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UNIVERSITY OF CALIFORNIA
MEDICAL CENTER LIBRARY
SAN FRANCISCO
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L-
NEUROLOGISCHES
iSENTRALBLATT
ÜBERSICHT . .
DER
LEISTUNGEN AUF DEM GEBIETE DER ANATOMIE,
PHTSIOIiOGIE, PATHOLOGIE UND THERAPIE DES NERVEN-
SYSTEMS EINSCHLIESSLICH DER GEISTESKRANKHEITEN.
HERAUSGEGEBEN
VON
Db. £. MENDEL,
PROFESSOR AN DER UNIVERSITÄT BERLIN.
FÜNFTER JAHRGANG.
LEIPZIG,
VERLAG VON VEIT & COMP.
1886.
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Seürologisches Centr albl ah.
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Uebersicht der Leistungen aaf denfi Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie
und Therapie des Nervensystemes einschliesslich der Geistestcrankheiten.
Herausgegeben von
Professor Dr. E. Hendel
Ffaifter *" ^"°- Jahrgang.
Monatlich eracheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 16 Mark. Zu beziehen durch
Alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Beichs, sowie
direct Ton der Verlagsbuchhandlung.
1886. 1. Januar. M 1.
Inhalt I. Originalmltfhellufigen. Vorschlag einer ,,Normalelektrode" f&r galvanische
Erregbarkeitsbestimmungen, von W. Erb.
II. Itoforftto. A n ato m i e. . 1 . On Prof. Hamilton's theory eoneeraing the corpus eaUosum,
bj BMfor. — Experimentelle Physiologie« 2. Ueber Zwangsbewegungen bei Zer-
störung der Hirnrinde, von Bechterew. — Pathologische Anatomie. 3. Ueber die Be-
schaffenheit des Bückenmarks bei Kaninehen und Hunden nach Phosphor- und Arsenik-Ver-
giftang, nebet Untersuchungen über die normale Stmetur desselben, von Kreyssig. 4. Zu-
aatzliche Bemerkungen zu dem Aufsätze des Hm. Dr. Kreyssig, von Schultze. — Pathologie
des Nerveneystems. 5. Ueber einen eigenthümUchen Symptomencomplex bei Erkrankung
der Hinterstrange des Bückenmarks» von Westphal. 6. Sur la pathogenie de certains acci-
dents paralytiques observes chez des vieillards, leurs rapports probables avec ruräniie, par
Raymend. 7. Deux cas de my^ite ascendante observes pendant la convalescenoe de la do-
thM^nent^rie» par Raymoed. 8. Bleil&famung, von Remak. 9. Ueber Bleilähmung, von Schultze.
10. Double optic Neuritis and Ophthalmoplegia from Lead-Poisoning; complicated by Typhoid
Fever, by Wadiworth. 11. Satumisme etc., par Mathlen et Mallbran. 12. A case of pro-
gressive Muscular Atrophy foUowlng a blow on the head, by Bultard. 18. Ein klinischer
Beitrag zur Poliomyelitis anterior cm-onica adultorum, von Stintzinp. 14. On the nature of
the spmal leaion in Poliomyelitis anterior acuta or infantile Paralysis, by Drufflmond. 15. Et
Tilfalde af Poliomyelitis anterior acuta , af CarSe. 16. Ueber Veränderungen des Qesiohts-
feldes und der Farbenperception bei einigen Erkrankungen des Nervensystems , von Flnkel-
steln. 17. H6m]pl6gie c^röbrale infantile et maladies infectieuses, par Marie. 18. Des
rapports de FAtazie et de la paralysie g6närale, par Baillarger. 19. Paralysie generale
chez un h^r^itaire, par Christian. — Psychiatrie. 20. Les faibles d'esprit, par Gllson.
21. Sopra alcune forme speciali del respiro negli stati melancolici, per il Museo. 22. Note
BOT quelques oaa de Sialorrhie d'origine nerveuse» par Mab! He. 23. On Epileptic violence, by
EcheverHa. — Therapie. 24. Sulr uso del tabacco da naso nei sani, neipazzi e nei delin-
quenti, per il Venturl. — Anstaltewesen. 25. Presidential address, delivered at tiie annual
meetang of tiiie medico-psychological association , held at Queen's coUege, Cork Aug. 4. 1885,
by Eanei.
III. Aus den Getellecliafleii. — IV. BIbllograpM*. — V. Pereonalien. — VI. Vermisclites.
I. Originabnittliellungen.
Vorschlag einer „Normalelektrode" für galvanische
Erregbarkeitsbestimmungen.
Von W. Erb in Heidelberg.
Unsere Methoden der quantitativen galvanischen Erregbarkeitsbestimmung
motoiischer Nerven entbehren noch immer der wünschenswerthen Ueberein-
stimmmig und derjenigen Einheitlichkeit, welche allein vergleichbare Ergebnisse
yi2o
— 2 —
der verschiedenen Beobachter garantiri Es mag deshalb erlaubt sein, einigi
Bemerkungen zum Zwecke der Herbeiftkhrung einer einheitlichen, allgemein
adoptirten Untersuchungsmethode zu machen«
In meiner ausf&hrlichen Arbeit über die quantitativen elektrischen unter
suchungsmethoden ^ und wiederholt in meinem Handbuch der Elektrotherapie^
habe ich bereits als wesentliches Postulat aufgestellt, dass die Err^^^ng der zt
vergleichenden Nerven immer mit genau derselben Stromdichtigkeit
geschehen müsse. Nach allgemeiner Annahme ist ja die Stromdiditigkait das
Wesentlichste für die Erregung der Nerven; doch scheint es mir nicht aosge*
schlössen, dass auch die Stromstärke an sich, d. h. die Stromquantitat ohne
Bücksicht auf die jeweilige Dichtigkeit einen gewissen Einfluss habe. Jeden&lls
aber dürfen wir neben der Bestimmung der Stromstarke die Bücksicht auf die
Stiromdichtigkeit nicht bei Seite setzen*
Nach der. bekannten Formel für die Stromdichtigkeit (D=s-^, wobei J die
Intensität des Stromes, die absolute Stromstärke, Q den Querschnitt des Leiters,
also fär unsern Fall den Elektrodenquerschnitt bedeutet) ist dieselbe abhängig
einerseits von der absoluten Stromstärke, andererseits von der Grösse des
Elektrodenquerschnitts. Wir werden also die zu vergleichenden Körper-
theile nur dann unter den Einfluss der gleichen Stromdichtigkeit bringen können,
wenn wir bei einer bestimmten absoluten Stromstärke stets eine genau gleich
grosse Beizelektrode also den gleichen Querschnitt benutzen.
Die genaue Bestimmung der absoluten Stromstärke hat ja jetzt keinerlei
Schwierigkeiten mehr, seitdem wir im Besitze trefflicher, nach Einheiten der
Stromstärke (für elektrodiagnostische Zwecke nach Milliamperes) graduirter Gal-
vanometer sind. Dagegen hat sich die Verwendung einer einheitlichen, überall
gleich grossen Beizelektrode bisher noch nicht Eingang verschafft, obgleich diese
Forderung von mir bereits 1873 ausgesprochen und auch neuerdings von ver-
schiedenen Seiten wiederholt worden ist Und die neueren Angaben über die
galvanische Erregbarkeit der Nerven unter Angabe der absoluten Stromstärke
können deswegen nicht wohl miteinander verglichen werden, weil sie mit Beiz-
elektroden von sehr verschiedenem Querschnitt gewonnen sind; so hat A. Eulek-
BUBG mit einer Elektrode von 2Vs cm Durchmesser, Bbrnhabdt mit einer
solchen von 2—272 cm, K BEifAJB: von i cm und Gäbtnbb endlich nur von
1 cm Durchmesser untersucht; daraus berechnen sich Querschnitte von 0,78
bis 16 qcm und aus diesen natürlich eine sehr verschiedene Dichtigkeit bei
gleicher absoluter Stromstärke!
Diesem TJebelstande abzuhelfen erlaube ich mir den Vorschlag, eine far
alle quantitativen Erregbarkeitsprüfungen anzuwendende Normalelektrode
einzuführen, welcher sich in Zukunft alle Beobachter bedienen möchten; nur
auf diesem Wege können wir endlich einmal übereinstimmende und unterein-
ander vergleichbare Besultate erwarten.
* W. Ebb, Zur Lehre von der Tetanie» nebst Bemerihingen über die Pr&fnog der elek-
trischen Erregbarkeit motorischer Nerven. Arch. f. Psych, n. Nenr. 1878. IV. S. 303.
* Elektrotherapie. S. 149.
— 3 —
Die Grösse dieser Nonnalelektrode könnte ja nach Belieben gewählt werden;
ich halte jedoch eine solche von 10 qcm Querschnitt für weitans die zweok-
massigste; sie hat eine sehr handliche, passende, überall anwendbare Grösse^
und ganz besonders wird sie uns zur Erleichterung der Notirung der Befunde
dienen, wenn wir die Zahlen für die zur Wirkung kommende Stromdichtigkeit
tiiiren wollen.
Diese Notirnngen würden einfach so geschehen, dass man etwa ftkr EaSZ
imd KaSTe die erforderlichen Stromstärken in Milliamp., unter stillsohwaigender
oder ausdrücklicher Voraussetzung der Normalelektrode angiebt, z. B. „eiste
KaSZ bei 2 Milliamp., EaSTe bei 8 Milliamp. (Normalelektrode).'' WiU man
dann die absolute Dichtigkeit angeben, so braucht man die betreffenden Zahlen
der Stromstärke nur durch 10 zu theilen oder in einen Decimalbruch zu ver-
wandeln, um leicht zu yeigleichende Werthe zu erhalten; also bei 1 — 3 — 5 Milli-
amperes (Normalelektrode) haben wir dann eine absolute Stromdichtigkeit
Ton Vio— '/lo— 'Ao <>der besser 0,1—0,8—0,5.
In dieser Weise gestaltet sich die Untersuchung nach der bekannten Me-
Uiode sehr einfach und giebt leicht vergleichbare Zahlenwerthe. Ich habe bis
jetzt noch keine grosse Zahl von Gesunden mit der Normalelektrode und ab-
solutem Gkdvanometer untersucht, aber immerhin genug, um diese Methode zur
allgemeinen EinfEUmmg 2u empfehlen. Die bisher gefundenen Zahlenwerthe
betaragen
far EaS zwischen 0,25 und 2,0 Milliamperes,
„ KaD „ 4,0 „ 10,0
'' ^^\ 15 40
und AnOi " ' " ' "
für KaO „ 5,0 •„ 8,0 „
an motorischen sowohl, wie an sensiblen Nerven.'
Ich weiss natürlich wohl, dass damit die Schwierigkeiten, welche in der
anatomischen Lagerung der Nerven, ihrer verschiedenen Entfernung von der
Oberfläche etc. gegeben sind, keineswegs gehoben werden. Aber die werden
anch durch keine noch so feine Ausführung der physikalischen Anordnungen
hei unsem Untersuchungsmethoden am lebenden menschlichen Körper zu
eümmiien sein. Und diese Schwier^keiten werden auch für die neueste, von
GlBTKEB angegebene Untersuchungsmethode' in gleicher Weise bestehen. Neben-
bei gesagt, vermag ich die Bedeutung der von Gabtneb betonten Fehlerqudle,
welche in der raschen Yermindatmg des LW. der Epidermis durch die Strom-
wirkung liegt, keineswegs so hoch zu tasuren, wie dies Gabtneb thut Für
^ Dieselbe hat in rander Form einen Dniehmeaser von 8,5-— 8,6 em, in quadratischer
Form eine Seitenl&nge von 8,2 cm; auf absolute Genauigkeit kommt es ja dabei nicht an.
Ich habe beide Formen ganz leicht conTex, mit wohl abgerundeten Ecken und Kanten her^
itellen lassen und finde sie beide in gleicher Weise brauchbar.
' Genaueres darftber wird in der im Drucke beflndMcheo 2. Aufl. meiner „Elektrotherapie*'
zn finden sein.
* G. OlBTBBB, üeber ene u<n(^ )(ett^odQ der elektrodiagnostisohen Untersuchung«
Wiener med. Jahrb. 1885. 6. 889.
- 4 —
gewöhnlich werden wir die Unteisaohnng schon bei bereits modifioirtem Wider-
stand ausfahren und überdies gestattet z. B. das yorzögliche grosse EDSLMAim'sche
Glalvanometer durch seine wirksame Dämpfung eine so prompte Ablesung der
Stromstärke, dass von einer erheblichen Aenderung derselben in dem kurzen
Zeitraum zwischen der Schliessung des Stromes und der Buhestellung der Nadel
wohl keine Bede sein kann. Und darauf konmit es doch ausschliesslich an,
dass wir die Stromstärke in dem Zeitmoment kennen, in welchem der erwartete
ErregongSYorgang im Nerven eintritt — mögen die Widerstände sein, wie sie
wollen. — JedenMs müsste, wie mir scheint, die eines grossen instrumentellen
Apparates bedürfende GÄBXNEB'sche Methode bei genauer Nachprüfung sehr er-
hebliche Vorzüge erkennen lassen, wenn sie die jetzt übliche üntersuchungs-
metbode mit gutem (Galvanometer und mit Normalelektrode verdrängen sollte.
Und auch bei der Anwendung der GÄBTNEB'schen Methode wird es wohl am
zweckmässigsten sein, sich der vorstehend empfohlenen „Normalelektrode'^ zu
bedienen,
Heidelberg, November 1885.
IL Referate.
Anatomie.
1) On FrofesBor Hamilton's theory oonoeming the corpus oalloBum, by
C. Beevor. (Brain. 1885. October p. 377—379.)
Wenn Hamilton's Ansicht, dass das Corpus callosum nicht eine interhemi-
sphärische Commissor, sondern eine Decussation von der Binde zu den Basalganglien
und der inneren Kapsel der entgegengesetzten Hemisphäre ziehender Fasern dar-
stelle, richtig wäre, welche übrigens mit klinischen Thatsachen im Widersprach stände,
so müsste es gelingen den Nachweis zu führen, dass überhaupt Fasern vom Corpus
callosum zur innem Kapsel ziehen. Dieser Nachweis ist dem Verf. auf Mikrotom-
schnitten von in Kaliumbichromat und Methylalcohol gehärteten Gehirnen von Menschen
und Affen, auch die Färbung mittelst der Weig er tischen Hämatozyliu- und speciell
der Kupferacetat^Methode niemals gelungen. E. Bemak.
Experimentelle Physiologie.
2) Ueber Zwangsbowegungen bei Zoratörung der Himxinde, von Prof. W.
Bechterew aus St. Petersburg. (Virchow's Archiv. Bd. 101.)
Wenn B. bei Hunden und Katzen den „etwas nach hinten von den Gyri sig-
moidei in der Nachbarschaft der Längsspaite des Gehirns^' gelegenen Bindenabschnitt
— welchem also beim Menschen die (hegend der Scheitelwindungen entspricht —
zerstörte, so traten Kreis- resp. Beitbahnbewegungen auf. Dies geschah nach Zer-
störung der Gyri sigmoidei selbst, d. h. der motorischen Begion, nur dann, wenn
dieselbe sehr umfangreich vorgenonunen war, mit Uebersohreitnng der Grenzen.
Das betreffende Thier beginnt mit mehr oder minder grosser G^chwindigkeit,
fast immer naöh der operirten Seite hin, s^e Kreisbewegangen auszuführen, den
Körper etwas nach der Seite der Bewegungen gekrümmt, die Augen nach der gleichen
Bichtung gewendet. Kein Nystagmus.
— 6 —
Das KjreiBen hOrt nafih einigen (bis 15) Minuten nach nnd nach aof nnd das
Thier kann nun geradeaus gehen, zeigt keinerlei motorische Störungen. Nach einiger
Zeit beginnt jedoch die Kreisbewegung yon neuem und wiederholt sich so einige
Male, aber immer schwächer und kürzer dauernd. Meist hören diese Anfölle schon
im Laufe dea ersten Tages auf, bisweilen sind sie während mehrerer Tage nach der
Operation zu beobachten; ja, es können sogar starke und andauernde AnföUe noch
mehrere Monate nach der Operation plötzlidi sich einstellen.
Das anfallsweise Auftareten, das Fehlen halbseitiger Paresen, sowie der Ort der
Verletsimg (nicht die motorische Zone) sprechen nach B. dagegen, dass es sich bei
dieeen Kreisbewegangen um Störungen yon Seiten der Extremitätenmuskehi handele;
es sind vielmehr wirkliche Zwangsbewegungen. — Auch stellen diese Zwangsbewe-
gangem nicht den Effect eines Functionsausfalles dar, sondern den einer Beizung.
Denn B. konnte zuweilen durch blosse Application reizender Agentien (Kochsalz)
ohne Zerstörung des Himgewebes Beitbahnbewegungen hervorrufen, welche anfalls-
wmse nnd zwar im Anschluss an «neu epileptischen Anfall auftraten.
Bei niedriger stehenden Thieren (Kaninchen und Vögeln) kam ein solches Kreisen
nur ftnasent selten zu Stande. Eme tiefer greifende Zerstörung einer Hemisphäre
jedoch wnrde bei allen Thieren nicht selten von einem Kreisen in entgegengesetzter
Achtung, nämlich nach der gesunden Seite hin, begleitet
Anatonüsch begründen möchte B. seine Beobachtungen damit, dass ein Bündel
der Bindearme, unmittelbar in das Gebiet der inneren Kapsel übergegangen, Ton hier
aus einen bedentenden Theil der sog. Haubenstrahlung (Flechsig) bildet, d. h. eben
höchst wahrsdieinlich nach den Scheitelwindungen der Binde zieht
Zun Schluss führt der Verf. — ausser 3 Fällen aus der Literatur, in denen
Friedreich resp. Petrina resp. Mesnet von Zwangsbewegungen nach einer Seite
beim Menschen berichten — eine interessante Beobachtung an, die er in der Klinik
von Prof. Mierzejewsky gemacht hat: Ein Geisteskranker mit alter Kopfverletzung
an der Grenie der linken Scheitel- und Hinterhauptsgegend zeigte etwa im 4. Monate
seiner Krankheit anüallsweise auftretende Kreisbewegungen von rechts nach links,
wobei zuerst Augen und Kopf sich nach links drehten. Im Liegen wurde keine
Drehneigung bemerkt^ wohl aber beim Sitzen. Diese Erscheinungen dauerten in aus-
geprägtem Grade etwa einen Monat, hörten dann im Laufe des nächsten Monats
allmählich auf. ' — Als der Patient einige Wochen darauf an einer traumatischen
Pleuritis starb, fand sich an der Stelle des Gyrus angularis des rechten (? Bef.)
Scheitellappens die Pia fest verwachsen mit dem Gehirn, und dieses hatte dort einen
encephalitischen Herd von 1 — 1,5 cm Durchmesser und 1 cm Tiefe.
Hadlich.
Pathologische Anatomie.
3) Ueber die BeBohaflfenheit des Büokenmarke bei Kanlnohen und Hunden
nach FhoBphor- und Arsenik- Vergiftung, nebst Untersuohungen
über die normale Btruotur desselben, von Dr. F. Kreyssig. (Virchow's
Arch. Bd. 102.)
Die analogen Untersuchungen von Danilo und Popow resp. die von denselben
gefundenen Veränderungen des Bückenmarks gaben dem Terf. — auf Anregung von
Prof. Schnitze in Heidelberg — den Beweggrund, zunächst einmal die normalen
oükroflkopiachen Befunde des Bückenmarks bei Kaninchen und Hunden zu untersuchen
and aoch festzustellen, welche Einwirkungen etwa von den Präparationsmethoden
herrührten. Da fand K. denn zunächst auffallende Verschiedenheiten der
Ganglienzellen in Bezug auf ihr Verhalten gegen Färbemittel: dunkel-
gefärbte Zellen mit einem pericellulären Baume, und hellgefärbto ohne einen solchen ;
— 6 —
bisweilen fanden edch die Zellen der einen Seite eines Präparates blass, die der anderen
dunkel gefärbt Modificirte E. aber die Erhärtungsmethode in der Weise, dass er
die Präparate aas der Müller'schen Flüssigkeit resp. ans dem Wasser nicht sofort
in 96^0 Alkohol legte, sondern zunächst in 10 7o ^^^ ^^>^ ^^^^ ^^^ nach erst
in den starken Alkohol, so liess sich eine Verschiedenheit der Ganglienzellen in der
beschriebenen Art kaum mehr wahrnehmen. — Aach Vacuolen kamen in den nor-
malen Präparaten, zwar recht spärlich, aber sicher Yor, häufiger, wenn die Präparate
anfangs in Chromsäurelösung gelegen hatten. — Femer traf E. nicht selten blasse
Ganglienzellen ohne Fortsätze, deren Protophisma das Innere der Zelle nur
unvollständig ausfüllte; bei jungen Thieren waren sie häufiger, als bei ausgewachsenen,
und im Hals- und Lendentheil häufiger, als im Brustmark.
E. fand also unter gewissen Umständen im Bückenmark normaler Thiere all'
das, was Danilo und Popow als pathologisch beschrieben haben; an frisch unter-
suchten Präparaten dagegen wurde von ihm niemals dergleichen wahrgenommen.
Was nun seine mit Phosphor vergifteten Thiere betrifft, von denen zwei nach
4 — 5 Tagen, drei nach 36 — 66 Ti^en in Folge von 0,008—0,254 gr Phosphor
starben, betrifft;, so konnte E. ausser capiUaren Blutungen in der grauen Substanz
keine pathologischen Veränderungen in der Med. spin. auffinden. Und
ganz dasselbe gilt von 6 mit Arsenik (0,0376—1,36) in 10 — 14 Standen resp.
nach 39 — 50 Ti^en vergifteten Thieren.
Verf. lässt es dahingestellt, ob etwa bei dauernder Einwirkung besonders grosser
Gaben oder unter besonderen Umständen pathologische Veränderungen durch die
erwähnten Gifte eintreten können; aber bei den angewandten Versuchsbedingungen
(analog denen bei Popow und Danilo) entwickeln sich Degenerationen der Med.
spin. nicht als regelmässige Folge. Hadlich.
4) ZiisätBllclie BenAerkuBgen bu dem AuftiatBe des Hrn. Dr. Ereyasig, von
Prof. Dr. Schnitze in Heidelberg. (Ebenda.)
Die nach dem Abschluss des Ereyssig'schen Aufsatzes erschienene Arbeit von
W. V. Tschisch „Ueber Veränderungen des Bflckenmarkes bei Vergiftung mit Mor-
phium, Atropin, Sübemitrat und Ealiumbromid",^ in welcher ganz ähnliche patholog.
Veränderungen gefunden waren, vnie von Popow, veranlasst Seh. zu der Bemerkung;
dass es vom klinischen Gesichtspunkte aus im höchsten Grade aufEalle, dass die ge-
nannten so verschiedenen Stoffe im Wesentlichen stets die gleichen Wirkungen auf
die Ganglienzellen des Bückenmarks ausüben sollen. Auch wisse man bei den meisten
derselben nichts von atrophischen Lähmungen, die doch nicht ausbleiben könnten«
wenn zahlreiche Zellen ihrer Fortsätze verlustig gegangen seien etc. Erklärlich
werde die Sache durch Ereyssig's Befunde an normalen Bückenmarken. — Wenn
Bilder scheinbarer Degeneration, wie z. B. Vacuolenbildung, von Popow, Danilo
und V. Tschisch so häufig gefunden seien, so liege hier vielleicht etwas Pathologisches
vor; aber es bleibe zu ermitteln, ob dies eine directe Einwirkung des Giftes auf die
Ganglienzellen sei, oder eine indirecte, durch die capillären Hämorrhagien, die venösen
Stauungen etc. vermittelte. Hadlich.
Pathologie des Nervensystems.
6) Ueber einen eigenthümliohen Symptomencomplex bei Erkrankung der
Hintemtrftnge des Büokenmarks, von Prof. C. WestphaL (Archiv für
Psych, etc. 1885. Bd. XVI.)
^ Dies Centralbl. 1S85. S. 224.
— 7 —
W. berichtet über Krankengeschichte and anatomischen Befand eines Falles, der
eigenthflmliche, mit keinem der bekannten Krankheitsbilder congraente Erscheinongen
dargeboten hatte. Die über einen Zeitraam von 27s J^l^^i^ sich erstreckende Be-
obachtung ist in sehr aasführlicher Form mitgetheilt, die einzelnen Symptome ein-
gehend analysiri TVir müssen ans hier mit dem Besamt des Symptomencomplexes
imd des klinischen Verlaufes begnügen. Es handelte sich um einen 47jährigen, nicht
belasteten, von Syphilis and Alkoholismos freien Mann. Die Krankheit begann mit
Parese eines Aagenmuskels, des linken Beet, internus, zu der später Ptosis trat und
Schwindel; es entwickelte sich eine allmählich sich zu fast vollständiger Lähmung
mck steigernde Schwäche der unteren, eine geringe der oberen Extremitäten. In
den unteren traten Erscheinungen von Muskelrigidität geringeren Grades in einzelnen
Moskelgmppen au( Steigerung der Kniephänomene und später paradoxe Gontraction,
zuerBt bei Dorsalflexion des Fusses, später auch bei Plantarflexion desselben und bei
Bewegongen in den Knie- und Hüftgelenken. An den oberen Extremitäten nahm
die Schwäche zu, einzelne Fingerbewegungen fielen gänzlich aus; auch hier zeigte
sich Steifheit bei gewissen Bewegungen und die Erscheinungen der paradoxen Gon-
traction. Später wurden ähnliche Eigenthümlichkeiten der Innervation auch an den
Kiefermnakeln beobachtet Die Gesichtsmuskeln zeigten keine unzweifelhaften moto-
rischen Störungen, wohl aber die Zunge, welche nach rechts hin abwich. Eine Sensi-
bilitätsstürung hohen Grades erstreckte sich allmählich fast auf die ganze Körper-
oberfläche; schliesslich nahm auch das Gebiet des Quintus auf beiden Seiten an dieser
Sensibilitätsabnahme Theil. Die Hautreflexe blieben erhalten. Abgesehen von Schwindel-
gelühl. Angstzuständen, gestörtem Schlaf bestanden keine allgemeinen Gerebralerschei-
uungen; erst gegen Ende der Krankheit zeigte die Intelligenz eine gewisse Abstumpfung.
Fat. erlag einer Pneumonie im Anschluss an tuberculöse Lungenerkrankung.
Eine sichere Diagnose war nicht zu stellen; obwohl einzelne Züge der Krankheit
auf multiple cerebrospinale Sclerose hinwiesen, so stimmten andere, besonders die
weitverbreitete Anästhesie^ nicht damit überein.
Das ausgebildete und verbreitete Phänomen der paradoxen Gontraction konnte
diagnostisch nicht verwerthet werden, da die Bedingungen desselben noch nicht klar
gestellt sind.
Die Section und mikroskopische Untersuchung ergab, dass es sich um eine Er-
krankung der Hinterstränge handelte. Dieselbe betraf im obersten Halstheil die
inneren Theile der Goirschen Stränge und die Grenzlinie zwischen diesen und den
Bardach*schen; weiter nach abwärts rücken die peripherischen Degenerationsfelder
mehr und mehr an die Hinterhömer heran. Im oberen Brusttheil verbreitem sie sich
in Form eines Dreieckes mit der Basis an der Peripherie; auch die erkrankte Parthie
der Goll'schen Stränge ist breiter und weiter nach vom ausgedehnt. Im mittleren
Bmsttheil ist der Umfang beider Erkrankungszonen ein viel geringerer; im unteren
Brusttheil hat sich ein neuer von der Spitze des hinteren Septums ausgehender De-
generationsstreif entwickelt Letztere werden im Lendentheil breiter und länger,
während der mittlere Theil der Hinterstränge im hinteren Drittel der Höhe ganz
frei geworden und auch die Gegend der hinteren Wurzelbündel ganz intact ist
Ausserdem im oberen Halstheil auf kurze Längenausdehnung im vordersten Theil der
Seitenstränge ein kleiner symmetrisch gelegener Degenerationsfleck und eine (zweifel-
hafte) Veränderung der Bandzone der Vorder« und Seitenstränge im unteren Brust-
bis zum LendentheiL In der MeduUa oblongata fand sich eine Bindegewebsvermehrang
and Atrophie von Nervenröhren in den zarten und Eeilsträngen.
Die peripherischen Nerven der rechten Unterextremität gemischte Stämme,
Mnskel- und Hautäste boten verschiedene Grade partieller Faseratrophie, einzelne
mit interstitieller Bindegewebsentwickelung.
Die hinteren Wurzeln des Lendentheils Hessen ebenfalls einen gewissen
— 8 —
Grad von Atrophie zahlreicher Nervenröhren erkennen; geringer Faserschwnnd in den
vorderen Wurzeln des Lendenthells.
Anch die Muskeln boten eine mit Volamsverminderung von Fasan einher-
gehende Veränderung dar, über deren Natur sich W. nicht näher ausspricht.
W. macht in der Epikrise zunächst auf das Abweichende des klinischen Bildes
von dem gewöhnlichen der Erkrankung der Hinterstränge aufmerksam und sucht
diese Abweichungen durch eine genaue Analyse der Symptome dem Verständniss
näher zu bringen.
Das Erhaltenbleiben des Eniephänomens scheint ihm im vorliegenden Falle
auf das Freibleiben der Wurzelzone im untern Brust- und Lendentheü bezogen
werden zu müssen.
Das Fehlen der Ataxie ist nach seinen zahlreichen Beobachtungen an para-
lytischen Geisteskranken mit grauer Degeneration der Hinterstränge und ohne Ataxie
nicht auffallend; wahrscheinlich ist der Grund in der relativ noch geringen Intensität
der Degeneration zu suchen.
Die ausgebreitete und intensive Störung der Sensibilität wird man nach
W. nicht von der Erkrankung der Hinterstränge ableiten können; vielmehr müssen
dafür wohl die peripherischen Nerven in Anspruch genommen werden. Der Ausgangs-
punkt der Erkrankung der sensiblen Nerven dürfte an ihrer Peripherie zu suchen
sein, da die Atrophie an den meist peripherischen Abschnitten der rein sensiblen
Aeste am ausgeprägtesten war. Die motorischen Stämmchen schienen ein ähn-
liches Verhalten darzubieten; wie weit die Degeneration der einzelnen Fasern in den
gemischten Stämmen hinaufging, ist natfirlich nicht zu entscheiden.
Den Process der Degeneration kann man als primäre Atrophie oder chro-
nisch parenchymatöse Neuritis bezeichnen.
Die Erklärung der motorischen Schwäche ist durch die Atrophie ^er grossen
Anzahl motorischer Nervenröhren gegeben.
Die Muskelveränderung war allerdings nicht die gewöhnliche der dogenera-
tiven Atrophie, sondern besonderer Art. Ob diese Veränderungen der Muskelsubstanz
(am Tibialis anticus) mit dem Phänomen der paradoxen Contraction in irgend
einer Beziehung stehen, lässt W. unentschieden.
Auch über den Ausgangspunkt der Erkrankung, ob peripher, ob spinal, lässt
sich kein sicheres Urtheil abgeben.
Eine gewisse Beziehung der Nervenerkrankung zu der bei dem Pai gefundenen
Tuberculose darf angesichts der öfter beobachteten Coincidenz letzterer Erkrankung
mit acuteren Formen der Neuritis wohl vermuthet werden. Eisenlohr.
6) 8ur la pathog^nie de oertalns aooidents paralytiques observös ohet
des vieillardfl, leurs rapports probables aveo rurömie» par le Dr.
Raymond. (Revue de m^d. 1885. Sept. p. 705.)
R. berichtet über eine Anzahl von Beobachtungen, bei denen es sich um das
Auftreten apoplectiformer, von Hemiplegie gefolgter Anfölle handelte, ohne dass die
Section eine Blutung oder eine Erweichung im Gehirn ergab. In allen diesen Fällen
handelte es sich um Kranke im vorgerückten Alter mit chronischer interstitieller
Nephritis (Schrumpfhiere). Im Gehirn war meist ein deutliches Oedem nachweisbar,
und Verf. ist daher der Ansicht, dass die betreffenden nervösen Zufälle auf dieses
Oedem zu beziehen sind, dessen Entstehung mit der Nierenaffection zusammenhängt
Jedenfalls haben derartige Beobachtungen ein diagnostisches Interesse.
Strümpell.
— 9 —
7) Deax cas de myölito asoendaate« obaervös pandant la oon'valesoenoe
de la dothidnentörie, par le Dr. Raymond. (Revue de medecine. 1885.
Aoüt p. 648.)
IfiUheiliiiig zweier Fälle von aufsteigender L&hmung mit Betbeiligang aller vier
Eztremitftten nach Ablauf schwerer Abdominaltyphen. Die Lahmung war mit Atro-
phie und Entartungsreaction verbunden, die Sensibilität war an manchen Stellen der
Haut deailich herabgesetzt, an anderen Stellen bestand Hyperftsthesie. In beiden
Fällen klagten die Kranken Aber Eriebeln und Schmerzen. Die Patellarrefleze waren
erloschen. Nach einigen Wochen trat v(^llige Heilung ein. Verf. diagnosticirt eine
,,sttbacate aufsteigende Myelitis'^ im Zusammenhange mit dem vorhergehenden Typhus.
Die Annahme einer peripherischen Nervenaffection (sog. multiple Neuritis),
welche dem Ref. die bei weitem wahrscheinlichste zu sein scheint, wird gar nicht in
Betracht gezogen. Strümpell.
8) BleiUhmimg» von E. Remak. (Enlenburg's Realencyclopädie. 2. Aufl.)
Eine treffliche klinische Darstellung der Bleilahmung, die unter Berücksichtigung
auch der neuesten Literatur in gedrängter Kürze Alles enthält, was wir über diese
Krankheit wissen. R. hat bekanntlich selbst durch die Aufstellung des Vorderarm-
und Oberarmtypus, wie durch andere Beobachtungen (cf. auch d. Ctrlbl. 1882. Nr. 7)
das klinische Bild erweitert und vertieft. In Bezug auf die Pathogenese der Krank-
heit gehört R. zu den Anhängern der centralen Entstehung der BleUähmung: die
klinischen Erscheinungen der Bleilähmung drängen unweigerlich zur Annahme cir-
cumscripter, bei ihrer Ausgleichsfähigkeit jedenfalls nicht immer destructiver, mög-
licher Weise nur functioneller Läsionen (de Watteville und Erb) der grauen
Yorderhömer des Rückenmarks. M.
9) Heber Bleilahmung. Nach einem auf der 10. Wanderversammlung der südwest-
deutschen Neurologen und Irrenärzte in Baden-Baden gehaltonen Vortrage.
Von Prof. Dr. Schnitze in Heidelberg. (Arch. f. Psych. Bd. XVI.)
Verf. berichtet nach kurzer Einleitung, in welcher er die von Erb und Remak
angefahrten klinischen Gründe für den primär spinalen Sitz der Bleilähmung zu
widerlegen sucht, über einen mit Granularatrophie der Nieren combinirten Fall von
BleUähmung bei einem 25jährigen Gasinstallateur. Die typische Lähmung entwickelte
sich beim Pai, der seit seinem 14. Jahre mit Blei (Hennige) zu thun hatte und
seit 5 Jahren zeitweise an Kolik litt, im Juni 1882 (ca. 2V2 Jahre vor dem Tode),
und zwar zuerst im rechten Vorderarme und 6 Monate später im linken. Ergriffen
waren rechts: Alle Grundphalangenstrecker, die Extensoren der Hand, Extensor poll.
long., Inteross. I ext, M. opponens und Flexor poll. brevis und im geringen Grade
noch der Adductor polL brevis; links: Extensor digit. comm., Ext. carpi rad. und
ulnar., Abductor und Extensor poll. longus. Die erkrankten Muskeln waren sehr
atrophisch und zeigten vollständige Entartungsreaction. Merkwürdiger Weise zeigte
sich bei der Prüfung der galvanischen Erregbarkeit auch im gesunden Deltoid., Biceps
und Triceps ein kurzdauernder heftiger Tremor. Sensibilität frei, Hautreflex normal,
Sehnenreflexe lebhaft Pat starb am 6. Jan. 1885 an Granularatrophie der Nieren
und an pneumonischen Heiden.
Section: Neben der mit Hypertrophie des linken Herzens verbundenen Nieren-
erkrankung und der catarrhalischen Pneumonie beider Lungen fand sich im Pons em
frischer erbswgross^r Blutungsherd. Die obenerwähnten Vorderarmmuskeln zeigten
sich streifenweise bis total degenenrt Die Nn. radiales erst am Vorderarm deutlich
grau verfärbt Am Bückenmarki au den untersten Halsauschwellungswurzeln und an
— 10 —
einzelnen Bfindeln der Csuda eqaina „leicht grauliche" VerArbnngy im Uebrigeo
makroskopisch nichts Abnormes.
Bei der mikroskopischen Untersuchung des Rückenmarks, die unter Anfertigung
von zahlreichen Schnittserien in den verschiedensten Bückenmarksabschnitten in der
sorgföltigsten Weise (aber an nur gehärteten Präparaten) vorgenommen wurde, fanden
sich nur unwesentliche und zum Theil zweifelhafte Veränderungen (Verdickung der
Qefässe in den Meningen, leichte offenbar angeborene Asymmetrie der Med. spinaL,
geringer Beichthnm an QanglienzeUen im HaLs- und Lendentheil» besonders in der
medialen Gruppe; Schrumpfung verschiedener Ganglienzellen, die aber auf Anwendung
von Alkohol bei der Härtung zu beziehen sei; Aufbreten einer grösseren Anzahl
kleiner Ganglienzellen in. den Vorderhömem und dgl.) aber „keine Spur'' von
nachweisbaren poliomyelitischen Processen. Der Bau der grauen Substanz
völlig normal, ohne Eömchenzellen, ohne Corpora amylacea, ohne Axencylinder-
quellungen, wohl aber finden sich zerstreut mitunter recht grosse Spinnenzellen.
Vordere Wurzeln frei.
Die Hauptveränderungen im N. radialis beginnen unterhalb des Abgangs dos
Astes für den Supinator longus und decken sich so ziemlich mit den auch von an-
dern Forschem beschriebenen Befunden. Auch im linken Plexus brachial, fanden
sich in einem der Nervenstämme fleckweise auftretende Partien mit Nervenschwund
und Eemvermehrung.
Die ergriffenen Muskeln zeigten die bekannten atrophischen Veränderungen mit
bedeutender Eemwuchemng etc.
Unter Berücksichtigung dieses nahezu negativen Rückenmarksbefundes bekämpft
Verf. die Theorie vom primären Sitz der Bleilähmung im Bückenmark, welche die
Hauptfrage (warum die deletäre Wirkung des Bleies auf ganz bestimmte Muskelgruppen
sich beziehe) auch unbeantwortet lasse, und bestreitet die Beweiskraft der von Vul-
pian, Referenten, Oeller und Oppenheim beschriebenen Fälle mit positiven Be*
funden in den Vorderhömem. Nach Ansicht des Ref. ist aber der Rückenmarks*
befund im Falle des Verf. in manchen Punkten zu unsicher und vieldeutig, als dass
er mit solcher Entschiedenheit gegen den spinalen Urspmng der Bleilähmung ver-
werthet werden dürfte. Verf. ist Anhänger der Ley deutschen Ansicht vom primär
peripherischen Sitz des Leidens und hält unter Verwerthung der Gombault*schen
Beftmde an Meerschweinchen die Läsion in den Ganglienzellen fär secundäre Er-
scheinungen („das Blei verbreite sich, nachdem es einmal auf irgend eine Weise in
die Schwann*sche Scheide eingedrungen sei, centralwärts in der Faser der Ganglien-
zelle"). Die bekannte Erhasche Hypothese, nach welcher Atrophie im peripherischen
Nerv eventuell auch von mit unseren gegenwärtigen Methoden nicht nachweisbaren
Veränderungen in den Ganglienzellen abhängen könne, verwirft er mit Entschiedenheit
Schliesslich erklärt Verf., dass er auch die primär myopathische Theorie der Blei-
lähmung, die eine secundäre Nervenerkrankung zur Folge hätte (Friedländer),
nicht ohne Weiteres von der Hand weisen wolle. v. Monakow.
10) Double optio NeuritiB and Ophthalmoplegia firom Lead*Poisoning;
oomplioated by Typhoid Fever, by 0. F. Wadsworth. (Boston Medi-
cal and Surgical Journal. 1885. 8. October.)
Knabe, 9 Jahre alt, erkrankte im Sommer 1884, während eines Aufenthaltes
auf dem Lande, an Kopfschmerzen, allgemeinem Unbehagen und den später zu er-
wähnenden Augensymptomen. Zu diesen Erscheinungen traten nach ungefähr 1^/^ Mo-
naten typhusähnliche Stühle, Uebelkeiten, Vergrösserung der Milz und Leber u.s.w.
(Nephritis fehlte.) Der Gesammtzustand wurde als irregulärer Typhus abdom. dia-
gnosticirt. Was die Augenerkrankung betrifft, so wurde schon Ende August bemerkt^
dass das 1. Auge nicht so präcis bewegt wurde, als das rechte. Verf. sah den Fat
— 11 —
zuA orsien Male am 8. Octobor. Das 1. Ange konnte weder nach innen noch aussen
bewegt werden; Bewegung nach unten Terringert, nach aufwärts gut Am r. Auge
war nur die Bewegung nach aussen beschränkt L. Pupille grosser als rechte. Be-
actiosan gut Ophthalmoskopisch war deutliche Neuritis an beiden Nn. optici nach-
zuweisen. Folsem, der consultirt wurde, vermuthete Bleüntoxication. Es wurde
Jodkali yerordnet; nach drei Wochen wurde von E. S. Wood Blei im Urin nachge-
wiesen. Die Muskellähmungen gingen zurück; die Neuritis fOhrte aber zu Atrophie,
▼on den Typhuserscheinungen erholte sich der Knabe nach etwa zwei Monaten Tom
ersten Beginne an gerechnet. Blei wurde im Urin bis zum folgenden Mai (7 Monate
hindurch) nachgewiesen. Die mögliche Quelle der Bleüntoxication wird nicht er-
wähnt Sachs (New-York).
11) Satomisme; h^morrhagies odröbrale et bnlbaire; hdmlplägie et para-
lyaie des eztensenrs du mdme oötö. Hypertrophie du ventrioule
gauohe» nephrite interstitielle» albnminurie , par Mathieu et Mali-
bran. (Progr. m6d,. 1885. No. 42.)
Fall von Bleivergiftung bei einem 41 jähr. Arbeiter, der im Ganzen 19 Jahre
Bleidämpfen ausgesetzt war und fast ununterbrochen an Bleikolik litt: Bechtssei-
tige Hemiplegie; satumine Lähmung der rechtsseitigen Extensoren (Supiuator longus
frei). Später neuer apoplekt Insult mit Convulsionen der rechten Körperhälfte,
schlaffer Lähmung der linken, leichte Deviation des Kopfes und der Augen nach
rechts. Tod zwei Stunden nach dem letzten Anfall im Goma unter Gheyne-Stoke'-
Bcher Bespiration.
Die Autopsie ergab Hypertrophie des 1. Ventrikels, aUgem, Arteriosklerose und
Interstitielle Nephritis. Im Oehim fanden sich 1) ein hämorrhagischer Herd in der
obersten Schicht des Pens Yaroli rechterseits , welcher sich etwas auf den entspre-
chenden Fedunculus cerebri fortsetzte; 2) ein Blutherd, der fast die ganze rechte
Hemisphäre einnahm; 3) ein älterer Herd in den linken Centralganglien, mit Yer-
schonung der Insel.
Bemerkenswerth an dem Fall erscheint uns nur, dass die Bleüntoxication erst
lange Zeit periphere Erscheinungen (rechtsseii Extens. Lähmung), später die cen-
tralen Störungen hervorgerufen hat, an denen der Kranke schliesslich zu Grunde
ging. Laquer.
12) A OBse of progressive Musoolar Atröphy following a blow on the
head, by W. A. Bullard. (Boston Med. and Surg. Journal. 1885. Vol.
CXm. p. 369.)
Das Besum^ des Verf. wird unseren Zwecken vollkommen entsprechen:
ISia Mann von 60 Jahren, Mher gesund und ohne hereditäre Belastung, erhält
einen starken Schlag auf die Unke Seite des Hinterkopfes. Gleich darauf empfand
er starke Schmerzen am Kopfe und Nacken, die bis auf die Schulter und den Bücken
hinunter ausstrahlen. Es entwickelte sich in der Folge eine allmählich sich stei-
gernde Schwäche der oberen Extremitäten (anfangs nur links) mit Far- und Anäst-
hesien auf der linken Seite. Diese Schwäche wird begleitet von einer fortschreiten-
den Atrophie der Muskeln der Schulter, des Bückens und der oberen Extremität
links, späterhin werden genau dieselben Muskeln auf der rechten Seite betroffen.
Elektrische Erregbarkeit aller betheüigten Muskeln herabgesetzt. („Main en grifft"
Q. 8. w.) Kach einem Jahre geringe Besserung, soweit die sensiblen Störungen in
Betracht kommen, und in Bezug auf die Atrophie der Extremitätenmuskeln. Dagegen
bleibt Anästhesie des Bückens bestehen und die Atrophie der Bücken- und Schulter-
musculatur nimmt eher zu als ab. Verf. fasst dies als einen deuteropathischen
— 12 —
Process auf; seine vorläufige Diagnose lautet: Packymeningitis chronica cervicaliB not
secundarer Entzfindung der Vorderhömer.
Ein ähnlicher Fall von Gull (Guy's Hospital Reports. 1857. p. 195) wird in
detaillirter Weise mitgetheilt und mit ohigem Falle verglichen.
Sachs (New«York.)
13) Ein klinischer Beitrag aur Poliomyelitis anterior ohronioa adoltorum«
Aus dem medicin.-klin. Institut zu München. Von R. Stintzing. (Aerztl.
Intelligenzblatt. 1885.)
Ein 60 jähriger, nie inficirter, in kaltfeuchten Arbeitsräumen beschäftigter B^
amter war innerhalb von sieben Monaten an allmählich zunehmender schlaffer atro-
phischer Lähmung beider Oberextremitäten erkrankt, deien unter einer coitralen
galvanischen Behandlung zur relativen Restitution fahrender Verlauf innerhalb einer
Beobachtungszeit von acht Monaten genau verfolgt wurde. Aus der ausfährlichen
Krankengeschichte mit sorgfältigen elektrodiagnostischen Befunden (Strommessung
mittelst des grossen Edel man naschen Einheitsgalvanometers bei Angabe des Elek-
trodenquerschnittes) seien das Fehlen von Schmerzen und eine Druckempfindlichkeit
der Nervenstämme, dabei leicht circumscripte Sensibilitätsstörungen in Form von
Parästhesien und eine geringe Vergrösserung der Tastkreise im Ulnarisgebiete , be-
sonders aber die eigenthümliche Verbreitung der elektrischen Alterationen hervorge-
hoben. Am schwersten durch complete EAB waren beiderseits die Hand- und Finger-
eztensoren geschädigt, während bei übrigens ebenso absoluter Lähmung der gleichi-
falls vom Radialis innervirte Supinator longus, sowie die gelähmten Oberarm- und
Schultermuskeln nahezu normales elektrisches Verhalten zeigten. Nur im Brachialis
internus bestand galvanische und faradische EAR und in den hinteren und lateralen
Abschnitten des Deltoideus aufgehobene faradische Erregbarkeit und träge galvanische
Zuckung, während der daviculäre Abschnitt normale Reaction und erst nach der func-
tionellen Restitution noch nachträglich EAR darbot. In einer dritten Gruppe von
Muskeln, den Beugern des Handgelenkes und der Finger und den meisten Schulter-
muskeln, auch im Cucullaris, bestand motorische Schwäche ohne Veränderungen der
elektrischen Erregbarkeit Die Motilität kehrte Mher in den Muskelgruppen mit
erhaltener elektrischer Beaction zurück, erst nach mehr als Jahresfrist nach Beginn
der Krankheit begann die Streckfahigkeit der Finger wiederzukehren, wobei unter
fortdauernder galvanischer EAR nunmehr des Referenten faradische EAR des fix-
tensor communis bei noch aufgehobener Nervenerregbarkeit für beide
Stromesarten auftrat.
Verf., welcher die Lehre von der Poliomyelitis durch die zur Zeit der Neuritis
günstigere Strömung nicht für abgethan hält, begründet ausführlich die auf Polio-
myelitis chronica cervicalis im Bereich des 5. Cervicalnerven bis 1. Brustnerven ge«
stellte Diagnose besonders auf Orund der fn^panten Uebereinstimmung der Gruppi-
rung der in verschiedener Intensität von degenerativer Lähmung afficirten Muskeln
mit den vom Referenten 1879 aufgestellten Localisationstypen , indem der Fall den
„Vorderarmtypus" in schwerer, den „Oberarmtypus" in leichterer Form erkennen
liesse. Wenn Verf. seinen Fall als den ersten in der Literatur anspricht, in wel-
chem die atrophische Lähmung in der Oberextremität begann und auf diese beschränkt
blieb, so hat er jedenfalla zwei einschlägige ausführliche Beobachtungen des Refe-
renten (Beobachtung II und IV der mehrfach citirten Monographie) übersehen.
Als noch nicht beschriebener elektrischer Befund wird der Uebergang der com-
pleten EAR in die faradische EAR bei noch aufgehobener Nervenerregbarkeit für
beide Stromesarten mit Recht hervorgehoben. E. Remak.
— 18 —
14) On the natare of tbe spiaal ImIob In Foliomyalitis anterior aonta er
Inlkntile Paxalysla, by David Drnmmond. (ßnin, 1886. p. 14—20.)
Bin fltaiQfiliriges, zur Frflhstückszeit seines Todestages noch gesundes Madchen
erkrankte kurz nachher unter Erbrechen und fieberte, nach mehrstfindigem Schlafe,
den Nachmittag, an welchem sieben Stunden nach Beginn der Erkrankung der Tod
unter Bespirationsparalyse emtrat. Da die Obduction nur eine catarrhalische Pneu-
monie „Tom Umfange einer WaUnuss'' ergab, so wurde das Bflckenmark im oberen
Abschnitt untersucht, wobei die serumreichen Querschnitte von der Medulla oblongata
bereits in den grauen Vorderhömem zwischen dem 3. und 4. Cendcalnerven einen
rothen Erweichungsherd ergaben. Nach der Erhärtung fand sich eine bedeutende
Erweiterung der CapiUaren» Schwellung der zahlreichen und deutlichen Ganglienzellen
der VorderhOmer, kleine Blutungen, auch im Bereich der Yorderseitenstrange. Verf.
glaubt durch Kemerkrankusg der Nv. phrenid den Tod erklären zu kennen.
E. Bemak.
15) St TUflUde af PoUomyelitia anterior acuta, meddelt af K. Caröe. (Hosp.-
Tid. 1885. 3. B. m. 14.)
Ein 24 1 alter Schuhmachergeselle, der am 3. Juni 1883 im Frederiks-Hospital
in Kopenhagen aufgenommen wurde, war ohne erbliche Anlage, früher stets gesund
und nie syphilitisch gewesen. Ohne andere nachweisbare Ursache, als anstrengende
Nachtarbeit und vielleicht Erkältung, war er vor 8 Tagen mit Fieber, Kopfschmerz,
nächtlichen Delirien, Durchfall, Ameisenkriechen, Schnurren und ßchweregefOhl in den
Annen erkrankt^ woraus sich bald Lahmung der Arme entwickelte; allmählich stellte
sich auch Lähmung in den Beinen ein, zuerst im linken, dann auch im rechten. Die
Sprache wurde schwerfallig, Athembeschwerden traten aber nicht auf. Wenn Pat.
aufrecht sass, schwankte der Kopf nach der Seite zu und er klagte über häufig
spontan auftretende Schmerz im Nacken, der in den rechten Arm ausstrahlte und
sehr heftig war. Ende Juni nahmen die Sprachbeschwerden ab uud verloren sich,
das vorher vorhandene Fieber nahm ab. Am Os sacrum entwickelte sich ein Decu-
bitusgeschwür und vom Damme aus über die inneren Flächen der Schenkel und
das Scrotum sich erstreckend, symmetrischer Herpes zoster. Farästhesien verschie-
dener Art traten in den Gliedern auf, aber Prickeln, Stechen, Formicationen
waren nicht vorhanden. Die Lähmung in den Beinen, besonders rechts, ging all-
mählich zurück, auch in den Armen zeigte sie geringe Abnahme, aber nur ganz
langsame und ajifangs auch nur in den Fingern und in den Schultergelenken. An-
fang October stellten sich Contracturen in den Fingern der rechten Hand und in
beiden Ellbogen, später in allen Armgelenken ein. Passive Bewegungen verur-
sachten heftigen Schmerz und man nahm dabei Knacken und Beiben wahr; Geschwulst
war aber nicht vorhanden in den Gelenken. Die Gelenke an den Beinen blieben
frei, nur der rechte Fuss hatte etwas Neigung zu Yaro-Equinusstellung. In den
Beinen sdiien auch die Kraft allmählich etwas zuzunehmen. Während der ganzen
Zeit war die elektrocotane Sensibilitftt vollständig ungestört gewesen, die elektromus-
culare Contractilität aber war zu Anfang in den Armen ganz aufgehoben, in den
Beinen nur in den Beugemuskehi in geringem Grade vorhanden für den Inductions-
Strom» für den eonstanten Strom aber in Armen und Beinen erhalten. Die Umfange
an den Gliedmaassen hatten constant abgenommen, schienen aber im October wieder
Neigung zu Zunahme zu haben. Die Behandlung hatte zu Anfang in Anwendung
von Stimulantien bestanden mit temperirten Bädern, später wurden Jodkalium,
Strydinin, Galvanisation und Famdisation angewendet.
0. hebt in der Epikrise den Herpes zoster hervor, besonders aber die Aflbotion
der Gelenke an den Armen, bei der es sich jedenMs um ein bedeutendes Leiden
der Gelenkenden selbst gehandelt hat, wie bei Ataxie, Hemiplegie, traumatischen
Afiectionen des Bückenmarks. Walter Berger.
— 14 -
16) Ueber Vertadenuigen des GesiohttfdldeB und dar Ptobanperooptioii
bei einigen Erkrankangen des If enrensysteme , von L. Finkelstein.
(lüts^eiheilt in der Octobenitzuig der Si Feteraborger psychiatrischen G«-
seUflchaft, 1885. BnssiBch.)
Die Untersnchmigen des Autors betreffen hauptsächlich Epileptische, zum Theil
auch Hysterische, Nenrastheniker nnd chronische Alkoholisten. Von besonderer
Wichtigkeit sind die bei Epileptischen gefundenen Veränderungen des Gesichtsfeldes.
Bereits vor dem epileptischen Anfall stellt sich zugleich mit Frodromalerscheinungen
allgemeiner Natur, als Schwindel, Kopfschmerzen, Herzklopfen etc., Verengerung des
Gesichtsfeldes an beiden Augen ein; letztere erscheint zuweilen in hemianoptischer,
meistens jedoch in concentrischer Gestalt; diese beiden Verengenmgsformen dfirfen
nicht als zwei verschiedene Typen betrachtet werden, nnd ihre Differenz ist nicht
wesentlich, unmittelbar nach dem Anfall ist die Verengerung am grSssten und nimmt
an den darauffolgenden Tagen allmählich ab, ohne jemals stationär zu bleiben. Die
Einschränkung des Gesichtsfeldes ist nie fCb: alle GrundÜE^ben gleich; sie ist stets
am stärksten fCLr grünes Licht, geringer füür rothes und noch geringer fOr blaues.
Zugleich tritt häufig Dyschromatopsie auf — hauptsächlich wird grün undeutlich ge-
sehen und mit anderen Farben verwechselt. Die Bückkehr der Gesichtsfeldeinschränkung
zur Norm geschieht nicht für alle Farben zu gleicher Zeit, am spätesten für die
grüne. Während des Bestehens der G.-E. werden oft Flimmerscotome beobachtet, die
später verschwinden.
Die nämlichen Erscheinungen kommen bei Hysterie vor, besonders im Anschluss
an hysterische Anfälle.
In neurasthemschen Zuständen ist ofb das Gesichtsfeld fOr weisses Licht unver-
ändert^ während für farbiges eine starke Einschränkung besteht
Bei acuter Alkoholintoxication Hess sich keine Gesichtsfeldeinschränkung con-
statiren; dagegen fand sich solche beständig bei chronischen Alkoholisten im Delirium
tremens. In diesen Fällen kommt die hemianoptische Form verhältnissmässig häufiger
vor; Dyschromatopsie wird meistens an beiden Augen beobachtet» nicht an einem, wie
Magnan behauptete.
Abgesehen von den angegebenen Exankheitszuständen tritt deutliche und beider-
seitige Verengerung des Gesichtsfeldes periodisch bei gesunden Weibern auf, und zwar
während der Menstruation.
Die Untersuchung wurde mittelst des F5rster*schen Perimeters in der Klinik
von Professor Mierzejewsky ausgeführt P. Bosenbach.
17) Hteiiplögle cöröbrale inftatile et maladles infbotieuBeB« par Marie.
(Progrte mid. 1885. No. 36.)
Den bekannten MittheUungen über die cerebrale Kinderlähmung, wie wir sie
in dea Arbeiten von Cotard, Strümpell, Eichardidre und Moncorvo finden,
fügt M. weitere Beobachtungen hinzu, die aus der Charcot'schen Klinik stammen:
es ist ihm dabei hauptsächlich von Wichtigkeit» den causalen Zusammenhang zwischen
dieser Affection und vorauf^henden Mectionskrankheiten des Kindesalters dansnthun.
Ein lOjähr. Mädchen, dessen Vater ein Potator gewesen und schliesslich an
Tabes zu Grunde ging, bekam in der Zeit, in welcher sie an Keuchhusten litt, plötz-
lich eine rechtsseitige Hemiplegie, an welcher Gesicht, Arm und Bein betheiligt
waren. — Bald nachher traten mehrere Tage hinter einander Convnlsionen in der
rechten Körperhälfte auf, die Stunden lang dauerten und eine Schwäche der rechts-
seitigen Extremitäten hinterlieasen, die sich aber im Laufe der Jahre bis auf geringe
Spuren zurückbildete. — Dagegen traten epileptoide Absenzen und schliesslich 4 Jahre
— 15 —
oacb dem eüsten Erscheinen der Hemiplegie echte epileptische AnflUle ein, an denen
die Fat. auch jetzt noch 2 — 3mal monatlich zu leiden hat.
Bei einem jetzt 2^/, Jahre alten Knaben, der mütterlicherseits stark neuro*
paihisch behistet ist, trat vor 3 Wochen nnter ausgesprochenen Fiebererscheinungen
Mums auf. 3 Tage nachher stellten sich epileptoide Convulsionen mit besonderer
Betheiligung der linken Eörperhälfte ein, die etwa 12 Stunden anhielten. Mehrere
Tage lang blieb der Pai somnolent; 6 Tage nach dem ersten Auftreten der Krämpfe
bemerkte man eine deutliche Lähmung der linken KGrperhälfte ohne SensibUitäts-
stdrungen. — Bei späterer Untersuchung erwiesen sich Zungenbewegungen und
Sprache intact — Die Sehnenreflexe der linken Seite waren deutlich gesteigert! —
Leichte Contracturen in der oberen und unteren Extremität der gelähmten Körper-
halfte. — Das Kind kann nicht allein marschieren und ist sehr reizbar und jähzornig.
Nach M. besteht keine zufällige Coincidenz zwischen Lifectionskrankheiten und
Auftreten von cerebralen Lähmungen, wie sie eben geschildert, sondern erstere stehen
zu letzteren in einem gewissen causalen Verhältniss, welches eine gewisse Aehnlich-
keit hat mit jener Erscheinung, dass auch bei der spinalen Kinderlähmung in fast
allen Fällen der eigentlichen Lähmung ein fieberhaftes (infectiöses?) Prodromalstadium
vorausgeht. Die anatomische Analogie, wie sie Strümpell behauptet, kann M. nicht
gutheissen, da der cerebralen Kinderlähmung nicht immer ein rein polioencephalitischer
Process zu Grunde zu liegen braucht. M. erwähnt schliesslich noch den Möbius*-
schen Fall, wo sich bei 2 Oeschwistem: bei dem Knaben von 3 Jahren eine infantile
cerebrale Hemiplegie, bei dem Mädchen yon einem Jahre infantile spinale Monoplegie
eines Armes gleichzeitig unter Fiebererscheinungen einstellten. Laquer.
18) Des rspports de l'Ataxie et de la paralysie g^n^rale, par Baillarger.
(Annales m^dico-psychologiques. 1885. Sept.)
B. stellt über zwei vor 60 Jahren von ihm beobachtete Fälle von allgemeiner
Paralyse, welche sich bei schon vorhandener Ataxie locomotrice entwickelten, seine
damals ausgesprochene Ansicht richtig. Er hatte die grauen Degenerationsstreifen
in der weissen Substanz damals als Hypertrophie der grauen Substanz des Bücken*
marks beschrieben.
Die beiden Krankengeschichten bieten neben jenem seltenen Nebeneinanderstehen
verschiedener Degenerationsvorgänge im Eückenmark und später im Gehirn nichts
besonders Erwähnenswerthee. Doch muss hervorgehoben werden, dass in beiden
Fällen Syphilis vorhanden war. Jehn.
19) Paralysie gdndrale ohes un hdröditaire« par Christian. (Annales m^dioo-
psychologiques. 1885. Sept. Arcbives clhiiques. p. 215.)
Die mitgetheilte Krankengeschichte hat eine persönliche Bedeutung durch die
künstlerische wie politische Bolle, welche der Befallene, letztere unter der Commune,
gespielt hatte. Der Verlauf der Paralyse war insofern absonderlich, als nach Ablauf
des ersten zweifelhaften Anfalls, dessen Zugehörigkeit zum Qesammtbilde der Para-
lyse sich erst später herausstellte, eine ungewöhnlich weitgehende Bemission eintrat,
in welcher der Patient auf dem wohl am Leichtesten die geistige Abschwächung
verrathenden Oebiete der Kunst und Literatur, wieder thätig und Werke von Werth
zu schafifen im Stande war, welche jedoch von völliger Uneinsichtigkeit zeugten.
In dem zweiten Anfall nunmehr unzweifelhafter Paralyse erlag der Patient.
Die Section ergab ausser dem gewöhnlichen Befund echter Periencephalitis eine auf-
fiUlige Asymmetrie des Schädels; die linke Seite war bedeutend geringer entwickelt,
— 16 —
als die rechte und zwar so, dass die Ungleiobheit an der Basis oranii besonders
hervortrat
Christian hebt in dem Fall das Ungewöhnliche im Gkade der Remission be-
sonders hervor und ft-agt sich, ob nicht aswei Terachieden geartete Krankheitsaustftiide
vorgelegen hatten. Die Erklärung sucht er aber darin, dass die Psychose des Fat.
durch die starke erbliche Belastung i welche in jener Schädelsymmetrie sichtbaren
Ausdruck fand, beeinflusst war, sodass der erste Theil des Erankheitsbildes melir
durch die Heredität, als durch den gewöhnlichen Symptomencomplex der Paralyse
seine Färbung erhielt. — Ausserdem wird auf das mehrfach angefochtene Neben-
einandervorkommen der Paralyse und Lungentuberculose, welches im Yorliegenden
Fall unzweifelhaft bestand, hingewiesen. Jehn.
Psychiatrie.
20) lies faiblee d'esprit, par Gilson. (L*Encäphale. 1885. No. 5.)
Gilson theilt eine Studie Aber jene auf der Grenze zwischen geistiger Gesund-
heit und Alienation stehenden Menschen mit, welche wie die Imbecillen ihre geistige
Schwäche mit auf die Welt bringen, aber doch eine Stufe höher als jene stehen, die
geistig beschränkten Menschen, zu welchen nicht nur diejenigen gehören, welche eine
unvollständige Entwickelung der Intelligenz aufweisen, sondern auch jene, welche in
Folge eines Mangels an Gleichgewicht nicht im Stande sind, ihre Existenz zu regeln,
wie die abnormen Excentriker. Im Allgemeinen zeigen diese Menschen keinerlei
Bildungsfehler, doch giebt es auch wohl solche mit ungesäumten Ohren oder Fingem,
welche durch Schwimmhäute verbunden sind etc., manche haben Sprachstörungen wie
Stottern oder sie lispeln. Schon in der Schule kennzeichnen sich die schwachsinnig
Beschränkten, trotz aller Hfllfismittel bleiben ihre Leistungen unzulänglich, gehören
sie den ärmeren Klassen an, lernen sie mit Mflhe ein Handwerk, die reicheren leiden
in jedem Berufe Schififbmch. Man mnss bei ihnen passive und aotive Naturen
unterscheiden. Die passiven Naturen sind nicht im Stande, allein den Kampf nm*s
Dasein zu fähren, sie bilden die gefügigen Werkzeuge derer, welche sich iluiter be-
mächtigen; die activen dagegen sind trotz ihres geistigen Mangels aofigeblasen und
ehrgeizig.
Trotz der unzureichenden geistigen Entwickelung zeigen solche Leute doch oft
irgend eine Fähigkeit, welche in hervorragender Weise ausgebildet ist, oft das Ge-
dächtniss oder Bechnentalent, musikalische Begabung oder Zeichentalent Die mora-
lischen Fähigkeiten zeigen stets Defecte, sie sind ausser Stande, ihren Trieben ge-
nügend zu widerstehen und, obwohl sie Bewusstsein von der Strafbarkeit ihrer Hand-
lungen haben, begehen sie doch leicht Gesetzesdelicte, namentlich geschlechtliche
Excesse oder Schamlosigkeiten, auch selbst Brandstiftungen, und bieten dadurch für
den Gerichtsarzt schwierige Fälle, da ihnen doch eine, wenn auch geminderte Ver-
antwortlichkeit zugesprochen werden muss. Als hauptsächlichstes Gausalmoment der
geistigen Schwäche muss Heredität angesehen werden. Zander.
21) Sopra aloone fonne speciall del resplro negli stati melanooUoi, per il
dott. Mus so. (Arch. di psichiatria, scienze pen. ecc. 1885. VI. p. 292).
Verf. hat die Athembewegung des Thorax und Abdomen mit Hülfe emes
Marey*schen Schreibapparates bei mehreren Melancholikern untersucht und kommt
zu dem vorläufigen Ergebniss, dass der Rhythmus, die Frequenz, die Tiefe und die
Dauer der einzelnen Athembewegungen bei Fällen von Melancholie mit Praecordial-
angst der Bespiration bei Vagusreizung, und bei Fällen von Melanchoüa agitata der
— 17 —
Rmpiratkm nach Durehsdmeidnng des Vagus gleicht. Die Zahl der Athemzüge fiel
m den erstersn Beobachtungen bis anf 6 und stieg in den letzteren bis auf 55 pro
Minnte. Sommer.
23) Note sur quelques oas de Slalorrhöe d*origfne nerreose« par Mabille.
(Annales m^dico-pfifjchologiqnes. 1885. Sept. p. 206.)
Nicht die gewöhnlichen Fälle von übermässiger Speichelabsonderung im Verlauf
stuporöser oder dementer Zustände interessiren den Verf., sondern jene, welche ge*
wissennaassen anfallsweise, wie durch eine Beizung von Gehimcentren , das massen-
hafte Speicheln auftreten lassen. Mabille erwähnt als Stütze der Auffassung, dass
Sialorrhoe nach Reizung von Gehimcentren auftrete, das Experiment Vulpian's,
welcher nach Beizung der Binde beim Hunde Epilepsie und Sialorrhoe erzielte.
In Anlehnung an schon mehrfach bekannt gewordene Fälle intermittirender Sia-
lorrhoe berichtet dann Mabille über eine Dame von 60 Jahren , welche mehrfach
verschiedenartige hysterische Anfälle gehabt hatte und schliesslich öfters, sogar mehr-
fach im Laufe eines Tages, von wirklichen Anfällen von Sialorrhoe betroffeu wurde.
Diese wurden zuweilen von einem kurzen, trockenen Erampfhusten eingeleitet, worauf
«ch der Mund plötzlich mit Speichel füllte und dann ganze Geisse voll entleert
wurden« Der Speichel zeigte an sich nichts AuffaUendee. Meist trat der Anfall
ohne jede vorbereitende Erampferscheinnng auf. Die Kräfte wurden durch diesen
massenhaflen Verlust von Flüssigkeit merkwürdigerweise wenig oder gar nicht alte-
rirt. In der Zwiechenzeit war die Dame völlig wohl, ihre sonstigen Excretionen,
zumal der Harn, normal
Nach erfolgloser Anwendung von Atropin gelang die Heilung nach Verordnung
von Bromnatrinm und Bromammonium zu 4 gr. pro die.
23) On Bpileptio violenoe, by M. G. Echeverria. (Journal of mental science.
1885. April.)
Anknüpfend an einen bestimmten Fall, m welchem ein Epileptiker wegen Er-
mordung seiner Schwester und Verwundung seiner Mutter zum Tode verurtheilt^ aber
von der Königin begnadigt worden ist, zeigt Echeverria, dass die Gewaltacte der
Epileptiker nicht selten einen so eigenthümlichen Charakter von Baffinement zeigen,
dass es fraglich erscheinen könnte, ob sie als im postepileptischen Irrsinn ausgeübt
angesehen werden müssen, oder ob nicht vielmehr durch den hohen Grad von Ueber-
legung, welche die AusfOhrung erforderte, bewiesen wird, dass der Epileptiker die
verbrecherische Handlung im Zustande der Zurechnungsfahigkeit verübt hat. Verf.
zeigt, dass die geistige Störung, welche die epileptischen Anfälle begleitet, keines-
wegs die Existenz von vorhergegangener Gereiztheit bei Verübung eines postepilep-
tischen Gtowaltactes ausschliesst, und dass in Fällen von epileptischer Manie keines-
wegs Tölliges Fehlen von Motiven fär die Handlangen allgemein ist. Hass und
Animosität verbinden sich häufig mit Ueberlegung, Ueberlegung ist aber mit (Geistes-
störung nicht unvereinbar. Die epileptische Neurose verursacht jedesmal einen mehr
oder weniger vollständigen Verlust des Bewusstseins und dies dauert auch noch im
postepileptischen Stadium, sei es für einen kurzen Moment oder selbst für mehrere
Tage, an.
Dear Epileptiker handelt automatenhaf t , ohne Fähigkeit, sein eigenes Gebahren
zn controliren , die Moralität seiner Thaten zu prüfen , während der ganzen Dauer
des poetepileptischen Stadiums, wenn er auch ganz rationell und motivirt zu handeln
acheint und deshalb bleibt der Epileptiker auch nicht verantwortlich. Eine grosHo
Reibe von Fällen, theila eigener Beobachtung, theils der Literatur entnommen, dient
— 18 —
zum Beweise, daes oft eine vor dem Anfalle gefasste Idee in dem antomatiecbeii
Stadium nach dem Anfalle planmäasig anageffthrt wird, aber doch fehlt das Bewnasi»
sein bei der Ausführung, oft auch die Erinnerung des Geschehenen yollst&ndig. Die
gefosste Idee, das leitende Motiv steht in seinem geringen Werth im grellsten Wider-
spruch zur Schwere des vollbrachten Gewaltactes.
Für die richtige Würdigung der Fälle vor Gericht ist es sehr wichtig, dass
diese Gewaltausbrüche der Epileptiker häufig der psychische Exponent von nicht
beobachteten Anfällen von petit mal sein können, es darf also keinem Epileptiker
die Verantwortung für Thaten zugeschoben werden, die er während jenes automaten«
haflien Stadiums bei unvollkommenem oder aufgehobenem Bewusstsein vollbracht Darin
stimmt Echeverria also mit Falret überein, der in allen Criminalfallen den Epi-
leptiker von der Verantwortlichkeit befreit sehen möchte. Zander.
Therapie.
24) Süll' JXBo del tabaooo da dabo nei saiii, nei pasBl e nei delinquentit
per il Prof. S. VenturL (II Manicomio. 1885. Jahrg. I. Heft 2 u. 3.)
Ausführliche Untersuchung über die Häufigkeit, die Veranlassung und die etwai-
gen Gründe zum Schnupfen, sowie die Empfehlung, den Gebrauch des Schnupftabaks,
wenigstens in Irrenanstalten, nicht zu verbieten, da seine subjectiven Vortheüe für
die Gtowohnheitsschnupfer zweifellos sind und da immerhin auch einmal ein objectiv
nachweisbarer Nutzen geschaffen werden kann: bei einigen stuporösen Patienten
glaubt Verf. entschieden eine günstige Beeinfiussung gesehen zu haben. Die Einzel-
heiten entziehen sich natürlich einem kurzen Referat Es sei hier nur erwähnt, dass
in Italien etwa 15^0 ^^^ Männer und l'57o ^^^ Frauen im Alter von über
20 Jahren schnupfen, dass mit dem steigenden Alter besonders bei Frauen diese
Gewohnheit schnell zunimmt — 84 ^/^ aller Frauen über 50 Jahr schnupfen — ,
dass Geisteskranke im Allgemeinen häufiger schnupfen als Geistesgesunde, und dass
die Ersteren im Durchschnitt viel früher mit dieser Gewohnheit begonnen haben,
als die Letzteren. Verf. schliesst daraus, dass das Schnupfen aus einem ähnlichen
Drange nach einem Stimulans entspringt, wie der Alkoholgenuss, und dass daher
vorwiegend Individuen mit abnormem Nervensystem in Folge von neuropsychopathischer
Veranlag^g, Krankheit oder höherem Alter den Tabak gewissermaassen als Heil-
mittel gebrauchen. Aber selbst wenn das Tabaksschnupfen nur eine liebgewordene
Gewohnheit wäre, würde man in Irrenanstalten aus humanen Rücksichten dasselbe
nicht verbieten dürfen. Auch als Anregung resp. als Belohnung für geleistete Arbeit
wird sich gerade das Schnupfen empfehlen, da es die kleinen Bedenken gegen das
Rauchen und die Unreinlichkeit des Eauens nicht hervorrufL Sommer.
Anstaltswesen.
26) Preaidential address, delivered at the annual meeting of the medico-
psychologioal assooiation, held at Qneen's oollege» Cork Aug. 4.
1885, by J. A. Eames. (Joum. of ment science. 1885. Oci)
Verf. hebt in seinen Reden hervor, dass nach seiner Meinung die Verbreitung
von Geisteskrankheiten entschieden in der Zunahme begriffen sei und macht dafür
die Erschwerung des Kampfes um's Dasein namentlich für die niederen Klassen ver-
antwortlich. Den Beweis für seine Annahme schöpft er aber nur aus der unverhält-
nissmässigen Zunahme der in seiner Anstalt erforderlichen Plätze, nicht aus einer
allgemeinen Irrenzählung.
— 19 —
In der folgenden Bespreohfing der Anstalten in Irland betont Verfasser, dass
dieselben entsprechend der weniger verwöhnten agricolen Bevölkerung des Landes
durchweg eine wenig luxuriöse sei, dagegen werde für angenehme Zerstreuung der
Kianken reichlicii gesorgt, und namentlich rühmt er den guten Einfluss eines von
ihm in der Anstalt eingeführten Amüsements sehr, er veranstaltet n&mllch an vier
Abenden wöchentlich Tanzvergnügungen im QeseUschaftshause , an denen 500 von
ca. 1100 Patienten theilnehmen.
Eine weitere Specialitat der vom Verf. geleiteten Anstalt bilden die türkischen
Bäder, in welchen täglich 250 Patienten baden können, sie bieten den Vorzug der
grösseren Beinlichkeit und ersparen dabei dem Wartepersomd viel Zeit und Arbeit»
da Verf. berechnet hat, dass zu jedem gewöhnlichen Bade, wenn jeder Patient
reines Wasser erhalten soll, wenigstens V« Stunde gehört, vorausgesetzt, dass ge-
Dfigend heisses Wasser vorräthig ist Vorzüglich ist auch der sanitäre Einfluss der
türkischen Bader, für Patienten aber, welchen aus ärztlichen Gründen das türkische
Bad untersagt werden muss, sind natürlich gewöhnliche Bäder vorhanden. — Beson-
dere Würdigung findet dann noch die Euirichtung der irischen Universitäten, durch
welche im Examen eine Prüfung in der Psychiatrie obligatorisch gemacht ist, und
dass, um den angehenden Aerzten einen Cursus in einer Anstalt zu ermöglichen, ein
Stipendium von 1000 Mark gestiftet sei. Zander.
nL Aus den GtosellBohaften»
Berliner medicinische G-esellschaft November 1885.
Zur diagnostisohen Bedeatung der refleotorisohen Fupillenstarre, von
Dr. W. ühthofl (Autor-Beferat.)
Nach einleitenden historischen Bemerkungen, Besprechung der Prüfüngsmethoden
geht U. in kurzreferirender Weise noch einmal auf die ICittheilung in Betreff der
reflectorischen Pupillenstarre von Moeli, Thomson und Siemerling in der Ber-
liner psjch. Gesellschaft (Sommer 1885) ein, wo über ein Qesammtmaterial von
4000 Geisteskranken berichtet wurde. lieber diesen MoelTschen Vortrag ist seiner
Zeit in diesem Blatte berichtet worden.^ U. hat sich nun bemüht, durch mehijährige
Untersuchungen auch auf anderen Gebieten der Pathologie die Lehre von dem klini-
schen Vorkommen der reflectorischen Pupillenstarre thunlichst zu erweitem. Zunächst
untersuchte er Hunderte von Gesunden daraufhin, bei einem notorisch gesunden
Menschen wurde niemals eine reflectorische Pupillenstarre gefunden, wie auch Erb
angiebi In zweiter Linie wurden eine grosse Anzahl innerlich Kranker berücksichtigt,
welche XJ. im Laufe der Jahre zu untersuchen Gelegenheit hatte, unter ihnen waren
es eigentlich nur die Nervenkranken, wo die Pupillenstarre vorkam, kurz Fälle, wie
sie auf der Nervenklinik sich wiederfinden. In dritter Linie wurde das Material der
Nervenklinik der Charit^ (Geh. Bath Westphal) mit Gnauck und Oppenheim
zusammen untersucht (550 Fälle) und viertens das Material der Schoeler*schen
Augenklinik (12000 Kranke), ü. hebt noch besonders die Vormchtsmaassregehi und
die Schwierigkeiten solcher fortgesetzter Untersuchungen hervor. Er stellt femer
zwei Beobachtungsreihen auf; in der ersten die reflectorische Pupillenstarre im ge-
wöhnlichen Sinne, in der zweiten die eigentliche Lähmung des Sphincter pupillae und
der Accommodation (Ophthalmoplegia interna) (Hutchinson), zu der ersten Beihe
sind jedoch auch die Fälle mitgerechnet, wo auf dem einen Auge wohl eine Lähmung
der Accommodation und des Sphincter pupillae vorhanden, auf dem andern dagegen
eine reflectorische Pupillenstarre im gewöhnlichen Sinne.
> Cf. 1886. p. 854,
— 20 —
Die eigentliche refleotorische Papillenstarre kftm im GaazeD ISGinil zur Be-
obacbtang bei diesen 650 Nerren- und 12000 Angenkranken. — 1. Bei Tabes
92mal (67,6 % ^^^ ^^® ^^^ refleetoriscber PapiUenstarre) hierbei nur Smal ein-
seitige Lähmung der Acoommedaüou und des Sphincter pupillae, femer in ca. ein
Viertel der F&lle Pnpülendifferenz. In 64 ^/^ aller TabesfiUle fehhe die Pupilien-
reaction. — 3. Bei Dementia paralytica 12mal (8,8 ^/o). 3. Bei cerebralen Herd-
erkrankungen 8mal (5,8 ^^). 4. Bei Lues 11 mal (8,1 ^/o), hiervon 8 F&lle von
Himlues, nur 3mal ohne zur Zeit bestehende complidrende Erscheinungen, darunter
2 Kinder mit Syphilis congenita. 5. Congenital 2mal (1,4%) gleichzeitige rudi-
mentäre Entwickelung der L*is. 6. Multiple Sderose 2mal (1,4 7^), die reflectorische
Pnpillenstarre kam in fiast 4^/^ aller F&lle der multiplen Sderose zur Beobachtung.
7. Biulway Spine 2mal (1,4 ^/q). 8. Retinitis pigmentosa mit oongenitalem Schwach-
sinn (Imal). 9. Kopfverletzung ImaL 10. Aneurysma trunci anonymi Imal.
10. Tabakmissbrauch ImaL 11. Rechtsseitige Hemian&sthesie und Hysteroepilepsie
je Imal, letztere beiden F&lle sind nicht gani aufgeUArt 12. Nur 3mal vrar kein
ätiologisches Moment auügefanden, aber gerade diese 3 F&lle waren nur unzureichend
beobachtet und deshalb nicht etwa beweiskr&ftig für das Vorkommen von reflectorischer
Papillenstarre bei Gesunden.
In der zweiten kleineren Beobachtungsreihe von isolirter L&hmung des Sphincb^
pupillae und der Accommodation (Ophthalmoplegia interna) ist die Reihenfolge der
ätiologischen Momente eine ganz andere.
1. Bei Syphilis 9mal (29 ^/^ aller vorkommenden F&lle von Ophthalmoplegia
interna), meistens einseitig. 2. Trauma 2mal mit gleichzeitiger Linsenloxation.
3. Bei Tabes 3mal. 4. Paralyse der Lrren 2mal. 5. Exquisite Erk<ung (?) Imal.
6. Tumor cerebri Imal. 7. Himtuberculose Imal. 8. Kein Grund nachweisbar
12 mal (39^/0) meistens doppelseitig bei verh<nissmässig jungen Individuen und
gewöhnlich zurückgehend, darunter jedoch auch ein Fall, wo doppelseitige Ophthalmo-
plegia interna seit 20 Jahren unverändert bestand, ohne dass sonst krankhafte Er-
scheinungen von Seiten des Centralnervensystems gefolgt waren.
Hieran schliesst U. noch Bemerkungen über das Verh<niss und Zusammenvor-
kommen der Sphincter- und Accommodationsl&hmung und hebt einzelne Ausnahmen
hervor von seinen F&llen. Femer erwähnt er von ihm in einen Falle beobachtete kleine
hippusartige Gontractionen des Sphincter iridis bei reflectorischer Pupillenstarre un-
abhängig von der Beleachtung. Zum Schluss wird auch noch darauf aufmerksam
gwnacht, wie das Oocaln auch noch verdient, in diagnostischer Beziehung fOr die
Pupillenreaction angewendet zu werden, wie das auch schon Moeli gethan hat
U. führt 2 einschl&gige F&Ue an.
Die reflectorische Pnpillenstarre ist auf eine verh<nissmässig kleine Anzahl
von Krankheitsgruppen beschr&nkt und gerade darin liegt ihr hoher diagnostischer
Werth.
Verein für innere Medicin zu Berlin. Sitzung vom 30. November 1885.
Leyden: Ueber Kniagelenkaiffeotlo& bei Tabes.
Vortragender giebt zuerst eine Uebersicht über den Stand der Frage des Za-
sammenhangs von Tabes und Arthropathien. Er selbst habe sich bisher (cf. Artikel:
Tabes in der Eulenburg'schen Bealencydop&die) der Charcot*schen Anschauung
angeschlossen, dass es sich bei diesen Aifeetionen um neurotische Vorg&nge handle,
wenn er auch die Charcot*sche Beobachtung, der in einem Falle von Schulteigelenk-
affection eine Atrophie des grauen Vorderhoms derselben Seite (als trophiaehen Cen-
trums) fand, nicht bestätigen konnte.
Neuerdings sei er jedoch wankend in Bezug auf diese AufflEissung geworden,
und neige mehr der Volkmann*schen Auffassung zu, der die Entstehung derartiger
— 21 —
AffiBctionen in Traamen (Distorsionen etc.) suche, welche eine Entzündung und Exsu-
dationen in den Gelenken hervorrufe. Dafür scheinen auch zwei FäUe seiner Be-
obachtm^ zu spreoheni die Vortragender erw&hnt:
1) 46jähriger Arbeiter. Tabes mit Erguss in's rechte Kniegelenk. Entleerung
des Kniegelenks. Heilung der Knieaffection. Jetzt nach ca. 8 Monaten Kniegelenk
wiedffl- aufgetrieben, verkrümmt; Genuvalgum-Stellung. Knirschen und Krachen des
Gelenks bei passiver Bewegung.
2) Tabes mit starkem Erguss im rechten Kniegelenk. Der Gang des Patienten
machte eine Distorsion des Kniegelenks zweifellos, eine Distorsion, welche bei jedem
Schritte neuen Beiz erfuhr. Ein von Dr. Beely construirter Apparat wirkte so
günstig, dass innerhalb zweier Monate die Kniegelenka£fection vollkommen zurück-
gebildei ist
Vortragender erwähnt schliesslich die orthopädischen Apparate von Hessing
in Göppingen bei Tabes.
Beely beschreibt seinen Apparat, der ein Hülsenschienenverband , wie ihn
Hessing zuerst angefertigt (von Kuby^ beschrieben). Für jeden Apparat musa
em besonderes Modell gefertigt werden.
Der Apparat wird Tag und Nacht seit dem 31. August getragen. In einem
andern Fall von Tabes mit Spondylolisthesis wirkte ein Stützapparat ebenfalls günstig,
wenn er auch auf die Ataxie ohne Einfluss war.
Oppenheim erwähnt Fälle von Gelenkerkrankung und Spontanfhu^uren bei
Tabes. Tu 5 FäUen von Tabes mit Knochen- und Gelenkerkrankungen zeigte sich
neben den Veränderungen im Bückenmark erhebliche Degeneration der peripherischen
Nerven.
Leyden: Nicht alle Gelenkaffectionen der Tabiker stehen auf gleicher Stufe.
Für manche ist unzweifelhaft der Ursprung nicht traumatischer Natur; für die
grossen Gelenke, namentlich für die Kniegelenke weisen aber die besprochoien Ver-
hältnisse auf Distorsionen oder ähnliche Traumen hin. M.
8oci6t6 de Biologie ä Paris. Sitzung vom 21. November 1885.
Pitres zeigte Femur, Becken, Dorsal- und Lumbalwirbel von einem Tabiker,
bei dem er Arthropathien diagnosticirt hatte. Der erste Lendenwirbel ist fast voll-
ständig zerstört, auf dem zweiten finden sich Osteophyten, die Körper und Apophysen
bedecken. Nirgends findet man jene weiten Höhlen, wie bei Krebs oder Tuberculosis.
Diese Wirbelarthropathien entwickeln sich ohne Schmerz. Sie können Tuber-
culosis oder Neoplasmen der Knochen vortäuschen. M.
Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenkrankheiten. Sitzung
vom 14. December 1885.
1. Oppenheim giebt zur Einleitung in die Discussion über seinen am
9. November gehaltenen Vortrag (über multiple degenerative Neuritis) noch einige
Bemerkungen , die er ans den bisher von ihm beobachteten Fällen abstrahirt hat:
Die Kranken sind häufig Alkohoüsten und der Beginn der Symptome war oft gleich-
zeitig mit ^em Delirium tremens. Aber alle Alkoholisten bezogen ihr Leiden auf
eine nachweisbare schwere Erkältung. Bei manchen Kranken waren schon vor Jah-
ren geringere Symptome vorübergehend aufgetreten. Immer waren die unteren Ex-
tremitäten ergriffen; und die Ataxie, nicht selten der tabischen vollkommen gleich.
' Aerztliches Intelligenzblatt München 1879.
— 22 —
bot manchmal ein besonderes Bild darch die vollständige Lähmung der Füsse. Die
Ataxie stand übrigens nicht in bestimmtem Verhältniss zu den SensibilitfttsstGrangen,
weiche meistens nnr ganz geringe waren.
Immer bestand incomplete Entartnngsreaction. AufMend war der Befand bei
einem Patienten, der alle Erscheinungen (Parese, Fehlen des S^niephfinomens, Schmer-
zen etc.) nur an der linken unteren Extremität zeigte. Bei einem Theile der atro-
phischen Muskeln fand sich, Tergllchen mit dem Verhaltoi der rechten Seite, eine
Steigerung der faradischen Erregbarkeit und die Zuckungen erschienen wulstf5rmig,
rosenkranzfönnig. Bei directer galvanischer Beizung erfolgten träge Zuckungen mit
Ueberwiegen der Anode. — Das Eniephänomen fehlte immer; es kehrte manchmal
schon nach einigen Tagen, in schweren Fällen nadi 5 — 6 Monaten, ja in einem
Falle noch nach 2^/, Jahren zurück. Von Himnervenaffectionen sind die Augen-
muskellähmungen bemerkenswerth: Doppeltsehen in Folge einer Parese des Abdncens.
— Differenz der PupUlen und träge Contraction derselben wurde mehrmals consta-
tirt, nur einmal Pupillenstarre, zweimal Nystagmus. Mehrmals Pulsbeschleunigung
mit Irregularität, änmal Pnlsverlangsamung.
Siemerling theilt hierauf einen von ihm beobachteten Fall einer 34 jährigen
Potatrix mit, die an Collaps starb. Negativer Befund an den OentiBlorganen, keine
E<>mchenzellen'; hochgradige Degeneration an den peripherischen Nerven der unteren
Extremitäten. An den Muskeln zeigte sich auf Querschnitten eine erhebliche
Eemvermehrung.
Bernhardt weist auf die häufige Ooincidenz von Tuberkulose hin, was
den Gedanken an das Vorhand^iseui organisirter Stoffe als Ursache der multiplen
Neuritis erweckt.
Bemak setzt auseinander, wie schwierig jetzt unter Umständen die Unter-
scheidung von Tabes und multipler Neuritis sein kann und betont die Nothwendig-
keit genauer elektrischer Prüfung.
Moeli hebt dagegen für diesen Zweck die Anwendung von Jendrassik's
Kunstgriff^ bei Prüfung der Eniephäaomene hervor, da er mittelst desselben bei
multipler Neuritis die sonst nicht nachweisbaren Eniephänomene noch hervorrufen
konnte, bei Tabes aber niemals.
2. Liman: ,,War Anna Bother (Process Graef) zurechnungsfähig?" Die
Frage sei unbedingt zu verneinen, und der an sich triviale Fall biete eigentlich nur
Interesse durch den Conflict zvrischen den Sachverständigen und dem Staatsanwalt
resp. Untersuchungsrichter. Die Epilepsie, vielleicht Hystero-Epilepsie der A. B. sei
als sicher erwiesen zu betrachten. L. hofft denmächst Zusammenstelfaingen aus
PKHzensee zu erhalten über den Prooentsatz der Geisteskranken und der Simulanten
unter den Gefangenen daselbst Vorläufig könne er nur das üronzOosche Besultat
wiederholen, nach welchem man unter 43 000 Gefangenen 264 Geisteskranke und
nur einen Simulanten fand.
3. Thomson demonstrirt einen Geisteskranken mit eigenthümlicher Sensi-
bilitätsstörung, einen Alkoholisten, 33 Jahre alt, der verwirrt und tobsüchtig auf-
geregt in die Charit^ kam, dann aber in einen Zustand massiger Dementia und
Apathie gekommen ist mit intercurrenten Anflillen von Angst und Verwirrtheii In
der ganzen Zeit (2 Monate) ist eine complete Analgesie an Eopf, Hals und Schultern
stationär vorhanden. Man kann die Haut, die Nasenscheidewand durchstechen ohne
Schmerzäusserung des Eranken, die Cornea- zeigt eine ganz geringe Beaction. Dabei
sind die sensorischen Nerven hochgradig afficirt: Anosmie, Geschmack rudimentär.
' Dies Centralbl. 1885. S. 412. In der Disoiusion wurde übrigens noch mehrfach der
Werth diesee Eunstgriffes hervorgehoben.
— 23 —
starke Taubheit, Verlust des Farbensinnes, concentrische Gesicbtsfeldbescliränkang.
Ausserdem sind beide Hände und Fflsse nebst einem Stück der Haut der Arme und
Beine unempfindlich.
Anamnestiscb ist noch zu erwilhnen, dass Patient 1881 einen heftigen Schlag
gegen den Hinterkopf erhalten hat; aus der entstandenen Wunde sind nach und
nach mehrere Knochensplitter eztrahirt Seitdem datiren die jetzigen Erscheinungen.
Krämpfe sollen niemals dagewesen sein. Hadlich.
IV. Bibliographie.
Des oolonies d'alldnös, par Victor Qudart. Gand 1884. (Extr. du bullet, de
la Soc. de m^d. ment. de Belgique 1884.)
Der verdiente Generalinspector des belgischen Irrenwesens giebt in vorstehender
Schrift zuerst fttr weitere Kreise Kunde von der Anlage und Entwickeluifg einer
neuen Irreucolonie nach dem Muster Gheels, die gewiss auch bei uns warmes
Interesse finden wird.
Verschiedene ünzuträglichkeiten, die sich aus der Unterbringung wallonischer
GeisteslEranker in dem durchaus vlämischen Gheel ergaben, fahrten zu dem Versuche
der Gründung einer Colonie in wallonischer Gegend; nach längeren Verhandlungen,
in welchen, wie Qu. betont, weder das religiöse noch das humanitäre Moment, son-
dern vorwiegend pecunifire Interessen in's Feld geführt wurden, gelang es endlich,
die Oommone läemeux bei Lüttich bereit zu finden, und am 19. April 1884 wurde
der Anüuig mit 2 männlichen und 2 weiblichen von Gheel herObergebrachten Kran-
ken gemacht. Durch vorsichtige Auswahl der Kranken gelang es, die Bevölkerung
von der früheren Opposition soweit zu bekehren, dass zur Zeit der Abfassung der
Schrift sohon 28 Kranke untergebracht waren und die Zahl der sich meldenden Pfleger
zwischen 40 und 50 betrug. Mit Decret vom 11. Febr. 1885 genehmigte der König
die Anlage der Colonie und deren Reglement, das sich ziemlich eng an das von
Gheel anschliessi
Wenn etwas in demselben unseren hierländischen Anschauungen widerstrebt» so
ist es die bekanntlich auch in Gheel geübte familiäre Pflege von ^^Unreinen''. Un-
zweifelhaft verdient der Versuch unsere vollste Aufmerksamkeit, da er manchen be-
züglich Gheels in*s Feld geführten Widerspruch als nichtig widerlegt.
(Auf dem letzten psychiatrischen Congresse zu Antwerpen hat Qu. eine Mitthei-
lung über die neue Colonie gemacht; einer brieflichen Mittheilung desselben entnehme
ich die Aeusserung, dass der Versuch als vollständig geglückt angesehen werden
kann.) A. Pick.
La Idgialation relative «uz alldnäs en Angleterre et en Eoosse. Bapport
de missions remplies en 1881 et 1883, par A. Foville. Paris 1885.
(203 Seiten.)
Als das Resultat zweier im amtlichen Auftrage unternommenen Studienreisen
verdifentlicht F. eine eingehende Studie über die in England und Schottland gflltige
Irrengesetzgebung, welche einen Theil des im Senate früher vorgelegten Berichtes
über das demselben unterbreitete Project eines neuen Irrengesetzes bildet
Wer selbst einmal einschlägige Studien gemacht, wird die Schwierigkeiten gerade
dieser Arbeit ermessen und das Dankenswerthe derselben umsomehr anerkennen, als
F. auch eine organische Darstellung von der Wirksamkeit der betreffenden Gesetze
giebt; seine Arbeit erweist sich als eine durchaus zuverlässige Zusammenfassung, die
— 24 —
es em^gfic&t, alich ohti& auf die Quellen zurückzugehen, alles ffotbwendige aus ihr
zu s(^pfen; aber auch ftlr den auf die Quellen Zurückgehenden wird die Schrift
sich als werthvofier Führer in der zuweilen' höchst Terwickdten Materie erweisen.
Die Schrift bietet aber noch weit mehr, als der Titel besagt; sie behandeld atis-
führlich, gleichsam als Rückwirkung der Irrengesetzgebung, das Irrenwesen der beiden
Länder, sowohl historisok abs nach seinem gegenwärtigen Standpunkte*, Hnd auch
dieser Theil des Werkes besitzt die von dem anderen gerühmten Vorzüge, so dass
das Gkmze allen Interessenten wärmstens empfohlen sei. A. Pick.
V. Personalien.
Dem Oberarzte am Straf gefangniss Plötzensee, Sanitätarath Dr. Baer, ist der
Preis zuerkannt worden für die in Born ausgeschriebene Concurrenzarbeit „über die
in diesem Jahrhundert (in Italien und anderswo) gemachten Fortschritte in den Stu-
dien über die Anthropologie der Verbrecher und über den Werth der auf Grund
dieser Thatsachen aufgestellten Theorien".
Prof. Dr. V. Erafft-Ebing in Graz wurde zum ordentl. Professor der Psy-
chiatrie an der deutschen Universität Prag emaimt.
VI. Vermischtes.
Geistesstörangen bei Negern. Kiernan (Journal of nerv, and ment. diseafie,
1885, V. 290) weist darauf hin, dass die Bncheinungen des Irreseins bei Negern in gewisser
Hinaehi charakteristisch sind. Besonders auffallend sind Tobanfalle mit sexueller En^^gnngp
die meietens im Frühjahr ausbrechen, und die wegen der sinnlosen Baserei mit dem berüch-
tigten „Amoklaufen" der Malaien, ja mit den sexuellen Wuthzustanden der Stiere, des
männlidien Elephanten und der Paviane verslichen werden können. Im Uebrigen ist ihre ge-
nauere Beobachtung sehr erschwert dnrcn die schnelle Behandlung, der sie unterworfen
werden» und die gewöhnlich ,Jn der Application von Blei, Hanf oder Stahl in genügender
Menge, um Euthanasie zu bewirken", besteht!
Eine eigenart^e Färbune erhalten die Psychosen der Neger dadurch, dass sie in der-
selben Weise, wie die ungebildeten Yolksklassen bei uns, Hallucinationen und besonders die
schmerzhaften Empfindnnestäuschungen nicht auf elektrische oder magnetische Emwirkungen,
sondern auf geheimnissvdle Kräfte und Sprüche ihrer Dämonen und Zauberer zurückführen.
Bei den Negern, die wenigstens in den Vereini^n Staaten wohl sämmtlich als Christen
anzusehen sind, brechen immer noch die alten afrikanischen Aberglauben gelegentiich durch
und so spielt in ihren Verfolguneswahnvorstellungen der achtbare Schlangen|^tt Wudu
eine bedeutende Bolle, unangenehme Sensationen werden nicht durch Galvaniamos oder
durch Zauberei, sondern durch „Wuduism** bewirkt; die H^ncinanten fahlen sich „gewiiduet*'.
(Bei einem tobsüchtigen Neger oder richtiger Mulatten von Barbadoes, Westindien, den Bef.
zufallig unter seiner Behandlung hat, soll die sexuelle Erregung vor der Aulhahme in die
Anstalt eine exoessive gewesen sein; später war nichts besonders aufißllig und in der Be-
convalesoenz, in der er sich jetzt befindet, wollte der verhältnissmässig gebildete Kranke
nicht mit einer Erklärung des „Wudu - Dienstes", der gerade auf den Antillen nodi zu
Orgien und Menschenopfern Anlass geben soll, heraus.)
Erwähnenswerth ist noch die Beobachtung Eiern an's, dass erst seit der Sklaven-
emancipation, also erst seitdem die Neger selbstotändig in den Kampf um's IXaaein haben
eintreten müssen, Paralyse bei ihnen häufig geworden ist Sommer.
Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten.
Einsendungen für die Bedaction sind zu richten an Prof. Dr. E.Mendel, ^
Berlin, NW. Kronprinzen-Ufer 7.
Verlag von Ybit & Comp, in Leipzig. — Druck von Mbtzobb & Wima in I^eipzig.
NeurologischesCentralbutt.
Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie
und Therapie des Nervensystemes einschliesslich der Geisteskrankheiten.
Henuugegeben toh
Professor Dr. E. Mendel
Ftnfter •« "«*^ Jahrgang.
Monatlidi eneheiiien zwei Nummern. Preis des Jahrganges 16 Mark. Zn beziehen dorch
alle Bnohbuidlangen des In- and Avslandes, die Posfeanstalten des Deutschen Beiehs» sowie
direot von der Yerlagsbuehhandlung.
1886. 15. Januar. M 2.
Inhalt I. OriglnalmMhelluiigeB. 1. Ueber einen Fall von progressivor Ophthahno*
plegie> von Prof. Dr. Adolf StrDmpell« 2. Zur Anatomie der Glandula pinealist kurze Mit-
theihing Ton Dr. L Dartechewitseb.
IL Rilterate. Experimentelle Physiologie. 1. Becherches sur la contraction simul-
tsafo dea musoleB antagonbtes, par Bsiimlt. 2. Förhällandet af nanrens trirsnitt til de
elektriska retmedlen, af Bllx. — Pathologische Anatomie. 8. Des d^änerations secon-
daires de la moelle ^piniäre constotives aux l^ions exp^rimentales m^dulkires et corticales,
par Lotweirtbal. — Pathologie des Nervensystems. 4. Ein Fall von eorticaler Epilep-
sie u. poetepUeptoiden Lähmungen, von Nearonow. 5. Ueber die sich an Kopfferle^ungen
und EoBchllttemngen anschliessenden Erkrankimgen des Nerrensystems, von Oppenheim.
6. Sur deux cas de monopl^e bradiiale hyst^iique, de cause traumati^ue, ohez l'homme,
le^on de Charcet, recueillie par Marie et Gulnon. 7. A case of hystero-epüepsy in the male,
by Oliver« 8. On a muscular phenomenon obserred in hysteria» and analogous to the »para-
doxieal contraction", by Cliareot et Richtr. 9. Schwere Hysterie, von äfletser. 10. Gas
d'hystäie dans lequel les attaques sont marqu^es par une manifestation rare; ^temuments,
par Leite. 11. Gases of ophthalmoplesia, complicated with yarious other affeotions of the
nenrous system, by Bristewe. — Psychiatrie. 12. Directe Vererbung von Geisteskrank-
heiten, von Sloll. 18. £tude clinique sur les ali^n^ hör^ditaires, par Taty. 14. Einfinas
der erblichen Belastung auf Entwiekelung. Verlauf und Prognose der Geistesstörungen, von
Kalitdier. — Therapie. 15. Pilocarpine in acute Alooolism, by Jotbam.
III. Aas den OeMlIidiaHtn.
IV. Bibliographie.
V. Personalien.
VI. Vemitchies.
I. Originalmittheilungen.
1. Ueber einen Fall von progressiveir Ophthalmoplegie.
Von Prof. Dr. Adolf Strfixnpell in Leipzig.
Die grosse Onippe der prünaTen Degenerationen des zur willkürlichen
Bewegnng dienenden cortico-muscnlären Leitangssystems ist ans einer Anzahl
von Erankheitsbildem zusammengesetzt, deren Unterschiede im V^esentlichen
— 26 —
nur durch die versohiedenen FniiGtionen der gerade befallenen Mnskelgebiete
bedingt sind. Die Mehrzahl der Neurologen ist daher gegenwartig wohl ein-
verstanden mit der einheitlichen Zusammen&ssong der hierher gehörigen Erank-
heitsformen, welche früher unter verschiedenen, noch jetzt üblichen Namen (pro-
gressive MuskelatrophJe, progressive BulbärparalTse, amyotrophische Seitenstrang-
sclerose u. a.) als besondere Erankheitsarten unterschieden wurden. Freilich stützt
sich, zumal bei der noch sehr ungenügend bekannten Aetiologie dieser Zustände,
diese Anschauung vorzugsweise auf den durchaus gleichmässigen klinischen und
anatomischen Charakter der erwähnten Krankheitsformen; indessen sdieinen
dieselben doch auch insofern zu einer ätiologischen Einheit zu gehören, als
sie alle wahrscheinlich von gewissen Schädlichkeiten abhängen, welche unmittel-
bar krankmachend auf die motorischen Fasern resp. Zellen selbst einwirken.
Diese Schädlichkeiten brauchen nicht in dem Sinne „specifische'' zu sein, dass
ihre Folgen nur von einer einzigen bestimmten Ursache hervorgebracht werden
können, wie etwa der Typhusprocess in der That nur von dem „specifischen''
Typhusgift abhängen kann. Die primäre chronische Degeneration der motorischen
Leitungsbahnen bliebe auch dann eine einheitliche Erankheit^ wenn sie durch an
sich verschiedene, aber zu denselben Folgen fahrende Ursachen hervoigerufen
werden könnte. Unser Ziel kann es nicht sein, die Krankheiten ausschliess-
lich nach ihren ätiologischen oder ausschliesslich nach ihren anatomischen
Verhältnissen einzutheilen, sondern je nach dem vorhandenen Bedürfnisse sollen
wir stets den wesentlichen Gesichtspunkt vor den nebensächlicheren berück-
sichtigen.
Zu den einzelnen £[rankheitsbildern, unter denen uns die primäre Degene-
ration der einzelnen Abschnitte des motorischen Leitungssystems entgegentritt,
gehört auch die fortschreitende symmetrische Lähmung der Augenmuskeln.
Da dieselbe aber noch weniger genau bekannt ist, als die übrigen analogen
Erkrankungen, so mag der folgende, von mir in meiner Poliklinik beobach-
tete Fall einen vielleicht wünschenswerthen Beitrag zu der noch ziemlich
spärlichen hierher gehörigen Gasuistik liefern. Auf eine ausführlichere Berück-
sichtigung der übrigen Literatur muss ich in dieser kurzen Mittheilung ver-
zichten. Eine Zusammenstellung der bisher bekannt gewordenen Beobachtungen
findet man in dem vor Kurzem erschienenen Buche von Mauthneb über „die
Nuclearlähmung der Augenmuskeln", wobei freilich, wie mir scheint, eine etwas
strengere kritische Sonderung der einzelnen Fälle wünschenswerth gewesen wäre.
A. Th. Winkler, 50 Jahre alt, seit seinem 12. Lebensjahre Gigarren-
arbeiter, welche Beschäftigung er erst vor wenigen Jahren mit der eines
Hausirers vertauscht hat Eine hereditäre Anlage zu nervösen Erkrankungen
ist in keiner Weise nachweisbar. Fat war früher stets gesund und kräftig;
luetisch inficirt ist er niemals gewesen. Er selbst giebt als Ursache seiner Er-
krankung eine heftige Erkältung an, welche er sich im Jahre 1861 während
eines grösseren Brandes in Leipzig, wobei er als Feuerwehrmann thätig war,
zugezogen haben will. Wenigstens bemerkte er bald danach zum ersten Male,
dass seine oberen Augenlider herabgesunken waren und dass er beim seitlichen
— 27
Sehen seinen Kopf mehr drehen musste, als Mher. Er nahm wiederholt ärzt-
fiche Hülfe in Ansprach, doch konnte ich leider genauere Angaben über den
damaligen objectiven Befand nicht erhalten. Sehr langsam und ohne alle
sonstigen Nebenerscheinangen nahm die Bewegongsstörang allmählich za. Irgend
welche schmerzhafte Empfindnngen hat Fat. niemals gehabt Er litt nie an
Schwindel nnd erinnert sich, niemals Doppeltsehen gehabt za haben. Seine
Sehkraft war anfanglich ganz normal, warde aber allmählich für die Nähe
schwächer, so dass er eine Brille tragen mosste. Seit vielen Jahren ist sein
Zastand angeblich unverändert geblieben. Fat hat sich an denselben gewöhnt
und suchte die Foliklinik nur wegen seit Kurzem bestehenden rheumatischen
Beschwerden in den Knieen auf, bei welcher Gelegenheit wir auf den Zustand
seiner Angen aufinerksam wurden und folgenden Befund notirten.
Fat. ist ein mittelgrosser, etwas schwächlich aussehender Mann. Sofort
auffallend ist die auf beiden Seiten bestehende starke Ftosis. Die oberen
Augenlider hängen tief herab und können nur soweit gehoben werden, dass ein
Spalt von knapp 4 mm zwischen beiden Augenlidern entsteht Fat muss daher,
um zu sehen, fast stets seinen Eopf ein wenig nach hinten bi^n. Beide Aug-
äpfel li^en etwas tief in ihren Höhlen und sind fast vollkommen parallel ge-
stellt Die äusseren Theile des Auges sind vollständig normal. Fordert man
den Kranken auf, seinen Blick nach den verschiedenen Richtungen hin zu
wenden, so bemerkt man, dass beide Bulbi fast vollkommen unbeweglich
sind. Nur noch Spuren von Beweglichkeit nach unten und nach beiden Seiten
hin sind übrig geblieben. Fat braucht daher zum seitlichen Sehen stets Be-
wegungen seines Kopfes. Die Fupillen sind von mittlerer Weite, zuweilen
sogar ziemlich weit, und zeigen gegen Lichteindrücke eine vollkommen gute
Reaction. Irgend welche Veränderungen an ihnen, wenn Fat sich bemühen
soll, abwechselnd einen Gegenstand in der Form und einen in der Nähe zu
betrachten, sind nicht deutlich bemerkbar. Um über die Befractionsverhältnisse
des Auges genaueren Aufschluss zu erhalten, bat ich Hm. C!olIegen Dr. Schbötbb,
den Kranken zu untersuchen. Derselbe theilte mir freundlichst folgenden Be-
fand mit: „Links Hypermetropie Vso^ ^^hts Hypermetropie Vso* D&hei liest
Fat links Jäger 1 erst mit + 10, rechts Jageb 2 mit + 8, was also auf
Rechnung einer Accommodationslähmung kommen muss. Sehschärfe links
^Uo f ^^^bte ^^70* ^^^^^ Oesichtsfeldbeschränkung. Farbensinn normal. Augen-
hintergrund ebenfalls vollkommen normal.'^
Im Gebiete der bulbären Nerven sind im Ilebrigen keine ausgesprochenen
Störungen nachweisbar. Nur eine gewisse Schlaffheit der Qesichtsmuskeln,
welche im Ilebrigen aber aUe gut beweglich sind, ist vielleicht bemerkenswerth.
Die Zunge wird gerade herausgestreckt und zeigt keine Spur von Atrophie.
Sprache, Stimme (Fat singt noch jetzt in einem Gesangverein 2. Bass), Schlingact
ungestört Gehör, Geruch, (Geschmack, Sensibilität des Gesichts und der Mund-
höhle vollkommen erhalten. — Auch am übrigen Körper (Limgen, Herz, Harn etc.)
nichts Krankhaftes nachweisbar. Lasbesondere fehlt jede Andeutung von tabischen
Erscheinungen. Fat hat beiderseits ziemlich lebhafte Patellarreflexe.
— 28 —
Soxnit stellt unsere Beobaofatong erneu reinen Fall von beiderseitiger pro-
gressiver Ophthalmoplegie dar. Die allmaUich entstandene Lähmung betrifft
sammüiche „äussern'' Augenmuskeln und den Accommodationsmuskel, welcher
letztere Umstand deshalb besonders hervorgehoben zu werden verdient , weil
das Freibleiben der Acconunodation von einigen Autoren als charakteristisch
angesehen worden ist. Somit erscheint aber die Abgrenzung des bdallenen
Muskelgebietes in viel naturlicherer Weise nicht durch die Lage (,,äu8sere'' oder
,4nnere'') der betrefifenden Muskeln bedingt zu sein, sondern durch den Umstand,
dass alle der willkürlichen Lmervation unterworfenen Muskeln der Degene-
ration verfsdlen, während die rein reflectorisch eintretende Fupillenreaction allein
vollkommen erhalten bleibt. Der anatomische Frocess besteht^ wieausana^
logen Beobachtungen mit grosster Wahrscheinliohkät geschlossen werden kann,
ausschliesslich in einer degenerativen Atrophie der betreffenden Nervenfasern
und Ganglienzellen (Kerne der Oculomotorii, Abducentes und Trochleares) mit
den hinzugehörigen secundären Degenerationen. Dass sich die Atrophie noch
weiter central wärts entwickeln kann, ist nicht unmöglich, aber bisher nicht
nachgewiesen. Ich fasse den Frocess ak Tollständig analog den übrigen Formen
der primären Degeneration des motorischen Systems auf, deren jede gewisser-
maassen eine besondere LocaUsation in einem sich functioneU abgrenzenden
Muskelgebiete darstellt. Diese Abgrenzung ist fireilich durchaus keine ganz
strenge, wie die ja recht häufige Gombination spinaler und bulbärer Amyo-
trophien zeigt Auch die Atrophie der Augenmuskeln kann sich, wenn auch
selten, mit anderen bulbären Atrophien vereinigen. Eine gewisse Unabhängig-
keit der einzelnen Muskelgebiete und eine dadurch bedingte Selbstständigkeit
ihrer Erkrankung ist aber zweifellos vorhanden. So giebt es z. B. Falle von
progressiver Muskelatrophie, die Jahre lang auf gewisse Muskelgruppen der
oberen Extremitäten beschränkt bleiben, ebenso Fälle, bei denen nur die Zungen-
Lippen-Musculatur betroffen ist u. a. In unserer, oben mitgetheüten Beobach-
tung ist die Beschränkung der Erkrankung auf die Augenmuskeln sehr aus-
gesprochen, da das Leiden schon 25 Jahre besteht und seit vielen Jahren voll-
kommen, abgeschlossen erscheint. Entweder wirkt die krankmachende Schädlich-
keit nicht mehr ein oder der Frocess ist zum Stillstand gekommen, nachdem
alle der Degeneration überhaupt zugänglichen Theile befallen sind, etwa ebenso
wie eine Flamme von selbst erlischt^ wenn alles Brennmaterial verzehrt ist
Einen offenbar sehr ähnlichen Fall von Ophthahnoplegie mit schliesslichem
StiUstand der Affection erwähnt auch A. Gbaefe in seinem Handbuch der ge-
sammten Augenheilkunde (Bd. VI, 1, S. 74).
Bemerkenswerth ist^ dass, wie auch schon andere Beobachter hervorgehoben
haben, niemals Doppeltsehen bestanden hat. Dies erklärt sich, wie mir scheint,
am besten durch die Annahme einer Erkrankung der zu den associirten
Augenbewegungen gehörigen Gkmglienzellen resp. Fasern, so dass also auch die
Lahmung stets eine associirte gewesen sein muss. Diese Thatsache würde mithin
auch gegen den peripherischen Ursprung der Erkrankung sprechen.
In Betreff der Aetiologie des Falles lässt sich nichts Sicheres angeben.
— 29 —
Die vom Pat selbst hervorgehobene Erkältung durfte schwerlieh die allein
maas^bende Ursache der Lähmung gewesen sein. VieDeicht ist aber die Frage
gerechtfertigt, ob nicht die Beschäftigung des Fat. als Cigarrenarbeiter (seit
seinem 12. Lebensjahre) zu toxischen Einwirkungen gefuhrt haben kann. Eine
sichere Entscheidung hierüber liesse sich aber naturlich erst nach ausgedehn-
teren Erfahrungen treffen.
2. Zur Anatomie der Glandula pinealis.
Kurse Mittheilang von Dr. !■. DarkBohewitaeh aus Moskau.
Es ist in der letzten Zeit, entgißgen der Ansicht von Meynebt ^ und Hage-
mann,' von einigen Autoren (Schwalbe,^ Edinoeb^) die Meinung ausgesprochen
worden, dass die Ol. pinealis nicht als ein Ganglion, sondern als eine „einfache
Drüse^ au%efasst werden muss. Vor kurzem hat sogar Gionini^ eine Mittheilang
veröffentlicht, in welcher er behauptet, dass selbst in dem Stiel der Ol. pinealis
durch keine Färbungsmethode Nervenfasern nachzuweisen seien.
Eigene vergleichend-anatomische' Untersuchungen (Frosch, Kaninchen, Hund,
Affe, menschl. Fötus) haben midi zur TJeberzeugung gefuhrt, dass die Ansicht,
welche die nervöse Natur der Ol. pmealis bestreitet, eine unrichtige ist.
Den Nachweis gedenke ich aber nicht für die zelligen Elemente des Co-
narium zu ftkhren, da wir derzeit keine absolut charakteristischen Kennzeichen
für die nervöse Natur von Zellen besitzen, sondern wende mich zur Besprechung
der in dem Organ auffindbaren Nervenfasern.
Wenn man sich der WEiGERT'schen Hämatoxylintinction bedient, hat es
nicht die geringste Schwierigkeit sich von der reichlichen Existenz von Nerven-
fasern in der Ol. pinealis zu überzeugen , wie dies auf der beistehenden Fig. 1
zu sehen ist
Fig. 1. Frontalsobnitt durah den Affenlunuitanim : 1. Corp. qnadr. anp., 2. Glandula pinealis.
* S^uoKsufs Handbnoh d. Lehre v. d. Gewebe. Bd. 2. S. 744.
* Ueber d. Bau d. Gonarhim. 1872.
' Lehrbach der Neurologie. 1881. S. 478.
* Zehn Vorlesungen über d. Bau d. n. Centralorgane. 1885. S. 55.
* Sulla Btrattnra della ghiandola pineale. -- Dieses Centralbl. 1885. S. 320 (Ref. too
Sommer).
— 80 —
Eine eingehende Untersuchung dieser Fasern zeigt, dass man de nach ihrer
Herkunft in folgende Systeme ordnen kann.
1. Fasern aus der Gapsuhi interna.
2. Fasern der Striae medulläres.
3. Fasern des MBTNBBT'schen Bändels.
4. Fasern des Tractus opticus.
5. Fasern aus der hinteren Oehimcommissur.
Die Verbindung der Gl. pineahs mit den Fasern der hinteren Gommissar
des Gehirns, auf die schon Metnbbt^ und Pawlowsky' aufmerksam gemacht
haben, scheint uns besondere Beachtung zu verdienen, da zwischen den Fäsem
der hinteren Gehimcommissur und den Kernen der motorischen Augennerven
eine enge Beziehung existirt'
Die beistehende Fig. 2 stellt einen Schnitt des Hundehims dar, an welchem
die Verbindung der Fasern der hinteren Commissur mit der GL pinei^ er-
sichtlich ist
^ Gl. pinealia.
% Thalamos opticm.
f CommiMora posterior.
# Aquaedncttui SyWii.
Fig. 2. Frontalschnitt dareh den Hondehiinstaniiii.
n. Referate.
Experimentelle Physiologie.
1) Reoherohes Bur la oontraotion simultanöe des musolea ant^gonistes,
par H. Beaunis, prof. de physiol., Nancy. (Gaz. m^. de Paris. 1885.
28 et 29.)
In seinen Untersuchungen über die Form der Reflezcontraction des Muskels im
Jabre 1883 hatte B. häufig gleichzeitige Gontractionen von Streck- and Beugemuskeln
constatirt. Das hatte ibm die Prüfung der Frage nach dem gleichzeitigen Verhalten
antagonistischer Muskeln nabe gelegt. — Bekanntlich hat Duchenne de Boulogne
die alte Lehre von der Bewegung umgestossen, nach welcher man annahm, dass ein
» 1. c. S. 743.
* Ueber d. Faserverlanf in d. h. GebirncommiBsar. ZeitMhr. f. w. Zoologie. 1874. Bd. 24.
^ ,,Ueber die bintere Commissur des Gehirns." Dieses Centralbl. 1885. Nr. 5.
— 31 —
Mmkel, doascn Antagonist in Gontraction sich befindei erschlafft sei. Er lehrte, was
ölnigens schon Winslow ausführlich entwickelt hatte, dass eine Bewegung nicht
du Besultat einer einfachen Gontraction eines Moskels sei, sondern der Mitwirkung
aach seines Antagonisten. Denn wenn Duchenne die gelähmten Vorderarmbeuger
eines Menschen durch eine elastische Kraft ersetzte, so konnte derselbe yermittelst
Innervation seines Triceps hrachii den gestreckten Vorderann nach Belieben in ver-
scbiedenem Grade beugen. Aus diesen und anderen Beobachtungen leitet Duchenne
seine Lehre von der „Harmonie der Antagonisten" bei willkürlichen Bewegungen ab.
B. wmt nun darauf hin, dass Duchenne*s Beweisführung nicht einwandfrei sei,
and bemüht sich, den experimentellen Beweis für dieselbe zu liefern vermittelst des
Harey^schen Mjographen. Er untersuchte an Fröschen, Kaninchen, Meerschweinchen
imd Hunden. Die Thiere resp. das betreffende Glied, waren natürlich fixirt, und es
Würde eine Reflexbewegung mittelst sensibler Beizung (elektrisch, chemisch, mechanisch)
ausgelöst, oder man wartete, bis das Thier spontan eine Bewegung machte. Die
Thiere waren im Uebrigen entweder intact, oder des Gehirns ganz oder theilweise
beraubt.
B. beobachtete nun dreierlei Arten in dem Verhalten der antagonistischen
Muskeln:
1) Die beiden antagonistischen Muskeln contrahiren sich gleichzeitig.
2) Der eine Muskel contrahirt sich und der Antagonist erschlafft und ver-
längert sich.
3) Der eine Muskel contrahirt sich, der Antagonist bleibt unbeweglich.
Im ersten Falle beginnt die Gontraction beider in der Regel in demselben Mo-
ment, dagegen hört die des einen häufig etwas früher auf, als die des anderen;
nach Höhe, Daner und Form zeigen die beiden Gurven nicht selten Verschiedenheiten.
Die Erscheinungen waren die gleichen, mochte man die Bewegungen durch sen-
sible Beise erregt oder auf Bew^ungen des Thieres einfach gewartet haben, wobei
B. es unentschieden lässt, ob letztere Bewegungen als willkürliche bezeichnet werden
dörfen. —
Die Bewegung ist also das Besultat gleichzeitiger Action der Antagonisten.
Entweder contrahiren sich Beuger und Strecker, wobei die Einen überwiegen, die
Anderen nur moderiren (präcise Bewegungen); oder die Einen contrahiren sich, die
Anderen erschlaffen (rasche und intensive Bewegungen).
Als nachgewiesen betrachtet B. durch seine Untersuchungen (Fall 2) die will-
kürliche Erschlaffung eines Muskels. Er betont femer die Nothwendigkeit, bei der
Analyse pathologischer Bewegungsformen die neu gewonnenen Gesichtspunkte zu
verwerthen. Hadlich.
2) Förh&Uandet af nervena tvärsnitt tu de elektriaka retmedlen, af Magnus
Blix. (üpsala läkarefören. förh. 1886. XX. 3. Ö. 174.)
B. untersuchte die ReizungsverhaltniBse an Querschnitten des Iscbiadicus von
Fröschen im Vergleich mit weiter abwärts gelegenen Funkten, um festzustellen, in
wie weit diese verschiedenen Theile von den verschiedenen Arten des elektrischen
Reizes auf verschiedene Weise beeinflusst werden. Eine Elektrode berührte den
Nerven an möglichst eingeschränkter Stelle, die andere stand in möglichst grosser
Ausdehnung mit dem Nerven in Berührung.
Aus seinen Versuchen scheint unzweideutig hervorzugehen, dass Durchschneidung
oder Abbindung des Nerven einen ganz bestimmten Einfluss auf das, Verhalten des-
selben (eines Theils der motorischen Nervenfasern im Hüftnerv des Frosches) dem
elektrischen Beizmittel gegenüber ausübt. Für den Schluss der galvanischen Ströme,
für Inductionsströme und für Entladungsströme ist der Nerv im Allgemeinen mehr
reizbar, wenn die Elektrode die Kathode ist, als wenn sie die Anode ist. Innerhalb
82 —
des Querachnittes ist das Verhalten amgekehrt. Die Verftndenuig tritt wohl am
häufigsten unmittelbar nach der Dnrchschneidnng des Nerven ein, aber sie sdieint
doch mit der Zeit stärker ausgesprochen zu werden. Sie besdirftnlEt sich weni^steDS
Anfangs auf die allernächsten Umgebungen des Schnittes, oft aber scheint sie doch
mit der Zeit sich wenigstens bis 1 mm unterhalb des Schnittes zu erstrecken.
Diese Veränderung beruht oflPenbar nicht auf der Umänderung der Vertheilnng
der als Beizmittel angewendeten elektrischen Ströme, welche eine nothwendige Folge
der Durchschneidung des Nerven sein mnss, sondern sie beruht auf innwfaalb des
Nerven liegenden Ursachen, welche wahrscheinlich mit unter denselben Umständen
auftretenden Veränderungen in den elektromotorischen Eigenschaften des Nerven in
Zusammenhang stehen.
Das ist dieselbe Veränderung, der die Beizbarkeit der motorischen Nerven unter-
liegt bei beginnender Degeneration. Walter Berger.
Patbologische Anatomie.
3) Des dögto^rations seoondaires de la xnoelle äpiniöie oonsteuttves aux
lÄBions ezpörimentales mMuUairM et oortioales. Becherches faites
au laboratoire de phjsiidogie de Gendve par Nathan Loewenthal (de Mohilew
sur le Dni^per). Dissertation inaugurale. 1885. 118 Seiten und 2 Tafeln.
Verf. hatte Gelegenheit, das Bückenmark von 6 Hunden, an denen Schiff par-
tielle Durchschneidungen im Bereiche des Oervicalmarks vorgenommen hatte, zu stadiren.
Die Versuchsthiere konnten 3 — 10 Wochen nach dem operativen Eingriff am Leben
erhalten werden. Die Durchschneidungen bezogen sich auf folgende Begionen:
Hund I. Totale Durchtrennung sämmtlicher Hinterstränge, der EGnterhömer,
des rechten Seitenstranges und eine partielle Durchtrennung des linken Seitenstranges
in der G^end des Austritts des 2. — 3. Cervicalnervenpaares.
Hund n. Völlige Continuitätstrennung der Hinterstränge der Hinterhömer and
des linken Seitenstranges, leichte Streifung des rechten Seitenstranges; in der Gegend
des 5. — 6. Cervicalnervenpaares.
