  Stromes  nicht  zu,  son- 
dern deutlich  ab,  was,  wie  wir  bald  sehen  werden,  in  der  Anästhesie  seinen 
Grund  hat,  welche  die  Eataphorese  in  der  Haut  hervorbnngt. 

Ist  der  Strom  bei  dem  angeführten  Maximum  etwa  2—8  Minuten  durch  die 
schmerzhafte  Stelle  geflossen,  so  schwächt  man  ihn  bis  auf  Null  wieder  allmäh- 
lich ab.  Jetzt  kann  man  meist  constatiren,  dass  der  Schmerz  verschwunden 
ist    Im  NothfaU  muss  die  Procedur  wiederholt  werden. 

Ich  habe  bereits  in  einigen  Fällen  von  Neuralgien,  eines  lutercostalnerven, 
des  Nervus  trigeminus  und  einzelner  seiner  Zweige,  sowie  bei  rheumatischen 
Schmerzen  mit  diesem  Verfahren  so  günstige  Erfolge  erzielt,  dass  ich  nicht 
anstehe,  dasselbe  hiermit  zu  weiterer  Prüfung  zu  empfehlen.  —  Werden  auch 
die  Heilungen,  die  man  auf  diese  Weise  erreicht,  nicht  immer  definitive  sein. 


—    222    — 

80  dürfte  doch  dem  Aizte  ein  Ver&hren,  welches  in  gewissen  Fällen  andi  nur 
temporar  schmerzhafte  Leiden  unterbricht,  sicher  nicht  unwillkommen  sein. 

Die  schmerzstillende  Wirkung  der  CMorofoimkataphorese  beruht  auf  der 
schon  erwähnten  Eigenschaft  derselben,  die  schmerzhafte  Partie,  zumal  den 
kranken  Nerven  direct  zu  anästhesiren. 

Von  der  looal  anästhesirenden  Kraft  der  Ghloroformkataphoiese  konnte  ich 
mich  auf  folgende  Weise  überzeugen. 

Die  Eataphorese  hängt,  wie  bekannt,  yon  der  aü  der  Applicationsstelle  des 
Bheophors  Torhandenen  Stromdichte  ab.  und  da  die  Dichte  des  elektrischen 
Stromes  seiner  Intensität  direct,  dem  Querschnitt  der  Strombahn  aber  umge- 
kehrt proportional  ist^  —  so  wird  bei  Anwendung  ein  und  derselben  Difiusions- 
elektrode  die  Eataphorese  mit  der  Stärke  des  elektrischen  Stromes  wachsen.  ~ 

um  nun  eine  recht  intensive  Chloroformkataphorese  zu  erhalten  und  ihren 
Einfluss  auf  die  normale  Sensibilität  der  Haut  kennen  zu  lernen,  wandte  ich 
das  oben  beschriebene  Verfahren  bei  jungen  kraftigen  Leuten  an  und  steigerte, 
nach  der  Application  der  Diffdsionselektrode  an  den  Vorderarm,  den  elektrischen 
Strom  auf  die  grosstmöglicheui  von  ihnen  vertragenen  Grossen.  —  Diese  Ghrössen 
schwankten  zwischen  7  und  10  Milliamperes.  Liess  ich  diesen  Strom  durch 
fünf  Minuten  einwirken,  so  konnte  ich,  während  in  der  Haut  etwa  2 — 3  cc 
Chloroform  verschwanden,  im  Bereiche  der  Eataphorese  eine  absolute  Anäs- 
thesie constatireiL  —  Die  Versuchsperson  fühlte  hier  weder  Eälte  noch  Wärme, 
weder  Berührung,  noch  Stich,  selbst  wenn  letzterer  in  die  Tiefe  ging  und  eine 
ganze  Hautfolte  durchbohrte.  — 

Die  in  dieser  Weise  erzeugte  Anästhesie  dauert  etwa  8 — 6  Minuten.  Dann 
klingt  sie  allmählich  ab,  ohne  indessen  während  der  nächsten  10 — 15  Minuten 
vollkommen  zu  verschwinden  und  selber  noch  nach  einigen  Stunden  nicht  ge- 
wisse Spuren  zu  hinterlassen.  — 

Bemerkenswerth  ist  es  schliesslich,  dass  die  Anästhesie  sich  auf  die  Appli- 
cationssteUe  der  Difiusionselektrode  nicht  beschränkt  —  Auch  die  ganze  Nach- 
barschaft der  galvanisirten  Hautpartie  nimmt  in  gewissem  Orade  an  der  Anäs^ 
thesie  theil,  und  man  kann  feststellen,  dass,  wenn  man  beispielswdse  an 
der  Bückenfläche  des  Vorderarmes  in  der  bezeichneten  Weise  experimentirt  hat, 
nach  dem  Versuch  diese  ganze  Fläche  eine  mehr  oder  weniger  herabgesetzte 
Empfindlichkeit  zeigt  — 

Freilich  lässt  es  sich  nicht  vermeiden,  dass  bei  solchen  fordrten  Versuchen 
die  Haut  an  der  Berührungsstelle  der  Diffusionselektrode  häufig  gereizt  erschemt, 
zuweilen  Bogßx  eine  geringe  Verschorfang  der  Epidermis  aufweist 

Allein  bei  der  therapeutischen  Verwerthung  meines  Verfahrens  lassen  sich 
bei  einiger  Vorsicht  solche,  übrigens  in  ihren  Folgen  vollkommen  bedeutungslose, 
Zufälligkeiten  gut  vermeiden. 


—    228    — 

3.  üeber  einige  seltene  Initialerscheinungen  der 

Dementia  paralytica. 

Von  Dr.  FeliBaeus  in  KreiBcha. 

Bei  dem  grossen  Interesse,  welches  der  Kranke  wie  der  Arzt  an  der  recht- 
zeitigen Erkennung  einer  so  schweren  organischen  Erkrankung  des  Gehirns  wie 
der  Dementia  paralytica  hat,  ist  es  von  Bedeutung,  diejenigen  Erscheinungen, 
welche  im  Beginn  dieser  Erkrankung  auftreten,  unter  Umstanden  die  ganze 
Aufinerksamkeit  des  Kranken  in  Anspruch  nehmen  und  auf  diese  Weise  eine 
frühzeitige  richtige  Diagnose  verhindern,  zu  kennen. 

Ich  erinnere  nur  an  die  gastralgischen  Anfalle,  die,  wenn  de  im  Beginn 
der  Tabes  auftreten,  oft  jahrelang  das  Grundleiden  so  yerschleiem  können,  dass 
die  Kranken  2  oder  8  Jahre  nacheinander  Karlsbad  aufsuchen,  um  sich  von 
ihrem  „Magenleiden^'  zu  befreien.  Natürlich  ohne  Erfolg.  Ich  behandelte  vor 
einigen  Jahren  mit  gutem  Erfolg  einen  Tabeskranken,  der  3  Sonmier  6  Wochen 
lang  in  Karlsbad  sich  aufgehalten  hatte,  ohne  dass  die  richtige  Diagnose  ge- 
stellt war. 

Aus  diesen  Gründen  möge  mir  eine  kurze  Skizzirung  der  beiden  folgenden 
Fälle  gestattet  sein. 

B.  ausgesprochener  Paralytiker  mit  der  bekannten  charakteristischen  Sprach- 
störung, PupiUardifferenz,  geringem  Krankheitsgefühl  u.  s.  w.  Der  Kranke,  jetzt 
38  Jahr,  hat  vor  17  Jahren  Schanker  und  einen  Bubo  gehabt,  ist  aber  seit 
jener  Zeit  gesund,  verheirathet  und  hat  ein  durchaus  gesundes  Kind.  Im  Sommer 
1885  bemerkte  der  Kranke,  dass  er  sehr  viel  Speichel  absondere,  häufig  aus- 
spucken muss,  Schmerzen  im  Halse  und  leichte  Schlingbeschwerden  habe.  Der 
Kranke  wurde  mit  Gurgelwasser  und  später  mit  Kauterisation  der  hinteren 
Bachenwunde  ohne  Erfolg  behandelt. 

Im  October  stellten  sich,  während  die  dem  Kranken  sehr  lästige  Speichel- 
sekretion in  derselben  Weise  fortdauerte,  die  hinreichend  bekannten  Initialsymp- 
tome der  Paralyse  ein,  Vergesslichkeit,  wechselnde  Stimmung  und  Krankheits- 
gefühL 

Bei  der  Auöiahme  am  11.  Januar  1886  meinte  der  Kranke  selber,  er  sei 
nervös,  er  könne  nicht  mehr  wie  früher  arbeiten,  aber  das  Schlimmste  sei  doch, 
dass  ihm  der  viele  Speichel  im  Munde  zusanmienlaufe,  er  müsse  entweder  Alles 
herunterschlucken,  oder  mindestens  alle  6  Minuten  ausspucken.  Im  Pharynx 
sind  die  gewöhnlichen  Erscheinungen  des  chronischen  Bachenkatarrhs,  wie  sie 
sich  bei  Rauchern  immer  finden,  sichtbar.  Während  eines  achtwöchent- 
lichen Aufenthaltes  in  der  Anstalt  erholt  sich  Pat  sehr  gut,  so  dass  die  Frau 
des  Kranken  ihn  nach  seiner  Rückkehr  für  geheilt  erklärte.  Angewandt  wurden 
lauwarme,  später  kühle  Bäder  und  speciell  behu&  Einwirkung  auf  die  Speichel- 
sekretion Gfidvanisation  des  Sympathicus  am  Halse  und  quer  durch  den  Processus 
mastoideL  2— 2Vt  Milliampere  3—4  Minuten  taglich.  Der  Erfolg  war,  was 
die  Sekretion  des  zähen  Speichels  anlangt,  gering,  wenn  nicht  gleich  Null,  und 


—    224    — 

in  Folge  dessen  waren  auch  die  dem  Kranken  so  sehr  lästigen ,  häufig  nötiüg 
werdenden  Schlnckbewegungen,  respective  die  Nothwendigkeit  des  häufigen  Aus- 
spuckens,  das  Eratzen  im  Halse  nicht  geschwunden. 

Meiner  Ansicht  nach  liegt  das  Interesse  dieser  Beobachtung  nicht  in  dem 
Vorkommen  des  Speichelflusses  an  sich,  wenn  auch  das  Auftreten  desselben  als 
Initialsymptom  der  Dementia  paralytica  nicht  häufig  ist,  sondern  darin,  dass 
dieser  Fall  beweisst,  wie  leicht  es  möglich  ist,  dass  diese  Erscheinung  den  Be- 
ginn der  schwereren  Himerkrankung  unter  Umständen  ganz  zu  verdecken  im 
Stande  ist. 

Der  zweite  Fall  schliesst  sich  an  die  neueste  Publication  von  Weil  über 
einen  analogen  Gegenstand:  „Die  Lähmung  der  G-lottiserweiterer  als  initiales 
Symptom  der  Tabes  dorsaUs'^^  an  und  zwar  spedell  an  die  in  dieser  Arbeit 
citirte  Beobachtung  von  KahtiEK.*  Bei  einem  Kranken  mit  tabischen  Er- 
scheinungen zum  Theil  bulbärer  Natur  schlug  die  schwache  Stimme  häufig  in 
Fistelstimme  über.  Im  weiteren  Fortschreiten  der  Erkrankung  war  nach  einiger 
Zeit  eine  Lähmung  des  rechten  Stimmbandes  zu  constatiren. 

In  dem  nachfolgenden  Falle  handelt  es  sich  um  eine^  35jährigen,  in  letzter 
Zeit  durch  überhäufte  Beruüsarbeiten  sehr  angestrengten  Maom,  der  im  Laufe 
des  Sommers  1685  zuerst  die  Empfindung  hatte,  er  könne  nicht  mehr  so  ar- 
beiten wie  früher.  Er  wurde  erregt,  leicht  aufbrausend,  hat  Gonflicte  mit  seinen 
Yorgesetzten  und  dergleichen  Erscheinungen  mehr.  Im  October  bemerkte  Fat, 
dass  bei  ihm  die  Stimme  häufiger  umschlug  und  er  insbesondere  bei  Selbstgesprächen 
und  gewöhnlicher  Unterhaltung  in  der  Familie  mit  Fistelstimme  sprach.  Diese 
Erscheinungen  steigerten  sich  so,  dass  Fat  seit  December  1885  ausser  bei  Yer- 
handlungen  mit  seinen  Yoigesetzten  fast  immer  in  Fistel  sprach;  so  wie  er  sich 
aber  anstrengte,  war  die  Stimme  wieder  normal. 

Bei  der  Aufnahme  in  die  Anstalt  ist  Fat  sehr  erregt,  spricht  viel  vor  sich 
hin  und  zwar  immer  in  Fistel.  In  der  Unterhaltung  wechselt  die  Stimme, 
minutenlang  tiefer  Bass,  dann  wieder  Fistel.  Im  Uebrigen  Fupillardifferenz  und 
zwar  andauernd,  mangelhaftes  Ejrankheitsgefühl,  etwas  gehobenes  Selbstbewuast- 
sein,  kurz  alle  Erscheinungen  der  beginnenden  Dem.  paral.  in  einer  fär  den  Arzt 
unverkennbaren  Form.  Während  eines  Swöchentlichen  Aufenthaltes  erholte  sich 
der  Kranke  recht  gut,  wird  ruhiger,  die  Stimme  besserte  sich,  oft  stundenlang 
normal,  wird  aber  g^en  Ende  des  Aufenthaltes  in  Folge  Erregung  des  Kranken 
wieder  schlimmer. 

Die  Natur  dieser  Parese  der  Stimmbänder  oder  des  einen  Sümmbandes 
konnte  laryngoskopisch  nicht  constatirt  werden,  da  bei  der  Untersuchung  ebenso 
wie  in  der  Unterhaltung,  wenn  der  Kranke  seine  Aufmerksamkeit  auf  die  Fho- 
nation  richtete,  die  Stimmbänder  sich  fest  an  einander  legten  und  deren  Aus- 
sehen durchaus  normal  war.  Es  ist  wohl  kaum  zu  bezweifeln,  dass  wenn  der 
Kranke  einer  Berufsklasse,  die  auf  einen  stärkeren  Gebrauch  ihrer  Stimm- 


*  Weil,  Berl.  Hin.  Wochenachr.  1886.  Nr.  18. 

'  Kahlbb,  Beitrag  zur  patbologischoD  Anatomie  der  mit  cerebralen  Symptomen  Ter- 
laufenden  Tabes  dorsalia.    Zeitsehr.  f.  Heilk.  1881.  S.  482. 


—    225    — 

Organe  angewiesen  ist,  etwa  dem  Lehrer-  oder  Predigerstande  angehört  hätte, 
dass  in  diesem  Falle  die  Störung  in  der  Stinmibildung  die  hauptsächlichste 
Klage  des  Kranken  gebUdet  haben  würde,  während  bei  der  Stellung  des  Kranken 
als  Bureaubeamten,  der  vorzugsweise  mit  schriftlichen  Arbeiten  zu  thun  hatte, 
die  Störung  der  Sprache  nur  nebensächlich  war. 


n.   Referate. 


Anatomie. 

1)  The  Btruoture,  distribution  and  fonotion  of  the  Nerves,  w^hioh  innervate 
the  vifloeral  and  vascular  System,  by  W.  H.  GaskelL  (Journal  of 
Physiology.  Vol.  VII.  Nr.  1.) 

Die  Arbeit  von  Gaskell  ist  ausserordentlich  inhaltsreich.  Sie  verdient  und 
erfordert  ob  der  Wichtigkeit  der  darin  niedergelegten  Facten  und  Anschauungen  ein 
eingehendes  Referat.  Doch  sei  schon  jetzt  eindringlich  auf  das  Original  verwiesen^ 
dessen  Darstellung  vielfach  durch  gute  Abbildungen  unterstützt  wird. 

1.  Theil.  Die  Nervi  efferentes  der  Gefäss-  und  Eingeweide-Mus- 
culatur. 

Alle  Untersuchungen  sind  am  Hunde  angestellt,  wesentlich  weil  unsere  Kenntnisse 
?on  den  Functionen  der  visceralen  Nerven  zumeist  aus  Experimenten  an  diesem  Thier 
gewonnen  wurden. 

Aus  dem  Bflckenmark  ziehen  mit  den  Spinalwurzeln  heraus  die  Bami  visce- 
rales. Sie  gelangen  zu  den  vertebralen  Ganglien  des  Sympathicus  neben  der 
Wirbelsaule  und  aus  diesen  zu  einer  weiteren  Reihe  von  Ganglien  (GgL  semilanare 
Inf.,  mesentericum  etc.).  Die  letzteren  nennt  Verf.  prävertebrale  Ganglien.  Sie 
entsenden  wieder  Fäden  zu  den  Organen  selbst,  zu  den  in  oder  bei  diesen  liegenden 
terminalen  Ganglien.  Jeder  Bamns  visceralis  besteht  aus  einem  markhaltigen 
uod  einem  markCreien  Bündel  (Onodi). 

Das  markhaltige  Bündel  giebt  Fasern  ausser  zur  entsprechenden  vorderen  und 
hinteren  Wurzel  noch  zu  den  vertebralen  und  den  prävertebralen  Ganglien. 

Dem  markhaltigen  Bündel  allein  entstammen  die  Rami  viscerales  der  Morpho- 
logen.  Durch  sie  allein  fliessen  vom  10.  (2.  Brustnerv)  bis  25.  (2.  Lendennerv) 
Nerv  dem  Sympathicus  Fasern  aus  dem  Centralnervensysteme  zu;  denn  der  graue 
Zweig  wendet  sich,  nachdem  er  mit  dem  lateralen  Ganglion  in  Verbindung  getreten 
ist,  sofort  nach  rückwärts  und  verliert  sich  auf  dem  Wirbelkörper  und  in  dem  ihm 
entsprechenden  Spinalnerven. 

Die  weissen  visceralen  Nervenfasern  haben  ein  charakteristisch  feines  Caliber. 

Die  sympathischen  Nerven  der  Lumbosacralregion  (Nn.  erigentes  etc.)  nennt 
Verfasser  Splanchnicus  pelvicas  und  spricht  consequenter  Weise  dann  von  einem 
Splanchnicus  abdominalis  und  einem  Splanchnicus  cervicalis. 

Viele  Schwierigkeit  machte  namentlich  die  Untersuchung  des  Splanchnicus  cervi- 
calis (Serienschnitte  etc.)  Es  stellte  sich  dabei  heraus,  dass  dessen  Fasern,  das 
heisst  die  mit  den  oberen  Halsnerven  und  dem  Vagus  austretenden  Fäserchen,  fast 
alle  im  nicht  motorischen,  inneren  Zweige  des  Accessorius  verlaufen  und  mit  diesem 
in  den  Vagus  eintreten.  Ausserdem  gehen  Theile  davon  direct  (?)  in  den  Vagus 
uid  Glossopharyngeus. 

Ein  weiterer  Abschnitt  untersucht  die  Stmctur  und  Vertheilung .  der  vaso- 
motorischen Nerven.  Dieselben  verlaufen  für  alle  Theile  des  Körpers  als  feinste 
markhaltige  Bündelchen  in  allen  vorderen  Wurzeln  vom  10.  bis  25.  Nerven,   treten 


-    226    — 

in  den  Grenzstrang  ein,  verlieren  dort  complet  ihr  Mark  und  werden  dann  entweder 
direct  oder  nach  Verbindung  mit  anderen  Ganglien  zu  den  Organen  vertheilt. 

Verf.  legt  einen  besonderen  Werth  darauf,  dass  diese  letzten  Stücke  der  vaso- 
motorischen Nerven  keine  markhaltigen  Fasern  enthalten.  ,,Ich  kenne",  sagt  er, 
„kein  anderes  Bflndel  von  Nervenfasern  mit  bestimmter  Function,  das  so  vollkommen 
frei  von  markhaltigen  Fasern  ist,  wie  z.  B.  die  Uerznerven."     • 

Die  visceromotorischen  Nerven  verlassen  die  MeduUa  oblongata  in  den 
Wurzeln  der  Yagusgruppe  und  sind  markhaltig.  Im  Brusttheüe  des  Vagus  haben 
sie  ihr  Mark  schon  verloren  und  es  lässt  sich  nachweisen,  dass  dieser  Verlust  im 
Ganglion  trunci  vagi  stattfindet  Verf.  hat  zu  diesem  Zwecke  eine  Reihe  von  Vagus- 
durchschneidungen  an  13  Krokodilen  vorgenommen,  wo  die  Verhältnisse  besonders 
günstig  liegen,  weil  das  Ganglion  jugulare  vom  Ganglion  trunci  vagi  durch  ein  langes 
Stück  Nerv  getrennt  ist. 

Es  folgen  Untersuchungen  über  den  Verlauf  der  einzelnen  Zweige  für  den  Oeso- 
phagus, den  Magen  und  die  Eingeweide.  Speciell  lässt  sich  für  die  visceromotorischen 
Nerven,  von  welchen  die  peristaltische  Contraction  des  Oesophagus,  des  Magens  und 
der  Eingeweide  abhängt,  sagen,  dass  sie  das  Gentralnervensystem  als  feine  mark- 
hsJtige  Nerven  im  oberen  Theile  der  Cervicalregion  verlassen  und  durch  die  Bami 
viscerales  des  Accessorius  und  Vagus  zum  Ganglion  tiunci  vagi  gelangen,  wo  sie 
marklos  werden.  Wo  das  dem  Ganglion  trunci  vagi  entsprechende  Ganglion  für  die 
Blasenmusculatur  liegt,  konnte  Verf.  nicht  sicher  entscheiden;  möglicherweise  ist  es 
in  den  Zellen  des  Plexus  hypogastricus  zu  suchen. 

Gefässerweiternde  und  Herzhemmungsnerven  verlassen  das  Gentral- 
nervensystem unter  den  feinen  markhaltigen  Fäserchen,  welche  die  Bami  viscerales 
in  der  Cervicocranial-  und  Sacralregion  aufbauen  und  ziehen  ohne  ihren  Charakter 
zu  ändern  bis  zu  den  terminalen  Ganglien.  Die  Hemmungsnerven  für  die  Bauch- 
eingeweide treten  aus  dem  Bückenmark  und  den  vorderen  Wurzeln  heraus,  gehen 
ebenfalls  direct  zu  den  terminalen  Ganglien  und  communiciren  nicht  mit  den  Gang- 
lien des  Grenzstranges. 

So  wäre  denn  als  ein  wichtiger  Punkt  aus  dem  Vorhergegangenen  zu  entnehmen, 
dass  alle  Nerven  für  die  Gefasse  und  Eingeweide  mit  Bfarkscheiden  versehen  das 
Bückenmark  verlassen  und  dass  sie,  ehe  sie  zu  ihrer  Endstation  gelangen,  diese 
Scheiden  in  (Ganglien  verlieren.  Zahlreiche  dieser  Zweige  hat  Verf.  mit  Mikroskop 
und  Messer  verfolgt  Er  hat  es  ausserdem  wahrscheinlich  gemacht,  dass  die  be- 
treffenden glatten  Muskeln  zweierlei  Nervenfasern  bekommen,  deren  eine  motorischen, 
die  andere  inhibitorischen  Charakter  hat  (Physiologische  Untersuchungen  am 
Sphincter  Iridis.) 

Aus  den  Versuchen  des  Verfassers  seit  1881  über  die  Wirkungsweise  der 
motorischen  und  inhibitorischen  Nerven  der  vascularen  und  visceralen 
Muskeln  geht  hervor,  dass  Beizung  der  betreffenden  sympathischen  Fasern  die 
Thätigkeit  des  Herzmuskels  in  jeder  Beziehung  steigert  und  dass  rasch  auf  ge- 
steigerte Thätigkeit  Erschöpfung  folgte  dass  aber  Beizung  des  Vagus  die  Thätigkeit 
herabsetzt,  wobei  sich  die  Function  erholt  Dieser  physiologische  Theil  der  Abhand- 
lung enthält  eine  eingehende  Discussion  der  betreffenden  Literatur. 

2.  Theil.  Ueber  einige  morphologische  Verhältnisse  in  der  Ver- 
theilung  der  visceralen  und  vascularen  Nerven. 

Weitere  Untersuchungen  betreffen  die  Morphologie  des  oberen  Cervical- 
ganglionsi  speciell  bei  Testudo  Graeca.  Bis  hierher  beruht  die  Abhandlung  wesentlicli 
auf  durch  die  Präparation  gewonnenen  Factis.  Im  folgenden  Abschnitt^  der  den  cen- 
tralen Ursprung  des  Bamus  visceralis  untersucht^  verlässt  Verf.  das  bislang 
behandelte  Thema  und  betritt  zugleich  das  (Gebiet  der  Hypothese.  Die  graue  Substanz 
des  Bückenmarkes  giebt  nach  ihm  nicht  nur  der  vorderen  und  hinteren  Wurzel  Ursprung, 


—     227     — 

sondern  noch  einer  dritten,  die  im  oberen  Halflmark  als  seitliche  Wurzel  (Accessorius 
des  Antoren)  deutlich  ist,  in  den  tieferen  Partien  des  Markes  aber  sich  zum  Theü  zur 
Torderen,  zum  Theil  zur  hinteren  Wurzel  gesellt  Während  die  Fasern  der  vorderen 
und  hinteren  Wurzeln  die  somatischen  Nerven  zusammensetzen,  liefert  die  dritte 
„Wurzel''  die  splanchnischen  Nerven.  Soweit  diese  dritte  Wurzel  mit  der  Vorder- 
Wurzel  aostritt,  entstammt  sie  den  Zellen  des  Seitenhoms,  soweit  ihre  Fasern  zur 
hinteren  Wurzel  gelangen,  entspringen  sie  aus  Zellen  der  Clarke*schen  Säule.  Referent 
möchte  nicht  verfehlen,  darauf  aufmerksam  zu  machen,  dass  sich  dieser  ausführlich 
und  geistreich  entwickelten  Hypothese  doch  bedenkUch  viele  anatomische  Schwierig- 
keiten entgegenstellen.  Da  es  nicht  möglich  ist,  in  kurzem  Auszuge  der  Beweis- 
führung des  Verfassers  gerecht  zu  werden,  so  muss  bezüglich  des  Verhaltens  der 
Wurzeln  in  der  Oblongata  auf  das  Original  verwiesen  werden.  Verf.  kommt  zu  dem 
Schlüsse,  dass  das  Segment  über  dem  ersten  Cervicalnerven  das  Ursprungsgebiet  des 
Hjpoglossus,  Vagus,  Accessorius  und  Glossopharyngeus  einschliesst;  der  Hypoglossus 
entspricht  der  Vorderwurzel,  die  anderen  Nerven  den  seitlichen  und  hinteren  Wurzel- 
anthülen.  Die  Hypothese  von  der  „seitlichen  Wurzel"  ist  genau  durchgearbeitet,  in 
der  That  mannigfach  zu  stützen  und  giebt  gewiss  in  vieler  Beziehung  Anregung  zu 
neuer  Arbeit.  Edinger. 


Experimentelle  Physiologie. 

2)  Zur  Cooainwlrkuzigv  von  Dr.  med.  J.  Feinberg  in  Eowno  (Bussland).    (Berl. 
klin.  Wochenschr.  1886.  Nr.  4.) 

Veranlasst  durch  die  Mittheilung  von  Beobachtungen  von  Gocainvergifhmg  bei 
Menschen,  wobei  unsicherer  und  schwankender  Gang  oder  auch  Unmöglichkeit  zu 
gehen  constatirt  worden  war,  giebt  F.  eine  Uebersicht  über  die  Besultate  seiner  an 
Thieren  mit  Cocain  vorgenommenen  Experimente.  Nach  Injection  von  0,03  erscheint 
nach  5 — 10  Minuten  Pupillendilatation  mit  geschwächter  oder  aufgehobener  Beaction, 
Ketractlon  der  Lider,  Prominenz  der  Bulbi  und  Anästhesie  derselben.  Nach  25  bis 
30  Minuten  nehmen  diese  Erscheinungen  etwas  ab;  setzt  man  nun  das  Thier  auf 
die  Erde,  so  bewegt  es  den  Kopf  unaufhörlich  transversal  hin  und  her;  die  Ex- 
tremitäten sind  kemer  Bewegung  föhig  und  bleiben  in  jeder,  auch  der  gezwungendsten 
und  unnatürlichsten  Lage,  die  man  ihnen  giebt.  Nach  einer  Stunde  kann  sich  das 
Thier  zwar  bewegen,  zeigt  aber  die  stärkste  Coordinationsstömng  und  erst  nach 
2  Stunden  werden  die  Bewegungen,  sowie  das  ganze  Befinden  des  Thieres  wieder 
normal 

Nach  0,06  bis  0,12  Cocain  treten  ausserdem,  dass  alle  Erscheinungen  stärker 
sind,  noch  tonische  und  klonische  Krämpfe  auf  an  Kopf,  Zunge  und  Extremitäten, 
welche  aber  bald  nachlassen. 

F.  ist  der  Meinung,  dass  das  Cocain,  in*s  Blut  übergegangen,  seine  eigenthüm- 
liehe  senäbilitätsvermindemde  Wirkung  auf  die  sensiblen  muskelgefühlleitenden  Bahnen 
der  HaubengangUen  ausübt,  und  in  grösseren  Dosen  die  motorischen  Fasern  derselben 
in  Irritationszustand  versetzt  und  Krämpfe  auslöst  Hadlich. 


Pathologische  Anatomie. 

^)  A  oontribution  to  the  topographioal  anatomy  of  the   spinal   oord,   by 

Howard  H.  T 00 th.     (St.  Barthol.  Hosp.  Reports.  Vol.  21.) 

£s  handelt  sich  um  den  von  Gowers  bereits  in  dieser  Zeitschrift  (1886.  Nr.  5) 
erwähnten  Fall:  quere  Quetschung  des  Rückenmarks  durch  einen  Bruch  des  5.  und 
6.  Dorsalwirbels  mit  Dislocaüon.  Klinisch  war  auflSUlig  das  Fehlen  des  Kniephänomens, 


—    228    — 

80wie  aller  Hantreflexe  des  Unterkörpen  (nur  der  epigastnache  Reflex  war  rechts 
erhalten)  anmittelbar  nach  dem  Trauma;  später  worden  die  Reflexe  nicht  mehr 
nntersacht.  Der  Tod  trat  144  Tage  nach  dem  Insult  ein.  Die  secondäre  Degene- 
ration —  und  hierin  liegt  das  Interesse  des  Falles  —  betraf  in  aufsteigender  Rich- 
tung aach  das  von  Bechterew  und  Gowers  zn^rst  beschriebene  antero-h&terale 
Bündel.  Doch  verliert  der  Fall  etwas  an  Bedeutung  dadurch,  dass  nicht,  wie  im 
Go  wer  ansehen  Fall,  die  directe  Kleinhirnseitenstrangsbahn,  zn  der  man  seither  meist 
das  antero-laterale  Bflndel  rechnete,  degenerationsfrei  war.  Die  antwo-laterale  De- 
generation verschwindet  in  der  H6he  des  1.  Cervicalwnrzelpaares  als  besonderes  Feld, 
um  vielleicht  mit  der  Kleinhimseitenstrangbahn  nunmehr  zusammen  zu  verlaufen. 

Th.  Ziehen. 

Pathologie  des  Nervensystems. 

4)  Ueber  hysterische  Erkrankungen  in  der  Armee,  von  A.  Oseretzkowski. 
(Medicinskoje  obosrenije.  1886.  Nr.  4.  Russisch.) 

Verf.  bestätigt  auf  Grund  seiner  Beobachtungen  am  Moskauer  Militarhospital 
das  häufige  Vorkommen  von  Hysterie  bei  Männern  und  berichtet  über  11  Fälle  mit 
schweren  Erscheinungen.  Ausser  gewöhnlichen  hystero-epileptischen  AnßQlen,  hyste- 
rischen Lähmungen,  Anästhesien,  Arthropathien  etc.  wurde  in  einem  Fall  temporare, 
plötzlich  aufgetretene  Taubstummheit,  in  einem  anderen  Sprachverlust,  femer  vorüber- 
gehende Temperatursteigerung  bis  39  ^  ohne  jegliche  organische  Grundlage  beobachtet 
In  5  Fällen  betraf  die  Erkrankung  Bekruten,  und  Verf.  sieht  in  dem  plötzlichen 
üebergang  vom  häuslichen  Leben  zum  schweren  Gasemendienst  ein  ätiologisches 
Moment.  Unter  den  Erkrankten  waren  auch  kräftige,  musculöse  Subjecte,  die  durch- 
aus keine*  „nervöse"  Constitution  zu  besitzen  schienen.  P.  Bosenbach. 


6)  Sor  un  oas  de  eoxalg;ie  hystörique  de  oauae  tranmatique  ohes  rhomme. 

Le9en  de  Charcot,  recueillie  par  Marie.     (Progr.  mid,  1886.  Nr.  5.) 

Ueber  casuistische  Beiträge  zur  Lehre  von  der  „männlichen  Hysterie",  welche 
die  Demonstrationen  Charcot's  in  so  reicher  Zahl  liefern,  ist  in  dieser  Zeitschrift 
schon  mehrmals  ausführlich  referirt  worden.  Der  vorliegende  weitere  Fall  betrifft 
einen  45jährigen  hereditär  nicht  belasteten  Mann,  Vater  von  7  Kindern,  der  vor 
3  Jahren  von  beträchtlicher  Höhe  herabgestürzt  ist,  und  seitdem  an  einer  links- 
seitigen Cozalgie  leidet,  deren  hysterische  Natur  Gh.  genauer  bespricht.  Er  knfipfk 
an  die  bekannten  Arbeiten  von  Brodie  über  hysterische  Gelenkneuralgien  an  und 
erwähnt  dabei  die  trefflichen  deutschen  Aufsätze  über  denselben  Gegenstand,  welche 
wir  Berger,  Esmarch  u.  Mor.  Meyer  verdanken.  Auf  Grund  der  charakteristischen 
Merkmale,  wie  sie  Brodie  selbst  schon  in  seiner  ersten  Arbeit  geschOdert  hat,  sei 
es  zwar  möglich,  die  hysterische  Goxalgie  (,f$me  materia*')  von  einer  orgamschen 
Coxitis  (in.  Stadium)  zu  unterscheiden,  aber  es  seien  darin  schon  von  den  geüb- 
testen Chirurgen  die  schlimmsten  Fehler  begangen  worden,  welche  sie  zu  den  ein- 
greifendsten Operationen  am  Hüftgelenke  verleitet  hätten. 

Auch  in  dem  vorliegenden  Falle  ist  die  Verkürzung  des  betroffenen  linken 
Beines,  die  Unbeweglichkeit  des  affidrten  Hüftgelenkes,  die  Hebung  des  Beckens 
linkerseits  so  ausgesprochen,  dass  man  geneigt  sein  könnte,  an  eine  wirkliche  Coxitis 
zu  denken,  um  so  mehr,  als  auch  im  Volumen  der  ganzen  linken  unteren  Extremität 
eine  kleine  Differenz  gegenüber  der  anderen  Seite  besteht.  —  Die  genaue  Verglei- 
chung  der  Glutaealfalten  ergiebt  ebenfalls  alle  für  ein  organisches  Leiden  sprechenden 
Momente.  Allerdings  muss  den  genauen  Beobachter  das  sonstige  Allgemeinbefinden, 
welches  nämlich  gar  keine  Störungen  darbietet,  etwas  stutzig  machen,  wenn  er  be- 
denkt, dass  diese  Quasi-Coxitis  schon  3  Jahre  bestehen  soll.    Femer  bietet  das  Bein 


—    229    — 

auch  im  Knie-  and  Fassgelenk  eine  Bigidit&t  dar,  welche  sich  dorch  die  Hüftgelenks- 
entzündung allein  nicht  erklaren  lässt:  eben  so  wenig  wie  die  Ersclieinung,  dass  die 
Haut  des  Fat  in  der  ganzen  weiteren  Umgebung  des  Hüftgelenks,  bis  zum  Poupart*- 
scben  Bande  und  der  unteren  Abdominalpartbie  nach  oben,  und  bis  zum  Knie  nach 
abwärts,  am  Trochanter  und  an  der  Schamfuge  etc.  auf  tactile  Beize  ausserordentlich 
äberempfindlich  ist.  Diese  Zeichen,  auf  das  letztgenannte  hat  auch  Brodle  schon 
aufmerksam  gemacht,  haben  nichts  mit  der  wahren  Coxitis  zu  thun.  Noch  weniger 
der  Umstand,  dass  auf  die  an  jenen  Stellen  angewandten  stärkeren  Beize  hin  bei 
dem  Fat  eine  vollkommene  hysterische  Aura  eintritt:  ConstrictionsgefOhl  im  Epi- 
gastrium,  das  bis  zum  Halse  aufsteigt  und  Herzklopfen,  Ohrensausen  und  Klopfen 
in  den  Schläfen  hervorruft 

Als  Charcot  auf  Grund  dieser  Thatsachen  die  Sensibilität  des  Fat  überhaupt 
methodisch  untersuchte,  fand  man  auf  der  linken  Eörperhälfte  auch  die  für  die 
Hysterie  charakteristische  sensible  und  sensorische  Hemianästhesie,  die  Einengung 
des  Gresichtsfeldes,  und  die  Herabsetzung  der  Beflexerregbarkeit  im  Pharynx  vor.  — 
Den  genauesten  und  sichersten  Aufschluss  darüber,  ob  es  sich  nicht  bei  diesem  Falle 
am  eine  das  organische  Hüftgelenksleiden  complicirende  männliche  Hysterie  handle, 
würde  allerdings  erst  eine  Untersuchung  in  der  Narcose  ergeben.  Jetzt  widersetzt 
sich  der  Kranke  derselben,  vor  4  Monaten  dagegen  hat  denselben  bereits  ein  nam- 
hafter Chirurg  zu  Untersuchungszwecken  chloroformirt:  das  linke  Hüftgelenk  erschien 
frei  völlig  beweglich,  ohne  Bigidität  und  ohne  Adhäsionen.  Trotzdem  diese  hysterische 
Coxalgie  schon  3  Jahre  besteht,  erklärt  sie  Ch.  für  ein  absolut  heilbares  Leiden. 

Laquer. 

6)  ParalysieB  hystöro-traomatiqueB,  par  H.  Poupon.    (L*Encäphale.  1886.  I.) 

P.  beschreibt  an  der  Hand  von  10  Fällen  traumatische  Lähmungen  bei  Hysterischen, 
auf  Grund  deren  er  eine  eigene  Specialität  der  hystero- traumatischen  Lähmungen 
construirt  Die  Verletzung  trifiFt  meist  die  Schalter,  nach  derselben  entstehen  brachiale 
Monoplegien  mit  besonderem  Charakter,  ohne  Muskelatrophie  und  mit  Erhaltung  der 
normalen  elektrischen  Erregbarkeit,  Contracturen  fehlen,  aber  die  Beflexe  sind  ver- 
mindert Die  Haut  ist  anästhetisirt.  Die  Prognose  ist  gut,  die  meisten  Patienten 
sind  erblich  belastete  Hysteriker.  Zander. 

7)  Hystöro-öpüepsie  <P)  instabilitö  mentale  avee  perversion  des  instinots, 

impulfllonsv  par  Bourneville  et  Leflaive.    (Progr.  m^d.  1886.) 

Ausführliche  Lebens-  und  Leidensgeschichte  eines  jungen  Menschen,  der  mütter- 
licher und  väterlicherseits  auf  das  schwerste  belastet,  von  Jugend  auf  nicht  blos  an 
den  mannigfachsten  neuro-  und  psychopathischen  Störungen  litt,  sondern  auch  im 
späteren  Alter  hysterische  Symptome  darbot,  theils  auch  nur  simulirte,  sittlich  ent- 
artete und  wegen  Yagabondage  und  Diebereien  verschiedene  Glefängnissstrafen  ver- 
bflssen  musste.  Er  erlag  im  Alter  von  21  Jahren  einer  Lungentuberculose,  während 
^  eine  längere  Strafe  abbüsste. 

Die  sehr  in's  Detail  gehenden  Beschreibungen  der  hysterischen  Krankheit«- 
erscheinnngen,  der  Sensibilität,  der  hysterischen  Attacken,  der  hysterogenen  Zonen 
Qnd  der  Einwirkung  eines  Diamanten  auf  die  verschiedenen  Phänomene,  soweit  sie 
Bourneville  in  Bicdtre  beobachten  konnte,  bieten  bei  diesem  verkommenen,  an 
Hypospadie  leidenden  Individuum,  das  mehrere  Suicidien  versuchte,  frühere  Diebs- 
genossen denandrte,  Fluchtversuche  unternahm  und  zwischendurch  allerlei  Liebes- 
^del  inscenirte,  einen  sehr  interessanten  Beitrag  zu  der  Frage  von  der  Verwandt- 
Bcbaft  zwischen  Geisteskrankheit  und  Verbrechen.  —  Sie  sind  im  Beferate  nur  schwer 
^ederzageben,  verdienen  aber  im  Original  nachgelesen  zu  werden.       Laquer. 


—    280    — 

8)  Ein  Fäll  von  Hystero-Bpüepsie  bei  einem  Manne,  von  Dr.  EL  S.  Scheiber 

in  Badapest.    (Wiener  med.  Blatter.  1885.  Nr.  44—47.) 

Der  selir  eingehend  beschriebene  Fall  betriCFt  einen  24jährigen  Ingenieur  „ner- 
vöser  Natur",  welcher  mit  6  Jahren  eine  Parese  beider  Beine  (Poliomyelitis?)  be- 
kommen hatte,  die  sich  im  Herbst  und  Winter  immer  zu  bessern,  im  Sommer  zu 
verschlimmern  pflegte,  bis  nach  einer  starken  Erkältung  zu  der  erheblichen  moto- 
rischen Schwäche  noch  Schmerzen  in  den  Beinen,  besonders  im  Gebiet  des  Ischiadicus, 
hinzutraten.  Durch  Galvanisation  und  Bettruhe  wurde  Besserung  erzielt,  jedoch  der 
psychische  Zustand  durch  die  Abreise  der  Mutter  des  Patienten,  sowie  durch  seine 
Isolation  in  Folge  des  Bettzwanges  erheblich  alterirt,  so  dass  sich  melancholische 
Stimmung  einstellte  und  Nachts  beängstigende  Träume  den  Schlaf  störten.  Nachdem 
dieser  Zustand  etwa  14  Tage  gedauert,  begann  die  qualvolle  Krankheit,  um  von 
Mitte  Mai  bis  zum  20.  September  anzuhalten,  und  zwar  trat  dieselbe  in  Form  von 
Anfällen  auf,  die  mehrere  Stunden  dauerten  und  sich  zuerst  jeden  Abend,  später 
mehrmals  am  Tage  wiederholten,  um  nur  in  Folge  freudiger  oder  umstimmender  Er- 
eignisse (Bückkehr  der  Mutter,  Wohnungswechsel)  auszusetzen.  Zuerst  kamen  dabei 
psychische  und  vasomotorische  Störungen  in  den  Vordergrund,  verbunden  mit  einem 
allgemeinen  Schwächegefühl,  in  einer  weiteren  Periode  traten  clonische  Krämpfe  hinzu, 
die  bei  den  Inspirationsmuskeln  einsetzend,  sich  allmählich  auf  die  ganze  Körper- 
musculatur  verbreiteten;  später  wurden  die  Krämpfe  tonisch.  Eine  fernere  Periode 
zeichnete  sich  durch  hochgradige  Verkrümmungen  des  Körpers  aus,  durch  „phantastische 
Equilibrirbewegüngeu,"  Jaktationen  u.  s.  w. 

Das  Bild  ist  zu  bunt,  um  es  m  Kürze  zu  schildern  —  und  in  der  letzten 
schliesslich  überwogen  zielbewusste  Bewegungen,  kauernde  Thierstellungen,  sowie 
theatralische  Posen  über  die  mannigfachen  Begleiterscheinungen. 

Bemerkenswerth  ist  das  Fehlen  anderer  hysterischer  Symptome  vor  dem  Ausbruch 
der  Anfalle,  die  Erhaltung  des  Bewusstseins  während  derselben,  sowie  endlich  ihr 
mannigfacher  Wechsel  in  den  verschiedenen  Perioden. 

In  einem  Nachtrag  erwidert  Verf.  auf  die  Auslassungen  des  Prof.  Dr.  Winternitz 
über  diesen  Artikel,  spedell  vertheidigt  er  diesem  Autor  gegenüber  seine  Diagnose 
der  „Hystero-Epilepsie"  im  Sinne  einer  „grande  Epilepsie"  von  Charcot  und  Bicher 
im  Gegensatz  zu  der  Diagnose  einer  einfachen  Hysterie  O^P^^^  Hyst^e")  von 
Winternitz. 

Der  Pat  des  Hm.  Scheiber  wurde  geheilt  Der  allerletzte  Anfall  am  30.  Oct, 
welcher  sich  nach  einer  Pause  von  40  Tagen  eingestellt»  wurde  durch  einen  ener- 
gischen Mahnruf  von  Seiten  des  Vaters  des  Pat  coupirt.  Auch  sonst  sind  psychische 
Eindrücke  und  Einflüsse  von  dem  grössten  Werth  für  den  günstigen  Verlauf  der 
Krankheit  gewesen.  Sperling. 

9)  Hysteri  hos   Mänd,   af  Dr.  Knud   Pontoppidan.     (Hosp.-Tidende.   1886. 

3.  R.  IV.  4. 
P.  theilt  9  Fälle  von  Hysterie  bei  Männern  mit  Im  ersten  Falle,  der  einen 
25jähr.  Handwerker  betraf,  handelte  es  sich  um  rein  episodisch  auftaretende  hysterische 
Anfalle,  die  im  Wesentlichen  charakterisirt  waren  durch  gewaltsame  und  unbelierrschte 
Beaction  gegen  äussere  psychische  Einwirkungen.  —  Der  zweite  FftU  betraf  einen 
17jährigen  Menschen  mit  hysterischer  Geistesstörung  in  Form  von  verwirrtem  und 
albernem  Benehmen,  begleitet  von  hysterischer  Aphasie  und  durch  gastrische  Stö- 
rungen eingeleitet  Dieser  Fall  kann  vielleicht  fast  als  ein  protrahirter  hysterischer 
Anfall  mit  dem  Charakter  der  infantilen  Hysterie  bezeichnet  werden.  —  Der  dritte 
Fall  ist  ein  Beispiel  von  den  eigentlichen  hysterischen  Psychosen  transitorischer  Art 
Bei  dem  22jähr.  Patienten  waren  nach  Amputation  des  Fusses  wegen  eines  Q^lenk- 
leidens  Delirien  in  der  Nacht  aufgetreten,  die  sich  wiederholten  und  später  auch  am 


—    281    — 

Ti^e   aaftraten»  yermischt  mit  hypochondrischen  Symptomen ,  auch  Halludnationen 
und  AngstanfaUe  traten   auf.    Fai  hatte  stark  mastnrbiri    Unter  Anwendung  von 
kalten  Donchen  besserte  sich  der  Zustand.  —  Im  vierten  Fall  litt  Fat.,  ein  22jähr. 
Mann,  an  hysterischer  Geistesstörung  in  Form  von  leichterer  Depression  und  machte 
wiederholt   Selbstmordversuche;   die   psychischen  Anomalien   hatten  hier  mehr  einen 
continuirenden  Charakter.  —  Im  fünften  und  sechsten  Falle  machten  hystero-epilep- 
tische    S[rämpfe   das   Hauptsymptom   der  Krankheit  aus.    Die  Erampfanfälle  unter- 
schieden sich  durch  so  bestimmte  Kennzeichen  von  denen  bei  der  eigentlichen,  genuinen 
Epilepsie,    dass  schon  aus  der  Natur  der  Krämpfe  allein  die  Diagnose  auf  Hysterie 
gestellt   werden  konnte.    Die  Anfälle   waren  häufig   und   heftig,  namentlich  in  den 
Fhasen  der  Anfälle,  die  durch  die  grossen  Bewegungen  und  die  Delirien  bezeichnet 
werden.    Die  psychischen  Fähigkeiten  blieben  trotz  der  langen  Dauer  der  Krankheit 
und   der   Häufigkeit   der  Anfalle   ungetrübt.   —   Im  siebenten  Falle  trat  bei  einem 
47jährigen  Manne  anfallsweises  Erbrechen  als  das  wesentlichste  Symptom  der  Krank- 
heit auf.     Intensive  Schmerzen  strahlten  von  der  Gardia  nach  dem  Bücken  zu  aus; 
ausserdem  bestanden  typische  locsJe  Hyperästhesien,   die  zum  Theil  als  hysterogene 
Punkte  fangirten.   Charakteristisch  für  die  Natur  der  Schmerzen,  über  die  Fai  sehr 
viel  klagte,  ist  die  prompte  Wirkung  von  subcutanen  Injectionen  von  reinem  Wasser, 
die   angenblicklich   Buhe   brachten.   —   Im  achten  Falle  litt  der  26jährige  Fat.  an 
hystero -  epileptischen  Krämpfen,    Hemiplegia,   Hemianaesthesia   und   Hemianalgesia 
hysterica,   sowie   an  Asthma   nervosum.     Die  Anästhesie   und   Lähmung   betraf  die 
rechte  Körperhälfte  und  überschritt  die  Mitte  des  Körpers  nichts  nur  die  linke  untere 
Extremität  war  in  geringerem  Maasse  davon  betroffen.    An  der  linken  Bumpfhälfte, 
an  der  die  Sensibilität  unbeeinträchtigt  war,   fand   sich  eine  hyperästhetische  Stelle 
in  der  „Ovariengegend".    Die  ganze  Wirbelsäule  war  äusserst  empfindlich.    Die  Läh- 
mung wurde  durch  kalte  Donchen  und  Blaude*sche  Fillen  beseitigt,  die  Hemianästhesie 
aber  blieb   unverändert    Später  stellte  sich  Hyperästhesie  gegen  Licht  und  Sehen 
von  farbigen  Schatten  ein.  —  Der  neunte  Fall,  der  einen  36jährigen,  an  hysterischen 
Krampfanfallen  leidenden  Mann  betrifft,  bietet  ein  Beispiel,  dass  bei  Männern  hyste- 
rische Lähmungen  von  paraplegischer  Form  vorkommen,  die  ein  organisches  Bücken- 
marksleiden täuschend  simuliren.  Walter  Berger. 


10)  Un  oaso  di  paraUai  isterioa  nell'uomo  e  orampo  degli  sorivani  oonse- 
outivo,  pel  dott  G.  Lombroso.     (Lo  Sperimentale.  1886.  Marzo.) 

Ein  hereditär  nicht  belasteter,  nicht  syphilitischer,  59jähr.  Mann,  kein  starker 
Trinker,  bekam  nach  einigen  schweren  Schicksalsschlägen  und  Enttäuschungen  einen 
Anfall  von  BewussÜosigkeit.  Danach  war  das  rechte  Bein  gelähmt  und  contracturirt. 
Nach  20  Tagen  plötzliche  Heilung.  Nach  6  Wochen  ein  ähnlicher  Anfall  mit  zurück- 
bleibender schlaffer  Lähmung  des  rechten  Arms,  während  des  Anfalls  keine  Convul- 
sionen.  Starke  Diarrhöen  gingen  beiden  Anfällen  voraus.  Nach  dem  zweiten  con- 
statirte  Verf.,  dass  die  Lähmung  namentlich  die  vom  N.  radialis  innervirten  rechts- 
seitigen Armmuskeln  betraf.  Sensibilität,  Geschmack,  Ctehör,  Geruch  sind  rechts 
herabgesetzt  oder  aufgehoben,  rechts  Amblyopie  und  Gesichtsfeldeinengung  bei  er- 
haltener Farbenperception.  Beflexe  normal,  Hoden  druckempfindlich,  mehrere  hyper- 
ästhetische Felder.  Diagnose:  Hysterie.  Nach  12  Tagen  schwand  die  Lähmung  bei 
faradischer  Behandlung  gänzlich.  Einige  Tage  darauf,  als  Fat.  eine  Schreiberstelle 
angenommen  hatte  und  zum  ersten  Mal  schreiben  wollte,  trat  ein  heftiger  Schreib- 
krampf  der  Hand  ein.  Verf.  hält  denselben  für  ein  rein  hysterisches  Fhänomen:  in 
^er  That  ermöglichte  schon  einmalige  Application  des  constanten  Stroms  krampf- 
freies Schreiben.  Th.  Ziehen. 


—    2S2    — 

11)  Note  aar  un  oas  de  grande  hystörie  ches  rhomme,  avec  dMoablement 
de  la  personnalitö.    Arrdt  de  Tattaque  par  la  pression  des  tendons» 

par  Yoisin.    (Archives  de  Neorol.  1885.  X.  p.  212.) 

Der  schon  von  Andern  (Camuset  und  Bibot)  beschriebene  Kranke  mit  dem 
Sympiomencomplez  wie  oben  angegeben,  zeigte  unter  Anderem  auch  die  sogenannte 
„Hysterie  viscerale":  Gongestion  nach  den  Lungen,  Blntspeien,  hartnäckige  Ver- 
stopfung während  17  Tagen,  ohne  dass  der  Kranke  davon  belästigt  wurde,  Anorexie, 
Erbrechen  der  eingeführten  Nahrung,  jedoch  ohne  besondere  Abmagerung.  Das  Haupt- 
interesse haben  die  in  den  verschiedenen  Hypnose-Zuständen  verschiedenen  Bewusst- 
seins-Zustände.  —  Der  Kranke  entwich  schliesslich  aus  Bicdtre,  indem  er  einem 
Wärter  Kleider  und  Geld  staU.  Siemens. 


12)  Hystero-oatalepsy  in  a  male;  attaoks  stiapended  by  testiotdar  preBsare» 

by  Allan  M'Lane  Hamilton.     (Brain.  1886.  January.  p.  528—531.) 

Ein  35jähriger,  seit  8  Jahren  verheiratheter  Biann,  welcher  seit  3  Jahren  dem 
Morphiumgebrauch  ergeben  und  während  der  letzten  2  Jahre  beim  Coitus  nur  2mal 
Emissionen  gehabt  hatte,  bekam  in  der  Beconvalescenz  einer  Pneumonie  unter  Morphium- 
abstinenz und  weiblicher  Pflege  3  Pollutionen  bei  schlaffem  Gliede  und  bald  nachher 
hysteroepileptische  Krämpfe  mit  Opistothonus,  Verdrehung  der  Augen  nach  oben, 
Flexibilitas  cerea,  Analgesie,  Steigerung  der  Sehnenphänomene,  Bewusstlosigkeit^ 
welche  Anfalle  durch  Compression  eines  Hodens  unmittelbar  und  definitiv  beseitigt 
wurden.  E.  Bemak. 


13)  Du  mutiame  hyst^rique,  par  Cartaz.    (Progr.  möd.  1886.  Nr.  7.  9.  10.) 

Auf  Anregung  CharcoVs,  der  im  verflossenen  Jahre  Vorlesungen  über  die 
hysterische  Stummheit  in  der  Gazette  des  höpitaux  veröffentlicht  hatte,  theüt  der 
Verf.  eine  ausführliche  Casuistik  über  diese  hysterische  Affection  unter  Benützung 
englischer,  deutscher  und  französischer  Publicationen  mit,  indem  er  behauptet,  dass 
die  genannte  Krankheit  in  der  Fachliteratur  bisher  nicht  genügend  gewürdigt  worden 
seL  —  Es  sind  von  ihm  im  Cktnzen  20  Fälle  verzeichnet,  die  eine  mehr  oder  minder 
ausführliche  Darstellung  erfahren  haben,  über  deren  Details  die  Originalarbeit  nach- 
gelesen zu  werden  verdient.  —  Es  handelt  sich  theils  um  reine  „idiopathische"  Fälle 
von  hysterischer  Stummheit,  in  denen  sonstige  hysterische  Manifestationen  nicht  be- 
obachtet worden  sind,  theils  um  Auftreten  von  Aphasie  resp.  Unmöglichkeit  zu  sprechen 
bei  Männern,  Weibern  und  Kindern,  die  das  bunte  Bild  der  Hysterie  überhaupt  dar- 
geboten und  unter  den  mannigfachsten  andern  Lähmungssymptomen  auch  das  der 
Stummheit  zeigten.  —  Es  wird  von  Interesse  sein,  hier  auf  die  charakteristischen 
Merkmale  der  hysterischen  Stummheit  einzugehen,  welche  C.  als  die  wesentlichen  in 
einer  längeren  Epikrise  schildert.  Der  Beginn  der  hysterischen  Stummheit  ist  ge- 
wöhnlich ein  plötzlicher;  sie  tritt  am  häufigsten  nach  Emotionen  auf  oder  bleibt  als 
Best  eines  grösseren  hysterischen  Anfalls  zurück.  —  Sehr  genau  zu  trennen  ist  diese 
hysterische  Aphasie  von  der  weit  häufigeren  hysterischen  Aphonie:  welche  letztere 
durch  eine  peripherische  Paralyse  des  Laryng.  sup.  hervorgerufen  werden  kann.  In 
einigen  der  von  C.  citirten  Fälle  hatte  die  laryngoscopische  Untersuchung  Lähmung 
der  verschiedensten  Muskeln  des  Kehlkopfs  ergeben.  Und  diesen  Befund  hatten 
die  betreffenden  Beobachter  för  die  Entstehung  der  hysterischen  Sprachlosigkeit  ver- 
antwortlich gemacht»  besonders  dann,  wenn  sich  noch  eine  Anästhesie  des  Pharynx 
und  Larynx  hinzugesellt  hatte.  —  Der  Verf.  warnt  vor  dieser  Annahme.  Die  so 
ungemein  oft  auftretende  Aphonie  bei  Hysterischen  geht  relativ  selten  in  Aphasie 
über.    Letztere   ist  eine  hysterische  Affection  centralen  Ursprungs.    Die  Kranken 


—    283    — 

können  weder  laut  noch  leise  sprechen.  —  Die  Intelligenz  der  Kranken  ist  vollkommen 
erhalten,  wenn  man  sie  zum  Sprechen  anfordert»  sie  nach  irgend  einem  Worte  Mgt, 
machen  sie  nicht,  wie  die  von  einer  echten,  auf  organischer  Erkranknng  bemhenden 
Aphasie  Befallenen,  die  grössten  Anstrengungen,  das  betreffende  Wort  herauszabrmgen, 
sondern  sie  ergreiifen  sofort  die  Feder,  um  es  niederzuschreiben.  Es  wird  natürlich 
notliwendig  sein  zur  Unterstützung  der  Diagnose  auch  noch  nach  andern  hysterischen 
Zeichen  zu  suchen  und  die  Antecedentien  zu  berflcksichtigen  etc.  Die  Sprache  kehrt 
gewöhnlich  auch  ganz  plötzlich  wieder  zurück,  in  einigen  F&Uen  stotterten  die  Pa- 
tienten noch  längere  Zeit. 

lieber  die  künstliche  Erzeugfung  von  hysterischer  Stummheit  bei  Somnambulen 
und  Hypnotischen  enth&lt  die  Arbeit  die  aus  früheren  Arbeiten  Charcot*s  und 
seiner  Schüler  bekannten  Thatsachen.  Das  Gleiche  gilt  von  der  Behandlung  derselben, 
welche  Oartaz  vorschlägt.  Laqner. 


14)   SanitätB- Bericht  über  die  deutschen  Heere  im  Kriege  gegen  Frank- 
reich  1870/71.      vn.   Band:    Erkrankungen    des    Nervensystems. 

Herausgegeben  von  der  Militär-Medizinal-Abtheilung  des  königl.  preuss. 
Kriegsministeriums  unter  Mitwirkung  der  betreffenden  bayrischen, 
sächsischen  und  württembergischen  Behörden.  (Berlin  1885.  Ernst 
Siegfr.  Mittler  &  Sohn.)  —  [Portsetzung.] 

In  dem  Abschnitt  über  nervöse  Störungen  nach  Schnssverletanngen  des 
8ymi>athion8  begegnen  wir  3  lesenswerthen,  schon  von  Seeligmüller,  Bernhardt 
und  Bärwinkel  publidrten  Fällen,  von  welchen  der  zweite  10  Jahre,  nachdem  er 
zum  ersten  Male  von  B.  untersucht  worden,  einer  genauen  Controle  unterzogen  worden 
ist.  —  Die  Epikrisen  der  betreffenden  Krankengeschichten  enthalten  in  knapper  Dar- 
stellung alles  Wissenswerthe  über  die  Bedeutung  der  Sympathicus-Symptome. 

Es  folgt  nunmehr  ein  sehr  ausführliches  und  klinisch  exactes  Expose  über 
den  Wundstarrkrampf.  Von  99666  Verwundeten  des  deutsch-französischen  Krieges 
erkrankten  350  an  Wundstarrkrampf:  also  ^^/^qo  Procent.  Es  kam  demnach  1  Tetanus- 
Fall  auf  285  Verwundete,  während  im  amerikanischen  Secessionskriege  1:782,  bei 
den  Engländern  im  Krimfeldzug  1 :  465,  im  spanisch-portugiesischen  Kriege  (in  den 
Jahren  1811 — 1814)  1:803  gerechnet  wurde.  Das  für  den  deutschen  Krieg  so 
ungünstige  Verhältniss  lässt  sich  nach  den  Ausführungen  der  Berichterstatter  weder 
auf  epidemische  Ursachen,  —  denn  es  ist  nur  eine  einzige  kleine  Hausepidemie  in 
einem  zum  Lazareth  eingerichteten  Schulhause  zu  Bingen  am  Rhein  von  7  tödtlich 
verlaufenen  Tetanusf&llen  beobachtet  worden  —  noch  auf  die  Vervollkommnung  unserer 
Schusswaffen  und  die  damit  zusammenhängende  Neigung  der  Wunden  zu  Compli- 
cationen  zurückführen;  es  können  die  hervortretenden  grossen  Unterschiede  nach  der 
Meinung  der  Autoren  einzig  und  allein  in  den  sehr  verschiedenen  Graden  der  statis- 
tischen Genauigkeit  ihre  Ursache  haben.  Einen  hervorragenden  Antheil  an  dem  Aus- 
bruche des  Wundstarrkrampfes  in  dem  letzten  Kriege  nahmen  die  Knochenschüsse 
ein,  während  den  Schusswunden  des  Qehims  und  Bückenmarks,  der  Höhlen  des 
Bumpfes,  der  Hauptnervenstämme,  der  Sehnen  und  Gelenke  ein  begünstigender  Ein- 
floss  nicht  eingeräumt  werden  konnte;  auch  von  einer  sehr  erheblichen  Nei- 
gung der  Hand-  und  Fingerverletznngen  zu  einer  tetanischen  Com- 
plication  kann  bei  den  deutschen  Verwundeten  nicht  die  Bede  sein. 
Den  Ausbruch  der  Krankheit  veranlassten  vor  Allem  die  in  den  Wunden  zurück- 
gebliebenen Fremdkörper:  Kugeln,  Knochenstücke,  Kleiderfetzen,  Steine,  Verbandgegen- 
ftände  etc.  Nur  der  dadurch  bedingte  und  durch  Knochensplitternng  noch  vermehrte 
intensive  Beiz  auf  die  peripherischen  Nervenendigungen  kann  denjenigen  Erregungs- 
zustand der  sensiblen  Nerven  in  Scene  setzen,  welcher  für  das  Zustandekommen  des 


—    234    — 

Tetanus  eine  nothwendige  Bedingang  ist  Deswegen  entstanden  auch  die  gesammten 
Tetanus-F&lle  darch  Schuss Verletzungen,  282  nach  Gewehrschflssen,  68  nach  Ein- 
wirkung yon  Granaten.  Die  Wunden  des  Ober-  und  Unterschenkels  wiesen  den 
grössten  Frocentsatz  von  tetanischen  Erkrankungen  auf,  weil  hier  die  anatomischen 
YerhSltnisse  die  Betention  von  Fremdkörpern  erleichtern.  Ausser  der  mechanischen 
Schädigung  der  Wunden,  deren  Folgen  in  den  häufigen  Tetanus- Ausbrüchen  während 
des  Transportes,  besonders  auch  auf  der  Eisenbahn,  bemerklich  waren,  wirkten  auch 
chemische  Beize  begünstigend.  So  setzte  der  Krampf  häufig  erst  im  Stadium  der 
WundeiteruDg  auch  bei  beginnender  Verjauchung  ein.  Darum  erscheint  es  auch  er- 
klärlich, dass  am  ersten,  zweiten  oder  dritten  Tag^  nach  einer  Verwundung  weniger 
Soldaten  tetanisch  wurden,  als  später.  Den  grössten  Frocentsatz  bieten  darin  der 
5.,  €.,  7.  und  8.  Tag,  sie  sind  fOr  Entstehung  des  Trismus  und  Tetanus  so  zu  sagen 
die  laritischen.  Entgegen  den  Ansichten  älterer  Chirurgen,  namentlich  Heinecke*s 
und  Stromeyer's,  aber  in  voller  Uebereinstimmung  mit  Firogoff's  Krimkrieg-Er- 
fahrungen drücken  sich  die  Autoren  über  die  ätiologische  Bedeutung  der  Erkältung 
für  den  Wundstarrkrampf  sehr  vorsichtig  ans.  Ebensowenig  fand  der  infeotiOse 
Charakter  des  Wundtetanus  durch  beweisende  Beobachtungen  eine 
genügende  Basis.  Der  Bericht  hat  alle  praktischen  und  theoretischen  Gründe 
für  und  gegen  die  Infectiosität  sorgfaltig  abgewogen,  auch  die  neuen  experimentellen 
Untersuchungen  heranzuziehen  nicht  versäumt  Obwohl  ja  in  neuerer  Zeit  einige 
Allgemeinerkrankungen  des  Nervensystems:  multiple  Neuritis,  FoUomyelitis  und  Ence- 
phalitis acuta  der  Kinder,  Meningitis  cerebro-spinalis  etc.  mit  gewissem  Bechte  zu 
den  Infectionskrankheiten  gezählt  werden,  so  liegt  nach  der  Meinung  der  ärztlichen 
Kriegs-Berichterstatter  kein  zwingendes  Bedürfniss  vor,  auch  für  den  Wundtetanus 
nach  einer  specifischen  Ursache  zu  suchen.  —  Beize  aller  Art  und  ganz  düferenter 
Natur  vermögen  das  Nervensystem  der  Verwundeten  in  einer  zur  Erzeugung  teta- 
nischer  Krämpfe  geeigneten  Erregungszustand  zu  versetzen,  —  vorausgesetzt,  dass 
es  sich  um  Schnss-Verletzungen  und  andererseits  um  Körperregionen  handelt,  die 
das  Steckenbleiben  von  Fremdkörpern  begünstigen.  Die  80  pathologisch-anatomischen 
Befunde,  die  in  den  Kriegsjoumalen  verzeichnet  stehen,  tragen  zur  Klärung  des  dem 
Tetanus  zu  Grunde  liegenden  Krankheitsprocesses  wenig  bei,  da  sich  die  betrefifonden 
Angaben  nur  in  der  Minderzahl  der  Fälle  auf  das  gesammte  Nervensystem  erstrecken 
und  mikroskopische  Untersuchungen  im  Felde  naturgemäss  gar  nicht  angestellt  worden 
sind.  Man  muss  den  Tetanus  auch  weiterhin  als  functionelle  (vielleicht  spinale) 
Erkrankung  auffassen.  Prognostisch  bewährte  der  Wundtetanus  aufs  Neue  seinen 
üblen  Buf:  Von  326  Erkrankten  genasen  nur  31,  mithin  betrug  die  Mortalität  90,5  ^/q. 
Dabei  konnte  aber  festgestellt  werden,  dass  je  später  der  Krampf  nach  der  Verwun- 
dung ausbräche,  er  einen  desto  milderen  Verlauf  zeige.  In  Bezug  auf  die  Behand- 
lung gelangte  der  Bericht  zu  folgenden  Maximen:  Die  oben  erwähnte  Beizursache 
gebietet  prophylactiscb  vor  Allem  die  Entfernung  der  Fremdkörper  aus  den  Wnnden 
der  Tetanischen.  Auch  nach  erfolgtem  Eintritt  des  Starrkrampfes  wurde  die  Krank- 
heit des  Oefteren  durch  Wegnahme  des  Nervenreizes  geheilt.  Grössere  Operationen, 
welche  den  Zweck  verfolgten,  in  der  den  Beiz  leitenden  Nervenbahn  eine  Unter- 
brechung herzustellen,  oder  diese  Bahn  ganz  auszuschalten,  hatten  sehr  schlechte 
Besultate,  ein  Gleiches  gilt  bis  jetzt  auch  von  der  Nervendelmung.  —  Bnhigstellüng 
und  schonender  Transport  des  verletzten  Gliedes,  sowie  reizloseste  Behandlung  der 
Wunde  selber  sind  drhigend  geboten.  Chloral  und  Chloroform  erwiesen  sich,  ersteres 
besonders  in  grossen  Dosen  als  unschätzbar  in  Bezug  auf  Schmerzerleichterung  und 
Euthanasie;  Calabar  und  Curare  waren  nutzlos.  Opiate  standen  dem  Chloral  wesent- 
lich nach.  —  Die  elektrische  Behandlung  wirkte  in  mehreren  Fällen  günstig. 

Unter  16  Fällen  von  rein  rheumatiBohem  Starrkrampf  wurden  11  geheilt, 
6  endeten  mit  dem  Tode;  auch  hier  wirkte  Chloralhydrat  recht  nützlich. 


—    286    — 

Die  Gleninkstorre  wurde  in  Deatschland  zum  ersten  Male  1863  genauer  be- 
obachtety    dagegen  hatte  Frankreich   unter  dieser  Epidemie  schon  vorher  (besonders 
1837 — 1849)  sehr  zu  leiden,   sie  war  damals  über  den  grössten  Theil  des  Landes 
verbreitet.  —  Die  Eriegsbeobachtungen  drängen  zu  der  Annahme,  die  bis  dato  noch 
getrennt  gehaltenen  Formen  der  sporadischen  und  epidemischen  (Genickstarre  als  einen 
onheitlichen  Erankheitsprocess  aufzufassen.    Es  sind  im  letzten  Feldznge  auf  feind- 
lichem  Boden   124   Fälle   von   Cerebrospinal-Meningitis  yorgekommen.    Die 
Krankheit    nahm   eine   epidemische  Verbreitung   im  eigentlichen  Sinne  in  der 
Armee  oder  unter  einzelnen  Truppentheilen  nicht  an,  trat  yielmehr  immer  sporadisch, 
zuweilen    allerdings   nicht  yereinzelt   auf.    Der  militärische  Beruf  scheint  eine  Prä- 
disposition für  diese  Krankheit  zu  haben,  denn  Yon  58  in  Frankreich  im  Laufe  der 
Jahre   gezahlten  Epidemien  hatte  sie  39mal  ausschliesslich  unter  den  Truppen  ge- 
herrscht.    Als  Gelegenheitsursache  derselben  musste  auch  im  Kriege  häufig  die  Er- 
kaltung  angesehen  werden.    —    Die  Mittheilungen  der  Feldärzte   befestigen  aber 
andererseits  die  Ueberzeugung,  dass  die  Cerebrospinal-MeniDgitis  in  sporadischer,  wie 
in  epidemischer  Form  eine  durch  ein  einheitliches  specifisches  Virus  hervorgerufene 
Infectionskrankheit  darstellt.   Dagegen  wird  eine  Uebertragnng  von  Mensch  zu  Mensch 
durch   kein   Beispiel   aus   dem   Feldzuge  auch  nur  wahrscheinlich  gemacht.    Es  ist 
aber  von   Interesse,   anter.  den  französischen  Ortschaften,  in  denen  die  Soldaten  er- 
krankten,   häufig   diejenigen  wiederzufinden,   die  von  früheren  französischen  Autoren 
als  Brutstätten  der  Epidemie  bezeichnet  worden  sind.    Ob  dort  kurz  vorher  gerade 
Genickstarre   geherrscht  hatte,  war  schwer  zu  constatiren,  eben  so  wenig,  ob  Orte, 
nachdem   sie   von   den   betreffenden  Truppentheilen  yerlassen  waren,   von  Meningitis 
heimgesucht   worden  sind.   —   Traurig   waren   die  7  Fälle  von  Meningitis  cerebro- 
spinalis  acutissima   sive   apoplectica,   wo   blQhend  und  kräftig  aussehende  Soldaten, 
wie  vom   Blitze  getroffen,  zusammenstürzten,  und  sofort  Bewusstlosigkeit,  Nacken- 
starre, Hyperästhesie  der  Haut,  sowie  einseitige  und  doppelseitige  Paresen  darboten. 
Nach  einigen  Stunden  schon  stieg  die  Temperatur  auf  40  ^  und  mehr;  Delirium  trat 
ein.  —  Der  Tod  erfolgte   sehr   schnell  unter  Convulsionen  im  Coma.     Die  Section 
bestätigte  auch  bei  diesen  Fällen  die  Diagnose.   lieber  die  Symptomatologie:  Puls-  und 
Temperaturverhältnisse,   Krampferscheinungen,   sensible  resp.  motorische  Lähmui^en, 
Nachkrankheiten   und   Becidive,   wie   sie  bei  den  langsamer  verlaufenden  Fällen  zur 
Beobachtung  gelangten,  liegen  sehr  interessante,  durch  zahlreiche  Curven  illustrirte 
klinische   Daten   vor   und   zwar  in   einer  Exactheit,  wie  sie  uns  über  diese  Punkte 
vieUeicht  wenig  Werke  der  speciellen  Pathologie  bieten.   Auch  die  Differential-Diagnose 
besonders  dem  Typhus  gegenüber  hat  an  dieser  Stelle  eingehende  Berücksichtigung 
gefunden,  aaf  Grund  der  Irrthümer,  denen  die  Feldärzte  bei  den  ersten  Fällen  aus- 
gesetzt  gewesen  sind.  —  Von  den  124  Erkrankungen  gingen  40  in  mehr  weniger 
vollkommene  Genesung,   84  in  den  Tod  aus;   mithin  betrug  die  Mortalität  67,7  ^/q. 
Diese  verhältnissmässig.  grosse  Sterblichkeit  dürfte  wiederum  nur  durch  die  schwächen- 
den Einflüsse  der  Kriegsstrapazen  und  die  dadurch  verminderte  Widerstandsfähigkeit 
der  Soldaten  zu  erklären  sein.    „Die  Therapie  war'^   so  sagt  der  Bericht,   „an  den 

Resultaten  schuldlos". 

(Fortsetzung  folgt.) 


Psychiatrie. 

16)  Die  IntozioationBpsyohoBen,  von  H.  Obersteiner.    (Wiener  Klinik.  1886. 
Februar.) 

Verf.  theilt  die  Intozicationspsychosen,  denen  er  die  BerechtiguDg  einer  selbst- 
ständigen Gruppe  vlndicirt,  in  autochthone  Vergiftungen  und  Vergiftungen  durch  von 
aussen  her   dem  Organismus  einverleibte  Substanzen  ein.    Zu  den  ersteren  gehören 


—    238    — 

die  Ton  Urämie,  Acetooämie,  Ghol&mie,  Hydrothionämie  und  Cachezia  stnunipriTa 
abbängigen  Psychosen.  Die  letzteren  zerfallen  in  acute  und  chronische  Vergiftungen, 
die  chronischen  in  solche,  durch  Nahrungsmittel  oder  ßeseh&ftigungsweise,  solche 
durch  Medicamente  und  drittens  solche  durch  Qenussmittel. 

Ffir  die  Mehrzahl  der  Intoxicationspsychosen  ist  die  individuelle  Empfänglichkeit 
meist  viel  bedeutungsvoller,  als  eine  etwaige  neuropathische  Belastung.  Eine  be- 
merkenswerthe  Bolle  spielen  Hallucmationen. 

Bezflglich  der  einzelnen  Formen  bringt  Verf.  eine  gedrängte,  ab  und  zu  durch 
Beispiele  illustrirte  Charakteristik.  Th.  Ziehen. 


Therapie. 

16)  El  Faraldehido,  por  C.  de  Vicente.    (Bevista  intemac.  de  cienc.  med.  y  bioL 
1885/86.  Nun  3.) 

Nach  Darstellung  der  anderwärts  über  Faraldehyd  gewonnenen  Erfahrungen 
schildert  Verf.  die  Besultate  Simarro*s.  Derselbe  stieg  in  der  Tagesdoeis  bis  auf 
10,0  Gramm,  ohne  schädliche  Nebenwirkungen  zu  beobachten.  Als  GoirigenB  gab  er 
Aq.  menthae  (100,0  auf  6,0  Faraldehyd).  Nach  15—20  Minuten  tritt  4— estündiger 
Schlaf  ein.  Die  durch  cerebrale  Erregung  oder  moralische  (das  Gemfitheleben  be- 
treffende) Ursachen  bedingte  Schlaflosigkeit  bildet  die  Hauptindication. 

Th.  Ziehen. 


17)  De  rezpeotation  oomme  mithode  de  traitement  de  delirium  tremenSt 

par  Christian.    (Annales  mM.-psych.  1886.  MärzhefL) 

Gegen  keine  Krankheit  ist  nach  Christian*s  Behauptung  eine  solche  Menge  von 
Arzneimitteln  in  das  Feld  geführt  worden,  als  gegen  das  Delirium  tremens,  woraus 
er  schliesst,  dass  sie  alle  gleich  gut  sein  müssen,  da  ja  die  weit  überwiegende  Mehr- 
zahl der  Fälle  günstig  verläuft.  Man  wird  dem  Beferat  die  Aufzählung  aller  jener 
Mittel  erlassen.  Da  eine  grosse  Zahl  derselben  äusserst  differenter  Natur  (Opium, 
Digitalis,  Strychnin)  sind  und  oft  in  geradezu  toxischen  Dosen  Anwendung  gefunden 
haben,  so  vermuthet  der  Verf.,  dass  sie  wohl  gar  nicht  absorbirt  worden  sind  und 
dass  sie  jedenfalls  unnütz  waren.  Die  neuere  Medicin  habe  dies  Factum  schon  ge- 
würdigt. —  Chr.  führt  seine  eigenen  Erfahrungen  an  und  weist  nach,  dass  die 
Todesfälle,  welche  er  zu  beklagen  hatte,  durch  Umstände  herbeigeführt  waren,  welche 
der  Natur  des  Leidens  fremd  waren.  Unter  der  Aufzählung  der  Symptome  des  De- 
lirium tremens,  welche  mit  Genesung  endigten,  ist  das  häufige  Vorkommen  (15  unter 
44  Fällen)  von  epileptiformen  Zufällen  bemerkenswerth.  Femer  misst  Chr.  den 
profusen  Schweissen  im  Verlaufe  des  Delirium  tremens  eme  sehr  ungünstige  Bedeu- 
tung bei. 

An  Stelle  des  Herumtastens  mit  allerhand  Medicamenten  fragwürdiger  Wirkung 
empfiehlt  Verfasser:  laue  Bäder,  kühlende  Getränke  und  leichte  Purgative.  Um  den 
Gefahren  einer  zu  rigoros  durchgeführten  Carenz  zu  entgehen,  lässt  Chr.  eine  Wein 
enthaltende  Limonade  zu.  Jehn. 


18)  Zur  Behandlung  der  Dipsomanie,  von  N.  Popow.  (Wratsch.  1886.  Nr.  10. 
Bussisch.) 

Auf  Grund  der  Empfehlungen  von   Luton,   Dujardin-Beaumetz   u.  A.  ver- 
suchte Verf.  mit  Erfolg  Strychn.  nitric  in  2  Fällen  von  Dipsomanie. 


—    237     — 

Im  ersten  handelt  es  sich  am  einen  40jährigen,  hereditär  belasteten  Schrift- 
steller, der  seit  seiner  Jagend  täglich  grosse  Dosen  spirita^ser  Getränke  za  sich 
nahm.  Später  hatte  sich  eine  periodische  Trunksacht  eingestellt.  Die  Anialle  wurden 
durch  tiefe  Gemüthsirerstimmung,  Neigung  zur  Einsamkeit  und  unwiderstehlichen 
Drang  nach  Bier,  Schnaps  etc.  eingeleitet,  hielten  gewöhnlich  gegen  eine  Woche  an, 
wahrend  der  er  allein,  in  seiner  Wohnung  verbleibend,  ununterbrochen  trank,  und 
machten  dann  einer  Periode  Platz,  in  welcher  er  Abscheu  gegen  spirituöse  Getränke 
empfand,  und  welche  1 — 3  Monate,  späterhin  nur  2  Wochen  dauerte,  um  von  einem 
neuen  Anfall  von  Trunksucht  abgelöst  zu  werden.  Injectionen  von  Strjchnin.  nitr. 
(Veo — ^/ao  ^^"^^^  V^^  *lo8i,  3 — 6mal  wöchentlich)  coupirten  einerseits  die  Anfalle  und 
hatten  andererseits  selteneres  Auftreten  derselben  zur  Folge. 

Der  zweite,  weniger  typische  Fall  betraf  einen  42jährigen  Landmann,  bei  dem 
die  trunksüchtigen  Anfalle  eine  Dauer  von  mehreren  Monaten  aufwiesen  und  durch 
kurze,  unregelmässige  Pausen  getrennt  waren.  Auch  hier  trat  nach  längerer  Be- 
handlung mit  Strychn.  nitr.  (7eo — Vso  ^^*^  P^^  ^^^^f  innerlich,  2mal  täglich)  be- 
deutende Besserung  ein.  P.  Bosenbach. 


III.   Aus  den  Gesellschaften. 

Berliner  Gesellschaft   für  Psychiatrie  und  Nervenkrankheiten.    Sitzung 
vom  10.  Mai  1886. 

In  der  Discussion  über  den  in  der  vorigen  Sitzung  gehaltenen  Vortrag  West- 
pbals  (Tabes  mit  erhaltenem  Kniephänomen)  bemerkt  Bernhardt,  dass  auch 
ihm  Fälle  von  Tabes  vorgekommen  seien,  in  denen  einseitig  oder  beiderseits  zu  ge- 
wissen Zeiten  das  Kniephänomen  erhalten  war;  er  erwähnt  dann  noch  einen  Fall  von 
disseminirten  Hirntumoren,  in  welchem  das  Eniephänomen  fehlte. 

Mendel  hat  gleichfalls  hie  und  da  bei  Tabes  das  Westphal*sche  Zeichen  an 
einer  oder  auf  beiden  Seiten  vermisst;  erst  im  weiteren  Verlaufe  der  Krankheit  trat 
es  dann  meist  ein.  Er  lenkt  die  Aufmerksamkeit  auf  solche  Fälle,  in  denen  weder 
Tabes  noch  eine  andere  mit  Ausfall  des  Kniephänomens  einhergehende  Nerven-  oder 
Rackenmarkskrankheit  vorliegt,  und  doch  dieses  Phänomen  fehlt.  So  beobachtete 
M.  einen  Fall  von  diagnosticirtem  und  durch  die  Section  nachgewiesenem  Tumor  cere- 
belli,  wo  die  Geschwulst  im  Oberwurm  und  in  der  rechten  Hemisphäre  des  Kleinhirns 
sass,  wo  das  Rückenmark  sich  bei  makroskopischer  wie  mikroskopischer  Untersuchung 
intact  erwies,  und  wo  kein  Kniephänomen  bestanden  hatte.  —  In  einem  anderen 
Falle:  Apoplexie  mit  nachfolgender  Parese  beider  oberen  und  unteren  Extremitäten, 
einseitiger  Facialisparese  und  Sprachstörung  fehlte  sofort  nach  dem  Schlaganfall  das 
Kniephänomen  und  fehlt  bis  heute  —  nach  2  Jahren  — ,  nachdem  später  Ataxie  der 
untern  Extremitäten  eingetreten  ist.  Wie  ist  in  diesem  Falle,  wo  wahrscheinlich  eine 
Blutung  im  Pens  oder  in  der  Mednlla  oblongata  zu  Grunde  liegt,  und  wie  ist  in  dem 
Fall  von  Kleinhimtumor  das  Fehlen  der  Patellar-Reflexe  zu  erklären? 

Thomsen  hat  10  Fälle  von  Meningitis  cerebro-spinalis  und  M.  tuberculosa 
beobachtet,  unter  denen  5mal  Fehlen  des  Kniephänomens  bestand  (in  1  FaUe  kehrte 
es  später  zurück).  Alle  10  Rückenmarke  wurden  untersucht,  aber  in  keinem  Falle 
konnten  bezügliche  Veränderungen  an  dem  Rückenmark  gefunden  werden.  Th.  hält 
in  solchen  Fällen  eine  Untersuchung  der  peripherischen  Nerven  für  nothwendig. 

Westphal  hat  niemals  behauptet,  dass  das  Fehlen  der  Kniephänomene  nur  bei 
Tabes  vorkommt  Auch  er  hat  das  Symptom  bei  cerebralen  Leiden  gefunden  und 
nimmt  für  diese  Fälle  eine  ausserordentliche  Abschwächung  des  Muskeltonus  an. 
Denn  er  hat  z.  B.  bei  einem  Kranken,  der  an  heftigen  Krämpfen  mit  Verlust  des 
Bewnsstseins  Utt,  beobachtet,  dass  das  Kniephänomen  fehlte,  so  lange  —  nach  Auf- 
hören  der   Krämpfe   und   bei  völliger   Erschlaffung   der   Muskeln    —    der   Kranke 


—    238    — 

bewusstlos  war,  und  erst  mit  Wiederkehr  des  Bewosstseins  wiederkehrte.  Aach  J en- 
dras sik*s  Methode  der  Nachweisnng  des  Kniephänomens  dürfte  so  zn  erklären  sein, 
dass  bei  derselben  eine  unwillkürliche  stärkere  Innervation  aller  Muskeln,  also  auch 
des  Quadriceps  femoris,  eintritt  und  der  dadurch  bedingte  stärkere  Muskeltonus  das 
Phänomen  noch  zur  Erscheinung  kommen  lässt,  während  es  bei  gewöhnlicher  ruhiger 
Haltung  ausbleibt 

Oppenheim:  Beiträge  zur  Pathologie  der  Tabes.  (Bericht  folgt  in  Nr.  11.) 

Bemak:  Erankenvorstellung.  Ein  42jähriger  Schlosser,  seit  Januar  1886 
arbeitsunfähig,  hat  seit  November  1885  eine  Lähmung  des  rechten  Arms  (der  Ex- 
tensoren  des  3.  und  4.  Fingers  etc.)  mit  Atrophie  des  Daumenballens,  intacter  Sensi- 
bilität etc.,  wobei  auch  das  Ergebniss  der  elektrischen  Untersuchung  dem  Bilde  der 
Bleilähmung  entspricht.  Es  hat  sich  auch  herausgestellt,  dass  Pai  mit  Bleiformen, 
Löthlöffeln  etc.  viel  zu  thun  hat.  Uebrigens  ist  Pat.  auch  ein  Potator  strenuus.  — 
Dieser  Mann  hat  nun  ausserdem  eine  heisere  und  klanglose  Sprache,  und  die  laryn- 
goskopische Untersuchung  (Dr.  Bock  er)  zeigt  eine  Lähmung  der  M.  crico-arythaen. 
postici  beiderseits.  —  Femer  besteht  eine  Hemiatrophia  linguae  rechterseits:  die 
Zunge  bildet  einen  nach  links  convexen  Bogen,  ihre  Musculatur  rechts  ist  ganz 
schlaff  und  weich,  die  rechte  Hälfte  kleiner  und  dünner,  wie  die  linke.  Die  elek- 
trische Beizung  der  rechten  Zungenhälfte  erfordert  eine  viel  bedeutendere  Stromstärke, 
als  die  der  linken.  —  Dazu  kommt  noch  eine  rechtsseitige  Gaumenlähmung:  die 
Uvula  ist  nach  links  gerichtet,  das  Velum  rechts  wenig  gespannt  —  Am  Facialis 
besteht  keine  Störung,  wohl  aber  eine  leichte  Ptosis  am  linken  Auge.  —  Uhthoff 
hat  die  Augen  untersucht  und  ophthalmoskopisch  nichts  Abnormes  gefunden,  dagegen 
reflectorische  Pupillenstarre  beiderseits  und  leichte  Störungen  an  verschiedenen  Augen- 
muskeln. 

Von  Tabes,  mit  der  man  in  Frankreich  die  Hemiatrophia  linguae  in  Verbindung 
gebracht  hat,  ist  hier  nichts  nachzuweisen,  die  Eniephänomene  sind  sehr  deutlich 
vorhanden. 

B.  ist  der  Meinung,  dass  alle  geschilderten  Symptome  auf  die  Bleüntoxication 
zn  beziehen  sind,  wenn  man  auch  bisher  Bleilähmungen  nur  am  Larynx  kannte.  Die 
hier  bestehende  degenerative  Zungenlähmung  hat  auch  insofern  den  Charakter  einer 
satuminen,  als  es  eine  partielle  Degeneration  einzelner  Hypoglossus-Fasem  mit  Ent- 
artungsreaction  ist.  Auch  hat  Pat.  bei  seiner  Arbeit  fast  den  ganzen  Tag  über  zu 
sprechen.  —  Freilich  ist  auch  die  reflectorische  Pupillenstarre  bei  Bleüntoxication 
noch  nicht  beobachtet;  aber  bei  Alkoholismus  kommt  diaselbe  nach  Uhthoff  auch 
nur  in  1  ^/q  der  Fälle  vor,  und  progressive  Paralyse  scheint  nicht  vorzuliegen. 

Hadlich. 


IV.  Bibliographie. 

Handbuch  der   Elektrotherapie,   von   W.  Erb.    Zweite  Auflage,  1886.    (von 
Ziemssen*s  Handbuch  der  allgemeinen  Therapie.    Bd.  IlL) 

Dass  ein  wissenschaftliches  Lehrbuch  der  Elektrotherapie  ein  Bedtirfniss  war, 
haben  wir  schon  vor  4  Jahren  bei  dem  ersten  Erscheinen  von  Erb*s  Handbuch  der 
Elektrotherapie  betont.  Die  rasche  Folge  der  zweiten  Auflage  hat  diese  Ansicht  in 
vollstem  Maasse  bestätigt 

Die  Fassung  des  Buches  ist  naturgemäss  dieselbe  geblieben,  aber  was  in  den 
letzten  Jahren  Bemerkenswerthes  auf  dem  Gebiet  der  Elektrotherapie  geleistet  ist, 
hat  Verwerthung  und  Berücksichtigung  erfahren.  Zunächst  sei  der  Einfdhning  des 
absoluten  (Galvanometers  gedacht,  das  eine  ausfQhrliche  Darstellung  erfahren  hat, 
wobei   auch   Bef.  bestätigen   möchte,   dass   das  Hirschmann*sche  Galvanometer  nicht 


—    239    — 

allen  Anforderangen  so  entspricht,  wie  es  von  einzelnen  Seiten  dargestellt  wird. 
Weiterhin  warnt  Verf.  vor  der  Illusion,  dass  mit  dieser  mathematischen  Ansdrncks- 
weise  auch  wirklich  eine  mathematische  Exactheit  in  der  Stromdosimng  erreicht  sei. 

In  der  Elektrophysiologie  finden  auch  die  Untersuchungen  von  Grfitzner, 
Tigerstedt,  Biedermann,  Hering,  üher  die  secundäre  Natur  der  0e£&iung8- 
Zuckung,  die  gebührende  Würdigung. 

Auf  die  weiterhin  eingeschobenen  Erörterungen  in  Sachen  der  Entartungsreaction 
zwischen  y.  Ziemssen  und  dem  Verf.  einzugehen,  dürfte  wohl  überflflssig  sein. 

Ein  vOUig  neues  Kapitel  ist  über  die  myotonische  elektrische  Beaction  hinzu- 
gekommen. Bei  der  von  Strümpell  als  Myotonia  congenita  bezeichneten  Thomsen'- 
schen  Krankheit  zeigt  sich  bei  normalem  Verhalten  der  Nerven  eine  Abweichung 
der  Muskelerregbarkeit.  Diese  besteht  im  Wesentlichen  in  einer  Zuckungsträgheit 
und  einer  langen  Nachdauer  der  faradischen  sowohl,  wie  der  galvanischen  Con- 
tracüonen  und  bei  stabiler  Einwirkung  galvanischer  Ströme  in  rhythmisch  -  wellen- 
förmigen Contractionen,  welche  sich  von  der  Ka  zur  An  bewegen.  Erb  denkt  daran, 
dass  diese  eigenthümlichen  Erregbarkeitsveränderungen  mit  den  von  ihm  nachge- 
wiesenen histologischen  Veränderungen  der  Muskeln  in  Zusammenhang  stehen. 

In  der  allgemeinen  Elektrotherapie  hat  auch  das  elektrische  Bad  mit  seinen 
Indicationen  eine  entsprechende  Stelle  gefunden.  Weiterhin  werden  die  phantastischen 
und  kritiklosen  Angaben  von  Engelskjön  zurückgewiesen.  Es  liegt  hier  zweifellos, 
wie  Erb  richtig  bemerkt,  ein  wichtiges,  der  Untersuchung  vielleicht  ebenso  zugäng- 
liches Gebiet  vor,  wie  die  Prüfung  der  Hautempfindung  unter  dem  Einfluss  elek- 
trischer Ströme.  Aber  hier  muss  erst  durch  Versuche  an  normalen  Menschen  Klar- 
heit geschaffen  werden. 

Auch  der  spedelle  therapeutische  Theil  hat  mannigfache  Zusätze  erfahren.  Doch 
mtifisen  wir  in  dieser  Beziehung  auf  das  Original  verweisen.  Rumpf. 


Eine  kritische  Zusammenstellung  der  neueren  Beobachtungen  über  secundäre 
Degeneration  von  Langley  findet  sich  im  Brain,  1886,  April. 

Daselbst  auch  eine  solche  über  die  Thomsen'sche  Krankheit  von  White. 

Hysterie. 

(cf.  Register  1885  S.  572  und  1886  8.  14.  34.  35.  37.  38.  43.  44.  68.  69.  90.  207 

und  diese  Nummer.) 

Pollock:   (Jeher  Hysterie.     Glasg.  med.  Journ.  1885.  July.  —   Debove:   La 
fi^vre  hyst^rique.     Progr.  m^d.  1885.  Aoüt.  —  Debove   et   Flamant:   Recherches 
exp^rimentales  sur  Thyst^rie.     Gaz.  hebd.  1885.  36.  —  Grasset:  Des  rapports  de 
THyst^rie   avec  les   diathdses  scrofuleuse   et  tuberculeuse.      Montpellier  1884.   — 
Peugniez:   De  Thyst^rie  chez  les  enfants.     Th^  de  Paris  1885.  —  Herz:  Hys- 
terie bei  Kindern.  Wiener  med.  Woch.  1885.  43—46.  —  Schäfer:  üeber  Hysterie 
bei  Kindern.  Arch.  f  Kinderheilk.  V.  9  u.  10.  —  Apostoli:  Sur  un  noaveau  traite- 
ment  äectrique  de  la  douleur  ovarienne  chez  les  hyst^riques.  Bull,  gen^ral.  de  tyrap. 
1885.  11.  —  Schmalfuss!  Zur  Castration  bei  Neurosen.     Arch.  f.  Gynäcol.  XXVI. 
—  Menzel:  idem  ibidem.  —  Leppmann:  dto.  —  Guinon:  L'Hyst^rie  chez  l'homme 
compar^  k  Thyst^rie  chez  la  femme.     Gaz.  mM.  de  Paris.  1885.  20.  —  Joseph: 
üeber  männliche  Hysterie.    D.  med.  Ztg.  1885.  39.  7.  —   Casaubon:   L'Hyst^rie 
chez  les  jeunes  Gar9ons.   Paris  1885.  —  Batault:  Contribution  ä  T^tude  de  THys- 
t^rie  chez  l'homme.  Th^e  de  G^n^ve  1885.  —  Yoisin:  Note  sur  un  cas  de  grande 
byst^rie  chez  Thomme.    Arch.  de  Neurol.  1885.  Sept.   —   Cantieri:   Un   caso   di 
Isteria  nell'uomo.    Bullet,  della  soc.  di  Siena  1885.  —   Moreau   de   Tours:   At- 
laques  hyst^ro-epileptiforme  chez  Thomme.  L*Enc^phale.  1885.  3.  —  Savage:  Gase 
of  marked  hysteria  in  a  boy  of  eleven  years.    J.  of  meni  science.  1885.  Juli.  — 


—    240    — 

Moty:  Hysterie  beim  Mann.  Gaz.  des  H6p.  1885.  —  Pooley:  Hysterische  Para- 
Plegie.    Brit  med.  Journ.  1886.  Jan.  31.  —  Sockling:  Dasselbe  Thema,    ibidem. 

—  Webb:  Hysterische  Lähmung  der  Hand.  Brit  med.  Jonm.  1885.  March  28.  — 
Frew:  Gase  of  hysterical  ischnria.  Glasg.  med.  Jonm.  1886.  Sept.  —  Gribling: 
Een  geyal  van  hysterisch  zweeten  en  anurie.  Nederl.  T^dschr.  voor  Geneesknnde. 
1885.  28.  —  Jacobi:  Catalepsie  in  a  child  three  years  cid.  Am.  Jonm.  of  med. 
science.  1885.  April.  —  Bicher:  Etndes  cliniqnes  snr  la  grande  hyst^rie  on  THys- 
t^ro-äpilepsie.  Paris,  Delahaye  &  Lecrosnier,  1885.  —  Leubnscher:  Beitri&ge  zur 
Kenntniss  der  Hystero  -  Epilepsie.  Thüring.  ärzü.  Vereinsbl.  1884.  9.  —  Bitter: 
Heilnng  eines  hysterischen  Kaamnskelkrampfes.    Monatsschr.  f.  Zahnheilk.  1884.  12. 

—  Dalche:  Accidents  hyst6riqnee  k  forme  pseudo-m^ningitique.  Gaz.  m6d.  1885.  3. 

—  Gilles  de  la  Tonrette:  Spiritisme  et  Hysterie.    Progr.  mM.  1886.  24.  Janv. 

—  Dnmontpallier:  De  Taction  Yaso*motrice  de  la  Suggestion  chez  les  hyst^riqnes 
hypnotisables.  L*Enc^phale.  1885.  5.  —  Desconrtis:  Hypnotisme,  revne  critiqne 
de  quelques  publications  recentes  sur  cette  matiöre.  L*Enc6phale.  1885.  1.  — 
Laker:  lieber  das  Auftreten  von  Gesichtsödem  nach  hypnotischem  Schlaf.  Klinische 
Woch.  1885.  40. 


V.  Personalien. 

Am  8.  d.  M.  starb  in  der  Maison  de  sautä  bei  Berlin  im  Alter  von  39  Jahren 
nach  längerer  Krankheit,  deren  Ursprung  in  die  Zeit  des  Aufenthalts  in  Japan 
zurückeilt,  Prof.  Dr.  Gierke  aus  Breslau,  dem  auch  diese  Zeitschrift  werthvoUe 
Beiträge  verdankte  und  über  dessen  hervorragende  Arbeit  über  die  Stützsubstanz  des 
Centralnervensystems  wir  erst  in  Nr.  5  d.  Jahrg.  referirt  hatten. 


Am  6.  d.  M.  starb  zu  Paris  im  Alter  von  56  Jahren  Dr.  Legrand  du  Saulle, 
Arzt  an  der  Salpetridre,  auch  in  Deutschland  durch  seine  psychiatrischen  Arbeiten 
wohl  bekannt  und  geschätzt  Von  diesen  Arbeiten  sind  la  folie  h^r^ditaire  (1873), 
la  folie  du  doute  (1875)  und  les  Etudes  m^ico-l^gales  sur  les  ^pileptiqnes  (1877) 
besonders  hervorzuheben.  In  diesem  Jahre  erschien  von  ihm  noch  ein  Traite  de 
m^decine  lägale,  de  jurisprudence  m^dicale  et  de  toxicologie  in  zweiter  Auflage. 


VL  Vermischtes. 

Preisaufgaben: 

Die  Aead^mie  de  medecine  Belgiqne  hat  n.  a.  folgende  Preisanfgaben  gestellt: 

1.  1886—1887:  Etadier  rinfluenoe  da  Systeme  nerveux  sur  la  ater^tion  orinaire,  en  se  ba- 
sant  sp^ciaiemeDt  snr  des  recherohes  personelles.  800  fr.  Schlnas  dee  ConeorMs  den 
31.  December  1887. 

2.  iSlncider  par  des  faits  cliniques  et  an  besoin  par  des  exp^riences  la  pathog^nie  et  la 
tii^rapentiqne  do  l'^pilepsie.    8000  fr.    Schlnas  des  Coneorses  den  31.  December  1888. 

25000  fr.  können  ausser  diesem  Preise  demjenigen  gegeben  werden,  dem  ein  wesent- 
licher Fortschritt  in  der  Therapie  der  Krankheiten  des  CentrahDierTenBystems,  wie  s.  B.  die 
Entdeckung  eines  Heilmittels  der  Epilepsie,  gelingt. 

Preissohriften  können  in  lateinischer,  französischer  oder  flämischer  Sprache  verfasst 
sein,  und  sind  an  den  Secretar  der  Akademie  in  Brflssel  zu  adressiren. 


Um  Einsendung  von  Separatabdrücken  an  den  Herausgeber  wird  gebeten. 


Einsendungen  für  die  Bedaction  sind  zu  richten  an  Prof.  Dr.  E.Mendel» 

Berlin,  NW.  Kronprinzen-Ufer  7. 


Verlag  von  Vbit  ft  Comp,  in  Leipzig.  —  Druck  von  Mbtzobr  &  Wrrrie  in  Leipzig. 


NeürologischesCentralblatt. 

Uebersicht  der  Leistungen  auf  dem  Gebiete  der  Anatomie,  Physiologie,  Pathologie 
und  Therapie  des  Nervensystemes  einschliesslich  der  Geisteskrankheiten. 

Herausgegeben  Ton 

Professor  Dr.  E.  Mendel 
FBnfter  "  ^*^  Jahrgang. 

Uonatlich  erscheinen  zwei  Nnmmem.   Preis  des  Jahrganges  16  Mark.   Zn  beziehen  durch 
alle  Bnchhandlnngen  des  In-  und  Auslandes,  die  Postanstalten  des  Deutschen  Reichs,  sowie 

direct  von  der  Verlagsbuchhandlung. 

1886.  1.  Juni.  M  U. 

Inhalt  I.  Originalmlttlieilung.  Zur  Lehre  Ton  der  Innenration  der  Ausdmoksbewegnngen, 
von  Priyatdooent  Dr.  P.  Rosenbach. 

II.  Roforato.  Anatomie.  1.  Abstracts  of  three  lectures  on  the  brain-mechanism  of 
nght  and  smell,  by  Hill.  —  Pathologische  Anatomie.  2.  lieber  die  histologischen  Yer* 
inderunfen  der  multiplen  Sclerose,  von  K0ppen.  S.  On  a  case  of  bilateral  degeneration  in 
the  cerebral  hemisphere,  by  Nadden.  —  Pathologie  des  NerTcnsystems.  4.  L'hör^ 
dit6  daoa  les  maladiea  du  syst^me  nerreuz,  par  Dejerine.  5.  Etüde  sur  les  paralysies  al- 
cooliques,  par  Oettinger.  6.  Zur  Casuistik  der  multiplen  Neuritis,  Ton  Httssün.  7.  Ein  Fall 
Ton  multipler  Neuritis,  von  Eulan.  8.  Bidrag  tili  laran  om  de  multipla  neuritema;  af  Hom^n. 
9.  Acute  multiple  Neuritis  der  spinalen  und  HimnerTen,  von  Freud.  10.  lieber  die  Läsionen  der 
Neuritis  alcoholica»  von  Gombault.  11.  Further  observations  on  alcoholic  paralysis,  by  Dresch- 
feld. 12.  Note  sur  un  cas  de  n^yrite  du  tibiae  ant^rieur  surrenue  dans  le  cours  d'une  fi^vre 
typhoide,  par  WOriz.  18.  Sanitäts-Bericht  über  die  deutschen  Heere  im  Kriege  gegen  Frank- 
reich 1870^1.  Vn.  Band:  Erkrankungen  des  Nervensystems.  (Fortsetzung.)  —  Psychiatrie. 
14.  Psychoses  after  cataract- Operations,  by  Landesberg.  15.  Geistesstörung  nach  Salicyl- 
gebrauch,  von  Knieg.  —  Therapie.    16.  The  Analgesie  action  of  Theine,  by  Mays. 

III.  Aus  den  Gesellschaften.  Berliner  Qesellschalb  für  Psychiatrie  u.  Nervenkrankheiten: 
Beiträge  zur  Pathologie  der  Tabes,  von  Oppenheim.  —  XI.  Wanderversammlung  Südwest- 
deQts<£er  Neurologen  und  Irrenärzte  zu  Baden-Baden:  Zur  Physiologie  der  Grosshimrinde, 
▼on  Goltz.  Heber  die  Urgeschichte  der  höheren  Sinnesorgaue,  von  Wiedershelm.  Üeber 
Muskelbelhnd  bei  der  juv^en  Form  der  Atrophia  muscularis  progressiva,  von  Erb.  Mit- 
theüung  Über  einen  Fall  von  wahrer  allgememer  Muskel -Hypertrophie,  von  Laquer.  — 
Society  de  Biologie  de  Paris:  Das  Ausfallen  der  Zahne  im  Yerhältniss  zur  Tabes,  von  Gallppe. 

IV.  Miittieilung  an  den  Herausgeber. 

V.  Personallen. 

VI.  Vermischtes. 


I. 


Zur  Lehre  von  der  Innervation  der  Ausdrucksbewegungen. 

Von  Privatdocent  Dr.  P.  BoBonbaoh  in  St.  Petersburg. 

Zu  den  bekanntesten  Thatsachen  der  Nervenpathologie  gehört  diejenige, 
dass  bei  oentralen  Lähmungen  in  den  ihier  willkürlichen  Motilität  beraubten 
Muskeln  Bevregungen  durch  reflectorische  Impulse  ausgelöst  werden  können. 


—    242    — 

Dieses  Verhalten  beruht  auf  dem  einfachen  Grunde^  dass  die  Centren  fär  will- 
kürliche und  reflectorische  Innervation  der  nämlichen  Muskelgmppe  ?erachieden 
sind;  falls  also  eine  Lähmung  durch  eine  solche  Affection  eines  Gentroms  für 
willkürUche  Innervation  bedingt  ist,  welche  das  betreffende  Beflexcentrom  un- 
versehrt lässt,  so  muss  die  reflectorische  Beweglichkeit  bei  Verlust  der  willkür- 
lichen bestehen  bleiben.  Doch  bezuglich  der  Gesichtsmuskeln  ist  die  Frage  über 
ihre  Innervation  dadurch  complicirt^  dass  wir  hier  ausser  den  willkürlichen  und 
einfachen  Beflexbew^ungen  noch  eine  besondere  Gruppe  letzterer  unterscheiden 
müssen,  und  zwar  die  sogenannten  Ausdrucksbewegungen,  d.  h.  solche,  durch 
welche  sich  der  Gemüthszustand  äussert,  z.  B.  das  Lachen.  Die  Beziehung 
dieser,  der  mimischen  Innervation,  zu  der  willkürlichen  ist  erst  in  neuerer  2^it 
erhellt  worden,  und  obgleich  die  Thatsache,  dass  eine  unabhängig  von  der  an- 
deren affldrt  sein  kann,  bereits  vor  mehr  als  50  Jahren  bekannt  war,  £Bmd  sie 
doch  bis  vor  Kurzem  keine  richtige  Würdigung. 

Der  erste  Autor,  der  diese  Frage  in  der  literatur  zur  Sprache  brachte,  war 
—  soviel  uns  bekannt  —  der  berühmte  Chables  Bell.  Bei  der  Demon- 
stration eines  Falles  peripherischer  Facialislahmung  macht  er  seine  Schüler 
darauf  aufmerksam,  dass  die  gelähmte  Gesichtshälfte  auch  bäm  Lachen  nnbe- 
weglich  bleibt  Darauf  bemerkt  er,  dass  die  Functionen  des  Athmens,  des 
Sprechens,  des  Ausdrucks  in  verschiedener  Weise  beeinträchtigt  sein  können. 
„So  vnrd  z.  B.  ein  Mensch  noch  volle  Kraft  über  diesen  Nerven  (N.  facialis) 
als  Nerven  der  Sprache  haben,  und  dennoch  unfihig  sein,  die  gewöhnlichen 
Züge  beim  Lachen  oder  Weinen  anzunehmen.  Ja,  Sie  werden  zuweilen  bei 
Ihrem  Kranken  nur  dann  die  Lähmung  der  Gesichtshälfte  bemerken,  wenn  er 
lächelt  oder  lacht,  zu  anderen  Zeiten  nichf  ^  Ohne  sich  hier  bestimmt  über 
den  Grund  dieser  Erscheinungen  auszusprechen,  bemerkt  er  an  einer  anderen 
Stelle :  „. . . .  Man  muss  zuvor  bestimmen,  ob  nicht  die  Portio  dura  des  siebenten 
Paares  (N.  facialis)  eine  ihrer  Verrichtungen  einbüssen  und  die  andere  beibe- 
halten kann.  Ich  vermuthe,  dass  die  Bückwirkung  bei  Gemüthsbewegungen, 
z.  B.  beim  Lächeln  oder  Lachen,  in  Folge  von  Krankheiten  verloren  gehen  kann, 
ohne  dass  dadurch  die  ganze  Kraft  des  Nerven  betheiligt  wird.^'^ 

Bald  darauf  veröffentlichte  Dr.  A.  Magnus  eine  Beobachtung  bilateraler 
Facialislahmung,  trotz  welcher  die  Kranke  ohne  Schwierigkeit  lachen  und  lächeln 
konnte.'  Magnus  wurde  durch  diese  Thatsache  frapput  und  suchte  nach  einer 
Erklärung  derselben.  Indem  er  es  für  unmöglich  hält,  die  Mimik  als  einfache 
Beflexbewegung  aufzufassen,  da  erstere  stets  durch  Vorstellungen  anger^  wird, 
verlegt  er  den  Ursprung  ihrer  Innervation  in  dieselben  Himtheile,  aus  denen 
die  motorischen  Willensimpulse  ausgehen.  Die  Annahme  einer  besonderen  Art 
reflectirter  Bew^ungen  mit  einem  besonderen  Organ  im  Gehirn  meint  er  zurück- 


1  Bell,  Physiolog.  u.  patholog.  Unteranoh.  des  Nervensystema.  üebers.  von  Bombsbg. 
Berlin  1882.    S.  209. 

«  1.  c.  S.  65. 

'  Magnus»  Fall  von  Aufhebung  des  WiUenBeinflnsBes  anf  einige  Hinmerven.  Müller^s 
Archiv.  1887.  S.  258—266  u.  567. 


—    243    — 

weisen  zu  müssen,  da  hieraas  folgen  wQrde,  ,,das8,  so  wie  die  Yorstellnngen  in 
einem  gewissen  Theile  des  Gehirns  vermittelt  würden,  auch  der  Wille  in  einem 
bestimmten  Theile  desselben,  unabhängig  von  den  Vorstellungen,  seinen  Sits 
haben  müsse,  mithin  im  Gehirn  ein  WiUensorgan  existire;  eine  Annahme,  welche 
allen  nnseren  psychologischen  Begriffen  widerstreitet.'^^  Auf  Grund  dieser  Be- 
trachtungen gelangt  er  zu  dem  Schluss,  dass  die  Ursache,  weshalb  Yorstellnngen 
des  Lacherlichen  die  Muskeln  erregen,  wahrend  der  Beiz  des  Willens  ohnmächtig 
bleibt,  in  einer  quantitativen  oder  qualitativen  Verschiedenheit  dieser  beiden 
Arten  von  Vorstellungen  zu  suchen  sei.  Es  ist  zu  bemerken,  dass  die  Section 
dieses  Falles,  die  eine  apoplectische  Höhle  von  der  Grösse  einer  Wallnuss  in 
der  rechten  Grosshimhemisphäre  „ganz  am  äusseren  Band,  da  wo  der  vordere 
Lappen  mit  dem  sogenannten  mittleren  aneinander  stösst^',  ergab,  die  Erankheits- 
eischeinungen  nach  MAaNUs'  Meinung  ganz  unerklärt  liess. 

BoMBEBQ,  der  diesen  Fall  in  seinem  Lehrbuch  citirt,'  beschreibt  danach 
einen  anderen,  welcher  von  Stbombyeb  beobachtet  wurde  und  in  welchem  um- 
gekehrte Verhiltoisse  bestanden:  Bei  einem  12jährigen  Mädchen  bleibt  die  rechte 
Hälfte  des  Gesichts  ohne  allen  Ausdruck  bei  Gemüthsaffecten,  und  zeigt  keine 
vermehrte  Action  bei  beschleunigtem  Atbemholen  nach  Laufen,  Treppensteigen  etc.; 
nichtsdeiitoweniger  ist  das  Kind  im  Stande,  durch  den  Einfluss  des  Willens  die 
Muskeln  dieser  Seite  auf  dieselbe  Weise,  wie  an  der  gesunden  zu  bewegen.  Die 
Frage  nach  der  Ursache  eines  solchen  Verhaltens  wurde  von  diesem  Autor  nicht 
erörtert. 

Nothnagel  war  es,  der  zuvörderst  in  dieser  Sache  Aufklärung  brachte. 
Er  kam  durch  Zusammenstellung  der  betreffenden  Gasuistik  mit  den  Sections- 
befanden  zu  der  wichtigen  Schlussfolgerung,  dass  in  den  Fällen,  wo  die  will- 
kürliche Innervation  des  Facialis  aufgehoben  ist,  und  dabei  doch  die  Bewegung 
beim  Lachen,  Weinen  u.  s.  w.  fortbesteht,  der  Sehhügel  und  seine  Stabkranz- 
verbindung zur  Hemisphärenmasse  unversehrt  gefunden  wird;  bei  umgekehrtem 
Verhalten  dagegen  (wie  in  Stbometbb's  Beobachtung)  würde  vielleicht  eine 
isolirte  Läsion  des  Sehhügels  zu  erwarten  sein.'  Diese  von  Nothnagel  aus- 
drücklich als  Hypothese  vorgetragene  Ansicht  hat  in  letzter  Zeit  durch  die  ex- 
perimentellen Untersuchungen  Bechtebbw's  über  die  Function  der  Sehhügel 
eine  glänzende  Bestätigung  erfahren.^  Bechtesew  gelangte  bekanntlich  auf 
Grond  seiner  an  verschiedenen  Thieren  angestellten  Versuche  zu  der  Anschau- 
ung, dass  die  Sehhügel  als  Centren  für  den  unwillkürlichen  Ausdruck  von 
Qemuthsbewegungen  zu  betrachten  seien.  In  seiner  ausführlichen,  neuerdings 
in  rassischer  Sprache  erschienenen  Abhandlung'  über  diesen  G^nstand  findet 
sich  auch  eine  Zusammensteüung  der  darauf  Bezug  habenden  Gasuistik,  durch 
welche  seine  Anschauung  gestützt  wird. 

mTcTs.  264. 

*  BoMBBBO,  Lehrbuch  der  Nervenkrankheiten  des  Menschen.  S.  Aufl.  1858.  Bd.  L  S.  790. 

*  NoTHKAOBL,  Topischc  Diagnostik.  1879.  S.  251—255. 

*  Bbohtbrbw,  Ueber  die  Function  der  Sehhügel.    Nenrolog.  Centralbl.  1883.  Nr.  3; 
vgl.  ebenfalls  Nenrolog.  Centralbl.  1884.  Nr.  5.  S.  102. 

^  In  Mibbzxjbwsky'b  Wjestnik  psyohiatrii  i  nevropatologii.  1885.  II. 


—    244    — 

Eine  besondere  Bedeutung  in  dieser  Hinsicht  mässen  solche  Fälle  besitzeii, 
in  denen  die  willkärliche  Innervation  des  Qesichts  erhalteni  diejenige  fiir  Ans- 
dracksbewegungen  dag^n  aufgehoben  ist^  in  denen  also  dieser  Anschauung 
gemäss  isolirte  Affection  der  Sehhügel  oder  der  Leitungsbähnen  derselben  Tor- 
handen  sein  soll  Die  Anzahl  solcher  Fälle  ist  bisher  äusserst  gering,  und  noch 
seltener  sind  Sectionsbefunde,  welche  mit  dieser  Deutung  in  KinTflang  stehen. 
Unzweifelhaft  hängt  die  Seltenheit  von  Beobachtungen  isolirter  mimischer  Läh- 
mung in  bedeutendem  Maasse  davon  ab,  dass  sie  oft  unbeachtet  bleibt:  Falls 
der  Patient  keine  Gesichtslähmung  aufweist,  sieht  der  Arzt  keine  Veranlassung, 
seine  Fähigkeit  zu  Ausdrucksbewegungen  zu  prüfen. 

Nach  vorstehenden  Bemerkungen  erscheint  vielleicht  die  Publication  fol- 
gender Beobachtung  gerechtfertigt;  obgleich  sie  keine  Autopsie  bietet,  dürfte 
doch  ihre  klinische  Seite  Interesse  erwecken. 

Vor  einigen  Wochen  consultirte  mich  eine  36jährige  Frau,  die  vor  unge- 
fähr 10  Monaten  an  einer  linksseitigen  Hemiplegie  erkrankt  war.  Sie  will  am 
20.  Mai  vorigen  Jahres  in  der  Nacht  plötzlich,  ohne  Bewusstseinsverlust,  hin- 
gefallen sein  und  am  nächsten  Morgen  Schiefstellung  des  Gesichts  und  Schwäche 
der  linken  Extremitäten  bemerkt  haben;  die  Schwäche  soll  im  Laufe  mehrerer 
Wochen  allmählich  bis  zu  fast  vollständiger  Lähmung  fortgeschritten  sein,  und 
letztere  dann  sich  wieder  zurückgebildet  haben. 

Bei  der  Untersuchung  (am  25.  März  c.)  fand  ich  deutliche  Parese  nur  an 
der  linken  Unterextremität,  die  beim  Gehen  etwas  nachschleppt,  unbedingt 
schwächer  ist  als  die  rechte,  und  erhöhten  Sehnenreflex  aufwreist.  In  der  linken 
Obcrextremität  dagegen  ist  die  Motilität  beinähe  vollkommen  wieder  beigestellt. 
Was  das  Gesicht  anbetrifit,  so  lässt  sich  an  der  linken  Hälfte  desselben  nur 
bei  aufmerksamster  Betrachtung  eine  Spur  von  Parese  der  unteren  Partie  wahr- 
nehmen, die  sich  bei  geschlossenem  Munde  darin  äussert,  dass  der  linke  Mund- 
winkel um  ein  Geringes  niedriger  steht,  als  der  rechte.  Beim  Sprechen  werden 
beide  Gesichtshälften  durchaus  gleichmässig  bewegt,  und  auch  willkürliche 
Grimassen  kann  Patientin  beiderseits  mit  gleicher  Kraft  ausfahren,  üeberhaupt 
ist  man  gegenwärtig  nicht  berechtigt,  an  ihr  eine  Parese  der  linken  Gesichts- 
musculatur  zu  constatiren;  nur  das  linke  Gaumensegel  steht  deutlich  niedriger, 
als  das  rechte.  Als  ich  nun  Patientin  lachen  liess,  wurde  ich  durch  einen 
merkwürdigen  Gegensatz  zwischen  beiden  Gesichtshälften  überrascht  —  die 
linke  blieb  beim  Lachen  vollkommen  unbeweglich;  die  beim  ruhigen  Qesichts- 
ausdmck  deutlich  ausgeprägte  linke  Nasolabialfalte  verschwand,  der  Mund  wurde 
zur  rechten  Seite  verzerrt,  der  Unke  Mundwinkel  tief  nach  unten  verzogen;  mit 
einem  Wort,  die  untere  Partie  der  linken  Gesichtshälfte  nahm  beim  Lachen 
den  Anschein  vollständiger  Lähmung  an.  Die  dadurch  bedingte  Asymmetrie 
war,  je  stärker  das  Lachen,  desto  auffallender  ausgeprägt;  und  sie  verschwand 
sofort,  wenn  das  Lachen  aufhörte  und  dem  gewöhnlichen  ruhigen  Gesichtsaus- 
druck Platz  machte.  —  Femer  wurde  bei  der  Krankenuntersuchung  bilaterale 
linksseitige  Hemianopsie  constatirt,  d.  h.  vollständiger  Ausfall  der  linken  Gre- 
sichtsfelder  —  des  äusseren  am  linken  Auge  und  des  inneren  am  rechten.  Die 


-    245     - 

ceotauie  Sehkraft  ist  ungeschwaeht,  und  am  Augenhintergnmd  fand  sieh  nichts 
Pathologisches,  ahgesehen  von  solchen  Veränderungen,  die  mit  starker  Myopie 
der  Patientin  in  Zusammenhang  stehen.  Die  Pupillen  sind  gleichmassig,  und 
ihre  Beaotion  unheeintrachtigt.  Hautsensibilität  und  Muskelgefähl  sind  am 
ganzen  Körper  erhalten,  die  elektrische  Erregbarkeit  an  der  paretischen  Seite 
unverändert,  überhaupt  ergab  die  sorgfältigste  Untersuchung  keine  weiteren 
Symptome  seitens  des  Nervensfystems.  Auch  klagt  Fat  weder  über  Schwindel, 
noch  Kop&chmerzen,  noch  andere  Erscheinungen,  die  auf  eine  schwerere  Him- 
erkrankung  schliessen  lassen  könnten.  Sie  ist  physisch  schwach  und  anämisch 
und  leidet  an  einem  organischen  Herzfehler.^ 

Wir  haben  es  also  mit  einer  Herderkrankung  der  rechten  Hemisphäre  zu 
thun,  die  wahrscheinlich  durch  Thrombose  eines  Himgefasses  veranlasst  war. 
Dass   die  Affection  nicht  unmittelbar  die  motorische  Willensbahn  befallen  hat, 
wird  durch  den  temporären  Charakter  der  Hemiplegie  und  die  fast  vollkommene 
Wiederherstellung  der  willkürlichen  Motilität  im  Arm  und  Gesicht  bewiesen. 
Da  nun  die  Himläsion  isolirte  mimische  Lähmung  der  linken  Gesichtshälfte 
als  beständige  Erscheinung  bewirkt  hat,  so  müsste  ein  solcher  Fall  an  und  für 
sich,  abgesehen  von  anderen  Gründen,  die  Yermuthung  erwecken,  dass  die  Bahn 
für  die  mimische  Innervation  im  Gehirn  getrennt  von  derjenigen  für  die  will- 
kürliche verläuft     Die  —  bisher  noch  niemals  beschriebene  —  Combination 
der  isolirten  mimischen  Lähmung  mit  Hemianopsie  giebt  auch  einen  Stützpunkt 
zur  topischen  Diagnostik  der  betreffenden  Läsion.    In  der  That,  der  Ausfall 
der  linken  Gesichtafeldhälften,  der  auf  eine  Unterbrechung  der  Leitung  der 
durch   den  rechten  Tractus  opticus  in's  Gehirn  eintretenden  Gesichtseindrücke 
zurückzuführen  ist,  kann  durch  Functionshemmung  entweder  im  Tractus  selbst, 
oder  in  dessen  Endstation  im  Hinterhauptslappen,  oder  in  dessen  Mittelstation 
(Corp.  genicul.  und  quadrigem.)  in   der  Nachbarschaft  der  hinteren  Sehhügel- 
portion bedingt  sein.    Da  wir  einerseits  eine  multiple  Himläsion  in  Anbetracht 
der  Krankengeschichte  ausschliessen  können,  andererseits  eine  Yierhügelaffection 
aus  demselben  Grunde  unwahrscheinlich  ist,  so  haben  wir  alle  Veranlassung 
die  Erkrankung  in  einem  solchen  Gebiet  zu  localisiren,  bei  dessen  Läsion  sowohl 
das  eine,  eis  das  andere  der  bei  unserer  Patientin  bestehenden  Ausfallssymptome 
beobachtet  wurde.    Ein  solches  Gebiet  ist  der  Sehhügel.    In  der  Literatur  sind 
bereits  Fälle  beschrieben,  in  denen  isolirte  Erkrankung  desselbeii  mit  mimischer 
Lähmung  verlief  (Gowebs,^  Gatet');  ebenso  verhält  es  sich  bekannterweise 
mit  der  Hemianopsie.^  Für  die  von  uns  vorausgesetzte  Locaiisation  spricht  auch 
die  temporäre  Hemiplegie  unserer  Patientin,  die  leicht  durch  die  Nachbarschaft 
der  inneren  Kapsel  mit  dem  in  Bede  stehenden  Gebiet  erklärlich  ist 


'  PatieBtin  wurde  (von  Heim  Dr.  Anfimow)  in  der  April-Sitznng  der  St.  Petersboiger 
psyehiatrisohen  GeBelkchaft  demonstrirt 

'  G0WKR8»  On  8ome  Symptoms  of  organic  brain  disease.  Brain.  187S.  April  p.  57 — 59. 

*  Oatbt,  Affeetton  eno^phaliqae.    Archives  de  physiolog.  normale  et  pathoL    1875. 
p.  841—851. 

*  YgL  hier&ber  NoTHNAGsii,  1.  c.  8.  255—257  and  andere  ZoBammenstellangen. 


—    246    — 

Selbstverständlich  könnte  unsere  Beobachtung  einen  nnzweifelhaften  klini- 
schen Beweis  für  die  fnnctionelle  Bedeutung  des  Sehhügels  nur  dann  liefern, 
wenn  die  vorausgesetzte  Erkrankung  durch  Autopsie  erwiesen  wäre;  eine  Section 
unseres  Falles  steht  jedoch  nicht  in  Aussicht.  Trotzdem  glaubte  ich,  ihn  als 
Beitrag  zur  Frage  über  die  Innervation  der  Mimik  betrachten  zu  dürfen,  um 
somehr,  als  die  seltene  Gombination  der  Symptome  die  Localdiagnose  mit  grosser 
Wahrscheinlichkeit  stellen  lässt 


n.  Referate. 


Anatomie. 

1)  AbstractB  of  three  lectures  on  the  braln-mechanism  of  aight  and  smell, 
bj  Alex.  Hill.     (Brii  med.  Jonm.  1886.  Marcb  6.  13.  and  20.) 

In  der  ersten  Vorlesung  giebt  H.  allgemein  morphologische  Erörterungen  vom 
Standpunkte  der  Descendenztheorie  über  die  Homologie  des  spinalen  Nervensystems, 
ans  welcher  wir  die  von  H.  als  wahrscheinlich  bezeichnete  Ansicht  wiedergeben,  dass 
die  hintern  Wurzeln  vom  Spinalganglion  centralwärts  gegen  das  Rückenmark  und 
nicht  umgekehrt  wachsen. 

In  der  zweiten  Vorlesung  tritt  H.  gegen  die  jetzt  ziemlich  allgemein  acceptirte 
Ausschaltung  des  Geruchs-  und  des  Sehorgans  aus  dem  segmentalen  Schema  auf,  und 
erörtert  die  structnrelle  Homologie  der  Betina  und  des  Bulbus  olfactorius. 

Aus  der  dritten  heben  wir  hervor,  den  Gleichschritt  der  Entwickelung  von 
Schläfen-*  und  Hinterhanptslappen  in  der  Thierreihe  mit  der  des  Geruchs-  resp.  Ge- 
sichtssinns. A.  Pick. 


Pathologische  Anatomie. 

2)  Ueber  die  histologischen  Verftndenmgen  der  multiplen  Solerose.  (Aus 
der  psychiatr.  Klinik  in  Strassburg  i.  E.)  Von  Dr.  M.  Koppen,  Assistenz- 
arzt.   (Arch.  f.  Psych.  Bd.  XVII    H.  1.  S.  63.) 

Verf.  untersuchte  3  Fälle  von  multipler  Sclerose  mit  Bficksicht  auf  die  histo- 
logischen Veränderungen  im  Gehirn-  und  Bflckenmark.  Es  wurden  zahlreiche  Zupf- 
und  Schnittpräparate  verfertigt;  die  Eärbni^  geschah  theils  mit  Garmin,  theils  unter 
Anwendung  der  neueren  von  Weigert  und  Freud  eingeführten  Methoden.  Das 
Rückenmark  wurde  auch  an  Längsschnitten  studirt.  Zur  Vergleichung  der  Befunde 
diente  das  Bückenmark  eines  Paralytikers  mit  Hinterstrangsderose.  Die  ünter- 
suchungsresultate  lassen  sich  kurz  folgendermaassen  zusammenfassen. 

Was  die  Grundsubstanz  der  sclerotischen  Herde  anbetrifft,  so  konnte  Verf.  die 
von  Charcot  u.  A.  beschriebene  fibrilläre  Umwandlung  der  gewucherten  Neuroglia 
nicht  bestätigen.  Die  Neuroglia  bestehe  auch  unter  normalen  Verhältnissen  aus 
kurzen  und  langen  Fasern,  welch'  letztere  den  früheren  Forschem  offenbar  entgangen 
sind..  Allerdings  sind  die  langen  Fibrillen  nur  an  Längsschnitten  sichtbar.  In  den 
Herden  war  ihre  Zahl  vermehrt.  Das  feinkörnige  Aussehen  der  Neuroglia  werde 
vorgetäuscht  durch  scharfe  Umbiegung  der  kurzen  Fasern. 

Aufiiallend  war  die  geringe  Betheiligung  der  zelligen  Elemente  am  paihol.  Pro- 
cess.  Nur  in  den  perivasculären  Lymphräumen  fanden  sich  massige  Anhäufongen 
von  Zellen  (Komchenkugeln).    An  den  Gefässen   konnte  Verf.  in   allen  drei   Fällen 


—    247     — 

deutliche  Yerandeningen  (Yerdickangen  n.  dgl.)  constatiren,  doch  Hess  sich  die  Rolle 
derselben  im  gansen  Process  mit  Bestimmtheit  nicht  erairen. 

Der  bemerkenswertheste  Bef^d  in  allen  3  F&llen  ist  das  bereits  yon  Charcot 
für  die  multiple  Sderose  als  charaicteristisch  hervorgehobene  Verhalten  der  Axen* 
cjlinder.  Dieselben  zeigten  sich  nämlich  in  den  Herden  durchweg  auffallend  zahl* 
reich,  waren  ganz  nackt  und  h&ufig  über  ^ie  Norm  vergrCssert.  Dies  liess  sich  aber 
nur  an  Längsschnitten  nachweisen.  Die  damit  in  Widerspruch  stehenden  Angaben 
anderer  Autoren,  die  nur  an  Querschnitten  untersuchten,  beruhen  nach  Ansicht  des 
Verf.  wahrscheinlich  auf  Verwechselungen  der  yerdickten  Azencylinderquerschnitte  mit 
Kernen.  Sehr  charaicteristisch  sei  die  Besistenzfähigkeit  der  Azencylinder.  Verf. 
bringt  damit  die  bei  der  multiplen  Sderose  im  Verhältniss  zur  Ausdehnung  der 
Herde  oft  mild  auftretenden  Bewegungsstörungen  in  Zusammenhang.  Der  wesent- 
liche Unterschied  zwischen  dem  pathologischen  Process  bei  der  disseminirten  Sclerose 
und  der  syetematischen  (des  beigefOgten  Tabesfalles)  bestehe  darin,  dass  bei  dieser 
der  Axencylinder  weit  geringere  Widerstandskraft  besitze.  y.  Monakow. 


3)  On  a  oaae  of  bilateral  degeneration  in  the  spinal  oord,  fifty-two  days 
alter  Haemorrhaga  in  the  cerebral  hemisphere,  by  W.  B.  H ad  den. 
(Brain.  1886.  January  p.  602—611.) 

Ein  63jähriger  Tapezierer  war  nach  einem  Schlaganfall  ohne  vollständigen  Be- 
wusstseinsverlust,  rechtsseitig  völlig  gelähmt  mit  Contractur  und  blieb  es  bis  zum 
52.  Tage,  nachher  erfolgte  der  Tod.  Das  Eniephänoitien  war  beiderseits,  besonders 
aber  rechts  gesteigert  und  rechts  Fussphänomen  vorhanden,  links  nicht. 

Die  Obduction  ergab  bei  Arteriosclerose  einen  hämorrhagischen  Herd  in  der 
Länge  von  1^/2  Zoll,  in  dem  vordem  motorischen  Theil  der  innem  Kapsel  zwischen 
Corpus  striatum  und  Liusenkem,  dessen  Aussenglied  gerissen  ist,  während  das  Corp. 
striatum  und  der  Thalamus  opticus  intact  sind.  Die  secundäre  Degeneration  wurde 
nach  der  Erhärtung  in  der  linken  Pyramide  und  in  einem  schmalen  Abschnitt 
der  rechten  Pyramide  ventral  und  medial  neben  der  grauen  Masse  des  Kerns  der 
Fibrae  arciformes  (Schwalbe),  im  Cervicaltheil  des  Rückenmarks,  beiderseits  in  den 
hinteren  zwei  Dritteln  der  Seitenstränge  und  im  Innern  Theil  der  Vorderstränge  ge- 
funden, so  zwar,  dass  rechts  die  Degeneration  ausgeprägter  im  Seitenstrange,  links 
im  Yorderstrange  war.  Dieselbe  bilaterale  Degeneration  war  in  sämmtlichen  Bücken- 
marksabschnitten zu  constatiren  und  im  Lendentheil  ebenso  ausgeprägt,  als  im  Cervical- 
theil. In  klinischer  Beziehung  betont  Yerf.,  dass  bei  der  beiderseitigen  secundären 
Degeneration  dennoch  Contractur  nur  an  der  gelähmten  Seite  und  an  der  nicht  ge- 
lähmten Seite  auch  kein  Fussphänomen  bestanden  hatte.  E.  Remak. 


Pathologie  des  Nervensystems. 

4)  L'hör6ditä  dans  las   maladies   du  systöme  nerveux,   par  J.  Dejerine. 
Paris  1886.    (293  Seiten.) 

Auf  Grand  dner  ganz  ausserordentlichen  Belesenheit  in  der  einschlägigen 
Literatur  und  vieler  eigenen  Beobachtungen  bespricht  Verf.,  der  auf  dem  Standpunkt 
der  Weismann*8chen  Eeimplasmatheorie  steht,  den  ätiologischen  Einfluss  der  Here* 
dität  bei  den  dnzelnen  Krankheiten  des  Nervensystems. 

Er  kommt  dabei  zu  dem  Resultate,  dass  die  Nerven-  und  Geisteskrankheiten 
C^lieder  einer  grossen  neuropathologischen  Familie  sind.  Der  gemeinsame  Factor, 
der  sie  zu  einer  solchen  verbindet^  ist  die  Heredität;  dieselbe  ist  „ihre  hauptsächliche, 
einzige  Ursache'^    Sie  kann   in   den   verschiedensten  Formen  auftreten,   aber  „stets 


—    248     — 

liegt  sie  allen  Affectionen  des  Nervensystems  zu  Grunde''.  Traumen,  Sorgen,  Ex- 
cesse  etc.  spielen  nur  die  Bolle  von  GelegenheitsursaGhen;  allein  sind  sie-  al>solut 
unfahigi  den  Ausbruch  herbeizufuhren.  Nur  die  Neurasthenie  ist  nicht  immer  und 
nothwendig  erblichen  Ursprungs.  Sie  ist  oft  der  erste  £eim,  aus  dem  nun  in  der 
Descendenz  durch  Erblichkeit  die  andern  Nervenkrankheiten  entspringen.  Das  Wie 
und  Warum  der  Transformation  einer  Nervenkrankheit  in  der  Descendenz  ist  vor- 
läufig unergründet. 

Bei  dem  compilatorischen  und  kritischen  Charaktw  eines  grossen  Theiles  des 
Buches  entzieht  der  speciellere  Inhalt  sich  einem  Beferat.  Fflr  die  Psychosen  wird 
ganz  und  gar  die  Magnan*sche  AulEassung  acceptirt.  Bei  Manie  und  Melancholie 
überwiegen  noch  die  äusseren  Ursachen,  die  erbliche  Prädisposition  ist  im  Minimum. 
Ihr  Einfiuss  steigt  bei  dem  D^lire  chronique  und  der  Folie  intermittente.  Schliess- 
lich bei  der  Folie  h^rdditaire  s.  str.  erscheinen  besondere  Stigmen,  auf  psychischem 
Gebiet  die  sogenannten  Syndromes  ^pisodiques,  deren  gemeinsame  Obarakteristica  die 
Obsession  oder  Impulsion  irr^stible  sind.  Er  rechnet  hierher  die  Monomanien,  aber 
auch  Coprolalie,  Abulie,  Agoraphobie  etc.-  —  Auch  die  sympathischen  und  diathe- 
tischen  Psychosen  haben  keine  Selbstständigkeit,  sondern  sind  nur  die  Beactions- 
weisen  eines  erblich  belasteten  Nervensystems.  Das  blosse  Wort  Alidnaifeion  mentale 
involvirt  schon  eine  „essentiell  hereditäre  Krankheit''. 

Für  die  Epilepsie  kommt  die  allgemeine  neuropathische  Hereditat  mehr  als  die 
directe  in  Betracht.  Unter  350  Beobachtungen  an  der  Salpetri^re  und  dem  Bicetre 
fand  sich  in  der  Ascendenz  bei  21,2^/^  Epilepsie,  bei  51,6^0  Alcoholismus,  bei 
24,5  7o  Migräne,  bei  11,3%  Hysterie  und  Hysteroepilepsie,  bei  16,8%  Geistes- 
krankheit. 

Besonders  genau  wird  weiterhin  die  hereditäre  Chorea  von  Huntington  be- 
sprochen. 

Syphilis  vermag  keine  progressive  Paralyse  oder  Tabes  ohne  erbliche  Anl^e 
hervorzubringen:  die  Tabes  speciell  orfordert  eine  convergirende  Heredität  und  ist 
den  schweren  Nervenkrankheiten  verwandt. 

Bei  manchen  Nervenkrankheiten  erweist  sich  dem  Verfasser  der  erbliche  Ein- 
fiuss noch  zweifelhaft  (Poliomyelitis  ant.  chron.,  Paralysis  agitans,  Fieberpsychosen  etc.), 
bei  infectiüsen  materiellen  Affectionen  und  Intoxicationsparalysen  nicht  eben  wahr- 
scheinlich.   Im  Uebrigen  empfiehlt  sich  das  Werk  sehr  zu  eingehendem  Studium. 

Th.  Ziehen. 

5)  Etüde  sur  les  paralysies  aloooliques,  par  William  Oettinger.  (Paris, 
1885.) 
An  der  Hand  von  17  Fällen  (darunter  5  anderwärts  noch  nicht  veröfifentlichte) 
entwickelt  der  Verf.  das  klinische  Bild  der  Paralysie  alcoolique.  Er  betont  insbe- 
sondere die  Symmetrie  der  Lähmungen,  den  fast  ausnahmslosen  Beginn  der  Lähmungs- 
erscheinungen in  den  Unterextremitäten,  speciell  den  Mm.  extensores  dig.  pedis 
comm.  und  halluciB.  Blasen-,  Mastdarm-,  Facialis-  und  Augenmuskellähmungen  ge- 
hören nicht  zum  Erankheitsbüd  (den  von  Schulz  in  dieser  Zeitschrift  1885  Nr.  19 
beschriebenen  Fall  kennt  Verf.  noch  nicht).  Ataxie  ist  kein  constantes  Symptom, 
ebensowenig  Contracturen.  Bei  den  chronischen  Formen  erhält  sich  lange  Hyper- 
ästhesie, bei  der  acuten  Form  wird  sie  rasch  durch  Anästhesie  verdrängt  Die  Haut- 
reflexe sind  stets  normal,  das  Eniephänomen  fehlt  stets.  Das  Muskelgefühl  erwies 
sich  bei  den  Kranken  des  Verfassers  intact.  Localisirte  Schweisae  oder  vorüber- 
gehende localisirte  Hautröthungen  sind  häufig.  Oedeme  fehlen  fast  nie.  Trophische 
Störungen  der  Haut,  sowie  der  Nägel  werden  genauer  beschrieben;  auch  ist  Neigung 
zu  Decubitus  häufig.  Verf.  unterscheidet  dann  drei  Formen,  eine  passagere,  eine 
chronische  und  eme  acute  rasch  zum  Tode  führende.  Die  finalen  Diarrhöen  werden 
hypothetisch   auf  eine  nervöse  Ursacbe   bezogen.     Die   anatomische  Grundlage   der 


—    249    — 

Brkrankiing  war  in  dem  zur  Section  gekommenen  Fall  des  Verfassers  eine  multiple, 
parenchymatöse  Neuritis  der  motorischen  und  sensiblen  Nerven,  daneben  secnndäre 
Mnskelveränderungen.  Die  von  Wilks  behauptete  grössere  Häufigkeit  der  Paralysie 
alcooliqne  bei  Frauen  bestreitet  Verf.  Von  den  Patienten  des  Verf.  starb  einer,  bei 
dreien  trat  lai^same  partielle  Besserung  ein.  Die  sonstigen  Bemerkungen  des  Verf. 
über  andere  Symptome,  Diagnose,  Therapie  etc.  enthalten  nichts  wesentlich  Neues. 

Th.  Ziehen. 

6)  Znr  Casuistik  der  multiplen  NeoritlB,  von  Dr.  B.  y.  Uösslin.    (Mfinchener 

med.  Wochenschr.  1886.  Nr.  3.) 

Ein  bis  auf  ein  Ulcus  syphilit.  früher  stets  gesunder  Mann  erkrankte  am 
27.  August  1885  an  den  Erscheinungen  einer  Ischias  dexi,  wozu  sich  nach  14  Tagen 
Athembeschwerden,  Schmerzen  in  Bauch  und  Bücken  und  im  ganzen  linken  Arm 
geseUten,  mit  partiellen  Lähmungen  in  letzterem.  Nach  weiteren  14  Tagen  Lähmung 
des  Facialis  sin.;  kein  Fieber;  Schlaflosigkeit,  Puls  und  Bespiration  beschleunigt; 
Sehnenphänomene  erhalten.  Haut  vielfach  hyperästhetisch.  Mitte  October  Hessen  die 
übrigen  Erscheinungen  alle  nach,  nur  eine  starke  Dyspnö,  40  Bespirationen,  134  Puls- 
schläge in  der  Minute.  Danach  allmähliche  Besserung,  am  21.  und  22.  October 
gestört  durch  heftige  Schmerzen  in  beiden  Händen,  nach  denen  für  einige  Tage 
Oedeme  auftraten.  Anfang  November  war  Pat.  wieder  dienstföhig,  Anfang  December 
machte  er  1 — 2stündige  Spaziergänge,  doch  bestanden  noch  Schmerzen  im  linken 
Ulnarisgebiete,  Schwäche  des  linken  Daumens  und  Zeigefingers. 

Verf.  hatte  an  vielen  Nerven  und  Muskeln,  auch  solchen,  die  objectiv  und  sub- 
jectiv  sonst  keine  Störungen  gezeigt  hatten  (z.  B.  linkes  Bein  und  rechter  Arm), 
Entartungsreaction  oder  Verlust  der  Erregbarkeit  gefunden.  —  Die  Fatellarphänomene 
fehlten  niemals. 

Die  Therapie  bestand  in  Buhe  und  Morphium-Injectionen,  später  in  lauen  Bädern, 
coustantem  Strom.    Daneben  von  Anfang  an  Jodkalium  2  gr  täglich. 

Hadlich. 

7)  Ein  Fall  von  multipler  Neuritis,  von  Dr.  Eulan,  Frankfurt  a.  M.    (Berl. 

klin.  Wochenschr.  1886.  Nr.  6.) 

Ein  53jähr.  Mann  erkrankte  zwischen  dem  15.  und  20.  Juni  1884  an  reissen- 
den  Schmerzen  in  beiden  Waden  (links  stärker),  welche  paroxysmenweise.  heftiger 
auftraten  und  allmählich  bis  in  die  Füsse  ausstrahlten,  später  auch  oft  vom  Foramen 
ischiadicnm  ausgingen,  sich  mit  Kreuz-  und  Lendenschmerzen  und  einem  schmerz- 
haften Gürtelgefühl  verbanden. 

Am  10.  Juli  bestand  vermindertes  Tast-  und  Schmerzgefühl  der  Haut  beider 
FüBse.  Druck  auf  den  N.  ischiadicus  verursacht  nicht  nur  Schmerz,  sondern  auch 
taubes  Gefühl  und  Knebeln  bis  in  die  Füsse.  Achillessehnenreflex  zu  dieser  Zeit 
nicht  vorhanden,  Patellarreflex  nur  rechts  schwach  bemerkbar,  Bauch-  und  Cremaster- 
reflex vorhanden.  Patient  kann  wohl  noch  aufstehen  und  gehen,  muss  es  aber  bald 
wegen  der  Schmerzen  und  des  eintretenden  Zittems  aufgeben.  —  Faradische  Erreg- 
barkeit besteht  in  normaler  Weise. 

Den  15.  Juli  Schmerzen  im  linken  Vorderanui  £[riebeln  in  den  4  ersten  Fingern 
der  linken  Hand. 

24.  Juli:  Unter  weiterer  Zunahme  aller  Symptome  ist  das  Tastgefühl  an  den 
Fingern  der  linken  Hand  so  defect  geworden,  dass  Spitze  und  Kopf  einer  Nadel 
lucht  unterschieden  werden  können.  Die  grobe  Kraft  des  linken  Arms  ist  herab- 
gesetzt; Druck  auf  den  Nerv,  medianus  sin.  nahe  am  Ellenbogen  ist  schmerzhaft.  — 
An  den  unteren  Extremitäten  ist  es  zu  completer  Lähmung  einzelner  Nervengebiete 
gekommeD,  unter  Erscheinungen  von  Oedem.    Patellarreflex  auch  rechts  erloschen. 


—    250    — 

Am  7.  August  fötale  Paralyse  beider  Beine  mit  anfiblleader  Atrophie  der  Mus- 
Golator,  besonders  der  Waden.  Die  spontanen  Schmerzen  haben  nachgeLassen.  Die 
Lähmungserscheinnngen  an  den  Armen  sind  stärker  geworden.  Attffiülend  sind  leb- 
hafte Schmerzen  in  der  Blase  und  Harnröhre  nach  dem  Harnlassen»  im  Mastdarm 
nach  dem  Stuhlgange,  ohne  dass  local  sich  etwas  Pathologisches  nachweisen  Hesse. 

28.  August:  Weitere  Zunahme  der  Lähmungen,  dabei  keinerlei  spastische  Zu- 
stände.  Auffallende  Schweisse.  Objectives  Eältegefflhl  der  Beine.  Pulsfrequenz 
104 — 120.  Die  faradische  Erregbarkeit  der  Muskeln  und  Nerven  der  Extremitäten 
ist  erloschen,  der  galvanische  ruft  nur  bei  directer  Reizung  schwache  Zuckungen 
hervor  (Entartungsreaction?  Ref.). 

Von  Anfang  September  an  trat  allmähliche  Besserung  ein.  Am  11.  November 
kann  Fat.  zum  ersten  Male  das  Bett  verlassen.  Die  Lähmung  der  unteren  Extremi- 
täten blieb  am  längsten  im  Gebiete  des  N.  peronaeus  bestehen;  zuletzt  verschwand 
diejenige  am  linken  Arm. 

Anfang  Februar  constatirte  E.  sehr  gutes  Allgemeinbefinden;  nur  in  den  Fuss- 
sohlen  zeigten  sich  noch  unangenehme  Schmerzen,  besonders  beim  Auftreten. 

Verf.  macht  in  längerer  Ausführung  darauf  aufmerksam,  dass  sein  Patient  im 
Jahre  1868  einen  acuten  Gelenkrheumatismus  durchgemacht  und  seitdem  eigentlich 
nicht  aufgehört  hat,  über  „rheumatisqhe"  Beschwerden  zu  klagen.  Diese  Beschwerden 
seien  vielleicht  nicht  ohne  Beziehung  zu  der  späteren  Neuritis  multiplex.  Dass 
letztere  ätiologisch  in  Verbindung  stehe  zu  dem  vorhergegangenen  acuten  Gelenk- 
rheumatismus, nimmt  Verf.  an  und  führt  eine  Reihe  von  Fällen  auf  —  von  F.  C. 
Müller,  Käst,  Trousseau,  Landouzy,  Erb-Remak  — ,  welche  für  eine  der- 
artige Verbindung  sprechen.  Hadlich. 


8)  Bidrag  tili  läran  om  de  miütipla  neuritema,  af  E.  A.  Homen.     (Finska 
läkaresällsk.  handl.  1885.  XXVU.  4.  S.  244.) 

Fat.,  ein  21  jähr.  Fabrikarbeiter,  ohne  nachweisbare  erbliche  Anlage,  hatte  seit 
der  Kindheit  bisweilen  an  Doppeltsehen  gelitten.  Vor  4  Jahren  begann  ohne  nach- 
weisbare Ursache  taubes  Gefühl  und  Steifheit  in  den  Schultern  und  Armen,  besonders 
links,  einzutreten,  das  sich  bei  Bewegung  steigerte;  bisweilen  schwollen  auch  abends 
Hände  und  Füsse  vorübergehend  an.  Ausserdem  fühlte  sich  Pat.  matt,  hatte  mit- 
unter Frostanfalle  und  oft  Schweissausbrüche,  zeitweise  auch  Kopfschmerz.  Die  Kraft 
der  Arme  nahm  allmählich  ab,  vor  1  ^/^ — 2  Jahren  traten  auch  Gefühl  von  Taubsein 
und  Kälte  in  den  Beinen  auf  und  nach  dem  Kreuz  zu  ausstrahlende  Schmeraen  nach 
Bewegungen.  Die  Kraft  in  den  Beinen  nahm  etwas  ab,  der  Gang  wurde  unsicher 
und  Pat.  hatte  mitunter  Schwindel.  Zeichen  einer  Rückenmarksaffection  waren  nicht 
vorhanden.  An  fast  allen  Rückenwirbeln  bestand  Empfindlichkeit  bei  Druck,  ebenso 
an  Punkten«  wo  Nerven  mehr  oder  weniger  oberflächlich  liegen;  diese  Empfindlichkeit 
war  auf  der  ganzen  linken  Seite  deutlicher  hervortretend.  Die  Sensibilität  war  an 
allen  Extremitäten  etwas  herabgesetzt,  besonders  die  Schmerzempfindung  an  den 
Unterschenkeln,  auch  die  faradooutane  Sensibilität  besonders  an  der  linken  Seite. 
Höchst  aufißUlig  war  der  grosse  Unterschied,  der  oberhalb  und  unterhalb  der  Kniee 
in  der  Sensibilität  bestand,  die  von  da  weiter  nach  unten  zu  allmählich  immer  mehr 
abnahm.  Die  Hautreflexo  erschienen  vermindert,  der  Cremasterrefiex  war  vorhanden, 
der  Patellarreflex  ebenfalls,  aber  etwas  abgeschwächt  Die  Musculatur  war  nicht 
sehr  atrophisch,  aber  sehr  schlaff;  die  galvanische  Reizbarkeit  war  etwas  herabge- 
setzt, besonders  in  den  Muskehi,  die  faradische  ebenfalls.  Nachdem  nach  Anwendung 
von  Blutegeln  an  den  Armen  etwas  Linderung  eingetreten  war,  wurden  laue  Bäder 
angewendet  und,  ermuntert  durch  die  guten  Resultate,  die  er  bei  traumatischer  Neu- 
ritis damit  wiederholt  erlangt  hatte,  versuchte  H.  den  faradischen  Pinsel,  und 
zwar,  um  die  Wirkung  besser  beurtheilen  zu  könneui  zuerst  nur  auf  der  linken  Seite. 


—    251     — 

In  kurzer  Zeit  war  die  linke  Seite  fast  vollständig  hergestellt^  während  auf  der  rechten 
Seite  die  Störungen  noch  fortbestanden^  wenn  auch  in  geringerem  Grade,  und  dann 
eben  so  rasch  durch  Anwendung  des  faradischen  Pinsels  beseitigt  wurden. 

Walter  Berger. 

8)  Aoute  multiple  NeuritlB  der  spinalen  und  Himnerven,  von  Dr.  Sigm. 
Freud,  Docent  für  Nervenkrankheiten  in  Wien.    (Sep.-Abdr.) 

Der  sehr  schatzenswerthe  Beitrag  zur  Casuistik  der  acuten  multiplen  Neuritis, 
welchem  vorläufig  die  genauere  mikroskopische  Untersuchung  noch  fehlt»  betrifft  einen 
18jährigen  Bäckergehfilfen,  welcher  ganz  plötzlich  unter  ziehenden  Schmerzen  und 
Kältegefflhl  in  beiden  Beinen,  Schmerzen  im  linken  Knie,  Druck  und  Bewegung  auf 
der  Brust  sowie  grosser  Mattigkeit  erkrankte.  Objectiv  wird  zuerst  neben  dumpfen 
Herztönen  ein  qrstolisches  Geräusch  an  der  Spitze  entdeckt,  später,  nachdem  Fat. 
unter  starkem  Schweissausbruch  von  einem  Schütteltremor  des  rechten  Beines  be- 
fallen worden  war,  kann  man  Hyperästhesien  und  Hyperalgesien  der  Haut  bemerken, 
Farästhesien  längs  einzelner  Nerven,  Druckempfindlichkeit  der  Muskeln  und  Nerven- 
stämme mit  ezcentrischer  Sensation,  Steigerung  der  mechanischen  und  reflectorischen 
Erregbarkeit  der  Muskeln.  Motorische  Störungen  zeigten  sich  in  allgemeiner  Muskel- 
schwäche,  -in  Paresen  des  Oculomotorius,  Facialis  und  Vagus  und  in  Dysurie.  Als 
trophische  Phänomene  kommen  hinzu  Muskelatrophie,  Schweissausbrüche  und  gelegent- 
lich Erythem.  Der  Sch&tteltremor  der  Beine  wiederholte  sich  öfters.  Die  Beflexe 
sind  zuerst  zum  Theil  verstärkt,  später  erloschen.  Die  Temperatur  ist  im  ganzen 
Verlauf  der  Krankheit,  der  sich  über  27s  Monate  erstreckt,  nicht  gesteigert;  die 
finalen  Erhöhungen  kommen  durch  die  hhizugetretene  Pneumonie  zu  Stande.  Der 
Puls  ist  stets  erhöht,  zuweilen  Arythmie  vorhanden. 

Die  Aetiologie  fOr  die  multiple  Neuritis  wird  in  der  vorausgegangenen  rheu- 
matischen Endooarditis  gesucht.  Abusus  spirituosorum  ist  nicht  erwähnt,  bei  dem 
jugendlichen  Alter  wohl  auch  kaum  anzunehmen. 

Aus  dem  Sectionsbefund,  welcher  die  Diagnose  vollständig  bestätigte,  ist  folgendes 
zu  erwähnen:  Diei  Nerven  an  der  Basis  cerebri  sowie  sämmtliche  spinalen  Nerven 
sind  in  ihren  Scheiden  injidrt,  namentlich  jene  des  untern  linken  Halsgeflechtes.  Der 
linke  Trigeminus  und  Vagus,  besonders  ersterer,  grauröthlich,  auf  dem  Durchschnitt 
wie  zerfasert.  Auch  das  linke  Ganglion  Gasseri  sehr  blutreich,  dunkler,  grau  ver- 
färbt. Die  Bückenmarkshäute  blutreich,  das  Mark  normal,  in  der  grauen  Substanz 
leicht^  in  den  Köpfen  der  Hinterhömer  stark  geröthei  Sperling. 


10)  Ueber  die  Lfteionen  der  Neuritto  alooholioa,  von  Gombault.  (Acadämie 
des  sdences  zu  Paris.    Sitzung  vom  28.  Februar  1886.) 

Untersuchung  von  2  Fällen.  In  einem  Theil  der  Nervenfasern  findet  man  alle 
Charaktere  der  Wa Herrschen  Entartung,  im  andern  dagegen  zeigt  sich  die  Mark- 
scheide, statt  voluminöse  Kugeln  zu  bilden,  fein  emulgirt,  der  Axencylinder  persistirt, 
und  zahlreiche  Kerne  erscheinen.  Diese  letztere  Veränderung,  die  eine  präwallersche 
wäre,  würde  schnell  bei  der  grössten  Zahl  der  Fasern  zur  Zerstörung  des  Axen- 
cylinders  und  damit  zur  Waller'schen  Degeneration  führen. 

In  ähnlicher  Weise  verhalten  sich  die  Veränderungen  bei  der  Bleilähmung  und 
der  diphtherischen  Lähmung.  M. 


11)  Furtlier  observations  on  alooholio  paralyaiB,  by  J.  Dreschfeld.  (Brain. 
1886.  January  p.  438—446.) 
Unter  acht  mitgetheilten  alcoholistischen  Lähmungsfällen  gehören  drei  der  rein 
atadischen,  vier  der  rein  paralytischen  Form  an,  während  ein  achter  als  gemischter 


—    252    — 

Fall  aufzufassen  ist.  Der  zur  Obduction  gelangte  FaU  einer  53jährigen  Frau  be- 
trifft die  atactische  Form  (Pseudotabes  peripherica).  Aus  seinen  klinischen  Befunden 
seien  stechende  Schmerzen  der  Unterextremitäten,  atactischer  Ckmg,  Schwanken  be: 
geschlossenen  Augen,  Fehlen  der  Sehnenphänomene,  Hautsensibilitätsstörungen  der 
Unterextremitäten,  gute  Pupillarreaction  erwähnt  Die  Obduction  ergab  Schrumpf- 
niere, Amyloidtabes,  normales  Bückenmark  auch  nach  der  Erhärtung.  Die  Ischiadid 
erschienen  dünn,  gräulich  und  waren  zu  einem  grossen  Theil  von  Fettgewebe  ein- 
geschlossen. Yerticalschnitte  mit  üeberosmiumsäure  behandelt,  und  nachher  mit 
Ficrocarmin  gefärbt,  ergaben  ein  münzenförmiges  Aussehen  der  Nervenfasern  in  Folge 
von  Unterbrechungen  des  Myelins;  die  Kerne  waren  vermehrt  und  ebenso  bestand 
interstitielle  Zelleninfiltration.  Querschnitte  zeigten  an  einigen  Stellen  eine  Zunahme 
des  Durchmessers  der  Axencylinder  und  wieder  die  interstitielle  Infiltration. 

Von  den  drei  andern  Fällen  von  alcoholistischer  Ataxie  mit  übereinstimmenden 
klinischen  Symptomen  sind  noch  Andeutungen  von  Entartungsreaction  in  einem  FaU 
eines  dSjährigen  Mannes  bemerkenswerth. 

Die  vier  rein  paralytischen  Fälle  betrafen  sämmtlich  Weiber  und  zeigten  neben 
alcoholistischen  psychischen  Alterationen,  Sensibiütätsstörungen  und  Fehlen  der  Sehnen- 
phänomene, atrophische  Lähmungen  der  Streckseiten  der  Unterschenkel  und  zum  Theil 
der  Vorderarme  im  Bereiche  des  Extensor  digitorum  communis  etc.  mit  Entartungs- 
reaction.   Unter  Abstinenz  trat  Restitution  der  Beweglichkeit  ein. 

Als  anatomische  Basis  aller  Formen  der  alcoholistischen  Lähmung  ist  dem  Verf. 
multiple  peripherische  Neuritis  unzweifelhaft  E.  Bemak. 


12)  Note  sur  un  oas  de  ndvrite  du  tibiae  antörieur  survenue  dana  le  coura 
d'une  fldvre  typhoide,  par  M.  B.  Würtz.    (L'Encephale.  1886.  I.) 

Localisirte  peripherische  Neuritiden  im  Verlaufe  der  acuten  Infectionskrankheiten 
sind  schon  von  einigen  Klinikern  beobachtet.  Verf.  giebt  jetzt  eine  genaue  Be- 
schreibung eines  einen  Typhus  complicirenden  Falles.  Die  ersten  Symptome  der 
Neuritis  sind  Sensibilitätsstörungen  entweder  das  TaubheitsgefQhl  in  der  betroffenen 
Extremität  oder  aber  heftige  blitzartige  Schmerzen  im  Verlauf  des  befallenen  Nerven, 
die  aber  auch  ihren  Sitz  zuweilen  verändern.  Diese  Schmerzen  steigern  sich  anfalls- 
weise so  sehr,  dass  die  Patienten  laut  schreien  und  nicht  das  Gewicht  der  Bettdecken 
vertragen  können.  Die  Schmerzhaftigkeit,  sich  ofl;  auch  auf  Muskeln  und  Gelenke 
fortpflanzend,  dauert  verschieden  lange,  sogar  bis  zu  6  Monaten,  schliesslich  nur  sehr 
allmählich  schwindend.  Neben  der  schmerzhaften  Irritation  besteht  stellenweise 
Anästhesie.  Zu  diesen  Sensibilitätsstörungen  gesellen  sich  demnächst  Bewegungs- 
störungen von  leichten  Paresen  bis  zur  vollständigen  Beactionslosigkeit  gegen  elek- 
trische Beizungen.  Vorzugsweise  werden  die  unteren  Extremitäten,  namentlich  die 
Flexoren  befallen;  daneben  werden  auch  trophische  Störungen  beobachtet 

Die  Prognose  richtet  sich  nach  der  Zahl  der  befallenen  Nervenstämme,  selten 
bleiben  dauernde  functionelle  Störungen.  W.  ist  geneigt,  die  peripherische  Nerven- 
erkrankung auf  die  gleiche  Infection  wie  die  typhöse  überhaupt  zurückzuführen. 

Zander. 


13)  Sanit&ta-Berioht  über  die  deutsohen  Heere  im  Kriege  gegen  Frank- 
reich  1870/71.      Vn.   Band:    Erkrankungen    des    Nervensystems. 

Herausgegeben  von  der  Militär-Medizinal-Abtheilung  des  königl.  preuss. 
Eriegsministeriums  unter  Mitwirkung  der  betreffenden  bayrischen, 
sächsischen  und  württembergischen  Behörden.  (Berlin  1885.  Ernst 
Siegfr.  Mitüer  &  Sohn.)  —  [Fortsetzung.] 


—    253    — 

Die  poBttyphöBon  Nervenerkranktingeii  nehmen  in  dem  Werke  einen  sehr 
groBsen  Baam  ein.   Trotzdem  eine  genaue  Statistik  aller  dahin  gehöriger  Fälle  nicht 
möglich    gewesen,  liess  sich  doch  so  viel  feststellen,   dass  der  Frocentsatz  der  ner- 
vösen Kachkrankheiten  des  EriegstTphos  ein  überaus  hoher,  die  Friedensstärke  weit 
übertreffender   war.    Das   grösste   Kontingent   zu   Neuropathien  fallt  auf  die  ausge- 
dehnten  Seuchen  vor  Metz  und  Paris.   —    Dem  ttberwiegenden  Theil   derjenigen 
Typhus-Erkrankungen,   an   die   sich   in   der  Beconvalescenz  ein  Nervenleiden  ange- 
schlossen,  war  gewöhnlich  eine  Zeit  angestrengtester  Märsche  und  aufreibenden  Be- 
lagerungsdienstes  vorausgegangen.     Den  „Kriegstyphus"   charakterisirt   u.  A.  auch 
eine  verschleppte  Genesungs-Feriode.    Je  länger  aber  das  Stadium  der  Gonvalescenz, 
desto   grösser   die   Qefahr  nervöser   Nachkrankheiten.  —  Die  Gesammtzahl   der  zur 
Beobachtotig  gekommenen  posttyphösen  Neuropathien  beträgt  134.    Davon  sind  38 
geheilt,    17    gebessert,   47   ungeheilt  geblieben,   8   gestorben.     Der  Ausgang   von 
24  Fällen   ist  unbekannt    Schon   vor   dem  Kriege  war  dieses  Feld  der  Neurologie 
von  verschiedenen  Fachschriftsteilem  bearbeitet  worden.    Neuralgien  und  Neurosen, 
Epilepsie,  Seh-  und  Sprachstörungen,  motorische  Lähmungen  peripherischen  und  cen- 
tralen Ursprungs,  multiple  Sclerosen  u.  a.  m.  konnten  in  sehr  vielen  Fällen   auf 
einen  überstandenen  Typhus,  als  ihren  Ausgangspunkt  zurückgeführt  werden.    Durch 
die  Kriegserfahrungen   wurde   dieses  Gebiet  noch  weiter   ausgedehnt  und  geebnet; 
denn  über   das  Auftreten   von  Faralysis  agitans,   Chorea,   acuter  Ataxie, 
Muskelhypertrophie,   vasomotorischer   Neurose    nach   Typhus   des   mitt- 
leren Lebensalters  enthielt  die  Literatur  vor  dem  nichts.    Die  Yerff.  haben  auch 
versucht  die  moderne  Lehre  von  der  multiplen  Neuritis  für  die  Erklärung  mancher 
in  dieser   Gruppe   verzeichneten  Krankheiten   heranzuziehen.    Aus  der  Menge  der 
interessanten  Krankengeschichten  dieses  Abschnittes  ragt  besonders  eine  Mittheilung 
hervor,  die  ich  hier  kurz  skizziren  will,  weil  sie  bestätigt,  was  ich  in  der  Einleitung 
über  die   günstige  Position  der  Berichterstatter  in  Bezug  auf  langjährige  Beobach- 
tnngs-Möglichkeit  der  Nervenfölle  vorangeschickt  habe:    1872  hatte  Hitzig  in  der 
Berliner  klin.  Wochenschr.  „einen  Fall  von  Hypertrophie  eines  Armes"  veröffentlicht, 
den  er  unter  die  Auerbach-Berger'schen  Fälle  von  echter  Hypertrophie  einreihen 
zu  müssen  glaubte.  —  Der  Zufall  fügte  es,  dass  dieser  Fatient  7  Jahre  später  zur 
militär-ärztlichen  Untersuchung  kam.    Er  bot  jetzt  ganz  das  Bild  einer  juvenilen 
Muskelatrophie   (Dystrophia  muscularis   progressiva),   wie   es   Erb   beschrieben. 
Die  Krankheit  liess  sich  am  wahrscheinlichsten  auf  einen  im  Kriege  überstandenen 
Typhus  zurückführen.    Es  waren  Jetzt  sehr  ausgebreitete  Atrophien,  nur  an  ein- 
zelnen MnskehoL  hypertrophische  Frocesse  und  vor  Allem  völliger  Mangel  der  EaB 
nachzuweisen.   Die  mit  vorzüglichen  Abbildungen  der  Gesammt-Musculatur  des  Mannes, 
sowie  der  durch  Harpunisirung  gewonnenen  mikroskopischen  Muskelbilder  versehene 
Krankengeschichte   beweist  übrigens  die  Bichtigkeit  der   angenommenen  Diagnose. 
Der  Invalide  wurde  beim  Wachtdienst  an  der  Siegessäule  verwendet,  ergab  sich  aber 
dem   Trünke  und  starb   an   Tuberkulose  im  Juli  1884.    Die   Section  im  Berliner 
pathologischen  Institut  ergab   den  merkwürdigen  Befund   einer  Erkrankung  des 
Nervensystems  am  Haisstamm  und  an  den  Halsganglien  des  Sympathi- 
cus  und  an  den  intramusculären  Nervenästen.  —  Es  werden  in  diesem  Kapitel 
am  Schlüsse  die  nervösen  Erkrankungen  nach  Ruhr,  nach  Pocken,  Diarrhoe,  Diph- 
therie und    Intermittens  abgehandelt,   die  theilweise  auch   recht  beachtenswerthes 
Material  bieten. 

(Fortsetzung  folgt.) 


—     254 

Psyehiatrie. 

14)  Fsyohosed  alter  oataract-operations,  by  Dr.  Landesberg.  (Medical  and 
Surgical  Reporter  17.  Öctober  1885,  nach  Referat  von  Eiernan,  im  Joom. 
of  nervoos  aud  mental  disease.  1886.  H.  1.) 

2  Fälle  von  Geistesstörung  nach  Gataractoperation ;  sie  betreffen  einen  Mann 
von  65  Jahren  mit  Yerfolgungswahnvorstellnngen  nnd  Gehörs-,  Gesichts^  und  6e- 
schmackshallucinationen,  die  nach  4  Tagen  vollständig  heilten,  nnd  eine  57jalinge 
Fran,  die  am  2.  Tage  nach  der  Operation  (auf  dem  2.  Ange)  unruhig  und  reizbar 
wurde  und  unter  dem  Ausbruch  von  Gehörshallacinationen  in  einen  dentlichen  De- 
pressionszustand und  dann  in  kurzdauernde  Erregung  verfiel;  nach  4  Tagen  trat 
auch  in  diesem  Fall  völlige  Genesung  ein. 

Analoge  Fälle  hat  Schnabel  (Berichte  des  naturwissenschaftl.  u.  med.  Vereins 
zu  Innsbruck,  Jahrg.  YUI)  beschrieben.  Sommer. 


16)  G^istesstönmg  nach  Salioylgebrauoh,  von  Dr.  Julius  Erneg,  Arzt  an 
der  Privat-Irrenanstalt  zu  Ober-Döbling.  (Wiener  med.  Presse.  1886.  Nr.  13. 
S.  406.) 

In  dem  hier  mitgetheilten  Falle  liegt  eine  Idiosyncrasie  gegen  Saliqri  vor,  an 
der  vielleicht  eine  frühere,  durch  dnen  Eolbenschlag  auf  den  Eopf  herbeigefOhrte 
Commotio  cerebri  die  Schuld  trägt  Nach  Gebrauch  von  9  gr  Natron  salicyL  (gegen 
acute  Pleuritis  verordnet)  trat  bei  dem  ÖSjähr.  Herrn  zuerst  Ohrensausen  auf,  später 
halludnirte  er,  bis  sich  schliesslich  Yerfolgungswahnideen  einstellten.  Am  8.  Tage 
nach  der  Intozication  erfolgte  unter  Gebrauch  von  Digitalis,  die  Yerf.  gegen  das 
Ohrensausen  nach  Chinin-  und  Salicyl-Gebrauch,  sowie  jedes  habituelle  Ohrensausen 
nervöser  Personen  warm  empfiehlt,  Nachlass  aUer  Erscheinungen.       Sperling. 


Therapie. 

16)   The  Analgesie  aotion  of  Theine,  by  Thomaa  J.  Mays,  M.  D.  pf  Phila- 
delphia.   (Medical  News,  1886.  April  17.) 

M.  beschäftigte  sich  schon  seit  längerer  Zeit  mit  der  Wirkung  des  Theins.  £r 
hat  in  sorgfaltiger  Weise  erst  die  physiologische  Wirkung  genau  stndirt,  und  hat 
dann  Ober  die  praktische  Anwendung  dieses  Mittels  selbst  und  durch  andere  sich 
Erfahrung  verschafft.  Hauptresultat  der  physiologischen  Studien  ist,  dass  4afi  Thein 
hauptsächlich  auf  die  sensiblen  Nerven  wirki^  währen  Gaffeln  die  motorischen  Nerven 
beelnflusst.  Versuche  am  Menschen  ergaben  nach  Einspritzung  unter  die  Haut  von 
0,02  Abstumpfung  der  Sensibilität  am  Arme  und  an  der  Hand,  unterhalb  der  In- 
jectionsstelle  Eältegefflhl;  geringe  Yerlangsamung  des  Pulses;  keine  Bewegungs- 
störungen. Was  die  therapeutische  Wirkung  des  Theins  betrifft,  so  lautet  das  Urtheil 
von  M.  und  vielen  GoUegen,  die  in  seinem  Auftrage  arbeiteten,  zu  Gunsten  des  Theins 
als  schmerzstillendes  Mittel.  Es  muss  dies  so  allgemein  gefasst  werden,  denn  das 
Mittel  wurde  eben  bei  den  allerverschiedensten  Erkrankungen  versucht.  M.  selbst 
zieht  die  Grenzen  etwas  enger  und  meint»  dass  das  Mittel  sich  hauptsächlich  bei  der 
Behandlung  schmerzhafter  Spinalerkrankungen  (Tabes  etc.)  bei  Neuralgien,  Spinal- 
irritation etc.  bewähren  wird.  M.  giebt  femer  an,  dass  es  ausserordentlich  prompt 
wirkt  und  dass  der  Effect  ein  lang  anhaltender  sei.  Hypodermatisch  soU  von  0,015 
bis  0,03  eingespritzt  werden.  Vor  tiefen  Einspritzungen  wird  gewarnt»  da  in  einem 
Falle  ein  maniakalischer  Zustand  auf  diese  Weise,  vermuthlich  durch  Einspritzung 
in  em  Blutgefäss,  hervorgerufen  wurde.  Sachs  (New  Tork). 


255 


m.  Aus  den  Gesellsoliafteii. 

Berliner  Gesellschaft  für  Psychiatrie  und  Nervenkrankheiten.    Sitznng 
vom  10.  Mai  1886.    (Schluss.) 

Oppenheim:  Beiträge  zur  Pathologie  der  Tabes. 

Kurz  nachdem  die  Abhandlung  von  Dejerine  erschienen  war,  welche  der  schon 
von  Westphal  und  nach  ihqL  von  Pierret  erwiesenen  Betheiligmig  der  peripher. 
Nerven  an  den  tabischen  Degenerationsprocessen  eine  allgemeinere  Bedeutung  verlieh, 
habe   ich   mich  in   Gemeinschaft  mit  Collegen  Siemerling  auf  Anregung  unseres 
hochverehrten  Lehrers,  des  Herrn  Geheimrath  Westphal  dem  Studium  dieser  Vor- 
gänge zugewandt.  £s  war  unsere  Absicht^  durch  die  Untersuchung  der  peripherischen 
Nerven  in  einer  grösseren  Anzahl  von  Tabes-Fällen  festzustellen«  ob  die  Degeneration 
derselhen   zu   den  regulären  pathologisch-anatomischen  Befunden  gehöre,  ob  es  sich 
stets  am  denselben  histologischen  Process  handle,    zu  ermitteln,   ob  eine  Beziehung 
walte   zwischen  der  Intensität  und  Ausbreitung  der  spinalen  und  der  peripherischen 
Nervenerkrankung  — ,  endlich  gaben  wir  uns  der  Hoffimng  hin,   dass  auch  für  die 
Dentong   gewisser   klinischer   Erscheinungen   aus   diesen  Untersuchungen  etwas  Er- 
sprieesliches   wflrde   hervoi^ehen.    Sehr   bald  stellte  sich  eine  Schwierigkeit  heraus, 
die  uns  von  dem  ursprünglich  eingeschlagenen  Wege  ablenkte.    Wir  hatten  nämlich, 
um    unsere  Präparate  mit  normalen  vergleichen  zu  können,   diese  den  Leichen  von 
Personen  entnommen,  welche  an  irgend  einer  Erkrankung  zu  Grunde  gegangen  waren, 
die  nach  unseren  bisherigen  Erfahrungen  gewöhnlich  den  peripherischen  Nervenapparat 
intact  lässt.    Nun  aber  fanden  wir  auch  hier  gewöhnlich  nicht  die  Bilder,   welche 
man   nach  den  Schilderungen   der  Autoren  als   den  Typus  des  Normalen  hätte  er- 
warten  sollen,  ja   die  Abnormitäten   waren  so  häufig   und   zuweilen  so  ausgeprägt, 
dass   wir   unsere  Aufjgabe   erweitem  mussten  und  an  die  Specialuntersuchung  nicht 
eher   herantreten  durften,  bis  das  Verhalten  der  Nerven  unter  den  verschiedensten 
pathologischen  Bedingungen  festgestellt  war;  besonders  auch  im  Hinblick  auf  die 
Thatsache,    dass   die   Tabeskranken  gewöhnlich   nicht  an   dem  Bückenmarksleiden, 
sondern  an  gewissen  Folgezuständen  und  Complicationen  zu  Grunde  gehen,  deren 
Einfluss  auf  die  peripherischen  Nerven  noch  zu  ermitteln  war. 

Wir  haben  deshalb  sensible  und  gemischte  Nerven  untersucht  von  Personen, 
die  an  Tuberoulose,  an  Inanition,  an  Geschwulstcachezie,  an  Arteriosderose,  senilem 
Marasmus,  an  Infections-  und  Intoxicationskrankheiten,  an  Tumor  cerebri  etc.  zu 
Grunde  gegangen  waren.  Ausserdem  bezog  sich  unsere  Untersuchung  auf  die  Nerven 
von  13  Individuen,  die  an  Tabes  dorsalis,  resp.  (in  einigen  Fällen)  an  combinirter 
Erkrankung  der  Hinter-  und  Seitenstränge  gelitten  hatten  und  längere  Zeit  klinisch 
beobachtet  waren.  Von  8  dieser  Kranken  wurde  auch  das  Bückenmark  und  die 
MeduUa  oblongata,  von  3  ausserdem  ein  Theil  der  Spinalganglien  einer  mikroskopischen 
Prüfung  unterzogen. 

Was  den  Modus  der  Nervenunteniuchung  anlangt,  so  haben  wir  dieselben  frisch 
zerznpft  und  nach  der  Behandlung  mit  Osmiumsäure  in  bekannter  Weise  auf  Quer- 
schnitten und  Zupfpräparaten  beurtheilt,  femer  wurden  nach  der  Härtung  in  Chrom- 
salzlösungen Querschnitte  hergestellt,  die  mit  Picrocarmin,  Carmin,  Hämotox]rlin, 
Boraxcarmin,  nach  der  Weigert*schen  Methode  oder  auch  mit  Groldchlorid  geförbt 
wurden. 

Die  Beobachtung  erstreckte  sich  auf  sensible  und  gemischte  Nerven.  Wir  unter- 
suchten Hautnervenzweige  aus  der  Gegend  des  Fussrückens,  der  Sohle,  des  Unter- 
achenkels, der  Vola  manus,  den  N.  saphenus  m^jor  sowohl  in  seinem  Oberschenkel- 
theile,  als  auch  in  seinen  peripherischen  Verzweigungen.  Ferner  den  Peroneus, 
Cruralis,  sowohl  den  Stamm  wie  Muskeläste,  den  Medianus,  Musculocutaneus  etc., 
doch  nicht  alle  diese   Nerven  in  jedem  Falle.     Von  den  Hirnnerven  gelangte  5mal 


—    256    — 

der  Vagus  einige  Male  auch  der  Laryngeus  recurrens,  und  einmal  der  Laryngeas  8up. 
zur  Untersuchung. 

Wir  gewannen  so  ein  sehr  umfangreiches  Material,  das  uns  zwar  nicht, über 
alle  hier  in  Frage  kommenden  Verhältnisse  Aufschluss  gab,  aber  doch  zu  einigen 
beachtenswerthen  Ergebnissen  führte.  Die  einfachste  und  gewöhnlichste  Form  der 
Nervendegeneration  ist  dadurch  charakterisirt,  dass  sich  zwischen  den  markhaltigen 
Fasern  von  normaler  Beschafifenheit  Gruppen  von  Fasern  finden,  die  ihr  Nervenmark 
mehr  oder  weniger  vollständig  eingebüsst  haben  und  deren  AxBncylinder  atrophisch 
oder  ganz  geschwunden  ist,  sodass  schliesslich  nur  die  leere  Schwann'sche  Scheide 
restirt.  Auf  mit  Carmin  behandelten  Querschnitten  markirt  sich  dies  so,  dass  zwischen 
den  quergetroffenen  Nervenfasern  mit  gut  erhaltenem  Marke  und  deuüich  sichtbarem 
Axencylinder  mehr  oder  weniger  ausgedehnte  Flecke  hervortreten,  die  bei  schwacher 
Vergrösserung  diffus  rothgefärbt  erscheinen,  während  die  genauere  Untersuchung 
lehrt,  dass  hier  dichtgedrängt  kleine  Bohren  nebeneinander  liegen,  die  kein  gelbes 
Mark  mehr  enthalten  und  nur  zum  geringen  Theil  noch  mit  einem  als  roth  gefärbtes 
punktförmiges  Qebilde  erscheinenden  Axencylinder  versehen  sind.  Wo  die  atrophischen 
Fasern  liegen,  haben  die  Kerne  eine  Zunahme  erfahren.  Es  ist  hierbei  nur  in  Bück- 
sicht zu  ziehen,  dass  schon  normaliter  die  cerebrospinalen  Nerven  einzelne,  gewöhn- 
lich in  kleinen  Gruppen  stehende  myelinfreie  Fasern  enthalten,  die  aber  noch  mit 
einem  Axencylinder  versehen  sind;  sie  sind  aber  so  spärlich,  dass  sie  an  Zahl  ganz 
verschwinden  gegen  die  Menge  der  doppelcontourirten  Fasern.  Es  lässt  sich  zwar 
nicht  numerisch  bestimmen,  wo  der  pathologische  Excess  beginnt  —  man  gewinnt 
aber  durch  vergleichende  Studien  ein  sicheres  Urtheil  und  hütet  sich  vor  Fehlschlüssen, 
wenn  man  auf  die  geringsten  Grade  der  Veränderung  keinen  Werth  legt.  Wo  sich 
nun  diese  Degenerationsvorgänge  deutlich  ausgeprägt  finden,  sieht  man  immer  auch 
einzelne  von  den  grossen  markhaltigen  Bohren  gewisse  Veränderungen  ihrer  Structur 
erleiden:  der  Axencylinder  erscheint  gequollen,  verdickt,  zeigt  oft  unregelmässige 
Contouren,  das  Mark  zeigt  nicht  mehr  die  Bingelung,  sondern  sieht  wie  homogen 
aus,  färbt  sich  mehr  oder  weniger  stark  und  gewinnt  zuweilen  emen  eigenthümlichen 
hellen  Glanz,  dessen  Bedeutung  nicht  zu  ermitteln  war.  —  Bei  dieser  Form  der 
Nervenentartung  ist  der  bindegewebige  Apparat:  das  Perineurium,  Endoneurium,  die 
Gefässe  unbetheiligt 

Die  geringeren  Grade  dieser  Degeneration  finden  sich  unter  den 
verschiedensten  Bedingungen,  und  bei  Vorgängen,  die  gar  nicht  vom 
Nervensystem  ausgehen,  sondern  auf  dem  Wege  der  Infection,  der  In- 
toxication,  der  Erschöpfung,  des  Marasmus  den  gesammten  Organismus 
schädigen. 

Wir  fanden  diese  Alterationen  im  massigen  Grade  ausgeprägt  bei  Individuen, 
die  an  Tuberculose,  an  Garcinom-Gachexie,  senilem  Marasmus  mit  Arteriosderose,  an 
Inanition,  an  septischen  Processen,  Infectionskrankheiten  etc.  zu  Grunde  gegangen 
waren.  In  einem  Fall  von  Tuberculose,  der  ohne  nervöse  Krankheitserscheinungen 
verlaufen  war,  in  einer  Beobachtung  von  Septicaemie  sowie  in  einer  von  Typhus 
wurden  selbst  höhere  Grade  der  Erkrankung  erreicht,  aber  immer  doch  nur  in  dem 
Maasse,  dass  zwischen  den  Haufen  atrophischer  Fasern  noch  eine  grosse  Anzahl  ge- 
sunder erhalten  war. 

Die  höchsten  Grade  der  Nervendegeneration  wurden  in  diesen 
nicht  zur  Tabes  zählenden  Fällen  nur  dort  gefunden,  wo  auch  intra 
vitam  die  ausgesprochenen  Erscheinungen  der  „multiplen  Neuritis'' 
vorgelegen  hatten,  nämlich  in  einem  Falle  von  Tuberculose  mit  den 
Symptomen  der  degenerativen  Neuritis,  in  einem  andern  von  schwerem 
Alcoholismus  mit  den  Zeichen  der  multiplen  Neuritis. 

Wenn  wir  nun  mit  diesen  Besultaten  diejenigen  vergleichen,  welche  durch  di® 
Untersuchung  der  Nerven  Tabes-Kranker  genommen  wurden,  so  ist  gleich  das  eine 


—    267     — 

hervonuliebeii,  dass  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  von  Tabes  doraalis  in  den 
Verzweigungen  der  Uautneryen  so  beträchtliche  Alterationen  aufge- 
funden wurden,  wie  sie  sonst  gar  nicht  oder  doch  in  annäherndem 
Grade  nur  in  den  sich  klinisch  als  Neuritis  darstellenden  Fällen  zur 
Beobachtung  gelangten. 

Dieee  Degeneration  kann  so  weit  gehen,  dass  der  Querschnitt  des  Nervenbündels 
nur  noch  ein  paar  ganz  vereinzelt  st^ende  und  schnell  zu  überzählende  markhaltige 
Fasern  aufweist.   (Demonstration.) 

Solche  Grade  der  Degeneration  constatirten  wir  in  7  Fällen  von  Tabes  dorsalis 
und  zvrar  in  den  Verzweigungen  des  N.  saphenus  major  am  Fuss  oder  Unterschenkel, 
in  den  kleinen  Zweigen  des  Peroneus,  welche  die  Haut  der  Zehen  verseifen,  in  den 
Aesien  des  Ulnaris,  welche  zu  den  Fingern  ziehen.  Zweimal  wurden  diese  stärksten 
Grade  der  Entartung  auch  im  Vagus  und  Laryngeus  recurrens  von  Personen  gefunden, 
die  an  gastrischen  und  Larynzstörungen  gelitten  hatten.  Selbstverständlich  haben 
diese  Befunde  der  höchsten  Degeneration  einen  besonderen  Werth,  während  man  in 
den  Fällen,  in  welchen  sich  nur  mittlere  Grade  zeigten,  im  Zweifel  bleibt,  ob  die 
Erkrankung  auf  Rechnung  der  Tabes  oder  eines  begleitoAden  Leidens  zu  bringen  sei, 
da  unsere  Tabes-Kranken  zum  Theil  an  Tuberculose,  an  Pyämie,  an  Typhus  zu  Grunde 
gegangen  oder  in  den  letzten  Lebensmonaten  einer  erheblichen  Macies  anheimgefallen 
waren. 

Untersucht  man  die  grösseren  Nervenstämme,  die  Stämme  der  gemischten  Nerven, 
so  läset  sich  auch  in  diesen  häufig  noch  ein  bemerkenswerther  Grad  von  Degeneration 
constatiren,  die  aber  immer  an  Intensität  weit  zurück  bleibt  hinter  dem  Grade  der 
Erkrankung  der  entsprechenden  Hautnervenäste.  Wir  hatten  in  verschiedenen  Fällen 
Präparate  aus  dem  N.  saphenus  major  am  Oberschenkel  hergestellt  und  damit  die 
aus  den  peripherischen  Verzweigungen  gewonnenen  Querschnitte  verglichen,  immer 
war  die  Differenz  eine  beträchtliche,  d.  h.  der  Nerv  war  in  seinen  dem  Gentralorgan 
näher  gelegenen  Partien  weniger  stark  ergriffen  als  in  den  entfernteren.  Wir  haben 
häufig  einen  erklecklichen  Faserschwund  in  dem  Stamme  des  Peroneus,  des  Gruralis, 
Medianus  etc.  constatirt,  aber  nur  selten  gingen  die  Veränderungen  über  das  Maass 
hinaus,  welches  gelegentlich  auch  bei  Nicht-Tabischen  unter  den  oben  genannten 
Bedingpongen  aufgefunden  wurde,  sodass  man  aus  diesen  Befunden  kaum  hätte  schliessen 
können,  dass  die  Tabes  eine  Erkrankung  ist,  welche  den  peripherischen  Nerven- 
apparat in  Mitleidenschaft  zieht 

Ist  nun  die  geschilderte  Form  der  Nervendegeneration  die  einzige,  welche  bei 
Tabes  vorkommt  oder  giebt  es  Degenerationsformen  von  anderem  histologischem 
Charakter?  Gar  nicht  selten  sind  wir  einer  Alteration  der  peripherischen 
Nerven  begegnet,  die  sich  auf  dem  Querschnitt  so  darstellt:  Perineurium 
stark  verdickt,  abnorm  kernreich.  Zwischen  Perineurium  und  den  von 
ihm  umschlossenen  Nervenfasern  findet  sich  eine  mehr  oder  weniger 
breite  Gewebsschicht,  welche  Gefässe  einschliessi  Von  diesen  Ge- 
fassen  ist  kein  einziges  normal,  sie  sind  grossentheils  obliterirt,  die 
Wandungen  sind  erheblich  verdickt,  sclerosiri  Sie  sind  oft  so  reich- 
lich, dass  die  eigentliche  Nervensubstanz  wie  von  einem  Kranze  von 
Gefässen  umrahmt  ist,  die  benachbarten  Nervenfasern  sind  atrophirt, 
während  der  übrige  Querschnitt  weniger  stark  betroffen  ist  Manch- 
mal durchziehen  vom  Perineurium  aus  breite  Züge  fibrillären  Gewebes, 
ebenfalls  Gefässe  führend,  die  Hervensubstanz.  Gewöhnlich  ist  in  diesen 
Fällen  auch  das  Epineurium  abnorm  stark  vascularisirt. 

Es  handelt  sich  hier  also  um  eine  echte  interstitielle  Neuritis  resp. 
Perineuritis. 

Wir  fanden  diese  Form  der  Degeneration  einigemale  bei  Tabes-Kranken  (Demon- 
stration) und   zwar  zweimal  besonders  ausgeprägt  im  N.  ulnaris,  ein  andermal  im 


—    258    — 

Peroneus  und  Saphenns  —  aber  dieeelben  Yer&nderangen  boten  sich  and  ancb  das 
in  dem  Saphenns  major  einer  an  PhthisiSi  in  dem  Peroneus  oommnnis  einer  an  De- 
lirinm  tremens,  in  dem  Peroneus  einer  an  Longengangr&n  mit  Sepsis  verstorbenen 
Person,  sowie  bei  zwei  Individuen  mit  ausgesprochener  allgemeiner  Arteriosclerose. 
Wir  sind  deshalb  leider  nicht  in  der  Lage  zu  entscheiden,  ob  die  geschilderten 
Anomalien  auf  Rechnung  der  Tabes  zu  bringen  sind  oder  durch  complidrwide  Er- 
krankungen bedingt  wurden.    Ich  komme  darauf  zurück. 

GHehen  alle  Fälle  von  Tabes  mit  Nervendegeneration  einher,  ist  diesdbe  auch 
schon  in  Irflheren  Stadien  zu  constatiren? 

Von  unseren  13  Fällen  boten  7  oder  8  eine  Degeneration  der  peri- 
pherischen Nerven,  die  nach  ihrer  Intensität  mit  Sicherheit  als  eine 
mit  der  Tabes  in  Zusammenhang  stehende  Veränderung  aufzufassen  ist 
In  einem  Falle  sind  aber  trotz  vorgeschrittener  Bfickenmarkserkran- 
kung  die  peripherischen  Nerven,  welche  zur  Untersuchung  gelangten, 
gesund  befunden  worden. 

In  zwei  anderen  Beobachtungen,  in  welchen  die  Alterationen  fehlen,  oder  doch 
nur  gering  ausgeprägt  waren,  handelte  es  sich  um  Dementia  paralytica  mit  Hinter- 
strang-Erkrankung. —  Im  Ganzen  glauben  wir  aus  unseren  Befunden  schliessen  zu 
dürfen,  dass  die  Degeneration  peripherischer  Nerven  zu  den  gewöhnlichen  patholog. 
Befunden  der  Tabes  dorsalis  gehört. 

Die  schwersten  Läsionen  fanden  wir  in  weit  vorgeschrittenen  Fällen,  anderer- 
seits wurde  eine  erhebliche  Atrophie  des  N.  saphenns  major  am  Unterschenkel  in 
einem  Falle  von  Tabes  dorsalis  aufgefunden,  in  welchem  sowohl  die  klinischen  Er- 
scheinungen, wie  der  Bückenmarksbefund  auf  ein  frühes  Stadium  der  Erkrankung 
hinwiesen. 

Die  Frage,  ob  die  peripherische  Nervendegeneration  in  directer  Abhängigkeit  stehe 
von  der  Bückenmarkserkrankung,  ist  schon  von  Dejerine  im  verneinenden  Sinne  be- 
antwortet worden.  Er  führt  den  Beweis  damit,  dass  er  zeigt,  wie  die  in*8  Qanglien 
intervertebrale  eintretende  hintere  Wurzel  völlig  atrophirt  ist,  während  das  Ganglion 
selbst  und  die  aus  ihm  kommenden  sich  mit  der  vorderen  Wurzel  zum  gemischten 
Stamm  vereinigenden  Fasern  so  wie  dieser  gesund  befunden  wurden.  Wir  haben  in 
drei  Fällen  die  Spinalganglien  auf  dieses  Verhalten  hin  geprüft  und  zwar  erhielten 
wir  den  besten  Ueberblick  auf  Längsschnitten,  welche  im  günstigen  Falle  gleichzeitig 
die  beiden  Wurzeln  des  Ganglions  und  den  auftretenden  Nerven  treffen.  Wir  fanden 
die  hintere  Wurzel  völlig  degenerirt,  die  aus  dem  Ganglion  heraus- 
tretenden Fasern,  wie  die  vordere  Wurzel  nicht  wesentlich  verändert, 
dagegen  zeigte  das  Ganglion  selbst  in  unseren  Fällen  beim  Vergleich 
mit  normalen  Spinalganglien  besonders  deutlich  bei  Weigert'scher 
Färbung  einen  entschiedenen  Faserschwund  und  zwar,  wie  es  scheint, 
wesentlich  in  dem  den  eintretenden  Wurzeln  zugewandten  Pole.  (De- 
monstration.) 

Besteht  nun  eine  Beziehung  zwischen  der  Intensität  und  Ausdehnung  der 
Hinterstrangerkrankung  einerseits  und  der  peripherischen  Nervend^eneraüon  anderer- 
seits? Diese  Frage  können  wir  mit  Bestimmtheit  verneinend  beantworten.  Einer- 
seits fanden  wir  trotz  vollständiger  Atrophie  der  Hinterstränge  im 
Lenden-  und  Brusttheil  die  sensibeln  Nerven  der  unteren  Extremi- 
täten intact,  andererseits  waren  in  einzelnen  Beobachtungen  die 
Bückenmarks- Veränderungen  gering  trotz  beträchtlicher  Nerven- 
entartung. 

Sobald  die  Selbstständigkeit  dieser  peripherischen  Nervenerkrankung  zugegeben 
wird,  ist  damit  die  Berechtigung  zu  der  Annahme  gegeben,  dass  diese  Degeneration 
auch  eme  klinische  Bedeutung  hat  Es  ist  dies  schon  von  Dejerine  ausgesprochen, 
er  ist  der  Ansicht,   dass  die  Sensibilitätsstörungen  und  damit  auch  die  Ataitie,   vor 


—    269    — 

allem  auch  das  Fbftnomen  der  yerlangsamten  Empfindongsleitosg  vieUeicht  auf  diese 
Erkrankung  der  sensibeln  Nerven  isnrflckzafQhren  sei. 

Wir  können  aos  unseren  Beobachtungen  folgende  Beiträge  herleiten:  In  einem 
Fiüle  von  Tabes  dorsalis,  in  welchem  trotz  der  Schwere  der  flbrigen  Krankheits- 
erscheinungen die  Hautsensibilitat  an  den  U.  E.  wenig  beeinträchtigt  war,  fanden 
sich  auch  die  sensibeln  Haatnerven  der  ü.  E.  nicht  wesentlich  verändert,  während 
die  ffinterstrangdegeneration  den  höchsten  Grad  erreicht  hätte.  Entsprechend  der 
weit  stärkeren  Anästhesie  der  Hände,  die  im  Ulnarisgebiet  begonnen  hatte,  traten 
nun  auch  ganz  markante  Veränderungen  im  ülnaris  hervor;  aufOallend  bleibt  es  aber 
dabei,  dass,  obgleich  die  Anästhesie  schon  lange  aufs  Medianusgebiet  übergegriffen 
hatte,  in  einem  Fingerast  dieses  Nerven,  keine  wesentliche  Alteration  constatirt  wurde. 

Bei  einem  andern  Pai  hatte  sich  die  Erkrankung  11  Jahre  vor  dem  Tode  mit 
Schmensen,  Parästhesien  nnd  Anästhesie  der  rechten  Obereztremität  eingeleitet,  die, 
wie  gewöhnlich,  zuerst  im  Ulnarisgebiet  aufbat.  Auch  kurz  vor  dem  Tode  war  hier 
die  Sensibilitätsstönmg,  die  sich  nun  auch  auf  andere  Hautgebiete  erstreckte,  am 
stärksten;  bei  diesem  Kranken  zeigte  sich  nun  der  rechte  Ulnaris  erheblich  erkrankt, 
während  die  Nerven  der  U.  E.  nur  im  geringen  Grade  betroffen  waren.  Die  Frage 
nun,  ob  sich  die  Nervendegeneration  auf  die  sensiblen  Fasern  beschränkt,  ist  schon 
damit  abweisend  beantwortet,  dass  entsprechend  dem  klinischen  Befände  der  Augen- 
mnskellähmung  bei  Tabes  von  anderen  Autoren  eine  Erkrankung  der  Augenmuskel- 
nerven  festgestellt  worden  ist.  Ich  habe  dasselbe  für  den  Vagus  und  Laryngeus 
recurrens  constatirt  und  entsprechend  dieser  D^eneration  gefunden,  dass  in  einigen 
Fällen  von  Tabes,  die  mit  Stimmbandlähmung  einhergingen,  die  elek- 
trische Beaction  vom  Laryngeus  recurrens  aus  aufgehoben  war,  wie  ich 
in  einer  der  letzten  Sitzungen  der  Charit^Qesellschaft  ausgeführt  habe.  Ende  1884 
demonstrirte  ich  in  dieser  Gesellschaft  die  Präparate,  welche  aus  dem  Vagus  einer 
Patientin  gewonnen  waren,  die  an  Larynxstörungen  und  Aphonie  gelitten  hatte,  es 
sind  inzwischen  auch  beide  Nn.  laryngei  recurr.  untersucht  worden,  die  Zeichnung 
des  Querschnitts,  die  ich  Ihnen  vorlege  (Demonstration),  wird  Sie  überzeugen,  dass 
der  Nerv  beträchtlich  atrophirt  ist  Da  die  Beurtheilnng  des  N.  vagus  und  seiner 
Aeste  besondere  Schwierigkeiten  hat,  war  es  selbstverständlich,  dass  wir  die  Prä- 
parate mit  den  Querschnitten  normaler  Vagi  verglichen. 

Ich  kann  heute  noch  einmal  mit  Bestimmtheit  betonen,  dass  die- 
jenigen Partien  in  der  Oblongata,  welche  mit  dem  Vagus  in  Verbin- 
dung stehen,  nämlich  die  Vaguskerne,  das  Längsbündel,  die  Vagus- 
wurzeln intact  befunden  wurden,  lieber  die  Beschaffenheit  des  Längsbündels 
l^ann  man  sich  leicht  täuschen,  wenn  es  nicht  genau  quer  getroffen  wird.  Uns  stand 
ein  80  reiches  Vergleichsmaterial  zur  Verfügung,  dass  ein  entscheidendes  Urtheil 
gewonnen  wurde.  —  Derselbe  Befund  —  nur  war  die  Vagusdegeneration  nicht  so 
stark  ausgeprägt  —  wurde  bei  einem  Kranken  erhoben,  der  an  Crises  gastriques 
und  Anfallen  von  Dyspnoe  gelitten  hatte,  aber  in  der  letzten  Zeit  vor  dem  Tode  von 
bliesen  Slümngen  Arei  war.  Umgekehrt  fand  sich  bei  einer  anderen  Patientin,  die 
Jahre  hing  an  Larynxcrisen  gelitten  hatte,  der  Vagus  (es  kam  nur  der  eine  zur 
Untersuchung)  unverändert,  während  hier  eine  deutliche  Atrophie  des  Ijängsbündels 
^d  einzelner  Vagnswurzeln  beobachtet  wurde. 

Wenn  die  Theilnahme  motorischer  Himnerven  an  den  tabischen  Krankheits- 
Pioceesen  als  gesichert  zu  betrachten  ist  (Augenmuskelnerven,  Hypoglossus,  Vagus- 
Accessorius),  so  gehört  eine  Betheili'gung  der  motorischen  Extremitätennerven  jeden- 
falls zu  den  Ausnahmen. 

Sehr  fhippant  war  deshalb  für  uns  der  Befund  einer  echten  interstitiellen  Neu- 
ritis mit  erhebtiohen  Gefässveränderungen  in  der  oben  geschilderten  Weise  und  zwar 
^enen  betreffend,  in  deren  Bereich  schwere  Functionsstörungen  bestanden  hatten. 
Man  kann  sich  kaum  vorstellen,  wie  ein  von  den  bindegewebigen  Theilen  der  Nerven 


—    260    — 

ansgehende  EntzüBdung  nur  die  sensibeln  Faaern  sch&digen,  die  motoriflcben  aber 
verschonen  soll  —  und  doch  wird  man  zn  dieser  Annahme  hiagedr&ngt  durch  die 
Thatsache,  dass  die  Kriterien  der  motonsdien  Nervendegeneration,  nfimlich  die  de- 
generative Lähmung  bei  Tabes  wenigstens  im  Bereich  der  Extremitätennerven  fehlen 
oder  doch  nur  ungewöhnlich  selten  vorkommen.  Die  Lösung  dieser  Frage  bleibt 
weiteren  Beobachtungen  Überlassen. 

Betreffs  der  Bückenmarksveränderungen  will  ich  heute  nur  das  eine  hervor- 
heben,  dass  Faserschwund  in  den  Glarke'schen  Säulen  auch  von  uns  wiederholentUch 
beobachtet  wurde. 

Zum  Schluss  sei  noch  darauf  hingewiesen»  dass  uns^^  Untersuchungen  ganz 
unabhängig  sind  von  den  inzwischen  publicirten  von  Pitres  und  Yaillard's,  die 
einige  Berührungspunkte  mit  den  unserigen  haben;  wir  sind  seit  mehr  als  2  Jahren 
mit  diesen  Untersuchungen  beschäftigt  und  hatten  unsere  Besultate  gewonnen,  ehe 
die  Beobachtungen  dieser  Autoren  zu  unserer  Kenntniss  gelangten. 


XI.  Wanderversammluxxg .  südwestdeutsoher  Neurologen  und  Irrenärste 

zu  Baden-Baden  am  22.  und  23.  Mai  1886. 

Original -Bericht  von  Dr.  Laquer  in  Frankfurt  a.  M. 

Erste  Sitzung  den  22.  Mai:  Nachmittags  27«  Ulir  Eröffnung  durch  den 
letztjährigen  Geschäftsführer  Geh.  Hofrath  Prof.  Dr.  Bäum  1er  (Freiburg).  —  Auf 
Vorschlag  desselben  übernimmt  Prof.  Erb  (Heidelberg)  den  Vorsitz^  welcher  die 
DDr.  Laquer  (Frankfurt  a.  M.)  und  Ho  ff  manu  (Heidelberg)  zu  Schriftführern  beruft. 
Anwesend  sind  58  Mitglieder. 

L  Prof.  Goltz  (Strassburg):  Zur  Physiologie  der  GroBshimrinde. 

Da  die  Vertreter  der  Lehre  von  den  Bindencentren  annehmen,  dass  der  schon 
einige  Zeit  nach  Zerstörung  einzelner  Oentren  eintretende  Ausgleich  der  durch  die 
Läsion  gesetzten  Functionsstörungen  dadurch  zu  Stande  komme,  dass  der  Best  von 
Bindensubstanz  die  Functionen  übernehme,  sah  sich  Goltz  genöthigt,  um  dieser  An- 
nahme zn  begegnen,  möglichst  grosse  Stücke  der  Binde  zu  entfernen.  Er  nahm 
nicht  blos  Stücke  der  Binde  weg,  sondern  grosse  Lappen,  nicht  blos  graue,  stmdera 
auch  weisse  Substanz  bis  auf  die  Basis. 

Bei  dem  ersten  Hunde,  dessen  rudimentäres  Gehirn  am  Schlüsse  des  Vortrages 
zur  Demonstration  gelangt,  sind  durch  zwei  im  Januar  resp.  im  Februar  vollführte 
Operationen  zuerst  linkerseits,  dann  rechterseits  die  Stimlappen  und  motorischen 
Bindenfelder  in  ihrer  Gesammtheit  zerstört  worden,  rechts  auch  em  erheblicher  Theil 
der  Binde  des  Hinterhauptlappens,  während  linkerseits  der  Hinterhauptslappen  voll- 
ständig erhalten  ist.  —  Der  also  operirte  Hund  hat  keine  Spur  einer  Lähmung  ge- 
zeigt, er  konnte  sich  aller  seiner  Extremitäten  bedienen,  die  Wirbelseite  nach  rechts 
und  links  krümmen,  sich  an  den  Vorderfüssen  emporheben;  die  Bewegungen  waren 
aber  plump  und  unbeholfen,  der  Gang  schwankend.  —  Die  Musculatur  des  Kopfes 
und  die  Eaubewegungen  waren  vollkommen  frei  Seine  Empfindung  war  intact  Er 
konnte  knurren  und  bellen  ohne  Belkentrum.  Aber  eine  Störung,  die  bis  zu  der 
2V2  Monate  nach  den  operativen  Eingriffen  erfolgten  Tödtung  des  Hundes  an- 
hielt, war  sehr  bemerkenswerth:  das  Thier  blieb  ausser  Stande,  selbstständig  zu 
fressen  I  —  Doch  kam  dies  nicht  von  einer  Lähmung  der  Fresswerkzeuge;  wenn  die 
Nahrung  ihm  in*s  Maul  gesteckt  wurde,  verzehrte  er  dieselbe,  wenn  man  sie  ihm 
nahe  vorhielt»  beachtete  er  sie  gar  nicht.  Das  Thier  war  tief  blödsinnig;  es  war 
nicht  möglich,  zu  ihm  in  irgend  ein  persönliches  Verhältniss  zu  treten:  er  konnte 
Personen  und  Thiere  nicht  unterscheiden  („Seelenblindheit'')»  noch  beachtete  er  irgend 


—    261     — 

indche  Gehöre  •Eindrficke,  reagirte  aach  nicM  auf  die  Peitsche,  ebensowenig  auf 
Anschreien,  doch  war  er  nicht  taub.  Der  Gerach  mangelte  ihm,  der  Greschmacksinn  war 
Torhanden.  Damit  ist  bewiesen,  dass  trotz  grosser  Verletzungen  im  Yorderhim  beim 
Hunde  Bewegong  und  Empfindung  nicht  gelähmt  zu  sein  braucht,  dass  aber  durch 
diese  Eingriffe  die  Sinneswahmehmungen  eine  deutliche  Einbusse  erleiden.  —  Das 
Thier  erschi<m  fast  vollständig  blind,  obwohl  die  linke  sogenannte  Sehsphäre  unver- 
sehrt und  die  rechte  zum  Theil  noch  vorhanden  war.  —  Auch  schien  der  Hund 
taub  zu  sein  trotz  erhaltener  Höraphäre.  —  Das  -Gegenst&ck  zu  diesem  Thiere  bil- 
dete der  zweite  Hund,  welcher  eine  sehr  grosse  und  tiefe  Zerstörung  beider  Hinter- 
hanptslappen  überstanden  hatte.  —  Obwohl  die  sogenannte  Sehsphäre  beiderseits  bei 
ihm  völlig  vernichtet  war,  konnte  dieser  Hund  noch  so  gut  sehen,  dass  er  Bedroh- 
ungen mit  der  Hand  mit  grösster  Sicherheit  wahrnahm  und  nach  der  Hand  biss, 
die  man  ihm  entgegenstreckte:  es  handelte  sich  um  ein  sehr  wüthendes  Individuum 
—  man  erwartete,  dass  der  Charakter  desselben  nach  der  Operation  sich  mildem 
würde,  was  aber  nicht  geschah.  —  Diese  beiden  Fälle  lehren,  dass  unter  Umständen 
ein  Thier  nach  sehr  aui^edehnter  und  tiefer  Zerstörung  des  Yorderhims  blind  werden 
kann,  während  andererseits  ein  Thier  mit  zerstörten  Sehsphären  nicht  nothwendig 
blind  werden  muss.  Der  Yortragende  legt  femer  das  Gtohim  eines  Affen  vor,  der 
nach  einer  sehr  grossen  Verletzung  innerhalb  des  linken  Gentralhims  zwar  unmittelbar 
nach  der  Operation  fast  hemiplegisch  war,  bald  aber  die  vorher  gelähmten  Glied- 
maassen  wieder  in  sehr  vollkommener  Weise  benfitzen  lemte.  Um  durch  Uebung 
die  Herstellung  der  fehlenden  Functionen  zu  beschleunigen,  wurde  die  linke  Hand 
des  Thieres  durch  eine  Art  von  Zwangsjacke  gefesselt,,  sodass  es  darauf  angewiesen 
war,  sich  der  paretischen  rechten  Hand  zu  bedienen,  was  ihm  auch  bald  in  so  voll- 
kommener Weise  gelang,  dass  der  Affe  bald  ohne  Mühe  die  einzelnen  Beeren  einer 
Weintraube  zu  pflücken  und  zum  Munde  zu  führen  vermochte.  —  Im  Anschlüsse  an 
diesen  Fall  theilt  G.  noch  mit,  dass  auch  ein  Hund  nach  völliger  Zerstörung  der 
„sogenannten"  Gentren  der  Gliedmaassen  in  der  linken  Himhalfte  gleichwohl  die 
Fähigkeit  wieder  erwerben  kann,  die  rechte  Vorderpfote  wie  eine  Hand  darzureichen. 
Der  Vortr.  ffihrt  aus,  dass  alle  diese  Erfahrungen  absolut  unvereinbar  sind  mit  der 
Annahme  umschriebener  Centren  in  der  Hirnrinde,  welche  einzelnen  Functionen  dienen 
sollen.  Er  verwahre  sich  aber  gegen  die  Verdächtigung,  als  wenn  er  ein  Gegner 
jeder  Localisation  der  Grosshimfunctionen  sei.  Indem  er  in  dieser  Beziehung  auf 
das  verweise,  was  er  in  seiner  letzten  Abhandlung  bemerkt  habe,  hebt  er  zum  Schlüsse 
nochmals  besonders  hervor,  dass  alle  Thiere,  welche  symmetrische  tiefe  und  ausge- 
dehnte Zerstörungen  des  Yorderhims  überstanden,  höchst  auffällige  Störungen  bei  der 
Nahrungsaufhahme  und  grosse  Plumpheit  aUer  Bewegungen  zeigen. 

II.   Prof.  Wiedersheim  (Freiburg):  Ueber  die  Urgeschichte  der  höheren 

Sinnesorgane. 

W.  referirte  über  Arbeiten  von  Blaues,  Board  und  Froriep. 

Leydig  und  Franz  Eilhard  Schnitze  hatten  die  Lehre  von  den  Haut* 
sinnes-Organen  („Sechster  Sinn'')  begründet,  diese  Schleimapparate  bei  Fischen  und 
Amphibien  gefunden.  Redner  demonstrirte  Zeichnungen  dieser  Organe.  Sie  bieten 
bei  den  verschiedensten  Thierklassen  die  mannigfachsten  Modificationeu  dar,  lassen 
sich  aber  alle  prinzipiell  auf  ein  Schema  zurückführen:  Polygonales  Netz  von 
Zellen,  in  der  Tiefe  Sinneszellen,  welche  je  mit  einem  Nerven  verbunden  sind,  femer 
Stfltzzellen.  Bei  Fischen  und  Molchen  sind  nun  die  Biechzellen  Eohlenmeilerartig 
angeordnet,  und  diese  sowohl  wie  die  Geschmacksknospen  zeigen  in  ihrem  Bau, 
besonders  durch  den  Wegfall  der  Deckzellen,  eine  auffallende  Aehnlichkeit  mit  den 
Organen  der  Seitenlinie  der  Fische.  Auch  bei  Meerschweinchen  und  Katzen  lehre  die 
Entwicklung,  dass  die  Gemchszellen  eine  kolbenartige  Gestalt  haben.    Aus  Bedners 


—    262    — 

Zeichnungen  geht  denüieh  hervor,  dass  in  der  Entwicklnngsreihe  der  Thiere  Gemcbs- 
und  Geschmacksorgane  nnd  gewöhnlich  anch  das  Gehörorgan  zurdckznfOliren  seien 
auf  die  Hautsinnesoi^ne.  Wie  der  Yortr.  sehr  genau  an  einer  Abhildnng  der 
betreffenden  Organe  vom  Haifischembryo  ausfahrt,  sind  die  höheren  Sinnesorgane 
überhaupt  phyletisch  nichts  anderes,  als  niedrige  subbranchiale  Organe,  die  einem 
Functionswechsel  unterworfen  sind.  Die  Entwicklungsgeschichte  zeigt  uns,  wie  aus 
dem  noch  offenen  Neuralrohr  beiderseits  ein  Ner?  entspring^:  Glossopharjngeos,  Tri* 
geminus  etc.,  welcher  an  die  Eörperwand  gelangend  zu  einem  Ganglion  anschwillt 
Ein  solcher  Nerv  entspricht  je  einem  Eiemenbogen,  ebenso  dem  Mund,  der  ja  aus 
2  Eiemenspalten  hervorgeht.  Alle  die  einzelnen  Sinnesnerven  unterliegen  dem  gleichen 
Schema;  ihr  Typus  ist  gegeben  in  den  Organen  der  Seitenlinie  —  den  Organen  des 
sechsten  Sinnes. 

Femer  geht  W.  näher  ein  auf  die  Zirbeldrüse,  deren  Stiel  (Götte)  zuweilen  bis 
unter  das  Schädeldach  zu  verfolgen  ist,  wo  er  in  einem  Pigmentfleck  endigt  Die 
Yermuthung,  dass  man  in  der  Glandula  pinealis  ein  rudimentäree  Sinnesorgan,  viel- 
leicht ein  nnpaares  Auge  vor  sich  habe,  erfuhr  eine  wesentliche  Stütze,  als  es  dem 
Yortr.  gelang,  bei  Anguis  fragilis  am  SUel  der  Zirbel  ein  wirkliches  Auge  mit 
Linse  und  Sinnesepithel,  sowie  Pigment  zu  entdecken,  welches  zwar  nur  als  Rudiment 
anzusehen,  aber  in  das  räthselhafte  Dunkel,  mit  welchem  die  Natur  die  Zirbeldrüse 
umkleidet,  mehr  Klarheit  zu  bringen  scheint. 

III.  Prof.  Erb  (Heidelberg):    ITeber  Maskelbeftuid  bei  der  juvenflen  Form 

der  Atrophia  masoularis  progressiva. 

Die  von  E.  in  seiner  bekannten  Arbeit  im  Archiv  für  klin.  Medicin  der  juvenilen 
Form  unter  den  progressiven  Muskelatophieen  eingeräumte  Sonderstellung  hat  von 
Seiten  fast  aller  Autoren  Anerkennung  erfahren.  Nur  sind  von  Einzelnen  Einwen- 
dungen erhoben  worden,  sowohl  gegen  die  Bezeichnung  , Juvenile  Form'^  da  die 
Krankheit  auch  oft  erst  im  reiferen  Alter  einzusetzen  scheint  als  gegen  den  Namen 
„Dystrophia  muscularis  progressiva'',  den  E.  wegen  des  gleichzeitigen  Bestehens  von 
hypertrophischen  und  atrophischen  Processen  vorgeschlagen  hatte.  E.  hält  den  letz- 
teren Namen  für  ganz  charakteristisch,  besonders  wegen  der  histologischen  Mnskel- 
veränderungen,  die  ihm  wichtig  zu  sein  scheinen  und  die  auch  in  dem  jüngsten 
Falle,  welchen  E.  zu  beobachten  Gelegenheit  gehabt,  in  sehr  prägnanter  Form  an 
intra  vitam  ausgeschnittenen  Muskelstückchen  nachzuweisen  waren:  Es  handelt  sich 
um  einen  41  jähr.  Metzgergesellen  Namens  Ignafe  Wolf  aus  Böhmen,  der  bis  zu  seinem 
34.  jähre  immer  gesund  gewesen  ist.  Erst  nachdem  er  in  diesem  Alter  durch  Fall  in 
einen  Steinbruch  eine  schwerere  Verletzung  erlitten,  sollen  sich  allmählich  zuneh- 
mende Schwäche  der  Schulter-  und  Armmuskulatur  und  jene  wunderbaren  Diffor- 
mitäten  in  den  einzelnen  Muskeln  eingestellt  haben,  welche  vorgelegte  Photographien 
auf  das  deutlichste  veranschaulichen.  Atrophisch  waren  bei  dem  Kranken  die  beiden 
Pectorales,  die  Clavicnlarportion  der  GucuUares,  die  Bhomboidei;  weniger  atrophirt 
die  Brachiales  intemi,  der  Biceps,  der  Quadriceps  des  L.  Beines  und  die  GlutaeL 
Hypertrophisch  und  zwar  in  ganz  colossaler  Weise  die  Deltoidei,  der  Triceps  und 
verschiedene  Muskeln  der  Schulter.  Die  Vorderarmmuskeln  und  die  kleinen  Hand- 
muskeln zeigten  völlig  normales  Verhalten.  Fibrilläre  Zuckungen  wurden  nicht 
beobachtet,  G^ichts-,  Kau-  und  Zungenmuskeln  erschienen  unbetheiligt  Die  elec- 
trische  und  mechanische  Erregbarkeit  war  nur  entsprechend  dem  verminderten  Muskel- 
volumen herabgesetzt,  aber  ohne  jede  Spur  von  Entartungsreaction.  So  bot 
der  Kranke  vollkommen  das  Bild  einer  Dystrophia  muscularis  progressiva. 
Aus  diesem  Grunde  wurden  dem  Kranken  Muskelstückchen  von  einer  Stelle  am 
innem  Rande  des  Oberarms  aus  exstirpirt,  an  welcher  man  den  hypertrophischen 
Deltoidous  und  den  theilweise  schon  atrophirten  Biceps  gleichzeitig  erreichen  konnte. 


—    263    — 

Quersclmitte  der  Muskelfasern  des  Deltoideos  zeigten  bei  Doppelfärbung  mit  Eosin 
und  Hämatoxylin  eine  ganz  enorme  Verbreiterung  (100 — 170  Micra),  femer  eigen- 
thümlicbe  Abspaltung  resp.  Theilungsvorgänge,  sowie  Vainolenbildung,  theils  mit 
theils  ohne  gleichzeitige  Gerinnung.  Femer  waren  die  Muskelkerae  deutlich  ver- 
mehrt, das  Bindegewebe  gewuchert,  die  Ge^se  verdickt.  Dagegen  boten  die 
histologischen  Yerandemngen  der  aus  dem  Biceps  herausgenommenen  Farthien  ver- 
schiedene Grade  des  Leidens  dar:  auf  der  einen  Seite  hypertrophische  Frocesse,  wie 
im  Deltoideus,  andrerseits  atrophische,  nirgends  aber  Lipomatose.  Hier  stellt  sich  E. 
m  sehr  entschiedenen  Gegensatz  zu  Frof.  Penzoldt,  der  in  der  Münchner  med.  Wochen- 
schrift den  Fat.  schon  beachheb,  aber  nach  der  Ansicht  £rb*s  in  nicht  correcter 
Weise;  auch  sei  F.*s  Auffassung,  als  handle  es  sich  bei  Wolf  um  eine  Uebergangs- 
form  von  Dystrophie  zu  Fseudo^Uypertrophie  eine  irrige.  Der  Fat  wandelt  als 
sehenswarthe  klinische  Erscheinung  durch  Deutschland.  Kurz  nach  seiner  Entlassung 
aus  dem  Heidelberger  Krankenhause  ist  er  auch  in  der  Armen-Klinik  zu 
Frankfurt  a/M.  aufgetaucht,  wo  Dr.  Laquer  ihn  ebenfalls  längere  Zeit  zu  be- 
obachten Gelegenheit  hatte,  und  sich  der  diagnostischen  Auffassung  Frof.  Erb's 
vollständig  anschloss.  Aus  dem  Muskelbefunde  ergiebt  sich,  dass  bei  der  Dystrophie 
in  den  hypertrophischen  Muskeln  auch  wirklich  eine  echte  Hyperlarophie  der  Muskel- 
Substanz  mikroskopisch  nachzuweisen  sei,  dass  die  atrophischen  Fasern  dagegen 
zurücktreten.  Erb  hält  an  der  Anschauung  fest,  dass  bei  diesem  £[rankheitsprocesse 
die  Muskelveränderungen  das  Wichtigste  und  wohl  auch  das  Frimäre  sind. 
(Genauere  Fublication  des  Falles  soll  bald  erfolgen.) 

Im  Anschluss  an  den  Vortrag  Prof.  Erb*s  macht 

ly.  Dr.  Laquer  (Frankfurt  a.  M.):  Mittheilung  über  einen  Fall  von  wahrer 

allgemeiner  Mtuikel-Hypertrophie. 

Es  handelt  sich  bei  dem  31jährigen  August  Faul  (alias  Maul),  welcher  eben- 
falls zu  Demonstrationszwecken  herumreist^  um  eine  schon  von  Jugend  auf  bestehende 
ganz  colossale  Entwickelung  der  Fectorales,  der  Deltoidei,  des  Triceps  beiderseits,  der 
Serratiy  femer  der  Hals-  und  Bückenmusculatur,  wie  aus  4  vorliegenden  Fhoto- 
graphien  ersichtlich  ist  Die  sich  contrahirenden  Muskeln  sind  überall  bretthart 
anzuflUilen,  gleichmässig  hypertrophirt,  nirgends  ist  eine  Spur  von  schlaffen,  etwa 
liponmtösem  resp.  pseudohypertrophischem  Muskelgewebe  durch  die  Falpation  zu  ent- 
decken. An  den  unteren  Extremitäten,  an  den  Händen  und  Vorderarmen  zeigt  die 
Musculatur  wohl  auch  einen  athletischen  Bau,  aber  nichts  von  den  excessiven  Circum- 
ferenzen,  wie  sie  Rumpf  und  obere  Extremitäten  darbieten;  Gesichts-  und  Zungen- 
muskeln weichen  von  der  Norm  nicht  ab.  —  Die  Kraft  der  hypertrophischen  Muskeln 
entspricht  nicht  ganz  dem  enormen  Volumen  derselben,  auch  ermüdet  der  Kranke 
leicht  bei  stärkerem  und  längerem  Gebrauche  seiner  musculösen  Glieder.  —  Die 
elektrischen  Reactionen  zeigen  nicht  die  mindeste  Abnormität,  fibrilläre  Zuckungen 
worden  nicht  beobachtet.  Dieser  „Muskel-Mensch''  ist  sonst  überhaupt  ganz  gesund, 
^  myotonischen  Erscheinungen  der  Thomsen*schen  Krankheit  fehlen  ihm:  Keiner 
der  hypertrophischen  Muskeln  zeigt  eine  wider  den  Willen  des  Individuums  fort- 
dauernde Contraction.  —  Ebenso  ermangelt  er,  wie  Frof.  Erb,  welcher  den  Mann 
ebenfalls  gesehen,  bemerkt,  jeder  Andeutung  der  von  E.  in  seinem  jüngst  erschienenen 
Buche:  ,,Die  Thomsen'sche  Krankheit  (Myotonia  congenita)"  als  für  die  letztere 
charakteristisch  beschriebenen  myotonischen  Reaction. 

(Schluss  des  Berichtes  im  nächsten  Hefi) 


—    264    — 

Society  de  Biologie  de  Paris.    SitzuDg  vom  8.  Mai  1886. 

Galippe  erklärt,  dass  das  Ausfallen  der  Zähne,  das  man  der  Tabes  zuschreibt^ 
ein  pathologischer  Irrthum  sei.  Er  hat  in  der  Pulpa  dieser  Zähne  MifaxH 
Organismen  gefunden,  welche  denen  vollständig  gleichen,  die  Malassez  bei  der 
Periostitis  alveolaris  gefunden  hat  Der  Zahn  fallt  nur  aus,  wenn  er  selbst  krank 
ist;  und  die  Tabes  hat  noch  keinen  einzigen  ausfallen  lassen.  M. 


IV.  Mittheilung  an  den  Herausgeber. 

In  Bezug  auf  das  Referat  des  NeuroL  GentralbL  (Nr.  10  Referat  17)  über  die 
ezspectatiye  Behandlung  des  Delir.  tremens  darf  ich  wohl  in  Erinnerung  bringen,  dass 
ich  auf  der  Versammlung  der  deutschen  Aerzte  und  Naturforscher  zu  Hannover  (1864) 
einen  Vortrag  genau  in  gleichem  Sinne  gehalten  habe.  Nur  konnte  ich  mich  auf 
ein  ungleich  grösseres  Material  (des  allgemeinen  Hamburger  Krankenhauses)  beziehen. 
Der  Vortrag  ist  etwas  erweitert  in  der  Berliner  klinischen  Wochenschrift  später 
(März  1865)  veröffentUcht. 

Ich  bemerke  noch,  dass  mir  Herr  Christian,  dem  ich  einen  Abdruck  meiner 
Arbeit  sandte,  in  liebenswürdigster  Weise  die  Uebereinstimmung  unserer  Ansichten 
constatirte. 

Göttingen,  26.  Mai  1886.  Professor  Ludwig  Meyer. 


V.  Personalien. 

Dr.  Guder,  bisher  I.  Assistent  der  psychiatrischen  Klinik  in  Jena»  wurde  zum 
n.  Arzt  der  Provinzial-Irren-Anstalt  bei  Ueckermünde  ernannt 


VL  Vermisohtes. 

Einer  sehr  lesenswerthen  Skizze  über  die  Fortschritte  des  IrrcDwesenB  in  Italien  (von 
G.  B.  Verga  im  Archiv,  ital.  per  le  mal.  nervös.  1885.  XXII.  p.  486)  mag  als  Vorbild  für 
deutsche  Verhältnisse  die  im  Jahresbericht  der  Mailänder  Irrenanstalt  f&r  1884  aufgef&hrte 
Thatsache  entnommen  werden,  dass  der  dortige  Fonds  zur  Unterstfttzimg  armer  enUaasener 
Irrer,  der  erst  seit  wenigen  Jahren  besteht,  auf  177696  Free,  gestiegen  ist  und  dass  hiersa 
noch  ein  ganz  neuerdings  zugewiesenes  Legat  von  20000  Frcs.  hinzuzurechnen  ist. 

Sommer. 

Mit  Bücksicht  auf  die  Anpreisungen  des  Cocains  gegen  Seekrankheit  erlaube  ich  mir 
die  kurze  Mittheilung,  dass  ich  auf  einer  Reise  mit  dem  Dampfer  von  Stettin  nach  Libaa 
(Kurland)  im  Herbst  vorigen  Jahres  das  Cocainum  muriatioum  Merck  ftjut  ohne  gfuistige 
Erfolge  gebraucht  habe.  Als  durch  das  Stunpfen  der  Maschine  sich  bei  mir  Hinterhaupte- 
kopfschmerz  einstellte,  nahm  ich  etliche  Milligramme  in  etwa  50  ccm  Wasser.  Sie  wirkten 
gar  nicht»  da  nach  20  Minuten  die  Nausea  doch  zum  Ausbruch  kam.  Etwa  2  "Standen 
später  1  Decigiamm  in  etwa  200  com  Wasser  erhöhte  nur  die  Beschwerden.  In  der  Nacht 
durfte  ich  mich  gar  nicht  aufrichten,  ohne  sofort  Herzklopfen  und  Brechreiz  zu  haben.  Am 
nächsten  Morgen  nahm  ich  mehrmals  etwa  2  Gentigramme  ohne  Erfolg.  Ob  die  heftigCD 
Kopfschmerzen  vom  Cocain  vermehrt  wurden,  kann  ich  nicht  behaupten.  Mittags  kurz  vor 
dem  Essen  nahm  ich  etwa  1  Decigramm  in  Vs  %  Lösung.  Es  erzeugte  sehr  unangenehme 
Schlingbeschwerden  und  erhöhte  den  Brechreiz,  sodass  ich  erst  nach  1  Stande  im  Stande 
war,  etwas  zu  geniessen  und  bei  Beobachtung  der  horizontalen  Lage  bei  mir  zu  behalten. 
Die  Nausea  schwand,  sobald  wir  auf  der  ruhigen  Bhede  von  Libau  ankamen,  dodi  dauerten 
die  HinterkopfBchmerzen  noch  Qber  86  Stunden  fort  Ueber  Athmung  und  Pols  an  mir 
selbst  Beobachtungen  zu  machen,  war  ich  unfähig.  Blomberg  (Ueckermünde). 


Verlag  von  Vsit  &  Comp,  in  Leipzig.  —  Druck  von  Mbtzobb  &  Wittiq  in  Leipzig. 


teüROLOGISCHESCENTRALBLAn. 

Uebersicht  der  Leistungen  auf  dem  Gebiete  der  Anatomie,  Physiologie,  Pathologie 
und  Therapie  des  Nervensystemes  einschliesslich  der  Geisteskrankheiten. 

Herausgegeben  yon 

Professor  Dr.  E.  Mendel 
Ffinftor  "  ^^^^  Jakrgang. 

Monatlich  erscheinen  zwei  Nnmmem.   Preis  des  Jahrganges  16  Mark.   Zn  beziehen  durch 
alle  Buchhandlungen  des  In-  und  Auslandes,  die  Postanstalten  des  Deutschen  Beichs,  sowie 

direct  von  der  Verlagsbuchhandlung. 


1886.  15.  Jnni.  m  12. 


Inhalt.  I.  Originalmittheilung.  üeber  eine  familiäre,  durch  6  Generationen  yerfolgbare 
Form  congenitaler  Paramyotonie,  von  Prof.  A.  Eulenburg. 

II.  Referate.  Anatomie.  1.  The  comparative  Auatomy  of  the  Pyramidal  Tract,  by 
Spiizfca.  --;-  Pathologie  des  Nervensystems.  2.  A  contribution  to  IJie  pathology  of 
hemianopsia  of  central  origin,  by  Segoin.  3.  An  unusual  case  of  hemianopia,  by  Anderson. 
4.  Des  mouvements  involontaires,  provoqu^  dans  les  membres  paralys($s  des  h^ipl^giques 
par  les  mouvements  volontaires  des  muscles  non  paralys^,  par  Camus.  5.  üeber  die  post- 
hemiplegisohen  Bewegungsstörungeu,  von  Greidenberg.  6.  Drei  Fälle  von  Brown-S^quard'scher 
Lähmung  mit  Bemerkungen  über  das  Verhalten  der  Sehnenrefleze  etc.  bei  derselben,  von 
Hoff  mann.  7.  Paialysis  of  tongue,  palate  and  vocal  cord,  by  Jackson.  8.  lieber  das  ünter- 
kieferphänomen,  von  Rybalkln.  9.  Des  paralysies  radiculaires,  par  Pr^vost.  10.  Sanitäts- 
Bericht  über  die  deutschen  Heere  im  Kriege  gegen  Frankreich  1870/71.  VII.  Band:  Erkran- 
kangen  des  Nervensystems.  (Fortsetzung.)  —  Psychiatrie.  11.  Des  perversions  chez  les 
persecut^,  par  Cullldre.  12.  Alcoolisme  pris  pour  une  paralysie  g^n^iale,  par  Garnler. 
13.  Snr  la  tension  des  muscles  comme  substratum  de  l'attention,  par  Slkorsky.  14.  Beport 
of  a  case  of  insanity  foUowing  Gunshot  lujury  to  the  Head;  Cerebral  cyst;  aspiration.  Be- 
eovery,  by  Macdonald.  15.  Ueber  Agoraphobie,  von  Rosenbaum.  —  Therapie.  16.  Üeber 
das  Acetophenon,  von  SdiBlor.  Ueber  dasselbe  von  Mairet  und  Combomale.  17.  Epilepsie  ä 
aura  periph^rique  gu^rie  apr^s  l'application  de  vesicatoires  au  dessus  du  point  de  d^part  de 
l'aura,  par  Dfgnat.  —  Anstaltswesen.  18.  Thirty-fourth  report  of  the  Inspectors  of  Irish 
lunatic  asylums. 

lil.  Aus  den  Gesellschaften.  XI.  Wanderversammlung  südwestdeutscher  Neurologen  und 
Irrenärzte  zu  Baden-Baden:  Ueber  spinale  Erkrankunspen  bei  progressiver  Paralvse,  von 
FOrttnor.  Ueber  Ursprungsverhältnisse  des  Acustions  und  die  „directe  sensorische  Eieinhirn- 
bahn",  von  Edinoer.  Ueber  einen  Fall  von  Polyneuritis,  von  Thomas.  —  Gesellschaft  für 
Psychiatrie  und  Nervenkrankheiten  zu  Berlin:  Ueber  einen  FaU  von  isolirter  Lähmung  des 
Bhckes  nach  oben  mit  Sectionsbefund,  von  Thomson.  Gesetze  der  Widerstandsveränderungen 
der  menschlichen  Haut  durch  den  oonstanten  Strom,  von  Martius. 

I.  Originalmittheilungeii. 


Ueber  eine  familiäre,  durcli  6  Generationen  verfolgbare 

Form  congenitaler  Paramyotonie. 

Von  Prof.  A.  Eulenbtizg«  Berlin. 

In  der  an  der  Oatseekfiste  einheimischen  and  weitverzweigten  Familie  G. 
besteht  bei  zahlreichen  Mitgliedern  eine  eigenihämlichey  ererbte  und  angeborene 
Form  musculärer  Idiosynkrasie.    Dieselbe,  der  sogenannten  Thomsen'schen 


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—    266    — 

Krankheit  einigermaassen  verwandt,  aber  doch 
durch  wesentlidie  Zage  von  ihr  geschieden,  wird 
in  der  Familie  selbst  als  ,,Klammheit''  —  die 
davon  beMenen  Individuen  werden  als  ,,ldamm^ 
bezeichnet.  Die  Anomalie  lässt  sich  —  nach 
Ausweis  des  von  einem  ärztlichen  Familienmit- 
gliede  mit  grosser  Genauigkeit  geführten  Stamm- 
baums —  gegenwärtig  bis  auf  6  Generationen, 
und  zwar  bis  zu  ihrem  ersten  Auftauchen  in  der 
Familie  zurück  verfolgen.  Sie  ist  nämUch  nicht 
üi  der  Familie  selbst  ursprünglich  zu  Hause, 
sondern  in  dieselbe  durch  Heirath,  und  zwar 
mit  einer  eingewanderten,  in  Born  von 
einer  Bömerin  geborenen  Frau  (D.  0.) 
hineingetragen.  Ihre  Ausbreitung  innerhalb  der 
nachfolgenden  5  Generationen  ergiebt  das  beige- 
zeichnete  Schema. 

Ein  Ueberspringen  fand  demzufolge  niemals 
statt  Die  Vererbung  erfolgte  stets  direct,  bald 
von  väterlicher,  bald  von  mütterlicher  Seite,  auf 
Söhne  und  Töchter.  Wie  es  scheint,  ist  die  Ano- 
malie jetzt  innerhalb  der  Familie  im  Verschwin- 
den begriffen.  Auch  in  der  B.'schen  Familie, 
aus  welcher  die  Anomalie  ursprünglich  in  die 
C.'sche  übertragen  wurde,  ist  zur  Zeit  Niemand 
mehr  mit  der  „Elammheif '  behaftet 

Die  von  mir  vorläufig  als  Paramyotonia 
congenita  bezeichnete  Anomalie  äussert  sich, 
wie  schon  erwähnt,  nicht  bei  allen  FamiUenmit- 
gliedem,  sondern  nur  bei  einem  nicht  gering- 
fügigen Theile  derselben.  Sie  wird  von  kun- 
digen Familienmüttem  sofort  beim  Neugeborenen 
diagnosticirt;  d.  h.  schon  bei  diesem  weiss  man 
auf  Grund  seiner  Bewegungen,  des  langen  Ge- 
schlossenbleibens der  Augen  beim  Waschen  mit 
kaltem  Wasser  etc.,  dass  er  zu  den  „klammen'^ 
gehören  werde.  Die  Anomalie  erstreckt  sich  auf 
das  gesammte  willkürliche  Muskelsystem,  tritt 
aber  nicht  an  allen  Eörperregionen  in  völlig 
übereinstinunender  Weise  hervor.  Vielmehr  sind 
an  der  Musculatur  einzelner  Eörperabschnitte  die 
Erscheinungen  des  „Erampfes'S  der  Bigidität 
—  in  anderen  dag^n  nach  vorangegangenem, 
meist  kurzem  Krämpfe  die  Erscheinungen  der 


—    267    — 

y^ahmung^',  der  Bewegangshemmung  durchaus  überwiegend.  Im  Allge- 
memen  lasst  sich,  den  einzelnen  Eörperregionen  und  Muskelgruppen  entsprechend, 
folgendes  Verhalten  beobachten. 

In  den  Gesichts-  und  Halsmuskeln  giebt  sich  die  Anomalie  fast  ausschliess- 
hch  als  tonischer  Krampf  zu  erkennen.  Augen-  und  Mund-Sphincter  ziehen  sich 
mit  grosser  Energie  zusammen,  so  doss  bei  anhaltender  Erregungsursache  das 
Sehen  äusserst  erschwert,  die  Sprache  undeutlich  wird.  Nach  dem  Lachen  bleibt 
der  Mond  leicht  stehen.  Auch  die  Schlingmuskeln  werden  von  schmerzhaftem, 
aber  schnell  Tornbergehendem  tonischem  Ejampfe  befallen. 