Hund III. GHtozliche Durchtrennung der linken Bftckenmarkshälfto, partielle
Läsion der rechten, (die innere Begion des Vorderstranges und Vorderhomes, die
Processus reticul., die Kerne des Goll*schen und Burdach'schen Eeästmges [par-
tiell] umfassend); ein grosser Theil der Hinterstränge in der Umgebung des Hinter-
homes blieb frei; in der G^end des 1. Cervicabervenpaares.
Hund rv. Zerstörung des hinteren Segmentes des rechten Seitenstranges and
Adneza (äussere Partie des Hinterhoms); in der Gegend des 4. — 5. Cervical-
nervenpaares.
Hund V. Aehnliche Verletzung wie bei Hund IV.
Ausserdem untersuchte Verf. das Bflckenmark von 27 Hunden, denen Schiff
Bindenläsionen im Bereiche verschiedener Begionen des Grosshims (hauptsächlich des
Vorderhims) beigebracht hatte. 2 — 10 Wochen nach der Operation wurden die
Thiere durch Chloroform getOdtet; 2 Thiere lebten 5 und 11 Monate nach der
Operation.
Die recht beachtenswerthen Untenuchungsresultate des Verf. lassen sich in
folgender Weise kurz zusammenfassen:
1) Abtragung des Gyr. sigmoid. hat regelmässig absteigende Degeneration im
Bückenmark zur Folge, es können indessen auch Läsionen der Binde im Bereiche
der nächsten Umgebung dieses Gyrus (besonders parietalwärts) denselben Erfolg
haben; in letzterem Falle mflsse aUerdings zugegeben werden, dass die Degeneration
im Bfickenmark nicht direct von den den Gyr. sigmoid. umgebenden Windungen ab-
zuhängen brauche, sondern eventuell Folge der Mitläsion von Fasern sein könne, die
— 88 -
d0m Gyr. sigmoid. entstammen und dicht onter jenen Windungen ziehen. Auffallend
m, da» ZeratGnmg dee ganzen unter jenen Windungen liegenden Markes von einer
schwächeren and rascher sich erschöpfenden Degeneration im Bückenmark begleitet
werde, als isolirte Abtragung des Gyr. sigmoid. — Einseitige Abtragung im Yorder-
hirn kann bilaterale, secund&re Degeneration im Bfiekenmark zur Folge haben, doch
ist die Degeneration auf der gekreuzton Seite der Läsion erheblich ausgesprochener.
— Abtragungen aus dem Oebiete des Parietal- und Occipitalhims (Zonen D und £
des Yerfassers) rufen keine absteigende Degeneration im Bückenmark hervor.
Die secund&re D^eneraüon nach Wegnahme des Gjr. sigmoid. zieht sich bis
in's Lendennuurk. Die degenerirte Zone liegt auf Querschnitten in denjenigen Gebiet
des Seitenstranges, das den Winkel zwischen Vorder- und Hinterhom begrenzt, von
der grauen Substanz wird es aber durch ein schmales Markfeld getrennt. Die zur
Degeneration kommenden Fasern zeichnen sich durch Feinheit ihres Kalibers aus
(vgl Deiters, Mayser, Beferent^); in der atrophischen Zone ziehen aber auch
Fasern derberen Kalibers, die sich an der absteigenden Degeneration indessen nicht
betheiligen. Beide Faserarten erscheinen ziemlich mnig gemischt Die feinen Fasern
entsprechen den Pyramidenfasem des Menschen.
2) Die nach Durchschneidung des Cervicalmarks auftretenden secundären De-
generationen zeigen im Verlaufe des ganzen Bückenmarks eine weitaus bedeutendere
Ansdehnung, als nach Wegnahme des Gyr. sigmoid. (vorausgesetzt, dass der Seiten^
Strang total durchschnitten wurde). Ausser verschiedenen kurzen Fasern und der
Fyramidenbahn konnte da der Verf. eine ausgesprochene Degeneration eines volumi-
nösen ^stems langer Fasern innerhalb des Seitenstranges constatiren, das ventral
von der Pyramidenbahn liegt und sich durch Derbheit der Axencylinder auszeichnet
Nach völliger Durchtrennung des Seitenstranges degenerire diese Bahn in intensiverer
Weise, als die Pyramidenbahn und es sei die Degeneration noch tiefer zu verfolgen,
als bei dieser. Auf Querschnitten nimmt dieses Feld den ganzen Baum zwischen
dem Querschnitt der Pyramidenbahn und der Kleinhimseitenstrangbahn ein. Verf.
nennt das bezügliche Markfeld, das durch Läsionen des Grosshims in kemer Weise
beemflusst wird, „äussere Zone des Seitenstranges'' und fasst es als ein besonderes
System langer Fasern auf.
Der Seitenstrang lässt sich somit nach dem Verf. in 3 concentrische Zonen
trennen, die eine gänzlich verschiedene Bedeutung haben, nämlich 1. in die Zone
des Pyramidenbündels, 2. in die äussere Zone und 3. in die Zone der Kleinhim-
seitenstrangbahn.
3) Nach Durchschneidung der Hinterstränge zwischen dem 5. — 6. Cervicalnerven-
paar tritt auch aufsteigende Degeneration ein, dieselbe beschränkt sich aber nicht
nur auf die GolFschen Stränge, sondern sie dehnt sich auch auf die Burdach*schen
Keilstränge aus. Im Weiteren degeneriren nach jenem EingrifiT in aufsteigender
Richtung Seitenstrangfasem in der ganzen Peripherie des Bückenmarks bis in die
Gegend der vorderen Wurzeln, die Gruppirung der zur Degeneration kommenden
Fasern ist aber eine in verschiedenen Abschnitten des Querschnitts ganz verschiedene
(Kleinhimseitenstrangbahn von Flechsig).
Dieser ausserordentlich sorgfältigen Arbeit, in der beinahe die gesammte ein-
schlägige Literatur eingehend berücksichtigt wird, sind eine ganze Beihe schöner
%Qren beigegeben. v. Monakow.
' Die im Correspondenzblatt flir Schweizer Aerzte (1884. Kr. 6 u. 7) erschienene Arbeit
des Referenten „Ueber Pyramide und Schleife*' scheint dem VerÜBaser entgangen zu aein.
34 -
Pathologie des Nervensystems.
4) Bin Fall oortioaler BpUepsie und poetepUeptoiden Iiftlunungen« Secüon,
Ton W. Nearonow. (Morskoi Sbomik. 1885. October. Hussisch.)
Ein d4jähriger Mann, seit 1878 syphilitisch inficirt, wurde am 30. April 1884
mit Pneamonia chronica, allgemeiner Schwäche, ausgebreitetem Oedem der unteren Ex-
tremitäten und Albuminurie in*s Kronstadter Marine-Hospital aufgenommen. Er klagt«
seit langer Zeit über heftige Kopfschmerzen. Seit Ende Juni 1884 stellte sich Schwache
der linken Extremitäten ein; am 20. Juli traten an demselben zum ersten Male Con-
vulsionen auf, die nur einige Minuten dauerten, ohne jegliche BewusstsseinstOrang ver-
liefen und sich drei, vier Mal wöchentlich wiederholten. Im Laufe der folgenden
Monate nahm die In- und Extensität der convulsiven Anfälle zu: sie wurden heftiger,
dauerten 10 — 15 Minuten, wurden von Ablenkung des Kopfes nach links und Nys-
tagmus beider Augen in der nämlichen Richtung begleitet. Die Anf&Ue verliefen
immer bei vollem Bewusstsein und begannen jedesmal mit Convulsionen der linken
Hand, denen stets subjective Empfindungen an derselben vorangingen. Unmittelbar
nach dem Anfall konnte man vollständige linksseitige Hemiplegie mit Herabsetzung
der Hautsensibilität, Erhöhung des Fatellarreflexes und Fussclonus linkerseits consta-
tiren; alle diese Erscheinungen verschwanden wieder nach 1—2 Tagen und machten
der gewöhnlichen geringfügigen Parese der linken Extremitäten Platz. Diese typischen
Anfölle wiederholten sich im Laufe der Krankheit fünf Mal, in 3 — 5 wöchentlichen
Zwischenräumen. Seit Januar 1885 verschlimmerte sich die Allgemeinerkranknng in
bedeutendem Maasse, und am 4. März erfolgte der Tod, ohne neue Erscheinungen
seitens des Nervensystems. Da die Untersuchung des Speichels die Anwesenheit von
Tuberkel-BaciUen ergeben hatte, so war die klinische Diagnose auf Himtuberkel gestellt.
Die Section erwies, dass sowohl die Lnugenaffection, als die Erkrankung anderer
parenchymatöser Organe syphilitischen Charakters war. Im Gehini fand sieb eine
gummöse Geschwulst ziemlich derber Consistenz, von 3 V2 ^^' I^änge und 3 Ctm.
Höhe, die den oberen Kand des hinteren Drittels der ersten rechten Stimwindung
einnahm, ungefähr 373 Ctm. vor dem oberen Ende der Bolando*schen Furche; die
der Geschwulst anliegende Himmasse (graue und weisse Substanz) war erweicht
Ausserdem sass eine ähnliche Geschwulst geringeren Umfangs an der Spitze des Hinter-
hauptlappens, ebenfalls in der rechten Hemisphäre.
In klinischer Hinsicht betont Verf. besonders den Umstand, dass die Steigerung
des Patellarreflexes und der Fussclonus, die die postepileptoide temporäre Hemipl^ie
begleiteten, nach kurzer Zeit verschwanden. Er macht auf die Unvereinbarkeit dieser
Verhältnisse mit derjenigen Ansicht aufmerksam, die benannte Erscheinungen in Ab-
hängigkeit von secundären anatomischen Veränderungen des Bückenmarks stellt.
P. Rosenbach.
6) Weitere Mittheilungen über die sieh an Kopfverletsungen und Br-
sohütterungen (in speoie: Eiaenbahnunf&lle) ansohliesBenden Er-
krankungen des Nervensy Sterns , aus der Nervenklinik der Charit^, von
Dr. H. Oppenheim. (Arch. f. Psych. XVI. H. 3.)
Den früheren Mittheilungen über diesen Gegenstand reiht der Verf. weitere 10
genaue Krankengeschichten an und gebietet so über ein stattliches Beweismaterial,
mit denen er sich gegen die Ausführungen Charcot's und seiner Schule wendet,
welche in den beschriebenen Symptomencomplexen nichts als Fälle von Hysterie sehen
wollen.
Die Fälle betreffen vorher gesunde Männer im mittleren Lebensalter, welche durch
ein Trauma (Kopfverletzung, Stoss gegen den Bücken, Erschütterung), welches zu
— 35 —
kainer oder za keiner erheblichen äusseren Verletzung fährte, in einen mehr oder
weniger schweren Erankheitszustand versetzt wurden. Ausser dem objectiven Trauma
dfirfie die psychische Erschütterung und der Schreck eine Bolle spielen. »Mit Aus-
nahme mnes Falles folgte stets Bewustlosigkeit dem Unfall. Die Folgezustande zeigten
Verschiedenheiten in der Intensität und in der Qualität der Symptome, einige der-
selben sind jedoch constant So sind alle Kranken psychisch alterirt, und zwar mit
dem Gnmdzug der ängstlichen, traurigen Verstimmung. Dabei sind sie weinerlich;
ihr Schlaf ist gestört und die Angst verfolgt sie bis in die Träume; viele hypochon-
drische Klagen werden produdrt. Eigentlicher positiver Intelligenzdefect fehlt f&r
gewöhnlich, doch findet sich GMächtnissschwäche. Ohnmachts- und Schwindelanfälle,
Anfalle von Petit mal und echten epileptischen Bewusstseinspausen sind beobachtet,
auch daneben hallucinatorische Dämmer- und Traumznstände. Die subjectiven Klagen
der Kranken lauten auf Kopfdmck, Kopf- und Nackenschmerz, Faraesthesien der Kopf-
haut^ wüstes, Bausch-ähnliches Geffthl und Schwindel, sogar mit Erbrechen. Flimmern
vor den Augen, Verschwimmen der (jegenstände, Dunkelwerden des (Gesichtsfeldes,
Gelbsehen (in einem Fall), Ohrensausen, HOrschwäche. Schmerzen- und Spannungs-
gefaU im Bücken, Gürtelgefühl bei Einigen. Bei 5 Kranken Erlöschen der Fotenz.
Die Sensibilitätsstömngen sind verschieden, locale und totale Anästhesien, auch sen-
sorischer Art, in verschiedener Ausdehnung und Qualität. Die Gesichtsfeldeinschränkung
fehlte in einigen der neuen Fälle. Bei Manchen wurden Berührungen auf der unteren
Bückenhaut schmerzhaft empfunden. Die Haut- und Schleimhautreflexe waren meist
herabgesetzt, die Sehnenphänomene sind normal vorhanden oder leicht gesteigert Ob
Motilitätsstörungen bestanden, war ofb zweifelhaft, oft waren die Bewegungen wegen
der Schmerzen behindert Schwanken bei Augenschluss war nicht selten, ebenso Tremor
massigen Grades. Die Blasenfunction war häufig gestört^ insofern sich der Harn erst
nach starkem Pressen entleert — Obstipation war die BegeL In Beob. X fand sich
Atrophie des Nervus opticus, positiver Befund am Opticus noch bei IX, in Beob. V
war Pupillendifferenz und reflectorische Pupillenstarre, in III constante starke Fuls-
beschlennignng vorhanden. —
Diese Symptomcompleze einfach ab Hysterie zu bezeichnen ist unrichtig und
bedenklich. Die einzelnen Fälle varüren zwar unter sich in mancherlei Beziehung
und stellen kein einheitliches Bild dar, welches sich mit einer der bekannten Krank-
heitsformen ganz deckt, sondern sind mehr eine Mischform von Psychose und Neurose,
es treten jedoch in einem grossen Theil der Fälle Symptome hervor, die mit Be-
stimmtheit auf eine schleichend verlaufende, organische Erkrankung des Nervensystems
hindenten. — Die Prognose ist bis jetzt wenig günstig, complete Heilung ist von 0.
noch nicht beobachtet 0. warnt vor einer Wiederbeschäftigung der Kranken im Eisen-
bahnfahrdienst Siemens.
6) Sar denx eas de monoplögie brachiale hystärique, de cause trauma-
Üque, ohes rhomme. Le^on de Charcot, recueillie par Marie et Guinon.
(Progr. möd. Nr. 34. 37. 39. 40.)
In dem ersten der beiden Fälle stellt Ob. einen Kranken vor, einen Droschken-
kutscher von 25 Jahren, dessen Vater ein Säufer, dessen Mutter sehr nervös ge-
wesen ist — Er leidet seit seiner Kindheit an einer Wirbelverkrümmung, hat im
16. Lebensjahre einen Gk)lenkrheumatismus durchgemacht und davon eine chronische
Kniegelenksentzlbidung sowie eine Atrophie des Qnadriceps rechterseit zurück behalten.
Im December 1884 erlitt er durch Fall vom Wagen eine Contusion der rechten
Schulter, die aber so unbedeutend war, dass er unmittelbar nacher noch 5 Stunden
lang kntschiren konnte. Erst am 6. Tage nach diesem Unfall trat eine Monoplegie
des verletzten rechten Armes mit Anästhesie ein, die 4 Monate später, als
Patient 2ur genauen klinischen Beobachtung gelangte, in derselben Weise, wie am
— 36 —
Anfang, fortbestand: Vollständige schlaffe Lähmung der Muskeln der Sdmlter, des
Ober- und Vorderarms (nur die Finger madien einige kraftlose Bewegungen). Auf-
hebung aUer Empfindungsqualitäten an der Haut, an den Muskeln, Sehnen n. s. w.
Veiiust des Muskelsinus. Leichte Erhöhung der Sehneareflexe. Das Volamen der
Muskeln ist aber in normalen Maassen erhalten, elektrische Beactions* Anomalien sind
weder an den Muskeln, noch an den Nerven des gelähmten Armes su constatiren.
Bei Besprechung der Natur dieser Monoplegie führt Ch. zum Vergleiche einen
Kranken vor, welcher durch eine schwere traumatische Verletzung des Plexus bracbialis
sich eine ähnliche motorische und sensible Lähmung an der rechten oberen Extremität
zugezogen, doch ergiebt schon eine Gegenüberstellung der anästhetischen und analgiscben
Hautnervengebiet in diesem und einem gleichen von Boss veröffentlichten Falle,
sowie das Vorhandensein von schweren vasomotorischen und trophiscben Stöningen,
wie wenig der vorangestellte Fall in diese Kategorie der traumatischen peripheriachen
Paralysen passt. Aber auch die Annahme einer organischen CerebnQerkranknng eines
Herdes in den Centnüganglien oder in den motorischen Bindencentren sei aoszu-
schliessen, weil alle sonstigen diffusen Herderscheiuungen beim Eintritt der L&bnmng
nicht vorhanden waren, weil femer eine so reine corticale Monoplegie ohne Facia-
lisparese und ohne Aphasie zu den grössten Seltenheiten gehören und übrigens nach
viermonatlicher Dauer längst Erscheinungen der secundären absteigenden Degeneration
veranlasst hätte. Ebensowenig sei die Ursache in der MeduUa spinalis zu snchMi:
es handelt sich einzig und allein um eine hysterische (dynamische und fionciionelle)
Laesion, da auch sonstige hysterische Erscheinungen nicht mangelten: Es sei eine
allgemeine rechtsseitige Hemianästhesie vorhanden, bestehend in einer Obnubilation
des Gehörs- und Geschmackssinnes der rechten Körperhälfto, femer eine conoentrisdie
Gesichtsfeldeinschränkung, sowie die sogenannte Polyopie monocnlaire, wie sie Pari-
naud als ckarakteristisch für den Hysterischen beschrieben hatte. So kommt Gharcot
zu dem Schlüsse, dass dieser Fall als eine hysterische Lähmung aufzufassen sei, ob-
wohl hysterische Attaken nie eingetreten und hysterogene Zionen an dem Körper des
hysterischen Droschkenkutschers nicht aufzufinden sind: Durch den Mangel diesor beiden
hysterischen Attribute unterscheide sich der Kranke von einem anderen an einer links-
seitigen Monoplegie des Armes leidenden Hysteriker, den Ch. vor kurzer Zeit erst
beschrieb, und den Bef. in Nr. 22 d. Jahrg. 1886 dies. Zeitschr. ebenfalls mitgetheilt
hat: letzterer ist übrigens fast vollständig zur Heilung gelangt.
Die weiteren sehr ausfQhrlichen epikritischen Auseinandersetzungen Charcot's
beziehen sich auf die Aehnlichkeit zwischen derartigen psychischen (hysterischen)
Paralysen mit denjenigen, die im hypnotischen Zustande durch Suggestion hervorzu-
rufen sind. Zum Beweise wird ein hysterisches junges Mädchen vorgeführt, die in
den somnambulen Zustand versetzt wird und bei der in einem gewissen Stadium eine
artificielle Monoplegie mit Leichtigkeit zu erzeugen ist. Die einzelnen Abschnitte des
gelähmten rechten Armes können aber von Gh. in Bezug auf Motilität und Sensibilität
entsprechend wieder „deparalysirt", von den Functionsstörungen befreit werden, üebri-
gens ist eine „Einflüstemng'' zur Erzeugung jener hysterischen Lähmung nicht un-
bedingt nothwendig, es genügt auch eine leichte traumatische Ursache, ein leichter
Faustschlag auf die Schulter, um den Arm der Sonnambule zu paralysiren. Der hyp-
notische Zustand sowohl als ein plötzlicher Schreck sind nach Ch. nur versohiedene
Arten eines „Nerven-Shoks", die zur Umschleierang der Psyche (Obnubilation da
„Moi'O führen und von irgend einer localen Gelegenheitsursache, einem Trauma z. B.
unterstützt, psychische Lähmungen, wie wir sie eben geschildert, veranlassen können.
Die Behandlung muss dementsprechend wieder eine psychische (mondische) sein.
Charcot lässt die Kranken täglich leichte Uebungen mit dem Dynamometer machen,
welche die von Tag zu Tag zunehmende Kraft der Extremität ad oculos demonstriren,
die Hysteriker ermuthigen und in der That die krankhafte Idee motorischer Ohnmacht
zum Verschwinden zu bringen scheinen. Laquer.
— 37 —
7) A os«e of hystero-epileptfy in the male, by James Oliver. (Braln. 1887.
October p. 397—400.)
Ein 36jäliriger DiamantscMeifer, welcher 5 Jahre zuvor nach einem Sprung aus
dem Fenster eines brennenden Gebäudes etwas furchtsam und schlaflos geworden war,
hatte 6 Wochen vor der Aufnahme nach erneutem Schreck bei dem Ueberscbreiten
emer von Wagen überfGlllten Strasse eben Bewusstlosigkeitsanfall mit Lähmung der
linken Eörperseite erlitten; Faradisation des Armes hatte dann den ersten Erampf-
anfall verüilasst. Bei ungestörten Hautreflexen und nicht gesteigerten Sehnen-
phänomenen besteht Lähmung der linken Extremitäten mit Hemiauaesthesia sinistra
auch fttr Geschmack, Geruch und Gehör und Anästhesie der nasalen Hälfte der linken
Retina. Typische hysteroepileptische Anfälle meist auf die linke Seite beschränkt,
mit den obligaten Contorsionen traten mit Pulsverlangsamung Yon 78 auf 48 ent-
weder spontan auf oder durch Beizung Ton vier hysterogenen Zonen: Aber der linken
Carotis, den linken Brachial- und den linken und rechten Feuioral-Gefässen, wobei
die Compression der Geiässe unwesentlich ist, sondern einfaches Eneipen der Haut
in diesen Regionen genügt, den Anfall hervorzurufen. !Es besteht Druckschmerz-
haftigkeit der Supra- und Mraorbitalnerven, das Zwerchfell ist an den Erämpfen
regelmässig und darüber hinaus durch klonisohe Spasmen betheiligt
E. Remak.
8) On a mtisoular phenomenon observed in hysteria, and analogous to
the „paradoxioal oonfcraotion*S by Gharcot aSid Richer. (Brain. 1885.
Ociober p. 289—294.)
Die Yerff. haben die von Westphal 1878 im Arch. f. Psych. X. S. 243 u. s. f.
bei gewissen, der multiplen Sclerose wahrscheinlich zugehörigen Erankheitsformen als
„paradoxe Mnskelcontraction" beschriebene Erscheinung, dass der passiv dorsalflectirte
Fuss durch Contraction des M. tibialis anticns in dorsalflectirter Stellung verharrt,
was nach W. dadurch bedingt wird, dass die Erschlaffung des Muskels als Reiz
wirkte zwar nicht bei derselben Affection zu sehen Gelegenheit gehabt, dagegen in
gewissen Fällen von Hysterie eine analoge Erscheinung beobachtet und analysirt.
Bei der von ihnen sogenannten contracturalen Diathese der Hysterischen, von
welcher sie eine somnambuKsche und lethargische Form, analog den entsprechenden
Varietäten der artificiellen Contracturen bei der Hypnotisation (vgl. dieses Centralbl.
1882. S. 133) unterscheiden, haben sie bei der lethargischen Form, bei welcher eine
Neigung der Muskeln besteht, unter dem Einfluss der verschiedensten Reize in einen
Contracturzustand zu verfallen, durch plötzliche Aufrichtung der Zehen unmittelbar
Contractor entstehen sehen, welche den Fuss in dieser Stellung erhält. Ebenso ver-
anlasst plötzliche Beugung des Handgelenks eine Contractür, welche das Gelenk in
Beugeetellung fixirt. Diese Spasmen können mehrere Stunden andauern.
Der Mechanismus dieser Contracturen hat nach den Yerffassem nichts Paradoxes
und ist nicht aus der plötzlichen Erschlaffung eines Muskels, sondern vielmehr aus
der plötzlichen Spannung der antagonistischen Muskelgruppe verständlich. Zunächst
würde die Hattimg des Fasses nicht bestimmt durch die Action einer einzigen Muskel-
gmppe, sondern sie sei das Resultat zweier antagonistischen Muskelkräfte, da die
Contractor nicht nur den Tibialis anticus betraf, sondern auch den (^astrocnemius
und Solans. Es sei nämlich ebenso nnmöglich, während der Contractür den Fuss
noch weiter zn dorsalflectiren, als ihn zu plantarflectiiBn.
Während durch Eneten eines Muskels für gewöhnlich Contractür im Sinne des
gekneteten Muskels entsteht, könne unter differenten Yersuchsbedingungen ein ent-
gegengesetzter Erfolg eintreten: Wenn, während die Wadenmuskeln geknetet werden,
der Foss so gehalten wird, dass die Entstehung ihrer Contractür verhindert wird,
— 38 —
so sieht man entstehen und anwachsen eine Dorsalflexionsstellung, die um so aus-
geprägter war, je mehr die Reizung der Wadenmuskeln verlängert wurde.
Ebenso wird, wenn, während die Extensoren am Vorderarm geknetet wwdon,
die Hand halb gebeugt gehalten wird, die BeugesteUung immer stärker, obgleich
die Beizung auf die Extensoren beschränkt wird.
Verallgemeinert wirke ein auf eine Muskelgruppe applicirter Reiz auch auf die
Antagonisten, deren Action prädominiren muss, wenn der Bewegung im Sinne der
gereizten Muskeln ein Hindemiss entgegensteht, was bei der reftectonschen Genese
der Contractur aus der synergischen spinalen Innervation antagonistischer Muskei-
gruppen verständlich sei. Nach Marey'scher Methode aufgezeichnete Curven »tnd,
mit Ausnahme des Beguins, wo bei durch Beugung eines Gelenkes hervorgebrachter
Contractur sie Steuer sind, sehr ähnlich, gleich ob plötzüche Beugung oder Kneten
das excitirende Agens sind. , ,t x • i. a-
Die Verff. bestätigen also für die contracturale Diathese der Hysterischen die
Auffassung Erlenmeyer's (s. dessen Ctrlbl. 1880. Nr. 17), dass die paradoxe Mußkel-
contraction von der Dehnung der Antagonisten bedingt wird. E. Bemak.
9) Ueber einen FaU von sohwexer Hysterie, von Dr. H. Engesser, Preiburg.
(BerL klin. Wochenschr. 1886. 13. u. 14.)
Der ausführlich beschriebene Fall ist besonders interessant durch das Verhalten
der ürinsecretion und das Auftreten verschiedenartiger Anfälle, auf Grund welcher
Verf. die Krankheit als Hystero- Epilepsie mit getrennten, nur manchmal auch
combinirten Anf&Uen bezfichnet. Die Anfälle hatten a. Th. einen convulsiven
Charakter, klinische, später tenische Krämpfe mit intectem oder nur ««" J^J^*^*""
gehend geschwundenem Bewusstsein und vollständiger etwa 12 Stunden anhaltender
Amaurose; aber es hostend nach initialen Krämpfen tagelang Bewussüosigkeit mit
reactionslosen, ad maximum erweiterten Pupillen, und ünempfindlichkeit gegen die
stärksten faradischen Ströme. Z. a. Th. waren die Anfälle von nicht -convul-
siver Form: vorübergehende Gereiztheit, Amaurose und Aphasie mit Lähmung der
Extremitäten, auch sonnambulische Zustände.
Was die Anomalien der ürinsecretion resp. Urinausleerung betrifft, so bestanden
sie in Oligurie und Ischurie. Fat. hatte sich schon vor ihrer Aufnahme ein halbes
Jahr lang selbst katheterisiren müssen; auch in dem Krankenhause trat innerhalb
2 — 3 Monaten nur ganz selten spontane Entleerung ein. — Und femer sistirte zeit-
weise die ürinsecretion fast vollständig, sodass z. B. 2 Tage lang gar kein Urin, oder
ein anderes Mal in 3 Tagen nur 200 Grm. durch den Katheter entleert werden
konnten; dann wieder betrug die Menge eines Tages 300 Grm., im Durchschnitt
750—1000 Grm.
Heilung der Urinretention und allgemeine Besserung trat nach allgemeiner Fara-
disation mit schwachen Strömen ein, wobei die Füsse und der eine Pol in ein Fqss-
bad teuchten, und ein mit dem anderen Pole verbundener grosser Schwamm auf dem
ganzen Körper herumgeführt wurde. Hadlich.
10) das d'hyetärie dans lequel les attaques sont marquies par une mani-
feetation rare; ätemuments, par Souza Leite. (Arch. de Nenrolog. 1885.
Vol. IX. No. 26.)
Der Fall betrifft eine 16jährige erblich belastete Hysterica, welche ein halbes
Jahr vor der Aufnahme in's Hospital zuenst einen plötzlichen AnfaJl von krampfhaftem
Husten und Niessen hatte. 8 Tage später ein neuer Anfall, und von da ab weitere
Atteken. Der Anfall, wie ihn der Yerf. ausführlich beschreibt, beginnt mit einer
Aura; es folgt dann ein fortwährendes Husten und Niessen, dabei auch krampfhafte
Bewegrungen der Glieder, tenische und auch klonische; es kommen verschiedene der
— 39 —
bekannten »Phasen des grossen Anfalls' zur Erscheinung, jedoch in unregelmässiger
and inoonstanter Weise. Trois des Hustens und Niessens wird kein Sputum oder
nemienswerthes Kasensecret producirt. L. meinte es könnten verschiedene kleine Gon-
Tulsionen der Exspirationsmuskeln den Husten* und Niessparoxysmus bedingen.
Siemens.
11) Oaaes of ophihalmopleglR, oomplioated with varioua other affeotioiui
of the nervouB System, by John S. Bristowe. (Brain. 1885. October
p. 313—344.)
Von 5 mitgetheilten F&llen von Ophthalmoplegie mit verschiedenen nervösen
Compllcationen ist der erste mit Obductionsbefund am interessantesten. Ein 20jähr.
Mädchen hatte zuerst Basedow/sche Krankheit mit gelegentlich hohen Temperaturen
ohne entzündliche Ursache, 3 Jahre sp&ter nur wenige Wochen dauerndes Doppel-
sehen, wonach Unfähigkeit die Augen zu bewegen eintrat. W&hrend des Kranken-
bausanfenthaltes seit dem Alter von 25 Jahren wurden die Symptome der Basedow'-
schen S[rankheit, Fiebertemperaturen, gastrische Krisen mit Erbrechen und Durchfall,
Blutspncken, Ulceration der Corneae, doppelseitige Ptosis, nicht ganz vollständige
Lähmung sämmtlicher Augenmuskeln (ohne Defect der Accommodation und Pupillar*
T^iction bei normalem ophthalmoskopischen Befunde) später complete rechtsseitige
Hemianästhesie mit Farbenblindheit und Gesichtsfeldeinschränkung des rechten Auges,
Verlust des Geruchs und (Geschmacks rechts, weiter rechtsseitige Olitis externa mit
Taubheit» Blutungen aus dem rechten Ohr und Nasenloch (später auch links), hart-
näckiges Erbrechen und Hinterkopfschmerz, endlich mehrere epileptische Anfälle be-
obachtet, nach derem zweitem eine permanente rechtsseitige Hemiplegie mit Gontractnren
und „paradoxem Phänomen'' am Fusse (ohne Betheiligung des Facialis und der Zunge)
zurückblieb.
Nach dem im Alter von 27 Jahren unter bronchitischen Erscheinungen erfolgten
Tode ergab die genaue Untersuchung des Gehirns, der Abducentes etc. nach der Er-
härtung nicht den geringsten pathologischen Befund. Die Augenmuskeln waren etwas
Mass und das rechte Trommelfell perforirt, doch bestand keine Yeränderung des
äusseren oder Mittelohrs, so dass selbst die Blutungen unerklärt blieben.
In einem zweiten Falle waren bei einem 15jähr. Mädchen unter Kopfschmerzen
erst Parese der Abducentes, und Schwäche und Taubheit des rechten Armes, dann
vollständiger Verlust der Beweglichkeit sämmtlicher äusseren Augenmuskeln mit
Strabismus nach innen und unten, unsicherer Gang, theilweise Anästhesie der rechten
Körperhälfte, Abweichung der vorgestreckten Zunge nach rechts, dann linksseitige
Chorea, dann epileptische Anfälle mit hohen Temperaturen, nach einem solchen rechts-
seitige Armlähmung mit Gontracturen aufgetreten.
Bei der Analogie mit dem ersten FaU glaubt Verf., dass es sich auch hier um
fnnctionelle Störungen handelt, fOr welche er bei dem stetig progressiven Ver-
lauf und der epileptischen Anfälle die Bezeichnung Hysterie ablehnt
In einem dritten Falle bei einem 46jähr. Manne mit zweifelhaften syphilitischen
Antecedentien unter Hinterkopfschmerz erst Ptosis duplex, dann allmählich fast voll-
ständige Lähmung der Augennerven beiderseits mit Mydriasis und Reactionslosigkeit
der Pupillen, Sensibilitätsstörungen im Bereiche beider Trigemini, epileptische An-
fälle, Anfälle von Dyspnoö bei von F. Semon constatirter doppelseitiger Abductoren-
lahmnng. Hier erscheint eine organische Erkrankung am Boden des vierten
Ventrikels wahrscheinlicher.
Kurz wird noch über einen Fall von Ophthalmoplegie bei einem 53jähr. Manne
mit Mnskelatrophie der Schultern und Oberarme und des rechten Masseter, und
über eine fast vollständige Ophthalmoplegie mit Accommodationslähmung bei einer
vorgeschrittenen Tabes berührt. E. Bemak.
— 40
Psychiatrie.
12) Ueber cttieote Verartrang to& (aeirteakimakhaitett, von Sioli, Btinzhui.
(Arch. f. Fayeh. 1886. X¥L H. 1. 2. o. 3.)
Die mii Oenan^eit und groBBem fleifls angesfedlteii Unteisiiekimgeii des Verf.
l>ezireckeii, die Gesetze za finden, nach denen äch die Geistesknuikheiten direct ver-
erben. Die erbliche Disposition zn Geistes- und n Nenrenknuikeiten wird vielfach
als dieselbe anfgefasst and hat in weiterem Sinne (eben als Fuailieadisposition) auch
Berechtigong. Das Wesen der direeten Yerarbnng anf die Deeoendenz hat schon
Morel unter Gesetze zu bringen versnchi Aber aach er beschfiokt sich nicht anf
die Pfljchosen im engeren Sinne, während die identiscke Uebertragong schon von
Esqairol gekannt ist Betreff der Frage nach der gleichzeitigen geistigen Degene-
ration ist es wichtig, zu wissen, ob und welche Unterschiede in der Wirkung der
Vererbung auf die Descendenz unter den einzelnen Formen der Psychosen exisüren.-
Hier reicht die einfiush statistische Methode nicht aus, hier muss ezacte klinische
Foischnng, eine kritische Sichtung einzelner wohl beobachteter Fälle Platz greifen.
Durch mehrere Generationen hindurch mtlssen diese Familien bekannt sein. Verf. be-
müht sich, dann auch noch die Frage nach dem Kinfluss der Geisteskrankheit der
Ascendenten auf die ganzen Gtesundheitsyerhältnisse der Descendenz zu beantworten.
S. theilt nun sein Material in 2 Hauptabtheilungen, in A werden die Familien be-
schriebm, in denen die Descendenz allein öder doch hauptsächlich in Folge der Ver-
erbung erkrankt, während in B die Familien folgen, in denen die Erkrankung der Descen-
denz wesentlich durch andere veranlassende Momente neben der Vererbung erfolgte.
In der ersten Gruppe des ersten Theils beschreibt S. drei Familien, in welcheo
äch primäre und uncomplicirte Psychose-Formen direct und rein vererbten, und zwar
ergiebt sich, dass sich Melancholie, Manie und Cyklothymie in reiner Form
bei der Vererbung gegenseitig ersetzen können, dass anscheinend regellos eine
mit der anderen abwechselt Das Auftreten von anderen Psychoseformen scheint bei ihnen
ausgeschlossen, ebenso schwerere Degenerationserscheinungen; ätiologisch gemeinsam
war bei den Familien der Umstand, dass sich der Ausbruch der Psychose gern an
gewisse physiologische Entwickelungzustände, Pubertät^ Menstruation, Gravidität und
Puerperium anknftpfte.
Die zweite Gruppe zeigt verwandte, aber complicirt auffcretoide Psychoseformen;
hier ist die Tendenz der gleichartigen Vererbung gleichfalls noch eine grosse, doch
treten verschiedene Mischformen und bei allen Degenerationserscheinungen auf.
Die Gruppe HI behandelt 2 Familien mit periodischen Psychosen. Bei beiden
wurde die in der Ascendenz z. Th. nur angedeutete Periodicität in der Descendenr
ausgeprägter, die geistige Abschwächung nimmt nur langsam zu und angeborene Dege-
nerationszeichen fehlen. Die Form der vererbten Psychose varürte etwas.
Die vierte Gruppe, die der Verrückten, zeigt wohloharakterisirte, meist reine
Formen und die wichtige Thatsache, dass die vererbten Krankheiten mit denen der
Ascendenten identisch sind. Die Uebereinstimmung erstreckt sich bis auf gewisse Einzel-
symptome. Während in einigen der Famüien die Symptome der fortschreitenden Dege-
neration fehlen, sind sie in den anderen in deutlicher Weise vorhanden. Auch zeigt
sich, dass die Degenerirten, besonders die in der Zeit der Pubertätsentwickelung Er-
krankten, zu Mischformen neigen. Angefügt wird noch eine Familie, in welcher
Combination der Psychose mit constitutioneUer Krankheit besteht, welche letztere die
Degenwationssymptome entsprechend verstärkt
Die Untersuchung der Frage, ob der erblich belastete Descendent vor oder nach
der Erkrankung des Descendenten geboren ist, ergiebt das Besultat, dass von den
Deecendenten mit directer Heredität nur 4 nach dem Ausbruch der Psychose des
Ascendenten, von den 11 Uebrigen 3 innerhalb des letzten Jahres vor der Erkrankung
und die Anderen 8 mehrere, z. Th. viele Jahre vorher geboren sind. Das beweist,
dass die krankhafte Anlage beim Ascendenten schon lange vorher besteht Insbeson-
— 41 -
dere bei den schon in der Entwickelangsperiode erkrankten Ascendenten ist die erb-
liche Anlage wohl nnzweifeUialt vorhanden gewesen. Vererbung ohne specielle Anlage
kommt, wenn anch selten, vor. St&rkere Disposition nnd von Jagend anf bestehende
Degenerationasymptome sowie fortsohrutende Degeneration finden sich bei Yererbnng
Tonngsweise da, wo der Ascendent an einer Psychose von atypischem, complicirten
Chsrakter oder von der Form der Yerracktheit litt Wichtig ist, dass Yerrflcktheit
des Ascendenten nnd reine Manie oder Melancholie der Descendens und umgekehrt
neh ansschliessen. Dies ist fttr die Lehre von der Einheit und Selbständigkeit ge-
wisser klinisclier Formen von Interesse.
In der zweiten, nicht immer von der ersten scharf zu trennenden Hanptgmppe B
sind Familien beschrieben, bei welcher ausser der Yererbnng noch andere z. Th. mäch-
tigere Ursachen die Erkrankung der Descendenz bewirkten. Diese anderen Ursachen
schwächen im Allgemeinen die Besistenzf&higkeit der Descendenz, begünstigen die
geistige Erkrankung derselben, auch beeinflussen sie die Form meist in erschwerendem
Smne, obgläeh die Tendenz der Yererbnng zur gleichartigen Fortpflanzung auch hier
deutlich ist Das Sterilwerden und Aussterben der Familien wurde nicht beobachtet^
im Qegentheil waren z. Th. viele Kinder vorhanden. Siemens.
13) Stade oUnkine mr loa alUnte hMäitairee, par Dr. Theodore Taty.
Paris 1886. BaiUike et Als. 114 Seiten.
Die sehr fleissige und lesenswerthe Arbeit ist aus einer Preisschrift hervor-
gegangen ftber das von der SociM m^co-psychologiqne gestellte Thema: ob es
Zeichen gäbe, die gestatteten zu behaupten, dass eine Geisteskrankheit erblicher
Katur sei, trotz mangelnder Eenntniss Aber die Antecedentien (1882).
Die Yerfiuner (Taty und Brun) waren zu folgenden Resultaten gekommen:
1) Es giebt Zeichen, welche, wenn sie in einer gewissen Zahl vorhanden und
sich mit genfigender Intensität manifestiren, trotz mangelnder Anamnese über die
Vorfahren mit einer fast vollständigen Sicherheit gestatten zu behaupten, dass eine
Psychose hereditärer Natur ist.
Diese Zeichen sind auf dem (Gebiete der Intelligenz, der Moral nnd der phy-
sischen Beschaffenheit zu finden.
3) Die intelleetuellen und moralischen Eigenschaften haben einen grösseren
Werth, als die physischen und können, auch ohne die letzteren, zur Diagnose
genügen.
4) Die Hauptcharaktere der hereditären Psychose sind:
a) ein bestimmter Zustand geistiger Hyperactivität, mit dem sich ofb moralische
Defeete verbinden.
b) Eine gewisse Resistenz gegen Dementia, welche immor später eintritt.
c) Die Tendenz zu Paroxysmen, Rückfällen und Remissionen.
5) Der Beginn in der ersten Jugend und besonders in der Pubertät.
6) Physische Missbildungen genügen für sich allein nicht, um die Heredität zu
beweisen. In einer gewissen Zahl vereinigt, können sie ein Zeichen abgeben.
7) Bei vielen Geisteekranken sind die besprochenen Zeichen nur wenig ausge-
sprochen; man kann die Heredität nur vermuthen.
8) Bei manchen Hereditarien fehlen alle jene Zeichen, man kann die Heredität
nnr aus der Kenntniss der Antecedentien schliessen.
Dieee Sätze, die das Resultat von 75 genanor beobachteten Fällen (Paralytiker
ond Idioten sind ausgeschlossen), werden nun in weiteren Darlegungen ausgeführt und
zun Theil durch entsprechende Krankengeschichten (im Ganzen 34) belegt» nachdem
bereits in dem ersten Capitel eine allerdings vorzugsweise nur die fhmzösische Literatur
berücksichtigende historische Uebersicht über die Hereditätsfrage gegeben worden.
Das zweite Capitel bespricht den dassischen Typus der hereditären Geisteskranken:
Halb-Sdiwachsinnige, raisonnirende, erregte/ chronisch maniacalische Kranke.
— 42 —
Hervorgehoben wird die Abwesenheit bestimmter Wahnvorstellungen bei geistiger
Schwftche, moralischen StGmngen und dauernder Erregung in der einen Seihe von
Fällen, in der zweiten Beihe die Bizarrerien, die plötzlichen Paroxysmen, der Wechsel
von Depression und Exaltation gleichzeitig mit Streitsucht, Bosheit etc.
Das dritte Capitel bespricht den Werth der physischen Zeichen, die bei der
Idiotie zwar regelmässig gefunden, bei den Hereditarien, von denen hier die Bede
ist, aber nichts Constantes zeigen. Nur der besondere Geaichtsausdruck, der ,4eichter
zu erlcennen, als zu beschreiben ist", hat etwas Typisches: bizarr, eckig mit etwas
Ironischem und Mokantem, flberflflssige Oesten, theatralische Allüren etc.
Die Schädelmessungen ergaben :
Unter-Dolichocephalie . 0 Männer 3 Frauen
Mesocephalie .... 3 „ 2 „
Ünter-Brachycephalie . . 5 „ 12 „
BrachycephfiJie ... 12 „ 32 „
In dem letzten Capitel endlich wird der Satz, der oben unter 4, b aufgefahrt
ist, weiter erörtert und mit Beispielen belegt Den Schluss bilden dann aber 2 F&Ue,
in denen die hereditäre Psychose zu absoluter Dementia führte. M.
14) Zur Frage über den Blnfluse der erblichen Belaefeimg anf Bntwicke-
Iting Verlauf und Prognose der Gefsteaetdrungen, von Kalischer.
Inauguraldissertation. Berlin 1885. 90 Seiten.
Eine sehr fleissige und umfangreiche Darstellung der Literatur über den be-
zeichneten Gegenstand, wie sie in Dissertationen nicht oft getroffen wird, mit Hinzu-
fügung eines charakteristischen Falles ans der Menderschen Anstalt. M.
Therapie.
15) Filooarpine in acute Alooolism, by Dr. Josham. (Medcial Times. 1885.
Nr. 42.)
J. berichtet in den Philadelphia Medical News (19 September) von der günstigen
Wirkung des Pilocarpins in Dosen von 2 Gentigramm auf die Potatoren in körper-
licher wie psychischer Beziehung. Er schildert die Thätigkeit des Mittels nach drei
Richtungen hin: 1) erniedrigt es den Blutdruck im Qehim, 2) eliminirt es den Al-
kohol, 3) befördert es die SanerstofiEEiufhahme des Körpers. Buhemann.
in. Aus den Oesellschaften.
Oesterreiohisoh-nngarifloher Fsyohiatertag.
In den Tagen des 26. und 27. Dec. v. J. tagte in Wien eine Versammlung
österreichischer und ungarischer Irrenärzte behufs Beschlussfassung über eine Anzahl
von Thesen zu der vom Antwerpener Congresse für Phreniatrie beschlossenen An-
bahnung einer internationalen Irrenstatistik.
Zu Vorsitzenden waren gewählt die Heiren Benedikt, Juama- Stern egg
(Statistiker) und Laufenauer.
Gauster: «,Ueber Erhebung der Geisteekranken aueser Anstalten",
empfiehlt folgende Sätze zur Annahme:
1) Eme Erhebung der ausser den Irrenanstalten befindlichen Kranken ist
nothwendig.
2) Dieselbe soUte bei der Volkszählung, dann jährlich durch die Gfemeinden,
und die Ausweise der Versorgungshäuser und anderer Asyle, sowie der Gefängnisse
durchgeführt werden.
3) Bei der Erhebung ist blos der Nachweis des Geschlechtes, Alters und des
UmStandes, ob die (Geistesstörung angeboren oder später erworben ist, zu liefern.
48 —
4) Im Interesse der ständigen Klarstellong der ausser Anstalten vorhandenen
Irren wäre die Einffihrong von Omnd* oder Standesbflchem anzuempfehlen, die in
jeder Gemeinde die dort domizilirenden (Geisteskranken zn veneichnen hätten.
Eine wesentliche Debatte knüpfte sich nnn an den Pnnkt, ob bei der allgemeinen
Yolkszählnng die Fragestellnng »^geborene oder erworbene Geistesstömng" zn lanten
habe. Der Antrag Pick's anf Beibehaltung der bei den früheren Yolkszfthlnngen
erhobenen Kategorien „geisteskrank oder blödsinnig^' wurde verworfen, der von Inama-
Sternegg, einfach nach Ctoistesstömng zu fragen, angenommen.
Meynert: «^BfnOieiliiiig der Oeisteskrankheiteii für die Anstaltsstatiadk**,
schlägt folgende Rubriken für das Zahlblättchen vor:
Idiotie.
Einfache Geistesstörung:
acute: Melancholie,
Manie,
Wahnsinn,
primärer Blödsinn;
chronische: primäre Verrücktheit,
intennittirende Gteistesstörung,
secundäre Qeistesstörung.
Complicirte Geistesstörung:
paralytische,
epileptiBChe< und hystero-epileptische mit Herderkrankungen.
Toxische Geistesstörung:
Delirium alcoholicum,
Anhang.
In Beobachtung stehende Individuen,
Selbstmord, Delicto.
Im Uebrigen beantragt M. en bloc- Annahme des deutschen Zahlblättchens.
Ein Antrag Pick's, die ünterabtheilungen der einfachen Seelenstörung für die
officielle Statistik fallen zu lassen, der sich vor Allem auf die Verhandlungen der
deutschen Irrenärzte stützte, wurde verworfen, die Anträge Meynert*s angenommen,
jedoch von einer Discussion der vorgeschlagenen Formen der einfachen Seelenstörung
Abstand genommen«
Am 2. Yerhandlungstage wurde auf Grund eines ausführlichen fieferates von
Benedikt der Antrag angenommen, durch das Bureau bei den betderseitigen Re-
gierungen um die Einberufung einer Enquöte zu petitioniren, welche eine Irrenstatistik
in den Gefängnissen anzubahnen hätte; schliesslich ein Antrag von Benedikt-
Meynert, auf Veranstaltung einer bezirksweise vorzunehmenden Zählung der Epi-
leptiker.
Unterzeichneter kann nicht umhin, darauf hinzuweisen, dass die wenig belang-
reiche Discussion zumeist darin ihren Grund hatte, dass die von einem Wiener
Comii^ vorbereiteten und von den dortigen Gollegen durchberathenen Thesen den
zahlreichen fremden Fachgenossen erst zu Beginn der Sitzung eingehändigt wurden.
A. Pick.
Soci6t6 m^dic. des höpitaux, Paris. Sitzung vom 24. Juli 1885.
TJeber hysteriiohe Tifthmnng beim Manne nach einem Trauma spricht
Troisier. Er hatte am 27. März v. J. einen Mann vorgestellt, der 6 Tage nach
einem Fall auf die Schulter eine rechtsseitige Armlähmung bekommen hatte. Das
Ausbleiben der Atrophie der gelähmten Muskeln sowie jedes Zeichens einer Degene-
ration derselben; das gleichzeitige Bestehen von Anästhesie auch derjenigen Theile
des Armes, deren Haut von Aesten des Plexus cervicalis versorgt wird; dazu der
Umstand, dass die Bewegungen der Finger intact geblieben waren, liess T. allein die
— 44 —
Annahme einer hysterischen Lähmung übrig, da auch eine centrale Erkrankung aus-
geschlossen werden musste. — Seitdem hat Fat einige active Beweglichkeit der Hand
und des Vorderarms wiedererlangt» die Sehnenphäaomene sind erhalten, es ist keinM'lei
trophisohe Sttoing eingetreten. Herr Oharcot hat den Fat auf seiner Abtheilang
beobachtet und eine complete rechtsseitige Hemianftsthesie oonstatirt, welche sich auf
die Haut and Schleimh&ute erstreckt; auch besteht rechts eine erheUiche Schwer-
hörigkeit, die Zange rechts ist unempfindlich sowohl ffir Berühnmgs- wie für Ge-
schmackseindracke, der Geruch fehlt gleichfalls; ausser einer Einengung des Gesichts-
feldes ist monocul&re Folyopie und Micropsie constatiri — Endlich ist rechts der
Muskelsinn völlig verloren gegangen. Contracturen nirgends. Es ist ausserdem er-
mittelt, dass die Mutter und eine Schwester des Fat. hysterisch sind. — Dr. F er ran
hat kürzlich einen ähnlichen Fall eines jungen Soldaten veröfErotlickt (Arml&hmang
15 Tage nach einem Fäll auf die Schulter) und zwar auch unter der Bezeichnung:
hysterische Lähmung.
In der Discussion nimmt Bendu seine am 27. März erhobenen Bedenken jetzt
zurück.
Joffroy schUesst sich ganz an T. an und theilt einen ganz analogen Fall aus
Charcot*s Klinik mit Hier hatte allerdings der Kranke, der am 24. Mai 1884
auf die Schulter gefallen war, dabei das Bewusstsein verloren und sofort nach dem
Erwachen die Lähmung des rechten Armes bemerkt und eine linksseitige Hemianäs-
thesie war auch sogleich constatirt worden. Seit März 1885 auf Charcot*s Klinik
bot der Kranke alle Symptome der Hysterie, hatte grosse Anfalle auf Druck hyste-
rogener Funkte, deren er mehrere darbot u. s. w. Die Diagnose konnte gar nicht
zweifelhaft sein. — Handelt es sich um rein traumatische Lähmungen der Flexus
brachialis, so kann die Anästhesie sich nicht auf Theile erstrecken, die vom Flexus
cervicalis innervirt werden; hat aber das Trauma den Flexus cervioalis (resp. dann
auch den Sympathicus) in Mitleidenschaft gezogen, so dürfte Myosis und Verengerung
der Lidspalte nicht fehlen. Immer aber mussten die gelähmten Muskeln verringerte
elektrische Empfindlichkeit und atrophische Erscheinungen darbieten, was bei hyste-
rischen Lähmungen eben fehlt.
M. Debove hofft nach den Mittheilungen der Vorredner auf künftige genauere
Beobachtung und Diagnose ähnlicher Fälle. Er erzählt von einem Maime, der sich
einen Schlag mit dem Hammer gegen die Oberlippe beigebracht hatte und danach
plötzlich aphonisch geworden war. Auch diese Aphonie glaubt D. auf eine hysterische
Lähmung beziehen zu sollen. Ha dl ich.
Verein für innere Medicin zu Berlin. Sitzung vom 7. December 1885.
Bothmann berichtet über einen Fall von Diphtherie bei einem 7jähr. Knaben,
in dem in der 7. Woche nach dem Beginn einer Diphtheria faucium mit nachfolgender
Gaumensegellähmung und Accommodationspareee im Gesichtssinn Lähmung der Be-
spirationsmuskeln auftrat, die die höchste Lebensgefahr brachte. Nach subcutaner
Anwendung von Strychnin (0,001 pro dosi) und Faradisirung der Phrenici und der
Bauchmuskeln besserte sich der Zustand, so dass nach etwa 10 Tagen der Kranke
ausser Gefahr war.
In der Discussion machte F. Guttmann auf seinen im 59. Bd. des Virchow'-
schen Archivs beschriebenen ähnlichen Fall aufmerksam, der tödtlich verlief; Leyden
auf die Herzaffectionen bei Diphtherie, die ähnliche Erscheinungen hervorrufen können.
Der Letztre kann ein zu grosses Vertrauen in die Strychninbehandlung nicht setzen.
M.
Acad^mie des sciences de Faris. Sitzung vom 12. Oktober 1885,
F, Laulanie lässt durch H. Bouley eine Arbeit verlesen „über die feinsten
Vorgänge der Muskelcontraction an Frimitivbündeln gestreifter Muskelfasern". Er
untersuchte — mittelst des Myoscop's — besonders die Froachzunge und oonstatirte
- 45 -
gua bestimmt^ daas hier bei der Gontraction keinerlei Veränderang, weder in Bezng
anf die Streiftmg, noeh in Bezng anf die Anordnung der Theile des contractilen Seg-
mentes (der hellen Streifen nnd der dicken Scheiben) eintritt. Es erscheint bei der
normalen Contraction der Mnskelprimitivbündel der Froschznnge (seil. derWirbelthiere)
kerne Lftngastreifdng, w&hrend sie bei den Mnskeln der Wirbellosen (Larven von Go-
rethra plnmicomis), wo die Fibrillen überhaupt so leicht zu isoliren sind, zn Stande
koDuni — EHe bedien Streifen nnd dicken Scheiben platten sich ab nnd dehnen sich
aos, ohne ihr Yolum zn ändern, sie contrahiren sich beide gleichmfissig, die Quer-
streifong wird also eine äusserst feine.
Weiteres konnte L. auch nicht ermittehn und verweist zur Deutung der bis jetzt
noch unerklärten Heterogeneit&t der Mnskelfibrille auf Banvier's Hypothese, nach
welcher die Theilung der Fibrille in so viele wechselnde Fragmente eine grosse Ober*
dächmvermehrnng herstellen soll zur Erleichterung des Ausgleichs der chemischen
Procaese, welche die Gontraction begleiten. Hadlich.
Societö de Biologie. Paris. Sitzung vom 17. Oktober 1885.
Gilles de la Tourette und Londe haben auf der Gharcot'schen Klinik
Stadien über den Qttaig von Kranken, die mit Nervenleiden behaftet sind, angestellt,
ond zwar vermittelst Abdrücke. Sie nnterscheiden die beiderseitigen und einseitigen
Mecüonen und stellen für beide Klassen mehrere typische Formen des Gkmges anf.
Was besonders betont wird, ist der Umstand, daas der pathologische Gking in
seiner Art viel regelmässiger ist, als der des Gesunden, und zwar nach Länge des
Schrittes, seitlicher Abweichung und Winkelstellung des Fusses: denn es bestimmt
eben die von der Willkür des Individuums unabhängige Krankheit den Gang.
Society m^dicale des hOpitaux, Paris. Sitzung vom 13. November 1885.
Jeffrey weist bei Gelegenheit der Demonstration eines tabischen Fnssgelenk-
leidens durch Ghauffard auf das schon von Trousseau und Leyden erwähnte
Vorkommen von Klnmpfüssen bei Tabischen hin. Es kommt pee varus und pes varo-
eqninus vor. Im Gegensatz zu den durch Gontractnren bedingten Formen handelt es
sich bei der Tabes um Lähmungsformen resp. durch Muskektrophie bedingte; Druck
und Schwere wirken unbeeinflusst durch Mnskelzug auf den Fuss ein und erzengen
die Missform. Hadlich.
Society d*anthropologie de Paris. Sitzung vom 4. November 1885.
P. Bonnard schlägt vor, um die Frage nach der Verschiebung des Gehirns
imierhalb der Schädelkapsel bei Bewegungen endgültig zu entscheiden, Leichen in
veischiedenen Stellungen gefrieren zu lassen und dann zu untersuchen.
Labor de bemerkte dagegen, dass dabei doch die Verhältnisse beim Lebenden
nicht mit Sicherheit erkannt werden könnten.
Manonvrier hebt hervor, dass die Abdrücke der Gehirnwindungen auf der
Schädelinnenfläehe ein ganz unerschütterlicher Beweis nicht nur dafür seien, dass das
Gehirn der Schädelfläche anliegt» sondern auch, dass es ihr unbeweglich, unverändert
anliegt
Sociit^ de Chirurgie de Paris. Sitzung vom 18. November 1886.
Le Dentu theilte folgenden Fall mit Ein Mann hatte eine Bevolverschnss-
Verletzung erhalten, wobei die Kugel etwas links von der Mitte der Stirn eingedrungen
war. Es trat Lähmung des rechten Armes, Aphasie und häufiges Erbrechen auf.
Nach anfänglicher Besserung traten Störungen der Sensibilität, Motilität nnd Intelli-
genz ein, Coma und Tod. Le Dentu hatte eine Verletzung der dritten (unteren)
linken Stimwindimg, des motorischen Gentmms fAr die obere Extremität und des
diagnosticirt» und die Sectien bestätigte die Diagnose. Hadlich.
46
IV. Bibliographie.
Die Elektrioitftt in der Medioin. Stadien von Dr. Hugo y. Ziemssen. 4. Aafl.,
zweite Hälfte (diagnostisch-tlierapeutischer Theil). Berlin 1885. Verlag Ton
August Hirsch wald. (190 Seiten.)
Nur ungefähr halb so lange wie Mommsen auf die Fortsetsang seiner römischen
Greschichte, nämlich nur ca. 14 Jahre hat uns der verehrte Autor der ,,Elektricität
in der Medicin" auf die Fortsetzung und Vollendung seines allbekannten, allbenutzten
Werkes zu warten genOthigt. Den meisten Angehörigen unserer schnelÜebigen Gene-
ration wird dieses Zeitintervall wahrscheinlich als so beträchttlch erschienen sein, dass
sie längst darauf verzichtet haben, die versprochene zweite Hälfte, den „diagnostisch-
therapeutischen Theil'' der v. Ziemssen*schen Studien vor sich zu erblicken.
Sie mögen diesen Posten gleich so manchem anderen längst als uneinziehbar im Verlast-
conto gebucht, und verschmerzt haben. Um so freudiger in diesem Falle jetzt ihre
Ueberraschung, da der Autor von dem zur Verfügung stehenden Einwände der Ver-
jährung keinen Gebrauch gemacht, vielmehr die einst gegebene Zusage ganz und voll
eingelöst hat
Natürlich ist die lange Zwischenzeit an dem Verfasser so wenig wie an seinem
Stoffe spurlos vorübergegangen. Es kann nicht befremden, wenn der Verf. Manches
jetzt in veränderter Beleuchtung, unter anderem Gesichtswinkel zu erblicken, wenn
er hier und da mit seiner fiHheren Darstellung nicht mehr in voller Uebereinstimmung
zu stehen scheint; wenn. Alles in Allem, diese „zweite Hälfte" weniger eine an-
mittelbare Fortsetzung und Ergänzung der ersten, als vielmehr eine selbstständige
Schöpfung, eine neue Elektrodiagnostik und Elektrotherapie ist. —
Das Buch beginnt mit einem kurzen Abschnitt über allgemeine Methodik,
worin die Schaffung der elektrischen Einheit und des absoluten Galvano-
meters als die Hauptgrundlagen unserer heutigen Elektrodiagnostik betont werden.
Wie es scheint, hält v. Z. seine frühere Empfehlung des Edelmann*schen Einheits-
galvanometers für den ärztlichen (Gebrauch aufgeht — hat aber noch nicht Gelegen-
heit gehabt, das Hirschmann*sche sowie das Böttcher-Stöhrer'sche absolute
Galvanometer zu erproben. Er hält es übrigens auch „für gerathener, dem Physiker
in dieser Frage das entscheidende Wort zu überlassen''.
Ein grösserer Abschnitt (S. 9 — 46) enthält die „Methoden und Ergebnisse
der Elektrodiagnostik des motorischen Nerven und des Muskels". Aus
den methodologischen Vorbemerkungen verdient die empfohlene Art und Weise der
Protokollirung der elektro-diagnostischen Befunde (zu welchem Zwecke
gedruckte Formulare, oder graphische Auftragung der Befunde auf Gitterformularen
in Diagrammform benutzt werden) allgemeinste Beachtung und Durchfahruii^.
Als pathologische Befunde werden zuerst die Erhöhung, alsdann die
Herabsetzung der elektrischen Erregbarkeit, endlich die Entartungs-
reaction eingehend besprochen. Der der letzteren gewidmete Abschnitt ist natürlich
der breiteste und ausführlichste, enthält aber der Sachlage gemäss nicht wesentlich
Neues. Hervorzuheben sind die historischen Ezcurse, welche sich auf die Prioritäts-
ansprüche von Erb einerseits, v. Ziemssen und Weiss andererseits beziehen. Bei
dieser (Gelegenheit bemerkt der Verf., „dass sich in die historische Entwickelung
dieser Frage manche Irrthümer zu Ungunsten seiner Prioritätsansprüche eingeschlichen
haben". Nach der gegebenen Darstellung hätten v. Z. und Weiss die klinjjschen
Thatsachen der Entartungsreaction gleichzeitig mit Erb und unabhängig von demselben
entwickelt, so wie auch die partielle EaB, experimentell und beim Menschen, zuerst
beobachtet. In einer soeben erschienenen Replik („Historisches von der Entartungs-
reaction", Berl. klin. Wochenschr. 1885. Nr. 47) concedirt Erb nur, dass v. Z. und
Weiss zuerst den experimentellen Nachweis der sog. partiellen EntartangsreactioD
— 47 —
geliefert haben. Im üebrigen beruft sieb Erb darauf, dass seine üntersacbxuigen
7 Monate früher begonnen und (in der vorl. Mitth. vom 7. Febr. 1868) zn einer
Zeit pnblicirt wurden, wo die Untersnchongen von v. Z. und Weiss „noch nicht zu
abschliessenden Beeultaten gekommen sein konnten".^
Beil&ofig sei hier erwähnt^ dass unter den im Anschlüsse an die Baierlacher'-
sche Pnblication aufgeführten casuistischen Beiträgen der des Ref. (Deutsches Archiv
for klinische Med. II. S. 70) fehlt, obgleich der Zeit nach hierher gehörig und in
der 3. Auflage des v. Ziemssen*schen Buches (1868) an der entsprechenden Stelle
berücksichtigt. Auch hat Bef. das differente Verhalten gegen beide Stromarten bei
der satnminen Lähmung, sowie die gleichzeitige Steigerung der mechanischen und
galvanischen Muskelexcitabilität dabei zuerst beschrieben (Deutsches Archiv f. klin.
Med. III. S. 506 und Berl. klin. Wochenschr. 1868. Nr. 1 fif.).
Methode und Ergebnisse der elektrischen Sensibilitätsprüfung
werden nur kurz (S. 47 — 60) berücksichtigt; v. Z. weist dieser Methode nur einen
geringen diagnostischen Werth zu, worin er doch vielleicht mit der Mehrzahl der
Cntersucher im Widerspruch stehen dürfte. Die Untersuchungsergebnisse von
Tschiriew und Watteville, MObius u. A. sind hier nicht erwähnt; auch ist,
wenn Verf. angiebt, dass qualitative Anomalien der galvanischen Beaction der
sensibeln Nerven bisher nicht bekannt seien, wohl eine von Mendelssohn bei
Atactischen mit positivem Ergebniss angestellte bezügliche Untersuchungsreihe seiner
Beachtung entgangen.
Es folgen die Methoden und Ergebnisse der elektrodiagnostischen
Prüfung der Sinnesorgane (S. 51 — 60). Die eigentlich hierher gehörigen Unter-
suchungen von Aronsohn über das Geruchsorgan haben an einer späteren Stelle
(S. 163) nachträglich Erwähnung gefunden.
In der Elektrotherapie sind die allgemeinen Einleitungsbemerkungen von
grossem Interesse — besonders wegen der pessimistischen Besultate, zu welchen der
Verf., auf Grund einer 30jährigen Beobachtung, gegenüber dem „therapeutischen
Optimismus der SpeciaUsten" eingestandenermaassen gelangt ist. Man wird v. Z.
wohl darin beistimmen müssen, dass es nichts schaden kann, wenn die „ziemlich
hoch gespannten Erwartungen von der Heilkraft der Elektricität etwas herabgestimmt
werden". Andererseits wird doch Jeder, welcher einige Erfahrung darüber hat, wie,
womit und von wem in den Krankenhäusern häufig elektrisirt wird, sich kaum
darüber wundem können, dass die Heilerfolge der Specialisten hier und da günstiger
sind, als die des klinischen Arztes. [Dass an das mit den vortrefflichsten Hülfs-
mitteln und ausreichendem Personal ausgestattete Münchener Institut hierbei nicht
im Entferntesten gedacht wird, bedarf - wohl keiner besonderen Versicherung.] Aber
zu einer endgiltigen Entscheidung der so wichtigen therapeutischen Fragen würden
wir doch erst mit der Einrichtung elektrotherapeutischer Specialabtheilungen an den
grossen Universitätskrankenhäusem und mit Uebertragung derselben an geübte und
erfahrene Specialisten gelangen.
Im weiteren Verlaufe werden die elektrotherapeutischen Methoden (locali-
sirte und allgemeine Elektrisation, elektrisches Bad, Franklinisation), die Dosirung
der Stromstärke, Dauer und Häufigkeit der Sitzungen etc. erörtert. Sehr hübsch
und zutreffend ist die Bemerkung über Elektromassage (S. 77): „Dieses Verfahren
wirkt nicht übel und impomrt dem Patienten ausserordentlich, da er sich nachher
wie durchgewalkt fühlt." Die „elektrischen Hanteln" erklärt der Verf. dagegen für
Spielerei. Auf S. 74 ist es wohl nur ein zufälliger Lapsus, wenn bei der „centralen
Galvanisation" Beard*s es heisst, dass „die Kathode auf das Epigastrium applicirt
* Seitdem ist von Ziemssen noch eine Erwiderung erschienen (Berl. klin. Wochenschr.
1885. Nr. 52), in welcher er seine Ansprüche den Beanstandungen Erb's gegenüber aufrecht
erhält, namentlich auch auf die klinischen Mittheilungen in seiuer Arbeit vom Jahre 1866
(Berl. kliD. Wochenschr. 48—46) hinweist.
— 48 -
wird, dann vorne am Halse etc. langsam aaf- nnd abgeführt wird''. IHe Streicbung'ei
sollen natürlich \m diesem Verfahren mit der Anode aosgefQhrt werden.
Es folgt nun eine allgemeine Darstellong der Heilwirkungen der Ele1c<
tricität (wobei auch den Engelskjön^schen sog. Grundgesetzen ein nemlicbai
Raum gewidmet ist) und die specielle Elektrotherapie des Oentralnerrensystems, dei
peripherischen Nerven , der Sinnesorgane; weiterhin wird die Elektrotherapie hm
Affeotionen der BespiratimiBorgaflie, des Herzens, des Yerdauungsapparates, des Uro-
genjtalapparates und der Drttsen in besonderen Abschnitten erörtert ESn n&heree
Eingehen auf den reichen Inhalt dieser Abschnitte, wobei Verf. ausser einer Ueber^
sieht des anderweitig Geleisteten meist auch die Resultate seiner eigenen Beobach-
tungen giebt, ist leider an dieser Stelle unmöglich. Hervorzuheben ist u. A., daas
V. Z. bezüglich der Phrenicus-Beizung bei Asphyktischen ganz an seinen früheren,
seitdem noch vielfach bestätigten Ergebnissen festh< and dass er die Yerwendung
des Constanten Stromes bei Schw&cheznst&nden des Herzens (ohne Klappenfehler)
einer weiteren Prüfung für werth h<.
Die Ausstattung des Buches ist des Verfassers und der Yerlagshandlung würdig.
A. Eulenburg.
Bealenoyolopädie der geaammten fieiUraiide, herausgegeben von Prof. Dr. Alb.
Enlenburg. Wien u. Leipzig, ürban & Schwarzenberg.
In schneller Folge sind den fHlheren Lieferungen (cf. S. 24 u. S. 215 d. CtrlbL
1885) 10 weitere gefolgt, so dass mit der 30. Lieferung der III. Band vollendet ist
(bis Cataplasmen). Wir heben aus diesen letzten Lieferungen die Artikel: Bleilähmung
von Bemak, Bulb&rparalyse von Eulenburgi Gardialgie von Bosenbach nnd
Gatalepsie von Bosenthal hervor, von denen wir die erstere bereits in Nr. 1 d. Jahrg.
besprochen haben, die anderen demnächst besprechen werden. M.
Biographisches Lexioon der hervorragenden Aerate aller Zeiten und Völker,
herausgegeben von Prof. Hirsch in Berlin. Wien u. Leipzig 1885. Urban
& Schwarzenberg. (Cf. S. 240 u. 407 d. Ctrlbl. 1885.)
In den weiteren Lieferungen 21 — 24 (bis Housselle) finden wir die speciell
die Neurologen interessirenden Biographien von Hagen (Erlangen), Marshall Hall,
Hammond, Henle, Hirschberg, Hitzig u. A. Wir wünschen dem Werke einen
weiteren günstigen Fortgang wie bisher. M.
V. Personalien.
Der Mitarbeiter an dieser Zeitsohrifli, Herr Dr. Zander, bisher 2. Arzt in Alt-
Scherbitz, wurde zum Director der am 1. April d. J. zu eröfbenden Irroianstalt in
Bjbnik ernannt.
Berichtigung: Herr Prof. v. Krafft-Ebing wurde zum ordentlichen Pro-
fessor in Graz ernannt.
VL Vermischtes.
Von den PreiBaufgaben, welche die Aeadtoie de m^eeine in Paris fQr 1880 aufgestellt
hat, erwähnen wir folgende:
Prix Fair et (1000 Fr.): Des rapports entre la paralysie g^o^rale et la sjphilis oMbr&le.
Prix Portal (600 Fr.): Le goitre exopbtbalmique.
Prix Civrieux (1000 Fr.): La migrame.
Verlag von Ybit & Comp, in Leipzig. — Druck von MsTsesB & Wittig in Leipzig.
IeurologischesCentralblatt.
, (lebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie
und Therapie des Nervensystemes einschliesslich der Geisteskrankheiten.
HeratiBgegebeii you
Professor Dr. E. Mendel
Flnfter " ^'"°- Jahrgang.
MoDatlieh erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 16 Mark. Zu beziehen durch
aUe Bnchhandliingen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Beichs, sowie
direet Yon der Yerlagabuchhandlang.
1886. 1. Februar. M 3.
Inhalt. I. OriginalmlttheilimgM. 1. Bemerkungen Qber das Unterkieferphftnomen
r^er die Beaction der Sehne des Masseter mit Rücksicht auf einen Fall von amjotrophischer
IdOeralsolerons mit (Honus des Unterkiefers Yon E. E. Beeror, von Dr. A. de Watteville.
2. Zur Untersachnngsmethode des Knieph&nomens, von Dr. Fr. Peliiaeus* S. Zur Pu^ddiyd*
Wirkung, von Sommer.
II. aeferate. Anatomie. 1. Ueber zwei B&ndel, die zum Bestand der inneren Portioii
des hinteren Kleinhimschenkels gehören, und über die Entwickelung der Aousticuafaeem,
von Bechterew. — Experimentelle Physiologie. 2. Die oculo-pupillären Centren, von
Kals^uiowski. 8. Esami psieoraetriei di pazzi morali e mattoidi, pel Harro. — Patho-
logische Anatomie. 4. Note anatomiche ed antropologiche sopra 60 crani e 42 encefali
di donne criminali italiane, pel Varaglia e Silva. 5. Contribution exp^rimentale a la paUio-
logie et a Fanatomie pathologique de la moelle ^piniöre, par Hem^n. 6, D^^n^rations secon-
dairea aacendantes da^s le bnlbe rachidien, dans le pont et dans l'ätage superieur de Tisthme,
par Loewenthal. — Pathologie des Nervensystems. 7. Nevrose vasomotrice, par Ferraud
et Ltenard. 8. De r^pflepsie dans ses rapports avec les fonetions visuelles, par PIchon.
9. Over de aetiologie aer tabea dorsalis, door Stephan. 10. A elinical lecture on lead-poi-
soning, by Oitver. 11. Paralysis and mixed Hypeitrophie, by Mitchell. 12. Ender et Til-
fUde af akut Polyneurit. af Book. 18. Zur I«ehre des Zoster cerebralis und zur Pathogenese
des Zoster überhaupt, von Weiss. 14. Herpes met motorische stoomiesen, door Walter.
15. Herpes zoster und Lähmungen motorischer Nerven, von StrDbing. 16. Primäre Pachy-
meningitifl interna tuberculosa des Halsmarks, von Weiss. — Psychiatrie. 17. Contribution
a l'etade de la looalisation anatomo- pathologique de la paralysie ^^n^rale sans ali^nation,
par Lnys. 18. Die Aetiologie der Paralyse, von Graf. 19. Ninfomania paradoeaa, pel Loffl-
broso. — Forensische Psychiatrie. 20. Sane or insane? by Manning. 21. Acaserecord
in forensic psychiatry, by lllorey. — Therapie. 22. On a new indnction apparatus, by
Tiegel. 23. Notice historique sur Telectroth^rapie a son origine, par Ladame. 24. Heilbar-
keit und Behandlung der Tabes dorsalis, von iacob.
Hl. Aus den Gesellschaften. — IV. Bibliographie. — V. Offene Stellen. — VI. Vermischtes.
I. Originalmittheilungen.
1. Bemerkungen über das ünterkieferphänomen oder die
Keaction der Sehne des Masseter mit Rücksicht auf einen
Fall von amyotrophischer Lateralsclerosis mit Clonus des
Unterkiefers von E. E. Beevor.
Von Dr. A. de WatteidUe in London.
Dr. Beevob beschreibt einen Fall, den er vor 4 Jahren beobachtet hat,
und in dem bulbäre Symptome zusammen mit amyotrophischer Lateralsclerosis
^- 50 -
vorhanden waren. Es bestand Atrophie verschiedener Muskeln in den oberen
Extremitäten und eine gewisse Rigidität in den Beinen mit excessiven Sehnen-
reflexen. Es war kein Fussdonus vorhanden, wenn aber der Unterkiefer
herabgedrückt wurde > erhielt man einen regelmässigen Glonus, der so lange
dauerte, als die Muskeln in Spannung erhalten wurden.
Dies scheint die erste PubUcation eines Falles zu sein, in dem Unterkiefer-
clonus beobachtet wurde.
Der Autor spricht von dem Zähneklappern in der Kälte als einer Form
von solchem Clonus und erwähnt einen Fall, in dem der Fussclonus bei einer
gesunden Person nach einem kalten Bade hervorgerufen werden konnte.
Ich habe den Unterkieferclonus in einem Falle von hysterischen Krämpfen
der Extremitäten und in einem Falle von organischer Läsion des Hirns, die
wahrscheinlich die Pons-Bulbärregion betraf, gefunden. Eine Reihe von Ver-
suchen, die ich anstellte, zeigte, dass in den meisten Fällen bei gesunden Per-
sonen ein wahres „Unterkieferphänomen'' von derselben Beschaffenheit wie das
Kniephänomen durch eine sehr einfache Methode hervorgerufen werden kann.
Man drückt den Unterkiefer mit einem Papiermesser oder einem ähnlichen
G^enstand herab, den man mit seinem Ende flach auf die Zähne an einer von
beiden Seiten des Unterfdefers auflegt, und schlägt mit einem gewohnlichen
Percussionshammer so nahe als möglich den Zähnen auf die Breitseite jenes
Papiermessers. Die Kaumuskeln antworten auf ihre plötzliche Dehnung mit
einer Contraction, welche in manchen Fällen von Nerven- oder anderen Krank-
heiten sehr gesteigert sich zeigt
Weitere Untersuchungen werden zeigen, in welchen Fällen das Zeichen
von ' diagnostischem Werth ist und besonders, wo der Stoss herabgesetzt er-
scheint Das Resultat der mjographischen Experimente zeigt eine Latenz
von nur 0,2 Seounden, eine Zeit, die for einen wahren Reflex zu kurz ist, be*
sonders mit Rücksicht auf die neulich von Walleb gefundene Thatsache, dass
der Schluss des Augenlides auf Lichtreiz eine Latenz von 0,5 Secunden hat
2. Zur üntersuchungsmethode des Kiuephänomens.
Von Dr. Pr. PelisaeuB, dirigirender Arzt der Wasserheilanstalt Kreischa b. Dresden.
In meiner Arbeit „über das Kniephänomen bei Kindern'' (Wbstphal's
Archiv Bd. XIY) kam ich zu dem Endergebniss, dass es erstens bei gesunden
Kindern mit den damals üblichen und bekannten Methoden an einzelnen Tagen
gar nicht, au anderen wieder leicht gelang, das Kniephänomen zu erzeugen,
zweitens dass ein gänzliches Fehlen auch bei sorgfaltiger und oft vriederholter
Untersuchung eine grosse Seltenheit sei: Imal unter 2403 Kindern. Es lag
nun nahe daran zu denken, „dass bei dem einen Knaben, bei dem das Phä-
nomen andauernd und voUkonmien fehlte, schon der Keim zur Entwickeluog
einer chronischen Rückenmarkserkrankung gelegt sei''.
— 51 —
Nun hat Jxndrassik in Nr. 18 d. GentralbL 1885 nicht allein den eisten
Theil meiner Besultate bei Kindern, das zeitweilige Fehlen des Kniephänom^tis,
aodi für Erwachsene bestätigt, sondern auch eine Methode angegeben, mittelst
weldier es in vielen Fällen, in denen es nach den bisherige Methoden der
Untersuchung gar nicht oder nur bei häufigerer Untersuchung das eine oder
andere Mal gelingt, das fragliche Phänomen zu erzeugen, leicht ist, dasselbe
herrorznrufen.
Es erschien mir wünschenswerth, jetzt 3 Jahre nach der früheren ITnter-
sochung den Knaben noch einmal mit Anwendung der JEND&AssiK'schen Me-
thode untersuchen zu lassen.
Herr Docent Dr. Rbmak, der schon bei den fräheren Untersuchungen den
Knaben gesehen hatte, war so freundlich, dies zu thun und kam zu dem Resultat,
«,das8 auch jetzt es nicht gelingt, nach den gewöhnlichen Methoden mit einiger
Begelmässigkeit das Kniephänomen zu erzeugen, dasselbe ist aber sowohl im
Sitzen als auch besonders im Liegen beim ersten, vielleicht auch noch zweiten
und dritten Anschlag zu erzielen, wenn nach dem JENDBASSiK'schen Verfahren
der Kranke die in einander gehakten Hände kraftvoll auseinander zerrt Während
dieser Haltung ist also ein-, höchstens zwei- und dreimal das^ Kniephänomen
za erzielen, dann nicht mehr, auch nicht bei fortgesetzter Anspannung der Anne.
Nach einer kleinen Pause gelingt es wieder in gleicher Weise.''
Damach wäre also das Besultat meiner früheren Untersuchungsreihe in
seinem zweiten Theile, betrefiEs des vollständigen Fehlens des Kniephänomens
bei gesunden Kindern dahin zu modificiren, dass es zwar in einigen Fällen
ausserordentlich schwierig und in einem einzelnen nur mit Hülfe einer beson-
deren — der jEND&ASsiK'schen — Methode möglich war, die Erscheinung zu
erzielen, dass aber unter 2403 dasselbe nicht ein einziges Mal vollständig ver-
misst wurde. Jendbasbik selbst bestätigt dieses bei den Kindern gefundene
Besultat fär etwa 1000 gesunde Erwachsene.
3. Zur Paraldehydwirkung.
Von Sommer in Allenberg.
Paraldehyd hat sich schnell einen hervorragenden Platz in der Reihe der
zuverlässigen Hypnotica erworben, da es im Allgemeinen keine unangenehmen
Nachwirkungen und besonders keine Congestionen und Basherscheinungen, wie
Chloral, hinterlässt Von allen Berichterstattern hat nur Eickholdt (Deutsche
WochenschrifL 1888. Nr. 48) nach längerem Gebrauch Kopfcongestionen und
vasoparalytische Zustände gesehen.
Ich selbst habe Paraldehyd seit ungefähr 2^/^ Jahren vielfach bei männ-
lichen Geisteskranken in etwa 1100 Einzeldosen angewendet und zwar anföng-
lich ohne besonderen Erfolg. Nachdem indess ein vollständig reines Präparat
(von ScHEUNG, seit Januar 1884) besorgt worden war, wirkte es stets sehr
— 52 —
befriedigend. Dosen von 3—5 g, eventuell mit 2—4 g Bromkalianiy in reich-
lichem Wasser gelöst, sind nur ganz ausnahmsweise wirkungslos geblieben; die
Lösung muss allerdings möglichst ftisch sein. Keinmal hatte ich störende Nach-
wirkungen gesehen und auch bei persönlichem Gebrauch nie empfunden.
Ganz äberraschend kam daher neuerdings ein Fall mit schweren vasopara-
lytischen Erscheinungen der Hautgeffisse. Ein junger Mensch von 18 Jahrcoi,
der bei katatonischer Verwirrtheit und Aufr^ung an hochgradiger Schlaflosig-
keit litt, hatte seit 6 Tagen je 4 g Paraldehyd Abends erhalten und darnach auch
befriedigend geschlafen. Am 7. Tage, nachdem er wie bisher stets, zum sog.
zweiten Frühstück eine Tasse Bouillon und eine Flasche Bayrisch Bier zu sich
genommen, entwickelte sich in wenigen Minuten eine intensive dunkelsoharlach-
rothe Injection der ganzen Kopfhaut mit Ausnahme der Nasenflügel und der
Mundwinkel Bei genauerer Untersuchung zeigte sich dieselbe Färbung auf
dem ganzen Halse, auf dem Rucken, sowie auf den hinteren Flächen der unteren
Extremitäten. Ueber die Brust und den Unterleib waren handgrosae zack%e
Flecken unregelmässig und über die oberen Extremitäten aemlich symmetrisch
zerstreut. Mechanische Reizungen bisher nicht injicirter Hautpartien riefen
(nicht ganz exact) den Strichen entsprechende Nachfarbungen hervor. Dieser
eigenthümliche Zustand von G^efassparalyse hielt etwa Vs Stunde an und schwand
dann fast ebenso plötzlich, vrie er gekommen war. Da kein Herzfehler vorlag
und da der jugendliche Patient keine subjectiven Beschwerden zu erkennen
gegeben hatte, wurde am nächsten Abend noch einmal Paraldehyd gegeben und
mit demselben Erfolge: am nächsten Vormittag hochgradige Qefassparalyse un-
mittelbar nach Einverleibung einer kleinen Menge Alkohol; im Uebrigen wieder
ohne subjecüve Beschwerden. In der Folge wurde von jedem Hypnoücum ab-
gesehen und vasomotorische Störungen sind bisher nicht wieder eingetreten.
Wenn derartige Nachwirkungen auch sehr selten sind, wenigstens bei reinem
Paraldehyd, so wird man doch bei Oefassbrüchigkeit etc. vorsichtig sein müssen,
und wird Paraldehyd dann nur unter Vermeidung von Alcoholicis verabfolgen
dürfen.
n. Referate.
Anatomie.
1) Ueber Ewei Bündel, die Bum Bestand der inneren Portion des hin-
teren KLeinhimschenkelB gehören, und über die Bntwiokelung der
Aoufitkmsfbsem, von W. Bechterew. (Wratsch. 1885. Nr. 25. Rassisch.)
Die Untersuchung fötaler Qehime lässt erkennen, dass im inneren Abschnitt
des hinteren Kleinhimschenkels mindestens zwei besondere Bündel zum Kleinhiro
aufsteigen. Eines derselben erhält seine Maxkscheiden in sehr frühem Alter, bei
einer Fötuslänge von ungeföhr 28 — 30 cm; das andere, einwärts vom ersteren ge-
legen, erst bei einer Länge von 35 — 38 cm. Letzteres entspringt aus einer besonderen
Anhäufung kleiner Zellenelemente, die hinter dem äusseren Acusticuskem, zum Theil
vielleicht auch in demselben liegt. Es steigt neben der Aussenwand des 4. Yentrikels
zum Kleinhirn auf, geht zwischen den Fasern des vorderen Kleinhimstiels hindurch
— 63 —
ond IM neh zwiMhen Kugdkern nnd Pfropf auf, ohne «ine Kreuaraag mit dem
Bfindel der anderen Seite einzugehen. Das andere Bündel der inneren Portion des
hinteren EleinhimsehenkelB verl&nft anawürts yon dem soeben beechriebenen, steigt
iwischen letzterem und den Fasern der directen Kleinhimseitenstrangbahn auf, nm-
liiflgt TOB aoflsen und oben den vorderen Kleinhimstiel nnd zieht zu den Dachkemen,
aber welchen es sich zum Theil mit dem contnüatenden kreuzt Seine Fasern stammen
ans den Oliven, und zwar sowohl aus der gleichaeitigen, als auch aus derjenigen der
anderen Seite.
Der Acusticus laset sich nach der Entwickelnng seiner Fasern in zwei besondere
Wurzeln trennen : die vordere Wurzel der Autoren ist bereits bei 25 cm langen
Foeten markhaltig, w&hrend die hintere erst bei ungefähr 30 cm langen ihre Mark-
beklttdung erhält Erstere stammt aus dem Vestibnlartheil des Aenstieas, und kann
daher Wurzel des N. vestibularis genannt werden; letztere entspringt aus dem
Cochlearast des Acusticus. Beide haben keine directe Verbindung mit dem Klein-
hm. Die Wurzel des N. restibularis endet mit ihren meisten Fasern in der oben
bezeichneten Zellenanhäufung, die Cochlearwarzel dagegen im sog. vorderen Acusticus-
kem (Nucleus anterior Meynerfs). Die Fasern der Striae acusticae werden viel
später markhaltig, als beide Acusticuswurzeln, und sind deshalb nicht als directe
Fortsetzung letzterer zu betrachten. P. Rosenbach.
Experimentelle Physiologie.
2) Ueber die ooulo-pupillären Oentren, von Dr. P. Katschanowski aus St
Petersburg. (Med. Jahrb. der k. k. Gesellsch. der Aerzte in Wien. 1885.)
Nach einem historischen Ueberblick Aber die betreffende Frage kommt Yerf. auf
Grond seiner an morphinisirten Hunden, denen das Schädeldach in möglichst grossem
Umfange abgetragen worden war, angestellte Experimente zu folgenden Resultaten:
I. In dem vorderen Abschnitte der vorderen Windungen der Hirnrinde des
Hondes ist ein Centrum fflr eine Anzahl motorischer Fasern vorhanden, welche zu
den Augen gehen. Die Beizung dieses Centrums bewirkt Eröffnung der Lidspalte,
Exophthalmus, Drehungen der Bulbi und Erweiterung der Pupille, und zwar ist die
Wirkung je einer einseitigen Reizung immer bilateral.
Q. Aehnliche Erscheinungen ergeben sich bei Reizung des Kopfes des Streifen-
htigels; also abermals Erö£hung der Lidspalte, Erweiterung der Pupille, Drehungen
der Bulbi nach der. contrahitenüen Seite und Exophthalmus.
m. Bei Anwendung solcher Ströme, bei welchen Femwirkungen durch Strom-
schleifen ausgeschlossen werden konnten, haben wir eine Pupillenerweiterung weder
von einer anderen als der oben letztgenannten Stelle der Hirnrinde, noch auch von
dem hinteren Absehnitte des Streifenhflgels hervorrufen können.
lY. Jene motorischen Centren, deren Beizung die Pupillen erweitem, bewirken
dies durch Fasern, welche durch die Medulla oblongata zu dem Halssympathicus
gelangeiL Durchschneidung je eines Yagosympathicus am Halse sistirt die pupilläre
Wirkung jener Beizung auf der gleichnamigen Seite. Durchschneidung der Oblongata
hebt die papilläre Wirkung jener Beizung beiderseitig auf.
y. Reizung eines hinteren Yierhflgels bewirkt Pupillen -Diktation in beiden
Augen und flberdies eontralateral eine Drehung des Bulbus nach aussen.
YI. Auch diese Centren wirken auf die Pupillen vermittelst Fasern, welche
durch die Mednlla oblongata nnd den Halssympathicus laufen. Durchschneidnng des
Halsmarkes oder der Yagosympathici vernichtet die genannte pupilläre Wirkung der
Fierhflgel-Beizung.
Yn. Die pupillären Centren der Binde und des Corpus striatum sind in ihrer
Wirkung von dem Bestände der hinteren Yierhflgel unabhängig. Die Beizung des
— 54 —
Streifenbflgelkopfes hatte noch eine Papillenerweiterong zur Folge, nachdem die Vier-
hügel zerstört waren.
yill. Die hier genannten Folgen der Reizungen treten nicht ansnahmsloB auf.
Doch stimmen die Erfolge in einer so grossen Anzahl von Fällen mit einander
überein, dass wir die Ausnahmen wohl als durch die Narcose, die Blutungen und
mechanischen Insulte bedingt, ansehen dflrfen.
Den Schluss der Arbeit bildet die Mittheilnng einer Anzahl von Protokollen
über die Versuche. M.
3) Saami psioometrioi di pazzi morali e mattoidi, pel dott. A. Marro. (Arch.
di psichiatr. sdenz. pen. ecc. 1885. p. 359.)
Verf. hat in ähnlicher Weise wie der leider zu Mh verstorbene G. Buccola
und Andere Untersuchungen über die Schnelligkeit der psychischen Apperception
sinnlich wahrnehmbarer Vorgänge bei Individuen mit psychischer Degeneration und
moralischem Defect 0,delinquenti-nati'' == ,,pazzi morali'Oy hei originär Schwachsinnigen
(„mattoidi''?) und bei Normalen angestellt.
Die SchneUigkeit der Lichtwahmehmung maass er durch die Dauer zwischen
einem Druck, durch den eine Geissler*sche Bohre vermittelst eines elektrischen
Stromes ins Leuchten versetzt wurde, und zwischen dem Moment, in welchem die
Versuchsperson die eigene Wahrnehmung der Lichterscheinung markirte; für die
Untersuchung der Gehörsempfindung wurde eine Glocke durch einen Druck in Schwin-
gungen versetzt und wieder die Zeit bis zur Markirung durch die Versuchsperson
gemessen. Die Messung selbst geschah durch ein Hipp*sches Gbronoscop; die er-
haltenen Zahlen müssen mit 0,0033 multiplicirt werden, um die ermittelte Dauer in
Secunden darzustellen.
Im Durchschnitt erforderte die:
bei:
Mpazzi morali"
.»Mattoidi«. .
„Normali" . .
Sehempfindnng,
maz.
133
163
87
med.
mm.
grösste
Differenz
86 23
85
46
32
23
171
100
63
GehSrsempfindung
maz.
123
86
50
med.
nun.
52
33
22
12
6
8
grösste
Differenz
112
80
44
Von wesentlichem Interesse ist das Ergebniss bei den Fällen von „Moral In-
sanity". Wie die Minimalwerthe zeigen, erfolgt die sinnliche Wahrnehmung im
günstigsten Fälle fast ebenso schnell, wie bei Normalen; im Allgemeinen aber er-
fordert sie eine fast doppelt so lange Zeit, nnd die Differenz zwischen der schnellsten
und langsamsten Wahrnehmung ist bei jenen fast dreimal so gross, wie bei den Ver-
suchspersonen. Verf. leitet diese Eigenthümlichkeit aus der Energielosigkeit der
„Pazzi morali" ab; sie können zwar an und für sich aufpassen, aber wie sie jede
geistige oder körperliche Anstrengung unangenehm berührt» so ist ihnen auch die
gespannte Aufmerksamkeit lästig und schwierig. Vielleicht könnte man von dieser
Beobachtang in diagnostischer Beziehung gelegentlich Gebrauch machen.
Sommer.
— 55 —
Pathologische Anatomie.
4) Note anatomiohe ed antropologiohe sppra 60 orani e 42 encefali di
donne crüninali italiane, pei Dott. S. Yaraglia e B. Silva. (ArcMvio
di i)8ichiatr. sdenze penaL ecc. 1885. p. 113 — 140, p. 274 — 286 e
p. 459—487.)
Die YerffL haben Gelegenheit gehabt, 60 Scb&del, welehe von yerbrecherischen
Weibem ans Italien stammten, genauer zu nntersnchen. Sie wandten zu diesem Be-
hafe das Broca^sche Messverfahren an und haben ausserdem bei jedem Schädel auf
alle pathologischen und anatomischen Abnormitäten geachtet.
Auf die Einzelheiten der werthyoUen Arbeit kann hier natürlich nicht einge*
gangen werden; die allgemeinen Ergebnisse stehen in befriedigender Uebereinstimmung
mit den Lehren der Lombroso'schen Schule. An allen Schädeln konnten die Yerff.
deutliche Zeichen inferiorer Bildung gegenüber den Schädeln moralisch intact ge-
wesener Weiber nachweisen. Als besonders wichtige Erscheinungen der somatischen
Bniartui^ der Verbrecher, die mit der moralischen Hand in Hand geht, seien hier
nur angeführt eme aufiEJEdlend kleine Capacität des Schädels, daher auch ein auf-
fallend kurzer Horizonfcalumfang, dessen Stimantheil besonders klein ausgefallen zu
sein pflegt. (Auch die grössere Schmalheit des Schädels: von 60 verbrecherischen
Italienerinnen sind 76,6, von Normalen nur 31,8% dolichocephal, dürfte mit Schaaff*
hausen als ein Kriterium inferiorer Schädel resp. Himbildung anzusprechen sein.)
l>ann häufige und bedeutende Asymmetrie zwischen den beiden Schädelh&lften, Häufig-
keit der Stimfortsätze der Schläfenschuppe (bei 6,6 ^/^X sowie die ähnlichen Bildungs-
anomalien und Schaltknochen im Pterion (bei 11,6 7o)' ungewöhnliche GrOsse der
Augenhöhlen, Unregelmässigkdten in der Form und in der Enochenbildung der Bänder
des Foramen magnum (bei 11,6 7o) ^^^ Verwachsungen zwischen flSnterhauptsbein
imd Aüas (bei 3,3 ^/q). Endlich sind noch als inferiore Bildungen zu betrachten
abnorme Entwickelung der Augenwülste und der Muskelansätze, sowie auffällige
Plumpheit und Dicke, selbst Osteosclerose der Schädelknochen.
Im Ganzen &nden die Yerfif. an den 58 Schädeln (2 sind in der tabellarischen
Zasammenstellung nicht aufgeführt) 99 „Abnormitäten" des Schädels.
Zahl der Zahl der
Schädel Abnormitäten
Mord und Körperverletzung . 25 43
Kindsmord 11 18
Giftmord 5 9
Sittlichkeitsverbrechen ... 5 11
Diebstahl 12 18
(Brandstiftung 2 ?)
Einen werthvoUen Anhang büdet die Wiedergabe von 8 der bemerkenswerthesten
Schädel in je 3 — 4 Ansichten durch Lichtdruck. Sommer.
5) Contribution expörimentale a la pathologie et 4 ranatomie pathologique
de la moelle dpiniöre, par E. A. Hom^n. Helsingfors 1885. (112 Seiten
7 col. TafehL)
Die vorliegende Schrift bringt ausführlichen Bericht über H.'s im pathologisch-
anatomischen Institute der Universität Helsingfors ausgeführte Arbeiten über secnndäre
Degeneration, die diesmal durch Mittheilungen über die nach Hemisection des Bücken-
marks zu beobachtenden Functionsstörungen erweitert ist.
••
_ 66 —
Ueber diese letzteren berichtet H. im Anscbluss an eine historiscbe Darlegang
des bisher Bekannten und an einige Bemerkungen über die Ursachen der Diflferenzen
zwischen den Autoren über seine eigenen an 52 Hunden gemachten Versuche. Nach
Verschwinden der auf die Operation zu beziehenden schweren Erscheinungen bleibt
eine motorische Lähmung auf der operirten Seite zurück, die bis auf anscheinend
dauernd zurückbleibende Spuren allmfihlich verschwindet; H. erklärt dies, da er nie-
mals Regeneration in der Narbe beobachtete, durch das vicarürende Einti^n anderer
Fasern, deren Localisation er an der Hand des bisherigen Materials festzustellen ver-
sucht. Die Vergleichung reiner FfiJle von Hemisection mit solchen, wo ein Theil
des jenseitigen Vorderstranges mit durchschnitten worden, in welch* letzteren die
Parese eine bedeutend schwerere ist, machen es wahrschenüioh, dass, wenigstens in
der Begel motorische Willkürbahnen auch in den Vorderstr&ngen yerlanfen, was noch
dadurch bestätigt eischeint, dass in Fällen, wo die Vorderstränge beiderseits ver-
schont sind, die Wiederherstellung der Motilität am raschesten vor sich geht.
Nach Hemisection in der Höhe des 4. Halswirbels ist die Motilität des betr.
Vorderbeins ganz zerstört» in geringerem Maasse die des entsprechenden Hinterbeins;
die des letzteren auch weniger als nach Hemisection im Dorsalmark, was gegen
Eusmin und für Vulpian's Ansicht spricht.
Hinsichtlich der Sensibilität konnte H. im Allgemeinen nach Hemisection des
Dorsalmarks keine deutliche Verminderung oder Steigerang der Sensibilität an den
Ifinterbeinen gegenüber den Vorderbeinen constatiren; nur in den ersten Stunden
nach der Operation kann sie herabgesetzt sein; eben so wenig &nd sich eine deut-
liche Differenz zwischen den Hinterbeinen, doch fand sich kurz nach der Operation
leichte Hyperästhesie am entsprechenden Beine. Fälle, in denen neben der Hemi-
section auch der Hinterstrang der anderen Seite durchschnitten war, zeigten keine
Differenz hinsichtlich der Empfindungsleitnng gegenüber denen mit einfacher Hemi-
section. Bezüglich der Temperatarverhältnisse nach Hemisection fand H. die An-
gaben der Autoren bestätigt; Differenzen in den Sehnenreflexen fand er nicht, glaubt
jedoch öfters in Fällen nach fast völliger querer Durchschneidung des Bückenmarks
eine Steigerung derselben am entsprechenden Vorderbein und beiden Hinterbeinen
gesehen zu haben.
Bezüglich des zweiten Theils der Schrift, welcher sich ausführlicher in der vor-
läufigen Mittheilung H.*s (Fortschr. d. Med. 1885. IIl. Nr. 9) wiedergegeben findet,
kann auf deren Befnrat (d. Ctrlbl. 1885. S. 417) verwiesen werden. 11 sehr schön
ausgeführte colorirte Figuren ergänzen die werthvoUe Arbeit. A. Pick.
6) Dögänöratlons seoondaireB aseendantes dans le bulbe raohidlen, dans
le pont et dans l'ötage supörienr de l'isthme, par le Dr. N. Loewen-
thal, charg^ du cours d*Histologie normale ä FAcad^mie de Lausanne.
(Bevue m^dicale de la Suisse Bomande. 1885. 15. octobre. No. 10. 1 Planche.)
Im Anschluss an die bereits in seiner Dissertation publicirten Untersuchungen
über auf- und absteigende secundäre Degenerationen im Bückenmark nach partieller
Durchschneidung des Cervicalmarks an Hunden, macht Verf. in vorstehender Arbeit
Mittheilungen über den Verlauf der aufsteigenden Degenerationen im Qehim (MeduUa
oblongata, Brückengegend), an den nämlichen Versuchsthieren (Hand I und 11; mit
der partiellen Durchtrennung des Cervicalmarks in der Qegend des 2. — 3. und des
5. — 6. Nervenpaars a. a. 0.).
Es degenerirten in aufsteigender Bichtung: 1) die Eleinhimseitenstrangbahn,
2) die Goll*schen Eeilstränge und 3) die Burdach*schen Keilstränge.
Was die Degeneration der ersterwähnten Bahn anbetrifift, so zeigt sich das er-
griffene Bündel aufwärts bis zu den Ebenen des Seitenstraugkerns ganz geschlossen; daä
— 57 —
bezflgliebe QaerachBittsfdld nimmt das peripherische Areal zwischen der ventralen
Pirtie der Snbstantia gelatinosa der aufsteigenden Qmntnswarzel und der dorsalen
jenes Kerns ein. Von da an zweigt sich Ton dem gemeinsamen Strang ein nicht
unwesentliches Bündel ab. Während nun die zum Corpus restiforme ziehenden Fasern
(dorsale Portion der Kleinhirnseitenstrangbahn; „portion dorsale du
faisceau c^räbelleux") sich dorsalw&rts gegen das Stratum zonale Amoldi wenden,
um capitalwärts das ihnen entsprechende Feld im Strickkörper zu erreichen, behält
das in Frage stehende Bündel (ventrale Portion der Kleinhirnseitenstrang-
bahn;^ aberrirendes Seitenstrangbündel v. Monakow) seine ursprüngliche
Yerlaufsrichtnng bei, bis etwa zur Gegend des Ursprungs des N. trigem.; von hier
ans zieht es die lateralen Partien der Brücke durchsetzend und vom peripherischen
Rand derselben nur durch Brückenarmfasem getrennt, schräg aufwärts gegen den
Isthmus, vrelchen es kurze Strecke hinter den unteren Zweihügeln erreicht; es lehnt
sich auf dieser H6he an den Querschnitt des Bindearms an, wendet sich sodann
merkwürdiger Weise in retrograder Richtung, einen Halbkreis um den Bindearm be-
schreibend, auf die dorsale und laterale Seite desselben und zwar in der Gegend,
wo der Bindearm sich in das Kleinhimmark erstreckt. Der weitere Verlauf dieses
Tentralen Bündels Hess sich mit Sicherheit nicht eruiren. — Diese Abzweigung in
der degenerirten Kleinhirnseitenstrangbahn konnte bei dem Hund, wo die Durch-
tnmnnng des Seitenstranges auf das dorsale Dritttheil beschränkt blieb, nicht nach-
gewiesen werden. — Die in Frage stehenden Fasern ziehen wohl eine Strecke weit
in dem Faserzuge der sog. unteren Schleife, sie stehen aber mit jenen Schleifenfasem
nicht in Gontinuität. Hingegen entstammen die in der G^end des Isthmus den
Bindearm umkreisenden Fasern partiell der Kleinhirnseitenstrangbahn. — Letztere
Bahn besteht somit aus zwei scharf zu trennenden Portionen, einer
dorsalen und einer ventralen.
Bezüglich der aufwärts degenerirenden Hinterstränge konnte Verf. constatiren,
dass nach Durchschneidung zwischen dem 5. — 6. Cervicalnervenpaar nicht nur die
Goll'schen, sondern auch Theile der Burdach'schen Stränge auf ziemlich weite Strecken
der Degeneration verfallen. Yerf. unterscheidet mit Bücksicht hierauf in den Hinter-
strängen dreierlei Fasercategorien: 1) kurze Fasern der Burdach'schen Stränge; die-
selben erschöpfen sich schon 1 — 2 Wirbelkörper oberhalb der Läsionsstelle, sie nehmen
das Feld dicht am inneren Bande des Hinterhoms ein; 2) die Goll*schen Keilstränge;
3) lange Fasern der BurdacVschen Stränge, die bis in die Medullfi obL degeneriren
(nach Durchschneidung zwischen dem 5. — 6. Cervicabiervenpaar) und die im Quer-
schnitt das zwischen den erst genannten und den Goll*schen Fasern liegende Areal
einnehmen.
Die Degeneration der GoU'schen Fasern konnte bis zum Kern derselben verfolgt
werden, welcher sich aber an dem pathologischen Process nicht betibeillgte. Die
fangen Burdach'schen Fasern zeigten sich degenerirt bis zu den ersten Ebenen des
4. Ventrikels; hier zerstreuten sie sich zum Theil in der grauen Substanz der ent-
sprechenden Kerne. Letztere erschienen nicht wesentlich verändert.
Weder die Ppumiden, noch die Schleifen, noch die Fibrae arcoai, noch die
innere Abtheilnng des Kleinhimstiels zeigten irgend welche nachweisbare aufsteigende
I^enerationen.
Zum Schlüsse bemerkt Verf., dass seine Besultate sich mit der Flechsig'schen
Ansicht, dass die Hinterstränge in ihren Kernen endigen, in guten Einklang bringen
^ Mit Becht macht Verf. aof die Identität dieses Bündels mit dem vom Beferenten
beschriebenen Maberriienden Seitenstrangbündel" aofinerkBam; dasselbe degenerirt^ wie Bef.
rigt hat (ffieses Centralbl. 1885. Nr. 12), auch abwärts und zwar nach Dnrohtrennung
imteren SebleÜb.
— 58 —
lassen und dass sie auch mit den auf experimentellem Wege gewonnenen Besoltaten
von Yejas und Referenten in keinem wesentlichen Widerspruclie stehen.
V. Monakow.
Pathologie des Nervensystems.
7) 19'evroBe vasomotrioe, par Ferrand et Leonard. (yEnc^phale. 1885. Nr. 5.)
Die Yerff. berichten über eine anter eigenthümlichen Symptomen aoftretende
Neurose bei einem jungen Mädchen von 20 Jahren, welche, von einer phthisischen
Mutter stammend, in ihrem 10. Jahre eine Pneumonie» im 16. einen Typhus und im
Jahre 1884 eine schwere Bronchitis durchgemacht hatte. Seit dem 16. Jahre men-
struirt, aber stets unregelmässig, leidet Patientin seit ihrer letzten Erkrankung an
intermittirenden epigastrischen Beschwerden und Bfickenschmerzen, nach jeder Mahl-
zeit tritt heftiges Erbrechen ein, im December erbrach Patientin einige Esslöffel Blut,
auch ging etwas Blut per anum ab. Wenn die Backenschmerzen eintraten, wurde
Patientin zuerst ganz blass, danach folgte eine auffallende Böthung der Stiine und
des unteren Theils der Arme. Im Spital erbrach Patientien täglich einige Löffel Blut,
sie erbrach aber auch alle Speisen und zwar behielt sie anfanglich dieselben 10 Mi-
nuten lang bei sich, später aber gab sie dieselben alsbald nach dem Hinabschlucken
unter einem förmlichen Speiseröhrenkrampfe wieder heraus; trotz völligen Emährungs-
mangels magerte Patientin kaum ab, sie hatte aber auch nur alle 5 — 6 Wotchen (!)
Stuhlgang und nrinirte oft mehrere Tage hindurch gar nicht, der gelassene Urin war
arm an Harnstoff. Die anfänglich beschränkte Böthung nahm allmählich an Aus-
dehnung zu, erstreckte sich über Kopf, Hals, Brust, Ellbogen, Kniee, die Enden
der Beine und Füsse und zwar in absolut symmetrischer Anordnung. Zuerst wurde
die Haut blass, dann zeigten sich rothe Pünktchen, die sich vermehrten und con-
fluirten bis zur einförmigen intensiven Böthe, welche mit einem Qefühl von Hitze ver-
bunden ist Das Verschwinden der Erscheinungen geschieht in umgekehrter Reihen-
folge. Mit dem Auftreten der Böthe, welche auf Druck völlig verschwindet, nahmen
die Schmerzen an Heftigkeit zu, je heftiger die Schmerzen, um so intensiver und aus-
gedehnter die Böthe, welche namentlich in jeder Krise das Gesicht befiel. Diese
Krisen dauern 1 — 2 Stunden, während derselben steigt die Körpertemperatur bis zu
41^ G. Störungen der Sensibilität und der Motilität fehlen. Patientin ^ürte in den
Anfällen Gongestionen, das Gesichtsfeld ist aber stets normal. Die Anfalle treten
täglich zu verschiedenen Stunden auf. Yerff. geben eine genaue Krankengeschichte
mit Temperaturtabellen und Tabellen über den Urin und dessen Inhalt, diese müssen
im Original eingesehen werden.
In eingehender Besprechung der Differentialdiagnose wird die Möglichkeit einer
Verwechslung dieser eigenthümlichen Eruption mit Erysipel oder auch mit Scharlach,
Urticaria, Boseola und Herpes, ein Erythem in Folge von Hitze- oder Kälteeinwirkung,
auch die Möglichkeit einer Vergiftung ausgeschlossen. Pellagra ebenso wie die Ery-
theme, welche als Folge äusserer Beizmittel oder mnerer Medicamente wie Brom oder
Jod entstehen, werden zurückgewiesen, und es wird dann diese stets absolut symme-
trisch auftretende Eruption als eine vom Genitalsystem ausgehende vasomotorische
Beflexparalyse erklärt, auch die mit der Hautaffection zusammenfallenden Schmerz-
anfalle, die geringen Blutungen, das Erbrechen, die Oligurie werden auf Congestions-
zustände der Schleimhäute zurückgeführt. Zander.
8) De röpilepsie daas ses rapportB aveo los fonotlons visuelles, par Georges
Pichon. Th^se de Paris 1885. (243 Seiten.)
In dieser sehr fleissig gearbeiteten, auf 150 eigene, vielfach ausfOhrlich mit-
getheilten Beobachtungen und eingehend benutzter Literatur basirte Dissertation
— 69 —
behandelt P. das ganze (Gebiet der bei der reinen Epilepsie vorkommenden Seh*
stönmgen und sonstigen Yer&ndeningen des Auges.
Die wichtigsten seiner Schlossfolgerungen sind folgende: Fnnctionelle Störungen.
ZwiBchen den Anfällen fand sich in Vi 4 ^^^ ^äU^ Farbenblindheit, in Vs laichte
concentrische Gesichtsfeldeinschr&nkung für Weiss, dann fflr Roth und GrOn in ab-
steigender Reihe; ein Zusammenhang derselben mit dem psychischen Zustande fand
sich nicht. Als Yorlfiufer des Anfalls kommen zur Beobachtung die yerschiedenen
Formen Yon Hyper- und Anästhesie, sowie die verschiedenartigsten Halludnationen;
das gleiche gilt für den SchwindeluifaU und . das epileptische (auch länger dauernde)
Delirinm. P. ist geneigt, diese Erscheinungen im sog. carrefour sensitif zu locali-
siren, die Aura epilept. in den optischen Rindencentren. Abnormitäten der Pupille:
Unmittelbar vor dem Anfalle in einzelnen Fällen Erweiterung und Starre (doch legt
P. selbst kein besonderes Gewicht auf diese Beobachtung); während des Anfalls Er-
weiterung und Starre; ausserhalb der Anfälle Aufhebung oder wenigstens hochgradige
Herabeetznng der Eeaction. Augenhintergrund während des Anfalls: Niemals Anämie
der Betina, immer beträchtliche venöse Congestion charaktensirt durch Erweiterung
der sog. centralen Gefässe und Hyperämie der sog. Himcapillaren (Galezowski),
deutlicher Yenenpuls; diese Erscheinungen sind noch einige Augenblicke nach dem
Anfalle sichtbar. P. nimmt fOr das Gehirn während des Anfalls den gleichen Zu-
stand in der Circulation an. Als dauernde Störung des Augenhinteigrundes fand P.
Hyperämie der Betina, die früher oder später zu der häufig gefundenen Abblassung
der Papille, in 8 — 9^/o zur Atrophie derselben führt, wahrschemlich durch ein
Stadium von Neuritis opt. hindurch. Diese stabilen Störungen sind warscheinlich
die Folge der anfallsweise auftretenden Störungen. A. Pick.
9) Orer de aetiologie der tabes dorsalis« door Dr. B. H. Stephan. (Weekbl.
van het Nederl. Tijdschr. voor Gtoneesk. 1885. Nr. 51.) .
Wenn man der Statistik und den Thatsachen Recht widerfahren lassen wiU,
kann man den Zusammenhang zwischen Syphilis und Tabes nicht mehr in Zweifel
ziehen; doch geht man, wie St meint, zu weit, wenn man annimmt, dass die Wahr-
scheinlichkeit an Tabes zu erkranken fOr Personen, die nie syphilitisch inficirt worden
sind, nicht vorhanden seL
Es wird immer wahrscheinlicher, dass infectiöse Gefässaffectionen bei der Aetio*
logie verschiedener Bückenmarksleiden eine bedeutendere Bolle spielen, als man ihnen
bisher zuerkannt hat; in Bezug auf die Tabes ist man darüber allerdings noch nicht
einig, aber es scheint doch, dass die Beobachtungen, in denen man Gefössverände-
mngen als die primäre anatomische Ursache aufCassen zu müssen glaubt, hnmer mehr
zunehmen; auch deuten die myelitischen Veränderungen, die in keinem Falle von
Tabes fehlen, mehr auf einen primär entzündlichen, als auf einen degenerativen Pro-
cess; endlich lässt sich das gleichzeitige Vorkommen von Atherom, resp. Affection
der Aortenklappen bei Tabes auf die ungezwungendste Weise erklären, wenn man
eine syphilitische Gefössaffection als Ursache von beiden annimmt
Es kann nun recht wohl möglich sein, dass verschiedene solche infectiöse Ge-
fässaffectionen verschiedene Bückenmarkserkrankungen verursachen, dass z. B. Syphilis
Tabes, eine andere Gefässaffection, die nicht syphilitischen Ursprungs ist, eine andere
Form von Bflckenmarkserkrankung herbeiführt. A priori liegt in dieser Annahme
nichts Widersinniges; doch ist dagegen zu bemerken, dass bestimmt FäUe vorkommen,
in denen der Tabes keine Syphilis vorausgegangen ist, dass syphilitische und nicht
syphilitische Tabes sich weder klinisch, noch pathologisch-anatomisch von einander
imterseheiden, so dass höchst wahrscheinlich der Tabes auch Gefässaffectionen zu
Grande liegen können, die nicht syphüitisohen Ursprungs sind.
— «0 —
In pathologisch-anatomiBclier Hinsicht l&sst sich nach dem bisherigen Stand-
punkte der Erfahrung höchstens annehmen, dass in den meisten FäUen Yon Tabes
Sderose der Hinterstränge ein specifisches Kennzeichen des Leidens ist, ob darin
aber das pathologisch-anatomische Substrat dieser Bückenmarksaflfection an sadien ist,
lässt sich bei der Mannigfaltigkeit der gefundenen anatomischen Veränderungen nicht
feststellen. Wenn man nun die Mannigfaltigkeit der bei den Sectionen gefundenen
Veränderungen auf der einen Seite, die zahllosen klinischen Erscheinungen, ihre
Gruppirung und ihre Unregelmässigkeit auf der andern Seite in das Auge faast, so
scheint es St. richtiger, in Fällen, die wir heutzutage Tabes dorsalis nennen, mehr
an ein allgemeines Leiden des Cerebrospinalapparats zu denken, als an einen anf
die Hintttvtränge des Rückenmarks beschränkten Process, und ausserdem meint er,
dass auf jeden Fall weder aus den Ergebnissen der pathologisch-anatomischen Unter-
suchungen, noch aus den klinischen Erscheinungen auf eine ausschliessliche Locali-
satlon des Syphilisgiftes auf die Hinterstränge des Bückenmarks geschlossen werden
kann. Syphilis giebt auf das Mannigfaltigste Veranlassung zu Gefässaffectionen, nnd
da Tabes die am meisten yorkommende Rückenmarksaffection ist, so ist es, wie St.
s^ natürlich, dass Syphilis bisweilen der Tabee vorausgeht Dass Syphilis aos-
schliesslich der Tabes und keiner anderen chronischen Rückenmarkskrankheit ▼(»raus-
gehen sollte, ist eben so unwahrscheinlich, als die Annahme, dass der Tabes kein
anderes Gefassleiden zu Grunde liegen sollte, als ein syphilitisches.
Walter Berger.
10) A olinioal leoture on lead-poiaoning» by Th. Oliver. (The British med.
Journal. 1885. 17. Oct. p. 731.)
Lesenswerthe Uebersicht der Symptomatologie der chronischen Bleivergiftung.
Da für dieses Centralblatt nur die Erkrankungen des Nervensystems in Betracht
kommen, so sei hier nur erwähnt, dass Verf. die Eztensorenlähmung, sowie die
eigenttidien Encephalopathien auf eine unmittelbare toxische Wirkung des Bleis, ohne
nachweisbare organische Veränderung des Nervensystems, zurückführt; Albuminurie
und Urämie auf Grund der mit Bleiintoxication so häufig combinirten Schmmpfniere
können allerdings ganz ähnliche Himerscheinungen herbeiführen.
Ein Fall, der durch maniakalische Delirien, durch ganz plötzlich einsetzende
und ebenso schnell wieder schwindende Zustände von Blindheit und Taubheit, sowie
durch häufige epileptiforme Anfälle charakterisirt war, ist ausführlicher mitgetheili.
Die Himsection fiel negativ aus; auch chemisch war kein Blei nachzuweisen.
Sommer.
11) PeralyaiB and mized Hypertrophie, by J. K. Mitchell. (The Lancet.
1885. Vol. n, p. 253.)
Verf. berichtet von einem nach seiner Ansicht einzig dastehenden Falle, in
welchem Paralyse der Unterextremitäten, zugleich Vermehrung der Muskelprimitiv-
bündel, also wahre Hyperplasie, und enorme Hypertrophie der Haut und des sub-
cutanen Fettgewebes bestanden. Pseudohypertrophie war auszoschliessen, weil die
Muskelelemente vermehrt und zugleich um das Doppelte im Querdurchmesser ver-
grössert waren, — es wurden Stücke mit der Harpune entnommen — , femer weil
kein Verlust der Krafb, keine Atrophie der Pectoral- und Dorsalmuskeln zu constatüren
waren — Dinge, die nach Gowers für die Pseudo-Hypertrophie charakteristisch sind.
Sderodermie war wegen Fehlens der Induration und der Pigmentation ausgeschlossen.
Abwesenheit von Fieber und entzündlichen Zeichen sprach gegen Elephantiasis.
Buhemann.
12) Bnder et Tilf ftlde af akat Polynenrit (multipel 19'earit). — I^tal Ud-
gang, af Cäsar Boeck. (Tidsskr. f. prakt Med. 1885. V. 18.)
— 61 —
D«r 34 Jahre alte Kracke war Yor 11 Jahren in New -Orleans, nach seiner
Angabe an einem Klimafieher, erkrankt» Yor 8 Jahren hatte er sich syphilitisch in-
fidrt, seit seiner danmligen Heilang aber kein Sjmpton dieser Krankhmt wieder gezeigt.
Im Febmar 1884 bemorkte Patient Steifheit in den Gelenken der unteren Extremitäten,
im Joli wurde der Gang unsicher, Patient, früher rührig und lebhaft, wurde tr&g und
traomeriscb und war mitunter wie geistesabwesend, im August traten Wahnideen hinzu.
Patient litt an reissenden Schmerzen in den Gliedern. Am 20. August fand £. Ptosis
des rechten oberen Augenlids, die Pupillen waren aber gleich gross und reagirten beide.
Die Muskulatur der Unterschenkel und zum Theil auch der Oberschenkel war em-
pfindlich gegen Druck, sodass Patient nicht im Stande war behufs Untersuchung des
Patelian-eflexes die Beine übereinander zu schlagen. Die Hautsensibilitat war be-
deutend geschwäoht an beiden Unterextremitäten bis oberhalb des Knies, an den
Oberextremitaten bis an den Eilbögen, Nadelstiche schmerzten hier nichts An den
andern Körperstellen war die Sensibilität Yollkommen normal. Der Lokalisationssinn
schien Yerhältnissmässig gut erhalten, ebenso die Hautreflexe, die Motilität war da-
gegen in allen Extremitäten deutlich geschwächt. Die motorische Paralyse nahm
aenüich rasch zu, die Schwächung der Sensibilität schritt etwas langsam Yorwärts;
sie war am stärksten an den Fingern und Zehen und nahm mehr- nach oben zu all-
mählich ab. Später liess sich bedeutende Empfindlichkeit der Nervenstämme gegen Druck
nachweisen, namentlich an den oberen Extremitäten. — Die faradische Erregbarkeit
war ganz yerschwunden in den Muskeln der Unterschenkel, geschwächt in denen der
Oberschenkel, der Hände und Vorderarme, normal an den Oberarmen. Die galvanische
Erregbarkeit konnte nicht untersucht werden. Anfang September hatte sich die Sen-
sibilitätsschwächung über die ganzen Extremitäten ausgedehnt, die motorische Para-
Ijfse hatte rasche Fortschritte gemacht, am Rumpf aber blieb Motilität und Sensibilität
intact. Am 7. September war Schielen in Folge von Lähmung des linken Abducens
eingetreten und blieb bis zu dem unter zunehmender Entkräftung am 9. September
erfolgenden Tode. Störung des Blasentonus war nie vorhanden gewesen, der Stuhl-
gang war in der letzten Zeit etwas trag gewesen, aber nicht in Folge von Störung
der Dannmuskulatur. — Die Behandlung war durch den Eigensinn des Kranken, der
Nichts einnehmen wollte, schwierig und unzulänglich. Am besten schien von den an-
gewandten Mitteln Jodkalium zu wirken, während Salicylsäure weniger gut wirkte.
Die Section musste sich auf die Nervenstämme der Extremitäten beschränken
und einige kleine Hautäste an den Vorderarmen, Händen und Unterschenkeln. Mikro-
skopisch zeigte sich an diesen Nerven nur hier und da Erweiterung und Ueberfüllung
der Blutgefässe im Perineurium. Mikroskopisch konnte man aber den mit Osmium-
saure behandelten und mit Pikrocarmin geförbten Präparaten alle möglichen Grade
der Degeneration der Nervenfasern bis zur vollständigen Auflösung der Nervenscheiden
in kleine Klumpen und Kömer beobachten, ja bis zum vollständigen Verschwinden
des Axencylinders und der Markscheide, sodass nur die Schwan nasche Scheide mit
bedeutender Vennehrung der Anzahl der Kerne übrig geblieben war. Manche Kerne
waren bedeutend vergrössert und deformirt, einzelne in Theilung begriffen. In den
grösseren Nervenstämmen waren übrigens nicht so viele Nervenstämme degenerirt, als
man nach der raschen Zunahme der Erkrankxmg kurz vor dem Tode hätte erwarten
sollen; nach der Peripherie hin nahm die Zahl der degenerirten Nervenfasern zu. Die
Gewisse des Perineurium waren überall mit rothen Blutkörperchen ausgefüllt — In
den Muskeln schien die Zahl der Kerne im Perimysium und Endomjsium ebenfalls
bedeutend vermehrt, Fettdegeneration der Muskeln liess sich aber nicht nachweisen;
aoch die Gefässe des Perimysium waren mit rothen Blutkörperchen gefüllt.
Walter Berger.
18) Zur Lehre des Zoster oerebralis und sttr Pathogenese des Zoster über-
haupt, von M. Weiss. (Zeitschr. f. Heilkde. 1886. VI. 8. 479.)
— 62 —
W. berichtet folgenden Fall. 37jähr. Mann, ohne Hereditat, nach depressiven
Affecten melancholische YerstimmTing, nenrasthenische Beschwerden; später ziehende
Schmerzen in den ersten 3 Fingern beider Hände, zuweilen bis in die Achselhöhle
ausstrahlend; darnach an der Innenfläche der Finger zerstreute stecknadelkopfigrosse,
wasserhelle Bläschen, die nach 2 — 4 Tagen vertrocknen und abschilfern; seither in
unregelmässigen Intervallen, selten 14 Tage überschreitend, die gleiche Eruption an
dem einen oder andern der genannten Fmger; fast gleichzeitig an denselben nach
psychischer Erregung stärkere Schweisssecretion, sowie zunehmende Abmagerung der
Daumenballen, besonders des linken und entsprechende Parese, Bissigwerden, Fnrchnng
und Auftreibung der entsprechenden Nägel, die Haut der Finger dflnn, glänzend. Zeit-
weise Photopsien, Haut- und Sehnenreflexe gesteigert; die beiden Nn. median, im Sulc.
bicipitalis gegen Druck schmerzhaft;; die elektrische Erregbarkeit der paretischen Mm.
adduct und oppon. poll. für beide Stromesarten herabgesetzt, nicht qualitativ ver-
ändert; „Daumenclonns", der Daumen geräth durch active oder passive Palmarflexion
in heftiges Zittern, das 15 — 20 Secunden anhält Durch starken Druck auf den
N. median, im Sulc. bicip. liess sich mehrmals profuse Schweisssecretion an den be'
theiligten Fingern hervorrufen; Tast-, Schmerz- und elektrocutane Empfindung an
denselben erhöht. Diagnose: Ernährungsstörung (nicht grob anatomischer Natur) im
Halstheil des Rückenmarks; Therapie: Psychisch, Galvanisirung des Rückenmarks
(nach Meyer-Erb) und des Medianus, Faradisbrung der betroffenen Muskeln, Bromkali
und Atropin. Anfänglicher Erfolg, gestört durch Affect, später dauernde Bessenmg,
fast vollständiges Verschwinden aller abnormen Befände, Ausbleiben der Paroxysmen.
In der Epikrise betont W. zuerst die Seltenheit der Reddive eines Zoster sym-
metricus, und discntirt weitläufig die Gründe für seine Ansicht vom centralen Sitze
der seinem Falle zu Grunde liegenden Läsion; die Bezeichnung desselben als Zoster
cerebralis motivirt er durch die spinale Störung bedingende cerebrale Grundursache.
Folgt eine Discnssion bezüglich der ätiologischen Eintheilung der Zosterformen.
A. Pick.
14) Twee gevalen van herpes met motorisohe stoomissen, door Dr. G. Walter.
(Weekbl. van het Nederl. Tijdschr. voor Geneesk. 1885. No. 35.)
1. Eine 68 Jahre alte Wittwe wurde von sehr schmerzhaftem Herpes an der
ganzen rechten Gesichtshälfte befallen. Nach einigen Wochen gesellte sich dazu totale
peripherische Facialisparalyse auf derselben Seite, mit vollkommenem Verlust des Ge-
schmackes auf der rechten Hälfte der Zunge. Es bestand typische Entartungsreaction.
— Die vom wie hinten genau bis an die Mittellinie reichende Herpeseruption sprach
für Degeneration eines Nerven, wahrscheinlich des Nervus trigeminus, worauf auch
der heftige Schmerz hinwies. Bald nach dem Auftreten der Lähmung verschwanden
Herpes und Schmerz; von sensiblen Störungen in der Haut war nichts zu finden.
2. Ein Ende der 50er Jahre stehender Mann wurde ohne bekannte Veranlassung
von Herpes am rechten Oberarm befallen. Nach 8 Tagen konnte er den Arm nicht
mehr aufheben, beugen oder strecken. Schwellung oder Schmerzhaftigkeit der Muskeln
oder Gelenke war nicht vorhanden. Die elektrische Beaction war normal, die Nerven
des Plexus brachialis waren nicht schmerzhaft. Herpes sowohl als Paralyse deuten
auf eine Affection des Nervus axillaris und musculo*cutaneus. Durch Electridtat
wurde Heilung erzielt. Walter Berger.
16) Herpes soster und Lähmungen motonsoher 19'erven, von Dr. Strübing.
(Deutsch. Arch. f. klin. Med. 37. VI. S. 613—526.)
Abgesehen von den Fällen, in welchen Erkrankungen der Centralorgane auf
motorischen Bahnen, trophische resp. sensible Nerven afQciren und dadurch Herpes
— 68 —
zoster henrorrufen kOimen, abgesehen von den andeiDi in welchen Herpes bei Er-
knmkungen gemischter Nerven auftritt , giebt es femer Processe, bei denen ein Zn-
sammenhang zwischen Herpes um Lähmungen unverkennbar ist, trotzdem sich beide
nur auf ganz peripherem Gebiet abspielen. So ist es der Fall bei dem im Aus-
breitungsbezirk des Trigeminus entweder als Ursache oder Folge einer Facialis-
Lahmung auftretenden Herpes. Es werden 8 Beispiele angeführt, deren eines vom
Verf. selbst beobachtet wurde. Der ursächliche Zusammenhang kann nach der Be-
schreibung der Fälle nicht abgeleugnet werden, und zwar war dabei 6mal die Facialis-
Labmung die Folge des Herpes, 2mal die Ursache. Verf. weist die Annahme von
trophischen Nerven im Facialis (Eulenburg), die doch nicht recht erwiesen wäre,
sowohl wie die Aufihssung als „Beflexlähmung" (Duncan) zur Erklärung dieses
Vorganges zurück und erklärt denselben aus einem Uebergang von Krankheitspro-
cessen auf dem Wege peripherischer Anastomosen von sensiblen zu motorischen Nerven
und umgekehrt Sperling.
16) Ein IUI Yon primärer PaohjrmeningitiB interna tuberoulosa des Hals-
markfl, von D. Weiss. (Wiener med. Wochenschr. 1885. Nr. 7.)
Ein 30jähriger, an rechtsseitiger Lungenspitzenaffection leidender Schlossergehülfe
erkrankte unter dem Gefühl von Mattigkeit in Händen und Füssen, heftig ziehenden
Schmerzen in der Musculatur beider Vorderarme und des Nackens, magerte bedeutend
ab. Als er in Prof. Draasche^s Abtheilung des Wiener allgemeinen Krankenhauses
aufgenommen wurde, zeigte er eine durch Schmerzen beschränkte Bewegung des
Kopfes, ohne Druckempfindlichkeit und Rigidität der Nackenregion, Herabsetzung der
motorischen Kraft aller Extremitäten, vollkommen erhaltene Sensibilität und faradische
Erregbarkeit^ gesteigerten Sehnenreflez. Später trat Parese des linken Abducens,
allmählich auch Paralyse der beiden oberen Extremitäten, links mehr wie rechts,
3 Tage vor dem Tode auch Lähmung der Beine auf. Eine bestimmte neurologische
Diagnose während des Lebens zu stellen war nicht möglich.
Die Obduction (Prof. Kundrat) ergab ausser diffusen Processen einer tuber-
culösen Erkrankung in den Lungen und in den Hirnhäuten: Pachymeningitis tuber-
culosa ad basim cranii et partis cervicalis cum compressione et emollitione medull.
spinalis. Die Dura mater spin. erschien vom Foramen ocdpitale bis zum Ende der
Halsanschwellung verdickt, dem Wirbelkanale fest anhaftend, an ihrer Lmenfläche
von einer bis zu 4 mm dicken, graugelblichen, sulzigkömigen Schichte überdeckt, die
lose mit der stark injicirten von miliaren Knötchen besetzten Arachnoidea verwachsen
war. Das Bückenmark im Halstheile zum Zerfliessen erweicht. An den Wirbel- und
Basalknocl^en des Schädels keine Veränderungen. Laquer.
Psychiatrie.
17) Contribution 4 l'ötude de la looaUaation anatomo-patfaologiqae de la
paralyeie gdnörale sans allönation, par J. Luys. (L'Enc^phale. 1885.
No. 5.)
L. stellt eine Categorie von Fällen von progressiver Paralyse auf, welche alle
Symptome der bei der Paralyse vorkommenden Lähmungen zeigen, ohne aber die mit
jener Symptomenreihe gewöhnlich verbundenen psychischen Degenerationsmerkmale zu
bieten. Während in zahlreichen Untersuchungen die Regionen der psychisch intellec-
taellen Sphäre durchforscht sind, scheint dem Verf. die basale Region des Gehirns
fibergangen zu sein, und gerade hier will er die anatomischen Veränderungen in
Fällen von progressiver Paralyse ohne Alienation oder mit erst ganz secundär, wie
L. sagt, durch contre conp erzeugter stupider Demenz gefunden haben. In beiden
— 64 —
von L. berichteten Beobachtungen fehlte diese terminale psychische Abstampfong nicht,
in beiden fand L. interstitielle, bindegewebige Hyperglesie nnd Sclerose der basalen
Regionen and der Thalami, während alle übrigen Gentra nnd namentlich die Rinde
frei von jeder pathologischen Veränderung waren. — Beide Beobachtungen sind un-
vollständig, weil die Vorgeschichte vor der Aufnahme zu oberflächlich behandelt ist,
der mikroskopische Befund kaum andeutungsweise mitgetheilt wird, und jede Unter-
suchung des Rackenmarkes fehli Zander.
18) Die Aetiologie der Paralyse nach den Erfahrungen auf der Hftnner-
abtheilung zu Wemeok in den Jahren 1870—1884, von Dr. Graf,
Assistenzarzt. (Aerzü. Intellig.-BL 1885. Nr. 31.)
Verf. fand das Material der Anstalt nur beediränkt brauchbar, weil Mher die
Aetiologie, besonders die Frage nach der Syphilis, mit geringerer Sorgfalt erörtert
wurde. —
Von allen aufgenommenen Geisteskranken betrugen die Paralytiker 13,8 ^/^ (in
ganz Bayern für 1876—80 11,8%, für 1881 13,6%, für 1882 12,5 <>/o). —
Das Verhältniss der Männer zu den Frauen war 6,3 : 1. — Von allen Anfgenommenen
standen 67^0 ^ ^^^ -^ter zwischen 30 und 50 Jahren.
Im ersten Jahre ihrer Krankheit wurden aufgenommen 55 7o ^^^ Paralytiker,
26 ^/o im zweiten Jahre, 19% später.
Hereditär belastet waren 41,6% und zwar die Hälfte davon direct
Was die Syphilis betrifft, so fand Verf. ihr Voraufgehen sicher constatirt bei
27,5 7o> starken Verdacht ausserdem bei 12,5 ^Z^; oder, wenn er nur FäUe reiner
Paralyse zu Grunde legte, 33 7o ^^sp. 11 7o* ^^^ diesen j^üher syphilitisch ge-
wesenen Paralytikern waren fast die H&lfte (43,6 ^/o) hereditär belastet
Excesse in Baccho et Venere fand Verf. in 39 % vermerkt nnd zwar über-
wiegend in Baccho.
„Die Paralyse ist selten die Folge einer Ursache'' (unter 90 Fällen 5mal
Heredität allein und 8mal Syphilis allein). Die Syphilis spielt eine kaum geringere
Ursache, als die Heredität, nämlich wie 37:41; demnächst sind Excesse wichtig.
Die anderen Schädlichkeiten sind wohl nur auxiliäre. Hadlich.
19) 19'infomania paradoasa, pel Prof. C. Lombroso. (Arohivio di psichiatr. scienze
pen, ecc. 1885. VL p. 363.)
Unter dem Titel „paradoxe Nymphomanie" theilt Verf. die Leidensgeschichte
einer 30jährigen Frau mit, welche aus bester aber neuropathischer Familie stammend
von Kindheit an durch „psychische Sexualität" im höchsten Grade gepeinigt worden
war und die sich , als sie endlich im 24. Jahre das Ziel ihrer erotischen Wünsche,
die Heirath, erreicht hatte, durch das absolute Ausbleiben einer jeden wollüstigen
Empfindung während des Geschlechtsactes getäuscht sah. Da örtlich nicht die ge-
ringste Abnormität im Sexualapparat, abgesehen von einer Hyperalgesie der Vulva,
nachzuweisen war, wie denn Pat. ^otz ihrer sexuellen Unempfindlichkeit mehrere
Kinder geboren hat, so glaubt Verf. eine corticale Functionsstörung annehmen zu
können. Für den centralen Sitz sprechen femer die permanente nymphomanische
Erregung, die sich zeitweise bia zu tobeuchtsartigen Zuständen oder bis zu der
tiefsten Depression mit Taedium vitae steigert, der Mangel altruistischer Gefühle —
Hass gegen die eigenen Kinder, gegen den Gatten, tödtlicher Hass gegen alle Weiber,
denen normale Functionen gegeben sind, — nnd manche andere Zeichen psychischer
Degeneration.
Einzeljie Bruchstücke aus ihren Briefen gestatten einen Einblick in die Seelen-
kftmpfe des durchaus ehrbaren Weibes, das unter dem Banne der Heredität ver-
— 65 —
gebens gegen ihre erotischen Vorstellungen ankämpft, das allmählioh immer mehr
die Selbstbeherrschung verliert und das endlich, um nicht zur Mörderin zu werden,
ihre Zuflucht in einer Irrenanstalt sucht. Sommer.
Forensische Psychiatrie.
20) Saue or insaneP by F. Norton Manning. (Joum. of ment. science. 1885.
October.)
Ein wegen Brandstiftung zu mehrjähriger Einsperrung, darunter 9 Monate Einzel-
haft yerartheilter, früher schon mehrfach bestrafter Verbrecher wurde vom Gefang«
nissarzte als ungeeignet für die Vollstreckung bezeichnet, weil er sowohl an epilep-
tischen Anfällen leide, als auch gewaltthätig und in störender Erregung befindlich sei.
Zunächst auf eine Ueberwachungsstation versetzt, kam er von dort in die Anstalt für
irre Verbrecher, und zwar auf Grund eines sehr verwirrten Briefes, der verschiedene
Wahnideen zeigte, die auch in der Unterhaltbng wiederkehrten, sodann erschien sein
mürrisebes, unzugängliches Wesen, die Incohärenz der Gedanken, Gedächtnissmangel,
die zeitweise sehr heftige Erregung und die durch Zeugen bestätigte Schlafiosigkeit
krankhaft, obwohl epileptische Anfälle 2 Wochen lang nicht beobachtet waren. In
der Anstalt zeigte der Mensch mürrisches Wesen mit zuweilen auftretender Neigung
zu (}ewaltthätigkeiten, Vergiftungswahnsinn und Sinnestäuschungen, wurde dann aber
mhiger und lenkbar. Nach einiger Zeit entstand der Verdacht auf Simulation, weil
der Mann mit seinen Geßkhrten sehr verständig reden konnte, aber den Aerzten gegen-
über stets stupid that und allerlei Wahnideen brachte. Der Verdacht wurde dem
Verfasser zur Gewissheit, als Verbrecher in einem speciellen Erankenexamen seine
Geistesstörung in übertriebener Weise darzuthnn versuchte. 2 Tage nach dem spe-
deUen Krankenexamen folgte ein sehr raffinirter Fluchtversuch, nach dessen Vereite-
lung er einen epileptischen Anfall gehabt haben wollte, und dann heftig erregt wurde.
Da sich jetzt auch die früheren epileptischen Anfalle als fingirt erwiesen, ebenso wie
der verwirrte Brief, so wurde der Verbrecher als Simulant wieder dem Gefangniss
überliefert. Dort machte der Gefangene alsbald den Versuch sich zu erhängen, doch
weil man der Meinung war, er habe auch damit nur Aufsehen erregen wollen, blieb
er in der Zelle. Eine Stunde, nachdem man ihn zuletzt gesehen, wurde er dort todt,
erhängt gefunden. M. glaubt, dass er auch das zweite Mal darauf gerechnet habe,
zur rechten Zeit entdeckt zu werden, um dann doch für geisteskrank gehalten zu
werden, eine zufällige Verspätung der Visite vereitelte dies. M. hat die Ansicht, dass
wirkliche Simulation vorgelegen habe. Zander.
21) A case reoord in forensio pByohiatry, by H. Illorey. (The Alienist and
Neurologisi 1885. VI. p. 87.)
Wiederum ein Todesurtheil über einen Irren I
Ein 62jähr. Mann, seit längerer Zeit trunkfallig und verkommen, hatte seinen
zweiten Sohn ermordet, da er diesen für einen Bastard hielt. Der Geisteszustand des
Mörders stellte sich zweifellos als pathologisch heraus.
Seine Mutter galt mindestens als ezcentrisch, sein Vater und seine Brüder waren
ausserordentlich reizbar, seine Schwester starb verblödet in einer Irrenanstalt. Er
selbst litt seit Jahren an eclatanten Verfolgungswahnvorstellnngen und Hallucinationen,
wie sie bei geistesgestörten Trinkern so häufig zu beobachten sind. Er hörte Stimmen,
die über die Untreue seiner Frau spotteten, er sah, wie sie in seinem Bette liegend
ihn durch Chloroform zu betäuben versuchte und dann ihren Liebhaber einliess, er
fühlte, wie er von ihr vergiftet worden sei. und erzählte lange Geschichten mit den
— 66 —
Tielf<igsten Einzelheiten über alle diese nur in seinen Halludnationen und Wahn-
ideen ezistirenden Vorgänge. Seine Frau war thatsächlich ein braves Weib, die einzig
durch ihren Meiss die Wirthschaft zusammengehalten hatte, die längst über die Zeit
der Liebesabenteuer hinaus war. Bekannten war es aufgefallen, wie der Mann sich
in den letzten Jahren verändert habe, und er galt daher allgemein als yerrficki Trotz
aller dieser Sachverständigen- und Zeugenaussagen wurde er wegen Mordes zum Tode
verurtheilt. Sommer.
Therapie.
22) On a new induotion apparatos, by E. Tiegel. (Brain. 1885. October.
p. 380—391.)
Des Verf. neuer Inductionsapparat, für dessen Detailconstruction auf die Original-
arbeit mit Abbildungen verwiesen werden muss, ist in zweifacher Beziehung originell.
Einmal wird in die secundäre Inductionsspirale neben dem Untersuchungsobject ein
Condensator von 1 Quadratmeter Oberfläche (von unendlich grossem Widerstand)
eingeschaltet, wodurch der secundäre Schliessungsstrom wirkungslos wird und je nach
der Verbindung mit dem negativen oder positiven Pol des Oeffnungsstromes das Unter-
suchungsobject ganz unter der Wirkung seines positiven oder negativen (reizenden)
Potentials kommt. Zweitens wird die Abstufung des Stromes durch methodische
Einschaltung nach Milliamperes abgemessener Widerstände in die primäre Spirale
bewirkt. E. Bemak.
23) 19'otice historique aur l'eleotrothörapie 4 Bon origine. L'öleotrioitö
mödicale a Oenöve au 18. sidole, par Ladame. (Revue m^d. de la Suisse
romande. No. 10 etc.)
Wir machen auf die fleissige und interessante Arbeit, die sich als eine Zu-
sammenstellung historischer Thatsachen dem Referate entzieht, an dieser Stelle auf-
merksam. Der erste Theil beschäftigt sich mit der Anwendung der Elektricität als
Heilmittel von den ältesten Zeiten an bis zu den Arbeiten von Jallabert (1712 —
1768), der zweite Theil mit diesem und seinen Zeitgenossen, mit besonderer Berück-
sichtigung der Genfer Elektrotherapeuten. M.
24) Heilbarkeit und Behandlung der Tabes dorsalia, von Jacob in Oudowa.
Versammlung der balneologischen Section der Gesellschaft fttr Heilkunde in
Berlin. (Berlin, Eugen Grosser, 1884.)
Nachdem 6 Fälle, welche von J. behandelt wurden, ausführlich geschildert sind,
resumirt er sich darüber, wie folgt.
Es wurde also in diesen 6 Fällen im Anschluss an den Gebrauch von unseren
kohlensäurereichen Bädern das Tastgefühl stets in hohem Grade, in Nr. 1 und 5 bis
fast zur Norm — 15 mm statt der normalen 10 mm an den Sohlen der Zehen — ,
die Ataxie in 1 und 2 sehr gebessert, in den 4 übrigen geheilt, ziemlich entsprechend
der Besserung des Tastgefühls; die zum Theil vollkommene Analgesie, welche in
1, 2, 5 und 6 vorhanden war, geheilt; die Neuralgien der Gebesserten wurden
schwächer und seltener; die in 1 auf 8 — 4 Secunden verlangsamte Leitung der
Schmerzempflndung auf 1 — 2 Secunden gebessert, an den Füssen und anderweitig
ganz beseitigt.
Nur einmal wurden geheilt die reflectorische, Pupillenstarre der Mangel des
Patellarphänomens.
— ÖT —
Die Dauer der an Heilung gprenzenden Beesernng ist constatirt bei Nr. 5 anf
4 Jahre, bei 1 auf 3 Jahre, bei 2, 3 und 6 anf 1 Jahr; diejenige der vollkommenen
Heilang Nr. 4 anf 4 Jahre.
Diese 6 Tabischen entfallen ans einer GFesammtzahl von 24. Zwei von der
Gesammtheit waren überdies vor Beginn der Cndowaer Cur durch Galvanisirung von
dw Ataxie bis anf Spuren befreit.
Alle erfahren bis anf 2, welche im paralytischen Stadium sich befanden, durch
die COj-Bäder eine Besserung des Tastgefflhls, der Geschicklichkeit und Ausdauer
im Gehen.
BetrefiGs der verschiedenen Heilmethoden wird gesagt: Wir sehen demnach an
den Bessenmgen und Heilungen die Ealtwassercnr, die kohlensauren Stahlbäder Cu-
dowas, die Galvanisation des Bflckenmarks und die periphere Faradisation mit dem
Pinsel, das Argent nitr. in 2 Beispielen und in den mit Lues combinirten das Queck-
silber und Jodkali betheiligt Keiner dieser Methoden — abgesehen von der Anti-
loese — liegt eine besondere Indication zu Grunde, und keiner ist ein Vorzug vor
der andern einzuräumen.
In vorgeschrittenen, rapide verlaufenden hofhungslosen Fällen werden gegen die
unerträglichen Neuralgien die Moorbäder von 28 — 30^ B. empfohlen.
Jastrowitz.
nL Aus den GtosellschafteiL
Soci^tä de Biologie, Paris. Sitzung vom 15. December 1885.
Dupuy: »»Ueber Looalisation im Oehim.** Die durch elektrische Beizung
der Binde erzeugten motorischen Wirkungen entstehen nach D. nur durch Diffusion
des Stromes vermittelst der Arterien. Neuerdings hat D. in der Capsula interna
4 erregbare Zonen gefunden, durch unerregbare von einander getrennt, jene ersteren
aber sind die Umgebungen von Arterienästen.
P. Franck beansprucht energisch die Priorität der Entdeckung der 4 getrennten
motorischen Centren der Capsula interna fOr Pitres und sich selbst Auch bringe
Dnpuy keinerlei Beweise für seine Behauptungen bei.
Dupuy giebt zu, die ältere Arbeit von Pitres und Franck gekannt zu haben.
Em Beweis fElr seine Ansicht sei, dass mechanische Beizungen der betreffenden Stelle
keinen Effect hätten, wohl aber die elektrischen, diese also durch Diffusion.
Franck. Ganz im Gegentheil erzielt man mit mechanischen Beizungen wohl
Effecte und damit falle Dupuy*s Ansicht; er werde nächstens hierftber berichten.
Laborde wendet sich gleichfalls gegen Dupuy's Auffassung.
Sitzung vom 26. December 1885.
Orsay (London) hat bei Affen und Hunden die Schilddrüse exstirpirt, um die
Pathogenese des Myxödems aufklären. Die Affen starben ausnahmslos nach 5 bis
6 Wochen unter den Symptomen des Myxödems, die Hunde kamen bisweilen mit
dem Leben davon. Von Symptomen constatirte 0.: 1) Zittern der Beine und der
Gesichtsmuskeln. 2) Lähmungen, ähnlich denen bei Paralysis agitans. 3) An-
schwellungen der Augenlider, der Bauchwand etc. 4) MilzschweUung. 5) Imbecillität.
6) Temperaturabnahme bis um 3^.
Verf. unterscheidet danach eine nervöse, eine myxödematöse und eine atrophische
Periode. Alte Thiere scheinen die Ezstirpation besser zu vertragen, als junge.
Auf eine Bemerkung Laborde's über die hypertrophischen Schilddrüsen des
— 68 —
Cretms antwortet 0., dass die letsteren entweder atrophiaehe SchilddrOaen h&tten,
oder krankhaft vergrösserte, die aber fonctionell ohne Bedeutung seien.
Hadlich.
Soci^t^ m^dicale des bOpitaux, Paris. SitEung vom 27. November 1885.
Als 9,Hy8teri6 beim Manne** stellt Ferr^ol zwei Kranke vor. Der eine
Patient, 34 Jahre alt, heredit&r nenropathisch, bekam 1871 plötzlich Hemianästhesie
und Hemiplegie links, Erscheinungen, die sich im Laufe der Jahre verloren, bis sie
nach einem im August 1884 erhaltenen heftigen Schlage auf den Kopf wieder stark
hervortraten. Die Hemianftsthesie ist total, erstreckt sich auch auf s&mmtliche Sinnes-
nerven. Die Motilit&t des linken Beines hat sich einige Tage nach dem Schlage
(welcher den Kranken bewusstlos machte) wieder hergestellt, der linke Ann aber
zeigt schlafiPe Lähmung und deutliche Atrophie. Die. elektrischen Beactionen
sind normal. Patient hat seit mehreren Jahren ausgesprochene Anfälle ohne Verlust
des Bewusstseins. Der zweite Patient, 25 Jahre alt, ist vor 4^2 Jahren durch einen
Wagen umgestossen und seitdem fast bestandig betü&gerig gewesen. Es besteht eine
vollständige rechtsseitige Hemianästhesie (incl. Sinnesnerven), Einengung des Qesichts-
feldes, monoculäre Polyopie links, beiderseitige, links stärkere, Ptosis. Aber diese
Lähmungserscheinungen sind intermittirend, sie treten nur dann auf, wenn Patient
sich ermüdet hat. Die Muskeln des rechten Arms sind atrophisch, auch die M. pecto-
rales. In diesem Falle bestehen nach F. neben den durch das Trauma erzeugten
Affectionen wahre hysterische Lähmungen.
Debove stellt gleichfalls einen hysterischen Mann vor, 36 Jahre alt, Familien-
vater. Vor etwa 1 Jahre wurde bei ihm eine rechtsseitige Hemianästhesie constatirt,
Transfert mittelst des Magneten. Der Kranke ist leicht zu hypnotisiren; aber auch
ohne Hypnotismus kann man bei ihm durch „Suggestion'' (Beredung) jeden beliebigen
Theil des Körpers anasthetisch-paralytisch machen. — D. hält alle Fälle mit Hemi-
anästhesie und Hemiplegie, die als durch den Magneten geheilt von ihm vorgestellt
sind, jetzt fOr hysterische.
In der Sitzung vom 11. December steUte sodann Miliard noch einen Kranken
als hysterisohen Hemiplegiker vor, 35 Jahre alt, früher ganz gesund, welcher
seit Juli d. J. 3 Anfälle von Bewnsstlosigkeit mit nachbleibender linksseitiger Parese
gehabt hat. Gegenwärtig besteht nach dem letzten Anfalle im November eine Hemi-
parese des linken Beines und vollständige Hemianästhesie; Abschwächung des Geruchs,
keine Störung des Farbensinnes, keine (^ehörstömng. Langsame spontane Besserung.
Sitzung vom 18. December 1885. Jeffrey demonstrirt einen neuen Fall von
tabiflohem KltunpfüBS. Im (Gegensatz gegen seine frühere Ansicht muss er jetzt
oonstatiren, dass die elektrische Erregbarkeit der Unterschenkelmuskeln sehr herab-
gesetzt ist; einmal hat J. auch Entartungsreaction beobachtet. Die Form des Klump-
fusses kann eine verschiedene sein, doch ist es meistens ein pes varo-eqninus.
Hadlich.
Acad^mie de m^decine de Paris. Sitzung vom 29. December 1885.
Heilung von EpUepsie und Neuritia optica duroh Enuoleatlon eines
verletaten Auges, von Galezowski.
Verletzung und Atrophie des rechten Auges im Jahre 1877. Nach 6 Jahren
(1883) trat Erbrechen und starker Kopfschmerz auf, alsdann im Mai und Juni etwa
10 epileptische AntUle und sympathische Entzündung des linken Auges: Neuro-reti-
nitis mit venöser Hyperämie, perivasculären Infiltrationen und einigen Extravasaten.
Nach Beseitigung des rechtsseitigen Augenstompfee völlige Heilui^ (abgesehen von
bleibenden Veränderungen der Papille und einer Lücke im Gesichtsfelde). G. ist
der Ansicht, dass die sympathische Augenentzündung nicht — wie die deutschen
— 69 —
AotoroD aoBehmen — durch Fortpflanzung^ anf dem Weg» der Lymphbabnen zu
Stande komme, sondern dordi Fortleitnng der Entzündimg längs der Blntgefösse, nnd
Termittelst der Taso-niotorisohen Nerven, am N. opticus entlang bis snm Gehirn nnd
am anderen N. opticus abwärts. Hadlich.
Äcademie des sciences de Paris. Sitzung vom 28. December 1885.
Yulpian hatte früher einmal einen Fall von Verlust des Geschmacks mitgetheilt»
in welchem er eine Aflfection der Br&cke und der Medulla oblongata diagnosticirt
hatte; jetzt hat die Section die Diagnose einer Aflfection der Medulla obL bestätigt.
Neuerdings hat Y. Untersuchungen über die Innervation der Speicheldrüsen bei
Hunden angestellt £s sind Aeste des N. buccalis vom N. nuudllaris inf., welche
zu den Speicheldrüsen geheui und Heizung des N. buccalis erzeugt starke Speiohel-
secretion. Nun bringt aber Beizung des N. thgeminus in der Schädelh^Ale (oder
des N. facialis und acusticus) diese Secretion nicht hervor, wohl aber die Beizung
des N. glossopharyngeus; von diesem also, resp. vom Bamos Jacobsonii stammen die
excito-secretorischen Fasern des N. buccalis. — Heidenhain's Beobachtung, dass
auch die Beizung des Sympathicus Speichelabsonderung hervorruft, bestätigt Y. Da
diese Wirkung sich auch auf die vom N. buccalis versoi^n Drüsen erstreckt^ so
schUesst V., dass dieser Nerv auch sympathische Fasern enthält Hadlich.
Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenkrankheiten. Sitzung
vom 11. Januar 1886.
Thomson: „Ueber SenBibilitätsstörungen bei Gtoisteskranken.** Die
18 Beobachtungen, über welche Th. berichten will, beziehen sich ausschliesslich auf
{geisteskranke Männer, um Hysterie möglichst ausznschliessen, denn die Hemianästhesie,
(ider besser „gemischte sensorisch^sensible Anästhesie mit Betheiligung des Farben-
ond Mnskelsinnes'S ist durchaus nicht bloss der Hysterie angehdrig.
Die Sensibilitätsstörungen bei Geisteskranken sind sehr ungleich. Th. unter-
scheidet mehrere Klassen, je nachdem die Hemianästhesie eine ganze Körperhälfte
einnahm nnd ganz vollständig war, oder aber unvollständig war; oder nicht die
ganze eine Körperhälfte einnahm; oder in fleckweisen Anästhesien von ganz bunter
Form bestand.
Immer waren Haut und Sinnesorgane betheiligt Die totale Hemianästhesie, die
selten ist (3 Fälle), zeigt bisweilen die Eigenthümlichkeit, dass die Haut der Geni-
talien ästhetisch bleibt Oefter bleiben Theile der einen Körperhälfte frei, z. B. der
Vorderarm so, dass zwei Streifen unempfindlicher Haut sich anf ihm entlang ziehen;
auch ist bisweilen die Kopfh&lfte und die beiden Extremitäten; aber auch der Kopf
ganz und beide Hände und Füsse anästhetisch etc. Femer zeigen sich Yerschieden-
heiten in dem Mitauftreten von Dysthermie, Analgesie etc.
In der Begel war die Anästhesie stationär für längere Zeit, Jahr und Tag,
doch zeigten sich schwankende Yerhältnisse an den Grenzen der unempflndlichen
Hantstellen.
Betreffs der Sinnesorgane bestand immer concentrische Einschränkung des
Gesichtsfeldes, ausgenommen ein Fall, in welchem dafür leichte Ermüdung für
Gesichtseindrücke vorhanden war. Yöllige Empfindungslosigkeit für einzelne oder
mehrere Farben bestand in 6 — 8 Fällen (Achromatopsie). Das Gehör ist immer
berabgesetzt nnd zwar meistens am stärksten auf der Seite der Hemianästhesie. —
Geruch und Geschmack waren meistens beiderseits herabgesetzt und zwar fielen auch
hier einzelne Qualitäten ganz aus (Empfindung für süss oder bitter), während andere
normal waren. — Die Störung des Mnskelainnes war bald ein-, bald doppelseitig,
doch gleichfalls anf der Seite der Hemianästhesie am stärksten.
— 70 —
Dieser typische Sympiomencomplex nun fand sieb sowohl bei chronisch Qeistes-
kranken, als auch bei Kranken mit transitorischen psychischen Störungen. Bei
8 Kranken bestand deutüche Dementia, bei 6 exquisite Paranoia, bei 4 transitoriscbe
Angstzustandef.
Aetiologisch wichtig erwiesen sich besonders 3 Umstände: 1. KopfTerletzungen,
2. Epilepsie, 3. Abusus spirituosornm; und zwar fand sich niemals nur eine von
diesen Veranlassungen allein vor, sondern stets eine Mischung mehrerer derselben.
Potatoren waren 10, bei 8 waren Kopfverletzungen voihergegangen, 11 litten an
Epilepsie.
Was die Hysterie angeht, so waren 3 Kranke entschieden hysterisch; 2 Kranke
boten Aehnlichkeit mit der multiplen Sclerose, zeigten das Bild, das Westphal als
der multiplen Sclerose ähnlich beschrieben hat, weshalb Th. diese Form „WestphaP-
sche Neurose" nennen möchte; — Imal kam Blei-Intoxication in Frage; — Imal
war ein Schlaganfall vorhergegangen etc.
Th. hält diese Anästhesien für functionelle, central bedingte Störungen, weil sie
ihrer Vertheilnng nach als peripherische Aifectionen nicht zu erklären wären, weil
sie femer an den Grenzen Schwankungen zeigen, weil sie mit Störungen der Sinnes-
organe verbunden sind, und weil sie dem Transfert zugänglich sind. Der Transfert
wurde allerdings bei den 18 Fällen nur 7mal versucht und gelang bmni, und zwar
2mal ganz vollständig, mit Einschlnss d^er concentriscben Gesichtsfeldeinschrinkung,
der Herabsetzung des Gehörs etc.
Alle diese Fälle auf Hysterie zu beziehen ist entschieden falsch, wie obige
Angaben erweisen; aber auch das Bestehen von Herdaflfectionen bestreitet Th., denn
auch in dem Falle gerade, in welchem 1866 eine Hemiplegie mit Sprachstörung
dagewesen sein soll, gelang der Transfert
In der Discnssion bemerkt Uhthoff, dass ihn das häufige Vorkommen von Achro-
roatopsie wundere; er kenne nur einen Fall dieser Affection; und in betreff der Orien-
tirnngsfähigkeit dieser Kranken mit Btarker concentrisoher Gesicbtsfeldeinschränkung
giebt er an, dass sie nur da nicht hervortrete, wo die Einschränkung nicht erheblich
sei; in Fällen sehr starker Einschränkung orientirten sich die Kranken schlecht
Thomsen fand unter den 18 Kranken nur Imal Unföhigkeit zum Orientiren;
doch waren allerdings die Einschränkungen des Gesichtsfeldes meist nur massig stark.
Westphal knüpft an das au&llende Freibleiben der Genitalien von der Anästhesie
die Bemerkung an, dass er dieses auch einmal in einem Falle von Paraplegie mit
Anästhesie, welche auf palpablen Ursachen beruhte, gesehen habe.
Siemerling gab einen interessanten Beiaeberioht über engUsohe Irren»
Anstalten« in welchem er besonders ausfflhrlich auf die Frage der familiären Ver-
pflegung und der Unterbringung geisteskranker Verbrecher einging. Wegen der
zahlreichen Details und den damit verknüpften Zahlen mnss auf die demnächst im
Druck erscheinende Arbeit hingewiesen werden. H ad lieh.
IV.
The nature of mind and human automatism, by Morton Prince. Phila-
delphia 1885. (173 Seiten.)
Der Verfasser, ein Neuropathologe von Facb, versucht in seiner Schrift^ für
welche zufolge seiner Vorrede das „nonum prematur in annum" zutrifft, auf streng
materialistischer Basis stehend, jenes Bäthsel zu lösen, welches Du Bois-Beymond
zu dem bekannten Schlusssatze des Ignorabimus geführt
Dem entsprechend präcisirt er im ersten Gapitel, nach einer Darstellung des
modernen Monismus, den er, wie schon von anderer Seite betont, nicht als Erklärung
— 71 —
anarkamity das Problem dahin, die Entstehung von sweierlei Eracheinangsweisen nnd
deren Beziebimg zu einander festzustellen oder, mit anderen Worten, zu zeigen, wie
aus physikalischen Vorgängen eine Empfindung wird.
Die Antwort giebt folgendes Theorem: An Stelle einer Substanz mit zwei Er-
scheinQDgsformen — Bewegung und Geist — nimmt er eine Substanz, den Geist
an, deasen zweite scheinbare Eigenschaft, die Bewegung, nur die Form ist, unter
weldier diese reale Substanz von einem zweiten Organismus aufgefasst oder begriffen
wird. Die Bewegung ist die Empfindung des zweiten Organismus, wenn der Geist
auf ihn wirkt. Die Beweisfahrung des Autors, basirt auf der bekannten Anschauung
von der subjectiven Natur aller Anschauungen mit dem Fehlen jeder Kenntnis des
„Ding an sich", l&uft darauf hinaus, dass die psychischen Vorgänge mit den jenen
Anschaanngen zu Grunde liegenden Vorgängen identisch sind.
Um dies zu beweisen macht er folgende Hypothesen: Der Sitz des Bewusstseins
ist im Centnünervensystem, jeder Bewusstseinszustand ist begleitet von einer mole-
cnlaren Veränderung im Gehirn; die beiden letzteren sind in unbekannter Weise
von einander unabhängig. Als einzig annehmbare Hypothese hinsichtlich dieser Ab-
hängigkeit bezeichnet er das oben aufgestellte Theorem. Den Gegensatz dieses gegen-
äber der bekannten Deutung des Monismus sieht P. darin, dass dieser letztere durch
die Annahme, dass beide Zustände nur verschiedene Erschemungsformen eines und
dessellien Dings sind, die Actualität beider leugnet
Von diesem Standpunkte aus erklärt er selbstverständlich die Frage nach der
Natur des Geistes als absurd und bezeichnet mit Lowes die Hypothese von den
molecnlären Schwingungen der Nervensubstanz nur als Hülfsmittel, gleichwie der
Physiker Licht als Schwingungen des Aethers erklärt.
Als natfirliche Consequenz ergiebt sich für den Autor das, was wir seit Grie-
singer als psychische Beflexactionen bezeichnen, in deren Kette jedoch das Bewusst-
sein ein activee Glied ist; eine weitere Deduction führt ihn zur Annahme, dass die
sog. automatischen Handlungen nicht ohne Bewusstsein vor sich gehen, was er an
dem bekannten Fall von Mesnet nachweist. Es ist dies bekanntlich der Standpunkt,
den auch die neuere Klinik emnimmt.
Weitere Capitel über Selbstbestimmung und Materialismus können hier übergangen
werden.
Es ist aus dem Vorstehenden ersichtlich, wie sich die Anschauungen des Autors
vielfaeh mit denen deutscher Forscher, z. B. Fechner, berühren; diese scheinen ihm
leider, soweit ersichtlich, nahezu ganz unbekannt zu sein.
Die Ausstattung des Buches ist splendid. A. Pick.
Inebrüam. Fathologioal and psyohologioal study, by T. L. Wright. Golumbus
(Ohio) 1885. (222 Seiten.)
Der Grundgedanke, welcher die vorliegende, von einem Arzte für das weitere
gebildete Publikum geschriebene Schriffc durchzieht, ist der Nachweis der pathologischen
Nator der Trunksucht, und speciell der Dipsomanie, der das Werk fast ausschliess-
lich gewidmet ist.
Der Besprechung der pathologischen Basis fOr dieselbe sind mehrere Capitel
gewidmet, die sich von diesem Standpunkte aus zu einer kritischen Darstellung unserer
und speciell der amerikanischen Culturzustände und der in denselben begründeten
Neurasthenie der gegenwärtigen Geschlechter ausweisen, aus deren Details das von
der Ueberanstrengung in der Schule Gesagte besonders hervorgehoben zu werden
verdient
Aus der Darstellung der Psychologie und Pathologie leuchtet überall die volle
Saehkenatniss des Verfassars hervor, von der unter Anderem die Capitel vom sog.
- ?2 -
alcoholic taraoce Zeugniss geben. Aber gerade hierin scheint im Hinblick auf d&s
Publiknm, für welchee die Schrift bestimmt, eine Klippe gelegen« und man moss sicli
billig fragen, ob die wenn auch nur kurzen Excorse auf das Gebiet der nonnalen
and pathologischen Gehimanatomie und Histologie das nöthige VerständniBS finden.
Naturgemäss finden sich yielfach die Beziehungen des Alkoholismns zum Gesetze
erörtert; interessant ist darunter die Kritik der Versuche einer gesetzlichen Unter-
di-fickuug des Alkoholismus, die in dem Nachweise gipfelt, dass dieselben fehl gehen,
weil sie zumeist den fertigen Trinker fassen und die näheren und ferneren Ursachen
der Trunksucht ausser Acht lassen. .
Die Ausstattung des Buches ist die von amerikaniachen Bflchem gewohnte
pr&chtige. A. Pick.
In Bezug auf den über die Priorität ,4^ Sachen der Entartungsreaotion" be-
stehenden Streit zwischen Erb und v. Ziemssen (cf. d. Ctrlbl. 1886. S. 46) findet
sieb in Nr. 3 der klin. Wochenschr. 1886 noch eine Entgegnung von Erb, welche
die, wie uns scheint, richtigen Grundsätze hervorhebt, nach denen Prioritätsansprüche
zu entscheiden sind. Die Anwendung derselben sichert in der bezflgücheu Frage
unzweifelhaft Erb die Priorität, eine Ansicht, der auch neuerdings Bernhardt
(Ztschr. f. klin. Med.) beigetreten ist M.
V. Offene Stellen.
Brandenburgische Provinzialirrenanstalt in Eberswaldo bei Berlin: 3. Arzt,
3000 Mark, freie Dienstwohnung, Heizung und Erleuchtnng, möglichst bald; 2. Hülfs-
arzt, 1200 Mark, freie Station, zum 1. April d. .T. zu besetzen. Meldung an Geheimen
Sanitätsrath Dr. Zinn, Eberswalde.
VI. Vermischtes.
Seit dem Jahre 1885 erscheint in Italien eine neae Zeitschrift, welche der Psychiatrie
gewidmet ist und der wir den besten Erfolg wünschen. Sie fährt den Titel „B Manicomio"
(die Irrenanstalt) und mit Recht. Die Aerzte des wohlbekannten Asyls Victor Emmanuel IL
bei Noeera (Neapel) liefern (mit .dankenawerther Unterstützang anderer hervorragender
Psychiater) die Beitrage und besorgen die Bedaetion, während Kranke unter Anleitung eines
Typographen die Hefte setzen und drucken. Die Ausstattung des zweiten und dritten Heftes,
sowie der Druck und die Correctur, die einzig durch Anstaltskrafte hergestellt sind, verdienen
in jeder Hinsicht volle Anerkennung. Gerade fßr Kranke aus den gebildeteren Standen, die
zu beschäftigen bekanntlich recht schwer fallt, kann eine wohl eingerichtete Buchdmckerei
ein nutzbares Arbeitsfeld gewähren.
Uebrigens ist der erste Yersoch, eine derartige Thätigkeit geeigneten Kranken zu er*
öffnen, vor längerer Zeit vom Oberarzt Dr. Björnstrom iu der Irrenanstalt Konradsberg
zu Stockholm gemacht worden. Sommer.
Ein neues Mittel gegen Trigeminusneuralgie. Nach einem kurzen Referat im „Alienist
and Neurologist" (1865. p. 43S) hat Dr. Josö Ramirez Tovar in Habanna neuerdiogs
einige günstiee tberapeutiBohe Erfolge bei Gesichtsneuralgien durch die Anwendnng eines
neuen Alcaloids, von Parthenium Hysterophorus stammend, berichtet. Er gab Vi«gr stünd-
lich ; die dritte Dosis beseitigte den Schmerz. Ein Rückfall am 5. Tage würde durch einige
weitere Dosen gehoben; die Heilung hielt bis jetzt 5 Monate an. Sommer.
Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten.
- - - --- -- — -■- ■ — __■ — -■-_- ^ - _- _ _ _ -^__ - j j^_
Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E.Mendel»
Berlin^ NW. Kronprinzen -Ufer 7.
Verlag von Vbit & Comp, in Leipzig. — Druck von MsTsesa^ & Wncne in Leipzig.
lEÜROLOGISCHESCENTRALBLAn.
Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie
und Therapie des Nervensystemes einschliesslich der Geisteskrankheiten.
Herausgegeben von
Professor Dr. E. Mendel
Fttsfter " "*"^ Jahrgang.
Monatlich erscheinen zwei Nammem. Preis des Jahrganges 16 Mark. Zn beziehen durch
alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie
direct yon der Verlagsbuchhandlung.
1886. 15. Febrnar. M 4.
Inhalt. I. Orlglnalnitihellungeii. Ein Fall tou Thomsen'scher Krankheit, von Fischer.
II. Referate. Anatomie. 1. Neuere üntersuchungsmethoden des Gehirns, von Fischl.
2. Ursprung dee N. acusticus des Kaninchens, von Onufrewicz. — Experimentelle Physio-
logie. 3. Traumatische Polyurie, von Kahler. — Pathologische Anatomie. 4. Galea-
reoas gumma in the Brain, by Barritt. 5. Yillous tumour in the fourth ventaricle, by Deuty.
— Pathologie des Nervensystems. 6. Basale Schädelfissuren, von Rosenthal. 7. Com-
pound oomminnted and depressed firacture of skull. 8. Compound depressed fracture of the
skull, by Humphreys. 9. Bullet- wound of the cerebral hemispheres, with hemiplegia^ com
plete recovery, by Pareons. 10. Doppelseitige Amaurose bei Epilepsie, von Heinemann.'
11. Epilepsia acetonica^ von Jaksch. 12. Zur Kenntniss des Zitterns, von Talma.r 18. The
Chin renex, by Lewis. 14. Commotion de la moflle ^pini^re, par Duminil et Petel.
15. Aneurysmen der kleinsten Rückenmarksgefässe, von Hehold. — Psj^chiatrie. 16. Clini-
eal observations on the blood of the Insane, by Riitherford. 17. Contnbution a T^tude de la
morphiomanie, par de Montyel. 18. Een geval van periencephalitis luetica, door Gieihers.
19. Note sur la paralysie g^n^le chez la femme; ae Thyst^e chez les femmes atteintes
de paralysie g^erale, par Rey. 20 Le caract^re dans les maladies, par Azam. 21. Note sur
nne Umon grave du crane d^couverte sur la tete d'un suppliciö, par Hospital. 22. Sur Ui
pr^ndne mgilitä des os chez les paralvtiques gön^raux, par Christian. 28. Du degr^ d'im-
portanee au point de vue du pronostic drun abaissement extreme de la temp^rature dans le
cours des maladies mentales, par Popoff. — Therapie. 24. Alt^rations de la moSlle ^piniäre
causte par Tälongation du nerf soiatique, par Tamowskl. 25. Feedin^ by rectum, by Mlckle.
26. IcAs over elec&iciteit bq epüepsie, door Droeze. 27. Cooaine in disofders of the nervouK
System, by Bauduy. — Forensische Psychiatrie. 28. Caao di parriddio in un frenaste-
nico, pelr avT. Agiiglia. — Anstaltswesen. 29. Legislation on Insanity, etc., by Harrison.
30. The Insane in the United States, by Tuke.
III. Aus den Gesellschaften.
IV. Bihliographie.
V. Personallen.
I.
Ein Fall von Thomsen'scher Krankheit.
Mitgetheilt von Dr. Gig. Fischer,
Director der Heilanstalt fQr Nervenkranke zn Cannstatt.
In jüngster Zeit hat W. Ebb in diesem Centralblatt^ Fälle von Thomsen'-
scher Krankheit mitgetheilt, bei welchen er neue und überraschende elektrische
» 1886. Nr. 13.
- 74 -
Beactioimformen und chaiakteristiscbe anatomische Veränderangen beobachten
konnte. Durch die Freundlichkeit des Herrn CoUegen Stabsarzt Dr. Bückling in
Stuttgart, der mir den unten zu schildernden Fall zur Untersuchung überliess,
bin ich in der Lage, die Befunde Ebb's bestätigen zu können und theile im
Nachfolgenden meine üntersuchungsresultate mit Was an dem Erankheitsbilde
allgemein bekannt ist, habe ich nur kurz erwähnt und den Nachdruck auf die
elektrischen und anatomischen Verhältnisse gelegt.
Jacob Martin, Bauemsohn von Tuttlingen, 21 Jahre alt Keine Here-
dität, Eltern nicht blutsverwandt Drei lebende ältere, keine jüngeren (jeschwister.
Mit 14 Jahren kommt Patient, der Mher vollständig gesund war, zu einem
Schuhmacher in die Lehre. Dem Erummsitzen und dem bei diesem Berufe
nöthigen Anspannen der Kniee und Oberschenkel will er die Krankheit ver-
danken. Die ersten Anzeigen derselben hatte er mit 167« Jahren. Er wird
dann Fuhrmann und fOhlt sich durch sein Leiden in diesem Berufe nicht be-
hindert 1884 in ein Stuttgarter Infanterie-Regiment eingereiht, macht er das
Exerdtium ebenfalls ohne wesentliche Störung mit, meldet sich aber im Früh-
ling 1885 krank, weil er meint, im Lazareth Verständmss und Hülfe für seinen
Zostand zu finden So wird er nach gestellter Diagnose militärfrei in die Hei-
math entlassen. Er sucht seinen Zustand zu verbergen; weder seinen Angehörigen
und Freunden, noch seinen miUtärischen Vorgesetzten hat er erzählt, was ihm
fehlt Auf Befragen, ob nicht doch in seiner Familie ein ähnlicher Krankheits-
fall vorgekommen und ebenfalls verheimlicht worden sei, meint er, dass dies
nicht gut möglich sei, weil e^ selbst die Symptome der Krankheit so gut kenne,
dass er zweifellos die Sache hätte entdecken müssen.
Die Erscheinungen der Thomsen'schen £[rankheit, wie sie die Autoren be-
schreiben, sind bei den Kranken charakteristisch ausgeprägt und erstrecken sich
auf die Musculatur der Extremitäten, des Rumpfes, des Halses, der Zunge, die
Masseteren, das Facialisgebiet, vielleicht auch auf die Augenmuskeln. Die In-
tensität erscheint mir — der ich noch keinen Fall von Thomsen'scher Krank-
heit gesehen hatte — noch gering, vielleicht abhängig von dem relativ kurzen
Bestand des Leidens. Am ausgeprägtesten sind die Symptome des tonischen
Krampfes am Morgen nach längerer Bettruhe und bei nüchternem Magen, dann
sind die Extremitäten bei Gehversuchen vollständig steif und der Patient ist in
Gtefahr umzufallen, wenn er gehen soll. Nach kurzer Einübung werden die
Glieder aber gelenkig und für gewöhnlich merkt man dem Manne Nichts an.
Nach Alkoholgenuss wird die Muskelspannung geringer. Auch andere Factoren,
welche die Autoren angeben, wirken hemmend oder begünstigend auf den
Krampf. Beim Zusammenbeissen der Zähne contrahiren sich die Masseteren
tonisch und der Patient kann dann den Mund nicht öffiien. Es soll schwierig
sein, das B auszusprechen. Die Angaben hierüber sind etwas unklar. Wahr-
scheinlich liegt es hier an mangelnder Bewegung des Unterkiefers. Eine gewisse
Unsicherheit der Augenbewegungen bei raschem Wechsel der Blickrichtung war
einigemal anfallend. Die Musculatur ist stark entwickelt, namentlich am
Halse, an den Oberschenkeln, der Wadengegend, den Oberarmen. Bei dem
- 75 -
willkürlich oder dnrch elektrischen Beiz hervorgerufenen tonischen Krampf
treten die Mnskelbäuche ansserordentlich volaniinds und plastisch hervor.
Die geistige und körperliche Entwickelung ist im Uehrigen normal. An
den inneren Organen keine Abnormität Keine Dc^enerationszeichen. Der Herz-
shock kraftig an normaler Stelle, doch auffallend schwacher, oft wechselnder und
häufig sehr tarder Puls, Auch häufig Verminderung der Pulsfrequenz auf 60.
Dem entsprechend die sphygmographische Curve: Schräge Ascensionslinie, häufig
leichte Anacrotie, flacher Gurvengipfel, schwache Bückstosselevation, sehr geringe
Elasticitätserhebungen. Die Haut ist sehr empfindlich, häu%e Gänsehaut, rasche
entzündliche und yasoparaljtische Beaction bei elektrischen Beizen. Mit den
erwähnten Abnormiföten der Haut und der Kreislauforgane hängt es vielleicht
zusammen, dass die Wundheilung bei dem jungen Mann eine äusserst lang-
wierige war. Zum Zwecke der mikroskopischen Untersuchung wurde am 6. Nov.
ein Stückchen aus dem rechten Biceps brachii excidirt. Nach 4 Tagen schien
die gut vernähte und streng antiseptisch behandelte Wunde geheilt Beim
Herausnehmen der Nähte zeigte sich aber, dass keinerlei Vereinigung erfolgt
war. In der vollständig reactionslosen Wunde wurden am 18. Nov. die ersten
Granulationen beobachtet Anfang Deoember war die Wunde noch nicht völlig
geheilt
Haut- und Sehnenreflexe sind normal. Es treten dabei keine tonischen
Zuckungen ein. Bei dem von Jendbabsik^ angegebenen Yer&hi^n wird der
Patellarreflex verstärkt, aber nicht tonisch.
Die grobe Kraft ist im Verhältniss zum Volumen der Muskeln gering.
Dynamometer 42 — 47 Kilo. Doch giebt Pat an, dass er nicht schwächer sei
als Andere.
Unter günstigen Verhältnissen und namentlich nach längerer Buhe
wird eine Naohdauer der willkürlichen Muskelbewegungen beobachtet
Diese Nachdauer steht im Verhältmss zu der aufgewandten Willeusenergie, so
dass bei energischen Muskelcontractionen der tonische Krampf 25 — 27 Secunden
anhält und dann allmählich vergeht
Die mechanische Erregbarkeit der Nervenstämme ist nicht erhöht
An den Muskeln dagegen ist die mechanische Erregbarkeit durch-
weg hochgradig gesteigert Schläge mit dem Percussionshammer verursachen
tonische Gontraction und Stehenbleiben der Gontractionswelle als Wulst Längs-
<e, Delle. Die Nachdauer auch hier im Allgemeinen abhängig von dem
Grrade des Beizes.
Die elektrische Erregbarkeit wurde vielfach untersucht In Nach-
stehendem gebe ich die. von mir constatirten Thateachen summarisch als das
Resultat zahlreicher Einzeluntersuchungen, welch' letztere allerdings in ihrer
nothwendigen Abhängigkeit von zeitlichen und äusseren Einflüssen nicht inunet
imter sich vollständig gleiche Ergebnisse hatten.
Faradische Erregbarkeit der Nerven: Bei Einzel-InduotionsöShungs-
schlagen blitzartige Zuckung, wachsend mit der Intensität des Stromes. Bei
^ Dies. Centralbl. 1885. S. 412.
— 76 -
faradischen Strömen mit freischwingendem Hammer tritt bei einer gewissen
Intensität immer deutliche Nachdauer der Gontraction ein. Bei geringeren In-
tensitäten einfache Beaction während der Stromdauer. In einigen wenigen
Fällen konnte ich auch mit starken Strömen keine Nachdauer des Tetanus er-
zielen. Die Schwellenwerthe für das Eintreten der Nachdauer li^n an Ter-
schiedenen Nerven verschieden hoch. Als längste Dauer der tonischen Nach-
contraction ivurde 18 Secunden beobachtet Manchmal zeigt sich schon von
der Stromöffiiung an ein allmähliches Zurückgehen der Zuckung. Ein häufiger
Befund war, dass nach einigen Schliessungen kräftiger Ströme die Nachdauer
fehlte oder wenigstens viel schwächer wurde (also wie bei wiederholten will-
kürlichen Bewegungen) und dass sie sich erst wieder einstellte, wenn der Nerv
nach längerer Buhe wieder gereizt wurde.
Einigemal wurde auch undulirende Zuckung während der Stromdauer
bemerkt
Am Facialis bei erträglichen Strömen keine eigentliche Nachdauer, sondern
nur ein langsames Abklingen der Gontraction.
Galvanische Erregbarkeit der Nerven. Die Schwellenwerthe für die KSZ
liegen durchaus normal (0,5-'2,0 M.-A. Untersuchungselektrode » ca. 10 Dem).
Normale Zuckungsformel. Die KSZ mit der Stromstärke wachsend. Eigent-
licher ESTe tritt erst spät ein. ASZ liegt schon nahe bei ESZ (auch hier ein-
zelne Ausnahmen) AOZ überall vorhanden auch an Nerven, wo sie nach meinen
Erfahrungen oft fehlt (GruraUs). ADTe wird einigemal beobachtet EOZ fehlt
noch bei 60 EL == 22 M.-A.
Die Zuckungen sind normali blitzartig. Nachdauer nach Stromöffiiung
selten. Häufiger wird einfaches Abklingen der Gontraction nach EDTe beobachtet
Nur am linken N. radialis finde ich bei sehr starken Strömen lange Nachdauer.
Bei labiler Beizung der Nerven erfolgen bei langsamen Stromschwan-
kungen Einzelzuckungen, bei schnellen Tetanus mit deutlicher Nachdauer.
Faradische Erregbarkeit der Muskeln. Einzelne 0-Schläge haben
nur kurze Zuckung ohne Nachdauer zur Folge» Faradische Ströme dagegen
vemisachen schon früh deutliche Nachdauer mit Stehenbleiben von Muskel-
wülsten, Sehnenspannungen etc. Einmal wird die Nachdauer an dem (vorher
nicht untersuchten) M. cucuUaris vermisst. Einmal nach längerer Faradisirung
undulirender Ghanikter der Zuckung. Vielfach fehlt nach wiederholten Strom-
schliessungen die Nachdauer, ist aber durch höhere Intensitäten oder nach
kurzer Buhe wieder hervorzurufen.
Galvanische Erregbarkeit der Muskeln. Die Schwellenwerthe für
die ESZ nicht erhöht In den meisten FäUen tonische, oft fast wurmformige
Zuckung. Oft langsames Anwachsen der Zuckung während der Stromdauer.
Manchmal verlängerte Latenzzeit Ausgesprochene Neigung zu Dauer-
reactionen, so dass schon bei geringen Intensitäten die ganze Stromdauer yon
der Gontraction ausgefüllt wird* Die träge Gontraction wächst proportional der
Stromstärke und geht schliesslich in einen starren Tonus über. Die ASZ liegt
nahe bei der ESZ. Sehr bald nach ASZ schon ADTe, oft schon bei gleicher
— :77 —
Ifitensität Die Danerreactioiien geh^ in der Begel bei eintretender Strom-
öflhimg zornck, bei stärkeren Strömen jedoch nicht sofort, sondern langsam ab-
klingend. Alle Oeffinmgsreactionen fehlen.
Dies die Befunde an den Extremitäten und Bumpfmuskeln. An der Zunge,
bei deren Untersuchung natürlich nur schwache Strome benutzt werden konnten,
£Eknd dch: bei foradischen Strömen kurze Nachdauer der Zuckung, bei galvanischer
Reizung sehr frSh Dauerreactionen , bei höheren Intensitäten secundenlanges
Stehenbleiben einer Delle oder Längsfalte nach Stromöffnung.
Bis auf kleine Differenzen ergaben also meine Befunde die von Ebb 1. c.
aufgehellte „myötonische'^ Beactionsform, allerdings fand ich keine deutlich
gesteigerte Erhöhung der directen elektrischen Muskelerregbarkeit, wenigstens
keine Herabsetzung der Schwellenwerthe. Auch von den neuerdings publicirten
Fällen von Eülenbübg und Melghebt^ weichen meine Befunde in. dieser Be-
ziehung ab. Dass ich — auch vom Nerven aus — keine KÖZ erzielen konnte,
ist ein weiterer Differenzpunkt.
Glücklicher als die letztgenannten Autoren war ich in der Cönstatirung der
von Ebb beschriebenen eigenthümlichen rhythmischep Contractionswellen
während der Einwirkung stabiler Batterieströme. Die ersten Versuche miss-
glückten mir^ allerdings ebenfalls und es scheint, dass auch dieses Phänomen
von örtlicher und zeitlicher Disposition, Grestalt, Lagerung und Ermüdung des
Muskels abhängig ist. Nach eingeholter Information wendete ich auf deuBath
von Herrn Professor Ebb starke Ströme an, öffnete, schloss und wendete
wiederholt und fand dann wenigstens an einer bestimmten Muskelgruppe die
gesuchte Erscheinung. Die negativen Befunde der Berliner Untersucher sind
vielleicht darin begründet, dass letztere nur eine kleine transportable Batterie
zur Verfügung hätten. Herr Prof. Ebb, welchem ich meinen Kranken nach
seiner Entlassung zusandte, fand, wie er mir mittheilt, die rhythmischen Gon-
tractionen sofort bei der ersten Untersuchung an verschiedenen Muskeln.
Aus meinen Erfahrungen führe ich zur Sache Folgendes an: Wenn eine
grosse Elektrode auf dem Kreuz, eine mittelgrosse auf der Grenze zwischen
Muskelbauch und Sehne des M. gastrocnemius dexter steht, so treten bei Ein-
wirkung eines Stromes von 15 — 20 M.-A. langsame wellenförmige Con.
tractionen in dem genannten Muskel auf, deren Richtung schwer zu bestimmen
ist, und die sich in Pausen von 15 — 30 Secunden folgen. Allmählich wird die
Wellenrichtung von der Ka nach der An deutlich. Nach VA bleibt der Muskel
einige Zeit in Gontraction stehen, dann beginnen deutliche rasche und rhyth-
mische Wellen von der Ka zur An. Es fällt bei dem Versuch auf, dass die
Contractionen in den verschiedenen Bündeln des Muskels wechseln, auch im
Tempo Veränderlichkeit zeigen, ohne dass die Elektrode verrückt, oder die In-
tensität des Stromes verändert wurde. Deutlicher — .bei gleicher Versuchs-
anordnung — wird die Sache am folgenden Tage: Rhythmus jetzt 2 — 3 pro
Secunde. Richtung Ka->^An; bei VA und umgekehrter Stromrichtung (An auf
dem Muskel) ist die Erscheinung nur undeutlich zu sehen. Es tritt überhaupt
* Berliner klin. V^ocfaenschr. 1S85. Nr. 38.
— 78 —
bald Absohwäoliung des Phänomens ein. Bei faradischem Strom nnd gleicher
Anordn^ung der Elektroden schon bei massiger Stromstärke ifaythmisches Oscil-
liren des Muskels mit einer Frequenz von ca. 200 pro Minute. Die Eisdiei-
nungen fanden sich an der genannten Muskelgruppe bei wiederholten und
wechselnden Versuchen regelmässig; an anderen, wie ich gern zugestehe, konnte
ich sie nicht erzielen. Die Schuld wird wohl an technischen Dingen liegen.
Die mikroskopische Untersuchung eines aus dem M. biceps brachii
herausgeschnittenen Muskelstückchens ergiebt Folgendes: Am frischen Präparat
und nach mehrtägigem Liegen in Müller'scher Flüssigkeit findet sich schon bei
Loupenvergrösserung bemerkbare V e r d i c k u n g der Muskelfasern. Der
Muskel ist auffallend leicht zu zerfasern, das interstitielle Bindegewebe sichtlich
gering entwickelt; die einzelnen Plrimitivbündel, unter sich wenig cohärent, zeigen
eine gewisse Härte und Steifigkeit und sind gegen Druck und Quetschung
auffallend resistent Die abgefaserten Muskelbündel bleiben steif und gerade
liegen, wahrend normale, ebenfalls mit Müller'scher Flüssigkeit behandelte
Muskdn deutliche Weichheit und Biegsamkeit zeigen. Die Verdickung der
Fasern ist nahezu constant und der Querdurchmesser beträgt häufig 120 — 130 p^
Ausser der charakteristisohen Dickenzunahme zeigen die Fasern bedeutende
Veränderungen der Structur. Schöne Querstreifung findet sich fast nir-
gends, die Zeichnung ist verwischt^ fehlt an vielen Stellen ganz, an anderen ist
bei schwacher Vergrösserung nur Längsstreif ung, erst bei stärkerer feine Quer-
streifung zu entdecken, öfter finden sich in stark erkrankten Muskelfasern ein-
zelne circumscripte Stellen mit erhaltener sehr feiner Querstreifung.
Die Conturen der Fasern sind nicht glatt, sondern zeigen mannigfache
grosse und kleine Wulstungen, unregelmässige Einkerbungen, quere Fur-
chen und Bisse. An den Bändern und auf der Oberfläche der Muskelbündel
zahlreiche, wohl als Sarcolemmakeme anzusprechende zellige (Gebilde. Es mag
dahingestellt sein, wie weit die beschriebenen Wulstungen Ausdruck der durch
die Excission gesetzten mechanischen Beizung der Muskelsubstanz sein können.
Oegen eine solche Annahme spricht allerdings die auffallende Unregelmässigkeit
der Wülste.
Der Befund am frischen Präparat lässt mit Bestimmtheit vermuthen,^ dass
sich auch an Schnitten des gehärteten Muskels diejenigen Veränderungen finden
würden, welche Ebb als charakteristisch für die Thom^n'sche Krankheit be-
schrieben hat Ich habe es vorgezogen, Herrn Prof. Ebb zu bitten, die weitere
mikroskopische Untersuchung selbst zu übernehmen, und derselbe wird seinen
Befund im Anschluss an die ausführliche Mittheilung seiner eigenen Fälle seiner-
zeit veröffentUchen.
^ Dieie Verrnnthtuig hat rieh inzwitchen bestätigt
— 79 —
n. Referate.
Anatomie.
1) Eiftilinuigen über einige neuere Untersnohangsmethoden dee Gtohims,
▼on Josef Fischl. (Prager med. Wochenacbr. 1886. Nr. 2.)
F., mit Stadien über die progressive Paralyse bescbäftigt, bat die verscbiedenen
neoerdlngs empfoblenen Untersucbungsmethoden nacli dieser Bicbtnng bin an nor-
malen nnd patbologiscben Pr¶ten dorcbprobiri Die Weigert*scben Fucbsin-
ond S&nrefuclisinmetboden, sowie deren Modificationen erwiesen sieb zur Darstellnng
der feinen Fasern in den peripberiscben Bindenpartien als nicbt geeignet. Das Gleicbe
gilt aucb Yon der Freud^scben Metbode und Friedmann*s Modification der Weigert*-
schen Hämatoxylinf&rbnng; bezüglicb der Sablfscben Doppelfärbong ist F. bisber
nocb zn keinem bestimmten fiesnltate gekommen. Als vorzüglicb dagegen bezeicbnet
er die neue WeigerVscbe H&matoxylin-Blatlangensalzmetbode, fand sie jedocb capriciös,
ohne dasB es ibm bisber gelang, die Ursacbe dieses Yerbaltens nacbzuweisen.
Zur üntersncbang der Ganglienzellen empfieblt aucb F. den von ibm scbon vor
NissPs Mittbeilnng erprobten Alkobol, bezflglicb dessen er nocb angiebt, dass an
Bo gehärteten Pr¶ten die Ganglien viel reicblicber benrortreten, als an den in
MflUer'sclier Flflssigkeit geb&rteten. F. fand aber femer, dass aucb mit Alaan-
Carmin, Borax-Carmin, Safhmin, H&matoxylin ebenso scböne Bilder wie mit Dablia,
Yesuvin zu erzielen sind, ebne dass ein Erw&rmen der Farblösung oder ein Abweicben
von der gewöbnliclien Metbode (Entwässern in Alkobol etc.) nötbig gewesen wäre,
und überdies sind diese Präparate baltbar.
Als ansgezeicbnet bezeicbnet F. femer die Flemming*scbe Metbode, sowobl
bezüglich der Untersuchung der Ganglienzellen, als auch bezüglich der Eeme der
Glia nnd Gefässe; die schönsten Bilder ergab Färbung mit Safranln in wässeriger
Lösung oder mit Böbmer'schem Hämatoxylin, weniger schöne alkoholische Lösung
▼on Safranin, oder (^entianaviolett; zum Extrabiren muss gewöhnlicher Alkohol ge-
nommen werden, da sauerer die Schnitte entfärbt Auf Grund seiner Versuche glaubt
F., dass für das Gehirn die Flemming*scbe Härtungsflüssigkeit zu modificiren, yiel-
leicbt der Bisessig zu vermindern ist.
Die Methode von Flesch (Indig-Carmin und Borax-Carmin) ergab keine so
schönen Bilder, wie die früher genannten Methoden. A. Pick.
2) Ezi>erimenteller Beitrag bot Kenntnias des Ursprungs des Kervus
aoosticaB des Kaninchens, von 6r. Onufrowicz. (Arch. f. Psychiatrie.
Bd. XVI. 3.)
In dieser unter ForePs Leitung gearbeiteten Dissertation tbeilt der Verf. nach
eingebender Besprechung der gesammten bis jetzt erschienenen Literatur über den
Ursprung des N. acusi, in welcher nach Meinung des Autors „sehr viele Behaup-
tungen, aber nirgends ein klarer Beweis" sich finde, die Besultate seiner eigenen
luich y. Gudden's Methode gemachten Untersuchungen mit Verf. studirte unter
Anfertigung successiver Frontalschnittreihen zwei Gehirne von Kaninchen, an denen
bald nach der Geburt von Forel und Kaufmann sämmtliche Theile des inneren
Ohres (durch Perforation des Felsenbems) zerstört wurden, lieber die Hauptergeb-
lusse Äeses schwierigen operativen Eingrififo wurden bereits iu Nr. 5 und 9 dieses
Centralblattes (1885) von Prof. Forel und dem Verf. vorläufige Mittbeilungen ge-
niacht» weshalb sich Bef, hier kurz fassen kann.
Bei beiden Tbieren, welche 6 und 27« Monate nach der Operation lebten und
w&hrend des Lebens eine eigenthümliche Schiefstellung des Kopfes zeisrten, erschien
— 80 —
dio hintere Acusücuswurzel einscbliesalich der dort eingelagerten kldnen Ganglien-
zellen sehr beträchtUch atrophisch, während die vordere Wurzel nnr nnbedeatende
Verkleinerung verrieth. Gleichzeitig zeigte sich der vordere AcuBticnskem (NucL
acust. lateral, von Henle) 8mal schmäler als auf der gesunden Seite und enthielt
durchweg degenerirte Ganglienzellen. Im Weiteren bot^ ebenfalls in beiden Pr&parvten»
die von Stieda als Tubercolnm laterale bezeichnete Hervorwölbong an der Aussen-
seite der hinteren Wurzel (Tnberculum acusticum der Knochenfische) eine deutliche
Abflachung dar. An diesem Tuberculum acusticum unterscheidet Verf. drei Schichten
(äussere, mittlere und tiefe oder Markschicht), von denen die letzte (Markschicht)
die frappanteste Volumenabnahme zeigte, während die mittlere eine nur unwesentliche
Beduction der langen Zellen darbot, die erste hingegen völlig frei war. Sodann
zeigte ein ventral vom Bindearm liegender, mit blasigen Ganglienzellen bevölkerter
Kern scheinbar eine kleine Einbusse an zelligen Elementen. Die Striae links waren
schräger entwickelt als rechts, liessen sich aber über die Baphe hinaus nicht ver-
folgen. Alle übrigen von den Autoren als Acpsticuskeme bezeichneten Anhäufungen
grauer Substanz zeigten sich absolut intact und vor Allem Hess sich im sog. äusseren
Acusticuskem (Deiters'scher Kern von Laura) nicht die geringste pathologische Ver-
änderung constatiren. Ancb die Fibrae arcuai, das Corp. gen. int., der hintere Zwei-
hügel, der Bindearm, das Corp. restiforme.und andere Gebilde zeigten sich auf beiden
Seiten gleich gut entwickelt und völlig normal.
Aus diesen auf operativem Wege erzeugten secündären Atrophien zieht der Verf.
hinsichtlich des Ursprungs des Nervus acusticus folgende Schlüsse:
Sowohl der äussere (wie bereits vom Ref. nachgewiesen) als auch der innere
Acusticuskem haben zum K. acusi keine Beziehungen. Als eigentlicher Acusticus-
kem des Kaninchens, d. h. als dasjenige Centrum, welches für den Acusticus das
ist, was die ftinde des oberen Zweihügels für den Opticus, ist das Tuberculum
acusticum (Tub. laterale nach Stieda, Kacken des Kleinhirnschenkels nach St i Hing)
zu betrachten, in welchem aber wahrscheinlich nur die hintere Acusücuswurzel und
zwar nach Durchsetzung eines Ganglions (des vorderen Acusticuskems) endigt, und
sei die secundäre Atrophie des Tub. acust. als eine durch den vorderen Acusticuskem
vermittelte anzusehen. Dieses letztere aber müsse unter Berücksichtigung seiner
enormen Atrophie, wie sie nach Ausreissung eines sensiblen Nerven in dessen Kern
unerhört sei und im Hinblick auf die Resultate der Arbeiten von v. Gudden, Forel,
Mayser, Bellonci, Golgi und Vejas als Homologen der Spinalganglien, d. h. ein
phylogenetisch modificirtes Spinalganglion aufgefasst werden. Der vordere Acusticas-
kem gehöre zur hinteren Wurzel und habe mit der vorderen nichts zu thun. Das
Centmm der vorderen Wurzel liege entweder im Vermis cerebelli, oder in der grauen
Substanz des IV. Ventrikels ventral vom Bindearm, oder in beiden. — Eigentlicher
Hömerv sei wahrscheinlich nur die hintere Wurzel. Die vordere enthält allem An-
schein nach die Fasern zu den Ampullen der Canales semicirculares; ob sie aber
vielleicht den ganzen Nerv, vestibuli bildet, sei ungewiss. — Die Striae medulläres
dürfen nicht als directe Acusticusfasem angesehen werden; es seien möglicherweise
secundäre Bahnen, die aus dem Tub. acust. hervorgehen, möglicherweise aber haben
sie mit dem Acusticus nichts zu thun.
Dieser sorgfältigen Arbeit sind zwei Tafeln mit zahlreichen sehr naturgetreu
gehaltenen Figuren beigefügt. v. Monakow.
Experimentelle Physiologie.
3) Ueber traumatiaohe Polyurie, von Kahler. (Prager med. WochenschrifL
1885. S. 509.)
K. macht eine vorläufige Mittheilung über Experimente zur Erzeugung dauernder
Polyurie. An der Hand des vorhandenen literarischen Materials und einer eigenen
— 81 —
Beobachtung fohrt er den Beweifl, daas der dauemden Polyurie die Bedeutung eines
cerebnien Herdeymptoms zukomme, das mit Wahrscheinlichkeit in der Med. oblong,
u localisiren ist» K.*8 Versuche zur weiteren Klarlegung der Frage schliessen an
die Claude Berns rd's und Eckhardts an, welche bekanntlich nur Yorübergehende
Polyurie erzeugen konnten; es gelang ihm durch Injection kleinster Mengen von
Sübemitrat eine ganz umschriebene Zerstörung der Med. oblong, herbeizuführen, und
an den die Operation zumeist überlebenden Kaninchen dauernde Polyurie und Poly-
dipsie nachzuweisen. Ob es sich dabei um Läsion einer bestimmten Stelle der Med.
oblcmg., um eine Ausfalls- oder Beizungserscheinung handelt, beh< er weiteren Mit-
theilungen vor.
(Bezüglich- der genaueren Beschreibung der Yersuchsanordnung siehe das Orig.)
A. Pick.
Pathologische Anatomie.
4) Gase of oaloareouB gamma in the Brain, by G. Laey Barriti (Brain.
1885. Oct 8. 413—414.)
Ein d5jähriger Mann, welcher 12 Jahre zuvor Syphilis acquirirt hatte, hatte
schon seit 2 — 3 Jahren nächtlichen rechtsseitigen Kopfschmerz an der Scheitel- und
Stimgegend, aber erst seit etwa 4 Wochen vor dem Tode in Zwischenräumen von
einer viertel bis einer halben Stunde 2 oder 3 Minuten w&brende partiell epileptische
ÄnfiÜle ohne Bewusstseinsverlust, bei welchen zuerst plötzlich die Nackenmuskeln zuckten,
80 dass das Kinn nach links gestossen wurde, dann zugleich sämmtliche Extremitäten
ergriffen wurden. Die Obduction ergab neben leptomeningitischen Adhärenzen des
rechten Parietallappens und kleinen Kalkknoten in beiden Seitenventrikeln, in der
Substanz des rechten Schläfenlappens eine harte wallnussgrosse Cyste wahrscheinlich
gummöser Natur mit verkalkten Wandungen von ^/^ Zoll Dicke. Ueber das Hör-
vermögen findet sich keine Angabe. E. Bemak.
6) Notes and remarks upon a oase of villoiui tamour in the fourth veb-
triole, by J. Harrington Douty. (Brain. 1885. Oct. S. 409—412.)
Bei einem 17jährigen Knaben hatte ein maulbeerartiger, frei beweglicher, nur
mit dem Dach des rechten Ventrikels locker zusammenhängender Tumor mit conse-
cutivem Hydrocephalus internus desselben, des Aquaeductus Sylvii und der Seiten-
ventrikel ohne ersichtliche Veränderungen auf Schnitten durch den Pens, der Medulla
oblongata und das Kleinhirn intra vitam folgende Erscheinungen verschuldet: taumeln-
der Gang bei ungestörter Coordination der Extremitäten im Liegen (durch Druck
auf den mittleren Kleinhimlappen) Neuroretinitis mit Blindheit des einen und Am-
blyopie des audem Auges, Schwerhörigkeit links (Betheiligung der Acusticuswurzehi),
andauernder Priapismus (Beizung der hinteren Theile der Medulla oblongata nach
Eckhardt), Erbrechen, Cheyne-Stockes*scher Athem, endlich hohe Fiebertemperaturen
ohne entztkndliche Ursache (Beizung eines Wärmecentrums oder Lähmung eines Wärme-
hemmungscentrums?). E. Bemak.
Pathologie des Nervensystems.
6) Zur Kenntniss der basalen Schftdelflssiireii, von Prof. Dr. M. Bosenthal,
Wien. (Sep.-Abdr.)
Verf. theilt-4 interessante Fälle mit, von denen sich die beiden ersten sehr
ähnlich sind. Im ersten Falle hatte ein heftiges Trauma die rechte Kopfseite
— 82 —
getroffen: Bewusstlosigkeit, Blotungen ans beiden Ohren, rechter OberMeferbmch,
rechtsseitige partielle Gksichtsrnnskellähmongen; linkerseits Lähmong des Ocnlomotorins
nnd Abdnoens, Papille weit und starr. Nach 3 Wochen fand B. aosserdem eine
beträchtliche Herabsetzung der elektrocutanen Sensibilität der linken
Wange, sowie der mechanischen Erregbarkeit der Oonjunctiva, Sclera
und Cornea; in letzterer ein kleines Qeschwür. Der Geruch links schwächer. —
Nach 7 — 10 Wochen verloren sich alle Erscheinungen bis auf die Sensibilitäts-
störungen am TrigeminuSi welche erst im 4. Monat schwanden.
Im zweiten Falle: Sturz vom Dache, Bewusstlosigkeit etc., Bruch des rechten
Unterkiefers, links Hemiplegie, Lähmung des Abducens und Facialis, Anästhe-
sie der linken Gesichtshälfte, des Bulbus und der Cornea mit (Jescliwür
an der letzteren. Heilung (unvollständige) nach 8 — 9 Monaten.
Die Combination der Augenmnskellähmung mit der Trlgeminusaffection nnter
Entwickelung von neuroparalytischer Ophthalmie hat nach B. deshalb hohe diagnostische
Bedeutung, weil sie auf Betheiligung der Nervenstämme (seil. Schädelfissur) schliessen
lässt, während bei Herden im Föns keine Trigeminus-Ophthalmie auftritt.
Im dritten Falle war nach einem schweren Trauma des Kopfes Trübung, des
Bewusstseins, Blutung aas Ohren und Nase etc. eingetreten; am vierten Tage totale
Facialisparalyse rechts und Lähmung beider Abducentes; dann Trigeminus- Anästhesie
mit Ophthalmie rechts. Nach weiteren 8 Tagen im rechten Facialisgebiete Entartongs-
reaction im vorgeschrittenen Stadium. Fat., der an Lungenphthise litt, ging unter
Entwickelung tuberculöser Meningitis zu Grunde. Die Section ergab in der linken
Felsenbeinpyramide einen 2 mm weiten Längsspalt, von welchem ein zweiter quer
verlaufender Sprung ausging.
Endlich der vierte Fall, — eine Fotatrix war ohne alle Anamnese dem Krankoi-
hause zugeführt — , welcher anfangs als eine typhoide Erkrankung anfigefasst wurde,
mit Parotitis und Sinus-Thrombose, erweist^ wie schwer unter Umständen Basis-Frao-
turen zu diagnosticiren sind. B. räth deshalb, bei Trinkern und Epileptikern an die
Möglichkeit einer Basisfractur durch FaU auf den Kopf zu denken, wenn auch nur
protrahirte diflfase Himsymptome mit zeitweilig exacerbürendem Kopfschmerz bemerkt
werden. Hadlich.
7) Ck>mpotind oomminuted and depreBsed fimotore of skoll. (The Lancei
1885. Bd. n. Nr. IX. S. 386.)
Das Interesse dieses Falles liegt in dem beinahe vollkommenen Fehlen cerebraler
Erscheinungen, obwohl die Kopfverletzung eine sehr bedeutende war.
Ein Landarbeiter wurde von einem Fferdehufe an der Stirn getroffen. Trotz
des sehr heftigen Schlages war er nicht einmal betäubt, sondern ging schnurstracks
300 Tard (900 Fuss) nach Haus und fuhr alsdann über eine englische Meile weit
zum Arzt. Die Wunde, einen Zoll Aber der Orbita auf der linken Stirnseite gelegen,
war 2^/2 Zoll lang und zeigte in der Tiefe neben mehreren kleinen Knochenßragmenten
ein grosses, loses und deprimirtes Knochenstflck. Nach der Untersuchung leichter
Shock, Fuls 48, kein Erbrechen, keine Pupillenungleichheit.
Unter Chloroformnarcose Entfernung des grossen und 5 kleinerer Knochenstflcke.
Das Gehirn konnte man in der Tiefe pulsiren sehen. Der dem grossen Fragmente
entsprechende Gehimtheil wurde oberflächlich entfernt. Ausgezeichnet fieberfreier
Verlauf. In den ersten Tagen etwas Kopfschmerz, einmal leichtes Delirium. 11 Tage
nach der Verwundung stand Fat auf. Obwohl die Stimwindungen getroffiBn waren,
der angenommene Sitz der Farbenperception, so fand sich dennoch der Farbensinn
nicht altenrt Buhemann.
— 8S —
8) Oase of oompoond dapressed firaotnre of the Bkull, by C. E. Humphreys.
(The Lanoet. 1885. Bd. n. Nr. VI. S. 243.)
Eis lOjähriger Knabe wurde von elDem Pony am Kopf geschlagen (19. Sepi
1884), 80 dass die Scb&delbedeckmig hinter dem rechten Tnber parietale zerriflS,
und der Knochen eingedrftckt wnrde. Die Einsenkung bestand aus fest in einander
gekeilten Knochenstficken, war ziemlich rund und hatte einen Durchmesser von 2 Zoll,
ihre Tiefe betrug im Centrum Vs — Vs ^^^' ^^ ^^^ Wunde floss ein Theelöffel
Gehimsubfitanz heraus. Der Patient war zur Zeit des Traumas gefühllos und konnte
nicht zum Bewusstsein gebracht werden; Bespiration langsam und leicht stertorOs,
Puls 68, weich. Pupillen reagiren gut. Leichtes Erbrechen. Keine Paralyse, unter
antiphlogistischer und derivirender Behandlung war der Knabe im Verlauf einer
Woche völlig hergestellt und zeigte sich bis zum 19. Februar 1886, wo ttber ihn
Bericht abgestattet wurde, geistig und körperlich vollkommen gesund, eine bei der
Schwere der Verletzung bemerkenswerthe Thatsache. Buhemann.
9) Ballet-wonnd of the cerebral hemiapheres, with hemiplegia; oomplete
recovery, by Dr. H. Parsons. (British med. Joum. 1884. 18. Oct. S. 769.)
Ein 13j&hriges gesundes Mädchen wurde von einer Bevolverkugel auf etwa 1 m
Entfernung so getroffen, dass die Kugel durch den Processus mastoideus des rechten
Temporalbeins eindrang und wahrscheinlich an der g^enfiberliegenden Stelle der
Schädelwand stecken blieb. Schon nach einer Stunde war die anfängliche Bewusst-
losigkeit geschwunden und es bestand nur eine völlige Paralyse der linken Extremi-
täten und Strabismus des linken Auges. Während das Kind auf der linken Seite
lag, wurde ein Kugelsucher in die Wunde, auf deren Boden zerquetschte Himmaase
sichtbar war, eingefUurt (!) und sank sofort durch seine eigene Schwere 6 ^11 weit
in das Hirn hinein, bis er am Ende des Schosscanals wahrscheinlich auf die Kogel
traf. Eine weitere Operation wurde nicht vorgenommen. Die Wunde heilte unter
Jodoform, kalten Wasserumschlägen und prophylactisch verordnetem Bromkalium in
wenigen Tagen. Nach einer Woche konnte Patientin das Bett verlassen. Die Läh*
mmig des linken Beins verlor sich nach einem Monat, die des linken Arms einige
Wochen später. Es blieb nicht die geringste Störung zurAck und auch jetzt —
18 Monate nach der Verwundung — ist keine Functionsstömng nachweisbar, ob-
Bchon die Bevolverkugel noch im Hirn oder in der Sohädelwand sitzt
Sommer.
10) Bine Beobachtung von in Anfällen auftretender doppelseitiger Amau-
rose bei Epilepsie, von Dr. Carl Heinemann in Vera Cruz. (Virchow's
Archiv. Bd. 102. H. 3.)
Eine Frau, erblich nicht belastet, bekam in Folge von Schreck in ihrem 30. Jahre
zun ersten Male einen epileptischen Anfall, welcher sich seitdem alle 3 Tage zwischen
7 nnd 8 Uhr Abends wiederholte und nach 2 Jahren regelmässig mit einer doppel-
seitigen Amaurose sich complidrte, die 1 Stunde vor dem Anfalle begann und mit
dessen Beendigung wieder verschwand.
Nach 5jähriger Erankheitsdauer erste Untersuchung durch Dr. H., wobei der
Aogenspiegel (zwischen den Anföllen) nichts Abnormes erkennen Uess. Behandlung
mit Bromkalium, Schröpfköpfen etc. l^s Jahre lang, wodurch erreicht wurde, dass
keine grossen Anfälle mehr eintraten, sondern nur noch Amaurose bisweilen, und
diese nur selten von Bewussüosigkeit, niemals mehr von Krämpfen gefolgt^ sich zeigte.
Später verheirathete sich die Pai, verlor nach ihrer ersten Entbindung auch
die letzten Krankheitserscheinungen und blieb 9 Jdir^ vollkommen gesund.
— 84 —
Da erfolgte 1882 nach GemüthsbewegongeQ irieder ein groaser Anfidl» dem
bald weitere nachfolgten, kleine und grosse.
Bei einer Untersnchong im Jahre 1883 (in welchem die Fat. hanfige Anfälle
von Amaurose hatte, denen jedesmal Bewusstlosigkeit folgte, und wobei nach der
Bückkehr des Bewusstseins die Amaurose noch eine Stunde andauert) constatirte H.
in. der anfallsfreien Zeit eine unregelmässige Einschränkang des Gesichtsfeldes beider-
seits — bei normaler centraler Sehschärfe; nach dem Beginn der Amaurose wurde
die Gesichtsfeldbeschränkung erheblich stärker, Der Augenspiegel ergab ,,das Bild
einer totalen Excavation, obwohl die centralen Fapillentheile nicht excavirt, sondern
im Gegentheil massig geschwollen sind'', während des Wohlseins der Patientin. Mit
der Amaurose trat dagegen eine vollständige Ischaemia retinae ein, Alles war blas^,
von Gefassen kaum Spuren zu sehen, die Arterien namentlich bis zum Yersch winden
verengt. ^ .
Es hatte sich übrigens ausserdem träge Beaction der Pupilleu und im ersten
amaurotischen Stadium des Anfalls Lichtscheu und Augenschmerzen
bei Annäherung einer Lichtquelle entwickelt; daneben neuralgische Schmerzen
im rechten Arme und Gedächtnissschwäche.
' Verf. ist geneigt, an einen TUmor zu denken, welcher ausser den übrigen Er-
scheinungen reflectorisch auch die Epilepsie bedingt. Die Lichtscheu und die Aogen-
schmerzen •— bei Amaurose — seien vielleicht (mit Gastorani und Ol. Bernard)
auf erhöhte Erregbarkeit der TrigeminuSitEnden zu beziehen. Hadlich.
11) Epilepsia aoetonica, ein Beitrag zur Lehre von den Autointoxlcätionen,
von Privatdoc. Dr. B. v. Jaksch, Wien. (Zeitschr. f. klin. Med. Bd. X. H. 4.)
Als eine Gruppe der Autointoxicationen betrachtet v. J. die Fälle, in welche
Aceton in grosser Menge im Urin auftritt. Diese Fälle sind sehr selten, v. J. fand
in 5 Jahren unter 7 — 8000 Kranken nur 5. Höchst bemerkenswerth ist ^Laronter
die folgende Beobachtung, welche v. J. ausführlich mittheilt.
Ein 24jähriger, hereditär nicht belasteter Schmied hatte am 14. October 1884
Abends einen Diätfehler begangen, wurde in der Nacht bewussüos, am andern Tage
bewusstlos in's Krankenhaus gebracht» bekam dort Erbrechen und. erlangte hierauf
das Bewusstsein wieder, klagte jedoch anhaltend über starken Kopfschmerz. In der
Nacht vom 17. zum 18. Qctober bekam er 7 Anfölle von anfangs tonischen, später
klonischen Krämpfen der ganzen Körpermusculatur, die Augen . vrurden nach oben
gedreht; dann folgte Dyspnoe und der Anfall, während dessen Fat. bewusstlos war,
ging vorüber. Dergleichen Anfälle wiederholten sich 7 Tage lang — an einem Tage
17mal, in den letzten Tagen schwächer — , bis Ende October verloren sich auch
die Kopfschmerzen, und Fat. war wieder subjectiv wie objectiv gesund. ^- Den
Anfällen parallel ging das Auftreten von Aceton im Urin, und zwar am
Tage der heftigsten Krämpfe in grösster Menge.
Verf. erörtert nun in genauester und umfassendster Weise die Frage nach dem
Zusammenhang der epileptischen Anfölle und der Acetonurie. Er schliesst zunächst
das Bestehen echter Epilepsie, einer bestimmten Gehimkrankheit, einer Beflex-Epi-
lepsie, einer urämischen Intoxication oder einer toxämischen Epilepsie aus. — Es
kommt auch — nach seinen Untersuchungen an etwa 60 Epileptischen — sonst
nicht zum Auftreten von Acetonurie nach epileptischen Anfällen. — Es bleibt also
die grosse Wahrscheinlichkeit, dass hier die Anfalle mit dem Aceton in ursächlichem
Zusammenhang stehen.
Yerf. ging nun zu Thierexperimenten über, und theilt 7 Versuche an Kaninchen
und Katzen mit, nach denen es ihm allerdings gelungen ist, tonische und klonische
Krämpfe, Bewusstseinsstörungen (in einigen Fällen bis zum Tode> durch Aceton-In-
halationen herbeizuführen.
— 86 —
Sodann forschte er nach dem Auftreten ?on Aceton bei G&hrongsforgangen —
mit Bflcksicht aof dcoi vielleicht die Aatointoxication einleitend^ Diatfehler seines
Kranken — und fand solches Auftreten bei der Milchsanregahrong des Zuckers,
nidit bei der alkoholischen Gahmi^. Er fand auch Gahrungserreger im Darm (in
dm Faeees), die in gewisse Nährlösungen gebracht, nebst anderen flüchtigen Crährungs-
prodncten, auch Spuren von Aceton zu bilden vermögen.
Alles in Allem glaubt Verf^ den oben mitgetheilten Fall von epileptischen An*
fallen als auf einer Antointoxication mit Aceton beruhend ansehen zu können.
Hadlich.
12) Beitrag zur Kenntnlss ^es Zittems, von Prof. S. Talma in Utrecht
(Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 38. H. I u. II. S. 1—27.)
Kach einigen Vorbemerkungen über die verschiedenen Erscheinungsformen des
Zittems, deren genaue Charakterisirung hoffen l&sst» den Sitz der verursachenden
Störung aufzufinden, beginnt Verf. seine Betrachtungen mit der Beschreibung eines
Falles. Ein 22fjähriger Mann, Potator strenuus, leidet an „entsetzlichen Schwingui^en
des Kopfes und der Extremitäten'', die sich in 4 Monaten bis zur Höhe ausgebildet
hatten, nachdem sich 2 Jajire vorher bei der Arbeit Zittern zuerst im linken Bein
und dann im rechten Arm eingestellt hatte. Zur Zeit der Untersuchung des Pai.
beginnt das sich in grossen Amplituden vollziehende Zittern am Kopf, und nachdem
es hier bis zur grössten Stärke angewachsen, fingen auch die Ober« und dann die
Unterextremitäten an zu schwingen. Nach Verlauf einiger Minuten hörten die. Be-
wegungen plötzlich auf; dieselben erschöpfen den Kranken. jedesmal bis auf's äujsserste.
Bei jeder willkürlichen, besonders jeder feineren und jeder angestrengtMi Bewegung,
beim V^suche zu gehen etcw stellt sich ein starkes Zittern in Form fibrillärer
Zuckungen ein und danebra treten Mitbewegungen in den Muskeln des Bumpfes und
der oberen Extremitäten auf, sodass Pat. unfähig ist, ohne Unterstützung zu gehen.
Die Befiexe sind hochgradig verstärkt, während motorische und sensible Störungen
fehlen. Die Kopfmuskeln sind nicht in Mitleidenschaft gezogen. V^. schliesst aus
den Symptomen auf eine Affection des Bückenmarks und zwar auf einen gereizten
Zustand der motorischen Zdlen der Vorderhömer; er nimmt nuQ im wesentlichen
functionelle Störungen an und verordnet demgemäss ein die Beizbarkeit der Nervetf-
Zellen herabsetzendes Mittel: Kalium brömatum. Nach 9 gr kann Pat. schon allein
grosse Märsche unternehmen; nach weiterem Gebrauch bessern sich die Erscheinungen
noch mehr, doch bleiben andere als irreparabel zurück, so die erhöhten Befiexe und
eine Schwerfälligkeit der Bewegungen.
Daran schliesst sich die Mittheilung zweier eng zusammengehöriger Fälle, bei
deren erstem sich nach einem Wuthausbruch ein Zittern in der rechten Hand, die
er sehr viel zum Schreiben in Anspruch genommen, einstellte, daneben bestehen er-
höhte Sehnenreflexe, bei anstrengenden Bewegungen Mitbewegungen femer Muskel-
gruppen, keine Sensibilitäts- oder Motilitätsstörungen. Im zweiten wurde nach einem
Schreck — es handelte sich um ein Sjähriges Mädchen — ein Zittern der rechten
oberen Extremität neben erhöhten Sehnenreflexen hervorgerufen. Die Diagnose lautete
auf Hyperkinese der motorischen Ganglienzellen des Bückenmarks. Das Bromkalium
wirkte wiederum ausgezeichnet.
Bei 2 hysterischen Mädchen, welche beide an Steifheit des linken Arms und
Beins verbunden mit fibrillären Zuckungen litten, schlug die -Therapie indessen
nicht ein.
Es gehören 3 Symptome zusammen, welche eine pathologische Erhöhung der
Beizbarkeit der motorischen Nervenzellen des Bückenmarks diagnosticiren lassen:
1) das Zittern, 2) die erhöhten Sehnenreflexe, 3) die Mitbewegungen. Verf. hat sie
vereinigt gefunden bei den 4 Fällen von multipler Sderose, die ihm in letzter Zeit
— 86 —
zogegangen, einmal bei einer pernidöBen An&mie, öfters bei BeconvaLeecenteii Ton
Abdominaltyphns, vobei auch von Westphal und Nothnagel ähnliche Beobach-
tungen geinacht worden sind, einige Male bei chronischer Myelitis.
Eine längere Betrachtang widmet Verf. im Anschluss an einen mitgetheilten
Fall von chronischer Myelitis der Moskelsteifheit, und den sog. Mnskelcontraotionen
bei Bückenmarkskrankheiten. Keineswegs hat man es hier mit ,,Contractnren" im
Sinne der Ghirorgen zu thun und die „permanente Bigidit&t'^ von der oft gesprochen
wird, ist hier nur scheinbar. Die Muskelcontractionen treten in Folge von erhöhter
reflectorischer Beizbarkeit bei willk&rlichen und passiven Bewegungen auf; doch
lassen sie sich bei behutsamer AusfQhrung der letzteren auch vermeiden. Bei Hirn-
leiden dürfte sich die sog. Bigiditat auf eine absteigende Degeneration beziehen
lassen. Daran schliesst sich die Mittheilung von 2 Fällen, bei denen die Muskel-
steifheit ein hervorragendes Symptom bildete: Meningitis venthcularis (basilaris?)
und Malum Pottii.
Eine aparte pathologisch-anatomische Grundlage kann dem „Zittern" nicht zu-
kommen; Verf. betont im Oegensatz zu Freusberg, dass dasselbe auch noch durch
andere Ursachen hervorgerufen sein kann, wie der Tremor senilis und das mit diesem
in gewisser Beziehung übereinstimmende Zittern bei Paralysis agitans. Um eine
Hyperkinese der motorischen Ganglienzellen der vorderen Wurzeln diagnosticiren zu
können, muss sich dem Zittern die erhöhte Beflezthätigkeit und die Mitbewegung
als Symptome hinzugesellen. Die Auffiissung von Paternatzky wird widerlegt
Nach kurzer Darlegung der Therapie: im ersten Stadium grosser Beisung
geistige und körperliche Buhe, Bromkali, Chloroform, Ghloralhydrat, daneben Hydro-
therapie, die Verf. für sehr wichtig hält, schwache Galvanisation, und besonders
warme Vollbäder, im zweiten der Erschöpfung der Zellen excitirende Maassnahmen:
Faradisation, Franklinisation und Galvanisation — wird über die Sehnenphänomene
noch ein Wort gesprochen. Dr. van Tsendyk hat auf Veranlassung des Verf. ihre
Genese noch einmal durchforscht, v. T. verglich die G^eschwindigkeit des Zustande-
kommens des Knie- und Fussphänomens mit der Zeit, in welcher die Erschütterung
sich von der Sehne bis zum Muskel fortpflanzt, vermehrt mit der Zeit der Latenz
der Muskelzuckung bei directer Beiznng. Er fand die erste fast doppelt so gross
als die letzte. Darauf basirend vertheidigt er die reflectorische Natur des Sehnen-
phänomens. Sperling.
18) The Ohin reflez,^ by Dr. Morris J. Lewis. (The Practttioner. 1885.. Dec
S. 461.)
L. macht auf einen von ihm bei einer Operation gefundenen Beflez anfiDMrksam,
der in einer plötzlichen Erhebung des herabhängenden Unterkiefers durch einen
Schlag auf die unteren Zähne oder auf das Kinn besteht. L. will ihn btt Nerven-
kranken« und gelegentlich bei Gesunden gefunden haben; er ist sich über das Wesen
dieser Erscheinung noch nicht ganz klar, vindicirt ihm aber ein gewisses Interesse.
Siemens.
14) Ck>mmotion de la moölle äpiniöre« par Dum^nil et Petel. (Arch. de
Neurol. 1885. No. 27. Bd. IX. S. 307.)
In Verfolg ihrer früheren Artikel (s. d. Ctrlbl. 1885. S. 324) über denselben Gegen-
stand besprechen die Verff. noch kurz differentiell- diagnostisch die Bückenmarks-
blutungen und ihre Folgeerscheinungen, wobei sie ganz kurz noch über einen Fall
eigener Beobachtung berichten. Zum Schluss ziehen sie aus den Aufisätzen folgendes
Besum^.
1) Die Bückenmarks-Erschütterung muss als solche wissenschaftlich festgehalten
werden.
* Cf. vorige Nummer dieser ZtMhr. 8. 49.
— 87 —
2) Sie kftnn zu nachfolgenden myelitischen Läsionen fahren.
3) Diese Verändeningen können in der Form der Systemerkrankung auftareten.
4) Die Brscbüttenmg kam zunächst latent Terlaufen und sich erst doroh die
seeundären Yeränderongen enthüllen, variirend von der einfachen vorübergehenden
Gongestion bis znr nnheilbaren Sclerose. Siemens.
16) Aneuiysmen der kleinsten Büokenmarksgofftsse, von Dr. Hebold in Bonn.
(Arcb. f. Psych. XVI. H. 3.)
Verf. beschreibt aneorysmatische Erweiterungen der kleinsten Bückenmarks-
gefasse in einem Falle, welcher intra vitam folgende Erscheinungen gezeigt hatte:
lijähriges Mädchen, vor 9 Monaten heftige Zahnschmerzen und angeblich Gesichts-
rose; die Kranke lag 5 Wochen im Bett und soll auch irre geredet haben. 8 Tage
nach dem Aufstehen trat eine Geschwulst der rechten Backe und Strabismus ein.
Nach 4 Wochen schwand die Geschwulst, das Schielen bestand fort. Es traten Un-
ruhe, Irrereden, heftige Kopfschmerzen auf, die Haare fielen aus; das Seh- und Hör-
vermögen war herabgesetzt, es bestand Hyperästhesie und Pupillenerweiterung. —
In der Anstalt bestand die ängstliche Verwirrtheit und Unruhe anfangs noch fort,
später trat Blödsinn auf. Daneben wurde linksseitige, später doppelseitige Ptosis,
Ptyalismns, Schlafsucht, Erblindung (Stauungspapillen), verschiedenerlei motorische
Störungen beobachtet; Knie- und Fussphänomen rechts stärker als links etc. Tod
im Marasmus. Bei der Section fanden sich Spuren von Meningitis, Thrombose des
linken Sinus transversus, zwei Abscesse im linken, einer im rechten Schläfenlappen.
Im Bttckenmark fand sich an einer näher beschriebenen Stelle im oberen Dorsalmark
eine pnnktirte Böthung, welche sich mikroskopisch als durch stärkere Gefässfüllung
hervorgerufen erwies. Hier wurden auch aneurysmatische Erweiterungen der Gefasse
gesehen, welche des Näheren beschrieben werden. Die Nervenfasern und die Gang-
lienzellen werden als nicht stärker verändert angegeben. Als Ursache dieser Stauungs-
gefass-Erweiterungen wird eine thrombotische Verstopfung der neben dem Central-
kanal gelegenen Venen angesprochen« Die Sinusthrombose und die Abscesse sind
Folgen desselben Leidens, welches vielleicht ein Erysipel oder eine phlegmonöse oder
auch tnberculöse Affection gewesen sein mag. Siemens.
Psychiatrie.
16) CllnloaL olMervations on the blood of the Insane, by S. Bntherford
Macphail.^ (Joum. of ment. sdence. 1885. Jan.)
Verf. hat eine Beihe von Blutuntersuchungen an Kranken gemacht, an Kranken,
die er verschieden gruppenweise,* nach Erankheitsform, Anstaltsaufenthalt, Erregungs-
periode, Behandlung mit verschieden tonischen Mitteln etc. zusammenstellte. Die
Ergebnisse sind zahlenmässig tabellarisch angeordnet, zu ihrer Kenntnissnahme muss
auf das Original verwiesen werden. Verf. zieht aus denselben folgende Schlflsse:
1. Mit vielen Fällen von Geisteskrankheit ist Anämie innig verbunden.
2. Das Blut ist bei blödsinnigen Anstaltsbewohnem arm an Hämoglobin und
Blutkörperchen, der Mangel wächst mit dem Alter.
3. Das Blut von Patienten, welche der Masturbation fröhnen, ist in merklicher
Weise verschlechtert.
4. Das Blut ist verschlechtert bei der Paralyse, und zwar ist die Beeinträch-
tigung im Stadium der Agitation und im letzten der allgemein gewordenen Lähmung
grösser, als in dem dazwischen liegenden Zeitraum der Beruhigung.
« Cf. diese ZtMshr. 1886. S. 16.
— 88 —
5. Auch bei Epileptiken ist die. Qualität des Blates mangelhaft, aber doch
nicht in dem Maaafle, wie bei gewöhnlichen Blödainnigeo gleichen Alte».
6. Länger fortgesetzte Darreichung von Bromkali verschlechtert die Qaalität des
Blates nicht.
7. Längwe Erregungsanfälle haben verderblichen . Eünflnss auf die Qualität
des Blutes.
8. Durchschnittlich ist bei der Aufnahme in die Anstalt das Blut der Patienten
unter der Norm in Bezug auf seine Qoalitai
9. Mit der Genesung bessert sich in der Anstalt die Blutbesdiafifenheit, bis es
zuletzt fast, normal wird.
10. Es scheint ein enger Zusammenhang zwischen Gewichtszunahme, Besserung
der Blutbeschafifenheit und geistiger Genesung zu bestehen.
11. Wahrend eine bestimmte Verbesserung der Qualität des Blutes während der
geistigen Beconvalescenz stets eintritt, ist diese Verbesserung deutlicher und schneller
bei einer Behandlung mit tonischen Mitteln.
12. Nach ihrer Wirksamkeit rangiren die angewandten 4 tonica so: 1) Eisen
und China mit Strychnin, 2) Eiseh mit China, 4) Eisen allein, 4) Malzextract.
13. Arsenik hat geringe Wirksamkeit auf die Verbesserung des Blutes, Quassia
tind Leberthran geben keine befriedigenden Besnltate.
14. Die enge Verbindung, welche zwischen Verbesserung der Blutbeschaffenheit,
Gewichtszunahme und geistiger Genesung besteht» ist entgegengesetzt dem Verhalten
bei persistirendem und unheilbarem Blödsinn. Die Wirkung bestimmter Medicamente
sollte die Aufmerksamkeit noch mehr auf die curative Behandlung der Geisteskranken
leiten. Zander.
17) Ckmtribation ä l'itude de 1» moTphiomanie, par Marandon de Montyel.
(Annal. m^d.-psych. 1885. Jan. p. 45.)
Zur Eenntniss der klinischen Aeusserang der chronischen Morphiumvergiftung
bieten die mitgetheilten 2 Krankheitsgeschichten nichts wesentlich Neues.
Doch zieht der Verf. aus seinen Beobachtungen Schlüsse, welche an und für
sich anfechtbar sind und in ihren logischen Consequenzen bedenklich werden können.
Er hält sich nämlich berechtigt, eine einfach neuropathische und auf „psychische
Wollust'' gerichtete, und eine specifisch nervöse Wirkung des Morphium als unab-
hängig von einander hinzustellen. Daraus entsteht dann der Schluss, dass es zwei
Arten von Morphiomanen giebt: Solche, welche hur aus Bedürfniss nach Euphorie
und Solche, welche aus vitaler, unabweislicher Notii wendigkeit das Moiphioin be-
dürfen. Wie diese beiden Zustände, von denen zugestanden vrird, dass der eine aus
dem anderen sich entwickele, von einander zu unterscheiden sein würden, wird
nicht gesagt.
Wohin diese Annahme aber führt, zeigt eine Episode aus der ersten Erankheits-
geschichte. Ein gebildeter Mann (Jurist) ist Morphiomane. Auf einer Seereise von
Genua nach Marseille verliert er bei Unwetter seinen Morphiumvorrath und ist mehrere
Stunden in peinlichster Verlegenheit, da der Schiffisarzt die Herausgabe des gewohnten
Gifts verweigert Der Morphiomane kann seinem Verlangen nicht widerstehen und
erbricht bei vollem Bewusstsein und nach allen Regeln der Kunst und mit Beobach-
tung aller Vorsicht die SchiSlBapotheke, um seinen Drang nach Morphium zu befriedigen.
Verf. wirft nun die Frage auf: War der X. in diesem — übrigens nicht foren-
sisch gewordenem — Falle strafbar?
Für ihn ist es völlig erwiesen, dass es sich um die Beschaffung eines indis-
pensablen Lebensbedürfnisses, nicht um die Befriedigung eines Verlangens nach
Euphorie gehandelt habe. Er hält daher den Einbrecher für nicht schuldig, da er
sich nicht im Zustande freier Selbstbestimmung befunden habe.
— 8» —
Ffir diese letztere Annabme fehlt aber f actisch jeder Anhaltspunkt, znmal m
dem Aufsatz kein Wort enthalten ist, aus welchem anf das Vorhandensein der
Inanitit^nsMrscheiniingen, der durch die Carenz hervorgerufenen Erregnngssymptome
oder Collaps zn schliessen wäre. Yielmehr hat der Morphiomane selbst geäussert,
er sei bei voller Besinnung gewesen und hätte, wenn er die That nicht als nur
einen leiGhtsinnigen Streich (gaminerie) betrachtet hätte, sich sehr wohl noch be-
herrschen können.
Wenn man mit dem Schlusssatz des Verf. auch einverstanden sein kann, dass
die Annsihnie der Schuldlosigkeit für im Morphiumhunger begangene derartige Delicto
in den Fällen fOr gerechtfertigt zu halten sei, in welchen erwiesen ist, däss die
Horphiomanen unter einem unwiderstehlichen Triebe nach Selbsterhaltung gestanden
haben, so ist es doch wohl sehr bedenklich, die Annahme dieses Zustandes sich so
leicht KU macheu, wie der Verf. es thut. Legt man aber die Entscheidung in das
subjeetive Gef&hl des nach dem gewohnten Gift hungernden Morphiottianen, so wtüde
es sich natflrlich wohl fast nur um die, durch jene willkürliche Unterscheidung be*
zeichnete, „specifisch nervöse" Wirkung des Morphiums handeln.
Zu' erwähnen ist noch, dass vor der Gefahr gewarnt wird, das im Uebermaass
verwendete Morphium durch entsprechend grosse Dosen Alkohol zu ersetzen, indem
dadurch nur ein Uebel durch das andere ausgetrieben werde.
Uebrigens ist Verf. mehr für die allmähliche Entziehung des Morphiums, als für
plötzliche Unterbrechung der Zufuhr.
Ein allerdings seltenes Beispiel von Willensstärke bietet der erste Fall, indem
der Morphiumsüchtige durch selbstständiges Verringern der einzelnen Injectionen zur
Entwöhnung gelangte. Es ist das gerade jener Jurist, welcher sich gewaltsam und
widerrechtlich aus der SchifiEisapotheke das gewohnte Morphium verschafifte.
Zur Beurtheilung des schliessHchen Ausgangs ist es nothwendig, die allgemeine
Constitution und eventuelle Dispositionen zu Nerven- und Geistesstörungen in Betracht
zu ziehen.
Der zweite mitgetheilte Fall, welcher mit dem seltsamen Symptom einer reiz-
baren Schwäche der Genitalorgane combinirt war, welche Andeutungen von conträrer
Sexualempfindungen aufwies, endete in hallucinatorischer (Geistesstörung, wie Verf.
annimmt, in Folge von Alkoholmissbrauch, durch welchen der Fat. dem Morphium-
hunger zu entgehen versuchte. Jehn.
18) Een geval Tan periSnoephalitis luetica. Uit het officieel verslag omtrent
de behandelde zieken in het hospitaal te Salatiga over Februari 1885, door
P. A. Giesbers. (Geneesk. Tijdschr. voor Nederl. Indiö. 1885. XXV. 1. S. 36.)
Ein 44jähriger Mann hatte Veränderung des Charakters gezeigt, Gesellschaften
vermieden, litt an gedrückter Gemüthsstimmnng, Störung des Gedächtnisses, allge-
meiner Geistesschwäche, Muskelschwäche am ganzen Körper, besonders aber im Ge-
sicht, Kopfschmerz, Störung der Sprache, Muskelzuckungen, unwillkürlicher Harn-
abgang, Verdauungsstörungen. Das Sehvermögen war bedeutend geschwächt, die
rechte Pupille war weiter und reagirte weniger auf Licht, als die linke. Am 3. Dec.
1884, 14 Tage nach der Aufnahme, trat plötzlich ein pseudoepileptischer Anfall auf
mit unwillkürlicher iBntleerung von Harn und Faeces und Verlust des Bewusstseins,
das aber unmittelbar nach dem Anfalle wiederkehrte. Danach besserte sich der
Znstand des Kranken wieder, die Intelligenz wurde freier, das Gedächtniss kehrte
wieder, die Sprache wurde besser, der Gang wurde besser, überhaupt Hessen alle
Krankheitserseheinungen nach, nur das Sehvermögen besserte sich nicht. Die oph-
thalmoskopische Untersuchung ergab auf beiden Augen Neuroretinitis apoplectica mit
Blutaustritten in der Umgebung der Papilla, die Papilla selbst geröthet und undeut-
lich begrenzt, links /ausserdem Trübung der Macula lutea. Da es bekannt geworden
— 90 —
war, daflfl Fai an Syphilia gelitten hatte, wnrde eine Inanctionkor eingeleitet wo-
nach das SehyennOgen besser wnrde und die Blntaustritte in den Retinae raeorbirt
worden. Am 22. Febr. 1885 bekam der Kranke, nachdem er sich den ganzen Ta^p
sehr wohl gefühlt nnd keinen Kopfschmerz gehabt hatte, plötzlich Abends einen
epileptiformen Anfall, der rasch vorüberging, sich aber rasch wiederholte. Danach
traten sehr h&nfige Krampfanfölle auf; die Kr&mpfe begannen am Kop^ der bin
nnd her geworfen wnrde; dann breiteten sie sich anf die Glieder ans, sodass immer
die Seite in Ck>nynlsion sich befand, nach welcher der Kopf geworfen wurde. Am
24. Februar Hessen die Muskelcontractionen allmählich nach, die Respiraüon, die
sehr beengt gewesen war, wurde leichter, das Bewusstsein kehrte einigennaaseen
zurück; gegen Mittag aber coUabirte der Kranke und starb nach einigen Stnndeo.
— Die Temperatur war zu Anfang der Erkrankung stets etwas erhöht. Bei der
eintretenden Besserung sank sie und war Morgens normal, Abends aber immer etwas
erhöht. Beim Eintritt der Krampfanfalle stieg die Temperatur und blieb immer
hoch. — Schon zu Beginn der Erkrankung war die Diagnose auf Periencephalitis
diffusa (Encephalitis interstitialis diffusa) gestellt worden; durch die BenüssioB
wurde sie etwas zweifelhaft; Syphilom kann recht wohl der Ausgangspunkt der
Periencephalitis gewesen sein; Aufklärung durch die Section war nicht möglieb, da
diese verweigert wurde. Walter Berger.
19) Kote anr la paralysie gönärale cbea la femme; de l'bystdrie cbez lea
flmunes atteintea de paralysie g^närale« par Bey. (Annales m^dico-
psychologiques. 1886. Nov. S. 421.)
Man hat vielfach geglaubt, dass sich Paralyse und Hysterie bei dem weiblichen
Geschlecht gegenseitig ausschlössen (R^gis), femer angenommen, dass die auch bei
paralytischen Frauen schon selten Yorkommenden hysterischen Zufälle bei Männern
ganz fehlten (A. Yoisin). Diese letztere Behauptung ist jedoch durch den Nach-
weis hysterischer Krisen im Verlauf der Paralyse bei Männern widerlegt worden
(Mittheilungen von Bey uod Camuset in den Annales m^-psychol. 1883 — 1885).
Bey hat nun 7 Fälle yon 30 Paralysen des weiblichen Qeschlechts, yon welchen
die Antecedenüen völlig zu ermitteln waren, zusammengestellt In diesen 7 Fällen
waren zweifellos frühere hysterische Zufälle nachgewiesen. Eine Untersuchung der
Symptome dieser Paralysen, sowie ihrer Eigenthümlichkeiten nach Alter, Erblich-
keit etc. ergab nun, dass diese auf dem Boden früher constatirter Hysterie entstan-
denen Paralysen sich durch nichts Wesentliches von den gewöhnlichen Formen unter-
schieden. Nur 2 Fälle zeichneten sich durch aufiBLlliges Hervortreten erotischer Züge
und grösserer maniakaUscher Erregung aus; einer dieser Fälle wies auch noch während
der Asylbehandlung hysterische Zufälle auf.
Bey glaubt danach der Meinung B^gis, dass die Hysterie eine Art Hemmung
auf die Entwickelung der Paralyse ausübe, widersprechen zu müssen; nicht einmal
ein „derivativer'' Einflnss sei bemerkbar. Die Hysterie vermindere sich oder ver-
schwinde im Verlaufe der Paralyse. In den meisten Fällen sei es wahrscheinlich,
dass dies mit dem Einsetzen der Paralyse erfolge. Jehn.
20) Le caraotdre dana lea maladiea, par Azam. (Annales mMico-psychologiques.
1886. Nov. S. 386.)
Bevor Verf. auf die den einzelnen Krankheiten zukommenden Charakterverände-
rungen eingeht, stellt er als Allgemeingesetz die analogen Beziehungen fest, welche
die Bethätigung des Geschlechtssinnes — die „Matemitäf' einerseits, der „rut" an-
dererseits — auf den Charakter des Individuums äussere. Wie Königin und Bett-
lerin, Weiber aller Bacen und Oeschlechter in der Erfüllung der Mutterpflichten, in
— 91 —
Anfopferong, Liebe nnd Trotsen aller Gefahreiii welche dem S[inde drohten, gleich-
stflodflii» 80 dass alle Fraaen bezüglich der Matemit&t Schwestern genaant werden
könnten» so seien alle M&nner Brüder gegenüber dem Verhalten des Qeschlechts-
triebSy mit der Ausnahme, dass bei ci?ilisirten Völkern die Heftigkeit des Eifersachts-
triebs durch die Erziehung gemildert sei
Verf. Ausführungen bezüglich der Charakterrer&nderungen, welche besonders die
chronischen Krankheiten zu begleiten pflegen, zumal die Schilderung der Reizbarkeit
ond Ungeduld solcher Patienten, bieten zwar nichts Unbekanntes, sind aber, wie die
Krankengeschichten I und II , lesenswerth, nach denen eine ganz anfifallige, bis zur
Psychoee sich steigernde CharakterveräDderung in dem schweren Verlaufe von Ober-
Schenkelbrüchen auftraten. Femer wird an die Reizbarkeit der Phthisiker, das finstere
Brüten der Krebskranken, an die Bosheit der mit einem Buckel behafteten erinnert.
— Die weiteren Ausführungen der Arbeit über die Charakterveränderungen im Ver-
laufe von Psychosen und Neurosen sind meist dtirte, enthalten Bekanntes und eignen
sich nicht zum Referat Besonders hervorgehoben werden noch die Charakterver-
änderungen, welche chronische Störungen der Verdauung, zumal aber solche der
Hamorgane zn begleiten pflegen.
Bezüglich der Localisation der Organe, welche auf die Aeusserungen des Cha-
rakters Einfinss haben, schliesst sich Azam der Meinung M. Luys an, welcher den
Charakter als unabhängig von den eigentlichen inteliectuellen Functionen betrachtet
wissen will und nicht abgeneigt ist, in der Innervation des Kleinhirns einen Einfluss
auf die Art und Weise des Thuns und Lassens der Individuen zu erblicken.
Jehn,
21) Note Biir une Usion grave du orAne döoouverte sur la tdte d'un
sapplioU« par Hospital. (Annales m^dico-psychol. 1885. Nov. S. 407.)
Auf der Höhe des linken Seitenwandbeins eines ca. 30jährigen Decapitirten,
dessen Kopf sofort nach der Hinrichtung untersucht wnrde, fand sich eine 3 — 4 cm
lange Narbe und direct unter derselben eine trichterförmige, nicht adh&rente, einer
Sch&delimpression entsprechende Einziehung der Haut. Diese entsprach einer der-
artigen Impression des Schädels, dass die Delle die Kuppe des kleinen Fingers auf-
nahm. Die weitere Section ergab darunter die Loslösung eines Splitters der Tabula
vitrea in der Grösse eines 80 Sousstücks. Dieser Splitter war mit dem Cranium in
Continuit&t geblieben, an den Bändern verklebt und trotzdem die Wucht des offen-
bar stumpfspitzen Instruments, mit welchem seinerzeit der Schlag geführt war, selbst
diesen Splitter der Tab. vitrea gebeult hatte, nicht zu einem Sequester geworden.
Unter dem Splitter fand sich eine entsprechende Verdrängung der Himsnbstanz,
jedoch ohne Erweichung oder Atrophie.
Aus dem umstand, dass der Hingerichtete einföltig, heftig und leichtgläubig
gewesen, vielfach an Schlafsucht gelitten und Qedächtnissdefecte gezeigt habe,
schliesst Verf., dass man es hier mit einem nur beschränkt Zurechnungsfähigen zu
thnn gehabt habe. Wunderbarer Weise sucht er diese Meinung dadurch zu unter-
stützen, dass der Ort, an welchem der Splitter die Himsubstanz verdrängt hatte,
dem Gairschen Centrum für „Affectionivit^ et Tattachement amical'' entspräche!
Jehn.
32) Snr la pritendoe firagilitd dea os ohei lea paralytiquea gfoäraux, par
Christian. (Annales m^dico-psychol. 1885. Nov. S. 412.)
Verf. will die viel besprochenen und beschriebenen Bippenbrüche der Paralytiker
m Frankreich viel seltener bemerkt haben, als dieselben aus andern Ländern, speciell
aus England und Deutschland gemeldet würden.
Er hält die Bippenbrüche für die Effecte äusserer Gewalt^ wofür er die eng-
lische Statistik und den Zusammenhang mit dem „Non-restrainf' sls Belege heranzieht.
— 92 —
Verf. seUiesst, daas die allgemerae Pknüjse kaneswegs m sich eine besondere
Bröfbigkeit da- Knochen bedinge, mid dass, wem Osteomalacie im Yerianfe einer
Ptoüjse erwiesen werde, dies etwas rein AccidenteUes bedeute. Jehn.
M) Da degri d'lmporfaee au pMnft de -wub da prcmosfcic d'on abaisse-
meat BxtximB de la teiupiiataTO dana le ocnm dee maladiea nran.-
talea, par N. Popoff. (Arcb. de NeoroL 1885. IT. 8. 354.)
Ein Fall Ton sabnormaler Temperator bei einer Geisteskranken ohne schlimmen
Ausgang. Die Temperator sank übrigens nicht anter 34,3^ im Rectum und die
ganze Eischeinong dauerte nur 3 Tage. P. sagt bdliufig, dass er seit Anfang des
Jahres in der Franenabtheilung des Asyls St Nicolas in St Petersburg mit gutem
Erfolge das absolute No-Bestraint durchgeführt habe. Siemens.
Therapie.
M) AJtiiationfl de la moUIa ^Initoa oanaöee par Päongatioa da narf
•oiatiaae, par Paoline Tar nowski. (Arch. de NeoroL 1885. IX. S. 289
u. X, 8-. 35.)
Nach einer ausfOhrlichen Angabe der Literatur über Nerrendehnung zu thera-
peutischen Zwecken, über solche mit tödtlichem Ausgang und nachfolgender patho-
logisch-anatomischer Untersuchung und über experimentelle Nervendehnung bei
Thieren, aber ohne nachfolgende Rückepmarksuniersucbaüg wendet sich die Ver-
fasserin ihrem eigentlichen Thema zu, nämlich der experimentellen Nervendehnnng
bei Thieren und deren Einflüss auf das Rückenmark. Die Versuche sind an Kaninchen
gemacht und es wurde der Ischiadicus als gemischter und leicht zugänglicher Nenr
gew&hH. Die Methode wird beschrieben. Die Kaninchen er&ugen den Eingriff rer-
schieden, je nach deV gelungenen Ausführung des Experiments. — Nach dem von
selbst oder durch die Experimentatrix erfolgten Tode der Thiere (les animaux sacri-
flfe) wurde der ganze gedehnte Nerv und das Rückenmark untersucht und gehärtet.
Es fand sich:
Der Central-Canal war durch ein plastisches Exsudat ausgedehnt. In der grauen
Substanz, besonders den HinterhOmem, bestand Hyperämie und capilläre Hämorrhagien.
Die Kerne der Neuroglia waren gewuchert» das Bindegewebe der Hinterstränge der
operirten Seite war vermehrt und mit Stemzellen durchsetzt, die Nervenr5hren in
Folge dessen gedrückt und z. Th. verschwunden. Auf der nicht operirten Seite
waren die Hinterstränge gesund. Das Volumen der Eünterstränge ist je nach der
späteren Tödtung der Thiere mehr verringert, ebenso zeigt das Hinterhom der be-
treffenden Seite Verschmälerung. Auch das Volumen der hinteren Wurzeln der
operirten Seite ist geringer, die strahligen Züge dünner und weniger zahlreich. —
Weiter sind die Nervenzellen der Vorderhörner weniger zahlreich auf der operirten
Seite, sie sind blasser, verlieren ihre scharfen Gontouren und einige verschwinden
unter Zurücklassung eines leeren Raumes. Auch Vacuolisation, welche Verf. für ein
sicheres Zeichen der Degeneration hält, findet sich. — Alle diese pathologischen
Veränderungen finden sich vorzugsweise in der Lendenanschwellung, dem Lenden-
und Sacraltheil, sie verschwinden nach oben allmählich. Nur bei starken Zerrungen
des Bückenmarks fand man Capillarhämorrhagien in der grauen Substanz des Hals-
marks und Atrophie der Vorderhomzellen.
Diese für das Rückenmark bedenklichen Befunde veranlassen die Verfasserin zo
der Warnung vor der Dehnung des Ischiadicus bei Tabes. Siemens.
— 93 —
25) Feeding by rectum, by Jal. Mi ekle. C^^e Practitioner. 1885. Dec. S. 407.)
Bespricht die bekannten Indicationen und Methoden der Ernährung per rectum
nnd erwäbnt» dass er selbst peptonisirte Milch vorzieht. Siemens.
26) lets over electriciteit bij epilepsie, door Dr. Xaver Droeze. (Psychiatr.
Bladen. 3e Jaargang.)
Die Kranke hatte in der frühesten Kindheit viel an Krämpfen gelitten, war aber
dann ganz gesund gewesen bis zum 12. Jahre, wo sie eine Pneumonie durchmachte mit
nervösen Erscheinungen in der Beconvalescenz, die aber nach vollkommener Genesung
sich wieder verloren. Die Menstruation war stets geregelt, ohne jede Abnormität.