An  den  oberen  Extremitäten,  namentlich  an  den  Händen,  ist  der  eigent- 
Uche  Eramp&ustand  meist  nur  ein  rasch  vorübergehender,  momentaner  —  die 
darauffolgende  „Lähmung"  aber  Stunden  und  selbst  halbe  Tage  hindurch  an- 
haltend. Die  Störung  der  willkürlichen  Innervation  erreicht  zeitweise  eioen  so 
hohen  Grad,  dass  der  Gebrauch  von  Messer  und  Gabel,  das  Oefhen  eines 
Schlosses,  Knöpfen,  Schreiben  und  die  verschiedensten  Hantirungen  dadurch 
wesentlich  erschwert,  ja  völlig  unmöglich  gemacht  werden  können.  Niemals 
handelt  es  sich  aber  selbst  in  den  zumeist  befallenen  Muskeln  der  Hand 
und  der  Finger  um  eigentliche  und  persistirende  Lähmung.  —  In  ganz  ana- 
loger Weise  verhalten  sich  auch  die  unteren  Extremitäten.  Die  Bewegungs- 
schwäche überwi^,  und  wird  bald  nur  durch  ein  unbehaghches  GefOhl  von 
Steifheit,  bald  auch  durch  sichtbare  rhythmische  Osoillationen,  besonders  der 
Oberschenkelmusculatur ,  eingeleitet  Die  Locomotionsstörung  kann  eiue  sehr 
bedeutende  werden  und  äch  beim  höchsten  Grade  der  „Klanmiheit"  bis  zum 
Umfallen  steigern,  wobei  sich  die  Kranken  ohne  fremde  Hülfe  öfters  nicht  zu 
erheben  vermögen. 

Am  schnellsten  geht  immer  die  Klammheit  des  Gesichtes  vorüber,  am  lang- 
samsten die  der  Finger  (vgl.  unten).  Sind  die  Beine  affidrt  gewesen,  so  bleibt 
auch  nach  wiederhergestellter  Leistungsfähigkeit  eine  Abgeschlagenheit,  ein 
Schwächegefuhl  nicht  selten  12  bis  24  Stunden  zurück. 

Die  „Klammheit"  der  Gesichtsmuskeln,  wird,  besonders  nach  einem  Aufent- 
halt im  nicht  genügend  erwärmten  Zimmer,  durch  nasskalte  Witterung,  Sprfih- 
r^n  mit  Wind  u.  dgL  in  intensivster  Weise  hervorgerufen.  Die  Befiallenen 
haben  dann  Mühe,  ihren  Weg  zu  finden,  selbst  dem  Begleiter  sich  verständlich 
zu  machen  —  doch  verliert  sich  der  Zustand  im  erwärmten  Zinmier  schon 
nach  wenigen  Minuten.  Ein  von  mir  untersuchter  Patient  schützte-  sich  theil- 
weise  durch  Vorhalten  eines  Tuches  vor  das  Gesicht,  auf  der  Strasse.  —  Die 
Kälte  ruft  auch  in  den  Händen,  zumal  wenn  diese  nicht  anhaltend  in  Thätig- 
keit  sind,  den  Zustand  am  leichtesten  hervor;  aber  nicht  eben  grössere  Kälte, 
sondern  es  genügt  dazu  beispielsweise  schon  die  Berührung  einer  polirten  Holz- 
tafel (beim  Schreiben)  in  einer  Temperatur  von  10  oder  11^  B.;  umgekehrt 
verliert  sich  der  lähmungsartige  Zustand  der  Hände  nach  einer  reichlichen 
Mahlzeit,  nach  Au&ahme  grösserer  Mengen  warmen  Getränkes  (s.  u.),  auch  nach 
dem  Eintauchen  der  Hände  in  sehr  heisses  Wasser.  Uebrigens  können  die 
Hände  selbst  sich  vollkommen  warm  anfühlen  und  dennoch  fortdauernd  „klamm*. 


—    288    — 

sein.  Die  analoge  Störung  in  den  unteren  Extremität^  tritt  bei  niedxiger 
Temperatur  besonders  im  Sitzen  ein,  wenn  Beine  und  Unterleib  nicht  genogend 
bedeckt  sind;  unter  ähnlichen  Verhältnissen  auch  in  der  Bettlage.  Waones 
Getränk,  bei  der  Betüage  häufiges  IJmherwälzen,  Beiben  des  Unterleibes,  wanne 
Umschläge  auf  letzteren  können  auch  hier  den  Zustand  beseitigen.  Elektzicität 
ist  dagegen,  auch  als  Palliativ,  ganz  ohne  Einfluss. 

Bemerkenswerth  ist  noch,  dass  zuweilen  nicht  beide  Eörperhälften  ganz 
gleichmässig  afficirt  zu  sein  scheinen.  Bei  einem  jetzt  4jährigen  Knaben  wird 
z.  B.  die  linke  Oesichtshälfte  leichter  „klamm"  als  die  rechte.  Uebrigens  findet 
eine  Minderung  des  Zustandes  mit  vorrückenden  Jahren  im  Allgemeinen  nicht 
statt;  doch  lernen  die  Betroffenen  dem  Eintreten  der  „Klammheit**  durch  die 
erwähnten  Prophylactica  rechtzeitig  vorzubeugen.  Dass  sie  durch  die  Idiosyn- 
krasie von  manchen  Berufsarten  so  gut  wie  ausgeschlossen  sind,  der  Botrieb 
anderer  ihnen  wenigstens  in  hohem  Maasse  erschwert  wird,  bedarf  wohl  kaum 
einer  besonderen  Erwähnung. 

Die  vorstehend  gezeichneten  allgemeinen  Züge  des  Krankheitsbildes  sind 
theils  eigener  Beobaditung,  theils  der  mir  gütigst  übermittelten  detaillirten 
Schilderung  eines  ärztUohen  Familiengliedes  entnommen.  Zur  Vervollständigang 
desselben  nach  einzelnen  Sichtungen  diene  der  Befund,  welchen  ich  bei  einem 
von  mir  sehr  häufig  und  eingehend  untersuchten  älteren  Famihenmitgliede,  dem 
jetzt  59jährigen  J.  G.  aufgenommen  habe.    (Derselbe  gehört  der  4.  Generation 
an;  seine  3  Schwestern  hatten  das  nämliche  Leiden;  von  seinen  3  Kindern 
hatte  es  das  älteste,  im  Alter  von  11  Jahren  an  Petechialtyphus  verstorbene, 
während  die  beiden  jüngeren  verschont  sind.)  —  Herr  C,  Beamter  bei  einer 
Versicherungsgesellschaft,  und  als  solcher  oft  nahezu  16  Stunden  täglich  mit 
Bureauarbeiten,  d.  L  vorzugsweise  mit  Schreiben  beschäftigt,  hat  das  Leiden 
seit  frühester  Kindheit    Er  erfreut  sich  im  TJebrigen  einer  völlig  ungetrübten 
Gesundheit,  ist  mittelgross,  neigt  zur  Corpulenz,  hat  eine  kräftige,  aber  keines- 
wegs übermässig  entwickelte  Musculatur  an  allen  Theilen  des  Körpers.  Er  zeigt 
die  oben  beschriebenen  Erscheinungen  an  Gesicht,  an  Händen  und  Füssen, 
namentlich  nach  Kälteeinwirkung,  in  ganz  typischer  Weise.    Als  Herr  G. 
mich  zum  ersten  Male  besuchte,  war  es  gerade  an  einem  ziemlich  kalten  Winter- 
tage, und  die  „Klammheit"  —  wie  auch  er  den  Zustand  bezeichnete  —  in  Folge 
dessen  sehr  deutlich  ausgesprochen.  —  Am  hochgradigsten  zeigte  sich  dieselbe 
an  den  Händen,   welche   demgemäss  eine  ganz  eigenthümliche  Deformation 
darboten.    Die  3  Mittelfinger  standen,  in  den  ersten  Phalangen  gestreckt,  in 
den  letzten  leicht  gebeugt,  dicht  auf  einander  gepresst  und  fast  vollkommen 
unbeweglich,  während  Daumen  und  kleiner  Finger  ziemlich  stark  abduoirt  waren. 
Auch  nach  fast  zweistündigem  Aufenthalt  im  geheizten  Zinmier  und  nachdem 
die  Hände  ganz  warm  geworden  waren,  hatten  sich  die  Deformation  und  die 
Unbew^lichkeit  kaum  etwas  vermindert;  die  mittleren  Finger  konnten  nicht 
auseinander  gebracht,  Daumen  und  kleiner  Finger  nur  schwierig  opponirt  und 
flectirt  werden.    Beim  Aufheben  der  Finger  erfolgte  leicht  etwas  Zittern.    Die 


-    269    — 

Erschainuiigeii  waren  so,  dass  man  an  eine  TAhmupg  der  kleinen  Handmnflkdn, 
zuumentUch  der  Inteiosseiy  der  Mosculator  des  Daumen-  und  des  Eleinfinger- 
ballens  m  denken  geneigt  war.  Bei  seinem  nächsten  Besuche  hatte  Herr  C^ 
um  mir  die  Hände  in  anderem  Zustande  präsentiren  zu  können,  das  Opfer  ge- 
bracht, vier  Glas  Orogk  zu  sich  zu  nehmen;  und  nun  war  in  der  That  von  der 
neulichen  Deformation  und  Immobilität  keine  Spur  nachzuweisen  —  die  Fioger 
Terhielten  sieh  in  jeder  Beziehung  vollständig  normal  Die  Djmamometeiprüfung 
ergab  das  erste  Mal  an  beiden  Händen  38 — 40  E.,  das  zweite  Mal  54—57. 
Auch,  der  elektrische  Befund  war  beide  Male  ein  verschiedener  (vgl.  u.).  Wie 
an  den  obeien,  so  verhielt  sich  die  Sache  auch  an  den  unteren  Extremitäten. 
Das  eiste  Mal  nahezu  Umfallen  beim  Auftreten,  grosse  Steifigkeit  beim  Sitzen; 
Einkrämmen  und  Ausstrecken  der  Kniee  imd  Abstossen  des  Fusses  waren  beson- 
ders erschwert;  das  oben  erwähnte  oscillatorisdie  Zittern  zeigte  sich  wiederholt  bei 
Bew^^uigsveisuGhen,  ausser  in  der  Obeischenkelmusculatur  (Yastus  ext  und  int) 
namentlich  auch. in  den  Gastrocnemii.  Das  zweite  Mal  war  von  alledem  nichts 
wahrzunehmen.  Sensibilität,  Haut-  und  Sehnenreflexe  waren  übrigens  völlig 
normal;  kein  Fussdonus,  keine  paradoxe  Zuckung,  das  Kniephänomen  auch  zur 
Zeit  der  „Kl^munheit^^  in  keiner  Weise  verändert. 

Die  Prüfung  der  mechanischen  Nerven-  und  Muskelreizbarkeit 
häufig  und  an  den  versohiedensten  Regionen  vorgenommen,  ergab  weder  beim 
Bestehen  der  „Elammheit^'  noch  bei  Abwesenheit  derselben  irgend  welche  er- 
wähnenswerthen  Anomalien.  Insbesondere  fehlte  ganz  und  gar  die  für 
Thomsen'sche  Krankheit  in  so  hohem  Grade  charakteristische  Er- 
höhung der  mechanischen  Muskelerregbarkeit,  die  Bildung  idio- 
musculärer  Wülste,  die  Nachdauer  —  wie  sie  von  Erb  (NeuroL  Ctrlbl. 
1885.  Nr.  13),  von  mir  und  Mblchebt  (Berliner  klin.  Wochenschr.  1885.  Nr.  88) 
und  neuerdings  von  Fischeb  (NeuroL  Ctrlbl.  1886.  Nr.  4)  so  exquisit  beobachtet 
wurde.  Von  alledem  war  niemals  auch  nur  eine  Andeutung  vorhanden.  — 
Etwas  complicirter  waren  die  Ergebnisse  der  elektrischen  Exploration.  (Zur 
Ausführung  derselben  diente  als  diflerente  Elektrode  stets  die  sog.  EBs'sche 
Normalelektrode,  kreisrund,  von  10  qcm  Inhalt;  vgl.  Neuro!.  Ctrlbl.  1886. 
Nr.  1).  Ich  will  gleich  das  Resultat  von  sämmtlichen  Einzelversuchen  dahin 
zusammenfassen,  dass  im  Allgemeinen  die  elektrische  (faradische  und 
galvanische)  Nervenreizbarkeit  normal  oder  höchstens  vielleicht  in  ganz 
geringem  Orade  unter  der  durcSischnittliohen  Norm  war;  dass  dagegen  die 
faradische  Muskelreizbarkeit  überhaupt  etwas  herabgesetzt  erschien 
und  zwar  in  weit  höherem  Grade  zur  Zeit  der  „Elammheit'^  als 
ausserhalb  derselben.  Diese  letztere  BiSetem  durfte  nicht  etwa  auf  Er- 
höhung des  Leitungswiderstandes  bei  der  Klammheit  bezogen  werden,  da  1)  bei 
gleich^itigen  Prüfungen  der  Nervenreizbatkeit  sich  eine  entsprechende  Differenz 
nicht  herausstellte;  2)  directe  galvanometrische  Messungen  des  Leitungswider- 
standes, an  gleicher  Stelle  mit  den  üblichen  Cautelen  ausgeführt,  irgend  welche 
Anhaltspunkte  dafür  nicht  darboten.  Was  endlich  die  galvanische  Moskel- 
reizbarkeit   betrifft,   so  war  diese  namentlich  an  den  Extremitätenmuskeln 


—    270    — 

Meist  devtlieh  kerabgesetst;  dabei  zeigte  sieh  aber  yielfkeh  ^ne  hSekst 
avIRUlige  fiemeigtheit  siim  Eintretem  yon  Davennekiuigeii  (SeUiessuHgs- 
tetaHvs),  sowohl  am  der  Kathode,  wie  aveh  ganz  besonders  an  der  Anode. 

Die  Zuckungen  hielten,  namentlich  an  kleineren  Mnskeln  (Inter- 
ossei),  schon  bei  Strömen,  welche  kanm  den  Schwellenwerth  über- 
schritten, häufig  während  des  ganzen  Geschlossenseins  der  Kette, 
eine  Minnte  nnd  darüber,  mit  fast  nnyerminderter  Energie  an. 
Oeffnnngszncknngen  konnten  fast  niemals  ausgelöst  werden;  selbst 
mit  den  stärksten  Strömen  nicht,  und  gerade  mit  diesen  am  allerwenigsten  — 
offenbar  weil  die  während  der  ganzen  vorherigen  Stromdauer  anhaltende  teta- 
msche  Muskelcontraction  nnd  der  Nachlass  derselben  im  Momente  der  Ketten- 
öflbnng  das  Sichtbarwerden  einer  activen  Oeffiiongsreaction  erschwerte  oder  ver- 
hinderte. Niemals  zeigte  sich  eine  Spar  der  bei  Thomsen'scher 
Krankheit  von  Ebb,  tob  mir  nnd  Melchert,  von  Fisgheb  beobach- 
teten „Kachdaner^'  der  faradischen  und  galvanischen  Muskelzuckung; 
noch  weniger  der  von  Ebb  beschriebenen,  wellenförmig  über  die 
Muskeln  hinlaufenden  Contractionen.  Letztere  fehlten  selbst  bei  An- 
wendung der  stärksten  (20  M.-A.  und  darüber  betragenden)  Ströme. 

Als  Beispiele  mögen  die  folgenden  Emzelbefonde  hier  Platz  finden.     (Bollen- 
abst&nde  in  Millimetern  —  galvanische  Stromstarke  in  Milliamperes  bestimmt.) 

M  interosseus  ext  I. 
(Während  der  „Elammheit",  am  8.  März  1886.) 

Rechts.  Links. 

40—50  (unsicher)  Far.  E.  40 

8—9  KaSZ  9 

11  ASZ  11 

10—11  KaDZ  11—12 

11—12  ADZ  11—12 

—  AOZ  — 

M.  interosseus  ext.  L 
(Bei  Nichtbestehen  der  ,,Elammheit",  am  12.  März  1886.) 

Rechts.  Links. 


80 

Far.  E. 

85 

5 

KSZ 

4 

5 

ASZ 

4 

6—6,2 

KBZ 

4—5 

6—6,5 

ADZ 

4—5 

— 

AOZ 

^ 

.  exten 

sor  di| 

S.  com 

Rechts. 

Links. 

90 

Far.E. 

95 

4,8 

KSZ 

4,4 

7,8 

ASZ 

8 

6 

KDZ 

5,2 

8,4 

ADZ 

8—9 

AOZ 

—    271    — 

M.  rectns  femoris. 


Bechts. 

Links. 

70     Far.  E. 

68 

6     7     KSZ 

8,4 

8       ASZ 

10 

8       EDZ 

10 

9—10     ADZ 

12 

AOZ 

— 

M.  gastrocnemius. 

Bechts. 

Links. 

64     Far.  E. 

68 

8       £SZ 

7—8 

11     12   ASZ 

10 

9—10  KDZ 

9—10 

12     13  ADZ 

12 

—       AOZ        — 

Es  scheint  mir  unnöthig,  die  Zahl  der  Beispiele  noch  zu  vermehren^  sowie 
auch  die  —  durchschnittlich  normalen  —  Schwellenwerthe  bei  Prüfung  der 
faradischen  und  galvanischen  Nervenreizbarkeit  (ESZ=0,5— 2,2)  speciell  anzu- 
führen. Die  Zuckung  war  bei  galvanischer  Nervenreizung  stets  kurz  und  blitz- 
artig; KDZ  und  ADZ  erschienen  erst  verhaltnissmässig  spät,  dagegen  wurde 
AOZ  häufig  in  der  gewöhnlichen  Weise,  bald  vor,  bald  hinter  ASZ,  beobachtet 


Dass  die  bei  der  Familie  G.  beobachtete  Anomalie  von  dem  Bilde  der  sog. 
Thomsen'schen  Krankheit  symptomatisch  in  wesentlichen  Zügen  abweicht,  Hegt 
wohl  auf  der  Hand.  Es  fehlt  besonders  die  für  Thomsen'sche  Krankheit  charak- 
teristische Erscheinung,  dass  die  krampfhafte  Muskelstarre  auf  spontane  moto- 
rische Erregungen  im  Moment  des  activen  Bewegungsimpulses  sich  einstellt,  und 
dann  füt  gleichartig  fortdauernde  Erregungen  allmählich  verschwindet  Dagegen 
wird  die  als  „Klammheit"  bezeichnete  krampfhafte  Starre  hier  &st  aussohliess- 
hch  unter  dem  Einflüsse  der  Kälte  hervorgerufen;  sie  verschwindet  in  einzelnen 
Muskelgebieten  rascher,  in  anderen  langsamer,  um  entweder  dem  nonnalen  Zu- 
stande, oder  einer  längere  Zeit  anhaltenden  lähmungsartigen  TJnbewegliohkeit 
Platz  zu  machen.  Auf  die  erheblichen  Verschiedenheiten  des  mechanischen  und 
elektrischen  Explorationsbefundes  ist  schon  oben  aufinerksam  gemacht  worden. 
Beiden  Affectionen  gemeinsam  ist  die  fiamiliäre  Ausbreitung,  die  hereditäre  und 
oongenitale  Art  des  Auftretens  —  alles  dies  bei  der  hier  geschilderten  Anomalie 
in  höchster  Prägnanz  entwickelt;  gemeinsam  sind  femer  manche  symptomatische 
Einzelheiten,  die  begünstigende  Wirkung  der  Kälte,  der  ermässigende  oder 
sistirende  Einfluss  von  Wärme,  Mahlzeiten,  warmem  Oetsränk  u.  dgL;  insbeson- 
dere auch  ein  wesentlicher  Theil  des  elektrischen  Befundes  —  die  in  hohem 
Maasse  verstärkte  Neigung  zu  Dauerzuckungen  bei  directer  galvanischer  Beizung. 

Die  auch  bei  der  Thomsen'schen  Ejrankheit  aufgeworfene  und  seit  längerer 
Zeit  discutirte  Frage,  ob  es  sich  um  eine  primär  neuropathische  oder 
myopathische  Affection  handle,  ist  natürlich  für  die  in  Bede  stehende  Anomalie 


—    272    — 

noch  weniger  mit  Sicherheit  zu  beantworten.  Vielleicht  ist  streng  genommen 
weder  das  Eine  noch  das  Andere  der  Fall.  Darf  ich,  mit  allem  Yorbehalty  eine 
Hypothese  über  die  Natur  der  geschilderten  Affection  aussprechen,  so  möchte 
ich  annehmen,  dass  der  eigenthämlichen  Starre  eine  durch  gewisse  occasio- 
nelle  Beize,  namentlich  durch  Kälte,  vielleicht  reflectorisoh  hervor- 
gerufene temporäre,  spastische  Yerengerung  der  Muskelgefässe  zu 
Grunde  liege.  Bekannt  ist  ja,  dass  Unterbindung  der  Muskelarterien  bei  Warm- 
blütern Starre,  nach  anfangs  gesteigerter,  dann  verminderter  Erregbarkeit,  hervor- 
rufen kann;  ebenso  auch  Verstopfung  der  Muskelgefässe  durch  Gerinnung.  Erst 
neuerdings  ist  von  Yousulann  und  Leseb  ^  auf  die  durch  Circulationsbehinderung 
entstehenden  (ischämischen)  Lähmungen  und  Contracturen,  besonders  an  Hand 
und  Fingern,  aufmerksam  gemacht  worden.  —  Es  liesse  sich  annehmen,  dass 
die  reflectorische  Verengerung  der  Muskelgefässe  durch  die  mit  ihr  verbundene 
Circulationsunterbrechung  eine  Ernährungsstörung  im  Muskel  zur  Folge  habe, 
durch  welche  die  herabgesetzte  Erregbarkeit,  die  krampfhafte  Starre  und  mehr 
oder  weniger  lange  anhaltende  XJnbeweglichkeit  des  Muskels  ihre  Erklärung  finde. 
Bei  sehr  häufiger  Wiederkehr  des  Zustandes  könnten  sich  selbstverständlich  auch 
Veränderungen  bleibender  Art  im  Muskelprotoplasma  entwickeln,  auf  welchen 
vielleicht  die  auch  ausserhalb  der  „Elammheit'^  herabgesetzte  Reizbarkeit,  die 
Neigung  zu  Dauerzuckungen  etc.  beruht  —  welche  aber  dennoch  nicht  als  Ur- 
sache, sondern  vielmehr  als  Wirkung  der  eigenthümlichen  Functionsanomalie  des 
Muskels  au&ufassen  wären.  Wir  würden  es  demnach  in  erster  Reihe  nüt  einer 
Art  von  vasomotorischer  Reflexneurose,  mit  einer  spastischen  Angioneurose 
des  willkürlichen  Muskelapparates  zu  thun  haben,  welche  auf  eine  in 
hereditärer  congenitaler  Anlage  beiuhende  Labüität  ausgedehnter  Abschnitte 
des  vasomotorisdien  Systems  zurückzufahren  sein  wurde. 

In  spedell  ätiol<^cher  Hinsicht  möchte  ich  sdüiesslich  noch  auf  das  von 
Bebmhabdt  (Gtrlbl.  f.  Nervenheilk.  etc.  1885.  Nr.  6)  bei  Thomsen'scher  Krankheit 
«üs  wichtig  erkannte  Moment  blutsverwandter  Ehen  Bezng  nehmen.  Nach  den 
von  mir  eingezogenen  Erkundigungen  sind  innerhalb  der  C'schen  Familie  und 
ihrer  Abzweigongen  nachweisbar  nur  zwämal  blutsverwandte  Ehen,  seit  Hinein- 
tragung der  EranUieit,  vorgekommen.  Ein  Bnkel  der  D.  0.  heirathete  nach 
dem  Tode  seiner  ersten  Frau  (unter  deren  3  Eindem  ein  Sohn  „klamm''  war] 
seine  C!ou8ine  von  muttorliober  Seite,  und  hatte  von  ihr  zwei  Eander^  wovon  der 
jüngere  Sohn  die  Anomalie  zeigte.  Der  zweite  Fall  betraf  einen  Urenkel  der 
S.  0.,  weldier  die  Enkelin  einer  Cousine  seines  Vaters  heirath/ste;,  von  den 
beiden  Eindem  aus  dieser  Ehe  g^örte  die  Tochter  zu  den  „Klammen'',  der 
Sohn  nicht  Eine  wesentliche  Bolle  dürfte  also  dieses  Moment  in  der  hier  vor- 
liegenden Familien-Anomalie  nicht  spiden. 


^  LnuB,  UntersuchangeD  fiVer  isobämisi^e  llii8kellähmang«ii  and  GontnetueB.  Leip- 
zig 18S4. 


278    — 


II.  Referate. 


Anatomie. 

1)  The  oomparative  Anatomy  of  the  Pyramidal  Traot,  by  eV  0.  Spitzka, 
New  York.    (Journal  of  comparative  Medicine  and  Surgery.  1886.) 

Verf.  studirte  in  sehr  eingehender  Weise  vergleichend-imatonusch  das  Gehirn 
der  Hauptvertreter  der  verschiedenen  SangethierfaHÜlien,  mit  Bücksicht  auf  die 
morphologische  Bedeutung  jener  s&ulenartigen  Erhabenheiten  an  der  ventralen  Fissur 
der  Medulla  obl.,  die  in  der  Begel  als  den  Pyramiden  des  menschlichen  Gehirns 
homologe  Bildungen  aufgefasst  werden  ^  und  kam  dabei  zu  folgenden  nicht  nninter- 
essanten  Ergebnissen: 

Die  pyramidenförmigen  Erhabenheiten  neben  der  Laogsfissur  der  ventralen  Partie 
der  Med.  obl.  setzen  sich  bei  den  verschiedenen  Säugethieren  aas  mindestens  dreierlei 
ganz  verschiedenen  anatomischen  Bestandtheilen  zusammen,  von  denen  jeder  entweder 
für  sich  allein  oder  in  Verbindung  mit  den  übrigen  jene  charakteristische  Bildung 
zu  produeiren  im  Stande  isi  Diese  Bestandtheile  können  sein:  1)  die  wahren  Pyra- 
miden (Mensch,  Baubthiere,  Nager,  Fledermausarten),  2)  die  Olivenzwischenschicht 
(Einbaut)  und  3)  die  unteren  Oliven  (Delphin).  Beim  Elephanten  und  beim  Delphin 
fehlen  die  wahren  Pyramiden  vollständig,  beim  Gürtelthier  sind  sie  schwach  entwickelt 

Bei  den  Säugeüueren  mit  wahren  Pyramiden  lassen  sich  zwei  Pyramiden^Typen 
aufstellen;  der  eine  Typus  zeigt  einen  mächtigen,  scharf  ausgesprochenen  Faserzug 
längs  der  ventralen  Fissur  der  Med.  obl.,  der  sich  kreuzt  und  in  den  contralateralen 
Seitenstrang  zieht  (Primates,  Cheiroptera,  Carnivora  Bodentia);  beim  andern  erscheint 
der  Faserzug  wenig  abgegrenzt,  schmal  im  Yerhäitniss  zum  Grosshira  und  verräth 
keine  bündelweise  Kreuzung. 

Wo  eine  wahre  Pyramide  vinrhanden  ist,  da  zeigt  die  cerebrale  Portion  dieses 
Fasei^uges  folgende,  auch  schon  von  anderen  Autoren  hervorgehobene  charakteristische 
Merkmale :  Die  Pyramide  entspringt  aus  der  sog.  motorischen  Zone  der  Grosshim- 
oberfläche,  zieht  in  dem  hinter  dem  Knie  der  inneren  Kapsel  liegenden  Feld,  sie 
bildet  einen  Bestandtheil  des  Pes  pedunculi,  sie  durchsetzt  im  Weiteren  die  Quer?- 
fasern  der  Brücke,  sie  erscheint  in  der  Brückengegend  von  der  Olivenzwischenschicht 
durch  transversale  Fasern  getrennt,  sie  liegt  ventral  vom  Corp.  trapez.  und  ventral- 
medial von  den  unteren  Oliven  und  zi^ht  schliesslich  die  Eaphe  kreuzend  in  die 
contralaterale  Hälfte  des  Bückenmarks. 

Die  Kreuzung  der  wahren  Pyramiden  vollzieht  sich  auf  dreiwlei  Art.  Der  ge- 
wöhnlichste Typus  ist  der,  daas  der  gröeste  Theil  der  Pyramidenfasem  in  den  ge- 
kreuzten Seitfflistrang  zieht  (Primates,  Carnivora,  einige  Bodentia);  nur  bei  diesen 
Thieren  ist  die  Pyramide  ein  richtiger  Gradmesser  für  die  Intelligenz  und  die  feinere 
Entwickelung  höherer  Centra.  Bei  Meerschweinchen  und  Batten  zieht  ein  grosser 
Tkeil  der  Pyramidenfasem  in  den  gekreuzten  Hinterstrang.  Manche  Thiere  (Fleder- 
mäuse) zeigen  äne  Pyramidenkzeuzung,  die  sich  auf  der  Gehimoberfläche  vollzieht; 
in. diesem  Fall  verlaufen  die  Fasern  in  das  laterale  Feld  der  Oblongata. 

Zwischen  den  Querfasem  der  Brücke  und  den  Pynuniden  besteht  kein  Paralle- 
lismus, ebmsowenig  zwischen  diesen  und  dem  Corp.  trapez.  Der  Elephant  besitzt 
die  grössten  transversalen  Fasern,  aber  keine  Pyramiden.  Auch  hält  die  Entwicke^ 
lung  der  Oliven  und  der  Pyramiden  in  der  Säugethierreihe  durchaus  nicht  immer 
gleichen  Schritt,  obwohl  bei  den  höchst  orgaaisirten  Thieren  eine  mächtige  Pyra* 
midenbildu]^  mit  einer  bedeutenden  Entwickelung  des  gezahnten  Kerns  der  unteren 
Olive  nicht  selten  ausammenfällt  (Mensch).  v.  Monakow. 


—    274    — 

Pathologie  des  Nervensystems. 

2)  A  oontribution   to   the   pathology   of  hemianopsia  of  central 

(oortez-hemianopsia),  by  E.  C.  Seguin.    (Journal  of  nervons  and  mental 
diseases.  1886.  XTU.  Jan.  p.  1—38.) 

Verf.  hatte  Gelegenheit  gehabt,  kürzlich  einen  Fall  von  lateraler  Hemianopsie 
ohne  jedes  andere  cerebrale  Symptom  mehrere  Monate  lang  bis  zum  Tode  zn  be- 
obachten und  war  im  Stande  gewesen,  schon  im  Leben  die  topische  Diagnose  zu 
stellen.  Im  Anschlnsse  an  diese  Erankenbeobachtnng  yerÖfiPentlicht  er  nun  eine  ans- 
fOhrliche  Darstellung  über  laterale  Hemianopsie  und  ihre  genauere  Localisation.  Ein 
kurzer  Auszug  der  werthyoUen  Arbeit  sei  hier  wiedergegeben. 

Unter  Hemianopsie  Tersteht  man  bekanntlich  den  fnnctionellen  Ausfall  je  einer 
H&lfte  des  Gesichtsfeldes.  Das  Gesichtsfeld  kann  nun  durch  eine  horizontale  oder 
durch  eine  verticale  Linie  halbirt  sein.  Im  ersten  Fall  handelt  es  sich  fast  immer 
um  eine  intraoculare  Erkrankung,  im  anderen  um  eine  Läsion  zwischen  Chiasma  imd 
Hirnrinde,  und  zwar  ist  der  Ausfall  der  medianen  Hälften  oder  der  der  lateralen 
Hälften  beider  Gesichtsfelder  auf  eine  Störung  im  Chiasma  zu  beziehen,  während  die 
sog.  laterale  oder  homonyme  Hemianopsie  den  Sitz  der  Läsion  im  Tractus  opticus 
und  in  seiner  weiteren  Verbindung  mit  dem  corticalen  Sehcentrum  yermuthen  lässt  Verf. 
theilt  in  der  vorliegenden  Arbeit  nun  sämmtliche  aus  der  Literatur  bekannten  Fälle 
mit,  welche  im  Leben  laterale  Hemianopsie  und  bei  der  Section  eine  Erkrankung  der 
cerebralen  optischen  Bahnen  und  Centren  darboten.  Es  sind  dies  im  Ganzen  40  Be- 
obachtungen, deren  Einzelheiten  in  tabellarischer  Form  zusammengestellt  sind,  und  zu 
denen  noch  5  Fälle  von  traumatischer  Entstehung  der  Sehstörung,  aber  ohne  Autopsie, 
hinzukommen. 

Diese  45  FäUe  zerlegt  Verf.  nun  in  6  Gruppen:  a)  Fälle,  die  in  Hinsicht  auf 
Localisation  nicht  yerwerthet  werden  können  (4),  b)  FäUe,  in  denen  eine  Läsion 
indifferenter  Himtheile  vorlag,  welche  nur  durch  weiter  fortgepflanzten  Druck  auf 
den  Tractus  opticus  etc.  die  Sehstörung  hervorrief  (3),  c)  Fälle  mit  Erkrankung  des 
Corp.  geniculat.  laterale  oder  des  Thalamus  opticus  oder  beider  (6),  d)  Fälle  mit 
Erkrankung  des  Marks  eines  Ocdpitallappens  (11),  e)  Fälle  mit  Ttauma  des  Occiput 
und  Hirnverletzung  (5)  und  f)  Fälle  mit  Erkrankung  der  Rinde  des  Occipital- 
lappens  (16). 

In  der  letzten  Gruppe  befinden  sich  4  Beobachtungen,  in  denen  die  Läsion  sich 
auf  ein  und  dieselbe  und  verhältnissmässig  sehr  kleine  Stelle  beschränkte,  so  dass 
Verf.  sie  als  das  „Sehcentrum"  annehmen  zu  dürfen  glaubt.  Es  sind  dies  die  Fälle 
von  Haab  (Nr.  28  der  Tabelle),  Huguenin  (Nr.  29),  F^rö  (Nr.  41)  und  Seguin 
(Nr.  45).  Dreimal  bestand  eine  Erweichung  und  einmal  ein  käsiger  Tumor,  welche 
die  Binde  um  die  Fissura  calcarina,  soweit  die  letztere  den  Guneus  nach  unten  be- 
grenzt, in  mehr  oder  weniger  breiter  Ausdehnung  nach  oben  und  unten  zerstört 
hatten.  Zu  dieser  Localisation  kann  noch  der  sehr  interessante  Fall  Nr.  3  heran- 
gezogen werden.  Eni  23jähriger  Soldat  war  im  September  1862  verwandet  worden. 
Die  Mini^kugel  war  in  der  Medianlinie  3,5  cm  über  der  Prominentia  occip.  exi  in 
der  Bichtung  nach  vom,  etwas  nach  oben  und  links  aussen  eingedrungen  und  war 
in  der  Entfernung  von  ca.  5  cm  von  der  Medianlinie  und  ca.  7  cm  von  der  Eintritts- 
öffnung ausgetreten.  Es  zeigte  sich  sofort  Sehstörung,  bald  auch  rechtsseitige  Hemi- 
plegie und  BewussÜosigkeit.  Doch  waren  nach  2  Monaten  alle  Erscheinungen  ge- 
schwunden mit  Ausnahme  einer  rechtsseitigen  lateralen  Hemianopsie,  die  auch  bei 
einer  Untersuchung  durch  Keen  und  Thomson  1870  noch  als  einziges  Symptom 
bestand.  Verf.  hatte  nun  die  seltene  Gelegenheit,  den  Verwundeten  im  Jahre  1885, 
also  23  Jahre  nach  der  Verletzung,  durch  die  Invalidenbehörden  ausfindig  machen 
und  einer  ärztlichen  Versammlung  vorstellen  zu  können.  Abgesehen  von  einer  mini- 
malen Parese  der  rechten  Körperhälfte  war  die  rechtsseitige  Hemianopsie  auch  jetzt 


—    275    — 

noGb  der  einzige  abnorme  Befand.  Die  Lage  der  beiden  Narben  am  Kopfe  wurde 
genan  festgestellt  und  dann  wurden  an  einem  Cadaver  an  den  entsprechenden  Stellen 
des  Schädels  Trepanöffiiungen  ausgebohrt.  Die  Yerbindongslinie  beider  ging,  wie  sich 
nach  der  Härtung  des  Gehirns  herausstellte,  durch  das  Bündel  der  (optischen)  Fasern 
kurz  vor  ihrem  Eintritt  in  den  linken  Cuneus. 

Ans  der  Analyse  der  anderen  Fälle  zieht  Verf.  folgende  Schlüsse  : 

1)  Laterale  Hemianopsie  deutet  stets  auf  eine  intracranielle  Erkrankung  und 
zwar  auf  der  Seite,  welche  die  erhaltene  Hälfte  beider  Gesichtsfelder  angiebt 

2)  Laterale  Hemianopsie  mit  Pupillenstarre,  oder  Opticusatrophie  resp.  Neuritis, 
besonders  wenn  noch  basale  Symptome  hinzukommen,  deuten  auf  Erkrankung  eines 
Tractus  opticus,  des  Thalamus  opticus  oder  des  Corpus  geniculat.  lateral. 

3)  Laterale  Hemianopsie  mit  Hemianästhesie,  Chorea  oder  Ataxie  einer  Körper- 
hälfte deutet  auf  den  Sitz  der  Läsion  im  hinteren  und  seitlichen  Abschnitt  des  Tha- 
lamus opticus  oder  des  hinteren  Theils  der  Capsula  interna. 

4)  Laterale  Hemianopsie  mit  Hemiplegie  und  Hemianästhesie  deutet  auf  aus- 
gedehnte Erkrankung  der  Capsula  interna  (Knie  und  hinterer  Theil  derselben). 

5)  Laterale  Hemianopsie  mit  Hemiplegie  (mit  Aphasie  im  Fall  rechtsseitiger 
Lähmung)  und  ohne  Hemianästhesie  deutet  auf  ausgedehnte  aber  oberflächliche  Er- 
krankung des  Gebiets  der  Arteria  cerebri  media,  also  auf  Erkrankung  der  Umgebung 
der  Sylvi'schen  Furche,  des  Gyrus  supramarginalis  oder  des  Gyrus  angularis. 

6)  Laterale  Hemianopsie  mit  Hemiparese  deutet  auf  tiefe  Zerstörung  des  unteren 
Scheitellappens  und  des  Gyrus  angularis,  die  bis  auf  die  bis  zum  Cuneus  verlaufen- 
den optischen  Fasern  dringt  oder  drückt. 

7)  Laterale  Hemianopsie  ohne  andere  Symptome  deutet  auf  Erkrankung  der 
Rinde  des  Cuneus. 

Im  Uebrigen  ergiebt  die  ophthalmoskopische  Untersuchung,  ausser  bei  Tumoren, 
nur  selten  abnorme  Befunde;  in  den  Symptomencomplexen  3  bis  7  ist  die  Pupillen- 
reaction  gewöhnlich  normal.  Sommer. 


3)  An  unusaal  oase  of  hemianopia,  by  Dr.  Anderson.  (Medical  Times.  1885. 

Nr.  1842.)  .     . 

Ein  28  Jahr  alter  Mann  bemerkte  nach  einem  Schwindelanfall  Abnahme  der 
Sehkraft  und  Schwäche  in  den  rechtsseitigen  Extremitäten,  welche  ausserdem  un- 
controlirbare  Bewegungen  machten.  Keine  Vorgeschichte  von  Syphilis.  2  Jahre 
später  zeigte  sich  bei  der  Untersuchung  keine  deutliche  Herabsetzung  der  Kraft, 
wohl  aber  ausgesprochene  Anästhesie  in  den  rechtsseitigen  Gliedmaassen.  Geruch, 
Geschmack,  Gehör  intact.  Kniephänomen  rechts  verstärkt.  Der  Fat.  konnte  nur  die 
obere  Hälfte  von  Gegenständen  sehen.  Die  Bewegung  der  Augen  ungestört.  Die 
untere  Hälfte  des  Gesichtsfeldes  anästhetisch.  Herz  zeigt  nichts  Abnormes.  Urin 
ebenfalls  nicht.  Gehimhämorrhagien  häufig  in  der  Familie  vorgekommen.  Nach 
Dr.  Anderson  war  ah  eine  Verletzung  des  hinteren  Drittels  der  linken  Capsula 
interna  zu  denken,  welche  auch  auf  die  im  mittleren  Drittel  verlaufenden  Fyramiden- 
fasem  wirkte.  Die  Augena£fection  lässt  eine  symmetrische  Läsion  der  Nervi  optici 
oder  einen  Herd  an  der  oberen  und  vorderen  Chiasmafläche  vermuthen. 

Buhemann. 

4)  Des  mouvements  involontaires,  provoquäs  dami  les  membres  paralysäs 

des  hämiplögiques  par  les  mouvements  volontaires  des  musoles  non 
paralyBäs,  par  le  Dr.  Camus.    (Bordeaux  1885.) 

Verf.  bespricht  die  „assocürten  Bewegungsvorgänge"  oder  Synkinesien,  die  im 
unmittelbaren  Anschluss  an  einen  Willensimpuls  neben  der  intendirten  Bewegung 


—    276    — 

nnbewusst  nach  Art  eines  Reflexes  in  einem  anderen  nnd  oft  ganz  entfernt  liegenden 
Mnskel  entstehen,  und  speciell  diejenigen  Erscheinungen  von  Mitbewegang,  die  bei 
Hemiplegikem  in  Folge  von  beabsichtigten  Bewegungen  einzelner  Muskeln  der  nicht 
gelähmten  Körperhälfte  spontan  in  der  gelähmten  Seite  ausgelöst  werden. 

Nach  einer  Uebersicht  über  die  bisher  yeröffentlichten  Untersuchungen  von 
Jaccoud,  Yulpian,  Brissaud;  Westphal,  Renzi  u.  A.  tiber  die  Entstehung 
unfreiwilliger  Mitbewegungen  in  gelähmten  Gliedern  schildert  Terf.  selbst  6  Falle 
aus  seiner  eigenen  Beobachtung  (5  Männer  und  1  Weib).  5mal  war  die  Lähmung 
rechts  (4mal  mit  noch  bestehender  Aphasie)  und  einmal  links;  immer  waren  die 
Kniereflexe  gesteigert  und  nur  in  einem  Falle  fehlten  alle  Symptome  von  epileptoidem 
Zittern  (Fussdonus  etc.)  und  von  secundärer  Contractur.  Die  zeitliche  Reihenfolge, 
in  der  sich  die  angegebenen  Erscheinungen  an  die  Lähmung  angeschlossen  hatten, 
war  folgende:  zuerst  hatte  sich  die  Steigerung  der  Reflexe,  dann  das  choreatiBche 
Zittern  und  die  Contractur,  die  übrigens  gewöhnlich  nur  einen  massigen  Grad  ein- 
nahm,  eingestellt  und  dann  erst  traten  gelegentliche  Mitbewegungen  in  den  gelähmten 
Gliedern  auf. 

Dieselben  wurden  zunächst  durch  beabsichtigte  und  auch  durch  reflectorische 
Bewegungen  der  nicht  gelähmten  Extremitäten  ausgelöst,  sobald  die  letzteren  eine 
gewisse  Stärke  erreicht  hatten.  Häufig  schlössen  sie  sich  auch  an  spontane  oder 
reflectorische  Bewegungen  des  Rumpfes,  wie  beim  Niesen,  Husten  etc.  an.  Dagegen 
vermochte  Verf.  nicht,  wie  Renzi  es  beschrieben  hat,  durch  eine  passive  Bewegung 
der  einen  gelähmten  Extremität  eine  analoge  Bewegung  in  der  anderen  gelähmten 
hervorzurufen. 

Bei  allen  Yersuchsanordnungen  traten  die  Mi|;bewegungen  gewöhnlich  zuerst  in 
derjenigen  Extremität  auf,  die  zu  der  primär  bewegten  symmetrisch  liegt,  später 
erst  in  der  anderen  gelähmten  Extremität  und  dann  in  der  gelähmtmi  Gesichtshälfte 
und  zuletzt  in  fast  allen  Muskeln  des  Körpers. 

Die  Litensität  der  Synkinesien  ist  sehr  verschieden,  sie  schwankt  zwischen  ^mer 
einfachen  momentanen  Verhärtung  ohne  deutliche  Verkürzung  der  ergri£Eenen  Muskeln 
und  einer  Gontraction,  die  im  Allgemeinen  der  primären  Bewegung  entspricht,  in  der 
Mehrzahl  der  Fälle  sogar  intensiver  als  diese  ist;  in  nur  pai^tischen  Muskeln  ist  sie 
gewöhnlich  bedeutender,  als  die  grösste  Gontraction,  diö  durch  den  Wissensimpuls 
noch  möglich  ist.  Im  Uebrigen  sind  unter  sonst  gleichen  Verhältnissen  die  Mit- 
bewegungen der  oberen  Extremität  energischer  als  die  der  unteren,  und  die  des 
symmetrischen  Gliedes  stärker  als  die  des  anderen. 

Die  Hervorrufung  der  assocürten  Bewegungen  in  durch  eine  ..organische  Him- 
läsion  gelähmten  Muskeln  beruht  nach  der  Ansicht  des  Verf.  auf  einer  gesteigerten 
Reizbarkeit  der  grauen  Substanz  des  Rückenmarks.  Sommer. 


5)  neber  die  posthemiplegiaohen  BewBgrungsstörungeiL  Eine  klinische  Studie 
von  B.  Greidenberg.  (Arqh.  f.  Psych.  XVII.  S.  131.) 
In  der  vorliegenden  86  Seiten  umfassenden  Studie  giebt  G.  gestützt  auf  die 
267  Nummern  ausmachende  Literatur  ein  Bild  vom  g^enwärügen  Stande  der  Materie, 
deren  Details  durch  15  eigene  klinische  Beobachtungen  illustrirt  werden.  Den  ver- 
schiedenen bisher^en  Eintheilungen  der  posthemiplegischen  Bewegungsstörungen  sub- 
stituirt  er  nachfolgende: 

r  clonische 
Krämpfe  *  tonische 
1  lintermittirende 

[  Muskelrigidität 
Früh  —  paralytische,  passive,  vorübergehende 

g  -,  f  beständige,  fortwährende,  fixirte 

*^*         l  veränderliche  (latente). 


Gontracturen 


apoplectische 


—    277    — 

Erhöliaiig  der  Sehnenrefleze. 
Mitbewegnngen. 

freflectorisches  —  Clonus 

eigentliches  Zittern  (Tremor) 

in  Form  von  Faralysis  agitans 
[  lin  Form  Yon  disseminirter  Sclerose 

{bestäadige 
bei  intendirten  Bewegungen  —  Störung  der 
Coordination  (Hemiataxie) 
Athetose. 

Kurz  finden  sich  noch  die  pathologische  Anatomie,   Pathogenese  und   Therapie 
zQsammengefassi  A.  Pick. 


i  essentielles 


Mischformen  in  verschie- 
denen Combinationen. 


6)  Drei  Fälle  von  Brown-Säquard'soher  Lähmimg  mit  Bemerl^uiigen  über 
das  Verhalten  der  Sehnenreflexe  etc.  bei  derselben,  von  Dr.  S.  Hoff- 
mann, Heidelberg.  (D.  Arch.  f.  klln.  Med.  1886,  Bd.  38.  H.  6.  S.  587—606.) 
(Aus  der  medicinischen  Klinik  des  Herrn  Prof.  Erb.) 

Es  handelt  sich  in  den  ersten  beiden  F&Uen  um  Patienten,  welche  beide  in  der 
H5he  des  Domfortsatzes  des  Y.  Brustwirbels  rechterseits  in  den  Rücken  gestochen 
wurden.    Im  3.  Falle  traf  der,  Stich  den  Nacken  zwischen  dem  3.  und  4.  Halswirbel. 

Nach  Mittheilung  der  ausführlichen  Krankengeschichten  und  der  aus  den  Ver- 
letzungen resultirenden  Krankheitserscheinungen  unterzieht  Verf.  die  einzelnen  Symp- 
tome einer  genaueren  Besprechung.  Er  bemerkt,  dass  keiner  der  angeführten  Fälle 
das  scharfe  Bild  einer  Brown-Säquard*schen  Lähmung  zeigt,  da  der  Stich  keine 
genau  halbsjßitige  Durchschneidung  der  MeduUa  spinalis  bewirkt  habe. 

Im  Fall  I  wurde  z.  B.  der  Hinterstrang  der  lädirten  Seite  nicht  mit  betroffen, 
weshalb  die  Tastempfindung  der  gegenüberliegenden  Seite. intact  blieb;  während  im 
Fall  U,  ausser  der  linken  Rückenmarkshälfte  auch  der  rechte  Hinterstrang  durch- 
schnitten wurde,  da  das  Tastgefühl  an  beiden  untern  Extremitäten  gestört  war,  eine 
Annahme,  welche  in  einem  analogen  Fall  Müller*s  durch  den  Sectionsbefund  ihre 
anatomische  Bestätigung  erfuhr. 

Wie  schon  von  anderer  Seite  mehrfach  beobachtet,  waren  auch  hier  die  Sehnen- 
reflexe auf  der  gelähmten  Seite  gesteigert  und'  im  Falle  I  und  m  mit  Muskel- 
spannungen combinirt,  während  sie  sich  auf  der  anästhetischen  Seite  normal  oder 
nur  wenig  lebhaft  verhielten. 

Ob  die  Steigerung  der  Sehnenreflexe  sofort  nach  der  Verletzung  eintritt  oder 
erst  später  durch  einen  von  der  Läsionsstelle  ausgehenden  secupdären  Degenerations- 
process,  wie  er  von  Gharcot  und  Müller  in  zwei  derartigen  Fällen  wirklich  durch 
Section  nachgewiesen  wurde,  bedingt  wird,  hält  Verf.  für  noch  nicht  feststehend. 

Die  Hautreflexe  fehlten  auf  der  gelähmten  Seite  entweder  ganz  oder  waren  auf 
ein  MQnimum  abgeschwächt,  auf  der  anästhetischen  Seite  verhielten  sie  sich  in  Fall  HI 
normal,  in  Fall  I  waren  sie  bis  auf  den  Plantarreflex,  in  Fall  II  bis  auf  den  Bauch- 
reflex vorhanden. 

Wie  in  der  Regel,  erfolgte  auch  hier  die  Rückkehr  der  Motilität  bis  zu  einem 
gewissen  Grade  bereits  in  den  ersten  Monaten,  während  die  Anästhesie  viel  länger 
unverändert  bestehen  blieb.  —  Ob  die  brennenden  Sensationen  auf  der  anästhetischen 
Seite  (Fall  HI)  als  die  ersten  Andeutungen  der  wiederkehrenden  SeBsibilitftt  oder  als 
meningitische  Symptome  aaftnfassen  sind;  läset  Verf.  unentschieden.  -^  Dagegen  er- 
klärt er  die  Hyperalgesie  auf  der  paralysirten  Seite  in  Uebereinstimmimg  mit  Brown- 
S^qnard  damit,  dass  dieselbe  auf  eine  Hyperämie  und  Reizung  der  andern  Bflcken- 
msri[8h&ifte  während  der  reactiven  Entsündung  um  die  Läsionsstelle  znrftckznführan 


—    278    — 

sei,  eine  Hypothese,  die  allerdings  nicht  f&r  alle  Fälle  ausreicht,  da  auch  Hyper- 
ästhesie von  20jähriger  Dauer  zur  Beobachtung  kam. 

Schmerz-  und  Temperatursinn  verhielten  sich  ziemlich  gleich.  —  Bemerkens- 
werth  ist,  dass  ein  kräftiger  Druck  auf  den  Hoden  der  anästhetischen  Seite  bei  dem 
Kranken  I  absolut  schmerzlos,  bei  dem  Kranken  HI  nur  wenig  empfindlich  war  im 
Vergleich  zur  gelähmten  Seite,  ein  Beweis,  dass  der  Hoden  als  drüsiges  Organ  sich 
analog  der  Haut  verhält. 

Die  Temperatur  wurde  auf  der  gelähmten  Seite  constant  niedriger  gefunden,  als 
auf  der  anästhetischen  Seite.  Verf.  hält  es  für  das  Wahrscheinlichste,  dass  unmittelbar 
nach  der  Verletzung,  wie  auch  von  anderen  Autoren  durch  Thierexperimente  con- 
statirt  wurde,  die  Temperatur  der  paralysirten  Seite  erhöht  ist,  um  dann  allmählich 
normal  oder  sogar  subnormal  zu  werden. 

BiBtentio  oder  Incontinentia  alvi  et  vesicae  bestand  im  Beginn  in  allen  3  Fällen, 
bildete  sich  jedoch  bald  wieder  zurück. 

Elektromusculäre  Sensibilität,  MuskeMnn,  Goordination,  sowie  elektrisches  Ver- 
halten der  Muskeln  und  Nerven  vollkommen  normal  — 

Daran  anschliessend  theilt  Verf.  noch  einen  Fall  mit  von  Spondylitis  mit  Ezsudat- 
bildung  im  Wirbelcanal  und  dadurch  bewirkte  Compression  der  Medulla  spinalis,  bei 
welchem  sich,  wenigstens  auf  der  gelähmten  Seite,  ein  der  Brown-S^qard'schen 
Halbseitenläsion  gleiches  Krankheitsbild  darbot. 

Es  bestand  auf  der  rechten  Seite  Parese  und  Atrophie  des  Beines,  gesteigerte 
Sehnenreflexe  der  Ober-  und  ünterschenkelmuskeln,  Fatellarclonus  und  angedeuteter 
Dorsalclonus,  erhöhte  Temperatur  und  eine  gegen  einfache  Berührung,  gegen  Stich 
und  Kälte  hochgradige  Hyperästhesie  (Hyperalgesie),  welche  sich  vom  Erkrankungs- 
herd (Domfortsätze  des  3.  und  4.  Brustwirbels)  bis  herab  zur  Fusssohle  erstreckte. 
Dagegen  fehlte  vollkommen  die  Anästhesie  der  gegenüberliegenden  (linken)  KGrperseite. 

Die  streng  halbseitige,  genau  bis  an  die  Medianlinie  reichende  Hyperästhesie 
auf  der  paretischen  Seite  sucht  Verf.  auf  eine  Hyperämie  und  Entzündung  der 
spinalen  Häute  zurückzuführen,  bei  welcher  Annahme  allerdings  das  Fehlen  öfterer 
Beizerscheinungon  oberhalb  der  Läsionsstelle  und  vor  allem  die  scharfe  Begrenzung 
der  Hyperästhesie  durch  die  Mittellinie  auffällig  erscheinen  würde.  Eine  andere 
Erklärung  hat  Woroschiloff  durch  Thierexperimente  gewonnen.  Nach  ihm  beruht 
die  H3rperästhesie  der  gelähmten  Seite  auf  dem  Wegfall  einer  Anzahl  hemmender 
Fasern,  welche  mit  den  motorischen  Fasern  gleichen  Verlauf  haben  sollen.  Die  in 
ziemlich  demselben  Zeitraum  stattgefundene  Wiederkehr  der  Motilität  einerseits,  und 
das  Verschwinden  der  Hyperästhesie  andererseits,  wie  im  vorliegenden  Fall  beobachtet 
wurde,  würde  für  diese  Hypothese  sprechen.  Jedenfalls  genügt  die  alleinige  klinische 
Beobachtung  dieses  Falles  ohne  beweisenden  Sectionsbefnnd  nicht,  um  gegen  die 
Brown-S^quard'sche  Theorie,  dass  die  sensiblen  Bahnen  sich  im  Bückenmark 
kreuzen,  verwerthet  werden  zu  können. 

Nach  l'/^  Jahren  trat  im  letzterwähnten  Falle  vollkommene  Heilung  ein,  sodass 
derselbe  zu  den  günstigem  Formen  der  Hemilasion  des  Bückenmarks  zählt,  wie  auch 
Bosenthal  neuerdings  einige  mittheilte.  F.  Seifert. 


7)  Faralysls  of  tongue,  palate  and  vooal  oord»  by  J.  Hughlings  Jackson. 
(The  Lancet.  1886.  Vol.  I.  Nr.  XV.) 

In  der  Harveian  Society  stellte  J.  einen  Patienten  vor,  bei  dem  sibh  Lähmung 
und  Atrophie  der  rechten  Zungenhälfte,  Paralyse  des  rechten  Velums  und  des  rechten 
Stimmbandes  zeigten.  In  einigen  anderen  Fällen  (London  Hospital  Beports,  1864 
und  1868)  fand  sich  diese  Trias  von  Symptomen  ebenfalls;  femer  waren  Lähmung 
und  Atrophie  des  linken  Supinator  longus,  des  Biceps,  Brachialis  intemus,  Deltoides, 


—    279    — 

SapraspinatnB  and  Infraspinatas  zu  constatiren  (Erb*sche  Lähmung).  Diese  Muskeln 
reagirten  nicht  auf  den  faradischen  Strom.  ASZ  war  stärker  als  die  ESZ.  Der 
Infraspinatns  reagirte  nicht  bei  Einschaltung  von  40  Elementen.  Ausserdem  eine 
ziemlich  kreisrunde,  gegen  Druck  und  Stich  empfindungslose  Stelle  Ton  ungeföhr 
6  Zoll  Durchmesser  auf  der  Höhe  der  linken  Schulter.  Linke  Pupille  etwas  weiter 
als  die  rechte,  reagirt  weder  direct  noch  indirect  auf  Licht.  Dagegen  Beaction  auf 
Accommodation  vorhanden.  Mangelnde  Accommodation  auf  beiden  Augen.  Beim 
Sehen  nach  unten  oder  innen  verkleinert  sich  die  linke  Pupille,  beim  Sehen  nach 
oben  oder  aussen  wird  sie  weiter.  Pat.  klagt  über  zeitweises  Schwitzen  der  linken 
Gesichtshälfte. 

J.  hielt  die  Affection  für  syphilitisch  und  meint,  dass  der  rechte  Hypoglossns- 
kern  und  der  obere  (bulbäre)  Theil  des  rechten  N.  accessorius,  sowie  einige  Wurzeln 
der  zum  linken  Plexus  brachialis  ziehenden  Nerven  getroffen  seien.  Die  PupiUar- 
verhältnisse  konnte  Vortragender  nicht  erklären.  Eniephänomen  war  vorhanden,  sonst 
keine  Ataxie  etc. 

Dr.  S.  Mackenzie  macht  darauf  aufmerksam,  dass  wegen  der  Nähe  der  Hypo- 
glossus-  und  Accessorinskeme  in  der  Medulla  oblongata  die  gleichzeitige  Affection 
der  halbseitigen  Zungen-,  Velum-  und  Stimmbandlähmung  unschwer  zu  erklären  sei. 
Die  Anästhesie  der  Schulter  kann  weder  er  noch  Jackson  erklären. 

Buhemann. 

8)  Heber  das  Unterkieferphänomen  (j&w-jerk),  von  J.  Bybalkin.    (Wratsch. 
1886.  Nr.  13.  Bussisch.) 

Verf.  untersuchte  das  Verhalten  des  unlängst  durch  Watteville*s  Notiz^  all- 
gemein bekannt  gewordenen  ünterkieferphänomens  in  315  Fällen  (136  Männer  und 
179  Weiber)  im  Alter  von  12 — 65  Jahren.  Zur  Untersuchung  wurde  der  Mund 
ein  wenig  geö&et,  der  Unterkiefer  durch  Druck  auf  die  untere  Zahnreihe  nach  unten 
gezogen,  und  durch  einen  Schlag  mit  dem  Percussionshammer  Dehnung  der  Mm. 
masseteres  hervorgebracht. 

Unter  den  untersuchten  Subjecten  waren  69  gesunde.  Bei  allen  wurde  durch 
bezeichneten  Vorgang  eine  deutliche  Contraction  der  Kaumuskeln  erzielt,  stets  ein- 
malig, ohne  Glonus.  Die  Contraction  stellte  sich  auch  bei  Beklopfen  des  Kinns  oder 
der  Unterkieferäste  ein,  obgleich  dann  in  geringerer  Intensität. 

Das  nämliche  Besultat  ergab  die  Untersuchung  von  144  Beconvalescenten.  Nur 
bei  einigen  derselben  musste  zur  Erzielung  des  Unterkieferphänomens  die  von  Jen- 
drassik  zur  Untersuchung  des  Kniephänbmens  vorgeschlagene  Methode  angewandt 
werden. 

Von  56  Fieberkranken  (Typhus  und  Schwindsucht)  wiesen  9  Unterkieferclonus 
und  20  einfache  Steigerung  des  Phänomens  auf.  Verf.  erinnert  hier  an  die  von 
Ballet,  Strümpell  u.  A.  beobachtete  Steigerung  des  Kniephänomens  bei  Fiebernden. 

Die  letzte  Gruppe  bilden  45  Nervenkranke,  darunter  Affectionen  des  Grehims 
und  Bückenmarks,  Muskelatrophien,  functionelle  Neurosen  etc.  Abnormes  Verhalten 
des  ünterkieferphänomens  wurde  in  folgenden  Fällen  gefunden;  Bei  zwei  Henii- 
plegikem  mit  posthemiplegischen  Contracturen  und  Fussclonus,  bei  einer  Hysterischen 
mit  spastischer  Paraplegie  und  zuweilen  in  einigen  Fällen  von  Tetanie  —  Unter- 
kieferclonus; bei  zwei  anderen  Hemiplegikem  (ohne  spastische  Erscheinungen),  in 
einem  Fall  amyotrophischer  Lateralsclerose  mit  bulbären  Symptomen,  und  in  einem 
Fall  juveniler  Muskelatrophie  —  einfache  Steigerung;  bei  Meningitis  cerebralis 
(2  Fälle),  in  einem  Fall  progressiver  Paralyse  (incipiens),  in  einem  Fall  juveniler 
Muskelatröphie  und  bei  3  Neurasthenikem  —  Herabsetzung;  in  einem  Fall  mul- 
tipler Sclerose  —  Fehlen  des  Kniephänomens  (auch  nach  Injectionen  von  Strychnin); 


1  et  d.  Gentralbl.  1886.  S.  49. 


—    280    — 

in  allen  anderen  Fällen  (Hemiplegien,   Myelitis,  peripherische  Lähmnngen«  Hysterie, 
Neurasthenie,  Epilepsie)  war  das  UnterldeferphäBonien  nnvei&ndert 

Was  die  Natur  des  in  Bede  stehenden  Phänomens  anbetrifft^  so  ist  Verf.  geneigt, 
es  als  einen  periostealen  Beflex  anzusprechen.  F.  Bosenbach. 


9)  Des  paralysies  radioulaireSv  par  J.  L.  Fr^vodt.  (Bevue  m^d.  de  ia  Suisse 
romande.  1884.  Nr.  4.) 
Im  Anschlnss  an  eine*  zusammenfassende  Darstellung  des  bisherigen  Standes  der 
Lehre  Ton  den  Wurzellähmungen  im  Gebiete  des  Plexus  brachialis  berichtet  F.  über 
6  eigene  in  Gemeinschaft;  mit  Faul  Binet  gemachte  Versuche,  die  er  dahin  resumirt: 
Bei  2  Katzen  wurde  durch  elektrische  Beizung  der  8.  HalsnerTenwurzel  deutliche 
oculo-pupülare  Beaction  endelty  bei  3  anderen  und  einem  Kaninchen  blieb  deren 
Beizung  ohne  Wirkung.  Die  Beizung  des  1.,  2.  und  3.  Brustneryanwiinelpaares 
wirkt  am  energischsten  auf  das  Auge,  die  des  7.  cervicalen  Paares  war  wirkungslos, 
wis,  weil  Versuchen  Yon  Franck  widersprechend,  auf  wechselnde  Vertheüung  der 
sympathischen  Fasern  bezogen  wird.  A.  Pick. 


10)   Banititts-Bericht  über  die  deutsohen  Heere  im  Kriege  gegen  Frank- 
reich  1870/71.      vn.   Band:    Erkrankungen    des    Kervensystems. 

Herausgegeben  tou  der  Militar-Medizinal-AbtheiluBg  des  kOnigl.   preuss. 

Eriegsministeriums    unter    Mitwirkung    der    betreffenden    bayrischen, 

sächsischen  und  wflrttembergischen  Behörden.    (Berlin  ,1885.  Einst 

Siegfr.  Mittler  &  Sohn.)  —  [Fortsetzung.] 
Volle  100  Fälle  von  Tabes  dorsalis,  die  den  Invalidenlisten  entnommen  sind 
und  deren  Entstehung  auf  den  Krieg  zu  beziehen  ist,  bilden  die  letzte  Gruppe  im 
Berichte  über  die  Nervenkrankheiten.  Die  Krankengeschichten  sind  tabellarisch  zu- 
sammengestellt Hauptpunkte  aus  denselben:  Beruf,  Zeit  und  Zahl  der  mitgemachten 
Feldzfige,  Heredität  und  Prädisposition,  syphilitische  Affection,  andere  ätiologiscbe 
Momente,  Auftreten  der  Initialsymptome,  Krankheitsverlauf,  Ausgang  und  Behandlung 
bilden  in  dieser  Krankentabelle  die  hervorragendsten  Bubriken.  Das  Studium  der- 
selben im  Originalwerke  wird  dem  Leser  des  Interessanten  Mancherlei  bieten.  Die 
verschiedenen  tabischen  Krankheitserscheinungen^  welche  diese  Patienten  boten,  sind 
in  klarer  und  ezacter  Weise  epikritisch  besprochen,  die  darüber  bisher  veröffent- 
lichte in-  und  ausländische  Literatur  ist  trotz  ihres  enormen  Umfange  fleissig  benützt 
und  ehrlich  citirt.  Wir  müssen  hier  die  Einzelheiten  übergehen  und  wollen  nur  die 
Begeisterung  constatiren,  mit  welcher  die  Berichterstatter  für  das  Westphjarsche 
Symptom,  den  Mangel  des  Kniephänomens  als  diagnostisches  Kriterium  der  Tabes 
einzutreten  bemüht  sind.  Zur  Zeit  des  Krieges  war  dasselbe  noch  nicht  bekannt, 
die  Untersuchung  darauf  hat  sich  ja  erst  in  den  letzten  Jahren  eingebürgert.  Die 
Tragweite  dieses,  so  frühzeitig  auftretenden  Symptoms  sei  aber  für  die  nulitärarztliche 
Untersuchung  eine  besonders  grosse.  Es  treten  im  Prodromal-,  resp.  Initialstadium 
der  Tabes  so  viele  rein  subjective  Störungen  auf,  die  den  auf  Invalidität  prüfenden 
Militärarzt  irre  machen  könnten,  dass  man  militärischerseits,  wie  der  Bericht  sehr 
ausführlich  darlegt,  dieses  objective  Kriterium,  welches  von  Seiten  der  Aerzte  laicht 
zu  erlernen  und  leicht  festzustellen,  —  von  Seiten  der  Patienten  aber  schwer  2;,q 
simuliren  sei,  nicht  genug  schätzen  könne. 

Den  Entstehungs-Ursachen  der  Bückenmarks-Schwindaucht  haben  die  Autoren 
ihre  besondere  Aufmerksamkeit  gewidmet  Die  Controverse,  ob  es  eine  syphilitisohe 
Tabes  gebe  oder  nichts  hat  sie  vornehmlich  beschäftigt;  sie  glauben  auf  Grund 
ihres  Materials  diese  Frage  entschieden  verneinen  zu  müssen.  Sie  bemängeln  vor 
Allem  den  Werth  der  anamnestischen  Explorationen,  welche  4en  bisbengen  statistischen 


—    281    — 

Erhebungen  über  die  viel  discutirte  Tabes-Syphilis-Frage  zu  Grande  gelegen  haben. 
Sie  meinen,  es  gebe  viele,  besonders  tabeskranke  Patienten,  welche  die  unschaldigsten 
Genitalaffectionen  als  luetische  bezeichneten,  durch  die  betreffenden  Fragen  des  Arztes 
erschreckt   sich   sofort  all'  der  „sexuellen  Kleinigkeiten''  erinnerten,   denselben  die 
schlimmsten   Gonsequenzen   zuschrieben   -^   und   so   die  Statistik  durch  ihre  Unge- 
nauigkeit  yerdürben.  —  Das  militärische  Material  wäre  für  derartige  Feststellungen 
besser    zu  gebrauchen.     Bei  67  von   den  erwähnten  100  Tabesfällen  sind  sichere 
Angaben  über  diesen  Punkt  zu  extrahiren  gewesen:  es  konnten  unter  diesen  67  nur 
7  Invaliden  gezählt  werden,  bei  welchen  möglicher  Weise  eise  Prädisposition  vorlagt 
also  nur  7,4  ^/q.    Wir  bezweifeln,  ob  dieses  Ergebniss  des  Kriegsberichtes  in  sein« 
überraschenden  Kleinheit,  den  grossen  Procmitzahlen  Erb*s  und  Fournier*s  gegen- 
über  allenthalben  die  nöthige  Anerkennung  finden  wird.    Auch  wir  können  weder 
ihren  statistischen,  noch  ihren  sonstigen  Auseinandersetzungen  in  dieser  Frage  volle 
Beweisbaft  zuerkennen.    „Das  Bestreben  der  Leute,  ihre  Gebrechen  auf  einen  mit- 
gemachten-Feldzug   zurückzuführen,"   so   sagen   die  Autoren  selbw,   „ist  ein  leicht 
erklärliches  und  natürliches!"    Deswegen  gestehen  sie  auch  der  Durchnässung  und 
Erkältang,  welche  in  vielen  ihrer  Fälle  (bei  57  Individuen)  als  ürsacli^en  der  Tabes 
angegeben  worden  sind,  nur  eine  beschränkte  Bedeutung  zu.    Aber  ganz  aus  dem- 
selben Grunde   lässt  sich   doch  Wohl  annehmen,   dass  viele  Invaliden  es  verstanden 
haben^  die  Militärärzte  bei  der  Untersuchung  auf  Lues  zu  täuschen,  dass  sie  bestrebt 
gewesen  sein  werden,  wenn  sie  objectiv  durch  verdächtige  Narben,  Drüsen  u.  s.  w. 
nicht  zu  überführen  warw,   die   vorhanden  gewesene  Syphilis  zu  verheimlichen,  um 
alle  Schuld  auf  den  Feldzug  selbst  zu  wälzen.    Sie  recapituliren  ihre  übrigens  sehr 
präcisen  Auseinandersetzungen  über   die  Aetiologie   der  Tabes   etwa   dahin:   „Prüft 
man  die  FddzngserfahruBgen  im  Verein  mit  den  Angaben  der  Autoren,  so  darf  nur 
das   als  feststehend   angenommen  werden,  dass  unter  dem  Eüifluss  einer  einmaligen 
oder  wiederholten  Erkältung  die  ersten  tabiacben  Symptome  manifest  werden  können, 
dass    die  Tabes   im  Allgemeinen  eine  Krankheit  eines  bestimmten  Lebensabschnittes 
ist,    dass   sie   darum   in   der   activen   Militärdienstzeit  nur  relativ  selten  beobachtet 
wird,    dass  ihre   Frequenz   unter  den  Personen   des   Soldatenstandes  erst  zunimmt, 
wenn  eine  Altersdisposition  geschaffen  ist,  dass  die  Lues  ihres  depotenzirenden  Ein- 
flusses wegen  die  Widerstands£9.higkeit  des  Nervensystems  gegen  bestimmte  Angriffe 
herabsetzt   und   darum  eine  Hülfsursache  der  Tabes  wird,   dass  aber  die  eigentliche 
Ursache   der  Tabes  noch   unbekannt   ist.''  —  Wer  den  Kampf  der  Meinungen  über 
die  eben  erörterten  Punkte  in  den  letzten  Jahren  genauer  verfolgt  hat,  —  wer  da 
weiss,  mit  welcher  Erregung  der  Streit  von  verschiedenen  Seiten  geführt  worden  ist, 
der   wird  mir  nach   Lektüre   des  Werkes   zugeben  müssen,  dass,  als  sich  auch  die 
Kriegsberichterstatter  auf  diesem  Kampfplatz  eingefunden,  ihnen  die  hervorragenden 
Gegner  der  syphilitischen  Tabes  secundirt  und  den  Bericht  sehr  wesentlich  in  ihrem 
Sinne  beemfliuist  haben  mögen.  —  Von  den  100  kriegsinvaliden  Tabikem  sind  nach- 
weislich 23  gestorben,   Heilung  erfolgte  nur  in  einem  Falle,  den  wir  hier  kurz  an- 
führen: Paüent,  ein  beim  Beginn  der  Krankheit  dljähriger  Bäoker^  hatte  3  Feldzüge 
mitgemacht    Als  charakteristische  Symptome  der  Krankheit^  weh^e  1870/71  )mit 
spinalen  Neuralgien  in  den  Beinen  begonnen  hatte,  fiemd  Fräntzel  1878  Ataxie  in 
den  Bdnen  bei  unveräaderter  motorisdier  Kraft,  Brach  •Bomberg'sches  Symptom, 
HerabeetzoBg  aämmtüchtt:  Qualitäten  der  Seisibilität  ufid  vollkommene  Einbusse  des 
Kniephäiiomeii&    Nach  einer  schon  1880  deutlich  nachweisbaren  Besserung  eiAzelnw: 
Ereeheinongen  konnte  Oberstabsarzt  Stricker  1884  Zeichen  einer  Erkrankung  der 
sensiUen  Bahnen  niehA  mehar  entdecken.  Die  Seusibiütät  war  iM^llig  intact,  Farästfaesien 
bestanden  nkhty  ebensowenig  Schmerzen,  Ataxie  verschwunden/  Patellarreflexe  lebhalt 
erhöht,   rechts  Fnssclonus,  Pupillen  ven  mittlerer  Weite  und  guter  Beaction,  Blase 
und  Mastdarm  fnnctionirten  normal.  La  quer. 

«(Schluss  folgt) 


—    282    — 

Psychiatrie. 

11)  Des  perversions  chez  les  persöcutös,  par  Culli^re.    (Annales  in^d.-psyclL 
1886.  Mars.  p.  211.) 

C.  hebt  an  der  Hand  Ton  5  sehr  interessanten  Krankengeschichten  den  Zu- 
sammenhang Ton  sexueller  Perversion,  welche  sich  in  einzelnen  Fällen  zu  völliger 
Impotenz  steigerte,  sowie  den  allen  diesen  Fällen  mehr  oder  weniger  innewohnenden 
Zug  der  psychische  Degenerescenz  hervor.  Die  krankhafte  Veränderung  der  sexuellen 
Instincte  und  Störungen  der  Innervation  in  der  Sexualsphäre  werden  für  die  Ent- 
stehung und  Färbung  der  Wahngebilde  direct  verantwortlich  gemacht.  —  Die  Zu- 
gehörigkeit der  in  Frage  stehenden  Formen  zu  hereditären  Psychosen  ist  danach 
evident.  Jehn. 


12)  Alooolisme  pris  pour  iine  paralysie  gänärale,  par  Garnier.    (Annales 
m4d.-psych.  1886.  Mars.    Arch.  cÜniques.  p.  232.) 

Im  Anschluss  an  die  vor  Kurzem  durch  Christian  an  gleicher  Stelle  aufge- 
worfene Frage  der  Schwierigkeiten  in  der  Diagnose  der  allgemeinen  Paralyse  wird 
ein  Fall  von  Alcoholismus  beschrieben,  welcher  bei  3maliger  Aufnahme  in  die  Anstalt 
jedesmal  den  zwingenden  Eindruck  echter  Paralyse  machte.  Die  letzte  Beobachtni^, 
welche  einen  Zeitraum  von  15  Jahren  umfasste,  sicherte  die  Diagnose  einfacher  De- 
menz nach  Schwund  aller  verdächtigen  körperlichen  Symptome.  Jehn. 


18)  Sur  la  tension   des  moaoles   oomme  substratom  de  rattention,   par 

Sikorsky.    (Arch.  de  Neurolog.  1885.  Vol.  X.  p.  145.) 

Es  ist  bekannt,  dass  der  Gedanke  an  eine  Bewegung  oder  Handlung,  ebenso 
wie  der  Willensbeschluss  einer  solchen  von  einer  gewissen  (im  letzteren  Fall  vorbe- 
reitenden) Innervation  der  betreffenden  Muskeln  begleitet  wird.  Hierauf  beruht  die 
Kunst  des  sogenannten  Oedankenlesens,  nämlich  in  der  eingeübten  Fähigkeit,  diese 
Innervationszustände  der  Muskeln  beim  intensiven  Denken  an  Bewegungen  oder  Hand- 
lungen durch  das  GlefOhl  zu  erkennen.  S.  beschreibt  derartige  von  ihm  angestellte 
Versuche.  Siemens. 


14)  Beport  of  a  oase  of  insanity  following  Gunshot  Injury  to  the  Head; 
Cerebral  oyst;  aspiration.  Beoovery;  by  G.  F.  Mac  Donald.  (Americ. 
Joum  of  Med.  sc.  1886.  April.) 

Ein  kurz  gefosster,  vorzflglicher  Bericht  eines  interessanten  Falles  geistiger  Er- 
krankung nach  Verletzung  des  Gehirnes. 

Ein  Sträfling  im  Alter  von  27  Jahren,  ohne  hereditäre  Belastung,  aber  aloo- 
holischen  Excessen  ergeben,  schoss  sich  in  selbstmörderischer  Absicht  eine  Kngel  in 
den  Kopf,  die  Kugel  wurde  bald  nach  der  Verletzung  entfernt.  Nachdem  er  unge- 
fähr 2  Jahre  im  Staatsgefängniss  zugebracht^  entwickelte  sich  eine  deutliche  Psychose 
OfChronic  Mania'Oy  weswegen  er  in  die  StsAts-Irren-Anstalt  fOr  Gefangene  gebracht 
wurde.  M.  constatirte  eine  kreisrunde  Depression  des  Schädeldaches  ungefähr  ^/,  Zoll 
im  Durchmesser  und  ^/^  Zoll  tief.  Diese  Depression  entsprach  der  Vereinigungsstelle 
des  vorderen  und  mittleren  Drittiheils  der  ersten  Frontalwindung  rechts.  Druck  auf 
diese  Depression  war  ungeheuer  schmerzhaft.  Am  zweiten  Tage  nach  der  Aofbabme 
in  die  Irrenanstalt  wurde  der  Patient  tief  narcotiairt  Nach  Durchtrennung  der  Haut 
fand  sich  eine  fibröse  Masse,  die  verletzte  Partie  bedeckend.  Durch  diese  fibröse 
Masse  hindurch  wurde  mehrmfds  mit  einer  kleinen  Spritze  Probepunddon  ausgeffihrt; 


—    283    — 

bei  dem  4.  Yersucbe  gelang  es,  seröse  Flfissigkeit  zu  aspiriren,  und  es  wurden  auf 
diese  Weise  schliesslich  8,0  seröser  Flüssigkeit  entfernt.  Man  wollte  trepaniren, 
entschloss  sich  aber,  den  Patienten  aus  der  Narcose  aufwachen  zu  lassen,  um  den 
Einfluss  der  Entleerung  der  Cyste  zu  beurtheilen.  Zum  Erstaunen  der  Aerzte  fing 
der  Fat.  bald  nach  beendeter  Operation  vernünftig  zu  reden  an,  gab  nach  3  Stunden 
einen  zusammenhängenden  Bericht  seiner  ganzen  Erkrankung  und  war  im  Laufe 
einiger  Wochen  vollkommen  hergestellt.  Sachs  (New  York). 


15)  Heber  Agoraphobie,  Inaug.-Dissertation  von  A.  Bosenbaum.    Berlin  1886. 

3  Fälle  von  Agoraphobie,  darunter  einen  sehr  typischen  aus  der  Mendel'schen 
Foliklinik,  schildernd,  kommt  Verf.  zu  der  Ansicht,  dass  im  Gegensatz  zur  Meinung 
Westphars,  dass  das  den  Fat.  befallende  Angstgefühl  kein  motivloses,  ihm  selbst  uner- 
klärliches sei  und  mit  plötzlicher  zwingender  Gewalt  während  eines  völlig  indifferenten 
Gemüthszustandes  beim  Durchschreiten  eines  freien  gtossen  Baumes  auftrete,  sondern 
dass  es  durch  die  Furcht  entsteht,  dass  ein  einmal  dagewesener  Schwindel-  oder 
Ohnmachtsanfall  wiederkehren  könne.  Diese  „Angst  vor  der  Angst,  das  Kriterium 
des  Krankhaften  der  Angstanfalle  bei  Agoraphobie'',  tritt  nun  einmal  auf  grossen 
Flätzen  ein,  weil  der  betreffende  sich  die  Hülflosigkeit  bei  dem  etwaigen  Wieder- 
auftreten des  Anfalls  ausmalt,  sodann  in  Versammlungen,  Gesellschaften,  Theatern, 
wo  er  sich  durch  eine  Ohnmacht  lächerlich  machen  könnte.  Diese  Angstanfalle  sind 
also  von  der  Natur  der  ersten  Attacke  ganz  verschiedeu,  die  auf  Erkrankung  des 
Digeetionsapparatee  oder  des  Circulationsapparates  oder  der  sexuellen  Sphäre  zurück- 
zuführen sei. 

Entgegen  der  Ansicht,  dass  die  Agoraphobie  eine  eigene  Krankheit  sei  und  nur 
zuweilen  als  Theüerscheinung  einer  Gesammtheit  von  Nervensymptomen  vorwiegend 
hypochondrischer  Natur  vorkomme,  hält  Yerf.  sie  nur  für  ein  Symptom  der  Neu- 
rasthenie, das  gleichzeitig  mit  vielen  andern  Erscheinungen  dieser  Krankheit  auftrete. 
Bei  seinen  Kranken  fand  Yerf.  Eingenommenheit  des  Kopfes,  Depressionszustände 
mit  Ezaltationszuständen  abwechselnd,  Gedächtnissschwäche,  Beizbarkeit,  abnorme 
Sensationen,  Gefühl  von  Taubsein  der  Extremitäten,  Kriebeln,  Ameisenkriechen, 
Schwäche  oder  Steifigkeit  der  Extremitäten,  lang  andauernde  Baies  m^nin^tiques 
(bis  1^/2  Stunden),  plötzlichen  Schweissausbruch,  nächtliche  Samenverluste  etc. 

Verf.  ist  nicht  der  Ansicht  JoUy's,  dass  die  Flatzaugst  als  ein  Cardinalsymptom 
der  Hypochondrie  aufzufassen  sei.  Buhemann. 


Therapie. 

16)  Heber  das  Aoetophenon,  von  cand.  med.  F.  Schüler.  Aus  der  medidnischen 
Klinik  des  Herrn  Frof.  Leube  in  Würzburg.    (Münchener  med.  Wochenschr. 
1886.  Nr.  14.) 
Es  wurde  in  14  Fällen,   und  zwar  theils  bei  Gesunden,  theils  bei   Kranken 
(Herzaffectionen,  Fhthisis,  Bronchiectasie)  des  Acetophenon  oder  H3rpnon  angewendet, 
zu  2  bis  4  Tropfen  in  Gelatinekapseln.     Es  trat  nach  Vs  ^^  ^Vs  Stunden  ein 
ruhiger  mehrstündiger  Schlaf  ein  ohne  alle  Nebenwirkungen.  ÄIb  aber  einmal  6  Tropfen 
gegeben  waren,  wurde  schon  vor  Verlauf  einer  halben  Stunde  ein  tiefer  lang  an- 
dauernder Schlaf  beobachtet,  nach  welchem  Kopfschmerz  und  leichtes  Erbrechen 
eintrat.  Ha  dl  ich. 


In  der  Acad^mie  des  sdences  zu  Faris  (Sitzung  vom  18.  Januar  1886)  berich- 
teten Mairet  und  Combemale  über  Aoetophenon,  dem  sie  die  hypnotische  Wir- 


—    284    — 

kang  abspreeheiL  Die  Wirkang  desselben  besteht  in  Horvorbringung  einer  Anämie 
im  Gentralnervensystem.  Der  Nutzen  des  Mittels  in  der  Psycluatrie  erscheint 
zweifelhaft.  M. 


17)  EpilepslB  &  aura  perij^riqae  guörie  aprds  Tapplioatioa  de  vesieatoires 
au  desauB  du  point  de  döpart  de  Faura,  par  Dignat  (Frogr.  m^ 
1886.  Nr.  18.) 

Die  neuen  Arbeiten  von  Buzzard  und  Hirt  haben  die  Aufmerksamkeit  wieder 
auf  eine  schon  ältere  Behandlungsmethode  der  partiellen  Epilepsie  gelenkt,  welche 
in  der  Application  von  Tesicatorw  an  den  Ausgangspunkten  der  Aura  besteht.  D. 
bespricht  die  Literatur  dieser  Frage  und  gedenkt  dabei  besonders  der  schon  im  Jahre 
1826  erschienenen  Krankengeschichten  von  Bravais,  ferner  der  noch  älteren  von 
MaissoneuTe,  Brunner,  Boerhave,  üalen  u.a.m.  Dann  theilt  er  seine  eigene 
Beobachtui^  mit. 

Ein  junger  und  kraftiger,  21  jähriger  Schiduaacher,  der  weder  dem  Trünke  er- 
geben, noch  luetisch,  noch  hereditär  belastet  war,  bekam  i.  J.  1880  einen  epilep- 
tischen Anfall,  dem  eine  sensible  und  motorische  Aura  im  Daumen  dm:  linken  Hand 
Torausging.  Er  verlor  das  Bewusstsein,  der  Kopf  war  nach  links,  die  Augen  nach 
rechts  und  oben  gerichtet.  —  Allgemeine  (?)  Convulsionen  traten  hinzu,  nach  10  Min. 
trat  Schlaf  ein.  —  Während  eines  Zeitraumes  von  17  Monaten  hatte  er  21  solcher 
Attacken  bei  Tage  und  eine  unzählige  Menge  leichterer  bei  Nacht  In  den  freien 
Interrallen  zeigte  er  ausser  einer  deutlichen  Steigerung  der  Sehnenreflexe  weder 
motorische  noch  sensible  Störungen.  —  Nur  in  der  linken  Ellenbeuge  fand  e^h  im 
Verlauf  des  N.  median,  ein  auf  Druck  sehr  schmerzhafter  Punkt  Als  er  im  Sommer 
1882  in  Pitres*  Hospital  zu  Bordeaux  aufgenommen  wurde,  appücirte  man  ihm 
2mal  (am  8.  und  15.  Juli)  6  qcm  grosse  rechteckige  Vesicatoiree  gerade  auf  jene 
si^merzhafte  Stelle.  —  Dieselben  blieben  TOn  3  Uhr  Nachmittags  bis  zum  nächsten 
Morgen  um  9  Uhr  liegen.  —  Eine  wMtere  innere  Medlcation  wurde  bei  dem  Kranken 
nicht  in  Anwendung  gezogen.  —  Er  soll  von  da  ab  bis  zum  Jahre  1884^  wo  man 
ihn  zum  letzten  Maie  sah,  Yon  jedem  epileptisdiem  Anfall  frei  geblieben  sein.  — 
Ein  Urtheil  über  Sitz  und  Entstehungsart  der  geschilderten  epileptischen  An&Ue, 
sowie  über  den  Zusammenhang  zwischen  den  Oonyulsioiien  und  der  Druckschmerz- 
haffeigkeit  des  linken  N.  medianus  erlaubt  sich  der  Terf.  nicht  Laquer. 


Anstaltswesen. 

18)  Thiity-^roorth  teport  cf  the  iBSpeoto»  of  Hish  latiftdo  av^tusiB.  (Jomm. 
of  ment  scienee.  1886.  Aprü.) 

In  Irland  sind  bei  einer  Bevölkerung  von  5  Millionen  14279  Geisteskranke 
versorgt  (allerdings  davon  3775  in  Arbeits-  und  Armenhäusem,  178  im  Criminal- 
asyl  in  Dundrum),  sodass  auf  350  Einwohner  immer  ein  versorgter  (jeisteskranker 
kommt;  der  Bericht  hebt  aber  hervor,  dass  doch  noch  viele  Kranke  in  ländlichen 
Districten  der  Fürsorge  entbehrten.  Die  Aufnahmen  während  des  Jahres  1884  be- 
trugen 2736  (1519  M.,  1217  F.),  von  diesen  wurden  1150  (635  M.,  515  F.)  ge- 
heilt entlassen,  462  gebessert,  111  ungebessert,  die  Zahl  der  Todesfölle  betrug  865, 
darunter  6  Fälle  von  Selbstmord.  Eine  besondere  Zunahme  der  Zahl  der  Geistes- 
kranken ist  nicht  constatirt.  Zander. 


—    285    — 


III.   Aus  den  Gresellsohaften. 

XI.  Wanderversammluiig  Büdwestdeutsoher  Neurologen  und  Irrenftnte 

zu  Baden-Baden  am  22.  und  23.  Mai  1886. 

Original -Bericht  Yon  Dr.  Laquer  in  Frankfurt  a.  M. 

V.  Prof.  Fürstner  (Heidelberg):  Ueber  spinale  Erkrankungen  bei  progressiver 

Paralyse. 

F.  yerglich  zunächst  die  F&lle  von  ParalysOi  in  denen  Jahre  hmg  prim&re  tabische 
Erscheinungen  vorhanden  sind,  mit  einer  zweiten  Gruppe,  in  welcher  ausschliesslich 
die  Pjramiden-Seitenstränge  sich  degenerirt  erweisen.  Wie  Westphal»  Zacher 
und  Schnitze,  nimmt  auch  F.  an,  dass  es  sich  hier  um  eine  primäre  Degeneration 
handelt  In  weitaus  der  Mehrzahl  der  FäUe  stellen  sich  die  spastischen  Erschei- 
nungen secundär  ein,  F.  hat  aber  mehrere  Fälle  beobachtet,  wo  sie  ebenso  wie  die 
tabischen  Symptome  primär  zu  constatiren  waren:  specieU  hochgradig  gesteigerte 
Sehnenreflexe  an  den  oberen  und  unteren  Extremitäten,  und  wo  erst  später  die  Deu- 
tung der  cerebralen  Symptome  zweifellos  wurde.  In  den  letzten  Stadien  dieser  Fälle 
hat  F.  häufig,  wie  Zacher,  Gontracturbildung  in  allen  4  Extremitäten  gesehen 
und  zwar  ausschliesslich  Beugecontracturen,  ebenso  Muskelstarre  und  -Spannung  von 
grosser  Intensität  und  Ausbreitung.  Bei  der  Mehrzahl  der  Fälle,  in  denen  die  De- 
generation auf  die  Pyramiden  beschränkt  ist,  hält  F.  den  Verlauf  für  einen  ziemlich 
schnellen  (2 — 3  Jahre).  Als  weitere  Gruppe  stellt  F.  dann  Fälle  auf,  wo  neben 
den  Pyramiden-Seitensträngen  die  Eleinhim-Seitenstränge  erkrankt  sind,  während  sich 
die  Hinterstränge  als  völlig  intact  erweisen.  —  Zwei  einschlägige  Beobachtungen 
werden  mitgetheilt:  In  dem  ersten  reichten  die  Veränderungen  der  Pyramiden-Seiten- 
stränge bis  an's  Ende  des  oberen  Drittels  vom  Halsmark,  die  der  Eleinhim-Seiten- 
stränge noch  etwas  höher  hinauf;  der  Höhepunkt  der  Degeneration  war  an  der 
Grenze  des  oberen  Drittels  des  Brustmarks,  von  da  ab  allmähliche  Abnahme.  Die 
Degeneration  der  Eleinhim-Seitenstränge  war  viel  bedeutender,  als  die  der  Pyramiden- 
Seitenstränge.  Graue  Substanz  normal,  in  den  Clarke'schen  Säulen  die  Nervennetze 
unverändert,  vereinzelte  Ganglienzellen  verändert»  daneben  aber  noch  normale.  Im 
zweiten  Falle  reichte  die  Pyramiden-Seitenstrang-Erkrankung  nur  kurz  über  die  Hals- 
anschwellung hinaus,  die  Eleinhim-Seitenstrang-Entartung  bis  in  die  Mitte  des  Hals- 
marks, auch  hier  war  letztere  erheblicher.  Die  Glarke*schen  Säulen  zeigten  keine 
bestinmiten  Veränderungen.  Im  Hirn  keinerlei  Herderkrankung,  die  Atrophie  des 
Stimhims  ziemlich  stark.  In  dem  klinischen  Bilde  sprach  kein  Symptom  für  Be- 
theilignng  der  Eleinhimseitenstränge,  die  F.  als  zuerst  erkrankt  betrachtet;  der 
Symptomencomplex  entsprach  dem  bei  Pyramidenerkrankung  zu  beobachtenden.  Der 
Verlauf  war  in  beiden  Fällen  sehr  rapid  —  bis  2  Jahre,  aulKllig  war  eine  überaus 
schnelle  Abmagerung.  F.  bespricht  sodann  die  Fälle,  in  denen  die  Pyramiden- 
erkrankung noch  keine  über  das  ganze  Fasersystem  verbreitete  ist,  sondern  wo  bei 
intacter  oder  wenig  diffuser  Veränderung  der  Pyramidenbahnen  im  Verlaufe  derselben 
fleckweise  Degenerationen  auftreten,  sodann  Fälle,  in  denen  erkrankt  sind:  die  Elein- 
him-Seitenstränge, die  Pyramiden-Seitenstränge  und  die  Hinterstränge  mehr  oder 
weniger  partiell,  dann  die  combinirten  Erkrankungen  von  Pyramiden-Strängen  und 
Hintersträngen.  Dass  es  trotz  der  Pyramidenstrang-Erkrankung  nicht  zu  spastischen 
Erscheinungen  kommt,  wenn  die  Wurzelzonen  der  Hinterstränge  und  die  zugehörigen 
Bückenmarks-Abschnitte  verändert  sind  (Westphal,  Zacher),  —  dass  dieser  Satz 
auch  Geltung  hat  für  die  secundäre  Degeneration,  dafär  theilt  F.  einen  Fall  mit,  in  dem 
seit  vielen  Jahren  Tabes  bestand  und  die  Reflexe  fehlten;  im  weiteren  Verlaufe  traten 
zuerst  rechtsseitige  Lähmungserscheinungen  auf,  die  sich  zurückbildeten,  nach  mehreren 


—    286    — 

Monaten  linksseitige  bleibende.  Eine  Zeit  nach  dem  letzten  Insult  trat  der  Tod  ein. 
Bei  der  Obduction  ergaben  sich  2  symmetrische  Herde  im  vorderen  Theil  der  inseren 
Kapsel,  doppelseitige  absteigende  Degeneration  und  graue  Degeneration  der  Hinter- 
stränge, speciell  der  Wurzelzonen  bis  in's  Halsmark  hinein;  niemals  traten  im  Ver- 
laufe irgend  welche  spastische  Erscheinungen  auf,  namenüich  nicht  Steigerung  der 
Sehnenreflexe.  Weiter  erörtert  F.  die  Frage,  ob  nun  in  der  That  bei  allen  diesen 
spinalen  AfiTectionen  die  cerebralen  Veränderungen  bei  der  Paralyse  dieselben  seien, 
ob  namentlich  —  die  Allgemeingültigkeit  der  Tuczek'schen  Lehre  vorausgesetzt  — 
Faserschwund  sich  fände  bei  den  Fällen  Tabes  +  Paralyse,  ob  er  in  den  Fällen  von 
Pyramiden-Seitensträngen-Degeneration  etwa  besonders  hochgradig  seL  F.  erinnert 
dabei  an  einen  von  Zacher  berichteten  Fall,  in  dem  hochgradigste  spastische  Er- 
scheinungen vorhanden  waren  bei  intacten  Pyramiden-Seitensträngen,  und  endlich  — 
ob  dieselben  Himpartien  regelmässig  betroffen  werden. 

Schliesslich  theilt  F.  mit,  dass  er  in  den  letzten  Jahren  sein  Augenmerk  darauf 
gerichtet  habe,  ob  in  Fällen  von  Paralyse,  in  denen  Syphilis  anamnestisch  nach- 
gewiesen, sich  die  Hinterstränge  der  grauen  Degeneration  exponirt  erwiesen.  Die 
bisherigen  Resultate  sprechen  nicht  sonderlich  für  diese  Annahme.  F.  beobachtete 
4  Fälle,  wo  von  luetischen  Secundärerscheinungen  mit  Bestimmtheit  berichtet  wurde, 
—  wo  aber  im  weiteren  Verlaufe  der  Paralyse  die  Pyramiden-Seitenstränge  erkrankten, 
die  Hinterstränge  aber  intact  blieben. 

VI.  Dr.  Edinger  (Frankfurt  a.  M.):  Ueber  Ursprungs  Verhältnisse  des  AouBtioas 

und  die  „directe  sensorische  Kleinhimbahn^*. 

E.  giebt  zunächst  eine  Uebersicht  der  neueren  Ansichten  und  berichtet  dann  über 
das,  was  seine  eigenen  an  zahlreichen  Foeten  vom  Mensch,  an  Katzen  und  am  Gehirn 
von  Erwachsenen  angestellten  Untersuchungen  ergeben  haben.  Danach  hält  er  sich 
für  berechtigt,  das  Folgende  auszusagen: 

I.  Die  hintere  Wurzel  des  Nervus  acusticus  stammt  aus  dem  sog.  Nudeus  acustici 
anterior.  Dieser  Kern  steht  in  Verbindung  1)  mit  der  Oliva  superior  der  gekreuzten 
Seite  durch  ein  mächtiges  als  „Corpus  trapezoides''  verlaufendes  Bündel^  2)  mit  der 
Oliva  superior  der  gleichen  Seite  durch  weniger  Fasern,  3)  durch  Bogenfasem,  welche 
das  Corpus  restiforme  umschlingen  mit  dem  inneren  Acusticuskem.  Diese  Fasern 
liegen  ventral  von  den  sog.  Striae  Acustici.  Bedner  demonstrirt  ausserdem  Verbin- 
dungen der  oberen  Olive  mit  dem  Cerebellum,  eine  Bahn,  die  bei  Katzen  viel  mäch- 
tiger ist,  als  beim  Menschen  und  einen  starken  Faserzug  zwischen  oberer  Olive  und 
Abducenskem.  Durch  diesen  wäre  der  Acusticus  in  Verbindung  gesetzt  mit  dem  Kern 
der  Augenmuskelnerven:  eine  Einrichtung,  die  nicht  gleichgültig  sein  kann,  wenn  im 
Acusticus  wirklich  Fasern  vorhanden  sind,  welche  zur  Erhaltung  des  Gleichgewichts 
dienen.  — 

II.  Die  vordere  Wurzel  des  Nervus  acusticus  stammt,  wie  Vortragender  sehr 
entschieden  im  Gegensatz  zu  einigen  neueren  Autoren  festhalten  muss,  aus  dem 
Nucleus  acustici  internus.  Dieser  Kern  ist  ebenfalls  verbunden  mit  der  oberen  Olive 
und  nach  innen  von  ihm  ziehen  dünne  Fasern,  welche  nicht  über  den  Abducenskem 
hinaus  verfolgt  werden  konnten.  Ein  drittes  Fasersystem,  welches  in  den  Acusticus 
eingeht,  ist  gegeben  in  einem  Zweige  der  „directen  sensorischen  Kleinhirn- 
bahn''. Als  solche  bezeichnet  E.  einen  grossen  Theil  dessen,  was  von  Meynert  und 
Andern  „innere  Abtheilung  des  Kleinlümschenkels"  genannt  wurde.  Die  „directe'' 
sensorische  Kleinhimbahn  entspringt  aus  der  Gegend  des  Pfropfs,  der  Kugel-  und  der 
Dachkeme  mit  ziemlich  dicken  Fasern,  welche  alle  medial  vom  Corpus  dentatum 
cerebelli  liegen.  Sie  scheidet  sich  scharf  vom  spinalen  Theil  des  Corpus  restiforme, 
welcher  lateral  das  Corpus  dentatum  umgreift.  Ihre  Fasern  gelangen  bis  dicht  an 
die  vordere  Kreuzungs-Commissur   (Stilling)    des  Wurms  heran.    Ob  sie  in  diese 


—    287    — 

übergahen,  konnte  nicht  sicher  ennittelt  werden.  —  Aus  dieser  directen  sensorischen 
Kleinhimbahn  gelangt  ein  Theü  in  den  Acosticus,  ein  zweiter  steigt  weiter  vorn 
zum  Trigeminns  herab.  Ein  drittes  Bündel  wendet  sich  nach  rflchw&rts  nnd  ist  bis 
in  die  Hinterstr&nge  hinein  zu  verfolgen.  —  Auf  diesem  Wege  wird  es  dflnner  und 
ist  es  wahrscheinlich,  dass  es  Fasern  zum  Glossopharyngeus  und  Vagus  abg^ebt 
Dieses  Bfkndel,  welches  gar  nichts  mit  dem  Acusticus  zu  thun  hat,  ist  identisch  mit 
dem,  was  Boller  als  aufsteigende  Acusticus wurzel  bezeichnet  hat.  Es  ist  bei  niederen 
Thieren,  namentlich  bei  Fischen,  ausserordentlich  mächtig.  Redner  hat  deshalb  den 
betreffenden  Namen  gewählt,  weil  diese  Fasern,  ohne  in  Beziehung  zu  Nervenkemen 
za  treten,  direct  aus  dem  Kleinhirn  in  peripherische  sensorische  Nerven  übergehen.  In 
den  Verlauf  dieser  „directen"  sensorischen  Kleinhimbahn  ist  der  Deiters'sche  Kern 
eingesprengt,  dessen  Degeneration  nach  Dnrchschneidung  der  Hmterstränge  (Monakow 
mid  Vejas)  sich  jetzt  wohl  besser  als  früher  erklärt,  weil  gleichzeitig  der  hintere 
Zweig  der  „directen  sensorischen  Kleinhimbahn''  mit  durchschnitten  wird. 

Vn.   Prof.  Thomas  (Freiburg):   Ueber  einen  Fall  von  Polyneuritis. 

Ein  32jähr.  Mann  erkrankte  unter  massigen  Fieberbewegungeu  an  einer  sehr 
schmerzhaften  Affection  der  unteren  Extremitäten,  die  objectiv  eine  hochgradige  Hyper- 
ästhesie darboten.  —  Im  Verlauf  weniger  Wochen  magerte  die  Musculatur  desselben 
sehr  ab,  ein  gleiches  geschah  mit  der  rechten  oberen  Extremität,  wo  sich  ebenfalls 
Schmerzen  eingestellt  hatten.  Die  Muskeln  des  linken  Armes  und  des  ganzen  Rumpfes 
blieben  verschont  Da  sich  Patient  während  der  Beobachtung  durch  den  Vortr.  auf 
einem  kleinen  Landorte  befand,  war  eine  galvanische  Untersuchung  nicht  möglich.  — 
Der  Ham  wies  einen  Zuckergehalt  von  ^/^  ^/q  auf  während  der  ganzen  Dauer  jener 
nervösen  Störungen,  das  specifische  Gewicht  war  nicht  vermehrt,  ebensowenig  die 
Menge  desselben  gesteigert.  —  Unter  Salicyl-Behandlung  und  Faradisation  der  be- 
troffenen Muskelpartien  ging  das  Leiden  des  Fat.  vollständig  zurück.  Der  Vortr. 
fasst  dasselbe  als  eine  durch  Glykosurie  complicirte  Polyneuritis  rheumatischen 
Ursprungs  auf;  vielleicht  läset  sich  das  Zuckerharaen,  wie  Th.  meint,«  auch  durch 
einen  reichlichen  Biergenuss  erklären,  dem  Fat.  sich  einige  Zeit  vor  Beginn  seiner 
Erkrankung  hingegeben  hatte;  von  einem  wirklichen  Diabetes  kann  im  vorliegenden 
Falle  nicht  die  Bede  sein,   da  später  im  Ham  Zucker  nicht  wieder  aufgetreten  ist. 


Gesellschaft  für  Psychiatrie  und  Nervenkrankheiten  zu  Berlin.    Sitzung 
vom  7.  Juni  1886. 

Thomson  spricht  über  einen  Fall  von  isolirter  TAhmnng  des  Blickes 
nach  oben  mit  SeotionabefünoL  Der  49jährige  Kranke,  der  sonst  noch  andere 
für  multiple  Sderose  verdächtige  nervöse  Symptome  aufwies,  konnte  die  Augen  nach 
unten,  rechts  und  links  gut  bewegen,  nur  nach  oben  konnten  die  Augen  nicht  oder 
luum  ftber  die  Horizontalebene  erhoben  werden.  Bei  monoculärer  Prüfung  erwies 
sich  der  Defect  der  Aufwärtsbewegung  rechts  noch  etwas  stärker,  wie  links.  Die 
rechte  Pupille  reagirte  minimal,  die  linke  wenig,  beide  Sehnervenpapillen  waren 
etwas  blase. 

Die  Section  ergab  eine  wenig  intensive  multiple  Sderose  des  Bückenmarks  und 
seiner  Wurzeln  bis  zum  oberen  Halstheil;  von  da  aufwärts  waren  sderotische  Flecke 
nicht  nachweisbar,  es  bestand  nur  eine  starke  Ependymitis  des  4.  Ventrikels. 

Die  Nervenkeme  in  Medulla.  und  Pens,  speciell  die  Kerne  der  Oculomotorii  er- 
wiesen sich  als  gesund.  Dagegen  fand  sich  zwischen  den  Himschenkeln  gerade  an 
der  AustrittssteUe  der  Oculomotorii  eine  gummOse  Neubildung,  welche  links  nur  ober- 
flächlich, rechts  dagegen  tief  in  den  Himschenkelfuss,  die  Substantia  nigra  bis  an 
den  rothen  Kern  heran  hineingewuchert  war.  Die  Wurzelbündel  des  Nerven  sind 
links  gesund,  rechts  dagegen  hochgradig  degenerirt,  soweit  sie  die  Neubildung  passiren. 


-     288    — 

Qaerscbnitie  der  Stamme  ei^aben  rechts  eine  allgemeine  hochgradige,  links  eine 
partielle  leichte  Degeneration  der  Nerven;  die  Musculi  recti  superiores  waren  geBund, 
die  kleinen  Muskeläste  rechts  degenerirt. 

Es  handelte  sich  also  gar  nicht  um  eine  „Associationsl&hninng'S  sondern  um 
eine  rein  peripherische  Läsion  ganz  besonders  des  rechten  Oculomotorins  —  sonderbar 
erscheint,  dass  die  hochgradige  Degeneration  des  rechten  and  die  ganz  leichte  des 
linken  Nerren,  an  beiden  Augen  denselben  Bewegungsdefect  und  eben  nur  diesen 
hervorgerulen  hat  und  so  eine  Blicklähmung  vortäuschte. 

Martins  stellte  auf  Grund  eigener  Untersuchungen  und  unter  Zuhülfenahme 
der  graphischen  Darstellung  folgende  ^Gtoeetase  der  Widentandsverändeningen 
der  mensohlichen  Haut  dnroh  den  oonstanten  Strom"  auf: 

1.  Die  absolute  Grösse  der  für  ein  und  dieselbe  Stromrichtung  bei  unveränderter 
Elektrodengrösse  erreichbaren  Widerstandsverminderung  wächst  mit  der  im  Kreise 
herrschenden  elektromotorischen  Kraft,  d.  h.  mit  der  Zahl  der  angewandten  Elemente. 

2.  Diese  Widerstandsverminderung  kann  jedoch  eine  gewisse  Grenze,  die  bei 
Anwendung  mittelg^'osser  Elektroden  zwischen  3000 — 1000  Ohm  liegt,  nicht  über- 
schreiten. Ist  diese  Grenze  erreicht,  so  bringt  eine  weitere  Steigerung  der  elektro- 
motorischen Kraft  keine  weitere  Widerstandsverminderung  mehr  hervor. 

3.  Der  zeitliche  Ablauf  der  Widerstandsverminderung  ist  um  so  steiler,  je  grosser 
die  Zahl  der  Elemente  ist. 

4.  Bei  Verwendung  einer  relativ  grossen  Anode  und  einer  relativ  kleinen  Ka- 
thode erreicht  die  absolute  Grösse  der  Widerstandsverminderung  höhere  Werthe,  als 
im  umgekehrten  Falle.  Ebenso  zeigt  der  zeitliche  Ablauf  der  Widerstandsabnahme 
eine  grössere  Steilheit. 

5.  Wenn  bei  Anwendung  gleichgrosser  Elektroden  durch  den  Strom  einer  Rich- 
tung das  Widerstandsminimum  für  diesen  Strom  erreicht  isi^  so  bringt  jede  Wendung 
des  Stromes,  sei  es  die  primäre  oder  die  secundäre  (d.  h.  die  Wendung  zurück  zur 
Anfangsstellung)  in  gleicher  Weise  eine  Widerstandsverminderung  hervor,  die  jedoch 
nach  wenigen  Secunden  emem  erneuten  Anwachsen  des  Widerstandes  Platz  zu  machen 
beginnt.  Der  neue  definitive  Widerstand  wird  etwa  in  1  bis  1^/,  Minuten  erreicht. 
Durch  die  erste  Wendung  wird  der  definitive  Widerstand  absolut  herabgesetzt;  darch 
die  folgenden  Wendungen  kann  eine  weitere  Herabsetzung  des  definitiven  Wider- 
standes nicht  mehr  erreicht  werden. 

6.  Dies  letztere  Gesetz  der  Widerstandsschwankungen  bei  Wendungen  des 
Stromes  erleidet  eine  wesentliche  Aenderung,  wenn  Elektroden  von  sehr  verschiedenem 
Querschnitt  zur  Anwendung  kommen. 

Ist  bei  Verwendung  der  kleinen  Elektrode  als  Kathode  das  Minimum  des  Wider- 
standes bei  gleichbleibender  Stromrichtuug  erreicht»  so  bringt  eine  Wendung  auf  die 
Anode  eine  sehr  schnelle  (in  wenigen  Secunden  yerlanfende)  Widerstandsverminderung 
hervor,  die  alsbald  einer  beträchtlichen  definitiven  Widerstands  Vermehrung 
Platz  macht.  Die  nun  folgende  Wendung  auf  die  Kathode  (die  Bezeichnung  der 
Wendung  bezieht  sich  immer  auf  die  kleine  oder  difierente  Elektrode)  bringt  eine 
definitive  Widerstandsverminderung  hervor,  während  durch  eine  erneute  Wendung  auf 
die  Anode  der  Widerstand  wieder  einen  höheren  definitiven  Werth  erreicht,  als  er 
vor  der  ersten  Wendung  hatte  und  so  fort. 

6.  Alle  diese  durchaus  gesetzmässig  auftretenden  Erscheinungen  lassen  sich  in 
befriedigender  Weise  aus  den  von  Munk  aufgestellten  physikalischen  Gesetzen  der 
kataphorischen  Stromwirkungen  ableiten. 


Einsendungen  f&r  die  Bedaotion  sind  zu  richten  an  Prot  Dr.  E.Mendel. 

Berlin,  NW.   Kronprinzen-Ufer  7. 


Verlag  von  Vbit  &  Comp,  in  Leipzig.  —  Druck  von  Mbtzobr  &  Wirno  in  Leipzig. 


NEUROLOGISCHESCENTRALBLAn. 

Uebersicht  der  Leistungen  auf  dem  Gebiete  der  Anatomie,  Physiologie,  PatJfioiogie 
und  Therapie  des  Nervensystemes  einschliesslich  der  Geistesicranicheiten. 

Herausgegeben  von 

Professor  Dr.  E.  Mendel 
Fflnfter  "*  ^«^  Jalirgang. 

Monatlich  erscheinen  zwei  Nummern.   Preis  des  Jahrganges  16  Mark.    Zu  beziehen  durch 
alle  Buchhandlungen  des  In-  und  Auslandes»  die  Postanstalten  des  Deutschen  Kelchs»  sowie 

direct  von  der  Verlagsbuchhandlung. 

1886.  1.  Jnli.  M 13. 


Inhalt.  I.  Originalmittheilung.  1.  Muskelbefund  bei  der  juvenilen  Form  der  Dystrophia 
muBCularis  progressiva,  von  W.  Erb.  2.  Eine  einfache  elektrodiagnostische  Methode  quanti- 
tativer galvanischer  Erregbarkeitsbestimmung»  von  Ernst  Remak. 

II.  Referate.  Anatomie.  1.  Sulla  fina  anatomia  degli  organi  centrali  del  sistema 
nervöse»  del  Golgl.  —  Pathologie  des  Nervensystems.  2.  Sur  une  forme  particuliäre 
d'atrophie  musculaire  progressive  souvent  familiale  a^butant  par  les  pieds  et  les  jambes  et 
attcignant  plus  tard  les  mains,  par  Cliarcot  et  INarle.  8.  Neuro-  und  myopathologische  Mit- 
theüungen  aus  der  Erlanger  med.  Klinik  von  Penzoldt  u.  Kreske.  4.  Primary  spastic  paralysis 
and  pseadohypertrophic  paralysis  in  diiferent  meinbers  of  tbe  same  family,  with  probable 
heremty  in  both,  by  Philip.  5.  De  l'atropbie  musculaire  dans  les  paralysies  hysteriques,  par 
Babinski.  6.  Sanitats-Bericht  ttber  die  deutschen  Heere  Im  Kriege  gegen  Frankreich  1870/71. 
VIL  Band:  Erkrankungen  des  Nervensystems.  (Scbloss.)  —  Psychiatrie.  7.  Quelques 
dounäes  cliniques  concemant  les  relations  existant  entre  repilepsie  et  Tidiotie,  par  Ingels. 
—  Therapie.  8.  Welche  Bedeutung  können  wir  der  Weir  Mitchell  Playfair'schen  Kur 
beilegen?  von  Leyden. 

III.  Aus  4en  eesellschafte«.  XI.  Wanderversammlung  sfid westdeutscher  Neurologen  und 
Irrenarzt«  zu  Baden-Baden.    (Fortsetzung.)  —  Soci^tä  de  biologie  a  Paris. 

VI.  Personalien. 
V.  Vermischtes. 

I.  Originalmittheilungen. 


1.   Muskelbefnnd  bei  der  juvenilen  Form  der  Dystrophia 

muscularis  progressiva. 

Nach  einem  Vortrag,  gehalten  auf  der  XI.  Wanderversammluug  der  süd west- 
deutschen Neurologen  und  Irrenärzte  in  Baden-Baden  am  22.  u.  23.  Mai  1886. 

Von  W.  Brb. 

Vor  einigen  Jahren  habe  ich  auf  Grund  eigener,  relativ  zahlreicher  Be- 
obachtungen versucht,  eine  Neuordnung  der  unter  dem  Namen  „progressive 
Muskelatrophie"  noch  immer  zusammengefassten  verschiedenartigen  Krankheits- 
formen zu  machen.*  Alle  seither  von  mir  selbst  gemachten  weiteren  Beobach- 
tungen haben  lediglich  dazu  gedient,  mir  die  Richtigkeit  der  damals  vorgetragenen 


1  W.  Ebb,  Über  die  juvenile  Form  der  progress.  Mnskelatrophie  nnd  ibre  Beziehungen 
zur  sog.  Pseudobypertrophie  der  Muskeln.    Deutsch.  Arch.  f.  klin.  Med.  1884.  Bd.  34.  S.  467. 


—    2Ö0    — 

Anschaaungen  zu  erweisen  und  ich  habe  die  grosse  Befnedigung  zu  sehen,  dass 
dieselben  anch  fast  allgemein  acoeptirt  worden  sind  nnd  dass  &st  alle,  den 
Gegenstand  seither  behandelnden  Autoren  die  von  mir  gegebene  Eintheilung 
nnd  Zosammenfassnng  den  klinischen  nnd  anatomischen  Thatsachen  entsprechend 
gefanden  haben. 

Gegenüber  den  Formen  von  progressiver  Mnskelatrophie,  welche  durch 
Erkranlning  der  grauen  Yordeisäulen  des  Rückenmarks  bedingt  sind  nnd  für 
welche  ich  den  Namen  der  Amyotrophia  spinalis  progressiva  gewählt 
habe,  habe  ich  unter  dem  Namen  der  Dystrophia  muscularis  progressiva^ 
einerseits  die  schon  längst  bekannte  „Pseudohypertrophia  muscivians  infantum" 
und  die  von  Letben'  angestellte  „hereditäre  Muskelatrophie",  andererseits  die 
von  mir  aufgestellte  und  beschriebene  ,Juvenile  Muskelatrophie"  zusammengeÜEisst 
Dass  dazu  auch  noch  die  von  Duchenne'  zuerst  beschriebene  „Atroph.  muscuL 
progressive  de  Tenfance"  gehört,  kann  nach  allen  neueren  Arbeiten  über  diesen 
G^enstand^  nicht  wohl  zweifelhaft  sein  —  trotz  der  Auseinandersetzungen  von 
Landouzy  und  Dejebine. 

Wie  aus  der  sehr  verdienstlichen  Zusammenstellung  in  der  Monographie 


^  Trotz  der  von  verBchiedenen  Seiten  gemachten  Einwände  gegen  die  Wahl  dieser  Be- 
zeichnung kann  ich  doch  nicht  zugeben,  dass  irgend  eine  andere  glücklicher  wäre.  Ver- 
gebens habe  ich  mich  bemfiht,  ein  Wort  za  finden,  das  die  Mannigfaltigkeit  des  anatomischen 
Qeschehens  in  den  Muskeln:  —  Hypertrophie  und  Atrophie  der  Muskelfasern,  Kemvermehrung, 
Vacuolenbildung  und  Spaltungsvorgange  in  denselben,  Hyperplasie  des  Bindegewebes  und 
Lipomatose!  —  kürzer  nnd  zutreffender  bezeichnete  als  „Dystrophie"  =:  Miss -Ernährung, 
„falsche**  Ernährung  (analog  der  „Dyscrasie").  Die  französische  „Myopathie**  ist  doch  noch 
viel  weniger  präcis  und  der  von  Fb.  Sohultzb  vorgeschlagene  „primäre  progressive  Muskel- 
schwund mit  Hypertrophie'*  dürfte  schon  seiner  Länge  wegen  wenig  Anklang  finden.  Ich 
möchte  also  bitten,  den  Namen  „Dystrophia  muscularis  progressiya*'  für  diese  Erankheits- 
form  bis  auf  Weiteres  beizubehalten.  Es  kommt  ja  doch  schliesslich  nur  darauf  an  zu 
wissen,  was  man  unter  einem  solchen  Namen  versteht  —  und  das  ist  hier  ja  scharf  genug 
präcisirt  —  und  keineswegs,  dass  derselbe  nun  das  ganze  Wesen  und  die  systematische 
Stellung  des  Leidens  erschöpfend  bezeichnet.  Bei  einer  Krankheit,  über  deren  eigentliches 
Wesen  wir  zur  Zeit  ja  noch  ganz  unklar  sind ,  ist  das  überhaupt  gar  nicht  möglich. 

Auf  das  Adjectiv  ,Juvenil",  welches  ich  der  einen  Unterart  dieser  „Dystrophie"  bei- 
gelegt habe,  und  welches  verschiedentlich  MissfaUen  erregt  zu  haben  scheint,  lege  ich  keinen 
besonderen  Werth,  um  so  weniger,  als  der  heute  mitzutheilende  Fall  ja  gegen  dasselbe 
spricht.  Bis  jetzt  weiss  ich  aber  auch  noch  nichts  Besseres,  um  diese  Unterart  prägnant 
zu  bezeichnen. 

'  Lbtdbn,  Klinik  der  Bückenmarkskrankheit.  1876.  II.  S.  525. 

>  DuoHBNirs  (de  Boulogne).    Electrisation  localis^.  1872.  8.  6d.  p.  518. 

^  £.  Bbmax,  Ueber  die  gelegentliche  Betheiligung  der  Gesichtsmuskeln  bei  der  juvenilen 
Form  etc.  NeuroL  CentralbL  1884.  Nr.  15.  —  Mossdorf,  Ein  2.  Fall  von  Betheiligung  der 
Gesichtsmuskeln  bei  der  juvenilen  Muskelatrophie,  ibid.  1885.  Nr.  1.  —  Lakdoüzt  et  Dbjebdib, 
De  la  myopathie  atroph,  progressive.  Bevue  de  M^d.  1885.  F^vr.-Avril.  —  Chaboot,  Bevision 
noBograph.  des  atrophies  muscul.  progress.  Progräs  mÖd.  1885.  Nr.  10.  —  P.  Mabib  et  G. 
GuiNON,  Formes  cliniques  d.  1.  myopathie  progress.  primitive  etc.  Bev.  de  M^d.  1885.  OcL 
—  A.  Kbbokb,  Ueber  die  myopathische  Form  der  progr.  Muskelatrophie  mit  Betbeiligung 
der  Gesichtsmuskeln.    Münchener  med.  Wochenschr.  1886.  Nr.  15. 


—    291    — 

von  Fb.  Sohültzb^  hervorgeht ,  besitzen  wir  zwar  von  der  sog.  Pseudohyper- 
trophie  der  Muskehx  schon  recht  zahlreiche  anatomische  Untersuchungen,  sehr 
wenige  dagegen  nur  von  meiner  sog.  juvenilen  Form  der  Muskelatrophie.  Ausser 
einigen  älteren,  sehr  unvollständigen  Beobachtungen,  ausser  dem  bekannten,  in 
seiner  klinischen  Stellung  jedoch  nicht  ganz  sicheren,  Falle  von  Liohtheim' 
und  der  von  Laiibouzy-Dejbbine  in  ihrer  Monographie  (1.  c.)  beschriebenen 
Beobachtung  von  hereditärer  (DüCHENKE'scher)  Myopathie,  ist  es  eigentlich  nur 
der  von  Fb.  Schxjltzx:  selbst  soeben  publicirte  Fall  aus  der  Heidelberger  Klinik, 
welcher  mit  allen  Hülfsmitteln  der  modernen  Technik  und  nach  allen  Richtungen 
hin  untersucht  wurde,  und  auch  diesen  Fall  —  den  ich  übrigens  ebenfalls  zu 
meiner  ,JuYenilen^^  Form  zu  stellen  sehr  geneigt  bin  —  bietet  mancherlei  Eigen- 
thümlichkeiten  und  kam  erst  nach  so  langem  Bestände  des  Leidens  zur  Unter- 
suchung, dass  er  nicht  wohl  nach  allen  Seiten  entscheidende  Befunde  liefern 
konnte.  —  Jedenfalls  war  es  wünschenswerth,  in  einem  typischen  und  zweifel- 
losen Fall  von  meiner  ,Juvenilen  Form''  einmal  die  Muskeln,  besonders  in  den 
früheren  Stadien  der  Krankheit,  genauer  zu  untersuchen  und  den  Befund  zu 
vergleichen  mit  den  Muskelbefunden  bei  der  Pseudohypertrophie  und  bei  der 
hereditären  Muskelatrophie. 

Gelegenheit  dazu  bot  sich  in  dem  folgenden  Falle  von  ausgesprochner 
juveniler  Muskelatrophie,  welchen  ich  jüngst  beobachtete  und  bei  welchem 
es  möglich  war,  aus  zwei  Muskeln  in  relativ  frischem  Stadium  der  Erkrankung 
Stacke  zu  excidiren  und  genauer  zu  untersuchen.' 

Ignaz  Wolf,  41  Jahr,  Metzger  aas  Böhmen,  in  meiner  Klinik  vom  19.  Febr. 
bis  18.  März  1886. 

In  der  Familie  nichts  Aehnliches,  keine  Heredität 

Frühere  Krankheiten:  Conjunctivitis,  Typhus,  Bahr,  Carbnnkel,  Hämorrhoiden. 
Nie  Syphilis.  —  Im  Alter  von  34  Jahren  Sturz  in  einen  Steinbruch,  ca.  60  Fass 
hoch  hinab;  ein  Stein  fiel  ihm  dabei  noch  in's  Kreuz;  war  bewosstlos,  lag  6  Wochen 


^  Fb.  Schultzb,  Üeber  den  mit  Hypertrophie  verbundenen  progressiven  Muskelschwund 
und  ähnliche  Krankheitsformen.    Wiesbaden  1886. 

'  LiCHTHSiM,  Progr.  Muskelatrophie  ohne  Erkrankung  der  Vorderhömer  des  Bücken- 
marks.   Arch.  £.  Psych,  u.  Nerv.  1878.  VIII. 

*  Wenn  mich  nicht  alles  tauscht,  ist  dies  derselbe  Fall,  welchen  Prof.  Pbnzoldt  jüngst 
als  „Uebergangsform  der  Dystroph,  muscul.  progr.  Ebb's"  beschrieben  hat  (Münchn. 
med.  Wochenschr.  1886.  Nr.  14—16),  die  Personalien  und  die  Anamnese  stinunen  wenigstens 
genau  überein.  Dagegen  ersehe  ich  aus  der  Beschreibung  des  Falles,  dass  zur  Zeit,  als 
Penzoldt  den  Kranken  sah,  eine  Reihe  von  Veränderungen  noch  nicht  vorhanden  zu  sein 
schien,  welche  jetzt  unzweifelhaft  vorhanden  waren  und  welche  den  Fall  nicht  als  eine 
Uebergangsform,  sondern  als  eine  ganz  typische  reguläre  Dystrophie  (juvenile 
Form)  erscheinen  lassen,  bei  welcher  lediglich  der  späte  Beginn  des  Leidens  abweichend  ist. 
Wie  aus  meiner  Beschreibung  hervorgehen  wird,  ist  der  Deltoideus  nicht  theilweise  hoch- 
gradig atrophisch,  er  ist  nicht  lipomatds;  die  Gucullares,  die  Bhomboidei,  die  Sapinatores, 
die  Gesäss-  und  Oberschenkelmuskeln  sind  nicht  frei,  sondern  z.  Th.  recht  erheblich  er- 
krankt! Es  ist  nicht  angegeben,  zu  welcher  Zeit  der  Kranke  in  Erlangen  war  —  aber  es 
ist  schwer  anzunehmen,  dass  seitdem  so  erhebliche  Veränderungen  mit  ihm  sollten  vorge- 
gangen sein,  wie  sie  sieh  aus  der  Differenz  unserer  Beschreibungen  ergeben. 


—    292    — 

im  Spital,  (ohne  Fractarl),  konnte  anfangs  nor  schwer  geben,  nach  weiteren  4  bis 
5  Wochen  aber  wieder  arbeiten. 

Ca.  1 — IV2  Jahre  später  (Angaben  darüber  nicht  ganz  zuverlässig)  Beginn 
des  jetzigen  Leidens  mit  Schwäche  in  den  Schultern  (die  früher  entschieden 
nicht  bestanden  zu  haben  scheint),  Abmagerung  der  Oberarme,  Herabsinken  der 
Schultern,  beschränkter  Gebrauchsfähigkeit  der  Arme. 

Seit  3  Jahren  auch  Spannungsgefühl  und  Ermüdung  der  Beine;  weiterhin 
Abmagerung  der  Oberschenkel.  Bei  längeren  Anstrengungen  schmerzhaftes  Er- 
müdungsgefühl in  den  Beinen. 

Sonst  nie  Schmerzen  in  den  Armen  oder  Beinen  oder  im  Bücken;  keine  Parasthe- 
sien,  keine  Zuckungen  oder  Steifheit;   das  ganze  Nervensystem  vollkommen  normal. 

Status.  Der  Kranke  zeigt  ganz  das  typische  Bild  der  juvenilen  Dystrophie, 
das  auf  Photographien  plastisch  hervortritt. 

Gesicht,  Kaumuskeln,  Zunge,  Gehirn  und  Himnerven  frei.  —  AufiEallend  vor 
allem  die  Deformität  und  abnorme  Haltung  der  Schultern.  Eine  kurze  Skizze  der 
Muskel  Veränderungen  mag  hier  genügen.  Obere  Körperhälfte:  Atrophisch  und 
paretisch  sind:  die  Pectorales  (bis  auf  kleine  Reste  des  Glavicularbündels),  Cucul- 
lares  (bis  auf  schwache  oberste  Bündel),  Rhomboidei,  Seirati  antic.  maj.,  Latissimi 
(vollständig  fehlend),  Bicipites  und  Brachiales  intemi,  Supinatores  long!  (vollständig 
fehlend),  Tricipites  (z.  Th.  lipomatös  resp.  hypertrophisch),  die  Rückgratstrecker  (in 
massigem  Grade). 

Hypertrophisch  sind:  die  Deltoidei  (sehr  hochgradig  und  in  ihrer  ganzen 
Auedehnung,  nur  die  hinteren  Bündel  etwas  schlaffer  als  die  vorderen),  die  Flexoren 
am  rechten  Vorderarm,  die  Supra-  und  Infraspinati  (in  geringem  Grade),  vielleicht 
auch  die  Subscapulares  und  Teretes  (in  geringem  Grade). 

normal  sind  die  Levatores  scapulae,  Stemodeidomast.,  die  noch  nicht  erwähnten 
Vorderarm-  und  alle  Handmuskeln. 

Untere  Körperhälfte.  Gang  leicht  wackelnd,  geringe  Lordose  der  Lenden- 
gegend. —  Rückenmuskeln  etwas  geschwächt,  Bauchmuskeln  kaum. 

Atrophisch  sind  die  linken  Oberschenkel-  und  die  rechtseitigen  Gesässmnskeln 
(in  geringem  Grade,  linker  Oberschenkel  unten  ca.  2  cm  dünner  als  der  rechte), 
vielleicht  auch  der  rechte  Tibialis  anticus. 

Normal  der  Tensor  fasciae  (etwas  hypertrophisch?),  Unterschenkel-  und  Fuss- 
muskeln. 

Sensibilität  überall  normal;  Hautreflexe  normal.  Sehnenreflexe  vor- 
handen, aber  schwach,  Tricepsreflex  fehlt.     Sphincteren  normal 

Keine  fibrillären  Zuckungen  (wurden  während  des  4w6chentlichen  Aufent- 
halts nie  bemerkt). 

Die  Muskeln  zeigen  bei  der  Palpation  das  gewöhnliche  Verhalten;  ihre  mecha- 
nische und  elektrische  Erregbarkeit  ist,  ihrem  Volumen  entsprechend,  ein- 
fach herabgesetzt;  keine  EaR. 

Innere  Organe,  Harn  etc.  normal. 

Am  12.  März  wird  dem  Kranken  (durch  Herrn  Dr.  Oehle)  ein  Stückchen 
Muskel  aus  dem  (stark  hypertrophischen)  rechten  Deltoidens  und  ein  solches 
aus  dem  (massig  atrophischen)  rechten  Biceps  brachii  excidirt  Härtung  in 
Müller'scher  Flüssigkeit,  dann  in  Alcohol,  Einbettang  in  Oelloidin,  Anfertigung 
von  Quer-  und  Längsschnitten,  Färbnng  mit  Alaoncarmin  oder  —  da  diese 
nicht  durchweg  gut  gelang  —  Doppelfarbung  mit  Eosin-Hämatoxylin.  —  Das 
Ergebniss  der  mikroskopischen  Untersuchung  ist  —  in  kurzer  vorläufiger  Mit- 
theilung —  folgendes: 


—    298    — 

Muse,  deltoideus  (stark  hypertrophisch).  Querschnitte:  Muskel- 
fasern fast  alle  erheblich  hypertrophisch,  nur  vereinzelte  atrophische 
darunter.  Durchmesser  von  15 — 170  fi;  mehr  als  die  Hälfte  der  Fasern  hat 
über  100  /u  (Normalzahlen  40 — 60^,  Grenz werthe  15—75  .a).  —  Die  zehn 
grossten  Fasern  zeigten  130—170  fi,  die  zehn  kleinsten  15 — 40  fi.  —  Die  Yer- 
theilung  der  Fasern  auf  dem  Querschnitt  ist  unregelmassig;  an  einzelnen 
SteUen  finden  sich  die  kleineren  reichlicher.  Sie  zeigen  vielfach  eine  mehr 
rundliche,  nicht  die  normale  scharfeckige  Form  und  stehen  weiter  von 
einander  ab,  als  normal  —  besonders  die  mittleren  und  kleineren  Fasern. 

Die  Querschnittszeichnung  ist  gleichmässig,  kleinkörnig,  mit  Spältchen  und 
Rissen  versehen.  Es  zeigt  sich  erhebliche  Eernvermehrung  —  im  Mittel 
ca.  6  Kerne  pro  Faser  (normal  1,8  pro  Faserquerschnitt);  auch  finden  sich 
relativ  viele  Fasern  (ca.  22  ^/o)  mit  central  gel^enen  Kernen,  nicht  mit  bloss 
randstandigen. 

Einzelne  Fasern  zeigen  auch  die  von  Cohnheim^  und  Knoll*  schon  be- 
schriebenen Formen,  die  auf  Spaltungsvorgänge  in  den  Muskelbündeln  hin- 
weisen. Einige  wenige  zeigen  auch  deutliche  Vacuolenbildung  in  ihrem 
Innern,  wie  sie  Fb.  Sohxtltze'  jüngst  in  seinem  Falle  und  wie  ich  selbst  sie 
bei  der  Thomsen'schen  Krankheit  beschrieben  habe.^ 

Das  Bindegewebe  ist  entschieden  vermehrt,  wenn  auch  nur  massig; 
nur  an  einzelnen  Stellen  erheblicher,  mit  breiten  welligen  Faserzügen;  sein 
Eernreichthum  ist  grösser  als  normal,  an  einzelnen  Stellen  finden  sich 
Eernanhaufungen.  Die  Gefässe  zeigen  vielfach  etwas  verdickte  und  kern- 
reichere Wandungen.  Yon  Lipomatose  ist  keine  Bede;  nur  an  wenigen  Stellen 
finden  sich  einige  Fettzellen  neben  den  Oefassen. 

Längsschnitte:  Auch  hier  erhebliche  Verbreiterung  der  Fasern; 
vorwiegend  Längsstreifung  mit  Spältchenbildung  an  denselben,  viel&ch  aber 
auch  deutliche  feine  Querstreifung.  —  Nirgends  fettige  oder  körnige  Degeneration, 
nirgends  Zerfall  unter  Bildung  von  Kemhaufen.  —  An  2  Fasern  Andeutung 
von  Vacuolenbüdung.  —  Erhebliche  Kernvermehrung,  zahlreiche  Kem- 
zeüenvon  10— 30  Kernen.  —  Bindegewebe  reichlich,  kemreich;  Gefasse  verdickt. 

Muse,  biceps  brachii.  Längsschnitte  verhalten  sich  ganz  ebenso  wie 
am  Deltoideus:  Faserverbreiterung,  Kemreichthum,  massige  Bindegewebsvermeh- 
rung  etc. 

Querschnitte:  Hier  lassen  sich  2  Bündel  unterscheiden,  von  welchen  das 
eine  das  weiter  fortgeschrittene  Stadium  des  Leidens  darzustellen  scheint. 

Grenzwerthe.        Grösste  Fasern.        Kleinste  Fasern. 
Abtheilung  I:     15—160  fi  140—160  fi  15—40  fi 

Abtheüungn:    15— 140  jii  125—140^  15— 35  ju. 


*  CoHNHBiM,  Verb,  der  Berl.  med.  Gesellsch.  1866.  IL 

'  Kkoll,  üeber  Paralysis  pseudohypertrophica.    Wiener  med.  Jahrb.  1872.  S.  1. 

>  1.  c.  S.  17  ff. 

^  W.  E&B,  Die  Thomsen'sche  Krankheit  (Myotonia  congenita).    Leipzig  1886.  S.  92. 


—    294    — 

Die  Kemvermehrung  ist  bei  beiden  Abfheilungen  sehr  erheblich,  bei  I  mehr 
als  7  Kerne  durchschnittlich  pro  Faserquerschnitt,  bei  11  ca,  6  Kerne. 

Die  Abtheilung  I  sieht  ziemlich  ebenso  aus,  wie  der  Deltoideus:  erheb- 
liche, ziemlich  gleichmassige  Hypertrophie  der  Fasern,  betrachtliche  Kern- 
vermehrung, Spaltungsvorgänge,  auch  deutliche  Yacuolenbildung.  Die 
einzelnen  Fasern  ziemlich  dicht  beisammenstehend;  Bindegewebe  wenig  ver- 
mehrt, etwas  kemreicher;  Oefasse  etwas  verdickt,  mit  kemreichen  Wandungen. 

Die  Abtheilung  II  zeigt  viel  ungleichmässigere  Fasern,  nicht  mehr 
so  viele  hypertrophische,  sondern  auch  sehr  viel  kleinere;  die  einzelnen  Fasern 
stehen  sehr  viel  weiter  auseinander,  sind  mehr  rund.  Sie  zeigen 
Spaltungsbilder;-  Vacuolen  fand  ich  bis  jetzt  hier  nicht.  —  Das  Binde- 
gewebe ist  erheblich  vermehrt,  kernreich,  zartfaserig,  wellig;  an  einzelnen 
Stellen  reichliche  Kemanhäufungen.  Oefasse  verdickt;  einzelne  Fettzellen,  keine 
eigentliche  Lipomatose. 

Beim  Vergleich  mit  Präparaten  aus  dem  Gastrocnemius  und  Infraspinatus 
eines  Falles  von  infantiler  Pseudohypertrophie,  welche  ich  in  Strassburg  demon- 
strirt  habe,^  zeigte  sich  in  allem  Wesentlichen  an  den  Muskelfasern  die  grosste 
Uebereinstimmung  (Hypertrophie,  Atrophie,  Kernvermehrung,  Spaltbildung,  auch 
Yacuolenbildung,  wie  ich  zur  Ergänzung  des  von  Schültze  1.  c.  S.  23  Gesagten 
jetzt  hinzufQgen  kann),  nur  war  bei  diesem  Fall  die  Bindegewebsvermehrung 
eine  viel  erheblichere,  als  in  dem  vorliegenden;  vielleicht  ein  vorgeschritteneres 
Stadium  des  Leidens? 

Beim  Vergleich  mit  den  Thomsen'schen  Muskeln  ^  zeigte  sich  auf  den  ersten 
Blick,  besonders  für  die  Deltoideuspräparate,  eine  sehr  grosse  Aehnlichkeit  Die 
Unterschiede  bestehen  darin,  dass  bei  der  Thomsen'schen  Krankheit  die  Hyper- 
trophie der  Fasern  viel  gleichmässiger  und  noch  hochgradiger,  der  Kernreichthum 
grosser,  das  Bindegewebe  spärlicher  und  kernärmer  ist,  dass  keine  Spaltbildungen 
und  keine  Faseratrophie  vorkommen« 


Fasse  ich  das  Gesagte  zusammen,  so  handelt  es  sich  hier  offenbar  um 
relativ  frühe  Stadien  der  Muskelveränderung  in  einem  unzweifelhaften  Fall  von 
Dystrophia  muscularis  progressiva  beim  Erwachsenen.  Prägnant  hervortretend 
ist  dabei  die  Thatsache,  dass  die  Veränderungen  an  den  Muskelfasern 
selbst  erheblich  in  den  Vordergrund  treten,  während  die  Bindegewebs- 
vermehrung sehr  zurücktritt.  Besonders  ist  die  fast  alle  Fasern  betreffende 
Hypertrophie  zu  betonen,  dann  die  Kemvermehrung,  die  Theilungsvorgänge 
und  die  Vacuolenbildung  an  den  Muskelfasern.  Es  darf  nach  den  vorliegenden 
Befunden  vermuthet  werden,  dass  es  im  späteren  Verlauf  des  Leidens  an  den- 
selben Muskelfasern  zu  einfacher  Atrophie  kommt,  während  fettige  und 
sonstige  Degenerationen  der  Muskelfasern  vermisst  werden.  — 


^  Tageblatt  der  58.  Versammlung  deutscher  Naturforscher  und  Aerzte  in  Strassburg. 
1885.  S.  508. 

*  Ebb,  Die  Thomsen'sche  Krankheit.  1.  c.  S.  83  ff. 


—    295    — 

Es  besteht  ja  gleichzeitig  eine  unzweifelhafte  Yennehrung  des  interstitiellen 
Bindegewebes,  bei  Verdickung  der  Gefasse  und  massigem  Kemreichthum.  Die- 
selbe tritt  jedoch  sehr  zurück  und  bildet  jedenfalls  nicht  das  Wesentliche  des 
Processes;  und  Ton  Lipomatose  endlich  ist  hier  gar  keine  Bede.  Es  kann  somit 
ganz  gewiss  nicht  daran  gedacht  werden,  dass  in  diesem  Falle  durch  die 
Wucherung  des  Binde-  und  Fettgewebes  etwa  erst  secundär  die  Muskelfasern 
afficirt  und  in  „tödtlicher  Umarmung  erstickt  würden".  Offenbar  liegen  da 
ganz  andere  „trophische"  Störungen  vor,  die  in  erster  Linie  an  den  Muskelfasern 
einsetzen,  deren  Wesen  und  Geschehen,  deren  Verursachung  besonders  uns  zur 
Zeit  aber  noch  recht  wenig  bekannt  sind. 

Natürlich  weiss  ich,  dass  mit  dieser  Untersuchung  zweier  mandelgrosser 
Muskelstückchen  eine  entscheidende  Beantwortung  der  hier  sich  aufdrangenden 
Fragen  nicht  versucht  werden  darf;  immerhin  dürften  aber  auch  diese  Frag- 
mente für  die  Beurtheilung  des  ganzen  Erankheitsvorganges  nicht  ganz  werth- 
los  sein  und  jedenfalls  zeigen  dieselben  eine  weitgehende  Uebereinstimmung  der 
Muskelbefunde  bei  der  ,,juvenilen  Dystrophie"  und  bei  der  „infantilen  Pseudo- 
hypertrophie". 

Einer  meiner  Schüler  hat  die  weitere  und  eingehendere  histologische  Durch- 
arbeitung und  die  speciellere  literarische  Verwerthung  dieses  Falles  übemonmien. 


2.  Eine  einfache  elektrodiagnostische  Methode  quantitativer 

galvanischer  Erregbarkeitsbestimmung. 

Von  Dr.  Ernst  Bemak,  Frivatdocent  in  Berlin. 

Die  gangbare  Methode  der  quantitativen  Bestimmung  der  galvanischen  Er- 
regbarkeit der  motorischen  Nerven  und  Muskeln  besteht  bekanntlich  darin,  bei 
allmählicher  möglichst  proportionaler  Steigerung  der  Stromstärke  (durch  den 
Elementenzahler  oder  den  Rheostaten)  und  damit  auch  der  nicht  nur  von  dieser, 
sondern  auch  vom  Elektrodenquerschnitt  abhängigen  Stromdichte  zunächst  das 
Contractionsminimum  (die  Minimalzuckung)  bestimmter  Phasen  des 
Zuckungsgesetzes,  meist  nur  der  EaSZ,  zu  ermitteln  und  alsdann  den  dazu 
nöthigen  Schwellenwerth  des  Reizes  am  Galvanometer  zu  messen.^  Obgleich 
nach  der  Einführung  der  absoluten  oder  Einheitsgalvanometer  und  der  EBB'schen 
Normalelektrode  (vgl.  dieses  Centralbl.  1886  Nr.  1)  diese  Methode  zu  viel  besser 
vergleichbaren  Resultaten  führt,  haften  ihr  doch  einige  üebelstände  an,  welche 
die  ermittelten  Zahlenbestimmungen  anfechtbar  machen.  Wenn  nämlich  nach 
V.  ZiEMSSEN  und  Erb  zur  Schonung  des  Galvanometers  die  Minimalzuckung 
zunächst  bei  Ausschaltung  des  letzteren  (durch  den  guten  Nebenschluss  eines 
Schlüssels)  aufgesucht  wird,  so  verändert,  wie  mir  schon  längere  Zeit  bekannt 


>  Vgl.  y.  ZiBMSSBN,  Die  Elektricität  in  der  Medicin.  1885.  4.  Aufl.  IL  S.  14.  —  Erb, 
Handbuch  der  Elektrotherapie.  1886.  2.  Aufl.  S.159.  —  E.  Kemak,  Elektrodiagnostik.  ]V. 
1.  B.  S.  28  des  S.-A.  aus  der  Realencyklopädie.  18S6.  2.  Aufl. 


** 


—    296    — 

war,  und  F.  Mabtius  in  einem  am  7.  Juni  d«  J.  in  der  hiesigen  Gresellschaft 
for  Psychiatrie  gehaltenen  Vortrag  ansfohrlich  belegt  hat,  die  nachheiige  Ein- 
schaltong  des  Galvanometerwiderstandes  von  471  Ohm  des  HiBSCHMAKi^schen 
oder  330  Ohm  der  empfindlichsten  Anordnung  des  grossen  EDELMAim'schen 
Einheitsgalvanometers  nicht  unwesentlich  die  Stromstärke,  so  dass  also  der 
gemessene  Strom  schon  darum  nicht  mehr  der  für  die  Minimal- 
zuckung (ohne  Galvanometer)  verwendete  ist  Aber  auch  wenn  man 
die  Gkdvanometemadel  schon  während  der  Aufsuchung  der  Minimalzuckung  frei 
schwingen  lässt  oder  die  eben  angeführte  Fehlerquelle  dadurch  vermeidet»  dass 
der  das  Galvanometer  ausschaltende  Nebenschluss  genau  seine  Widerstände  ent- 
hält, so  bedingen  die  längst  bekannten,  von  mir^  schon  vor  längerer  Zeit  stu- 
dirten  von  der  Einwirkung  des  ruhenden  galvanischen  Stromes  selbst  abhängigen 
Widerstandsveränderungen  der  Haut,  welche  nach  den  eingehenden  Untersuch- 
ungen von  GlBTmsB^  und  Jolly'  ungeahnt  schnell  und  erheblich  namentlich 
in  den  ersten  SO  Secunden  nach  dem  Stromesschluss,  also  in  der  bis  zur  Be- 
ruhigung der  Galvanometemadel  mitunter  verfliessenden  Zdt  erfolgen,  dass  die 
Messung  um  so  ungenauer  wird,  je  langsamer  die  Dämpfung  eintritt. 

Gäbtkeb^  und  Stintzing^  haben  in  verschiedener  Weise  diese  Fehlerquelle 
elektrodiagnostischer  Messung  zu  vermeiden  gesucht,  ersterer  durch  Verwendung 
einer  besonderen  Pendelvorrichtung  mit  nur  V4  Secunde  währender  und  dennoch 
exact  am  Spiegelgalvanometer,  neuerdings  auch  am  Edelmann'schen  Horizontal- 
galvanometer messbarer  Stromschliessung,  letzterer  durch  ausschliessliche  Be- 
nützung des  innerhalb  5  Secunden  völlig  gedämpften  Edelmann'schen  Galvano- 
meters. Beide  Autoren  sind  von  der  ausschliesslichen  Verwendbarkeit  ihrer 
Methoden  zu  wissenschaftlich  brauchbaren  Besultaten  gleich  überzeugt,  und  wird 
namentlich  von  SriNTzma  die  Brauchbarkeit  aller  anderen  absoluten  Galvano- 
meter zu  publicistisch  verwerthbaren  Messungen  rundweg  in  Abrede  gestellt 

Es  muss  unumwunden  anerkannt  werden,  dass  durch  diese  Arbeiten  die 
elektrodiagnostische  Methodik  am  Lebenden  zu  rein  wissenschaftlichen  Zwecken 
erheblich  gefordert  worden  ist,  namentlich  für  Laboratorien  und  Listitute,  in 
welchen  die  sichere  Function  der  Apparate  und  die  vor  Erschütterungen  und 
anderen  Störungen  völlig  gesicherte  Aufstellung  der  Messinstrumente  gewähr- 
leistet ist.  Dennoch  wird  für  die  weniger  günstigen  Verhältnisse  stark  besuchter 
Ambulanzen  die  Frage  berechtigt  sein,  ob  es  unumgänglich  ist,  dass  unter 
Umständen  die  Untersuchung  zahlreicher  noch  wartender  Patienten  im  eigent- 
lichsten Sinne  des  Wortes  an  einem  Coconfaden  hängt,  und  ob  nicht  durch 
resistentere  absolute  Galvanometer,   insbesondere    das   für   die    therapeutische 


1  Deutsches  Arch.  f.  klin.  Med.  1876.  XYIU.  Bd.  S.  286  u.  ff. 

*  Wiener  med.  Jahrbücher.  1882.  4. 

'  UntersnchnngeD  über  den  elektrischen  Leitangswiderstand  des  menschlichen  Kdrpen. 
Strassbnrg  1884. 

«  Wiener  med.  Jahrbücher.  1885.  S.  389  und  1886.  S.  161—166. 

"'Stintzikq,  Ueber  elektrodiagnostische  Grenzwerthe.  Deutsches  Arch.  f.  klin.  Med. 
1886.  XXXIX.  Bd.  S.  76—139. 


—    297    — 

Stromdosirang  allseitig  bewahrt  gefandene  Hirschmann'sche  absolute  Yertical- 
galvanometer  bei  entsprechender  Methodik  ebenfalls  praktisch  branchbare 
Messresnltate  erzielt  werden  können,  zumal  es  in  hohem  Orade  wünschenswerth 
sein  wird,  denselben  Messapparat  zu  diagnostischen  und  zu  therapeutischen 
Zwecken  yerwenden  zu  können. 

Bereits  1876  habe  ich^  hervorgehoben,  dass  die  damals  von  mir  beschriebene, 
1880  in  der  Real-Encyklopädie  etwas  modificirt  abgebildete  Apparatenanordnung, 
bei  welcher  ein  Eurbelrheostat  in  der  Nebensohliessung  eingeschaltet  ist,  wäh- 
rend der  menschliche  Körper  und  das  Galvanometer  sich  im  anderen  Strom- 
zweige befinden,  durch  den  breiten  Spielraum  der  im  Rheostaten  leicht  thun- 
iichen  Abstufungen  es  gestattet,  in  jedem  Eörpertheil  zu  jeder  Zeit 
unabhängig  von  seinen  Leitungswiderständen  durch  Herbeiführung 
des  gewünschten  Nadelausschlags  irgend  eine  beliebige  Stromstärke 
herzustellen.  In  der  That  kann  sich  jeder  Inhaber  meines  durch  Einfagung 
des  Hirschmann'schen  absoluten  Galvanometers  in  der  2.  Auflage  der  Real- 
Encyklopädie  verbesserten  Apparats  namentlich  bei  der  zum  Schlüsse  des  Ab- 
schnittes II,  2,  angegebenen  Yertheilung  der  Widerstandsmassen  des  Rheostats 
nach  kurzer  Einübung  die  Technik  aneignen,  nachdem  die  angefeuchteten  Elek- 
troden an  den  UntersuohungssteUen  wohl  fixirt  sind,  ohne  nennenswerthe  Schwan- 
kung die  Galvanometemadel  auf  jede  gewünschte  Theü-  oder  Yollzahl  von  Milli- 
amperes zu  bringen.  Dabei  empfiehlt  es  sich,  wie  überhaupt  zu  Messungen, 
nur  die  dem  Nullpunkt  näher  liegenden  Scalentheüe  zu  benutzen,  also  wenn 
die  gewünschte  M.-A.-Zahl  unter  2  liegt,  die  empfindlichste,  wenn  sie  zwischen 
2  und  4  liegt,  die  mittlere  und  wenn  sie  noch  höher  liegt,  die  am  wenigsten 
empfindliche  Galvanometereinschaltung  anzuwenden. 

Ich  schlage  nun  vor,  die  gewöhnliche  Methode  der  Aufsuchung  der  Minimal- 
zuckung mit  proportional  gesteigerten  unbekannten  Stromdichten  dahin  zu 
modlficiren,  dass  man  nur  mit  vorher  abgemessenen  Stromstärken  operirt. 
Nachdem  also  beispielsweise  als  „unterer  Grenzwerth''  die  Stromstärke  von 
0,5  K-A.  (also  0,05  absolute  Dichtigkeit  bei  Benutzung  der  Normalelektrode) 
eingeschlichen  ist,  wird  sofort  der  Strom  im  Stromwender  unterbrochen,  dann 
wieder  geschlossen  und  dabei  beobachtet,  ob  eine  Zuckung  eintritt  Ist  dies 
wider  Erwarten  der  Fall,  so  kann  untersucht  werden,  ob  die  Minimalzuckung 
noch  bei  geringerer  Stromstärke  zu  haben  ist  Tritt  keüie  Zuckung  ein,  so 
wird  mit,  je  nach  der  wünschenswerthen  Genauigkeit  der  Untersuchung,  um 
0,25  oder  0,5  oder  1,0  M.-A.  gesteigerter,  in  derselben  Weise  abgemessener 
Stromstärke  weiter  untersucht,  bis  die  erste  Reaction  eintritt  und  dann  die 
M.-A.-Zahl  notirt. 

Da  Gabtneb  gezeigt  hat,  dass  der  Stromesschluss  und  die  Stromöffnung 
als  solche  keinen  Einfiuss  auf  den  Hautwiderstand  haben,  so  ist  nicht  zu  be- 
fürchten, dass  bei  unveränderter  Anordnung  durch  den  Act  der  Stromöffnung 
und  Schliessung  nach  der  Messung  noch  die  Stromstärke  und  die  Stromdichte 
irgendwie  alterirt  werden.    Es  ist  also  eine  erneute  Messung  nach  erhaltener 

>  a.  a.  0.    Deutsches  Arch.  f.  klin.  Med.  XVXII.  S.  276. 


—    298    — 

Beaction  ganz  überflässig  und  nicht  einmal  nothwendig,  dass  während  der  prü* 
fenden  Stromschliessangen  die  GalTanometemadel  frei  schwingt,  wenn  nur  in 
der  oben  angedeuteten  Weise  dafür  gesorgt  wird,  dass  durch  die  Ausschaltang 
des  Galvanometers  nicht  die  Widerstände  der  Leitung  und  damit  die  Stromstärke 
und  Stromdichte  geändert  werden.  Die  Ausschaltung  des  Galvanometers  während 
der  Stromöfihungen  und  Schliessungen  wird  durch  Verhinderung  der  unnützen 
Nadelschwingungen  sogar  den  Zeitverlust  ersparen,  welcher  dadurch  verursacht 
wird,  dass  vor  jeder  weiteren  Abmessung  der  nächsten  üntersuchungsstromstärke 
der  völlige  StiUstand  der  Nadel  abgewartet  werden  muss.  Aber  auch  bei  frei- 
schwingender Nadel  kann  nach  der  Beruhigung  dieselbe  mit  desto  grosserer 
Leichtigkeit  ohne  neue  Schwankungen  durch  den  Bheostaten  auf  den  nächsten 
ScalentiieU  gebracht  werden  u.  s.  w.  Man  überzeugt  sich  leicht,  dass  eine  Er- 
regbarkeitsuntersuchung nach  dieser  Methode  weniger  zeitraubend  ist^  als  die 
bisher  übliche  mit  jedesmal  drei  Schliessungen  mittelst  zwar  proportional  abge- 
stufter, aber  unbekannter  Stromstärken,  welche  erst  nach  der  Erzielung  der 
Minimalcontraction  ungenau  gemessen  wurden. 

Es  können  also  bei  dieser  vorgeschlagenen  und  vielfach  erprobten,  leicht 
durch  Beispiele  zu  erläuternden  üntersuchungsmethode  unbeschadet  der  Genauig- 
keit der  Messung  auch  weniger  gut  gedämpfte  Galvanometer  verwendet  werden, 
als  das  Edelmann'sche.  Allerdings  entspricht  aber  diese  wesentlich  praktischen 
Bedürfnissen  angepasste  Methode  keineswegs  idealen  wissenschaftlichen  Anforde- 
rungen, schon  deswegen  nicht,  weil  durch  die  zum  Zwecke  der  Strommessung 
der  prüfenden  Stromschliessung  vorausgeschickte,  wenn  auch  kurze  Stromdauer 
vielleicht  die  zu  untersuchende  Erregbarkeit  schon  etwas  modificirt  worden  ist. 
Diese  Fehlerquelle  kommt  aber,  wie  ich^  schon  früher  ausführte,  allen  bisherigen 
-elektrodiagnostischen  Methoden  zu,  vielleicht  mit  einziger  Ausnahme  der  neuer- 
dings von  Gäbtneb  entwickelten. 

Lnmerhin  glaube  ich,  dass  mit  der  soeben  beschriebenen  Üntersuchungs- 
methode erhaltene  Schwellen werthe,  wofern  sie  gewissenhaft  erhoben  sind,  das 
Licht  der  Publicistik  nicht  zu  scheuen  brauchen.  Es  wird  so  ein  zu  thera- 
peutischen Zwecken  angezeichneter  Messapparat,  welcher  sich  in  den  Händen 
vieler  Aerzte  befindet,  sehr  wohl  auch  zu  elektrodiagnostischen  Messungen 
brauchbar. 

Bei  einseitigen  Afiectionen  wird  es  sich  auch  hier  empfehlen,  zuerst  die 
gesunde  Seite  zu  untersuchen  und  von  dem  hier  gefundenen  Schwellenwerth  bei 
der  Untersuchung  der  erkrankten  Seite  auszugehen.  Für  die  Aufsuchung  des 
Schwellenwerths  der  gesunden  Seite  oder  beider  Seiten  bei  doppelseitigen  Affec- 
tionen  ist  die  Kenntniss  des  unteren  elektrodiagnostischen  Grenzwerthes  des  gerade 
in  Betracht  kommenden  motorischen  Nerven  oder  Muskels  erforderlich.  Grund- 
legend hierfür  sind  die  äusserst  fleissigen  oben  erwähnten  Untersuchungen 
Stintzino's,  welche  indessen  mit  einer  Elektrode  von  3  Dem  gemacht  sind. 

Da  STiNTzma  fand,  dass  die  zur  Minimalreizung  der  motorischen  Nerven 
und  Muskeln  erforderliche  Stromdichte  mit  der  Grösse  des  Elektrodenquerschnittes 

^  a.  a.  O.    Deutsches  Arch.  f.  klin.  Med.  S.  309. 


—    299    — 

I 

varijrt  und  mit  der  Vergrösserang  des  letzteren  im  unbekannten  Verhaltniss 
abnimmt,  so  sind  seine  Resultate  nur  bei  Verwendung  seiner  Einheitselektrode 
von  3  qcm  Querschnitt  verwerthbar.  Wenn  nun  auch  zuzugeben  ist,  dass  die- 
selbe sich  besser  als  die  Normalelektrode  jeder  in  Betracht  kommenden  Eörper- 
stelle  anlegen  lässt^  so  kommt  doch  zu  Gunsten  der  EBs'schen  Normalelektrode 
von  10  qcm,  abgesehen  von  der  Bequemlichkeit  der  Rechnung,  in  Betracht,  dass 
mit  der  Verringerung  des  Elektrodenquerschnitts  die  Schwellenwerthe  für  jede 
Untersuchungsmethode,  also  auch  für  die  empfohlene  kleiner  werden,  und  durch 
die  kleineren  in  Betracht  kommenden  Zahlen  etwaige  Unterschiede  der  Erreg- 
barkeit schwerer  erkenntlich  und  übersichtlich  werden.  Für  die  Normalelek- 
trode hat  EsB^  selbst  bereits  einige  Grenzwerthe  ermittelt,  welche  nach  dem 
Vorbilde  der  STiNTzrNG'schen  Untersuchungen  mit  den  besten  Apparaten  noch 
ergänzt  werden  müssten. 

Berlin,  den  12.  Juni  1886. 


n.  Referate. 


Anatomie. 

1)   Sulla  Ana  anatomia  degli  organi  oentrali  del  sistema  nervoso.    Studi 
del  prof.  Golgi.     (Rivista  speriment.  di  freniatr.  1885.  XL) 

Aus  der  ausgezeichneten  Arbeit,  die  auch  in  Buchform  erscheint  and  damit 
weiteren  Kreisen  zugänglich  gemacht  wird,  sei  hier  vorläufig  wenigstens  das  Schlnss- 
capitel  herausgenommen.  Es  enthält  die  Darstellang  der  Untersuchungsmethoden  des 
Centralnervensystems,  wie  sie  der  hervorragende  Verf.  für  seine  Zwecke  ausgebildet 
bat.  um  indessen  ähnliche  Erfolge  zu  erzielen,  ist  ihre  genaue  Nachahmung  durch- 
aus erforderlich;  ein  ausführliches  Referat  erscheint  daher  geboten. 

Die  wichtigste  Methode  ist  die  sogenannte  „schwarze  Färbung"  Golgi's  mit 
Bichromat  und  Silbemitrat.  Sie  ist  übrigens  in  keiner  Weise  mit  den  früheren 
Silberimprägnationen  zu  vergleichen,  da  sie  ganz  andere  Absichten  verfolgt  und  z.  B. 
von  der  Einwirkung  des  Lichtes  ganz  unabhängig  ist. 

Möglichst  frische  und  kleine  Stücke  (1 — 2  cbcm)  werden  in  eine  2  ^o  Kalium- 
bichromatlösung  (oder  auch  Müller'sche  Lösung),  der,  um  Schimmelbildung  zu  ver- 
meiden, Campher  oder  Sallcylsäure  zugesetzt  ist,  eingelegt;  die  Concentration  wird 
in  Stufen  von  je  0,5 — 1  ^o  steigend  und  unter  jedesmaliger  Erneuerung  der  ganzen 
Lösung  bis  auf  5  7o  gebracht.  Die  Dauer  des  Einlegens  hängt  von  der  Menge  und 
von  der  Stärke  der  Lösung  ab  und  besonders  von  der  Temperatur,  deren  Einfluss 
von  hoher  Bedeutung  ist.  Im  Allgemeinen  lässt  man  die  Himstücke  im  Sommer 
15  —  20,  selten  40 — 50  Tage,  im  Winter  mindestens  5 — 6,  selbst  bis  16  Wochen 
liegen.  Es  empfiehlt  sich,  recht  viel  kleine  Stückchen  einzulegen,  um  in  gewissen 
Zwischenräumen  je  eins  für  eine  Probeförbung  mit  Höllenstein  opfern  zu  können,  bis 
die  letztere  befriedigend  ausfällt. 

Der  zweite  Theil  der  „Schwarzfärbung"  besteht  nun  in  dem  Einlegen  der  ge- 
härteten Stücke  in  eine  Silberlösung  von  0,75  ^Z^;  man  nimmt  die  Concentration 
etwas  schwächer,  bis  0,5  ^/q,  wenn  die  Härtung  nicht  ganz  genügend  erscheint,  und 
bei  etwaiger  Ueberhärtung  etwas  stärker,  bis  1  7o-  ^^^  Flüssigkeitsmenge  muss  auch 
hier   verhältnissmässig   gross   sein,     öolgi   nimmt   auf   2 — 3   Stücke   schon   etwa 


1  a.  a.  0.   S.  166. 


—    300    — 

100  cbcm.  Sobald  die  Stücke  in  die  HöUenfiteinlösung  kommen^  entsteht  ein  Nieder- 
schlag von  Silber  Chromat;  da  das  ausgefällte  Silber  keine  Wirkung  mehr  ausflben 
kann,  muss  man  die  Lösung  erneuern,  bis  kein  Niederschlag  mehr  entsteht.  Das- 
selbe muss  geschehen,  sobald  die  Lösung  blassgelb  wird.  In  der  definitiven  Lösung 
bleiben  die  Stücke  im  Allgemeinen  24—30  Stunden;  ein  längerer  Aufenthalt  ist 
gewöhnlich  übrigens  nicht  schädlich. 

Nach  dem  Schneiden  werden  die  Präparate  sehr  sorgfUtig  mit  Alcohol  ge- 
waschen und  entwässert;  dann  werden  sie  in  Creosot  und  nach  einigen  Minuten  m 
Terpentinöl  durchsichtig  gemacht  und  auf  der  Unterseite  eines  Glasplättchens,  das 
auf  ein  gefenstertes  Holzbrettchen  aufgeklebt  ist,  mit  Dammarlack  so  befestigt,  dass 
sie  nicht  über  den  Holzrahmen  hinüberragen.  Ein  Deckgläschen  ist  überflüssig. 
Wenn  gut  ausgewaschen  ist,  brauchen  die  Präparate  übrigens  nicht  vor  Lichteinwir- 
kungen geschützt  zu  werden;  Verf.  besitzt  Präparate,  die  über  9  Jahre  alt  sind  und 
die  keine  Einbusse  erlitten  haben. 

Um  jede  Leichen  Veränderung  zu  vermeiden,  empfiehlt  Verf.,  der  Härtung  eine 
Einspritzung  von  2V2"/o  Bichromatlösung  in  die  Carotiden  unmittelbar  nach  dem 
Tode  vorauszuschicken;  die  Silberfärbung  wird  wesentlich  begünstigt  durch  einen 
Zusatz  von  5 — 6^0  Gelatine.  Vortheilhaft  ist  es  femer,  der  Härteflüssigkeit  eine 
constante  Temperatur  (20—25^  C.)  zu  geben;  kommt  es  darauf  an,  in  möglichst 
kurzer  Zeit  (5 — 8  Tage)  verhältnissmässig  gute  Präparate  zu  liefern,  so  kann  ein 
Theil  der  Härteflüssigkeit  (20— öO^/^)  durch  Erlicki'sche  Lösung  (Kaliumbichro. 
mat  2,5,  Kupfersulfat  0,5,  Aq.  destill.  100,0)  in  schneller  Steigerung  ersetzt  werden. 
Noch  schneller  und  sicherer  wirkt  ein  vorübergehender  Aufenthalt  der  in  Kalium- 
bichromat  eingelegten  Stücke  in  einer  Mischung  von  8  Theilen  i^l^^U  Bichromat- 
lösung und  2  Theilen  einer  1  ^/^  Osmiumsäurelösung,  ehe  sie  in  das  Silberbad  kommen. 

Ungefabr  dieselbe  Färbung  wie  durch  die  Silberbehandlung  kann  man  auch  durch 
ein  terminales  Einlegen  in  eine  Sublimatlösung  von  0,5^0  erzielen,  doch  müssen  die 
Gehimstücke  sehr  lange  in  der  letzteren  liegen  bleiben.  Andererseits  hat  diese  Me- 
thode den  Yortheil,  dass  man  mit  ihr  auch  sehr  grosse  Objecte,  selbst  ganze  Gehirne 
färben  kann,  was  für  die  Anfertigung  von  Schnittserien  wünschenswerth  sein  kann. 

Die  Ergebnisse  der  geschilderten  Methoden  gehören  einem  späteren  Referat  an. 

Sommer. 


Pathologie  des  Nervensystems. 

2)  SiLT  une  forme  partiouli^re  d'atrophie  musoulaire  progressive  souvent 
familiale  d6butant  par  les  pieds  et  les  jambes  et  atteignant  plus 
tard  les  mains,  par  J.-M.  Charcot  et  P.  Marie.  (Bevue  de  mM.  1886. 
FÄvrier.  p.  97.) 

Auf  Grund  von  fünf  neuen  und  einigen  älteren,  aus  der  Literatur  zusammen- 
gestellten Beobachtungen  beschreiben  die  Verff.  eine  neue  oder  vielmehr  bis  jetzt 
wenig  beachtete  Form  der  (juvenilen)  Muskelatrophie,  welche  ebenfalls  nicht  selten 
bei  mehreren  Geschwistern  derselben  Familie,  zuweilen  auch  in  einigen  auf  einander 
folgenden  Generationen  auftritt.  Die  Atrophie  beginnt  stets  an  den  unteren  Ex- 
tremitäten und  zwar  gewöhnlich  zunächst  an  dem  Extensor  hallucis  longus  und 
Ext.  digitorum  communis,  zuweilen  auch  in  den  Mm.  peronei.  Wahrscheinlich  werden 
gleichzeitig  oder  noch  früher  auch  die  kleinen  Muskeln  des  Fusses  selbst  befallen. 
Etwas  später  atrophiren  dann  auch  die  Wadenmuskeln,  während  die  Muskeln  der 
Oberschenkel  längere  Zeit  widerstehen.  Schliesslich  kommt  es  aber  auch  hier  zur 
Erkrankung,  namentlich  am  Yastus  internus. 

Gewöhnlich  erst  einige  Jahre  später  kommt  die  Musculatur  der  Hände  an 
die  Reihe.     Die  Interossei  und  die  Muskeln  des  Thenar  und  Hypothenar  atrophiren 


—    301    — 

zaerst»  sp&ter  auch  die  Maskeln  der  Yorderanne,  bald  mehr  die  Strecker,  bald  mehr 
die  Beager.  Der  Snpinator  longns  bleibt  stets  gesund,  ebenso  die  Maskeln  der 
Schulter,  des  Halses,  des  Rumpfes  und  des  Gesichts.  Die  Atrophien  sind  nicht  immer 
ganz  S3rmmeirisch;  zuweilen  kann  die  Affection  auf  der  einen  EOrperh&lfte  aufiEallend 
stärker  sein,  als  auf  der  anderen. 

Was  das  Verhalten  der  erkrankten  Muskeln  betrifift,  so  sind  fibrilläre  Con- 
tractionen  namentlich  an  den  erkrankten  Handmuskeln  zwar  nicht  in  sehr  be- 
trachtlichem Grade,  aber  doch  ganz  deutlich  vorhanden.  Die  elektrische  Unter- 
suchung ergab  in  einigen  Fällen  starke  Herabsetzung  der  Erregbarkeit  und  in 
einzelnen  Muskeln  auch  zweifellose  Entartungsreaction.  Die  Hautreflexe  sind 
normal,  die  Sehnen refl exe  sind  abgeschwächt  oder  fehlen.  Die  Unterschenkel 
fahlen  sich  kalt  an  und  sehen  oft  bläulich-roth  aus.  Die  Sensibilität  ist  meist 
Töllig  ungestört;  nur  in  einem  Falle  beobachteten  die  Verff.  eine  deutliche  Anästhesie 
an  den  Unterschenkeln  und  den  Fusssohlen.  Zugleich  traten  hier  zeitweise  auch 
spontane  Schmerzen  auf.  Fast  bei  allen  Kranken  zeigte  sich,  besonders  bei  willkür- 
lichen  Bewegungen,   in  den  Oberschenkelmuskeln  häufige  krampfhafte  Contractionen. 

Was  die  anatomische  Ursache  der  Erkrankung  betrifft,  so  äussern  sich  die 
Yerff.  hierüber  sehr  zurückhaltend.  Die  mannigfaltigen  Aehnlichkeiten  mit  der  juve- 
nilen Muskelatrophie  und  Pseudohypertrophie  (Beg^  in  der  Kindheit,  Heredität) 
legen  ja  den  Gedanken  nahe,  dass  es  sich  auch  hierbei  um  ein  primär  musculäres 
Leiden  handelt  Trotzdem  neigen  die  Verff.  aber  doch  weit  mehr  zu  der  Ansicht 
hin,  dass  die  Krankheit  als  eine  nervöse  Atrophie  aufgefasst  werden  muss,  wofür 
namentlich  das  Vorhandensein  der  Entartungsreaction  und  der  fibrillären  Zuckungen 
sprechen  sollen.  Ob  es  sich  aber  um  Degenerationen  peripherischer  Kerven  oder 
um  ein  spinales  Leiden  handelt,  kann  z.  Z.  nicht  entschieden  werden. 

Strümpell. 

3)  Neuro-  und  myopathologlsohe  Mittheilungen  aus  der  Erlanger  medi- 
oiniBohen  Klinik,  von  Prof.  Dr.  Penzoldt  und  Assistenzarzt  Dr.  Kreske. 
(Münchener  med.  Wochenschr.  1886.  Nr.  14 — 16.) 

1.  Hemiatrophia  flftoialis  von  Prof.  Penzoldt. 

Verf.  theilt  2  Fälle  mit»  die,  einander  recht  ähnlich,  interessante  Besonderheiten 
haben.  Der  erste  betrifft  eine  31  jähr.  Frau,  die  sich  vor  3  Jahren  an  der  Gegend 
des  linken  äusseren  Augenwinkels  stiess,  vor  V/^  Jahren  beständigen  Schmerz  und 
das  Gefühl  des  Frierens  in  der  linken  Gesichtshälfte  hatte  und  seit  1  Jahre  eine 
Abmagerung  derselben  bemerkt.  Es  besteht  in  der  That  eine  merkliche  Differenz 
beider  Gesichtshälften,  die  linke  ist  magerer  und  blasser.  An  mehreren  Stellen  finden 
sich  daselbst  weisse  narbenähuliche  Flecke,  mehrere  Centimeter  lang  und  breit.  Im 
linken  Masseter  bestehen  fortwährende  fibrilläre  Zuckungen.  Den  Mund  kann  Pat. 
nicht  vollständig  öffnen  und  bekommt  beim  Versuche,  es  doch  zu  thun,  einen  mehrere 
Minuten  anhaltenden,  von  der  Ohrgegend  nach  oben  und  unten  ausstrahlenden  hef- 
tigen Schmerzanfall  mit  tonischer  Contraction  und  dazwischen  fallenden  klonischen 
Zuckungen  im  linken  Masseter  und  Temporaiis.  —  Sehr  bemerkenswerth  ist,  dass 
nach  Angabe  der  Patientin  und  ihres  Arztes  seit  etwa  '/^  Jahren  die  abge- 
inagerte  Gesichtshälfte  wieder  wesentlich  voller  geworden  ist.  Eine 
derartige  Besserung  ist  nach  P.  bisher  nur  von  Bärwinkel  in  2  Fällen  beschrieben 
worden.  —  Die  Gombination  der  Atrophie  mit  sensiblen  und  motorischen  Reizungs- 
erscbeinungen  im  dritten  Aste  des  Quintus  bringt  P.  zu  der  Annahme,  dass  in  diesem 
Falle  die  Gesichtsatrophie  auf  pathologische  Vorgänge  im  5.  Himnerven  resp.  tro- 
pbische  Fasern  desselben  zurückzuführen  sein  dürfte,  wobei  er  andere  Entstehungs- 
&Tten  des  Leidens  (von  einer  Sympathicuserkrankung  lier)  für  andere  Fälle  durchaus 
nicht  leugnen  will. 


—    302    — 

Im  zweiten  Falle  schloss  sich  an  ein  iriederfaolt  im  Anfang  1885  aofg^tretenes 
Zahngeschwfir  am  rechten  Oberkiefer  bei  einer  28jähr.  Frau  eine  Tom  Jnli  an  be- 
merkte Abmagerung  der  rechten  Backe  an  mit  Gef&hl  von  Frost»  Spannung  nnd 
Unempfindlichkeit  und  mit  Blasse.  Ende  1885  war  die  Abmagerung  am  stärksten 
und  soll  seitdem  wieder  etwas  geringer  geworden  sein.  Es  besteht  eine 
deutliche,  wenn  auch  geringe  Differenz  beider  Gesichtshälften  durch  eine  hinlänglich 
ausgeprägte  Atrophie  der  Haut  und  des  Unterhautgewebes.  —  Es  sei  noch  erwähnt, 
dass  an  den  I'upillen,  femer  in  Tasomotorischer  und  secretorischer  Beziehung  nichts 
Abnormes  zu  bemerken  war  und  dass' (wie  auch  im  ersten  Falle)  die  Muskeln  beider 
Gesichtshälften  sich  gegen  beide  elektrischen  Stromesarten  gleich  gut  Terhielten.  — 
Auch  für  den  zweiten  Fall  scheint  P.  die  Annahme  einer  Erkrankung  einzelner  Fasern 
der  peripherischen  Trigeminusverzweigungen  noch  am  plausibelsten. 

2.   Ueber  die  xnyopathisohe  Form  der  progretaiven  Muskelatrophie  mit 
BetheiligUBg  der  Oesichtsmoskeln,  von  Dr.  Ereske. 

Ein  jetzt  lOjähriger  Knabe  —  bei  dem  keine  neuropathische  Anlage  nachzu- 
weisen ist  —  hat  schon  als  kleines  Kind  stets  eine  „ernste  Miene"  gemacht,  nie 
gelacht;  seit  seinem  3.  bis  4.  Jahre  kann  er  die  Augen  nicht  mehr  völlig  schliessen; 
seit  2  Jahren  spflrt  er  eine  zunehmende  Schwäche  der  Extremitäten,  seit  mehreren 
Monaten  eine  starke  Abmagerung  derselben.  Das  Gesicht  des  Knaben  hat  etwas 
Starres,  da  alle  vom  Facialis  versorgten  Gesichtsmnskeln  gelähmt  sind  bei  Intactheit 
der  Kau-,  Augen-,  Zungen-,  Gaumen-Muskeln.  Augen  und  Mund  können  nicht  voll- 
ständig geschlossen  werden.  —  Geschwunden  sind  die  Muse,  cucullares,  beide  pecto- 
rales  und  der  Deltoideos  grösstentheils.  Beim  Herabhängen  der  Arme  steht  der 
äussere  Rand  der  Scapulae  fast  horizontal.  Die  Arme  können  nur  bis  zur  Horizon- 
talen erhoben,  nicht  über  der  Brust  gekreuzt  werden.  Die  Mm.  serrati  antici  migores 
fehlen  völlig,  die  Oberarmmuskeln  sind  stark  atrophisch,  vom  Unterarm  nur  d^ 
Supinator  longus  in  geringem  Maasse.  —  An  den  unteren  Extremitäten  bestehen  nur 
relativ  geringe  Atrophien  verschiedener  Muskeln.  —  Die  Bauchmuskeln  sind  völlig, 
die  Sacrolumbales  theilweise  atrophisch,  woraus  eine  auffallende  Körperhaltung  (Lor- 
dose der  unteren  Brust-  und  Lendenwirbelsäule)  hervorgeht.  Das  Aufrichten  geschieht 
mit  Hülfe  der  Arme.  —  Nirgends  Spuren  von  Hypertrophie  eines  Muskels,  nirgends 
fibrilläre  Zuckungen.  Die  Kniephänomene  sind  beiderseits  verschwunden.  Haut-  und 
Cremasterreflexe  sind  vorhanden. 

Von  der  genauen  elektrischen  Untersuchung  sei  hier  nur  erwähnt,  dass  dieselbe 
dem  Grade  der  Atrophie  entsprechend  herabgesetzte,  sonst  normale  Beaction  ergab, 
nirgends  Entartungsreaction.  An  den  Bauch-  und  Gesichtsmuskeln  war  mit  den 
stärksten  anwendbaren  Strömen  keine  Beaction  zu  erzielen.  —  Sensibilitätsstörungen 
bestehen  nicht. 

K.  setzt  auseinander,  dass  der  vorstehende  Fall  genau  der  von  Landouzy  und 
Dejerine  aufgestellten  „infantilen"  Form  der  progressiven  Muskelatrophie  entspricht 
mit  der  von  erster  Kindheit  her  entwickelten  Gesichtsmuskelatrophie,  mit  dem  Fehlen 
jeder  Spur  von  Pseudohypertrophie,  —  auch  die  Deltoidei  atrophisch,  die  bei  Erb's 
juveniler  Form  hypertrophisch  sind.  Freilich  sei  keine  Heredität  nachzuweisen,  es 
bestehe  aber  sonst  volle  Uebereinstimmung  mit  dem  von  E.  Remak  beschriebenen, 
bisher  einzigen  deutschen,  Falle,  und  mit  den  betreffenden  Fällen  der  französischen 
Autoren.  Dennoch  sei  es  wohl  am  besten,  alle  diese  Fälle  nach  Erb  als  Dystrophia 
muscularis  progressiva  zusammenzufassen,  weil  doch  Uebergänge  auch  zwischen  der 
„juvenilen"  Form  Erb's  und  der  „infantilen"  der  Franzosen  vorkommen  dürften,  wie 
Gharcot*s  Beobachtung  zeige,  der  bei  einem  Falle,  welcher  sonst  ganz  der  infantilen 
Form  (mit  Gesichtsmuskelatrophie)  entsprach,  den  Quadriceps  femoris  beiderseits 
hypertrophisch  fand. 


—    303    — 

3.  Uebergangsform  der  Dystrophia  musoularis  progreesiva  Erb's,  von 

Prof.  Penzoldt.^ 

Es  handelt  sich  um  einen  41  jähr.  Mann,  bei  welchem  seit  dem  34.  Jahre  eine 
Abmagerung  an  Schaltern  und  Oberarmen  aafgetreten  sind.  Atrophisch  wie  bei  der 
Dystroph,  musc.  progress.  sind  jetzt  beide  Pectorales  (excl.  Clavicularportion  der  P. 
major,  Oberarmmaskeln  (dabei  am  Triceps  pseudohypertrophische  Partien),  Bauch- 
muskeln, Unterschenkelmuskeln;  pseudohypertrophisch  die  untere  Hälfte  des  Deltoideus 
(obere  atrophisch).  Frei  sind  die  Cucullares  und  die  übrigen  Schulterblatt-  und 
Bückenmuskeln,  der  Supinator  longus,  sowie  sämmtliche  Gefass-  und  Oberschenkel- 
muskeln. 

Ausser  dem  abweichenden  Ausbreitungsbesdrk  der  Krankheit  ist  also  ungewöhn- 
lich der  späte  Beginn,  femer  das  Fehlen  hereditärer  Anlage;  auch  bestehen  an  ver- 
schiedenen Muskeln  fibriUäre  Zuckungen.  Der  Patellarsehnenreflex  ist  beiderseits 
beträchtlich  abgescliwächt.  —  Entartungsreaction  fehlte  vollständig. 

P.  hält  demgemäss  diesen  Fall  für  eine  Uebergangs-  oder  Grenzform  von  Erb's 
Dystrophia  museal,  progressiva.  Vielleicht  auch  wäre  es  denkbar,  „dass  es  auch 
Mischformen  geben  könne,  in  denen  sich  Ernährungsstörungen  im  Muskel  einerseits 
und  der  nervösen  Bahn  bis  zu  den  Yorderhömem  andererseits  entweder  gleichzeitig 
oder  nacheinander  entwickelten.''  Ha  dl  ich. 


4)  Frimary  spastio  paralysis  and  pseudohypertrophio  paralysis  in  different 
members  of  the  same  family,  with  probable  heredlty  in  both,  by 
R.W.Philip.   (Brain.  1886.  January.  p.  520-527.) 

Ein  60jähriger  Bergmann  hatte  seit  seinem  20.  Jahre  in  den  ersten  25  Jahren 
im  Eisen-,  später  im  Kohlenbergwerk  meist  in  gekrümmter  Lage  gearbeitet  in  einem 
Baume,  dessen  Höhe  nicht  selten  nur  wenig  über  2  Fuss  betrug.  Vor  12  oder 
13  Jahren  war  er  durch  Zerreissen  eines  Seiles  im  Schacht  eine  grössere  Strecke 
geschleift  worden  und  hatte  mehrere  Verletzungen  des  rechten  Beines  und  der  Hüfte 
erlitten,  so  dass  er  26  Wochen  lag.  Nachher  nahm  er  leichtere  Arbeit,  musste  aber 
dabei  noch  mehr  gekrümmt  aushalten. 

Der  aphoristische  Status  verzeichnete  starke  Contractur  des  rechten  Beins  bis 
zum  rechten  Winkel,  sowohl  am  Hüft-  als  am  Kniegelenk;  Contractur  der  Adductoren 
des  Oberschenkels  beiderseits,  Schlaffheit  der  Waden,  verminderte  Beaction  der  affi- 
cirten  Muskeln  gegen  faradische  Beizungen,  Alopecia  areata,  Gedächtnissschwäche. 
Von  9  Kindern  dieses  Mannes  aus  einer  32jähr.  Ehe  mit  einer  53jähr.  gesunden  Frau, 
welche  einen  Onkel  und  einen  Vetter  mit  ähnlichen  Lähmungszuständen  hatte,  waren 
bereits  2  Kinder  mit  „pseudohypertrophischer  Lähmung"  gestorben.  Das  vorletzte 
lebende  Kind,  ein  13jähr.  Knabe,  hatte  im  Alter  von  5  Jahren  zuerst  Schwerfällig- 
keit des  Ganges  gezeigt  mit  zunehmender  Neigung  zu  fallen.  Es  bestand  auffallende 
Dicke  der  Zunge,  ausgeprägte  Struma,  gekreuzte  Lage  der  contracturirten  Unter- 
extremitäten bei  meist  sitzender  Stellung  im  Bette,  Contractur  der  Oberextremitäten, 
starke  Lordose  des  unteren  Dorsaltheiles  der  Wirbelsäule,  Lähmung  besonders  des 
linken  Armes,  Atrophie  des  oberen  Theiles  der  Deltoidei,  der  Trapezii,  des  rechten 
Pectoralis,  des  Biceps  und  Brachialis  internus,  beiderseits  waren  der  Triceps,  der 
Vorderarm  und  die  Hände  nicht  ergriffen  (auch  die  Sapinatoren  waren  intact).  An 
den  (Jnterextremitäten  bestand  keine  Atrophie,  sondern  auffallende  Härte  der  contrac- 
turirten Muskeln,  leichter  Pes  equino-varus,  Fehlen  des  Kniephänomens  und  Fuss- 
phänomens.  Das  jüngste  11  jähr.  Kind  ging  seit  4  Jahren  steif  und  hatte  Schwäche 
in  den  Knieen,  seit  Jahren  setzt  es  links  nicht  mehr  den  Fuss  voll  auf,  sondern 
geht  mit  erhobener  Ferse;  später  auch  rechts.    Die  Waden  sollen  nicht  zugenommen 


1  Cf.  dieses  Centralbl.  Nr.  11.  S.  262  (Erb). 


—     304     — 

haben.    Es  besteht  Zehengang  bei  Pes  eqnino-vanis,  Contractnr  der  AchiUeesebne, 
Steigeniiig  des  Eniepbänomeiis  and  der  übrigen  Sehnenphänomene. 

Es  wird  eine  doppelt  vererbte  Tendenz  zu  einer  die  pseadohypertropbische  Läh- 
mong  bedingenden  „primären  Latenüsderose''  einmal  direct  Tom  dnrcb  traamatische 
Veranlassungen  erkrankten  Vater,  dann  mittelst  der  Mutter  Ton  ihrer  Familie  her 
angenommen.  E.  Bemak. 


6)  De  ratxophie  musoalaire  daaa  les  paralyaies  hyatöriques,  par  Babinski. 

(Progr.  möd.  1886.  Nr.  16.) 

Der  Mangel  von  trophischen  Störungen  galt  lange  als  eines  der  wichtigsten 
negativen  Symptome  der  hysterischen  Lähmungen. 

Vier  &anke  aus  Charcot's  Klinik,  von  denen  zwei  an  einer  hysterischen  Mono« 
plegia  brachialis,  zwei  an  einer  hysterischen  Hemiplegie  ohne  Eacialisbetheiligung 
leiden,  bieten  an  den  gelähmten  Gliedmaassen  ausgesprochene  Amyotrophien  dar. 
Letztere  charakterisiren  sich  durch  eine  ziemlich  erhebliche  Ausdehnung:  Gircumferenz- 
Unterschiede  von  3  resp.  5  Centimetem  gegen  die  gesunde  Seite,  durch  Abwesenheit 
der  fibrillären  Zuckungen  und  Fehlen  der  elektrischen  Beactions- Anomalien,  besonders 
der  EaR,  endlich  durch  die  Bi^dität,  mit  der  sie  sich  bald  nach  Einsetzen  der  Lähmung 
zu  entwickeln  pflegen,  und  mit  der  sie  später  auch  wieder  verschwinden,  sobald  die 
Lähmung  des  amyotrophischen  Gliedes  als  geheilt  zu  betrachten  ist.  Ch.  sei  nicht 
geneigt,  die  Störungen  als  Inactivitäts- Atrophie  aufzufassen,  da  es  in  einer  Zahl  von 
Fällen,  bei  denen  hysterische  Lähmungen  Jahre  lang  bestanden,  nie  zu  einer  Muskel- 
Atrophie  gekommen  sei.  —  Er  fasst  sie  als  trophische  Erscheinungen  auf,  vindicirt 
ihnen  einen  centralen  Ursprung,  ohne  dabei  an  eine  organische  Veränderung  der 
Vorderhömer  des  Rückenmarkes  zu  denken:  es  sei  eine  „dynamische  Unterbrechung" 
des  von  diesem  Theile  des  Gentrums  ausgehenden  Einflusses  auf  die  Ernährung  der 
Gewebe  vorhanden,  ähnlich  wie  sie  nach  Gharcot*s  Ansicht  bei  den  articulären 
Atrophien,  sowie  bei  manchen  Amyotrophien  setzenden  cerebralen  Hemiplegien  mit 
absteigender  Degeneration  angenommen  werden  müsse,  wo  man  eine  Erkrankung  der 
Vorderhömer  nicht  hätte  nachweisen  können.  Laquer. 


6)   SanitätB- Beriebt  über  die  deutaohen   Heere   im  Kriege  gegen  Frank- 
reicb   1870/71.      Vn.   Band:    Erkrankungen    des    Nervensystems. 

Herausgegeben  von  der  Militär-Medizinal-Abtheilung  des  königl.  preuss. 
Eriegsministeriums  unter  Mitwirkung  der  betreffenden  bayrischen, 
sächsischen  und  württembergischen  Behörden.  (Berlin  1885.  Ernst 
Siegfr.  Mittler  &  Sohn.)  —  [Schluss.] 

Ueber  die  Gtoisteskrankbeiten  im  Kriege  —  sie  bilden  den  Schluss  des 
neurologischen  Sanitätsberichtes  —  liegen  wiederum  gerade  100  ausführliche  Kranken- 
geschichten vor,  die  auf  das  Sorgfaltigste  für  Allgemeinbetrachtungen  benutzt  worden 
sind.  Die  früher  allgemein  gehegte  Annahme,  dass  grosse  politische  Umwälzungen 
und  Kriege  vorzugsweise  geeignet  seien,  die  Zahl  der  Geisteskranken  in  der  Be- 
völkerung der  davon  betroffenen  Länder  zu  vermehren,  ist  vornehmlich  nach  dem 
letzten  Kriege  durch  die  über  ganz  Frankreich  ausgedehnten  Erhebungen  Lunier's 
beseitigt  worden.  Dagegen  muss  aus  den  Berechnungen  über  den  betreffenden  Zu- 
gang an  die  Irrenanstalten  aus  der  Zahl  der  Heeresangehörigen  eine  massige  Ver- 
mehrung der  Geisteskranken  in  der  Armee  während  der  Dauer  kriegerischer  Ereig- 
nisse mit  vieler  Wahrscheinlichkeit  gefolgert  werden.  Denn  sowohl  1866  als  1870/71 
stieg  der  Procentsatz  an  Geisteskranken  im  deutschen  Heere  gegen  die  Zahlen  der 
Friedensstatistik   sehr  beträchtlich  an.     Im  Ganzen  sind  316  Soldaten  in  den  Zähl- 


—    305    — 

karten  des  letzten  Krieges  als  geisteskrank  bezeichnet,  bei  244  von  ihnen  fehlt  eine 
genauere  Diagnose.  Unter  den  übrigen  72  lautet  dieselbe:  44mal  auf  Melancholiei 
17mal  auf  Tobsucht,  llmal  auf  Wahnsinn.  Auf  dem  Kriegsschauplätze  selbst 
sind  relatiy  wenig  Psychosen  zum  Ausbruche  gekommen:  sie  charakterisirten  sich 
besonders  durch  Verfolgungswahn  und  GehOrstäuschangen,  sowie  durch  ex- 
pansive Manien,  besonders  Grössenwahn,  sowie  überhaupt  durch  die  Anfangs- 
symptome der  Dementia  paralytica,  einer  Krankheit,  die  vom  Kriege  recht 
viele  Opfer  gefordert  hat.  Häafig  begegnete  man  aach  gewissen  psychopathischen 
Zuständen,  die  man  seitens  der  Militär-Schriftsteller  mit  dem  Namen  der  „Fatigatio" 
belegt  bat.  Es  handelte  sich  dabei,  wie  Heubner  in  seinen  „Beiträgen  zur  internen 
Kriegsmedicin"  ausführlicher  erörtert  hat,  vorwiegend  um  nervenschwache  Individuen. 
Ihre  sensible  Natur  verräth  sich,  wenn  die  körperlichen  Anstrengungen  and  die  ge- 
waltigen Eindrücke  der  Schlacht  und  des  Vorpostendienstes  mehr  als  sie  ertragen 
kann,  auf  sie  eingewirkt  haben,  —  durch  SLlagen  über  allerlei  neuralgische  Be- 
schwerden, durch  Abmagerung  und  Anämie.  Leute  dieser  Art  schrecken  leicht  zu- 
sammen, haben  Herzklopfen,  Beklemmung,  Appetitlosigkeit,  Darm-,  Magen-  und  Muskel- 
krämpfe. —  Andere  zeigen  völlige  Apathie,  schlaffe  Körperhaltung,  sind  traurig 
gestimmt,  schlaflos  und  machen  den  Eindruck  tiefer  Depression.  Schreitet  der  Kräfte- 
verfall fort,  so  erscheinen  sie  wie  Geisteskranke.  Sie  haben  einen  stieren  Blick,  einen 
nichtssagenden  Gesichtsausdruck,  eine  vomübergebeugte  Haltung,  sie  antworten  auf 
die  dringlichsten  Fragen  kaum  oder  unverständlich  mit  matter  klangloser  Stimme, 
beschmutzen  Bett  und  Wäsche.  Nach  einigen  Tagen  der  Ruhe  und  Erholung  wird 
es  klar,  dass  es  sich  nicht  um  eine  veritable  depressive  Psychose  gehandelt  habe, 
sondern  dass  das  Ganze  nur  in  einem  Zustande  äusserster  nervöser  Erschöpfung 
bestand.  Diese  Fatigatio  kann  sich  weiter  fortentwickeln,  schliesslich  Angstzustände 
hervorrufen,  sogar  zu  Selbstmordgedanken  führen.  Wir  wollen  übrigens  hier  gleich 
erwähnen,  dass  bei  der  gesammten  deutschen  Armee  während  des  Khegsjahres  nur 
30  Todesf&lle  durch  Selbstmord  bekannt  geworden  sind.  Unter  den  316  oben 
genannten  Geisteskranken  des  deutschen  Heeres  sind  10  gestorben,  17  an  Anstalten 
überwiesen,  12  als  Invaliden,  129  aber  als  geheilt  entlassen,  resp.  in  die  Heimath 
beurlaubt  worden.  Die  100  genauer  geschilderten  Fälle  sind  im  Berichte  in  drei 
grosse  Gruppen  gesondert.  Es  sind  1)  die  GtoisteBBtörungen  naoh  Verletziing 
oder  Ersohütterung  des  Kopfes;  bei  diesen  haben  die  traumatischen  Einwirkungen 
durch  directe  Alteration  des  Centralorgans  zu  einer  psychischen  Störung  geführt, 
oder  durch  peripherischen  Beiz  auf  die  Kopfnerven  eine  reflectohsche  Psychose  ver- 
ursacht. —  In  einer  2.  Gruppe  folgte  geistige  Störung  auf  eine  Verletaung, 
die  nicht  den  Kopf  betraf.  Es  handelt  sich  meist  um  schwerere  Verwundungen 
des  Rumpfes  und  der  Extremitäten,  die  lange  Eiterungen,  schweres  Siechthum  etc. 
mit  sich  brachten.  Eine  Reihe  von  Geisteskranken  verdankt  ihr  Leiden  überstandenen 
acuten  Krankheiten,  besonders  dem  Typhus,  der  Ruhr  und  den  Pocken.  Sonnenstich 
bezw.  Hitzschlag  soll  nur  in  einem  ätiologisch  nicht  ganz  klaren  Falle  zu  einer 
Geisteskrankheit  geführt  haben.  —  Es  ist  bekannt,  dass  psychische  Affectionen  durch 
das  Hinzutreten  fieberhafter  Erkrankungen  einer  wesentlichen  Besserung  resp.  der 
Heilung  entgegen  geführt  werden  können.  —  In  einem  mitgetheilten  Falle  leitete 
eine  Pneumonie  den  günstigen  Ausgang  der  Psychose  ein.  —  Die  letzte  Gruppe 
führt  den  Titel:  Geistesstörungen  ohne  nachweisbares  Vorausgehen  einer 
bestimmten  körperliohen  oder  geistigen  Einwirkung;  sie  enthält  30  Fälle, 
in  denen  man  annehmen  musste,  dass  die  erst  nach  Beendigung  des  Krieges  einge- 
tretene seelische  Störung  mit  den  Kriegsstrapazen  im  Allgemeinen  in  causalem  Zu- 
sammenhange stehe,  dass  diese  Patienten  an  einer  „Kriegs- Psychose''  xat  i^oxnv 
litten.  Eine  besondere  Form  geistiger  Erkrankung  stellt  dieselbe  nicht  dar.  —  Die 
Franzosen  haben  zwar  schon  früher  eine  eigene  Klasse  von  Geistesstörung  für  den 
Krieg  „folie  patriotique''  aufzustellen  versucht,  auch  der  oben  schon  citirte  Lunier 


—    306    — 

hat  dies  in  seinen  Beobachtungen  über  den  deutsch-französischen  Krieg  unternommen. 
Es  ist  dies  gewöhnlich  auf  Grund  der  Thatsache  geschehen,  dass  sich  während  und 
nach  grossen  Kriegen  die  Irrenhäuser  mit  solchen  Kranken  füllen,  deren  Hallucinationen 
und  Wahnideen  vorwiegend  Kanonendonner,  Leichen,  Schlachtenscenen  etc.  zum  Gegen- 
stände haben.  Das  ist  aber  eine  irrige  Voraussetzung!  —  Denn  es  geben  die  Zeit- 
ereignisse naturgemäss  besonders  in  den  gebildeteren  Ständen  den  Hintergrund  für 
solche  Delirien  ab;  damit  ist  aber  noch  keineswegs  die  Entstehung  des  Seelenleidens 
durch  eben  jene  Ereignisse  selbst  bewiesen.  Darum  hat  auch  jene  Aufstellung  einer 
besonderen  Form  von  geistiger  Störung  während  des  Krieges  —  bei  den  übrigen 
Psychiatern  keinen  Anklang  gefunden.  Es  haben  nach  Beobachtungen  Anderer  die 
psychisch  Gestörten  alle  auch  zu  Friedenszeiten  beobachteten  Krankheitsformen 
und  nur  solche  dargeboten.  Dagegen  ist  auch  nach  den  Ermittelungen  des  Berichtes 
im  Verlauf  und  Ausgang  der  durch  die  Knegsstrapazen  selbst  hervorgerufenen 
Geisteskrankheiten  ein  Unterschied  den  Fällen  aus  den  Friedensjahren  gegenüber 
nicht  zu  verkennen.  Früh  eintretende  geistige  Schwäche  und  ein  grosser 
Procentsatz  von  Dementia  paralytica  haben  den  genannten  30  in  der  letzten 
Gruppe  mitgetheilten  Fällen  ein  besonderes  Gepräge  verliehen  und  diese  beiden  Mo- 
mente müssen  auch  vorläufig  als  Charakteristicum  der  eigentlichen  „Kriegs- 
psychosen" festgehalten  werden.  Sie  waren  prognostisch  schlimmer  als  die  schon 
während  des  Krieges  in  mehr  acuter  Weise  zum  Ausbruch  gekommenen  geistigen 
Erkrankungen.  Bei  der  einen  Hälfte  aller  im  Kriege  genauer  beobachteten  Geistes- 
krankheiten konnte  eine  erbliche  Belastung  nicht  nachgewiesen  werden,  bei  der 
anderen  war  dies  möglich.  —  Etwa  der  vierte  Theil  aller  Kranken  waren  Paralytiker. 
Ein  sehr  genaues  Literaturverzeichniss  über  alle  nur  irgendwie  direct  benützten 
Publicationen  beschliesst  den  neurologischen  Theil  des  Sanitätsberichtes,  der  in  vor- 
züglicher Ausstattung  und  in  einer  Stärke  von  480  Folioseiten  erschienen  ist.  Die 
Schreibart  zeichnet  sich  durch  eine  militärische  Kürze  und  Frische,  durch  eine  fast 
„schneidig*'  zu  nennende  Klarheit  aus.  —  Die  in  dem  Buche  niedergelegten  Beobach- 
tungen rühren  ja  zum  grössten  Theile  nicht  von  den  Autoren  desselben  her,  aber 
die  Neuropathologie  muss  den  Kriegsministerien  Dank  wissen,  dass  sie  die  ihnen 
unterstellten  Medicinal- Beamten  und  Behörden  zur  Sammlung  der  für  alle  Zeiten 
wichtigen  Kriegs -Casuistik  ermächtigt  und  zur  Ausgabe  des  Berichtes  veranlasst- 
haben.  —  Mit  ehrender  Anerkennung  müssen  wir  der  einzelnen,  leider  unbekannt 
gebliebenen  Mitarbeiter  gedenken,  welche  durch  ihre  dabei  an  den  Tag  gelegte  echt 
deutsche  Gründlichkeit  der  Wissenschaft  einen  grossen  Dienst  erwiesen,  ohne  den  in 
unserer  heutigen  Zeit  so  überaus  kostbaren  „Autor-Kuhm"  für  ihren  Fleiss  einzuheimsen. 

La  quer  (Frankfurt  a.  M.). 


Psychiatrie. 

7)  Quelques  donn^es  cliniques  oonoemant  lee  relatione  existant  entre 
l*6pilepsie  et  Tidiotie,  par  le  docteur  B.  C.  Ingels.  (Extr.  du  compte- 
rendu  du  congräs  de  phr^niatrie  et  de  neuropathologie.  1886.) 

An  der  Hand  von  120  kurz,  zum  Theil  mit  Sectionsbefund  mitgetheilten  ein- 
schlägigen eigenen  Beobachtungen  bespricht  J.  die  Beziehungen  zwischen  Epilepsie 
und  Idiotie. 

Die  erste  Reihe  von  Fällen,  66,  mit  congenitalem  Beginn  beider  Affectionen, 
hat  eine  fast  durchaus  schlechte  Prognose,  zeigt  vielfach  sonstige  körperliche  Ab- 
normitäten, bezüglich  der  Aetiologie  fehlen  meist  genügende  Angaben;  häufigere  epi- 
leptische Anfalle  hemmen  meist  den  psychischen  und  geistigen  Fortschritt  und  sind 
auch  oft  die  Todesursache;  nur  3 — 4  zeigten  eine  Besserung  des  geistigen  Zustandes; 
bei  einem  wurde  Simulation  epileptischer  Anfälle  beobachtet. 


—    307     — 

Die  zweite  Beibe,  die  restlichen  F&lle  umfassend,  zeigt,  dass  es  sich  bei  den- 
selben eigentlich  um  frühzeitige  Demenz  handelt,  bedingt  durch  den  Stillstand  der 
geistigen  Entwickelung  in  Folge  der  früher  oder  später  eintretenden  Epilepsie.  Als 
ätiologisches  Moment  für  diese  letztere  fand  J.  öfters  einen  psychischen  Shok.  Sonstige 
somatische  Abnormitäten  fanden  sich  in  dieser  Reihe  unendlich  viel  seltener,  als  bei 
der  ersten;  der  Einüuss  der  Epilepsie  auf  die  Intelligenz  war  ein  yerscbiedener;  in 
einzelnen  F&Uen  war  die  Vernichtung  derselben  eine  sofortige  und  totale,  bei  andern 
eine  allmähliche,  fast  immer  gleichen  Schritt  haltend  mit  der  Zahl  und  Stärke  der 
Anfalle;  in  seltenen  Fällen  blieb  die  Intelligenz  intact  und  nahm  selbst  zu  trotz 
Zunahme  der  Anfälle;  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  bringt  eine  Verminderung  der  An- 
fälle eine  Besserung  des  intellectuellen  Zustandes  mit  sich.  A.  Pick. 


Therapie. 

8)  Welche  Bedeutung  können  wir  der  in  neuerer  Zeit  mehrfiBkoh  genannten 
Weir  Mitchell  Playfair'sohen  Kur  beilegen?  von  E.  Leyden.  (Dtsch. 
med.  Wochenschr.  1886.  14.) 

In  der  Sitzung  des  Vereins  für  innere  Medicin  am  29.  März  d.  J.  referirte 
Herr  E.  Leyden  in  eingehender  Weise  und  sehr  anerkennend  über  Weir  MitchelTs 
Buch  resp.  Methode,  besprach  ausführlich  die  einzelnen  Punkte  seines  Heilverfahrens, 
die  Absonderung,  Buhe,  Massage,  Elektricität,  Diät,  und  erwähnte  dann  kurz  die 
auf  Weir  MitchelPs  Methode  bisher  erschienenen  Publicationen  (Playfair,  Bins- 
wanger,  Burkart,  JoUy).  L.  rühmt  die  ausserordentlichen  Erfolge  dieser  Kur, 
deren  Originelles  in  der  Combination  einer  Reihe  von  durchaus  nicht  neuen  Heil- 
potenzen liegt  und  darin,  „dass  sie  nicht  eigentlich  die  Krankheit  zum  Gegenstand 
ihrer  Angriffe  macht,  sondern  sich  zur  Behandlung  des  kranken  Individuums  wendet'' 

—  „ein  therapeutischer  Weg,  der  fruchtbar  ist,  und  von  dem  ich  behaupten  möchte, 
dass  die  Stärke  der  inneren  Medicin  auf  ihm  gelegen  ist." 

Allerdings  hat  die  Methode  auch  Schattenseiten  und  diese  bestehen  in  ihrer 
Kostspieligkeit,  in  der  Schwierigkeit,  den  Kranken  —  besonders  wenn  es  Familien- 
mfitter  sind  —  zu  isoliren,  in  der  weiteren  Schwierigkeit,  geeignetes  Pflegepersonal 
zu  finden.  Die  Isolirung  hält  L.  nicht  für  unbedingt  nöthig,  unt«r  Umständen  sogar 
für  hinderlich;  und  in  Bezug  auf  die  Diät  verzichtet  er,  wenn  nöthig,  auf  die  Milch 
und  giebt  dafür  andere  flüssige  Nahrung. 

In  der  Discussion  bemerkt  zunächst  Herr  Mendel,  dass  er  bei  Hypochondrie 
keine  Erfolge  von  Weir  MitchelVs  Methode  gesehen  habe,  wohl  aber  ganz  aus- 
gezeichnete bei  Hysterie,  besonders  der  convulsiven  Form  und  bei  Hystero-Epilepsie; 
auch  sehr  schwere  Formen  seien  dauernd  geheilt,  wenigstens  noch  nach  1^2 — ^  Jahren. 

—  Die  Entfernung  aus  der  Familie  hält  M.  unbedingt  für  nothwendig.  Uebrigens 
scheine  die  Zahl  der  geeigneten  Fälle  eine  viel  begrenztere  zu  sein,  als  Play  fair 
annehme. 

Herr  Ewald  theilt  aus  einem  Manuscripte  des  Herrn  Burkart  (Bonn)  mit, 
dass  derselbe  in  21  Fällen  (4  Männer,  17  Frauen)  57  ^/^  Heilungen  erzielt  hat. 
Auch  Herr  B.  begrenzt  die  Anzahl  der  Fälle,  die  sich  zur  Playfair'sohen  Kur 
eignen,  schliesst  alle  Erregungszustände  des  Gehirns  aus,  desgleichen  Hysterie  mit 
unstillbarem  Erbrechen,  viscerale  Neuralgien,  die  nervöse  Dyspepsie;  er  sah  dagegen 
bei  schwerer  Hysterie  ohne  Erbrechen,  sowie  bei  spinalen  Irritationen  bei  jungen 
Frauen  und  Mädchen  ausgezeichnete  Erfolge.  —  Herr  Ewald  selbst  vermisst  die 
physiologische  Grundlage  der  Methode. 

Herr  Gnauck  sprach  in  sehr  ausführlicher  Weise  von  seinen  Erfahrungen  über 
die  W.  M.*sche  Kur,   der  er   volle  Anerkennung  zollt.    Psychosen  (Melancholie  und 


—    308    — 

Hypochondrie)  hält  auch  G.  für  ungeeignet,  ebenso  Hysterie  mit  stark  erhöhter  Beflex- 
erregbarkeit,  aasgeprägter  Hyperästhesie  und  Hyperalgesie.  Qt.  hält»  wie  Herr  Mendel, 
es  für  anbedingt  nöthig,  den  Kranken  aus  seinen  häuslichen  Verhältnissen  heraus- 
zunehmen,  denn  er  hat  bei  Unterlassung  dieser  Vorschrift  die  Kar  fehlschlagen  ge* 
sehen.  Ueberhaupt  hält  G.  die  ToUständige  körperliche  und  geistige  Buhe  für  die 
Hauptsache.  Die  strenge  Milchdiät  ist  nicht  überall  durchzuführen  und  auch  ganz 
gut  durch  andere  flüssige  Nahrung  zu  ersetzen.  Bei  der  Massage  ist  Erregung  der 
Muskeln  unter  möglichster  Schonung  der  Hautnerven  zu  erstreben  und  darum  die 
„effleurage",  wie  schon  Binswanger  hervorgehoben  hat,  am  meisten  anzuwenden. 
Fatal  ist,  dass  die  Massage  bei  manchen  Hysterischen  hypnotisirend  wirkt  und  hier- 
durch die  Wirkung  der  Kur  vereitelt  werden  kann.  Das  Faradisiren  kann,  wo  es 
nicht  vertragen  wird,  am  ehesten  ohne  Schaden  fortbleiben;  dagegen  kann  man  mit 
Nutzen  eine  Wasserbehandlung  massigen  Grades  der  Kur  hinzufügen,  Abwaschungen, 
lauwarme  Voll-  und  Halbbäder.  Bei  unvollständigem  Erfolge  ist  eine  Wiederholung 
der  Kur,  deren  Dauer  zwischen  6  und  10  Wochen  schwankt,  in*s  Auge  zu  fassen. 

Hadlich. 


m.   Aus  den  Gesellschaften. 

ZI.  Wanderversammliing  aüdweatdeutaoher  Neurologen  und  Irren&rste 

zu  Baden-Baden  am  22.  und  23.  Mai  1886. 

Original -Bericht  von  Dr.  L  aquer  in  Frankfurt  a.  M. 

(Fortsetzung.) 

VUI.  Docent  Dr.  Bumpf  (Bonn):  Zur  Pathologie  der  motorischen 

Bindencentren. 

B.  spricht  über  das  Verh&ltniss  der  motorischen  Bindencentren  zur  Fühlsphäre 
unter  Zugrundlegung  eines  sehr  bemerkenswerthen  Krankheitsfalles:  Ein  im  Alter 
von  30  Jahren  stehender  Mann  war  mit  einer  Mistgabel  über  den  Kopf  geschlagen 
worden,  sodass  er  plötzlich  ohnmächtig  zusammenbrach.  Er  trug  eine  Lähmung  der 
ganzen  rechten  Körperhälfte  und  des  linken  Beines  davon.  —  Der  Zustand  blieb 
lange  Zeit  der  nämliche,  später  kam  es  zu  Gontracturen  in  den  gelähmten  Gliedern. 
Die  Paralyse  der  unteren  Extremitäten  war  eine  vollkommene.  Die  Sehnenreflexe 
waren  enorm  gesteigert.  Dagegen  ergab  die  mit  peinlichster  Sorgfalt  angestellte 
Untersuchung  aller  Gefühlsqualitäten  auch  nicht  die  mindeste  Abweichung  von  der 
Norm.  Bei  näherer  Untersuchung  des  Schädels  fand  sich  eine  Impression  vor,  welche 
das  linke  Scheitelbein  und  den  oberen  Theil  des  rechten  Scheitelbeines  betroffen 
hatte.  Diese  Stelle  entsprach  etwa  dem  Verlaufe  der  oberen  Drittel  der  Central- 
windung  links  und  in  geringerem  Maasse  auch  demjenigen  der  rechten  Seite.  Durch 
eine  Läsion  dieser  beiden  Stellen  der  Grosshimrinde  war  offenbar  die  oben  beschrie- 
bene Lähmung  der  Extremitäten  verursacht  worden.  In  Folge  dessen  bat  der  Vor- 
tragende Professor  Trendelenburg,  einen  operativen  Eingriff  zu  versuchen,  derselbe 
meisselte  auch  die  beiden  auf  die  Gehimoberfläche  drückenden  Knochenstücke  heraus. 
Nachdem  dies  geschehen  war,  stellte  sich  eine  ausserordentlich  rasche  Besserung  in 
dem  Zustande  des  Pat.  ein.  Er  lernte  in  wenigen  Wochen  selbstständ^  gehen  und 
laufen,  was  er  vorher  nur  mit  Unterstützung  von  zwei  Personen  vermocht  hatte.  Er 
bot  im  Laufe  der  Zeit  das  Bild  einer  gewöhnlichen  spastischen  Spinallähmung.  Der 
Arm  ist  völlig  gut  geworden. 

IX.  Prof.  Hack  (Freiburg):  Zur  operativen  Therapie  des  Morbus  Basedowii. 

Bei  der  17jährigen   Patientin  bestanden  die  Erscheinungen  des  Exophthalmus, 
des  mangelnden  Consensus  zwischen  Lidbewegung  und  Senkung  der  Blickebene,  sowie 


—    809    — 

der  Erwditenuig  der  Lidspalte  schon  seit  frühester  Kindheit,  w&hrend  eine  massige 
SchilddrQsenvergrGssenmg  nnd  hochgradige  Anfalle  von  Herzklopfen  sich  erst  später 
hinzngesellt  hatten.  Das  letistere  Symptom  hatte  allmählich  bedentende  Verbreiterung 
der  Herzgrenzen  nach  allen  Dimensionen,  vorwiegend  aber  nach  links,  zar  Folge.  Fat. 
wurde  dnrch  die  Zunahme  langbestandener  Obstructionserscheinungen  in  der  Nase 
zum  Vortragenden  geführt.  Die  Ursache  derselben  wurde  in  beträchtlicher  Ver- 
grösserung  der  Schwellgebilde  an  der  unteren  und  mittleren  Muschel  beiderseits  ge- 
funden. Die  galvanocaustische  Zerstörung  dieser  Partien  war  von  eigenthümlichera 
Effect  begleitet.  Denn  als  auf  der  rechten  Seite  operirt  worden  war,  so  trat  am 
darauffolgenden  Tage  auf  der  gleichen  Seite  die  Bulbusprominenz  nahezu  völlig 
zurück,  während  sie  auf  der  andern  Seite  bestehen  blieb;  als  die  Operation  links 
vorgenommen  wurde,  trat  auch  auf  dieser  Seite  der  Exophthalmus  zurück:  ebenso 
verlor  sich  durch  das  Verschwinden  des  Gräfe*schen  Symptoms  der  starre  Gesichts- 
ansdruck  der  Patientin.  Auch  die  Anfalle  nervösen  Herzklopfens,  eine  nach  des 
Redners  Erfahrungen  sehr  häufige  Begleiterscheinung  bei  Nasenleiden,  hatten  auf« 
gehört.  In  Folge  dessen  verminderte  sich  allmählich  die  Dilatation  des  Herzens  und 
die  Struma;  eine  Beihe  von  Monaten  später  konnte  selbst  bei  genauester  Untersuchung 
keine  Verbreiterung  der  Herzgrenzen  mehr  nachgewiesen  werden.  Redner  stellt  den 
Symptomencomplex  für  seinen  Fall  in  Parallele  mit  andern  von  der  Nase  ausgehenden 
Beflexneurosen,  die  ihrem  Wesen  nach  als  vasodilatatorische  aufgefasst  werden  dürften: 
80  könne  eine  stärkere  Turgescenz  des  retrobulbären  Fettgewebes  in  Folge  reflec* 
torischer  Gefasserweitemng  den  Exophthalmus  bedingen,  eine  reflectorische  Dilatation 
der  Goronar- Arterien  durch  den  grösseren  Blutznfluss  die  automatischen  Herzganglien 
kräftiger  erregen  und  stärkere  Palpitationen  veranlassen.  Redner  betont  indess  aus- 
drücklich, dass  allgemeine  Schlüsse  über  das  Wesen  des  Morbus  Basedowii  ans 
einem  vereinzelten  FaUe  nicht  gezogen  werden  dürften;  dagegen  scheint  ihm  die  aus 
seiner  Beobachtung  resultirende  Thatsache  des  gelegentlich  peripherischen  Ur- 
sprungs des  Morbus  Basedowii  praktisch  von  grosser  Bedeutung:  man  möge  daher 
nicht  versäumen,  Fälle  Basedow'scher  Krankheit  auch  rhinoskopisch  zu  untersuchen, 
namentlich  wenn  wirklich  nasale  Symptome  existirten. 

(Der  Vortrag  ist  in  der  Deutschen  med.  Wochenschr.  zum  Abdruck  gelangt.) 

Zweite  Sitzung  den  23.  Mai:  Vormittags  9V4  Uhr  eröfi&iet  Prof.  Berlin 
(Stuttgart)  die  Verhandlungen  mit  einer  Beihe  geschäftlicher  Angelegenheiten.  Prof. 
Jelly  (Strassburg)  ladet  die  Wanderversammlung  für  nächstes  Jahr  zum  Besuche 
Strassburg*8  und  zur  Besichtigung  der  dort  neu  errichteten  Psychiatrischen 
Klinik  ein.  Die  Versammlung  beschliesst  demgemäss,  das  nächste  Mal  in  Strassburg 
zu  tagen  und  wählt  Prof.  JoUy  und  Dr.  Fischer  (lUenau)  zu  Geschäftsführern  für 
das  Jahr  1886/87. 

Vor  Eintritt  in  die  wissenschaftliche  Tagesordnung  legt  Dr.  E  ding  er  (Frank- 
furt a.  M.)  eine  Anzahl  Mikrophotographien  und  Photographiedrucke  vor,  welche  die 
Firma  Kühl  &  Comp,  in  Frankfurt  a.  M.  neuerdings  herstellt.  Dieselben  zeigen, 
zumeist  mit  dem  orthochromatischen  Verfahren  aufgenommen,  eine  wunderbare  Klar- 
heit und  Schärfe  auch  bei  solchen  Präparaten,  welche,  wie  die  nach  Weigert  mit 
Hämatoxylin  behandelten  des  Nervensystems,  bisher  kaum  scharf  wiedergegeben  wurden. 
Die  Drucke  sind  direct  von  der  Platte  genommen,  und  macht  E.  darauf  aufmerksam, 
dass  sie  viel  schärfere  und  reinere  Bilder  geben,  als  die  gewöhnliche  Photographie, 
die  Linien  sind  härter,  der  Grund  heller,  was  bei  Abbildungen  von  Faserzügen  im 
Nervensystem  sehr  in  Betracht  kommt  Der  Photographiedruck  ist  billiger  als  jedes 
Verfahren,  das  des  Zeichnens  bedarf.  Er  ist  da  vorzuziehen,  wo  tadellose  Präparate 
sicher  wiedergegeben  werden  sollen.  Dabei  ist  jede  beliebige  Farbe  sowohl  photo- 
graphisch als  auch  im  Druck  anzubringen.    Die  Photographien  von  Kühl  &  Comp. 


—    810    — 

ertragen  starke  Lonpenvergrösserung,  —  wie  an  einem  Bückenmarksschnitt  demon- 
strirt  wurde,  welches  bei  schwacher  Yergrössening  aufgenommen,  alle  Ganglieu- 
zellenforts&tze  erkennen  Hess,  wenn  man  die  Loupe  anwendete. 

Dann  demonstrirt  Docent  Dr.  Bieger  (Würzburg)  das  von  Prof.  Eohlrauscb 
angegebene  Federgalvanometer  mit  folgenden,  den  Sitzongs-Berichten  der  Würzb. 
physik.  med.  Gesellschaft  entnommenen  Erläuterungen: 

Für  viele  Zwecke  der  Praxis  wird  ein  Strommesser  verlangt,  der  die  Bedingungen 
vereinigt,  dass  er  einfach  herzustellen  und  zu  handhaben  ist,  dass  er  sich  schnell 
ruhig  einstellt  und  endlich,  dass  er  auf  die  Dauer  eine  gewisse  ünveränderlichkeit 
verbürgt  Auf  eine  besondere  Feinheit  der  einzelnen  Ablesung  dagegen  wird  man, 
schon  wegen  der  Stromschwankungen,  bei  vielen  praktischen  Zwecken  kaum  zu  sehen 
brauchen.  Es  scheint  mir,  dass  es  an  einem  solchen  Instrument  für  schwache  Strdme 
z.  B.  für  ärztliche  Zwecke  fehle.  Das  vorliegende  Galvanometer  kann  da  vielleicht 
gute  Dienste  thun,  wo  eine  Genauigkeit  der  Angaben  auf  etwa  Vio  ?^^^  ^^^ 
kann  das  Instrument  für  beliebig  starke  Ströme  einrichten.  Abwärts  ist  dasselbe 
etwa  bis  0,001  Ampere  brauchbar. 

Eine  Magnetnadel,  welche  nur  theilweise  in  eine  Drahtspule  eintaucht,  wird 
bekanntlich  von  einem  in  geeigneter  Bichtung  durch  die  Spule  gehenden  Strome  mit 
einer  gewissen  Kraft  in  die  Spule  gezogen.  Hängt  man  diese  Nadel  an  einer  elas- 
tischen Spiralfeder  au^  so  wird  die  Nadel  je  nach  der  Stromstärke  mehr  oder  weniger 
einsinken,  und  es  wird  jeder  Stellung  der  Nadel  eine  bestimmte  Stromstärke  ent- 
sprechen. 

Die  Elastidtät  einer  Feder,  etwa  von  Stahl  oder  Neusilber,  kann  auf  lange 
Zeit  als  ziemlich  unveränderlich  verbürgt  werden.  Der  Magnetismus  der  Nadel 
freilich,  mit  welchem  die  hineinzuziehende  Kraft  ja  wächst,  erleidet  Yeränderangen, 
die  besonders  nach  längerer  Nichtbenutzung  des  Instrumentes  einen  merklichen  Be- 
trag erreichen  können.  Allein  das  letztere  bietet  ja  selbst  das  einfachste  Mittel,  die 
Nadel  jederzeit  frisch  zu  magnetisiren.  Die  Stromrichtung,  welche  die  Nadel  in  die 
Spule  zieht,  ist  derartig,  dass  der  Magnetismus  dadurch  verstärkt  wird.  Man  braucht 
also  auch  nach  längerer  Nichtbenutzung  des  Instruments  nur  einen  Augenblick  einen 
einigermaassen  kräftigen  Strom  durchzuschicken  (der  die  Nadel  bis  auf  den  Boden 
der  Spule  zieht),  um  sie  sofort  wieder  mit  ihrem  ursprünglichen  Magnetismus  zu 
versehen.    Die  möglichen  Aenderungen  werden  sich  dann  kaum  auf  Vio  belaufen. 

Doch  wird  man  gut  thun,  wenn  ein  starker  Strom  durchgegangen  war,  vor  der 
Messung  schwacher  Ströme  zuerst  eine  Stromunterbrechung  eintreten  zu  lassen,  weil 
sonst  auch  von  dem  temporären  Magnetismus  durch  den  starken  Strom  ein  Best 
übrig  bleibt,  der  die  Angaben  des  Instruments  etwas  zu  hoch  ausfallen  lässt 

Eine  solche  Stromwaage,  die  für  die  Stromstärken  von  0,001  bis  0,015  Amp. 
(1  bis  15  Milli-Amp.),  wie  sie  in  der  Elektrotherapie  gebraucht  werden,  eine  geeignete 
Scala  liefert,  aber  durch  andere  Drahtstärken  oder  durch  Nebenschliessungen  auch 
für  beliebige  andere  Stromstärken  eingerichtet  werden  kann,  bildet  das  Kohlen- 
rausch'sche  Galvanometer.  Die  Drahtspule  hat  etwa  60  mm  Länge,  6  und  35  mm 
inneren  und  und  äusseren  Durchmesser.  Die  Durchbohrung  des  Spulenrahmens,  in 
welcher  die  Nadel  spielen  soll,  ist  natürlich  glatt  ausgearbeitet  und  gesäubert;  sie 
hat  einen  Durchmesser  von  3  mm.  Grössere  Weit«  ist  schon  deswegen  ungünstig, 
weil  die  Nadel,  wenn  sie  sich  weiter  aus  der  mittleren  Lage  entfernen  kann,  sich 
mit  einer  gewissen  Kraft  an  die  Seitenwände  anlegt  und  dann  einer  grösseren  Bei- 
bung  unterliegt. 

Die  Wickelung  füi  Stromstärken  von  0,001  bis  0,015  Amp.  besteht  ans  etwa 
10000  Windungen  feinsten  Kupferdrahtes. 

Eine  90  mm  lange  magnetisirte  Stahlnadel  (Stopfnadel)  ist  an  einer  Spiralfeder 
von  feinem  Neusilberdraht  aufgehängt  und  taucht  in  ihrer  Nullstellung  (ohne  Strom) 


—    311     — 

20  mm  tief  in  die  Spule  ein;  Als  Index  zum  Ablesen  an  der  auf  dem  Glasrohr 
angebrachten  Scala  dient  eine  an  dem  oberen  Ende  der  Nadel  befestigte  Scheibe  aus 
Hom,  die  zugleich  eine  andere  Aufgabe  erfüllt,  nämlich  die  Schwingungen  des  In- 
struments rasch  zu  beruhigen.  Denn  da  der  Scheibe  in  dem  Glasrohre  nur  ein 
kleiner  Spielraum  gegen  die  Wandungen  gelassen  worden  ist,  da  femer  das  untere 
Ende  der  Spulendnrchbohrung  durch  einen  Kork  geschlossen  ist,  so  bildet  sich  bei 
einer  Bewegung  der  Nadel  auf  der  vorderen  Seite  eine  Verdichtung,  auf  der  hinteren 
eine  Verdünnung  der  Luft,  welche  die  vorhandene  Bewegung  rasch  dämpfen. 
Die  Einstellungen  erfolgen  bei  einer  Scheibe,  die  das  Bohr  beinahe  ausfüllt,  fast 
momentan,  und  man  kann  auch  raschen  Stromschwankungen  mit  der 
Beobachtung  vollkommen  folgen. 

Stellschrauben  in  dem  Holzfusse  lassen  das  Instrument  so  aufstellen,  dass  die 
Nadel  freie  Bewegung  hat. 

Wie  schon  gesagt,  ist  der  Strom  immer  in  einer  und  derselben  Bichtung  durch 
das  Instrument  zu  senden.  Die  Anbringung  eines  Stromwenders  ist  dadurch  natürlich 
nicht  ausgeschlossen,  man  muss  nur  die  Stromwaage  immer  zwischen  den  Stromwender 
und  die  Batterie  einschalten. 

Sollte  aus  Versehen  einmal  ein  starker  Strom  in  verkehrter  Bichtung  durch 
das  Instrument  gegangen  sein  und  die  Nadel  ummagnetisirt  haben,  so  lässt  sich 
dieser  Schaden  auf  demselben  Wege  durch  einen  kräftigen  Strom  in  normaler  Bich- 
tung, indem  man  nöthigenfaUs  die  Nadel  dabei  in  die  Spule  einsenkt,  wieder  aus- 
bessern. Wenn  man  es  vorzieht,  mag  man  auch  die  ummagnetisirte  Nadel  weiter 
gebrauchen,  muss  dann  aber  den  Strom  immer  in  der  verkehrten  Bichtung  durch 
das  Instrument  schicken. 

Der  Widerstand  des  mit  dem  feinen  Draht  bewickelten  Instrumentes  beträgt 
etwa  1000  Quecksilbereinheiten.  Die  Scala  erlangt  dabei  eine  Grösse,  dass  man 
etwa  auf  0,0001  Amp.  noch  ablesen  kann.  Ein  weiterer  Spielraum  für  die  zu 
messenden  Ströme  kann  leicht  in  bekannter  Weise  durch  Nebenschliessungen  (Shuntes) 
erzielt  werden.  Man  kann  hierdurch  z.  B.  bewirken,  dass  je  nach  der  Stellung 
eines  Stöpsels  nur  der  zehnte  oder  auch  nur  der  handertste  Theil  des  Stromes  durch 
die  Spule  fliessi  Es  sind  dann  also  die  Angaben  mit  10,  resp.  mit  100  zu  multi- 
pliciren,  und  dasselbe  Instrument  reicht  also  von  0,001  bis  1  Amp.  Die  Wider- 
stände, welche  die  Nebenschlüsse  bilden,  und  die  in  dem  Boden  des  Instrumentes 
stecken,  betragen  zu  diesem  Zweck  Vo»  ^^V-  ^Iw  ^^s  Hauptwiderstandes.  Bei  dieser 
Benutzung  wird  dann  auch  der  Gesammtwiders^d  auf  etwa  100,  resp.  10  Q.-E. 
reducirt,  was  für  stärkere  Ströme  vortheilhaft  ist.  Derselbe  Stöpsel  lässt  in  einer 
dritten  Stellung  das  Instrument  aus  dem  Stromkreise  ausschalten. 

Sollte  der  Nullpunkt  des  Instrumentes  durch  unvorsichtige  Behandlung  oder 
durch  die  Zeit  sich  ein  wenig  ändern,  so  corrigirt  man  mit  der  verstellbaren  Auf- 
hängevorrichtung, bis  wieder  der  alte  Nullpunkt  hergestellt  ist.  Die  Federkraft  wird 
durch  solche  Aenderungen,  wenn  sie  nicht  zu  bedeutend  sind,  nicht  merklich  geändert. 

Das  Instrument  ist  von  dem  Mechaniker  des  physikalischen  Instituts  in  Würz- 
bnrg,  C.  Marstaller,  zu  beziehen. 

(Fortsetzxmg  folgt.) 


IV.  PersonalieiL 

Am  13.  Juni  endete  ein  gewaltsamer  Tod  das  Leben  von  Bernhard  v.  Gudden, 
geb.  den  7.  Juni  1824  in  Cleve.  Es  soll  an  dieser  Stelle  nicht  auf  das  tragische 
Ereigniss,  dem  Gudden  zum  Opfer  fiel,  eingegangen  werden,  es  soll  hier  nur  der 
tiefen  Trauer  um  den  schweren  Verlust,  den  die  Wissenschaft  durch  seinen  Tod  er- 
litten, wie  der  hohen  Verehrung  ein  Ausdruck  gegeben  werden,  die  der  Dahinge- 
schiedene  in   reichstem   Maasse  genoss.     Nach  seinen  hervorragenden  Arbeiten  über 


—    312    — 

das  ScMdelwachstham  hatte  sich  G.  besonders  der  anatomischen  und  phyüologiacheD 
Forschung  des  Oehims  zugewandt  und  durch  die  Anwendung  einer  neuen  Methode, 
die  als  Angrif&ponkt  das  junge,  möglichst  das  neugeborene  Thier  nimmt,  wie  durch 
die  gewonnenen  Resultate  dauerndes  Verdienst  sich  erworben.  Zahlreiche  Schüler, 
z.  Th.  schon  in  hervorragenden  Stellungen,  arbeiten  in  seinem  Sinne  weiter.  In 
den  letzten  Jahren  betheiligte  er  sich  in  besonders  reger  Weise  an  den  jährlichen 
Sitzungen  des  Vereins  der  deutschen  Irrenärzte  und  hatte  auch  für  die  diesjährige 
im  September  in  Berlin  das  Referat  über  ,,die  Grundsätze  von  Aufnahme  und  Ent- 
lassung von  Geisteskranken",  wie  über  „die  mechanische  Behandlung  der  Dementia 
paralytica''  übernommen;  ebenso  thätig  nahm  er  Antheil  an  den  Sitzungen  der  Natur- 
forscherversammlung. Es  war  selbstverständlich,  dass  er  bei  diesen  Zusammenkünften 
sowohl  wegen  seiner  hervorragenden  geistigen  Bedeutung,  wie  wegen  seines  liebens- 
würdigen Wesens  den  Mittelpunkt  bildete,  um  den  sich  die  Fachgenossen  sammeltea 
Wie  er  in  seinen  wissenschaftlichen  Arbeiten  mit  der  peinlichsten  Gewissen- 
haftigkeit vorging,  so  war  sein  Streben  in  der  praktischen  Psychiatrie  erfüllt  von 
dem  Ideal,  die  Leiden  seiner  Kranken  auf  das  mögUcbst  geringste  Maass  zurück- 
zuführen. Zeugniss  hierfür  giebt  noch  der  letzte  Jahresbericht,  den  er  veröffentlichte 
und  über  den  wir  in  dieser  Zeitschrift  1885  S.  564  referirten.  Für  seine  Pflicht, 
in  der  Erfüllung  seines  Berufes  ging  er  in  den  Tod.  Ehre  seinem  Andenken,  Friede 
seiner  Asche.  M. 

In  Gent  starb  am  22.  Mai  Dr.  Ingels,  ein  hervorragender  belgischer  Psychiater, 
über  dessen  letzte  Arbeit  wir  in  dieser  Nummer  referirten. 

Von  unsem  Mitarbeitern  wurde  Herr  Prof.  Dr.  Emminghaus  von  Dorpat  an 
die  Universität  Freiburg  als  Director  der  psychiatrischen  Klinik  berufen,  Herr  Dr. 
Kraepelin  geht  von  Dresden  als  Professor  der  Psychiatrie  an  die  Universität  Dorpat, 
und  Privatdocent  Herr  Dr.  Falk  zu  Berlin  wurde  zum  Prof.  extraordinarius  daselbst 
ernannt. 

Herr  Prof.  Grashey  (Würzburg)  ¥nirde,  wie  uns  aus  München  berichtet  wird, 
zum  Nachfolger  Guddens  berufen. 


V.  Vermischtes. 

Italien  wird  in  Dächster  Zeit  eine  besondere  Anstalt  für  oriniineUe  Irre  erhalten.  Daa 
Ministerium  des  Inneren  bat  angeordnet,  dass  die  bisherige  Strafanstalt  Ambrogiana  in  eine 
Irrenanstalt  umgewandelt  wird.  Mindestens  8  Abtheilangen  werden  voranssicEtlich  in  der- 
selben eingericbtet,  nämlich  für  irre  Verbrecher,  für  irre  Untersnchnngsgefangene  und  fftr 
die  Simalstionsverd&chtigen;  wahrscheinlich  werden  aber  auch  solche  Irre  dort  Aufnahme 
finden  können,  die  ihrer  geistigen  Störung  wegen  bereits  freigesprochen  oder  aus  der  Haft 
entlassen  sind,  die  aber  in  den  allgemeinen  Irrenanstalten  sich  so  gemeingefährlich  gezeigt 
haben,  dass  sie  einer  besonderen  Versicherung  bedürfen.  Zum  Director  des  neuen  Institut^, 
das  hoffentlich  das  Schicksal  der  criminellen  Geisteskranken  erleichtem  wird,  ist  der  auch 
ausserhalb  seines  engeren  Vaterlandes  wohlbekannte  Ponticelli  bestimmt. 

Sommer. 

Im  Herbst  d.  J.  wird  die  erste  Anstalt  ftir  Epileptische  in  der  Schweiz  eröffnet  werden. 
Sie  befindet  sich  auf  der  Rüti  bei  Zürich,  ist  mit  allen  hygienischen  Einrichtungen  der 
Neuzeit  ausgestattet  und  für  ca.  40  Kranke  berechnet. 

(Ztschr.  f.  BchandL  Sohwachainniger  u.  Epileptischer.  1886.  3.) 

Die  Soci^te  contre  Tabus  du  tabac  hat  für  das  Jahr  1888  folgende  Preisaufgabe  (Preis 
1000  fr.)  gestellt: 

Les  effets  du  tabac  sur  la  sant^  des  gens  de  lettrcs,  son  influence  sur  Tavenir  de  la 
litt^rature  fran9aise. 

Verlag  von  Vbit  &  Coiip.  in  Leipzig.  —  Druck  von  Mbtzobb  &  WiTne  in  Leipzig. 


Neurologisches  Centralblatt. 

Uebersicht  der  Leistungen  auf  dem  Gebiete  der  Anatomie,  Physiologie,  Pathologie 
und  Therapie  des  Nervensystemes  einschliesslich  der  Geisteskrankheiten. 

Herausgegeben  yon. 

Professor  Dr.  E.  Mendel 
Fflnfter  laBwun.  Jahrgang. 


Monatiich  eneheinen  zwei  Nninmern.   Preis  des  Jahrganges  16  Mark.   Zu  beziehen  dnrch 
alle  Bachhandlungen  des  In-  und  Auslandes»  die  Postanstalten  des  Deutschen  Reichs,  sowie 

direct  von  der  Yerlagsbuchhandlang. 

1886.  15.  JnU.  M 14. 


Inhalt  I.  Originalmittheilungen.  1.  Beitrae^  zur  Lehre  Ton  der  Aetiologie  des  Tic 
convulsif,  von  Dr.  med.  Otto  Buss.    2.  Üeber  das  Kniephänomen,  yon  Dr.  P.  Zenner. 

11.  Referate.  Anatomie.  1.  Nuoto  processo  di  conrersazione  dcUe  sezioni  microeco- 
piche,  del  Giacomlni.  —  Experimentelle  Physiologie.  2.  Physiologische  Studien  über 
Fsychophysik,  von  MOIIer.  —  Pathologische  Anatomie.  8.  Mittheilungen  über  einige 
milrocepbale  Hirne,  von  ROdinger.  4.  A  case  illastrating  the  condition  of  the  nervous  sysfcem 
after  amputation  of  an  extremity,  by  Dudley.  —  Pathologie  des  Nervensystems.  5.  La 
Emiplegia,  Saggio  di  fisio-patolog^a  del  cervello,  pel  Bianchl.  6.  üeber  Störungen  der  all- 
gemeinen und  speciellen  Sensibilität  bei  Epileptischen,  von  Oserez|owski.  7.  On  a  case  of 
loconiotor  ataxia  with  laryngeal  crises  and  one  of  priroary  sclerosis  of  the  columns  of  GoU, 
complicated  with  ophthalmoplegia  externa,  by  Ross.  8.  On  the  relation  between  the  posterior 
oolumns  of  the  spinal  cord  on  the  excito-motor  area  of  the  cortex  with  especial  reference  to 
Prof.  SchiSia  views  on  the  subject,  by  Horsley.  9.  Locomotor  ataxy  with  almost  entire  ab- 
sence  of  lightning  pains,  by  Bramwell.  10.  Ein  Fall  von  Tabes  dorsalis,  coniplicirt  mit  Dia- 
betes mellitus,  von  Reumont.  11.  Lähmung  der  Glottis-Erweiterer  als  initiales  Symptom  der 
Tabes  dorsalis,  von  Well.  12.  Ein  Fall  von  Affection  der  Gelenke  bei  Tabes,  von  Minor. 
13.  The  pathology  of  rheumatoid  arthritis,  von  Lane.  14.  Chronic  rheuraatic  artbritis  of  the 
hip-joint,  bv  Adams.  15.  Ursachen  und  Verlauf  der  Sehnervenatrophie,  von  Peltesohn.  12.  A 
case  of  multiple  simultaneous  cerebral  haemorrhages,  causing  hemiplegie  and  oculo-pupillary 
Symptoms,  by  Wlilte.  —  Psychiatrie.  17.  Decrease  of  general  paralysis  and  increase  of 
insanity  at  advaneed  ages,  in  Edinburgh,  by  Cloviton.  18.  Observation  de  folie  paralytique 
ä  l'age  de  80  ans,  par  Lentz.  19.  Paretic  dementia,  by  Kiernan.  20.  Syphilis  und  Dementia 
paralytica,  von  Brie.  21.  Ueber  die  Syphilis' als  Aetiologie  der  Tabes  dorsalis  und  der  De- 
mentia paralytica,  von  Preuss.  —  Therapie.  22.  Snlle  variazioni  locali  del  polso  nel  cer- 
vello e  neU'avambraccio  deiruomo  per  effetto  di  alcuni  agcnti  terapeutici,  pei  Capelli  e  Brugia, 

IM.  Aus  den  Oetellscliaften.  —  IV.  Bibliographie.  —  V.  Vermischtes. 