Danach war die Kranke gesund, nur etwas nervös. Im Alter von 17 Jahren stellten
sich epileptische Anfälle ein, die immer heftiger wurden und allen Mitteln trotzten.
Vom 16. Jan. 1883 wurde die Galvanisation in täglich einer Sitzung in der Dauer
von 5 Minuten angewendet. Die breite Anode wurde an den Vorderkopf angebracht
und dieser mit ihr bestrichen, die ebenfalls ziemlich grosse Kathode im Nacken unter
der Protub. ocdp. externa aufgesetzt und in entgegengesetzter Richtung von der
Anode verschoben. — Diese Behandlung wurde ungefähr 4 Wochen lang fortgesetzt
und während dieser Zeit trat kein Anfall auf, während die Anfalle vorher einen Tag
um den andern, manchmal sogar wiederholt an einem Tage aufgetreten waren. Jetzt
wurde nur noch einen Tag um den andern galvanisirt. Nach kurzer Zeit trat reiz-
bare Stimmung auf, die sich zu Wuthanfallen steigerte. Die elektrische Behandlung
wurde nun aufgegeben und danach blieben die Zufälle eine Zeit lang weg, kehrten
aber später wieder, wenn auch seltener und weniger heftig; die Pai blieb aber
äusserst reizbar und zommüthig. Störung in den Functionen der Sinnesorgane waren
nicht vorhanden, die Untersuchung der Genitalien ergab nichts Abnormes. Der
psychische Zustand der Kranken änderte sich nur wenig und es entwickelte sich
epileptische Geistesstörung.
Nach X. D. ist es leicht möglich, dass die Krämpfe in der Kindheit ebenfalls
epileptisch waren« so dass es sich um recidivirende Epilepsie handelte. . Ferner weist
der Erfolg der elektrischen Behandlung darauf hin, das eine corticale Epilepsie vor-
lag. Die Corticalsubstanz war so viel als möglich unter dem Einfluss der Anode,
also künstlich in einem Zustande der verminderten Beizbarkeit; die positive Modi-
ficaüon wurde durch allmähliche Verminderung der Elemente bei geschlossener Kette
aufgehoben. Das motorische und vasomotorische Centrum (Pons und Med. obl.) standen
zumeist unter dem Einflüsse der Kathode, die auch auf den Sympathicus wirken
konnte. Bei gewöhnlicher Epilepsie hätten die Anfalle unter solchen Verhältnissen
zunehmen müssen, weil durch die Stellung der Pole die Beizbarkeit im motorischen
und vasomotorischen Centrum zunehmen musste. Auch der Umstand, dass für die
Anfalle ein psychisches Aequivalent sich einstellte, kann vielleicht für die corticale
Natur der Epilepsie sprechen. iSine Probe, z. B. durch Umkehren der Pole, zu
inachen hielt X. D. sich nicht für berechtigt. Ob etwa das Aussetzen der galvanischen
Behandlung den schliesslich eingetretenen Zustand veranlasste, lässt sich nicht fest-
stellen; in andern von X. D. in gleicher Weise behandelten Fällen folgte kein
psychisches Aequivalent. X. D. räth, dass man bei galvanischer Behandlung Epilep-
tischer ängstlich auf die Psyche achten und bei der geringsten Veränderung die
Behandlung aussetzen soll. Walter Berger.
27) Cooaine in dieorders of the nervous System, by Dr. Jerome K. Bauduy.
(Medical Times. 1885. Nr. 1842.)
Derselbe sprach in einem Vortrage vor der American Neurological Association
ans, dass Cocain in den Körper gebracht einen voUkommenen Abscheu vor Alkohol
— 94 —
und Morphium erwecke, so dass letztere gänzlich und mit einem Mal ohne irgend-
welche Abstinenzschädigung entzogen werden könnten. Nur soU man das Mittel in
subcutaner Form einbringen und es vor dem Fat ebenso wie seine Dosis geheim-
halten, weil sonst durch eigenmächtige Anwendung desselben seitens der Kranken ein
Gocainismus eintreten könnte, der in seinen Wirkungen weit schlimmer sei als Alko-
holismus und Morphinismus. Femer ist es ein promptes Mittel bei dem hartnäckigen
Erbrechen der Schwängern und Hysterischen. Nichts könnte nach Ansicht des Yerf.
die gewöhnlichen hysterischen Erscheinungen so schneU beseitigen wie die subscutane
Cocaineinspritzung. Ebenso ausgezeichnet wären seine Erfolge bei Gehirn- und ROcken-
marksanämien, bei Spinalirritation und Neurasthenie. Sehr wirkungsvoll sollte es im
Froststadium des Intermittensfiebers sein, wo es mit einem Schlage das Geffthl der
Wärme zurückbringe, vor allem jedoch in den pemiciösen Formen.
Dann preist Verf. es als schätzbares Medicament bei Chorea gravior, in der
Beconvalescenz von langen, erschöpfenden Krankheiten und vor allem in den Geistes-
krankheiten, wo ihm eine grosse Zukunft bevorstehen solle. Hier seien es besonders
Melancholie, hysterische und hypochondrische Psychosen, bei welchem das Cocain
nutzbringend angewendet werden könnte. Buhemann.
Forensische Psychiatrie.
28) Caso di parrioidio in un firenastenioo, pell* avv. Aguglia. (Archivio di
psichiatria, scienze pen. ecc. 1885. VI. p. 209.)
Mord des Vaters durch einen schwachsinnigen jungen Menschen, der von jenem
immer schlecht behandelt worden war und oft nicht einmal genug zu essen und zu
trinken bekommen hatte. Bei der Untersuchung stellte es sich heraus, dass der
hereditär belastete Mörder in frühester Jugend eine schwere HimafiTection — Meningitis
oder Apoplexie — überstanden hatte und seitdem in der geistigen und körperlichen
Entwickelung zurückgeblieben war. Er stotterte, zeigte leichte Lähmungserscheinungen
der linken Körperhälfte und eine aufwende Asymmetrie in der Grösse und Form
der linken Gesichtsseite gegenüber der rechten. Geistig war er in hohem Grade
schwachsinnig und wurde dabei von religiösen Wahnvorstellungen beherrscht, die mit
intercurrenten Gehörshallucinationen und anderen Sinnestäuschungen in Verbindung
zu stehen schienen. Seine Unzurechnungsföhigkeit wurde vom Gerichtshof anerkannt.
Sommer.
Anstaltswesen.
29) Legialation on Insanity. A oolleotion of all the lunaoy laws of the
States and territories of the United States to the year 1888 inolu-
sive, also the laws of England on Insanity, legialation in Oanada
on private honses, and important portions of the Innaoy laws of
Gtonnany, France eto., by George L. Harrison, LL. D. late President
of the Board of public charities of Penn^lvania. (Privately printed. Phila*
delphia 1884.)
In einem glänzend ausgestatteten, nicht für den Buchhandel bestimmten und auf
eigene Kosten herausgegebenen Bande von über 1100 Seiten bietet H. eine Zusammen-
stellung der in der üeberschrift genannten Irrengesetze. 856 Seiten sind den Irren-
gesetzen der verschiedenen Territorien der Vereinigten Staaten gewidmet, die, wenn
auch in Einzelheiten europäischen Lesern bekannt, in dieser Vollständigkeit bisher
überall nicht zugänglich waren. Das Hauptinteresse derselben knüpft sich an die
mehr oder weniger weitgehende Betheiligung des Laienelementes an der Durchführung
der irrengesetzlichen Vorschriften, welche auch H. als IHchtarzt in einer weitläufigen
— 95 —
Vorrede eingehend moÜTirt; die fOr eine riclitige Benrtheilang viel zu kurz mitge-
theilten Falle von Freiheitsberaubung angeblich Geistesgesunder dürften hierl&ndische
Fkclunanner kaom überzeugen.
Wie immer man auch über diese und andere controyerse Fragen denken mag,
die hochherzige Gabe des Herausgebers darf allseitigen Dankes gewiss sein.
A. Pick.
ao) The TuBftTie in the United States, by D. Hack Tuke. (Joum. of mental
science. 1885. April.)
T. hat eine grosse Reise durch die canadischen und amerikanischen Irrenanstalten
gemacht, über die er eine eingehende Schilderung giebt. Im Ganzen ist Verf. mit
den gewonnenen Eindrücken sehr zufrieden, die Leitung der Anstalten und die Kranken-
bebandlung ist mit wenigen Ausnahmen vorzüglich, der Westen und Süden der Ver-
einigten Staaten ist entschieden gegenüber den Fortschritten des Nordens zurück-
geblieben.
AnfEallend ist, in wie vielen Fällen noch Bestraint angewendet wurde, nach den
Zählungen waren 40992 Patienten untergebracht, von denen 2242 oder 5,4 ^/^ unter
Restraint waren, und zwar waren notirt:
Zwangsjacke . .
887 Mal.
Maffs ....
626 „
Zirangsstobl . .
439 „
Handschellen
147 „
Kugel und Kette
21 .,
Krippbetten . .
111 „
Andere Formen von Bestraint 111 Mal.
T. giebt an, dass er die Anwendung der Krippbetten als zu niedrig angegeben
glaube, ihre Anwendung sei so bequem, der Gebrauch der Glieder sei unbeschränkt,
daher die Verführung gross, auch ohne zwingende Noth sie anzuwenden, obwohl der
Anblick an ein Thier im K&fig erinnert. In einer Anstalt fand T. 50 Krippbetten
in Gebrauch, hauptsächlich zum Schutz gegen Selbstverstünunelung. — Durch Sui-
cidium gingen 1 ^/^ der Gestorbenen zu Grunde, während unter allen Aufnahmen
15— 25^/o Neigung zum Suicidium zeigen. Die Schutzmaassregeln gegen Suicid
sind verschieden. Oft kommen die Patienten für die Nacht unter Bestraint, oder
eine specielle Wache wird ihnen beigegeben.
In einem Asyl sind weibliche Aerzte für die Frauenabtheilung angestellt, sie
haben die Aufgabe, alle Patienten auf Erkrankungen der Geburtsorgane zu unter-
suchen, dass aber durch stricte Behandlung der Uterinleiden ein wesentlicher Fort-
schritt in der Besserung der Psychosen erreicht sei, wird absolut verneint.
Aus der Gesetzgebung für die Irren ist die schreckliche Bestimmung des Staates
Illinois zu erwähnen, nach welcher kein Kranker der Anstalt zugeführt werden darf,
der nicht vorher einer öffentlichen Exploration vor Gericht unterworfen ist, durch
welche das Bestehen der geistigen Erkrankung constatirt wurde. Die Staatsaufsicht
über die Anstalten ist verschieden organisirt^ mehr und mehr wird den Armen-Com-
missionen die Aufsicht übergeben. Erwähnt sei noch, dass in den Staaten 55 7q
der Geisteskranken noch nicht versorgt sind. Zander.
m. Ans den GtosellscliafteiL
Soci^t^ de Biologie de Paris. Sitzung vom 1. März 1886.
Brown-S^quard: Zur Frage der trophisohen Nerven. B.-S. hat früher
behauptet» dass niemals eine einfache Durchsclmeidung eines Nerven (resp. die Auf-
— 96 —
hebung der Thäügkeit eines Nerven nach einer Erkrankung des Nervensystems) an
sich eine trophische Störung zur Folge hätte.
Das will B.'S. jetzt nicht mehr vertreten; aber er bleibt dabei, dass die äusseren
Schädlichkeiten, Traumen, welche den betreffenden Theil treffen, oft eine bestimmende
Bolle bei den sie ergreifenden trophischen Störungen spielen. — So ist die schwere
Ernährungsstörung der Pfote des Meerschweinchens bekannt, welche eintritt nach
Durchschneidung des Ischiadicus. Sie kommt aber nur dadurch zu stände, dass das
epileptisch gewordene Thier in den Anfällen sich in die Pfote beisst Macht man
bei solchem Thiere noch eine einseitige Durchschneidung des Bückenmarks im Dorsal-
theile, so kann das Thier die Pfote in den ErampfanfäUen nicht mehr zum Munde
führen, und die schwere Ernährungsstörung tritt nicht ein. Hadlich.
IV.
Delirium tremens and Delirium traumatioum, von Prof. Dr. Böse. Deutsclie
Chirurgie, herausgegeben von Billroth und Lficke. (liieferung 7. Stutt-
gart, Enke, 1885.)
Wenn auch die vorliegende monographische Bearbeitung des Delirium tremens
speciell für die Chirurgen und mit Bücksicht auf den Ausbruch der Krankheit bei
Verletzungen bestimmt ist, so bietet sie doch auch dem Neuropathologen, speciell
dem Psychiater durch genaueres Eingehen auf die psychischen Erscheinungen (die
Hallucinationen, Illusionen, Delirien etc.), wie auf die übrigen Symptome seitens des
Nervensystems (Paresen, Anästhesien, Hyperästhesien, Convulsionen etc.) bei dem Del.
tremens eine Beihe werthvoller Beobachtungen aus des Verfassers reichen Erfahrungen.
Durch die klare und gefällige Sprache, durch die zahlreichen praktischen Winke, die
besonders auch in der Therapie gegeben werden, empfiehlt sich das Buch auch für
Jeden, der Delirium tremens zu behandeln hat Die Ausstattung ist entsprechend
der Bedeutung der Mitarbeiter an dieser „deutschen Chirurgie'' eine gute. M.
V. Personalien.
Unser verehrter Mitarbeiter Herr Prof. Strümpell hat den an ihm ergangenen
Buf als Prof. ord. und Director der med. Klinik in Erlangen angenommen.
Am 30. Januar starb zu Halle a./S. nach langem Leiden der Assistenzarzt an
der dortigen Irrenanstalt, Herr Dr. Oscar Brückner. So lange er gesund war,
konnte auch diese Zeitschrift ihn zu ihrem thätigen Mitarbeiter zählen.
In London ist auf Anregung von Dr. A. de Watte ville eine neurologische (Ge-
sellschaft gegründet worden. Hughlings Jackson wurde zum Präsidenten, Wilks
und Crichton Browne zu Vicepräsidenten, Bennett und de Watteville zu
Secretären gewählt.
Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten.
Einsendungen fOr die Bedaotion sind zu richten an Prof. Dr. E.Mendel,
Berlin, NW. Eronprinzen-Üfer 7.
Verlag von Vbit & Comp, in Leipzig. — Druck von Mbtzobb & WtTrie in Leipzig.
Seürologisches Centr ALBUn.
Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie
und Therapie des Nervensystemes einschliesslich der Geisteskrankheiten.
HeraoB^egeben Ton
Professor Dr. E. Mendel
Ffaifter »» B«riin. Jakrgang.
KonAtlieh erMheinen zwei Nammern. Preis des Jahrganges 16 Mark. Zu beziehen dnreh
ille Bnchhandlimgen des In- nnd Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Beichs» sowie
direct von der Verlagsbuchhandlung.
»
1886. 1. März. M 5.
Inhalt. I. Origlnalmlttheilungen. 1. Bemerkungen über die antero-laterale aufsteigende
Degeneration im Rückenmark, von W. R. Gowere. 2. Einige Bemerkungen über den Faser-
Terlauf in der hinteren Commissur des Gehirns, von Dr. U Darktchewltich. 8. Zur Wirkung
des ürefchan, Ton Dr. Emil Kraepelin.
II. Raf«rate. Anatomie. 1. Die Stützsubstanz des Centralnenrensystems, von Glerfce.
" Experimentelle Physiologie. 2. Becherches exp^rimentales sur les conditions de
l'actiTite oMbrale et sur la physioloffie des nerÜB, par Beaunit. 8. De la nutrition du systdme
nerTeux a Petat phvsiologique et patnologique, par Malrat 4. Einfluss geistiger Arbeit auf
denUmsatz von Stickstoff und Phosphorsäure, von Raspopow. — Pathologische Anatomie.
5. Centrale Qliose des Bückenmarks mit Syringomyelie, von Schultze. — Pathologie des
Nervensystems. 6. Himsyphilis, von Gerhardt 7. Syphilitische Hemiplegie, von Althaus.
8. Cerebral affektion beroendia pä hereditär arfilis, af Pipping. 9. La malat&a di Friedreich,
del Vizloli. 10. Des pseudo-tabes, par Leval-PIcquochef. 11. Morbus Addisonii mit besonderer
Berücksiohtigang der eijfenüiümlii^en abnormen Pigmentation der Haut, von Lewln. 12. Halb-
Mitige progressive Qesichstsatrophie, von Roshdestwenski. — Psychiatrie. 18. Pathologie
des Qeoäehtnisses, von Pick. 14. Studii sulla peptonuria negh alienati, per Maccabruni.
15. Allgemeine Pandvse der Irren, von Nasse. 16. Caae in which haematuria and appea-
nmces as of severe bruises occnrred spontaneously in the curse of an attack of maniacal
ezdtement and in which after death there was found tobe extensive internal haemorrhagic
paehymemngitis, by Savage. 17. On unusually heavy brain in a general paralytic, by Dowall.
18. Tabes mit Paranoia und terminaler Paralyse, von Sommer. — Therai)ie. 19. Counter
imtation in ^neral paralysis, by Davies. 20. Influenza di alcune applicazioni idroterapiche
Biüla circolazione cerebrale nell'uomo, dei INusso e Bergesio.
lil. Aus den Gesellschaften.
IV. Mittfceilung an den Herausgeber.
V. Vermischtes.
I. Originalmittheilungen.
1. Bemerkungen über die antero-laterale aufsteigende
Degeneration im Rückenmark.
Von W. B. Gowers, M. D. in London.
In der ersten Ausgabe meines Buches über die „Diagnose der Bückenmarks-
kiankheiten^S welches 1880 erschien, erwähnte ich und bildete ich eine secundäre
aufsteigende Degeneration in den Seitenstrftngen, vor tler Pyramidenaeitenstraiig-
babn, ab, welche eisten dnrch die donalen and cervicalen Qegenden des
B&clcenmarkB als ein bestimmter, wohl maikirter Zog von Fasem rerfolgt
weiden konnte.
Ich Termuthete, dass dies der Strang sein müsste, in welchem, wie Wo-
BOSCBHiOFF fand, gewisse Empfindungen durch die Sdtensttänge geleitet verdeiL
In dem NeoroL GtxlbL 1885. S. 155 ist ein Bericht fiber die interessante
Beobachtong von Bbohtbbsw, dass eine gesonderte Entwickelnng dnes Nerven-
faseizuges existiit, welche genau in der Lage äbereinatimmt mit jenem, den ich
beschrieb und der unzweifelhaft derselbe ist.
Degeneration an dieser Stelle wnrde von mehreren
Beobachtern vor nnd seit meiner Mittheüung ab^büdet,
V aber sie haben nicht die Bedeatang dsrselben als eines
I bestimmten Zuges aufsteigender Degeneration erkannt
Dass es sich so verhält, ist nicht zweifelhaft. Ich
habe es in einem andern Falle von seonndärer Degene-
ration gesehen und es ist sehr deatlioh in Iheilen eines
ähnlichen Falles , der mir neuerdings von Dr. Howabd
TooTH gezeigt wurde. loh habe es auch in zwei Fällen
von Tabes ebenso bestimmt gesehen.
Die beigefikgten Abbildungen zeigen, wenn aach
etwas roh, die Degeneration in dem ersten Falle, in dem
ich sie fand. Einige Details werden von Interesse sein,
da der Fall in Deutschland nicht bekannt geworden zu
sein scheint
Das Bflckenmark war an dem oberen Theile der
Lendenanschwellang durch einen Bruch mit Dislocation
der Wirbelsäule gequetscht
Man kann sehen, dass die Degeneration am inten-
sivsten, d. h. der Strang am dicksten ist, nach vom von
der Verbindung der Fyramidenseitenstrang' und der
directen Eleinhimseitenstrangbahn, dass er sich ausdehnt,
nach innen eine kurze Strecke vor der Pyiamidenaeiteii-
strangbahn, nach aussen erreicht er die Oberfläche des
Rückenmarks - nach vom von der Eleinhimsatenstrangbahn, welche in diesem
Rückenmark frei von jeder D^neration ist, da die Verletzung gerade unterhalb
ihres Ursprungs stattgefunden hat
Die Degeneration erstreckt sich nach vorwärts entlang der Peripherie des
Rückenmarks, immer begrenzter werdend, und kann bis zur Gegend der Pyrs-
midenvorderstrangbahn verfolgt werden, wo sie plötzlich aufhört
Dies ist nicht gut in der Abbildung zu sehen. Bechtebew konnte den
Strang jenseits der vorderen Wurzeln nicht verfolgen, wahrscheinlioh weil er zu
dünn an deren innem Seite wurde.
Die Degeneration war am intensivsten in der unl«m DoTsalgtgend, und
— 99 —
schien sieb zu verdäniieDy um so za sagen, mit der Ausdehnung nach oben,
wafaisdiejxilieh indem gesunde F^m von derselben Function aus hoher gelegenen
Theilen des Körpers hinzutraten; oberhalb des obem Theils der Gervicalanschwel-
lung konnte der Strang nicht weiter verfolgt werden. Der Patient lebte 9 Monate
nach der Verletzung mit Tollständiger Paraplegie; das Oefohl war an den Beinen
für einige Monate yerloren, aber es kehrte ein wenig zurück, sowohl das Be-
rährongs-, als das Schmerzgefühl, mit Ausnahme des linken Beins unterhalb
des EnieSy wo es absolut Terloren blieb.
In manchen FSQen, in welchen D^neration an dieser Stelle gesehen
wmde, ist^ wie Beohtebew bemerkt, augenscheinlich dieselbe für Degeneration
der directen Eleinhimseitenstrangbahn gehalten worden und in andern wurde
die peripherische D^neration fär eine oberflächliche Myelitis gehalten. Das
Aofhoren der Degeneration an dem Pyramidenvorderstrang unterscheidet sie
von dner entzündlichen Veränderung.
2. Einige Bemerkungen über den Faserverlauf in der
hinteren Commissur des Gehirns.
Von Dr. L. Darkaohewitsch aus Moskau.
Bei der Untersuchung des oberen Vierhügels menschlicher Föten an Quer-
schnitten, die mit Hämatoxylin nach der alten WsiaEBT'schen Methode^ gefärbt
waien, konnte ich mich überzeugen,' dass die hintere Oehimconmüssur in zwei
Abtheilungen zerlegt werden muss: eine ventrale und eine dorsale.
Den Verlauf der Fasern des ventralen Theiles der hinteren Commissur zu
verfolgen ist nicht besonders schwierig, weil die betreffenden Fasern scharf aus
der Masse der übrigen Fasern durch ihr starkes Galiber hervortreten. Die bei-
gegebene Abbildung (Fig. I) steUt ein Präparat dar, an welchem deutlich zu
sehen ist, dass der ventrale Theil der hinteren Cionmiissur (Fig. I, 11) Fasern
fahrt, welche zum Theil aus dem oberen Oculomotoriuskerne (Fig. I, 10) ihren
Anfang nehmen, zum Theil eine direote Fortsetzung der Fasern des hinteren
Längsbündels (Fig. I, 9) ausmachen. Indem diese Fasern immer in au&teigen-
der Richtung verlaufen, biegen sie allmählich von der Seite um den Gentral-
canal herum und gehen nach hinten von demselben eine Kreuzung (?) mit der
ventralen Faserpartie der hinteren Ciommissur der entgegengesetzten Seite ein,
worauf sie sich (?) in der Glandula pinealis verlieren. Ohne Zweifel entspricht
^ FoitMbritte det Medioin. 1884. 15. M&rz.
* TgL Nenrolog. CeDtralbl. 1S85. Nr. 5: „Ueber die hinteie Gommissnr dea Ctohims."
Bei dieser Gelegenheit machen wir auf einen Irrthom aoftnerkeam, der eich S. 101 Z. 3 ▼. o.
ebgeeehlichen hat; der Satz ;,&nfniuih wohl 'eine wirkliche Ci*ronu6ear", ist daselbst zu
itraelien. -• * - - s- - *•...,
- 100 —
dieses Faseisystem demjenigen, welches Pawlowsky ^ ans der Glandula pinealis
nach nnten in die B^on der Hanbe zu verfolgen Termochte nnd als „erste
Gmppe der Fasern der hinteren Gonunissor^' bezeichnet
Ungleich schwieriger ist es nach Präparaten menschlicher Föten darüber
ein ürtheil zu fallen, welches der Verlauf der Fasern des dorsalen Theiles der
hinteren Gommissur sein dürfte. Das Bild, welches Querschnitte menschlicher
Fig. 1. (Menschlicher Fötofi.)
IS ±
1. Oberer Vierhügel. 2. Sehhügel. 2 a. Innerer Eniehöoker. 3. MitUeree Mark. 4. Faeem aos
dem mittleren Mark. 5. Pyramidenbahn. 6. Himschenkelfoss. 7. Bother Kern. 8. MBnrxBT*-
Bchee BündeL 9. Hinteres Langsbündel. 10. Oberer Oculomotoriuskem. 11. Ventraler Theil
der hinteren Commissor. 12. Tiefliegendes Mark. 18. Dessen gekreuzte Fasern.
Gehirne, an welchen diese Fasern schon markhaltig sind, darbieten, ist so ver-
wickelt, dass es äusserst schwer hält genau anzugeben, wo die dorsale Faser-
partie der hinteren Cionmiissur entsteht und wohin sie zieht; an Oehimen, wo
die Fasern aber noch marklos sind, sind dieselben zu blass und zart, sie um mit
Sicherheit auf weite Strecken verfolgen zu können. Aus diesem Grunde fertigte
ich eine ununterbrochene Beihe von Querschnitten durch das Hirn eines er-
wachsenen Kaninchens an, wobei ich auch hier dieselbe Färbungsmethode
beibehielt, und verglich beide Präparatenserien unter einander.
Fig. n vergegenwärtigt einen durch das Eaninchenhirn in der Weise ge-
führten Schnitt, dass die dorsale Partie desselben mit der Grenze zwischen dem
^ „üeber den ^s6er^r!anf in dervhjnijerep Grehinoommissar.'' Zeitsehr. f. w. Zoologie.
1874. Bd. 24. S. 285. « - • . -
— 101 —
forderen nnd mittleren Dritttheile des oberen Yierh&geU zaBammen^t^ die
Tentiale mit der dorsalen Hälfte des ChiaBma Nervomin optioomm. Hier sowie
an Präparaten des mensohlichen Fötus scheiden sich die Fasern, die nacb hinten
rom Gentraloanale Teilsnfen, scharf in zwei Orappen: eine ventrale und eine
dorsala Der ventrale Theil (Fig. II, 8} fährt Fasern, die ungleich Btärker sind,
als alle übr^n und dabei eher einen verticalen als horizontalen Verlauf zeigen.
Verfolgt man eine Beihe von Sdmitten in der Bichtnng nach oben (nach vom),
90 ist es nicht schwer sich zu äbeizeogeti, dass die Fasern dieses Theiles eben-
falls in (?) der Glandtila pinealie ihi Ende finden nnd demnach vollkommen den
Fasern des ventraleD Theiles der hinteren Commissar mensdilicher Föten ent-
sprechen.
Fig. n. (ElrwMihBeiiea Eaninohen.)
1. Fuern, die nftoh der Hinuinde Eiehen.
a. MitUetM Huk.
S, OberflftohlialieB Hark.
1. FaHTn dea mittleren Hukea tat dea
W^ nach der Himrinde.
5. Tnotu optieoB.
8. HinuchenkelfoBB.
7. Centnloanal.
8. Tentiskr Theil der hinteren CommiBanr.
9. Donaler Th^ der hlDteren CommiMnr.
bez. die krenzenden Fuern dea sog. tief*
Uegendeo Hwkei,
Der dorsale Theil der in Bede stehenden Fasern (Fig. n, 9), der dem
dorsalen Theile der hinteren Gommissnr menschlicher Föten entsprechen mnss,
erscheint hier sehr stark entwickelt Nach stattgehabter Kreuzung hinter dem
Centialcanale ziehen die Fasern dieses Theiles nach aussen und b^ben sich in
den Bezirk querdorchsohnittener Fasern (Fig. n, 2), die nidits anderes vor-
stellen, als das sog. mittlere Itlark des oberen Yierhägels. Hat man eine im-
unterbrochene Beihe von Schnitten vor moh und verfolgt an denselben daa sog.
mittlere Mark in der Biditung nach oben (nach vom), so kann man sich leicht
davon übeizeagen, dass letzteres in seinem Umfange allm&hlich abnimmt in dem
Uaasse, als es immer mehr and mehr Fasern abgiebt, die (F^. II, 4) in der Ebene
des Sdmittes in der Bichtang nach dem Himschenkelfuss verlaufen. An Schnitten
aus einer mehr nach vom gelegenen Begion als die, der nnser Präparat ent-
nommen, ist es leicht, aadi den weiteren Verlauf dieser Fasern m verfolgen
tmd dabei gelingt es ganz deutlich zn sehen, wie dieselben durch die Capsula
interna in die Hasse der Stabkranzfosem eintreten. Unserer Meinung nach
— 102 —
sind das die Fasern, durch deren Atrophie im GANSEB'soheu Falle ^ das Ver-
schwinden des mittleren Markes des oberen Yierhügels bedingt war.
Nachdem man sich überzeugt hat, dass die Fasern des dorsalen Theiles
der hinteren CommiBSur nach erfolgter Kreuzung hinter dem Gentralcanale der
Rinde sich zuwenden, ist es nicht schwer die Frage zu entscheiden, wo dieselben
vor ihrer Kreuzung verlaufen. An Präparaten aus der hinteren Partie des
oberen Yierhügels lässt sich ohne Mühe sehen, dass in die Kreuzung hinter
dem Gentralcanale die Fasern des sog. tiefliegenden Markes des oberen Yier-
hügels eingehen, mit anderen Worten, die Fasern des dorsalen Theiles der hin-
teren Gommissur reprasentiren nichts anderes, als die kreuzenden Fasern des
tiefliegenden Markes.
Wenn man an solchem Faserverlauf im Kaninchenhime festhält, so ver-
mag man bald auch über das Bild klar zu werden, das uns ein Präparat aus
dem menschlichen Fötus darbietet Hart hinter den Fasern des ventralen
Theiles der hinteren Gommissur liegen die ungekreuzten Fasern des tiefliegen-
den Markes (Fig. I, 12), mehr dorsal sind die gekreuzten Fasern des näm-
lichen tiefliegenden Markes gelagert (Fig. I, 13) und mehr nach aussen — der
Bezirk der querdurchschnittenen Fasern (Fig. I, 3), der dem mittieren Marke
des oberen Yierhügels beim Kaninchen entspricht; die Fasern (Fig. I, 4), welche
aus diesem Bezirke hervorgehen, sind die gekreuzten Fasern des tiefli^enden
Markes des oberen Yierhügels auf ihrem Wege nach der Hirnrinde hin«
Demnach erhalten wir in der hinteren Gommissur des Gehirns zwei ganz
verschiedene Fasersysteme, die mit einander nichts zu thun haben: einen ven-
tralen und einen dorsalen Theil. Der erstere, der ventrale, schliesst in sich die
Fasern ein, die von (?) der Glandula pinealis nach dem oberen Oculomotoriuskeme
und im hinteren Längsbündel verlaufen, der letztere, der dorsale, repräsentirt
die Fasern des tiefliegenden Markes des oberen Yierhügels, die nach stattgehabter
Kreuzung hinter dem Gentralcanale nach der Hirnrinde sich hieben.
An dem in Fig. U abgebildeten Präparate kann man sehen, wie aus der
Yierhügelrinde, aus deren mittieren Partie, Längsfasem abzugehen beginnen
(Fig. n, 1); an Schnitten aus der mehr nach vom (nach oben) gelegenen Re-
gion sind diese Fasern in ihrer ganzen Ausdehnung zu sehen, und dabei stellt es
sich heraus, dass dieselben nach der inneren K!apsel der entsprechenden Seite ihren
Weg einschlagen, wie dies auf der in Nr. 11 (1885) dieses Blattes angefährtt^n
Abbildung dargestellt ist' Wir bleiben bei diesem Punkte stehen, um auf den
Unterschied und die wechselseitige Beziehung zwischen diesen Fasern und den
Fasern des tiefliegenden Markes des Yierhügels aufmerksam zu machen. Die
einen sowohl als die anderen entspringen aus der Grosshimrinde und ver-
laufen in der Richtung nach dem Yierhügel, die ersteren liegen aber mehr
nach vom und endigen in der grauen Substanz der Yierhügelrinde derselben
' „Ueber die periphere und oeDtrale Anordnung der Sehnervenfuem eto." Archir fnr
Psychiatrie. iaS2. Bd. XIU. S. 878.
' fJLwr Anatomie des Corpas qaadrigeminom."
— 103 —
Seite (erstes Glied des MsrnEBT'schen Piojectionssystemes), während die letzteren
dieselbe nur passiren, um in das tiefliegende Mark des Yierhfigels der entgegen-
gesetzten Seite überzugehen.
3. Zur Wirkung des ürethan.
Von Dr. Emil S[raepelin.
Das Uretban, der Aethyläther der Carbaminsaore, ist bekanntlich von
ScHHiKDBBBBG auf Grond physiologischer Versuche als Hypnoticum empfohlen
und seitdem von Jolly, y. Jaksch und Stickeb^ an Ejranken geprüft worden.
Da die bisherigen Mittheilungen im Wesentlichen günstig lauteten, habe ich
ebenfalls das Mittel in einer grösseren Zahl von Fällen, zumeist bei Geistes-
kranken, in Anwendung gezogen. Meine Versuche umfassen gegen 200 Einzel-
gaben, die sich über 34 verschiedene ErankheitsfUle erstrecken. Die Dosis des
Medicaments schwankte im Allgemeinen zwischen 1—3 gr; nur je einmal wurden
4 und 5 gr gegeben. Vor Allem verdient bestätigt zu werden, dass' niemals
eine unangenehme Neben- oder Folgewirkung des Mittels beobachtet wurde;
weder von Seite des Herzens, noch von deijenigen des Nervensystems machten
sich irgend welche bedrohliohen Erscheinungen geltend. Die eine der erwähnten
grossen Gaben rief bei einem an Magenkatarrh leidenden Trinker Erbrechen
hervor; Beeinträchtigung des Appetites habe ich indessen trotz mehrere Wochen
lang fortgesetzter Anwendung des Mittels niemals gesehen.
Die eigentliche Wirkung des TJrethan ist eine wesentlich hypnotische. Der
Einverleibung des Mittels folgt nach 10 — 15 Minuten ein zumeist vielstündiger,
ruhiger Schlaf, aus dem die Kranken ohne jede Eingenonmienheit des Kopfes
erwachen. Wird dieser Schlaf durch irgend welche äussere Ursachen unter-
brochen, so setzt sich die Wirkung des Mittels nach Beseitigung der Störung
gewöhnlich weiter fort; die Kranken schlafen wieder ein. Die Ausgiebigkeit und
Sicherheit dieses Erfolges hängt natürlich in erster Linie von der Ursache der
Schlaflosigkeit» in zweiter von der Dosirung des Medikamentes ab. Das Urethan
wirkt nicht sehr energisch; bei sehr lebhaften Aufr^ungszuständen versagt es
meist vollkommen und steht hier dem Paraldehyd weit nach. Speciell im De-
lirium tremens sah ich nicht den von Stickeb erwarteten Erfolg. Vielleicht
kann man indessen hier in der Gabe noch höher gehen, als ich bisher wagen
zu dürfen glaubte. Andererseits lindert das Urethan keine Schmerzen und
vermag daher das Morphium nicht zu ersetzen. Dennoch gab ich es bei einigen
Phthisikem, wie v. Jaksoh und Stioksb, mit entschiedenem Nutzen, halte aber
hier die Verbindung des Mittels mit kleinen Gaben Morphium f&r zweckmässig.
Die ersten Empfehlungen des Urethans beziehen sich auf Gaben bis zu 1 gr.
Fasse ich meine Erfahrungen über diese kleinen Dosen zusanmien, so habe ich
bei Anwendung von 1 gr Erfolge nur in etwa 54 7o ^^^ F^lle zu verzeichnen,
> DentBche mediciniBohe WocheoBchrift XI. Nr. 48. S. 824. 26. Nov. 1886. DaselbBt
wdUre Literatnnuiffabeii.
— 104 —
während sioh die Zahl der günstigen Wirkungen bei den höheren Oaben bis
zu 3 gr auf fast 70 7o stellt Da hierbei, wie schon erwähnt, niemals üble
Zufalle irgend welcher Art bemerkt wurden, so kann ich mich nur jenen Be-
obachtern anschliessen, welche die sofortige Anwendung von 2 — 3 gr des Mittels
empfehlen.
Als specielle psychische Erankheitsformen, bei denen ich das ürethan in
ausgedehnterem Maasse versucht habe, kommen vor Allem die Paralyse und
Melancholien in Betracht. In den Aufregungsstadien der Paralyse blieben
kleinere Dosen häufig unwirksam, während es mit grosseren wenigstens in 60 7o
der Fälle gelang, einen befriedigenden Erfolg zu erzielen. Bei sehr grosser
Erregung indessen sah ich mich bald genöthigt, wie bei der Manie und dem
Delirium tremens, zum Paraldehyd zu greifen. Günstiger gestalteten sich die
Erfahrungen bei melancholischen Zuständen, auch solchen mit grosserer Be-
ängstigung (77 ^Iq Erfolg); die betreffenden Patienten waren allerdii^ sanunüich
Frauen, zumeist mit beträchtlioher Anämie. Erschöpfende (auch fieberhafte)
Krankheiten, femer leichte Aufregungs- und Depressionszustände mit gesunkener
Ernährung dürften daher in erster Linie die Indicationen für die Anwendung
des Mittels abgeben.
ISn grosser Vorzug des Urethans vor dem Paraldehyd ist ausser der längeren
Dauer seiner Wirkung die geringe Belästigung des Kranken durch Geschmack
und Geruch des Mittels. Es kann zur Noth in einfacher, sehr leicht herstell-
barer Losung ohne jedes Gorrigens genommen werden; will man den an Benzin
erinnernden, nicht sehr intensiven Geschmack verdecken, so genügt etwas Tinc-
tura corticum oder dergl. vollständig.
n. Beferate.
Anatomie.
1) Die Stützsubstanz des CentralnervensystemB, von Dr. H. Gierke. II. Theil.
(Arch. f. mikroskop. Anatomie. Bd. 26. S. 129.)
Der II. Theil dieser ausgedehnten und ausserordentUch interessanten und ge-
wissenhaften Arbeit behandelt die Anordnung der Stützsubstanz in den einzelnen
Theilen des CentrahiervensystemB. Ueber seine Auffassung vom Bau der Glia hat
Gierke in diesem Bktte (1883. S. 361 u. 385) bereits Mittheilung gemacht In
dem vorliegenden Aufsatze, der reich an Details zum kurzen Auszuge durchaus nicht
geeignet ist, schildert er zunächst die Glia- Auskleidung des Centralcanales, dann die
Substantia gelatinosa Bolandi. Die letztere besteht aus einem Netzwerk dicht ge-
drängter Gliazellen, zwischen denen wenig Grundsubstanz und, abgesehen von den
hinteren Wurzelfasem, fast kein Nervenmark zu finden ist. Kleine Nervenzellen
und sehr zarte nervöse Fibrillen füllen die Maschen des Glianetzes.
Die graue Substanz besitzt als Haaptstützgeflecht ein Netzwerk kemarmer, stern-
förmiger verhornter Gliazellen, die sich durch ihre Ausläufer mit einer ungehener
grossen Zahl anderer gleicher Zellen verbinden. Die Lücken dieses (Geflechtes sind
von den Nervenelementen nicht ganz ausgefüllt; es lagerte vielmehr ausser diesen
noch eine feine Grnndsubstanz und die Capillare dortselbsi Die Glia giebt den
— 106 —
feinen Nervenfasern Scheiden, die Mehrzahl der allerfeinsten Fäserchen aber ist
direct in jene Grandsabstanz gebettet. In der Sabstantia gelatinosa Bolandi tritt
die Gmndsabstanz sehr zarflck gegen die Menge der Glia- and Nervenzellen. Dazu
kommt dort noch ein feines Netzwerk, gebildet aas den allerzarteeten. kaum noch
sichtbaren Nervenfibrillen, den Ausläufern der Nervenzellen.
Die Lymphbahnen sind in die Grundsubstanz eingegrabene, häufig von Gliazellen
belegte Gan&le. Als hauptsächlichste Anfänge dieses Ganalsystems mflssen die peri-
cellulären Bäume angesehen werden, welche übrigens im Leben ausserordentlich
viel schmaler sind, als in den Präparaten. Als Sammelpunkte stehen diesen Lymph-
an&ngen die perivasculären Bäume gegenüber. Diese letzteren münden wieder
in den perimedullären Baum, der über das ganze Centralnervensystem sich zwischen
Innenflache der Pia und der peripheren Gliaschicht ausbreitet.
G. bespricht dann eingehender die Verhältnisse der Glia im verlängerten Mark,
wo er namentlich die Eröffiiung des CentralcanalB in den vierten Ventrikel genauer
schildert Es erfahrt dann die dicke Schicht der Stützsubstanz am Boden des
Ventrikels eine genaue Beschreibung. Aus der Ala cinerea kommen keine
Vagusfasem, der Vaguskem liegt erst unter ihr. Sie besteht aus Stützsubstanz und
Bindegewebe, enthält aber auch ungemein zarte zellige Elemente, die kaum anders
als als Nervenzellen aufzufassen sind. Aber keine Spur von Nervenfasern konnte
dort bislang noch gefunden werden. In der Ala cinerea liegen zahlreiche grosse
Lymphraume und ein grosser Sammelraum für diese an ihrer Kante, dort wo die Pia
sich anheftet Es scheint sich um eine besonders wichtige Stelle für die Lymph-
bewegnng in der Oblongata zu handeln. Verf. will später Näheres darüber noch
mittheilen.
Die Stützsubstanz im Kleinhirn bietet namentlich in der grauen Binde
manches Wichtige, von der an anderen Stellen bekannten Anordnung abweichendes.
Doch muss für das Meiste auf das Original verwiesen werden. Hier sei nur hervor-
gehoben, dass unter der äussersten Gliaschicht zahlreiche kleine Nervenzellen liegen,
die bisher meist zur Gtorüstsubstanz gerechnet wurden, in der That aber in das
Fibrillennetz eingefügt sind, welches aus den Fortsätzen der Purkinje*schen Zellen
hervorgeht Das Glianetz um diese letzteren ist so dicht, dass Verf. wiederholt von
„Körben" spricht, in denen die Zellen liegen sollen. In der äussersten Gliaschicht
wird dann noch ein feinstes Netz aus Gtorüstsubstanz beschrieben. In der Kömer-
achicht liegen ähnliche, aber feinere Körbe um die einzelnen Zellen, wie sie eben
fOr die Purkinje'schen Zellen erwähnt wurden.
Die graue Binde des Grosshirns ist von einer mächtigen Gliaschicht über-
zogen, welche gleichzeitig die Wand des epicerebralen Lymphraumes bildet. Diese
Schicht wird sehr eingehend geschildert. Dort liegen zahlreiche pyramidenförmig
verhornte Glia-Elemente, welche ihre Fortsätze als lange Fäden nach innen schicken.
Aehnliches hat Verf. auch an der Binde des Gerebellums gesehen. Die Stützsubstanz
der grauen Binde selbst ist ganz nach den allgemeinen, von G. für die Glia ge-
schilderten Prindpien aufgebaut. Bei keinem Thiere treten Nervenfasern so hoch
hinauf, so nahe an den epicerebralen Baum heran, als beim Menschen. Nirgends ist
die äuBserste Gliaschicht so schmal als bei ihm. In den nervenzellenreichen Schichten
der Hirnrinde werden die Gliazellen ausserordentlich verkümmert. Nur um die
grösseren Ghmglienzellen ist wieder das durch Gliazellen gebildete korbartige Gtortkst
ganz deutlich nachweisbar. Am besten kann man die Gtorüstsubstanz in der Binde
des Ammonshornes studiren. Von dem G^childerten abweichende Verhältnisse
bietet sie im Bulbus olfactorius. Die mehrgenannten Gliascheiden, welche die
Ganglienzellen umgeben, bilden allein die Wand der pericellulären Lymphraume,
welche sicher kein Endothel haben.
Zum Schluss resumirt der Verf. nochmals seine Ansicht über die Stützsubstanz
etwa in der folgenden Weise: Die Stützsubstanz geht aus dem Ectoderm hervor, aus
— 106 —
den gleichen Bildnngszellen, ans denen auch die Nervenzellen hervorgehen. Sie be-
steht ans zwei sehr verschiedenen Elementen^ ans der Gmndsnbstanz nnd ans den
Zellen mit ihren Aoslänfem. Die erstere ist homogen, stmctnrlos, ohne Einlagerungen
(Molekel). Die Mehrzahl der Zellen verhornt allmählich, aber in sehr verschiedenen
Graden. Namentlich die Betheiligung des Kernes an der Yerhomung, die GrOsse des
erhalten bleibenden Zellkörpers, ist sehr variabel. Ausser dieser geformten und un-
geformten Gtorfistsubstanz kommen im Centralnervensystem nur noch die nervIVsen
Elemente und die Blutgefässe vor. Die Epithelzellen des Centralkanals und des
Yentrikelependyms gehören genetisch zur GrerQstsubstanz, mit der sie auch direct
durch Ausläufer verbunden sind. So viele Unterschiede sich nun auch im Einzelnen
im Aufbau des Stützgerüstes finden, das Princip desselben ist stets das gleiche.
Das allgemeine Grundgerüst ist sowohl innen nach den Hohlräumen hin, als aussen
an der Oberfläche besonders stark und enthält keine nervösen Elemente. Zwischen
dieser Ventrikelauskleidung und der oberflächlichen Gliahülle ist ein (Geflecht von
Gliazellen ausgespannt, dessen Lücken die Nervenelemente enthalten; zum Theil allein
(weisse Substanz), zum Theil zusammen mit der Grundsubstanz (graue Substanz).
Eigene Scheiden aus verhornten Zellen besitzen nur die grösseren Ganglienzellen und
die gröberen Fasern; die kleineren Zellen und die feineren Fasern sind einfach den
Maschen des Gerüstes eingelagert, zum Theil auch nur direct in die Grundsubstanz
eingebettet
Die vorliegende Arbeit ist so reich an Einzelbeobachtungen und Beschreibungen,
so reich an Befunden, wie sie nur die vollendetste Technik erheben kann, dass sie
für eine lange Reihe von Jahren wohl grundlegend sein wird; ganz abgesehen von
den schönen, principiell wichtigen Resultaten, zu denen sie den Verf. geführt bat
Edinger.
Experimentelle Physiologie.
2) Beoherohes expörimentales sur las conditions de raotivitö oöröbrale et
sur la Physiologie des nerfii, par H. Beaunis, Nancy. U. Etndes
physiologiques et psychologiques sur le somnambulisme provoqu^. Paris 1886.
(106 Seiten.)
Nach einer kurzen Einleitung, aus der wir die Bemerkung herausheben, dass
zur Hervorrufung der Hypnose keineswegs das hysterische Temperament nothwendig
sei, ja Hysterie und Neurasthenie geradezu jene erschweren, macht B. zahhreiche
statistische Angaben aus der Praxis des Dr. Li^bault über Zahl, Geschlecht Alter
der Hypnotisirten und den Grad der Hypnose, aus denen das nahezu gleiche Ver-
hältniss der Geschlechter und die im Gegensatze zu anderen Angaben sehr häufige
Hypnose im Eindesalter erhellt. Aus dem Capitel I: „AUgemeine Charaktere des
Somnambulismus" (des 5. Grades der Hypnose) sei hervorgehoben das auch B. gleich
seinen Collegen in Nancy nicht zur Beobachtung gekommene Vorkommen der drei
von Charcot an Hysteroepileptischen beobachteten Stadien. Im H. Capitel: „Me-
thoden" empfiehlt er, behufs Hintanhaltung sträflichen Missbrauchs der Hypnose,
leicht hypnotisurbaren Personen die bestimmte, von Zeit zu Zeit zu wiederholende
Ansicht beizubringen, dass sie nur von bestimmten Personen hypnotisirt werden
können, was dann jedesmal auch zutrifft; die Gefahren lange fortgesetzter Hypnose
erklärt er für weniger bedeutend, als dies von anderer Seite geschehen.
UI. Modification der Schlagfolge des Herzens durch Suggestion. In einem
Falle gelang es, die Zahl der Pulse um 6 zu vermindern, nnd später um 13 (in
der Minute) zu vermehren, in einem andern von 17,8 und 18,4 (f&r Ve Minute)
bis auf 15,5 zu vermindern; im Anschluss daran bespricht B. die Beobachtungen
über willkürliche Beeinflussung des Pulses und kommt zu dem Schlüsse, dass es sich
- 107 —
in dem ersten seiBer Fälle um directe Reizung oder Hemmung des Hemmungscentrams
Itkr das Herz handelt.
IV. Erzeugung von Hautröthong dorch hypnotische Suggestion.
V. Hier werden interessante Beobachtungen über die den Wirkungen eines
Yesicans gleichen Folgen einer entsprechenden Suggestion mitgetheilt, die für die
Beortheilung Stig^matisirter von Bedeutung sind, und an welche B. die Aeusserung
knüpft, dass so zu sagen keine organische Function der Suggestion entzogen ist
VI. Dynamometrische Untersuchungen ergeben im Allgemeinen Abnahme der
Kraft in der Hypnose, Steigerung nach dem Erwachen (Details mit Rücksicht auf
den Grad der Hypnose siehe im Original).
In den folgenden drei Capiteln behandelt B. den Einfloss der Hypnose auf die
Hörschärfe und die Reactionszeit für acustische und tactile Reize, bezüglich dessen,
weil die Untersuchungen nicht abgeschlossen, auf das Original verwiesen sei.
Die zweite Hälfte der Arbeit, „psychologische Studien über die Hypnose", ist
ein Wiederabdruck aus der Revue philosophique 1885. Das Referat darüber muss
sich wegen der Fülle des Stoffes auf die Capitelüberschriften beschränken:
I. Vom Gredächtniss in der Hypnose. II. Die Suggestionen. UI. Die Sug-
gestionen im wachen Zustande und vom Zustande des somnambulen Wachens.
lY. Die Suggestion von Hallucinationen. V. Die Spontaneität in der Hypnose.
VI. Der psychische Zustand in der Hypnose. VII. Die Beziehung des Hypnotiseurs
zum Hypnotisirten.
In interessanter Weise findet sich darin das Thatsächliche verarbeitet, die Be-
ziehungen zur Psychologie, Psychiatrie etc. aufgedeckt. In einem Schlusscapitel dis-
ctttirt B. die Grundlage der Hypnose, die er als einen unbekannten, durch eine
Hemmung herbeigeführten Zustand betrachtet, der durch die Fähigkeit zur Aufnahme
von Suggestionen charakterisirt ist.
Ein Anhang enthält ausser einer polemischen Bemerkung die Mittheilung einer
nach 172 Tagen ausgeführten Suggestion, sowie einer dnrch Hypnotismus geheilten
Chorea (ülustrirt durch 3 Schriftproben). A. Pick.
3) De la nutrition du Systeme nerveux a l'ötat physiologlque et patho-
logique, par Mairet, Montpellier. (Arch. de Neurolog. 1885. IX. S. 232
u. 360.)
Die Fortschritte der pathologischen Anatomie des Nervensystems haben ans bei
den functionellen Neurosen und Psychosen im Stiche gelassen. Um diesen Zuständen
näher zu kommen, müssen die Bedingungen der Emährang der nervösen Organe, ihr
Stofi^echsel, studirt werden. Dies kann nnr durch Vergleich mit den an Gesunden
gemachten Beobachtungen geschehen. Nach dem Vorgänge Anderer findet M. in der
Untersuchung der im Urin ausgeschiedenen Phosphorsäure (frei und in Salzen) ein
Mittel, um der Lösung des Problems näher zu treten. Er erwähnt zunächst die
Besultate aas einer 1884 von ihm pablicirten Arbeit, welche sich mehr auf den
Einfloss von Vorgängen im Muskelsystem und in der allgemeinen Ernährung bezog,
und wendet sich dann der spedellen Aufgabe, nämlich erstens den Verhältnissen der
^^hrung des Nervensystems im physiologischen, und zweitens im pathologischen
Zustande, bei dem Irresein, der Epilepsie and Hysterie, zu. Die Einzelheiten müssen
im Original nachgesehen werden.
M. kommt zu folgenden Resultaten:
I. 1) Geistige Arbeit verringert den Stickstoff-Coefficienten im Urin.
2) Sie vermehrt die Ausscheidung der Erdphosphate.
3) Sie vermindert die Aasscheidung der an Alkalien gebundenen Phosphor-
säure.
4) Sie verringert die Generalsumme der aasgeschiedenen Phosphorsäure.
— 108 —
Die Phosphorsanre und ihr Yerhalteii ist innig verknüpft mit der Ernährung
und der Function des Gehirns. Das Letztere Terbraucht bei seiner Thätigkeit die
an Alkalien gebundene Phosphors&ure und giebt an Erden gebundene ab. Gleich-
zeitig wird der allgemeine Stoffwechsel retardirt.
n. In pathologischen Zustanden.
1) Die maniakalische Aufregung beschleunigt den Stoff^v^echsel sowohl im All-
gemeinen als insbesondere den des Nervensystems. In den verschiedenen Stadien
und Phasen der Manie ist das jedoch verschieden. In der Exaltation ist der Stick-
stoffgebalt und die an Alkalien gebundene Phosphorsäure vermehrt, in der Remission,
der Depression und der Beconvalescenz verringeri
2) Die Melancholie verlangsamt die allgemeine Ernährung, vermehrt die Erd-
phosphate (die Umsetzung der an Alkalien gebundenen Phosphorsänre zu den Erden)
durch Vorgänge im Schoosse des Nervensystems.
3) Schwachsinn und Blödsinn vermindern im Allgemeinen den Stickstofi^^ehalt,
die Erdphospbate und die phosphorsauren Alkalien.
4) Bei der Epilepsie sind innerhalb der AnföUe und Aeqnivalente der Stick-
stoffgehalt und die Erdphosphate vermehrt (letzteres wieder auf vermehrten Umsatz
innerhalb des nervösen Organs hindeutend). Ausserhalb der Anf&Ue normales Ver-
halten.
5) Bei der Hysterie sind die Untersuchungen noch zu wenig zahlreich und
vollständig. Siemens.
4) Ueber den Einfluas geistiger Arbeit auf den Umsats von Stiokatoff und
Phosphonäure, von Raspopow. (Wratsch. 1885. Nr. 45. Russisch.)
Verf. stellte an 5 Subjecten im Alter von 21 — 26 Jahren Versuche an, in der
Weise, dass bei geistiger Anstrengung und ohne solche der Stickstoff- und Phosphor-
gehalt des Harns und der Ezcremente genau bestimmt wurden. Zu diesem Zweck
liess er die Versuchspersonen mehrere Tage nacheinander sich angestrengt beschäf-
tigen (hauptsächlich mit der Lösung mathematischer Aufgaben), und dann einige
Tage in geistiger Ruhe verbringen. Selbstverständlich wurde dafür gesorgt, dass in
beiden Fällen die Diät quantitativ und qualitativ gleich war; ebenso auch die an-
deren Versuchsbedingnngen. Vergleichung der durch die chemische Analyse ge-
wonnenen Zahlen ergab, dass bei vieren von den untersuchten Subjecten die Stick-
stoff- und bei zweien auch die Phosphorausscheidung während geistiger Anstrengung
abnahm (erstere um 0,4 — 7,7 ^Iq\ letztere um 2 — 6,1%). Bei einem stieg während
der Arbeitstage die Stickstoffiiusscheidung um 12,4 ^/^ und die Phosphorausscheidnng
um 5,8 ^/q. In Anbetracht dieser widerspruchsvollen Resultate unterlässt es Verf.,
eine bestimmte Ansicht über den Einfluss des Denkens auf den Stoffwechsel auszu-
sprechen. P. Rosenbach.
Pathologische Anatomie.
6) Weiterer Beitrag ssur Lehre von der centralen Gliose des Büokemnarks
mit Syringomyelie, von Prof. Dr. Schnitze in Heidelberg. (Virchow*s
Archiv. Bd. 102. H. 3.)
Ein kräftiger 24jähriger Bäcker hatte bei der gewöhnlichen Arbeit und ohne
jede besondere Veranlassung sich verschiedene Enochenbrüche zugezogen (1882 rechter
Humerus, 1883 linker Radius, 1884 4. und 5. rechter Metacarpalknochen), ohne
dabei Schmerzen zu empfinden, eben so wenig wie bei absichtlicher Bewegung der
Bruchenden. Die Heilung verlief normal. 1884 hatte er auch Gefühl von Taubheit
^ 109 —
im «TBien bis driüen Finger rechts. Am 3. März 1885 starb Pat. nach kurzer
Krankheit an eitriger Leptomeningitis cerebrospinalis. Die Section ergab von der
Mitte des Dorsaltheils an aufwärts eine centrale Gliose des Rückenmarks , welche
sich am den Centralcanal und in den Hinterhömern bis in die Med. oblong, hinein
entwickelt hatte, fenier bis in den vorderen Abschnitt der Uinterstränge, in den
Glarke*schen Säiüen und zum Theil in die Yorderstränge und Yorderhömer; in der
Gegend der stärksten Entwickelung — in der Halsanschwellung — und nur hier,
fand sich Spaltbildung. Das pathologische Gewebe war aufihllend zerreisslich.
Verf. spricht sich im Anschluss an diesen Fall dahin ans, dass, wenn auch angeborene
Anomalien des Centralcanals und des Gliagewebes vorkommen mögen, doch anderer-
seits die spätere Entwickelung von GUawucherungen und Spalträumen in denselben
nicht bestritten werden kann. — „Trotz Zerstörung eines grossen Theils der Gang-
lien und Nervenfasern in den Clarke^schen Säulen fand sich auffallender Weise keine
Degeneration partieller Art in den Kleinhimseitenstrangbahnen, wie man das erwarten
mOsste, wenn die aufsteigend degenerirenden genannten Bahnen von diesen Ganglien-
zellen ihren Ursprung nehmen sollen."
Bemerkenswerth sind femer die wiederholten EnochenbrtLche bei vollständiger
Analgesie. Bernhardt hat in einem ähnlichen Falle (Berl. klin. Wochenschr. 1884.)
Ernährungsstörungen im Knochen angenommen. Schnitze fand in diesem Falle den
Knochen ganz normal und glaubt daher energische Muskelcontractionen, deren Stärke
Fat wegen seiner Analgesie und fehlenden Mnskelsensibilität unterschätzte, als Grund
der Fracturen betrachten zu dürfen.
Als klinisches Material zur centralen Gliose theilt Seh. sodann noch 2 Beobach-
tungen mit, die seiner Meinung nach keine andere Deutung zulassen. Im ersten
Falle bestand progressive Muskelatrophie der linken Hand neben partiellen Empfin-
dangslähmungen, vasomotorischen und trophischen Störungen (Blasenbildung), er-
loschene Patellarreflexe. Im zweiten Falle fand sich ausser ausgedehnter Analgesie
und erheblichen Störungen des Temperatursinnes, vasomotorischen und trophischen
Störungen, eine degenerative progressive Muskelatrophie an beiden Händen und
Armen, Schwäche der Beine, gesteigerte Patellarreflexe und Andeutungen von Störungen
in gewissen Bulbämerven. Hadlich.
Pathologie des Nervensystems.
B) Ueber Himsyphilis, von C. Gerhardt, Berlin. (Berl. klin. Wochenschrift.
1886. Nr. 1.)
Es ist schwer, von dem ebenso inhaltreichen und formvollendeten, wie kurz ge-
fassten, in gedrängtester Schreibweise gehaltenen Aufsatze des Verfassers ein kurzes
fieferat zn geben. Es wird immer eine Yerstfimmelung bleiben.
Die Himsubstanz selbst wird so viel wie gamicht von syphilitischer Erkrankung
betroffen, deren AnÜEmg die endarteriitischen Processe bilden, während die Gummata
bat ausschliesslich von den Häuten ausgehen. — Das Auftreten der Himsymptome
nach der PrimärafiPection dauerte in 9 Fällen Imal ^4 Jahr, Imal 2 Jahre, 7mal
&— 16 Jahre, wohl auch noch länger. — Zwei Typen des Auftretens sind bemerkens-
werth: der eine zeigt fast gar keine regulären Secundärsymptome und spät relativ
milde Himerscheinungen; der andere, eine in jeder Beziehung bösartige Infection,
endet mit Himsymptomen: dies ist die unheilbare, jene die heilbare Form.
Nicht genug betont sind Schädeltranmen als Gelegenheitsursachen von Him-
^pbilis, wie Yerf. an Beispielen zeigt, und wie es far Himtuberkel auch von Yir-
^bow anerkannt sei.
Die Symptome der Himsyphilis sind sehr mannigfach; dennoch muss unser Ziel
%in, in weit mehr Fällen noch als seither die Diagnose aus den Symptomen zu
~~ 110 —
stellen, aach ohne anamnestischen Anhalt. Gewisse Einzelsymptome sind dabei wichtig,
die Yerf. anffihrt. Aber wichtiger sind einige aUgemeine Züge, so das häofige Auf-
treten apopleddformer Anfölle, auf Arterienverschliessnng beruhend. G. bringt über-
haupt Apoplexie in ein näheres Verhältniss zu Lues, denn Vs ^^n 63 FäUen von
Apoplexie in Würzburg war darauf zu basiren. — Femer ist wichtig, zu beachten,
dass die Gummata ganz gewöhnlich Beleggeschwülste sind, ah^o Bindensjmptoroe oder
Himnervenl&hmungen mit sich bringen, aber nie die Stichen eines grossen massiven
Hirntumors, einer Expansivgeschwulst.
Vielgestaltigkeit der Symptome ist eine Haupteigenschafk der Hinusyphilis.
Jedenfalls hat die genauere Forschung weit mehr Fälle als syphilitisch begründet
erkennen lassen, als früher; darum müssen noch weit mehr geheilt werden. „Diese
Fälle müssen so früh wie möglich, so energisch wie möglich nnd so
lang wie möglich behandelt werden. Man muss ?iele Wochen lang täglich
3 — 7 gr graue Salbe einreiben und 2 — 5 gr Jodkalium einnehmen lassen."
_. _ Hadlich.
7) Ueber syphilitiaohe Hemiplegie, von Dr. Julius Althaus in London.
(Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 38. H. I u. II. S. 186—192.)
Die kurze Abhandlung berichtet über einen Fall syphilitischer Hemiplegie bei
einem 28jährigen Menschen. Die Lähmung der rechten Seite ist unvollständig; mehr
oder weniger gelähmt sind femer der linke Oculomotorius, Trochlearis und Abducens.
Was den Fall besonders bemerkenswerth macht, ist eine enorme Steigerung der
Sehnenreflexe in den gelähmten Gliedern. Verf. hat schon früher gleiche Beobach-
tungen gemacht und glaubt, dass übermässige Erhöhung der Sehnenreflexe, besonders
wenn dieselbe ausser YerhäJtniss zu dem Grade der Lähmung und der Muskelstarre
steht, sich im Laufe der 2^it als ein wahrhaft pathognomisches Symptom der syphi-
litischen Hemiplegie herausstellen wird.
Die Diagnose lautete auf eine Gummigeschwulst an der Schädelbasis, welche
neben den betreffenden Himnerven die in den Grosshimschenkeln verlaufenden
Pyramidenbahnen comprimirte. Sperling.
8) Cerebral affektion beroende p& hereditär syfllis, af Dr. Pipping.
(Finska läkaresällsk. handl. 1885. XXVI. 5 och 6. S. 395.)
Ein 5jähr., an hereditärer Syphilis leidender Knabe hatte Anfang Aug^t 1884
Kopfschmerz bekommen, sich aber trotzdem gut befunden. Am 8. August konnte er
nicht aus dem Bett aufstehen; das linke obere Augenlid konnte nicht gehoben werden.
Am nächsten Tage konnte Fat nicht schlucken, die flüssigen Nahrui^mittel regur-
gitirten durch die Nase. Bei der Aufnahme am 14. August war Pat. somnolent,
antwortete langsam auf Fragen. Das linke obere Augenlid hing schlaff herab, Stra-
bismus, Parese oder Sensibilitätsstörungen im Gesicht oder an den Extremitäten
waren nicht vorhanden, doch konnte Pat. sich nicht im Bett aufsetzen und sich nur
höchst unvoUkommen in aufrechter Stellung erhalten; beim Versuch zu gehen fiel er
nach vom über. Das Gktumensegel hing schlaff herab, ohne Reflexbewegungen der
Gaumenbogen bei Berührung. Der obere Theil des Larynx und die Stimmbänder
zeigten normales Aussehen und Beweglichkeit, im Kehlkopfeingang waren Mengen
von Schleim angesammelt; die Respirationsbewegungen erschienen aber normal. Die
Behandlung bestand in Einreibung von Quecksilbersalbe auf den Kopf mit Bädern;
die Ernährung wurde mittelst der Oesophagussonde bewerkstelligt. Nach 10 Tagen
konnte Pat. wieder schlucken, bald war er auch vollkommen bei Besinnung, konnte
sich im Bett aufsetzen, aber nicht lange in aufrechter Stellung bleiben und nicht
gehen (zur Zeit der Mittheilung am 27. Sept. 1884) und sprach durch die Nase.
Walter Berger.
— Ill —
9) La malattia di Friedreioh (atassia ereditaria). Studio del Dott. Baff.
VizioIL (Sep.-Abdr. ans dem Giornale di Neoropatologia. 1886.)
Treffliclie Monographie! Nach ausfCQirlicher Darlegung der historischen Ent-
wickelung des Krankheitsbildes ,,hereditäre Ataxie'^ giebt Verf. eine tabellarische Zu-
sammenstellnng aller genauer bekannt gewordenen Fälle: 51 Männer und 39 Frauen,
= 90 Individuen in 36 Familiengruppen.
Dann beschreibt er 13 neue Fälle (12 eigene und 1 Fall von Prof. Palma),
die übrigens in den oben mitgetheilten Zahlen schon berücksichtigt sind. Der Stamm-
baum der ersten Familie des Yerf. mit 10 kranken Individuen verdient hier kurz
skizzirt zn werden.
Vater:
reizbar; Potator;
t 75 J. apoplect.
Mutter:
originär; Convulsionen als Kind;
zeitlebens häufige Anfälle von
Hemicranie; f 72 J.
I. Generation.
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» in. Generation.
Auch der neue Fall des Prof. Palma verdient eine kurze Erwähnung. Die
Mutter des 7jährigen Patienten war, wie viele ihrer Angehörigen, phthisisch und
dabei sehr hysterisch; zwei ihrer Kinder, darunter den Patienten, hatte sie selbst
genährt und beide wurden atactisch; die anderen wurden von einer Amme aufge-
zogen und blieben von der Krankheit verschont
Was nun die Einzelheiten aus der Arbeit des Verf. betrifft, so ist zunächst
hervorzuheben, dass auch er in ätiologischer Hinsicht die Heredität und die neuro-
psychopatbiflche Degeneration, besonders auch den Alkoholismus des Vaters, fOr sehr
wichtig hält Directe üebertragung der Ataxie ist in der ersten Gruppe des Verf.
nachgewiesen: im bereits atactischen Znstande erzeugte der Patient 7 zwei Kinder,
— 112 —
die in Mhester Jagend ebenfalls atactisch wurden. Im Uebrigen ist aber die in-
directe Uebertragung (Ton Onkel anf Neffe etc.) eben&lls ziemlich h&ufig; gewöhnlich
aber handelt es sich nicht am Fälle von Ataxie bereits in der ersten Generation,
sondern am nervöse Degeneration in ihren verschiedenen Erscheinungsformen.
Während Friedreich das weibliche Geschlecht häufiger erkranken sah, als das
männliche, findet Verf. das Yerhältniss 51 M. zu 39 Fr., persönlich glaubt er in-
dessen, dass die Morbidität der beiden Geschlechter, im Gegensatz zur classischen
Ataxie, die nämliche sein dürfte. Auch ist noch zu erwähnen, dass bei der here-
ditären Form niemals die ätiologischen Momente der individuell erworbenen Form,
wie Nässe, Kälte, Strapazen, sexuelle Excesse etc. erwähnt werden. In seltenen
Fällen giebt eine Erkrankung an Typhus, Scarlatina, Variola etc. den Anstoss zum
endlichen Ausbruch der Krankheit; meistens fällt das erste Auftreten atactischer
Erscheinungen schon in die Zeit, in der die Kinder gehen lernen. Unter 60 Patienten
war die Ataxie ganz deutlich entwickelt bis zum 6. Lebensjahre bei 20, bis zom
10. bei weiteren 19, bis zum 15. bei 10, bis zum 20. bei 9, und bis zum 24. Jahre
nur bei 2 Individuen.
Bei der Symptomatologie ist hervorzuheben das Fehlen aller Prodrome, wie sie
bei der Tabes constant sind. Bei der hereditären Form ist das erste Symptom eben
die Ataxie der Unterextremitäten, die anfönglich übrigens einseitig sein kann, und
der sich verhältnissmässig schnell die der Oberextremitäten anschliesst. Im weiteren
Verlauf werden auch die Muskelbewegungen der Augen, der Zunge, des Halses und
des Rumpfes incoordinirt; häufiger als bei Tabes treten endlich Paresen und Para-
lysen auf.
Die elektromusculäre Erregbarkeit der Muskeln schwindet nur sehr allmählich,
während die Sehnenreflexe bereits in firfihen Stadien aufgehoben zu sein pflegen. Die
Thätigkeit der Sphincteren pflegt ungeschädigt zu bleiben.
Sensibilitäitsstörungen fehlen im Allgemeinen, doch sind von Carr6 sowohl Blitz-
schmerzen, als auch Gürtelgefühle beschrieben worden. Dagegen hat Verf. wie schon
früher Friedreich und besonders Musso, ziemlich häufig intensive Kopfschmerzen
nach dem Eintritt der Ataxie beobachtet; noch häufiger wird über dauerndes Schwindel-
gefühl oder über transitorische Schwindelanfölle geklagt; apoplectiforme Anfalle
scheinen selten zu sein.
Die geistigen Fähigkeiten bleiben ungeschädigt; Verf. hebt sogar hervor, dass
seine Patienten, obschon die Erkrankung im Allgemeinen doch in den Kinderjahren
ausbricht, auffiEdlend lebhaft und schlagfertig gewesen seien.
Im Gegensatz zu der aUgemeinen Annahme, dass sich bei den Patienten bald
Impotenz resp. Amenorrhoe entwickele, bemerkt Verf., dass in fast allen seinen
Fällen selbst nach vieljähriger Dauer der Ataxie die sexuellen Functionen mindestens
in Ordnung gewesen seien.
Der Verlauf des Leidens ist stets ein langsamer, aber unaufhaltbarer. In 6 der
Dauer der Krankheit nach bekannten Fällen betrug die Zeit vom Ausbruch der Ataxie
bis zu dem oft durch intercurrente Erkrankung erfolgten Tode 8, 12, 15, 16, 24
und 33 Jahre; ein Fall des Verf. starb nach 42jähriger und ein anderer lebt noch
nach 41jähriger Dauer der Ataxie. Sectionsbefunde sind in 6 Fällen (5 von Fried -
reich bereits und 1 von Brousse) ausführlicher beschrieben. Die pathologischen
Veränderungen betrafen das Bückenmark, den Bulbus meduUae oblong, und gelegent-
lich auch peripherische Nerven. Es handelte sich dabei immer um den bekannten
sderotischen Process; wie er ja auch der classischen Tabes zur Grandlage dient.
Da übrigens Verfasser selbst nicht Gelegenheit gehabt hat, die Section eines seiner
Patienten vorzunehmen, so bespricht er die leicht zugänglichen Befunde der Fälle
von Friedreich und Brousse genauer; über die Controversen zwischen diesen
beiden Forschem, sowie zwischen Hammond, Kahler und Pick, und Schultze
mit jenen braucht an diesem Orte nicht eingegangen zu werden.
— HS —
Der therapeatische Theil der vorliegenden Arbeit ist leider nicht wesentlich
tröstlicher, als dieselben Gapitel früherer Autoren. Besonderen Werth legt Verf.
auf die Prophylaxe: abgesehen von den an sich gebotenen Heirathsbeschränknngen
empfiehlt er, die Kinder in jedem verdächtigen Falle nicht von der Matter, sondern
yon einer Amme oder auf künstlichem Wege ernähren zu lassen. Der Fall Palma
and das Gesnndbleiben der 2 nicht von der Matter genährten Kinder in der ersten
eigenen Beobachtang des Verf. sprechen allerdings für den Nutzen dieses Bathschlages.
Sommer.
10) Des pseudo-tabes, par le Dr. L. Leval-Picqaechef. (Thtee de Paris. 1885.)
In dieser anter OharcoVs Präsidium gearbeiteten Dissertation behandelt L. die in
neuerer Zeit als von der Tabes dorsalis zu trennenden erkannten Symptomencomplexe,
wobei er jedoch die durch grobe, nicht strangfOrmige Läsionen der Hinterstränge,
sowie die dorch Ergotismus und Pellagra bedingten Formen ausschliessi Die rest-
lichen theilt er ein in: 1) Pseudotabes aus Intoxication, 2) nach Infectionskrank-
heiten, 3) bei Diabetes, 4) bei Neurasthenischen (des N^vropathes).
Li der ersten Beihe widmet er der Ataxie des AlcohoUsmus eine eingehende,
auf z. Th. onveröfifentlichte Beobachtungen gestützte Darstellung; an diese schliesst
sich die der Pseudotabes nach Intoxication mit Blei und Schwefelkohlenstoff.
Im folgenden Abschnitte behandelt er die Pseudotabes nach Diphtherie, Variola,
an welchen sich eine Aufzählung der an andere Infeddonskrankheiten anschliessenden
Fälle anreiht.
Der Dritte, den Tabes ähnlichen Erscheinungen des Diabetes geiridmet, giebt
eine kurze Zusammenfassung des bisher darüber Bekannten; im Vierten werden den
bisher bekannten Fällen von sogenannter Tabes dorsalis Ulusoria drei neue Fälle
angereiht.
Im fünften Abschnitte ist eine breitere Darstellung der Differentialdiagnose der
Pseudotabes gegenüber der Tabes dorsalis gewidmet; dieselbe stützt sich auf den
raschen Verlauf, den günstigen Ausgang, die Aetiologie und das Fehlen der trophischen
Stönmgen, der ophthalmoskopischen Befunde und der reflectorischen Pupillenstarre.
Aus der differentialdiagnostischen Besprechung der verschiedenen Formen der
Pseudotabes seien hervorgehoben die der Tabes dorsalis iUusoria gewidmeten Zeilen.
L. betont deren Aetiologie, das Vorwalten der sensiblen, dabei sehr wechselnden Er-
scheinungen, den grossen Einfluss des psychischen Factors.
Im Capitel über die pathologische Anatomie wird ein neuer Fall von Dresch-
feld mitgetheilt, in welchem sich neben intactem Gehirn und Bückenmark, an den
peripherischen Nerven (besonders dem Ischiadicus) Kemvermehrang der Scheide,
Wucherung des interstitiellen Gewebes, Fractionirung der Nervenfasern und stellen-
weise Zerstörung der Markscheide und des Axencylinders fanden. A. Pick.
11) Ueber Morbus Addisonii mit besonderer Berüokslohtiguiig der eigen-
thüxnlichen abnormen Pigmentation der Haut, von Lewin. (Charitö-
Annalen. 1885. S. 630.)
L stellt 281 Fälle (2 eigene) von Morbus Addisonii zusammen und erörtert
Bpedell auch die Verhältnisse der Nervi splanchnici, wie des Ganglion coeliacum,
sowie die cerebralen Symptome (psychische Schwäche, Depression, Abnahme der In-
telligenz und des Gedächtnisses, Energielosigkeit in 33 Fällen etc.) dabei. Da der
Schlnss der Arbeit erst im nächsten Jahrgang erfolgen wird, so sei hier vorerst nur
äuf den reichen Inhalt des ersten Theils hingewiesen und wird ein ausführliches
Referat vorbehalten. M.
— 114 —
/ 12) Ein Fall halbseitiger progresslyer Oeslohtaatrophie, Ton Boshdestwenski.
(Mitgetheilt und demonstrirt in der Octobersitzuig der Si Petersburger psychia-
trischen (Gesellschaft. 1885. Bassisch.)
Der Fall betrifft ein russisches 19 jähriges Mädchen, dessen Gesondheitsznstand
in anderer Beziehung — abgesehen von zeitweisen Kopfschmerzen — nichts zu
wünschen übrig lässt. Die linke Qesichtshälfte hat ein vollkommen normales, dem
Alter entsprechendes Aussehen; die rechte dagegen ist durch beträchtliche Einschrum-
pfung und tiefe Furchenbildung in der Wangen-, Unterkiefer- und Einnregion ent-
stellt. Die Atrophie ist durch Schwund des Binde- und Fettgewebes bedingt» während
die Muskeln selbst anscheinend intact sind. Letztere sind im atrophischen (rebiet
deutlich abgezeichnet, ihre Function ist vollkommen erhalten, und ihre faradische
sowohl als galvanische Erregbarkeit mit derjenigen an der gesunden Gesichtshälfte
fast identisch. Die Hautsensibilität ist an der afficirten Seite nicht herabgesetzt,
und überhaupt erwies die sorgfältigste Untersuchung an derselben sonst nichts
Abnormes.
Patientin will seit ihrem 13. Jahre bemerkt haben, dass ihre rechte (Gesichts-
hälfte leichter friere, als die linke; ein Jahr danach soll das Schrumpfen derselben
begonnen haben, welches erst langsam, dann schneller zunahm und besonders im
Laufe ihres 16. Jahres Fortschritte machte; in der letzten Zeit scheint die Atrophie
wieder langsam fortzuschreiten, und Patientin behauptet sogar, dass sie nach systema-
tischer Behandlung eine Besserung wahrnehme.
Aetiologische Momente lassen sich nicht eruiren. Jedenfalls ist zu beachten,
dass Patientin von einem 50jährigen Manne gezeugt wurde, der um 21 Jahre älter
war als ihre Mutter; eine Menge ihrer (Geschwister starb in Mhem Alter, ein Bruder
leidet an Dipsomanie. P. Bosenbach.
Psychiatrie.
13) Zur Pathologie des Gtodächtnissee, von A. Pick. (Arch. f. Psych. XYII.
H. 1. S. 83.)
P. weist an einem ausführlich mitgetheilten, zu den allgemeinen und progressiven
(}edächtnis8st6nmgen zugerechneten Falle nach, dass die bisher nur durch wenige,
und nicht genauer beobachtete Fälle gestützte Begel zutrifft, dass umgekehrt wie
beim Oedächtnissverlust die Wiederkehr der Erinnerung in bestimmter Beihenfolge
vom entfernter zum näher Gelegenen erfolgt; er zeigt femer, wie die Asymbolie
(Wernicke*s) ein höherer Grad der hier beobachteten GMächtnissstörung ist; ein-
zelne psychologische Bemerkungen finden sich angeschlossen. M.
14) Studii Bulla peptonuria negli alienati, per Dott. U. Maccabruni. (Arch.
italian. per le malat. nervös, ecc. 1885. XXII. S. 408.)
Verf. hat sich in Hinsicht auf die zahlreichen Arbeiten über Peptonurie, deren
Literatur er vollständig bespricht, die Mühe gegeben, den Urin von 245 Irren, zum
Theü mehrmals, auf das Vorhandensein von Pepton zu untersuchen. Zum Nachweis
des letzteren benutzte er die Methode von Hofmeister. Nachdem etwa 7a ^^^
Morgenurin auf das Sorgfältigste von Eiweiss, Mucin etc. befreit sind, wird das etwa
vorhandene Pepton durch Phosphorwolframsäure niedergeschlagen. Die Flocken werden
durch Aetzbaryt irieder gelöst und m der nun filtrirten Lösung wird die Anwesenheit
von Pepton durch den Eintritt einer rosenrothen bis dunkelvioletten Färbung auf
Zusatz einiger Tropfen von Kupfersulfatlösung angezeigt.
-- 115 —
Bei 245 Irren hat Verf. 4lmal Pepton im Urin (bei 307 Untersuchungen)
nachweisen können; keinmal bei 100 rahigen und körperlich gesunden Irren, 4mal
bei 95 aufgeregten und körperlich gesunden Irren, und *37mal (unter 90 Unter-
sodmngen) bei 50 körperlich kranken Irren.
Yerf. glaubt daher, dass Feptonurie bei einem Irren auf die Existenz einer
körperlichen Erkrankung desselben hinweist; speciell scheinen sich Abscesse, aber
aach entzöndliche, brandige, tuberculöse Frocesse etc. durch Feptonurie zu yerrathen.
Zweimal fand Verf. erst bei der Section der Fatienten den durch das Auftreten der
Feptonurie wahrscheinlich gemachten E[rankheitsherd. Besonders bei aufgeregten
and der ärztlichen Untersuchung widerstrebenden Fatienten wird daher die Annahme
einer latenten Entzündung oder Eiterung etc. durch den Nachweis von Feptonen im
Urin wesentlich unterstützt werden können. Sommer.
16) Einiges aar allgemeinen Paralyse der Irren, von Nasse, Bonn. (AUg.
Zeitschr. f. Psych. 1886. Bd. 42. S. 316.)
N. hat 1870 eine Reihe von anscheinend genesenen Paralytikern, sowie eine
besondere Erscheinungsform der Paralyse beschrieben, welche letztere er als Pseudo-
paralysis e potu bezeichnete. Bei einer Revision dieser Punkte und nach emer ad-
hoG angestellten Nachforschung über das fernere Schicksal der (7) Paralytiker ergab
sich ihm, dass zwei dieser Kranken eine Reihe von Jahren (2 resp. 6 Ji^e) genesen
blieben, dann aber der eine plötzlich an Apoplexie, der andere nach einem der Para-
lyse ähnelnden psychischen Krankheitsprocess an hämorrhagischer Pachymeningitis
geworben ist; 2 erkrankten bereits nach einem Jahre wieder an voller Paralyse und
starben; der nur gebessert (nicht genesen) Entlassene starb nach 4 Jahren plötzlich,
und nur einer blieb geheilt. Bei diesem fehlten jedoch dazumal die Sprachstörungen
und N. meint, dass er der Paralyse wahrscheinlich gar nicht angehört hat —
Von den inzwischen in der Literatur Yeröfifentlichten sogenannten Genesungs-
fäUen erwartet N. noch eine Bestätigung nach längerer Dauer der Zeit.
Aus eigener Beobachtung theilt N. dann 2 weitere Fälle von Paralyse mit
nachfolgender anscheinender Qenesung mit, deren Bestätigung er sich noch vorbehält
Weiter spricht dann N. über die Fseudo-Paralyse der Trmker, welche er als
eigenartige Yerlaufsform der paralytischen Geistesstörung bei Alkoholikern bezeichnet
Er hat von Doerr eine Dissertation über das bezügliche Material der Bonner An-
stalt schreiben lassen. — Durch das Auftreten der Paralyse auf dem Boden alko-
holischer Disposition entsteht ein eigenartig modificirtes (combinirtes, Ref.) klinisches
Bild. Nach einem Yorbotenstadium, welches von dem der Paralyse nicht unter-
schieden, tritt ein Zustand auf, welcher mehr durch die Gesammtheit der motoiischen,
der Paralyse eigenen Störungen, als durch die psychischen (Grössenwahn weniger
ausschweifend, oft nur grosse Verwirrtheit und Benommenheit, geringer geistiger
Zerfall) an die Paralyse erinnert; die Sinnestäuschungen, namentlich des Gesichts,
tragen einen ängstlichen, schreckhaften Charakter. Dieses Bild dauert nur kurz
(Tage bis Monate), die motorischen Symptome blassen ab, dann die psychischen, es
fehlt der fortschreitende Charakter, die Remissionen treten rascher ein und sind
vollständiger und dauerhafter als bei der Paralyse; Ausgang in Besserung nicht
selten, in Genesung zuweilen. Bei Becidiven schliesslich der fortschreitende Blöd-
sinn mit dem gewöhnlichen Befund. —
Schliesslich berührt N. noch die Frage des ätiologischen Zusammenhangs der
Paralyse mit der Syphilis. Er ist auf Grund seiner Beobachtungen der Annahme
eines solchen Zusanunenhangs abgeneigt. Die Einzelheiten siehe im Original.
Siemens.
— 116 -
18) Case in whioh haematuria and appearanoes aa of severe bmlaes oo-
ourred spontafieoualy in ihe ourse of an attaok of maniacal ex-
oitement and in. whioh after death there was fonnd tobe extensive
internal haemorrhagio paohsrmeningitlB, by Geo. H. Savage. (Joum.
of ment. science. 1886. I. Witb plate.)
S. berichtet über einen Fall von hämorrhagischer Diathese bei einem Maniacus,
nach dessen Tode sich eine Pachymeningitis haemorrhagica von exorbitanten Dimen-
sionen ergab. Von den Gefassen wird behauptet^ sie seien gesund gewesen, doch
fehlt der mikroskopische Befand. Die linke Niere war verlagert, doch schien sie
von normaler Structnr.
S. ist der Ansicht, dass die Pachymeningitis haemorrhagica theilweise älteren
Datums und somit die Ursache der acuten Manie gewesen sei. Zander.
17) On iinusually heavy brain in a general paralytio. by T. W. Mc. Dowall.
(Joum. of ment science. 1886. I.)
Verf. berichtet über einen sehr rapid verlaufenden Fall von Paralyse, der sich
besonders durch die colossale Schwere des Qehims auszeichnete, das (Gewicht betrug
fiut 2 Kilo. Leider fehlen die Sch&delmaasse. Zander.
18) Tabes mit Paranoia und terminaler Paralyse, von W. Sommer in Alien-
berg. (Allg. Zeitschr. f. Psych. 1886. Bd. 42. S. 303.)
S. beschreibt einen interessanten Fall von combinirter Psychose, gewachsen auf
dem pathologisch vorbereiteten Boden des tabischen Erankheitsprocesses. Der Tabiker,
ein 41jähr. neuropathisch stark belasteter Kaufmann und Reservelieutenant, welcher
sich schon Mher mit seinen Verhältnissen nicht in Einklang bringen konnte, im
Feldzug 1870 schwer verwundet wurde und später an offenkundiger Paranoia er-
krankte, hatte schon 2 Jahre nach dem Feldzuge eigenthümliche Sehstörungen und
unangenehme Parasthesien verspürt, doch wurde das Bückenmarksleiden erst im
38. Lebensjahre (1877) deutlich erkannt. Im Februar 1880 erfolgte die Aufnahme
in die Anstalt Sprachstörungen bestanden damals noch nicht; die Pupillen waren
stecknadelkopfgross, gleich und von verminderter Beaction, die Sehkraft noch gut
(Geistig bestanden Verfolgungswahnideen (Jesuiten, Elektrisiren, Oiftpulver etc.) und
selbstüberschätzendes, anspruchsvolles Wesen. Hallucinationen verschiedener Art
Seit Sommer 1883 wurde Pat dementer und nach einer Zeit st&rkerer Hirn-
reizung und agitirter Benommenheit stellte sich das Bild der gewöhnlichen Paralyse
her: Sprachstörungen, behagliche Stimmung und colossale Grössenwahnideen. Der
Kranke erlag dem paralytischen Marasmus am 1. April 1884.
Die Ergebnisse der Section sind die bei Tabes und Paralyse gewöhnlichen.
Siemens.
Therapie.
10) Gounter Irritation in general paralysis« by Pritchard Davies. (Joum.
of ment. science. 1886. I.)
Verf. berichtet über einen Fall von Paralyse, in welchem durch einen Carbunkei
im Kreuz auf den Verlauf ein sehr günstiger Eänfluss ausgeübt wurde. Hierdurch
wurde D. darauf hingeleitet, in andern Fällen eine Contrairritation zu instituiren.
Die besten Dienste schien ihm das Jod, welches er zu beiden Seiten der Wirbelsäule
einpinselte, zu leisten. Die Behandlung setzte er stets wenigstens einen Monat hin-
durch fort, bei fortwahrendem Wechsel der Angrü&stellen. Zander.
— 117 —
90) fiEdtoensa di aloime applioaadoxd idroterapiohe sulla oirooluione oere«
brale nell'uomo« dei doti G. Musso e B. Bergesio. (Bivista speriment.
di Freniatria e di Medidna legale. 1885. XL S. 124.)
Die beiden Verf. haben zum zweiten Mal die seltene CMegenheit gehabt, bei
einem lebenden Manne die CircnlationsYerhaltnisse der Hirnrinde unter verschiedenen
äusseren Einwirlnmgen unmittelbar zu beobachten.
In dem ersten FUle, der auch in diesem Centralbl. (1884. S. 290) besprochen
ist» handelte es sich um einen Patienten, dem durch operative Entfernung eines
kleinzelligen Sarcoms 4 qcm Hirnrinde fi^i gelegt waren; in dem letzteren um einen
SOj&hr. Mann, der nach der schnellen Heilung einer complicirten Splitterfractur in
der rechten Farietoocdpital-Gegend einen ausgedehnten Knochendefect davongetragen
hatte, der nur durch eine dünne und von den Himpulsationen rhythmisch gehobene
Narbe geschlossen war. Mit Hfllfe der bekannten Mosso*schen Methode wurden
diese Pulsationen graphisch fixirt und aus den Ergebnissen folgende Schlüsse
gesogen.
1) Nach einem kalten ToUbade von 30 Minuten Dauer bei 20^ 0. trat jedes-
mal eine arterielle Gongestion des Iffims, in Folge gesteigerter Herzth&tigkeit, und
wahrscheinlich eine venOse Stauung in Folge verminderten Abflusses, ein.
2) Nach einem warmen Vollbade von 38 — 39^ 0. trat in den ersten 3 — 4 Mi-
nuten eine venOse Oongestion mit Yerlangsamung der Pulsschl&ge, dann aber, und
noch Iftngere Zeit über die Dauer des Bades hinaus anhaltend, eine ausgesprochene
Himanämie und Pulsbeechleunigung ein.
3) Nach einem heissen Fussbade von 40 — 42 ^ C, in dem die Wasserhöhe die
Kntehel um 4 Fingerbreiten überstieg, traten dieselben Erscheinungen, wie nach dem
warmen Vollbade, ein, wenn auch in geringerer Intensit&t.
4) Eine Eisblase Hess selbst nach 2stündiger Application keine Einwirkung auf
die Höhe, Form und Zahl der Himpulsationen erkennen. Der günstige Einfluss
einer Eisblase kann daher nur dadurch erkl&rt werden, dass sie im gegebenen Fall
die Temperatur der Hirnrinde unmittelbar herabsetzt; die bekannte Wirkung protra-
hirter warmer Bäder auf congesüve Erregungs- und Angstzust&nde ist nach dem
Ergebniss ad 2 leicht erklärlich und wird hoffentlich noch mehr Narcotica ersparen,
als bisher. Sommer.
TEL Aus den Gtosellsoliaften.
Sociötö de Biologie de Paris. Sitzung vom 2. Mai 1885.
Brown-S^quard: Gas d'alloohirie (Uebertragung der Empfindung auf die
andere Seite). B.-S. beobachtete in 2 F&Uen, in deren einem das Bückenmark durch
einen Messerstich halbseitig durchschnitten, in deren anderem es durch einen syphi-
litischen Tumor halbseitig comprimirt war, Henüanästhesie, und dabei hatte jede Art
von Berührung der unempfindlichen Seite die entsprechende ganz correcte Empfindung
auf der anderen Seite zur Folge.
David Ferrier hat eine analoge Beobachtung und zwar an den beiden Ge-
sichtsh&lften gemacht.
Oh. ¥6r6 hat seine dynamometrischen Studien fortgesetzt Er konnte bei
Hypnotifllrten durch provocirte Halludnationen theils eine Vermehrung, theils eine
Verminderung (durch unangenehme Halludnationen) der dynamometrischen Kraft be-
wirken. Bei sich selbst erzeugte er durch Bestreichen des Bachens mit einer Chinin-
lösung eine sehr unangenehme Empfindung, fand aber danach eine Verstärkung, nicht
Herabsetsung seiner dynamometrischen Kräfte. Ha dl ich.
- 118 —
Aus der Sitzung der Olinical Society of London vom 33. Januar 1886. (Biii.
med. Joum. 1886. 30. Jan. S. 207.)
Dr. Parker theilte die Krankengeschichte eines 12j&hrigen Knaben mit, der
wahrscheinlich bei der Qebnrt das rechte Schlüsselbein gebrochen hatte. Jedenfialls
wurde die Fractur bald nachher entdeckt, doch bildete sich eine Pseudarthrose mit
betrachtlicher Verschiebung des einen JBruchstftckes nach unten aus. Seit dem
3. Jahre fing Pat. über ein eigenthümlichee Gtofühl von Schwere und über Schmerzen
im ganzen rechten Arm zu klagen an; später wurden die Schmerzen sehr heftig und
dann traten auch Störungen paretischer und atactischer Art in den feineren Hand-
bewegungen auf, welche der Vortr. mit Schreibkrftmpfen vergleicht. Trophiscbe
Störungen in den Muskeln, in der Haut und in den Nfigeln stellten sich mit der
Zeit ebenfalls ein.
Um wenigstens die Schmerzen, die wie die anderen Symptome auf Compression
des Plexus brachialis zurückgeführt wurden, zu beseitigen, machte Vortragender am
26. Aug. 1885 die Besection der Pseudarthrose mit Naht der beiden Knochenenden.
Bei sorgfältigster Immobilisirung des Schultergürtels durch ein Gypscorset wurde
schnelle Verknöchemng erzielt Jeder Druck auf die Nervenstämme wurde daher
entfernt und es erfolgte eine vollständige Heilung der ftmctionellen und selbst dnr
trophischen Störungen.
Dann besprach Dr. Angel Money eigenthümliche Sehstörungen bei Migräne
und ähnlichen Zuständen. Abgesehen von den bekamiten Hemiopsien, vom „Bastions-
flimmem'', von momentanen Lichtblitzen etc. beobachtete er bei einem 29jährigen,
durchaus zuverlässigen Mann eine auffiiUend lange Dauer und Deutlichkeit der Nach-
bilder, und was ganz neu sein dürfte, das bemerkenswerthe Symptom der „¥^ort-
verlängerung'' (momentary lengthening of a written or printed word). Pat glaubte
dann mitten in einem Wort einen oder mehrere Buchstaben verdoppelt oder verdrei-
facht zu sehen, sodass dadurch der subjective Eindruck entstand, als sei jenes be-
trächtlich länger als sonst Verf. scheint dieses Symptom auf eine „Doppelwahr-
nehmung" im Sinne Jensen*s zurückführen zu wollen. Sommer.
KgL Gesellschaft der Aerzte zu Budapest Sitzung vom 6. Februar 1886.
(Wiener med. Presse. 1886. Nr. 7.)
Dr. Arthur Schwarz: Ueber den Einfloss des Gehirnes auf die Beflez-
thätlgkeit des BüokenmarkeB.
Vortragender will jenes Axiom der Physiologie, dass das Gehirn auf die Reflex«
centren des Bückenmarkes hemmend einwirke, vom klinischen Staudpunkte' aus einer
Prüfung unterziehen. Widersprüche, denen er bei seinen Untersuchungen über das
Verhalten der Haut- und Sehnenreflexe bei Qehimkrankheiten begegnete, Hessen ihn
diese klinische Untersuchung für gerechtfertigt erscheinen. Nach einem kurzen histo-
rischen Hinweis auf die Entwickelung des Satzes von der Himhemmung, bespricht
Seh. an der Hand von beobachteten Fällen vor Allem die Beflexverhältnisse des
Bückenmarkes nach acuter Durchtreunung, bedingt durch Trauma, und hieran an-
knüpfend bei acuter Myelitis. Er kommt in diesen Auseinandersetzungen zu dem
Schlüsse, dass jene Beflexerhöhung, die wir im späteren Stadium nach erfolgter
Durchtrennung oder nach Leitungsunterbrechung des Bückenmarkes beobachten, ab-
solut nicht auf den Wegfall des hemmenden Einflusses des (Gehirnes bezogen werden
darf, sondern dass diese Beflexsteigerung ausschliesslich eine Folge des anatomischen
Momentes der absteigenden secundären Degeneration sei, deren wesentlichste Function
eben Beflexsteigerung sei. Diese Beflexsteigerung findet ihre ErUärong in jener
Beizung der multipolaren Zellen der Vorderhömer, zu der die Sderose der Pyra-
midenbahnen nach Gharcot führt. Vortr. bespricht nun im Folgenden jenen Ein-
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flofls, den die PyramidenbalmeD Oberhaupt auf die Haut-, Sehnen- and Tonnsreflexe
AMftben und knfipft hier an Beobachtangen an, die er schon frflher im „Archiv für
Psychiatrie" mitgetheili Diese Beobachtungen beziehen sich auf Fälle von corticaler
Epilepsie und von frischer, auf Oehimblutung beruhender Hemiplegie. Die Deduc-
tionen des Yortr. gipfeln in dem Satze, dass Reizung der motorischen Centra, sowie
der Fyramidenbahnen immer erhöhten Sehnenreflex bedinge, in vielen F&llen auch
erhöhte Uaatreflexe, dass aber das Verhalten der Hautreflexe nicht nur von dem
Zustande der Pyramidenbahnen abhängig sei Lähmung der motorischen Centra,
sowie der Pjramidenbahnen bedinge Beflexdepression oder Fehlen der Reflexe.
Es werden nun zunächst die Verhältnisse während des Comas, der kflnstlichen
Narcose, sowie des Schlafes besprochen, Verhältnisse, die, wie Seh. glaubt, gegen
den hemmenden Einfluss des Oehimee zeugen. Seine klinischen Erfahrungen, sowie
die von ihm angefahrten physiologischen Thatsachen lassen den Vortr. zu dem Schlüsse
gelangen, dass die normale Beflexthätigkeit des Bfickenmarkes an ein mittleres Maass
der Innervation gebunden sei, das den Befiexcentren des Bückenmarkes fortwährend
auf dem Wege der Fyramidenbahnen übermittelt wird. Im abgetrennten Bückea-
marksabachnitte ersetzte die irritative secundäre Degeneration diese fortwährenden
vom Gtohim ausgehenden Impulse und dieser secundären Degeneration verdanke der
abgetrennte Bückenmarksabschnitt seine wiedererwachte, ja übemormale Beflexerreg-
barkeii. Zum Schlüsse bespricht Schwarz noch den Vorgang der antagonistischen
Beflexhemmung von Mank und Schlösser, durch die er die von ihm aufgestellten
Sätze erg&nzt
K. K. Gesellschaft der Aerzte in Wien. Sitzung vom 5. Febr. 1886. (Wiener
med. Presse. 1886. Nr. 7. Sep.-Abdr. der Wiener med. BL 1886. Nr. 6.)
Doc Dr. Wagner: Demonstration einer neuen Methode, durch Appli-
eation voii CkK»in bei unirerletBter Epidermis oiroumaoripte Anästhesie
SU eraeugen.
Die Methode beruht auf der kataphorischen Wirkung des galvanischen Stromes,
die darin besteht, dass Flüssigkeiten, welche in porösen Leitern vorhanden sind, in
der Bichtnng von der Anode zur Kathode fortbewegt werden.
Gegründet auf diese Methode, hat man wiederholt versucht, Arzneikörper unter
die Haut einzuführen, aber es ist nicht gelungen, und zwar weÜ bei dieser Methode
schon sehr kleine Dosen wirksam sein müssen und weil die Dosirung keine genaue
sein kann. Diese beiden Schwierigkeiten entfallen beim Cocain.
Die Art der Anwendung dieser Methode ist sehr einfaco. Man taucht eine breite
mit Flanell überzogene Elektrode, die man zur Anode emes galvanischen Stromes
macht, in eine Cknsainlösung und setzt sie auf die zu an&sthesirende Hautstelle, nach
wenigen Minuten ist die von der Platte bedeckte Hautstelle vollkommen anästhetisch.
Die Anästhesie hängt von der Stromdichtigkeit ab, die kataphorische Wirkung ist
um 80 intensiver, je schlechter die Lösungen leiten. Ooncentrirte Lösungen leiten besser.
Was die Anwendbarkeit dieser Methode für praktische Zwecke anlangt, so ist
die Angelegenheit noch im Stadium des Experimentirens. Nach den Versuchen, die
Wagner auf der Billroth'schen Klinik angestellt hat, scheint es, dass es gelingen
wird, die Methode praktisch zu verwerthen. Bei den subcutanen Injectionen von
Cocain ist die Anästhesie intensiver und dauert viel länger, wenn man unmittelbar
nach Einwirkung des Cocains mit der Esmarch^schen Binde Blutleere herstellt In
einem Falle von Cocain-Anästhesie nach der angegebenen Methode scheint dies auch
^r Fall gewesen zu sein.
120
IV. Mittheilung an dan Harsosgeber.
Geehrter Herr Bedacteurl
Ich ersuche, in Ihrem Blatte der nachstehenden Berichtigung Baum 2u geben.
In meinem soeben im Archiv fttr Psychiatrie (Bd. XYII) veröffentlichten Aufisatze
„Znx Pathologie des Gedächtnisses" heisst es S. 96 irrthümlich, dass der Gang des
Gedächtnissverlustes bei progressiven Gedächtnissstörungen vom fester fizirten zum
weniger fixirten vor sich geht, während bekanntlich und wie auch der dort dtirte
Bibot richtig ausführt, dieser Gang vom weniger fizirten zum fester fixirten vor
sich geht.
Genehmigen Sie etc.
Dobrzan, 20. Febr. 1886. Dr. A. Pick.
V. VermisohteB.
Dr. Lang, Wieu, empfiehlt in der Wiener med. Presse (1986. Nr. 5} das Hopeia (von
Williamson, Smith und Boberts besonders gerühmt) in Dosen von mehr au 0,02 gr
auch gegen Agrvpnie. Prof. Hirt macht dagegen (Bresl. ärztl. Zeitschr. 1886. Nr. 8) wahr-
scheinlich, dass nopain in der That nur Morpmam sei.
Der fünfte Con^esg für innere Medicin findet vom 14.~-17. April 1886 zu Wiesbaden
statt unter dem Präsidium des Herrn Geheimrath Ljsyden (Berlin). Unter andern kommen
folgende Themata, welche die Neuropathologen interieasiren, zur Verhandlung:
Ueber die Pathologie und Therapie des Diabetes mellitus. Befeienten*. Herr Stokvis
(AmsterdanO und Herr Hoff mann (Dorpat).
Herr Zieeler (Tübingen): Ueber die Vererbung erworbener patholoffisoher E^nschaften.
Herr Fiolc (Wflrzburg)f Ueber die Blutdrucnchwankungen im Herzventrikel bei Mor-
pbiumnarcose.
Anfangs Sentember 1886 findet in Moskau der erste Congrees russischer Irrenärzte statt.
Derselbe ist vom Medicinaldepartement des Ministeriums ftlr innere Angelegenheiten inaugunrt.
Die Hauptpunkte des im russischen „Begierangsanzeiger** veröffenüichten Programms des
Congresses sind folgende:
1) Verpflegung der Geisteskranken in- und ausserhalb der Irrenanstalten.
2) Administration der Irrenanstalten.
8) Amtliche Ueberwachung derselben.
4) Versorgungs- und Heilungsprincipien der Geisteskranken in den Anstalten.
5) Irrengesetz^bung.
6) Irrenstatistik.
7) Classification der Geisteskrankheiten.
8) Spedell-wissenschaftliche Mittheilungen auf dem Gebiete der Psychiatrie.
Behufs Organisation des Congresses ist ein geschaftführendes Bureau gebildet, zu dem
folgende 7 Personen fi^ehören: Oberarzt Djukow (St. Petersburg), Professor Kowalewski
(Charkow), Professor Eoshewnikow (Moskau), Medicinalinspector Ostrofflassow (Moskau),
Privatdocent Bosenbach (St. Petersbure), Director Tscheremschanski (St Petersburg)
und Director Tschetschott (St Petersburg).
Beitrage, die für den Congress bestimmt sind, müssen bis zum 1. Juni an einen der
genannten Herren eingesandt werden.
Die Verhandlungen des Congresses finden in russischer Sprache statt.
Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten.
Einsendungen für die Bedaction sind zu richten an Prol Dr. £. Mendel»
Berlin, NW. Kronprinzen-Ufer 7.
Verlag von Veit & Comp, in Leipzig. - Druck von Mbt^obr & Wittiq in Leipzig.
ÜEÜROLOGISCHESCENTRALBLAn.
Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie
und Therapie des Nervensystemes einschliesslich der Geistesicranicheiten.
HeraQBg6geb«n von
Professor Dr. E. Mendel
Pünfter " "*"^ Jahrgang.
m
Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 16 Mark. Zn beziehen darch
alle Bnchhandlnngen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Dentsehen Reichs, sowie
direct von der Verlagsbnehhandlnng.
1886. 15. M&rz. Nä 6.
Inhalt. OriginalmltttielliingeR. üebcr die Beziehungen des Strickkörpers znm Hinter-
stnog and Hinterstrangskern nebst Bemerkungen über zwei Felder der Oblongata» Ton Dr.
L Darkschewitsch und Dr. Sigm. Freud.
II. itefftrato. Anatomie. 1. Ueberbr&ckung der Centralfärche. von B|atelikow. 2. Centn-
bato alla morfoloffia eellulare delle ciroouToluzioni frontali, del Rotcloll. 8. NouveUes re*
cberches d'anatomie compar^e etc., par Luyt. 4. Himgewicht, von Rey. — Experimen-
telle Physiologie. 5. De rezcitabilit^ relatire de l'^oorce e^ebrale. par Tschldi. 6. Be-
cherrhes ezperimentales sur le tremblement d^pendant de T^orce srise des h^misph^res du
cerveau. par Qastematzvy. — Pathologische Anatomie. 7. Veränderungen der (Jross-
hinirinde im Alter, von Kosf|urin. 8. Lipome de la pie-m^re, par FM. — Pathologie
des Nervensystems. 9. Nenropathologische Mittheüungen Tun Schulz. 10. Ueber para-
Ijtifichen Klumpfnss bei Spina bifida, von E. Remak. 11. Ramollisscment du cervelet, par
Tbierry. 12. Gase of almost complete de^tmetion of tbe right hemisphere of the cerebellum,
without distinct Symptoms of cerebellar disease, by Ogiloce. 13. Gase of sarooma of cere-
bellum, by Hacgregor. 14. Tumour of brain, by Turner. 15. Kemig'Bche Flezionscontractur
der Kniegelenke bei Qehimkrankheiten, von Ml. 16. Tabes dorsalis mit erhaltenem Patellar-
reflez, von Hirt. — Psychiatrie. 17. Chronischer Chlnralmissbrauch, tou Rehm. 18. Zur
Kenntniss der Mnrphiumj^ychosen, von Smidt. 19. Katatonische Erscheinungen in der Para-
lyse, Ton KmcM. 20. Epilepsie und Verrücktheit, von Va|as. 21. Two caaes of melancholia,
by Patton. — Therapie. 22. De l'emploi de l'alcool sous forme de vin ou de biäre dans le
traitement des maladies mentales, par Brosius. 23. Dosirung galvanischer Ströme in der
Elektrotherapie, Ton Stein. 24. Oannabinon, von Vogelsanf. — Anstaltswesen. 25. Thirty-
niutb report of the Commissioners in r<unacy. 26. Some points in Irish Innacy law, by Normann.
III. Aus den Gesellschaften.
IV. Vermisclites.
I. Originalmittheiltingen.
Ueber die Beziehung des Strickkörpers zum Hinterstrang
und Hinterstrangskern nebst Bemerkungen über zwei Felder
der Oblongata.
Von Dr. Ii. Darksohewitsoh (Iffoskau) und Dr. Sigm. Freud, Privatdocent (Wien).
Die Ansichten der Hirnanatomen über den Zusammenhang zwischen Strick-
körper oder unterem Kleinhimschenkel und den Hinterstringen des Rückenmarks
— 122 —
haben 4ne Entwickdung durdigemadhty in welcher man dm veisohiedene Perioden
nüterscheiden kann.
In einer ersten Periode wurde auf Grund des makroskopischen Anscheins
der Strickkörper für die directe Fortsetzung der Hinterstränge zum Kleinhini
gehalten. Mit dem Fortschritt der mikroskopischen Untersuchung gelangte al>er
die Thatsache zur Bedeutung, dass in der angeblichen Continuitat von Strick-
körper und Hinterstrang eine mächtige graue Masse, der (aus Burdach'schem
und GolFschem Kern zusammengesetzte) Hinterstrangskem enthalten ist Man
erkannte (Deiters, Meynebt), dass dieser Kern in Beziehung zu den Hinter-
strängen steht, und dass in den Strickkörper andererseits Fasern von complicirtem
bogenförmigem Verlauf eintreten. Der Zusammenhang zwischen beiden weissen
Fasermassen wurde deshalb fnr einen nur indireoten erkläxt, und sollte nach
Metnebt in der Weise stattfinden, dass die Fasern des einen Strickkörpers
vermittelst Bogenfasem in die (gekreuzte) Olive eingehen und von dort aus
duro& neue Bogenfasem zum Hinterstrangskem der dem Strickkörper entgegen-
gesetzten Seite gelangen.
Eine dritte Periode wurde durch die Verwerthung der ungleichzeitigeu
Markscheidenbildung eingeleitet, als Flechsig einerseits die directe Kleinhim-
seitenstrangbahn als Bestandtheil des Strickkörpers nachwies, andeieredts zeigte,
dass die Bogenfasem aus den Hinterstrangskemen nicht in die Olive, sondern
durch die sog. obere Pjramidenkreuzung in das innere Feld der Oblongata ver-
laufen und daselbst die Olivenzwlschenschichte bilden. Edikgeb^ hat später
für die Bogenfasem, die aus dem Hinterstrangskem in höheren Ebenen der
Oblongata entspringen, ein ähnliches Verhalten dargethan. Damit war aus dem
MsTNEBT'schen Schema das Mittelglied, welches die Verbindung zwischen Strick-
körper der einen und Hinterstraüg der anderen Seite bewerkstelligen sollte,
herausgerissen, die Verbindung der Hinterstränge mit dem Eleinhirn aber auch
ganz oder zum grossen Theile verloren gegangen, wie eine Uebersicht der seit
Anwendung der neuen Methode gemachten Angaben lehrt
Nach Edingeb* besteht der untere Kleinhimschenkel aus a) der Kleinhim-
9eitenstrangbahn, b) HinterstrangsÜBMem, sicher aus dem gleichseitigen, fraglich
auch aus dem gekreuzten Hinterstrang, c) Fasern zu den Nervenwurzeln (Acusticus
und Trigeminus), d) Olivenfasem und vielleicht noch anderen später markhaltig
werdenden Systemen. Die Hinterstrangsfasera von derselben Seite sollen als
kurze Fibrae arciformes extemae aus dem Goll'schen Strang kommen, die frag-
lichen Fasem aus dem gekreuzten Hinterstrang als Fibrae arcuatae anteriores
wahrscheinlich aus der Olivenzwischenschicht in das Feld des Strickkörpers ein-
treten. Der Antheil der Hinterstrangsfasem am Aufbau des Strickkörpers wäre
ein geringer.
Flechsig^ unterscheidet im Strickkörper ausser der Kleinhirnseitenstrang-
bahn und den Fasern zu den grossen Oliven noch Fasem zur Substantia reticularis.
» Dieses Centralblatt. 1885. Nr. 4.
' 1. c. nnd „Zehn Vorlesnnj^en fiber den Baa der nervösen Oentralorgsae." 1885.
* Plan des menschlichen Gdiirns. 1888.
— 123 —
Die Beadehungen des Strickkörpeis zum Hinterstrang lässt er im Dunkeln. In
einer späteren Mittheilung ' bestätigt er Ebingeb's Strickkörpmxuwachs aus der
Olirenzwischensehicht, bezwäfelt aber noch das regelmässige Vorkommen solcher
Fasern, ebenso wie die Bedeutung der aus dem Goll'schen Strange kommenden
kurzen Bogenfasem zum StoickkOrper. Er macht dann die wkbtige Bemerkung,
dass auf Grund der Verfolgung der Markscheidenbildnng im Strickkörper ein
weiteres Fasersystem anzunehmen sei, welches nach d^ Kleinhirnseitenstrang-
bahn und vor den Olivenfasem markhaltig wird und vielleicht den Kernen der
Hinterstrange entstammt. Doch sei er hierüber nicht in's Klare gekommen.
Zur gleichen Vermuthung ist v. Monakow* auf Grund der experimentell
erzeugten Degeneration des Striokkörpers gelaugt Er findet die Abnahme des
Corpus restiforme in höheren Ebenen bedeutender, als dem Ausfall der Klein-^
himseitenstrangbahn entspricht, und nimmt an, dass Fasern aus dem Keil-
Strang derselben Seite, die sich in's Corpus restiforme fortsetzen, den vermissten
Bestandtheil desselben bilden. Später ist v. Monakow allerdings von dieser
Vermuihnng zurückgekommen (s. dieses Centralblatt 1885. Nr. 6).
Wir sind nun auf Grund unabhängig von einander angestellter Unter-
suchungen dazu gelangt, das von Flechsig vermuthete Fasersystem nachzu-
weisen und damit die von Meynebt behauptete ausgiebige Verbindung der
Hinterstrange mit dem Kleinhirn wiederherzustellen. Als wir die vollkommene
Uebereinstimmung unserer Ergebnisse bemerkten, haben wir beschlossen, davon
in gemeinsamer Publication Mittheilung zu machen. Unser Material bestand
in zwei Querschnittsreihen, einer von einem 6monatlichen Fötus, in dessen
Oblongata die OUvenfaserung ganz marklos war, und auch das Mark der Oliven-
zwischenschicht in der Höhe des Corpus trapezoides aufhörte (Beihe I), und
einer anderen von einem Fötus nicht genau bekannten Alters, bei welchem
Olivenfaserung und Pyramiden einen sehr zarten Markgehalt zeigten (Reihe II).
Fig. 1 stellt den Strickkörper in den unteren Acusticusebenen nach Prä-
paraten der reiferen (11) Schnittreihe dar. Er besteht aus einer centralen (mit
Fig. 1.
Schema des Strickkörpers in den unteren Acustioiuebeiieni
1 Kopf des primären Strickkörpers.
2 Schweif des primären Strickkörpers.
3 Markarmer Saom (seoundärer Striekkörper).
Goldchlorid und Weigert'schem Hämatoxylin) dunkler gefärbten Masse, die an
den Präparaten der JKeihe I allein ersichtlich ist, und einem lichteren Saum,
* DiescH Centralblatt. 1S85. Nr. 5.
* Experimenteller Beitrag znr Kenntniss des Corpus restiforme, des „äusseren Acnsticns«
kernee" und deren Beziehungen zum Bttckenmafrko, Aigh. f. Psych. 1S83, XIV,
— 124 —
welcher der reiferen Beihe atleio zukommt. Die oentiale Masse wollen wir den
„primäreD Strickkörper" beissen; derselbe hat die Gestalt anßs Kommas mit
dickem Kopfe und daran gesetztem Schweif. Den maikarmen Saum bezeichnen
wir als „aecundären" Strickkörper. £ine Verfolgung von oben nach abwärt«;
(apinalwärts) ergiebt nun nachstehende Aendeningen dieses Querschnitte und
Vertbeilung seiner Fasern.
1) Sobald die den Strickkörper aussen bedeckende graue Substanz (des
Acosticns) geschwunden Ist, geraUieD die Fasern des Saumes in Bewegung. Sie
treten derart nach innen, ilass sie ein zwischen Trigeminusqnerschnitt, Deiters'-
schem Kern und Strickkörper gel^^es, in der Beihe J leeres Feld erfüllen,
und Terlanfen von dort aus in dicken Büsoheln theils durch, Uieils vor und
hinter dem Trigeminns g^^n und über die Mittellinie; dabä lösen sich die den
Kopf des primären Strickkörpeis bedeckenden Bündel zuerst ab, so daes in den
Fig. 2.
Qowschmtt in den oberen kbenun des Deiten'scheD Eernee (Reihe II):
1 Kopf des primkreD SbicUörpers, m dem Klfimpchen grauer Sututeni aaftMten (ku ü«f«r«ti
Ebnen emgiMiebnet)
3 Schweif dewelben
3 Secuidärei Strickkörper (ObTeng^Bteia) tu Ablösung begnffen.
F AnbteigendG TngemuiaBwnTMl
VIII Deiten'Bcher Kern mit der RaEBteigBnden Aciutioaawnrzel (Bollbb).
IX Anhteigrende Wurzel des VagnaByateniB
unteren Ebenen des DErrsBB'schen Kernes noch em Saum an der Ansaenseite
des Schweifes vorhanden ist (Fig. 2). Diese markarmen Fasern, über die wir
weiter nichts zu sagen haben, smd das Olivensystem der Autoren.
2} Wenn der Deiters'sche Kern verarmt ist, tritt im Kopfe des primäFsn
Strickkörpers graae Substanz in zeretreaten Inseln auf, die dann zu einem Kern
zusammenSiesst und rasch den Kopf des Kommas — und zwar nur diesen
allein — bis auf vereinzelte, an veiBOliiedenea Stellen erübrigende Faserbündel
— 125 —
an&eiut Es ist leicht, dch zu fiberzengen, dass die Abnahme des StriokkÖrpers
a diesen Ebenen nnr durch den Kern herbeigeffihrt wird, denn die Gestalt und
ligemi^ des Soliveifes ist onveiändert, und ein Ablenken von Fasern gegen
dea Eleinhimseitenstran^ noch nicht za bemerken (Fig. 3).
Dieser Kern ist aber nur das obere Ende des Hinterstrangkemes (resp.
Bardach'schen Eernes). Da dieser Pnnkt fOr die Auffassung der fr^lichen
Verhältnisse Ton grosser Wichtigkeit ist, haben wir nns dorch conännirliche
Verfolgung von nnten nach aufwärts flberzengt, dasB in der betreffenden Gegend
kein abzngrenzender neuer Kern auftritt, sondern nnr der Bardach'sche sich
vergTöesert nnd nach aussen rtlckt Als Anhaltspunkt bei dieser Verfolgong
dient besonders das dem Trigeminus nächste Bändel der Hinterstränge, welches
in smen Resten eine Hnfeisenform hat und erst hoch oben verloren gebt Die
Pig. 8.
Qoenduiitt in dsD nnteien- EbsDeii dea DeiUn'iob«n Kernes (ßeih« 11):
UiB BeMichnongen dieselben wie in Fig. 2. An Stelle dea Kopfes vom primireu Striok-
kdrper ist der Kern I' getreten.
in Bede stehende gtane Substanz ist ahrigens niemals anders, denn als zum
Hinterstavngskem gehörig beschrieben worden; nur Wbkhickb, der überhaupt
nicht verfehlt, auf directe Beziehangen des Strickkörpers zur „Hinterstrangs-
anli^" aufmerksam zu machen, spricht von einem „Kern des Strickköipets".
Eitüge Faseibnndel vom Kopf des primären Strickkörpers steigen weit im
Hhiteistrangskern herab, andere vom Saom der Bardach'schen Stränge eine
lange Strecke im Kerne auf, doch konnten wir nicht nachweisen, dass Fasern
ans dem Hintetstrange direot in den Strickkörper übergehen. Wir sehen an
unseren Präparaten vielmehr, dass die mittleren Höhen des Kemee keine Ein-
lagerong vertioal verlaufender Fasern enthalten.
Alsbald nachdem der Kopf des Kommas durch den Kern ersetzt ist, be-
ginnt der letztere, Bündel von Bogenßuem zu entsenden, welche zwischen dem
Fig. 4.
— 126 —
TrigemiuiiBdtirchschiiitt nnd dem solitären Bändel, auch über dem letzteren,
verlaofen. Diese Fasern (oberee Bf^enfaseisTstem des Hmterstniogkeniee) haben
keinen Zosammenliang mit den OÜTen und lagern sich, wie EniNQBfi (L c.)
at^büdet hat, im jenseitigen lonenfeld der Oblongsta, dorsal von der ^gent-
lichen OlivenzwiBchenBchicht ab. Nach ihnen folgt In den Präparaten der
Beihe I eine dentliche Lücke in dei Bogenfiiserang; das ganze Mittelstäck des
Kernes entsendet keine Fibrae arcnatae. In Beihe II sind die Bogenfaaem
durch die ganze Höhe des Kernes
continoirlicb, die Lücke also durch
ein neoee (mitüeree) System von
Bogenfasem ausgefüllt Da in
B^e n die OÜTen bereits Mark-
fasem eothalteD, können wir die
Beziehong des mittleren Systems
zu den Oliven nicht, wie die der
beiden anderen , ausschliesBen.
Doch ist diese Beziehung unwahr-
scheinlich. Dies mittlere System
der Bt^nfosem ist auch in höherem
Grade als die sonstige OliTen&se-
mng markhaltig.
Es ist hier die Möglichkeit
zu behandeln, dass der Kopf des
primären StrickkörperB sich direct
in die Bogenfasem des oberen (und
mittleren?) Systems fortsetzt, ohne
mit den zelligen Elementen des
Kernes, den er durchzieht, in Ver-
bindung zu treten. Unsere Metho-
den w&rfSü unzureichend, diese
Frage in verbindender Weise zu
lösen, doch haben wir einige An-
haltspunkte, sowohl allgemeiner
Natur, als in dem beeoadeien Ver-
halten der betreffenden weissen und
grauenSubstanzeu, um die erwähnte
Möglichkeit für sehr unwahrschein-
lich zu erklären und eine Verbindung sowohl der Strickkörperfasem, als der Bogen-
fasem mit den Zellen des Eemes anzunehmen. Die Gründe der ersten Art
sind: die Analogie mit dem unteren Stück der Einteistrangskeme, welches nach
den E^bnissen der secundären Degenerationen unverkennbar zwischen den
Fasern der Hinterstränge und den Bogenfasem zur Ohvenzwischenschicht an-
geschaltet ist, und der Dmstand, dass für den so hoch hinaufreichenden Kern
Verbindungen anderer Art nicht nachzuweisen and. In directer Weise
Qaeracbnitt durah die „ob«re FjnuuideDkreaiTtne:"
(Beihe O}-.
a Rest des Goll'achen Stranges.
b Best des BoidtKh'scheD StraDges.
e, c, c, Fasern aiu oberer PjTamidenkreiiEDDg
lom Striokkörper.
d KleinhimKiteiigtraDg.
e Obere PyrsmideD-<Sclileifen-)KreuzaDK.
— 127 —
sprechen za Ounsten unserer Annahme: das rasche Verschwinden der Fasern
?om Kopf des Strickkörpers bei suocessiver Entsendung der Bogen&serbündel,
das Zusammenfallen der Bogenfaserbildung mit dem Auftreten dieses Kerns,
and die Art, wie die Bogen&sem in Bäscheln aus besonderen Abtheilungen im
Hinteistrangskem heryorgehen.
3) Der Hinterstrangskem ninunt nun nach unten immer mehr zu, drangt
den Best des Strickkörpers zur Seite und erst jetzt sieht man auch den Schweif
des primären Kommas abnehmen und sich durch Schragschnitte mit dem Felde
der Eleinhimseitenstrangbahn verbinden.
Fig. 5.
Schema des Hinteratrangskernes und seiner
Yerbindongen:
A Bordach'scher Kern.
B Qoirscher Kern.
i Kopf des primären Strickkörpers.
2 Schweif desselben.
3 Secnndärer Strickkörper (Olivensystem).
a 1 Faser ans unterem Bogenfasersystem
a* \ zum Striokkörper der anderen Seite.
h unteres Bogenfasersystem (obere Pyra-
midenkreuzung) zur Olivenzwiscben-
schichte.
c mittleres Bogenfasersystem.
d oberes Bogenfuersystem.
9 Fasern aus Goirschera Strang (Fibrae
arcuatae extemae).
K9 Kleinhimseitenstrangfaser.
aK Aeusserer Keilstrang (Armfasem).
xK Innerer Keilstrang (Beinfasem).
4) Endlich überzeugt man sich, dass in die erste Anlage des Strickkörpers
Fasern eingehen, welche in den Ebenen, wo noch die Marksaume der Hinter-
stränge bestehen, aus der oberen Pjramidenkreuzung („unteres Bogen£5uersystem
des ffinterstrangskemes'^) kommen und durch die eigentiiche Olivenzwisohenschicht
um die Peripherie des Schnittes und aber die Kleinhimseitenstrangbahn ver-
laufen (Edxngeb's Fibrae arcuatae anteriores) (Fig. 4).
Wir haben im Vorstehenden einfache und leicht zu controlirende Verhält-
nisse des Faserverlaufs beschrieben. Wenn der Zusammenhang des Kopfes vom
primären Strickkörper mit dem Kern der Hinterstrange Beobachtern, denen die
gleichen Präparate vorlagen, bisher nicht klar geworden ist, so mag dies daher
kommen, dass man sich beim Studium des Oehimbaues allzusehr daran ge-
wöhnt hat, "nach Fortsetzungen von Faserbündeln, und zwar nach je einer
Fortsetzung für ein bestimmtes Faserbündel zu suchen, und die grauen Sub-
stanzen erst in zweiter Linie zu berücksichtigen. Wir halten es far correcter,
^on den grauen Substanzen auszugehen und die von ihnen nach verschiedenen
Richtungen ausgehenden Fasermassen au£susuchen. Welche dieser Fasermassen
*«
— 128 —
die „Fortsetznng^' einer anderen ist, scheint uns keine anatomische Frage mehr
zu sein nnd sich der Losung dnrch rein anatomische Methoden im Allgemeinen
zu entziehen. Darüber mtkssen das Experiment, die klinisch-pathologische Be-
obachtong nnd die dnrch die secnndäre Degeneration enthflllten Beziehungen
Aufschluss bringen.