I.  Ortginalmittheilangen. 


1.  Beitrag  zur  Lehre  von  der  Aetiologie  des  Tic  convulsif. 

Aus  der  medicinischen  Umversitätsklinik  zu  Götüngen. 

Von  Dr.  med.  Otto  Boss,  Assistenzarzt  der  Klinik. 

Die  Beseitigang  des  als  Tic  convnlsif  oder  als  mimischer  Qesichtsmuskel- 
krampf  bezeichneten  clonischen  Krampfes  im  Gebiete  des  Nervus  facialis  hat  in 
vielen  Fällen  den  behandelnden  Aerzten  grosse  Schwierigkeiten  bereitet 


f  _    314    _ 

Abgesehen  von  denjenigen  Fallen,  die  als  Refleikrampf  an^fasst  werden 
müssen,'  da  nach^Bäseitignng  des  sensiblea  Beizee  auch  "der  F^iaUskrampf  auf- 
hört, weichen  nar  nodi  die  anscheinend  nach  Erkältung  aufgetretenen  I%Ue 
einer  entsprechenden  Behandlung.  Die  grosse  Anzahl  derjenigen  Fälle,  deren 
Aetiologie  dunkel  ist,  setzen  den  tiierapeutischen  Bestrebungen  ausserordentlich 
hartnädügen  Widerstand  entgegen. 

In  solchen  Fällen  wurde  auch,  nachdem  Medicamente  und  die  Anwendung 
der  Elektricität  vergeblich  versucht  waren,  die  Dehnung  des  Nervus  facialis, 
welche  zuerst  von  Baum  emp^len  worden  ist,  auggefUirt  Das  Resultat  der 
Operation  war  jedoch  im  Allgemeinen  wenig  zufriedenstellend.  Die  Zuokuiigen 
sistirten  manchmal  Tage,  ja  sogar  Monate  lang,  in  letzterem  Falle  war  durch 
die  starke  Dehnung  des  Nerven  eine  schwere,  peripherische  Lähmung  desselben 
hervorgerufen  worden,  fast  stets  aber  stellten  sich  nach  Regeneration  der  Nerven- 
fasern auch  die  Zuckungen  wieder  ein. 

M.  Bernhardt,^  welcher  der  Frage  betreffs  der  Behandlung  des  clonischen 
Facialiskrampfes  mittelst  Nervendehnung  mehrfisu^h  näher  getreten  ist,  weist 
mit  Hinsicht  auf  die  häufig  allen  therapeutischen  und  operativen  Maassnahmen 
trotzenden  Fälle  darauf  hin,  dass  man  bei  denselben  eine  unserer  Therapie  nicht 
zugängliche  Ursache  annehmen  müsse,  wie  z.  B.  in  dem  von  Schitltze'  publi- 
cirten  Falle,  wo  ein  linksseitiger  Faciahskrampf  durch  ein  den  Nervus  facialis 
comprimirendes  Aneurysma  der  Arteria  vertebr.  sinistr.  hervorgerufen  worden  war. 

Schon  früher  hatte  M.  Bobbnthal  einen  Fall  mitgetheilt,  bei  dem  der 
Facialiskrampf  durch  ein  basales  Cholesteatom,  welches  den  Nerven  drückte, 
bedingt  war. 

Diesen  beiden  bislang  in  der  Literatur  bekannten  Fällen  von  Tic  convuMf, 
bei  denen  ein  peripherischer  Reiz,  welcher  den  Stamm  des  Nerv,  facialis  intra- 
craniell  traf,  einen  clonischen  Krampf  desselben  auslöste,  will  ich  einen  dritten, 
auf  der  Göttinger  medicinischen  Universitätsklinik  von  mir  beobachteten  ähn- 
lichen Fall  beifögen« 

Am  28.  Mai  1885  kam  auf  der  medicinischen  Klinik  der  48jähr.  Schlosser 
Aug.  Bergmann  aus  Göttingen  wegen  Athembeschwerden  und  Husten  zur  Auf- 
nahme. Bei  der  Untersuchung  wurden  ein  substantielles  Lungenemphysem  mit 
Bronchitis,  eine  beträchtliche  Hypertrophie  des  Herzens,  ausgesprochene  Athero- 
matose  der  peripheriscben  Arterien,  sowie  ein  linksseitiger  Tic  convulsif  eonstatirt 
Die  clonischen  Zuckungen  betrafen  fast  die  ganze  linke  Gesichtshälfte.  Am 
meisten  in  die  Augen  fallend  war  das  Blinzeln  und  Schliessen  der  Augenlider, 
sowie  die  Verzerrung  der  Wange  und  des  Mundwinkels;  an  der  Stirn,  am  Ohr 
und  am  Kinn  sah  man  keine  Bewegungen. 

Schmerzen  hatte  Patient  nirgends,  weder  spontan,  noch  auf  Druck.  Bei 
psychischer  Erregung  wurden  die  Zuckungen  heftiger.  Seit  wann  die  Zuckungen 
b^tanden,  vermochte  Fat  nicht  genau  anzugeben;  er  wusste  nur  soviel,  dass 


'  M.  Bernhardt,  Zcitschr.  f.  klin.  Med.  1881.  III.  —  Derselbe:  Deutsche  med.  Wochen 
Schrift.  1882.  Nr.  9. 

'  SoHTTLTZB :  Virohow's  Archiv.  Bd.  LXV.  S.  885. 


—    815    — 

seit  mehrereii  Monaten  „dss  Zneken  im  Gesicht^  stetig  zugenonunen  habe.  Ueber 
Störungen  des  Gehörs  wurde  nicht  geklagt  Da  Patient  keine  ejrheblicheu  Be- 
schwerden von  dem  clonischen  Facidiskrampf  hatte,  auch  die  Erkrankung  der 
andern  Oigane  bedeutend  in  den  Vordergrund  trat,  wurde  von  jeglicher  thera- 
peutischer Beeinflussung  des  Krampfes  abgesehen.  Eine  elektrische  Untersuchung 
hat  nicht  stattgefunden. 

Nachdem  Pat  drca  5  Wochen  wegen  seines  Lungenleidens  auf  der  Klinik 
behandelt  worden  war,  wurde  er  gebessert  entlassen;  der  Tic  convulsif  bestand 
unverändert  fort. 

Im  Juli  1885,  circa  4  Wochen  nach  der  Entlassung,  wurde  Pat.  Abends 
6  "ühr  in  einem  Tragkorbe  auf  die  Klinik  gebracht  Er  war  bei  der  Arbeit 
plöizlich  schwindelig  geworden,  war  zu  Boden  gefallen  und  hatte  mehrfach 
erbrochen;  er  war  nicht  im  Stande  allein  zu  stehen  oder  zu  gehen,  ausserdem 
klagte  er  über  reissende  Schmerzen  in  der  ganzen  rechten  Körperhälfte.  B6- 
wussüos  soll  er  nicht  gewesen  sein. 

Bei  der  Aufnahme  konnte  Pat  den  Hergang  der  Erkrankung  selbst  erzählen; 
jedoch  machte  ihm  das  Sprechen  grosse  Mühe  und  stiess  er  häufig  dabei  an. 
Er  klagte  über  Lähmung  und  heftiges  Reissen  in  den  rechtsseitigen  Extremi- 
täten; besonders  heftig  sollten  die  Schmerzen  in  der  rechten  Gesichtshälfte  sein;  er 
war  auf  Aufforderung  jedoch  im  Stande,  die  rechtsseitigen  Extremitäten  ziemlich 
frei  zu  bewegen;  der  Druck  der  rechten  Hand  war  sehr  schwach.  Es  bestand 
eine  linksseitige  Facialisparese;  in  den  paretischen  Muskeln  der  Wange,  der 
Oberlippe  und  der  Augenlider  sah  man  geringfügige  clonische  Zuckungen. 

In  der  folgenden  Nacht  wurde  Pat  bewusstlos;  sämmtliche  Extremitäten 
fielen  aufgehoben  schlaff  herunter.  Die  Temperatur  war  auf  4P  gestiegen,  ohne 
dass  eine  fieberhafte  Qrganerkrankung  nachzuweisen  war. 

Am  Nachmittage  des  folgenden  Tages  erfolgte  der  Exitus  letalis.  Die 
Temperatur  betrug  gleich  nach  dem  Tode  gemessen  43^. 

Die  Zuckungen  im  Gebiete  des  linken  Facialis  waren  am  letzten  Tage  nicht 
mehr  so  deutlich  als  früher  zu  sehen;  zuletzt,  mehrere  Stunden  vor  dem  Tode 
hörten  sie  ganz  anf. 

Die  am  folgenden  Morgen  von  Prof.  Qbth  angeführte  Obduction  ergab  als 
Todesursache  eine  ausgedehnte  Zerstörung  der  Brücke  durch  einen  taubenei- 
grossen  Bluterguss.  Die  Zerstörung  war  auf  der  linken  Seite  grösser,  als  auf 
der  rechten,  eneichte  jedoch  die  Medulla  oblongata  nicht 

Abgesehen  von  dem  übrigen  Befunde,  der  uns  in  diesem  Falle  nicht  inter- 
essirt,  fand  sich  noch  Folgendes:  Die  linke  Arteria  cerebelli  post  war  etwas 
weiter,  als  die  rechte,  verlief  geschlängelt  und  bogenförmig  nach  vom  und  zeigte 
ausserdem,  wie  fiist  alle  Arterien  der  Basis  atheromatöse  Stellen.  Sie  li^  mit 
einer  Windung,  an  der  sich  eine  stark  atheromatöse  Stelle  befand,  dem  linken 
Facialis  und  Acusticus  fest  auf.  An  beiden  Nerven  war  äusserlich  nichts  Ab* 
normes  zu  ^tdecken.  Die  Untersuchung  der  frischen  und  gehärteten  Nerven, 
sowie  des  Fadalisursprunges  in  der  Brücke  ergab  ein  negatives  Resultat  Beide 


-      316 

Nerven  verhielten  sich  genau  so,  wie  die  der  rechten  Seite,  welche  zum  Ver- 
gleiche dienten. 

Unser  negativer  Befund  entspricht  dem  von  SoHUiiTZE,  welcher  ebenüaUs 
nicht  im  Stande  war,  an  dem  durch  das  Aneurysma  gedrückten  Nerven  patho- 
logische Veränderungen  nachzuweisen. 

Es  ist  die  Annahme  überaus  nahegelegt,  dass  in  unserm  Ealle  der  links- 
seitige clonische  Facialiskrampf  durch  den  Druck,  welchen  die  atheromatöse 
Stelle  der  erweiterten  linken  Art  cerebelli  post  auf  ihn  ausübte,  hervorgerufen 
worden  ist.  Wenigstens  ist  bei  der  sehr  genau  ausgeführten  Untersuchung 
nichts  gefunden  worden,  was  sonst  für  die  Entstehung  des  Tic  couFulsif  ver- 
antwortlich gemacht  werden  könnte. 

Jedoch  möchte  ich  annehmen,  dass  wesentlich  die  Erweiterung  des  Arterien- 
rohres, welche  die  atheromatöse  Stelle  in  nahe  Berührung  mit  dem  unterli^endeu 
Nerven  brachte,  die  Entstehung  des  Tic  convuMf  veranlasst  habe. 

Wie  in  dem  Falle  von  Sghültze  fehlten  auch  in  unserem  Falle  jegliche 
Reizerscheinungen  von  Seiten  des  Acusticus.  Der  Kranke  hat  niemals  über 
abnorme  Sensationen  im  Ohr  geklagt.  Es  würde  denmach  diese  Beobachtung 
auch  wieder  dafür  sprechen,  dass  Reizung  des  Acusticusstammes  weder  Ohren- 
sausen, noch  Schwerhörigkeit  hervorzurufen  pflegt. 

Endlich  stimmt  unser  Fall  noch  in  dem  Punkte  mit  dem  ScHULxzB'schen 
überein,  dass  im  Facialisgebiet  tonische  Krämpfe  nicht  beobachtet  wurden. 

Natansok  nahm  bekanntlich  an,  dass  ein  Beiz,  der  einen  motorischen  Nerven 
in  irgend  einem  peripherischen  Abschnitte  treffe,  einen  tonischen  Krampf  der 
zugehörigen  Musculatur  hervorrufe. 

Sowohl  der  Fall  von  Schui/fze,  wie  der  unserige  sprechen  dagegen. 


2.     Heber  das  Kniei)hänomen. 

Von  Dr.  P.  Zenner  in  Cincinnati,  0. 

Ich  habe  kürzlich  das  Kniephänomen  an  2174  Personen  tmtersucht,  bez. 
untersuchen  lassen.  Von  diesen  waren  1174  Insassen  von  Irrenhäusern,  die 
übrigen  1000  waren  hauptsächlich  Personen  in  scheinbar  gutem  Gesundheits- 
zustande. 267  von  den  Irren  waren  weiblichen,  alle  übrigen  Untersmchten 
männlichen  Qeschlechtes.    Alle  waren  erwachsene  Personen. 

Bei  23  von  den  1174  Irren  fehlte  das  Kniephänomen.  Von  diesen  waren 
10  Fälle  von  allgemeiner  Paralyse,  während  zwei  zur  Zeit  diagnostisch  noch 
zweifelhaft  waren.  Von  den  10  Paralytikern  hatten  9  ausserdem  reflectoiische 
Pupillenstarre. 

Bei  den  übrigen  1000  fehlte  das  Kniephänomen  in  5  Fällen.  Zwei  von 
diesen  hatten  noch  andere  Symptome  von  beginnender  Tabes;  einer  war  ein 
alter  Mann  von  94  Jahren  mit  beträchtlicher  Muskelatrophie  und  Zeichen  an- 
derer  Gewebsdegeneration;  während  die  übrigen  zwei  offenbar  in  gutem  Gesund- 
heitszust^de    sich  befanden.    Einer  von   diesen  letzteren  war   ein   Farbigen 


—    817     — 

39  '3 Ate  alt*^  weldbefr  früher  eiBen  Sehanker  gehabt  hatte,  und  zdtweise  an 
S<^hmer2»n  an  verschiedenen  TheOen  des  Körpers  Utt,  welche  jedoch  nicht  den 
Charakter  der  bei  heginnender  Tabes  vorhandenen  Schmerzen  hatten.  iW  an- 
dere,. 25  jak(pe  alt,  gab  an,  dass  er  lue  an  ..einer  venerisohaa  Eraukheit  gelitten 
hafce^  imd  war  auBcheinend.  vollkommen  gesund.  Beide  waxen  G^^mgene  in 
don  Cöicinnattar  Arbeitshänse.  SMgMeherweise  werden  sich  bei  ihnen  mit  der 
Zeit  die  Zeichen  von  vorhandener  Tabes  entwickeln.  Doch  mag  dies  sein,  wie 
es  will,  das  steht  fest,  dasß  das  Eniepbänomen  in  eifern  so  geringen  Frocent- 
sat»  bei  anscheinendi  gesunden  Personen  nicht  vorhanden  ist,  dass  maa  das 
Fehlen  desselben  als  ein  beinahe  sicheres  pathognomisches  Zeichen  betanchten  kaain. 
Za  diesen  Besnltaten  bifi  ich  mit  ZuhUfenahme  der  Methode  von  Jm- 
D'BLkBSöc  (cf.  d.  GentralbL  1885.  !Nr.  18)  gekonmien,  wobei  der  zu  Untersuchende 
die  Pinger  beider  Hände  ineinänderhakt  und  dann  kräftig  auseinanderziehb  Die 
betr.  F^rapnen  sassen  bei  diesen  Untersuchungen,  mit  herahbängendw  Beinen 
auf  einem  Tische.  In  einer  Anzahl  von  Fällen  konnte  das  Phänomen  nur  mit- 
telst der  jENDBASSiK'sGhen  Methode  hervorgerufen  werden.  Doch  gelang  es 
mir  nicht  immer,  im  G^änsatze  zu  JendrassHc^  Erfahrungen,  das  Phänomen, 
selbst  mittelst  aemer  Methode,,  leicht  auszulösen.  In  einigen  Fällen  war  'e& 
schwierig,  dasselbe  nachzuweisen  j  und  dann  war  es  sehr  unbedeutend.  Einige 
vQiL  diesen  worden,  in  Folge  der  grossen  Anzahl  der  zu  gleieher  Zeit  zu  unter- 
suehenden  Personen,  nur  einmal  flfichtig  und  nur  in  Beziehung  auf  das  Enie- 
phänomen  untersucht.  Zwei  waren  FäDe  von  Alkoholismus;  einige  andere  wur- 
den bei  sorgfältiger  Untersuchung  vollkommen .  gesund  befunden.  Ob  daher  eine 
derartige. Beaction  patbologisdie.  Bedeutung  hat,  kann  ich  nicht  sagen.  Es  ist 
zoHt  Wenigsten  zweifelhaft  Allerdii^  hftbe  ich  eine  deiart^e  Beaction  in 
einigen  wenigen  Fällen  von  beginnender  Tabes  gefunden.  Jedoch  muss  man 
in  derartigen  Fällen  meht  von  der  allmählichen  Abnahme  des  Phänomens  urr 
theilen,'  als  von  dem  Umst^;ide ,.  dass  .dasselbe  nur  bei  einer  einzelnen  Unter- 
sufihung  wenig  au^IȊgt  6r8chei^t 


'•^ 


n.  Referate. 


..*    ,*,! 


''"    Anatomie. 

l)  Nuoyo  proQipsfpp  di  ponvemnalone  4eJile  fienloni  mierosooirfolifi»  dal  Prof. 
< .      „  iQlA.opmiiAL^   (^tesettc^  d#l^  ohlinii^be.   1885«  n.  Nr.  22).  . 

Verf.  hat  z.  Th.  ans  Sparsamkeitsrfteksiicht^  in  Beza^  auf  Kosten,  Baum  und 
Zttt 'eine  netr^  Mefihede  zur  Atffbewftbrufig  mikroskopisch  zu  uBtersncbender  Schnitte 
ereönnen,  ^  deren  BTinzdheiten  hier  zwar -liich^  können,  die  aber 

inihr^ti  HaupIcfigen^^ilSiM  zu  werden  verdient  nnd'  die  b^onders  ffir  Demonstrations- 
ziireeke  löttj^eMeneweWh  'äti  sein  scheint/ -  >• 

^''  VerC' woHtt^  innächst  den  Aufirand; 'fftf  Objectträger  und  Deckgläser  vermeiden 
üfild'  dftiiii  die  HerJ^Utiti^;  Aufbewahrung  nhä  den  Transj^ort  der  Präparate  erieicbtem. 
%  dieseiA  Behtife' briei^  er  die  gefärbten  Schnitte  zunächst  in  eine  OelatinelCshng, 
dl^'ln  elneni  Wasserbade  wann  erhislten  wSi^d  nnd  die  vorher  durch  Eiweiss  geklärt; 


—    818    — 

und  filtrirt  worden  ist.  Dann  wird  anf  eine  sorgfältag  gereinigie  nnd  polirte  Glas- 
platte eine  dflnne  Schicht  Gollodiam  ani^ebreitet^  nsioh  der  Trocknung  wird  der  Schnitt 
mit  etwad  Gelatinelösang  darauf  gelegt  und  später  wieder  mit  einem  OoUodinmflbemig 
versehen.  Nach  2 — 3  Tagen  kann  das  ganze  Object»  n&mlich  eine  dflnne  Gelatine« 
Schicht  mit  dem  Schnitt  zwischen  zwei  noch  dflnneren  CoUodiomschichten  Ton  der 
Glasplatte  abgehoben  und  nun  ohne  Weiteres  aufbewahrt  werden.  Das  ganze  Prä- 
parat ist  vollkommen  hart  und  durchsichtig;  es  gestattet  bei  genttgender  Dflnne  die 
Anwendung  jeder  Yergrösserung.  Für  die  Herstellung  und  fllr  die  Haltbarkeit  ist 
die  vorausgegangene  H&rtung  und  Färbung  ohne  besonderen  Einfiuss. 

Zu  demonstrativen  Zwecken  hat  Verf.  auch  öfters  mehrere  Schnitte,  ja  ganze 
Serien  in  eine  und  dieselbe  Gelatineschicht  eingeschlossen.  Fflr  die  Branchbarkeit 
seiner  Methode,  allerdings  wohl  auch  fflr  seine  persönliche  Geschicklichkeit^  sfMicht 
sein  Versuch,  eine  Serie  von  ca.  200  Schnitten  durch  die  Yarolsbrflcke  eines  aus- 
gewachsenen menschlichen  Gehirns  der  Reihenfolge  nach  auf  einer  einzigen  Tafel 
von  100  cm  Länge  und  60  cm  Breite  zu  fixiren;  auch  hat  er  Schnitte  durch  ganze 
Gehirne  auf  diese  Weise  eingebettet  und  hofft,  solche  als  Ersatz  fiir  Abbildungen 
allgemeiner  einbürgern  zu  können.  Sommer. 


Experimentelle  Physiologie. 

2)  Physiologische  Studien  über  Paychophysik,  von  Dr.  Franz  Carl  Mflller. 
(Arch.  f.  Anai  u.  Fhysiol.    Fhjsiol.  AbtheU.  1886.  S.  270—320.) 

M.  will  in  seiner  Arbeit  die  Frage,  ob  das  sogen.  Weber*sche  Gesets  überhaupt 
für  die  durch  Reizung  hervorgerufenen  Zustände  verminderter  Erregbarkeit  chaimk- 
teristisch  ist,  im  Speciellen  fflr  die  Zustände  verminderter  Erregbarkeit,  welche  sich 
unter  der  Einwirkung  des  galvanischen  Stromes  auf  die  Nervenfaser  entwickeln,  ex- 
perimentell beantworten;  an  eine  als  vorläufig  zu  betrachtende  Darlegung  der  Eigeb- 
nisse  und  ihrer  Oonsequenzen  reihen  sich  an  Versuche  bezflglich  einer  etwugen  ana- 
logen Gesetzmässigkeit  für  die  Zustände  erhöhter  Erregbarkeit  und  solche  bezflglich 
des  Ueberganges  aus  verminderter  in  erhöhte  Erregbarkeit 

Die  Versuche,  die  M.  am  N.  ischiadicus  des  Frosches,  am  ausgeschnittenen 
Nerven  warmblfltiger  Thiere  und  am  Menschen  anstellte  (Versuchsanordnung  und 
Detailergebnisse  siehe  im  Original),  ergaben  nun,  dass  fflr  die  galvanische  Beizung 
peripherischer  Nerven  dasselbe  Gesetz  exisUrt,  welches  Weber  fflr  die  physiologische 
Sinnesreizung  nachgewiesen,  so  dass  M.  dieses  nur  als  den  psychophysischen  Fall 
eines  allgemeinen  von  ihm  als  neprophysischen  bezeichneten  G^esetzes  anzusehen  sich 
fflr  berechtigt  halt,  welches  er  so  formulirt:  Die  Erregung,  welche  durch  Aenderung 
der  Intensität  eines  erregbarkeitsvermindemden  Reizes  verursacht  wird,  bleibt  unter 
sonst  gleichen  Umständen  innerhalb  gewisser  Grenzen  der  absoluten  Beizstärke  gleich 
gross,  wenn  das  Verhältniss  der  Aenderung  der  Intensität  zu  der  Intensität^  von  der 
die  Aenderung  ausgeht,  das  gleiche  bleibt.  Ausserhalb  der  erwähnten  Grenzen  findet 
bei  gleichbleibendem  Verhältniss  zwischen  Intensität  und  Intensitätsändenmg  von 
einem  Beizwerthe  zum  nächst  höheren,  bei  geringen  Beizstärken  eine  Zunahme,  bei 
hohen  Beizstärken  eine  Abnahme  der  Erregung  statt 

Auf  der  Basis  dieses  Gesetzes  sucht  nun  M.  weitere  Schlussfolgerungen  bezflg- 
lich der  physiologischen  Grundlage  der  fraglichen  psychischen  Processe  zu  ziehen 
und  zu  prüfen,  ob  die  in  dem  Gesetze  sich  ausdrflckende  Uebereinstimmung  eine  zu- 
fällige oder  eine  in  den  wesentlichen  Eigenschaften  des  nervösen  Erregungsprocesses 
begründete  ist.  Er  geht  von  der  Erwägung  aus,  dass  die  Unterschiedsempfindung 
ein  Urtheil  ist,  und  dass  dieser  Verschiedenheit  des  psychischen  Vorganges  gegenflber 
der  Empfindung  eine  Verschiedenartigkeit  des  psychophysischen  Vorgangs  und  dieser 
eine  Verschiedenartigkeit  des  Beizvorganges  zu  Grunde  liegt,  die  Empfindung  einem 


—    319    — 

mit  oonatanter  Inienait&t  wirkendmu  Beise,  die  Unterachiedsempfiiidaiig  einer  Aende- 
nmg  in  der  Intensit&i  des  Beissefl  entspricht;  daraus  ergiebt  sicli,  dass  die  Unter- 
scMedaempfindnng  nnd  die  Erregnngy  welche  am  peripherischen  Nerven  bei  der  Beiz« 
achwanknng  anftritt,  in  einer  ihrer  wesentlichen  Eigenschaften  identisch  sind.  Weiter 
ergiebt  nch,  dass  der  physiologiBohe  Repräsentant  der  Unterschiedsempfindung  die- 
jenige Erregung  ist,  welche  den  Uebergang  eines  Erregbarkeitszastandes  in  einen 
andern  begleitet,  nnd  da  sich  in  dieser  Hinsicht  das  Erinnaningsbild  oder  die  Vor- 
stellniig  ebenso  wie  die  Empfindung  verhUt^  so  folgt  daraus,  dass,  wenn  zwei  dem- 
selben Sinn  angehdrige  Yorstellnngen  dnrch's  Bewosstsein  ziehen,  im  Bewosstseins- 
organ  zwei  verschiedene  Eiregbarkeitszost&nde  sich  folgen,  deren  Uebergang  in  ein- 
ander unter  bestimmten  Bedingungen  eine  Erregung  hervorbringt,  die  von  jenen 
Zuständen  ganz  verschieden,  die  gesetzmässige  Beziehung  derselben  zu  einander 
repräaentirt^  welchem  Acte  psychologisch  die  einfachste  Form  des  Urtheils  entspricht 

Weiter  zieht  M.  mit  Bücksicht  auf  die  Discussion  bezüglich  des  Maasses  der 
Empfindung  oder  Unterschiedsempfindung  die  Möglichkeit  in  Betracht,  die  jener  Dis- 
cussion zu  Grunde  liegenden  theoretischen  Folgerungen  einer  experimentellen  Ent- 
scheidung durch  seine  Versuche  mit  peripherischer  Nervenreizung  zu  unUHrwerfen. 
Die  erste  der  auCsuwerfenden  Fragen  nach  dem  Yerhältniss  zwischen  Intensität  der 
Empfindung  und  Intensität  des  Beizes  sieht  et  durch  seine  Versuche  schon  gelöst 
und  dahin  lautend:  Der  der  Empfindung  zu  Grunde  liegende  psychophysische  Process 
als  ein  Zustand  verminderter  Erregbarkeit  ist  direct  proportional  der  Beizintensitäi 
Die  Frage  nach  dem  Verhältniss  der  Grösse  der  Unterschiedsempfindung  zur  Grösse 
der  Aenderung  der  Beizintensität,  resp.  die  daraus  resultirenden  Unterfingen  lässt 
IL  unentschieden. 

Im  Fönenden  befasst  er  sich  mit  den  Zuständen  erhöhter  Erregbarkeit,  als 
deren  Bepräsentant  im  (Gebiete  der  Affecte  die  bekannte  Formel  Laplace*s  von  der 
Fortune  morale  et  physique  gelten  kann;  die  Möglichkeit  einer  e^erimentellen  Prü- 
fung jener  sieht  M.  als  gegeben  an,  doch  enthält  er  sich  einer  abschliessenden  Dis- 
cussion seiner  diesfälligen  Versuche,  da  eine  denselben  anhaftende  Complication  die 
Beweiskraft  den^lben  als  nicht  gesichert  erscheinen  lässi 

Schliesslich  berichtet  M.  über  Untersuchungen  bezüglich  des  Ueberganges  aus 
verminderter  in  erhöhte  Erregbarkeit,  durch  welche  er  zur  Formulirung  des  nach- 
stehenden neurophysischen  Gesetzes  gelangt:  Bei  dem  Uebergange  aus  einem  Zustande 
vermind^ier  in  erhöhte  Erregbarkeit  bleibt  in  einem  Gebiete  unterschwelliger  Werthe 
des  die  Erregbarkeit  vermindernden  Beizos  die  Erregung  gleich,  wenn  das  Verhält- 
niss des  die  Erregbarkeit  vermindernden  Beizes  zu  dem  um  seinen  SchweUenwerth 
verminderten  die  Erregbarkeit  erhöhenden  Beize  das  gleiche  bleibt      A.  Pick. 


Pathologisclie  Anatomie. 

3)  MlttheUimgen  über  einige  mikrooephale  Hirne»  von  Prof.  Dr.  Büdinger. 
(Münchener  med.  Wochenschr.  1886.  Nr.  10—12.) 

Als  Beitrag  zur  Entscheidung  über  die  Frage,  ob  die  mikrocephalen  Bildungen 
nach  C.  Vogt's  Theorie  von  den  atavistischen  Bückfällen  oder  nach  Virchow's 
Lehre  vom  Tginflnaa  pathologischer  Processe  herzuleiten  seien,  beschreibt  B.  6  mikro- 
cephale  Gehirne.  Hier  können  nur  einige  kurze  Notizen  von  denselben  gegeben 
werden. 

1.  Gehirn  eines  19jährigen  kräftigen  Bauemknechtes,  ven  719  Gramm  Gewicht 
und  einer  Entwickelung  der  Windungen,  die  etwa  deijenigen  eines  8monatlichen 
menschlichen  Fötus  entspricht 

2.  Gehirn  eines  neugeborenen  mikrocephalen  Mädchens,  sehr  klein,  47  Gramm 
schwer;  die  höckrigen  Grosehimhemisphären   berühren  mit  ihren  hinteren   Spitzen 


—    320    — 

kanm.  das  CerefoeUam,  liaben  IM  gtr  keine  Farcheiii  die  Feeea  Syl?ii  iet  kaira  an* 
gedeutet;  der  Balken  fehlt,  die  £ia  setzt  sich  dkect  in  das  Inaere  der  Grosshini« 
h6Uen  fort. 

S.  Gehirn  eines  Neugeborenen  Ton  168  Gramm  Gewicht  mit  Yerwachsong  beider 
Hendisph&rsn  vom  Chiasma  bis  zum  Ycmwickely  die  Lieeln  liegen  a.  Th.  frei;  Foniz 
fehlte  Balken  ist  rodimentar,  Tom-  Olfaetorins  wird  nichts  gesagt  (Arhinenoephalie? 
Ref.).  .  Windongen  mehrftusL  abnorm,  aber  Ton  menschlichem  Typus. 

.4.-«^6.  Die  3  folgenden.  Gehirne  entstammen  den  mikrocephalen  Kinders  «des 
bekannten  Ehepaares  Becker  in  Bflrkd  bei  OflBsnbach  (weldies  nach  2  normalen 
Kindern  5  nükrocephale  erzeugte,  von  denen  nor  die  I6jftlffige  Margaretha  noch  lebt). 
Das-  Hirn  der  8j&hrigen  Helena  hat  v.  Bisch-off  genau  be8<^riebeD  und  mit  dem 
eines  Afien»  etwa  eines  Cynoo^alns  ver^chen.^^  B.  findet  jedoeh  an  demselben  nor 
die  GiMae,  nicht  aber  die  formelle  Bildung  eines  Alüanhirns.  Das  Fehlen  der  dritten 
Stknwin&uilgen  allein  bedingt—  in  der  spitzen  Form  -^^  eine  AffeD&hnlichkiMt;  alle 
fibrigeD  Windungen:  lassen  keine  Terwandtsohaft  mit  jenen  der  Anthropoidenhime 
nachweisen. '  Die  Hemmung  der.  £utwickelung  ditarfke  vor  dem  8.  Monat  des  Fdtal- 
lebens  eing^eten  sem..      .   '  .  ^ 

5«  Das  Gelüm  der  Schwester  Katharina  (107  Gramm  schwer)  ist  ein  dem  vor- 
stehend« sehr  ähnliches,  zeigt  wie : dieses  Srusserlich:  keine  pathologischen  Processe,* 
idle  Sheile  des  Gehirns  sind  gleichafismg  in  der  Bntwickelung  gehemmt  und  «eigen 
ann&hemd  den  Oharakter,  wie  bei  einem  FGtus.  von  7  Monaten. 

€4  Dasselbe  gut  auch  von  dem  Gehini  der  dritten  Schwester  Maria,  welches 
l'&2  Graomi  wog,  tmd  B.  sohliesst  hienuiSr  dass  dieselbe  intra-uterine  Uiaaohe  bei 
allen  3  Kindern  zur  Wirkung  gelangt  ist. 

B.  kommt  zu  der  Annahme^  dass  bei  der  Mikrocephfllie  fBtra-uterine  pathologische 
Processe  die  Ausbildung,  des  Grossbims  beeintrftchtigen,  TMrschieden  nach  2eit^ 
dehnung  und  Art  ^       •  Hadlich. 


4)  A  oase  illuatratiiig  theoonditloii of  tho  aorvona  aystem «ftav ampntetikm 
'."^       orm  eocfemnlty^^.bj  William  Dudley.  (Brain.  1886.  April,  p.  87— 89.) 

Ein  39j&hriger  Paralytiker,  welchem  in  Folge  von  Schusswunden  11  Jahre  znvtnr 
dör  Ihtke  Oberschenke!  an  der  Grenze^  des  unteren  und  mittleren  Drittels  amptttiit 
Worden  war,  zeigt  abgesehen  Ton  dMn  gewöhnlichen  cerebralen  Befunde  foig^de,  ^n 
der  Atnputation  abhängig  iu  machende  anatomische  Terändemngen:  Die  vordere  Oentral- 
whidUTig  war  rechts  etwas  dchmäler,  die  nukroiskopische  Untersuchung  der  Galtglien- 
zollen  etc.  ergab  abe^  keine  Differenz  der  beiden  Seiten.  Etwa  einen  Zoll  über^detn 
untern  Ende  des  Bückenmarks  war  auf  .Querschnitte  eine  Differenz  der  grauen 
Substanz  zu  Ungunsten  der  linken  Seite  erkenntlich  etwa  in  dem  Yerhältniss  wie  2 : 3. 
In  dieser  Höhe  kamen  bei  dei*  mikroskopischen  Untersuchung  auf  15  bis  18  plumpe 
u^  atrophirte  Z^en  ^er  linken  Seilte.  40  bis  45  wol4gebUd^e  djQr  ^rechjbeii,S|eitp^ 
In  derselben  iBEöhe  waren  die  Yorderwurz!^  rechts  vie^  f^9crrei(iher^.,als  links,  wache 
theilweise  degenerirte  Axencjlinder  darboten.  Querschnitte  des  linken  Oruralis  er- 
geben unregelmässig  gruppenweise  sehr  zahlreiche  Bftndel  dünnster  Fasern  (deir  fechte 
Nerv  stand  zur  Verfeleichung  nicht  zu  Geböte).   .  '  '  '  £.  Bemak:    '  ' 


Pathologie  des  Nervensystems.  '^ 

^,.J^.  JUnipl^giik ,  Si«gio  41 ,  flsip-p^talogto.  Oali  eewfiUo.f  |a1. . Dett« j  Jjeop 

Bianchi.)  Napoli.   1886.  •    .,..1    ...        «:,.:     .  .  ,. 

•Ih  13  Vorlesungen  entwickMt  >der  Terf. '«nf  Inrelter '  anatooAsch-^^ 
Basb:an  eigenen  undifremden  BeobaChtniigen  die  LelM  von  dar  Hemiplegie.    Be- 


—    921    — 

z4gUch  dee  Verlaufes  der  meitorischfil  Bahnen  .«ooQrtdrt  er  die  Charcoi*Bri^- 
saudische  Anschauiing,  bezüglicli  der  motoriaehea  Bindenssone  sohlieeet  er  sidi  fixuetr 
an.  Dia  «uisiUe  Bindenzone  fiUlt  mit  der  motorischen  und  der  optiadiea,  Yielleicht 
auch  ainem'  Theil  der  acafitiBiäien<2ond  KUBammeii*  Dia  InteUigenz  ist  oicgeads  losa- 
lisirt,  räe  ist  ^daa  Ganza  im  Theil''. 

In  8  Fällen  will  Yert  bei  einseitigem  Herd  eine  Absohwftohang  der  motoriaoken 
Kraft  aueh  auf  der  gleichen  Seite  beobachtet  haben. 

ScwAtisenswerth  sind  namentlich  die  Kapüel  über  Hemicliorea  und  Hemiathetose 
weg^  der  eing^enden  Besprechung-  der  Literatur  und  eines  intefeasanten^  genau 
geschilderten  Falles  tosi  doppelseitiger  -Ohorea  mit  Seotiensbefund.  Die  hemiplegisohe 
Chorea  wird  dann  unter  Verwerfung  dmr  E ahler »Fick^schen  und  OharcpVschen 
Hypotheaen  auf  eine  Msion  des  Thalamus  oder  seiner  B&ndel  im  Fusa  znr&ekgefUut. 

Dia  Contraeturen  werden  a«if  Sderas^  oder  funetioaäto  Beizung. der  Pyramide« 
bahn  «urfickgeffihri  Ihr  Vorwiegen  bei  den  Flexoren  des  Armes  und  Extenaoreu 
des  Beines  erklärt  sich  aus  der  intensiveren  Function  dieser  am  Bein,  jener  am  Arm. 

Bemerkenawerth  ist  die  Besprechung  der  therapeutischen  Erfolge  der  Elektrisa- 
tion  des  Kopfes.  .  .  Th.  Ziehen. 


6)  Ueber  Störungen  der  aUgemeixien  und  speoiellexL  Sensibilität  bei  Kp^- 
lepüaoiien,  Yon  OserezkowakL  (Medicinskoje  Obosreu^O.  1885.  ^r.^* 
Russisch.) 

Verf.  behauptet»  beiseits  im  Januar  1883  einen  Fall  yon  Epilepsie  beobachtet 
zu  haben,  in  wehdiem  im  Anschluss  an  die  Anfälle  Anästhesie  der  Haut  und  der 
höheren  Skiaesorgane  eintrat  >  Seitdem  untersuchte  er  in  dieser  Richtung  alle  Epi- 
leptiker, die  zu  seiner  Beobachtung  gelangten,  und  verfügt  gegenwärtig  über  93  Fälle, 
▼on  d^ien  nur  17  keine  Bensibilltätsstörungen  aufwiesen.  In  76  dagegen  wurden 
letztere  constatürt,  und  zwar  Herabsetzung  der  Sehkraft  56mal,  des  Ges^unacks  48mal, 
des  Gehörs  36mal,  des  Tastsinns  60mal,  des  Sohmer^efuhls  69mal,  des  Muskel- 
Sinns  34maL  Die  Beeinträchtigung  der  HantsensibUität  bot  meistens  das  BUd  all- 
gemeiner Anästhesie  oder  Hemianästhesie,  zaweüen  betraf  sie  nur  den  Tastsinn  oder 
nur  das  Sehmen^efühl.-.  Die  Vertheilung  der  anästhetischen  Stellen  an  der  Eörper- 
oberfläche  war  höchst  unregelmässig.  .Die  Affeotion  des  Oesichts  bestand  sowohl,  in 
Abnahme  der  centralen  Sehschärfe,  als  auch  in  Beschränkung  des  Gesichtsfeldes  und 
Störung  der  Farbenperception.  Am .  häufigsten  war  Herabsetzmig^  der-  Hantsensibilität 
mit  StörungMi  seitens  der  höheren  Sinnesorgane  Terbunden;  in  13  Fällen  wurde 
Hemiaaästbesie  mit  Veriust  des  Schmerzgefühls  beobachtei 

Einen  Zusammenhang  zwischen  Sensibilitätsstörungen  und  psychischen  Erank- 
heitseiacheinungaQ  an  Epileptischen  konnte  Verf.  —  im  Gegensalz  zu  Thomson  nnd 
Opjpenheim  -^  nicht  constatiren.  Ebenso  wenig  kann  er  das  häufigere  Vorkommen 
stalienärw  8ensibäitäta<*Störangen  in  yeralteien  Fällen  ron  Epilepsie  bestätigen. 
Uebrigens .  ist  tu  bemerken,  dass  er  es  meistens  mit  21 — 23 jährigen  Rekruten  zu 
thun  hatte,  unter  denen  jedoch  einige  seit  10 — 15  Jahren  an  Epilepsie  litten. 
Jedenfalls  gehingte  Verf.  zu  dem  Schluss,  dass  Intensität  und  Beständigkeit  der  Sen- 
ÄbilxtatÄstmimgön  in  keinem  Uostimmlön  Vörh&ltniss  zu  'der  Dauer  der  irankbeit 
ölehen:    •'  "   '  '  '    '  T:  EosenKdch. 


«   r. 


7)  On  a  eaae  of  loopmuoXojp  ataxia  witfa  laismgeal  criaea  and  one  of  pcimary 

aclerosis  of  the  oplunma  pf  OoU,  complioated  with  ophthalmoplegla 

.  externa,  l:^  James  Ross.    (Brain.  1886.  April,  p.  24-:— 41). 

L  Ein  d6jähinger  Fischhändler  mit  syphilitischan  Anfocedentien  litt  seit  drei 

Jahren  an  ^fBcfaeb  gastrischen  Krisen,  später  an  Unsicherheit  im  Dtäikeln,  zeit- 


—    322    — 

weiligem  Einschlafen  der  Fflase,  Doppelsehen,  Scbwachsiehtigkeit.  Seit  2  Jahren 
inspiratoriachen  Stridor  und  Larynzkrisen. 

Die  Untersachnng  ergab  Fehlen  des  Knieph&nomens,  Haatsensibilit&tssifjrmigsn 
(mit  Yerlangsamung  der  Schmerzempfindnng)  nnd  Mnskelgef&hls- Alterationen  der 
unteren  und  Ataxien  der  unteren  und  oberen  Extremitäten,  doppelseitige  leichte 
Ptosis,  Parese  sämmtlicher  Augennerven  mit  Ausnahme  der  Nn.  abdncentes,  reflec- 
torische  Pnpillenstarre,  ophthalmoskopisch  weisse  Atrophie  der  Sehnerren  und 
laryngoskopisch  mangelhafte  Excursion  der  Stimmb&nder  w&hrend  der  Respiration. 

Die  Autopsie  ergab  totale  Degeneration  der  ICnterstr&nge  und  wabischeinlidi 
auch  der  directen  Eleinhimstränge  und  partielle  der  Medulla  oblongata  und  Crura 
cerebri.  In  ersterer  erstreckt  sich  die  Sderose  auf  die  die  obere  Ausbreitung  der 
Goli*8chen  Stränge  bildende  dünne  Lage  weisser  Substanz  oberhalb  des  Nucleus  cu* 
neatus,  femer  auf  die  Lage  weisser  Fasern  an  der  Aussenseite  des  Nucteus  trian- 
gularis  als  Fortsetzung  der  hintern  Wurzelzonen,  dann  die  EleinhimstrangaforlBätm, 
die  absteigende  Trigeminuswurzel,  den  Fasdculus  rotundus  und  den  grOssten  Theil  des 
Yaguskemes.  Schnitte  durch  die  Crura  cerebri  ergeben  beträchtliche  YerSndenmgen 
des  Ocolomotorius-  und  Trochleariskemes  und  ihrer  Nachbartheile,  Atrophie  der 
Wurzelfasem  dieser  Nerven.  Kaum  eine  Spur  des  Bftndels  von  Longitudinalfasem, 
welche  die  absteigende  Quintuswurzel  enthält,  war  yorhanden,  indem  die  Ton  den 
vordem  Yierhügeln'  durch  dieselbe  quer  hindurch  zum  Oculomotoriuskem  ziehenden 
Fasern  unterbrochen  und  atrophirt  sind.  (Von  einer  Untersuchung  der  peripherischen 
Augennerven  und  des  Vagus  verlautet  nichts.) 

Die  Larynxstörungen  sollen  von  den  anatomischen  Yeränderongen  der  Medulla 
oblongata^  die  Ophthalmoplegie  von  der  Atrophie  der  mitsprechenden  Kerne  abhängen. 
Das  schmale  Bflndel  von  Fasern,  welches  durch  die  absteigende  Quin- 
tuswurzel quer  hindurch  von  den  vorderen  Tierhügeln  zu  den  Kernen 
des  3.  und  4.  Hirnnerven  zieht,  soll  der  Beflexbogen  der  Pupillarreaction 
auf  Licht  sein,  durch  dessen  Unterbrechung  die  reflectorische  Pupillen  - 
starre  entstand.  (Die  nicht  vollständige  Blindheit  soll  im  vorliegenden  Falle  als 
Erklärung  nicht  ausreichen.) 

II.  Ein  35jähriger  Köhler  hatte  seit  3  Jahren  leicht  tabische  Symptome.  Neben- 
her bestand  beiderseitige  Ptosis  und  Unbeweglichkeit  beider  Augen  bei  guter  Pupillar- 
reaction auf  Licht  und  bei  der  Accommodation.  Es  fehlte  das  Kniephänomen  u.  s.  w. 
Der  Tod  trat  unter  den  Erscheinungen  eines  apoplectischen  Insults  ein,  für  welchen 
der  negative  Gehimbefund  keine  Erklärung  gab,  während  vom  Bückenmark  zwar 
wesentlich  eine  Degeneration  der  QoU'schen  Stränge,  aber  auch  ihrer  Gegend  im 
untersten  Theil  der  Lendenanschwellung  vorlag,  wo  dieselben  nach  Flechsig  nicht 
mehr  vertreten  sind,  mit  Banddegeneration  der  hintern  Wurzelzonen.  Auf  letztere 
wird  das  Fehlen  des  Kniephänomens  zurückgeführt  Während  auch  hier  Atrophie 
der  Kerne  der  motorischen  Augennerven  constatirt  wird,  waren  in  negativer  Ergänzung 
des  vorigen  Falles  die  für  die  Pupillarreaction  in  Ansprach  genommenen  Fasern  intaci 

B.  Bemak. 

8)  On  the  relation  between  the  posterior  oolumna  of  the  spinal  oord  o& 
the  exoito-motor  area  of  the  oortex  with  espeoial  reference  to 
Prot  SohifDi  viewB  on  the  subjeot,  by  Victor  Horsley.  (Brain.  1886. 
ApriL  p.  42—62.) 

Schiff  hatte  gefunden,  dass,  wenn  bd  Hunden,  deren  Hinterstränge  in  der  Cer- 
vicalregito  durchschnitten  waren,  nach  Verlauf  Ton  vier  Tagen  die  sogenannte  mo- 
torische Binden -Begion  blos  gelegt  werde,  diese  beiderseits  nicht  mehr  erregbar 
wäre.  Wenn  nur  ein  Hinterstrang  durdischnitten  war,  sei  nur  die  entgegengesetzte 
Seite  des  Hirns  unerregbar.    Wenn  die  Hinterstränge  in  der  Lumbarregion  durch- 


—    828    — 

schnittai  waren,  so  brftehie  Beizong  der  Hirnrinde  nur  Bewegungen  der  Vorderbeine, 
nicht  der  Hinterbeine  hervor.  Es  sollte  die  aufsteigende  Degeneration  der  Hinter- 
stränge  innerhalb  dieser  Zeit  die  entgegengesetzte  Hirnrinde  erreichen  und  Degeneration 
ihrer  grauen  Substanz  bewirken,  welche  das  perceptive  Centrum  der  tactilen  Sensi- 
bilität w&ren,  durch  dessen  Beizung  erst  anderweitig  gelegene  motorische  Centren 
angeregt  würden. 

Verl  hält  diese  Schlüsse  so  lange  nicht  für  gerechtfertigt^  bis  nicht  die  suppo- 
nirte  Degeneration  des  Gyrus  sigmoideus  nachgewiesen  ist  und  nicht  ausgeschlossen 
ist,  daas  durch  die  Durchschneidung  der  Hinterstränge  noch  anderweitige  Veränderungen 
des  Rückenmarks  gesetzt  werden.  In  ersterer  Beziehung  waren  seine  Bemühungen 
erfolglos;  in  letzterer  hat  er  durch  sieben  Durchschneidungsversuche  mit  sorgfältiger 
Beobachtung  der  Motilität  und  Sensibilität  innerhalb  des  Lebens  und  anatomischen 
Untersuchung  der  gehärteten  Bückenmarke,  über  deren  Details  au?  die  Originalarbeit 
mit  Abbildungen  verwiesen  werden  muss,  gefunden,  dass,  je  mehr  Lähmungserschei- 
nnngen  (keine  Ataxie)  und  Störungen  der  tactilen  Empfindung  vorhanden  und  die 
von  Schiff  beobachteten  Besultate  der  Beizung  der  entgegengesetzten  motorischen 
Zone  nachweisbar  waren,  auch  um  so  deuüieher  jedesmal  wohl  charakterisirte  De- 
generation der  hinteren  Theile  der  Seitenstränge,  also  der  motorischen  Bahnen  con- 
werden  konnte.  £.  Bemak. 


9)  Iiooomotor  ataaor  with  älmost  entire  absenoe  of  lightning  pains,   by 
Dr.  Byrom  Bramwell.    (Brii  med.  Joum.  1886.  2.  Jan.  p.  14.) 

Zweifelloser  Fall  von  Tabes  dorsualis  von  vieijähriger  Dauer  der  Ataxie,  ohne 
dass.  jemals  Blitzschmerzen  in  den  Extremitäten  beobachtet  worden  wären;  nur  über 
unbedeutende  Bückenschmerzen  war  gelegentlich  geklagt  worden.  Fat.  war  ein 
35jähriger  Ingenieur,  der  nie  luetisch  gewesen  war,  längere  Zeit  aber  an  Malaria 
und  Dysenterie  in  Ostindien  gelitten  hatte.  Sommer. 


10)  Bin  Fall  von  Tabes  dorsalis,  eomplieirt  mit  Diabetes  mellitus.  Nebst 
einigen  Bemerkungen  über  ätiologische  Beziehungen  von  Lues  und  Merkur 
zum  Diabetes  mellitus,  von  Dr.  A.  Beumont,  Geh.  Sanitätsrath,  Aachen. 
(BerL  kL  Woch.  1886.  18.) 

Yeraplasst  durch  den  von  Dr.  Oppenheim-Berlin  mitgetheilten  derartigen  Fall 
berichtet  B.  über  einen  Kranken,  42  Jahre  alt,  der  vor  12  Jahren  luetisch  in^cirt 
wurde,  im  Januar  1885  plötzlich  eine  rechtsseitige  Oculomotorius-Parese,  dann  Far- 
ästhesien,  taubes  Geflihl  in  den  Fusssohlen  etc.  bekam.  Kach  zweimaliger  merku- 
rieller  Kur  wurde  am  11.  Juni  Glykosnrie  constatirt,  0,4 — 0,87o*  ^oa  Juli  aus- 
gesprochene Tabes  —  Weelphal'sches  und  Bomberg'sches  Zeichen  etc.  etc.  —  ohne 
Ataxie.  Trotz  Aachen,  Quecksilber,  Jod  u.  A.  blieb  der  Zustand  ziemlich  derselbe 
(December  1885),  der  Zuckergehalt  war  bis  l^O^o  gestiegen. 

B.  spricht  sich  dahin  aus,  dass  sowohl  für  die  Tabes  wie  für  die  Glykosurie 
Lues  als  Ursache  anzunehmen  sei.  Die  Oculomotorius-  und  Abducens-Farese  weise 
auf  den  Boden  des  4.  Ventrikels  hin  als  vermuthlichen  Sitz  der  bedingenden  Affection. 

B.  findet  nur  bei  Althans  die  Bemerkung,  dass  er  einige  Male  Zucker  im  Urin 
bei  Tabischen  gefunden  habe;  femer  von  Eulenburg  einen  Fall  von  Tabes  erwähnt, 
wo  der  Harn  zeitweise  Zucker  enthalten  haben  soll.  Im  Uebrigen  scheinen  die  Fälle 
von  Glykosurie  ans  Lues  sich  auf  Gehimleiden  zu  beziehen,  nur  einmal  bei  Gowers 
auf  chronische  Myelitis. 

Dass  der  wiederholte  starke  Qnecksilbergebrauch  den  Zuckergehalt  des  Urins 
erzeugt  haben  könne,  glaubt  Bl  bestimmt  in  Abrede  stellen  zu  dürfen. 

Hadlich. 


—   ag4  ^ 

IJ^)  TAhmnng  d#r  OloMs-Effweitttror  als.  inifcWa»  Symptom  dmr  Tabeed^s»- 
Balis»  Ton  JProL  Dr.  A.  Weil  in  Hftiddbei«.    (BerL  kL  Wooh.  1686.  19^) 

Yeif.  recapitalirt  zunächst  die  bislieri^e  Literatar  ftW  die  so^.  JjstjraBavsm 
bei  Tabes  und  kommt  vbl  dem  ErgeÜtdsa,  dass  z#ar  Btimitibsndifibmimgeii  bei  dleaen 
Larynxlorisen  beobachtet  iTorden  tSxA,  dassaber  diese  ;,KriBen'^  ebne  Mcbe 'lA- 
mangen  und  andererseits  Stimmbandlahmimgen  ebne  Krisen  Yorkommen^ 

W.  berichtet  sodann  ftber  folgenden  FalL  Ein  49  Jähriger  Schiffer  hat  vdr  einem 
Jahre  -^  nach  starker  gemftthlicher  Erregang  —  zum  ersten  Haie  einto  Ahfidl 
heftigster  Atheiänoth  hekornineii,  d^  etwa'  10  Miimten  dauerte.  Tor  etiv^  4  Wochen 
trat  —  nach  raschem  Laufea  -^  ein  neuer  derartiger  Aitfall  auf  Ton-  kftnerer  Dauer: 
seitdem  tritt  Athnrang  mit  lautem  Stridor  bdi  jeder  körpetüchen  Anstrmgnng  auf. 
Die  Stimme  ist  immer  rein  und  laut,  und  die  Untersuchung  srgab  doppelselt^ 
Lähmung  der  Qlottis-Erw^tterer.  Daneben  bestand  ieflectorische  PupiHenstarre,  West- 
phal'BChes  Zeichen,  Mchte  Ataxie  sämmtlicher  Esctremitäten  und  Schwanken'  b^  ge- 
schlossenen Augen,  abgeetumpfbes  Qefühl  in  den  Fingerspitzen,  Störungen  der'ÜHn- 
entleerung,  Abnahme  des  '  Geschlechtstriebes  u.  a.  m.  Es  lag  also  Tabes  Tot*,  bd 
welcher  einß  doppelseitige-  Lähmung  der  Olottis^ürweiterer  dSA  allererste  Symptotti 
gtfȟdet  hatte.  !  ,      .     - 

Die  Larynxerscheinungen  waren  allerdings  in  diesem  Falle  abweichend  Ton'dem 
gewöhnlichen  Bilde  der  sog.  „crises  laryng^";  es  bestand  erstens  kein  Husten  bei 
dem  Anfalle,  mid  zweitens  trat  nach  ümn  zweitmAnttUe  ein  bleibanäar  toAk- 
hafter  Zustand  ein,  der  nur  durch  gewisse  Ursachen  yeräbergehend  yeiadhlimmert 
wurde.  W.  möchte  jedoch  glauben,  dass  unter  den  „crises  laryng^es'^  ICancbes  be- 
sdirieben  ist,  was  dem  hier  Yorliegenden  Bilde  ähnlich  isi 

Fälle  von  Tabes  mit  Larynx- Krisen  bei  Posticus- Lähmung  findet  W.  erwähnt 
bei  Erishaber,  Oppenheim  und  Foarnier  und  mehrere  Ton  Uorgan  und 
Mc  Bride,  sowie  einen  von  Gerhardt  beschriebenen  Fall  möchte  W.  hierher  rechnen. 
In  den  meisten  Fällen  waren  die  tabischen  Symptome  dem  Auftreten  der  Eehlkopf- 
lahmung  Jahre  lang  vorausgegangen,  während  bei  W.'s  Schiffer  diese  das  erste  E[rank- 
heitssymptom  darstellte.   .  ,  Hadlicbk. 


12)  Ein  Fall  von  Affeotion  der  Gelenke  bei  Tabea«  von  L.  Minor.  (Wratsch. 
1886.  Nr.  11.-13,  Eussisch,) 

• 

Es  handelt  sich  um  eine  50jährige  Frau,  die  seit  acht  Jahren  an  tabetisehen 
ßrsche&Dungen  litt,  ohne  dass*  sich  jedoch  Ataxie  emgestellt  hätte.  Ihr  Mann  war 
syphilitisch-  infldrt^  an  ihr  selbst  liess  neh  kerne  syphilitische  Erkrankung  ceaatatiieD. 
Die  unteren  Extremitäten  sind  ^nrch  Arthropathien  verunstaltet,  und  zwar  besteht 
vollständige  Luxation  und  Deformität  (Anschwtf  ung)  des  liidLen;  Fussgelenks  und 
Hydarthrosis  des  rechten  Knies.  Yor  einigen  Jahren  war  aaeli  das  linke  Knia^ 
schwollen.  An  der  rechten  Unterextremität  ist  die  peripherische  Temperatur  beinahe 
um  2^  höher,  als  an  der  linken.  -^  VerL  hält  es  Ittr  mö^h,  dass  den  tabischen 
Arthropathien  Erkrankungen  des  Sympalhlcus  zu  Grunde  liegen; 

•      P.  BoseHb^aeh; 

■   1  »  M.;   ;  I  .        ■ 


•'V 


13).  The  pathology  of  rheumatoid  arthritis«  Yo^rtrag  vgn  Pr.Ajrbuthnot 
JiSne  in  der  PathoL  Society  of  London,  (Brit  med.  Joum.  24,/Ap^  1^66. 
p.  780.)  ..      ,.     „V  .       '. 

140  Ohronio  rhewaatiie  arlhrttia  of  the  Up-jalBi.  .  YouMvig  -von-  W^  Adams 
in  der  Harveian  Sodiety.  .of  .Loodgn*  .  (Brit.  med..  Joucn^  tS^Mifz-  IjBQS. 
p.  49T.) 


^    885    — 

2wei  Arbeiton  fitef  das  Wesen  ciep  diffonnireiiden  chronidcbeii  Oelenkentzün- 
dongeii,  wie  solebe  aogeblioh  auf  rhjeamatoider  Basia  oder  im  Glefolge  gewisser  Spi- 
nal-  -und  NervenerkmnkfuigMi  YorkonuneB. 

Läse  glaiibtrCharcot*8  OeLenkerkrankongen  nicht  aJb»  neoropathisch  oder  rbea- 
matieob»:  eoodeni  ala  Eolgesastände  änaserer  Einwirkimgen,  Yerletaw^en,  ungesebiokiier 
GtobYersuche  ^.  Bc  w.  aoffisfiaea  zu  müseen,  während  Adame  in  besonderer  Hinsicht 
auf  das  Hüftgelenk  die  neuropathiscben  Erkrankungen  scharf  ?<m  den  rheumatischen, 
ganz  Abgesehen  von  den  gewiflsennaassen  traumatischen,  trennt.  Nach  il^m  sind  die 
chromschei^  rheumatischen  Erocesse  im  Hüftgelenk  gewöhnlich  von  hypertrophischem 
Charakter,  sie  begnoen  in  den  Weichth^en,  sind  dauernd  schmerzhaift,  aber  nur  an 
der  ^krankten  Stelle;  es  fehlen  Fieber^rscheinungen»  gastrische  Krisen  und  Augen- 
symptome; die  Beflexe  sind  erhalten,  die  Beweglichk^t  des  Obwschenkels  ^iat  be- 
schränkt, der  Verlauf  ist  langsam,  die  Patienten  erreichen  gewöhnlich  ein  hohes 
Alter«  •  Bei  der  CharQot'scben  Gelenkerkrankung  ist  im  Allgemeinen  das  Gegentheil 
au  be^büchten.: .  I^  Frocesse  sind  vorwiegend  atrophischer  Natur,  beginnen  in  den 
Knochen,  verlaufen»,  abgesehoi  von  den  Blitzschmerzen ,  schmerzfrei.  Die  Beflexe 
fshleni  Fieber,  spinale,  pupillare  und  gastrische  Symptome  sind  gewöhnlich  vorhwden, 
die  Beweglichkeit  im  Hüftgelenk  ist  abnorm;  dabei  ist  der  Verlauf  häufig  rapid  und 
die  Patienten  stehen  im.  kräfUgon  Mumeealter. 

An  beide  Vorträge  schloss  sich  eine  längere  Discussion  an,  doch  kam  man  zu 
keiner  Einigaag.  Dr.  Buzzard  wies  indess  darauf  hin,  dass  manche  Symptome  des 
acuten  Gelenkrheumatismus  am  besten  durch  die  Annahme,  es  läge  dem  ganaen 
Knolkheitsbilde  eine  acute  ^tzündung  in  gewissen  Bezirken  der  MeduUa  oblongata 
zu  Gnuide,  erklärt  werden  könnten,  und  mit  dieser  Hypothese  liesse  sich  auch  ein 
Cansalnexns  zwischen  chronischem  Spinalleiden  und  chronischem  Gelenkrheumatismus 
nicht  allzu  schwer  aufstellen.  Sommer. 


15)  UrsaohQiL  und  Verlauf  der  Sehnervenatrophie ,  von  Dr.  N,  Peltesohn. 
(Gentralblatt  für  prakt.  Augenheilkunde.  1886.  Februarheft,  Märzheft  und 
Aprilheft.) 

Yerf.  behandelt  in  diesem  Aaszug  aus  seiner  Dissertation  die  einfache,  nicht 
entzündliche  Atrophie  des  Sehnerven  und  zwar  die  spinalen  (cerebrospinalen)  Formen 
derselben. . . 

a)  Unter  98  spinalen  Atrophien  seines  Materials  zählte  Verf.  78  Tabiker.  Hin- 
sichtlich des  Alters  bemerkt  er ,  dass ,  während  die  Tabes  sich  zwischen  dem  30. 
und  40.  Lebensjahre  häuft,  jenseits  des  50.  aber  nur.  ausnahmsweise  beobachtet  wird, 
die  Opticüsatrophie  in  jenen  78  Fällen  13  mal  nach  dem  50. ,  ja  in  4  Fällen  erst 
nach  dem  60.  Lebensjahre  sich  zu  entwickeln  begann.  Fast  in  der  Hälfte  der  Fälle 
gingen  die  Sehstörungen  mehr  oder  weniger  Jahre  den  ersten  subjectiven  Empfin- 
dungen seitens  des  Centralnervensystems  voraus. 

Sehschärfe  und  Grösse  des  Gesichtsfeldes  halten  nicht  gleichen  Schritt  mit  der 
Atrophie,  d.  h.  sie  nehmen  nicht  um  so  viel  ab,  als  die  letztere  zunimmt;  weit  mehr 
reagirt  die  Farbenperception  auf  den  atrophischen  Process  im  Sehnerven;  in  den  re- 
lativ ineisten  Fällen  wird  die  Grün-^  dann  die  Bothempfindung  und  endlich  die  Blau- 
empfindung eingebüsst,  die  nach  Gharcot  noch  lange  und  intensiv  fortbestehen  soll. 

Die  Aetiologie  der  Tabes  streifend,  ^ebt  Verf.  an,  dass  in  seinen  78  Fällen 
nach  den  bestimmten  Angaben  der  Patienten  oder  nach  einem  Complex  von  mehreren 
secundären  und  Folgeerscheinungen  der  Syphilis  zu  schliessen  22  mal  unzweifelhaft 
luetische  Infection  stattgefunden  hatte,  7  mal  ein  Ulcus  genitalium  concedirt  wurde, 
über  dessen  Charakter  freilich  nichts  Genaueres  eruirt  werden  konnte.  Vom  Jahre 
1883  an  gerechnet,  von  wo  ab  regelmässig  eine  Untersuchung  auf  Lues  angestellt 
wurde,  stellen  sich  die  Verhaltnisse  so,   dass  von  37  Fällen  ausgeprägter  und  von 


—    826    — 

9  Fällen  beginnender  Tabes  mit  Sehnerrenatrophie  15,  beziebungsweiBe  5  sypbili- 
tiscli,  4  resp.  2  mit  einem  Ulcus  genitalinm  bebaftet  waren,  »  43  ^/^  sicherer  und 
13^/q  zweifelhafter  Syphilis.  Besonders  macht  Verf.  noch  aufmerksam  auf  die  relativ 
grosse  Häufigkeit  der  Augenmuskellähmungen,  die  gerade  bei  den  syphilitischen  Fallen 
Yomehmlich  vorkamen  und  den  Verdacht  erweckten,  als  wären  diese  Lähmungen  nicht 
auf  Kosten  der  Tabes  zu  setzen,  wie  ja  allgemein  angenommen  wird,  sondern  auf 
die  Syphilis  zu  beziehen. 

b)  Bei  der  progressiven  Paralyse,  wo  nach  Mendel  und  Hirschberg  die 
Atrophie  in  4 — 5"/o  der  Fälle  vorkommt,  sprach  das  Material  des  Verf.  fOr  3,06^/^; 
denn  von  98  spinalen  Atrophien  zählte  Verf.  3  Fälle  von  Dementia  paralytica. 

c)  Yerf.  fuhrt  dann  3  Fälle  unzweifelhafter  Atrophie  bei  multipler  Sderose  des 
Gehirns  und  Bückenmarks  an. 

d)  Ein  Fall  einfacher  Atrophie  bei  Myelitis  chronica. 

e)  Ein  Fall  von  einfacher  Atrophie  bei  Paralysis  agitans,  zu  dem  Verf.  bemerkt, 
dass  es  ein  wunderbarer  Zufall  wäre,  wenn  eine  verhältnissmäsag  seltene  Affection 
zu  einer  noch  selteneren  sich  hinzugesellte,  ohne  dass  eine  innere  Causa  sie  mitein« 
ander  verbände.  Wenn  man  aber,  wie  es  von  vielen  Autoren  geschieht,  den  Sitz 
der  Erkrankung  bei  der  Schüttellähmung  in  die  Yierhflgel  verlegt,  so  bleibt  bei  der 
Nähe  der  Opticuscentren  keine  grosse  Schwierigkeit,  die  Atrophie  der  Sehnerven- 
fasem  zu  deuten. 

Endlich  führt  Yerf.  aus  seinem  Material  je  einen  Fall  von  Atrophie  der  Papille 
bei  spastischer  Spinalparalyse  und  Bulbärparalyse  an. 

Die  Untersuchungen  des  Yerf.  wurden  an  dem  reichen  Hirsohberg'schen  Mate- 
rial gemacht,  den  Nervenstatus  nahmen  Mendel  oder  Eulenburg  selbst  auf. 

Buhemann. 


16)  ▲  oase  of  multiple  BimultaneouB  oerebral  haemorrhagea,  oausing  hemi- 
plegie  and  ooulo-pupillary  Symptoms,  by  W.  Haie  White.  (Brain. 
January  1886.    p.  632—634.) 

Ein  44  jähriger  Mann,  welcher  schon  18  Monate  zuvor  ohne  Bewusstseiiisverlust 
eine  linksseitige  Hemiparese  bekommen  hatte,  wird  nach  einem  neuen  Schlaganfall 
comatös  mit  einer  Temperatur  von  36,4^  C,  reactionslosen  verengten  Pupillen,  De- 
viation beider  Augen  (nicht  des  Kopfes)  nach  links,  Parese  des  rechten  Mundfacialis, 
Paralyse  und  Contractur  des  rechten  Armes  und  Beines,  Albuminurie  und  Herzhyper- 
trophie aufgenommen.  Das  linke  Auge  blieb  nach  links  abgelenkt,  während  das 
rechte  zeitweilig  in  die  Mitte  rückte  und  seine  Pupille  schliesslich  weiter  als  die 
linke  war. 

Die  Obduction  ergab  Yerdickung  der  Cerebral-  und  Basilararterien  (ohne  miliare 
Aneurysmen);  femer  eine  grosse  Hämorrhagie,  welche  links  die  innere  Kapsel,  den 
Linsenkem  und  Thalamus  opticus  zerstört  hatte,  in  die  Yentrikel  durchgebrochen 
war  und  diese  sämmüich  erfüllte.  Ausserdem  wurde  in  der  Mitte  des  Pons  eine 
hirsekomgrosse  frische  Hämorrhagie  und  eine  grössere  dritte  unmittelbar  unter  dem 
Boden  des  Aquaeductus  Sylvii  gefunden.    Granularatrophie  der  Nieren. 

Die  grosse  linksseitige  Hämorrhagie  soll  die  Hemiplegie,  die  Temperaturherab- 
setzung, die  Bewusstlosigkeit  bedingt  haben,  während  die  pontinen  Hämorrhagien 
durch  allmähliche  Betheiligung  verschiedener  Abschnitte  der  betreffenden  Centren 
die  wechselnden  oculomotorischen  und  pupillären  Symptome  erklären  sollen. 

E.  Bemak. 


—    827    — 

Psychiatrie. 

17)  Beorease  of  general  paralysis  and  inorease  of  ixisanity  at  advanoed 
agest  in  Edinburgh,  by  Dr.  Cloneton.  (The  British  med.  Jonm.  1886. 
8.  May,  p.  901.) 

Verf.  theilt  in  seinem  Jahresberichte  über  das  Boyal  Edinburgh  Asylum  zu 
Momingside  1885  mit,  dass  er  glaube,  in  den  letzten  5  Jahren  seien  in  Edinburgh 
geüBÜge  Erkrankungen  seltener  geworden.  Besonders  sei  dies  auffallig  in  Bücksicht 
auf  die  allgemeine  Paralyse.  Gerade  diese  so  charakteristische  Krankheit,  die  das 
Prototyp  einer  individuell  erworbenen  Geistesstörung  darstelle,  sei  seltener  geworden. 
1873—77  habe  er  unter  1680  Aufnahmen  115  Fälle  von  Paralyse  7,3%  ^^ 
1880 — 85  unter  }667  Aufoahmen  nur  75  =  4,57o  beobachtet.  Im  Jahre  1885 
sind  nur  11  Paralytiker  aufgenommen  gegen  23  resp.  15  im  jährlichen  MitteL  Verf. 
glaubt,  je  günstiger  die  allgemeinen  socialen  VerhältniBse  liegen,  je  lebhafter  Handel, 
Verkehr  und  Unternehmungsgeist  auftreten,  um  so  mehr  Individuen  erkranken  an  Para- 
lyse und  anderen  erworbenen  Psychosen,  was  im  Allgemeinen  auch  richtig  sein  dürfte. 

Auffällig  ist  die  grosse  ZaU  der  zur  Auftiahme  gelangten  Irren  aus  den  höheren 
Leben^ahren.  12,8%  ^^^  männlichen  Aufnahmen  stand  im  Alter  von  über  60  Jahren. 
Neben  der  gewöhnlichen  Dementia  senilis,  neben  den  postapoplektischen  Geistesstörungen 
u.  s.  w.  existirt  eine  besondere  Form  des  Irreseins,  die  Yerf.  dem  klimacterischen 
der  Frauen  vergleichen  möchte,  und  die  auszubrechen  pflegt,  wenn  ein  überarbeiteter 
und  überlebter  Mann  in  den  60iger  Jahren  dieselben  Leistungen  zu  entwickeln  ver- 
sucht wie  früher,  bis  er  endlich  ausspannen  muss  und  unter  Anaemie,  Appetit-  und 
Schlaflosigkeit,  Unruhe  und  Depression  rasch  yerfäUt.  Sommer. 


18)  Observation  de  folie  paralytique  &  Tage  de  80  ans,  par  le  Dr.  Lentz, 
Touraai.    (Bulletin  de  la  booiM  de  medic.  mentale  de  Belgique.  1885.  N.  39.) 

Zur  Widerlegung  der  Ansicht  Legrand  du  Saulle*s,  dass  ein  gewisses  Alter 
—  in  einem  speciellen  PaUe  67 — 68  Jahre  —  genüge,  um  Dementia  paralytica 
aosschliessen  zu  können,  theilt  L.  obigen  Fall  mit,  der  freilich  viel  zu  unvoUst&ndig 
beobachtet  und  beschrieben  ist,  um  als  beweisend  angesehen  werden  zu  können. 

Ein  gewisser  R  wurde  1873,  im  Alter  von  78  Jahren,  in  die  Anstalt  auf- 
genommen in  starkem  Erregui^zustande  mit  schwachsinnigen  Grössenideen.  Er 
klagt  über  Schwache  in  den  Beinen,  zittert  und  schwankt,  seine  Sprache  ist  etwas 
schwerföllig,  kein  Zittern  der  Zunge  und  der  Lippen.  Nach  Eintritt  der  Beruhigung 
nimmt  die  Intelligeaz  mehr  und  mehr  ab,  Patient  wird  ganz  verwirrt  und  stirbt  nach 
raschem  körperlichen  und  geistigen  Verfall  etwa  6  Monate  nach  der  Aufnahme.  Die 
Bewegungen  der  Beine  waren  im  Liegen  noch  zuletzt  vollkommen  gut,  doch  konnte 
der  Patient  vor  Schwäche  nicht  auf  sein.  —  Anamnestische  Angaben  fehlten.  —  Die 
Autopsie  ergab  Adh&renzen  der  Haute,  an  der  Pia  bleibt  beim  Abziehen  die  erweichte 
Hirnrinde  in  kleinen  Stückchen  h&ngen.  —  Das  genügt  dem  Verf.,  um  zu  sagen,  dass 
der  Verlauf  des  Falles  wie  der  Leichenbefund  keinen  Zweifel  an  der  Annahme  einer 
„folie  paralytique''  zulasse.  Verf.  ist  eben  im  Anschluss  an  Marc^  der  Ansicht» 
dass  die  F&Ue  von  seniler  Dementia  grossentbeils  Fälle  von  allgemeiner  progressiver 
Paralyse  sind.  Hadlich. 


19)  Pavetio  dementiat  by  J.  Q.  Klernan.   (The  Alienist  and  Neurologisi  1886. 
Vn.  p.  107.) 

Unter  921  in  das  Cook  County  Hospital  aufgenommenen  Irren  finden  sich 
83  »9^0  Paralytiker.  AufUlend  sind  die  Altersverh&ltnisse  derselben,  wie  aus  der 
folgenden  Tabelle  hervorgeht 


828    — 


Es  standen  im  Alter  Yon 

• 

20—26  Jahren     6 

Männer 

—  Frauen     5 

"23     30"    „         8 

•          •        > 

3  ^,..  •  ir. 

80—36       „       10 

2       „       iS 

35—40       „         8 

3       „        11 

40—40       „       18 

1       „        19 

45_50       „         4 

* 

1       »          6 

50—60      „       12 

• 

•  2       „        14" 

60—70      „         4 

1       «6 

80           „         1 

j. 

—      «          1 

•/•'* 


70  13  83 .    .  .  '  ~'      ; 

34®/o  und  dabei  yorwiegend  idiopathische,  nicht  also  luetische  oder  tabische  Para- 
lytiker waren  noch  nicht  35  Jahre  alt. 

Was  die  Nationalität  anbetrifft,  so  werden  Irrländer  und  Neger,  die  in  Chicago 
sehr  lebhaft  am  Kampf  um*s  materielle  Leben  theilnehmen,  verhältnissmässig  ain 
häufigsten  ergriffen.  Von  83  Fällen  (70  M.  und  13  Fr!)  hatten  32  U.  und  5  tr. 
=  37,  fast  4S^Iq  YOT  5 — 20  Jahren  Lnes  acqnirirt.  An  2  ^Uen  von  Paranoia 
schlosd  sich  terminale  Paralyse  an.  Sommer. 


20)  Syphilis  und  Sementift  paralytioA.  yon  Paul  ßrie.  (Disseri  Breslau  1686.) 

Nach  einer  ausf&hrlicheii  Literatiirangiüi>e  über  den  betrefifonden  Gegenstand  theüt 
Verf.  mit,  daas  Yon  198  Fandytikem  aus  der  Breslauer  Klinik  bei  60  nicbt  oruirt 
werden  konnte,  ob  Syphilis  vorausgegangen,  von  den  148  tlbrigen  waren  21  aidier, 
25  sehr  wahrscheinlich  luetisch.  Verf.  glaubt,  dass  die  Syphilis  als  ätiologisches 
Moment  bei  der  Paralyse  zu  berücksichtigen  sei.  M. 


ai)  lieber  die  Syphilis  als  Aetiologie  der  Tabes  dorsalis  und  d<er  Dementia 
paralytioa.    Inaug.-Dissert.  von  Julius  Freuss.    BerMn  1886. 

Yerf.  beleuchtet  kritisöh  das  statistische  Material,  welches  bisher  gesammelt  ist» 
um  den  Zusammenhang  zwischen  Syphilis  einerseits  und  Tabes  dotsalis  sowir  Demeslia 
paralytioa  andererseits  dafznthun.  Bei  beiden  Erankheiteti  kommt  die  Syphilis  als 
Yorläuferin  im  Vergleich  zu  ihrem  Aufboten  bd  andem  Affectiom^  so  häufig  vor, 
dass  sich  eine  Beziehung  dieser  Nervenaffectionen  zu  der  Lues  als  unzweifBlhafI  ergiebi 
Diese  Beziehungen  kOnnen  sein:  1)  Die  Syphilis  bewirkt  direkt  die  als  Tabes  be- 
zeichnete Form  der  Bückenmarkserkrankung:  Tabes  syphilitica  und  annalo^^  damit 
eine  Gehimsyphilis  unter  dem  Bilde  der  progressiven  Paralyse:  Dementia  paralytica 
syphilitica.  2)  Die  Syphilis  bewirkt  eine  Praedisposition  des  0i|;aliisitiu8  in  dem 
Sinne,  dass  andere  Schädlichkelten  nun  einwirken  können:  Tabes  theuiiialiea  auf 
syphilitischem  Boden;  in  gleichem  Sinne  ffihrt  Yerf.  eine  Dementia  paralytica  auf 
syphilitischem  Boden  an.  3)  Endlich  fehlt  die  Sypliilis  in  der  Yorgeschichte  beider 
Affektionen.  Klinisch  lässt  sich  kein  Unterschied  zwischen  den  3  Formen  auffinden. 
Yerf.  bespricht  dann  2  Fälle  aus  der  Menderschen  Poliklinik,  von  denen  der  eine 
untw  das  Schema  der  Tabes  syphilitica,  der  anderein  die  Beihe  der  D^neutia  syphi- 
litica zu  rangiren  sei.  Buhniann.    - 

'  •  ■       -         .        • 

Therapie. 

28)  SuUe  vairifltoioid  looali  del  jpolso  nel  iserveUo  e  iM^tmmhma^m  dstt' 
uomo  per  effetto  di  alouni  agenti  terapeutici.  pel.  dott  Q:  Capelli 
.  e  B.  Brugia.    (Archiv,  ital.  per  le  malat  aenros.  1886.  XXIII.  p.td-^21.) 

Der  Einfluss  therapeutischer.  Miibtel  auf  die  Blutbevegung  in  Schädel  ist  neeh 
wenig  erforscht  und   doch  ist  seine  Eenntniss  sehr  etrwdnsoht,   hesoQders'ia  46r 


—    820    — 

Psychiatrie,  damit  man.^iup1it.s.,^.  JE*<)Ig^n8tftnde.y9ii  Hyporftmie  mit  Agentien  be- 
kampfty  die  ihreraeits  wiederum  Hyperämie  henrorrufeiL  Zur  annähernden  Benrthei- 
IqW:  .4iWj  .oelattTen  Hoimeoge»  de»  Blatdroeto  odtr  dos  GeffiastomiS'  ianerbalb  .des 
Schädds  hat  man  sich- tohtr  mit. äUMereuAnseiehen,  dem  Garotidenpuls,  der  Farbe 
der  Glesichtshaut,  der  Injection  der  Conjnnctiya  nnd  der  OhrmuBphel,  femer  der 
Temperaturmessnng  der  Kopfhaut  und  endlich  der  Ophthalmoskopie  und  wohl  anch 
der  Otoskopie  begnügen  müssen.  ZüterläsBig  aber  konnte  natürlich  nor  die  ünter- 
sochiiiir.^-<ahdiinei  iwh  i»r  Fia.selbet  aeia^.Beint  Mensohen  ist  diese  nur  mög- 
lich, wenn  ein  grösserer  Defect  des  knöchernen  Schädeldachs  vorhanden  ist.  Mosso, 
Burckhardt,  Hays,  Mnsso  und  Bergesiö,  sowie  Gurci  haben  in  neaester  Zeit 
(Gelegenheit  gehabt',  derartige  Untersuchungen  anzustellen. 

Die  beiden  Terff.  der  liier  zu  referirenden  Arbeit  haben  nun  an  zwei  Personen 
mit  traumatischen  Defecten  des  Stirnbeins  die  Einwirkung  verschiedener  therapeutischer 
Agentien  auf  die  Circulation  innerhalb  der  Schäd^lhöhle  untersucht,  indem  sie  die 
durch  die  Herzcontfactionen  bedingten  periodischen  Yolumsvermehrungen  des  Schädel- 
iiihalts  und  eines  peripherischen  anderen  Körpertheils,  nämlich  des  Vorderarms,  und 
gleichzeitig  noch  die  sphygmographischen  Curven  aufzeichneten.  Sie  benutzten  einer- 
seits den  Uosso^schen  und  andererseits  den  Marey*schen  Apparat,  ohne  dass'  hier 
genauer  auf  die  Tersughsanordnungen  eingegangen  werden  müsste. 

Die  wichtigsten  Eesultate  sind  nun  die  folgenden: 

1.  Amylnitrit  setzt  die  Herzkraft  und  den  Blutdruck  herab,  bedingt  Gefass- 
lälimüng,  wirkt  viel  schneller  und  deutlicher  auf  die  Gefässe  des  Gehirns^  als  auf 
die  des  Torderarms,  und  ruft  in  beiden  Organen  bedeutende,  aber  von  einander  un- 
abhängige Schwankungen  in  ihrem  Volumen  hervor. 

2.  Morphium  (0,01—0,02  subcutan)  verengert  zunächst  die  Gefässe  des  Gehirns 
und  des  Vorderarms,  dann  tritt  in  beiden  Organen  gleichzeitig  eine  Lälimuiig  des 
Gefasstonus  und  damit  eine  bedeutende  Volumszunahme  ein,  die  mit  dem  Beginn  der 
hypnotischen  Wirkung  ihr  Maximum  erreicht,  und  während  des  Schlafes  allmählich 
in  das  normale  Verhältniss  zurückkehrt 

3.  Chlorai  bedingt  zunächst  Anämie  des  Gehirns  in  Folge  von  Gefasslähmung 
und  Dilatation  in  der  Peripherie  (Hautdecken  etc.).  Der.  Eintritt,  des  Schlafes  wird 
durch  Hyperämie  des  Hirns  in  Folge  allmählicher  Ausbreitung  der  Gefässparese  auch 
auf  die  lifeningealgefässe  eingeleitet.  Am  Ende  des  Schlafes  und  in  der  ersten  Zeit 
des  wachen  Zustandes .  stellt  sich  dann  wieder  eine  Volumsabnahme  des  Gelirns,  also 
eine  ^  Erhöhung  des  Gefasstonus  ein,  die  niur  allmählich  in  den  normalen  Zustand 
übergeht/  .  \    .   ,        !  -/'.         . 

i.  Paratdehyd.  In  den  Fällen,  in  denen  Faraldehyd  (3,0)  schlafbringend  wirl^ 
setzt  es  die  Herzkraft  etwas  herab,  lähmt  die  peripherischen  Gefässe  in  massiger 
Intensität  un^  /bewirkt  dadurch  eine  geringe,  oft  kaum  nachweisbare  Himanämie. 
Faraldehyd  wäre  als  Schlafmittel  immer  dem  Ghloral  vorzuzieheUi  wenn  es  ebenso 
sicheif  wirken  '  möchte  und  wenü  die  Herabsetzung  der  Herzkraft  nicht  gelegentlich 
doch  einige  Vorsicht  geböte;  der  Gefässzustaud  während  des  Paraldehydschlafes 
koipmt  dem  wahrend  des,  physiologisphen  Schafes  sehr  nahe. 

'o.^'fiy\)scyamiAC^iQÖ3)  bedingt' zunächst  ein  bedeutendes  Ansteigen  der  Herz« 
kraft  und  des  Gefasstonus;  nach  etwa  20  Minuten  sinken  beide  unter  Beschleunigung 
der  fiM^xaotioii  1)1»  2tt  elMm  mioimiiien  Grade  während  des  tiefen  ^SeMaflBd,  nm  sich 
dann  ^eder  aUmflldiek  mf  die  Nora  zu  erheben. 

( v$j.  iBin;  kiHe»  Vollbad  bewit^kt  sohnell  Hautanämie  und  Himhyperämle. 
""/'7.'  Bitt  wwmeB^^VoUbttd  bewirkt -'Haat&ypeiftmie  und  Himanämie,   ohne  diu», 
wi0'^Nnv0Ot  imd-  Borges to  goAmden  haben,  ^ine  initiale  Himhyperäroie  i<i  Folge 
nomentanor'  Contraolion.der  Hanlgolässe  vorAusgegimgm  wäre.  Somtner. 


—    880    — 

nL  Aus  den  OesellsohafteiL 

ZI.  Waadenrersamniliuig  BüdwestdeutBoher  Neurologen  and  Xrrenftzmte 

zn  Baden-Baden  am  22.  und  23.  Mai  1886. 

Original -Bericht  von  Dr.  Laqner  in  Frankfurt  a,  IL 

(Fortsetsang.) 

X.  Prof.  Käst  (Freibnrg):  Zur  Anatomie  der  cerebralen  gfaderlMimniig. 

Unter  Berücksichtigung  der  betreffenden  Literatur  giebt  K.  zuerst  eine  historische 
Darstellung  des  klinischen  Begriffes:  Cerebrale  Kinderlähmung  und  geht  besonders 
auf  die  Frage  ein,  ob  diesem  Begriffe  auch  wklich  anatomisch  eine  Polioencephalitis 
immer  zu  Grunde  liegen  mtisse,  wie  zuerst  Strümpell  und  nach  ihm  auch  Andere 
behauptet  haben.  Vortr.  hat  zwei  Fälle  zu  beobachten  Gelegenheit  gehabt,  die  fUr 
diese  Frage  von  Belang  sind:  Der  erste  Fall  betraf  ein  Kind,  welches  bis  zum 
sechsten  Monat  seines  Lebens  vollständig  gesund  gewesen  war,  dann  aber  in  einer 
Nacht  plötzlich  unter  heftigem  Erbrechen  und  Krämpfen  erkrankte.  Die  Gonvulslonen 
betrafen  rechten  Arm  und  rechtes  Bein,  welche  nachher  auch  gelähmt  blieben.  Der 
Facialis  war  nicht  betheiligt  Einige  Monate  nach  dem  ersten  AnfallB-Cyklus  trat 
ein  zweiter  auf,  welcher  mehr  die  linke  KGrperhälfte  in  Mitleidenschaft  zog.  So 
traten  nach  verschiedenen  Pausen  immer  wieder  neue  Attacken  bald  mehr  links, 
bald  mehr  rechts  ein;  die  rechte  KOrperhälfte  war  schliesslich  paralytischer  als  die 
linke.  Das  Kind  wurde  blöde,  lernte  weder  gehen  noch  stehen  noch  sprechen  und 
starb  im  Anfall,  nachdem  die  Krankheit  14  Monate  gedauert  hatte.  Bei  der  Ob- 
duction  fanden  sich  keine  localisirten  Krankheitsherde  weder  in  der  rechten  noch  in 
der  linken  Hemisphäre.  Dagegen  war  der  Himmantel  in  seiner  Geaammthoit  sehr 
reducirt,  und  mikroskopisch  war  ein  sclerotischer  Process  von  diffusem  Charakter 
sowohl  in  der  grauen  als  in  der  weissen  Substanz  nachzuweisen,  welcher  besonders 
das  motorische  Hirn  betroffen  hatte. 

Einige  Zeit  nach  dieser  Beobachtung  kam  ein  kleines  Kind  zur  Cognition  des 
Vortragenden,  welches  mitten  in  der  besten  Gesundheit  unter  heftigen  rechtsseitigen 
Convulsionen  erkrankt  war  und  dann  alle  paar  Monate  an  partieller  Epilepsie  litt, 
die  von  spasiäscher  Lähmung  gefolgt  war.  Dasselbe  starb  nach  Sjähr.  Dauer  der 
Erkrankung.  Es  fand  sich  Atrophie  einer  Himhälfte,  dagegen  keine  Herderkrankung, 
auch  kein  degenerativer  Process  in  der  Rinde  oder  in  der  weissen  Substanz.  Nach 
diesen  beiden  FäUen  und  nach  einer  Zusammenstellung,  die  aus  einem  Genfer  Hos- 
pitale herrührt,  kann  man  nach  Ansicht  Kast*s  von  einer  Analogisirnng 
der  Poliomyelitis  und  der  sog.  Polioencephalitis  nicht  mehr  sprechen. 
Wir  müssen  bis  auf  Weiteres,  wie  Redner  meint,  nur  den  allgemeinen  Begriff  der 
cerebralen  Kinderlähmung  fest  halten,  der  durch  die  verschiedentlichsten  ana- 
tomischen Veränderungen  bedingt  sein  und  auch  auf  congenitalen  Processen  beruhen 
kann.  — 

XI.  Docent  Dr.  Engesser  (Freiburg):  Heber  einen  Fall  von  Complioation 

eines  acuten  Gtoletikrhemnatismns  mit  spinaler  Lähmung. 

Spinale  Lähmung  als  Folgeerscheinnng  von  Polyarthritis  rheumatica  acuta  ist 
wenig  beschrieben.  Der  Patient,  welcher  der  .Yersammlung  vorgestellt  wird,  ist  ein 
57jähr.  HaupÜehrer,  der  Ende  Januar  vorigen  Jahres  acuten  GelenkrheumatismiiB 
bekam  und  4  Wochen  lang  daran  litt  Besonders  stark  beih#igt  waren  Hüft-,  Knie- 
und  Fua^elenke,  sowie  die  Zwischengelenke  der  Lendenwirbdsänle,  deren  Proe,  spinosi 
sehr  druckempfindlich  erschienen.  —  Am  20.  Januar  d.  J.,  nachdem  die  rhaanu- 
tischen  Erscheinungen  fast  völlig  zurückgetreten  waren,  wurde  eine  motorische  Läh- 
mung beider  Beine  constatirt    Die  Sensibilität  war  intact.  —  Das  Kniephänomen 


—    331    — 

war  rechts  erloscheii,  links  erheblicli  herabgesetzt  Die  iaradische  Erregbarkeit  war 
in  den  rechten  GaBtrocnemüs,  sowie  in  der  inneren  Flexorengrappe  des  rechten  Ober- 
schenkelfly  femer  in  den  Flexoren  nnd  Eztensoren  des  linken  Oberschenkels  herab- 
gesetzt; in  der  Uoscnlatar  der  linken  Wade,  dem  Biceps  nnd  Quadiiceps  des  rechten 
Oberschenkels  erloschen.  —  Sonst  zeigte  die  faradische  Prftfung  keine  Abnormitäten. 
Galvanisch  geprflft  erwiesen  sich  die  linken  Dorsalflexoren  als  normal;  die  Mm.  semi- 
tendinosns  nnd  semimembranosns  rechts  zeigten  nnr  mftssige  Entartnngsreaction,  in 
Tiel  höherem  Grade  die  Mm.  biceps  nnd  qnadriceps  femoris,  in  diesen  fand  sich 
ancb  erhöbte  mechanische  Erregbarkeit.  Eine  l&nger  fortgesetzte  galvanische  Behand- 
lung besserte  den  Znstand  sehr  erheblich  und  eine  am  30.  April  wiederholte  elektr. 
Untersuchung  ergab  überall  gebesserte  Beactionen.  Andeutungen  von  EaB  waren  nur 
noch  im  Gastrocnemius  sin.  und  Qnadriceps  femor.  dexi  vorhanden.  Während  früher 
Fat.  nur  mühsam  steif  mit  Unterstützung  von  2  Personen  g^hen  konnte,  ist  seine 
Locomotion  eine  viel  freiere  geworden.  —  £.  h&lt  es  für  wahrscheinlich,  dass  durch 
den  Gelenkrheumatismus  in  der  Lendenwirbelsäule  sich  secundär  eine  Meningo-Mye- 
litis  mit  besonderer  Betheiligung  der  grauen  Yorderhömer  herausgebildet  habe  (Polio- 
myelitis anterior  acuta?). 

XU.   Dr.  Friedmann  (Stephansfeld):  Ueber  die  histologischen  VeränderongeiL 
bei  den  traumatischen  Formen  der  acuten  Bncephalitis. 

In  der  Lehre  von  der  pathologischen  Anatomie  der  acuten  Encephalitis  bestehen 
noch  mannig&che  Lücken.  Eine  grössere  an  Kaninchen  und  Sperlingen  angestellte 
Reihe  von  Beizungsversnchen  des  Gehirns  (einschliesslich  mehrerer  Versuche  am 
Bückenmark)  fOhrten  den  Vortragenden  zu  folgenden  Ergebnissen. 

I.    Bezüglich  der  systematischen  Anatomie  der  Encephalitis: 

1)  Die  entstehenden  Entzündungsformen  sind  je  nach  der  Art  der  Beizung 
wesentlich  difTerente,  und  zwar  bildet  sich  bei  Anätzung  direct  um  die  centrale 
Nekrose  innerhalb  der  ersten  Tage  ein  bindegewebiges  aus  zahlreichen  spindel-  und 
sternförmigen  Faserzellen  formirtes  Gerüstwerk,  in  das  grosse  runde,  meist  mehr- 
kemige  Zellen  eingelagert  sind,  die  Fett  und  Mark  enthalten  und  bei  geeigneter 
Behandlung  vielfach  karyokinetiische  Eemtheilungsbilder  ergeben;  Eiterzellen  fehlen 
dabei  beinahe  ganz  oder  sind  sehr  spärlich,  während  bei  septischer  Beizung  regel- 
mässig Vereiterung  und  Abscess  entsteht  Diese  charakterisirt  sich  durch  frühzeitige 
reichliche  Extravasation  von  Bundzellen  aus  den  der  Beizstelle  benachbarten  Gefässen, 
in  dem  Gewebe  selbst  wachsen  die  praformirten  Zellen  protoplasmatisch  (nicht  faserig) 
aus  und  bilden  so  unter  Verschwinden  des  gliösen  Gerüstwerks  zusammen  mit  dem 
Eiter  Zellenhaufen.  In  diesen  sind  durch  Färbung  nach  Grau'scher  Methode  Mikro- 
kokken  reichlich  nachzuweisen.  —  Beginnt  in  der  Umgebung  des  Eiterherdes  das 
Bindegewebe  zu  Faserzellen  auszuwachsen,  so  kommt  es  zur  Bildung  der  Abscess- 
membran.  Bei  einfach  mechanischer  (aseptischer)  Beizung  entsteht  ebenfalls 
eine  centrale  Nekrose,  auf  dieselbe  folgt  zunächst  eine  Degenerationszone  mit  relativ 
spärlichen  Fettkömchenzellen,  darauf  erst  die  Beizungszone  mit  ähnlichen,  aber  weniger 
intensiven  und  wesentlich  auf  Bindegewebe  und  Gefässwände  sich  beschränkenden 
Proliferationen  wie  bei  der  Aetzung,  sodass  es  (innerhalb  der  ersten  Wochen)  nicht 
zur  Formation  eines  continuirlichen  bindegewebigen  Fachwerks  kommt. 

2)  Entsprechend  zeigt  bezüglich  des  Verlaufs  das  erste  Stadium  der  acuten 
Encephalitis,  die  sogen,  rothe  Erweichung  von  vornherein  histologisch  wesentliche 
Differenzen  je  nach  ihrem  späteren  Uebergang  in  Eiterung  oder  primäre  Organisatipn 
(in  dem  einen  Fall  Faserzellen  und  mehrkemige  grosse  Kömchenzellen,  im  andern 
Eiter  um  die  Geffisse,  grosse  protoplasmatische  Zellen  im  Gewebe  etc.).  Spätere 
Stadien  der  Aetzentzündung  (vierte  bis  achte  Woche),  nur  bei  leichterer  Verletzung 
beobachtet»   wiesen  offenbare  Tendenz  zu  bindegewebiger  Verdichtung  auf,   reichliche 


—    382    — 

dicliter  betMmmeii  stehende  stem-  und  iq^iiidelförmigo  Fuerzetten  ai^  s^Uehemi 
zwlscbengelagerten  KGrnokens^eiL 

3)  Als  Kriterium  der  primiren  (z.  B.  auf  Trauma  folgenden)  oigausIrandflB 
Entzündung  gegenflber  der  seeundaren  bei  Enreieliung  nacb  GefSeererselüiiag  hsi  das 
Vorkommen  reichUcher  mehrkömiger  Kömcbenzellen  mit  Karyokineeen  zu  galten,  wie 
Bolcbe  Vortragender  auch  in  einem  (nicht  traumatiecbett)  enceplialitieediBn  Herd  beim 
Menffßhen  beobachtet  hat,  femer  der  geringere  Faserreii^thum  der  gitOBsentheils  ge- 
schwellten Bindegewebszellen. 

4)  Für  die  Frage  der  üntersdieidung  parenchymatOeer  und  interstitieller  ForiMii 
der  acuten  Encephalitis  ergab  sichi  dass  jede  intensivere  Beizung  (sped^  Aetzung 
und  septischer  Beiz)  primär  sowohl  im  Bindegewebe  als  im  nerrOsen  Panmehym 
(hier  bei  den  sog.  Körnern  sicher  als  progressiT  zu  deutende)  intensiYen  Ver&nde^ 
rangen  setzt,  während  schwächere  Beizangen  weeentlioh  das  GUagewebe  anregen« 
Innerhalb  der  weissen  Substanz  des  Bückenmaris  kann  dagi^en  (bei  Früedien  «nd 
Menschen)  als  erste  Beaction  auf  mechanische  Verletzung  ausgedehnte  13<Afwellung 
der  Axenqrlinder  beobachtet  werden. 

Eine  Unterscheidung  erweichender  und  sogenannter  hjperplastis^er  Farmen 
(Hayem)  bei  der  nicht  abscedirenden  Encephalitis  empfiehlt  sich  nicht,  da  meistens 
neben  einander  in  gleichem  Abstand  von  der  BeizsteUe  zasammenhsngiose  KAnchen* 
zellenhaufen  tmd  Einschachtelung  derselben  In  das  bindegewebige  Fachwerk  vorkommt 

II,  Bezüglich  der  Histogenese  der  Entzündungsproducte  wurde  fol^ndes 
ermittelt: 

X)  Progressive  Vorgänge,  sind  erst  von  der  Uitte  des  zweiten  Tages  wahrnehm- 
bar, zunächst  an  Veränderung  (CompUcation)  des  feineren  Gerüstwerks  der  Gewebs- 
keme,  sodann  in  Gestalt  der  bald  folgenden  Schwellung  der  Bindegewebszellen.  Zur 
selben  Zeit  beginnt  die  Kömchenzellenblldung. 

2)  Das  bindegewebige  Fachwerk  bei  der  Aetzentzündung  geht  jedenfalls  über- 
wiegend durch  Auswachsen  und  Vermehrung  der  präexistenten  Gliazellen  hervor,  von 
denen  ein  grosser  Theil  evident  im  Znsammenhang  mit  den  wuchernden  Geflisswänden 
sich  befindet.  In  der  grauen  Substanz  wird  bei  den  sogenannten  Körnern  sehr  reich- 
lich das  interessante  Phänomen  beobachtet,  dass  vom  zweiten  Tag  an  der  Band  des 
Hohlraums,  in  dem  die  Körner  gelegen  sind,  an  der  Stelle  des  sog.  Bandkoms  halb- 
mondförmig anschwillt  und  dass  sich  daraus  weiterhin  wohl  charakterisirte  Binde- 
gewebszellen entwickeln.  Nebenbei  scheint  dadnrch  bewiesen^  dass  der  Holdmum 
präexistent  und  ven  im  normalen  Zustand  platten  endothelartlgen,  bei  acuteir  Ent- 
zündung anschwellenden  und  dadnrch  hervortretenden  Zellen  ausgekleidet  wird.  Die 
früher  erwähnten  mehrkörhigen,  in  das  Fach  werk  eingelagerten  Fett  und  IKsA  hal- 
tenden Zellen  liehen  sicher  zum  Theil  ans  den  Körnern  hervor,  in  denen  sieh  katyo- 
kynetische  Vorgänge  noch  in  ziemlichem  Abstände  von  der  Beizapplicationsstelle  ab- 
spielen. Bei  der  Vereiterung  hingegen  vergrössert  sich,  soweit  die  Körner* nicht 
primär  durch  Zerfall  zu  Grunde  gehen,  das  Protoplasma  derselben,  und  die  l&nd- 
zellen  wachsen  aus  der  Halbmondform  zu  protoplasmareichen,  unter  sich  zum  Theü 
anastomosirenden  Zellen  aas.  Eine  Bildung  von  Eiter^ellen  läset  sich  ans  dieser 
Wuchenmg  der  fixen  Zellen  nicht  demonstriren.* 

3)  Die  reichliche  Gefässnenbildung  der  entzündlichen  Oi^nisation  Sdiexnl  unter 
wesenüicher  Betheiligong  der  spinnenartigen  und  spindelförmigen  Bindegeweb^Uen, 
die  dich' canalisiren.  Vor  sich  zu  gehen.  .    ^i  tu 

4)  An  allen  Wucheitmgen  betheiligt  4ädi  die  Pia  mater  und  das  ^^«lid^  der 
Naohbarschafb  lebhaft. 

5)  An  den  eigentüehen  GanglienzeDett  wurden  «ncbUeli  r^gressamVoifäng« 
beobachtet»  hauptsächlich  Schrumpfung  ond  Sderesimng  unter  ^Kenimplost»  homogene 
St$hweliüng,  wobei  die  homogene  Substanz  an  die  Stelle  derkunäcistittkchi'derPe»* 
pherie  der  Zelle  gedrängten  normalen  streifen-^  und  netzfömig  gezeldmeten-MMtaiii 


—     383     — 

triU,  endlich  kömiger  Zerfall  und  Körncbenzellenbildung.  Umwandlung  einzelner 
Exemplare  in  indifferente  (kömerartige)  Zellen  scheint  daneben  vorzukommen,  doch 
sind  gerade  bei  Thieren  hier  Irrthtimer  leicht  möglich  wegen  der  in  weiten  Grenzen 
(besonders  in  der  Hirnrinde)  wechsehiden  Normalzahl  der  ausgebildeten  Ganglienzellen. 
Kemtheilungsbilder  an  Zeilen,  die  noch  als  Abkömmlinge  ausgebildeter  Ganglienzellen 
zuverlässig  anzusprechen  waren,  kamen  nicht  zu  Gesicht 

An  den  Axencjlindem  der  weissen  Substanz  waren  ausser  homogener  vidfach 
bald  grobkörnig  werdender  und  zu  Zerfall  in  einzehie  Stücke  führender  Schwellung 
keine  sicher  als  progressiv  zu  deutenden  Vorgänge  zu  beobachten,  speciell  keine 
Korn-  oder  Zellenbildung.  Die  Markscheide  gerinnt  und  zerföllt,  wie  Weigert-Pr&- 
parate  lehren,  sehr  rasch,  um  dann  zu  verschwinden  und  sich  in  den  Kömchenzellen 
zum  Theil  wiederzufinden.  Die  vorliegenden  Angaben  über  endogene  Kembildung 
in  Axencjlindem  bei  acuter  Entzündung  lassen  den  Nachweis  vermissen,  dass  In- 
vagination  von  Rundzellen  oder  Verwechslung  mit  den  häufig  vorkommenden,  manch- 
mal Axencylindem  täuschend  ähnlich  sehenden  langgestreckten  geschwellten  Gliazellen 
auBgeschlossen  war.  Uebrigens  zeigten  auch  histogenetische  Untersuchungen  bei 
Frosch-  und  Salamanderlarven  dem  Vortragenden,  dass  gemäss  der  Hensen'schen 
Ansicht  sich  die  Axencylinder  der  weissen  Substanz  nur  als  Ausläufer  von  Zellen 
der  grauen  Substanz  und  nicht  aus  besonderen  Zellen  anlegen. 

XIII.  Prof.  Schnitze  (Heidelberg)  demonstrirt  erstens  Präparate  von  mnl- 
tipler  Soleroee,  bei  denen  die  Freud*sche  Goldmethode  angewendet  wurde  und  welche 
auf  Querschnitten  die  different  gefärbten  nackten  Axencylinder  in  den  sderotischen 
Partien  in  grosser  Masse  zeigen.  Der  Vortragende  muss  gegenüber  Koeppen  daran 
festhalten,  dass  sich  bei  der  genannten  Methode  die  Axencylinder  durch  differente 
Färbung  -gegenüber  dem  Nervenmark  sowohl  wie  gegenüber  der  Glia  scharf  abheben, 
falls  die  Methode  nicht  überhaupt  versagt 

Sodann  demonstrirt  derselbe  Präparate  von  Spinalganglien  des  Menschen  sowie 
des  Hundes  ebenso  wie  Schnitte  aus  dem  Rückenmark  des  Hundes,  um  die  eigen- 
tbümliche,  von  Flesch  sowohl  wie  von  Kreyssig  beschriebene  differente  Färbung 
der  Ganglienzellen  unter  normalen  Verhältnissen  zu  zeigen.  Ueber  die  Ursache  dieser 
auffiallenden  Reaction  lässt  sich  Sicheres  zur  Zeit  nicht  aussagen;  es  ist  aber  von 
Werth,  den  Befund  überhaupt  zu  kennen,  um  nicht  zu  voreiligen  Deutungen  bei 
etwaigen  pathologischen  Processen  irgend  welcher  Art  zu  gelangen. 

Schliesslich  berichtet  derselbe  kurz  über  einto  Fall  von  Tuberkel  in  der 
Medulla  spinalifl  und  oblongata  bei  einem  48jährigen  Manne,  welcher  nach  der 
Krankenbeobachtung  von  Herrn  Dr.  G.  Fischer,  welchem  der  Vortr.  das  immerhin 
seltene  Präparat  verdankt^  an  allmählich  fortschreitender  motorischer  und  sensibler 
Lähmung  der  Unterextremitäten  gelitten  hatte.  Der  Tuberkel  sass  in  dem  oberstmi 
Theile  der  Lendenanschwellung  auf  der  rechten  Seite  und  nahm  den  grössten  Theil 
des  Querschnittes  derselben  ein.  In  Folge  von  Compression  auch  der  anderen  Hälfte 
des  Rückenmarkes  war  secundäre  aufsteigende  Degeneration  der  Hinterstränge  ein- 
getreten. Ausserdem  fand  sich  ein  kirschkemgrosser  Tuberkel  in  dem  Corp.  resti- 
forme  der  einen  Seite  vor,  welcher  keine  deutlichen  Krankheitssymptome  gemacht  zu 
haben  scheint. 


K.  K.  Gesellschaft  der  Aerzte  zu  Wien.     Sitzung  vom  7.  Mai  1886.    (Wiener 
med.  Presse.  1886.  Nr.  20.) 

Prof.  Stricker:  Heber  Laut-  und  Tonvorstellungen.  Prof.  Stricker 
macht  eine  Mittheilung  über  einige  Beobachtungen,  die  Prof.  Störk  am  Menschen 
und  Dr.  Josef  Pollak  am  Hunde  gemacht  hat  Diese  Beobachtungen  stützen  sich 
auf  eine  psychologische  Grundidee,  für  welche  Prof.  Stricker  bisher  nur  subjective 


-      884    — 

Argumente  hatte.  Der  Vortragende  faatte  bereits  vor  sieben  Jabren  in  seinen  ,,Stadien 
über  SpFachvorstellungeu"  die  Behauptung  aufgestellt,  dass,  wenn  num  die  Sprache 
hört,  man  sie  nicht  deshalb  verstehe,  weil  man  jedes  Schallbild  hört,  sondern  weil 
sich  an  jedes  Schallbild  die  Innervation  der  Muskeln  knüpft,  mit  denen  man  dieselben 
Worte  sprechen  würde.  Diese  Innervation  wird  ausgelöst  vom  Spracfacentrum  und 
wenn  dieses  Mittelglied  durch  Krankheit  ausfällt,  so  kommt  es  sur  Aphasie,  die 
Leute  hören  die  gesprochenen  Worte,  verstehen  aber  die  Sprache  nicht 

Stricker  hat  seine  Theorie  auch  auf  das  Gebiet  der  Sprache  ausgedehnt  und 
ist  in  seiner  Ansicht  noch  bestärkt  worden,  seitdem  er  im  Intnvese  der  Sache  an- 
gefangen hat,  selbst  Musik  zu  treiben.  Inzwischen  ist  Prof.  Stumpf  in  seinem 
grossen  Werke  über  Tonpsychologie  den  Ansichten  Stricker's  entgegengetreten,  wes- 
halb Letzterer  die  Polemik  gegen  Stumpf  in  seiner  in  Paris  erschienenen  Arbeit 
„Du  langage  et  de  la  mumque"  aufgenommen  hat 

Auf  die  Musik  applicirt,  hiutet  die  Theorie  folgendermaassen:  W«m  ich  Musik 
höre,  wild  gleichzeitig  in  mein<»n  Kehlkopfe  jene  Innervation  ausgeführt,  die  nöthig 
wäre,  um  diese  Melodie  (es  ist  hier  nur  einstimmige  Musik  gemeint)  ansauführen. 
Nach  einiger  Zeit  geht  die  Klangfarbe  verloren  und  nur  das  motorische  Bild  bleibt 
zurück.  *  Das  trifft  aber  nicht  bei  allen  Menschen  zu,  es  giebt  Leute,  bei  denen  die 
erwähnte  Innervation  beim  Hören  eines  Musikstückes  oder  beim  Denken  an  eine 
Melodie  in  den  Lippen  vor  sich  geht.  Darauf  mag  die  Thatsache  zurückzuführen 
sein,  das»  Mozart  immer  pfeifend  über  die  Strasse  ging  und  Johann  Strauss  war 
ganz  überrascht  über  das  lebhafte  Spiel  seiner  Lippen  beim  Denken  an  eine  Melodie, 
nachdem  ihn  Prof.  Stricker  darauf  aufmerksam  gemacht  hatte. 

Für  die  erwähnte  motorische  Natur  der  Tonvorstellung  hat  nun  Prof.  Störk 
folgende  objective  Beobachtung  gemacht:  Er  führt  einer  Sängerin  den  Kehlkopfspiegel 
ein  und  veranlasst  sie,  an  ein  Musikstück  zu  denken  oder  lässt  ihr  etwas  vorsingen, 
man  beobachtet  dann,  dass  die  Stimmbänder  sich  in  dem  Rythmus  des  gedachten 
oder  vorgesungenen  Musikstückes  mit  bewegen. 

Es  giebt  aber  eme  Beihe  von  Musiker,  inabesondere  Klavierspieler,  die  weder 
im  Kehlkopfe  noch  in  den  Lippen,  dagegen  in  der  Gegend  des  Gehörorganes  etwas 
verspüren.  Der  Vortragende  hatte  bereits  in  seiner  Schrifi;  „Du  langage  et  de  la 
musique''  angedeutet,  dass  es  sich  in  diesen  Fällen  vielldcht  um  €k)ntractionen  des 
Tensor  tympani  handeln  würde. 

Nun  ist  Stricker  im  Stande,  auch  für  diese  Ansicht  objective  Beweise  zu 
liefern,  und  zwar  auf  Grundlage  von  experimentellen  Untersuchungen,  die  Dr.  Josef 
Pollak  unter  Mitwirkung  des  Dr.  Gärtner  in  seinem  Laboratorium  ausgeführt  hat 

Nach  entsprechender  Präparation  wurde  eine  feine  Nadel  in  dem  Tensor  tympani 
hineingesteckt  und  nun  zeigte  sich  in  äusserst  frappanter  Weise,  dass  der  Tensor 
tympani  bei  Tönen  von  verschiedener  Höhe  verschieden  starke  Contractionen  ausführe 
Ausserdem  haben  aber  diese  Versuche  noch  etwas  Neues  ergeben.  Zunächst  liess 
sich  constatiren,  dass  der  Tensor  tympani  nicht  nur  auf  Töne  von  verschiedener 
Höhe,  sondern  auch  die  verschiedenen  Selbstlaute  (a,  e,  i,  o,  u)  reagire,  am  inten- 
sivsten auf  a,  am  schwächsten  auf  u.  Es  ist  diese  Wahrnehmung  ein  wichtiger 
Fingerzeig,  inwiefeme  die  Hunde  unsere  Sprache  yerstehen. 

Die  Action  des  Tensor  tympani  |ist  zweifellos  ein  Reflexakt;  pfeift  man  dem 
Hunde  in  ein  Ohr  hinein,  so  reagirt  auch  der  Tenor  tympani  des  anderen  Ohres; 
nach  Durchschneidung  der  Medulla  oblongata  hört  diese  reflectorische  Action  auf. 

Diese  Experimente  wurden  an  5  grossen  Hunden  öfter  vriederholt  und  immer 
mit  demselben  Erfolge. 

Bei  einem  Hunde,  der  taub  war,  fand  sich  der  ganze  Schallleitungsapparat 
intact,  aber  der  Tensor  tympani  zeigte  absolut  keine  Spur  von  Beaction.  Alle  diese 
Umstände  sind  objective  Belege  für  die  von  Stricker  behauptete  Theorie  der  moto- 
rischen Tonvorstellungen. 


—    38B    — 

Prof.  Störk  bemerkt,  dass  Edch  zu  derartigen  Yersiicben  mir  solche  Individuen 
eignen,  die  den  Kehlkopfspiegel  vertragen .  können.  Wenn  man  solchen  Individuen 
ein  Notenblatt  vorhält  und  sie  veranlasst,  dasselbe  stillschweigend  2u  lesen  oder 
wenn  man  solche  Individuen  an  eine  Melodie  denken  lasst,  so  sieht  man  die  Stimm* 
bänder  sich  genau  entsprechend  dem  Bythmus  der  Melodie  mitbewegen.  Bei  geübteren 
Säi^em  kann  man  ausser  den  rhythmischen  Bewegungen  im  Kehlkopfe  ebensolche 
des  Thorax  mit  aufgelegter  Hand  constatiren. 


Academie  der  Wissenschaften  zu  Paris.    Sitzung  vom  28.  Juni  1886. 

Vulpian  hat  die  Versuche  von  Steiner  in  Bezug  auf  die  Abtragung  der  Gross« 
himlappen  bei  Knochenfischen  (Karpfen)  wiederholt  und  kommt  —  entgegen  seinen 
eignen  im  Jahre  1854  mitgetheilten  Beobachtungen  wie  Steiner  zu  dem  Schluss, 
dass  die  willkürlichen  Bewegungen  bei  den  Knochenfischen  nach  Fortnahroe  der 
Grosshimlappen  vollständig  denen  mit  intactem  (Gehirn  gleichen. 

Pierret  (mitgetheilt  von  Charcot)  macht  Yon  Neuem  auf  die  grosse  Häufig- 
keit peripherischer  Neuritis  bei  Tabes  aufmerksam;  diese  Läsion  ist  jedoch  durchaus 
nicht  constant;  und  sie  kann  auch  bei  unzweifelhaften  Tabikem  heilen.  P.  sah 
neuerdings  in  einem  Fall  Erneuerung  der  Nervenröhren.  Er  glaubt,  dass  die  Existenz 
dieser  Neuritiden  in  Zusammenhang  mit  einer  centralen  Läsion  in  die  Nervenpatho- 
logie eine  neue  Art  von  Entzündungen  einzufahren  gestattet,  welche,  ohne  aufzuhören, 
systematische  zu  sein,  Herde  mit  Zwischenräumen  an  verschiedenon  Punkten  des  er- 
griffenen Systems  setzen,  ohne  dass  die  Läsion  des  dazwischen  gelegenen  Nerven- 
t>der  Bindegewebes  absolut  nothwendig  sei.  M. 


IV.  Bibliographie. 

Die  Besiehungen  swisohen  Gtoistesstorung  und  Verbreohen.  Nach  Beobach- 
tungen in  der  Irrenanstalt  Dalidorf  von  Dr.  W.  Sander  und  Dr.  A.  Bichter. 
Berlin  1886.     (Fischer's  med.  Buchhandlung.     H.  Kornfeld.) 

Das  reiche  Material,  das  die  Berliner  Irrenanstalti  wie  keine  andere  in  Deutsch- 
land, in  Bezug  auf  solche  Kranke  bietet»  die  mit  dem  Strafgesetz  in  Conflict  gekommen 
sind,  hat  in  diesem  Buche  eine  Bearbeitung  erfahren,  für  die  wir  den  Yerff.  zum  grössten 
Dank  verpflichtet  sein  müssen. 

In  dem  ersten,  von  Bichter  bearbeiteten  Theile  werden  uns  die  einzelnen 
Kranken,  nach  Krankheitsformen  geordnet,  vorgeführt  (Imbecillität  und  Idiotie,  ori- 
ginäre Verrücktheit,  Verrücktheit,  secundäre  Geistesschwäche,  chronischer  Alcoholis- 
mus,  Epilepsie,  Paralyse).  Eine  reiche  Fundgrube  für  Jeden,  der  sich  für  foren- 
sische Psychiatrie-  interessirt,  für  den  Arzt,  wie  für  den  Bichter  und  Psychologen 
liegt   in   den  hier  niedergelegten,  zum  Theil  sehr  ausführlichen  Krankengeschichten. 

Der  zweite  Theil,  von  Sander  verfasst,  enthält  4  verschiedene  Aufsätze:  1.  Zur 
Statistik  der  mit  dem  Strafgesetz  in  Conflict  gerathenen  Geisteskranken,  aus  der  wir 
hier,  um  die  Grösse  des  Materials  zu  charakterisiren,  nur  hervorheben  wollen,  dass 
unter  den  am  I.Juli  1883  von  der  Stadt  Berlin  verpflegten  Geisteskranken  153  Männer 
und  24  Frauen,  d.  h.  18  ^/^  der  Männer  und  2,8  ^/^  der  Frauen  sich  befanden,  welche 
mit  dem  Strafgesetz  in  Conflict  gekommen  waren.  2.  Zehn  Gutachten  über  schwie- 
riger zu  beurtheilende  Fälle  von  Geistesstörung.  3.  Ein  Gutachten  über  zwei  der 
Simulation  verdächtige  Verbrecher. 

Diese  11  Gutachten  sind,  wie  dies  nach  den  früher  veröffentlichten  Gutachten 
Sander's  zu  erwarten,  als  mustergiltig  zu  bezeichnen. 

Den  Schluss  macht  endlich  4.  eine  Arbeit  über  die  Frage,  ob  besondere  An- 
stalten für  die  geisteskranken  Verbrecher  nothwendig  sind.   Es  wird  die  Beantwortung 


—    336    — 

dieser  Frage,  die  sieh  in  dem  Satze  ansdrfickt:  Nieht  Specialanstalten,  sondern  Special- 
ärztel  (d.  h.  Vorbildung  der  StrafanstaltBärzte  in  Irrenanstalten)  vielfach  Tl^dersprach 
erfahren,  ja  es  hat  den  Anschein,  als  ob  znr  Zeit  in  der  That  in  Prenssen,  speciell 
in  Berlin  mit  dem  Versache,  solche  Specialanstalten  zn  gründen,  vorgegangen  werden 
soll,  Eef.  kann  sich  aber  aus  den  Gründen,  die  er  bereits  1876  in  der  Enlenberg'- 
sehen  Vierteljahrsschrift  entwickelt  hat,  nur  mit  den  Sander*8chen  Anschauungen 
einverstanden  erklären,  und  ist  überzeugt,  dass  die  Irrenärzte,  die  jetzt,  weil  ihnen 
die  sog.  verbrecherischen  Irren  in  den  Irrenanstalten  unbequem  waren,  sie  jenen  An- 
stalten überweisen  wollen,  im  Interesse  ihrer  Clienten  später  bedauern  werden,  einer 
Einrichtung  Vorschub  geleistet  zu  haben,  die  nur  geeignet  erscheint,  die  mit  Mühe 
gewonnenen,  im  Strafgesetz  niedergelegten  Bestimmungen  über  die  Zurechnungsfunfahig- 
keit  zum  Nachtheil  der  Geisteskranken  in  ihrer  praktischen  Anwendung  verschlechtert 
zu  haben. 

Die  Hinweisung  auf  den  reichen  Inhalt  des  Buches  genügt  wohl  allein  schon, 
um  sagen  zu  können,  dass  dasselbe  in  den  Händen  jedes  Psychiaters  wie  jedes  Arztes 
sein  muss,  der  zur  Abgabe  forensischer  Gutachten  über  den  Geisteszustand  eines 
Angeklagten  berufen  wird. 

Die  Ausstattung  ist,  wie  wir  dies  von  der  rührigen  Verlagsbuchhandlung  ge- 
wöhnt sind,  eine  gute.  M. 

NeuritiB. 
(Cf.  Register  1885  S.  573  und  diesen  Jahrgang  S.  8.  21.  60.  118.  212  u.  S.  248  u.  f.) 

Guinon:  Sur  Tanatomie  pathologique  et  la  pathog^nie  du  b^rib^ri.  Progr.  med. 
1885.  Nr.  14  u.  15.  —  Piliotis:  De  la  n^vrite  p^riph^rique  du  cubital-cons^utive 
ä  la  flövre  typhoide.  Paris,  Davy,  1885.  Thöse.  —  Homön:  Beitrag  zur  Lehre 
von  den  multiplen  Neuritiden.  Erlenmeyer's  Ctrlbl.  1885.  14.  —  Löwenfeld:  Ueber 
multiple  Neuritis.  Aerztl.  Intelligenzbl.  1885.  Nr.  6.  —  Grocco:  Contribuzione  allo 
studio  clinico  ed  anatom.  pathologico  della  nevrit.  multipl.  primitive.  Milano  1885. 
—  Buzzard:  On  some  forms  of  paralysis  dependent  upon  peripherica!  neuritis. 
Lancet.  1885.  Nov.  and  Dec.  —  Pitres  et  Vaillard:  Contribution  k  T^tude  des 
nevrites  p^riph^riques  survenant  dans  le.  cours  de  la  convalesconce  de  la  fi^vre  typhoide. 
Rev.  de  ra^d.  1886.  Dec.  —  Oppenheim:  üeber  2  Fälle,  welche  unter  dem  Symp- 
tomenbilde der  multiplen  Neuritis  verliefdn  und  in  voUkommne  Heilung  ausgingen. 
D.  Arch.  f.  klin.  Med.  36.  S.  561.  —  Lilienfeld:  Zur  Lehre  von  der  multiplen  Neu- 
ritis. Klin.  Woch.  1885.  45  (cf.  d.  Ctrlbl.  1886.  S.  352).  —  Chavcot:  Note  pour 
servir  ä  T^tude  de  la  n^vrite  ascendante  dans  les  moignons  d*amputation  et  de  myelite 
consecutive.  Nancy  1885.  —  Petrone:  Contribuzione  al  progresso  delle  neunte 
multiple  e  di  alcuni  affezioni  spinali.  Arch.  ital.  per  le  malat.  nervös.  1885.  Oct.  e 
Nov.  —  Kauders:  Ein  seltener  Fall  von  Neuritis  ascendens.  Wiener  med.  Woch. 
1885.  62.  —  Salvat:  Etüde  sur  les  nevrites  consöcutives  aux  injections  hypo- 
dermiques  d'^ther.  Bordeaux  1885.  —  Deschamps:  üeber  dasselbe  Thema.  Pranw. 
mÄi.  1885.  50.  

V.  Vermischtes. 

„Bevue  de  l'Hypnotisme  exp^rimental  et  th^rapeutiqae"  nennt  sich  ein  neues  Joumftl 
das  jeden  Monat  einmal  zu  Paris  erscheinen  soll  and  von  dem  die  erste  Nammer  vorliegt 
Bedactenr  ist  Dr.  Bärillon.  Unter  den  Mitarbeitern  sehen  wir  Frenkel  (Dessan),  Haek 
Take  (London),  Grasset  (Montpellier),  Ireland  (Edinbuig),  Ladame  (Qenf),  Lays, 
Voisin  (Paris)  a.  A. 

Einsendungen  für  die  Bedaction  sind  zu  richten  an  Prof.  Dr.  £.  Mendel, 

Berlin,  NW.  Kronprinzen-Ufer  7. 


Verlag  von  Veit  &  Coxp.  in  Jjeipzig.  —  Druck  von  Mrtzgrb  ft  Wittio  in  Leipzig. 


Neurologisches  Centralblatt. 

Uebersicht  tfer  Leistungen  aof  dem  Gebiete  der  Anatomie,  Physiologie,  Pathologie 
und  Therepie  des  Nervens]fSteme$  einschliesslich  der  Geisteskranicheiten. 

Hdram8geg<eb6ik  yon 

Professor  Dr.  E.  Mendel 
Fftftfter  iaB«riiiL  Jahrgang, 


Moofltlich  enuheineii  zwti  NmnaenL  Pieia  dfli.  lalurgangM  IS'  Msrk.  Zu  bestehen  dueb 
alle  Badthaadlugea  det  In-  nnd  Anstoadeft,  die  Poetanstalton  des  Deatschen  Beiehs,  eoivie 

diseefc  von  d«r  YeiiagsbAohhaiidiang. 

1886.  1.  August.  N^  15. 


Inhalt.  I.  OrisifiaJnitfhtllangeiu  l.  Graphische  üntecaachunff  der  Muskelznckang  bei 
EntartangereactlQn  von  Privatdocent  Dr.  P.  Resenbach  and  Stad.  med.  A.  Schtscherbak. 
2.  Ein  Fill  tod  schwerer  complieirter  Schlaf  l&hmang  am  Imken  Arme,  ron  Dr.  S.  N.  Soheiber. 

II.  Riferati«  Experimentelle  Physiologie.  1.  Trois  caa  de  l^sion  m^nllaire  am 
niyeaa  de  jonotion  de  ta  mobile  ^pini^re  et  du  bulbe  rachidien,  par  Iferzen  et  Loewentbal. 
2.  Ueber  den  elektrischen  Leitungs widerstand  des  menschlichen  Körpers,  tod  TIschkow.'  — 
Pathologische  Anatomie.  8.  A  remarkable  lesion  of  the  nerve-centres  in  lencocjthaemia, 
by  BrmmMli.  —  Pathologie  des  NerTensystems.  4.  Ueber  Fortdauer  des  Kniephino- 
mens  bei  DMenention  der  Hinterstrange.  Zugleich  ein  Beitrag  zur  combinirten  pnm&reo 
Erkrankung  &  BückenmarkistrSnge,  von  Wiilplial.  —  Psychiatrie.  5.  Statistische  Unter- 
suchungen aber  den  Zusammenhang  zwischen  Syphilis  und  progressiver  Paralyse,  von  Rieger. 
—  Therapie.   6.  Ck)ntributiott  to  neurological  therapeutics,  by  Clevengor. 

ni.  Am  den  Oesellschaften. 

IV.  Personallen. 


I.  Originalmittheilungen. 


1.    Graphische  üntersxichung  der  Muskelzuckung  bei 

Entartnngsreaction. 

Von  Privatdocent  Dr.  P.  Roaenbaob  und  Stud.  med.  A.  Schtsohorbak 

in  St.  Petersburg. 

Trotz  der  sahireichen  klinisohen  und  experimentellen  Untersuchungen,  die 
dem  Stadium  der  Entartungsreaction  gewidmet  sind,  blieb  bisher  das  Verhalten 
der  Latenzperiode  der  Muskelzuckung  bei  dieser  interessanten  Yerändening  der 
elektrischen  Err^barkeit  unerforscht;  auch  über  den  zeitlichen  Verlauf  der 
Muskelcontraction  bei  EAB  liegen  keine  genauen  Angaben  vor;  die  von  Käst 
gezeichneten  (in  Ebb's  Lehibuch  der  Elektrotherapie  abgebildeten)  Myogramme 
illostriren  mir  ganz  im  Allgemeinen  die  fOr  EAR  charakteristische  Veriangsamung 
der  Zuckungscurre.  In  Anbetracht  dieser  in  der  Lehre  von  der  Entartungs- 
reaction bestehenden  Lücke  unternahmen  wir  es  einen  Fall  von  EAR  vermittelst 


—    338    — 


gn^llißcherJ^e^sajpparat^  yenaa^^n  qnteisuctien,  Gejegenbeit  4&za  bot  pos  eine 
H^  Fbli/mjBÜtis  fU]^er)qr  ia<;ilita  ;cerjigi(Us^lH|enf^fiai|^  |ie|  lsi4h  ider  Ubter- 
suchung  1}ereifwiII]gst  unterzog. 

Patietitio,  eine  34jährige  roesiMbe.B&iijQän,  erlcnrnlctr  imiiai  1885  im  Laufe 
einiger  Tage  an  Lähmung  beider  Oberextremitäien  unter  fieberhaften  Erscheinungen, 
die  ungefähr  eine  Woche  lang  anhielten.  Die  Lähmung  des  rechten  Armes  war  von 
Anfang  an  voUständig;  im  linken  dagegen  blieben  einige  Bewegungen  erhalten.  Bald 
nach  dem  Fieberanfall  sollen  die  gelähmten  Arme  angefangen  haben  abzumagern. 

Zu  .unserer  Beobachtung  gelangte^  P^tientip,  im  Febru^  c.  mit  folgendem  Status: 
Bin  kräftiges  Subject  mittleren  Wuchs68;"all^eiheiner  Emäimngszustand  beledigend; 
Organe  der  Brust-  und  Bauchhole  gesund.  Pupillen  gleichmässig,  mit  regelmhtcr 
Reaction.  Seitens  der  Hiranerven  keine  Erkrankung.  Motilität  und  MuskelemahruBg 
an  den  Untereztremitäfen  erhalten;  Eniephänomen  reohts  stärker  als  links.  Haut- 
reflexe beiderseits  gleichmässig,  ausser  dem  Interseapulnreflez,  der  rechtersieitB  fehlt 

An  beiden  Oberextremitäten  besteht  scUaJffe  atrophische  Lähmung.  An  der 
rechten  ist  dieselbe  ToUständigi  hier  kann  Patientin  kmne  einzige  willkQrliche  Be- 
wegung ausführen;  einige  Muskeln,  wja  de^  M»  supraspinatus,  deltoideus  sind  faat 
YoUständig  geschwunden^  alle  anderen  in  hohem  Maasse  atrophisch.  An  der  linken 
Oberextremität  sind  Atrophie  und  Lähmung  der  Muskeln  weniger  intensiv.  Sehnen- 
refiexe  und  mechanische  Erregbarkeit  der  Musk'^n  sind  beiderseits  geschwunden; 
dagegen  Moskelgefühl  und  Hautsensibilität  Überall  erhalten.  Die  Teränderung  der 
elektrischen  Erregbarkeit  ist  aus  folgender  Tabelle,  zu  ersehe;!       .       *  ^- 


Rechts 

Links 

QalTanische  Beaotion 

■          ■         I              -       .-■        T ' 

Galnmisehe  Beaetioa 

- 

Faradiache 
ße^ction 

1                                ..                       .      .    IXl               .        .               . 

FaradiB^he 
Beaotion 

•"          « 

L 

Zuckungs- 

Zuckungs- 

Zuckungs- 

Znekxuigs- 

gcsetz 

minimum 

* 

gesetz 

minimum 

BAs^.ia^O. 

^ 

JL^  M.-A. 

.JBAirlS^ 

„     13^ 

2     M.  A. 

N.  ulnaris  .... 

4        „ 

N.  radialis.    .    .    . 

^  unerreg- 

„    12,0 

4         ,. 

N.  mcdianus  .    .    . 

bar 

^     18.0 

2.5      ., 

Plexus  brachiaiis 

- 

• 

>   .   . 

S,     13.0 

6 

M.  deltoideus .    .    . 

Ka>An 

18  M.-A. 

^ 

Ka>An 

10        „ 

M.  supraspinatus 

An>Ka 

45      ., 

■mürvoflP» 

AD>Ka 

30         „ 

M.  bieeps  -»    .    .    . 

AD>Ka 

IS     „• 

itxiarrc|{*. 

bar 

Sa>Afi 

3         „ 

M.  triceps  .... 

An>Ka 

19      ^ 

AD>Ka 

20        „ 

M.  sapinator  lougus   > 

? 

AD>Ka 

^22      „ 

J 

Ka>An 

5 

M.  ext.  digit.  comm.    i 

Ka>An 

15      „ 

RAsll,0 

Ka>An        6,5     „ 

M.  abd.  {>olL  long, . 

g 

Ka>An 

18      .. 

«.     12,0 

Ka>Aii 

2,5      .. 

M.  ext.  poll.  long.  . 

0 

Ka>An 

19      „ 

„     11.0      Ka>An 

5        „ 

M.  ulnaris.  int   .    . 

An>Ka 

16      ., 

„     12,0      Ka>An 

3        ,. 

.\[.  ftex.  digit  subl.   ^ 

AD>Ka 

u     „ 

M     18.0 

Ka>An 

^        « 

M.  flex.  digit   prof.    < 

Ao>Ea 

18      „ 

»     11,5 

Ka>An 

2,5     ,. 

M.  abd.  poll.  brevis 

An>Ka 

6      „ 

r,        «».0 

Ka>An 

T        „ 

M.  opponens  poll.   . 
M.  flex.  polL  orev. 

■ 

An>Ka 

6      u 

.,     10,0 

—       J 

*~~      »» 

Ka>An 

9      „ 

«     10,0 

— 

^■"      •» 

M.  interoBsei  .    .    . 

AD>Ka 

10      .. 

— 

Ka>An 

10        „ 

^RA  bedeutet  Rollenabstand  des  du  Bois-Bejrmond'sohen  Schlittcnindoetoriums  in 
Centimetem;  M.-A,  «-  Hilli-Amp^res,  durch  ein  Qaiffe'aches  absolutes  GalTanometer  ge- 
messen. Die  Zahlen  geben  diejenige  Stromstärke  an,  bei  welcher  minimale  Zuckungen  aus- 
gelöst wurden.  —  Patientin  sowohl,  als  die  von  ihr  erhaltenen  Originalcurren  wurden  is 
der  März-Sitzung  der  St.  Petersburger  psychiatrischen  Gesellschaft  demonstrirt. 


Wir  wählten  nur  grsjAisolien  TJnteisoehimg  den  m.  bie«p3  dext-,  in  welcbfön 
—  wie  ans  der  Tsb^e  zn  erwben  ist —  vcdletändige  EAS  beetand,  mit  Her«^ 
setznng  der  galvanischen  Err^barkedt  (minimale -AnSZ  bei  18  MUli-Ämpirea) 
and  Verlust  der  meehanisehfin. 

An  den  Utukel  worde  ein  IklABKi'wbea  U^i^ntphion  ai^^eEchnallt,  dessen 
mit  einem  Fol  dar  Battone  Terboodonei  Knopf  roglfi^  »Ha  K^leotrode  dient«, 
wUnmd  die  indifiiBipnt«  Xlectrode  am  Steniiun  platz  fand.  Der  Lufbanm  des 
MyographioDs  oonmumiobl«  veimittelit  eines  OumnuadllaaohB  mit  einer  ge- 
wühnlioben  polygraphische  SchreibtromiBel  (tamboui  i>  levier},  deren  Sohreibetät 
vor  einer  benissten  rcitirendfln  Eymogiaptaumtroinmel  aufgestellt  wmde.  Zum 
Stndiom  der  quaütatiren  Yttinderung  der  jUa^elzackung  benutzten  wir  eine 
mb  lutgsim ;  bewegende  TrontiBol,  deren  Umdrehnng-  um  ^re  Aze  in  ongeiTE^ 
16  Secunden  geschah. 

Vergleichung  der  Figoren  I  und  II  lässt  den  Unterschied  erkennen,  der 
zvisehfn  der  Zackung  des  gesunden  Sluskels  und  deijoügen  bei  EAR  besieltf. 


FIf,  I.   ZaikoJiK  «»('s  gesanden  Hnaluli;  +AiiäZ,  -EaSZ  (bei  Urgauner  TTindrehiuig  d«r 

Trommel). 


flfl,  II.   MnskelKnekoDg  b«  BotartangBieMtioD;  +AnSZ,  — KtSZ  (bei  langaunet  UmdrtJiniig 
dir  TroDUD«!). 

Im  ersteren  Fall  (Fig.  1}  seboi  wir  eine  blitzartige  Zuckung;  die  Contraction 
wädist  rasch  an  und  ersohlafil  sofort  ebeoso  nuoh.  Im  letzteren  dag^en  (Fig.  Ö) 
geht  das  Stadium  der  ContractioD  allmähtieh  in  daqenige  der  Erschlaffung  Aber, 
und  die  Erschaffung  selbst  geschieht  in  langsamer^  träger  Weise.  Zugleich  ist 
selbstverständlich  in  Fig.  I  KaSZ>AnSZ,  in  Fig.  II  umgekehrt  AnSZ>KftSZ. 
Bei  h&nfiger  Wiederholung  der  elektrischen  Beizung  am  kranken  Hnskel  stellte 
sich  bald  Ersehr-pfaTig  der  Kiegbarkeit  desselben  ein,  die  darin  Aasdrnck  &nd, 
dasa  er  auch  auf  stärkere  Ströme  nor  mit  geringer  Contraction  reagirte;  zugkioh 
nahm  die  Trägheit  letzterer  ^gemein  za.  Hg.  III  stellt  solche  Zuckungen  dar, 
die  saeh  Etsohöpfnng  der  Err^barkeit  dureh  häafig  wiederholte  elektrische 
Beizung  (maximale  Stromstärke)  erhalten  wurden. 

Cm  die  Latentperiode  der  Muskelzutkang  bei  EAR,  wie  Oberhaupt  die 
quantitativen  Yerändeningen  der  Zuckungsourve  za  ermitteln,  mussten  wir  zu 
emer  oomplicirteren  Versnchsanordnung  greifen.  Es  war  dazu  eine,  solche  Botatioos- 
gescbwindigkeit  der  r^istrirenden  Trommel  erforderlich,  die  es  ermöglichte  die 


I  _    840    - 

I  Daoer  der  Zadnug  danb  frequeut«  Stisungabelsohiriiigoiigeii 
I  zQ  meaaeB;  uusndem  miuat«  der  Monoit  der  eIrtlrisiAen 
I  Reizung  genao  DOtirt  werdoo. 

I  Es  erwies  sich   eine  Troiiimel  aU  genftgend,  die   sieh 

I  in  1^  SeoondeD  xiin  ihre  Aze  drAte,  da  Bau  daran  beqaem 
I  250  Stiinmgabelsotmngaiigen  in  1"  wicfaBen  konnte.    Da 
I  HcHneot  der  SchUeesnng  des  die  UoskelnickaBg  aasUaeDdeTi 
I  gtiTaDlubeB  Sttomea  wurde  darcb  ein  DEP&az'ectaes  Signal 
I  notirt,  KD  dessen  Bedtennng  an  DAvuLL'sdiea  Eüenent  ge- 
nflgte.  Beide  Strdae  painrten  einen  QneckKlbei>Untnteecber, 
wrtcher  derai^g  fingeateUt  war,  dasi  OeAiong'  des  Signal- 
Stroms    mit   Sohliasnmg  das  gidvaaisohen   Hoskebazasgi- 
I  Stroms  zusammenfiel. 

Beide  Schreibstifte  —  derjenige  des  Biguds  and  des  Myo- 
I  graphions  —  wurden  nebeneinander  in  einer  Linie  tot  der 
I  BagUrtttroBuncd  an^eatflH^  und  Mrtne  in  BdHUm  grincht, 
wobei  beide  Stifte  parallele  gerade  Linien  laicJuietea.    Nach 
I   lO — 1 5  Seonnden  (dann  erreichte  die  Botationsgesdunod^fcöt 
I  der  Trommel  eine  beständige  Grösse)  wurde  durch  Umw»- 
dung  des  Qaecknlber  -  Untnitrecbers  der  darcJi  da«  Mjo- 
graphion  lum  Muskel  gehende  Strom  geschlossen,  aaf  dessen 
W^  ein  absolutes  GAiFFE'sches  Galvanometer  eingeschaltet 
war.    La  UiHnent  der  SohliesBiuig  dieses  SbtOKfl  xwdmetie 
der  Signalstift  —  dareh  Oefionng  des  SgnalstTOBis  —  nne 
kone   au&teigende  Linie,    und   gleich   danach  scbtieb  der 
UfographiOQStift  die  Ourre  der  MartelzDckang.   Kadi  Ablauf 
derselben  worden  beide  angegebenen  Ijoieii  ao.  dagenigw 
Punkten  vereinigt,  die  dem  Beginn  der  Reizung,  dem  B^inu 
der  Zuckung,  dem  Beginn  des  Abfallens  der  Curve  und  dem 
Ende  letaterer  entspiachen.  Zuletzt  worden  anf  die  l^mmel 
—  bei  der  .nimlieben  Botatünagesohwindigkeit  —  die  Sckwin- 
gungen  der  Stimmgabel  aufgetaigen  (350  in  1").    In  dieser 
Weise  konnten  wir  die  Daoer  eines  jeden  der  uns  inter- 
esnreoden   Uomente  mit  einer  Genauigkeit  bis  0,002"  be- 
reohnan. 
I  Da  die  Litoatar  keine  Angaben  über  die  Dauer  der 

LatauqMriode  dtf  Unakelawikung  und  letzterer  selbst  bei 
peroutaner  galvaniaehcf  Beimo^  am  Mensohen  enth&U,  so 
moBstMi  wir  savördent  diese  Gröesen  am  Oesoadcn  wnuttehL 
Wir  benutiten  dazu  ebenfalls  den  M.  bioeps  tetefaü.  Es  er- 
gab sich,  dass  die  Latenzpedode  ftir  den  gesunden  Muskel 
I  im  Mittel  0,013"  beträgt,  und  dass  sie  b«  AnSZ  und  KaSZ 
die  i^mliobe  bleibt;  audi  die  Intensität  des  Stromee  hat 
aiLscheinend  keinen  Einfluss  auf  ihre  Dauer. 


—    341    — 

Hier  ist  an  bemerken,  da»  Mekdelbohn'  auf  Oiwd  edner  miC  itm  la- 
doetionsstrom  aogestellteo  Untersuchnngen  fftr  die  Daaer  der  Latenzperiode  des 
gesooden  Uoskels  im  Mittel  0.006—0.008"  aogiebt,  also' einen  gerin^ren  Werth, 
als  wir  bei  galvaiiischer  Beiznog  ^den.  Wir  wiederholten  seine  ÜDt«rsn6hang 
mit  Hilfe  unserer  oben  beschriebenen  Anoidmuig,  indem  wir  ebenfalls  den 
Oeffnongssohlag  des  Indnctionsstroms  benatcten,  uod  fanden  wieder  im  Mittel 
0.013".  Auch  andere  Autoren  (U.  ter  Üeulbs  and  Biknekdtk*,  Eddioih') 
fanden  bei  &iadi8cheT  Cntereuohnng  fOr  die  Latenzperiode  grössere  Zahlen,  als 
MxNitBLsoHN.  Die  von  Rdino^  ang^ebenea  Werthe  stimmen  sogar  fctst  genau 
mit  QDserem  Besultat  überein:  er  fand  als  Uaiimum  0.016",  als  Minimum 
0.009  und  am  h&Dfigstea  Mittelwerthe  ron  0.012—0.014".       Uebrigeos  sind 


Tig.  IT.    AnSZ  dn  g^sondeD  HnAeb.    Stromstäike  o  19  U.-A.   x  Linie  iir  Zac^nngtcuv«, 

y  StimmgabeUchwingiiDgai,  t  SignaUinie,  a  Beg'im  der  B«lSQiig  (Homeot  dL-r  MaHkeUtma- 

BchlieBtang),    b  Bqpna  der  ContnctioD.    a  End«  denell^n,    d  Baginn  dos  Abfallens  dR 

ZnckangscnrTe.    Eine  vollBtäadige  Schwingung  der  Stimmgabel  eDtapricht  '/itt"-    ' 


KaSZ  des  gesnoden  Hoskels. 


diese  geringen  Differenzen  nioht  TOn  wesentlicher  Bedentang;  jedenfalls  steht 
sowohl  MxifssifOHM's,  als  EinnoEa's  Angabe  und  unser  Besultat  der  von  Helu- 
HOLTE  ffir  den  Frosohmnskel  bestimmten  Grösse  (0.01"). sehr  nahe. 

Was  die  Dauer  der  durch  galranisahe.BeiEang  aasgelösten  Muskelcontractiun 
(am  äesnnden)  selbst  anbelangt,  ao  hat  darauf  der  zur  Reizung  dienende  Pul 
Einfluss:  wir  fanden  bei  KaSZ  im  Mittel  0.214",  bei  AnSZ  nur  0.191". 


'  HzirD>Lsoai>.  Archives  de  phjsiol.  norm,  et  pstbo)<«.  1B80, 
'  O.  lu  Hbülm.  Zeittobrift  fBr  klia.  IM.  V,  IBSa,  S.  10». 
>  EDIIMB&.    Ibidem  VI,  laBS,  S.  188-160. 


—    342    — 

Die  auf  Fig.  IV  and  V  al^loldeteD  Curven  war* 
den  Tom  gesunden  Hnskel  bei  galvanist^er  Beizong 
gezeichnet  (bei  groner  BotationsgeschwiDdigkeit  der 
registrirendeD  Trommel).  In  Hg.  IV  ist  die  Cure 
küraer  ala  in  Fig.  V;  aach  ist  die  Contraction  in 
erstcrer  sohwftcber,  trotz  der  grfisseren  StromBtärke. 
In  beiden  Cturen  bemerkt  man  steiles  Ansteigen  nnd 
raacdies  Erschlaffen,  ol^Ieicfa  im  Ganzen  die  Oestalt 
der  Garren  in  Folge  der  bedeutend  grösseren  Botatioos- 
geschvindigköit  der  r^^iatrirenden  Trommel  im  Ver- 
glaoh  zu  Fig.  I  sehr  ver&udert  ersclieint 

Qanz  andere  Werthe  ergiebt  das  Studinm  der 
CorreD,  die  wir  von  dem  EAB  aufweisenden  Mnakel 
erhielten.  Ein  betr&gt  die  Lstenzperiode  im  IGttel 
0.062"  und  die  Dauer  der  Coutraction  selbst  0.406"; 
mit  anderen  Worten  die  Latenzpeiiode  bti  EAB  ist 
um  4mal  liinger  als  im  gesunden  Muskel,  tmd  die 
Zackungsdauer  um  Smal.  Dieses  Verhältniss  ergab 
sioh  nicht  nur  61r  die  Mittelvrerthe,  aondem  auch  fär 

die  einieluen  Pille,  in  welchen  die  Zahlen  in  gewissen 

SlI^^E^^HHH  Grenzen  T(m  denselben  abirichen. 
^  II^^^^^HH  In  Folge  der  bedeutenden  Herabsetzung  der  elek- 

trischen Erregbarkeit  des  Muskels  unserer  Patientin 
„  ^^^^^^^^  nuusten  wir  b«  ihrer  TJatetsochmig   starke  Ströme 

£;  H^^^^^^IIH  anwenden,  vorzflglich  solche  von  15 — SO  und  sogar 
"  44  M-A;  dagegen  wurden  die  Curren  Tom  gesunden 

Muskel  bei  Stromstärken  von  4—20  M-A  gewonnen. 
Dieser  Umstand  könnte  als  hindernd  f&r  die  Ter^eich»- 
m&glichkeit  der  Zahlen  in  beiden  Fällen  erscAeineii, 
do<^  ist  er  thats&cfalich  nicht  von  Belang,  da  als 
Material  zur  Tergleichong  Zookungen  gleidiwerthiger 
Intensität  (minimaler  and  mittlerer)  dienten;  dazu 
kommt  noch,  dass  bei  der  Patientin  die  Latenzperiode 
kräftiger  Zackungen  keinen  wesentlichen  Unterschied 
von  denen  geringerer  aufwies.  Was  den  Einfiuss  des 
Pols  auf  die  liänge  der  Zucknngsdauer  selbst  anbetrifft, 
so  e^b  auch  hier  EaSZ  längere  Curven  als  AnSZ. 
und  diese  D^flereiu  trat  mehr  hervor,  als  im  gesun- 
den Muskel:  die  mittlere  Dauer  der  Contraction  bei 
EAB  betrug  fOr  KaS  0.420",  fflr  AnS  0.381". 

Tergleichong  der  Figuren  VI  und  VII,  welche 
Entartuugsreactions-Curveo  (bei  grosser  BotatioD^g^ 
schwindigkeit  der  registrirenden  Trommelj  darstellen,  zeigt,  dasa  EaS  ein» 
sehr  intensiven  Stromes  (40  M-A)  eine  bedeutend  schwächere  Zuckung  auslöst 


—    ?43    — 

als  AaS  fiiaes  vieL^gficifigerea  Stams  (20  UnA).  Ferx^  ist  kifiht  zu  erseheD, 
dass  die  Verlängerung  der  Curve,  die  besonders  bei  EaSZ  (Fig.  YII)  ausgezogen 
erscheint^  hauptsächlich  von  der  Erschlaffungsperiode  der  Zuckung  abhängt 
Dies  wird  noch  deutlicher,  wenn  man  an  den  4  letzten  Abbildungen  (IV— VII) 
einerseits  die  Entfernungen  von  b— d,  andererseits  von  d — c  vergleicht. 

Selbstrerständlidi  können  die  von  uns  beschriebenen  qualitativen  und  quan- 
titativen Veränderungen  der  Zuckungscurve  bei  EAB  nur  f&r  daqenige  Stadium 
derselben  volle  Gültigkeit  beanspruchen  ^  welches  wir  bei  unserer  Patientin  an- 
getroffen haben ,  d.  h.  das  Stadium  tiefer  Herabsetzung  der  galvanischen  Erreg- 
barkeit; vielleicht  verhält  sich  die  Latenzperiode  und  Curvengestalt  bei  EAR  zu 
der  Zeit,  wo  die  galvanische  Erregbarkeit  erhöht  ist,  anders.  Darüber  müssen 
specielle  Untersuchungen  entscheiden.  Uebrigeus  ist  zu  beachten,  dass  Trägheit 
und  Langsamkeit  der  Zuckung  der  EAB  von  Anfang  an  eigenthümlich  sind,  und 
ausserdem,  dass  das  Stadium  erhöhter  Erregbarkeit  nur  gewisse,  verhältniss- 
mässig  kurze  Zeit  andauert,  während  die  darauf  folgende  Herabsetzung  derselben 
lange  oder  für  immer  bestehen  bleibt. 

Zum  ScUuss  müssen  wir  uns  noch  einmal  zur  Ej:anke9geschi(ihte  unserer 
Patientin  zurückwenden,  an  der  unsere  Untersuchung  angestellt  wurde.  Im 
Beginn  unserer  Bekanntschaft  mit  ihr  konnte  sie,  wie  oben  bemerkt,  mit  keinem 
Muskel  ihrer  rechten  Oberextremität  eine  Bewegung  ausführen;  nach  3 — 4  Wochen 
indessen  gelang  es  ihr  die  rechte  Schulter  ein  wenig  zu  erheben.  Ausserdem 
wurden  minimale  Zuckungen  (AnSZ)  des  m.  biceps,  die  anfänglich  nur  bei  einer 
Stromstarke  von  18  M-A  eintraten,  späterhin  bereits  bei  15  M-A  ausgelöst  (zur 
elektrodiagnostischen  Untersuchung  benutzten  wir  beständig  eine  „Normalelektrode'^ 
mit  einem  Durchmesser  von  3,5  cm).  Also  hatte  sich  mit  der  Zeit  in  den  Arm- 
muskeln eine  zwar  geringe,  doch  jedenfalls  bemerkbare  Be^ruüg  eingestellt, 
sowohl  hinsichtlich  der  willkürlichen  Motilität,  als  auch  der  elektrischen  Erreg- 
barkeit. Ohne  dieser  Thatsache  eine  besondere  Bedeutung  zuschreiben  zu  wollen, 
möchten  wir  jedoch  auf  folgenden  Umstand  aufinerksam  machen:  Bei  der 
graphischen  Untersuchung  unserer  Patientin  reizten  wir  ungefähr  im  Laufe  eines 
Monats  fast  täglich  ihre  atrophirten  Muskeln  mit  Strömen,  die  nicht  selten 
eine  Intensität  von  40  M-A  und  darüber  besassen ;  falls  man  dazu  noch  berück- 
sichtigt, dass  der  als  Beizelectrode  dienende  Knopf  des  Myographions  einen  Durch- 
messer von  nicht  mehr  als  1  cm.  hatte,  so  wird  es  klar,  dass  bei  solcher  Strom- 
dichtigkeit die  Intensität  der  elektrischen  Reizung  ausschliessliche  Höhe  ehreichte. 
In  der  elektrotherapeuthischen  Praxis  gelten  bekanntlich  Ströme  von  15 — 20  M-A 
für  sehr  stark*,  und  gewöhnlich  benutzt  man  zu  Heilzwecken  Ströme  von  1 — 15 
M-A.  Eben  in  Berücksichtigung  dessen  ist  zu  beachten,  dass  bei  unserer  Patientin 
Anwendung  von  unvergleichlich  stärkeren  Strömen  (und  ausschliesslich  grosser 
Dichtigkeit)  nicht  nur  den  atrophisch-gelähmten  Muskeln  keinen  Schaden'  zu- 
gefügt hat,  sondern  im  Gegentheil  von  relativer  Besserung  begleitet  wurde. 
Inwiefern  letztere  wirklich  durch  die  elektrische  Reizung  bedingt  war  oder  von 

>  Vgl.  M.  MsTSE.  Die  Elektrioit&t  in  ihier  Anwendang  auf  praktiBohe  Medicio. 
4.  Aufl.  S.  142—143. 


Flf.  Tit.    EaSZ  bei  i 


zufälligen  anderen  Ursachen  abbing,  lässt  sich  natürlich  nicht  mit  Bestimmtheit 
entscheiden.  Jedenfalls  Terdient  aber  unseres  Eraehtens  die  Anwendung  sehr 
starker  Ströme  in  der  Elektrotherapie  atrophischer  Lähmnngen  wettere  Yersucbe. 


2.    Ein  Fall  tod  schwerer  eomplicirter  Scfalaflähmung  am 
linken  Arme. 

Tod  Dr.  8.  H^  Soheiber  ans  Bndapeet.' 

A.  B.,  42  Jahre  alt,  Schlosser,  verheirathet,  hat  vor  8  J^iren  eine  schwere 
Lnngenentzändang  äberstanden  und  leidet  seit  4  Jahren  an  häufigen  Scbwindel- 
aoßllen,  wobei  er  aber  das  Bewusstsein  nicht  verliert,  und  die  schon  nach  einigen 
Secunden  wieder  verschwinden.  Syphilis  hat  er  angeblich  nie  gehabt  Am 
9.  März  1.  J.,  d.  i.  am  letzten  FascÜngstage,  hatte  er  noch  am  Vormittage  in 
der  Fabrik  gearbeitet  und  fählte  sich  vollkommen  wohl.  Nachmittags  ging  er 
nicht  ZOT  Arbeit,  nnd  da  er  sich  nach  dem  Mittagsmahle  müde  i&hlte,  legte  er 
sich  ai^ekleidet,  wie  er  war,  in's  Bett  und  schlief  volle  2  Stunden  sehr  tief. 
Er  lag  dabei,  wie  stets  seine  Gewohnheit  ist,  auch  diesmal  auf  der  linken  Seite 
nnd  zwar  so,  dass  der  linke  Arm  im  Ellbogen  gebeugt  war,  die  Hand  ontei 
dem  Kopfe  und  der  Oberaim  zum  grossen  Theile  unter  den  Brustkorb  zu-  U^en 
kam.  Auf  ausdrückliches  Be^ikgen  sagte  Fat,  dass  er  mit  dem  ganzen  Körper 
im  Bette  uod  mit  keinem  Theile  auf  einer  harten  Unterlage,  etwa  am  Bett^ 
raode,  idg.  Auch  weiss  Fat.  nichts  von  einem  Falle  oder  Sto&se,  den  er  etwa 
erhalten  hätte,  ebensowenig  von  einem  Zuge,  dem  er  ausgesetzt  gewesen  wäre. 

Als  er  nun  vom  Schlafe  erwachte,  nahm  er  zu  seinem  Schrecken  wahr,  dass 
die  ganze  linke  Hand  gefühllos  und  gelähmt  war,  so  dass  ei  keinen  Finger 
rühren  konnte.  Als  er  am  15.  März  1.  J.  zum  ersten  Male  zu  mir  kam,  könnt« 
ich  folgenden  Status  praesens  constatiren: 

Der  Kranke  bewegt  den  linken  Oberarm  leicht  nach  allen  Kchtnagea; 
Beugung  und  Streckung  des  Vorderarmes  geht  auch  gut,  obwohl  jene  nicht  so 

II  <ler  Bitzong  der  k.  fleHlUebAft  dir  Aantc  in  Budapest  Tom 


isiärle  =  40  M,-A. 

kräftig  ist,  als  aaf  der  rechWn  Seite.  Bei  himzoDtaleT  Haltung  des  1.  Vorder- 
aimes  hängt  die  Hand  schlaff  heranter,  die  Finger  sind  stark  eingezogen.  Die  Hand 
kann  nicht  gehoben,  die  Finger  kCnnen  nicht  gestreckt  werden.  Bengtnigdbr  Hand 
und  der  Finger  bei  forcirter  Wirkung  der  Flexoren  noch  in  geringem  Orade 
möglich.  Der  Saamen  ganE  unbeweglich;  die  anf  den  Tisch  gelegt«  Hand  kann 
nach  keiner  Seite  hin  bewtgt  und  der  gestreckte  Vorderarm  nicht  snpinirt 
Verden.  Somit  dnd  sämmtliofae  au  der  Streckseite  des  Yorderannes  gelegenen, 
d.  h.  vom  BadiaUs  Tersorgten  Muskeln  vellständig  gelähmt 

Aber  auch  die  ao  der  Bengeseite  des  Vorderarmes  gelegenen  und  die  kleineu 
Handmnskeln  sind ,  obgleich  in  geringerem  Oiade  als  die  auf  der  Streckseite 
gelegenen,  geMmt,  was  ich  anf  folgende  Weise  couststiren  konnte:  fiekanntlieh 
ist  die  Beugung  des  Handgelenkes  bei  blosse  Badiaüalähmimg  w^en  Zniii^e- 
rnckens  der  InserfkoBpunkte  und  der  fehlenden  antagoniatischea  StAtse  von 
Seiten  der  Strecker  eine  wia  beschränkt».  Werden  aber  Hand  and  Finger 
passiv  dorsal  gebeugt  und  mit  gewisser  Kraft  in  dieser  Stellung  gehalten,  so  ist 
die  Wirkung  der  Beuger  eine  prompte  and  ebmso  kraftvolle ,  wie  auf  der  ge- 
sunden Seite.  Bei  Anwendung  dieses  Jlauörars  hat  es  sich  nun  gezeigt,  dass 
die  Beuger  schon  einen  sehr  geringen  Widerstand,  den  ich  ansAbte,  am  die 
Hand  imd  Finger  gestreckt  za  erhaben,  nicht  za  besiegen  vermochten,  und  deui 
in  die  Hand  gelegten  DTnamometei  kaum  1»8  auf  8  Kilogi.  zosammenBUdrOckea 
im  Stande  waren,  wogten  der  Kranke  denselben  mit  der  rechten  Hand  bis 
auf  80  zusammendrftiAte.  Noch  mehr  als  dieses  sprechen  aber  f&r  die  gleich- 
leit^  Lahmiing  des  Nenros  uläaris  and  medianos  die  soglsiofa  zu  schildemdea 
sensitiven  Störongen ,  die  sonderbarerweiBe  die  mutoriseben  an  diesen  Nerven 
noch  aberwogen;  .auch  die  Ab-  and  Addootioii  der  Fingea-  .(mit  Ausnahme  dea 
Daumens)  war  möglich,  aber  in  viel  beschränkterem  Maasse,  als  rechterseita. 

Die  elektromuBkulöse  Reizbarkeit  war  an  den  Kervenstämmen,  sowie 
an  den  Moskeln  der  Beugeseite  des  Vordenumee  nnd  des  kleinen  Handmuakeln 
normal,  an  den  an  der  Streoksöte  dee  Vecdeiannes  gelegenen  Muskehi  jedoch 
sowohl  gegen  den  faiadisofaeo  als  galvanischen  Stzom  herabgesetzt  Xu  Bezug 
auf  den  foradisdien  Strom  Eeigte  sich  mit  Ausnahme  des  Si^nnator  longns  eine 
Verminderung  gegen  rechts  von  1,5 — 2  Ctm.  des  Bollenabetandee  am  no  Bois- 
REmoKD'schen  Schlittena^parate;  blos  der  Supinator  longns  zeigte  eine  Ver- 
mindwang  von  nur  0,5  Ctm.  In  Bezog  auf  den  galvanischen  Strom  aeigte  äch 


—    346    — 

eine  noch  staita»  HatabartHttg,  lodMi  ninlkb  au  fiSgWByiflhiMi  iStirarlrmnfflrftlTi 
des  Vorderarmes  reohts  die  erste  ESZ  bei  2 — ^8,  links  erst  bei  5—7  Milliamp^ie 
eintraL  Am  mästen  haben  gelitten  der  Flexor  digit.  eonoananis  and  der  Ab- 
ductor  poll.  longoSy  am  wenigsten  der  Stqpinator  longns.  EaB  war  nicht  zu 
constatiren. 

Die  Empfindung  sowie  die  elektrocutane  Sensibilität  war  in  der 
ganzen  Ausdehnung  der  Hand  und  der  Finger,  sowohl  an  ihrer  DcHrsal-  als 
Yolarflache,  voUstindig  angehoben.  Eine  am  Handrücken  wo  immer  aufge- 
hobene Hautfalte  konnte  mittelst  Nadel  durchstochen  werden,  ohne  den  minde- 
sten Schmerz  zu  empfinden  und  ohne  dass  durch  die  durchstochene  Hautstelle 
ein  Tropfen  Blut  hervoigequollen  wäre.  Der  Kranke  ÜUüte  nicht  nur  das 
Brennen  mit  dem  elektrischen  Pinsel  an  der  ganzen  Hand  und  den  Fingern 
nicht,  sondern  nicht  einmal  das  Bestreichen  mit  demselben.  Die  Anästhesie 
bestand  auch,  aber  in  viel  geringerem  Grade  am  Vorderarme,  und  da  zeigte 
sich  wieder  dieselbe  an  der  Streckseite  starker,  als  an  der  Beugeseite.  Ebenso 
erstreckte  sich  die  Anästhesie  auch  auf  die  hintere  Fläche  des  Oberarmes. 

Von  vasomotorischen  und  trophischen  Störungen  sind  zu  erw&hnoi, 
dass  der  linke  Vorderann  und  die  linke  Hand  stets  eiskalt  und  blass  waren. 
Femer,  dass  sich  schon  in  der  3.  Woche  der  Erkrankung  eine  Abmagerung  am 
Vorderarm  zeigte ,  die  selbst  dem  Kranken  auffiel,  und  bis  jetzt  immer  noch 
langsam  zugenommen  hat,  so  dass  jetzt  die  Peripherie  an  der  dicksten  Stelle 
desselben  2  CtnL  kleiner  ist  als  rediterseits  an  derselben  Stelle.  Endlich  fohlt 
der  Kranke  im  linken  Handgelenke  sowie  im  Metacarpo-idiaiangealgelenke  des 
Daumens  stechende  Schmerzen  auf  Druck  oder  passire  Bewegung  dieser  TheQe, 
besonders  entsprechend  der  Badialseite  des  Handgelenkes,  wo  auch  dasselbe  so- 
wie das  genannte  Gelenk  des  Daumens  etwas  angeschwollen  sind. 

Der  Kranke  hat  nirgends  Formioationsonpfindungen,  keine  Motilitäts-  und 
Sensibilitätsstörungen  im  linken  Bdne  oder  an  den  rechten  Extremitäten.  Pa- 
pillen normal,  ebenso  die  Zunge,  der  Facialis,  sowie  auch  alle  sonstigen  Hirn- 
nerven.  Der  Kranke  hat  keine  Kopf-  oder  Bückenschmerzen,  überhaupt  keinerlei 
spontane  Schmerzen,  weder  am  linken  Arme  noct  am  Hidse,  Nacken  oder  an- 
derswo. Ebensowenig  empfindet  der  Kranke  Schmerzen  auf  Druck  am  linken 
Arme  längs  der  Nervenstänune  oder  an  den  Muskeln,  audi  nicht  an  den  Nerven- 
g^echten  am  Halse  oder  in  der  Achselhöhle.  Er  hat  guten  Appetit,  nonnalen 
Schlaf  und  Stuhl,  Kopf  nicht  eingetunnmen;  Herz,  Lunge  und  Unterleibsorgane 
normal 

Aus  dem  bisher  (Geschilderten  geht  nun  hervor,  dass  ausser  dem  Nervus 
radialis  (inclusive  dessen  Bamus  outaneus  eztemus,  der  bekanntlich  nach  dessen 
Durchtritt  zwischen  dem  mittleren  und  kurzen  Kopfe  des  Triceps*  abzweigt,  aber 
(rime  dessen  Trioepsast)  und  ausser  dem  N.  ulnaris  und  medianus  au<di,  ob* 
wohl  nur  in  geringerem  Grade,  der  Hautast  des  N.  musoulocutanens 
und  des  N.  cutaneus  brachii  medius  nfiBcirt  waren.  Und  wahrsdieinlich 
ist  es  der  Tjähmung  auch  dieser  2  letzterwähnten  Hautnerven  zuzuscfareibeDf 
dass  die  sensitive  Lähmung  der  Hand  eine  totale,  jedenMs  eine  stärkere  war. 


—    847    — 

als  sonst  bei  einfocher  BadialisUhmnng  im  Badialiqgebiete  (wo  sie  aach  be- 
kanntlich ganz  zu  fehlen  pflegt]  und  als  solche  im  IJlnaris-  und  Medianusgebiete 
der  motorischen  L&hmung  dieser  Nerven  entsprechen  würde«  Bekanntlich  com- 
municiren  die  genannten,  die  Beugeseite  des  Yordeiarmes  mit  Hautasten  Ter* 
sehenden  Hautnerven  einerseits  mit  den  Hautästen  des  N.  radialis ,  andererseits 
mit  denen  des  N.  ulnaris,  und  können  demzufolge  im  Falle  ihres  Intactbleibens 
vicariirend  für  die  sensitiven  Functionen  dieser  letzteren  eintreten.  Dass  übri- 
gens auch  die  Muskelaste ,  namentlich  der  Bicepsast  des  N.  musculocutaneus, 
geUtten  haben  muss,  geht  daraus  hervor,  dass  bei  angestrengter  Beugung  des 
Vorderarmes  der  Bauch  des  Biceps  links  bei  Weitem  nicht  so  hart  wurde ,  als 
bei  derselben  Bewegung  auf  der  gesunden  Seite,  wahrend  der  Triceps  sich  gleich 
kräftig  zusammenzog  auf  der  linken  wie  auf  der  rechten  Seite. 

Unter  allen  Nerven  hat  indessen  der  N.  radialis  am  meisten  geUtten,  was 
auch  die  quantitative  Veränderung  der  elektromuskulären  Reizbarkeit  sämmt- 
licher  Streckmuskeln  des  Vorderarmes,  die  partielle  Atrophie,  die  ausschliesslich 
die  Strecker  betraf,  femer  auch,  wie  wir  gleich  sehen  werden,  das  späte  Er- 
wachen der  willkürlichen  Bewegung  dieser  Muskeln,  und  schliesslich  der  Um- 
stand beweist,  dass  bei  Abnahme  der  Sensibilitätsstörungen  die  des  Badialis- 
gebietes  sich  später  besserten,  als  die  von  den  anderen  Nerven  abhängigen. 

Am  3.  Mai  1.  J.,  also  8  Wochen  nach  Beginn  der  Krankheit,  fing  der 
Kranke  zum  ersten  Male  an,  die  Hand  und  die  Finger  ein  wenig  zu  strecken. 
Die  Besserung  der  Beuger  und  der  kleinen  Handmuskeln  begann  schon  früher, 
sich  bemerkbar  zu  machen;  ebenso  ist  die  Empfindung  in  der  Hand  schon  eine 
Woche  Mher  zurückgekehrt  und  ist  seit  der  Zeit  die  Besserung  rasch  vorge- 
schritten, so  dass  bei  Vorstellung  des  Kranken  in  der  Oesellschaft 'der  Aerzte 
die  Streckung  der  Hand  und  der  Finger  schon  fiäst  bis  zur  horizontalen  Linie 
möglich  war.  Die  Empfindung  an  der  Beugeseite  des  Vorderarmes  war  zu  der 
Zeit  schon  eine  nahezu  normale.  Der  Händedruck  ist  mit  der  linken  Hand  ein 
kaum  nennenswerther.  Die  Behandlung  bestand  in  der  Anwendung  des  galva- 
nischen Stromes  und  speciell  an  der  Hand  in  Application  des  elektrischen 
Pinsels. 

Die  Ursache  der  Lähmung  der  in  Bede  stehenden  Nerven  kann  dem  Ge- 
sagten zufolge  in  nichts  Anderem  gesucht  werden,  als  in  dem  Drucke,  dem  der 
Oberarm,  reep.  dessen  Nervenstänmie,  während  des  zweistündigen  tiefen  Schlafes 
von  Seite  des  Stammes  ausgesetzt  waren.  Wir  haben  es  mit  einem  Wort  mit 
einer  Schlaflähmung  zu  thun.  An  eine  rheumatische  Lähmung  ist  in  diesem 
Falle  nicht  zu  denken ,  da  einerseits  jenes  Substrat  nicht  vorliegt ,  auf  Grund 
dessen  man  in  früheren  Zeiten  derlei  Lähmungen  nach  Schlaf  (unter  freiem 
Himmel,  auf  feuchtem  Boden ,  neben  einem  offenen  Fenster  u.  s.  w.)  als  rheu- 
matische bezeichnet  hat,  und  im  G^entheil  der  Kranke  bei  geschlossenen  Thüren 
und  Fenstern  in  einem  geheizten  Zimmer  (es  war  ja  Winter)  und  noch  dazu  im 
e^[enen  Bette  gelegen  ist;  andererseits  aber  fühlte  der  Kranke  bis  zum  Schiafen- 
legen  noch  keinerlei  Beschwerden,  um  etwa  glauben  zu  kennen,  dass  sich  der- 
selbe schon  früher  erkältet  hätte;  auch  findet  man  nirgends  die  Zeichen  einer 


—    348    — 

Neuritis  auf.  Ebensowenig  findet  man  Anhaltspunkte^  um  die  Lähmung  als 
centrale  deuten  zu  können. 

Es  ist  anzunehmen,  dass  der  die  Lahmung  bedingende  Druck  im  mittleren 
Diitttheil  des  Obenurmes  stattfand,  da  der  Tricepsast  des  N.  radialis,  der  ober- 
halb des  Durchganges  dieses  letzteren  zwischen  mittlerem  und  kurzem  Kopf  des 
Triceps  abgdit,  unversehrt  blieb,  dagegen  der  Ramus  cutaneus  ext,  der  schon 
nach  dem  Durchtritte  des  N.  radialis  durch  die  genannten  Muskelköpfe  von 
diesem  entspringt,  ja  afficirt  war. 

Auf  ausdrückliches  Befragen  sagte  Fat.,  aus ,  dass  sein  Arm  während  des 
Schlafes  durchaus  nicht  am  Bettrande  oder  auf  einem  anderen  „harten^'  Gegen* 
Stande,  sondern  überall  am  Unterbett  auflag.  Wenn  man  aber  bedenkt,  dass 
einerseits  die  Matratze  bei  armen  Leuten  überhaupt  keine  bescmders  weiche, 
mitunter  eine  sehr  knollige  ist,  andererseits  der  Kranke,  nachdem  der  letzte 
Fasching  war,  und  ohnehin  am  Nachmittag  nicht  zur  Arbeit  ging,  sich  mehr 
Oenuss  Ton  Wein  als  gewöhnlich  erlaubt  haben  dürfte  (obwohl  er  angeblich 
kein  „Trinker'^  ist),  und  schliesslich,  wenn  man  bedenkt,  dass,  wie  VuiiPiah 
nachgewiesen  hat,  kein  besonders  grosser  Druck  auf  Nerven  ausgeübt  zu  werden 
braucht,  um  nacn  einer  gewissen  Zeit  gelähmt  zu  werden  (je  länger  der 
Druck  dauert,  desto  geringer  braucht  er  zu  sein,  um  einen  gewissai  Grad  dei 
Lähmung  zu  bewirken),  das  Alles  zusammengenommen,  dürfte  das  Zustande- 
kommen der  Lähmung  in  Folge  des  Drucken  von  Seite  des  Stammes  auf  den 
Oberann  leicht  erklären.  Dass  dabei  jedenfalls  der  Radialis,  weil  zumeist  dem 
Drucke  von  Seite  des  Oberarmknochens  ausgesetzt,  mehr  als  die  anderen  von 
Weichtheilen  geschützten  Nerven  gelitten  hat,  versteht  sich  von  selbst 

Gewöhnlich  betrifft  die  sogen.  Schlaflähmung  blos  einen  einzigen  Ner- 
ven, und  zwar  zumeist  den  Radialis;  weit  seltener  ist  die  Schlaflähmung  des 
Ulnaris  oder  Medianus  verzeichnet  Aber  einen  Fall,  wo  sämmtliche  den 
Vorderarm  und  die  Hand  versorgenden  sensitiven  und  motorischen 
Nerven  von  Schlaf läbmung  betroffen  worden  wären,  konnte  ich  in  der 
Literatur  nicht  auf&nden.  Und  somit  dürfte  dieser  Fall  von  schwerer  com- 
plicirter  Schlaflähmung  bis  jetzt  als  ünicum  in  der  Literatur  dastehen. 

Bei  Schlaflähmung  ist  gewöhnlich  die  elektromnsouläre  Contractilität,  sowohl 
von  Seite  des  Nerven  als  von  der  der  af&cirten  Uuskehi,  eine  normale,  und  somit 
die  Läbmung  eine  leichte  zu  nennen.  Li  unserem  Falle  ist  die  Beaction  wohl 
von  Seite  der  Nerven  eine  normale,  aber  von  Seite  der  Muskeln  im  Badialis- 
gebiete  gegen  beide  Stromesarten  eine  quantitativ  bedeutend  verminderte,  und 
ist  demnach  die  Lähmung,  obwohl  keine  EaR  vorhanden  ist,  dennoch  als  mittel- 
schwere aufzufassen,  wofür  einerseits  das  späte  Wiedererwaohen  der  willkür- 
lichen Bewegung  (zu  8  Wochen),  andererseits  die,  wenn  auch  nicht  hochgradige 
Atrophie  der  Streckmuskeln  am  Vorderarme  spricht^ 


^  Schon  Duchenne  führt  in  seinem  Werke  (De  T^Iectrisation  looalis^e.  1S55.  p.  732) 
einen  FaU  von  allerdinga  damals  noch  na«h  seiafir  Anffiassong  ftr  rhenmatischer  Nator  ge 
haltenen  Badiarislahmnng  nach  Schlaf  mit  ziemlich  hoobgradigor  Atrophie  der  StreckmV' 


—    849    — 

IL  Referate. 


Experimentelle  Physiologie. 

1)  Troia  oas  de  läsion  mödidlaire  au  niveau  de  jonotion  de  la  modlie 
epiniöre  et  du  bolbe  raohidien,  par  Hm.  A.  Herzen  et  N.  Loewentbal 
k  Lausanne.  2  PI.  (Archives  de  Physiologie  normale  et  patbologique.  1886. 
1.  AytIL  No.  3.) 

Die  y«rf.  berichten  über  die  pbyaiologiBcbeii  und  anatomischen  Operationserfolge 
nach  halbeeitifer  gieiebxeitiger  DnrchtrenDong  der  Pyramidenbahn  imd  der  Hinter- 
sMnge  im  nntersten  Absebnüt  der  Mednlla  obl.  an  der  Katze.  Die  Openition  wurde 
an  drei  erwachsenen  Thieren  ansgafilhrt.  Letztere  blieben  acht  Wochen  hmg  am 
Leben  ond  worden  w&hrend  dieser  Zeit  wiedeiholt  nnd  eingpehend  ge^HiöfL 

•Unmittelbar  Tor  dw  Tödtnng  wurden  elektrische  fieizTersnche  an  der  Grossbim* 
oberflAehe  vorgenommen.  Die  Feetstellnng  der  anatomiscben  Ausdehnung  der  operar 
tiven  LMonen;  sowie  der  secundaren  Degenerationen  geschah  anter  Anfertägung  von 
sncoeauren  SehBittserien. 

Obwohl  in  allen  drei  Yersnchen  die  n&mliche  Lfision  beabsichtigt  wurde»  fielen, 
wie  die  spAtve  anatonusche  Untersncbung  zeigte»  die  Yerletzungen  sehr  verschieden 
ans.  Dem  entsprechend  diflGHirten  auch  die  während  des  Lebens  constatirten  Aus- 
faUaefScheinungen  nicht  unbetrftchtlicb.  Hit  Recht  machen  die  Verf.  bei  diesem  An- 
laas  anf  die  Schwieri^eit  anfinedraun,  die  Lftsion  auf  bestimmte  Faaerxfige  zu 
begrenasn. 

Verhftltnissm&ssig  am  reinsten  gelang  die  Operation  bei  der  ersten  Katze»  bei 
welcher  auf  der  linken  Seite  die  Pyramidenbahn  nahezu  voUst&ndig  und  der  Burdaeh*- 
sehe  Strang  in  seinen  zwei  äusswen  Drittek  durchtrennt  wurde;  der  GolUsdie  Strang 
blieb  intact,  dagegen  erschien  det  Kopf  des  Hinterhoms  bedeutend  mit  lädirt  Wäh- 
rend des  Lebens  wurde  hier  als  dauernde  Erscheinung  Herabsetzung  der  tactilen 
Sensibilitftt  links,  besonders  in  der  bintem  Extremität^  verbunden  mit  Unempfind- 
lichkeit  gegen  Kälte,  beobachtet,  während  die  Schmerzempfindung  normal  blieb.  Be- 
einträchtigang  in  der  Bewegungsfähigkeit  bestand  als  dauernde  Erscheinung  nur  in 
sofern,  als  das  Thier  bei  intendirten  Bewegungen  sich  in  der  Regel  der  rechten 
Pfoten  bedi^te.  Im  Anfang  bestand  Ataxie,  die  sidi  aber  allmählich  ganz  zurOck- 
bildete.  -^  Die  zweite  Katae  zeigte  anfänglich  ganz  ähnUche  Erscheinungen  wie  die 
erste,  die  SensibilitätsstOmngen  verloren  sich  indessen  mit  der  Zeit  vollständig  nnd 
es  blieb  einzig  die  Abnormität  zurück,  dass  auch  dieses  Thier  bei  gewollten  Be- 
wegungen sich  vorwiegend  der  der  Läsion  gekreuzt  liegenden  Pfoten  bediente.  Der 
Bordach^die  Strang  .efsohien  hier  laieriieUidi  verletzt  und  anoh  das  Pycamidenbflndel 
war  weniger  beträchüich  zerstört  ids  bei  der  Katze  I,  hingegen  zeigten  die  ventralen 
Partien  des  Seitenstranges  sowie  die  Proc.  reticular.  tiefe  Zerstörungen.  —  Was  die 
dritte  Katze  anbetriflft,  so  verhielt  sich  dieselbe  hinsichtlich  der  Sensibilität  und  der 
automatischen  Bewe^ichkeit  merkwürdiger  Weise  ganz  ähnlich  wie  Katze  I,  obwohl 
hier  der  Burdach*sche  Strang  nur  in  unerheblichem  Grade  betroffen  war  und  mehr 
die  ventralen  und  inneren  Partien  des  Seitenstranges  lädirt  erschienen;  die  Pyramiden- 
bahn und  die  Kleinhimseitenstrangbahn  waren  auch  nur  partiell  durchtrennt,  dagegen 
verrieth  die  graue  Substanz  sowohl  im  Hinter-  als  im  Vorderhom  beträchtliche 
Defecte. 

Unter  Berücksichtigung  der  bekannten  Yersuchsresnltate  Schiff's  sind  die  Yerff. 
geneigt,   die  Sensibilitätsstörungen   beim   ersten  Yersuchsthier   mit  der  Läsion  des 


kein  des  Vorderarmes  an,  bei  welchem  die  faradische  Beaction  des  Nerven  normal,  die  der 
Hnskeb  jedoch  stark  herabgesetzt  war.  (Auf  galvanische  BeacUoB  ontersücbM  er  bekannt- 
lich damals  noch  nicht) 


—    860    — 

Bardach'schen  Stranges  in  Zofiammdiiliaiif  la-bringeft^  Der  Widerspruch  im  Operatioiis- 
erfolg  bei  diesem  Thier  and  demjenigen  bei  der  Katze  III,  bei  welcher  identische 
AnsfaUserscheinongen  mit  relativer  Intactheit  des  Bnrdach'scbeii  Stranges  einheigingen, 
lässt  sich  nach  Meinung  der  Yerff.  nur  durch  die  Annahme  heben,  dass  jener  Strang 
bei  Katze  III  dennoch,  aber  in  einer  mit  den  gewöhnlichen  histologischen  (Jnter- 
suchungsmethoden  nicht  nachweisbaren  Weise,  l&dirt  war,  odef  dass  es  sich  hinsicht- 
lich der  Sensibilit&tsstörung  um  Hemmungserscheinungen  Seitens  anderer  Bahnen 
gehandelt  habe;  unter  allen  Umständen  bleibe  da  Manches  räthselhafL  Die  nicht 
fem  liegende  Bventualit&t  hingegen^  dass  die  in  beiden  Versuchen  stAttgefandene 
hedeutende  Mitlasion  des  Hinterhoms  und  dasselbe  dorchsetaender  Faaert>ftndel  ftkr  die 
SensibilitfttaBtörangen  veramtwortUoh  gemacht  werden  mflsse,  worde  von  den  Veiff. 
«sffiUlaider  Weise  kaum  in  Berftckd^tigung  gezogen. 

HinsichtUeh  des  Pyranndenbfindels  betonen  ii%  Veiff.,  dass  desien  einaeitige 
Zerstörung  wohl  von  yorfibergehendem  Einfluss  sei  auf  die  willkürliehe,  nicbt  aber 
auf  die  automatische  Beweglichkeit  derselben  Seite.  Trotz  Entwidc^ung  absteigender 
seeundftrer  Degenera^onen  werde .  die  Bttckbildong  der  willkürlichen  Beweglichkeit 
nicht  wesentlich  gehindert,  was  sich  nicht  anders  erklären  lasse,  als  durch  Amahme 
von  Bildung  neuer  Leilungsbahnen,  welcihe  du  BoUe  der  Pyramidenbahn  Abflmehmen. 
Die  Pjramidenbahn  sei  der  gewOhniiehe  Leitimgsweg  fflr  die  bdumnteB,  von  der 
Oresshknrinde  ausgehenden  Beize;  wfkrde  dieser  Weg  zerstört,  dann  bildeten  sich 
coUaterale  Bahnen,»  die  die  nämlichen  Functionen  übenehmen,  auf  denen  abor  die 
Leitung  grösseroi  Widerständen  begegnet,  als  auf  der  eigentlichen  Pyramidenbahn. 

Die  elektrischen  Reizungen  der  Himoberfläche  mit  dem  faradischen  Strome  zeigten 
trotz  der  (bei  Katze  I  nahezu  völligen)  Durchtrennmig  des  Pyramidenbflndels  und 
des  Burdaoh'schen  Stranges,  auf  beiden  Seiten  nahezu  den  nämlichen  Erfolg  (coor- 
dinirte  Bewegungen  meist  auf  der  gekreuzten  Seite). 

Was  die  seoundären  Degenerationen  anbetrifft',  so  sei  nur  hervorgehoben,  dass 
auch  hier,  im  Anschluss  an  die  Duröhtrennung  des  Burdach'schen  Stranges,  eine  auf- 
steigende Degeneration  desselben  bis  in  die  laterale  Abtheilung  des  entsprechenden 
Kerns  sich  nachweisen  Hess  (in  Uebereinstimmung  mit  den  schon  vor  einigen  Jahren 
vom  Bef.  mitgetheilten  Operationserfolgen  ^  nach  Hemiseetioii  des  BQckenmarks  an 
neugeborenen  Kaninchen)  und  dass  nach  ausgedehnter  Durchschneidong  der  Seiten- 
stränge, neben  der  Pyramidenbahn,  audi  noch  die  von  N.Loewenthal  in  seiner 
Dissertation^  beschriebene  äussere  Zone  des  Seitenstrangs  (bestehend  aus  derben 
Axeneylindem)  absteigend  degenerirte.  v.  Monakow 


%)  Ueber  den  elektrisohen  LeltangawidArataad  des  uMnaohliehen  XSrpezf , 

von  J.  Tischkow.    (Dissertation.    St.  Petersburg  1886.    Busäsch.). 

Tor  Kurzem  wurde  von  einem  russischen  Ingenieur-Ofücier  (P.  Tischkow)  ein 
hier  nicht  näher  zu  beschreibender,  vom  Erfinder  „A-V-O-Messer**  benannter  Apparat 
erfanden,  der  es  ermi^glicht,  ohne  grossen  Zeitverlust  Ampkes-,  Tolt-  und  Ohm-Anzahl 
galvanischer  Batterien  zu  bestimmen. 

Verf.  benutzte  diesen  Apparat  zur  Messung  des  Leitungswiderstandes  des  mensch- 
lichen Körpers,  indem  er  sich  zur  Controle  seiner  Apparate  der  Wheatstone^schen 
Brücke  und  für  InductionsstrOme  des  Siemens'schen  Spiegel-Electrodynamometers 
bediente. 

Die  Untersuchungen  des  Verf.  erstrecken  sich  auf  Leichen  und  lebende  Menschen. 
Die  Versachsbedingungen  waren  derartig  gewählt,  wie  sie  bei  der  üblichen  Kranken- 


»  Archiv  f.  Psyeh.  Bd.  XIV.  1. 

'  In  Kr.  2  dieses  Centralblattes  referirt. 


—    861    — 

exploraiion  statt  haben  —  es  wardea  IrapfDrne,  aiit  Leder  beKogeDe,  angefeuchtete 
£lektro4en  benntzt 

Zasrörderst  bestätigt  Verf.  die  bereits  seit  lan^e  festgestellte  Th'atsache,  dass 
den  grtesten  elektrischen  Leitungswiderstand  im  m^nßc^chen  EOiper  die  Kpidermis* 
Schicht  der  Haut  bietet:  nach  Entfernung  derselben  an  Leichen  erhidt  er  Zahlen 
von  700 — 800  Ohm,  w&hrend  bei  unversehrter  Hautbedecbmg  der  Widerstand 
36,000—45,000  in  der  Inguinal-  und  Bauchgegend,  und  200,000—300,000  an 
anderen  Stellen  betrug.  Vergrössernng  der  ElektrodenMche  ,hatte  durchaus  nicht 
entsprechende  VerriBgerung  des  Widerstandes  zur  Folge,  und  auch  die  Entfernung 
zwischen  den  AppUcationssteUen  beider.  Elektroden  erwies  auf  denselben  keinen  be- 
stimmten Einfluss,  Dagegen  bot  der  Leitnngswiderstand  des  Körpers  grosse  Schwan- 
kungen auf  in  Abhängigkeit  ypn  dem  Purchfeuohtungsgrade  der  Haüti  der  Kraft, 
mit  welcher  die  Elektroden-  aufgedrückt  wurden»  femer  von  der  Dauer  der  Strom- 
durchleitung,  der  Intensität  der  elektromotorischen  Kraft,  der  Temperatur,  der  Ap- 
plicationssielle  der  Elektroden,  schliesslich  yon  TersMchiedenen  inneren  Bedingungen 
des  Organismus;  Veränderung  der  Stromrichtujig  und  Polarisation  sollen  keinen  be- 
merkbaren. Einfluss  auf  den  Laitungswiderstand  erweisen,  wenigstens  bei  Anwendung 
schwacher  StrOme. 

Nachdem  Verf.  den  Einfluss  der  genanten  Umstände  auf  das  Verhalten  des 
Leitungswiderstandes. ermittelt  hatte,  achritt  er  zur  Messung  desselben  an  Personen 
yerschiedenen  Alters  und  Geschlechts  und  an  verschiedenen  Körperstellen.  Er  unter- 
suchte mit  dep  galvanischen  .Strom  im  Oanzen  54  Individuen,  indem  in  allen  Fällen 
die  nämlieben  Versuchsbedingungen  eingehalten  wurden.  Die  dabei  orhalienen  Zahlen 
schwanken  zwischen  4000  nnd  500,000  Ohm,  Die  einzelnen  maximalen,  minimalen 
und  Mittelgrössen  sind  in  Tabellenform,  für  alte  und  junge  Männer  und  Weiber 
gesondert,  aufgeführt,  Durchmusterung  derselben  ergiebt,  dass  fflr  den  Leitungs- 
widerstand an  symmetrischen  Stellen  zwischen  der  rechten  und  linken  KörperhSlfte 
kein  wahrnehmbarer  Unterschied  besteht;  dass  er  an  Kindern  geringer  ist,  als  an 
Erwachaenen;  dass  maximale  Zahlen  am  häufigsten  an  alten  Personen  männlichen 
Geschlechts  vorkommen;  dass  im  mittleren  Alter  Männer  und  Weibjor  im  Allgemeinen 
die  nämlichen  Zahlen  ergeben;  dass  der  LeitungswideJistand  bei  jungen  Weibern  am 
Gesicht  hölysr  und  am  Bumpf  niedriger  isi,  als  an  den  entsprechenden  Stellen  bei 
Männern.  Was  die  Differenzen  zwischen  verschiedenen  KörpersteUen  betrifffe,  so  ist 
es  schwer,  sie  in  eine  systematische  Reihenfolge  zu  bringen;  doch  beständig  wurde 
der  grösste  Widerstand  an  den  Dorsalflächen  der  Extremitäten  gefunden^  der  kleinste 
—  an  der  Volarfläche  der  Hände,  an  den  Fusssohlen,  am  {Besicht  und  an  der  In- 
guinalregion. 

Verf.  schliesst  seine  Arbeit  mit  folgenden  Worten:  Wenn  der  Arzt  wissen  will, 
mit  welchem  Leitungsvdderstand  er  es  bei  seiner  elektrodiagnostischen  oder  elektro- 
therapeutischen  Action  zu  thun  hat,  so  muss  er  ihn  in  jedem  einzelnen  Fall  selbst 
bestimmen.  P.  Bosenbach. 

Pathologische  Anatomie. 

3)   A  remarkable  lealon  of  the  nerve-centres   in  leuoooythaeznis,  by  B. 

Bramwell,  Edfnburgh.    (Brit.  med.  Joum.  1886.  June  12.) 

In  einem  Fall  yon  schwerer  Leucaemia  lienalis  fanden  sich  zahllose  kleine  und 
grosse  (bis  hflhnereigrosse)  Extra?asate,  zumeist  aus  weissen  Blutkörperchen  bestehend, 
im  ganzen  Gehirn,  femer  coiossale  Dilatationen  der  grossen  Blntgefi&sse  und  Ci^Hlaren 
mit  Anhäufungen  und  Stasen  weisser  Blutkörperchen  (auch  im  Bflckenmark,  Retina, 
N.  opticus).  Die  Suche  nach  Mikroorganismen  blieb  vergebens,  nur  im  GangL  cervic, 
sup.  fand  sich  eine  Infiltration  mit  Mikrokokken  ähnlichen,  aber  unfärbbaren  „gra- 
nulären Partikelchen".  Th.  Ziehen. 


—  862  — 

.  Pathologie  des  Nervensystems. 

4)  Ueber  Fortdauer  des   Eniephanomens  bei  Degeneration  der  Hinter- 

strange. Zugleloh  ein  Beitrag  rar  oombinirten  prim&ren  Brkran- 
kung  der  Büokenmarksstrftnge»  von  Prof.  C.  Westphal.  (Arch.  f.  Päych. 
u.  Nervenkrankh.  Bd.  XVII.  2.) 

In  Nr.  6  dieses  Centralbl.  (S.  142)  ist  fiber  yorstebende  Arbeit,  soweit  Verf. 
sie  in  der  Sitzung  der  Berliner  Gesellscbaft  f&r  Psjcbiatrie  und  NerrenkrankbeiteB 
vom  8.  März  1886  vorgetragen  bat,  bereits  referirt  worden. 

Hier  sei  ergänzend  bericbtet,  dass  W.  in  der  gedruckten  Arbeit  eine  sehr  ein* 
gebende,  cbronologiscb  genau  geordnete  Krankengescbicbte  der  beiden  Fälle  mit 
erbaltenem  Kniepbänomen  g^ebi  Dabei  wird  an  dem  ersten  Kranken  (ffreiziger) 
eine  eigentbümlicbe  Erscbeinnng  bescbrieben,  welche  2  ITonate  vor  dem  Tode  auftrat 
Die  Endpbalangen  der  Finger,  bald  eines,  bald  mehrerer,  erschienen  cjanotisch  bis 
Iriauschwarz  gefärbt  und  zwar  besonders  sfcark  an  der  Yolarfläche  des  kleinen  Pingers 
und  dementsprechenden  Theile  der  Hand,  rechts  mehr  wie  links.  Die  Uane  Farbe 
schwand  unter  dem  Fingerdruck.  Andere  Phalangen  waren  ausserordentlich  blaas, 
ond  die  Hände  fühlten  sich  kühl  an.  Die  Intensität  dieser  Erscheinung  wechselte, 
der  Badialpuls  war  klein  und  weich.  Am  linken  Fuss  zeigte  sich  ein  ähnlicher 
Zustand  in  schwächerem  Maasse.  —  W.  lässt  es  dahingestellt,  ob  der  Gnmd  für 
diese  enorme  Cjanose  etwa  in  der  bei  der  Autopsie  gefundenen  Ifitbetheiligung  der 
Medulla  oblong,  zu  suchen  sei. 

Den  Theil  des  äusseren  Abschnittes  der  Hinterstränge,  an  dessen  Erkrankung 
der  Wegfall  des  Kniephänomens  gebunden  sein  dflrfle,  will  W.  nicht  als  Wnrzelzone, 
sondern  lieber  als  „Wurzeleintrittszone''  bezeichnen,  weil  letzteres  genauer  ist,  denn 
die  Wurzelzone  reicht  weiter  nach  vom,  als  das  in  Frage  kommende  Gebiet  der 
Hinterstränge.  Wahrscheinlich  ist  die  Degeneration  der  in  diesem  Gebiete  verlaufen- 
den intramedullären  Wurzelfasem  die  Bedingung  für  den  Wegfall  des  Kmephänomens, 
doch  ist  etwas  Sicheres  hierüber  schwer  zu  ermitteln. 

Wenngleich  der  mikroskopische  Befund  beider  Fälle  im  Grossen  und  Ganzen 
entschieden  gegen  eine  sog.  Systemerkrankung  des  Rückenmarks  spricht,  so  besteht 
doch,  wie  W.  hervorhebt,  eine  gewisse  auffallende  Betheiligung  der  Türck'schen 
Stränge;  aber  es  wiederholt  sich  die  Betheiligung  derselben  Partie  der  Yorderstränge 
im  Lendenmark,  wo  doch  die  Türck'schen  Stränge  als  solche  nicht  mehr  existiien. 

Die  Yerbindx^ng  der  Erkrankung  der  Hinterstränge  mit  einer  solchen  der  Seiten- 
(und  Vorder-)  stränge,  das  dadurch  bedingte  Auftreten  motorischer  Schwäche,  anderer- 
seits das  Fehlen  der  reflectorischen  Pupillenstarre  in  seinen  beiden  Fällen  lässt  W. 
die  Frage  erörtern,  ob  denn  hier  auch  Tabes  vorliege?  Seine  Antwort  auf  diese  Frage 
deutet  auf  einen  entschiedenen  Fortschritt  in  der  Lehre  und  Kenntniss  von  den  Rücken- 
marks-Krankheiten hin,  wenn  er  sagt:  „sachgemässer  ist  es  jedenfalls,  nicht  Tabes 
zu  diagnostidren,  sondern  weiter  zu  gehen  und  die  Diagnose  auf  den  anatomischen 
Befund  zu  richten,  wozu  die  klinische  Beobachtung  nunmehr  gewisse  Anhaltspunkte 
giebt". 

Als  diagnostisches  Mittel  hat  das  Westphal*sche  Zeichen  durch  die  mitgetheilten 
Fälle  entschieden  durchaus  nicht  verloren,  sondern  im  Gegentheil  an  Schärfe  und 
Genauigkeit  gewonnen.  Hadlich. 

Psychiatrie. 

5)  BtatiBtiaohe  Unterauohung^i  über  den  Zusammenhang  awiaohen  SyphiliB 

und  progressiver  Paralyse,   von    Dr.   Bieg  er,   Würzburg.     (Schmidts 
Jahrb.  Bd.  CGI.  S.  88.) 
Verf.  zeigt  die  Werthlosigkeit  des  seitherigen  Verfahrens,  die  Zahlen  verscbie- 
dener   Beobachter  einfach   mittelst  Uebersetzung   in   Procentzahlw   zu   vergleichen; 


—    863    — 

dabei  wird  namentlich  der  verschiedenen  Grösse  des  Beobachtongsmaterials  nicht 
Rechnung  getragen.  Es  hat  daher  die  Wahrscheinlichkeitsrechnung  einzutreten.  Verf. 
stellt  11  Statistiken  so  zusammen,  dass  die  subjectiven  Dispositionen  der  verschiedenen 
Forscher  ausgeglichen  werden.  Er  findet  dann  durch  Anwendung  der  Foisson*schen 
Formel,  dass  mit  der  Wahrscheinlichkeit  von  212  gegen  1  unter  1000  Nichtpara- 
lytiachen  sich  nicht  weniger  als  33  und  nicht  mehr  als  45  Syphilitische  sich  be- 
finden (eigentlich  bezieht  sich  dies  auf  die  nichtparalytischen  Insassen  von  Irren- 
anstalten), dass  hingegen  unter  1000  Faralytischen  mit  einer  noch  sehr  viel 
grösseren  Wahrscheinlichkeit  sich  mindestens  364  und  höchstens  434  Syphilitische 
befinden.  Damit  ist  ein  causaler  Zusammenhang  beider  Krankheiten  festgestellt. 
Der  Syphilitische  hat  eine  16 — 17mal  stärkere  Disposition  an  Paralyse  zu  erkranken 
als  der  Nichtsyphilitische.  Th.  Ziehen. 

Therapie, 

6)   Contribution  to  neurologioal  therapeutios,  by  S.  Y.  Clevenger.    (Joum. 
of  nervous  and  mental  disease.  1886.  Nr.  3.  p.  160.) 

Verf.  hat  mit  mehreren,  sonst  nicht  gerade  allzuhäufig  angewendeten  Arznei- 
mitteln Versuche  bei  verschiedenen  neuropsychopathischen  Zuständen  angestellt  und 
öfters  grosse  Erfolge  erzielt.  So  rühmt  er  besonders  Seeale  comutum,  unter  der 
Form  von  Squibb*s  Fluid  extract,  innerlich  gegeben.  Durch  seine  Verbindung  mit 
Natriumbromat  habe  er  bei  mehr  als  20  Epileptikern  die  günstigsten  Resultate  ge- 
habt; selbst  in  einem  später  natürlich  letal  verlaufenen  und  durch  Section  nachge- 
wiesenen Fall  von  Cerebellartumor  seien  die  Schwindelanfalle  und  die  psychische 
Stömng  fast  unterdrückt  worden.  Sehr  empfeUenswerth  sei  es  im  Delirium  tremens 
und  im  chronischen  Alcoholismus,  bei  Neurasthenie  und  Ueberarbeitungsschlaflosig- 
keit,  und  besonders  bei  den  unregelmässig  mit  stuporösen  Zuständen  abwechselnden 
Erregungsanfallen  der  Katatonie. 

Zum  Theil  noch  günstigere  Resultate  hat  Verf.  von  der  Verordnung  des  Cortex 
radicis  Gossypii  gesehen,  welche  Droge  dem  Seeale  in  seiner  Wirkung  sehr  nahe 
steht,  aber  schneller  und  energischer  wirkt  und  selbst  bei  sehr  empfindlichem  Magen 
kein  Erbrechen  hervorruft.  Vom  Seeale  giebt  Verf.  verhältnissmässig  grosse  Dosen, 
2 — 3  Drachmen  (7 — 11  g)  des  Squibb'schen  Fluidextract;  vom  Gossypium  würden 
Vs — ^4  ^^^  i^^^^  Dosis,  also  etwa  ö — 8  g  zu  verordnen  sein.  Sommer. 


IIL  Aus  den  Gesellsohaften. 

ZI.  Wanderversammlting  südwestdeutsoher  Neurologen  und  Irrenärzte 

zu  Baden-Baden  am  22.  und  23.  Mai  1886. 

Original -Bericht  von  Dr.  L  aquer  in  Frankfurt  a.  M. 

(Sohloss.) 
XIV.  Prof.  Schottelius  (Freiburg):  lieber  die  Fasteur'sohen  SohatBimpfüngen. 

Der  Vortragende,  erst  kürzlich  von  einer  längeren  Studienreise  zurückgekehrt, 
welche  zum  Zweck  hatte,  die  Fasteur*schen  Untersuchungsmethoden  und  die 
Herstellung  von  Schutzimpfstofifen  an  Ort  und  Stelle  zu  studiren,  hat  nicht  die 
Absicht,  über  die  äussern  Verhältnisse  der  dortigen  Laboratorien,  die  Technik  der 
Schtttzimpftmgen  etc.  zu  berichten,  sondern  wollte  versuchen,  den  innem  Zusammenhang 
der  Pastenr'schen  Experimente,  den  Weg,  auf  dem  dieser  Forscher  schliesslich  zu 
seinem  Schutzimpfungsverfahren  gelangte,  den  Anwesenden  zu  vergegenwärtigen.  — 
Vor  Allem  muss  berücksichtigt  werden,  dass  Pasteur  Chemiker  ist  und  speciell  der 
Begründer  unserer  heutigen  Gährungslehre. 


—    354    — 

Zwei  fundamentale  Thatsacben  aus  der  G^hrnngslehre:  1)  die  Erzeugung  eines 
Stoffwechselproductes  durch  das  organisirte  Ferment  und  2)  die  wachsthumsbemmende 
Wirkung  dieses  Stoffwechselproductes  f&r  die  Sprosspilze  selbst  wurden  demnächst 
auch  auf  die  Lebensäusserungen  der  Spaltpilze  übertragen. 

So  liegt  bei  Pasteur  für  die  Erklärung  einer  pathogenen  Wirkung  von  Spalt- 
pilzen stets  der  Gedanke  des  Vorhandenseins  eines  chemisch  giftigen  Stoffwechsel- 
productes zu  Grunde  —  und  für  die  Erklärung  des  Ueberstehens,  der  Heilung,  einer 
auf  Wirkung  solcher  Stoffwechselproducte  beruhenden  Krankheit  —  der  Gedanke  des 
wachsthumshemmenden  Einflusses  dieses  Stoffwechselproductes  für  die  Producenten  — 
die  Spaltpilze  selbst.  —  In  der  That  finden  sich  ja  aus  der  Lehre  Yon  den  Spalt- 
pilzen einschlägige  Beispiele,  welche  für  diese  Anschauung  verwandt  werden  können. 

Der  zweite  Factor,  welcher  zum  Verständniss  des  innem  Zusammenhangs  der 
Pasteur*schen  Experimente  führt,  ist  in  den  Erfahrungen  zu  suchen,  welche  beim 
Studium  thierischer  Infectionskrankheiten  von  Pasteur  über  die  Inconstanz  der  In- 
fectionsträger  gemacht  wurden.  —  Der  Vortragende  unterscheidet  dabei  2  Formen 
von  Inconstanz. 

1)  Die  relative  Inconstanz,  welche  ihren  Ausdruck  findet  in  dem  verschiedene»! 
Verhalten  verschiedener  Thierarten  gegen  bestimmte  Infectionsträger  der  Art,  dass 
manche  Thierarten  gegen  gewisse  Erankheitsgifte  ganz  immun,  andere  dingen  höchst 
empfänglich  sind,  imd  dass  sich  zwischen  diesen  beiden  Extremen  eine  Beibe  mehr 
oder  weniger  oder  mittleren  Grades  empföngliche  Thierarten  befinden. 

2)  Die  absolute  Inconstanz,  welche  in  einem  Schwanken  der  pathogenen  Kraft 
der  Infectionsträger  selbst  ihren  Grund  findet. 

Beide  Formen  wurden  durch  Beispiele  erläutert  und  demnächst  darauf  hinge- 
wiesen, wie  sowohl  die  relative  als  die  absolute  Inconstanz  künstlich  im  Sinne  der 
Abschwächung  der  Infectionsstoffe  beeinflusst  werden  können.  Pasteur  war  der 
Erste,  welcher  die  Thatsache  der  Unbeständigkeit  der  giftigen  Wirkung  von  Infections- 
stoffen  systematisch  prüfte  und  praktisch  verwerthete.  —  Die  Zahl  der  jährlich  in 
Frankreich  durch  Schutzimpfung  behandelten  Thiere  geht  in  die  Hundert-Taosende, 
und  bezüglich  der  praktischen  Brauchbarkeit  der  Methode  ist  wohl  der  gesunde 
Menschenverstand  der  französischen  Landwirthe,  welche  mit  ihrem  Geldbeutel  für  den 
Erfolg  haften,  genügende  Garantie.  —  Uebrigens  sind  Schutzimpfungen  gegen  ver- 
schiedene Thiersenchen  auch  bereits  in  andern  Ländern,  namentlich  in  Belgien  und 
in  der  Schweiz  mit  Erfolg  eingeführt.  Sonach  nach  theoretischer  Begründung  und 
nach  praktischer  Bewährung  seines  Princips  kann  man  wohl  Pasteur  nicht  die 
Berechtigung  absprechen,  irgend  welche  Infectionskrankheiten  in  seinem  Sinne  zum 
Zwecke  des  Schutzimpfverfahrens  in  Arbeit  zu  nehmen. 

Ob  er  nach  dieser  Bichtung  hin  mit  den  Schutzimpfungen  gegen  die  Hunds- 
wuth  Erfolg  haben  wird,  lässt  sich  vorläufig  noch  nicht  bestinmien.  —  Abfällige 
Urtheile  sind  mindestens  noch  verfrüht.  Der  praktische  Werth  günstiger  Erfolge 
würde  übrigens  für  uns  Deutsche  wegfallen,  da  bei  uns  durch  sanitäre  Präventiv- 
Maassregeln  die  Hundswuth  so  gut  wie  ausgerottet  ist.  —  Ganz  anders  ist  die  Be- 
deutung dieser  Krankheit  für  Frankreich,  wo  dieselbe  etwa  den  allgemeinen  Werib 
hat,  wie  für  uns  die  Trichinosis,  welche  ihrerseits  in  Frankreich  nicht  vorkommt 
Bezüglich  der  Erklärung  der  vorgenommenen  Schutzimpfversuche  gegen  die  Hunds- 
wuth der  Thiere  und  des  Menschen  sowie  andere  Einzelheiten  sei  auf  die  demnächst 
erscheinende  ausführliche  Bearbeitung  des  vorliegenden  Themas  hingewiesen. 

XV.   Docent  Dr.  Tuczek  (Marburg):  Weitere  Mittheilungen  über  die 
bleibenden  nervdsen  Störungen  im  Gtofolge  des  ErgotismuB. 

T.  berichtet  über  die  weiteren  Schicksale  der  von  ihm  und  Siemens  (Arch.  f. 
Psych.  VIII  u.  XI)  beschriebenen  Fälle  von  Ergotismus  spasmodicus  epidemicas, 
welche  im  Jahre  1879/80  im  Kreis  Frankenberg  zur  Beobachtung  kamen,  und  welche 


—    865    — 

ausser  Stönragen  der  Intelligenz  und  epileptischen  Krämpfen  s&mmtlich  Erscheinungen 
einer  Affection  der  Hinterstränge  des  Bückenmarks  dargehoten  hatten,  welche  letztere  T. 
in  den  4  tödtlich  verlaufenen  Fällen  hatte  anatomisch  nachweisen  können.  Von  den 
übrigen  25  Kranken  sind  inzwischen  noch  weitere  5  an  den  Folgen  des  Ergotismus  ge- 
storben, yiele  sind  recidiv  geworden,  2  leiden  noch  jetzt  an  epileptischen  Krämpfen, 
12  an  mehr  oder  weniger  tiefen  Defecten  der  Intelligenz,  4  an  Farästhesien,  9  an  Kopf- 
weh. Bei  nur  zweien  ist  das  Kniephänomen  beiderseits  wiedergekehrt^  bei  einem  auf 
einer  Seite,  bei  den  übrigen  fehlt  es  noch  heute.  Nirgends  dagegen  war  ein 
progressiver  Charakter  weder  der  Demenz  noch  der  Hinterstrangaffec- 
tion  nachweisbar,  in  Analogie  mit  ähnlichen  durch  andere  Gifte  secundär  hervor- 
gerufenen Aflfectionen.  An  einem  der  4  früher  demonstrirten  Bückenmarke  konnte  T., 
wie  er  an  Fräparaten  zeigte,  fast  vollständigen  Schwund  der  Nervenfasemetze  in 
den  Clarke*schen  Säulen  nachweisen. 

Xyi.    Prof.  Berlin  (Stuttgart):  Weitere  Beobachtungen  über  Dyslezle  mit 

Seotionsbefand. 

B.  hebt  zuerst  hervor,  dass  ihm  zur  Zeit  seiner  ersten  Mittheilung  vor  3  Jahren 
5  Beobachtungen  zu  Gebote  gestanden  haben;  3  seiner  Fatienten  seien  damals  schon 
gestorben  gewesen.  Jetzt  stehen  ihm  im  Ganzen  6  Fälle  zur  Verfügung  und  zwar 
seien  nunmehr  alle  6  letal  ausgegangen,  d.  h.  sie  seien  mit  Ausnahme  eines  einzigen, 
der  an  einem  intercurrenten  Erysipel  zu  Grunde  ging,  sämmtlich  an  derjenigen 
Krankheit  gestorben,  in  deren  Beginne  die  Dyslexie  als  eines  der  Anfangssymptome 
aufgetreten  sei.  Fünf  von  seinen  Fatienten  waren  männlichen  Geschlechtes,  einer 
weiblich;  dem  Alter  nach  waren  sie  29,  43,  59,  63,  65  und  75  Jahre;  die  Dauer 
der  S[rankheit  schwankte  zwischen  ^/j  und  7,  bei  einem  Durchschnitt  von  2^/^  Jahren. 

Was  zunächst  das  symptomatologische  Bild  der  Dyslexie  angeht,  so  besteht 
dieselbe  darin,  dass  der  Kranke  nur  im  Stande  ist,  von  einem  beliebigen  Druck,  sei 
er  gross  oder  klein,  3 — 4 — 5  Worte  hintereinander  zu  lesen.  Dies  geschieht  ganz 
correct,  ohne  etwelche  paraphasische  Beimischung,  dann  aber  vermag  der  Fatient 
nicht  mehr  fortzufahren.  Nach  einer  kurzen  Fause  von  wenigen  Secunden  geht  es 
wieder  wie  vorher,  aber  immer  bringt  er  nur  die  angegebene  geringe  Zahl  von 
Worten  heraus.  Er  ist  jedoch  nicht  im  -Stande,  aus  der  Summe  dieser  kleinen 
Leistungen  eine  grössere  Gesammtleistung  zusammenzusetzen.  Dabei  ist  besonders 
zu  betonen,  dass  die  Störung  in  derselben  Weise  auftritt,  gleichgültig  ob  der  Kranke 
h&ut  oder  für  sich  liest.  Die  Sprache  selbst,  d.  h.  das  Yerständniss  der  Sprache, 
die  willkürliche  Sprache  und  das  Nachsprechen  sind  völlig  intact. 

Diese  Anomalie  erinnert  an  eine  Lesestörung,  welche  die  Augenärzte  unter  der 
Bezeichnung  des  Hebetudo  visus,  Asthenopie  bei  Fresbyopie,  Hypermetropie,  Insuffi- 
cenz  der  Musculi  recti  extemi  und  intemi,  Accommodationskrampf,  Hysterie  etc.  zu 
beobachten  gewohnt  sind.  Sie  unterscheidet  sich  aber  von  den  genannten  Formen 
durch  die  Kürze  der  vorausgegangenen  Leistung,  die  Flötzlichkeit,  mit  der  sie  auf- 
tritt und  durch  den  Mangel  an  vorausgehenden  subjectiven  Symptomen,  d.  h.  durch 
den  Mangel  des  Schmerzes  am  Auge  und  des  Verschwindens  der  Buchstaben,  schliess- 
lich auch  durch  die  Vollständigkeit  der  Störung,  insofern  dieselbe  in  dem  Augen- 
blicke, wenn  sie  eintritt,  weder  durch  Concentration  des  Willens,  noch  durch  optische 
Uülfsmittel  gebessert  werden  kann.  Das  Hauptunterscheidungsmerkmal  liegt  aber 
darin,  dass  in  unseren  Fällen  alle  jene  bekannten  Ursachen  der  Hebetudo  visus  fehlten, 
resp.  dass  eine  eingehende  augenärztliche  Untersuchung  die  Integrität  des  Sehorgans 
nachwies.  Waren  Veränderungen  an  den  Augen  nachweisbar,  wie  Cataracta  incipiens, 
einseitige  Hornhauttrübungen  und  myop.  Astigmatismus,  so  ergab  sich,  dass  dieselben 
mit  der  Lesestörung  in  keinerlei  Beziehung  standen. 

Diese  Unabhängigkeit  der  Dyslexie  von  etwaigen  Erkrankungen  des  Auges,  und 
die  Flötzlichkeit,   mit  welcher  dieselbe  bei  bis  dahin  gesunden  Menschen  in  die  Er- 


—    S56    — 

scbeinung  zn  treten  pflegt,  weisen  schon  mit  einem  hohen  Grade  Ton  Wahrschein- 
lichkeit darauf  hin,  dass  die  Ursache  derselben  in  einer  Erkrankung  des  GteliiinB  zo 
suchen  sei.  Diese  Auffassung  gewinnt  an  Wahrscheinlichkeit,  wenn  man  diejenigen 
cerebralen  Symptome  berücksichtigt,  die  im  Verlaufe  dieser  Erkrankung  auftreten. 
Dieselben  bestanden  in  Schwindel,  Kopfweh,  Yorftbergehenden  Obscurationen,  Hemi- 
anopsie, Aphasie,  Zuckungen  der  rechten  Gesichtshälfte,  Binggeflihl  am  kleinen  Finger 
rechterseits,  Lähmungen  der  rechten  Extremitäten,  einmal  auch  der  linken,  Bewusst- 
losigkeit,  Convulsionen  etc. 

Was  die  Stellung  der  Dyslexie  in  den  aphasischen  Systemen  angeht»  so  glaubt 
Redner  ihr  dieselbe  anweisen  zu  müssen,  welche  die  isolirte  Wortblindheit 
einnimmt.  Bei  dieser  wäre  nach  dem  Lichtheim*schen  Schema  eine  Unterbrechung 
zwischen  dem  Schriftbildcentrum  (0)  und  dem  Elangbildcentrum  (A)  zn  statuiren, 
die  Centren  selbst  und  alle  übrigen  Bahnen  wären  als  frei  anzusehen.  Dem  ent- 
spricht die  oben  hervorgehobene  Thatsache,  dass  bei  dieser  Erkrankung  sammtliche 
wirkliche  Sprachbähnen  frei  bleiben.  Es  wäre  also  die  Dyslexie  nicht  den  eigent- 
lichen Aphasien  zuzuzählen,  sondern  sie  stellte  nur  eine  Aphasie  im  weiteren  Sinne 
dar.  Der  Unterschied  zwischen  der  eigentlichen  Wortblindheit  und  der  Dyslexie 
wäre  aber  der,  dass  bei  der  letzteren  die  Erkennung  der  Worte  nicht  aufgehoben, 
sondern  nur  quantitativ  beschränkt  sei.  Sie  wäre  also  ihrem  Wesen  nach  als  eine 
„unvollkommene  isolirte  Wortblindheit''  zu  bezeichnen. 

B.  weist  noch  darauf  hin,  dass  dem  Lichth  ei  mischen  Schema  entsprechend, 
bei  der  Dyslexie  sammtliche  Bahnen  für  das  Schreiben  intact  sind,  dass  demgemäss 
auch  das  Spontanschreiben,  das  Dictatschreiben  und  das  Schreiben  nach  Vorlagen 
ungestört  sein  sollte.  In  diesen  Bichtungen  hat  Redner  eine  Lückenhaftigkeit  seiner 
Beobachtungen  zuzugeben,  er  hebt  aber  hervor,  dass  die  letzteren  zum  Theil  älter 
sind  als  sammtliche  Sprachbahnschemata  und  ausnahmslos  älter  als  das  Licht- 
heim*sche.  Ausserdem  bemerkt  er,  dass  er  die  Früftmg  des  Schreibens  in  seinen 
Fällen  bis  dahin  absichtlich  aus  dem  Grunde  unterlassen  habe,  weil  er  voraussetzte, 
es  würde  eine  der  Dyslexie  ähnliche  Erschwerung  des  Schreibens  im  gegebenen  Falle 
von  einer  beim  Schreibact  etwa  auftretenden  Erschwerung  des  Lesens  nicht  wohl  zu 
unterscheiden  sein.  Indessen  gesteht  er  zu,  dass  es  zweckmässig  sein  wird,  diese 
künftighin  im  Sinne  des  Lichtheim*sdhen  Schemas  zu  prüfen;  es  wäre  ja  auch 
denkbar,  dass  sich  eine  Schreibestörung,  eventuell  in  Form  von  Paragraphie,  kund 
geben  könne. 

Nach  Ansicht  des  Vortragenden  ist  die  Dyslexie  ein   Herdsymptom.     Wegen 
der  vorgerückten  Zeit  kann  er  diese  Seite  der  Frage  nur  kurz  besprechen,  weist  aber 
auf  die  bevorstehende  ausführliche  Veröffentlichung  seiner  Beobachtungen  hin.     Die 
Rechtsseitigkeit  der  gleichzeitig  mit  der  Dyslexie  auftretenden  cerebralen  Symp- 
tome (Lähmungen,  Muskelzuckungen,  Sensibilitätsstörungen  und  Hemianopie)  führen 
uns  dazu,  dass  die  zu  Grunde  liegenden  anatomischen  Läsionen  in  der  linken  Hemi- 
sphäre  des  Gehirns  zu  suchen  seien.    Dem  entsprechen  auch  die  anatomischen  Be- 
funde,  welche   dem   Redner   von  4  seiner   Beobachtungen   zu  Gebote   stehen.    Von 
2  auswärts  Gestorbenen   liegen   keine   Sectionsberichte   vor,    2  Obductionsprotokolle 
verdankt   er  befreundeten  CoUegen,   2mal  war  er  selber   bei   der   Section   zugegen. 
In  den  sämmtlichen  4  Fällen  war  die  linksseitige  Gehirnhälfte  erkrankt;  3mal  allein, 
einmal   gleichzeitig   mit   der   rechten.    In   den   beiden  von  ihm  selbst  beobachteten 
Fällen   wurde   das   erste   Mal  eine  sichtbare  Veränderung  der  Gehimsubstanz  seltet 
vermisst,  es  zeigte  sich  aber  eine  hochgradige,  auf  die  linke  Art.  fossae  SylTÜ 
beschränkte    und   diese   bis   in   ihre   kleinsten   Ausläufer   einnehmende 
Atheromatose.    In  dem  zweiten   Falle   fand   B.  eine  ausgedehnte  Erweichung  der 
grauen   Substanz   der   linken  unteren  Scheitelwindung;   auffallenderweise  nahm  diese 
einen  grossen  Theil  des  Bezirks  ein,  welchen  Redner  vor  3  Jahren  als  die  bei  event 
Autopsie  zu  beachtende  Localität  bezeichnet  hatte.  B.  giebt  zur  Erläuterung  dieselbe 


—    S6T    — 

scbematiscbe  Zeichnung  herum,  welche  er  vor  3  Jahren  Yorgezeigt  hat.  Eine  Yer- 
gleichnng  mit  einer  Zeichnung  dee  vorliegenden  Befundes  bei  der  in  Bede  stehenden 
Beobachtung  ergiebt,  dass  beide  sich  zum  grossen  Theil  decken.  Bedner  bemerkt, 
dass  auch  in  einigen  F&llen  von  isolirter  Wortblindheit  Läsionen  der  unteren  Scheitel- 
windung gefunden  wurden,  welche  freilich  mehr  nach  rückwärts  gelegen  waren.  Er 
legt  auf  diesen  Localbefund  kein  allzugrosses  Grewicht,  weil  in  diesem  Falle  auch 
noch  an  anderen  Stellen  der  Grosshimrinde  Erweichungsherde  gefunden  wurden  und 
verwahrt  sich  namentlich  dagegen,  dass  dieser  einmalige  Befund  dazu  berechtige, 
den  Herd  der  Erkrankung  bei  der  Dyslexie  ein  für  alle  Mal  hier  zu  localisiren.  — 
Dagegen  glaubt  er  auf  die  Thatsache  ein  besonderes  Gewicht  legen  zu  dOrfen,  dass 
auch  bei  dieser  Form  von  Aphasie  ausnahmslos  die  linke  Gehimhälftie  erkrankt  ge- 
funden wurde. 

¥^ie  aber  auch  in  späteren  Fällen  der  anatomische  Befund  ausfallen  werde, 
möge  derselbe  die  bis  jetzt  gefundenen  Ergebnisse  bestätigen  oder  nicht,  so  glaubt 
Bedner  doch,  dass  die  vorliegenden  klinischen  Beobachtungen  über  Dyslexie  den 
diagnostischen  und  prognostischen  Werth  dieses  Symptoms  festgestellt  haben.  Der 
Werth  dieser  anscheinend  so  unbedeutenden  Störung,  welche  bei  oberflächlicher  Be- 
obacbtung  so  leicht  mit  Hebetudo  visus  verwechselt  werden  kann  und  welche  in  allen 
Fällen  nur  eine  vorübergehende  Dauer,  meist  von  nur  ca.  4  Wochen  hatte,  ist  fol- 
gender: sie  ist  das  Herdsymptom  einer  Gehirnerkrankung,  welcher  aus- 
nahmslos eine  letale  Prognose  gestellt  werden  muss;  jedesmal  war  die 
Ausgangserkrankung,  welche  sich  in  einzelnen  Fällen  in  verschiedener  Bichtnng  ent- 
wickelte, eine  Gefasserkrankung  der  Gehimarterien.  — 

XYII.    Dr.  V.  Hof  mann  (Baden-Baden):  Ueber  einen  operativ  behandelten 
Fall  von  HeningitiB  mit  Eiterung  im  intravaginalen  Baum  des  JX.  opticus. 

Der  Pai,  welcher  zur  Vorstellung  gelangt,  erkrankte  im  Juni  v.  J.  nach  einer 
vorausgegangenen  Furunculoee  des  Nackens  an  heftigen  Kopfschmerzen,  namentlich 
über  dem  linken  Auge,  Yerlangsamung  des  Pulses  und  der  Bespiration.  Später  trat 
leichte  Temperatursteigerung,  völlige  Erblindung  des  linken  Auges  ein.  Der  Yortr. 
sab  zu  dieser  Zeit  den  Pat.  und  constatirte  linksseitige  Ptosis,  massigen  Exophthal* 
mos,  Unbeweglichkeit  des  Bulbus,  erweiterte  Pupille,  klare  Medien,  aber  ezcessive 
Scbwellungspapille  bei  völliger  Erblindung  des  linken  Auges.  Der  Zustand  blieb 
lange  Zeit  unverändert,  nur  ward  das  Auge  allmählich  mehr  nach  innen  und  unten 
dislodri  —  Bedner  vermuthet  eine  Eiterung  in  der  Tiefe  der  Orbita  und  schritt 
unter  Ghloroform-Narcose  am  1.  Juli  zur  Operation.  Nach  Ablösung  des  oberen 
Augenlides  fand  sich  aber  dort  kein  Eiter  vor.  —  Dagegen  fand  sich  der  Sehnerv 
nach  Abtrennung  des  Bectus  sup.  und  ext.  etwa  kleinfingerdick  geschwollen  und 
beim  Zerreissen  der  Scheiden  quoll  der  Eiter  aus  dem  ampullenartig  erweiterten 
Intravaginalraum  hervor.  Derselbe  wurde  freigelegt  und  drainirt;  die  Augenmuskeln 
wurden  wieder  angenäht.  Nach  14  Tagen  schloss  sich  die  Wunde.  Das  Fieber 
verschwand,  Herzthätigkeit  und  Allgemeinbefinden  wurden  normal.  Letzteres  wurde 
nur  eine  Zeit  lang  getrübt  durch  Auftreten  eines  Milzinfarctes,  der  sich  nach  aussen 
öffnete.  —  Was  den  Augenbefund  anlangt,  so  hängt  das  linke  obere  Augenlid  willenlos 
über  den  zurückgetretenen  Bulbus  herab.  —  Die  Beweglichkeit  des  Auges  ist  eine 
ziemlich  vollkommene.  Die  Erblindung  blieb  selbstverständlich  eine  complete:  es  ist 
Atrophia  nervi  optici  eingetreten. 

XVUI.    Dr.  Hecker  (Johannisberg):  Die  Auftiahmebedingungen  der  sog. 

offenen  Kuranstalten  für  Kervenkranke. 

Die  offenen  Kuranstalten  haben  wiederholt  mehr  oder  weniger  herbe  Beurthei- 
lung  erfahren.  —  Doch  entsprächen  sie  einem  Bedürfniss,  ihre  Zahl  wachse  von 
Jahr  zu  Jahr.    Den  Brosius*schen  Angriffen  gegen  dieselben  müsse  aber  entgegen- 


—    858    — 

gehalten  werden,  dass  die  Krankheits-Diagnose  allein  keinen  brauchlNiren  Maaas- 
Stab  abgebe  für  die  Aufnahmefähigkeit  der  geeigneten  Patienten.  Denn  während 
beispielsweise  die  Mehrzahl  der  Fälle  von  Hysterie,  Hypochondrie,  maladie  dn  doute, 
Angstznständen  etc.  sich  für  die  offenen  Anstalten  und  nur  für  diese  eigneten,  gebe 
es  doch  auch  gerade  innerhalb  dieser  Erankheitsformen  Einzelfalle,  die  nur  in  die 
Irrenanstalt  passten.  Man  müsse  rein  praktische  Gesichtspunkte  für  die  Beurtheilong 
des  Einzelfalles  erstreben  und  auf  diesem  Wege  sowohl  Aerzten  als  Laien  Handhaben 
bieten,  mittelst  deren  sie  vor  eventuellen  Fehlem  geschützt  wären. 

Auf  Grund  seiner  Erfahrungen  theilt  er  fünf  Grundsätze  mit,  welche  maass- 
gebend  sein  sollten,  wenn  die  Einweisung  von  Kranken  in  die  offene  Kuranstalt  in 
Frage  käme. 

Zur  Aufnahme  in  diese  Institute  sind  nur  solche  Patienten  geeignet,  die 

1.  volles  Krankheitsbewusstsein  und  Krankheitseinsicht  haben, 

2.  freiwillig  mit  dem  Wunsche,   sich   ärztlich   behandeln  zu  lassen,   in  die  Anstalt 
eintreten, 

3.  durchaus  Herr  ihrer  Handlungen  und  im  Stande  sind,  den  ärztlichen  Anordnungen 
Folge  zu  leisten, 

4.  keiner  besonderen  Aufsicht  und  Ueberwachung  bedürüen  und  endlich 

5.  ihrer  Umgebung  nicht  als  geistig  abnorm  auffcJlen  und  derselben  in  keiner  Weise 
lästig  werden. 

Seitdem  H.  für  seine  Anstalt  alle  diese  5  Bedingungen  zusammen  bei  den  auf- 
zunehmenden Kranken  als  entschieden  nothwendig  voraussetzt,  sind  Missgriffe  von 
seiner  Seite  nicht  mehr  geschehen. 

Bedner  verbreitet  sich  des  Näheren  über  die  Forderung  von  Krankheitsbewusst- 
sein und  Krankheitseinsicht,  durch  welche  die  Fälle  initialer  Melancholie,  in  denen 
wohl  ein  allgemeines  Gefühl  von  Kranksein  vorhanden  ist,  wo  aber  die  einzelnen 
krankhaften  Erscheinungen  nicht  als  solche  anerkannt  werden,  —  sich  schon  nebenher 
Wahnvorstellungen  zu  entwickeln  beginnen,  ausgeschlossen  sind.  —  Aufnahmefähig 
im  Sinne  dieser  Anforderung  erscheinen  dagegen  besonders  die  Fälle  von  Zwangs- 
vorstellungen und  verschiedenen  Phobien,  in  denen  Bedingung  3,  dass  sie  Herr  ihrer 
Handlungen  sind,  zutrifft.  Die  Fälle  von  Zwangsvorstellungen,  in  denen  der  Fat 
nicht,  mehr  im  Stande  ist,  das  Umsetzen  der  Zwangsgedanken  in  Zwangshandlungen 
zu  verhüten,  gehören  in  die  Irrenanstalt»  leichtere  mit  Waschsucht,  Berührungsfurcht 
behaftete  Kranke  sind  noch  zuzulassen.  Die  zweite  Bedingung,  den  freiwilligen  Ein- 
tritt betreffend,  müsse  besonders  streng  genommen  werden.  Wiederholt  haben  Para- 
noiker  mit  weitverzweigten  Wahnideen  freiwillig  um  Aufnahme  gebeten,  weil  sie 
von  der  Furcht  geplagt  waren,  man  möchte  sie  in  eine  Irrenanstalt  bringen.  —  Die 
Behandlung  der  Morphiumsucht  und  des  Alcoholismus  in  offenen  Anstalten  befür- 
wortet der  Vortr.  auf  Grund  einiger  günstiger  persönlicher  Erfahrungen;  er  glauboi 
dass  solche  Kranke  sich  moralisch  gehoben  fühlten,  wenn  man  ihnen  gewisses  Ver- 
trauen schenkte,  und  die  Abstinenz-Erscheinungen  oft  leichter  ertrügen,  wenn  sie  sich 
von  Zwang  frei  wüssten.  Punkt  4  lehnt  die  einer  besonderen  Bewachung  bedürftigen 
und  namentlich  die  des  Selbstmords  verdächtigen  Melancholiker  ab.  —  Die  wirk- 
lichen Melancholiker  fühlen  sich  unter  den  freien  Yerkehrsformen  der  offenen  Anstalt 
nicht  wohl,  sie  bedürfen  noch  grösserer  Abgeschiedenheit  und  Isolirung.  Dagegen 
giebt  es  Neurastheniker  mit  arg  quälenden  Zwangsgedanken  und  Zwangsgefühlen, 
welche  ihrem  Leben  mit  all*  seinen  unerträglichen  Qualen  bei  normaler  Ueberlegung 
ein  Ende  machen  wollen.  Bei  diesen  bietet  unbedingt  die  psychische  Behandlung 
und  vollkommenste  Freiheit  einen  viel  grösseren  Schutz  als  die  Einschliessung  und 
die  dauernde  Ueberwachung. 

Da  die  Aufnahme  der  für  die  offenen  Kuranstalten  nach  den  oben  genannten 
fünf  Sätzen  geeigneten  Patienten  keineswegs  eine  so  dringliche  ist,  dass  nicht  vorher 
über  diese  Anforderungen  eine  eingehende  Gorrespondenz  geführt  werden  könnte,  sc 


—    359    — 

ist  deren  Handhabung  durchaus  nicht  schwer.  Wichtig  ist  vor  Allem,  dass  all'  diese 
Kranken  in  jenen  Instituten  auch  eine  wirklich  psychiatrische  Behandlung  finden, 
—  dass  die  Leiter  derselben  geschulte  Irrenärzte  seien.  —  Nur  solche  sind  im 
Stande,  die  offene  Kuranstalt  von  ungeeigneten  Elementen  frei  zu  halten  und  zu 
verhüten,  dass  dieselbe  sich  schliesslich  in  eine  verkappte  Irrenanstalt  mit  mangel- 
haften irrenanstaltlichen  Einrichtungen  zum  grössten  Schaden  der  Patienten  verwandle. 
Es  ist  natürlich  auch  nöthig,  an  jeden  in  der  Anstalt  befindiichen  Krankheitsfall  bei 
seiner  Weiterentwickelung  immer  wieder  den  Maassstab  der  Aufnahmebedingungen 
anzulegen  und  ungeeignet  gewordene  Patienten  wieder  zu  entfernen. 

XIX.    Dr.  A.  Frey  (Baden):  lieber  den  Einfluss  der  Schwitsbftder  bei  der 

merouriellen  Behandltmg  der  Syphilis. 

Der  Vortragende  recapitulirt  kurz  die  Resultate  seiner  früheren  Experimente 
über  die  Wirkung  der  Schwitzbäder  und  berichtet  über  neue,  noch  nicht  veröffent- 
lichte sphygmographische  Studien,  in  denen  nachgewiesen  wird,  dass  der  Druck  und 
die  Wandspannung  der  Arterien  in  dem  Maasse  ebenso  wie  der  Puls  an  Frequenz 
steigt,  und  dass  unter  dem  Einflüsse  der  abkühlenden  Proceduren  der  Puls  schnell 
in  Frequenz  zur  Norm  zurückgeht,  und  dass  dabei  der  Druck  im  Gefässrohre  sowie 
die  Wandspannung  in  demselben  bedeutend  ansteigen,  und  die  normalen  Verhältnisse 
wesentlich  überschreiten.  —  Der  Einfluss  der  Schwitzbäder  bei  der  mercuriellen 
Behandlung  der  Syphilis  äussert  sich  nach  drei  Bichtungen:  1)  Wird  der  Appetit 
angeregt  und  der  Stoffwechsel  wesentlich  beschleunigt.  2)  Sichern  sie  in  zweifel- 
haften Fällen  die  Diagnose  in  der  Frage,  ob  eine  Syphilis  geheilt  oder  nur  latent 
geworden  dadurch,  dass  sie  die  latenten  Keime  mobil  machen  und  eine  Eruption 
veranlassen;  femer  in  der  Frage,  ob  zur  Zeit  bestehende  Symptome  als  syphilitische 
oder  mercurielle  anzusprechen  sind,  indem  sie  auf  die  ersteren  einen  verschärfenden, 
auf  die  letzteren  einen  bessernden  Einfluss  ausüben.  —  3)  Beschleunigen  sie  die 
Ausscheidung  des  für  die  Neutralisirung  der  Luesbacillen  wirkungslos  gewordenen 
Quecksilbers,  in  dem  sie  durch  schnellen  Zerfall  der  Eiweisskörper  die  feste  Ver- 
bindung dieser  mit  dem  Quecksilber  lockern  und  dies  so  zur  Ausscheidung  geeigneter 
machen.  Darauf  beruht  auch,  dass  wir  bei  sehr  energischen  Quecksilber-Curven, 
wenn  wir  Schwitzbäder  damit  verbinden,  nur  mercurielle  Symptome  zu  sehen  be- 
kommen. Von  den  Proceduren,  Quecksilber  einzuverleiben,  giebt  Vortr.  der  Schmier- 
kur den  Vorzug,  bequemt  sich  jedoch  auch  zu  Sublimatkochsalzii^ectionen,  wenn  die 
Verhältnisse  es  dringend  verlangen.  Die  combinirte  Kur  besteht  darin,  dass,  während 
dajB  Quecksilber  nach  der  bekannten  Art  einverleibt  wird,  der  Kranke  in  regelmässigen 
Intervallen  Schwitzbäder  nimmt;  was  Anordnung  und  Zahl  derselben  anlangt,  so  ist 
darin  wesentlich  der  Grad  der  Erkrankung  und  die  Besistenz  des  Kranken  maass- 
gebend.  Selbst  bei  Syphilis  des  Bückenmarks,  des  Gehirns  und  der  Augen  ist  die 
combinirte  Kur  mit  gewissen  Einschränkungen  zulässig  und  von  günstigen  Erfolgen 
begleitet,  wie  durch  kurze  Krankengeschichten  erörtert  wurde. 

Der  Schluss  der  Versammlung  erfolgte  Mittags  12^1^  Uhr. 


Gesellschaft  für  Psychiatrie  und  Nervenkrankheiten  in  Berlin.    Sitzung 
vom  12.  Juli  1886. 

Mendel  stellt  einen  zweiten  Fall  von  SohwefelkohlenstoflVergiftaiig  vor 
(über  den  ersten,  in  der  med.  Gesellschaft  vorgestellten,  wird  demnächst  in  extenso 
berichtet  werden).  Es  handelt  sich  um  einen  18jährigen  jungen  Mann,  der  seit 
3  Jahren  als  Arbeiter  in  einer  Gummifabrik  beschäftigt  ist;  seit  '/«  Jahren  besteht 
seine  Beschäftigung  darin,  dass  er  den  Gummi  mit  der  linken  Hand  in  die  Flüssig- 
keit (Schwefelkohlenstoff  und   Chlorschwefel)  taucht    Anfang  Februar  d.  J.  stellte 


—    360    — 

sich  eine  Steifigkeit  in  den  Fingern  der  linken  Hand  ein  mit  Kribbeln  und  taubem 
Gefühl  in  den  Fingerspitzen;  die  Finger  blieben  schliesslich  in  Extensionsstellang 
stehen,  dazu  trat  dann  eine  ähnliche  Aflfection  im  linken  Fuss.  Diese  Steifigkeit 
verschwand  im  weiteren  Verlauf,  dafür  trat  eine  bei  Bewegungen  und  stärkeren 
psychischen  Eindrücken  hervortretende  Bewegungsstörung  ein,  die  noch  jetzt  besteht 

Der  ganze  linke  Arm  geräth,  sobald  man  ihn  in  Bewegung  versetzt»  in  heftige 
zitternde  und  schüttelnde  Bewegungen,  dasselbe  tritt  in  geringerem  Grade  am  linken 
Bein  hervor.  Die  grobe  motorische  Kraft  der  linksseitigen  Extremitäten  ist  gegen 
die  rechtsseitigen  erheblich  herabgesetzt.  Die  Himnerven  sind  frei,  ebenso  lassen 
sich  weder  Störungen  der  Sensibilität,  noch  der  Reflexe  irgendwie  nachweisen.  Der 
elektrische  Befund  ist  ebenfalls  normal. 

Falk  berichtet  über  einen  forensischen  Fall  von  Bailway-Spine.  Ein  Loeo- 
motivfQhrer  F.  war  am  18.  März  1885  bei  einem  Zug-Zusammenstoss  mit  der  rechten 
Hälfte  seines  Hinterkopfes  an  die  Bedachung  der  Locomotive  gefallen;  er  wurde 
dadurch  stark  erschreckt,  trug  aber  keine  äussere  Verletzung  davon,  verlor  auch 
nicht  vorübergehend  das  Bewusstsein.  Er  fühlte  sich  unpässlich  und  erschien  als- 
bald seiner  Umgebung  in  seinem  Wesen  verändert,  ängstlich,  zerstreut,  aufwallend. 
Aerztlicher  Bath  wurde  aber  nicht  nachgesucht.  Nachdem  aber  F.  durch  Nicht- 
beachten  eines  Bahnhof-Einfahrtsignals  beinahe  einen,  nur  durch  die  Aufmerksamkeit 
der  Bahnwärter  verhüteten  Zug-Zusammenstoss  am  4.  December  1885  verursacht 
hatte,  meldete  er  sich  8  Tage  danach  beim  Bahnarzt,  der  nun  die  Vermuthung  aus- 
sprach, dass  eine  organische  Gehimkrankheit  in  den  Entwickelungs-Stadien  vorläge. 
Im  Verlaufe  der  trotzdem  gegen  den  Locomotivführer  auf  Grund  des  §  316  des 
Strafgesetzbuches  eingeleiteten  strafgerichtlichen  Untersuchung  kam  zur  Sprache,  ob 
der  Beamte  nicht  schon  am  4.  December  1885  unter  dem  Einflüsse  eines  abnormen 
Geisteszustandes  gestanden  habe.  Die  gerichtsärztliche  Expertise  bejahte  dies  und 
leitete  den  Krankheitszustand  von  dem  Zug-Zusammenstoss  vom  18.  März  1885  ab. 
Der  Symptomencomplex  bestand  darin,  dass  in  psychischer  Beziehung  sich  vor  Allem 
Mattigkeit,  Kopfschmerz,  Schwindelneigung  subjectiv  bemerkbar  machten  bei  gleich- 
zeitiger massiger  Steigerung  der  Beflexerregbarkeit  und  sexueller  Impotenz.  Daneben 
bestanden  geistige  Arbeitsunfähigkeit,  Vergesslichkeit,  Gemüthsdepreesion,  leicht  mit 
Aufregung  abwechseld. 

Das  Strafverfahren  wurde  vorläufig  eingestellt. 


IV.  Personalien. 

Zum  Nachfolger  Kraepelin*s  an  dem  Stadtkrankenhause  in  Dresden  wurde 
Dr.  Ganser,  bisher  2.  Arzt  in  Sorau,  gewählt.  —  Gleichzeitig  ist  die  Erbauung 
einer  neuen  Beobachtungsstation  für  80 — 100  Geisteskranke  auf  dem  Areal  des 
Asyls  für  Sieche  in  Dresden  beschlossen  worden.  Die  von  Kräpelin  entworfenen 
Pläne  liegen  bereits  vor;  die  Kosten  sind  auf  ca.  200  000  Mark  veranschlagt,  und 
die  Eröffnung  in  etwa  1^/, — 2  Jahren  in  Aussicht  genommen. 

Dr.  Herrman  Nitsche,  bisher  2.  Arzt  und  stellvertretender  Director  auf  dem 
Sonnenstein,  tritt  zum  1.  August  als  2.  Arzt  in  die  Dr.  Pierson'sche  Anstalt  zu 
Pirna. 


Um  Einsendung  von  Separatabdrücken  an  den  Herausgeber  wird  gebeten« 

Einsendungen  für  die  Redaction  sind  zu  richten  an  Prof.  Dr.  E.Mendel, 

Berlin,  NW.  Kronprinzen-Ufer  7. 

Verlag  von  Vsit  &  Comp,  in  Leipzig.  —  Druck  von  Mbtzgsb  &  Wrine  in  Leiprig. 


NeurologischesCentralbutt. 

Uebersicht  der  Leistungen  auf  dem  Gebiete  der  Anatomie,  Physiologie,  Pathologie 
und  Therapie  des  Nervensystemes  einschliesslich  der  Geisteskrankheiten. 

Herausgegeben  von 

Professor  Dr.  E.  Mendel 
Fünfter  "  "«"^  Jahrgang. 

Monatlich  erscheinen  zwei  Nnmmem.   Preis  des  Jahrganges  16  Mark.   Zn  beziehen  durch 
alle  Buchhandlungen  des  In-  nnd  Auslandes,  die  Postanstalten  des  Deutschen  Reichs»  sowie 

direot  von  der  Verlagsbachhandlnng. 

1886.  15.  Angnst  M 16. 

Inhalt  I.  Origlnalinittheiluiigen.  1.  Die  elektrische  Erregbarkeit  der  Nerven  and 
Muskeln  Neugeborener,  von  Prol  0.  Wesiphal.  8.  üeber  den  Paramyoclonus  multiplex 
(Friedreich),  yon  Prof.  Schultzo. 

II.  Referate.  Anatomie.  1.  Ueber  einige  bemerkenswerthe  Elemente  des  Centnü- 
nervensystems  von  Sophius  piscatorius,  von  Fritsch.  2.  üeber  seouDdare  Degenerationen,  von 
V.  Monakow.  —  Experimentelle  Physiologie.  S.  üeber  die  Function  der  Sehhtigel  der 
Thiere  und  des  Menschen,  von  Bechterew.  4.  üeber  electrodiagnostuche  Grenz werthe,  von 
Stintzing.  —  Pathologie  des  Nervensystems.  5.  Ataxie  paraplegia,  by  Gowers.  6.  Para- 
mvoclonus  multiplex,  par  Marie.  7.  Hcmiatrofi  af  tungan  af  buloart  Ursprung,  Fall  medde- 
laat  af  Honschon.  8.  Fall  af  progressiv  bulbftrparalvs,  meddeladt  af  Petersson.  9.  Sur  deux 
cas  d'acrom^galie,  par  Marie.  10.  Des  n^vrites  peripn^riques  chez  les  tuberculeux,  par  Pitres 
et  Valllard.  11.  Üeber  diabetische  Neuralgien,  von  v.  H0sslln.  12.  Note  sur  cinq  cas  de 
n^vrite  multiple,  par  Maslus  et  Francotte.  —  Psychiatrie.  18.  Beobachtungen  über  die 
Trunksucht  und  ihre  Erblichkeit,  von  Thomsen.  14.  Del  esame  del  cranio  nei  pazzi,  pel 
Vorga.  15.  La  folie  a  deux,  par  Ball.  16.  Fall  af  morfinism,  af  Alm4n.  —  Therapie. 
17.  CUnical  observations  on  reflex  genital  neurosess  in  the  female,  by  Mundl. 

III.  Aus  den  Gosellscliaften. 

IV.  Bibliographie. 
V.  PorsonallOR. 


I.  Originalmittheilungen. 


1.    Die  elektrische  Erregbarkeit  der  Nerven  und  Muskeln 

Neugeborener. 

Von  Prof.  C.  Westphal. 

Za  Anfang  dieses  Sommersemesters  erhielt  ich  von  Herrn  Ck)llegen  Schröder 
die  Aufforderung  y  elektrische  Reizversuche  an  dem  Gehirne  eines  neugeborenen 
Kindes  anzustellen,  welches  mit  einem  Defecte  der  ganzen  Schädeldecke  geboren 
war,  und  bei  dem  der  grösste  Theil  der  beiden  Hemisphären  des  Qehims  frei 
lag,  nur  von  der  Pia  bekleidet    Die  Versuche  fielen  n^ativ  aus,  ich  fand  aber 


-^    362    — 

bei  dieser  Gelegenheit  eine  Thatsache  in  Betreff  der  Err^barkeit  der  periphe- 
rischen Nerven  und  Muskeln,  welche,  so  viel  mir  bekannt  ist  und  so  weit  ioh 
dureb  Erkandigung  bei  competenten  Forsehem  in  ErfUiruni^  bringen  konnte, 
bisher  bei  neugeborenen  Kindern  nicht  beobachtet  ist.  Es  zeigte  sieh  nämlich, 
dass  zur  Erregung  der  grösseren  peripherischen  Nervenstämme  sowohl,  als  auch 
zur  directen  Erregung  der  Muskeln  des  Kindes  viel  stärkere  tnductionsstrome 
erforderlich  waren,  als  beim  Erwachsenen.  Es  galt  dies  vom  Facialis  niid  den 
Qesichtsmuskeln  ebenso,  wie  von  den  spinalen  Nerven  resp.  Muskeln  der  Ex- 
tremitäten. Strome,  welche,  an  den  gleichen  Stellen  bei  Erwachsenen  applicirt, 
bereits  stärkere  Contractionen  erzeugten,  sohienen  bei  dem  Neugeborenen  ganz 
wirkungfilos,  und  erst  sehr  starke  Strome  führten  zu  relativ  schwaohen  Con- 
tractionen. Zwischen  Erregung  von  Nerven  und  Muskeln  schien  in  dieser  Be- 
ziehung kein  Untersdiied  zu  bestehen. 

Im  Anschlüsse  an  diese  Beobachtung  untersuchte  ich  später  einige  gesunde 
Neugeborene  der  geburtshülf liehen  Abtheilung  der  Charit^,  welche  mir  durch 
die  Freundlichkeit  des  Herrn  CoUegen  Gussebow  zur  Verfügung  gestellt  vraren. 
Die  Untersuchung,  welche  übrigens  wegen  der  lebhaften  Bewegung  der  Extre- 
mitäten der  Kinder  nicht  ohne  Schwierigkeit  ist  und  viel  Geduld  erfordert,  er- 
gab dieselbe  Thatsaohe,  die  sich  nunmehr  auoh  für  die  Erregung  mit  dem 
Constanten  Strom  bestätigte.  Dabei  war  es  deutlich,  dass  die  Contractionen, 
sowohl  bei  faradisoher,  als  galvanischer  Beizung  einen  von  dem  gewämlichen 
abweichenden  eigenthümlichen  Charakter  hatten  durch  die  grössere  Langsamkeit 
ihres  Entstehens  und  Yerschwindens;  sie  erschienen  auch  im  Ganzen  relativ 
schwach. 

Es  ist  mir,  wie  oben  erwähnt,  nichts  über  derartige  Beobaohtosgen  bei 
neugeborenen  Kindern  bekannt  gewesen,  und  ich  war  durch  die  Thatsache  in 
hohem  Grade  überrascht.  Weitere  Nachforschungen  ergaben  mir  alsdann,  dass 
eine  analoge  Thatsache  von  0.  Soltmakn^  bei  neugeborenen  und  jungen  Kanin- 
chen beobachtet  und  in  einer  vortrefflichen  experimentellen  Arbeit  in  ihren 
Einzelnheiten  näher  untersucht  ist  Soltmann  fand  die  Erregbarkeit  der  mo- 
torischen Nerven  der  neugeborenen  Kaninchen  für  den  elektrischen  Beiz  geringer 
als  bei  den  erwachsenen,  und  dass  sie  von  der  Geburt  an  bis  etwa  zur  6.  Lebens- 
woche steigt;  auch  war  die  Bewegungserscheinung  beim  Neugeborenen  „lang- 
samer^'  und  „träger'',  hatte  etwas  „Schleppendes''  und  „Kriechendes",  und  glich 
das  Myogramm  dem  der  ermüdeten  Thiere  (Muskeln).  Zugleich  ergaben  sich 
andere  Eigentbumlichkeiten  bei  gewissen  Arten  elektrischer  Beiaung,  die  ^n  Ort 
und  Stelle  nachgesehen  werden  mögen. 

Gewiss  sind  diese  Thatsachen,  wenn  man  sie  —  beim  Menschen  —  mit 
der  sehr  späten  und  bei  der  Geburt  noch  nicht  yollendeten  Entwickelung  der 
Pyramidenseitenstrangbahnen  zusammenhält,  sehr  interessant  und  fordern  vor 
Allem  zur  genaueren  Untersuchung  der  peripherischen  Nerven  (und  Muskeln) 
der  Neugeborenen  auf.  Von  Soltmann  ist  dies  in  Bezug  auf  die  peripherischen 


1  Jahrb.  d.  Kinderheilkmide.  187S.  Bd.  XII.  S.  1. 


—    363     — 

Nerven  bei  Thieien  geaohehen;  er  fand  beim  neugeborenen  Tbiere  die  Zahl  der 
markloeen  Fasern  zahlreicber  vertreten  als  beim  erwaohsenen  und  häufig  im 
Gedchtsfelde  Faeeni)  die  nur  streckenweise  markhaltig,  streckenweise  wieder 
markk»  waren;  wo  eine  Markscheide  vorhanden,  war  sie  zarter,  weniger  dick 
und  im  Niveau  des  Kerns  unterbrochen  (vgl.  Soltmank,  über  die  Erregbarkeit 
der  sensiblen  Nerven  des  Neugeborenen;  nach  einem  in  der  pädiatr.  SeoL  der 
52.  NatarfoFBoher-Versammlung  zu  Baden-Baden  1870  gehalteneu  Vortrage).  — 
Ich  habe  geglaubt,  meine  oben  mitgetheilten  Beobachtungen  am  ueuge* 
borenen  Menschen  veröffentlichen  zu  sollen,  um  Andere,  welche  mehr  Beruf  zur 
weiteren  Untersuchung  der  betreffenden  interessanten  Thatsachen  haben,  zu 

■ 

einer  solchen  aufzufordern  und  anznr^en. 
Berlin,  im  Juli  1886. 


2.   üeber  den  Paramyoclonus  multiplex  (Friedkeich). 

Von  Prof.  Sohultse  in  Heidelberg. 

Die  ganz  vor  Kurzem  erschienene  Mittheilung  von  Seeligmülleb  über  die 
in  der  XJeberschrift  genannte  Krankheit  (Deutsche  med.  Wocfaenschr.  1886* 
Nr.  24)  mahnt  mich  an  die  Verpflichtung,  über  den  weiteren  Verlauf  der  Er- 
krankung in  dem  FsiEDHEiCH'schcn  Falle  und  über  den  Sectionsbefund  zu  be- 
richten, welchen  ich,  soweit  er  das  Nervensystem  betrifft,  schon  vor  etwa  drei 
Jahren  zu  machen  Gelegenheit  hatte. 

Zunächst  möchte  ich  nachholen,  dass  bei  dem  betreffenden  Kranken  seinerzeit, 
im  April  1881,  von  mir  nicht  nur  eine  mehrmalige  Untersuchung  des  Zustandes 
der  elektrischen  Erregbarkeit  vorgenonunen  wurde,  wie  aus  der  von  FRiEDaEiCH 
g^benen  Epikrise  vielleicht  hervorgehen  könnte,  sondern  dass  ich  ausserdem 
eine  regelrechte  galvanische  Behandlung  einleitete,  welche  darin  bestand,  dass 
ich  sowohl  central  mit  kraftigen  Strömen  die  Med.  siHnalis  elektrisirte,  als  auch 
peripher  die  zackenden  Armmuskeln  mit  labilen  Strömen  bestrich.  Zu  meinem 
Brstannen  worden  sdion  während  der  ersten  drei  Atzungen  die  Zuckungen 
seltener;  und  bei  der  viertea  und  fünften  liess  sich  gemäss  meinen  darüber 
vorhandenen  Notizen  keine  Zuckung  in  den  betroffenen  Armmuskeln  während 
der  GalvanisatiDn  und  nach  derselben  mehr  wahrnehmen.  Eine  directe  Gal- 
vanisirung  der  Beinmuskeln  war  nicht  vorgenommen  worden.  Ob  sich  nodi 
weitere  Sitzungea  ansohloesen,  ist  leider  nicht  ausdrücklich  notirt  worden;  es 
können  aber,  wenn  überhaupt^  nur  noch  sehr  wenige  gewesen  sein. 

Diese  sdmelle  Besserung  der  Zuckungen  war  gegenüber  der  gewöhnlichen 
Resttltaüoeigkeit  der  Elektrotherapie  bei  der  Behandlung  von  Krämi^en  äus^rst 
auffiallendy  so  anfiiallendy  dass  ich  zunächst  daran  dachte,  der  Kranke  könnte 
die  Zacknngen  simulirt  haben.  Freilich  ergab  sich  bei  näherer  Untersuchung, 
daas  gesunde  Individuen  nur  ausnahmsweise  einzelne  Muskeln  in  der  Weise 
zacken  lassen  konnten»  wie  es  seitens  des  Patienten  geschah;  aber  es  war  doch 


—    864    — 

möglicL  Der  Zweck  der  Simulation  selbst  konnte  fix  den  gänzlich  mittellosen 
Mann  sehr  wohl  darin  bestehen ,  sich  auch  nach  Besserung  seines  BrosÜeidens 
im  Spitale  zu  halten ;  die  Galvanisimng,  welche  ihm  ziemlich  unangenehm  war, 
konnte  ihn  denn  veranlassen,  seine  Muskeln  wieder  in  Buhe  zu  stellen.  In- 
dessen liess  sich  schwer  begreifen,  wie  der  Kranke  auf  eine  derartige  eigen- 
thümliche  Simulationsform  hatte  gerathen  sollen,  von  welcher  er  gewiss  nicht 
wissen  konnte,  dass  sie  irgend  welches  Interesse  für  die  behandelnden  Aerzte 
bot,  zumal  ihm  die  einfache  Uebertreibung  der  Folgen  seines  vorhandenen 
Lungenleidens  viel  näher  lag.  Ausserdem  widersprach  der  weitere  Verlauf  der 
Zuckungen  der  Annahme  einer  Simulation  durchaus,  sodass  die  anfällige  Besse- 
rung des  Ziistandes  nach  der  Galvanisimng  in  anderer  Weise  erklärt  werden  muss. 

Der  Kranke  wurde  wegen  der  Exacerbation  seines  Lungenleidens  —  (Schrum- 
pfung des  rechten  Oberlappens;  Bronchitis  und  Emphysem)  —  am  Ende  des 
Jahres  1881  bis  Anfang  1882,  fast  3  Monate  lang,  von  Neuem  im  Kranken- 
hause  verpflegt,  während  welcher  Zeit  die  Zuckungen  wieder  in  derselben 
Weise  bestanden,  wie  während  des  ersten  Aufenthaltes.  Zeitweise  waren  auch 
schmerzhafte  Gontractionen  der  Ob^rschenkelmusculatur  vorhanden.  Bei  einem 
erneuten  Aufenthalt  in  der  medic.  Klinik  im  Jahre  1888  trat  Fieber  ein;  die 
Lungenaflection  wurde  ausgebreiteter,  Nachtschweisse  und  Dyspnoe  stellten  sich 
ein;  ausserdem  wurde  eine  acute  parenchymatöse  Nephritis  bemerkbar,  deren 
Folgen  der  Kranke  am  15.  März  1883  erlag. 

Wenige  Tage  vor  dem  Tode  hatten  die  Zuckungen  aufgehört,  nach- 
dem sie  bis  dahin  in  der  alten  Weise  bestanden  hatten.  Nur  kurz  vor  dem 
Exitus  letalis  waren  die  Zuckungen  wieder  wahrnehmbar. 

Die  Sectio n  ergab  eine  schiefrige  Indication  beider  Lungenspitzen,  beson- 
ders der  rechten,  Gaveme  im  rechten  oberen  Lungenlappen,  Bronchitis;  Yer- 
käsung  und  Verkalkung  des  Inhaltes  einzelner  Bronchen;  acute  parenchymatöse 
Nephritis  und  Hypertrophie  und  Dilatation  des  Herzens;  Diphtherie  der  Schleim- 
haut des  Ileum. 

Die  genauere  Untersuchung  des  MuscuL  biceps  und  der  Med.  spin., 
welche  von  mir  vorgenommen  wurde,  ergab  auch  bei  der  mikroskopischen 
Untersuchung  der  in  gewohnter  Weise  gehärteten  Präparate  keinerlei  wahr- 
nehmbare Abnormität  Es  war  also  der  gewöhnliche  Befund  vorhanden, 
wie  wir  ihn  bei  Krampf  krankheiten  immer  daim  constatiren,  wenn  die  Function 
der  betroffenen  Nervenabschnitte  keine  Einbusse  erlitten  hat;  es  feilten  gröbere 
Veränderungen.  — 

Was  nun  die  nosologische  Stellung  der  von  Frtwdrkich  so  klar  geschil- 
derten Affection  des  Kranken  betrifit,  so  hatte  ich  selbst  die  Erkrankung  in 
meinem  Journal  als  einen  ausgebreiteten  Tic  convulsif  bezeidmet,  welcher 
niemals  einen  hohen  Grad  von  Intensität  erreichte.  So  gut  es  bä  dem  Tic 
convulsif  par  excellence,  demjenigen  im  Fadalic^ebiet,  nach  der  Schilderung 
von  EsB  Fälle  giebt,  „in  welchen  fast  beständig  hie  und  da  aufblitzende 
Zuckungen  bemerkt  werden,  die  nur  in  ihrer  Intensität  und  räumlichen  Ver- 
breitung gewissen  Schwankungen  unterli^en^^,  so  gut  also  hier  gdegentUch  die 


—    365    — 

starken  Zackungen,  welche  zam  wilden  Grimassiren  führen,  ausbleiben  können, 
so  gut  können  aach  in  andern  Muskeln,  als  im  Facialis,  und  auch  einmal 
doppelseitig  die  gleichen  Erscheinungen  sich  einstellen,  ohne  dass  üothwendiger 
Weise  der  Charakter  der  Krankheitssymptome  ein  ganz  verschiedener  zu  sein 
braucht  Die  Bemissionsßhigkeit  der  Zuckungen,  dass  Aufhören  derselben  im 
Schlafe ,  die  Intactheit  der  motorischen  Kraft  und  die  Abwesenheit  jeglicher 
sonstiger  nervöser  Symptome  ist  hier  wie  dort  vorhanden.  So  wie  beim  Tic  im 
Gebiete  des  Facialis  die  Mundwinkel  rasch  verzogen  werden,  so  wurden  bei  den 
Zuckungen  des  Biceps  femoris  im  FniBDBEiGH'schen  Falle  die  Kniescheiben 
rasch  und  kurz  emporgezerrt.  Gerade  so  wie  gelegentlich  beim  Facialiszucken 
oft  „einzelne  tonische,  länger  anhaltende  Gontractionen  bestimmter  Muskeln'^ 
(Ebb)  erscheinen,  so  gingen  in  dem  FniEDBEiOH'schen  Falle  manchmal  die 
Zuckungen  in  einen  „kurzen,  1 — 2  Secunden  andauernden  Tetanus"  über,  der 
geradezu  schmerzen  konnte. 

Ein  Unterschied  besteht,  abgesehen  von  der  Doppelseitigkeit  der  Erkran- 
kung, g^nüber  den  gewöhnlichen  Formen  des  Tic  hauptsachlich  darin,  dass 
bei  diesen  in  der  Ruhe  das  Muskelzucken  gewöhnlich  sich  vermindert,  während 
en  bei  dem  FniEDBEiCH'schen  Kranken  gerade  in  der  Ruhe  am  stärksten  auf- 
trat Dieser  Unterschied  genügt  aber  schwerlich,  um  zwei  verschiedene  Krank- 
heitsformen  aus  ihm  herzuleiten,  da  auch  beim  Tic  im  Facialis  die  Anfalle  in 
der  Ruhe  kommen  können,  ja  sogar  manchmal  nicht  einmal  im  Schlafe  völlig 
verschwinden. 

Von  den  in  der  Literatur  bisher  mitgetheilten  Fällen  ist  derjenige  von 
LöwENFELD  (Bayr.  Intelligenzbl.  1883.  Nr.  15)  mit  dem  FniEDEEiCH'schen  von 
nahezu  gleicher  Beschaffenheit;  ein  von  Remak  bei  einem  diphtherischen  Kinde 
beobachteter,  im  Arch.  f.  Psychiatrie,  Bd.  15,  S.  853  ff.,  genauer  geschilderter 
Fall  gehört  ebenfalls  hierher,  während  der  SEBUGMüLLEE'sche  Fall  eine  viel 
grössere  Heftigkeit  der  Zuckungen  darbot  als  der  FsiEDBEiCH'sche.  In  dem 
SEELiGMüLLEB'schen  Falle  war  ausserdem,  wie  der  Autor  selbst  hervorhebt,  der 
Facialis  mitbetheiligt  und  ferner  waren  zugleich  Krämpfe  der  Respirationsmuskeln 
vorhanden. 

Ausserdem  ist  bekanntlich  die  „Chorea  electrica^'  Henogh's  und  Hennio's, 
welche  wieder  von  der  nicht  hierher  gehörigen  Chorea  electrica  Dubini's  zu 
unterscheiden  ist,  von  Rbmak  in  der  Art  in  die  nächste  Beziehung  zu  dem 
FniEDBEiOH'schen  Päramyoclonus  gebracht  worden,  dass  er  die  Frage  zur  Dis- 
cussion  stellt,  ob  nicht  die  HENOCH'sche  Chorea  electrica  in  einzelnen  Fällen 
mit  demselben  identisch  wäre.  Ich  selbst  habe  niemals  die  von  Henogh  ge- 
schilderte Krankheitsform  gesehen;  sie  muss  sich  aber  nach  der  Schilderung 
Henogh's  rein  äusserlich  betrachtet  von  dem  FniEBBEiGH'schen  Falle  als  sehr 
verschieden  repräsentiren,  da  die  Zuckungen  bei  ihr  viel  stärker  sind  und  mit 
raschen  Lageveränderungen  der  Glieder  einhergehen.  Dieses  Gliederzucken  fehlte 
aber  bei  dem  FniEDBEiCH'schen  Falle  nahezu  völlig;  durch  die  Kleider  hindurch 
war  die  Krankheit  deswegen  nicht  zu  diagnosticiren.  Aber  abgesehen  von  dieser 
Verschiedenheit  in  der  Intensität  und  Ausbreitung  der  Zuckungen  ist  die  Ueber- 


—    366    — 

einstimmimg  der  bdden  Erankheitsformen  nicht  zn  verkennen;  and  auch  die 
ätiologischen  Momente  —  Entstehung  durch  Schreck  — ,  der  Yerlaof,  der  günstige 
Einflnss  des  Galvanismns  stimmen  für  manche  Fälle  überein,  so  dass  aach 
meiner  Meinung  nach  die  HsKOOH'sche  Cholera  electrica  wohl  nur  als  ein  höherer 
Grad  des  FBiEDSEicH'schen  Paramyoclonus  multiplex  anzusehen  ist,  der  ge- 
legentlich auch  sowohl  die  Facialis*  als  die  Respirationsmuskeln  mit  ergreifen 
kann.  — 

Eigenthümlicher  Weise  haben  sowohl  Lö'wenfbld  und  SsELiGMüLiiBB  wie 
Remak  in  ihren  diesbezüglichen  Fällen  eine  entschiedene  Besserung  resp.  Hei- 
lung nach  der  Einwirkung  galvanischer  Ströme  gesehen,  während  bei  dem  ge- 
wöhnlichen Tic  convulsif  im  Fadahsgebiet  meistens  eine  derartige  bessernde 
Einwirkung  des  elektrischen  Stromes  fehlt  Auch  m  dem  FsiEBBEOLCH^schea 
Falle  hatte  der  GkQvanismus  eine  so  aufiallige  Einwirkung,  dass  ich  nicht  an 
ein  rein  zufälliges  Zusammentreffen  zu  glauben  vermag.  Ob  aber  der  Strom 
etwa  dadurch  wirkte,  dass  er  den  Patienten  zur  willkürUchen  Unterdrückung 
der  Zuckungen  veranlasste,  oder  ob  der  gesetzte  Hautreiz  reflexhemmend  ein- 
wirkte, oder  ob  irgend  ein  anderer  Modus  der  günstigen  Beeinflussung  des 
Leidens  vorlag,  das  ist  nicht  auszumachen;  und  ich  bedaure  lebhaft^  dass  nicht 
später  weitere  therapeutische  Versuche  nach  dieser  Richtung  an  dem  Kranken 
angestellt  wurden.  Jedenfalls  lässt  sich  aber  auch  auf  Grund  dieser  grösseren 
Beeinflussbarkeit  durch  den  elektrischen  Strom  keineswegs  eine  grundsatzliche 
Verschiedenheit  des  fBiEDBEicH'schen  Paramyoclonus  oder  der  HENOOH'schen 
Chorea  electrica  gegenüber  dem  gewöhnlichen  Tic  convulsif  ableiten.  Denn 
auch  bei  dem  letzteren  lässt  sich  eine  lindernde  resp.  heilende  Einwirkung  des 
elektrischen  Stromes  in  manchen  Fällen  nicht  bestreiten.  In  dem  Handbuche 
der  Elektrotherapie  von  Ebb  findet  sich  eine  AuMhlung  einiger  derartiger 
Fälle;  besonders  eclatant  ist  auch  die  von  Bebgeb  vor  Kurzem  in  diesem  Blatte 
veröffentlichte  Beobachtung.  Ich  selbst  konnte  beobachten,  dass  bei  der  An- 
wendung der  von  diesem  Autor  angegebenen  Methode  in  einem  Falle  von  Jahre 
lang  dauerndem  Tic  convulsif  der  rechten  Seite  die  Affecüon  nahezu  verschwand. 

Der  betreffende  Kranke  hatte  den  Tic  bereits  5  Jahre  lang  ohne  nach- 
weisbare Ursache;  während  einer  früheren  elektrischen  Behandlung  hatte  bereits 
eine  Remission  der  Krämpfe  stattgefunden.  Im  November  1883  begann  ich  die 
galvanische  Behandlung  nach  Bebgeb:  Anode  im  Occiput,  Kathode  auf  die 
Dorsalfläche  der  rechten  Hand;  kräftige  Ströme,  so  stark  sie  ertragen  wurden; 
Dauer  der  Behandlung  zuerst  20,  später,  als  schon  starke  Renaission  der  Krämpfe 
eingetreten  war,  10  Minuten  lang.  Zuerst  dreimal  wöchentlich  eine  Sitzung; 
nach  mehreren  Wochen  nur  zweimal.  Seit  Anfang  Januar  1884  der  Tic  fast 
ganz  geschwunden;  auch  bei  längerem  Sprechen,  Lachen  u.  s.  w.  des  Kranken 
fast  keine  Zuckungen  mehr  wahrnehmbar;  nur  im  Attrahens  auric.  und  im 
Triangularis  noch  zeitweise  einzelne  Blitzer  sichtbar.  Auch  im  letztgenannten 
Muskel  schwanden  die  Zuckungen  später;  der  Kranke  entzog  sich  dann  der 
Behandlung  und  ward  nicht  mehr  gesehen. 

Auch  in  Bezug  auf  die  Dauer  der  Erkrankung  ist  ein  wesenüioher 


—    367    — 

TJnterscbied  zwisohes  dem  Tic  oonvulsif  und  dem  Faramyoolonus  resp.  der  Chorea 
electrica  nicbt  m  finden;  in  dran  EaiEDKBiOH'sohen  Fa^e  selbst  blieb  die  Afiec- 
tion,  allerdings  nnter  Remissionen»  Jalue  lang  bestehen;  ob  in  dem  Löwbnfeld'- 
schen  ein  Becidiv  sich  eingestellt  hat^  ist  unbekannt  Bei  dem  Sebuomülleb'- 
sehen  Falle  handelt  es  sich  ebenfalls  um  ein  chromschesy  wenn  auch  durch  freie 
Intervalle  unterbrochenes  Leiden. 

Ob  die  Erhöhung  der  Beflexerregbarkeit  von  den  Sehnen  aus  ein  mehr 
wie  begleitendes  Element  des  FmKDRETCH^schen  Clonus  darstellt,  ist  noch  nicht 
auszumachen;  in  dem  FBiEDBEiCH'schen  Falle  schwand  die  Steigerung  der 
Patellarreflexe  mit  der  allgemeinen  Eräftigong  des  Kranken;  bei  dem  gewöhn- 
lichen Tic  convulsif  ist  auf  die  Beschaffenheit  dieser  Beflexe  bisher  noch  nicht 
geachtet  worden.  — 

lieber  den  Sitz  der  Erkrankung  wage  ich  keine  Yermuthungen  aufzu- 
stellen, da  nach  meiner  Auffassung  sichere  Anhaltspunkte  zur  Zeit  darüber  fehlen,, 
ob  in  den  Muskeln  oder  peripherischen  Nerven,  ob  im  Bückenmarke  oder  gar 
in  den  oberhalb  der  spinalen  (Ganglienzellen  gelegenen  Bahnen  und  Gentral- 
apparaten  oder  ob  in  manchen  dieser  Bahnen  resp.  Stationen  zugleich  die  er- 
höhte Beizbarkeit  steckt  Ebenso  ist  es  unbekannt,  von  wo  aus,  falls  es  sich 
um  abnorme  reflectorische  Erregung  an  sich  normal  erregbarer  Apparate  handelt, 
diese  Erregung  bei  dem  Paramyoclonus  ausgeht  Ich  möchte  es  deswegen  auch 
nicht  fiir  richtig  halten,  den  der  Krankheit  von  Fbiebreich  gegebenen  Namen 
in  einen  „Myoclonus  spinalis  multiplex'^  umzuwandeln,  wie  das  Löwenfeld 
gethan  hat  Auch  der  Zusatz  des  Wortes  „congenita'^  zur  „Mjoclonia^',  in 
welche  Seeliqmülleb  den  Paramyoclonus  umwandelt,  ist  deswegen  selbst  für 
den  SEEUGHüiiLEB'schen  Fall  nicht  gut  anwendbar,  da  doch  bei  seinem  Kranken 
immerhin  erst  im  fünften  Lebensjahre  die  Muskelzuckungen  zuerst  sich  einstellten, 
derselbe  also  nicht  gleich  zuckend  zur  Welt  kam. 

Das  Wort  „Myoclonia"  anstatt  Myoclonus  verleiht  ausserdem  den  Krämpfen 
gewissermaassen  einen  mehr  tonischen,  gezogenen  Charakter,  analog  der  Myotonia, 
so  daj9S  auch  selbst  in  dieser  Bichtung  die  FiOEDBEiCH^sche  Bezeichnung  den 
Vorzug  verdient  Es  ist  daher  wohl  am  besten,  den  FBiEDßEiCH'schen  Aus- 
druck vielleicht  mit  Streichung  des  „Para"  beizubehalten,  da  auch  die  Uebertragung 
des  französischen  „Tic  convulsiP'  auf  die  meiner  Meinung  nach  analogen  Zuckungen 
verschiedener  Bumpf-  und  Extremitatenmuskeln  eine  zu  weitläufige  Bezeichnung 
ergeben  würde. 

Nachträglicher  Zusatz. 

Nach  Absendung  des  Manuscriptes  der  vorstehenden  Arbeit  kam  mir  der 
jüngst  erschienene  Aufsatz  von  P.  Mabib  über  „Paramyoclonus  multiplex^' 
im  Pr(^r^  m^dical  (Nr.  8  u.  12)  in  die  Hände.  In  diesem  Au£satze  wird  über 
einen  neuen  Fall  dieser  Krankheit  berichtet,  weldie  bei  einem  52jährigen  Blei- 
arbeiter sich  eingestellt  hatte.  Es  handelte  sich  hauptsächlich  um  stossartige 
Zuckungen  („seoousses'O  in  den  Muskeln  beider  Unterextremitaten,  die  in 
wechselnder  Intensität  und  Häufigkeit  auftraten,  bei  der  Buhelage  der  Glieder 


** 


—    368    — 

ebenso  wie  bei  psychischen  Erregungen  oder  bei  Kitzeln  der  Fassauhle  and 
Percussion  der  Patellarsehnen  sich  stägerten.  GtelegenUioh  gesellten  sich  auch 
Zuckungen  gewisser  Oberextremitatenmuskelny  und  zwar  besonders  des  Pectoralis, 
des  Deltoides  und  des  Triceps  hinzu.  Druck  auf  die  Musculatar  steigerte  die 
Erregbarkeit;  auch  die  verschiedenartige  Stellung  der  Qliedmaassen  hatte  Ein- 
fluss.  Anderweitige  Störungen  der  Motilität ,  der  elektrtsdien  Err^barkeit  und 
der  Sensibilität  fehlten  vollständig. 

Ausserdem  erwähnt  Mabie  in  einer  Anmerkung  einen  weiteren  Fall,  welchen 
ich  im  CANBTATT'schen  Jahresberichte  ebensowenig  wie  in  diesem  Centralblatte 
referirt  finde,  und  der  mir  auch  im  Originale  nicht  zugänglich  ist  Derselbe  ist 
von  O.  SiLVASTBiNi  in  der  ,,Medicina  contemporanea^'  Februar  1884  mitgetheilt 
und  betraf  eine  45jährige  Frau,  bei  welcher  sich  auch  die  Facialismusculatar 
an  den  Gontractionen  mitbetheiligte.  Gewisse  Einzelheiten  fehlen  nach  Mabie 
in  der  Schilderung  dieses  Falles;  bemerkenswerth  ist,  dass  der  Patellarreflex 
fehlte  und  die  Heilung  der  Affection  nach  der  Anwendung  von  Nickel  eintrat 

Mabie  geht  in  der  Besprechung  seines  Falles  ebenso  wie  ich  selbst  auf 
die  näheren  Beziehungen  des  FBiEDBEiCH'schen  Paramyoclonus  zu  dem  Tic  ein. 
Nur  glaubt  er  im  Gegensatze  zu  meinen  obigen  Ausführungen  beide  Affectiünen 
von  einander  trennen  zu  müssen,  wobei  er  freilich  die  neuerdings  von  Chabgot 
sogenannte  „Maladie  des  tics  convulsifs''  im  Auge  hat,  über  welche  Guinok 
in  der  Bevne  de  M6decine  Januar  1886  berichtet.  Diese  Affection  combinirt 
sich  häufig  mit  „Echolalie^'  und  „Koprolalie''  und  stellt  jedenfalls  etwas  com- 
plicirteres  dar,  als  der  gewöhnliche  Tic  convulsif  des  Gesichtes,  von  welchem  ich 
selbst  ausging. 

Während  ich  mit  Bezugnahme  auf  den  gewohnlichen  Tic  den  FBiEDBEiCH'- 
schen Fall  geradezu  als  Tic  convulsif  der  Extremitäten  bezeichnete,'  glaubt  Mabie 
eine  Reihe  von  Unterschieden  hervorheben  zu  müssen,  auf  die  ich  hier  noch  in 
Kürze  eingehen  muss.  In  erster  Linie  ist  die  Localisation  nach  Mabie  eine 
verschiedene;  beim  Myocionus  Fbiedbeich's  ist  die  Gesichtsmusculatur  nicht 
mit  ergriffen,  während  das  beim  Tic  convulsif  in  der  Regel  der  Fall  sei.  Das 
ist  gewiss  zuzugeben,  soweit  die  geringfügige  Anzahl  der  bisherigen  Beobach- 
tungen überhaupt  Schlüsse  zulässt;  indessen  sind  doch  sowohl  in  einigen  Fällen 
der  so  nahe  verwandten  Chorea  electrica  Henoch's,  ebenso  wie  in  den  Be- 
obachtungen von  Seeugmülleb  und  Silvastbeni  Zuckungen  der  Gesichts- 
muskeln constatirt  worden;  und  vor  Allem  würde  die  Verschiedenheit  der 
Localisation  an  sich  noch  keine  prindpielle  Trennung  beider  Krankheitsformen 
begründen.  Zweitens  schwinden  nach  Mabeb  die  Zuckungen  beim  Myocionus 
Fbiedbeioh's  hei  den  willkürlichen  Bewegungen  und  stören  diesriben  nicht,  wäh- 
rend das  beim  Tic  nicht  der  Fall  ist.  Indessen  sagt  Mabib  von  seinem  Kranken 
selbst,  dass  das  Verschwinden  der  Zuckungen  bei  willkürlichen  Bew^fungeu 
kein  absolutes  war;  und  bei  dem  SEELioMüLi«EB'schen  Krauken,  welcher  freiUcli 
einen  erheblich  höheren  Grad  der  Affection  darbot,  als  der  FBiEnoBEiCH'schC; 
war  das  Gehen  sogar  so  gestört,  dass  der  Patient  gelegentlich  einen  AVechse]- 
tritt  machte.    Wenn  man  nun  bedenkt,  dass  bei  dem  SBELiaMüiiiJSB'scheo 


—    369    — 

Kranken  gerade  während  des  Gehens  besonders  häufige  und  starke  Rucke  er- 
folgten,  und  umgekehrt  bei  dem  Tic  des  Facialis  das  Sprechen  gewöhnlich  nicht 
gestört  wirdy  und  wenn  man  femer  erwägt ,  dass,  wie  schon  oben  erwähnt,  die 
Faroxjsmen  des  Facialiefllc  auch  in  der  Ruhe,  unabhängig  von  intendirten  Be- 
wegungen, auftreten  können  und  sehr  häufig  auftreten,  so  wird  auch  dieser 
unterschied  in  seiner  Schärfe  sehr  beeintraohtigt  Freilich  kann  man  sagen, 
dass  der  SEEUGMüLLER'sche  Fall  wegen  dieses  seines  abweichenden  Verhaltens 
nicht  zu  dem  Clonus  Fbiedaeigh's,  sondern  zu  den  Ticformen  im  MAiUE'schen 
Sinne  zu  zählen  sei  und  er  deshalb  nicht  zur  Feststellung  der  differentiell  diag- 
nostischen Momente  herbeigezogen  werden  könne.  Es  bliebe  demgemäss  eine 
gewisse  Verschiedenheit  der  ausgeprägten  Fälle  der  einen  und  der  anderen 
Grattung  nach  dieser  Richtung  hin  bestehen;  ob  dieselbe  aber  gross  genug  ist, 
um  gegenüber  der  sonstigen  Uebereinstimmung  zwei  diflferente  Erankheitsformen 
anzunehmen,  das  bleibt  jedenfalls  noch  fri^lich. 

Weiterhin  verhalten  sich  nach  Mame  die  Zuckungen  beim  Paramyoclonus 
analog  denjenigen  bei  elektrischer  Reizung;  die  entstehende  Bewegung  ist  absolut 
„banal'',  während  beim  Tic  stets  eine  mehr  oder  weniger  coordinirte  Bewegung 
resultire,  die  ein  bestimmtes  Ziel  habe.  Diese  Bemerkung  bezieht  sich  wesentlich 
auf  das  Verhalten  der  Zuckungen  bei  der  Maladie  des  tics  von  Chaboot-Guinon, 
während  beim  gewöhnlichen  Tic  des  Facialis  von  eigentlichen  coordinirten  Be- 
wegungen schwerlich  die  Rede  sein  kann  und  jedenfalls  nicht  bei  denjenigen 
Fällen,  welche  schon  oben  mit  wörtlicher  Anführung  der  betreffenden  Schilderung 
von  Ebb  scizzirt  wurden.  Schliesslich  fuhrt  Mabie  noch  an,  dass  die  Zuckungen 
des  Tic  nicht  durch  die  Einwirkung  kalter  Luft  auf  die  Haut,  femer  nicht  durch 
Kitzeln,  Stechen  oder  durch  die  Percussion  der  Patellarsehnen  hervorgerufen 
werden  können.  Auch  das  bezieht  sich  mehr  auf  die  bis  jetzt  bekannten  Fälle 
von  Chabcot-Guinoh,  während  beim  gewöhnlichen  Tic  des  Facialis  „sensible 
Reizungen  des  Gesichts^'  (Ebb  1.  cit)  entschieden  Anfalle  auslösen  können. 

Der  Einfluss  von  Eältereizen  auf  die  Gesichtshaut  wird  natürlich  ein  viel 
geringerer  sein  müssen,  als  wenn  gewöhnlich  bedeckt  gehaltene  Hautpartien  der 
Kältewirkung  ausgesetzt  werden;  und  der  Einfiuss  der  Percussion  der  Patellar- 
sehnen oder  des  Kitzeins  der  Fusssohle  auf  den  gewöhnlichen  Tic  ist  wohl 
schwerlich  bisher  untersucht  worden. 

Wenn  ich  also  auch  mit  Mabie  der  Meinung  bin,  dass  besonders  in  dem 
Verhalten  der  Zuckungen  g^enüber  der  Bewegung  und  der  Ruhe  eine  gewisse 
Verschiedenheit  des  Qonus  Fbiedbeioh's  und  des  gewöhnlichen  Tic  oonvulsif 
im  Facialis  sich  kundgiebt,  so  möchte  ich  doch  gegenüber  den  sonstigen  vor- 
handenen Analogien  beide  Krampfformen  als  eng  zusammengehörig  betrachten, 
falls  nicht  weitere  Beobachtungen,  welche  neue  Resultate  bringen,  die  Noth- 
wendigkeit  einer  vollständigen  Trennung  ergeben. 

In  Bezug  auf  die  Nomenolatur  befinde  ich  mich  mit  Mabeb  in  vollkommener 
üeberejnstimmung. 


—    370    — 

IL   Referate. 


Anatomie. 

1)  Ueber  einige  bemerkenswerthe  Elemente  des  Oentralnervenflystems  Tcm 
Sophius  piscatoriusy  von  G.  Fritscb.  (Arch.  f.  mikrosk.  Anatomie.  Bd.  27. 
S.  13.) 
Bei  Sophius  piscatoriiis  liegen  dorsal  auf  der  Oblongata  ungeheure  Zellen  von 
0,13 — 0,257  mm  Grösse  in  einem  dünnen  Geflecht  zarter  GefSlsse  sospendirt  Diese 
Ganglienzeilen  sind  nicht  nur  von  Gefassen  umgeben,  sondern  es  drängen  sich 
Gefässe  in  ihr  Protoplasma  selbst  hinein,  durchbohren  dasselbe  sogar  hie 
und  da.  Zahlreiche  feine  Fortsatze  gehen  von  der  ZeUperipherie  ab  in  die  Binde- 
gewebsscheide  hinein;  ein  einziger  grösserer  Fortsatz,  der  Axencylinderfortsatz,  ent- 
springt von  einer  Art  Platte  an  der  Zelle  und  zieht  mit  denen  der  anderen  ana- 
logen Zellen  nach  vom,  wo  sie  sich  direct  zu  den  sensitiven  Wurzeln  des  Yagas 
und  Trigeminus  begeben.  Diese  enorm  dicken  Axencylinder  fallen  im  Kervenquer- 
schnitt  sofort  auf.  Auf  diesem  Wege  verschmelzen  einzelne  Fibrillen  von 
verschiedenen  Axencylindern,  sie  lagern  sich  um  und  schliesslich  ist  die  Zahl 
der  Axencylinder  kleiner,  ihr  Volum  aber  noch  mehr  gewachsen.  Da  der  Ursprung 
der  „Kolossalfasem"  so  leicht  zu  verfolgen  ist,  so  gelang  es  auch  nachzuweisen, 
dass  sie  nicht  nur  ihre  Fasern  tauschen,  sondern  dass  sich  diese  Fasern  ans  einem 
ürsprungscentmm  ganz  verschiedenen  Kerven'  beimengen.  Alle  diese  Fasern  lassen 
sich  durch  die  Ganglien  des  Yagus  und  Trigeminus  hindurch  mit  einiger  Sicherheit 
in  die  massigen  Hautaste  jenes  Nerven  verfolgen.  Die  Arbeit  Fritschs  enthält 
noch  eine  Anzahl  Bemerkungen  über  die  Zellen  der  Spinalganglien  und  präcisirt 
Verf.  seine  Stellung  dahin,  dass  es  eigentlich  unipolare  Ganglienzellen  gar  nicht 
giebt,  dass  aber  die  anderen  Fortsätze  theils  sehr  fein  sind,  theils  als  Spiralfaser, 
vielleicht  auch  als  Fibrillen  des  Axencylinders  selbst,  verlaufen.         Edinger. 


2)  Ueber  eeoundäre  Degenerationen,  von  v.  Monakow.    Sitzung  der  Ges.  der 
Aerzte  zu  Zürich,  am  6.  Februar  1886  (Schw.  Corresp.  1886.  Juli). 

Ausser  dem  bereits  im  Arch.  f.  Psych.  XVI.  1.  beschriebenen  Falle  von  secun- 
därer  Degeneration  der  Fornixsäule  und  einem  zweiten,  in  dem  durch  Druck  eines 
Sarcoms  der  Dura  mater  in  der  linken  Schläfengmbe  Atropliie  des  Gyr.  uncinatus  und 
Ammonshoms  mit  consecutiver  Degeneration  im  Fomix  entstanden,  hat  v.  M.  jetzt  einen 
dritten  Fall  dieser  Art  beobachtet,  der  zwar  noch  nicht  genauer  untersucht,  aber 
schon  bei  macroscopischer  Betrachtung  mit  einer  erheblichen  Atrophie  des  linken 
Temporallappens  (derselbe  ist  in  Folge  von  Hydrocephalus  internus  in  einen  dünn- 
wandigen, fluctuirenden  Sack  verwandelt),  hochgradige  Atrophie  der  linken 
Fornixsäule  und  des  linken  Corpus  mamillare  zeigt.  Aus  diesen  Fällen 
geht  in  Bezag  auf  die  Anatomie  des  Fomix  hervor: 

1.  Die  von  Meynert  angenommene  Schleife  im  Corp.  mamillar.  besteht  nicht, 
auch  kein  Uebergang  von  Fasern  in  das  Vicy  d'Azyr'sche  Bündel,  wie  schon  Gudden 
nachgewiesen. 

2.  Ein  nicht  geringer  Theil  der  Fomixfasem  steht  dagegen  mit  den  Kernen  des 
Corp.  mamillar.  in  dirccter  Verbindung,  und  zwar  vor  Allem  mit  der  lateralen  Ab- 
theilung des  lateralen  Kerns,  aber  auch  mit  dem  medialen  Ganglion  (gegen  v.  Gudden, 
der  eine  solche  Verbindung  bestritt).  Möglicher  Weise  vermittelt  das  Grau  des 
Corp.  mamillar.  die  Beziehung  zwischen  aufsteigender  Fomixsäule  und  Vicq  d*Azyr- 
schem  Bündel,  d.  h.  es  bUdet  dasselbe  ein  Intemodium  zwischen  beiden. 

Die  in  das  Corp.  mamillar.  ziehenden  Fomixfasem  entstammen  dem  Temporal- 
lappen und  zwar  höchst  wahrscheinlich  dem  Ammonshom  und  Gyr.  HippocampL 

M. 


-     371     - 

Experimentelle  Physiologie. 

d)  Ueber  die  Function  der  Sehhügel  der  Thiere  und  des  Menschen,  von 
Professor  W.  Bechterew.  (Wjestnik  psychiatrii  i  nevropatologii.  1885.  IL 
Bassisch.) 

Diese  ftber  fOnf  Druckbogen  starke  Abhandlung  enthält  die  ausführliche  Schilde- 
ning  der  von  B.  bereits  vor  einigen  Jahren  begonnenen  Untersuchungen  über  die 
y Errichtung  der  thalami  optici.^    Sie  zerfallt  in  mehrere  Abschnitte. 

Im  erstem  bespricht  Verf.  die  Frage  über  Ausdrucksbewegungen  im  Allgemeinen 
und  begründet  die  Ausscheidung  emer  besonderen  Gruppe  derselben,  nämlich  solcher, 
die  ausschliesslich  zum  Ausdruck  von  Gemüthsbewegungen  dienen  und  vollständig 
unabhüDgig  ?om  Willen  sind;  indem  er  den  yon  manchen  Autoren  für  letztere  ge- 
br&acblichen  Namen  „Psychoreflexe"  ungeeignet  findet,  bezeichnet  er  sie  als  „ange- 
borene Ausdrucksbewegungen'^  Zugleich  schildert  er  die  Art  und  Weise,  wie  sich 
Yerschiedene  Gemüthszustände  an  den  Thieren  äussern,  an  welchen  seine  Experimente 
angestellt  wurden  (Frösche,  Tauben,  Hühner,  Batten,  Meerschweinchen,  Kaninchen 
und  Hunde). 

Der  folgende  Hauptabschnitt  behandelt  das  reflectorische  Auftreten  von  Aus- 
drucksbewegungen  an  Thieren,  denen  die  Grosshimhemisphären  abgetragen  sind. 
Zahlreiche  Versuche  an  verschiedenen  Thieren  führen  zu  dem  Ergebniss,  dass  es 
nach  Abtragung  der  Hemisphären  gelingt,  vermittelst  entsprechender  peripherer  Beize 
(der  Haut  und  der  höheren  Sinnesorgane)  diejenigen  complicirten  motorischen  Acte 
hervorzurufen,  welche  der  betreffenden  Thiergattung  im  normalen  Zustand  zum  Aus- 
druck ihrer  .Affecte  und  Gemüthsbewegungen  dienen.  Zur  Abgrenzung  des  Gebietes, 
in  welchem  der  dazu  erforderliche  reflectorische  Mechanismus  locahsirt  ist,  dienen 
weitere  mannigfaltige  Experimente  mit  Abtragung  der  Grosshimhemisphären  nebst 
den  Sehhügeln,  mit  isolirter  Zerstörung  letzterer,  auch  mit  electrischer  Beizung  der 
Sehhügel.  Die  Besultate  dieser  Versuchsreihen,  auf  deren  Einzelheiten  wir  hier 
nicht  eingehen  können,  führen  zu  folgenden  Schlüssen: 

1)  Thiere  mit  abgetragenen  Grosshimhemisphären  können  von  selbst  weder  will- 
kürliche, noch  Ansdrucksbewegungen  ausführen;  doch  lassen  sich  letztere  vermittelst 
versofaiedener  Beize,  also  auf  rein,  refiectorischem  Wege  auslösen,  und  zwar  mit  viel 
grösserer  Beständigkeit,  als  an  normalen  Thieren.  2)  Nach  Abtragung  der  Hemi- 
sphären und  der  Sehhügel  verlieren  die  Thiere  nicht  nur  die  Fähigkeit,  von 
selbst  willkürliche  oder  Ausdrucksbewegungen  auszuführen,  sondern  letztere  lassen 
sich  auch  nicht  mehr  auf  refiectorischem  Wege  hervormfen,  d.  h.  durch  Tastreize 
und  Eindrücke  auf  die  höheren  Sinnesorgane;  nur  intensive  schmerzhafte  Beize  der 
Haut  sind  noch  im  Stande  solchen  Thieren  Aeussemngen  allgemeiner  Unruhe  und 
reflectorisches  Schreien  zu  entlocken.  3)  Beizung  der  Sehhügel  bewirkt  sowohl  an 
Thieren  mit  erhaltenen,  als  auch  mit  abgetragenen  Hemisphären  Bewegungserschei- 
nungen an  verschiedenen  Eörpertheilen,  vorzüglich  an  solchen,  die  an  der  Aeusserung 
des  Qemüthszustandes  betheüigt  sind  (Bewegungen  des  Gesichts  und  der  Ohren,  ver- 
SG)iiedene  Laute  etc.).  Schliesslich  4)  Thiere,  denen  nur  die  Sehhügel  (die  hintere 
Portion  derselben)  zerstört,  während  die  Grosshimhemisphären  unversehrt  gelassen 
sind,  bewahren  ihre  willkürliche  Motilität^  verlieren  aber  die  Fähigkeit  ihren  Gemüths- 
zustand  durch  Ausdmcksbewegungen  zu  äussern;  es  gelingt  zwar  noch  einige  der- 
selben (monotone  Laute,  allgemeine  Unruhe,  Jjaufbewegungen)  auf  refiectorischem 
Wege  auszulösen,  doch  nur  vermittelst  intensiver  schmerzhafter  Beize,  während 
schwache  Hautreize  und  Beeinflussung  der  höheren  Sinnesorgane  in  dieser  Hinsicht 
ohne  Erfolg  bleiben. 

Also  spielen  die  Sehhügel,  nach  Verf. 's  Worten,  eine  hervorragende  Bolle  in 


^  Eine  „vorläufige  Mittheilung**  darüber  erschien  iu  diesem  Centralblatt  1883. 


—    372    — 

der  Aeusserung  verscMedener  Gefflble  und  Gemüthszostände.  Das  Zustandekommen 
einfacherer  (den  gewöhnlichen  Reflexen  sich  nähernder)  Ausdrucksbewegungen  nach 
Abtragung  der  Hemisphären  mitsammt  den  SehhDgeln  unter  dem  Einfluss  schmerz- 
hafter Beize  geschieht  seiner  Meinung  nach  durch  Vermittlung  yon  im  Yerlängerten 
Mark  gelegenen  Oentren. 

Weiter  wird  z.  Theil  nach  eigenen  Untersuchungen,  z.  Theil  auf  Grand  der  in 
der  Literatur  vorhandenen  Angaben  der  Nachweis  geführt,  dass  die  Sehhügel  auf 
die  Thätigkeit  einiger  niedrigerer  reflectorischer  und  automatischer  Ceniren  (des 
vasomotorischen,  Athmnngscentrums  etc.),  deren  Betheiligung  am  Ausdruck  von  Ge- 
müthsbewegungen  allgemein  bekannt  ist,  Einfluss  besitzen. 

Das  Schlusscapitel  enthält  eine  Zusammenstellnng  eigener  und  fremder  Beob- 
achtungen, die  einerseits  zu  Gunsten  des  Bestehens  gesonderter  Leitungsbahnen  für 
die  willkürlichen  und  Ausdrucksbewegungen  sprechen,  und  andrerseits  die  Thatsache 
bekräftigen,  dass  die  Sehhügel  Centren  für  die  unwillkürliche  Innervation  verschie- 
dener Muskelgroppen  repräsentiren.  Abgesehen  von  Beobachtungen  isolirter  mimischer 
liähmung  gehören  hierher  Fälle  von  Hemichorea,  in  welchen  Affection  der  Sebhfigel 
gefunden  wurde.  In  einigen  Fällen  waren  auch  an  den  Yersuchsthieren  Bechte- 
rew*s  mit  partieller  Sehhügelläsion  an  den  Muskeln  der  gegenüberliegenden  Körper- 
hälfte choreaartige  Bewegungen  aufgetreten.  P.  Bosenbacb. 


4)  Ueber  eleotrodiagnostisohe  Grenswerthe«  von  Dr.  Bod.  Stintzing,  Docent 
für  innere  Medicin.  Aus  dem  medicinlsch-klinlschen  Institut  zu  München. 
(Deutsch.  Archiv  f.  klin.  Medicin.  39.  B.  1.  H.  S.  76—139.) 

Stintzing  stellt  sich  die  Aufgabe,  auf  Grund  zahlreicher  Beobachtungen  der 
electrischen  Erregbarkeitsverhältnisse  am  normalen  Menschen  electrische  Grenzwerthe 
zu  finden  und  so  für  alle  Beobachter  einen  Maassstab  zu  schaffen,  welcher  es  er- 
möglicht, die  physiologischen  Beactionen  der  Nerven  und  Muskeln  auf  den  electrischen 
Strom  von  den  pathologischen  zu  trennen  und  ihr  Verhalteu  zu  benrtheilen. 

Stintzing  bediente  sich  zur  Bestimmung  der  Stromdichte  bei  seinen  Unter- 
suchungen 

1.  des  Edelmann*schen  Einheitsgalvanometers,  dessen  Vorzüge  vor  allen  andern 
bis  jetzt  construirten  Galvanometern  er  in  ausführlicher  Weise  hervorhebt; 

2.  einer  Beizelectrode  von  3  qcm  Querschnitt  (mit  kreisrunder  Oberflache), 
welche  Grösse  er  für  die  zweckmässigste  hält; 

3.  einer  indifferenten  Electrode  von  12  cm  Länge  und  6  cm  Breite  (aufs  Sternum). 

Als  geeignetstes  Moment  für  die  Bestimmung  der  electrischen  Erregbarkeit  be- 
zeichnet Stintzing  die  erst  auftretende  minimale  Zuckung,  also  für  den  galvanischen 
Strom  die  ESZ  und  für  den  Inductionsstrom  das  am  negativen  Pol  des  Oeffhungs- 
inductionsstromes  auftretende  Zuckungsminimum.  Die  übrigen  Phasen  des  Zuckungs- 
gesetzes waren  weit  grossem  Schwankungen  unterworfen. 

Allgemein  gültige  vergleichbare  Normalwerthe  für  das  faradische  Zuckungs- 
minimum aufzustellen,  ist  z.  Z.  nicht  möglich,  da  es  kein  absolutes  Maass  für  den 
Inductionsstrom  giebt;  doch  fand  Stintzing,  dass  bei  der  faradischen  Erregbarkeits- 
prüfung die  Widerstände  im  menschlichen  Körper  weit  weniger  Berücksichtigung 
bedürfen,  als  bei  der  galvanischen. 

An  58  Versuchspersonen  (42  männlich,  16  weiblich)  von  verschiedenem  Alter 
wurden  an  den  einzelnen  motorischen  Funkten  die  obem  und  untern  Grenzwerthe, 
ebenso  die  Mittelwerthe  festgestellt  und  tabellarisch  geordnet.  Dabei  stellte  es  sich 
heraus,  dass  die  normale  electrische  Erregbarkeit  schwankte: 

a)  an  ein  und  demselben  Individuum 

faradisch  im  Mittel  um  44  mm  Bollenabstand; 
galvanisch  im  Mittel  um  2,3  M.-A.; 


—    373    — 

b)  an  verschiedenen  Individuen 

faradisch  in  maximo  um  80  nun  Bollenabstand, 
galvanisch  in  maximo  am  3,0  M.-A. 

IMe  physiologische  Erregbarkeit  der  einzelnen  motorischen  Nerven  (and  Muskeln) 
lässt  sich  also  generell  begrenzen. 

Die  Minimalerregang  der  gleichen  Nerven  verschiedener  Individuen  findet  statt 
innerhalb  ,,specifischer  Strombreiten'S  die  durch  einen  obem  und  untern  Grenzwerth 
bestimmt  sind. 

Diese  Strombreiten  lassen  sich  für  die  einzelnen  Nerven  in  eine  bestimmte  Er- 
regbarkeitsscala  ordnen. 

Am  leichtesten  erregbar  ist  N.  muscalocutaneus  und  accessorius,  dann  folgt 
der  Ulnaris,  darauf  der  Medianus,  Mentalis,  Cruralis  und  Peroneus,  femer  N.  zygo- 
maticus,  frontalis,  tibialis,  endlich  als  am  schwersten  erregbar  N.  facialis  und  radialis. 

Auch  die  ErregbarkeitsdiSerenzen  zwischen  beiden  Körperhalften  dess^ben  Indi- 
viduums lassen  sich  durch  absolute  Werthe  begrenzen. 

Die  zur  Minimalreizung  erforderliche  Stromdichte  variirt  mit  der  Grösse  des 
Electrodenquerschnittes  und  nimmt  mit  der  Yergrösserong  des  letzteren  im  unbe- 
kannten Yerhältniss  ab. 

Bei  allen  electrodiagnostischen  Untersuchungen  muss  man  die  Prüfung  mit  dem 
Inductionsstrom  derjenigen  mit  dem  constanten  Strom  vorausgehen  lassen,  da  bei 
umgekehrter  Beihenfolge  entweder  die  faradische  Erregbarkeit  durch  die  Einwirkung 
des  constanten  Stromes  gesteigert  wird  oder  eine  Widerstandsverminderung  eintritt. 
—  Mit  Hülfe  der  gefundenen  Resultate  am  normalen  Menschen  konnte  Verf.  in  einer 
Anzahl  pathologischer  Fälle  abnorme  Steigerung  oder  Verminderung  der  electrischen 
Erregbarkeit  mit  Sicherheit  constatiren.  So  wies  er  in  einem  Falle  von  beginnender 
acuter  Myelitis,  bei  Tabes  (späteres  Stadium)  und  progressiver  Muskelatrophie  eine 
einfache  Erregbarkeitssteigerung  mit  Bestimmtheit  nach. 

Die  Arbeit  liefert  einen  dankenswerthen  Beitrag,  um  einen  allgemein  gültigen 
vergleichbaren  Maassstab  für  die  electrischen  Erregbarkeitsverhältnisse  zu  schaffen, 
ein   Mangel,    dessen  Beseitigung    gewiss    von   jedem  Electrotherapeuten  sehr  ge- 
wünscht wird.  P.  Seifert. 


Pathologie  des  Nervensystems. 

5)  Ataxie  paraplesia,  by  W.  B.  Gowers.    (The  Lancet.  1886.  Vol.  IL  No.  1.) 

Verf.  beschreibt  unter  der  Bezeichnung  „ataktische  Faraplegie''  eine  gut  charak- 
terisirte  Krankheit,  welche  in  den  Handbüchern  der  Nervenkrankheiten  als  eine  Abart 
der  Tabes  oder  der  spastischen  Paraplegie  kursirt  und  aus  gewissen  Gründen  besser 
nach  ihren  klinischen  Symptomen  als  nach  ihrem  pathologisch-anatomischen  Substrat 
genannt  werden  dürfte. 

Sie  kommt  bei  beiden  Geschlechtem  vor,  ihre  ersten  Symptome  zeigen  sich  bei 
Leuten  im  30.  bis  45.  Lebensjahr.  Nervöse  Belastung  ist  selten,  ebenso  spielt  die 
Syphilis  in  der  Vorgeschichte  dieser  Krankheit  im  Gegensatz  zur  Ataxie  keine  Bolle. 
Dagegen  sind  Erkältung,  psychische  Erregung  und  Ueberanstrengung  als  ursächliche 
Momente  wirksam.  Der  Verlauf  des  Leidens  ist  langsam,  die  ersten  Erscheinungen 
treten  in  den  Beinen  auf,  nicht  immer  oder  erst  nachher  in  den  Armen.  2  Sjrmp- 
tome  charakterisiren  das  Bild  der  Krankheit,  Verlust  der  Kraft  und  Mangel  der 
Coordination.  Anfisugs  besteht  Schwäche  und  Unsicherheit  der  Bewegungen,  später 
entsteht  Lähmung  und  Ataxie;  die  Paralyse  ist  eine  spastische,  indem  die  myosta- 
tische  Erregbarkeit  gesteigert  ist.  Sehnenreflexe  verstärkt,  Fussklonus  und  Klonus 
des  M.  rectus  femoris  deutlich  ausgeprägt.  Flantarreflexe  gewöhnlich  excessiv.  Die 
Emahnmg  und  electrische  Erregbarkeit  der  Muskeln  ist  normal.    Die  Viscerab'eflexe 


—     374     — 

zeigen  keine  sehr  wesentlichen  Störungen.  Die  Popillarreaction  sowohl  auf  Licht 
wie  auf  Accommodation  ist  in  manchen  Fällen  au%ehoben,  eine  Atrophie  der  Papille 
sowie  Neuritis  retrobulharis  wird  manchmal  beobachtet  Die  AugenmoBkeln  bleiben 
nnbetfaeiligt;  Nystagmus  fehlt  Was  die  Sensibilität  betrifft:,  so  YMmisst  man  die 
lancinirenden  Schmerzen  der  Tabes  und  findet  nur  leichte  Paraesthesien,  wohl  aadi 
Herabsetzung  des  Berührungsgefühles,  dagegen  keinen  Verlust  der  Schmerz-  und 
Temperaturempfindung. 

Unter  den  Complicationen  treten  geistige  Störungen  auf,  die  alsdann  das  Bild 
der  progressiven  Paralyse  vortäuschen;  zuweilen  kommt  leichte  Muskelatrophie  hinzu, 
nicht  selten  Nierenaffectionen,  wohl  auch  Arthritis.  Zum  Tode  führt  das  Leiden 
an  sich  nicht 

Was  die  pathologische  Anatomie  der  Affection  betrifft,  so  findet  man  in  allen 
Fällen  Sderose  der  Hinter-  und  Seitenstränge.  Jene  unterscheidet  sich  in  2  Rich- 
tungen von  der  grauen  Degeneration  bei  Tabes,  indem  einmal  die  Dorsalregion  stärker 
und  früher  als  die  Lumbairegion,  oft  jene  nur  allein  betroffen  ist,  sodann  im  Gegen- 
satz zur  Läsion  bei  der  Ataxie  locomotrice  hauptsächlich  die  mittleren  drei  Fünftel 
der  Hinterstränge  sclerosirt  sind.  Ist  die  Sclerose  beträchtlich,  so  findet  sich  auf- 
steigende secundäre  Degeneration  der  Goirschen  Stränge.  Die  Degeneration  der 
Seitenstränge  hat  selten  Systemcharakter  an  sich,  in  einem  oder  zwei  Fällen  war 
die  ganze  Pyramidenbahn  ergriffen.  In  einigen  Fällen  war  die  Kleinhimseitenstrang- 
bahn  affieirt  Die  peripherischen  ISTerven  sind  bisher  noch  nicht  geprüft  worden, 
dagegen  zeigte  sich  die  Musculatur  normal. 

Die  differentiell  diagnostischen  Symptome  der  atactischen  Paraplegie  gegenüber 
der  Tabes  dorsalis,  der  hereditären  Ataxie,  der  typischen  Lateraladerose  in  knapper 
Form  hervorhebend,  bemerkt  Verf.,  dass  die  Diagnose  der  beschriebenen  Bflckenmarks- 
erkranknng  gegenüber  der  myelitiscfaen  Affection  der  Seiten-  und  Hinterstränge  sehr 
schwer  zu  stellen  ist;  doch  gäbe  die  Tendenz  zum  Fortschreiten  bei  der  Atactic 
paraplegia  ein  Moment  ab,  welches  eine  Myelitis  wegen  ihres  regressiven  Charaktens 
mit  Wahrscheinlichkeit  ausschliessen  lasse.  GerebeUartumoren  erzeugten  auch  wohl 
Ataxie  und  Sohwächezustände,  indess  finden  sich  bei  jenen  hinreichend  charakteristisGhe 
Symptome  wie  Kopfschmerz,  Erbrechen,  Neuritis  optica  etc. 

In  therapeutischer  Beziehung  wäre  Ausschluss  aller  ursächlich  wirkenden  M<>- 
mente  wie  Erkältung,  Ueberanstrengung,  alcoholische  oder  sexuelle  Excesse  anzurathen. 
Medicamente  wie  Jodkali,  Arsen,  Oaktbarbohne,  Belladonna,  Chinin,  Nux  vomica, 
letzteres  vor  dem  Eintritt  der  spastischen  Symptome,  erfüllten  ihren  bei  allen  chro- 
nischen Spinalleiden  bekannten  Zweck  auch  bei  dieser  Form  der  Bückenmarksaffection. 
Die  elektrische  Wirkung  sowohl  des  Inductionsstroms  wie  des  constanten  Stroms  be- 
friedigte wenig.  Gegen  die  Muskelspasmen  wären  Beibungen  günstig.  Eine  Ueber- 
wachung  und  regelmässig  event  mit  dem  Katheter  erzeugte  Blasenentleernng  beuge 
einer  Cystitis  und  ihren  unheilvollen  Folgeerscheinungen  vor.     J.  Buhemann. 


6)  Faramyoolonus  multiplex,  par  Marie.    (Progr.  m6d.  1886.  Nr.  8  et  12.) 

Drei  Fälle  von  Paramyodonus  multiplex  sind  bisher  publicirt  worden,  der  erste 
von  Friedreich,  welcher  überhaupt  zum  ensten  Male  das  Krankheitsbild  schilderte 
und  demselben  den  Namen  gab,  der  zweite  von  Löwenfeld  und  der  dritte  ist  der 
vorliegende.  (Ein  vierter  von  Silvastrini  in  der  „Medicina  contemporanea''  im 
Febr.  1884  veröffentlicht,  dessen  Marie  in  einer  Anmerkung  Erwähnung  thnt,  ent- 
behrt der  Vollständigkeit)  lieber  Friedreich's  Arbeit  ist  in  dieser  Zeitschrift  im 
Jahrg.  1882  S.  17,  über  die  Löwenfeld's  im  Jahrg.  1884  S.  395  referirt  worden. 
M.  giebt  über  diese  Publicationen  ein  sehr  ausführliches  Besumä,  dem  er  eine  ein- 
gehende Mittheilung  über  seine  eigene  Beobachtung  voranschickt:  Bei  dem  52jährig«i 
>(anne,  der  aus  einer  nervös  nicht  belasteten  Familie  stammt,  nie  luetisch  war. 


—    375 

beganii  das  Leiden  vor  3  Jahren  mit  heftigen  Schmerzen  in  den  oberen  und  unteren 
Extremitäten,  mit  leichter  Ermüdbarkeit  in  den  Beinen,  sowie  mit  einer  allgemeinen 
Schwftdie  die  ihn  schliesslich  znm  Arzt  trieb.  Die  eigenthflmliohen  Muskelzuckungen 
welche  das  Charakteristische  der  Affection  ausmachen,  hatte  der  Kranke  fast  gar 
nicht  beachtet,  sie  fielen  Ghareot  zuf&llig  während  seiner  Gonsnltation  auf.  Am 
stärksten  sind  dieselben,  wenn  der  Patient  steht,  sie  betreffen  dann  hauptsächlich 
die  Oberschenkelmuskulatur,  greifen  aber  auch  auf  Schulter-  und  Bumpfmuskulatur 
ftber.  Sie  sind  brüske  „Einzelstösse''  die  den  Gebrauch  der  Muskeln  nicht  stören, 
auch  während  der  willkürlichen  Bewegungen  niemals  einzutreten  pflegen,  sondern 
besonders  deutlich  werden  im  Sitzen  und  in  der  Ruhelage  des  Kranken.  —  Ihre 
Häufigkeit  und  Heftigkeit  ist  eine  sehr  versclüedene,  gewisse  Beize  lösen  dieselben 
aus,  besonders  das  Beklopfen  der  ligameni  Fatellae  und  das  Kitzeln  der  Fusssohle. 
Auf  diesem  Wege  entstehen  in  den  aller  verschiedensten  Muskeln  der  hinteren  und 
vorderen  Fläche  von  Unter-  und  Oberschenkel,  am  Bumpf  und  an  den  Armen  (Pectoral. 
major,  Deltoid.  und  Biceps)  einzelne,  oft  ziemlich  h^tige  Zuckungen.  Wenn  man 
einen  längeren  Druck  aof  den  linken  Yastns  extemus  ausübt,  so  entstehen  sehr 
deutUohe  Mnskelstösse  in  dem  rechten  Quadriceps  (44  in  der  Minute).  In  der  Nacht 
hören  die  Ersdieinungen  vollständig  auf.  Die  Prüfung  der  Sensibilitöt  und  Motilität 
ergiebt  keinerlei  Abweichung  von  der  Norm,  die  idiomusknläre  Erregbarkeit  ist  erhöht, 
die  elektrischen  Prüfungen  bieten  nichts  besonderes  dar,  nur  bei  der  farad.  Pinselung 
der  Haut  treten  sehr  leicht  die  Muskelstösse  in  den  oben  näher  bezeichneten  Gregenden 
auf.  Graphische  Darstellungen  veranschaulichen  die  grosse  Unregehnässigkeit  der 
eigenthümlichen  Bewegungsovcheinungen.  Wenn  man  die  drei  Krankengeschichten 
mit  einander  vergleicht,  so  lässt  sich  nach  Marie  an  den  Kranken  manches  Gemein- 
schaftliche entdecken.  Der  Triceps  brachii,  Quadriceps  cruris  und  der  Semitendinosus 
wurden  bei  allen  drei  Patienten  von  Zuckungen  am  ehesten  getroffen  und  es  macht 
gerade  den  besonderen  Charakter  des  Paramyoclonus  aus,  dass  sich  immer  nur  eine 
gewisse  Zahl  von  Muskeln  betheiligen,  dass  der  Beiz  weder  auf  benachbarte  noch  auf 
Muskeln  überspringt,  die  von  demselben  Nerven  innervirt  werden.  Die  Gesichts- 
musknlatur  blieb  immer  verschont  Immer  ist  die  Intensität  der  durch  die  Stöese 
herbeigeführten  Bewegung  so  gering,  dass  eine  Lageverändenmg  des  Gliedes  durch 
dieselbe  nicht  hervorgernfen  wird.  Auch  die  Auslösung  der  paramyoclonischen  Phäno- 
mene durch  Hautreize  war  in  allen  bisher  geschilderten  Fällen  zu  constatiren.  In 
Bezug  auf  die  Natur  und  den  Sitz  des  Leidens  beschränkt  sich  Verf.  darauf,  nur  die  An- 
sichten Friedreich's  und  Löwenfeld's  zu  wiederholen.  Ersterer  hatte  es  f ür  mne 
Schreck-Neurose  erklärt  und  eine  gesteigerte  reflector.  Erregbarkeit  gewisser  Ganglien- 
zellen der  grauen  Substanz  des  Bnckenmarks  angenommen.  Löwenfeld  hatte  sich 
Fr.  in  Hinsicht  auf  den  Sitz  in  der  grauen  Substanz  angeschlossen.  Von  Chorea 
minor  und  den  verschiedeBen  „Tic''  der  Muskeln  ist  der  Pammyodonus  multiplex, 
wie  M.  schliesslich  ausführt,  sehr  leicht  zu  unterscheiden.  Laqner. 


7)  Hemiatrofl  af  tungan  af  bulbärt  Ursprung.  Fall  meddeladt  af  G.  E.  Henschen. 
(üpsala  läkarefören.  förh.  1886.  XXI.  7.  S.  347.) 

Ein  27jähriger  Mann,  ohne  erbliche  Anlage,  war  im  Alter  von  15  Jahren  von 
einem  durchgehenden  Pferde  geschleift  worden,  wobei  er  aber  nicht  mit  dem  Kopfe 
aufgeschlagen  war.  Danach  hatte  er  Schmerz  im  linken  Ellenbogen  und  Schulter- 
gelenk (mit  der  linken  Hand  hatte  er  die  Zügel  gehalten),  in  der  Folge  entwickelte 
sich  Beugungsstellnng  der  3  äussern  Finger  und  Schwäche  im  Arme,  aber  ohne 
Parästbesien.  Irgend  einer  Kopfverletzung  konnte  sich  Pat.  nicht  erinnern,  Kopf- 
sdimerz  oder  Schwindel  hatte  er  nie  gehabt,  Kauen  und  Schlingen  waren  stets  un- 
gehindert gewesen,  doch  gab  er  an,  dass  er  sich  mitunter  in  die  Zunge  gebissen 
hatte.    Eine  Veränderung  an  der  Sprache  hatte  Pat.  nie  bemerkt    Die  Mutter  des 


—    37H     — 

Fat.  soll  bemerkt  haben,  dass  seine  Znn^e  etwa  ein  Jahr  nach  einem  Scharlachfteber 
mit  nachfolgender  Nephritis,  das  Fat.  im  Alter  von  9  Jahren  flberstanden  hatte, 
knollig  gewerden  war.  Bei  der  Untersnchnng  des  Kranken,  der  wegen  Longmiödem 
und  urämischer  Symptome  aufgenommen  wurde  (wovon  er  genas),  fand  man  die 
linke  Zungenhälfte  normal,  die  rechte  33  Millimeter  von  der  Spitze  entfernt  bedeu- 
tend atrophisch,  weiter  hinten  war  nur  der  äussere  Znngenrand  atrophisch  bis  zur 
Wurzel.  Der  atrophische  Theil  war  schwammig  aufgelockert  und  zeigte  2  Centimeter 
von  der  Spitze  eine  fast  narbenartige,  unregelmässige  Vertiefung,  von  der  mehrere 
Furchen  strahlenförmig  ausgingen;  dazwischen  fanden  sich  mehrere  unregelmässige 
Einsenkungen.  Einige  Centimeter  von  der  Spitze  entfernt  betrug  die  Breite  der 
rechten  Zungenhälfte  16,  die  der  linken  24  Millimeter.  Die  Schleimhaut  erschien 
an  der  atrophischen  Stelle  fkberall  normal,  Narben  fanden  sich  nirgends.  In  der 
kranken  Zungenhälfte  zeigten  sich  ziemlich  lebhafte  fibriUäre  Zuckungen,  die  bei 
Bewegungen  der  Zunge  bedeutend  stärker  wurden.  Beim  Hervorstrecken  wich  die 
Zungenspitze  nach  rechts  ab;  die  Bewegungen  der  herausgestreckten  Zunge  waren 
ziemlich  unbehindert;  beim  Versuch,  die  Zunge  hohl  zu  machen,  gelang  dies  an  der 
Spitze,  aber  auf  der  kranken  Seite  weniger  vollständig,  an  dem  Sitze  der  Atrophie 
nur  auf  der  gesunden  Seite.  Die  Sensibilität  war  auf  beiden  Zungenhalffcen  gleich, 
ebenso  der  Oeschmack.  Der  Mundboden  war  rechts  tiefer  als  links,  der  harte  Gaumen 
symmetrisch,  das  rechte  Gaumensegel  etwas  breiter,  mehr  herabhängend  und  weniger 
beweglich  als  das  linke;  die  Uvula  hing  gerade  herab.  Die  Sprache  war  ziemlich 
unbehindert,  nur  die  Linguallaute  waren  etwas  undeutlich.  —  Die  elektrische  Unter- 
suchung der  Zunge  ergab  an  der  Spitze  die  EaS-Zuckung  fQr  6  Elemente  an  beiden 
Seiten  gleich,  für  die  An  keine  Zuckung;  am  ZungenrQcken  KaS-Zuckung  bis  6  Ele- 
menten links  deutlich,  rechts  schwach,  wenn  die  Elektrode  an  den  Zangenrand  auf- 
gesetzt wurde,  bei  Application  in  der  Vertiefung  trat  keine  Zuckung  ein.  Für  die 
An  waren  10  Elemente  erforderlich,  um  Zuckung  auszulösen,  die  rechts  schwächer 
war.  An  der  untern  Znngenfläche  gab  KaS  bei  6  Elementen  schwächere  Zuckung 
rechts,  An  keine  Zuckung.  Bei  Application  des  Inductionssb'oms  an  die  Zungenspitze 
wurde  die  rechte  Zungenbälfte  bedeutend  schmäler,  wenn  die  Elektrode  in  der  Ver- 
tiefung aufgesetzt  wurde,  erfolgte  keine  Breiteverminderung,  bei  Aufsetzen  nach  hinten 
unter  der  Zunge  entstand  links  starke  Depression  und  schrie  Verziehnng,  rechts 
nur  ganz  unbedeutende;  eine  Verkürzung  der  Zunge  durch  den  Inductionsstrom  er- 
folgte auf  der  rechten  Seite  nicht,  wohl  aber  auf  der  linken.  Bei  Beizung  mit  der 
Elektrode  contrahirten  sich  links  die  Fasern  des  Genioglossus  stark,  rechts  nur  ganz 
unbedeutend.  —  Das  rechte  Stimmband  stand  näher  an  der  Mittellinie,  seine  Be- 
weglichkeit bei  der  Inspiration  war  vermindert,  bei  der  Phonation  schloss  sich  die 
Glottis  gut.  —  Die  linke  Hand  zeigte  ausgeprägte  Klauenstellung,  der  Thenar  war 
atrophisch,  die  Atrophie  erstreckte  sich  auch  auf  den  Vorderarm.  —  Sonst  fanden 
sich  keine  Er^heinungen  von  Seiten  des  Nervensystems,  namentlich  keine  Tabessymp- 
tome.  —  Bei  dem  Mangel  jedes  andern  ursächlichen  Moments  nimmt  H.  an,  dass 
die  Bulbäratrophio  mit  Wahrscheinlichkeit  als  eine  Folge  des  Scharlachfiebers  mit 
Nephritis  zu  betrachten  sei,  das  Fat.  im  Alter  von  9  Jahren  überstanden  hatte; 
Blutungen  im  Gehirn  sind  ja  bei  Nephritis  nicht  selten.  Die  Atrophie  an  der  linken 
Hand  ist  wohl  eine  Folge  des  erwähnten  Traumas,  das  Fat.  später  erlitt 

Walter  Berger. 

8)  Fall  af  progreasiT  bolMrparalys,  meddeladt  af  0.  V.  Petersson.    (Upsala 
läkarefüren.  f$rh.  1886.  XXI.  4  och  5.  S.  213.) 

Eine  47jähr.  Frau  hatte  bei  sonstigem  Wohlbefinden  seit  dem  Juli  1882  Stö- 
rungen der  Sprache  und  der  Zungenbewegungen  und  Beschwerden  beim  Flüssigkeit- 
schlucken bemerkt,  die  allmählich  zugenommen  hatten,  später  war  das  Auftreten  er- 
schwert.  Bei  der  Aufiiahme  am  4.  Jan.  1884  konnte  Fat.  ausser  einem  undeutlichen  a 


—    377     — 

lieinen  Bnchstaben  mehr  articuliren,  sie  bot  die  deutlichen  Erscheinungen  der  pro- 
gressiTen  Bulbärparalyse,  hatte  starke  Schlingbeschwerden  und  war  ganz  paralytisch, 
nur  die  Beine  konnte  sie  unbedeutend  bewegen,  „mehr  in  Form  von  Zuckungen  in 
den  Muskeln,  als  von  eigentlicher  Bewegung".  Trotz  der  starken  Schliogbeschwerden 
war  die  Ern&hrung  noch  ziemlich  mittelmässig.  Am  7.  Jan.  starb  die  Kranke.  — 
Bei  der  Section  fand  sich  reichliche  Cerebrospinalflüssigkeit,  sowohl  in  den  Seiten- 
ventrikeln,  als  um  das  Qehim  hemm,  die  Himmasse  rosa  gefärbt,  aber  ohne  un- 
gewöhnliche Blutsprenkelung;  das  Kleinhirn  erschien  vielleicht  etwas  kleiner  als  normal. 
Die  histologische  Untersuchung  ergab,  dass  in  der  ganzen  Ausdehnung  des  Hypo- 
glossns  die  Ganglienzellen  mehr  oder  weniger  atrophirt  waren,  auch  die  Hypoglossus- 
Wurzel  war  im  intrabulbären  Verlauf  atrophisch;  das  interstitielle  Gewebe  im  Kerne 
war  nicht  geschrumpft.  Im  Yaguskem  fand  sich  ebenfalls  Atrophie  der  Ganglien- 
zeUen,  doch  nicht  in  so  hohem  Grade  wie  im  Hypoglossuskern,  auch  in  der  Vagus- 
wurzel war  die  Atrophie  geringer.  Im  Nucleus  ambiguus  fand  sich  ebenfalls  Atrophie 
der  Ganglienzellen.  Die  vordere  Verlängerung  des  Vaguskems  (Glossopharyngeus) 
zeigte  sich  nicht  verändert  Im  Facialiskem  fanden  sich  ebenfalls  Zeichen  von  Atrophie, 
aber  in  noch  geringerem  Grade.  Abducenskem  und  Oculomotoriuskem  zeigten  keine 
Veränderang.  Ausserdem  fand  sich  Sclerose  der  Fyramidenbahnen  in  der  pedunculären 
und  bulbären  Strecke  derselben.  Walter  Berger. 


9)  Sar  deux  oas  d'aoromägalie  (hypertrophie  singulidre  non  oongdnitale 
des  extrteiitäB  sapärieareB,  Införieiirea  et  o^halique),  par  Pierre 
Marie.    (Bevue  de  medecme.  1886.  Avril.  p.  297.) 

Marie  beschreibt  in  dieser  Arbeit  zwei  Fälle  einer  eigenthümlichen  Wachsthums- 
stömng,  die  er  als  Acromegalie  (dx^oy  =  das  äusserste  Ende)  zu  bezeichnen  vor- 
schlägt. In  beiden  Fällen  handelte  es  sich  hauptsächlich  um  eine  beträchtliche 
Grössenznnahme  der  Füsse,  der  Hände  und  des  Kopfes.  Die  Hände  waren  besonders 
in  der  zuerst  mitgetheilten  Beobachtung  sofort  durch  ihre  ungewöhnliche*  Grösse  auf- 
gefallen. Die  Entfernung  von  der  untersten  Falte  des  Handgelenks  bis  zur  Spitze 
des  Mittelfingers  betmg  18,3  cm,  die  Breite  der  Hohlhand  11  cm.  Die  Hand  im 
Ganzen  erschien  übrigens  wohl  proportionirt,  aber  so,  als  ob  sie  einem  Biesen  ange- 
hörte. Die  Finger  waren  an  der  Grössenzunahme  in  entsprechender  Weise  betheiligi 
Nur  in  dem  zweiten  Falle  zeigten  die  Fingergelenke  geringe  Auftreibungen.  Die 
Nägel  waren  breit,  etwas  abgeplattet  und  gestreift;  sonst  ohne  Besonderheiten. 
Besonders  charakteristisch  ist  es,  dass  im  Gegensatz  zu  den  Händen  die  Vorder- 
arme und  Oberarme  durchaus  gewöhnliche  Grössenverhältnisse  darboten.  Das  oben 
Gesagte  gilt. in  gleicher  Weise  von  den  Füssen.  Auch  hier  zeigte  sich  die  unge- 
wöhnliche Grösse  derselben  im  Gegensatz  zu  den  sonst  normal  entwickelten  Beinen. 
—  Sehr  anfallend  waren  in  beiden  Fällen  die  Verftnderangen  am  Kopf,  und  zwar 
vorzugsweise  im  Gesicht.  Hier  handelte  es  sich  um  eine  entschiedene  Grössen- 
zunahme der  Nasenknochen,  der  Jochbeine  und  des  Unterkiefer.  Die  hier- 
durch entstehende  eigenthümliche  Verändemng  des  gesammten  Gesichts  wird  durch 
einige  beigegebene  Abbildungen  veranschaulicht  Weniger  auflßülend  sind  die  Ver- 
ändemngen  am  Schädel.  In  Bezug  auf  die  übrigen  Knochen  ist  bemerkenswerth, 
dass  die  Wirbelsäule  in  beiden  Fällen  eine  kyphotische  Krümmung  zeigte  und  dass 
insbesondere  bei  der  zweiten  der  mitgetheilten  Beobachtungen  auch  eine  geringe  Ver- 
grösserung  der  Glaviculae,  der  Rippen,  der  Kniescheibe  und  des  Beckens  nachgewiesen 
werden  konnte.  Dagegen  erschienen  die  langen  Böhrenknochen  bemerkenswerther 
Weise  in  beiden  Fällen  vollkommen  unverändert.  In  den  Gelenken  war  nichts 
Besonderes  zu  finden,  die  Muskeln  erschienen  aufEnllend  abgemagert.  Nur  die  Zunge 
war  gross.  Eine  Herabsetzung  der  Sensibilität  bestand  nirgends  (die  Blindheit  der 
einen   Kranken   war   wohl  nur  eine  znflUlige  Complication).    Dagegen  klagten  beide 


—    378    — 

Kranke  über  ziemlich  heftige  Schmerzen  im  Kopf»  im  Bücken  und  in  dan  Armen. 
Ausserdem  bestand  das  Gefühl  allgemeiner  Schwäche  und  Mattigkeit.  Bemerkens- 
werth  ist  vielleicht,  dass  bei  der  einen  Kranken  starke  Varicen  an  den  Unterachenkeln 
und  Hämorrhoiden  bestanden.  Die  Schilddrüse  erschien  verkleineri  Endlich  ist 
noch  zu  erwähneUi  dass  der  Durst  gesteigert  war  und  der  Urin  in  auffallend  reich« 
licher  Mei^e  entleert  wurde. 

Marie  hat  noch  fünf  ähnliche  Falle  in  der  Literatur  gefunden,  die  er  auch 
zur  Acromegalie  rechnet  (darunter  zwei  Beobachtungen  von  Friedreich,  welche 
Brüder  betrafen).  Von  Myxoedem  ist  die  Krankheit  vollständig  verschieden,  ebenso 
von  der  von  Virchow  beschriebenen  Leontiasis  ossea  und  von  der  Ostitis 
deformans  Q,ma]aLäxe  de  Paget")-  Strümpell. 


9)  Des  nävrites  pMphöriques  ohes  les  taberonleux,  par  A.  Pitres  et  L. 
Yaillard.     (Bevae  de  m6decme.  1886.  Mars.  p.  193.) 

Die  Yerff.  berichten  über  eine  Anzahl  älterer  und  über  6  neue  eigene,  sehr 
sorg^ltig  angestellte  Beobachtungen,  welche  das  Vorkommen  ausgedehnter  Degene- 
rationen in  den  peripherischen  Nerven  bei  Phthisikem  von  Neuem  bestätigen.  In 
allen  Fällen  ergab  die  genaue  mikroskopische  Untersuchung  des  Gehirns  und  des 
Rückenmarks  nichts  Abnormes,  während  von  den  peripherischen  Nerven  am  häufigsten 
die  Nerven  der  Extremitäten,  seltener  aber  auch  einzelne  Gehimnerven  (Opticus, 
Augenmuskelnerven),  femer  zuweilen  der  Vagus  und  der  Phrenicua  befallen  waren. 
Was  die  Symptomatologie  dieser  Degenerationen  betrifft,  so  lassen  sich  die  bisherigen 
Beobachtungen  in  drei  Gruppen  theilen.  Zunächst  können  die  Degenerationen  der 
peripherischen  Nerven  vollkommen  symptomlos  verlaufen:  sogenannte  latente  Neuritis. 
Zwei  eigene,  hierher  gehörige  Falle  werden  von  den  Verff.  ausführlich  mitgetheilt. 
Zur  zweiten  Gruppe  gehören  die  Fälle,  bei  denen  sich  vorzugsweise  ausgedehnte 
atrophische  Jifuskellähmungen  entwickeln.  Bei  der  dritten  Gruppe  endlich  bestehen 
solche  Krankheitserscheinungen,  die  vorzugsweise  von  einem  Befallensein  sensibler 
Fasern  abhängen:  Anästhesien,  Hyperästhesien,  neuralgische  Schmerzen  u.  dgl.  Je 
mehr  man  bei  den  Phthisikem  auf  das  Vorkommen  der  genannten  Erscheinungen 
achtet,  um  so  mehr  wird  man  die  verhältnissmässig  grosse  Häufigkeit  der  periphe- 
rischen Neuritiden  bei  ihnen  bestätigt  finden.  Strümpell. 


10)   Ueber   diabetisohe   ü^euralgien,   von  Dr.  R.  v.  Hösslin,   dirlg.  Arzt   der 
Heilanstalt  Neu- Witteisbach  bei  München.  (Münch.  med.  Wochenschr.  1886.  14.) 

Ein  52jähr.  Mann,  der  seit  15  Jahren  wied^holt  an  Trigeminusnenralgie  ge- 
litten hat,  klagt  seit  3  Monaten  über  heftigen  Schmerz  im  linken  Bein,  von  der 
Hüfte  bis  zum  Unterschenkel,  in  viel  geringerem  Grade  über  solche  im  rechten  Bein. 
Dabei  besteht  grosse  Dmckempfindlichkeit  im  Verlaufe  des  linken  N.  ischiadicus, 
Herabsetzung  der  Sensibilität  der  Haut  des  linken  Unterschenkels  mit  Vergrüsserung 
der  Tastkreise,  leichtes  Oedem  und  Glanzhaut,  Fehlen  des  Kniephänomens  links. 
Auch  rechts  waren  die  Tastkreise  an  Sohle  und  Zehen  vergrössert.  Die  elektrische 
Untersuchung  ergab  normales  Verhalten. 

Der  Urin  enthielt  3,6  ^/^  Zucker,  kein  Albumen,  hatte  1040  specifisches  Gewicht 
bei  einer  Tagesmenge  von  1200  ccm.   . 

Bei  Behandlung  mit  den  galvanischen  Strom  (Anode  auf  die  schmerzhaften  Stellen) 
trat  fast  völlige  Heilung  ein;  auch  der  Zuckergehalt  des  Urins  wurde  fast  vollständig 
beseitigt.    Später  recidivirten  jedoch  die  Erscheinungen. 

Verf.  scheint  der  Fall  für  die  Ansicht  v.  Ziemssen's  zu  sprechen,  dass  die 
diabetische  Neuralgie  auf  einer  Neuritis  beruhe,  einer  chronischen  Neuritis,  die  ab- 


—    379    —    . 

bängig  resp.  bediogt  ist  durch  den  Zuckergehalt  des  Blutes,  analog  der  peripherischen 
Nerrenerkrankungen  bei  Aleoholismus.  Hadlich. 


11)  Note  BOT  cinq  oas  de  nevrite  multiple,  par  M.  Masius  et  M.  X.  Fran- 

cotte,  Li^ge.    (Bulletin  de  FAcad.  royale  de  Belgique.  1886.) 

Ffinf  Fälle  werden  kurz  beschrieben,  zwei  mit  Sectionsbefund.  Je  einmal  lag 
Tnberculose,  Magencarcinom,  Alcoholismus  und  Erkältung  Tor.  Im  ersten  und  fOnften 
Fall  fehlten  alle  objectiven  SensibilitätsstCrungen;  die  Flantarreflexe  fehlten  einmal 
ganz.  Der  zweite  Fall  setzte  ganz  plötzlich  mit  Ataxie  ein.  In  drei  Fällen  fand 
sich  HalleolenOdero,  einmal  mit  Pityriasis,  ein  zweites  Mal  mit  Hyperhidrosis. 

Th.  Ziehen. 

Psychiatrie. 

12)  Beobachtungen  über  die  Trunksucht  und  ihre  Erblichkeit,  von  Dr.  J. 

Thomson,  Kreisphysikus.     (Arch.  f.  Psych.  XVII.  2.) 

Verf.  fasst  die  Trunksucht  als  die  krankhafte  Steigerung  eines  natürlichen  Triebes 
auf,  eine  Steigerung,  die  in  vielen  Fällen  zur  wirklichen  Psychose  werden  kann.  Dass 
der  Berauschungstrieb  ein  in  der  menschlichen  Natur  tief  begründeter,  natürlicher 
ist,  wird  dadurch  bewiesen,  dass  sich  bei  jedem  nur  einigermaassen  civiUsirtem  Volke 
Beranschungsmittel  finden.  Die  krankhafte  Trunksucht  zeigt  sich  in  periodischer 
(Dipsomanie),  in  continnirlicher  Form,  sowie  in  üebergängen  zwischen  beiden.  Der 
continuirlich  Trunksüchtige  degenerirt  sehr  schnell  körperlich  und  geistig  und  geht 
an  Del.  trem.  oder  an  intercurrenten  Krankheiten  zu  Grunde.  Der  Dipsomane  bleibt 
in  den  Zwischenpausen  geistig  frisch  und  kann  ein  hohes  Alter  erreichen.  Für  die 
krankhafte  Natur  spricht  ausser  der  Periodicität  der  Dipsomanie  auch  noch  die  hoch- 
gradige Erblichkeit.  Hierfür  werden  einige  prägnante  Beispiele  angeführt.  Nach 
Verf.  vererbt  sich  die  Trunksucht  direct  oder  mit  Ueberspringen  einzelner  Generationen: 
dass  Kinder  von  Trunksüchtigen  erblich  zur  Epilepsie,  zur  Scrophulose  etc.  neigten, 
sei  jedenfalls  viel  seltener.  Bruns. 


13)  Del  esame  del  oranio  nei  pazzi,  pel  Doti  A.  Verga.    (Archiv,  italian.  per 
le  malatt.  nervös,  ecc.  1886.  XXIII.  p.  86.) 

Verf.  wendet  sich  gegen  die  moderne  Craniologie  und  bestreitet,  dass  dieselbe 
der  Psychiatrie  einen  wesentlichen  Vortheil  zu  bringen  vermöge.  Es  entzögen  sich 
fast  '/s  der  Gehumoberflacbe,  die  Basis  und  die  beiden  Medianflächen  der  Hemi- 
sphären, einer  irgend  wie  genaueren  Untersuchung  und  ausserdem  läge  ja  die  Hirn* 
rinde  dem  Schädel  gar  nicht  an,  sondern  sei  von  dem  letzteren  durch  eine  Flüssig- 
keitsschicht getrennt,  die  sehr  grossen  Schwankungen  ohne  eine  äussere  Andeutung 
derselben  unterworfen  sein  könne.  Die  Schädelmessung  gestatte  daher  immer  nur 
einen  annähernden  Scbluss  auf  die  Grösse  und  Form  des  Gehirns  und  fast  gar  keinen 
auf  locale  Abnormitäten  desselben.  Einen  positiven  Werth  habe  die  Schädelunter- 
suchung eigentlich  nur  in  Fällen  mit  mangelhafter  Anamnese,  wenn  sich  Knochen- 
narben, Exostosen  etc.  nachweisen  liessen,  und  in  Fällen  mit  ganz  extremer  Grösse 
oder  Kleinheit  oder  Dilformität  des  Schädels,  wo  solche  aber  auch  ohne  Messung  zu 
erkennen  wären. 

Ref.  glaubt,  auf  weitere  Emzelheiten  nicht  eingehen  zu  sollen,  obschon  er  sich 
auf  diesem  Gebiet  leider  nicht  ganz  den  Ausführungen  des  geschätzten  Verf.  anzu- 
schliessen  vermag;  er  erlaubt  sich  gewissermaassen  „pro  domo"  auf  seine  Arbeiten 
über   Irrenschädel   in  Virchow's  Archiv   Bd.  89,  90  und  94  hinzuweisen,   um   hier 


_    380    — 

nicht  seine  in  mancher  Beziehung  abweichende  Auffassnng  genauer  begründen  zu 
müssen.  Ein  nnverhältnissmassig  grosser  oder  kleiner  Schädel  wird  bei  Berflcksich« 
tigung  des  Alters,  des  Geschlechtes  and  der  individuellen  Körpergrösse  ebenso,  wie 
jede  bedeutendere  Asymmetrie  oder  Difformität  den  Verdacht  erwecken,  dass  nicht 
nur  der  Schädel,  sondern  auch  sein  Inhalt  während  der  Entwickelnngsjahre  im  wei* 
testen  Sinne  des  Wortes  „krank"  gewesen  ist  und  daher  noch  für  spätere  Zeit 
mindestens  als  ,,locas  minoris  resistentiae"  betrachtet  werden  muss.  Sorgföltige  Kopf- 
Untersuchung  wird,  wie  lief,  hofft,  besonders  bei  erwachsenden  Kindern,  eine  Pro- 
phylaxe gegen  psychopathische  Erkrankungen  und  in  zweifelhaften  forensen  Fällen 
die  Diagnose  erleichtem.  Schädelabnormitäten  sind  im  Allgemeinen  nicht  künstlich 
hervorzurufen  und  wenn  sie  gleichzeitig  mit  anderen  somatischen  Krankheits-  und 
Degenerationszeichen  und  mit  psychischen  Auffälligkeiten  bei  ein  und  demselben  Indi- 
viduum nachzuweisen  sind,  so  können  sie  häufig  genug  eine  Simulation  der  letzteren 
mit  Sicherheit  ausschliessen.  An  und  für  siqh  hat  die  Erkenntniss  von  Schädel- 
abnormitäten für  die  Psychiatrie  allerdings  keinen  hervorragenden  Werth,  in  Verbin- 
dung mit  der  klinischen  Untersuchung  aber  kann  sie  gewiss  von  grosser  Bedeutung  sein. 

Sommer. 


14)  La  folie  k  deux,  par  B.  Ball.     (L'Enc^phale.  1886.  Nr.  2.) 

B.  giebt  eine  recht  klare  Schilderung  dieser  immerhin  seltenen  und  interessanten, 
zuerst  von  Falret  beschriebenen  Irreseinsform,  doch  führt  er  neue  Thatsachen, 
welche  nicht  auch  schon  aus  der  deutschen  Literatur  bekannt  wären,  nicht  an.  Be- 
merkenswerth  an  der  von  Ball  vorgetragenen  Krankengeschichte  ist  es,  dass  in 
diesem  Falle  gerade  die  Person,  welche  ursprünglich  die  geistig  potentere  gewesen, 
zum  Träger  der  Wahnideen  der  geistig  schwächeren  Persönlichkeit  wird,  und  somit 
die  passive  Rolle  des  Echo  spielt,  welche  sonst  dem  weniger  intelligenten  Theile 
zufallt.  Zander. 


15)   Fall  af  morflnism,  af  Prof.  Alm^n.    (Hygiea.  1885.  XLVII.  12.  Svenska 
läkaresällsk.  förh.  S.  282.) 

A.  erwähnt  einen  Fall  von  Morphinismus,  in  welchem  der  Pat.  während  un- 
freiwilliger Abstinefnz  sich  einer  gesetzwidrigen  Handlung  schuldig  machte  und  ver- 
urtheilt  wurde,  obgleich  er  zur  Zeit  der  That  seine  Handlungen  nicht  frei  beurtheilen 
konnte,  an  schweren  Abstinenzsymptomen  litt  und  sich  in  einem  äusserst  elenden 
Zustande  befand.  Pat.  hatte  täglich  1,5  Gramm  Morphium  verbraucht  und  da  er 
sich  aus  Mangel  an  Geld  keins  beschaffen  konnte,  die  Summe  eines  Sparkassenbuchs 
gefälscht,  so  dass  er  mehr  darauf  erhielt,  als  er  in  die  Kasse  eingezahlt  hatte. 
Schon  früher  einmal  hatte  er  sich  durch  Fälschung  eines  Beceptes  Morphium  zu 
verschaffen  gesucht.     Derartige  Fälschungen  sind  überhaupt  schon  oft  vorgekommen. 

Walter  Berger. 


Therapie. 

16)   Clinioal   observations   on   reflex  genital   neurosas  in  the  female,   by 

Paul  F.  Munde.   (Joum.  of  nervous  and  ment  disease.  1886.  H.  3.  p.  129.) 

Verf.  befürwortet  in  seinem  Vortrage,  den  er  am  12.  März  1886  vor  der  Neu- 
rologischen Section  der  Academy  of  Medicine  zu  New  York  gehalten,  gynäkologische 
Untersuchung  nerv5ser  und  psychopathischer  Frauen,  sobald  auch  nur  ein  Verdacht 
vorläge,  es  könne  sich  um  eine  Störung  handeln,  die  von  erkrankten  Beckenorganen 


—    381    — 

reflectorisch  ausgelöst  werde.  Werde  dann  bei  der  Exploration  eine  Abnoimitat  ge- 
fanden (Lageveränderungen  und  Narben  am  UieruSi  OYarialtamoren,  Perinealrisse  etc.), 
so  sei  eine  entsprechende  Behandlung  vorzunehmen,  selbst  wenn  der  Zusammenhang 
zwischen  dem  localen  Leiden  und  der  angenommenen  Reflexneurose  nicht  klar  Yor 
Augen  l&ge.  Verf.  erw&hnt  u.  A.  einen  Fall  Ton  schwerer  Migräne,  die  seit  18  J. 
bestehend  durch  Excision  einer  alten  Narbe  der  Yaginalportion  seit  5  J.  geheilt 
worden  ist 

In  einem  anderen  Fall  wurde  jedesmal  durch  den  €!oItu8,  dann  aber  auch  bei 
der  Digitaluntersuchung  ebenfalls  in  Folge  der  Beizung  einer  Gervixnarbe  ein  kata- 
leptiformer  Anfall  mit  Anästhesie  und  Bewusstlosigkeit  ausgelöst,  der  sich  nach  der 
Elxcision  und  Naht  der  Wunde  niemals  wiederholt  hat.  Selbst  bei  jahrelang  bereits 
bestehenden  und  anscheinend  hofihungslosen  Neuropsychopathien  hat  Verf.  noch  auf- 
fallende Heilungen  im  Anschluss  an  die  Beseitigung  alter  Ghmitalafifectionen  gesehen 
und  er  empfiehlt  daher  aufs  Wärmste  eine  tactvolle  gynäkologische  Behandlung  ner* 
Yöser  und  geisteskranker  Frauen.  Sommer. 


m.   Aus  den  Geseliscliaften. 

Ophthalmological   Society  of  the   United   Kingdom.     Sitzung   vom  6.  Mai 
1886  zu  London.     (Brii  med.  Joum.  1886.  15.  Mai.  p.  929.) 

Die  ganze  Sitzung  war  einzig  der  Casuistik  des  Morbus  Basedowii  gewidmet 
und  die  zahlreich  vorgetragenen  und  zum  Theil  sehr  bemerkenswerthen  Einzelfalle 
entziehen  sich  daher  einem  kurzen  Referat  Da  das  Original  nicht  allzu  schwer  zu- 
gänglich ist,  so  genügt  hier  der  Hinweis,  dass  besonders  die -Heilbarkeit  (Anwendung 
Yon  Kälte),  die  Combination  mit  Albuminurie,  Diabetes  und  Morbus  Addisonii,  die 
Aetiologie  (Menstruationsanomalien,  Herzfehler,  Lues,  Seltenheit  des  ganzen  Symp- 
tomencomplexes  bei. Männern  und  die  Heredität  (je  drei  und  vier  Schwestern)  berück- 
sichtigt worden  sind. 

In  der  Symptomatologie  wurde  von  Hill  Griffith  hervorgehoben,  dass  das 
Stellwag'sche  Zeichen  (die  anhaltende  Contractur  des  Levator  palpebrae  sup.)  22mal 
unter  30  Fällen  vorhanden  gewesen  sei,  während  das  Graefe*sche  Zeichen  nur  4mal 
positiv  erwähnt  seL 

In  einem  Fall  von  Higgius  wurde  wegen  der  hochgradigen  Vortreibung  der 
Bulbi  die  operative  Verengerung  der  Lidspalte  versucht,  Patientin  starb  aber  während 
der  Narcose  (cf.  Transactions  of  the  Patholog.  Society.  XXY.  p.  240.) 

Jessop  erwähnte  endlich,  dass  durch  Cocalneinträufelung  eine  Lähmung  der 
Augenmuskeln  und  dadurch  eine  künstliche  Vortreibung  des  Bulbus  und  in  einem 
Falle  Basedow*scher  Erkrankung  eine  bedeutende  Vergrösserung  des  Exophthalmus 
bewirkt  werden  könne.  (Vgl.  auch  mein  Referat  über  Sighicelli*8  Arbeit,  dieses 
Centralbl.  1886.  Nr.  9.  S.  202.)  Sommer. 


Soci^t^  de  Biologie  ä  Paris.    Sitzung  vom  12.  Juni  1886. 

Pitres  und  Vaillard  haben  bei  2  Kranken,  die  an  typischer  Arthritis  defor- 
mans  (Rheumat  articuL  chron.  deform.)  mit  erheblichen  Knochenläsionen  und  tro- 
phischen  Störungen  in  der  Haut  litten,  bei  der  Untersuchung  post  mortem  Neuritis 
parenchymatoea  degenerativa  in  den  ergriffenen  Gliedern  geftinden.  Die  Atrophie  der 
Nerven  hatte  an  einzelnen  Stellen  fast  sämmtliche  Nervenfasern  ergriffen. 

Ist  diese  Läsion  eine  zufällige  oder  ist  sie  die  Ursache  der  Veränderungen  der 
Knochen,  Muskeln  und  der  Haut  bei  dem  chronischen  Rheumatismus?  M. 


—    882    — 
IV.  Bibliographie. 

fileolrodiagnostik  und  Bleotrotheraplav  von  Dr.  £.  Bemak.  Sep.-Abdr.  aus 
der  Real-Encjclopädie  der  gesammten  Ueilkimdef  herausgegeben  von  Prof.  A. 
Eulen  bürg,  II.  Auflage.  Verlag  von  Urban  &  Schwarzenberg.  Wien  und 
Leipzig.  1886. 

Die  Ausbildung  der  Electrodiagnostik  und  Elektrotherapie  hat  in  den  lotsten 
Jahren  einen  so  lebhaften  Aifechwang  genommen  und  eine  so  reiche  Litentor  her- 
vorgemfen,  dass  eine  encyclopädische  Darstellong  dieses  Zweiges  der  •Medioin  nicht 
gerade  zu  den  leichten  Dingen  gehöri  Um  so  ireniger,  als  die  Electrotherapie 
im  engem  Sinne  doch  noch  eine  minder  auf  physiologischen  Piincipien,  als  auf 
exacter  empirischer  Beobachtung  ruhende  Disc^ilin  ist,  sich  also  keineswegs  in  ge- 
wisse allgemeine  Lehrsatze  zusammenfassen  läset  Wir  mfissen  unomwnnden  aner- 
kennen, dass  es  B.  in  dem  von  ihm  bearbeiteten  Abschnitt  der  BeaUEneydopadie 
gelungen  ist,  eine  möglichst  gedrängte  und  doch  auch  mö^chst  vollständige  Dar- 
stellung des  betreffenden  Gebietes  zu  geben.  Die  eminente  Knappheit  der  Form  be- 
dingt es,  dass  eine  solche  Bearbeitung  weniger  auf  den  mit  der  Specialität  noch  nicht 
Vertrauten,  als  auf  den  schon  Orientirten  berechnet  ist.  Ersterer  wird  durch  die 
Ffdle  der  oft  aphoristischen  Angaben  leicht  verwirrt  werden,  letzterer  aUein  im  Stande 
sein,  den  reichen  Inhalt  des  häufig  grössere  Untersnchungsreihen  in  wenige  Sätze 
zusammendrängenden  Inhalts  zu  würdigen.  Für  ihn  ist  auch  die  Vollständigkeit  des 
Literaturverzeichnisses  von  nicht  geringem  Werth. 

Wie  sehr  B.  darauf  bedacht  war,  den  neuesten  Stand  der  Kenntnisse  in  der  in 
stetigem  Fluss  begriffenen  Disciplin  zum  Ausdruck  zu  bringen,  geht  schon  daraus 
hervor,  dass  die  vorliegende  zweite  Auflage  bei  unveränderter  Kflrze  der  Darstellung 
vor  der  im  Jahre  1880  erschienenen  ersten  ein  Plus  von  26  Seiten  voraus  hat 

Die  beiden  Hauptabschnitte  Electrodiagnostik  und  Electrotherapie  parti- 
cipiren  gleichmässig  an  dieser  Erweiterung.  Bef.  möchte  nur  an  wenige  Einzelheiten 
eine  Bemerkung  anknflpfen. 

Im  Capitel  electrodiagnostische  Apparate  wird  dem  Hirschmann'schen 
absoluten  Galvanometer  ein  Lob  ertheilt,  das  nach  Ansicht  des  Bef.  in  Bezug  auf 
die  Untersucbimg  nicht  ganz  berechtigt  ist.  Wie  Stintzing  hervorhebt,  Bemak 
neuerdings  selbst  anerkennt,  ist  die  lange  Schwingungszeit  der  Nadel  des  Hirsch- 
mann*8chen  Galvanometers  der  Präcision  des  Besultats  verhängnissvoU.  Bef.  hat 
deshalb  stets  das  Edelmann'sche  sog.  Taschen -Galvanometer,  das  sich  durch  voll- 
kommene Dämpfung  auszeichnete,  zum  Zweck  der  Untersuchung  vorgezogen  und 
möchte  dessen  Benutzung  auch  der  jüngst  von  Bemak  vorgeschlagenen  Methode 
der  Messung  mittelst  des  H.^schen  Galvanometers  vorziehen.  Fflr  subtilere  Unter- 
suchungen dürfte  das  grosse  Edelmann*sche  Galvanometer  schliesslich  doch  allgemein 
acceptirt  werden. 

Bei  der  Beschreibung  der  zur  Diagnostik  nöthigen  Apparate  bezieht  sich  B. 
hauptsächlich  auf  die  von  ihm  angegebene  und  sehr  zweckmässige  Anordnung. 

Die  im  Abschnitt  Electrophysiologie  und  Untersuchungsmethode  an- 
gegebenen Schwellenwerthe  der  einzelnen  Beactionen  nach  absolutem  Maass  würden 
durch  die  neuen  Stintzing'schen  Untersuchungen  eine  Erweiterung  und  Modification 
erfalireD. 

Sehr  hübsch,  zweckmässig  und  vollständig  ist  die  übersiohtliehe  Zosammen- 
Stellung  der  verschiedenen  pathologischen  Beactionen  und  deren  Vorkommeo, 
sowohl  für  die  motorischen,  als  für  die  sensiblen  nnd  für  die  Sinnesnervea. 

Die  Electrophysiologie  des  Bieohnerven,  die  in  der  1.  Auiage  noch  als 
leeres  Blatt  fignriren  mnsste,  hat  durch  die  imter  Bemak*s  Leitung  angestellten 
Untersuchungen  eine  thatBäehliehe  Basis  erbalten. 

Der  II.  Theil,  die  Electrotherapie,  umfasst  4  Abschnitte:  Galvanotherapie, 


—    J83    — 

Faradotlieuipie,  GalvaftofaradotherapiOy  Franklinotherapie,  -^  natfirlkli 
von  sebr  nngleicheiii  Umfang. 

In  der  Galvanotherapie  macht  sich  der  enorme  Yortheil  der  jetxt  mögliehen 
genanen  Angabe  der  Stromdosirong  (mit  BerückBii^tigang  der  Stromdiohte)  in 
li.*8  Darstallnng  in  herrorragender  Weise  geltend,  so  dase  eine  Reibe  von  ohne 
Weiteres  klaren  und  dnrect  verwerthbaren  therapeutischen  Vorschriften  einfliesst,  — 
als  ErfOUnng  des  hinge  gehegten  Desiderates  pr&oiser  electrotberapentischer  Regeln. 

Btne  wichtige  Stelle  niiunt  in  der  Galvanotherapie  die  Besprediang  der  Gal« 
vanisation  des  Gehirns  ein:  es  werden  die  neueren  Methoden  auch  mit  Angabe 
der  absoluten  Stromstärke,  der  zweckmässigen  Electrodengrösse  etc.  vorgeführt  und 
gewürdigt.  Nicht  einverstandeai  aind  wir  mit  der  Angabe,  dass  die  cerebrale  Gal- 
vanisation bei  apoplectiscben  Lähmungen  „übereinstimmend"  schon  früh,  bereits 
8  Tage  nach  Eintritt  der  Apoplexie  empfohlen  werde,  noch  weniger  mit  der  Em- 
pfehlung selbst  Erb  beginnt  z.  B.  die  Behandlung  etwa  3—4  Wochen  nach  Ein- 
tritt der  Lähmung,  in  schweren  Fällen  erst  später  (Electrotherapie  2.  Aufl.  8.  856); 
die  eingehend  motivirte  Abneigung  Brenner^s  gegen  die  centrale  Behandlung  apo- 
plectischer  Hemiplegien  überhaupt  dürfte  doch  wohl  noch  der  Erwähnung  werth  sein. 
Ref.  ist  von  der  häufigen  Schädlichkeit  einer  frühen  Behandlung  der  fraglichen 
Hemiplegien,  gegenüber  dem  immerhin  nur  massigen  Nutzen  im  günstigen  Fall, 
überzeugt 

Bei  der  Erwähnung  der  günstigen  Einwirkung  der  Galvanisation  auf  die  Aphasie 
möchten  wir  Charcot,  der  darüber  genaue  Beobachtungen  veröffentlicht  hat,  hinzu- 
fügen. — 

Im  Abschnitt  Galvanofaradotherapie  fertigt  R.  die  sonderbaren  Behaup- 
tungen Engelskjön's,  die  sogar  in  neuen  hervorragenden  Lehrbüchern  der  Electro- 
therapie eine  unverdiente  Berücksichtigung  gefunden  haben,  scharf  ab. 

Die  Frank linotherapie  ist  den  sich  an  bunter  Mannigfaltigkeit  von  Tag  zu 
Tag  häufenden  Er£ahrungen  und  Mittheilungen  entsprechend  ausführlicher  behandelt 
Für  die  Beurtheilung  der  therapeutischen  Verwendung  der  Franklinisation  wünscht 
R.  ein  etwas  strengeres  Auseinanderhalten  der  Wirkungen  localisirter  Spannungsströme 
und  deijenigen  des  allgemeinen  electrostatischen  Luftbades,  spricht  sich  im  Ganzen 
aber  ziemlich  ablehnend  über  die  Zweckmässigkeit  einer  allgemeineren  Einführung 
der  betreffenden  Methode  aus. 

Ref.  scbUesst  mit  dem  angenehmen  Eindruck,  den  die  Lecture  der  R.*schen 
Arbeit  trotz  des  unvermeidlicher  Weise  nicht  immer  leichten  und  flüssigen  Stiles  auf 
ihn  hervorgebracht,  eine  musterhafte  und  aufs  Sorgfältigste  ausgeführte  Skizze  der 
Elektrotherapie  mit  dem  Siegel  der  ernsten  wissenschaftlichen  Kritik  vor  sich  zu 
haben  und  empfehlen  zu  dürfen.  Eisenlohr. 


Epilepaie. 

(Cf.  Register  1885  S.  571  und  1886  S.  14.  17.  22.  34.  58.  83.  84.  93.  108.  138. 

159.  186  und  210.) 

Hallager:  Klin.  Beiträge  zur  Lehre  von  der  nnregelmässigen  Epilepsie.  In- 
augural-Dissert.  Kopenhagen  1884.  —  Tonnini:  La  Epilessia.  Archiv,  di  Psichiatria 
scienze  penali  etc.  1885.  VI.  4.  —  Tripier:  Des  d^viations  du  rythme  cardiaque 
assod^es  ä  l'epilepsie.  Revue  de  m^d.  1884.  D^c.  et  1885.  Janv.  —  d'Abundo: 
Ricerche  cliniche  sui  disturbi  visivi  nell'epilessia«  Giomale  di  Neuropat  1885.  3  et  4. 

—  Boucheron:  Epilepsie  von  den  Ohren  ausgehend.  Union.  112.  p.  272.  — 
Legrand  du  Sanlle:  ilpilepsie  cans^e  par  la  vue  d*un  cadavre.  Gaz.  des  Höp. 
1885.  63.  —  Fnsier:  Epilepsie  cons^cutive  ä  nne  frayeur  vive.  Encäphale.  1885.  2. 

—  Adamkiewicz:  Zur  sog.  Jackson'schen  Epilepsie.    Klin.  Woch.  1885.  23  u.  24. 

—  Barbier:   De  F^pilepsie  syphilit  et  de  son  diagnoatic  differentiel  avec  Epilepsie 


—    384    — 

YQlgaire.  Thise  de  Paris  1885.  —  Zinsmeister:  Stat.  epilept  im  secimd&reii 
Stadium  der  Syphilis.  Wiener  med.  Woch.  1886.  37.  —  Sie:  L'^pUepsie  et  le 
Bromare.  Le9ons  de  la  clinique  mM.  Paris  1886.  Delahaye  &  Lecrosnier.  — 
Wildermath:  lieber  die  Behandlang  von  Epileptikern  in  Anstalten.  Ztschr.  f.  Be- 
handlung Schwachs.  n.  Epilepi  1886.  Mai.  —  Weiss:  Epilepsie  nnd  deren  Behand- 
lang. Wiener  klinische  Woohenschr.  1884.  April.  —  Erlenmeyer:  Ein  Fall  von 
Trepanation  des  Schädels  wegen  Epilepsie.  Centralbl.  f.  Nervenheilk.  1885.  22.  — 
Caraso:  Dell'oso  dell*atropino  e  del  corare  nella  cura  dell'epilessia.  Qiomal.  dl 
nearop.  1885.  3  e  4. 

Intoadoatioiinieurosen  imd  PiyohoBen  (S.  235). 
Blei.    (Register  1885  8.  571.     1886  S.  9.  10.  11.  60.  159  and  238.) 

Seifert:  Kehlkopfmaskellähmnng  in  Folge  von  BleiYergiftong.    Klin.  Woch. 

1884.  1.  Sept  —  Robinson:  On  the  neryoas  lesions  prodaced  by  Lead-Foisoning. 
Brain.  1885.  Janoary.  —  Schachmann:  Enc^phalopathie  satamine.    Arch.  g^näral. 

1885.  Juin.  —  Porter:  Enoephalopathia  satomina.    Lancei  1885.  II.  12.  Sept 

Arsenik. 
Skolozonboff:  Paralysie  arsänicale.    Arch.  de  Physiol.  1884.  17. 

Chinin. 

Gaatier:    Urticaire   et   d^lire   qainiqae.     Rev.  m^d.  de  la  Saisse   romande. 
1885.  Jani. 

AI  CO  hol.    (Register  1885  S.  570.    Bes.  auch  S.  436.) 

Strümpell:  Ueber  die  Nervenerkrankang  der  Alcoholisten.  Klin.  Woch.  1885.  32. 

—  Lanc^raax:  Paralysies  toxiques  et  paralysies  alcooliqaes.    Union  m^d.  1885.  96. 

—  Dajardin  Beaametz:  Becherches  exp^rimentales  sor  Talcoolisme  chronique. 
Paris  1884.  Dein.  —  Lentz:  De  Talcoolisme.  Paris,  Baillidre,  1885.  —  Peetera: 
L*alcool  physiolog.»  patholog.  et  m6d,  legale.  Bnixelles  1885.  Moncereaax.  — 
Casanova:  Intoxication  chroniqae  par  Talcool,  Tabsinth  et  le  vnln^raire.  Th^  de 
Paris  1885.  —  Francotte:  Un  cas  de  paralysie  alcooliqae  Li^ge  1885.  Extraits 
des  Annal.  de  la  soci^t^  mM.  chir.  —  Gilson:  Absinthisme  chroniqae.  Enc^phale 
1885.  4. 

Aether  (cf.  Register  1885). 
Belnze:  De  Nthermanie.    Thdse  de  Paris  1885. 

Morphinm. 

Zambaco:   Contribation  k  Ntade  de  la  Morph^omanie.    Enc^phale.  1884.  6. 

—  Marandon  de  Montyel:  über  dasselbe  Thema.  Annal.  mM.  psych.  1885.  Jan?. 
Smidt  and  Ranke:  üeber  die  Bedeatang  des  Cocain  bei  der  Morphinmentziehung. 
Klin.  Woch.  1885.  37.  —  Jäckel:  Zar  Behandlang  der  Morphiamsacht  mittelst 
Cocalb.    D.  Medicinalzeitg.  1885.  83. 


V.  Personalien. 

Unser  Mitarbeiter  Herr  Dr.  Pick  wurde  znm  ordentlichen  Professor  der  Psychiatrie 
an  der  medicinischen  Facalt&t  der  deutschen  Univerait&t  zu  Prag  ernannt 


Verlag  Ton  Veit  &  Comp,  in  Leipzig.  ~  Druck  von  Mbtzosb  &  Witmo  in  Leipzig. 


Neurologisches  Centralbuh. 

Uebersicht  der  Leistungen  auf  dem  Gebiete  der  Anatomie,  Physiologie,  Pathologie 
und  Therapie  des  Nervensystemes  einschliesslich  der  Geisteskrankheiten. 

Herausgegeben  von 

Professor  Dr.  E.  Mendel 
Fttnfter  "  *^""-  Jahrgang. 


Monatlich  erscheinen  zwei  Nummem.    Preis  des  Jahrganges  16  Mark.    Zn  beziehen  dnrch 
alle  Bncfahandlnngen  des  In-  und  Auslandes,  die  Postanstalten  des  Deutschen  Reichs,  sowie 

direct  von  der  Verlagsbuchhandlung. 


1886.  1.  September.  m  17. 


Inhalt  I.  OriginalMiHiiellungeii.  1.  Die  in's  Qehira  und  B&ckenmark  herabsteigenden 
experimentalen  Degenerationen  ala  Beitrag  zur  Lehre  von  den  cerebralen  Localisirungen,  von 
Prof.  L.  Bianchi  und  Dr.  6.  d^Abundo.  2.  Zur  Frage  ttber  den  weiteren  Verlauf  der  Hinter- 
wunelfasem  Im  Rttckenmarke,  von  6.  Rossolymo. 

il.  Referate.  Anatomie.  1.  Ueber  die  B^tandtheile  des  Corpus  restiforme,  von  Bech- 
terew, -r  Experimentelle  Physiologie.  2.  Sur  une  fonction  dite  psychique  de  la  mobile. 
Comnmnication  faite  a  la  sod^t^  m^.  de  Gen^ve,  par  Girard.  8.  Influence  du  Systeme  ner- 
veux  sur  la  dilatation  de  la  pupiUe,  par  Kevalewsky.  4.  B^^tr^issement  r^fiexe  de  la  pupille 
par  la  lumi^re,  par  Bechterew.  —  rathologische  Anatomie.  5.  Hyaline  Degeneration 
der  Fasern  des  N.  medianus  sin.  bei  Gegenwart  eines  lateralen  Myxofibroms  an  demselben, 
von  Schuster.  6.  Kritische  Bemerkungen  fiber  die  Bedeutung  der  „Kunstproducte"  bei  der 
Benrtheilung  entzündlicher  und  atrophischer  Processe  in  den  Elementen  des  centralen  Nerven- 
ayatems,  von  PecqueHr.  —  Pathologie  des  Nervensystems.  7.  A  case  in  which  an  cid 
amputation  of  the  left  upper  arm  was  associated  with  an  atrophied  right  ascending  parietal 
convolution,  by  WIglesworth.  8.  Contribution  ä  l'histoire  des  localisations  c^r^brales,  par 
Salesses.  9.  Bidrag  til  IiokaUsationalaren,  af  Leef ard.  10.  Till  frSf^an  om  benets  motoriska 
barkcentrum,  af  Henschen.  11.  Gase  of  injury  to  skull.  —  Trephming  for  epileptiform  at- 
tacks.  —  Bemoval  of  deaÜi  bone.  —  Death,  by  Davy.  12.  Üeber  Tumoren  des  Balkens,  von 
Bnins.  18.  Zur  Catuistik  der  Heiderkrankangen  der  Brücke  mit  besonderer  Berücksichtigung 
der  Störungen  der  combinirten  seitlichen  Augenbewegungen,  von  Bleuler.  14.  Hämorrhagie 
de  la  protub^rance,  par  Raymond.  15.  Ein  Fall  von  Tumor  der  Zirbeldrüse,  von  Reinhold. 
16.  Ueber  einen  Fall  von  gummöser  Erkrankung  des  Chiasma  nervorum  opticorum,  von 
Oppenheim.  —  Psychiatrie.  17.  States  of  deUrium  in  inebriety,  by  Crothers*  —  Therapie. 
18.  Die  Anwendung  des  Atropins  bei  Ptyalismus,  von  Hebold. 

tV,  Bibliographie. 

I.  Originalxnittheilungen. 


1.   Die  in's  Gehirn  nnd  Rückenmark  herabsteigenden 
experimentalen  Degenerationen  als  Beitrag  zur  Lehre  von 

den  cerebralen  Localisimngen.^ 

Von  Prof.  L.  Bianohi,  Privatdocent  an  der  Universität  Keapel  und 
Dr.  G.  d'Abundo»  Assistent  an  der  psychiatrischen  Klinik  der  Universit&t  Neapel. 

Das  so  sorgsam  studirte  und  so  eingehend  besprochene  Problem  der  func- 
tionalen  Localisiningen  auf  der  Gehirnrinde  verlangte  die  Mitwirkung  zahlreicher 

'  Deutsche  Ueberaetzxmg  von  Dr.  G.  d'Abuhdo. 


—     386    — 

Factoren,  ehe  es  einen  gewissen  Grad  wissenschaftlicher  Evidenz  erreichte  nnd 
auf  die  Bahn  einer  sicheren  Lösung  gelangte.  Von  der  einfachen  elektrischen 
Beiznng  der  Gehirnrinde,  so  dunkel  in  ihrem  Mechanismus ,  so  wenig  ein- 
schränkbar in  ihrer  Thätigkeit,  und  noch  weniger  geeignet  zum  vollen  Beweise 
der  functionalen  Localisirung  der  Rinde  zu  führen,  bis  zur  Abschälung  mehr 
oder  weniger  ausgedehnter  Zonen  des  Gehirns  nach  allen  von  der  LiSTEB'schen 
Chirurgie  empfohlenen  Normen  ausgeführt,  um  Thiere  am  Leben  zu  erhalten 
und  Müsse  zu  haben,  die  verschiedenen  symptomatischen  Phasen  der  Abschälung 
selbst  Monate  lang  zu  beobachten  (die  Hemmungsphänomene,  die  beidseitlichen 
und  diejenigen  der  Entschädigung),  ist  ein  riesiger,  und  wir  können  auch  sagen, 
rascher  Schritt  gethan  worden.  Aber  weder  der  Beweis  ist  vollbracht,  noch 
die  Lehre  vollständig  überzeugend.  Es  finden  sich  darin  nur  die  allgemeinen 
Ausdrücke,  aber  das  Detail  ist  noch  verwirrt.  Zwischen  der  Doctrin  Schiff's, 
welcher  der  bewegenden  Zone  Hitzi0'8  und  Febbieb's  keine  andere  Bedeutung, 
als  die  eines  Centrums  des  Gefühlssinnes  der  entgegengesetzten  Körperhälfte 
gewährt,  und  somit  hieran  den  Gedanken  einer  Endstation  der  Hinterstrang- 
fasem  des  Rückenmarks  knüpft,  und  derjenigen  Mükk's,  welche  den  Gedanken 
eines  Centrums  der  mnemonischen  Eindrücke  aller  Eigenschaften  der  Empfin- 
dung der  entgegengesetzten  Körperhälfte  enthält,  Eindrücke,  aus  denen  der 
Bewegungsimpuls,  welcher  den  wahren  Bewegungscentren  übertragen  wird,  her- 
rührt, zwischen  derjenigen  Luciani's,  welcher  sie  als  ein  gemischtes  Centrum 
der  Empfindung  und  der  Bewegung  betrachtet,  und  jener  Goltz's,  welcher 
kaum  einen  gewissen  functionalen  Unterschied  zwischen  dem  vorderen  und  hin- 
teren Gehirnlappen  zulässt,  läuft  eine  solche  Distanz,  die  für  sich  allein  schon 
der  beredteste  Beweis  der  eigentlichen  Schwierigkeiten  dieses  Problems  ist  Es 
ist  wohl  wahr,  es  handelt  sich  darum,  Phänomene  des  psychischen  Lebens  der 
Säugethiere  vom  menschlichen  Gesichtspunkte  aus  zu  erklären  und  der  Phjsiolog, 
der  experimentale  Phänomene  erforscht,  legt  sich  solche  nach  seinem  Gutbefinden 
aus,  und  mit  allem  Anschein  des  experimentalen  Positivismus  ist  er  in  vollster 
speculativer  Beherrschung,  da  wo  die  Phantasie  und  der  abstracte  Gedanke 
mitunter  leichtes  Spiel  finden. 

Es  war  darum  noth wendig,  experimentale,  weniger  anzugreifende  und  ob- 
jectivere  Beweise,  als  die  durch  einfache  Beobachtung  an  theilweise  am  GFehim 
verstümmelter  Thiere  gelieferten,  beizubringen.  Auf  dieser  Bahn  sind  wir 
angelangt  Wenige  sind  uns  hierin  vorangegangen,  Fillifpeaux  und  Vulpian, 
Frakk  und  P1TRE8,  und  besonders  der  betrauerte  von  Güddbn,  von  Monakow, 
LöWENTHAii  und  Mabchi^  haben  (wenigstens  was  den  motorischen  Theii  be- 
trifiPt)  die  aussergewöhnlichen  Bedingungen,  welche  unumgänglich  nothweudig 
sind  für  ein  endgültiges  Urtheil  über  den  physiologischen  Werth  der  Zone, 
welche  man  als  Bewegungszone  hat  betrachten  wollen,  nicht  realisirt 

In  der  That  war  es  unumgänglich  nothwendig,  bei  Führung  der  Experi- 
mente jede  Verletzung  der  unter  der  sogenannten  Bewegungszone  der  Binde 
befindlichen  Bündel  zu  vermeiden,  weil  die  nachfolgenden  Degenerationen  sonst 

^  Eine  kurze  vorgäogige  Notiz. 


—    387     — 

gerade  der  Yerletzimg  dieser  Bündel  statt  derjenigen  der  Bindensubstanz  hätten 
zugeschrieben  werden  können. 

BiNSWAKOEB  war  es,  der  diese  Frage  zuerst  genau  behandelte,  als  er  mit 
einer  bemerkenswerthen  Arbeit  zu  zeigen  glaubte,  dass  die  Verletzungen  der 
Binde  allein  keine  darausfolgenden  Degenerationen  bewirkten.  Damit  bekämpft 
er  offen  und  resolut  die  CHAscoT'sche  Doctrin  und  dessen  Schule;  und  erklärte, 
dass  die  Verletzungen  der  Rinde  allein  keine  herabsteigenden  Degenerationen 
zur  Folge  haben. 

Die  Resultate  unserer  Experimente  sind  in  offenem  Widerspruche  mit  den- 
jenigen Binswanoeb's. 

üebrigens  war  der  Zweck  unserer  Nachforschungen  nicht  ausschliesslich, 
nur  den  physiologischen  Werth  der  verschiedenen  Rindenzonen  festzustellen, 
sondern  besonders  in  jeder  Hinsicht  den  Verlauf  der  degenerirten  Fasern  der 
abgeschälten  Rindenzonen  in  den  verschiedenen  Segmenten  des  Gtehims,  des 
Mesocephalon  und  des  Rückenmarks  zu  verfolgen.  Wir  haben  also  den  Stimlappen, 
den  Gyr.  sigmoides  mit  einer  umliegenden  Zone  und  den  Hinterhauptslappen 
an  Hunden  und  Katzen,  neugeborenen  wie  ausgewachsenen,  zerstört  Wir  haben 
die  Thiere  einige  Wochen  bis  zu  zwei  Jahren  am  Leben  erhalten,  ganz  genau  die 
Symptomatologie  in  ihren  verschiedenen  Phasen  verfolgt,  und  nachher  die  Thiere 
mit  Chloroform  getödtet,  das  Gehirn,  Mesocephalon  und  Rückenmark  untersucht 
vermittelst  horizontaler  und  verticaler  Totalschnitte,  um  ohne  irgend  welche 
vorgängige  Idee  jene  Veränderungen,  welche  allenfalls  eingetreten,  studiren 
zu  können. 

In  dieser  ersten  Mittheilung  daher  ausschliesslich  nur  das,  was  die  soge- 
nannte bewegende  Zone  betrifft 

Was  die  gefundenen  Symptome,  aller  in  der  grauen  Substanz  des  Gyr.  sig- 
moides verstünmielten  Thiere  anbetrifft,  so  waren  solche  identisch.  Permanente 
Aenderung  in  den  Gliedern  des  entgegengesetzten  Körpertheils,  lang  andauernde 
Gesichtsveränderung,  wenig  oder  gar  keine  Störungen  des  Hautgefahls,  welches  wir 
meistentheils  erhalten  finden.  Keine  bemerkenswerthe  Störung  der  psychischen 
Thätigkeit  der  verstümmelten  erwachsenen  Thiere.  Die  Bewegungsverhinderung 
besteht  nicht  in  Ataxie  im  gewöhnlichen  Sinne,  sondern  in  einem  wahren 
Kraftmangel,  in  einer  wahren  Paresis,  welche  der  Ausdehnung  der  Läsion  mehr 
in  deren  Oberfläche,  weniger  in  deren  Tiefe  entspricht 

Der  Paresis  ist  eine  Art  verborgener  Mitlähmung  (Contractur)  zugesellt,  welche 
sich  blos  äussert)  wenn  der  verstümmelte  Hund  beim  Leibe  aufgehangen,  oder  wenn 
er  auf  den  Band  eines  l^hes  gesetzt  wird,  die  paretischen  Glieder  herunter- 
hängen lassend  und  jene  des  entgegengesetzten  Körpertheils  gebogen;  kurz 
jedesmal,  wenn  das  Thier  eine  Bewegung  allein,  an  welche  es  nicht  gewöhnt 
imd  die  von  denen  der  andern  Glieder  getrennt  ist^  ausfahren  will  In  dieser 
Lage  wächst  die  Mitlähmung  durch  den  Tastungsreiz,  während  das  Gesicht  diese 
weder  verbessert^  noch  dem  leidenden  Thiere  den  Beiz  meiden  hilft  Das  Ver- 
schwinden des  willkürÜGhen  Bewegens  ist  vollständig.    Die  Steifheit  ist  durch 


-     388    — 

den  psychischen  Antrieb,  die  unbequeme  Stellung  aufeugeben,  gewachjsen.  Diese 
Phänomene  waren  permanent 

Die  Sehstörungen  sind  inmier  bemerkenswerth,  wenn  im  Bereiche  der  Ab- 
schälung, die  zweite  äussere  Windung,  da  wo  sie  unten  den  Gyrus  sigmoides 
umgiebt,  einbegriffen  ist  Diese  sind  durchaus  nicht  flüchtig,  sondern  erst  nach 
Wochen  und  Monaten  verschwinden  sie  ganz.  Sie  bestehen  in  der  gleichnamigen 
Hemiopie,  wie  in  einer  früheren  Arbeit  von  einem  von  uns  gezeigt  wurde.^  Die 
äussere  Hälfte  des  Augennetzes  auf  der  Seite  der  Läsion  und  die  innere  Hälfte 
des  entgegengesetzten  Auge»  sind  erblindet  Die  Störungen  des  entgegengesetzten 
Auges  sind,  der  Ausdehnung  und  Intensität  wegen,  immer  bemerkbarer,  als  die 
des  der  Läsion  gleichseitigen.  Bei  einigen  Hunden  scheint  es,  man  habe  es 
wirklich  mit  Erblindung  des  ganzen  Gesichtsfeldes  des  entgegengesetzten  Auges 
zu  thun.  Bei  viel  genauerer  Untersuchung  erscheint  die  Hemianopsie.  Die  Grenze 
der  Blindheit  im  Gesichtsfeld  des  gegenüberliegenden  Auges  findet  sich  innerhalb 
des  verticalen  Meridians  des  Auges,  während  in  dem  auf  der  Seite  der  Läsion 
solche  Grenze  sich  ausserhalb  findet  Ob  es  sich  hier  um  psychische  Blind- 
heit, oder  gänzliche  Erblindung  handelt,  ob  es  Fehler  einer  der  Gesichtsfactoren, 
z.  B.  die  Lichteindrücke,  oder  die  Wahrnehmung  der  Distanzen,  woher  die 
Schwierigkeiten,  die  Gegenstände,  welche  in  die  Abschnitte  des  Gesichtsfeldes 
fallen  (die  wir  für  blind  halten),  zu  erkennen,  ist  hier  nicht  der  Ort  zu  be- 
sprechen. 

Aus  den  auf  der  Höhe  der  verstümmelten  Zone  vorgenommenen  verticalen 
Schnitten  entnimmt  man  die  Oberflächlichkeit  der  Läsion.  In  vielen  Fällen  er- 
scheint die  Uebertragung  ausschliesslich  auf  die  graue  Substanz  beschränkt, 
ohne  je  die  darunter  liegende  weisse  Substanz  zu  erreichen.  Die  Läsion  er- 
scheint gut  localisirt  am  Gyrus  sigmoideus  und  an  einer  umli^nden  Zone, 
die  Veränderungen  sind  auch  makroskopisch  sichtbar. 

Die  mikroskopische  Untersuchung  üess  in  allen  Fällen  folgendes  feststellen. 

Von  der  verletzten  Stelle  geht  ein  Bündel  degenerirter  Nervenfasern  ab, 
von  welchen  der  grösste  Theil  das  semiovale  Gentrum,  die  innere  Eapsei,  den 
Himschenkelfuss  und  den  ganzen  motorischen  Theil  der  der  operirten  Seite 
entsprechenden  Pyramide  einninunt  An  der  Kreuzungsstelle  der  Pyramide  be- 
obachtet man  das  degenerirte  gekreuzte  Pyramidenbündel  mit  dem  glachnamigen 
entgegengesetzten  sich  kreuzend  und  auf  die  gegenüberliegende  Seite  passiren, 
wo  es  den  am  hintern  Hom  äosserlich  gelegenen  Theil  des  Seitenstrangs  ein- 
nimmt Im  Gehirn  und  Bückenmark  'ersieht  man  ausser  der  Fortsetzung  der 
Degeneration  des  gekreuzten  Pyramidenbündels  der  der  Verletzung  g^nüber- 
liegenden  Seite  auch  die  Degeneration  des  Bündels  von  Tübck. 

Bei  der  vor  ca.  2  Jahren  operirten  Hündin,  von  der  schon  vorher  die  Bede 
gewesen,  findet  man  auch  die  Degeneration  eines  kleinen  Theils  des  Pyramiden- 
bündels  der  andern  Seite ;  was  sich  auch  in  der  Brücke  und  dem  verlängerten 
Mark  constatiren  lässt.  Im  Bückenmark  finden  sich  dann  eben&lls  die  vor- 
seitlichen Stränge  degenerirt    Hauptsädilich  in  Fällen,  wo  die  Verletzungen 


^  BiAHGHi»  Le  Gompensasioiii  fiuijuoiiali  ddlla  cortecda  eto.    La  Fbidüatiia.    1888. 


—    389    — 

seit  langer  Zeit  bestehen,  hat  ^lan  die  Gegenwart  degenerirtei  Fasern  hier  und 
dort  im  Hinter-  und  Seitenstrang  des  Rückenmarks  zerstreut  beobachten  können. 
Von  der  ?erleteten  Zone  über  das  soeben  erwähnte  degenerirte  Bündel 
hinaus  gehen  andere  ebenfalls  degenerirte  Fasern ,  welche  im  Balken  sich  ver- 
laufen, aosy  sie  Tßrfolgen  ein  gutes  Stuck  desselben  und  einige  verlieren  sich 
umbiegend  in  der  Bogen wulst,  andere  gehen  weiter  und  verlieren  sich  immer 
mehr.  Die  Hälfte  des  Balkens  der  verstümmelten  Hemisphäre  ist  immer  dünner, 
als  die  andere  Hälfte.  Andere  degenerirte  Fasern  gehen  bis  i|pi  den  Streif enhugel 
und  den  entsprechenden  Linsenkem. 

Bemerkenswerth  ist  die  Thatsache,  dass  der  Stxeifenbügel  und  der  ent- 
sprechende Linsenkem  in  der  w^genommenen  Zone  verkleinert  sind  und  Yer- 
mdirung  von  Kernen. und  Keiiroglia  zeigen.  Der  8ehh^;el  der  verletzten  Seite 
erscheint  leicht  kugliger  und  abgerundeter,  als  der  des  gleichnamigen  entgegen- 
gesetzten. Der  der  verletzten  Zone  entsprechende  Seitenventrikel  ist  sehr  erweitert 
Das  anscheinend  gewachsene  Volumen  des  Sehhügels  ist  wahrscheinlich  dem 
verminderten  Widerstand  im  erweiterten  kleinen  Bauche  wegen  Atrophie  des 
Streifenhugels  zuzuschreiben. 

Die  mikroskopische  Untersuchung  lässt  bei  starker  V^rgrösserung  in  den 
degenenrten  Theilen  das  Yersohwinden  des  Markes  und  einer  guten  Anzahl 
Axencylinder  und  die  Verbreiterung  von  Neuroglia  erkennen. 

Im  degenenrten  Pyramidenbündel  ist  kaum  irgendwelche  Faser  verschont 
Im  Streifenhügel  und  Linsenkem  der  verletzten  Seite  sind  die  nervösen  Elemente 
im  Vergleiche  mit  den  gleichnamigen  der  andern  Seite  vermindeit,  gleichzeitig 
ist  die  Neuroglia  leicht  gewachsen  und  die  Haargefasse  sind  mehr  erweitert. 

Wir  führen  hier  ein  einziges  der  von  uns  voigenommenen  Experimente  an 
und  dessen  entsprechendes  mikroskopis^es  Besultat.  Ausgewachsene  Hündin, 
am  23,  November  1884;  Vertilgung  der  Binde  der  Bewegungszone  rechts  (Oyrus 
sigmoideus  5 — 8  mm  um  selben  herum)  nach  Anästhesie  und  Feststellung  der 
erregbaren  Zone  mit  elektrischer,  I(eizung;  wenn  diese  starker  wurde,  wurden  die 
Bewegungen  beiderseitig.  Paresis  der  linksseitigen  Glieder,  stützt  sich  häufig 
auf  die  linke,  rückwärts  gebogene  JSinterpfote.  Das  rechte  Auge  mit  etwas  Wachs 
geschlossen;  sie  blinzelte  mit  dem  linken  nicht,  wenn  man  sie  mit  der  Hand 
schrecken  wollte,  oder  mit  einer  Flamme,  oder  einem  Stock.  Ein,e  gewisse  Beaction 
erhält  man  im  innem  linken  Augenwinkel.  Auch  mit  diesem  misst  sie  Ent- 
fernungen; auf  den  Tisch  gesetzt,  nachdem  sie  ringsum  gegangen  und  jedes 
Widerstreben  besiegt,  thut  sie  einen  abgemessenen  Sprung,  am  Boden  angelangt, 
überschlägt  sie  sich  rechts. 

Posthemiplegische  Mitlähmung  (Gontractur)  in  verborgenem  Zustand  am 
Körper  aufgehoben,  nüt  den  Beinen  herunterhängend,  bildet  sich  Steifheit  der 
linksseitigen  Glieder,  welche  mit  Tastungs-  und  Schmerzensreiz.  vermehrt  wird 
und  welchen  gegenüber  sie  nicht  reagirt. 

Ungefähr  nach  IQ  Monaten  Schwächung  des  linken  Hintergliedes.  Es 
bildete  sich  eine  leichte  Art  von  Paraplegia  postica. 


—    390    — 

Schwangerschaft,  Geburt,  Sangen  wurden  bei  vollständiger  Ctesundhät 
vollbracht 

Vollständiges  Verschwinden  der  Gesichtsstörungen.  Nach  nngefahr  22  Mo- 
naten getödtet 

Autopsie.  Bindenverletzung  von  ca.  2  qcm  auf  die  oberflächlichsten 
Schichten  der  grauen  Substanz  limitirt 

Degenerirtes  Bündel,  welches  vom  Gentrum  der  Verletzung  bis  in's  ovale 
Gentrum  des  Gyrus  sigmoideus  verfolgt  werden  kann.  Einige  der  d^enerirten 
Fasern  gehen  in  den  Balken  und  von  diesem  dringen  einige  in  das  ovale  Cen- 
trum  des  Bogenwulstes  der  nämlichen  Seite,  andere  gehen  in  den  Balken  der 
andern  Seite  über. 

Streifenhügel  und  linsenkem  verkleinert  mit  Vermehrung  von  Kernen  und 
Neuroglia.  Die  degenerirten  Fasern  sanuneln  sich  neuerdings  in  der  innem 
Kapsel,  wo  man  einen  Sclerosefleck  bemerkt  Leichteste  Veränderung  im  Seh- 
hügel und  in  den  Sehstreifen. 

Fast  vollständige  D^eneration  im  rechten  Himschenkelfuss,  aber  theiiweise 
auch  der  linke  degenerirt.  An  der  Brücke  nichts  anderes,  als  die  Degeneration 
der  Pyramidenbündel,  vollständig  rechts,  theiiweise  links.  Im  verlängerten  Mark 
ist  ausser  der  Degeneration  der  rechten  auch  die  der  linken  Pyramide  klar  er- 
sichtlich. Im  Rückenmark  Degeneration  der  gekreuzten  Pyramidenbündel;  be- 
merkenswerther  deijenigen  links.  Man  bemerkt  keine  Degeneration  längs  der 
Bündelbahnen  Tübck's. 

Degeneration  der  GolPschen  Stränge,  welche  am  untern  Theil  des  Rücken- 
marks anfängt,  wo  sich  Myelitis  aller  weissen  Bündel  zeigt  (Leuco-Myelitis). 

Die  Schlüsse,  welche  diese  Untersuchungen  und  die  mikroskopischen  oben 
erwähnten  Resultate  zu  ziehen  uns  berechtigen,  sind  folgende: 

1.  Da  wir  die  unmittelbar  unter  der  Hirnrinde  liegenden  Fasern  nicht 
verletzt  haben,  so  muss  die  Degeneration  nothwendiger  Weise  ausschliesslich  der 
Rindenverletzung  zugeschrieben  werden. 

2.  Dass  wir  bis  in  die  Binde  den  Lauf  der  Degeneration  haben  verfolgen 
können,  liefert  uns  den  sichersten  Beweis,  dass  jene  Fasern  und  die  zum  TheQ 
zerstörte  Rinde  in  intimen  Beziehungen  zu  einander  stehen,  ein  einziges  System 
bilden;  wir  haben  gezeigt,  was  von  Fleohsi0  nicht  bewiesen,  sondern  nur 
vorausgesehen  wurde  mit  seinen  so  wichtigen  Studien  über  die  embryonale 
Entwickelung  der  verschiedenen  Fasersysteme  im  Rückenmark  und  im  Gehirn. 

3.  Der  Streifenhügel  ist  im  Widerspruche  mit  dem,  was  Wsrniokb  zu 
beweisen  gesucht  hat,  mit  der  zerstörten  Zone  vermittelst  eines  Fftaersystems 
des  Stabkranzes  (von  dem  Pyramidenbündel  verschieden)  nach  der  von  Mstkebt 
angestellten  Doctrin  in  enger  Beziehung;  mit  den  bedeutenden  Zerstönmgen 
der  Bewegungszone  zerfällt  er  in  Atrophie.  Dieses  stimmt  überein  mit  den 
Resultaten  der  Untersuchungen  von  Bianohi  über  die  Porencephalie  (La  Psi- 
cUatria.  1884). 

4.  Wenn  das  Pyramidenbündel  ein  Bewegungsbündel  ist,  so  kaim  sein 
Gentrum  nichts  anderes  als  ein  Bewegungscentrum  sein.  Die  wiederholte  Unter- 


—    391     — 

snchnng  der  operirten  Hunde,  die  posihemiplegische  Mitlähmung  (Gontractur) 
und  die  erwähnten  anatomischen  Befunde  sohliessen  in  entschiedenster  Weise 
aus,  dass  es  sich  um  ein  Gefühlscentrum  weder  im  Sinne  Schiffes,  noch 
demjenigen  Mttnk's  handle,  somit  scheint  uns  seine  Eigenschaft  als  wahres 
Bew^^gscentrum  bewiesen. 

5.  Erwähntes  Bewegungscentrum  ist  nicht  allein  beim  Hunde  in  der 
Evolutionssteigerung  der  Bewegungscentren  am  höchsten,  um  so  eher,  als  nicht 
der  Gang,  der  Sprung,  der  Lauf  etc.,  sondern  nur  einige  weniger  gewohnliche 
und  weniger  organisirte  Bewegungen  gestört  werden,  es  ist  aber  auch  die  wahre 
QueUe  der  Kraft,  wirkliche  Lähmupg  ist  in  den  gegenüberliegenden  Gliedern 
vorhanden. 

6.  Die  Hunde,  denen  nur  die  Bewegungszone  vertilgt  worden  ist,  verlieren 
nichts  oder  sehr  wenig  von  ihrem  inteUectuellen  Leben,  bewahren  dieselben 
Instincte,  denselben  Humor,  die  gleiche  Lebhaftigkeit,  sind  erkenntlich,  treu, 
lustig,  anhänglich  wie  früher,  ja  selbst  noch  mehr.  Sie  nähren  sich  gut  und 
vermehren  sich  unter  sich,  epileptische  Junge  zur  Welt  bringend. 

7.  Die  Ersetzung  eines  Theiles  der  Phänomene,  welche  in  der  ersten,  der 
Oehimverstümmelung  bei  Hunden  folgenden  Woche  verschwinden,  kann  nicht 
von  dem  Streifenhügel  und  den  Linsenkemen  behauptet  werden,  denn  es  kann 
die  Hyperfunction  nicht  mit  der  Hypotrophie  und  der  Degeneration  zusammen 
gehen.  Es  bleibt  daher  immer  mehr  die  Idee  des  functionalen  Ersatzes  der 
Rinde  bekräftigt,  wie  einer  von  uns  in  oben  erwähnter  Arbeit  behauptete. 

Wir  können  jetzt  schliesslich  behaupten  als  entscheidenden  Beweis  der 
Localisirungen  auf  der  Gehirnrinde,  dass  die  Zerstörungen  am  Hinterhaupts- 
lappen einen  Symptomencomplex  hervorrufen,  sehr  verschieden  von  dem  vorhin 
beschriebenen,  und  dass  die  Degenerationen  sioh  auf  Bahnen  befinden,  die  von 
den  pyramidalen  entfernt  sind,  aber  hierüber  werden  wir  uns  erlauben  ein 
andermal  zu  sprechen. 

Das  Degenerationsbündel,  welches  von  der  zerstörten  Zone  aus  verfolgt 
werden  kann,  entwickelt  durch  den  Balken  nicht  allein  nur  die  beiderseitigen, 
von  der  elektrischen  Err^nng  der  einen  Rindenseite  hervorgerufenen  Bewe- 
gungen, über  welche  einer  von  uns  in  der  vorstehend  angeführten  Arbeit  sich 
ausführlich  aussprach,  sondern  auch  den  Einfluss,  welchen  eine  Hemisphäre  auf 
beide  Körperh&lften  haben  kann,  und  die  Ersetzung  in  gewissen  Grenzen,  wenn 
eine  der  beiden  Hemisphären  in  ihrer  Bew^ungszone  verstümmelt  ist 


2.  Zur  Frage  über  den  weiteren  Verlauf  der  Hinterwurzel- 

fasem  im  Rückenmarke. 

Von  G.  Bossolymo,  Assistent  an  der  Nervenklinik  in  Moskau. 

Bekanntlich  wird  gegenwärtig  in  der  Neurologie  fast  allgemein  der  Satz 
angenommen,  dass  die   Fortsetzungen   der  hinteren  Wurzeln,  wenigstens  eines 


—    392    — 

Theiles  derselben,  im  Bückenmarke  in  den  Hintersträngen,  speciell  in  den  GoU'- 
schen  Strängen  verlaufen.  Dieser  Satz,  der  ursprünglich  unter  dem  Einflösse 
der  ScHiFF'schen  Lehre  von  dem  Verlaufe  der  tactilen  Bahnen  in  den  Hinter- 
strängen entstand,  gründet  sich  hauptsächlich  auf  der  bekannten  Thatsache  der 
secundären  aufsteigenden  D^eneration  der  Goll'schen  Stränge  nach  Querschnei- 
dungen  oder  krankhaften  Läaionen  des  Bückenmarkes.  —  Da  es  schon  seit 
Walleb's  Untersuchungen  bekannt  war,  dass  die  hinteren  Bückenmarkswuneln, 
nachdem  sie  durchgeschnitten  sind,  in  ihrem  centralen  Abschnitte,  wie  man 
annimmt)  in  Folge  der  Trennung  von  dem  trophiscben  Gentrum  —  dem  Spinal- 
ganglion, degeneriren,  so  konnte  daraus  natürlich  die  Voraussetzung  entstehen 
dass  auch  die  Bückenmarksbahnen,  welche  die  Fortsetzungen  der  hinteren  Wur, 
zeln  in  sich  schliessen,  nach  Trennung  derselben  vom  Spinalganglion  entweder 
durch  Wurzel-  oder  Bückenmarksdurchschneidung,  nach  aufwärts  degeneriren 
sollen.  —  Wenn  nun  diese  Voraussetzung  richtig  ist,  so  müssen  angesicbts  der 
Entwickelung  der  secundären  Degeneration  in  den  GoU'schen  Strängen  bei  oben 
genannten  Bedingungen  die  Fasern  derselben  als  Fortsetzungen  der  hinteren 
Wurzeln  betrachtet  werden.  —  Und  dies  um  so  mehr,  als  die  gleiche  Degene- 
ration auch  in  den  Fällen  der  pathologischen  Läsion  der  Gauda  equina  beim 
Menschen  einerseits^  und  bei  experimentellen  Durchsohneidungen  der  hinteren 
Wurzeln  bei  Hunden  andererseits  beobachtet  wurde.^  Trotz  aller  dieser  Ergeb- 
nisse aber,  die  zu  Gunsten  des  Zusammenhanges  der  Goll'sohen  Stränge  mit 
den  hinteren  Wurzeln  sprechen,  kann  man  kaum  jetzt  die  Fasern  der  ersteren 
für  Sensibilitätsleitende  Bahnen  halten.  —  Gegen  solche  Auffassung  sprechen 
ebenso  die  zur  Zeit  in  der  Physiologie  herrschenden  Anschauungen,  dass  die 
soeben  genannten  Bahnen  wahrscheinlich  in  den  Seitensträngen  des  Bücken- 
markes verlaufen,  als  die  klinisch-anatomischen  Beobachtungen  der  Fälle  com- 
pleter  Hinterstrangsdegeneration  (Tabes),  in  denen  bei  Lebzeit  gar  keine  oder 
unverhältnissmässig  geringe  Störungen  der  Sensibilität  beobachtet  wurden.  — 
Bei  solchem  Widerspruche  bleibt  natürlich  die  Frage  von  der  Wechselbeziehung 
zwischen  den  GolPschen  Strängen  und  hinteren  Wunsein  unaufgelöst  —  Fol- 
gende Ueberlegungen  schienen  mir  nun  bei  Wiederholung  des  Versuches  der 


'  CoBNiL  in  Leyden,  Klinik  der  Rflckenmarkskrankheiten.    Bd.  11.  S.  807. 
Lanob,  Nord.  med.  ark.  1S72.  IV.  2.  Nr.  11.  S.  1-^lS.  —  Sehm.  Jahrb.  1872.  Bd.  1&5. 

S.  281. 
Simon,  Arch.  f.  Psych.  1874.  Bd.  V.  S.  114. 
Lbyden,  1.  c. 

SciiuLTZB,  Arch.  f.  Paych.  1884.  Bd.  XIV.  S.  112. 
EiSBNLOHB,  Ncnrolog.  Centralbl.  1884.  Nr.  4. 

*  BuppALiNi  et  BoBSi.  Arch.  d.  Physiol.  norm,  et  path.  1876.  p.  829. 
J.  SiNOBB,  Sitznngsber.  d.  )Vien.  Acad.  1881.  Abth.  III.  S.  390. 
Kahlbb,  Prager  med.  Wochenschr.  VIII.  Jahig.  Nr.  15.  Ref.  im  Jahresber.  von  Vibchow 

und  HiBscH.  1883.  Bd.  I.  S.  89. 
Bkchtrrbw  und  Rosbnbach,  Nenrolog.  Centralbl.  1884.  Nr.  10.   ~    Die  Einwendong 

Ton  Prof.  ScHULTZB,  ibid.  1884.  Nr.  12.  —  Nachtrag  von  Bbohtbbbw  q.  Boskn- 

baor,  ibid.  1884.  Nr.  14. 


—    393    — 

experimentellen  Entscheidung  dieser  Frage  in  Betracht  genommen  werden  za 
können.  —  Bekanntlich  verhält  sich  das  Backenmark  des  Meerschweinchens, 
wie  ans  den  Erscheinungen  der  sog.  Brown-S^qnard'schen  Lahmung  bei  halb- 
seitigen Lasionen  oder  Henüsectionen  des  Bückenmarkes  folgt,  ganz  ähnlich  dem 
Bückenmarke  des  Menschen  in  betreff  der  completen  Kreuzung  der  die  (Sensi- 
bilität) leitenden  Bahnen  einerseits,  als  auch  (wie  ich  mich  durch  besondere 
einschlägigo  Untersuchungen  überzeugt  hatte)  in  Betreff  der  Form  und  Aus- 
dehnung der  secundären  au&teigenden  Degenerationen  andererseits.  —  Befinden 
sich  nun  in  der  That  im  Bereiche  dieser  aufwärts  degenerirenden  Fasern  die 
die  (Sensibilität)  leitenden  Bahnen  des  Bückenmarkes,  dann  könnte  man  eine 
Degeneration  derselben  auch  in  dem  Falle  erwarten,  wenn  anstatt  der  Hemi- 
section  des  Rückenmarkes  die  Durchsohneidung  der  hinteren  Wurzeln  der 
gegenüberliegenden  Seite  ausgeführt  würde. 

Zur  Entscheidung  dieser  Frage  habe  ich  unter  Leitung  des  Herrn  Prof. 
Dr.  W.  Qlikt,  dem  ich  meinen  innigsten  Dank  schuldig  bin,  folgende  Versuche 
unternommen. 

Dem  chloroformirten  Meerschweinchen  wurden  (nach  Entfernung  der  Bogen 
der  zwei  oder  drei  Lendenwirbel)  behutsam  die  hinteren  Wurzeln,  die  zur  Bil- 
dung des  Ichiadicosstammes  sich  betheiligen,  auf  der  einen  (immer  rechten) 
Seite  bei  jedem  Einzelversuche  in  verschiedener  Zahl  (1 — 3)  durchschnitten.  — 
Bei  streng  antiseptischer  Behandlung  heilte  die  Wunde  bald,  die  Knochen 
regeuerirten  sich.  —  Die  complete  Annästhesie  des  entsprechenden  Gebietes  der 
Unterextremität  bestand  fort  —  Nach  Verlauf  von  3 — 5  Monaten  wurde  das 
Thier  getödtet,  und  die  gleich  ausgeführte  Secüon  und  Untersuchung  der  be- 
treffenden Theile  in  frischem  Zustande  ergab  in  allen  Fällen  Folgendes:  ganz 
unbeträchtliche  Zeichen  einer  leichten  circumscripten  Meningitis  im  Bereiche 
des  Operationsfeldes;  das  Bückenmark  selbst  stellte  von  Aussen  nichts  Besonderes 
dar,  die  centralen  Abschnitte  der  durchschnittenen  hinteren  Wurzeln  reprasen- 
tiren  sich  als  feine  graue  Fäden,  während  die  vorderen  Wurzeln  derselben, 
sowie  die  hinteren  und  vorderen  der  anderen  Seite  durchaus  normal  aussehen. 
—  Bei  Osmiumsäurebehandlung  der  obengenannten  centralen  Stücke  der  durch- 
schnittenen hinteren  Wurzeln  konnte  man  leicht  die  complete  Degeneration  aller 
ihrer  Nervenfasern  constatiren. 

Das  Bückenmark  wurde  in  Müller'scher  Flüssigkeit  und  weiter  in  Alcohol 
erhärtet,  dann  mittelst  Mikrotom  in  Querschnitte  zerl^;  die  letzteren,  mit 
Hämatoxylin  nach  Weioebt  oder  mit  Fikrocarmin  behandelt,  zeigten  bei  der 
mikroskopischen  Untersuchung  folgende  Bilder  den  verschiedenen  Höhen  des 
Schnittes  entsprechend :  Auf  den  Querschnitten  im  Niveau  der  Spitze  des  Conus 
medullaris  (Fig.  IV)  bemerkt  man  ganz  unbedeutende  Zeichen  einer  Leptomenin- 
gitis  circumscripta,  entsprechend  dem  rechten  Hinterhorn,  gänzliche  Abwesenheit 
auf  der  rechten  Seite  der  hier  eintretenden  und  in  dem  Hinterhome  verlaufenden 
Hinterwurzelfasem,  die  Abnahme  der  Zahl  der  Nervenzellen  im  Hinterhome, 
sdir  beträchiiiche  Verkleinerung  fast  bis  zum  gänzlichen  Verschwinden  des 
rechten  Burdach'schen  Stranges  und  unbedeutende,  ja  kaum  bemerkbare  De- 


—     394     — 

generatioQ  eüiiger  Nerreiüaseru  im  Seitenstrange  am  äussereu  Bande  iee  Kopfes 
des  rechten  Hinterhornes. 

Auf  der  Höhe  des  gtüssteu  UmfaDges  (Fig.  II  a.  III)  der  Lendenanschwellong 
locaJiäireu  sich  die  Veraoderungeu  auch  unr  in  der  rechten  Seite  des  Bäcken- 
marbeb  hier  sieht  man  auch  die  complete  Degeneration  der  rechten  Hintei- 
wurzelfabern  und  ihrei  ForU>etzungeQ  im  Hiuterhume,  die  Verkleinerung  des 


Pig  I 


Fig.  U. 


0  bereit  VieiUl  der  LeDdenanschwcUunt; 


Zweites  Viertel  (von  oben)  der  Lenden- 
anBchwellniig. 


letzteren  jedoch  hei  Unversehrtheit  der  Nervenzellen,  die  Abnahme  des  Gebietes 
des  rechten  Burdach'schen  Stranges  in  seinem  mittleren,  dem  Halse  des  Hinter- 
horiis  ai^renzendem  Drittel.    Was  die  den  im  Conus  medullaris  gefundenen 


CoDOB  meduUaria. 


Drittes  Viertel  (van  oben)  der  Lendenftnachwellong. 


entsprechenden  Veräudeningen  im  Seitenstrange'  betrifft,  so  sind  solche  in  dieser 
Höhe  viel  weniger  ausgeprägt  —  Auf  den  Querschnitten  aus  dem  oberen  Theile 
der  Lendeuanschweltung  (Fig.  I]  können  weder  in  den  hinteren  Wurzeln,  noch 

'  „Hinterwnraelgebiet  der  SeitenBtr&nge",  von  Beohtbkbw.    (Arch.  f.  An&t.  tu  PhjiioL 
18S6.    Anatom.  AbtbeiL    Siebe  ancli  dieoea  Ceotiftlbl.  1886.  Nr.  9.) 


—    S95    — 

im  HinterhoTne  und  Seitenstrange  schon  iigendwelcfae  Yeranderungen  entdeckt 
werden.  Nur  die  partielle  Yerkleinerang  des  Burdach'schen  Stranges,  seiner  an 
die  Gommissura  posterior  angrenzenden  Abtheilung  nämlich,  soll  als  die  einzige 
hier  bemerkbare  Veränderung  erwähnt  werden. 

Im  Dorsal-  und  Halstheile  der  rechten  Seite  des  Bückenmarkes ,  sowie  in 
der  ganzen  linken  Hälfte  desselben  und  den  übrigen  nach  oben  liegenden  Ab- 
theilungen des  Centralnervensystems  sind  durchaus  keine  Veränderungen  zu 
bemerken.  Besümiren  wir  jetzt  die  oben  beschriebenen  Veränderungen,  die  nach 
Durchschneidung  der  hinteren  Wurzeln  sich  entwickeln,  so  finden  wir  sie  be- 
schränkt 1)  auf  die  D^eneration  des  centralen  Stumpfes  der  durchschnittenen 
Wurzeln  in  seinem  extra-  und  intramedullaren  Verlaufe,  2)  auf  die  mehr  oder 
weniger  beträchtliche  Beduction  des  Burdach'schen  Stranges  in  einiger  Ausdeh- 
nung (den  durchschnittenen  Wurzeln  entsprechend)  nach  der  Länge,  und  3)  auf 
ein  kleines  Degenerationsfeld  neben  dem  äusseren  Bande  des  Kopfes  des  Hinter- 
homes.  —  Die  übrigen  Abtheilungen  des  Bückenmarkes,  namentlich  die  Goll'- 
schen  Stränge  beiderseits,  erweisen  sich  als  ganz  normal. 

Daraus  erlaube  ich  mir  folgende  Schlüsse  zu  ziehen: 

1)  Die  Fasern  der  hinteren  Bückenmarkswurzeln  hören  beim  Meerschwein- 
chen nach  ihrem  Eintritte  in  das  Hinterhom  auf,  indem  sie  wahrscheinlich  in 
den  hier  liegenden  Nervenzellen  endigen. 

2)  Es  giebt,  ergo,  in  den  hinteren  Bückenmarkswurzeln  des  Meerschwein- 
chens keine  Fasern,  die  sich  ununterbrochen  in  die  Fasern  des  Groll'schen  Stranges 
derselben  oder  der  anderen  Seite  fortsetzen. 

3)  Die  Fasern  der  GoU'schen  Stränge  haben  ihr  trophisches  Centrum  nicht 
im  Spinalganglion,  sondern  irgendwo  an  einem  anderen  Orte. 

4)  Die  physiologische  Bedeutung  der  GoU'schen  Stränge  blieb  durch  meine 
Untersuchungen  unerklärt,  und  so  muss  ich  diese  Frage  dahingestellt  sein  lassen. 

Hier  beeile  ich  mich,  meinen  yerbindlichsten  Dank  Herrn  Prof.  Eojewni- 
KOFF  auszusprechen  ftbr  seine  Liebenswürdigkeit,  meine  mikroskopischen  Prä- 
parate betrachtet  zu  haben. 

Moskau,  Mai  1886. 


n.  Referate. 


Anatomie. 

1)  Ueber  die  Bestandtheile  des  Corpus  restiforme»  von  Prof.  W.  Bechterew. 
(Wjestnik  psychiatrii  i  nevropatologii.  1886.  I.  Russisch.) 

Die  Angaben  B.*s  beruhen  auf  der  Untersnchnng  von  Gehimquerschnitten  ans 
Föten  yerschiedener  Altersperioden  (von  25  cm  Lange  bis  zur  völligen  Reife).  Durch 
Y^olgong  der  Markscheidenentwickelung  gelang  es  ihm,  im  Corpus  restiforme  das 
Vorhandensein  von  fünf  besonderen  Fasersystemen  nachzuweisen,  und  zwar:  1)  Die 
Fortsetzung  der  directen  Kleinhimseitenstrangbahn,  deren  Fasern  bereits  bei  25  cm 
langen  Früchten  markhaltig  erscheinen.  2)  Fasern  aus  dem  gleichseitigen  Nud.  funic. 
cuneati;  sie  entwickeln  sich  bald  nach  den  vorigen  und  liegen  im  (Corpus  restiforme 


—     396      - 

tlieils  dorsal  von  denselben,  theils  vermischt  mit  ihnen.  H)  Fasern,  die  vom  gleich- 
sMtigen  Nud.  latenJis,  genauer  Yom  Nacl.  laier.  post.  (Boller)  aufsteigen.  4)  Bein 
38-—40  cm  langen  Fotos  erhalt  das  Corp.  rostiforme  einen  bedeutenden  Ziavaohs  aus 
beiden  Nud.  funic.  gracilis  durch  Fibrae  arcuatae  anter.  und  posier,  ei^ra.  5)  Cregen 
das  Elnde  des  intrauterinen  Lebens  treten  in  ihm  noch  markhaltige  Fasern  auf,  die 
aus  der  contralateralen  unteren  Olive  stammen. 

Im  Gegensatz  zu  anderen  Autoren  behauptet  Verf.,  dass  weder  die  Formatio 
reticularis,  noch  die  Pyramiden,  noch  das  V.  und  VIII.  Nervenpaar  (Edinger)  sich 
am  Aufbau  des  Corp.  restiforme  betheil^en. 

Was  die  Fortsetzung  des  Corp.  restiforme  im  Kleinhirn  betrifft,  so  zerfällt  es 
daselbst  in  drei  gesonderte  Bündel. 

Eins  davon  enthält  drei  Fasersysteme  —  die  directe  Kleinhimseiteiistrangbahn, 
die  Faserzfige  aus  dem  Nncl.  funic.  cuneati  und  diejeftigen  aus  dem  Nucl.  lateralis. 
Letztere  enden  wahrscheinlich  in  der  Rinde  des  Yermis  super,  der  gegenüberliegenden 
Seite,  währe^d  die  beiden  ersteren  zum  vorderen  Theil  des  gleichseitigeii  Yermis 
super,  ziehen. 

Die  zweite  gesonderte  Fortsetzung  des  Strickkörpers  iu)  Kleinhirn  führt  die  aus 
den  Nucl.  funic.  gracilis  stammenden  Fasern  zu  den  mittleren  Theilen  des  gleich- 
seitigen Yermis  super. 

Das  dritte  Bündel  bilden  die  Fasern  aus  den  unteren  Oliven.  Sie  ziehen  haupt- 
sächlich zu  der  grauen  Substanz  des  Nucl.  dentatus»  zum  Theil  vidleicht  auch  direct 
zur  Kleinhimrinde.  P.  Bösen bach. 


Experimentelle  Physiologie. 

2)  Sur  ime  fonotion  dite  psychique  de  la  mobile.     Conununioation  faite 

a  la  Booietö  m^d.  de  Gendve»  par  le  Dr.  U.  Girard.    (Revue  medic.  de 
la  Suisse  romande.  1886.  Nr.  7.) 

Yerf.  demonstrirte  3  Frösche,  denen,  er  nach  dem  Yorgang  von  Talma ^  die 
hinteren  Wurzeln  des  Plexus  lumbalis  einseitig  durchschnitten  und  dann  das  Rücken- 
mark dem  einen  hinter  dem  Kleinhirn,'  dem  zweiten  aber  in  der  H6he  des  Hypo- 
glossus  dnrehtrennt  hatt«,  während  der  dritte  ein  unversehrtes  Centnünervensystem 
besass.  Durch  das  Stadium  der  Bewegungen  dieser  Thiere  wird  Yerf.  zur  Bestätigung 
der  Angaben  Talma's  und  zu  Reflexionen  geführt,  die  im  Original  nachzulesen  sind. 

Hitzig. 

3)  Influence  du  systdine  nerveux  sur  la  dilatation  de  la  pupille«   par  N. 

Kovalewsky,   prof.  ä  TUni versitz  de  Kasan.     (Extrait  des  Arch.  Slaves  de 
Biol.  Paris  1886.) 

K.  kommt  auf  Grund  einer  grossen  Zahl  von  an  Katzen  ausgeführten,  combinirten 
Durchschneidungs-  und  Reizungsversuchen  zu  folgenden  Schlüssen. 

1)  Die  Hypothese  von  Schiff  und  Salkowski  über  den  directeu.  Yerlauf  von 
Erweiterungsfasem  der  Pupille,  welche  von  einem  Gehimcentrum  aus  durch  den 
Seitenstrang  des  Halsmarkes  in  den  Halstheil  des  Sympathicus  eintreten  sollen,  ent- 
spricht den  Thatsachen  nicht. 

2)  Die  Hypothese  von  Budge,  welche  gegenwärtig  von  Luchsinger,  S.  Mayer 
und  Pf  ibram  aufrecht  erhalten  wird,  betreffend  die  ^E^xistenz'  eines  autonomen,  im 
Rückenmark  gelegenen  pupillenerweiternden  Centrums,  entspricht  ebensowenig  den 
Thatsachen. 


*  Pflöger»8  Arch.  Bd.  XXXVn.  S.  617  ff. 


—    397    — 

Si)  Das  autonome  der  reflectorißchen  Erregung  zugängige  Centrum  fOr  die  pupiUen- 
erweitemden  Nerven  Hegt  in  der  Himregion. 

4)  Aus  diesem  Centrum  entstehen  intercentrale  Faserzüge,  welche  sich  auf  zwei 
Wegen  —  einer  Hirn-  und  einer  Rückenmarksbahn  —  zu  den  Ganglienzellencom- 
plexen  begeben,  aus  denen  die  pupillenerweitemden  Fasern  entspringen. 

5)  Wahrscheinlich  verläuft  die  RQckenmarksbahn  in  den  Seitensträngen  und 
zwar  für  jede  Pupille  doppelseitig.        *    ' 

6)  Nicht  alle  pupillenerweitemden  Fasern  verlaufen  durch  den  Halstheil  des 
Sympathicus  nach  dem  Auge.  Für  eine  kleine  Zahl  von  Fasern  muss  noch  ein 
anderer  Weg  existiren. 

7)  Die  Bahnen  für  die  sensibelen  von  den  Ischiadicis  aufsteigenden  und  in  das 
dilatireüde  Qehimcentrum  einstrahlenden  Reize  verlaufen  hauptsächlich  in  den  Seiten- 
strängen; im  Cervicalmark  jeder  Seite  finden  sich  Fasern  beider  Ischiadici;  und  von 
jeder  Seite  aus  kann  deshalb  doppelseitige,  reflectorische  Pupillenerweiterung  aus- 
gelöst werden! 

8)  Beizung  des  Vagus,  Hjpoglossus,  Lingualis  und  Infraorbitalis  bewirkt  ebenso 
wie  Reizung  der  bereits  bekannten  Nerven  reflectorische  Pupillenßrweiterung. 

9)  Das  centrale  pupillenerweitomde  Centrnm  ist  nicht  nur  der  reflectorischen, 
sondern  auch  der  directen  Erregung  fähig,  vermittelt  namentlich  durch  Verringerung 
der  arteriellen  Blutzufuhr  (Verschluss  der  Carotiden)  und  durch  Dyspnoe. 

10)  Für  die  Retraction  der  Nickhaut  und  dio  Protrusion  des  Bulbus  existirt 
gleichfalls  ein  autonomes  Gehimcentrum ;  aber  die  aus  demselben  entstehenden  Bahnen 
verlaufen  ausschliesslich  in  den  Seitensträngen.  Diejenigen  peripherischen  Bahnen, 
welche  aus  dem  Rückenmark  entspringen,  verlaufen  nicht  ^ämmtlich  durch  den  Hals- 
theil des  Sympathicus,  sondern  beschreiten  noch  einen  anderen  Weg. 

11)  Das  durch  Reiz-  und  Lähmungsversuche  producirte  Gesammtbild  der  Augon- 
erscheinungen  (Auge,  Nickhaut  und  Lidspalte)  deqkt  sich  in  seinen  einzelnen  Zügen 
nicht  bei  allen  Versuchen.  Es  kommen  im  Gegentheil  Fälle  vor,  bei  denen  neben 
der  Erregung  der  pupillenerweitemden  Fasem  Abschwächung  der  Innervation  der 
Nickhaut  beobachtet  wird.  Aus  diesem  Gmnde  und  wegen  der  Verschiedenheit  des 
Verlaufs  der  pupillenerweitemden  und  der  motorischen  Fasem  der  Nickhaut  muss 
die  Innervation  jeder  dieser  beiden  Bewegungen  gesondert  untersucht  werden. 

Hitzig. 

4)  BtotetBsement  r^fleze  de  la  pupUle  par  lalumidre»  par  M.  Bechterew. 
(Arcfa.  slaves  de  biol.  1886.  L  2.  S.  356.) 

In  Fortsetzung  seiner  früheren  Versuche  constatirte  B.  an  Hunden  durch  Ex- 
stirpation  im  Bereiche  des  3..  Ventrikels,  dass  bei  Läsion  des  postero-lateralen  An- 
theils  dieses  Ventrikels  die  correspondirende  Pupille  ad  maximum  erweitert  und 
reactionslos  ist;  dadurch  ist  erwiesen,  dass  die  Trennung  der  den  Irisrefiex  ver- 
mittelnden Fasem  von  den  das  Sehen  vermittelnden  nicht  unmittelbar  hinter  dem 
Chiasma,  sondern  erst  im  weiteren  Verlaufe  der  Tractusfasem  erfolgt;  Versuche  einer 
genaueren  Bestimmung  der  Localität  scheiterten  an  operativen  Schwierigkeiten.  6. 
benutzte  deshalb  Tauben  und  Hühner  und  constatirte  vorerst,  dass  die  vom  normalen 
Thiere  bekannte  Erscheinung  der  Pupillenverengerung  bei  Lidschluss  auch  bei  ent- 
himten  Vl^geln  bei  Berühmng  der  Comea  eintritt,  was  beweist,  dass  zwischen  dem 
Trigeminus  einerseits,  dem  Oculomotbrius,  dessen  Ast  für  den  Levator  palpebr.  sup. 
andererseits  eine  anatomische  Verbindung  besteht,  und  den  Schluss  erlaubt,  dass  auch 
bei  Unterbrechung  der  reflexvermittehiden  Fasem  zwischen  Opticus  und  Oeulomotorius 
Pupillenverengung  durch  Reizung  der  Comea  zu  erzielen  ist.  Ging  B.  zwischen  den 
Zweihügeln  mit  einem  Pfriem  ein,  so  trat  jedesmal  Pupillenstarre  bei  maximaler  Er- 
weiterung ein,  sowie  Lähmung  des  Orbicülaris;  in  einzelnen  Fällen  gelaug  es,  die 


—    398    — 

Erscheinangen  aaf  ein  Äuge  beschrankt  zu  erzeugen  bei  ganz  schwacher  BetbeiHgung 
der  anderen  Iris  und  ergab  die  Section,  dass  die  Läsion  die  innere  Partie  des  gleich- 
seitigen Tubercnl.  bigemin.  getroffen  hatte. 

Weitere  Versuche  über  den  Ort  des  Abganges  der  reflectorischen  Fasern  vom 
Opticus  zum  Oculomotoriuskem  bei  Vögeln  ergaben,  dass  derselbe  vor  dem  Eintritt 
der  Tractusfasern  in's  Tubercul.  bigemin.  erfolgte  und  dass  jene  im  centralen  Höhlen- 
grau  verlaufen. 

Vögel  mit  Lasion  des  Ventrikelgrau's  zeigten  in  der  Regel  nach  der  Operation 
rhythmische  Gontractionen  der  Iris. 

Wir  benützen  diese  Gelegenheit,  das  neue  Archiv,  das  die  Arbeiten  rososcher 
und  polnischer  Autoren  in  erfreulicher  Weise  auch  unserem  Leserkreise  erschliessen 
wird,  hiermit  zu  begrüssen.  A.  Pick. 


Pathologische  Auatomie. 

6)   Hyaline  (waohsartige)  Degeneration  der  Fasern  des  N.  medianns  sin. 
bei  (Gegenwart  eines  lateralen  Myxofibroms  an  demselben,   von  H. 

Schuster.     (Zeitschr.  f.  Heilk.  1886.  VII.) 

Gänseeigrosser  Tumor  in  der  medialen  Bicipitalfurche,  dessen  Kapsel  in  die 
Scheide  des  N.  medianus  übergeht,  ausserdem  3  kleinere,  anderweitige  Tumoren. 
Symptome  während  des  8jähr.  Verlaufs:  Parästhesien,  Schmerzen,  klonische  Zuckungen 
der  Vorderarmmuskeln,  Paresen.  —  Exstirpation  der  Geschwülste  und  Besection  des 
N.  medianus.  Erstere  erweisen  sich  als  typische  Myxofibrome  mit  hyaliner  D^ene- 
ration,  welche  sich  auch  im  Bindesubstanzgewebe  des  resecirten  Nervenstücks  findet 
Ganz  einzig  dastehend  ist  aber  das  gleichzeitige  Vorkommen  von  hyaliner  Substanz 
innerhalb  der  Nervenfaserscheiden  im  ganzen  resecirten  Stück  (Zupfpraparate 
in  V2 — ^^/o  Osmiumsäure:  Scheiden  gequollen  und  mit  Buckeln  beseiust,  ausgefüllt 
von  hyalinen,  mit  Jod  sich  nicht  specifisch  farbonden  Ballen,  zwischen  letzteren  ge- 
quollenes, umgewandeltes  Mark,  Axencylinder  persistiren,  leicht  gequollen). 

Hypothetisch  wird  das  Auftreten  des  Hyalins  auf  den  erhöhten  Druck  bezogen, 
dem  der  Nerv  durch  die  Geschwulst  ausgesetzt  war.  Th.  Ziehen. 


6)  Kritische  Bemerkungen  über  die  Bedeutung  der  »«Kunstproduote**  bei 
der  Beurtheilung  entEündllcher  und  atrophischer  Prooesse  in  den 
Elementen  des  centralen  Nervensystems,  von  W.  Pecqueur.  (Wjestnik 
psychiatrii  i  nevropatologii.  1886.  I.     Russisch.) 

Durch  eigene  Untersuchungen  mit  dem  Studium  atrophischer  Vorgänge  au  den 
Nervenzellen    beschäftigt,   unterzieht  Verf.  die  neuerdings   von   Fr.  Schultze   und 
Kreyssig  (Virchow's  Arch.  Bd.  102),  wie  auch  vor  einigen  Jahren  von  B.  Schulz 
(dieses   Gentralblatt   1883 — 84)    aufgestellten   Behauptungen   über  arteficielle   und 
cadaveröse  Veränderungen  der  Nervenzellen  in  den  Gentralorganen  einer  gründlichen 
und  scharfen  Kritik.    Was  den  zuletzt  genannten  Autor  anbetrifft»  so  schliesst  sich 
P.  an  die  seiner  Zeit  vom  Referenten  gemachten  Ausführungen  über  die  Bedeutung 
der  Vacuolisation  der  Nervenzellen  (vergl.  dieses  Gentralblatt  1884)  vollständig  an. 
Seine  eigene  Polemik  ist  hauptsächlich  gegen  den  von  Fr.  Schnitze  und  Kreyssig 
ausgesprochenen  Zweifel  am  pathologischen  Charakter  der  Nervenzellenveränderongen 
bei  Intoxicationen  gerichtet.    Dieser  Zweifel  entstand  bekanntlich  einerseits  dadurch, 
dass  es  gelingt  auch  an  Präparaten  von  „gesunden"  Thieren  verschiedene  FärbungB- 
nuancen  der  Nervenzellen  zu  beobachten;  anderM:Beits  dadurch,  dass  auffälliger  Weise 
die  verschiedensten  Gifte  (in  den  Untersuchungen  von  Danillo,  Popow,  Tschysch 
u.  A.)  die  nämlichen  Veränderungen  hervorbrachten.    Verf.  führt  den  Nachweis,  dass 


—    399    — 

sowohl  die  genannten,  als  auch  mehrere  andere  in  Deutschland  unbekannt  gebliebene 
russische  Autoren,  die  atrophisch-degenerativen  Veränderungen  der  Nervenzellen  im 
Gehirn  nnd  Rückenmark  beschrieben  haben,  sich  dabei  durchaus  nicht  ausschliesslich 
von  Veränderungen  der  Tinctionsßlhigkeit  an  erhärteten  Präparaten  leiten  Hessen, 
sondern  sich  auf  sehr  mannichfaltige  chemische  und  optische  Eigenthümlichkeiten  der 
Zellen,  sowohl  in  erhärtetem,  als  auch  frischem  Zustande  stützten.  Femer  macht  er 
darauf  aufmerksam,  dass  die  relative  Einförmigkeit  der  betreffenden  mikroskopischen 
Bilder  bei  verschiedenen  Intoxicationen  und  pathologischen  Processen  nicht  nur  nichts 
Aufi[alliges  bietet,  sondern  im  Gegentheil  sehr  natürlich  ist;  ganz  die  nämlichen  Ver- 
änderungen der  Nervenzellen  wurden  auch  von  verschiedenen  Autoren  als  pathologischer 
Befund  bei  diversen  Erkrankungen  des  Centralnervensystems  des  Menschen  angegeben 
—  bei  progressiver  Paralyse  von  Meynert,  Ljubimow,  Mierzejewski,  bei  Bulbär- 
Paralyse  von  Erb  u.  A.,  bei  Myelitis  von  Ziegler,  Erb,  Leyden,  Charcot  etc.  etc. 
Femer  sind  ganz  ähnliche  Veränderungen  an  den  Zellen  der  Darmganglien  bei  der 
Cholera  von  Prof.  Ivanowski  (russisch)  beschrieben  worden,  an  den  Zellen  der 
Herzganglien  bei  Vergiftung  mit  Qallensäuren  von  Jaroschewski  u.  s.  w. 

Verf.  macht  femer  auf  das  Paradoxon  auftnerksam,  zu  dem  wir  gelangen  wurden, 
wenn  die  in  Rede  stehenden  Verändemngen  der  Nervenzellen  in  der  That  nichts 
Anderes  wären,  als  durch  Erhärtung  und  andere  Umstände  bedingte  Kunstproducte; 
es  müsste  bei  den  verschiedenen  pathologischen  Zuständen,  um  die  es  sich  hier 
handelt,  den  Elementen  des  Nervensystems  eine  ganz  merkwürdige  Resistenzfahigkeit 
zugesprochen  werden,  und  eine  solche  Annahme  ist  um  so  mehr  unzulässig,  als  in 
diesen  Fällen  degenerative  Veränderungen  anderer  Zellenelemente  (z.  R  in  der  Leber, 
in  den  Muskeln)  allgemein  anerkannt  sind. 

Indem  hier  nicht  der  Ort  ist,  auf  weitere  Einzelheiton  der  gekennzeichneten 
Polemik  einzugehen,  begnügen  wir  uns  mit  dieser  gedrängten  Schilderang. 

P.  Rosenbach. 


Pathologie  des  Nervensystems. 

7)   A  case  in  which  an  old  amputation  of  the  left  npper  arm  was  asso- 
oiated  with  an  atrophied  right  ascending  parietal  convolution«   by 

Wiglesworth.     (Joum.  of  ment.  science.  1886.  April.) 

W.  beschreibt  das  Gehirn,  einer  im  Alter  von  56  Jahren  gestorbenen  epilep- 
tischen Kranken,  welche  im  Alter  von  4  Jahren  eine  Amputation  des  linken  Ober- 
arms im  mittleren  Drittel  überstanden  hatte.  Der  Fall  bietet  dem  Verf.  eine  Be- 
stätigung für  die  Localisirnng  der  Gehimfunctionen,  denn  im  rechten  Gyr.  centr. 
post.  fand  sich  eine  stark  ausgeprägte  Atrophie.  Wegen  der  Zahlen  über  Maasse  und 
Gewicht  der  einzelnen  Theile  und  wegen  der  Abbildung  muss  auf  das  Original  ver- 
wiesen werden.  Zander. 


8)   Ck}ntribution   &  l'hlBtoire  des   locaUsatioos   cerebrales,    par  Salesses. 
(L'Encöphale.  1886.  Nr.  3.) 

S.  berichtet  über  2  verschiedene  Fälle  von  Zerstörung  von  grauer  Rindensub- 
stanz,  in  welchen  er  eine  Stütze  der  Functionslocalisation  an  bestimmte  Hiracentren 
erblickt;  im  ersten  handelt  es  sich  um  angeborene  Atrophie  der  excitomotorischen 
Centren  der  Rinde  der  linken  Hemisphäre,  in  Folge  deren  vom  2.  Lebensjahre  an 
eine  spasmodische  rechtsseitige  Hemiplegie  constatirt  wurde  und  im  späteren  Lebens- 
alter bildete  sich  eine  epileptische  Psychose  aus.  Im  zweiten  Falle  führt  umgekehrt 
die  Amputation  des  rechten  Armes  im  Alter  von  13  Jahren  zur  Atrophie  der  grauen 


—     400     — 

Binde  in  der  oberen  Partie  der  linken  aufsteigenden  Stimwindang  (Gyr.  centr.  ant). 
Die  Details  der  beiden  Gehirnbefunde,  welche  durch  Zeichnungen  näher  erläutert 
sind,  müssen  im  Original  eingesehen  werden.  Zander. 


9)  Bidrag  til  LokaUsationslftren,  af  Chr.  Leegard.  (Norsk  Hag.  f.  LägevidensL 
1885.  3.  E.  XV.  4.  S.  191.) 

Ein  SOjähriger  Mann  war  nach  einem  heftigen  Schlag  auf  die  rechte  Seite  des 
Kopfes  Y4  Stunde  lang  bewnsstlos  und  am  linken  Arme  gelähmt  gewesen;  nach 
72  Stunde  konnte  er  den  Arm  wieder  bewegen,  Hand  und  Finger  aber  nicht.  An 
der  verletzten  Stelle  bildete  sich  eine  Fistel,  aus  der  Eiter  ausfloss  and  die  sich 
später  schloss,  aber  immer  wieder  aufbrach.  Etwa  5  Monate  nach  der  Verletzung 
trat  ein  epileptiformer  Anfall  auf,  der  mit  Zuckungen  in  den  linken  Extremitäten 
begann.  Bei  der  Aufnahme  am  15.  Nov.  1884  (11  Mon.  nach  der  Yerletzong)  fand 
sich  am  rechten  Os  parietale  eine  von  einer  scharfen  Enochenkante  begrenzte  De- 
pression, die  sich  nach  oben  zu  allmählich  verlor  und  vom  Tuber  parietale  nach  der 
Sutura  coronaria  hin  ging.  Sie  war  7,5  cm  lang  und  lag  13  cm  oberhalb  der  Spitze 
des  Processus  masi  und  7  cm  nach  vom  von  der  Sutura  longitudinalis.  Am  Tnber 
parietale  fand  sich  eine  Fistelöffhung,  die  auf  unebenen,  blossgelegten  Knochen  ftkhrte; 
nach  einer  Incision  zeigte  sich  eine  Fractur,  durch  welche  man  in  einen  Baum  zwischen 
Knochen  und  Dura  gelangte;  pulsirende  Bewegung  sah  man  nicht  im  Wundboden. 
Durch  Ausmeisselung  von  Knochen  am  hintern  Wundwinkel  wurde  die  Oeffiiung  in 
dem  Schädel  vergrössert,  die  Dura  aber  nicht  geöffnet.  Ein  antiseptischer  Verband 
wurde  angelegt.  An  demselben  Tage  trat  ein  epileptiformer  Anfall  auf,  danach  ver- 
fiel Fat.  in  Coma  mit  nach  links  gewendetem  Gesicht;  die  Pupillen  waren  gleich. 
In  der  folgenden  Nacht  trat  wieder  ein  Anfall  auf,  in  dem  sich  die  Krämpfe  nur 
auf  die  Arme  beschränkten;  bewusstlos  wurde  Fat.  dabei  nicht.  —  Die  Intelligenz 
schien  ungeschwächt,  Fat.  klagte  nur  über  geringe  Steifheit  und  (Jnbeholfenheit  im 
linken  Arme  und  in  der  Hand,  mit  taubem  Gefühl  in  den  Fingern.  Die  Beweglich- 
keit der  G^ichtsDDuskeln  war  gut,  auch  die  der  Augäpfel,  Diplopie  war  nicht  vor- 
handen. Die  Zunge  wurde  deutlich  nach  links  geneigt  herausgestreckt^  die  linke 
Hälfte  derselben  war  kleiner  als  die  rechte,  die  Bewegungen  der  Zunge  waren  aber 
gut  (es  erscheint  zweifelhaft,  ob  diese  Asymmetrie  der  Zunge  zum  Kntnkheitsbild 
gehörte).  Am  weichen  Gaumen  zeigte  sich  nichts  Bemerkenswerthee;  das  Gefühl 
war  überall  gut.  Der  linke  Arm,  besonders  die  Hand,  war  paretisch;  alle  Bewegungen 
konnten  ausgeführt  werden,  waren  aber  unbeholfen,  besonders  feinere  Bewegungen. 
Bei  gesclüossenen  Augen  bestand  eine  geringe  Unsicherheit,  auch  bei  einfachen  Be- 
wegungen. Periost-  und  Sehnenreflexe  am  Hand-  und  Ellenbogengelenk  waren  deut- 
lich vermehrt,  die  Hautrefiexe  normal,  ebenso  die  mechanische  Muskelreizbarkeit. 
Deutliche  Bigidität  war  nicht  vorhanden,  auch  keine  Atrophie.  —  Die  Sensibilität 
war  etwas  herabgesetzt  an  der  Hand  und  an  den  Fingern,  oberhalb  des  Handgelenb> 
schien  sie  normal.  Einfache  leichte  Berührung  fühlte  der  Kranke  nicht  am  kleinen 
Finger,  aber  wohl  an  den  übrigen  Fingern;  der  Unterschied  zwischen  der  Spitze  und 
dem  Kopf  einer  Stecknadel  wurde  an  allen  Fingern  unsicher  aufgefasst,  an  der 
rech  ton  Hand  aber  mit  Leichtigkeit;  die  Eindrücke  wurden  unsicher  localisirt,  Fat 
wusste  nicht  immer  den  berührten  Finger  genau  anzugeben.  Die  Spitzen  des  Aesthesio- 
meters  werden  an  den  Fingerspitzen,  selbst  bei  grösserem  Abstand  nicht  unterschieden. 
Das  Temperaturgefühl  war  ebenfalls  deutlich  herabgesetzt,  auch  das  DruckgefEUi]. 
Das  Muskelgefühl  war  sonst  gut  und  Patient  koimte  bei  geschlossenen  Augen  mit 
Leichtigkeit  mit  der  rechten  Hand  und  dem  rechten  Arm  die  Bewegungen  nachmachen, 
die  mit  dem  linken  passiv  vorgenommen  wurden.  —  An  beiden  untern  Extremitäten 
waren  die  Sehnenreflexe  verstärkt 

Die   beschädigte  Gehimstelle  muss  in  den  mittleren  Theil  der  Centralwindong 


401    — 

verlegt  werden  tmd  dieser  Localisation  entsprechen  die  motorischen  Störungen.  Von 
grösserem  Interesse  sind  die  Sensibilitatsstönm^en;  der  Fall  deutet  darauf  hin,  dass 
dieselben  Theile  der  Corticalsubstanz,  die  für  die  Motilität  Bedeutung  haben,  diese 
auch  für  die  Sensibilität  besitzen,  wodurch  Munk's  Experimente  und  Exner*s  kli- 
nische Untersuchungen  eine  Stütze  gewinnen.  Munk's  Theorie  von  der  Seelenläh- 
mnng  scheint  indessen  nach  L.  nicht  durch  solche  Fälle  bestätigt  zu  werden. 

Walter  Berger. 

lO)   Till  fvagan   om  benets  motoriska  barkoentnun,   af  S.  E.  Henschen. 
(Upsala  läkarefören.  förh.  1886.  XXI.  7.  S.  359.) 

Bei  einem  5jährigen  tuberculösen  Knaben  trat  im  August  1884  eine  Parese  im 
rechten  Bein  und  im  rechten  Arme  auf.  Im  Arme  war  sie  bei  der  am  8.  Sept.  er- 
folgten Aufnahme  wieder  verschwunden,  im  Bein  blieb  sie  bestehen.  Das  Gefühl 
verhielt  sich  normal.  Einige  Tage  vor  dem  am  26.  Dec.  erfolgten  Tode  stellte  sich 
tuberculöse  Meningitis  ein.  Bei  der  Section  fand  sich  eine  tnbercnlöse  Masse,  welche 
den  Lobulus  paracentralis  einnahm,  einen  Theil  des  Lobulus  quadratus,  den  obersten 
Theil  des  Gyrus  centralis  posterior  und  die  angrenzenden  Theile  des  Gyrus  anterior 
und  den  vorderen  Theil  des  Gyrus  parietalis  superior.  —  Aus  der  Zusammenstellung 
einer  Reihe  von  Fällen  aus  der  Literatur  zieht  H.  folgende  Schlüsse  in  Bezug  auf 
die  Localisation.  1)  In  allen  Fällen  von  Bein-Monoplegie  fand  sich  eine  Läsion  des 
Lobulus  paracentralis.  2)  In  allen  Fällen  folgte  auf  Beinamputation  eine  Atrophie 
des  Paracentrallappens  (ausser  in  einem  Falle,  in  dem  die  Atrophie  ihren  Sitz  im 
2.  Frontalgyms  hatte).  3)  In  4  Fällen  (von  8)  von  Monoplegie  des  Beines  fand 
sich  ausserdem  Läsion  der  oberen  Theile  der  Centralwindungen  (einer  oder  beider); 
in  einem  Falle  scheinen  diese  Windungen  oder  die  davon  ausgehenden  motorischen 
Fasern  nicht  angegriffen  gewesen  zu  sein;  in  3  Fällen  besteht  Ungewissheit  in  dieser 
Hinsicht  4)  In  3  Fällen  (von  4)  wird  erwähnt,  dass  nach  Amputation  des  Beines 
Atrophie  der  Centralwindungen  eintrat  (in  1  Falle  beider,  in  1  Falle  der  vorderen, 
in  1  Falle  der  hinteren).  5)  Weder  der  Gyrus  fomicatus,  der  Fnss  der  1.  Frontal- 
windung, der  Gyrus  quadratus,  noch  der  Gyrus  parietalis  superior  brauchen  bei 
motorischer  Monoplegie  des  Beines  ergriffen  zu  sein.  —  Als  bewiesen  ist  demnach 
nur  zu  betrachten,  dass  der  Zerstörung  des  Lobulus  paracentrali&  stets  Monoplegie 
des  Beines  folgt  Mehrere  Beobachtungen  sprecheii  dafür,  dass  auch  der  oberste 
Theil  der  Gyri  centrales  .das  Bein  innervirt,  das  kann  indessen  noch  nicht  als  voll- 
kommen bewiesen  betrachtet  werden.  Vorausgesetzt  ist  bei  diesen  Schlusssätzen,  dass 
die  motorischen  Centra  fixe  Punkte  sind,  die  für  alle  Individuen  an  derselben  Stelle 
in  demselben  Gyrus  liegen.  Walter  Berger. 


11)  Case  of  injury  to  skull.  —  Trephining  for  epileptiform  attaoks.  — 
Bemoval  of  death  bone.  —  Death,  by  Richard  Davy  with  a  note  on 
the  physiological  and  medical  aspects  of  the  case  byA.  Hughes  Bennet h. 
(Brain.  1886.  Aprü.  p.  74—80.) 

Die  Obduction  eines  nach  einer  Schädelwunde  (durch  den  eisernen  Haken  einer 
eisernen  Kette)  wegen  nachfolgender  epileptiformer  Anfälle  mit  unglücklichem  Aus- 
gang trepanirten  Gasarbeiters  ergab  am  Gehirn  eine  grössere  Wunde,  breit  genug, 
um  einen  dünnen  Finger  einzuführen,  links  im  oberen  Theile  der  vorderen  Gentral- 
windung  unmittelbar  gegenüber  dem  Lobulus  paracentralis,  denselben  zum  Theil  ein- 
schliessend.  bis  hinein  in  die  Gehimsubstanz  (wie  tief?  Bef.). 

Die  genaue  klinische  Beobachtung  von  Hughes  Benneth  hatte  wesentlich  eine 
Monoplegie  der  rechten  Unterextremität  mit  gesteigertem  Kniephänomen  und  Fuss- 
phänomen   ergeben,  während  die  Bew^ungen  der  rechten  Oberextremitat  nur  etwas 


—    402    — 

ungeschickt  waren  bei  beiderseits  gleichen  Sehnenphänomenen,  Fehlen  von  Lähmnngs- 
erscheinungen  des  Facialis  nnd  objectiv  intacter  Sensibilität  Es  sei  ans  der  Be- 
obachtung der  Schluss  zu  ziehen,  dass  eine  Läsion  der  betreffenden  Bindenstelle  und 
unten  liegenden  Stabkranzfaserung  wesentlich  eine  Lähmung  der  entgegengesetzten 
Unterextremität  veranlasse.  E.  Bemak. 


12)  lieber  Tumoren  des  Balkens  (aus  der  psychiatrischen  nnd  Nervenklinik  zu 
Halle  a.  S.),  von  Dr.  L.  Brnns.     (BerL  klin.  Wochenschr.  1886.  21  n.  22.) 

B.  bringt  zur  Bereicherung  des  spärlichen  Materials  über  Balkenaffection  drei 
neue  Fälle  aus  Prof.  Hitziges  Material,  die  freilich  alle  nicht  reine  Balkentumoren  sind. 

Im  ersten  Falle  bestand  bei  einem  77jährigen  Manne  ein  Gliosarcom  von  3  cm 
Länge,  im  hinteren  Theile  des  Balkens  vor  dem  Splenium  gelegen  (daneben  eine 
Hämorrhagie  in  der  linken  Hemisphäre,  Pachjmeningitis,  Himatrophie).  —  Hier  war 
seit  einem  halben  Jahre  vor  dem  Tode  ein  rascher  Verfall  der  Intelligenz  beobachtet, 
schleppender  Gang,  besonders  rechterseits,  Beeinträchtigungsideen  und  Aufregung. 

Der  zweite  Fall  zeigte  ausser  einem  grossen  Tumor  (Gliosarcom)  des  Splenium 
corp.  call.,  welcher  sich  beiderseits  weit  in  das  Parietal-  und  Hinterhanptshim  aus- 
breitete, noch  zahlreiche  kleinere  Tumoren,  zum  Theil  mit  Hämorrhagien  in  und 
neben  ihnen,  sowie  capillare  Hämorrhagien  durch  den  ganzen  Himstamm.  Klinisch 
hatte  Fat.  das  Bild  einer  Paralysis  progressiva  dargeboten,  ein  Tumor  war  nicht 
vermuthet  worden. 

Der  dritte  Fall  endlich  betrifft  einen  60jährigen  Mann,  bei  welchem  sich  seit 
3 — 4  Monaten  rasch  ein  tiefer  Blödsinn  entwickelt  hatte,  und  bei  dem  in  sehr  auf- 
fallender Weise  beim  Gehen  und  Stehen  anfangs  eine  sehr  grosse  Unsicherheit,  später 
geradezu  Unmöglichkeit  bestand,  der  zuletzt  auch  nicht  einmal  mehr  sitzen  konnte. 
—  Die  Section  ergab  einen  kleinen  Tumor  im  Balkenknie  nnd  mehrere  wallnuss- 
grosse  Geschwülste  in  verschiedenen  Theilen  beider  Stimhime. 

Nach  eingehender  Besprechung  der  von  Bristowe  aufgestellten  Anhaltspunkte 
für  die  Wahrscheinlichkeitsdiagnose  eines  Balkentumors  kommt  Verf.  zu  folgendem 
Resultat:  Wenn  1.  die  Erscheinungen  eines  organischen  Himleidens  vorhanden  sind 
und  so  wie  bei  Tumoren  langsam  zunehmen;  wenn  2.  hemiparetiscbe  und  nament- 
lich paraparetische  Affectionen  dazukommen;  wenn  3.  ein  hochgradiger  Blödsinn  vor- 
handen ist,  der  in  einem  gewissen  Gegensatze  zu  der  Geringfügigkeit  oder  dem  Fehlen 
der  allgemeinen  Tumorerscheinungen  (Kopfschmerz,  Erbrechen,  Convulsionen,  Stauungs- 
papille) steht,  und  wenn  dabei  keinerlei  Erscheinungen  vorhanden  sind,  die  die  An- 
nahme einer  anderweitigen  Localisation  gestatten,  so  kann  man  die  Wahrscheinlichkeits- 
diagnose eines  Balkentumors  stellen.  —  Freilich  ist  hervorzuheben,  dass  1.  auch 
andere  Affectionen  (Tumoren  des  Stimhims,  multiple  Tumoren)  dieselben  Symptome 
hervorrufen,  2.  Balkentumoren  je  nach  den  Himpartien,  die  sie  betheiligen,  auch 
ganz  andere  Symptome  machen  können.  Hadlich. 


13)  Zur  Casuistik  der  Herderkrankungen  der  Brücke  mit  besonderer  Be- 
rücksiohtigung  der  Störungen  der  oombinirten  seitlichen  Augen- 
bewegungen,  von  E.  Bleuler.  Aus  der  medicinischen  Klinik  in  Bern. 
(Deutsch.  Arch.  f.  klin.  Med.  37.  VI.  S.  627—569  u.  38.  I  u.  H.  S.  29—55.) 

Bei  dem  Umfang  der  überaus  sorgsamen  Arbeit  ist  es  nur  m^lich,  in  groben 
Zügen  auf  den  Inhalt  derselben  einzugehen. 

Zuerst  werden  drei  in  Lichtheim*s  Klinik  beobachtete  Falle  von  Pons-Erkran- 
kungen  ausführlich  beschrieben.  Abgesehen  von  den  weiteren  Symptomen  bot  der  erste 
eine   Lähmung   der   Kechtswender   der   Bulbi   und  des  Kopfes,  dabei  Nystagmus  in 


—    403    — 

Folge  eines  Herdes  in  der  rechten  Seite  des  Pens;  der  zweite  in  Heilung  ausgehende 
Fäll,  bei  welchem  eine  multiple  Entzflndungsform  als  Ursache  der  vielen  Störungen 
angenommen  wurden  zeigte  Lähmung  der  seitlichen  Augenbewegnngen  mit  leichtem 
Nystagmus  auf  der  Höhe  der  Excursion,  der  dritte  Lähmung  beider  Abducentes  und 
zuckende  Bewegungen  der  Musculi  intemi  bei  combinirten  Augenbewegungen;  es  fand 
sich  hier  bei  der  Autopsie  ein  grosser  Tuberkel  im  Pens,  mehr  in  der  rechten  Hälfte, 
bis  in  die  Med.  oblong,  hineinragend. 

Es   folgt  hierauf  ein   grosser  Beitrag  zur  Physiologie  der  combinirten  Augen- 
bewegnngen, geschöpft  aus  33  Krankenbeobachtungen  und  Sectionsbefunden  von  den 
verschiedensten  Autoren.    Um   auf  einige   derselben   einzugehen,   so  kam   Foville 
(Gnbler)   za  dem  Schluss,   dass  die  Innervation  des  linken  Musculus  extemus  und 
rechten  internus  und  umgekehrt  aus  derselben  Quelle  stamme.   Yulpian  (Pr^vost) 
stellte  folgendes  Gesetz  auf:  „Bei  Läsionen  in  den  Hemisphären  findet  eine  conjugirte 
Deviation   der  Augen   nach  der  verletzten  Seite  (Himhälfte)  statt,  bei  Läsionen  des 
Nesencephalon  und  des  Kleinhirns  kann  dieselbe  auch  nach  der  gesunden  Seite  statt- 
finden", während  Desnos  sich  bestimmter  aussprach:  „bei  Läsionen  des  Pens  findet 
die  Angendeviation   immer   nach  der  gesanden  Seite  statt."    Wer  nicke  suchte  aus 
seinem  Falle  die  Symptome  mit  den  anatomischen  und  physiologischen  Verhältnissen 
in   Einklang  zu   bringen   und   kam  zu  der  Annahme  eines  „Centrums  fQr  associirte 
Seitenbewegungen  beider  Bulbi",  sowie  einer  Innervation  eines  Musculus  int.  von  dem 
Abducenskem  oder  dessen  unmittelbarer  Umgebung  der  anderen  Seite  aus.   Aehnliches 
nahm   Graux  an   und   erklärte   die   oft  vorkommende  seitliche  Augendeviation  bei 
Himläaion   aus   einer    vermittelst  des  Liquor  cerebro  spinalis  auf  den  Abducenskem 
hervorgebrachten   Femwirkung.     Die  Anschauung  Wernicke*s  erhielt   Stützpunkte 
durch   die   Experimente   von   Duval  und  Laborde,  welche  Verbindungen  des  Ab- 
ducens  mit  Trochlearis  und  Oculomotorius  beim  Pens  der  Katze   entdeckten,   sowie 
dass  Verletzung   eines  Abducenskemes   Lähmung  des  Abducens   derselben   und   des 
Musculus  int.  der  andem  Seite  hervorbringe.    Erstere   Beobachtung   konnten   beide 
Forscher  auch  auf  den  Menschen  ausdehnen.   Hitzig,  Ferrier,  Munk,  Landouzy 
und  Grasset  fanden  Stellen  der  Gehirnrinde,  deren  Beizung  Contractionen  der  Augen- 
muskeln hervorbrachte;  bei  den  einen  ist  es  der  Gyrus  angularis,  bei  den  anderen  die 
Umgebung  der  Fossa  Sylvii.    Grasset  und  Landouzy  stellten  das  Gesetz  auf  für 
Beizung   und   Lähmung:   „ein  Kranker  mit  Grosshimläsion  sieht  nach  der  Seite  des 
Herdes,    wenn  dieser  ein  lähmender,   nach  der  gesunden,   wenn  er  ein  reizender  ist; 
das    umgekehrte   findet  statt  bei  Herden  im  Pons."    Schliesslich  hat  Hunnius  alle 
Beobachtungen  über  conjugirte  Augenbewegungen  zasammengestellt;  zu  dem  Wemicke*- 
schen  Centrum  nimmt  er  noch  ein  Centram  für  die  Convergenz  beider  Bulbi  an  und 
constatirt,   dass   einmal  eine  Schwächung  der  Augenbewegungen  nach  der  gelähmten 
Seite  hin  ohne  Deviation  bei  Grosshimapoplexien  sehr  häufig   ist   und   ferner,    dass 
eine   Stömng   der  combinirten  Seitwärtsbewegung  durch  einen  Ponsherd  nicht  noth- 
wendig  eine  Läsion  des  Abducenskemes  oder  dessen  nächste  Umgebung  involvirt. 

Uebrigens  hatte  der  Engländer  Gull  schon  1839  das  Gesetz  der  conjugirten 
Deviation  entdeckt,  ohne  indessen  weitere  Beachtung  zu  finden. 

Im  Folgenden  resümirt  Verf.  aus  den  Beobachtungen  die  für  seine  Zwecke  wich- 
tigen Thatsachen  und  klassificirt  die  Störungen  der  Augenbewegungen  in  3  Rubriken: 

1)  einfache  Lähmung  eines  Bectus  extemus  und  des  gekreuzten  Rectus  intemus, 

2)  Reizzustand  der  gleichen  Muskeln  und  ihrer  Nerven, 

3)  Combination  von  Lähmung  der  Wender  nach  einer  Seite  und  Contractur  der 
Antagonisten. 

Die  weitem  Ueberlegungen  zur  Erklämng  dieser  Erscheinungen  gipfeln  in  der 
vom  Verf.  aufgeworfenen  Frage:  „existirt  ein  Centram  für  combinirte  Augenbewe- 
gungen?" Nach  Prüfung  der  Gründe  und  Gegengründe  kommt  Verf.  zu  dem  Schluss, 
dass  es  unwahrscheinlich   und   unnöthig   ist,   ein  solches  anzunehmen.     Man  kommt 


—    404    — 

damit  aus,  wenn  man  ein  willkfirlicheB  Centrom  für  die  Angenbewegangen  in  die 
Binde,  ein  reflectorisches  in  den  Hirnstamm  verlegt.  So  wird  ein  Schema  aufgebaut 
und  durch  eine  beigegebene  Figur  dargestellt,  welches  die  Verbindungen  der  Central- 
Organe  mit  den  Bulbis  erläutert  Ausser  den  durch  den  Tractns  opticus  hargestellteti 
sind  noch  3  Bahnen  zu  merken: 

1)  Verbindung  von  Grosshimrinde  mit  gekreuztem  Abducenskem  und  auf  diesem 
Wege  mit  Rectus  extemus  derselben  Seite, 

2)  gekreuzte  Bahn  von  der  Binde  zum  Rectus  internus;  schleifenart^  Um- 
biegung  in  der  Nähe  des  Abducenskemes, 

3)  Bahn  zur  Gonvergenz  der  Bulbi,  ebenfalls  gekreuzt 

An  diesem  Schema  werden  einzelne  Punkte  als  Herderkrankungen  angenommen 
und  so  die  betreffenden  Symptome  erklärt 

Verf.  macht  zum  Schluss  auf  die  Wichtigkeit  der  conjugirten  Augendeviation 
als  Herdsymptom  des  Gehirns  aufmerksam  und  hofft  voq  einer  sehr  genauen  Kranken- 
beobachtung  von  Seiten  der  Specialisten  weitere  Fortschritte  und  Erkenntnisse  auf 
diesem  Gebiete.  Sperling. 


14)  Hämorrhagie  de  la  protuböranoe,  par  B'aymond.  (Soc.  anatom.  1886.  Jan. 
Progr.  m^d.  1886.  Nr.  13.) 

Bei  einer  32jährigen  Frau,  deren  Vater  an  Tuberculose  gestorben  war,  die  aber 
selbst  bis  auf  häufig  eintretendes  Nasenbluten  sich  stets  voller  Gesundhat  erfreute, 
traten  Dysarthrie,  Dysphagie  und  Taubheit  ein.  Fat  magerte  sehr  ab,  sseigte  Stö- 
rungen in  ihrem  Gedächtniss  und  auf  dem  Gebiete  der  gemüthlichen  Sphäre  und 
ging  innerhalb  14  Tagen  comatös  zu  Grunde,  nachdem  siegln  den  letzten  Tagen 
nur  leichte  Lähmungserscheinungen  des  rechten  Facialis  in  der  rechtsseitigen  oberen 
Extremität  dai^eboten  hatte. 

Bei  .der  Obduction  fand  sich  ausser  einer  acuten  Nephritis  nichts  weiter  vor, 
als  zwei  erbsen*,  resp.  linsengrosse  Herde,  von  denen  der  erstere  in  der  Mittellinie 
des  Pens  nahe  seiner  Vereinigung  mit  der  Med.  oblongata,  der  zweite  1^/2  cm  Qber 
dem  ersten  hinter  den  vorderen  CommissurenfaBem  des  Pens  lag.        Laqner. 


15)  Ein  Fall  von  Tumor  der  Zirbeldrüse«  Beobachtung  aus  der  medidnischen 
Klinik  zu  Froiburg  i.  B.  von  Dr.  Heinr.  Reinhold,  Assistenzarzt  (Deutsches 
Arch.  f.  klin.  Med.  1886.  Bd.  39.  H.  1.  S.  1—30.) 

Patient,  19  Jahre  alt,  von  Jugend  auf  von  schwächlicher  Constitution,  erkrankte 
in  der  Nacht  vom  3.  zum  4.  Januar  1884.  '  Er  erwachte  plötzlich  mit  lebhaftem 
Schwindelgefühl  und  heftigem  Kopfschmerz,  welche  Symptome,  zeitweise  exacerbirend, 
für  die  Folge  andauerten.  Dazu  trat  im  Laufe  der  nächsten  2  Wochen  einigemale 
Erbrechen  und  ein  continuirliches  Gefühl  .eines  dumpfen  Druckes  im  SchädeL 

Am  18.  Januar  stellte  sich  unter  Fieber  (38,6)  ein  excessiver  Schmerzanfall 
ein.  Die  Schmerzen  werden  hauptsächlich  auf  Vorderkopf  und  Scheitel  localisirt 
Jede  Bewegung  und  Einwirkung  auf  die  Sinnesnerven  ist  äusserst  schmerzhaft  Stei- 
gerung der  Sehnen-  und  Hautreflexe  der  unteren  Extremitäten  ohne  Rigidität  der 
Muskeln;  keine  Sensibilitätsstörungen.  —  Einigemale  anfallsweise  auftretende  totale 
Verdunkelungen  des  Gesichtsfeldes  mit  negativem  Augenspiegelbefund.  —  Leichte 
linksseitig^  Abducensparese. 

Am  21.  Januar  unter  wiederum  zunehmenden  Kopfschmerzen,  aber  bei  vollem 
Bewusstsein  ein  tetanieartiger  Anfall  von  äusserst  schmerzhaften  Contracturen  der 
Ellbogen-  und  Handgelenke  mit  vasomotorischen  Störungen  (hochgradige  Anämie  der 
befallouen  Extremitäten).    Andauernde  Pulsverlangsamung  (54 — 60  Schläge). 


—    405    — 

In  den  folgenden  3  Wochen  hat  sich  allmählich  eme  Parese  heider  Abducentes 
und  des  rechten  Facialis,  femer  eine  Ptosis  beider  Augen  ausgebildet  Beim  Ver- 
suchy  nach  oben  zu  blicken,  tritt  Nystagmus  ein.  —  Pat.  wird  psychisch  benommen 
und  schlaMchtig.  —  Es  treten  wiederholt  Anfalle  von  Bewasstlosigkeit  mit  wesent- 
licher Yerlangsamung  des  Pulses  und  der  Respiration  ein  und  am  20.  Februar  — 
also  nach  sechswöchentlicher  Krankheitsdauer  —  erfolgte  unter  Temperatursteigerung 
(39,0  ^  Coma,  und  starker  Cyanose  der  Exitus  letalis. 

Znr  Diagnostik  der  Tumoren  der  Vierhügelgegend,  speciell  der  Zirbeldrüse,  hält 
Verf.  die  Lähmungen  gleichnamiger  einzelner  Oculomotoriuszweige  (Störungen  der 
assocürten  Augenbewegungen  nach  oben  und  unten),  sowie  doppelseitige  Ptosis  — 
bedingt  durch  Druck  auf  die  unter  den  Vierhügeln  gelegenen  Augenmuskelkeme  — 
ausserdem  die  Trochlearislähmung  für  die  wichtigsten  Symptome. 

Anschliessend  an  diesen  Fall  enthält  die  Arbeit  eine  eingehende  Besprechung 
der  einzelnen  Krankheitserscheinungen  mit  sehr  ausführlichen  Literaturangaben,  in 
Bezug  worauf  das  Original  eingesehen  werden  muss.  P.  Seifert. 


16)  lieber  einen  Fall  von  gummöser  Erkrankung  des  Chiasma  nervorum 
opüoorum,  von  Dr.  H.  Oppenheim,  Berlin,  WestphaPsche  Klinik.  (Vir- 
chow^s  Arch.  Bd.  104.) 

Der  interessante  Fall  betriflft  eine  31jährige  Frau,  welche  seit  September  1883 
an  Kopfschmen,  Erbrechen,  Polydipsie  und  Polyurie  erkrankte,  nachdem  sie  in  9jähr. 
Ehe  mit  ihrem  syphilitisch  inficirten  Manne  gelebt  hatte.  Im  März  1884  ergab  die 
Untersuchung  als  einziges  Lähmungssymptom  eine  Hemianopsia  bitemporalis  (links 
nicht  80  Tollständig  wie  rechts);  dabei  Abnahme  der  Sehschärfe.  Diese  Hemianopsie 
zeigte  eine  aufbUende  Unbeständigkeit,  schwand  im  Mai  1884  fast  vollständig,  kehrte 
dann  wieder  und  schwankte  mehrmals.  Ebenso  hatte  die  Polydipsie  und  Polyurie 
einen  remittirenden  Charakter.  —  Erst  am  14.  December  1884  trat  eine  wesenüiche 
Veränderung  des  Krankheitsbildes  ein,  mit  Benommenheit  und  Verwirrtheit,  Parese 
der  linken  KörperhWte,  Lähmungen  im  Bereiche  beider  Oculomotorii,  besonders  links. 
Tod  am  23.  December  1884. 

Bei  der  Autopsie  fand  sich  eine  gummöse,  von  den  Hirnhäuten  ausgehende 
Neubildung,  welche  besonders  das  Mittelstück  des  Chiasma  nervorum  opt.  schädigte, 
sodass  hier  es  zu  einer  mehr  oder  weniger  vollständigen  Unterbrechung  der  Seh- 
nervenfaserung  gekommen  war,  während  in  die  lateralen  Partien  nur  Zweige  und 
Zapfen  des  Geschwulstgewebes  hineindrangen.  Die  rechte  Hälfte  des  Chiasma  ist 
im  Allgemeinen  stärker  in  Mitleidenschaft  gezogen,  als  die  linke.  Das  gummöse 
Crewebe  ist  zu  einem  grossen  Theile  sehr  gefössreich,  woraus  sich  das  Fluctuiren  der 
Krankheitserscheinungen  erklärt.  —  Ausserdem  bestand  als  Grundlage  der  zuletzt 
aufgetretenen  linksseitigen  Hemiparese  ein  encephalitischer  Herd  in  der  Marksnbstanz 
der  rechten  Hemisphäre.  —  Lehrreich  ist  das  Verhalten  der  Nn.  oculomotorii,  die 
sich  schon  stark  von  der  Neubildung  durchwuchert  zeigen,  während  Functionsstörungen 
erst  in  den  letzten  Lebenstagen  auftraten. 

Zum  Schluss  erwähnt  0.  die  Sectionsergebnisse  der  beiden  Fälle  von  Hemi- 
anopsia bitemporalis,  welche  Saemisch  und  E.  Müller  beschrieben  haben,  und  citirt 
die  Aeusserung  RosenthaFs,  welcher  die  Entstehung  von  Diabetes  bei  Geschwülsten 
in  der  Gegend  des  Chiasma  mit  den  Circnlationsstömngen  in  Verbindung  bringt,  die 
im  Trichter  und  in  den  Wänden  des  3.  und  4.  Ventrikels  entstehen. 

Hadlich. 


—     406     — 

Psychiatrie. 

17)  States  of  delirium  in  inebriety,  by  T.  D.  Crothers.  (The  Alienist  and 
Neurologisi  1886.  VII.  p.  44.) 
Der  auf  dem  Gebiete  des  Alcoholismus  wohl  bekannte  Verf.  bespricht  eigen- 
thümliche  krankhafte  Geisteszustände,  welche  bei  Trinkern,  besonders  bei  Dipsomanen 
während  und  selbst  einige  Tage  nach  dem  Anfall  zu  beobachten  sind.  Während 
nämlich  die  Patienten,  abgesehen  von  den  Trinkexcessen,  in  jeder  Beziehung  geistig 
normal  zu  sein  scheinen,  stehen  sie  unter  der  Herrschaft  einer  „Monomanie".  Es 
drängen  sich  ihnen  dann  bestimmte  und  regelmässig  bei  jedem  Anfall  wiederkehrende 
„Zwangsneigungen'S  wenn  man  diesen  Namen  einführen  darf,  auf,  denen  sie  mehrere 
Tage  hindurch  nicht  zu  widerstehen  vermögen,  und  die  ihnen  sonst  ganz  fremd,  ge- 
wöhnlich sogar  höchst  unsympathisch  sind.  So  zeigte  einer  der  Patienten  des  Verf. 
unmittelbar  nach  dem  dipsomanischen  Anfall  die  zwangsartige  Neigung,  über  Pferde- 
käufe zu  verhandeln,  ein  anderer,  kleine  Kinder  zu  adoptiren,  ein  Arzt,  Musik  za 
treiben  und  Blasinstrumente  anzukaufen,  ein  vierter,  ein  sehr  tüchtiger  und  über- 
legter Techniker,  ein  Perpetuum  mobile  zu  construiren  etc.  etc.  Verf.  deutet  auf 
die  forense  Wichtigkeit  derartiger  Zustände  hin  und  macht  in  prophylaktischer  Um- 
sicht darauf  aufmerksam,  dass  derartige  Individuen  durch  weiteren  Alcoholabusus 
einer  unheilbaren  Psychose  entgegen  geführt  werden.  Sommer. 


Therapie. 

18)  Die  Anwendung  des  Atropins  bei  PtyallBmua,  Vortrag  von  Dr.  HeboR 
(AUg.  Ztschr.  f.  Psych.  Bd.  42.  H.  6.) 

Der  Speichelfiuss  aus  nervöser  Reizung  ist  der  Behandlung  durch  Atropin  zu- 
gänglich. H.  berichtet  Über  2  Fälle,  in  welchen  günstige  Resultate  erüeit  wurden. 
Der  erste  betraf  einen  Alcoholiker,  welcher  ausser  dem  Symptom  des  Ptyalismns  noch 
das  des  zeitweiligen  Auftretens  von  Eiweiss  und  Zucker  im  Urin  darbot.  Der  zweite 
Fall  war  ein  blödsinniger  Epileptiker. 

[Ref.  hat  das  Atropin  auch  mit  promptem  Erfolge  bei  solchen  Kranken,  welche 
ihren  Speichel  in  Folge  von  Wahnideen  und  krankhaften  Sensationen  nicht  schlacken, 
sondern  fortwährend  in  Gläser,  Spucknäpfe  oder  auf  den  Fassboden  enüeeren,  in 
Anwendung  gebracht.  Auch  gegen  die  üble  Angewohnheit  des  fortwährenden  Be- 
spuckens  der  Umgebung  hilft  oft  eine  Dosis  Atropin  subcutan.]  Siemens. 


UL 

Die  Funotions-IiOcaliBation  auf  der  Qrosshimrinde,  von  Luciani  und  Sep- 
pilli.  Autorisirte  deutsche  und  vermehrte  Ausgabe  von  Dr.  M.  0.  FränkeL 
Leipzig,  Denicke,  1886. 

Die  rühmlichst  bekannten  Yerfif.  haben  sich  die  Aufgabe  gestellt,  die  positiven 
Kenntnisse  über  Himlocalisation  durch  eine  Zusammenfassung  der  bestbegründeteo 
Thatsachen,  durch  eigene  und  fremde  zuverlässige  Experimente  und  Beobachtungen 
zu  erweitem.  Luciani  hat  hierbei  vorzugsweise  den  experimentellen  Theil  bearbeitet» 
während  Sep pilli  die  pathologische  Anatomie  und  die  klinische  Casuistik  behandelt 
und  der  letzteren  noch  einige  bisher  nicht  veröffentlichte  Fälle  hinzugefügt  hai  Direr 
gemeinschaftlichen  Arbeit  wurde  vom  kgl.  lombardischen  Institut  für  Wissenschaft  am 
8.  Januar  1885  der  Preis  Fossati  zuerkannt. 

Das  Werk  selbst  zerfällt  in  2  Haupttheile,  die  einerseits  die  Bindencentren  der 
Sinnesorgane  und  andererseits  die  für  das  Haut-  und  Muskelgefühl  und  für  die 
Willensäusserungen  (das  sog.  „sensoriomotorische  Bindenfeld")  behandeln  und  zwar  sowohl 
vom  physiologischen  als  auch  vom  klinischen  Gesichtspunkt 


—    407     — 

In  einer  Einleitung  weisen  die  Verff.  zunächst  aaf  die  Fehlerquellen  hin,  denen 
man  in  Folge  der  von  vornherein  zu  erwartenden  Combination  von  Ausfallserscheinungen 
(dnrch  Zerstörung  eines  Bindenabschnittes)  mit  coUateralen  Beizerscheinungen  durch 
Blutongi  Wundreaction  etc.  bei  operativen  Eingriffen  ausgesetzt  ist,  und  heben  dann 
die  Kriterien  hervor,  nach  denen  man  den  normalerweise  einem  bestimmten  Himtheil 
zakommenden  Fnnctionswerth  abzuschätzen  vermag. 

1.  Unberührt  gebliebene  Functionen  haben  mit  dem  exstirpirten  Himtheil  nichts 
zu  schaffen. 

2.  Gonstante  Ausfallserscheinungen  bei  jeder  Wiederholung  einer  Exstirpation 
bei  verschiedenen  Individuen  hängen  mit  dem  exstirpirten  Himtheil  zusammen,  wäh- 
rend nur  vereinzelt  beobachtete  Ausfalle  auf  Neben  Verletzungen,  Wundeinfluss  etc. 
zurückzuführen  sind. 

3.  Existirt  überhaupt  eine  „Hiralocalisation",  so  müssen  auf  die  Exstirpation 
verschiedener  Himabschnitte  differente  Ausfallserscheinungen  folgen. 

4.  Es  kann  die  Qegenüberstellung  der  differenten  Wirkungen  mehrerer  nach  und 
nach  an  demselben  Individuum  vorgenommenen  Exstirpationen  ebenfalls  einen  Anhalt 
für  die  Entscheidung  der  Localisationsfragen  ergeben;  besonders  sind  hier  symme- 
trische Zerstörungen  von  Wichtigkeit.  Hat  sich  z.  B.  nach  linksseitiger  Exstirpation 
eines  gewissen  Hirotheils  eine  Qehörsstömng  auf  der  rechten  Seite  gezeigt  und  dann 
im  Verlaufe  einiger  Wochen  wieder  zurfickgebildet,  und  bedingt  nun  die  Wiederholung 
der  Operation  auf  der  rechten  Seite  nicht  nur  auf  dem  linken,  sondern  auch  wieder 
auf  dem  rechten  Ohr  eine  Störung  (wie  es  übrigens  wirklich  der  Fall  ist),  so  ist  der 
Beweis  der  gegenseitigen  Aushülfe  beider  Hemisphären  zweifellos  geliefert. 

5.  Endlich  ist  noch  in  Betracht  zu  ziehen,  welche  möglichst  kleine  Exstirpation 
aus  dem  vermutheten  Functionsfelde  den  möglichst  grossen,  d.  h.  also  den  durch 
totale  Bindenzerstörung  überhaupt  erreichbaren  Ausfall  bedinge. 