In Fig. 6 haben wir demgemäss yersuoht, ein Schema des Hinterstrangs-
kemes mit den yon ihm ausgehenden Faseisystemen zu geben. Man ersieht
aus demselben, dtas der Hinterstrangskem einer Seite mit den langen Fasern
der Hinterstränge, mit dem Kopf des primären Striokkörpers derselben Seite,
mit einem Faserantheil im Best des primären Strickkörpers der anderen Seite
und mit drei Systemen von Bogenfasem, die im Innenfeld der Oblongata der
gekreuzten Seite yerlaufen, zusammenhängt Durch den Kopf des printiaren
Strickkörpers ist die Möglichkeit einer (vorwiegend ungekreuzten) Verbindung
der Hinterstränge mit dem Eleinhim gegeben, während an die Systeme der
Bogenfasem in späteren Stadien der Markentwickelung die (gekreuzte) Grross-
himverbindung anknüpft Wir haben dabei yorwiegend den grosseren Burdach'-
schen Kern berücksichtigt, dessen Fasersysteme denen des GroU'schen Kernes
in der Entwiokelung yoraneilen. Vom GoU'schen Kern konnten wir an unseren
Präparaten nur die Fasern des unteren Bogensystems (Schleifenkreuzung, nach
Reihe II) und Edikoeb's Fibrae arcuatae extemae wahrnehmen, von denen wir
eben so wenig wie FLECHSia angeben können, ob sie zum Kleinhirn verlaufen.
Doch vermuthen wir, dass die. später entwickelten Fasersysteme des (roll'schen
Kernes sich denen des Burdach'schen analog verhalten werden, da man die
beiden Kerne als analoge Bildungen (den Burdach'schen für die obere,
den GoU'schen für die untere Extremität) bezeichnen darf.
Es mögen noch einige Bemerkungen über die Deutung zweier Felder der
Oblongata hier Platz finden:
Das äussere Feld der Oblongata lässt eine einheitliche Auflfassung seiner
Bestandtheile zu: Vom Best des primären und vom secundären Strickkörper
abgesehen, enthält dasselbe vier graue Substanzen mit den von ihnen ansehen-
den F^iserqrstemen. Die äusserste dieser grauen Substanzen — der Hinter-
strangskem — ist ein unzweifelhaft sensibler Kern für die Nerven der Extremi-
täten, die drei andern sind Kerne, von denen homologe Antheile der sensibeln
Himnerven entspringen, und zwar die aufsteigende Trigeminuswurzel aus der
Substantia gelatinosa, wie wir gegen Bbghtebbw (vgl. dieses Gentnübl. 1885.
Nr. 16) festhalten müssen, die gemeinsame aufsteigende Wurzel des Vagussystems
aus der ihr eigenen grauen Substanz, und die aufsteigende Acusticuswurzel
BoliaEb's aus dem Deiters'schen Kern. Angesichts des von verschiedenen
Seiten, besonders auf Omnd experimenteller Degenerationen, gegen die Existenz
dieser Acusticuswurzel erhobenen Einspruchs, haben wir diese Frage neuerdings
studirt und müssen mit noch grösserer Entschiedenheit als Bollbb ^ selbst dafür
eintreten, dass die im Deiters'schen Kern enthaltenen, daselbst entstandenen, so
^ Arch. f. Psych. 1S83. XIV. — Vgl. auch die Mittbeilong des einen von nns (F.):
„Zur KenntniBs der Olivenzwischensobicht" Dieses Centralbl. 1885. Nr. 12.
— 129 —
regelmassig grappirten Fasern durch einfietche TJmbeugang in den K acosticos
äbeigehen und ihm eine aufsteigende Wurzel in demselben Sinne^ ine die* beiden
anderen Himnerren eine solche besitzen, zuführen.
Das innere durch die Baphe und den Eypoglossus begrenzte Feld der
Oblongata enthält in den EntwicMungsstadien unserer beiden Schnittreihen
nebst dem hinteroi Langsbündel Langsfasem, welche durch Fibrae arcuatae
aus den Kernen des äusseren Feldes der gekreuzten Seite hervorgegangen sind.
Dabei lagert sich das untere Bogenfasersystem des Hinterstrangkemes im ven-
tialsten Theil des Innenfeldes als eigentliche Olivenzwischenschicht ab , das
(mittlere und) obere Bogenfasersystem desselben Kernes nimmt den mittleren
Theil des Feldes ein, die Bogenfasem aus dem Acusticus — und Yaguskem
des äusseren Feldes der Oblongata bilden die dorsalsten vom hinteren Längs-
bündel kaum mehr abzugrenzenden Fasern.
Soweit nun die LängsfEisem des Lmenfddes der Oblongata aus den er-
wähnten Kernen der gekreuzten Seite hervorgegangen smd, halten wir folgenden
Verlauf derselben für wahrscheinlich. Sie scheinen Fasern von kurzem Verlauf
zu sein und theils nach oben, theils nach unten hin in Bogenfasem umzubieg;en.
Ihre Endigung finden sie entweder in den grauen Massen des inneren und
mitüeren Feldes der Oblongata (Substantia reticularis), theils in den sensiblen
Kernen des Aussenfeides. Die Bogenfasersysteme nebst den Längsfasem, welche
aas ihnen hervorgehen, wurden demnach gekreuzte Yerbindungen der sensibeln
Kerne der Oblongata mit einander und mit der Substantia reticularis darstellen.
Die hinteren Längsbundel würden sich ihnen als analoge Bahnen, von motorischen
Kernen ausgehend, anreihen. Wir vermuthen, dass die Orosshimfortsetzung der
sensibeln Kerne an die Endigung der erwähnten Systeme in der grauen Sub-
stantia reticularis anknüpft.
Paris, 23. Januar 1886«
IL Referate.
Anatomie.
1) Zwei FUle von TTebeibrüokang der Oentnüfürohe, von Bjaschkow.
(Mitgetheilt u. demonstrirt in der Octobersitzung der- 8t. Feterdbnrger psychiatr.
Gesellschaft 1885. Russisch.)
Unter 86 Sectionen, die w&hrend 1884 — 85 an der Irrenanstalt »,aller Dnldenden"
(zu St. Petersburg) aasgeführt wurden, boten zwei die bezeichnete Anomalie der
Bolando'schen Fnrche.
Ein Gtohim stammte von einem 2Sj&hrigen, an der 8ob windsacht vemtorbeneni
mit secondärem Schwachsinn behafteten Manne, der in der Pobert&tsperiode an einer
acuten Psychose erkrankt war. Das Gtohurn war im Ganzen normal entwickelt; nur
fand sich an der rechten Hemisphäre im oberen Drittel der Centralfurohe eine letztere
vollständig überbrückende Uebergangswindang, darch welche beide Centralwindongen
vereinigt wurden. Aufwärts von dieser Uebergangswindang setzte sich die Central-
forche weiter fort, um, wie gewöhnlich, an der medialen Oberfläche der Hemisphäre
zu enden.
— 130 —
Dafi zweite Gehirn gehörte einer 79jährigen Frau, die in ihrem 50. Jahre an
chronischer Manie erkrankt nnd dann in secnnd&ren Schwachsinn verfallen war. Die
Ueberbrücknng der Gentralfarche durch eine schmale Uebergangswindong fand eben-
falls an der rechten Hemisphäre statt, ungefähr 2 cm weit von derem medialen Band
entfernt
Aehnlicbe Fälle sind — B.*s Angabe nach — bisher von) Wagner, Fdr^,
Heschl und Giacomini beschrieben worden. F. Rosenbach.
2) Contributo alla morfologla oellulare delle oiroonvoliudoni firontali; nota
preventiva del Dott. R. Boscioli. (Biv. speriment di Freniatr. ecc. 1885.
XI. S. 177.)
Verf. hat mit Hülfe der sog. „schwarzen Beaction" Golgi*8 (Gombination von
Kalium- oder Ammoniumbichromat mit Silbemitrat) die Binde der ersten Stimwindung
beim Menschen, beim Kalb und beim Affen untersucht. Er ist dabei zu dem Basnltat
gelangt, dass eine deutliche Schichtung der Binde nicht nachzuweisen ist, wie sie
Meynert, Major, Lewis, Betz u. A. gefunden haben. In allen Niveaus der Binde
herrschen die Pyramidenzellen vor; die spindelförmigen und die polygonalen Zellen
sind in einzelnen Exemplaren überall zu finden, bilden aber nirgends eine zusammen-
hängende Lage. Die Pyramidenzellen sind von sehr verschiedener Grösse: im All-
gemeinen herrschen beim Menschen die mittleren und beim Kalb die grösseren vor;
beim AfFen finden sich in den vorderen zwei Fünfteln der ersten Stimwindung vor-
wiegend die kleineren und in den hinteren drei Fünfteln die grösseren.
Golgi unterscbeidet bekanntlich 2 Haupttypen von Ganglienzellen: solche, die
ihre „Individualität'' bewahren, deren „nervöser Fortsatz" tbatsächlich zum Axen-
cylinder einer Nervenfaser wird, und solche, deren nervöser Fortsatz sich in zahl-
reiche Zweige verästelt, welche sich in ein Netz von Nervenfibrillen auflösen. Fast
alle Ganglienzellen der ersten Stimwindung gehören dem ersteren Typus an. Die
Neurogliazellen sind rundlich und mit kleinen Verästelungen besetzt, die mit denen
der benachbarten Neurogliazellen zu einem zweiten (nicht nervösen) Netz zusammen-
fliessen; andere, etwas stärkere Fortsätze ziehen ganz deutlich an die Scheiden der
kleinen Blutgefässe heran und machen häufig den Eindmck, als seien sie röhren-
förmig und könnten daher den Inhalt der Lymphscheiden in das Innere der Neu-
rogliazellen überleiten (?).
Weitere Untersuchungen über andere Partien der Hirnrinde werden folgen.
Sommer.
8) Nouvelles reoherohes d'anatoznie oomparöe sur les rapports des 616-
ments oäröbraux et des ölöments spinaux au point de vue de la
struotare du Systeme nerveux central, par J. Luys. (L*£nc^phale.
1885. Nr. 6.)
L. hat im Jahre 1884 seine eigenen Befunde über den Faserverlauf der weissen
Nervenfasem im Gehim veröffentlicht, danach enden die von der Rinde herkommenden
Fasern in den snbopticalen Ganglien des Stammes, die Fasern mit Bückenmarksursprung
aber enden im verlängerten Mark. Diese seine Befunde verwerthet L. in Bezug auf
vergleichende Anatomie, indem er es dadurch erklärt, dass beim Menschen mit seiner
verhältnissmässig grossen Hirnrinde die Protuberantia einen grösseren Querschnitt
haty als bei den grossen Säugethieren, z. B. dem Pferde, während bei diesen wieder
das verlängerte Mark einen grösseren Querschnitt hat, weil bei ihnen das Bücken-
mark stärker entwickelt ist, als beim Menschen. — Es bleibt immer noch abzuwarten,
ob die Prämissen des Verf. Bestätigung finden. Zander.
— 131 —
4) Ueber Himgewioht, yon Bey. (Soci^t^ m^co-psychologique.) (L'Enc^phale.
1886. Nr. 6.)
In der Sitzung vom 27. Juni 1885 hielt Key einen Yoxtrag über die GlewiGhte
der einzelnen Himlappeni je nach Geschlecht nnd Alter unter Zagnmdelegung Broca*-
scher Tabellen. Die gegebenen Zahlen müssen im Original eingesehen werden.
Zander.
Experimentelle Physiologie.
6) De rezoitabilitö relative de l'öcoroe cerebrale, par W. Tschich. Travail
du laborat. de M. le prof. Yulpian. (Arch. de physich 1885. 30. Sept. Nr. 7.)
Im Anschluss an die Untersuchungen von Boabnoff und Heidenhain, und
Bochefontaine untersucht T. den Wechsel in der Intensität der durch verschieden
abgestufte Beizgrösse erzielten Bewegungen nach elektrischer Beizung der Grosshim-
rinde. Die angewandte Methode bestand im Allgemeinen in der Einschaltung wech-
sehder Widerstände in den Stromkreis eines faradischen Stromes (bezüglich der
Details muss auf das Original verwiesen werden); geprüft wurden Beugung und
Streckung aller Extremitäten der Yersuchsthiere (Hunde und Kaninchen). Es zeigte
sich nun, dass Beizgrösse und Bewegungseffect in geradem Yerhältniss zu einander
stehen, und dass Maximum und Minimum der Beizbarkeit während der gleichen
Periode in constanter Beziehung zu einander stehen. Die Bewegungscurven derselben
Periode bei verschiedenen Widerständen zeigen sich different, sowohl hinsichtlich
ihrer Hohe als der Breite. Zur Beantwortung der Frage nach dem Yerhältniss der
Grösse der Ourven zur Grösse des eingeschalteten Widerstandes maass T. sowohl die
Höhe jener, als auch ihre Basis, wobei sich ergab, dass die Schwankungen während
derselben Periode und dem gleichen Widerstände nicht gross sind und selten ein
Viertel der Höhe übersteigen; die durchschnittliche Höhe der Curven ist bei geringerem
Widerstände immer höher als die grösseren. A. Pick.
6) Becherohes exp^rimentales aar le tremblement däpendant de l'eooroe
grise des hömisphöres du cerveau, par Gasternatzvy. (Progr. m^d.
1886. Nr. 52.)
G. hat im Laboratorium von Yulpian elektrische Beizversuche an der Gross-
bimrinde von Hunden angestellt. — Unter dem Einflüsse des Chloroforms nimmt die
Erregbarkeit der psychomotorischen Bindencentren sehr wesentlich ab, dagegen treten
in den betreffenden Extremitäten, deren Centren getroffen werden, Zitterbewegungen
ein, die G. von den epileptischen Zackungen, wie sie gewöhnlich beobachtet werden,
streng sondern zu müssen glaubt. — Das Intentionszittem, wie es die Herdsclerose
bietet, hatte G. früher experimentell bei Thieren durch Yerletzung der Yorderseiten-
stränge des Bückenmarks hervorzubringen vermocht — Seine neuen Experimente an
der Hirnrinde von Hunden, von denen er einzelne ausführlich mitteilt, geben ihm
Veranlassung, den „Tremor der Paralytiker" als cerebrale und zwar als corticale
Erscheinung zu denten, wie alle die andern paralytischen Symptome: die progressive
Demenz, die epileptiformen und apoplectischen Anfälle, die Anästhesien, trophischen
tmd vasomotorischen Störungen, mit denen sich das Zittern bei Paralyse so häufig
vergesellschaftet. L a q u e r.
— 132 —
Pathologische Anatomie.
7) neber Verändeniiigeii der Qrosshimrinde im Alter, von Kostjnrin.
Vorläufige Mittheilang aas dem Laboratoriam von Prof. Obersteiner in
' Wien. (Wratsch. 1886. Nr. 2. Russisch.)
Die histologische Untersuchung der Grosshimrinde alter Leute (Zahlen sind
nicht angegeben; — Bef.) brachte Yerf. zu folgenden Ergebnissen:
1) Die meisten Nervenzellen der Grosshimwindungen erleiden im Greisenalter
pigment-fettige Degeneration und Yacuolisation.
2) Die Nervenfasern werden atrophisch, und auch ihre Anzahl wird verringert
in Folge fettigen ZerfaUs ihrer Substanz.
3) Die Gefässe erleiden atheromatöse' Degenerationi ihre WandungMi werden
verdickt und mit Kalksalzen imprägnirt
4) An Stelle der schwindenden Nervenzellen und Fasern findet Wucherung von
Bindegewebe statt.
5) In der peripherischen Schicht der Rinde, zum Theil auch tiefer, bilden sich
in grosser Menge AmyloidkOrperchen.
6) Die Intensität des atrophischen Processes im Greisengehim entspricht eher
dem Gewicht desselben, als der Zahl der Lebensjahre. P. Bosenbach.
8) Lipome de la pie-möre, par Chr. ¥6r6, (Soci^t^ anatom.) (Progrte m6d.
1885. Nr. 34.)
F. demonstrirt einen Fall von Lipom der Pia mater bei einer 79jährigen Frau.
Die Geschwulst sass in dem Zwischenraum zwischen den beiden Corpora candicantia
und dem hinteren Theile der Zirbeldrüse, also an einer Stelle, welche als Pradilectiona-
Sitz derartiger Tumoren von den früheren Beobachtern Yirchow, Meckel, Elob,
Cruveilhier u. A. beschrieben worden ist. Laquer.
Pathologie des Nervensystems.
9) Nenropathologisohe Mittheüungen. Aus der medicinischen Abtheilung des
herzogl. Krankenhauses in Braunschweig (1884). Von Dr. Richard Schulz.
(Arch. f. Psych, etc. 1885. Bd. XVI. H. 3.)
I. Unilaterale temporale Hemianopsia sinlBtra. Tumor oerebrL
Weiterer Verlauf und Abschluss eines im Jahresbericht pro 1883 im Deutschen
Archiv für klinische Medicin publicirten Falles. Eine 49jähr., angeblich niemals syphi-
litische Arbeiterin bekam ca. 2Va Jahre vor dem Tode plötzlich eine einseitige Hemia-
nopsia temporalis sinistra. Dazu gesellte sich Schwindel, taumelnder Qang, Parästhesien
in Händen und Füssen, rechtsseitige Hemiparese der Extremitäten, psychische Störung.
Später entwickelte sich eine homonyme Hemianopsia lateralis sinistra, hochgradige
Paraparese aller 4 Extremitäten mit Contracturen der Beine, gesteigerten Sehnen-
reflexen, Dorsalclonus an beiden Füssen, objectiv nachweisbare Sensibilitätsstönmgen,
Blasen- und Mastdarmparese. Zuletzt Delirien und Verfolgungswahn, Decubitus; Tod.
Die Diagnose war von. Beginn an auf langsam wachsenden Tumor, ausgehend
von der. Hypophysis cerebri, gestellt und schien durch den weiteren Verlauf bestätigt
zu werden.
Die Section indess ergab: Pachy- und Leptomeningitis cerebralis chronica.
Encephalitis interstitialis. Pachymeningitis cervicalis hypertrophica. Stenosis ost.
Aortae. Hypertroph, ventric. sin. cordis. Tuberculosis apic. pulmon. invet. Degenerai
adipos. renum. Catarrh. vesicae urinar. et pelvis ren. sin. Mikroskopisch konnten
— 133 —
]>6g«Deratioiien im Chiaama nnd dem Tract. optic, sowie in den Ocdpitallappen niobt
mit Sicherheit nachgewiesen werden. Im Rückenmark zeigte sich Degeneration der
hinteren Fortionen der Seitenstrange abwärts von einer erweichten Stelle im Halsmark.
Es handelte sich also anstatt des snpponirten einen Herdes um zwei Erkran-
kungen, eine chronische Meningitis cerebralis, besonders um das Chiasma und eine
Fachymeningitis cervicalis hypertrophica mit Gompressionsmyelitis.
Auf erstere, die chronische Meningitis, ist Verf. geneigt, die Hemianopsia lateral,
sinistr. zurückzuführen.
n. Crampi nervi fiioialis dextri. Amnestiaohe Aphasie. Haselnussgroseer
Herd der linken Brooa'sohen Windung.
20jähriger Bierkutscher, ohne hereditäre Anlage. Nach längeren Vorboten und
3 Tage nach einem Fall vom Wagen, Aphasie und Zuckungen in der rechten Gesichts-
hälfle. Die Aphasie charakterisirte sich als „amnestische Aphasie", wie Verf. sagt;
Ref. würde nach den wenigen bezüglichen Bemerkungen eine Form der motorischen
Aphasie (Wer nicke) annehmen. Die Muskelzuckungen im rechten Facialisgebiet
trogen ganz das Gepräge der „partiellen Epilepsie" corticalen Ursprungs. Das Be-
wusstsein während der Attacken war aufgehoben, öfter bestand Deviation conjugu^e
der Augen nach links. Später kommen auch clonische Krämpfe der Wadenmuskeln
und des Zwerchfells hinzu; zuletzt allgemeine clonische und tonische Krämpfe mit
Opisthotonus. Der Tod erfolgte nach wenigen Tagen.
Bei der Obduction fand sich ein haselnussgrosser käsiger Knoten (Tuberkel) in
der Broca*8chen Windung linkerseits, mit der darüber liegenden Pia verwachsen.
Die partiellen Krämpfe führt Verf. auf die Nähe der betreffenden „Centren"
zurück: was die Aphasie betrifft, so scheinen uns seine Zweifel, ob die Broca'sche
Windung oder die erste Schläfenwindung dafür verantwortlich zu machen seien, nicht
recht verständlich. Nach seiner ausdrücklichen Versicherung war das Sprach v er -
ständniss bei seinem Patienten erhalten.
m. Tetanie.
Verf. bestätigte an einem Falle von Tetanie bei einer Schwangeren die Steige-
rung der mechanischen Erregbarkeit der Gesichtsnerven und die Steigerung der
galvanischen Erregbarkeit der Extremitätennerven.
IV. Primftres Saroom der Pia mater des BüokenmarkB in seiner ganzen
Iiftnge.
Dieser Fall, ein 16jähriges Mädchen betreffend, ist interessant durch den acuten
klinischen Verlauf und die Ausdehnung der Geschwulstbildung, aber auch durch die
hereditäre Beziehung — ein Bruder des Vaters war mit gliomatöser Hypertrophie
des Pons behaftet. Nach längere Zeit vorausgegangenen Bückenschmerzen trat läh-
mungsartige Schwäche der oberen Extremitäten mit Parästhesien, bald vollständige
Lähmung derselben mit Sensibilitätsverlust und vasomotorischen Störungen ein; dem
folgte Lähmung der unteren Extremitäten mit Aufhebung der Sensibilität und theil-
weiser. Auf hebong der Patellar- und Hautreflexe; Blasenparese. Heftige Bücken-
schmerzen begleiteten den Fortschritt der Lähmungssymptome. Unter Lähmung der
Respiration trat der Tod ein wenige Wochen nach dem Beginn der paretischen Symp-
tome. Die Diagnose war auf eine acute ^iyelomeningitis gestellt worden.
Die Section ergab einen das Bückenmark in seiner ganzen Länge von der Cauda
eqoina bis zur MeduUa oblongata umgebenden, von der Pia ausgehenden Tumor
(Sarcom), der an verschiedenen Stellen zu myelitischer Erweichung des Bückenmarks
Veranlassung gegeben hatte. Da derselbe jedenfalls älteren Datums war, als die
ernsteren Symptome, so ist der Fall wieder ein Beispiel der grossen Accommodations*
^higkeit des Centralnervensystems. Eisenlohr.
— 134 —
10) Ueber imralytiBohen KlumpAiBS bei Spina bifida (ErankenvorsteUang in
der Berl. medic. Gesellflch. am 3. Juni 1885) von Dr. Ernst Bemak. (Berl.
Uin. Wochenschr. 1886. Nr. 32.)
Ein Knabe Ton 1'/^ Jaliren mit Spina bifida lumbosacralis zeigt ausser voll-
ständiger Incontinenz der Blase eine Lähmung der Unterschenkel mit ausgesprochener
Fes -varus- Stellung der Füsse. Dabei ist der Fuss mit Leichtigkeit in die normale
Stellung zu bringen, kehrt jedoch sofort spontan wieder in die falsche Stellung zurück,
und zwar in Folge von Contractur des labialis anticus, der allein von allen Unter-
schenkelmuskeln mit dem faradischen und galvanischen Strome erregbar ist Die
übrigen Unterschenkelmuskeln scheinen lediglich aus Fettgewebe zu bestehen and
sind vollkommen unerregbar. Die elektrische Erregbarkeit der Oberschenkelmuskeln
ist durchaus normal, das Eniephänomen beiderseits vorhanden.
B. erinnert nun daran, dass er schon vor 10 Jahren darauf aufmerksam gemacht
hat, dass bei gewissen atrophischen Unterschenkellähmungen spinalen Ursprungs der
M. tibialis anticus allein verschont bleibt; dass andererseits dieser nämliche Muskel
allein am Unterschenkel gelähmt sein kann, gewöhnlich mit Oberschenkellähmungen
im Gebiete des Gruralis.
Aehnliche Verhältnisse gesetzmässiger Localisation der Lähmungen hat R. im
Gebiete des Plexus brachialis nachgewiesen und darauf zurückgeführt, dass in den
grauen Yordersäulen die motorischen Ganglienzellen nach functionellen Gruppen an-
geordnet sind, sodass bei Erkrankung bestimmter Spinalsegmente immer bestimmt
localisirte Lähmungen zu Stande kommen müssen. So liegt die Kemregion des
Tibialis anticus benachbart der des Eztensor quadriceps femoris an einer höheren
Stelle der Lendenanschwellung, als diejenige der übrigen Unterschenkelmuskeln.
Für diese plausible Erklärung lieferte F. Schulze schon 1878 einen anatomischen
Nachweis bei einem Falle von traumatischer Poliomyelitis acuta anterior, in welchem
eine atrophische Lähmung des gesammten Ischiadicus-Gebietes mit alleiniger Ausnahme
der Tibiales antici bestand, und wo die Section eine Atrophie nur des unteren
Theiles der Lendenanschwellung nachwies.
Nach dem vorliegenden Falle von paralytischem Elumpfuss erklärt B. in ana-
loger Weise: es besteht eine solche Localisation des Defectes des Bückenmarkes —
durch die Myelomeningocele — dass der obere Theil der Lendenanschwellung in
normaler Weise entwickelt ist, di^egen der untere Theil derselben, welcher die ge-
sammten Muskeln des Unterschenkels mit Ausnahme des Tibialis anticus versorgt,
sich nicht entwickelt hat; ebenso nicht das tiefer liegende Centrum fOir die Blasen-
entleerung.
Bei dem sog. echten Elumpfuss, welcher auf Wachsthumsabnormitäten der Fuss-
wurzelknochen beruht, zeigen die gedehnten Muskeln, so wie auch sonst bei Inacüvitäts-
atrophien, eine erheblich herabgesetzte elektrische Erregbarkeit, aber sie ist doch,
entsprechend dem Volumen der betreffenden Muskeln, vorhanden. H ad lieh.
11) Bamolliesement du oervelet, par Thierry. (Soci^t^ anatom.) (Progr. m^.
1886. Nr. 1.)
Ein d5jähriger, sonst vollständig gesunder Mann erkrankte unter sehr heftigem
Kopfschmerz und Erbrechen; es gesellten sich Schwindelanfälle und eine deutliche
Schwäche der linken Körperhälfte hinzu, die den Gang des Fat. sehr unsicher machten
und ihn zur Arbeitsunfähigkeit verdammten.
Im Krankenhause wurde eine deutliche schlaffe linksseitige Parese ohne Contrac-
turen und ohne sensible und trophische Störungen constatirt. Femer war linkerseits
hefüges Ohrensausen und Schwerhörigkeit, Amblyopie mit erheblicher Pupillenerwei-
terung vorhanden. Der Puls war bis auf 50 Schläge verlangsamt. Der Kopfschmen
— 185 —
des Pai war ausserordentlich heftig, femer waren dauernde Apathie und Somnolenz
zo Teneichneii; der Kranke gpng comatös zu Gmnde, nachdem das Leiden einen
Monat gedauert hatte.
Bei der Aatopsie fand sich eine Erweichung der linken Eleinhimhemisphäre fast
in ihrer ganzen Totalität vor, nur die centralsten Theile der weissen Substanz hatten
ihre Consistenz bewahrt; die Arter. cerebellaris inferior posterior der linken Seite
zeigte einen Thrombus von 1 cm Länge. — Sonst war das Gehirn völlig intact.
Laquer.
12) Case of almoat oomplete destruotion of the right hemisphere of the
oerebellum, without dlstinot Symptoms of oerebellar disease, by
George Ogiloce. (Brain. 1885. Oct. S. 405—408.)
Ein 22jähriges Mädchen aus tuberculöser Familie litt seit 3 oder 4 Jahren an
Indigestionssymptomen, dann nach mehrmonatlicher Abwesenheit aller Krankheits-
erscheinungen an Uebelkeit nach der Mahlzeit, später Schwindel, Brausen im Kopf,
anfallsweisem Erbrechen, Hinterkopfsschmerz, Aussetzen der Athmung, dann Doppel-
sehen, endlich Blindheit, Taubheit des rechten Ohres, Beeinträchtigung von Geruch
und Geschmack, Neigung nach rechts zu taumeln. Dabei war sie aber noch einen
Tag vor ihrem Tode im Stande, mit geschlossenen Fflssen fest zu stehen und konnte
kein Schwanken oder Coordinationsstörung beim Gange bemerkt werden, welcher der
fast völligen Blindheit auf Grund ophthalmoskopisch constatirter Sehnervenatrophie
mit reactionslosen weiten Pupillen entsprach.
Bei der Obduction erschwerten starke Adhärenzen der hinteren Schädelgrube die
Entfernung des Cerebellum, dessen rechte Hälfte fast vollständig zerstört war durch
den Druck eines knorpelartigen Tumors von der Grösse eines Hühnereis, welcher von
der Dura mater entsprechend dem unteren Bande der hinteren Schädelgrube nahe der
Verbindung des Sinus lateralis mit dem Sinus petrosus ausging. Die Gompression
des Kleinhirns war eine so starke, dass nur eine dünne Lage von Nervengewebe
den Tumor bedeckte. Der rechte Lohns amygdaloideus und Flocculus, der Central-
lappen (Vermis) und die linke Kleinhimhälfte waren intact. Die MeduUa oblongata
QDd die Nerven waren bei der Obduction verletzt und konnten nicht untersucht
werden. Die histologische Untersuchung des Tumors ergab Tuberkelmassen mit
Biesenzellen.
Der Mangel directer Kleinhimsymptome, namentlich von Gleichgewichts- und
Coordinationsstörungen, wird auf das langsame Wachsthum des Tumors zurückgeführt.
E. Remak.
13) Case of sarcoma of oerebellum, by Macgregor. (Medical Times. 1885.
Nr. 1842.)
A. E., 11 Jahre alt, bekam plötzlich Anfälle von kurzdauerndem Erbrechen,
^^leitet von starkem Kopfschmerz, und zwar traten dieselben 2 bis dmal in der
Woche auf. Leichte Schwäche. Temperatur subnormal. Bei einem Anfall war der
Puls 56 und unregelmässig. Keine Abnahme der Sehkraft. Links: Ausgesprochene
^enritis optica mit stark gefüllten und geschlängelten Gefässen. Rechts: Beginnende
Neuritis optica. Später leichte linksseitige Facialisparese und linksseitiger Strabismus
convergens. Exophthalmus beiderseits. Einige Wochen später war der Kopf in den
Nacken geworfen, starker Kopfschmerz vorhanden. Puls 56. Pupillen weit und auf
Licht reactionslos. Incontinentia urlnae. Beim Gehen Tendenz nach vom zu fallen,
^hkraft erhalten. 8 Tage nachher starb sie im Goma nach einem heftigen Anfalle
Yon Erbrechen and Kopfschmerz.
Autopsie. Die Windungen leicht abgeflacht, die Venen stark gefüllt, in den
Ventrikeln beträchtliche Menge schmutzig gelber Flüssigkeit. Die linksseitige Hemi-
— 136 —
sph&re des Kleinhirns war yon einem matt fleischfarbigen Tomor eingenommen, der
sich ans einer Ton der Gehimmasse gebildeten Kapsel leicht herausschälen liess. Er
zeigte mikroskopisch kleine Rnndzellen und losgelöste Gehimelemente.
Buhemann.
14) Tumour of brain« by Turner. (The Lancet. 1885. Vol. I. S. 844.)
Dr. Gharlewood Turner zeigte in der Pathological Society of London einen
Gehirntumor, der einem 15jährigen Mädchen angehörte. Dasselbe zeigte seit 2 Mo-
naten doppelseitige Amaurose, der eme doppelseitige Neuritis optica zu. Grunde lag,
femer schon etwas früher Erbrechen, Kopfschmerzen, Schmerzen in der linken KOrper-
seite. Beide Pupillen weit, schwach reagirend, Parese der linken Seite. Sensibilität
intact. Der Inteilect ungestört. Der Tod erfolgte in einem epüeptiformen Anfall,
dem linksseitige Facialisparalyse voranging. Die Section ergab einen weichen, sarco-
matösen Tumor, der den vierten Ventrikel ausflillte und von dort in*s Cerebellam
und die Medulla oblongata hineingewachsen war.
In derselben Versammlung zeigte Dr. Dyce Duckworth 2 Bundzellensarcome,
von denen das eine in der rechten Lunge, das andere im Corpus striatum der rechten
Hemisphäre sass; letzteres haselnussgross. Seit wenigen Monaten bestand linksseitige
Hemiplegie nach einem apoplectiformen Anfall. Buhemann.
16) Ueber die Kemig'sohe Flezionsoontraotor der Kniegelenke bei Gehim-
krankheiten, von Dr. Ed. Bull, Christiania. (Berliner klin. Wochenschrift
1885. Nr. 47.)
Daa von Dr. Kernig in Petersburg bekannt gegebene und diagnostisch wichtige
Symptom besteht bekanntlich dann, dass, wenn die Schenkel der Kranken in den
Hüftgelenken flectirt sind, die Kniegelenke wegen Contractur der Flexoren nicht
extendirt werden können, was sofort möglich wird, wenn die Hüftgelenke gestreckt
werden. Kernig fand das Symptom bei Meningitis, Gehirnblutungen, Thrombose des
Sinus transversus, Cardqom und Hyperämie des Gehirns. B. bestätigt das£ernig*Bche
Symptom für je einen Fall von Meningitis tuberculosa» Tumor cerebelli und Throm-
bose des Sinus transversus sinistr. Als gemeinsames Merkmal der betreffenden
Affecüonen glaubt er die Vermehrung des Himdrucks betonen zu sollen und giebt
für das Symptom folgende Erklärung: bei gleichzeitiger rechtwinkliger (nicht spitz*
winkliger 1) Beugung in Hüfte und Knie strammen sich die hinteren Schenkelmuskeln;
und bei einem Menschen mit einer Gehimkrankheit — Gehimdruck — wirkt dieses
Strammen als ein Reiz, um eine krampfhafte reflectorische Ck)ntractur der. Beuge-
muskeln hervorzurufen, welche Contractur sofort gelöst wird, sobald durch Extension
des Hüftgelenks das Strammen dieser Muskeln gehoben wird. Hadlich.
16) Ueber Tabes donalia mit erhaltenem Patellarreflez, von Prof. Dr. L. Hirt
(Berl. KUn. Wochenschr. 1886. Nr. 10.)
Verf. berichtet über 3 Fälle von Tabes, in denen die Patellarrefleze durchaus
normal vorhanden waren.
In dem ersten handelte es sich um einen 57jährigen Former, der neben weit
verbreiteter cutaner Analgesie Gürtelgefühl, Ataxie, Bomberg*sches Zeichen und Enuresis
gezeigt hatte und an einer doppelseitigen Pneumonie zu Grunde ging. Die Krankheit
hatte 8 Jahre bestanden. Die Section ergab graue Verfärbung und Atrophie der
Hinterstränge, auch im Uebergang aus Brust- und Lendenmark und in dem letzteren.
Genauere Untersuchung steht noch aus (cf. diese Nummer S. 143).
— 137 —
Der zweite« und dritte Fall betrifft eine 46jährige FraUi die seit 15 Jahren
krank, und einen (?) alten Mann, dessen Krankheit vor 6 Jahren begann. In beiden
Fallen waren bei normalen Patellarreflezen die ausgesprochenen Zeichen der Tabes
vorhanden. Beide leben noch.
In einem vierten Falle von Tabes war der Patellarreilex auf der einen Seite
erhalten, während er auf der andern schon seit l^/, Jahren yerschwunden war.
M.
Psychiatrie.
17) Chronischer Chloralmlasbrauch, von Dr. Böhm. (Arch. f. Psych. XVII. 1.)
So lange das Ohloral bekannt, so alt ist fast auch die Eenntniss der schädlichen
Folgen des chronischen Missbrauchs, wie der individuellen Intoleranz Einzelner gegen
selbst kleine Dosen des Narcoticums. B. giebt zunächst eine genaue Zusammenstellung
der reichhaltigen einschlägigen Literatur, an die er dann die in der Blankenburger
Heilanstalt gemachten Erfahrungen anreiht.
In vielen Fällen bewirkt das Ghloral gerade eine Steigerung der Symptome,
gegen welche es verordnet, während die energische Entziehung des Mittels nachher
das ursprüngliche Leiden günstig beeinflusst. Auch gegen einfache Schlaflosigkeit
versagt es leicht den Dienst, die Patienten werden deprimirt, apathisch, klagen, dass
sie stets nur beunruhigenden Halbschlummer ohne StSJrkung erzielten. Um eine Ge-
wöhnung des Gehirns an Chloral zu verhüten, empfiehlt es sich, den Gebrauch öfters
auszusetzen und ein anderes Schlafmittel zu substituiren. Ein Beizmittel, wie das
Morphium für den Morphiophagen, bietet das Chloral übrigens dem Körper nicht.
Die schädlichen Wirkungen des Chlorals bestehen zunächst in den vasoparalytischen
Störungen, den Hauterkrankungen und den Entzündungen der Schleimhäute.
Trotz wachsender Gefrässigkeit magern die Kranken ab, es kommen Harnver-
haltung und auch epileptiforme Krämpfe vor, besonders ist aber die zerstörende
Wirkung des Chloralmissbrauchs auf die geistigen Fähigkeiten hervorzuheben und die
Trübung der Stimmung.
Die physiologische Wirkung des Chlorals besteht in der Lähmung der vaso-
motorischen Centren, entweder durch Chloroformbildung oder durch die Wirkung des
Chlors. Die Temperaturherabsetzung beruht auf verminderter Wärmebildung.
Genauere Temperaturangaben fehlen übrigens den mitgetheilten Krankenge-
schichten. Zander.
18) Zur KenntniBB der HorphiumpayohOBen, von H. Smidt. (Arch. f. Psych.
Bd. XVn. H. I.)
Yerf. bespricht an der Hand vier detaillirter Krankengeschichten die auf der
Höhe der Morphiumintoxication wie während der Entziehung vorkommenden psychischen
Störungen. In allen Beobachtungen spielen die Delirien die Hauptrolle, welche stets
bei wesentlicher Beschränkung des Morphiums auftreten, es sind Inanitionssymptome,
welche begünstigt werden durch die in allen Entziehungskuren wiederkehrende Angst,
die sich oft mit vasomotorischen Erscheinungen verbindet, durch die allgemeine Be-
nommenheit und durch Accommodationsstörungen, die namentlich bei rascheren Ent-
ziehungen nie fehlen; damit vergesellschaften sich Sensibilitätsstörungen und ebenso
regelmässig bei jeder Entziehungskur sexuelle Delirien, welche aus dem wiederer-
wachenden Geschlechtstriebe entspringen.
In einem Falle des Verf. bildete sich ausserdem ein länger andauernder Ver-
folgungswahn aus, in einem anderen herrschten paralytische Symptome vor.
So grosse Aehnlichkeit die Morphiumpsychosen mit den alkoholischen haben,
die Prognose möchte Verf. bei den ersteren günstiger stellen. Aehnlich wie bei
— 138 —
Alkoholikern bildet sich bei manchen Morphinisten mit der Abnahme der gesammten
psychischen Fähigkeit ein gewisser moralischer Schwachsinn ans, doch, wie Verf.
richtig bemerkt, sind gar viele Morphinisten schon vorher moralisch defect gewesen.
Zum Schloss rühmt Yerf. die günstige Einwirkung kleinerer Dosen Cocain auf
die Hallucinationen. Zander.
19) Ueber die katatonisohen Ersoheinungen in der Paralyse. Vortrag von
Knecht (Allg. Ztschr. f. Psych. 1886. Bd. 42. S. 331.)
Wie der paralytische Himprocess unter jeder Form von Psychose neben den
ihm speciell zugehörigen Symptomen verlaufen kann, so wird auch das Bild der sog.
Katatonie bei Paralytischen beobachtet. K. unterscheidet zwei Gruppen dieser Kranken :
bei der einen verläuft die Krankheit monatelang unter den Erscheinungen des aus-
gesprochenen melancholischen Stupors, bis dann plötzlich eine rasch sich steigernde
Paralyse auftritt» welche das Leben der Kranken beendigt; die andere Gruppe zeigt
anfänglich die Symptome einer Paralyse, welche dann später von einer Katatonie
abgelöst wird, während deren Bestehens indess wiederholte paralytische Anfälle auf-
treten. Der Verlauf ist bei der letzteren Gruppe meist schleppend. Von den mit-
getheilten Krankengeschichten ist bei dem einen Fall der zweiten Gruppe die Diagnose
Paralyse zweifelhaft, bei den übrigen betont K. sehr richtig die Auffassung aller
Symptome als die eines einheitlichen Krankheitsprocesses. Siemens.
20) Epilepsie und Verrücktheit. Oastdatische Beiträge von Pericles Vejas.
(Arch. f. Psych. Bd. XVII. H. I.)
Vejas theilt 4 Fälle von Complication der Epilepsie mit Verrücktheit mit,
deren erste beide insofern eine gewisse Aehnlichkeit haben, als bei ihnen epileptische
Anfölle nach dem Ausbruch der Psychose nicht mehr zur Beobachtung kamen, nur
zeigte der zweite immer noch auraartige schwindelhafte Wallungen, doch konnte er
sich vor dem drohenden Anfalle durch Flüchten in den Schatten retten.
Im dritten Falle, einer stark hereditär belasteten Patientin, leitete sich, nach-
dem epileptische Anfälle schon lange bestanden, die Psychose als postepileptisches
Irresein ein, an welches sich einfache Melancholie mit starken Hallucinationen an-
schloss, letztere bildeten später die Haupterscheinungen, nach jedem epileptischen
Anfall in verstärkter Weise auftretend. Der vierte Fall betrifft ein von Jugend an
anormales Individuum, bei dem schon sehr früh Illusionen auftraten, nach statt-
gefundener Masturbation tritt der erste Anfall ein mit nachfolgenden Gesichtshallu-
cinationen. Später werden anfallsweise auftretende Erregungszustände mit folgender
Amnesie beobachtet, während Convulsionen in den letzten Jahren fehlten. Auffallend
ist die völlige Widerstandsunfahigkeit dieses Patienten auch gegen die kleinsten
Dosen Alkohol.
Bei allen 4 Patienten herrschen die Grössenideen auffallend vor.
Zander.
21) Two oases of melancholia, by Cl. Patton. (Joum. of ment. science. 1886. 1.)
P. bringt 2 Fälle von schworer Melancholie, die beide aus gleicher Ursache
hervorgingen, nämlicli in Folge eines beim Partus entstandenen ganz schweren Damm-
risses. Der erste Fall, bei dem auch tiefe Erosionen des Cervix bestanden, wurde
mit Arg. nitr. behandelt, wodurch eine lebensgefährliche Blutung entstand, die durch
Tamponade gestillt wurde. Hiemach auffallend schnelle Genesung. Der andere Fall
ging in Demenz über. Zander.
— 139 —
Therapie*
22) De remploi de Taloool soub forme de vin ou de biöre dans le traite-
ment des maladies mentales, par le Dr. Brosius.
In emem auf dem internationalen Fsychiatercongress am 7. Sept. 1885 gehal-
tenen Vortrage bespricht Verf. die therapeutischen Wirkungen des Alkohols bei
nervösen und psychischen Krankheiten und kommt zu den Schlflssen, dass 1. der
massige Gtonuss geistiger Qetränke an und für sich bei Psychosen und Nervenkrank-
heiten memals schädlich ist; dass 2. grössere Dosen (etwa ^/^ Liter Rhmnwein,
Sherry etc.) bei Aufregpuigszustanden verh<nissmftssig sichere Beruhigungs- und
selbst Schlafmittel darstellen; dass 3. bei allen Patienten mit Nahrungsverweigerung,
dann bei Dyspepsie und besonders auch bei Paralytikern der Alkohol als ein respi-
ratorisches Nahrungsmittel im Sinne von Hinz zu betrachten ist, und dass 4. alle
Entziehungscuren nach Morphinismus, Bromismus etc. zur Vermeidung von Collapsen
eine ausgiebige Anwendung geistiger Getränke erfordern.
In der Discussion wurde die Bezeichnung Alkohol dahin pr&cisirt, dass nur
Wein und Bier, nicht aber Branntweine etc. (wegen ihres Gehaltes an giftigem
Amylalkohol nach Magnan) benutzt werden dürften. Sommer.
23) Ueber die Dosirung galvanisoher Ströme in der Elektrotherapie, von
S. Th. Stein, Frankfurt a. M. (Berl. klin. Wochenschr. 1886. Nr. 4.)
Nach Darlegung der neueren, besonders von Erb angeregten Bestrebungen, die
genaue Angabe der in der Elektrotherapie angewendeten Stromstärken zu ermöglichen,
beschreibt St. zunächst ein von ihm hergestelltes constant bleibendes Trockenelement
Es ist ein Zink-Braunstein-Element, bei dem eine Mischung von Gelatine, Glycerin,
Salmiak und Salicylsäure verwendet wird. Es wird, wie beim Leclanch^«Elemente,
am Zink Zinkchlorid gebildet und Ammoniak; der gleichzeitig frei gewordene Wasser-
stoff ozydirt sich mit dem aus dem Braunstein abgegebenen Sauerstoff zu Wasser,
welches an SteUe des verdunsteten Wassers die Masse feucht erhält. Verf. spricht
diesem Elemente^ — der einmaligen Füllung — eine mehrjährige Daner und gleich-
massige Leistungsfähigkeit zu.
Die „Dosirung'' besteht nun darin, dass in Fällen, wo das Selbstelektrisiren der
Patienten nicht zu umgehen ist, dem Mechaniker vom Arzte eine Anweisung zur
Anfertigung eines Apparates von so und so viel Elementen und so und so grossen
Beophoren gegeben wird, welcher gerade diejenige Stromstärke hat, die der Patient
anwenden soll; er kann dann eben keine andere Stromstärke und Stromdichte be-
nutzen. Hadlich.
^) Ueber Oaxmabinon. Vortrag von Dr. Yo geigesang. (Allg. Ztschr. f. Psych.
1886. Bd. 42. S. 341.)
y. wandte das von Apotheker Bombeion dargestellte Cannabinon theils in den
Tabletten (mit Kaffeepulver vertheilt), theils subcutan (mit Ol. amygdalarum), meist
aber innerlich in der Formel Cannabinoni 3,0: Ol. olivar. 150,0 zu 0,15 bis 0,6
pro dosi an. Die subcutane Injection verursachte beträchtliche örtliche Beizerschei-
Düngen. Bei Geistesgesunden bewirkt schon 0,1 Schlaf mit angenehmen Empfin-
(iungen, bei Geisteskranken ist 0,3 die mittlere Dosis. Massige Erregungszustände
^^^ Hysterischen etc. sind die dankbarsten Substrate. Herzfehler contraindicirt das
Cannabinon (cf. Neurol. Centralbl. 1885. S. 21). Siemens.
^ S. Simon, in Firma R. Blänsdorf Nachfolger in Frankfurt a. M. fertigt die
%arate an.
— 140 —
Anstaltswesen.
26) Thirty-ninth report of the oommissioners in Lunaoy 1886 July. (Joum.
of ment. science. 1886. I.)
Aus dem letzten Rapport der Gommission für BnglaUd ist hervorzuheben, dass
seit dem 1. Januar 1884 bis 1. Januar 1885 die Zahl der Qeisteskranken in Eng-
land um 1176 zugenommen hatte, so dass sie 79704 betrug, und damit kam ebenso
wie im letzten Jahre auf 345 Einwohner 1 Kranker. Die Zunahme war also ent-
sprechend der Zunahme der Gesammtbevölkerung. Die Zahl der Aufnahmen betrag
5,27 auf 10000 Einwohner, insgesammt 14,512, die Zahl der Genesungen betrug
40,33 7o der Aufnahme. Die Zahl der Todesf&Ue betrug 5332 oder 9,51 ^j^, des
durchschnittlichen Fräsenzstandes. Selbstmordfalle sind nur 18 vorgekommen. Die
Autopsie wurde nur in ^9 7o der Todesfalle gemacht.
In Schottland gab es insgesammt 10,918 Kranke, die Zahl der Todesfalle be-
trug hier 7 ^o* li^ Schottland ist das System der familialen Verpflegung sehr aus-
gebildet, 1861 Patienten lebten in Frivatpflege, diese werden wenigstens einmal im
Jahre von einer Commission besucht, der Bericht spricht sich über die Besultate
günstig aus. Zander.
26) Some Points in Irish lunaoy law, by Conolly Normann. (Joum. of
meni science. 1886. I.)
Das irische Gesetz bestimmt fOtr die Aufnahme in die Irrenanstalt folgendes
Verfahren. Die Fersen soll vor zwei Bichter gebracht werden und wenn diese
überzeugt werden können, dass die Fersen geistige Krankheit verrathe und den
Vorsatz habe, irgend eines Vergehens sich schuldig zu machen, für welches sonst
eine Verurtheüung erfolgen müsste, so soll der nächste beste Medicinalbeamte her-
zugeholt werden, der dann nach einem Erankenexamen in einem Certificat den Be«
treffenden als einen gemeingeföhrlichen Irren bezeichnet und darauf soll die Auf-
nahme in die Anstalt auf die Verfügung der zwei Richter erfolgen. In der Anstalt
soll die Ferson bleiben und behandelt werden, ebenso wie ein aus dem Gefangniss
der Anstalt zugeführter Kranker, jedoch soll es gestattet sein, dass Freunde oder
Verwandte den Kranken unter ihre eigene Obhut zurücknehmen, wenn sie dem
Bichter genügende Bürgschaft für die Sicherheit des Kranken geben. — Dies Gesetz
ist nach des Verf. Meinung keine wesentliche Verbesserung des alten, nach welchem
die Bichter das Recht, einen gefahrlichen Geisteskranken ins Gefangniss zu senden,
hatten, denn auch jetzt geschieht die Aufnahme in die Anstalt meist so, dass Foli-
zisten den Kranken festnehmen und vor den Richter schleppen, vor dem dann die
Gremeingefahrlichkeit des Fat. beschworen wird und schliesslich wird Fat. durch
Folizisten der Anstalt zugeführt. Verf. tadelt das Verfahren der Aufnahme, wie
auch die Möglichkeit, den Kranken aus der Anstalt herausnehmen und seinen An-
gehörigen zurückgeben zu können, ohne dass die Aerzte der Anstalt bei beiden ein
Wort mitzureden haben. Zander.
in. Aus den Gesellschaften.
Society anatomique de Faris. Sitzung vom 8. Januar 1886.
Babinski demonstrirt Rückenmarks-Schnitte von einem Fall von oombinirter
Solerose. Es hatte Ataxie mit gesteigerten Sehneuphänomenen und Contracturen
an den unteren Extremitäten bestanden.
In der Höhe der Cerevicalanschwellung bestand eine sehr ausgesprochene
Sderose der Hinterstränge, der gekreuzten Fyramidenstränge , des Türck'schen
Stranges und der Kleinhimstränge. Das Türck^sche Bündel war nach oben weniger,
— 141 —
nach unten starker afficirt, bis in den Lumbaltheil Das mikroskopische Bild war
an den Hinterstrangen das einer sehr entwickelten Sderose mit Erhaltung einer
geringen Zahl von Nervenfasern; im Pjramidengebiete dagegen fand sich haupt-
sächlich eine grosse Zahl von Kömchenzellen ohne erheblichen Verlust von Ner-
Tenfasern.
Babinki stellt seinen Fall den analogen Fällen von Kahler und Pick an die
Seite und glanbt, dass die Erkrankung der Hinterstrange in seinem Falle anatomisch
selbb'tetändig ist gegenüber der Erkrankung der anderen Stränge des Rückenmarks.
Hadlich.
Society de Biologie de Paris. Sitasung vom 23. Januar 1886.
Bouz hat die Endigungen sympathischer Nerven im Oesophagus, Magen und
Darm der Crustaceen untersucht und überall an denselben Zellen mit zwei und
mehr Ausläufern gefunden, welche er aber alle als bipolare auffasst, weil stets ein
Ende als centrales, das andere als peripherisches anzusehen ist.. Zellen von T-Form,
vie Ranvier beschreibt, hat er nicht gesehen.
An einzelnen Stellen häufen sich die Zellen im Verlauf einer Faser an; wenn
der Znsammenhang jeder Zelle mit ihrer zugehörigen Faser nicht mehr zu erkennen
i«t, spricht B. von einem Ganglion. — An anderen als sympathischen Nerven hat
fi. diese Ganglienzellen niemals angetroffen, und aus diesem Grunde nimmt er mit
Entschiedenheit für einen kleinen vom ersten Ganglion thoracicum zum Pericardium
bei den Crustaceen verlaufenden Nerven — dessen sympathische Natur einzelne
Aotoren bestritten hatten — den Ursprung aus dem Sympathicus an.
Hadlich.
Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenkrankheiten. Sitzung
vom 8. März 1886.
Remak demonstrirt vor der Tagesordnung zunächst die von Erb in Nr. 1
dieses Jahrgangs zu elektrodiagnostischen Zwecken vorgeschlagene Nonnalelektrode
von 10 Dem Querschnitt In kreisrunder Form mit einem berechneten Durchmesser
von 3,5 cm, and im Anschluss daran behufs der neuerdings angestrebten exacteren
Stromdosirung auch zu therapeutischen Zwecken eine nach seiner Angabe von Hirsch«
mann verfertigte, für verschiedene Bedürfnisse im Decimalsystem abgestufte
Reihe nach Flächenmaassen (15 Dem, 20 Dem, 30 Dem, 40 Dem, 50 Dem)
graduirter und am Schaft entsprechend bezeichneter kreisrunder Elek-
trodenplatten, deren Durchmesser nach gehöriger Abrundung der berechneten
^Men 4,4 cm, 5 cm, 6 cm, 7 cm, 8 cm sein müssen. Die von Erb für die Normal-
elektrode vorgeschlagene Berechnung der absoluten Stromdichte durch Division
<i<)r in Milliamperes abgelesenen Stromstärke mittelst des Elektrodeninhalts ist bei
diesen Elektroden ebenfalls leicht thunlich. Beispielsweise giebt 1 Milliampere bei
Verwendung der Normalelektrode 0,1, bei Verwendung der 50 Dcm-Elektrode 0,02
Pointe Dichtigkeit. Zur Erzielung derselben Stromdichte erfordert die Elektrode
von 50 Dem eine 5mal grössere Anzahl von Milliamperes als die Normalelektrode.
Menfalls seien übersichtlichere Angaben möglich, als nach G. W. Müller mittelst
einfacher Brüche, in welchen die Milliamperezahl den Zähler, der berechnete Quer-
schnitt der beliebig oonstruirten Elektrode den Nenner abgiebt.
Bernhardt berichtet zunächst über einen 25jährigen Mann, welcher als
>»Mattirer" in einer Enopffabrik thätig durch seine vom Vortragenden ausführlich
erläuterte Beschäftigung sich eine SohnürungspareBe fast sämmtlioher Hiukelii
der Unken oberen Extremität zugezogen hatte. Nur der M. deltoides war ver-
schont Neben subjectiven Parästhesien in der Unken Hand und den Fingern
— 142 —
bestand eine aach objectiv nachweisbare bedeutende Sensibilitätsstörung am Ulnarrand
der linken Hand, in Folge der Einwirkung, welchen beim Proeess des Mattirens der
fein verstaubte und mit grosser Gewalt anschlagende feine Sand auf die Haut aus-
geübt hatte. — Der Vortragende erinnert an die Analogie dieses Falles mit den von
Brenner und ihm beschriebenen Armparesen nach polizeilichen Fesselungen.
Eine zweite Beobachtung betrifft einen Mann, der Jahre lang schwere Lasten
auf der linken Schulter getragen und nehm Schmerzen im Arm sich schliesslich eine
nur auf die Mm. supra- und infraspinati beschränkte atrophlsoho Lähmung zu-
gezogen hatte. Der Druck war auf den N. suprascapularis ausgeübt worden, ähnlich
wie Wiesner, Vortragender u. A. dies von isolirten Serratuslähmungen beschrieben
haben, welche durch Tragen von Lasten auf einer Schulter durch Druck auf den
N. thor. longus zu Stande gekommen waren.
Drittens bespricht der Vortragende zwei Fälle von peripherischer Facialifl-
lähmung, von denen der eine auf eine Otitis media, der andere wahrscheinlich auf
eine Schädelbasisfractur (nach Fall) zurückzuführen. — In beiden "Fällen bestand
zwar auch eine Betheiligung der Stim-Augenäste an der Lähmung, doch war dieselbe
so massig, dass sie bei oberflächlicherer Betrachtung hätte übersehen werden können.
Im Gegensatz zu den die schwere Form der Lähmung und EaR zeigenden Nasolabial-
ästen zeigten die Orbiculo-Frontaläste nur Mittelform, bezw. nur quantitative Herab-
setzung der elektrischen Erregbarkeit, ohne EaR. Der Vortragende stellt diesen
Befunden die in der Literatur schon verzeichnete Thatsache gegenüber, dass bei
Facialislähmungen offenbar centraler, durch Grosshimläsion bedingter Natur, öfter ein
Befallensein auch der Stim-Augenäste an der Lähmung verzeichnet sei.
In der Discussion bemerkt Mendel, dass man doch wohl die Facialis-
Lähmungen nicht einfach als centrale und peripherische unterscheiden sollte, sondern
genauer nach der Localität der Affection definiren. Es ist doch — nach Ausweis
pathologischer Beobachtungen — schon der Rindenursprung des Facialis für die
naso-labialen und für die orbiculo-frontalen Aeste ein getrennter. Liegt der die
Facialis-Lähmung bewirkende Herd vor der Vereinigung beider Aeste im Qrosshim, so
wird voraussichtlich nur je der obere oder untere Theil — erfahrungsmässig meist nur
der untere — der Facialisäste betroffen werden; bei centralen Affectionen hinter
dieser Stelle aber voraussichtlich der ganze Nerv. — Bei peripherischen Lähmungen
hat auch M. grosse Verschiedenheiten in der Ausdehnung der Lähmung im obern
und untern Facialis beobachtet.
Bernhardt bemerkt hiergegen, dass in dem Samm*schen Fall von grossem
Bluterguss im Stirnhirn der ganze Facialis, andererseits bei buibären Processen
nur ein Theil des Nerven gelähmt gefunden sei.
Mendel: Meine Bemerkung konnte sich natürlich nur auf relativ kleine Herd-
affectionen beziehen.
Bemak erörtert die Verschiedenheit peripherischer Facialis-Lähmnngen je nach
der Oertlichkeit der bedingenden Ursache, die bald den ganzen Stamm, bald nur
Theile desselben treffe. In Bezug auf die Radialislähmungen weist er darauf hin,
dass nicht nur Druck, sondern auch Zerrung des Nerven sie veranlassen könne,
wie ihm ein Fall bewiesen habe, in welchem ein Mann durch Fall lediglich auf den
Rücken der Hand und dadurch bedingte Dehnung des Radialis eine Lähmung dieses
Nerven bekommen habe.
Bernhardt bemerkt hierzu, dass er nicht von isolirten Lähmungen des Radialis,
sondern von einer solchen aller Armnerven gesprochen habe.
Westphal: Ueber swei Fälle von Tabes dorsalis mit erhaltenem
Kniephänomen. — Antopsie. — W. richtet schon seit langer Zeit besondere
Aufmerksamkeit darauf, genauer die Stelle des Hinterstrangs — im unteren Dorsal-
ond Beginn des Lcndentheils des Rückenmarks — zu ermitteln, an deren Erkrankung
— 143 —
das Verschivinden des Kniephäoomens geknttptt ist. Qeirisse F&Ue wiesen ihn darauf
bm, dass es nicht die inneren Theile der Hinterstränge sind, sondern die äusseren.
So fand er in einem Falle von Tabes, in welchem erst 2 Monate vor dem Tode das
Kniephänomen verschwand, die Degeneration in Form eines Streifens etwa in der
Mitte der Bordach^schen Stränge, dessen Entwickelung nach anssen hin sich fort-
setzte, so zwar, dass das hintere Ende der Degeneration sich nach aussen gegen
dio Snbstantia gelatinosa Bolandi hin wandte.
In einem anderen Falle bestand lange Zeit nur Amaurose neben Verschwinden
des Kniepbänomens, keine Ataxie. Bei der Autopsie war dieselbe Stelle, wie sie
eben beschrieben worden, afficirt, aber in etwas weiterer Ausdehnung nach anssen hin.
Bei einem Faüe von Degeneration der Hinterstränge, die klinisch nicht das
Bild der Tabes dargeboten, und wo intra vitam das Kniephänomen bis zum Tode
fortbestanden hatte, fand W. den degenerirten Streifen viel weniger nach aussen
entwickelt.
Neuerdings hat W. zwei weitere instmctive Fälle von Tabes beobachtet. Der
eine betraf einen 50jährigen Weber, dessen Erkrankung im Sommer 1882 begann,
und der im Juli 1883 bei seiner Aufnahme in die Charlte deutliche Ataxie neben
einer eigenthfimlichen Rigidität bei Abduction des Oberschenkels und bei schnellen
Beugungen im Kniegelenk zeigte, ausserdem deutliche Abnahme der motorischen
Kraft in den unteren Extremitäten, starke Sensibilitätsstörungen, Incontinenz etc.
Das Kniephänomen war deutlich vorhanden, wurde erst seit September 1883
schwächer und verlor sich erst im October. Die Section im Anfang 1884 ergab
wieder eine Aflfection im äusseren Theile der Hinterstränge, welche nach aussen hin
gerade bis an den Rand einer Zone reichte, welche W. als Wurzelzone der
Hinterstränge bezeichuen möchte, und welche an das Gebiet der Substantia gela-
tinosa Rolandi sich anschüesst Wenn man von dem nach der Medianspalte zu
gerichteten vorspringenden Winkel der Substantia gelatinosa eine der Medianlinie
parallele Linie nach hinten führt, so liegt diese „Wurzelzone" der Hinterstränge nach
aussen von dieser Linie; bis etwas über die Grenze dieser Wurzelzone fort, ein wenig
m die Zone hinein, ging im letzterwähnten Falle die Degeneration. Entsprechend
dem klinischen Bilde einer combinirten Affection zeigten sich ausserdem 1) die
Clarke^schen Säulen erkrankt, und zwar nicht nur die Nervenfasern geschwunden,
sondern auch die Zellen klein und geschrumpft; 2) Theile des Seitenstrangs.
Ein zweiter Fall war ganz ähnlich. Beginn der Tabes im Jahre 1882, Ataxie
mit motorischer Schwäche etc. Das Kniephänomen normal vorhanden bis zum
24. November 1884, am 17. Januar 1885 nur noch ganz schwach, am 23. Januar
gänzlich verschwunden, am 24. Januar Exitus letalis. Auch hier lag eine combinirte
Affection vor, Mitbetheiligung der Seitenstränge und der Clarke*schen Säulen, auch
hier reichte die graue Degeneration des änsseren Theils der Hinter-
stränge nach aussen eben noch bis in das Gebiet der „Wurzelzone''
hinein.
Leider ist diese Wurzelzone topographisch nicht genau zu begrenzen, da ja auch
weiter nach vom Wurzelfasem in die graue Substanz treten, jedenfalls ist es aber
wohl ein Theil der hinteren Wurzelfasem, um deren Affection es sich dabei handelt.
— Die Degeneration der RQckenmarkswurzeln selbst ist beim Verschwinden des Knie-
phänomens nicht das Wesentliche; denn wenn auch in dem einen der beiden ge-
nannten Fälle die hinteren Wurzeln des Lenden- und Dorsaltheils, und auch die
vorderen Wurzeln im unteren Theile des Dorsaltheils atrophisch waren (in dem
anderen Falle auch die peripherischen Nerven), so hat doch hiermit das WestphaFsche
Zeichen nichts zu thun, denn die (extramedullären) Bückenmarkswurzeln können bei
seinem Vorkommen ganz intact sein.
Dass in beiden beschriebenen Fällen combinirte Erkrankungen vorlagen, konnte
auffallen; W. hält dies indess nur für Zufall.
— 144 —
W. bemerkt dann noch, dass neuerdings die Franzosen (Dejerine^) bei den
combinirten Tabesformen die Erkrankung der Seitenstränge anders auffassen, als die
der Seitenstränge, nämlich als bedingt durch angrenzende meningitische Processe.
W. kann dies Letztere durchaus nicht bestätigen und glaubt^ diese Ansicht als eine
allgemein gültige widerlegt zu haben (Arch. f. Psych. XIV. 3); auch in den hier
beschriebenen beiden Fällen war die Pia fiber den Seitensträngen ganz zart Syatein-
erkrankungen der Seitenstränge liegen hier auch nicht vor, sondern die degenerirten
Stellen sind zum Theil ganz unregelmässig gelegen. In den beiden beschriebenen
Fällen war die Abnahme der motorischen Kraft auf die Affection der Seitenstränge
zu beziehen, und wohl auch die eigenthflmlicben Erscheinungen von Rigidität bei dem
ersten Kranken, analog den Erscheinungen bei der spastischen Lateralsclerose.
Die Discussion wird vertagt. H ad lieh.
IV. Vermischtes.
Am Montag den 1. März stand die Lunacy Acts Amendment Bill vor dem Oberhause
in London zur zweiten Lesung.
Der Lordkanzler meinte, dass die Bestimmung, dass Jemand einen Dritten als Geistes-
kranken auf Qrond des Attestes zweier Aerzte in eine Iirenanstalt einsperren lassen konnte,
in der Meinung des Publikums sehr „gesunken" sei. Die Macht wäre ja — das müsse er zur
Ehre des ärztlichen Standes sagen — sehr wenig gemissbraucht worden, aber der mögliche
Missbraucb, der damit getrieben werden könne, fordere eine Aenderung. Nach dem vor-
liegenden Oesetzentwnrf dfirfe die Freiheitsberaubung erst eintreten, nachdem auf Verlangen
der Angehörigen oder anderer zuständiger Personen eine richterUohe Untersuchung &tatt|^e-
fanden. Nur in dringenden Fällen sei eine Ausnahme gestattet; dann müsse binnen 7 Tagen
der richterliche Befehl nachgeholt, oder der angeblich Kranke entlassen werden. Ein richter-
licher Befehl sollte fUr S Jahre Gültigkeit haben, dann müsnte neue Untersuchung oder Ent-
lassung stattfinden. Das Verhältniss der Privatanstalten hält der Lordkanzler so lange für
nicht zufriedenstellend, als die Besitzer derselben ein pecuniäres Interesse babra; da er
jedoch eine augenblickliche oder zu bestimmter Frist fcsteosetzte Unterdrückung der Privat-
anstalten für nicht opportun hält» schlägt die Bill vor, dass neue Concessionen für
Privatanstalten nicht gegeben werden sollen, und die bestehenden nicht
erweitert werden dürfen. Dadurch würden die öffentlichen Anstalten wachsen und die
Privatanstalten allmählich verschwinden.
Die Stimmung für das Gesetz war im Oberhause sehr günstig; Einzelne, z. B. Lord
Coleridge, riethen, in Bezog auf die Beseitigung der Privatanstalten weiter zu gehen,
Lord Rsher fand 3 Jahre zu lang als Dauer für den richterlichen Befehl.
Dem Interesse der Kranken wird sicher durch diese beabsichtigte Erschwerung der Anf-
nahme in die Anstalt nidit gedient; geschädigt wu*d geradezu eine Anzahl frischer heilbarer
Fälle durch das Dazwischentreten von allerhand Formalitäten, gerichtliche Proceduren etc.
vor Au&idime in die Anstalt. Aber es ist das alte auf falschen Vorstellungen über Geistes-
krankheiten beruhende Misstrauen gegen die Irrenanstalten. Obwohl eine Parlamentscou-
mission in England trotz der grössten Mühe, die sie sich gegeben, erst neaerdings keinen
einzigen Fall von widerrechtlicher Freiheitsberaubung hat finden können, könnte doch ein-
mal so etwas passiren, sagt der Lordkanzler. Geben sich 2 Acr/.te, die das Attest ausstellen,
und der Director der Irrenanstalt zu einem schweren Verbrechen (abgesehen von den Ver-
wandten) her, so ist nicht einzusehen, warum nicht auch gelegentlicn einmal der Richter ein
Verbrecher sein kann, der die Aufnahme eines Gesunden in eine Irrenanstalt verfügt. Dass der
letztere sich aber leichter bona fide in Bezug auf Geisteskrankheit irren kann, als jene ärzt-
lichen Sachverständigen, dürfte, abgesehen von Jenen, die mit ihrem „sogenannten gesunden
Menschenverstand'* über schwierige Fragen der Wissenschaft hinwegkommen, wohl Jeder-
mann einsehen. Was die Privatirrenanstalten anbetrifft, so lässt sich eine „Verstaatlichung"
derselben wohl discutiren, aber mit Recht bemerkt das British med. Journal, dass in dieser
Weise die Privatanstalten zu verdächtigen und sie allmählich hinzuschlachten nicht d»T
beste Weg ist, um denselben gute Aerzte, so lange sie bestehen, zu erhalten. M.
> S. dieses Centralbl. 1885. Nr. 2. Ref.
Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prot Dr. £. Mendel,
Berlin, NW. Kronprinzen -Ufer 7.
Verlag von Veit & Comp, in Leipzig. — Druck von Metzosu & Wittio in Leipzig.
Ieürologisches Centr alblah.
Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie^ Physiologie, Pathologie
und Therapie des Nervensystemes einschliesslich der Geisteskrankheiten.
Herausgegeben von
Professor Dr. E. Mendel
Ffliifter ■" ^^ Jahrgang.
Monatlich erscheinen zwei Nammem. Preis des Jahrganges 16 Mark. Zu beziehen durch
alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Beichs, sowie
direct von der Verlagsbuchhandlung.
1886. 1. AprU. M 7.
Inhalt. Orlginalmtttheilungen. 1. Bemerkungen ober die Struktur der Gaogli«*nzelien»
ron Prof. Dr. Max Flesch und stud. med. H. Koneff. 2. Ein Fall von totale? Degeneration
eines Hirnschenkelfnsses, von G. Rossolymo. 8. Weitere Bemerkungen über den aufsteigenden
&ntero- lateralen Strang, von W. R. Qowers. 4. Ein Fall von Ponstuberkel, von Dr. L Bnins.
II. Referate. Anatomie. 1. Ursprung u. centraler Verlauf des N. acusticus beim Kanin-
cheo, von Baginsky. 2. Zur Eenntniss der Nervenendigung in den quergestreiften Muskeln
des Menschen, von Flesch. -—Experimentelle Physiologie. 3. Die centralen Organe
für das Sehen u. Hören bei den Wirbelthieren, von Munk. 4. Effect of seotiona of the spinal
eord upon the ezcretion of carbonic acid, by Ott. — Pathologische Anatomie. 5. Note
relative a Tatropbie unilaterale de la colonne de Clarke observ^ chez un jeune chat etc.,
pv Loewenthal. — Pathologie des Nervensystems. 6. Deuz nouvcauz cas de scl^se
laterale amyotrophique suivis d'autopsie, par Charcot et Marie. 7. Amyotrophische Lateral-
sclerose, von Sachs. 8. Note sur rexistenoe de l'ovarie dans la chor^e de Sydenham, par
■arie. 9. Znsammenhang zwischen Chorea minor mit Gelenkrheumatismus u. Endocarditis,
YOD Prior. 10. Chorea and Epilepsy, by Hawkins. 11. A note on so-called lead-neuritis, by
ieaffreson. 12. Vei^ftung der Pferde durch Blei, von Schmidt. 18. Eine bestimmte Form
der primären combinirten Systemerkrankung des Bückenmarks, von Strilmpelt. — Psychia-
trie. 14. Da poids compar^ du cerveau et du cervelet dans la d^mence paralytique, par
Baillarger. 15. Note sur un cas de sommeil d'une dur^ de trois mois, par Camuset et Pfands.
— Therapie. 16. La corea ed il suo trattamento col cnraro, per Ventra. 17. The influence
of treatment of chorea, with snecial relation to the füll use of arsenic and its results, by
Cheadle. 18. De la curabilit^ ae la sclärose en plaques, par Cafsaras. 19. Tetanus trau-
maticuB, von BercUian. — Anstaltswesen. 20. Quarte eensimento dei pazzi ricoverati nei
diversi manioomj ed ospitali dltalia, per Verga.
III. Aus den Gesellschaften. — IV. Bibliographie.
I. Originalmittheilungen.
1. Bemerkungen über die Struktur der Ganglienzellen.
Von Prof. Dr. lEax Fleaoh und stud. med. H. Koneff in Bern.
(Ans dem anatomischen Institut der Thierarzneischule in Bern.)
In einem vor einigen Monaten erschienenen, uns durch Zufall erst jetzt
bekannt gewordenen Aufsatze Ton Dr. Fbitz Kbeyssio ^ werden Beobachtungen
^ F. Kbbtssiq, üeber Beschaffenheit des Rückenmarks bei Kaninchen und Hunden
nach Phoephor- nnd ArBenik-Vergiftongen, nebst üntersachnngen über die normale Struktur
desselben. VirchoVs Archiv. Bd. 102. S. 286.
- 146 -
über das Verhalten der Nervenzellen des Rückenmarkes mitgetheilt, welche in
mehrfacher Hinsicht an Befunde sich anschliessen, die wir gelegentlich einer
Untersuchung über die Zellen der peripherischen Ganglien feststellen konnten.^
Indem wir die ausfuhrliche Mittheilung der von uns erzielten Resultate der in
Abschluss befindlichen Arbeit von Frln. Koneff vorbehalten, werden wir in
den folgenden Zeilen einige Einzelheiten berühren, welche geeignet sein dürften,
die Angaben von Dr. Ebeyssio zu vervollständigen.
An den peripherischen Granglien — untersucht haben wir Spinalganglien und
das Ganglion Gasseri — finden sich überall dieselben Verschiedenheiten in der
Tinctionsfahigkeit der Zellen, wie die von Ebeyssig am Rückenmarke beschrie-
benen. In etwas geringerem Grade lassen sie sich auch an den Ganglien des
Sympathicus constatiren. Schon am ganz frischen Präparat (Zerzupfung in Koch-
salz oder Schnitte mittelst des Gefhermikrotomes) lassen die Zellen eine Verschie-
denheit ihrer Granulirung wahrnehmen. Die Ungleichheit der Färbung ist in den
Spinalganglien mit Verschiedenheiten im Aussehen der Kerne verbunden, welche
am Sympathicus und im Rückenmarke nur zum Theil wahrnehmbar sind. Auch
an Präparaten, welche in S^o Salpetersäure erhärtet wurden (Einlegen in Sal-
petersäure IV2 Stunden, danach Extraction in 70 7o Alkohol bis zu neutraler
Reaction), sind jene Unterschiede nachzuweisen. Beide Zellformen lassen sich
auch nach Behandlung mit Osmiumsäure im frischen Zustande leicht unter-
scheiden. Sonach müssen wir annehmen, dass die Ungleichheit der Tinctions-
fahigkeit der Zellen auf Struktur-Verschiedenheiten derselben beruhe. Der Ein-
fluss, welchen die Härtung, die Zeit nach dem Tode u. a. m. auf jenes Ver-
halten ausüben, wird in der Arbeit von Frl. Koneff behandelt werden. Die
Beobachtung von Kkeyssig, dass bei allmählicher Härtung der aus Mülleb'-
scher Lösung stammenden Präparate von Kaninchen in Alkohol die Unterschiede
fast unmerklich werden,* ist nicht im entgegengesetzten Sinne zu gebrauchen;
auch besteht ein Widerspruch der eigenen Wahrnehmungen Kbbyssio's insofern,
als an einer anderen Stelle' bezüglich des allmählich gehärteten Rückenmarkes
vom Hunde mitgetheilt wird, dass „die Ganglienzellen dieselben Verschieden-
heiten in dem Verhalten gegen Färbungsmittel, dieselben Lagen und Grössenver-
hältnisse wie am Kaninchenrückenmarke zeigten.^' Da unsere eigenen Vergleichs-
präparate vom centralen Nervensystem keinen Grund erkennen lassen, an eine
Verschiedenheit bezüglich der Tinctionsverhältnisse hier und in den peripherischen
Ganglien zu denken, so glauben wir unsere Befunde mit jenen Kbkyssig's zu-
sammenstellen zu dürfen.
, Kbeyssig bespricht ferner das Vorkommen von Vacuolen in den Zellen
normaler Präparate. Wir haben dasselbe gleichfalls sowohl in den peripherischen
Ganglien, als im Rückenmarke verfolgt. Sehr selten ist das Vorkommen einer
' Kurze Notizen über die verschiedene Tinctionsfahigkeit der Zellen in peripherischen
Ganglien finden sich in Mittheilnngen von Prof. Flbsch in den Tageblättern der Katar-
forscher-Versammlnngen zu Magdeburg (S. 196) und Strassburg (S. 412).
« 1. c. S. 290.
• 1. c. S. 293.
— 147 —
einzigen centralen Yacaole; meist treten dieselben in grösserer Zahl in dem
Bandtheile der Zellen auf. Ihre Entstehung ist nach unseren mit jenen Ebetssio's
Qbereinstinmiendeii Wahrnehmungen eine Leichen -Erscheinung, sie findet aller-
dings bei manchen Thieren besonders günstige Vorbedingungen in der Struktur
des Zell-Protoplasmas. Am Ganglion Gasseri wie an Spinalganglien des Ochsen
Qjid des Kalbes haben wir sie weitaus besser als irgend anderswo gesehen. An
ganz frischen Objecten sind Yacuolen selten zu sehen. Ihr Auftreten und Gon-
flniren fuhrt schliesslich dazu, dass die Zelle, statt ihre Kapsel auszufüllen, frei
in derselben von einem Hohlraum umgeben zu liegen scheint Ein schmaler
^>aum der Zellsubstanz bleibt, wenigstens bei den peripherischen Ganglien an der
Kapsel anliegend erhalten; unter günstigen Bedingungen kann sich nachtraglich
auch dieser Saum ablösen, so dass man Bilder erhält, in welchen eine vom
Körper der Zelle durch Yacuolen getrennte, nur durch fein granulirte Brücken
(die Fortsatze der Zelle zur Kapsel darstellend) mit ersterem zusammenhängende
Membran innerhalb der Epithelkapsel zu existiren scheint. Am Rückenmarke
haben wir diese Art der Entstehung eines pericellularen Raumes durch Yacuolen-
bildung am schönsten an Präparaten, die einem 3 Monate alten Bären ent-
stammten, gesehen.
2. Ein Fall totaler Degeneration eines Himschenkelfusses.
Von Q. Bossolymo, Assistent der Nervenklinik an der Uniyersität Moskau.
Natalie F., Bauernfrau, 86 Jahre alt, befand sich zur Zeit der Aufnahme
in die Nervenabtheilung des Alt-Gatharinaschen Krankenhauses den 14. Juli
1B82 in einem Zustande umnebelten Bewusstseins mit Aphasie und totaler
Lähmung der rechten Eörperhälffce.
Den 12. Jnli wurde sie in gänzlich bewusstlosem Zustande auf der Diele
liegend gefunden. Die Untersuchung ergab: pigmentirte Hautnarben, Hyper-
plasie der Hals- und Inguinaldrüsen , ein Abscess in dem vorderen Theile des
Labium maj. sinist. Das Bewusstsein bleibt benommen, vollständige Aphasie;
gänzliche Paralyse beider Oberextremitäten und Paresis des rechten Facialis;
Schluckvermögen intact, Gemeingefühl und Sensibilität normal, Pupillen erweitert,
Temperatur 38® C, Puls 48, aussetzend, systolisches Spitzengerausch. Ander-
weitiges nicht constatirt
Diagnose: Embolie der Arteria fossae Sylvii; Affectio cordis; Lues. —
Im Erankenhause klareres Bewusstsein; nach 3 Wochen Anfange willkür-
licher Bew^ungen; dabei jedoch Fressgier und Incontinentia urinae et alvi. —
Während der ganzen Zeit im Erankenhause wurden folgende Schwankungen im
Kiankheitsznstande beobachtet; die Aphasie blieb unverändert ausser den Lauten:
»ta", „ta" und zuweilen den Namen „Iwan" und „Natalie" konnte die Kranke
Mchts hervorbringen. Worttaubheit bestand nicht Zu der Lahmung der
^teren Extremitäten gesellten sich späterhin starke Contracturen bei deutlich
— 148 —
erhöhten Sehnen- und Enochenreflexen. In den Gelenken der gelähmten Ex-
tremitäten zeigten sich durch die Gontraoturen bedingt starke Schmerzen. Der
Tod erfolgte nach einem Jahre und vier Monaten in Folge chronischer Lungen-
entzündung.
Die Autopsie ergab: serös-fibrinöse Lungenfellentzondung; caseoee ulcerirende
Entzündung der ganzen rechten Lunge, Endocarditis valvulae mitralis recurrens,
infarctus lienis et renum.
Die detaillirte Untersuchung des Centralnerrensystems wurde durch die
Güte des Herrn CoUegen Dr. Wladimib Roth mir überlassen und ergab Fol-
gendes: Die rechte Hemisphäre war normal, die linke jedoch zeigte eine be-
deutende, die beiden Gentralwindungen umfassende Atrophie und hatte die Form
eines Gänseeies mit der Spitze nach vom gekehrt und war mit den Gehirnhäuten
eng verwachsen. Eine geringere Atrophie erwies die erste Schläfenwindung in
ihrer vorderen Hälfte. — An der Gehimbasis konnte als Ausdruck einer Atro-
phie des linken Hirnschenkels der Brücke und der linken Pyramide eine geringe
Asymmetrie bemerkt werden. Die FLECHSia'schen Durchschnitte der linken
Hemisphäre zeigten gänzliche Zerstörung mit caseoser Umwandlung des linken
Stimhimes mit Ausnahme eines geringen Streifens der Insula Beilii; gänzlicher
Schwund der Capsula interna mit Ausnahme einer ganz geringen Stelle ihres
hinteren, an die Sehhügel grenzenden Theiles; gleichfalls gänzlicher Schwund
des Nucleus caudatus, des Linsenkernes und des Glaustrum; Degeneration des
vorderen grösseren Theiles der Sehhügel, der tiefen Schichten der äusseren
Hälfte des Hinterhaupttheiles. — Es blieben also bloss verschont die oberfläch-
lichen Schichten der hinteren Hälfte des Scheitellappens und Schläfenlappens
(besonders letzterer), wie gleichfalls der ganze Hinterhauptlappen sammt dem
hinteren geraden Faserbündel Meynebt's, mit Ausnahme der mehr nach vorn
liegenden Faserzüge weisser Substanz, welche einige Erweichung zeigten. Auf
Querschnitten durch die Himschenkel konnte schon mit blossem Auge und durch
die Lupe eine Asymmetrie bemerkt werden, wobei die linke Seite, hauptsächlich
an der Basis, aber auch in der Substantia nigra Sömmeringii kleiner an Um-
fang erschien. Uebrigens war auch der obere Theil des linken Himschenkels
geringer als der rechte. Die mit Pikrocarmin geerbten Schnitte und noch
besser die nach Weigebt mit Hämatoxylin bearbeiteten Präparate zeigten be-
deutenden Schwund der linken Himschenkelbasis, bedeutende Degeneration der
hier verlaufenden Fasern, weniger ausgesprochen in geringem Umfange in dem
äussersten Winkel des Durchschnittes; einige Yerschmälerung liiücerseits der
Substantia Sömmeringii, schliesslich eine Verkleinerung der Durchschnittsfläche
des Tegmentum. —
Die Untersuchung der Präparate bei bedeutenderer Yergrösserung zeigte^
dass von der ganzen Anzahl der Myelinfasem, welche die Basis des Himschenkels
durchziehen, nur geringe Ueberreste zu sehen waren in dem bezeichneten kleinen
Theil des äusseren Drittels und noch in geringerer Quantität in dem inneren
Theile des inneren Winkels, wobei auch die übri^ gebUebenen Fasern nicht
normal erschienen.
— 149 —
In der mittleren Schicht deis Himschenkels in der grauen Substantia Sonune-
lingii konnten folgende Veränderungen oonstatirt werden: unregelmässige Zu-
sammenhäufong theils zerstörter Nervenzellen und ebenso veränderte Nerven-
fasemetze. In der oberen Schicht des Himschenkels konnte andererseits weder
in den Nervenfasern, noch in den Kernen irgend eine Yeränderang bemerkt
werden. —
Die pathologische Veränderung in der Brücke (von der nur aus dem mitt-
leren Theil Schnitte gemacht wurden) besdiränkten sich ausschliesslich auf De-
generation der Fyramidenbahnen der linken Seite; alle übiigen Elemente waren
durchaus normal.
Der Befund im Bückenmarke war der einer ganz gewöhnlichen Degenera-
tion der Pyramidenbahn linkerseits. —
So hatten wir es denn mit einer ausgebreiteten enibolischen Erweichung
des linken Stimlappens, der grösseren Hälfte des Scheiteltheils des Schläfen-
lappens und eines kleineren Abschnittes des Hinterhaupüappens zu thun, und
als Folgeerscheinung eine secundäre Degeneration in der Hirnschenkelbasis, nicht
nur in dem mittleren und inneren, sondern auch in dem äusseren Abschnitte
1. Degenerirter Hirnschenkelfoss.
i ,^K^^J3p^^^ r^ 3r% ^' Faserbfindel im äusseren Drittel des Himsohenkel-
/
3. Substantia nigra Sömmeringii.
derselben; weiter nach unten war die Degeneration in den classischen Bahnen
verbreitet — die Brücke hindurch und den Pyramidenfasem entlang durch den
linken Turck'schen und durch den rechten Seitenstrang verlaufend. — Das
Hauptinteresse des Falles liegt in dem Umstand, dass die absteigende Degenera-
tion die ganze Basis des Himschenkels umfasste.
Bisher wurden ausser den gewöhnlichen Fällen absteigender Degeneration
wohl auch solche beobachtet, wo der Process auch das iimere Drittel umfasste.
Der Meinung Bbissaud's^ folgend, wurde dieses in Zusanmienhang ge-
bracht mit der Läsion des Vordertheils der Capsula interna. Nur in der aller-
letzten Zeit erschien in der russischen Literatur eine Mittheilung von Bechterew^
eines Falles, wo bei fast gänzlicher Zerstörung einer Hemisphäre absteigende
Degeneration der ganzen Basis des gleichseitigen Himschenkels beobachtet wurde,
nnd ein anderer Fall,^ wo bei Zerstömng des Scheiteltheils, des Schläfenlappens
and des Hinterhauptlappens Atrophie der äusseren Hälfte der Himschenkelbasis
gefunden wurde.
^ Bbissaüb, Faits pour servir ä rhistoiie des dog^n^ratJons secondaures dans le p^don-
cule cerebrale. Progr^s m^d. 1879. — Thöse de Paris 1880.
* Wiestnik Psychiatrii etc. 1885. 1.
' Bbchtbbew. Rnsskaja Medicina. 1886. 33.
— 150 —
Was unsere Beobachtnng betrifft, so ist sie nicht nur überhaupt als ein
seltener anatomischer Befund interessant, sondern hat auch einen besonderen
Werth in Hinsicht einer Aufklärung der Natur der das äussere Drittel des
Himschenkelfusses zusanunensetzenden Fasern.
Der Meinung vieler Autoren entgegen (Ghabcot und seiner Schuler) können
wir, auf unsere Beobachtung gestutzt, behaupten, dass das äussere Drittel der
Himschenkelbasis, wenn auch seltener, so doch in die absteigende Degeneration
mit hereingezogen wird, womit auch die Meinung der französischen Schule und
Meynebt's bestritten wü:d, wonach diesen Fasern sensible Function zugeschrieben
wird, was andererseits mit der Meinung Flbchsig's^ im Einklänge steht, wo-
nach hier Fasern aus dem Bündel Metnebt's verlaufen, welche in dem vorderen
Theile der Brücke enden.
3. Weitere Bemerkungen über den aufsteigenden
antero-lateralen Strang.
Von W. B. (Towers, M. D. in London.
Seit ich meine Bemerkungen über die antero-laterale aufisteigende Degene-
ration im Bückenmark im Neurologischen Centralblatt (1. März d. J.) veröffent-
lichte, habe ich ein Bückenmark eines Falles von Tabes dorsalis untersucht, in
welchem die Degeneration jenes Stranges sehr bestimmt durch das ganze Rücken-
mark zu verfolgen ist. Dadurch bin ich in den Stand gesetzt, meiner vorläufigen
Beschreibung zwei wichtige Thatsachen hinzuzufügen.
1. An dem obem Theile der Cervicalregion, in der Höhe des dritten Nerven-
paares, wo der Kleinhimstrang weiter vorwärts liegt, und wo der Pjramidenstrang
hinter demselben an die Obei^äche tritt, nimmt der antero-laterale aufsteigende
Strang dieselbe Lage ein, wie weiter unten, aber ausserdem erstreckt er sich
zwischen dem Kleinhirn- und Pyramidenstrang als ein sehr dünnes Band bei-
nahe bis an die Oberfläche des Bückenmarks.
2. In der Lumbarregion liegt der Strang gänzlich in dem Seitenstrang,
nach vom vom Pyramidenstrang. Er bildet ein breites Band in der Höhe der
hinteren Gommissur. Dies ist genau das, was wir zu erwarten hatten, wenn,
wie wahrscheinlich, seine Fasern durch die hintere Gommissur gehen, aus den
sensiblen Wurzeln der entgegengesetzten Hälfte des Bückenmarks.
In einem Falle aufsteigender Degeneration der Goll'schen Stränge, bei Er-
krankung der Cauda equina, konnte ich Degeneration des antero-lateralen auf-
steigenden Stranges nicht finden. Daher ist es wahrscheinlich, dass Nervenzellen
die sensibeln Wurzelfasem, deren Fortsetzung jener Strang ist, unterbrechen.
^ Zur Anatomid and Entwickelungsgeschichte der Leitangsbahoen im Grosshirn des
Menschen. Arch. f. Anat. n. Physiol. 1881. Anat. Abtblg.
— 151 —
4. Ein Fall von Ponstuberkel.
Von Dr. Ludwig Braus» Assistenzarzt.
(Aus der psychiatrischen und Nervenklinik zu Halle a./S.)
Arthur Glöckner, Büchsenmachersohn, 2^2 Jahre alt, poliklinisch beobachtet.
Anamnese: Mutter des Patienten im März 1885 an Lungenschwindsucht ver-
storben; eine Schwester leidet an Goxitis. Besondere Krankheiten in seiner frühesten
Jugend hat Patient nicht gehabt, namentlich auch niemals Krämpfe und hat mit
^2 Jahre schon gehen gelernt. Seit längerer Zeit besteht eitriger Ausfluss aus
beiden Ohren. Vor 5 — 6 Monaten bemerkte der Vater, dass das Kind links „schiele"
and zwar nach Innen. Dazu kamen Kopfschmerzen, die sich dadurch dokumentirten,
dass Patient sich häufig nach seinem Kopfe griff und weinte. Später trat dazu
lähmungsartige Schwäche des rechten Armes und Beines; Patient konnte nicht mehr
gehen. Genau weiss der Vater die Zeit des Auftretens dieser letzteren Ei^cheinungen
nicht anzugeben. Seit 4 Wochen besteht Contractur des rechten Armes, auch soll
dem Patienten in der letzten Zeit das Kauen beschwerlicher gefallen sein. Erbrechen,
Ohnmachts- oder Krampfanf&lle haben nie stattgefunden. In der letzten Zeit zu-
nehmende allgemeine körperliche Schwäche; auch habe der Kleine viel gehustet.
Status 13. August 1885.
Am Schädel keine Abnormität In der Buhe steht das rechte Auge in Mittel-
stellung, das linke Auge im inneren Winkel. Die Bewegung beider Augen nach links
hin ist sehr beschränkt, das Unke Aage bleibt bei solchen Versuchen unbeweglich
stehen, das rechte bewegt sich etwas dem inneren Winkel entgegen. Um nach links
zu sehen, dreht deshalb Patient den ganzen Kopf. Die übrigen Bewegungen der
Bolbi sind erhalten, nur ist die Wendung des rechten Auges auch nach rechts hin
nicht sehr ausgiebig. Die Pupillen sind gleich, mittelweit, reagiren auf Lichtreiz.
Ophthalmoskopisch: Beiderseits Stauungspapille, links noch etwas ausgeprägter
als rechts. Keine besondere Einschränkung des Gesichtsfeldes.
Beiderseits Tuberkulose des Mittelohres; mehrfache unregelmässig umrandete
Perforationen der Trommelfelle.
Im Gebiete der Faciales irgend eine Störung nicht zu constatiren. Die elek-
trische Erregbarkeit beiderseits normal. Auch Temporales und Masseteren contra-
lüren sich bei intramusculärer faradisoher Beizung rasch und kräftig; doch steht der
Mond des Patienten fortwährend offen. Im Gebiete der Trigemini besteht nur eine
auf die Conjunctiva und Cornea beider Augen beschränkte Herabsetzung der Tast-
empfindung, die übrigens nur links sehr deutlich ausgesprochen ist. Im Gesicht
werden Schmerzreize empfunden und gut locaUsirt. Im Hypoglossusgebiet nichts
Pathologisches nachzuweisen. Deutliche Schwäche der Hals- und Nackenmusculatur;
beim Aufrichten des Patienten fällt der Kopf sofort nach hinten über.
Obere Extremitäten: der rechte Arm im Schultergelenk adducirt, im Ellenbogen-
gelenk flectirt; der Unterarm pronirt, Hand- und Fingergelenke gebeugt. Die active
Beweglichkeit der rechten Oberextremität ist nicht ganz aufgehoben, aber fast bis zur
Lähmung erschwert. Passiven Beuge- und Streckversachen setzt dieselbe Widerstand
entgegen. Die Schmerzempfindung ist überall gut erhalten. Patient greift auch mit
dem linken Arme nach den gestochenen Stellen. Deutlicher Tricepsreflez, jedoch kein
Unterschied gegen links. Keine Atrophie, normale elektrische Erregbarkeit der
^enen und Muskeln. An der linken oberen Extremität ergiebt die Untersuchung
normalen Befund.
Untere Extremitäten: Im Liegen ist das rechte Bein in allen Grelenken gestreckt,
^^r Foss steht in Equinusstellung. Die Starre ist nicht so ausgesprochen, wie im
Anne, and wird nach längerer Bohe des Patienten geringer. Die Bewegungen des
— 152 —
rechten Beines sind alle noch erhalten, geschehen aber schlaff, wenig ausgiebig, wie
nach grosser Ermüdung. Auch hier besteht keine Sensibilit&tsstdnmg.
Patellarclonus rechterseits; während links der Unterschenkel beim Beklopfen der
Patellarsehne nur einmal gestreckt wird, treten rechts 3 bis 4 Streckungen auf.
Keine Atrophie. Normale elektrische Erregbarkeit der Nerven und Muskehi. Links
kein pathologischer Befund.
Steh- oder Glehversuche misslingen vollständig, da Patient sofort mit den Beinen
einknickt Die übrigen Organe, vor Allen auch die Lungen geben negativen Befund.
Die Sprache besteht nur in einem unverständlichen Lallen. Der Kranke lasst
Stuhl und Urin unter sich gehen. Während er sich bei der Untersuchung sehr
widerspenstig benimmt, fllllt er, wenn man ihn in Buhe lässt, sehr bald in einen
soporösen Zustand.
Es bestand also: Paralyse des linken Abduceus, Parese des
rechten Rectus internus, also ooordinirte Angenmuskellähmung
nach lin&s mit TJeberwiegen der Affection im linken Auge. Anäs-
thesie der Cornea und Gonjunctiva besonders links bei erhaltener
Schmerzempfindung im übrigen Gebiete der Trigemini. Schwäche
der Kau-, Hals- und Nackenmuskeln, Parese mit Gontractur und
erhöhten Sehnenreflexen der rechten Extremitäten ohne Sensibili-
tätsstörungen, Kopfschmerzen, Sopor, allgemeine S|chwäche. Stau-
ungspapille. Beiderseits alte tuberculöse Mittelohrentzündung.
30. August 1885. Es wird beginnende Gontractur des linken Armes constatirt,
sonst Status idem. Dann verschwand der Patient einige Zeit ans der Beobachtung.
11. October 1885. Seit gestern Krämpfe. Der Täter beschreibt dieselben als
pleurothotonischer Natur. Gesicht und Extremitäten sollen an den Krämpfen nicht
theilnehmen.
Nachmittags-Temperatur 38,5, Puls 132. Augen wie früher, doch besteht jetzt
staubige Trübung beider Corneae. Alle vier Extremitäten sind jetzt contracturirt,
doch die rechten stärker als die linken.
Tiefes Goma. Beaction weder auf lautes Anrufen, noch auf Nadelstiche.
20. October 1885. Es wird constatirt, dass irgend welche Störungen in keinem
der Facialisgebiete bestehen. Die Bulbi stehen wie früher; zu irgend einer Bewe-
gung derselben ist Pat. nicht mehr zn bringen. Pat. ist heute nicht so comatös,
wie am 11. October, er reagirt jetzt auf Nadelstiche in die Beine und Anne mit
Weinen, zieht auch die unteren Extremitäten zurück. Sonst nichts Neues.
Am Thorax links hinten oben Dämpfung. Diarrhoe. Temp. 38,8. Puls 144.
Besp. 30: Cheyne-Stoke*schen Charakters.
24. October 1885 Status idem.
28. October 1885 Morgens 2 Uhr Tod.
Im Verlaufe der Beobachtung ist also hinzugetreten: Paresen und Gon-
tractur der linken Extremitäten, dagegen haben sich anderweitige
deutliche Sensibilitätsstörungen nie constatiren lassen. Allerdings
konnte der Natur des Falles nach immer nur die Schmerzempfindung gepr^
werden. Ebenso ist bis zum Tode die Intactheit der Faciales constatirt. Ton
Allgemeinerscheinungen einmal Krämpfe, die allerdings nur vom Vater beschrieben
sind. Beginnende neuropandytische Keratitis; femer wurde eine Infiltration der
linken Lungenspitze und fieberhafte Temperatursteigerungen constatirt
(Schlass folgt.)
— 153 —
II. Referate.
Anatomie.
1) üeber den Ursprung and den centralen Verlauf des Nerv, aoustlous
des Kaninchen, von Dr. B. Baginsky. (Sitzungsbericht der kgl. preoss.
Akad. der Wissensch. 1886. 25. Febr.)
Bei 3 Kaninchen, denen das rechtsseitige Gehörorgan von der Schädelbasis aus
dicht am Kieferwinkel zerstört worden war^ und die nach 7 — 8 Wochen getödtet
worden waren, ergab sich Folgendes:
Vordere Acusticuswurzel intact, hintere fast völlig atrophisch. Aeusserer Acus-
ticnskem intact^ am inneren rechts geringer Schwund der den Kern durchsetzenden
Nerrenfasem; vorderer Acusticuskem rechts fast ganz atrophisch. Femer Faser-
schwund in dem Fasemetz, das medialwärts von der inneren Abtheüung des Klein-
hirnstiels zur Baphe geht. Auch am Corpus trapezoides und der oberen Olive ein
massiger Faserschwund.
Femer: Schwund von Fasem der untern Schleife auf der linken, Atrophie
im Brach, conjunct. post. und im hinteren Vierhügel, dann im Corp. geniculat. int.
Die anatomische Bahn der hinteren Acusticuswurzel würde also sein: Schnecke,
Tuberculum laterale und vorderer Acusticuskem der gleichen Seite; von da der
Haupt faserzug (ein Nebenfaserzug durch das Corp. trapezoides zur oberen Olive
der gleichen Seite) durch die untere Schleife der entgegengesetzten Seite
ZQ dem hinteren Vierhügel, von da durch Brach, conj. post. zum Corp.
geniculat. intern. Kreuzung findet in Medulla oblongata oder im Pons statt, und
ist vollständig.
Nach V. Monakow atrophirt nach Exstirpation des Schläfenlappens das Corp.
?enicul. int.; dadurch ist dann auch das letzte centrale Ende des Acusticus gegeben.
Danach würden hintere Vierhügel und Corp. genicul. intemum dieselbe Bedeutung
für das Hören, wie vordere Vierhügel und Corp. genicul. ext. für das Sehen haben.
M.
2) Zur KenntnisB der Nervenendigung in den quergestreiften Muskeln des
Menschen, von Prof. Dr. Max Flesch, Bem. (Sep.-Abdr. 1885.)
Die Untersuchungen des Verf. wurden an den Augenmuskeln eines Hingerichteten^
etwa 1^/2 Stunden nach der Execution, angestellt und zwar ausschliesslich mit Be-
nutzung der Goldfärbung — ^^ ^/o Goldchloridlösung — und Einlegung in Glycenn.
Hauptsächlich studirte Verf. an Querschnitten der Muskelfasern.
Nachdem F. die Anordnung der feinsten Nervenfasem, ihren die Muskelfasern
umschliessenden Endplexus geschildert, und wie die letzten Fasem einzeln an die
Muskelendplatten — Endhügel — herantreten, beschreibt er diese letzteren. Eine
fein granulirte kemreiche Masse, welche breit der contractilen Faser aufsitzt, von
einer zarten Hülle begrenzt, die theils in*s Sarcolemma, theils in die Nervenscheide
fibergeht. Auf dem Querschnitt erscheint der Endhügel dreieckig, mit den spitz aus-
laufenden Enden ^4 — W selbst bis ^/g der Muskelfaser umfassend. Die Theilung
des Axencylinders geschieht in der oberflächlichen blasseren Schicht der Endplatte,
die innere Schicht derselben — die Plattensohle — ist dunkel. „An vielen Prä-
paraten gehen von der letzteren kömige Fortsätze ab, welche die scharfe Abgren-
zung zwischen Endhügel und Muskelsubstanz unterbrechend in die letztere eindringen
und hier in abnehmender Stärke sich verzweigen, zuweilen durch Ausläufer sich
verbinden." F. wendet sich in längerer Ansfühmng gegen die Auffassung dieser
l^inge als Artefacte; ihr inconstantes Auftreten sei abhängig von der Phase des Ab-
sterbens des untersuchten Muskels. — Die Endplatte und ihre kömigen Protoplasma-
~ 154 —
fortsatze, welche in directem Zusammenhang mit den an die Muskelkerne sich an-
schliessenden Protoplasmazügen stehen, gehören zur contractilen Substanz. — Verf.
schliesst sich im Wesentlichen an die Ansichten von W. Kühne an.
Hadiich.
Experimentelle Physiologie.
3) Ueber die centralen Organe für das Sehen und Hören bei den Wirbel-
thieren, von Hermann Munk. (Sitzungsbericht der kgl. preuss. Akademie
d. Wissensch. 1886. Vn. Vin.)
Die vorliegende Arbeit enthält eine Yertheidigung der früheren Angabe Munk*s,
dass der Hund durch Totalexstirpation der von Munk sogenannten Sehsphären
dauernd total blind, ,,rindenblind" gemacht werde, gegen die in Nr. 25 des Jahr-
gangs 1884 des Gentralblattes referirten Angriffe von Goltz und — in gewisser
Weise wenigstens — von Loeb. Letzterer wird nämlich unter der Bezeichnung
eines „Schülers^', beziehungsweise eines „jungen Goltz'schen Schülers" durch einige
Seitenhiebe abgethan; seinen Namen hat die Akademie bei dieser Gelegenheit nicht
zu hören bekommen.
M. geht von der wiederholten Constatirung der erheblichen Schwenkung aus,
die Goltz in der Localisationsfrage gemacht hat. Letzterer hat zwar die Unter-
stellung einer solchen Schwenkung scheinbar entrüstet weit von sich abgewiesen,
aber mit dem grössten Unrecht.
Für die Beurtheilung dieser Frage ist es nicht nur in historischer Beziehung,
sondern auch was einen guten Theil der gegenwärtig noch bestehenden Differenzen
angeht, von grösster Bedeutung, den ursprünglichen und den jetzigen Standpunkt
Goltz' zu vergleichen.
In der ersten gegen die Untersuchungen des Beferenten gerichteten Abhand-
lung 1) sagte er 8. 9 wörtlich:
„Wir. werden sehen, dass der Grad der Störungen im Allgemeinen gleicheu
Schritt hält mit der Grösse des Substanzverlustes. Dagegen ist der Ort des
Substanzverlustes, so weit bis jetzt meine Untersuchungen gediehen
sind, von keinem entscheidenden Einfluss, d. h. der Charakter der Störungen
ist derselbe, ob nun das Trepanloch weiter nach vorn, z. B. am vorderen Rande
der sogenannten erregbaren Zone von Hitzig angebracht ist, oder ob dasselbe weit
hinten im Bereich des Hinterlappens angelegt wird;'' und S. 38: „Mochten nun die
Trepanlöcher vorn oder hinten angebracht sein, wenn nur eine erhebliche Menge,
d. h. einige Gramm, herausgespült wurde, so war der Gang der Störungen genau
derselbe. Thiere, bei welchen die Verletzung, wie die Section ergab, allein auf
den Hinterlappen, also die unen*egbare Zone beschränkt war, zeigten doch durch-
aus dieselben Erscheinungen wie solche, bei denen sie weit vom im vordersten
Abschnitt der erregbaren Zone stattgefunden hatte." Jetzt dagegen sagt
derselbe Autor: „Die Lappen des Grosshims haben (demnach) sicher nicht dieselbe
Bedeutung.'' — „Der vom operirte Hund etc. tastet schlecht etc., tritt mit den
Füssen in's Leere etc., seine Bewegungen sind plump und unbeholfen etc., seine
Sinneswahmehmungen sind nicht hochgradig geschwächt etc. Der hinten operirte
Hund etc. scheint gut zu tasten. Er tritt nicht in's Leere etc.; seine Bewegungen
erfolgen annähernd mit demselben Geschick, wie bei normalen Thieren, er leidet
an einer ho'chgradigen allgemeinen Wahrnehmungsschwäche."^
^ Befei«nt hat bereits im October 1876 (Beioherfs und du Boia-Beymond's Arch. 1876.
H. 6) den von Goltz eingeBchlagenen Weg „als einen solchen bezeichnet, der nicht gerade
zum Ziele führt, mit einem Worte als einen Umweg." Der Leser mag heute über die
Bichtigkeit dieser Diagnose entscheiden.
— 155 —
Der Streit dreht sich heute vornehmlich um den Grad und den Inhalt dieser
„Wahmehmnngsschwäche''. Nach Munk sollte diese, wie gesagt, mit Bezug auf die
Gesichtsreize hei doppelseitiger Totalezstirpation seiner Sehsphären absolut sein, nach
Goltz jedoch zwar hochgradig, jedoch nicht absolut. Nach Munk sollte sie nur
den Gesichtssinn betrefifen, nach Goltz alle Sinne.
Zunächst bemängelt Munk die Unbestimmtheit der Angaben Goltz*, sowie dass
er nur einen Hund „besonders zum Beweise benutzt" und dass gerade dieser Hund
noch am Leben war, so dass die die Grösse der Läsion controUirende Section fehlt.
Gleichwohl glaubt Munk aus den Angaben, welche Goltz über seine Methode der
Abtrennung des Hinterlappens machte, schliessen zu können, dass von einer totalen
Ezstirpation der Sehsphären auch bei diesem Thiere nicht die Bede war, sondern
dass die vordersten Partien derselben erhalten blieben, wodurch dann die Goltz'schen
Beobachtoi^en ihre natürliche Erklärung finden würden. Ein total blindmachender
Schnitt hätte nämlich vor das absteigende Hom des Seitenventrikels fallen und fast
das ganze Ammonshom abtreimen müssen, währen Goltzes Schnitte in das ab-
steigende Hom fielen und nur ein Stück des Ammonshoms abtrennten. In ähnlichem
Sinne sprächen auch die von Goltz angegebenen, das abgetrennte Stück betreffenden
Maass- und Gewichtszahlen.
Sodann macht sich Verf. an den directen Beweis seiner Annahme, der sich
auf 85 neuerdings vorgenommene Yivisectionen stützt. Vier von diesen Thieren, die
bei vollkommen gelungener Operation mit dem Leben davonkamen, zeigten genau das
von Munk früher beschriebene Bild totaler Blindheit Dagegen Hessen sie auf den
anderen Sinnesgebieten keinerlei Wahmehmungsschwäche erkennen. Ebenso wenig
war Letzteres aber bei dem von Goltz „besonders zum Beweise benutzten Hunde"
der Fall, da er auf die Stimme seines Herrn reagirte. Fleisch und die Hand seines
Herrn roch und die leiseste Berührung seines Körpers empfand. Andererseits ge-
stattete die von Goltz beschriebene Beaction seines oder seiner Operirten auf Ge-
sichtsreize den Schluss, dass sie nur noch mit den obersten Betinapartien, welche
nach Munk den vordersten Streifen seiner Sebsphäre entsprechen, sehen konnten.
Verf. beliees deshalb 4 Hunden theils absichtlich, theils unabsichtlich jene Streifen
und fand nun, dass sie, der Voraussetzung entsprechend, wirklich das von Goltz
beschriebene Verhalten zeigten. Hitzig.
4) Effect of sections of the spinal oord upon the exoretion of oarbonio
acid, by Dr. J. Ott. (Joum. of nerv, and ment. disease. 1885. X. p. 431.)
Kurze Mittheilung, dass sich nach vollständiger oder theilweiser Durchschnei-
dong des Rückenmarks bei Katzen und Ratten die Körperwärme und die Kohlen-
säureausathmung steigert. In Bezug auf die Methode der Experimente wird auf die
Zeitschrift für Biologie, Bd. XI. H. 4, verwiesen. Sommer.
Pathologische Anatomie.
5) Note relative & ratrophie unilaterale de la colonne de Clarke observöe
ohes an jeime ohat, opörä & la partie införieore du bulbe raohidien
dans la premidre quinzaine aprds la naissanoe, par le Dr. Loewen-
thal ä Lausanne. (Revue m^dicale de la Suisse romande. 1886. 15. Jan.)
Verf. hatte zum Zwecke des Studiums secnndärer Degenerationen im Gehirn
und Bückenmark einem 14 Tage alten Kätzchen, mittelst eines feinen Scalpells
zwischen Os occipitale und Atlas eindringend, das dorsal-kterale Segment des Rücken-
i&arks auf der rechten Seite durchschnitten, und es gelang ihm, dieses Thier, welches
— 156 —
den operativen Eingrifif ziemlich gut überstand, einige Wochen später indessen an
schwerer Diarrhoe erlo'ankte, 6 Wochen lang am Leben zn erhalten. Die Section
zeigte, dass die rechte BückenmarkshSifte anf der Höhe der sog. unteren Pyramiden-
krenzung partiell durchschnitten war, in der dorsal-lateralen Partie. Burdach^scher
Strang und Kern, Hinterhom, Processus reticulares, Kleinhimseitenstrangbündel waren
zum grossen Theil, letzteres vollständig durchtrennt; auch der Seitenstrangkem war
theilweise lädirt, während der zarte Strang sich intact zeigte.
Bei der mikroskopischen Untersuchung fanden sich in auf- und absteigender
Richtung beträchtliche secundäre Atrophien. In ersterer Bichtung atrophirten yor
Allem die Eleinhimseitenstrangbahnen und der Fun. cun. auf derselben Seite und
die Pyramide, sowie die sensible Portion derselben (wahrscheinlich Schleife) auf der
gekreuzten. Der Kern des Keilstranges verrieth in den lateralen Theilen ebenfalls
erheblichen Gkinglienzellenschwund, der Seitenstrangkem war aber in nur massigem
Grade ergriffen; beides in Uebereinstimmung mit den Befunden des Bef. nach Hemi-
section des Bückenmarks auf nahezu derselben Höhe, an neugeborenen Kaninchen.
— In absteigender Bichtung fiel ausser der bald sich erschöpfenden Atrophie des
Burdach*8chen Keilstrangs und der bis in*s Lendenmark nachweisbaren Atrophie der
Pyramide, resp. des Seitenstrangs, der hochgradige Schwund der Ganglien-
zellen in den Clarke'schen Säulen (vom 6. Dorsal- bis zum 3. Lenden-
paar) auf, während merkwürdigerweise die Kleinhirnseitenstrangbabn
keine absteigende Degeneration verrieth und beiderseits gleich schön
entwickelt war.
Dieser Befund veranlasst den Autor zu dem Schlüsse, dass die Atrophie der
Clarke*schen Säulen, welche Verf. mit dem operativen Eingriff in Zusammenhang
bringt, nicht durch Yermittelung der Kleinhirnseitenstrangbabn erzeugt wurde, und
dass letztere Bahn mit jenen in keiner directen Beziehung stehe, wie es Flechsig
annimmt. Auf Läsion welcher Bahn die Atrophie der Clarke'schen Säulen zurück-
zuführen sei, lässt Verf. vorläufig dahingestellt, behält sich aber vor, diese Frage
durch Anstellung neuer Versuche an neugeborenen Thieren zur Aufklärung zu bringen.
V. Monakow.
Pathologie des Nervensystems.
6) Deux nouTeaux oas de solerose latörale amyotrophique snivis d'au-
topsie, par Charcot et Marie. (Arch. de Neurolog. 1885. X. p. 1 u. 168.)
Gleichsam als Krönung des Gebäudes der Charcot*schen Pathologie der amyo-
trophischen Lateralsklerose geben die Yerff. die ausführliche Beschreibung zweier
neuen Fälle der genannten Krankheit. Die Fälle sollen den ununterbrochenen Zu-
sammenhang der Degeneration von der Binde der motorischen Begion, in welcher
die grossen Pyramidenzellen des Paracentralläppchens atrophirt gefunden wurden,
durch das Marklager, die innere Kapsel, Himschenkel und Brücke hindurch, längs
der Pyramidenbahnen bis in die YorderhomzeUen und schliesslich bis in die Muskel-
endigungen der Nerven und damit das Wesen der ganzen Affection als System-
erkrankung definitiv klarstellen.
I. Fall. 60jährige Frau. Anfang mit Steifigkeit des linken Beins. Sechs
Monate später Parese des rechten Arm^. Leichte Sprachstörung. Sensibilität intakt^
Sehnenphänomen verstärkt, kein Zittern. Nach zwei Monaten Atrophie des rechten
Daumenballens, vermehrte Sprachstörungen. Zunehmende Lähmungserscheinungen an
den Extremitätenmuskeln; die spastischen Symptome treten später mehr zurück.
Störungen des Schluckens, der Bespiration, der Herzaction. Tod 1 Jahr nach dem
Beginn der Krankheit. Post mortem wurden in den Stimwindungen viele Kömchen-
zellen, in beiden Centralwindungen , bes. dem Paracentrallappen die Gkinglienzellen
— 157 —
atrophisch, in der Marksabstanz, der innern Kapsel, dem Hirnsehenkel, Brücke beider-
seits Eömchenkugeln gefunden ((jefriermicrotom). Die vorderen Wurzeln der oberen
CerricalnerTen waren atrophisch. Auf den Bückenmarksquerschnitten fanden sich
die Fyramidenbahnen, sowohl die directen als die gekreuzten sclerosirt, ausserdem
erstreckt sich die Affection nach vom von den letzteren bis in den äusseren Winkel
des Yorderhoms; auch waren die Qoirschen Str&nge bei der Oarminfärbung stärker
geröthet als normal. In der grauen Substanz waren die grossen motorischen
Zellen vermindert in wechselnder Ari Eleinhimseitenstrangbahn frei. Nach unten
m nahm die Aiarophie ab. Peripherische Nerven und Muskeln wurden nur zum
Theil untersucht.
n. Fall. 60jährige Frau. Beginn mit Sprach- und Schluckstörungen, zwei
Jahre zuvor. Nach 4 Monaten apoplectiformer Anfall, gefolgt von weiteren Bulbär-
symptomen. Parese und Atrophie der oberen, Paralyse und Contracturen der unteren
Extremitäten. Sensibilität nicht gestört, Sehnenreflexe verstärkt. Tod durch
Syncope.
Bei der Autopsie fanden sich die Meningen und Windungen des (Gehirns macro-
scopisch normal. Microscopisch in der motorischen Region wieder Schwund der
Biesenpyramiden; Eömchenkugeln in den Stimwindungen, im Marklager; in der rechten
Capsula interna viele, in der linken bedeutend weniger Eömchenkugeln. Ausser der
Sclerose der Pyramidenbahnen fand sich im Rückenmark auch in diesem Falle in
den Gollschen Strängen ein gewisser Grad von Sclerose. Eömchenkugeln vnirden
auch hier und da in anderen Strängen und in der grauen Substanz bemerkt. Atro-
phie der grossen Yorderhomzellen etc. im Wesentlichen wie in Fall I.
Die Details der Präparation und der Darstellung des pathologischen Befundes
müssen im Original nachgesehen werden.
Die aus den Befunden möglicherweise gezogene Behauptung, der Process sei
wegen der Mitbetheiligung auch andrer Theile kein auf das System der Pyramiden-
bahnen beschränkter, sondern eine mehr diffuse Myelitis, weisen die Yerff. zurück;
sie geben nur eine gewisse Ausdehnung des sclerotischen Processes auf die nächste
Nachbarschaft, z. B. von der grauen auf die weisse Substanz, zu. Die Affection
der Gollschen Stränge ist ihrer Ansicht nach andrer, unbekannt welcher Art und
hat mit der amyotrophischen Latereralsclerose nichts zu thun; während der letztere
mit der Absetzung zahlreicher Eömchenkugeln einherging, fehlten diese Gebilde in
den afficirten Partien der Hinterstränge. Yielleicht sind in Folge des chronischen
Entzündungszustandes in dem Rückenmark diese Befunde nebenbei entstanden.
AufEallend ist die ungleiche Yertheilung der Eömchenkugeln im Yerlauf der
degenerirten Bahn: einzelne Theile der Bahn in der innera Eapsel und der Brücke
hatten nur sehr spärliche Engeln aufzuweisen. Yerff. glauben hier die ungleiche
ResorptionsßLhigkeit der betr. Theile und die zeitliche Yerschiedenheit der Entwick-
lung des Processes verantwortlich machen zu müssen. Aber auf den Befund der
Eömchenkugeln legen sie den grössten Werth. Einsetzen kann der Process an
irgend einem Punkte des befallenen Systems (zu welchem sie das bulbäre, in der
Brücke, resp. in den Bulbär-Eemen endigende aus dem Stimhim mitzurechnen
scheinen).
Elinisch war der Fall II im Anfang rein bulbär, und die andern Symptome
kamen nach. Dies ist für die Yerff. ein Beweis mehr, dass Bulbärparalyse und
amyotrophische Sclerose derselbe Process ist, und die Fälle von Dejerine und
Blumenthal sind auch nichts anderes. < — Der spastische Charakter ist der Angel-
punct. Der Anfang ist in der Regel an der Oberextremität, aber das hat Aus-
nahmen, zuweilen kann der Anfang auch am Bulbus sein; der Gesammtverlauf
giebt d^e Beurtheilung. Zu bemerken ist noch, dass der Anfang mit Bulbärsymp-
tomen (in Fall II) keinen rapiden Yerlauf zu zeigen braucht Siemens.
— 158 —
7) Ueber amyotrophlBohe IiateralsoleroBe, von Heinrich Sachs. (Inaagural-
Dissertation. Berlin 1885.)
Verf. fügt der ZusammensteUung von 19 Fällen von amyotrophischer Lateral-
sclerose 2 Fälle eigener Beobachtung ans der MendeFschen Poliklinik hinzu, von
denen jedoch nur der erstere mit Sicherheit dieser Krankheit zugerechnet werden
kann. In diesem handelt es sich um eine 57 jährige Frau, bei der der B^inn der
Krankheit ca. 6 Jahre zurückliegt Ursache angeblich Fall und Schreck. Nach
Schmerzen und Schwäche in den Armen trat Contractur in den Fingern und in den
£llbogengelenken beiderseits ein, denen Atrophie der Musculatur folgte, später zeigten
sich Schmerzen im Knie- und Fussgelenk, Schwäche und Steifigkeit in den Beinen,
schliesslich Abmagerung derselben. Sensibilitätsstörungen nicht nachweisbar. Hals-
musculatur dünn und atrophisch; die Stemo-deido-mastoidei rigide. Dann folgte
Atrophie und Contractur der Masseteren, Atrophie der Lippen, der Zunge, Heiserkeit,
Schlingbeschwerden.
(Die Patientin ist im Sommer 1885 unter balbären Erscheinungen gestorben;
Section konnte nicht gemacht werden.) M.
8) Note Bur l'eziateiioe de l'ovarie dans la ohoräe de Sydenham, par
Marie. (Progr. med. 1886. Nr. 3.)
Das Symptom der „schmerzhaften Wirbel'' haben Dufosse, G. S^e, Stiebel,
Bosenbach u. A. m. als eine häufige, fast durchgängige Erscheinung bei der ge-
wöhnlichen Chorea minor beschrieben.
M. hat sich nun zur Aufgabe gestellt, Chorea-Fälle daraufhin zu untersuchen,
ob auch die Ovarial-Hyperästhesie (Ovarie) bei dieser Krankheit so häufig zu
finden wäre, wie der Druckschmerz an der Wirbelsäule.
Unter 33 Chorea-Kranken, von denen 27 Mädchen und 6 Knaben waren, die
alle im Alter zwischen 9 und 15 Jahren standen, hat das Symptom der Ovane, was
die Mädchen betrififfc, nur 3mal gefehlt; in 10 Fällen sass die Hyperästhesie des
Ovariums links, in eben so viel Fällen rechts, 4mal fand sie sich doppelseitig vor.
Bei den Knaben war nur einmal ein Analogen: ein schmerzhafter Punkt in den
Weichen zu constatiren, während Hoden und Samenstrang auf Druck nie schmerz-
haft waren.
Bei einem Falle von Chorea gravidarum liess sich die Ovarie ebenfalls nach-
weisen, nur sass der Ovarialpunkt der veränderten Stellung des Uterus entsprechend
4 cm über dem Niveau, wo er gewöhnlich zu finden ist. Uebrigens hat die Hyper-
ästhesie des Ovariums gewöhnlich auf der Seite ihren Sitz, resp. ihre grössere In-
tensität, auf welcher die ersten Chorea-Bewegungen eingesetzt haben. -
M. verwahrt sich dagegen, dass er wegen des Vorkommens von Ovarie bei
Chorea-Kranken, das Leiden als eine Form von Hysterie aufgefaast wissen wollte.
Bezügliche Untersuchungen haben ihm im Gegentheil gelehrt, dass die charakteristischeB
sensiblen und sensorischen Erscheinungen der echten Hysterie (Hemianästhesie, Ein-
engung des Gesichtsfeldes, Convulsionen, die von gewissen Zonen auszulösen etc.), bei
der Chorea minor fast immer fehlen. La quer.
9) Ueber den Zusammenhang swisohen Chorea minor mit Gtolenkrheiima-
tismufl und EndooarditiB, von Dr. Prior. Aus der med. Klinik in Bonn.
(Berl. klin. Wochenschr. 1886. 2.)
Aus dem Aufsatze des Verf. sei hier — für die Zwecke dieses Centralbbittes
— nur erwähnt, dass von 92 Fällen von Chorea nur 5 alte endocarditische Er-
scheinungen darboten, und unter diesen nur 2 Polyarthritis rheumat. hatten. — Der
Zusammenhang von Chorea mit Endocarditis, resp. dieser als Theilerscheinung —
— 159 —
mcht Gomplication — der Infection mit acutem QelenkrheamatiBmos ist kein anderer,
als er aacli bei anderen Jnfectionskrankheiten (Scarlatina, Morbilli, Typhus, Diph-
therie) besteht. Chorea entsteht ausserdem auf reflectorischem Wege. Dass capillare
Himembolien die anatomische Grundlage bilden, ist durchaus unerwiesen und un-
wahrscheinlich; jedenfalls sind es nur die allerseltensten Fälle, in denen man Gehim-
embolien beschuldigen kann: so der Fall von Guillery (Deutsche militärarztliche
Zeitschr. 1885. Nr. 3).
Verf. theilt einen interessanten Fall mit, wo ein psychisch Kranker (Maniacus?),
30 Jahre alt, an Bheumatismns articul. acut, mit Insufficienz der Mitralis und Chorea
ertonkt war. Der Gelenkrheumatismus wurde beseitigt, die Endocarditis gebessert,
aber die linksseitige Hemichorea blieb mit dem psychischen Erregungszustande bis
beute (nach 6 Monaten) bestehen. Hadlich.
10) Chorea and Epilepsy, by Dr. Francis Hawkins. (The Lancet. 1886.
Vol. L p. 16.)
Bei einem Kinde, das an Chorea gelitten hatte, traten etwa 4 Monate nach
Aufhören der Bewegungen plötzlich auf beiden Beinen bis zu den Leistengegenden
reichliche Furpuraflecke auf, die regelmässig kamen und verschwanden und nach
3 Monaten ausblieben. Abgesehen von Anämie nichts Krankhaftes, vor Allem keine
Herz- und Lungensymptome zu finden.
Femer erwähnt Verf. das Auftreten von Chorea bei 3 Geschwistern. Während
bei zweien, die Mher Scharlach und Masern durchgemacht hatten, die Chorea schnell
heilte, traten bei der dritten Patientin, die später Scharlach bekam und Masern über-
haupt nicht gehabt hatte, epileptische Krämpfe ein.
Endlich gedenkt Verf. noch eines Falles von Epilepsia nocturna bei einer ver-
heiratheten 30jährigen Frau, die jedesmal nach einem Krampfanfall Furpuraflecke
bekam und zwar waren dieselben über beide Gesichtshälfteu and den linken Nacken
vertheilt. Ihr Auftreten stand im geraden Verhältniss zur Schwere des Anfalls und
nach 8 — 10 Tagen war nichts mehr von ihnen zu sehen. Buhemann.