Bei  genügendem  Material  wird  man  mit  diesen  Kriterien  im  Stande  sein,  eine 
einwandsfreie  Topik  zu  b^ründen.  Bisher  hatten  sich  je  nach  dem  Ergebniss  und 
der  Erklärung  der  ebenen  Untersuchungen  2  Ansichten  unter  den  Forschem  gebildet. 
Die  Einen  glauben  bekanntlich  für  jede  Function  ein  bestimmtes  Gebiet  der  Hirn- 
rinde in  Ansprach  nehmen  zu  müssen;  die  Anderen  meinen,  jeder  einzelnen  Stelle 
der  Hirnrinde  seien  mehrere  Functionen  eingetragen.  Die  Verff.  glauben  nun,  dass 
keine  dieser  Ansichten  mit  den  wirklich  ermittelten  Thatsachen  vollständig  in  Ueber- 
einstimmung  zu  bringen  ist,  während  jede  derselben  etwas  Wahres  enthält.  Als 
sicher  ist  einerseits  anzunehmen,  dass  die  verschiedenen  Bindenabschnitte  ihrem 
Wesen  und  ihrer  Function  nach  nicht  einander  gleich  sind  und  andererseits,  dass 
die  verschiedenen  Functionsfelder  so  innig  mit  einander  verbunden  sind,  dass  sie 
sich  z.  Th.  decken,  und  dass  es  daher  nicht  möglich  ist,  eine  derselben  vollständig 
zu  entfernen,  ohne  in  mehr  oder  weniger  empfindlicher  Weise  auch  andere  zu  stören. 

Zeichnet  man  auf  ein  Schema  der  Hiraoberfläche  alle  Funkte  ein,  deren  Zer- 
störang  eine  Beeinträchtigung  einer  gewissen  Function  zur  Folge  hatte,  so  erhält 
man  die  Sphäre  der  betreffenden  Function.  Man  kann  sich  so  eine  Seh-,  eine  Hör-, 
eine  Biech-  und  eine  Tast-Sphäre  constmiren;  für  den  Geschmack  glauben  die  Verff. 
sich  noch  einer  genaueren  Umgrenzung  enthalten  zu  müssen.  Bringt  man  nun  jene 
4  Himschemata  zur  Deckung,  so  sieht  man  sofort,  dass  von  jeder  „Sphäre"  nur  ein 
kleiner  Theil  selbstständig,  also  ein  „reines  Centrum"  ist;  ein  verhältnissmässig  grosser 
Theil  wird  auch  von  anderen  Sphären  bedeckt  und  dessen  Verletzung  muss  daher 
eine  Beeinträchtigung  auch  noch  in  anderen  Functionen  herbeiführen.  Jede  Sphäre 
zerfällt  daher  in  ein  „Centralfeld"  und  in  „Irradiationszonen",  in  denen  mehrere 
Functionen  in  einander  greifen.  Allen  Sphären  gemeinsam  ist  nun  die  hintere  Partie 
des  Scheitellappens  (Munk's  Zone  F  „die  Augengegend").  Sie  ist  gewissermaassen 
als  Centmm  aller  Sinne  zu  betrachten.  Ihre  Zerstömng  muss  Ausfälle  in  allen 
Sinnen  bewirken  und  muss  also  auf  die  „Psyche"  von  grösstem  Einfluss  sein.   Goltz 


—    408    — 

bat  dementsprechend  nach  Exstirpation  beider  Scheitellappen  eine  merkliche  Charakter- 
ändemng  seiner  Hnnde  beobachtet.  Die  Verff.  glauben  dieselbe  auf  eine  diffuse 
Störung  in  der  psychischen  Verarbeitung  aller  Sinneswahmehmungen  sarflckfdhren  so 
können.  Im  Uebrigen  stellen  die  einzelnen  Sinnessphären  nur  das  Gebiet  dar,  in 
welchem  sich  die  psychischen  Yorg&ngei  die  durch  die  elementaren  Empfindungen 
ausgelöst  werden,  abspielen.  Die  Sehsphäre  ist  also  nur  als  Localisation  der  Gtosichts- 
vorstellungen  zu  betrachten;  ihre  beiderseitige  Zerstörung  bewirkt  daher  abgesehen 
von  einer  später  wieder  schwindenden  totalen  Blindheit  nur  eine  dauernde  ,,Seelen- 
blindheit".  Die  einfachen  Gesichtsempfindungen  sind  in  den  subcorticalen  Ganglien 
des  Mittelhims  localisirt  Dieselbe  Trennung  in  verschieden  gelegene  Empfindungs- 
und  Vorstellnngscentren  ist  für  die  acustische  Function  erwiesen  und  fQr  den  Geruch 
mindestens  wahrscheinlich.  Auch  stellen  die  YerflL  die  stricte  Auffordenmg  an  die 
Anatomie,  die  von  ihnen  als  nothwendig  vorhanden  angesehene  „partielle  Kreuzung^ 
der  beiderseitigen  Acnsticus-  und  Olfactoriusfasem  aufzufinden,  wie  sie  fQr  den  Opticus 
ja  notorisch  ist  Beim  letzteren  übrigens  und  beim  Aoustious  verläuft  der  grössere 
Theil  der  Fasern  gekreuzt,  während  es  beim  Olfactorius  der  kleinere  Theil  ist»  der 
gekreuzt  zu  verlaufen  scheint 

Die  weiteren  Einzelheiten  und  die  Beweismittel  mflssen  nattkrlich  im  Original 
nachgesehen  werden.  Hier  sei  noch  die  Begrenzung  der  einzelnen  Sphären  mit- 
getheilt 

1.  Die  Sehsphäre  nimmt  hauptsächlich  die  Hinterhsjpts-  und  Parietallappen  ein. 

2.  Die  Uörsphäre  betrifft  die  Schläfenlappen,  strahlt  aber  noch  in  die  umliegenden 
Lappen  aus;  auch  dürfte  das  Ammonshom  wenigstens  theilweise  zu  ihr  zu  rechnen  sein. 

3.  Die  Geruchsphäre  umfosst  die  ganze  Begrenzung  der  Fossa  Sylvü  mit  Aus- 
strahlungen in  die  Umgebung  und  den  hinteren  Theil  des  Gyrus  hippocampL 

Was  nun  endlich  die  „sensoriomotorische  Sphäre"  betrifft,  so  umfesst  sie  die 
Stimlappen  und  den  vorderen  Theil  der  Scheitellappen  bei  Hunden  und  Affen;  beim 
Menschen  dürfte  sie  hauptsächlich  die  beiden  Oentralwindungen,  die  hinteren  Ab- 
schnitte der  drei  Stimwindungen,  die  vorderen  Abschnitte  der  Parietalwindungen  und 
den  Lobnlus  paracentralis  einnehmen. 

Doch  kommt  Luciani  auf  Grund  seiner  experimentellen  (Jntersuchimgen  zu 
dem  Schluss,  dass  eine  circumscripte  Localisation  der  Sensibilität  nach  einzelnen 
Bezirken  nicht  anzunehmen  sei.  Jeder  Exstirpation  eines  motorischen  Oeiitrums 
entspricht  eine  ausgedehnte  Beeinträchtigung  des  Gefühls  der  gekreuzten  Körperbälfle; 
über  den  motorisch  gelähmten  Gliedern  ist  die  Abstumpftang  der  Sensibilität,  die 
gewöhnlich  überhaupt  nur  einen  massigen  Grad  zu  erreichen  pflegt,  allerdings  deut- 
licher als  an  anderen  Stellen.  Auch  die  klinischen  Beobaditnnget  lassen  keine  feinere 
Begrenzung  des  Hautgefühls  zu. 

Dass  mit  diesen  (ond  vielen  anderen  hier  nicht  erwähnten)  Folgerangen  die 
Frage  nach  den  „Himlocalisationen"  nicht  erledigt  ist,  ist  selbstverständlich.  Jahr- 
hunderte werden  noch  daran  zu  arbeiten  haben.  '  Jedenfalls  aber  haben  die  Verff. 
werthvolles  Material  zusammengetrag^i  und  sind  mit  dessen  Hülfe  zu  Schlüssen  ge- 
langt, die  auch  aus  anderen  Gründen  wahrscheinlicher  zu  sein  scheinen,  als  die 
einseitigen  Theorien  anderer  Forscher. 

Dem  verdienten  Uebersetzer  gebührt  allseitiger  Dank,  dass  er  das  ausgezeichnete 
Werk  Luciani*s  und  Seppilli*8  weiteren  Kreisen  zugänglich  gemacht  hat 

Sommer. 

Um  Einsendung  von  Separatabdrücken  an  den  Heraasgeber  wird  gebeten. 


Einaendungen  für  die  Bedaction  sind  zu  richten  an  Prof.  Dr.  £.  Mendel, 

Berlin,  NW.  Kronprinzen-Ufer  7. 


Verlag  von  VmT  &  Comp,  in  Leipzig.  —  Druck  von  Mstzgbr  &  Wittio  in  Leipzig. 


NEUROLOGISCHESCENTRALBLAn. 

Uebersicht  der  Leistungen  auf  dem  Gebiete  der  Anatomie,  Physiologie,  Pathologie 
und  Therapie  des  Nervensystemes  einschliesslich  der  Geisteskrankheiten. 

Hdraasgegeben  Ton 

Professor  Dr.  E.  Mendel 
Fttnfter  »» ^»^  Jahrgang. 

Monatlich  erscheinen  zwei  Nnmmem.   Preis  des  Jahrganges  16  Mark.   Zu  beziehen  durch 
alle  Bnchhandlnngen  des  In-  nnd  Auslandes,  die  Postanstalten  des  Deutschen  Reichs,  sowie 

direct  von  der  Verlagsbuchhandlung. 


1886.  15.  September.  M 18. 


Inhalt.  I.  Originalmittboilungan.  1.  Casuistisohe  Mittheilungen  aus  dem  hensoglichen 
Krankenhause  zu  firaunsohweig,  von  Dr.  Richard  Schulz.  2.  Ueber  die  durch  Chloroform 
auf  kataphorischem  Wege  zu  erzeugende  Hautanästhesie,  von  Dr.  Heinrich  Paschkis  und  Dr. 
Julius  Wagner.  3.  üeber  den  Einflnss  der  centralen  Gehirntheile  auf  den  Blutdruck  und  die 
Herzth&tigkeit,  von  Prof.  Dr.  W.  Bechterew  und  Prosector  Dr.  Wistlawsky. 

IL  Referate.  Anatomie.  1.  On  Prof.  Hamilton's  theoiy  conceming  the  oorpiu  cal- 
losam,  bj  Beevor.  2.  Beitrag  zum  Faserverlauf  im  EUnterhom  des  menschlichen  Rücken- 
marks und  zum  Verhalten  desselben  bei  Tabes  dorsaUs,  von  Lissauer.  —  Experimentelle 
Physiologie.  8.  Contributo  sperimentale  alla  psicoflsiologia  dei  lobi  ottici  nella  testuggine 
palostre,  del  Fano.  —  Pathologische  Anatomie.  4.  Degeneration  der  GoU'sohen  Str&uge 
bei  einem  Potator,  von  Vierordt.  5.  Ueber  Cysticerken  im  vierten  Ventrikel,  von  Breche.  — 
Pathologie  des  Nervensystems.  6.  Till  lärau  om  afasi,  af  Henschen.  7.  Om  lokalisa- 
tionen  i  hjembarken  af  afasiens  ^ika  former;  af  Lennmalm.  8.  Embolus  of  the  basilar  ar- 
tery,  by  Chadwick.  9.  De  Th^miplegie  et  de  l'^pilepsie  purtielle  ur^miques,  par  Chantemesse 
et  Teneson.  10.  Gontribntion  a  l'ötude  des  n^vrites  periph^riques  survenant  dans  le  cours 
ou  la  convalescence  de  la  fiävre  tvphoide,  par  Pitres  et  Vaillard.  —  Psychiatrie.  11.  Gon- 
tribntion ä  r^tude  de  Tagoraphobie,  par  Cherchevsky.  12.  Sui  movimenti  del  respiro  nell' 
angoscia  praecordiale  degli  stati  melancob'ci,  del  INusso.  13.  Allgemein-pathologische  Be- 
trachtungen über  das  Vorkommen  und  die  Bedeutung  der  Unreinlichkeit  der  Geisteskranken, 
von  Llndenbom.  14.  Three  oases  of  choking,  by  Weiss.  15.  Lead-poisoning,  with  mental 
and  nervous  disorders,  bv  Robertson.  16.  On  the  appetite  in  insanity,  by  CaoMibeil.  17.  Psy- 
chische Symptome  bei  chronischer  Nephritis,  von  Kleudgen.  —  Therapie.  18.  Ueber  die 
Behandlung  der  Trigeminus-Nearalffie,  von  Gussenbauer.  19.  Gase  of  ovariotomy  in  an  in- 
sane  patient,  by  Smith.    20.  Du  rdle  de  l'oxyg^ne  dans  la  neuroth^rapie,  par  Laschkewitch. 

lU.  Bibliographie. 

iV.  Personallen. 

I.  Origiiialinittheilangen. 


1.   Gasnistisclie  Mittheilungen  aus  dem  herzoglichen 

Krankenhause  zn  Braunschweig. 

Von  Dr.  Biohard  Soholz, 
Vorstand  der  medicinischen  Abtheilung. 

L   Fnrnncnlas  im  Nacken.    Meningitis  cerebialis. 

Seit  der  VenroUkoinnuiQng  unfierer  bacteriologischen  Untersucbangsmethoden 
durch  EocH,  Ehblich,  Gbam  und  Andere  ist  es  uns  in  vielen  Fällen  bei  weitem 


—    410    — 

mehr  ermöglicht,  den  letzten  Ursachen  von  Erankheitsprocessen  nachzugehen, 
als  wir  früher  dazu  im  Stande  waren.  Erankheitsprocesse,  welche  man  früher 
yielleicht  als  zufällig  zosanmien  vorkommend  ansah,  erscheinen  bei  genauer 
bacteriologischer  Untersuchung  als  innig  im  Zusammenhang  stehende  Com- 
plicaüonen. 

Der  nachstehend  in  Kürze  mitgetheilte,  auf  meiner  Abtheilung  zur  Beobach- 
tung gekommene  Fall,  der  schon  der  Seltenheit  der  Complication  wegen  Inter- 
esse verdient,  möge  hierfür  als  Beispiel  gelten. 

Am  7.  April  d.  J.  wurde  im  herzoglichen  Krankenhanse  der  27jährige  Tischler 
Kiesling  mit  einer  Temperatur  von  39^  C.  aufgenommen. 

Anamnestisch  war  von  dem  Kranken  nichts  Sicheres  zu  erfahren,  ausser  dass 
er  erst  seit  einigen  Tagen  krank  sei.  Derselbe  sprach  verworrenes  Zeug,  stiess  in 
Absätzen  nnarticolirte  Laute  heraus. 

Sat.  praes.  Mittelgrosser,  leidlich  kräftiger  Mensch.  Gesicht  geröthet,  auf 
der  Stirn  dicke  Schweissperlen.  Kopf  liegt  nach  links  gewandt.  Keine  Nackenstarre. 
Auf  der  rechten  Seite  des  Nackens  ein  fast  wallnussgrosser  Furunkel  mit  infiltrirter, 
gerötheter  Umgebung,  in  der  Mitte  eine  gelb  gefärbte  Stelle  zeigend,  aus  welcher 
sich  Eiter  bei  Druck  entleert.  Conjunctivae  gerOthet,  Angenbeweguugen  träge,  an- 
geblich Doppelsehen,  Keine  Facialislähmung.  An  der  linken  Unterlippe  Herpes 
labialis.  Zunge  massig  belegt.  Delirien.  Athmung  sehr  beschleunigt.  Ab  und  zu 
Hasten  ohne  Auswurf.  Percossion  und  Auscultation  der  Lungen  ergiebt  nichts  Ab- 
normes. Herztöne  rem.  Puls  110,  unregelmässig.  Keine  Extremitätenlähmung. 
Patellarreflez  links  erhalten,  rechts  aufgehoben.  Bauch-  und  Plantarreflexe  nicht 
hervorzurufen.  Gremasterreflez  schwach  angedeutet.  Sensibilität  normal.  Auf  Stiebe 
sehr  lebhafte  Beaction.     Im  Urin  Spuren  von  Albumen. 

Ordination.  Eisblase  auf  den  Kopf.  Sol.  KaL  jod.  5,0:150,0  3mal  täglich 
1  Esslöffel. 

Der  weitere  Verlauf  war  in  Kürze  folgender.  Am  8.  April  war  der  Zustand 
im  Wesentlichen  derselbe.  Es  war  besonders  Nachts  grosse  Unruhe  vorhanden  ge- 
wesen. Stuhl  und  Urin  liess  Pat.  unter  sich  gehen.  Am  9.  April  war  der  PuIb 
120,  schwächer  und  unregelmässiger.  Pupillen  verengt,  linke  enger  als  die  rechte. 
Pat.  reagirt  nicht  auf  Anreden.  Sehnenreflexe  im  Gleichen.  Hautreflexe  ganz  fehlend. 
Keine  Lähmungen.  Gegen  Mittag  wird  Pat.  immer  mehr  comatös  und  stirbt  3^/^  Uhr 
Nachmittags. 

Die  Section  wurde  am  10.  April  Mittags  gemacht  (Herr  Prosector  Dr.  Engel- 
brecht). 

Pathologisch-anatomische  Diagnose:  Furunculus  nuchae.  Multiple  hämor- 
rhagische Infarcte  der  Lungen.  Pleuritis  fibrinosa  purulenta  incipiens.  Lepto-Meniugitis 
incipiens.    Milztumor. 

Aeussere  Besichtigung. 

Schwach  ernährte  männliche  Leiche.  Starre  und  Todtenflecke  stark  entwickelt 
Conjunctivae  sclerae  links  injicirt,  rechts  blass.  Pupillen  rechts  von  mittlerer  Weite, 
links  enger.  Im  Nacken  ein  nach  aussen  perforirter  Furunkel.  Subcutanes  miss- 
farbiges Gewebe  in  der  Ausdehnung  einer  grossen  Bohne  noch  vorhanden. 

Innere  Besichtigung. 

Brusthöhle.  Stand  des  Zwerchfells  rechts  am  unteren  Bande  der  IX,  links 
an  der  Y.  Rippe.  Herzbeutel  nur  seitlich  von  den  Lungen  bedeckt  Pleura 
parietalis  von  stärkerem  Blutgehalt.  Pericardialflüssigkeit  nicht  vermehrt  Herz 
von  entsprechender  Grösse,  gut  contrahirt.  Yorhöfe  reichlich  geffillt.  Coronarvenen 
reichlich  gefüllt     Klappen  vollständig  normal,   ebenso  die  Herzmusculatur. 


—    411    — 

Langen  im  Ganzen  lufthaltig  und  blutreich,  zeigen  zahlreiche  erbsen-  bis 
bohnengrosse  Infarcte  und  darftber,  in  deren  Mitte  sich  jedesmal  ein  ungefähr  steck- 
nadellmopfgrosser  gelblicher  Punkt  befindet.  Die  Pleura  zeigt  am  linken  unteren 
und  rechten  mittleren  Lappen  fibrinös  eitrige  Auflagerungen.  Bronchialschleimhaut 
stark  injicirt. 

Bauchhöhle.  Milz  Vl^fuch  vergrössert.  Kapsel  prall  mit  etwas  sehniger 
Verdickung.     Substanz  mürbe,  blutreich. 

Leber  von  entsprechender  Grösse.  Ränder  scharf.  Substanz  blutreich.  Acinöse 
^ichnung  deutlich.  Gallenblase  mit  dunkler  Galle  reichlich  gefüllt.  Nieren 
von  entsprechender  Grösse,  blutreich,  sonst  normal. 

Blase  contrahirt,  Schleimhaut  blass. 

Magen  von  mittlerer  Ausdehnung,  Schleimhaut  gefaltet,  blutreich. 

Pancreas  blutreich. 

Därme  von  mittlerer  Ausdehnung. 

Kopfhöhle.  Dura  niater  sehr  blutreich,  flberall  von  normalem  Glanz.  Grosse 
Blutleiter  strotzend  gefüllt.  Pia  mater  etwas  verdickt,  sehr  stark  injicirt,  löst  sich 
leicht  vom  Gehirn,  zeigt  etwas  trübseröses  Exsudat.  Die  Pia  der  Convexität  zeigt 
vereinzelte  mohnkorngrosse  graugelbliche  Herde.  Ventrikel  normal  Plexus 
chorioid.  stark  injicirt.  Gefässe  normal.  Substanz  des  Gehirns  von  guter  Consistenz, 
leicht  rosa  geförbt,   sehr  blutreich.    Die  Basis  cranii  und  cerebri  ohne  Abweichung. 

Ein  Stück  des  Furunkels  im  Nacken,  sowie  mehrere  der  kleineren  Lmigen- 
infarcte  wurden  in  Muller'scher  Lösung  conservirt,  nachher  in  Alcohol  gehärtet. 
Dieselben  wurden  später  in  Celloidin  eingebettet  und  mit  dem  THOMA'schen 
Mikrotom  in  Schnitte  zerlegt.  Die  Schnitte  wurden  nach  der  GEAM'schen  Me- 
thode behandelt  und  mit  Eosin  nachgefärbt 

Die  Furunkelschnitte  zeigten  den  gewöhnlichen  Befund  einer  eitrigen  Zell- 
gewebsentzündung.  Li  kleinsten  Venen  und  auch  an  einzelnen  Stellen  im 
Gewebe  zerstreut  finden  sich  bei  Oelimmersion  (Seibebt  und  Ebapt  ^/^g)  Häuf- 
chen  von  Streptococcus  pyogenes  (Rosenbagh^)  mit  deutlicher  Eetten- 
gliederung. 

Die  Untersuchung  der  Lungeninfarcte  ergaben  den  gewöhnlichen  Befund 
derselben,  ungemeine  Anschoppung  des  ganzen  Lungengewebes  mit  extravasirten 
rothen  Blutkörperchen.  Den  gelben  Pünktchen  in  der  Mitte  der  Infarcte  ent- 
sprechend fanden  sich  auch  hier  Häufchen  desselben  Streptococcus  pyogenes 
wie  in  dem  Furunkelgewebe.  Leider  war  von  den  mohnkomgrossen  gelblichen 
Herden  in  der  Pia  mater  Nichts  zur  Untersuchung  aufbewahrt  worden,  jedoch 
scheint  es  mir  kaum  einem  Zweifel  unterworfen,  dass  auch  in  diesen  sich  der- 
selbe Streptococcus  gefunden  haben  würde. 

Obwohl  nun  im  mitgetheilten  Falle  anamnestisch  nicht  festgestellt  werden 
konnte,  ob  die  ganze  Erkrankung  des  Patienten  mit  der  Entwickelung  des 
Furunkels  im  Nacken  begann,  kann  man  doch  kaum  einen  Zweifel  an  diesem 
Thatbestand  hegen.  Das  vorgeschrittene  Stadium  des  Furunkels  und  die  erst 
seit  einigen  Tagen  bestehende  ernstere  Erkrankung  spricht  sehr  dafür.  Meiner 
Auffassung  nach  sind  im  weiteren  Verlauf  Golonien  des  Streptococcus  pyogenes, 
der  so  häufig  Furunkel  verursacht,  in  kleinere  Venen  der  Haut  (siehe  den 


1  Culturen  waren  leider  nicht  angelegt  worden. 


—    412    — 

mikroskopischen  Befnnd)  gelangt»  dann  doich  die  Vena  jogolaiis  ins  rechte  Herz 
und  haben  von  hier  aas  die  embolischen  Infarcte  in  den  Lungen  yeranlasst 
Angenommen  weiter,  auch  die  mohnkomgrossen  gelblichen  Herde  der  Pia  mater 
und  die  sich  daran  schliessende  allgemeine  Meningitis  cerebralis  wären  durch 
eine  Embolie  von  denselben  Streptococcen  verursacht,  wofür  der  exacte  mikro- 
skopische Nachweis  allerdings  leider  nicht  geliefert  werden  konnte,  so  würden 
diese  Embolien  zwei  Möglichkeiten  der  Erklärung  zulassen. 

Erstens  wäre  es  möglich,  an  eine  venöse  Embolie  und  einen  retrograden 
Transport  in  den  Venen  im  Sinne  BECKLiNaBHAusEN's^  zu  denken,  jedoch  spricht 
gegen  diese  Möglichkeit  der  Umstand,  dass  etwas  Aehnliches  noch  nie  beobachtet 
worden  ist  Die  wirklich  beobachteten  Fälle  von  retrograder  Embolie  beziehen 
sich  alle  auf  die  Herz-,  Leber-,  Nieren-  und  Blasenvenen. 

Viel  wahrscheinlicher  ist  mir  die  zweite  Möglichkeit,  dass  Streptococcen 
Colonien  von  den  Lungeninfarcten  aus  in  die  Lungenvenen  eingedrungen  sind, 
das  linke  Herz  passirt  haben  und  so  in  den  grossen  Kreislauf  gelangt  sind. 
Nur  der  Umstand  spricht  eventuell  gegen  diese  Annahme,  dass  sich  ausser  in 
der  Pia  des  Gehirns  nicht  auch  sonst  im  grossen  Kreislauf  in  der  Milz,  der 
Leber,  den  Nieren  (das  Knochenmark  ist  nicht  untersucht  worden)  beginnende 
embohsche  kleinste  Abscesse  fanden,  in  d  e  n  Organen,  welche  nach  den  Unter- 
suchungen von  Wyssokowitsoh^  gerade  die  Ausscheidungsoigane  von  ins  Blut 
gelangten  Mikroorganismen  bilden.  Aber  auch  dieses  erscheint  nicht  auflE&llend, 
wenn  man  in  Betracht  zieht,  dass  naturgemäss  die  zartesten,  empfindlichsten 
Gebilde,  und  zu  diesen  gehört  doch  wohl  die  Pia  mater,  zuerst  reagiren  in  der 
Leber,  Milz,  den  Nieren  dagegen  bei  der  Kürze  der  Erkrankung  sich  noch  keine 
makroskopischen  Veränderungen  zeigen  konnten.  Damit  ist  nicht  ausgeschlossen^ 
dass  eine  mikroskopische  Untersuchung  in  den  betreffenden  Organen  die  Strepto- 
coccen hätte  nachweisen  können. 

Dass  es  ausserdem  in  diesem  Falle,  der  vollständig  einem  physiologischen 
Experimente  gleicht,  nur  dass  die  Mengen  der  in  die  Blutbahn  gelangten 
Mikroorganismen  jedenfalls  eine  ausserordentlich  viel  kleinere  gewesen  ist,  als 
bei  den  von  Obth,  Wtssoko witsch,  Bobbbt  angestellten  künstlichen  Ver- 
suchen, nicht  zu  einer  mycotischen  Endocarditis  gekommen  ist,  erklärt 
sich  daraus,  dass  das  betreffende  Lidividuum  vollständig  normale,  in  keiner 
Weise  zur  Ansiedelung  von  Microorganismen  disponirte  Klappen  besass,  wie 
solche  Obth'  mit  Recht  bei  mycotischer  ulceröser  recurrirender  Endocarditis, 
bei  puerperaler  Endocarditis  Ghlorotischer  etc.  voraussetzt. 

Dass  ohne  Section  und  ohne  genaue  bacteriologische  Unter- 
suchung in  diesem  Falle  wohl  kaum  der  Furunkel  im  Nacken  und  die 


1  Yirchow's  Arch.  Bd.  100.  H.  IIL  S.  M>8.  Ueber  die  vendse  Embolie  und  den  retro- 
graden Transport  in  den  Venen  und  Lymphgefassen. 

*  Ueber  die  Schicksale  der  in's  Blat  injicirten  Mikroorganismen  im  Körper  der  Warm- 
blüter.   Zeitschr.  f.  Hygiene.  1886.  I.  S.  8. 

'  Ueber  die  Aetiologie  der  experimentellen  myootisohen  EndocarditiB.  Virchow'B  Arch. 
1886.  Bd.  108.  S.  334. 


—    413    — 

Meningitis  cerebralis  in  ursächlichen  Zusammenhang  gebracht,  sondern  als 
zufalliges  Nebeneinandervorkommen  au^efisust  worden  waren,  um  so  mehr,  da 
sich  die  yerhältnissmässig  kleinen  hämorrhagischen  Infarcte  dem  klinischen 
Nachweis  entzogen,  bedarf  wohl  keiner  weiteren  Auseinandersetzung. 

(Sohloss  folgt) 


2.    Ueber  die  durch  Chloroform  auf  kataphorischem  Wege 
zu  erzeugende  Hautanästhesie  (Adamkiewicz). 

Von  Dr.  Heinrich  Fasohkis  und  Dr.  Julius  Wagner, 

Docenten  an  der  Wiener  Universit&t. 

Nachdem  der  eine  von  uns  gezeigt  hat^  dass  es  durch  Benützung  der  kata- 
phorischen  Wirkung  des  elektrischen  Stromes  gelingt,  durch  Cocain  locale  An- 
ästhesie der  Haut  zu  erzeugen,^  haben  wir  uns  die  Frage  vorgel^,  ob  sich 
nicht  eine  Beihe  anderer  medicamentöser  Stoffe  zu  dieser  percutanen  Application 
eignen  würde.  Die  Versuche,  die  wir  hierüber  angestellt  haben,  sind  noch  nicht 
abgeschlossen.  Wir  sehen  uns  aber  durch  eine  Mittheilung  von  Adamkiewicz, 
der  angeblich  durch  kataphorische  Einbringung  von  Chloroform  in  die  Haut 
locale  Anästhesie  erzielt  hat,  veranlasst,  unsere  Er&hrungen  über  dieses  Mittel 
mitzutheilen.  Wir  können  uns  eine  eingehende  Wiedergabe  der  Angaben  von 
Adamkiewicz  ersparen,  da  diese  ohnehin  in  Nr.  6  des  laufenden  Jahrganges 
dieser  Zeitschrift  enthalten  smd. 

Wir  hatten  (schon  bevor  uns  die  oben  genannte  Mittheilung  bekannt  ge- 
worden war)  unter  anderen  Anästheticis  auch  das  Chloroform  versucht,  theilweise 
aus  demselben  Grunde,  der  Adamkiewicz  zu  diesem  Körper  geführt  hat,  näm- 
lich in  der  HofGaung,  für  das  theuere  Cocain  einen  Ersatz  zu  finden.  Wir 
mussten  aber  diese  HofGaung  bald  aufgeben,  da  wir  uns  überzeugten,  dass 
Chloroform  den  elektrischen  Strom  fast  gar  nicht  leitet. 

Wenn  wir  die  Elektrode,  an  der  die  Kataphorie  zu  Stande  kommen  sollte, 
mit  Chloroform  benetzt  auf  die  Haut  setzten,  bekamen  wir  selbst  bei  Einschal- 
tung von  30  Stöhrer'schen  Elementen  selbst  an  der  sehr  empfindlichen  grossen 
Edelmann'schen  Bussole  keine  Spar  von  Ausschlag.  Umsomehr  überraschten 
uns  die  Angaben  von  Adamkiewicz,  der  bei  Füllung  der  von  ihm  angegebenen 
Diffusionselektrode  mit  Chloroform  und  Durchleitung  des  Stromes  von  Strom- 
stärken von  8,  5,  7,  ja  10  Milliamperes  spricht 

Wir  waren  über  diese  Angaben  aufs  Höchste  überrascht  und  um  uns 
zweifellos  zu  überzeugen,  dass  wir  bei  unseren  früheren  Beobachtungen  nicht 
einem  Irrthum  zum  Opfer  gefallen  waren,  machten  wir  zunächst  eine  möglichst 
exacte  Bestimmung  des  Leitungswiderstandes,  den  Chloroform  dem  elektrischen 
Strome  entgegenstellt.  Wir  füllten  eine  cylindrische  Bohre  aus  Olas,  die  durch 


^  Dr.  Julius  Waonbr:  Eine  Methode,  Hantanästhesie  dorch  Cocain  zu  erzeugen.  Wien, 
med.  Blätter.  1S86.  Nr.  6. 


—    414     — 

parallele  Wände  aus  Metall  abgeschlossen  war,  mit  chemisch  reinem  GUorofoirn 
(bezogen  von  der  Firma  EahüjEaum  in  Berlin).  Das  Oefiss  hatte  einen  Durch- 
messer von  6  cm  und  eine  Höhe  von  3,5  cm.  Wir  bestimmten  nun  den  ab- 
soluten Widerstand  dieser  Chloroformschichte  mit  der  Wheatstone'schen  Methode. 
Der  Erfolg  des  Versuches  übertraf  eigentlich  unsere  Erwartungen,  denn  wir 
bekamen  als  Ausdruck  des  absoluten  Widerstandes  unserer  Ghloroformschichte 
eine  Zahl,  die  ca.  48 V2  Millionen  S.  E.  ausmachten.  Rechnen  wir  nun  den 
absoluten  Widerstand  auf  specifischen  Widerstand  um,  so  bekommen  wir  eine 
Zahl,  die  ca.  4  Billionen  beträgt,  und  dabei  haben  wir  den  Umstand,  da^ 
unser  Chloroform  bei  einer  0^  Celsius  übersteigenden  Temperatur  gemessen 
wurde,  noch  nicht  einmal  mit  in  Rechnung  gezogen. 

Diese,  man  kann  mit  Bücksicht  auf  die  vorliegenden  Verhältnisse  sagen, 
unendlich  grosse  Zahl  als  Ausdruck  des  specifischen  Widerstandes  des  Chloro- 
forms beweist  also,  dass  Chloroform  den  elektrischen  Strom  fast  gar  nicht 
leitet.  Ein  Versuch,  den  wir  mit  käuflichem  Chloroform  anstellten,  eigab  tro^ 
der  möglichen  Verunreinigungen  das  gleiche  Resultat 

Wir  haben  dann  weiter  das  Leitungsvermögen  des  Chloroforms  in  der 
Weise  geprüft^  dass  wir  Chloroform  in  eine  Schale  gössen  und  einen  Stromkräs 
in  den  eine  Batterie  von  8  Elementen  und  eine  äusserst  empfindliche  Hernnan'- 
sche  Bussole  eingeschaltet  war,  in  der  Weise  schlössen,  dass  die  isolirten  Drahte 
enden  dieser  Combination  in  die  Chloroformschale  tauchten.  Wir  bekamen 
dann  einen  ganz  minimalen  Ausschlag,  der  aber  wahrscheinlich  gar  nicht  durch 
das  LeitungsTormögen  des  Chloroforms  bedingt  war.  Wir  hatten  nämlich  dabei 
einen  Versuchsfelder  nicht  ausgeschlossen.  Das  sehr  rasch  verdampfende  und 
sich  dadurch  stark  abkühlende  Chloroform  muss  in  einer  mit  Wasserdampf  ge- 
schwängerten Atmosphäre  an  seiner  Oberfläche  einen  Niederschlag  von  Wasser 
hervorrufen  und  möglicher  Weise  leitet  dann  nur  die  dünne  Wasserschichte, 
die  sich  an  der  Oberfläche  des  Chloroforms  gebildet  hatte. 

Dies  wurde  dadurch  besonders  wahrscheinlich,  dass  sich  das  aus  dem  Gal- 
vanometerausschlag  ersichtliche  Leitungsvermögen  des  Chloroforms  sogleich  be- 
deutend steigerte,  wenn  man  die  Chloroformschale  anhauchte. 

Nachdem  wir  uns  so  von  der  Thatsache  der  Leitungsunfahigkeit  des  Chloro- 
forms, die  schon  unsere  ersten  oberflächlichen  Versuche  ergeben  hatten,  auf 
exacte  Weise  überzeugt  hatten,  prüften  wir  die  Sache  neuerdings  am  Menschen 
und  benützten  dabei  die  von  Adamkiewicz  angegebene  Diffusionselektrode. 

Das  Resultat  dieser  Versuche  entsprach  ganz  unseren  Erwartungen.  Wenn 
wir  die  mit  Flanell  oder  Leinwand  überzogene  und  mit  Chloroform  gefüllte 
Diffusionselektrode  auf  die  Haut  aufsetzten  und  als  2.  Elektrode  eine  gewöhn- 
liche, mit  Wasser  befeuchtete  Plattenelektrode  benützten,  bekamen  wir  nie  eine 
mit  den  gewöhnlichen  Apparaten  messbare  Stromstärke.  Selbst  an  der  grossen 
Edelmann'schen  Bussole  und  bei  5  Minuten  übersteigender  Dauer  der  Einwirkung 
von  30  Stöhrer'schen  Elementen  bekamen  wir  auch  nicht  eine  Spur  von  Aus- 
schlag. Es  leitet  also  das  Chloroform  so  schlecht^  dass  man  es  geradezu  als 
einen  Isolator  bezeichnen  kann. 


—    415    — 

Es  aiiid  ttns  nach  dem  Gesagten  die  Angaben  Adahkiewioz's  über  Strom- 
starken  bis  10  Milliamperes,  die  er  bei  Anwendung  einer  mit  Chloroform  ge- 
tränkten Elektrode  erzielt  haben  will,  ganz  unverständlich  und  können  wir  nur 
annehmen,  dass  dteselben  auf  einem  groben  Irrthmn  beruhen. 

Wir  sind  jedoch  weit  entfernt,  deswegen  behaupten  zu  wollen,  dass  der 
elektrische  Strom  deswegen  am  Chloroform  nicht  seine  kataphorische  Wirkung 
entfalten  könne. 

Wir  sind  selbst  nicht  Physiker  genug,  um  die  Frage  zu  entscheiden,  ob 
nicht  das  an  imd  für  sich  nicht  leitende  Chloroform,  durch  den  elektrischen 
Strom  in  die  Haut  eingetrieben  werden  könnte,  und  wir  konnten  uns  auch 
über  diese  Frage  bei  Durchsicht  des  Werkes  von  Wtkdemann  keinen  Aufschluss 
verschaffen. 

ArnKKiKwicz  fahrt  allerdings  eine  Beobachtung  an,  die  ein  Yersohwinden 
von  Chloroform  in  der  Haut  beweisen  soll,  die  aber  bei  unbefangener  Ueber- 
legung  viel  einfacher  auf  andere  Weise  zu  erklären  ist 

Es  nahm  nämlioh  die  in  der  Difinsionselektrode  enthaltene  Chlorofonnmenge 
bei  seinen  Anästhesirungsversuchen  ab.  Adamkiewicz  meint,  dieser  Verlust 
komme  auf  Rechnung  des  in  der  Haut  verschwindenden  Chloroforms.  Sein 
Geruchsorgan  hätte  ihn  belehren  können,  dass  dieser  Verlust  an  Chloroform  zum 
grössten  Theile  oder  vielleicht  selbst  ganz  auf  Rechnung  der  Verdunstung  kommt. 

Adamktevicz  hat  aber  noch  ein  anderes  Factum  angeführt,  das  ein  kata- 
phorisches  Eindringen  des  Chloroforms  in  die  Haut  zu  beweisen  scheint:  die 
Anästhesie,  die  unter  der  Elektrode  entsteht 

Diese  Angabe  können  wir  fast  vollinhaltlich  bestätigen,  zugleich  aber  be- 
weisen, dass  diese  Anästhesie  weder  mit  der  kataphorischen  Wirkung  noch  mit 
dem  elektrischen  Strome  überhaupt  etwas  zu  thun  habe. 

Es  tritt  nämlich  dieselbe  Anästhesie  auch  auf,  wenn  man  die  Diffusions- 
elektrode mit  Chloroform  gefallt  auf  die  Haut  aufsetzt,  ohne  den  elektrischen  Strom 
durchzuleiten.  Nach  Verlauf  von  einigen  Minuten  hört  die  Anfangs  schmerzliche 
Empfindung  auf  und  man  überzeugt  sich  jetzt,  dass  die  betreffende  Hautstelle 
anästhetisch  ist.  Die  Anästhesie  ist  nicht  so  hochgradig,  wie  die  durch  Cocain 
erzeugte,  sie  reicht  nämlich  weniger  tief  und  sie  verschwindet  rascher.  Die  be- 
treffende Stelle  fühlt  sich  intensiv  kalt  an;  es  verdunstet  nämlich  vom  Bande  der 
Elektrode  eine  immerhin  nicht  unbeträchtliche  Menge  Chloroform.  Wir  glaubten 
deshalb  Anfangs,  wir  hätten  es  hier  mit  einer  Kälte-Anästhesie  zu  thun.  Wir 
überzeugten  uns  aber  von  der  Unrichtigkeit  unserer  Annahme.  Wenn  man 
nämlich  die  betreffende  Stelle  durch  Auflegen  eines  warmen  Körpers  erwärmt, 
so  schwindet  die  Kälte  früher  als  die  Anästhesie.  Noch  schlagender  beweist 
dies  folgender  Versuch: 

Wenn  man  ein  Schröp^las  mit  Chloroform  füUt,  es  dann  so  auf  eine  Haut- 
stelle stürzt,  dass  der  Luftzutritt  abgeschlossen  ist,  so  tritt  ganz  so  wie  im 
früheren  Versuche  Anästhesie  ein,  eine  Abkühlung  der  Haut  kann  aber,  da  die 
Verdunstung  des  Chloroforms  verhindert  ist,  nicht  stattfinden. 

(Dass  Chloroform  und  andere  leicht  flüchtige  Stoffe  aus  der  Alkoholgruppe 


4141 


—    416    — 

aof  die  Hant  gebracht,  abgesehen  Ton  der  AbUhlnng,  zaerst  leichte  sensible 
Erregang  und  dann  Abstcunpfting  der  Empfindfichkeit  heryormfen,  ist  ohnehin 
l&ngst  bekannt) 

Die  Procednr  ist  aber  sehr  schmerzhaft  und  wir  empfehlen  jedem,  der  sie 
wiederholt,  Vorsicht  an,  weil  man  dadurch  ziemlich  tiefgehende  Yer&txongen 
der  Haut  erzengen  kann,  wie  wir  ans  zu  unserem  Schaden  überzeugten. 

Wir  können  natürUch  die  therapeutischen  Erfolge,  die  Herr  Adameikwicz 
durch  seine  Methode  erzielt  hat,  zwar  nidit  bestreiten,  mtkssen  aber  seine  An- 
schauung über  die  Art  und  Weise,  wie  dieselben  zu  Stande  kommen,  als  eine 
YoUst&ndig  inige  bezeichnen. 


3.  Ueber  den  Einflnss  der  centralen  G^himtheile  auf  den 

Blutdruck  und  die  Herzthätigkeit. 

Yon  Prof.  Dr.  W.  Beohterow  und  Prosector  Dr.  Miialawsky. 

Zur  Ergänzung  unserer  Untersuchung  über  den  Einfluss  der  Groeshimrinde 
auf  den  Blutdruck  und  die  Herzthätigkeit^  haben  wir  in  der  nämlichen  Rich- 
tung Experimente  mit  Beizung  der  centralen  Oehimtheile  angestellt  Die  Er- 
gebnisse dieser  Versuche  bestehen  kurz  gefiasst  in  Folgendem: 

Entsprechend  dem  Umstand,  dass  sich  von  Verschiedenen  Gebieten  der 
Groeshimrinde  aus  durch  elektrische  Beizung  eine  Beeinflussung  des  Blutdrucks 
erzielen  lässt,  gelingt  es  auch  durch  Beizung  verschiedener  Punkte  der  centralen 
Gehimtheile  eine  solche  hervorzubringen;  in  letzterem  Eall  beobachteten  vrlr  bis 
jetzt  nur  Steigerung  des  Blutdrucks.  Am  stärksten  war  in  dieser  Hinsicht  die 
Wirkung  bei  Beizung  des  Sehhügels  und  Globus  paUidus  des  linsenkems.  Vom 
grössten  TheU  der  inneren  ELapsel  aus  erhielten  wir  auch  äusserst  ausgeprägte 
Steigerung  des  Blutdrucks;  bei  Beizung  ihrer  vorderen  Abschnitte  war  dieselbe 
weniger  bedeutend.  Den  schwächsten  Eflfect  ergab  Beizung  des  NucL  candati 
(sowohl  dessen  Körpers,  als  audi  des  Schweifes). 

Da  die  soeben  berichteten  Grundresultate  der  Versuche  mit  Beizung  der 
Gentralganglien  auch  dann  die  nämlichen  bleiben,  wenn  durch  vorhergehende 
Abtragung  des  motorischen  Bindenfeldes  am  operirten  Thier  secundäre  Degene- 
ration der  Pyramidenbahn  hervorgebracht  wurde,  so  ist  es  offenbar,  dass  den 
Gentralganglien  (Glob.  pallidus  und  Thalamos  opt)  die  Fähigkeit  zukommt,  un- 
mittelbar den  Blutdruck  zu  beeinflussen.  Also  müssen  in  den  Grosshimhami- 
sphären  ausser  den  Fasern  der  Pyramidenbahn  auch  die  die  Binde  mit  den 
Gentralganglien  verbindenden  Fasern  zur  Uebertragung  der  Im- 
pulse von  der  Hirnrinde  auf  den  Gefässtonus  dienen. 

Was  den  Einfluss  der  Hirnrinde  auf  die  Herzäiätigkeit  anbetrifft,  so  bringen 
uns  unsere  neueren  Yersudie  zur  Ueberzeugung,  dass  bei  Beizung  der  Ober- 
fläche  des   vorderen   Bindengebietes  sehr  oft  ausser  der  gewöhnlichen  Puls- 

'  S.  Neorolog.  Centralbl.  1S86.  Nr.  9. 


—    417    — 

beachlemiigimg  anoh  mäa  oder  ireniger  bedeoteode  Y eiUngsamang  der  Pals- 
sohl&ge  ooDstUärt  winL  Letztere  stellte  sich  in  nnseren  Yersnolien  am  h&nfigsten 
nach  anf&nglicher  Besohleanlgang  des  Pnlses  od,  aber  in  einten  Fällen 
aacdi  prim&r.  Dniohsolmeidang  der  Nu.  vagi  hatte  —  wie  zu  erwarten  war 
—  Tollstündigfi  Aofhebnng  dos  hemmenden  filnflnsses  der  Bindenreizong  aof 
die  Herzthätigkeit  zar  Folge. 

Nachdem  wir  die  Obeifl&che  der  Hemisphäre  dnich  schichtenweise  Schnitte 
abtn^en,  reizten  wir  die  damnterli^ende  weisse  Snhetaiiz  mit  sc^waoben 
Strdmen.  Hierbei  erwies  es  sich,  dass  Beizong  eines  bestünmten  Fanfctee  im 
Teureren  Gebiet  des  Stabbanzee  (entspieohend  der  Lage  der  vorderen  Gentral- 
windong)   nicht  nur  äusserst  ausgeprägte  Falsveilaogsamang,  sondern 


PiK.  1. 


auch  —  bei  gewisser  Daoer  der  Beizong  —  ToUständig  diastolischen  Still- 
stand des  Herzens  bewirkt  Also  tritt  hierbei  der  nämliche  Effect  ein,  wie 
bei  Beiznng  des  peiipherischen  Endes  des  N.  vagns.  Dagegen  ergab  Beiznng 
der  hinteren  Gebiete  des  Stabkranzes,  sowohl  der  dem  bezeichneten  benachbarten, 
als  anoh  weiter  gel^ener,  eine  mehr  oder  weniger  beträohtliehe  Ste^rong  des 
BlntdnickB,  ohne  von  irgend  bedeutendem  Einfiosa  auf  die  Herzthätigkeit  be- 


Einen  dem  oben  angegebenen  ganz  analogen   Effect  beobachteten  wir 
ebenlalls  bei  Boznng  der  äosseren  Portion  des  Sehhfigels.    Li  letzterem  Fall 
*  stellte  sich,  wie  in  jenem,  bereits  in  knizer  Zät  nach  ESnwirkuiig  eines  schwachen 
Stromes  vollatändiger  diastolischer  Stülstand  des  Herzens  ein,  welchem  allmäh- 
liche Verlangsamnng  der  FnlssohUige  Toianging. 


418    - 

^  Der  hemmende  ISiiifliiss  der  bezeichneten  Himtheile  auf  die  Herztb&tigkeit 
wird  in  augenscheialichster  Weise  auf  den  zwei  beigegebenen  Conren  demon- 
strirt,  von  denen  die  erste  einen  Versuch  mit  Beizung  des  vorderen  Gebietes 
des  Stabkranzes,  die  zweite  —  mit  Beizung  des  Sdihügeb  betrifit^ 

Unsere  Versuche  zeigen  also,  dass  in  der  Binde  der  Hemisphären  neben 
den  den  Blutdruck  beeinflussenden  Leitungsbahnen  auch  solche  enthalten  and, 
die  auf  die  Herzthatigkeit  wirken;  letztere  wird  durch  eine  derselben  beechleunigt, 
durch  eine  andere  gehemmt.  Beide  sind  hauptsachlich  in  den  vorderen  Gebieten 
der  Hemififphären  vertheilt,  indem  die  den  hemmenden  Einfluss  auf  die  Herz- 
thatigkeit leitenden  Fasern ,  wie  unsere  Versuche  lehren ,  anscheinend  schon  in 
der  weissen  Substanz  der  Hemisphären  sich  in  ein  besonderes  Btkndel  sammeln, 
welches  im  vorderen  Gebiete  des  Stabkranzes  verläuft 

In  Anbetracht  der  analogen  Beeinflussung  der  Herzthatigkeit  seitens  des 
Sehhügels  ist  Grund  vorhanden  anzunehmen,  dass  das  in  Bede  stehende  Bündel 
zum  Bestand  der  Strahlung  des  letzteren  gehört,  und  dass  der  hemmende  Ein- 
fluss der  Grosshimhemisphäre  auf  die  Herzthatigkeit  vermittelst  des  genannten 
Ganglions  zu  Stande  kommt 


IL  Referate. 


Anatomie. 

1)  On  Professor  Hamilton's  theory  oonceming  the  corpus   oalloBum,   bj 

C.  E.  Beevor.     (Brain.  1886.  April  p.  63—73.) 

Diese  Arbeit  enthält  eine  ausführliche  Beschreibung  der  bereits  vorläufig  (vgl. 
Centralblatt.  1886.  S.  4)  bekannt  gegebenen  anatomischen  Untersuchungen  über  die 
Faserang  des  Corpus  callosumi  welche  keine  Anhaltspunkte  geben,  dasselbe  mit 
Hamilton  als  eine  Decussation  aufzufassen.  Auch  vergleichend  anatomische  Momente^ 
dass  nämlich  bei  niederen  Thieren  mit  der  geringen  Ausbildung  des  Balkens  die 
vordere  Commissur  an  Mächtigkeit  zunehme,  spräche  daf&r,  dass  der  Balken  nur 
eine  interhemlsphärische  Commissur  ist.  E.  Bemak. 


2)   Beitrag  som  Faserverlauf  im  Hinterhom  des  mensohliohen  Büokon- 
marks  und  sum  Verhalten  desselben  bei  Tabes  dorsalis,'  von  Dr. 

H.  Lissauer  in  Leipzig.     1  Tafel.     (Arch.  f.  Psych.  Bd.  XVH.  2.) 

Terf.  suchte  unter  ausschliesslicher  Anwendung  der  bekannten  Weigert*schen 
Tinctionsmethode  in  die  feineren  pathologisch-histologischen  Veränderungen  bei  der 
Tabes  dorsal,  einzudringen.  Die  Untersuchungen,  bei  denen  Verf.  nothwendiger  Weise 
auch  auf  das  normale  anatomische  Gebiet  geführt  wurde ,  beziehen  sich  vorwiegend 
auf  die  Verhältnisse  im  Lendenmark  resp.  in  der  Lendenanschwellung,  wo  ja  die 
Degenerationserscheinungen  in  der  Regel  ihren  Anfang  nehmen. 

Verf.  geht  zunächst  von  einer  recht  eingehenden  Darstellung  der  normalen  ana- 
tomischen Verhältnisse,   soweit  sie  durch  Anwendung  oben  erwähnter  Methode  einer 


^  Beide  Cnrven  sind  auf  photogiaphiachem  Wege  um  die  Hälfte  ihrer  natürlichen  Grosse 
verkleinert. 

*  Vgl.  Merzn  Nenrolog.  Centralbl.  1885.  Nr.  11,  sowie  die  Verhandlungen  des  IV.  Coo- 
gressei  fCr  innere  Medicin  zu  Wiesbaden. 


—    419    — 

Klärung  sog&nglich  sind,  aus  und  legt  bei  der  Trennnng  der  Fasersysteme  mit  Becht 
groBses  Oewicht  auf  das  Galiber  der  Fasern,  wie  es  bekanntlich  vor  Allem  Deiters 
getban  bat.  Das  wichtigste  Untersuchungsergebniss  ist  die  Dentimg  jener  meist 
feinen,  ^ertical  yerlaufenden  Fasern  zwischen  der  äusseren  Kappe  der  gelatinösen 
Substanz  und  der  yentralen  Peripherie  des  Bückenmarks,  der  sog.  Bandzone,  als  ein 
besonderes  Fasersystem.  Die  Bandzone,  welche  von  den  Autoren  irrthfimlich  als 
Anhängsel  der  gehitinösen  Substanz  aufgefasst  oder  zum  Seitenstrang  gerechnet 
wurde,  setzt  sich  vorwiegend  aus  feinen  Fasern  der  hintern  Wurzeln  zusammen« 
Diese  Fasern  gebmgen  schliesslich  zum  grossen  Theil  in  die  gelatinöse  Substanz, 
zum  kleinen  Theil  in's  Innere  der  Hinterstränge. 

Am  Hinterhom  unterscheidet  Verf.  drei  Abschnitte:  1)  die  spongiöse  Zone  der 
gelatinösen  Substanz,  welche  dicht  an  die  Bandzone  grenzt  und  in  dessen  Flechtwerk 
sich  die  Fasern  der  Bandzone  hauptsächlich  auflösen;  2)  die  eigentliche  gelatinöse 
Substanz,  ähnlich  gebaut  wie  die  Spongiosa;  hier  finden  sich  grobe  (aus  den  hintern 
Wurzeln  und  äusseren  Partien  der  Hinterstränge  stammend)  und  feine  Fasern,  welch* 
letztere  die  Fortsetzung  des  Flechtwerkes  in  der  hintern  spongiösen  Schicht  bilden; 
3)  die  Subst.  spongiosa,  die  von  der  gelatinösen  Substanz  an  bis  zur  Basis  des 
Hinterhoms  sich  erstreckt  und  wiederum  in  eine  hintere  und  vordere  Zone  zerfällt. 
Auch  diese  Partie  des  Hinterhoms  wird  noch  von  hinteren  (groben  und  feinen) 
Wurzelfasem  durchsetzt.  Hinsichtlich  der  näheren  Details  muss  auf  das  Original 
verwiesen  werden. 

Das  Hinterhom  empföngt  somit  hintere  Wurzelfasem  von  zweierlei  Kategorien: 
1)  grobe,  die  sich  direct  bfindelweise  bis  in  die  Spongiosa  ziehen  und  hier  eine 
andere  Bichtung  einschlagen,  2)  feine  Fasern  (gemischt  mit  anderen  Fasersystemen), 
die  sofort  nach  Wurzeleintritt  nach  aussen  abzweigen  und  sich  zu  einer  aufsteigenden 
Säule  (Bandzone  des  Hinterhoms)  bilden;  ein  Abschnitt  der  letzteren  zieht  längs 
dem  Seitenstrang  aufwärts,  ein  anderer  erstreckt  sich  theils  in  die  Sahst,  gel.,  theils 
in  das  Innere  der  Hinterstränge. 

Die  pathologisch-anatomische  Untersuchung  erstreckte  sich  auf  13  Fälle,  von 
denen  6  in  sehr  detailirter  Weise  behandelt  werden.  Ganz  besondere  Aufmerksam- 
keit wurde  den  Faserverhältnissen  im  Lendenmark  geschenkt  und  dabei  vor  Allem 
auf  folgende  Faserkategorien  Bücksicht  genommen:  1)  die  feinen  Fasern  der  Band- 
zone, 2)  die  feinen  Fasem  im  Innern  des  Hinterhoms,  3)  die  groben  Wurzelfasem 
des  Hinterhoms,  4)  die  Einstrahlungsmassen  aas  dem  Keme  des  Hinterstranges 
(StrümpelTs  Wurzelzonen),  5)  die  .dar keuschen  Säulen. 

Die  Bandzone,  deren  Verhalten  bei  Tabes  früher  wenig  beachtet  wurde  und  die 
Verf.  als  ein  besonderes  (speciell  zu  den  hinteren  Wurzelfasem  gehörendes)  Faser- 
Efystem  auffasst,  fand  sich  unter  13  Fällen  12mal  degenerirt.  In  3  Fällen  bildete 
die  Bandzone  ein  Degenerationsfeld  für  sich.  Der  Zeitpunkt  der  Erkrankung  dieser 
Bahn  ist  variabel,  in  der  Begel  aber  erkrankt  sie  frühe.  Hinsichtlich  der  sub  2) 
angefahrten  Fasem  muss  bemerkt  werden,  dass  ihr  Verlust  ein  wesentlich  geringerer 
ist,  als  deijenige  aus  der  Bandzone;  in  zwei  Fällen  mit  Degeneration  der  letzteren 
waren  jene  relativ  intact;  immerhin  bestehen  gewisse  Beziehungen  zwischen  Band- 
zone und  den  Fasergeflechten  des  Hinterhoms,  nur  dauert  es  eine  gewisse  Zeit,  bis 
der  Process  sich  zu  den  letzteren  fortpflanzt.  Die  groben  Wurzelfasem  erkruiken 
bei  der  Tabes  relativ  spät  and  ihre  Erkrankung  macht  langsame  Fortschritte  (in 
2  Fällen  waren  sie  gesund).  Die  Einstrahlungsfasem  der  Hinterstränge  hingegen 
verhalten  sich  wie  die  entsprechenden  Theile  der  Hinterstränge,  aus  denen  sie  her- 
vorgehen. Sie  kommen  aus  den  Wurzelzonen  und  fehlen  Mh,  während  die  Substanz 
des  Hinterhoms,  welche  sie  durchsetzen,  noch  normal  ist.  Man  darf  den  Ausfall 
dieser  Fasem  neben  den  Veränderungen  der  Clarke*schen  Säulen  als  erste  patholog. 
Erscheinung  in  der  grauen  Substanz  bezeichnen.  Die  Verändemngen  an  den  Glarke*- 
schen  Säulen  sind  constant  und  schon  in  den  ersten  Stadien  der  Tabes  zu  constatiren; 


—    420    — 

vor  Allem  werden  hier  die  medial  liegenden  feinen  Fasern,  welche  aas  den  Hinter- 
strängen  der  Lumbairegion  stammen,  von  der  Degeneration  betroffen,  während  mehr 
lateral  liegende  Iowie  die  Ganglienzellen  intact  bleiben.  Sehr  spät  betheüi^  sieh 
die  umgebende  spongiöse  Substanz  des  Hinterhoms  an  der  Atrophie.  Nich  den 
Untersuchungen  des  Verf.,  die  mit  denjenigen  Ton  Krauss^  im  Einklänge  stehen, 
nimmt  die  Glarke^sche  Säule  aus  sehr  verschiedenen  Theilen  des  HinterstrEUiges  und 
aus  sehr  yerschiedenen  H6hen  sich  rekrutirende  Faserbfindel  auf,  und  es  g^t  hier 
das  Gesetz,  dass  die  aus  geringerer  Tiefe  kommenden  mehr  dem  äusseren,  die  aus 
grösserer  Tiefe  kommenden  mehr  dem  inneren  Theile  der  Säule  sich  zuwenden. 

V.  Monakow. 


Experimentelle  Physiologie. 

3)  Contributo  sperimentale  alla  psioofiBiologis  dei  lobi  ottioi  nella  testug» 
gine  paluBtre,  del  Prof.  G.  Fano  in  coUaborazione  col  Dr.  S.  Lourie. 
(Bivisi  speriment.  di  Freniatr.  e  di  Medic.  leg.  1885.  XI.  p.  480.) 

Die  Yerff.  gehen  bei  der  vorstehend  angezeigten  Arbeit  über  Functionen  der 
Lobi  optici  (Corp.  quadrigem.)  der  Schildkröten  von  der  eigenthümlichen  Erfahrung 
aus,  dass  es  unter  den  gewöhnlichen  Sumpfschildkröten  zwei  Formen  giebt,  die  sich 
sowohl  durch  körperliche  wie  auch  durch  geistige  Eigenschaften  streng  von  einander 
unterscheiden  lassen.  Die  Individuen  mit  üachem,  glattem  und  gelbbraungefiecktem 
Bfickenschild  sind  nämlich  sehr  lebhaft  und  reizbar,  während  die  mit  stark  gewölbtem, 
warzigem  und  gleichförmig  dunkelbraunem  Panzer  apathisch  und  schwerfällig  er- 
scheinen. Werden  sie  z.  B.  auf  den  Bücken  gelegt,  so  werfen  sich  die  ersteren 
schnell  in  die  normale  Lage  und  suchen  trotz  aller  äusseren  Beize  etc.  hastig  zo 
entfliehen,  während  die  letzteren  liegen  bleiben,  den  Kopf,  den  Schwanz  und  die 
Extremitäten  unter  den  schützenden  Panzer  verbergen  und  sich  nun  regungslos  ver- 
halten, bis  jede  Gefahr  geschwunden  zu  sein  scheint. 

Andererseits  dachten  die  Yerff.  an  den  Ausspruch  Herzen*s,  nach  dem  die 
Intensität  der  Gedankenarbeit  im  umgekehrten  Yerhältniss  zur  Schnelligkeit  der 
äusseren  Beaction  stehen  soll,  und  an  den  ähnlichen  Buccola*s,  nach  welchem 
alle  Yorstellungen  bei  ManiakaHschen  sehr  schnell  ablaufen  und  sich  in  Bewegungen 
umsetzen,  während  bei  Melancholikern  die  Yorstellungen  viel  dauerhafter  sind,  nicht 
gewissermaassen  zur  Ableitung  nach  aussen  projicirt  werden  und  daher  keine  oder 
nur  wenig  ausgiebige  Bewegungen  auslösen;  Buccola  folgerte  femer,  dass  die  Heftig- 
keit und  Schnelligkeit  reactionärer  Bewegungen  im  umgekehrten  Yerhältniss  zur 
Intensität  des  Bewusstwerdens,  ihrer  sensiblen  Yeranlassung  steht,  und  dass  daher 
bei  Melancholischen  die  psychische  Beizbarkeit  viel  grösser  ist,  als  bei  Maniakalischen, 
wie  er  es  auch  experimentell  bei  geisteskranken  Menschen  gefunden  hat 

Die  Yerff.  beabsichtigen  nun,  ebenfalls  einen  experimentellen  Beweis  dafür  zu 
liefern,  dass  die  motorische  Beaction  auf  äussere  Beize  bei  „melancholischer"  Stim- 
mung längere  Zeit  und  schwächere  Beize  erfordere,  als  bei  „maniakalischer"  Stim- 
mung, und  haben  sich  jene  beide  Arten  von  Schildkröten  als  Yersuchsobjecte  aus- 
gesucht, besonders  weil  es,  wie  Fano  seiner  Zeit  gezeigt  hat,  durch  einen  operativen 
Eingriff  möglich  ist»  eine  „melancholische"  Schildkröte  in  eine  „maniakalische"  umzu- 
wandeln, und  weil  man  so  in  den  Stand  gesetzt  ist,  bei  einem  und  demselben  Indi- 
viduum beide  Stimmungszustände  zu  untersuchen. 

Einer  auf  den  Bücken  gelegten  und  in  dieser  Haltung  fixirten  Schildkröte 
werden  2  als  Elektroden  dienende  Metallplättchen  in  den  Mund  gebracht,  so  dass 
mit  Hülfe  eines  Stromschliessers  in  beliebigen  Momenten  eine  lebhafte  Beizung  der 


>  Neuiolog.  Centralbl.  1S85.  Nr.  28. 


—    421    — 

Handschleimhaat  bewirkt  werden  kann.  Das  Versachsthier  reagirt  durch  eine 
Zackimg  der  Extremitäten,  deren  Eintritt  und  Intensität  ebenso  wie  der  Beginn  der 
Beizung  und  die  Daner  des  Experimentes  in  ^/^^^  Secnnden  graphisch  dargestellt 
wird.  — 

Bei  der  ,,melancholiBchen"  Schildkröte  ergab  sich  nun  eine  mittlere  Dauer  von 
0,081  See.  bis  zum  Eintritt  der  motorischen  Beaction,  bei  der  „maniakalischen"  nur 
von  0,052.  Die  minimale  Beizung,  welche  eine  deutliche  Zuckung  auslöste,  entsprach 
einem  Bollenabstand  von  118  mm  bei  ersteren  und  einem  von  90  mm  bei  letzteren. 
Beide  Ergebnisse  stimmen  sehr  gut  zu  den  oben  erwähnten  Erfahrungen  Buccola*s 
bei  Irren.  Bemerkenswerth  ist  es  nun,  dass  analoge  Unterschiede  in  der  Dauer  bis 
zum  Eintritt  der  Beaction  und  in  der  drösse  des  auszuübenden  Beizes  auch  bei  einer 
und  derselben  Schildkröte  zu  beobachten  sind,  wenn  man  ein  „melancholisches" 
Exemplar  künstlich  in  ein  „maniakalisches"  verwandelt:  die  Dauer  sinkt  von  0,082 
auf  0,037,  die  mindestens  erforderliche  Beizstärke  steigt  von  einem  Bollenabstand 
von  130  mm  auf  einen  von  105  mm  nach  der  Operation,  die  übrigens  in  der  Ent- 
fernung des  vorderen  Yierhügelpaars  besteht.  Beizt  man  aber  die  letzteren  Organe 
direct,  so  zeigt  sich  das  entgegengesetzte  Verhalten:  die  Dauer  steigt  von  0,073  auf 
0,084,  der  Bollenabstand  von  80  auf  125  mm. 

Die  Verff.  glauben  daher,  dass  dem  vorderen  Yierhügelpaar  eine  gewisse  regu- 
latorische Function  zukommt.  Je  nach  dem  „Tonus"  der  ganglionären  Elemente 
derselben  ist  der  Leitungswiderstand  im  centralen  Beflexbogen  vermindert  oder  ver- 
mehrt, und  zwar  wächst  der  Widerstand  mit  der  Intensität  des  Bewusatwerdens. 

In  der  Melancholie  mit  ihrer  intensiven  inneren  Gedankenarbeit  wird  daher  der 
Tonus  der  Lobi  optici  gesteigert  sein.  Schwächere  Beize  als  unter  anderen  Verhält« 
nissen  genfigen  hier,  am  eine  Empfindung  zu  veranlassen;  die  Zeit  bis  zum  Eintritt 
der  Beaction  ist  aber  länger  als  sonst.  Ein  „melancholisch"  abgestimmtes  Gehirn 
wird  daher  unter  allen  Umständen  mehr  (d.  h.  häufiger  und  länger)  in  Anspruch 
genommen,  als  ein  normales  oder  maniakalisches,  also  auch  leichter  erschöpft 

Bef.  glaubt,  dass  die  Bestätigung  derartiger  Theorien  einen  praktischen  Werth 
ffir  die  Therapie  haben  kann.  Sommer. 


Pathologische  Anatomie. 

4)    Degeneration  der  Qoirsohen  Stränge  bei  einem  Potator,   von   Dr.  Osw. 
Vierordt,  Leipzig.     (Arch.  f.  Psych,  etc.  1886.  Bd.  XVII.  H.  2.) 

Ein  30jähriger  Handarbeiter,  starker  Schnapstrinker,  nie  syphilitisch,  litt 
seit  März  1884  an  häufigen  stechenden,  blitzartigen  Schmerzen  in  den  unteren  Ex- 
tremitäten, gleichzeitig  an  Schwäche  und  Unsicherheit  der  letzteren.  Zeitweilige 
Besserung,  dann  Zunahme  der  Erscheinungen,  Eriebeln  in  den  Beinen.  Bei  der  Auf- 
nahme im  Januar  1885  fand  sich  ein  eigenthümlicher  Symptomencomplex  an  den 
Extremitäten.  Die  oberen  Extremitäten  gleichmässig  abgemagert,  normaler  Tonus 
der  Muskeln,  die  rohe  Kraft  dem  Volumen  der  letzteren  entsprechend,  keine  Ataxie, 
normales  Muskelgeffihl,  normale  Hautsensibilität,  keine  Druckempfi^dlichkeit  der 
Nerven,  aber  exquisite  Schmerzhaftigkeit  der  Muskeln  bei  Druck. 

An  den  unteren  Extremitäten  ganz  diffuse  Abmagerung,  der  Mades  entsprechend, 
normaler  Tonus,  Herabsetzung  der  groben  Kraft  im  Verhältniss  zum  Volumen,  etwas 
Ataxie  der  Bewegungen.  Parästhesien  in  beiden  Beinen  bei  einer  geringfügigen 
Störung  der  Hautsensibilität  an  der  Aussenseite  der  rechten  Wade;  keine  Hyper- 
ästhesie, normales  Muskelgefühl.  Atactischer  (rang,  starkes  Schwanken  bei  geschlos- 
senen Augen,  die  Patellarreflexe  erloschen,  die  Hautreflexe  erhalten.  Auch  an  den 
unteren  Extremitäten  au£GEdlende  Druckempfindlichkeit  der  Muskeln.  Keine 
solche  an  den  Nervenstämmen. 


—    422     - 

Die  mechanische  Erregbarkeit  der  Maskeln  aulEAllend  lebhaft,  die  Zuckungen 
kurz.  Mehrfach  wiederholte  elektriache  Unterenchong  ergab  durchweg  normale  Beac- 
tion  der  Nerven  und  Muskeln,  quantitativ,  wie  qualitatiVi  faradiach  und  galvanisch, 
auch  stets  im  weiteren  Verlaufe.    Pupillen,  Blase  und  Mastdarm  stets  nonnaL 

Im  weiteren  Verlaufe  traten  h&ufige  neuralgiforme  Schmerzen  und  Par&sthesien 
in  den  Beinen,  zunehmende  Störung  des  Ganges  mit  theils  paretischem,  theils  atak- 
tischem Charakter  hervor. 

Nebenbei  macht  eine  tuberculöse  Erkrankung  der  Lungen  mit  fortdauerndem 
hohen  Fieber  rasche  Fortschritte.  Bei  späteren  Untersuchungen  machte  sich  die 
Steigerung  der  mechanischen  Erregbarkeit  der  Muskeln  in  noch  erhöhtem  Grade 
geltend,  während  die  Sehnenreflexe  constant  fehlten.  Die  grobe  Kraft  zeigte  sich 
hauptsächlich  durch  die  bei  Bewegungen  auftretenden  Schmerzen,  schliesslich  aber 
doch  auch  durch  wirkliche  Parese,  spedeU  an  den  Beinen,  wesentlich  herabgesetzt 
Zuletzt  waren  die  Bewegungen  der  Beine  „sehr  unsicher,  aber  nicht  eigentlich  atac- 
tlBch".    Pat.  starb  am  12.  April. 

Die  Diagnose  intra  vitam  war  von  erheblichen  Schwierigkeiten  umgeben;  haupt- 
sächlich kam  initiale  Tabes  und  peripherische  Alcohol-Neuritis  in  Betracht 

Die  Untersuchung  des  Kückenmarks  post  mortem  ergab  ausser  leichter 
chronischer  Leptomeningitis  spinalis,  die  sicher  bedeutungslos,  eine  Entartung  der 
Goirschen  Stränge  in  der  Oblongata,  im  Hals-  und  Dorsalmark,  eine 
geringe  Degeneration  der  seitlichen  Hinterstrangpartien  im  untersten 
Dorsalmark,  eine  sehr  massige  Erkrankung  der  hinteren  Wurzeln  des 
mittleren  und  unteren  Dorsalmarks  und  eine  noch  geringere  De- 
generation der  hinteren  Lendenmarkswurzeln,  während  das  Bückenmark 
.selbst  im  gesammten  Lendentheil  vollkommen  normal  war. 

In  der  Oblongata  war  die  Degeneration  der  Goll'schen  Stränge  eine  totale,  im 
oberen  Halsmark  war  der  hintere  Theil  der  Goll*schen  Stränge  (mit  Ausnahme 
eines  ganz  schmalen  Saumes)  erkrankt,  im  Dorsalmark  war  der  hinterste  Abschnitt 
der  Goll'schen  Stränge  frei,  dann  massige,  in  der  Mitte  der  Strecke  zwischen  Peri- 
pherie und  Commissur  ziemlich  intensive  Erkrankung;  nach  dem  unteren  Dorsalmark 
nahm  der  Grad  der  Degeneration  rasch  ab. 

Nerv,  ischiadicus  und  radialis  dexter  normal,  ebenso  die  intramuscu- 
lären  Nerven. 

In  den  Muskeln  (quadriceps  und  peron.)  interstitielle  Kemvermehrung,  da- 
gegen keine  Vermehrung  der  Muskelkeme  und  normale  Beschaffenheit  der  Muskel- 
fasern. 

Ausserdem  ergab  die  Section  verbreitete  Tuberculose. 

Verf.  ventilirt  bei  der  Deutung  des  Befundes  die  Frage,  ob  es  sich  um  eine 
von  den  hinteren  Wurzehi  des  Dorsal-  und  Lendenmarkes  ausgehende  Erkrankung 
und  secundär  aufsteigende  Degeneration  der  Goll'schen  Stränge  handelte,  oder  um 
eine  primäre  Degeneration  eines  Theiles  der  Goll'schen  Stränge.  Er  vindicirt  der 
zweiten  AufiEassung  die  grössere  Wahrscheinlichkeit  Und  zwar  würde,  dem  Befund 
entsprechend,  der  Beginn  der  Degeneration  zu  verlegen  sein  in  die  Kerne  der  zarten 
Stränge,  von  wo  aus  sie  in  den  langen  centripetalen  Bahnen  nach  den  Wurzeln  zu 
fortgeschritten  wäre  —  entgegen  der  Richtung  der  secundären  Degeneration  und  in 
dieser  Beziehung  analog  der  primären  Degeneration  der  Pyramidenbahnen. 

Bezüglich  der  Vereinigung  der  klinischen  Symptome  mit  dem  anatomischen 
Befand  bemerkt  Verf.,  dass  zur  Erklärung  der  landnirenden  Schmerzen  in  den  Beinen 
und  der  erloschenen  Patellarreflexe  die  Erkrankung  der  Lendenmarkswurzeln  heran- 
gezogen werden  müsse.  Die  Druckhyperästhesie  und  die  gesteigerte  mechanische 
Erregbarkeit  der  Muskeln  ist  nicht  sicher  zu  erklären;  vielleicht  steht  erstere  in 
Zusammenhang  mit  dem  Eemreichthum  des  interstitiellen  Gtewebes.  Zur  spedellen 
Symptomatologie  der  eventuellen  primären  Erkrankung  der  langen  Hinterstrangbahnen 


—    423     — 

ist  der  Fall  nicht  Terwerthbar.  Die  beiden  in  der  Literatur  niedergelegten,  einiger- 
maassen  analogen  Fälle  von  Fierret  und  Friedreich  tragen  zur  Aufklärung  des 
Vierordt'schen  Falles  nicht  wesentlich  bei.  Eisenlohr. 


5)  lieber  Cysticerken  im  vierten  Ventrikel,  Inaugnral-Dissertation  von  Albert 
Brecke.     (Berlin,  18.  März  1886.) 

Kaoh  5  Fällen,  die  ihm  znr  Disposition  standen,  hat  Verf.  mit  Fleiss  nnd  Sorg- 
falt ein  ganz  hübsches  anatomisches  und.  klinisches  Bild  entworfen.  Im  ersten  und 
dritten  Fall  erreicht  der  Cysticercus  Erbsen-  bis  Bohnengrösse;  im  2.  und  4.  dag^en 
kommt  er  dem  Umfang  eines  Tauben-  resp.  Hühnereies  gleich  und  besteht  ans  einem 
Conglomerat  von  Blasen,  wie  es  unter  dem  Namen  Cysticercus  racemosus  beschrieben 
worden  ist.  Verf.  räumt  der  Cysticerken-Blase  ein  durchaus  selbstständiges  Wachs- 
thnm  ein,  das  indessen  durch  die  räumlichen  Verhältnisse  vielfach  bestimmt  wird. 
Die  Veränderungen,  welche  der  Parasit  in  der  Nachbarschaft  hervorbringt,  sind  vor 
Allem  eine  Verdickung  des  Ependyms  (Ependymitis  chronica),  Hydrops  der  Ventrikel 
in  Folge  des  Druckes  auf  die  grossen  Venen,  Anämie  des  Gehirns  überhaupt  und 
Abplattung  der  Gyri  als  Folgeerscheinung  des  Ventrikel-Hydrops. 

Was  die  in  solchen  Fällen  beobachteten  klinischen  Symptome  anlangt,  so  richtete 
sich  die  Intensität  derselben  deutlich  nach  der  Ausdehnung  des  Cysticercus.  Unter 
den  Erscheinungen,  welche  durch  den  vermehrten  Druck  in  der  Schädelhöhle  hervor- 
gerufen werden,  ist  zuerst  der  Kopfschmerz  zn  erwähnen,  den  Verf.  aus  Druck  und 
Zerrung  von  Trigeminns-Aesten  der  Dura  erklärt  Derselbe  soll  stets  plötzlich 
aufgetreten,  später  aber  in  Bezug  auf  Intensität  verschieden  gewesen  sein.  Die  Er- 
klärung, welche  für  ersteres  in  der  znr  Schmerzempfindung  nöthigen  Summation  von 
Beizen,  für  letzteres  in  der  von  früheren  Autoren  beobachteten  Bewegung  der  Para- 
siten gesucht  wird,  scheint  ganz  plausibel.  Die  in  einem  Falle  aufgetretenen  Con- 
vulsionen  werden  ganz  richtig  als  von  der  gedrückten  und  gereizten  Hirnrinde  aus- 
gehend erkannt.  Veränderungen  am  Sehapparat  finden  sich  ebenfalls.  Psychische 
Störungen  erklären  sich  theils  aus  der  Anämie,  theils  aus  dem  erhöhten  Druck,  unter 
dem  das  Gehirn  steht. 

Die  an  der  MeduUa  oblongata  als  dem  den  Parasiten  am  nächsten  liegenden 
Theile  des  Centralnervensystems  beobachteten  Erscheinungen  sind  Erbrechen  (Beiz 
des  Vaguskemes),  plötzlicher  Stillstand  der  Athmung  (übermässige  Anhäufung  von 
Eohl^isäure)  und  in  einem  Falle  Diabetes  insipidus  (Beiz  des  Diabetes-Centrums). 
Vergleichsweise  wird  die  von  Bernhardt  aufgestellte  Tabelle  über  plötzlichen 
Tod  bei  Hirntumoren  angeführt^  welcher  den  grössten  Procentsatz  (24  ^/q)  bei  Ge- 
schwülsten der  Medulla  oblongata  gefunden  hat.  Merkwürdig  ist  das  Fehlen  von 
Erscheinungen  von  Seiten  der  ffimnerven,  welche  am  Boden  des  IV.  Ventrikels  ihren 
Ursprung  haben.  Verf.  findet  hierfür  eine  Erklärung  in  der  Ependym- Wucherung, 
die  nirgends  in  die  Himsubstanz  sich  hineinerstreckt,  wie  er  mikroskopisch  nach- 
gewiesen hat,  und  für  jene  vielleicht  ein  schützendes  Polster  bildet. 

Die  in  zwei  Fällen  eingetretene  Störung  der  Coordination  der  Bewegungen  beim 
Gehen  wird  vom  Verf.  auf  eine  Läsion  des  Kleinhirns  und  zwar  nach  dem  Vorgange 
Nothnagers  auf  eine  Unterbrechung  des  Wurms  mit  den  Hemisphären  bezogen. 
Damit  meint  er,  stehe  auch  das  Schwindelgefühl  in  Verbindung,  welches  sich  bei 
3  Patienten  vorfindet 

Störungen  der  Sensibilität  und  Motilität  sind  nicht  vorhanden. 

Die  Dauer  der  Krankheit,  von  der  Einwanderung  des  Cysticercus  an  bis  zu 
seinem  Absterben  (nach  Schiff  in  3 — 6  Jahren)  und  zur  Degeneration  und  grösstem 
Anwachsen  der  Parasitenblase  ist  nur  vermuthungsweise  zu  bestimmen. 

Sperling. 


—    424    — 

Pathologie  des  Nervensystems. 

6)  Till  Iftran  om  aflEMri,  af  S.  E.  Henschen.    (IJpsala  läkarof5reii.  f5rh.    1886. 

XXI.  7.  S.  380.) 

H.  theilt  folgende  4  Fälle  mit  1)  Eine  an  Aortenstenose  mit  chronischer 
Pneumonie  leidende,  62  Jahre  alte  Fran  wnrde  plötzlich  von  atactischer  Aphasie  he- 
fallen, ohne  dass  irgend  welche  subjectiTe  Erscheinungen  Yoransgegangen  waren  ausser 
einem  (xefQhl  von  Zucken  im  ganzen  Körper.  Allmählich  besserte  sich  das  Sprach- 
vermögen wieder  etwas  und  nach  der  etwa  3  Wochen  nach  dem  Anfalle  erfolgten 
Aufnahme  in  der  med.  Klinik  in  Upsala  fand  sich  nur  noch  amnestische  Aphasie 
und  Agraphie.  Alexie  war  vorhanden,  sie  beruhte  aber  nicht  auf  Wortblindheit; 
diese  trat  nur  bisweilen  momentan  auf  bei  Anstrengung,  den  Ausdruck  fflr  ein  ge- 
schriebenes Wort  zu  finden.  Nach  dreiwöchentlicher  Behandlung  war  die  Aphasie 
kaum  noch  bemerkbar,  auch  in  der  Folge  zeigten  sich  weder  Aphasie,  noch  andere 
locale  Himerscheinungen.  Etwa  ein  Jahr  nach  dem  Auftreten  der  Aphasie  starb  die 
Kranke  plötzlich.  Bei  der  Section  fand  sich  Erweichung  des  Gyrus  frontalis  tertius 
und  secundus  auf  der  linken  Seite  und  der  angrenzenden  Theile  der  vorderen  Gentral- 
windung. 

2)  Ein  an  Hypertrophie  des  Herzens  und  der  Leber  leidender  55jähriger  Mann 
erlitt  in  einer  Nacht  einen  Schlaganfall,  der  totale  atactische  Aphasie  und  Lähmung 
der  rechten  Extremitäten  zurückliess.  Die  Lähmung  besserte  sich,  auch  die  Aphasie 
nahm  ab.  Später  bestand  amnestische  Aphasie,  die  sich  zwar  bedeutend  besserte, 
aber  noch  bis  zu  dem  einen  Monat  später  erfolgenden  Tode  vorhanden  war.  Wort- 
taubheit war  nicht  mit  Sicherheit  nachzuweisen,  aber  Wortblindheit  war  vorhanden. 
Bei  der  Section  fand  sich  Erweichung  des  linken  Gyrus  angularis. 

3)  Eine  an  einer  organischen  Herzkrankheit  mit  Klappenfehler  und  Lungen- 
infarcten  leidende  57jährige  Frau  hatte  in  einer  Nacht  ein  eigenthämliches  schmerz- 
haftes Gefühl  in  der  linken  Stirn-  und  Schläfengegend  und  konnte  am  nächsten 
Morgen  weder  sprechen  noch  lesen.  Es  bestand  amnestische  Aphasie  und  Paraphasie. 
Worttaubheit  war  nicht  vorhanden,  aber  Wortblindheit;  ob  Aphasie  vorhanden  war, 
Hess  sich  nicht  feststellen.  Die  Kranke  starb  3  Wochen  nach  dem  Anfall.  Bei  der 
Section  fand  sich  Erweichung  der  oberen  Spitzen  des  Gyrus  temporalis  primus  und 
secundus  und  des  Gyrus  angularis  auf  der  linken  Seite. 

4)  Ein  29jähriger  Mann  hatte  einen  Schlaganfall,  nach  welchem  er  14  Tage 
lang  bewusstlos  blieb.  Es  bestand  Lähmung  der  rechten  Körperhälfte  und  Aphasie. 
Die  genauere  Untersuchung  war  mit  besonderer  Schwierigkeit  verbunden,  weil  ausser 
der  Aphasie  noch  Herabsetzung  der  Intelligenz  und  partielle  Parese  der  Zunge  vor- 
handen war.  Es  bestand  partielle  Worttaubheit  und  fast  vollständige  Wortblindheii 
Die  Aphasie  nahm  etwas  ab,  aber  nur  in  geringem  Grade;  während  des  ganzen  Ver- 
laufes bis  zum  im  5.  Monate  nach  dem  Schlaganfalle  an  Lungengangrän  erfolgenden 
Tode  bestand  amnestische  und  atactische  Aphasie  und  Paraphasie.  Ob  Agraphie 
bestand,  Hess  sich  nicht  feststeUen,  weil  die  rechte  Hand  gelahmt  bUeb.  Bei  der 
Section  fand  sich  Zerstörung  der  Binde  an  den  Temporal-,  Parietal-,  Central-  und 
Frontalwindungen  der  linken  Seite  durch  Erweichung  bis  zur  Capsula  interna. 

Walter  Berger. 

7)  Om  lokallsationen  i  hjembarken  af  aftuiiens  olika  former;  af  F.  Lenn- 

malm.  (Upsala  läkarefören.fOrh.  1886.  XXI.  8—10.  S.  405— 530. 564— 592.) 

L.  hat  auf  Grund  von  231  aus  der  Literatur  gesammelten  Fällen  die  anato- 
mischen Veränderungen  einer  genauen  Durchsicht  unterworfen,  die  sich  bei  den  ver- 
schiedenen Formen  der  Aphasie  finden,  und  ist  dabei  zu  folgenden  Schlusssätzen 
gelangt 


—    425    — 

Um  uns  nnseren  ICitmenfichen  mitznibeileiii  verfügen  wir  über  einen  ganz  com- 
plicirten  Sprachmechanismas,  der  durch  verscliiedene  Fnnctionscentra  in  der  Hirnrinde 
regalirt  wird.  Wenn  wir  ein  Wort  gesprochen  hören,  so  wird  dieses  durch  den 
Acusticns  in  die  Hirnrinde  geleitet  zu  einem  Gentrum,  in  welchem  wir  das  gesprochene 
Wort  aufiGassen.  Ein  analoges  Centrum  findet  sich  für  die  Auffassung  des  geschrie- 
benen (gedruckten)  Wortes.  Was  wir  durch  diese  Gentra  auffassen,  ist  nur  die  con- 
ventionelle  Bedeutung,  welche  wir  in  der  Sprache  dem  betreffenden  Worte  gegeben 
haben;  durch  die  Vereinigung  der  Auffassung,  die  wir  Ton  einer  Sache  durch  diese 
beiden  Centra  erhalten,  mit  der  Auffassung,  welche  wir  vielleicht  erhalten  durch  die 
übrigen  Gentra,  welche  wir  als  zur  Aufnahme  aller  dahin  geleiteten  Eindrücke  be- 
stimmt supponiren  müssen,  bekommen  wir  erst  einen  Begriff  von  dem  betreffenden 
Worte;  von  einem  Begriffscentrnm  kann  man  wohl  nicht  eigentlich  reden,  da  That- 
sachen  daf&r  sprechen,  dass  dieses  Centrum  an  einen  grossen  Theil  der  Himober- 
fl&che  gebunden  ist. 

Wenn  man  nun  etwas  sprechen  oder  schreiben  will,  so  geht  von  dem  sogenannten 
Begriffscentrum  ein  Impuls  aus  zu  dem  Centrum  für  die  Coordination  der  Bewegungen, 
die  bei  der  Articulation  des  Wortes  vor  sich  gehen,  oder  zu  dem  Centrum,  das  der 
Coordination  der  Schreibbewegungen  vorsteht 

So  haben  wir  4  Centra;  diese  sind  natürlich  unter  einander  auf  das  Innigste 
verbunden,  aber  es  findet  sich  nichts,  was  dafOr  spräche,  dass  nur  eine  einzige, 
anatomisch  begrenzbare  Associationsbahn  sie  vereinigte,  sondern  sie  sind  vermuthlich 
durch  mannigfaltige  Associationsfaden  mit  einander  verbunden. 

In  jedem  dieser  4  Centra  ist  ein  Theil  des  Wortged&chtnisses  deponirt:  im 
Centrum  für  die  Auffassung  des  gesprochenen  Wortes  haben  wir  die  Erinnerung 
daran,  wie  das  gesprochene  Wort  lautet,  im  Centrum  für  die  Auffassung  des  ge- 
schriebenen Wortes  die  Erinnerung  daran,  wie  das  geschriebene  Wort  sich  dem  Auge 
darstellt»  im  motorischen  Sprachcentrum  die  Erinnerung  an  die  coordinirten  Bewe- 
gungen, vermittelst  welcher  das  Wort  articulirt  wird,  imd  im  motorischen  Schreib- 
centmm  die  Erinnerung  an  die  coordinirten  Schreibbewegungen. 

Die  4  Centra  liegen  (bei  Rechtshändigen)  resp.  im  linken  Gyrus  temporalis 
superior,  im  linken  Lobulus  parietalis  inferior,  im  hinteren  Theile  des  Gyrus  fron- 
talis inferior  und  (wahrscheinlich,  nicht  sicher)  im  unteren  Theile  des  Gyrus  centralis 
anterior.  Wenn  man  sprechen.  Gesprochenes  verstehen,  schreiben  und  lesen  kann, 
müssen  alle  diese  Centra  normal  fnnctioniren. 

Die  verschiedenen  Formen  von  Aphasie  kommen  nun  zu  Stande  durch  Zerstö- 
rung oder  Störung  der  verschiedenen  Centra.  Ist  das  Centrum  fQr  die  Auffassang 
des  gesprochenen  Wortes  zerstört,  so  tritt  Worttaubheit  ein  (sowie,  da  dieses  Cen- 
trum im  Allgemeinen  das  Wichtigste  ist  und  Controle  über  das  motorische  Sprach- 
centrum ausübt,  Paraphasie);  ist  dieses  Centrum  in  Unordnung  gebracht,  so  bleibt 
das  Vermögen,  gesprochene  Worte  aufzufassen,  bestehen,  d.  h.  die  Lautbilder  des 
Wortes  werden  durch  Impulse  von  aussen  her  hervorgerufen,  aber  hingegen  ist  das 
Vermögen  verloren,  von  selbst  dieselben  Lautbilder  in  das  Gedächtniss  zu  rufen,  es 
ergiebt  sich  daraus  eine  amnestische  Aphasie,  auf  dem  Verlust  des  Gedächtnisses  für 
die  Lantbilder  des  Wortes  beruhend.  In  Analogie  hiermit  entsteht  bei  Läsion  des 
Centrums  für  die  Auffassung  des  geschriebenen  Wories  Wortblindheit  und  wahr- 
scheinlich giebt  es  auch  hier  eine  amnestische  Form. 

Ist  das  motorische  Sprachcentrum  zerstört,  so  entsteht  motorische  Aphasie 
(Aphemie),  ist  es  nur  in  Unordnung  gebracht,  so  entsteht  amnestische  Aphasie,  be- 
nihend  auf  Verlust  der  Erinnerung  für  die  coordinirten  Bewegungen,  welche  bei  dem 
Sprechen  ausgefOhrt  werden.  Auf  dieselbe  Weise  entsteht  bei  Läsion  des  motorischen 
Schreibcentrums  Agraphie  und  wahrscheinlich  auch  eine  amnestische  Agraphie. 

Walter  Berger. 


—    42«     — 

8)   Brnbolus  of  the  basilar  artery,  by  Ch.  M.  Chadwick.    (The  British  med. 
Journ.  1886.  27.  Febr.  p.  391.) 

Ein  21jähr.  verheiratheter  Mann,  der  Mher  stets  gesund»  wenn  auch  massiger 
Potator  gewesen  war,  fing  ohne  nachweisbare  Veranlassung  fiber  heftige  Schmerzen 
im  Hinterkopf  zn  klagen  an.  Am  nächsten  Abend  nahm  er  ein  Pnrgans  und  es 
schien  daranf  eine  bedeutende  Besserung  einzutreten.  Als  indess  am  dritten  Abend 
die  Frau  des  Patienten  nach  einer  kaum  5  Minuten  langen  Abwesenheit  zu  dem 
letzteren  zurückkehrte,  fand  sie  ihn  htüflos  zusammengebrochen  in  einem  Lehnstuhl, 
sprachlos  und  unfähig  zu  gehen.  Er  vermochte  zwar  noch  durch  Handzeichen  an- 
zudeuten, dass  er  zu  Bett  gebracht  werden  wolle,  doch  verfiel  er  bald  darauf  in 
einen  tief  benommenen  Zustand,  in  dem  er  leise  vor  sich  hin  klagend  auf  jede  Be- 
wegung oder  Berührung  schmerzlich  reagirte  und  endlich  in  voller  Bewusstlosigkeit 
nach  56  Stunden  verstarb,  ohne  Fieber  (über  38  ^  C.)  oder  andere  auffallende  Symp- 
tome dargeboten  zu  haben. 

Die  Section  ergab  bei  vollständiger  Integrität  der  körperlichen  Organe,  beson- 
ders des  Herzens  und  seiner  Klappen,  venöse  Hyperämie  der  Meningealgefässe  und 
im  vorderen  Abschnitt  der  Arteria  basilaris  ein  kleines,  aber  das  Lumen  ausfüllendes 
und  an  den  Bändern  bereits  entfärbtes  Gerinnsel.  Woher  dieser  todtbringende  Em- 
bolus gestammt  haben  mag,  war  nicht  zu  ermitteln.  Sommer. 


9)  De  llitoiiplegie  et  de  ripil^sie  partielle  urömiques«  par  Chantemesse 
et  Teneson.    (B^vue  de  m6d.  1885.  Nov.  p.  935.) 

Die  mitgetheilten  Beobachtungen  sind  in  Kürze  folgende: 

Fall  1:  Schwangerschaft,  Albuminurie.  Vorübergehende  neuralgische  Schmerzen 
im  Oesicht  und  in  den  Armen.  Anfall  von  Krämpfen,  gefolgt  von  linksseitiger 
Hemiplegie,  welche  in  wechselnder  Stärke  anhält.  Tod  im  Coma  mit  Temperatur- 
Steigerung.  Autopsie:  Klare  seröse  Flüssigkeit  in  den  Maschen  der  Arachnoidea. 
Keine  Herderkrankung  im  Gehirn.    Compression  beider  Ureteren  durch  den  Uterus. 

Fall  2:  Arteriosclerosis  und  Albuminurie.  Coma.  Bechtsseitige  Hemiplegie, 
Steifigkeit  im  rechten  Arm.  Tod  unter  Temperatursteigerung.  Autopsie:  Schrumpf- 
nieren. Hydrops  der  Qehimventrikel,  Gehimödem.  Keine  Herderkrankung  in  der 
linken  Hemisphäre. 

Fall  3:  Arteriosclerosis.  Albuminurie.  Beständige  Myosis.  Coma  mit  Anfällen 
von  partieller  Epilepsie  in  der  rechten  Körperhälfte.  Deviation  conjugu^  der  Augen 
und  des  Kopfes  nach  rechts.  Allmähliches  Aufhören  der  urämischen  Erscheinungen. 
Fat.  verlässt  gebessert  das  Hospital. 

Fall  4:  Chronische  Nephritis.  Urämie.  Bechtsseitige  Hemiplegie.  Autopsie: 
Keine  Spur,  einer  Herderkrankung. 

Ebenso  Fall  5  und  6. 

Man  sieht  somit,  dass  im  Verlauf  der  Urämie  cerebrale  Herdersoheinungen 
(Hemiplegie,  partielle  Epilepsie)  auftreten  können,  welche  von  keiner  gröberen  ana- 
tomischen Herderkrankung  abhängen,  sondern  nach  Ansicht  der  Verff.  auf  ein  nm- 
schriebenes  Gehimödem  zu  beziehen  sind.  „Dieses  Oedem  ist  die  Folge  det  Blut- 
verändemng;  es  ist  urämischen  Ursprungs."  (Vgl.  die  Arbeit  von  Baymond,  Bevue 
de  m^decine,  September  1885,  referirt  in  diesem  Centralblatt,  1885,  S.  8.) 

Strümpell. 


10)  Ck>ntriliution  4  ritode  des  növritee  p^riphöriquee  Burvenaat  daiiB  le 
oours  ou  la  oonyalesoenoe  de  la  fi^vre  typhoide,  par  Pitres  et  L. 
Vaillard.    (Bevue  de  mM.  1885.  D^.  p.  985.) 


—    427    — 

Nach  einer  ansflüirliclien  üebersicht  über  die  bisher  TerOffentlichteii  F&lle  von 
posttyphösen  Lähmimgen  berichten  die  Yerff.  Aber  mehrere  eigenCi  hierher  gehörige 
Beobachtnngen. 

Die  erste  Beobachtung  betrifft  eine  Ulnarislähmung,  welche  unter  lebhaften 
Schmerzen,  drei  Tage  nach  eingetretener  Entfieberung,  eich  bei  einem  24jährigen 
Soldaten  entwickelte.  Die  gelähmten  Muskeln  wurden  stark  atrophisch,  es  stellten 
sich  Gontracturen,  Sensibilitätsstörungen,  Entartungsreaction  ein  und  einige  Wochen 
später  bemerkte  man  auch  im  Badialisgebiet  geringe  SensibilitätsstGrungen.  Obgleich 
die  elektrische  Behandlung  ein  halbes  Jahr  regelmässig  fortgesetzt  wurde,  blieb  die 
Lähmung  unverändert  bestehen  und  schien  somit  eine  unheilbare  zu  sein. 

Durchaus  ähnlich  ist  die  zweite  Beobachtung,  welche  ebenfalls  eine  schwere 
Ulnarislähmung  betrifft,  die  unmittelbar  im  Anschluss  an  einen  leichten  Abdominal- 
typhus entstanden  war. 

Die  Yerff.  nehmen  als  anatomische  Erkrankung  in  beiden  Fällen  eine  Neuritis 
des  Nervus  ulnaris  an. 

Um  sich  Aber  die  Veränderungen  in  den  peripherischen  Nerven  beim  Typhus 
noch  genauer  zu  unterrichten,  untersuchten  sie  ausserdem  bei  vier  am  Typhus  ge- 
storbenen Personen,  welche  keine  besonderen  nervösen  Symptome  dargeboten 
hatten,  die  peripherischen  Nerven.  Sie  fanden  hierbei  bald  staürkere,  bald  geringere, 
aber  deutlich  nachweisbare  degenerative  Veränderungen  in  einzelnen  Nerven 
(Ulnaris,  Radialis,  Peroneus,  Saphenus  u.  a.).  Es  liegt  hier  somit  eine  ähnliche 
Thatsache  vor,  wie  bei  der  Diphtherie,  wo  bekanntlich  auch  ausgedehnte  degenerative 
Veränderungen  in  den  peripherischen  Nerven  vorkommen,  ohne  dass  ausgesprochene 
klinische  Erscheinungen  vorhanden  zu  sein  brauchen.  Dass  indessen  auch  beim 
Typhus  gewisse  geringfügigere  nervöse  Erscheinungen  (Muskelabmagerung  und  Muskel- 
schwäche, Anästhesie  und  besonders  Hyperästhesie  der  Haut,  Anomalien  der  Reflexe 
und  dergl)  von  derartigen  Veränderungen  in  den  peripherischen  Nerven  abhängen, 
ist  im  höchsten  Grade  wahrscheinlich.  Strümpell. 


Psychiatrie. 

11)  Ckmtrfbutlon  4  ritude  de  Pagoraphobie,  par  le  Dr.  Gherchevsky.  (Revue 

de  m6decme.  1885.  p.  909.) 

Die  Arbeit  enthält  die  genaue  Beschreibung  dreier  gut  beobachteter  Fälle  von 
Agoraphobie.  Wegen  der  Einzelheiten  muss  auf  das  Original  venriesen  werden. 
Verf.  hält  die  Agoraphobie  mit  Recht  für  eine  besondere  Erscheinungsform  der  Neu- 
rasthenie. Strümpell. 

12)  Soi  movimenti  del  respiro  neU'angosoia  praeoordiale  degll  atatl  melan- 

oolioi,  ricerche  sperimentali  del  dott.  G.  Musso.     (Archiv,  ital.  per  le  mal. 
nervös.  1886.  XXm.  p.  76.) 

Verf.  hat  bei  vier  Patienten,  die  an  Angstzuständen  litten,  mit  Hülfe  eines 
Pneumographen  die  Respirationsbewegungen  graphisch  aufgezeichnet.  Bei  deren  Ana- 
lyse kommt  er  zu  folgenden  Ergebnissen. 

Im  Angstanfall  verlangsamt  sich  die  Athmung,  so  dass  im  Allgemeinen  nur 
7 — 9  Respirationen  auf  die  Minute  kommen.  Die  einzelne  Respiration  ist  ganz 
oberflächlich  und  sehr  kurz  dauernd;  jede  dritte  bis  vierte  Respiration  ist  tiefer  und 
anhaltender.  Wird  durch  irgend  einen  äusseren  Vorgang  die  Aufmerksamkeit  des 
Patienten  von  seinem  Seelenzustande  abgelenkt,  so  nähert  sich  der  Athmungstypus 
fast  ganz  dem  normalen.  Ist  der  Kranke  selbst  leicht  erregbar,  so  geschieht  es 
öfters,  dass  die  Muskelbewegungen,  welche  die  Respiration  und  besonders  die  Phase 


—    428    — 

der  Inspiniioii  be^^eitaii,  geMdeza  den  Chankter  eineB  Mtigen  Tremon  aaneliiiieii. 
Das  Diagnunm  einor  einzigeQ  Beepintion  zeigt  dann  das  Bild  einer  Corre^  die  sidi 
in  einigen  dreissig  und  mehr  Absätzen  (Fig.  4)  von  der  AtwciwienaTe  entfernt  nnd 
wieder  zn  ihr  zorflckkebri  • 

Ans  der  leichten  Beeinflnssnng  des  Athmnngstypns  durch  insBere  ESnwirkiingen 
auch  während  dnes  schweren  Angstzoslandes  folgert  YerT,  dass  die  Ansidit  Schillers 
nnd  Anderer  Aber  die  Entstehung  der  Angst  (primäre  St(^iing  des  Athmungwcentnims 
resp.  des  Vagus  etc.)  zu  beanstanden  seL  Sommer. 


13)  Allgemein -pathologiBolie  Betraohtasgen  über  das  VoriEominen  und 
die  Bedeatang  der  XJnreinliohkeit  der  Geisteskranken,  yon  Dr. 
Lindenborn.    (Arch.  t  PsycL  ZVIL  H.  2.  S.  322.) 

Um  ,,den  Sachyerhalt  leichter  Teidanlich^  zu  machen  (mn  bei  der  Unappetit- 
lichkeit der  Materie  nicht  ganz  glücUich  gewählter  Ausdruck)  giebt  der  Yerf.  eine 
gründliche  psycho-pathologische  Analyse  der  yerschiedenen  Acte  bä  der  Unreinlich- 
keit  der  Geisteskranken,  insbesondere  der  Schmieracte.  Er  theüt  sie  in  drei  Chuppen 
ein:  erstens  psychomotorische  (centrifngale)  Beizroigänge ;  krankhaft  entstandene 
Beizvorgänge  auf  das  psychomotorische  Bindencentrum  und  damit  die  anfiüigliche 
Abwesenheit  eines  veranlassenden  psychischen  Motivs  höherer  Ordnung.  Zweite  Gruppe: 
periphersensible  und  psychosensible  Beizvorgänge  (centripetal).  In  einfieicher  Form 
als  Beflexvorgang,  in  den  complicirteren  durch  Hinzutreten  dunkler  sinnlicher  GefOhle 
zu  dem  pathologischen  Beiz,  z.  B.  Angst,  oder  von  HaUudnationen  oder  Wahnideen. 
Dritte  Gruppe:  rein  psychische  (intracentrale)  Beizvorgänge;  Schmieren  aus  Illusion, 
Hallucination,  ZwangsvoisteUung,  Wahnidee.  —  Form  und  Intensität  des  Schmier- 
actes  sind  verschieden,  je  nachdem  nur  ein  dunkler  Gefählszustand,  oder  Wahnideen 
und  Sinnestäuschungen  die  Triebfeder  sind,  je  nachdem  das  Bewusstsein  mehr  oder 
weniger  umnebelt,  endlich,  je  nach  der  psychischen  Gesammtconstitution  und  der 
Intensität  des  Widerstandes  der  hemmenden  Vorstellungen.  —  Unabhängig  von  diesen 
krankhaften  Beizvorgängen  giebt  es  eine  Beihe  von  Schmieracten,  welche  mehr  als 
logische  und  consequente  Aeosserungen  einer  krankhaft  veränderten  Persönlichkeit^  so 
in  secundären  Psychosen,  bei  constitutionellen  Neurosen  und  Degenerationszuständen 
auf  hereditärer  Basis,  anzusehen  sind.  „Die  Schmierer  der  zweiten  Hauptreihe  folgen 
ihrer  Ueberzeugung  und  sind  mit  sich  zufrieden."  Das  Schmieren  steht  entweder 
in  einer  bestimmten  subjectiven  Beziehung  zu  ihrer  Person,  oder  es  geht  aus  an- 
geborener perverser  Anlage  hervor  und  wird  ausgefährt,  um  der  Umgebung  Mflhe, 
Ekel  nnd  Aerger  zu  machen.  Andere  (hochgradige  Idioten)  schmieren,  weil  sie  auf 
einer  mehr  thierischen  Bildungsstufe  stehen;  noch  andere  in  täglicher  Wiederholung 
schliesslich  unbewusst  und  automatisch.  Eine  dritte  Hauptreihe  wird  gebildet  durch 
die  Schmierer,  welche  Artefacte  der  Isolirung  darstellen.  Alle  Irrenärzte  sind  einig, 
dass  unvorsichtige  und  zu  lang  dauernde  Isolirung  das  Schmieren  begünstigt  — 
Dieser  Darstellung  lag  die  Schüle*sche  Publication  über  Unreinlichkeit  als  Anlehnung 
vor;  im  Weiteren  giebt  Yerf.  eine  Analogie  der  Aeusserungen  anderer  Autoren  über 
diesen  Gegenstand. 

Wenn  Verf.  die  Behandlung  der  Unreinlichkeit  auch  als  ausserhalb  seines  Themas 
liegend  betrachtet,  so  kommt  er  doch  bei  weiterer  Erörterung  des  Gegenstandes  immer 
wieder  auf  die  therapeutischen  Beziehungen  zurück  und  möchte  Bef.  den  Werth  des 
letzten  Theils  der  fleissigen  Arbeit,  in  welchem  über  die  Wachabtheilung  für  Un- 
reinliche, über  die  täglichen  genauen  Nachweise  der  Unreinlichkeit  in  der  Anstalt, 
über  die  Beziehungen  der  Unreinlichkeit  zur  Isolirung  und  zum  Bestraint,  über  den 
hohen  Werth  permanenter  Beobachtung,  über  die  prophylactischen  Klystiere,  endlidi 
über  das  Vorkommen  der  Unreinlichkeit  bei  Kranken  ausserhalb  der  Anstalten  abge- 
handelt wird,  als  einen  recht  bedeutenden  besonders  hervorheben.  Die  sorgsame  Be- 
handlung der  Frage  in  der  Heppenheimer  Anstalt  erscheint  dabei  im  günstigen  Lichte. 

Siemens. 


—    429    — 

14)  Three  oases  of  ohoking,  by  D.  Weiss.  (Joom.  of  ment.  sdence.  1886.  Jnly.) 

Verf.  berichtet  über  3  Fälle  von  plötzlicher  Erstickung  durch  Speisebrocken, 
die  fast  unter  den  Augen  des  Arztes  passirten,  und  trotz  sofort  gemachter  Tracheo- 
tomie  konnte  dennoch  die  Atbmung  nicht  wieder  hergestellt  werden,  nur  in  einem 
auf  wenige  Stunden.  Die  Section  ergab  in  allen  3  Fällen  Lungenödem  als  Todes- 
ursache. Zander. 


15)  Iiead-poisoning,  with  mental  and  nervous  disorders,  by  A.  Robertson. 
(Joum.  of  ment.  science.  1886.  July.) 

R.  berichtet  über  2  Fälle  von  acuten  Bleipsychosen  mit  schweren  Affectionen 
des  Gesichts  und  Gehörs,  welche  sich  beide  auch  dadurch  auszeichnen,  obwohl  die 
Psychose  sich  in  verschiedener  Weise  äusserte,  dass  die  schweren  Intoxicationserschei- 
nungen  schon  nach  halbjähriger  Arbeit  in  einer  Färberei  auftraten.      Zander. 


16)  On  the  appeüte  in  insanity,  by  J.  A.  Campbell.    (Joum.  of  ment.  science. 
1886.  July.) 

Verf.  bespricht  an  der  Hand  vieljähriger  Beobachtungen  seine  Wahrnehmungen 
über  die  mannigfaltigen  Appetitsstörungen  bei  Geisteskranken.  Bemerkenswerth  ist 
die  Beobachtung  des  Verf.,  dass  Leute,  welche  in  gesunden  Tagen  gut  und  reichlich 
zu  essen  liebten,  am  ehesten  geneigt  sind,  in  frischer  geistiger  Erkrankung  die  Nah- 
rung zurückzuweisen,  unter  sonst  ärmlich  lebenden  Leuten  sei  Nahrungsverweigerung 
seltener  zur  Beobachtung  gekommen. 

Sondenfütterung  wendet  Verf.  nur  im  äussersten  Nothfall  an.        Zander. 


17)  Psychische  Symptome  bei  chronischer  Nephritis,   von   Dr.  Elend  gen, 
Obemigk.    (Deutsche  med.  Wochenschr.  1886.  26.) 

Verf.  schildert  2  Fälle  (ohne  Sectionsbefund),  bei  denen  er  Eiweiss  und  Gylinder 
im  Harn  nachweisen  konnte,  in  deren  einem  auch  Oedeme  und  Flüssigkeitsergüsse 
in  die  grossen  Körperhöhlen  bestanden;  dabei  Herzhypertrophie.  Beide  Fälle  zeigten 
—  wenigstens  zeitweise  —  die  Symptome  der  progressiven  Paralyse.  In  der  An- 
stalt wurde  nun  beobachtet,  dass  das  Leiden  ein  anfallsweises  war.  Es  traten  von 
Zeit  zu  Zeit  Bewusstseinsstörungen  mit  Hallucinationen  auf,  nach  Steigerung  eines 
auch  sonst  bestehenden  Kopfschmerzes  in*s  Unerträgliche;  die  Sprache  wurde  lallend, 
der  Grang  unbeholfen,  das  Kehrtmachen  schwierig,  die  Schrift  incorrect,  zittrig,  mit 
lückenhaftem  Inhalt.  Die  Intelligenz  erschien  entschieden  herabgesetzt,  und  für  die 
Vorgänge  während  der  Höhe  der  Anfälle  bestand  theilweise  Amnesie. 

Aber  air  das  ging  zum  Theil  schon  nach  einigen  Tagen,  zum  Theil  nach  einigen 
Wochen  vollständig  vorüber,  Sprache,  Schrift,  Oang  wurde  vollkommen  normal,  die 
Intelligenz  erschien  ganz  intact,  nur  eine  gewisse  hypochondrische  Verstimmung  und 
ein  querulirendes  Verhalten  war  dauernd.  —  Nicht  immer  waren  die  Anfälle  von 
Bewusstseinsstörung  begleitet,  oft  auch  nur  von  Herzklopfen,  Angstgefühl,  neural- 
gischen Schmerzen. 

K.  glaubt  die  Anfalle  als  urämische  ansehen  zu  dürfen,  welche  in  dieser  eigen- 
thümlichen  Form  auftraten. 

Leider  fehlt  bei  beiden  Fällen,  die  K.  selbst  nur  relativ  kurze  Zeit  beobachten 
konnte,  die  Section.  Der  Tod  erfolgte  bei  beiden  Kranken  ziemlich  bald  nach  der 
Zeity  wo  K.  sie  beobachtet  hatte.  Ha d lieh. 


_    430    — 

^  ^jyi(^2iiiziu8-Neuralgie,  von  C.  Gassen  bau  er. 

2^>    ^Tpwjr^''  '"**'•  htnogen  auf  den   schon  von  Charles  Bell  und  Stro- 

V  frühere  ^^^^^^„g  von   Trigeminusneuralgie   und   Störungen    im  Ver- 

^te*^^^  ^k^'^n»**'^*'   operirte  G.  seither  nur  in  4  Fällen,  während  in 

m^^^^gii^,^^^}^  dene  habit^öU®  Obstipation  bekämpft  wurde;  es  geschah  durch 

^^^fJ^^^  ^^^ ^rclystoeßf  continuirliche  feuchtwarme  Einpackung  des  Abdomen  und 

^^  licl»^  ^^^^sche,  mehrere  Minuten  dauernde  kalte  Abwaschung  des  Abdomen  event 

^lic^^  ^'•^ir  des  ganzen  Körpers;   daneben  präcise  Diät,  in  hartnäckigen  Fällen 

rjjte  ^^^^  chon  nach  wenigen  Tagen  zeigte  sich  Besserung,  in  1 — 2  Wochen  Ver- 

jKilcbdi^^'        Kearalgie;  in  sehr  hartnäckigen  Fällen  dauerte  die  Behandlung  6  und 

gebwind ^'^-gj,  jjjg   die   Neulttlgie   aufhörte.     Mitgetheilt  wird  ein  FaD,    in    welchem 

©ehr  ^VjMoser  interner   Behandlang   (auch  durch  Bamberger  und  Nothnagel) 

nach   ®^j^iier  eine  Nervenresection  ausgeführt  hatte.  A.  Pick. 

10)  Obbb  ot  ovariotomy  in  an  insane  patient,  by  B.  Percy  Smith.     (Journ. 
of  ment.  science.  1886.  July.) 

Die  Frage  des  Causalnexus  zwischen  Psychose  und  gleichzeitiger  Erkrankung 
der  weiblichen  Genitalorgane  ist  noch  immer  nicht  endgültig  entschieden,  trotz  der 
reichen  Casuistik.  S.  bringt  einen  Fall,  in  welchem  eine  Patientin  entschieden  mit 
dem  Wachsen  des  Ovarialtumors  oine  heftige  Steigerung  der  Erregungssymptome  zeigt. 
Gleich  nach  der  auffallend  gut  verlaufenden  Ovariotomie  erfolgt  ein  totales  Abblassen 
der  Psychose,  aber  schon  nach  wonigen  Tagen  weiter  folgt  ein  Wechsel,  es  trat  eine 
ganz  allgemeine  Verwirrtheit  ein,  die  unverändert  fortbesteht.  Auch  hier  reducirt. 
sich  also  der  scheinbare  Causalnexus  in  einfache  Coincidenz.  Zander. 


20)  Du  role  de  roxyg^ne  dans  la  neurothörapie,  par  le  prof.  V.  Laschke- 
witch  (de  Charkov).     (Revue  de  m6d.  1885.  Oct.  p.  865.) 

Verf.  berichtet  über  eine  Anzahl  von  Heilerfolgen,  die  er  durch  Einathmungen 
von  Sauerstoff  bei  nervösen  Erkrankungen  erzielt  haben  will.  Da  die  mitgetheilten 
günstigen  Fälle  aber  alle  zur  Hysterie  und  functionellen  Nervosität  gehören, 
so  erscheint  es  dem  Referenten  viel  wahrscheinlicher  zu  sein,  die  eingetretene  BeSv^^e- 
rung  auf  eine  psychische  Beeinflussung  der  Kranken  und  nicht  auf  eine  besondere 
Wirkung  des  Sauerstoffs  zu  beziehen.  Bei  wirklichen  anatomischen  Erkrankungen 
bleiben  die  Sauerstoffeinathmungen  (Verf.  versuchte  dieselben  auch  bei  Lyssa,  bei 
Paralysis  agitans,  Myelitis  transversa  u.  a.)  ohne  allen  Nutzen.       Strümpell. 


III.  Bibliographie. 

Lehrbuch  der  allgemeinen  Elektrisation  des  mensohllohen  Köri>ers,  von 

Dr.  S.  Th.  Stein.     lU.  Auflage.     Halle  a./S.  1886.    (Verlag  von  Wilhelm 
Knapp.) 

Die  allgemeine   Elektrisation,   welche  Board  und  Rockwell  unter  der  Form 
der  allgemeinen  Galvanisation  und  Faradisation  eingeführt  haben,  wurde  in  den  letzteD 


—    431     — 

«labren  theoretisch  und  praktisch  weiter  ausgebaut  und  ist  durch  die  Heranziehung 
der  elektrischen  Bäder,  sowie  der  Reibungselektricitat  zu  einem  heryorragenden  Zweige 
der  wissenschaftlichen  Elektrotherapie  herangewachsen.  Diesem  Umstände  hat  der  in 
Fachkreisen  besonders  durch  seine  physikalischen  Arbeiten  wohlbekannte  Verfasser 
in  der  vorliegenden  dritten  Auflage  seines  Werkes  Rechnung  getragen.  Die  Tier 
Hauptabschnitte  desselben,  nämlich :  1)  die  allgemeine  Faradisation  und  Galvanisation, 
2)  das  elektrische  Wasserbad,  3)  die  Franklinisation  (Behandlang  mit  der  statischen 
Elektricität)  und  das  elektrostatische  Luftbad,  4)  Leistung  und  Pflege  der  Apparate, 
bis  auf  die  Einzelheiten  ihres  Inhaltes  zu  würdigen,  kann  hier  nicht  unsere  Aufgabe 
sein.  Wir  begegnen  fast  in  jedem  Capitel  einer  Menge  von  praktischen,  durch  ausser- 
ordentlich sorgfaltige  Zeichnungen  illustrirten  Winken.  Insbesondere  werden  die 
mannigfaltigen  Abschweifungen  des  Verfassers  auf  das  ärztlich -elektrotechnische  Ge- 
biet, auf  welchem  Stein  wie  keiner  der  FachcoUegen  heimisch  ist,  dankbar  aufge- 
nommen werden.  Die  Kenntnisse  einzelner  dieser  Fragen  ist  auch  fflr  den  prak- 
tischen Arzt  heutzutage  nothwendig.  Während  jene  Erörterungen  eine  allgemeine 
Bedeutung  haben,  werden  die  klinischen  Erfahrungen  Steines  das  Interesse  der  19eu- 
rologen  im  Speciellen  erregen  und  dazu  beitragen,  skeptische  Bedenken  zu  zerstreuen, 
von  welchen  viele  den  klinischen  Lehrstuhl  einnehmende  „ängstliche  Gemflther'' 
immer  noch  befangen  sind.  Manche  von  ihnen  blicken  vornehm  auf  elektrotherapeu- 
tische  Erfolge  überhaupt  herab,  weil  die  elektrische  Behandlung  vielfach  den  klinischen 
Famnlis,  Coassistenten  oder  gar  den  Wärterinnen  überlassen  wird.  Besonders  anzuer- 
kennen ist  die  Sorgfalt,  mit  welcher  St.  in  einzelnen  Kapiteln  die  geschichtlichen 
Daten  behandelt  und  den  ein  Jahrhundert  weit  zurückreichenden  Anfangen  elektro- 
therapeutischer  Thätigkeit  nachgespürt  hat. 

Von  hohem  theoretischem  Interesse  sind  des  Verf.  Untersuchungen  über  die 
Stromvertheilung  und  die  Polarisationsverhältnisse  im  elektrischen  Bade.  Aus- 
führlicher waren  dieselben  bereits  in  der  Zeitschrift  für  klinische  Medicin  (Bd.  X, 
H.  5  u.  6)  publicirt  worden.  Die  auf  Grund  sehr  genauer  mathematischer  Berech- 
nungen und  physikalischer  Messungen,  sowie  nach  Thierversuchen  gewonnenen  Resul- 
tate Stein's  sind  etwa  die  folgenden: 

I.  Das  monopolare  Bad  (ein  Pol  ausserhalb  der  Wanne)  ist  für  die  praktische 
Anwendung  deshalb  nicht  empfehlenswerth,  weil  bei  dem  Stromschlusse  ausserhalb 
des  Badewassers  an  der  betreffenden  Körperstelle  ein  Strom  von  zu  grosser  Dichtig- 
keit die  Organtheile  durchsetzt,  was  eine  bedeutende  Steigerung  der  Polarisation  an 
diesen  Stellen  zur  Folge  hat. 

II.  Da  das  dipolare  Bad  so  eingerichtet  werden  kann,  dass  die  Stromdichte  in 
den  verschiedenen  Körpertheilen  nicht  wesentlich  schwankt,  so  ist  diese  Form  für 
die  Praxis  die  geeignetste. 

III.  Die  bisherigen  Behauptungen,  dass  der  Körper  beim  dipolaren  Bade  im 
Nebenschlüsse  liege  und  dadurch  zu  wenig  Strom  erhalte,  beruht  auf  missverstandenen 
Gesetzen  der  einschlägigen  Stromverhältnisse. 

IV.  Sowohl  bei  dem  monopolaren,  als  dipolaren  Bade  können  einzelne  Strom- 
schleifen mit  Leichtigkeit  abgezweigt,  auf  verschiedene  Methoden  mit  empfindlichen 
Galvanometern  nachgewiesen  und  auf  das  Genaueste  hieraus  die  den  badenden  Körper 
durchsetzenden  entsprechenden  Stromlinien  berechnet  werden. 

V.  Die  Polarisationserscheinungen  sind  im  dipolaren  Bade  in  Folge  der  Grösse 
der  elektrodenflächen  und  der  geringen  Dichtigkeit  des  in  den  Körper  eintretenden 
Stromes  an  allen  Körpertheilen  minimale,  die  hierdurch  bedingte  Stromstärke  mög- 
lichst constant 

Der  dritte  Abschnitt  des  Lehrbuchs,  in  welchem  die  Franklinisation  (die 
Behandlung  Nervenkranker  mit  Reibungselektricitat)  in  eingehender  und  klarer  Weise 
unter  Berücksichtigung  der  gesammten  bisher  darüber  veröffentlichten  Literatur  ge- 
schildert und  durch  einschlägige  Krankenbeobachtungen  beleuchtet  wird,  hat  für  die 


—    432    — 

Elektrotherapie  eineu  ganz  besonderen  Werth,  weil  sich  unseres  Wissens  hier  zum 
ersten  Male  ein  deutscher  Autor  auf  diesen  schlüpfrigen  Boden  wagt.  Mit  grossem 
und  berechtigtem  Misstrauen  ist  man  allerwärts  in  Deutschland  den  ersten  Pariser 
Fublicationen  über  die  ^^statische"  Elektrotherapie  begegnet,  da  sie  oft  gar  wunder- 
sam klangen.  Stein  versucht  in  exacter  Weise  uns  eines  Besseren  zu  belehren. 
Hoffentlich  ist  damit  Bahn  gebrochen  für  weitere  Prüfung  der  statischen  Behandlungs- 
methoden. Es  bleibt  das  Verdienst  Steines,  diesen  Theil  der  Elektrotherapie  in 
Deutschland  zum  ersten  Male  in  grösserem  Umfange  rationell  geübt  und  auf  Grund 
zahlreicher  eigener  Erfahrungen  ein  höchst  zweckmässiges,  nicht  zu  kostspieliges 
Instrumentarium  dafür  geschaffen  zu  haben.  Das  in  Bede  stehende,  yon  deutschen 
Elektrotherapeuten  bisher  stiefmütterlich  behandelte  Kapitel  über  Verwendung  der 
statischen  Elektricität  zu  Heilzwecken  berührt  im  Gegensatze  zu  den  yon  französischer 
Seite  in  die  Welt  geschleuderten  überschwanglichen,  ja  zum  Theil  unsinnigen  Be- 
hauptungen insofeme  recht  angenehm,  als  das  einschlägige  Material  zum  ersten  Male 
in  kritischer  Weise  von  Stein  gesichtet  wurde.  Das  Besultat  seiner  bezüglichen 
Beobachtungen  gipfelt  in  dem  Umstände,  dass  die  statische  Elektricität  auf  allgemeine 
Neurosen,  die  sich  durch  eine  erhöhte  Beizbarkeit  auszeichnen,  besonders  hysterische 
Affectionen,  besänftigend  wirke. 

In  dem  betreffenden  Abschnitt  weist  Si,  indem  er  den  wirklichen  Verdienste 
französischer  Autoren  vollste  Gerechtigkeit  widerÜEihren  lässt,  auf  das  tadelnswerthe 
Vorgehen  jener  Phantasten  hin,  welche  auch  in  der  Elektrotherapie  ihren  Chauvinis- 
mus nicht  lassen  können.  Leute,  welche  von  den  lächerlichsten  Motiven  getrieben, 
die  von  der  Gesammtwissenschaft  anerkannten  grossen  Verdienste  Erb's  in  den  Staub 
zu  ziehen  versuchen  und  die  für  die  wissenschaftliche  Elektrotherapie  so  wichtige 
Lehre  von  der  Entartungsreaction  blos  aus  Deutschenhass  aus  der  Welt  schaffen 
wollen,  verdienen  unserer  Ansicht  nach  gar  kein  Pardon.  .  .  . 

Sehr  bemerkenswerth  ist  endlich  das  Schlusskapitel  des  vorliegenden  Werkes. 
Es  enthält  eine  eingehende  Schilderung  der  Erfordernisse,  welche  der  Arzt  sowohl 
an  den  Bau  der  Batterien  der  verschiedensten  Construction,  als  auch  an  die  Leistungs- 
fähigkeit derselben  zu  stellen  hat  Der  Verf.  geht  sehr  genau  auf  den  Werth  der 
mannigfachen  Spaltungen  der  Elemente  für  diesen  oder  jenen  therapeutischen  Zweck 
ein;  es  ist  damit  für  jeden  sich  der  Elektrotherapie  bedienenden  Arzt  ein  vorzüg- 
liches technisches  Vademecum  gegeben,  welches  wir  in  dieser  Verständlichkeit 
schon  lange  vermisst  haben. 

Steines  Lehrbuch  wird  in  seiner  neuen,  durch  vortrefflichen  Druck,  grosse 
Uebersichtlichkeit  und  eine  knapp  und  klar  gehaltene  Schreibweise  ausgezeichneten 
Auflage  in  keiner  Bibliothek  von  Fachgenossen  und  vorwärtsstrebenden  Collegen 
künftig  fehlen  dürfen,  denn  die  Therapie  der  Nervenkrankheiten  weist  noch  so  viele 
Lücken  auf,  dass  die  ärztliche  Wissenschaft  Bücher,  wie  das  vorliegende,  stets  gern 
willkommen  heisst!  Laquer. 


IV.  Personalien. 

Am  14.  August  starb  nach  kurzem  Krankenlager  an  Diabetes  mellitas  der 
Director  der  Landes-Irren-  und  Kranken-Anstalt  zu  Boda,  der  Gtoh.  Medidnalrath  Dr. 
Maeder. 

Um  Einsendung  von  Separatabdrücken  an  den  Herausgeber  vrird  gebeten. 

Einsendungen  für  die  Bedaction  sind  zu  richten  an  Prof.  Dr.  E.Mendel, 

Berlin,  NW.  Kronprinzen-Ufer  7. 

Verlag  von  VmT  ft  Comp,  in  Leipzig.  —  Druck  von  Mktzosb  ft  Wirvzo  in  Leipzig. 


NEUROLOGISCHESCENTRALBLAn. 

Uebersicht  der  Leistungen  auf  dem  Gebiete  der  Anatomie,  Physiologie,  Pathologie 
und  Therapie  des  Nervensystemes  einschliesslich  der  Geisteskrankheiten. 

Herausgegeben  Ton 

Professor  Dr.  E.  Mendel 
Fftnfter  ~  «•'"»•  Jahrgang, 

Monatlich  erscheinen  zwei  Nummern.   Preis  des  Jahrganges  16  Mark.    Zu  beziehen  darch 
alle  Buchhandlungen  des  In-  und  Auslandes,  die  Postanstalten  des  Deutschen  Reichs,  sowie 

direct  von  der  Verlagsbuchhandlung. 

1886.  1.  October.  m  19. 


Inhalt.  I.  Originalmittheilungen.  1.  Kinifi^e  Bemerkungen  über  den  Zusammenhang 
zwischen  Tabes  resp.  progressiver  Paralrse  und  Syphilis,  Ton  Prof.  Dr.  Adolf  Strümpell. 
2.  Casuistische  MittheUungen  ans  dem  herzoglichen  Krankenhause  zu  Braunschweig,  von 
Dr.  Richard  Schulz. 

II.  Rtferate.  Pathologie  des  Nervensystems.  Vom  Verhältnisse  der  Polioroyelen- 
cephalitls  zur  Basedow'schen  Krankheit,  von  Jendhilllk. 

III.  Bibliographie. 

IV.  Vermischtes. 


I.  Originalmittheilungen. 


1.   Einige  Bemerkungen  über  den  Zusammenhang  zwischen 
Tabes  resp.  progressiver  Paralyse  und  Syphilis. 

Von  Prof.  Dr.  Adolf  Strümpell  in  Erlangen. 

Je  genauer  und  sorgfaltiger  man  seine  Aufmerksamkeit  auf  die  Beziehungen 
zwischen  der  Tabes  und  einer  vorhergehenden  Syphilis  richtet,  um  so  mehr 
muss  man  zu  der  Ueberzeugung  kommen,  dass  irgend  ein  Zusammenhang 
zwischen  diesen  beiden  Krankheiten  besteht.  In  der  Tbat  hat  auch  die  Anzahl 
derjenigen  Aerzte,  welche  trotz  eigener  ausreichender  Erfahrung  einen  der- 
"artigen  Zusammenhang  ganz  in  Abrede  stellen,  von  Jahr  zu  Jahr  abgenommen. 
Man  darf  daher  hoffen,  dass  allmählich  auch  die  letzten  noch  vorhandenen 
Gegner  der  FouBinsB-EBB^schen  Lehre  sich  nicht  lange  mehr  der  Gewalt  der 
Thatsachen  werden  verschliessen  können. 

Es  liegt  nicht  in  meiner  Absicht,  auf  die  Gründe  für  die  häufige  Ab- 
hängigkeit der  Tabes  von  einet  früheren  Syphilis  hier  noch  einmal  näher  ein- 
zugehen.   Der  wichtigste  Beweis  bleibt  nach  wie  vor  die  einfache  statistische 


—     434     — 

Erfahnmgy  dass  ein  auffallend  grosser  Theil  aller  Tabeskranken  nachweislich 
früher  an  Syphilis  gelitten  hat  Mit  diesem,  Ton  zahlreichen  Unteisndiein  in 
den  letzten  Jahren  bestätigten  Satse  stinunen  auch  meine  eigenen  Er&hmngen 
vollständig  aberein.  Bei  61 7o  meiner  Tabeskranken  durfte  eine  vorhergehende 
Syphilis  mit  Sicherheit  angenommen  werden.  Bechne  ich  auch  die  Fälle  mit 
wahrscheinlicher  Syphilis  hinzu,  so  erhöht  sich  der  Procentsatz  sogar  auf  fast  90®/^ 

Ausser  dieser  allgemeinen  statistischen  Thatsache  sind  es  aber  auch  immer 
noch  bestimmte  einzelne  Fälle,  bei  denen  uns  der  Zusammenhang  beider 
Erkrankungen  in  besonders  auffallender  und  überzeugender  Weise  entgegentritt 
Ich  erinnere  z.  B.  an  die  von  Bebgeb  mitgetheilte  Beobachtung  einer  Tabes 
bei  einem  72jährigen  Manne,  welcher  dem  entsprechend  noch  in  seinem 
70.  Jahre  an  Lues  erkrankt  war.  Gewissermaassen  als  Gegenstück  hierzu  möchte 
ich  zwei  meiner  eigenen  Erfahrungen  anführen,  wo  die  Erscheinungen  der  Tabes 
bei  Kranken  in  dem  aufl^end  jugendlichen  Alter  von  24  resp.  26  Jahren 
begannen.  In  diesen  Fällen  war  auch  die  luetische  Infection  ungewöhnlich  früh 
(im  Alter  von  17  resp.  20  Jahren)  erfolgt  Hinzuweisen  ist  hier  auch  noch 
auf  die  Tabes  der  Frauen.  In  den  niedrigeren  Standen,  aus  denen  hauptsäch- 
lich das  Material  der  Kliniken  und  Polikliniken  stammt,  ist  die  Tabes  bei  Frauen 
nicht  besonders  selten.  In  den  höheren  GFesellschaftsklassen,  wo  die  Syphilis 
bei  Frauen  doch  nur  ganz  ausnahmsweise  vorkommt,  ist  auch  die  Tabes  beim 
weiblichen  Geschlecht  eine  sehr  seltene  Erscheinung.  Aber  gerade  in  den  wenigen, 
hierher  gehörigen  Fällen,  die  ich  beobachtet  habe,  konnte  wiederum  die  Syphilis 
(gewöhnlich  Ansteckung  durch  den  Mann)  entweder  mit  Sicherheit  nachgewiesen 
oder  mindestens  sehr  wahrscheinlich  gemacht  werden  (wiederholte  Aborte  und 
dergleichen). 

Wenn  somit  zahlreiche  Erfahrungsthatsachen  darauf  hinweisen,  dass  irgend 
ein  Zusanmienhang  zwischen  der  Tabes  und  einer  vorhergegangenen  syphilitischen 
Infection  in  zahlreichen  Fällen  bestehen  muss,  so  ist  doch  hiermit  die  Art 
und  Weise  dieses  Zusammenhangs  noch  keineswegs  klargelegt  Gerade 
aus  dem  Umstände,  dass  die  Tabes  sich  durchaus  nicht  in  den  Rahmen  der 
gewöhnlichen  syphilitischen  Erkrankungen  einfugen  lässt  und  dass  sie  sich  auch 
äusseren  Einflüssen,  so  namentlich  den  antisyphilitischen  Arzneimitteln  gegen- 
über ganz  anders  verhält,  als  die  sonstigen  Erscheinungen  der  Syphilis,  hat  man 
ja  bekanntlich  die  hauptsächlichsten  Gründe  gegen  die  oben  auch  von  uns 
vertretene  Ansicht  entnommen.  In  der  That  liegt  es  auch  auf  der  Hand, 
dass  der  anatomische  Process  der  Tabes  grundsätzlich  verschieden  ist  von  den 
specifisch  syphilitischen,  gummösen  Neubildungen.  Niemals  findet  man  bd  der 
Tabes  im  Ruckenmark  jene  charakteristische  kleinzellige  Neubildung,  über^l 
handelt  es  sich  um  nichts  Anderes,  als  um  eine  degenerative  Atrophie  einzelner, 
ganz  bestimmter  nervöser  Faserzüge  und  um  die  hiervon  abh&igigen  Folge- 
zustände. 

Ist  nun  aber  ein  derartiges  Verhalten  mit  der  Annahme  eines  directen 
Zusammenhangs  zwischen  Tabes  und  Syphilis  wirklich  unvereinbar?  Ich  glaube, 
durchaus  nicht  Mir  erscheint  im  Gegentheil  die  Tabes  nur  ein  besonderes 


—    435    — 

Beispiel  einer  sehr  häufigen  im  Gebiete  der  Infectionskrankheiten 
zu  beobachtenden  Erscheinung  zn  sein.  Schon  lange  weiss  man,  dass 
nach  dem  Ablauf  vieler  Infectionskrankheiten  nicht  sehr  selten  gewisse  charak- 
teristische j^nervöse  Nachkrankheiten'^  auftreten,  deren  Zusammenhang 
mit  der  rorhergehenden  Krankheit  unzweifelhaft  ist,  ohne  dass  aber  die  Art 
dieser  secundären  Erkrankungen  irgend  eine  Aehnlichkeit  mit  dem  ursprüng- 
lichen Leiden  hat.  Nehmen  wir  als  bekanntestes  Beispiel  die  Diphtherie 
Jedermann  weiss,  wie  häufig,  zuweilen  erst  mehrere  Wochen  nach  der  voll- 
ständigen Abheilung  der  diphtherischen  Bachenaffection ,  ausgedehnte  Yer- 
änderongen  im  Nervensystem  eintreten.  Diese  Veränderungen  haben  ihren  Sitz 
vorzugsweise  in  ganz  bestinmiten  peripherischen  Nervengebieten ;  sie  sind  grössten- 
ttieils  einfach  degenerativer  Natur  und  haben  nicht  die  mindeste  Aehnlichkeit 
mit  der  croupös-diphtherischen  Natur  der  ursprünglichen  Schleimhauterkrankung. 
Auch  wird  kaum  Jemand  die  Ansicht  vertheidigen,  dass  diese  nervösen  secun- 
dären Erkrankungen  unmittelbar  von  den  specifischen  organisirten  Diphtherie- 
err^em  als  solchen  abhängen,  dass  etwa  die  Diphtheriebacillen  selbst  in  fast 
alle  peripherischen  Nerven  gelangen,  sich  hier  weiter  entwickeln  und  die  De- 
generation der  letzteren  hervorrufen.  Unsere  gegenwärtigen  Anschauungen  über 
die  Wirksamkeit  der  organisirten  Krankheitserreger  weisen  vielmehr  mit  weit 
grösserer  Wahrscheinlichkeit  darauf  hin,  dass  es  sich  hierbei  um  den  Einfluss 
eines  chemischen  Giftes  handelt,  dessen  Entstehung  freilich  mit  den  spe- 
cifischen Eigenschaften  der  ursprünglichen  organisirten  Krankheitserreger  auf 
das  Engste  zusammenhängt.  Ueber  die  näheren  Vorgänge  bei  der  Bildung 
dieses  Giftes,  über  die  besonderen  Bedingungen  seiner  Entstehung,  endlich  über 
seine  Beschaffenheit  selbst  ist  uns  freilich  noch  fast  gar  Nichts  bekannt.  Die 
im  Obigen  ausgesprochene  allgemeine  Anschauung  kann  aber  schon  jetzt  als 
durch  zahlreiche  Erfahrungen  gestützt  angesehen  werden.  Durchaus  ähnliche 
Verhältnisse,  wie  bei  der  Diphtherie,  liegen  bei  zahlreichen  anderen  Infections- 
krankheiten vor,  wie  die  nervösen  Nachkrankheiten  des  Typhus,  der  Dysenterie 
u.  V.  a.  zeigen. 

Anknüpfend  an  diese  klinischen  Erfahrungen,  können  wir  nun  auch,  wie 
mir  scheint,  ein  Verständniss  für  die  Art  des  Zusammenhangs  zwischen  Syphilis 
und  Tabes  gewinnen.  Auch  hierbei  handelt  es  sich  um  die  „nervöse  Nachkrank- 
keit"  einer  Infectionskrankheit.  Wie  bei  den  diphtherischen  Lähmungen  und 
Ataxien  ist  auch  bei  der  Tabes  die  Zeit  ihres  Auftretens,  freilich  innerhalb  noch 
viel  weiterer  Grenzen  (s.  u.),  sehr  verschieden.  Gewöhnlich  ist  bei  beiden  Krank- 
heiten zur  Zeit  des  Auftretens  der  nervösen  Erscheinungen  das  ursprüngliche 
Gründleiden  schon  vollständig  abgelaufen.  Wie  die  postdiphtherischen  Nerven- 
erkrankungen auch  in  ihren  schwersten  Formen  auf  die  leichtesten  Fälle  von 
Diphtherie  folgen  können,  so  kann  auch  die  Tabes  sich  an  die  scheinbar 
leichtesten  Fälle  von  Syphilis  anschliessen.  Wie  die  Natur  der  anatomischen 
Erkrankung  in  den  Nerven  bei  den  diphtherischen  Lähmungen  grundverschieden 
von  der  ursprünglichen  Schleimhauterkrankung  ist,  so  ist  auch  die  anatomische 
Erkrankung  bei  der  Tabes  grundverschieden  von  der  specifischen  syphilitischen 


—     436     — 

Neubildung.  Auch  bei  der  Tabes  handelt  es  sich  somit  meines  Erachtens  nicht 
um  eine  unmittelbare  Einwirkung  der  Luesbacillen  selbst,  und  es  wäre  ein 
vergebliches  Bemühen,  dieselben  in  den  degenerirten  Hinterstrangen  des  Rücken- 
marks nachweisen  zu  wollen.  Viel  ansprechender  und  wahrscheinlicher  erscheint 
mir  vielmehr  die  Annahme  der  Einwirkung  eines  chemischen,  durch  den  Sjphilis- 
process  erst  secundär  erzeugten  Giftes  auf  das  Rückenmark  und  auf  gewisse  peri- 
pherische Nerven. 

Mir  ist  wohl  bewusst,  dass  sich  gegen  die  oben  durchgeführte  Analogie 
zwischen  der  Tabes  und  den  postdiphtherischen  nervösen  Erkrankungen  mehr- 
fache Einwände  lassen  machen,  so  namentlich  die  ungleich  grössere  Zeitdauer, 
welche  zwischen  der  Syphilis  und  dem  etwaigen  Auftreten  einer  Tabes  besteht 
und  ausserdem  das  stetige  Fortschreiten  der  Tabes  im  Gegensatz  zu  den 
meist  heilbaren  oder  mindestens  zeitlich  abgrenzten  nervösen  Nachkrankheiten 
der  Diphtherie,  des  Typhus  u.  a.  In  Bezug  hierauf  ist  aber  daran  zu  erinnern, 
dass  die  Syphilis  selbst  doch  einen  ganz  anderen,  eigenartigen  Verlauf  hat,  als 
die  erwähnten  acuten  Infectionskrankheiten.  Sie  selbst  ist  eine  äusserst  chro- 
nische Infectionskrankheit^  welche  Latenzperioden  zeigt,  wie  sie  fast  bei 
keiner  anderen  Krankheit  bekannt  sind.  Wenn  wir  bd  der  Syphilis  nicht 
selten  beobachten,  dass  nach  einem  scheinbar  vollständigen  Verscdiwinden  aller 
äusseren  Erankheitssymptome  noch  5 — 10  Jahre  später  von  Neuem  tertiäre 
Erscheinungen  an  irgend  einer  Körperstelle  auftreten,  so  folgt  hieraus,  dass  die 
specifischen  syphilitischen  Krankheitserreger  in  irgend  einer  Weise  Jahre  lang 
im  Körper  verborgen  zubringen  können.  Hiermit  kann  es  sehr  wohl  im  Zu- 
sanmienhang  stehen,  dass  auch  die  secundären  (toxischen)  syphilitischen  Gift- 
wirkungen viel  langsamer  und  später  auftreten  und  dass  sie  bei  dem,  wenn 
auch  latenten  Furtbestehen  der  ursprünglichen  Krankheit  einen  anhaltend  fort- 
schreitenden Charakter  zeigen.  Aehnliches  findet  vielleicht  auch  bei  den  ner- 
vösen Nachkrankheiten  anderer  chronischer  Infectionskrankheiten  statt  Man 
denke  z.  B.  an  die  Fälle  von  multipler  Neuritis,  welche  mit  Tuberkulose 
zusammen  zu  hängen  scheinen.  Vielleicht  spielen  ähnliche  Verhältnisse  auch 
bei  der  Lepra  eine  gewisse  Rolle. 

Uebrigens  ist  der  fortschreitende  Charakter  der  Erkrankung  auch  keines- 
wegs in  allen  Tabesfallen  vorhanden.  Mir  kommt  es  so  vor,  als  ob  wir  jetzt, 
wo  die  Diagnose  der  Tabes  gegen  früher  eine  so  ungemein  verfeinerte  geworden 
ist,  auch  leichten  Formen  der  Tabes  annehmen  müssen,  bei  welchen  nur 
einzelne  Symptome  der  Krankheit  zur  Entwickelung  kommen  und  dann  ein 
vollständiger  Stillstand  derselben  eintritt.  Doch  gebe  ich  zu,  dass  die  Beobach- 
tungszeit bisher  eine  zu  kurze  ist,  um  obige  Anschauung  schon  jetzt  mit  Be- 
stimmtheit vertreten  zu  können. 

Auf  zahlreiche  Einzelnheiten  in  der  Pathologie  der  Tabes,  welche  mit  der 
Auflhssung  derselben  als  einer  postsyphilitischen  Erkrankung  in  dem  oben  an- 
geführten Sinne  in  Beziehung  zu  bringen  sind,  gehe  ich  nicht  ein,  um  nicht 
noch  mehr  in  rein  hypothetische  Vorstellungen  zu  gerathen.  Die  dargelegte 
Grundauschauung  aber,  welche  die  Tabes  in  eine  Reihe  mit  zahlreichen  anderen 


—    437    — 

nervösen  Erkrankungen  stellt,  scheint  mir  schon  jetzt  wenigstens  soweit  gerecht- 
fertigt zu  sein,  um  sie  der  Präfang  der  Fachgenossen  vorlegen  zu  dürfen. 

Nur  zwei  Punkte  möchte  ich  noch  kurz  berühren.  Zunächst  die  Folgerungen, 
welche  aus  der  obigen  AufGi^sung  in  Betreff  der  Behandlung  der  Tabes  zu 
ziehen  sind,  und  dann  die  Beziehungen  zwischen  der  Tabes  und  der  progres- 
siven Paralyse. 

In  Bezug  auf  die  Behandlung  der  Tabes  hat  man  den  Anhängern  der 
Ansicht  von  dem  Zusammenhange  zwischen  Tabes  und  Syphilis  häufig  als 
Gegengrund  geltend  gemacht,  dass  eine  antisyphilitische  Behandlung  bei  der 
Tabes  erfahrungsgemäss  nur  selten  nütze  oder  wenigstens  niemals  in  so  deut- 
licher Weise,  wie  dies  bei  den  meisten  echt  syphilitischen  Erkrankungen  der 
Fall  ist.  Unserer  Anschauung  gemäss  ist  dieser  Einwand  nun  selbstverständlich 
hinfällig.  Denn  wir  wissen,  dass  die  specifische  Syphilisbehandlung  mit  Queck- 
silber und  Jodkalium  ihren  unzweifelhaften  Einfluss  nur  auf  die  echte  syphi- 
litische Neubildung,  welche  wir  als  eine  unmittelbare  Wirkung  des  oigamsirten 
Syphilisgiftes  selbst  betrachten  müssen,  ausübt.  Auf  die  secundären  toxischen 
Zerstörungen  im  Nervensystem  kann  die  antisyphilitische  Behandlung  wahr- 
scheinlich gar  keiuen  nennenswerthen  Einfluss  mehr  haben,  ebenso  wenig,  wie 
es  etwa  Jemandem  ein&llen  könnte,  eine  postdiphtherische  Ataxie  der  Beine 
durch  Bacheneinpinselungen  zur  Heilung  zu  bringen.  Am  allerwenigsten  kann 
eine  Quecksilberbehandlung  im  Stande  sein,  die  Regeneration  der  einmal  zer- 
störten Nervenfasern  anzuregen  und  hierdurch,  wie  mau  verlangt  hat,  die  einge- 
tretenen AusfaUserscheinungen  wieder  zum  Verschwinden  zu  bringen.  Dagegen 
ist  es  eine  andere  Frage,  ob  eine  antisyphilitische  Behandlung  nicht  das  Fort- 
schreiten des  tabischen  Processes  aufhalten  könne,  indem  sie  die  Bedingungen 
für  die  Fortdauer  der  die  Nervendegeneraüon  erzeugenden  Schädlichkeit  ein- 
schränkt In  dieser  Beziehung  bin  ich  in  der  That  geneigt,  einen  günstigen 
Einfluss  der  antisyphilitischen  Behandlung  bei  der  Tabes  anzuerkennen.  Wenig- 
stens scheinen  mir  meine  eigenen  therapeutischen  Erfahrungen  den  Schluss  zu 
gestatten,  dass  man  bei  Tabeskranken,  welche  im  Beginne  ihrer  Erkrankung 
noch  längere  Zeit  hindurch  energisch  antisyphilitisch  behandelt  worden  sind,  oft 
einen  aufiiaUenden  Stillstand  des  Leidens  in  den  nächsten  Jahren  beobachtet. 

Was  den  zweiten  Punkte  das  Yerhältniss  der  Tabes  zur  progressiven 
Paralyse  betrifft,  so  muss  ich  mich  hier  auf  einige  kurze  Bemerkungen  be- 
schränken. Ich  bin  der  Ansicht,  dass  das  oben  von  der  Tabes  und  ihrer 
Beziehung  zur  Syphilis  Gesagte  in  fast  durchaus  gleicher  Weise  auch  von  der 
progressiven  Paralyse  gilt.  Dass  auch  bei  der  grossen  Mehrzahl  der  Paralytiker 
früher  eine  Syphilis  bestanden  hat,  scheint  mir  nach  fremden  und  ebenso  nach 
meinen  eigenen  ErfEihnmgen  unzweifelhaft  zu  sein.  Tabes  und  progressive  Para- 
lyse sind  aber  für  mich  eng  zusammengehörige  Krankheiten.  Die  progressive 
Paralyse  ist,  um  einen  treffenden  Ausdruck  von  Möbiüs  zu  gebrauchen,  die 
Tabes  des  Gehirns.  Dass  beide  Krankheiten  in  wechselnder  Beihenfolge  in  ein- 
ander übergehen  können,  dass  zahlreiche  Symptome  (Verhalten  der  Pupillen^ 
der  Beflexe,  der  sonstigen  spinalen  Erscheinungen  u.  a.  m.)  bei  beiden  Krank- 


—    438    — 

heiten  in  ganz  gleicher  Weise  auftreten,  daes  radlich  die  anatomischen  Yeiän- 
denmgen  der  Tabes  eine  der  gewöhnlichsten  Theilerseheinnngen  im  anatomischen 
Bilde  der  Paralyse  sind  —  dies  Alles  ist  so  bekannt,  dass  es  nui  angedeutet 
zu  werden  braucht  Ich  glaube  daher,  dass  es  durchaus  ähnliche,  meist  eben- 
falls von  der  Syphilis  abhängige  Schädlichkeiten  sind,  welche  in  d«n  einen 
Falle  („Tabes^O  grosstentheils  nur  peripherische  und  spmale  Faser^ysteme  an- 
greifen, während  sie  in  anderen  Fällen  („progressive  Paralyse'')  vorzugsweise  oder 
wenigstens  anfanglich  nur  gewisse  cerebrale  Nervengebieto  zur  D^eneration 
bringen.  Wovon  dieser  Unterschied  in  der  Localisation  der  Erkrankung  abhängt, 
wissen  wir  ebenso  wenig,  wie  wir  auch  nicht  wissen,  warum  nach  einer  Diph- 
therie das  eine  Mal  eine  Augenmuskellahmung  oder  eine  Graumenlähmong,  das 
andere  Mal  eine  Ataxie  und  eine  Schwäche  der  Beine  auftritt  Zuweilen  können 
bekanntlich  die  genannten  postdiphtherischen  Erkrankungen  auch  gleichzeitig 
oder  nach  einander  bei  demselben  Kranken  auftreten,  wodurch  die  Analogie  mit 
den  postsyphilitischen  Nervend^enerationen  noch  grösser  wird. 

Zum  Schluss  muss  ich  die  Frage  berühren,  ob  man  nun  annehmen  soUe, 
dass  alle  in  symptomatischer  Hinsicht  als  Tabes  oder  als  progressive  Paralyse 
zu  bezeichnenden  Krankheitsfälle  in  ätiologischer  Hinsicht  zur  Syphilis  in  Be- 
ziehung stehen.  Ich  glaube,  dass  hierzu  noch  kein  Orund  vorliegt,  obwohl 
die  Zahl  der  posteyphilitischen  Erkrankungen  wahrscheinlich  die  übrigen  Falle 
weit  überwiegt.  Man  muss  aber  zugeben,  dass  es  auch  Tabeskranke  giebt,  bei 
welchen  eine  frühere  Syphilis  nicht  nachweisbar  und  zuweilen  sogar  unwahr- 
scheinlich ist  In  der  That  wäre  es  durchaus  nicht  unmö^ch,  dass  auch 
andere  Schädlichkeiten  dieselben  Gebiete  zur  Atrophie  brächten,  wodurch  natür- 
lich die  gleichen  Krankheitebilder  entetehen  müssten.  Denken  wir  z.  B.  an 
die  multiple  motorische  Neuritis,  so  wissen  wir,  dass  dieselbe  häufig  mit  chro- 
nischem Alkoholismus  zusammenhängt,  in  anderen  Fällen  aber,  wie  es  scheint, 
mit  Tuberkulose  oder  mit  einem  vorhergehenden  Typhus,  während  sie  in  noch 
anderen  Fällen  endlich  eine  besondere  eigenartige  Infectionskrankheit  zu  sein 
scheint  Es  können  also  unter  verschiedenen  Umständen  entetandene  Krankheits- 
gifto  dieselbe  Wirkung  ausüben.  Ob  dieselben  nur  toxicologisch  identisch,  aber 
chemisch  verschieden,  oder  nicht  vielleicht  auch  chemisch  verwandt  sind,  ist 
noch  gänzlich  unbekannt 

Sollte  sich  in  Zukunft  eine  derartige  ätiologische  Verschiedenheit  der  Tabes- 
falle endgültig  nachweisen  lassen,  so  wäre  natürlich  zu  untersuchen,  ob  sich 
dem  entsprechend  nicht  auch  besondere  klinische  und  anatomische  Merkmale 
festeteilen  Hessen. 


—    439    — 


2.   Casüistische  Mittheilungen  aus  dem  herzoglichen 

Krankenhanse  zn  Brannschweig. 

Von  Dr.  Biohard  Schulz, 
Vorstand  der  medicimsclien  Abtheilong. 

(Schlofis.) 

IL  Tumor  der  Zirheldrüse. 

Den  wenigen  Fällen  von  nnr  anf  die  Zirbeldrüse  beschränkten  Tumoren, 
deren  im  Ganzen  jetzt  fünf  in  der  Literatur  beschrieben  worden  sind  von  Blan- 
QXTiNQUE,^  Massot,'  Nieden,'  Biebmeb-Webnicke^  ond  Beinholi),'  möchte 
ich  im  Nachstehenden,  angeregt  durch  die  Arbeit  BsiNHOLD'Sy  einen  weiteren 
Fall  anreihen.  Derselbe  kam  in  der  Privatpraxis  zu  meiner  Beobachtung.  Nur 
von  Zeit  zn  Zeit  habe  ich  den  Patienten  gesehen.  Genauere  Notizen  hatte  ich 
mir  leider  über  denselben  nicht  gemacht  und  zwar  zum  grossen  Theil  deshalb, 
weil  bei  dem  Patienten  objective  Störungen  nicht  yiele  zu  notiren  waren,  jedoch 
steht  mir  das  ganze  Erankheitsbild  noch  so  lebhaft  im  Gedächtniss,  dass  ich 
glaube  es  noch  zutreffend  wiedergeben  zu  können.  Die  anamnestischen  Angaben 
sind  dnrch  Nachfrage  bei  der  Familie  vervollständ^. 

Der  zur  Zeit  seines  Todes  28jährig6  Maschinenbauer  N.  N.  ist  immer  gesund 
gewesen,  Sohn  gesunder  Eltern,  in  keiner  Weise  neuropathisch  belastet,  hat  nie  einen 
Schlag  über  den  Kopf  bekommen,  auch  keine  stärkere  Gontusion  des  Kopfes  durch 
Fall  erlitten.  Er  hatte  keine  Zahnkrämpfe  als  Kind,  hat  eine  normale  Entwickelung 
dnrchgemacht,  besass  sehr  gnte  Intelligenz.  Seiner  Militärpflicht  hat  er  zwei  Jahre 
genügt  mit  22  Jahren.  Er  war  zweimal  wegen  noch  nicht  genügend  entwickelten 
Brustbaues  zurückgesetzt  worden.  Schon  vor  dem  Eintritt  in*s  Heer,  6  Jahre  vor 
seinem  Tode,  soll  er,  bei  einem  Schlossermeister  praktisch  beschäftigt,  öfters  über 
Kopfschmerz  geklagt  haben.  Stärkere  Kopfschmerzen  traten  erst  auf  1883  nach 
der  Abdienung  seiner  Militärpflicht.  Er  musste  damals  schon  des  Morgens  öfters 
länger  liegen  bleiben,  kam  oft  Nachmittags  früher  von  der  Arbeit  der  Kopfschmerzen 
wegen  nach  Hause.  Bedeutend  stärker  traten  die  Kopfschmerzen  3  Jahre  vor 
seinem  Tode,  also  1883  auf. 

Am  23.  März  1884  ersuchte  mich  der  Hausarzt  des  Patienten  Herr  Dr.  Müller 
um  eine  Consultation,  bei  welcher  Gelegenheit  ich  den  Fat.  zum  ersten  Male  sah. 
Derselbe  hatte  seit  Ende  Januar  fest  zu  Bett  gelegen  wegen  anhaltender  heftiger 
Kopfschmerzen,  welche  besonders  die  Hinterkopfgegend  einnahmen.  Um  die- 
selben zu  erleichtem  nahm  Fat.  immer  mit  seinem  Kopf  eine  vorn  übergebeugte 
Stellung  ein.  Ausserdem  bestand  aber  auch  im  ganzen  Kopf  das  Gefühl,  als 
würde  er  auseinander  getrieben.    Es  bestanden  Klagen  über  Abnahme  der 


1  Gaz.  hebd.  1871.  p.  5S2. 

>  Lyon  m^d.  1872.  Nr.  15. 

3  Centralbl.  f.  Nervenheilk.  1879.  Nr.  8. 

«  Lehrb.  d.  Gehirnkrankh.  1888.  HI.  S.  299. 

*  Deutsches  Arch.  f.  klin.  Med.  Bd.  89.  H.  1  u.  2.  S.  1. 


—    440    — 

Sehschärfe,  besonders  auf  dem  linken  Auge.  Schon  im  Febraar  1884  hatte  sich 
Fat  Ton  Herrn  Augenarzt  Dr.  Fbbgb  dieserhalb  untersuchen  lassen.  Die  Notizen 
desselben  mir  gütigst  zur  Verfügung  gestellt,  lauten  über  den  ophthalmoskopischen 
Befund:    „Pnpillengrenzen  yerwischt.    Pupille  geröthet,  jedoch  nicht  geschwellt" 

Stat  praes.  Mittelgrosser,  leidlich  kräftig  gebauter  junger  Mann  mit  gut 
entwickelter  Musculatur,  mit  intelligenten,  etwas  vorgetriebenen  Augen,  den 
Kopf  vom  übergebeugt  haltend.  Kopf  normal  gebaut  Percussion  des  Kopfes  be- 
sonders in  der  Occipitalgegend  schmerzhaft  Pupillen  gleichweit,  gut  rea- 
girend.  Keine  Spur  von  Lähmungserscheinungen  weder  in  Armen  noch 
Beinen,  volle  Muskelkraft,  keine  Ataxie,  keine  Sensibilitätsstörungen.  Gang 
etwas  weitbeinig  taumelnd.  Patellarreflexe  gesteigert,  Andeutung  von 
Dorsalclonus.  Hautreflexe  normal.  Lungen,  Herz  ohne  Abnormitäten.  Puls 
nicht  verlangsamt,  kein  Fieber.  Kein  Erbrechen.  Urinsecretion  normal  Urin 
ohne  krankhafte  Bestandtheile. 

Der  Patient  lag  bis  Ende  April,  wurde  allmählich  besser,  hielt  sich  in  den 
Sommermonaten  in  Altenau  am  Harz  mit  gutem  Erfolg  auf.  Auch  dort  zeigte  er 
den  taumelnden  Gang,  konnte  nicht  allein  gehen.  Ausserdem  verschluckte  er  sich 
sehr  leicht,  so  dass  ihm  Essen  an  der  Table  dliöte  sehr  unangenehm  war.  Die 
Besserung  hielt  an  bis  in  den  September  1884,  zu  welcher  Zeit  nach  einer  Auf- 
regung der  Zustand  sich  wieder  verschlinunerte,  jedoch  konnte  mich  Patient  am 
29.  September  und  am  29.  December  1884  in  meiner  Sprechstunde  aufsuchen.  Jedes 
Mal  konnte  ich  denselben  Zustand  constatiren. 

Zu  bemerken  ist,  dass  der  Exophthalmus  der  Augen  etwas  zuzunehmen  schien, 
ausserdem  viel  mir  auf,  dass  bei  scharfem  Fixiren  das  rechte  Auge  öfters  nach  rechts 
abwich.  Im  Sommer  1885  befand  sich  Patient  besser,  er  brachte  denselben  bei 
Verwandten  im  Freien  zu  und  suchte  mich  am  5.  Juni  und  23.  Juli  in  meiner 
Sprechstunde  auf.  Jedesmal  konnte  ich  als  hauptsächlichste  objective  Störungen  nor 
den  taumelnden  Gkmg  und  die  immer  zunehmende  Erhöhung  der  Sehnenreflexe  an 
den  unteren  Extremitäten  constatiren.  Stets  bestanden  die  Klagen  über  den  inten- 
siven Hinterkopfschmerz  und  das  Gefühl,  als  würde  der  Schädel  auseinandergetrieben, 
femer  über  häufiges  leichtes  Verschlucken.  Ausserdem  behauptet  Pat,  bei  gerader 
Kopfhaltung  nicht  schlucken  zu  können,  sondern  nur  bei  stark  vomübei^ebeugtem 
Kopfe.  Er  nahm  deshalb  fast  nur  Flüssigkeiten  mittelst  Glasröhre  zu  sich.  Gaumen- 
segelstörung war  nicht  vorhanden. 

Pat  wandte  sich  an  Herrn  Dr.  Fleischeb,  Specialarzt  für  Kehlkopfkrankheiten, 
jedoch  auch  dieser  fand  objectiv  Nichts.  Eine  Zeit  lang  wurde  von  demselben  elek- 
trische Behandlung  ohne  jeden  Erfolg  angewandt 

Ende  des  Jahres  verschlimmerte  sich  der  Zustand  wieder  und  Pat  wurde  Ende 
November  fest  bettlägerig. 

Am  23.  Dec.  1885  ersuchte  mich  Herr  Dr.  MOlleb  wiederum  um  eine  Consul- 
tation.  Der  Pat  lag  zu  Bett,  ohne  Fieber,  Puls  nicht  verlangsamt,  mit  voll- 
ständig vom  übergebeugtem  Kopf,  das  Kinn  auf  der  Brust,  das  Gesicht  geröthet, 
«twas  cyanotisch,  die  Augen  injicirt,  Bulbi  etwas  vorgetrieben,  Pupillen  gleich- 
weit reagirend,  keine  Augenmuskellähmung.  Keine  Facialislähmung.  Zunge 
dick  belegt.  Nahrungsaufnahme  nur  möglich  durch  Aufsaugen  von  Flüssigkeiten 
mittelst  Glasröhre.  Kein  Erbrechen.  Keine  Lähmungen  der  Arme  oder  Beine. 
Leichte  Parästhesien  in  den  Füssen  und  rechten  Arm.  Objectiv  Sensi- 
bilität intact  Keine  Blasen-  oder  Mastdarmstörungen.  Gehen  nur  mit  Unter- 
stützung möglich.  Das  Aufstehen  aus  dem  Bette  wegen  der  Kopfhaltung  und  der 
Schmerzen  äusserst  mühsam.  An  beiden  Beinen  hochgradig  gesteigerte  Sehnen- 
reflexe und  ausgeprägter  Dorsalclonus. 

Am  25.  December  war  derselbe  Zustand.  Am  27.  Dec.  desgleichen.  Fortwährend 
hatte  Schlaflosigkeit  bestanden,   immer  die  heftigsten  Kopfschmerzen.    Die  Cyanose 


—    441    — 

des  Geaiclits  hatte  etwas  zngenommen,  Patient  konnte  den  Schleim  nicht  ordentlich 
anfhosten.  Puls  nicht  yerlangsamt,  kräftig.  Wir  beschlossen,  demselben  Abends 
0,01  Morph,  mur.  im  Kacken  iigiciren  zu  lassen.  Die  Injection  wurde  durch  einen 
Heilgehülfen  Abends  ausgeführt  15  Minuten  nachher  war  Patient  in  Schlaf  ge- 
kommen, aus  welchem  er  nicht  wieder  erwachte. 

Die  Diagnose  war  von  mir  auf  Tnmor  cerebri  gestellt  worden,  eine  ge- 
nauere Feststellung  des  Sitz^  desselben  konnte  bei  dem  Fehlen  fast  aller  ge- 
naueren objectiven  Localzeichen  nicht  gemacht  werden,  es  wurde  von  mir  nur 
angenommen,  dass  die  Pyramidenbahnen  in  der  einen  oder  anderen  Weise, 
direct  oder  indirect  gedrückt  und  gereizt  würden. 

Die  am  29.  Dec.  Mittags  von  mir  vorgenonmiene  Section  des  Schadeis  be- 
stätigte die  Diagnose. 

Schädeldach  ziemlich  dick.  Substantia  spongiosa  blutreich.  Dura  mater 
sehr  gespannt,  innen  von  normalem  Glanz.  Sinus  massig  bluthaltig.  Windungen 
des  Gehirns  an  Convexität  und  Basis  stark  abgeplattet  und  verstrich en.  Pia 
mater  normal.  Bei  Herausnahme  des  Gehirns  flieest  eine  ziemlich  beträchtliche 
Menge  Cerebrospinalflüssigkeit  ab. 

Chiasma  nerv.  opt.  und  Tuber  einer.  Torgewölbt  und  fluctuirend. 

Substanz  des  Grosshims  massig  fest,  blutarm.  Seitenventrikel  und  Yen- 
triculus  tertius  höchstgradig  erweitert  und  mit  reichlicher  Flüssigkeitsmenge 
gefüllt  Plexus  chorooideus  normal.  Bei  Betastung  des  Pons  von  unten  fällt  eine 
grössere  Besistenz  auf. 

Auf  den  Corp.  quadrigem.  aufliegend,  dieselben  abflachend  und  etwas  aus- 
einander drängend,  an  der  Stelle  der  Glandula  pinealis  sich  Torfindend,  liegt  eine 
gut  wallnussgrosse,  grauröthliche,  massig  feste,  ziemlich  blutreiche 
Geschwulst.  Pons  und  Medulla  oblongata  zeigten  mabx>skopisch  keine  Degene- 
rationen. 

Die  G^chwulst  wurde  behufs  weiterer  Untersuchung  in  Müller'scher  Lösung 
und  Alcohol  gehärtet  Ihre  mikroskopische  Untersuchung  ergab  ein  von  zahl- 
reichen ectatischen  Capillaren  durchzogenes  Gliom  ohne  jede  Spur  von  Sand- 
körpenL 

Der  vorstehend  geschilderte  Fall  von  Gliom  der  Glandula  pinealis  unter- 
scheidet sich  von  den  beiden  genauer  mitgetheilten  Fällen  von  Nieden  und 
RfiiNHOLD  durch  das  Fehlen  fast  aller  Herdsymptome.  Der  Symptomencomplex 
bestand  in  meinem  Falle  in  den  heftigsten  Hinterhauptskopfschmerzen,  dem 
Gefühl  des  Auseinandergedrängtwerdens  des  Schädels,  dem  taumelnden  unsicheren 
(}ang,  Abnahme  der  Sehschärfe,  keiner  ausgesprochenen  Stauungspapille,  Protru- 
sion der  Bulbi,  vorübergehend  sich  zeigender  InsufGcienz  des  M.  rect  int  dextr., 
eigenthümlichen  Schlingbeschwerden,  allmählich  zunehmender  Steigerung  der 
Sehnenreflexe,  und  zuletzt  sich  zeigenden  leichten  Parästhesien  in  dem  rechten 
Arm  und  den  Füssen.  Die  Hinterhauptskopfischmerzen  bedürfen  keiner  weiteren 
Erklärung,  sie  kommen  bei  allen  Tumoren  der  hinteren  und  mittleren  Schädel- 
gruben vor  und  fanden  sich  in  dem  Falle  Nieden,  verbunden  mit  Stimkopf- 
schmerzen  in  dem  Falle  Blanquinqije's,  während  in  den  FäUen  Massot  und 
REiNHOiii)  nur  Stirn,  Scheitel  und  Schläfenschmerzen  vorhanden  waren.    Das 


—    442    — 


Gef&hl  des  Aoseinandergedrangtwerdens  des  Kopfes,  welches  in  JEIbinhoiiD's 
Falle  ebenfalls  als  dumpfer  Drack  im  Kopfe  beschrieben  wird,  beruht  jedenfalls 
auf  der  Entwickelung  des  sehr  bedeutenden  Hjdrocephalus  internus  und  der 
damit  einhergebenden  Baumbeengung  im  Schädelmark. 

Der  taumelnde  unsichere  Gang,  der  nichts  atactisches  hatte,  darf  wohl  auf 
eine  Druckbeeintrachtigung  der  Corpora  quadrigemina,  viellaiGht  aodi  des 
Cerebellums  zuruc^efuhrt  werden.  In  dieser  Weise  £ftnd  sich  das  Symptom 
in  keinem  der  bisher  mitgetheilten  Falle,  bei  Blanqüinque  bestand  Unvermögen 
der  Beine  den  Bumpf  zu  tragen,  bei  BEnmoLD  war  Gehen  und  Stehen  nicht 
möglich.  Die  Abnahme  der  Sehscharfe  fand  sich  ausser  in  meinem  Falle  bei 
Blakqttinque's,  endigend  mit  Blindheit  und  Atrophia  N.  optic* ,  und  im  Falle 
Massot's.   Sichere  Stauungspapille  bestand,  wenigstens  zur  Zeit  der  ophthalmo- 


Nr. 

Autor 

1 

1 

Patholog.-anat. 
Befund 

SensibiUtät 

MotiUtät 

AugenstorungcD 

1. 

Blanqüinque 

Gaz.  hebdom. 
1871.  p.  532. 

39 

m. 

Taubeneigrosser 
Tumor  d.  Qland. 
pin.   (Hypertro- 
phie. Psammom). 
Comnression  der 
Yierhügel  und 
Yen.  Qalen.  Hy- 
droceph.  intern. 

Besonders  Hinter- 
kopfschmerzen, 
weniger  in  der 
Stirn. 

Epilept.  Anfalle. 
"Keine  eigentliche 
Lähmung.    Un- 
vermögen der 
Beine  d.  Rumpf 
zu  tragen. 

Alhnahliche  Ab- 
nahme dw  Seh- 
schärfe und  des 

Gesichtsfeldes. 

Yollständige 
Blindheit.  Atro- 
phie nerv,  optic 
Augäpfel  nach 
unten  u.  rechts 
eingestellt  ohne 
eigentLLähmung. 
Convulsive  Be- 
wegungen ders. 

2. 

Marsot 

Lyon.  m^. 
1872.  Nr.  15. 

19 

m. 

EUipsoides 

hartes,  nöckriges 

Carcinom  d.  61. 

pin.  28— 33  mm 

Durchmesser. 

Doppelseitiger 
Stirn- u.  Schläfen- 
schmerz. 

Epilept.  Anfalle. 

*  Diptopie.    6e- 

sicntsschwäche. 

Bestuidiges 

Zwinkern  der 

Augenlider. 

3. 

NiSDXN 

Centralhl.  fELr 
Nervenheilk. 
1879.  Nr.  8. 

50 

w. 

Hydrops  cysticus. 
aer  Qland.  pin. 
(20—25  Cysten 

durch  festes 
Bindegewebe 

geschiedene 
wallnussgrosse 
Qeschwufit,  den 
ni.  Yentr.  aus- 
fallend. Druck 
auf  die  Yierhügel» 
diese  abflachend 
d.  Structur  ver- 
ändernd. Druck 
auf  d.  Ursprung 

des  Nervus 
trochlearis.  d. 

Hinterkopf- 
schmerz. Keine 
Sensibilitäts- 
störungen. 

Keine  Lähmung. 

Parese  d.  Nerv. 
trochlear.  deitr. 
Augenhinter- 
grund normal. 
Sehschärfe  intact 

4. 

BlEBMEB- 

Webnioke 
Lehrbuch  der 
Qehimkrankh. 

m.  S.  299. 

Fall  nur 

andeutungsweise 

erwähnt. 

^ 

^» 

Aehnliche  Symp- 
tome. Doppelseit 
AugenmusieUih- 
mung  wie  in 

AU  1. 

—    448 


skopischen  TTütersnchung  im  rebraar  1884,  in  meinem  Falle  ebensowenig,  wie 
in  den  übrigen  beschriebenen  Fällen,  jedoch  ist  nicht  aasgeschlossen,  dass  sie 
gegen  Ende  der  Krankheit  bestanden  hat  nnd  die  zunehmende  Abnahme  der 
Sehschärfe  darin  ihre  Erklärong  findet 

Auf  zonehmende  Stammg  in  den  Bulbis  möchte  ich  die  Protrusion  der 
Augapfel  zurückführen.  In  Reikhold's  Falle  sollen  die  Bulbi  leicht  protrudirt 
gewesen  sein,  aber  der  Blick  soll  etwas  eigenthümlich  Starres,  an  den  Ausdruck 
der  an  Morb.  Basedowii  Leidenden  Erinnerndes  gehabt  haben. 

Ausgeprägte  Augenmuskellähmungen,  wie  in  den  Fallen  Blakquinqub's, 
Massot's,  Nieben's,  Biebmeb-Webnigke's,  BsiNHOiiD's  fanden  sich  nicht,  nur 
eine  vorübergehend  auftretende  Insufficienz  des  rechten  Musculus  rect.  internus 
bestand. 


Intelligenz 

nnd 

Sprache 

Pols 

Befleze 

Ham- 
secretion 

Er- 
brechen 

Decu- 
bitus 

Tro- 
phische 

Stö- 
rungen 

Vaso- 
motor. 
Stö- 
rungen 

Nacken- 
starre 

Ver- 
minderang 

der 
Intelligenz. 

Nichts 
ange- 
geben. 

Nichts 
ange- 
geben. 

Nicht 
ange- 
geben. 

• 

Verlast 

des 
Gedächt- 
nisses. 
Sopor. 

Klein 
n.  sehr 
lang- 
sam. 

Nichts 
ange- 
geben. 

Polyurie 

ohne 
Zucker  u. 
Albumen. 

Vor- 
handen. 

Delirien 

und 
Tobsnoht 

1 

1 

Vor- 
handen 
firfth- 
zeitig. 

Vor- 
handen. 

Sehr 
elender 
Körper^ 
zustand. 

^_^  • 

AAA       

JL  X  X 


Nr. 

Autor 

1 

1 

Patholog.-anat. 
Befand 

Sensibilität 

Motilität 

Augenstörungen 

5. 

Deutsches 
Arch.  f.  klin. 
Med.  Bd.  89. 
H.  1  u.  2.  S.  1. 

19 

m. 

Wallnnssffroeses 
Gliom  d.  Gl.  pin. 
stärker  nach  hnks 
entwickelt»  Vier- 
hügel  nach  rück- 
wärts yersohoben, 
vordere  Paar  aus- 
einandergedrängt 
Hydrocephalns 
intern. 

Stirn- n.Scheitel- 

kopfiBchmerz. 

Gefühl  dumpfen 

Druckes  im 

Kopfe.    Keine 

sonstigen  Sensi- 

bilitätsstömngen. 

Schwerhörigkeit 

auf  dem  linken 

Ohre. 

Keine  Extremi- 
tätenlähmun^en. 
Stehen  u.  Gehen 
nicht  möglich. 
Störungen  im  r. 
unteren  Facialis- 

gebiet  beim 
Sprechen.  Keine 
Epilepsie.  Einmal 
tonisdier  Krampt 

Keine  Stauungs- 
papille.   Ver- 
schwommenheit 
d.  GesiehtsfeldeB 
und  totale  Ver- 
dunkelimg.  Pa- 
pillen gleichweit 
nicht  verkleinert, 
später  üngldch- 
heiL  Nysti^os- 
artige  Bewegun- 
gen bei  Bück  nach 
oben.  Blick  stair, 
an  Morbus  Base- 
dowii  erinnernd. 
Doppelseitige 
Ptosis.   Doppels. 
Abducenslähm. 

6. 

Eigener  Fall 

28 

m. 

WaUnussgroBses 
Gliom  d.  Gl.  pin. 
die  Vierhügel  ab- 
flachend u.  auB- 
einanderdrän- 
gend.    Hydro- 
cephalus  intern. 

Hinterkopf- 
schmerz. Gefühl 
des  Auseinander- 
ffedrängtwerdens 
d.  Kopfes.  Leichte 
Parästhesien  im 
r.  Arm  u.  Füssen. 
Objectiv  Sensi- 
bilität intaot. 

Keine  Extrem!« 
tätenlähmung. 
Taumelnder  un- 
sicherer Ganff. 
Keine  Epilepsie. 
Eigenthüm- 
liche  Schling- 
beschwerden. 

PupiUengrenzen 
verwiachtPapille 
geröthet,  jedoch 
nicht  geschwellt 
Abnamne  d.  Seh- 
schärfe. Insufüc 
d.  M.  rect  intern. 
ocuL  dextr.  Pro- 
trusion d.  Bulbi. 

Die  Schlingbeschwerden,  bestehend  in  leichtem  Verschlacken  und  erschwer- 
tem Schlacken,  finden  sich  in  keinem  der  früheren  Falle  erwähnt;  sie  dürften 
wohl  ähnlich  wie  in  den  Fällen  von  Eleinhirntamoren,  bei  welchen  sie  öfteis 
vorkommen,  durch  Drack  auf  den  Föns  and  das  verlängerte  Mark  erklärt  werden 
können  (siehe  Bebnhaedt,  Himgeschwülste.  1881.  S.  240). 

Die  bedeatende  Steigerang  der  Sehnenreflexe,  welche  aach  von  Reinhold 
beobachtet  warde,  findet  ihre  Erkläning  in  Beeinträohtigang  der  Pyramiden- 
bahnen  entweder  darch  Drack  des  Tamor  aaf  den  Pens,  oder  was  mir  wahr* 
scheinlicher  ist,  darch  den  gleichmässigen  Drack  der  Hydrocephalosfiossigkeit 
aaf  die  Fyramidenfasem  (Stabkranz£äserang)  in  den  Grosshimhemisphären. 
Steigerangen  der  Sehnenrefleze  bei  beträchtlichem  Hydrooephalas  intemas  sind 
schon  früher  wiederholt,  von  Buhff^  and  mir'  beobachtet  worden,  in  diesen 
Fällen  bestand  zugleich  das  aasgeprägte  Symptomenbild  der  spastischen  Spinal- 
paralyse  allein'  oder  mit  Ataxie  verbanden. 

Secandäre  Degenerationen  in  den  Seitensträngen  des  Bückenmarks  fehlten 
and  masste  man  deshalb  eine  fanctionelle  Beeinträohtigang  der  Fjrramiden- 
bahnen  annehmen.  Aach  in  meinem  Falle  würde  sich  wohl  keine  Degeneration 


'  Deutsches  Arch.  f.  klm.  Med.  Bd.  YYTn  S.  527. 

*  Ebenda  Bd.  XXTTT.  H.  m.  S.  851. 

'  Centialbl.  l  Nervenheilk.  1882.  Y.  Jahrg*  Nr.  4. 


445    — 


Intelliffenz 

ana 

Sprache 

Pols 

Befleze 

Ham- 

Er- 

Deea- 

Tro- 
phische 

Vaso- 
motor. 

Nacken- 

secretion 

brechen 

bitas 

Stö- 
rungen 

Stö- 
rungen 

starre 

G^gea 

Va^ 

Sdmen- 

In  jeder 

Vo^ 

... 

Ftiikn. 

Vor- 

Keine 

Ende 

lang* 

und 

Weise 

banden. 

haaden. 

Nacken- 

BewoMfc- 

samt. 

Hant- 

normal 

starre. 

loaiffkeit. 

54—60 

refleze 

Söhlige. 

gesteigert 

der  Stupor. 

• 

Normal. 

Be- 

schlea- 

nigt. 

Patellai^ 
refleze 

gesteigert. 

Dorsal- 

olonns. 

Hantrefleze 

normal. 

Normal. 

Fehlt 

« 

Keine 
Nacken- 
starre. 
Kopf 
immer 
nach  vorn 

über- 
gebeugt 

der  Seitenstrange  (das  Büokenmark  ist  leider  niobt  mit  herausgenommen)  gb* 
fanden  haben. 

Erbrechen,  epileptische  Anfille,  psychische  Störung  Mlten  in  meinem  Falle, 
während  sie  in  dem  einen  oder  anderen  der  bisher  beschriebenen  F&Ile  beobachtet 
worden. 

TJebereiPHtimmend  mit  alten  bisher  beobaohteten  Fallen  zeigte  auch  der 
meinige  kdne  Uhmnngseracheinangen ,  kdne  ansgesproohenen  SensibBit&t»- 
stOmngen.  Um  eine  genauere  Yergleichung  der  bisher  beobachteten  FUle  zu 
ermSghchen,  gebe  ich  zum  Schluss  noch  in  tabellarischer  Zusammenstellung  mit 
theilweiser  Benützung  der  BmtimAitPT'schen  Tabelle  (1.  c.  S.  172)  dieselben  mit 
den  beobachteten  Symptomen.  Es  geht  meiner  Meinung  nadi  daians  hervor, 
dass  wir  zur  Zeit  noch  nicht  im  Stande  sind,  irgend  welche  pathognomische 
Symptome  ffir  Zirbeldriisentumoren  aufstellen  zu  können,  wir  können  Tumoren 
dieser  Stelle  höchstens  muthmaassen,  wenn  bei  intensivem  Hinterkopfschmerz 
keine  Lahmungserscheinungen,  keine  Sensibilitatsstörongen  bestehen,  wenn  dabei 
Abnahme  der  Sehschärfe  und  Paresen  oder  Paralysen  des  einen  oder  anderen 
AogenmtBkels  sich  zeigen,  wenn  weiterhin  Steigerang  der  Sdmenrefleze  auftritt 
Erst  eine  grössere  Anzahl  von  Beobachtungen  wird  Aufitellung  eines  genaueren 
Symptomencomplezes  ermöglichen. 


—    446    — 

n.  Referate. 

Pathologie  des  Nervensystems. 

Vom  VerhältniBse  der  Foliomyeleneephalitla  sxur  Basadow'scAen  Krank- 
heit, Ton  Dr.  Ernst  Jendr&ssik.  Aus  der  I.  med.  Klinik  des  Prof.  Wagner 
in  Budapest.    (Arch.  f.  Psych,  etc.  1886.  Bd.  XYII.  H.  2.) 

Ein  16jähiiger  Lehrling  in  einer  Tuchßrbefabrik  (Bleifiirben)  bekam  4  Monate 
Yor  der  Aufnahme  plötzlich  Doppelsehen,  2  Monate  sp&ter  Erschwerung  des  Kanens, 
Parese  des  Mundes,  rasch  zunehmende  L&hmung  der  Augenmuskeln,  zuletzt  die  Symp- 
tome des  Morbus  Basedowii.  Bei  der  Aufnahme  wurde  constatirt:  beiderseitiger 
Exophthalmus  (rechts  etwas  stärker),  Parese  des  Orbicular.  palpebrarum,  fast  totale 
IJnbeweglichkeit  beider  Bulbi  mit  leichter  Divergenz  der  Sehaxen  (gekreuzte  Doppel- 
bilder), normale  Beaction  der  Pupillen,  normale  Accommodation  und  normaler  oph* 
thahnoskopischer  Befund.  Parese  des  unteren  Facialis,  des  Gkiumensegels,  der  Kau- 
muskeln beiderseits,  beträchtliche  motorische  Schwäche  der  oberen  Extremitäten 
Anschwellung  der  Schilddrüse,  YergrGsserung  der  Herzdämpfung  erheblich.  Puls- 
firequenz  (ca.  120  in  der  Minute).  Die  elektrische  Erregbarkeit  im  mittleren  und 
unteren  Zweige  der  Nn.  fadales  im  Gegensatz  zum  Bam.  frontalis  sehr  stark  herab- 
gesetzt (Entartungsreaction?). 

Das  Krankheitsbild  setzt  sich,  wie  Verf.  ausfuhr^  zusammen  aus  dem  Symp- 
tomencomplex  der  sog.  Ophthalmoplegia  externa  mit  Betheiligung  des  Facialis 
und  motorischen  Quintus,  und  der  Trias  der  Basedow'flchen  Krankheit.  Als  ana- 
tomische Grundlage  der  ersteren  bezeichnet  Verf.  eine  Poliomyelencephalitis 
superior.  Bef.  möchte  betonen,  dass  ihm  der  Name  Encephalitis  und  Myelitis  f&r 
die  einschlägige  Krankheitsgruppe  nicht  geeignet  erscheint,  so  wenig  wie  f&r  die 
Bulbärparalyse  und  spinale  progressive  Muskelatrophie,  da  die  entzündliche  Natur 
der  betr.  Processe  sehr  unwahrseheinlioh  ist 

Es  gelang  dem  Verl,  in  der  Literatur  noch  einen  Fall  (von  Warner)  aata- 
finden,  der  dieselbe  Combination  des ,  Morbus  BaaedowU  mit  Paralyse  sämmtlicher 
Augenmuskeln  (und  Paresen  des  7.  und  5.  Himnerven)  zeigte.  Ausserdem  erwähnt 
er  einige  Fälle  von  Combination  des  Basedow  mit  isolirten  Augenmuskellähmungen 

Verf.  sucht  aus  dieser  Combination  auf  eine  bestimmte  Localisation  der 
Baaedow'schen  Krankheit  an  sddiessen,  dass  diese  Loealitftt  eine  centrale  und 
dass  sie  im  verlängerten  Mark  gelegen  sei«  St  fUurt  als  Sttttze  sn  seiner  An- 
sicht noch  andere  häufigere  oder  gelegentliche  Complicationen  das  Morbus  Basadowii 
an,  z.  B.  den  Diabetes  mellitus.  Seine  zur  Erklärung  der  hyperplastischen  Erschei- 
nungen des  Morbus  Basedowii,  der  Hyperplasie  des  retrobulbären  Fettgewebes,  des 
Heizens,  der  Gland.  thyreoidea,  versuchte  Parallelisinmg  mit  der  Pseudohyper- 
trophie  der  Muskeln  steht ' unseres  EUbchtens  auf  sehr  ediwachen  FAseen. 

Wir  stimmen  dem  Verf.  darin  bei»  dass  die  centraie  Natur  des  Morbus  Base* 
dowii  sehr  wahrscheinlich  ist,  möchtcm  aber  seine  weitere  Annabme,  dass  diese  Er» 
krankung  auf  eine  circumscripte  Stelle  in  der  Medulla  oblongata  —  in  der  Nähe 
des  Facialiskemes  —  zurückzuführen  sei,  als  mindestens  gewagt  und  ungenügend 
gestützt  bezeiöhnen.  Man  hat  neuerdings  mehrfach  gefanden,  dass  nch  die  ana- 
toauschsn  Yerändcrnngen  b«  systematlsoheur  AfEettiousii  des  Bflckenmarks  und  der 
OUongata  viel  weiter  central  verbrmten  Uteaen^  als  man  aouahm,  —  wir  «rniBsni 
nur  an  die  an^otrophische  Lateralsclerose,  und  wir  halten  deshalb  an  der  Möglich- 
keit fest,  dass  auch  für  die  Symptome  des  Morbus  Basedowii  centraler  gelegene 
Störungen  verantwortlich  sein  können.  Eisenlohr. 


447 


JXL  Aus  d64.  Qesellschaiten. 

Jaliressitzimg  des  Vereins  der  deutschen  Irren -Aerzte  zu  Berlin  am 

19.  September  issa. 

.       I       .    , 

Am  VorstandfitisGli  Westphal,  Lahr,  Pelman.  Der  Vorätzende  Westphal 
eröAiet  die  Sitvcmg  init  Worten  des  Gedenkeos  an  den  dahifageschiedenen  Gudden, 
auch  die  anderen  im  letsten  Jahre  fersterbenen  Tereinsmitglieder  werden  genannt. 
An  Ondden's  Stelle  wird  Grashey  in  d^n  Vorstand  gewählt. 

Moeli:  Was  lehren  die  in  balldorf  gemachten  Erfahrungen  für  die 
Frage  nach  der  Unterbringung  geisteskranker  Verbrecher  P  —  Während  in 
der  ersten  Zeit  die  in  Dalldorf  untergebrachten  geisteskranken  Verbrecher  sich  pro- 
miscue  unter  den  anderen  Krankten  be&nden,  hat  ihre  Qualität  und  Menge  jetzt  Aus- 
nahmemaassregeln nöthig  gemacht.  Diese  Maasanahmen  fahren  leicht  zur  Ueber* 
Schätzung  der  Nachtheilei  welche  die  Anstalt  durch  die  Verbrecher  erleidet.  Zur 
genauereu  Analysirung  der  Thatsachen  zeij^  M.  an  einer  graphischen  Darstellung, 
dass  z.  6.  die  gewaltsamen  kntweichungen  und  die  Versuche  dazu  Yorzu|p9weise  Yoji 
den  schweren  Gewohnheitavarbrechem  |;egen  das  Eigenthum  ausgehen.  Die  Melurza^ 
dieser  Verbrecherkategorie  gehört  dem  jugendlichen  Alter  an  (ca.  70  ^L  vor  dem 
25.  Leben^ahre).  Ein  Drittel  dieser  Personen  war  vor  dem  20.  Lebensjahre  bereits 
ein-  oder  mehreremale  in  Anstalten  gewesen.  Hier  sind  es  also  Störungen  der  Ent- 
wickelung  und  defecte  Anlage;  daz^  kommt  meist  noch  der  schlechte  moralische  Ein- 
fluss  der  Umgebung  und  die  ihnen  in  der  Familie  von  Kind  auf  gegebene  böse  Anr 
leitung.  —  Eine  Anhäufung  dieser  Elemente  in  der  Anstalt  giebt  zu  Bedenken 
ernstester  Art  Anlass,  es  entstehen  Conspirationen,  ein  Staat  im  Staate,  welcher  die 
anderen  Kranken  terrorisirt.  Schädlich  ist  auch  die  Nähe  der  Hauptstadt,  welche 
bewirkt,  dass  diese  Verbrecher  stets  im  Contact  mit  ihrer  se^üecbten  Sippe  und  ihrer 
Verbrechervergangenheit  bleiben.  Dieser  letztere  Umstand  macht  auch,  dass  Ent- 
lassun|^en  der  vielleicht  Gebesserten  umnöglich  sind,  — 

Die  in  Dalldorf  gemachten  besonderen  Einrichtungen  sih^  Kothbehelfe  und  daher 
nicht  mustergültig.  Wenn  «uoh  ein  Zusammendräogen  dieser  Verbrecher  ?erderblich 
ist,  so  gehören  sie  doch  unzweifelhaft  in  die  Irrenanstalt.  Kleinere  Abtheilungen 
und  nächtliche  Isolirung  sind  jfür  sie  nothwendig,  dabei  auserlesenes  Wartpersonal 
mit  besonders .  guter  Bezahluf^  — 

Discussion.  Hitzig:  Wichtig  ist  die  Stellung  des  Publikums.. und  der  vorge- 
setzten Behörde  der  Anstalt  zu  4^^  I^rage.  Ist  diese  den  Entweichungen  gegenüber 
rigoros,  so  ist  der  Directc^  in  übler  tiage.  ,,Die  Fra^  der  Unterbringung  ist  für 
jede  Anstalt  besonders  zu  lösen,  für  manche  Anstalt  ist  sie  unlösbar.  —  ^of  die 
gesetzliche  Regelung  der  Sache  müssoi  Irrenärzte  einen  bestimmenden  Einfluss  l^aben; 
H.  empfiehlt  die  Inyalidengefängnisse. . 

Schroten  In  I^lldo^  ^im^  besonders  ungünstige  Verhäll^iisse,  aber  auch  an- 
dere Ansjtalten  leiden)  sodass  ein  gemeinsames  Depot  für  die  schweren  Verbreche^ 
wünschenswerth  ist;  für  zweifelhafte  Fälle  Stationen  bei  den  Strafanstalten.  Ebenso 
wie  man  Epileptiker  und  Idioten  besonders  unterbringt,  so,  sollten  die  irren  Gewohn- 
heitsverbrecher auch  besof^ere  Anstalten  hab^. 

Mendel  Wenn  e^  in  Dalldorf  geht,  so  muss  es  bei  der.  geringen  Zahl  der 
irren  Verbrecher  in  der  Provinz  erst  rechi  gehen.  Wenn  die  Einrichtungen  fehlen, 
so  muss  man  sie  schafiten.  Die  6ache  ist  principiell  von  der  grössten  Wichtigkeit 
und  davor  müssen  die  Klagen  einzelner  Anstalts-Directoren  verstummen.  Die  Er- 
rungenschaften des  §  51  d^s  SiG.B.  werden  durch  Verpoischung  von  Verbrechen  und 
Geisteskrankheit  in  Frage  gestellt  und  das  sollte  man  vor  Allem  vermeiden  im  Inter- 
esse der  Strafrechtspflege.    Ich  habe  dies  vor  Jahren  ausführlich  in  Eulenberg*s 

tt 


—    448    — 

Yierteljahraschrift  erörtert   —  Kor  eine  Cumiilation  der  irren  Verbrecher  in  den 
Anstalten  muss  vermieden  werden. 

Hitzig.  Mendel  onterscb&tze  die  technischen  Schfdeiigkeiten  der  Unterbrin- 
gung; dieselben  können  so  gross  sein,  dass  sie  geradezu  eine  Lebenstage  f&r  äe 
Anstalt  werden.  H.  wül  nicht  Special-Asyle  wie  Broadmoor,  sondern  Invaliden- 
Oef&ngnisse,  in  denen  überhaupt  kranke  Verbrecher  aufgenommen  werden. 

Sander  hat  kernen  Grund,  von  seiner  schon  frflher  geänsserten  Ansicht  abxu- 
gehen.  Er  sieht  in  den  invaliden-Gefilngnissen  von  England  nichts  Brnpfi^enswerthes; 
wenn  die  iiren  Verbrecher  darin  ihre  Strafe  abgesessen  haben,  konunen  sie  nach 
Broadmoor  und  dann  in  die  ProYinzial-A^le. 

Reinhard  giebt  far  Hamburg  an,  dass  sie  in  Friedrichsberg  ohne  besondere 
Einrichtungen  ausgekommen  seien. 

Sander.  Wenn  die  Gewohnheitsverbrecher  dem  jüngeren  Alter  angehören,  so 
muss  für  die  Prophylaxe  mehr  gethan  werden.  —  Die  Schwierigkeiten  fOr  die  An- 
stalten kommen  weniger  von  Aussen  (Publikum,  Behörde),  als  von  den  Anstalts- 
ärzten selbst. 

Snell.  Die  Verbrecher  sind  stets  ein  dauernder  Schaden  für  die  Anstalt 
Publikum,  Angehörige  und  Kranke  beschweren  sich.  Für  diese  Schäden  muss  man 
Abhülfe  schaffen. 

L&hr  spricht  in  demselben  Sinne  und  weist  auf  Sachsen  hm,  wo  besondere 
Einrichtungen  bestehen. 

Moeli.  Die  Verbrecher  gehören  unter  Anstaltsregime,  ob  jede  Anstalt  sie 
haben  kann,  ist  etwas  anderes.  Etwa  für  2^/^  der  Anstaltsbevölkerung  sind  be- 
sondere Einrichtungen,  festerer  Abschluss,  nöthig.  —  Was  die  neue  AbtheQung  in 
Moabit  betrifft,  so  ist  der  Erfolg 'von  der  Art  der  Handhabung  abhängig.  Werden 
die  betreffenden  Personen  als  geisteskrank  erkannt  und  wird  ihre  Unheilbarkeit  fest- 
gestellt, 80  bekommen  wir  sie,  vielleicht  eher  wie  sonst,  hoffiratlich  noch  weniger 
verdorben. 

Meschede.  Die  Verbrecher  stören  den  Heilzweck  der  Anstalt,  durch  die  be- 
sonderen Maassnahmen,  welche  sie  nöthig  machen,  durch  den  schlechten  Eindruck 
auf  die  Angehörigen  und  die  Kranken.  Daher  eignen  sie  sich  nur  für  Pflege- 
Anstalten. 

Sander.  Er  verkenne  die  SchädHchkeiten  für  Dalldorf  nicht  Los  sein  möchte 
er  die  Verbrecher  auch.  Die  Station  Moabit  wird  uns  nur  noch  mehr  solcher  Leute 
zuführen. 

Siemens  hat  bei  220  Männern,  darunter  etwa  60  mit  dem  8tG3.  in  Conffict 
gerathenen,  nur  2  irre  Gewohnheitsverbrecher,  welche  besondere  Maassregeln  erforder- 
lich machen.  Für  neuere  Anstalten  mit  fMeren  Vetpflegungsformen  sind  derartige 
Leute  absolut  unpassend,  sie  gehören  in  geschlossene  Anstalten  mit  dem  Charakter 
der  Pflegeanstalt 

Zinn  hat  für  Eberswalde  besondere  Schwierigkeiten  und  NachtheHe  bei  der 
Unterbringung  der  Verbrecher  nicht  beobachtet  — 

Es  folgte  der  Vortrag  von  Siemerling:  Veber  das  Open-door-Syvtom  in 
Sohottland,  Der  Dienst  m  der  Anstalt  mit  unverschlossenen  Thüren  wird  an  dem 
Beispiel  der  Irrenanstalt  Woodely  bei  Glasgow  im  Einzelnen  erörtert.  —  Der  Haupt- 
schwerpunkt liegt  in  der  regelmässigen  Beschäftigung  aller  Kranken;  nur  Betäägeiige 
und  tobsüchtig  Erregte  sind  ausgeschlossen.  Zahl  der  Wärter  1:10.  Ihr  Gehalt 
ist  ein  sehr  hoher.  Entweichungen  der  Kranken,  ebenso  Unglücksfälle  und  Selbst- 
morde sind  nicht  häufiger  geworden.  In  den  Abtheilungen  herrscht  Buhe,  Isolimngen 
smd  selten.  Die  SteUung  des  Wärters  ist  eine  bessere  gegenüber  den  Kranken. 
Die  finanziellen  Ergebnisse  sind  günstig  wegen  fehlender  Beparaturen.  —  Die  von 
grösseren  Städten  entfernteren  Anstalten  mit  grossem  Areal  zur  Landwirthschall  smd 
die  geeignetsten  für  Open*door,  nicht  zu  viel  Aufnahme,  keine  UeberfüUung,  gutes 


—    449    — 

PersonaL  Siechenhäiiser  und  fBinili&re  Verpflegung  sorgen  ffir  AbfluBS  der  Kranken» 
Kdne  irren  Verbrecher. 

Fürstner.  Im  Interesse  der  Irrenpflege  sind  aber  gerade  Tiele  und  schnelle 
Aufnahmen  zu  wflnschen.  Dies,  und  das  mangelhafte  Personal  sind  bei  uns  hindere 
lieh  für  Open  door,  welches  flbrigens  theilweise  ja  auch  bei  uns  geübt  wird. 

Pätz  macht  auf  Altscherbitz  auftnerksam,  wo  es  in  grossem  umfange  schon 
seit  Jahren  geübt  wurde. 

L&hr  warnt  vor  Schlüssen  aus  kurzen  Besuchen  solcher  Open-door-Anstalten. 
Er  selbst  hat  viele  unverschlossene  Abtheilungen  in  seiner  Anstalt,  möchte  es  aber 
nicht  als  System  hinstellen. 

Tuczek  fragt,  wie  viel  ^/^  in  Schottland  in  Anstalten  untergebracht  sei  Bei 
uns  ist  stellenweise  noch  nicht  1  Kranker  aufs  Tausend  der  Bevölkerung  in  Anstalten^ 
das  zweite  ^/qq  kann  mit  Open  door  verpflegt  werden,  das  dritte  in  Familien. 

Siemerling  hat  die  Zahlen  nicht  bei  der  Hand. 

Es  folgt  der  Vortrag  von  Sander:  Eünblioke  imd  Ausblioke  in  das  Irren-' 
wesen  Berlins«  —  Bericht  über  die  Art  und  Ausdehnung  der  Irrenfürsorge  in 
Berlin.  Die  Charit^  und  ihr  historisches  Verhältniss  als  Aufiiahme-AbtheUung  und 
Heilanstalt  Daüdorf  ist  nicht  Pflegeanstalt  im  gewöhnlichen  ffinne,  es  entlftsst  viele 
Geheilte  bezw.  Gebesserte.  Die  Dalldorfer  Kranken  haben  kemeswegs  aUe  den 
chroniBcnen  Charakter.  Zahlen  über  das  Anwachsen  der  Anstaltsbevölkerung.  Eine 
wirkliche  (procentuansche)  Vermehrung  der  Geisteskrankheiten  ist  fraglich,  sicher  ist 
eine  Vermehrung  des  Bedürfriisses  nach  Anstaltspflege.  Der  erschwerte  Kampf 
um*s  Dasein,  der  wirthschaftliche  ]^edergang,  die  Ueberproduction,  der  vermehrte 
Zuzug  von  Aussen  und  die  Concurrenz,  endlich  die  Schädlichkeiten  des  grossstSdtischen 
Lebens  sind  Hauptmomente.  Das  Wachsen  der  Stadt  durch  Zuzug  bedingt  eine 
andere  Beurtheilung  als  das  Wachsen  durch  Geburten.  Der  Zuzug  bringt  die  Krank- 
heit oder  den  Keim  dazu  zum  Theil  mit,  daher  von  Zeit  zu  Zeit  sprungweises  An- 
wachsen. Die  Jahre  des  wirthschafflichen  Niederganges  (1875 — 1880)  scheinen  auch 
auf  den  Nachwuchs  schädlich  gewirkt  zu  haben,  das  beweist  der  Zuwachs  an  Idioten 
in  den  letzten  Jahren. 

Die  Keuerrichtung  städtischer  Anstalten  ist  nöthig  und  auch  schon  beschlossen. 
Auch  das  Verhältniss  zur  Charit^  bedarf  der  Beform.  — 

Bei  einer  Neuordnung  der  Dinge  ist  eine  Vereinbarung  zwischen  Staat  und 
Stadt  anzustreben,  ein  Stadtasyl  für  frische  Auftiahme  ist  nöthig.  Die  Stadt  muss 
alle  Kranken  in  eigene  Fürsorge  nehmen,  sie  nicht  in  Privat-Anstalten  geben.  Die 
familiäre  Pflege  ist  noch  weiter  zu  cultiviren. 

Eine  Discussion  schloss  sich  nicht  an.  Siemens. 


Berioht  über  die  60.  Versammlung  deutscher  Natorforsoher  und  Aente 

in  Berlin  vom  18.  bis  M.  September  1886. 

Section  für  Anatomie. 

Herr  His:  lieber  die  Bntrtehnng  und  Auabreitungsweiae  der  Nerven- 
fhMem.  Nachdem  das  Bückenmarksrohr  sich  geschlossen  hat,  macht  sich  ein  Gegen- 
satz geltend  zwischen  dichter  gelagerten  inneren  und  etwas  lockerer  liegenden 
äusseren  Zellen  (Innenplatte  und  Mantelschicht).  Von  Zellen  der  Innenplatte 
ausgehend,  bildet  sich  ein  Gierüst  (Myelospongium),  welches  mit  seinem  äusseren 
Theü  die  kernhaltigen  ZeUentuben  überragt  und  damit  das  Lager  zur  Bildung  weisser 
Bückenmarksstränge  liefert  Die  Bildung  von  Nervenfasern  geschieht  beim  mensch- 
lichen Embryo  vom  Beginn  der  4.  Woche  ab.     Die  Zellen  der  Mantelschicht  ent- 


—    450    — 

wickeln  je  einen  Azencylinderfortsatz,  der  mit  conischem  Ursprungsstück  beginnt  und 
von  früh  ab  eine  fibrilläre  Streifung  zeigt.  Die  aus  Äer  vorderen  Hälfte  der  Mantel- 
schicht  entstehenden  Fasern  verlassen  das  Bückenmark  als  motorische  Wurzeln.  Die 
weiter  hinten  entstehenden  f^em  treten  in  sagittaler  Richtung  bezw.  in  bogen- 
förmigem Verlaufe  nach  vom  (Formatio  arcuata).  Ein  Theil  dieser  Fasern  geht  in 
die  Commissui^a  anterior  über,  die  Anfangs  nur  aus  wenigen  Fasern  besteht 
Zugleich  mit  den  letzteren  erscheinen  auch  sparsame  Lflngsfasern  als  Beginn  der 
Vorderstr&nge. 

Yehweigte  Ausläufer  bilden  sich'  an  den  Zellen  der  Mantelschicht,  bezw.  an  den 
motorischen  Vorderhomzellen,  später  als  diö  Äxencylinderfortsätze. 

Die  Ganglienanlagen  sind  nach  erfolgter  Abgliederung  vom  Bückenmark  durch- 
aus geschieden,  ihre  Zellen  strecken  sich  und  entwickeln  ^  Ausläufer,  von  denen 
einer  als  hintere  Wurzel  in  das  Bückenmark  ein^tt,  der  andere  peripberiewärts 
sich  entwickelt.  Der  Kern  der  spinalen.  Oanglienzellen  rückt  excentrisch  zur  Seite 
und  damit  leitet  sich  die  Bildung  T-fÖrmiger  Fasern  ein.  Die  Formen  sind  beim 
4 — 5  wöchentlichen  Embryo  deshalb  leicht  erkennbar^  weil  bei  ihm  die  Zellen  noch 
keine  Endothelscheiden  besitzen.  . 

Die  in  das  Bückenmark  dringenden  Wurzelfasem  sammeln  sich  in  einem  Anfangs 
sehr  dünnen,  späterhin  stärker  werdenden  Längsbündel  (ovales  Hinterstrang - 
bündel),  später  eindringende  Fasdm  können  di^s  Btlndel  durchsetzen  und  zwischen 
die  Zellen  gelangen.  '      ' 

Mögen  die  Nervenfasern  central  wärts  öder  peripheriewärts  aus  wachsen,  so  ge- 
schieht ihre  Ausbreitung  nur  mit  einer  gewissen  Langsamkeit;  in  den  Extremitäten 
kann  man  das  successive  Yorsdiieben  der  Stämme  leicht  verfblgen  und  es  zeigt  sich 
z.  B.,  dass  noch  am  Schlüsse  des  2.  Monats  die  Finger  und  Zehenspitzep  nervenfrei 
sind.  Die  peripherisch  auswachsenden  Stämme  bahnen  sich  ihren  Weg  in  der  lockeren 
Bindesubstan^  der  Theile  und  sie  sind  Anfangs  vo^  relativ  enormer  Mächtigkeit. 
Die  centralen  Fasern  finden  ihre  Bahn  in  den  Maschen  des  Hjelo-spongiums  vor- 
gezeichnet. ,  V       -N   '        •.•.••,;•  '    "  ■    i 

Aus  dem  Frincip  dfes  Auswachsens'  ergebeii  sich  sowohl  in  Hinsicht,  der  peri- 
pherischen als  der  centralen  Endigungsweise  gewisse  Folgerungen,  welche  hier  nur 
angedeutet  werden  können.  Das  primäre  Verhalten  ist  jedenfalls  immer. ein  freies 
Auslaufen  der  ungethetiten  oder  getheilten  Fasern.  Inwieweit  secundäre  Verbindungen 
mit  Zellen  eintreten  können,  das  ist  sowohl  im  Centrum  als  an  der  Peripherie  als 
eine  offene  3Prage  zu  betrachten. 

In  der  Discussion  bemerkt  Herr  MerkerCÖöttingen):  Er  glaube,  dass  die 
terminalen  Zellen  des  sensiblen  Nervens^T^temes  unter  allen '  Umständen  ihre  physio- 
logische Bedeutung  behalten,  sei  es,  dass  sie,  wie  qr  seibist  meint,  mit  den  heran- 
tretenden A^encylindem  verwachsen,  sei  es,  dass  sie  vielleicht  nur  in  innigstem 
Contact  mit  denselben  verlöthet  sind. 

Herr  W.  Wolff  erinnert  daran,  er  habe  vor  Jahren  mitgetheilt,  dass  die  Nerven 
des  Froschlarvenschwanzes  vom  Centrum  nach  der  Peripherie  hinwachsen  und  unter 
dem  Epithel  enden.  —  Die  iStützfasem^  'die.  die' 'Auskleidung  der  Himrückenmark- 
höhie  und  eine  starke  Limitans  bilden,  habe  'er  auf  Schnitten  aus  Hirn  und  Bücken- 
mark von  Säugethierembryonen  anch  gesehen  vjjA  betrachte  sie  wie  der  Vortragende 
als  Anfänge  der  Neuroglia.  . 

Weiter  bemerkt  Herr  His  auf  eine  Anfrage  des  Herrn  Waldey er,  die  Be- 
ziehung der  Innen-Platte  und  Umgebung  des  Centralkanals  betreffend,  und  der  Herren 
Wiedersheim  und  Waldeyer,  die  Beziehung  der  Spinalganglien  zur  Neuralcrista 
und  der  letzteren  zum  Bückenmark  betreffend,  folgendes:  Die  Innenplatte  werde  nicht 
gänzlich  für  das  Epithel  des  Centralkanals  verbraucht,  um  ^so  weniger,  da  gerade 
hier  die  Zellenvermehrnng  stattfinde;  vielmehr  sei  ein  Theil  auch  ihrer  Zellen 
faserbildend. 


—    451    — 

Die  SpiimlgangUen  siammen  nieht  ab  toh  der  Bückeiunarksanlage,  sondern  vm 
einer  neben  derselben  gelegenen  Anlage,  welche  neben  der  Medollarrinne  hn  Eetoderm 
zu  snchen  ist  (Zwischenrinne,  nach  seiner  ehemaligen  Bezeichnongsweise).  Nach 
Soblnaa  der  Medidlaitiime  gehe  danun  ein  an  der'deraalen  Seite  des  Medollarrohres 
zwischen  diesem  und /dem  Eetoderm  gelegener  Strang  hervor,  welcher  sich  weiterbki 
in  Form  zweier  Strfiage  neben  das  Hednllarrohr  legt  nnd  durch  Abgliedenmg  die 
Spinalganglien  liefert  Selbst  bei  Pkigiostomen  sei  die  Abstammung  dieses  Zwischen- 
stqpiges  Ton  der  Mednllaranlage  nur  eme  scheinbare,  indem  bei  Schluss  der  Medullar- 
rinne  die  genannte  Anlage  fn  den  dorsalen  Ausschnitt  derselben  hineingezogen  werde. 

Auf  eine  weitere  Anfrage  des  Herrn  Wiedersheim  bestätigt  Herr  His,  dass 
die  motorischen  Fasern  früher  als  die  sensiblen  aufboten« 

Herr  Adamkiewicz:  Ueber  ohromoleptlaolie  Fartten  im  BfiokMimartu 

Nachdem  der  Vortragende  mit  Hülfe  seiner  Safrantinction  in  den  Nerven  d«r  weissen 
Bückenmarksfasem  die  chromoleptisehe  Substanz  und  im  Bückenmark  besondere  durch 
den  Gehalt  an  solcher  Substanz  sich  markirende  Partien,  dargestellt  hat,  kam  es  ihm 
nunmehr  darauf  an,  deren  Bedeutnng  festzustellen.  Er  fimd  bei  Untersuchung  von 
Bückenmarksaffectionen  aller  Art,  dass  die  betreffenden  Partien,  sowie  die  Systeme 
den  Angri£Gipunkt  bestimmter  Krankheiten  darstellen.  Sie  lassen  sich  in  mehreren 
Ffillen  als  ürsprungsorie  der  Tabes  und  der  multiplen  Sderose  nachweisen.  Dabei 
geht  die  Veränderung  der  Nerven  tom  Mark  aus.  Bs  tritt  Wucherung  der  Neu- 
roglia  ein. 

Der  Vort.  hält  die  Präexistoiz  der  chromoleptischen  Partien  für  bewiesen. 
Er  bespricht  femer  seine  Injectionen  von  Ganglienzellen;  Ton  der  Arterie  aus 
wird  die  Peripherie,  von  der  Vene  aus  der  Kern  der  Zelle  injicirt. 

Discussion:  Herr  Edinger  (Frankfurt)  m^kshte  annehmen,  dass  durch  die 
Härtung,  der  Herr  Adamkiewicz  seine  Präparate  unterwirft;,  seine  „chromoleptischen 
Tai^m*^  entstäiiden;  dea  BeMia  fSrdevoit  Präexisienz  sieht  er  durch  das  Auftireten 
patiiologischer  Processe  in  den  hinteren  chromoleptischen  Zonen  nicht  erbracht.  Die- 
selben (Tabesi)  treten  möglicher  Weise  aus  ganz  anderen  Gründen  (Pierret) 
dort  auf. 

Heicr  Stieda  constatirt,   dass   man  an  gehärteten  Bückenmarksschnitten  auch 

t  durch  Carmin  versohiedrae  Färbungen  der  Marksubstanz  erzeugen  kann;  er  ist  aber 
der  Ansicht,  dass  die. Ursachen  der  yenichiedenen  Färbung  zum  gröeste»  Theil  auf 
verschiedene  Härtungsgrade  des  Rückenmarkes  zurückzuführen  sind,  nicht  aber  in 
einer  bestimmten  Structur  des  Bückemnarkes  liegen. 

Herr  Virchow  hat  unmittelbar  nach  Veröffi»ntliohung  der  früheren  Mittheilungen 
von  Heim  Adamkiewicz  seine  Methoden  nachgemacht  und  evident  gesehen,  dass 

<■  die  angewendeten  Erhärtungsilüssigkeiten  (Alkohol,  Eleinenberg*sche  Flüssigkeit) 
erheblich  different  auf  die  tiefergelegenen  und  oberflächlicher  gelegenen  Partien  des 
Bückenmarks  wirken,  Worauf  die  Unterschiede  der  Färbung  zweifellos  zum  grossen 

:       Theil  zurückgeführt  werden  müssen;   er  wagt  jedoch  nicht,   auf  Grand  dieser  Er- 

;  fahrungen  alles,  worauf  sich  die  Angaben  des  Vortr.  über  das  normale  Bückenmark 
beziehen,  für  Kunstproducte  zu  halten. 

■^  Herr  Adamkiewicz  betont,  dass  wenn  seine  chromoleptischen  Partieen  nicht 

präexistent  wären,  sie  nicht  erkranken  könnten,  die  Tinction  allein  sei  für  ihn  nicht 
beweisend. 

:'  Herr  Stieda  ist  dev  Heinunft  dass  bei  der  sog.  Injection  es  sich  um  eine  Im- 

"^      bibition  bandelt     Aehnliche  Vorgänge  sind  ihm  bekannt  an  Präparaten,  wo-  naoh 
Injection  von  Carmin  in  die  Arterien  Kerne  von  Drüsenzellen  sich  färbten. 
Herr  Benda  hält  die  Erscheinjong  ebenfalls  für  Tinction,  nicht  Injection. 

\  Herr  Adamkiewicz  führt  dagegen  den  verschiedenen  BfiPect  bei  Injectionen 

von  der  Vene  und   von  der  Arterie  aus  an  und  betont  die  Verschiedenheit  einer 


—    452    — 

ugicirteD  toh  einer  tingirien  Ganglieiizelle.  Er  hftlt  die  Bzistens  eines  centralen 
Qeftflsclienfl  am  Kern  fttr  enrieeen. 

Herr  Fritscli  spricht  über  die  Blememte  des  Cenftralnerrmiayttema  der 
eleoCslaohen  naohe  und  Tersncht  den  Nachweis,  dass  als  Axencylinder  Terlanfende 
Fasern  durch  Yerschmelzang  ton  Frotoplasmafortsfttzen  entstehen  kennen. 

Der  Ursprung  des  AxencyUnders  ans  der  Zelle  bildet  raerst  einen  kegelf5miigen 
Yorsprong,  der  durch  Yerschmelning  breiter  Foris&tie  entstanden  ist  und  Ton  Ge- 
flflsen  durchsetzt  wird  (Gynuiotus,  LopMus  piscatorius,  Maiapterurus  electricoa). 

Bei  Ganglienzellen  (Spinalganglien)  von  Lophius  gehen  ausser  dem  Azeocjlinder 
feine  Fortsätze  durch  die.  Kapeelwandung  und  yerschmeben  ausserhalb  derselboL 
Danach  ist  man  berechtigt,  auch  da  eine  Yerschmelzung  feiner  Fortsätze  der  Nerren- 
zeUen  zu  Axenqylindeni  anzunehmen,  wo  die  Feinheit  derselben  den  Nachweis  uo- 
m^ch  macht 

Discussion:  Herr  Waldeyer  macht  darauf  auftnerksam,  dass  er  in  seiner 

« 

Arbeit  über  den  Ursprung  des  Azencylinders  eine  Entstehung  Ton  Axenqrlind«fort* 
Sätzen  aus  «ner  Yerschmelzung  feiner  Fortsätse  beschrieben  habe. 

Herr  Kollmann  spricht  seine  Freude  über  die  Entdeckung  des  Herrn  Fritscli 
aus,  möchte  aber  die  betr.  Nerrenfaseni,  namentlich  im  Hinweis  auf  die  Arbeiten 
Golgi's,  nicht  als  Axen^linderfortsätze  bezeichnen. 

Herr  Ehrlich  unterscheidet  an  Ganglienzellen,  die  intra  Titam  mit  Methylen- 
blau tingirt  wurden,  3  verschiedenartige  Fortsätze: 

1)  Oboflächennetz,  2)  grade  Fortsätze,  3)  Protoplasmafortsätze. 

Herr  Bawitz  bemerkt,  dass  bereits  vor  Jahren  von  Courvoisier  und  dann 
von  ihm  die  bezüglichen  Yerhältnisse  beschrieben  worden  seien. 

Herr  Kadyi  (Lemberg):  Veber  die  BLutgeftaae  dee  mensoblioheii  Bücken- 
marke.  Für  das  Bückenmark  bestimmte  GeOsse  (Arteriae  et  venae  radiales  me- 
dullae  spinaUs  anteriores  et  posteriores)  sind  an  allen  Nervenwurzeln  angelegt»  jedoch 
nicht  überall  ausgebildet  Die  Art  vertebralis  ist  der  Summe  einer  vorderen  und 
einer  hinteren  Wurzelarterie  des  Bückenmarks  gleichwerüdg.  In  der  Pia  mater 
hUden  die  Arterien  Netze,  unter  welchen  Längsketten  hervortreten. 

Die  Yenen  des  Bückenmarks  sind  hmsichtlich  des  Yerlaufes  und  der  Yerbrei* 
tungsweise  von  den  Arterien  unabhängig.  Die  Arterien  sind,  soweit  sie  ins  Bücken- 
mark eintreten,  Endarterien  im  Sinne  Gohnheims.  Dagegen  kommen  venOee  Ana- 
stomosen im  Binem  des  Markes  zahlreich  und  stark  vor.  Die  Gapülametze  des 
Bückenmarks  bilden  ein  einziges  zusammenhängendes  Ganze:  nur  die  Dichtigkeit  mid 
Form  der  Haschen  ist  in  verschiedenen  Partien  verschieden.  Es  giebt  drei  düferen- 
zielle  Netzformen. 

Eine  Unterscheidung  von  Stromgebieten  auf  dem  Bückenmarksquersdmitt  ist 
unmöglich. 

Discussion:  Herr  Albrecht  bemerkt,  dass  es  keine  interoostalen  und  inter- 
vertebralen  Arterien  giebt»  dieselben  mnd  costal  und  inteiprotovertebral. 

Herr  Kadyi  entgegnet,  dass  er  ja  den  morphologischen  Standpunkt  gamicbi 
berührt  habe. 

Herr  Bawitz  (Berlin)  sprach  über  den  feineren  Bau  den  Nervenaystema 
der  Aoephalen.  Bei  seinen  Untersuchungen  konnte  derselbe  das  Yorkommen  uni- 
polarer ZeUen  im  Sinne  der  alten  Histologie  constaüren.  Die  sogenannte  Leydig- 
sche  Punktmasse  ist  als  ein  Homologon  des  Marks  der  Wirbelthiere  aufzuftuBsen; 
dieselbe  liegt  zwischen  den  Fibrillen,  wdche  das  centrale  Nervennetz  bilden,  und  den 
Faserzügen,  welche  das  Netz  durchsetzen.    Das  Nervennetz  selber  wird  von  dm 


—    453    — 

Fortsätzen  der  Ganglienzellen  gebildet,  welche  sich  in  der  Harksnbstanz  auflösen. 
Den  Faserrerlanf  anlangend,  konnte  er  eine  weitgehende  Krenznng  der  Fasern  fest- 
stellen. Die  Pectinellen  stehen  am  höchsten  in  der  Acephalenklasse,  weil  deren 
Nerrensystem  die  weitgehendste  Differenzimng  zeigt 

Section  ffir  Physiologie. 

Herr  Hitzig^  spricht  über  die  Functionen  des  GrosshimSi  indem  er  sich  die 
Frage  zur  Beantwortung  stellt:  Giebt  es  motorisohe  Oentren  im  Bim,  und 
welches  ist  ttire  Bedeutung  P  Da  die  Beactionszeit  auf  einen  an  unverletzter 
Hirnrinde  angebrachten  Beiz  länger  ist,  die  Zucknngscunre  eine  andere  Form  hat« 
als  bei  Anbringung  desselben  Beizes  auf  die  subcorticale  Substanz  nach  Entfernung 
der  Binde  und  da  die  Erfolge  der  Morphiumvergifkung  nadi  den  Bindenezstirpationen 
wegfallen,  h&lt  er  die  selbstst&ndige  Erregbarkeit  der  Hirnrinde  fOr  erwiesen.  Der 
complidrte  Erklärungsversuch  von  Schiff  kann  nicht  aufrecht  erhalten  werden.  Wenn 
Goltz  gegen  die  Versuche  mit  kleinen,  lähmenden  Eingriffen  den  Einwand  erhebt^ 
dass  durch  die  Yersuche  irgendwo  eine  Femwirkung  ausgeübt  werde,  so  hat  er  die 
Pflicht,  den  Ort  zu  zeigen,  der  ausser  dem  angegriffenen  Punkt  der  Oberfläche  noch 
mechanisch  beleidigt  werden  muss,  damit  der  Erfolg  eintrete.  Gegen  den  zweiten 
Einwand,  dass  es  unmöglich  sei,  eines  der  contralateralen  GUeder  isolirt  zu  lähmen, 
hebt  H.  hervor,  dass  es  ihm  gelangen  sei,  durch  Einstich  an  verschiedenen  Stellen 
des  Gyrus  sigmoides  beim  Hunde  getrennte  Bewegungsstörungen  an  Vorder-  und 
Hinterbein  zu  bekommen  und  zwar  vom  medialen  Ende  des  hinteren  Schenkels  der 
genannten  Windung  auf  die  Hintereztremität,  dagegen  vom  lateralen  Viertel  des 
vorderen  Schenkels  auf  die  Vordereztremitäi  üebrigens  bestehe  kein  isolirtes  Neben- 
einandersein zweier  Centren,  sondern  eine  Verflechtung  beider.  Was  die  Bestitution 
der  durch  Verletzung  der  Hknrinde  geschädigten  Functionen  betrifft,  so  hat  H.  nach 
totaler  Ezstirpation  des  Gyrus  sigmoides  nie  gesehen,  dass  die  Störungen  in  der 
contrahiteralen  Extremität  sich  ausgleichen.  Er  hat  Hunde  2  Jahre  nach  der  Operation 
erhalten  und  die  ungewöhnliche  Stellung  der  Extremität,  die  Gleichgültigkeit  gegen 
passive  Dislocation  derselben,  ihr  Hängenlassen  Aber  den  l^hrand,  war  immer  noch 
nachzuweisen,  und  es  werden  auch  keine  Bewegungen  mit  derselben  ausgeführt,  die 
besonders  darauf  gerichteten  Willensacten  ihre  Entstehung  verdanken.  Den  letzten 
wichtigen  Punkt  stellte  Bedner  auf  folgende  Weise  fest  Er  hängt  die  Hunde  behufs 
der  Beobachtung  in  der  Schwebe  auf,  wie  es  nach  ihm  auch  Schiff,  Bianchi  und 
Luciani  gethan  haben,  nähert  er  dann  einem  so  aufgehängten  Hund,  dem  vorher 
der  linke  Gyrus  sigmoides  entfernt  worden  war,  lange  Nadeln,  deren  stechende  Wir- 
kung der  Hund  vorher  kennen  gelernt  hat,  so  benimmt  sich  der  Hund  bei  Annähe- 
rung der  Nadelspitze  an  die  linke  Vorderextremität  in  gewöhnlicher  Weise,  er  zieht 
die  bis  dahin  an  den  Leib  gehaltene  Extremität  zurück.  Trifft  die  Annäherung  aber 
die  redite  Vorderextremität,  so  bleibt  dieselbe  nach  wie  vor  schlaff  herunterhängen, 
während  der  Hund  den  Bewegungen  der  Nadel  mit  dem  Auge  folgt»  wohl  auch  durch 
Winseln,  Bellen,  Beiasen  und  Fluchtversuche  sein  Missbehagen  zu  erkennen  giebi 
Bei  solchen  Hunden  gwieth  die  rechte  Vorderextremität  Überhaupt  niemals  isolirt  in 
Bewegung,  selbst  wenn  sie  2Vs  Jahre  am  Leben  blieben. 

Herr  Flesch  berichtet  über  die  Arbeiten  der  Frau  von  Kowalenskaja: 
Qleiohartige  hiatologisohe  Veraohiedenheiten  wiederholen  sieh  an  fünc- 
tionell  vergleichbaren  Bindengebieten,  Er  betont  die  Scheidung  verschiedener 
Typen,  die  nicht  aUe  von  dem  Meynert*schen  Schema  abzuleiten  sind. 


>  Der  Vortrag  ist  bereits  in  Nr.  40  der  klin.  Woch.  (4.  Oct  1886)  in  extenso  erschienen 
und  machen  wir  auf  denselben  besonders  aufmerksam. 


—     464     — 

Herr  Goltz  (Straasbni;^)  bezeichnet  als  wesenilielien  Inhalt  aeineB  Vortrags: 
^^Beitrag  lur  Physiologie  des  Grasahims**  die  ▲osführang,  daas  es  munö^li 
sei,  innerhalb  der  Hirnrinde  Abschnitte  zu  umgrenzen,  die  aoaschliefialich  dem  Sehen 
oder  dem  Ffihlen  dienen.  In  der  vor  und  naeh  der  Sitznng  stattgehabten  Demon- 
stration legte  Herr  Goltz  zwei  Gehirne  von  Hunden  Tor,  bei  denen  er  beiderseits 
die  ffinterhanptslappen  in  solcher  Ansdehnnng  zerstört  hat,  daas  die  Ton  Mnnk 
angegebene  Sehsphare  ToUstftndig  in  das  Zer8t(irosg8g0biet  fallt  Diese  Thiere  ver- 
mochten gleichwohl  Hindemisse  zu  vermeiden,  waren  also  nicht  blind.  Derselbe 
demonstrirt  femer  das  Gehirn  dnes  Hnndes,  dem  er  beiderseits  die  ganze  sogenannte 
erregbare  Zone  weggenommen  hat  Dieser  Hnnd  hatte  keine  Spur  von  Stinüappen, 
konnte  aber  dennoch  die  Wirbelsäule  von  rechts  nach  links  krömmen.  Dun  fehlte 
beiderseits  das  Beüoentrom,  und  er  konnte  bellen.  Er  ermangelte  der  sämmtlichen 
FttUsphären  Mnnk*8  nnd  hatte  überall  Empfindmig.  Dagegen  hatte  dieser  Hand 
dne  ansgeprftgte  Sehstönmg,  obgleich  sein  linker  Hlnterhanptslappen  unversehrt  war 
and  von  dem  rechten  noch  ein  ansehnlicher  Theil  bestand. 

In  der  Discassion  hob  Herr  Mnnk  das  Charakteristische  seiner  Methode 
hervor.  Er  versuche  mit  dem  Messer  die  Eingriife  zu  localisiren,  dabei  dehne  er 
seine  Versuche  auf  eine  grosse  Zahl  von  Objecten  aus  und  verwerfe  alle  Versuche, 
bei  denen  Encephalo-Meningltis  eintrete.  Die  reactive  Entzündung,  welche  den  Ver- 
narbungsprocess  begleite,  setze  allerdings  das  zerstörende  Werk  des  Messers  fort, 
aber  in  eng  umgrenzter,  nachträglich  zu  controlirender  Weise.  Was  die  zu  demon- 
strirenden  Hunde  anlange,  so  habe  er  zwei,  die  nach  beiderseitiger  Exstirpafion  der 
Sehsphäre  absolut  blind  seien.  Der  eine  ist  vor  einem,  der  andere  vor  mehr  als 
zwei  Jahren  operirt.  Drei  Hunde,  bei  denen  kleine  Spuren  der  Sehsphäre  zurück- 
geblieben waren,  sehen  spurenweise.  An  den  Präparaten  des  Herrn  Goltz  könne 
er  schwer  erkennen,  ob  und  wo  Beste  der  Sehsphare  zurückgeblieben  seien,  weil  er 
nicht  durch  Beobachtung  der  Hunde  intra  vitam  Fingerteige  für  die  Betrachtung  des 
Präparates  gewojmen  habe.  Neuerdings  hat  M.  nach  Exstirpation  der  Sehsphare  bei 
jungen  Hunden  Atrophie  des  Sehnerven  und  Verfärbung  der  Papille  erhalten.  Die 
Lebenszeit  der  früher  von  ihm  operirten  Hunde,  3 — 4  Monate,  habe  nicht  ausgereicht, 
jetzt  habe  er  längere  Lebensdauer  der  operirten  Thiere  und  damit  den  Erfolg  in 
Bezug  auf  die  Atrophie  von  der  Hirnrinde  zum  Tractus  opticus.  Der  Erfolg  der 
Atrophie  des  Occipitalhims  nach  Enucleation  der  Augen  sei  allerdings  unsicher. 

Hen  Hitzig:  Herr  Goltz  hat  darin  Becht,  daas  durch  Laaion  ausserhalb  der 
Sehsphäre  Sehstömngen  herbeigeführt  werden  können;  im  Uebrigen  ist  Herr  Goltz 
auch  diesmal  wieder,  wie  stets,  der  Beantwortung  der  Frage,  wie  die  Effecte  locali- 
sirter  Lähmungs-  und  Beizungsversuche  mit  seinen  An^cliauungen  zu  vereinbaren 
seien,  aus  dem  Wege  gegangen, 

Herr  Meynert  weist  gegen  FIes<>h  aaf  Clarke*s  und  eigene  Besobreibungen 
verachieden  gebauter  Bindenstellen  hin. 

Herr  Fritsch  oonstatniy  daas  Herr  Goltz  selbst,  wema  auch  mit  gewissen 
Vorbehalten,  in  seinem  Vortrag  die  Ungleiehwerthigkeii  der  verschiedenen  Binden- 
regionen,  an  anderer  Stelle  direct  die  Locaüsation  zugegeben  hat.  Auf  diese  Un- 
gleichwerthigkeit  kam  es  Hitzig  und  ihm  bei  den  1869  begonnenen  Unter- 
suchungen an.  Wie  scharf  die  Grenze. der  einehlen  Begicmen  seien,  darüber  lässt 
sich  zur  Zeit  nichts  feststellen.  Die  anatomische  Ungleichwerthigkeit  der  Binde  an 
verschiedenleii  Stellen  der  Hirnrinde  spreche  ^egen  die  physiologische  Glwchwerthigkeit 

Herr  Goltz:  Seine  Differenz  mit  Hitzig  würde  geiinger,  da  dieser  die  circum- 
scripten  Oentren  aufgäbe.  Die  Forderung,  den  Erfolg  elektrischer  Beizung  imd  kleiner 
Eingriffe  zu  erklären,  weist  Bedner  zurück. 

Herr  Munk  legt  die  Gehirne  von  4  demonstnrten  Hunden  vor,  welchen  im 
Verlauf  der  letzten  2  Jahre  die  Sehsphäre  beiderseits  exstirpirt  worden  ist    Zwei 


—    455    — 

von  ihnen  waren  vollkommen  blind.  Ein  Hnnd  sah  ganz  sparweise.  Der  vierte 
Hund  sah  nur  wenig  mehr,  mit  dem  linken  Auge  aber  an  der  Nasen-,  mit  dem 
rechten  Auge  allein  an  der  Schläfeseite.  Die  Betrachtung  der  Hirne  zeigt,  dass 
beim  vierten  Hunde  der  vordere  Band  der  beiden  Sehsphären  stehen  geblieben  ist. 
Beim  dritten  Hund  ist  der  dort  am  Sulcus  calloso-marginalis,  tief  an  der  medialen 
Seite  der  Hemisphäre,  anzimehmende  Sehsphärenrest,  wie  wegen  der  Kleinheit  der 
Störung  vorausgesehen  wurde,  am  frischen  Hirn  nicht  zu  constatiren.  Es  wird  die 
Autoerksamkeit  auf  die  völlige  Gleichmässigkeit  der  zu  den  verschiedensten  Zeiten 
im  Verlaufe  zweier  Jahre  ausgefdhrten  Exstirpationen  gelenkt 

Hierauf  erhält  Herr  Goltz  das  Wort:  Am  Montag  lud  uns  Herr  Munk  ein, 
seine  Hunde  zu  sehen  und  stellte  uns  frei,  uns  über  das  Verhalten  derselben  zu 
äussern.  Gestern  folgte  ich  dieser  Einladung.  Ich  sah  seinen  Hund,  der  eine  schwere 
Sehstörung  hatte,  nach  Herrn  Munk  blind  war.  Dieser  Hund  sollte,  abgesehen  von 
der  Blindheit,  keinerlei  andere  Störungen  besitzen  und  in  seinem  Verhalten  gleich 
sein  einem  gesunden  Hunde  mit  exstirpirten  Augen.  Ich  constatirte  darauf  die  That- 
sache,  dass  der  Hund  mit  verstümmeltem  Gehirn  sich  mangelhaft  durch  das  Gehör 
orientirte,  und  dass  er  ausser  Stande  war,  die  hohen  Stufen  der  Treppe  des  Hörsaals 
herabzusteigen.  Der  blinde  Hund  mit  unversehrtem  Gehirn  lief  dagegen  anstandslos 
die  Stufen  nach  Anrufen  herunter.  Herr  Munk  liess  sich  sodann  zu  der  Bemerkung 
hinreissen,  er  lasse-  sich  nicht  drein  reden,  er  sei  Herr  im  Hause.  Kach  diesem 
Ausfall  verzichtete  ich  auf  die  Vorführung  der  übrigen  Hunde  und  verliess  das  Haus. 

Auf  die  Vorlesung  des  Herrn  Munk  werde  ich  bei  ^ einer  anderen  Qelßgenheit 
antworten. 

Herr  Ezner  findet  eine  erfreuliche  Annäherung  Herrn  Munk*s  an  seine  Gegner 
darin,  dass  er  selbst  bemerkte,  es  Hesse  sich  event.  ein  kleiner.  Best  der  Sehsphäre 
anatoinisch  und  mit  freiem  Auge  nicht  nachweisen,  sondern  nur  physiologisch*  Es 
heisst  das :  anatomisch  merklich  gleiche  Läsionen  können  ungleiche  Functionsstörungen 
ergeben.  Es  steht  das  nicht  im  Widerspruch  mit  dem  Kausalgesetz,  wie  ein  Beispiel 
zeigen  möge. 

Es  giebt  Menschen,  welche,  indem  sie  schreiben,  die  Buchstaben  mitarticaliren, 
und  andere,  die  blos  nach  dem  optischen  Erinnerungsbilde  die  Worte  schreiben.  Wird 
das  Bindengebiet,  welches  der  Articulation  vorsteht,  im  ersten  Falle  verletzt,  so  muss 
eine  schwere  Störung  der  Schreibfertigkeit  eintreten,  im  zweiten  Falle  kann  diese 
Störung  fehlen.  Ganz  unabhängig  davon,  ob  das  angeführte  Beispiel  der  Erfahrung 
entspricht,  können  derartige  Verschiedenheiten  die  Grundlage  der  ungleichen  Indivi- 
dualitäten  bilden  und  so  ungleiche  Effecte  bei  gleichen  Läsionen  bedingen. 

Herr  Munk  antwortet  auf  die  Erklärung  des  Herrn  Goltz,  dass  er  zu, der 
Zeit  angekündigtermassen  vor  einer  grossen  Versammlung  habe  demonstriren  und 
nicht  von  neuem  über  die  Localisation  discutiren  wollen.  Die  von  Goltz  hervor- 
gehobenen Erscheinungen  am  demonstrirten  rindenblinden  Hunde  waren,  dass  der  Hund 
1.  wenn  er  auf  den  Zuruf  die  richtige  Bichtong  eingeschlagen  hatte,  di^elbe  bald 
verlor  und  2.  die  Treppe  nicht  passirte:  .und  diese  Erscheijpiungen  t^  rindenblinden 
Hunde  hat  gerade  Herr  Munk  schon  1880  bei  der  ersten  Veröffentlichung  über 
solche  Hunde  ausdrücklich  hervorgehoben. 

Herr  Hitzig  wünscht  zu  constatiren,  dass  das  eine  von  Herrn  Loeb  am  Montag 
demonstrirte  Gehirn  Veränderungen  zeigte,  auf  welche  derselbe  nicht  aufmerksam 
gemacht  hatte.  Im  Femeren  zeigte  Herr  Loeb  einen  Hund,  dem  er, die  sogen. 
Centren  für  die  Hinterextremitäten  exstirpirt  hatte,  um  zu  beweisen,  dass  derselbe 
noch  auf  den  Hinterbeinen  gehen  könne,  was  niemand  von  uns  bestritten  hai  Da- 
gegen wusste  Herr  Loeb  gar  nicht,  dass  dieser  Hund  eine  Anzahl  von  motorischen 
Störungen  an  den  Hinterbeinen  hatte,  die  Bedner  ihm  erst  zeigen  musste.  Gegenüber 
der  grossen  Bestimmtheit,  mit  der  Herr  Loeb  literarisch  auftritt»  ist  die  Feststellung 
dieses  Thatbest-andes  von  Wichtigkeit. 


-     456    — 

Herr  Loeb  demonstrirt  Tier  Gehirne  der  von  ihm  operirten  Thiere,  welche  er 
den  Sectionsmitgliedem  zeigte.  Alle  yier  Fälle  zeigen  das  (Gemeinsame,  daas  die 
nach  der  Localisationstheorie  des  Herrn  Munk  Yorgeschriebenen  SMnmgen  fehlten, 
dass  dafOr  aber  andere  Störungen  vorhanden  waren.  Insbesondere  betont  er,  dass 
nach  Exstirpation  des  Stimlappens  Herrn  ttunk  zufolge  das  Thier  dauernd  die 
Fähigkeit  verlieren  solle,  die  Bumpf-Lendenwirbelsäule  spontan  nach  der  gekreuzten 
Seite  einwärts  zu  drehen,  dass  dagegen  nie  eine  Spur  einer  Sehstörung  erfolge.  Im 
Gegensatz  dazu  fand  Loeb  bei  einem  solchen  Thier,  dessen  Gehirn  vorliegt  und  dem 
der  linke  Stimlappen  zugegebenermassen  völlig  fehlte,  dass  die  Fähigkeit»  die  Bumpf- 
Lendenwirbelsäule  spontan  nach  der  gekreuzten  Seite  einwärts  zu  drehen,  erhalten 
war,  dass  dagegen  eine  schwere  Hemiamblyopie  dauernd  vorhanden  war. 

Gegenüber  dem  Vorwurf  des  Herrn  Hitzig  ist  zu  bemerken,  dass  während  der 
Demonstration  der  Thiere  in  der  landwirthschaftlichen  Hochschule  eme  eingehende 
Discnssion  unmöglich  war  und  dass  es  geboten  war,  Beobachtungen,  welche  dem 
Demonstrator  für  die  Discussion  der  Streitfrage  der  Localisation  irrelevant  erschienen, 
unberücksichtigt  zu  lassen.  Die  Behauptung  des  Herrn  Hitzig,  dass  ich  die  nicht 
erwähnten  Dinge  auch  nicht  gewusst  habe,  muss  ich  wiederum  unter  Berufung  auf 
das  Zeugniss  von  Herrn  Zuntz  als  unrichtig  zurückweisen. 

Herr  Zuntz  bezeugt,  dass  der  in  Bede  stehende  Hund  mit  Ezstirpation  von 
mehr  als  dem  ganzen  Stimlappen  die  Lendenwirbelsäule  vollkommen  normal  drehen 
konnte,  dass  derselbe  aber  eine  schwere  Sehstörung  seit  der  Operation  bestän- 
dig zeigte,  sodass  diese  Störung  nicht  durch  die  finale  tödtUche  Meningitis  erklärt 
werden  kann. 

Nachdem  noch  mitgetheilt  ist,  dass  das  von  Herrn  Lehmann  demonstrirt« 
Kaninchen,  welches  nach  ausgedehnten,  über  die  Sehsphären  nach  vom  hinaus  gehen- 
den Abtragungen  des  Grosshimes  —  mittelst  Lehmann*8  Aspirationsmethode  — 
noch  sieht,  zur  Stelle  ist  und  nach  der  Sitzung  vor  den  Augen  der  Herren  sedrt 
werden  soll,  wird  in  die  Tagesordnung  eingetreten. 


Herr  Meynert  demonstrirte  im  Physiologischen  Institut  eine  Beihe  sagittaler 
Hirnschnitte  von  Menschen,  und  legte  besonderes  Gewicht  auf  den  Nachweis  von 
Einstrahlungen  aus  der  äusseren  Kapsel  in  den  Linsenkem  und  auf  die  Verfolgung 
des  Tractus  opticus  in  den  Thalamus.  In  einer  kurzen,  an  die  Demonstration  ange- 
schlossenen Auseinandersetzung  besprach  Herr  Meynert  die  nahen  Beziehungen  des 
Thalamus  opticus  zu  centripetalen  Bahnen,  namentlich  sensorieller  Natur  (Opticus, 
Acusticus,  Olfactorius),  legte  auf  Grund  seiner  Demonstration  Verwahrung  ein  gegen 
die  Auffassung  des  äusseren  Abschnittes  des  Linsenkems  als  einer,  der  Binde  gleich- 
werthigen  Himpartie  und  sprach  seine  Ueberzeugung  dahin  aus,  dass  der  wahre  Ent- 
stehungsort epfleptischer  Convulsionen  nicht  in  der  Hirnrinde  liege. 

Herr  Knoll  (Prag):  Uebdr  die  Dmoksohwankongen  der  Oerebxoapinal- 
fHüMdgkeit  nnd  die  weohaelnde  Blutfülle  des  oentralen  Kervensystemi. 

Bedner  berichtet  über  eine  einfache  Methode  zur  Verzeichnung  der  Dmckscbwankungen 
der  Cerebrospinalflüssigkeit,  sowie  über  die  wesentlichsten  Ergebnisse  der  hiermit  an- 
gestellten Beobachtungen.  Von  diesen  hebt  er  insbesondere  das  eine  hervor,  dass 
die  Gefässe  des  centralen  Nervensystems  sich  an  der  allgemeinen  Gefässverengung 
nicht  betheiligen,   und  erläutert  die  Bedeutung  dieser  Thatsache  für  die  Pathologie. 

In  der  Discussion  fragt  Herr  Kronecker  (Bem)  den  Vortr.,  ob  er  mano- 
metrisch oder  plethysmographisch  die  Aenderungen  der  Cerebrospinalfiüssigkeit  be- 
stimmt habe,  und  bemerkt,  dass  Mos  so  ebenfalls  darauf  hingewiesen,  dass  während 
Beizung  der  Gefässnerveu  die  Fülle  der  Gehimflüssigkeit  zunimmt. 

Herr  Falkenheim  (Königsberg)  bestätigt  auf  Grund  von  Versuchen,  welche 
von  Naunyn-Königsberg  und  ihm  nach  der  von  Naunyn  und  Schreiber  frCiber 


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geübten  yenachsanordnang  angestellt  sind,  die  Beeultate  des  Herrn  Vortragenden. 
Er  berichtet  femer,  dass  die  Schwankungen  der  Gerebrospinalfiflssigkeit,  welche  auf 
Aortencompression,  Aussetzen  der  Respiration,  Aufblasen  einer  Öummiblase  im  rechten 
Ventrikel  eintreten,  ein  verschiedenes  Verhalten  unter  einander  zeigen,  wenn  gleich- 
seitig der  Druck  der  Cerebrospinalflüssigkeit  künstlich  erhöht  wird. 

Herr  W.  Biedermann  (Prag):  Veber  die  Binwirkiuig  das  AMäats  auf 
einige  elektromotorlflohe  Bnoheinongen  an  Muekeln  und  Verven. 

Er  hat  geftinden,  dass  der  qnergestr^fte  Muskel  durch  Einwirkung  ton  Aether- 
dtopfen  in  einen  Zustand  gerftth,  in  welchem  er  bei  Tollkommenem  Erhaltenbleiben 
der  elektromotorischen  Wirkungen  gegenüber  äusseren  Beizen  g&nzlich  unempfindlich 
sa  sebi  scheint,  indem  keinerlei  direct  wahrnehmbare  Yerftadeningen  weder  örtlich 
noch  entfernt  yon  der  Beiistelle  erkennbar  sind.  Dagegen  treten  an  dieeer  letzteren 
galTamsch  nachweisbare  Veränderungen  und  zwar  in  gleicher  St&rke  wie  vor  der 
üburcose  als  Ausdruck  der  Erregung  hervor.  (Erhaltenbleiben  der  negativ-kathodischen 
and  positiv-anodischen  Polarisation.) 

Bezftglich  des  Elektrotonus  markhallager  Nerven  weist  Biedermann  darauf 
hin,  dass  schon  gewisse  Erscheinungen  bei  Reizung  mit  scfawicheren  Strömen  darauf 
hinweiBfn,  dass  derselbe  eine  physikalische  und  eine  physiologische  Oomponente  ent» 
hält  Um  beides  zu  trennen  wurde  wieder  die  Aethemarcose  verwendet  Da  aber 
zeigt  sich,  dass  dabei  vor  Allem  die  andektrotonischen  Ablenkongen  in  der  Nähe 
der  Beizstrecke  sonst  an  GMsse  abnehmen,  während  die  Wrkungen  des  Katelektro- 
tonne  an  gleicher  Stelle  zunächst  unverändert  bleiben  oder  sogar  zunehmen.  In 
einem  gewissen  Stadium  sind  dann  die  an-  nnd  katelektrotonischen  Wirknigen  ganz 
gleich  nnd  bleiben  es  anch  bei  jedw  Stromstärke.  Bei  der  Erholung  der  Nerven 
nehmen  dann  umgekehrt  wieder  die  anelektrotonischen  mrknngen  rasch  zu.  Bei 
marUosen  Nerven  verschwinden  durch  das  Aetherisiren  sowohl  die  an-  wie  anch  die 
katelektrotonischen  Wirkungen  ganz. 

Herr  Qrfltzner  beschreibt  im  Anscbluss  an  den  Vortrag  des  Herrn  Bieder- 
mann einen  Versuch  von  der  Wirkung  dea  Kalisalpeters  auf  Muakeln,  und 
zwar  auf  den  Sartorius  des  Frosches.  Bestreichung  der  oberen  (unter  der  Haut  ge- 
legenen) Schicht  dieses  Muskels  mit  schwacher  Kalisalpeterlösung  bedingt  eine  starke 
Zusammenaiehung  dieses  Muskels;  Bestreichung  der  unteren  Schicht  ist  wirkungslos. 
Mikroskopische  Untersuchung  des  Muskels  zeigte  dass  die  obere  Schicht  dünne  (rothe), 
die  untere  dicke  (weisse)  Muskelfasern  aufweist  Der  Salpeter  wirkt  also,  wie  es 
scheint^  nur  auf  die  eine  Art  von  MuskehL 

Section  für  Neurologie  und  Psychiatrie. 

Herr  Fürstner:  UelMr  ezperlinentelle  Uhtennehnngen  im  Beveioh  dee 
oentralen  ITegveinysteins« 

Herr  Fürstner  rec^^itulirt  zunächst  die  Drehversuche,  die  Mendel  anstellt^ 
wobei  nach  14  Tagen  klinische  Erscheinungen  und  Symptome  auftraten^  die,  wie  Mendel 
glaubte,  der  Paralyse  entsprachen.  Die  zu  Grunde  gegangenen  Thiere  boten  einen 
ähnlichen  anatonuschen  Befund  wie  Paralytiker. 

Fflrstner  hat  nun  Hunde  mit  dem  Kopf  nach  der  Peripherie  auf  einer  Drehscheibe 
befestigt^  gedreht  und  zwar  nach  rechts,  oder  nach  links,  und  zwar  in  möglichst  ge- 
ringer Intensität  1  —  2  Minuten  pro  Tag,  dann  öfter  60  —  60  Drehungen  in  der 
Minute.  Fürstner  erzielte  auf  diese  Weise  bei  Thieren,  die  ^4  ^^ixn,  9  Monate 
gedreht  waren,  doppelseitige  Degeneration  der  Seitenstränge,  aussodem  Degeneration 
eines  bestimmten  Abschnittes  der  Hinterstränge,  bei  anderen  war  nur  ersteres  er- 
krankt. Die  Degeneration  ist  eine  primäre;  bei  nach  rechts  gedrehten  Thieren  ist 
sie  links  stärker  und  umgekehrt;  weisse  und  graue  Substanz   im  übrigen  intaci 


—    458    — 

Fürstner  fand  femer  Veränderungen  des  Augenhintergrundes,  in  einem  Fall  be^nnende 
atrophische  Processe  im  Opticus.  Im  Hirn  fand  Fürstner  ähnliche  Veränderungen, 
wie  Mendel  beim  Hunde. 

Klinisch  hebt  Fürstner  hervor,  das  leichteres  Benommenwerden  der  Thiere, 
welche  längere  Zeit  gedreht,  vermehrte  Speichelsecretion,  Durst,  paralytische  Anfalle; 
später  oacfai  Monaten  iaxi\m  .lfUsm!k^  E^hmungen  ia  den  Extremitäten  aaf»  &e  als 
spinal  bedingt  anzuhaben  sind. 

Bs  gdingt  also  ohne  directe  Verletzmig  der  Nerrensubatanz  mit  dieser  Methode 
zu  erreichen  eine  Degeneration  der.Fy  S.  und  partiell  der  Hiatwstränge,  vielleicht 
atrophische  Proceeee  im  Opticus. 

Fürstner  hebt  ausdrücklich  hervor,  dass  alle  diese  Fragen  noch  genauen 
Studiums  bedürften,  er  habe  nur  die  Anregung  zu  erneuten  Versnchen  «nf  diesem 
Oebiete  geben  wollen. 

Discussion:  Herr  Mendel  bemprkt^  dass  seine  biaherigen  PubUcationen  über 
den  Gegenstand  nur  den  Charakter  einer  vorläufigen  Mittheilong  hatten.  Er  fineae  sich 
im  Uebrigen,  dass  im  Wesentlichen  seine  Beobachtungen  und  Befunde  an  den  gedrehten 
Hunden,  soweit  sie  das  Gehirn  beträfen,  durch  Fürstner  bestätigt  worden  sind.  Ein- 
zebie  Abweichungen  ^aben  sich  aus  der  nicht  ganz  gleichen  Ausführung  dier  betr. 
Methode.  Dass  Stürungen  im  Bellen  und  des  Uhnlassens  eintraten^  was  Fürstner 
nicht  beobachtete,  bat  an  seinen  Hunden  Prof.  Munk  bestätigt  Was  den  pathologisch- 
anatomiscben  Befund  anbetrifft,  so  werde  er  hoffentlich  noch  im  Laufe  der  Sections- 
Sitzungen  Grelegepheit  haben,  au  demonstriren,  dass  Gefilssneubildangen,  wie  Degenera- 
tion der  GaoglienzeUen  in  der  Hirnrinde  stattfinden.  Was  speciell  die  von  FfiLrstner 
angezweifelte  Degeneration  der  Ganglienzellen  bei  der  Paralyse  überhaupt  betreffe,  so 
ist  dieselbe  auf  der  irrenftrztlichen  Versammlung  in  Iieipzig  vor  zwei  Jahren  ohne 
Widerspruch  von  ihm  demonstrirt  worden.  SpeoieU  hsJt)e  der  verstorbene  Gudden 
bei  jener  Versammlung  ausdrücklich  erklärt,  dass  dieselbe  sehr  intensiv  und  h&nfig  seL 
Augenspiegeluntersuchungen  sind  auch  bei  seinen  Hunden  von  Herrn  Prof.  Hirsch- 
berg mit  negativem  Beftmde  gemacht  worden.  Im  uebrigen  bemerkt  er,  dass  ein 
Zustand  von  diffuser' Ifimerkrankun^  mit  dem  psychischen  Charakter  des  Blödsinns 
und  Lähmuttgssymptomen,  wie  er  bei  Hunden  nach  jenen  Versuchen  eintritt,  dem 
paralytischen  Blödsinne  beim  Menschen  verglichen  werden  müsse.  Einzelne  Ab- 
weichungen von  dem  Bilde  wären  ebenso  erklärlich,  wie  z.  B.  auch  die  Tuberkulose 
beim  Buttde  einen  anderen  Verlauf  nehme,  wie  die  beim  Menschen.  Die  sehr  schönen 
Befunde  Fürstner's  am  Bückenmark,  an  dem  er,  weil  er  kürzere  Zeit  gedreht, 
nichts  Krankhaftes  beobachtet,  sprächen  noch  mehr  für  die  Analogie. 

Herr  Heimann:  Herr  Mendel  hat  durch  Drehung  der  Hunde  in  erster  Linie 
Hyperaemie  des  Gehirtis  erzeugt  und  diese  als  eiBtes  und  ursächliches  Moment  zur 
Sntstehnng  t4er  .weitere  £nti>rtvngeii  des  Goton«  an^Bs^hen.  Wenn  nnn  Herr  Fürst- 
ner  seine  Versuchsthiere  in  gleicher  Lage  wie  Herr  Mendei  gtdrehfc  tait«  so  sraes 
demnach  hier  Anaemie  des  Bückenmarks  entstanden  sein.  Da  ich  nun  selbst  im 
Jahre  11884  ähnliche  Drehungsversache  angestellt  habe,  bei  denen  ich  gerade  in 
Folge  anderer  Lage  der  Thiere  auf  der  Drehacheibe  partielle  Anaemie  des  Gehirns 
erzeugte,  und  ebenfalls  Lähmungen  erhielt»  so  gestatte  ich  mir  die  Frage,  welches 
aetiologisQhe  Moment  siur  EntstehuAg  der  Sückenmarkserkrinkung  der  betreuenden 
V^nohstbiere  Herr  Fürstner  annjmmjfc? 

Herr  Adamkiawicz:  Die  firsdieinungen  der  Paralyse  in  acutester  Form  lassen 
sich  bei  Thiaren  auch  durch  Ii\jectionen  differenter  Flüssigkeiten  in  die  Himgefasse 
erzielen^  wie  Bedner  in  seinen  Arbeiten  über  „Himdmck"  gezeigt  hat 

Herr  Mendel  beinerkt  dagegen,  dass  es  sich  in  den  Adamkiewicz^sdisn 
Untersucbongen  um  acute  vorübergeh-ende  Zustände  gehandelt  habe,  die  mit  den 
von  ihm  erzeugten  chronischen  und  progressiven  nicht  direct  verglichen  werden  können. 

Herr  Fürstner  erwidert  Herrn  Heimann,  dass  er  mit  den  Begriffen  Anaemie 


—    459    — 

und  Hyperaemie  nicht  rechnen  könne,  er  beschränke  sich  auf  die  Thatsachen,  ohne 
Torläuüg  eine  Erklärung  geben  zu  können. 

Herr  Adamkiewicz:  Ve\)er  mtiltlple  Soletose  mit  Be^onsti^atioii  ent- 
sprechender Prftparate. 

Die  Auf&smmg  der  moltiplen  Sclerose  als  eines  interstitiellen  Processes  ist 
wesentlich  dadurch  bedingt,  dass  man  %xir  Untersuchung  sclerotischer  Bückenmarke 
Kerntinctianen  anwandte,  welche  nidr  die  Endprodücte  der  Affection  kennen 
lehrten.  Wendet  man  die  Safranuitinction  zur  Untersuchung  der  kranken  Bflcken- 
marke  an,  so  kann  man  auch  primäre  Nervenveränderungen  nachweisen  und  zeigeü, 
dass  der  Process  der  multiplen  Sclerose  von  den  l^erven  ausgeht  und  zwar  speciell 
von  der  Markscheide.  —  Es  erkranken  zuerst  die  Nerven  der  chromoleptischen 
Partien.  Die  Degeneration  schreitet  von  diesen  Partien  centrifugal  in  unregelmässiger 
Weise  fort  —  An  die  Nervendegeneration  schliessen  sich  Veränderungen,  Verdichtung 
und  Neubildung  der  Neuroglia.  —  Dieselben  VeräDderungen,  beschränkt  auf  die 
chromoleptisehen  Partien  der  Hiüterstränge,  liegen  der  parenchymatösen  tabes  zu 
Qmnde.  So  könnte  man  letztere  und  die  multiple  Sclerose  gegenüber  den  Systeiü- 
erkrankungen  (secundäre  Degeneration)  als  )[»rimäre  Degeneration  bezeichnen. 

Herr  Binswanger:  Zur  Lehre  yoa  4«n  sphaMiohean.  Atörnagen,  Bina- 
wanger  becqiHicht  die  BezMtuBgen  der  psydM^togiBoheii  andpaydiophyBisohenStaditti 
aber  die  klinischen  Varianten  der  Spraohstörangen  2u  den  localdiagnodtiMheQ  Ergebe 
nissen  der  pathologisch-anatomisoken  Unteancfanng.  Er  fahrt  an  derHawi  .einet 
Beobachtung  mit  Sectionsergebniss  —  atactisch-amnestische  Aphasie;  Herd  im  unteren 
Soheitellappeti,  QfmB  onglilans  nnd  tbeilweise  1.  Sehlftf^nwindüng,  Marklager  des 
ganzen  lateralen  Theils  des  tBchlftfenli^pens  -^  aus,  dass  eine  UebeHragung' -der 
pgychophysiichen  Stadien  tk^r  motoriBche  und  sensorische  Aphasien  auf  die  ver» 
sohiedenen  Territorien  der  die  Sylvische  Furche  begrensenden  Wiihdungen  nicht 
dnrohfUirbar.  Die  MDWMrische  Aphasie  im  engeren  Sinne  (Wernioke)  odel*  Wort« 
taubheit  (Kussmaul)  bestand  nicht. 

Herr  M.  Boaenthai  (Wien):.  UnterBUielHifi^en  vnd  Beobadhlnuigedi  über 
Morphtamwirkuxig»  Aia  noch  wenig  gekannte  and  gewflrdigte  Symptome  geben 
sich  bei  mittelstarken  Injectionan :  von  .0>03^  0,06  üb4r  'Smg  nach  nrehrwöobentliidMai 
Gebrauche  kund:  aufEäUige  Heiterkeit  und  Gesprächigkeit,  erhöhte  geschlechtliche 
Erregbarkeit^  beträchfli'che  Steigerung  des  Tastsinnes,:  de^  Cfemeingefdhle,  der,  gal- 
vanischen Erregbarkeit  (fQr  geringe  Stromreize)  und  lebhafte  Pateüarreflexe.  Diese 
Erscheinungen  von  erhöhter  Erregbarkeit  der  Centren  weichen  erst  bei 
längerem  Gebrauch  höherer  Injectionsdosen  den  Symptomeh  ceiitraler  Depression 
(Verstimmung,  Apathie,  VerM  der  sexuellen  und  refiectorischen  Erregbarkeit,  Herab- 
setzung des  Tastsinnes,  der  Gemeingeffthle  der  g^anischen  Beizbarkeit  sowie  des 
Blutdruckes). 

Bei  den  im  Basch'schen  Laboratorium  anlgestellten  Experimenten  an  Hunden 
mit  Injection  von  2proc.  Morphinlösungen  wurde  nebst  dein  herkömmlichen  Art^rien- 
druck  aucli  der  Venendruck  gemessen.  Bei  einer  Anzahl  von'  Versuchen  war 
kein  wesentKcher  unterschied  in  beiden  Blutdrucken .  erweislich.  Bei  anderen,  be- 
zfigiich  der  Entstehung'  noch  nicht  näher  gekannten,  Fällen  war  die  Arteriendruck- 
Emiedrigung '  von  einer  Venendruck-Ertiöhung  begleitet.  Die  bei  inteosiyerer  Mor- 
phiumvergiftung  eintretende  hochgradige  Erniedrigung  der  Blutdrucke  'sowie  der 
Vaguserregbarkeit  wiesen  auf  Strychnininjection  beütchtUche  Steigerung  auf.  Die 
Unregelmässigkeit  des  Pulses  verlor  sich  auf  beiderseitige  Vagotomie,  war  demnach 
central  bedingt.  Die  durch  Strychnininjection  bewirkte  Blutdruckerhöhung  konnte 
dutch  Einspritzungen  von  Chloralhydrat  dauernd  herabgesetzt  werden.  Das  Mor- 
phium wirkt  daher  toxisch  auf  die  Erregbarkeit  der  bulbären  Vaguscentren. '  Die 


—    460    — 

Sehwankimgen  der  beideii  Kntditeker  ^^  deren  Benehmigen  bedtbfen  noch  weitenr 
Stadien. 

Herr  Bemak  Aber  Iknutleohft  KntnrtangerengtioeiML  Diese  Bemchnimg 
hat  Vortragender  1873  fSr  die  von  ihm  in  einigen  Fällen  atrophiaeher  Spjnall&hmnng 
gefundene  Erscheiniuig  gewählt,  daas  einiebie  degenentiY-atropiache  Mnakehi  neben 
der  gew6hnlicheii,  partiellen  Entartnuggreaction  auch  Ar  den  indndrten  Strom  sowohl 
bei  indirecter,  als  besonders  bei  direeier  Beizong  mit  triger  Znckong  antworteten» 
welche  man  sonst  nur  bei  galTano-mnacoUrar  Rdzong  sn  sehen  pflegte^  R.  hak 
1883  Yoigeschlagen,  derartige  F&Ue  als  Unterart  der  partiellen  Satartangsreactioa 
mit  indirecter  Zncknngsträgheit  zu  bezeichnen.  R.  hat  jedoch  beobachtet» 
daas  die  indirecte  Znckungsträgfaeit  und  die  directe  Caradische  Sntartoagareaction 
nicht  nothwendig  nuBammengehOren.  In  einem  Falle  y<a  Dmcklahninng  des  Ulnan< 
wurde  indirecte  Zacknngsträgheit  bei  Nenrenreizong  Ar  beide  Stromesarten  sdion 
am  fünften  Tage  vor  dem  Anftretoi  der  directen  Entartongsreaction  beobachtet» 
welche  erst  Ende  der  zweiten  Woche  auftrat  und  ebenso  indirecte  Znckongsträgheit 
in  der  Begeneration  einer  schweren  traomatiachen  Peronenslahmong  eonatatirt,  bei 
welcher  die  directe  faradische  Eiregbarkeit  der  Muskeln  noch  lange  Zeit  fehlte. 

Andererseits  hat  R.  directe  faradische  Entartungsreaetionen  gefunden,  in  welchen 
die  Nerrenmiaghaikeit  nodi  nkht  wiedeigekelirt  war.  Indireole  Zoekangatrigheit 
ist  also  von  der  ftuaadischen  Bntaitnngareaetion  zu  trennen,  welch  letitere  ein  nidit 
unerheblieheB  Literesse  dadurch  hat^  daas  anch  fOr  admeUaehligige  Strtae  ktnesler 
Daner  der  Muskel  mit  triger  Zuckung  antworten  kann. 

Herr  Meschede  fil>0r  eine  neue  kllntaiih  und  pnihogwietiaoh  wohl 
obnnilcteriairto  Form  ^on  Soolanetorang.  Er  beschreibt  einen  Fell  (als  Pfen» 
digma  anderer)  von  protopathischem  Auftreten  einer  tiefen  Sttenng  auf  inteUectuellem 
Gebiet  mit  tranaitorischem  Charakter  der  Seelenblindheit^  der  sdineU  in  Heilung  mit 
partieller  Amnesie  an  die  Zeit  der  Krankheit  flbeigeht  Aetiologie:  plMaliche  Ge- 
mftthserschfittemng,  namentlich  Schreck. 

In  der  Discussion  glaubt  Henr  Mendel,  daas  man  derartige  Fälle  anch  kflnftig, 
wie  biahei^  eis  Demenin  aorta  aiffansen  solle.  Eine  Seelenblindheit  k6nne  er  dabei 
nicht  IkndML  Dieeen  Ansehannngen  sdüiessen  sich  im  Wesenttidien  die  folgenden 
Redner,  die  Herren  Sander,  Fftrstner,  Arndt,  Hitaig  an. 

lieber  die  angAUolie  Zonahnae  tobl  QelsteikTankluittmi  in  England 
Yon  D.  Hack  Take,  M.  D.  London. 

Da  er  kürzlich  einige  statistische  Tabellen  angefertigt»  um  die  Frage  za  beant- 
worten, ob  die  yon  Andern  behauptete  Zunahme  Ton  Geisteskrankheiten  in  England 
bestätigt  wird  durch  die  ofSdellen  Zahlen,  die  sich  aus  den  detinirten  oder  der 
in  Irrenhäuser  aufzunehmenden  Patienten  ergeben,  so  glaube  er,  wird  es  dieser  Section 
von  Interesse  sein,  das  Resultat  zu  erfahren,  beyor  es  in  dem  Journal  of  Mental 
Science^  deren  Redacteur  er  sei,  yerOffentlicht  wird. 

1.  Muss  man  sich  hewusst  sein,  dass  es  trOgerische  Resultate  giebt»  wenn  man 
die  Irrenhäuser-Insassenzahl  fhlherer  Perioden  mit  der  der  gegenwärtigen  yergleicbi 
Wenn  man  diesen  Mschen  Weg  geht,  so  findet  man  eine  bedeutend  grössere  Zahl 
von  Geisteskrankheiten  als  frOher.  Denn  auf  100  detinirte  Irre  oder  Idioten  in  Eng^ 
land  im  Jahre  1859  kommen  jetzt  218,  oder  nach  Abrechnung  der  BeyölkemngB- 
zunahme  154«  Allein  dieser  ganze  Zuwachs  erklärt  sich  aus  dem  natärlichen  EflEect 
der  Accumulation  und  der  geringeren  Sterblichkeit,  die  jetzt  gegen  frflher  in  unsen 
Krankenhäusern  Platz  greifL 

2.  Wenn  wir  also  diese  trügerische  üntersuchungamethode  yerlassen  und  nsr 
unter  Berficksichtigung  der  Bey^lkerungsznnahme  die  Fälle,  die  frisch  in  die  Inen- 
häuser  aufgenommen  werden,  in  Betracht  ziehen,  so  finden  wir  eine  Zunahme  yon  15^^. 


—    461    — 

Obwohl  diese  Bereohnmigsinetbode  besser  ist  als  die  firfihere,  so  ist  sie  dennoch  nicht 
einwnrfsfrei,  weil  die  in  Irrenhäusern  aufgenommenen  F&lle  nicht  vollkommen  corres- 
pondiren  mit  dem,  was  wir  suchen,  mit  der  Zahl  der  neuen  Fälle  zu  ver- 
schiedenen Perioden,  oder  in  anderen  Worten  mit  der  Zahl  derer,  die  irre 
werden.  Dies  ist  der  einzige  richtige  Prfifstein.  Deshalb  habe  er  versucht,  die 
Zahl  der  Irrewerdenden  in  England  in  verschiedenen  Jahren  im  Yerhältnise  zur 
Bevölkerung  festzustellen.  Dabei  sei  er  einem  Hindemiss  begegnet,  nämlich  die 
nothwendigen  Daten  sind  nur  vom  Jahre  1878  an  zu  haben.  So  kurz  auch  diese 
Periode  ist,  so  ist  doch  das  Ergebniss  von  Bedeutung  und  zeigt,  zu  wie  verschiedenen 
Schlüssen  man  kommt,  wenn  man  dieser  Untersuchungsmethode  huldigt  im  Vergleich 
zu  der,  die  lediglich  die  Zahl  der  in  Irrenhäusern  detinirten  Fälle  in  den  succes- 
siven  Jahren  in  Rechnung  zieht.  Wir  finden  nämlich,  dass  im  Jahre  1878  3,337 
auf  10000  Personen  in  England  zum  ersten  Mal  in  Irrenhäusern  aufgenommen 
wurden,  und  dass  seitdem  die  Zahl  4  auf  10  000  nie  erreicht  worden  ist;  dass  sogar 
1885  die  Zahl  am  kleinsten  von  allen,  nämlich  3,101  auf  10  000  betrug.  Diese 
Resultate  sind  sehr  befriedigende,  wenn  sie  auch  nur  die  letzten  8  Jahre  betreffen; 
sie  beweisen,  dass  die  angebliche  Zunahme  von  Geisteskrankheiten  in  England  nicht 
vorhanden  ist. 

Nun  muss  man  aber  in  Betracht  ziehen,  dass  eine  beträchtliche  Zahl  von  Per- 
sonen geistig  afficirt  sind  oder  an  kurzen  vorübergehenden  Attacken  von  acuter 
Geisteskrankheit  in  ihrem  eigenen  Hause  leiden,  ohne  deshalb  mitgezählt  zu  werden, 
so  dass  mit  Hinzunahme  dieser  unregistrirten  Fälle  möglicher  Weise  eine  Zunahme 
von  Geisteskrankheiten  besteht,  die  aber  in  der  Statistik  naturgemäss  nicht  mit  in 
Rechnung  gezogen  werden.  Deshalb  dispensiren  uns  diese  Statistiken  nicht  von  der 
Sorge,  Geisteskrankheiten  nach  Kräften  zu  verhüten  zu  suchen. 

Zum  Schluss  füge  er  hinzu,  dass  er  sich  freuen  würde,  behufs  Publikation 
in  dem  „Journal  of  Mental  Science''  eine  Statistik  zu  erhalten,  die  die  Zahl  der 
Irrewerdenden  in  Deutschland  jetzt  und  in  früheren  Perioden  aufführt. 

Hr.  Oppenheim  und  Hr.  Siemerling:  lüttheiliuigeBL  über  Pseudobulbär- 
paralyse und  acute  Bulbftrparalyse. 

Sie  haben  in  5  Fällen,  die  nach  ihren  klinischen  Erscheinungen  als  Pseudo- 
bulbärparalyse aufgefasst  werden  mussten,  bei  der  anatomischen  Untersuchung  ausser 
den  Erweichungsherden  in  beiden  Grosshirnhemisphären  regelmässig  auch  Krankheits- 
herde in  Pens  und  Medulla  oblongata  aufgefunden.  Der  Nachweis  der  letzteren 
konnte  aber  gemeiniglich  erst  erbracht  werden  durch  eine  sorgföltige  mikroskopische 
Untersuchung  dieser  Gebilde  auf  Serienschnitten,  da  die  Herde  zum  Theil  erst  unter 
dem  Mikroskop  erkennbar  und  oft  so  circumscript  sind,  dass  sie  nur  in  einzelnen 
Schnitten  hervortreten,  daher  leicht  vernachlässigt  werden  können. 

Eine  nach  diesem  Resultat  an  die  in  der  Literatur  enthaltenen  Fälle  von  Pseudo- 
bulbärparalyse gelegte  Kritik  lehrt,  dass  von  den  wenigen  noch  eine  Anzahl  wegen 
ungenügender  mikroskopischer  Prüfung  gestrichen  werden  muss,  und  dass  die  Lehre 
von  der  Pseudobulbärparalyse  demnach  bisher  nur  durch  ein  sehr  spärliches  Beob- 
achtungsmaterial gestützt  ist,  während  die  gemischte  Form:  die  cerebrobulbäre  Glosso- 
Laryngo-Labialparalyse,  die  häufigste  der  sich  acut  entwickelnden  Bulbärlähmungen 
zu  sein  scheint,  und  zwar  entstanden  auf  dem  Boden  einer  schweren  Arteriosclerose. 

Am  Schlüsse  demonstrirten  sie  die  Präparate  eines  Falles  von  acuter  Bulbär- 
paralyse,  bedingt  durch  den  Druck  der  aneurysmatisch  erweiterten  Yertebralis 
sinistra  auf  die  Oblongata.  Letztere  zeigt  in  ganzer  Ausdehnung  eine  Druckmyelitis, 
die  der  Lage  und  dem  Verlauf  der  Yertebralis  entspricht.  Es  ist  bisher  noch  nicht 
genügend  beachtet  worden,  dass  die  sderotischen  Gefässe  an  der  Himbasis  auf  dem 
Wege  der  Baumbeschränkung  Pens  und  Medulla  oblongata  in  ihrer  Function  schä- 
digen können. 


—    462    — 

Hr.  Smidt:    tJober  Cocatniamiis  und  neue  BtfUimiigen  fiber  Oocaln- 
wlrkiing  bei  MorphiomentBleinizig. 

S.  trägt  zunächst  im  Anschlnss  an  die  Erlenmeyer^sehen  Mittheünngen  eine 
Krankengeschichte  exquisiten  Morpbio-OocalnismQS  vor.  Die  hier  auftretenden  schweren 
psychischen  Erscheinungen  schwanden,  wie  in  allen  yom  Vortr.  beohaditeten  Fällen, 
sofort  nach  Aussetzen  des  Cocains.  Auch  als  nach  gfinzlieher  Weglassung  des  Mor- 
phiums wiederum  Cocain  zur  Bekämpfong  der  Abstinenzsymptome  gegeben  wurde, 
stellten  sich  nur  ganz  leichte  Andeutungen  von  Beeintrichtig^ngsideen  ein.  Da  so- 
mit die  schweren  Intoxicationssymptome  hauptsächlich  der  Combination  beider 
Medicameute  zuzuschreiben  sind,  werden  die  Entwöhnungen  im  Asyl  Bellevue  (Kreuz- 
ungen) so  modifidrt»  dass  das  Cocain  erst  nach  völliger  Fortiassung  des  Morphiums 
im  Ganzen  5 — 8  Tage  gegeben  wird,  bis  die  Hauptabstinenzsymptome  Torbä  sind. 
Bei  Fat,  die  vorher  schon  Cocain  gebraucht  haben,  wird  dies  sofort  entfernt  und 
wurden  entgegen  Erlen meyer's  Erfahnmgen  keine  Cocalnabstinenzsymptome  beob- 
achtet Nach  Entfernung  des  Morphiums  wurde  auch  bei  frfiheren  Cocalnisten  Cocain 
zur  Erleichterung  der  Abstinenz  gegeben,  wirkte  dann  aber  weniger  gut.  —  Interes- 
sant ist,  dass  sich  die  Verfolgungshailucinationen  der  Morphio-Cocalnisten  direct  an 
die  Cocalninjection  anzuschliessen  pflegen,  während  das  Cocain  die  Inanitionshalluci- 
nationen  während  der  Abstinenz  zu  mildem  pflegt  —  Den  Satz  Erlenmeyers, 
dass  chronische  Morphio-Cocalnisten  leichter  recidivirten,  hält  Vortr.  f&r  nicht  un- 
wahrscheinlich, aber  fflr  unbeweisbar,  glaubt  jedoch,  dass  auf  keinen  Fall  die  kurz- 
dauernde Cocalnapplication  w&hrend  der  ersten  Tage  der  Morphiumkuren  auf  die 
Häufigkeit  der  Beddive  einen  Einfloss  hat.  Ganz  besonders  warnt  aber  Vortr.  noch- 
mals vor  dem  combinirten  Morphio-Cocaingebraach  und  vor  den  stets  misslingenden 
Versuchen  der  Selbstentwöbnung. 

In  der  Discussion  bemerkt  Hr.  West phal,  dass  er  bei  einem  Fat,  der  nach 
langem  Morphiumgebrauch  sich  Cocain  einspritzte,  den  Ausbruch  einer  acuten  halln- 
cinatorischen  Verrücktheit  beobachtet  habe,  der  nach  2 — 3  Tc^n  völlig  schwand. 

Hr.  Haupt:  Die  psychischen  AflPectionen,  welche  Dr.  Smidt  nach  chronischem 
Morphinm-Cocalnismus  gesehen  hat,  habe  er  auch  in  einem  Fall  von  reinem  Cocal- 
nismus  beobachtet  Es  handelte  sich  dabei  um  einen  14jährigen  Knaben,  der  seit 
8  Monaten  das  Mittel  einspritzte  und  4  Gramm  pro  die  verbrauchte.  Er  zeigte 
schwere  Hallucinationen  und  traten  namentlich  abends  Angstzustände  auf,  die  sieb 
oft  bis  zu  krampfartigen  Faroxysmen  steigerten. 

Hr.  Jastrowitz:  Die  Erfahrungen,  welche  er  in  der  Lage  war  zu  machen, 
bezififem  sich  nach  Dutzenden,  und  er  habe  wenige  Morphinisten  in  neuerer  Zeit 
behandelt,  welche  nicht  zugleich  Cocain  genommen  hätten.  Die  Symptome  sind  die 
vom  Vortr.  erwähnten;  er  möchte  hinzufügen:  Speichelfluss  und  Trockenheit 
im  Schlünde. 

Er  habe  sich  vergeblich  bemüht,  einen  Fall  von  reinem  Cocalnismus  zu  beob- 
achten; alle  Fälle  waren  solche  von  Morphio-Cocalnismos. 

In  Anbetracht  der  Gefährlichkeit  des  Mittels  möchte  er  empfehlen,  das  Cocain 
nur  in  schweren  Fällen  von  Morphinismus  in  Anwendung  zu  ziehen. 

Der  Cocalnismus  an  und  für  sich  ist  leicht  zu  beseitigen;  die  Morphinisten  em- 
pfanden die  Cocaincarenz  nicht,  wenn  sie  nur  Morphium  erhielten. 

Hr.  Smidt  hat  nicht  ausgeschlossen,  dass  unter  Umständen  auch  Cocain  allein 
Psychosen  erzeugt,  ebenso  wie  das  auch  Morphium  unter  Umständen  thut,  doch  ist 
die  Combination  beider  ganz  besonders  gefährlich.  Bei  Beurtheilung  von  Heilerfolgfli 
bittet  er  zu  berücksichtigen,  dass  die  Morphinismusfälle  heutzutage  viel  schw^ier 
im  Durchschnitt  sind,  wie  vor  wenigen  Jahren.  Da  jetzt  die  verhängnissvollen  Folgen 
des  chronischen  Morphiumgebrauches  allgemein  bekannt  sind,  so  sind  die  fHschen 


—    468    — 

F&ll«  weit  seltener,   das  Gros  der  in  Behandlung  kommenden  Morphinisten  spritzt 
schon  viele  Jahre  und  hat  schon  eine  ganze  Beihe  von  Bntzi^nngen  hinter  sich. 

Hr.  Heimann  (Gharlottenborg):  Oooaln  in  der  Psychiatrie. 

Yerochiedene  Eigenschaften,  welche  von  Ck>caln  gelobt  werden,  wie  der  Einflnss 
auf  die  motorischen  Nervencentren ,  die  Herabsetznng  der  Empfindlichkeit,  die  be- 
lebende Kraft,  sowie  die  euphorische  Wirkung,  welche  es  hervorruft,  haben  den  Vor- 
tragenden veranlasst,  das  Mittel  bei  verschiedenen  Psychosen  und  Psychoneurosen  an- 
zuwenden. Cocain,  mur.  0,01  bis  0,2  pro  die,  sowohl  innerlich  wie  subcutan  wurde 
mehrere  Wochen  hindurch  bei  den  verschiedenen  Formen  der  Melancholie  mit  und 
ohne  Hallucinationen,  bei  (Geistesstörung  mit  Katatonie,  bei  Hypochondrie,  Neurasthenie 
und  Hysterie  ohne  sichtlichen  und  bleibenden  Erfolg  verordnet. 

Nach  diesen  Erfahrungen  spricht  der  Vortragende  dem  Cocain  seine  Stellung  als 
Medicament  in  der  psychiatrischen  Behandlung  ab. 

Im  zweiten  Theil  des  Vortrages  wird  ausführlicher  eine  bis  jetzt  noch  wenig 
beobachtete,  höchst  gefahrliche  Wirkung  des  Cocains  abgehandelt.  Durch  längeren 
oder  kürzeren  internen  wie  subcutanen  Gebrauch  grösserer  oder  kleinerer  Dosen  Co- 
cains, sowie  nach  Genuss  von  Cocablättem  wird  eine  Psychose  hervorgerufen,  welche 
der  gewöhnlichen  Paranoia  hallucinatoria  sehr  ähnlich  sieht,  sich  jedoch  durch  charak- 
teristische Krankheitssymptome,  durch  den  Verlauf  der  Krankheit,  sowie  durch  den 
Nachweis  des  Cocains  im  Urin  leicht  von  jener  unterscheiden  lässt. 

Discussion:  Hr.  Smidt  glaubt,  dass  die  Cocalnpsychose  doch  nicht  ganz  so 
typisch  sei;  speciell  hat  er  die  Hallucination  auf  Grund  der  Hauptsymptome  nicht 
gesehen.  Auch  hat  er  mehrfach  constatiren  können,  dass  die  Hallucinationen  und 
die  darauf  basirenden  Handlungen  sofort  nach  Sistirung  des  Cocaingebrauchs  cessirten. 

Hr.  Heimann:  Er  habe  in  seinem  Vortrag  das  Schiessen  des  Pat.  nur  als 
Zufall  hingestellt,  obgleich   er  keinen  anderen  Fall  gesehen  habe. 

Was  das  sofortige  Schwinden  der  Sinnestäuschungen  anbetrifft,  so  halte  er  an 
seiner  Ansicht  fest,  dass  nach  Aussetzen  des  Mittels  keine  neuen  Sinnestäuschungen 
auftreten,  doch  die  alten  nur  allmählich  schwinden,  wohl  aber  glaube  er,  dass  die 
betreffenden  Patienten  dissimuliren. 

Herr  Moritz  Meyer  (Berlin):  Ueber  neuritisohe  Exsudate  als  Ursachen 
von  Neurosen. 

Von  der  Behauptung  ausgehend,  dass  Nervenentzündungen,  die  man  Mher 
für  verhältnissmässig  seltene  Krankheiten  gehalten  habe,  wie  jetzt  erwiesen,  nicht 
nur  in  Folge  traumatischer  und  rheumatischer  Anlässe,  sondern  auch  durch  das 
Uebergreifen  von  Entzündungen  benachbarter  Organe  auf  die  anliegenden  oder  durch- 
tretenden Nerven  erfolgten,  dass  sie  femer  in  einzehien  Fällen  von  Tabes,  in  Fällen 
von  Diabetes  etc.  constatirt  seien,  den  Ausgangspunkt  des  Zoster  und  der  vielge- 
staltigen PolyneuritiB  bildeten  —  hält  der  Vortragende  auch  damit  ihren  Wirkungs- 
kreis noch  keineswegs  für  erschöpft.  Er  ist  vielmehr  der  Ansicht,  dass  der  grösste 
Theil  der  sogenannten  coordinatorischen  Beschäftigungskrämpfe,  der  peri- 
pheren Neuralgien  ihren  Ausgangspunkt  von  einer  Neuritis  nehmen,  und  dass 
auch  manche  motorische  und  vasomotorische  Krämpfe,  einzelne  Fälle  von 
Migräne,  Tic  douloureux,  selbst  epileptische  Insulte  darauf  zurückzuführen 
seien.  In  derartigen  Fällen  war  der  Vortragende  auch  meist  im  Stande,  die  neu- 
ritischen Exsudate  nachzuweisen  und  durch  deren  Beseitigung  oftmals  HeUung 
herbeizuführen,  was  er  durch  einzelne  prägnante  Fälle  belegt. 

Hieraus  zieht  er  folgende  therapeutische  Schlüsse: 

1.  Ist  eine  Neuritis  im  acuten  Stadium  als  Ursache  einer  Neurose  erkannt,  so 
ist  energische  Antiphlogose  (Blutegel,  Kataplasmen)  am  Platze.  2.  Ist  dies 
Stadium   verpasst,   so  nehme   man  zum  galvanischen  Strom   als  kräftigstem 


—     464    — 

Besorbens  seine  Zuflucht    3.  Es  wird  auch  eine  Reihe  von  Fällen  geben,  in  denen 
dis  Nervendehnung  mit  Nutzen  angewandt  wird. 

In  der  Discussion  bemerkt  Herr  Erb,  dass  er  sich  gegen  die  allzuweitgehende 
Annahme  von  Neuritis  oder  gar  von  neuritischen  Exsudaten  als  Grundlage  der  yer- 
schiedensten  Neurosen  yerwahre;  speciell  bei  den  sogenannten  Koordinationsneurosen 
fehlen  doch  alle  objectiven  Symptome  einer  Neuritis  in  den  meisten  Fällen.  Ueber- 
haupt  erscheine  es,  bei  dem  noch  ganz  unsicheren  Stande  der  pathologisch-anato- 
nuschen  Lehre  Ton  der  Neuritis,  geboten,  mit  der  Diagnose  einer  Neuritis  höchst 
vorsichtig  und  zurückhaltend  zu  sein  und  sie  nur  auf  Grund  objectiver  Symptome 
zu  stellen. 

Herr  Meschede  spricht  über  Ossifikationen  der  weichen  Hirnhftute  und 

berichtet  über  zwei  von  ihm  bei  Geisteskranken  beobachtete  Fälle  dieser  Art 

Der  erste  Fall  betraf  eine  19jährige  Geisteskranke,  welche  im  Verlaufe  eines 
ausgeprägt  melancholischen  Zustandes  von  epileptischen  Erampfanfällen 
betroffen  und  in  Folge  derselben  gestorben  war.  Es  war  stark  hereditäre  Belastung 
mütterlicherseits  nachzuweisen;  bereits  im  10.  Jahre  hatte  sich  nach  vorhergegangenen 
Kopfschmerzen  Defluvium  capillorum  eingestellt;  im  16.  Lebensjahre  hatt«  Patientin 
einen  Anfall  von  Melancholie  durchgemacht.  Bei  der  Section  fand  sich  auf  der 
Oberfläche  des  rechten  Stimlappens  ein  1^/2  cm  langes  und  1cm  breites  Enochen- 
blättchen  der  weichen  Hirnhäute,  welches  sich  von  der  Hirnrinde  ohne  Läsion  der- 
selben abheben  und  bei  der  mikroskopischen  Untersuchung  deutlich  die 
Structur  wirklichen  Knochengewebes  erkennen  Hess.  Ausser  dieser  grösse- 
ren fanden  sich  noch  mehrere  kleinere  Flättchen  auf  der  Oberfläche  der  linken 
Hemisphäre  zerstreut. 

Der  zweite  Fall  wurde  bei  einer  an  periodischer  Tobsucht  leidenden 
Geisteskranken  constatirt.  Hier  war  die  Verknöcherung  viel  umfangreicher  und  der 
Falx  anliegend,  so  dass  die  Hypothese  nicht  unberechtigt  erscheint,  dass  durch  den 
Druck,  welchen  diese  Verknöcherung  auf  den  Sinus  ausgeübt  haben  muss,  gelegent- 
lich leicht  eine  Behinderung  des  Blutabflusses  zu  Stande  gekommen  sein  kann.  Da 
wir  über  die  pathologisch-anatomische  Grundlage  der  periodischen  Geistesstörung  so 
gut  wie  gar  nichts  wissen,  so  habe  er  geglaubt,  auch  diesen  Fall  hier  kurz  mit- 
theilen zu  sollen. 

Herr  Goldscheider:  Ueber  eine  neue  Methode  der  klinischen  Tempe- 
ratursInnsprüfOng.  Der  Nachweis  der  Dualität  des  Temperatursinns  1^  uns  die 
zwingende  Nothwendigkeit  auf,  die  Kälte-  und  Wärme-Empfindlichkeit  gesondert  zu 
prüfen.  Hierfür  hat  Eulenburg  die  Bestimmung  der  eben  merklichen  Beizgrössen 
vorgeschlagen.  Die  vom  Kedner  empfohlene  Methode  beruht  darauf,  dass  der  Tem- 
peratursinn bezüglich  seiner  topischen  Entwickelung  an  der  Hautoberfläche  sehr  be- 
deutende Unterschiede  zeigt,  welche  direct  aas  dem  jeweiligen  localen  Nervenreich- 
thum  resultiren  und  sich  dadurch  kennzeichnen,  dass  ein  gleicher  Temperaturreiz 
örtlich  ganz  verschieden  starke  Empflndungen  verursacht.  Diese  Unteischiede  haben 
bei  den  verschiedenen  Individuen  eine  so  grosse  Konstanz,  dass  man  sie  zur  Basis 
der  klinischen  Prüfung  benutzen  kann.  Zu  dem  Zwecke  wurde  von  dem  Vortragenden 
der  Kälte-  wie  der  Wärmesinn  in  seinen  physiologischen  Abstufungen  über  die  ge- 
sammte  Körperoberfläche  hin  studirt.  Die  vorgelegten  Tafeln  zeigen  für  die  Kälte- 
empflndüchkeit  12,  für  die  Wärmeempflndlichkeit  8  Abstufungen.  Ausserdem  wurde 
eine  Anzahl  von  anatomisch  flxirten  und  leicht  auffindbaren  Stellen  bestimmt,  welche 
die  verschiedenen  Abstufungen  mit  einer  genügenden  Konstanz  repräsenüren  und 
ziemlich  aUe  Nervengebiete  vertreten,  derart,  dass  an  jedem  Körperabschnitt  die  ge- 
sammten  hier  vorkommenden  Abstufungen  in  den  ausgewählten  Stellen  enthalten  smd. 
Es  wurden  Abbildungen  des  Körpers  vorgelegt,  auf  welchen  die  sämmtlichen  SteUen 
mit  ihrem  Stufenwerth  eingetragen  sind,  sowie  nach  Körperabschnitten  geordnete 


—    465    — 

tabellaiisclie  Zosammenstellnngen,  welchen  Untersucliimgen  am  eigenen  Körper  nnd 
an  30  gesunden  Personen  zu  Grunde  liegen.  Das  Prinzip  der  Methode  besteht  nun 
darin,  dass  hei  pathologischer  Veränderung  des  Temperatursinns  an  einem  E6rper- 
abschnitt  die  Prflfungsstellen  desselben,  yerglichen  mit  physiologisch  gleichstufigen 
Stellen  gesunder  Gebiete,  eine  zu  schwache  resp.  zu  starke  Empfindung  ergeben, 
d.  h.,  dass  die  an  dem  erkrankten  Eörpertheil  Yorhandene  Scala  von  Intensit&ts-Ab- 
stufungen  eine  Verschiebung  zeigt.  Als  Beizobject  wird  ein  einfacher  solider  Messing- 
cylinder  an  einer  Handhabe  von  Harl^ummi  benutzt,  welcher  fOr  die  E&ltesinn- 
Prüfung  Lufttemperatur  besitzt,  für  die  Wärmesinn-Prüfung  auf  45 — 50^  über  einer 
Spirituslampe  angewärmt  wird,  so  dass  er  am  Handrücken  ein  massig  starkes  Wärme- 
gefühl erregt.  Derselbe  wird  folgeweise  auf  je  eine  Prüfungsstelle  des  zu  unter- 
suchenden Gebietes  und  eine  gleichstufige  eines  gesunden  Gebietes  aufgesetzt,  und 
es  wird,  wenn  sich  ergiebt,  dass  die  Empfindung  an  jener  nicht  nonnal  ist»  diejenige 
Stufe  bestimmt,  welcher  letztgenannte  jetzt  äquivalent  ist.  Die  Untersuchung  er- 
streckt sich  hauptsächlich  auf  die  empfindlichsten  Stellen  des  erkrankten  Gebietes. 
Der  Vorzug  der  Methode  besteht  in  ihrer  handlichen  und  schnellen  Ausführbarkeit» 
welche  es  ermöglicht»  dass  die  Prüfung  des  Temperatursinnes  nicht  wie  bisher  eine 
besondere  Finesse  darstellt»  sondern  in  den  Bahmen  der  simpelsten  Diagnostik  auf- 
genommen werden  kann.  Für  feinere  Untersuchungen  bleibt  deshalb  doch  die  Me- 
thode der  eben  merklichen  Beize  vorbehalten,  zu  welcher  sich  bezüglich  der  prak- 
tischen Bedeutung  die  vorgetragene  „topographische''  Methode  ungefähr  so  verhält, 
wie  die  gewöhnlich  geübte  Ortssinn-Prüfung,  bei  welcher  man  den  Patienten  auf  die 
gereizte  Stelle  zeigen  lässt,  zu  der  Untersuchung  mittelst  Tasterzirkel.  Die  Methode 
wurde  von  dem  Vortragenden  an  dem  Erankenmaterial  der  Herren  ProfL  Eulenburg 
und  Mendel  vielfältig  erprobt. 

Herr  J.  Salgo:  Ueber  eine  Fonn  motorisoher  Stonuig  der  Iris.  Ausser 
der  Pupillendifferenz  und  den  myotisch  verengten  Pupillen  kommt  eine  Innervations- 
störung  der  Irismuskulatur  mit  besonderer  Häufigkeit  im  VM'laufe  der  progressiven 
Paralyse  vor,  welche  bisher  nicht  genügend  gewürdigt  wurde.  Diese  Störung  besteht 
kurz  gesagt  darin,  dass  die  im  Zustande  der  Buhe  befindliche  Pupille  die  verschie- 
densten von  der  Kreisform  abweichenden  Formen  zeigt.  Die  Pupille  erscheint  drei-, 
vier-  und  mehreckig  mit  stumpfen  Winkeln,  oder  spaltförmig,  wobei  der  Längsdurch- 
messer bald  senkrecht,  bald  quer  gestellt  erscheint,  oder  endlich  in  einer  Weise  ver- 
zogen, wie  wir  sie  in  Folge  von  Synechien  zu  sehen  pflegen.  Besonders  klar  prä- 
sentirt  sich  eine  solche  Formveränderung,  wenn  mit  dem  lichtschwachen  Spiegel  der 
Angenhintergrund  erleuchtet  wird.  Solche  Pupillen  sind  in  der  Begel  nicht  starr 
und  bieten  das  weitere  Interesse  dar,  dass  sich  bei  Erweiterung  resp.  Verengerung 
die  Difformitäten  zum  Theil  oder  ganz  ausgleichen  oder  aber  anderen  Abweichungen 
von  der  Ejreisform  Platz  machen. 

Diese  Veränderlichkeit  in  der  Unregelmässigkeit  der  Pupille  legt  es  nahe,  die 
erwähnte  motorische  Störung  den  andern  bei  der  progressiven  Paralyse  beobachteten 
anzureihen,  insofern  sie  ebenfalls  keinen  eigentlichen  Lähmungszustand  bedeutet, 
sondern  nur  eine  unregelmässige,  unkoordinirte  Innervation  mit  dem  Gharacter  atak- 
tischer Bewegungsstörung. 

Discussion:  Herr  Moeli  hat  diese  Veränderungen  vornehmlich  bei  frühzeitig 
bestehender  Pupillenstarre  beobachtet. 

Herr  Salgö  giebt  dies  für  die  meisten  seiner  Fälle  nicht  zu. 

Section  für  Ophthalmologie. 

Herr  Schmidt-Bimpler  (Marburg):  Beitrag  bot  Diagnostik  der  Nuolear- 
l&hmnngen.    Ein  20jähriges  Mädchen  kam  mit  rechtsseitiger  Abducenslähmung  in 


—    466    — 

die  Marborger  Augenklimk.  Dieselbe  ging  unter  Entwickelong  einer  linkss^tigen 
Abducenslähmung  zurück.  Sp&ter  traten  Symptome  der  Bolb&rparaljse  anf,  schliess- 
lich totale  Lähmung  der  ganzen  Körper-  nnd  Gesichtsmnscnlatur.  Exitns  letalis. 
Die  Section  ergab  Glioma  pontis,  das  sich  in  die  Cmra  cerebelli  ad  pontem  nnd 
Fyramidenbündel  fortsetzte.  Die  ganze  Entwickelnng,  das  Fehlen  einer  Stanongs- 
papiUe  (nur  2  Tage  vor  dem  Tode  traten  leichte  Hyper&mie  nnd  Trfibnngen  auf) 
machten  die  Diagnose  einer  Nndeariähmung  wahrscheinlich. 

Herr  Uhthoff  (Berlin):  Zur  Ophthidmoplegia  externa.  U.  stellt  zunächst 
einen  Kranken  von  15  Jahren  mit  beiderseitiger  Ophthalmoplegia  externa  vor.  Die 
Beweglichkeit  beider  Augen  fast  yöllig  aufgehoben,  mittlere  Ptosis,  ferner  doppel- 
seitige leichte  Parese  des  N.  facialis.  Alle  sonstigen  Gehimerscheinungen  fehleii, 
subjectiYes  Wohlbefinden.  Urin  normal.  Keine  Sensibilitatsstömngen,  Function  der 
übrigen  Sinnesorgane  normal.  Ophthahnosc.  nihil,  Pupillenreaction,  Sehschärfe,  Äc- 
commodation  normal.  Die  Affection  hat  sich  7or  ca.  V«  J&hre  entwickelt  und  be- 
steht seit  der  Zeit  ziemlich  unverändert 

Zweitens  demonstrirt  U.  Präparate  von  einem  3jährigen  Kinde,  das  an  allge- 
meiner Tuberculose  zu  Grunde  ging.  Intra  vitam  zeigte  das  Kind  neben  Gehim- 
erscheinungen Ophthalmoplegia  externa,  d.  h.  völlige  Lähmung  im  Sinne  beider 
Nervi  abducentes,  sehr  starke  Beeinträchtigung  der  Beweglichkeit  im  Sinne  beider 
B.  intemi  und  ebenso  die  Beweglichkeit  der  Bulbi  nach  oben  und  unten  deutlich 
beschränkt,  Verhalten  der  Pupillen  normal  Als  Ursache  für  die  Ophthalmoplegie 
findet  sich  ein  haselnussgrosser  Solitärtuberkel  in  der  Medulla  oblongata.  Der  Sitz 
dieses  Tuberkels  und  sein  Yerhältniss  zu  den  Nervenkemen  der  Augenmuskel  erklärt 
vollständig  den  objectiven  Befund  der  Ophthalmoplegia  externa.  U.  zeigt  sodann 
makroskopisch  wie  mikroskopisch  die  einschlägigen  Präparate. 

Discussion:  Herr  Göpel  (Frankfurt  a.  d.  0.)  macht  Bemerkungen  über  einen 
ähnlichen  Fall,  welcher  zeitweise  Nachlass  der  Krankheitserscheinungen  zeigte. 

Herr  Alexander  (Aachen)  berichtet  über  4  Fälle  von  Ophthalmoplegia  externa, 
welche  er  als  nucleare  Lähmung  bezeichnet.  Nachdem  er  bereits  früher  über  die 
Lähmung  des  inneren  Augenmuskels  mehreres  publicirt  hatte,  welche  er  jetzt  nach 
den  experimentellen  Untersuchungen  von  Volkers  und  Hensen,  Sattler  und  Pick 
als  eine  Läsion  am  Boden  des  3.  Gehimventrikels  bezeichnet,  während  er  die  von 
ihm  beobachteten  Fälle  von  Ophthalmoplegia  externa  für  Herderkrankungen  im  Aquae- 
ductus Sylvii  resp.  im  4.  G^himventrikel  hält. 

Herr  Oohn  (Breshiu)  demonstrirte  die  Flora  arteflaota  ophthalmoplegica, 
welche  er  auch  ausgestellt  hat.  Dieselbe  enthält  die  bei  Augenkrankheiten  viel  ver- 
wendeten Topica:  Atropa,  Hyoscyamus,  Goca,  Physostigma  und  PUocarpus,  femer  die 
Purgantia:  Aloö,  Jalappa,  Bheum,  Ricinus,  Senna  und  Bhamnus.  Die  Pflanzen  sind 
ausgezeichnet  künstlich  gearbeitet  von  der  Blumenhandlung  von  Chr.  Jauch  in 
Breslau,  unter  Controle  des  Lispectors  des  botanischen  (Wartens  Herrn  Stein,  und 
sind  mit  botanischen,  physiologischen  und  pharmakologischen  Erläuterungen  vom  Vor- 
tragenden versehen.  Jeder  Pflanze  ist  der  von  ihr  offlcinell  benutzte  Theil,  z.  E 
die  Calabarbohne,  das  Jalappenharz  etc.  beigelegt.  Die  Sammlung  dürfte  sich  iür  dm 
Unterricht  in  Augenkliniken  empfehlen,  da  die  Pflanzen,  deren  wirksame  Be- 
standtheile  täglich  verordnet  werden,  selbst  ausgezeichneten  Ophthalmologen  oft  nidit 
genügend  bekannt»  sicher  aber  bisher  niemals  für  die  Demonstration  zur  Hand  ge- 
wesen sind. 

Herr  Nieden  (Bochum):    Fall   von  Dyslexie  mit  Seotionsbeftixid.    Es 

handelt  sich  um  einen  Fall  von  Dyslexie,  der  bei  einem  39jährigen,  ganz  gesunden 
Individuum  als  einziges  Initialsymptom  einer  schweren  Herderkranknng  des  Ge- 
hirns beobachtet  wurde,  die  sich  bei  der  Section  als  multiple  Apoplexie  des  Corpus 
striatum  der  linken  Seite  darstellte. 


—    467    — 

Eine  yier  Tage  dem  Tode  ToranBgehende  leiehte  und  Torftbergehende  Parese 
des  Facialis  und  der  rechten  Extremitäten  ohne  Farästhesie  Hess  im  Anschloss  an 
die  djsleetischen  Erscheinnngen,  die  sich  in  einem  absoluten  Unvermögen,  mehr  als 
3 — 4  Worte  zusammenhängend  zu  lesen,  äusserten,  die  Annahme  zu,  dass  es  sich 
um  eine  Herderkrankung,  wahrscheinlich  in  der  Gegend  der  Broca*schen  Windung 
und  des  Bewegungsoentrums  der  rechten  Extremitäten  handele.  Die  Autopsie  be- 
stätigte diese  Annahme.    Die  liiteratur  Terf&gt  erst  fiber  6  Fälle  gleicher  Gattung. 

Herr  Berlin  (Stuttgart)  freut  sich,  dass  ausser  seinen  Beobachtungen  jetzt 
weitere  DyslexieflUle  mit  demselben  letalen  Verlauf,  den  er  constatirt,  yeröffentlieht 
wurden.  Auch  derjenige  von  Nieden  zeigt  eine  pathologisch -anatomische  Verände- 
rung der  linken  Himhemisphäre.  Vor  zu  detaillirter  Diagnose  warnt  er.  Femer 
hebt  derselbe  hervor,  dass  er  wie  Nieden  beobachtete,  dass  die  Patienten  einen 
ausgesprochenen  Widerwillen  gegen  das  Lesen  an  den  Tag  legten  und  möchte  das- 
selbe als  „UnlustgefQhl''  bezeichnen. 

Er  giebt  in  folgender  Sitzung  eine  vervollständigte  Beschreibung  von  dem  symp- 
tomatologlschen  Bilde,  hebt  dabei  den  Unterschied  zwischen  der  Hebetudo  visus  her- 
vor und  bezeichnet  als  charakteristisch  fOr  die  Dyslexie  die  Kürze  der  Leistung, 
die  Vollständigkeit  der  Functionsstörung  und  die  Plötzlichkeit  des  Aufbretens  der 
Krankheit  Dieser  letztere  Umstand  ist  schon  im  Verein  mit  der  leichtesten  Störung 
des  Nervensystems  z.  B.  mit  Kopfweh  und  Schwindel  diagnostisch  sehr  wichtig. 
Femer  betont  Berlin,  dass  er  wiederholt  auf  die  etymologischen  Bedenken,  welche 
dem  Ausdmck  „Dyslexie^'  entgegen  stehen,  hingewiesen  hat.  Er  habe  das  Wort  den 
einmal  in  der  medicinischen  Nomenclatur  eingeführten  Ausdrücken  Alexie  und  Para- 
lexie  nachgebildet  und  empfiehlt  den  Ausdmck  der  Kürze  und  Verständlichkeit  wegen, 
vorläufig  beizubehalten,  erklärt  sich  aber  von  vornherein  bereit  für  eine  etwaige 
neue  Bezeichnung,  welche  physiologisch  mehr  befriedigt,  ohne  das  medicinische  Ver- 
ständniss  zu  erschweren.  Die  Ausdrücke  „Dysanagnosie"'  oder  „unvollständige  isolirte 
Wortblindheit''  scheinen  sich  doch  nicht  zu  empfehlen. 

Section  für  Otiatrie. 

Herr  Steinbrügge  (Glossen):  Ueber  Labyrinth-Erkrankimgexi  in  Folge 
von  Cerebrospinal-lSieniiigitis. 

St.  bespricht  das  Zustandekommen  der  Zerstörang  labyrinthärer  Gebilde  durch 
den  der  Cerebrospinal-Meningitis  eigenthümlichen  Krankheitsprocess,  auf  Gmnd  zweier 
von  ihm  untersuchter  Fälle,  von  denen  der  eine  acut  und  stürmisch,  unter  dem 
ausgesprochenen  Bilde  der  Cerebrospinal-Meningitis,  der  andere  mehr  latent  und 
schleichend  verlaufen  war.  Der  Vortragende  ist  der  Ansicht,  dass  man  zweierlei 
Vorgänge  bei  der  Zerstörung  unterscheiden  müsse,  nämlich  einestbeils  die  eitrige 
Entzündung  und  anderentheils  nekrotisirende  Processe,  welche  letztere  namentlich  im 
Periost  der  knöchemen  Bogengänge  durch  directe  Einwirkung  des  Krankheitsgiftes 
auf  die  kleinen  Gewisse  desselben  zu  Stande  kommen.  Durch  Entstehung  von  Stase 
und  Thrombose  in  diesen  erfassen  wh*d  der  Zerfall  des  Periosts  und  der  an  diesem 
befestigten  häutigen  Labyrinthgebilde  eingeleitet.  Die  Nekrose  ist  daher  nicht  der 
Ausgang  des  eitrig-entzündlichen  Processes,  sondern  erfolgt  primär,  und  erklärt  sich 
daraus  das  frühzeitige  Entstehen  und  unheilbare  Persistiren  der  Taubheit  in  vielen 
Fällen  der  Cerebrospinal-Meningitis. 

Die  Zerstörung  der  Gewebe  durch  den  Eiter  wird  namentlich  durch  mechanische 
Einwirkung  des  letzteren  bedingt,  sobald  derselbe  in  grösserer  Menge  producirt  worden 
ist.  Die  Befunde  am  N.  facialis  z.  B.  beweisen,  dass  geringere  Mengen  von  Eiter 
in  der  Umgebung  dieses  Nerven  und  zwischen  seinen  Fasem,  ohne  Symptome  zu 
erregen,  vorkommen  können,  während  in  dem  zweiten  der  besprochenen  Fälle  ein 


—    468    — 

Theil  der  Aeosticasfasem  dnrch  Auseinanderdr&ngen  yermitlelst  grosserer  Eitermengen 
zerstört  zu  sein  schien. 

Als  weiteres  Stadium  der  labyrintharen  Erkrankung  ist  die  Neubildung  von 
Bindegewebe  zu  betrachten,  welche  wahrscheinlich  wieder  den  üebergang  zur  Yer- 
knöcherung  darstellt 

Zum  Schluss  macht  Vortragender  auf  das  eigenthümliche  Verhalten  dear  Tem- 
peratur in  Fällen  sporadischer  Cerebrospinal-Meningitis  aufmerksam;  dieselbe  kann 
trotz  der  eitrigen  Hirnhautentzündung  und  beträchtlicher  labjrinthärer  Zerstörungen 
nur  vorübergehend  erhöht  und  während  längerer  Intervalle  ganz  normal  sein,  worauf 
entweder  der  Ausgang  in  partielle  Genesung  oder  neue  Recidive,  selbst  mit  letalem 
Exitus  erfolgen  können.  Die  Wichtigkeit  dieses  Verhaltens  der  Temperatur  wird 
namentlich  mit  Bücksicht  auf  taube,  der  Simulation  verdächtige  Militärpersonen 
hervorgehoben. 

Es  folgt  die  Demonstration  mikroskopischer  Präparate. 

Discussion.  Herr  Barth  (Berlin):  Bei  Meningitis  in  Folge  von  Otitis  supp. 
besteht  häufiger  8 — 14  Tage  lang  vor  dem  Tode  normale,  ja  subnormale  Temperatur, 
die  vielleicht  im  letalen  Moment  noch  einmal  ansteigt.  Wenn  bei  diesen  niedrigen 
Temperaturen  sich  nicht  auch  die  übrigen  Erscheinungen  bessern,  so  sind  jene  em 
bedenkliches  Zeichen. 

Herr  Schwartze.  MeningitiB  ex  otitide  kann  in  seltenen  Fällen  zum  Tode 
führen,  ohne  dass  38^  überschritten  wird.  Dass  Himabsceese  ohne  Fieber  verlaufen, 
bildet  die  Begel. 

Herr  Truckenbrod  hat  2  Mal  bei  Cerebrospinal-Meningitis  acute  Mittelohr- 
Eiterung  beobachtet,  die  er  aber  nicht  als  im  Zusammenhang  mit  jener  betrachtet, 
das  Gehör  für  die  tiefen  Töne  war  gut  erhalten. 

Herr  Schwabach  erwähnt  3  Fälle  von  Taubheit  nach  Cerebrospinal-Meningitis, 
darunter  1  Kind  von  5  Jahren,  das  erst  vor  3  oder  4  Tagen  erkrankt  war.  Fieber 
ist  weder  vom  Hausarzt  noch  vom  Vortragenden  beobachtet  worden.  Im  Gegenaatx 
zu  dem  Falle  des  Herrn  Truckenbrod  war  hier  die  Hörfähigkeit  für  die  in  der 
viergestrichenen  Octave  getragenen  Töne  erhalten. 

Keller  (Köln):  Die  von  mir  beobachteten,  einschlägigen  Fälle  sind  mit  Fieber 
verlaufen. 

Herr  Lucae  macht  darauf  aufmerksam,  dass  die  Prüfung  der  durch  Meningitis 
taub  Gewordenen,  besonders  von  Kindern,  auf  verschieden  hohe  Töne  nur  einen  sehr 
relativen  Werth  hat,  da  die  wenigsten  dieser  Patienten  im  Stande  sind,  die  wahr- 
genommene Tonhöhe  richtig  anzugeben. 

Herr  Guye  (Amsterdam)  fragt  an,  ob  auch  diejenigen  Fälle,  in  welchen  der 
ganze  Krankheitsprocess  als  solcher  nach  8 — 10  Tagen  vorüber  war,  als  Cerebrospinal- 
Meningitis  oder  als  selbständige  Labyrinth-Entzündung  aufzufassen  sind. 

Herr  Gottstein  (Breslau)  weist  auf  die  von  ihm  gemachte  Zusanmienstellung 
solcher  Fälle  plötzlich  erschienener  Taabheit  hin,  die  epidemisch  auftraten  und  be- 
sonders zu  einer  Zeit,  wo  Cerebrospinal-Meningitis  herrschte. 

Section  für  innere  Medicin. 

Hr.  Lennhartz  (Leipzig)  spricht  gegen  die  anttdotarisohe  Behaadlong  der 
Morphiumvergiftungen  mit  Atropin.  Von  132  Vergiftungsfällen,  die  Vortra- 
gender sammelte,  ergaben  59  mit  Atropin  behandelte  Fälle  28^/^  Mortalität^  während 
bei  73  anderen  nur  15  ^/^  Mortalität  verzeichnet  wurden.  Durch  8  Versuche  an 
morphiumvergifteten  Thieren  mit  Atropin  wurde  nicht  der  geringste  Erfolg  herbei- 
geführt. Die  Thiere  starben  gerade  so  früh,  in  2  Fällen  sogar  offenbar  an  dem 
cumulativen  Effect. 

In  der  Discussion  spricht  sich  Hr.  L.  Lewin  für  die  Atropinbehandlung  aus. 


—    469    — 

Hr.  Naunyn  (Königsberg)  spricht  nach  kurzer  Auseinandersetzung  über  den 
deneitigen  Stand  der  Iiehre  vom  Himdruok« 

1.  Vom  Himdruck  beim  Hydrocephalus  spec.  dem  Hydrocephal.  acut.  —  Die 
Cerebrospinalflüssigkeit  geht  in  einem  ununterbrochenen  Strome  durch  die  Spatia 
arachnoidea.  Eine  Aufstauung  dieser  kann  nur  durch  Störung  der  Resorption  zu 
Stande  kommen,  dies  lehrten  N.  seine  in  Gemeinschaft  mit  Dr.  Falkenheim  aus- 
geführten Versuche.  Sie  ergaben,  dass  die  Besorptionsgrösse  des  Liq.  cerebrospinal. 
eine  sehr  bedeutende  ist,  sie  hängt  Yom  intracraniellen  Druck  ab  und  wächst  mit 
diesem  ganz  gewaltig,  bis  zu  4  ccm  in  jeder  Minute  bei  einem  Druck,  der  Himdruck 
noch  nicht  erzeugen  kann,  die  Secretion  ist  demgegenüber  nicht  so  bedeutend.  N. 
und  F.  fanden  bei  einem  Hunde  von  25  k  74  <^^  V^^  Minute.  Durch  Blutdruck- 
steigerung in  den  Himgefössen  wurde  weder  die  Resorption  noch  die  Secretion  durch 
Steigerung  des  arteriellen  Druckes  beeinflusst.  Hingegen  wird  die  Secretion  durch 
Verdünnung  des  Blutes  um  20— 50%  gesteigert 

2.  Die  Himdruckanfölle  beim  Hirntumor.  —  Es  treten  bekanntlich  die  eigent- 
lichen Himdruckerscheinungen  beim  Hirntumor  anfallsweise  ein,  obgleich  und  auch 
da,  wo  die  Steigerung  des  intracraniellen  Druckes  dauernd,  aber  ungenügend  ist,  um 
die  Himdruckerscheinungen  hervorzurufen.  Es  können  diese  Anfölle  durch  Beides, 
Sinken  des  arter.  Blutdruckes  (seil,  in  den  Himgefässen)  und  durch  plötzliche  Stei- 
gerung desselben  hervorgerufen  werden.  Die  durch  plötzliche  Steigerung  hervor- 
gerufenen Anfalle  (die  N.  nach  Bergmann  und  Althaus  erklärt)  sind  weit  weniger 
gefährlich,  wie  die  durch  Sinken  des  Blutdruckes  erzeugten;  nur  gefährlich  werden 
können  auch  sie,  wenn  gleich  nach  der  Erhöhung  des  Blutdruckes  eine  Erniedrigung 
desselben  folgt.  Deshalb  ist  unter  allen  Umständen  vor  dem  Aderlass  zu  warnen, 
denn  dieser  soll  nur  durch  Erniedrigung  des  Blutdruckes  wirken. 

Hr.  Strümpell  (Erlangen)    bespricht   die    Compresslonslfthmungen    des 

BüokenmarkB.  Während  man  die  bei  Wirbelerkrankui^en  auftretenden  Faraplegien 
gewöhnlich  als  Folge  einer  auf  das  Rückenmark  fortgesetzten  Entzündung  („Com* 
pressionsmyelitis")  ansieht,  handelt  es  sich  nach  den  Untersuchungen  des  Vortr.  nur 
um  mechanische  Druckvorgänge.  Die  histologischen  Veränderungen  im  Rücken- 
mark sind  hierbei  genau  dieselben,  welche  man  auch  experimentell  durch  Druck  auf 
das  Rückenmark  von  Thieren  hervorbringen  kann.  Besonders  bemerkenswerth  ist 
aber,  dass  ein  Druck  die  Leitung  im  Rücken  bereits  zum  Theil  aufheben  kann,  ohne 
die  gröbere  Structur  der  Nervenfasern  und  Zellen  zu  ändern.  Daher  ist  zuweilen  der 
Befund  im  Rückenmark  fast  negativ,  obwohl  zu  Lebzeiten  des  Kranken  schwere  Para- 
plegie  bestand.  Auch  secundäre  Degenerationen  fehlen  in  solchen  Fällen.  Praktisch 
wichtig  ist  aber,  dass  solche  Compressionsstörungen  wieder  ausgeglichen  werden 
können,  wenn  der  Druck  aufhört.  So  erklärt  sich  die  zuweilen  vorkommende  Hei- 
lung der  Paraplegie  bei  Wirbelerkrankungen,  ohne  dass  man  Degenerationsvorgänge 
im  Rückenmark  anzunehmen  braucht. 

Discussion:  Hr.  Renz  (Wildbad):  Die  häufige  Heilbarkeit  der  Gompressions- 
myelitis  durch  spondylitische  Peripachymeningitis  sei  auch  der  Balneologie  sehr  be- 
kannt; doch  komme  es  hier  sehr  auf  das  Stadium  der  Erkrankung  an.  Im  Stadium 
incrementi  nehmen  die  Compressionssymptome  gewöhnlich  zu;  doch  dürfe  auch  da 
die  Prognose  nicht  ungünstig  gestellt  werden.  Denn  wenn  der  spondylitische  Eiter 
einen  Ausweg  gefunden  habe,  lasse  der  comprimirende  Druck  nach,  und  man  beob- 
achte da  in  scheinbar  verzweifelten  Fällen,  nachdem  sie  längst  den  Badeort  verlassen 
haben  und  ohne  dass  sie  einen  Brennstreif  auf  den  Rückien  bekommen  hätten,  noch 
eine  vollständige  Heilung.  —  In  zweiter  Linie  möchte  R.  darauf  aufmerksam  machen, 
dass  die  gewöhnliche  Angabe  „intacter"  Sensibilität  bei  Oompressionsmyeliten  un- 
richtig sei.    Die  locale  Sensibilität  sei  unterhalb  der  Zone   der   Compression  fast 


—     470      - 

stets    ebe  ▼erminderte,    und    lasse    sach    diese   Hjpisthesie  dnrcli    ProfnBg    mit 
schwachen  catanofaradischen  Strömen  mit  Sicherheit  nachweisen. 


Section  für  Chirnrgie. 

Herr  F.  Krause  (Halle):  lieber  Vertnderongen  der  Nerven  und  des 
Bnokenmarks  nach  Amputation. 

Nach  Amputation  atrophiren  nur  sensible  Nervenfasern  in  den  Nerven  der 
Stampfe.  Die  Atrophie  besteht  darin,  dass  das  Mark  seine  normalen  Beschaffenheiten 
und  Beactionen  verliert  und  erheblich  im  Durchmesser  verringert  wird.  Auch  der 
Axencylinder  atrophirt,  bleibt  aber  selbst  nach  10  Jahren  noch  nachzuweisen.  Diese 
qualitative  Veränderung  geht  bis  zum  Spinalganglion,  oberhalb  desselben  ist  nur 
eine  quantitative  Veränderung  vorhanden  und  zwar  eine  Verschmälerung  dar  Hinter- 
strange (nach  Amputation  einer  Unterextremität  im  Lenden-  und  Bmstmark,  nach 
Armamputation  im  Halsmark).  Ferner  nehmen  die  Ganglienzellen  in  den 
Clarke'schen  Säulen  nach  Beinamputationen  an  Zahl  ab,  ebenso  die 
Ganglienzellen  in  der  hinteren  lateralen  Gruppe  des  Vorderhorns  der 
Lendenanschwellung.  Nach  Armamputation  ist  die  Verschmälerung  des  Hinter- 
strangs im  ganzen  Halsmarke  sehr  deutlich. 

Section  fftr  Zoologie. 

Herr  Gustav  Joseph  (Breslau)  spricht  über  das  oentrale  Nervensystem 
der  Bandwürmer.    Sein  Vortrag  gipfelte  in  folgenden  Sätzen: 

1)  Die  beiden  EUmganglien  der  Tanien  sind  bei  manchen  Arten  (Taenia  trans- 
versalis  des  Murmelthieres,  T.  rhopalocera  des  Hasen)  nicht  wie  bei  vielen  Arten  nur 
durch  eine  emzige,  nämlidi  dorsale,  Eommisur  verbunden,  sondern  durch  2  Kommi- 
euren,  eine  dorsale  und  eine  ventrale,  die  durch  Grundsubstanz  und  Muskelaosstrah- 
Inngen  getrennt  sind.  Bei  T.  crassicollis  ist  die  ventrale  Kommissur  nahe  an  die 
dorsale  geschoben,  aber  noch  von  derselben  geschieden.  Schon  bei  den  Trematoden 
ist  die  ventrale  Kommisur  dflnn. 

2)  Jedes  der  Himganglien  ist  aus  3  Ganglien,  nämlich  einem  mittleren  grossen 
und  je  einem  dorsalen  und  ventralen  kleineren  zusammengesetzt^  die  am  dentUdisten 
bei  T.  crassicollis,  und  zwar  durch  Muskelausstrahlungen  von  einander  getrennt  sind. 
Jeder  der  beiden  Seiteunervenstämme  bat  daher  drei  Wurzeln.  Ersteres  Moment 
erhellt  aus  Querschnitten  durch  den  Kopf  der  T.  saginata  var.  triquetra;  letzteres 
aus  Querschnitten  durch  den  Hals  der  T.  crassicollis. 

3)  In  dem  Stadium  der  Finne,  in  welchem  die  AussttÜpung  des  Haftapparates 
noch  nicht  stattgefunden  hat,  ist  das  centrale  Nervensystem  in  6  äquatorial  gesteUten 
Ganglienzellenhaufen  (Qanglienzelle  von  0,012  mm  Durchmesser,  Kern  derselben 
0,0046  mm  Durchm.)  angelegt,  die  später  durch  Auswachsen  bipolarer  Fortsatze 
zu  einem  Nervenring  mit  2  ans  je  3  Ganglienhaufen  bestehenden  Verdickungen  sich 
verbinden. 

Section  für  Veterinärmedicin. 

Herr  Dr.  Schmidt -Aachen:  Ueber  Meningitis  oerebro  -  spinalis  der 
Binder.  Diese  Krankheit,  deren  Ursachen  unbekannt  und  deren  Verlauf  regelmässig 
tödtlich  ist,  hat  in  der  Literatur  eine  zutreffende  Schilderung  noch  nicht  erfahren. 
Sie  lässt  zwei  Stadien  erkennen,  das  der  Beizung  und  das  der  Depression.  Zunächst 
sind  die  Thiere  höchst  unruhig,  schütteln  und  schleudern  den  Kopf  seitwärts,  können 
aber  schon  bis  jetzt  keine  Beiigungen  desselben  ausführen.  Körperwärme,  Herzschlag 
und   Respiration   zeigen   keine   Abnormität.    Das   Erregungsstadium   dauert   12  bis 


—    471    — 

liöclisteBs  SO  Stunden.  Bald  zeigt  sich  Muskelsteifigkeit,  Krampf  der  Halsmusknlatnr, 
welcher  jede  Kopfbeugnng  verhindert  und  event.  mit  Kinnbackenkrampf  sich  verbindet. 
Die  Thiere  stehen  theilnahmlos,  indessen  ist  die  Psyche  nicht  getrübt.  Allmählich 
wird  die  Haut  kalt,  die  Temperatur  sinkt  unter  die  Norm  (auf  38^),  die  Athmung  wird 
langsam  und  tief.  Vom  zweiten  Tage  ab  treten  regelmässig  auch  Zuckangen  im 
Muse,  longissim.  dors.  auf,  welche  bald  schnell,  bald  langsamer,  etwa  20  pro  Minute 
erfolgen  und  allmählich  stärker  werden.  Dazu  gesellen  sich  in  den  einzelnen  Fällen 
Zuckungen  im  Muse,  serratus,  an  den  Augenlidern,  eigenthümlich  hoch  aufwärts  und 
vorwärts  gestreckte  Stellung  des  Kopfes,  manchmal  Lähmung  und  Gefühllosigkeit  der 
Yorderschenkel.  Nur  in  einem  Fall  wurde  Genesung  beobachtet,  wobei  die  Muskel- 
zuckungen noch  4  Wochen  lang  anhielten;  hier  stellte  sich  übrigens  am  zweiten 
Tage  eine  24  Stunden  dauernde  Athembeschwerde  ein.  In  allen  anderen  Fällen  trat 
in  6 — 8  Tagen  der  Tod  ein.  Die  Section  ergiebt  im  ersten  Stadium  nur  Hyperämie, 
nach  2 — 4  Tagen  bis  zu  30  gr  röthlich  klare  Flüssigkeit  in  den  Maschen  der  Pia 
mater  und  gelatinöse  Ablagerungen,  besonders  in  den  Sulci  der  Hirnrinde.  In  den 
Binnenräumen  und  der  Substanz  des  Gehirns  und  Marks  war  nichts  Abnormes  nach- 
zuweisen. 

Jede  Behandlung  ist  erfolglost  Laxantia  wirken  prompt,  bleiben  aber  ohne  Ein- 
fluss  auf  den  Krankheitsverlauf. 

Section  für  gerichtliche  Medicin. 

Hr.  Mendel:  Ueber  die  Vagabondenfrage  vom  gerlohtsärztliolieii  Stand- 
punkte. 

In  der  Yagabondenfrage,  die  seit  Jahren  lebhaft  alle  Kreise  beschäftigt,  sind 
die  Aerzte  bis  jetzt  wenig  zum  Wort  gekommen.  Es  ist  dies  um  so  auffallender, 
als  ein  Theil  der  Vagabonden  unzweifelhaft  nicht  durch  äussere  Verhältnisse,  son- 
dern durch  innere  krankhafte  Zustände  zum  Landstreichen  und  Betteln  getrieben 
werden.  Den  Psychiatern  sind  solche  Thatsachen  bei  Epileptikern,  Paralytikern, 
Imbecillen,  den  dkoholistischen  Psychosen  bekannt.  Vor  dem  gerichtlichen  Forum 
haben  jedoch  diese  Erfahrungen  wenig  praktische  Anwendung  gefunden,  woran  vor 
Allem  auch  das  summarische  Verfahren  mit  den  Vagabonden  Schuld  trägt.  Mendel 
hat  unter  den  ca.  1000  Detinirten  eines  Arbeitshauses  85  untersucht,  die  ohne  Aus- 
wahl herausgesucht  wurden. 

Von  diesen  waren  2  Paralytiker,  4  Paranoiker,  5  hochgradig  Schwachsinnige, 
8  Epileptiker  mit  geistigen  Defecten,  14  mit  chronischen  körperlichen  Erkrankungen, 
die  ihre  Arbeitsföhigkeit  ganz  oder  theilweise  vernichteten.  Von  den  übrigen  52 
sind  5  noch  anders  zu  beurtheilen  als  wie  normale  Menschen,  da  sie  eine  erhebliche 
hereditäre  Belastung  zu  Geisteskrankheiten  zeigten  und  im  jogendlichen  Alter  bereits 
mehrfach  bestraft  waren. 

Von  dem  Beste  dürften  in  Betracht  kommen  besonders  noch  2  Fälle,  in  denen 
in  der  Entlassung  aus  dem  Krankenhause  nach  schwerer  körperlicher  Erkrankung  die 
Arbeitsfähigkeit  noch  nicht  eingetreten  war  und  Betteln  dadurch  veranlasst  wurde. 
i    Zur  Besserung  der  jetzigen  Zustände  schlägt  M.  vor: 

1.  Die  auf  Grund  des  §  361,  3  u.  4  (Landstreichen  und  Betteln)  Angeschul- 
digten sind  vor  ihrer  Verurtbeilung  gerichtsärztlich  zu  untersuchen. 

2.  Diejenigen,  die  an  einer  krankhaften  Störung  der  G^istesthätigkeit  leiden 
(Epileptiker,  ImbeciUe,  chronische  alkoholistische  Psychosen),  sind  den  Irrenanstalten 
resp.  Epileptikeranstalten  zu  überweisen.  Da  diese  Kranken  fast  durchgängig  un- 
heilbar sind  und  kurze  Zeit  nach  der  Entlassung  immer  wieder  in  das  Arbeitshaus 
gebracht  werden,  so  werden  die  Kosten  der  Unterhaltung,  die  für  Irrenanstalt,  wie 
für  Arbeitshaus,  bei  uns  die  Provinz  zu  tragen  hat,  nicht  vermehrt  Eine  grosse 
Beihe  eignet  sich   für  coloniale  Verpflegung.     Durch   dauernde  Beaufsichtigung 


—    472    — 

wird  den  Kranken  genfitzt,  das  Pnbliknm  aber  vor  einem  erheblichen  Bmchtheil  der 
Vagabonden  bewahrt. 

3.  Chronisch  körperliche  Kranke  nnd  dadurch  arbeitsunfähige  Vagabonden  sind 
den  Kommnnen  zur  entsprechenden  Unterstfitzung  zn  fiberweisen. 

4.  Ffir  die  Beconvalescentenpflege  nnd  Entlassung  ans  den  Krankenhäusern  ist 
in  entsprechender  Weise  zn  sorgen. 

Die  Discnssion,  an  der  sich  die  Herren  Bär,  Falk,  Littaner,  Lissner, 
Seydel  betheiligten,  bekundet  eine  wesentliche  Uebereinstimmung  mit  den  Anschau- 
ungen des  Vortragenden. 

In  der  Section  ffir  Gynäcologie 

hielt  Herr  Schramm  einen  Vortrag  fiber  EaBtration  bei  Epilepsie  nnd  bejaht 
die  Frage,  ob  die  Kastration  gesunder  Oyarien  durch  Herbeiffibrung  des  kfinstlichen 
Klimacterium  sich  als  Heilmittel  erweisen  kOnne.  Er  schildert  zwei  schwere  Falle, 
die  nach  Ablauf  von  l^s  resp.  1  Jahr  gänzlich  hergestellt  worden. 

Herr  Schröder:  Ueber  Kastration  bei  Neurosen.  Er  glaubt,  dass  die 
Frage,  ob  die  Entfernung  gesunder  Ovarien  bei  Neurosen  Vortheil  bringt,  nnr  durch 
die  Erfahrung  entschieden  werden  kann.  Er  hat  12mal  aus  dieser  Indication  opeiirt, 
von  diesen  sind  3  mit  sehr  gfinstigem  Resultat  bereits  S^s»  7  und  5  Jahre  alt; 
die  fibrigen  lassen  sich  noch  nicht  verwerthen. 

Es  können  also  schwere  Neurosen  durch  die  Kastration  gesunder  Ovarien  heilen. 

In  der  Discussion  fiber  die  beiden  Vorträge  hebt  Herr  He  gar  hervor,  dass 
auch  er  die  Kastration  gesunder  Ovarien  wegen  Neurosen  nicht  verwerfe,  aber  die 
Gegenwart  einer  mit  der  Neurose  in  causalem  Zusammenhang  stehenden  pathologischen 
Veränderung  im  Sexualapparat  verlangt. 

Während  Herr  Freund  fiber  einen  Fall  von  ovaneller  Hysterie  berichtet,  welcher 
durch  Entfernung  des  dermoiden  Tumors  des  linken  Ovarium  nicht  geheilt  worden 
ist,  stimmen  Herr  Olshausen,  wie  Herr  Gusserow  Schröder  bei,  dass  schwere 
Neurosen  (Epilepsie  u.  s.  w.)  durch  die  Entfernung  beider  gesunder  Ovarien  geheilt 
werden  können. 

Herr  Landau  hat  4  Fälle  beobachtet,  in  denen  die  Kastration  ohne  jeden  Effect 
war  bezfiglich  der  Schmerzen.  Er,  wie  Schröder,  betrachten  die  Ovarie  als  eine 
centrale  Erkrankung. 

Herr  Sänger  hebt  die  Menstruation  als  Veranlassung  zum  Ausbruch  eiotf 
Neurose  hervor,  was  Herr  Hegar  fraglich  gelassen  hatte. 


IV.  Vermischtes. 

Die  Latah-Krankheit  der  Malaien.  Zur  VervoIlBtändigung  der  Literator  über 
„Latah"  oder  ,»Midi-Mali",  jenen  eigenthümlichen  pathologischen  Zostand,  in  dem  der  Patient 
ahnlich  wie  in  der  Hypnose  trotz  seines  lebhaften  Widerwillens  Alles  nachmachen  moss» 
was  ihm  vorgemacht  worden  ist,  sei  hier  darauf  hingewiesen,  dass  sich  ein  Referat  Ober 
eine  spanische  Arbeit  der  DDr.  Armangu^  und  Maser as  (Ija  Ooeanla  Espafiola»  Vanila» 
October  1885.)  im  Qlobas,  Bd.  49,  Nr.  24,  8.376  befindet  V^  auch  O'Brien  io  den 
Archives  de  Nearulogie.  VUI.  1885,  und  dieses  Centralblatt  1883  S.  288,  1884  S.  280  n.  426, 
1885  S.  161.  Sommer. 

Um  Einsendung  von  Separatabdrücken  an  den  Herausgeber  wird  gebeten. 

Einsendungen  fftr  die  Bedaction  sind  zu  richten  an  Prof.  Dr.  E«  Mendel, 

Berlin,  NW.  Kronprinzen-Ufer  7. 

Verlag  von  Vbit  &  Comp,  in  Tieipzig.  —  Druck  von  Mktzgkb  ft  Wittio  in  Leipzig*. 


Neurologisches  Ceotralbutt. 

Uebersicht  der  Leistungen  auf  dem  Gebiete  der  Anatomie,  Physiologie,  Pathologie 
und  Therapie  des  Nervensystemes  einschliesslich  der  Geisteskrankheiten. 

Herausgegeben  von 

Professor  Dr.  E.  Mendel 
Fftnfter  ■"  ^^  Jahrgang. 


Monatlich  erscheinen  zwei  Nummern.   Preis  des  Jahrganges  16  Mark.    Zu  beziehen  durch 
alle  Buchhandlungen  des  In-  und  Auslandes,  die  Postanstalten  des  Deutschen  Reichs,  sowie 

direct  von  der  Yerlagsbuchhandlnng. 

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1886.  15.  October.  M  20. 

Inhalt.  I.  Origintlmittheilttngen.  1.  Beitntf  zur  Localisation  des  PateUanehnea- 
reflexes  nebst  Bemerkungen  zur  Degeneration  des  Hinterhoms  bei  Tabes  dorsalis,  Ton  Dr. 
Ed.  KrattSS.  2.  Ueber  eine  frflhe  Störung  der  Sensibilität  bei  Dementia  paralytioa,  von  Dr. 
Tb.  Ziehen. 

II.  Referate.  Anatomie.  1.  Untersuchungen  über  die  motorischen  Nervenendigungen 
der  quergestreiften  Muskelfasern,  von  Miura.  2.  The  Intra-azial  oourse  of  the  Auditoiy 
Tract,  by  Spitzka.  —  Experimentelle  Physiologie.  8.  Influence  du  syst&me  nerreux 
suT  la  nutrition  des  tissus,  par  Lewaschew.  —  Pathologische  Anatomie.  4.  A  ease  in 
which  a  lesion  of  one  hemisphere  of  the  cerebellum  was  associated  with  degeneration  of 
the  olivary  body  of  the  opposite  side.  by  Dudley.  5.  Ueber  einen  Fall  von  Porencephalie,  von 
Blnswanger.  —  Pathologie  des  Nervensystems.  6.  Beriberi,  von  Tscholowskl.  7.  Con- 
tribution  a  l'ätude  de  la  n^vrite  multiple,  par  Frartcotte.  8.  Hyperaesthesia  plantae  bilateralis, 
af  Laache.  9.  Trophische  Störung  im  Verästelangsgebiete  des  linken  N.  supraorbitalis,  von 
Dechterioff.  10.  A  contribation  to  the  localization  of  focal  lesions  in  the  pons-oblongata 
transition,  by  Spitzka.  11.  A  case  of  abscess  of  the  occipital  lobe  with  hemianopsia,  by 
Janeway.  12.  A  case  of  panüysis  of  the  trigeminus,  foUowed  bv  alternate  hemiplegia,  its 
relations  to  the  nerve  of  taste,  by  Dana.  18.  A  case  of  haemorrhage  into  the  crura  cerebri 
with  remarks,  by  Rlekards.  14.  Sur  la  maladie  des  tics  convulsifs,  par  Gulnon.  15.  Etüde 
Bür  les  contractures  provoqn^es  ohes  les  hyst^ques  a  T^tat  de  veille,  par  Desciibes.  16.  Note 
sor  les  lones  l^thargofi^niatrices  chez  les  hyst^riques,  par  Bianc-Fontenllle.  —  Psychiatrie, 
lt.  Consid^rations  sur  la  Morphinomanie,  par  Plchon.  18.  Du  d^lire  chez  les  diginMs,  par 
Legrain.  19.  Report  of  a  case  of  melancholia  with  Stupor  of  five  years  dnration,  hj  Wllsey. 
20.  Gontributo  allo  studio  degli  epilettici,  pei  Clvldalll  e  Amati.  21.  Gontributions  a  Tetude 
des  hallucinations  alcooliques,  nar  MIerzeJewsM.  22.  Ueber  einige  nach  epileptischen  und 
äpoplectischen  Anfallen  aunretenae  Erscheinungen,  von  FOrstner.  —  Therapie.  28.  Alopecia^ 
the  result  of  lesion  of  trophic  nerve  center,  by  Overall. 

Ili.  Bibiioflraphle. 


I.  Originalmittheilungen. 


1.   Beitrag  zur  Localisation  des  Patellarsehnenreflexes 
nebst  Bemerkungen  zur  Degeneration  des  Hinterhoms  bei 

Tabes  dorsalis. 

Von  Dr.  Ed.  ExausB. 

Seit  dQr  Yeiöffentlicbang  der  Arbeiten  von  Westphal  und  Ebb  über  die 
Sehnenphänomene  hat  die  Frage  nach  der  (Genese,  diagnostischen  Bedeutung 


—    474    — 

und  anatomischen  Grnndlage  deiselben  das  Interesse  der  Nenropathologen  in 
hohem  Grade  in  Ansprach  genommen.  Indem  wir  ans  hier  Torwiegend  mit 
der  Frage  nadi  dem  anatomischen  Sitze  des  wichtigsten  dieser  Sdmenphanomene, 
des  Eniephanomens  oder,  wie  es  meist  genannt  wird,  des  Knie-  oder  Fatellar- 
sehnenreflexes  beschäftigen  wollen,  sei  2xiTor  mit  einigen  Worten  der  diagnos- 
tischen Bedentang  dieser  Erscheinang  gedacht  Westphal^  hat  zaerst  in  einer 
aasgezeichneten  Arbeit  die  Bedeatnng  dieses  Symptoms  for  die  Diagnose  der 
Tabes  hervorgehoben,  indem  er  fand,  dass  in  allen  Fällen,  die  sich  klinisch 
dentlich  als  Tabes  charakterisiren,  das  Eniephänomen  constant  fehlt  and  dass 
dieses  aach  for  die  initialen  Fälle  Geltang  habe.  Erb*  hat  schon  in  seiner 
ersten  Arbeit  einen  Fall  Ton  Ataxie  mit  erhaltenen  Patellarreflexen  erwähnt;  in 
seinem  Lehrbach  betont  er  die  Wichtigkeit  des  Fehlens  der  Patellarrefiexe  für 
die  Diagnose  der  Tabes,  fügt  jedoch  za  dem  obigen  Fall  2  weitere  Fälle  hinzu 
—  es  handelt  sich  bei  diesen  am  initiale  Tabes  — ,  in  denen  diese  Reflexe  vor- 
handen waren.  Bebqeb'  konnte  in  seiner  Arbeit  über  Sehnenreflexe  im  All- 
gemeinen die  Angaben  von  Westphal  bestätigen,  macht  jedoch  darauf  auf- 
merksam, dass  das  Fehlen  der  Patellarrefiexe  auch  für  die  Fälle  von  vorge- 
schrittener Tabes  nicht  als  ein  ausnahmslos  gültiges  Symptom  zu  betrachten  sei, 
die  Patellarrefiexe  in  2,  4  p.  c.  der  Fälle  von  typischer  Tabes  vorhanden  seien. 
Andere  Autoren  haben  ähnliches  gefunden,  so  Fisgheb,  Hu0hss,  Leyben, 
FouBNiEB,  Stbümpell,  Hibt,  Westphal  etc. 

Aus  dem  Mitgetheilten  wird  die  grosse  Bedeutung  des  Patellarsehnenreflexes 
für  die  Diagnose  der  Hinterstrangserkrankung  zu  entnehmen  sein;  es  wird  sich 
die  Frage  erheben,  ob  eine  bestimmte  Stelle  des  Hinterstranges .  mit  dem  Knie- 
phänomen in  Beziehung  steht  Westphal  wies  in  seiner  oben  genannten  Arbeit 
nach,  dass,  wenn  die  Degeneration  der  Hinterstrange  sich  bis  in  den  unteren 
Brust-  und  Lendentheil  erstreckt,  dies  Phänomen  verschwindet;  er  zeigte  in  seinen 
späteren  Arbeiten,^  dass  hierbei  die  äusseren  Abschnitte  der  Hinterstränge  und 
zwar  die  Wurzelzonen  in  Betracht  kommen.  In  einer  jüngst  erschienenen  Arbeit^ 
bezeichnet  er  nur  einen  Theil  der  Wurzelzone,  die  von  ihm  als  „Wurzeleintritts- 
zone'' bezeichnete  Gegend  am  Uebergang  vom  Brust-  zum  Lendenmark  als  von 
Bedeutung  für  das  Fehlen  des  Patellarreflexes.  Diese  Wurzeleintrittszone  wird 
begrenzt  „nach  innen  durch  eine  Linie,  welche  man  sich  dem  hinteren  Septum 
parallel  durch  den  Punkt  gezogen  denkt,  in  welchem  die  das  Hinterhom  be- 
kleidende Substantia  gelaünosa  nach  innen  zu  einen  Knick,  einen  nach  innen 
einspringenden  Winkel  bildet;  nach  hinten  bildet  die  Grenze  die  Peripherie  des 
Rückenmarks,  nach  aussen  die  die  innere  Seite  des  Hinterhoms  bekleidende 


'  Westphal,  Ueber  einige  doroh  meohaniBche  EiswirkiiDg  auf  Sehnen  and  Hoskeln 
hervorgebrachte  Bewegongserscheinnngen.    Areh.  f.  Psych.  Y.  8. 

'  Ebb»   Ueber  Sehnenreflexe  bei  Oesunden  und  bei  Büokenmarkskranken.    Archiv  för 

Psychiatrie.  V.  8. 

*  Bbbobb,  Ueber  Sehnenreflexe.    OentralbL  f.  Nervenheilk.  1879.  IL  4. 

*  Wbstphal,  Ueber  das  Verschwinden  und  die  Localisation  des  Kniephänomeos  etc. 
Berl.  klin.  Wochenschr.  1881.  Nr.  1,  ferner  Arch.  f.  Psych.  XV.  3  n.  XVI.  2  n.  3. 

*  Wbstphal,  Ueber  Fortdauer  des  Kniephänomens  etc.    Arch.  f.  Psych.  XVU.  2. 


—    475    — 

Snbstantia  gelatinosa  und  der  Eintritt  der  hinteren  Wurzeln  in  die  Spitze  des 
Hinterhoms  (resp.  in  die  Snbst  gelatinosa)'^  Wbstphal  erwähnt  nnn  5  Fälle 
von  Hinterstrangerkrankung,  die  für  diese  Frage  von  Wichtigkeit  sind.  Im 
ersten  Falle  waren  die  Patellarreflexe  bis  zum  Tode  erhalten,  die  Wurzeleintritts- 
zone intact,  im  zweiten  Fall  erreichte  die  Degeneration  dieses  Feld,  der  Patellar- 
sehnenreflex  war  22  Tage  vor  dem  Tode  verschwunden,  im  dritten  Fall  war 
2  Monate  vor  dem  Tode  der  Patellarreflex  erloschen,  die  Degeneration  dem- 
entsprechend weiter  in  die  Zone  vorgerückt;  ähnlich  verhielt  es  sich  im  vierten 
Falle,  während  im  fünften  Falle,  in  dem  die  Ausbreitung  der  Erkrankung  am 
weitesten  vorgerückt  war,  der  Beflex  seit  5  Jahren  gefehlt  hatte. 

Bei  der  geringen  Zahl  derartiger  Fälle  dürfte  es  wohl  angezeigt  sein,  neues 
Material  herbeizubringen  und  in  Bezug  auf  jene  von  Wbstphal  ang^bene 
Topographie  zu  vergleichen.  Ein  auf  der  Erankenabtheilung  des  Breslauer 
städtischen  Armenhauses  (t  Prof.  Bebgeb)  zur  Section  gelangter  Fall,  der  für 
diese  Frage  von  Interesse  ist,  erlaube  ich  mir  in  Folgendem  kurz  mitzutheilen. 

A.  K.,  61  Jahre  alt,  Schmied,  aufgenommen  am  21.  Februar  1880,  gestorben 
am  26.  Nov.  1882. 

Anamnese:  Als  Kind  hat  Patient  Pocken  und  ein  nervöses  Fieber  fiberstanden, 
war  sonst  stets  gesund  bis  zum  Jahre  1865.  In  diesem  Jahre  wurde  er  angeblich 
in  Folge  einer  Erkältung  in  seinem  Berufe  —  er  setzte  sich  eines  Tages  leicht  be- 
kleidet und  erhitzt  dem  kalten  Herbstwetter  aus  —  von  einem  Bfickenmarksleiden 
befallen.  Blitzende  Schmerzen  im  Bücken  und  in  den  Beinen,  besonders  Nachts, 
Blasenbeschwerden  (Dysurie)  und  Obstipation  stellten  sich  neben  beträchtlicher  Gang- 
störung ein,  so  dass  Patient  dieses  Leidens  wegens  in  den  folgenden  Jahren  öfters 
das  Spital  auüBuchte.    Die  Augen  sind  seit  dem  Beginn  seiner  Erkrankung  „blöde". 

Ein  bei  seiner  Aufnahme  festgestellter  Status  ergab  Folgendes: 

Mittelgrosser,  kräftiger  Mann,  mit  gut  entwickelter  Musculatur,  klagt  über 
scbiessende  Schmerzen  in  den  unteren  Extremitäten,  besonders  Nachts  und  über 
Schmerzen  quer  in  der  Bippengegend. 

Schädel  auf  Druck  nirgends  schmerzhaft  ohne  Difformität.  Beide  Pupillen 
stecknadelkopfgross,  auf  Licht  fast  gar  nicht  reagirend,  dagegen  auf  Accommodation. 
Im  Bereich  der  Himnerven  nichts  abnormes.    Chronischer  Mittelohrkatarrh. 

Die  oberen  Extremitäten  zeigen  vollkommen  intacte  active  und  passive 
Motilitäi  Tast-  und  Baumsinn  vollkommen  normal,  desgleichen  Muskelsinn;  dagegen 
findet  sich  Analgesie  vor,  indem  auch  tiefe  Nadelstiche  nicht  schmerzhaft  empfunden 
werden.    Mechanische  Muskelerregbarkeit  erhalten. 

Bumpf:  Sensibilität  intact,  nur  an  der  unteren  Hälfte  des  Bückens  findet  sich 
Ana^esie.  Beiderseits  deutliche  Bauchrefiexe.  Dämpfung  an  der  linken  Lungenspitze, 
auch  auscultatorisch  die  Zeichen  eines  Katarrhs.  Herzdämpfong  nach  links  ver- 
grössert,  diastolisches  Geräusch  entsprechend  dem  zweiten  rechten  Intercostalraum 
und  auf  dem  Stemum.  Pulsus  celer.  Abdominalorgane  normal.  Urin  frei  von 
Zucker  und  Eiweiss. 

Die  unteren  Extremitäten  in  gutem  Emähnmgszustand  und  gleichfalls  ohne 
Störung  in  Betreff  der  activen  wie  passiven  Beweglichkeit.  Die  Sensibilität  verhält 
sich  wie  an  den  oberen  Extremitäten,  indem  tiefe  Nadelstiche  nur  als  Druck  empfunden 
werden.  Patellarreflexe  beiderseits  in  erhöhtem  Grade  vorhanden,  schwache  Achilles- 
sehnenrefiexe.  Plantarreflexe  vorhanden.  Links  schwacher  Cremasterreflex,  re<dits 
fehlend. 


-      476     — 

.  Im  weiteren  Verlauf  ergab  sieb»  dass  Anfang  Juli  1881  der  ünksBeitige  Patellar- 
reflex  schwächer  wurde  und  Ende  Juli  dieses  Jahres  nicht  mehr  hervorgebracht 
werden  konnte.    Am  21.  Juli  1881  ergab  sich  folgender  Status: 

Kopf:  Klagen  über  zeitweise  auftretende  reissende  und  zuckende  Schmerzai  in 
der  Stirn  und  Schläfengegend.  Gedächtniss  angeblich  schwächer.  Hochgradig« 
Myosis  mit  reflectorischer  Fupillenstarre.  Sehnerv  und  Netzhaut  durchaus  normal, 
vor  allem  keine  Entfärbung  am  Sehnerv.  Netzhaotgefösse  gleichfalis  normal.  Die 
Venen  vielleicht  etwas  stärker  injicirt  wie  gewöhnlich.  Im  Bereich  der  UimnenreD 
keine  Störung. 

Obere  Extremitäten:  Häufige  blitzartige  Schmerzen  von  der  Schulter  bis  in 
die  Finger^  besonders  in  die  drei  ersten  Finger  mit  krampfhaften  Zusammenziehmigen. 
Formicationen  und  Taubeein  aller  Finger  mit  Ausnahme  des  Daumens.  Kältegefühl 
entlang  dem  Dorsum  manus  bis  zum  unteren  Drittel  des  Vorderarms  sich  erstreckend. 
Abnahme  der  Schmerzempftndung  an  den  Händen  und  Vorderarmen,  sonst  ist  die 
Sensibilität  normal.  Muskelsinn  vollkommen  erhalten,  elektromusculäjre  Contractilität 
normal. 

Rumpf:  Herzdämpfnng  nach  links  verbreitert;  rechts  vom  Stemum  in  der 
Gegend  der  zweiten  Rippe  fühlt  man  einen  apfelgrossen,  deutlich  pulsirenden  Tumor. 
Diastolisches  Greräusch  daselbst  nach  der  Herzspitze  hin  abnehmend.  Die  Herztöne 
sonst  normal  Urin  frei  von  Eiweiss  und  Zucker.  Lungen,  gleichwie  Digestions- 
organe  normal.    Oft  Tenesmus,  leichte  Ischurie. 

untere  Extremitäten:  Häufige,  anhaltende,  besonders  nächtliche,  neuralgische 
Schmerzen  an  verschiedenen  Stellen  des  Beines,  bohrend  mit  lebhaften  Zuckungen. 
Formicationen  in  beiden  Füssen  und  Unterschenkeln.  Grosse  Müdigkeit  der  B^e, 
doch  kann  er  mit  Unterbrechungen  stundenlang  gehen.  Gang  breitspurig,  leicht 
paretiBch,  nicht  atactisch.  Kein  Schwanken  beim  Augenschluss.  Kann,  wenn  auch 
mit  Mühe,  mit  geschlossenen  Augen  einen  Stuhl  besteigen.  Musculatur  schlau^  schlecht 
entwickelt,  ohne  locale  Atrophie  mit  guter  elektrischer  und  mechanischer  Erregbarkeit 
Elektromusculäre  Contractilität  erhalten.  Im  Fuss-,  Knie-  und  Hüftgelenk  sind  zwar 
die  Bewegungen,  aotive  wie  passive,  ausführbar,  aber  sie  erfolgen  langsam,  mit  ge- 
ringer Kraft  und  können  leicht  untersucht  werden.  Keine  Ataxie  der  Einzelbewegungen. 
Grosse  Schwierigkeit,  das  ausgestreckte  Bein  frei  zu  halten,  dabei  ziemlich  starker 
Tremor  mit  stärkeren  klonischen  Zuckungen  in  der  Ober-  und  Unterschenkelmuscnlatur, 
so  daBs  das  Bein  unwillkürliche,  unregelmässige  Bewegungen  macht  Tastsinn  in  allen 
Qualitäten  ganz  normal,  ebenso  der  Muskel-  und  Kraftsinn.  Dagegen  beträchtliche 
Analgesie  bis  zum  unteren  Rand  der  vierten  Rippe  nach  aufwärts  sich  ersia-eckend. 
Patellarreflex  rechts  schwach,  aber  deutlich,  links  nicht  vorhanden.  Mechanische 
Erregbarkeit  des  Quadriceps  ungestört  Achillesreflexe  fehlen.  Plantarreflexe  vorhanden. 

Im  weiteren  Verlauf  traten  die  Herzbeschwerden  mehr  in  den  Vordergrund, 
Herzklopfen  und  Dyspnoe  stellten  sich  ein,  October  1882  Oedem  der  unteren  Ex- 
tremitäten. Vom  24.  October  1882  fehlte  bis  zum  Lebensende  auch  der  rechtsseitige 
Patellarreflex.  Im  Uebrigen  verblieb  der  Status  unverändert.  Unter  Zunahme  der 
Dyspnoö,  Auftreten  von  Oedem  an  den  oberen  und  unteren  Extremitäten  erfolgte  am 
26.  NoY.  1882  der  Exitus  letalis. 

SectionsprotokoU  (sec.  27.  Nov.  1882): 

Starke  Todtenstarre.  Hinten  zahlreiche  diffuse  Todtenflecke.  Pupillen  beider- 
seits sehr  enge.  Beide  Unterextremitäten  zeigen  starke  ödematöse  Durchtränkung 
des  Unterhautzellgewebes.    Abdomen  etwas  aufgetrieben. 

Schädeldach  symmetrisch.  Dura  an  ihrer  Innenfläche  feucht  Gefässe  der  Pia 
stark  iigicirt  Leiditer  Hydrops  meningeus  und  ödematöse  Durchtränkung  der  Hhn- 
Substanz.  Seitenveii^nkel  nicht  erweitert.  An  Grosshim,  Pens,  Medulla  oblougata 
und  Kleinhirn  niehts  Abnormes.  Die  Optici  weiss,  vollkommen  normal ,  desgleichen 
die  übrigen  Himnerven. 


—    477    — 

Die  Innenfläche  der  Dnra  nater  spinalia  ist  rosaroth  and  xeigt  abnorm  reich- 
liebe  Vascolarisatitm,  sowie  dflnne,  membranOee  Verbindung;en  mit  den  weicben  Hänten. 
Diese  Letzteren  sind  gleichfalls  injicirt.  Auf  zablreichen  Qnerachnitten  ergiebt  sich 
normale  Beschaffenheit  des  Balamarkes  nnd  des  oberen  nnd  mittleren  Abschnittes  des 
Brastmarkee.  Im  untersten  Theile  desselben  findet  sich  eine  sehr  dentliche,  BtilziKe 
grane  Beschaffenheit  der  Hinterstr&nge  mit  Ausnahme  eines  erhaltenen  vorderen 
Saumes.  Das  Lnmbalmarh  erscheint  makroskopisch  normal,  desgleichen  die  vorderen 
und  hinteren  Wurzeln. 

Anatomische  Diagnose:  Degeneratio  grieea  fmücnlomm  poster,  mednll.  spin, 
dorsalis.  Oedema  cerebri.  Aneurysma  sacciforme  magnnm  arcns  Aortae  eztraperi- 
cardiale.  Endarterütis  chronica  gravis  Aortae  et  arteriar.  totius  corpor.  Insnfflcientia 
valv.  Aortae.  Bypertrophia  et  dilatatio  praecipae  ventricnli  sin.  Pleuritis  adhaesiva 
totalis  bilateraÜB.  Emphjsema  et  induratio  mbra  pulmonum.  Oedema  pulmonum. 
Indoratio  lienis  et  renum.  Perisplenitis.  Hepar  moschatum.  Cystitis  parulenta. 
Hydrops  anasarca. 

Mikroskopische  Üntersnchnng. 

Diese  wurde  an  den  in  Celloidin  eingebetteten  Bückenmarkstbeilen  voi^^enommen, 
das  Lnmbalmark  nnd  untere  Brustmark  wurde  in  Stufen  von  '/i  ^^  oatersuchi 

Im  Sacralmark  und  im  unteren  Lumbaimark  vollkommen  normale  Yer* 
hältnisse. 

Im  mittleren  Lendenmark  ist  das  vordere  nnd  hintere  Drittel  normal,  das 
mittlere  Drittel  mit  ausnähme  eines  Saumes  an  der  Piss.  long.  post.  und  am  Hinterbom 
leicht  degenerirt;  es  findet  sich  hier  ein  verbreitertes  QUagewebe  mit  runden  Kernen 
und  eine  entsprechende  Abnahme  der  Nervenfasern.  Die  durch  den,  Hinterstrang  ziehen* 
den  Wurzel/asem  zum  Tbeil  leicht  verdflnnt.  Hinterhom  und  Bandzone  normal,  dee- 
gleichen  hintere  Worzeln,  Pia  mater  und  der  flbrige  Querschnitt 


Fig.  1. 


Fig.  8. 


Fig.  8. 


Oberei  Lendenmark. 


Uebei]enDgHZone  vom  nnteren  Doml- 
theu  in  die  LeodenanschwellnDg. 


Unteres  Dorsalmark. 


Im  oberen  Lendenmark  (Fig.  1)  derselbe  Befand. 

An  der  Uebergangsstelle  vom  Lendenmark  zum  unteren  Dorsaltheil 
(Fig.  2)  findet  sieh  eine  leichte  keilförmige  Degeneration  des  inneren  Hinterstranges. 
Die  D^eneration  reicht  nach  aoSBen  hin  etwas  in  die  Wnrzeleintrittszone  hinein; 
anaserdem  findet  sich  eine  ansgesprocbene  Degeneration  in  Form  je  eines  kleinui 
dreieckigen  Fleckes  nach  innen  von  der  Bintrittsatelle  der  hinteren  Wurzeln  (Fig.  2a). 
Links  ist  die  Degeneration  etwas  Üefer  wie  rechts. 

Die  Clarke'schen  Säulen  in  ihrer  inneren  H&Ifte  leicht  degenerirt,  desgleichen 
die  in  das  Hinterhom  einstrahlenden  Wnrzelfasem,  sonst  Hinterhom  normaL  Indem 
nun  die  Hinterstrangdegeneration  nach  oben  stetig  zunimmt,  erreicht  sie  in  der  HOhe 
des  achten  Brustnerven  (Fig.  3)  ihre  grösste  Intensität.  Hier  ist  eine  exquisit 
deutlicbe,  offenbar  schon  lange  bestAndene  Degeneration  fast  des  gesammten  Hinter- 
strangs vorhanden  mit  Ausnahme  eines  schmalen  Saumes  längs  der  Hinterhßmer  und 


-    478    - 

«inea  etwas  breiteren  &n  der  Commiasura  postar.  Die  Clsrke'schen  Säulen  sind  bis 
änf  einen  scbmalen  sosaeren  Saum  degenerirt  und  treten  schon  makroekopiscli  bei 
Weigert'scher  Färbung  dnrcb  ihre  Blässe  hervor.  Die  Degeneration  ist  längs  der 
Fisa.  long.  post.  geringer  and  findet  sich  dort  noch  ein  schmkler,  nach  hinten  gegen 
die  Peripherie  sich  verbreitemder  Saum.  Eine  schwache  Degeneration  ist  in  äea 
hinteren  äosseren  Feldern,  besondere  der  linken  Seite,  vorhanden.  Ein  Theil  der  in's 
Hinterbom  ziehenden  Worzelfsaem  (die  lateral  gelegenen)  sind  intact,  während  die 
inneren  degenerirt  sind.  An  der  hinteren  Peripherie  findet  aiiA  im  Oebiete  dee 
degenerirten  Keils  wne  grössere  Zahl  Nervenfasern  von.  Das  Hinterbom,  abgesehen 
von  Clarhe'schen  Säulen  und  EinstrahlnngBbflnde],  intact;  desgleichen,  wie  es  scheint, 
die  Bandzone.  Die  histolo^schen  Details  ergeben  ein  derbes  mit  runden  Kernen  ver- 
sehenes Gliagewebe,  das  relativ  spärliche  Lücken  aufweist,  in  denen  sich  blasse  Zellen 
mit  kleinem,  rundlichem  Kern  vorfinden,  sosserdem  eine  massige  Mengo  von  Corpora 
amylacea  nnd  verdickte,  mit  hyaliner  Wand  versehene  Capillarea.  Die  grösseren  G«- 
ßsse  nicht  wesentlich  verdickt.  Pia  normal.  Die  Degeneration  nimmt  nach  ansäen 
und  vorne  ab,  erstreckt  sich  jedoch  in  geringem  Qrade  annähernd  bis  an  den  Hinter- 
hordrand  einerseits,  die  Commiasura  poster.  andererseits.  Hintere  Woneln  vor  dem 
Eintritt  in's  Bflckenmark  deutlich  d^enerirt,  nur  spärliche  Kervenfasem  noch  vor- 
handen.    Beide  Seitenstränge  leicht  degenerirt 

Die  D^neration  des  Hinter-  und  Seitenstranges  nimmt  nach  aufwärts  ziemlich 
Bchnell  ab,  so  dass  im  mittleren  Brnstmark  (B^.  4)  eich  nnr  eis  schmaler 
Degenerationsstreifen  in  beiden  äusseren  Hintersträngen  vorfindet,  vom  Hinterhora 
durch  einen  normalen  Sanm  getrennt  Die  hinteren  Wnnelfasem  nnd  die  Clarke'schen 
Säulen  nur  leicht  degenerirt 

Kg.  4.  Rg.  6. 

Hittlerei  Bnutmark.  HalMmohwelliov. 

Im  mittleren  Halsmark  (Fig.  5)  am  Anssenrand  der  äoll'schan  Stiftnge  ein 
schmaler,  laicht  degenerirter  Streifen,  der  flbrige  Querschnitt  nonoaL 
Das  obere  Halsmark  normaL 
Der  N.  ischiadicns  nnd  die  Hnacnlatur  dea  Oberschenkels  ohne  BescmderheiL 

Der  mi^theilte  Fall  ist  daduicb  ganz  besonders  interessant,  weil  hier  nntet 
den  Auges  des  Arztes  bei  einem  den  Srniptomencomplex  einer  chronischeD 
Bfickenmarkskrankheit  darbietenden  Manne  oa.  V|^  Jahi  vor  dem  Tode  das 
Schwinden  dea  linksseitigen  Patellairefiexee  nnd  ein  Monat  vor  dem  Tode  des 
rechtsseitigen  Beflexea  beobachtet  werden  konnte.  Waren  anch  kurze  Zeit  vor 
dem  Gxitns  letalis  die  für  Tabes  charakteristischen  Hauptsymptome  vorhanden, 
iirie  das  Fehlen  der  Pat«llarreflexe,  die  reäeotorische  Papillenstarre,  neoralgi- 
forme  Schmerzen,  Analgesie,  so  machte  doch  das  gesammte  kliuiadie  Bild,  das 
Fehlen  einer  eigenUichen  Atexie,  die  vorhandene  Parese  der  Beine  die  Annahme 
emer  ein&chen  ancomplicirten  Tabes  nnwahrscheinlich.  In  der  That  ergab  eine 
genaue  anatemische  üntersDchnng  eine  Betheihgang  beider  Seitenstränge  neben 
einer  intensiven  Hinterstrangerkranknng  im  unteren  Brnstmark.    Nach  oben  und 


—    479    — 

unten  nahm  die  Degeneration  ziemlich  rapid  ab,  80  dass  im  Lendenmark  und 
Halsmark  nur  eine  äusserst  geringe  Erkrankung  der  Hinterstrange  wahrnehmbar 
war,  während  die  Seitenstrange  normal  waren.  Die  erkrankten  Abschnitte  be- 
treffen den  inneren  und  einen  Theil  des  äusseren  Hinterstranges  derart,  dass 
am  Uebergang  des  unteren  Bmstmarks  in  die  Lendenanschwellung  die  Gegend 
der  „Wurzeleintrittszone''  mitergriffen  ist  Hier  ist  einmal  ein  kleines  degene- 
rirtes  Feld  an  der  inneren  Seite  der  hinteren  Wurzeln  nachweisbar,  sodann 
ergreift  das  innere  Degenerationsgebiet  nach  aussen  hin  schon  diese  Zone. 

Der  mitgetheilte  Fäll  entspricht  vollkommen  der  WESxPHAii'schen  Annahme, 
dass  Degeneration  der  Wurzeleintrittszone  am  Uebergang  des  Dorsaltheils  in  die 
Lendenanschwellung  den  Patellarreflex  zum  Schwinden  bringt  Allerdings  ist 
die  Zahl  der  in  Bezug  auf  jene  Localisation  des  Patellarreflexes  publicirten  Fälle 
noch  eine  äusserst  spärliche,  so  dass  eine  reservirte  Beurtheilung  angebracht 
erscheint.  Ist  es  doch  a  priori  keineswegs  unumgänglich  nothwendig,  dass  der 
Verlust  des  Patellarreflexes  bei  der  Tabes  dorsaüs  allein  und  ausschliesslich  in's 
Kückenmark  zu  verlegen  ist  Wsstphal  hat  in  seiner  letzten  diesbezüglichen 
Arbeit  die  Bedeutung  der  Atrophie  der  extramedullären  hinteren  Wurzelfasem 
hervorgehoben,  wenngleich  er  nicht  annimmt,  dass  in  ihrer  Erkrankung  die 
alleinige  Ursache  des  Schwindens  des  Kniephänomens  gelegen  sein  kann.  Aber 
selbst  wenn  wir  das  Schwinden  des  Kniephänomens  nüt  dem  Hinterstrang  in 
Verbindung  bringen,  so  wird  es  sich  erst  aus  einer  grösseren  Anzahl  Fälle 
entscheiden  lassen,  ob  sich  dieses  stets  an  jene  oben  bezeichnete  Stelle  knüpft 
oder  ob  auch  hier  individuelle  Schwankungen  vorkommen. 

Es  sei  mir  gestattet,  im  Anschluss  hieran  einige  kurze  Bemerkungen  zur 
Degeneration  des  Hinterhorns  bei  Tabes  dorsaüs  hinzuzufagen.  Die 
Veränderungen  desselben  sind  kürzlich  in  zwei  vorläufigen  Mittheilungen  und 
einer  ausfOhrlichen  Arbeit  von  Lksaueb^  beschrieben  worden.  Ich  kann  nach 
meinen  bisherigen  Untersuchungen  die  Befände  dieses  Autors  vollkommen  be-* 
stätigen,  wie  dies  zum  Theil  aus  einer  früheren  Mittheilung^  in  dieser  Zeitschrift, 
in  der  ich  in  Betreff  der  Glarke'schen  Säulen  einige  neue  Mittheilungen  machen 
konnte,  hervorgeht  Hinzufügen  möchte  ich,  dass  die  Veränderungen  an  der 
Basis  des  Hinterhorns  im  Cervicalmark,  d.  h.  der  Schwund  der  Ein- 
strahlungsbündel wie  des  feinen  Fasemetzes  daselbst  —  der  Substantia  spon- 
giosa  entsprechend  —  in  einzelnen  meiner  Fälle  ausgesprochener  war  und  hier- 
durch dieser  Abschnitt  durch  Faserarmuth  sich  von  der  Umgebung  deutlich 
abhob,  wenngleich  allerdings  so  prägnante  Bilder  wie  durch  Degeneration  d^ 
Glarke'schen  Säulen  im  Brustmark  niemals  erzielt  wurden.^  Femer  möchte 
ich   auf  die  Degeneration   longitudinaler   Bündel  grober  markhaltiger 


1  LiBSAüSB,  Foitsehr.  d.  Medidn.  18S4.  Nr.  4.  —  Derselbe,  Nenrolog.  Centralbl.  1885. 
]^T.  11-  —  Derselbe,  Beitrag  srom  Faserverlanf  im  Hinterhom  etc.   Arch.  f.  Psych.  XVn.  2. 
'  Kbauss,  Nenrolog.  Centralbl.  1885.  Nr.  8. 

*  Lbtdbn  und  Stbümpbll  haben  gleichlftlls  Atrophie  der  Basis  des  Hinterhorns  im 
Halsmark  in  einzelnen  Fällen  von  Tabes  beobachtet. 


—    480    — 

Nervenfasern  in  der  oberen  Cervicalanschwdlong  an  der  Basis  des  Hinterboms 
(meist  etwas  hinter  der  Ebene  des  Gentralkanals)  oder  auch  in  dem  inneren,  an 
das  Hinterhom  anstossenden  Prooetsos  retioalaris  aufmerksam  machen.  Nach 
oben  und  unten  fehlte  diese  Degeneration,  sie  beschrankte  sich,  wie  gesagt,  in 
meinen  Fällen  —  es  sind  dies  drei  —  anf  die  obere  Oervicalschweliaug.  Wahr- 
scheinlich haben  wir  es  hier  mit  Fortsetzungen  hinterer  Wurzelfasem  zu  thun. 

Breslau,  den  8.  September  1886. 


2.  üeber  eine  frühe  Störung  der  Sensibilität  bei 

Dementia  paralytica. 

Von  Dr.  Th.  Ziehen,  Assistenzarzt  der  psychiatrischen  Klinik  in  Jena. 

Bei  Gelegenheit  eingehender  Sensibilitatsuntersuchungen  bei  Geisteskranken 
fand  ich  mehrfach  bei  der  progressiven  Paralyse  der  Irren,  dass  ein  Nadelstich 
zwar  momentan  richtig  localisirt  wurde,  dagegen  auffallend  erhebliche  Locali- 
sationsfehler  sich  einstellten,  wenn  zwischen  Stich  und  Localisation  eine  Pause 
von  15  Secunden  oder  mehr  lag.  Ein  Vergleich  mit  Gesunden  ergab,  dass  hier 
solche  Pausen  den  Localisationsfehler  nur  unerheblich  steigerten.  Bei  sogenannten 
„emfachen  Seelenstörungen"  stieg  gleichfalls  im  Allgemeinen  der  Localisations- 
fehler nach  selbst  30  Secunden  Pause  höchstens  um  die  Hälfte  des  Fehlers  bei 
momentaner  Localisation.  Dabei  blieb  freilich  als  unvergleichbarer  Factor  der 
verschiedene  Grad  der  Aufmerksamkeit  für  die  Beurtheilung  störend:  in  der 
That  zeigt  ein  unaufmerksamer  Paranoiker  oft  ebenso  erhebliche  Fehlersteigerungen 
als  ein  aufmerksamer  Paralytiker,  der  gesund  zu  scheinen  sich  Mühe  giebt  Nun 
constatirte  ich  aber  in  zwei  Fällen  einer  beginnenden  progressiven  Paralyse  bei 
Abwesenheit  deutlicher  sonstiger  Sensibilitätsstorungen  ein  ungleiches  Verhalten 
der  beiden  Eörperseiten  bezüglich  des  „Sensibilitätsgedächtniss^'S  wenn  ich  diesen 
Ausdruck  brauchen  darf.  Während  z.  B.  rechts  der  Fehlerzuwachs  bei  einer 
Pause  von  30  Secunden  zwischen  Stich  und  Localisation  ca.  50  Prooent  des 
Fehlers  bei  momentaner  Localisation  betrug,  betrug  er  links  durchschnittlich 
100  Procent  und  mehr;  ein  Kranker  behauptete  öfter  nach  nur  15  Secunden 
ganz  ohne  Erinnerung  fär  den  Ort  des  Stichs  rechts  zu  sein,  links  kam  dies 
nie  vor. 

Diese  Ungleichheit  des  Sensibilitatsgedächtnisses  nun  ohne  andere 
deutliche  Sensibilitätsstörungen  habe  ich  nur  in  jenen  beiden  Fällen  offenbarer 
beginnender  Paralyse  und  in  2  Fällen  mit  dringendstem  Verdacht  auf  solche 
gefunden,  niemals  aber  in  irgend  erheblichem  Maasse  bei  einfachen  func- 
tion eilen  Geistesstörungen.  Dagegen  fand  ich  freilich  eine  recht  grosse  Zahl 
beginnender  Paralysen  ohne  dies  Symptom.  Nach  allem  möchte  ich  glauben, 
dass  der  Befund  desselben  in  zweifelhaften  Fällen  diagnostisch  wohl  den  Aos- 


—    481     — 

schlag  zu  Gunsten  der  Annahme  einer  Paralyse  geben  könnte.  In  späteren 
Stadien  der  Paralyse  habe  ich  dasselbe  nie  mit  Sicherheit  constatiren  können. 

Prüfungen  auf  Druck-  und  Temperatursinn  lieferten  im  Ganzen  ähnliche, 
aber  nicht  so  constante  Eesultate. 

Praktisch  bedeutsam  ist  noch,  dass  man  zur  Untersuchung  nicht  sehr 
differenzirte  Hautflächen  wählt,  um  zu  vermeiden,  dass  der  Kranke  rein  b^iff- 
lich  den  Ort  des  Stichs  sich  merke.  Am  meisten  empfiehlt  sich  Hand-  und 
Fussräcken,  Unterschenkel  und  Vorderarm. 

Jedenfalls  ist  diese  Herabsetzung  des  Sensibilitätsgedächtnisses  eine  zu- 
sammengesetzte Erscheinung  und  handelt  es  sich  nicht  etwa  nur  mn  ein 
schnelleres  Abklingen  einer  Empfindung.  Ebenso  wie  die  complicirteren 
motorischen  Bindenfunctionen  meist  zuerst  bei  der  progressiven  Paralyse  leiden, 
so  betrifft  auch  die  an  sich  viel  geringere  Störung  der  Sensibilität  im  Beginn 
der  Paralyse  die  complicirteren  sensiblen  Functionen,  speciell  das  Gedächt- 
uiss  für  Localisation  sensibler  Eindrücke. 


n.  Referate. 


Anatomie. 

1)   TJntersuohangen  über  die  motorischen  Nervenendigungen  der  quer- 
gestreiften MnskelÜEUiem,  von  M.  Miura.    (Virchow's  Archiv.  GV.  1.) 

Verf.,  der  im  pathologischen  Institut  in  Berlin  arbeitete,  fand,  ausser  einigen 
im  Original  nachzulesenden  anatomischen  Details,  dass  die  motorischen  Endplatten 
unter  der  Wirkung  von  Curare  in  einfache  Atrophie  verfallen,  wenn  die  Thiere 
längere  Zeit  am  Leben  bleiben;  letzteres  erreichte  Verf.,  indem  er  an  Fröschen  und 
Eidechsen  im  Winterschlaf  experimentirte.  Dabei  arbeitet  das  Herz  trotz  der 
starken  Curaredosis  thätig  fort,  während  die  Eörpermuscolator  vOllig  gelähmt  isi 

Th.  Ziehen. 


2)  The  Intra-axlal  oonrse  of  the  Auditory  Traot;  by  E.  C.  Spitzka,  New  York. 
(Med.  Joum.  1886.  Sept.  18.) 

An  Gehirnen  von  amerikanischen  Cetaceen  stndirte  der  Yeif.  den  Verlauf  der 
Acusticnsbahn  innerhalb  des  Stammes.  Die  Arbeit  basirt  auf  der,  den  Meisten  wohl 
durch  Meynert'sche  Untersuchungen  bekannten  anatomisch-physiologischen  Methode. 
Das  Gehirn  von  Tukiops  tnrsio  zeichnet  sich  ganz  besonders  durch  Verkümmerung 
der  Fyramidenbahn  und  Hypertrophie  der  Acusticnsbahn  aus.  Durchschneidet  man 
den  Stamm  hinter  den  Lob.  opt  post.,  so  fallt  Folgendes  auf:  Es  fehlt  die  Fyra- 
midenbahn im  Föns,  und  der  mittlere  Theil  der  Schleife.  Die  Bindearme  sind  gegen 
die  Mitte  zu  durch  eine  enorme,  der  lateralen  menschlichen  Schleife  entsprechende 
Bahn  gedrängt  Man  bemerkt  die  Verlängerung  der  Commis.  post,  und  von  der 
inneren  Abtheilung  der  Schleife  nur  das  Bändel  vom  Fuss  zur  Haube.  Das  Corp. 
trapezoid.  ist  ungewöhnlich  entwickelt.  Seine  Fasern  bilden  einen  longitndinalen 
Strang,  der  die  Lage  der  Schleife  einnimmt  und  in  das  hintere  Vierhfigelpaar  über- 
geht Spitzka*s  Beobachtungen  bekräftigen  nur  die  durch  die  Atrophie-Methode 
gewonnenen  Resultate  (Baginsky,  von  Monakow  und  Onufrowioz),  denn  er 
beweist,  dass  Hypertrophie  der  hinteren  Acusticnsbahn  sich   mit  Hypertarophie  des 


—    482    — 

Corpus  trapez.,  der  lateralen  Schleife,  des  hinteren  Vierhügelpaars  und  des  Ck>rpiis 
genic.  int.  yergesellschaftet  Alle  vorliegenden  Arbeiten  in  Betracht  ziehend ,  wird 
der  Schall  (nach  Spitzka)  von  der  Schnecke  ans  durch  die  hintere  Abtheilnng  des 
N.  acust.,  das  Corp.  trapez.  derselben  Seite,  von  da  kreuzend  durch  die  (lat.)  Schleife, 
das  hintere  Yierhügelpaar,  durch  das  Corp.  genic.  int  und  Corona  radiata  bis  in  die 
corticale  Hörsphäre  geleitet.  Sachs  (New  York). 


Experimentelle  Physiologie. 

3)  Influenoe  du  Byst^me  nerveux  eur  la  nutritlon  dee  tissus,  par  Serge 
Lewaschew.    (Arch.  slaves  de  biol.  1886.  I.  p.  397.) 

Behufs  Klärung  der  Frage  vom  trophischen  Einfluss  der  Nerven  machte  L.  an 
dem  vorsichtig  freigelegten  Ischiadicus  von  Hunden  Beiz  versuche,  während  gleich- 
zeitig auch  der  andere  Ischiadicus  behufs  Ausschaltung  aller  sonstigen  Factoren  frm- 
gelegt  wurde.  Die  Beizung  erfolgte  durch  einen  mit  Schwefel-  oder  Salzsäure  imbi- 
birten  durchgezogenen  Faden,  was  meist  eine  ziemlich  weit  nach  oben  und  unten 
sich  erstreckende  Neuritis  bewirkte;  einige  Zeit  nach  der  Operation  entwickelte  sidi 
eine  Entzündung  ganz  gleichmässig  in  den  vom  Nerven  innervirten  Partie,  sowie  im 
ganzen  Organismus,  die  mit  dem  Zurückgehen  der  Erscheinungen  am  Nerven  gleich- 
falls verschwand;  in  seltenen  Fällen  manifestirte  sich  die  locale  Beizung  durch 
Gefössverengerung,  Verkleinerung  des  Volumens  und  Herabsetzung  der  Temperatur 
am  betrefifenden  Beine;  bei  neuerlicher  Beizung  mehr  peripheriewärts  traten  die 
gleichen  Erscheinungen  neuerlich  auf;  doch  zeigte  sich  ein  sehr  differentes  Verhalten 
bei  einzelnen  Hunden,  die  selbst  bei  vielfach  wiederholten  Beizungen  keinerlei  tro- 
phischen Einfluss  erkennen  Hessen. 

In  der  Mehrzahl  der  Fälle  fanden  sich  wenige  Tage  nach  der  Operation  an  &er 
betreffenden  Extremität  die  Zeichen  der  Entzündung,  später  Hyperästhesie  in  der  vom 
Cruralis  versorgten  Plantarregion,  Herabsetzung  der  Tastempfindung  in  der  vom 
Ischiadicus  versorgten  Plantarregion  und  eine  dem  entsprechende  Beugung  des  Fusses 
beim  Glühen.    Diese  Erscheinungen  verschwanden  nach  6 — 8  Monaten  sehr  rasch. 

Als  Folge  neuerlicher  anhaltender  Beizung  fanden  sich  ödematöee  Schwellung 
der  Weichtheile,  glossy-skin,  Ulcerationen  zwischen  den  Zehen,  Schuppung  und  Ver- 
dickung der  Haut  an  der  Planta,  Verdickung  einzelner  oberflächlicher  Knochen,  so 
der  hinteren  Partie  des  Astragalus;  Veränderung  der  elektrischen  Muskelerregbarkeit^ 
Tolumsabnahme  der  Muskeln;  später  Verkleinerung  und  Temperaturabnahme  der  be- 
troffenen Extremität;  völliger  Schwund  der  Muskeln  an  der  Planta,  Verschmächtigung 
und  Abblassung  der  des  Beins,  Verdünnung  der  Etaut  mit  Ausnahme  der  verdickten 
Stellen,  Sderose  des  subcutanen  Bindegewebes,  keine  oder  geringe  Verkleinerung  der 
Knochen,  rosenkranzf5rmige  Veränderung  der  Qefösse  der  Planta.  Mikroskopisch  fand 
sich  anAnglich  Erweiterung  mit  Füllung  der  Gefässe  mit  Blutkörperchen,  später  Nra- 
bildung  von  Gefässschlingen,  Transsudation  in's  umgebende  Qewebe,  und  Anhäufung 
von  Blutkörperchen  um  die  Gefässe  mit  consecutiver  Gewebsumwandlung  und  Ver- 
drängung des  Muskelgewebes;  bezüglich  der  Veränderungen  am  Gefässsystem  siehe 
L.*s  Arbeit  in  Virchow's  Arch.  1883.  Bd.  92.  Später  folgt  Schrumpfung  des  neu- 
gebildeten Bindegewebes,  dadurch  bewirkte  Verdünnung  der  Haut,  Gefässeinschnürungen, 
welche  letztere  ihrerseits  Volumsvermindemng  und  Temperaturabnahme  der  Extremität 
erzeugen. 

Versuche  mit  Durchtrennung  des  Nerven  oder  mit  sehr  starker,  die  Leitnngs- 
fllhigkeit  des  Nerven  zerstörender  Beizung  ergaben,  abgesehen  von  den  traumatisch 
bedingten  Folgezuständen,  die  oben  geschilderten,  jedoch  in  geringerem  Giade  und 
wesentlich  langsamer  verlaufend. 


—    483    — 

Veranderangen  der  übrigen  Organe  fanden  sich  besonders  bei  den  Beizyersuchen; 
sie  waren  meist  halbseitige  Gefösserweitemng,  Temperatursteigerung,  Keratitiden, 
Eczem  etc.;  in  seltenen,  junge  and  zarte  Thiere  betreffenden  Fällen  traten  epilepti- 
forme,  rasch  t6dtliche  Anfälle  auf. 

Bei  der  Deutung  der  Erscheinungen  tritt  L.  fflr  deren  yasomotorische  Natur 
ein,  indem  er  als  deren  Grundlage  eine  Beizung  der  Yasodüatatoren,  Tielleicht  auch 
th^weise  Lähmung  der  Yasoconstrictoren  annimmt  Bücksichtlich  der  Anwendung 
des  von  L.  Grefundenen  für  die  menschliche  Pathologie  siehe  das  Original. 

A.  Pick. 


Pathologische  Anatomie. 

4)  ▲  oase  in  whioh  a  lesion  of  one  hemiaphere  of  the  oerebellom  was 
asBOoiated  with  degeneration  of  the  ollvary  body  of  the  opposite 
aide,  by  William  Dudley.    (Joum.  of  meni  science.  1886.  Julj.) 

Verf.  berichtet  über  einen  Fall  langjähriger  Demenz  mit  Lähmungserscheinungen, 
namentlich  deutlich  erschwerter  Articulation,  doch  ohne  Aphasie.  Die  Section  ergab 
verschiedene  Erweichungsherde  in  dem  Thal.  opt.  und  in  der  weissen  Substanz  unter 
der  aufsteigenden  Parietalwindung  (Gyr.  central,  post.),  links  einen  Herd,  welcher  den 
Kucl.  lenüf.  und  das  Glaustrum  umfasste,  mehrere  andere  im  Thai,  opt  Disseminirte 
kleine  Erweichungsherde  von  der  Grösse  eines  Hanfkoms  in  grosser  Anzahl  in  beiden 
Hemisphären.  Im  Gentrum  des  linken  Kleinhirns  ein  grosser  Erweichungsherd  von 
'/^  Zoll  Durchmesser,  die  rechte  Olive  zeigte  dabei  ein  gelatinöses  Aussehen  mit  ver- 
waschenen Contouren,  herrührend  von  Zerstörung  der  meisten  Nervenzellen,  an  deren 
Stelle  grob  granulirte  Masse  getreten  ist,  die  Hypoglossuskeme  sind  sehr  stark 
pigmentirt.  Die  Zeichnungen  müssen  im  Original  eingesehen  werden.     Zander. 


6)   Heber  einen  Fall  von  Forenoephalie«  von  Prof.  0.  Binswanger  in  Jena. 
OTurchow's  Archiv.  102.  1.) 

Verf.  giebt  die  genaue  Beschreibung  einer  nur  auf  die  linke  Hemisphäre  be- 
schränkten porencephalischen  Defectbildung.  Es  waren  in  dem  Defect  zu  Grunde 
gegangen: 

1)  die  ganze  untere  (dritte)  Stimwindung, 

2)  das  untere  und  fast  das  ganze  mittlere  Drittel  der  beiden  Gentralwindungen, 

3)  das  ganze  Gebiet  des  unteren  Schläfenlappens  (Lobulus  supramarginalis  und 
Gyrus  angularis), 

4)  die  ganze  erste  Schläfenwindung, 

5)  das  ganze  Gebiet  der  Insel  (bis  auf  einige  Beste?), 

d.  h.  also  das  Gebiet  der  Art.  fossae  Sylvii.  —  Die  Einz^heiten  siehe  im  Original. 
Die  eigenthümliche  radiäre  Anordnung  der  Windungen  um  die  Mitte  des  Defects 
herum  sprach  —  nach  Eundrat  —  für  das  Angeborensein  der  Störung.  Hiermit 
stimmte  dagegen  nicht  die  Beschaffenheit  der  Pia,  welche  nach  Eundrat  decken- 
artig über  den  Defect  weggespannt  hätte  erwartet  werden  müssen,  während  sie  viel- 
mehr faltig  verdickt  mit  dem  Grunde  des  Defects  verwachsen  war.  —  EundraVs 
AufEassung  von  der  Natur  des  Processes  —  anämische  Nekrose  —  war  aber  auch 
hier  wahrscheinlich  gemacht  durch  die  Beschaffenheit  der  zum  Gesammtgebiet  der 
Art.  fossae  Sylvii  gehörigen  Gefösse,  welche  in  narbig  verdicktem  Arachnoidalgewebe 
ein  unregelmässiges  Gewirr  ganz  feiner  Aestchen  bildeten.  Vielleicht  ist  die  Meningeal- 
erkrankung  das  Primäre  gewesen.  —  Auffallend  war  die  relativ  sehr  gute  Entwicke- 
lung  der  nicht  betroffenen  Windungen.  —  Die  rechte  Hemisphäre  zeigte  keinerlei 


—    484    — 

compensatoiische  Hypertaropbie.  Der  Schädel  hatte  an  der  Stelle  des  Defeetes  eine 
Vertiefung. 

Der  Träger  dieses  Defectes  ^ar  etwa  38  Jahre  alt  geworden«  Er  war  mit  einer 
atrophischen  oberen  rechten  Extremität  geboren»  die  rechte  untere  lahmte.  Sr  litt 
seit  firühester  Jagend  an  Epilepsie  mit  fast  täglichen  Anfällen.  Etwa  l^s  Jahre 
vor  seinem  Tode  traten  tobsüchtige  Zustände  auf,  die  seine  Versetzung  in  eine  An- 
stalt nöthig  machten,  wo  er  starb.  Früher  war  er  meistens  still  und  bescheiden, 
immer  dement    Er  beschäftigte  sich  gern  mit  leichten  Hausarbeiten. 

AufEallend  war,  bei  dem  gänzlichen  Untergange  der  mit  der  Sprache  in  Be- 
ziehung zu  bringenden  Bindenpartien,  die  Entwickelung  der  Sprache  bei  dem  Kranken. 
Allerdings  umfasste  sein  Sprachschatz  nicht  viele  Worte:  die,  welche  sich  auf  die 
ihn  umgebenden  Dinge  im  Hause  und  im  Geschäft  des  Vaters  bezogen,  Esswaaren, 
Hausgeräthe,  die  Namen  der  Angehörigen  u.  s.  w.  Er  suchte  sich  meistens  durch 
Gesticulationen,  die  er  in  Verbindung  mit  «nzelnen  Worten  lebhaft  ausführte,  An- 
deren verständlich  zu  machen.  Satzbildungen,  wenn  er  sie  auch  anfangs  behielt, 
entschwanden  immer  bald  wieder  seinem  Gredächtnisse,  bis  auf  einige  Redensarten, 
wie  z.  B.  „das  wird  mein  Vater  sagen'',  oder  ,4ch  esse  Alles,  ich  bin  kein  Kost- 
verächter". Er  konnte  mit  den  Zahlen  von  1 — 10  addiren,  subtrahiren  und  multi- 
pliciren;  die  Zahlen  von  1 — 100  konnte  er  hersagen.  Hadlich. 


Pathologie  des  Nervensystems. 

6)  Beriberi,  von  TscholowskL    (Dissertation»    St.  Feteraburg  1886,    Russisch.) 

Während  seines  Aufenthalts  in  Singapur  und  Nagasaki  hatte  Verf.  Gelegenheit, 
mehrere  Fälle  der  daselbst  endenüsch  verbreiteten  Beriberi-Erankheit  zu  beobachten. 

Seine  Arbeit  enthält  neben  einer  ausführlichen  kritischen  Zusammenstellung  der 
betreffenden  Literatur  die  Beschreibung  des  klinischen  Verlaufs  zweier  genau  beobach- 
teten Fälle  und  der  Sectionsbefunde  von  drei  an  Beriberi  Verstorbenen.  In  beiden 
^klinischen  Beobachtungen  (aus  dem  Pauper  hospital  in  Singapur)  wurden  Seaslbilitäts- 
'  Störungen  und  paretische  Erscheinungen  an  den  Unterextremitäten  constatirt;  die 
Muskeln  derselben  waren  atrophisch,  mit  herabgesetzter  elektrischer  Erregbarkeit» 
gegen  Druck  empfindlich.  Die  Oberextremitäten  boten  nichts  Abnormes.  In  einem 
Fall  fand  sich  Anästhesie  am  Kinn.  Die  Symptome  seitens  anderer,  nicht  nervöser 
Organe  sind  hier  nicht  zu  besprechen. 

Die  pathologisch -anatomische  Untersuchung  dreier  Fälle  erwies  zuvörderst  das 
Fehlen  jeglicher  Abnormität  im  Gehirn.  Dagegen  wurden  in  den  Nervenstämmen  des 
Tibialis  und  Peroneus  stark  ausgeprägte  degenerativ-atrophische  Veränderungen  ge- 
funden, während  solche  in  den  Nerven  der  Oberextremitäten  fehlten.  Die  mikro- 
skopische Untersuchung  des  Bflckenmarks  ergab  im  Lendentheil  desselben  Affection 
einzelner  Zellen  der  Vorderhömer:  sie  waren  geschrumpft,  atrophisch,  und  hatten 
zum  Theil  ihre  Fortsätze  verloren.  An  den  Muskeln  der  Unterextremitäten  wurde 
fettige  Entartung  constatirt. 

Verf.  hält  die  Veränderungen  des  Bückenmarks  in  der  Beriberi-Krankheit  für 
secundäre  und  unwesentliche  und  ist  geneigt»  die  nervösen  Symptome  als  Resultat 
einer  Neuritis  multiplex  ascendens  aufzufassen.  F.  Eosenbach. 


7)   Contribation  &  Tötude  de  Is  növrite  multiple,   par  X.  Francotte,  Li^ge. 
(Bevue  de  möd.  1886.  Mai.  p.  377.) 

Die  Arbeit  enthält  vier  gute  eigene  Beobachtungen  über  multiple  NeuritiB.  Von 
zwei  Fällen,  welche  tödtlich  endeten,  wird  ein  ausftülurlicher  Secüonsbefund  mit  mikro- 


—    485    — 

skopiscber  UntersiiGhang  des  BückenHiarks,  der  peripherisclien  Nerven  und  der  Mus* 
kein  mitgetheili  Von  Einzelnheiten  heben  wir  als  bemerkenswerth  hervor,  dass  dje 
Veränderungen  der  Nerven  in  der  Peripherie  am  stärksten  waren,  nach  aufwärts  zu 
abnahmen.  Die  untersuchten  vorderen  Wurzeln  ergaben  sich  als  vollkommen 
normal.  In  den  Nerven  waren  die  Veränderungen  rein  parenchymatöser  Natur. 
Das  interstitielle  Bindegewebe  bot  keine  Veränderung  dar.  Verf.  betont  daher  den 
rein  degenerativ-atrophischen  Charakter  der  Erkrankung,  welche  nicht  ohne  Weiteres 
als  »^entzündliche''  angesehen  werden  darf. 

In  dem  ersten  der  beiden  tödtlich  endenden  Fälle  bestand  seit  längerer  Zeit 
eine  chronische  Lungentuberkulose.  Alkoholist  war  Patient  nicht.  In  dem 
zweiten  der  zur  Section  gekommenen  Fälle  war  dagegen  überhaupt  kein  ätiologisches 
Moment  nachweisbar.    Es  bestand  weder  Tuberkulose  noch  Alkoholismus. 

Die  beiden  anderen,  klinisch  ebenfalls  wohl  charakteri^irten  Fälle  gingen  in 
Heilung  über.  Der  erste  derselben  betraf  einen  starken  Potator,  der  zweite  eine 
alte  Prostituirte,  welche  aber  versicherte,  nie  viel  getrunken  zu  haben.  Auch  Zeichen 
von  Syphilis  fanden  sich  bei  ihr  nicht. 

In  Betreff  weiterer  Einzelnheiten,  welche  indessen  nicht  von  dem  jetzt  allgemein 
Bekannten  abweidlien,  kann  auf  das  Original  verwiesen  werden.      Strümpell. 


8)   Hyperästhesia  plantae  bilsteralis,  af  S.  Laache.    (Norsk  Mag.  f.  Lägeri- 
densk.  1886.  4.  B.  I.  1.  S.  18.) 

Der  Patient,  ein  25jähr.  Tischler,  war  als  Kind  rachitisch  gewesen  und  hatte 
erst  im  Alter  von  8  Jahren  laufen  gelernt,  später  hatte  er  an  Masern,  Bmstentzün* 
düng  und  wiederholt  an  dyspeptischen  Beschwerden  gelitten.  Seit  dem  August  1883 
litt  er  an  auf  die  Fusssohlen  beschränkter  Empfindlichkeit  mit  Brennen;  das  Leiden 
verschlimmerte  sich  bei  Druck,  so  dass  es  beim  Stehen  und  besonders  beim  Gehen 
ausserordentlich  störte;  da  das  Leiden  hauptsächlich  in  den  Fersen  seinen  Sitz  hatte, 
ging  Fat.  auf  den  Zehenballen.  Gleichzeitig  hatte  sich  Fnssschweiss  eingestellt,  an 
dem  Pat  früher  nicht  gelitten  hatte.  Plattfuss  war  nicht  vorhanden,  Gefühl  und 
Beflexe  verhielten  sich  normal  an  den  untern  Extremitäten.  Pat.  konnte  besser 
gehen,  wenn  er  Strümpfe  und  Stiefel  an  hatte,  als  barfuss,  weil  die  einigermaassen 
elastische  Fussbekleidung  den  Druck  beim  Gehen  etwas  milderte.  Andere  Symptome 
von  Bedeutung  waren  nicht  vorhanden.  Anfangs  wurde  das  Leiden  für  ein  rheu* 
matisches  gehalten,  wofür  flüchtige  Schmerzen  in  den  Beinen,  später  auch  im  Bücken 
sprechen  konnten.  Die  Anwendung  des  elektrischen  Pinsels  mit  kräftigem  Strom, 
Galvanisation,  Jodbepinselung  und  salicylsaures  Natron  erwiesen  sich  vollständig 
wirkungslos,  subcutane  Injectionen  von  Garbolsäurelösung  oder  von  Morphiumlösung 
hatten  nur  vorübergehende  Wirkung,  erst  nach  unblutiger  Dehnung  des  Ischiadicus 
(und  des  Bückenmarks)  mittelst  Beugung  der  tJnterextremitäten  und  des  Bückens 
gegen  einander  nahmen  die  Symptome  entschieden  ab  und  Pat.  konnte  nach  6  Monate 
langer  Behandlung  im  Hospitale  gebessert  entlassen  werden.  Die  Besserung  ging 
später  in  vollständige  Heilung  über. 

Da  kein  locales  Leiden  vorlag,  nimmt  es  L.  als  höchst  wahrscheinlich  an,  dass 
der  Schmerz  und  die  Empfindlichkeit  an  den  Fusssohlen  als  irradiirte  Symptome 
eines  Bückenmarksleidens,  speciell  der  Hinterstränge,  zu  betrachten  sei,  obgleich  sich 
andere  Zeichen  von  Bückenmarksaffection  nicht  fanden  ausser  dem  bilateralen  sym- 
metrischen Auftreten.  Walter  Berger. 


9)  Trophisohe  Stdnmg  im  Verästolungsgebiete  des  Unken  K.  eupraorbi- 
tfüis,  von  W.  D  echter iof f.  (Wjestnik  psychiatrii  i  nevropatologii.  1886.  L 
fiufisisch.) 


—    486    — 

Verf.  beschreibt  an  einem  ISjäbrigen  schwächlichen,  aber  gut  entwicMten  und 
sonst  gesunden  Mädchen  folgende  MjBsbildnng:  LSngs  der  Mittellinie  der  Stirn  zi^t 
sich  von  der  Glabella  aufwärts  eine  schmale  Erhöhung,  welche  die  normale  reC'hie 
Stimhälfte  von  der  erkranl[ten  linken  abgrenzt;  letztere  ist  eingesunken  und  braun 
pigmentirt»  und  in  ihrer  unmittelbaren  Fortsetzung  auf  die  Kopfhaut  sind  auf  einer 
keilförmigen  Fläche  von  11  cm  Länge  und  3,5 — 4,5  cm  Breite  die  Haare  ausgefidlen, 
während  in  ihrer  unmittelbaren  Umgebung,  wie  auch  am  ganzen  Kopf  flppiger  Haar- 
wuchs besteht  Die  Haut  ist  an  dieser,  z.  Th.  dem  Stirn-,  z.  Th.  dem  Scheitelban 
entsprechenden  Stelle  atrophisch,  dOnn,  und  macht  den  Eindruck  einer  Narbe,  ob- 
gleich die  Veränderung  nicht  traumatischen  Ursprungs  ist  In  demselben  Gebiet  ist 
auch  der  Knochen  verdfinnt.  Die  Sensibilität  ist  an  der  atrophischen  Stelle  unrer- 
ändert  Druck  auf  die  Incisura  supraorbitalis  wird  linkerseits  schmerzhaft  empfunden. 
Sonst  nichts  Abnormes  in  Sensibilität,  Motilität  und  elektrischer  Reizbarkeit  am 
ganzen  Körper  und  Gesicht,  abgesehen  von  genngfägiger  Herabsetzung  des  Geruchs- 
vermögens  linkerseits  und  unbedeutender  Blässe  der  linken  Papilla  n.  optici 

Die  beschriebene  Affection  hatte  sich  allmählich  im  Laufe  eines  Jahres  ent- 
wickelt. Vor  1^/2  Jahren  stiees  Patientin  mit  dem  Kopfe  gegen  eine  Eisenstange, 
aber  so  schwach,  dass  sie  kaum  Schmerz  verspflrte;  bald  darauf  begannen  an  der 
bezeichneten  Stelle  die  Haare  auazuÜEÜlen,  und  zugleich  stellten  sich  linksseitige 
Kopfschmerzen  ein,  auch  zuweilen  Nasenbluten  an  der  linken  Seite.  Neuropatlüsche 
Disposition  ist  nicht  wahrnehmbar,  obglnch  die  Mutter  an  einem  Nerrenldden  ge- 
litten hatte. 

Verf.  betrachtet  seinen  Fall  als  eine  reine  Trophoneurose,  die  sich  auf  das 
Verästelungsgebiet  des  N.  supraorbitalis  beschränkt  hat  Bei  sorgfiUtigster  Dmrdi- 
forschung  der  Literatur  fand  er  nur  eine  ähnliche  Beobachtung  Ton  Karewski 
(Ueber  einen  Fall  von  Trophoneurose  im  Bereiche  des  Nervus  supraorbitalis.  Beii 
klin«  Wochenschr.  1883.  Nr.  36).  Dem  Beispiele  desselben  folgend,  ist  er  geneigt, 
solche  Affectionen  nicht  als  besondere  Krankheitsfoim  aufnifiissen,  sondern  in  die 
Gruppe  der  Hemiatrophia  facialis  progressiva  (incompleta)  einzureihen. 

P.  Bosenbach. 


10)  A  oontribation  to  the  loealisation  of  fooal  leaiona  !n  the  ponB-oblon- 
gata  transition,  bj  E.  G.  Spitzka.  (Joum.  of  nervous  and  meni  disease. 
1886.  Xra.  p.  193.) 

Ein  interessanter  Beitrag  zur  topischen  Diagnostik  der  Herderkranknngen  in 
Pens  und  Oblongata. 

Es  handelt  sich  um  eine  23jähr.  verheirathete  Frau,  nicht  hereditär  belastet, 
aber  vielleicht  luetisch;  im  Juni  1883  täglich  ein  Anfall  von  Erbrechen;  in  den 
nächsten  3  Monaten  nur  3  solcher  Anfallei  aber  jedesmal  mit  heftigem  Schwindel; 
nach  dem  dritten  Anfall  vorabergehende  Sehstömng.  Dann  TaubheitBgef&hl  in  der 
linken  KörperhäUte  und  häufige  Verzerrungen  des  Mundes  nach  rechts.  Im  November 
fOr  einige  Tage  Diplopie,  späterhin  Unföhigkeit,  Gegenstände  zu  fixiren,  so  dass 
dieselben  vor  den  Augen  zu  tanzen  schienen,  besonders  wenn  Pat  sich  selbst  be- 
wegte oder  nach  links  zu  sehen  versuchte.  Bereits  seit  September  nasale  Sprache 
und  zunehmende  Schlingbeschwerden,  seit  März  1884  (subjective^)  Rigidität  der  rechts- 
seitigen Kaumuskeln,  unregelmässige  aussetzende  Herzaction,  Angstanfälle  mit  Dyspnoe, 
und  aufiEällende  Schläfrigkeit.  Endlich  gesellten  sich  zu  dem  Taubheitsgefühl  der 
linken  Seite  Parästhesien  (Nadelstiche  und  Amdsenkriechen),  sowie  ein  gelegentliches, 
aber  dann  sehr  deutliches  Kältegefühl. 

Status  am  15.  Mai  1884:  VerhältnissmSssig  gute  Körperemährung,  Locomotion 
und  Coordination  vollkommen  f^ei,  Muskelsinn  ohne  Störung,  Tastgefühl  beiderseits 
etwas  herabgesetzt,  Gewichtsunterschiede   werden   rechts  deutlicher  als  links  wahr- 


—    487    — 

genommen;  leichte  Berflhnmgen  der  linken  Extremit&ien  erzeugen  eine  KUteempfin- 
dung;  Reflexe  nonnal.  Totale  und  compleie  TAhmnug  des  rechten  Facialis  mit 
Lagophthalmus,  Thr&nenfluss  und  Abweichung  des  Zäpfchens  nach  rechts.  Der  rechte 
Masseter  scheint  schwächer  innervirt.  Die  Zunge,  ohne  Tremor  und  fibrilläre  Zuck- 
ungen, weicht  nach  rechts  ab;  der  Geschmack  ist  auf  der  rechten  Hälfte  herabgesetzt. 
Die  Kehlkopfs*  und  Athmungsmusculatur  ist  nonnal.  Parese  des  Gaumensegels,  hoch- 
gradige Schluckbeschwerden,  VomituSi  sobald  sich  Fat.  bei  gefOlltem  Hagen  bewegt, 
und  Tympanie  in  Folge  der  UnAhigkeit,  Magengase  zu  entleeren.  Unregelmässiger 
Puls;  gelegentlich  h6rt  man  ein  ungewöhnliches  systolisches  Geräusch  und  gleich- 
zeitig eine  aufiUlend  starke  Herzcontraction,  der  sich  nach  einer  kleinen  Pause  eine 
ganze  Reihe  zahlreicher  kurzer  Pnlsationen  anschliesst  Subjectives  Taubheitsgefühl 
in  der  rechten  Gesichtshälfte,  das  aber  nicht  auf  den  behaarten  Eopftheil  übergreift. 
Opticus  normal,  Pupillen  gleich  weit,  reagiren  langsam.  Augenbewegungen  frei,  doch 
ist  gemeinsame  Drehung  holder  Augen  nach  rechts  unmöglich:  in  der  Mitte  der  Lid- 
spalten bleiben  die  Augen  wie  festgemauert  stehen,  während  das  linke  Auge  richtig 
funcüonirt^  wenn  es  allein  bewegt  wird;  das  rechte  Auge  kann  auch  allein  nicht 
Aber  die  Mitte  der  Lidspalte  nach  rechts  bewegt  werden. 

Diagnose:  Neubildung,  wahrscheinlich  Syphilom,  das  sich  im  Uebergangstheil 
zwischen  Pens  und  MeduUa  obL  befindet  und  die  Wurzeln  resp.  Kerne  des  rechten 
Facialis,  Abducens  und  Vagus  betrifift. 

Später  stellten  sich  dann  wieder  sehr  heftige  Kopfschmerzen  (gegen  die  übrigens 
Cauterisation  des  Nackens  hülfreich  war)  sowie  ein  durch  Nichts  zu  stillender  Heiss- 
hunger  ein;  dabei  immer  heftigere  Schling-  und  Athembeschwerden,  Atrophie  der 
linken  Zungenh&lfte;  die  Zunge  kann  nur  mühsam  hervorgestreckt  werden,  weicht 
nach  links  ab  und  zeigt  fibrilläre  Zuckungen;  Articulationsstörungen,  Herabsetzung 
des  Raumsinns,  massige  Ataxie,  Schwäche  des  linken  Beins  und  vielleicht  Polyurie. 
Patientin  starb  am  9.  Juli  1884. 

Die  Section  bestätigte  die  im  Leben  gestellte  Diagnose.  Die  weiche,  graulich 
geförbte  und  aus  rundlichen  Sago  ähnlichen  Körnern  zusammengesetzte  Neubildung 
lag  hauptsächlich  im  rechten  oberen  Quadranten  des  Endtheils  der  Med.  oblongata 
und  griff  einige  Millimeter  über  die  Mittellinie  hinüber.  Die  Krankheitserscheinungen 
passen  ganz  befriedigend  zu  dieser  Localisation;  da  Verf.  übrigens  beabsichtigt,  in 
nächster  Zeit  eine  grössere  Arbeit  über  diesen  und  über  ähnliche  Fälle  zu  veröffent- 
lichen, so  braucht  hier  nicht  auf  die  Einzelheiten  eingegangen  zu  werden.  Es  sei 
noch  erwähnt,  dass  einige  Abbildungen  die  genaue  Topographie  des  interessanten 
Falles  ermöglichen.  Sommer. 

11)  ▲  oaae  of  absoees  of  tfae  ooolpital  lobe  with  hemianoiMda,  by  E.  G. 
Janeway.    (Joum.  of  nervous  and  mental  disease.    1886.    p.  224.) 

Ein  25  jähr.  Mann  erlitt  am  4.  Nov.  1885  einen  Schlag  auf  den  Kopf  mit  Haut- 
verletzung; dÄbei  massige  Betäubung,  ohne  völligen  Bewusstseinsverlusi  Am  folgenden 
Tage  war  er  arbeitsOhig;  nach  3  Tagen  aber  klagte  er  über  heftige  Kopfschmerzen 
und  es  entwickelte  sich  ein  Erysipelas  capitis  und  Eiterung  in  der  Hautwunde,  'die 
dann  in  Heilung  überging.  Unter  Fortdauer  der  KopfiMshmerzen  entstand  nach 
mehreren  Wochen  ein  GkfQhl  von  Taubheit  im  1.  Arm  und  dann  auch  im  1.  Bein 
und  später  gegen  Neujahr  eine  langsam  sich  ausbildende  Hemiparese  und  Hemian- 
aesthesie;  ausserdem  leichte  Benommenheit,  Hemianopsia  (Ausfall  der  1.  Gesichtsfeld- 
hälften) und  beiderseits  Stauungspapille.  Da  in  weiteren  14  Tagen  das  Bewusst- 
sein  immer  getrübter  wurde,  da  sich  unregehnässiges  Fieber  und  bedeutende  Puls- 
frequenz (über  150  Schläge)  entwickelte,  wurde  auf  Grund  der  Diagnose:  Abscess 
in  der  Nähe  der  Verletzung  (Hautnarbe  von  1  Zoll  Länge  etwas  links  vom  Scheitel) 
elue  Operation  zur  Entleerung  des  Eiters  etc.  beschlossen  und  zunächst  rechts  von 


—    488    — 

der  Mittellinie,  dann  links  von  derselben  aber  obne  Erfolg  ausgeführt  Die  nimmehr 
besonders  mit  Bücksicht  anf  die  Hemianopsie  vorgeschlagene  Trepanation  über  dem 
r.  Hinterhanptlappen  mnsste  bei  der  zunehmenden  Schwäche  des  Fati«iten  unter- 
bleiben; er  starb  am  1.  Febr.  1886,  9  Standen  nach  dem  operativen  Eingriff. 

Die  Section  ergab  einen  rundlichen  Abscess  von  2  Zoll  im  grössten  Dupchmesser 
im  Mark  des  rechten  Uinterhauptlappens,  dicht  bis  an  die  Binde  heranreichend  und 
n.  A.  auch  die  Fasern  zum  Cunens  und  zu  der  basalen  Hinterhauptsrinde  zerstörend. 

Sommer. 


12)  A  oaae  of  paralysis  of  the  trigeminus,  followed  by  altemate  hemi- 
plegiftf  itB  relations  to  the  nerve  of  taste,  by  G.  L.  Dana.  (Jonm. 
of  nerv,  and  ment.  disease.     1886.    p.  65. 

Im  Anschluss  an  einen  selbst  beobachteten  Fall  von  L&hmung  des  linken  Tri- 
geminus  (totale  Anaesthesie  des  linken  Qesichts  incl.  Cornea»  Gaumen-  und  Zangen- 
hälfte) bei  einem  36  jähr.  Mann  mit  späterer  Hemiplegie  der  rechten  Extremitäten, 
und  als  diese  geschwunden^  des  linken  Armes,  hebt  Verf.  hervor,  dass  iarotz  der  voll- 
ständigen Fnnctionsaufhebung  des  Trigeminus  der  Geschmack  ganz  unbeeinträchtigt 
geblieben  sei.  Besonders  stehe  sein  Befund  in  vollem  Gegensatz  zu  der  Annahme 
Gowers,  dass  alle  Geschmacksfasem  dem  centralen  Trigeminus  angehörten  und  daas 
der  Glossopharyngens  überhaupt  kein  sensorischer  Nerv  sei  Auf  Grund  eines  längeren 
EUüsonnements  verwirft  er  auch  die  landläufige  Ansicht,  nach  der  der  Trigrasinus 
von  den  beiden  vorderen  und  der  Glossopharyngens  von  dem  hinteren  Drittel  der 
Zunge  die  Geschmacksfasem  zum  Hirn  leite  und  schliesst  sich  den  Anschanongen 
von  (Brücke  und)  Carl  an,  dass  nämlich  sämtliche  (Geschmacksfasem  im  centralen 
Glossopharyngens  zum  Hirn  verlaufen:  die  Fasen  vom  hinteren  Drittel  der  Zunge 
direct,  die  von  den  beiden  vorderen  durch  den  Lingualis  imd  einerseits  vermittelst 
der  Chorda,  des  Facialis,  des  GangL  geniculi,  des  Bamus  communicans  zum  Plexus 
tympanicos,  und  andrerseits  durch  den  Lingualis  weiter  zum  Ganglion  oticum  und 
von  da  durch  Fasern  des  N.  petrosus  superficialis  minor  ebenfalls  zum  Plexus  tym- 
panicus  und  von  hier  nun  gemeinsam  durch  den  N.  Jacobsonii  zum  (langl.  petroeum 
des  Glossopharyngens. 

Für  die  topische  Diagnostik  ergiebt  sich  noch  der  Schluss,  dass  bei  Trigeminus- 
lähmung  mit  G^hmacksstörung  ein  peripherischer  Sitz  und  bei  Trigeminnslahmung 
ohne  Geschmacksstörung  ein  centraler  Sitz  des  Leidens  angenommen  werden  muss. 

Sommer. 


13)  A  oaae  of  haemorrhage  into  the  omra  oerebri  wifh  remaika,  by  Edw. 
Bickards.     (British  med.  Journal.     1886.     24.    IV.    p.  774.) 

Patient,  ein  64jähr.  sehr  zurückgezogen  lebender  Mann,  aus  dessen  Vorleben 
eigentlich  nur  Potatorium  bekannt  war,  fiel  eines  Tages  durch  die  Unsicherheit  seines 
Ganges  und  durch  eine  leichte  Ptosis  des  rechten  Augenlides  auf;  am  nächsten 
Morgen  war  er  benommen,  sein  Gang  stark  schwankend  und  es  bestand  massige 
Ptosis  beider  Augenlider.  Im  Hospital  zeigte  sich  dann  neben  Benommenheit  und 
Verwirrtheit  eine  erhöhte  Beizbarkeit  mit  vagen  Vergiftungsvorstellungen  ond  eine 
deutliche  Parese  der  linken  Gesichts-  und  Körperbälfte  auf  motorischem  und  sen- 
siblem Gebiet;  am  dritten  Tage  bestand  völlige  beiderseitige  Ptosis,  Drehung  des 
Kopfes  nach  links,  obschon  Patient  auf  lautes  Anrufen  den  Kopf  ziemlich  frei  be- 
wegen konnte;  die  Zunge  wurde  gerade  hervorgestreckt;  es  war  keine  Augenmuskel- 
lähmung (Deviation  etc.)  nachzuweisen;  Pupillen  gleich  und  reactionsföhig;  Reflexe 
erhalten.  Unter  allmälüicher  Zunahme  des  Sopor  verschied  Patient  am  15.  Tage» 
ohne  dass  besondere  Symptome  hinzugetreten  wären. 


—    480    — 

Die  Section  ergab  ein  haemorrhagisches  Extravasat,  das  die  medianen  oberen 
Partien  beider  Crura  cerebri,  auf  der  rechten  Seite  sdlerdings  in  weit  grösserer 
Ausdebnnng  als  links  zerstört  hatte.  Wahrscheinlich  war  die  Blntong  am  ersten 
Krankheitstage  in  den  rechten  Himschenkel  nar  gering  nnd  gewann  erst  am  zweiten 
Tage  eine  grössere  Ausdehnung,  indem  sie  sich  auch  auf  den  linken  Himschenkel 
aasbreitete. 

Gegenüber  der  gewöhnlichen  Symptomatologie,  Augenmaskellähmnng  auf  der 
kranken  nnd  motorische,  sowie  sensible  Lähmnng  der  gesunden  Körperhälfte,  ist  es 
auffallend,  dass  die  sensible  nnd  motorische  Lähmnng  des  Körpers  keinen  höheren 
Grad  erreichte,  und  dass  sich  die  Augenmnskellähmung  einzig  auf  den  Levator  pal- 
pebrae  super,  beschränkte.  Die  psychischen  Erscheinungen  werden  auf  den  Druck 
des  Extravasates  auf  die  Vena  Galeni  oder  auf  den  Aquaeductus  Sylvii  und  dadurch 
beding^  Hydrops  ventricul.  zurückgeführt.  Sommer. 


14)   Shir  la  ntaladie  des  tios   oonvulBifls»  par  Georges  Guinon,  interne  ä 
rhospice  de  la  Salpötridre.    (Bevue  de  m^.  1886.  Janvier.  p.  50.) 

Im  Anschluss  an  die  merkwürdigen,  ebenfalls  aus  der  Salpötri^re  stammenden 
Beobachtungen  von  Gilles  de  la  Tourette,  welche  dieser  unter  dem  Titel  „affec- 
tion  nerveuse  caract^ris^e  par  de  Tincoordination  motrice,  accompagnee  d'^cholalie  et 
de  coprolalie"  im  Archives  de  neurologie  (1885.  Nr.  25)  veröffentlicht  hat  und  welche 
den  in  Amerika,  auf  den  malayischen  Inseln  und  in  Sibirien  vorkommenden  wunder- 
baren Krankheitszuständen  („Jumping  du  Maine'',  „Latah'',  ,,Myriachit")  durchaus 
ähnlich  sind,  beschreibt  G.  in  der  vorliegenden  Arbeit  vier  neue,  hierher  gehörige 
Krankheitsfälle. 

Es  handelt  sich  hierbei  um  einen  eigenthümlichen,  meist  bei  nervös  beanlagten 
Personen  auftretenden  neuro-psychopathischen  Zustand,  der  charakterisirt  ist  1)  durch 
das  Auftreten  von  häufigen  Zwangsbewegungen  („tics"),  wie  Grimassenschneiden, 
Bewegungen  in  den  Armen  oder  in  den  Beinen,  Kratzbewegungen  u.  v.  a.  2)  durch 
das  unfreiwillige,  also  krampfartige  Hervorstossen  gewisser  Laute  oder  ganzer  Worte, 
eine  Erscheinung,  die  also  auch  als  „tic''  gedeutet  werden  kann,  3)  durch  den  häu- 
figen Eintritt  gewisser  Zwangsvorstellungen,  die  zu  impulsiven  Handlungen  führen 
können,  z.  B.  Zähltrieb,  Trieb  die  vorliegenden  Gegenstände  zu  ordnen,  auch  Angst- 
zustände ü.  dgl.,  also  gewisser maassen  psychische  „tics".  Dazu  kommt  4)  als  eine 
offenbar  zu  2)  gehörige  Erscheinung  die  Koprolalie,  d.  h.  das  zwangmässige  Aus- 
sprechen irgend  welcher  unanständiger  Redensarten,  Schimpfwörter  u.  dgl.,  und  end- 
lich 5)  die  zwangmässig  ausgeführten  Nachahmungen,  sei  es  in  der  Form  von  Echo- 
lalie  (Wiederholung  vorgesprochener  Worte)  oder  von  „Echokinesie"  (Nachahmung 
vorgemachter  Bewegungen),  ein  Zustand,  welcher  zuweilen  auch  bei  hypnotisirten 
Personen  hervorgerufen  werden  kann  und  da  als  Echomatismus  bezeichnet  worden  ist 

Aus  diesen  Erscheinungen  setzt  sich  das  Krankheitsbild  im  gegebenen  Falle  zu- 
sammen. Doch  können  einzelne  Erscheinungen  auch  fehlen,  andere  besonders  hervor- 
treten, so  dass  es  auch  hier  mannigfaltige  „formes  frustes"  giebt.  —  Alle  vier,  von 
dem  Verf.  ausführlich  beschriebenen,  interessanten  Beobachtungen  hier  im  Auszuge 
wiederzugeben,  würde  zu  viel  Raum  beanspruchen.  Wir  geben  daher  als  Beispiel  im 
Folgenden  nur  von  einer  einen  kurzen  Auszug. 

J.,  64jähr.  Frau.  Eltern  nnd  mehrere  Verwandte  waren  geisteskrank.  Patientin 
selbst  litt  in  ihrer  Jugend  an  Krämpfen  und  an  Chorea.  Unmittelbar  nach  ihrer 
Verheirathung  litt  sie  vorübergehend  an  Hallucinationen,  später  an  maniacalischen 
Anfallen  u.  dgl.  —  Ihr  jetziges  Leiden  tritt  in  einzelnen  „Krisen"  auf.  Die  Frau 
springt  plötzlich  von  ihrem  Sitz  in  die  Höhe,  stösst  heftige  Schimpfworte  („merde'S 
„chameau"  ü.  a.)  aus,  macht  sehr  starke,  krampfhafte  Bewegungen  mit  den  Armen 
und   Beinen,   schneidet  Grimassen  u.  dgl.    Beim  Sprechen  duzt  sie  Jedermann  und 


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fügt  einzelne  bestimmte  Worte,  die  immer  wiederkehren,  in  den  Satz  ein.  So  sagte 
sie  z.  B.  zu  Gharcot:  „il  y  a  longtemps  qae  je  ne  suis  venne  te  voir,  toi  et  ia 
sainte  musiqne;  poorquoi  m*as-ta  fait  venir  dans  ton  saint-sifflet?''  Die  Worte  „saint- 
sifflet'',  yySainte-musiqne'S  ^ySaint-sacrement''  mischen  sich  überhaupt  in  fast  alle  Satze 
ein.  Dabei  ist  sich  die  Patientin  des  Unpassenden  ihrer  Bedeweise  yoUkommen  be- 
wnsst,  vermag  es  aber  nicht  zu  ändern.  Jeder  Ausruf  in  ihrer  Umgebung  wird  tob 
ihr  sofort  wiederholt,  ebenso  ahmt  sie  jede  Grimasse  nach,  während  Bewegungen  der 
Extremitäten  kein  Echo  finden.  Ihr  Gedächtniss  hat  etwas  gelitten.  Die  Intelligenz 
dagegen  ist  normal.  Fixe  Ideen  bestehen  nicht  Die  Stimmung  ist  oft  trfibe,  so 
dass  die  Kranke  sogar  schon  oft  Selbstmordgedanken  gehegt  hat 

StrümpelL 

16)  Stade  BOT  les  oontraoturee  provoquäes  ohes  les  hystöriqnes  a  F^tat 
de  Yeille,  par  le  Dr.  P.  Descubes.    (Bordeaux  1885.    90  pages.) 

Verf.  selbst  stellt  als  das  Ergebniss  seiner  zahlreichen  Untersuchungen  (an 
9  hysterischen  Individuen)  folgende  Sätze  auf: 

1.  Man  kann  bei  vielen  Hysterischen  auch  im  bewussten  Zustande  derselben 
eine  diffuse  Muskelstarre  durch  gewisse  äussere  Einwirkungen  beliebig  hervonrufen. 

2.  Als  hierzu  geeignete  Mittel  haben  sich  erwiesen  : 

a)  Hautreize,  wie  einfache  Berührung,  Beiben,  Kitzeln,  längere  Zeit  fortgesetztes 
Anblasen,  Besprengen  mit  kaltem  oder  warmem  Wasser,  Faradisation  der  Haut,  Ap- 
plication gewisser  Metalle  oder  des  Magneten, 

b)  Muskelreize,  wie  Kneten,  Percutiren,  Faradisiren, 

c)  Ligament-  und  Knochenreize,  wie  Druck  auf  nur  von  Haut  bedeckte  Knochen, 
brfiske  Erschütterungen  ganzer  Extremitäten,  passive  Zerrungen  der  Glieder,  Siösse 
mit  dem  Fnss  oder  mit  der  geballten  Faust  in  die  Luft  etc.,  und 

d)  psychische  Beize,  wie  „Suggestion  imperative"  und  „Suggestion  par  i>er- 
suasion''. 

3.  Die  auf  eine  dieser  Weisen  ausgelöste  Muskelstarre  breitet  sich  schnell  auf 
benachbarte  Muskeln,  auch  auf  solche,  die  von  ganz  anderen  Nerven  versorgt  werden, 
aus  und  kann  sich  über  den  ganzen  Körper  erstrecken.  Während  übrigens  die  Ex- 
tremitäten- und  Kaumuskeln  leicht  afficirt  werden  können,  gelingt  es  bei  den  vom 
Facialis  abhängigen  Muskeln  nur  schwierig.  Die  Starre  selbst  ist  von  schmerzhaften 
Empfindungen  begleitet,  ausser  bei  Hemianästhesie;  sie  schwindet  nie  von  selbst  und 
kann  daher  zu  einer  permanenten  Gontractur  werden,  wenn  sie  nicht  künstlich  vneder 
beseitigt  wird. 

4.  Als  hierzu  geeignete  Mittel  sind  u.  A.  energisches  Beiben  und  Anblasen  der 
Haat  über  der  Gontractur,  der  Transfert  durch  den  Magneten,  die  Esmarch*sche 
Blutleere,  Faradisation  der  Sehnen  der  starren  Muskeln,  Druck  auf  die  Ovarien  und 
das  Anblasen  des  Epigastriums  zu  erwähnen. 

5.  Die  Möglichkeit,  derartige  Gontracturen  beliebig  herbeizuführen,  ist  kein 
nothwendiges  Symptom  der  Hysterie,  doch  kann  es  für  die  Diagnose  sdir  wichtig 
werden,  da  man  bei  keiner  anderen  &ankheit  mit  derselben  Leichtigkeit  Gontracturen 
zum  Entstehen  und  zum  Schwinden  zu  bringen  vermag  wie  bei  der  Hysterie.  Am 
häufigsten  lassen  sich  die  Muskeln  einer  hemianästhetischen  Seite  in  Starre  versetzen. 

Sommer. 

16)  Note  8ur  les  sonee  löthazg^nes  et  läthargofiräniatrioeB  ohes  les  hysti- 
riquee,  par  H.  Blanc-Fontenille.  (Sep.-Abdr.  aus  Journal  de  MMecine 
de  Bordeaux.  1886.) 

Yerf.  giebt  zunächst  eine  Darstellung  der  von  Paul  Sicher  auf  Grund  Char- 
coVscher  Beobachtui^en  veröffentlichten  Untersuchungen  über  die  künstliche  Hervor- 


—  4dl   — 

rafung  und  Wiederanterdrücküiig  „lethargischer''  Zustände  bei  Hysterischen  nnd  be- 
merkt alsdann,  dass  seine  eigenen  Beobachtungen  auf  der  Krankenabtheilong  von 
Pitres  in  Bordeaux  nicht  unwesentlich  von  denen  Bicher*s  abweichen.  Verf.  fand, 
dass  die  Patientinnen  allerdings  unfähig  sind,  im  lethargischen  Zustande  irgend  eine 
willkürliche  Bewegung  zu  unternehmen;  passiv  in  die  Höhe  gehobene  Glieder  fallen 
bei  ihnen  wie  gelähmt  herab.  Dagegen  fand  er  die  von  Bicher  beschriebene 
neoromusculäre  Beizbarkeit  und  die  totale  Anästhesie  nicht  vor.  Die  Kranken  scheinen 
sich  zwar  während  der  Lethargie  völlig  ausserhalb  der  irdischen  Welt  zu  befinden 
und  es  fehlt  auch  die  leiseste  Spur  einer  Beaction  auf  unangenehme  Sinnesreize. 
Trotzdem  werden  die  letzteren  aber  ganz  richtig  wahrgenommen  und  unmittelbar 
nach  dem  Erwachen  aus  der  Lethargie  können  die  Patienten  mit  voUer  Sicherheit 
angeben,  was  ihnen  zugerufen  worden  ist,  oder  nach  welcher  Bichtung  und  in  welcher 
Stärke  ihre  Sinnesorgane  gereizt  worden  sind  etc. 

Derartige  Zustände  von  „Lethargie"  können  nun  bei  geeigneten  (nicht  bei  allen) 
hysterischen  Kranken  durch  äussere  Beizung  gewisser  Hautpartien  nach  Belieben 
hervorgerufen  werden.  Die  Lage  der  „lethargogenen  Zonen"  ist  sehr  verschieden, 
bei  einem  und  demselben  Individuum  aber  constant;  die  Zonen  können  übrigens  auch 
auf  der  gefühllosen  Körperhälfte  einer  hemianästhetiBchen  Hysterica  liegen.  Jede 
mechanische  Beizung  der  lethargogenen  Stelle  (Drücken,  Kneifen,  Kitzeln  etc.)  genügt 
zur  Hervorruf nng  der  Lethargie:  Patientin  macht  gewöhnlich  noch  eine  tiefe  Inspiration 
und  verfällt  dann  sofort  in  den  eigenthümlichen  Benommenheitszustand. 

Den  lethargogenen  Zonen  stehen  nun  solche  gegenüber,  deren  Beizung  die  Le- 
thargie vrieder  aufhebt,  d.  h.  es  kommt  allerdings  nie  zu  einem  plötzlichen  üeber- 
gange  aus  der  Lethargie  in  das  normale  Verhalten,  wie  es  in  umgekehrter  Beihen- 
folge  ja  bei  der  Beizung  der  lethargogenen  Zonen  geschieht,  sondern  es  wird  der- 
selbe stets  durch  einen  eingeschobenen  hypnotischen  Zustand  vermitteli  Beizt  man 
übrigens  eine  die  Lethargie  aufhebende  Zone,  ohne  die  Patientin  Yorher  in  Lethargie 
versetzt  zu  haben,  so  entwickelt  sich  unmittelbar  eine  richtige  Hypnose.  Die  Lethargie 
wird  also  nur  durch  Herbeiführung  einer  Hypnose  unterdrückt  und  die  letztere  wird 
dann  erst  später  durch  Suggestion  und  andere  bekannte  Mittel  aufgehoben.  Spontan 
gebt  die  Lethargie  nie  vorüber;  Yerf.  hat  bis  36  Stunden  gewartet  und  sah  sich 
dann  doch  genöth^  sie  auf  die  angedeutete  Weise  zu  beenden. 

Die  ,4ethargolytischen"  Zonen  liegen  häufig  den  lethargogenen  symmetrisch 
gegenüber,  oft  freilich  ist  ihre  Lage  ganz  unberechenbar.  Yerhältnissmässig  oft  ist 
sie  in  einer  Ovarialgegend  zu  suchen. 

Gelegentlich  kann  man  nun  jene  Beobachtungen  auch  praktisch  verwerthen.  Ist 
durch  zufällige  Beizung  einer  (bis  dahin  vielleicht  ganz  unbekannten)  lethargogenen 
Zone  eine  Lethargie  entstanden,  so  kann  dieselbe  in  kürzester  Zeit  beendet  werden, 
sobald  man  die  lethargolytische  Zone  desselben  Individuums  kennt  oder  findet.  Trifft 
man  eine  Patientin  in  lebhaften  Gonvulsionen  oder  in  hysterischen  Schreiparoxysmen, 
80  kann  man  der  Scene  durch  absichtliche  Beizung  der  lethargogenen  Zone  ein  plötz- 
liches Ende  machen,  ja  man  kann,  wenn  z.  B.  der  Anfall  durch  einen  psychischen 
Einfluss,  durch  einen  Aerger,  einen  Streit  oder  dergL  ausgelöst  war,  4ie  zum  Aus- 
bruch Veranlassung  gegeben  habende  Unannehmlichkeit  während  des  lethargischen 
Zustandes  durch  Suggestion  ausreden  und  unschädlich  machen,  so  dass  man  nun  die 
absichtlich  hervorgerufene  Lethargie  beenden  darf,  ohne  eine  Wiederholung  des  An- 
falles befürchten  zu  müssen. 

Weitere  Untersuchungen  sind  jedenfalls  wünschenswerth,  und  nothwendig,  um 
ein  sicheres  Urtheil  über  jene  aufEEdlenden  Erscheinungen  abgeben  zu  können. 

Sommer. 


—    492    — 

Psychiatrie. 

■  > 

17)  Consid^rations  Bur  la  Morpbinomaiiie»  par  0.  Picbon.    (L'Encipliale. 

1886.  Nr.  3.) 

P.  trägt  die  Geschichte  einer  morphinmsüchtigen  Patientin  Yor,  die  an  schwerer 
erblicher  Disposition  zu  Neurose  leidet,  welche  in  der  Zeit  ihrer  Krankheit  bis  znr 
täglichen  Dosis  von  2,0  von  dem  Gifte  verbrauchte  und  diesen  Missbrauch  w&hrend 
8  voller  Jahre  fortsetzte.  Durch  alle  Spitäler  von  Paris  nahm  die  Kranke  ihren 
Weg,  sie  wünschte  dringend  geheilt  zu  werden;  einmal  machte  sie  sogar  einen 
Selbstmordversuch,  weil  sie  nicht  Herr  über  ihre  Leidenschaft  werden  konnte.  Dennoch 
betrog  sie  überall  die  Aerzte,  betrog  sie  die  Wärterinnen  in  raffinirtester  W^se,  was 
ihr  mit  Hülfe  ihrer  Schwester,  die  auch  morphiumsüchtig  war,  stets  gelang,  bis 
schliesslich,  als  die  verderblichen  Wirkungen  der  Leidenschaft  den  höchsten  Grad 
erreicht  hatten,  in  der  Klinik  des  Prof.  Ball  mit  Hülfe  der  rigorosesten  dausur 
die  Heilung  gelang.  In  der  eingehenden  Besprechung  über  die  Behandlung  redet 
Verf.  sehr  energisch  der  allmählichen  Entziehung,  welche  er  als  französische  Methode 
bezeichnet,  das  Wort;  nur  ausnahmsweise  will  er  die  brüske  Entziehung  —  von 
ihm  deutsche  Methode  benannt  —  angewendet  wissen,  wenn  nämlich  die  Existenz 
der  Kranken  durch  die  Folgen  der  Morphiumcachexie  selbst  bedroht  ist,  oder  wenn 
die  Täuschungen  der  Morphiophagen  bei  langsamer  Entziehung  nicht  bemeistert 
werden  können.  Aufs  Entschiedenste  räth  P.  zur  Sequestration  des  Morphiophagen, 
er  glaubt  durchaus  nicht,  dass  solche  Kranke,  auch  beim  besten  Willen  ihrerseits, 
in  gewohnter  Umgebung  genesen  können,  und  darin  wird  jeder  Arzt^  dmr  in  der 
Sache  Erfahrung  hat»  mit  ihm  übereinstimmen.  Zander. 


18)  Du  dilire  ohes  les  dögänirös,  Observations  prises  ä  Faslle  St.  Anne,   par 
M.  Legrain.    Paris  1886.    (290  Seiten.) 

Verf.,  Schüler  Magnan's,  kennt  nur  eine  degenerative  Heredität:  die  foHe  h^r€- 
ditaire  ist  für  ihn  die  folie  des  d^g^n^r^s.  Letztere  tritt  in  3  klinischen  Formen 
auf,  einem  ^tat  mental,  einem  ^tat  syndromique  und  einem  ^tat  d^lirani  Der  ^tat 
mental  des  Degenerirten^  d.  h.  sein  psychischer  Charakter  im  Allgemeinen  ist  der 
der  cerebrospinalen  Gleichgewichtsstörung  mit  oder  ohne  geistigen  Defeci  Danach 
die  4  Klassen  der  idiotes,  imb^ciles,  d^iles  und  intelügents  sup^rieurs:  bei  den 
letzten  findet  sich  eben  nur  jene  Gleichgewichtsstörung. 

Auf  dem  Boden  eines  solchen  ^tat  mental  d^g^n^rä  und  nur  auf  diesem  Boden 
kann  sich  ein  ^tat  syndromique  entwickeln,  d.  h.  es  treten  episodisch  Symptome  wie 
Kleptomanie,  Agoraphobie  etc.  auf,  alle  charakterisirt  durch  impulsive  Unwiderstehlich- 
keit, erhaltenes  Krankheitsbewusstsein,  begleitende  Angst  und  nach  vollbrachter  im- 
pulsiver Handlung  rasch  erfolgende  Erleichterung. 

Die  manie  raisonnante  imd  folie  morale  sind  schon  dem  ^tat  dfllrant  der  De- 
generirten  verwandt,  da  das  Krankheitsbewusstsein  gestört  ist 

Der  ^tat  d^lirant  der  Degenerirten  ist  stets  ausser  durch  den  präexistirenden 
6tat  mental  d^g^n^r^  auch  durch  ganz  bestimmte  andere  Merkmale  von  jedem  nicht- 
erblich degenerativem  d^lire  (d^lire  =  jede  Psychose  mit  Wahnvorstellung)  unter- 
schieden.   Er  tritt  auf  als 

1)  tendance  au  d^e. 

2)  premidre  ^bauche:  hierher  die  maniakalische  Exaltation  und  zum  Theü  Melan- 
cholia  Simplex. 

3)  dAire  d*embl£e:  brüsk  auftretende,  logisch  incohärente,  polymorphe,  rasch 
wechselnde  Wahnideen,  zu  denen  erst  secundär  Hallucinationen  sich  gesellen.  Dies 
d^lire  findet  sich  nur  bei  Degenerirten  und  ist  bei  diesen  das  häufiigste.  Fast  stets 
Heilung. 


—    493    — 

4)  dflire  k  ÖTolatLon  chronique:  von  dem  nicht-hereditaren  d^lire  chronique 
(chronische  Paranoia)  durch  atypischen  Verlauf,  mangelnde  Systematisation  der  Wahn- 
vorstellungen, bunte  Variabilität  und  mehr  oder  weniger  schwachsinnigen,  bizarren 
Charakter  derselben,  Mangel  primärer  sensorieller  Hallucinationen  verschieden.  Hierher 
auch  die  meisten  folies  intermittentes.  Nicht  selten  Ausgang  in  Demenz,  doch  oft 
auch  hier  Heilung. 

Der  ^tat  d^irant  entwickelt  sich  aus  dem  allgemeinen  ^tat  mental  d^g^n^r^ 
durch  Grelegenheitsursachen;  Pubertät,  Puerperium  etc.  wirken  stets  nur  als  solche, 
die  erbliche  Prädisposition  ist  wesentlich. 

67  zum  Theil  sehr  interessante  Krankengeschichten  stützen  diesen  neuesten  Aus- 
bau der  Magnan'schen  Lehre  yon  der  folie  des  d6g6n6r^;  dieselben  geben  Verf. 
auch  Anlass  zu  einer  grossen  Zahl  werthvoller  Einzelbemerkungen. 

Th.  Ziehen. 

19)   Beport  of  a  oase  of  melanoholia  with  Stupor  of  five  years  duration, 
by  OrvMle  Jay  Wilsey.  (The  Alienist  and  Neurologist.  1886.  VII.  p.  209.) 

Ein  Fall  von  stuporöser  Melancholie,  die  nach  5jähriger  Dauer  in  volle  Gene- 
sung übergegangen  sein  soll.  —  Pai,  ein  45jähr.  Bedacteur,  der  schon  1879  einen 
kurzen  Anfall  von  Geistesstörung  überstanden  hatte  und  der  in  Folge  heftiger  Partei- 
kämpfe und  Ueberarbeit  im  Herbst  1880  mit  melancholischen  Selbstvorwürfen,  Ver- 
hungerungsbefürchtungen  etc.  wieder  erkrankt  war,  wachte  nach  fast  5jähr.  Bestehen 
von  ängstlichem  Stupor  und  Stummheit  —  vielleicht  im  Anschluss  an  intercurrente 
Erkrankungen  wie  Pleuritis  und  Dysenterie  —  langsam  aus  seiner  Benommenheit  auf 
und  besprach  später  mit  grosser  Ausführlichkeit  und  vollem  Erankheitsbewusstsein 
die  schreckhaften  Wahnideen  und  Sinnestäuschungen,  die  ihn  so  lange  völlig  beherrscht 
gehabt  hatten.  So  hatte  er  geglaubt,  durch  halb  thierische  und  halb  menschliche 
Wesen  in  einem  in  der  Luft  schwebenden  Gefilngniss  festgehalten  zu  werden,  und 
hatte  jeden  Augenblick  seine  Hinrichtung,  deren  Vorbereitungen  er  sah  und  hörte, 
sowie  das  Hinschlachten  der  Seinigen  befürchtet.  Auch  meinte  er,  in  der  Luft  über 
die  ganze  Erde  hingeführt  zu  werden:  er  sah  alle  Gegenden,  von  denen  er  früher 
gelesen,  dann  aber  auch  den  Himmel  mit  seinen  goldenen  Strassen  etc.  Die  erste 
klarere  Vorstellung  sei  ihm  gekommen,  als  er  in  der  Beconvalescenz  von  der  Pleu- 
ritis in*s  Freie  gebracht  worden  sei:  da  habe  er  zuerst  wieder  bemerkt,  dass  er  denn 
doch  nicht  mit  seinem  Gefängniss  in  der  Luft  umhersegele,  sondern  wieder  festen 
Boden  unter  seinen  Füssen  habe.  Der  Sonnenschein,  die  smgenden  Vögel,  das  Grün 
der  Bäume  hätten  ihn  dann  allmählich  auf  den  Weg  zur  völligen  Genesung  gebracht. 
Im  October  1885  konnte  Pat.  als  geheilt  entlassen  und  dann  später  einer  Aerzte- 
versammlung  vorgestellt  werden.  In  der  neuesten  Zeit  ist  er  allerdings  an  einer 
Apoplexie  plötzlich  verstorben.  Sommer. 


20)   Ckmtributo  allo  studio  degli  epilettioi,  pei   Dott.  Gividalli  e  Amati. 
(Archivio  di  psichiatr.,  scienze  pen.  ed  antrop.  crim.  1886.  VII.  p.  84.) 

Die  Verf.  haben  120  Epileptiker,  68  M.  und  52  W.,  aus  der  Irrenanstalt  zu 
Born  zum  Gegenstand  ihrer  statistischen  Untersuchungen  gemacht;  aus  den  Ergeb- 
nissen derselben  seien  die  folgenden  kurzen  Mittheilungen  gestattet.  Keinmal  war 
directe  üebertragung  der  Epilepsie  nachweisbar,  65mal  war  wenigstens  eines  der 
Eltern  neuropsychopathisch  oder  Säufer,  und  12mal  scrophulös.  Bei  78  Patienten 
stellte  sich  der  erste  Anfall,  meist  im  Anschluss  an  eine  acute  Himerkrankung 
oder  an  die  Kinderexantheme,  vor  dem  14.  Jahre  ein;  nur  5  oder  6  beschuldigten 
eine  Kopfverletzung,  verhältnissmässig  viele  aber  einen  plötzlichen  Schreck  als  Ur- 
sache.  Während  das  Körpergewicht  der  Epileptiker  den  normalen  llittelzahlen  gleich- 


—    494    — 

kommt»   ist  ihre  Körperlänge  TerhältiiiBsmässig  gross:   66^0  ^^^  Mümer  sind  über 

160  and  71  ^/^  der  Weiber  über  150  cm  lang.    Im  Uebrigen  leigen  sich 

schiefe  Schädel  bei 33,8  and  34,6  ®/o 

schiefe  Gesichter  bei 57,4    „     32,6  ^/o 

niedrige  Stirn  bei 19,0    „       9,6  ®/o 

flaches  Hinterhaapt  bei 25,0    „       5,7  ®'o 

Degenerationszeichen  am  Ohr  bei    .     .     .      55,7    „    23,0% 

A-  and  Dyschromatopsie  bei 44,2     „     51,7  ^/^ 

(von  allerdings  nor  43  resp.  29  hierauf  üntersnchten) 
organische  oder  fanctionelle  Herzfehler  bei       45,4  nnd  30,7®/,, 

Sprechfehler 11,7     „     11,5  "/o 

Schwachsinn 61,7     „     69,2  "/o 

Ged&chtnissverlust 91,2     „     78,8% 

Hallucinationen 41,1     „     36,5% 

impulsive  Anfälle 50,0     „     44,2  ^/^ 

Jähzorn 100,0     „     61,5% 

Neigung  zum  Lögen  etc 100,0    „  100,0% 

Neigung  zur  religiösen  Schwärmerei      .     .       86,7     „  100,0% 

Masturbation 67,6     „     21,1% 

perverse  Sexualität  etc 2,94    „      3,84% 

Sommer. 

21)  Contribations  &  l'^tude  des  halluoinations  aloooliques,  par  J.  Mierze- 

jewski.     (Arch.  Slaves  de  biol.     1886.     I.     2.     p.  433.) 

M.,  die  Hallucinationen  des  Delirium  tremens  besprechend,  nimmt  an,  dass  viele 
der  Gesichtsillusionen  so  auch  die  des  Fallens  der  Objecto  durch  einen  Tremor  d^ 
Brück  ersehen  Muskels  bewirkt  sind;  er  constatirt  femer  im  Beginne  eine  Hjper- 
aesthesie,  später  Herabsetzung  und  selbst  Fehlen  der  Farbenperception  fOr  gewisse 
Farben.  Eingehends  bespricht  er  die  Thatsache,  dass  die  Hallucination  im  Momente 
ihrer  Projection  nach  aussen  durch  Verknüpfung  mit  gleichzeitig  auftretenden  Em- 
pfindungen nach  Grösse,  Färbung  und  Localisation  beeinflusst  wird.  Die  Beobaclitang 
Sander's  (Arch.  f.  Psych.  I.  p.  487)  von  der  wechselnden  Grüsse  der  hallucinirten 
Figuren  je  nach  der  Entfernung,  in  welcher  sie  hallucinirt  wurden,  erklärt  er  aas 
dem  Einflasse  der  Muskelempfindongen  beim  Fixiren;  bezüglich  der  Farbe  erwähnt 
er  die  Thatsache,  dass  bei  Alcoholiken  mit  theüweiser  Farbenblindheit  in  den  noch 
erhaltenen  Farben  hallacinirt  wird,  femer  die  Beobachtung,  dass  bei  solchen  mit 
Hyperaesthesie  des  Farbensinns  die  Hallucinationen  von  der  Nachwirkung  objediv 
percipirter  Objecto  in  ihrer  Färbung  beeinflusst  werden,  analog  der  bekannten  Beob- 
achtung von  Lazarus. 

Weiter  berichtet  M.  über  den  Einfluss  von  Empfindungen  in  anderen  Sinnes- 
gebieten auf  Hallucinationen;  er  erzählt  Fälle,  wo  bei  objectiv  erzeugten  Tast-  oder 
Schmerzensempfindungen  Gehörshallucinationen  in  die  von  jenen  betroffene  Partie 
localisirt  oder  durch  jene  verstärkt  wurden.  Daran  knüpft  M.  die  Mitthdlong  von 
durch  Soggestion  hervorgerufener  Gesichtshallucination  bei  gleichzeitiger  Erregung 
einer  Tastempfindung.  Schliesslich  bespricht  er  unter  Mittheilung  eines  einschlägigen 
interessanten  Falles  den  von  Crothers  zuerst  eingehend  gewürdigten  sog.  alcoholic 
trance.  A.  Pick. 

22)  neber  einige  naoh  epileptisolien  und  apopleotisolien  Aniftllen  auf- 

tretende Ersolieiniingen,  von  Fürstner.   (Arch.  f.  Psych.  XYII.  2.  S.  519.) 

F.  bestätigt  neuerdings  die   von   ihm  nach   paralytischen  Anf&Uen   constatirte 
einseitige  Bindenblindheit,  indem  er  seine  Anschauung  genauer  dahin  präeisirt,  „dass 


—    496    — 

sie  bei  den  dementen  und  dann  meist  benommenen  Patienten  mit  unseren  heutigen 
Untersuchnngsmethoden  wenigstens  nur  an  einem  Auge  nachweisbar  ist,  dass  diese 
Einseitigkeit  des  Defectes  auch  nicht  etwa  lediglich  dadurch  vorgetäuscht  wird,  dass 
das  eine  Auge  in  erheblich  überwiegendem  Grade  yon  dem  Ausfall  betroffen  ist,  der 
sich  an  dem  andern  nur  in  minimalen  Grenzen  hält".  Ausnahmslos  fand  sich  da- 
neben während  und  nach  dem  Anfalle  gleichseitige,  mehr  oder  weniger  vorübergehende 
Extremitätenparese  mit  Herabsetzung  der  Schmerzempfindung,  sowie  Fehlen  des  re- 
flectorischen  Lidschlusses.  Die  Parese  und  die  Sehstömng  schwinden  nicht  gleich- 
zeitig, vielmehr  geht  diese  voraus;  es  scheint,  dass  die  Sehstöruug  häufiger  bei  Para- 
lytikern mit  Seitenstrangsymptomen  vorkommt. 

Weiter  erwähnt  F.  vasomotorische  Störungen  der  Haut,  häufig  und  zwar  doppel- 
seitig auch  bei  Einseitigkeit  der  sonstigen  Erscheinungen  intensive  Böthung,  spontan 
oder  reactiv  auf  mechanische  Reizung,  selten  Serumtranssudation  und  Quaddelbildung. 
Bezüglich  der  Sehnenreflexe  erwähnt  F.  das  einseitige  Verschwinden  des  Patellar- 
reflexes  auf  der  paretischen  Seite  mit  allmählicher  Wiederkehr  nach  dem  Anfalle, 
das  meist  bei  Individuen  mit  Symptomen  von  combinirter  Hinter-  und  Seitenstrang- 
affection  beobachtet  wird,  femer  vorübergehende,  auch  ungleichseitige  Steigerung  der 
Sehnenreflexe. 

Weiter  beschreibt  F.  von  Epileptikern  mit  dauernder  Pupillenungleichheit  eine 
selten  prodromal,  häufiger  postparoxysmell,  bis  für  Tage  zu  beobachtende,  meist  ein- 
seitige beträchüiche  Zunahme  der  Pupillenweite,  femer  postepileptische  Sprachstö- 
rungen, meist  Bradylalie  und  Bradyarthrie ,  welche  in  schweren  Fällen  permanent 
werden  können;  dreimal  beobachtete  F.  Stottern,  das  bei  einem  alkoholistischen  Epi- 
leptiker habituell  wurde. 

Von  den  sog.  „automatischen"  Bewegungen,  die  im  postepileptischen  Psychosen- 
Stupor  und  bei  Moria  vorkommen,  bespricht  F.  die  von  ihm  sog.  „convulsivischen'',  die 
sich  als  typische,  donische  Zuckungen  einer  Eörperhälfte  oder  einer  Extremität»  als 
kurze  fibrilläre  Zuckungen  einzelner  Muskeln  oder  Muskelgruppen,  schliesslich  als 
transitorische  Hemichorea  und  Hemiathetose  darstellen;  alle  treten  bei  freiem  oder 
mehr  oder  weniger  getrübtem  Sensorium  auf,  während  die  complicirteren  Bewegungen 
coordinirter  Art,  die  F.  als  „Beactionsbewegungen"  bezeichnet,  bei  massig  starker 
Herabsetzung  der  Bewusstseinsschärfe  auftreten;  die  schon  von  Zacher  beschriebene 
durch  Widerstand  hervorgerafene  Verstärkung  der  Bewegungen  beobachtete  F.  beson- 
ders in  moriaartigen ,  paralytischen  oder  typischen  epileptischen  Anfallen  folgenden 
Zuständen.  Als  Analogen  dazu  beschreibt  er  eine  bei  gewissen  postparoxysmalen 
Zuständen  mit  verminderter  Bewusstseinsintensität  vorkommende  sprachliche  Beaction, 
die  durch  beständige  monotone  Wiederholung  richtiger  oder  paraphatisch  gebildeter 
Worte  und  Satztheile  charakterisirt  ist 

Als  Basis  für  diese  Zustände  nimmt  er  einen  pathologischen  Erregungszustand 
centraler  motorischer  Gebiete  an.  Die  von  Samt  beschriebene  postepileptische  Moria 
findet  F.  nicht  blos  öfters  bei  Epileptikem,  sondem  auch  nach  apoplectiformen  An- 
fallen Paralytischer  oder  anderweitig  organisch  Himkranker,  bemängelt  jedoch  die 
Bezeichnung  als  Moria.  Schliesslich  erwähnt  er  noch  aphatische  Zustände  und  die 
als  Theilerscheinung  der  Bewusstseinsstörung  zu  beobachtende  Herabsetzung  der 
Schärfe  der  optischen  Erinnerangsbilder.  A.  Pick. 


Therapie. 

23)  Alopecia,  ihe  result  of  leslon  of  trophio  nerve  oenter,  by  Dr.  Overall. 
(The  Alienist  and  Kenrol.  1886.  YH.  p.  264.) 

Eine  nach   einer  fieberhaften  Erkrankung  zurückgebliebene  Eahlköpfigkeit  bei 
einem  14jährigen  Mädchen  wird  nach  7jähriger  Dauer  und  nachdem  alle  bekannten 


—    496    — 

Mittel  erfolglos  geblieben  waren,  dnich  Elektricität  (,^g&Danl  figadiratw»  and  central 
galvanization"  sowie  locale  Application  fiuadiaciber  SMme  anf  die  Koplliant)  in  etwa 
10  Monaten  völlig  beseitigt,  indem  eich  zuerst  auf  der  rechten,  dann  andi  auf  der 
linken  Kopfhälfte  reichliche  Haare  entwickelten.  Sommer. 


HL  Bibliographie. 

Gmndrisa  der  medicmiachen  SlektrioitfttBlehre  für  Aente  und  Studirende, 
von  Bieger.    Jena,  Gosta?  i^her,  1886.    (62  Seiten.) 

Das  vorliegende  kleine  Werk  soll  inhaltlich  nichts  Neues  darbieten,  sondern 
nur  in  gedrängtem  Auszuge  die  fOr  den  Praktiker  wichtigsten  physikalischen  und 
physiologischen  Vorkommnisse  behufs  diagnostischer  und  therapeutischer  Elektricitats- 
Anwendung  vermitteln.  In  formeller  Beziehung  ist  das  Buch  dagegen  von  seinen 
zahlreiche  Vorgängern  zum  Theil  erheblich  yerschieden;  wobei  die  Vorzöge  zumeist 
auf  der  Seite  des  Bieger*schen  Buches  zu  suchen  sein  dürften.  Die  Anordnung  des 
Stoffes  ist  sehr  zweckmässig,  die  DarsteUnng  durch  Klarheit  und  Kftrze  ansgezeidinet; 
als  ganz  besonders  werthvoll  aber,  weil  ffir  den  Anfanger  wesentlich  zur  Erleich- 
terung des  Verständnisses  beitragend,  erscheinen  die  24  auf  besonderen  Tafeln  bei- 
gedruckten  und  vortrefflidi  ausgefOhrten  Chromolithographien.  Dieselben  stellen  theib 
Bestandtheile  des  elektromedicinische  ArmamentarSy  Elemente  etc.  dar,  —  theils 
vergegenwärtigen  sie  schematisch  die  Stromvertheilnng,  die  Sfaromdichte  unter  v«-- 
schiedenen  Umständen  der  verschiedenen  Arten  elektrischer  Behandlung,  die  ptt'cotaoe 
Nervenreiznng,  die  Elektrodiagnostik  der  Lähmungen.  Es  dürfte  an  dem  Boche  nur 
sehr  Weniges  auszusetzen  sein;  am  meisten  der  Mangel  ausfOhrlicherer  Mittheilungen 
über  die  jetzt  gebrauchlichen  Galvanometer.  Gerade  nach  dieser  Richtung  wä^en 
doch  wohl,  dem  Zwecke  des  Baches  gemäss,  etwas  genauere  Details  am  Platze  ge- 
wesen, statt  der  blossen  allgemeinen  Angabe  (S.  9),  dass  die  in  der  Praxis  fiblidien 
Galvanometer  nach  einem  einheitlichen  Maassstabe  graduirt  seien.  Dagegmi  erwähnt 
und  empfiehlt  B.  die  Kohlransch'sche  Stromwaage,  als  fttr  den  medidnischen  Gebraudi 
am  meisten  geeignet  Allerdings  dürfte  diesem  Instrumente  vor  den  gewöhnlichen 
Vertical-Galvanometem  der  Vorzug  grösserer  Constanz  zu  vindidren  sein;  jedoch  ist 
die  „Stromwaage''  nach  der  v<hi  Kohl  rausch  herrührenden  Beschreibung  (Sitzungs- 
bericht der  Würzburger  phys.-med.  Gesellschaft,  25.  Juli  1885)  nur  für  Ströme  bis 
zu  10  M.-A.  Stärke  eingerichtet^  überdies  auch  (was  weniger  in  Betracht  käme)  nur 
für  eine  Bichtong  des  Stromes  benutzbar.  —  Ungewöhnlich  ist,  dass  R.  stets  von 
„Dichtigkeit"  (statt  des  feststehenden  Terminus  „Dichte")  des  Stromes  spricht.  Wenn 
es  (S.  48)  heisst,  „über  eine  galvanische  Beaction  des  Geruchsorgans  ist  nichts 
Sicheres  bekannt",  so  scheinen  dem  Verf.  die  Aronsohn*schen  Untersuchungen  über 
diesen  G^enstand  (VerhandL  d.  physiolog.  Ges.  in  Berlin,  1883 — 1884,  Nr.  15  u.  16) 
entgangen  zu  sein,  obgleich  dieselben  schon  in  neueren  Lehrbüchern,  z.  B.  v.  ZiemsseD 
(II.  S.  162)  Aufoahme  gefunden  haben.  —  Dass  die  Beibungs-Elektricität  ,4n  der 
heutigen  Medicin  ohne  praktische  Verwendung"  sei  und  deshalb  unbernciraichtigt 
bleiben  könne,  lässt  sich  doch  wohl  nicht  unbedingt  rechtfertigen.  —  Abgeselien  tob 
derartigen  Kleinigkeiten  wird  die  vortrefflich  ausgestattete  Schrift  ihren  Zweck  der 
raschen  Orientirung  und  Vorbelehrung  für  Studirende  und  nicht-specialistische  Aerzte 
sicher  in  vollkommenster  Weise  erfüllen.  A.  Eulenburg. 

Um  Einsendimg  von  Separatabdracken  an  den  Herausgeber  wird  gebeten. 


EinBendongen  fnr  die  Bedaetion  sind  za  richten  an  Prot  Dr.  E.  Mendel. 

Berlin,  NW.  Kronprinzen-Ufer  7. 


Verlag  von  Vbit  &  Comp,  in  Leipzig.  —  Dmck  von  Mbtsokb  &  Wmno  in  Leipzig. 


NEUROLOGISCHESCENTRALBLAn. 

Uebersicht  der  Leistungen  auf  denn  Gebiete  der  Anatonnie,  Physiologie,  Pathologie 
und  Therapie  des  Nervensystemes  einschliesslich  der  Geisteskrankheiten. 

Herausgegeben  Ton 

Professor  Dr.  E.  Mendel 
Fflnfter  *"  ^*^-  Jahrgang. 

MonaÜicli  erscheinen  zwei  Nnmmern.   Preis  des  Jahrganges  16  Mark.   Zu  beziehen  durch 
alle  Buchhandlungen  des  In-  und  Auslandes,  die  Postanstalten  des  Deutschen  Reichs,  sowie 

direct  von  der  Verlagsbuchhandlung. 

1886.  1.  November.  M  2L 


Inhalt.  I.  OriglnalmittheUungen.  1.  Zur  DifFusionselektrode,  von  Prof.  Dr.  Adamklowicz. 
2.  Nachtrag  zu  der  Mittheilung  „Tumor  der  Zirbeldrüse"  in  Nr.  19  d.  BL,  von  Dr.  R.  Schulz. 

II.  Referate.  Anatomie.  1.  Sulla  mecoanica  della  locomozione  del  cervello  in  rap- 
porto  ai  moTimenti  del  capo,  per  il  Venfurl.  2.  The  Paroccipital,  a  newly  recognized  Fis- 
sural  Integer,  by  Wilder.  —  Experimentelle  Physiologie.  3.  Erregbarkeit  der  motor. 
Bindencentren  an  neugeborenen  Hunden,  von  Bechferew.  4.  Sulla  fisiologia  del  grande  hippo- 
campo,  ricerche  sperimentaH  del  Fasola.  —  Pathologische  Anatomie.  5.  Syringomyetie, 
von  Krauts.  6.  Öau  des  Büokenmarkes  bei  Mikrocephalen,  von  Sfelnlechner  Qretschlschnlkoff. 
7.  Combinirte  Systemerkrankungen  des  Bückenmarks,  Yon  Erllcki  und  Rybalkln.  —  Patho- 
logie des  Neryensystems.  8.  H^miplögie  aveo  hydr^mie  de  rhömisph^re  du  cöt4  oppos^ 
a  l'h^mipl^e  et  a  une  läsion  pulmonaire  pr^^ezistante,  par  Lupine.  9.  Hämiplögie  diabätique 
avec  l^sions  seulement  microscopiques  des  circonvolutions  motrices,  par  Lupine  et  Blanc. 
10.  Perforating  Tuberculosis  of  scml  with  cerebral  Symptoms,  by  Edmunds.  11.  Ascesso 
cerebrale  da  earie  del  temporale  destro,  nota  del  Mariani.  12.  Empyema  with  cerebral  abscess, 
by  FInlay.  18.  Paralysie  cerebrale  spastique  de  l'enfance,  par  Francotte.  14.  PoliencephalitiB 
infantilis,  Yon  Richter.  15.  Cerebrale  Einderlähmung,  von  Ranke.  16.  Sullo  spasmo  clonico 
della  Hngua,  del  Seppilll.  17.  Troubles  nerveuz  dans  la  diab^te  chez  les  feounes,  par  Lechorch6. 
18.  Von  der  angeborenen  Myotonie,  von  Danlllo.  19.  Nosographie  des  chor^es,  par  Lannols. 
—  Psychiatrie.  20.  La  durata  delle  frenosi  guaribili,  del  Riva.  2t.  Ophtnalmoscopic 
studiea  of  acute  mania  with  notet  of  cases,  by  Lautenbach;  Histories  of  natiens,  by  Bennet 
22.  The  opium  habit  in  an  idiot  boy,  b^  Carson.  23.  Physiologie  des  hallucinations;  les 
deuz  th^ries,  par  Balllarger.  24.  Curabüit^  de  la  dömence,  par  Kowalewski.  —  Therapie. 
25.  Trephining  for  Traumutic  Epilepsy,  by  Donald.  26.  Compound  depressed  frasture  of  the 
vault  Dt  the  skull;  trephining;  recovery  under  the  care  of  Drew.  27.  Compound  depressed 
fracture  of  right  parietal  bone,  trephining,  reimplantation  of  the  trephined  portion,  recovery, 
by  Warlng.  28.  'm^^anation  bei  Hirntumor,  von  Horsley.  29.  Di  un  nuovo  sistema  di  letti 
per  dementi-paralitici  ideato  dal  dott.  Ferotti  e  in  uso  nel  B.  Manicomio  di  Torino,  relazione 
del  Mondlno.   30.  Les  nouveauz  hypnotiques  et  leur  emploi  en  mödicine  mentale,  par  taillier. 

Hl.  Aus  den  Gesellschaften.  —  IV.  Bibliographie.  —  V.  Personallen.  —  VI.  Vermischtes. 


I.  Originalmittlieilungen. 
1.    Zur  Diffusionselektrode. 

Von  Prof.  Dr.  Adamkiewioz. 

In  einer  der  letzten  Nummern^  dieser  Zeitschrift  wird  mein  Verfahren,* 
Ghlorofonn  yermittelst  meiner  Diffosionselektrode  za  therapeutischen  Zwecken, 

*  Nr.  18.  Üeher  die  durch  Chloroform  auf  kataphorischem  Wege  zu  erzeugende  Haut- 
anästhesie (Adamkibwicz)  von  Pasohkis  und  Wagnbb. 
'  Die  DiAunonselektrode.    Diese  Ztschr.  1886.  Nr.  10. 


—    498    — 

besonders  zor  Behandlang  ?on  Neoralgie&y  za  kataphoresireii  von  den  Herten 
Paschkis  and  Wagneb  einer  angünstigen  Kritik  ont^woifen. 

Den  Eemponkt  denselben  bildet  die  Bebanptang  meiner  Q^ner,  daas  du 
Chloroform,  da  es  nicht  elektrisdi  leite,  aach  nicht  katapboresirt  werden  könne. 
Meine  Diffosionselektrode  lasse  daher  mit  Chlorctform  gefallt  einen  elektrischen 
Strom  überhaupt  nicht  darch.  Und  was  ich  als  eine  Folge  der  Chlorrform- 
Eataphorese  beschrieben  hatte,  käme  ganz  ohne  Mitwirkung  des  Stromes  onta 
dem  Einflass  des  Chloroforms  allein  za  Stande.  Dasselbe  dringe  aach  gar  nicht 
in  die  Gewebe  ein,  sondern  verschwände  aas  der  Diffosionselektrode  einfEu^  an 
der  Luft  darch  Verdampfen,  wie  man  sich  darch  —  den  Gerach  davon  über- 
zeugen könne. 

Es  ist  bekannt,  dass  Chloroform,  wie  jede  andere  alkoholische  and  ätherische 
Flüssigkeit,  sehr  wenig  leitet  Dass  aber  trotzdem  das  Chloroform  in  meiner 
Diffosionselektrode  den  Strom  nicht  nor  nicht  unterbricht,  sondern  nicht  einmal 
merklich  beeinflusst,  —  das  kann  Jeder  mit  lidchtigkeit  feststellen,  der,  wie  es 
sich  von  selbst  verstehen  sollte,  die  Elektroden  vor  ihrer  Verwendung 
mit  Wasser  befeuchtet  Wer  das  versäumt,  der  sollte  sich  billigerweise 
über  die  Stromlosigkeit  seiner  Vorrichtung  nicht  wundem  und,  wenn  er  von 
„groben  Lrrthfimem''  zu  sprechen  sich  gedrängt  fohlt,  in  besdieidener  Einsicht 
zunächst  an  Ach  denken. 

Wird  es  nun  so  einerseits  klar,  weshalb  in  den  Händen  meiner  Herres 
Kritiker  die  Diffussionselektrode  versagen  musste,  während  ich  mit  ihr  5  und 
10  Milliamperes  erhalte  und,  wenn  es  nöthig  sein  sollte,  auch  noch  mehr;  —  so 
will  ich  anderseits  hier  noch  besonders  danuif  hinweisen,  dass  eine  sorgfaltige 
Befeuchtung  der  Diffosionselektrode  mit  Wasser  für  die  Eataphorese  besonders 
wichtig  ist  Taucht  man  die  Elektrode  in  üblicher  Weise  nur  einfach  in's 
Wasser,  so  läuft  man  Gefahr,  die  Poren  des  Leinwandüberzuges  zu  verschliesseo 
und  so  die  Eataphorese  zu  erschweren.  Drückt  man  dagegen  das  die  Dif- 
fussionselektrode überziehende  Leinwandläppchen  vor  dem  Versuch  unter  Wasser 
aus,  so  bleiben  die  Leinwandporen  offen.  Und  während  nun  die  Leinwand- 
faden  den  elektrischen  Strom  leiten,  findet  der  kataphorische  Strom  in  den  Poren 
der  Leinwand  offene  Pforten. 

In  dieser  Weise  vorbereitet,  kann  man  sich  schon  durch  den  Versuch  am 
Menschen  von  der  Eataphorese  des  Chloroforms  sicher  überzeugen. 

Appiicirt  man  die  Diffusionselektrode 

1.  als  Anode  eines  Stromes  von  bestimmter  Dauer  (etwa  4  Minuten)  und  fest- 
gesetzter Stärke  (etwa  3  M.-A.),  nachdem  man  sie  einmal  mit  Wasser  und 
ein  zweites  Mal  mit  Chlorofoim  gefQUt  hat  und 

2.  als  einfaches  Chloroformreservoir  unter  denselben  Bedingungen  und  ohne  Strom. 

so  erhält  man  folgende  Besultate: 

1.  Die  Diffusionselektrode  ist  mit  Wasser  gefUlt: 

Man  hat  das  bekannte  leicht  brennende  Gefühl  des  elektrischen  Stromes. 
Nach  der  Einwirkung  ist  die  Haut  gegen  Stiche  empfindlicher,  als  sie  es 
vorher  war. 


—    4»»    — 

2.  Die  nSbsionselekfarode  ist  mit  Chloroform  gefiUlt  imd  stromlos: 
Während   der  Application    massiges    Brennen.     Nach  derselben  Ab- 
stumpfung des  Gefühls  zunächst  für  Temperaturunterschiede,  spater  für 
Schmerzeindrüeke. 

3.  Die  DiftasioMelektrode  ist  mit  Chloroform  gefüllt  und  elektrisch  dtiroh- 
stromt: 

Schnell  aaisteigendes  sehr  intensives  Brennen,  später  Abnahme  des- 
selben noch  während  des  Versuches  (beginnende  Anästhesie).  Nach  demselben 
intensive  Abstumpfung  des  Temperatur-  und  des  Schmerzgefühls. 

Diese  Scala  beweist,  wie  der  elektrische  Strom  die  Wirkung  des  Chloro- 
forms erhöM.  —  Und  man  kann  sich  diesen  Einfluss  des  elektrischen  Stromes 
nicht  anders  vofstellen,  Biß  so,  dass  er  das  Chloroform  in  innigeren  Contact  mit 
den  Geweben  bringt,  d.  h.  in  dieselben  hineinzieht  Daher  nehmen  denn 
auch  die  materiellen  Folgen  dieses  Contactes  mit  steigender  Stromstärke  schnell 
zu.  Und  man  kann  schon  bei  Strömen  von  7 — 10  M.-A.  in  wenigen  Minuten 
neben  absekiter  Bantanästheeie  Gewebsveränderungen,  Erytheme  bis  tiefe  Yer- 
schorftingen,  erzeugen.  —  Das  Chloroform  allein  brauchte  zu  solchen  Wirkungen, 
falls  es  sie  überhaupt  hervorzubringen  im  Stande  sein  sollte,  zum  Mindesten 
Stunden. 

Bei  sorgfältiger  Abmessung  der  Stromdaner  nnd  Stromesinten- 
sität lassen  sich  diese  schwereren  Einwirkungen  der  Chloroform- 
kataphorese  immer  vermeiden.  Man  erhält  dann  nur  locale  Gtefühls- 
abstumpfiiDgen.    Und  diese  in  prcmiptester  und  zuverlässigster  Weise. 

Während  der  letzten  Naturforsoherversammlung  hatte  ich  Gelegenheit,  den 
Mitgliedern  der  dermatologischen  Secüon,  die  mich  zu  Versuchen  mit  der  Dif- 
fosionselektrode  freundlichst  eingeladen  hatten,  hiervon  einige  Proben  zu  geben.^ 

Sehr  schön  lässt  sich  die  Thatsache  der  Chloroformkataphorese  am  Eaninchen- 
ohr  demonstriren.  — 

Man  färbt  zu  dem  Zweck  das  Chloroform,  beispielsweise  mit  Gentianaviolet, 
und  legt  die  mit  diesem  Chloroform  gefüllte  Diffussionselektrode  für  eine  be- 
stimmte Zeit  (etwa  5  Minuten)  an  die  innere,  haarlose  Fläche  der  einen  und 
dann  der  anderen  Ohrmuschel.  Lässt  man  auf  der  einen  Seite  nur  das  Chloro- 
form, auf  der  anderen  das  Chloroform  in  Gemeinschaft  mit  einem  mittelstarken 
Strom  (etwa  10 — 15  M.-A.)  wirken,  —  so  erkennt  man,  nachdem  man  von 
beiden  Muscheln  den  äusserlich  anhaftenden  Farbstoff  mittelst  Alkohols  vorsichtig 
abgewaschen  hat,  besonders  bei  durchfallendem  Licht  sehr  deutlich,  wie  auf  dem 
vom  Strome  nicht  durchflossenen  Ohr  nur  ein  blasser,  hellvioleter,  der  Form  der 
Elektrode  entsprechender  Fleck  entstanden  ist,  während  das  andere  Ohr  an  der 
Applicationsstelle  der  Diffusionselektrode  tief  blau  tätowirt  erscheint.  —  Die 
mikroskopische  Untersuchung  lehrt  dann  auch,  wie  auf  dem  einen  Ohre  nur 


^  Tageblatt  der  59.  YerBammlnng  deutscher  Naturforscher  nnd  Aerzte  in  Berlin.  Nr.  9. 
S.  398.  —  Die  Herren  Proif.  nnd  Drr.  Sohwimmbb  (Buda-Pest).  Köbnbb  (Berlin),  Lipp  (Graz), 
QaeirPKLi)  (Wien),  Bbbbbkdt,  BoSb  (Beilin)  n.  a.  waren  so  firenndlich,  sich  für  diese  Ver- 
suche besonders  su  iat^r^ssir^n« 


—    500    — 

die  obeiflaGhlichen  Epidermisschichten,  auf  dem  anderen,  kat^^horoBiiten  dagegen 
die  Epidermis  in  ihrer  ganzen  Dicke  und  selbst  das  Unterhautzellgewebe  diffus 
gefiurbt  ist  — 

Damit  ist  der  Beweis  geliefert,  dass  das  Chloroform  mitteist  meiner  Elek- 
tiode,  falls  sie  nur  richtig  gehandhabt  wird,  thatsaohlich  kataphoresirt  wird. 

Wenn  sich  daher  anch  meine  Herren  G^Tier  auf  das  Zeugniss  ihres  Ge- 
mchsoiganes  gegen  mich  berofen,  so  mnss  ich  doch  zn  meinem  Leidwesen 
constatiren,  dass  sich  dasselbe  als  Hessappaiat  fär  quantitative  (Montforxn-Be- 
Stimmungen  leider  nicht  bewahrt  hat  — 

Bei  dieser  Gelegenheit  möchte  ich  noch  der  irrthümlichen  Auffiassong  ent- 
gegentreten, als  ob  ich  auf  die  durch  mein  Yerfähren  zu  erzielende  Haatanästhesie 
ein  besonderes  (rewicht  legte.  Diese  dürfte,  glaube  ich,  ebensowenig,  als  die 
durch  Gocainkataphorese  erzeugte,  auf  praktische  Yerwerthbarkeit  Ansprach 
erheben.  Hypodermatische  Injectionen  und  Einpinselungen  mit  Cocain  sind 
weniger  umständlich  und  stehen  der  Eataphorese  an  Sicherheit  gewiss  nicht  nach. 

Worauf  ich  dagegen  den  Nachdruck  lege,  das  ist  dar  Umstand,  dass  die 
Chloroformkataphorese  sich  mir  als  ein  äusserst  wirksames  schmerz- 
stillendes Verfahren  bewährt  hat,  —  ein  Verfahren,  mit  dem  ich  zur  Zeit 
mich  noch  weiter  beschäftige  und  über  das  ausfBhrlichere  MittheQungen  zu 
machen  ich  mir  yorbehalte.  — 


2.  Nachtrag  zn  der  Mittheilnng  „Tumor  der  Zirbeldrüse''  in 

Nr.  19  d.  Bl. 

Von  Dr.  Biohard  Sohuls. 

Zu  meinem  Bedauern  bemerke  ich  nachträglich,  dass  ich  zwd  Beobach- 
tungen von  Tumoren  der  Zirbeldrüse,  welche  im  Jahre  1885  in  diesem  Blatte 
Nr.  18  von  Feilchenfeld  und  Nr.  24  von  PoNTOPPmAN  mitgetheilt  worden 
sind,  in  meiner  letzten  Arbeit  unberücksichtigt  gelassen  habe. 

Der  erste  nicht  nur  auf  die  Zirbeldrüse  beschränkte  Tumor  braucht  streng- 
genommen nicht  mit  in  Betracht  gezogen  zu  werden.  Er  betraf  einen  ISjähr. 
Mann  mit  Kopfschmerz,  Schwindel,  Erbrechen,  Ataxie  der  Arme  und  Beine, 
intacter  Sensibilität,  gesteigerten  Sehnenreflexen  rechts,  Lähmung  beider  Nn. 
Oculomotorii,  Parese  des  Imken  N.  facialis,  ungleichen  Pupillen,  beiderseitiger 
Stauungspapille,  Fieber. 