11) A note on so-oalled lead-neuritis, by C. S. Jeaffreson. (The British
med. Joum. 1886. 27. Febr. p. 390.)
In Hinsicht auf Oliver's kürzlich veröffentlichte Arbeit über Bleivergiftung
hebt Verf. hervor, dass er selbst auf Grund seiner zahlreichen Krankenbeobachtungen
zu der Ansicht gelangt sei, Blei an sich rufe keine specifische Amaurose hervor.
Die allerdings nicht gerade seltene Neuroretinitis etc. bei chronischer Bleivergiftung
hänge mit dieser wahrscheinlich nur mittelbar zusammen und sei eine Folge der
hier so häufigen Schrumpfhiere, der für Frauen fast pathognomischen Menstruations-
womalien und besonders auch der intercurrenten und sich häufig in kürzester Frist
ausbildenden hydropischen Ergüsse in die Himventrikel mit ihren secundären Druck-
steigerangen im Schädelinnenraum, resp. in den Lymphscheiden der Sehnerven etc.
Hierher gehörten besonders die Fälle, in denen sich unter gleichzeitigem Einsetzen
anderer Cerebralsymptome Amblyopie und Stauungspapille innerhalb weniger Stunden
entwickelten. Sommer.
12) üeber Vergiftung der Pferde durch Blei, von Schmidt. (Arch. f. wiss*
u. prakt. Thierheilk. XI. 5 u. 6.)
Verl bringt neue Beobachtungen aus seiner Erfahrung im Beg.-Bez. Aachen
Aber die bereits vielfach beobachtete Thatsache, dass Pferde in Blei werken und
— 160 —
Mennigfabriken an inspiratorischer Dyspnoe erkranken, die auf einer Lähmong dee
Recurrens nnd hierdurch secnndär eingetretener Inactivitäts-Atrophie des M. crico-
arytaenoidens posticns nnd lateralis beruhen. Die Krankheitserscheinungen treten
zuweilen schon nach 12 Tagen auf und verschwinden nicht wieder, selbst wenn die
Thiere dauernd in bleifreie Gegenden versetzt werden. Bleikoliken, anderweitige
Bleilahmungen wurden nicht beobachtet. Die Obduction ergab keine pathologischen
Veränderungen, auch im Recurrens nicht; mikroskopische Untersuchung fehlt.
M.
13) Ueber eine bestiminte Form der primären combinirten Systemerkran-
kiing des Bückenmarks, im Anschluss an einen Fall von spastischer
Spinalparalyse mit vorherrschender Degeneration der Pyramiden-
bahnen und geringerer Betheiligong der Kleinhirn -Seitenstrang-
bahnen und der Gk)ll'schen Stränge, von Prof. Dr. A. Strümpell in
Leipzig. (Arch. f. Psychiatrie etc. 1886. Bd. XVU. H. 1.)
Strümpell hatte schon früher auf Grund zweier Falle die Ansicht ausgesprochen,
dass es eine bestimmte Form der combinirten spinalen Systemerkrankung gebe, deren
klinisches Bild im Allgemeinen der von Erb und jClharcot geschilderten spastischen
Spinalparalyse entspreche, bei der es sich anatomisch um eine systematische Affection
der Pyramidenbahnen, Eileinhimseitenstrangbahnen und der sog. Goll*schen Strange
handle. Er theilt als weiteren Beleg dieser Auffassung einen schon in seiner Arbeit
über die spastische Spinalparalyse berichteten Fall mit.
Die klinischen Symptome hatten sich bei dem z. Z. 56jährigen Kranken sehr
langsam und allmählich in einem Zeiträume von nahezu 20 Jahren entwickelt. 1878
bot der Kranke das Bild der spastischen Spinalparalyse, spastischer Gang, bei activen
und passiven Bewegungen in den unteren Extremitäten leicht eintretende reflectorische
Muskelspannangen, erhöhte Sehnenreflexe; an den oberen Extremitäten nur Erhöhung
der Sehnenreflexe ohne sonstige Störung; normales Verhalten der Sensibilität, der
Uautreflexe, der Harn- und Stuhlentleerung. Das Krankheitsbild blieb nahezu gleich,
bis Pat. Anfang 1885 an Lungentuberculose starb.
Die anatomische Untersuchung ergab keine Spur von chronischer Meningitis am
Bückenmark.
Bei mikroskopischer Untersuchung Degeneration der Pyramidenseitenstrangbahn,
vom untersten Lendentheil bis zum oberen Halsmarke reichend, am stärksten in der
ganzen Länge des Dorsalmarks, sowohl nach unten, im Lendenmark, als nach oben,
der Halsanschwellung, an Umfang und Grad abnehmend, speciell im Halstheil nur
gering. Von der Kreuzungsstelle aufwärts hörte die Pyramidenseitenstrang-Erkran-
kung völlig auf. Femer eine nach vom sich erstreckende Randdegeneration, die vom
mittleren Lendenmark nach oben starker wird, die Kleinhimseitenstrangbahnen (bis
zum Beginn des Corp. restiformia), ausserdem aber auch noch die tPeripherie der
Vorderseitenstränge und zum Theil auch die Vorderstrangbahn einnimm. Schliesslich
eine zwar geringe, aber doch deutliche Degeneration der Goll'schen Stränge, die an
den sog. Kernen der Goll'schen Stränge beginnend, im obersten Halsmark und der
Cervicalanschwellung verhältnissmässig am stärksten, nach unten rasch undeutlich
wird. Doch finden sich noch im Lendenmark einzelne degenerirte Fasern, aber keine
geschlossenen Bündel solcher mehr.
Str. fasst seinen Fall auf als eine combinirte Systemerkrankung und zwar vor-
zugsweise als eine primäre Erkrankung der Pyramidenbahn, in geringerem Grade
gleichzeitig auch der Kleinhimseitenstrangbahnen und der Goirschen Stränge. In
klinischer Beziehung kommt nur die Degeneration der Pyramidenseitenstrangbahn in
Betracht, mit dieser hängen die spastischen Erscheinungen, die Parese der unteren
Extremitäten, die Steigemng der Sehnenreflexe zusammen. Letztere, die Steigerung
— 161 —
der Sehnenreflexe» ist nach Str. nioht von einer Erkrankung der motorischen Fasern
selbst abhängig, sondern wahrscheinlich von besonderen (hemmenden) Fasern der
Fyramidenseitenstrangbahn.
Str. glanbt den mitgetheilten Fall zusammen mit den beiden früheren als Typus
einer bestimmten und besonders abzugrenzenden Form der combinirten Systemerkran-
kung aufstellen zu dürfen. Die einzelnen Systeme erkranken nach ihm in der Begel
nicht gleichzeitig, sondern nach einander. Fast immer scheint zuerst die Pyramiden-
bahn zn erkranken und zwar die Pyramidenvorderstrangbahn (wenn vorbanden) und
Pyramidenseitenstrangbahn zugleich. Die Kleinhimseitenstrangbahn findet man ge-
wöhnlich etwas weniger stark erkrankt, als die Fyramidenseitenstrangbahn. Wenn
das am vorderen Ende der Kleinhimseitenstrangbahn gelegene, ebenfalls afficirte
Fasergebiet eine gesonderte Stellung einnimmt (wie Bechterew und neuerdings
Gowers behaupten), so handelt es sich um eine weitere in gewissen Fällen vor-
handene, in anderen fehlende Gombination. Die Erkrankung der Hinterstränge ist
in allen bisher untersuchten Fällen im Halsmark am stärksten und entspricht jeden-
falls im Allgemeinen den Goll*schen Strängen, — wahrscheinlich entsprechen auch
die in den unteren Abschnitten der Hinterstränge degenerirten Fasern (im 3. Fall)
den Ursprüngen der GoU'scheu Stränge. Ausserdem aber zeigt sich nicht selten das
von Str. sogenannte Gebiet der hinteren äusseren Felder der Hinterstränge bei der
in Bede stehenden Form der Systemerkrankung ergriffen.
Aus der Ausbreitung der Erkrankung in der Länge der verschiedenen Systeme
schliesst Str., dass die primäre systematische Atrophie der Pyramidenbahn eine auf-
steigende oder primäre Atrophie der Kleinhimseitenstrangbahn und der GoH'schen
Stränge eine absteigende Degeneration ist, in gmndsätzlichem Gegensatz zu der
Natur der secundären Degeneration der betr. Systeme.
Die Diagnose der betreffenden combinirten Erkrankung, glaubt Str., dürfte
intra vitam wohl kaum noch mOglich sein, obschon man in Fällen spinaler Erkran-
kung, die das Bild der spastischen Spinalparalyse ohne Sensibilitätsstörung bieten,
stets an die Möglichkeit jener anatomischen Grundlage wird denken müssen.
Ueber die Aetiologie lässt sich wenig sagen; für die Syphilis als ursächliches
Moment geben Str.'s Fälle keinen Anhaltspunkt; vielleicht spielt höheres Lebens-
alter und hereditäre Disposition eine Bolle. Ein Brader des Str.'schen Patienten
bietet nahezu das gleiche klinische Symptomenbild, wie dieser.
Zum Schlüsse vergleicht Str. noch seine Form der combinirten Systemerkran-
kung mit den übrigen bekannten Formen. Es geht aus der Analyse der in der
Literatur niedergelegten Fälle hervor, dass einzelne anatomisch ähnliche Combinationen
zur Tabes gehören, zu der die Erkrankung der Pyramidenseitenstrangbahn als selbst-
ständige systematische Degeneration hinzukam. Andere wieder scheinem dem von
ihm aufgestellten Typus anzugehören.
Dem Beferenten scheint die Einheit des klinischen KrankheitsbUdes durch Str.*s
bemerkenswerthe Beobachtungen noch nicht genügend begründet. Eisenlohr.
Psychiatrie.
14) Du poids oomparö du oerveau et du cervelet dang la dömence para-
lytique, par Baillarger. (Annales m^dico-psychologiques. 1886. Jan.)
B. bestätigt seine schon 1859 aufgestellte Behauptung, dass das Kleinhirn
entgegengesetzt dem Grosshim den Vorgang der Atrophie während des Verlaufs der
Dementia paralytica nicht mitmache.
Den drei Stadien der Paralyse entsprechend stellt B. drei Golummen auf, je
nachdem die Hemisphäre der 57 Gehirne 1100 — 1200. resp. 1000—1100, resp.
900—1000 Gramm wogen.
— 162 —
Eine Vergleichung der Durcbschnittszahlen ergiebt dann, dass wahrend das
Gewicht der Hemisphären der ersten Serie sich zn dem des Kleinhirns wie 6,8 : 1
verhielt y die der dritten = 5,44:1 waren. Während die Hemisphären der zweiten
Serie gegen die erste im Durchschnitt 133 Gramm verloren hatten, verlor das Klein-
hirn nur 2 Gramm; die dritte Serie zeigt einen Verlast von 252 Gramm f&r die
beiden Hemisphären nnd nnr von 6 fflr das Kleinhirn.
B. bringt dies Verhalten mit der mangelnden Betheilignng des Kleinhirns an
dem interstitiellen Entzündangsprocess des Gehimgewebes, welche von einer Reibe
von Autoren behauptet und erwiesen sei, in Verbindung. Jehn.
16) Note Bur un cas de sommeil d'une dur^ de trois mois, par Camnset
et Planes. (Annales m^dico-psychologiques. 1886. Jan. p. 23.)
Ein 33jähr., an Verrücktheit, Lungenspitzencatarrh und Mastdarmvorfall leidender
Mann klagte eines Tages und ohne ersichtlichen Anlass über eine unwiderstehliche
Schlafsucht, welche ihn auch am hellen Tage und bei allen möglichen Verrichtungen,
auch beim Essen, überfiel. Diese Schlafsucht steigerte sich binnen Kurzem zu einem
3 Monate anhaltenden Dauerschlaf, welcher dadurch bemerkenswerth ist, dass ihm
jedes Zeichen von Spannung, Krampf oder Irritation einzelner Muskelgebiete fehlte
welches gewöhnlich die (ßJschlich) als physiologisches Schlafen bezeichneten kata-
leptischen Zustände zu begleiten pflegt: der Kranke behielt die Fähigkeit, gewisse
Handlungen vorzunehmen, z. B. die Urinflasche zu ergreifen, vermied auch, das Lager
zu verunreinigen und deutete seine Bedürfnisse dadurch an, dass er sich aus dem
Bett gleiten liess, wie es schien, um den Nachtstuhl zu erreichen.
Auf Kneifen und Kitzeln der Fusssohle erfolgte deutliche Beaction. Die elek-
trische Contractionsfähigkeit der Muskeln soll normal gewesen sein; Sinneseindrücke
blieben bis auf leichte Reaction der Pupillen ohne Zeichen; das Erwachen aus diesem
Zustande erfolgte langsam, indem der Kranke nach und nach wieder Handlungen
verrichtete und schliesslich auch Aeussorungen that. Ueber seinen Znstand und die
Empfindungen während desselben wusste er nichts anzugeben: er habe übermässig
grosses Schlafbedürfniss gehabt
Die Verff. untersuchten den Fall durch Vergleichung mit ähnlichen in der
Literatur bekannt gewordenen pathologischen Schlafes und kommen zu dem Schluss,
dass es sich hier nicht um die häufige Verwechselung mit Katalepsie, sondern um
einen Fall wirklichen Schlafes abnorm langer Dauer handele. Jehn.
Therapie.
16) La corea ed 11 auo trattamento eol curaro, per il dott. D. Ventra. (11
manicomio. 1885. Nov. p. 225—268.)
Nach ausführlicher Mittheilung der älteren und neueren Ansichten über die Er-
folge medicamentöser Behandlung der Chorea und über die therapeutischen Wirkungen
des Curare im Allgemeinen, bespricht Verf. die Literatur über die Bekämpfung der
Chorea mit Curare (Benedikt, Day, Drumond und Fulton] und veröffentlicht
alsdann 3 eigene Beobachtungen.
Der erste Fall betraf ein ISjähr., psychopathisch belastetes Mädchen, das nach
einem leichten Fieber mit rheumatoiden Beschwerden und im unmittelbaren Anschluss
an einen heftigen Aerger an Chorea erkrankt war, am 6. Tage in Behandlung kam
und schon nach 8 Tagen genas.
2) 15jähr. Knabe, nicht belastet, in Folge von Schreck erkrankt, kam erst nach
4 Monaten in Behandlung und genass in weiteren 30 Tagen.
— 163 —
3) Neuropathisches 14jäbr. Mädchen, Icam nach 14tagiger Dauer der Chorea in
Behandlung und genas nach 20 Tagen, obschon in der zweiten Woche die Cur durch
einen Zufall auf einige Tage unterbrochen und obschon w&hrend dieser Pause die
bereits erzielte Besserung wieder geschwunden war.
Die Behandlung bestand in subcutanen Injectionen von Curare 0,2 in 10,0 Aq.
destill, gelöst. Anfangs werden 2nial pro die je 0,005, dann 0,01 injicirt; die Dosen
wurden allmählieh bis 0,02 zwei- bis dreimal am Tage gesteigert und mit eintretender
Besserung wieder langsam verringert. Nebenerscheinungen zeigten sich nur in der
Termehrung der Harn- und Schweisssecretion.
Verf. empfiehlt das Curare dringend zu weiteren Versuchen bei Chorea.
Sommer.
17) The influenoe of treatment of Chorea, with special relation to the
fall use of arsenio and its results, by Dr. W. B. Cheadle. (The
Practitioner. 1886. XXXVI. Febr. p. 81.)
Verf. hält auf Grund seiner zahlreichen Beobachtungen von Chorea den Arsenik
für ein Medicament, das thatsächllch im Stande ist, den Verlauf jenes Leidens günstig
zu beeinflussen und besonders abzukürzen. Zum Beweise führt er folgende Zusammen-
stellung an:
62 Fälle, in denen er Arsenik nur ausnahmsweise und immer nur ganz kurze
Zeit hindurch gegeben hatte, und die erst nach einer Krankheitsdauer von im Mittel
63,3 Tagen in seine Behandlung gekommen waren, brauchten noch durchschnittlich
36,01 Tag bis zur Genesung. 105 andere Falle aber, die ebenfalls nach einer
Krankheitsdauer von 63,1 Tag in seine Behandlung gekommen waren, und die seiner
methodischen Arseniktherapie unterworfen wurden, brauchten nur 26,6 Tage bis zur
Heilung.
Verf. giebt 3 — 5 Tropfen Liquor Kaüi arsenioosi in Wasser oder Eisenwein,
2 — 3mal täglich; alle 2 — 3 Tage steigt er um je einen Tropfen bis zur vollen Dosis
von 10 — 12 gtt. 2 — 3mal pro die. Diese Dosis wird fortgegeben, bis die Heilung
ersichtlich ist. Sollten sich Intoxicationserscheinungen einstellen, so wird der Arsenik
ausgesetzt und Calomel verordnet; dann wird Arsenik in etwas verringerter Dosis
wieder aufgenommen. Symptomatisch werden ausserdem Chloral, Chloroform, Eisen etc.
verordnet; gute Ernährung, Buhe, Massage etc. sind ebenfalls zu empfehlen.
Zum Schluss macht Verf. auf eine eigenthümliche Verfärbung der Haut bei
fortgesetztem Arsenikgebrauch aufinerksam, die er mit der Bronzefärbung bei Morb.
Addisonii vergleicht, und die gewöhnlich im Laufe einiger Monate wieder schwindet;
in einem Fall freilich blieb sie dauernd bestehen. Das Gesicht pflegt frei zu bleiben.
Sommer.
18) De la curabilitö de la sdörose en plaques, par Catsaras, Äthanes.
(Arch. de NeuroL 1866. X. S. 66.)
Der veränderlich und vielgestaltige Symptomencomplex der multiplen Sderose
kann, wie bekannt, Remissionen, aber auch — nach C. — völlige und dauernde
Heilung zeigen. Nach kurzer Citation eines älteren Falles von Wilson, welcher
jedoch nur unvollständige Heilung bei einem Kinde berichtet, setzt C. einen selbst
beobachteten Fall auseinander. Er betrifft einen 18jährigen Studenten, bei welchem
die geschilderten Symptome bei geeignetem Regime verschwanden und bei welchem
C. daher Genesung annimmt, deren Dauer indess noch bestätigt werden muss.
Siemens.
19) Bin Fall von Tetanus traumaticus, von Dr. Berckhan in Mainz. (Berl.
klin. Wochenschr. 1885. Nr. 48.)
— 164 —
Ein 53j&hrig6r Mann zog sich am 16. Februar 1884 einen complicirten Ober-
armbruch zu. Vom 4. März an Erscheinungen von Trismus. Es wurde anfangs
Chloral gegeben in allmählicher Steigerung, bis auf 8:200 aqua, Sstündlich 3 Ess-
löffel, ohne nachhaltigen Erfolg. Vom 24. März an wird (neben Chloral) Curare
injicirt, anfangs 0,01, nach und nach 0,02. Trotzdem wurden die Erscheinungen,
wenn auch sehr langsam, doch immer stärker, es kommt zu tetanischen Krämpfen
des ganzen Körpers, während solche bis dahin auf einzelne Muskelgruppen be-
schränkt waren.
Am 20. April fast alle 3 Minuten heftige Anfälle, Cyanose, Temperatur 40,3.
Da entschliesst sich B. zu einer Dosis von 0,024 täglich 2mal: am anderen Tage
auffallende Besserung. Vom 24. April an nur noeh Imal täglich 0,024 Curare;
vom 28. April an nichts mehr, da die Erscheinungen verschwunden sind.
B. räth demgemäss, sich bei Nichterfolg nicht lange bei kleineren Dosen Curare
(von 0,015 an beginnend) aufzuhalten, sondern ohne Scheu bis zu 0,025, täglich
2mal, zu steigen. Hadlich.
Anstaltswesen.
20) Quarto oensimento dei paszi riooverati nei diverai manioon^ ed ospi-
taU d'ItaUa (31. December 1883), per 11 dott. A. Verga. (Archiv, ital.
per le mal. nervös, ecc. 1886. XYTTT. p. 21.)
Aus der Schlussabtheilung dieser schon theilweise besprochenen und sehr wich-
tigen Arbeit über die Zählung der am 31. Dec. 1883 in italienischen Irrenanstalten
und Krankenhäusern untergebracht gewesenen Geisteskranken (10291 M. und 9365 W.,
zusammen 19656 Irre) sei hier noch folgende Zusammenstellung über die Häufigkeit
der verschiedenen Formen der (xeistesstörung wiedergegeben.
Von je 100 Irren litten an:
• Männer
Imbecillität 5,34
Idiotie 2,83
Cretinismus 0,23
moralisches Irresein . . . 0.74
cyclisches Irresein .... 1,04
Manie 16,67
Monomanie 5,35
Melancholie 14,31
primäre Demenz .... 2,52
secundäre Demenz .... 20,76
hallucinatorische Verrücktheit 2,89
hypochondrische Verrücktheit
hysterisches Irresein
Puerperalpsychosen .
epileptisches Irresein
alcoholisches Irresein
Pellagra ....
Paralyse ....
Greisenblödsinn . .
zweifelhafte Psychose
1,14
8,35
5,38
7,24
3,89
0,83
0,49
Weiber Beide Geschlechter
4,90 5,13
2,46 2,65
0,30 0,26
0,60 0,67
1.23 1,13
18,27 17,43
4,16 4,98
14,88 14,59
1,84 2,19
19,60 20,21
3.24 3,06
0,55 0,86
6,22 2,97
1,88 0,90
5,90 7,18
0,52 3,07
10,69 8,88
1,22 2,62
1,36 1,08
0,18 0,34.
Zu erwähnen ist noch, dass an dem Zählungstage selbstmordsüchtig waren 8,8 ^/o
der verpflegten Männer und 13,1 ^/^ der verpflegten Frauen, zusammen 10,8 ®/o aller
Irren. Die Nahrung verweigerteji 0,9 resp. 1,2 ®/o, zusammen 1,1^0 ^l^^r Irren.
Sommer.
— 166
HL Ana den GesellBOhafteii.
*
Sitzung der New York üeurological Society Tom 1. Dec. 1885. (Journ. of
nerv. and. ment. disease. 1885. X. p. 467.)
Ein besonderes Interesse erweckt der Vortrag W. A. Hammond^s über halb-
seitige Halluoinationen, von denen folgende Fälle ans seiner Praxis mitgetheilt
werden.
1) Ein sonst gesunder Mann machte eines Tages die eigenthümliche Entdeckung,
dass das Ticken einer Eaminuhr, sobald er nur mit dem linken Ohr hinhörte, die
Illusion, als würden Worte geflüstert, hervorrief. Bald wurden die Worte immer
deuüicber und Fat hörte endlich ganz bestimmte kurze Befehle aus der Uhr, immer
jedoch nur auf dem linken Ohr. Er erkannte die Subjectivitat dieser Wahrnehmungen
und liess sich daher nicht weiter durch dieselben beeinflussen.
2) Eine junge Dame, yielleicht im Anschluss an eine Oemüthserregung, sah
plötzlich verschiedene Gestalten vor sich; wenn sie nun ein Auge schloss, so schwand
ein bestimmter Theil der Erscheinungen, und wenn sie dagegen das andere schloss,
80 schwanden alle Figuren, die vorher sichtbar geblieben waren, während die vorher
verschwundenen sich jetzt wieder zeigten. Waren beide Augen geschlossen, so sah
sie zunächst Nichts, dann aber beide Gruppen, wenn auch nur undeutlich.
3) Ein junger Mann sah einige Wochen nach einer Verletzung dicht über dem
linken Ohr, die ihm mehrmals am Tage heftige Schmerzanfälle zu verursachen pflegte,
plötzlich eine schwarze Katze vor sich, und wohin er sich auch wandte, die Katze
blieb in seinem Gesichtsfeld. Gegen Abend und zur Zeit der Scbmerzparoxysmen
wurde die Erscheinung regelmässig deutlicher. Der Vortr. schlug in diesem Fidl die
Trepanation vor, um einen vermutheten Splitter der Tabula interna an. der Stelle der
Verletzung zu entfernen, doch wurde dieselbe nicht zugelassen.
4) Eine 50jähr. Dame, welche seit längerer Zeit durch beleidigende anonyme
Zuschriften gekränkt worden war, sah eines Tages, als sie über die Urheber derselben
nachgrübelte, plötzlich 2 Figuren, einen Mann und eine Frau vor sich. Anfänglich
von der Realität derselben überzeugt, bemerkte sie bald, dass sie den Mann nur auf
dem rechten Auge und die Frau nur auf dem linken Auge sah. Sie konnte daher
durch Schluss eines Auges ganz beliebig eine der beiden Figuren aus ihrem Gesichts-
kreise ansschliessen. Diese Erscheinungen wiederholten sich mehrmals durch einige
Monate hindurch und schwanden später wieder vollständig. Während jener Zeit
konnten sie übrigens auch willkürlich hervorgerufen werden, sobald Patientin den
Kopf tief herabhängen liess.
In allen diesen Fällen ergab die genauere Untersuchung der Hör- resp. Seh-
Organe keine pathologische Veränderung.
In der sich anschliessenden Discussion theilte L, Weber einen neuen Fall mit,
in welchem ein 37jähr. Mann auf Grund von häuslichen und geschäftlichen Sorgen
schlaflos und reizbar wurde und etwa 2 Jahre lang durch eigenthümlich flüsternde
Geräusche im linken Ohr beim Einschlafen gehindert wurde. Die Geräusche wurden
immer deutlicher und gestalteten sich zuletzt zu der Illusion, als ob zwei Stimmen,
eine schmeichelnde und eine befehlende sich mit einander abwechselten. Patient er-
kamite die Subjectivitat derselben, und als bessere Zeiten für ihn kamen, verloren
sich diese, stets auf das linke Ohr besohränkten Erscheinungen.
Spitzka verlegte mit Recht den Sitz der zu präsumirenden Störung in dor-
nigen Fällen in die sensorischen Gentren der Binde. Sommer.
— 166
IV. Bibliographie.
Zehn Vorlesimgen über den Bau der nervösen Centralorgane fOr Aerste
und Studirende, von Dr. Ludwig Edinger in Frankfurt a. M. (Leipzig
1885. Verlag von F. C. W. VogeL 138 Seiten mit 120 Abbildungen.)
Von all* den verschiedenen Specialwerken über Himanatomie halten wir das
vorliegende für das einzige, das im Stande ist, demjenigen, der nicht etwa diesen
Theil der Anatomie als Specialstudium betreiben will, sondern sich nur mit den
Thatsachen bekannt machen will, ein Bild von dem augenblicklichen Stande der
Wissenschaft zu geben. Es wird sich Jeder ohne besondere Mühe bei der klaren
und leicht fasslichen Darstellung durcharbeiten können, und das Interesse für den
Gegenstand selbst wird durch die zahlreichen eingestreuten und hinzugefügten Be-
merkungen über die physiologische und pathologische Bedeutung der beschriebenen
und abgebildeten Hirn- und Bückenmarkstheile wesentlich erhöht werden.
Mit Becht ist bei dem Zweck, den die Vorlesungen verfolgen, nicht in die DiB-
cussion der zahlreichen Streitpunkte über einzelne Dinge eingegangen und auch vnr
wollen auf einzelne abweichende Anschauungen, wie z. B. über die mikroskopische
Zusammensetzung der Hirnrinde (S. 33), über den Stabkranz des Linsenkems (S. 48)
u. s. w. au dieser Stelle nicht zurückkommen, mit Becht ist auch nur dasjenige auf-
genommen, was feststeht oder wenigstens in hohem Grade wahrscheinlich ist
Verf. hat sich auch, wie wir besonders anerkennen, nicht durch eigene Arbeiten
(mittelst der Flechsig'schen Methode) in bestimmten Gebieten beeinflussen lassen,
diese vorzugsweise zu behandeln und Anderes mehr zurücktreten zu lassen, sondern
giebt ein im Wesentlichen abgerundetes Bild unserer Kenntnisse vom Centralnerven-
System.
Für eine zu erwartende neue Auflage würde es sich vielleicht empfehlen, in
einer Vorlesung im Zusammenhang den centralen Verlauf der 12 Himnerven zu
behandeln, der ja praktisch von grosser Bedeutung ist und hier nur an verschiedenen
Stellen sich erwähnt flndei
Die Abbildungen sind sehr g^t ausgeführt, einzelne vielleicht zu schematisch.
M.
Die ungemein grosse Fülle der Literatur gestattet bei dem bisher begrenzten
Baume der Zeitschrift nicht, über Alles zu referiren; besonders müssen oft ans diesem
Grunde rein casuistische Mittheilungen, so grosses Interesse sie auch an und für sich
bieten, zurückgestellt werden. Um jedoch den Ueberblick über die einschlägige
Literatur zu einem möglichst vollständigen za machen, sollen jetzt die nicht refe-
rirten Arbeiten aus dem Jahre 1885 (und Ende 1884) übersichtlich zusammen-
gestellt werden; wobei nicht ausgeschlossen bleibt» dass gel^entlich eine oder die
andere der betreffenden Mittheilungen noch im referirenden Theil aufgenonmien wird.
Tabes.
(cf. Begister 1885 S. 575.)
Althaus: The sclerosis of the spinal cord. London. Longmous & Comp. (Aach
deutsch bei Wigand, Leipzig.) — Baymond: Tabes dorsal et Tabes spasmodique.
Dictionnaire encyclopM. Paris 1885. — Belügen: Becherches sur les causes de
Fataxie locomotrice progr. Progrös m^d. 1885. Nr. 35. 36. — Voigt: • Aetiologie
und Symptomatologie der Tabes. Ctrlbl. f. Nervenhlk. 1885. Nr. 8. — Petrone:
Syphilis als Ursache von Tabes. Gaz. med. it. Lomb. 1884. Nr. 8. (Von 50 waren
24 syph.) — Fournier: Lebens sur la Periode pr^taxique du tabes d'origine syphi-
litique. Paris 1885. Massen. — Lemonnier: Symptömes vesicaux et urethreuz
— 167 —
ioangurant la Periode pr^ataxique du tabee sur bd sujet sypbil. Annal. de dermat.
et sypk 1885. Mai 25. — Adamkiewicz: Die Bückenmarksscbwindsacht. Eine
Vorlesung. Wien 1885. Töplitz und Deuticke. — Brieger: Klinisches über Tabes
dorealis. Klin. Wocbenschr. 1885. Nr. 20. — Sydney Roberts: The spinal arthro-
pathies. Med. news. 1885. Febr. 14. — Atkin: Two cases of Gharcots Joint disease.
Med. chron. 1885. April. — Barr^: Contribution ä T^tude clinique de l'arthropathie
chez les ataxiques. Thdse de Paris 1885. — Lumbroso: Artropatia tabetika. Lo
Sperimentale. 1885. Mai. (Mit Literaturverzeichniss.) — Marshall: Ueber die
Charcofsche Krankheit. Lancet. 1885. Jan. p. 41. — Maclag an: über dasselbe.
Ibidem. — Bivington: dto.^ — Chauffard: Pied tab^tique et scl^rose des cor-
dons post^rieurs. Joum. des socl^t^ scientif. 1885. 4. Not. (cf. auch dieses Ctrlbl.
1886. S. 45 u. 68.) — Dutil: Fracture spontan^e au d^ut de tabes. Consol.
reguliere des fragments. Gaz. mM. 1885. Nr. 24. — Fanchon: Contribution ä
Tetude du mal perforant. Thdse de Paris 1885. — Heusner: Mal-perforans.
Deutsche med. Wocbenschr. 1885. Nr. 16. — Vivres: De la diarrh^e tab^tique.
Th^ de Paris 1885. — Yeilleau: Grises viscerales de Tataxie locomot. progr.
Paris 1885. Devenne. — Sahli: üeber das Vorkommen abnormer Mengen freier
Salzsäure im Erbrechen bei den gastr. Krisen eines Tabikers. Gorresp. f. Schweizer
Aerzte. 1885. Nr. 4. — Berbös: Tabes. Grises laryng^es. France mM. 1885.
Nr. 14. — Memschika: Gontribution ä V^tude des accidents laryngis chez les
ataxiques. Th^e de Paris 1885. — Amand: De lli^miatrophie de la langue
dans le tabes dorsal ataxique. Th^e de Paris 1885. — Ballet: Hemiatrophie
der Zunge bei Tabes. Arch. de Neurol. VII. p. 191. — Raymond et Artaud:
über dasselbe. Arch. de Physiolog. 1885. April p. 367. — G'alezowski: Des
tronbles oculaires dana Tataxie locomotrice. Paris 1885. Felix Alcan. — Samel-
sohn: Ataxie der Linkswender der Blickebene bei Tabes. Deutsche med. Wochen-
schrift. 1885. Nr. 25. — Hermet: Taubheit bei syphilitischer Tabes. Union. mM.
1884. Nr. Sßi — Schlieper: Ueber eine seltnere Gomplication der Tabes dorsal.
Breslau 1885. — Gaugh: De quelques symptOmes insolites de l'ataxie loc. progr.
Montpellier. Böhm A fils. — Oppenheim: Fall von Tabes mit Diabetes mellitus.
Klin. Wocbenschr. 1885. Nr. 49. — Border^my: Des remissions dans Tataxie loco-
motrice. Th^e de Paris 1884. — Ormerod: On the combination of lateral and
posterior sclerosis in the spinal cord. Brain. 1885. April. — Berbds: Observation
de Pseudo-Tabes ä Fintoxication par le sulfure de carbone. France m^d. 1885.
Nr. 1. — Bonnet: Des tronbles nerveux dans Tintoxication par le sulfure de car-
bone. Thtee de Paris 1885. — Bertoye: Note snr un cas d'h^miataxie locomotr.
progr. d'origine professionelle. Lyon mM. 1885. Nr. 38.
Friedreich'BOhe Krankheit.
(cf. dieses Centralbl. 1886. S. 111.)
Ormerod: An account of two families screral members of which ataxia. Med.
chir. Transact. 1885 (cf. Ctrlbl. 1885. 8. 382). — Seguin: Clinical report of Fried-
reich disease. Med. record. 1885. Nr. 24. — Sinkler: Two cases of Friedreich
disease. Med. news. 1885. Juli 4.
Spastisohe Spinalparalyse.
Naef: Die spastische Spinalparalyse im Eindesalter. Inauguraldissert Zürich
1885. — Donkin: A note of spastic paraplegia and the treatment of some cases
by resi Brain. 1885. October.
> Arthropathie]], cf. anoh dieses CentralbL 1886. S. 20 a. 21.
— 168 —
Atrophische Lähmungen.
(cf. Register 1885 S. 573.)
Scbirmeyer: Beitrag zur Kenntniss der progressiven Muskelatrophie. G(}ttingea
1885. — Eliot: Poliomyelitis anterior bei Erwachsenen. Americ. Jonm. of med.
scienc. 178. p. 138. — Bockwell: Poliomyelitis anterior bei Erwachsenen. New
York med. Becord. 1885. 27. August. — Page: Acute atrophische Paralyse bei
Erwachsenen. New York med. Becord. 1885. Februar. — Goutts: On arthropathies
associated with infantile paittlysis. Med. times and gaz. 1885. Juli 18. — Marina:
Uno studio sulle amiotrofie. Lo Sperimentale. 1885. Oct. Nov. — Patella: Della
paralisis spinale atrofica temporanea e diffusa degli adulti. Gaz. degl. osp. 1885.
Nr. 26 — 33. — Dreschfeld: On some of the rares formes of muscular atrophies.
Brain. 1885. July. — Marie et Guinon: Formes cliniques de la myopathie pro-
gressive primitive. Forme juvenile de Erb. Bevue de m^d. 1885. Oct. — Jacubo-
witsch: Zur Lehre von der Pseudohypertrophie und progr. Atrophie der Muskeln
bei Kindern. Arch. f. Einderheilk. VI. 5. — Bourdet: Gontribution h, l'^tude de
la paralysle pseudo-hypertr. Bevue mens, des malad, de Fenf. 1885. Febr. bis ApriL
— Middleton: über dasselbe. Glasgow med. Jonm. 1884. — Whitta: Fälle
von pseudo-hypertrophischer Paralyse. Med. times and gaz. 1885. Februar 28. —
Elockner: über dasselbe. Aerztl. Intelligenzbl. 1884. Nr. 40 — 42. — Grocco:
Sulla pseudo - ipertrofia muscolare nevropatica degli adulti. Gaz. med. ital. 1885.
Nr. 5. — Mingazzini: Hemiatrophie des Gesichts. L6 Sperimentale. 1885. Febr.
Multiple Solerose des Hims und Büokenmarks.
(cf. Begistor 1885 S. 575.)
T ja den: Ein Beitrag zur Kenntniss der multiplen Sderose des Hirns und
Bückenmarks. . Göttingen 1885. Vandenhöck & Bupprecht. — Babinski: Etüde
anatomique et clinique sur le scl^rose en plaques. Th^se de Paris 1885. — Dalma:
Gontribution k T^tude de Tatrophie musculaire survenants dans le cours de la scle-
rose en plaques disstfminte. Paris 1885. Devenne. — Schuster: Ein Fall von
multipler Sclerose des Gebims und Bückenmarks in Folge von Syphilis. Deutsche
med. Wochenschr. 1885. Nr. 51.
V. Personalien.
Der Director der Prov. -Irren- Anstalt in Bügenwalde, Sanitätsrath Dr. Seiffert,
ist gestorben. Zu seinem Nachfolger ist Dr. Flügge, bisher II. Arzt an der Uecker-
münder Anstalt, ernannt worden. Die letztere Stelle ist zu besetzen.
VI. VermlBohtes.
Der Plrovinzial- Landtag von Pommern hat zum Zwecke des Baues einer neuen Pro-
viazial-Irren-Anstait eine Anleihe von 2 Millionen Mark bewshlossen. Die Anstalt wird
wahrscheinlich in Hinterpommem errichtet werden, da für den Bau in der Nähe von Greifs-
wald das nöthige Entgegenkommen von Seiten der Staatsregierang fehlt. Für die Bedürf-
nisse der Universität vrird wahrscheinlich von Seiten der Unterrichts- Verwaltung eine Klinik
eingerichtet werden; die jetzt in Greifswald bestehende Provinzial-Anstalt soll eingehen. —
Der Bau der neuen Anstalt soll thunlichst beschleunigt werden, so dass die Vorarbeiten im
Laufe dieses Jahres noch beendigt werden. Siemens.
Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten.
Einsendungen für die Bedaotion sind zu richten an Prot Dr. E. Mendel,
Berlin, NW. Kronprinzen-Ufer 7.
Verlag von Vkt & Comp, in Leipzig. ^ Druck von Mbtzqbb & Winre in Leipzig.
NEÜROLOGISCHESCENTRALBLAn.
Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie
und Therapie des Nervensystemes einschliesslich der Geisteskrankheiten.
Heraasgegeben von
Professor Dr. E. Mendel
Fünfter «iBnün. Jahrgang,
• 1 — •*
Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 16 Mark. Zn beziehen durch
alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Beichs, sowie
direct von der Verlagsbuchhandlung.
1886. 15. AprU. M 8.
Inhalt I. Originalmiitbeilungen. 1. Ein Fall von Ponstuberkel, von Dr. Ludw. Bruns.
2. Nachtrag zu dem FaU von totaler Degeneration eines Hirnschenkelfusses in Nr. 7 von
6. Rossolymo.
11. Referate. Anatomie. 1. Tbeilung der Art. carotis interna in der SchädelhÖble, von
Flesch. — Experimentelle Physiologie. 2. Neue Thatsachen aber die Hautsinnesnerven,
TOD Goldecheider. — Pathologische Anatomie. Degeneration der äusseren Portion des
HimschenkelfaBses, von Bechterew. 4. Gliose u. HöhlenbUdung in der Hirnrinde, von FOrstner
^ StOhlinger. ö. On a case of miliary Selerosis of the brain, bv Gowers. — Pathologie
des Nervensystems. 6. Contribution a T^tude de Taphasie: ae la c^cite psychicjue des
choses, par Bernheim. 7. Des aphasies puerperales, par Poupon. 8. Zur Locaiisation der
Groashimfunctionen u. zur Iiehre von der secundären Degeneration, von Brink. 9. Aphasie
^ ibre Beziehungen zur Wahrnehmung, von firashey. 10. Aphasie bei gleichzeitiger Erhal-
^g der Zahlensprache und Zahleuscmift, von Volland. 11. Spastische Cerebralparalvse im
Kindesalter nebst einem Ezcurse über „Aphasie bei Kindern", von Bernhardt. 12. Verlust
des SprachyermÖgens und doppelseitige Hypoglossusparese, von Edinger. 13. Doppelseitige
I^hmung des N. acessorius Willisii, von Remak. 14. Trophon^vrose fadale mMiane, par
Nicaise. 15. Contribution ä l'^tude de quelques • unes des formes oliniques de la myo-
paihie progressive primitive, par Marie et Gulnon. 16. Note on ankle^clonus as a s^^mptom
in oertain forms of nervous disease, by PJayfair. 17^ Sulla meningite cerebrospinale epidemica
10 Sicilia, del Biuffrft. 18. A case of paralysis of the lower extremities with hvperfrophy of
uie skin, subcutaneous and muscular tissues, by Mitchell. 19. Suiitätsberieht über die deut-
schen Heere im Kriege gegen Frankreich 1870/71: VII. Band: Erkrankungen des Nerven-
^tems. ^ Psychiatrie. 20. Fall af langvarig näringsvägran, af B]0rck. — Therapie.
^1» Om Behandlingen af Tetanus, af Leegaard. — Anstaltswesen. 22. On a recent visit
to Gheel, by Tuke. /
III. Aus den Gesellschaften. — IV. BIbilegraphie. — V. Vermischtes.
I. Originalmittheilungen.
1. Ein Fall von Ponstuberkel.
Von Dr. Ludwig Bruns, Assistenzarzt.
(Aus der psychiatrischen und Nerven -Klinik zu Halle a./S.)
(Schluss.)
SectionsprotokoU (Herr Dr. Brosin): 85 cm lange, grazil gebaute, muskel-
^'n&e, magere Knabenleiche. Thorax nach oben zn schmal und flach gebaut, nach
QQten glockenförmig erweitert. Abdomen hervorgewölbt und gespannt. Augenlider
geschlossen. Das rechte Auge gerade nach vom gerichtet, das linke medianwärts.
— 170 —
ohne horizontale Abweichung. Im rechten GehCrgang flüssiger Eiter. Die Oesichts-
hälften gleich gebaut, nur erscheint die linke untere Wangengegend flacher, als die
der rechten Seite. Die Extremitäten frei von abweichenden Stellungen, nur sind
die Finger flectirt und die Daumen in die Hohlhand geschlagen; doch lassen sich
dieselben leicht strecken, zeigen aber Neigung, die alte Stellung wieder einzunehmen.
Hand- und Armmuskeln der beiden Seiten lassen eine Massendifferenz nicht erkennen.
Schädeldach symmetrisch gebaut, an den Scheitelbeinen reichlich breit und nach
vom sich dem entsprechend erheblich Terschmälemd. Enochennäthe als 1 cm breite
weisse Streifen sichtbar, Fontanelle nicht einmal angedeutet. Oberfläche glatt, bläulich
durchscheinend. Schädeldach von der Dura leicht abzuheben, sehr zart und leicht,
fast überall mit einer schmalen Schicht bläulicher Diploe versehen. Innenfläche glatt,
Gefässfurchen kaum angedeutet, dagegen heben sich sowohl am Frontalbein, als an
den hinteren Hälften der Farietalknochen deutlich und tief Impressiones digitatae ab.
Dura sehr zart und fast durchsichtig, an der Stirn in flachen Falten abhebbar,
ihre Oberfläche glatt, die Arterien reichlich, die Venen nur massig geffllli Im Sinus
longitudinalis ein solides Fibrin- und Blutgerinnsel, welches plötzlich an einer Stelle,
welche der Einmündung der Piavenen der hinteren Scheitelgegend entspricht, in eine
anscheinend ältere, trübe, graue und brüchige, allerdings der Wand nur locker an-
liegende, thrombotische Masse übergeht und diese Beschaffenheit etwa 2 cm lang
behält In den hier einmündenden Piavenen beflnden sich nur frische Blutgerinnsel.
Innenfläche der Dura spiegelnd glatt.
Beide Hemisphären symmetrisch gebaut. Die Pia vollständig zart, ihre ober-
flächlichen Venen ziemlich reichlich gefüllt, besonders rechts hinten. (Der bisherigen
Lagerung der Leiche entsprechend.)
Bei Herausnahme des Qehims bietet die Lösung des hinteren Bandes der linken
Eleinhimhemisphäre einige Schwierigkeit und besteht hier eine lockere Verklebung
zwischen Dura und Pia. Es sammeln sich in der hinteren Schädelgrube wohl
60 kcm klarer Flüssigkeit an. Die Pia auch an der Basis durchaus zart, nur dass
sie in der Gegend des Chiasmas eine schwach hervortretende weissliche Eigenfarbe
besitzt. Zwischen den hinteren Ghiasmaschenkeln wölbt sich der Boden des 3. Ven-
trikels durchscheinend vor.
Der Pons zeigt eine Abflachung seiner rechten Hälfte, vielleicht nur im Ver-
hältniss zu der stark hervorragenden, namentlich medullarwärts sackartig sich aus-
buchtenden linken Hälfte. So verläuft auch die Arteria basilaris in einem flachen,
nach rechts convezen Bogen und schneidet die Arteria cerebelli superior sinistra
besonders tief in die Ponssubstanz ein.
An den Stämmen der Gehimnerven lässt sich bei oberflächlicher Besichtigung
ein abnormes Verhalten nicht feststellen. Ebenso sind die Arterien der Basis normal
Medulla oblongata, besonders auch die Oliven normal, nur dass entsprechend
dem verschiedenen Verhalten der Ponshälften die linke Olive unmittelbar an die
Brücke stösst, während die rechte von ihr durch eine grössere flache Grube ge-
trennt wird.
Durch die Pia hindurch tritt an mehreren Stellen des (rehims eine in Herdform
auftretende gelbe Verfärbung (Verkäsung) der Binde zu Tage. So flnden sich am
hinteren Bande der linken Eleinhimhemisphäre zwei an einander stossende, unregel-
mässig gerundete und je etwa 1 cm im Durchmesser haltende derartige Herde, die
noch von einem mehrere Millimeter breiten glasig grauröthlichen Hofe umsäumt
werden. Ein linsengrosser Herd liegt an der entsprechenden Stelle der rechten
Eleinhimhemisphäre. Ein anderer 20pfennigstückgrosser Herd an der hinteren Spitze
des linken Ocdpitallappens, sowie ein letzter der Art 4 cm von jenem nach vom
und 2^/2 cm lateral wärts von der Längsfurche in den hinteren Partien des linken
Scheitellappens. Die Pia ist sonst an Convexität und Basis überall f^ei, namentlich
auch von miliaren Enötchen, ebenso zeigt die Dura der Basis nichts Abnormes.
— 171 —
Zar weiteren Besichtigang des Pr¶tee wird zmi&chst der Wurm in der
MiiteUinie dnrchtrennty nm sich so den Einblick in den vierten Ventrikel zn yer-
schaffen.
Man sieht hier, wie sich angeföhr 3 cm nach vom vom Galam. Script, der
Boden des vierten Ventrikels in der Grösse eines Fün^fennigstücks kngelig vorwölbt.
Die Oberfläche dieser Vorwölbnng ist leicht höckerig und von dnnkelgranröthlicher
Farbe, und fohlt man mit dem Finger deutlich eine stärkere Besistenz, als an der
entsprechenden Stelle der anderen Seite. Nach. vom erstreckt sich, nach dem Oe-
MMe zn nrtheilen, der Tumor bis ungefähr 3 mm abwärts vom Eingang des Aquae-
ductus Sjlvii, nach hinten bis an die vordersten Striae medulläres. Es wird ungeföhr
3 mm abwärts vom hinteren Ende des Tumors ein frontaler Schnitt durch die ganze
Medulla gemacht, und es zeigt sich nun, dass fast der ganze Qnerachnitt beider
Ponshälften in dieser Höhe in eine krOmliche Käsemasse verwandelt ist; rechts bleibt
hauptsächlich eine, der Aussenseite des Pens und dem Boden des 4. Ventrikels zu-
nächst liegende, ca. 2 mm breite Bandzone und auf beiden Seiten die ventralsten
Partien (Theile der Pyramidenbahnen und Stratum superficiale der Brücke) frei.
Der ganze Tumor hat nach dem Grefühl zu urtheilen, die Grösse einer Kastanie und
scheint vollkommen die Oestalt einer Kugel zu besitzen.
Auch die übrigen in Bezug auf ihre Localisalaon oben schon beschriebenen
Rindenherde erweisen sich bei genauerer Besichtigung als Solitärtuberkel, die sich
mehr oder weniger weit in die Binde der betreffenden Himparthien hineinerstrecken.
Medulla oblongata, Vermis cerebelli, Himschenkel, die grossen Ganglien und die
Centra semiovalia bieten makroskopisch keinen pathologischen Befund.
Die Seitenventrikel und der 3. Ventrikel sind erweitert, das Ependym ist glatt.
Das Bückenmark zeigt auf dem Querschnitt keine Besonderheiten; in den Hinter-
seitensträngen keine Kömchenzellen, wohl aber im rechten Hinterseitenstrang zahl-
reiche Corpora amylacea.
Von den übrigen Sectionsbefunden ist nur noch zu erwähnen, dass in beiden
Langenspitzen Tuberkelherde gefunden werden.
Die Diagnose war in diesem Falle leicht zu stellen. Es mosste sich um einen
Tumor des Pens in der mittleren Partie desselben handeln, der zunächst links sass
ond sich später nach rechts ausbreitete. In Bezug auf die Art des Tumors konnte
beim Alter des Patienten, der hereditären Belastung und der länger bestehenden
Ohrtuberknlose nur an einen Tuberkel gedacht werden. Ausser der schon
charakteristischen altemirenden Hemiplegie fand man ein für Tumoren in der
Gegend des Abducenskems , wie es zuerst Bboadbent^ hervorgehoben bat,
geradeza pathognomonisches Zeichen: die assodirte Lähmung der beiden Augen
för die Bewegung nach links, mit Ueberwiegen der Lähmung im betreffenden
linken Abducens. Dieses Symptom war nach den Angaben des Vaters das erste
Krankheitszeichen, erst später traten die henuplegischen Erscheinungen der
anderen Eörperhälfte hinzu; es bestand also eine Zeit dieses Symptom für sich
allein und würde für sich allein genügt haben, die richtige Diagnose zu stellen.
£men solchen Fall, wo neben der assocürten Augenmuskellähmung nur noch
Facialislähmong auf der Seite des gelähmten Abducens bestand, beschreiben
UiBBzxjEwSKT Und RosENBACH.^ Sie besprechen auch ausführlich die Er-
Uärungsversuche dieser Erscheinung, die sich im Wesentlichen auf die Annahme
1 Med. Times and Qazette. 1872. Vol. I.
^ Nenrolog. CeDtralbl. 1885, Nr, 16 q. 17,
172 —
eioer directen Yerbindong zwischen dem Abducenskem und den Ganglienzellen
für den ihm coordinirten Bectos internus beschranken. Auch die betreffexide
Literatur wird von ihnen vollständig angeführt. Ebenso findet man in ,^er27-
habbt's Himgeschwülsten^' eine Zusammenstellung von 30 Tumoren des Pons
und eine genaue kritische Beschreibung der dabei beobachteten Symptome, ^ot
allem auch der assodirten Augenlähmung. Den sich für die Sache naher inter-
essirenden Leser kann ich wohl auf diese beiden leicht zugänglichen Quellen
verweisen; ich wollte diesen Fall nur zur Vermehrung der betreffenden Gasuistik
veröffentlichen, was immer noch von einigem Werthe sein dürfte. Die Herde
im Kleinhirn und dem linken Occipital- und Parietallappen haben die Reinheit
der Beobachtung wohl kaum getrübt; vor Allem war der Wurm des Kleinhirns
nicht mit betheiligt. Zugestehen will ich, dass die bei Ponstmnoren seltene
Neuritis optica, 2mal in 30 Fällen von Bernhardt, die dagegen gerade bei
Kleinhimtumoren besonders häufig ist, vielleicht auf die Erkrankung des letzteren
Organs zurückzufuhren ist.
Hervorheben möchte ich noch das bis zum Tode wohl constatirte Fehlen
irgend einer Affection der Faciales. Bernhard hat unter 30 Fällen nur einen
gleichen und ist diese Gruppirung der Symptome bei der Hochgradigkeit der
Abdncensaffection in Rücksicht auf die anatomischen Verhältnisse wohl nur
schwer zu erklären. Das Gleiche gilt für das Fehlen der Sensibilitätsstörungen.
Vielleicht wird die vorbehältene mikroskopische Untersuchung des Falles mehr
Lic^t in die Sache bringen.
2. Nachtrag zu dem Fall von totaler Degeneration eines
Himschenkelfasses in Nr. 7.
Von G. BosBolymo, Assistent der Nervenklinik an der Universität Moskau.
Bald darauf, nachdem jene Mittheilung an die geehrte Bedaction abgesendet
war, bot sich mir Gelegenheit einen neuen Fall zu untersuchen , in welchem,
nach einer Läsion des Scheitel- und Schläfenlappens einer Hemisphäre eine
secundäre D^eneration des mittleren und äusseren Drittels des Himschenkel-
fusses statt fand. Eine ausführlichere Mittheilung hoffe ich, wird bald veröfient-
licht werden können.
Beide anatomische Untersuchungen sind im Laboratorium des Herrn Prof.
A. EoscHEWNiKOFF gemacht worden, dem ich meinen innigsten Dank für seine
Leitung schuldig bin.
II. Referate.
Anatomie.
1) Ein weiterer Fall von Theilung der Arteria carotis interna in der
Sohädelhöhle, von Max Flesch in Bern. (Arcb. f. Anat. u. PbysioL 1886.
Anat. Abth%.)
— 178 —
Das Präparat dntstammt einem 22jähr. Verbrecher. Die Art. basilarifi cerebri
wird fast nur aus der A. vertebralis sin. gebildet, da die A. vertebr. dextra ungemein
schwach ist. In der Art. basilaris, etwa in die Mitte ihrer Länge, tritt von links
her ein über 2 mm Durchmesser starkes Gefäss, welches aus der Art. carotis sin.,
da wo sie im Sinus cavernosus die zweite Biegung macht; es gelangt in die Schädel-
böhle, indem es aussen und oben vom N. abducens die Dura in der hinteren Schädel-
gmbe durchbohrt. Nach vom theilt sich die Basilararterie wie gewöhnlich zur Bil-
dung des Girculus arteriosus Willisii.
Besonders interessant wird der Fall durch gleichzeitige Anomalie der Hirnwin-
dungen, bei welchen die transversalen Furchen so fiberwiegen, dass Längswindungen
nur am linken Stimlappen zu erkennen sind.
Beiderseits finden sich je 4 die Breite der Hemisphären fast vollständig durch-
trennende Querfurchen, eine vor und eine hinter der Centralfurche, und eine sehr
tiefe vierte, vrelche den hinteren Ast der Parietalspalte durchkreuzt.
Trotz dieses Zusammentreffens spricht sich F. auf Grund zahlreicher anderer
Fälle gegen eine Abhängigkeit der Windangsanomalie von der Anomalie der Gefäss-
stämme aus; letztere bestehen oft ohne abnorme Windungsverhältnisse. Eher sprächen
manche Beobachtungen dafür, dass von der normalen Entwickelung des Nervensystems
resp. des Gehirns die normale Gefssvertheilung im ganzen Körper in einer gewissen
Abhängigkeit stehe, weil bei Himmissbildangen gleichzeitig auffallende Abnormitäten
an Arterien und Venen gefunden werden. H ad lieh.
Experimentelle Physiologie.
2) Neue Thatsaohen über die Hautsinnesnerven, von Dr. Alfred Gold-
scheider. (Arch. f. Anat. u. Physiol. 1885. Phys. Abthlg. Supplement-Band.
Mit 5 Tafehi.)
Verf. giebt eine ausführlichere Darstellung der von ihm in früheren Aufsätzen
gemachten Mittheilungen über die Temperatur- und Drucknerven. Die Haut
ist nicht überall temperaturempfindlich, sondern nur an gewissen Punkten, und zwar
an dem einen Theil derselben nur kälteempfindlich, an dem andern nur wärme-
empfindiich. Dieselben, als Kälte- und Wärmepunkte bezeichnet, liegen unter ein-
ander gestreut, fallen aber nie zusammen. Ihre Anordnung ist im Allgemeinen fol-
gende: Sie reiben sich in Ketten aneinander, welche meist leicht gekrümmt ver-
laufen. Dieselben strahlen radienartig von gewissen Punkten der Haut aus, welche
als Ausstrahlungspunkte oder Temperaturpunkt -Centren zu bezeichnen
sind. Die Ketten der Kältepunkte fallen meist nicht zusammen mit denen der
Wärmepunkte, ihre Ausstrahlungspunkte sind aber gemeinsam. Letztere fallen vor-
wiegend mit den Furchen der Haut zusammen. Die Kältepunkte sind überall zahl-
reicher als die Wärmepunkte. Werden Kältepunkte mechanisch oder elektrisch ge-
reizt, 80 entsteht ein punktförmiges Kältegefühl; ebenso bei den Wärmepunkten
Wärmegefühl. Es ist dem Verf. gelungen, durch elektrische und mechanische Er-
i'^gung von Nervenstämmen ebenfalls excentrisches Kälte- und Wärmegefühl zu
erzeugen. Gegen punktförmige Berührungs- und Schmerzreize erweisen sich die
Temperaturpunkte unempfindlich, ausser dass sie mit Temperaturempfindung reagiren.
Hiemach giebt es also nicht bloss specifische Temperatumerven, sondern speci-
fische Kälte- und specifische Wärme-Nerven, von denen die ersteren lediglich
to Kälte- Empfindung, die letzteren der Wärme-Empfindung dienen; dieselben unter-
liegen somit wie echte Sinnesnerven dem Cresetze von den specifischen Energien.
Bezüglich der Theorie des Temperatursinnes geht Verf. auf die E. H. Weber'sche
Vorstellung zurück, wonach das Sinken der Hauttemperatur als Kälte-, das Steigen
derselben als Wärme empfunden wird; durch ersteres werden die Kältenerven erregt,
- 174 -
dorcb letzteres die Wärmenerven. Die Hering'eche Temperatarsinn-Theorie, welche
anf die Einheit des Temperatnrsinns basirt ist, wird widerlegt Die Temperatur-
empfindlicbkeit zeigt an der Körperoberfläche die grössten topischen Verschiedenheiten ;
sie ist an jeder umschriebenen SteUe der Haut direct abhängig von der Zahl und
Intensität der auf ihr befindlichen Temperaturpunkte, d. h. von dem localen Beich-
thum an Temperatumerven, und geht Hand in Hand mit den Ausbreitungsbezirken
der grossen sensiblen Nervenstamme. Es giebt Körperstellen, welche ganz temperatur-
anästhetisch sind.
Ausserdem unterscheidet Verf. in der Haut allgemeine Gefühlsnerven und
specifische Drucknerven. Letztere endigen an gewissen Funkten der Haut,
welche nicht nur besonders empfindlich gegen äusserst feine Berührungen sind, son-
dern ausserdem die Träger eines eigenen, zwischen ihnen nicht zu producirenden,
„kömigen'' DruckgefQhles sind. Diese Druckpunkte sind nach demselben Typus
angeordnet wie die Temperaturpunkte, stellen aber im Allgemeinen viel dichter. Sie
allein befähigen uns, die Abstufungen der Druckstärke wahrzunehmen; ausserdem
sind sie durch einen hervorragenden Ortssinn ausgezeichnet, welcher sich weit über
die bekannten Weber'schen Empfindungskreise erhebt. In analoger Weise besitzen
auch die Temperaturpunkte einen sehr distincten Ortssinn. Beigegebene Tabellen
zeigen das Verhalten desselben an den verschiedenen Körpertheilen. Auch beim
Drucksinn nehmen die Härchen eine hervorragende Stellung ein. Die Temperatur-
und Drucknerven zeigen vielfach ein reciprokes Verhalten bezüglich ihrer Häufigkeit.
M.
Pathologische Anatomie.
3) Ein neuer Fall von Degeneration der äusseren Fortion des HimBohenkel-
fOBses (des Türok'sohen Bündels), von W. Bechterew. (Busskaja Medi-
cina. 1885. Nr. 33. Russisch.)
Im Anschluss an eine frühere Publication über secundäre Degeneration des Hirn-
schenkeis (Wjestnik psychiatrii i nevropatologii. 1 885. I. Referat im Neurol. Ctrlbl.
1885. S. 398) veröffentlicht B. eine Beobachtung, in der Degeneration der inneren
und äusseren Portion des Himschenkelfusses gefunden wurde, während die Pyramiden-
bahn von derselben fast vollständig verschont geblieben war.
Es handelt sich um einen 35jährigen Kranken, der im September 1878 in die
Ijeipziger Irrenklinik mit leichter rechtsseitiger Parese der Motilität, deutlich aus-
geprägter Sprachstörung und apathischem Schwachsinn aufgenommen war; die Kraok-
heit hatte im August mit einem apoplectoiden Anfall, der rechtsseitige Hemiplegie
und Aphasie znrückliess, angefangen. Der Tod erfolgte am 12. März 1885 ohne
wesentliche Veränderungen des Krankheitsbildes — abgesehen von wiederholten
apoplectoiden Anfallen.
Die Section ergab im Gehirn: ausgedehnte Sclerose und zum Theil Obliteration
der Arterien an der Basis; an der Oberfläche der linken Hemisphäre grosse Er-
weichungsherde, hauptsächlich im Occipital- und Temporallappen, zum Theil aucli in
.den Scheitelwindungen; in der nämlichen Hemisphäre einen begrenzten Erweichungs-
herd im vorderen Schenkel der inneren Kapsel, in der Nachbarschaft des Kopfes des
Nnd. caud. In der rechten Hemisphäre waren die Windungen unversehrt, aber auch
hier fand sich ein ähnlicher £rweichungsherd im vorderen Schenkel der inneren
Kapsel. Die äussere Portion des linken Himschenkelfusses erschien atrophirt, und
längs des äusseren Randes desselben konnte man ein graues Bündel verfolgen.
Die mikroskopische Untersuchung erwies, dass im linken Himschenkelfuss sowohl
die innere, als die äussere Portion (jederseits ungefähr ein Viertel der Breite des-
selben) degenerirt war, während die der Pyramidenbahn entsprechende mittlere Por-
tion nebst einem Theil der inneren intact erschien. Im rechten Himschenkelfuss
— 175 —
war nnr die innere Portion, nnd zwar in etwas geringerer Aasdehnung, degenerirt.
In absteigender Richtung konnten die degenerirten Fasern nur bis zum oberen
Brückenabschnitt verfolgt werden. Alle anderen in Betracht kommenden Gebiete
(Haabenregion, Pyramidenbahn etc.) waren unverändert
Was die Bedeutung des beschriebenen Befundes anbelangt, so macht B. zuvör-
derst darauf aufmerksam, dass in der Literatur — abgesehen von seiner früheren
(s. oben) Publication — keine Beobachtung secundärer Degeneration des Türck'-
schen Himschenkelbfindels bekannt sei. Femer sieht er in diesem Fall die Bestä-
tigung der von ihm in jenem Artikel aufgestellten Behauptung, dass Degeneration
des Türck^schen Bündels mit Zerstörung im Gebiet der Hinterhaupts- und Schläfen-
lappen zusammenhänge; ebenso werde durch das Fehlen von Degenerationszeichen in
der unteren Brückenhälftie die auch von ihm vertretene Annahme Flechsiges be-
kräfkigty nämlich, dass das Türck'sche Bündel in den Nervenzellen der Brücke (der
oberen Hälfte derselben) endige. — Die Degeneration der inneren Portion beider
Himschenkelfusse bringt B. mit der in beiden Hemisphären gefundenen Erweichung
des vorderen Abschnitts der inneren Kapsel in Zusammenhang.
P. Eosenbach.
4) lieber Qliose und Hohlenbildung in der Hirnrinde, von Prof. Fürstner
und Dr. Stühlin ger. (Arch. f. Psych. Bd. XVH. H. 1.)
Die Verff. machen in vorstehender Arbeit Mittheilungen über 4 Fälle jener
bisher nur von wenigen Forschem beschriebenen Erkrankung der Gehimoberfläche,
die sich daidnrch charakterisirt, dass sich in der äusseren Bindenschicht einer Reihe
von s(^enannten Prädilectionswindnngen (solche sind: die Central Windungen, die
3. Schläfenwindung, Klappdeckel, Insel) hellgelb gefärbte, ebene und höckerige
Stellen (Granula nnd Tubera) sich bilden, in deren Inneren es zur Höhlenbildung
kommt. Der pathologische Process besteht darin, dass von den Gefässscheiden aus
zahlreiche Leucocyten und Spinnenzellen sich nenbilden, durch deren partielle Weiter-
nnd Rückbildung neues Gliagewebe geschaffen wird und Höcker verschiedener Grösse
entstehen. Durch körnigen Zerfall des bindegewebigen Faserwerkes entwickeln sich
in jenen Höckem Höhlen, ähnlich wie bei Syringomyelie. Die Ganglienzellen er-
kranken secundär und nnr in der zweiten Bindenschicht, während die tieferen Schichten
keine krankhafte Veränderung zeigen. Die Gefässwände bleiben frei von Kemwuche-
nmg. Im Weiteren zeigten sich in allen 4 Fällen ausgesprochene atrophische Yor-
f^nge in den Nn. optici (in einem Falle auch im N. olfactorius) und in den Hinter-
strängen.
Das diesem pathologischen Befunde entsprechende Krankheitsbild glich in hohem
Crrade der progressiven Paralyse, doch hatte es in manchen Punkten auch Aehnlich-
keit mit der multiplen Sclerose.
In klinischer Beziehung verdienen diese 4 Fälle jedenfalls eine ganz besondere
Würdigung. Charakteristisch sei hier vor Allem die in allen Fällen nachweisbare
hereditäre Belastung und der sehr frühe Beginn des Leidens (im Kindeealter in
3 Fällen). Möglicherweise liege dem ganzen Process eine abgelaufene Leptomenin-
gitis im Kindesalter zu Grande. Von der multiplen Sclerose unterscheiden sich die
Fälle in klinischer Hinsicht durch das Fehlen des Intentionszittems, des Nystagmus
Qnd der scandirenden Sprache. Die klinische Verschiedenheit von der Paralyse sei
mehr gradueller Natur (die Kranken waren perceptionsfahiger, sie nahmen trotz ihrer
Blindheit an den Vorgängen in der Umgebung mehr Antheil als Paralytiker im
gleichen Stadium), auch müsse Gewicht gelegt werden auf das Fehlen von Pupillen-
differenzen nnd der Facialisparese beim Bestehen von tabischen Erscheinungen ver-
^«nden mit Opticusatrophie (in allen 4 Fällen). Nach Ansicht des Ref. genügen
*W diese Momente nicht vollständig, um eine Trennung von der Paralyse in kli-
nischer Beziehung au rechtfertigen.
— 176 -
In patholo^ch- anatomischer Bezlehang sei im G^ensatz zur Paralyse herror-
znheben, neben der Verschiedenheit des histologischen Processes, die haaptsachliche
Localisimng der Granula auf Insel und Klappdeckel, bei relativerem Freibleibmi der
Stirnwindungen, sodann der Mangel an Residuen hyperämischer Zustande, das Fehlen
Ton Gef&sserkrankungen und schliesslich die Beschränkung der Erkrankung auf die
erste und zweite Rindenschicht.
Bemerkenswerth seien die Differenzen dieser Fälle von der multiplen Sclerose,
auch in anatomischer Hinsicht; es lassen sich diese zusammenfassen in folgenden
Punkten: 1) Beschränkung des Processes in allen 4 Fällen auf die Hirnrinde, Frei-
bleiben anderer Himregionen (vor Allem Himstamm, Markkörper), 2) Auftreten von
tumorenartigen Prominenzen auf der Oberfläche, verbunden mit Höhlenbildung, während
die Plaques bei der Sclerose nicht Qber die Oberfläche prominiren, 3) Intactbleiben
der eigentlichen nervösen Elemente, wie z. B. der Ganglienzellen, 4) Bildung eines
viel derberen Gewebes, als bei der Sclerose. v. Monakow.
6) On a oase of miliary Solerosia of the brain, by W. B. Gowers. (The
Lancei 1886. Vol. I. Nr. IV. p. 145.)
Die Bezeichnung „miliare Sclerose" wurde zuerst von B. Tuke und Ruther-
ford bei einem Fall von Cerebellarathrophie eines Dementen angewendet; aber die
Degeneration war nur mikroskopisch, also nicht miliar, was hirsekorngross bezeichnet;
es war auch ausserdem wahrscheinlich gar keine Sclerose vorhanden. Dagegen be-
richtet Verf. einen Fall von „extremer Seltenheit", bei dem die pathologisch-ana-
tomische Diagnose „miliare Sclerose" nicht umgestossen werden kann.
' 59jähriger Mann, syphilitische Vorgeschichte. In letzter Zeit dyspeptische Stö-
rungen und in Folge von Emphysem und Herzschwäche bedeutende Kurzathmigkeit
6 Monate vor seinem Tode Vergrösserung der Milz und Leber, Ascites, Anasarca,
aber keine Albuminurie. Keine Symptome gestörter Psyche. Gehimnerven und höhere
Sinne zeigen nichts Abnormes, Augenhintergrund normal. Keine Schluckbeschwerden.
Vollkommene Paralyse der Arme mit Rigidität der Muskeln, Contracturen im Ell-
bogengelenk, main en griffe; ebenso complete Lähmung der unteren Extremitäten.
Sensibilität» Sphincteren intact. Nach mehreren leichten Convulsionen, die in der
linken Schulter begannen und nur die linke Körperseite betrafen, Tod im Coma un-
gefähr 10 Wochen nach dem Auftreten* der ersten nervösen Symptome.
Section: An der hinteren Fläche des Kleinhirns fand sich an beiden Seiten eine
kleine submeningeale Extravasation. Fast überall sah man am Uebergang der grauen
Corticalsubstanz zur weissen Uirnmasse multiple bis Senticomgrosse, nicht prominente,
auch nicht eingesunkene Stellen von dunklem Colorit, welche an mehreren Strecken
zu grösseren Conglomeraten zusammenflössen (Zeichnung). An einigen Stellen, wo
die Menge der Pünktchen sehr reichlich auftrat, bestand in der weissen Substanz
diffuse Röthe mit rothen Linien und gelben Flecken durchsetzt (innerer und hinterer
Theil des rechten Hinterhauptslappen und linker Gyrus praecentralis). In der ganzen
übrigen weissen Substanz ebenfalls die oben beschriebenen Flecke. Femer fanden
sich solche in den Claustris, den Linsenkemen, den Sehhügeln, unter den Vierhügeln;
dagegen nicht in den beiden Streifenhügeln, Pons, Medulla, Crura cerebri und Cere-
bellum.
Mikroskopische Prüfung: Die Veränderung bestand in kleinen runden oder ovalen
Höhlen, durch Septa von fibröser Structur getrennt. Die Höhlen waren angefüllt mit
kömigem Material. Die Höhlenstractur zeigte besonders in den peripherischen Theilen
der Flecke spongiöse Beschaffenheit, im Centmm war das fibröse Balkensystem stärker
entwickelt. In dem Gewebe um die pathologisch veränderten Stellen zeigten sich
mit deutlichen Kernen versehene Spinnenzellen, von denen einige sich bi» in das
— 177 —
fibröse Balkennetz bin verfolgen Hessen. Die Flecke zeigten keinen directen Za-
sammenhang mit Gefässen, von denen einige innerhalb jener Yermebrang der Wand-
seilen oder leichte Verdickung der Wand zeigten; an einigen Gefässchen sah man
aaf beiden Seiten Spinnenzellen. Die graue Binde zeigte sich normal und wies keine
D^eneraüon der Ganglienzellen auf.
Hiernach wäre also die Bezeichnung ,,niiliare Sclerose^' völlig zu rechtfertigen.
Multiple Sderose wird wegen der Grösse, des Sitzes und der Multiplicitat der Herdchen
ausgeschlossen. Verf. hat einen ähnlichen Fall noch nie gesehen. Sonderbar^ ist das
Fehlen jeder psychischen Aberration. Dr. F. Greiff (Arch. f. Psych. Bd. XIV. S. 287)
hat einen ähnlichen Befund gesehen; aber hier waren die grossen Ganglien nicht
afficirt, ausserdem war die Läsion am frischen Gehirn nicht zu sehen und bestand
in einer „vitreous degeneration'' des Himgewebes und der Ganglien; sie ging überall
von den Gefassen aus im Gegensatz zu dem Fall des Verf. und zeigte analoge Be-
schaffenheit mit einem von Simon in demselben Archiv beschriebenen Befunde. Das
R&ckenmark konnte nicht geprüft werden. Buhemann.
Pathologie des Nervensystems.
6) Contribution a l'ötade de Taphasie: de la oöoitö payohique des ohoses,
par le Dr. Bernheim, Nancy. (Bevue de m^decine. 1886. Aoüt. p. 625.)
Ein 63jähriger Gärtner wurde am 13. Mai 1883 von einem apoplectischen
Insult betroffen, als dessen Folgeerscheinungen eine leichte linksseitige Hemi-
parese mit Hemianästhesie, linksseitige Hemianopsie und aphatische Störungen
zorfickblieben. Die Combination der letzteren mit einer linksseitigen Hemiplegie
steht wahrscheinlich mit dem Umstände in Verbindung, dass Fat. linkshändig war
(dabei aber freilich mit der rechten Hand schrieb). Die Sprache wurde bald
wieder so gut, dass man sich mit dem Patienten recht gut unterhalten konnte. Auch
das Schreiben ging leidlich, entsprechend dem geringen Bildungsgrade des EJranken.
Dagegen blieb andauernd zarück eine sehr ausgesprochene „SeelenblindheiV, so-
w<>hl für Buchstaben und Worte, als auch für Sachen. Man zeigte ihm z. B. ein
Schlüsselbund. „Was ist dies?" „Es dient zum Zeigen." „Was macht man damit?"
Der Kranke versucht mit einem der Schlüssel zu schreiben und sagt: „Dies ist eine
Feder." Darauf bemerkt er, dass dies nicht richtig ist und denkt nach. „Ich weiss
OS, ich habe es hundert Mal gesehen, es dient dazu, um Korn zu säen. Es ist
eine Egge." Darauf zeigt man ihm den Gebrauch eines Schlüssels, indem man damit
ein Schloss öffnet und schliesst. Er erkennt noch nicht die Bedeutung davon und
findet auch das Wort noch nicht. Endlich sagt man ihm: „Womit öffnet man eine
verschlossene Thür?" Jetzt sagt er: „Mit einem Schlüssel", und erkennt, dass es
Schlüssel sind, die er in der Hand hat. Derartige Beispiele werden von dem Verf.
^^ grösserer Anzahl angeführt. Besonders erwähnenswerth ist dabei, dass es sich
um reine Seelen blindheit handelte. Sobald ein Buchstabe oder ein Wort ausge-
sprochen wurde, verstand der Kranke das Gesagte vollständig; er zeigte auf Ver-
langen alle Gegenstände und erkannte deren Bedeutung, sobald er ihren Namen
gehört hatte.
Der geschilderte Zustand blieb während einer 2jährigen Beobachtungszeit fast
ganz im Gleichen. Pat. wurde einige Male von halbseitigen epileptischen Anfällen
ergriffen; nach denselben trat stets eine vorübergehende Verschlimmerung der Seelen-
blindheit ein. Strümpell
- 178 —
7) Des aphasies poerpörales, par U. Poupon. (L'Enc^phale. 1885. Nr. 4.)
Verf. hat ausser einem Falle eigener Beobacbtang von puerperaler Aphasie noch
alle ihm aus der Literatur bekannten Fälle gesammelt, so dass er im Ganzen über
12 dieser sehr seltenen Störungen verfügt.
Verf. theilt die puerperalen Aphasien in solche, die aus Circulationsstörungen
entsprungen sind, und zwar unterscheidet er vorübergehende Störungen, welche auf
Congestion oder auf Anämie beruhen, und bleibende, welche durch Himhämorrhagie,
Embolie und Thrombose entstanden sind. Als 2. Hauptgruppe führt er die Aphasien
nervösen Ursprungs an. Die Prognose ist im Allgemeinen günstig. Die Behandlung
muss je nach dem Ursprung der Störung eine verschiedene sein. Zander.
8) 2itir Localisation der Grosshimfanotionen und zur Lehre von der
seotindftren Degeneration, von Dr. Max Brink. (Deutsches Arch. f. klin.
Med. Bd. 38. H. m. S. 285—302.)
Die Abhandlung knüpft an einen ziemlich complicirten Fall an, von dem Verf.
mit Hintenansetzung gewisser unerklärbarer Symptome sich die drei Herdsymptome
herausgreift, welche mit den Sectionsergebnissen in Einklang zu bringen sind. Um
mit den letzteren anzufangen, so fand sich in der linken Hemisphäre ein grosser
Erweichungsherd (es handelte sich um eine alte Frau mit hochgradig atheromatösen
Gefassen), welcher von der Hirnrinde zwei Stellen mit ergriffen hatte: 1) die Um-
gebung des sehr wenig entwickelten aufsteigenden Astes der linken Fossa Sylvü, und
2) einen Bezirk in der 2. Stirnvrindung, diese vom untern Bande bis zur Hälfte ihrer
Breite durchsetzend und an der Berührungsstelle des dritten und hintersten Viertels,
mehr nach letzterem zu, liegend. Die Oberfläche beider Bezirke hat anscheinend
ungefähr gleiche Grösse gehabt Zwischen diesen beiden ist die Rindenschicht intact,
aber unter der beschriebenen ganzen Fläche breitet sich eine Erweichung des Centrum
semiovale aus, und zwar derart, dass die Stabkranzfasem der 1., 2. und 3. Stim-
windung sowohl, wie die des untern Drittels der vorderen Gentralwindung getroffen
sind. Von den grossen Ganglien ist nur ein kleiner Streifen des Thalamus opticus
verletzt.
Die Symptome, welche sich an diese Läsion knüpfen, sind 1) zeitweilige Parese
resp. Paralyse des rechten Facialis. Verf. schliesst aus der Inconstanz der Erschei-
nung, dass das eigentliche Rmdengebiet des Facialis, welches Exner in das mittlere
Drittel des vorderen Bandes der vorderen Gentralwindung verlegt, nicht selber ge-
troffen sein darf, sondern nur ein Stück desselben durch die Verletzung von Stab-
kranzfasem von dem Nerven abgeschnitten worden ist. 2) Lähmung des Hypoglossus.
Das Rindencentrum desselben, nach Exner der unterste Theil der vorderen Gentral-
windung mit dem anstossenden Theile der dritten Stimwindung, ist hier getroffen.
3) Parese der Fingerstrecker an der rechten obem Extremität, ein Symptom, welches
nach dem Analogen dreier mit angeführter Fälle aus den vorliegenden Läsionen
ebenfalls erklärt werden kann; im letzteren beti*af die Affection mehr oder weniger
die zweite oder dritte Stirn- oder beide Gentralwindungen.
Trotz einer weitgehenden Verletzung der dritten Stimwindung fehlte die Aphasie.
Unter Herbeiziehung von 5 Fällen aus der Literatur kommt Verf. zu dem Schloss,
dass die Grenzen des Sprachcentrums von Broca zu enge gezogen sind und dass
gelegentlich auch der hintere Theil der mittleren Stimwindung, sowohl wie beide
oberen Temporalwindungen Aphasie bedingen können.
Sehr interessant ist die secundäre Degeneration, welche Verf. genau verfolgt
und mit den Resultaten von Flechsig u. A. über den Verlauf der Bahnen im Ge-
hirn in Uebereinstimmung zu bringen versucht hat. Es fanden sich nämlich De-
generationen: 1) in der inneren Kapsel, und zwar in der Mitte zwischen Kapselknie
— 179 —
und der Berührongssielle des IL nnd III. Gliedes des Linsenkerns, einer Stelle, an
wdehe Flechsig ein FaserbOndel . hinverlegt, welches von dem hintern Theil der
Stimwindungen ausgeht und entweder in der grauen S abstanz der Brücke endet, oder
dort nach dem Kleinhirn umbiegt. Hinter diesem Bündel liegen die Pyramidenbahnen.
Demgemäss wurde auch 2) eine Degeneration im linken Himschenkelfnss und 3) eine
kleine degenerirte Stelle in der vorderen linken Hälfte der Brücke nahe der Baphe
aufgefunden. Eine nur bei Färbung nach Weigert in dem linken Pyramidenstrang
der MedoUa zu bemerkende, kaum nennenswerthe Degeneration glaubt Verf. ganz
ignoriren za dürfen.
Die Läaion des Thalamus opticus, welche keine secundäre Degeneration ver-
anlasst hat, lasst den Schlnss zu, dass gewisse von der Hirnrinde kommende Fasern
im Thalamus opticus endigen. Sperling.
9) Ueber Aphasie und Ihre Beziehungen zur Wahrnehmung, von Prof.
Grashey, Würzburg. (Arch. f. Psych. Bd. XVI. 3.)
Die Erörterungen des Verf. knüpfen an folgenden Fall an: Ein 27jähriger Mann
erlitt am 24. November 1883 durch Fall eine Fractura baseos cranii und zeigte
danach vollständige Lähmung der rechten Seite des Körpers ind. Facialis und Hypo-
glossus, war rechts blind und taub, hatte Geruch und Geschmack nahezu vollständig
verloren. Ausserdem bestand eine Sprachstörung, so zwar, dass Patient für Objecto,
die er kannte, die Namen nicht angeben konnte; leichter wurde es ihm, aber immerhin
mühsam, die betreffenden Namen hinzuschreiben, und hatte er dies erreicht, dann
konnte er sie auch aussprechen. Die Articulation war intact, das Lesen ging ganz
geläufig; und nannte man ihm einen Gegenstand, so wies er denselben sofort richtig
mit dem Finger. Beim Nachsprechen beliebiger Worte blieb er anfangs lange auf
dem ersten Buchstaben haften, und wiederholte denselben mehrmals, ehe der Best
des Wortes herauskam.
Prof. G. analysirt nun die aphasischen Erscheinungen an diesem Kranken auf
das Eingehendste. Er macht sich ein Schema, in welchem die Centra für Klang-
und Gesichtsbilder und für Symbole d. h. Buchstaben, femer die Verbindungen dieser
Centra mit denjenigen für die Bewegungsvorstellungen der Sprache und des Schreibens,
endlich die Verbindungen dieser letzteren mit den Kernen des Phonations- und Ar-
ticulationsnerven nnd mit den Kernen der beim Schreiben fungirenden motorischen
Nerven — Alles in seinen gegenseitigen Beziehungen zu einander erörtert wird, und
was davon im vorliegenden Falle pathologisch verändert ist.
Bei dieser Analyse der Erscheinungen constatirt Verf. nun, dass bei seinem
Kranken (NB. im August 1884) die Klang- und Objectbilder auffallend schnell wieder
aus dem Bewusstsein resp. aus dem Gedächtnisse schwinden. Das zeigte sich in
^■^i^^nigfacher Weise. Wenn G. den Patienten einen bekannten Gegenstand nach und
nach mit dem Finger betasten liess, so konnte er die einzelnen Eindrücke nicht
Summiren und den Gegenstand erkennen, wohl aber, wenn er den ganzen Gegenstand
anf ein Mal in die Hand nahm. Liess G. ihn ein Wort buchstabiren, so, dass der
Keihe nach immer nur ein Buchstabe sichtbar, die anderen verdeckt waren, so konnte
er das Wort nicht lesen, was ihm sofort gelang, wenn er das ganze Wort sah.
Spricht man ihm nach einander zwei Worte vor, die er einzeln nachspricht, so hat
ff das erste bereits vergessen, wenn er das zweite percipirt n. s. w.; dabei ist es
mteressant, zu sehen, welche Kunstgriffe der Kranke bei diesen Uebungen macht,
^m Klang- oder Objectbilder zu behalten; namentlich sucht er dies durch beständiges
Kachsprechen des betreffenden Wortes zu erreichen.
Verf. knüpft hieran eine eingehende Untersuchung über die Dauer der Sinnes-
eindrflcke bei Gesunden und bei seinem Kranken und kommt zu dem Schlüsse, „dass
^ eine Aphasie giebt, welche weder aof Funetionsunfähigkeit der Centren, noch auf
— 180 —
Leitungsunfäliigkeit der Verbindungsbahnen beruht, sondern lediglich auf Vermin-
derung der Dauer der Sinneseindrücke und dadurch bedingter Störung der Wahr-
nehmung und der Association.'' Namentlich bei Kranken, welche nach einer Hirn-
erschütterung oder nach einer fieberhaften Erkrankung aphasisch geworden sind,
dürfte sich diese Aphasie in Folge verminderter Dauer der Sinneseindrücke
finden, während Herderkrankungen Zerstörung von Centren und Leitungsbahnen
bedingen.
Interessant ist nun, dass der Kranke, welcher vom August bis December 1884
schon deutliche Symptome geistiger Schwäche darzubieten schien, von Ende December
an sich rasch und bedeutend besserte, sodass Mitte Januar 1885 die Aphasie völlig
verschwunden war, nachdem sie länger als ein Jahr bestanden hatte.
Hadlich.
-
10) Ein Fall von Aphasie bei gleichzeitiger Erhaltung der Zahlensprache
und Zahlenschrift« von Volland (Davos-Dörfli). (Münchner med. Wochen-
schrift. 1886. Nr. 4.)
Ein 15jähr. Bauerssohn erlitt in Folge eines Sturzes auf das rechte Os parietale
3tagig6 Bewusstlosigkeit, aus der er ohne Lähmung, aber mit Aphasie (nur Anna
konnte er sprechen und schreiben) erwachte; dagegen konnte er bis 100 zählen, das
Einmaleins aufsagen, auch auf der Tafel gut rechnen. Die Sprache kehrte nur langsam
wieder, war auch noch nach einem Jahre nicht vollständig so, wie früher. M.
11) Ueber die spastische Cerebralparalyse im Kindesalter (Hemiplegia
spastica infantilis) nebst einem Excurse über „Aphasie bei Kin-
dern", von Prof. Dr. Martin Bernhardt in Berlin. (Virchow's Archiv.
Bd. 102. H. 1.)
Das der sorgfältigen Bernhardt*schen Arbeit zu Grunde liegende und aus-
führlich mitgetheilte Material besteht zunächst in 18 Fällen, sämmtlich Kinder be-
treffend, von denen noch keines das zwölfte Lebensjahr erreicht, mehrere das erste
noch nicht vollendet hatten. Die Eltern der Kinder waren mit wenigen Ausnahmen
gesund; und &ia sicheres ätiologisches Moment konnte nur in einigen Fällen ein
deutlicher Zusammenhang mit vorangegangenen Infectiouskrankheiten (Scarlatina und
Morbilli) festgestellt werden.
Der Verlauf der Krankheit war regelmässig derartig, dass — meist ohne pro-
dromi — Convulsionen mit Verlust des Bewusstseins Stunden bis Tage lang auf-
traten, nicht selten wiederholt, häufig einseitig resp. vorzugsweise auf einer Seite,
und dass dann sofort nach dem Aufhören der Convulsionen eine vollständige oder
unvollständige Hemiplegie der an den Krämpfen betheiligt gewesenen Gesichts-
(unterer Facialis) und Köi-perhälfte bemerkt wurde. Die gelähmten Theile — die
oberen Extremitäten waren fast immer am stärksten betroffen — zeigten Spannungs-
zustände, oft deutliche Flexionscontractur. Die Sensibilität schien wenig zu leiden.
Dagegen bildet ein sehr häufiges Symptom die Sprachstörung, welche aUerdings
bei einigen rechtsseitigen Hemiplegien fehlt, andererseits nach rechtsseitigen Con-
vulsionen ohne nachfolgende Hemiplegie auftritt, auch bei Imksseitiger Hemiplegie
vorkommt, und in fast allen Fällen nach Wochen, längstens nach Jahresfrist
vorübergeht.
Für den weiteren Verlauf ist der Umstand sehr wichtig, dass fast in der Hälfte
aller Fälle erst Schwindel-, dann ausgebildete epileptische Anfälle auftraten,
mit den gewöhnlichen Folgen auf Intelligenz und Charakter, bis zu völliger Ver-
blödung.
Ausser der restirenden Hemiplegie waren femer Mitbewegungen bemerkens-
— 181 —
werth, und zwar an den gelähmten Gliedern theils atactischer Art, theils athetoide,
d. h. Athetose bei Bewegangsintention; an den gesunden Gliedern aber jene inter-
essanten Mitbewegnngen, die genau correspondiren den Bewegungen oder Bewegungs-
versachen der paretischen Glieder der anderen Seite.
Die elektrische Erregbarkeit ist gut erhalten, die Fatellarreflexe auf der leidenden
Seite sind nicht aufi^llig gesteigert. Die gelähmten Glieder bleiben im Längen*
wachsthum zurück.
So eigiebt sich, im Allgemeinen in Uebereinstimmung mit früheren Autoren — ein,
wie Verf. sagt, klinisch gut abgerundetes Krankheitsbild; schwierig aber bleibt die
Frage nach der anatomischen Grundlage.
Indem B. die von den verschiedenen Autoren (Jac. v. Heine, Westphal,
Wuillamier, Boss, Strümpell, Gaudard, Jendrassik, Marie u. A.) ver-
tretenen Ansichten bespricht, kommt er zu dem Ergebniss, dass in den meisten
Fällen eine genaue pathologisch-anatomische Diagnose unmöglich ist Es sind diffe-
rente Formen einer primären (entzündlichen, vielleicht vom Gefasssystem ausgehenden)
Rindenaffection anzunehmen mit secundärer Atrophie von Theilen oder des Ganzen
einer Gehirnhälfte. — Im Gegensatz zur spastischen Spinalparalyse empfiehlt B. die
Bezeichnung „spastische Cerebralparaljse der Kinder". Strümpeirs „Polience-
pbalitis acuta" verwirft B.
Der eingefügte Ezcurs über Aphasie der Kinder kommt zu folgenden Ergeb-
nissen: Die auch im Kindesalter durchaus nicht seltene Aphasie kommt vorübergehend
(Keflex-Aphasie) bei Magen-Darmaffectionen, Neurosen, psychischen Ursachen vor;
femer nach Infectionskrankheiten. Länger dauernd, aber auch meistens nur temporär,
kommt Aphasia infantum bei den verschiedensten Gehimkrankheiten vor, aber fast
immer nur als indirectes und vorübergehendes Symptom. Bei dauernder (directer)
Läsion der linken Seite kann die rechte Hirnhälfte die Function jener übernehmen.
Der Form nach handelt es sich bei den Kindern fast immer um die atactische oder
motorische Aphasie. Wenn bei der Hemiplegia spastica infantilis von einigen Autoren
die Sprachstörung geleugnet wird, so liegt dies eben an ihrem vorübergehenden
Charakter; jene Beobachter bekamen die Kinder erst nach Ablauf der oft äusserst
deutlichen Sprachstörung in Behandlung. Hadlich.
12) Verlust des Sprachvermögens und doppelseitige Hypoglossusparese,
bedingt durch eüien kleinen Herd im Centrum aemiovale, von Dr.
Ludwig Edinger. (D. med. Woch. 1886. Nr. 14.)
Ein 83jähriger an Dementia senilis leidender Mann wurde 12 Tage vor dem
Tode ohne die Erscheinungen eines Insult apoplecticus plötzlich von Aphasie und
Parese der Zunge betroffen. Die Section ergiebt neben ausgebreiteter Atrophie der
Hirnrinde, einer grossen Cyste in der obem Stimwindung (welcher Seite?), 3 Er-
weichungsherde, von denen einer im rechten Marklager (ob der Mann linkshändig
war, ist nicht bekannt) von der Grösse eines Zwanzigpfennigstücks, ^/^ cm nach aussen
vom Schwanz des Nucleus caudatus für die beschriebenen Symptome verantwortlich
gemacht wird. Verf. glaubt, dass an dieser Stelle, die etwa der Basis der unteren
Stimwindung und dem Snlcus praecentralis entspricht, die Bahn von der Broca*schen
Windung zu den Bulbärkemen durchgeht, und dass auch hier die Hypoglossusbahn
zwischen Rinde und Capsula interna über die obere Kante des Linsenkems hinwegzieht.
M.
13) Bin Fall von doppelseitiger L&hmung des N. aoessorius Willisii (Kranken-
vorstellung im Verein für innere Medicin am 1. Juni 1885), von Dr. Ernst
Bemak, Berlin. (Deutsche med. Wochenschr. 1885. Nr. 27.)
Bei einem 35jahrigen Manne hatte sich seit 6 Monaten auf syphilitischer Basis
eine Lähmung des N. accessorius entwickelt. Es bestand bedeutende Atrophie der
— 182 —
Mm. cucuUares (und der anderen Nackenmoskeln, des Levator scapulae, des M. ser-
ratos ant. etc.), geringere der Mm. stemodeidomastoidei (der M. pectoraies, einiger
Armmuskeln etc.) und dem entsprechende LälmiungszuslÄnde und exquisite Ent-
artungsreaction. Zu dieser Lähmung des inneren Astes des Nerv, accessorius trat
6 Wochen später eine Yollstandige Stimmbandlähmung, nachdem schon etwas langer
Heiserkeit bestanden hatte. — Der Puls wechselte zwischen 90 und 115, war also
immer frequent. Andere Himnerven waren nicht afficirt, die Sensibilität intact; in
der Nackengegend heftige, nach dem rechten Arm ausstrahlende Schmerzen. An den
unteren Extremitäten nichts nachzuweisen, nur dass die Kniephänomene anfi&dlender-
weise fehlten.
B. nimmt einen syphilitischen Process innerhalb des Wirbelcanals an. Er hebt
hervor, dass tibereinstimmend mit der Annahme der Physiologen die Lähmung sämmt-
licher innerer Kehlkopfsmuskeln für den Ursprung dler dieser motorischen Vagus-
Nerven aus dem Accessorius spräche. — Seeligmüller*8 Fall (Arch. f. Psych. 1871)
sei dem seinigen ungemein ähnlich. Hadlich.
14) Trophonövrose fooiale mödiane, par M. Nicaise. (Bevue de med. 1885.
Aoüt. p. 690.)
Bei einer 21jährigen Frau begann im dritten Monate der Schwangerschaft die
Entwickelung einer Vertiefung in der Mitte der Stirn, von der Nasenwurzel anfangend
bis einige Centimeter fiber den Haarrand hinaus. Beim Beginn des Leidens und
auch in der Folgezeit zuweilen heftige Stimkopfschmerzen. 4 Jahre später hatte
die atrophische Stelle eine Breite von ca. 2 cm erreicht, die Haut darüber war sehr
dünn und etwas dunkel, die Haare an der atrophischen Partie spärlich, sehr dünn
und entfärbt, die darunter liegenden Muskeln ebenfalls atrophisch. Der Knochen
schien an der Atrophie nicht Theil zu nehmen. — Bemerkenswerth ist besonders der
Umstand, dass die Affection in diesem Falle nicht, wie gewöhnlich, einseitig, sondern,
von der Mitte ausgehend, sich beiderseitig, wenn auch nicht vollständig symmetrisch,
entwickelt hat. Strümpell.
16) Contribution & l'ötude de quelques - unes des formes oliniques de
la myopathie progressive primitive« par P. Marie et G. Quin od.
(Bevue de m^d. 1885. Octobre. p. 793.)
Die vorliegende Arbeit enthält, im Änschluss an eine Vorlesung Charcot's,
eine Besprechung der wichtigsten Formen der primär myopathischen Muskelatrophie,
unter Hinzufügung einer Reihe neuer interessanter und genau angestellter Beobach-
tungen aus der Salpetri^re. Indem wir auf eine genauere Wiedergabe der Kranken-
geschichten verzichten müssen, heben wir nur die wichtigsten Punkte der Arbeit heraus.
Was erstens die Pseudohypertrophie der Muskeln betrifft, so betonen
die Verff. zunächst mit Recht, dass die Verbindung der Pseudohypertrophie mit ein-
facher Atrophie einzelner Muskeln nicht eine Ausnahme, sondern ein sehr häufiges
Vorkommnlss ist und dass diese einfache Atrophie vorzugsweise die Muskeln des
Schultergürtels und den Biceps betrifft. Sie kann das erste Symptom der Krankheit
sein, zu welchem sich die Pseudohypertrophie der unteren Extremitäten erst später
hinzugesellt. Ausserdem heben die Verff. hervor, dass das Volumen der Muskeln
überhaupt nicht maassgebend für den Grad ihrer Erkrankung ist. In FäUen von
progressiver Myopathie beobachtet man zuweilen, dass Muskeln von anscheinend
normalem Volumen bedeutend an Kraft; eingebüsst haben. Die Verff. berichten über
einen 11jährigen Knaben, der in ausgesprochenster Weise die Functionsstörungen
der „Pseudohypertrophie'* darbietet, ohne dass an dem Volumen sämmtlioher Muskeln
irgend eine besondere Abnormität zu bemerken ist.
— 183 —
Der zweite Abechnitt der Arbeit behandelt die £rb*8che juvenile Muskel-*
atrophie und enthält die ausführliche Krankengeschichte eines typischen hierher
gehörigen Falles.
Der dritte Abschnitt endlich bespricht die zuerst von Duchenne beschrie-
bene hereditäre Form der Muskelatrophie mit Betheiligung der Gesichts-
muskeln (man vergleiche unser ausführliches Referat über die Arbeit von Lan-
iluuzy und Dejerine, dieses Centralblatt 1886 S. 280). Die Verff. theilen 4 neue
Beobachtungen mit, zwei Familien angehörend. Der erste Fall zeichnet sich dadurch
dua, dass die Muskeln der einen (rechten) Seite bedeutend stärker ergriffen waren,
aLs diejenigen der anderen Seite. Sehr auffallend war auch die Asymmetrie der Lippen
(besonders beim Pfeifen bemerkbar). Die Deltoidei waren intact geblieben. Die
Affection hatte in frühester Kindheit brennen, schien aber seit dem 20. Lebensjahre
still zu stehen. Patient war zur Zeit der Beobachtung 44 Jahre alt. Bei seiner
16jährigen Tochter, deren Krankengeschichte auch mitgetheilt wird, hatte das
Leiden bereits einen viel höheren Grad erreicht. Bei dem dritten, 52jähr. Patienten
hat die Krankheit erst im 30. Lebensjahre begonnen, später aber einen verhältniss-
mäiisig hohen Grad erreicht. Bemerkens werth war auch ein deutlicher Exoph-
thalmus, den die Verff. von einer Atrophie der Muskeln in den Augenlidern ab-
leiten. Der 17jährige Sohn dieses Kranken litt seit 3 Jahren an derselben Affection.
In den Schlussbemerkungen sprechen die Verff. die gegenwärtig wohl fast all-
gemein anerkannte Ansicht aus, dass die einzelnen Formen der Myopathie nicht ver-
schiedene Krankheitsarten, sondern eben nur verschiedene Formen desselben Leidens
sind, welches von der Charcot*achen Schule „myopathie progressive primitive''
genannt wird. Die vielfachen Uebergänge zwischen den einzelnen Formen und das
Vorkommen verschiedener Formen bei Mitgliedern einer und derselben Familie sprechen
unzweideutig für ihre innere Verwandtschaft.
In einer Notiz als Anhang zu vorstehender Arbeit erwähnen die Verff. beiläufig,
dass bei der anästhetischen Lepra eine sehr ähnliche Ausbreitung der Muskelatrophie
vorkommt, was unter Umständen in diagnostischer Beziehung wichtig sein kann.
Srümpell.
16) Note on ankle-clonus as a Symptom in certain forma of nervona
disease, by W. S. Playfair. (The Lancet. 1886. Vol. L p. 12.)
Gowers hatte in einem Vortrag vor der Medical Society über den „diagnostischen
Werth der sogenannten Sehnenreflexe'' (cf. d. Ctrlbl. 1885. S. 546) wie in seinem
Buche „Krankheiten des Bückenmarks" hervorgehoben, dass das Vorhandensein des
Fussdonus hysterische Paraplegie oder sonstige functionelle Neurosen ausschliessen
lasse und organische Erkrankung des Centralnervensystems anzeige. Dagegen haben
Dr. Buzzard und der Verfasser völlig typischen Fussclonus in manchen Fällen
hysterischer Paraplegie gesehen, bei welchen nach Heilung durch systematische Be-
handlung derselbe nicht mehr hervorzubringen war. Verf. erwähnt als Beleg 2 Fälle,
die er zusammen mit Dr. Buzzard beobachtete, in denen es sich um echte Epilepsie
spinale, nicht um den „spurious foot-donus'' Gowers handelte.
Eine 52jährige Dame, die seit 25 Jahren an den Beinen gelähmt war und nur
gelegentlich einmal ihr Bett verliess, um auf Krücken durch das Zimmer zu gehen,
zeigte gesteigertes Fussphänomen und Dorsaldonus. Ein Jahr später konnte man
letzteren nicht mehr hervorbringen, sie war völlig wohl und machte weite Spazier-
gänge und Besuche.
Ebenso schwand nach 2 Jahren der Kur der Fussclonus bei einer 17 Jahre
lang bettlägerig gewesenen Dame von 35 Jahren.
Femer meint Verf., man solle sich nicht zu skeptisch in Bezug auf die Prog-
nose aussprechen bei Fällen hysterischer Paraplegie, wo ein Exoess der myostatischen
Contraction wahrsunehmen wäre. Euhemann.
— 184 —
17) Sulla meningite eerebroapinale epidemica in SioUia. Studii ed obser-
yazioni del Dott L. Giuffrd. Palermo 1885. (49 Seiten.)
Zunächst sehr aosffihrliche Darstellung der geschichtlichen Kenntnisse über die
Cerebrospinalmeningitis in epidemiologischer Hinsicht. Die ältere Literatur über
Volksseuchen, welche mit mehr oder weniger Sicherheit als „Genickstarre" ange-
sprochen werden können, bereichert dabei der Yerf. durch den Hinweis auf die Be-
schreibung einer Pest, welche im Jahre 1558 die Stadt Palermo verheert hat; die
Schilderung Ingrassia's, die 15B0 niedergeschrieben wurde, giebt ein ziemlich zu-
treffendes Bild von den bekannten Symptomen der epidemischen Meningitis.
Die erste sicher diagnosticirte Epidemie in Sicilien fiel auf die Jahre 1842
bis 1846. Erst nach 40 Jahren, im Januar 1882 stellte sich die Seuche wiederum
ein, und auch jetzt ist sie noch nicht ganz erloschen. Die ersten Erkrankungen
wurden in Kibera beobachtet, denen sich dann freilich viele andere grössere und
kleinere Herde anschlössen. Die Yertheilung der Erkrankungen über die Insel ist
übrigens eine sehr unregelmässige; Malaria-Gegenden scheinen allerdings mit einer
gewissen Vorliebe befallen zu werden. Hauptsächlich wurden Kinder bis zu 15 Jahren
ergriffen; Kranke über 20 Jahre gehörten schon zu den Ausnahmen. Das männliche
Geschlecht wurde zweifellos häufiger als das weibliche befallen. Vorwiegend er-
krankten übrigens solche Individuen, die in dichter Zusammendrängung in engen,
feuchten und dunkelen Wohnungen und unter ähnlichen hygienischen Missständen
kümmerlich lebten. Die Mortalität war eine sehr wechselnde, aber im Allgemeinen
ziemlich hohe: es starben in Misterbianco von 21 Kranken 16 = 77%, in
Bibera (7000 Einwohner) von 560 Kranken 106 = 19 ^'q, in Cinisi von
250 Kranken 88 = 36% etc.
Der Verlauf der einzelnen FäUe bot keine wesentliche Abweichung von dem
typischen Krankheitsbilde dar.
In Bezug auf die Priorität der Entdeckung ist noch der Nachweis charakteristischer
Mikrokrokken im Meningealexsudat erwähnenswerth. Verf. hatte nämlich mit Prof.
Federici zusammen schon im März 1882 eiförmige Mikrokokken im subarachnoidealen
Exsudat, nicht aber im Blut oder in der Milz, gefunden. Da es ihnen aber nicht
gelang, Keinculturen zu erzielen, und da Einspritzungen in das Unterhautzellgewebe
und in den Peritonealraum bei mehreren Thieren erfolglos blieben, konnten sie sich
nicht mit Sicherheit überzeugen, ob in jenen „ovalären'' Kokken wirklich die Basis
der Cerebrospinalmeningitis anzunehmen sei, und es unterblieb daher vorläufig jede
Publication.
Leyden veröffentlichte dann in Nr. 10 des Centralblattes für klinische Medicin,
1883, seine bekannte Beschreibung der Meningitiskokken; fast zu derselben Zeit, im
Mai 1883, jedenfalls unabhängig von Leyden*8 Beobachtung , beschrieben dann
Ughetti in Catania (Sicilien) und in der weiteren Folge andere Beobachter mehr
oder weniger ähnliche Kokken. Im Uebrigen ist der Verf. auch jetzt noch nicht
völlig überzeugt von dem Causalnexus zwischen den Kokken und der epidemischen
Meningitis. Sommer.
18) A oase of paralysiB of the lower extremities with liyi>ertrophy of the
Bkin« suboutaneonB and musoular tissues, by Dr. Mitchell. (Nach
Referat im Journal of nervous and mental disease. 1885. X. p. 510.)
Verf. glaubt bei einer Frau von 50 Jahren, welche Paraplegie ohne Entartnngs-
reaction und eine enorme Hypertrophie der Haut, des subcutanen und interstitiellra
Bindegewebes und der Muskeln (mit hochgradiger Verdickung der einzelnen Fibrillen)
dargeboten hatte, ein neues einheitliches Krankheitsbild gefunden zu haben.
Glegen die Annahme einer Sclerodermie, Elephantiasis etc. verweist er auf den
Verlauf des Leidens, ohne Erysipele, ohne Fieber, ohne Schmerzen, ohne Oedeme,
— 185 —
ohne Härte der Haut, dann auf das Fehlen der Moskelatrophie, und auf die voll-
standige Symmetrie.
Gegen die Annahme einer Pseudohypertrophie verweist er auf die Entstehung
des Leidens erst im höheren Alter, auf das normale Verhalten aller anderen Muskeln,
besonders des Pectoraiis und der Dorsalmuskeln, und auf das Vorhandensein des
Kniephanomens.
Gegen echte Hypertrophie spricht die Symmetrie, die Betheiligung der Haut
und des Bindegewebes und vielleicht das Fehlen der gewöhnlichen ätiologischen
Momente. Sommer.
19) Sanitäts- Bericht über die deutsohen Heere im Kriege gegen Frank-
reioh 1870/71. VU. Band: Erkrankungen des Nervensystems.
Herausgegeben von der Militär-Medizinal-Abtheiluug des königl. preuss.
Kriegsministeriums unter Mitwirkung der betreffenden bayrischen,
sächsischen und württembergischen Behörden. (Berlin 1885. Ernst
Siegfr. Mittler & Sohn.)
Kurz nach dem allgemeinen Theile dieses Werkes erschien der vorliegende Band«
welcher die während oder in Folge des Krieges aufgetretenen Erkrankungen des
Centralnervensystems, bezw. die Geisteskrankheiten abhandelt» und zwar
sowohl die idiopathischen, als die traumatischen und die in Folge von Infections-
bankheiten vorgekommenen nervösen und geistigen Störungen. Neurologische Mit-
theilnngen über im Kriege vorgekommene oder darauf zurückzuführende Leiden haben
ibre grossen Schwierigkeiten, und es verdient Anerkennung, dass der Bericht mit
dem relativ schwersten seiner speciellen Theile so früh debütirt. Aber wenn die
noch ausstehenden Bände mit derselben Sorgfalt, mit derselben wissenschaftlichen und
praktischen Sachkenntniss abgefasst worden sind, wie der neurologische Theil, so
dQrfen wir erwarten, dass das Gesammtwerk zu den klassischen Büchern unserer
Wissenschaft wird gerechnet werden können. Wur müssen es uns hier versagen,
auf die Einzelheiten der im Werke vorhandenen hochwichtigen Casuistik einzugehen.
In abgeschlossener Darstellung liegen nur die Abschnitte über Wundtetanus und
epidemische Cerebrospinal-Meningitis vor, unser Referat wird diese besonders berück-
uchügen und aus der Reihe der übrigen Beobachtungen die besonders actuellen Ge-
sichtspunkte, sowie einige bemerkenswerth erscheinende statistische Daten hervor-
beben. —
Dass die betreffenden, übrigens vollständig anonym gebliebenen Verfasser nichts
Neues zu entdecken, k$ine Hypothesen aufzustellen versuchten, sondern in Anlehnung
an fast alle bekannteren Autoren der Neurologie und unter Benützung von älteren
Publicationen und Frivataufzeichnungen derselben nur zu sammeln, aber auch zu
siebten bemüht gewesen sind, hindert uns nicht, ja giebt uns vielleicht gerade das
^ht, unser unumschränktes Lob der eingehenden Keferirung des Buches voraus zu
schicken.
Fünfzehn Jahre sind seit dem Kriege vergangen; die tausendfachen Invaliditäts-
Ansprüche haben in diesem Zeitraum die Militärärzte gezwungen, mit militärischer
Strammheit über den Verlauf von Nervenkrankheiten, über den Erfolg von Heil-
Qiethoden u. a. m. Register zu führen. Wie selten sind andere Neurologen in der
W^i interessanten Fällen fünfzehn Jahre lang nachzuspüren? Die Militärbehörden
baben aber die günstige Position, welche ihnen durch ihre verantwortliche Stellung
bei Invalidisirungen etc. g^^ben war, wissenschaftlich gut auszunützen verstanden,
nnd haben Alles, was nicht in den Akten stand, durch sehr genaue Erkundigungen,
^beilweise durch sehr genaue Explorationen zu ergänzen gewusst. Sie verwerthen
^ber nur die absolut sicheren Fälle, — das thut der Vollständigkeit mancher Mit-
tbeilung vielleicht Abbruch, erhöht aber deren Werth sehr wesentlich. — Ueberhaupt
— 186 —
könnte die Wahrhaftigkeit nnd Ehrlichkeit^ mit welcher die Verfasser des nenrolog.
Sanitatsberichtes zu Werke gehen, manchem mit überreicher Phantasie begabtem
mediciuischen Foblicisten zum nachahmenswerthen Vorbilde dienen.
Mehrere Capitel des Buches beschäftigen sich mit der Epilepsie. Hierbei
sind es zwei Momente, welche ganz besondere Würdigung von Seiten der Bearbeiter
erfahren haben, die traumatische und die Schreckepilepsie. Da sich die here-
ditäre Epilepsie gewöhnlich bis zum 20. Ijebensjahre manifestirt, so kommt die Erb-
lichkeit bei dem im Laufe des Krieges epileptisch gewordenen Soldaten idel weniger
in Betracht. Eine ganz hervorragende Bolle spielten die Traumen und zwar sind
sowohl Fälle verzeichnet, in denen eine reine Commotio cerebri epileptische Krämpfe
auslöste, als auch solche, wo eine mehr weniger hochgradige Verwundung der Schädel-
kapsel oder des Gehirns pathologische Processe setzte, die entweder eine reüectorische
oder eine symptomatische Epilepsie im Gefolge hatten. Aber auch Verletzungen des
Rumpfes und der Extremitäten, besonders wenn letztere in das Gebiet des Ischiadicus
fielen, waren, wenn auch im Ganzen seltener, im Stande, Reflex-Epilepsie zu erzeugen.
Unter den Feldzugs-Invaliden befinden sich femer 138 Individuen, welche von Ver-
letzungen des Schädeldaches adhärente grosse Kopfnarben zurückbehalten hatten, und
über periodischen, gradweise verschiedenen Schwindel klagten, sonst sich völliger
Gesundheit erfreuten. Nachdem in dem einen Falle 2 Jahre, in dem zweiten 3 Jahre
und in dem dritten gar 6^/3 Jahr nichts weiter wie diese Schwindelgefühle zu ver-
zeichnen waren, traten schliesslich doch noch epileptische Anfälle auf, die jetzt schon
über ein Jahrzehnt andauern. — Es liegen 8 Krankengeschichten von traumatischer
Epilepsie vor, in denen von einem operativen Eingriff die Rede ist; 4 sind davon
geheilt, 4 blieben ungeheilt; von 38 sonstigen Reflexepilepsien heilten 2 Fälle spontan.
Das Resultat der operativen Behandlung der traumatischen Epilepsie ist also ein im
Ganzen günstig^. — Nussbaum „dehnte" bei einem Fall von Epilepsie, deren
Entstehung auf ein im Kriege erlittenes Trauma zurückgeführt werden mnss, den
Plexus brachialis, da ausserdem ein spastischer Krampf im Arm bestand: er beschrieb
den Patienten als gebessert, resp. geheilt, — wir verweisen auf die ausführlichen
Mittheilungen der Berichterstatter über diesen Fall, welche von einem weniger günstigen
Ausgange desselben zu berichten wissen. — Es handelte sich um eine der ersten
Nerven-Dehnnngenl — An das physiologische Experiment, bei welchem Meerschweinchen,
die durch Hammerschläge auf den Kopf epileptisch geworden, spätw epileptische
Nachkommen erzeugen, erinnern 2 Fälle aus der Gasuistik. Von 3 Kindern eines
zu Nervenkrankheiten disponirten Patienten, der 1870 durch Fall auf die Brust
Epilepsie bekan^, litt 1883 ein 5jähriges an Fallsucht Ein anderer Soldat, hatte
sich durch Sturz vom Pferde eine Gontusion des Rückenmarks und eine dauernde
Lähmung der Rückenstrecker, sowie eine Reflex-Epilepsie zugezogen. Sein lljähr.
Knabe laborirte 1883 an leichter Epilepsia nocturna. Posttyphöse Epilepsie ist im
Kriege selten zur Beobachtung gelangt; von den 66301 Typhusreconvalesoenten
wurden nur 22 epileptisch; 3 Fälle endeten tödtlich, 4 genasen, 15 sind als un-
geheilt bezeichnet. Aus der grossen Zahl der im Kriege an Epilepsie resp. „Krämpfen"
überhaupt Erkrankten, — es sind in den Zählkarten 2010 solcher Patienten auf-
geführt, — ist nur der kleinste Theil wissenschaftlich zu verwerthen. Von Interesse
erscheinen ausser den schon besprochenen 141 Fälle von idiopathischer Epilepsie,
die hervorgerufen wurden durch das Kriegsleben im Allgemeinen, — durch von diesem
ausgehende somatische und psychische Insulte, welche auf die Soldaten gewirkt und
die centrale epileptische Veränderung erzeugt haben. Einmalige heftige psychische
Eindrücke haben nachgewiesenermaassen nur bei 15 Soldaten eine Epilepsie zur Folge
gehabt. Aufregung und Anstrengung in der Schlacht, auf Wache und Posten, Er-
müdung und Ueberanstrengung waren viel öfter an der Erkrankung schuld. Bei
50 ^/jj aller verwertheten Fälle, bei im Ganzen 71 epileptischen Invaliden, welche
erst in den letzten Kriegsmonaten den ersten Krampf-Paroxysmen erlitten hatten,
— 187 —
ohne dass sie eise directe Schädlichkeit dafür anzugeben vermochten, mnssten die
geistig und k(}rperlich nachtheiligen Einflösse des Krieges überhaupt als Ursachen
beschuldigt werden. Dass aber auch plötzliche Erregungen unmittelbar epileptische
Krämpfe hervorzurufen vermögen, und gerade so wie Erschütterungen und Verwun-
dangen des Schädels resp. Qehims materielle Veränderungen im Nervensystem und
demgemäss andauernde Epilepsie verursachen, beweisen einige prägnante Fälle von
Entstehung der Epilepsie mitten im Gefecht bei hereditär nicht belasteten Leuten,
deren Lektüre im Original wir sehr empfehlen. — Bei 8 Fällen von idiopathischer
£pi1^8ie trat im Verlauf der Krankheit der Tod ein, besser wurden die Krampf -
erscheinnngen 3imal, schwerer und zahlreicher gestalteten sich dieselben bei 35 Pa-
tienten, 57mal blieb der Zustand in Bezug auf Frequenz und Schwere der späteren
Paroxysmen entweder unverändert oder nicht aufgeklärt, nur bei 7 Kranken trat
sichere Heilung ein. Diesen verhältnissroässig geringen Procentsatz halten aber die
Autoren für nicht ganz der Wirklichkeit entsprechend, viele Invaliden mögen von
ihrer Epilepsie geheilt sein, ohne dass sie davon etwas haben verlauten lassen.
3 Epileptiker wurden übrigens, trotzdem sie 3 volle Jahre lang Krampfanfälle be-
kamen, schliesslich doch noch davon befreit. Am ungünstigsten verliefen die Schreck-
epilepsien, am günstigsten die Ermüdungsepilepsien und die nach acuten Krankheiten
entstandenen, die 60 nicht operirten traumatischen Epilepsien wiesen nur 4 Spontan-
heilungen auf.
Eine sehr interessante Fülle von Einzelbeobachtungen bietet die Darstellung der
Trophoneorosen naoh peripherischen Verletzungen dar. — Die daraus ge-
wonnenen Thatsachen bestätigen, dass, analog den bekannten und grundlegenden
Arbeiten von Mitchell, Keen und Morchouse, nach Verletzungen der Weichtheile
nnd Knochen, — sei es der Epiphysen oder Diaphysen — Ernährungsstörungen der
gesammten Giewebe beobachtet werden: Es sind Atrophien entweder an der Haut oder
an den Muskeln, oder an beiden gleichzeitig, die sich durch eine Dünnheit und Welk-
heit der Epidermis, durch glänzendes Aussehen derselben, schnelles Haar- und Nägel-
wachsthnm und Abmagerung des entsprechenden Unterhautzellgewebes, sowie der
darunter liegenden Musculatur charakterisiren. Oder es kommen auf diesem Wege
Hypertrophien zu Stande: Auftreibungen an Gelenken und Knochenenden, Verlängerung
und Verbiegung der Diaphysen ohne Fracturirung. Der Bericht unterscheidet noch
Dystrophien: Herpesähnliche Blasenbildung mit oder ohne Neuralgie, entzündliche
und elephantiastische Schwellungen der verletzten Theile. 3 Jahre nach einer Schuss-
verletzung des N. ischiadicus hatte sich sogar ein Mal perforant du pied heraus-
gebildet Sehr zahlreich sind hier natürlich die Angaben über locale Mnskelatro-
phien, theilweise in Verbindung mit Paresen resp. Paralysen. Ein rechtsseitiger
Clavicularbrach hatte sogar eine progressive Muskelatrophie, die am rechten
Arme begann, zur Folge; der Fall endete tödtlich. Quetschungen der Schultergegend
werden übrigens noch in 3 weiteren Fällen als ätiologische Momente einer progressiven
Muskelatrophie angesehen. Alle die genannten trophischen Störungen erscheinen un-
abhängig von etwaigen Veränderungen im Grade der Blutzufuhr; die Atrophie setzte
keineswegs immer eine Anämie, und die Hypertrophie keine Hyperämie voraus.
(Fortsetzung folgt.)
Psychiatrie.
20) Fall af l&ngvarig näringsvägran« af Th. Björck. (Upsala läkarefören. förh.
1885. XX. 7. L. 449.)
Die 24jährige unverheirathete Kranke, die von gesunden, nicht mit einander
blotverwandten Eltern stammte und vorher keinerlei körperliche oder geistige Ab-
normitäten gezeigt hatte, wurde unter dem Einfluss von Ueligionsscrupeln deprimirt
üüd gleichgültig, sprach wenig und antwortete gewöhnlich nicht anf Fragen; die
Bewegungen wurden langsam und tr&ge, die Pupillen wurden eng und reagirten
etwas träge; die Aufmerksamkeit war vermindert, die Auffiassung tr&ge und die Denk-
thätigkeit langsam. Nach 14 Tagen klagte sie Aber Schmerz im Epigastrium und
im Kopf, ass nicht, wenn sie nicht gezwungen wurde, „weil ihr der B6se die Nah-
rung missgönne"; mitunter glaubte sie auch, dass sie kein Recht habe, zu essen.
Manchmal glaubte sie, dass sie in den Abgrund sinken mflsse, oder dass sie am
ganzen Körper brenne, in der Nacht hatte sie oft Gesichtshallucinationen; sie wollte
nackt gehen und musste mit Gewalt angekleidet werden. Ausserdem glaubte sie,
man trachte ihr nach dem Leben. Als die Kranke am 12. Juni 1884 im Upsala-
Hospital aufgenommen wurde, musste sie mit der Sonde durch die Nase gefüttert
werden, wogegen sie gewaltsamen Widerstand leistete, wie auch gegen die Be-
kleidung. Den Tag über stand sie im Hemd unbeweglich auf derselben Stelle,
die Fflsse und Unterschenkel waren in Folge dessen geschwollen und cyanotisch;
in der Nacht lag sie still und ruhig, schlief aber wenig. Anfang Juli ass die Fat
einige Tage lang, vom 4. an musste sie wieder mit der Sonde gefüttert werden,
wogegen sie sich in der nngeberdigsten Weise widersetzte, mit der Nahrung wurde
ihr theils Morphium und Bromkalium, theils Abends Chloral gegeben. An verschie-
denen Körperstellen fand sich Decubitus ein, der allmählich heilte, als die Kranke
nicht mehr im Bette gehalten wurde. Im Sept. aber wurde sie so schwach, dass
sie sich nicht mehr erheben konnte. An verschiedenen Stellen bildeten sich Abscesse.
Ende October und im November stalte sich Husten ein mit Schleimrasseln in der
rechten Lunge, beim Husten bemerkte man penetrirenden Gestank; die Behandlung
bestand in Anwendung von Chinin. Im Dec. nahm der Husten ab und der Znstand
der Kranken begann überhaupt sich zu bessern, der Schlaf wurde besser und die
Kranke begann wieder zu essen, weshalb die Zwangsfütterung emgestellt wurde. Die
Abscesse heilten, die Besserung machte stetige Fortschritte und am 2. Mai 1885
wurde die Kranke geheilt entlassen. Die Nahrungsverweigerung dauerte über ^2 *^*
Am 23. Dec. war das Körpergewicht, das früher 150 — 160 Pfund betragen hatte,
bis auf 80 Pfund gesunken, von da an nahm es rasch wieder zu und war Ende
April bis auf 130 Pfund gestiegen. Walter Berger.
Therapie.
21) Om Behaadlingen af Tetanus, af Chr. Leegaard. (Klin. Aarbog. 1885.
Bd. IL S. 30.)
Eine causale Behandlung kann nur in einzelnen Fällen in*s Werk gesetzt
werden, wesentlich beim Tetanus traumaticus, wenn es sich um eine entfembare
Ursache handelt; hier kann auf operativem Wege oft Hülfe geschafft werden. Eine
innerliche Behandlung, die gegen eine Infection gerichtet ist, erscheint L. wenig
empfehlenswerth, eine solche Behandlung kann, wie L. glaubt, zur Zeit nur prophj-
lactisch sein, nicht causal. — Von Behandlungsmethoden, die gegen das Wesen der
Krankheit gerichtet sind, kann von dem gegenwärtigen Standpunkte unseres Wissens
keine Rede sein. — Dagegen besitzen wir viele und gute Anhaltspunkte für eine
symptomatische Behandlung. Beim Tetanus gilt es zunächst, die Hyperirritabilitat
des Rückenmarks herabzusetzen; in dieser Hinsicht verdient das Bromkalium den
ersten Rang, auch die Alkaloide der Calabarbohne, Eserin und Physostigmin, s'md
wahrscheinlich als gute Mittel zu betrachten, auch Eisbeutel längs des Bückgrats
und der constante Strom werden empfohlen. Danach gilt es, die von dem Qehim
ausgehenden Impulse, sowohl die latente Innervation, wie die Willensimpnlse, zu hin-
dern, auf die kranke graue Centralmasse zu wirken. Unter den hierzu verwendbaren
Mitteln ist besonders Chloralhydrat und Chloroform hervorzuheben, weniger wirksam,
— 189 —
iber dodi aueh hierher sn rechnen, ist Bromkalinm. Lenbe hat die kfinaUiclie Be»
spintion empfohlen, auch continnirliche warme B&der sind empfohlen worde». MoN
pMmn ist ebenfalls unter die in dieser Weise wirkenden Mittel za' rechnen. Ovrare
halt L. f&r werthlos für die Therapie des Tetanns* Verschiedene andere Mittttl sind
Doch Tersneht worden, aber mit wenig anfmnntemdem Erfolg. Die Prognose wirft
nach L. so lange schlecht sein, als man sich darauf beschränken mnss, weeflnHich
symptomatisch zu behandeln. Walter Berger.
Anstaltswesen.
22) On a reoent visit to Qheel, by Hack Tuke. (Joum. of ment. science.
1886. I.)
Verf. hat in Gemeinschaft mit den Mitgliedern des Antwerpener Gongresses einen
Ausflug nach Gheel gemacht und bespricht nun mit grosser Offenheit, die dort ge*
wonnenen Eindrücke. Im Ganzen äussert sich T. befriedigt über das, was er sah,
doch verhehlt er auch nicht, dass ihm manche Dinge ernste Bedenken einflössen. So
tadelt er die ungenügende Aufsicht über die Kranken, welche recht drastisch dadurch
bewiesen wird, dass ein Kranker die besuchenden Herren heimlich Abends nach Ant-
werpen auf dem Zuge begleitete. Femer ist T. überzeugt, dass die Anwesenheit der
Kranken auf das Familienleben der Pfleger einen schädigenden Einfluss haben werde.