Der  zweite  Fall,  ein  wallnussgrosses  stark  vascularisirtes  Bundzellensaroom 
der  Zirbeldrüse,  betraf  einen  31  jähr.  Maler,  firüher  syphilitisch  mit  Kopfweh, 
Schwindel,  psychischer  Trägheit,  Unfähigkeit  des  Stehens  und  Gehens,  inyolon- 
tären  Excretionen,  benommenem  Sensorium,  motorischer  Schwäche  linkerseits, 
trägen  Pupillen,  starrem  Blick  ohne  Schielen  oder  Doppelsehen.  Pat  zeigte 
Neigung,  die  linke  Seitenlage  einzunehmen,  Neigung  nach  hinten  zu  Men, 
später  trat  Opisthotonus  und  ein  epileptiformer  Kramp&nM  au^  auch  entwickelte 
sich  beiderseits  Neuritis  optica. 


—    501    — 

An  Dmckfehlem  möchte  ich  gleichzeitig  noch  in  der  betreffenden  Arbeit 
berichtigen: 

S.  442  Zeile  4  „Schädelinnem''  statt  „Schädehnark^^ 

S.  443  Zeile  6  ,,nicht  protrudirt^'  statt  „leicht  protnidirt'^ 


IL  Referate. 


Anatomie. 

1)  Sullft  meooanioa  della  looomozione  del  oervello  in  rapporto  ai  movl- 

menü  del  oapo,  per  11  Prof.  Ventari.  (Biv.  sperim.  di  freniatr.  ecc.  1885. 
XI.  p.  159.) 

Verf.  hat  das  von  Lnys  n.  A.  in  neuester  Zeit  behauptete  Vorhandensein  einer 
Beweglichkeit  des  Gehirns  innerhalb  der  Schädelkapsel,  entsprechend  den  verschie- 
denen Haltungen  des  Kopfes,  aber  unabhängig  von  den  Einflüssen  der  Respiration 
und  Herzbewegung,  genauer  untersucht.  Er  hatte  zuföllig  bei  der  Section  eines 
Epileptikers  in  der  wie  gewöhnlich  stark  verdickten  Calotte  eine  länglich  ovale  Aus- 
höhlung beobachtet,  welche  durch  eine  auffällig  entwickelte  Pacchionische  Granulation 
in  der  Breite  ganz  ausgefüllt  wurde,  während  sie  nach  vom  und  hinten  derselben 
einen  bedeutenden  Spielraum  gewährte.  Er  schloss  daraus,  dass  sich  jene  Granula- 
tion selbst  ihr  „Geleise''  bei  den  Längsverschiebungen  des  Hirns  in  Folge  veränderter 
Kopfhaltung  ausgearbeitet  haben  könnte.  Experimentell  stellte  er  darauf  fest,  dass 
thatsächlich  eine  Bewegung  des  Gehirns  mit  der  Arachnoidea  stattfindet  und  zwar 
nach  hinten,  wenn  der  Kopf  auf  den  Nacken  gebeugt  wird,  und  nach  vom  beim  um- 
gekehrten Verfahren.  Er  fasst  diese.  Bewegung  als  eine  Drehung  des  Gehirns  in  toto 
um  den  biauricularen  Durchmesser  auf  und  meint,  sie  erfolge  einfach  nach  dem  Ge- 
setz der  Schwere,  indem  der  Liquor  als  specifisch  leichter  in  die  höheren  Partien 
des  Schädelinnenraumes  eintritt,  und  das  Hirn  daher  gevrissermaassen  in  die  tiefer 
gelegenen  eintritt.  Sommer. 

2)  The  Farocoipital,  a  newly  reoognized  Fissural  Integer,  by  Burt  G.  Wilder. 

(Joum.  of  nerv,  and  ment.  dis.  1886.  Vol.  XÜI.  p.  301.) 

Der  obige  Aufsatz  enthält  einige  recht  interessante  Betrachtungen,  die  aber 
leider  durch  die  Wilder*sche  Nomenclatur  schwer  verständlich  sind.  Der  Verf. 
wendet  sich  erst  gegen  die  Fissura  transversa  occipitalis  (Ecker),  deren  Selbst- 
ständigkeit er  in  Abrede  stellt.  Ecker*s  Fissura  interparietalis  wird  demnach  auch 
hinfällig;  denn  diese  F.  interp.  enthält  (nach  Wilder)  eine  eigentliche  Fiss.  parietalis 
und  den  longitudinalen  Theil  (zygon)  der  Fissura  paroccipitalis.  Diese  Fissura  par- 
ocdpitalis  ist  eine  der  Orbitalfissuren  ähnliche  Formation;  sie  besteht  aus  einem 
länglichen  Theile,  welcher  sich  vom  und  hinten  in  je  zwei  laterale  Theile  verzweigt. 
Die  Fissura  transversa  occipitaUs  (Ecker)  repräsentire  die  hinteren  Verzweigungen 
(stipes  und  ramus)  dieser  Fissurenbildung.  Sachs  (New  Tork). 


Experimentelle  Physiologie. 

3)  Heber  die  Erregbarkelt  der  motorisohen  Bindenoentren  an  neugeborenen 
Hunden,  von  W.  Bechterew.    (Wratsch.  1886.  Nr.  34.  Russisch.) 

Die  Untersuchung  des  Verf.  schliesst  sich   an   die   bekannten  Arbeiten   Solt- 
mann*s  und  Tarchanow's  über  den  bezeichneten  Gegenstand  an,  deren  Ergebnisse 


—    502    — 

er  im  Allgemeinen  bestätigt,  mit  Aosnahme  einiger  Yerbaltnifise,  beti^s  welcher  er 
neue  Behauptungen  aufstellt.  So  fand  er,  dass  zwischen  dem  Auftreten  der  Rinden- 
erregbarkeit  und  Oeffoen  der  Augen  keine  beständige  Beziehung  besteht,  dass  im 
Qegentheil  beide  Erscheinungen  unabhängig  von  einander  sind.  Femer  behauptet  er, 
dass  auch  die  Entwickelung  von  Riesenzellen  in  der  Rinde  des  motorischen  Feldfö 
nicht  eine  unumgängliche  Bedingung  der  elektrischen  Erregbarkeit  repräsentirt;  da- 
gegen fand  er,  dass  letztere  mit  der  Markscheidenentwickelung  an  den  Nervenfasern 
des  Pyramidenstranges  zusammenfällt,  die  bei  Hunden  nicht  vor  dem  10.  Tage, 
meistens  zwischen  dem  12.  und  15.  nach  der  Geburt  beginnt  Was  die  Locaüsation 
der  Gentren  anbetrifft,  so  kann  B.  der  Behauptung  Soltmann's  nicht  beistimmen, 
dass  sie  ausglich  einen  grösseren  Raum  einnehmen,  als  am  erwachsenen  Hund. 
B.  fand  bei  seinen  Versuchen,  dass  das  Gebiet,  dessen  elektrische  Reizung  motorische 
Wirkung  hat,  auch  am  jungen  Hunde  auf  den  Gyrus  sigmoides  beschränkt  ist,  und 
dass  die  einzelnen  Centren  in  derselben  topographischen  Anordnung  liegen,  vrie  am 
erwachsenen.  Ein  Unterschied  zwischen  beiden  besteht  darin,  dass  am  jni^en  die 
Centren  noch  wenig  different  sind,  indem  man  am  letzteren  nur  drei  erregbare 
Punkte  findet  (fär  die  Gesanmitmusculatur  des  Gesichts  und  der  Extremitätoi), 
während  im  motorischen  Felde  des  erwachsenen  Hundes  16  einzelne  Punkte  vor- 
handen sind,  deren  Reizung  isolirte  Muskelgruppen  in  Contraction  versetzt.  Letztere 
sind  vom  Verf.  in  einer  in  Gemeinschaft  mit  Referent  ao^ef&hrten  Arbeit  (rassisch) 
beschrieben  und  abgebildet.  Zum  Schluss  macht  Verf.  die  Angabe,  dass  es  an  jungen 
Hunden,  deren  Centren  bereits  erregbar  sind,  trotzdem  nicht  gelingt,  durch  elektrische 
Reizung  der  Hirnrinde  epileptische  AnfaUe  hervorzurufen.  P.  Bosenbach. 


4)  Sulla  flsiologia  del  grande  hippooBini>o,  rioercdie  sperlmentali  del  Dott. 
G.  Fasola.    (Riv.  speriment.  di  freniatr.  1886.  XI.  p.  434.) 

Verf.  kommt  auf  Grund  seiner  zahlreichen  Thierversuche  (an  mittelalten  Hunden) 
zu  folgenden  Schlüssen: 

Das  Ammonshom  steht  in  functionellem  Zusammenhang  mit  dem  Gesichts-,  Ge- 
hörs-, und  Geruchssinn;  es  bildet  eine  Zone,  in  der  die  drei  Sinnesspharen  gemein- 
sam vertreten  sind  und  in  der  vielleicht  die  Associationen  zwischen  den  verschiede 
erzeugten  Erinnerungsbildern  vermittelt  werden. 

Die  optischen  Fasern  des  Ammonshoms  kreuzen  sich  theilweise;  das  mächtigere 
Bündel  ist  das,  welches  mit  der  gekreuzt  liegenden  Retina  in  Yerbindong  steht, 
beim  linken  Ammonshom  also  mit  dem  linken  Abschnitt  der  rechten  Retina.  Die 
acustischen  Fasern  kreuzen  sich  ebenfalls  theilweise  und  auch  hier  ist  das  gekreuzte 
Bündel  das  mächtigere.    Die  osmischen  Fasern  verlaufen  wahrscheinlich  ungekreuit. 

Sommer. 


Pathologische  Anatomie. 


6)  neber  einen  Fall  von  Syringomyelie»  von  Dr.  E.  Krauss,  Breslau.    (Yir- 
chow's  Archiv.  Bd.  100.  S.  304.) 

Eine  50  Jahre  alt  gewordene  Fabrikarbeiterin  bemerkte  in  ihrem  32.  Jahre 
plötzlich  eine  Lähmung  des  rechten  Armes  und  Beines;  die  des  letzteren  verlor  sieh 
wieder,  am  rechten  Arm  entwickelten  sich  Contracturen  sämmtlicher  Finger.  Bis  zg 
ihrem  46.  Lebensjahre  befand  sich  Fat.  dabei  in  erträglichem  Zustande;  seitdem 
Verschlimmerung,  besonders  viel  Schmerzen  in  beiden  Beinen,  in  der  rechten  Körper- 
hälfte; häufiges  Urinlassen.    Die  obere  rechte  Extremität  massig  atrophisch. 

Aus  den  letzten  3 — 4  Jahren  ihres  Lebens,  die  sie  im  Krankenhause  ambraebte, 
ist  zu  erwähnen,  dass  der  Urin  meist  eiweisshaltig  war,  ohne  corpusculäre  Elemeot^- 


—    503    — 

Wirbelsäule  nirgends  auf  Dmck  schmerzhaft;  Banchreflex  nicht  vorhanden,  Sensibilität 
normal.  Zuletzt  heftige  Schmerzen  im  rechten  Schultergelenk,  danach  Gontractnren 
in  diesem  sowie  im  rechten  Ellenbogengelenk;  h&ufiges  Erbrechen. 

Die  Bection  (Tod  den  4.  Jan.  1883)  ergab  Syringomyelie  mit  grauer  Degeneration 
des  rechten  Seitenstranges.  Die  H6hle  reichte  yom  unteren  Ende  der  Oliven  bis 
zum  6.  Dorsalnerven.  Der  Centralkanal  war  an  den  meisten  Stellen  erhalten.  Dass 
die  H6hle  durch  den  Zerfall  gewucherten  Gliagewebes  entstanden  war,  erwies  die 
mikroskopische  Untersuchung  zweifellos.  Die  Gliawucherung  betheiligte  im  unteren 
Dorsaliheil  nur  die  Umgebung  des  Centralkanals,  weiter  oben  das  rechte  Hinterhoin, 
einen  Theil  des  rechten  Seitenstranges,  ja  zuletzt  auch  das  linke  Hinterhom.  Auch 
die  Clarke*schen  Säulen,  das  rechte  Yorderhom,  Hinterstränge  und  Theile  der  Med. 
oblongata  waren  afficirt.  —  Es  bestand  Nierenschrumpfung.  — 

Das  plötzliche  Auftreten  der  rechtsseitigen  Lähmung  erklärt  Verf.  durch  eine 
bei  dem  schon  längere  Zeit  sjmptomlos  vorhanden  gewesenen  Leiden  eingetretene 
Blutung.  —  Mit  Rücksicht  auf  die  Angaben  von  Fr.  Schultze  und  Bernhardt 
hebt  Verf.  hervor,  dass,  abgesehen  von  den  rechtsseitigen  resp.  sonstigen  Schmerzen, 
Sensibilitätsstömngen,  bes.  Anästhesie,  Analgesie,  Lähmung  des  Temperatursinnes  etc. 
fehlten.  Hadlich. 

6)  Ueber  den  Bau  des  Büokenmarkes  bei  Mikrooephalen;  ein  Beitrag  zur 

Kenntnjss  des  Einflnaaea  des  Vorderhimes  auf  die  Entwiokelting 
anderer  Theile  des  Centralnervensystems,  von  Alexandra  Stein- 
lechner  Qretschischnikoff.     (Arch.  f.  Psych.  1886.  Bd.  17.  Nr.  3.) 

Das  Material  zu  vorliegender  Arbeit  bestand  ans  dem  Bückenmark  zweier  Mikro- 
cephalen.  Der  Gehimbefund  muss  im  Original  nachgelesen  werden.  Die  Bücken- 
marke wurden  auf  Mikrotomschnitten  mittelst  Messung  und  Zählung  der  Nervenfasern 
in  bestimmten  Querschnittsfeldem  untersucht.    Die  Resultate  sind  folgende: 

Es  besteht  in  beiden  Fällen  von  Mikrocephalie  eine  Verkümmerung  des  Rücken- 
marks, für  die  locale  Ursachen  nicht  aufzufinden  sind.  In  beiden  Fällen  sind  die 
Pyramidenbahnen,  die  Gk>irschen  Stränge,  und  die  Yorderstrangsgrundbündel ;  im 
stärkst  afficirten  Präparat  auch  die  Kleinhimseitenstränge  und  die  Yorderhomgang- 
lien  affidrt    Die  Eeilstränge  sind  freigeblieben. 

Die  Verf.  schliesst  daraus,  dass  vor  Allem  die  Ausbildung  der  Pjramidenbahn 
und  der  GoU'schen  Stränge  direct  unter  dem  Einflüsse  des  Qrosshims  geschehe:  dann 
folgen  die  YorderhomgangUen.  Ein  Theil  der  Pyramidenbahn  könne  aber  nicht  direct 
vom  Grosshime  abhängen,  da  er  auch  noch  bei  hochgradigster  Alfection  desselben 
vorhanden  sei.     Dasselbe  sei  der  Fall  mit  den  Yorderstrangsgrundbündeln. 

Bruns. 

7)  Zur  Frage  der   oombinirten  Systemerkrankungen  des  Büokenmarks, 

von  Erlicki  und  Bybalkin.     (Arch.  f.  Psychiatrie.  1886.  Bd.  17.  Nr.  3.) 

Ein  ISjähriges  Mädchen  erkrankte  in  Fol^e  einer  Erkältung  und  zeigt  1  Jahr 
nach  dem  Erankheitsbeginn  folgende  Symptome:  Hochgradige  Ataxie  der  Beine, 
geringere  der  Arme,  Romberg's  Symptom.  Muskelgefühlsstörung  an  allen  vier  Ex- 
tremitäten. Im  Uebrigen  keine  Sensibilitätsstörung;  keine  Schmerzanfölle  oder  Par- 
ästhesien.  Patellarreflexe  erloschen.  Keine  Lähmungserscheinungen,  keine  oculären 
Symptome,  keine  Sprachstörung.  Bis  zum  Tode,  der  20  Monate  nach  Beginn  der 
Erkrankung  an  Tuberculose  erfolgte,  traten  neue  Symptome  nicht  hinzu. 

Pathologisch-anatomisch  fand  sich  Degeneration  der  Pyramidenseitenstränge,  fast 
der  gesammten  Hinterstränge  (nur  iin  Lendenmai'k  blieben  die  vordersten  Partien 
dieser  Stränge  intact)  und  eines  Theiles  der  grauen  Substanz:  die  laterale  Zone  der- 
selben in  der  Gegend  zwischen  Yorder-  und  Hinterhömem. 


*« 


—    504    — 

Die  Yerft.  scheinen  geneigt,  ihren  Fall  der  hereditären  Ataxie  Friedreich*s 
anzureihen,  deren  bisherige  Gasnistik  sie  besprechen.  Freilich  fehlten  der  Nystagmus, 
die  Sprachstöning  und  die  Lähmnngserscheiniihgen;  doch  seien  das  Sp&tsyniptome, 
die  bei  dem  schnellen  Yerlanf  ihres  Falles  nicht  austreten  seien.  Anch  die  Moskel- 
gef&hlsst6ningen  trübten  etwas  das  Krankheitsbild.  Ueber  hereditäre  Verhältnisse 
war  nichts  zu  emiren,  da  die  Fat  ein  Findelkind  war. 

Hervorgehoben  wird  noch  die  Intactheit  des  Tast-  und  SchmerzgeftJils  bei  fast 
vollständiger  Zerstörong  der  Hinterstränge.  Der  Verlust  des  Muskelsinnas  wird  auf 
die  beschriebene  Affection  der  grauen  Substanz  bezogen.  Brnns. 


Pathologie  des  Nervensystems. 

8)  Delix  cas  dliömiplögie  aveo  hydremie  de  llidniisphöre  du  cötö  oppoae 

a  rhömipl^e  et  a  une  läsion  pulmonaire  präexistante,  par  B.  Le- 

pine.     (Bev.  de  mäd.  1886.  Jan  vier  p.  85.) 

L.  berichtet  über  eine  Hemiplegie,  welche  kurz  vor  dem  Tode  bei  einem  Kranken 
mit  Lungenphthisis  aufgetreten  war.  In  der  entgegengesetzten  Gehimhemisphäre 
fand  sich  keine  der  gewöhnlichen  Herderkrankungen.  Die  Gehirnsubstanz  daselbst 
erschien  aber  etwas  blasser,  weicher  und  eine  quantitative  Bestimmung  ihres  Wasser- 
gehaltes ergab  eine  Vermehrung  desselben  gegenüber  der  anderen  Hemisphäre.  In 
einem  anderen  Falle  trat  bei  einem  Kranken  mit  croupöser  Pneumonie  ebenfalls  kun 
vor  dem  Tode  eine  Hemiplegie  auf,  welche  nicht  durch  eine  Herderkrankung  bedingt 
war.    Auch  die  Wasserbestimmung  lieferte  kein  entscheidendes  Besnltat 

Strümpell. 

9)  Hömipl^e  diab6tlque  aveo  iMona  aeulement  miorosoopiques  des  cir- 

oonvolationa  motrioes,  par  B.  Lupine  et  L.  Blana  (Bev.  de  m6d.  1886. 
F^vrier  p.  167.) 

Bei  einem  39jährigen  Diabetiker  entwickelte  sich  innerhalb  14  Tagen  eine  voll- 
ständige, die  Extremitäten  und  das  Glicht  betreffende  rechtsseitige  Hemiplegie. 
Später  trat  auch  fast  vollkommene  Aphasie  dazu.  Sehr  häufig  zeigten  sich  in  der 
gelähmten  Seite  epileptiforme  Anfälle.  Nach  beinahe  einjähriger  Dauer  gingen  diese 
nervösen  Störungen  so  gut  wie  vollständig  wieder  zurück.  Patient  starb  aber  bald 
darauf  an  Lungenphthisis.  Die  Section  ergab  keine  dem  blossen  Auge  auffiOlendo] 
Veränderungen  im  Gehirn.  Mikroskopisch  dagegen  fanden  sich  in  der  Binde  der 
linken  motorischen  Begion  deutliche  Veränderungen,  vor  Allem  fast  vollständiger 
Schwund  der  Pyramidenzellen,  Erweiterung  der  perivasculären  Lymphräume  xl  a. 

Strümpell 

10)  Case  of  perforating  Taberoolosia  of  skull  with  cerebral  Symptoms, 

by  Walter  Edmunds.    (Brain.  1885.  April,  p.  88—90.) 

Ein  14  jähriger  Knabe  hatte  18  Monate  vor  der  Au&ahme  innerhalb  einer 
tuberculösen  Peritonitis  einen  kalten  Abscess  auf  der  linken  Seite  der  Kopf  hant  über 
dem  Schläfenbeine  unter  Kopfschmerzen  bekommen,  aus  welchem  2mal  dicker  Eiter 
aspirirt  wurde.  Etwa  6  Monate  später  klagte  er  über  Taubheit  im  rechten  Ann 
und  Hand,  und  4  Monate  später  begann  sich  der  Abscess  wieder  zu  füllen.  2  Tacre 
vor  der  Aufnahme  trat  ein  Krampfanfall  ein,  in  welchem  unter  Bewusstseinsverlnst. 
Schaum  vor  dem  Munde,  Zungenbiss  und  unwillkürlicher  Urinentleerung,  beide  Beine 
und  der  rechte  Arm  zuckten.    Es  bestand  auf  der  linken  Scheitelbeingegend  m 


—    505    — 

flnctuirender  Tamor,  motorische  Schwäche  des  rechten  Armes  und  Beines,  leichte 
rechtsseitige  Facialparalyse,  normale  Sensibilität,  ophthalmoskopisch  Schwellung  der 
Papillen  ohne  Hämorrhagien,  keine  Sehstömng,  normale  Kniephänomene.  Nach  Frei- 
legnng  des  Ab^cesses  fand  sich  in  der  ganzen  Dicke  des  Schädels  ein  Sequester, 
nach  dessen  Entfemnng  die  Dura  mater  bloss  lag  nnd  die  Gehimpolsationen  sicht- 
bar waren.  Noch  2  AnflUle  nach  2  nnd  8  Wochen  nach  der  Operation,  in  welchen 
der  Kopf  nach  rechts  gedreht  wurde  unter  allgemeinen  Gonvulsionen.  Die  Neuritis 
optica  ging  zurück;  nach  4  Monaten  bestand  noch  rechtsseitige  Hemiparese.  Der 
durch  eine  Süberplatte  geschützte  Defect  des  Schädels  lag  einen  halben  Zoll  nach 
Tom  von  der  Mitte  der  Bolando*schen  Spalte.  Es  wird  der  Fall  als  perforirende 
Tuberculosi9  des  Schädels  aufgefasst.  E.  Bemak. 


11)   Aflcesso  cerebrale  da  oarie  del  temporale  destro,  nota  del  Dott.  M. 
MarianL    (Archivio  ital.  per  le  mal.  nervöse  ecc.  1886.  XXUI.  p.  193.) 

Bei  einer  31jährigen  Frau,  die  schon  zweimal  geisteskrank  gewesen  war,  zeigte 
sich  im  Verlauf  des  dritten  Anfalls  von  maniakalischer  Verwirrtheit  und  Aufregung 
eine  allmählig  zunehmende  Benommenheit,  der  sich  nach  etwa  5  Monaten  hefiage 
Kopfschmerzen  in  der  rechten  Schläfe  und  4  Monate  später  Ausfluss  von  fötidem 
Eiter  aus  dem  rechten  Ohr  ausschlössen.  Nach  weiteren  4  Wochen  trat  der  Tod 
ein,  nachdem  sich  noch  Oedem  der  rechten  Schläfen-  und  Stimgegend  und  Himdruck- 
erscheinungen  (Sopor,  langsamer  Puls  bis  40,  und  Vomitus)  ohne  motorische  oder 
sensorische  Störungen,  abgesehen  von  einer  leicht  erklärlichen  Herabsetzung  des 
Geh6rs  auf  der  rechten  Seite,  gezeigt  hatten. 

Die  Section  ergab  Garies  des  Schläfenbeins  und  einen  ganz  isolirten  nussgrossen 
Abscess  im  Mark  des  rechten  Schläfenlappens,  der  nirgends  die  Binde  erreichte. 
Auf&lHg  ist  der  Mangel  aller  Herdsymptome  und  das  Fehlen  eines  jeden  localen  Zu- 
sammenhanges des  Abscesses  mit  der  Garies,  obschon  eine  causale  Verbindung  zwischen 
beiden  doch  wohl  angenommen  werden  muss.  Sommer. 


12)  A  oase  of  empyema  with  cerebral  absoess,  by  David  W.  Finlay.  (The 
Lancet  1886.  Vol.  I.  p.  298.) 

Ein  20jähriger  Mann  wurde  wegen  linksseitigem  Empyem  operirt  und  ihm  eine 
reichliche  Menge  fötiden  Eiters  entzogen.  Wohlbefinden.  8  Tage  nach  der  Operation 
bekam  er  einen  15  Minuten  dauernden,  epileptiformen  Anfall,  der  sich  alsdann  inner- 
halb 24  Stunden  6mal  wiederholte.  Zuerst  presste  er  dabei  die  Zähne  aufeinander; 
dann  Spasmus  der  Nackenmuskeln,  Bigidität  des  Stammes  und  der  Extremitäten, 
Beine  in  Extensionsstellung,  Arme  flectirt.  Der  Kopf  wurde  nach  rechts  gedreht, 
ebenso  die  Augen,  Oyanose^  Zungenbiss.  Pupillen  anfangs  eng,  dann  weit,  auf  Licht 
nicht  reagirend.  Incontinentia  urinae.  Nach  dem  Anfall  OoUaps  und  langsam  ster- 
toröse  Bespiration.  In  der  interparoxysmellen  Zeit  schläfrig,  benommen;  er  klagt 
über  Kopfschmerz.  3  Tage  später  wurde  beim  Herausstrecken  der  Zunge  linksseitige 
Deviation  derselben,  ausserdem  linksseitige  Facialislähmung  bemerkt.  Abnahme  der 
Kraft  im  linken  Arm,  leichter  Tremor  desselben.  Ophthalmoskopisch  nichts  beson- 
deres. Zunahme  der  Paralyse  des  linken  Arms,  später  Lähmung  des  linken  Beins. 
Temperatur  subnormal.  7  Tage  später  Erbrechen;  er  versteht  nicht,  was  man  sagt, 
nnd  antwortet  nicht.    Einige  Tage  später  Tod  im  Goma. 

16  Stunden  nach  Exitus  Obduction.  Abgesehen  von  den  Veränderungen  der 
Fleurae  und  Pulmones  fand  sich  ein  Abscess  dicht  unter  der  grauen  Masse  des 
rechten  Cortex,  entsprechend  dem  mittleren  Theile  des  Gyrus  praecentralis  und  bis 
zum  Seitenvenlaikel  hin  sich  ausdehnend. 


—    506    — 

Der  Abscess  des  (JeliiniB  ist  durch  septische  Embolie  zu  erkl&ren;  abw  wie 
kommt  es,  dass  sich  keine  metastaüschen  Abscesse  in  der  Longe  fanden,  wohin  doch 
nach  der  Beschaffenheit  des  E[reishiafs  die  septischoi  Stoffe  zuerst  gelangen  mnaslen? 
Eine  genaue  Localisation  des  Abscesses  liess  sich  nach  den  Symptomen  bereits  während 
des  Lebens  machen;  aber  ob  eine  darauf  hin  unternommene  Operation  einen  Erfolg 
gehabt  hätte,  ist  wegen  der  beträchtlichen  Grösse  des  Eiterherdes  stark  zu  be- 
zweifeln. Buhemann. 


13)  Un  oaa  de  Paralysie  cöräbrale  spastique  de  l'enfianee,  par  X.  Fran- 
cott e,  Li^ge.     (Ann.  de  la  Soc.  möd.-chir.  de  Li^.  1886.) 

Ein  5jähriger  Knabe  verfällt  plötzlich  in  rechtsseitige  Krämpfe  mit  Delirium. 
Nach  eintägiger  Dauer,  längerem  comatösen  Zustand,  mehrwöchentlicher  Bettruhe 
ward  eine  rechtsseitige  Lähmung  entdeckt  Dieselbe  bildet  sich  zum  Theil  zurück, 
eine  Parese  blieb.  Krämpfe  kehrten  nicht  wieder.  Schwachsinn  ohne  Sprachstörung, 
Andeutungen  der  Charakterzüge  eines  Moral-insanity-Kranken. 

Stat  praes.  im  9.  Jahre:  Rechtes  Bein  und  namentlich  rechter  Ann  kürzer  und 
magerer,  Contracturen,  spastischer  Gkmg.  Elektrische  Erregbarkeit  der  Muskeln, 
Sensibilität,  rechter  Facialis  (der  an  den  Krämpfen,  Yielleicht  auch  an  der  anfijig- 
lichen  Lähmung  betheiligt  war)  normal.  Kniephänomen  rechts  gesteigert^  kein  Foss- 
klonus,  aber  Zittern  des  ganzen  rechten  Beines,  wenn  das  Kind  sich  sitzend  auf  die 
Fussspitze  stützt. 

Verf.  schliesst  eine  kurze  Besprechung  der  Krankheit  und  ihrer  anatomischen 
Grundlage  an.  Th.  Ziehen. 


14)  FolienoephalitiB  infaxitilia,   Inaugural- Dissertation  von  Eduard   Richter. 
Berlin  1886. 

Verf.  schildert  diese  Affection  und  weist  auf  die  Analogie  ihrer  Schwesterkrank- 
heit, der  spinalen  Kinderlähmung,  hin.  Dann  fasst  er  die  differentiell  diagnostischen 
Merkmale  zwischen  beiden  Leiden  zusammen:  Das  Verhalten  der  Nerren  und  Muskeln 
gegen  den  elektrischen  Strom,  hier  Entartungsreaction,  dort  höchstens  quantitatire 
Veränderungen  der  Erregbarkeit;  hier  monoplegische  oder  paraplegische  Form  der 
Parese,  dort  Hemiplegie;  hier  normales  Verhalten  der  Sensibilität  und  intacte  Psyche, 
dort  Gefühlsstörungen  und  Störungen  der  Intelligenz  etc. 

Als  pathologisches  Substrat  nimmt  Verf.  einen  interstitiellen  Entzündungsprocess 
der  grauen  Hirnrinde  an,  der  secundär  Atrophie  des  Farenchjms  der  gangliöaen  und 
nervösen  Elemente  herbeiführt. 

8  Fälle  der  Poliencephalitis  acuta  bringt  Verf.  bei,  von  denen  4  aus  dem  Material 
der  MendeTschen  Poliklinik  entnonomen  sind.  Ruhemann. 


16)  Ueber  cerebrale  Kinderlähmung,  Hemiplegia  oerebralls  spastioa  (Heine), 
FolienoephalitiB  acuta  (Strümpell),  yon  Prof.  Dr.  H.  Ranke,  München. 
(Münch.  med.  Wochenschr.  1886.  Nr.  17.) 

In  übersichtlicher,  klarer  Weise  stellt  der  Verf.  zunächst  das  Krankheitsbild 
der  spinalen  Kinderlähmung,  auf  J.  v.  Heine's  Arbeiten  zurückgehend,  und  das  der 
cerebralen  Kinderlähmung,  wie  es  Strümpell^  und  vor  ihm  schon  ebenfalls  J.y.  Heine 
geschildert,  gegenüber,  um  dann  seine  eigenen  Beobachtungen  der  letzteren  I[rank- 
heit,  in  Bezug  auf  welche  er  sich  ganz  an  StrümpelVs  treffliehe  und  erschöpfende 


^  S.  dieses  CentralblaU  1884.  S.  502. 


—    507    — 

Schilderung  anschliesst,  folgen  zu  lassen.  B.  hat  in  den  letzten  10  Monaten  in 
seiner  Poliklinik  12  Fälle  von  spinaler  und  11  Fälle  von  cerebraler  Einderlähmung 
beobachtet;  die  letzteren  betrafen  7  Mädchen  und  4  Knaben  und  zeigten  8mal  die 
hemiplegische,  3mal  die  monoplegische  Form  (Imal  der  Arm,  2mal  das  Bein).  Das 
InitialBtadium  war  meist  wenig  markirt.  Bei  den  Hemiplegien  war  immer  der  Arm 
am  stärksten  betroffen  und  7mal  unter  den  8  Fällen  eine  deutliche  Wachsthums- 
hemmung  des  Armes  vorhanden;  eben  so  oft  bestanden  athetotische  Bewegungen, 
theils  der  ganzen  Glieder,  theils  nur  der  Finger  und  Zehen.  —  3mal  lagen  Störungen 
der  Intelligenz  vor,  Imal  Epilepsie  mit  Beginn  der  Krämpfe  auf  der  gelähmten  Seite. 
Die  Lähmui^  war  stets  eine  spasiäsche,  doch  waren  die  Sehnenreflexe  nicht  immer 
—  wie  Strümpell  fand  —  erhöht.  Die  elektrische  Erregbarkeit  gegen  beide 
Stromesarten  war  ungestört,  niemals  wurde  Entartungsreaction  beobachtet. 

Zu  Sectionen  hatte  B.  bisher  keine  Glelegenheit,  führt  aber  aus  der  Literatur 
2  Fälle  von  Langenbeck  (Berliner  med.  Gresellschaft  1862)  welche  offenbar  hierher 
gehören,  an,  in  welchen  sich  einmal  —  bei  linksseitiger  Hemiplegie  —  ein  alter 
encephalomalacischer  Herd  in  der  rechten  Hemisphäre,  das  andere  Mal  —  linksseitige 
brachiale  Monoplegie  —  ein  eben  solcher  grosser  rechtsseitiger  Herd  fand.  —  Ebenso 
sind  Fälle  von  Kundrat  aus  dessen  „Forencephalie"  und  ein  Fall  von  W.  Sander 
(Ctrlbl.  f.  d.  med.  Wissensch.  1875.  Nr.  15)  mit  Gehimdefecten  auf  primäre  cerebrale 
Kinderlähmung  zu  beziehen. 

Aetiologisch  erklärt  B.  es  für  bemerkenswerth,  dass  in  3  seiner  Fälle  die  Kinder 
nach  schwerer  Geburt  asphyctisch  zur  Welt  gekommen  waren;  in  einem  anderen 
Falle  war  offenbar  eine  Erkältung  durch  heftige  plötzliche  Abkühlung  des  erhitzten 
Körpers  zn  beschuldigen,  und  H.  ist  darum  zur  Annahme  eines  infectiösen  Agens 
wenig  geneigt. 

Zum  Schluss  stellt  B.  in  einem  Schema  von  14  Punkten  je  für  die  spinale  und 
die  cerebrale  Kinderlähmung  beide  Krankheiten  differential-diagnostisch  gegenüber. 

Hadlich. 

16)  SuUo   spasmo   olonioo   della    lingua,    nota  clinica  del  Dott.   Seppilli. 

(Biv.  sperim.  di  freniatr.  1886.  XI.  p.  476.) 

Von  den  nicht  zahlreichen  bisher  in  der  Literatur  bekannten  Fällen  clonischer 
Krämpfe  der  Zungenmusculatur  unterscheidet  sich  der,  der  der  oben  angezeigten 
Arbeit  zu  Grunde  liegt,  dadurch,  dass  sich  die  klonischen  Zuckungen  einzig  auf  die 
rechte  Hälfte  der  Zunge  beschränkten,  hier  aber  in  allen  Muskeln  (im  Lingualis, 
Stjloglossus,  Hypoglossus  und  Genioglossus)  nachweisbar  waren.  Die  Zuckungen 
erfolgten  40 — 50mal  in  der  Minute  und  hörten  niemals  ganz  auf;  nur  ihre  Intensität 
war  mannigfachen  Schwankungen  unterworfen.  Im  Allgemeinen  war  weder  das 
Schlucken  noch  das  Sprechen  wesentlich  gehindert. 

Der  Krampf  hatte  sich  ziemlich  gleichzeitig  mit  den  ersten  Zeichen  einer  Puer- 
penümelancholie  bei  einer  34jährigen  hereditär  belasteten  Frau  gezeigt  und  dauerte 
noch  zur  Zeit  der  Genesung,  die  nach  6monatlicher  Dauer  der  Psychose  eintrat,  wenn 
auch  in  sehr  bedeutend  gebessertem  Maasse  fort.  Die  Behandlung  hatte  in  localer 
Faradisation  der  Muskeln  und  in  der  Verordnung  von  Bromkalium  (3,0  pro  die) 
bestanden.  Sommer. 

17)  Troubles  nerveuz  dana  la  diabdte   ohez   las   femmes,   par   Lecorch^. 

(Arch.  de  Neurologie.  1885—1886.  X.  p.  395  et  XI.  p.  50.) 

Die  nervösen  Störungen  beim  Diabetes  sind  theils  auf  grobe  materielle  Läsionen 
der  Gentralorgane,  theils  auf  feinere  Veränderungen,  hervorgerufen  durch  die  fehler- 
hafte Blutmischung  oder  durch  arterielle  Anämie,  zurückzuführen.  Vielleicht  kann 
Ersteres  aus  Letzterem  entstehen. 


—    508    — 

Als  directe  Nerrenstönrngen  bezeiclmet  L.  die  sensiblen,  motorischen  oder  in- 
tellectnellen  Störungen,  welche  der  diabetischen  Kachexie  znkonunen,  wahrend  er  die 
Herderkranknngen,  welche  secundär  durch  Gefässerkranknng  etc.  entstehen,  als  in- 
directe  bezeichnet. 

Störungen  der  Sensibilität  finden  sich  in  verschiedenster  Weise,  im  Bereiche  der 
Sinnesorgane,  wie  in  der  Haut  mit  ihren  verschiedenen  Qualitäten,  und  in  den  fibrigoi 
Nerven.  Die  Motilität  ist  im  Ganzen  seltener  afficirt,  doch  sind  bekanntlich  Para- 
lysen und  Paresen  beschrieben  worden,  auch  allgemeine  oder  partielle  Muskelschwache 
kommt  vor.  In  einzelnen  Fällen  sind  Krämpfe  in  gewissen  Muskelgruppen  beobachtet 
Betreffend  die  geistigen  Störungen,  so  sind  melancholische  und  paranoische  Zustände, 
Delirien  verschiedener  Art,  grosse  Reizbarkeit  verbunden  mit  Schwäche  häufig,  des- 
gleichen Schwindel,  Kopfschmerzen,  Schlaflosigkeit  Es  ist  klar,  dass  alle  diese 
Symptome  im  Einzelfalle  mit  dem  ganzen  Krankheitsbilde,  der  hereditären  Anlage, 
dem  Verlauf,  den  Gomplicationen  und  dem  Befunde  verglichen  werden  und  nur  so 
richtig  verstanden  werden  können.  Die  genaueren  Krankengeschichten  müssen  in  des 
Verf.  „Trait^  de  diab^te''  nachgelesen  werden. 

Ebenso  ist  die  Frage,  ob  die  Herderkrankungen,  welche  sich  bei  Diabetikem 
finden,  Folgen  oder  Ursache  der  Glycosurie  sind,  nur  von  Fall  zu  Fall  zu  entscheiden. 
—  Die  Folgeerscheinungen  der  Läsionen  erscheinen  rasch  oder  langsam,  im  ersteren 
Falle  als  apoplectischer  Insult  oder  Krampfanfall,  mit  tödtlichem  Ausgang  oder 
passager,  auch  sich  wiederholend.  Bei  den  Frauen  hat  L.  Erweichungen  und  Blu- 
tungen im  Gehirn  gesehen;  die  psychischen  Symptome  waren  entsprechend  verschieden. 

Die  Sehstörungen  betreffen  bekanntlich  besonders  häufige  Gataract,  vorzüglich 
bei  Diabetes  nach  der  Menopause.  Amblyopie  wird  sehr  häufig  gekli^  allein  oder 
mit  snbjectiven  abnormen  Gefühlsempfindungen,  Wolken-,  Nebel-,  Licht-  und  Funken- 
sehen. Presbyopie,  Doppeltsehen,  Pupillendifferenzen  etc.  gehören  meist  den  vorge- 
schrittenen Stadien  der  Krankheit  an.  — 

Der  zweite  Theil  der  Arbeit  bezieht  sich  auf  das  Coma  diabeticum  und  auf  die 
Acetonämie.  Ueber  das  diabetische  Coma  und  die  terminalen  Anfalle  sind  verschiedene 
Theorien  aufgestellt  Nach  Besprechung  derselben  ergiebt  sich  für  L.,  dass  keine 
für  alle  Erscheinungen  genügend  ist.  Dieses  kommt  nach  L.  daher,  weil  zwei  funda- 
mental verschiedene  Grundzustände  auseinander  gehalten  werden  müssen:  erstens  den, 
bei  welchem  niemals  Aceton  in  der  Exspirationsluft  und  im  Urin  nachgewiesen  wurde, 
und  zweitens  den,  bei  welchem  Aceton  vorhanden  war.  Diese  beiden  verschiedenen 
Zustände  verlangen  verschiedene  Erklärungsweisen  für  die  plötzlichen  Anfälle  des 
Coma:  der  erste  scheint  dem  Verf.  hauptsächlich  auf  Herzinsufficienz  zurückzuführen 
zu  sein,  man  kann  ihn  daher  Coma  diabeticum  simplex  oder  CoUapsus  diabeticos 
nennen.  Der  zweite  hat  keine  Verwandtschaft  mit  dem  ersten,  hier  handelt  es  sich 
nicht  um  einfachen  CoUaps,  sondern  um  Collapsus  durch  Intoxication.  Welches  ist 
das  Gift?  Ein  Stoff,  in  dessen  Yeränderungsreihe  das  Aceton  eine  Phase  ist,  ein 
dem  Aceton  verwandter  Stoff,  welchen  wir  noch  nicht  bestimmt  bezeichnen  können. 
Dass  wir  noch  nicht  wissen,  wie  das  Gift  entsteht,  besonders  ob  es  vom  Zucker 
stammt,  spricht  nach  L.  nicht  gegen  die  Theorie,  genug,  dass  das  Aceton  in  allen 
Organen  des  Diabetikers  gefunden  ist  Wie  es  wirkt  zur  Intoxication,  ist  auch  unklar, 
doch  beweisen  nach  L.  die  gegnerischen  Theorien  nichts  gegen  die  Annahme  der 
Acetonämie  als  Todesursache. 

Im  Weiteren  werden  die  klinischen  Formen  des  diabetischen  Coma  genauer 
analysirt  Die  Charakteristika  des  Coma  diab.  simplex  sind:  Fehlen  der  Excitations- 
erscheinungen  im  Anfang,  Fehlen  des  Acetons  im  Athem  und  im  Urin.  Beim  Coma 
acetonaemicum  ist  die  bekannte  Acetonreaction  vorhanden,  es  treten  Störungen  des 
Intestinaltractus  auf:  Appetitmangel,  Nausea,  Erbrechen  und  Diarrhö,  Störungen  der 
Respiration:  Dyspnoe,  und  Störungen  von  Seiten  des  Nervensystems:  im  Anfang 
Excitationserscheinungen,   dann   der  Depression.     Der  klinische  Verlauf  bietet   bei 


—    509    — 

yerscbiedenen  Fällen  Verschiedenheiten  dar,  L.  unterscheidet  acnte,  chronische  und 
intermittirende  Acetonämie.  Das  Greschlecht  scheint  keinen  wesentlichen  Einfluss  auf 
den  Verlauf  zu  haben,  als  Gelegenheitsursache  steht  die  Ueberanstrengung  obenan, 
dann  acddentelle  acute  Krankheiten,  besonders  Nephritis  und  Albuminurie.  —  Die 
Behandlung  muss  vorsichtig  sein,  da  bei  Unterdrückung  der  Zuckerausscheidung  das 
Auftreten  des  Acetons  beobachtet  ist;  das  Aceton  scheint  überhaupt  mit  der  Ver- 
minderung oder  dem  Aufhören  der  Zuckerausscheidung  zu  kommen,  insbesondere  mit 
dem  absoluten  Fleischregime. 

[Alles  deutet  darauf  hin,  dass  das  Aceton  an  den  Zustand  der  Inanition  ge- 
bunden ist,  denn  auch  absolutes  Fleischregime  ist  ein  partieller  Unngerznstand.  Es 
scheint  an  die  Entziehung  der  Kohlehydrate  gebunden  zu  sein.  Daher 
sollten  die  Inanitionszustände  zur  Erforschung  der  Acetonämie  mehr  benutzt  werden, 
nicht  blos  der  Diabetes;  der  Acetonathem  und  der  Acetonurin  kommen  sowohl  bei 
jedem  einfachen  Hungerzustand  als  bei  allen  Gonsumptionskrankheiten  vor;  kleinere 
Kinder  haben  das  bei  jeder  fieberhaften  Krankheit,  in  welcher  sie  wenig  Nahrung 
zu  sich  nehmen.    Bef.]  Siemens. 


18)  Zur  Lehre  von  der  angeborenen  Myotonie  (Thomsen'sohen  Krankheit), 

von  S.  Danillo.    (Wjestnik  psychiatrii  i  nevropatologii.  1886.  I.    Russisch.) 

Die  Arbeit  enthält  eine  graphische  Untersuchung  der  Muskelcontraction  in  einem 
Fall  Thomsen*8cher  £[rankheit  Derselbe  betraf  einen  24jährigen  Student,  welcher 
seit  frühester  Kindheit  an  dieser  merkwürdigen  Störung  der  Innervation  litt,  in  jeder 
anderen  Beziehung  jedoch  vollständig  gesund  war.  Erblichkeit  war  nicht  nachzu- 
weisen, abgesehen  davon,  dass  eine  Cousine  des  Patienten  von  einer  ähnlichen,  aber 
undeutlich  ausgeprägten  Innervationsstörnng  befallen  war.  Die  mjotonische  Affection 
des  Patienten  betraf  beide  Ober-  und  ünterextremitäten,  kam  stets  nur  bei  der  ersten 
Bewegung  nach  längerer  Buhe  zum  Vorschein,  und  verschwand  nach  dem  Genuss 
geringer  Quantitäten  spirituöser  Getränke. 

Die  graphische  Untersuchung  des  Verf.  wurde  am  M.  biceps  brachii  mit  Hülfe 
des  Marej'schen  Myographions  angestellt  und  erstreckte  sich  auf  das  Studium  des 
Verhaltens  der  myotonischen  Zucknngscurve  unter  verschiedenen  physiologischen  Be- 
dingungen. Es  ergab  sich,  dass  Belastung,  Ernährung,  Erkältung  und  Ermüdung 
die  Zucknngscurve  bei  Myotonie  in  der  nämlichen  Bichtung  verändert,  wie  am  ge- 
sunden Muskel,  obgleich  die  charakteristische  Form  der  Zuckung  sich  dabei  erhält. 
Dasselbe  betrifft  auch  die  durch  faradische  Beizung  ausgelösten  Gontractionen.  Im 
letzteren  FaU  erscheint  die  Cnrve  verlängert. 

Verf.  glaubt  auf  Grund  seiner  Untersuchung  schliessen  zu  dürfen,  dass  die  Ur- 
sache der  myotonischen  Innervationsstörnng  nicht  in  einer  Erkrankung  des  periphe- 
rischen Nerven-Muskelapparates  allein  zu  suchen  ist,  sondern  dass  ihr  wahrscheinlich 
eine  Fnnctionsstörung  (Hemmungsvorgänge)  in  den  psychomotorischen  Centren  zu 
Grunde  liegt.  Auf  Letzteres  weist  seiner  Meinung  nach  hauptsächlich  der  Umstand 
hin,  dass  verschiedene  psychische  Einflüsse  die  myotonische  Zuckungsveränderung 
häufig  aufheben.  P.  Bosenbach. 

19)  Nosographie  des  ohorees,  par  Marie  Lannois.    (Paris,  Bailli^re  &  fils, 

1886.     170  Seiten.) 

Verf.  bespricht  in  vorliegender  Arbeit  die  Chorea  magna,  die  Chorea  minor  oder 
Sydenham*sche  Chorea  und  die  Tics  convulsifs,  denen  er  eine  Mittelstellung  zwischen 
beiden  anweist.  Er  scheidet  aus  der  Gruppe  der  Chorea  aus,  die  Salaamkrämpfe 
(Hirntumor  oder  Epilepsie),  die  Chorea  eleckica  Dubini  (organische  Krankheit  des 
Centralnervensystems)  und  die  Chorea  electrica  Bugnon  (unbekannte  Aetiologie). 


—    510    — 

Die  zur  Chorea  magna  gehörenden  Erankheitsbilder  nennt  er  rythmiflche  Chorea- 
formen: die  Bewegungen  sind  Nachahmungen  gewisser  vernünftiger,  h&ofig  professio- 
neller Bewegungen;  während  die  der  Chorea  minor  wed«:  Temfinfkig  sind,  nodi 
irgend  eine  im  normalen  Leben  natürliche  oder  gewöhnliche  Bewegpong  wiederholen: 
sie  heissen  bei  ihm  arythmische  Choreafonnen.  Die  Tics  convulsifs  stehen  wieder 
in  der  Mitte. 

Unter  dem  Namen  Chorea  rhythmica  werden  nnn  sowohl  die  epidemischen  Erkran- 
kungen des  Mittelalters  und  der  neueren  Zeit  beschrieben:  die  Chorea  St.  Viti  am 
Khein  und  in  HoUand,  der  Tarantismus,  die  abyssinische  Chorea,  die  Jumpus  in  Wales 
und  Comwales,  die  Campmeetings  der  Methodisten;  wie  die  vereinzelt  oder  in  kleiner» 
Endemien  vorkommenden  Chorea-magna-FSlle  der  Jetztzeit  Verf.  sucht  vor  AUeis, 
im  Anschluss  an  seinen  Lehrer  Charcot  und  mit  Bichet  zu  beweisen,  dass  hsssk 
alle  diese  Fälle  unter  die  Hysterie  zu  subsumiren  sind.  Bei  der  Chorea  St.  Yiti  des 
Mittelalters  sind  es:  die  langandauemden  psychischen  Prodrome,  die  epilepUformen 
Krämpfe,  die  Contorsionen  während  der  Umzüge  und  Tänze,  die  als  grands  mouve- 
ments  aufgefasst  werden,  die  specifischen  Halludnationen,  die  aistirende  ^V^kung  der 
Ovarialcompression,  bei  dem  Tarantismus  hypnotische  und  lethargische  Erscheinungen, 
die  für  die  Hysterie  angeführt  werden.  Bei  der  vereinzelt  vorkommenden  Chorea  magna 
der  Jetztzeit,  die  Verf.  direct  Chorea  rhythmica  hysterica  nennt,  handelt  es  sich 
entweder  um  einfache  Modificationen  der  grands  mouvements,  der  2.  Periode  der  grande 
Hysterie,  Bewegungen,  die  dieser  Form  den  Namen  Chorea  natatoria,  saltatoria, 
oder  rotatoria  und  nutans  eingetragen  haben  —  auch  diese  häufigen  salntations 
dieser  Periode  kommen  hier  vor,  es  bleiben  Lähmungen  und  Contracturen  zurück, 
Ovarialcompression  sistirt.  Beklopfen  der  Patellarsehne  provocirt  die  Anfälle  —  oder 
aber  es  sind  neben  den  Symptomen  der  Chorea  nur  solche  der  petite  Hyst^e, 
Globus  etc.  vorhanden.  Verf.  erklärt  aber  mit  Charcot  ausdrücklich,  dass  ähnliche 
Erscheinungen  auch  wohl  einmal  ganz  losgelöst  von  der  Hysterie  vorkommen  könnten. 

Die  Tics  convnlsifs  theilt  Verf.  nach  Charcot  in  1.  Tics  vulgaires,  die  Tics 
convulsifs  der  deutschen  Autoren,  in  2.  Tics  coordonn^,  zur  Gewohnheit  und  unbe- 
wusst  gewordene,  zunächst  gewoUte  Bewegungen:  wie  Zupfen  an  Bart  und  Ohrläppchen, 
am  Halskr^en,  an  den  Nägeln,  häufig  wiederholtes  Hervorstossen  kurzer  Laute  und 
Worte  und  in  eine  3.  Form:  die  Tics  göneralis^s:  die  er  folgendermaassen  charak- 
terisirt:  1.  plötzliche  blitzartige  Bewegungen,  die  alle  Eörpertheile  betheüigen  and 
sehr  denen  bei  Chorea  magna  ähneln,  sich  aber  von  diesen  durch  die  elektrischen 
Zuckungen  ähnelnde  Plötzlichkeit  und  Schnelligkeit  des  Ablaufis,  sowie  dadurch  unter- 
scheiden, dass  sie  weniger  professionelle,  als  wie  natürliche,  z.  B.  beim  Gehen,  Springen, 
Laufen  etc.  vorkommende  Bewegungen  wiederholen;  2.  häufiges  Vorkonunen  von  Echo- 
lalie,  Eoprolalie  und  Echokinesie;  3.  psychische  Störungen  in  Form  von  Wahnideen 
und  besonders  Vorliebe  und  Abneigung  gegen  gewisse  Zahlen  (Arithmomanie,  Charcot). 
Man  sieht  leicht,  wie  trotz  der  skizzirten  Unterschiede  die  Trennung  dieser  Tics 
göneralis^s  von  der  lythmischen  Chorea  manchmal  schwer,  ja  unmöglich  sein  wird, 
was  Verf.  übrigens  im  Schlusswort,  wenn  auch  nicht  unumwunden,  zugesteht  Die 
Tics  vulgaires  stehen  bei  Ausdehnung  auf  die  Extremitäten  wieder  der  Chorea  minor 
sehr  nahe. 

Im  Anschluss  an  die  Tics  g^neraliste  werden  auch  die  Springer  von  Maine,  die 
Latah  der  Malayen,  die  Myriachit  der  Sibirer  besprochen.  Ebenso  der  Paramyoclonns 
multiplex,  dessen  Stellung  nach  Verf.  noch  nicht  klar  ist 

Die  saltatorischen  Beflexkrämpfe  schliesst  er  an  die  rhythmische  Chorea  an:  er 
weist  auf  das  häufige  Vorkommen  von  hysterischen  Erscheinungen  bei  dieser  Neurose 
hin,  verwahrt  sich  aber  ausdrücklich,  sie  einfach  unter  die  Hysterie  zu  subsumiren. 

Die  Chorea  arythmica,  die  Chorea  minor  seu  Sydenhamii  umfasst  diese,  die  Ch. 
gravidarum,  senilis,  hereditaria,  prae-  und  posthemiplegica  und  die  Athetose.   Die  im 


—    511    — 

übrigen  sehr  genaue  Besprechung  bietet  nicht  viel  des  Neuen.  Bei  der  gewöhnlichen 
Chorea  der  Kinder  wird  das  öftere  Vorkommen  von  Paresen  in  den  befallenen  Glied- 
maassen  betont:  es  nähert  sich  dieselbe  denen  der  von  Hirt  als  Chorea  mollis  be- 
schriebenen Form,  bei  der  die  Paresen  ?iel  deutlicher  sind,  als  die  Krämpfe,  eine 
Form,  die  übrigens  ebenfalls  eine  gute  Prognose  hat. 

In  Bezug  auf  die  ätiologische  Bolle  des  Rheumatismus  articularis  steht  Verf. 
der  deutschen  Ansicht  sehr  nahe:  er  weist  vor  Allem  auch  auf  die  Beobachtung 
Oharcot's  hin,  dass  auch  in  der  Anamnese  der  Hysterie  Rheumatismus  sehr  häufig 
sei,  ohne  dass  man  ihn  für  diese  Neurose  verantwortlich  mache. 

Vereinzelte  Beobachtungen,  die  in  der  neuesten  Zeit  bei  Hemichorea  gemacht 
sind:  wie  epileptiforme  £[rämpfe,  Hemianästhesie,  Gesichtsfeldeinschränkung,  Möglich- 
keit des  Tiansfert,  Heilbarkeit  durch  Hypnose,  sucht  Verf.  für  die  nahe  Verwandt- 
schaft zwischen  Hysterie  und  Chorea  zu  verwerthen:  man  wird  wohl  eher  geneigt 
sein,  diese  Fälle  als  Hysterie  mit  choreatischen  Symptomen  anzusehen. 

Bruns. 

Psychiatrie. 

20)  La  durata  delle  firenosi  gniaribili  (psiponeurosi  primaria),  nota  del  Doti 
G.  Riva.    (Rivist.  sperim.  di  freniatria  ecc.  1886.  XI.  p.  507.) 

Aus  1226  Entlassungsföllen  aus  der  Irrenanstalt  zu  Reggio-Emilia  (706  männl. 
nnd  520  weibl.)  hat  sich  Verf.  alle  „vollständigen*'  Genesungen  herausgesucht,  um 
an  ihnen  die  durchschnittliche  Dauer  der  heilbaren  Psychosen  eben  bis  zum  Eintritt 
der  Genesung  zu  berechnen.  Alle  „Besserungen"  und  scheinbaren  Heilungen  blieben 
ausgeschlossen;  berücksichtigt  sind  daher  nur  einfache  uncomplicirte  Fälle  von  acuten 
Psychosen. 

Als  genesen  waren  also  ehtlassen  worden  291  m.  und  240  w.  =  531  Individuen, 
d.  h.  26  resp.  19  ^/q  der  in  demselben  Zeitraum  überhaupt  aufgenommenen  Kranken. 
Bei  der  strengen  Kritik,  die  Verf.  an  die  Bezeichnung  „genesen"  anlegt,  hält  er  dies 
für  ein  günstiges  VerhSItDiss.  Die  mittlere  Dauer  aller  Fälle  vom  Ausbruch  bis  zur 
Heilung  der  Krankheit  betrug  bei  beiden  Geschlechtem  4  Monat  18  Tage. 

Was  nun  weitere  Einzelheiten  betrifft,  so  rechnet  Verf.  zu  den  heilbaren  Krank- 
heitsformen die  einfache  tobsüchtige  Erregung  und  die  acute  Manie  mit  55  resp. 
143  Fällen,  einfache  Schwermuth  mit  83  und  agitirte  Melancholie  mit  32  Fällen, 
und  von  den  Erschöpfungszuständen  endlich  die  acute  Demenz  (Stupor  etc.)  mit  19 
und  pellagrösen  Wahnsinn  mit  199  Fällen.  Die  mittlere  Dauer  der  Erregungszustände 
betrug  3  Monat  27  Tage,  die  der  Depressionszustände  7  Monat  25  Tage  und  die 
der  Erschöpfungszustände  3  Monat  8  Tage.  Die  einfache  Erregung  beanspruchte 
zur  Heilung  nur  2  Monat  28  Tage,  während  die  schwerere  Form,  die  Manie, 
4  Monat  8  Tage  erforderte;  umgekehrt  war  es  bei  den  Depressionen,  wo  die  ein- 
fache Dysthymie  8  Monat  28  Tage  und  die  schwerere  Melancholia  agitata  nur 
4  Monat  28  Tage  zur  Heilung  brauchte.  Uebrigens  war  bei  der  letzteren  kein 
wesentlicher  Unterschied  in  Bezug  auf  das  Geschlecht  zu  bemerken  (4  Monat  25  Tage 
resp.  5  Monat  2  Tage),  während  bei  der  ersteren  Form  die  Dauer  bei  Männern 
(42  Fälle)  10  Monat  19  Tage  und  bei  41  Frauen  nur  7  Monat  7  Tage  betrug. 

Die  Aussichten  auf  Genesung  sind,  wie  Verf.  durchaus  zu  bestätigen  vermochte, 
um  so  günstiger,  je  frühzeitiger  die  sachverständige  Behandlung  nachgesucht  wird. 

Von  den  531  Genesenen  wurden  im  ersten  Semester  der  Krankheit  442  =  83,24%, 
im  zweiten  77  =  14,50  ^/o  und  später  überhaupt  nur  noch  12  =  2,26®/o  geheilt. 
Endlich  mag  hier  noch  erwähnt  werden,  dass  von  allen  mit  der  Diagnose:  Erregungs- 
zustand aufgenommenen  Personen  41  ^/^  (46  ^/^  der  Männer  und  36  ^/q  der  Weiber) 
geheilt  wurden,  während  von  all«i  MelanchoÜkem  nur  24,5  7o  (^^'^  ^^^  20  7o) 
genasen.  Sommer. 


—    512    — 

21)  Ophthalmoecoplo  Btodies  of  acute  maaia  wtth  noteB  of  caacwr,  bj  Dr. 

Lautenbach;  EListories  of  pattontB,  by  Dr.  Alice  Bennet    (Jornn.  of 
nervoos  and  mental  diseasee.  1886.  JUii.  p.  337.) 

AaflEallende  Hänfigkeit  von  Abnormität  des  Angenhintergrondes  bei  Geistes- 
kranken: von  707  Irren  hatten  nur  136=19,2%  einen  normalen  Angenhinteignmd; 
Ton  278  lianiakalisclien  nnr  41  =  14,7  %.  Von  101  FaU  ,,acnter  Manie''  boten 
gar  nnr  11,8  ®/^,  das  normale  Verbalten,  16,8  ^1^  Eetinalbyperamie,  23,7  ^/^  Congestion, 
17,8%  entzündliche  und  24,7%  atrophische  Znstande  dar,  idlerdings  in  den  yer- 
schiedensten  Stadien.  AUbnt  wie  Noyes  hatten  übrigens  auch  nnr  bei  12,5 ^/^^ 
ihrer  Tobsüchtigen  normale  Angen  gefanden. 

Bemerkenswerth  scheint  femer,  dass  Fälle  mit  hyperamischen  und  congestiTen 
Zustanden  eine  bedeutend  günstigere  Prognose  in  Bezug  auf  die  Heilung  der  Tob- 
sucht gewähren,   als  solche  mit  entzündlichen  oder  gar  atrophischen  Erscheinungen. 

Sommer. 

22)  Beport  of  a  oase  of  the  opiam  habit  in  an  idiot  boy,  by  J.  C.  Carson. 

(The  Alienist  and  Neurolog.  1886.  Vn.  p.  247.) 

Ein  Fall  yon  Opiophagie,  der  wohl  als  einzig  dastehend  zu  betnu;hten  ist,  und 
der  daher  eine  ausführlichere  Erwähnung  verdient. 

Eine  in  Folge  schwerer  Neuralgie  seit  8  Jahren  dem  regelmässigen  Opium- 
genuss  (0,6—1,2  pro  die)  ergebene  Frau  gebar  Zwillinge  und  starb  unter  Krämpfen 
einige  Stunden  später.  Während  die  früheren  4  Kinder  derselben  todtgeboren  waren, 
blieben  die  Zwillinge  bei  einem  Körpergewicht  von  nur  2000  und  1000  Gramm  am 
Leben.  Etwa  in  der  sechsten  Stunde  nach  der  Geburt  fingen  sie  aber  an  so  unruhig 
zu  werden,  dass  die  Grossmutter  auf  die  Yermuthung  kam,  es  könne  sich  bei  ihnen 
um  Abstinenzerscfaeinungen  handeln.  Um  der  sterbenden  Tochter  Buhe  zu  Terschaffen, 
Aösste  sie  beiden  Kindern  etwas  Opium  ein,  „je  einen  Theelöffel  einer  Lösung  eines 
weizenkomgrossen  Stückes  Opium  in  etwas  Wasser".  Der  Erfolg  war  wunderbar, 
aber  schon  nach  6 — 8  Stunden  wiederholte  sich  das  Schreien  so  regelmässig  und  so 
energisch,  dass  die  Grossmntter  in  ihrer  Verzweiflung  mit  der  Opiumbehandlung 
fortfuhr  und  die  Dosis  allmählich  noch  immer  yergrössertel  Das  kleinere  Kind  starb 
nach  1  Monat  unter  Krämpfen,  das  andere  entwickelte  sich  aber  weiter  und  erhielt 
im  7.  Lebensjahre  bereits  0,6  Opium  täglich.  Körperlich  war  es  übrigens  ziemlich 
wohlgebildet,  doch  lernte  es  erst  im  3.  Jahre  gehen  und  im  7.  nothdürfüg  sprechen; 
geistig  war  es  in  hohem  Maasse  schwachsinnig. 

Jeder  Versuch,  die  Opiumdosis  zu  verringern,  rief  eine  derartige  Reaction  herror, 
dass  man  für  das  Leben  des  Patienten  fürchtete,  und  erst  in  einer  Idiotenanstalt 
gelang  es,  dem  9jährigen  Knaben  den  Opiumgenuss  allmählich  abzugewöhnen. 

Dass  das  unbändige  Schreien  etc.  als  Abstinenzerscheinung  angesehen  werden 
muss,  lässt  sich  schwerlich  beweisen;  wahrscheinlich  wird  diese  Auffassung  aber  durch 
den  Umstand,  dass  zwei  Kinder  gleich  nach  ihrer  Geburt  von  einer  opiumsüchtigen 
Mutter  dieselben  Aufregungssymptome  darboten  und  dass  in  beiden  Fällen  die  Ver- 
abfolgung von  Opium  von  unmittelbarem  Erfolge  begleitet  war.  Zweifelhafter  ist  es, 
ob  die  Idiotie  mit  dem  Opiumgenuss  in  Verbindung  gebracht  werden  muss:  3  Cousins 
des  Vaters  waren  auch  Idioten  und  besassen  dazu  7  Finger  und  Zehen. 

Sommer. 

23)  Physiologie   des   halluoinations ;   las   deux  theories,   par  Baillarger. 

(Annales  medico-psychologiques.  1886.  Juli.) 

Die  rein  psychische  Theorie  der  Hallucination  lässt  aus  den  Erinnerungsbildern 
ohne   Mitbetheiligung    der   Sinnesapparate    Bilder   oder   Sensationen   wiedererstehen, 


—    513    — 

wogegen  die  psychosensorielle  Theorie  die  Entstehung  einer  Sensation  ohne  innere 
sensorielle  Reizung  leugnet. 

B.  wägt  in  einer  mehr  psychologisch-klinischen  als  physiologischen  Untersuchung 
ab,  für  welche  der  beiden  Theorien  die  Beobachtungen  und  Untersuchungen  der  ein- 
schlagigen Literatur  sprechen  und  kommt  unter  Anfflhrung  sehr  bemerkenswerther 
Beobachtungen  zu  dem  Schluss,  dass  bei  einer  sehr  grossen  Anzahl  von  HaUudnationen 
die  Sensationen  unter  directem  Einfluss  von  Sinneseindrücken  entstehen.  Die  Oon- 
currenz  dieser  sei,  wie  an  Beispielen  gezeigt  wird,  im  Momente  des  Auftretens  der 
Uallucination  vielfach  nachweisbar,  sei  es,  dass  die  Halludnation  auf  dem  Boden 
einer  Krankheit  oder  aus  einfacher  Ermüdung  des  Sinnesorgans  entsprang.  Auch  die 
in  Folge  toxischer  Einwirkung,  oder  durch  sehr  lebhafte  Qemüthsbewegnng  auf- 
tretenden Hallucinationen  sind  oft  begleitet  oder  eingeleitet  durch  reine  Sinnes- 
empfindungen. 

Manche  Hallucinationen,  welche  sich  durch  die  vorstehende  Darlegung  nicht 
ohne  Weiteres  erklären  lassen,  entspringen  aus  Girculationsstörungen  der  Sinnes- 
organe selbst 

B.  glaubt  daher  angesichts  der  sehr  spärlichen  Beobachtungen,  welche  für  die 
rein  psychische  Theorie  sprechen,  welche  dazu  noch  verschiedene  Deutung  zulassen, 
und  angesichts  der  viel  zahlreichere  Facten,  welche  für  die  andere  Theorie  in  die 
Wagschale  fallen,  sich  für  die  psycho-sensorielle  entscheiden  zu  müssen. 

Jehn. 


24)   Sur  la  oorabilitä  de  la  dömenoe,   par  EowalewskL    (Annales  m^dlco- 
psychologiques.  1886.  Juli.  p.  40.) 

Die  Thatsache  der  Heilbarkeit  der  Demenz  steht  für  den  Verf.  fest,  der  selbst 
Genesungen  sah. 

Um  den  Vorgang  einer  solchen  Heilung  klar  zu  machen,  stellt  er  folgende 
Theorie  auf.  Die  Zahl  und  Qualität  der  Ganglienzellen  bedingen  das  geistige  Leben. 
Vernichtung  der  Zellen  und  Störungen  oder  Unterbrechung  in  den  Verbindungsfasem 
der  Ganglienzellen  bedeuten  die  Demenz.  Die  einzelne  Zelle  denkt  E.  sich  von  Sen- 
sationen und  Vorstellungen  „occupirt",  neben  den  „occupirten''  Zellen  aber  noch  nicht 
occupirte  Zellen,  um  als  „depOt''  für  späteres  intellectuelles  Material  zu  dienen'M 
Wie  man  sieht,  wird  die  Sache  jetzt  ganz  einfach!  Unter  Znhülfenahme  der  Zeit, 
welche  ein  menschliches  Gehirn  zum  Werden  einer  Vorstellung  braucht  und  bei 
einem  mittleren  Lebensalter  von  35  Jahren  lässt  sich  die  Zahl  der  möglichen  Vor- 
stellungen schon  berechnen  (1,387,584,000).  Diese  Zahl  reducirt  sich  allerdings 
auf  nur  46,252,800,  da  K.  zu  berücksichtigen  findet^  dass  „das  sensitive  Leben 
mindestens  soviel  Zeit  in  Anspruch  nehme,  als  das  psychische''  und  die  Zeit,  welche 
nothwendig  sei  für  die  Association  der  Vorstellungen  und  Urtheilsbildung  mindestens 
dreimal  so  lang  sei,  als  die  zur  Bildung  der  Vorstellung  selbst.  — 

Degeneration  und  Ausfall  einer  Anzahl  von  Ganglienzellen  ist  aber,  wenn  auch 
irreparabel,  doch  noch  kein  Grund  für  dauernden  Blödsinn,  da  durch  die  verschiedenen 
Verbindungen  der  Zellen  und  Centren  unter  einander  ein  Eintreten  der  nicht  occu- 
pirten  Depötzellen  möglich  ist.  —  Sei  die  Ernährung  eines  Gentrums  von  einem 
Geföss  abhängig,  so  tritt  bei  Verschluss  dieses  durch  Anastomose  die  Erhaltung  des 
bedrohten  Theiles  durch  Seitenzweige  anderer  Gefässe  ein. 

Auch  hier  hilft  eine  Hypothese  leicht  über  sonst  erhebliche  Schwierigkeiten  fori 
Die  secundäre  Demenz  entsteht  nach  Melancholie  oder  nach  Manie;  die  Zerstörung 
erfolgt  —  nach  Versicherung  des  Verfassers  —  im  ersteren  Falle  durch  einen  un- 
genügenden, im  zweiten  Falle  einem  übermässigen  Efflux  von  Blut  zum  Gehirn. 

Die  sämmtlichen  Theile  der  nervösen  Gentren  werden  aber  nicht  gleichmässig 
ergriffen,  es  besteht  vielmehr  nach  Vorstellung  des  Verf.  bei  der  Demenz  neben  den 


—    514    — 

vernichieten  oder  nnihätigrä  Ganglienzellen  auch  eine  Reihe  ton  in  einem  Znstand 
des  Toipors  befindlichen,  lebens-  nnd  erweckongsfiUiigen  Zellen,  deren  Thatigkeit 
durch  Herbeif&bning  einer  geregelten  Emahrang  des  Gehirns  wieder  enielt  werden 
könne.  Verringert  werden  die  Aussichten  auf  Heilung  der  Demenz,  wenn  neben 
den  Gentren  auch  die  Associationsleitungen  vernichtet  sind. 

Als  Hauptcnrmittel  der  Demenz,  von  welchem  der  Verf.  edatante  Erfolge  sah, 
wird  schwere  körperliche  Arbeit  angegeben,  zu  welcher  die  Kranken  alkrdings  be- 
ständig  „gereizt  und  gedrängelt''  werden  mtlssten.  Auf  welche  Weise  diese  Anregung 
der  anerkannt  trägen  und  vielfach  ganz  passiven  Blödsinnigen  geschieht,  wird  leider 
nicht  mitgetheilt 

Die  Fälle  von  Demenz,  welche  auf  dem  Boden  der  Heredität  entstanden,  bieten 
nach  E.  eine  sehr  schlechte  Prognose.  Jehn. 


Therapie. 

26)  Beport  of  two  auooeasfül  oases  of  Treiminlng  for  Tmumatio  Epilepay; 

by  C.  J.  Mac  Donald.    (Journal  of  nerv,  and  ment  disease.  1886.  VoL  xm. 
p.  488.) 

Der  Verf.,  dem  als  Chef  der  Irrenanstalt  für  Sträflinge  zu  Aubmn,  New  York, 
ein  vortreflTliches  Material  zu  (Gebote  steht,  berichtet  über  zwei  durch  Trepanation 
geheilte  Fälle  traumatischer  Epilepsie. 

Der  erste  Fall  betrifft  einen  Hausierer,  der  wegen  „acuter  Manie"  in  die  Irren- 
anstalt aufgenommen  wurde.  Im  Jahre  1880  wurde  er  von  einem  Schutsmanne  am 
Kopfe  verletzt;  litt  viel  an  Schwindel,  war  zornig  und  streitsflchtig.  Bei  der  Auf- 
nahme in  die  Anstalt  wurde  Verfolgungswahn  diagnosticirt;  er  litt  nebenbei  an  den 
heftigsten  Kopfschmerzen.  Es  fand  sich  eine  Depression,  1^/^  Zoll  an  Durchmesser, 
ungefähr  über  der  hinteren  Abtheilung  des  Lobul.  pariet.  sup.  Hatte  häufige  An- 
fälle von  Petit  mal.  Am  16.  Dec  1885  wurden  zwei  Trepanlöcher  angelegt;  obwohl 
die  Dura  etwas  verletzt  wurde,  heilte  die  Wunde  gut;  bis  zum  1.  Sept  (nach  späterer 
Mittheilung  des  Verf.)  waren  keine  Anfölle  eingetreten;  der  psychische  Zustand  soll 
auch  bedeutend  gebessert  sein. 

Der  zweite  Fall  ist  einer  von  chronischer  Epilepsie.  Der  Patient  hatte  eine 
Depression  am  Schädel  in  ungefähr  derselben  Lage,  wie  im  vorigen  Falle.  Im  Alter 
von  6  Jahren  fiel  er  die  Treppe  hinab;  mit  dem  16.  Jahre  typische  (nächtliche) 
Anfalle;  am  25.  Aug.  1885  wurde  eine  Trepanöfhung  gemacht  Auch  in  diesem 
Falle  wurden  bis  zum  heutigen  Datum,  mehr  als  ein  Jahr  nach  der  Operation,  keine 
AnfäUe  beobachtet;  der  geistige  Znstand  (der  nicht  genauer  beschrieben  wird)  soll 
sich  ebenfalls  gebessert  haben. 

In  der  Arbeit  werden  nach  Robertos  Statistik  93  amerikanische  Fälle  tod 
Trepanation  bei  traumatischer  Epilepsie  erwähnt,  davon  wurden  63  geheilt,  13  ge- 
bessert, 2  nicht  gebessert  und  14  starben.  Wegen  Statistiken  von  Walsham  und 
Brigss  siehe  das  Original  der  Mac  Donald*8chen  Arbeit. 

Sachs  (New  York). 

26)  Two  oases  of  Compound  d^pressed  firactore  of  the  vault  of  the  skull; 
trephinixig;  recovery  under  the  care  of  H.  Y.  Drew.  (The  Lancet 
1886.  Vol.  I.  Nr.  XU.  p.  874.) 

Es  werden  2  Fälle  von  schwerer  Schädelverletzung  geschildert,  die  nach  Tre- 
panation und  Aufrichtung  des  eingekeilten  Knochenstflcks  einen  ausgezeichneten  Ver- 
lauf nahmen.  Im  ersten  Falle,  in  welchem  die  Verletzung  durch  Pferdehuf  ge- 
schehen, und  eine  rechtsseitige  Paralyse  eingetreten  war,  wurden  nach  Eröflhung  des 


—    515    — 

Schädelfi  entsprechend  der  linksseitigen  aufsteigenden  Parietalwindung  etwa  15  Qramm 
zerquetschter  Himsubstanz  entfernt.  Auswaschen  der  Wunde  mit  2,5  ^/q  GarboUösung, 
Nähte  nicht  angelegt;  Irrigation  mit  dieser  Garbollösnng,  sp&ter  mit  Spiritus  recti- 
ficatissimus.  Kein  Erbrechen.  Am  13.  Tage  nach  der  Operation  konnte  Fat.  sein 
gelähmtes  Bein  beugen,  12  Tage  sp&ter  dasselbe  strecken.  Einige  Tage  sp&ter  waren 
Beuge-  und  Streckbewegungen  im  rechten  Arm. möglich,  dagegen  noch  nicht  Pronation 
und  Supination.  8  Wochen  sp&ter  war  die  Motilit&t  vollkommen  wieder  hergestellt 
und  nach  einem  Jahre  befand  sich  der  Kranke  noch  yoUkommen  wohl.  Zu  keiner 
Zeit  Tempwatnrsteigemng,  abgesehen  yon  einer  leichten,  durch  Qallensteinkolik  be- 
wirkten Fieberbewegung. 

Im  zweiten  Falle  schwere  Verletzung  durch  einen  Hammer  am  rechten  Stirnbein 
mit  starker  Depression  eines  grossen  Theiles  dieses  Knochens.  Blutung  aus  der 
Nase,  Suffosion  des  rechten  Augenlides.  Am  Tage  nach  der  Trepanation  und  der 
Aufrichtung  des  eingedrückten  Knochens  Doppeltsehen,  Taubheit  auf  dem  rechten 
Ohre,  An&sthesie  im  Bereich  des  N.  infraorbitalis.  Geschmacksempfindung  stark 
herabgesetzt.     4  Wochen  später  wird  Fat.  vollkommen  gesund  entlassen. 

Verf.  meint,  dass  der  Erfolg  in  diesen  Fällen  der  peinlichen  Antisepsis  und  dem 
strengen  hygienischen  wie  di&tetischen  Regime  zu  verdanken  sei.     Euhemann. 


27)  Compound  depreased  firaoture  of  right  parietal  bone,  trephining,  reim- 
plantaüoii  of  the  trephined  portion,  recovery,  by  G.  Warin g.  (Brlt. 
med.  Joum.  1886.  24.  April,  p.  779.) 

Wenn  der  vorstehende  aus  dem  Antrim-Krankenhaus  berichtete  Fall  auch  eigent- 
lich ein  Yorwiegend  chirurgisches  Interesse  hat,  so  mag  er  doch  wegen  des  Sitzes 
der  Verletzung,  um  die  es  sich  handelt,  auch  in  diesem  Centralblatte  kurz  erwähnt 
werden. 

Ein  2^l2J&hngfi8  Kind  hatte  eine  complicirte  Fractur  der  Mitte  des  rechten 
Parietalbeins  erlitten,  ohne  besondere  Cerebralerscheinungen  darzubieten.  Am  selben 
Tage  (31.  Juli)  wurde  die  Wunde  vorsichtig  erweitert  und  gereinigt.  Durch  den 
Trepan  wurde  nun  eine  Knochenplatte  von  der  Grösse  eines  Sixpencestückes  entfernt 
und  in  lauwarmer  schwacher  Carbolsäurelösung  aufbewahrt.  Nachdem  es  alsdann 
gelungen  war,  die  übrigen  deprimirten  und  zum  Theil  tief  durch  die  Dura  in  das 
Gehirn  hineingetriebenen  Knochensplitter  zu  entfernen  oder  in  ihre  richtige  Iiage  zu 
bringen,  wurde  das  ausges&gte  Stflck  wieder  eingef&gt  und  die  Wunde,  so  weit  es 
möglich  war,  drainirt  und  genäht.  Trotz  eines  intercurrenten  Erysipelas  capitis  gelang 
die  Einheilung  der  Knochenplatte  und  auch  der  weitere  Verlauf  war  so  günstig,  dass 
das  Kind  am  31.  August  genesen  entlassen  werden  konnte.  Eine  ärztliche  Vorstellung 
im  Februar  des  folgenden  Jahres  bewies  die  völlige  Integrität  aller  cerebralen  Func- 
tionen trotz  der  erheblichen  Rindenverletzung.  Sommer. 


28)  Trepanation  bei  Hirntumor.    (Brit.  med.  Journal.  1886.  2.  Oct.) 

Victor  Horsley  trepanirte  am  23.  Sept.  einen  Mann,  der  seit  einem  Monat 
hemiplegisch  war  und  halb  comatös  wurde;  er  hatte  vorher  über  heftige  Kopfschmerzen 
geklagt  Es  wurde  über  der  rechten  Hemisphäre  an  der  motorischen  Region  der 
Schädel  geöffinet,  und  ein  Tumor  entfernt,  der  4^/,  Unze  wog,  3  Zoll  lang,  2V2  Zloll 
breit  und  2  Zoll  hoch  war. 

Am  Tage  nach  der  Operation  war  der  Patient  vollständig  bei  Besinnung,  und 
sagte,  dass  er  vollständig  frei  von  Schmerz  sei.  Am  27.  Sept  war  die  Wunde  ge- 
schlossen und  Patient  hatte  etwas  Kraft  in  seinen  Beinen  erlangt. 

Es  ist  dies  der  4.  Fall,  in  dem  Horsley  mit  Erfolg  in  der  motorischen  Region 


—    516    — 

« 

operirt  hat.    Anf  die  3  andern  Falle  kommen  wir  bei  dem  Bericht  über  die  Yer- 
sanmünng  der  englischen  Aerzte  in  Brighton  zurück. 

(Die  wichtigste  Frage  wird  nun  sein,  wie  lange  nach  der  glücklichen  Operation 
haben  die  Patienten  noch  gelebt,  nnd  wie  haben  sie  die  Zeit  bis  znm  Tode  ver- 
bracht? Erst  dann  wh'd  sich  die  Frage  beantworten  lassen,  ob  das  Beispiel  Horsley*s 
ZQ  weiteren  Versuchen  auffordert.    Bef.)  M. 


29)  Di  un  nuovo  sistema  di  letti  per  dementi-paralitioi  ideato  dal  dott 

Perotti  e  in  uso   nel  B«  llCanioomio  di  Torino,   relasione  del  dott 
C.  Mondino.    (Archiv,  di  psichiatr.  scienze  pen.  1886.  VII.  p.  191.) 

Verf.  empfiehlt  auf  das  Wärmste  ein  von  Perotti  construirtes  Bett  für  Un- 
reinliche, das  sich  in  der  Turiner  Irrenanstalt  gut  bewährt  hat.  Auf  einem  Spiral- 
netz, das  zwischen  Kopf-  und  Fussende  eines  eisemen  Betl^estelles  durch  Schrauben 
beliebig  gespannt  werden  kann  und  das  in  der  Mitte  eine  Oefi&iung  hat,  wird  eine 
Matratze  und  darüber  eine  dünne  und  glatte  Guttaperchaplatte  gelegt  Von  der 
Mitte  der  letzteren  geht  ein  wasserdicht  angef&gtes  Bohr  durch  die  Matratze  und 
das  Drahtnetz  hindurch  in  ein  geschlossenes  Zinkgefäss,  das  irgend  ein  Desinficiens 
enthalten  kann;  ein  Laken  fehlt  Sobald  ein  Kranker  sich,  verunreinigt,  wird  er  aof 
eine  Seite  gedreht,  sein  Bücken  etc.  wird  mit  einem  Schwamm  gereinigt,  ebenso  die 
Unterlage  und  da  die  ganze  Flüssigkeit  schnell  abfliesst,  so  kann  der  Patient  nach 
kurzer  Abtrocknung  wieder  auf  den  Bücken  gelegt  werden.  Die  Unterlage  darf  nicht 
Yulcanisirt  oder  mit  Zinkozyd  etc.  versetzt  sein,  da  der  Urin  sonst  Verförbungen 
und  unangenehme  Qerüche  entstehen  lässt;  die  Oberfläche  der  Guttaperchaplatte  soll 
ganz  glatt  sein  und  wird  durch  gelegentliches  Anrudern  von  Talk  in  diesem  Zu- 
stande erhalten;  gerade  hierin  erblickt  Verf.  einen  besonderen  Yortheil,  da  so  ein 
Beibungsdecubitus  völlig  vermieden  werden  kann;  Verf.  hat  wenigstens  seit  der  An- 
wendung des  Perotti'schen  Bettes  keinen  Decubitus  mehr  gesehen. 

Die  Kosten  eines  derartigen  Bettes  werden  durch  die  lange  Haltbarkeit  desselben 
und  durch  die  Ersparnisse  an  Matratzen,  Bettzeug  etc.  schnell  ausgeglichen;  die 
Kranken  liegen  bequem  und  werden  beim  Beinigen  nur  unbedeutend  gestört. 

Sommer. 

30)  Les  nouveaux  Hypnotiques  et  leur  emploi  en  mödeoine  mentale,  par 

Laillier.    (Annales  m^co-psychologiques.  1886.  JulL  p.  64) 

Die  Mittheilungen  über  Paraldehyd  bieten,  was  die  Wirkung  dieses  Schlafmittels 
anbelangt,  nichts  Neues.  Als  Corrigens  wird  statt  der  vielfach  verwandten  Vanille 
die  Caryophylltinctur  empfohlen.  Aus  den  Bemerkungen  zum  Chloralhydrat  ist  für 
den  möglichen  Fall  einer  Vergiftung  mit  dem  enorm  viel  gebrauchten  Mittel  der 
Antagonismus  der  Strychninsalze  hervorzuheben. 

Neben  dem  Chloralhydrat  werden  die  Wirkungen  der  alkoholischen  Verbindung 
des  Chlorais  (Alcoolat  de  Chloral),  welches  zu  gleichen  Dosen  wie  das  Vorgenannt« 
verabreicht  wird,  gerühmt.  Die  Vorzüge  liegen  in  dem  viel  besseren  Greschmack 
und  in  der  vielfach  kräftigeren  Wirkung  bei  manchen  Individuen;  allerdings  ist  der 
Preis  ein  dreifacher  g^en  den  des  gewöhnlichen  Chloralhydrats. 

Die  Mittheilungen  über  Uretfaan  lauten  sehr  verschieden;  einige  Beobachter 
loben  es  wegen  der  guten  Wirkung  und  fehlenden  unangenehmen  Nebenwirkungen, 
andere  (Mairet  und  Combenale)  finden  keinen  bestimmten  hypnotischen  Effect  and 
haben  variable  Wirkung  des  Urethans  zu  rügen.  Die  Dosen  sind  viel  stärker  ge- 
nommen, als  in  den  ersten  Veröffentlichungen  über  dieses  Mittel  ang^eben  (bis 
5  Gramm).  Verf.  räth  zu  einer  einmaligen  grösseren  Gabe.  Auch  er  fand,  dass  die 
Wirksamkeit  sich  nach  einigen  Malen  der  Anwendung  rasch  verbrauche. 


%  _    617    — 

Das  Hypnom  (Acetophenom)  wird  nach  den  neueren  franzMachen  Beobachtungen 
nicht  als  Hypnoticum  aufgefasst,  sondern  vielmehr  als  ein  schmerzberuhigendes  und 
dadurch  secund&r  schlafbringendes  Mittel.  Die  Experimente  von  Mairet  und  Combe- 
nale  stellten  auch  unangenehme  congestive  Nebenwirkungen  auf  Lungen,  Nieren  und 
Leber  fest  Diese  Congestionen  scheinen  auch  Paresen  der  unteren  Extremitäten 
herbeizuführen. 

Das  Hopein  in  semer  Erscheinung  als  amorphe  braune  Substanz  ist  dem  Verf. 
verdachtig,  trotz  mancher  guten  Eigenschaft  und  Herbeiffthrung  ruhigen  Schlafes 
ohne  unangenehme  Folgen,  welcher  ihm  nachgerühmt  wird.  Die  Bedenken  scheinen 
mehr  gegen  die  nicht  genügend  bekannte  chemische  Zusammensetzung  des  Mittels 
gerichtet  zu  sein. 

Ueber  Cocain  berichtet  die  Arbeit  nichts  Neue^^  ebensowenig  über  Gannabis 
indica.  Um  eine  Wirkung  von  dem  Mittel  zu  sehen,  ist  nach  einer  Mittheilung  von 
Lewis  Jones,  welche  abgedruckt  ist,  innerhalb  24  Stunden  die  Menge  von  50  bis 
75  Centignunms  nothwendig. 

Die  Piscidia  erythriea  ist  nach  verschiedenen  Beobachtungen,  ähnlich  wie  das 
Hjpnom,  weniger  ein  Schlaftnittel,  als  ein  beruhigender,  schmerzlindernder  Stoff, 
welcher  mit  Erfolg  bei  Delirium  tremens  angewandt  wurde  und  gegen  die  maniakalische 
Erregung  bei  progressiver  Paralyse  empfohlen  worden  ist  Die  Wirkung  dieses 
Arzneimittels  scheint  jedoch  noch  nicht  genügend  eiprobt  zu  sein.  Jehn. 


nL  Aus  den  GtesellschafteiL 

Deudöme  Oongrös  fraii9al8e  de  Ohirurgie  i  Paris. 

Sitzung  vom  19.  October  1886. 

Dionssion  über  Natur,  Pathogenie  und  Behandlung  des  Tetanus. 

Yaslin  (Angers)  hat  bei  17  Fällen  nur  eine  Heilung  gesehen.  Behandlung 
mit  Chloral  und  Morphiuminjectionen.  Ein  Hund,  dem  er  Blut,  Schweiss,  Urin  von 
Tetanuskranken  injicirte,  blieb  gesund. 

Balestreri  (Genua)  hält  den  Tetanus  für  eine  Neurose  und  empfiehlt  Tartar. 
stibiatus,  den  ersten  Tag  0,05,  am  andern  Morgen  0,2 — 0,25  Gramm  auf  ein  Mal. 
Ein  Tetanuskranker  hatte  in  8  Tagen  320  Gramm  Chloral  genommen. 

Thiriar  (Brüssel)  hat  4  tödtliche  Tetanusfölle  in  Fo^e  von  Ovariotomie  be- 
obachtet Er  hält  den  Tetanus  für  eine  durch  Mikroben  veranlasste  Affection. 
Oocaininjectionen  scheinen  günstig  zu  wirken. 

Maunoury  (Chartres).  hält  den  Tetanus  nicht  für  contagiös.  Besonders  die 
Erfahrungen  der  Thierärzte  zeigten,  dass  von  einer  Contagion  nicht  die  Bede  sein 
könne.    Jeder  Schluss  über  die  Aetiologie  des  Tetanus  sei  zur  Zeit  verfrüht 

Verneuil.  Der  Tetanus  kommt  vom  Pferde,  und  zwar  überträgt  er  sich  auf 
den  Menschen  aus  den  Dejectionen  der  Pferde.  Ein  spedelles  Agens,  vielleicht  eine 
Mikrobe,  ruft  ihn  hervor. 

Doyen  (Bheims)  berichtet  über  4  Fälle,  in  einem  fand  er  Neuritis  in  dem  ver- 
wundeten Nerven,  in  den  3  andern  Staphylococcus.  Er  hält  den  Tetanus  für  eine 
Modalität  der  Septicämie,  mit  spedeller  Localisation  der  Mikroben  in  den  Nerven- 
centren. 

Bories  (Montauban)  beobachtete  Heilung  nach  Chloral  und  Morphiuminjectionen, 
Isolirung  des  Kranken  in  dunkelem  Baum. 

Langer  spricht  ebenfalls  für  die  infectiöse  Natur  des  Tetanus. 

Blanc  (Bombay)  giebt  an,  dass  in  Bombay  zwar  nach  der  Wundbehandlung 
nach  Lister  die  Fj^ämie  verschwunden,  der  Teianus  jedoch  unverändert  geblieben 


—    518    — 

sei.  Cholera  und  Tetanus  gehen  mit  emander.  Er  unterscheidet  3  F<Hrmen:  1)  die 
acute  Form,  selten  länger  als  5  Tage  dauernd  mit  starker  TemperatnrerhöhiiBg  (bis 
110^  Fahrenheit  =  43,6^  Gels.),  immer  tödtlich;  2)  die  snbaeate  Form,  sehr  häoig 
tödtlich;  der  Tod  tritt  in  der  Regel  gegen  den  12.  Tag  ein  mit  variabler  Temperatur, 
und  3)  die  chronische  Form,  30—60  Tage  dauernd,  fteberlos,  mit  3  Perioden:  in- 
crementi,  stabile,  decrementi,  meist  in  Genesung  übergehend. 

Die  pathologischen  Veränderungen  des  Bückenmarks  sind  nicht  die  Ursacbe,  son- 
dern die  Wirkung  des  Tetanus,  sie  fehlen  in  den  schnell  Terlaofenden  FäUen.  Ge- 
wisse Medicationen,  wie  Kai.  bromai  in  fortgesetzten  Gaben  sind  soh&dlich. 

Die  Hindus  behandeln  den  Tetanus  mit  Abführmitteln.  Die  Thatsache,  daas  in 
Bombay  viele  Pferde  Tetanus  haben,  bestätigt  die  Annahme  Vernettils.  Er  hält 
den  Tetanus  für  contagiös,  und  glaubt,  dass  derselbe,  wie  die  Cholera,  sich  durdi 
das  Trinkwasser  yerbreite.  M. 


Aoademie  des  soienaes  a  Paria.    Sitzung  Yom  11.  October  1886. 

Brown-S^quard  bekämpft  die  Ansicht  des  grössten  Theiles  der  Physiologen, 
dass  die  Leichenstacre  ganz  oder  vorzugsweise  von  der  Coagulation  der  yerschiedeDen 
Eiweissstoffe  im  Muskelgewebe  abhänge. 

Yulpian  zeigt,  dass  ein  Karpfen,  dem  die  Hirnlappen  und  die  Glandula  pinealis 
Yollständlg  entfernt  worden  waren,  und  der  die  Operation  6  Monate  überlebt  hatte, 
vollständig  gut  sah,  hörte,  schmeckte  und  fühlte,  nur  wegen  Entfernung  der  Processus 
olfactoiii  nicht  roch.  M. 


VI.  BibliograpMe. 

Zur  Prognose  der  Gtohimsyphüis  für  praktische  Aerste,  yon  Dr.  O.  Braus 
in  Burtscheid,  Aachen.    (Hirschwaid  1886.    40  Seiten.) 

Die  kleine  Schrift  bringt  ausser  einer  Beihe  kurz  skizzirter  Krankengeschichten 
die  Erfahrungen  des  Verf.  über  die  Wirksamkeit  der  Merkurialkur  bei  Hlmsyphilis. 
Neben  Heilungen  und  Besserungen  werden  auch  sichtliche  Yerschlimmernngen  während 
der  Kur  beobachtet.  Aus  seinen  Sätzen  heben  wir  (auch  mit  Bücksicht  auf  die 
Streitfrage:  Tabes-Syphilis  und  Paralyse-Syphilis)  hervor,  dass  die  Wirkungslosigkeit 
einer  Merkarialkur  gegen  eine  Gehimerkrsöikung  kein  Beweis  fUr  die  nichtsyphUitische 
Katur  des  Leidens  ist,  denn  man  sieht  bei  Patienten,  weiche  neben  der  Gehimerkran- 
kung  zu  gleicher  Zeit  charakteristische  Erkrankungen  anderer  Organe  (Gummata, 
Exostosen,  Bypia,  serpiginöse  Geschwüre)  haben,  diese  letzteren  nach  Einleitung  einer 
Merkurialkur  heilen,  während  jene  Yon  der  Kur  kaum  oder  gar  nicht  beeinflusst  wird. 
Die  Behandlung  hat  bei  der  Gehimsyphilis  ausserdem  nur  bis  zu  einer  gewissen  Zeit 
ihres  Bestehens  Aussicht  auf  Erfolg. 

Verf.  wendet  5,0  Ungt.  dner.  täglich  an,  eyeni  mit  Kai.  jodat.  Tritt  bis  zur 
80.  Einreibung  durchaus  keine  Veränderung  ein,  dann  giebt  er  die  Hoflhnng  auf 
Erfolg  auf.  M* 

Zur  Genese  der  nervösen  Symptomenoomplexe  bei  anatomisohen  Ver- 
änderungen in  den  Sezualorganen»  von  Privatdocent  Dr.  Engelhardt 
(Stuttgart  1886.    Emke.     71  Seiten.) 

Der  Verf.,  dem  ein  reichhaltiges  Material  aus  der  Freiburger  Klinik  zu  Gebote 
stand,  theilt  die  einschlägigen  Falle  in  4  Gruppen.  Die  erste  umfasst  solche  Per- 
sonen, bei  denen  die  bedeutendsten  anatomischen  Veränderungen  der  Sexualoigane  ohne 
alle  nervösen  Symptome,  selbst  ohne  DysmenorrhO  bestanden.  21  Personen,  darunter 


—    519    — 

3  Nalliparae  und  18  Multiparae,  warden  der  Untersuchung  unterzogen.  Bei  15  Per- 
sonen einer  zweiten  Gruppe  (s&mmüich  NuUiparae)  fanden  sich  Lendenmarksymptome 
mit  und  ohne  anderweitige  nervöse  Störungen  bei  Abwesenheit  aller  anatomischen 
Veränderungen  in  den  Sexualorganen.  Bei  8  Personen  (40  ^/g)  Hess  sich  erbliche 
nervöse  Belastung  und  das  Auftreten  von  Lendenmarkssjmptomen  bereits  in  der 
Kindheit  nachweisen.  In  den  14  Fällen  der  dritten  Gruppe  zeigten  sich  Lenden- 
nuurlrasymptome  bei  geringen  anatomischen  Veränderungen  der  Sexualorgane,  wie  Er- 
schlaffung der  Gebärmutterbänder  und  ihre  Folge  Betroversio,  gutartiger  Katarrh 
des  Gtobärmutterhalses  u.  s.  w.  6  NuUiparae  und  8  Multiparae  gehören  hierher. 
In  der  vierten  Gruppe  (59  Personen)  begegnen  wir  grossen  anatomischen  Verände- 
rungen mit  Lendenmarkssymptomen.  14  NuUiparae  und  15  Multiparae  wurden 
untersucht  Bei  11  Personen  (17  ^Iq)  fanden  sich  nervöse  Erscheinungen  schon  in 
der  Kindheit,  bei  9  Personen  (15  ^/q)  traten  dieselben  zugleich  mit  der  ersten 
Menstruation  auf.  Nach  dem  Verf.  kann  ein  örtUches  GenitaUeiden  für  sich  allein 
gewisse  nervöse  Erscheinungen  hervorrufen,  welche  häufig  auf  die  mit  dem  Lenden- 
mark  zusammenhängenden  Nerven  beschränkt  sind.  Schwere  verbreitete  Neurosen 
entstehen  jedoch  nur  durch  eine  solche  locale  Erkrankung,  wenn  diese  längere  Zeit, 
Jahre  hindurch  gedauert  hat  Der  reflectorische  und  consensueUe  Einfluss  ist  dann 
fast  nie  aUein  wirksam.  Auch  die  durch  das  Leiden  bedingten  Säfteverluste,  Ver- 
dauungsstörungen, Entziehung  der  frischen  Luft,  Mangel  an  Muskelthätigkeit,  psychische 
Factoren  spielen  dabei  mit,  wenn  schon  die  Sexualkrankheit  in  diesen  Fällen  die 
primäre  und  wichtigste  Ursache  ist.  Die  verschiedensten  Störungen  können  dabei 
bei  jeder  Art  der  anatomischen  Veränderungen  entstehen.  In  weitaus  der  Mehrzahl 
sämmtlicher  mit  Sexualkrankheiten  verbundenen  nervösen  Leiden  besteht  eine  sehr 
compUcirte  Entstehung.  Angeborene  Anlagen,  in  der  Kindheit  erworbene  Disposition, 
ConstitutionsanomaUen,  fehlerhafte  Ernährung  und  Körperpflege  während  der  Pubertät, 
unzweckmässige  Bekleidung,  psychische  Noxen,  geschlechtUche  Beizungen,  Mangel  an 
Schonung  zur  Zeit  der  Menstruation  oder  nach  der  Geburt,  acute  und  chronische 
Erkrankungen,  schwere  wiederholte  Niederkünfte,  Säfteverluste,  Blutungen,  übermässige 
körperUche  und  geistige  Arbeit  etc.  schädigen  für  sich  das  Nervensystem  und  führen 
im  Verein  mit  der  Genitalaffection  zu  den  functioneUen  Nervenleiden. 

.  Kalischer. 

Des  Vertiges,  par  le  Docteur  E.  Weill.  Mödecin  des  Höpitaux  de  Lyon.  (Paris 
1886.  BaiUi^re.  120  Seiten.) 
Im  Anschluss  an  Jackson,  Makenzie,  Goltz,  Ferrier,  Charcot,  Grainger- 
Stewart  definirt  der  Verf.  den  Schwindel  als  das  Gefühl  des  gestörten  Gleichgewichts, 
der  Unbeständigkeit  unserer  SteUung  im  Baume  in  Bezug  auf  die  uns  umgebenden 
Gegenstände.  Diese  Empfindung  der  Unfähigkeit,  unser  Gleichgewicht  zu  erhalten, 
unsere  Muskeln  richtig  zu  innerviren  und  zu  coordiniren,  geht  vom  Cerebellum  aus, 
dessen  Erregung  oder  Verletzung  sowohl  auf  die  Sensibilität  wie  auf  die  Motilität 
einwirkt.  Das  Gleichgewicht  kann  gestört  werden  1.  durch  Störungen  in  den  das 
Gleichgewicht  durch  reflectorische  Wirkungen  erhaltenden  Organen  (CerebeUum,  Pe- 
duncuU  cerebeUi,  Canales  semicirculares),  2.  durch  Störungen  in  den  Sinnesempfin- 
dungen (Gesichtssinn,  Gtohörssinn,  Tastsinn,  Muskelsinn),  3.  durch  gemischte  Störungen. 
Zu  der  1.  Gruppe  gehören:  die  Menidre*sche  Krankheit,  Verletzungen  des  CerebeUum 
und  der  PeduncuU  cerebeUi,  organische  Erkrankungen  des  Nervensystems  mit  ver- 
schiedenem Sitz  (Hirntumor,  progressive  Paralyse,  Tabes,  multiple  Sclerose,  chronische 
diffuse  Myebtis),  Neurosen  (EpUepsie,  Neurasthenie,  Hysterie,  Basedow'sche  Krank- 
heit), Circulationsstörungen  (Trauma,  Hitze,  Anämie,  Chlorose,  Cachexie,  atheromatöse 
Entartung  der  Gefasse,  Aorteninsufficienz.  Congestionen),  Reflexvorgänge  bei  Erkran- 
kungen des  Magens,  des  Darmes,  der  Nasenhöhle,  des  Rachens,  des  Schlundes,  in- 
fectiöse  Krankheiten  (Typhus,  Grippe,  Malaria,  Scarlatina,  Meningitis  cerebrospinalis, 


—    520    — 


Syphilis),  Diathesen  (Gicht,  Migiine,  Bheumatismus,  Diabetes),  toziscbe  üraacheii 
(Digitalis,  Eohlenozydgas,  Chinin,  Salicjlsanres  Natron,  Narcotica,  Solaneen,  Alkohol, 
Blei).  Zur  2.  Gruppe,  in  der  hauptsachlich  die  Ton  den  Störungen  des  GeeichtsönneB 
und  der  Augenmuskelbewegung  ausgehenden  Schwindelgef&hle  betrachtet  werden, 
gehören:  Diplopie,  Nystagmus,  musculäre  Asthenopie,  Augenschwindel  (Vertige  ocnlaire) 
ohne  jede  Läsion  wie  bei  andauernder  Fixation,  schnellem  Wechsd  von  Licht  und 
Schatten,  schnellen  Bewegungen  etc.  Zur  3.  Gruppe,  „Yertiges  mixtes^',  za  deren 
Hervorbringung  mannigfache  Factoren  mitwirken,  zahlt  der  Verf.:  das  Besteigen  eines 
Thurmes,  Schaukeln,  Drehungen,  Tanzen,  Seeknmkheii  —  Fflr  die  Platzangst  und 
ähnliche  Störungen  werden  rein  psychische  Vorgänge  als  Ursache  angesehen,  die 
ebenso  durch  Anomalien  in  den  Sinnesempfindungen  geweckt  werden,  als  sie  secundär 
solche  anregen  können.  Das  Kleinhirn  und  die  halbcirkelförmigen  Canäle  sind  die 
Organe,  you  denen  die  Schwindelgefflhle  hauptsächlich  hervorgerufen  werden.  Dem 
Cerebellum  können  von  der  Grosshimrinde,  von  den  Canales  semicirculares  etc.  Be- 
wegungen zufliessen,  die  eine  Störung  des  Gleichgewichts  auslösen.  Nachdem  der 
Verf.  die  oben  erw^nten  Gruppen  und  ünterabtheilungen  ausf&hrlicher  beschrieben 
hat,  wendet  er  sich  der  Differentialdiagnose,  Prognose,  Pathogenese  und  Therapie  fnr 
die  einzelnen  Arten  des  Schwindels  zu.  Im  Gegensatz  zu  der  Gruppimng  nach 
ätiologischen  Momenten,  war  der  Verf.  bemüht,  seiner  Eintheilung  physiologisdie 
Thatsachen  zu  Grunde  zu  legen.  Ealischer. 


V.  PersonalieiL 


Herr  Dr..  Otto  Dornblflth,  bisher  3.  Arzt  an  der  Provinzial-Irren-Anstalt  za 
Bunzlau,  geht  zum  1.  November  als  2.  Arzt  an  die  Provinzial-Irren-Anstalt  Brieg. 


IV.  Vermisolites. 

Die  Acad^mie  de  mödecine  zu  Paris  hat  f&r  1888  den  Preis  Civrieux  (1000  Fr.)  fax 
die  beste  Arbeit  über:  Des  haUncinations  de  rouie,  den  Preis  Falret  (1500  Fr.)  f&r  eine 
solche  über:  Des  rapports  entre  la  paralyde  gön^rale  et  la  syphilis  o§r6brale  bestimmt 


Selbstmorde  in  Spanien..  Einem  Auszöge,  den  V.  Rossi  aus  dem  offidellen  Be- 
richte des  spanischen  JnstizministerB  Über  das  Jahr  1884  im  Archivio  di  psichiatria.  scienze 
Senali  etc.  Yll.  p.  151  mittheilt,  entnehmen  wir  folgende  Daten.  Auf  16,5  MilL  Einwohner 
es  europäischen  Spaniens  kamen  650  vollendete  und  versuchte  Selbstmorde,  also  4  auf  lOOOOO; 
rechnet  man  nur  die  vollendeten  Selbstmorde,  so  kommen  2,86  auf  100000.  Nach  Mors  eil  i*s 
sehr  zuverlässigen  Angaben  über  die  Jahre  1881—1883  kommen  2,8  (wahrscheinlich  nur 
vollendete)  Selbstmorde  auf  100000,  was  also  eine  unbedeutende  Zuni^me  im  Jahre  1884 
beweisen  würde.  Das  Verhältniss  der  Männer  zu  den  fVauen  ist  im  Allgemeinen  wie  497 
zu  153;  werden  nur  die  vollendeten  Selbstmorde  berücksichtigt,  wie  391:82.  Die  Männer 
sind  also  viel  energischer  in  der  Ausführung  ihrer  Selbstmordpläne,  als  die  Frauen,  indem 
von  100  männlichen  Selbstmördern  78,7  und  von  100  weiblichen  nur  58,6  ihren  Zwed[ 
erreichten. 

Was  die  (wahrscheinlichen?)  Ursachen  der  Selbstmorde  betrifft,  so  konunen  auf  je 
100  Selbstmörder  mit  bekannten  Motiven 

Männer  Frauen 

Selbstmord  aus  Nahrungasoigen    .    . 

somatische  Krankheit 
psychische  Krankheit 
Trunksucht  .... 
unglückliche  Liebe 


26.4  8,5 
24,8  33,0 

23.5  21,2 
11,5  2,1 


8,2  22,2 

Familienverhältnisse      5,8  12,7. 

Sommer. 


Vertag  von  Vkit  &  Comp,  in  Leipzig.  —  Druck  von  Mbtzgbb  &  WiTno  in  Leiprig. 


NEUROLOGISCHESCENTRALBLAn. 

Uebersicht  der  Leistungen  auf  dem  Gebiete  der  Anatomie,  Physiologie,  Pathologie 
und  Therapie  des  Nervensystemes  einschliesslich  der  Geisteskrankheiten. 

Heransgegeben  tod 

Professor  Dr.  E.  Mendel 
Fflüfter  "  ^^"^  Jahrgang. 


Monatlich  erscheinen  zwei  Nummern.   Preis  des  Jahrganges  16  Mark.   Zu  beziehen  darch 
alle  Bnchhandlnngen  des  In-  and  Auslandes,  die  Postanstalten  des  Deutschen  Reichs,  sowie 

direet  Ton  der  Verlagsbuchhandlung. 


1886.  15.  NoTember.  M  22. 


Inhalt.  I.  Orifinalmitthenungen.  1.  Zur  Frage  vom  ürsprungsgebiete  der  Fasern  der 
Torderen  CommiMur  m  der  Hirnrinde  des  Menschen,  Ton  Dr.  med.  N.  Popoff.  2.  Zusatz  zu 
vorstehender  Mittheilun^,  von  Paul  Flechsig.  8.  Üeber  ein  gesetzmassiges  anatomisches  Yer* 
halten  der  Wuneln  in  den  verschiedenen  Höhen  des  Bückenmarkes,  von  Dr.  Siemeriing. 

II.  Riftrate.  Anatomie.  1.  Die  primären  Optiouscentren  und  ihre  Beziehung  zur 
GroBshiinrinde,  von  Darfcschewittch.  2.  Sulla  crista  frontale  interna  e  suUa  fossetta  occi* 
pitale  mediana,  nota  del  Varaglia.  —  Experimentelle  Phvsiologie.  8.  Sülle  degenera- 
zioni  discendenti  eonseoutive  a  lesioni  della  oorteccia  cerebrale,  nota  dei  Marchi  e  Algerl.  — 
Pathologische  Anatomie.  4.  Angeborene  Himdefecte,  von  Scbuitzo.  —  Pathologie 
des  Nervensystems.  5.  Anomalien  der  Empfindung  und  ihre  Beziehung  zur  Ataxie  oei 
Tabes  dorsalis,  von  Stern.  6.  Nachtrag  zu  Vorstehendem.  7.  Ataxie  looomotrice  avee  arthro- 
pathie  etc.,  par  Ricbardi^ro.  8.  Ataxie,  von  Vlerordt  8.  Progressive  locomotor  ataxia,  by 
Mann.  10.  Disseminated  Sderosis  with  unusual  spnptoms,  by  Edge.  U.  Diaseminated  cere- 
bro-spinal  sclerosis  in  early  stage,  aflfecting  ezdusively  the  right  extremities,  by  Duckworth. 
12.  Unilateral  disseminated  cerebro-spinal  sderosia,  by  Latham.  13.  Multipel  Cerebrosmnal- 
Sklerose,  af  Bemer.  14.  Scleroei  disseminata  a  placche,  pel  üparl.  15.  Bechtsseitiger  Hirn- 
tumor, von  Schüler.  16.  Contribution  a  T^tode  des  fausses  solöroses  syst^matiques  de  la 
mobile  öpini^re,  par  Popoff.  17.  Atrophia  musoularis  progressiva  etc.»  ai  Wallie.  18.  Mul- 
tiple spinal  and  cerebral  tumours  etc.,  by  Harris.  —  rsychiatrie.  19.  Dell'eta  dei  ffenitori 
in  rapporto  alle  forme  di  alienazione  mentale,  per  il  Canger.  20.  L'equazione  personale  d^U 
epilettici.  pel  Tanzi.  21.  Om  Vägttabet  efter  det  epileptiBke  Anfal^  af  Hallager.  22.  In- 
version du  sens  genital  avec  Epilepsie,  par  Legrain.  23.  Pupillenreaction  und  Ophthalmoskop. 
Befunde  bei  geisteskranken  Frauen,  von  Siemeriing.  —  Forensische  Psycniatrie.  24. 
Geistesstörung  als  Ehescheidungsgrund,  von  Christoph.  --  Therapie.  25.  Gm  Underbinding 
af  Art.  verteoralis  som  Middel  mod  Epilepsi,  af  Hallager.  26.  Du  traitement  des  ph^nomenes 
douloureux  de  Fatade  locomotrice  progressive  par  pulvdrisations  d^^Üier  et  de  chlorure  de 

S^thyle,  par  Raison.  27.  L'uretano  nei  pazzi,  per  il  Slghicelll.  —  Anstaltswesen.  28.  Des 
pileptiques  simples  en  g^n^ral  et  de  leur  hospitalisation  dans  le  Departement  de  TAllier, 
par  Lapoiiite. 

III.  Aus  den  Geeellschaften.  —  IV.  Personallen.  —  V.  Vermlechtet. 


I.  Originalmittheilungen. 

1.  Zur  Frage  vom  Ursprungsgebiete  der  Fasern  der  vorderen 
Commissur  in  der  Hirnrinde  des  Menschen. 

(Aus  dem  Laboratormm  von  Prof.  Paul  Fleohbiq  in  Leipzig.) 
Von  Dr.  med.  K.  Fopoff  aus  Si  Petersburg. 

y,Die  vordere  Hirncommissur  der  Säugethiere  ist  zwar  vielfach  beschrieben, 
indessen  stimmen  die  Ansichten   der  Autoren   über  dieselbe  so  wenig  überein, 


—    522     — 

t 

dass  von  einer  wirklichen  Erkenntniss  nicht  die  Bede  sein  kann.''  Mit  dies^ 
Worten  beginnt  S.  Ganseb  seine  Arbeit  „Ueber  die  vordere  Himoommissor 
der  Säugethiere'V  ^^^^  obgleich  im  Verlauf  der  sieben  Jahre,  die  seitdem  ver- 
gangen sind,  mehrere  sehr  wichtige  Untersuchungen  in  der  Anatomie  des  Gehirns 
erschienen  sind,  können  dieselben  Worte  auch  gegenwärtig  noch  mit  ToUem 
Rechte  wiederholt  werden,  da  wir  bis  jetzt  noch  nicht  mit  Bestimmtheit  sagen 
können,  welche  Gebiete  der  Hirnrinde  durch  die  Fasern  der  vordem  Commissaj 
unter  einander  verbunden  werden. 

Wenngleich  fast  alle  neueren  Beobachter  darin  übereinstimmen,  dass  ein 
Theü  der  Fasern  dieser  Commissur  (beim  Menseben  ein  sehr  geringer)  in  den 
Bulbis  olfactorüs  seinen  Ursprung  nimmt,  so  kann  noch  bei  weitem  nicht  das- 
selbe behauptet  werden,  wenn  es  sich  um  das  Ursprungsgebiet  des  andern  TheUcs 
dieser  Fasern  handelt. 

Ich  werde  nicht  genau  alle  Ansichten  anfuhren,  die  bis  in  die  letzten  Jahre 
über  diesen  Gegenstand  bestanden  haben,  und  werde  nur  darauf  hinweisen,  dass 
während  einige  Autoren  die  Fasern  der  vorderen  Commissur  bis  zu  den  Schläfen- 
und  Hinterhauptslappen  (Bübdach,  Vom  Bau  und  Leben  des  Grehims.  1822. 
Meynebt,  Vom  Gehirn  der  Säugethiere.  Stbicker's  Handbuch.  G&atiolet. 
Anatomie  comparee  du  Systeme  nerveux.  1839 — 1857.  Huguenin,  Anatomie 
des  centres  nerveux.  1879)  oder  sogar  nur  bis  zu  den  Schläfenlappen  allein  ver- 
folgt haben  (Luts,  Recherches  sur  le  Systeme  nerveux  c^r^bro-spinale.  1865. 
Iconographie  photographique  des  centres  nerveux.  1878.  Abnold,  Handbuch 
der  Anatomie  des  Menschen.  1851),  andere  Autoren  diesen  Fasern  ein  viel 
grosseres  Verbreitungsgebiet  anweisen,  nämlich  im  ganzen  Bereiche  des  Gjrus 
fomicatus  von  dessen  Ursprung  an  der  Lamina  perforata  anterior  bis  zum  Mandel- 
kerne (FovüiLE,  Trait6  complet  de  Tanatomie  etc.  1844). 

In  der  oben  erwähnten  Arbeit  behauptet  Ganseb  ganz  ausdrücklich,  sieb 
auf  die  Untersuchung  der  von  ihm  gemachten  Präparate  des  normalen  Menschen- 
gehims  gründend,  dass  die  vordere  Commissur,  ausser  einem  Faserbündel  aus 
dem  Bulbus  olfactorius,  nur  Fasern  aus  den  Schläfenlappen  enthalte  and  dass 
es  ihm  auf  keinem  Präparate  gelungen  sei,  deren  Ursprung  aus  den  Hinter- 
hauptslappen zu  sehen,  obgleich  er  am  Schlüsse  seiner  Arbeit  sich  etwas  vor- 
sichtiger ausdrückt,  indem  er  Folgendes  sagt:  „Beim  Kaninchen  enthält  die 
vordere  Gonmiissur  nur  Gonmiissurenfasem,  welche  einerseits  beide  Bnlbi  olfac- 
torii,  andererseits  gewisse  noch  nicht  näher  begrenzte  Bindengebiete  des  Schläfen- 
lappens verknüpfen.  Man  wird  schwerlich  fehlgehen,  wenn  man  diesen  Satz 
auch  auf  die  übrigen  Säugethiere  anwendet" 

Trotz  der  Bestimmtheit  der  Schlüsse,  hat  Ganseb's  Arbeit  wenig  zur 
Gleichung  der  Ansichten  der  Autoren,  die  nach  ihm  an  dieser  Frage  gearbeitet 
haben,  beigetragen. 

So  meint  SchwaiiBe,'  dass  die  vordere  Gonmiissur  die  Commissur  der 
Stanmilappen  sei,  obgleich  er  anderwärts,  den  Gang  und  die  Beziehungen  der 

*  Archiv  für  Psychiatrie.  1879.  Bd.  IX.  H.  2. 

*  Lehrbuch  der  Nearologie,  1881. 


—    523    — 

Fasern  dieser  Gommissur  geDauer  beschreibetid,  dennoch  sagt,  dass  sicli  dieselbe 
durch  Faserang  und  an  Schnitten  bis  zur  Spitze  des  Schläfeolappens  verfolgen 
lasse,  in  welche  sie  lateralwärts  vom  Mandelkerne  einstrahle  and  dabei  gesteht, 
dass  die  Frage  von  den  Beziehnngen  der  vordem  Conmusanr  zur  Insel  onent- 
schieden  bleibe.  Webnicke'  nnd  EDmeEB*  sind  geneigt  anzonehmen,  dass 
diese  Commisaur  beide  Schläfenlappen  verknöpfe.  MEsirEBT  bestätigt  in  seinem 
neuesten  Werke  (Klinik  der  Erkrankungen  des  Vorderhirns)  nur  das,  was  er 
schon  früher  ansgesf^^  hatte  (dehe  oben). 

Angesichts  solcbei  Widerspräche  scheint  mir  die  Veröffentlichung  der  Unter- 
suchungsresnltate  eines  Falles  von  Herderkrankui^  des  Glehims,  welches  Prof. 
Fij£Cubi6  geffUl^  zu  meiner  Verfügung  gestellt  hat,  einiges  Interesse  zu  bieten. 

Von  aussen  besehen  zeigte  dieses  Gebim,  welches  idi  schon  m  Müller'scher 
Flüssigkeit  erhärtet  erbalten  habe,  auf  der  untern  Oberfläche  der  Hinterhaupts- 
lappen ztrei  symmetrisch  gelegene  Erweichungsherde  (siehe  Fig.  1):  an  der  Unken 


Fig.  1. 


Fig.  2. 


FronUlocbnitt  dnrch  die  linke  HemiBphore 
CO.  2  cm  hinter  dem  Balkenwolst. 
(Fall    Fopon.) 
a  FiHnra  oaloaiin». 
b  Hinterhorn  das  Seitenventhkeb. 
e  .^ehatrahlong"  Qutiolet 
X  degcnerirte  Zfige  im  nnteren  Theile 

der  „Sehstnüilniig". 
l  Znngenwindiuig. 
Ol  Snleiu  ooaipito^emponlia. 

Hemisphäre  nahm  diese  Erweichung  den  ganzen  Gjrus  Uogualis  und  den  bintom 
Theil  des  Innenrandes  des  Gyrus  occipito-tempoiaüs  (Splndelwindung)  ein,  sich 
nach  Tome  bis  zum  ITebergange  der  Zungenwindung  in  den  G;rue  Hippocampi, 
und  nach  innen  fast  bis  zur  Fissora  calcarina  verbreitend  (s.  Fig.  2);  an  der 
rechten  Hemisphäre  nahm  die  Erweichung  fost  den  ganzen  Gyrus  lingualis,  ausser 


Basale  Ansiolit  der  Schlafen  Hinterhanptslnppen. 

mi  Solctu  oocipito-temporaliH 

ifl  QjTDB  lingiulu  (occipito-tempoialiB). 

gfGjim  fodfonui« 

gh  Gynu  luppocampL 
ScfanfSrt:  Erweicbnngsherde  im  Fall  Pofoff'b. 

Ptmktirte  Linie  links  vergl.  Zusatz  von 
P.  Flbohbio. 


'  Lehibnch  dsi  Oehiinkranklieiten.  1881. 

'  Zehn  Vorleiangen  über  den  Ban  der  nervJhen  Centrolorgane.  1 


524     — 

dessen  Aussenrande  ein,  und  reichte  vorne  bis  zum  Gjrus  Hippocampi^  nach 
innen  bis  in  die  Fissura  calcanna  (auch  die  zum  Cuneus  gehörige  AusUeidnng 
derselben  mit  einbegreifend)  und  nach  aussen  fast  bis  zur  Fissura  ocdpito- 
temporaUs.  In  der  Dicke  der  beiden  Hemisphären  verbreitete  sich  die  Erkran- 
kung bis  zu  den  Seitenventrikeln,  deren  Wände  in  den  entsprechenden  Partien 
ebenfalls  nicht  glatt,  sondern  erweicht  erschienen  (vgL  Fig.  2).  Die  übrigen 
Windungen  der  Hinterhauptslappen,  sowie  auch  die  beiden  Schläfenlappen  und 
beide  Stammlappen  boten  gar  keine  sichtbaren  Veränderungen  dar. 

TJeberdies  war  die  hintere  Fläche  der  rechten  Eleinhimhemisphäre  und  ein 
ziemlich  bedeutender  oberflächlich  gelegener  Theil  des  Pulvinar  des  Sehhiigeis 
der  linken  Hemisphäre  erweicht  Letzterer  Herd  reichte  nirgends  auch  nur  in 
die  Nähe  des  hinteren  Schenkels  der  vorderen  Commissur. 

Eine  Erklärung  der  Entstehung  und  der  Verbreitung  der  eben  beschriebenen 
Erweichungsherde  ergab  sich  bei  der  Untersuchung  der  Himgefasse:  an  der 
Arteria  basilaris  befindet  sich  nämlich  ein  stark  entwickeltes  cylindrisches  Aneu- 
rysma, alle  Aeste  dieser  Arterie  zeigen  deutliche  Merkmale  einer  atheromatösen 
Degeneration  und  beide  Arteriae  occipitales  (Dueet)  sind  durch  voluminöse 
Thromben  verstopft. 

Vermittelst  Schanze's  Mikrotom  habe  ich  aus  diesem  Gehirne  eine  Beihe 
Frontalschnitte,  vom  hinteren  Bande  des  Pons  Varolii  an  bis  zur  vordem  Partie 
der  Sehhügel  erhalten;  gefärbt  wurden  die  Präparate  nach  Wsigbbt's  bekannter 
Methode.  Bei  mikroskopischer  Untersuchung  dieser  Schnitte  erwies  es  sidi,  dass 
alle  Fasern  des  Orosshimschenkels  und  Pons  Varolii  intact  geblieben  waren; 
dagegen  konnte  an  allen  höher  liegenden  Schnitten  die  Degeneration  fast 
aller  Fasern  des  hinteren  Schenkels  (Haupttheil  beim  Menschen)  der 
vorderen  Commissur,  die  makroskopisch,  sowie  auch  bei  schwacher  Ver- 
grösserung,  gar  nicht  gefärbt  erschien,  constatirt  werden;  bei  stärkerer  Ver- 
grösserung  erschienen  gefärbt,  an  Querschnitten  dieser  Commissur  hin  und 
wieder  kleine  Bündel  oder  nur  einzelne  Fasern,  mit  meistens  ungleichen,  rosen- 
kranzartigen Umrissen,  Zerfallmassen,  bindegewebige  Elemente  und  eine  unge- 
heure Quantität  Fettkörnchenzellen.  Ausserdem  bemerkt  man,  dass  der 
untere  Theil  von  Gbatiolet's  Sehstrahlungen,  welcher  sich  in  unmittelbarer 
Nähe  des  oben  erwähnten  Erweichungsherdes  befindet»  ebenfsklls  affidrt  ist  (siehe 
Fig.  2).  Die  Faserbündel  aus  den  Bulbis  olfactorüs  zur  vorderen  Commissur 
zeigten  deutliche  Anomalien  nicht! 

Uns  zur  Literatur  der  Frage  von  den  secundären  Degenerationen  im  Gehirne 
wendend,  finden  wir  in  derselben  keine  Beschreibung  einer  Degeneration  dar 
vorderen  Commissur  beim  Menschen;  unser  Fall  ist  der  erste,  welcher  geeignrt 
ist,  auf  diesem  so  zuverlässigen  Wege  AufBchlüsse  über  die  corticalen  Ursprünge 
des  Hauptbündels  zu  geben. 

Im  vorliegenden  Falle  haben  wir  nun  sowohl  beide  Stammlappen, 
als  auch  beide  Schläfenlappen  vollkommen  unverändert  gefanden; 
nirgends  findet  sich  im  bekannten  Verlaufsabschnitt  der  Commissur  ein  pri- 
märer  Herd,  nur  beide  Zuugenwindungen  der  Hinterhauptslappen  haben  sicfa 


—    525    — 

vom  ErweichUBgsproceBB  angegriffen  erwiesen;  ^ans  können  wir  den  Schlnss 
ziehen,  dass  der  hintere  (Haupt-)Theil  der  vorderen  Gommi^sur  haupt- 
sächlich zur  Verbindung  der  beiden  Zungenwindungen  dient,  der 
Ursprung  aber  eines  irgend  wk  beträchtliche  TheUes  der  Fasern  aus  den 
SchäfeDl^>pen  höchst  zweifelhaft  ist^  da,  wie  oben  erwähnt,  nur  einige  wenige 
unveränderte  Nerven&sem  in  der  vorderen  Gommissur  unseres  Gehirns  &brig 
geblieben  waren. 

Der  zweite  Schluss,  zu  dem  wir  im  vorliegenden  Falle,  in  Folge  der  voll- 
standigen  Abwesenheit  der  secundaren  Degeneration  im  Oroeshimschenkel  ge- 
langen können,  ist  negativen  Charakters  und  besteht  darin,  dass  es  keine  Fasern 
giebt,  welche  aus  den  Zungenwindungen  ihren  Anfang  nehmend,  nach  unten  zur 
Medulla  oblongata  gehen;  dieser  Schluss  stimmt  also  voUkonmien  mit  Ghaboot's 
Beobachtungen,  der  bd  Erweichungsherden  in  den  Hinterhauptslappen  in  keinem 
Fall  secundäre  D^enerationen  im  Orosshimschenkel  etc.  gefunden  hat 

Zum  Schluss  halte  ich  es  für  eine  angenehme  Pflicht,  Herrn  Professor 
Pauii  Fleohsig  sowohl  für  das  zu  meiner  Verfügung  gestellte  Material,  als  auch 
hauptsachlich  für  die  freundliche  Anweisung  und  Leitung,  die  ich  während 
meiner  Beschäftigungen  im  Laboratorium  an  der  Irrenklinik  in  Leipzig  genossen 
habe,  meinen  Dank  abzustatten. 


2.  Zusatz  zu  vorstehender  Mittheilung. 

Von  Faul  Flechsig. 

Bei  Untersuchung  eines  zweiten  Falles  von  Erweichung  der  basalen  Fläche 
des  Lobus  occipito-temporaUs  finde  ich  gleichfalls  eine  secundäre  Degeneration 
der  vorderen  Gonmässnr  des  Qehims.  Es  war  hier  erweicht  in  der  rechten 
Hemisphäre  (bei  vollständiger  Intactheit  der  linken)  das  auf  Fig.  1 
schraffirte  Gebiet  und  ausserdem  der  grösste  Theil  d.  h.  die  hinteren  zwei  Drittel 
der  Spindelwindung,  ein  weiteres  Stück  des  Gyrus  hippocampi  (vgl  Fig.  1  das 
durch  die  punktirte  Lhiie  eingeschlossene  Gebiet)  und  der  Cuneus,  sowie  die 
Spitze  des  Hinterhauptlappens.  Die  vordere  Gonmiissar  erschien  auf  einem 
Medianschnitt  um  mehr  als  die  Hälfte  verkleinert,  doch  waren  Fettkömchen- 
zellen nicht  in  grösserer  Anzahl  darin  nachweisbar.  Die  Nerven&sem  scheinen 
nur  verdünnt  zu  seiu.  Ob  sich  diese  histologischen  Differenzen  dadurch  erklären, 
dass  im  ersten  Fall  beide  corticale  Ursprung^biete  der  Gommissur  zerstört 
waren,  im  zweiten  nur  das  rechtsseitige,  muss  ich  dahin  gestellt  sein  lassen. 
Obwohl  der  Bindendefect  im  zweiten  Fall  grösser  war  als  im  ersten,  war  im 
letzteren  die  Degeneration  mikroskopisch  weit  stärker  ausgeprägt. 


—    526    — 

3*    üeber  ein  gesetzmässiges  anatomisches  Verhalten  der 
Wurzeln  in  den  verschiedenen  Höhen  des  Rückenmarkes. 

Ton  Dr.  ffiemerllng. 

(Naeh  einem  in  der  GeieUfldiaft  ftr  Psyehiitrie  nnd  NerrenknuiUieiten  im  9.  Not.  1886 

gehaltenen  Yoitnge.) 

Auf  AniBgong  meines  hochTeiehrten  Lehrers^  des  Heim  Geheiniraüi  West- 
FHAii,  habe  ich  es  nntemommen,  eine  systematische  TTntersnchnng  der 
Wurzeln  des  Bäckenmarks  anzustellen. 

Bei  einem  Backenmark  emes  35jährigen  Mannes  habe  ich  von  jeder  an- 
zelnen  Wnizel  Querschnitte  angefertigt  Es  kamen  zur  Untersuchung  die  8  Hals-, 
12  Dorsal-,  5  Lenden-  und  3  Sacndwurzeln.  Die  Wuizehi  wurden  bald  nadi 
ihrem  Austritt  aus  dem  Bückenmark  in  einer  Entfernung  Ton  c&  2 — 3  mm 
von  demselben  abgetrennt  und  in  ihrem  Verlaufe  bis  zur  Bildung  des  Spinal- 
ganglion  in  Queischnitte  zerlegt  Von  einzelnen  wurden  Zupl^iapaiate  herge- 
stellt Vordere  wie  hintere  Wurzel  auf  der  rechten  und  linken  Sdte  wurden 
gleichmassig  untersucht  (in  toto  112  Wurzeln). 

Die  Präparate  wurden  in  Celloidin  eingebettet  Die  Schnitte  wurden  aus 
freier  Hand  angefertigt  Die  Färbung  erfolgte  imt  den  verschiedensten  ge- 
bräuchlichen Färbemethoden.  Stets  wurden  ungefärbte  Schnitte  zur  Controle 
herangezogen. 

Die  Besultate,  wie  sie  sich  bei  Durchmusterung  der  Schnittserie  ergeben 
haben,  sind  folgende  (unberücksichtigt  bleiben  vorläufig  die  Sacralwurzdn): 

1)  Die  vorderen  Wurzeln  des  Hals-  und  Lendentheils  sind  aus- 
gezeichnet durch  einen  beständig  vorwiegenden  Beichthum  an 
grossen,  breiten  Nervenfasern. 

Durch  dieses  Ueberwiogen  der  breiten  Fasern  in  den  vorderen  Wuizehi 
des  Hals-  und  Lendentheils  lassen  sich  diese  von  allen  übrigen  Wurzeln,  sowohl 
den  hinteren  aus  den  entsprechenden  Partien,  als  auch  von  allen  Dorsalwuizdn 
scharf  sondern. 

2)  In  den  hinteren  Wurzeln  des  Hals-  und  Lendentheils  ist 
eine  grössere  Anzahl  feiner  Nervenröhren  vorhanden,  welche  ein- 
zeln oder  in  kleinen  Gruppen  zusammenliegeiL 

Dabei  haben  aber  die  breiten  Fasern  noch  immer  das  Uebergewicht  Die 
Breite  der  einzelnen  grossen  Fasem  ist  im  Durchschnitt  nicht  mehr  so  betracht- 
lich, als  in  den  vorderen. 

In  dem  Dorsalmark  gestaltet  sich  das  Büd  noch  anders. 

3)  In  den  Wurzeln  des  Dorsalmarks  sind  die  kleinen  Fasern  in 
sehr  grosser  Anzahl  vorbanden,  in  grössere  Bündel  gelagert  treten 
sie  zwischen  den  breiten  Fasern  auf. 

Die  Breite  der  grossen  Nervenfasern  erleidet  keine  Einbusse;  sie  entspricht 
der  Breite  der  gleichen  Fasem  in  den  hinteren  Wurzehi  des  Hals-  und  Lenden- 
theils. In  den  vorderen  Wurzeln  scheinen  mehr  kleine  Fasern,  als  in  den  hinteren 
vorhanden  zu  sein,  doch  ist  der  Unterschied  nicht  so  durchgreifend,  dass  nun 


—    527    — 

jedesmal  genau  eine  voideie  von  einer  hinteren   Doisalwiirzel  untersoheiden 
könnte. 

Eins  verdient  bei  der  Beschreibung  der  kleinen  Fasern  besondere  Berück- 
sichtigong,  dieselben  zeigen  immer  die  Stractur  einer  NervenÜEuer  durch  den 
Axencylinder  und  den  nmgebenden  Ring. 

Durch  diese  Begelmässigkeit  der  Yertheilung  der  feinen  Fasern  in  den 
Wurzeln  aus  den  verschiedenen  Höhen  des  Bückenmarks  ist  man  in  den  Stand 
gesetzt,  an  einem  vorgelegten  Querschnitt  mit  Bestimmtheit  anzugeben,  ob  dieser 
der  vorderen  Wurzel  aus  dem  Hals-  resp.  Lendentheil,  oder  der  hinteren  Wurzel 
aus  dem  gleichnamigen  Grebiet,  oder  endlich  einer  Dorsalwurzel  entstammt 

Die  Sacralwurzely  soweit  sie  untersucht,  verhalten  sich,  von  der  ersten  an 
gerechnet,  zunächst  wie  die  Wurzeln  aus  dem  Lendentheil.  Weiter  unten,  von 
der  8.  Sacndwurzel  an,  näheren  sie  sich  in  ihrem  Bau  den  Dorsalwurzeln. 

Zur  C!ontrole  der  so  erhaltenen  Besoltate  dehnte  ich  meine  Untersuchungen 
noch  auf  weitere  drei  Fälle  von  normalem  Bückenmark  aus.  Dieselben  waren 
Personen  entnommen  im  Alter  von  88, 44  und  66  Jahren.  In  allen  drei  Fällen, 
wie  auch  in  dem  ersten  Falle,  ergab  die  üntersuchmig  des  Bückenmarks  selbst 
keine  Abweichung  vom  Normalen.  Ich  habe  mich  hier  darauf  beschränkt,  nur 
aus  einzelnen  Höhen  Querschnitte  verschiedener  Wurzeln  anzufertigen,  nament- 
lich untersuchte  ich  die  Wurzeln  am  Ende  des  Hals-  und  Dorsaltheils  und  am 
Beginn  des  Dorsal-  und  Lendentheils ,  um  zu  sehen,  ob  dieser  chandrteristische 
Befund  in  der  Yertheilung  der  feinen  und  breiten  Fasern  mit  dem  Aufhören 
eines  Wurzelgebietes  abschlösse,  um  dem  für  den  nächsten  Abschnitt  besonderen 
Verhalten  Platz  zu  machen.  Der  üebergang  ist  allerdings  in  der  Begel  ein 
sehr  schneller;  die  einzelnen  Partien  der  Wurzeln  lassen  sich  scharf  von  ein- 
ander trennen. 

Vergleiche  ich  nun  diese  Präparate  der  normalen  Wurzeln  mit  dem  Quer- 
schnitt einer  z.  B.  bei  Tabes  degenerirten  Nervenwurzel,  so  wird  es  leicht  sein, 
bei  dem  charakteristischen  Verhalten  der  vorderen  und  hinteren  Wurzeln  des 
Hals-  und  Lendentheüs,  bei  ihrem  überwi^nden  Beichthum  an  breiten  Fasern 
auch  geringe  Orade  von  Degeneration  zu  erkennen.  Schwieriger  wird  die  Sache 
im  Dorsalmark.  Hier  ist  die  Menge  der  kleinen  Fasern  eine  so  grosse,  dass 
man  auf  den  ersten  Blick  geneigt  sein  könnte,  eine  solche  Wurzel  flbr  degeneiirt 
zu  halten.  Bei  Untersudiung  der  Dorsalwuizeln  auf  etwa  vorhandene  Degene- 
ration ist  jedenfalls  grosse  Vorsicht  für  die  Beurtheilung  anzorathen;  so  lange 
man  in  jeder  der  kleinen  Nervenröhren  durch  den  Axencylinder,  durch  den 
umgebenden  kleinen  Bing  die  Structar  einer  Nervenfaser  gewahrt  findet,  wird 
man  kaum  von  Degeneration  sprechen  können. 

Zum  Schluss  möchte  ich  noch  auf  einzelne  Abweichungen  aufmerksam 
machen,  wie  sie  bereits  von  Autoren  beschrieben  sind  und  Erwähnung  in  Lehr- 
büchern gefunden  haben. 

Zunächst  eine  grob  anatomische  Abweichung  von  dem  getrennten  Ursprung 
der  einzelnen  Wurzelbündel. 


—    528    — 

Bb  kommt  fofty  dass  ein  Nerveiuist  zwischen  zw6i  Wmzflln  eatspringend 
gich  gabelfönnig  spaltet  mid  mit  dem  einen  Ende  zn  der  obersten,  mit  dem 
anderem  zn  der  nächst  nntersn  Wnizel  zieht;  dieses  Verhalten  konnte  kk  emige 
Male  heobachteiL 

Weiter  ist  bekannt  das  ?erstreate  Yorkonunen  yon  Gangüenzeilen  hnYer- 
laofe  der  Wnrzel  bereits  vor  dem  Spinalganglion.  Anch  ich  konnte  in  einigea 
Präparaten  yereinzelte  Ganglienzellen,  eingebettet  zwischen  die  NerFenqnerschnitte, 
nachweisen. 

An  den  Vortrag  schloss  sich  eiae  Demonstration  der  Präparate. 


n.  Referate. 

Anatomie. 

1)  Ueber  die  sogenannten  primären  Opttoasoentren  und  ihre  Besiehnng 
rar  Ghfoaahimrinde,  von  L.  Darkschewitsch,  Moskau.  (Arch.  f.  Anat 
iLFhys.  1886.) 

VerC  hat  den  Verianf  der  Sehfasem  rein  anatomisoh  mit  Hfilfe  der  Weigert*- 
sehen  Methode  an  Eanincben  and  Himdegehimen  untersucht  und  gefunden:  Nicht 
nur  der  untere  Yierbügel  und  das  Corp.  genic.  ini  haben  keine  Beziehung  zu  den 
Opticusfasem,  sondern  auch  Pulvinar  und  Corp.  genic.  ext.  werden  von  Opticus&sern 
nur  durchsetzt,  geben  aber  keinen  Opticusfasem  den  IJtiBprnng.  Aus  der  Glasd. 
pinealiB  und  dem  Ggl.  habenulae  gesdlen  sich  Popillarfasem  den  Opticaabaem  sil 
Nur  der  obere  Vierhügel  ist  Opticuscentnun,  imr  fftr  ihn  Usst  sich  ein  ZusanrnMo- 
hang  mit  der  Hlmrinde  durch  ein  gesondertes  BQndel  histologisch  nachweisen. 

Th.  Ziehen. 

t)  BfoXiB  ciista  frontale  interna  e  stilla  fössetta  oooipftale  mMlana»  nota 
dxü  Doti  Varaglia.  (Aroh.  di  psichiatr.  sdenze  pen.  ecc.  1886.  YII.  p.  109.) 

Verf.  bestätigt  die  Angabe  Tenchini*s  und  Bianchi's,  dass  bei  verbrecherisdiai 
und  bei  geisteskranken  Frauen  die  innere  Stimleiste  st&rker  entwickelt  zu  sein  pflegt 
als  bei  anderen  Frauen  und  bei  Männern;  dagegen  bestreitet  er  Tenchini's  Behaup- 
tung, dass  mit  aufiQLllig  hoher  Crista  frontalis  gewöhnlich  auch  eine  mediane  Hinter- 
hauptsgmbe  vereinigt  sei.  Bei  persistirender  Stirnnaht  fehlt  die  innere  Stimleiste 
fiist  regelmässig.  Sommer. 

Experimentelle  Physiologie. 

S)  SuUe  degenerasioni  discendenti  oonseouttve  «t  lesioni  della  oorteoeia 
cerebrale,  nota  dei  Dott.  V.  Marchi  e  G.  AlgerL  (Rivist  sperimeoi  di 
frenatr.  ecc.  1886.  XI.  p.  492.) 

Die  Verff.  haben  an  2  Affen  und  6  Hunden  grössere  Partien  der  Himrind« 
entfernt  upd  dann  nach  verschieden  langer  Zeit  die  secund&ren  Degenerationen  in 
dem  mit  Müller'scher  Lösung  und  Osmiumsäure  von  1  ^/^  behandelten  Bückenmark 
untersucht.    Sie  kommen  zu  folgenden  Resultaten: 

Ist  die  sogenannte  motorische  Zone  exstirpirt,  so  betrifft  die  absteigende  De- 
generation ganz  Tonriegend  die  gekreuiste  Pyramidenbahn,  in  geringer  Ausdehnung 
auch  die  directe  Pjramidenbahn  (im  Türck*schen  Bündel)  und  endlich  noch  Y&m- 
zelte  Fasern  im  directen  Seiten-  und  Hinterstrang.  War  die  Binde  hinter  dem 
Sulcus  cruciatus  entfernt,  so  fand  sich  regelmässig  neben  der  Degeneration  der  g^ 
kreuzten  Pyramidenbahn   noch    eine    ausgedehnte   Degeneration  der  Burdach^sito 


—    529    — 

Strange.  War  die  E^tirpation  auf  die  Occipitalrinde  beschränkt^  so  zeigte  sich 
stets  eine  Entartung  der  Hinterstränge,  während  die  Seiten-  and  Vorderstränge  fast 
intact  blieben. 

Die  weiter  sich  ergebeoden  Schlüsse  stehen  in  Uebereinstimmung  mit  den  Er- 
fahrungen Lucianos,  di^  nämlich  die  motorische  und  die  sensorische  Zone  ein 
grösseres  Feld  der  Hirnrinde  (in  der  Parietal-  und  Angular-Qegend)  gemeinsam  haben; 
auf  die  Zerstörung  desselben  folgt  daher  eine  gleichzeitige  Degeneration  der  moto- 
rischen Fyramidenbahn  und  des  sensiblen  Hinterstranges.  Sommer. 


Pathologisohe  Anatomie. 

4)  Beitrag  zur  Lehre  ypi^  den  angeborenen  Himdefecten  (Porenoephalie), 

von  Dr.  Fr.  Schnitze.  Heidelberg  1886.  (Nach  einer  auf  der  56.  Ver- 
sammlung deutscher  Naturforscher  und  Aerzte  in  Strassburg  1885  gemachten 
vorläufigen  Mittheihmg.) 

Der  Yon  Heschl  zuerst  gebrauchte  Name  „Porencephalie''  wird  auch  fttr  solche 
Fälle  angewandt,  in  denen  es  sich  nicht  nur  um  einen  mehr  oder  weniger  trichter- 
förmigen SubstanzYerlust  des  Hirns  (Perus),  sondern  um  gewaltige  Defecte  handelt 
(Knndrat).  Bin  solcher  Fall  ist  der  beschriebene.  Es  fehlen:  das  Stimhim  zum 
allergrössten,  die  Centralwindungen  zum  grössten  Theil,  femer  ein  grosser  Theil 
beider  Schläfelappen  und  ein  kleiner  Theil  der  Parietalwindungen.  Im  Vacuum  be- 
findet sich  Liquor  cerehroepipalis.  Nach  der  ausfflhrlichen  Beschreibung  der  Defecte 
resp.  des  noch  Vorhandenen  und  den  beigegebenen  schönen  Abbildungen  kann  man 
sich  leicht  genauer  orientiren*  —  Inhaber  des  derartig  redudrten  Gehirns  war  ein 
5jähriger  Knabe,  der  bis  zum  dritten  Vierteljahre  seines  Lebens  angeblich  die  Hände 
bewegt  haben  soll,  später  wi^en  sie  flectirt  und  adducirt,  die  Beine  krampfhaft 
adducirt  und  nur  leicht  gebeugt.    Dabei  YoUst&ndige  geistige  Stumpfheit. 

Sehr  interessant  ist  besonders  die  Frage  nach  der  Aetiologie  des  Defectes.  Der 
pathologisch-anatomische  B^und  (yermehrte  Glia  in  der  dem  Perus  benachbarten 
verschmälerten  Hirnrinde  und  massenhafte  Corpora  amylacea,  in  der  dazu  gehörigen 
weissen  Substanz  sderotische  Fle(skeq  und  Kömcbenzcllen)  spricht  in  diesem  Falle 
dafür,  dass  man  es  mit  den  Besten  eines  pathologischen  Processes  —  keiner  Ent- 
wickelungshemmung  —  z^  thun  hat.  TY^^^^^^i^  -^  derselbe  gewesen,  kann  Verf. 
nicht  entscheiden,  erörtert  jedocih  alle  Möglichkeiten  und  neigt  schliesslich  der  An- 
sicht zu,  dass  eine  primäre  Arterienerkrankung  (die  Mutter  des  Kindes  war  Potatriz) 
Yorgelegen  haben  könnte. 

Interessant  ist  auch  die  Frage  nach  der  Entwickelung  des  im  Allgemeinen  kleinen, 
jedoch  ziemlich  ausgebildeten  Schädels;  die  Stelle  des  für  dieselbe  nothwendigen 
Himdrucks  scheint  der  Druck  des  Hydrops  ex  vacuo  eingenemmen  zu  haben. 

Secundär  degenerixt  sind  die  Pyramidenbahnen ;  ausserdem  findet  sich  eine 
eigenthfimliche  Veränderung  der  GangUenzeUen  der  Vorderhörner« 

Die  Literatur  der  forenceph^e  umf^t  51  Fälle.  Sperling. 


Pathologie  des  NerYensystems. 

6)  ITeber  die  Anomalien  der  Bmpflndnng  tmd  Ihre  Besiehungen  rar  Ataxie 
bei  Tabes  dorsalis,  von  Bölko  Stern.  (Aus  der  Nervenklinik  der  Charit^.) 
(Arch.  f.  Psych.  1886.  Bd.  XVIli  Nr.  2.) 

Die  unter  Leitung  Oppenheim*s  verfasste  Abhandlung  theilt  zunächst  die  an 
80  Tabikem  eonstatürten  Störungen  der  Sensibilität  mit  Der  Verf.  theilt  die  Stö- 
rungen der  Sensibilität  ein:  in  1.  quantitativOi  hierbei  ist  das  Verhältniss  zwischen 


—    580    — 

BeizgrOsse  und  Empfindung  gestört:  Hyperästhesien,  Anästhesien;  2.  qualitative:  per- 
verse Empfindungen  oder  Dysästhesien. 

A.  Quantitative  Störungen:  sie  treten  gegen  die  qualitativen  zurück. 

1.  Hyperästhesien:  selten,  bestellen  wahrscheinlich,  aber  nur  vorQbeigehend, 
während  der  SchmerzanföUe.  In  2  Fällen  wurden  einfache  Tastreize  als 
schmerzhafte  angegeben.  Häufiger  bestellt  Hyperästhesie  gegen  Kälte- 
reize; femer  die  relative  Anästhesie  Leyden's:  Anästhesie  gegen  schwadie, 
abnorme  Empfindlichkeit  gegen  stärkere  Beize. 

2.  Anästhesien: 

a.  Analgesien;  häufig  relative  Analgesie  (Berger):  normale,  resp.  ab- 
norm gesteigerte  Empfindlichkeit  gegen  schwache,  Analgesie  gegen 
stärkere  Beize. 

b.  Störungen  des  Tastsinns:  seltener  und  immer  geringer  als  die  der 
Schmerzempfindung. 

c.  Temperatursinn.  Er  war  in  5  Fällen  gestört  bei  vollständig  nor- 
maler Tastempfindung. 

B.  Qualitative  Störungen. 

1.  Verschiedenartige  Beize  werden  nicht  deutlich  differenzirt;  z.  B.  aUe  als 
Brennen  angegeben. 

2.  Yerlangsamung  der  Empfindung  um  1 — 8  Secunden.  Beschränkt  sidi 
diese  Yerlangsamung  auf  einzelne  Empfindungsqualitäten,  so  tritt 

3.  zeitliche  Incongruenz  der  Empfindungen  auf;  mehr  z.  B.  bei  schmerz- 
haften Beizen  erst  Tast-,  dann  Schmerzempfindung;  seltener  bei  ther- 
mischen Beizen:  erst  Tast-,  dann  Temperaturempfindung.  Andeutungen 
von  Incongruenz  bestehen  auch  bei  Gesunden:  Incongruenz  wie  Yer- 
langsamung der  Leitung  bessert  sich  häufig  während  der  Untersuchung. 

4.  Doppelempfindung:  nicht  mit  Nr.  3  zu  verwechseln.  Nur  wenn  bmde 
empfondenen  Beize  qualitativ  ganz  gleich  sind,  ist  echte  Doppelempfin- 
dung zu  constatiren.  Sie  wurde  nur  in  3  Fällen,  stets  im  Qebiete  der 
Algesie  beobachtet,  niemals  im  Gebiete  der  Tastempfindung  (Polyästhesie: 
Fischer). 

5.  Eigenthflmliche  Störungen  der  Sensibilität»  die  darin  bestehen,  dass  Fat 
verschiedenartige  Beize  nicht  richtig,  sondern  als  solche  percipirt,  auf 
die  man  seine  Aufmerksamkeit  lenkt»  z.  B.  man  fragt  bei  Application 
von  Nadelstichen:  kalt  oder  warm  und  erhält  als  Antwort:  „Warm, 
wärmer,  heiss",  je  nach  der  Intensität  des  Stiches.  Die  ESrklämngs- 
versuche  dieser  Störung  müssen  im  Original  nachgelesen  werden. 

6.  Ortssinnstörungen:  dahin  gehören  auch  falsche  Angaben  Aber  die  EUcli- 
tung  applicirter  Striche:  dann 

a.  Irradiation:  punktförmige  Beize  werden  als  Striche  empfanden. 

b.  das  Gegentheil:  strichförmige  Beize  werden  als  Punkte  empfundoL 

7.  Empfindung  erst  nach  mehrfachen  Beizen:  in  einem  Falle  wurden  die 
ersten  schmerzhaften  Beize  nur  als  Druck  oder  Kälte,  die  nächsten  als 
Schmerz  angegeben;  (es  bestand  also  hier  sicher  kein  Mangel  der  Auf- 
merksamkeit, der  auch  in  den  übrigen  Fällen  möglichst  ausgeschlossen 
wurde). 

Yerf.  fasst  die  qualitativen  Störungen  der  Sensibilität  als  Uebergangszustände 
von  der  Aesthesie  zur  Anästhesie  auf^  entsprechend  gewissen,  weniger  weit  vorge- 
schrittenen pathologischen  Zuständen  der  Nerven;  das  deute  auch  ihr  ephmnerer 
Charakter  an.  Die  von  Oulmont  behaupteten  Prädilectionsstellen  der  Sensibilitäts- 
störungen (Fusssohlen,  Eniee,  Malleolen)  bestreitet  er. 

Weiter  wendet  sich  Yerf.  zur  Frage  der  Ursache  der  Ataxie  bei  Tabes.  Er 
constatirt  zunächst  den  Unterschied  zwischen  LagegefCÜü,  das  oft  fälschlich  Mu^* 


—    631    — 

gef&hl  genannt  werde,  und  dem  eigentiichen  MuskelgefUhl,  das  man  bisher  woU  als 
Kraftsinn  beaeicbnet  habe;  letzteres  sei  nur  unter  ganz  besonderen  Umständen  z.  B. 
bei  Hemiplegikem  mit  Sicherheit  zu  prüfen.  Lagegefühls-  und  Sensibilitätsstörungen 
überhaupt,  könnten  aber  nicht,  wie  Leyden  wül,  die  einzige  Ursache  der  Ataxie 
sein,  wenn  auch  Verf.  eine  Störung  des  ersteren  nur  in  einem  Falle  Ton  Tabes 
yermisst  hat;  denn  1.  bestehe  kein  Yerhältniss  zwischen  Ataade  und  Sensibilitäts- 
stönmg  und  2.  gäbe  es  Fälle  von  Ataxie  ohne  Sensibilitätsstörungen  (Friedreich's 
hereditäre  Ataxie,  2  Fälle  des  Verfassers;  siehe  auch:  Yierordt,  Beitrag  zur  Eennt- 
niss  der  Ataxie.  Berliner  Uin.  Wochenschrift.  1886.  Nr.  21.  Bef.).  Andererseits 
sprachen  für  die  motorische  Theorie  (Coordination)  das  Vorkommen  Yon  von 
Sensihilitätsalterationen  unabhängigen  Goordinationsstörungen  bei  Tabes.  Von  solchen 
Störungen  erwähnt  Verf.:  1.  Mitbewegungen  (4  Falle),  2.  Spontanbewegungen,  die 
in  ihrer  Art  sehr  verschieden,  aber  von  Chorea  stets  leicht  zu  unterscheiden  seien. 
Sie  treten  in  der  Buhe  auf  oder  mischten  sich  in  andere  willkürliche  Bewegungen. 
In  letsterer  Hinsicht  ist  besonders  ein  Fall  interessant,  bei  dem  Spontanbewegungen 
and  Ataxie,  das  letztere  in  Folge  des  ersteren,  in  der  linken  oberen  Extremität 
heftiger  waren,  wie  in  der  rechten.  Bruns. 


6)  KaohtrfigUohe  Bemerkungen  m  der  Abhandlung  über  die  Anomalien 
der  Empfindung  und  ihre  Besiehungen  zur  Ataxie  bei  Tabea  dor- 
salifl,  von  Bolko  Stern.  (Arch.  f.  Psych.  1886.  Bd.  XVU.  Heft  3.) 

Bosenbach  hat  in  der  Deutschen  med.  Wochenschrift  1884,  H.  22,  Beobach- 
tungen veröffentlicht,  aus  denen  hervorgeht,  dass  aus  rein  psychischen  Gründen  bei 
Temperaturreizen  mittlerer  Intensität  und  Dauer  zuerst  Tast-,  dann  Temperatur,  end- 
lich Schmerzempfindung  entstehe.  Stein  hat  diese  Beobachtungen  nicht  gekannt» 
führt  aber  aus,  dass  bei  Anwendung  von  Beizen  von  der  Intensität,  wie  er  sie  in 
seinen  Tabesfallen  angewandt  habe,  bei  Gesunden  eine  solche  Incongruenz  nicht  auf- 
getreten sei  Er  müsse  deshalb  die  von  ihm  bei  Tabikem  beschriebene  Incongruenz 
für  pathologisch  halten.  Bruns. 


7)  Ataxie  looomotrioe  aveo  arthropathie  etc.,  par  A.  Bichardidre.    (Bevue 
de  m^dedne.  1886.  Fövrier.  p.  lyo.) 

Kurze  Beschreibung  eines  interessanten  Falles  von  Tabes  mit  Arthropathie  des 
Metacarpo-Phalangealgelenks  des  linken  Daumens,  Spontanluxation  desselben,  Ausfall 
der  Zähne,  Larynxkrisen,  Aorteninsufücienz  u.  a.  Da  auch  sonstige,  wahrscheinlich 
syphilitische  Enochenaffectionen  bestanden,  so  könnte  man  diesen  Fi^  zur  Stütze  der 
Ansicht  des  Bef.  anführen,  wonach  die  tabischen  Arthropathien  nicht  von  der  Tabes 
direct  abhängen,  sondern  syphilitischen  Ursprungs  sind.  Strümpell 


8)   Beitrag  zur  Eenntnisa  der  Ataxie,  von  Dr.  0.  Yierordt,  Leipzig.    (BerL 
klin.  Wochenschr.  1886.  Nr.  21.) 

Y.  glaubt,  dass  besonders  klinische  Untersuchungen  in  Yerbindung  mit  der 
anatomischen  und  pathologisch-anatomischen  Forschung  die  Theorie  der  Ataxie  auf- 
klären werden.  Er  erwähnt  von  neueren  Beobachtungen  die  von  East,  wo  exquisite 
Ataxie  bei  normalem  Muskelsinn  (Lagevorstellungen)  bestand,  gegenüber  einem  Falle 
Yon  Winter,  wo  bei  völligem  Yerlust  jeder  Lagevorstellung,  allgememer  Hautanäs- 
thesie etc.  keine  Spar  von  Ataxie  vorhanden  war.  —  Erb  hat  in  Nr.  2  d.  Ctrlbl. 
von  1885  einen  Kranken  mit  jahrelang  bestehender  Ataxie  der  Beine  beschrieben 
ohne  Parese,  bei  minimalen  Störungen  des  Muskelsinns,  normaler  Hautsensibilität  etc. 


—    532    — 

Y.  selbst  beobachtete  folgenden  IW: 

Ein  34jäbriger  Mann^  hereditär  und  anch  betreffs  der  Syphilis  gnu  intaet^  der 
als  4jährige8  Kind  eine  ohne  Folgen  gebliebene  StimTerletKong  erlitten  hatten  bekam 
August  1684  Schwindel,  Schwäche  im  linken  Bein,  später  auch  im  linken  Anne  nnd 
in  den  beiden  rechtsseitigen  Extremitäten;  gleichzeitig  Kop&chmen  und  ^raeh- 
Störung.  Im  April  1886  wurde  auf  der  Leipziger  Klinik  (Prof.  Wagner)  conststizt: 
beiderseits  horizontaler  Nystagmus,  lallende  Sprache,  hochgradige  Ataxie  aller  "vier 
Extremitäten  bei  ganz  normalem  Muskeltonus,  gpiter  roher  Kraft»  TöUig  normaler 
Sensibilität,  sehr  feinen  LagOYorstellungen.  Patellarreflexe  lebhaft,  Sehnenreflexe  an 
den  oberen  Extremitäten  schwach,  Hautreflexe  normal.  Fat.  kann  ohne  fremde  Hfllfe 
nicht  gehen,  schleudert  enorm,  greift  stets  vorbei  etc.  Im  Sonuner  1885  trat  starkes 
Schwanken  des  Rumpfes  beim  Sitzen  ein.  —  Herbst  1885  wurden  die  PateUairefiexe 
schwach  bis  zum  Verschwinden,  zeigten  sich  später  aber  wieder  von  nmmaler  Stärke. 
Diffuser  Kopfschmerz,  Schwindel,  Brechneigung.    Intelügeni  sehr  gut 

Der  Nystagmus  erweist  sich  bei  genauer  Prfifüng  als  locomotorisoke  Ataxie, 
indem  Pai  beim  Blicken  immer  über  den  Stsationspunkt  hinausschieest  Dasselbe 
gilt  fDr  Phonation  und  Articulation,  indem  Fat  nicht  in  regelmäsaiger»  giatter  Weise 
mehrere  Buchstaben  hintereinander  bilden  kann;  während  Fat  alle  einzelnen  Buch- 
staben ganz  deutlich  sprechen  kann,  werden  beim  Sprechen  von  Worten  mandie 
Buchstaben  (besonderB  1  und  m  nach  anderen  Conscmanten)  undeutlidi  oder  garnidit 
ausgesprochen,  andere  werden  in  explosiver  Weise  rasch  hervorgeBtoBBen  etc. 

Dabei  ist  die  Hautsensibilität  in  allen  Qualitäten  vollkommen  intac^  Tastgefllhl, 
Temperatursinn,  die  Lagevorstellungen  der  Glieder,  die  Feinheit  der  Baumvorstellung 
(als  Schätzung  des  Abstandes  zwischen  2  Fingern),  die  Ferception  von  Gewichten  etc, 
Alles  ist  ganz  normal,  sogar  sehr  gut  ausgebildet 

Vierordt  betont  zum  Schluss,  dass  es  also  eine  ecl^te  Ataxie  ohne  eine  Spur 
von  nachweisbarer  sensibler  Störung  und  ohne  Störung  der  Lagevorstellungen  giebt, 
wie  ja  seit  längerer  Zeit  ziemlich  allgemein  zugegeben  wird.  —  üeber  die  spinale 
oder  cerebellare  oder  cerebrale  Natur  der  Ataxie  bei  seinem  Kranken  lässt  sich  vor- 
läufig, d.  h.  ohne  Autopsie,  etwas  Sicheres  nicht  ermitteln.  Hadlioh. 


9)  A  oase  of  progressive  looomotor  ataada»  by  Edw.  C.  Mann.    (The  Alienist 
and  Neurologist.  1886.  VE.  p.  206.) 

Verf.  hat  bei  einem  40jährigen  nicht  hereditär  belasteten  und  nicht  luetischen 
Mann  nach  öjährigem  Bestehen  tabischer  Symptome  (Blitzschmerzen,  Anästhesien  und 
Parästhesien  der  Haut  der  Unterextremitäten,  Fehlen  der  Patellarreflexe^  Amblyopie^ 
Schwindelanfalle,  Gürtelgefähl,  hochgradige  Ataxie,  gastrische  Krisen  eta)  Heilung 
oder  wenigstens  ein  vollständiges  und  bereits  durch  etwa  2  Jahre  constatirtes  Schwinden 
aller  Krankheitserscheinungen  erzielt  Da  während  der  Behandlung  numnigfi^^he 
Mittel  herangezogen  wurden,  so  ist  es  nicht  möglich,  einem  bestimmten  Eingriff  die 
günstige  Beeinflussung  zuzuschreiben.  Neben  der  elektrischen  Behandlung  (galvanische 
und  statische  Elektriätät)  scheint  Ferrum  reductum  mit  Zincum  phosphoratiim  (0,12 
resp.  0,01  je  3mal  täglich),  dann  Jodkalium  und  Argentum  phosph(^cum  (ä  0,02  pro 
dosi)  von  besonderer  Wirkung  gewesen  zu  sein.  Sommer. 


10)  Blsseminated  Solerosia  wiih  unusual  Symptoms,  by  A.  M.  Edge.    (The 
Lancet.  1885.  Vol.  n.  p.  568.) 

Ein  29jähriger  Mann,  der  stets  gesund  gewesen  war,  fiel  im  Februar  1881  von 
massiger  Höhe;  er  klagte  über  Xreuzschmen,  konnte  aber  ohne  Hülfe  gehen;  nadi 
3  Tagen  arbeitete  er  bereits.    2  Tage  später  fiel  er  wieder  und  schlug  sieh  eine 


—    638    — 

Eopfwonde.  Eine  WoGhe  lang  arbeitete  er,  dann  hörte  er  auf,  weil  seine  Arme  zo 
zittern  begannen  nnd  seine  Beine  schwaoh  wnrden.  Dann  zeigte  sich  Schwierigkeit 
im  Sprechen;  Fat.  klagte  über  allgemeine  Nervosit&t,  Gedächtnissschwäche.  Er  brach 
ohne  besondere  Ursache  in  Thränen  ans,  zeigte  sich  sehr  aufgeregt  Tremor  lingnae. 
Sprache  langsam  und  irie  bei  einem  Kinde,  das  etwas  herbetet,  ohne  es  zu  verstehen. 
Zittern  der  Augenlider  bei  Lidschluss.  Kein  Nystagmus.  Gehör  schwach.  Kein 
Tremor  capitis.  Die  Arme  gerathen  in  rhythmischen  Tremor,  wenn  Fat  Bewegungen 
damit  intendirt.  Fatellarrefleze  stark.  Fnssdcmus  vorhanden.  Gefahl  und  faradische 
Erregbarkeit  ungestört.    Innere  Organe  gesund.    Keine  Albuminurie. 

Am  18.  Sept  1881  verlor  Fat.  den  Gebrauch  seines  rechten  Armes  und  Beines 
für  ca.  ^y.  Stunde;  hierbei  gab  er  an,  ähnliche  Anfälle  schon  früher  gehabt  zu  haben, 
die  ebenfalls  wie  dieser  mit  geringem  Schwindel  verknüpft  waren,  ohne  dass  sich 
jedoch  Schmerzen  oder  Bewusstlosigkeit  eingestellt  hätten. 

Am  23.  Sept.  plötzliches  Unwohlsein  und  starke  Aufregung.  Die  Arme  fühlten 
sich  ganz  kalt  an  und  zeigten  Furpurröthe  bis  zum  Ellenbogen;  ebenso  kalt  zeigten 
sich  die  Unterextremitäten  bis  zum  Enie  hin,  ohne  dass  die  Hautfarbe  verändert 
war.  Rechtes  Bein  nnd  rechter  Arm  konnten  nur  mit  Mfihe  bewegt  werden.  Herz- 
töne rein.  Athmung  ruhig.  Derartige  kurzdauernde  Anfidle  von  Hemiplegie,  zeit- 
weise auch  von  Faraplegie,  zuweilen  mit  halbseitiger  Lähmung  des  Facialis,  aber  ohne 
die  erwähnten  vasomotorischen  Phänomene  traten  im  October  und  November  sehr  oft 
auf;  dabei  mehrmals  leichte  Wahnvorstellungen,  Zunahme  des  Tremors  manuum,  Ver- 
schlechterung der  Sprache.  Anfang  December  Besserung.  Beim  Verlassen  des 
Krankenhauses  am  8.  Febr.  1882  war  nur  geringer  Tremor  beider  Arme  und  der 
Zunge  Torhanden,  geringe  Verstärkung  des  Kniephänomens. 

Verf.  hält  die  in  diesem  Falle  von  disseminirter  Sclerose  erwähnten  vasomoto- 
rischen Erscheinungen,  die  von  Erb  auf  „atonische  Hyperämie  durch  Stagnation'^ 
bezogen  werden,  für  ein  ungewöhnliches  Symptom.  Erb  beobachtete  ein  ähnliches 
Phänomen  bei  einer  Sclerose  der  Pyramidenseitenstränge.  Die  hemiplegischen  und 
paraplegischen  Attacken  sind  bei  einer  multiplen  Sclerose  des  Gehirns  und  Bücken- 
marks nichts  Ungewöhnliches.  Buhemann. 


11)  Diasemlnated  oerebro-spinal  solerosia  in  early  stage,  affeoting  ezolu* 
Bively  the  rlght  eztremltles,  by  Dyce  Duckworth.  (The  Lancei  1885. 
VoL  I.  p.  880.) 

Verf.  besprach  einen  Fall  von  cerebrospinaler  Sclerose  in  einem  sehr  firühen 
Zeitpunkt^  wobei  sich  die  Krankheit  noch  unter  dem  Bilde  einer  rechtsseitigen  Hemi- 
plegie daratellte. 

G.  B.,  21  Jahr  alt,  bemerkte  vor  etwa  einem  Jahre,  dass  seine  rechte  Hand 
bei  mtendirten  Bewegungen  zitterte,  später  zeigte  sich  dasselbe  am  rechten  Bein; 
allmählich  wurde  letzteres  steif,  schwer  und  beim  Gehen  hinderlich.  Die  Kraft  der 
rechten  Hand  liess  nach.  Sonst  zeigten  sich  keine  Motilitätsstörungen,  Facialis  und 
Augenmuskeln  frei,  Pupillanieaction  prompt.  Kein  Nystagmus,  kein  Fussclonus,  nur 
leichte  Verstärkung  des  rechtsseitigen  PateUarreflezes;  Sensibilität  intact.  Die  elek- 
trische Erregbarkeit  der  Muskeln  zeigte  keine  Abnormitäi  Blasen-  und  Mastdarm- 
fnnction  ungestört  Buhemann. 


12)  Unilateral  disseminated  oerebro-Bpinal  soleroaiB,  by  Dr.  Latham.    (The 
Lancei  1885.  Vol.  ü.  Nr.  H.  p.  888.) 
L.  stellte  in  der  Cambridge  Medical  Society  einen  Fall  von  einseitiger  disse- 
minirter Gerebroepinalsclerose  vor,  ein  Analogen  zu  dem  von  Dr.  Duckworth  im 
Lancet  am  16.  Mai  1886  veröffentlichten  Falle. 


—    534    — 

Ein  40jähriger,  yerheiratlieier  LokomotiYffihrer  ohne  hereditäre  Yeranlagimg,  oline 
syphilitisclie  oder  alcoholistisclie  Belastung  bemerkte  vor  etwa  2  Jahren,  dass  seine 
Sprache  schwerfällig  wurde.  Im  Juli  1884  unfreiwilliges  Bücken  im  rechten  Arm, 
Patient  blieb  aber  bis  zum  December  dieses  Jahres  in  seinem  Berufe;  nach  ^nem 
Dienst  in  kalter  Nacht  waren  die  Bewegungen  der  rechten  Seite  fast  ganz  unmögücL 
Abnorme  Sensation  in  Hand  und  Fuss.  In  den  letzten  Monaten  merkliche  Abnahme 
des  Gedächtnisses. 

Der  Patient  von  gesundem  Aussehen  zeigt  schleppende  Sprache,  leichte  mentale 
Depression,  leidet  an  Schwindel.  Linke  Pupille  weiter  wie  die  rechte,  beide  rea^ren 
auf  Licht  Kein  Nystagmus.  Augenlicht  gut  Tremor  linguae;  Pat  yerschluckt 
sich  leicht 

Ausgeprägter  Tremor  der  rechten  Hand  und  des  rechten  Beins.  Ausserdem 
Intentionszittem.  Sensibilität  gut.  Bedeutende  Verstärkung  der  Patellarreflexe,  rechts- 
seitiger Fussclonus.    Sphincteren  intact  Buhemann. 


13)  To  Tilf&lde  af  multipel  CerebroepinalBklerose»  af  H.  Bern  er.     (Norsk 
Mag.  f.  Lägeyidensk.  3.  B.  UV.  8.  S.  545.) 

Von  den  beiden  mitgetheilten  Fällen  von  multipler  Cerebrospinalsderose  weicht 
der  1.  nicht  von  der  gewöhnlichen  typischen  Form  ab;  Alter  der  Pat  24  Jahr  (zur 
Zeit  des  Todes),  gradweise  Entwickelung  der  Krankheit  mit  Bemissionen  und  chro- 
nischem Verlauf,  die  Erscheinungen  von  Seiten  des  Nervensystems,  besonders  Inten- 
sionstremor,  Nystagmus,  skandirende  Sprache  und  Lähmungen,  lassen  keinen  Zweifel, 
dass  es  sich  um  den  bei  Sclerose  gewöhnlichen  Process  im  Gehirn  und  Bückenmark 
gehandelt  hat^  wenn  auch  die  Section  nicht  ausgeführt  worden  ist  —  Bei  dem 
2.  Kranken  trat  im  Alter  von  33  Jahren  allmähUch  sich  entwickelnde  Schwäche  im 
linken  Beine  auf,  die  sich  zur  Parese  steigerte,  später  Schwäche  der  ganzen  link^i 
Körperhälfte  und  undeutliche  Sprache,  ohne  Sensibilitätsstörui^en.  Durch  Jodkalium 
und  Galvanisation  wurde  bedeutende  Besserung  erreicht  Nach  1 — 2  Jahren  hatte 
sich  der  Zustand  wieder  verschlimmert;  1883  wurde  Pat  in  das  Beichshospital  in 
Chnstiania  aufgenommen  mit  der  Diagnose:  Paraplegie.  Die  Lähmung  hatte  beide 
Beine  ergriffen  und  breitete  sich  später  nach  oben  aus  und  ergrif  die  Arme^  ausser- 
dem entwickelte  sich  stark  vermehrte  Beflexirritabilität  Contracturen  traten  auf,  auch 
bei  ruhiger  Haltung.  Harn-  und  Darmentleerungen  gingen  unfreiwillig  vor  sidi, 
obwohl  Pat  die  Entleerung  fühlte.  Das  Sehvermögen  hatte  abgenonunen,  die  linke 
Pupille  war  grösser  und  reagirte  langsamer  als  die  rechte.  Die  Sprache  war  un- 
deutlich, schleppend  und  wurde  schliesslich  ganz  unverständlich,  aber  nicht  scandirsud; 
Tremor  und  Nystagmus  waren  nicht  vorhanden;  ziemlich  bedeutende  Schlingbeschwerden 
stellten  sich  ein.  Die  Intelligenz  und  das  Gedächtniss  schien  etwas  geUtten  zu  haben. 
Unter  Decubitusbildung  erfolgte  der  Tod.  Bei  der  Section  fand  sich  multiple  Cerebro- 
spinalsderose. —  Einen  3.  Fall  erwähnt  B.  nur  beiläufig.  Der  Kranke  Utt  an  Tremor, 
Nystagmus  und  stammelnder  Sprache,  aber  die  psychische  Sphäre  litt  hier  vorwiegead; 
mehrere  Monate  lang  bestand  ein  maniakalischer  Zustand  mit  Delirien,  nnmhigeii 
Bewegungen  und  Schreien;  2mal  verweigerte  Pat  die  Nahrung  je  eine  Woche  lang. 
In  dieser  Periode  war  das  eigentliche  Krankheitsbild  so  verdeckt  dass  die  Diagnose 
schwerlich  hätte  gestellt  werden  können.  Walter  Berger. 


14)   Caso  raro  di  solerosi  diSBeminata  a  plaoohe,  pel  dott  G.  LiparL    (U 
Psichiatria  etc.  1886.  HL  p.  277.) 

Ein  67jähriger  Mann,   nicht  hereditär  belastet,  weder  Potator  noch  Lnetiker, 
aber  seit  längerer  Zeit  an  rheumatoiden  Beschwerden  und  an  Malaria  leidend,  erlitt 


—    535    — 

vor  5  Jahren  ohne  bekannte  Veranlassung  einen  heftigen  Zitteranfall  im  rechten  Arm 
von  ^/^  Stande  Daner  und  einige  Minuten  später  auch  im  linken  Arm,  dem  sich  in 
der  Folge  sehr  h&ufig  unregelmässige,  aber  viel  schwächere  Anfälle  in  beiden  Ex- 
tremitäten anschlössen,  ohne  dass  sie  den  Patienten  in  seinem  Berufe  gehindert  hätten 
und  ohne  dass  andere  nervöse  Symptome  zu  beobachten  gewesen  wären.  Erst  kürzlich, 
2  Monate  vor  der  Aufoahme,  wurden  in  Folge  eines  lebhaften  Aergers  die  Bewegungen 
störender  und  bald  weit  intensiver,  als  im  Beginn  der  Erkrankung. 

Seitdem  tritt  nun  das  Zittern  anfallsweise  auf,  fast  immer  im  Anschluss  an 
intendirte  Bewegungen,  selten  spontan,  nie  im  Schlaf.  Jeder  Anfall  dauert  1 — 2  Stunden, 
kann  aber  oft  durch  Einnehmen  einer  horizontalen  Lage  abgekürzt  und  in  der  In- 
tensität erleichtert  werden.  Im  üebrigen  fehlt  jede  Störung  der  Sprache  und  der 
Sinnesfunctionen;  eine  leichte  Amblyopie  kann  wohl  mit  Becht  als  senil  betrachtet 
werden.  Die  vegetativen  Organe  sind  gesund.  Das  Zittern  selbst  ist  beschränkt 
auf  die  beiden  Arme  und  auf  rhythmische  Mitbewegungen  des  Kopfes.  Die  Oscilla- 
tionsbreite  des  „Pendeins"  beträgt  gewöhnlich  5  cm,  im  Maximum  10 — 15  cm  nach 
jeder  Richtung,  die  Zahl  der  Schwingungen  im  Maximum  345  in  der  Minute.  Zwischen 
der  rechten  und  linken  Extremität  ist  kein  deutlicher  Unterschied  in  dieser  Blnsicht. 
Das  äussere  Ansehen  der  combinirten  Armbewegungen  wird  dem  beim  Wirbelschlagen 
auf  der  Trommel  verglichen.  Ist  ein  „Anfall"  beendet^  so  wird  durch  die  Erneuerung 
einer  intendirten  Bewegung  mit  den  Armen  ein  zweiter,  wenn  auch  weniger  heftiger 
Anfall  ausgelöst  und  erst  nach  mehrmaliger  Wiederholung  bleibt  ein  solcher  ganz  aus. 

Während  der  Behandlung  im  Krankenhause  ist  nun  keine  wesentliche  Verände- 
rung im  Verhalten  des  Patienten  eingetreten.  Es  fehlte  auch  dort  jede  Andeutung 
von  Parese;  die  Sphinkteren  waren  normal,  wie  alle  Beflexe. 

Die  Diagnose  ist  zweifellos  schwierig,  wie  auch  der  Verf.  zugiebt,  und  ob  hier 
wirklich  eine  multiple  Cerebrospinalsderose  anzunehmen  ist,  scheint  dem  Bef.  noch 
fraglich.  Das  hohe  Alter,  das  Fehlen  von  Diplopie,  Parese,  Sprachstörung  und  secun- 
därer  Demenz  ist  gewiss  aufißallend  nach  einer  fünQährigen  Krankheitsdauer.  Man 
könnte  in  klinischer  Hinsicht  vielleicht  an  eine  —  bisher  allerdings  noch  nicht  be- 
obachtete —  clonische  Form  der  Thomsen*schen  Krankheit  denken? 

Sommer. 

16)    Beohtsseitiger  Hirntumor  mit  Ersoheinungen  der  multiplen  Him- 
Büokenmarkssclerose,  von  Schuler.    (Charit^-Annalen.    1885.    S.  330.) 

Ein  nahezu  enteneigrosses  sarcomatöses  Blumenkohlgewächs  der  Dura  mater,  das 
die  rechtsseitige  Insel,  die  untere  Stimwindung  und  den  lateralen  Theil  der  vordem 
Centralwindung  comprimirte,  hatte  während  des  Lebens  die  Erscheinui^n  der  mul- 
tiplen Hira-Bückemnarkssderose  hervorgerufen  (motorische  Parese,  Contracturen,  In- 
tentionszittem,  scandirende  Sprache,  Sehstörungen,  Nystagmus,  psychische  Störung, 
apoplecti-  und  epileptiforme  Anfälle)  und  zwar  waren  die  Functionsstörungen  doppel- 
seitig gewesen,  obwohl  ausser  der  rechtsseitigen  Geschwulst  kein  anderer  Herd 
gefunden  wurde.  M. 


16)  Ck>ntribution  &  rötude  des  fauBses  solöroses  systämatiqueB  de  la  moölle 
öpinidre,  par  N.  Popoff.    (Arch.  de  Neurologie.  1885.  X.  p.  305.) 

Beobachtung:  22jähriges  Mädchen,  Erkrankung  mit  Fieber  (vielleicht  auch  schon 
Torher  allmählich),  Ursache  nicht  ersichtlich,  insbesondere  nichts  von  Syphilis  erwähnt. 
Spastischer  Gang,  Muskelrigidität,  Zittern  and  Contracturen,  Schwäche  der  motorischen 
Kraft,  starke  Steigerung  der  Sehnenreflexe.  Langsamer  Verlauf,  von  unten  nach  oben, 
ohne  Muskelatrophie.  Auch  Störungen  der  Sensibilität  und  Bhisenstörung  wurden 
beobachtet.    Mikroskopische  Untersuchung  (Kai.  bichr.  Härtung  und  Carminf&rbung). 


—    536    — 

Im  Halsmark  leichte  Yerdickui^  des  Zwischengewebos  in  den  hinteren  Partien  der 
Seitenstrange,  ebenso  auch  in  den  hintern  Partien  der  GoU'achen  Stränge.  Die  Ver- 
änderungen der  Hinter-  und  Seitenstränge  verbreitern  äch  nach  unten  zu;  leider 
sind  die  beigegebenen  Abbildungen  nicht  gut  Die  der  Seitenstränge  erstrecken  sich 
auch  auf  die  Peripherie  (Kleinhimseitenstrangbahn).  Im  Dorsalmark  weiter  nach 
unten  geht  die  Veränderung  bis  an  die  graue  Substanz  der  Hinterhömer,  während 
die  der  GoU'schen  Stränge  verschwindet  Auch  die  graue  Substanz  zeigt  in  den 
Dorsalpartien  des  Bückenmarks  Veränderungen  an  Gelassen  und  Nervengewebe^  während 
sie  in  der  Lumbairegion  normal  ist. 

Dieses  Krankheitsbild  ist  nach  der  Beweisführung  des  Verf.  nicht  als  oombinirte 
Systemerkrankung,  sondern  als  diffuse  Sderose  aufzufassen.  Es  soll  aber  auch  dazu 
dienen,  die  Streitfrage  zwischen  den  Systematikem  und  den  Myelitikem  in  Sachen 
der  Tabes  spasmodica  zu  Gunsten  der  letzteren  zu  entscheiden.  P.  nimmt  auch  die 
in  der  Literatur  niedergelegten  Fälle  zu  Hülfe  und  folgert  zum  Schluss: 

1}  Es  giebt  bis  jetzt  keine  Beobachtung,  welche  die  Erhasche  Annahme  von 
der  anatomischen  Natur  der  spastischen  Paralyse  bestätigt. 

2)  Man  findet  den  klinischen  Symptomencomplex  der  Tabes  spasmodica  bei  ver- 
schiedenen Bückenmarksaffectionen. 

3)  Die  erste  Stelle  unter  diesen  letzteren  nimmt  die  diffuse  Sclerose  ein. 

Siemens. 


17)  Fall  af  atrophia  musoalariB  progreeBiva,  beroende  pi  hydromyeli,  medd. 
af  prof.  C.  Wallis.  (Hygiea.  1886.  XLVHI.  9.  S.  578.) 

Bin  38jähriger  Bauer  hatte  vor  18  Jahren  bemerkt,  dass  seine  rechte  Hand 
schwäche  wurde,  als  die  linke,  und  leicht  ermüdete.  Vor  7  bis  8  Jahren  zeigte 
die  linke  Hand  dieselben  Veränderungen;  seit  unbestimmter  Zeit  war  auch  das  Ge- 
fühl in  der  rechten  Hand  herabgesetzt  Bei  der  Aufnahme  am  3.  Jan.  1885,  die 
wegen  seit  dem  Oct.  1884  bestehender  Pleuritis  erfolgte,  fanden  sich  an  der  rechten 
Hand  die  Interossei»  der  Thenar  und  Antithenar  atrophisch,  die  Hand  hatte  Krailen- 
stellung«  auch  die  Muskeln  des  Arms  und  der  Schulter  auf  der  rechten  Seite  waren 
etwas  atrophisch.  Gleiche  Veränderungen  zeigten  sich  links  an  Hand  und  Arm,  aber 
in  geringerem  Grade.  Am  10.  Jan.  starb  der  Kranke.  Bei  der  Section  fand  sich 
ausser  den  durch  die  Pleuritis  bedingten  Veränderungen  weit  vorgeschrittene  Atrophie 
der  Muskeln  der  rechten  Hand,  geringere  an  der  linken  Hand,  der  Arme  und  der 
reohtmi  Schalter.  Die  Muskelfosem  hatten  an  den  meisten  Stellen  ihre  Qnerstreifung 
verioren,  und  zeigten  fettige  Entartung.  —  Das  Gehirn  war  anämisch,  zeigte  aber 
makroskopisch  keine  Veränderungen.  —  Am  Bückenmark  zeigte  sich  ungefähr  1  cm 
unterhalb  der  Medulla  oblongata  eine  allmählioh  zunehmende  Erweiterung  des  Centrai- 
kanals,  der  an  der  Abgaagsstelle  des  2.  und  3.  Oervicalnervenpaares  einen  Breite- 
durehmesser  von  1,  in  der  Bichtung  von  vom  nach  hinten  einen  Durchmesser  von 
^2  <$ni  hatte;  die  Erweiterung  war  vollständig  symmetrisch.  Die  vordem  H^Uner 
waren  deutUch  atrophisch,  die  hintern  unregelmässig  geformt  und  vetsehoben,  aber 
nicht  atrophisch.  Die  Erweiterang  setzte  sich  durch  den  ganzen  Cervicaltheil  in 
gleicher  Ausdehnung  und  in  symmetrischer  Form  fort,  war  am  Ende  des  Gervical- 
theils  germger  und  nahm  eine  mehr  kreisrunde,  ab«r  immw  symmetrkMshe  Fwm  an. 
Hier  war  die  Atrophie  der  Voideriitaior  weniger  aogenftllig.  Im  untern  Bmsttheil 
war  der  Centralkanal  im  Durchschnitt  0,8  cm  weit  und  vollkommen  rund;  diese 
Erweiterung  setzte  sich  fort  bis  zum  Anfonge  des  Lumbaltheiles,  dabei  war  aber  der 
Querschnitt  des  Marks  normal  Die  Wandung  des  Kanals  bestand  aus  einer  unge- 
fähr 1  mm  dicken«  festen,  weissen  Membran,  die  da  am  meisten  entwickelt  war,  wo 
sich  die  grösste  Erweiterung  fand;  der  Kanal  enthielt  eine  dünne,  durchsichtige 
Flüssigkeit    Die  mikroskopische  Untersuchung  ergab  Atrophie  der  vordem  Homer, 


—    687    — 

während  hiiitere  Homer  und  weisse  Sabstanz  nn?er&ndert  ersehienen.  —  Die  Ver- 
änderungen im  Bflckenmark  sind  nach  W.  dajB  Primäre  gewesen,  worauf  schon  die 
dicke  und  feste  Beschaffenheit  der  Kaaalwandungen  hindeutet  Welcher  Art  der  im 
Innern  des  Kanals  auftretende  Erankheitsprocess  ursprünglich  gewesen  sei,  Hess  sich 
nach  dem  Brgebniss  der  Section  nicht  feststellen;  entztindliche  Yeränderungen'fanden 
sich  nicht  im  Inhalte  des  Kanals.  Walter  Berger. 


18)  On  a  oase  of  multiple  spinal  and  oer^ral  tnmouni  (saroomata)  with 
a  oontzUmtion  to  the  pathology  of  asrringomyelia,  by  Thomas  Harris. 
(Brain.  1886.  Januaiy.  p.  447 — 473.) 

Ein  38j&hriger  Mann  litt  schon  18  Monate  an  permanenten  Schmerzen  in  den 
ünterextremitäten,  mehr  in  den  linken  mit  beträchtlicher  Schwäche  der  letzteren. 
Bei  der  Aufnahme  fand  sich  starke  Atrophie  der  Strecker  des  linken  Oberschenkels 
mit  fast  völliger  Aufhebung  des  Kniephänomens.  Im  Verlauf  der  folgenden  Monate 
stellte. sich  auch  Schwäche  und  Abmagerung  des  rechten  Beins  ein  und  Unfähigkeit^ 
sich  aus  der  Bflckenlage  zu  erheben.  Am  linken  Oberschenkel  bestand  Entartungs- 
reaction,  ebenso  Andeutungen  derselben  an  der  Vorderseite  des  linken  Unterschenkels. 
Im  dritten  Monat  der  Beobachtung  entstand  ein  anästhetischer  Fleck  an  der  vor- 
deren und  äusseren  Seite  des  linken  Oberschenkels,  ein  zweiter  über  den  Bippen 
in  der  rechten  Mamillarlinie;  nach  weiteren  6  Wochen  An&sthesie  der  rechten  Unter- 
extremitäten  bis  zur  Höhe  des  Kabels.  Nicht  viel  später  trat  Anästhesie  der  rechten 
Stimgegend,  rechtsseitige  neuroparalytische  Keratitis,  dann  ein  Geschwür  der  anäs- 
thetischen Oberlippe  hinzu.  Schon  vorher  Urinverhaltnng,  dann  Bigidität  des  rechten 
Arms.    Decubitus. 

Bei  der  Autopsie  fand  sich  ein  Spindelzellensarcom,  welches  die  Oauda  equina 
betraf,  ein  zweites  in  der  Dorsalregion  des  BQckenmarks  in  der  Ausdehnung  von 
272  ^U;  ein  dritter  Tumor  ersetsste  die  rechte  Hälfte  der  Brücke  und  schloss  den 
rechten  Trigeminus  und  das  rechte  Ganglion  Gasseri  ein.  Eine  ausgebildete  Höhlen- 
bildung in  der  Cervicalanschwellung  ist  Verf.  geneigt  als  Erweiterung  des  Central- 
kanals  mit  Devertikelbildung  anzusprechen.  Auch  die  von  den  verschiedenen  Herden 
ausgehenden  secondären  Degenerationen  werden  gewürdigt.  E.  Bemak. 


Psychiatrie. 


10)  DeU'eta  dei  genitori  in  rapporto  alle  foxme  di  alienasdone  mentale, 
per  il  Dott.  B.  Gange r.    (ü  Manicomio.  1886.  n.  p.  86.) 

Auf  dem  Anthropologencoiigress  zu  Bom  (im  November- 1885)  hatte  Marro  die 
Behauptung  auflgestellt»  solche  Patienten,  die  an  Depresmonszuständen  erkrankten, 
seien  vorwiegend  von  Bltem  im  höheren  Alter  erzeugt,  wählend  maniakalische  Patienten 
meistens  von  jugendlicheren  Eltern  abstammten.  Ganger  hat  nun  bei  mögliehst 
vielen  Patienten  der  Anstalt  Nocera  das  Alter  der  beiden  Eltern  bei  der  Geburt 
des  später  psychisch  erkrankten  Kindes  festgestellt,  nämlich  bei  196  M.  und  161  Fr. 

Von  diesen  litten  an  einfachen  Seelenstörungen  mit  melanoholischer  Basis  31  M. 
und  24  Fr.,  und  an  solchen  mit  maniakalisdier  Basis  88  M.  und  82  Fr. 

Von  den  melancholischen  Männern  hatten  29  resp.  (bei  Melandiolia  Stupor.) 
26^21  ^Iq  jugendliche  Väter  im  Alter  von  20 — 80  Jahren  und  37  resp.  25  «31% 
jugendliche  Mfltter.  Bei  den  maniakaUsohen  Männern  (Mania  simples  resp.  Mania 
furiosa)  waren  aber  die  entsprechenden  Zahlen  40  resp.  36  «88^/0  jugendliche  Väter 
und  69  resp.  50  »64%  jugendliche  Mfttter.  Bei  den  Weibern  lauten  die  ent- 
sprechenden Zahlen 


—    538    — 

melancholische  Formen:  24  resp.  28»26®/o  jugendliche  V&ter 

41      „     28=34  0/^^  „  Mütter 

maniakaliflche  Formen:  37     ,/  32=35^/o  ,,  Yäter 

60     „    72=66%  „  Mfttter. 

Fasst  man  nun  Manner  nnd  Franen  znsammen,  so  ergeben  sich  ffir  Patienten 
mit  Melancholie  nur  26  ^/^  jugendliche  Väter  und  32  7o  jugendliche  Mfltter^  während 
sich  für  Patienten  mit  Manie  36  ^/^  jugendliche  Yäter  und  59  ^/^  jugendliche  Mütter 
berechnen. 

Verf.  kann  demnach  jene  Ai^be  Marro's  bestätigen;  er  glaubt  eine  Erklärung 
darin  zu  finden,  dass  nicht  nur  Krankheiten  und  Oharaktereigenthümlichkeiten,  son- 
dern auch  Tem|>eramente  erblich  übertragen  werden.  Jugendliche  Eltern,  die  ge- 
wöhnlich heiter  und  lebhaft  sind,  werden  dem  Kinde  die  maniakalische  „Frohnatur'' 
übertragen,  während  Eltern  in  den  höheren  Jahren  den  melancholischen  Ernst  des 
Lebens  vererben.  (?)  Sommer. 


20)  L'equAsione  personale  degli   epiletticit  pel  DoU.  TanzL    (Archivio  di 

psichiatr.,  scienze  pen.  etc.  1886.  YII.  p.  168.) 

Verf.  suchte  die  persönliche  Gleichung  für  Gehörseindrücke  bei  13  noch  nicht 
dementen  Epileptikern  zu  bestimmen  und  fand,  dass  (natürlich  in  einer  anfallsfreien 
Zeit)  die  Dauer  zwischen  der  Entstehung  des  Tones  und  der  Reaction  auf  denselben 
im  Mittel  von  je  40  Versuchen  bei  jedem  Individuum  0,207  Secunde  und  dass  die 
mittlere  Abweichung  der  einzelnen  Experimente  von  diesem  Durchschnittswerth 
0,023  Secunden  betrug.  Für  10  normale  Personen  fand  Lurie  mit  demselben 
Apparat  etc.  0,141  und  0,011  Secunden. 

(xelstig  noch  anscheinend  gesunde  Epileptiker  fassen  daher  Gehörseindrficke  im 
Allgemeinen  viel  langsamer  und  im  Einzelfall  mit  grösserer  Schwankung  der  Reac- 
tionszeit,  also  mit  geringerer  Auftnerksamkeit  etc.  auf,  als  normale  Personen.  Verf. 
glaubt  diese  Beobachtungen  gelegentlich  für  die  Diagnose  verwerthen  zu  können. 

Sommer. 

21)  Om  Vftgttabet  efter  det  epileptiske  Anfald,  af  Dr.  med.  Fr.  Hailager.  (Nord. 

med.  ark.  1886.  XVm.  1.  Nr.  2.) 

Verf.  stellte  seine  Untersuchungen  an  8  Pai  in  der  Irrenanstalt  zu  Yiborg  an; 
nur  bei  2  von  diesen  8  war  der  (Gewichtsverlust  nach  dem  epileptischen  Anfall 
unverkennbar,  bei  den  übrigen  konnte  nur  ausnahmsweise  Geirichtsverlust  nach  den 
Anfällen  constatirt  werden,  namentlich  war  er  dann,  wenn  mehrere  Anfalle  rasch 
hinter  einander  auftraten,  zu  gering,  um  nicht  auch  von  andern  zufälligen  Ursachen 
abhängig  sein  zu  können.  In  dem  ersten  der  beiden  genauer  untersuchten  und  mitge- 
theilten  Fälle  war  der  Gewichtsverlust  nicht  unbedingt  constant  nach  jedem  Anfiüle,  aber 
in  der  Begel  war  solcher  vorhanden  und  namentlich  bedeutMid,  wenn  mehrere  An£Ule 
rasch  auf  einander  folgten.  Parallel  mit  dem  Gewichtsverlust  ging  die  Hammenge  ohne 
Vermehrung  der  Wasseraufiiahme;  auch  Vermehrung  des  Gehaltes  an  Harnstoff  fand 
nach  jedem  Anfalle  statt  Vermehrte  Diurese  in  Folge  von  vermehrter  Zufuhr  von 
Getränken  war,  wie  Verf.  sich  durch  Versuche  überzeugte,  nicht  v(hi  vermehrter 
Hamstoffausscheidung  begleitet.  Ob  die  vermehrte  HamstoQ[»roduction  zu  den  Anfällen 
in  Beziehung  steht,  konnte  Verf.  nicht  ermitteln,  aber  xmtex  allen  Umständetn  kann 
der  Vermehrung  der  Hamstof^roduction,  selbst  wenn  sie  constant  ist,  nur  eine  unte^ 
geordnete  Bedeutung  bei  der  Erklärung  des  Gewichtsverlustes  nach  dem  epileptisch«! 
Anfall  zuerkannt  werden;  nach  Verf.  Untersuchung«!  hängt  vielmehr  an  Gewichts- 
verlust, wenn  er  nach  einem  epileptischen  Anfalle  vorkommt,  von  einer  Vermindenmg 
der  Wassermenge  des  Körpers  durch  vermehrte  Diurese  ab. 


-    539    - 

Bei  „psychischer  EpQepsie''  fand  Verf.  nur  einen  Gewichtsverlnst  nach  Nahnmgs- 
verweigerung.  Wenn  aber  bei  psychischer  Epilepsie  auch  constant  ein  Gewichtsver- 
lnst vorhanden  wäre,  so  würde  dies  doch  nicht  für  die  Aeqnivalenz  mit  dem  epilep- 
tischen Anfalle  sprechen«  wenn  nicht  der  Gewichtsverlnst  in  beiden  Fällen  anf  dieselbe 
Ursache  zurückzufahren  ist;  dies  ist  aber  nach  Verf.  Erfahrung  nicht  der  Fall,  son- 
dern bei  psychischer  Epilepsie  beruht  der  Gewichtsverlust  auf  allgemeiner  Abmagerung, 
wie  bei  andern  Geisteskrankheiten,  nicht  anf  der  vermehrten  Harnausscheidung  wie 
nach  dem  epileptischen  Anfalle.  Walter  Berger. 


22)  Kote  snr  un  oaa  d'inveraion  du  Bons  genital  aveo  öpilepsiey  par  Legrain. 
(Arch.  de  Neurologie.  1886.  XI.  p.  42.) 

Erblich  belasteter,  mit  Degenerationszeichen  behafteter  d5j&hF.  Mensch,  welcher 
mit  5  Jahren  erst  sprechen  und  gehen  lernte,  mit  schwach  entwickelter  Intelligenz. 
Derselbe  war  schon  in  der  frühen  Kindheit  der  Masturbation  ergeben  und  vergriff 
sich  auch  an  kleineren  Knaben.  Er  wurde  daher  aus  den  Schulen  entfernt  wegen 
des  schlechten  Beispiels  für  die  andern  Schulkinder.  Vom  12.  Jahre  an  war  sein 
Hauptvergnügen,  Puppen  zu  entkleiden  und  sie  nackt  zu  besehen  und  zu  peitschen, 
indem  er  dabei  err(ythete.  Er  betrachtete  sie  weder  als  weibliche  noch  als  m&nnliche 
Individuen,  doch  gewann  er  später  Abneigung  vor  den  Mädchen  und  Vorliebe  für 
junge  Männer.  Er  beschäftigte  sich  mit  weiblichen  Arbeiten.  Mit  16  Jahren  hatte 
er  den  ersten  epileptischen  Anfall,  mit  17  Jahren  kam  er  in  das  Asyl  Betel.  Die 
Anfälle  waren  später  häufig  und  waren  von  psychischer  Störung  gefolgt  Die  per- 
versen Sexualneigungen  gingen  bis  zur  Päderastie,  dabei  häufiges  Masturbiren.  Die 
Epilepsie  war  in  diesem  FaUe  ohne  besonderen  Causalnezns  mit  der  conträren  Sexual- 
empfindung, die  letztere  bestand  vielmehr  schon  flrüher.  —  Beides  waren  Symptome 
desselben  Grundleidens,  der  „Folie  h^rMitaire''.  Siemens. 


23)  Fapülenreaotion  imd  ophthalmoakopiBohe  Beftmde  bei  geisteakraiikeii 
Frauen,  von  Dr.  Siemerling.    (Charit^Annalen.  1886.  XI.) 

Verf.  fand  bei  63  unter  105  paralytischen  Frauen  und  nur  bei  16  unter  808 
nicht-paralytischen,  geisteskranken  Frauen  Lichtstarre  (einseitige  oder  doppel- 
seitige). Auch  für  6  FäUe  von  Lichtstarre  bei  functionellen  Psychosen  vermuthet 
Verf.  voraufgegangene  Himlues  oder  Alcoholmissbrauch.  Deutliche  Papillartrübung 
fand  sich  nur  bei  8  7o  ^^^  weiblichen  Paralysen.  Oft  ausgesprochene  temporale  Ab- 
blassung der  Papille  in  Folge  von  Alcoholismus  ohne  aufiEällige  Sehstörung.  2  Tabellen 
geben  genaue  üebersicht.  Th.  Ziehen. 


Forensische  Psychiatrie. 

24)  TTeber  Gteistesstörong  als  Ehesoheidungsgrund  vom  juristisch-pByobia- 
trisohen  Standpunkte,  von  Dr.  juris  A.  Christoph.  (Allg.  Zeitschr.  f. 
Psych.  Bd.  XUI.  H.  6.) 

Der  Yerf.  giebt  zunächst  eine  historische  Einleitung,  in  welcher  er  die  Ent- 
wicketang des  Bechtes  über  die  Ehescheidung  darlegt  und  die  bei  den  einzelnen 
Völkern  und  Staaten  gültigen  Gesetze  erörtert  Die  Gesetzgebung  Deutschlands 
zeichnet  sich  heute  noch  durch  eine  verwirrende  Mannigfaltigkeit  der  Bestimmungen 
in  den  einzelnen  Bechtsbezirken  aus,  hier  wird  das  zu  erwartende  allgemeine  bürger- 
liche Gesetzbuch  hoffentlich  bald  Wandel  schaffen. 


—    540    — 

Die  Cardinalfrage:  Soll  Geistesknuikheit  als  EhMChefdimgBgnmd  angmommen 
werden?  bejabt  Yerf.  von  seinem  Standpnnl:te  ans  nnd  giebt  eine  MoüTirong  semcs 
Votoms,  welches  sieb  anf  eine  grfindliche,  sowobl  jnristiscbe,  als  psycbiatrisebe 
Literatorkenntmss  stützt,  wenn  ancb  nene  G^esiditspimlcte  nicbt  vorgebraebt  werden. 

Siemens. 

Therapie. 

26)  Om  Underbinding  af  Art.  vertebzalis  som  Middel  mod  BpUepai,  af 

Dr.  Fr.  Hallager.    (Hosp.-Tid.  1886.  3.  B.  lY.  28.) 

Der  26j&hrige  Mann,  der  am  16.  M&n  1878  in  der  Iirenanstalt  nm  Viborg 
aufgenommen  wnrde,  nnd  seit  dem  Alter  Ton  19  Jabt^n  an  epileptischen  Anfilien 
litty  hatte  stark  onaiDtirt,  ein  anderes  ätialogisohes  Moment  liess  sich  nicht  nadiweiseD. 
Die  Anfälle  nahmen  an  Häufigkeit  und  St&rke  zu  und  traten  schliesslich  mit  Inter- 
vallen Yon  6  Tagen  bis  zu  6  an  einem  Tage  auf.  Audn  in  der  Nacht  traten  An- 
föUe  auf.  Oft  trat  1 — 2  Tage  nach  dem  Anfalle,  namentlich  wenn  mehrere  unmittelbar 
nach  einander  aufgetreten  waren,  Verwirrtheit  mit  ELallucinationen  und  Erregung  auf. 
Mitunter  war  der  Kranke  ruhig,  aber  wie  in  somnambulen  Zustande,  ohne  stärkere 
Congestionen»  mit  einer  Pulsfrequenz  von  90. — 110;  manchmal  hatte  er  heftige  Con- 
gestionen,  die  Pubfireqnenz  stieg  bis  zu  140,  die  Pupillen  waren  extrem  erweiteri; 
dabei  war  er  ui^berdig  und  lärmend,  aber  selten  aggresiv.  Die  HallucinationeD 
waren  oft  schreckhafter  Natur.  Wahrend  des  poetepUeptischen  Anfalls  bestand 
Nahrungsverweigerung,  so  dass  Ernährung  mit  der  Sohlundsonde  nöihig  war.  Der 
Uebergang  zu  dem  gewöhnlichen  ruhigen  Zustand  geschah  gewöhnlich  durch  einen 
tiefen  Schlaf.  Die  Pupillen  waren  während  der  postepil^tischan  Ani&Ue  immer 
erweitert  gewesen.  Im  Mai  1879  wurde  zum  ersten  Male  bemerkt,  daas  die  linke 
PupiUe  naoh  dem  epileptischen  Anfalle  weiter  war,  als  die  rechte,  von  Anfang  1882 
war  dieser  Unterschied  constant^  auch  wenn  kein  epileptiBcher  Anfall  kurz  Torber 
stattgefunden  hatte. 

Am  3.  October  1883  wurde  die  linke  Art  yertebralis  unterbunden,  dicht  vor 
deren  ISntritt  in  den  Vertebralkanal.  Unmittelbar  nach  Aidegmig  der  Ligatur  traten 
starke  tonische  Krämpfe  anf,  namentüoh  in  der  rechten  K6rperiiälfte,  das  Gemdit 
zeigte  cyanotische  Färbung.  Am  Tage  nach  der  Operation  bestand  der  gewöhnliche 
postepileptische  Anfall,  die  rechte  Pupille  War  stark  erweitert,  die  linke  etwas  weniger, 
die  Differenz  war  auch  bei  Einwirkung  von  Licht  vorhanden.  Am  10.  Oct  hatte 
der  Kranke  4  ErampfanfSlle,  die  ganz  so  verliefen  wie  frtlher,  auch  der  postepilep- 
tische Anfall  war  unverändert  Am  15.  Oct  traten  wieder  2  Anfälle  auf  und  am 
16.  erschien  die  postepileptische  Unruhe. 

Am  15.  Nov.  wurde  die  rechte  Art  vertebralis  unterbunden.  Nach  der  Ope- 
ration war  die  Pulsfrequenz  auf  52  gesunken,  die  Pupillen  waren  gleichweit  Nach- 
dem der  Kranke  zu  Bett  gebracht  war,  trat  ein  E[rampfiuifiül  auf,  der  aber  nicht 
über  das  tonische  Stadium  hinaus  kam;  nach  dem  Anfall  war  die  Pulsfrequenz  ant 
90  gestiegen,  fiel  aber  wieder  auf  60,  die  Pupillen  waren  gleichweit»  nicht  besonders 
dilatirt  Der  Kranke  bekam  in  der  Folge  wieder  Krampfznfälle,  ab  und  zu  mit 
postepileptischen  Anfällen,  die  sich  aber  weniger  scharf  gegen  den  stumpfen,  ver- 
wirrten Zustand  als  Hintergrund  abhoben.  Im  Dec.  war  die  linke  Pupille  nach  den 
Anfällen  bedeutend  weiter  als  die  rechte.  Die  Anfälle  waren  nicht  sehr  stark, 
nahmen  aber  Anfimg  1884  wieder  an  Stärke  zu.  Die  rechte  PupiUe  blieb  eugw 
als  die  linke.  Tom  8.  April  an  wurde  Bromkalium  gegeben  (5  Gramm  pro  die) 
und  im  Laufe  des  Jahres  trat  nur  noch  ein  Anfall  am  26.  Mai  auf.  Anch  der 
Hbrige  Zustand  besserte  sich. 

Vom  1.  Jan.  1885  an  wurden  nur  noch  4  Gramm  Bromkaüum  tSgliidi  gegeben. 
Am  5.  frOh  trat  ein  ziemlich  starker  Anfidl  anf,   der  sich  Nachmittags  wiederholte 


—     541     — 

und  am  6.  noch  zweimal.  Am  7.  Abends  begann*  der  postepileptische  Anfall  mit 
Verwirrung,  Unruhe  und  Uallucinationen;  die  linke  Pupille  war  dabei  weiter  als  die 
rechte,  abcör  am  11.  Jan.,  als  nach  einem  Anfalle  die  Pupillen  sehr  stark  erweitert 
waren,  erschienen  sie  gleich  gross,  am  nächsten  Tage,  als  die  Dilatation  weniger 
stark  war,  war  die  linke  wieder  grosser.  Trotz  Vermehrung  der  Gabe  des  Brom- 
kalinm  bis  zu  10  Gramm  taglich  hOrten  die  Anfälle  doch  nicht  auf  und  die  Stumpf- 
heit und  die  Verwirrung  nahmen  zu.  Am  9.  Mai  wurde  der  Kranke  todt  im  Bette 
gefunden,  das  Gesicht  in  das  Kopfkissen  gedrückt,  nachdem  kurz  vorher  nichts  Be- 
sonderes an  ihm  bemerkt  worden  war. 

Bei  der  Section,  die  sich  auf  den  Schädelinhalt  beschränken  musste,  fanden  sich 
im  Gehirn  nur  Zeichen  von  Erstickungstod.  Die  Wandungen  der  Artt.  vertebrales, 
namentlich  der  linken,  erschienen  dicht  am  Eintritt  in  die  SchädelhGhle  etwas  ver- 
dickt, sonst  zeigten  die  Gefässe  an  der  Basis  nichts  Abnormes. 

Nach  dem  vorliegenden  Falle  zu  urtheilen,  dürfte  die  Unterbindung  der  Art. 
vertebrales  nicht  ganz  ohne  Bedeutung  für  die  Bekämpfung  der  Anfälle  sein,  ihre 
Wirkung  scheint  aber  nur  vorübergehend  zu  sein.  Nach  der  Unterbindung  wurde 
durch  Bromkalinm  der  Erfolg  erzielt,  dass  der  Kranke  7  Monate  firei  von  Anfällen 
blieb.  Dass  die  Anfälle  noch  weiter  ausbleiben  konnten,  wenn  die  Dosis  nicht  ver- 
mindert worden  wäre,  ist  möglich,  doch  deutet  der  Umstand,  dass  später  grössere 
Gaben  ohne  Wirkung  blieben,  darauf  hin,  dass  dem  Bromkalium  nun  „ein  Bundes- 
genosse fehlte,  mit  dessen  Hülfe  es  7  Monate  lang  die  Anfälle  hatte  unterdi-ücken 
können''.  Nach  H.  lässt  sich  annehmen,  dass  die  lange  Pause  in  den  Anfällen 
ausser  durch  das  Bromkalium  noch  durch  eine  Veränderung  bedingt  wurde,  die  Folge 
der  Operation  war;  dafür  spricht  das  Verhalten  der  Pupillen  nach  den  Operationen; 
der  Umstand,  der  auf  die  vasomotorischen  Verhältnisse  einen  Einfluss  ausübte,  konnte 
Huch  auf  die  Anfälle  einwirken;  diese  Annahme  gewinnt  dadurch  an  Wahrscheinlich- 
keit, dass  das  Verhalten  der  Pupillen  wieder  wie  vor  den  Operationen  war,  ahs  die 
Anfalle  wieder  begannen.  Von  einer  Wirkung  der  Operation  durch  psychischen  Ein- 
druck kann  im  vorliegenden  Falle  nicht  die  Rede  sein.  Walter  Berger. 


26)  Du  traätement  des  phinomönes  douloiireiiz  de  ratazie  looomotrioe 
progressive  par  pulvärlsations  d'6ther  et  de  ohlorure  de  mithyle, 
par  A.  G.  Raison.    Paris  1886.    (42  Seiten.) 

Verf.  rühmt  auf  Grund  von  11  angefClhrten  Beobachtungen  die  Erfolge  der 
Kefrigerationsmethode  bei  der  Behandlung  tabischer  Schmerzen  incl.  Krisen.  Er  giebt 
dem  Aether  den  Vorzug  vor  dem  Methylchlorürgas,  der  localen  AppUcation  am  Locus 
dolens  den  vor  der  vertebralen.  Bei  methodischer  Behandlung  auch  allgemeinere, 
dauerndere  Erfolge.  Methylchlorür  wirkt  zwar  sehr  rasch,  ist  jedoch  weniger  hand- 
lich und  macht  leicht  oberflächliche  Nekrosen.  TL  Ziehen. 


27)  L'uzetano  nei  paosi,  per  il  dott.  C.  Sighicelli.    (Archiv,  ital.  per  le  mal. 
nerv.  1886.  XXUL  p.  389.) 

Verf.  hat  das  Urethan  als  Schlafmittel  bei  zahlreichen  Geisteskranken  versucht 
und  kommt  zu  nicht  gerade  günstigen  Resultaten.  Er  fand  die  Wh-ksamkeit  dep 
vielfach  (von  Jacksch,  Jelly,  Kräpelin,  Otto  und  König,  Sticker  etc.)  em« 
pfohlenen  Mittels  nur  bei  maniakalischen  Erregungszuständen  beMedigend:  hier  Hess 
es  ihn  nur  bei  einem  von  11  verschiedenen  Patienten  im  Stich.  Ungünstiger  waren 
die  Erfahrungen  bei  Melancholie  und  ganz  besonders  bei  Dementia  senilis  und  Para- 
lyse.   Unangenehme  Nachwirkungen  hat  er  übrigens  nicht  gesehen:  ohne  Bedenken 


—    542    — 

kanA   di#  (im  AUgenieinen   wirksamste)   Dosis   von  3  Gramm  fibeFBcbritten  werden. 
Sein  Präparat  stammte  von  Merck. 

Ref.  hat  —  beiläufig  bemerkt  —  ebenfalls  keine  hervorragenden  Erfolge  bisher 
vom  ürethan  gesehen.  Sommer. 

Anstaltswesen. 

28)  Des  iSpileptiques  simples  en  gdniral  et  de  leur  hospitalisation  dans 
le  Departement  de  rAllier,  par  Lapointe.  (Annales  med.-psych.  18H6. 
Mal  p.  400.) 

Das  Departement  Allier  beabsichtigt  die  Epileptiker  seines  Bezirks,  soweit  die- 
selben der  öffentlichen  Fürsorge  bedürfen,  in  Anstalten  unterzubringen.  Die  Zahl 
der  Epileptiker  scheint  dort  eine  sehr  grosse  zu  sein;  denn  im  Ganzen  wurden 
11,69  auf  10000  Einwohner  festgestellt. 

Die  Studie  des  Verf.  zeigt  nun  die  ausserordentlichen  Schwierigkeiten  dieses 
Unternehmens,  dem  sich  in  Frankreich  noch  die  Bestimmungen  des  Iirengesetiea  vom 
30.  Juni  1838,  bezüglich  einer  Unterbringung  einfach  Epileptischer  in  Irrenanstalten 
entgegenstellen. 

Die  Schwierigkeit  liegt  vorwiegend  auf  demselben  Gebiete,  welches  es  uns  in 
Deutschland  so  schwer  macht,  in  fruchtbarer  Weise  Trinkerasyle  zu  gründen,  da  kein 
Mittel  zur  Hand  ist,  um  die  Hülfsbedürftigen  zu  einer  Fortsetzung  ihrer  Knr  zu 
zwingen.  Trotz  jener  Bestimmung  des  Irrengesetzes  und  einer  sehr  pradsen  Ab- 
lehnung der  Erlaubniss,  Epileptische  in  Irrenanstalten  unterzubringen,  seitens  des 
Frafecten  von  Marseille  sind,  wie  aus  dem  Aufsatz  ersichtlich  wird,  doch  eine  Menge 
Epileptiker  in  öffentlichen  Irrenanstalten  untergebracht.  Man  hat  sich,  um  die  Auf- 
nahmen möglich  zu  machen,  mit  der  Hervorhebung  der  jedem  Anfall  mehr  oder 
weniger  anklebenden  geistigen  Trübung  zu  helfen  gewusst,  um,  wie  sich  Legrand 
du  Saulle  in  Bezug  auf  den  gleichen  Gegenstand  ausgedrückt  hat^  dem  Epileptiker 
die  „Livr^  des  däires"  überzuwerfen. 

Verf.  geht  von  dem  Gesichtspunkt  aus,  dass,  wenn  man  den  Epileptikern,  welche 
ihres  abschreckenden  Leidens  wegen  von  der  Gesellschaft  gemieden  und  Verstössen 
sind,  ernstlich  helfen  wUl,  dies  nur  durch  Hospitalisation  geschehen  kann;  zumal 
erübrige  nichts  Anderes  für  die  mittel-  und  hülflosen  Epileptiker. 

Der  Plan  zur  Ausführung  der  Hospitalisation  wird  im  Allier  noch  durch  Legat 
einer  hochherzigen  Frau  unterstützt»  welche  ihrerseits  aber  die  Separatbehandlune 
der  Epileptiker  bestinmit  hat  L.  denkt  nun  durch  Anschluss  von  gesonderten,  der 
speciellen  Pflege  der  Epileptiker  gewidmeten  Abtheilungen  an  das  Bezirksa.sjl 
(Moulins)  den  Schwierigkeiten  begegnen  zu  können  und  die  Kosten  der  beabsichtigten 
50 — 60  Betten  dadurch  zu  decken,  dass  man  neben  den  armen  Epileptikern  auch 
zahlende  vermögende,  oder  anderen  Departements  angehörige  Kranke  zu  entsprechend 
bemessenen  Sätzen  aufnehme.  J  e  h  n. 


IIL   Aus  den  Gesellschaften. 

Gesellschaft  für  Psychiatrie  und  Nervenkrankheiten  in  Berlin.     Sitzung 
vom  9.  November  1886. 

Vor  der  Tagesordnung  stellt  Herr  Mendel  einen  Patienten  vor,  den  er  noch 
nicht  in  allen  Detaila  untersuchen  konnte,  da  er  eben  erst  in  seine  Behandlung  ge- 
kommen, um  an  diesem  Kranken  das  Zusammenvorkommen  3  verschiedener  Sehnen- 
Phänomene  zn  demonstriren,  nämlich  den  Verlust  beider  Patellarreflexe  (vielleicht 


—    543    — 

ist  auf  der  rechten  Seite  eine  schwache  Gontraction  noch  im  Yastos  extemus  vorhanden), 
beiderseitigen  Fassclonns  und  paradoxe  Gontraction  {Westphai)  am 
linken  Fnss. 

Patient  ist  40  Jahr  alt,  Tischler,  nicht  syphilitiBch  gewesen,  and  erkrankte  im 
December  1877  mit  Schmerzen  im  linken  Htitbein,  die  mehr  und  mehr  zunahmen, 
später  aber  wieder  nachliessen,  um  verstärkt  nach  einigen  Jahren^  zurückzukehren 
und  sich  über  das  ganze  linke  Bein  zu  erstrecken,  später  auch  im  rechten  Bein  auf- 
zutreten, und  neuerdings  sich  auch  in  der  rechten  Schulter  zu  zeigen.  Allmählich 
trat  auch,  während  die  obem  Extremitäten  kräftig  blieben,  Schwäche  in  den  unteren, 
besonders  im  linken  Bein,  auf. 

Die  Untersuchung  ergiebt:  Linke  Pupille  weiter  als  rechte,  linke  Gesichtshälfte 
schlaffer  als  rechte;  die  gerade  herausgestreckte  Zunge  ein  wenig  zitternd.  Grobe 
Kraft  der  oberen  Extremitäten  nicht  gestört,  die  der  unteren  sehr  erheblich  herab- 
gesetzt, besonders  die  des  linken  Beins,  an  den  unteren  Extremitäten  deutliche 
Störungen  der  Sensibilität,  auch  des  Muskelgefühls;  erhebliche  Atrophie  der  Muskeln 
des  linken  Oberschenkels,  auch  der  linken  Wade,  weniger  ausgesprochen  rechts. 
Blasenrefiex  ein  wenig  gestört,  Potenz  abgenommen.  Keine  Gürtelschmerzen  etc.  Das 
Verhalten  der  Sehnenreflexe  ist  oben  erwähnt 

Die  elektrische  Untersuchung  konnte  noch  nicht  gemacht  werden. 

M.  denkt  an  multiple  Sclerose,  bei  der  ein  Herd  sich  in  der  im  Gruralis  ver- 
laufenden Beflexbahn  des  Quadriceps  befindet,  da  das  Kniephänomen  vernichtet,  ein 
anderer  in  den  Seitensträngen  des  Bückenmarks  sich  befindet,  unterhalb  des  ersteren, 
in  der  Bahn  des  Ischiadicus,  und  so  auf  das  Fussphänomen  erregend  gewirkt  wird, 
d.  h.  Fussdonus  entsteht 

Herr  Bemak  hat  den  von  M.  vorgestellten  Kranken  vor  Monaten  einmal  unter-  ^ 
sucht  und  ebenfalls  Verlust  des  Kniephänomens  beiderseits  bei  doppelseitiger  spasti- 
scher Parese  der  Unterschenkel  mit  Fussphänomen  constatirt.  Er  hat  aber  ein 
grösseres  Gewicht  auf  die  im  linken  Bein  bestehende  hochgradige  Parese  des  Ileo- 
psoasus  und  der  Strecker  des  Kniegelenks  um  so  mehr  gelegt,  als  eine  Herabsetzung 
der  Erregbarkeit  des  linken  N.  cruralis  und  Andeutungen  von  EaB  im  abgemagerten 
Rxtensor  quadriceps  gefunden  wurden.  Besonders  bemerkenswerth  war  der  Ausfall 
des  linken  M.  tibialis  anticus  bei  faradischer  Beizung  des  linken  N.  peroneus.  Dieser 
Muskel  contrahirt  sich  auch  jetzt  refiectorisch  nicht  und  betheiligt  sich  nicht  an  der 
Dorsalflexion  des  paradoxen  Phänomens.  Da  auch  sonst  die  Oombination  atrophischer 
Lähmung  des  Oruralisgebietes  mit  isolirter  Lähmung  des  M.  tibialis  anticus  bei  polio- 
myelitischen Lähmungen  beobachtet  worden  sei,  so  hat  Herr  B.  wenigstens  für  das 
linke  Bein  den  Verlust  des  Kniephänomens  von  einer  Erkrankung  der  Kemregion  im 
oberen  Theil  der  Lendenanschwellung  abhängig  gemacht  und  in  diesem  Falle  eine 
schon  früher  von  ihm  gemachte  Annahme  verwirklicht  gesehen,  dass  bei  Querschnitts- 
erkrankung des  oberen  Theiles  des  Lendentheiles  amyotrophische  Lähmung  der  Ober- 
schenkel mit  spastischer  des  Unterschenkels  einhergehen  kann.  Die  Sensibilitäts- 
störungen deuten  nun  allerdings  darauf  hin,  dass  man  mit  dieser  Erklärung  des 
Falles  nicht  auskommt 

Herr  Bernhardt  glaubt,  dass  das  Auftreten  der  paradoxen  Gontraction  mit 
der  Znsammenziehung  des  Tibialis  anticus  gegen  die  Bemak*sche  Auffassung  spreche. 

Herr  Mendel  macht  gegen  die  Bemak^sche  Auffassung  einmal  die  nachgewiesenen 
Sensibilitätsstörungen,  andererseits  auch  die  Betheilignng  der  Himnerven  geltend. 

Herr  Oppenheim  hat  wiederholt  das  WestphaPsche  Zeichen  neben  Myoclonus 
gesehen.  So  in  einem  Falle  von  spastischer  Spinalpüalyse,  wo  sich  die  Erscheinungen 
unter  seinen  Augen  ausbildeten;  femer  in  einem  Falle  von  Wirbelverletzung,  wo  eine 
scharfe  Knickung  der  Wirbelsäule  zwischen  letztem  Dorsal-  und  ersten  Lendenwirbel 
bestand.  —  Die  paradoxe  Zuckung  ausserdem  noch  dabei  hat  er  allerdii^s  noch 
nicht  gesehen. 


544 

Herr  Mendel  hat  eben  dieses  dreifache  ZusammenTorkommen  hente 
demonstriren  wollen. 

Der  darauf  folgende  Vortrag  des  Herrn  Siemerling  ist  als  Originalmittheilnng 
oben  abgedruckt. 

IV.  Personalien. 

Herr  Dr.  F.  Schuchardt,  Docent  f&r  Psychiatrie  und  Arzt  an  der  Provinzial- 
Irrenanstalt  in  Bonn,  ist  zum  Director  der  Mecklenburgischen  Heilanstalt  Sachsenberg 
bei  Schwerin  emai^t 


y.  Vermisohtes. 

In  einer  Sitzung  der  Medieo^shimigical  Sodety  zu  Glasgow  kamen  kfirslich  die  imao- 
genehmen  und  selbet  schädlichen  Fol^MRistande  zur  Besprechung,  die  doreh  sehr  intensiTe 
und  hohe  Töne,  speciell  durch  das  Pfeifen  der  LocomotiYen,  bei  reizbaren  Individuen  herror- 
gerufen  werden  können.  Barr  klagte  besonders  die  Höhe  des  Tones,  das  nlötzliche,  uner- 
wartete Einsetzen  desselben,  die  Häufigkeit  und  die  verhältnissmässige  Nane,  aus  der  die 
Töne  der  Pfeife  auf  Bahnhöfen  in  das  Ohr  des  Publikums  dringen,  als  schädlich  an.  Wenn 
auch  seine  physiologischen  ErklärungSTersuche  über  die  Schädlichkeit  derartiger  Töne  maoeben 
Widerspruch  heryorriefen ,  so  fanden  seine  Beschwerden  und  die  Forderungen  zu  ihrär  Ab- 
hülfe: tiefere  Stimmung,  Variation  in  der  Höhe  und  Intensität  während  des  Pfeifens,  tot- 
bereitende  AvertisBements-Signale  und  natürlich  möglichste  Einschränkung  im  Gebrauch  der 
Pfeife,  idlgemeine  Unterstützung.    (The  Glasgow  Medical  Journal.  1886.  p.  126.) 

In  ßeuBsen  sind,  soweit  dem  Kef.  bekannt,  schon  vor  mehreren  Jahren  derartige  Klagen 
erhoben  und  von  Seiten  der  Behörden  durch  entsprechende  Anweisungen  an  die  Asdunen- 
führer  etc.  erledigt  worden,  üebrigens  scheinen  die  Töne  der  DampÜBchiffpfdfen  durch- 
gängig weniger  einschneidend  zu  sein,  und  die  letzteren  dürften  sich  daher  yielleicht  zur 
allgemeinen  Einführung  auch  auf  Locomotiven  empfehlen.  Sommer. 


Als  im  Sommer  1885  die  Cholera  in  Sieilien  wüthete,  zeigte  sich  in  einem  norditalieni- 
sehen  Gebiigsthal  den  erschreckten  Bewohnern  angeblich  die  Jungfrau  Maria  in  schwarsem, 
blutbeflecktem  Gewände,  Thränen  vergiessend  und  Unheil  verkündend.  Im  Anschhiss  so 
die  allgemeine  Erregung  glaubten  dann  immer  mehr  Personen  die  Madonna  zu  sehen,  und 
bald  gesellten  sich  zu  den  Halludnationen  noch  andere  patholo^sohe  Symptome,  wie  con- 
vulsive  Anfälle  und  ekstatische  Zustände  zahlreicher  junger  und  bejahrter  Personen.  Tanaend« 
vereinigten  sich  zu  glühenden  Hymnen,  Freudenfeuer  flammten  zum  Himmel,  da  die  Seuche 
nicht  weiter  zu  dringen  schien,  und  Hunger,  Wachen  und  Beten  verwirrten  immer  mehr 
Oemüther,  bis  endlich  die  Behörden  auf  die  möglichen  Gefahren  dieser  „Epidemie"  auf- 
merksam wurden  und  energisch  einschritten.  Militär  besetzte  die  heiligen  Orte  und  etwa 
150  Personen,  die  in  ihrer  religiösen  Erregung  noch  Widerstand  leisten  wollten  und  die  skb 
immer  von  neuem  an  der  Stätte  ihrer  Visionen  zu  venammeln  versuchten,  wurden  verhaftet 
Gleich  darauf  waren  die  übrigen  Einwohner  beruhigt;  man  hörte  nichts  mehr  von  über- 
irdischen Erscheinungen  ^  und  die  armen  Verurtheüten  werden  jetzt  der  Gnade  des  Souveräne 
empfohlen.    (Arehiv.  italian.  per  le  mal.  nervöse  ecc.  1886.  XIII.  p.  289.)      Sommer. 


Piscidia  erythrina,  im  Handel  auch  unter  dem  Namen  Jamaiea  dogwood  bekannt, 
wird  in  neuester  Zeit  dringend  als  Anodynum  und  Hypnoticum  empfohlen;  es  soll  alle  Vor- 
züge des  Opiums  und  keinen  seiner  Nachtheile  besitzen.  Besonaers  gerühmt  wird  es  bet 
Neuralgien  und  bei  Delirium  tremens.  Die  Dosis  wird  auf  Vs  bis  1  Drachme  (IfS— 3,7)  dei 
Fluideztract  angegeben.    (The  Praddtioner.  1886.  p.  207.)  Sommer. 

Um  Einsendung  von  Separatabdrücken  an  den  Herausgeber  wird  gebeten* 


Einsendungen  für  die  Bedaction  sind  zu  richten  an  Prot  Dr.  E.Mendel, 

Berlin,  NW.  Kronprinzen-Ufer  7. 


Verlag  von  Vbit  &  Comp,  in  Leipzig.  —  Druck  von  Mbtzorb  &  Wimo  in  Leipzig. 


Neurologisches  Centralblah. 

Uebersicht  der  Leistungen  auf  dem  Gebiete  der  Anatomie,  Physiologie,  Pathologie 
und  Therapie  des  Nervensystemes  einschliesslich  der  6elstesl(ranl(heiten. 

Herausgegeben  von 

Professor  Dr.  E.  Mendel 
Fünfter  ^  ^^^  Jahrgang. 

_  "       —  ^^^"^^  '  ■  -         I  I  II  ----■--!  *       -  ™    ■     ■      ■  ^ 

Monatlich  erscheinen  zwei  Nummern.   Preis  des  Jahrganges  16  Mark.   Zu  beziehen  durch 
alle  Buchhandlungen  des  In-  und  Auslandes,  die  Postanstalten  des  Deutschen  Reichs,  sowie 

direct  von  der  Verlagsbuchhandlung. 


1886.  1.  December.  M  23. 


Inhalt.  I.  Origintlmittheiliingen.  1.  Zur  Lehre  vom  centralen  Yerlaof  der  Sinnesnerven, 
von  Prof.  Paul  Flechsig.  2.  Ein  Fall  von  progressiver  Paralyse  complicirt  mit  amyotrophischcr 
Lateralsderose,  von  Dr.  Zacher.  8.  Zum  Zusammenhang  zwischen  allgemeiner  Paralyse  und 
Syphilis.    Casuistischer  Beitrag  von  Sommer. 

II.  Referate.  Anatomie.  1.  Sülle  degenerazioni  consecutive  all'estirpazione  totale  e 
parziale  del  cerveletto,  pei  Marchl.  —  Experimentelle  Physiologie.  2.  Ueber  das  Ath- 
mungscentrum,  von  Misslawsky.  3.  Einfluss  des  Nervensystems  auf  die  thierische  Temperatur, 
von  Mosso.  —  Pathologische  Anatomie.  4.  Zur  Pathologie  der  postfebrilen  Dementia 
nebst  Bemerkungen  über  die  Nervenfasern  der  Grosshimrinde,  von  Emminghaus.  —  Patho- 
logie des  Nervensystems.  5.  Zur  Lehre  von  den  Localisationen  im  Grosshim,  von  BuffaL 
6.  Zur  Lehre  von  den  Localisationen  im  Gehirn,  von  Panormow.  7.  Contribation  a  l'^tude 
de  rh^mianopsie  d'origine  centrale,  par  S^guln.  8.  Lesion  of  both  temporal  lobes  without 
word-deafnoss  or  deafness,  by  Gray.  9.  Ein  Beitrag  zur  Kenntniss  der  stellvertretenden 
Thätigkeit  des  rechten  Gehirns  bei  Ausfall  des  linken  Sprachcentrums,  von  Kauders.  10.  Con- 
tributo  alla  diagnosi  di  sade  delle  midattie  del  ponte  di  Varolio,  pel  Tassi.  11.  Absces  tuber- 
coleux  et  tubercules  crus  multiples  du  pont  de  Varole,  par  d'Espine.  12.  Ein  Fall  amyo- 
trophischer Sclerose,  von  Koshewnikow.  —  Psvchiatrie.  13.  Ueber  motorische  Symptome 
bei  einfachen  Psvchosen,  von  Freusberg.  14.  On  convulsive  tic  with  explosive  disturbances 
cif  speech,  so-caUed  Gilles  de  la  Tourette's  disease,  by  Dana  and  Wllkin.  —  Therapie. 
15.  üeber  die  Behandlung  der  Dipsomanie  mit  Strychnin,  von  TolwinsM.  —  Anstalts- 
wesen.   16.  Ueber  schottische,  englische  und  französische  Irrenanstalten,  von  Siemerling. 

III.  Aus  den  Gesallscbaften. 


I.  Originalmittlieilungeii, 


1.    Zur  Lehre  vom  centralen  Verlauf  der  Sinnesnerven. 

Von  Prof.  Paul  Fleohsig. 

In  der  am  15.  März  1885  ausgegebenen  Nummer  dieses  Blattes  findet  sieh 
Seite  122  Anmerkung  folgender  Satz:  „Das  Corpus  trapezoideum  geht  im  Wesent- 
lichen hervor  aus  dem  vorderen  Acusticuskem  und  stellt  eine  centrale  Bahn 
des  Acusticus  bez.  VIII.  Hirnnerven  dar  (Flechsig)."  Diese  Thatsache  war  mir 
seit  langem  bekannt;   eine  Notiz   darüber   findet  sich  bereits  in  meinen  1876 


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erschienenen  ,^itangsbahnen  etc.^  S.  121.  Andererseits  hatte  ich  gefunden, 
daas  die  laterale  Schleife  aus  dem  unteren  Vierhugel  nach  abwärts  nur  bis  ssur 
oberen  Olive  und  dem  Corpus  trapezoideum  zu  verfolgen  ist,  wie  dies  auf  meinem 
Plan  des  menschlichen  Gehirns  (1883)  dargestellt  ist»  wo  ich  die  laterale  Schleife 
in  der  Gegend  des  Acusticuseintritts  enden,  bez.  beginnen  lasse.  Obwohl  ich 
nun  bereits  seit  Jahren  in  meinen  Vorlesungen  aber  die  Anatomie  des  Gehirns 
es  als  sehr  wahrscheinlich  bezeichnet  hatte,  dass  der  untere  Vierhugel  mit  dem 
Acusticus  zusammenhängt,  so  hielt  mich  doch  einestheils  der  Umstand,  dass 
nach  Angabe  sonst  zuverlässiger  klinischer  Beobachter  totale  Zerstörung  der 
hinteren  Vierhügel  ohne  Störungen  des  Gehörs  bestehen  kann,  andemth^  der 
Mangel  entschieden  beweisender  anatomischer  Befunde  ab,  den  Zusammen- 
hang vom  unteren  VierhOgel  und  Acusticus  mit  aller  Bestimmüieit  zu  behaupten. 
Um  Gewissheit  zu  erlangen,  veranlasste  ich  Herrn  Bechterew,  an  menschlichen 
Föten,  also  mittelst  der  „entwickelungsgeschichüichen  Methode'^  dieser  Frage 
näher  zu  treten.  Es  ergab  sich  hierbei  dann  auch  alsbald,  dass  diese  Methode 
in  durchaus  unzweideutiger  Weise  die  Lösung  der  Aufgabe  ermöglicht.  Herr 
Bechtebew  fand  zunächst,  was  mir  bis  dahin  unbekannt  war,  dass  der  Nervus 
vestibularis  sich  beträchtlich  früher  mit  Mark  umhüllt,  als  der  Nervus  cochlearis. 
Ein  Theil  des  Acusticus  ist  (bei  20 — 25  cm  langem  Fötus)  bereits  markwei^s, 
färbt  sich  in  Ueberosmiumsäure,  bei  WEiasBT'scher  Hämatoxylinbehandlung  etc. 
schwarz,  während  ein  zweiter  Theil  noch  keine  Spur  von  Markscheiden  erkennen 
lässt  Es  gelingt  nun  bei  ca.  20—25  cm  langen  Föten  durch  Präparation 
unter  der  Lupe  mit  aller  Sicherheit  zu  beweisen,  dass  der  zu  dieser  Zeit  mark- 
haltige  Theil  des  Acusticus  einerseits  aus  dem  Vorhof  kommt,  andererseits  die 
vorderen  Acusticuswurzeln  der  Autoren  bildet,  mit  den  hinteren  Wurzeln,  dem 
vorderen  Kern  des  Acusticus  etc.  nichts  zu  thun  hat,  während  die  noch  mark- 
losen Bündel  sich  durch  Präparation  in  die  Schnecke  verfolgen  lassen.  Sobald 
dieser  letztere  Theil  des  Acusticus  markhaltig  wird  (bei  ca.  26 — 30  cm  langen 
Fötus),  sind  auch  im  vorderen  Kern  des  Acusticus  überwi^end  markhaltige 
Fasern  nachweisbar  und  gleichzeitig  erhalten  Corpus  trapezoideum  und  ontere 
(laterale)  Schleife  Markscheiden;  und  da  hier  fast  alle  übrigen  Faseizüge  in  der 
Brücke  etc.  noch  völlig  marklos  sind,  so  lässt  sich  an  gut  ge&rbten  Präparaten 
mit  aller  Sicherheit  der  Zusammenhang  des  Nervus  cochlearis  mit  dem  vor- 
deren Acusticuskem  demonstriren,  wie  auch  das  Hervorgehen  des  Corpus  trapezoi- 
deum aus  dem  genannten  Kern  sich  über  alle  Zweifel  klar  darstellt  Ueber 
diese  Thatsachen  hat  Herr  Beohtebew  bereits  in  der  am  1.  April  1885  aus- 
gegebenen Nummer  dieses  Blattes  berichtet.  Es  gelang  demselben  nun  alsbald 
auch  ein  Entwickelungsstadium  zu  finden,  in  welchem  sich  der  von  mir  für 
sehr  wahrscheinlich  gehaltene  Uebergang  eines  Theiles  des  Corpus  trapezoideum 
in  die  laterale  Schleife  mit  aller  Sicherheit  wahrnehmen  lässt  Bei  ca.  28  cm 
langen  Föten,  ist  in  den  oberen  zwei  Dritteln  der  Brücke  ausser  den  hinteren 
Längsbündeln  und  den  Trigeminuswurzeln  nur  die  laterale  Schleife  mark- 
haltig, und  hier  ist  denn  der  Zusammenhang  derselben  mit  dem  Corpus  trapezoi- 
deum so  klar,  dass  ich  mich  veranlasst  sah,  in  der  Sitzung  der  Königlich  Säch- 


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sischen  Gesellschaft  der  Wissenschaften  (math.  physikal.  Classe)  vom  4.  Mai  1885 
den  Satz  auszusprechen:  „Die  Untersuchung  von  Gehirnen  28 — 30  cm 
langer  Föten  nöthigt  zu  der  Annahme,  dass  das  untere  Yierhügel- 
ganglion  durch  die  laterale  Schleife  mit  den  oberen  Oliven  und 
dem  Corpus  trapezoideum  und  hierdurch  mit  dem  achten  Hirn- 
nerven zusammenhängt^'  Dieser  Satz  findet  sich  wörtlich  nicht  nur  in 
dem  betreffenden  Sitzungsbericht,  sondern  auch  in  meinem  Referate  hierüber 
in  der  am  1.  August  1885  ausgegebenen  Nummer  dieses  Blattes.  Der  Zu- 
sammenhang zwischen  Gehörsohnecke  und  hinterem  Yierhügelganglion  ist  dem- 
nach von  Bechtebbw  und  mir  erkannt  worden,  bevor  noch  irgend  sonst  Jemand 
daran  gedacht  hatte. 

Unsere  Angaben  wurden  alsbald  bekämpft  von  Onutbowicz  auf  Grund 
von  Untersuchungen,  welche  mit  Hülfe  der  GüBDEN'schen  Experimental-Methode 
angestellt  waren.  0.  untersuchte  unter  Leitung  Fohbl's  die  Gehirne  zweier 
Kaninchen,  bei  denen  je  ein  Acusticus  kurz  nach  der  Geburt  zerstört  worden 
war.  Wie  fast  Alle,  welche  diese  Methode  üben,  überschätzt  er  weit  die  Trag- 
weite derselben  und  bemängelt  die  Zuverlässigkeit  der  von  uns  angewandten. 
So  äussert  er  u.  A.:  „Bechterew  nennt  ebenfalls  die  hintere  (Acusticus-)  Wurzel 
Nervus  oochlearis,  die  vordere  Nervus  vestibuli,  macht  indess  keinen  Versuch  (!), 
diese  Auffassung  zu  begründen'M  Nach  dem  Wortlaut  dieser  Bemerkung  könnte 
man  auf  den  Gedanken  kommen,  man  habe  bereits  früher  die  Beziehungen  der 
hinteren  Acusticuswurzeln  zur  Cochlea  gekannt;  und  die  von  Beohtebsw  ange- 
wandte Methode  gebe  überdies  keineswegs  klare  Resultate,  während  im  Gegen- 
theU  im  Vergleich  zu  letzterem  O.'s  Beweisführung  recht  dürftig  erscheint  0. 
widerspricht  femer  wenigstens  theilweise  unseren  Besultaten:  „Dagegen  können 
wir  der  anderen  Behauptung  Bbghterew's  resp.  Flbghbig's  nicht  beistinmien, 
dass  nämlich  das  Corpus  trapezoideum  aus  dem  vorderen  Kern  (des  Acusticus) 
hervorgehe.  Dasselbe  zeigt  bei  unserem  Kaninchen  nicht  die  geringste  Atrophie 
und  ist  auf  beiden  Seiten  vollkommen  gleich  ausgebildet^'  Ich  bin  durch  diese 
und  andere  absprechende  Aeusserungen  nicht  veranlasst  worden,  meine  Ansicht 
bezüglich  des  centralen  Verlaufe  des  Acusticus  zu  ändern ;  und  es  hat  sich  dann 
auch  etwa  ein  Jahr  nach  Veröffentlichung  unserer  ersten  Mittheilungen  eine 
Stimme  gefunden^  die  auch  auf  Grund  von  Untersuchungen  nach  der  Gubden'- 
schen  Methode  uns  in  der  Hauptsache  beistimmt:  Baohtskt,  der  allerdings  in 
dem  schwer  erklärlichen  Irrthume  befangen  ist,  den  Zusammenhang  von  Schnecke 
und  hinterem  Vierhügel  zuerst  aufgefunden  zu  haben  (Sitzungsberichte  der  Ber- 
liner Akademie  vom  25.  Februar  1886).  Bagiksky  hat  3  sehr  jungen  Kaninchen 
die  Schnecke  einer  Seite  zerstört  und  die  hierdurch  im  Centralorgan  hervorge- 
rufenen Atrophien  studirt.  Er  berichtet  abweichend  von  Qnufbowigz  und  Fobel, 
eine  Atrophie  der  mit  der  zerstörten  Schnecke  gleichseitigen  oberen  Olive  und 


^  Bemerkeosweiiher  Weiae  erwähnt  Forbl  in  seiner  vorläufigen  Mittheilang  über  O.'b 
Befunde  (dieses  Blatt  1.  März  1885)  nichts  von  den  Beziehungen  der  Cochlea  zur  hinteren 
Acusticuswurzel.  Erst  in  der  nach  Bbchtbrew's  Mittheilung  erschienenen  ausf&lirlichen 
Arbeit  O.'s  finden  sich  entsprechende  Bemerkungen! 


■        «f40        

eine  geringe  des  gleichseitigen  Corpus  tn^iezoideam  gefunden  zu  haben,  des- 
gleichen Atrophie  der  lateralen  Schleife,  des  unteren  Vierhngelganglion,  des 
Brachium  conjunct  post  und  Corpus  geniculatnm  intemum  der  anderen  SeiU*. 

Baoinbkt  erschliesst  wie  wir,  dass  Fortsetzungen  der  Schneckennerven  in 
der  Brücke  eine  Kreuzung  eingehen,  weiss  aber  nidit  wo  er  selbige  hinverlegen 
solL  In  das  Corpus  trapezoidenm  verlegt  er  sie  nicht,  auch  leitet  er  die  atro- 
phischen Bändel  desselben  nidit  vom  vorderen  Acusticuskem,  sondern  Tom 
Tuberculum  acusticum  ab. 

Soweit  decken  sich  die  Befunde  von  BscHTEBSVir  und  mir  einer-,  die  von 
Baginsky  andererseits  nicht  in  völlig  beMedigender  Weise.  Wie  kommt  dies? 
Haben  wir  uns  geirrt?  Ich  bin  der  Ueberzeugung,  nein!  Man  kann  am  circa 
28  cm  langen  Fötus  direct  beobachten,  dass  die  untere  Schleife  in  das  Corpus 
trapezoidenm  übergeht,  und  sich  in  diesem  kreuzt  Ueberhaupt  gehören  hier 
alle  im  unteren  Drittel  der  Brücke  sich  kreuzenden  markhaltigen  Faserzuge 
dem  Corpus  trapezoidenm  an«  Was  femer  die  Beziehungen  zwischen  letzterem 
und  dem  Tuberculum  acusticum  anlangt,  so  sind  solche  beim  Menschen  ent- 
schieden sehr  geringfügig.  Das  Tuberculum  acusticum  ist  überhaupt  bdm 
Menschen  wenig  entwickelt,  der  vordere  Acusticuskem  dagegen  recht  gut 

Wie  kommt  es  nun,  dass  das  Corpus  trapezoidenm  nach  Zerstörung  der 
Schnecke  angeblich  so  wenig  Veränderungen  zeigt?  Die  Antwort  scheint  mir 
ziemlich  einfach.  Das  Corpus  trapezoidenm  ist  ein  etwas  oomplicirtes  Gebilde; 
es  enthält  eine  grössere  Anzahl  von  Fasersystemen;  nur  in  seinem  unmittelbar 
nach  innen  vom  N.  acusticns  gelegenen  Abschnitt  (an  der  Aussenseite  der  auf- 
steigenden Trigeminuswnrzel)  ist  es  relativ  einfach  gebaut  Gerade  dieser  Theil 
geht  im  Wesentlichen  aus  dem  gleichseitigen  vorderen  Acusticuskem  hervor 
und  gerade  hier  zeigt  auf  BAamsKY's  Abbildungen  das  Corpus  trapezoidenm 
recht  erhebliche  Differenzen  der  Durchmesser  (vgl.  dessen  Figuren  1,  2  und  3). 
Mehr  g^n  die  Medianlinie  vermischen  sich  im  Corpus  trapezoidenm  äch 
kreuzende  Fasem  aus  beiden  vordem  Acusticuskemen,  es  kommen  von  hinten 
her  noch  Eleinhimfasem  zur  oberen  Olive  dazu  u.  a.  m.  Hierzu  kommt  noch 
etwas.  Man  erhält  bei  ca.  28 — 32  cm  langen  Fötus  durchaus  den  Eindrack, 
dass  zahlreiche  Faserbündel  des  Corpus  trapezoidenm  von  einem  vorderen  Acus- 
ticuskem zum  anderen  verlaufen,  also  Commissuren  darstellen.  Es  ist  nicht 
abzusehen,  weshalb  alle  diese  Faserzüge  d^eneriren  sollen,  wenn  eine  Schnecke, 
ein  Acusticns  zerstört  wird.  Bevor  ich  die  Frage  nach  einer  Commissur  im 
(brpus  trapezoidenm  bezüglich  ihrer  allgemeinen  Bedeutung  betrachte,  möchte 
ich  noch  darauf  hinweisen,  dass  das  hintere  Yierhügelpaar  nur  bei  jenen  Thieren 
von  dem  vorderen  sich  deutlich  sondert,  bei  welchen  die  Schnecke  wie  beim 
Menschen  stark  gewunden  erscheint  —  eine  weitere  Stütze  for  den  Zusammen- 
hang von  Schnecke  und  unterem  VierhügeL 

Ueberblickt  man  das  bisher  über  die  primären  Centren  der  Sinnesnerven 
anatomisch  Festgestellte,  so  ergiebt  sich,  dass  bereits  an  mehreren  derselbaa 
Commissurenfasera  nachgewiesen  sind.  Ich  verweise  auf  die  Verbindung  der 
Bulbi  olfactorii  durch  die  vordere  Conmiissur,  aul  die  Verbindung  der  primären 


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OptiouBoentreu  durch  die  Gommissura  inferior  Gubdbn's.  Zu  diesen  würde  sich 
fttr  piimäre  Acusticnsoentren  naoh  den  obigen  Bemerkungen  eine  Gommissur 
im  C!orpu8  trapeioideum  gesellen.  Meinen  Befunden  nach  wurden  letztere 
Conunissuren&^m  nur  die  vorderen  Acusücuskeme  und  vielleicht  die  Tuberoula 
acustica  unter  einander  verbinden,  also  nur  primäre  Gentren  der  Nervi  cochleares. 
Die  Hauptkerne  der  Nervi  vestibuläres  haben  eine  besondere  Com- 
missur,  welche  weit  oben  in  der  Brücke  gelogen  ist  Dieselbe  begleitet  die 
oberen  Eleinhimschenkel,  mit  denen  sie  aus  dem  Eleinhim,  bez.  den  Seiten- 
theüen  des  IT.  Ventrikels  austritt  Sie  liegt  der  Bindearmkreuzung  nach  hinten 
unten  an  und  ist  bei  ca.  28  cm  langen  Fötus  äusserst  klar  nachweisbar^  weil 
sie  hier  schon  markhaltig  ist,  wahrend  die  Bindearme  in  der  Hauptsache  nodi 
völlig  marUos  erscheinen  oder  nur  in  ihrem  dorsalsten  Bündel  sich  mit  Mark 
zu  umhüllen  beginnen. 

Wenn  sonach  für  drei  höhere  Sinnesnerven  das  Bestehen  von  Gonmiissuren 
der  primären  Gentren  nachgewiesen,  bez.  höchst  wahrscheinlich  ist,  so  legt  dies 
die  Yermuthung  nahe,  dass  die^  Einrichtung  allen  ^  Sinesnerven  gesetz- 
massig  zukommt,  ein  Gesichtspunkty  der  mir  insofern  beachtenswerth  erscheint, 
als  die  Erscheinungen  des  „Transfert''  hierdurch  einer  anatomisch-physiologischen 
Deutung  zugänglich  würden.  Es  wird,  die  Richtigkeit  jener  Anschauung  voraus- 
gesetzt, jede  Erregung  eines  Sinnesnerven  der  rechten  Seite  die  Erregbarkeit 
(des  primären  Gentrums)  des  correspondirenden  Nerven  der  linken  Seite  zur 
Folge  haben  können,  ja  vielleicht  nothwendiger  Weise  mit  sich  bringen. 

Vordere  und  untere  Gommissur  des  (Gehirns  degeneriren  nicht,  wenn  die 
peripherischen  Endorgane  der  betreffenden  zugehörigen  Sinnesnerven  zerstört 
werden;  es  ist  deshalb  auch  gar  nicht  abzusehen,  weshalb  das  Gorpus  tiapezoideum 
ganz  oder  auch  nur  zum  grosseren  Theile  bei  Exstirpation  einer  Schnecke,  eines 
Acusticus  degeneriren  soll;  es  würde  nicht  einmal  gegen  seine  Zugehörigkeit 
zum  Acusticus  sprechen,  wenn  es  bei  Exstirpation  beider  Sdmecken  zum  guten 
Theil  erhalten  bliebe. 

Bezüglich  des  centralen  Verlauüs  des  Nervus  vestibularis  legen  die 
Befunde  am  menschlichen  Fötus  die  Vermuthung  nahe,  dass  in  den  oberen 
Kleinhirascfaenkeln  (Bindearmen)  Bahnen  dieses  Nerven  enthalten  sind.  Die 
Kerne  der  Nervi  vestibuläres  in  den  Seitenwänden  des  vierten  Ventrikels  stehen 
durch  besonders  umfängliche  Faserbündel  mit  Kugelkem  und  Pfropf  in  Ver- 
bindung, und  von  hier  aus  gelangen  (direct  oder  durch  Vermittelung  der  Binde 
des  Wurms?)  in  die  Bindearme  zahlreiche  Bündel,  welche  besonders  frühzeitig, 
aber  eist  nach  der  oben  erwähnten  Gommissur  markhaltig  werden  und  im  rothen 
Kern  der  Haube  verschwinden.  Ein  directer  üebergang  von  Fasern  der  Nervi 
vestibuläres  in  das  Kleinhirn,  bez.  die  Bindearme  ist  nadi  Befunden  an  Föten 
fast  sicher  auszuschliessen,  und  beruhen  demgemäss  frühere  Angaben  über  Be- 
ziehungen des  Acusticus  zu  den  Bindearmen  wohl  auf  Täuschung. 

Dem  bisher  über  die  cerebrale  Fortsetzung  der  Hinterstränge,  bez.  die 
Schleifenschicht  Bdrannten  bin  ich  in  der  Lage,  noch  einige  neue  Befunde 

*  Ich  werde  an  einem  andern  Ort  hierftber  N&beres  mittheilen. 


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be^eseUen  zo  konneiL  Die  Schleifenscbicbt  der  Brocke  theilt  sidi  beiiii  Ueber- 
gai^  m  den  Grosshirnschenkel  in  zwei  Abtbeilnngen,  weldie  ich  „Fnas-*'  und 
j^HaabeniBcbleife'^  nennen  wül.  Die  erstere  war  bisher  in  der  Haaptsaehe  unbe- 
kannt, wennsehon  Bechtebew  und  ich  Brachstacke  ihres  Verhuifs  kannten. 
Die  Fassschleife,  welche  ich  noch  bei  42  cm  langen  Fotos  marklos  gefdnden 
habe,  trennt  sich  schon  am  obersten  Brackenrand  von  dem  ,,centralen''  Theil  der 
Schleifenschichty  ihre  Bündel  l^n  sich  i  m  Pes  pedancoli  den  Pyramidenbahnen 
direct  nach  aussen  hinten  an.  Sie  ziehen  mit  letzteren  bis  in  die  Nähe  des 
LüTs'schen  Körpers  and  wechseln  hier  allem  Anschein  nadi  ihre  Lage.  Es  ist 
möglich,  dass  sie  in  den  Lurs'schen  Körper  eintreten  oder  direct  nadi  sossm 
in  den  linsenkem  ziehen.  Wahrscheinlicher  ist  es  mir  indessen,  dass  sie  den 
Pyiamidoibahnen  sich  dicht  nach  aossen  hinten  anlegen  and  mit  denselben 
in  den  Stabkranz  bez.  die  Grosshimrinde  der  Scheitelgegend  eintreten.  —  In 
der  Gegend  des  LüTs'schen  Körpers  begegnet  die  Fasssdüeife  mem  anderen, 
viel  früher  (bei  83  cm  Körperlange)  markhaltig  werdenden,  bereits  von  Beqhtebew 
beschriebenen  Schleifenbündel,  welches  in  der  Haabenschldfe  nach  oben  zieht, 
aossen  vom  roUien  Kern  nach  aossen  and  basalw&rts  umbiegt,  von  oben  her 
an  Substantia  nigra  and  Lmrs'schen  Körper  herantritt  und  thefls  in  dessen 
Kapsel  eindringt,  theils  nach  aussen  von  besagtem  Körper  in  den  Grosshim- 
schenkelfnss  übergeht,  an  der  Yorderfl&che  desselben  als  MnYKEBT'sche  Com- 
missur  auftaucht,  and  in  dieser  den  Linsenkem  nur  streifend  in  den  LüTs'schen 
Körper  der  anderen  Seite  überzugehen  scheint,  so  dass  die  „MEYiTBBT^'sche 
üommissar  also  keine  Gommissur,  sondern  eine  Schläfenkreuzung  darstellen  würde. 
Obwohl  ich  schon  an  Schnit^eihen  von  Bechterew  einen  Theil  des  Verlaufs 
dieser  Bündel  gesehen,  haben  doch  erst  lückenlose  Schnittreihen,  welche  Herr 
Dr.  BoanoFF  in  meinem  Laboratorium  gefertigt  hat,  mich  den  soeben  beschrie- 
benen Verlauf  völlig  klar  erkennen  lassen.  Es  gestatten  nach  alledem  die  Be- 
funde am  Fötus  die  Annahme,  dass  alle  Fasern  der  Haobenschleife,  welche  bis 
zur  Gegend  des  Linsenkems  vordringen,  zunächst  im  Ltrrs'schen  Körper  ein 
Ende  finden.  Bei  den  zahlreichen  Verbindungen,  welche  zwischen  letzterem 
und  dem  Globus  pallidus  nachweisbar  sind,  ist  zwar  eine  ausgiebige  Verbindung 
der  Schleife  (bez.  der  Hinterstränge)  mit  dem  Linsenkem,  wie  wir  sie  firüher 
angegeben  haben,  auch  jetzt  noch  wahrscheinlich.  Immerhin  bleibt  es,  da  die 
Leitungsrichtung  in  den  LuYS'schen  Körper  und  Globus  pallidus  verbindenden 
Fasern  unbekannt  ist  —  fraglich,  ob  die  genannten  Theile  der  Schleife  die  Thätig- 
keit  nur  des  LüTs'schen  Körpers  oder  des  Linsenkems  oder  beider  zugleich 
beeinflussen  bez.  auslösen.  —  Der  LuYs'sche  Körper,  die  Substantia  nigra  und 
der  rothe  Kem  erscheinen  nach  den  Befunden  an  den  Präparaten  Booboff's 
als  Schaltstücke,  welche  je  mit  besonderen  sensorischen  Bahnen  verknü^A 
sind  und  das  Zusammenwirken  von  Thalamus,  Linsenkem,  Vierhügeln,  Brücke, 
Kleinhirn  u.  s.  w.  je  in  besonderer  Gombination  vermitteln;  ich  habe  hierüber 
bereits  in  der  Sitzung  der  mathematisch  -  physikaUschen  Glasse  der  Königlich 
Sachsischen  Gesellschaft  der  Wissenschaften  vom  24.  October  d.  J.  Mittheüungen 
t,'einacht,   auf  welche  icli  hiermit  verweise.    Es  finden  sich  daselbst  auch  An- 


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gaben  über  eine  von  Boobovf  anfgefandene ,  bisher  völlig  unbekannte  Wurzel 
des  Nervus  opticus,  welche  direct  vom  Chiasma  aus  in  das  centrale  Höhlen- 
grau des  nL  Ventrikels  eintritt 


2.    Ein  Fall  von  progressiver  Paralyse  complicirt  mit 

amyotrophischer  Lateralsclerose. 

Von  Dr.  Zaoher,  2.  Arzt  der  Irrenanstalt  Stephansfeld  im  Elsass. 

Während  man  gar  nicht  selten  Fällen  von  progressiver  Paralyse  begegnet, 
die  klinisch  durch  den  Symptomencomplex  einer  spastischen  Lähmung,  anatomisch 
durch  eine  typische  Seitenstrang-,  resp.  Pyramidenseitenstrangbahn-Degeneration 
ausgezeichnet  sind,  ist  bis  jetzt  auffallender  Weise  noch  kein  Fall  von  Paralyse 
bekannt  geworden,  bei  dem  diese  spastischen  Symptome  mit  ausgebreiteten 
Muskelatrophien  vergesellschaftet  gewesen  wären.  Es  dürfte  daher  nachstehender 
Fall  von  progressiver  Paralyse  mit  amyotrophischer  Lateralsclerose,  wenn  er 
auch  nicht  in  allen  Punkten  den  Anforderungen  einer  exacten  Beobachtung 
entspricht,  immerhin  von  grösserem  Interesse  sein. 

Aug.  O ,  lediger  Holzhändler,  30  Jahre  alt,  aufgenommen  am  31.  Juni 

1883,  gestorben  am  17.  März  1885. 

Patient,  hereditär  nicht  belastet,  soll  früher  sehr  begabt  und  ein  tüchtiger 
Geschäftsmann  gewesen  sein.  Im  Jahre  1870  luetische  Infection.  Sechs  Jahre 
nachher  trat  eine  Erschwerung  der  Sprache  sowie  Schwäche  in  den  Beinen  auf, 
welche  Symptome  auf  geeignete  Behandlung  gebessert  wurden.  Seit  einem  Jahre 
soll  er  „Dummheiten^'  im  Oeschäfte  machen  und  ganz  kindisch  und  nachlässig 
in  seinem  Benehmen  geworden  sein;  zugleich  wurde  die  Sprache  allmälig  schwer- 
falliger. Im  letzten  Winter  mercurielle  Kur  ohne  jeden  Erfolg.  Seit  einigen 
Wochen  sei  er  sehr  aufgeregt,  wolle  durchaus  heirathen,  producire  massenhafte 
Grossenideen  und  sei  übermässiger,  heiterer  Stimmung. 

Bei  der  Aufaahme  ist  der  Kranke  sehr  gehobener  Stimmung,  faselt  von 
seinen  Beichthümem,  seinen  Beiseplänen,  seiner  colossalen  Eörperkraft  etc.  Die 
rechte  Pupille  ist  grösser  als  die  linke  und  besteht  rechtsseitiger  Strabismus 
convergens.  Die  Zunge  zittert  beim  Herausstrecken,  die  Sprache  ist  langsam 
unsicher  und  monoton,  dabei  hie  und  da  Stolpern.  Der  Gang  ist  aufiiallend 
schleppend  und  steif;  die  Patellarreflexe  sind  gesteigert,  Schmerzempfindlichkeit 
nicht  gestört 

In  der  nächsten  Zeit  steigerte  sich  die  Unruhe  und  Aufregung  derart,  dass 
der  Kranke  häufig  isolirt  werden  musste.  Zugleich  nahm  die  Sprachstörung 
auffallend  rasch  zu,  so  dass  Fat.  bereits  im  August  kaum  noch  einzelne  ver- 
ständliche Worte  hervorbringen  konnte.  Gegen  Ende  des  Jahres  war  die  Sprache 
ganz  lallend  und  unverständlich  geworden;  zugleich  hatte  die  Schwäche  in  den 
Beinen  derart  zugenommen,  daas  sich  Fat.  nur  noch  an  den  Wänden  entlang 
forttasten  konnte.  Psychisch  war  hochgradiger  Verfall  und  tiefer  Blödsinn  ein- 
getreten. 


—    552 

Ajabjkg  1884  bot  der  Kranke  folgenden  Status  dar:  Pnpillendifferenz ; 
lechtaseitiger  Strabismns  conrergens;  Tremor  der  Zange,  Sprachvermögen  fast 
vollständig  aufgehoben,  da  Pal  nur  noch  unarticulirte  Laute  vorzubringen  im 
Stande  ist;  Schlucken  unbehindert;  die  unteren  Extremitäten  sind  paretisdi  und 
kann  sich  Fat  nur  noch  mit  Unterstützung  einige  Schritte  fortbew^en.  Dabei 
zeigt  der  Gang  einen  ausgesprochen  spastischen  Charakter.  Die  Beine  werden 
im  Kni^elenk  etwas  gebeugt  gehalten,  während  Fat  fiiist  nur  mit  den  Fuss- 
spitzen  auftritt  und  die  Füsse  kaum  vom  Boden  erhebt  Die  Musculatur  fühlt 
sich  fest  und  oontracturirt  an  und  finden  passive  Bewegungen  lebbaften  Wider- 
stand. Die  Bewegungen  der  Arme  sind  plump  und  uiigesdii<^,  kein  Tremor 
an  denselben.  Auch  hier  an  den  oberen  Extremitäten  machen  sieh  bei  brüsken 
passiven  Bew^^gen  Spannungen  bemerkbar.  Fatellarrefiexe  stark  gesteigert; 
beiderseits  Dorsalclonus.  Nadelstiche  werden  anscheinend  überall  deutlich  ge- 
fühlt Eine  genauere  Untersuchung  des  vollständig  verblödeten,  dauernd  un- 
ruhigen und  abwehrenden  Kranken  unmöglidi.  Derselbe  schrat  tagelang  in 
monotoner  Wdse  fort,  wobei  er  nur  unartioulirte  Laute  vorbringt  Ausserdem 
ist  er  beständig  unrein,  ohne  dass  jedoch  eine  Lahmung  der  Sphincteren  vor- 
li^  Dieser  Zustand  hielt  im  grossen  Ganzen  während  d^  nächsten  Monate 
in  gleicher  Weise  an,  nur  nahm  die  Muskelrigidität  an  den  unteren  Extremi- 
täten allmählich  immer  zu  und  bildete  sich  inuner  deutlicher  eine  Flexions- 
contractur  der  Beine  aus.  Ausserdem  fiel  zeitweise  eine  starre,  steife  Haltung 
des  Kopfes  auf,  derzufolge  Fat  bei  Bettlage  den  Kopf  stundenlang  frei  und 
ununterstntzt  über  dem  Kopfkissen  hielt 

lin  October  traten  dann  an  8  hinteieinanderfolgenden  Tagen  eine  Reihe 
paralytischer  Anfalle  auf,  zumeist  epileptoider  Natur,  die  von  rasch  vorüber- 
gehenden Lähmungen  einzelner  Glieder  gefolgt  waren.  Nach  den  Anfallen  er- 
weisen sich  die  Ciontracturen  an  den  Beinen  noch  ausgesprochener.  Dieselben 
sind  im  Hüftgelenke  stark  flectirt  und  adducirt  und  im  Kniegelenk  gldchfidls 
stark  gebeugt,  so  dass  die  Oberschenkel  fast  die  Bauchwand  berühren.  Fasave 
Streckung  nur  mit  grosser  Mühe  ttieilweise  möglich.  Musculatur  gut  entwickelt 
und  fest  contrahirt  Die  oberen  Extremitäten  zeigen  auch  Neigung  zu  Gontractur- 
stellung,  wenigstens  werden  beide  Arme  dicht  an  den  Thorax  angepresst  gehalten, 
während  die  Unterarme  zumeist  gegen  die  Oberarme  in  flectirter  Stellung 
stehen;  doch  sind  active  Bewegungen  noch  gut,  wenn  auch  in  etwas  plumper 
Weise  ausführbar,  da  Fat  sehr  häufig  sein  Schreien  durch  Händeklatschen  be- 
gleitet Fassiven  Bewegungen  der  Arme  wird  jedoch  lebhafter  Widerstand  ent- 
gegengesetzt Sehr  deutlicher  Trioepsreflex;  Musculatur  überall  gut  entmckelt 
Kopf  und  Hals  werden  zumeist  ganz  steif  gehalten  und  sind  passive  Bewegungen 
hierselbst  nur  mit  Mühe  auszuführen.  Auf  Nadelstiche  erfolgt  ziemlidi  prompte 
Schmerzreaction;  Flantarreflex  lebhaft  Ln  Uebrigen  bietet  Fat  das  Bild  hoch- 
gradigster Verblödung  dar  und  beschränkt  sich  das  geistige  Leben  auf  die  elemoi- 
tarsten  Aeusserungen. 

Anfang  1885  bemerkt  man,  dass  die  Contracturstellung  der  Beine  mit  wenig 
Mühe  ausgeglichen  werden  kann  und  dass  die  passiv  gestreckten  Glieder  einige 


-    553    — 

Zeit  rahig  in  dieser  Stellang  verharren.  Zugleich  ergiebt  sich,  dass  die  Mus- 
culatnr  nicht  mehr  so  fest  contrahirt  ist  wie  früher  und  stellenweise  sich  sogar 
ziemlich  schlaff  anfOhlt.  Das  rechte  Bein  erscheint  im  Oberschenkel  etwas  dünner 
als  das  linke.  Die  Patellarrefleze  sind  noch  sehr  lebhaft,  dagegen  fehlte  nun- 
mehr der  Dorsaldonus.  An  den  Armen  besteht  die  Gontracturstellung  und  die 
Starre  bei  passiven  Bewegungen  noch  fort  Bei  der  dauernden  Unruhe  und 
dem  geistigen  Zustande  des  Fat  sind  Sensibilitätsprüfiingen  nicht  möglich.  Im 
Laufe  der  nächsten  Wochen  nahm  die  Schlaffheit  der  Musculatur  an  den  Beineu 
inmier  mehr  zu,  so  dass  die  Beine  nunmehr  in  gestreckter  Stellung  verharrten; 
von  der  Unterlage  erhoben,  fielen  sie  schlaff  herunter;  desgleichen  schienen 
active  Bewegungen  derselben  unmöglich.  Ausserdem  entwickelte  sich  an  beiden 
Beinen  eine  ausgedehnte  Atrophie  der  Musculatur,  welche  sämmtliohe  Muskeln 
betraf  und  die  besonders  an  der  Vorderseite  beider  Oberschenkel  sehr  ausprägt 
war.  An  den^  oberen  Extremitäten  liess  die  Starre  und  Spannung  gleichfalls 
allm&hlich  nach  und  traten  hier  hauptsächlich  in  der  Musculatur  der  Hände 
Atrophien  ein. 

Am  15.  März  traten  eine  grossere  Anzahl  paralytischer  Anßdle  meist  epi- 
leptiformer  Natur  auf,  die  von  tiefem  Ooma  gefolgt  waren.  Während  dieses 
Gomas  konnte  folgender  Status  aufgenommen  werden:  Fat  ist  tief  benommen 
und  reagirt  auf  Nichts  mehr.  Bechte  Lidspalte  ein  wenig  enger  als  die  linke; 
rechte  Pupille  grosser  als  die  linke ;  keine  Lichtreaction  mehr,  kein  reflectorischer 
Lidschluss;  Augenstellung  nach  rechts,  horizontaler  Nystagmus  von  der  Mitte 
nach  rechts  hin.  Keine  Facialisparese.  In  den  rechten  Extremitäten  treten  hie 
und  da  leichtere,  circumscripte  Zuckungen  auf.  Der  rechte  Arm  steht  in  leichter 
Beugestellung,  fallt  aber  erhoben  sddaff  herab;  passive  Bewegungen  leicht  aus- 
fährbar. Das  rechte  Bein  gleichfaUs  gelähmt;  alle  passiven  Bewegungen  ge- 
schehen leicht  mit  Ausnahme  der  Abductionsbewegungen,  die  im  Hüftgelenke 
einen  mächtigen  Widerstand  finden.  Der  linke  Arm  steht  in  Beugecontractur- 
stellung  und  rufen  hier  passive  Bewegungen  noch  sehr  deutlichen  Widerstand 
hervor;  das  linke  Bein  zeigt  nur  im  Hüftgelenke  bei  passiven  Bewegungen  eine 
leichte  Behinderung  und  fillt  erhoben  schlaff  herunter.  Die  Musculatur  an  den 
Beinen,  mit  Ausnahme  der  Adduotoren,  die  noch  einen  gewissen  Tonus  auf- 
weisen, vollkommen  schlaff;  dabei  ist  dieselbe  überall,  besonders  aber  an  den 
Oberschenkehi  stark  atrophisch.  An  den  Armen  ist  die  Musculatur  im  Allge- 
meinen fester  und  derber,  erweist  sich  aber  sowohl  an  beiden  Händen  wie  auch 
an  der  Streckseite  der  Unterarme  deutlich  atrophirt  Der  Bauch  ist  auffallend 
flach  und  eingesunken  und  ragen  die  unteren  Rippenbogen  stark  hervor.  Schmerz- 
empfindliohkeit  vollständig  aufgehoben,  kein  Flanta-  und  Comeareflex.  Fatellar- 
reflex  rechts  ganz  schwach,  links  ein  wenig  stärker.  An  den  Armen  sind  gleich- 
falls nur  schwache  Sehnenreflexe  hervorzurufen.  Mechanische  Muskelerregbarkeit 
nicht  gesteigert 

Eine  elektrische  Untersuchung  konnte  nur  vermittelst  des  Inductionsstromes 
stattfinden.    Dieselbe  ergab  deutliche  Zuckung  am 

rechten  N.  radiaUs      bei  110  mm  Bollenabstand 


—    564    — 

linken    N.  radialis      bei    90  mm  RoIIenabstand 

rechten  „   medianus    ,,    180    ,y  ,, 

linken     „  „  „    160    „  „ 

rechten  „  ulnaris        „    112    „  ,, 

linken     „       „  „    110    „  „ 

Beide  Nn.  orurales  ergaben  auch  bei  übereinandergeschobenen  Bollen  keine 
Zuckung  mehr,  desgleichen  auch  die  Nn.  peronei  nicht  Die  elektrische  Erreg- 
barkeit der  Musculatur  war  an  den  Armen  z.  Th.  stark  herabgesetzt,  während 
sie  an  den  Beinen  z.  Th.  vollständig  aufgehoben  war. 

Dieser  comatöse  Zustand  mit  Temperatursteigerungen  bis  zu  39^  blieb  bis 
zum  Tode  bestehen,  der  am  17.  März  unter  DyspnoG-Erscheinungen  eintrat 

Die  Section  ergab  Folgendes:  Schadeldach  schwer,  reichlidie  diploetische 
Substanz;  stellenweise  Verwachsungen  der  Dura  mit  der  Innenfläche  des  Schädels. 
Duralsack  weit,  enthält  viel  klare  Flüssigkeit;  im  üebrigen  Dura  mater  ohne 
Veränderung.  Pia  über  die  ganze  Gonvexität  hin  verdickt,  weisslich  getrübt 
und  z.  Th.  besonders  in  den  vorderen  Partien  mit  sulzigen  Massen  infiltrirL 
üeber  dem  Occipitalhim  sind  die  Verändenmgen  geringfügiger;  an  der  Basis 
finden  sich  über  der  Sylvischen  Grube,  sowie  über  den  vorderen  Abschnitten 
des  Kleinhirns  gleichfalls  stärkere  Veränderungen  der  Pia,  während  sie  über 
dem  Orbitaltheil  und  an  den  Schläfenlappen  weniger  erheblich  sind.  Keine 
Adhärenzen  der  Pia.  p]rhebliche  Atrophie  der  Windungen  mit  Ausnahme  der 
Occipitallappen;  am  stärksten  sind  Stirn-  und  Centralhim  betroffen.  Seiten- 
ventrikel beiderseits  stark  erweitert;  Ependym  kömig  granulirt  Auf  Frontal- 
schnitten erweisen  sich  die  Basalganglien  gleichMs  ziemlich  klein  und  fallt 
besonders  auf,  dass  das  äussere  Glied  des  rechten  Linsenkems  kaum  halb  so 
gross  ist,  als  das  entsprechende  linkerseits.  Die  Binde  ist  deutlich  verschmälert, 
ziemlich  blass  und  blutleer;  desgleichen  auch  die  übrige  Himsubstanz  wenig 
blutreich,  dabei  aber  von  ziemlich  derber  Consistenz.  Ependym  des  4.  Ventrikels 
gleichfalls  granulirt.  Pons  und  MeduUa  zeigen  nichts  Auflalliges;  desgleichen 
lässt  das  Bückenmark  auf  Querschnitten  nichts  Abnormes  mit  Sicherheit  er- 
kennen. Pia  des  Bückenmarkes  gleichmässig  in  massigem  Grade  verdickt.  Hini- 
gewicht  1200  Granmi. 

Im  Üebrigen  ergiebt  die  Section  Atherom  der  Aorta  im  Beginne  derselben, 
hypostatische  Pneumonie  der  rechten  Lunge,  keine  Drüsenschwellungen. 

Mikroskopische  Untersuchung. 

Die  mikroskopische  Untersuchung  des  Gehirns  ergab  einmal  einen  sehr 
deutlichen  und  zum  Theil  sehr  erheblichen  Schwund  markhaltiger  Nervenfasern 
in  der  Binde  des  ganzen  Gehirns,  der  in  den  vorderen  Gehimabschnitten  im 
Allgemeinen  ausgesprochener  war,  als  in  den  hinteren.  Desgleichen  liess  sich 
vielfach  deutlicher  Faserschwund  in  dem  weissen  Marklager  unter  der  Binde, 
unter  anderem  speciell  in  der  äusseren  Kapsel  nachweisen,  wahrend  dies  in  der 
inneren  Kapsel  mit  Sicherheit  nicht  geschehen  konnte.  Andererseits  fanden  sich 
durch   das  ganze  Gehirn  hindurch,  am  ausgesprochendsten  allerdings  in   der 


—     555    — 

Rinde,  sehr  erhebliche  Yeianderangeii  am  Gefössapparate,  sowie  innerhalb  des 
Grundgewebes.  Speciell  fiel  eine  stärkere  Spinnenzellenwucherung  in  tieferen 
Rindenschichten  auf.  Auch  die  Ganglienzellen  zeigten  Yiel£ach,  stellenweise 
sogar  recht  ausgesprochen  und  zahlreich  pathologische  Yeranderongen ,  doch 
b^egnete  man  daneben  noch  überall,  auch  in  den  Gentralwindungen,  anscheinend 
normalen  Zellen  in  reichlicher  Zahl. 

Pens  und  Medulla  wiesen  im  Allgemeinen  die  gleichen  Veränderungen  an 
den  G^fassen  und  im  Grundgewebe  auf,  doch  schienen  dieselben  durchgehend 
nicht  so  erheblich  wie  im  Gehirn  zu  sein.  Auffälligere  Veränderungen  in  den 
Nervenkemen,  speciell  deutliche  Erkrankungen  der  Ganglienzellen  daselbst  waren 
nicht  vorhanden;  desgleichen  liessen  sich  auch  in  den  Nervenfaserzügen  und 
zwar  speciell  in  den  Pyramidenbahnen  keinerlei  Degenerationen  mit  Sicherheit 
nachweisen. 

Die  Untersuchung  des  frischen  Rückenmarks  ergab  in  Bezug  auf  Kömchen- 
zellen ein  negatives  Resultat.  Nach  der  Erhärtung  traten  in  den  Seitensträngen 
deutUch  hellere  Partien  hervor,  die  sich  bei  der  mikroskopischen  Untersuchung 
als  die  degeneriiten  Pyramidenbahnen  erwiesen.  Die  Degeneration,  ausgezeichnet 
anscheinend  durch  eine  einfache  Atrophie  der  Fasern,  beschränkte  sieh  auf  die 
Pyramidenbahn  der  Seitenstränge,  während  die  Türkischen  Bündel  nicht  be- 
troffen waren;  dieselbe  erstreckte  sich  durch  das  ganze  Rückenmark,  nahm  im 
oberen  Halsmark  ab  und  Hess  sich  jenseits  der  Decussatio  nicht  mehr  nach- 
weisen. Daneben  fanden  sich  durch  das  ganze  Rückenmark  dieselben  G^fass- 
veränderungen  wie  in  Pens  und  Medulla;  auch  die  Gliasubstanz  trat  vielfach 
starker  hervor  und  war  besonders  an  der  Peripherie,  wo  die  durchweg  verdickte 
Pia  vielfach  adharirte,  stellenweise  deutlich  gewuchert 

Die  graue  Substanz  und  zwar  die  der  Vorderhömer,  war  im  AUgemeinen 
schwieriger  zu  beurtheilen.  Im  Halsmark  und  zwar  hauptsächlich  innerhalb 
der  Halsschwellung  begegnete  man  fast  auf  jedem  Schnitte  einer  oder  mehreren 
Gtinghenzellen,  die  ein  etwas  verändertes  Aussehen  darboten.  Zum  Theil  waren 
die  Contouren  verschwommen,  die  ZeDe  wie  aufgetrieben,  z.  Th.  aber  erschienen 
die  ZeUen  kleiner,  derber,  wie  sderosirt,  was  sich  auch  schon  durch  eine  inten- 
sivere Färbung  anzeigte;  dabei  waren  sie  mehr  oder  weniger,  einzelne  sehr  stark 
pigmentirt  Derartig  veränderte  Zellen  fanden  sich  bald  in  dieser,  bald  in  jener 
Gruppe,  wobei  die  mediale  keineswegs  bevorzugt  war,  und  zwar  mitten  unter 
normal  aussehenden  Ganglienzellen,  die  an  Zahl  entschieden  bedeutend  über- 
wiegten. Eine  eigentliche  Verminderung  der  Zellen  lag  keineswegs  vor;  manch- 
mal begegnete  man  auch  Schnitten,  wo  keine  verdächtigen  Zellen  zu  sehen 
waren.  Eine  Abnahme,  resp.  Veränderung  der  markhaltigen  Fasern  Innerhalb 
der  Vorderhömer  war  gleichfalls  nicht  nachzuweisen,  vielmehr  liessen  Weigert'sche 
Präparate  in  denselben  durchgehends  ein  reiches,  schön  ge&rbtes  Fasemetz  er- 
kennen. Dagegen  schien  es  an  Hämatoxylinpräparaten,  als  ob  die  zelligen  Ele- 
mente in  der  Gliasubstanz  etwas  reichlicher  als  gewöhnlich  vorhanden  waren 
und  liessen  sich  ausserdem  an  feinen  Schnitten  ganz  vereinzelte  Spinnenzellen 
nachweisen. 


556    — 

Im  Doisalmark  lagen  in  Bezog  auf  die  Yorderhönier  ähnliehe  Veihältnisae 
wie  im  Hatamarke  vor,  dodi  waren  yeidachtige  Qanglienaellen  hier  vid  seKener 
zu  sehen;  dergleichen  begegnete  man  hier  aach  keinen  SpinnenzeDen. 

Im  Lendenmarke  waren  dagegen  die  pathologisch  aossehenden  Ganglien- 
zellen in  den  Yorderhomem  wieder  reichlicher,  doch  überwogen  andi  hiffir  die 
normal  aussehenden  bei  Weitem.  Eine  eigentliche  Yennindenmg  der  Zellen 
liess  sich  auch  hier  nicht  constatiren  und  fanden  sich  überaO  in  den  flimiiinAn 
Gruppen  neben  den  vereinzelten  pathologischen  Zellen  reichliehe  voa  nonnalem 
Aussehen.  Auch  das  Nervenfiasemetz  liess  keinen  Schwund,  resp.  Yeranderungen 
erkennen  und  waren  die  sonstigen  Yeranderungen,  abgesehen  von  denen  an 
den  Geßssen,  äusserst  geringffigige.  Die  austretenden  vorderen  Wunelbündd 
zeigten  ein  normales  Aussehen  und  war  insbesondere  äne  deutliche  Atro^iie 
und  Yerschmälerung  der  Fasern  nicht  zu  constatiren. 

Ausserdem  gelangten  noch  ein  StOck  vom  rechten  Nerv,  medianus,  ein 
solches  vom  rechten  N.  cruralis  sowie  einzelne  Muskelstucke  vom  rechten  Qoadri- 
ceps  zur  Untersuchung. 

Die  Nerven,  welche  im  frischen  Zustande  nicht  wesenUich  verändert  er- 
schienen, wurden  in  Müller'scher  Flüssigkeit  gehärtet  und  nadiher  nach  Weigert'- 
scher  Methode  und  mit  Carmin  behandelt  Die  auf  diese  Weise  behandelten 
Quer-  und  Längsschnitte  liessen  sehr  deutlich  eine  ausgesprochene  Atro^dliie  resp. 
Schwund  von  Faserbündeln  erkennen,  die  in  unr^ielmässiger  Weise  über  den 
Nervenquerschnitt  vertheilt  waren  und  mitten  unter  normal  aussehenden  Eaaer- 
bündeln  lagen.  Besonders  instructiv  erwiesen  sich  Längssdmitte,  wo  man  an 
den  feinen,  atrophischen  Fasern  vielfiftoh  kleinere  Markansoh wellungen,  in  ähn- 
licher Weise,  wenn  auch  nicht  so  ausgesprochen  wie  an  den  atioiduBcdien  Nerven- 
ÜBsem  in  der  Hirnrinde,  beobachten  konnte.  Die  Degeneration  war  im  N.  cru- 
ralis durchgehends  stärker  und  ausgebreiteter  als  im  N.  medianus,  doch  waren 
die  d^generirten  Fasern  in  den  einzelnen  Nervenbündeln  fast  durchgehaids  in 
der  MmderzahL  Die  Gelasse  zeigten  auch  hier  an  beiden  Nervenatämmen 
stärkere  Yeranderungen  ähnlicher  Art  wie  im  Gehirn  und  Bückenmark  und 
schien  auch  das  Epineurium  im  Allgemeinen  etwas  reichlicher  als  gewöhnlich 
entwickelt  zu  sein. 

Die  untersuchten  Muskelstücke  boten  die  bekannten  degenerativen  Yeran- 
derungen in  sehr  ausgesprochener  Weise  dar.  Die  meisten  Fasern  waren  ver- 
sdmiälert,  oft  bis  auf  ein  Drittel  ihrer  gewöhnlichen  Breite  reducirt;  dabä 
zeigten  dieselben  vielfach  ein  rissiges  oder  wie  bestäubtes  Aussehen,  während 
eine  deutliche  Querstreifung  nur  relativ  selten  vorlag.  Ausserdem  fiel  eine  er- 
hebliche und  anscheinend  überall  gleichmassige  Yermehrung  der  Muskelkeme 
auf;  eine  stärkere  Entwickelung  von  Bindegewebe  zwischen  den  Muskelfiisem 
war  nicht  vorhanden. 

Der  vorstehende  Fall  verdient  nach  manchen  Seiten  hin  und  zwar  sowohl 
in  klinischer  als  in  pathologiseh-anatomischer  Hinsicht  ein  besonderes  Interease. 
Fassen  wir  den  klinischen  Yerlauf  kurz  zusammen,  so  sehen  wir  bei  einem 
Paralytiker  recht  frühzeitig  in  den  unteren  Extremitäten  spastische  Ersobeüiungai 


-     557    — 

—  gesteigerte  Sehneniefiexe  und  Muskelrigiditaten  —  zur  Entwickelang  gelangen. 
Diese  Symptome  steigern  dch  im  weiteren  Verlaufe,  der  Gang  wird  vollständig 
spastasch,  es  treten  allmählich  inmier  starker  werdende  Lähmnngszustände  auf 
und  schliesslich  stellen  sich  ausgesprochene  Beugecontracturen  an  den  Beinen 
ein.  Zugleich  kommt  dann  mittlerweile  dieser  spastische  Symptomencomplex 
auch  an  den  oberen  Extremitäten  zur  Entwickelung.  Nachdem  diese  Erschei- 
nungen eine  Zeit  lang  bestanden  haben,  gehen  die  Gontracturen  und  die  übrigen 
spastischen  Symptome  an  den  Beinen  alhnählich  zurück,  während  sich  zu  gleicher 
Zeit  eine  totale  Lähmung  derselben,  sowie  eine  erhebliche  Muskelatrophie  ein- 
stellt, welche  sämmtliche  Muskehi  der  Beine  betrifft  In  ganz  analoger  Weise 
nehmen  an  den  oberen  Extremitäten  unter  Auftreten  paretischer  Zustände  und 
Muskelatrophien  die  spastischen  Erscheinui^n  an  Intensität  ab,  ohne  jedoch 
ganzlich  zu  verschwinden;  ausserdem  stellen  sich  Muskelatrophien  am  Bauche 
und  am  Rumpfe  ein.  Eigentlich  bulbäre  Erscheinungen  fehlen,  da  man  die 
bereits  frühzeitig  aufgetretene  Sprachstörung  auf  den  pathologischen  Himprocess 
zurückführen  muss;  desgleichen  fehlen  Störungen  von  Seiten  der  Blase  und  des 
Mastdarms,  während  das  Verhalten  der  Sensibilität  als  unbestimmbar  dahingestellt 
bleiben  muss. 

Diesem  klinischen  Bilde  gegenüber  ergab  sich  nun  anatomisch  neben  den 
bekannten  Veränderungen  im  Gehirne  eine  ausgesprochene  Degeneration  der 
Pyramidenseitenstrangbahn,  die  vom  Lendenmark  bis  zur  Dccnssatio  reichte, 
nicht  aber  höher  hinauf  ging,  relativ  geringfagige  Veränderungen  in  der  grauen 
Substanz  der  Vorderhömer,  die  innerhalb  der  Halsschwellung  am  stärksten  zu 
sein  schienen,  sowie  degenerative  Veränderungen  in  den  untersuchten  periphe- 
rischen Nerven  und  Muskehi.  Daneben  ftpiden  sich  durch  das  ganze  centrale 
und  peripherische  Nervensystem,  soweit  es  untersucht  wurde,  ausgesprochene 
Veränderungen  des  Oefässsystems  und  der  bindegewebigen  Hüllen. 

Das  Auffälligste  an  diesem  pathologischen  Befunde  ist  jedenfalls  der  Um- 
stand, dass  neben  den  erheblichen  degenerativen  Veränderungen  in  der  Pyn^ 
midenbahn  des  Bückenmarks  einerseits  und  denen  der  peripherischen  Organe 
andererseits  die  Vorderhömer  nur  in  relativ  geringfügiger  Weise  erkrankt  waren, 
wodurch  unser  Fall  eine  ganz  exceptionelle  Stellung  einnimmt.  Am  ehesten 
würde  er  sich  noch  in  anatomischer  Hinsicht  an  den  von  EiseniiOhb^  mitge- 
theilten  Fall  von  progressiver  atrophischer  Lähmung  anreihen,  falls  wir  einmal 
von  der  Pyramidenbahnerkrankung  in  unserem  Falle  absähen.  Hier  wie  dort 
hätten  wir  alsdann  gerii^fGigige  Vorderhomerkrankungen  und  ausgeprägte,  hoch- 
gradige degenerative  Veränderungen  in  den  peripherischen  Nerven  und  Muskeln 
allerdings  mit  der  Beserve,  dass  es  in  unserem  Falle  nicht  wie  dort  sicheigestellt 
werden  konnte,  dass  die  Veränderungen  in  den  mehr  peripher  gelegenen  Theilen 
der  Nerven  stärker  und  intensiver  waren,  als  in  den  centralen  Partien  derselben. 

In  unserem  Falle  tritt  nun  noch  die  Degeneration  der  Pyramidenseiten- 
strangbahn hinzu,  welche  in  dem  Falle  von  EisBiniOHB  fehlte.  Man  könnte 
sich  nun  im  Anschlüsse  an  Eisenlohb  vorstellen,  dass  der  krankhafte  Process, 

>  Dies  CentralbL  1SS4.  8. 145. 


—    558    — 

welcher  zuerst  die  Pyramidenbahu  betrufieu  hat,  wofür  aa<di  der  klinische  Ver- 
lauf zu  sprechen  scheint,  auf  die  Vorderhörner  abergegriffen  habe  und  dass  dann 
von  hier  aus  secondar  die  peripheren  Yerandeningen  hervorgerofen  worden  wäiea 
Es  lasst  sich  jedoch  nicht  leugnen,  dass  diese  Annahme  etwas  gesucht  erscheini, 
insbesondere  wenn  man  die  erheblichen  peripherischen  Yeranderongen  den  gering- 
fügigen der  grauen  Substanz  gegenflberhält  Wenn  man  dagegen  die  Annahme, 
welche  in  letzter  Zeit  immer  mehr  Vertreter  findet,  nämlich  dass  das  ganze 
System  des.  willkürlichen  Bew^ungsapparates  an  den  verschiedensten  Regionen 
primär  erkranken  und  dass  derartige  Erkrankungen  auf  einzelnen  Abschnitten 
des  Systems  localisirt  bleiben  können,  für  gesichert  hält,  so  muss  auch  die 
weitere  Annahme,  dass  dieses  ganze  neuromusculäre  System  an  mehreren,  ge- 
trennten Regionen  entweder  gleichzeitig  oder  aber  nach  einander  von  einem 
krankhaften  Processe  beMlen  werden  könne,  statthaft  sein.  Dies  vorausgesetzt, 
würden  wir  demnach  für  unseren  Fall  annehmen,  dass  sich  zuerst  die  Dege- 
neration der  Pyramidenseitenstrangbahn  entwickelt  habe  und  dass  erst  später 
die  peripherischen  Theile  des  motorischen  Leitungssystems  unabhängig  von  jenem 
Processe  erkrankt  wären,  wobei  ich  es  vor  der  Hand  ganz  unerörtert  lassen  will, 
ob  der  geringfügigen  Vorderhomerkrankung  überhaupt  irgend  welche  Bedeutung 
for  die  Aufibssung  des  Krankheitsfalles  zukonmie  oder  nicht  Mit  dieser  An- 
nahme würde  sich  auch  ganz  ungezwungen  der  klinische  Verlauf  in  unserem 
Falle  sowie  die  einzelnen  Erscheinungen  desselben  erklären  lassen.  In  der  ersten 
längeren  Periode  der  Erkrankung,  wo  der  krankhafte  Prooess  nur  auf  der  Pyra- 
midenseitenstrangbahn localisirt  war,  finden  wir  bei  unserem  Pat  das  typische 
Bild  einer  spastischen  Paralyse  vor,  welches  längere  Zeit  als  solches  bestehen 
bleibt.  Später,  als  anscheinend  die  peripherischen  Organe  erkranken,  treten 
ziemlich  rasch  vollständige  Lähmung  und  ausgebreitete  MuskeUitrophie  hinzu, 
während  gleichzeitig  die  spastischen  Symptome  zurücktreten,  resp.  vdlständig 
verschwinden. 

Wir  haben  es  demnach  hier  mit  einem  FalliB  zu  thun,  der  kliniscb  das 
Bild  der  von  Chaboot  scizzirton  amyotrophischen  Latoralsclerose  darbietet,  sich 
in  anatomischer  Beziehung  aber  von  den  CnABcoT'schen  Fällen  ganz  wesentlich 
dadurch  unterscheidet,  dass  die  Erkrankungen  der  Vorderhörner  nur  äusserst 
geringfügig,  die  der  peripherischen  Organe  dagegen  recht  erheblich  waren.  Dem- 
zufolge müssen  wir  auch  in  unserem  Falle  die  Lähmungen  und  Muskelatrophien 
auf  diese  peripherischen  Degenerationen  zurückfuhren,  während  dieselben  be- 
kanntlich Chabcot  durch  die  Vorderhomerkrankung  bedingt  sein  lasst 

Interessant  und  bemerkenswerth  ist  in  unserem  Falle  noch,  dass  dieses 
Krankheitsbild  bei  einem  Paralytiker  zu  Stande  kam  und  möchte  ich  im  Hin- 
blick auf  die  erheblichen  Veränderungen,  welche  unter  anderem  auch  die  Rinde 
der  Gentralwindungen  darbot,  nochmals  ganz  speciell  hervorheben,  dass  die 
Pyramidenstrangerkrankung  nicht  über  die  Decussatio  hinaus  verfolgt  werden 
konnte.  Ob  die  weitverbreiteten  und  zum  Theil  hochgradigen  Geffissveränderungen, 
welche  sich,  wie  erwähnt,  nicht  nur  im  Gehirn,  sondern  auch  im  Rückenmark 
und  an  den  Nerven  vorfanden,  irgend  welche  Bedeutung  für  die  Genese  der 


—    559 


eben  besprochenen,  degenerativen  Processe  haben,  muss  ich  dahiDgestellt  bleiben 
lassen,  jedenfalls  ist  eine  direote  Abhängigkeit  beider  Krankheitsprocesse  auszu- 
schliessen,  da  eigentlich  entzündliche  Yeränderangen  sowohl  in  den  Seitensträngen 
und  in  der  granen  Sabstanz,  als  auch  an  den  Nerven-  und  Muskelfasern  voll- 
ständig fehlten. 


3.  Zum  Zusammenhang  zwischen  allgemeiner  Paralyse  und 

Syphilis.   Casuistischer  Beitrag. 

Von  Dr.  Sommer  in  AUenberg. 

Im  Anschluss  an  die  soeben  von  Stbümpell  in  seinem  Aufsatz  über  den 
Zusammenhang  zwischen  Tabes,  resp.  Paralyse  und  Syphilis  veröfifentlichten 
„Einzelfälle'^  (vgl.  dieses  Centralbl.  1886.  S.  434)  sei  hier  ein  analoger  Fall  kurz 
mitgetheilt  Er  betrifft  einen  jungen  Mann,  der,  aus  psychopathischer  Familie 
stammend,  im  22.  Lebensjahre  nach  etwa  272Jähriger  Krankheit  unter  allen 
Symptomen  der  classischen  Paralyse  starb.  Das  ausserordentlich  frühe  Alter 
beim  Ausbruch  der  letzteren  erklärt  sich  aus  dem  Umstände,  dass  er  ab  Säug- 
ling von  seiner  Amme,  die  syphilitische  Geschwüre  an  den  Brustwarzen  hatte, 
inficirt  worden  war,  und  so  schwer,  dass  es  erst  nach  IV2 jähriger  Behandlung 
gelang,  die  secundären  Erscheinungen  zur  Heilung  zu  bringen. 


IL   Referate. 


Anatomie. 

1)   Sulle   degenerazioni   conseoutiYe  aU'estirpaBione  totale  e  paniale  del 
cerveletto,  pel  Dott.  V.  Marchi.  (Bivist.  sperim.  di  Freniatr.  1886.  XII.  p.  50.) 

Verf.  hatte  Gelegenheit,  das  CentralnenreDsystem  mehrerer  Thiere  (von  6  Hunden 
und  2  Affen)  genauer  zu  untersuchen,  bei  denen  Luciani  das  ganze  Cerebellum  oder 
Theile  desselben  entfernt  hatte,  und  bei  denen  es  gelangen  war,  sie  noch  Monate 
lang  am  Leben  zu  erhalten,  so  dass  secundare  Degenerationen  genügend  Zeit  gehabt 
hatten,  sich  auszubilden. 

Nach  totaler  Entfernung  des  Kleinhirns  fand  er  Sclerose  der  „grauen  Substanz, 
welche  in  der  oberen  Hälfte  der  Brücke  die  Pyramiden  einhüllt",  und  der  Oliven, 
femer  Degeneration  aller  Kleinhimstiele  und  des  Fl echsi gesehen  directen  Kleinhirn- 
Stranges,  aber  keine  Affection  der  Himnervenkeme  und  der  übrigen  grauen  Substanz 
auf  dem  Boden  des  IV.  Ventrikels. 

Nach  halbseitiger  Exstirpation  zeigten  sich  dieselben  Entartungen  auf  der  Seite 
der  Verletzungen,  auf  der  anderen  aber  nur  in  geringerer  Ausdehnung;  die  Annahme 
einer  totalen  Kreuzung  speciell  der  oberen  Kleinhimstiele  (der  Bindearme)  kann  daher 
nicht  wohl  aufrecht  erhalten  werden;  ein  Theil  derselben  verliert  sich  wahrscheinlich 
im  Stilling'schen  Kern  derselben  Seite. 

Nach  Exstirpation  des  Mittellappens  allein  beschränkt  sich  die  secundare  Ent- 
artung auf  einzelne  Faserbündel,  die  z.  B.  zu  den  Pyramidenbündeln,  zum  directen 
Kleinhimstrang,  zur  Beirschen  Schleife  und  zu  den  Fibrae  areif ormes  gehören. 


—    560 

Bemerkenswertb  ist  noch,  dass  nach  allen  theilweiMn  oder  voUstandigen  fix- 
stirpaüoiieD  emzelne  Faeern  aller  Hinmerren  degeneriren,  wahrend  ihre  ürsproiigs- 
kerne  dorcbaus  intact  bleiben.  (Nach  Edinger  lassen  sieb  übrigens  auch  nach  der 
Flechsig'schen  Methode  Fasern  ans  dem  Dache  des  Wnrms  nnd  ans  der  Flocke  an 
den  Kernen  vorbei  bis  in  den  Stamm  des  Acnsticns  nnd  Trigeminns  yerfolgen.) 

Sommer. 


Experimentelle  Physiologie. 

2)   Ueber  das  Athmnngsoentniin,  von  N.  Misslawsky.    Dissertation.    (Kasan 
1885.    Russisch.) 

Die  Unvereinbarkeit  der  verBcbiedenen  in  der  Literatur  vorhandenen  Angaben 
über  die  Beziehung  des  verlängerten  Marks  zum  Bespirationsmechanismns  veranlasste 
Verf.,  diese  Frage  einer  eingehenden  anatomischen  und  experimentellen  Prüfong  zu 
unterziehen.  Er  hatte  sich  dabei  die  Aufgabe  gestellt  zu  ermitteln«  ob  die  Hedulla 
oblongata,  eventuell  welche  Theile  derselben,  Centren  oder  Leitungsbahnen  für  die 
Athmung  enthalten.  Seine  Untersuchungen  sind  vorzüglich  an  Katzen,  zum  Theil 
auch  an  Hunden,  im  Laboratorium  von  Prof.  Kowalewsky  (Kasan)  angestellt. 

Im  anatomischen  Theil  seiner  Arbeit  beschreibt  Verf.  eine  seiner  Behauptung 
gemäss  bisher  nicht  beachtete  Zellengmppe  im  verlängerten  Mark  genannter  Thiere. 
Dieselbe  liegt  in  der  Formatio  reticularis  symmetrisch  neben  der  Baphe^  medial wärts 
von  den  Hypoglossuswurzeln,  ventral  vom  Hypoglossuskem  und  dorsal  von  den  unteren 
Oliven;  sie  beginnt  in  der  Höhe  des  Calamus  scriptorius  und  endet  aufwärts  zu- 
gleich mit  dem  Hypoglossuskem,  wo  sie  an  das  untere  (hintere)  Ende  des  Boller'schen 
Nudeus  centralis  grenzt;  ihre  Zellen  sind  kleiner,  als  die  des  letzteren  (0,0113  bis 
0,0343  mm). 

Die  experimentellen  Untersuchungen  Misslawsky*s  bestanden  in  partiellen 
Durchschneidungen  des  verlängerten  Marks  in  der  Gegend  der  bezeichneten  Zellen- 
gruppen sowohl,  als  auch  an  anderen  Stellen,  und  hatten  den  Zweck,  festzustellen, 
ob  durch  Verletzung  bestimmter  Gebiete  der  Medulla  oblongata  Athmungsstöningen 
bewirkt  werden.  Ausser  Durchschneidungsversuchen  wurden  auch  solche  mit  elek- 
trischer Beizung  des  verlängerten  Marks  angestellt  Die  Athmungsbewegungen  wurden 
in  allen  Experimenten  auf  graphischem  Wege  notirt,  der  Umfang  und  Ort  der  Läsion 
in  den  Durchschneidungsversuchen  durch  mikroskopische  Untersuchung  ermittelt. 

Die  Ergebnisse,  zu  denen  Yerf.  auf  Grund  seiner  mfthevoUen  Arbeit  gelangt^ 
lassen  sich  in  Folgendem  resumiren: 

Die  Gierke*schen  Bespirationsbündel  (Funic.  solitarius)  haben  keine  Beziehung 
zu  den  Athmungsbewegun^n.  Letztere  werden  dagegen  durch  Durchsohneidniig  der 
oben  bezeichneten  Zellengrnppe  an  der  entsprechenden  KörperhäUte  sistirt  In  Folge 
dessen  ist  diese  Zellengmppe  als  Athmungscentrum  zu  betrachten.  Läaionen  des 
verlängerten  Marks,  welche  dieses  Gentrum  unversehrt  lassen,  beeinträchtigen  die 
Bespiration  in  keiner  Weise,  wenn  nicht  gerade  die  betreffenden  Leitmigsbahnen  ge- 
troffen sind;  letztere  liegen  im  verlängerten  Mark  nach  aussen  vom  Funic  solitarius. 
Vollständige  Abtrennung  des  Bückenmarks  von  der  Medulla  oblongata  hat  Stillstand 
der  Athmungsbewegungen  zur  Folge,  und  Yerf.  behauptet^  nach  dieser  Operation 
niemals  automatische  Bespiration  beobachtet  zu  haben.  Beizung  des  verlängerten  Marks 
mit  dem  Inductionsstrom  am  Winkel  und  in  der  Mitte  des  Calamus  scriptoiins  be- 
wirkt Beschleunigung  der  Athmung  oder  Stillstand  derselben  in  der  Inspiration;  da- 
gegen an  der  Basis  des  Calamus  —  exspiratorischen  Stillstand.  Galvanische  Bcdzuog 
des  Calamus  scriptorius  bringt  bei  absteigender  Stromrichtung  inspiratorischen  Still- 
stand, bei  aufsteigender  —  exspiratorischen  hervor. 

Eine  besondere  Yersuchaieihe  war  dem  Studium  des  Einflusses  h6her  gelegenor 


—    561      - 

Himtheile  auf  die  Athmnngsbewegongeii  gewidmet.  Hierbei  überzeugte  sich  Verf., 
dass  Abtrennung  des  Grosshims  und  der  Yierhügel  keine  wesentliche  Veränderung 
der  Respiration  bewirkt;  Beizung  sowohl,  als  Zerstörung  der  in  diesem  Gebiet  ge- 
legenen Centren  ist  nur  von  vorübergehenden  Erscheinungen  seitens  der  Athmungs- 
bewegungen  begleitet,  die  zudem  mit  anderen  Störungen  des  Locomotionsapparates 
combinirt  sind. 

Die  mitgetheilten  Yersuchsergebnisse  führen  M.  zu  dem  Schluss,  dass  das  yon  ihm 
ini  verlängerten  Mark  beschriebene  Athmungscentrum  das  „primum  movens"  der 
Bespirationsbeweg^gen  repräsentirt^  in  dem  es  zugleich  den  reflectorischen  Sammel- 
punkt für  alle  die  Bespiration  beeinflussenden  sensiblen  Nerven  bildet;  wahrscheinlich 
besteht  es  ans  zwei  gesonderten  Centren  —  einem  in-  und  exspiratorischen.  Da- 
gegen haben  die  von  Christiani,  Martin  und  Booker  im  dritten  Himventrikel 
und  in  der  Umgebung  des  Aquaeductus  Sylvii  beschriebenen  Athmungscentren  für 
die  Bespiration  eine  untergeordnete  Bedeutung,  indem  sie  zum  psycho-reflectorischen 
Apparat  gehören.  P.  Bosenbach. 


3)  IMnfliiHB  des  NervensystemB  auf  die  thierisohe  Temperatur,  von  Dr.  Ugo- 
lino  Mosso.    (Yirchow's  Archiv.  Bd.  106.  S.  80—126.) 

In  dieser  von  der  Turiner  med.  Facultät  preisgekrönten  Arbeit  weist  Yerf.  ex- 
perimentell nach,  dass  Muskelarbeit  und  Wärmeerzeugung  zeitlich  und  quantitativ 
nicht  einander  parallel  gehen.  Er  nimmt  daher  besondere,  Stoffwechsel  und  Wärme- 
entwickelnng  beeinflussende  Nerven  und  Centren  an.  Besonders  beweisend  erscheint, 
dass  an  curarisirten  Thieren  Strychnin  trotz  andauernder  Unbeweglichkeit  die  Tem- 
peratur steigert.  Sensible  Beize  und  psychische  Eindrücke  wirken  reflectorisch  tem- 
peraturerhöhend. Cocain  wirkt  ganz  spedell  reizend  auf  die  thermischen  Centren 
(Steigerungen  um  4 — 5^.  Die  Centren  liegen  im  Gehirn  und  Bückenmark.  Die 
lesenswerthe  Arbeit  ist  auch  im  Giom.  dell.  B.  Acc.  di  Med.  di  Torino  1885  mit 
Literatur  erschienen!  Th.  Ziehen. 


Pathologische  Anatomie. 

4)  Zur  Pathologie  der  poBtfebriien  Dementia  nebst  Bemerkungen  über  die 
Nervenjßasem  der  Grosshimrinde,  von  Prof.  H.  Emminghaus.  (Arch. 
f.  Psych.  Bd.  XVDL  3.) 

19jähr.  Student,  nach  schwerer  Becurrens  acute  agitirte  Demenz,  nach  ein  paar 
Monaten  bei  fortbestehender  Psychose  Tod  durch  chron.  ulceröse  Pneumonie  und 
Marasmus. 

Section:  Makroskopisch  Nichts.  Mikroskopisch:  Nervenfasern  der  Binde  überall 
durchaus  erhalten  (modificirte  Flechsig-Freud^sche  Gold-Methode);  Ganglienzellen 
der  ganzen  Binde  (ausgenommen  die  beiden  Cunei  und  den  Lobul.  anguL  sin.)  im 
Zustand  der  sog.  Sclerose  (Meynert),  die  pericellulären  Bäume  ebenda  erweitert. 
£.  nimmt  an,  dass  ursprünglich  trübe  Schwellung  und  albuminös-fettige  Degeneration 
des  Zellprotoplasmas  bestand  und  die  Erweiterung  der  Pericellularräume  von  Härtungs- 
schrumpfnng  der  Gkmglienzellen  herrührt.  E.  will  daher  nicht  von  Sclerose,  sondern 
von  parenchymatöser  Schwellung  sprechen,  letztere  bringt  er  mit  den  intra  vitam 
beobachteten  Erscheinungen  der  Demenz  in  Zusammenhang.  Th.  Ziehen. 


—    662    — 

Pathologie  des  Nervensystems. 

5)  Zur  Lehre  von  den  Looalisationen  im  Grosshim,  von  Dr.  Ad.  Büffet, 
dirigirender  Arzt  des  Centralho^izes  zu  Ettelbmeck.  (Sep.-Abdr.  aus  dem 
Bull,  de  la  See.  des  sciencee  med.  1886.) 

Ein  64jähriger  Mann  war  am  28.  Febr.  1885  durch  Schläge  auf  den  Kopf  und 
zwar  wahrscheinlich  vornehmlich  in  der  Gegend  der  unteren  Hälftie  des  linken  Scheitel- 
beins misshandelt  worden.  2 — 3  Monate  später  begann  er  zu  kränkeln  und  psychisch 
abzunehmen;  4 — 5  Monate  später  stellten  sich  rechterseits  leichte  krampfhafte 
Zuckungen  zuerst  nur  im  Gesicht,  dann  auch  im  Arm  und  endlich  auch 
im  Beine  ein.  Am  31.  Dec.  wurde  er  wegen  sich  häufender  epileptischer  An^e 
in  das  Hospital  aufgenommen.  Es  wurde  Parese  der  unteren  Hälfte  des  rechten 
Facialis,  des  Hypoglossus  (mit  anarthrischer  Sprachstörung)  und  beider  rechten  Ex- 
tremitäten, Steigerung  der  Haut-  und  der  Sehnenreflexe  dieser  Seite  constatirt  In 
der  Gegend  des  vorderen,  unteren  Viertels  des  linken  Scheitelbeines  verspürt  der 
Kranke  einen  schmerzhaften,  dumpfen  Druck.  Bei  Beginn  des  Anfalles  fangt  es  dort 
in  der  Tiefe  unter  Zunahme  des  Schmerzes  an  zu  klopfen,  es  tritt  heftiger  Schwindel 
ein,  Gesicht  und  Kopf  werden  nach  rechts  gezogen,  die  Zunge  setzt  sich  in  Bewe- 
gung und  gleich  darauf  auch  Arm  und  Bein.  Ist  der  Anfall  leicht,  so  befallt  er 
nur  das  Gesicht,  ist  er  stärker,  so  betheiligt  sich  auch  der  Arm  oder  mit  diesem 
auch  das  Bein.  Während  der  Beobachtungszeit  traten  die  Convulsionen  immer  in 
derselben  Reihenfolge  und  Oombination,  wie  sie  von  dem  Kranken  angegeben  war, 
auf;  waren  sie  heftig,  so  betheiligte  sich  später  auch  die  linksseitige  Musculatiur. 
Den  AnföUen  vorauf  ging  Erblassen  des  Gesichts,  in  ihrem  Gefolge  erschien  vorüber- 
gehende Zunahme  der  Lähmung  und  Trübung  des  Bewusstseins.  Schliesslich  scheint 
der  Kranke  amnestische  Sprachstörungen  gezeigt,  die  Sensibilität  in  den  gelähmten 
Gliedern  verloren  zu  haben  und  verblödet  zu  sein.  Einige  Tage  vor  dem  am 
25.  März  d.  J.  eintretenden  Exitus  war  der  linke  Arm  dauernd  contracturirt 

Die  Section  wies  eine  Neubildung  nach,  die  die  unteren  '/^  des  linken  Klapp- 
deckels vornehmlich  in  seinem  der  vorderen  Gentralwindung  angehörenden  TheÜe 
einnahm  und  die,  soweit  sich  dies  nach  der  gegebenen  Beschreibung  beurtheilen  lässt, 
ein  hämorrhagisches  Gliom  oder  Gliosarcom  war.  Der  Best  der  beiden  Gentnüwin- 
dungen,  Fuss  der  3.,  theilweise  der  2.  Stimwindung,  der  zugehörige  Theil  der  inneren 
Kapsel  und  der  anliegende  Theil  der  Insel  fand  sich  weiss  erweicht.     Hitzig. 


6)   Zur  Lehre   von   den   Looalisationen   im   Gfrehim,    von   A.   Panormow. 
(Wratsch.  1886.    Nr.  39.     Russisch.) 

Der  Beitrag  des  Verf.  zur  Localisationslehre  besteht  in  der  Mittheilung  eines 
leider  sehr  unvollständig  untersuchten  Falles  cerebraler  Herderkrankung  mit  Autopsie. 

Patient,  ein  50jähriger,  in  seiner  Jugend  wahrscheinlich  syphilitisch  infidrter 
Mann,  war  in  seinem  32.  Jahr  an  Parese  des  rechten  Arms  erkrankt,  die  nach 
kurzer  Zeit  bei  indififerenter  Behandlung  verschwand;  nach  5  Jahren  stellte  sich  die 
Parese  von  Neuem  ein,  entwickelte  sich  sogar  bis  zur  vollständigen  Lähmung,  ging 
aber  nach  einer  Mercurialcur  bald  wieder  vorüber.  In  seinem  42.  Jahre  erknuikt« 
er  an  motorischer  Aphasie,  die  bis  an  sein  Lebensende  anhielt,  obgleich  bereits  nach 
kurzer  Zeit  (Jodkaligebrauch)  eine  bedeutende  Besserung  der  anfänglich  vollständige!! 
Sprachstörung  eingetreten  war.  Der  Tod  war  durch  Pneumonia  chronica  bedingt 
Die  Autopsie  ergab  im  Gehirn  nur  eine  beschränkte  Affection  der  hinteren  Hälfte 
der  zweiten  und  dritten  Stimwindungen  rechterseits.  Hier  war  die  Rinde  atro- 
phirt,  und  die  Nervenelemente  zum  grössten  Theil  durch  Neurogliage webe  ersetzt 
Untersuchung  des  verlängerten  Marks  erwies  das  Vorhandensein  einer  normalen 
Pyramidenkreuzung.  P.  Rosenbach. 


—    668    — 

7)  Ck>ntribution  a  l'ötude  de  lliteiianopsie  d'origine  oentrale  (hömianopsie 

oortioale)  par  £-0.  S^guin  (New  York).  (Arch.  de  Neurol.  1886.  Vol.  XI. 
p.  176.) 

Eine  historisch -kritische  Zosammenstellang  der  Fälle  centraler  Sehstörang  mit 
besonderer  Berücksichtigung  der  corticalen  Hemianopsie.    Er  theilt  die  F&lle  ein: 

1)  4  mangelhafte  und  nichts  beweisende  Fälle. 

2)  3  Fälle:  Sitz  der  Läsien  in  für  das  Sehen  indififerenter  E^on,  Secnndär- 
wirknng  durch  Compression. 

3)  6  Fälle  von  Läsion  des  Corpus  geniculatum  laterale,  des  Thalamus  opticus 
oder  Beider. 

4)  11  FäUe  von  Läsion  der  weissen  Substanz  des  Occipitallappens. 

5)  5  Fälle  von  traumatischer  Läsion  des  Hinterhaupts  und  des  Gehirns. 

6)  16  Fälle  von  Läsion  der  Bindensubstanz  mit  oder  ohne  der  darunterliegenden 
weissen.  4  davon  sind  gleichgeartet  und  ,dsLheT  beweisend,  einer  entstammt 
der  eigenen  Beobachtung  von  S.;  die  andern  sind  von   Haab,   Huguenin, 

Diese  vier  Beobachtungen  werden  genauer  reproducirt,  zuvor  aber  eines  Falles 
von  Trauma  des  Hinterhaupts  (Schuss)  mit  zurückgebliebener  rechtsseitiger  Hemia- 
nopsie mit  verticaler  Scheidung  Erwähnung  gethan  und  darüber  kurz  berichtet 

Der  S^guin^sche  Fall  betrifft  einen  46jährigen  Mann,  welcher  in  Folge  eines 
Mitralklappenfehlers  und  der  multipel  auftretenden  Embolien  neben  anderweiten  cere- 
bral-nervösen  Symptomen  eine  linksseitige  Hemianopsie  darbot.  Man  fand  einen 
älteren  gelben  Erweichungsheerd  an  der  medialen  (inneren)  Seite  der  rechten  Hemi- 
sphäre, welcher  die  Basis  des  Cuneus,  die  4.  und  5.  Temporalwindung  und  einen 
Theil  des  Gyrus  hippocampi  einnahm.  Leider  war  bei  der  Aufbewahrung  des  Prä- 
parates die  vordere  Hälfte  der  Hemisphäre  zu  Grunde  gegangen,  sodass  kern  voll- 
ständiger Befund  erhoben  werden  kann.  S.  meint  aber  bestimmt,  dass  der  be- 
schriebene Heerd  die  Ursache  der  Hemianopsie  ist.  Der  genauere  Zusammenhang 
wird  an  der  Hand  eines  nach  Munk  und  v.  Monakow  construirten  Schema's 
erläutert  und  die  verschiedenen  Complicationen  und  Modificationen  erörtert. 

Siemens. 

8)  Lesion   of  both  temporal  lobes  without   word-deafnesB   or  deaftiesst 

by  Landen  Carter  Gray.    (Journ.  of  nervous  and  mental  disease.  1886. 
p.  554.) 

Krankengeschichte  eines  50jährigen  Mannes,  der  unmittelbar  nach  einem  apo- 
plectiformen  Anfall  einen  eclatanten  Erinnerungsverlust  für  alle  Vorgänge  aus  der 
neueren  Zeit  ohne  Sprachstörung  und  überhaupt  ohne  jegliches  andere  Symptom 
eines  Himleidens  dargeboten  hatte.  Nach  mehreren  Krampfanfällen  und  nach 
Delirien  in  den  letzten  Tagen  trat  3  Monate  nach  der  Erkrankung  der  Tod  ein. 
Die  Section  ergab  bei  normaler  Dura  beiderseits  ausgedehnte  Periencephalitiden  und 
Capillarapoplezien  in  allen  Windungen,  welche  die  Sylvische  Furche  umgrenzen; 
hauptsächlich  war  die  Binde  von  links  T,  und  T.^,  und  rechts  von  T^  ergriffen. 
Ausserdem  bestand  eine  Erweichung  des  Marks  im  linken  Schläfenlappen. 

Als  Seitenstück  wird  der  bekannte  Fall  von  Westphal  (Zerstörung  des  linken 
Schläfenlappens  ohne  Aphasie,  Berl.  klin.  Wochenschrift.  1884,  S.  777)  herangezogen. 
Während  es  sich  hier  aber  um  einen  Linkshänder  handelte,  war  dies  dort  nicht  der 
Fall  und  es  hätte  die  beträchtliche  Läsion  des  linken  Schläfenlappens  Sprach-  und 
Gehörsstörungen  erwarten  lassen  müssen.  Verf.  glaubt  daher  die  Localisation  speciell 
der  sensoriellen  Aphasie  im  linken  Schläfenlappen  bezweifeln  zu  dürfen. 

Sommer. 


—    664    — 

0)  Ein  Beitrag  lur  EeimtiiiaB  der  stellvertretenden  Thätigkeit  des  xeohteD 
Gehirns  bei  Auafoll  des  linken  Spraohoentnuns  tob  Dr.  Felix 
Eanders.     (Med.  Jahrb.  1886.) 

Mann  von  25  Jahren  erlitt  einen  Schlaganfall  mit  rechtsseitiger  Kgri>erl&hinnng> 
Hemianästhesie,  Aphasie  und  allmählich  sich  entwickelnder  Gontraktiir  des  rechten 
Arms,  Sprachstörung  und  Lähmung  des  rechten  Beins  bildeten  sich  leidlich  zoröck. 
Nach  2  Jahren  Paraplegie  der  Beine>  Sphincterenlähmong,  DecabitoSy  Tod.  Seetion: 
Compressionsmyelitis  in  Folge  von  Oaries  tnbercnlosa  des  1.— 4.  BrostwirbelSy  ferner 
linksseitiger  encephalomaladscher  Heerd,  der  den  gyr.  front.  lU,  z.  T.  audi  n,  den 
gyr.  temp.  I,  Klappdeckel,  unteres  Scheitelläppchen,  Insel  und  Vormauer  mit  dem 
darunterliegenden  Mark  zerstört  hat. 

Die  Rückbildung  der  Aphasie,  Worttanbheit  und  Schriftblindheit  erklärt  Verf. 
aus  Uebemahme  der  Funktion  durch  die  rechte  Hemisphäre,  die  Erweichung  selbst 
aus  anämischer  Necrose.  Th.  Ziehen. 

10)  Contributo  alla  diagnosi  di  sede  delle  malatüe  del  ponte  di  Varolio, 

pel  doti  £.  TassL   (Rivisi  speriment.  di  freniatr.  etc.  1886,  XII,  pag.  72.) 

Ein  60jähriger  Mann,  früher  luetisch,  litt  seit  4  Jahren  an  heftigen  and  be- 
sonders zur  Nachtzeit  auftretenden  Hinterhauptsschmerzen.  Später  gesellten  sieb 
epileptische  Anfälle,  Articulationsstörnng  bis  zur  Sprechunfähigkeit,  motorische  und 
sensorische  Lähmung  der  linken  Extremitäten  mit  secundärer  Contractur  und  neu- 
ndgiformen  Blitzschmerzen,  Abschwächung  des  Gehörs,  Facialparalyse  rechts,  Ab- 
weichung der  Zunge  (wohin?),  beiderseitige  Myosis  und  Strabismus  convergens,  sowie 
Geistesschwäche  hinzu  und  unter  mengingitischen  Symptomen  erlag  nach  Tmonatlichef 
Krankenhausbehandlung  Fat.  seinen  Leiden.  Die  Seetion  bestätigte  vollauf  die  be- 
sonders mit  Bücksicht  auf  Nothnagers  Angaben  gestellte  Diagnose  auf  ein  Syphilom 
in  der  rechten  Hälfte  der  Yarolsbrücke.  Sommer. 


11)  Absods  tuberooleuz  et  tnberoiiles  oms  mnltiples  du  pont  de  Varole, 

par  le  prof.  A.  d'Espine.  (Bevue  mMLcale  de  la  Suisse  romande  Nr.  VI 
pg.  371.) 

Ein  24jähriger  Mann  mit  phthisischen  Lungensymptomen  erkrankte  nach  starker 
Erhitzung  und  darauf  folgender  schneller  Abkühlung  mit  linksseitigem  Kopfschmerz, 
der  besonders  Abends  an  Intensität  zunahm:  nach  6  Tagen  folgte  eine  Parese  des 
linken  Armes  und  Beines,  welche  ohne  Bevmsstseinsverlust  eintrat^  später  öfteres  Er- 
brechen und  Schwindel.  Im  weiteren  Verlauf  stellten  sich  Analgesie,  Anaesthesie 
und  Parästhesien  in  den  paretischen  Gliedern  ein,  desgl.  in  der  linken  Gesichtshälfte. 
Weiterhin  kommt  dazu  eine  Lähmung  des  rechten  äussern,  dann  des  linken  innem 
und  zuletzt  des  linken  äussern  Augenmuskels,  während  die  Pupillen  gleich  bleiben 
und  egal  funktioniren.  Weitere  Krankheitssymptome  sind  dann:  Idcfate  Ptosis  links, 
Fadalisparese  rechts,  besonders  im  Facialis  superior,  Zunge  weicht  nach  links  ab, 
vollständige  Taubheit  auf  dem  linken  Ohr,  Geschmack  fehlt  auf  beiden  Znngenhälften, 
vasomotorische  Störungen  links  (Temperatur  links  ein  wenig  höher  wie  rechts).  Die 
ganze  Krankheit  dauerte  ö  Wochen. 

Bei  der  Sektion  fand  man  einen  Abscess,  in  dem  übrigens  Tuberkel-BatiU«! 
nachgewiesen  werden  konnten,  welcher  die  rechte  und  vordere  Hälfte  der  Brücke 
und  zwar  dabei  mehr  die  obere  und  seitlichen  Partieen  einnahm. 

Auf  wtttere  Schnitte  in  geringen  Abständen  von  vorn  nach  hinten  aeigte  sieb 
die  rechte  Hälfte  von  käsigen  gelben  Tuberkeln  eingenommen,  die  indessen  auch 
nach  links  herübergreifen  und  den  Abducens  und  Acusticus-Kem  mehr  oder  weniger 
schädigen,  während  der  letztere  rechte  intact  geblieben  ist. 


—    565    — 

Aus  der  Kritik  dieses  Falles,  welche  im  wesentlichen  sich  an  die  Arbeiten 
deutscher  Autoren  anschliesst  (cf.  d.  Centralbl.  1886  S.  402  Ref.  über  Bleuler: 
Heerderkrankungen  der  BrQcke),  ist  hervorzuheben,  dass  V.,  um  das  Zustandekommen 
der  conjugirten  Augendeviation  zu  erklären,  für  eine  Verbindung  der  Abducens  und 
Oculomotorinskeme  durch  das  „hintere  Längsbündel"  eintritt.  Sperling. 


12)  Bin  Fall  amyotrophlBoher  Solerose  (Degeneration  der  Pyramiden- 
bahnen in  ihrer  gansen  Ausdehnung,  und  auoh  der  entsprechenden 
Regionen  der  Grosshimrinde)  von  Professor  A.  Koshewnikow  (Wjestnik 
psychiatrii  i  nevropatologii.  1885,  ü.  Russisch.) 

Eine  51jährige  Frau  wurde  am  19.  September  1884  in  die  Moskauer  Nerven- 
klinik  mit  folgendem  Status  aufgenommen:  Lähmung  und  Atrophie  (mit  herabgesetzter 
electrischer  Erregbarkeit)  der  Muskeln  an  beiden  Oberextremitäten,  am  Schultergürtel 
und  Nacken;  Parese  der  unteren  Gesichtshälfte;  leichte  Parese  der  Unterextremitäten; 
bedeutende  Steigerung  der  Sehnenreflexe.  Sensibilitätsstörungen  fehlten;  Sprache  ver- 
langsamt, mit  undeutlicher  Articulation;  Zunge  nach  rechts  abgelenkt,  mit  heftigen 
fibrillären  Zuckungen,  aber  ohne  wahrnehmbare  Atrophie:  Diagnose  sclerosis  late- 
ralis amyotrophica.  Die  Krankheit  hatte  —  nach  Angabe  der  Patientin  —  ungeföhr 
vor  einem  halben  Jahr  begonnen.  Zuerst  stellten  sich  Schmerzen  in  den  Armen  ein, 
denen  bald  allmählich  zunehmende  Abmagerung  folgte;  fast  zu  gleicher  Zeit  wurden 
auch  die  Nackenmuskeln  befallen.  Die  Sprachstörung  und  Schwäche  der  Beine  hatte 
sich  erst  vor  Kurzem  hinzugesellt.  Der  Tod  erfolgte  zwei  Monate  nach  der  Auf- 
nahme unter  asphyctischen  Erscheinungen,  bedingt  durch  rasch  fortschreitende  Bulbär- 
lähmung  —  Sprachstörung,  Schlingbeschwerden  und  Athemnoth;  die  Parese  der 
Unterextremitäten  hatte  auch  zugenommen,  die  anderen  Symptome  waren  wesentlich 
unverändert  geblieben. 

Die  sorgfaltige  postmortale  Untersuchung  ergab  folgende  Resultate:  In  den  afü- 
cirten  Muskeln  fand  sich  einfache  Atrophie  und  Schwund  der  Muskelfasern,  ohne 
I>egenerationszeichen.  Die  Nervenstämme  der  Oberextremitäten  (medianus,  radialis, 
ulnaris),  zum  Theil  auch  N.  peroneus,  femer  die  vorderen  Wurzeln  der  unteren 
Oervicsd-  und  oberen  Dorsalnerven  und  des  N.  hypoglossus,  die  schon  makroscopisch 
verdünnt  und  grau  verfärbt  erschienen,  enthielten  eine  Menge  atrophischer  und 
degenerirter  Fasern.  Im  Bückenmark  erwies  die  mikrospische  Untersuchung  einer 
fortlaufenden  Querschnittsreihe  ausschliessliche  Degeneration  der  Pyramidenseiten- 
stränge  in  der  weissen  Substanz,  und  Atrophie  (Schwund,  Zerstörung,  Entartung)  der 
grossen  multipolaren  Zellen  in  den  Vorderhömem,  hauptsächlich  in  der  Cervical- 
anschwellung  und  im  oberen  Dorsalmark.  Femer  fand  sich  Atrophie  und  Degene- 
ration der  Nervenzellen  im  Hypoglossuskem.  Die  Degeneration  der  Pyramidenbahn 
setzte  sich  beiderseits  durch  das  ganze  Bückenmark  und  Gehirn  fort.  Sie  konnte 
bis  zur  Uöhe  des  Streifenhügels  als  compactes  Bündel  verfolgt  werden;  weiter  auf- 
wärts —  in  der  Marksubstanz  der  Hemisphären  —  wies  die  mikroscopische  Unter- 
suchung zerstreute  Degeneration  einzelner  Nervenfaserbündel  mit  entsprechenden  Ver- 
ändemngen  der  Neuroglia  nach.  In  den  Markleisten  der  Centralwindungen  nahm  die 
Degeneration  wieder  einen  mehr  compacten  Character  an.  In  der  Rinde  dieser 
Windungen  selbst,  namentlich  in  den  inneren  Schichten  wurde  Atrophie  (Schwund 
und  pathologische  Veränderungen)  der  Nervenzellen  constatirt.  Die  Menge  der  grossen 
Pyramidenzellen  in  der  4.  und  5.  Schicht  (nach  Meynert)  erschien  vermindert; 
andere  hatten  ihre  normale  Configuration  und  Fortsätze  eingebüsst;  auch  hatte  hier 
Neubildung  von  Spinnenzellen  und  Kemen  stattgefunden,  während  die  äusseren  Binden- 
schichten, von  der  3.  angefangen,  nichts  Abnormes  erkennen  Hessen.  Die  Binden- 
afifection  betraf  hauptsächlich  das  mittlere  und  obere  Drittel  der  vorderen  Central- 
windung  und  den  Lobulus  paracentralis;  in  der  hinteren  Centralwindung  war  sie  be- 


—    666     - 

deutend   schwächer  ausgeprägt,   und   in  den   anderen  EUsgionen  der  Himoberfiäche 
fehlte  sie  vollständig. 

Zum  Schlnss  macht  Verf.  auf  die  grosse,  sogar  alle  Details  der  pathologischen 
Veränderungen  betreffende  Analogie  aufmerksam,  die  zwischen  seiner  Beobachtung  und 
zwei  neulich  von  Charcot  et  Marie  (Archives  de  Neurologie  1885,  Nr.  28 — ^29) 
veröffentlichten  Fällen  amyotrophischer  Lateralsclerose  aufmerksam.  In  letzteren 
wurde  die  Degeneration  der  Fyramidenbahnen  ebenfalls  bis  in  die  Binde  der  Central- 
windungen  hinein  verfolgt  P.  BosenbaclL 


Psychiatrie. 

13)  Ueber  motorisohe  Symptome  bei  einftohen  FflyohoBen,  von  Dr.  Freus- 
berg,  Bonn.     (Arch.  f.  Psych.  XVn.  3.) 

Verf.  zerlegt  die  mot.  Symptome  in  6  Gruppen  oder  Stufen: 

1.  Veränderte  Erregbarkeit  der  mot.  Apparate. 

2.  Veränderter  Tonus  der  Muskulatur. 

3.  Paroxysmelle  motorische  Entladungen  psychischer  Erregungsvorgänge  durcb 
Krämpfe  oder  Starre  oder  unwillkürliche  Bewegungen  (Grimassen,  Herum- 
wälzen etc.). 

4.  Dem  Vorstellungsinhalt  inadäquate  mot.  Begleiterscheinungen. 

5.  Intentionsbewegungen. 

6.  Automat.  Bewegungen. 

Verf.  hat  speciell  Gruppe  3  studirt.  Krampf  und  Starre  sind  ihm  nicht  prin- 
cipiell  verschieden;  wie  jede  Erregung  auf  Gleichsinnigkeit,  jede  Hemmung  auf  Un- 
gleichsinnigkeit  der  Beize  beruht,  so  entspricht  auch  das  Eintreten  von  motorischen 
Hemmungs-  oder  Beizerscheinungen  bei  Psychosen  nur  einem  verschiedenen  Grade 
der  Thätigkeitsentladung  psychischer  Spannung  auf  das  motor.  Gebiet. 

Das  Verhältniss  zu  Alkoholismus,  Epilepsie  und  Hysterie  wird  eingehend  erörtert 
Das  Bewusstsein  nimmt  an  diesen  Parozysmen  keinen  Antheil,  zeitweise  ist  es 
traumhaft  getrübt.  Hallucinationen  können  nebenher  gehen,  spielen  aber  ebensowenig 
wie  peripherische  Beize  oder  die  Willkür  eine  ursächliche  Bolle:  die  motorischen  Central- 
apparate  werden  durch  die  psychische  Erregung  direkt  beeinflusst  Associations- 
Störungen,  klare  Wahnideen  und  Affekte  fehlen  wenigstens  primär  in  den  Paroxysmen. 
Die  Verrücktheit  stellt  das  grösste  Contingent  solcher  Entladungen. 

Th.  Ziehen. 


14)  On  oonvnlsive  tio  with  explosive  disturbanoeB  of 'speeoh,  ao-oalled 
Gilles  de  la  Tourette's  disease,  by  C.  L.  Dana  and  W.  P.  Wilkin. 
(Joum.  of  nervous  and  ment.  disease.  1886.  p.  407.) 

Die  angezeigte  Krankheit,  charakterisirt  durch  plötzliche  Ausbrüclie  cborea- 
artiger  Bewegungen  und  Gestiiculationen,  die  von  unwillkürlich  ausgestossenen  Lauten 
oder  Worten  begleitet  werden,  ist  zuerst  von  Bouteille  1818  in  seinem  Traite  d« 
chor^  erwähnt  und  seitdem  auch  häufiger  beobachtet  worden;  sehr  wahrscheinlich 
gehören  zu  demselben  Symptomencomplex  die  als  „Jumping",  „Myriachit"  und  »Jjatah"* 
aus  den  Vereinigten  Staaten  Amerikas,  au»  Sibirien  und  Java  beschriebenen  Krank- 
heitszustände.  1884  und  1886  hat  Gilles  de  la  Tourette  in  den  Archives  de 
Neurologie  alle  früheren  und  eigene  Beobachtungen  vereinigt  und  besonders  darauf 
aufmerksam  gemacht,  dass  die  unwillkürlichen  Bewegungen  und  AusrufungeD  häufig 
einen  nachahmenden  Charakter  haben;  sie  reprodudren  häufig  nur  die  Bewegungcs 
und  Beden,  die  andere  Personen  soeben  vorgenommen  oder  gehalten  haben  —  Echo- 


—    667    — 

tonesis  and  Echolalie.  Recht  h&ofig  kommt  es  aber  auch  zu  Eoprolalie,  d.  h.  zu 
dem  unwillkürlichen  Auastossen  schmutziger  Worte,   ohne  dass  sie  vorgesagt  wären. 

Die  Verf.  theilen  nun  folgenden  neuen  Fall  mit.  Ein  12jähriger  Knabe,  der  in 
jeder  Beziehung  weit  zurück  geblieben  war,  fing,  angeblich  nach  einer  Verstauchung 
des  einen  Fusses,  plötzlich  an,  ohne  jede  Veranlassung  und  ganz  zusammenhanglos 
höchst  obscöne  Worte  einige  Mal  schnell  hintereinander  auszurufen,  so  dass  Patient 
dieser  Störung  wegen  aus  der  Schule  entfernt  wurde.  Bald  gesellte  sich  Echolalie 
dazu,  d.  h.  er  musste  unwillkürlich  die  letzten  Worte  eines  jeden  Bedesatzes,  den 
er  gehört  hatte,  laut  wiederholen,  und  er  selbst  vermochte  nicht  mehr  etwas  zu  ver- 
heimlichen oder  zu  leugnen,  weil  er  automatisch  und  sehr  wider  Willen  seine  letzten 
Gedanken  aussprechen  musste.  Dabei  wurde  auch  das  (jesicht  durch  Grimassen  und 
choreatische  Bewegungen  verzerrt  und  nach  einigen  Monaten  bildete  sich  immer  deut- 
licher Chorea  aus,  während  die  Zwangsreden  seltener  wurden. 

Grewöhnlich  ist  der  Verlauf  übrigens  umgekehrt  Bei  neuropathischen  Kindern, 
oft  im  Anschluss  an  eine  heftige  psychische  Erregung,  stellten  sich  unwillkürliche 
Bewegungen  im  Gesicht  und  in  den  oberen  Extremitäten  ein,  die  anfaUsweise  und 
mit  verhältnissmässig  freien  Zwischenräumen  wiederkehren,  und  erst  dann  schliessen 
sich  die  unarticulirten  Ausrufe,  die  Schimpfworte  und  die  echomässig  reproducirten 
Redesatze  (und  Bewegungen)  an. 

Alle  diese  eigenthümlichen  Zustände  sind  sehr  hartnäckig  und  recidiviren 
ausserordentlich  leicht,  so  dass  schon  Board  sagte:  Once  a  Jumper,  always  a  Jumperl 
Isolirung  scheint  die  beste  Therapie. 

(Vergl.  auch  dieses  Gentralblatt  1883  S.  288,  1884  S.  280  und  426  and 
1885  S.  161.)  Sommer. 


Therapie. 

16)  neber   die  Behandlung   der  Dipsomanie  mit  Strychnin,  von  K.  Tol- 
winski.     (Wratch.  1886.  Nr.  38.  Russisch.) 

Im  Anschluss  an  die  vor  Kurzem  erschienene  Hittheilung  Popof's  über  Be- 
handlung der  Dipsomanie  (s.  Bef.  in  diesem  Gentralblatt  1886  S.  236)  theilt  Verf. 
einen  Fall  aus  seiner  Praxis  mit. 

Ein  34jähriger  Bäcker,  dessen  Vater  an  Alkoholismus  und  dessen  Schwester  au 
Hysterie  Utt,  war  seit  seinem  25.  Jahr  häufigen  Anfällen  von  Trunksucht  unterworfen. 
Dieselben  begannen  mit  Verstimmung,  Herzklopfen,  Neigung  zur  Einsamkeit  und  un- 
überwindlichem Drang  nach  Branntwein;  während  der  Anfälle  selbst  stellten  sich 
zahlreiche  Sinnestäuschungen  des  Gesichts  und  Gehörs  ein,  nebst  Schlaflosigkeit  und 
heftigem  Zittern.  In  den  letzten  Jahren  nahm  die  Dauer  der  einzelnen  Anfälle  zu 
(bis  zu  2 — 3  Monaten),  und  die  sie  trennenden  Zwischenräume  wurden  immer  ge- 
ringer. Seit  August  1886  hatte  Verf.  wiederholt  die  üblichen  Mittel  (GhlonQhydrat, 
Bromkali,  Opium)  ohne  ersichtlichen  Erfolg  angewandt  Während  eines  Anfalls  im 
Mai  c.  versuchte  er  Strychnin  in  Pillenform  zu  Yeo  ^^^^  P^^  ^^^'  ^°^  bereits  nach 
einigen  Tagen  stellte  sich  objective  und  subjective  Besserung  ein,  die  bei  fort- 
dauerndem Gebrauch  des  nämlichen  Präparats  im  Laufe  mehrerer  Monate  von  keinem 
neuen  Anfall  unterbrochen  wurde. 

(Aehnliche  Beobachtungen  über  den  therapeutischen  Nutzen  des  Strychnins  bei 
Dipsomanie  sind  in  letzter  Zeit  auch  von  Prof.  Manassein  [Wratsch  Nr.  38]  und 
Dr.  Parzewski  [Medicinskoje  Obosrenije  Nr.  15;  russisch]  mitgetheilt  worden^  —  Bef.) 

P.  Bosenbach. 


—    568    — 

Anstaltswesen. 

16)  neber  sohottischet   englisohe   und   franzöeisohe   Irrenanstalten,   von 

Siemerling.     (Arch.  f.  Psych.  XVH.  2,  S.  577—598.) 

Der  Vortrag  bietet  eine  interessante  Ergänzung  unserer  Eenntnipse  über,  fremd- 
Indisches  Irrenwesen,  die  sich  jedoch  naturgemäss  einem  kurzen  Referate  entzieht 
jo  eingehendste  Darstellung  widmet  er  dem  schottischen  Irrenwesen,  speciell  dem 
( ^ .cn-Door-System,  der  familiären  Irrenpflege  und  der  Frage  nach  der  Unterbri^ng 
geisteskranker  Yorbrecher;  die  Darstellung  der  letzten  Frage  bildet  auch  den  gross- 
ten  Theil  des  dem  englischen  Irrenwesen  gewidmeten  Raumes.  Zu  bedauern  und 
zwar  nicht  blos  im  Interesse  derjenigen  Leser,  die  nicht  selbst  französische  An- 
stalten besucht,  ist,  dass  S.  sein  im  Ganzen  wenig  günstiges  Urtheil  über  diese  nicht 
in  eingehender  Darstellung  motivirt  hat.  A.  Pick. 


m.  Aus  den  Oesellscbaften. 

In  der  Sitzung  der  k.  k.  GfresellBohalt  der  Aenste  bu  Wien,  vom  12.  No- 
vember 1886  kam  im  Anschluss  an  eine  Demonstration  eines  geheilten  Falles  von 
syphilitischer  Ataxie  locomotrice  von  Dr.  Hebra  die  Syphilis -Tabesfrage  zur  Dis- 
cussion.  v.  Bamberger,  Nothnagel,  Rosenthal  sprachen  sich  gegen  jeden  Znsammen- 
hang zwischen  Tabes  und  Syphilis  aus,  während  Benedict,  Wintemitz,  Grünfeld  einen 
solchen  Zusammenhang  nicht  zurückwiesen.  Neue  Gesichtspunkte  traten  dabei  nicht 
zu  Tage. 

Wenn  man  der  Statistik  überhaupt  einen  Werth  in  der  Medicin  beimessen  will 
—  und  die  Thatsachen  unserer  Aetiologie  sind  zum  grössten  Theil  aus  der  „Statistik" 
entstanden  — ,  dann  wäre  es  doch  endlich  Pflicht  der  Gegner  des  Zusammenhanges 
zwischen  Syphilis  und  Tabes  eine  Statistik  zu  bringen,  in  der  eine  verhältnissmässig 
grosse  Zahl  von  Tabikem  nicht  vorher  syphilitisch  war,  um  damit  also  die  Statistik 
£rb*s  u.  A.  zu  entkräften. 

Man  kommt  über  die  Zahlen  nicht  mit  autorativen  Aeusserungen  und  Erklärungen 
hinweg,  wie:  „Der  Zusammenhung  von  Tabes  und  Syphilis  ist  nur  ein  zufalliger''  oder: 
„Tabes  hat  mit  Syphilis  nichts  zu  thun".  Wenn  man  in  der  Anamnese  der  Tabiker 
in  ca.  75^/o  der  Fälle  Syphilis  findet  und  bei  derselben  gleichaltrigen  Bevölkemngs- 
classe,  die  nicht  tabisch  ist,  nur  in  ca.  12^  ^q  vorangegangene  Syphilis  nachzuweisen 
im  Stande  ist,  wie  die  neueren  Erhebungen  des  Ref.  zeigen,  wenn  solche  Zahlen 
immer  und  immer  und  an  den  verschiedensten  Orten  wiederkehren,  dann  m$gen  die 
Gegner,  wenn  sie  ihre  Behauptungen  beweisen  wollen,  doch  endlich  einmal  „zufällig"' 
eine  Statistik  mit  umgekehrten  oder  auch  nur  weniger  frappanten  Yerbaltnisszahleu 
bringen.     Bisher  ist  davon  nichts  bekannt  geworden. 

In  der  Sitzung  der  mediciniechen  Gtosellschaft  sa  Berlin  am  17.  Novbr. 
1886  sprach  sich  Virchow  bei  Gelegenheit  der  Discussion  über  Arthropathia  tabi- 
donim,  auf  die  wir  zurückkommen,  dahin  aus,  dass  die  Tabes  als  eine  Erscheinung 
der  constitutionelleu  Syphilis  auftreten  kann.  M. 


Druckfehler  her  ich  tigung. 

In  Nr.  22  lies  S.  531  Z.  22  von  oben  „physikalisch*'  statt  „psychisch";   Z.  24  ».Stern" 
statt  „Stein". 


Um  Einsendung  von  Separatabdrücken  an  den  Herausgeber  wird  »gebeten. 


Einsendungen  fnr  die  Redaction  sind  zu  richten  an  Prof.  Dr.  E.Mendel» 

Berlin,  NW.   Kronprinzen-Ufer  7. 


Verlag  von  Veit  &  Comp,  in  Leipzig.  —  Druck  von  Mbtzgbr  &  Wittig  in  Leipzig. 


NEUROLOGISCHESCENTRALBLAn. 

Uebersicht  der  Leistungen  auf  dem  Gebiete  der  Anatomie,  Physiologie,  Pathologie 
rnd  Therapie  des  Nervensystemes  einschliesslich  der  Geisteskrankheiten. 

Herausgegeben  tod 

Professor  Dr.  E.  Mendel 
Fflnfter  «» ^"^  Jahrgang. 


Monatlich  erscheinen  zwei  Nummern.   Preis  des  Jahrganges  16  Hark.   Zu  beliehen  durch 
alle  Buchhandlangen  des  In-  und  Auslandes,  die  Postanstalten  des  Deutschen  Reichs»  sowie 

direct  von  der  Verlagsbuchhandlung. 


1886.  15.  December.  NE;  24. 


Inhalt.    I.  Originalmittheilungen,    lieber  den  Schwachsinn,  von  Dr.  L.  Wltkowski. 

II.  Referate.  Anatomie.  1.  Le  cerveau  de  Gambetta,  par  Ouval.  2.  Bericht  über  die 
Leistungen  auf  dem  Gebiete  der  Anatomie  des  Centralnervensystems  vom  1.  Januar  1885 
bis  1.  Juni  1886,  von  Edinger.  —  Pathologie  des  Nervensystems.  3.  Gases  of  Cere- 
bellar  Disease,  by  Wilklnt.  4.  Tumeur  de  oervelet;  neoformation  de  tissn  nerveux  dans  le 
cervelet  et  la  protubärance,  par  Camescane.  5.  A  case  of  alcoholic  paralysis  preceded  and 
accompanied  by  amblyopia  ex  abusu,  by  Standish.  6.  Ueber  die  multiple  Neuritis  der  Alkoho- 
listen, von  Bernhardt.  7.  Ein  Fall  von'Erb'scher  PlexusliUimung,  von  Martius.  8.  Ein  Neu- 
rom der  Erb'schen  PlexusMrurzeln,  von  Rote.  9.  Ueber  Steigerung  der  Sehnenreflexe  bei 
Erkrankung  peripherischer  Nerven,  von  Strümpell  und  Möbius.  10.  Ein  Fall  von  Chorea 
posthemiplegica  „spuria",  von  Scheiber.  11.  NJvralgie  et  paralysie  oculaire  a  retour  p^o* 
dique,  constituant  un  Symptome  clinique  special,  par  Parinaud  et  Marie.  —  Psychiatrie. 

12.  The  reli^tionship  of  marriages  of  consangulnity  to  mental  unsoundness,  by  Shuttleworth. 

13.  Note  sur  un  cas  d'^pilepsie  avec  conscience,  par  Ball.  —  Forensische  Psychiatrie. 

14.  De  l'etat  mental  et  de  la  responsabüitö  pönale  dans  le  morphinisme  chronique,  par 
Garnier.  —  Therapie.  15.  The  use  of  nitrite  of  amyl  in  the  severe  paroxysms  of  whoo- 
pingoough,  by  Lewis.   16.  La  corrente  elettrica  in  un  caso  di  paraJysis  agit^ns,  nota  del  Ingria. 

III.  Pertonallen. 
Register. 

• 

I.  Originalmittlieilungen. 


Ueber  den   Schwachsinn. 

Von   L.  Witkowski. 

(Nach  einem  Vortrage  auf  der  10.  Versammlung  sfidwestdeutscher  Irrenärzte  am  30.  Oct.  1886.) 

Bei  der  vorjährigen  Yersammlong  des  Vereins  deutscher  Irrenärzte  hatte 
ich  einen  Vortrag  „zur  klinischen  Psychiatrie^^  gehalten,  der  mit  den  betreffenden 
Verhandlungen  im  42.  Bande  der  AUg.  Ztschr.  f.  Psychiatrie  erschienen  ist  und 
die  weitere  Ausfuhrung  eines  vor  nunmehr  10  Jahren  in  der  Berl.  klin.  Woohenschr. 
erschienenen  Aufsatzes  bildete.  Im  Anschluss  hieran  möchte  ich  heute  mit  ein 
paar  Worten  auf  das  Verhältniss  einiger  der  Grundformen  des  Irreseins  zu  ein- 
ander zurückkommen.  Es  handelte  sich  zunächst  um  Melancholie  und  Verrückt- 
heit. Neben  den  typischen  Fällen  beiderlei  Art  erweist  die  Erfahrung  das  Vor- 
kommen einer  „melancholischen  Verrücktheit^  die  sich  von  der  reinen 
Melancholie,  incl.  derjenigen   ^^it  Wahnideen^'  bestimmt  unterscheidet. 


-    570    - 

Sie  enthält  gleichzeitig  die  Grundelementer  beider  Erkrankangs- 
formen,  dauernde  Depression  neben  systematisirter  Wahnbildnng, 
und  lasst  sich  durch  eine  Anzahl  weiterer  Charaktere  —  stationären  Yerlaof 
mit  £Eist  absolut  ungünstiger  Prognose  nach  rascher  Fiximng  der  Stimmung 
und  des  Wahnsystems,  Fehlen  von  Verwirrtheit  und  tieferen  Schwachsinnsgraden, 
starke  Entwickelung  von  illusionärer  Personen-  und  Sachenverkennung  neben 
mehr  oder  weniger  intensiven  (Gehörs-  (nicht  selten  auch  Ge8ichtB-)tau8chungen. 
Auftreten  typischer  Ideenrichtungen  (Zweifel,  Verneinung,  Tod,  Ver&ultsein, 
Nichtsterbenkönnen)  —  so  bestimmt  präcisiren  und  von  anderen  Untergruppen 
der  Verrücktheit  sondmi,  wie  es  die  Belativität  aUer  derartigen  Unterscheidungen 
überhaupt  znlässt  Es  kann  hinzugefügt  werden,  dass  für  die  Manie  nichts 
ganz  Entsprechendes  beobachtet  wird,  eine  etwaige  „maniakalische  Verrücktheit^' 
vielmehr  im  Wesentlichen  mit  der  chronischen  Manie  zusammenfallen  würde. 

In  zweiter  Reihe  war  von  dem  Verhältniss  des  Schwachsinns  zu  den  ver- 
schiedenen psychischen  Erankheitsbildem  und  speciell  zur  Verrücktheit  die  Bede. 
Neben  den  mehr  stationären  Formen  dieser  Erkrankung,  welche  fast  aus- 
schliesslich die  Grundlage  der  bisherigen  Schilderungen  gebildet  haben,  muss 
man  erfiihrungsgemäfis  progressive  Fälle  unterscheiden,  die  firüher  oder  später 
deutlichen  Schwach-  und  sogar  Blödsinn  erkennen  lassen.  Durch  die  vieUaltigen 
Uebergänge  zwischen  beiden  Extremen  wird  eine  feste  Abgrenzung  vereitelt. 
Viehnehr  zeigt  sich,  dass  eine  ununterbrochene  Stufenleiter  von  dem  einfachen 
Schwachsinn  durch  allmählich  zunehmende  Einmischung  von  Sinnestäuschungen 
und  Wahnvorstellungen  zur  Verrücktheit  hinüberfahrt.  Es  ist  nicht  immer 
leicht  im  einzelnen  Falle  zu  entscheiden,  ob  das  positive  oder  das  negative 
Erankheitselement,  die  Abschw&chung  oder  die  Wahnbüdung,  überwiegt  IJebrig0[LS 
muss  man  ganz  Aehnliches  über  das  Verhältniss  des  Schwachsinns  zur  Manie 
und  Melancholie  aussagen;  auch  hier  sind  Mischformen  und  üeberg&nge  etwas 
gan^K  Gewöhnliches  und  haben  zu  der  von  mir  schon  früher  als  wenig  zweck- 
mässig erwähnten  Bezeichnung  „combinirte  Psychosen'^  Veranlassung  g^;eben. 

Hiermit  nicht  genug,  schien  mir  aber  ausserdem  auf  Grund  meiner  Er- 
fahrungen der  gewöhnlich  angewendete  Ausdruck,  die  meisten  Formen  von 
Seelenstörung,  soweit  sie  nicht  mit  Genesung  oder  Tod  enden,  führten  zu  „se- 
cundären  Schwächezuständen'S  den  Thatsachen  nicht  zu  entsprechen.  In  sehr 
vielen,  vielleicht  den  meisten  Fällen  von  chronischer,  dauernder  Geistesstörung 
ist  die  psychische  Schwäche  vielmehr  etwas  Primäres,  und  nimmt  den  gewöhn- 
lich vorzugsweise  beachteten  Erscheinungen  der  Stimmungsanomalien,  Dehri^, 
Wahnbildungen  gegenüber  dieselbe  Stellung  ein,  wie  bei  anderen  G«hirnkrank- 
heiten  die  Ausfalls-  gegenüber  den  Beizersoheinungen.  Indess^  genügt  es 
natürlich  nicht,  auf  diese  immerhin  beherzigenswerthe  Analogie  die  Anfinexannbat 
zu  lenken,  sondern  es  bedarf  bestimmter  Beweise,  um  die  Ansicht  von  der  pii- 
mären  Natur  vieler  Fälle  von  Schwachsinn  zu  stützen,  wobei  die  grosse  Schwie- 
rigkeit besteht,  dass  im  Anfange,  ähnlich  wie  dies  aber  auch  bei  vielen  „orga^ 
nischen^'  Gerebralerkrankungen  der  Fall  ist,  die  positiven  Beizerscheinungen  die 
mehr  negativen  der  Schwäche  verbergen  und  verdecken  und  letztere   dann 


—    671    — 


Familienanlage  im 
Ganzen  bei  t28»  62% 

originäre  Anlage  im 
Ganzen  bei  125  »60% 


Anlage  im 
i  Ganzen  bei 
172  =  82  % 


origin&rer  und 

primärer 

Schwaohflinn 

bei  156  =74% 


erst  nach  dem  Naohlayss  der  ersteren  deatlich  hervortreten«  Trotzdem  lassen 
sich  doch  ans  der  directen  Beobachtung  wertb?olle  Beweisstücke  beibringen,  als 
deren  Qnmdlage  folgende  kleine  Tabelle  dienen  mag,  die  nach  Daten  der  hie- 
sigen Anstalt  angestellt  ist 

Unter  217  Personen  (127  Männer,  90  Frauen)  deren  Vergangenheit  gut 
bekannt  ist^  fand  sich: 

Familienanlage  aUein  bei  47  (SSM. 

14  P.)  =  22  % 

Familienanlage  n.  originäre  Anlage 
bei  81  (45  M.  36  P.)  =  40  % 

originäre  Anlage  allein  bei  44(29M. 

15  P.)  =  ca.  20  % 

primärer  Schwachsinn  ohne  erkennbare  Anlage  bei  31  (20  M.  11  Fr.)  =  14  % 

Smnma:  203  (127  M.  76  F.)  Best  (von  217)  =  14  ansschliesBlich  Frauen. 

Hierzu  zunächst  ein  paar  erl&utemde  Bemerkungen.  Die  absolute  Mehr- 
heit von  Männern  hat  ihren  rein  äusserlichen  Grund  darin,  dass  zur  Zeit  nicht 
sämmtliche  S[rankengeschichten  der  Frauen  zur  Hand  waren.  Doch  bleibt  es 
bemerkenswerth,  dass  auch  relativ  die  Männer  tiberall  überwiegen  und  zuletzt 
nnr  ein  weibhcher  Best  zurückbleibt  Ob  hierbei  mehr  äusserliche  oder  in  der 
Sache  selbst  liegende  Ursachen  massgebend  sind,  namentlich  etwa  der  primäre 
Schwachsinn  bei  Frauen  verhältnissmassig  seltener  oder  die  Wirksamkeit  der 
bekannten  vornehmlich  im  Geschlechtsleben  der  Frauen  wurzelnden  Krankheits- 
ursachen auch  ohne  besondere  Anlage  erhebücher  ist  —  besonders  gering  er- 
scheint die  Ziffer  reiner  Familienanlage  d.  h.  solcher  ohne  deutliche  Abnormität 
in  dem  psychischen  Vorleben  der  Patienten  (14 :  90  »  6,5^/o  gegen  M.  33 :  127  » 
über  25^/o)  —  vennag  ich  nicht  mit  Sicherheit  zu  entscheiden.  Im  Allgemeinen 
werden  die  sehr  hohen  Zahlen  überraschen:  eine  Erblichkeit  von  62^/o,  originäre 
Anlage  60%,  Beides  zusammen  sogar  über  SO^/^!  Auch  hier  wirken  aber  äussere 
Gründe  mit,  indem  alles  irgend  Zweifelhafte  weggelassen  wurde,  ganz  sichere  nega- 
tive Angaben  aber  immer  sehr  schwer  zu  erhalten  sind,  und  ausführUche  Journale 
besonders  von  denjenigen  Kranken  vorliegen  mögen,  aus  deren  Vergangenheit  posi- 
tive belastende  Momente  nachgewiesen  werden  konnten.  Doch  bleibt  es  immerhin  auf 
Grund  dieser  Ergebnisse  auch  unter  Berücksichtigung  der  letzterwähnten  um- 
stände wahrscheinlich,  dass  unter  den  schweren  chronischen  Irreseinsformen  einer 
Pflegeanstalt,  in  der  acute  Fälle  gar  nicht,  subchronische  (z.  B.  Paralyse)  sehr 
wenig,  desto  mehr  dagegen  die  tiefsten  Formen  des  Blödsinns,  sowie  die  durch 
allerlei  störende  Eigenschaften  ausgezeichneten  „degenerativen^^  ^[ranken  ver- 
treten sind,  die  vererbte  sowohl  wie  die  individuelle  Anlage  und  vielleicht  auch 
der  primäre  Schwachsinn  besonders  häufig  vorkommen.  Während  hier  '/g  erb- 
lich Veranlagte  vorhanden  sind,  hatte  ich  früher,  an  der  Strassburger  klinischen 
Anstalt,  die  Erblichkeitszahl  wiederholt  auf  V4  festgestellt  und  nur  für  die  Ver- 
rücktheit allein  etwas  höhere  Zahlen  geAinden,  die  aber  ebenfalls  Vs  ^^^^ 
überstiegen. 

Die  originäre  Anlage  ist  bisher  meist  mit  der  Erblichkeit  vollständig  zu- 
sammengeworfen oder  doch  n  ur  nebenher  und  wie  beispielsweise  bei  EHMmaHAus 


—    572    — 

mehr  theoretisch  behandelt  worden.  Dagegen  habe  ich  versucht,  sie  auf  rein 
empirischer  Grandlage  d.  h.  einfach  den  anamnestischen  Angaben  folgend  abzu- 
sondern. Dabei  stellte  sich  heraus,  dass  funiliäre  und  indiridaelle  Anlage  etwa 
in  der  Hälfte  der  Falle  zusammengehen,  die  andere  Hälfte  aber  zu  ungefäir 
gleichen  Theilen,  also  etwa  je  ^1^,  einem  der  beiden  Gebiete  ausschliesslich  an- 
heimfällt, wie  sich  dies  aus  der  Tabelle  ergiebi  Versuchsweise  wurden  dann 
femer,  um  dem  Begriff  der  abnormen  Anlage  etwas  näher  zu  treten,  ent- 
sprechend den  Fingerzeigen,  welche  aus  der  Durchsicht  der  ersten  Journale  zu 
entnehmen  waren ^  alle  hierher  Gehörigen  unter  4  Gruppen  gebracht,  je  nach- 
dem sie  als  einfach  schwachsinnige,  stille,  nervöse  oder  bösartige 
Kinder  geschildert  waren.  Diese  Gruppirung  bestätigte  vollauf,  was  von  vorn- 
herein sehr  wahrscheinlich  war,  dass  bei  der  ganzen  „abnormen  Anlage*' 
die  geistige  Schwäche  die  Hauptsache  ausmacht,  ja  fast  allein  in  Be- 
tracht konunt.  Nicht  nur,  dass  sie  für  sich  allein  mehr  süs  Vs  ^^^  Gesammt- 
zahl  begreift,  sondern  bei  mindestens  der  Hälfte  der  Uebrigen  lässt  sie  sich 
ausserdem  mit  voller  Sicherheit  neben  Anderem  nachweisen  und  überhaupt  nur 
bei  einem  verschwindend  kleinen  Bruchtheil  des  Bestes  bestimmt  aussdiliessen. 
Man  kann  deshalb  auch,  ohne  einen  beträchtlichen  Fehler  zu  begehen,  die  ganzen 
125  (607o9  allenfalls  mit  einem  Abzüge  von  höchstens  IO^q)  dem  originären 
Schwachsinn  zuzählen.  Inunerhin  gebührt  den  drei  übrigen  Classen  eine 
kurze  Besprechung.  Der  Zahl  nach  die  schwächsten  sind  die  Stillen  (ein- 
schliesslich der  excessiv  Beligiösen).  Sie  haben  keine  besondere  Erankheits- 
disposition,  namenüich  nicht  zu  der  von  W.  Sai^deb  beschriebenen  „originären'* 
Verrücktheit,  von  der  sich  kein  Beispiel  in  dieser  Gruppe  findet  Viehnehi 
konunen  sehr  verschiedene  Bilder  vor,  doch  ist  bemerkenswerth,  dass  das  stille 
und  scheue  Wesen  fast  immer  auch  später  fortbesteht,  sodass  derartige  Ejnanke 
meistens  dauernd  etwas  Stuporöses,  gewöhnlich  mit  deutUch  melancholischer 
Färbung,  an  sich  tragen  und  zu  den  schweigsamsten,  dabei  aber  oft  brauch- 
barsten Bewohnern  der  Anstalt  gehören.  Die  Nervösen  (und  Kränklichen)  machen 
etwa  V4  der  Veranlagten  aus,  worunter  mindestens  die  Hälfte  bestimmt  gleich- 
zeitig von  vornherein  schwachsinnig  ist  Man  darf  nicht  erwarten,  etwa  hyste- 
rische oder  „neurasthenische''  KrankheitsbUder  mit  Vorliebe  zu  finden;  viehonehr 
haben  auch  hier  die  Formen  nichts  Specifisches.  Beachtung  verdient  nur,  das> 
bei  der  zweiten  Zahnung  oder  der  Pubertät  öfters  erhebliche  Besserung  der 
Körperconstitution,  gleichzeitig  aber  tiefer  geistiger  Verfall  eintritt,  wodurch  aus 
schwächlichen,  aber  noch  einigermassen  geistig  r^^samen  Kindern  sich  robuste 
Idioten  entwickeln.  In  Bezug  auf  die  Zahlen  gleichen  die  boshaften  Kinder  fast 
absolut  der  vorigen  Gruppe.  Die  häufigste  Krankheitsform  ist  hier  wie  übrigens 
auch  beim  einfachen  originären  Schwachsinn  die  Verrücktheit,  welche  in  der 
Geneigtheit  dieser  Individuen,  von  scheinbar  femliegenden  und  gleichgültigen 
Dingen  gemütblich  afißcirt  zu  werden  und  Alles  auf  das  eigene  Ich  zu  beziehen, 
einen  besonders  günstigen  Boden  zu  finden  scheint.  Denn  ist  auch  die  System- 
bildung ein  wesentlich  intellectueller  Act,  so  entstehen  und  fixiren  sich  doch 
Wahn-  und  Zwangsvorstellungen  am  leichtesten  da,  wo  eine  zeitweilig  oder 


-       578 

dauernd  abnorm  erhöhte  Erregbarkeit  der  Gemüthsthatigkeit  selbst  fernstehende 
Personen,  Dinge  and  Ereignisse  zur  eigenen  Person  in  Beziehung  bringt,  zumal 
wenn  das  Darniederliegen  der  Kritik  die  Gorrectur  verhindert  und  einen  Beiz- 
zustand der  Sinnescentren  begünstigt,  der  bald  primär,  bald  secundär  sich  am 
Ausbau  des  Systems  betheiligt.  XJebrigens  kommen  auch  andere  Psychosen  hier 
vor  und  die  Bösartigkeit  verliert  sich  nicht  selten  in  späteren  Jahren.  Die 
Existenz  eines  rein  „moralischen^'  Irreseins  ganz  ohne  geistige  Schwäche  halte 
ich  nicht  für  erwiesen  und  für  wenig  wahrscheinlich;  doch  hat  die  Bezeichnung 
ihre  Berechtigung,  theils  für  gewisse  Perioden  und  Symptome  bei  complicirteren 
Processen,  wie  Paralyse,  Hysterie,  circulärem  Irresein,  auch  mancher  Manie 
oder  Verrücktheit,  theils  für  Kranke,  die  mit  einem  relativ  geringen  Grade  von 
Schwachsinn  eine  besondere  Perversität  der  Gemüthsrichtungen  und  Triebe,  und 
zwar  meistens  nur  eines  Theils  derselben,  verbinden.  Hierher  gehören  die 
meisten  als  „sittliche  Idioten"  beschriebenen  Individuen  (siehe  z.  B.  den  kürzlich 
in  Berlin  verhandelten  Fall  Schneider,  wo  trotz  deutlichsten  Schwachsinns  Ver- 
urtheilung  erfolgte). 

M^n  nun  auch  die  hier  mit^etheUten  Zahlen  in  Folge  äuaserlioher  Um- 
stände abnorm  grosse  sein,  so  bleiben  sie  doch  auch  nach  etwa  erforderlichen 
Abzügen  geeignet,  die  ausserordentliche  Häufigkeit  zu  beleuchten,  mit  welcher 
Schwachsinnserscheinungen,  originäre  oder  primäre,  den  eigentlichen  Psychosen 
vorangehen.  Berechnet  man  auf  Grund  der  meisten  Anstaltserfahrungen  die 
Zahl  der  Genesungen  auf  V4 — Vs?  ^  ^^^  ^^  diesem  Yerhältniss  entsprechend 
die  Ziffer  der  ohne  Anlage  mit  deutlichen  primären  Schwächeerscheinungen  Er- 
krankenden —  statt  auf  14^/0  wie  hier  —  auf  etwa  10^/^,  diejenige  aller  von 
Anfang  an  Schwachsinnigen  auf  etwa  50^/^  annehmen,  wovon  ^/g  auf  den  ori- 
ginären, Vs  &^  ^^^  primären  Schwachsinn  kommen  würden.  Bedenkt  man, 
dass  unter  den  übrigen  50^/^  acute  und  subacute  Fälle,  Delirien,  Intoxicationen 
und  ähnl.  einen  beträchtlichen  Bruchtheil  ausmachen,  so  tritt  dadurch  die  Be- 
deutung vorangehender  geistiger  Schwäche  für  das  Gebiet  der  hier 
ausschliesslich  ins  Auge  gefassten  chronischen  Geisteskrankheiten 
in  um  so  hellere  Beleuchtung.  Für  den  primären  Schwachsinn  speciell  bleibt 
dabei  noch  zweierlei  zu  berücksichtigen,  was  seine  Ziffern  zu  steigern  geeignet 
ist  Nämlich  einmal,  dass  unter  den  mit  „reiner^^  Familienanlage  Behafteten 
sich  noch  eine  Anzahl  hierhergehoriger  Fälle  verbirgt  Zweitens,  dass  bei  nicht 
wenigen  Kranken  nur  der  directe  Nachweis  des  Defects  im  Anfang  nicht  zu 
führen  ist,  wie  oben  ausgeführt  NatfirUch  aber  handelt  es  sich  hierbei  nicht 
nur  um  die  gröbsten,  sondern  zum  grossen  Theile  auch  um  leichtere  Fälle  von 
Schwachsinn.  Die  hauptsächlich  in  Betracht  kommenden  Erscheinungen  seien 
hier  kurz  angeführt,  um  Missverständnissen  vorzubeugen.  Es  sind  zunächst 
Einbusse  an  Initiative,  Selbständigkeit,  Arbeitsfähigkeit,  Pünktlichkeit,  Genauig- 
keit, Gewissenhaftigkeit,  an  Theilnahme  an  der  Aussenwelt,  Schicklichkeitsgefühl, 
Kritik  über  eigene  und  fremde  Thaten,  sowie  äussere  Ereignisse;  dann  Incon- 
gruenz  von  Thaten  und  Worten  untereinander  und  gegenseitig,  von  Gedanken- 
gang und  Stimmung  und  um  TJnmotivirtheit  eines  derselben  oder  beider;  femer 


-     574    — 

Gedäcbtüissschwäche,  besonders  Vergessen  der  jüngsten  Ereignisse  als  Beweis  für 
die  Oberflächlichkeit  der  zur  Zeit  im  Bewosstsein  sich  abspielenden  Yoigange, 
wodurch  ein  festes  Haften  der  Eindrücke  verhindert  wird,  endlich  die  Neigung 
zu  rascher  ErscblaflFung,  Einschlafen,  Dämmern  und  Träumen,  wie  es  nicht  nur 
im  Beginne,  sondern  oft  schon  längere  Zeit  vor  dem  eigentlichen  Ausbruch  der 
Krankheit  in  Form  minuten-  bis  tagelang  dauernder  Stuporzustände  beobachtet 
wird.  Ohne  auf  Vollständigkeit  Anspruch  zu  erheben,  dürfte  diese  kurze  Zu- 
sammenstellung genügen,  um  klar  zu  machen,  welche  leichteren  Erscheinungen 
psychischer  Schwäche  es  sind,  die  öfters  wochen-  und  monatelang  den  positiven 
Zeichen  der  Geistesstörung  vorangehen  und  derselben  von  vornherein  den  Cha- 
rakter des  Defects  verleihen,  ohne  übrigens,  wie  ausdrücklich  erwähnt  sei,  die 
Vorhersage  zu  einer  absolut  ungünstigen  zu  gestalten. 

Von  den  Fällen,  in  denen  erst  einige  Zeit  nach  dem  Einsetzen  der  er- 
wähnten Zeichen  sich  Erregungssymptome  einstellen,  um  an  Art,  Stärke,  Dauer, 
Ausdehnung  sehr  verschiedene  Grade  zu  erreichen,  führt  eine  zusammenhängende 
Kette  von  Debergängen  bis  zu  den  sofort  mit  einem  kurzdauernden  Delirium 
beginnenden  Formen,  so  dass  es  gar  nicht  möglich  ist,  die  letzteren  von 
andern  Fällen  primären  Schwachsinns  mit  ihren  früheren  oder  späteren,  leich- 
teren oder  schwereren  Erregungsstadien  scharf  zu  trennen.  Beide  Male  hat  man 
es  mit  Reizerscheinungen  zu  thun,  die  dem  sich  vorbereitenden  oder  vollendenden 
Ausfall  von  Functionen  entsprechen.  Für  diese  Auffassung  lassen  sich  noch 
zwei  ins  Gewicht  fallende  Momente  anführen.  Nämlich  einmal  der  im  späteren 
Verlauf  nicht  selten  in  mehr  oder  weniger  scharfer  Periodicitat  sich  wieder- 
holende Eintritt  ähnlicher  Zeiten,  die  dann  gar  keine  andere  Deutung  mehr  zu- 
lassen; andererseits  die  oft  gleichzeitig  auftretenden  bestimmten  Zeichen  des 
Hirnreizes:  Schmerzen,  Schwindel,  Zittern,  Röthe  und  Blässe,  Krämpfe,  wodurch 
die  Analogie  mit  anderweiten  Gehimkrankheiten ,  besonders  klar  hervortritt 
Ich  habe  öfters  erlebt,  dass  unter  solchen  Umständen,  z.  B.  im  Beginne  einer 
auf  schwachsinniger  Basis  entstandenen  Verrücktheit,  die  Krämpfe  sowie  die 
Störung  des  Bewusstseins  so  intensiv  und  so  anhaltend  waren,  dass  sie  von 
Unerfahrenen  für  Urämie  angesehen  wurden. 

Diese  Momente  —  die  Analogie  mit  andern  Hirnkrankheiten  und  die 
Häufigkeit  des  originären  und  primären  Schwachsinns,  sowie  der 
nach  kurzen  Delirien  zu  dauerndem  Defect  führenden  Psychosen 
sind  es,  welche  zur  Stütze  der  hier  vertretenen  Anschauungen  zunächst  an- 
geführt werden  dürfen.  Man  könnte  freilich  die  ganze  Sache  für  bedeutungs- 
los halten  und  meinen,  dass  es  sich  nur  um  einen  Streit  um  Worte  handelt 
Dies  ist  aber  nicht  der  Fall,  vielmehr  lassen  sich  verschiedene  Vorzüge  der 
veränderten  Betrachtungsweise  feststellen.  Schon  die  auf  diesem  Wege  erreichte 
Analogie  mit  den  übrigen  Cerebralafifectionen  muss  als  etwas  sehr  Erwünschtes 
angesehen  werden.  Dazu  tritt  an  Stelle  einer  doppelten  Buchführung  für  pri- 
märe Geisteskrankheiten  und  secundäre  Schwächezustände  wenigstens  in  Bezug 
auf  einen  grossen  Theil  der  chronischen  Processe  eine  vereinfachte,  einheitliche 
Auffassung.  Die  Schwierigkeiten,  die  bisher  eine  allgemein  gültige  Nomendatur 


—     575       - 

und  Classification  der  Psychosen  vereitelt  haben,  erhalten  eine  grösstentheils 
ausreichende  Erklärung  und  andererseits  wird  für  den  Schwachsinn  selbst  die 
Möglichkeit  einer  wirklich  klinischen  Eintheilung  näher  gerückt.  Nach  den  ver- 
schiedenen Verlaufsarten  wird  man  u.  A.  melancholische  und  stuporöse, 
„paranoische"  (der  Verrücktheit  nahestehende)  und  postdeliriöse  Schwach- 
sinnsformeu  neben  denjenigen  der  chronischen,  remittirenden  oder 
periodischen  Manie  resp.  des  maniakalischen  Schwachsinns  zu  unter- 
scheiden haben  und  durch  den  weiteren  Ausbau  dieser  einzelnen  Typen  die  ge- 
nauere Eenntniss  dieser  noch  vielfach  dunklen  Zustande  fördern  können.  Je 
mehr  hierzu  von  verschiedenen  Seiten  Materialien  zusammengetragen  und  viel- 
leicht mit  Hülfe  einer  gut  organisirten  und  auf  längere  Zeiträume  ausgedehnten 
Sammelforschung,  nach  bestimmten  Principien  verwerthet  werden,  desto  eher 
wird  man  hoflFen  dürfen,  allmählich  zu  allgemein  gültigen  Normen  zu  gelangen. 
Anstalt  Hördt  i.  E.,  November  1886. 


IL   Referate. 

Anatomie. 

1)  Iie  oerreau  de  Gambetta,  par  Dnval.     (Frogr.  m^d.  1886.  Nr.  30.) 

D.  nennt  in  einem  Berichte  an  die  Society  d'anthropologie  über  Gambetta*s  Ge- 
liim,  welches  er,  nachdem  es  gehärtet  und  geformt  worden  war,  genauer  stndirt  hat, 
dasselbe  „ein  schönes  Gehirn";  alle  Windungen  nnd  Furchen  sind  wohlgebildet,  ihre 
Linien  gleichmässig.  —  Specielle  Eigenthümlichkeiten  bietet  besonders  der  linke 
Frontallappen  dar.  Die  III.  Stimwindung  bildet  gewöhnlich  die  Form  eines  grossen 
lateinischen  M.  —  Der  mittlere  Theil  dieses  M,  welches  bei  den  anthropoide  Affen 
gar  nicht  existirt,  dagegen  von  Bfldinger  am  Gehirn  des  Philosophen  Haber  und 
des  Juristen  Wnlfert  verdoppelt  gefanden  wurde,  zeigt  auch  bei  Gambetta  eine  ausser- 
ordentliche Entwickelung,  mehrere  sehr  bemerkenswerthe  Unterabtheilungen,  sodass 
die  Gestalt  eines  grossen  lateinischen  W  herauskommt  Analog  den  Beobachtungen 
Rüdinger^s,  dessen  obengenannte  Gehirne  von  Männern  stammten,  die  des  Wortes 
ausserordentlich  mächtig  gewesen  sein  sollen,  glaubt  auch  Duval  berechtigt  zu  sein, 
die  eigenthümliche  falten-  und  furchenreiche  Entwickelang  der  III.  Stimwindung, 
die  er  in  sehr  minutiöser  Weise  beschreibt,  in  Zusammenhang  bringen  zu  dürfen  mit 
der  aussergewöhnlichen  Rednergabe,  die  Gambetta  eigen  gewesen.  Die  andern  Win- 
dungen und  Furchen  bieten  nichts  Besonderes  dar. 

Das  Gewicht  des  Gehirns  betrag  nach  einer  approximativen  Schätzung  D.'s  etwa 
1241  Gramm.  —  Somit  steht  es  um  150  Gramm  hinter  der  Norm  zurück. 

Laquer. 

2)  Beriolit  über  die  Leistimgen  auf  dem  Gebiete  der  Anatomie  des  Central- 

nervensystems  vom  I.Januar  1886  bis  I.Juni  1886,   von   Edinger 
in  Frankfurt  a.  M.     (Schmidts  Jahrbücher.  212.  S.  3.) 

Wir  machen  auf  diese  Uebersicht,  die  in  sehr  klarer  Weise  das  Resultat  der 
neueren  Arbeiten  auf  dem  Gebiete  der  Himanatomie  zusammenstellt,  ganz  besonders 
aufmerksam.  M. 

Pathologie  des  Nervensystems. 

3)  Gases  of  Cerebellar  Disease,  by  George  Wilkins.  (Canada  Med.  and  Surg. 

Jonmal.  1886.  April.) 


-     576      - 

Drei  Fälle  von  Kleinhirnerkrankang,  deren  grOsstes  Interesse  dann  gipfelt,  dass 
in  allen  dreien  der  Tod  sehr  unverhofft;  eintrat  in  Folge  blutigen,  resp.  eitrigen  Er- 
gusses in  den  4.  Ventrikel.  Aus  den  dreien  sollen  hier  nur  die  zwei  mit  Autopsien 
versehenen  berichtet  werden.  Dass  die  Diagnose  des  Autors  auch  in  dem  dritten 
Falle  richtig  gestellt  war,  wollen  wir  nicht  bezweifeln. 

Fall  I:  Mädchen  von  19  Jahren  bekommt  morgens  nach  dem  Aufstehen  einen 
Anfall  von  heftigsten  Kopfschmerzen,  wird  ohnmächtig  und  stirbt  in  einigen  Minuten 
darauf,  ehe  der  Arzt  hinzugerufen  werden  konnte.  Die  Autopsie,  weiche  erst  14  Tage 
nach  stattgefundener  Beerdigung  erlaubt  wurde,  ergab  bedeutende  Vergrössernng  des 
rechten  Kleinhimlappens.  Es  fand  sich  ein  pflaumengrosses  Blutcoagulum  in  der 
Nähe  des  Lobulus  centralis;  fernerhin  auch  eine  kleine  nadelkopfgrosse  Oefl&iung  auf 
der  oberen  Fläche  dieses  Lappens;  von  diesem  Lappen  aus  floss  das  Blut  nach  vor- 
wärts und  in  den  4.  Ventrikel  hinein. 

Der  U.  Fall  betrifft  einen  17jährigen  Burschen,  der  über  Kopfschmerzen  und 
Schwindel  klagte,  die  er  auf  einen  2  Wochen  früher  stattgehabten  Sturz  von  einem 
Wagen  zurückführte;  er  verletzte  sich  dabei  Schulter  und  Kopf.  Es  stellten  sich 
nach  2  Wochen  Erbrechen  und  Ataxie  ein.  Am  16.  Tage  (circa)  nach  dem  Sturze 
wurde  der  Fat  plötzlich  cyanotisch  und  asphyktisch.  Puls  120.  Pupillen  contrahiri 
Während  50  Minuten  wurde  künstliche  Respiration  versucht;  sobald  damit  aufgehört 
wurde,  starb  der  Patient.  —  Bei  der  Autopsie  fand  man  das  Gehirn  vollkommen 
normal  bis  auf  die  basalen  Theile.  Es  fand  sich  Eiter  in  dem  Arachnoidealranm 
zwischen  der  Medulla  und  dem  rechten  Kleinhimlappen.  Bei  sorgfaltiger  Hebung 
der  Medulla  fand  man  auch  mehrere  Tropfen  dicken  Eiters  zwischen  dem  Kleinhirn 
und  dem  Boden  des  4.  Ventrikels.  Im  rechten  Lappen  des  Kleinhirns  hat  sich  ein 
mehr  als  haselnussgrosser  Abscess  ausgebildet  Sachs  (New  York). 


4)  Tumeur  de  oervelet;  neoformation  de  tissu  nervexix  dans  le  oervelet 
et  la  protuböranoe,  par  Camescane.    (Progr.  m6d.  1886.  Nr.  23.) 

Ein  43jähriger,  sehr  kräftiger  Mann  hatte  seit  3 — 4  Jahren  eine  Abnahme 
seiner  Körperkräfte  gemerkt.  —  Von  Zeit  zu  Zeit  traten  ohnmachtsähnliche  Anfalle 
von  kürzerer  und  längerer  Dauer  ein  mit  mehr  oder  minder  tiefer  Umnebelung  des 
Bewusstseins,  aber  ohne  jegliche  Convulsionen.  —  Als  er  in*s  Hospital  aufgenommen 
wurde,  zeigte  er  eine  gewisse  Langsamkeit  und  Trägheit  sowohl  in  seinen  psychischen 
Functionen  wie  in  seinen  Bewegungen,  keine  eigentlichen  Lähmungen,  keine  Spur  von 
Ataxie,  keinerlei  Störungen  der  Sprache.  [Der  Augenhintergrund  scheint  nicht  unter- 
sucht worden  zu  sein?!  D.  Ref.]  Fat.  starb  in  einer  Nacht  ganz  plötzlich.  Die 
Autopsie  ergab  gefurchte  Tumoren  an  der  Unterfläche  des  Pons,  sowie  des  rechten 
Kleinhirns,  die  grösstentheils  aus  Neurogliamassen  bestanden.  Färbung  von  Schnitten 
dieser  Neubildung  nach  Weigert'scher  Methode  zeigte  den  Mangel  an  jeglichen  Nerven- 
fasern sehr  deutlich.  La  quer. 

6)  A  oaae  of  alooholio  paralysis  preoeeded  and  aooompanied  by  ambly- 
opia  ex  abusu,  by  Dr.  Myles  Standish.  (Boston  med.  and  surgical 
Journal,  22.  April  1886.) 

Ein  52jähriger  Arzt,  der  gelegentlich  von  ganz  vereinzelten  epileptischen  Krampf- 
anfallen ergriffen  worden  war  und  der  seit  Jahren  in  Alcohol  und  Tabak  excedirt 
hatte,  merkte  im  Juni  1884,  dass  seine  Sehschärfe  abnahm  und  im  Sept.  dess.  J., 
dass  er  nur  noch  wie  durch  einen  dicken  Nebel  sehen  konnte.  Die  genauere  Unter- 
suchung ergab  ein  normales  Gesichtsfeld  beiderseits,  aber  ein  Skotom  für  grün  (und 
weniger  deutlich  fftr  roth),  Yio  Sehschärfe,  hyperaemische  Papillen,  aber  normalen 
Fundus.     Obschon    totale  Abstinenz    (neben  Strychnin   0,0018  gramm  2  X  pro  die) 


—    577    - 

6mpfo)ilen  war,  fing  Patient  bald  wieder  an  zu  excediren:  schnell  versclilimmerte 
sich  die  Schwäche  und  es  traten  nun  auch  Grehstörungen  ein.  Nach  weiteren  6  Mo- 
naten bestand  fast  complete  Blindheit,  Atrophie,  Parese  und  Anaesthesie  der  Unter- 
extremitaten  und  des  linken  Arms,  Hyperästhesie  auf  Druck  und  bei  Bewegungen, 
sowie  Schlaflosigkeit  und  hochgradige  maniakalische  Erregung  und  Verwirrtheit. 
Totale  Abstinenz  und  Jodkali  (2.7  gramm  3  X  pro  die)  brachten  allmähliche  Besse- 
rung, so  dass  Patient  im  März  1886  wieder  gehen.  Treppen  steigen  und  sich  ohne 
fremde  HOlfe  vom  Bett  erheben  konnte,  doch  blieb  der  linke  Oberschenkel  dünner 
als  der  rechte;  der  Patellarreflex  fehlte  beiderseitig;  Sehschärfe  Vio'  ^®^°  Farben- 
skotom,  aber  graue  Atrophie  beider  Papillen. 

Verf.  nimmt  mit  Recht  eine  Polyneuritis  alcoholica  als  Ursache  der  Krankheits- 
erscheinungen an.  Er  weist  femer  darauf  hin,  dass  die  sogen.  Tabaksamblyopie 
wahrscheinlich  häufiger  dem  gleichzeitigen  Alcoholgenuss,  als  dem  Tabak  allein  zu- 
zuschreiben sei.  Schon  Brudenel  Carter  hätte  hervorgehoben,  dass  bei  den  Türken, 
die  doch  sehr  stark  rauchten,  aber  wenig  tranken,  Amblyopie  sehr  selten  sei.  Unter 
107  Fällen  von  angeblicher  Tabaksamblyopie,  in  denen  Angaben  über  etwaigen  Al- 
coholgenuss gemacht  seien,  wären  nur  8,  in  denen  keine  Alcoholexcesse  notirt  seien. 

Sommer. 

6)  Ueber  die  mtdtiple  Neuritis  der  Alkoholisten:  Beiträge  bot  differen- 
tiellen  Diagnostik  dieses  Leidens  von  der  Tabes,  der  Poliomyelitis 
subacuta  und  der  sogenannten  Landry'sohen  Paralyse,  von  Prof. 
M.  Bernhardt     (Zeitschrift  für  klinische  Medicin,  XI.  Band  IV.  Heft.) 

Nach  Beschreibung  eines  selbst  beobachteten  Falles  von  mnltipler  Neuritis  bei 
einer  Alkoholistin  stellt  der  Verf.  zu  den  bereits  von  Schulz  gesammelten  Fällen, 
einige  neuere  Beobachtungen  von  intactem  Bückenmark  und  degenerirten  peripherischen 
Nerven  bei  Alkohollähmung  aus  der  Literatur  zusammen  und  kommt  zu  dem  Schlüsse, 
dass  die  Kückenmarksveränderung  keineswegs  zu  den  primären,  den  nothwendigen 
Befunden  der  Alkohollähmung  gehöre.  Darauf  wendet  er  sich  zu  der  Besprechung 
jener  Gruppe  von  Erkrankungen,  die  als  Ataxia  alcoholica,  als  Neurotabes  peripherica, 
Psendo-Tabes  etc.  von  vielen  Autoren  aus  der  grossen  Menge  der  bei  Alkoholisten 
zu  beobachtenden  klinischen  Störungen  herausgehoben  und  näher  beleuchtet  worden 
ist.  Auch  in  den  meisten  der  hierher  gehörigen  Fälle  wurde  das  Bückenmark  nor- 
mal, die  peripherischen  Nerven  aber  verändert  gefunden.  Schwierig  ist  es,  das  Bild 
der  ataktischen  Form  der  Alkoholneuritis  von  dem  oft  sehr  ähnlichen  Symptomen- 
complex  der  wahren  Tabes  zu  trennen.  Die  ganz  eigenthümliche  Qehstorung,  die 
früh  eintretende  Schwäche  der  Muskeln,  die  Schnelligkeit  der  Entwicklung  des  Krank- 
beitsbildes,  die  mögliche  Besserung  bei  Entziehung  des  Alkohols  sprechen  für  die 
alkoholische  Ataxie.  Femer  führen  die  in  den  ersten  Jahren  der  Tabes  zu  beobach- 
tenden Lähmungen  nicht  zu  Atrophie,  nicht  zu  bemerkenswerthen  Veränderungen  der 
electrischen  Erregbarkeit,  wenigstens  nicht  der  qualitativen.  Letzteres  findet  nur  in 
jenen  seltenen  Fällen  statt,  wo  die  Tabes  mit  einer  Erkrankung  der  grauen  Vorder- 
säulen  des  Marks  sich  combinirt.  Allein  auch  peripherische  Lähmungen  höchst 
wahrscheinlich  neuritischer  Natur  sind  bei  Tabes  beobachtet.  Verf.  sah  zweimal  bei 
ausgesprochenen  tabeskranken  Individuen  schwere  peripherische  Lähmungen  neuritischer 
Natur  im  Bereich  der  Nn.  peronei;  einmal  trat  vollständige  Heilung  dieser  Lähmung 
ein.  Jedoch  sind  die  bei  den  Alkoholisten  vorkommenden  atrophischen  Lähmungen 
nicht  symmetrisch  und  mit  theils  anästhetischen,  theils  hyperästhetischen  Zuständen 
verbunden.  Das  Sehnenphänomen  ist  bei  Alkoholneuritis  vorhanden  oder  es  schwindet 
nur  Torübergehend,  nicht  selten  kann  es  durch  die  von  Schreiber,  Jendrassik, 
Baierlacher  erwähnten  besonderen  Maassnahmen  wieder  deutlich  gemacht  werden. 
Doch  auch  in  einigen  Fällen  von  Tabes  kann  das  Sehnenphänomen  bestehen  bleibeu. 
Myosis  und  reflectorische  Pupillenstarro  findet  sich  bei  allgemeiner  Neuritis  der  Säufer 


-      578    — 

selten.  Alkoholisten  leiden  an  centralem  Skotom,  bei  Tabes  findet  mehr  eine  allmäb- 
liche  Einengang  des  peripherischen  Gesichtsfeldes  statt.  Neuritis  optica  wurde  bei 
acuter  Myelitis,  multipler  Sklerose,  bei  multipler  Neuritis,  Neuritis  alcoholica  beo- 
bachtet, aber  nie  bei  wahrer  Tabes.  Femer  wird  auf  das  frühe  Auftreten  Yon  psy- 
chischen Störungen  bei  den  Alkoholisten  hingewiesen.  Nachdem  noch  einige  Symptome 
hervorgehoben  worden,  die  für  die  Unterscheidung  der  Alkoholneuritis  von  Poliomye- 
litis und  von  der  Landry*schen  acuten  Paralyse  von  grosser  Bedeutung  sind,  bietet 
uns  der  Verfasser  eine  ausführliche  Angabe  der  sehr  reichhaltigen  Literatur. 

Kalischer. 

7)  Ein  Fall  von  Erb'soher  Plexuslähmung,  von  Stabsarzt  Dr.  Martius, 
Berlin.     (Berl.  klin.  Wochenschrift.  1886.     Nr.  28.) 

Ein  47jährig6r  Arbeiter  zog  sich  durch  Sturz  (von  einem  Gerüste)  auf  die  linke 
Schulter  eine  Lähmung  zu,  welche  dem  Symptombilde  einer  Erhaschen  Plexuslähmung 
entsprach.  Befallen  waren  der  Muse,  deltoideus,  infraspinatus,  teres  minor,  sub- 
scapularis  (?),  supinator  longus,  biceps,  brachialis  internus.  Die  genannten  Muskeln 
zeigten  später  hochgradige  Atrophie  mit  completer  Entartungsreaction;  auch  ent- 
sprechende Sensibilitatsstörungen  wurden  beobachtet.  — 

Verf.  kommt  nach  Besprechung  der  mannigfachen  Differenzpunkte  in  Bezug  aof 
die  genauere  Localisation  dieser  Lähmungen  zu  dem  Schluss,  dass  bei  der  Erhaschen 
Plexuslähmung  das  Befallensein  der  4  Muskeln  deltoideus,  brachialis  internus,  biceps 
und  supinator  longus  allein  typisch  sei;  dass  dagegen  die  Betheiligung  noch  anderer 
Muskeln,  des  Infra-supraspinatus,  supinator  brevis  n.  a.  m.  inconstant  und  dadurcb 
zu  erklären  sei,  dass  bei  der  individuell  wechselnden  Abzweigung  der  Nerven  von 
den  Nervenwurzeln  in  verschiedener  Combination  die  Nerven  der  letztgenannten 
Muskeln  eben  mitbetroffen  sein  können.  P.  Seifert 


8)  Ein  Neurom  der  Erb'schen  Flexuswurseln,  operirt  von  Prof.  Dr.  £.  Rose. 
(Separatabdruck  aus  der  Deutschen  Zeitschrift  für  Chirurgie.    XXIV.  Band.) 

Bei  einem  46jährigen  Manne  stellte  sich  unter  intensiven  Schmerzen  am  Halse 
im  linken  Trigonum  cervicale  posticum  eine  Qeschwulst  ein,  welche  sich  bei  zu- 
nehmender Schmerzhaftigkeit  in  den  letzten  Wochen  schnell  vergrösserte. 

Bei  der  Operation  fand  sich,  dass  es  sich  um  ein  ziemlich  grosses  Neurom 
handelte,  welches  von  dem  gemeinsamen  Stamme  ausgegangen  war,  den  die  beiden 
vorderen  Aeste  des  V.  und  VI.  Ualsnerven  bilden. 

Die  Excision  dieser  Nervengeschwulst  veranlasste  nun  eine  Lähmung  bestimmter 
Muskelgruppen,  wie  sie  bei  der  Erb'schen  Plexuswurzellähmung  beobachtet  zu  werden 
pflegt,  allein  auch  in  diesem  Falle  mit  Abweichungen  vom  gewöhnlichen  Typus, 

IParalytisch  und  später  von  degenerativer  Atrophie  befallen  wurde  der  linke 
Musculus  scalenus  anticus,  deltoideus,  supra  und  infraspinatus,  biceps,  brachialis 
internus,  supinator  longus,  teres  major  und  minor,  subscapularis  (?),  serratus  anticus 
major.  Frei  blieben  der  M.  supinator  brevis,  latissimus  dorsi  und  pectoralis  major 
Sensibilitatsstörungen  fehlten  gänzlich.  Dieser  Fall  liefert  einen  neuen  Beweis  für 
die  Inconstanz  des  Faserbezugs  der  peripherischen  Nerven  aus  der  V.  und  YL  Plexus- 
wurzeL 

Daran  anschliessend,  theilt  Verf.  seine  Erfahrungen  mit  über  die  operative  Ent- 
fernung dieser  Nervengeschwülste  und  zwar  plaidirt  er  bei  isolirten  gutartigen  Neu- 
romen,  die  den  Nervenstämmen  leicht  anhaften,  für  eine  Ausschälungsmethode  mit 
Erhaltung  des  Nervens,  während  er  bei  bösartigen  Geschwülsten,  z.  B*  Sarkom  der 
Nerven,  diese  conservative  Behandlung  aufgab,  da  er  sehr  schnell  darnach  Kecidive 
auftreten  sah. 

In  derartigen  Fallen  zieht  er  eine  radicale  Excision  mit  Einschluss  der  Nerven  vor. 

P.  Seifert 


—    579    - 

8)  Ueber  Steigerung  der  Sehnenreflexe  bei  Erkrankung  peripherischer 
Nerven,  von  A.  Strümpell  in  Erlangen  und  F.  J.  Mob  ins  in  Leipzig. 
(Münch.  med.  Wochenschr.  1886.  Nr.  34.  S.  601—603.) 

Die  beiden  hier  mitgetheilten  Fälle  von  multipler  Perineuritis  widersprechen  der 
allgemeinen  Regel,  dass  bei  peripherischen  Nervenerkrankungen  die  Reflexe  herab- 
gesetzt, ja  die  Sehnenreflexe  sogar  häufig  aufgehoben  sind.  Hier  sind  sie  in  beiden 
Fällen  erheblich  gesteigert. 

Die  Frage  nach  der  Ursache  dieser  Erscheinung  kann  nicht  endgültig  gelöst 
werden.  Jedoch  wird  von  den  drei  Hypothesen,  dass  es  sich  1)  um  eine  Reizung 
im  aufsteigenden,  sensiblen  Theil  des  Reflexbogens,  2)  um  eine  Reizung  im  mittlem 
Theil,  der  grauen  Substanz  des  Rückenmarks  (analog  der  Strychninvergiftung)  und 
3)  im  absteigenden,  motorischen  Ast  handelt,  die  erstere  in  sofern  als  die  wahr- 
scheinlichste hingestellt,  weil  es  sich  in  den  vorliegenden  Fällen  vorwiegend  um 
sensible  Reizerscheinungen  (Schmerzen,  Parästhesien)  handelt.  Sperling. 


10)  Bin  Fall  von  Chorea  posthemiplegioa  „spuria",  von  Dr.  S.  H.  Scheiber, 
Budapest.     (Pest.  med.-chir.  Presse.  1886.) 

Ein  14 Vorjähriger  anämischer  Knabe  mit  Insufficienz  des  Bicuspidalis  (nie  acuter 
Gelenkrheumatismus)  bekam  plötzlich  Schmerzen  im  rechten  Sprunggelenk  ohne  Fieber. 
Nach  2  Wochen  schwanden  die  Schmerzen,  Parese  des  rechten  Arms  und  Beins  ward 
constatirt.  Nach  einem  Monat  plötzlich  ein  nächtlicher  Erregungsanfall  (Fat.  schrie, 
man  bewerfe  ihn  mit  Nadeln),  danach  ein  stuporöser  Zustand  mit  aphatischen  Er- 
scheinungen und  Zuckungen  des  rechten  Arms  und  Beins,  nach  14  Tagen  auch  des 
linken,  nach  3  Wochen  auch  des  Rumpfes  und  Gesichts.  Genauere  Untersuchung 
stellte  den  choreatischen  Charakter  der  Zuckungen  fest,  eine  Hemiparese  und  Hemi- 
anästhesie  des  rechten  Beins  und  Arms,  eine  leichte  Parese  des  rechten  Mundfacialis 
und  Percussionsempfindlichkeit  der  linken  Schädelhälfte.  Besserung  bei  Galvanisation 
des  Kopfes  und  der  Wirbelsäule  und  Gebrauch  von  Tct.  Fowl. 

Verf.  schliesst  aus  der  allmählichen  Betheiligung  des  ganzen  Körpers  an  der 
Chorea  und  ihrer  raschen  Zurückbildung,  dass  die  Chorea  mit  der  Hemiplegie  in 
keinem  Konnex  steht,  vielmehr  denkt  er  au  eine  Embolie  im  hinteren  Theile  der 
linken  Caps.  int.  als  Ursache  der  Hemiparese  und  Hemianästhesie;  hingegen  sollen 
multiple,  capillare  Embolien  der  linken  Hirnrinde  die  anfangliche  Hemichorea»  die 
psychischen  Alterationen  und  die  Aphasie  bewirkt  haben.  Diese  Rindenläsion  war 
wiederum  Gelegenheitsursache  zur  Entstehung  jener  functionellen  Störungen  im  übrigen 
Gehirn,  welche  das  Substrat  der  gewöhnlichen,  allgemeinen  Chorea  bilden,  also  hier 
der  nachträglichen,  allgemeinen  Zuckungen.  Das  ganze  Krankheitsbild  bezeichnet 
Seh.  als  „unechte  Chorea  posthemiplegica".  Th.  Ziehen. 


11)  Kövralgie  et  paralysie  ooulaire  ä  retour  periodique,  constituant  un 
Symptome  olinique  special,  par  Parinaud  et  Marie.  (Arch.  de  Neuro- 
logie. 1886.  XI.  p.  15.) 

Diese  in  Frankreich  bisher  noch  nicht  beschriebene,  in  Deutschland  und  Eng- 
land bereits  mehrfach  beobachtete  periodische  Augenmuskellähmung  bildet  den  Gegen- 
stand einer  Krankengeschichte  aus  der  Charcot'schen  Klientel,  welche  mit  den  im 
Auszuge  mitgetheilten  Beobachtungen  der  früheren  Autoren  die  Charakteristica  gemein- 
sam hat:  Zu  Anfang  allgemeines  Uebelbefinden  mit  gastrischen  Erscheinungen  und 
Schmerzen,  dann  Auftreten  der  Augenstörungen  mit  Doppeltsehen,  Schielen,  Accommo- 
dationsstörungen  von  verschiedener  Dauer;  Tendenz  zu  Recidiven  und  zum  perio- 
dischen Wiedererscheinen.  Die  Geschlechter  scheinen  beide  gleich  disponirt,  der 
Beginn  pflegt  in  die  Kindheit  zu  fallen.     Was   die  Natur   des   Leidens   betrifft,   so 


—    580    — 

kann  es  keine  einfache  migräneartige  Neuralgie  sein;  eine  stärkere  organisclie  Lasion 
im  Centralorgan,  aaf  welche  der  Fall  Ton  Weiss  hindeutet,  ist  auch  nicht  wohl 
sichergestellt.  Eine  genauere  Erklärung  ist  noch  Terfrflhi  Anseinandenohalten  ist 
dieses  Krankheitsbild  mit  den  sich  mitunter  wiederholenden  Augenmnakelstfinmgen, 
wie  sie  bei  Basaltnmoren,  bei  Tabes,  bei  Herdaclerose,  bei  Dementia  panüytica»  bei 
Himsyphilis  vorkommen.  Siemens. 

Psychiatrie. 

12)  ThB  relati<Mi8hip  of  maarriages  af  oonsaoguiziity  to  mental  unaoundness, 

by  G.  E.  Shuttleworth.    (Joum.  of  ment  science.  1886.  Oct) 

S.  kommt  zu  dem  Schlnss,  dass  die  Gefahr  bei  Ehen  zwischen  nahen  Yerwandten 
hauptsachlich  darin  beruhe,  dass  gerade  2  fehlerhafte  Individuen  sich  mit  einander 
verbanden,  ebenso  wie  durch  die  Inzucht  bei  niederen  Thieren  eine  Comulation  der 
Fehler  der  Bace  erzielt  werde,  bei  wirklich  fehlerlosen  Zuchtthieren  die  Inzucht  aber 
nicht  schada  Gerade  in  neurotischen  Familien  aber  sind  am  meisten  Yettemheirathen 
zu  constatiren.  Eine  genaue  Statistik  der  Yerwandtenheirathen  giebt  es  in  keinem 
Lande,  doch  ist  ausgerechnet,  dass  in  England  von  den  Bewohnern  der  Irrenanstalten 
3,4  ^/o  aus  Yerwandtenehen  entsprossen  seien,  in  Schottland  5,25  ^/^  und  dass  in 
2^/o  keine  andere  Ursache  für  die  Geisteskrankheit  gefunden  werden  konnte. 

Yerf.  führt  auch  die  Urtheile  bedeutender  Forscher  an,  welche  die  Yetteni- 
heirathen  völlig  perhorresciren.  Zander. 

13)  Note  Bur  un  oaa  d'öpilepsie  aveo  oonsoience,   par  Ball.     (L'Encephale. 

1886.  Nr.  4.) 

Im  Allgemeinen  gilt  es  als  Begel,  dass  im  Status  epilept  das  Bewusstsein 
vollkommen  geschwunden  ist,  dass  jede  Thätigkeit,  sei  sie  auch  noch  so  brutal,  jeder 
Willensdirection  völlig  entzogen  ist.  Aber  wie  es  Somnambulen  giebt,  die,  entgegen 
der  aUgemeinen  Begel,  Gedächtoiss  für  Yorkommnisse  während  ihres  somnambulen 
Znstandes  behalten,  so  kommt  auch  dasselbe  bei  Epileptikern  vor.  Einen  aolchen 
Fall  beschreibt  B.  aus  der  englischen  Literatur,  einen  zweiten  aus  eigener  Beobach- 
tung. In  B.*s  eigenem  Falle  kommt  aber  auch  nur  ausnahmsweise,  wenn  auch  mehr- 
mals, die  Conservirung  des  Gedächtnisses  für  die  während  des  Status  epilept  be- 
gangenen Acte  vor.  Für  die  forensische  Psychiatrie  sind  solche  Beobachtungen 
ausserordentlich  wichtig.  Zander. 

Forensische  Psychiatrie. 

14)  De  l'ötat  mental  et  de  la  responsabilitö  pönale  dans  le  morphinisme 

ohronique,  par  Garnier.     (Annales  medico-psychologiques.  1886.  Mai.) 

Zur  Nosologie  des  Morphinismus  enthält  der  Aufsatz  nichts,  was  nicht  schon 
bekannt  wäre.  —  Die  Untersuchung,  in  wie  weit  Ausschreitungen  Morphiumsüchtiger 
gegen  die  Gesetze  unter  die  allgemein  giltigen  Gesichtspunkte  des  Strafgesetzbuches 
fallen,  bietet  jedoch  manches  Bemerkenswerthes.  Das  Uebel  scheint  in  Frankreich 
auch  andere  Gesellschaftsclassen  ergriffen  zu  haben,  als  in  andern  Ländern,  da  her- 
vorgehoben wird,  dass  gerade  der  arbeitende  Stand,  in  Paris  wenigstens,  eine 
traurige  Anzahl  von  Opfern  aufweise  und  das  Leiden  sich  immer  mehr  ausbreite. 
Die  mit^etheilten  Fälle  von  Confiicten  mit  dem  Gesetz  betreffen  antfälliger  Weise 
nur  morphiumsüohtige  Frauen,  denen  gegenüber  das  Gericht  keineswegs  immer  mil- 
dernde Umstände  aus  den  demoralisirenden  Wirkungen  des  Gewohnheitsabusus  her- 
geleitet zu  haben  scheint.  Garnier  ist  auch  gar  nicht  geneigt,  dem  „Schwindel- 
zustand", in  welchem  eine  der  Thäterinnen  sich  befunden   zu  haben  behauptete,  ab 


-    581       - 

sie   einen   Diebstahl   im  Morphiumrausch  ausführte,   irgend   welche  Bedeutung   bei- 
zumessen. 

Bezüglich  des  Curverfahrens  ist  Garnier  mehr  für  die  allmähliche  Entziehung, 
und  für  die  Leyinstein'sche  plötzliche  Unterbrechung  des  Morphiumgebrauchs  nur 
bei  solchen  Patienten,  welche  an  nur  geringere  Dosen  gewöhnt  und  nicht  kachektisch 
sind.  In  dem  Cocain  meint  Garnier  ein  sehr  schätzenswerthes  Substitut  des  Mor- 
phiums für  eine  allmähliche  Entziehung  des  Gewohnheitsgiftes  erblicken  zu  sollen 
und  beruft  sich  auf  eine  Reihe  in  Deutschland  gemachter  Versuche.  Doch  macht  er 
mit  Becht  auf  die  Gefahr  aufmerksam,  dass  man  anstatt  ein  Gift  durch  das  andere 
auszutreiben,  vielmehr  neben  dem  schon  Gewohnten  ein  zweites  einbürgern  könne. 
Garnier  vermuthet  zwar  nach  den  bis  jetzt  vorliegenden  Beobachtungen,  dass  das 
Cocain  nicht  die  eigenthümliche  Disposition  habe,  sich  so  leicht  und  rasch,  als  das 
Morphium,  zu  einem  mit  Nothwendigkeit  gefordertem  ßedürfhiss  des  Organismus  zu 
machen;  der  enorm  rasch  gewachsene,  massenhafte  Verbrauch  des  Cocains  dürfte 
jedoch  darüber  bald  ein,  wahrscheinlich  erschreckendes,  Licht  verbreiten. 

Jehn. 

Therapie. 

15)  The  iise  of  nitrite  of  amyl  in  the  severe  parozysxns  of  whooping- 

ooiigh,  by  Dr.  Morris  Lewis.     (Journal   of  nervous   ai^d   mental  disease. 
1886,  p.  437.) 

In  einem  verzweifelten  Fall  von  Keuchhusten  bei  einem  Kinde  von  7  Wochen, 
das  bei  jedem  Hustenanfall  zu  ersticken  drohte,  wurden  Aetherinhalationen  zur  mo- 
mentanen Beseitigung  des  Bespirationskrampfes  angewendet.  Es  wurde  aber  ein  der- 
artiger Collapszustand  hervorgerufen,  dass  einmal  die  künstliche  Athmung  eingeleitet 
werden  musste.  Verf.  versuchte  nun  zur  Inhalation  eine  Mischung  von  Aether  mit 
Amylnitrit  (3:1);  bei  jedem  beginnenden  Faroxysmus  wurde  dem  Kinde  ein  mit 
einem  Tropfen  jener  Mischung  benetzter  Finger  vorgehalten  und  dasselbe  athmete, 
da  der  Aether  sich  sehr  schnell  verflüchtigt,  fast  reines  Amylnitrit  ein,  und  mit  bestem 
Erfolge.  Es  trat  kein  einziger  CoUaps  mehr  ein  und  die  einzelnen  Hustenanfälle 
verloren  an  Heftigkeit  Sommer. 

16)  La   corrente  elettrica  in  un  caso  di  paralysis  agltans,   nota   del   dott. 

V.  E.  Ingria.     (La  Psichiatr.  1886,  IV.  p.  31.) 

Sehr  bedeutende  aber  nur  temporare  —  1  bis  l^/j  Stunden  anhaltende  — 
Besserung  des  Tremors  in  einem  Fall  von  Schüttellähmung,  jedesmal  im  unmittelbaren 
Anschluss  an  die  Anwendung  des  constanten  Stroms;  die  positive  Electrode  stand  im 
Nacken,  die  negative  auf  dem  letzten  Halswirbel.  Interessant  sind  die  Facsimile  der 
Handschrift  des  Patienten  vor  und  nach  der  Electrisation.  Sommer. 


m.  Personalien. 

Unser  verehrter  Mitarbeiter  Herr  Dr.  Eisenlohr  ¥nirde  zum  Oberarzt  der  med. 
Station  des  Allgemeinen  Krankenhauses  zu  Hamburg  gewählt. 


Berichtigungen. 

In  meinem  Aufsatz  „Zur  Lehre  vom  centralen  Verlauf  der  Sinnesnerven"  (Nr.  23  d.  Bl.) 
sind  nachstehende  Berichtigaugen  aufzunehmen: 

S.  549  Z.  20  von  oben  lies  „die  Herabsetzung  der  Erregbarkeit"  statt  „die  Erregbarkeit". 
S.  550  Z.  8  von  oben  streiche  „aussen".  P.  Flechsig. 


Register    1886. 


I.  Originalaufsätze. 

Sdle 

1.  Vorschlag  einer  „Normalelektrode"  für  galvanische  Errcgbarkeitsbestimmungen,  Ton 

W.  Erb 1 

2.  Ueber  einen  Fall  von  progressiver  Ophthalmoplegie,  von  Prof.  Dr.  Ad.  Strfimpell     25 
8.   Zur  Anatomie  der  Glandala  pinealis,  kurze  Mittheilung  von  Dr.  L.  Darksche- 

witsch 29 

4.  Bemerkungen  über  das  Unterkieferphanomen  oder  die  Beaction  der  Sehne  des 
Masset^r  mit  Bücksicht  auf  einen  Fall  von  amyotrophischer  Lateralsderosis  mit 
Olonus  des  Unterkiefers  von  E.  E.  Beevor,  von  ür.  A.deWatteville.    .    .    .     49 

5.  Zur  Untersuchungsmethode  des  Eniephänomens»  von  Dr.  Fr.  Pelizaeus    .    .    .     50 

6.  Zur  Paraldehyd Wirkung,  von  Sommer 51 

7.  Ein  Fall  von  Thomsen'scher  Krankheit,  von  Dr.  Gg.  Fischer 73 

8.  Bemerkungen  über  die  antcro-laterale  aufsteigende  Degeneration  im  Bückenmark, 

von  Dr.  W.  B.  Gowers 97 

9.  Einige  Bemerkungen  über  den  Faserverlauf  in  der  hinteren  Commissur  des  Gehirns, 

von  Dr.  L.  Darkschewitsch 9^ 

10.   Zur  Wirkung  des  Urethan,  V3n  Dr.  Emil  Kraepelin 10.^ 

Tl.   Ueber  die  Beziehungen  des  Strickkörpers  zum  Hinterstrang  und  Hinterstrangskem 

nebst  Bemerkungen  über  zwei  Felder  der  Oblongata,  von  Dr.  L.  Darkschewitsch 

und  Dr.  Sigm.  Freud 121 

12.   Bemerkungen  über  die  Struktur  der  Ganglienzellen,   von  Prof.  Dr.  Max  Flesch 

und  stud.  med.  H.  Eoneff 145 

18.   Ein  Fall  von  totaler  Degeneration  eines  Hirnschenkelfusses,  von  G.  Bossoljmo    147 

14.  Weitere  Bemerkungen  üoer  den  aufsteigenden  antero- lateralen -Strang,  von  Dr. 

W.  B.  Gowers 150 

15.  Ein  Fall  von  Ponstuberkel,  von  Dr.  Ludwig  Bruns 169 

16.  Nachtrag  zu  dem  Fall  von  totaler  Degeneration  eines  Hirnschenkelfusses  in  Nr.  7 

d.  Bl.  von  G.  Bossolymo 172 

17.  Ueber  den  Einfluss  der  Grosshimrinde  auf  den  Blutdruck  und  die  Herzthätigkeit, 

von  Prof.  W.  Bechterew  und  Prosector  Dr.  Misslawsky 193 

18.  Ueber  den  elektrischen  Widerstand  des  Körpers,  von  A.  de  Watteyille     .    .    .    196 

19.  Ein  Beitrag  zur  einseitigen  Wahrnehmung  doppelseitiger  Beize  bei  Herden  einer 
Grosehirnhemisphäre ,  von  Dr.  L.  Bruns l9^ 

20.  Kephalometrischer   Befund  bei  oorticaler  angeborener  Blindheit,   yon  Prof.  Dr. 
Moritz  Benedikt      217 

21.  Die  DiSusionselektrode,  von  Prof.  Dr.  Adamkiewicz 219 

22.  Ueber  einige  seltene  Initialerscheinungen  der  Dementia  paralytica,  von  Dr.  Peli- 
zaeus      223 

23.  Zur  Lehre  von  der  Innervation  der  Ausdrucksbewegungen,  von  Privatdocent  Dr.  P. 
Bosenbach 241 

24.  Ueber  eine  familiäre,  durch  6  Generationen  verfolgbare  Form  congenitaler  Para- 
myotonie,  von  Prof.  A.  Eulen  bürg 265 

25.  Muskelbefund  bei  der  juvenilen  Form  der  Dystrophia  muscuiaris  progressiva,  von 

W.  Erb 2S9 

26.  Eine  einfache  elektrodiagnostische  Methode  quantitativer  galvanischer  Erre^barkeits- 
bestimmung»  von  Dr.  Ernst  Bemak 295 

27.  Beitrag  zur  Lehre  von  derAetiologie  des  Tic  convulsif,  von  Dr.  med.  Otto  Bubs  313 

28.  Ueber  das  Kniephänomen,  von  Dr.  P.  Zenner 3U' 

29.  Graphische  Untersuchung  der  Muskelzuckung  bei  Entartungsreaction  von  Privat- 
docent Dr.  P.  Bosenbach  und  Stud.  med.  A.  Schtscherbak 337 


583     — 

Seite 

30.  Ein  Fall  von  schwerer  complioirter  Schlaf  lab  mang  am  linken  Arme,  von  Dr.  S.  H. 
Scheiher 344 

31.  Die  elektrische  Erregbarkeit  der  Nerven  und  Muskeln  Neugeborener,   von  Prof. 

C.  Westphal 861 

32.  lieber  den  Paramyoclonus  multiplex  (Friedreich),  von  Prof.  Schultze    .    .    .    .    363 

33.  Die  in's  Oehim  und  Rückenmark  herabsteigenden  ezperimentalen  Degenerationen 
als  Beitn^  zur  Lehre  von  den  cerebralen  Localisirungen,  von  Prof.  L.  Bianchi 

und  Dr.  G.  d'Abundo 385 

34.  Zur  Frage  über  den  weiteren  Verlauf  der  Hinterwurzelfasem  im  Rückenmarke,  von 

G.  Rossolymo 391 

35.  Casuistische  Mittheilungen  aus  dem  herzoglichen  Krankenhause  zu  Braunschweig, 

von  Dr.  Richard  Schulz 409.  439 

36.  Ueber  die  durch  Chloroform  aof  kataphorischem  Wege  zu  erzeugende  Hautanäßthesie, 

von  Dr.  Heinrich  Paschkis  und  Dr.  Julius  Wagner 413 

37.  Ueber  den  Einfluss  der  centralen  Gehirntheile  auf  den  Blutdruck  und   die  Herz- 
thätigkeit,  von  Prof.  Dr.  W.  Bechterew  und  Prosector  Dr.  Misslawski      .    .    416 

38.  Einige  Bemerkungen  über  den  Zusammenhang  zwischen  Tabes  resp.  progressiver 
Paralyse  und  Syphilis,  von  Prof.  Dr.  Adolf  Strümpell 433 

39.  Beitrag   zur   Iiocalisation   des   Patellarsehnenreflexes  nebst  Bemerkungen  zur  De- 

Seneration  des  Hinterhorns  bei  Tabes  dorsalis,  von  Dr.  Ed.  Kranss     .    .    .    .    473 
eher  eine  frühe  Störung  der  Sensibilität  bei  Dementia  paralytica,  von  Dr.  Th. 
Ziehen 480 

41.  Zar  DifFusionselektrode,  von  Prüf.  Dr.  Adamkiewicz 497 

42.  Nachtrae  zu  der  Mittheilung  „Tumor  der  Zirbeldrüse"  in  Nr.  19  d.  Bl.,  von  Dr. 
Richard  Schulz 500 

43.  Zur  Frage  vom  Uniprungsgebiete  der  Fasern  der  vorderen  Comniissur  in  der  Hirn- 
rinde des  Menschen,  von  Dr.  med.  N.  Po  puff 521 

44.  Zusatz  zu  vorstehender  Mittheilung,  von  PaulFlechsig 525 

45.  Ueber  ein  gesetzmässiges  anatomisches  Verhalten  der  Wurzeln  in  den  verschiedenen 
Höhen  des  Rückenmarkes,  von  Dr.  Siemerling 526 

46.  Zur  Lehre  vom  centralen  Verlauf  der  Sinnesnerven,  von  Prof.  Paul  Flechsig    .    54') 

47.  Ein  Fall  von  progressiver  Paralyse  complicirt  mit  amyotrophischer  Lateralsclerose, 

von  Dr.  Zacher 55t 

48.  Zum  Zusammenhang  zwischen   allgemeiner  Paralyse   und  Syphilis,   casnistischer 
Beitrag  von  Dr.  Sommer 569 

49.  Ueber  den  Schwachsinn,  von  Dr.  Wittkowski 4f)9 


Abnndo  385. 

Adamkiewicz   219.   451.  458. 

459.  497. 
Adams  324. 
Aguglia  94. 
Albrecbt  452. 
Alexander  466. 
Algeri  209. 
Ahnön  380. 
Althaus  110. 
Amati  493. 
Anderson  275. 
Anton  202. 
Azam  90. 

Babinski  140.  211.  304. 
Baginsky  153. 
Baillarger  15.  161.  512. 
Balestreri  517. 
Ball  380.  580. 
Barritt  81. 
Barth  468. 
Baudny  93. 
Beaunis  30.  106. 


n.   Namenregister. 

Bechterew   4.    52.    174.    193. 

199.371.395.397.416.501. 
Beely  21. 
Beevor  4.  418. 
Benda  451. 
Benedict  43.  217. 
Bennet  401.  512. 
Berckhan  163. 
Bergesio  117. 
Berlin  355.  467. 
Bemer  535. 
Bernhardt  22.  141.  142.  180. 

287.  543.  577. 
Bemheim  177. 
Bianchi  320.  385. 
Biedermann  457. 
Binswanger  459.  483. 
Bjaschkow  129. 
Björck  187. 
Blake  204. 
Blanc  504. 
Blanc-Bombay  517. 
Blanc-Fontemlle  490. 
Bleuler  213.  402. 


Blix  31. 

Boeck  60. 

Bonnard  45. 

Bories  517. 

Bourneville  229. 

Bramwell  323.  351. 

Braus  518. 

Brecke  423. 

Brie  328. 

Brink  178. 

Bristowe  39.  189. 

Brösln  204. 

Brosius  139. 

Brower  210. 

Brown-S^quard  95.  117.  518. 

Brugia  328. 

Bruns  151.  169.  198.  402. 

Büffet  562. 

Bull  136. 

Bulhird  11. 

Buss  313. 

Camescane  576. 
Camus  275. 


584 


CamoBet  162. 

Campbell  429. 

Canger  537. 

Capelli  828. 

Caroe  13. 

Carson  612. 

Cartaz  232. 

Gatsapas  163. 

Chadwick  426. 

Chantemesse  426. 

Charoot  35.  37. 156.  228.  300. 

Cbeadle  163. 

Cherchevsky  427. 

ChriBtian  15.  91.  208.  236. 

Christoph  589. 

CividaUi  493. 

Clark  210. 

Clevenger  853. 

Cloiuion  327. 

Cohn  (Brealaa)  466. 

Combemale  283. 

Crothers  406. 

Colliäre  282. 

HaUidet  205. 
Dana  488.  566. 
Danillo  509. 
Darkschewitsoh  29.   99.    121. 

528. 
Dastre  211. 
Davies  116. 
Davy  401. 
Debove  44.  68. 
Dechterio£f  485. 
Dejerine  214.  247. 
Delom-Sorb^  201. 
Le  Denta  45. 
Descubes  490. 
Dignat  284. 
Douty  81. 
Dowall  116. 
Doyen  517. 
Dreschfeld  251. 
Drew  514. 
Droeze  93. 
Dmmmond  13. 
Dnckworth  136.  533. 
Dndley  320.  488. 
Diun^nil  86. 
Dupuy  67. 
Duval  575. 

Kamee  18. 

Eccheverria  17. 

Edinger  166.   181.  286.   309. 

451.  576. 
Edge  532. 
Edmunds  504. 
Ehrlich  452. 
EmminghaoB  561. 
Engelhurdt  518. 
Engesser  38.  380. 
Erb  1.  72.  238.  262.  289.  464. 
Erlicki  503. 
Espine  564. 
Emaa  249. 
Enlenburg  48.  265. 


Ewald  307. 
Exner  455. 

Falk  360. 
Falkenheim  456. 
Fasola  502. 
Feinberg  227. 
¥M  117.  132.  189. 
F^röol  68.  214. 
Ferrand  58. 
Perrier  117. 
Finkelstein  14. 
Finlay  505. 
Fische  79. 
Fischer  Gg.  73. 
Flechsig  525.  545. 
Flesch  145.  153.  172.  453. 
FoYÜle  28. 
Fränkel  406. 
Franck  67. 

Francotte  879.  484.  506. 
Freud  121.  251. 
Freund  472. 
Freusberg  566. 
Frey  359. 
Friedmann  831. 
FritBch  370.  452.  454. 
Fürstner  175.  285.  449.  457. 
458.  494. 

d^alezowski  68. 

Oalippe  264. 

Garnier  282.  580. 

Gaskell  225. 

Gastematzky  131. 

Gauster  42. 

Gerhardt  109. 

Giacomini  317. 

Gierke  104. 

Giesbers  89. 

Gilles  de  la  Tourette  45. 

Gilson  16. 

Girard  396. 

Giuffi^  184. 

Göpel  466. 

Goldscheider  178.  464. 

Golgi  299. 

Goltz  260.  454.  455. 

Gombault  251. 

Goodhart  189. 

Gottstein  468. 

Gowers  97.  150.  176.  878. 

Graf  64. 

Grashey  179. 

Gray  563. 

Greidenberg  209.  276. 

Griffith  381. 

Grützner  457. 

y.  Gudden  191. 

Guinon  35.  182.  489. 

Gussenbauer  430. 

GuBserow  472. 

Guttmann  44. 

Guye  468. 

Haab  212. 
Hack  808. 
Hadden  247. 


Hallager  588.  540. 

Hamilton  232. 

Hammond  165. 

Harris  537. 

Harrison  94. 

Haupt  462. 

Hawkins  159. 

Hebold  87.  406. 

Hebra  568. 

Hecker  357. 

Hegar  472. 

Heimann  458.  468. 

Heinemann  83. 

Henschen  375.  401.  424. 

Herzen  Mm.  349. 

Higgius  381. 

Hill  246. 

Hirsch  48. 

Hirt  120.  136. 

His  449.  450. 

Hitzig  447.  448.  453.  454. 455. 

V.  Hdsslin  249.  378. 

Hoffmann  (Heidelberg)  277. 

V.  Hof  mann  (Baden-Baden)  357. 

Hom^n  55.  250. 

Horsley  822.  515. 

Hospital  91. 

Hnmphreys  88. 

Jackson  278. 
Jacob  66. 
V.  Jaksch  84. 
Janewa^  487. 
Jasirowitz  462. 
Jeaffireson  159. 
Jendrassik  446. 
Jessop  381. 
Illorey  65. 
Ingria  581. 
JoSroT  44.  45.  68. 
Joseph  470. 
Josham  42. 

Kadyi  452. 
Kahler  80.  212.  214. 
Ealischer  42. 
Käst  330. 
Eatschanowski  53. 
Eauders  564. 
Keller  468. 
Kiemau  24.  327. 
Kleudgen  429. 
Knecht  138. 
KnoU  456. 
Koppen  246. 
Konlrausoh  310. 
Kollmann  452. 
Koneff  145. 
Koahewnikow  565. 
Kostjurin  132. 
KoTalewsky  S96.  513. 
Kraepelin  108. 
Krause  (Halle)  470. 
Krause  473.  502. 
Kreske  301. 
Kreyssig  5. 
Kronecker  456. 


585 


Krueg  254. 
Kaessner  204. 

Laache  485. 

Uborde  45.  67  (2). 

Ladame  66. 

Laehr  448.  449. 

Laillier  516. 

Landan  472. 

Landesberg  254. 

Lane  324. 

Lang  120. 

Langer  517. 

Lannois  509. 

Ijapointe  542. 

Laqner  268. 

Laschkewitsch  480. 

Latham  588. 

Lanlanid  44. 

Lantenbacfa  512. 

Lecorch^  507. 

Leegard  188.  400. 

Lcflaive  209. 

Legrain  492.  589. 

Lennhartz  468. 

Lennmalm  424. 

Lentz  327. 

Löonard  58. 

Lepine  504  (2). 

Leval-Piquechef  113. 

Lewaschew  482. 

Ijewin  113. 

Ijewin,  L.  468. 

Lewis  86.  200.  581. 

Lejden  20.  21.  44.  307. 

Liman  22. 

Lindenbom  428. 

Lipari  534. 

Lissaaer  418. 

Locb  456. 

Loewenthal,  N.  32.56. 155. 349. 

Lombroso,  0.  64. 

Lombroso,  G.  231. 

Londe  45. 

Lourie  420. 

Lucae  468. 

Laciani  406. 

LajB  63.  130.  204. 

Mabille  17. 

Maccabruni  114. 

Mac  Donald  282.  514. 

Macgregor  135. 

Maclaren  214. 

Macphael  87. 

Mairet  107.  283. 

Malibran  11. 

Mann  210.  532. 

Manning  65. 

ManouTrier  45. 

Marandon  de  Montyel  88. 

Marchi  528.  559. 

Mariani  505. 

Marie  14.  35.  156.  158.  182. 

228.  300.  374.  377.  580. 
Marro  54. 


Martins  288.  578. 

MasioB  379. 

Mathien  11. 

Maunonry  517. 

Mays  254. 

Mendel   142.   237.   307.   359. 

447.    458.    460.    471.    542. 

543.  544. 
Merkel  450. 

Meschede  448.  460.  464. 
Meyer,  Ludwig  264. 
Meyer,  Moritz  463. 
Meynert  43.  191.  454.  456. 
Miokle  93. 
Mierzejewski  494. 
Miliard  68. 
Minor  324. 

Misslawsky  193.  416.  560. 
MitcheU  60.  184.  200. 
Minra  481. 
Moebins  579. 
Moeli  22.  447.  448.  465. 
V.  Monakow  213.  370. 
Mondino  516. 
Money  118. 
Mosso  561. 
MlUler,  Franz  318. 
Mand^  380. 
Munk  154.  454.  455. 
Musso  16.  117.  427. 

BTasse  115. 
Nannyn  469. 
Nearonow  34. 
Nicaise  182. 
Nieden  466. 
Normann  140. 

Obersteiner  235. 

Oettinger  248. 

Ogiloce  135. 

Oliver  37.  60. 

Olshaosen  472. 

Onufrowicz  79. 

Oppenheim  21  (2).    34.    255. 

405.  461.  543. 
Ord  190. 
Oraay  67. 
Oserezkowski  321. 
Ott  155. 
Overall  495. 

Paetz  449. 
Panormow  562. 
Parinaad  580. 
Parker  118. 
Parsona  83. 
Paschkifl  413. 
Patton  138. 
Pecqnenr  398. 
Pelizaeos  50.  223. 
Peltesobn  325. 
Penzoldt  301. 
Petel  86.  . 
Petersson  376. 
Philip  303. 


Pichon  58.  492. 

Pick  43.  114.  120. 

Pierret  335. 

Pipping  110. 

Pitres  21.  205.  378.  381.  426. 

Planes  162.   * 

Playfair  183. 

Pontoppidan  230. 

Popoff  92.  236.  521.  535. 

Ponpon  178.  229. 

Preoss  328. 

Pr^vost  280. 

Pribram  211. 

Prince  70. 

Prior  158. 

%adart  23. 

Raison  541. 

Ranke  506. 

Raspopow  108. 

Rawitz  452. 

Raymond  8.  9.  404. 

Rehm  137. 

Reinhard  448. 

Reinhold  404. 

Remak   9.  22.  134.  141.  142. 
181.  238.  295.  460.  543. 

Rendn  44. 

Renz  469. 

Reunont  823. 

Rey  90.  131. 

Richardiäre  531. 

Richer  37. 

Richter  (Dalldorf)  335. 

Richter,  Ed.  506. 

Riokards  488. 

Rieger  310.  352.  496. 

Riva  511. 

Robertson  429. 

Rose  96.  578. 

Roscioli  130.  207. 

Rosenbaoh  241.  337. 

Rosenbaom  283. 

Rosenthal  81.  203.  459. 

Roshdestwenski  114. 

Ross  321. 

Rossolymo  147.  172.  391. 
I  Rothmann  44. 
I  Rooz  141. 

Rüdinffer  191.  319. 

Rumpf  308. 

RybaUdn  279.  503. 

Sachs,  H.  158. 

Saenger  472. 

Salesses  899. 

Salge  465. 

Sander,  W.  335.  448.  449. 

Sanndby  190. 

Savage  116. 

Scheiber  230.  344.  579. 

Schmidt  159.  470. 

Schmidt-Rimpler  465. 

Schottelins  353. 

Schramm  472. 


-     586 


Schröder  472. 

Schröter  447. 

Schtscherbak  337. 

Schüler  288. 

Schüler  535. 

Schnitze  (Heidelberg)  6. 9. 108. 

838.  86S.  529. 
Schulz    (Brannschweig)    132. 

409.  439.  500. 
Schaster  398. 
Schwabach  468. 
Schwartze  468. 
Schwarz  118. 
Scguin  274.  563. 
Scppilli  205.  406.  507. 
Shuttleworth  580. 
SiemcDB  448. 
Siemerling   22.   70.  448.  461. 

526.  539.  568. 
Siehicelli  202.  541. 
Sikorsky  282. 
Silva  55. 
Sioli  40. 

Smidt  187.  462.  463. 
Smith-Percy  480. 
Snell  448. 

Sommer  51.  116.  559. 
SoDza- Leite  38. 
Spitzka  165.  273.  481.  486. 
Standish  577. 
StcarDs  209. 
Stein  139.  480. 
Steinbnigge  467. 
Steinlechner-Grctschischnikoff 

508. 
Stephan  59. 
Stern  529.  531. 
Stieda  451. 
Stintzing  12.  372. 
Störk  335. 
Stricker  333. 
Strfibing  62. 


Strümpell   25.  160.  433.  469. 

579. 
Stühlinger  175. 
Stumpf  191. 

Talma  85. 

Tanzi  538. 

TamowBki  92. 

Tassi  564. 

Taty  41. 

Taylor  190. 

Tbierry  134. 

Thirias  517. 

Thoraas  287. 

ThomBcn  (Berlin)   22.  69.  70. 

237.  287. 
Thomsen,  J.  879. 
Tiegel  66. 
Tisohkow  350. 
Tolwinski  567. 
Tooth  227. 
Tovar  72. 
TroiHier  48.  214. 
Tmckenbrod  468. 
Tscholowski  484. 
Tnczek  354.  449. 
Take  95.  189.  460. 
Tnmer  186.  190. 

Uhthoff  19.  70.  466. 

Vaillard  378.  381.  427. 
Varaglia  55.  528. 
Vaslin  517. 
Vejas  138. 
Ventra  162. 
Vcnturi  18.  501. 
Verga  164.  264.  379. 
Vemeuil  517. 
Vicenta  236. 
Vierordt  421.  531. 
Virchow,  R.  568. 
Virchow  451. 


VizioU  111. 
Vogelgesang  139. 
Yoisin  232. 
Volland  180. 
Vnlpian  69.  335.  518. 

Wadsworth  10. 

Wagner,  E.  207. 

Wagner,  Jul.  119.  413. 

Waldeyer  452. 

Wallis  536. 

Walter  fi2. 

Walton  204. 

Waring  515. 

Watteville  49.  196. 

Weber  165. 

Weil,  A.  824. 

WeiU,  E.  519. 

Weiss,  D.  63. 

Weiss,  M.  61. 

Weiss  429. 

West  190. 

Westphal  6.70.  142.231 

361.  462. 
White  826. 
Wiedersheim  261. 
Wiglesworth  399. 
Wilder  501. 
Wilkin  566. 
Wilkins  576. 
Wilsey  498. 
Witkowski  569. 
Wolff,  W.  450. 
Wright  71. 
Würti  252. 

Zacher  551. 
Zenner  816. 
Ziehen  480. 
Y.  Ziemssen  46. 
Zinn  448. 
Zantz  456. 


352 


<t 


Accessorias  -  Willisii-Ijahmang 

181. 
.\cephalen-Norvün8y8tem  452. 
Acctonintozication  84. 

—  im  Athem  and  Urin  508. 
Acetophenon  288  (2).  517. 
Acromegalie  377. 
Aousticas    52.    79.    153.   286. 

481.  547. 
Addison'scho  Krankheit  113. 
Aother,  Einwirkung  auf  elck- 

tromot.  Erscheinungen  457. 

—  bei  Tabes  541. 

—  Intozication  384. 
Agoraphobie  288.  427. 
Ala  cinerea  105. 

Alcohol  bei  Psychosen  139. 


in.  Sachregister. 

Alcoholismus ,     Bibliographie 
884. 

—  Anästhesie  22. 

—  Delirium  406. 

—  Hallucinationen  494. 

—  Pathologie  71. 

—  Pseudoparalyse  115. 

—  Paralys.  progr.  282. 

—  Polyneuritis  577  (2). 

—  Golrsohe  Strange  dabei  421. 

—  Pilocarpin  42. 

cf.  Del.  tremens,   Dipso- 
manie, Trunksucht. 
Allochirie  117. 
Alopecie,  Therapie  495. 
Amaurosis  bei  Epilepsie  83. 

—  angeborene  218. 


cf.  Localisation  und  Opti 

COS. 

Ammonshom  502. 
Amylnitrit,  EinflusB  auf  Bio; 
bewegung  329. 

—  bei  FuBsia  eonvuls.  581. 
AmTotrophie    cf.   Muskelatr 

phie. 
Amyotrophiache  Lafceralsclcn» 

816  49.  156.  158.  551.  56:> 
Anästhesie  8.  22. 

—  durch  Cocain  119. 

—  kataphoiisch  221.  41.3. 4n 
Aneurysmen  derBückenmarU 

gefaase  87. 
cf.  auch  Art.  basilaris  et«*. 
Anstaltswesen  cf.  Irrenanstalt 


i" 


587 


Anstalten,    offne,   Aufnahme- 

bedingangcn  357. 
Antagonisten ,    gleichzeitige 

Contractor  derselben  30. 
Aphasie,  Bibliographie  192. 

—  amnestische  133. 

—  Localisation  45. 1 77. 178  (2). 
179.  180  (2).  181.  189.  191. 
424.  425.  459.  484.  564. 

cf.  auch  Localisation. 
Apoplectifonne  Anfälle  8. 
Arsenik  bei  Chorea  163. 
Arsenvergiftnn^  5. 

—  Bibliographie  384. 
Arteria  basilaris,  Aneurysmen 

426. 

—  cerebelli  post.,  Aneurysmen 
315. 

—  yertebralis,  Unterbindung 
bei  Epilepsie  540. 

Arthritis  deformans  381. 

—  rheumatica  324. 
Arthropathia  tabidorum 

cf.  Tabes. 
Ataxie  8. 

—  und  progr.  Paralyse  15. 

—  und  raraplegie  373. 

—  Ursachen  530.  531  (2). 

cf.  auch  Tabes. 

—  hereditäre  111. 

cf.  fViedreich'sche  Kraokh. 
Athmungscentren  560. 
Atrophia  musc.  progr. 

cf.  Dystrophia  u.  Muskel- 
atrophie. 
Atropin  und  Morphium  468. 

—  bei  Ptyalismus  406. 
Augenbewegungen,  Störungen 

403. 
Augenmuskellähmung ,    asso- 
ciirte  152.  171.  402. 

—  isolirte  287. 

—  Nuclearlähmung  466  (2). 

—  recidiyirende  580. 

cf.  Ophthalmoplegie. 
Ausdrucksbewegungen,  Inner- 
vation derselben  241. 

Bäder,  Einwirkung  auf  Cir- 
culation  und  Hirn  117. 

—  auf  Hirngefässe  329. 
Balken  cf.  uorp.  callosum. 
Basedow'sche    Krankheit   39. 

308.  381.  446. 
Beriberi  484. 
Bewegunpstorungen,  posthe- 

miplegische  276. 
Biographisches  Lexicon  48. 
Bleiintoxication,  Bibliographie 

9  (2).  10.  11.  60.  238.  384. 

—  neuritis  159. 

—  mit  psychischen  Altera- 
tionen 429. 

—  bei  Pferden  159. 
Blicklähmung,  isolirte  287. 
Blindheit,  angeborene  Eephalo- 

metrie  dabei  218. 


Blut  bei  Psychosen  87. 

Blutsverwandtschaft  und  Psy- 
chosen 580. 

Brown-Söquard'schc  Ijähmung 
277. 

Bulbärerkrankung ,  Hemiatro- 
phie  der  Zunge  dabei  375. 

Bulbärparalyse  376. 

~  acute  461. 

Cannabinon  189. 

Capsula  interna,  Zonen  67. 

Carotis  interna,  Theilnng  der- 
selben 172. 

Castration  bei  Epilepsie  und 
Neurosen  472. 

—  bei  Psychosen  430. 
Centralfurohe,  Ueberbr&ckung 

129. 

Centralnervensystem ,    Stutz- 
substanz 104. 
cf.  Nervensystem. 

Centren  der  Hirnrinde  453. 454. 
6f.  Localisation. 

Centrum  oculo-pupillare  53. 

Cerebralparalyse ,  spastische 
180.    cf.  Kinderlähmung. 

Cerebrospinalflüssigkeit  456. 

Cerebrospinalmeningitis  467. 

Charakter  bei  E^rankheiten  90. 

Chiasma  nv.  opt..  Erkrank.  405. 

Chininintoxicationen ,  Biblio- 
graphie 384. 

Chloral,  Einfluss  auf  Himge- 
gefässe  329. 

—  abusus  137. 

Chorea  158  (2).  159.  162.  163. 
509.  566. 

—  electrica  365. 

—  posthemiplegica  spur.  579. 
Clark'sche  Säulen  109.  156. 
Cocain  bei  Nervenkrankh.  93. 

—  und  Psychosen  2lO.  463. 

—  kataphorisch  119. 

—  bei  Morphinismus  210. 

—  bei  Seekrankheit  264. 

—  Exijerimentelles  227. 
Cocain  ismus  462. 
Commissur,  vordere  521.  525. 

—  hintere  99. 
Compressionslähmangen   des 

Euckenmarks  469. 
Contracturen,  hyster.  37.  490. 

—  paradoxe  7.  37.  543. 

—  posthemiplegische  276. 
Corpus  callosum  4.  202.  402. 

418. 

—  mamlllare  370. 

—  quadrigera.,  Physiol.  420. 
546. 

Tumor  189. 

—  restiforme  52.  121.  395. 

—  striatum  53.  390. 

—  tra^ezoideum  546. 
Coxalgia  hyst.  beim  Manne  228. 
Craniologie  217.  379. 

cf  Schädel. 


Crista  front,  int.  528. 
Crura    cerebri ,    Hämorrhagle 
488. 
cf.  auch  Himschenkel. 
Curare  bei  Chorea  16t?. 

—  bei  Tetanie  164. 
Cysticercen  im  4.  Ventrikel  423. 

Hegeneration,  secundärc  32. 
55.  56.  119.  156.  239.  247. 
350.  385.  528. 

—  im  antero-lateralen  Bündel 
97.  228. 

—  von  Corp.  mamillarc  und 
Fomix  370. 

—  vom  Kleinhirn  559. 

—  im  Himschenkelfuss  147. 
172.  174.  179. 

—  Waller'sche  251. 
Degenerescenz,  Delirien  dabei 

492. 
Delirium  bei  den  Degencrirten 

492. 
~  traumaticum  96. 

—  tremens  96. 

Behandlung  236.  264. 

cf.  Alcoholismus. 
Dementia  569. 

—  postfebrile  561. 

—  Heilungen  513. 
Dementia  paralytica 

cf.  Paralys.  progr. 
Diabetes.  Hemiplegie  504. 

—  nervöse  Störungen  507. 

—  Neuritis  378. 

—  Pseudotabes  113. 
Dififusionselektrode   219.   413. 

497. 
Diphtherie,  Lähmung  44. 
Dipsomanie  u.  Psychose  879. 
~  Behandlung  236.  567. 

d.  Alcoholismus. 
Dynamometrie  117. 
Dyslexie  355.  466.  467. 
Dystrophia  musc.  progr.  183. 

253.  262.  289.  302.  303. 
cf.  Muskelatrophie. 

Kchokinesie  489. 
Echolalie  489.  567. 
Ehescheidung  und  Psychosen 

539. 
Elektricitätslehre  46.  238. 382. 

496. 
Elektricität  bei  Alopccie  495. 

—  bei  Epilepsie  93. 

—  kataphorische  Wirkung  11 9. 
219.  413.  497. 

—  Wirkung  auf  Nerven  31. 
Elektrisation,  allgemeine  430. 
Elektrische  Apparate  66. 

—  Bäder  431. 

—  Fische,  Nervensystem  452. 

—  Widerstand  des  Körpers 
196.  350. 

;  Elektrodiagnostik    1'.    12.   77. 
270.  288.  295.  372.  382. 


588 


Elektromotor.    Erschein  angen 

457. 
Elektrotherapie  189.  t41. 

—  Qenohichte  66. 
Encephalitis  tranmat.  38t. 
Entartiinjgpsreaction  46.72. 837. 
->  faradische  460. 
Epilepsie,  Bibliographie  883. 

186.  495. 

—  Symptomatologie»  Sehstö- 
rangen  14.  58.  83.  821. 

Gehör  538. 

Pupillen  495. 

—  —  Sensibilität  321. 

—  —  postepileptische  Läh- 
mnng  84. 

perverse  Sexnalempfln- 

dung  539. 
ohne   Bewusstseinsver- 

lost  580. 

Qewichtsverhältn.  589. 

Phosphor  im  Urin  108. 

—  und  Chorea  159. 
und  Idiotie  806. 

—  xmd  Verwirrtheit  188. 

—  Handlungen  17. 

—  Aetiologie:  Statistisches 
494. 

—  —  acetonica  84. 

—  Therapie  68. 

Elektr.  93. 

Castration  472. 

—  —  Seeale  353. 

—  —  Trepanation  210.  514. 
Unterbindung  der  Ver- 

tebral.  540. 

—  —  Vesicantien  284. 

—  —  Anstalten  312.  542. 

—  Forensisch  17.  22. 

—  partielle  34. 

—  aus  Urämie  426. 
Erb'sche  Lähmung  578  (2). 
Ergotismus,  nervöse  Störungen 

dabei  354. 

Erregbarkeit,  elektr.  861. 

Erregbarkeitsbestimmung,  gal- 
vanische 1.  295. 

Facialis-Innervation  248. 

—  Krampf  313. 

—  Paralyse  aus  Zoster  62.  63. 

peripherische  142. 

Färbemethode  299. 
Faradischer  Strom 

cf .  Elektricitäi 

Farbenperception  bei  Erkran- 
kung des  Nervensystems  14. 

Fissura  paroceipitadis  50t. 

Flexiooscontraetur  bei  Him- 
krankheit  136. 

Folie  ä  deux  380. 

Forensische  Fälle  65  (2).  94. 
216.  447.  471. 

Ehescheidung  539. 

—  —  Morphinismus  580. 
Fomix  370. 


Fossa  occipitalis  528. 
Friedreich'sche  Krankheit,  Bi- 
bliographie 111.  167.  504. 
FuniculuB  solitarius  560. 
Fussclonus  183   201. 

cf.  Sehnenphänomene. 

C^alvanometcr  310. 
Gang  der  Nervenkranken  45. 
Ganglienzellen ,  Degeneration 
399. 

—  Färbung  213. 

—  Structur  145. 

—  Yacuolen  6.  147.  898. 
Ganglion  Gasseri.  Tumor  190. 
Gedächtniss,  Pathologie  114. 
Gedankenlesen  282. 
Gefassnerven  225. 

Geist,  Natur  desselben  70. 
Gelenkrheumatismus,   spinale 

Lähmung  330. 
Genickstarre  235. 
Geschmack,  Verlust  desselb.  69. 
Geschmacksfasem  und  Trige- 

minus  488. 
Gesichtsatrophie  114. 182. 301. 
Gesichtsfeldverengerung   14. 

69. 
Gheel  189. 
Glandula  pinealis  29.  262. 

—  Tumor  404.  439.  500. 
Gliome  des  Hirns  190. 
Gliose,  centrale,  der  Hirnrinde 

175. 

—  des  Bückenmarka  106. 
GoU'sche  Stränge  394. 

—  Degeneration  421. 

cf.  Rückenmark  u.  Tabes. 
Gossypium  353. 
Gumma,  kalkhaltiges  81. 
Gyrus  angularis,   Zwangsbe- 
vregungen  5. 

cf.  auch  Lobi  und  Locali- 
sation. 

Haemorrhagia  cerebr.  326. 
Hallucinationen,  alcohol.  494. 

—  halbseitige  165. 

— •  bei  Taurotummen  209. 

—  Theorie  512. 
Hautanästhesie  of.  Anästhesie. 
Hautreflex,  Lippenreflex  211. 
Hauthypertrophie  184. 
Hautsmnesnerven  178. 
Hemianopsie    182.  274.   275. 

488.  563. 

—  bitemporalis  405. 

cf.  Localisation. 
Hemiathetosis  321. 
Hemiatrophie  des  Gesichts 

of.  Gesichtsatrophie. 

—  linguae    bei   Bleilähmung 
238. 

Hemichorea  277.  321. 
Hemikranie,  Sehstömngen  da- 
bei 118. 


Hemiplegie,  cerebrale  H20. 326. 

—  hysterische  68. 

—  bei  Kindern  14.  180. 
•—  syphilitische  HO. 

--  mit    unwillkürlichen    Be- 
wegungen 275.  276. 

—  aus  IMmie  426. 

—  bei  Diabetes  504. 
~  ohne  Herd  504. 
Heredität    bei    Nervenkrank- 
heiten 247. 

—  bei  Psychosen  40.  41.  42. 
537. 

Herpes  zoster  61.  62  (2), 
Hinterstränge  der  Medulla» 
Anatomie  121. 

—  Phvsioloffie  322. 

OL  Bückenmark. 
Himabsoess  504.  505  (2). 
Himanatomie  166.  299.  576. 

—  Untersuchungsmetbode  79. 
817. 

—  Mikrophotographie  309. 

—  Foserverlaiu  130. 

—  Fissuren  501. 

—  Gambettas  Gehirn  575. 
Himbewegungen  45.  501. 
Himdruck  469. 

Hirn,  Einflnss  auf  Blutdruck 
198.  416. 

—  Elxtravasate  bei  Leucocj- 
thämie  351. 

Himgewichtll6. 131. 192. 319. 
Hirnhäute,  Ossification  464. 
Himkrankheiten,  Bibliographie 

215. 
Himmeobanismns  246. 
Himphysiologie  885. 
Hirnrinde,  ^nsanunensetxung 

105. 

—  Circolationsverhiltnisse 
117. 

—  Nerrenfasem  561. 

—  Sulc  central.  189. 

—  motorisehe  Centren  308. 

—  Erregbarkeit  131.  501. 

—  Zittern  von  der  EGnrinde 
aus  131. 

—  Verändemngim  Alter  132. 

—  Gliose  und  HohlenbildoDg 
175. 

—  Sklerose  176. 

—  Physiologe  198.  260. 

cf  die  einzelnen  Lobi  uhI 
Lokalisation. 
Himschenkel-Fuas,  Degenera- 
tion 147.  172.  174.  179. 

—  Herde  206.  488. 
Himsyphilis  81.  109.  203.  204. 

518. 
Hirntumoren  189.  190.  535. 
(et  die  einzelnen  Himtheile.) 

—  Blutdruck  dabei  469. 
Hirnwindungen  180. 
Hopein  120.  517. 
Husten  bei  Hysterie  38. 


—    589    — 


Hydroeeph&las,  Hirndrack  da- 
bei 469. 

Hydromyelie  586. 

Hyoscyamin  829. 

HypefästhoBie  Dlant.  485. 

Hypertrophie  aer  Muskeln, 
wf^re  60. 

et    Miukelatrophie    und 
Thonuseii'Bohe  Krankheit. 

Hypnon  517. 

Hypnotica  544. 

—  bei  Psychosen  516. 
Hypnotisnins  106.  117.  490. 

—  Journal  für  336. 
Hypoglossnsbabn  181. 
Uypoglossnseentren  178. 
UypoglossQskrampf  507. 
Hysterie,  Bibliograph.  289. 

—  Gesichtsfeld  14. 

—  Sensibilität  69. 

—  brachiale  Monoplef^e  85. 

—  puiMloxe  Contraotion  37. 

—  -  Oligurie  und  Ischnrie  88. 

—  Niesen  88. 

-  Sputum  207. 

—  Stnmmheit  232. 

—  Moskelatrophie  304. 

—  Contractoren  490. 

—  lethargische  Zonen  490. 

—  beim  Manne  43.  44.  68(2). 
228(2).  229.  280.  281.  232. 

—  und  Bailway  spine  34. 

—  und  Paralyse  90. 
Hystero-Catalepsie  232. 
Hystero-Epilepsie  37. 229.  230. 

Idiotie  mit  Epilepsie  306. 

—  und  Opiomgenass  512. 
Imbecillität  16.  569. 
InfectioDskrankheiten,  Pseudo- 
tabes dabei  113. 

in  toxicationen,  Pseudotabes  da- 
bei 113. 
Iris»  motor.  Störungen  465.  ^ 
Irrenanstalten  18.  23.  43.  448. 
568. 

—  Berlin  449. 

—  englische  70.  72.  140. 

—  irische  284. 

—  italienische  164. 

—  amerikanische  95. 

—  Gheel  189. 

—  för  criminelle  Irre  312. 447. 
Irrengesetzgebung  23.  95. 140. 

144. 
Irrenstatistik  42.  164.  327. 

—  in  England  460. 
Irrenwesen  264. 
Ischurie  bei  Hysterie  38. 

Hataphorie  219.  418.  497. 
Kephalometrie  217. 

cf.  Craniologie  n.  Schädel. 
Kinderlähmung,  cerebrale  830. 

—  spastische  180.  506(2). 

cf.  Poliencepbalitis,  Polio- 
myelitis und  Kflekenmark. 


Kleinhirn,    Erkrankung 
576  (2). 

—  Erweichung  134.  483. 

—  Gliomatöse  Degeneration 
189. 

—  Sarkom  135.  136. 

—  Tuberkel  135. 

—  secund&re  Degeneration 
nach  Exstirpation  559. 

Kleinhimbahn,  directe  senso- 
rische 286. 

Kleinhimschenkel,  unterer  52. 
cf.  Corp.  restiforme. 

KniegelenkyFlexionscontractur 
(Kernig)  186. 

Kniephänomen  50.  136.  142. 
148.  200.  214.  816. 473.  495. 
578.  579. 

cl  Sehnenreflexe,  Tabes, 
Westphal'sches  Zeichen. 

Lähmungen,  atrophische,  Bi- 
bliographie 168. 

Landiy'scne  Paralyse  578. 

Latah  472. 

Lateralsderose ,  amyotrophi- 
sche cf.  Amyotr.  Lateralscl. 

LautTorstellungen  388. 

Leichenstarre  518. 

Lethargische  Zone  bei  Hyste- 
rischen 490. 

Leukämie,  Hirn  dabei  351. 

Leukodermie,  hereditäre  205. 

Linsenkern 

cf.  Nucl.  lentiformiK. 

Lippenreflex  211. 

Liquor  cerebrospinalis 

cf.  Oerebrospmälflüssigkeit. 

Lobus  firontalis  191. 

—  occipitalis  563. 

Structur  488. 

temporalis  505.  563. 

cf.  Gyn,  Hirnrinde,  Lo- 

calisation. 

Looalisation  in  Hirnrinde 

Bibliographie  67.  154.  178. 

191.  260.  885.  406.  453.  502. 

—  Aphasie  u.  obere  Extremi- 
täten 45.  188. 178.  189.  191. 
399  (2).  400.  424.  425.  459. 
484.  564. 

--  Dyslexie  356.  467. 

—  Facialis  178.  245. 

—  untere  Extremitäten  320. 
401  (2). 

—  Pupillen  und  Augenbewe- 
gung 53. 

—  Sehen  und  Hören  154. 192. 

—  Sehen  275.  487.  563. 

—  Hören  563. 

—  Hypoglossus  178. 
Luys'sche  Körper  550. 

Manie,  Phosphorsäure  im  Urin 

108. 
«  Pachymeningitis  116. 


Manie,  Augenhintergmnd  512. 

—  bei  Schildkröten  421. 
Medulla  oblongata,  Herd  487. 

—  secundäre  Degeneration  56. 
Melancholie  138. 

—  Athembewegun^n  16.428. 

—  Phosphorsäuremi  Urin  108. 

—  mit  Stupor  493. 

—  bei  Schildkröten  420. 
Meningitis  cerebralis  und  Fu- 
runkel 410. 

—  operativ  behandelt  357. 
Menmgitis  cerebrospinalis  epi- 

dem.  184.  235. 

—  bei  Kindern  470. 

"  und  Kniephänomen  287. 
Mikrocephalie  319. 
~  Bückenmark  dabei  503. 
Mitbewegungen  276.  277. 
Mitchell-Playfair'sche  Kur  307. 
Monoplegie  brachiale,   hyste- 
risdie  85. 

—  Bibliographie  192. 

cf.  auch  Localisatiou. 
Moral  insanity,  Psychoraotrie 

54. 
Morphinismus  88.  380.  492. 

—  Cocain  dabei  210.  462. 

—  Biblio^phie  384. 

—  forensisch  581. 
Morphium,  Einfluss  auf  Him- 

gefasse  329. 

—  Wirkung  459, 

—  und  Atropin  468. 
Musculus  tibialis  anticus  bei 

Lähmungen  184. 

—  supra-  und  in&aapinatns, 
atrophische  Lähmung  142. 

Muskel-Contraotion  44. 

—  Einwirkung  von  Kalisal- 
peter 457. 

—  Nervenendigungen  153. 481. 
~-  Boflexcontraction  80. 

—  Veränderungen  bei  Dystro- 
phien 293. 

Muskelatropbie,  Bibliographie 
168. 

—  mit  Augenmuskellähmung 
39. 

—  progressive  11.  183.  300. 

—  nach  Traumen  187. 

—  und  Svringomyelie  109. 

—  und  dydromyelie  536. 

—  secundäre  Degeneration  21 1 . 

—  bei  Hysterischen  304. 

cf.  Dystroph,  musc.  progr. 

Muskelhypertrophie,  wahre  60. 
268. 

Muskelrigidität  86. 

Muskelspannnnff  282. 

Muskelzuckung  D.  Entartungs- 
reaction  887. 

Myelitis  acuta  disseminata  204. 
cf.  Rückenmark. 

Myelitis  asoendens  nach  Ty- 
phus 9. 


590 


Myotoni»  oongenita  500. 
Myotoniscfae  Mftctionsform  77. 
Mjrzoedem  67. 

IVahnmgBYerweigerang  187. 

Neryendehnong,  VerSndemiig 
des  RflckeninarkB  dabei  92. 

Nerven,  dnrchBchnittene,  elek- 
trisches Veriialten  81. 

—  nach  Amputation  470. 

—  elektrischeErregbarkeit  bei 
Nengebornen  361. 

—  Entstehung  449. 

—  für  Druck  174. 

—  fbr  Kälte  u.  W&nne  178. 

—  trophische  95.  482.  485. 

—  Wurzehi  des  Rückenmarks 
526. 

hintere  891. 

Nervensystem  bei  Acephalen 
452. 

—  bei  Bandwürmern  470. 

—  der  elektr.  Fische  452. 

—  von  Soph.  piseat  870. 

—  Einfluss  auf  Gewebe  482. 

auf  Temperatur  561. 

Nervus  medianus,  Degenera- 
tion 898. 

—  supraorbitalis ,  trophische 
Störung  485. 

Neugebome,  elektrische  Erreg- 
barkeit 361. 

Neuritis,  Bibliographie  8.  256. 
336. 

—  Sehnenreflexe  dabei  579. 

—  degenerative  multiple  21. 
60.  212.  248.  249  (2).  250. 
251.  252.  258.  287.  879. 
484  (2). 

—  am  Arm  118. 

—  ascendens  208. 

—  bei  Alcoholismus  577  (2). 

—  bei  Arthrit.  def.  881. 

—  bei  Bleiintoxication  159. 

—  bei  Diabetes  878. 

—  bei  Tabes  256.  885. 

(cf.  auch  Tabes.) 
~  bei  Tuberculose  878. 

—  nach  Typhus  252.  426. 

—  Exsudate  als  Ursache  von 
Neurosen  463. 

—  optica  69. 
Neuroglia  104. 

Neurosen  durch  Intoxication, 
Bibliographie  884. 

—  durch  neuritische  Exsudate 
468. 

~  vasomotorische  58. 

—  Behandlung  mit  SauerstofF- 
einathmungen  480. 

—  Castration  dabei  472. 
Niesen  bei  Hysterie  88. 
Normalelektrode  1. 
Nudearlfthmune   der  Augen- 
muskeln cf.  diese. 

Nucleua  lentiformis  456. 
Nymphomanie,  paradoxe  64. 


Ocnbmotoriuslahmung,  reci- 
divirende  580. 
et  Augenmuskellfthmnng. 

Oonlopupilläres  Centrum  58. 

Oligurie  bei  Hystoie  88. 

Oliven  beiKleinhimaffectionen 
488. 

Open-door-Svstem  448. 

Opiophagie  bd  einem  Idioten 
512. 

Ophthalmoplegie  bei  Bleiver- 
giftung 10. 

—  progressive  25.  89. 

—  externa  466. 

—  Flora  zur  llervorbringung 
466. 

cf.  Augenmuskellahmung. 
Opticus,  Atrophie  825. 

—  Gentren  528. 

ef.  Looalisation. 

—  Erkrankung  vom  Chiasma 
405. 

Ovarie  bei  Chorea  158. 
Ovariotomie  cL  Castration. 

Pachymeningitis  int  tuberc. 
63. 

—  haemorrhag.  116. 

—  cervical.  hypertroph.  132. 
Paradoxe  Contraction 

cf.  Contractur. 
Paraldehyd  51.  286. 

—  Einfloss    auf  HimgefSsse 
829. 

Paralysis  agitans»  Sehnerven- 
atrophie 326. 

—  Elektridtit  dabei  581. 
Paralysis  alcohol.  248.  251. 
Paralys.  progr.,  Bilbliographie 

215. 

—  bei  Hunden  457. 

—  Symptomatologie,  Ini- 
tialerscheinungen 228. 

Ataxie  8.  15. 

Pupillen  20.  465.  589. 

SensibiUtiit  480. 

ohne    Geisteskrankheit 

63. 

—  —  und  Hysterie  90.  229. 
281. 

Knochen  dabei  91.  208. 

Katatonie  138. 

mit    amyotrophischer 

Lateralsclerote  551. 
Sehnervenatrophie  326. 

—  Actio logie  bei  Negern 24. 

bei  Hereditariem  15. 

nach  Tabes  116. 

Krieg  805. 

Alter  327.  328. 

Abnahme  827. 

Blei  429. 

Syphilis    64.    328  (2). 

352.  483.  559. 
Alcohol   und   Syphilis 

115.  1 


Paralys.  pro  gr.,  Paiholog 
An  ato  m  ie :  Hiragewicht 
116.  161. 

spinale  Erkrankung  285. 

—  Diagnose:  mitiiooholis- 
mua  282. 

mit  Gliose  und  Hohlen- 

bildung  der  Hirnrinde  175. 

—  inerapie:  contaraimaiion 
116. 

üreihan  104. 

Paramyoclonus  multiplex 
(Friedreich)  868.  874. 
Paramyotonie  oongenita  265. 
Paranoia  bei  Epilepsie  138. 

—  bei  Tabes  116. 

—  hallucinatoria  acuta  209. 
Paraplegie,  atactische  373. 

cf.  Kückenmaik. 
Parthenium  hyst6rofliomm72. 
Pasteur'sche  SohutEnupfungen 

353. 
Patellarreflex  cf.  Kniephino- 

men,  Westphal'scheB  Zeichen. 
Pedunculi  cerebri 

of.  Himsohenkel. 
Peptonurie  bei  Ckisteskniikeii 

114. 
Periencephalitis  Inetica  89. 
Perineuritis  257.  cf.  Neuritis. 
Phosphorsäure  im  Urin  107. 

108. 
Phosphorver|[iftung,  Bftdcen- 

mark  dabei  5. 
Photograph.  Abbildungen  309. 
Phvsische   Zeichen   bei   Psy> 

diesen  42. 
Pia  mater  cerebr.,  Lipom  132. 

—  spinalis,  Saroom  183. 
Pilocarpin  gegen  AloohoL  42. 
Piscidia  er^hrina  517.  544. 
Plexus  brachialis»  Wunellsh- 

mung  280. 
PoUencephalitis  330.  506  (3). 
Polyomyelencephalitis  446. 
Pohomyelitis  ant  acuta  13  (2). 

chron.  adult.  12. 

Polyneuritis 

of.  Neuritis  multipL 
Polyurie,  Localisation  214. 

—  traumat.  80. 

Pens,  Bibliographie  215. 

—  Blutung  404. 

—  Degeneration  56. 

—  Herderkrankung  402.  4^7. 

—  SyphUom  564. 

—  T?uberkd  151.  169.  564. 
Porencephalie  483.  529. 
PosthemiplegischeBewegung»* 

Störungen  277. 

Preisaufgaben  48.  240.  520. 

Pr&cordudang&t  427. 

Pseudobulbärparalyse  461. 

Pseudohypertrophie  der  Mus- 
keln 182.303.  (f.Dyrtrophia. 

Pseudoparalyse  115. 


—    691    — 


Pseadotabes  IIS. 
Psyohometrie  54. 
Psychophysik  318. 

Psychosen»  Symptomatolo- 
gie: geistige  Sohwftche  16. 

Sexnalempfindong  282. 

Blut  dabei  87. 

—  —  Temperatur  92.  209. 

motor.  Sympt.  566. 

mit  Chorea  159. 

Senaibilit&tsstöning  69. 

Appetit  429. 

Pupillen  539. 

—  —  Scmldelmessang  879. 
Phoaphorsiare  im  Urin 

108. 

Peptonnrie  114. 

Ünreinlichkeit428.516. 

Verbrechen  386. 

—  Aetiologie:  erbl.  Anlage 
40.  41.  42. 

Blutsverwandtschaft 

580. 

epidemisch  544. 

durch   Kopfverletzung 

282. 

Krieg  804. 

Nephritis  429. 

durch   Intoxicationen, 

Bibl.  285.  384. 

Cocain  210. 

nach  Cataract  254. 

nach  SaUcyl  254. 

Morphium 

cf.  Morphinismus. 

—  Patholoj^ische  Anato- 
mie: Ossincation  der  Hirn- 
häute 464. 

—  Dauer  der  heilbaren  f^lle 
511. 

—  Ausgänge,  Heilung  nach 
mehrjähr.  Dauer  498. 

Erstickung  429. 

—  Therapie:  Cocain 93. 468. 
Alcohd  139. 

Urethan  104.  541. 

OTsriotomie  430. 

Tabak  18. 

Hjrpnotica  516. 

—  forensisch  cf.  Forensische 
FäUe. 

cl  auch  die  einzelnen 
Psychosen:  Dementia,  Ma- 
nie etc. 

Ptyalismus,  Atropin  dagegen 
406. 

Puerperium,  Aphasie  178. 

Pupillenbewegung  396. 

Pupillencentrmn  53. 

—  Dei  Enilepsie  495. 
cf.auciiParalyse, Tabes  etc. 

Pupillenreflez  212.  897. 
Pupillenstarre,  reflect  19. 322. 
Pyramiden,  compat.  Anatomie 
273. 

—  DegeneiatioD  160. 


Roilway-Bpine  84.  860. 

—  Pupülen  dabei  20. 
Bealencyclopädie  48. 
Beetom,  Ernährung  durch,  93. 
Beflexe 

cf.  Haut-,  Sehnenrefleze. 

Beflezlähmung  208. 

Beflezneurosen  vom  Genital- 
apparat 380. 

Bespirationsbündel  560. 

Bindenfelder  o£  Localisation. 

Bfiokenmark,  Anatomie  5. 
121. 

ohromolept   Substanz 

451. 

antero-lateraler  Strang 

97.  150. 

Seitenstränge  199. 

hintere  Wurzeln    391. 

526. 

Hinterhom  419. 

Blutgefässe  452. 

—  Physiologie:  EinflusB auf 
Körperwärme  155. 

Durchschneidung  349. 

peyohisehe  Fnnct  896. 

—  Patholog.  Anatomie: 
bei  Phosphor*  u.  Arsen  Ver- 
giftung 5. 

Degenerationen  56.  57. 

97.  150.  156. 
et  diese. 

Hioterstränge  7. 

Aneurysmen  d.  Bficken- 

marksgefisse  87. 

Veränderung  durch  Ner- 

vendehnung  92. 

centrale  Gliose  108. 

oombinirte  Solerose  140. 

144.  160.  503.  585. 

nach  Amputationen  820. 

470. 

Spindelzellensarkom  537. 

Tuberkel  888. 

bei  MilatMephalen  503. 

bei  Hunden  nach  Dreh- 
ung 457. 

—  Pathologie:  Ersohütte- 
rung  86. 

oombinirte  Erkrankung 

352. 

Compressionslähmungen 

469. 

cf.  die  einzelnen  Rficken- 
markserkrankungen:  Myeli- 
tis, Spinallähmungen,  Tabes 
u.  s.  w. 

Sanitätsbericht  des  deutschen 

Heeres  185. 
Sauerstoff,    Einathmung  bei 

Neurosen  430. 
Sehädel  bei  Psvchosen  42. 

—  bei  Verbrechern  55.  528. 

—  Blutbewegung  328. 

—  perforirende  Tuberkel  504. 


Schädelfraeturen  82.  88  (2). 

—  Trepanation  514.  515. 
Schädelfissuren  81. 
Schilddrüse,  Ezstirpation  67. 
Schläfelappen 

cf.  Lob.  temporalis. 
Schlaflähmung  344. 
SchlaÜBUoht  162. 
Schleife  cf.  Aousticus. 
Schnürun^parese  141. 
Schwachsinn  569. 

et  Dementia. 

—  originär  54. 
Schwdelkohlenstoifvergiftnng 

359. 
Schwindel  519. 

Sderose,  oombinirte  d.  Bücken- 
marksstränge  140. 144. 160. 
503.  535. 

—  miliare  des  Hirns  176. 

—  multiple  459.  532.  533. 
534  (2).  535.  543. 

—  halbseitige  583. 

—  Bibliographie  168. 

—  histol.  Veränderungen  246. 
333. 

—  Sehnervenatrophie  326. 

—  HeUbarkeit  168. 

cf.  Lateralsclerose,  RAoken- 

mark,  Tabes  etc. 
Seeale  comutum  bei  Epilepsie 

353. 
Seekrankheit,  Cocain  dabei  264. 
Seelenblindheit  177. 
cf.  Localisation. 
Sehhügel  cf.  Thal,  opt 
Sehnenreflexe  49.  50.  86. 183. 

473. 

—  bei  Alcoholisten  578. 

•—  nach  epilept.  Anfällen  495. 

—  bei  Neuritis  579. 

cf.  Kniephänomen,  West- 

ßal'sches  Zeichen  etc. 
törungen  bei  Epilepsie  58. 
321.  (cf.  diese.) 

—  bei  Migräne  118. 

cf.  Lo^sation  u.  Opticus. 

Seitenstrangsclerose  cf.  amyo- 
trophische Lateralsclerose  u. 
SpmalparalyBe,  spast. 

Selbstmord  und  Krieg  805. 

—  in  Spanien  520. 
Sensibilität  bei  Epilepsie  321. 

—  bei  Paralys.  progr.  480. 

—  bei  Tabes  529. 
Sexualempfindun^  64. 282. 539. 
Sexualorgane  und  Nervosität 

518. 
Sialorrhoe  17.  223. 
Sinnesnerven,    centraler  Ver- 

Uuf  545. 
Sinnesorgane,  Urgeschichte  der 

höheren  261. 
Sophus  niscator.  370. 
Speichelarü8en,Inncrvation  69. 
Spina  bifida  134. 


5Ö2 


SpinalgangUen  383. 
Spimüpandyse,  spastische  160. 

308. 
cf.  Latenüsclerose. 
SplDalparalyse»  Bibliographie 

167. 
Sprachcentram  cf.  Aphasie  n. 

LocaUsation. 
Statistik  cf.  IrreDanstalten  u. 

Irrenstatistik. 
Stimmbänder,  Parese  224. 
Strickkörper,  Anatomie  121. 

cf.  Cforp.  restif. 
Strychnin  bei  Dipsomanie  567. 
Stnmmheit,  hysterische  282. 
Siiggestion  36.  106. 
Sympathicna  225. 

—  Erkrankung  253. 

—  Verletzung  233. 
Sympathische  Nervenzellen 

141. 
Synkinesien  276. 
Syphilis 

cf.  HirnsyphiUs,  Paralys. 

progr.  und  Tabes. 

—  hereditäre  110. 

—  Einfluss  von  Bädern  359. 
Syringomyelie  108.  502.  537. 
Systemerfrankung,  combinirte 

140.  144.  160.  503.  535. 

Tabak,  Gebrauch  18. 
Tabes»  Bibliographie  166.  280. 

—  Pseudotabes  113. 

—  S  y  m  p  1 0  m  e :  Arthropathien 
20.  21.  45.  68.  214.  324. 
325.  531.  568. 

—  —  Ataxie,  Ursache  530. 
(cf.  diese.) 

erhaltenes  Kniephäno- 
men 136.  142.  236.  474. 

Ausfallen  der  Zähne  264. 

Augenmuskellähmung 

39.  212. 

ohne  blitzartige  Schmer- 
zen 823. 

Pupillen  dabei  29. 

Laryngeakrisen322.324. 

Sensibilität  529. 

Lähmung  der  Glottis- 
erweiterer  324. 


Tabes,  Symptome:   mit  Dia- 
;     betes  323. 

mit  Paranoia  116. 

combinirte  Erkrankung 

144. 

—  Aetiologie,  Syphilis  59. 212. 
280.  328.  438.  568. 

—  Path.  Anatomie  150.  255. 
335.  527. 

Hinterhorner  419.  473. 

--  Therapie  66.  532.  541. 
Temperatur,   subnormale  92. 
209. 

—  Einfluss  des  Nervensystems 
561. 

Temperaturprttfnng  464. 
Temperatorsinn  178. 
Tetanie  183. 
Tetanus  517. 

—  traumat.  163.  233. 

—  rheumat.  284. 

—  Behandlung  188. 
Thalamus  opticus,    Function 

245.  371. 

Thein,  Analgesie  dadurch  254. 

Thomsen'sche  Krankheit,  Bi- 
bliographie 78.  205.  215. 
289.  271.  509. 

Tic  convulsif  313.  866.  489. 
509.  566. 

Tonvorstellung  838. 

Tourette's  Krankheit  566. 

Trauma,  Erkrankung  des  Ner- 
vensystems durch  34. 

—  Hysterie  35.  43.  44. 
Tremor  cf.  Zittern. 
Trepanation  bei  Epilepsie  210. 

514. 

—  bei  Schädelbruch  514.  515. 

—  bei  Tumor  515. 
Trigeminuslähmung  488. 
Trigeminusneuralgie  72. 

—  Therapie  430. 
Trigeminuswurzel  199. 
Trophoneurosen  187. 
Trunksucht  71. 

—  und  Erblichkeit  879. 
Tussis  convuls.  581. 
Typhus  und  Myelit.  asc.  9. 
^  u.  Nervenkrankh.  253.  254. 

—  und  Neuritis  426. 


Vnterkieferclonus  49. 
Unterkieferphänomen  49.  S6. 

279. 
Urämie   mit   apoplectifonuen 

Anfallen  8. 

—  mit  Hemiplegie  und  £{ii- 
lepsie  426. 

—  mit  Psychose  429. 
Urethan  103.  516.  541. 


Vacuolen  in  den  Ganglien- 
zellen 6.  147.  398. 

Vagabundenfrage  471. 

Vasomotorische  Neurosen  .^^. 

Ventrikel,  vierter,  Cysticerktn 
428. 

—  Tumor  81. 
Verbrechen  und  Geistesstöning 

335.  (cf.  forens.  Fälle.) 

—  und  Schädel  55.  91. 
Verwirrtheit  et  Paranoia. 
Vicq  d'Azyr'sches  Bündel  3Tii. 
Vierhügel  cf.  Corp.  quadrigem 


Wahrnehmung,  einseitige,  W> 

doppelseitigen  Reizen  19>. 
Wärmesinn  ete.  cf.  Temperatur. 
Westphal'sches   Zeichen  142. 

237.  280.  352.  548. 
cf.  Kniephänomen,  Sehnen - 

refleze. 
Widerstandsveränderungen  d. 

Haut  durch  Constanten  Sti  om 

288. 
Windungen   cf.  Gyri,  Lobi. 
WorttauDheit  cf.  Localisatioii 

und  Lob.  temporalis. 


XirbeldrüBc 

cf.  Glandula  pinealis. 
Zittern  85. 

—  von  der  Hirnrinde  131. 

—  posthemipl.  277. 
Zoster  cf.  Herpes  zoster. 
Zungenkrampf  507. 
Zungenlähmung  278. 

—  Hemiatrophie  dabei  375. 
Zwangsbewegungen  4. 


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Um  Einsendung  von  Separatabdrücken  an  den  Herausgeber  wird  gebeten. 


Einsendungen  für  die  Bedaction  sind  zu  richten  an  Prof.  Dr.  £.  Mendel, 

Berlin,  NW.   Kronprinzen-Ufer  7. 

Verlag  von  Vrit  &  Comp,  in  Leipzig.  —  Druck  von  Mbtzqer  &  Wittig  in  lieijjzig. 


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