Seit 1850 ist kein Mord in Gheel vollführt, doch 1878 hat ein Fat. einen sckweren
Angriff auf die Tochter seines Pflegers gemacht Illegitime Geburten gab es seit
10 Jahren 3 oder 4. Selbstmord ist sehr selten. Zur Zeit sind 1600 Fat. in Gheel,
eine zweite ähnliche Institution soll bekanntlich fär die Wallonen geschaffen werden.
Zander.
m. Aus den (JesellBohaften.
Soci^t^ de Biologie de Paris. Sitzung vom 6. Juni 1885.
Gh. F^r6 theilt einen Fall von linksseitiger Hemiplegie tmd Aphasie mit,
nnd zwar Logoplegie ohne Agraphie. Aber Broca behielt doch Recht, denn der
Patient war linkshändig, und zwar gebrauchte er die linke Hand bei allen Yerrich-
tungen, ausgenommen beim Schreiben; hierzu hatte man ihn mit grosser Geduld und
grosser Strenge genOthigt, die rechte Hand zu gebrauchen. Deshalb konnte er nun
nach seiner linksseitigen Lähmung Alles, was er nicht sagen konnte, sehr gut auf-
schreiben. Hadlich.
Intra-cranial Tumours. (The Lancei 1886. Vol. I. p. 251.)
In der Pathological society of London wurden kürzlich die Präparate einer
grossen Anzahl von Gehirntumoren demonstrirt, deren klinische Symptome viel Inter-
essantes bieten.
Dr. J. S. Bristowe zeigte einen tuberculösen Tumor, der die Corpora quadri-
gemina einnahm und auf den Aquaeductus Sylvü drückte. Der 7 Jahr alte Enabe^
dem die Geschwulst angehörte, war während des Lebens an allen Gliedern gelähmt»
welche zu gleicher Zeit auch zitterten. Tod durch Meningitis tuberoulosa.
Dr. Goodhart. 1) Gliomatose Degener^ition des Cerebellum, des Pens, der
Medulla oblongata bei einem 9, Jahre alten Knaben. Hauptsymptome während des
Ubens: taumelnder Gang, Schluckbeschwerden, totale rechtsseitige Hemiplegie, Rigi-
dität des rechten Armes und Beines, Occipitalschmerz; halbkomatOser Zustand. Dieser
Fall war eine Illustration einer ziemlich seltenen Afifektion, Ton der Dr. Wilks ein
Beispiel im Jahre 1856 der Sodetät vorstellte.
— 190 —
2) Pflammosaroom Ton der Yerbindimg des Tentoriiim mit der Falx cerebri in
•die FisBim longitadinalis hineinwachsend. Keine Symptome. Tod durch maligne En-
dooarditifl.
8) 2 fibrosaroomatöse Tumoren an der Basis des Grosshims, von denen der erste,
einer 26j&hr]gen Frau angehörend, an den Anstrittsstellen der beiden Faciales sass.
Symptome: Taubheit, starker Supraorbitalschmerz, Schmeraen an der rechten Kopf-
seite, L&hmnng des rechten Bolbns, Unmöglichkeit zu gehen, ohne wirkliche Para-
lyse. Keine Anaethesie. Der zweite Tumor nahm die Austrittsstelle des einen Facialis
ein. Seit 6 Jahren entwickelte sich auf dem rechten Ohr Taubheit; Aphonie; seit
3 — 4 Jahren Facialislähmung; erschwertes Schlucken, Atrophie des rechten Stemo-
cleidomastoideus.
4) Fibröser Tumor am linken Ganglion Gassen. Symptome: Anaesthesia dolo-
rosa des Gesichtes, Ophthalmoplegia externa und interna. Ophthalmosoopisch nichts
abnormes. Der Tnmor drAckte anf die Nerven an dem Sinus cavernosus.
5) Tumor in der Mitte des ersten rechten Gyrns temporo-sphenoidalis nach innen
gegen die untern Partien der beiden Centralwindungen vordringend bei einer 66jähr.
Frau. Epilepsie w&hrend des Lebens und seit vielen Jahren Schwachsinn. links
Fadalisparalyse, Schmerz und Hyperaesthesie der rechten Schläfegegend. Linker Arm
schwach und steif, nicht das Bein, dem Befiallensein der untern Theile der Central-
windungen entsprechend. Keine Taubheit, obwohl das Gehörcentrum mit betroffen war.
Dr. Frederick Taylor: 1) Gliom am Grunde des Ventriculus quartus, zugleich
die linke Hälfte des hintern Theils des Pens einnehmend. Hydrocephalus internus.
Symptome: Frontal- und Yerticalschmerz, rechts Strabismus divergens, Neigung nach
rechts zu fallen beim Gehen, schwankender Gang, zunehmende Erblindung, Maras-
mus, Tod.
2) Gliom des Pens mit rechtsseitiger Hemiplegie.
3) Gliom an den rechten Frontalwindungen in den Streifenhügel und Linsenkem
vordringend, Erweichung beider lobi olüactorii. * Bigidität des linken Armes und Beines;
halbkomatöser Zustand.
4) Fibrosarcon des Flooculus cerebelli ohne Symptome während des Lebens.
Dr. Ord.. Tumor der linken Hemisphäre an dem obem Theil der Fissura Bo-
lando» die aufsteigende Frontalwindung und die hintern Theile der beiden obem gyri
frontales einnehmend. Symptome: Convulsionen der rechten Seite ohne Verlust des
Bewusstseins, allmählich sich entwickelnde Hemipl^ia deztra.
Dr. Saundby: Gliom nimmt die linke zweite und dritte Stimwindung, femer
die aufsteigende Frontalwindung und Insula Beilii ein, drückt auf das Corpus striatam.
Atactischer Gang ohne besondere Paralyse, Schwachsinn. Tod im Goma.
Dr. Gharlewood Turner: 1) Weiches Gliom der linken Hemisphäre bei einem
31jährigen Manne liegt in den Faserzügen der Corona radiata, die zum vordem Theil
des Balkens gehen unterhalb der aufsteigenden Frontal- und Parietalwindungen. Fünf
Minuten dauemde spasmodische Anfalle im rechten Arm und Bein mit eigenthümlichen
schleichenden Empfindungen in diesen Gliedern. Parese des rechten Beins ohne
Anaesthesie. Verlauf 3 Monate.
2) Corticales Gliom bei einem 65 jährigen Manne. Dauer 6 Monate. Beginn
mit Kopfschmerz; zeitweilige Bewussüosigkeit, linksseitige Hemiplegie und Hemi-
anästhesie. Ergriffen war der hintere Theil des lobiüus parietalis, wo derselbe in
die Schläfenwindnngen übergeht. Die G^chwulst drang in den hintem Theil des
Corpus striatum und den Thalamus opticus vor.
Dr. Samuel West. Gliom im linken Lohns temporo-sphenoidalis ohne Affektion
des Cortex in der Capsula interna liegend mit eigenthümlichen Höhlenbildungen.
Symptome: Amnestische Aphasie. Hemiparesis dextra.
Femer wären noch Fälle von Tumoren zu erwähnen, welche Coupland, Mac-
donald, Hadden, Lediard, Savage, Beevor, Ogilvie, Hebb, Ashby, Chaffey,
— 191 —
D'Arej Power nnd Ernest Clarke mit Anführung der klinischen Symptome^ mit
Beibringong von Zeichnongoi und mikroskopiBohen Bildern demonstrirten.
Bahemann.
E. k. Gesellschaft der Aerzte zu Wien. 8itznng vom 19. März 1886. (Wiener
med. Fresse. 1886. No. 13.)
Hofrath Prof. Meynert: lieber die Frontalentwloklmig des Gtohime.
M. beschäftigt sich mit dem Stimlappen, dem man eine hervorragende anthropologische
Bedeutung zuschreibt Man ist sich aber immer noch nicht klar über die Begrenzung
des Stimlappens, und zwar ist es die hintere ürenze, die man nicht kennt. Nach
M. müsse man die vordere Centralwindung zum Frontallappen z&hlen, so dass die
Bolando*sche Furche die hintere Grenze des Frontsülappens bildet.
Der Vortragende thut dies dar durch vergleichend-anatomische Studien an Ge-
hirnen von Affen und Baubthieren.
Das menschliche Gehirn stellt sich aber nicht in seiner HOhe dar durch die
Entwicklung des Stimlappens, sondern durch die enormste Höhe der Sjlvi'sdien
Gmbe. Ausserdem ist beim Menschen noch der Schläfelappen mehr entwickelt, als
bei allen anderen Säugethieren.
Zu den anthropologisch bevorzugten Lappen gehört also nicht nur der Stirn-
läppen, sondern auch der Schl&felappen, wenn auch nicht in demselben Maasse wie
ersterer. Auch macht sich ein Consensus in der Ernährung des Sim- und Sohläfe-
lappens dahin geltend, dass die Atrophien (bei Greisen und Paralytikem) ihren Aus-
druck finden in der Abnahme des Gewichtes des Stirn- und Schläfelappens, während
der Parietal- und Ocdpitallappen fast gar nicht betheüigt sind. Während de norma
sich die Summe des Gewichtes des Parietal- und OccipitallappenB zur Summe des Ge-
wichtes des Stirn- und Schläfelappens wie 3 : 6 verhält, ändert sich dieses Verhält-
nias bei Atrophien in 4 : 5, es findet also eine grosse relative Abnahme des Stim-
nnd Schläfelappens statt
Aerztlicher Verein zu München. Sitzung vom 2. December 1885.
Büdinger bespricht 3 Fälle mit hochgradiger Veränderung der Broca*8chen
Windung und tritt für den Sitz des Sprachcentrums an dieser Stelle ein. (Publication
der Fälle ist vorbehalten.)
V. Gudden bekennt sich als Gegner der bestimmten Localisirung mit bestimmten
Territorien, kann sich auch nicht vorstellen, dass das Sprachcentrum sich nur links
entwickele. •
Stumpf theilt hierauf 2 Fälle mit von Aphasie, in dem ersten fand Qich» trotz-
dem die Sprache sich merklich gebessert, eine Erweichung, die von der untern linken
Stimwindnng bis zum Ocdpitallappen ging. • M.
IV. Bibliographie.
Looalisation in EOmrinde.
(Begister 1885 S. 573.)
Deschamps: Absc^ du cerveau. Progr. m^d. 1884. Nr. 46. — Wilbrand:
M Yon Gehimembolie. D. med. Woch. 1885. Nr. 51. — Morien: 2 Fälle von
Kopfverletzung mit Herdsymptomen. Arch. f. klin. Chirurg. 1885. — Exner: Kri-
echer Bericht über die neueren physiol. Untersuchungen, die Grosshimrinde betr.
BioL Otrlbl. 1885. Nr. 1 u. 2. — Marique: Becherches exp^rimentales sur le mäca-
lüfline de fonctionnement des oentres pi^chomoteurs du cerveau. Th^ d*aggrägation
— 192 —
BmzdtoB 1885. — Schäfer et Horsley: On the functions of the margiiial con-
Yolntion. ProceedingB of the Royal sodety 1884. — DelaTan: On the localization
of the eortiical motor centre of the larynz. Med. Becord. 1885. 14. Febr. — Lan-
nois: Y-a*t-il im centre cortical du larynx? Bev. de m6d. 1885. Aoüi — Clinical
sodety of London. Jannary 9. 1885: LesionB of the firontal lobe. — Allan: Tbree
casee with post mortem examination, illustrating some points in cerebral localisation
of fonction. Lancei 1885. I. p. 797. — Leegard: Bitrag til Lokalisationsl&re.
Norsk. Mag. f. Lagridensk. 1885. p. 191.
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(cf. Begiater 1885 S. 570.)
Lichtheim: lieber Aphasie. D. Arch. f. klin. Med. Bd. 36. S. 204. — Bibrach:
A case of tramnatic aphasia. Arch. of Med. 1884. 233. — Med. Society of London.
Jan. 12. 1885: Aphasie withoat lesion of brain-convolution. — Bufalini: Afasia
notrice eensa oomplicazioni e saccessiva amnesia verbale con monoplegia brachiale.
Lo Spenmentale. 7. — Bernard: De Tapfaasie et ses diff^rentes formes. Paris 1885.
Delahaye & Lecrosnier. — Mader: Embolische Erweichung der linken vordem Cen-
tralwindimg mit rechtsseitiger Parese und Aphasie. Wiener med. Presse. 1885. Nr. 3.
-— Prince: How a lesion of the brain resolts in that distnrbance of consdonsness
known as sensoiy aphasia. J. of nerv, and mental disease. 1885. July. — Steffen:
Zur Aphasie. Jahrb. f. Kinderheilk. Bd. 33. H. 1 u. 2.
Iiooalisatiozi für Sehen.
(Register 1885 S. 573.)
Wilbrand: Ein Fall von rechtsseitiger lateraler Hemianopsie. (}raefe*6 Arch.
Bd. 81. S. 8. — Dodds: On some central afifections of vision. Brain. 1885. April.
— Anderson: An unnsoal case of hemianopia. Med. Times. 1885. Nr. 1842.
Monoplegien.
Kidd: Unilateral convulsion and paralysis of the arm and face. Lancet 1885.
II. p. 564. — Wiglesworth: On the cerebral arm centre. Liverpool med. chir.
Joum. 1885. Nr. 8.
V. Vermischtes.
•
Die XI. WanderTersammlung sfidwestdentscher Neurologen nnd Irrenärzte wird am
22. and 23. Mai in Baden-Baden stattfinden. Anmeldungen von Vortragen sind an die Ge-
eeh&flfifUirer: Geheimer Hofrath Prof. Dr. Bftnmler (Freibarg in Baden) nnd Dr. Fischer
in Blensn (Baden) an richten.
In der Pariser Sociät^ d' Anthropologie besprach am 18. März 1886 Dnval das Gehirn
von Gambetta. Dasselbe ist aasgezeichnet durch eine eminente Entwickelung der nntereD
Stimwindung, deren vorderes Ende verdoppelt ist. Ausserdem zeigt da8sefi>e einen sehr
complicirten PraecaneuB dexter, der in zwei Theile durch eine von der Fissura parieto-ooci-
pitaus umgehende Furche getheilt ist» und einen äusserst reducirten HinterhauptslappeD, be-
sonders rechts.
üeber das Gewicht (nach einer Mittheilung von Bloch in der Bevue d' Anthropologie
Oct. 1885 nur 1160 Gramm. Bef.) wird demnächst verhandelt werden. M.
Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber vrird gebeten.
^W^^. III ■■■■■■■ I i— i— ^ ■ I ■ ■ ^^_— ^ , , —
Einsendungen fOr die Bedaction sind zu richten an Prof. Dr. £. Mendel,
Berlin 9 NW. S^ronprinzen-Ufer 7.
Verlag von Ybit & Comp, in Leipzig. — Druck von MsTzosa & Wimo in Leipzig.
NEmOLOGISCHESCENTRALBLAn.
Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie
und Therapie des Nervensystemes einschliesslich der Geisteskrankheiten.
Herausgegeben yod
Professor Dr. E. Mendel
Fünfter " "^""- Jahrgang.
Monatlich erscheinen zwei Nnmmem. Preis des Jahrganges 16 Mark. Zu beziehen durch
alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie
direct von der Verlagsbuchhandlung.
1886. 1. Mai. M 9.
Inhalt. I. Orlginalmlttheilungen. 1. Ueber den Einfluss der Grosshimrinde auf den
Blutdruck und die Herzth&ti^keit, von Prof. W. Bechterew und Prosector Dr. Misslawsky.
2. Ueber den elektrischen Widerstand des Körpers, von A. de Watteville. 3. Ein Beitrag zur
einseitigen Wahrnehmung doppelseitiger Reize bei Herden einer Grosshimhemisphare, von
Dt. L Bnins.
II. Referate. Anatomie. 1. Ueber einen besonderen Bestandtheil der Seitenstränge des
Rückenmarkes u. über den Faserursprung der grossen aufisteigenden Trigeminuswurzel , von
Bechterew. — Experimentelle Pnysiologie. 2. Physiological studies of the knee-jerk,
and of the reactions of muscles under mechanical and other ezcitante, b^ Mitckell and Lewis.
3. De la trdpidation öpileptoKde provoquöe, par Delorm-Sorb^. 4. Contnbution a l'^tude de
Vaction physiologique de la cocalne, par Slglifcelll. — Pathologische Anatomie. 5. Zur
Anatomie des Balkenmangels im Grosshim, von Anton. — Pathologie des Nerven-
systems. 6. Himsyphilis und deren Localisation, von Resentkal. 7. Des syphilomes de
Vencephale, n ar Luys. 8. Aural and nervous Symptoms of secondary syphilis, by Blake and
Walten. 9. Myelitis acuta disseminata, von KOttner und Bresin. 10. Une Observation de
maladie de Thomsen, par Pitres et Dallidet. 11. Un caso di leucodermia ereditaria, pel
Seppini. 12. Due casi di lesioni dei peduncoli cerebrali, pel Rescioli. 13. Ueber ein eigen*
thämliches Sputum bei Hysterischen, von Waoner. 14. Sanitats-Bericht über die deutschen
Heere im Kriege gegen Frankreich 1870/71. Erkrankungen des Nervensystems. (Fortsetzung.)
— Psychiatrie. 15. On the alleged n*agility of the bones of general paralytics, by Christian.
16. Auditor^ hallucination in a deaf mute, by Stearns. 17. Zur Lebre von der Paranoia
hallQcinatoria acuta, von Greldenberg. 18. Sopra un caso di pneumonite acuta in nn'alienata
<»n abbassamento notevole della temperatura, per U Alqeri. 19. Insanity from cocai'ne, by
Brower. — Therapie. 20. On the ose of Cocaine in the Opium habit, by Mann. 21. On
trpphining in epilensy resulting from old fracture of the skull, by Clark.
III. Aue den GMellsehaften. — IV. Bibliographie. -- V. Vermischtes.
I. Originalmittheilungen.
1. Ueber den Einfluss der Grosshimrinde auf den
Blutdruck und die Herzthätigkeit.
Von Professor W. Bechterew und Prosector Dr. MlBslawsky.
Seit Ende vorigen Jahres beschäftigten wir uns mit dem Stadium des Ein-
flusses der Grosshimrinde auf den Blutkreislauf, indem der Hauptgegenstaud
— 194 —
unserer im physiologischen Laboratorium der Universität ausgeführten Unter-
suchungen die Veränderungen waren, die bei Beizung yerschiedener Binden-
gebiete im Blutdruck und in der Herzthätigkeit sich einstellen.
AUe unsere Versuche wurden an curarisirten Thieren angestellt^ yorzüglicb
an Hunden, zum Theil an Katzen. Der Blutdruck und der Puls wurden an
einem mit der Carotis des Thieres verbundenen LüBwiG'schen Eymographion
registrirt Zur Beizung benutzten wir einen du BoiB-BEYMOND'schen Inductions-
apparat (5148 Windungen der secundären Bolle) mit einem GnENEr'schen Element;
als Elektroden dienten zwei um 4 — 7 mm von einander entfernte Nadeln, die
in geringer Tiefe in die Hirnrinde eingesenkt wurden. Es wurden nur schwache
Ströme angewandt — solche, die eine kaum wahrnehmbare Empfindung an der
befeuchteten Fingerhaut oder nur an der Zunge und den Lippen hervorriefen.
Die Dauer der Beizung betrug in den meisten unserer Versuche 30 Secunden.
Die Ergebnisse unserer Versuche zeigen, dass Erregung bestimmter Gtebiete
der Orosshimrinde höchst deutliche Veränderungen im Blutdruck bewirke, die
sowohl in Steigerung, als auch Herabsetzung desselben bestehen können. Hierbei
erwies es sich, dass die wirksamen Bindenfelder nicht auf die motorische Zone
(Gyrus sigmoides) beschränkt sind, sondern sich weit über die Grenzen derselben
erstrecken. Ausser dem genannten BindentheU wird Beeinflussung des Blut-
drucks von den Gebieten aus erzielt, die nach aussen von derselben liegen
(der vordere Abschnitt der 2. und 3. und der obere Theil der 4. Urwindung)
und von einem ausgedehnten Territorium aus, das hinter der motorischen Zone
liegt (dem Scheitellappen des menschlichen Gehirns entsprechender Theil der
Hirnrinde).
Beizung der motorischen B^on bewirkte in der überwi^enden Mehrzahl
unserer Experimente eine au^eprägte Differenz im Typus der Blutdruok-Curven,
je nachdem ob sie im vorderen oder hinteren Abschnitt derselben stattfand.
Nämlich bei Beizung .der ganzen hinteren Portion des Gyrus sigmoides (hinter
dem Sulcus cruciatus), der hinten anliegenden Abschnitte der 1 . und 2. Primär-
Windungen sowohl, als auch des medialen Theils der vorderen Portion des Gyrus
sigmoides (vor dem Sulcus cruciatus), erhielten wir stets ausgeprägte Steigerung
des Blutdrucks, welche sich nach einer mehr oder weniger langen Latenzperiode
einstellte. Dagegen hatte Beizung verschiedener Punkte des ganzen äusseren
und mittleren Theils der vorderen Fortion des Gyrus sigmoides, und auch der
anliegenden Gebiete der 2. Primär- Windung, zuvörderst mehr oder weniger be-
deutende Herabsetzung des Seitendrucks zur Folge, worauf dann eine oonsecutive
Steigerung stattfand; in einigen Versuchen jedoch, besonders bei Beizung des
äusseren Theils des vorderen Abschnitts des Gyrus sigmoides, beobachteten wir
deutliche Herabsetzung des Seitendrucks, die entweder während der ganzen
Dauer der Beizung anhielt, ohne von consecutiver Steigerung gefolgt zu sein,
oder allmählich zur Zeit des Aufhörens der Beizimg abnahm.
Sinken des Blutdrucks mit nachfolgender Steigerung desselben kam auch
in einigen Fällen bei Beizung der Uebergangsregion zwischen vorderem und
hinterem Abschnitt des Gyrus sigmoides (am äusseren Ende des Sulcus crudatus)
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ror; doch in den meisten Experimenten bestand der Effect der Beizung dieses
Gtebiets in mehr oder weniger betrachilicher Steigerung des Drucks, die nach
einer Latenzperiode sich einstellte; also er stimmte mit demjenigen Effect überein,
der bei Beizung der ganzen hinteren Portion des Gyrus sigmoides und der an-
liegenden Gebiete der 1. und 2. Primär- Windungen erhalten wurde.
Bei Beizung der mittleren Partien der Hemisphäre (der Scheitellappen) von
bestimmten Punjrten der 2. und 8. TJrwindungen und dem hii^teren Ende des um
die Fossa Sylvii hemm liegenden Theils der 4. TJrwindung aus beobachteten wir in
Fielen Versuchen ausschliesslich depressorischen Einfluss. Dabei dauerte die zu-
weilen höchst beträchtliche Herabsetzung des Blutdrucks entweder während der
ganzen Zeit der Apphcation des Beizes, oder sie nahm allmähUch ab, nachdem
sie bei Beginn der Beizung sich eingestellt hatte, und ging noch vor Gessation
letzterer zur Norm zurück. Eine consecutive Steigerung des Blutdrucks wurde
bei Beizung der bezeichneten Bindengebiete in unseren Experimenten nicht be-
obachtet
Es ist beachtenswerth , dass es in den meisten Fällen nur im Anfang des
Experiments gelingt^ die depressorische Einwirkung von den angegebenen Binden-
territorien aus zu Gonstatiren; die bedeutenden Blutverluste, die nach Abnahme
der Dura mater stattfindende Erkältung und Austrocknung der Hemisphäre
sowohl, als die wiederholte Application der Beizung haben, wie wir uns über-
zeugen konnten, einen erschöpfenden Einfluss auf die vasomotorischen Binden-
centren, und besonders auf diejenigen Bindengebiete, von denen aus depressorische
oder gefasserweitemde Wirkung erzielt wurde. Deshalb kommt es auch nicht
selten vor, dass der im Anfang des Versuchs deutUch ausgeprägte depressorische
Effect bald gänzlich verschwindet und sogar bei Verstärkung des Stromes nicht
mehr von Neuem hervorgebracht werden kann.
Die Hinterhauptgegend der Hemisphären ist anscheinend am wenigsten an
der vasomotorischen Einwirkung betheiligt. Wenigstens gelang es uns kein
einziges Mal bei der oben angegebenen Stromstärke von diesem Gebiet aus
deutliche Beeinflussung des Blutdrucks zu erzielen.
Was die Einwirkung der Binde auf die Herzthätigkeit anbetrifft, so bestand
der beständigste Effect in unseren Versuchen in einer bedeutenden Pulsbeschleu-
nigung, die besonders bei Beizung der motorischen Begion ausgeprägt war und
sowohl bei gesteigertem, als bei gesunkenem Blutdruck beobachtet wurde. Ein-
fluss seitens anderer Bindengebiete liess sich in dieser Hinsicht nicht feststellen.
In einigen Versuchen wurde bei Beizung der motorischen Begion nach anfäng-
licher Beschleunigung des Pulses consecutive Verlangsamung desselben beobachtet,
doch war dieses Vorkomnmiss kein beständiges.
Eine eingehendere Beschreibung unserer Versuchsergebnisse beabsichtigen
wir in Bälde zu veröffentlichen.
Kasan, im März 1886.
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2. üeber den elektrischen Widerstand des Körpers.
Von A. de Wattevüle.
Meine Absicht ist, mehr die Auftnerksamkeit des Lesers auf gewisse Phä-
nomene der medicinischen Elektrophysik zu lenken , als eine vollständige Be-
schreibung ond Auseinandersetzung derselben zu geben.
Schon seit vielen Jahren nahm ich bemerkenswerthe Verschiedenheiten
zwischen der Ablenkung der Nadel eines absoluten Galvanometers und der Zahl
der angewendeten Elemente wahr.
Ich suchte die Erklärung dieser Phänomene lange in der üngenauigkeit
der angewendeten Instrumente. Nachdem ich aber im Winter 1883—1884
mir einen ausgezeichneten Galvanometer bei Edelmann hatte herstellen lassen,
konnte ich mich überzeugen, dass die Ursache jener Differenzen in Alterationen
des Körperwiderstandes lag. Walleb gelangte unabhängig von mir zu demselben
Schluss mit seinem registrirenden Galvanometer (Brit. med. Joum. 1885. 25. Julj)
und Stone scheint zu derselben Zeit ähnliche Beobachtungen gemacht zu haben.
Die sehr einfache Methode, die Thatsache, um die es sich handelt, zu beobachten,
ist folgende: Man setze zwei grosse Elektroden (aus biegsamem Metall, mit stark
angefeuchtetem Flanell bezogen) fest auf, und beobachte, nachdem man den
Widerstand der Haut auf ein Minimum reducirt hat,^ die Ablenkung der Nadel,
die durch jede einer gewissen Zahl von Elementengruppen gegeben virird.
Der Doppelsammler,' dessen ich mich in der gewöhnlichen Praxis bediene,
ist für diesen Zweck sehr bequem. Dann füge man der einen dieser Gruppen
die andere hinzu, und man findet, dass die Zahl der ganzen Ablenkungen
grosser ist, als die Summe der partiellen Ablenkungen. So fand ich in einem
Falle, dass jede der 4 Gruppen von 3 Leclanchte einen Strom von 2 Milliamperes
durch den Körper gab. Diese Gruppen mit einander verbindend und sie so
anwendend, also nach einander 8, 6, 9, 12 Elemente, stieg die Ablenkung statt
von 2 auf 4, 6 und 8 Milliamperes von 2 auf 5, 8,5 und 11,8 Milliamperes.
Eine einfache Controlbeobachtung mit einem metaUischen Widerstand an
Stelle des menschlichen Körpers, gab eine dem Omc'schen Gesetze entsprechende
arithmetrische Progression und bewies demnach, dass die Differenz aus Altera-
tionen im Widerstand des menschlichen Körpers hervorging.
Wir können es denmach als ein Princip aussprechen, dass bei den gewöhn-
hchen ärztlichen Applicationen der Widerstand des menschlichen Körpers (ab*
gesehen von der Epidermis) sich verringert mit der Zunahme der angewendeten,
elektromotorischen Kraft, oder mit anderen vielleicht correcteren Worten, dass
der durch einen Strom hervorgerufene Widerstand im Körper, sich nicht ent-
sprechend der Stärke des angewendeten Stroms vermehre.
' Die beste Methode ist, einen möglichst starken Strom durchgehen jfn lassen nnd den
Strom mehrmals in der Minute zn wenden.
' Dargestellt in Fig. 61 meines Baches: »Jtfedical electricity", 2. Ed.; eine deutsche
üebersetzong wird gegenwärtig dnrch Dr. Max Wbisb bei Töplitz & Dentioke in Wien
vorbereitet
— 197 —
Die Beschaffenheit dieses hypothetischen Widerstandes ist wesentUeh ver-
schieden von dem, der von der Polarisation herrührt, insofern er ni(dit mit der
Dauer des Stroms varürt
Es ist wohl hekannt, dass, wenn man einen Strom, der durch den Körper
^eht, plötzlich umwendet, der Galvanometer eine Vermehrung der Starke anzeigt
Diese Erscheinung schob man auf die Polarisation der Elektroden und auf die
Verringerung des Widerstandes der Haut Dagegen ist zu bemerken: 1) dass
die elektromotorische Kraft zwischen Sauerstoff und Wasserstoff, die an der Ober-
fläche der Elektroden sich entwickeln, nicht genügt, um die Zunahme zu er-
klären; 2) dass die Zunahme nur vorübergehend^ ist, sobald man die Vorsicht
gebraucht hat, den Widerstand der Haut auf sein Minimum zu reduciren;
3) dass man oft mit einem Galvanometer ohne Oscillationen nach der Wendung
eine allmähliche Ablenkung der Nadel auf ihr Maximum beobachtet.
um diese Thatsachen zu zeigen, bediene ich mich einer Batterie mit dop-
peltem Sammler und des grossen EDELMANN'schen Galvanometers. Ich applicire
Elektroden von 8 und 15 cm auf zwei entsprechende Punkte des Körpers, lasse,
nachdem ich den Widerstand der Haut reducirt, einen Strom von 20 Milli-
amperes durch die Haut einige Minuten lang gehen. Mittelst eines zwischen
Körper und Galvanometer angebrachten Commutators wende ich den Strom und
bt'obachte dann, dass die Nadel mehr oder weniger schnell eine Ablenkung von
23, 24 bis 25 Milliamperes erreicht Nach einigen Augenblicken beginnt die
Nadel wieder zurückzugehen, um in ihre ursprüngliche Lage zurückzukonmien.
Die Grösse der supplementären Ablenkung und die Schnelligkeit des Zurück-
sinkens hängen von der vorangegangenen Dauer des Stroms ab. Um den Ver-
such zu controliren und den Effect zu eliminiren, der durch die Polarisation
der Elektroden hervorgebracht wird, wiederhole ich denselben, indem ich die
beiden Griffe des Doppelsammlers auf 0 zurückführe, anstatt den Strom zu
wenden. Auf diese Weise eliminire ich die Batterie des Kreises, welche nur
den Körper, den Galvanometer und die Elektroden einschliesst und versichere
mich, dass der durch die elektromotorische Kraft (welche an der Oberfläche
dieser letzteren entwickelt wird) hervorgebrachte Strom nur einen BmchtheU
eines Milliampere beträgt.
Es ist demnach augenscheinlich, dass der galvanische Strom bei der ge-
wöhnlichen ärztlichen Applicationweise in den Geweben gewisse Veränderungen
hervorbringt, welche sich durch eine temporäre Zunahme der Kraft dieses Stroms
kundgiebt, wenn derselbe sie in entgegengesetzter Richtung durchfliessb Diese
Zunahme lasst sich auf zwei Arten erklären: Entweder ist der Widerstand der
Gewebe verringert für den im entgegengesetzten Sinne durchfliessenden Strom,
oder aber es entwickelt sich eine elektromotorische Kraft unter dem Einflüsse
der Polarisation. Die zweite Hypothese ist die leicht begreiflichste. Sie hat
jedoch gegen sich 1. die Thatsache, dass die supplementäre Ablenkung der
Nadel nicht sofort mit der Wendung des Stroms eintritt; 2. die Thatsache,
1 Wallbb aod OK Wattsvillb» Philosophical Tranaaot. BoyuX Soc 1882.
•
— 198 —
dass bei den über die Polarisatiun der Elektroden ausgeföhrten GontrolTersacben
die vorher durch den Strom durchflossenen Gewebe nicht als seoondarer Strom
wirken und keinen Strom durch das Galvanometer liefern.
3. Ein Beitrag zur einseitigen Wahrnehmung doppelseitiger
Reize bei Herden einer Grosshimheraisphäre.
Von Dr. L. Bnms, früher Assistenzarzt
(Aus der Psychiatrischen und Nerven-Klinik zu Halle a./S.)
In der Nr. 23 dieses Centralblattes von 1 885 veröffentlicht Oppenheim ^ vier
Fälle von einseitigen Grosshimaffectionen, bei denen er durch ejne bisher nicht
verwerthete klinische Untersuchungsmethode eine noch nicht bekannte Störung
der Sensibilität entdeckte, die im wesentlichen darin bestand, dass bei Vornahme
gleichzeitiger, symmetrischer, doppelseitiger, sensibler und sensorischer Beize nur
diejenigen, die die nicht unter dem Einflüsse des Himherdes stehende Eörperhälfte
trafen, zur Perception des Kranken gelaugten, während wenn man die Sensi-
bilität der erkrankten Seite allein untersuchte, entweder gar keine oder nur
geringfügige Störungen derselben bemerkt wurden. Da Oppenheim selber bis
zum November 1885 nur in 4 von einer grösseren Anzahl von einseitigen Gross-
himherden dieses Symptom constatirt hat, dasselbe also ein seltenes zu sein
scheint, da ausserdem die üntersuchungsresultate dieses Autors bisher noch von
keiner Seite bestätigt sind, halte ich es fOr geboten, einen Fall zu veröfTent-
lichen, der vollständig mit den OppENHEiM'schen Beobachtungen übereinstimmt.
Meinem verehrten früheren Chef, Herrn Professor Hitzig, sage ich für üeber-
lassung der Krankengeschichte meinen besten Dank.
Str. Gustav, Sattler aus Zerbst, 50 Jahre alt Apoplecüscher Anfall am
4. Mai 1885, Aufnahme in die Klinik am 3. November 1885.
Status bei der Aufnahme: Facialisparese linkerseits mit Betheiligung des
Stirn- und Augenastes. Parese der linken Zungenhälfte. Paralyse mit Con-
tractur und erhöhten Sehnenreflexen der linken oberen, Parese mit Contractur
uiid Patellar- sowie Achillesclonus der linken unteren Extremität Abnahme
der Musculatur der linken Körperhälfte; sehr herabgesetzte Hauttemperatiir
derselben Seite. Ophthalmoskopisch: nichts. Psychisch: ziemlicher Schwachsinn.
üeber die Sensibilität wurde am 4. und 11. November folgendes notirt:
Auf feine Tastreize der linken Seite wird im Anfange der Untersuchung prompt
reagirt und werden dieselben gut localisirt Der Patient verliert aber sehr bald
für die gelähmte Körperhälfte die nöthige Aufmerksamkeit und wird dann iu
seinen Angaben unsicherer. Schmerzreize werden auch links stets prompt
empfunden, doch häufig zunächst nur als Tastempfindung, auf die, bis eine
' Ueber eine durch eine klinisch bisher nicht verwerthete UntersachongBinethode er-
mittelte Form der Sendbilitatsstörung bei einseitiger Erkrankung des Gfrosahims.
— 199 -
halbe Minute später eine dann übertriebene lebhafte Sohmerzreaotion folgt. Der
Temperatarsinn ist am linken Oberarm und Oberschenkel gestört; au den übrigen
Partien der linken Körperhälfte wird dagegen im Anfange der Untersuchung
kalt und warm gut unterschieden.
Am 12. December wurde die OppENHEQf'sche üntersuchungsmethode bei
dem Kranken ausgeführt. Während der Patient Nadelstiche, die auf die linke
Körperhälfte allein applicirt werden, sofort empfindet, kommt, wenn zugleich die
linke und rechte Körperhälfbe an symmetrischen Stellen gestochen wird, stets
nur der die rechte Seite treffende Stich zur Perception. Diese Sensibilitäts-
störung umfasst Kopf, Rumpf und Extremitäten gleichmässig. An den unteren
Extremitäten kann man den Beiz linkerseits ein gut Theil länger und stärker
bis zu einer nicht genau zu definirenden Grenze einwirken lassen, wie rechts,
ohne dass das Uutersuchungsresultat sich ändert. Wird aber diese Grenze
überschritten, so wird sofort eine doppelseitige Empfindung angegeben.
Am 15. Januar 1886 wurde dieselbe Untersuchung noch einmal genau
wiederholt: mit demselben Resultat. Linksseitig applicirte Kälte- und Wärme-
reize werden, auch an den Stellen, wo der Temperatursinn dieser Seite für sich
ein normaler ist, bei gleichzeitiger und gleichmässiger Reizung der rechten Seite,
nicht wahrgenommen.
Eine Prüfung des Gesichtssinnes in der von Oppenheim beschriebenen
Weise war unmöglich, da Patient in keiner Weise zur Ruhigstellung seiner
Balbi zu bewegen war. Eine Prüfung des Gehörs wurde nicht vorgenommen.
Wie man sieht, bestätigt der oben beschriebene Fall vollständig die Oppen-
HEiM'schen Beobachtungen. Es bestanden hier zwar auch bei alleiniger Prü-
fung der linken Seite Sensibilitätsstörungen; doch waren dieselben gering, und
kamen jedenfalls für diejenigen Reize, mit denen die doppelseitige Untersuchung
ausgeführt wurde, massig starke Nadelstiche, nicht in Betracht. Aehnliche Ver-
hältnisse finden sich übrigens auch im Fall III von Oppenheim.
Bestätigen muss ich auch, dass die OpPENHEOi'sche Sensibilitätsstörung
eine relativ seltene ist. In den von mir von Mitte December bis Ende Februar
untersuchten Fällen von Grosshimherden habe ich sie nur dieses eine Mal ge-
funden. Mehrere andere Fälle (Hirntumor, Contusion des Grosshims mit Hemi-
paresen) boten keine Spur davon. Ebenso habe ich sie nie bei anderen Krank-
heiten des Nervensystems oder bei Gesunden beobachtet.
Berlin, im März 1886.
II. Referate.
Anatomie.
1) Ueber einen besonderen Bestandtheil der Seitenstränge des Büoken-
markes und über den Faserarsprung der grossen aufliteigenden
Trigeminuswurzel, von Prof. W. Bechterew in Kasan. (Arch. f. Anat. u.
Physiol. 1886. Anat. Abtheü.)
B. beschreibt als ,,Hinterwarzelgebiet der Seitenstränge" einen unmittelbar
der Austrittsstelle der hinteren Wurzeln anliegenden Abschnitt, zwischen diesem und
««
— 200 —
dem Pyramideiifleiteiistrang gelegen, dessen Fasern sich durch bedeutend geringeres
Kaliber unterscheiden. Dieser Abschnitt beginnt Markbekleidung der Fasern zu er-
halten bei einer Fötuslänge von 33 cm, wenn die Hinterstrange sie bereits Tollständig
haben, die Fyramidenstränge dagegen noch nichts davon zeigen. Das Hinterwurzel-
gebiet nimmt von unten nach oben an Ausdehnung ab, ist in dem obersten Abschnitt
des Brustmarks am kleinsten, nimmt dann rasch wieder an Fasern und Ausdehnung
zu bis zum oberen Halsmark hinauf und macht beim Uebergang in das verlängerte
Mark allmählich den dickeren Fasern der aufsteigenden Tngeminuswurzel Platz.
Lissauer hat bei Tabes dorsalis auf die Degeneration dieses Theiles der Seiten-
stränge aufmerksam gemacht; und B. kann Lissauer^s Angaben über den Verlauf
der Fasern dieses Abschnittes, des Hinterwurzelgebietes, vollständig bestätigen, dass
es n&mlich feine Fasern aus dem äusseren Bündel der hinteren Wurzeln sind, welche
aufsteigen und später zum Theil durch die Substantia gelatinosa Bolando hindurch,
zum Theil um letztere von aussen herumbiegend, in die graue Substanz des Hinter-
homs eintreten.
Die grosse aufsteigende Tngeminuswurzel erscheint nach B. bereits sehr früh,
bei Föten von 25 — 28 cm Länge, markhaltig. Sie beginnt im Uebergang des Hals-
markes in die Med. oblongata, mit Bündeln, die aus der Zellengruppe der Basis des
Hinterhoms heraustreten. Ungeföhr in der Höhe der unteren Abschnitte der oberen
Pyramidenkreuzung, zum Theil jedoch unmittelbar unter letzterer, biegen fast alle
diese den Ursprung der aufsteigenden Tngeminuswurzel bildenden Fasern und Bündel-
chen nach aussen um, ziehen in querer Bichtung durch die gelatinöse Substanz hin-
durch und legen sich an die äussere Seite letzterer in Gestalt eines compacten Bündels
an, welches bis zum Austrittsort der gemeinsamen Trigeminuswurzel aufsteigt. — Die
gelatinöse Substanz ist also nicht der Kern dieser Wurzel, wie Krause s. Z. irr-
thümlich annahm. Hadlich.
Experimentelle Physiologie.
2) Physiologioal studies of the knee-jerk, and of the reaotdons of muscles
under meohanioal and other exoitants, by S. Weir Mitchell and
Morris J. Lewis. (The Medical News. 1886. Febr. 13 and 20.)
Ausgehend von Jendrässik*s Arbeiten machten die Verfif. an Menschen und
Thieren sehr sorgfaltige Versuche mit folgenden Hauptergebnissen:
Oeftere Erzeugung des Kniephänomens in einer Sitzung steigert dasselbe zuerst,
um es nachher abzuschwächen. Tägliche, nicht zu häufige Erregung steigert es.
Erzeugung des einen Kniephänomens beeinflusst die des andern nicht
Jede willkürliche Bewegung (schon blosses Lachen, Phonation etc.) verstärkt
das Kniephänomen beiderseits für längere Zeit, ebenso auch ein auf ein bewegungs-
unfähiges oder amputirtes Glied gerichteter Willensimpuls. Fortgesetzt starke will-
kürliche Bewegung schwächt es schliesslich.
Zum Zustandekommen des Kniephänomens genügt dasjenige Maass von Spannung,
das auch der ganz erschlaffte Muskel hat (gegen Jendrässik, Gowers u. A.;
doch sei hiergegen der Einwand möglich, dass der Hammerschlag selbst zugleich mit
der Reizung auch den Muskeltonus direct verändere). Massige passive Spannung
des Quadrieeps begünstigt, extreme hebt das Kniephänomen auf. Auch willkürliche,
schwache Innervation des N. cruralis steigert es, starke hebt es auf. Innervation
des K. ischiadicus steigert es stets.
Berührungs- und Gtoschmacks-Empfindungen beeinflussen das Phänomen nicht,
Schmerz, plötzliche schmerzhafte Application von Kälte oder Wärme, faradische oder
galvanische Ströme an beliebigen Körpertheilen, blendendes Licht steigern es; Druck
auf den N. ischiadicus schwächt es, dlrecte elektrische Reizung desselben steigert es.
— 201 —
Galyanisatioii des Kopfes steigert das Phänomen ausserordenüich (bei polarer Gal-
Tuiisatioii namentlich der negative Pol), ebenso anch Galvanisation des Eückenmarks
(namentlicli in aufsteigender Bichtong). Starke Galvanisation des Kopfes zusammen
mit starken willkürlichen Bewegungen wirkt so sehr verstärkend, dass auch ein Schlag
auf die Tibia zur Hervorbringung der Quadricepscontraction genflgt.
Da Hautreflexe durch willkürliche Muskelaction und Schmerzempfindung nicht
beeinflnsst werden, hingegen Muskelphänomene von unzweifelhaft nicht-reflectorischem
Charakter bei mechanischer Beizung ganz ebenso wie das Kniephänomen von gleich-
zeitigen willkürlichen Muskelactionen etc. modiflcirt werden, so schliessen die Verff.,
dass das Eniephänomen auf directer, nicht-reflectorischer Muskelreizung beruhe. Von
andern Muskelphänomenen unterscheidet es sich nur dadurch, dass zu seinem Zu-
standekommen ein gewisser Tonus des Muskels und daher der Zusammenbang mit
dem Rückenmark mittelst des N. omralis erforderlich ist
Durch den Beiz elektrischer Ströme ausgelöste Muskelcontractionen blieben bei
allen Versuchen unbeeinflusst.
Die Verff. vermuthen, dass die Steigerung des Eniephänomens durch motorische
Äction und sensible Beize auf einem gewissen „Ueberfliessen" (overflow) einer ner-
vösen Erregung auf das ganze centrale Nervensystem beruht Th. Ziehen.
3) De la tröpldation öpileptolde provoquöe, par J. Delom-Sorb^. Bor-
deaux 1885.
Der Verf., der unter der Leitung von Pitres arbeitete, defiuirt die trepidation
epileptolde als das Phänomen rythmischer Muskelzuckungen in Folge künstlicher
Dehnung der entsprechenden Muskeln. In historischer Beziehung betont er die
Priorität der Charcot-Vulpian'schen Beobachtung des Pussklonus (1862). Verf.
betrachtet jede trepidation Epileptolde provoquöe, die er streng von einer Epilepsie
spinale spontauEe unterscheidet, als pathologisch. Die folgenden Untersuchungen
beziehen sich namentlich auf das „epileptolde Zittern" des Fusses, den Fussclonus.
Neu schildert er ein dem Fussclonus entsprechendes Phänomen des M. pectoralis
major, das in 2 Fällen von fiävre typhoide, einmal durch brüske, länger unterhaltene
Spannung, das andere Mal nur durch einen Schlag auf den gespannten Muskel zu
erzeugen war.
Die trEpidation Epileptolde zeigt mit grosser Begelmässigkeit 5—8 Stösse in
der Secunde. Von den zur Unterbrechung des Fussclonus angegebenen Mitteln er-
wies sich nur Esmarch*sche Einschnürung (de Fleury) als sicher wirksam.
Unter den klinischen Beobachtungen (21 zum TheU schon anderwärts geschil-
derte Fälle) ist namentlich eine interessant, wo schon 11 7a Stunden nach einer
Apoplexie (ähnlich wie in 2 Pitres'schen Fällen) Fussclonus auftrat Verf. folgert
daraus, dass derselbe nicht stets auf Seitenstrangsdegeneration zu beziehen ist. Unter
den Fällen progressiver Paralyse neigen namentlich die mit markirter Sprachstörung
verbundenen zu Fussclonus. Nach starken epileptischen Anfallen findet sich fast
stets Fussclonus, bei Paralysis agitans nur in 2 unter 6 Fällen. Bei Hysterischen
kündigt er functionelle Contractur an. Doch kommt dem epUeptoiden Zittern eine
unzweideutige klinische Bedeutung nicht zu.
Verf. geht dann zur physiologischen Erklärung speciell des Fussclonus über.
Er leugnet mit Fleury (der übrigens nicht, wie Verf. meint, der erste und einzige
war, der diese Ansicht aufstellte, cf. die Arbeiten von Gowers, Jendrässik u. A.)
die Gleichheit des Ursprungs von Fussclouus und Westpharschem Kniephänomen.
Mit dem Fussdonns wäre am Knie nur der Clonus des M. quadriceps beim Herunter-
zerren der Kniescheibe zu vergleichen. Weiterhin schliesst Verf. aus der mitunter
sehr langen Daner des Fussclonus und aus seiner Unterdrückbarkeit durch £smarch*sche
Umschnürung (bei erhaltener Sensibilität, Motilität und erhaltenen Sehnenreflexen)
— 202 -
auf nicht-reflectoriscbe Entstehung des FusscIodus. Vielmehr ist der Muskeltonos so
sehr gesteigert, dass die Zerrung des Muskels schon durch die blosse Verl&ngening
desselben und die damit verbundene Erleichterung der Gontraction eine solche aus-
löst, ohne dass ein directer Reiz durch Erschütterung noch erforderlich wäre. Die
Fortdauer des Clonus nach Loshissen des Fusses beruht auf analoger Th&tigkeit des
Antagonisten. Bei dem durch sensible Hautreize ausgelösten Fussclonus ist allerdings
die erste Gontraction reflectorisch, der weitere Glonns aber beruht wiedemm auf
gegenseitiger Reizung der sich zerrenden Antagonisten. Im Ganzen stellt Verf. seine
Erklärung der tröpidation ^pileptolde als eine Ergänzung und Modification der
Westpharschen hin. Th. Ziehen.
4) Contributiozi & l'ötode de Taotion physiologique de la oooalne» par ie
Dr. Sighicelli. (Archiv, de Biologie. 1885. YII. p. 128.)
Verf. hat in Prof. Albertoni's Laboratorium zu Bologna die physiologischen
Eigenschaften des Gocalns untersucht und ist dabei zu einigen bisher nicht genauei
beobachteten Resultaten gelangt, die er in der oben erwähnten Arbeit bespricht
1. Man erhält regelmässig eine vollständige Lähmung aller Muskeln, die den
Augapfel bewegen, sobald man etwa 1 ccm Gocalnlösung (3 7o) ^° ^ ^^^ ®^^
Versuchsthieres (Hund oder Kaninchen) einträufelt. Selbst mit starken faradischen
Strömen lässt sich weder durch Reizung des Oculomotorius, Abducens und Trochlearis,
noch durch directe Reizung eine Muskelzuckung auf der cocalnisirten Seite hervor-
rufen. Die Unerregbarkeit der quergestreiften Muskelfasern durch locale Einwirkung
des Gocalns lässt sich übrigens auch in jedem anderen Muskel demonstriren, voraus-
gesetzt, dass derselbe im Verhältniss zur angewendeten Gocalnlösung ein kleines
Volumen hat.
2. Einträufelung von Gocalnlösung in den Bindehautsack ruft innerhalb von
10 Minuten eine beträchtliche Mydriasis hervor und zwar durch Lähmung der glatten
Muskelelemente der Iris.
3. Dieselbe locale Wirkung des Gocalns lässt sich auch an den glatten Muskel-
fasern der Darmwand zeigen. Durch Einspritzung von 2 ccm Gocalnlösung in eine
Darmschlinge wird die Muscularis der letzteren unerregbar, während die übrigen
Darmpartien prompt auf faradische Reizung reagiren. Sommer.
Pathologische Anatomie.
6) Zur Anatomie des Balkenmangela im Groashim, von G. Anton. (Zeitacbr.
f. Heilk. Vn. 1. S. 53.)
A. untersuchte das Qehim eines Tmonatl. Fötus (41 cm lang, 1850 gr schwer),
das ausser Hydrocephalus int. vollständigen Balkenmangel zeigte; die Hemisphären
erweisen sich ziemlich symmetrisch, die linke etwas kürzer; die rechte Hemisphäre
zeigt sich sattelförmig gegen den Lob. occip. abgegrenzt, die Fiss. Sylvii steil, seicht
und kurz, nur eine Inselwindung vorhanden; rudimentär aber deutlich erkennbar
die Sulci central., praecentr., interpariet., occipit sup. 1 und 2, tempor. 1. Ausser
dem Balken fehlt auch die Gommissura ant. und die Gommissur der Fomixsysteme,
die Blätter des Sept. pellucid. sind spurweise vorhanden. Entsprechend dem Beginn
des Gyrus fomic. und mit dem Tubercul. olfact zusammenhängend findet sich eine
gracile rundliche l^/j cm lange Winduug, welche nach oben sich spindelförmig zu-
spitzend als Fortsetzung entUng der transversalen Himspalte einen schmalen Ftaerzag
hat, der sich später mit den Fomixbündeln verbindet und im oberen Theil der Fascia
dentata verschwindet. Die Windung entspricht offenbar einem Anfange des Gyru?
— 203 —
fornicatus, die Fortsetzung dem Nerv. Lancisii, wodurch Meynert's Lehre von den
Beziehungen des N. LancisU zum Geruchesystem bestätigt erscheint. (Details be-
züglich der Sulci der medialen Flache siehe im Original. Ref.)
Die mikroskopische Untersuchung der linken Hemisphäre zeigte die Markent-
wickelung etwa entsprechend der von Flechsig für 45 cm lange Föten beschrie-
benen; die btbidelförmige Einstrahlung der deutlich markhaltigen Fasern des äusseren
Drittels des Hirnschenk^usses in den Luys'schen Körper war deutlich nachweisbar,
ebenso die Fasern aus diesem Ganglion in das innere Linsenkemglied; eine Com-
missura ant. konnte nicht nachgewiesen werden. In der Med. obl. erweist sich die
rechte Pyramidenbahn als bedeutend stärker wie die linke, was sich im Ualsmark
als fast völliger Mangel der linken Pyramidenvorderstrangbahn darstellt, bei nahezu
symmetrischen Pyramidenseitenstrangbahnen; ob dies Verhalten durch centralen Defect
bedingt war, konnte wegen Läsion der linken Hemisphäre nicht festgesteUt werden.
Mit Bücksicht auf die fehlenden Commissuren der Hemisphären ist A. geneigt,
die ihre Entwickelung hemmende Einwirkung in die Zeit vor dem 4. Monate zu
verlegen, und den Hydrocephalus als deren Ursache anzusehen. A. Pick.
Pathologie des Nervensystems.
0) Heber Himsyphilis und deren Looalisation, von Prof. Dr. M. Rosenthal
in Wien. (D. Arch. f. klin. Med. 38. III. S. 263 - 284.)
Solche Fälle von Himsyphilis, welche sich auf ein bestimmtes Gebiet beschränken,
also Herderkrankungen sind, vermögen häufig durch die intra vitam beobachteten
Symptome Ober die Function der betrofifenen Centralstellen Aufschluss zu geben.
So ist B. durch seine diesbezüglichen Beobachtungen in der Lage, die schon
von Physiologen constatirte Thatsache zu bestätigen, dass die vordersten Himpartien
weder mit motorischen noch mit sensiblen Nervenbahnen etwas zu thun haben; da,
wo sensible Störungen wie halbseitige Supra- und Infraorbital-Neuralgie, Empfindlich-
)(eit der Stirn gegen Druck und Percussion, umschriebene Hauhtyperalgesie, die später
in Anästhesie übei^eht, auftreten, handelt es sich jedesmal um eine Affection der
vom Quintns versorgten Dura mater.
Geht dagegen ein entzündlicher Process etc. auf die Centralwindungen über, so
treten sofort motorische und mit diesen zugleich sensible Störungen auf. Die Be*
bauptung vieler Autoren, dass die Centralstellen für Motilität und Sensibilität in
den Centralwindungen zusammenfallen, hat zwar noch ebenbürtige Gegner wie Char-
cot, Pitres, Ferrier, aber Verf. muss sich nach seinen Beobachtungen — hier
werden 2 Krankengeschichten mit Sectionsbefund angeführt — auch zu der An-
schauung von Goltz, Exner, Munk, Moeli, Wernicke, Flechsig u. a. m.
bekennen.
Was nnn femer die Grosshimganglien anlangt, so steht es fest, dass Corpus
striatum, Nuclens lentifonnis etc. zu den Pyramidenbahnen in keiner Beziehung
^hen. Fälle, in denen man bei Aifection derselben Lähmungen fand, sind durch
^ckwirknngen auf die innere Kapsel zu erklären. Diese Hemiplegien pflegen auch
Allmählich zu entstehen im Gegensatz zu den unmittelbaren Insulten der inneren
Kapsel. —
Klinische und pathologische Beobachtungen von Kahler und Pick, Wernicke
^^d Hutchinson sprechen für die bereits von namhaften Physiologen experimentell
^abgewiesene Centralstelle für Accommodation und Augenbewegung am Boden des
^n. Ventrikels. Danach hat es der vordere Theil des Oculomotoriuskems hauptsäch-
lich mit der Accommodation und Iriscontraction zu thun, vom mittleren wird der
Hectus internus und inferior und vom hinteren Rectns superior, Obliquus inferior und
— 204 —
Leyator pa1pel>rae snperioris versorgt. Bemwkenswerih ist, dass Hnicbinson unter
17 Fällen lOmal mehr oder minder sieber Syphilis nachweisen konnte. Verf. selbst weiss
neben einigen rein cerebralen Formen von 10 Fällen von Ophthalmoplegie in Folge
von Affection des Ocnlomotoriuskems zu berichten, die znr gleichzeitigen Tabes in
Beziehung standen. Und zwar traten die Augensymptome im Initialstadinm der
Tabes auf, einige Male complicirt mit Trigeminus-Neuralgien, die Verf. aus einer
Verbindung des hinteren Theils des Oculomotoriuskems mit der absteigenden sensiblen
Wurzel des Quintus erklärt. Unter den 10 Fällen war bei dreien Syphilis voraus-
gegangen. Sperling.
7) Des syphilomes de Teno^hale, par J. Luys. (L'Encephale. 1886. L)
Während die Gummata des Gehirns allgemein bekannt sind, hat L. sich be*
müht, die ersten Anfänge syphilitischer Himerkrankung zu erkennen und die speci-
fische Natur der gefundenen Veränderungen zu erweisen. Dem sozusagen embryonalen
Zustand der Gebilde, aus denen sich später Gummata entwickeln, will L. in ganz
leichten punktförmigen Sclerositäten gefunden haben, und zwar habe er sie mehr durch
das Gefühl, als durch das Auge, bei alten Leuten, die im Verdacht früherer Syphilis
standen, entdeckt. Der Hauptsitz dieser punktförmigen Läsionen sollen Bulbus und
Pens sein. In einer Section ist es L. gelungen, alle Uebergangsstadien von der
feinen punktförmigen Sderose bis zum fertigen Gumma vereinigt zu finden.
Zander.
8) Aurftl and nenrous Symptoms of soooxidary BsrphiliB» by Blake and
Walton, Boston. (Sep.-Abdr.)
An der Hand zweier Fälle weisen die Verff. auf die secundäre Natur mancher
nervösen Symptome der Syphilis hin. Die letzteren bestanden im ersten Fall in
grosser Reizbarkeit, Schlaflosigkeit und falschem Hören der musikalischen Töne auf
dem linken Ohr (bei einem Musiker), im zweiten in Amblyopie, Schwindel, schwankendem
Gang, Klingen und Schwerhörigkeit des linken Ohres (ohne Mittelohrerkrankung).
Jodquecksilberbehandlung beseitigte die Symptome in beiden Fällen.
Th. Ziehen.
9) Myelitis acuta disseminata» von Prof. Dr. B. Küssner und Dr. F. Brösln
in HaUe a./S. (Arch. f. Psych, etc. 1886. Bd. XVII. H. 1.)
Ein 24jähriger sonst gesunder Mann — Schriftsetzer — wurde ohne bekannte
Ursache im Lauf weniger Tage von Lähmung der Blase und der unteren Extremi-
täten befallen; bald stellten sich Fiebererscheinnngen ein. 8 Tage nach dem Beginn
constatirte man vollständige schlaffe Lähmung der unteren, leichte motorische Schwäche
der oberen Extremitäten, Lähmung der Sphinkteren, absolute Anästhesie der unteren
Körperhälfte bis zum Niveau des 12. Brustwirbels und der untersten Bippen, Fehlen
der Haut- und Sehnenreflexe an den unteren Extremitäten, faradische Reaction der
Nerven und Muskeln erhalten. Bald Blasencatarrh, Decubitus auf dem Os sacrum,
Gangrän der Haut und Erysipel an Genitalien und Oberschenkeln, continuirliches
hohes Fieber. Tod 24 Tage nach dem Beginn.
Bei der Obduction fand sich ein intra vitam nicht nachzuweisender Herz-
fehler (Verwachsung zweier Aortaklappen), Embolie der Lungenarterien, eitriger
Blasencatarrh, Pyelonephritis.
Zum Theil schon die makroskopische, genauer aber die mikroskopische Unter-
suchung des Rückenmarks Hess eine Myelitis constatiren, die sich durch Vor-
handensein einer grossen Zahl von Krankheitsherden hauptsächlich im Brust-
— 205 —
mark kennzeicbnete. Dieselben standen im mittleren Brnstmark äosserst dicht» er-
streckten sich in abnehmender Zahl bis zam mittleren Halsmark aufwärts, bis zum
mittleren Lendenmark abwärts. Die genauere Untersuchung liess eine Beziehung
derselben zum Gefäassystem erkennen, in dem gewöhnlich das Gentrum eines
aolchem Herdes durch ein Gefäss dargestellt wurde.
Ansaerdem fand sich eine fortlaufende Degeneration in den Hinter-
strängen des Halsmarks und obersten Dorsalmarks — jedenfalls an Umfang das
tiebiet der sog. Goll'schen Stränge übertreffend, und eine die peripherischen Ab-
schnitte beider Seitenstränge des unteren Dorsal- und Lendenmarkes
einnehmende Erkrankung.
Dieee fortlaufenden Strangerkrankungen werden von den Verff. als secundäre
')egeneration aufgefasst. Die Herde selbst sind als acute Entzündungen zu be-
zeichnen; in der That entpsrechen die histologischen Details durchaus dem, was von
acut-:nyeliiischen Veränderungen sonst bekannt ist. Eine Form grosser Zellen in
den Borden, die von anderen Autoren schon erwähnt ist, wird von den Verff. mit
unbestreitbarem Recht als Fettkömchenkugeln bezeichnet.
Bezüglich der Krankheitsursache denken die Verff. in erster Linie an einen
infectiösen Ursprung. Eisenlohr.
10) Une Observation de maladie de Thomson, par Pitres et Dallidet.
(Arch. de Neurol. 1885. X. p. 201.)
25j&hriger Fabrikant, dessen Mutter als junges Mädchen anscheinend eine Zeit
lang an Muskelrigidität bei intendirten Bewegungen gelitten und von dem einige
nach der Mutter geartete Geschwister ebenfalls Symptome der Krankheit zeigen. In
der frühen Jugend bereits scheint die Krankheit ganz allmählich aufgetreten zu sein.
Mit 22 Jahren machte die Krankheit rasche Fortschritte, besonders in der kalten
Jahreszeit waren die Störungen der Bewegung unangenehm. Status im Jahre 1884:
Die Volumina der willkürlichen Muskeln sind vermehrt, die Glieder sind kurz und
dick, auch die Bumpfmuskeln sind dicker als normal, ebenso die des Halses. Wenn
die Muskeln sich in Buhe befinden, haben sie die gewöhnliche elastische Consistenz,
contrahirt sind sie hart wie Holz, dabei beulig und unregelmässig knotig anzufühlen.
Die mit dem Dynamometer gemessene Kraft erschien geringer, als zu erwarten war.
l>ie elektrische Erregbarkeit war im Ganzen normal. Jedesmal, wenn der Kranke
eine Bewegung ausführen will, verspürt er in den botreffenden Muskeln eine Hem-
mung, eine Härte, welche die Bewegung langsam und mühsam macht. Wird die
Bewegung wiederholt, so verliert sich die Spannung allmählich. Auffallend war, dass
beim Händedruck z. B. der Schlnss der Hand rasch vor sich ging, aber das Los-
lassen behindert war. Die Verff. zeichneten mit dem Registrirapparat interessante
Bilder der Vorgänge an den Muskeln. — Die Kälte vermehrt die Mnskelrigidität,
boi den Ctesichtsmuskeln bis zu krampfhaft contracturirter Grimassenstellung und
Sprachbehinderung. Die Furcht, auffallig zu werden, vermehrt die Erscheinungen,
auch andere Gemüthsbewegungen. Wenn der Kranke ermüdet und echauffirt ist,
sind die Bewegungen freier. — Sensibilität intact; Sehnenreflexe, innere Organe etc.
normal. Intelligenz gut. Siemens.
11) IJn oaso dl leucodermia ereditaria, pel prof. Seppilli. (Archlvio di
psichiatria, scienze pen. ecc. 1886. VII. p. 83.)
Ein iTjähiiger Tischler wurde am 26. Juni 1885 wegen Tobsucht in die Irren-
anstalt zu Imola aufgenommen und in den ersten Tagen des September als genesen
ootlassen. im Uebrigen ohne Abnormität im Körper- oder Schädelbau bot er eine
— 206 ^
eigenthümlicbe fleckweise Yerfarbang der Haut and der Haare dar. In der Mediaii-
linie der Stirn fand sich zunächst ein 4 cm breiter Streifen, der sich von dem Bande
des Haarwuchses bis in die Gegend der Kranznaht erstreckte und dessen weisae
wachsglänzende Haut von silberweissen Haaren dicht besetzt war. Auf dem Körper
fanden sich dagegen sehr zahlreiche rundliche Flecken von dunkler Hantpigmentirun^,
1 — 2 cm im Durchmesser; dieselben confluirten z. Th. auf der Vorderseite des Halses,
der beiden Schultern, in beiden Ellbeugen, auf dem linken Vorderarm, im linkeu
Hypochondrium, in der linken Kniebeuge, und auf dem äusseren unteren Drittel des
rechten Oberschenkels. Sehr ausgedehnte Pigraentirungen zeigten sich noch zusammen-
hängend in der rechten Lumbal-Glutaeal-Inguinal-Gegend und auf der Innenseite den
linken Oberschenkels, lieber allen Flecken war die Sensibilität normal; die Flecken
selbst waren angeboren.
Es handelt sich also um einen seltenen Fall von congenitaler Ijeucodermie und
gleichzeitiger Melanodermie anderer Hantpartien bei einem psjchopathischen Indi-
viduum. Besonders erwähnenswerth ist aber das erbliche Auftreten des weissen
Haarschopfes. In dem nachfolgenden Stammbaum sind die Träger des letzteren
durch fetten Druck der Qeschlechtsbezeichnung angedeutet.
Urgrossvater?
w
w w
M
M
M W
IflL M nL m. M
M
M
M W W
fla ^n M VL
MW M W M W
Sommer.
(Patient.)
12) Due casi di lesioni dei pedunooli oerebrali, pel dott. B. Roscioli. (II
Manicomio. 1885. Nov. p. 305—319.)
Verf. beschreibt 2 Fälle von capillarer Hämorrhagie in der Substanz des Him-
schenkelfusses.
1) Mann, 69 J., seit fast 20 J. wegen secundärem Blödsinn in der Irrenanstalt
zu Nocera, wurde ohne bekannte Veranlassung am 28. October von einem apoplecti-
formen Anfall mit zurückbleibender Hemiparese und Contractur der rechtsseitigen
Extremitäten ergriffen. Nach scheinbarer Besserung trat am 30. dess. Mon. ein
neuer Anfall ein, der die Lähmung und die Contractur wieder verschlinunerte; Pu-
pillen eng und nicht reagirend; die Augenbewegungen waren ungestört, während
Pat. bis zum Tode am 2. Nov. nicht wieder zur Besinnung kam, so dass die Sensi-
bilität nicht untersucht werden konnte. Auffidlig war der eigenthümliche Verlauf
der Kopftemperatur, die regelmässig um 1 — 2^ niedriger war, als die Achselböhleo-
wärme, die aber zwischen rechter und linker Kopfhälfte wesentlich verschieden war,
so dass anfänglich auf der der Lähmung entgegengesetzten Seite die Temperatur
fast 1 " niedriger war, während sie mit dem 3. Tage, vielleicht mit dem Eintritt
der reactiven Irritation, um 1^ höher wurde.
Die Section ergab eine capillare Hämorrhagie von 10 mm Länge und 4 mm
Tiefe im lateralen Theil des linken Himschenkelfusses, etwa 1 cm von seinem Aus-
tritt aus der Brücke beginnend; ausserdem Herzhypertrophie und allgemeines Atherom.
Nach den bisherigen Erfahrungen hätte man den Sitz der Läsion, wenn über-
haupt, dann im medianen Abschnitt des Himschenkelfusses, in dem bekanntlich
motorische Fasern verlaufen, vermuthen müssen. Die 3 Hypothesen, durch die Verf.
den Widerspruch zwischen den klinischen und den anatomischen Befunden zu er-
klären versucht, müssen im Original nachgesehen werden.
2) Mann, 54 J., vielfach bestraft und sehr leidenschaftlich, mannigfache Kx-
ceese in potu et Venere; im April 1883 erlitt er augeblich bei einem Einbruch eine
Verletzung mit Ausreissung des einen Hodens und nachträglicher Ezstirpation des
— 207 —
anderen Hodens, vielleieht aber yerstOmmelte er sich selbst in einem (unbeobachtet
gebliebenen) ersten Anfall psychischer Epilepsie (?). Jedenfalls erfolgte der erste
Krampfanfall, der bekannt geworden ist, im Mai 1883 und seitdem wiederholten sich
ähnliche Anfälle und Aequivalente. Im Juli 1884 erfolgte wegen der letzteren und
wegen der inzwischen hochgradig gewordenen geistigen Schwäche mit leichter Sprach-
ätömng seine Auftiahme in die Irrenanstalt. Am 24. Nov. trat hier der erste epi-
leptische Anfall mit nachfolgender tiefer Benommenheit und Unruhe ein, Erscheinungen,
die in wechselnder Intensit&t ohne Fieber bis zum 27. Nov. anhielten. An diesem
Tage zeigte sich ein apoplectiformer Anfall mit rechtsseitiger Hemiplegie und links-
seitiger Facialislähmung; dabei bestand allgemeine Anästhesie, Beugung des Kopfes
nach rechts und linksseitige Mjose, aber keine Deviation der Augen. Am nächsten
Tage stellten sich clonische Zuckungen in den gelähmten Muskeln ein und während
die Facialisparalyse schwand, bildete sich eine Contractur der Nackenmuskelu aus.
Unter steigender Temperatur, bei der wieder auffallig war, dass die äussere Kopf-
temperator links vom 29. Nov. an fast 1^ höher war als rechts, und unter dem
Auftreten mehrfacher DecubitussteUen an den gelähmten Extremitäten und von Oedem
der rechten Hand starb Fat. am 3. Dec. im Coma.
Die Section ergab eine Meningitis besonders über dem Vorderlappen des Gross-
hims, eine hyperämische Injection des Fusses der 3. linken Stimwindung, Oedem des
Kleinhirns und Oapillarapoplexien in der weissen Substanz, hauptsächlich im medianen
Abschnitt des linken Grosshimschenkels, die bis in die Capsula interna und externa
hineinreichten.
Verf. ist geneigt, die epileptischen Erscheinungen, die Geistesschwäche und die
leichte Sprachbehinderung auf die Periencephalitis, den apoplectiformen Anfall aber
mit seinen motorischen, sensiblen und vasomotorisch-trophischen Folgezuständen auf
die rothe Erweichung des Crus cerebri zu beziehen. Auffällig ist die Nichtbetheiligung
des der gelähmten Seite gegenflberliegenden Oculomotorius.
Im vorliegenden Fall bestand eine gekreuzte Fadalparalyse; da sich dieselbe
aber sehr schnell zurflckbildete, so glaubt Verf., sie auf eine einfache collateraie
Gefässstörung zurflckfflhren zu dürfen. Sommer.
13) Ueber ein eigenthümliches Sputum bei Hyaterisohen, von E. Wagner.
(Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 38. H. III. S. 193^198.)
Bas vom Verf. in sechs Fällen bei Hysterischen beobachtete Sputum, welches
Wochen und Monate lang neben den Allgemeinsymptomen das auffiallendste Krankheits-
zeichen bilden kann, gleicht einem „r&thlichen oder rothen dünnen Brei, in dem
zahlreiche kleinste graue Partikeln den Grund bedecken". Einmal glich das Sputum
einem dünnen Himbeergel^e. Ausser verhältmssmässig wenig rothen Blutkörperchen
findet man mikroskopisch darin zahlreiche Eiterkörperchen, Fflasterepithelien, Kokken
und Bacterien, aber keine dem Larynx oder der Lunge angehörige Zellen. In einem
Falle entdeckte man auch Trichomonas vaginalis ähnliche Gebilde, in einem andern
TuberkelbaciUen.
Das Sputum wird nicht durch Räuspern, sondern durch wirkliches Husten ent-
leert, und zwar vorzugsweise Nachts und Morgens. Ueber die Herkunft und Bildung»-
Ursache ist nichts Sicheres zu sagen; jedoch ist die Annahme einer Stomatitis ver-
bunden mit kleinsten Blutungen in solchen Fällen nach Verf. Meinung das Wahr-
scheinlichste. Sperling.
14) Sanitäts- Bericht über die deutschen Heere im Kriege gegen Frank-
reich 1870/71. Vn. Band: Erkrankungen des HerventysteniB.
Herausgegeben von der Militär-Medizinal-Abtheilung des konigl. preuss.
— 208 —
KriegsmiDisteriams mitor Müirirkang der betraffinden bajrisc^en,
sächsiseheD und württembergiBchen Behörden. (Beriin 1885. Ernst
Siegfr. Mitüer A Sohn.) — [Fortsetzmig.]
Unter dem Kamen: „TrwunaJ^äche BeflexUUmrang** werden in dem IBnche
gewiflse sensible oder motorische Lähmungen Terstanden, die in einem vom ursprüng-
lichen Verletzungsorte entfernten Nervengebiete entstehen: so z. B. Panüysis agitans
der ganzen linken Seite nach einem Stich in die rechte Schulter oder nach einem
Schasse quer Aber den Bficken mit Yerletznng der Lendenwirbels&ale! — Beflex-
Aphasie dorch Hjpogiossnskrampf, später Stottern. Ebenso sind Kenralgien er-
wähnt, die in sensiblen Nervengebieten sich localisirten, welche mit den nrsprOnglich
-verletzten Nerven nichts zu thon hatten. — Die meisten dieser reflectoriseh erzeugten
Neoropathien heilten ziemlich rasch. Wohl unterschieden von den Beflexlahmnngen
werden diejenigen Läsionen, welche nach längerem Bestände und in den späteren
Stadien der peripherischen Nervenverletzongen nicht plötzlich, sondern allmählich
entstehen, auch nach Heilung der ursprflnglichen Wunde und der am getroffenen
Gliede bewirkten Nervenstörung selbstständig fortdauern und unverändert bleiben oder
langsam heilen. Dieselben werden „secundäre traumatische Lähmungen" ge-
nannt und fast durchgehends als Fälle von „ascendirender Neuritis" gedeutet
Ich erwähne unter den 19 mitgetheilten Fällen: 1) Eine mehrere Tage nach Yer-
Wandung des rechten Fersenbeins entstandene Lähmung des linken Armes. 2) Eine
Schussverletzung des rechten Ischiadicus, nach deren Wundheilung nearitische Symp-
tome in diesem Nerven, später Parese sämmtlicher Extremitäten mit vasomotorisch-
trophischen Störungen eintraten. 3) Eine Granatverletzung des linken UnterschenkelB;
6 Jahre später Parese des linken Armes, Atrophie des Deltoideus und der Hand-
muskeln. —
Einer Aufzählung der tramnatiBOhen laäsionen der motorischen und sensiblen
Bahnen, die bedingt waren durch directen Druck von Fremdkörpern oder durcb
Krflckendruck, folgen die nervösen Störungen nach Verletzung der Wirbel-
säule und des Bückenmarks. Es sind 66 solcher Fälle tabellarisch geordnet,
welche die bekannten Erscheinungen der Bückenmarks-Erschütterung, Bückenmarks-
Compression, der spinalen Meningitis und der Halbseiten-Läsion darboten und, wie
es ja die Begel, zumeist in Heilung oder in wesentliche Besserung fibergingen.
(Fortsetzung folgt.)
Psychiatrie.
16) On the alleged fragility of the'bohes of general paralytics, by T.
Christian. (Joum. of ment. science. 1886. L)
Verf. erklärt sich in seiner Arbeit gegenüber der von Foville (Annales med.
psych. 1880) vertheidigten Ansicht dafür, dass bei den Paralytikern die Brüchigkeit
der Knochen durch ihre Gehimerkrankung keineswegs vermehrt sei. Directe mikro-
skopische Yergleichungen der Knochen von Paralytikern und anderen Geisteskranken
ergaben negatives Besultat, doch sind dieselben noch nicht genügend zahlreich aas-
geführt. Die Coexistenz zwischen Psychose und Osteomalacie zugegeben, so existiren
doch nicht genügende Beobachtungen, welche den Causalnexus zwischen beiden ansser
Zweifel stellen. Gudden constatirte bei 100 Autopsien (50 M., 50 W.) in 16 Fällen
Bippenfracturen, 14 bei M., 2 bei W. und davon waren 8 Paralytiker, während Verf.
in einer 15jähr. Praxis nur 4 Fälle sah, und zwar waren in diesen äussere Traumen
zweifellos vorhanden. Verf. bestreitet die Beweiskraft einer post mortem Statistik,
da die Fracturen doch schon vor dem Eintritt in die Ansialt oder gar vor der
geistigen Erkrankung entstanden sein möchten, oft aber äusserer Gewalt ihren Ur-
sprung verdanken. Das Hauptgewicht aber legt Verf. darauf, dass es bei aller Sor^:-
— 209 —
faii unmöglich sei, den Paralytiker vor dem Fallen su bewahren und daraus, nicht
aus bestehender Osteomalacie, seien die Fracturen der Kippen erklärlich.
Zander.
16) Auditory halluoination in a deaf mute» by Dr. Stearns. (Report of the
Hartford Betreat 1884, refer. im Joum. of nervous and mental disease 1885.
X. p. 574.)
Eine seit ihrem fOnften Lebensjahr in Folge von Scarlatina tanb und dann
stumm gewordene Dame, die geistig sehr gat veranlagt gewesen sein soll, wurde im
40. Lebensjahre auffallend dick, abweisend, reizbar und bald so aufgeregt, dass sie
einer Irrenanstalt übergeben werden musste. Hier stellte sich heraus, dass Patientin
lebhaft haliucinirte, indem sie Stimmen aus der Gegend über ihrem Kopfe zu ver-
nehmen glaubte. Es trat zwar Genesung ein, doch wiederholten sich später ähnliche
Anfalle tobsüchtiger Erregung und Verwirrtheit auf Grund der wieder einsetzenden
Gehörstäoschungen. Sommer.
17) Zur Lehre von der Paranoia halluoinatoria acuta, von B. Greidenberg.
(Wjestnik psychiatrii i nevropatologii. 1885. IL Russisch.)
Nachdem Verf. durch Zusammenstellung der betreffenden Literatur nachgewiesen,
dass hinsichtlich der klinischen Auffassung der mit dem Namen „paranoia hallucina-
toria acuta'' bezeichneten Form des Irreseins noch keine vollständige Uebereinstimmung
zwischen den Irrenärzten erzielt ist, bringt er 5 eigene Beobachtungen dieser Er-
krankung. 4 davon endigten mit Genesung, 1 Fall ging in primäre (? Ref.) Demenz
über. Die Erankheitsdauer betrug 1 — 5 Monate. Bei der Epikrise seiner Casuistik
bespricht Verf. die Schwierigkeit differentieller Diagnose zwischen acuter Manie und
acuter hallucinatorischer Verrücktheit (Verwirrtheit) und macht auf die nicht selten
mögliche Verwechselung beider aufmerksam. Zum Schluss empfiehlt er gegen acute
Erregungszustände häufige Verabreichung von Ergotin. P. Bosenbach.
18) Sopra un oaso dl pneumonite acuta in un'alienata oon abbassamento
notevole ,della temperatura, per il dott. G. AlgerL (Archiv, ital. per le
mal. nervös, ecc. 1885. XXII. p. 458.)
Es handelt sich bei diesem Fall von croupöser Pneumonie mit abnorm niedrigem
Temperaturverlauf um eine 45jährige anämische und schlecht genährte Frau, die seit
ungefähr 10 Monaten wegen schwerer Melancholie und auf Hallucinationen beruhender
Angstparoxysmen in einer Irrenanstalt untergebracht worden war. Wegen zufällig
tieferer Depression wurde Pat. am 6. Dec. im Bett gehalten und als bei dieser Ge-
legenheit eine abnorm küble Haut constatirt wurde, wurde Fat., selbstverständlich
unter allen Gautelen, gemessen. Seitdem zeigte sie folgende Temperaturen:
6. XII. 7. XIL 8. XU. 9. XIL 10. XU. 11. XU. 12. XII. 13. XII.
Morgens 33,0 34,0 35,5 36,0 35,0 37,2 36,5 34,0
Abends 35,0 34,0 36,0 37,0 38,0 37,0 36,0 t
Erst am 8. XII. Abends war objectiv nachweisbar leicht tympanitischer Schall
über der Vorderfiäche der rechten Thoraxhälfte, Abschwächung des vesiculären Ath*
mungsgeräusches und leicht orepitirendes Rasseln B. H. U. Am 9. XII. war Däm-
pfung und Bronchialathmen vorhanden; am 12. XII. zeigten sich Symptome von
Lungenödem in der linken Seite und Patientin starb dann am folgenden Tage durch
Herzschwäche. Die Section bestätigte in jeder Beziehung die Diagnose: croupöse
Pneumonie des rechten unteren und mittleren Lappens, sowie Oedem der linken Lunge
und Hypostase.
— 210 —
Wie ans den oben angegebenen Zahlen hervorgeht, war übrigens der Verlauf
der Temperaturcorve auch qualitativ ungewöhnlich: statt der rapid ansteigenden
Febris continna zeigte sich hier ein unregelmassig remittirender Verlauf des Fiebers
mit prämortalem Abfall desselben. Sommer.
19) Insanity from oooaXne, bj Dr. Brower. (Joum. of the American Medical
Association 16. Jan. 1886, nach Referat von Eiernan im Joum. of nervous
and mental disease. 1886. Ueft 1.)
Ein 35jähriger, verheiratheter Arzt mit sehr ausgedehnter Praxis hatte 3 Jahre
lang Opium als Stimulans gebraucht und nahm dann zu Cocain seine Zuflucht; schon
in Dosen von gr ^/g = 7,5 mg verursachte es ein Gefühl von Wohlbehagen nnd Kraft,
wie er es früher nach Opium nie empfunden hatte. In kürzester Zeit stieg er bis
auf gr XV = 0,9 pro die und nun zeigten sich sehr .bald hochgradige Reizbarkeit,
Streitsucht und gewisse Grössenwahnvorstellnngen, dass er z. B. berufen sei, die
gesammte Medicin durch Einführung des Cocains gegen alle Krankheiten umzuge-
stalten etc. Unter rapider Steigerung seines Jähzorns und der Unbesonnenheit seiner
Handlungen verlor er bald die gesammte Praxis und verarmte völlig, ohne dass ihn
das Geschick seiner Familie, die Vorstellungen seiner Freunde und Collegen, die
Mahnungen des Geistlichen, denen er sonst sehr zuganglich gewesen war, von seiner
Leidenschaft hätten abbringen können. Seiner Gemeingeföhrlichkeit wegen wurde er
endlich einer Anstalt zugefQhrt und des Cocains allmählich entwöhnt. Die psychischen
Symptome blieben indess ziemlich unverändert; eines Tages entfernte er sich heimlich
aus der Anstalt und ist seitdem verschollen.
Wie K lern an wohl mit Hecht hervorhebt, liegt es nahe, im vorliegenden Fall
weniger an eine Cocalnpsychose als an beginnende Paralyse zu denken.
Sommer.
Therapie.
20) On the UBG of Cooaine in the Opium habit, by Edward C. Mann. (The
Alienist and Neurologist. 1886. p. 51.)
Nach einer längeren Auseinandersetzung über die physiologiscben Wirkungen
des Cocains empfiehlt Verf., der übrigens die allmähliche Entziehung bei Morphinis-
mus für einzig zulässig betrachtet, die subcutane Anwendung des Cocain (zu je
10 Tropfen einer 47o Lösung) gegen die psychische und motorische Unruhe und
Schlaflosigkeit auf das Dringendste, sobald Bromkalium u. A. der fortschreitenden
Reduction der Morphiumdosis gegenüber wirkungslos werden. Auch gegen Ischias,
Dysmenorrhoe und Ovarialschmerzen rühmt Verf. das Cocain, doch warnt er vor
fortgesetzter Anwendung, da dieselbe ihrerseits auch zu einer deletären Angewöhnung
führen könne, und räth in derselben Hinsicht, dem Patienten die Anwendung des so
hülfreichen Mittels zu verheimlichen. Sommer.
ai) On trephining in epilepsy resulting from old firaoture of the skull,
by Henry E. Clark. (The Lancet. 1886. Vol. I. p. 243.)
J. M*L., 12 Jahre alter Knabe, erhielt zwischen seinem 5. und 6. Lebensjahre
eine Verletzung, wovon im Juli 1883 noch eine deprimirte Narbe über dem rechten
Tnber frontale zu sehen war. Sechs Monate nach Juli stellten sich epileptische An-
flüle ein, die allmählich häufiger und stärker vnurden. Acht Wochen hing bekam er
ohne jeden Erfolg kleine Dosen Bromkali mit Borax. Im Anüedl war er völlig be-
wusstlos, biss sich auf die Zunge, die Convulsionen betrafen den ganzen Körper, das
— 211 —
Gesiebt war bleich, nie stand Schaum vor dem Mande; zuweilen als Aura Schmerzen
in der Narbe. Die Intelligenz ist herabgesetzt. Im October 92 Anfälle.
Am 14. November ergab die Trepanation eine Verdickung des Frontalbeins an
der Narbe, völlige Intactheit der Dura mater. (Die Dicke des Stirnbeins betrug da-
selbst '/, ZolL) Ausgezeichneter Wundveriauf. Vom 14. November bis 14. December
nur 33 AnfäUe ohne völlige Bewusstlosigkeit, mit kflrzer dauernden und massigen
Convulsionen. Nach zwei Monaten hörten die Krämpfe fast völlig auf. Körperliches
Woblbefinden, Zunahme der Intelligenz.
In Bezug auf die Trepanation bei Epilepsie sagt Verf., dass Echeverria in den
ArcbiTes g^n6rales de M^decine 145 bei diesem Leiden gemachte Trepanationen ge-
sammelt hat und Verf. 50, wo freilich mächtige Schädeifracturen oder Tumoren der
Dura mater die causa morbi bildeten. Bei so geringfügigen Veränderungen ist, ab-
geseben von dem beschriebenen Fall, von W. Parker trepanirt worden, der danacli
die Anfalle ebenfalls schwinden sah und Fat. 2 Jahr später völlig wohl fand. Aehn-
licb sind die Fälle von Brainard aus Chicago, von Bussel und von la Motte,
femer von West aus Birmingham, Bellamy und Lees. In diesem Falle, wo die
motorische Region nicht getrofifen war, zeigten die Convulsionen auch keinen regel-
mässigen Gang. Im allgemeinen verschlimmem sich nach Verf. die traumatisch ent-
standenen Epilepsien mehr und mehr und reagiren auf keine Median. Hier kann
die Trepanation Gutes leisten, wenn auch die Besserung allmählich komipt und zwar
in den Fällen, wo nur geringe Veränderungen gefunden werden wie hier. Bei Epi-
lepsie, die durch complicirte Splitterfractür entstanden ist, ist der Erfolg nach guter
Operation und normalem Wundverlauf oft ein schneller und anhaltender.
Buhemann.
in. Aus den Gesellschaften.
Soci^te de Biologie, Paris. Sitzung vom 5. Februar 1886.
Dastre hat einen eigenthümliohen Idppenreflez beim Hunde beobachtet.
Wenn man nach Ausschaltung des Gehirns — z. B. durch Chloroformnarkose —
die Schleimhaut der Oberlippe reizt, so wird die Unterlippe hervorgestossen. Dieser
Kefiex erlischt etwas früher, als der oculo-palpebrale Reflex.
Sitzung vom 20. Februar 1886.
Babinsky: Ueber das Verbftltniss von Muskelatropbie zu den grauen
Vordersäulen des Büokenmarks. Nach Charcot's Angaben über Muskelatrophie
bei Gehimläsionen mit absteigender Degeneration des Bückenmarks findet sich als
Bedingung der Muskelatrophie auch secundäre Degeneration der Vorderhömer. B. hat
einen Fall von Erweichungsherd rechts im Oentrum ovale, mit secundärer Degeneration
des gekreuzten Pyramidenstranges, sowie des ungekreuzten Bündels, genau untersucht,
in welchem Muskelatrophie des Armes und besonders der Hand neben Hemiplegie
mit Contracturen bestand. B. hat aber die Zellen der Vorderhömer ganz intact ge-
funden, auf beiden Seiten ganz gleich gut; auch die motorischen Wurzeln der vier
unteren Hals- und des ersten Brustnerven, ebenso wie die peripherischen Armnerven
zeigten nichts Abnormes, auch nicht an den Endapparaten. B. erklärt sich ausser
Stande, diesen Befund genügend zu erklären, aber als Thatsache müsse er betrachten:
Muskelatrophie ohne Alteration der Vorderhömer oder peripherischen Nerven.
Hadlich.
Sitzung des Vereins deutscher Aerzte in Prag vom 19. Februar 1886.
Prof. Pribram bespricht anschliessend an einen einschlägigen, demonstrirten
Fall, der nach einer wiederholten energischen Schmiercur bedeutende Besserung zeigte,
— 212 —
die BeEiehungen der Tabes aur Syphilis und bu AngenrnnskellfthmnngeiL
G^enüber den für eine engere Beziehung der beiden ersteren angefahrten Statistiken
und den anch von P. erhärteten Misserfolgen anf syphilitischer Behandlung nimmt P.
an, dass wo der Symptomencomplex durch eine bereits entwickelte systematische Scle-
rose bedingt ist, keine Heilung zu erwarten ist, und dass wo eine solche oder wesent-
liche Besserung eintritt, entweder minder vorgeschrittene Veränderungen der Uinter-
stränge oder ein von der systematischen Hinterstrangsderose verschiedener und nur
gleich localisirter Process anzunehmen ist; ausserdem sei noch die Möglichkeit einer
sog. Neurotabes periph^rique in Betracht zu ziehen.
Bezüglich der in einem Falle beobachteten Augenmuskellahmungen (zuerst Ptosis
des linken oberen Augenlides, Lähmung des Beet. oc. snp. and Obliquns Inf. sin.,
später Lähmung der übrigen vom Oculomot. versorgten Muskeln) nimmt P. eine Er-
krankung in der Nuclearregion an.
Weiter demonstrirt P. einen Fall von multipler Neuritis, der im gegenwär-
tigen Stadium Aehnlichkeit mit der Neurotabes pöriphdriqne zeigt.
Kahler hält eine Heilung in anatomischem Sinne für nicht bewiesen und auch
für nicht annehmbar, namentlich mit Bücksicht auf seine diesbezügliche Arbeit aus
dem Jahre 1884; bezüglich der sog. (functionellen) Heilungen stellt K. das Nitras
argenti an die erste Stelle; unter seinem allerdings kleinen Materiale von Tabes-
föllen habe in mehr als der Hälfte der Fälle sicher keine Syphilis bestanden« was er
jedoch nur in dem Sinne des Nachweises einer nicht syphilitischen Tabes werwendet;
seine Ansicht über den Zusammenhang von Syphilis mit Tabes präcisirt er unter Hin-
weis auf das häufigere Auftreten der Leukoplakia an der gereizten Mundschleimhaut
früherer Syphilitiker dahin, dass ein Syphilitiker leichter tabisch wird als ein nicht
syphilitischer, ohne dass deshalb die Tabes eine nothwendige Folge der vorausge
gangenen syphilitischen Infection sein müsse. A. Pick.
Sitzung der Gesellschaft der Aerzte in Zürich vom 21. November 1885.
(Correspondenzbl. f. Schweizer Aerzte. 1886. 15. März.)
Dr. Haab trägt vor über einen neuen von ihm beobachteten Papillenreflez.
Wenn man in einem dunklen Räume, der blos durch eine Lampen- oder Eerzenflamme
beleuchtet wird, die Flamme so vor sich hinstellt, dass sie etwas seitwärts steht und
man an ihr vorbei den Blick in*s Dunkle richtet, so kann man, sobald, bei gleich-
bleibender Blickrichtung, die Aufmerksamkeit auf die Flamme gelenkt wird, eine kraf-
tige Contraction der Pupille beider Augen beobachten. Kann man, ohne die Fixation
der dunkeln Wand im mindesten zu ändern, seine Aufmerksamkeit recht nachhaltig
im indirecten Sehen weiter dem Flammenbild zuwenden, so bleibt die Pupille ebenso
lange verengt. Sobald dagegen die Aufmerksamkeit sich dem Fixationspunkt widmet
(einer dunkeln Stelle der Wand etc.), so dilatirt sich die Pupille wieder, obgleich
während der ganzen Zeit genau dieselbe Lichtmenge in die Augen föllt und jede
Ac^ommodations- oder Convergenzbewegung ausgeschlossen ist.
Der Vorgang ist ein etwas complicirter. Man hat es wohl mit einem Refiex zu
thun, der durch die Hirnrinde geht, während die gewöhnlichen Pupillenreflexe (auf
Licht, Accommodation, Convergenz etc.) wohl meist durch Untercentra vermittelt
werden. Denn wir dürfen annehmen, dass der Vorgang, welcher obige Pupillenver-
engerung hervorruft, nämlich die Concentrirung der Aufmerksamkeit auf ein Object,
das in der Peripherie des Gesichtsfeldes liegt, in der Hirnrinde stattfindet. Vielleicht
wird durch die Beobachtung am Kranken sich die anatomische Lage der Nervenbahn
feststellen lassen, auf welcher dieser Reflex abläuft. Einstweilen ist es namentlich
von Interesse zu constatiren, wie sehr Vorgänge in der Hirnrinde die Pupille zu be-
einflussen im Stande sind. Vielleicht dürfen wir annehmen, dass bei jener umfang-
reichen Erkrankung der Hirnrinde, wie sie bei Dementia paralytica vorkommt, die
— 218 —
manchmal so früh schon zu beobachtenden Anomalien der Pupillen direct auf die Er-
krankung dee Cortex zu beziehen sind. Femer beweist der vom Yortr. aufgefundene
Pupillenreflex, dass nicht blos Beizung der Macula lutea Pupillenverengerung zur
Folge hat, wie schon angenommen wurde, sondern dass vielmehr Beizung jeder be-
liebigen Stelle der Betina durch Licht prompte Pupillenverengerung auslöst. Yortr.
erwähnt u. A. noch, wie man den Beilex an sich selbst (entoptisch oder im Spiegel)
und an Andern am besten beobachtet und demonstrirt dann ihn an sich selbst.
Sitzung vom 5. December 1885.
Bleuler: üeber die Färbimg der Otaaglienzellen des Gtohime durch
dl0 Methode von GolgL
Seit Gerlach's Untersuchungen werden die durch die Physiologie geforderten
Yerbindungen der centralen Nervenendigungen in einem durch die Yerzweigungen der
Protoplasmafortsatze gebildeten diffusen Netze gesucht» obgleich dessen Existenz (als
Netz anastomosirender Fibrillen) sich nicht beweisen liess, und gewichtige theoretische
Bedenken dieser Annahme entgegentraten. Durch die Methode in vidueller Färbung von
Golgi,^ die nicht bestimmte Arten von Elementen (alle Zellen, alle Fasern etc.), son-
dern nur einzelne Individuen, einzelne Zellen mit ihren Forts&tzen, einzelne Fasern etc.,
sichtbar macht, ist es gelungen, nachzuweisen, dass die Protoplasmafortsätze der
Ganglienzellen nicht anastomisiren, obgleich sie bedeutend länger sind, als bisher an-
genommen wurde, dass dagegen die (an jeder Zelle in Einzahl vorhandenen) Axen-
cylinder entweder einige, sich wieder mehrfach verzweigende feine Fortsätze aussenden
oder sich ganz in sich verästelnde und zerstreuende feine Fibrillen auflösen. Dem
entsprechend gibt es auch Nervenfasern, die direct in Zellen übergehen, und nur die
oben erwähnten spärlichen Ausläufer entsenden, während andere ganz in ein Netz
feiner Fibrillen übergehen. Es sprechen nun gewichtige Gründe dafür, dass diese von
dem functionellen Fortsatze ausgehenden feinen Fibrillen die functionelle Yerbindung
der Nervenfasern besorgen. Da sich femer die Zellen mit directem Uebergehen des
Axen<7linderfortsatzes in eine Nervenfaser im Bückenmark ganz vorwiegend in den
motorischen Begionen finden, die Nervenfasern und Axencylinder aber, die sich voll-
kommen auflösen, hauptsächlich in den Hinterhömem, so ist die Annahme gewiss
nicht unbegründet» dass die Ersteren motorischen, die Letztem sensibeln Functionen
vorstehen. Herr Prof. Forel hatte ihn aufmerksam gemacht, dass diese Annahme
auch im Einklang stehe mit den Besultaten der v. Gudden*schen Yersuche. Nach
Dnrchschneidung eines motorischen Nerven verschwindet, wie bekannt, der entspre-
chende Nervenkem total, während nach Wegnahme eines sensibeln Nerven die zu-
gehörigen Zellen nur kleiner und spärlicher werden, wie sich z. B. schön an den
primären Centren des Opticus sehen lässt.
Es ist nun einleuchtend, dass im erstem Falle die totale Atrophie dem directen
Zusammenhange jeder einzelnen Faser mit ihrer Zelle zu verdanken ist, während im
zweiten Falle die Ganglienzelle unabhängiger ist von der Nervenfaser, die sich in ein
Fibrillennetz auflöst und erst durch dieses indirect mit der Zelle in Yerbindung steht.
(Demonstration von Zellen beider Categorien aus der Hirnrinde des Kaninchens,
nach Golgi gefirbt.)
Dr. V. Monakow bemerkt in der Discusion: Die Golgi 'sehe Theorie lässt
sich mit den Besultaten der experimentellen Untersuchungen wohl vereinigen mit
Bfioksieht auf das oorp. genic. ext., nicht aber bezüglich des vorderen Zweihügels,
wo naeh Wegnahme des Bulbus auch die Ganglienzellen zu Grunde gehen.
^ Sulla fipa anatomia degli organi centrali del siBtemo nervoso. Studi di Camillo
Golgi. Mit 24 sehr schönen Tafeln.
— 214 —
Clinical Society of London. Sitzung vom 12. M&rz 1886. (Brii med. Joam.
1886. 20. März. p. 544.)
Dr. B. Maclaren besprach die ihm gelungene Heilung eines beträchtUchen
GehirnYorfalls. Ein 26jähriger Mann war mit einer complicirten Splitterfractur der
linken Stimhalfte, 3 Tage nach der Verletzung, in seine Behandlung gekommen. Da
der Zustand des Patienten unter dem Eintritt von tiefem Goma, häufigen Gonval-
sionen etc. immer bedenklicher wurde, erweiterte M. die Hautwunde, entfernte alle
10 Knochensplitter und die vorgefallene und zerquetschte Gehirnsubstanz, in der
jene z. Th. tief eingebettet lagen, durch vorsichtiges Wegschneiden und Fortschwemmen.
Der zurückbleibende Defect im Schädel hatte 3 Zoll Länge und nahm vom linken
Augenbrauenwulst in einer Breite von etwa ^/j Zoll beginnend und parallel mit der
Crista temporalis aufsteigend an Breite allmäMich bis auf 1 Zoll zu.
Die Heilung nahm einen verhältnissmässig günstigen Verlauf, doch zeigte sich
nach 14 Tagen, am 14. April, ein bedeutender Vorfall von Himsubstanz. Nach
dessen operativer Entfernung wurde nun eine Silberplatte in den Defect hineingelegt;
doch zeigte sie sich am 3. Mai seitlich unter den Knochenrand verschoben und es
war wieder Himsubstanz vorgefallen. Diesmal wurde die Platte mit Drahtsuturen
befestigt, sodass eine Verschiebung unmöglich war, und die Hautwunde wurde über
ihr möglichst geschlossen. Als die Platte wieder entfernt wurde, zeigte sich
keine Neigung zu weiterem Prolaps und es erfolgte schnell eme feste und wider-
standsfähige Narbenbildung. Am 5. Sepi konnte Patient mit Lähmung des rechten
Armes und geringer Parese des rechten Beines und der rechten Gesichtshalfte ent-
lassen werden. Der Eintritt eines psychischen Defectes konnte nicht mit Sicherheit
angenommen oder ausgeschlossen werden, da Patient schon vor dem Trauma etwas
imbecill gewesen sein soll.
lieber weitere Vorträge und Demonstrationen, die sich auf nervöse, spinale und
bulbäre Nachkrankheiten nach Pocken bezogen, und über die lebhafte Discussion, die
sich an jene anschloss, kann erst berichtet werden, wenn die Verhandlungen aus-
fflhrlicher vorliegen. Sommer.
Verein deutscher Aerzte in Prag. Sitzung vom 12. März 1886.
Kahler berichtet in Fortsetzung früherer Mittheilung (s. d. Ctrlbl. 1886. S. 80)
über die LocaHsation der dauernde Polyurie erzeugenden Himläsionen. Eine kritische
Durchsicht der Literatur und eines eigenen Falles ergiebt eine beiläufige Localisation
der dauernden Polyurie als Herdsymptom in der hinteren Schädelgrube; aus den
Thierexperimenten ergiebt sich, dass Läsionen des Wurmes und speciell des Lobus
hydruricus (Eckhard) keine dauernde Polyurie erzeugen, ebensowenig solche der
medianen Theile des ofifenen Theils der Med. obl. und der Region des Corp. trapez.;
jedesmal dagegen trat sie ein bei Läsion der lateralen Theile dieser Gegend. Eine
weitere Localisation ist bisher nicht gelungen. A. Pick.
Society de Biologie ä Paris. Sitzung vom 10. April 1886.
Dejerine berichtet von einem Tuberculosen, der keinen PateUarreflez hatte.
Die Untersuchung des Bückenmarks wie der Nervenwurzeln ergab normale Ver-
hältnisse. M.
Soci^t^ m^dicale des höpitaux, Paris. Sitzung vom 9. April 1886.
Troisier und F^r^ol stellten je einen Kranken mit Pied tabötique vor. Bei
dem ersteren bestand auf jedem Fussrücken eine durch die Subluxation der zweiten
— 215 —
Reihe der Knochen des Tarans gebildeter Vorsprang. Der Fuss war dem entsprechend
verkflrzt» aber verdickt. Plattfnss bestand nicht. Bei dem zweiten bestand im Gegen-
satz dazu Plattfoss. M.
IV. Bibliographie.
Diverse Himtheile.
Perzichetti: Embolia nella porzione motrice della Capsula interna. Gaz. degli
ospitali. 1885. Nr. 51. — Schmidt: A case of destmctive lesions of the tegmentom
and thal. opt. Joum. of nerv, and ment. dis. 1885. July. — Le Large: Contri-
bation ä T^tude des l^ons du cervelet Thdse de Paris 1885. — Wulff: Gliom
des Kleinhirns. D. med. Zeitung. 1885. Nr. 75. — Reinhard: Zur Kenntniss der
Balkenfunctionen. Erlenmeyer*s Ctrlbl. 1885. Nr. 3. — Carnazzi: On a case of
tumonr of the corpora quadrigemina. Lond. med. Bec. 1885. p. 320.
Föns.
(cf. Register 1885 S. 574.)
Bernardino: Contribuzione allo studio della localizzazioni cerebrali. Emorragia
nel ponte di Varolo. Gaz. delle clin. 1884. Vol. 20. — Algeri e Marchi: Con-
tributo allo studio delle lesioni delle protuberanzi annulare. Riv. sper. 1885. Nr. 2 u. 3.
— Bleuler: Zur Casuistik der Herderkrankungen der Brücke. Arch. f. klin. Med.
Bd. 38. — Ferraro: Absteigende secundäre Degeneration von einem Gumma des
Pons. Riv. intemaz. di med. 1885. Nr. 7 — 9. — Bidot: La protub^rance annulaire.
Premier moteur du m^canisme c^r^bral, foyer ou centre des facult^ sup^rieures. 1885.
Bordeaux. — Banham: Case of glioma of the pons Varoli. Lancei 1884. Oct. 4.
Progressive Paralyse der Irren.
(cf. Register 1885 S. 574.)
Beatley: General paralysis of the insane. A study of the deep reflexes and
pathological condition of the spinal cord. Brain. 1885. April. — Duchenne: De
Taphasie au d^but de la paralysie gön^rale. Th^se de Paris 1885. — Lion: Des
troubles de la nutrition dans la paralysie g^n^rale des ali^n^. Thdse de Paris. 1885.
— Bamadier: fiber dasselbe Thema. Thtee de Paris 1884. — Fortineau: Des
impulsions au cours de la paralysie g^n^rale des ali^n^. Thdse de Paris 1885. —
Sutherland: On the true first stage of general paralysis. Lancei 1885. Aug. —
Goldstein: lieber die Beziehungen der progr. Paralyse zur Syphilis. Ztschr. f. Psych.
1885. S. 2 und Discussion S. 268. — Leidesdorf: Progressive Paralyse bei einem
I6jähr. Mädchen. Wiener med. Woch. 1884. Nr..26 u. 27. — Tötard: De Fhöma-
tome du pavillon de Toreille. Th^se de Paris 1884. — Sage: Contribution ä Fötude
des mouvements choröiformes chez lee paralytiques gönöraux. Lyon 1885. Waltener
et Comp. — Blache: Essai sur les pseudo-paralysies gönöraux. Lyon 1885. Dela-
roche. — Meynert: Allg. Paralyse der Irren. (Aus dem 2. Theile seiner Yorderhim-
krankheiten.) Jahrb. f. Psych. 1885. 1. — Parsons: Obscure and early symptom
in general paresis. Med. Record. 1885. Nr. 12. — Raggi: Movimento pupillare in
paralisi progressiva. Annal. univ. di med. e chir. 1885. Juli.
ThomBen'Bohe Krankheit.
(cf. Register 1885 S. 575.)
Eulenburg u. Melchert: Thomsen*sche Krankheit. Klin. Woch. 1885. Nr. 38.
— Bernhardt: Thomsen'sche Krankheit. Erlenmeyer's Ctrlbl. 1885. Nr. 6 u. 9. —
— 216 —
Bieder: Ein Fall von Thomsen'scber Krankheit. Militftr&rztl. Ztscbr. 1884. Nr. 10.
— Deligny: idem. L'ünion. 1885. Nr. 5.
V. Vermischtes.
Naeh einem Aofeatz im MAlienist and Nenrologiet" (Januarheft 1886. p. 184) h»t der
YOijähiiffe Aafiitand in Canada leider wieder einmal die Hinriehtong eines Geisteekranken
als Naenspiel gehabt. Der bekannte Fflhrer der Bebellion, Lonis »»David" Biel (in
(jlftnseftssehen pflegte er stets seinen zweiten Vornamen zu sohreiben) war bereits zweimal
in Irrenanstalten gewesen nnd litt an haUncinatorischer Paranoia mit religiösen nnd poli-
tischen Wahnvorstellungen. Er hielt sich für den Mittelpankt der socialen Bewegungen der
Welt. Er glaubte von Christus dauernd umgeben und als sein Prophet berufen zu sein,
um die Zukunft vorauszusagen, ein neues Papstthnm zu errichten, sein Vaterland in sieben
Königreiche zu zerlegen und als oberster Herrscher die neue Heptarchie zu leiten. Unter
den ungebildeten Mi^liedem der Bebellion nlt er daher als inspirirt; als neuer Messiaa
führte er mit dem Crucifix in der Hand und laut die heilige Dreieinigkeit anrufend seine
Genossen zum Kampf gegen die englische Herrschaft. Nach nnglQoklichen Gefechten mnsste
er sich aber ergeben und wurde im Juli 1885 kriegsgerichtlidi als Aufrührer zum Tode
verurtheUt, trotzdem mehrere Sachverstandige für seine Unzurechnungsfähigkeit eintraten.
Obschon die Jury selbst den Unglficklichen der Gnade empfohlen hatte, endete er am
16. Nov. 1885 am Galgen! Sommer.
Die Bedaetion des Journal of nervous and mental disease ist in die ffimde unse-es ver-
ehrten Mitarbeiters Herrn Dr. B. Sachs zu New York 28 East Sixty-secend Street flbergegangen,
und damit sind gleichzeitig eine Anzahl Veränderungen und Verbesserungen einge£)ten, von
denen wir das monatliche Erscheinen, ausführliche nach der Materie geordnete Keferate vod
tüchtigen Mitarbeitern hervorheben. Wir glauben, unsere deutschen Collegen dwrauf hin-
weisen zu sollen, Separatabdrücke über Arroiten aus dem Gebiete der Neuropathologie und
Psychiatrie der Bedaetion einzusenden. M.
Die 5. Conferenz für Idioten-Heil-Pfl^e findet am 14.— 16. September 1886 in Frank-
furt a. M. statt. Präsident ist Hr. Dir. Dr. Sengelmann, Vicepräsiaent Hr. Dr. Barthold.
Alle Freunde der Idiotensache, Psychiater, Aer^, Gastliche, Lehrer sind eingeladen.
Der Verein der Aerzte des Regierungsbezirks Stettin hat am Sonnabend den 29. Mai
in Swinemflnde seine Frühjahrsversammlung. unter den angemeldeten Vorträgen findet sich
ein Vortrag von Dr. Zenker- Ber^quell; Die initialen Krankheits-Erscheinungen der Dementia
paralvtica» und einer von Dr. Siemens-Ueckermünde: üeber die geistigen Erkrankungen in
der ^eit der Pubertätsentwickelung.
Der Vorstand des Vereins der deutschen Irrenärzte hat in einer Conferenz am 26. März er.
zu Frankfurt a. M. beschlossen, die diesjährige Versammlung des Vereines im Anschluss an
die Naturforscher- Versammlung zu Berlin abzuhalten und zwar am 17. September er. Vor-
mittags SVs Uhr im Auditorium Nr. 5 der Universität.
Vorläufig zur Besprechung angenommene Themata: Ueber die Grundsätze der Auf-
nahme und fintlassung von (JästesKranken (Bef. von Gudden). Ueber das ^Open*Door-
System" in Schottland (Bef. Siemerling). Ueber mechanisdie Behandlung der Dem. paral.
(Ref. von Gudden).
Zu weiteren Vorträgen ladet der Vorstand ein und bittet, sie bis zum 1. August beim
Secretär Dr. H. Lahr in Schweizerhof (Station Zehlendorf) gefälligst anzumelden. Im
Laufe des August er. wird die definitiv festgestellte Tagesordnung versendet werden. Es
ist ausnahmsweise nur eine Sitzung in Aussicht genommen.
■ ■■-■■■■■ ■ ■ ■■— — ■■■I- ■■ ■■■■■-■.■--■■■ -■ m. ■_■ ■■! I ■■—»^.■__ ^^- —■ ——
Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten.
Einsendungen für die Bedaetion sind zu richten an Prof. Dr. E.Mendel,
Berlin, NW. Kronprinzen-Ufer 7.
Verlag von Vrit & Comp, in Leipzig. — Druck von Metzobr & Wittig in Ijeipzig.
Neurologisches Centr albuh.
Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie
und Therapie des Nervensystemes einschliesslich der Geisteskrankheiten.
Herausgegeben von
Professor Dr. E. Mendel
Ffinfter «Bwim. Jahrgang.
Monatlich erscheinen zwei Nnmmern. Preis des Jahrganges 16 Mark. Zn beziehen durch
alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie
direct von der Verlagsbuchhandlung.
1886. 15. Mai. m 10.
Inhalt. I. Orlginalmlttheilungen. 1. Eephalometrischer Befund bei corticaler ange-
borener Blindheit, von Prof. Dr. Moriz Benedikt. 2. Die Diffusionselektrode, von Prof. Dr.
Albert Adamkiewicz. 3. üeber einige seltene Initialerscheinungen der Dementia paralytica,
von Dr. Pellzaeus.
IL Referate. Anatomie. 1. The structure, distribution- and function of the Nerves,
which inner vate the visceral and vascular systera, by Qaskell. — Experimentelle Phy-
siologie. 2. Zur Cocainwirkung, von Feinberg. — Pathologische Anatomie. 3. A con-
tribution to the topographical anatomy of the spinal cord, by Tooth. — Pathologie des
Nervensystems. 4. Ueber hvsterische Erkrankungen in der Armee, von Oseretzkowski.
5. Sur un cas de cozalgie hysterique de cause traumatique chez Thomme, le9on de Charcot,
reeueillie par Marie. 6. Paralysies hyst^ro-traumatiques, par Poupon. 7. Hystäro-^pilepsie (?)
instabilite mentale avec perversion des instincts, impulsions, par Bourneville et Leflaive.
8. Ein Fall von Hystero-äpilepsie bei einem Manne, von Sclieiber. 9. Hysteri hos Mänd,
äf Ponteppidan. 10. Un caso dl paralisi isterica neirnomo e crampo degli scrivani conse-
cativo, pel Lombroso. 11. Note sur un cas de grande hyst^rie chez Thomme, avec dedouble-
mcnt de la personnalitä. ArrSt de Tattaque par la pression des tendons, par Voisin.
12. Hystero - catalepsy in a malen; attacks suspended by testicular pessure, by Hamilton.
13. Du matiame hysterique, par Cartaz. 14. Sanitats- Bericht über die deutschen Heere im
Kriege gegen Frankreich 1870/71. YII. Band: Erkrankungen d<:8 Nervensystems. (Fort-
setzung.) — Psjchiatrie. 15. Die Intoxicationspsychosen, von Obersteiner. — Therapie.
16 £1 Paraldehido, por do Vicente. 17. De Texpectation comme möthode de traitement de
delirium tremens, par Christian. 18. Zur Behandlung der Dipsomanie, von Popow.
III. Aus den Qetellschilten.
IV. Bibliographie.
V. Personallen.
VI. Vermischtet.
I. Originalmittheilungen.
1. Kephalometrischer Befund bei corticaler angeborener
Blindheit.
Mittheilung von Prof. Dr. Moriz Benedikt in Wien.
Yorläufige und gelegentliche kephalometrische Untersuchungen vorwaltend
an blinden Kindern ergaben mir bisher kein einheitliches Resultat. Der Grund
— 218 —
hierfür dürfte darin liegen, dass bei peripherischem oder basalem Sitze der zur
Blindheit führenden &ankheit tiefgreifende secnndäre Entartungen der Hemi-
sphären fehlen, während die facüschen Entartungen bis zu einer Region reichen«
die einer kephalometrischen Untersuchung unzugänglich sind.
Feinere anatomische Untersuchungen mögen in Zukunft freilich eine „System-
Aplasie" innerhalb der feineren Structur bestimmter Hemisphärentheile nachweisen,
die aber nicht zu grober Aplasie fuhren.
Desto interessanter ist der Befund bei einer 35jährigen E^ranken mit an-
geborener Blindheit. Es besteht blos eine Spur von Lichtperception auf
dem linken Auge. Die durchsichtigen Augenmedien sind normal und der Augen-
spiegelbefund zeigte im Mai vorigen Jahres einfache Verfärbung (Königstbik).
Die Kranke kam im Mai 1885 in poliklinische Beobachtung w^n heftiger
Kopf- und Augenschmerzen. Seitdem hat sich eine beiderseitige Chorioiditis
mit Olaucoma simplex am rechten Auge ausgebildet (Jetziger Befund y. Reuss.)
An der Physiognomie der Kranken ist ein gewisser Zug der Senilität auf-
fallend, der durch die vielfache Faltenbilduug an der Stirn bedingt ist Femer
ist eine ziemlich beträchtliche Nasenlänge (58 mm] bei beträchtlicher Höhe und
breitem Bücken vorhanden. Der Kopf zeigt im Allgemeinen Dimensionen, die
an der untersten typischen Qrenze liegen. Die auffallende kephalometrische Er-
scheinung aber ist die hochgradige Aplasie des Interparietalbeins
(Schuppe des Occipitalbeins). Während z. B. bei dem weiblichen Schädel nach
Weissbaoh das Minimum der Hinterhauptsbreite 99 mm und das Minimum
des dazugehörigen Querbogens 120 mm beträgt, finden wir hier eine Hinter-
hauptsbreite von 88 mm und der dazu gehörige Bogen misst 90 mm! Die
mediale Sehne des Interparietalbeins beträgt hier 48 mm, also jedenfalls ein
Maass, das etwas unter dem normalen Minimum ist; der dazu gehörige Bogen
beträgt blos 50 mm, so dass die Krümmung in den zwei auf einander
senkrechten Richtungen als nahezu Null angesehen werden muss.
Aus diesen Maassen erhellt die hochgradige Aplasie der Hinterhauptslappen
und, physiologisch ausgedrückt, die Aplasie der MuNK'schen Sehcentren.
Wir werden unzweifelhaft diesen Befund nur bei angeborener oder früh-
zeitig erworbener Blindheit finden, die mit corticaler Aplasie der Hinterhaupts-
lappen einhergeht
Wenn ich von meinem seit lange befolgten Princip, Einzelbeobachtungen
und Einzeluntersuchungen nicht mitzutheilen, hier abweiche, so geschieht es in
der Hoffnung, dass dieser Fall von angeborener Blindheit werde auf die Kurz-
sichtigkeit der Fachkreise für die Bedeutung der Kranio- und Kephalometrie
heuernd einwirken.
Es kann nicht lange mehr dauern, bis man einsieht» dass Qehimpathologie
und forensische Psychologie ohne Kranio- und Kephalometrie vielleicht noch
unbehülflichere Wissenschaften sind, als Pathologie der Brustkrankheiten ohne
Auscultation und Percussion.
Wien, im April 1886.
— 219 —
2. Die DifiFasionselektrode.
Von Professor Dr. Albert Adamkiewioz.
Uuter allen Mitteln, welche im Laufe der Zeiten zur Behandlung von Neu-
ralgien empfohlen worden sind, nimmt der coustante Strom einen besonders
hervorragenden Platz ein. Er ist, zumal in seiner Anodenwirkung, eines der
mächtigsten Agentien, welche auf schmerzhafte Erregungen der Nerven be-
ruhigend wirken. — Vor kurzem erst habe ich^ selbst Gelegenheit gehabt, ein
eclatantes Beispiel dieser seiner Eigenschaft zu geben. —
Doch ist der constante Strom, wie bekannt^ keineswegs unl'ehlbar. Auch
er lässt häufig im Stich und nöthigt den Arzt, seine Zuflucht zu medicamentösen
Mitteln zu nehmen.
Dass auch diese an Zuverlässigkeit der Wirkung noch manches zu wünschen
übrig lassen, mag daraus erhellen, dass die grosse Zahl der bereits vorhandenen
antinearalgischen Mittel neue Vorschläge und Empfehlungen nichts weniger, als
entbehrlich gemacht hat. —
Diese neuen Vorschläge beziehen sich fast ausschliesslich auf Medicamente.
Denn da die Anwendungsweise des elektrischen Stromes ihre natürliche Be-
schränkung hat, so kann es sich bezüglich des letzteren nur um die Wirkung
der Anode, höchstens noch der E^athode und des faradischen Stromes handeln,
die alle, wie die Erfahrung lehrt, unter Umstanden ihren Erfolg haben können.
Wenn nun, wie aus dieser kurzen Betrachtung hervorgeht, einerseits weder
der elektrische Strom, noch das Medicament g^en Neuralgien zuverlässig, an-
dererseits aber auch nicht ohne eine, wenn auch beschränkte Wirksamkeit ist,
so lag es nahe, auch einmal daran zu denken, ob es nicht möglich sei, durch
eine Gombination des elektrischen Stromes mit einem Medicament
ein neues Mittel zu schaffen, welches, indem es die Wirksamkeit
seiner beiden Gomponenten verbände, eine entsprechend grössere
Oesammtleistung entfalten würde.
Die Ausführung dieses Gedankens versprach von vornherein um so mehr
Erfolg, als die Versuche Wagnbb's^ gelehrt hatten, dass ein mit einer Lösung
von Cocain getränktes Bheophor als Anode eines mittelstarken constanten Stromes
in der Haut eine auf die Applicationsstelle zwar beschränkte, aber intensive
Anästhesie hervorzurufen im Stande sei. — Weil ich nun von vornherein ai^-
wohnte, dass der hohe Preis des Ciocain die allgemeine Verwerthung desselben
zur Kataphorese sehr erschweren vrürde, zumal bei der Art seiner hier noth-
wendigen äusserlichen Verwendung Verluste nicht zu vermeiden wären, so be-
schloes ich. Versuche mit Chloroform anzustellen, dem ich von vornherein
deshalb vertraute, weü es mir in Gtestalt der (von Sghnydeb empfohlenen)
Chloroformcompresse gerade bei Neuralgien öfters gute Dienste geldstet hatte.
Gleich beim Beginn meiner Versuche zeigte es sich indessen, dass das
1 Braslauer ärztliche Zeitsobrift. 1886. Nr. 8.
* Wiener med. Blätter. 1886. Nr. 6.
- 220 —
einfache Befeuchten der in gewöhnlicher Weise annirteu Plattenelektrode eio
für meine Zwecke unbrauchbares Verfahren war.
Die geringe Menge von Chloroform, welche im Ueberzug der Elektrode
Platz hat, reicht um so weniger hin, Uautanästhesien hervorzubringen, als sie
durch schnelle Yerdanstnng des Mittels noch zum gröesten Tbeil während des
Versuches verloren geht Ein wiederholtes Befenchten der Elektrode während
einer Sitzung würde aber zu umständlich und aus dem Grunde geiadezu unaus-
führbar sein, weil der Vorgang der Katapfaorese eine Unterbrechung tur dem
Eude selbstverständlich gar nicht duldet
Ich musste deshalb zunächst eine Vorrichtung ersinnen, vermöge welcher
die eben besprochenen Nachtheile des Verfahrens beseitigt werden würden.
Die zu erfüllende Aufgabe war klar voi^ezeiohnet.
Es musste eine Elektrode construirt werden, welche 1. die zur Herstellung
einer rollkommeuen Hantanästhesie resp. Beseit^ng dnee Schmerzes nothwen-
dige Ghloroformmenge auf einmal fassen und 2. dieselbe während der Kata-
phorese uogeßhr in derselben Menge, als sie die Haut absorbirte, an dieselbe
wieder abgeben würde. —
Ich löste diese Aufgabe so, dass ich mir ein rundes, hohles Reservoir von
Metall in Gestalt einer gewöhnlichen plattenförmigen Elektrode anfertigen und
in dieses Reservoir als Boden eine dQnne Platte von sog. „elektrischer" Kohle
ansetzen liess. Letztere sollte vermöge ihrer Porosität
die Diffusion zu unterhalten und vermöge ihrer elek-
trischen IieituDgstähigkeit den elektrischen Strom zu
leiten im Stande sein.
Ich nenne diesen einfachen Apparat die Diffn-
8ionselektroda>
Nebenstehende Fignr zeigt sie und die Art ihrer
Befestigung an dem unteren Ende des Elektroden-
griffes im Darchsohnitt. —
D ist die aus Messing gefertigte Difiosionaelek-
trode. Sie hat, wie die gewöhnlidie Plattenelektrode,
die Form eines Pilzes. Ihr Inneres ist hohl und fasst
ungefähr 3 oc Flüssigkeit Die Seitenwandhöhe des
Reservoirs beträgt 0,8 cm (kann natürlich auch höher
sein), der Durchmesser dest Platte, wie die der Normal-
elektrode Ebb's, 3,1 cm. — Im Straft (Seh) der
DiSusionselektrode befindet nch die Schraubenmutter
(Sj, vermöge welcher die Elektrode an das untere
Ende des Elektrodenträgers (E) geschraubt wird. —
Durch die Hitte sowohl des Sdiaftes der Diffusions-
elektrode, als des unteren Endes des Elektroden-
tr^ers geht eine Bohrung (B), die an ihrem oberen Ende unter rechtem
' Sie wird vom hiengeo Mechaniker Preyor verfertigt Ich habe sie in d«r GbhII-
•chaft der Knkaner Aerzte am 21. Ajiril d. J. dcmonatrirt.
— 221 —
Winkel abbie^ und dicht unter dem Stromunterbrecher (U) endet Sie setzt
den Innenranm der Diffüsionselektrode mit der Luft in Gommonication und
verhindert es, dass wahrend 4er Eataphorese im Beservoir der Diffndonselektrode
ein Yacnom sich bildet. Die Entstehung eines solchen würde der weiteren
DifiFosion der Eataphoresenflüssigkeit hinderlich sein müssen. Damit aber auch
der Inhalt der Diffüsionselektrode durch die obere Oe&ung der Bohrung nicht
verloren geht, ist letztere noch mit einem dem Unterbrecher ähnlichen, laicht
za tuenden Verschlussmechanismus versehen. — Endlich wird noch die Dif-
fosioiiselektrode vor der Verwendung mit einem über einer Metallkapsel ge-
spannten Leder- oder Leine wandüberzug versehen, da bei unmittelbarer Appli-
cation der Eohlenplatte (E) an die Haut die Eataphorese mit Chloroform sehr
schmerzhaft ist und so stark reizt, dass sie anfangs — ähnlich wie die Brenn-
nessel — Papeln, spater sogar kleine Brandschorfe und Ekchymosen hervorbringt
Die in dieser Weise hergestellte Diffüsionselektrode wird nun in folgender
Weise verwendet
Nachdem sie mit Chloroform geladen und, damit der Eataphoresenstrom
in der Richtung von der Oberfläche der Haut in die Tiefe dringt, an den mit
dem positiven Pol einer Constanten Batterie verbundenen Elektrodenträger
angeschraubt worden ist, wartet man, bis ihr üeberzug sich vollkommen mit
Chloroform durchsogen hat und bei der Berührung mit der Eathode einen Aus-
schlag der Galvanometemadel giebt Jetzt legt man die Eathodenplatte an einen
indifferenten Ort des Eörpers des Patienten, lässt sie dort halten und applicirt b e i
vollkommener Stromlosigkeit der Vorrichtung die Diffüsionselektrode
an die vorher genauer fixirte schmerzhafte Stelle (VALLSix'schen Punkt etc.).
— Der Patient fUilt nun ein leichtes Brennen. — Sobald er mit diesem Ge-
fühl vertraut geworden ist, öfhet man den Strom, den man zunächst sehr
schwach wählt — Man steigert ihn nun sehr langsam bis zu derjenigen Grenze,
bei welcher ihn der ELranke ohne besonderes Unbehagen noch gerade zu er-
trs^n im Stande ist Diese Grenze schwankte zwischen 8, 5, 7 Mühamp^res.
— Man mächt dabei die Bemerkung, dass sich die Stärke des Stromes, offenbar
in dem YerhältDiss, als sich die Widerstände im Eörper in Folge der Eata-
phorese vermindern, nachträglich noch continuirlich steigert. Trotzdem nimmt
das brennende Gefühl in der Haut mit der Dauer des Stromes nicht zu, son-
dern deutlich ab, was, wie wir bald sehen werden, in der Anästhesie seinen
Grund hat, welche die Eataphorese in der Haut hervorbnngt.
Ist der Strom bei dem angeführten Maximum etwa 2—8 Minuten durch die
schmerzhafte Stelle geflossen, so schwächt man ihn bis auf Null wieder allmäh-
lich ab. Jetzt kann man meist constatiren, dass der Schmerz verschwunden
ist Im NothfaU muss die Procedur wiederholt werden.
Ich habe bereits in einigen Fällen von Neuralgien, eines lutercostalnerven,
des Nervus trigeminus und einzelner seiner Zweige, sowie bei rheumatischen
Schmerzen mit diesem Verfahren so günstige Erfolge erzielt, dass ich nicht
anstehe, dasselbe hiermit zu weiterer Prüfung zu empfehlen. — Werden auch
die Heilungen, die man auf diese Weise erreicht, nicht immer definitive sein.
— 222 —
80 dürfte doch dem Aizte ein Ver&hren, welches in gewissen Fällen andi nur
temporar schmerzhafte Leiden unterbricht, sicher nicht unwillkommen sein.
Die schmerzstillende Wirkung der CMorofoimkataphorese beruht auf der
schon erwähnten Eigenschaft derselben, die schmerzhafte Partie, zumal den
kranken Nerven direct zu anästhesiren.
Von der looal anästhesirenden Kraft der Ghloroformkataphoiese konnte ich
mich auf folgende Weise überzeugen.
Die Eataphorese hängt, wie bekannt, yon der aü der Applicationsstelle des
Bheophors Torhandenen Stromdichte ab. und da die Dichte des elektrischen
Stromes seiner Intensität direct, dem Querschnitt der Strombahn aber umge-
kehrt proportional ist^ — so wird bei Anwendung ein und derselben Difiusions-
elektrode die Eataphorese mit der Stärke des elektrischen Stromes wachsen. ~
um nun eine recht intensive Chloroformkataphorese zu erhalten und ihren
Einfluss auf die normale Sensibilität der Haut kennen zu lernen, wandte ich
das oben beschriebene Verfahren bei jungen kraftigen Leuten an und steigerte,
nach der Application der Diffdsionselektrode an den Vorderarm, den elektrischen
Strom auf die grosstmöglicheui von ihnen vertragenen Grossen. — Diese Ghrössen
schwankten zwischen 7 und 10 Milliamperes. Liess ich diesen Strom durch
fünf Minuten einwirken, so konnte ich, während in der Haut etwa 2 — 3 cc
Chloroform verschwanden, im Bereiche der Eataphorese eine absolute Anäs-
thesie constatireiL — Die Versuchsperson fühlte hier weder Eälte noch Wärme,
weder Berührung, noch Stich, selbst wenn letzterer in die Tiefe ging und eine
ganze Hautfolte durchbohrte. —
Die in dieser Weise erzeugte Anästhesie dauert etwa 8 — 6 Minuten. Dann
klingt sie allmählich ab, ohne indessen während der nächsten 10 — 15 Minuten
vollkommen zu verschwinden und selber noch nach einigen Stunden nicht ge-
wisse Spuren zu hinterlassen. —
Bemerkenswerth ist es schliesslich, dass die Anästhesie sich auf die Appli-
cationssteUe der Difiusionselektrode nicht beschränkt — Auch die ganze Nach-
barschaft der galvanisirten Hautpartie nimmt in gewissem Orade an der Anäs^
thesie theil, und man kann feststellen, dass, wenn man beispielswdse an
der Bückenfläche des Vorderarmes in der bezeichneten Weise experimentirt hat,
nach dem Versuch diese ganze Fläche eine mehr oder weniger herabgesetzte
Empfindlichkeit zeigt —
Freilich lässt es sich nicht vermeiden, dass bei solchen fordrten Versuchen
die Haut an der Berührungsstelle der Diffusionselektrode häufig gereizt erschemt,
zuweilen Bogßx eine geringe Verschorfang der Epidermis aufweist
Allein bei der therapeutischen Verwerthung meines Verfahrens lassen sich
bei einiger Vorsicht solche, übrigens in ihren Folgen vollkommen bedeutungslose,
Zufälligkeiten gut vermeiden.
— 228 —
3. üeber einige seltene Initialerscheinungen der
Dementia paralytica.
Von Dr. FeliBaeus in KreiBcha.
Bei dem grossen Interesse, welches der Kranke wie der Arzt an der recht-
zeitigen Erkennung einer so schweren organischen Erkrankung des Gehirns wie
der Dementia paralytica hat, ist es von Bedeutung, diejenigen Erscheinungen,
welche im Beginn dieser Erkrankung auftreten, unter Umstanden die ganze
Aufinerksamkeit des Kranken in Anspruch nehmen und auf diese Weise eine
frühzeitige richtige Diagnose verhindern, zu kennen.
Ich erinnere nur an die gastralgischen Anfalle, die, wenn de im Beginn
der Tabes auftreten, oft jahrelang das Grundleiden so yerschleiem können, dass
die Kranken 2 oder 8 Jahre nacheinander Karlsbad aufsuchen, um sich von
ihrem „Magenleiden^' zu befreien. Natürlich ohne Erfolg. Ich behandelte vor
einigen Jahren mit gutem Erfolg einen Tabeskranken, der 3 Sonmier 6 Wochen
lang in Karlsbad sich aufgehalten hatte, ohne dass die richtige Diagnose ge-
stellt war.
Aus diesen Gründen möge mir eine kurze Skizzirung der beiden folgenden
Fälle gestattet sein.
B. ausgesprochener Paralytiker mit der bekannten charakteristischen Sprach-
störung, PupiUardifferenz, geringem Krankheitsgefühl u. s. w. Der Kranke, jetzt
38 Jahr, hat vor 17 Jahren Schanker und einen Bubo gehabt, ist aber seit
jener Zeit gesund, verheirathet und hat ein durchaus gesundes Kind. Im Sommer
1885 bemerkte der Kranke, dass er sehr viel Speichel absondere, häufig aus-
spucken muss, Schmerzen im Halse und leichte Schlingbeschwerden habe. Der
Kranke wurde mit Gurgelwasser und später mit Kauterisation der hinteren
Bachenwunde ohne Erfolg behandelt.
Im October stellten sich, während die dem Kranken sehr lästige Speichel-
sekretion in derselben Weise fortdauerte, die hinreichend bekannten Initialsymp-
tome der Paralyse ein, Vergesslichkeit, wechselnde Stimmung und Krankheits-
gefühL
Bei der Auöiahme am 11. Januar 1886 meinte der Kranke selber, er sei
nervös, er könne nicht mehr wie früher arbeiten, aber das Schlimmste sei doch,
dass ihm der viele Speichel im Munde zusanmienlaufe, er müsse entweder Alles
herunterschlucken, oder mindestens alle 6 Minuten ausspucken. Im Pharynx
sind die gewöhnlichen Erscheinungen des chronischen Bachenkatarrhs, wie sie
sich bei Rauchern immer finden, sichtbar. Während eines achtwöchent-
lichen Aufenthaltes in der Anstalt erholt sich Pat sehr gut, so dass die Frau
des Kranken ihn nach seiner Rückkehr für geheilt erklärte. Angewandt wurden
lauwarme, später kühle Bäder und speciell behu& Einwirkung auf die Speichel-
sekretion Gfidvanisation des Sympathicus am Halse und quer durch den Processus
mastoideL 2— 2Vt Milliampere 3—4 Minuten taglich. Der Erfolg war, was
die Sekretion des zähen Speichels anlangt, gering, wenn nicht gleich Null, und
— 224 —
in Folge dessen waren auch die dem Kranken so sehr lästigen , häufig nötiüg
werdenden Schlnckbewegungen, respective die Nothwendigkeit des häufigen Aus-
spuckens, das Eratzen im Halse nicht geschwunden.
Meiner Ansicht nach liegt das Interesse dieser Beobachtung nicht in dem
Vorkommen des Speichelflusses an sich, wenn auch das Auftreten desselben als
Initialsymptom der Dementia paralytica nicht häufig ist, sondern darin, dass
dieser Fall beweisst, wie leicht es möglich ist, dass diese Erscheinung den Be-
ginn der schwereren Himerkrankung unter Umständen ganz zu verdecken im
Stande ist.
Der zweite Fall schliesst sich an die neueste Publication von Weil über
einen analogen Gegenstand: „Die Lähmung der G-lottiserweiterer als initiales
Symptom der Tabes dorsaUs'^^ an und zwar spedell an die in dieser Arbeit
citirte Beobachtung von KahtiEK.* Bei einem Kranken mit tabischen Er-
scheinungen zum Theil bulbärer Natur schlug die schwache Stimme häufig in
Fistelstimme über. Im weiteren Fortschreiten der Erkrankung war nach einiger
Zeit eine Lähmung des rechten Stimmbandes zu constatiren.
In dem nachfolgenden Falle handelt es sich um eine^ 35jährigen, in letzter
Zeit durch überhäufte Beruüsarbeiten sehr angestrengten Maom, der im Laufe
des Sommers 1685 zuerst die Empfindung hatte, er könne nicht mehr so ar-
beiten wie früher. Er wurde erregt, leicht aufbrausend, hat Gonflicte mit seinen
Yorgesetzten und dergleichen Erscheinungen mehr. Im October bemerkte Fat,
dass bei ihm die Stimme häufiger umschlug und er insbesondere bei Selbstgesprächen
und gewöhnlicher Unterhaltung in der Familie mit Fistelstimme sprach. Diese
Erscheinungen steigerten sich so, dass Fat seit December 1885 ausser bei Yer-
handlungen mit seinen Yoigesetzten fast immer in Fistel sprach; so wie er sich
aber anstrengte, war die Stimme wieder normal.
Bei der Aufnahme in die Anstalt ist Fat sehr erregt, spricht viel vor sich
hin und zwar immer in Fistel. In der Unterhaltung wechselt die Stimme,
minutenlang tiefer Bass, dann wieder Fistel. Im Uebrigen Fupillardifferenz und
zwar andauernd, mangelhaftes Ejrankheitsgefühl, etwas gehobenes Selbstbewuast-
sein, kurz alle Erscheinungen der beginnenden Dem. paral. in einer fär den Arzt
unverkennbaren Form. Während eines Swöchentlichen Aufenthaltes erholte sich
der Kranke recht gut, wird ruhiger, die Stimme besserte sich, oft stundenlang
normal, wird aber g^en Ende des Aufenthaltes in Folge Erregung des Kranken
wieder schlimmer.
Die Natur dieser Parese der Stimmbänder oder des einen Sümmbandes
konnte laryngoskopisch nicht constatirt werden, da bei der Untersuchung ebenso
wie in der Unterhaltung, wenn der Kranke seine Aufmerksamkeit auf die Fho-
nation richtete, die Stimmbänder sich fest an einander legten und deren Aus-
sehen durchaus normal war. Es ist wohl kaum zu bezweifeln, dass wenn der
Kranke einer Berufsklasse, die auf einen stärkeren Gebrauch ihrer Stimm-
* Weil, Berl. Hin. Wochenachr. 1886. Nr. 18.
' Kahlbb, Beitrag zur patbologischoD Anatomie der mit cerebralen Symptomen Ter-
laufenden Tabes dorsalia. Zeitsehr. f. Heilk. 1881. S. 482.
— 225 —
Organe angewiesen ist, etwa dem Lehrer- oder Predigerstande angehört hätte,
dass in diesem Falle die Störung in der Stinmibildung die hauptsächlichste
Klage des Kranken gebUdet haben würde, während bei der Stellung des Kranken
als Bureaubeamten, der vorzugsweise mit schriftlichen Arbeiten zu thun hatte,
die Störung der Sprache nur nebensächlich war.
n. Referate.
Anatomie.
1) The Btruoture, distribution and fonotion of the Nerves, w^hioh innervate
the vifloeral and vascular System, by W. H. GaskelL (Journal of
Physiology. Vol. VII. Nr. 1.)
Die Arbeit von Gaskell ist ausserordentlich inhaltsreich. Sie verdient und
erfordert ob der Wichtigkeit der darin niedergelegten Facten und Anschauungen ein
eingehendes Referat. Doch sei schon jetzt eindringlich auf das Original verwiesen^
dessen Darstellung vielfach durch gute Abbildungen unterstützt wird.
1. Theil. Die Nervi efferentes der Gefäss- und Eingeweide-Mus-
culatur.
Alle Untersuchungen sind am Hunde angestellt, wesentlich weil unsere Kenntnisse
?on den Functionen der visceralen Nerven zumeist aus Experimenten an diesem Thier
gewonnen wurden.
Aus dem Bflckenmark ziehen mit den Spinalwurzeln heraus die Bami visce-
rales. Sie gelangen zu den vertebralen Ganglien des Sympathicus neben der
Wirbelsaule und aus diesen zu einer weiteren Reihe von Ganglien (GgL semilanare
Inf., mesentericum etc.). Die letzteren nennt Verf. prävertebrale Ganglien. Sie
entsenden wieder Fäden zu den Organen selbst, zu den in oder bei diesen liegenden
terminalen Ganglien. Jeder Bamns visceralis besteht aus einem markhaltigen
uod einem markCreien Bündel (Onodi).
Das markhaltige Bündel giebt Fasern ausser zur entsprechenden vorderen und
hinteren Wurzel noch zu den vertebralen und den prävertebralen Ganglien.
Dem markhaltigen Bündel allein entstammen die Rami viscerales der Morpho-
logen. Durch sie allein fliessen vom 10. (2. Brustnerv) bis 25. (2. Lendennerv)
Nerv dem Sympathicus Fasern aus dem Centralnervensysteme zu; denn der graue
Zweig wendet sich, nachdem er mit dem lateralen Ganglion in Verbindung getreten
ist, sofort nach rückwärts und verliert sich auf dem Wirbelkörper und in dem ihm
entsprechenden Spinalnerven.
Die weissen visceralen Nervenfasern haben ein charakteristisch feines Caliber.
Die sympathischen Nerven der Lumbosacralregion (Nn. erigentes etc.) nennt
Verfasser Splanchnicus pelvicas und spricht consequenter Weise dann von einem
Splanchnicus abdominalis und einem Splanchnicus cervicalis.
Viele Schwierigkeit machte namentlich die Untersuchung des Splanchnicus cervi-
calis (Serienschnitte etc.) Es stellte sich dabei heraus, dass dessen Fasern, das
heisst die mit den oberen Halsnerven und dem Vagus austretenden Fäserchen, fast
alle im nicht motorischen, inneren Zweige des Accessorius verlaufen und mit diesem
in den Vagus eintreten. Ausserdem gehen Theile davon direct (?) in den Vagus
uid Glossopharyngeus.
Ein weiterer Abschnitt untersucht die Stmctur und Vertheilung . der vaso-
motorischen Nerven. Dieselben verlaufen für alle Theile des Körpers als feinste
markhaltige Bündelchen in allen vorderen Wurzeln vom 10. bis 25. Nerven, treten
- 226 —
in den Grenzstrang ein, verlieren dort complet ihr Mark und werden dann entweder
direct oder nach Verbindung mit anderen Ganglien zu den Organen vertheilt.
Verf. legt einen besonderen Werth darauf, dass diese letzten Stücke der vaso-
motorischen Nerven keine markhaltigen Fasern enthalten. ,,Ich kenne", sagt er,
„kein anderes Bflndel von Nervenfasern mit bestimmter Function, das so vollkommen
frei von markhaltigen Fasern ist, wie z. B. die Uerznerven." •
Die visceromotorischen Nerven verlassen die MeduUa oblongata in den
Wurzeln der Yagusgruppe und sind markhaltig. Im Brusttheüe des Vagus haben
sie ihr Mark schon verloren und es lässt sich nachweisen, dass dieser Verlust im
Ganglion trunci vagi stattfindet Verf. hat zu diesem Zwecke eine Reihe von Vagus-
durchschneidungen an 13 Krokodilen vorgenommen, wo die Verhältnisse besonders
günstig liegen, weil das Ganglion jugulare vom Ganglion trunci vagi durch ein langes
Stück Nerv getrennt ist.
Es folgen Untersuchungen über den Verlauf der einzelnen Zweige für den Oeso-
phagus, den Magen und die Eingeweide. Speciell lässt sich für die visceromotorischen
Nerven, von welchen die peristaltische Contraction des Oesophagus, des Magens und
der Eingeweide abhängt, sagen, dass sie das Gentralnervensystem als feine mark-
hsJtige Nerven im oberen Theile der Cervicalregion verlassen und durch die Bami
viscerales des Accessorius und Vagus zum Ganglion tiunci vagi gelangen, wo sie
marklos werden. Wo das dem Ganglion trunci vagi entsprechende Ganglion für die
Blasenmusculatur liegt, konnte Verf. nicht sicher entscheiden; möglicherweise ist es
in den Zellen des Plexus hypogastricus zu suchen.
Gefässerweiternde und Herzhemmungsnerven verlassen das Gentral-
nervensystem unter den feinen markhaltigen Fäserchen, welche die Bami viscerales
in der Cervicocranial- und Sacralregion aufbauen und ziehen ohne ihren Charakter
zu ändern bis zu den terminalen Ganglien. Die Hemmungsnerven für die Bauch-
eingeweide treten aus dem Bückenmark und den vorderen Wurzeln heraus, gehen
ebenfalls direct zu den terminalen Ganglien und communiciren nicht mit den Gang-
lien des Grenzstranges.
So wäre denn als ein wichtiger Punkt aus dem Vorhergegangenen zu entnehmen,
dass alle Nerven für die Gefasse und Eingeweide mit Bfarkscheiden versehen das
Bückenmark verlassen und dass sie, ehe sie zu ihrer Endstation gelangen, diese
Scheiden in (Ganglien verlieren. Zahlreiche dieser Zweige hat Verf. mit Mikroskop
und Messer verfolgt Er hat es ausserdem wahrscheinlich gemacht, dass die be-
treffenden glatten Muskeln zweierlei Nervenfasern bekommen, deren eine motorischen,
die andere inhibitorischen Charakter hat (Physiologische Untersuchungen am
Sphincter Iridis.)
Aus den Versuchen des Verfassers seit 1881 über die Wirkungsweise der
motorischen und inhibitorischen Nerven der vascularen und visceralen
Muskeln geht hervor, dass Beizung der betreffenden sympathischen Fasern die
Thätigkeit des Herzmuskels in jeder Beziehung steigert und dass rasch auf ge-
steigerte Thätigkeit Erschöpfung folgte dass aber Beizung des Vagus die Thätigkeit
herabsetzt, wobei sich die Function erholt Dieser physiologische Theil der Abhand-
lung enthält eine eingehende Discussion der betreffenden Literatur.
2. Theil. Ueber einige morphologische Verhältnisse in der Ver-
theilung der visceralen und vascularen Nerven.
Weitere Untersuchungen betreffen die Morphologie des oberen Cervical-
ganglionsi speciell bei Testudo Graeca. Bis hierher beruht die Abhandlung wesentlicli
auf durch die Präparation gewonnenen Factis. Im folgenden Abschnitt^ der den cen-
tralen Ursprung des Bamus visceralis untersucht^ verlässt Verf. das bislang
behandelte Thema und betritt zugleich das (Gebiet der Hypothese. Die graue Substanz
des Bückenmarkes giebt nach ihm nicht nur der vorderen und hinteren Wurzel Ursprung,
— 227 —
sondern noch einer dritten, die im oberen Halflmark als seitliche Wurzel (Accessorius
des Antoren) deutlich ist, in den tieferen Partien des Markes aber sich zum Theü zur
Torderen, zum Theil zur hinteren Wurzel gesellt Während die Fasern der vorderen
und hinteren Wurzeln die somatischen Nerven zusammensetzen, liefert die dritte
„Wurzel'' die splanchnischen Nerven. Soweit diese dritte Wurzel mit der Vorder-
Wurzel aostritt, entstammt sie den Zellen des Seitenhoms, soweit ihre Fasern zur
hinteren Wurzel gelangen, entspringen sie aus Zellen der Clarke*schen Säule. Referent
möchte nicht verfehlen, darauf aufmerksam zu machen, dass sich dieser ausführlich
und geistreich entwickelten Hypothese doch bedenkUch viele anatomische Schwierig-
keiten entgegenstellen. Da es nicht möglich ist, in kurzem Auszuge der Beweis-
führung des Verfassers gerecht zu werden, so muss bezüglich des Verhaltens der
Wurzeln in der Oblongata auf das Original verwiesen werden. Verf. kommt zu dem
Schlüsse, dass das Segment über dem ersten Cervicalnerven das Ursprungsgebiet des
Hjpoglossus, Vagus, Accessorius und Glossopharyngeus einschliesst; der Hypoglossus
entspricht der Vorderwurzel, die anderen Nerven den seitlichen und hinteren Wurzel-
anthülen. Die Hypothese von der „seitlichen Wurzel" ist genau durchgearbeitet, in
der That mannigfach zu stützen und giebt gewiss in vieler Beziehung Anregung zu
neuer Arbeit. Edinger.
Experimentelle Physiologie.
2) Zur Cooainwlrkuzigv von Dr. med. J. Feinberg in Eowno (Bussland). (Berl.
klin. Wochenschr. 1886. Nr. 4.)
Veranlasst durch die Mittheilung von Beobachtungen von Gocainvergifhmg bei
Menschen, wobei unsicherer und schwankender Gang oder auch Unmöglichkeit zu
gehen constatirt worden war, giebt F. eine Uebersicht über die Besultate seiner an
Thieren mit Cocain vorgenommenen Experimente. Nach Injection von 0,03 erscheint
nach 5 — 10 Minuten Pupillendilatation mit geschwächter oder aufgehobener Beaction,
Ketractlon der Lider, Prominenz der Bulbi und Anästhesie derselben. Nach 25 bis
30 Minuten nehmen diese Erscheinungen etwas ab; setzt man nun das Thier auf
die Erde, so bewegt es den Kopf unaufhörlich transversal hin und her; die Ex-
tremitäten sind kemer Bewegung föhig und bleiben in jeder, auch der gezwungendsten
und unnatürlichsten Lage, die man ihnen giebt. Nach einer Stunde kann sich das
Thier zwar bewegen, zeigt aber die stärkste Coordinationsstömng und erst nach
2 Stunden werden die Bewegungen, sowie das ganze Befinden des Thieres wieder
normal
Nach 0,06 bis 0,12 Cocain treten ausserdem, dass alle Erscheinungen stärker
sind, noch tonische und klonische Krämpfe auf an Kopf, Zunge und Extremitäten,
welche aber bald nachlassen.
F. ist der Meinung, dass das Cocain, in*s Blut übergegangen, seine eigenthüm-
liehe senäbilitätsvermindemde Wirkung auf die sensiblen muskelgefühlleitenden Bahnen
der HaubengangUen ausübt, und in grösseren Dosen die motorischen Fasern derselben
in Irritationszustand versetzt und Krämpfe auslöst Hadlich.
Pathologische Anatomie.
^) A oontribution to the topographioal anatomy of the spinal oord, by
Howard H. T 00 th. (St. Barthol. Hosp. Reports. Vol. 21.)
£s handelt sich um den von Gowers bereits in dieser Zeitschrift (1886. Nr. 5)
erwähnten Fall: quere Quetschung des Rückenmarks durch einen Bruch des 5. und
6. Dorsalwirbels mit Dislocaüon. Klinisch war auflSUlig das Fehlen des Kniephänomens,
— 228 —
80wie aller Hantreflexe des Unterkörpen (nur der epigastnache Reflex war rechts
erhalten) anmittelbar nach dem Trauma; später worden die Reflexe nicht mehr
nntersacht. Der Tod trat 144 Tage nach dem Insult ein. Die secondäre Degene-
ration — und hierin liegt das Interesse des Falles — betraf in aufsteigender Rich-
tung aach das von Bechterew und Gowers zn^rst beschriebene antero-h&terale
Bündel. Doch verliert der Fall etwas an Bedeutung dadurch, dass nicht, wie im
Go wer ansehen Fall, die directe Kleinhirnseitenstrangsbahn, zn der man seither meist
das antero-laterale Bflndel rechnete, degenerationsfrei war. Die antwo-laterale De-
generation verschwindet in der H6he des 1. Cervicalwnrzelpaares als besonderes Feld,
um vielleicht mit der Kleinhimseitenstrangbahn nunmehr zusammen zu verlaufen.
Th. Ziehen.
Pathologie des Nervensystems.
4) Ueber hysterische Erkrankungen in der Armee, von A. Oseretzkowski.
(Medicinskoje obosrenije. 1886. Nr. 4. Russisch.)
Verf. bestätigt auf Grund seiner Beobachtungen am Moskauer Militarhospital
das häufige Vorkommen von Hysterie bei Männern und berichtet über 11 Fälle mit
schweren Erscheinungen. Ausser gewöhnlichen hystero-epileptischen AnßQlen, hyste-
rischen Lähmungen, Anästhesien, Arthropathien etc. wurde in einem Fall temporare,
plötzlich aufgetretene Taubstummheit, in einem anderen Sprachverlust, femer vorüber-
gehende Temperatursteigerung bis 39 ^ ohne jegliche organische Grundlage beobachtet
In 5 Fällen betraf die Erkrankung Bekruten, und Verf. sieht in dem plötzlichen
üebergang vom häuslichen Leben zum schweren Gasemendienst ein ätiologisches
Moment. Unter den Erkrankten waren auch kräftige, musculöse Subjecte, die durch-
aus keine* „nervöse" Constitution zu besitzen schienen. P. Bosenbach.
6) Sor un oas de eoxalg;ie hystörique de oauae tranmatique ohes rhomme.
Le9en de Charcot, recueillie par Marie. (Progr. mid, 1886. Nr. 5.)
Ueber casuistische Beiträge zur Lehre von der „männlichen Hysterie", welche
die Demonstrationen Charcot's in so reicher Zahl liefern, ist in dieser Zeitschrift
schon mehrmals ausführlich referirt worden. Der vorliegende weitere Fall betrifft
einen 45jährigen hereditär nicht belasteten Mann, Vater von 7 Kindern, der vor
3 Jahren von beträchtlicher Höhe herabgestürzt ist, und seitdem an einer links-
seitigen Cozalgie leidet, deren hysterische Natur Gh. genauer bespricht. Er knfipfk
an die bekannten Arbeiten von Brodie über hysterische Gelenkneuralgien an und
erwähnt dabei die trefflichen deutschen Aufsätze über denselben Gegenstand, welche
wir Berger, Esmarch u. Mor. Meyer verdanken. Auf Grund der charakteristischen
Merkmale, wie sie Brodie selbst schon in seiner ersten Arbeit geschOdert hat, sei
es zwar möglich, die hysterische Goxalgie (,f$me materia*') von einer orgamschen
Coxitis (in. Stadium) zu unterscheiden, aber es seien darin schon von den geüb-
testen Chirurgen die schlimmsten Fehler begangen worden, welche sie zu den ein-
greifendsten Operationen am Hüftgelenke verleitet hätten.
Auch in dem vorliegenden Falle ist die Verkürzung des betroffenen linken
Beines, die Unbeweglichkeit des affidrten Hüftgelenkes, die Hebung des Beckens
linkerseits so ausgesprochen, dass man geneigt sein könnte, an eine wirkliche Coxitis
zu denken, um so mehr, als auch im Volumen der ganzen linken unteren Extremität
eine kleine Differenz gegenüber der anderen Seite besteht. — Die genaue Verglei-
chung der Glutaealfalten ergiebt ebenfalls alle für ein organisches Leiden sprechenden
Momente. Allerdings muss den genauen Beobachter das sonstige Allgemeinbefinden,
welches nämlich gar keine Störungen darbietet, etwas stutzig machen, wenn er be-
denkt, dass diese Quasi-Coxitis schon 3 Jahre bestehen soll. Femer bietet das Bein
— 229 —
auch im Knie- and Fassgelenk eine Bigidit&t dar, welche sich dorch die Hüftgelenks-
entzündung allein nicht erklaren lässt: eben so wenig wie die Ersclieinung, dass die
Haut des Fat in der ganzen weiteren Umgebung des Hüftgelenks, bis zum Poupart*-
scben Bande und der unteren Abdominalpartbie nach oben, und bis zum Knie nach
abwärts, am Trochanter und an der Schamfuge etc. auf tactile Beize ausserordentlich
äberempfindlich ist. Diese Zeichen, auf das letztgenannte hat auch Brodle schon
aufmerksam gemacht, haben nichts mit der wahren Coxitis zu thun. Noch weniger
der Umstand, dass auf die an jenen Stellen angewandten stärkeren Beize hin bei
dem Fat eine vollkommene hysterische Aura eintritt: ConstrictionsgefOhl im Epi-
gastrium, das bis zum Halse aufsteigt und Herzklopfen, Ohrensausen und Klopfen
in den Schläfen hervorruft
Als Charcot auf Grund dieser Thatsachen die Sensibilität des Fat überhaupt
methodisch untersuchte, fand man auf der linken Eörperhälfte auch die für die
Hysterie charakteristische sensible und sensorische Hemianästhesie, die Einengung
des Gresichtsfeldes, und die Herabsetzung der Beflexerregbarkeit im Pharynx vor. —
Den genauesten und sichersten Aufschluss darüber, ob es sich nicht bei diesem Falle
am eine das organische Hüftgelenksleiden complicirende männliche Hysterie handle,
würde allerdings erst eine Untersuchung in der Narcose ergeben. Jetzt widersetzt
sich der Kranke derselben, vor 4 Monaten dagegen hat denselben bereits ein nam-
hafter Chirurg zu Untersuchungszwecken chloroformirt: das linke Hüftgelenk erschien
frei völlig beweglich, ohne Bigidität und ohne Adhäsionen. Trotzdem diese hysterische
Coxalgie schon 3 Jahre besteht, erklärt sie Ch. für ein absolut heilbares Leiden.
Laquer.
6) ParalysieB hystöro-traomatiqueB, par H. Poupon. (L*Encäphale. 1886. I.)
P. beschreibt an der Hand von 10 Fällen traumatische Lähmungen bei Hysterischen,
auf Grund deren er eine eigene Specialität der hystero- traumatischen Lähmungen
construirt Die Verletzung trifiFt meist die Schalter, nach derselben entstehen brachiale
Monoplegien mit besonderem Charakter, ohne Muskelatrophie und mit Erhaltung der
normalen elektrischen Erregbarkeit, Contracturen fehlen, aber die Beflexe sind ver-
mindert Die Haut ist anästhetisirt. Die Prognose ist gut, die meisten Patienten
sind erblich belastete Hysteriker. Zander.
7) Hystöro-öpüepsie <P) instabilitö mentale avee perversion des instinots,
impulfllonsv par Bourneville et Leflaive. (Progr. m^d. 1886.)
Ausführliche Lebens- und Leidensgeschichte eines jungen Menschen, der mütter-
licher und väterlicherseits auf das schwerste belastet, von Jugend auf nicht blos an
den mannigfachsten neuro- und psychopathischen Störungen litt, sondern auch im
späteren Alter hysterische Symptome darbot, theils auch nur simulirte, sittlich ent-
artete und wegen Yagabondage und Diebereien verschiedene Glefängnissstrafen ver-
bflssen musste. Er erlag im Alter von 21 Jahren einer Lungentuberculose, während
^ eine längere Strafe abbüsste.
Die sehr in's Detail gehenden Beschreibungen der hysterischen Krankheit«-
erscheinnngen, der Sensibilität, der hysterischen Attacken, der hysterogenen Zonen
Qnd der Einwirkung eines Diamanten auf die verschiedenen Phänomene, soweit sie
Bourneville in Bicdtre beobachten konnte, bieten bei diesem verkommenen, an
Hypospadie leidenden Individuum, das mehrere Suicidien versuchte, frühere Diebs-
genossen denandrte, Fluchtversuche unternahm und zwischendurch allerlei Liebes-
^del inscenirte, einen sehr interessanten Beitrag zu der Frage von der Verwandt-
Bcbaft zwischen Geisteskrankheit und Verbrechen. — Sie sind im Beferate nur schwer
^ederzageben, verdienen aber im Original nachgelesen zu werden. Laquer.
— 280 —
8) Ein Fäll von Hystero-Bpüepsie bei einem Manne, von Dr. EL S. Scheiber
in Badapest. (Wiener med. Blatter. 1885. Nr. 44—47.)
Der selir eingehend beschriebene Fall betriCFt einen 24jährigen Ingenieur „ner-
vöser Natur", welcher mit 6 Jahren eine Parese beider Beine (Poliomyelitis?) be-
kommen hatte, die sich im Herbst und Winter immer zu bessern, im Sommer zu
verschlimmern pflegte, bis nach einer starken Erkältung zu der erheblichen moto-
rischen Schwäche noch Schmerzen in den Beinen, besonders im Gebiet des Ischiadicus,
hinzutraten. Durch Galvanisation und Bettruhe wurde Besserung erzielt, jedoch der
psychische Zustand durch die Abreise der Mutter des Patienten, sowie durch seine
Isolation in Folge des Bettzwanges erheblich alterirt, so dass sich melancholische
Stimmung einstellte und Nachts beängstigende Träume den Schlaf störten. Nachdem
dieser Zustand etwa 14 Tage gedauert, begann die qualvolle Krankheit, um von
Mitte Mai bis zum 20. September anzuhalten, und zwar trat dieselbe in Form von
Anfällen auf, die mehrere Stunden dauerten und sich zuerst jeden Abend, später
mehrmals am Tage wiederholten, um nur in Folge freudiger oder umstimmender Er-
eignisse (Bückkehr der Mutter, Wohnungswechsel) auszusetzen. Zuerst kamen dabei
psychische und vasomotorische Störungen in den Vordergrund, verbunden mit einem
allgemeinen Schwächegefühl, in einer weiteren Periode traten clonische Krämpfe hinzu,
die bei den Inspirationsmuskeln einsetzend, sich allmählich auf die ganze Körper-
musculatur verbreiteten; später wurden die Krämpfe tonisch. Eine fernere Periode
zeichnete sich durch hochgradige Verkrümmungen des Körpers aus, durch „phantastische
Equilibrirbewegüngeu," Jaktationen u. s. w.
Das Bild ist zu bunt, um es m Kürze zu schildern — und in der letzten
schliesslich überwogen zielbewusste Bewegungen, kauernde Thierstellungen, sowie
theatralische Posen über die mannigfachen Begleiterscheinungen.
Bemerkenswerth ist das Fehlen anderer hysterischer Symptome vor dem Ausbruch
der Anfalle, die Erhaltung des Bewusstseins während derselben, sowie endlich ihr
mannigfacher Wechsel in den verschiedenen Perioden.
In einem Nachtrag erwidert Verf. auf die Auslassungen des Prof. Dr. Winternitz
über diesen Artikel, spedell vertheidigt er diesem Autor gegenüber seine Diagnose
der „Hystero-Epilepsie" im Sinne einer „grande Epilepsie" von Charcot und Bicher
im Gegensatz zu der Diagnose einer einfachen Hysterie O^P^^^ Hyst^e") von
Winternitz.
Der Pat des Hm. Scheiber wurde geheilt Der allerletzte Anfall am 30. Oct,
welcher sich nach einer Pause von 40 Tagen eingestellt» wurde durch einen ener-
gischen Mahnruf von Seiten des Vaters des Pat coupirt. Auch sonst sind psychische
Eindrücke und Einflüsse von dem grössten Werth für den günstigen Verlauf der
Krankheit gewesen. Sperling.
9) Hysteri hos Mänd, af Dr. Knud Pontoppidan. (Hosp.-Tidende. 1886.
3. R. IV. 4.
P. theilt 9 Fälle von Hysterie bei Männern mit Im ersten Falle, der einen
25jähr. Handwerker betraf, handelte es sich um rein episodisch auftaretende hysterische
Anfalle, die im Wesentlichen charakterisirt waren durch gewaltsame und unbelierrschte
Beaction gegen äussere psychische Einwirkungen. — Der zweite FftU betraf einen
17jährigen Menschen mit hysterischer Geistesstörung in Form von verwirrtem und
albernem Benehmen, begleitet von hysterischer Aphasie und durch gastrische Stö-
rungen eingeleitet Dieser Fall kann vielleicht fast als ein protrahirter hysterischer
Anfall mit dem Charakter der infantilen Hysterie bezeichnet werden. — Der dritte
Fall ist ein Beispiel von den eigentlichen hysterischen Psychosen transitorischer Art
Bei dem 22jähr. Patienten waren nach Amputation des Fusses wegen eines Q^lenk-
leidens Delirien in der Nacht aufgetreten, die sich wiederholten und später auch am
— 281 —
Ti^e aaftraten» yermischt mit hypochondrischen Symptomen , auch Halludnationen
und AngstanfaUe traten auf. Fai hatte stark mastnrbiri Unter Anwendung von
kalten Donchen besserte sich der Zustand. — Im vierten Fall litt Fat., ein 22jähr.
Mann, an hysterischer Geistesstörung in Form von leichterer Depression und machte
wiederholt Selbstmordversuche; die psychischen Anomalien hatten hier mehr einen
continuirenden Charakter. — Im fünften und sechsten Falle machten hystero-epilep-
tische S[rämpfe das Hauptsymptom der Krankheit aus. Die Erampfanfälle unter-
schieden sich durch so bestimmte Kennzeichen von denen bei der eigentlichen, genuinen
Epilepsie, dass schon aus der Natur der Krämpfe allein die Diagnose auf Hysterie
gestellt werden konnte. Die Anfälle waren häufig und heftig, namentlich in den
Fhasen der Anfälle, die durch die grossen Bewegungen und die Delirien bezeichnet
werden. Die psychischen Fähigkeiten blieben trotz der langen Dauer der Krankheit
und der Häufigkeit der Anfalle ungetrübt. — Im siebenten Falle trat bei einem
47jährigen Manne anfallsweises Erbrechen als das wesentlichste Symptom der Krank-
heit auf. Intensive Schmerzen strahlten von der Gardia nach dem Bücken zu aus;
ausserdem bestanden typische locsJe Hyperästhesien, die zum Theil als hysterogene
Punkte fangirten. Charakteristisch für die Natur der Schmerzen, über die Fai sehr
viel klagte, ist die prompte Wirkung von subcutanen Injectionen von reinem Wasser,
die angenblicklich Buhe brachten. — Im achten Falle litt der 26jährige Fat. an
hystero - epileptischen Krämpfen, Hemiplegia, Hemianaesthesia und Hemianalgesia
hysterica, sowie an Asthma nervosum. Die Anästhesie und Lähmung betraf die
rechte Körperhälfte und überschritt die Mitte des Körpers nichts nur die linke untere
Extremität war in geringerem Maasse davon betroffen. An der linken Bumpfhälfte,
an der die Sensibilität unbeeinträchtigt war, fand sich eine hyperästhetische Stelle
in der „Ovariengegend". Die ganze Wirbelsäule war äusserst empfindlich. Die Läh-
mung wurde durch kalte Donchen und Blaude*sche Fillen beseitigt, die Hemianästhesie
aber blieb unverändert Später stellte sich Hyperästhesie gegen Licht und Sehen
von farbigen Schatten ein. — Der neunte Fall, der einen 36jährigen, an hysterischen
Krampfanfallen leidenden Mann betrifft, bietet ein Beispiel, dass bei Männern hyste-
rische Lähmungen von paraplegischer Form vorkommen, die ein organisches Bücken-
marksleiden täuschend simuliren. Walter Berger.
10) Un oaso di paraUai isterioa nell'uomo e orampo degli sorivani oonse-
outivo, pel dott G. Lombroso. (Lo Sperimentale. 1886. Marzo.)
Ein hereditär nicht belasteter, nicht syphilitischer, 59jähr. Mann, kein starker
Trinker, bekam nach einigen schweren Schicksalsschlägen und Enttäuschungen einen
Anfall von BewussÜosigkeit. Danach war das rechte Bein gelähmt und contracturirt.
Nach 20 Tagen plötzliche Heilung. Nach 6 Wochen ein ähnlicher Anfall mit zurück-
bleibender schlaffer Lähmung des rechten Arms, während des Anfalls keine Convul-
sionen. Starke Diarrhöen gingen beiden Anfällen voraus. Nach dem zweiten con-
statirte Verf., dass die Lähmung namentlich die vom N. radialis innervirten rechts-
seitigen Armmuskeln betraf. Sensibilität, Geschmack, Ctehör, Geruch sind rechts
herabgesetzt oder aufgehoben, rechts Amblyopie und Gesichtsfeldeinengung bei er-
haltener Farbenperception. Beflexe normal, Hoden druckempfindlich, mehrere hyper-
ästhetische Felder. Diagnose: Hysterie. Nach 12 Tagen schwand die Lähmung bei
faradischer Behandlung gänzlich. Einige Tage darauf, als Fat. eine Schreiberstelle
angenommen hatte und zum ersten Mal schreiben wollte, trat ein heftiger Schreib-
krampf der Hand ein. Verf. hält denselben für ein rein hysterisches Fhänomen: in
^er That ermöglichte schon einmalige Application des constanten Stroms krampf-
freies Schreiben. Th. Ziehen.
— 2S2 —
11) Note aar un oas de grande hystörie ches rhomme, avec dMoablement
de la personnalitö. Arrdt de Tattaque par la pression des tendons»
par Yoisin. (Archives de Neorol. 1885. X. p. 212.)
Der schon von Andern (Camuset und Bibot) beschriebene Kranke mit dem
Sympiomencomplez wie oben angegeben, zeigte unter Anderem auch die sogenannte
„Hysterie viscerale": Gongestion nach den Lungen, Blntspeien, hartnäckige Ver-
stopfung während 17 Tagen, ohne dass der Kranke davon belästigt wurde, Anorexie,
Erbrechen der eingeführten Nahrung, jedoch ohne besondere Abmagerung. Das Haupt-
interesse haben die in den verschiedenen Hypnose-Zuständen verschiedenen Bewusst-
seins-Zustände. — Der Kranke entwich schliesslich aus Bicdtre, indem er einem
Wärter Kleider und Geld staU. Siemens.
12) Hystero-oatalepsy in a male; attaoks stiapended by testiotdar preBsare»
by Allan M'Lane Hamilton. (Brain. 1886. January. p. 528—531.)
Ein 35jähriger, seit 8 Jahren verheiratheter Biann, welcher seit 3 Jahren dem
Morphiumgebrauch ergeben und während der letzten 2 Jahre beim Coitus nur 2mal
Emissionen gehabt hatte, bekam in der Beconvalescenz einer Pneumonie unter Morphium-
abstinenz und weiblicher Pflege 3 Pollutionen bei schlaffem Gliede und bald nachher
hysteroepileptische Krämpfe mit Opistothonus, Verdrehung der Augen nach oben,
Flexibilitas cerea, Analgesie, Steigerung der Sehnenphänomene, Bewusstlosigkeit^
welche Anfalle durch Compression eines Hodens unmittelbar und definitiv beseitigt
wurden. E. Bemak.
13) Du mutiame hyst^rique, par Cartaz. (Progr. möd. 1886. Nr. 7. 9. 10.)
Auf Anregung CharcoVs, der im verflossenen Jahre Vorlesungen über die
hysterische Stummheit in der Gazette des höpitaux veröffentlicht hatte, theüt der
Verf. eine ausführliche Casuistik über diese hysterische Affection unter Benützung
englischer, deutscher und französischer Publicationen mit, indem er behauptet, dass
die genannte Krankheit in der Fachliteratur bisher nicht genügend gewürdigt worden
seL — Es sind von ihm im Cktnzen 20 Fälle verzeichnet, die eine mehr oder minder
ausführliche Darstellung erfahren haben, über deren Details die Originalarbeit nach-
gelesen zu werden verdient. — Es handelt sich theils um reine „idiopathische" Fälle
von hysterischer Stummheit, in denen sonstige hysterische Manifestationen nicht be-
obachtet worden sind, theils um Auftreten von Aphasie resp. Unmöglichkeit zu sprechen
bei Männern, Weibern und Kindern, die das bunte Bild der Hysterie überhaupt dar-
geboten und unter den mannigfachsten andern Lähmungssymptomen auch das der
Stummheit zeigten. — Es wird von Interesse sein, hier auf die charakteristischen
Merkmale der hysterischen Stummheit einzugehen, welche C. als die wesentlichen in
einer längeren Epikrise schildert. Der Beginn der hysterischen Stummheit ist ge-
wöhnlich ein plötzlicher; sie tritt am häufigsten nach Emotionen auf oder bleibt als
Best eines grösseren hysterischen Anfalls zurück. — Sehr genau zu trennen ist diese
hysterische Aphasie von der weit häufigeren hysterischen Aphonie: welche letztere
durch eine peripherische Paralyse des Laryng. sup. hervorgerufen werden kann. In
einigen der von C. citirten Fälle hatte die laryngoscopische Untersuchung Lähmung
der verschiedensten Muskeln des Kehlkopfs ergeben. Und diesen Befund hatten
die betreffenden Beobachter för die Entstehung der hysterischen Sprachlosigkeit ver-
antwortlich gemacht» besonders dann, wenn sich noch eine Anästhesie des Pharynx
und Larynx hinzugesellt hatte. — Der Verf. warnt vor dieser Annahme. Die so
ungemein oft auftretende Aphonie bei Hysterischen geht relativ selten in Aphasie
über. Letztere ist eine hysterische Affection centralen Ursprungs. Die Kranken
— 283 —
können weder laut noch leise sprechen. — Die Intelligenz der Kranken ist vollkommen
erhalten, wenn man sie zum Sprechen anfordert» sie nach irgend einem Worte Mgt,
machen sie nicht, wie die von einer echten, auf organischer Erkranknng bemhenden
Aphasie Befallenen, die grössten Anstrengungen, das betreffende Wort herauszabrmgen,
sondern sie ergreiifen sofort die Feder, um es niederzuschreiben. Es wird natürlich
notliwendig sein zur Unterstützung der Diagnose auch noch nach andern hysterischen
Zeichen zu suchen und die Antecedentien zu berflcksichtigen etc. Die Sprache kehrt
gewöhnlich auch ganz plötzlich wieder zurück, in einigen F&Uen stotterten die Pa-
tienten noch längere Zeit.
lieber die künstliche Erzeugfung von hysterischer Stummheit bei Somnambulen
und Hypnotischen enth< die Arbeit die aus früheren Arbeiten Charcot*s und
seiner Schüler bekannten Thatsachen. Das Gleiche gilt von der Behandlung derselben,
welche Oartaz vorschlägt. Laqner.
14) SanitätB- Bericht über die deutschen Heere im Kriege gegen Frank-
reich 1870/71. vn. Band: Erkrankungen des Nervensystems.
Herausgegeben von der Militär-Medizinal-Abtheilung des königl. preuss.
Kriegsministeriums unter Mitwirkung der betreffenden bayrischen,
sächsischen und württembergischen Behörden. (Berlin 1885. Ernst
Siegfr. Mittler & Sohn.) — [Portsetzung.]
In dem Abschnitt über nervöse Störungen nach Schnssverletanngen des
8ymi>athion8 begegnen wir 3 lesenswerthen, schon von Seeligmüller, Bernhardt
und Bärwinkel publidrten Fällen, von welchen der zweite 10 Jahre, nachdem er
zum ersten Male von B. untersucht worden, einer genauen Controle unterzogen worden
ist. — Die Epikrisen der betreffenden Krankengeschichten enthalten in knapper Dar-
stellung alles Wissenswerthe über die Bedeutung der Sympathicus-Symptome.
Es folgt nunmehr ein sehr ausführliches und klinisch exactes Expose über
den Wundstarrkrampf. Von 99666 Verwundeten des deutsch-französischen Krieges
erkrankten 350 an Wundstarrkrampf: also ^^/^qo Procent. Es kam demnach 1 Tetanus-
Fall auf 285 Verwundete, während im amerikanischen Secessionskriege 1:782, bei
den Engländern im Krimfeldzug 1 : 465, im spanisch-portugiesischen Kriege (in den
Jahren 1811 — 1814) 1:803 gerechnet wurde. Das für den deutschen Krieg so
ungünstige Verhältniss lässt sich nach den Ausführungen der Berichterstatter weder
auf epidemische Ursachen, — denn es ist nur eine einzige kleine Hausepidemie in
einem zum Lazareth eingerichteten Schulhause zu Bingen am Rhein von 7 tödtlich
verlaufenen Tetanusf&llen beobachtet worden — noch auf die Vervollkommnung unserer
Schusswaffen und die damit zusammenhängende Neigung der Wunden zu Compli-
cationen zurückführen; es können die hervortretenden grossen Unterschiede nach der
Meinung der Autoren einzig und allein in den sehr verschiedenen Graden der statis-
tischen Genauigkeit ihre Ursache haben. Einen hervorragenden Antheil an dem Aus-
bruche des Wundstarrkrampfes in dem letzten Kriege nahmen die Knochenschüsse
ein, während den Schusswunden des Qehims und Bückenmarks, der Höhlen des
Bumpfes, der Hauptnervenstämme, der Sehnen und Gelenke ein begünstigender Ein-
floss nicht eingeräumt werden konnte; auch von einer sehr erheblichen Nei-
gung der Hand- und Fingerverletznngen zu einer tetanischen Com-
plication kann bei den deutschen Verwundeten nicht die Bede sein.
Den Ausbruch der Krankheit veranlassten vor Allem die in den Wunden zurück-
gebliebenen Fremdkörper: Kugeln, Knochenstücke, Kleiderfetzen, Steine, Verbandgegen-
ftände etc. Nur der dadurch bedingte und durch Knochensplitternng noch vermehrte
intensive Beiz auf die peripherischen Nervenendigungen kann denjenigen Erregungs-
zustand der sensiblen Nerven in Scene setzen, welcher für das Zustandekommen des
— 234 —
Tetanus eine nothwendige Bedingang ist Deswegen entstanden auch die gesammten
Tetanus-F&lle darch Schuss Verletzungen, 282 nach Gewehrschflssen, 68 nach Ein-
wirkung yon Granaten. Die Wunden des Ober- und Unterschenkels wiesen den
grössten Frocentsatz von tetanischen Erkrankungen auf, weil hier die anatomischen
YerhSltnisse die Betention von Fremdkörpern erleichtern. Ausser der mechanischen
Schädigung der Wunden, deren Folgen in den häufigen Tetanus- Ausbrüchen während
des Transportes, besonders auch auf der Eisenbahn, bemerklich waren, wirkten auch
chemische Beize begünstigend. So setzte der Krampf häufig erst im Stadium der
WundeiteruDg auch bei beginnender Verjauchung ein. Darum erscheint es auch er-
klärlich, dass am ersten, zweiten oder dritten Tag^ nach einer Verwundung weniger
Soldaten tetanisch wurden, als später. Den grössten Frocentsatz bieten darin der
5., €., 7. und 8. Tag, sie sind fOr Entstehung des Trismus und Tetanus so zu sagen
die laritischen. Entgegen den Ansichten älterer Chirurgen, namentlich Heinecke*s
und Stromeyer's, aber in voller Uebereinstimmung mit Firogoff's Krimkrieg-Er-
fahrungen drücken sich die Autoren über die ätiologische Bedeutung der Erkältung
für den Wundstarrkrampf sehr vorsichtig ans. Ebensowenig fand der infeotiOse
Charakter des Wundtetanus durch beweisende Beobachtungen eine
genügende Basis. Der Bericht hat alle praktischen und theoretischen Gründe
für und gegen die Infectiosität sorgfaltig abgewogen, auch die neuen experimentellen
Untersuchungen heranzuziehen nicht versäumt Obwohl ja in neuerer Zeit einige
Allgemeinerkrankungen des Nervensystems: multiple Neuritis, FoUomyelitis und Ence-
phalitis acuta der Kinder, Meningitis cerebro-spinalis etc. mit gewissem Bechte zu
den Infectionskrankheiten gezählt werden, so liegt nach der Meinung der ärztlichen
Kriegs-Berichterstatter kein zwingendes Bedürfniss vor, auch für den Wundtetanus
nach einer specifischen Ursache zu suchen. — Beize aller Art und ganz düferenter
Natur vermögen das Nervensystem der Verwundeten in einer zur Erzeugung teta-
nischer Krämpfe geeigneten Erregungszustand zu versetzen, — vorausgesetzt, dass
es sich um Schnss-Verletzungen und andererseits um Körperregionen handelt, die
das Steckenbleiben von Fremdkörpern begünstigen. Die 80 pathologisch-anatomischen
Befunde, die in den Kriegsjoumalen verzeichnet stehen, tragen zur Klärung des dem
Tetanus zu Grunde liegenden Krankheitsprocesses wenig bei, da sich die betrefifonden
Angaben nur in der Minderzahl der Fälle auf das gesammte Nervensystem erstrecken
und mikroskopische Untersuchungen im Felde naturgemäss gar nicht angestellt worden
sind. Man muss den Tetanus auch weiterhin als functionelle (vielleicht spinale)
Erkrankung auffassen. Prognostisch bewährte der Wundtetanus aufs Neue seinen
üblen Buf: Von 326 Erkrankten genasen nur 31, mithin betrug die Mortalität 90,5 ^/q.
Dabei konnte aber festgestellt werden, dass je später der Krampf nach der Verwun-
dung ausbräche, er einen desto milderen Verlauf zeige. In Bezug auf die Behand-
lung gelangte der Bericht zu folgenden Maximen: Die oben erwähnte Beizursache
gebietet prophylactiscb vor Allem die Entfernung der Fremdkörper aus den Wnnden
der Tetanischen. Auch nach erfolgtem Eintritt des Starrkrampfes wurde die Krank-
heit des Oefteren durch Wegnahme des Nervenreizes geheilt. Grössere Operationen,
welche den Zweck verfolgten, in der den Beiz leitenden Nervenbahn eine Unter-
brechung herzustellen, oder diese Bahn ganz auszuschalten, hatten sehr schlechte
Besultate, ein Gleiches gilt bis jetzt auch von der Nervendelmung. — Bnhigstellüng
und schonender Transport des verletzten Gliedes, sowie reizloseste Behandlung der
Wunde selber sind drhigend geboten. Chloral und Chloroform erwiesen sich, ersteres
besonders in grossen Dosen als unschätzbar in Bezug auf Schmerzerleichterung und
Euthanasie; Calabar und Curare waren nutzlos. Opiate standen dem Chloral wesent-
lich nach. — Die elektrische Behandlung wirkte in mehreren Fällen günstig.
Unter 16 Fällen von rein rheumatiBohem Starrkrampf wurden 11 geheilt,
6 endeten mit dem Tode; auch hier wirkte Chloralhydrat recht nützlich.
— 286 —
Die Gleninkstorre wurde in Deatschland zum ersten Male 1863 genauer be-
obachtety dagegen hatte Frankreich unter dieser Epidemie schon vorher (besonders
1837 — 1849) sehr zu leiden, sie war damals über den grössten Theil des Landes
verbreitet. — Die Eriegsbeobachtungen drängen zu der Annahme, die bis dato noch
getrennt gehaltenen Formen der sporadischen und epidemischen (Genickstarre als einen
onheitlichen Erankheitsprocess aufzufassen. Es sind im letzten Feldznge auf feind-
lichem Boden 124 Fälle von Cerebrospinal-Meningitis yorgekommen. Die
Krankheit nahm eine epidemische Verbreitung im eigentlichen Sinne in der
Armee oder unter einzelnen Truppentheilen nicht an, trat yielmehr immer sporadisch,
zuweilen allerdings nicht yereinzelt auf. Der militärische Beruf scheint eine Prä-
disposition für diese Krankheit zu haben, denn Yon 58 in Frankreich im Laufe der
Jahre gezahlten Epidemien hatte sie 39mal ausschliesslich unter den Truppen ge-
herrscht. Als Gelegenheitsursache derselben musste auch im Kriege häufig die Er-
kaltung angesehen werden. — Die Mittheilungen der Feldärzte befestigen aber
andererseits die Ueberzeugung, dass die Cerebrospinal-MeniDgitis in sporadischer, wie
in epidemischer Form eine durch ein einheitliches specifisches Virus hervorgerufene
Infectionskrankheit darstellt. Dagegen wird eine Uebertragnng von Mensch zu Mensch
durch kein Beispiel aus dem Feldzuge auch nur wahrscheinlich gemacht. Es ist
aber von Interesse, anter. den französischen Ortschaften, in denen die Soldaten er-
krankten, häufig diejenigen wiederzufinden, die von früheren französischen Autoren
als Brutstätten der Epidemie bezeichnet worden sind. Ob dort kurz vorher gerade
Genickstarre geherrscht hatte, war schwer zu constatiren, eben so wenig, ob Orte,
nachdem sie von den betreffenden Truppentheilen yerlassen waren, von Meningitis
heimgesucht worden sind. — Traurig waren die 7 Fälle von Meningitis cerebro-
spinalis acutissima sive apoplectica, wo blQhend und kräftig aussehende Soldaten,
wie vom Blitze getroffen, zusammenstürzten, und sofort Bewusstlosigkeit, Nacken-
starre, Hyperästhesie der Haut, sowie einseitige und doppelseitige Paresen darboten.
Nach einigen Stunden schon stieg die Temperatur auf 40 ^ und mehr; Delirium trat
ein. — Der Tod erfolgte sehr schnell unter Convulsionen im Coma. Die Section
bestätigte auch bei diesen Fällen die Diagnose. lieber die Symptomatologie: Puls- und
Temperaturverhältnisse, Krampferscheinungen, sensible resp. motorische Lähmui^en,
Nachkrankheiten und Becidive, wie sie bei den langsamer verlaufenden Fällen zur
Beobachtung gelangten, liegen sehr interessante, durch zahlreiche Curven illustrirte
klinische Daten vor und zwar in einer Exactheit, wie sie uns über diese Punkte
vieUeicht wenig Werke der speciellen Pathologie bieten. Auch die Differential-Diagnose
besonders dem Typhus gegenüber hat an dieser Stelle eingehende Berücksichtigung
gefunden, aaf Grund der Irrthümer, denen die Feldärzte bei den ersten Fällen aus-
gesetzt gewesen sind. — Von den 124 Erkrankungen gingen 40 in mehr weniger
vollkommene Genesung, 84 in den Tod aus; mithin betrug die Mortalität 67,7 ^/q.
Diese verhältnissmässig. grosse Sterblichkeit dürfte wiederum nur durch die schwächen-
den Einflüsse der Kriegsstrapazen und die dadurch verminderte Widerstandsfähigkeit
der Soldaten zu erklären sein. „Die Therapie war'^ so sagt der Bericht, „an den
Resultaten schuldlos".
(Fortsetzung folgt.)
Psychiatrie.
16) Die IntozioationBpsyohoBen, von H. Obersteiner. (Wiener Klinik. 1886.
Februar.)
Verf. theilt die Intozicationspsychosen, denen er die BerechtiguDg einer selbst-
ständigen Gruppe vlndicirt, in autochthone Vergiftungen und Vergiftungen durch von
aussen her dem Organismus einverleibte Substanzen ein. Zu den ersteren gehören
— 238 —
die Ton Urämie, Acetooämie, Ghol&mie, Hydrothionämie und Cachezia stnunipriTa
abbängigen Psychosen. Die letzteren zerfallen in acute und chronische Vergiftungen,
die chronischen in solche, durch Nahrungsmittel oder ßeseh&ftigungsweise, solche
durch Medicamente und drittens solche durch Qenussmittel.
Ffir die Mehrzahl der Intoxicationspsychosen ist die individuelle Empfänglichkeit
meist viel bedeutungsvoller, als eine etwaige neuropathische Belastung. Eine be-
merkenswerthe Bolle spielen Hallucmationen.
Bezflglich der einzelnen Formen bringt Verf. eine gedrängte, ab und zu durch
Beispiele illustrirte Charakteristik. Th. Ziehen.
Therapie.
16) El Faraldehido, por C. de Vicente. (Bevista intemac. de cienc. med. y bioL
1885/86. Nun 3.)
Nach Darstellung der anderwärts über Faraldehyd gewonnenen Erfahrungen
schildert Verf. die Besultate Simarro*s. Derselbe stieg in der Tagesdoeis bis auf
10,0 Gramm, ohne schädliche Nebenwirkungen zu beobachten. Als GoirigenB gab er
Aq. menthae (100,0 auf 6,0 Faraldehyd). Nach 15—20 Minuten tritt 4— estündiger
Schlaf ein. Die durch cerebrale Erregung oder moralische (das Gemfitheleben be-
treffende) Ursachen bedingte Schlaflosigkeit bildet die Hauptindication.
Th. Ziehen.
17) De rezpeotation oomme mithode de traitement de delirium tremenSt
par Christian. (Annales mM.-psych. 1886. MärzhefL)
Gegen keine Krankheit ist nach Christian*s Behauptung eine solche Menge von
Arzneimitteln in das Feld geführt worden, als gegen das Delirium tremens, woraus
er schliesst, dass sie alle gleich gut sein müssen, da ja die weit überwiegende Mehr-
zahl der Fälle günstig verläuft. Man wird dem Beferat die Aufzählung aller jener
Mittel erlassen. Da eine grosse Zahl derselben äusserst differenter Natur (Opium,
Digitalis, Strychnin) sind und oft in geradezu toxischen Dosen Anwendung gefunden
haben, so vermuthet der Verf., dass sie wohl gar nicht absorbirt worden sind und
dass sie jedenfalls unnütz waren. Die neuere Medicin habe dies Factum schon ge-
würdigt. — Chr. führt seine eigenen Erfahrungen an und weist nach, dass die
Todesfälle, welche er zu beklagen hatte, durch Umstände herbeigeführt waren, welche
der Natur des Leidens fremd waren. Unter der Aufzählung der Symptome des De-
lirium tremens, welche mit Genesung endigten, ist das häufige Vorkommen (15 unter
44 Fällen) von epileptiformen Zufällen bemerkenswerth. Femer misst Chr. den
profusen Schweissen im Verlaufe des Delirium tremens eme sehr ungünstige Bedeu-
tung bei.
An Stelle des Herumtastens mit allerhand Medicamenten fragwürdiger Wirkung
empfiehlt Verfasser: laue Bäder, kühlende Getränke und leichte Purgative. Um den
Gefahren einer zu rigoros durchgeführten Carenz zu entgehen, lässt Chr. eine Wein
enthaltende Limonade zu. Jehn.
18) Zur Behandlung der Dipsomanie, von N. Popow. (Wratsch. 1886. Nr. 10.
Bussisch.)
Auf Grund der Empfehlungen von Luton, Dujardin-Beaumetz u. A. ver-
suchte Verf. mit Erfolg Strychn. nitric in 2 Fällen von Dipsomanie.
— 237 —
Im ersten handelt es sich am einen 40jährigen, hereditär belasteten Schrift-
steller, der seit seiner Jagend täglich grosse Dosen spirita^ser Getränke za sich
nahm. Später hatte sich eine periodische Trunksacht eingestellt. Die Anialle wurden
durch tiefe Gemüthsirerstimmung, Neigung zur Einsamkeit und unwiderstehlichen
Drang nach Bier, Schnaps etc. eingeleitet, hielten gewöhnlich gegen eine Woche an,
wahrend der er allein, in seiner Wohnung verbleibend, ununterbrochen trank, und
machten dann einer Periode Platz, in welcher er Abscheu gegen spirituöse Getränke
empfand, und welche 1 — 3 Monate, späterhin nur 2 Wochen dauerte, um von einem
neuen Anfall von Trunksucht abgelöst zu werden. Injectionen von Strjchnin. nitr.
(Veo — ^/ao ^^"^^^ V^^ *lo8i, 3 — 6mal wöchentlich) coupirten einerseits die Anfalle und
hatten andererseits selteneres Auftreten derselben zur Folge.
Der zweite, weniger typische Fall betraf einen 42jährigen Landmann, bei dem
die trunksüchtigen Anfalle eine Dauer von mehreren Monaten aufwiesen und durch
kurze, unregelmässige Pausen getrennt waren. Auch hier trat nach längerer Be-
handlung mit Strychn. nitr. (7eo — Vso ^^*^ P^^ ^^^^f innerlich, 2mal täglich) be-
deutende Besserung ein. P. Bosenbach.
III. Aus den Gesellschaften.
Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenkrankheiten. Sitzung
vom 10. Mai 1886.
In der Discussion über den in der vorigen Sitzung gehaltenen Vortrag West-
pbals (Tabes mit erhaltenem Kniephänomen) bemerkt Bernhardt, dass auch
ihm Fälle von Tabes vorgekommen seien, in denen einseitig oder beiderseits zu ge-
wissen Zeiten das Kniephänomen erhalten war; er erwähnt dann noch einen Fall von
disseminirten Hirntumoren, in welchem das Eniephänomen fehlte.
Mendel hat gleichfalls hie und da bei Tabes das Westphal*sche Zeichen an
einer oder auf beiden Seiten vermisst; erst im weiteren Verlaufe der Krankheit trat
es dann meist ein. Er lenkt die Aufmerksamkeit auf solche Fälle, in denen weder
Tabes noch eine andere mit Ausfall des Kniephänomens einhergehende Nerven- oder
Rackenmarkskrankheit vorliegt, und doch dieses Phänomen fehlt. So beobachtete
M. einen Fall von diagnosticirtem und durch die Section nachgewiesenem Tumor cere-
belli, wo die Geschwulst im Oberwurm und in der rechten Hemisphäre des Kleinhirns
sass, wo das Rückenmark sich bei makroskopischer wie mikroskopischer Untersuchung
intact erwies, und wo kein Kniephänomen bestanden hatte. — In einem anderen
Falle: Apoplexie mit nachfolgender Parese beider oberen und unteren Extremitäten,
einseitiger Facialisparese und Sprachstörung fehlte sofort nach dem Schlaganfall das
Kniephänomen und fehlt bis heute — nach 2 Jahren — , nachdem später Ataxie der
untern Extremitäten eingetreten ist. Wie ist in diesem Falle, wo wahrscheinlich eine
Blutung im Pens oder in der Mednlla oblongata zu Grunde liegt, und wie ist in dem
Fall von Kleinhimtumor das Fehlen der Patellar-Reflexe zu erklären?
Thomsen hat 10 Fälle von Meningitis cerebro-spinalis und M. tuberculosa
beobachtet, unter denen 5mal Fehlen des Kniephänomens bestand (in 1 FaUe kehrte
es später zurück). Alle 10 Rückenmarke wurden untersucht, aber in keinem Falle
konnten bezügliche Veränderungen an dem Rückenmark gefunden werden. Th. hält
in solchen Fällen eine Untersuchung der peripherischen Nerven für nothwendig.
Westphal hat niemals behauptet, dass das Fehlen der Kniephänomene nur bei
Tabes vorkommt Auch er hat das Symptom bei cerebralen Leiden gefunden und
nimmt für diese Fälle eine ausserordentliche Abschwächung des Muskeltonus an.
Denn er hat z. B. bei einem Kranken, der an heftigen Krämpfen mit Verlust des
Bewnsstseins Utt, beobachtet, dass das Kniephänomen fehlte, so lange — nach Auf-
hören der Krämpfe und bei völliger Erschlaffung der Muskeln — der Kranke
— 238 —
bewusstlos war, und erst mit Wiederkehr des Bewosstseins wiederkehrte. Aach J en-
dras sik*s Methode der Nachweisnng des Kniephänomens dürfte so zn erklären sein,
dass bei derselben eine unwillkürliche stärkere Innervation aller Muskeln, also auch
des Quadriceps femoris, eintritt und der dadurch bedingte stärkere Muskeltonus das
Phänomen noch zur Erscheinung kommen lässt, während es bei gewöhnlicher ruhiger
Haltung ausbleibt
Oppenheim: Beiträge zur Pathologie der Tabes. (Bericht folgt in Nr. 11.)
Bemak: Erankenvorstellung. Ein 42jähriger Schlosser, seit Januar 1886
arbeitsunfähig, hat seit November 1885 eine Lähmung des rechten Arms (der Ex-
tensoren des 3. und 4. Fingers etc.) mit Atrophie des Daumenballens, intacter Sensi-
bilität etc., wobei auch das Ergebniss der elektrischen Untersuchung dem Bilde der
Bleilähmung entspricht. Es hat sich auch herausgestellt, dass Pai mit Bleiformen,
Löthlöffeln etc. viel zu thun hat. Uebrigens ist Pat. auch ein Potator strenuus. —
Dieser Mann hat nun ausserdem eine heisere und klanglose Sprache, und die laryn-
goskopische Untersuchung (Dr. Bock er) zeigt eine Lähmung der M. crico-arythaen.
postici beiderseits. — Femer besteht eine Hemiatrophia linguae rechterseits: die
Zunge bildet einen nach links convexen Bogen, ihre Musculatur rechts ist ganz
schlaff und weich, die rechte Hälfte kleiner und dünner, wie die linke. Die elek-
trische Beizung der rechten Zungenhälfte erfordert eine viel bedeutendere Stromstärke,
als die der linken. — Dazu kommt noch eine rechtsseitige Gaumenlähmung: die
Uvula ist nach links gerichtet, das Velum rechts wenig gespannt — Am Facialis
besteht keine Störung, wohl aber eine leichte Ptosis am linken Auge. — Uhthoff
hat die Augen untersucht und ophthalmoskopisch nichts Abnormes gefunden, dagegen
reflectorische Pupillenstarre beiderseits und leichte Störungen an verschiedenen Augen-
muskeln.
Von Tabes, mit der man in Frankreich die Hemiatrophia linguae in Verbindung
gebracht hat, ist hier nichts nachzuweisen, die Eniephänomene sind sehr deutlich
vorhanden.
B. ist der Meinung, dass alle geschilderten Symptome auf die Bleüntoxication
zn beziehen sind, wenn man auch bisher Bleilähmungen nur am Larynx kannte. Die
hier bestehende degenerative Zungenlähmung hat auch insofern den Charakter einer
satuminen, als es eine partielle Degeneration einzelner Hypoglossus-Fasem mit Ent-
artungsreaction ist. Auch hat Pat. bei seiner Arbeit fast den ganzen Tag über zu
sprechen. — Freilich ist auch die reflectorische Pupillenstarre bei Bleüntoxication
noch nicht beobachtet; aber bei Alkoholismus kommt diaselbe nach Uhthoff auch
nur in 1 ^/q der Fälle vor, und progressive Paralyse scheint nicht vorzuliegen.
Hadlich.
IV. Bibliographie.
Handbuch der Elektrotherapie, von W. Erb. Zweite Auflage, 1886. (von
Ziemssen*s Handbuch der allgemeinen Therapie. Bd. IlL)
Dass ein wissenschaftliches Lehrbuch der Elektrotherapie ein Bedtirfniss war,
haben wir schon vor 4 Jahren bei dem ersten Erscheinen von Erb*s Handbuch der
Elektrotherapie betont. Die rasche Folge der zweiten Auflage hat diese Ansicht in
vollstem Maasse bestätigt
Die Fassung des Buches ist naturgemäss dieselbe geblieben, aber was in den
letzten Jahren Bemerkenswerthes auf dem Gebiet der Elektrotherapie geleistet ist,
hat Verwerthung und Berücksichtigung erfahren. Zunächst sei der Einfdhning des
absoluten (Galvanometers gedacht, das eine ausfQhrliche Darstellung erfahren hat,
wobei auch Bef. bestätigen möchte, dass das Hirschmann*sche Galvanometer nicht
— 239 —
allen Anforderangen so entspricht, wie es von einzelnen Seiten dargestellt wird.
Weiterhin warnt Verf. vor der Illusion, dass mit dieser mathematischen Ansdrncks-
weise auch wirklich eine mathematische Exactheit in der Stromdosimng erreicht sei.
In der Elektrophysiologie finden auch die Untersuchungen von Grfitzner,
Tigerstedt, Biedermann, Hering, üher die secundäre Natur der 0e£&iung8-
Zuckung, die gebührende Würdigung.
Auf die weiterhin eingeschobenen Erörterungen in Sachen der Entartungsreaction
zwischen y. Ziemssen und dem Verf. einzugehen, dürfte wohl überflflssig sein.
Ein vOUig neues Kapitel ist über die myotonische elektrische Beaction hinzu-
gekommen. Bei der von Strümpell als Myotonia congenita bezeichneten Thomsen'-
schen Krankheit zeigt sich bei normalem Verhalten der Nerven eine Abweichung
der Muskelerregbarkeit. Diese besteht im Wesentlichen in einer Zuckungsträgheit
und einer langen Nachdauer der faradischen sowohl, wie der galvanischen Con-
tracüonen und bei stabiler Einwirkung galvanischer Ströme in rhythmisch - wellen-
förmigen Contractionen, welche sich von der Ka zur An bewegen. Erb denkt daran,
dass diese eigenthümlichen Erregbarkeitsveränderungen mit den von ihm nachge-
wiesenen histologischen Veränderungen der Muskeln in Zusammenhang stehen.
In der allgemeinen Elektrotherapie hat auch das elektrische Bad mit seinen
Indicationen eine entsprechende Stelle gefunden. Weiterhin werden die phantastischen
und kritiklosen Angaben von Engelskjön zurückgewiesen. Es liegt hier zweifellos,
wie Erb richtig bemerkt, ein wichtiges, der Untersuchung vielleicht ebenso zugäng-
liches Gebiet vor, wie die Prüfung der Hautempfindung unter dem Einfluss elek-
trischer Ströme. Aber hier muss erst durch Versuche an normalen Menschen Klar-
heit geschaffen werden.
Auch der spedelle therapeutische Theil hat mannigfache Zusätze erfahren. Doch
mtifisen wir in dieser Beziehung auf das Original verweisen. Rumpf.
Eine kritische Zusammenstellung der neueren Beobachtungen über secundäre
Degeneration von Langley findet sich im Brain, 1886, April.
Daselbst auch eine solche über die Thomsen'sche Krankheit von White.
Hysterie.
(cf. Register 1885 S. 572 und 1886 8. 14. 34. 35. 37. 38. 43. 44. 68. 69. 90. 207
und diese Nummer.)
Pollock: (Jeher Hysterie. Glasg. med. Journ. 1885. July. — Debove: La
fi^vre hyst^rique. Progr. m^d. 1885. Aoüt. — Debove et Flamant: Recherches
exp^rimentales sur Thyst^rie. Gaz. hebd. 1885. 36. — Grasset: Des rapports de
THyst^rie avec les diathdses scrofuleuse et tuberculeuse. Montpellier 1884. —
Peugniez: De Thyst^rie chez les enfants. Th^ de Paris 1885. — Herz: Hys-
terie bei Kindern. Wiener med. Woch. 1885. 43—46. — Schäfer: üeber Hysterie
bei Kindern. Arch. f Kinderheilk. V. 9 u. 10. — Apostoli: Sur un noaveau traite-
ment äectrique de la douleur ovarienne chez les hyst^riques. Bull, gen^ral. de tyrap.
1885. 11. — Schmalfuss! Zur Castration bei Neurosen. Arch. f. Gynäcol. XXVI.
— Menzel: idem ibidem. — Leppmann: dto. — Guinon: L'Hyst^rie chez l'homme
compar^ k Thyst^rie chez la femme. Gaz. mM. de Paris. 1885. 20. — Joseph:
üeber männliche Hysterie. D. med. Ztg. 1885. 39. 7. — Casaubon: L'Hyst^rie
chez les jeunes Gar9ons. Paris 1885. — Batault: Contribution ä T^tude de THys-
t^rie chez l'homme. Th^e de G^n^ve 1885. — Yoisin: Note sur un cas de grande
byst^rie chez Thomme. Arch. de Neurol. 1885. Sept. — Cantieri: Un caso di
Isteria nell'uomo. Bullet, della soc. di Siena 1885. — Moreau de Tours: At-
laques hyst^ro-epileptiforme chez Thomme. L*Enc^phale. 1885. 3. — Savage: Gase
of marked hysteria in a boy of eleven years. J. of meni science. 1885. Juli. —
— 240 —
Moty: Hysterie beim Mann. Gaz. des H6p. 1885. — Pooley: Hysterische Para-
Plegie. Brit med. Journ. 1886. Jan. 31. — Sockling: Dasselbe Thema, ibidem.
— Webb: Hysterische Lähmung der Hand. Brit med. Jonm. 1885. March 28. —
Frew: Gase of hysterical ischnria. Glasg. med. Jonm. 1886. Sept. — Gribling:
Een geyal van hysterisch zweeten en anurie. Nederl. T^dschr. voor Geneesknnde.
1885. 28. — Jacobi: Catalepsie in a child three years cid. Am. Jonm. of med.
science. 1885. April. — Bicher: Etndes cliniqnes snr la grande hyst^rie on THys-
t^ro-äpilepsie. Paris, Delahaye & Lecrosnier, 1885. — Leubnscher: Beitri&ge zur
Kenntniss der Hystero - Epilepsie. Thüring. ärzü. Vereinsbl. 1884. 9. — Bitter:
Heilnng eines hysterischen Kaamnskelkrampfes. Monatsschr. f. Zahnheilk. 1884. 12.
— Dalche: Accidents hyst6riqnee k forme pseudo-m^ningitique. Gaz. m6d. 1885. 3.
— Gilles de la Tonrette: Spiritisme et Hysterie. Progr. mM. 1886. 24. Janv.
— Dnmontpallier: De Taction Yaso*motrice de la Suggestion chez les hyst^riqnes
hypnotisables. L*Enc^phale. 1885. 5. — Desconrtis: Hypnotisme, revne critiqne
de quelques publications recentes sur cette matiöre. L*Enc6phale. 1885. 1. —
Laker: lieber das Auftreten von Gesichtsödem nach hypnotischem Schlaf. Klinische
Woch. 1885. 40.
V. Personalien.
Am 8. d. M. starb in der Maison de sautä bei Berlin im Alter von 39 Jahren
nach längerer Krankheit, deren Ursprung in die Zeit des Aufenthalts in Japan
zurückeilt, Prof. Dr. Gierke aus Breslau, dem auch diese Zeitschrift werthvoUe
Beiträge verdankte und über dessen hervorragende Arbeit über die Stützsubstanz des
Centralnervensystems wir erst in Nr. 5 d. Jahrg. referirt hatten.
Am 6. d. M. starb zu Paris im Alter von 56 Jahren Dr. Legrand du Saulle,
Arzt an der Salpetridre, auch in Deutschland durch seine psychiatrischen Arbeiten
wohl bekannt und geschätzt Von diesen Arbeiten sind la folie h^r^ditaire (1873),
la folie du doute (1875) und les Etudes m^ico-l^gales sur les ^pileptiqnes (1877)
besonders hervorzuheben. In diesem Jahre erschien von ihm noch ein Traite de
m^decine lägale, de jurisprudence m^dicale et de toxicologie in zweiter Auflage.
VL Vermischtes.
Preisaufgaben:
Die Aead^mie de medecine Belgiqne hat n. a. folgende Preisanfgaben gestellt:
1. 1886—1887: Etadier rinfluenoe da Systeme nerveux sur la ater^tion orinaire, en se ba-
sant sp^ciaiemeDt snr des recherohes personelles. 800 fr. Schlnas dee ConeorMs den
31. December 1887.
2. iSlncider par des faits cliniques et an besoin par des exp^riences la pathog^nie et la
tii^rapentiqne do l'^pilepsie. 8000 fr. Schlnas des Coneorses den 31. December 1888.
25000 fr. können ausser diesem Preise demjenigen gegeben werden, dem ein wesent-
licher Fortschritt in der Therapie der Krankheiten des CentrahDierTenBystems, wie s. B. die
Entdeckung eines Heilmittels der Epilepsie, gelingt.
Preissohriften können in lateinischer, französischer oder flämischer Sprache verfasst
sein, und sind an den Secretar der Akademie in Brflssel zu adressiren.
Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten.
Einsendungen für die Bedaction sind zu richten an Prof. Dr. E.Mendel»
Berlin, NW. Kronprinzen-Ufer 7.
Verlag von Vbit ft Comp, in Leipzig. — Druck von Mbtzobr & Wrrrie in Leipzig.
NeürologischesCentralblatt.
Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie
und Therapie des Nervensystemes einschliesslich der Geisteskrankheiten.
Herausgegeben Ton
Professor Dr. E. Mendel
FBnfter " ^*^ Jahrgang.
Uonatlich erscheinen zwei Nnmmem. Preis des Jahrganges 16 Mark. Zn beziehen durch
alle Bnchhandlnngen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie
direct von der Verlagsbuchhandlung.
1886. 1. Juni. M U.
Inhalt I. Originalmlttlieilung. Zur Lehre Ton der Innenration der Ausdmoksbewegnngen,
von Priyatdooent Dr. P. Rosenbach.
II. Roforato. Anatomie. 1. Abstracts of three lectures on the brain-mechanism of
nght and smell, by Hill. — Pathologische Anatomie. 2. lieber die histologischen Yer*
inderunfen der multiplen Sclerose, von K0ppen. S. On a case of bilateral degeneration in
the cerebral hemisphere, by Nadden. — Pathologie des NerTcnsystems. 4. L'hör^
dit6 daoa les maladiea du syst^me nerreuz, par Dejerine. 5. Etüde sur les paralysies al-
cooliques, par Oettinger. 6. Zur Casuistik der multiplen Neuritis, Ton Httssün. 7. Ein Fall
Ton multipler Neuritis, von Eulan. 8. Bidrag tili laran om de multipla neuritema; af Hom^n.
9. Acute multiple Neuritis der spinalen und HimnerTen, von Freud. 10. lieber die Läsionen der
Neuritis alcoholica» von Gombault. 11. Further observations on alcoholic paralysis, by Dresch-
feld. 12. Note sur un cas de n^yrite du tibiae ant^rieur surrenue dans le cours d'une fi^vre
typhoide, par WOriz. 18. Sanitäts-Bericht über die deutschen Heere im Kriege gegen Frank-
reich 1870^1. Vn. Band: Erkrankungen des Nervensystems. (Fortsetzung.) — Psychiatrie.
14. Psychoses after cataract- Operations, by Landesberg. 15. Geistesstörung nach Salicyl-
gebrauch, von Knieg. — Therapie. 16. The Analgesie action of Theine, by Mays.
III. Aus den Gesellschaften. Berliner Qesellschalb für Psychiatrie u. Nervenkrankheiten:
Beiträge zur Pathologie der Tabes, von Oppenheim. — XI. Wanderversammlung Südwest-
deQts<£er Neurologen und Irrenärzte zu Baden-Baden: Zur Physiologie der Grosshimrinde,
▼on Goltz. Heber die Urgeschichte der höheren Sinnesorgaue, von Wiedershelm. Üeber
Muskelbelhnd bei der juv^en Form der Atrophia muscularis progressiva, von Erb. Mit-
theüung Über einen Fall von wahrer allgememer Muskel -Hypertrophie, von Laquer. —
Society de Biologie de Paris: Das Ausfallen der Zahne im Yerhältniss zur Tabes, von Gallppe.
IV. Miittieilung an den Herausgeber.
V. Personallen.
VI. Vermischtes.
I.
Zur Lehre von der Innervation der Ausdrucksbewegungen.
Von Privatdocent Dr. P. BoBonbaoh in St. Petersburg.
Zu den bekanntesten Thatsachen der Nervenpathologie gehört diejenige,
dass bei oentralen Lähmungen in den ihier willkürlichen Motilität beraubten
Muskeln Bevregungen durch reflectorische Impulse ausgelöst werden können.
— 242 —
Dieses Verhalten beruht auf dem einfachen Grunde^ dass die Centren fär will-
kürliche und reflectorische Innervation der nämlichen Muskelgmppe ?erachieden
sind; falls also eine Lähmung durch eine solche Affection eines Gentroms für
willkürUche Innervation bedingt ist, welche das betreffende Beflexcentrom un-
versehrt lässt, so muss die reflectorische Beweglichkeit bei Verlust der willkür-
lichen bestehen bleiben. Doch bezuglich der Gesichtsmuskeln ist die Frage über
ihre Innervation dadurch complicirt^ dass wir hier ausser den willkürlichen und
einfachen Beflexbew^ungen noch eine besondere Gruppe letzterer unterscheiden
müssen, und zwar die sogenannten Ausdrucksbewegungen, d. h. solche, durch
welche sich der Gemüthszustand äussert, z. B. das Lachen. Die Beziehung
dieser, der mimischen Innervation, zu der willkürlichen ist erst in neuerer 2^it
erhellt worden, und obgleich die Thatsache, dass eine unabhängig von der an-
deren affldrt sein kann, bereits vor mehr als 50 Jahren bekannt war, £Bmd sie
doch bis vor Kurzem keine richtige Würdigung.
Der erste Autor, der diese Frage in der literatur zur Sprache brachte, war
— soviel uns bekannt — der berühmte Chables Bell. Bei der Demon-
stration eines Falles peripherischer Facialislahmung macht er seine Schüler
darauf aufmerksam, dass die gelähmte Gesichtshälfte auch bäm Lachen nnbe-
weglich bleibt Darauf bemerkt er, dass die Functionen des Athmens, des
Sprechens, des Ausdrucks in verschiedener Weise beeinträchtigt sein können.
„So vnrd z. B. ein Mensch noch volle Kraft über diesen Nerven (N. facialis)
als Nerven der Sprache haben, und dennoch unfihig sein, die gewöhnlichen
Züge beim Lachen oder Weinen anzunehmen. Ja, Sie werden zuweilen bei
Ihrem Kranken nur dann die Lähmung der Gesichtshälfte bemerken, wenn er
lächelt oder lacht, zu anderen Zeiten nichf ^ Ohne sich hier bestimmt über
den Grund dieser Erscheinungen auszusprechen, bemerkt er an einer anderen
Stelle : „. . . . Man muss zuvor bestimmen, ob nicht die Portio dura des siebenten
Paares (N. facialis) eine ihrer Verrichtungen einbüssen und die andere beibe-
halten kann. Ich vermuthe, dass die Bückwirkung bei Gemüthsbewegungen,
z. B. beim Lächeln oder Lachen, in Folge von Krankheiten verloren gehen kann,
ohne dass dadurch die ganze Kraft des Nerven betheiligt wird.^'^
Bald darauf veröffentlichte Dr. A. Magnus eine Beobachtung bilateraler
Facialislahmung, trotz welcher die Kranke ohne Schwierigkeit lachen und lächeln
konnte.' Magnus wurde durch diese Thatsache frapput und suchte nach einer
Erklärung derselben. Indem er es für unmöglich hält, die Mimik als einfache
Beflexbewegung aufzufassen, da erstere stets durch Vorstellungen anger^ wird,
verlegt er den Ursprung ihrer Innervation in dieselben Himtheile, aus denen
die motorischen Willensimpulse ausgehen. Die Annahme einer besonderen Art
reflectirter Bew^ungen mit einem besonderen Organ im Gehirn meint er zurück-
1 Bell, Physiolog. u. patholog. Unteranoh. des Nervensystema. üebers. von Bombsbg.
Berlin 1882. S. 209.
« 1. c. S. 65.
' Magnus» Fall von Aufhebung des WiUenBeinflnsBes anf einige Hinmerven. Müller^s
Archiv. 1887. S. 258—266 u. 567.
— 243 —
weisen zu müssen, da hieraas folgen wQrde, ,,das8, so wie die Yorstellnngen in
einem gewissen Theile des Gehirns vermittelt würden, auch der Wille in einem
bestimmten Theile desselben, unabhängig von den Vorstellungen, seinen Sits
haben müsse, mithin im Gehirn ein WiUensorgan existire; eine Annahme, welche
allen nnseren psychologischen Begriffen widerstreitet.'^^ Auf Grund dieser Be-
trachtungen gelangt er zu dem Schluss, dass die Ursache, weshalb Yorstellnngen
des Lacherlichen die Muskeln erregen, wahrend der Beiz des Willens ohnmächtig
bleibt, in einer quantitativen oder qualitativen Verschiedenheit dieser beiden
Arten von Vorstellungen zu suchen sei. Es ist zu bemerken, dass die Section
dieses Falles, die eine apoplectische Höhle von der Grösse einer Wallnuss in
der rechten Grosshimhemisphäre „ganz am äusseren Band, da wo der vordere
Lappen mit dem sogenannten mittleren aneinander stösst^', ergab, die Erankheits-
eischeinungen nach MAaNUs' Meinung ganz unerklärt liess.
BoMBEBQ, der diesen Fall in seinem Lehrbuch citirt,' beschreibt danach
einen anderen, welcher von Stbombyeb beobachtet wurde und in welchem um-
gekehrte Verhiltoisse bestanden: Bei einem 12jährigen Mädchen bleibt die rechte
Hälfte des Gesichts ohne allen Ausdruck bei Gemüthsaffecten, und zeigt keine
vermehrte Action bei beschleunigtem Atbemholen nach Laufen, Treppensteigen etc.;
nichtsdeiitoweniger ist das Kind im Stande, durch den Einfluss des Willens die
Muskeln dieser Seite auf dieselbe Weise, wie an der gesunden zu bewegen. Die
Frage nach der Ursache eines solchen Verhaltens wurde von diesem Autor nicht
erörtert.
Nothnagel war es, der zuvörderst in dieser Sache Aufklärung brachte.
Er kam durch Zusammenstellung der betreffenden Gasuistik mit den Sections-
befanden zu der wichtigen Schlussfolgerung, dass in den Fällen, wo die will-
kürliche Innervation des Facialis aufgehoben ist, und dabei doch die Bewegung
beim Lachen, Weinen u. s. w. fortbesteht, der Sehhügel und seine Stabkranz-
verbindung zur Hemisphärenmasse unversehrt gefunden wird; bei umgekehrtem
Verhalten dagegen (wie in Stbometbb's Beobachtung) würde vielleicht eine
isolirte Läsion des Sehhügels zu erwarten sein.' Diese von Nothnagel aus-
drücklich als Hypothese vorgetragene Ansicht hat in letzter Zeit durch die ex-
perimentellen Untersuchungen Bechtebbw's über die Function der Sehhügel
eine glänzende Bestätigung erfahren.^ Bechtesew gelangte bekanntlich auf
Grond seiner an verschiedenen Thieren angestellten Versuche zu der Anschau-
ung, dass die Sehhügel als Centren für den unwillkürlichen Ausdruck von
Qemuthsbewegungen zu betrachten seien. In seiner ausführlichen, neuerdings
in rassischer Sprache erschienenen Abhandlung' über diesen G^nstand findet
sich auch eine Zusammensteüung der darauf Bezug habenden Gasuistik, durch
welche seine Anschauung gestützt wird.
mTcTs. 264.
* BoMBBBO, Lehrbuch der Nervenkrankheiten des Menschen. S. Aufl. 1858. Bd. L S. 790.
* NoTHKAOBL, Topischc Diagnostik. 1879. S. 251—255.
* Bbohtbrbw, Ueber die Function der Sehhügel. Nenrolog. Centralbl. 1883. Nr. 3;
vgl. ebenfalls Nenrolog. Centralbl. 1884. Nr. 5. S. 102.
^ In Mibbzxjbwsky'b Wjestnik psyohiatrii i nevropatologii. 1885. II.
— 244 —
Eine besondere Bedeutung in dieser Hinsicht mässen solche Fälle besitzeii,
in denen die willkärliche Innervation des Qesichts erhalteni diejenige fiir Ans-
dracksbewegungen dag^n aufgehoben ist^ in denen also dieser Anschauung
gemäss isolirte Affection der Sehhügel oder der Leitungsbähnen derselben Tor-
handen sein soll Die Anzahl solcher Fälle ist bisher äusserst gering, und noch
seltener sind Sectionsbefunde, welche mit dieser Deutung in KinTflang stehen.
Unzweifelhaft hängt die Seltenheit von Beobachtungen isolirter mimischer Läh-
mung in bedeutendem Maasse davon ab, dass sie oft unbeachtet bleibt: Falls
der Patient keine Gesichtslähmung aufweist, sieht der Arzt keine Veranlassung,
seine Fähigkeit zu Ausdrucksbewegungen zu prüfen.
Nach vorstehenden Bemerkungen erscheint vielleicht die Publication fol-
gender Beobachtung gerechtfertigt; obgleich sie keine Autopsie bietet, dürfte
doch ihre klinische Seite Interesse erwecken.
Vor einigen Wochen consultirte mich eine 36jährige Frau, die vor unge-
fähr 10 Monaten an einer linksseitigen Hemiplegie erkrankt war. Sie will am
20. Mai vorigen Jahres in der Nacht plötzlich, ohne Bewusstseinsverlust, hin-
gefallen sein und am nächsten Morgen Schiefstellung des Gesichts und Schwäche
der linken Extremitäten bemerkt haben; die Schwäche soll im Laufe mehrerer
Wochen allmählich bis zu fast vollständiger Lähmung fortgeschritten sein, und
letztere dann sich wieder zurückgebildet haben.
Bei der Untersuchung (am 25. März c.) fand ich deutliche Parese nur an
der linken Unterextremität, die beim Gehen etwas nachschleppt, unbedingt
schwächer ist als die rechte, und erhöhten Sehnenreflex aufwreist. In der linken
Obcrextremität dagegen ist die Motilität beinähe vollkommen wieder beigestellt.
Was das Gesicht anbetrifit, so lässt sich an der linken Hälfte desselben nur
bei aufmerksamster Betrachtung eine Spur von Parese der unteren Partie wahr-
nehmen, die sich bei geschlossenem Munde darin äussert, dass der linke Mund-
winkel um ein Geringes niedriger steht, als der rechte. Beim Sprechen werden
beide Gesichtshälften durchaus gleichmässig bewegt, und auch willkürliche
Grimassen kann Patientin beiderseits mit gleicher Kraft ausfahren, üeberhaupt
ist man gegenwärtig nicht berechtigt, an ihr eine Parese der linken Gesichts-
musculatur zu constatiren; nur das linke Gaumensegel steht deutlich niedriger,
als das rechte. Als ich nun Patientin lachen liess, wurde ich durch einen
merkwürdigen Gegensatz zwischen beiden Gesichtshälften überrascht — die
linke blieb beim Lachen vollkommen unbeweglich; die beim ruhigen Qesichts-
ausdmck deutlich ausgeprägte linke Nasolabialfalte verschwand, der Mund wurde
zur rechten Seite verzerrt, der Unke Mundwinkel tief nach unten verzogen; mit
einem Wort, die untere Partie der linken Gesichtshälfte nahm beim Lachen
den Anschein vollständiger Lähmung an. Die dadurch bedingte Asymmetrie
war, je stärker das Lachen, desto auffallender ausgeprägt; und sie verschwand
sofort, wenn das Lachen aufhörte und dem gewöhnlichen ruhigen Gesichtsaus-
druck Platz machte. — Femer wurde bei der Krankenuntersuchung bilaterale
linksseitige Hemianopsie constatirt, d. h. vollständiger Ausfall der linken Gre-
sichtsfelder — des äusseren am linken Auge und des inneren am rechten. Die
- 245 -
ceotauie Sehkraft ist ungeschwaeht, und am Augenhintergnmd fand sieh nichts
Pathologisches, ahgesehen von solchen Veränderungen, die mit starker Myopie
der Patientin in Zusammenhang stehen. Die Pupillen sind gleichmassig, und
ihre Beaotion unheeintrachtigt. Hautsensibilität und Muskelgefähl sind am
ganzen Körper erhalten, die elektrische Erregbarkeit an der paretischen Seite
unverändert, überhaupt ergab die sorgfältigste Untersuchung keine weiteren
Symptome seitens des Nervensfystems. Auch klagt Fat weder über Schwindel,
noch Kop&chmerzen, noch andere Erscheinungen, die auf eine schwerere Him-
erkrankung schliessen lassen könnten. Sie ist physisch schwach und anämisch
und leidet an einem organischen Herzfehler.^
Wir haben es also mit einer Herderkrankung der rechten Hemisphäre zu
thun, die wahrscheinlich durch Thrombose eines Himgefasses veranlasst war.
Dass die Affection nicht unmittelbar die motorische Willensbahn befallen hat,
wird durch den temporären Charakter der Hemiplegie und die fast vollkommene
Wiederherstellung der willkürlichen Motilität im Arm und Gesicht bewiesen.
Da nun die Himläsion isolirte mimische Lähmung der linken Gesichtshälfte
als beständige Erscheinung bewirkt hat, so müsste ein solcher Fall an und für
sich, abgesehen von anderen Gründen, die Yermuthung erwecken, dass die Bahn
für die mimische Innervation im Gehirn getrennt von derjenigen für die will-
kürliche verläuft Die — bisher noch niemals beschriebene — Combination
der isolirten mimischen Lähmung mit Hemianopsie giebt auch einen Stützpunkt
zur topischen Diagnostik der betreffenden Läsion. In der That, der Ausfall
der linken Gesichtafeldhälften, der auf eine Unterbrechung der Leitung der
durch den rechten Tractus opticus in's Gehirn eintretenden Gesichtseindrücke
zurückzuführen ist, kann durch Functionshemmung entweder im Tractus selbst,
oder in dessen Endstation im Hinterhauptslappen, oder in dessen Mittelstation
(Corp. genicul. und quadrigem.) in der Nachbarschaft der hinteren Sehhügel-
portion bedingt sein. Da wir einerseits eine multiple Himläsion in Anbetracht
der Krankengeschichte ausschliessen können, andererseits eine Yierhügelaffection
aus demselben Grunde unwahrscheinlich ist, so haben wir alle Veranlassung
die Erkrankung in einem solchen Gebiet zu localisiren, bei dessen Läsion sowohl
das eine, eis das andere der bei unserer Patientin bestehenden Ausfallssymptome
beobachtet wurde. Ein solches Gebiet ist der Sehhügel. In der Literatur sind
bereits Fälle beschrieben, in denen isolirte Erkrankung desselbeii mit mimischer
Lähmung verlief (Gowebs,^ Gatet'); ebenso verhält es sich bekannterweise
mit der Hemianopsie.^ Für die von uns vorausgesetzte Locaiisation spricht auch
die temporäre Hemiplegie unserer Patientin, die leicht durch die Nachbarschaft
der inneren Kapsel mit dem in Bede stehenden Gebiet erklärlich ist
' PatieBtin wurde (von Heim Dr. Anfimow) in der April-Sitznng der St. Petersboiger
psyehiatrisohen GeBelkchaft demonstrirt
' G0WKR8» On 8ome Symptoms of organic brain disease. Brain. 187S. April p. 57 — 59.
* Oatbt, Affeetton eno^phaliqae. Archives de physiolog. normale et pathoL 1875.
p. 841—851.
* YgL hier&ber NoTHNAGsii, 1. c. 8. 255—257 and andere ZoBammenstellangen.
— 246 —
Selbstverständlich könnte unsere Beobachtung einen nnzweifelhaften klini-
schen Beweis für die fnnctionelle Bedeutung des Sehhügels nur dann liefern,
wenn die vorausgesetzte Erkrankung durch Autopsie erwiesen wäre; eine Section
unseres Falles steht jedoch nicht in Aussicht. Trotzdem glaubte ich, ihn als
Beitrag zur Frage über die Innervation der Mimik betrachten zu dürfen, um
somehr, als die seltene Gombination der Symptome die Localdiagnose mit grosser
Wahrscheinlichkeit stellen lässt
n. Referate.
Anatomie.
1) AbstractB of three lectures on the braln-mechanism of aight and smell,
bj Alex. Hill. (Brii med. Jonm. 1886. Marcb 6. 13. and 20.)
In der ersten Vorlesung giebt H. allgemein morphologische Erörterungen vom
Standpunkte der Descendenztheorie über die Homologie des spinalen Nervensystems,
ans welcher wir die von H. als wahrscheinlich bezeichnete Ansicht wiedergeben, dass
die hintern Wurzeln vom Spinalganglion centralwärts gegen das Rückenmark und
nicht umgekehrt wachsen.
In der zweiten Vorlesung tritt H. gegen die jetzt ziemlich allgemein acceptirte
Ausschaltung des Geruchs- und des Sehorgans aus dem segmentalen Schema auf, und
erörtert die structnrelle Homologie der Betina und des Bulbus olfactorius.
Aus der dritten heben wir hervor, den Gleichschritt der Entwickelung von
Schläfen-* und Hinterhanptslappen in der Thierreihe mit der des Geruchs- resp. Ge-
sichtssinns. A. Pick.
Pathologische Anatomie.
2) Ueber die histologischen Verftndenmgen der multiplen Solerose. (Aus
der psychiatr. Klinik in Strassburg i. E.) Von Dr. M. Koppen, Assistenz-
arzt. (Arch. f. Psych. Bd. XVII H. 1. S. 63.)
Verf. untersuchte 3 Fälle von multipler Sclerose mit Bficksicht auf die histo-
logischen Veränderungen im Gehirn- und Bflckenmark. Es wurden zahlreiche Zupf-
und Schnittpräparate verfertigt; die Eärbni^ geschah theils mit Garmin, theils unter
Anwendung der neueren von Weigert und Freud eingeführten Methoden. Das
Rückenmark wurde auch an Längsschnitten studirt. Zur Vergleichung der Befunde
diente das Bückenmark eines Paralytikers mit Hinterstrangsderose. Die ünter-
suchungsresultate lassen sich kurz folgendermaassen zusammenfassen.
Was die Grundsubstanz der sclerotischen Herde anbetrifft, so konnte Verf. die
von Charcot u. A. beschriebene fibrilläre Umwandlung der gewucherten Neuroglia
nicht bestätigen. Die Neuroglia bestehe auch unter normalen Verhältnissen aus
kurzen und langen Fasern, welch' letztere den früheren Forschem offenbar entgangen
sind.. Allerdings sind die langen Fibrillen nur an Längsschnitten sichtbar. In den
Herden war ihre Zahl vermehrt. Das feinkörnige Aussehen der Neuroglia werde
vorgetäuscht durch scharfe Umbiegung der kurzen Fasern.
Aufiiallend war die geringe Betheiligung der zelligen Elemente am paihol. Pro-
cess. Nur in den perivasculären Lymphräumen fanden sich massige Anhäufongen
von Zellen (Komchenkugeln). An den Gefässen konnte Verf. in allen drei Fällen
— 247 —
deutliche Yerandeningen (Yerdickangen n. dgl.) constatiren, doch Hess sich die Rolle
derselben im gansen Process mit Bestimmtheit nicht erairen.
Der bemerkenswertheste Bef^d in allen 3 F&llen ist das bereits yon Charcot
für die multiple Sderose als charaicteristisch hervorgehobene Verhalten der Axen*
cjlinder. Dieselben zeigten sich nämlich in den Herden durchweg auffallend zahl*
reich, waren ganz nackt und h&ufig über ^ie Norm vergrCssert. Dies liess sich aber
nur an Längsschnitten nachweisen. Die damit in Widerspruch stehenden Angaben
anderer Autoren, die nur an Querschnitten untersuchten, beruhen nach Ansicht des
Verf. wahrscheinlich auf Verwechselungen der yerdickten Azencylinderquerschnitte mit
Kernen. Sehr charaicteristisch sei die Besistenzfähigkeit der Azencylinder. Verf.
bringt damit die bei der multiplen Sderose im Verhältniss zur Ausdehnung der
Herde oft mild auftretenden Bewegungsstörungen in Zusammenhang. Der wesent-
liche Unterschied zwischen dem pathologischen Process bei der disseminirten Sclerose
und der syetematischen (des beigefOgten Tabesfalles) bestehe darin, dass bei dieser
der Axencylinder weit geringere Widerstandskraft besitze. y. Monakow.
3) On a oaae of bilateral degeneration in the spinal oord, fifty-two days
alter Haemorrhaga in the cerebral hemisphere, by W. B. H ad den.
(Brain. 1886. January p. 602—611.)
Ein 63jähriger Tapezierer war nach einem Schlaganfall ohne vollständigen Be-
wusstseinsverlust, rechtsseitig völlig gelähmt mit Contractur und blieb es bis zum
52. Tage, nachher erfolgte der Tod. Das Eniephänoitien war beiderseits, besonders
aber rechts gesteigert und rechts Fussphänomen vorhanden, links nicht.
Die Obduction ergab bei Arteriosclerose einen hämorrhagischen Herd in der
Länge von 1^/2 Zoll, in dem vordem motorischen Theil der innem Kapsel zwischen
Corpus striatum und Liusenkem, dessen Aussenglied gerissen ist, während das Corp.
striatum und der Thalamus opticus intact sind. Die secundäre Degeneration wurde
nach der Erhärtung in der linken Pyramide und in einem schmalen Abschnitt
der rechten Pyramide ventral und medial neben der grauen Masse des Kerns der
Fibrae arciformes (Schwalbe), im Cervicaltheil des Rückenmarks, beiderseits in den
hinteren zwei Dritteln der Seitenstränge und im Innern Theil der Vorderstränge ge-
funden, so zwar, dass rechts die Degeneration ausgeprägter im Seitenstrange, links
im Yorderstrange war. Dieselbe bilaterale Degeneration war in sämmtlichen Bücken-
marksabschnitten zu constatiren und im Lendentheil ebenso ausgeprägt, als im Cervical-
theil. In klinischer Beziehung betont Yerf., dass bei der beiderseitigen secundären
Degeneration dennoch Contractur nur an der gelähmten Seite und an der nicht ge-
lähmten Seite auch kein Fussphänomen bestanden hatte. E. Remak.
Pathologie des Nervensystems.
4) L'hör6ditä dans las maladies du systöme nerveux, par J. Dejerine.
Paris 1886. (293 Seiten.)
Auf Grand dner ganz ausserordentlichen Belesenheit in der einschlägigen
Literatur und vieler eigenen Beobachtungen bespricht Verf., der auf dem Standpunkt
der Weismann*8chen Eeimplasmatheorie steht, den ätiologischen Einfluss der Here*
dität bei den dnzelnen Krankheiten des Nervensystems.
Er kommt dabei zu dem Resultate, dass die Nerven- und Geisteskrankheiten
C^lieder einer grossen neuropathologischen Familie sind. Der gemeinsame Factor,
der sie zu einer solchen verbindet^ ist die Heredität; dieselbe ist „ihre hauptsächliche,
einzige Ursache'^ Sie kann in den verschiedensten Formen auftreten, aber „stets
— 248 —
liegt sie allen Affectionen des Nervensystems zu Grunde''. Traumen, Sorgen, Ex-
cesse etc. spielen nur die Bolle von GelegenheitsursaGhen; allein sind sie- al>solut
unfahigi den Ausbruch herbeizufuhren. Nur die Neurasthenie ist nicht immer und
nothwendig erblichen Ursprungs. Sie ist oft der erste £eim, aus dem nun in der
Descendenz durch Erblichkeit die andern Nervenkrankheiten entspringen. Das Wie
und Warum der Transformation einer Nervenkrankheit in der Descendenz ist vor-
läufig unergründet.
Bei dem compilatorischen und kritischen Charaktw eines grossen Theiles des
Buches entzieht der speciellere Inhalt sich einem Beferat. Fflr die Psychosen wird
ganz und gar die Magnan*sche AulEassung acceptirt. Bei Manie und Melancholie
überwiegen noch die äusseren Ursachen, die erbliche Prädisposition ist im Minimum.
Ihr Einfiuss steigt bei dem D^lire chronique und der Folie intermittente. Schliess-
lich bei der Folie h^rdditaire s. str. erscheinen besondere Stigmen, auf psychischem
Gebiet die sogenannten Syndromes ^pisodiques, deren gemeinsame Obarakteristica die
Obsession oder Impulsion irr^stible sind. Er rechnet hierher die Monomanien, aber
auch Coprolalie, Abulie, Agoraphobie etc.- — Auch die sympathischen und diathe-
tischen Psychosen haben keine Selbstständigkeit, sondern sind nur die Beactions-
weisen eines erblich belasteten Nervensystems. Das blosse Wort Alidnaifeion mentale
involvirt schon eine „essentiell hereditäre Krankheit''.
Für die Epilepsie kommt die allgemeine neuropathische Hereditat mehr als die
directe in Betracht. Unter 350 Beobachtungen an der Salpetri^re und dem Bicetre
fand sich in der Ascendenz bei 21,2^/^ Epilepsie, bei 51,6^0 Alcoholismus, bei
24,5 7o Migräne, bei 11,3% Hysterie und Hysteroepilepsie, bei 16,8% Geistes-
krankheit.
Besonders genau wird weiterhin die hereditäre Chorea von Huntington be-
sprochen.
Syphilis vermag keine progressive Paralyse oder Tabes ohne erbliche Anl^e
hervorzubringen: die Tabes speciell orfordert eine convergirende Heredität und ist
den schweren Nervenkrankheiten verwandt.
Bei manchen Nervenkrankheiten erweist sich dem Verfasser der erbliche Ein-
fiuss noch zweifelhaft (Poliomyelitis ant. chron., Paralysis agitans, Fieberpsychosen etc.),
bei infectiüsen materiellen Affectionen und Intoxicationsparalysen nicht eben wahr-
scheinlich. Im Uebrigen empfiehlt sich das Werk sehr zu eingehendem Studium.
Th. Ziehen.
5) Etüde sur les paralysies aloooliques, par William Oettinger. (Paris,
1885.)
An der Hand von 17 Fällen (darunter 5 anderwärts noch nicht veröfifentlichte)
entwickelt der Verf. das klinische Bild der Paralysie alcoolique. Er betont insbe-
sondere die Symmetrie der Lähmungen, den fast ausnahmslosen Beginn der Lähmungs-
erscheinungen in den Unterextremitäten, speciell den Mm. extensores dig. pedis
comm. und halluciB. Blasen-, Mastdarm-, Facialis- und Augenmuskellähmungen ge-
hören nicht zum Erankheitsbüd (den von Schulz in dieser Zeitschrift 1885 Nr. 19
beschriebenen Fall kennt Verf. noch nicht). Ataxie ist kein constantes Symptom,
ebensowenig Contracturen. Bei den chronischen Formen erhält sich lange Hyper-
ästhesie, bei der acuten Form wird sie rasch durch Anästhesie verdrängt Die Haut-
reflexe sind stets normal, das Eniephänomen fehlt stets. Das Muskelgefühl erwies
sich bei den Kranken des Verfassers intact. Localisirte Schweisae oder vorüber-
gehende localisirte Hautröthungen sind häufig. Oedeme fehlen fast nie. Trophische
Störungen der Haut, sowie der Nägel werden genauer beschrieben; auch ist Neigung
zu Decubitus häufig. Verf. unterscheidet dann drei Formen, eine passagere, eine
chronische und eme acute rasch zum Tode führende. Die finalen Diarrhöen werden
hypothetisch auf eine nervöse Ursacbe bezogen. Die anatomische Grundlage der
— 249 —
Brkrankiing war in dem zur Section gekommenen Fall des Verfassers eine multiple,
parenchymatöse Neuritis der motorischen und sensiblen Nerven, daneben secnndäre
Mnskelveränderungen. Die von Wilks behauptete grössere Häufigkeit der Paralysie
alcooliqne bei Frauen bestreitet Verf. Von den Patienten des Verf. starb einer, bei
dreien trat lai^same partielle Besserung ein. Die sonstigen Bemerkungen des Verf.
über andere Symptome, Diagnose, Therapie etc. enthalten nichts wesentlich Neues.
Th. Ziehen.
6) Znr Casuistik der multiplen NeoritlB, von Dr. B. y. Uösslin. (Mfinchener
med. Wochenschr. 1886. Nr. 3.)
Ein bis auf ein Ulcus syphilit. früher stets gesunder Mann erkrankte am
27. August 1885 an den Erscheinungen einer Ischias dexi, wozu sich nach 14 Tagen
Athembeschwerden, Schmerzen in Bauch und Bücken und im ganzen linken Arm
geseUten, mit partiellen Lähmungen in letzterem. Nach weiteren 14 Tagen Lähmung
des Facialis sin.; kein Fieber; Schlaflosigkeit, Puls und Bespiration beschleunigt;
Sehnenphänomene erhalten. Haut vielfach hyperästhetisch. Mitte October Hessen die
übrigen Erscheinungen alle nach, nur eine starke Dyspnö, 40 Bespirationen, 134 Puls-
schläge in der Minute. Danach allmähliche Besserung, am 21. und 22. October
gestört durch heftige Schmerzen in beiden Händen, nach denen für einige Tage
Oedeme auftraten. Anfang November war Pat. wieder dienstföhig, Anfang December
machte er 1 — 2stündige Spaziergänge, doch bestanden noch Schmerzen im linken
Ulnarisgebiete, Schwäche des linken Daumens und Zeigefingers.
Verf. hatte an vielen Nerven und Muskeln, auch solchen, die objectiv und sub-
jectiv sonst keine Störungen gezeigt hatten (z. B. linkes Bein und rechter Arm),
Entartungsreaction oder Verlust der Erregbarkeit gefunden. — Die Fatellarphänomene
fehlten niemals.
Die Therapie bestand in Buhe und Morphium-Injectionen, später in lauen Bädern,
coustantem Strom. Daneben von Anfang an Jodkalium 2 gr täglich.
Hadlich.
7) Ein Fall von multipler Neuritis, von Dr. Eulan, Frankfurt a. M. (Berl.
klin. Wochenschr. 1886. Nr. 6.)
Ein 53jähr. Mann erkrankte zwischen dem 15. und 20. Juni 1884 an reissen-
den Schmerzen in beiden Waden (links stärker), welche paroxysmenweise. heftiger
auftraten und allmählich bis in die Füsse ausstrahlten, später auch oft vom Foramen
ischiadicnm ausgingen, sich mit Kreuz- und Lendenschmerzen und einem schmerz-
haften Gürtelgefühl verbanden.
Am 10. Juli bestand vermindertes Tast- und Schmerzgefühl der Haut beider
FüBse. Druck auf den N. ischiadicus verursacht nicht nur Schmerz, sondern auch
taubes Gefühl und Knebeln bis in die Füsse. Achillessehnenreflex zu dieser Zeit
nicht vorhanden, Patellarreflex nur rechts schwach bemerkbar, Bauch- und Cremaster-
reflex vorhanden. Patient kann wohl noch aufstehen und gehen, muss es aber bald
wegen der Schmerzen und des eintretenden Zittems aufgeben. — Faradische Erreg-
barkeit besteht in normaler Weise.
Den 15. Juli Schmerzen im linken Vorderanui £[riebeln in den 4 ersten Fingern
der linken Hand.
24. Juli: Unter weiterer Zunahme aller Symptome ist das Tastgefühl an den
Fingern der linken Hand so defect geworden, dass Spitze und Kopf einer Nadel
lucht unterschieden werden können. Die grobe Kraft des linken Arms ist herab-
gesetzt; Druck auf den Nerv, medianus sin. nahe am Ellenbogen ist schmerzhaft. —
An den unteren Extremitäten ist es zu completer Lähmung einzelner Nervengebiete
gekommeD, unter Erscheinungen von Oedem. Patellarreflex auch rechts erloschen.
— 250 —
Am 7. August fötale Paralyse beider Beine mit anfiblleader Atrophie der Mus-
Golator, besonders der Waden. Die spontanen Schmerzen haben nachgeLassen. Die
Lähmungserscheinnngen an den Armen sind stärker geworden. Attffiülend sind leb-
hafte Schmerzen in der Blase und Harnröhre nach dem Harnlassen» im Mastdarm
nach dem Stuhlgange, ohne dass local sich etwas Pathologisches nachweisen Hesse.
28. August: Weitere Zunahme der Lähmungen, dabei keinerlei spastische Zu-
stände. Auffallende Schweisse. Objectives Eältegefflhl der Beine. Pulsfrequenz
104 — 120. Die faradische Erregbarkeit der Muskeln und Nerven der Extremitäten
ist erloschen, der galvanische ruft nur bei directer Reizung schwache Zuckungen
hervor (Entartungsreaction? Ref.).
Von Anfang September an trat allmähliche Besserung ein. Am 11. November
kann Fat. zum ersten Male das Bett verlassen. Die Lähmung der unteren Extremi-
täten blieb am längsten im Gebiete des N. peronaeus bestehen; zuletzt verschwand
diejenige am linken Arm.
Anfang Februar constatirte E. sehr gutes Allgemeinbefinden; nur in den Fuss-
sohlen zeigten sich noch unangenehme Schmerzen, besonders beim Auftreten.
Verf. macht in längerer Ausführung darauf aufmerksam, dass sein Patient im
Jahre 1868 einen acuten Gelenkrheumatismus durchgemacht und seitdem eigentlich
nicht aufgehört hat, über „rheumatisqhe" Beschwerden zu klagen. Diese Beschwerden
seien vielleicht nicht ohne Beziehung zu der späteren Neuritis multiplex. Dass
letztere ätiologisch in Verbindung stehe zu dem vorhergegangenen acuten Gelenk-
rheumatismus, nimmt Verf. an und führt eine Reihe von Fällen auf — von F. C.
Müller, Käst, Trousseau, Landouzy, Erb-Remak — , welche für eine der-
artige Verbindung sprechen. Hadlich.
8) Bidrag tili läran om de miütipla neuritema, af E. A. Homen. (Finska
läkaresällsk. handl. 1885. XXVU. 4. S. 244.)
Fat., ein 21 jähr. Fabrikarbeiter, ohne nachweisbare erbliche Anlage, hatte seit
der Kindheit bisweilen an Doppeltsehen gelitten. Vor 4 Jahren begann ohne nach-
weisbare Ursache taubes Gefühl und Steifheit in den Schultern und Armen, besonders
links, einzutreten, das sich bei Bewegung steigerte; bisweilen schwollen auch abends
Hände und Füsse vorübergehend an. Ausserdem fühlte sich Pat. matt, hatte mit-
unter Frostanfalle und oft Schweissausbrüche, zeitweise auch Kopfschmerz. Die Kraft
der Arme nahm allmählich ab, vor 1 ^/^ — 2 Jahren traten auch Gefühl von Taubsein
und Kälte in den Beinen auf und nach dem Kreuz zu ausstrahlende Schmeraen nach
Bewegungen. Die Kraft in den Beinen nahm etwas ab, der Gang wurde unsicher
und Pat. hatte mitunter Schwindel. Zeichen einer Rückenmarksaffection waren nicht
vorhanden. An fast allen Rückenwirbeln bestand Empfindlichkeit bei Druck, ebenso
an Punkten« wo Nerven mehr oder weniger oberflächlich liegen; diese Empfindlichkeit
war auf der ganzen linken Seite deutlicher hervortretend. Die Sensibilität war an
allen Extremitäten etwas herabgesetzt, besonders die Schmerzempfindung an den
Unterschenkeln, auch die faradooutane Sensibilität besonders an der linken Seite.
Höchst aufißUlig war der grosse Unterschied, der oberhalb und unterhalb der Kniee
in der Sensibilität bestand, die von da weiter nach unten zu allmählich immer mehr
abnahm. Die Hautreflexo erschienen vermindert, der Cremasterrefiex war vorhanden,
der Patellarreflex ebenfalls, aber etwas abgeschwächt Die Musculatur war nicht
sehr atrophisch, aber sehr schlaff; die galvanische Reizbarkeit war etwas herabge-
setzt, besonders in den Muskehi, die faradische ebenfalls. Nachdem nach Anwendung
von Blutegeln an den Armen etwas Linderung eingetreten war, wurden laue Bäder
angewendet und, ermuntert durch die guten Resultate, die er bei traumatischer Neu-
ritis damit wiederholt erlangt hatte, versuchte H. den faradischen Pinsel, und
zwar, um die Wirkung besser beurtheilen zu könneui zuerst nur auf der linken Seite.
— 251 —
In kurzer Zeit war die linke Seite fast vollständig hergestellt^ während auf der rechten
Seite die Störungen noch fortbestanden^ wenn auch in geringerem Grade, und dann
eben so rasch durch Anwendung des faradischen Pinsels beseitigt wurden.
Walter Berger.
8) Aoute multiple NeuritlB der spinalen und Himnerven, von Dr. Sigm.
Freud, Docent für Nervenkrankheiten in Wien. (Sep.-Abdr.)
Der sehr schatzenswerthe Beitrag zur Casuistik der acuten multiplen Neuritis,
welchem vorläufig die genauere mikroskopische Untersuchung noch fehlt» betrifft einen
18jährigen Bäckergehfilfen, welcher ganz plötzlich unter ziehenden Schmerzen und
Kältegefflhl in beiden Beinen, Schmerzen im linken Knie, Druck und Bewegung auf
der Brust sowie grosser Mattigkeit erkrankte. Objectiv wird zuerst neben dumpfen
Herztönen ein qrstolisches Geräusch an der Spitze entdeckt, später, nachdem Fat.
unter starkem Schweissausbruch von einem Schütteltremor des rechten Beines be-
fallen worden war, kann man Hyperästhesien und Hyperalgesien der Haut bemerken,
Farästhesien längs einzelner Nerven, Druckempfindlichkeit der Muskeln und Nerven-
stämme mit ezcentrischer Sensation, Steigerung der mechanischen und reflectorischen
Erregbarkeit der Muskeln. Motorische Störungen zeigten sich in allgemeiner Muskel-
schwäche, -in Paresen des Oculomotorius, Facialis und Vagus und in Dysurie. Als
trophische Phänomene kommen hinzu Muskelatrophie, Schweissausbrüche und gelegent-
lich Erythem. Der Sch&tteltremor der Beine wiederholte sich öfters. Die Beflexe
sind zuerst zum Theil verstärkt, später erloschen. Die Temperatur ist im ganzen
Verlauf der Krankheit, der sich über 27s Monate erstreckt, nicht gesteigert; die
finalen Erhöhungen kommen durch die hhizugetretene Pneumonie zu Stande. Der
Puls ist stets erhöht, zuweilen Arythmie vorhanden.
Die Aetiologie fOr die multiple Neuritis wird in der vorausgegangenen rheu-
matischen Endooarditis gesucht. Abusus spirituosorum ist nicht erwähnt, bei dem
jugendlichen Alter wohl auch kaum anzunehmen.
Aus dem Sectionsbefund, welcher die Diagnose vollständig bestätigte, ist folgendes
zu erwähnen: Diei Nerven an der Basis cerebri sowie sämmtliche spinalen Nerven
sind in ihren Scheiden injidrt, namentlich jene des untern linken Halsgeflechtes. Der
linke Trigeminus und Vagus, besonders ersterer, grauröthlich, auf dem Durchschnitt
wie zerfasert. Auch das linke Ganglion Gasseri sehr blutreich, dunkler, grau ver-
färbt. Die Bückenmarkshäute blutreich, das Mark normal, in der grauen Substanz
leicht^ in den Köpfen der Hinterhömer stark geröthei Sperling.
10) Ueber die Lfteionen der Neuritto alooholioa, von Gombault. (Acadämie
des sdences zu Paris. Sitzung vom 28. Februar 1886.)
Untersuchung von 2 Fällen. In einem Theil der Nervenfasern findet man alle
Charaktere der Wa Herrschen Entartung, im andern dagegen zeigt sich die Mark-
scheide, statt voluminöse Kugeln zu bilden, fein emulgirt, der Axencylinder persistirt,
und zahlreiche Kerne erscheinen. Diese letztere Veränderung, die eine präwallersche
wäre, würde schnell bei der grössten Zahl der Fasern zur Zerstörung des Axen-
cylinders und damit zur Waller'schen Degeneration führen.
In ähnlicher Weise verhalten sich die Veränderungen bei der Bleilähmung und
der diphtherischen Lähmung. M.
11) Furtlier observations on alooholio paralyaiB, by J. Dreschfeld. (Brain.
1886. January p. 438—446.)
Unter acht mitgetheilten alcoholistischen Lähmungsfällen gehören drei der rein
atadischen, vier der rein paralytischen Form an, während ein achter als gemischter
— 252 —
Fall aufzufassen ist. Der zur Obduction gelangte FaU einer 53jährigen Frau be-
trifft die atactische Form (Pseudotabes peripherica). Aus seinen klinischen Befunden
seien stechende Schmerzen der Unterextremitäten, atactischer Ckmg, Schwanken be:
geschlossenen Augen, Fehlen der Sehnenphänomene, Hautsensibilitätsstörungen der
Unterextremitäten, gute Pupillarreaction erwähnt Die Obduction ergab Schrumpf-
niere, Amyloidtabes, normales Bückenmark auch nach der Erhärtung. Die Ischiadid
erschienen dünn, gräulich und waren zu einem grossen Theil von Fettgewebe ein-
geschlossen. Yerticalschnitte mit üeberosmiumsäure behandelt, und nachher mit
Ficrocarmin gefärbt, ergaben ein münzenförmiges Aussehen der Nervenfasern in Folge
von Unterbrechungen des Myelins; die Kerne waren vermehrt und ebenso bestand
interstitielle Zelleninfiltration. Querschnitte zeigten an einigen Stellen eine Zunahme
des Durchmessers der Axencylinder und wieder die interstitielle Infiltration.
Von den drei andern Fällen von alcoholistischer Ataxie mit übereinstimmenden
klinischen Symptomen sind noch Andeutungen von Entartungsreaction in einem FaU
eines dSjährigen Mannes bemerkenswerth.
Die vier rein paralytischen Fälle betrafen sämmtlich Weiber und zeigten neben
alcoholistischen psychischen Alterationen, Sensibiütätsstörungen und Fehlen der Sehnen-
phänomene, atrophische Lähmungen der Streckseiten der Unterschenkel und zum Theil
der Vorderarme im Bereiche des Extensor digitorum communis etc. mit Entartungs-
reaction. Unter Abstinenz trat Restitution der Beweglichkeit ein.
Als anatomische Basis aller Formen der alcoholistischen Lähmung ist dem Verf.
multiple peripherische Neuritis unzweifelhaft E. Bemak.
12) Note sur un oas de ndvrite du tibiae antörieur survenue dana le coura
d'une fldvre typhoide, par M. B. Würtz. (L'Encephale. 1886. I.)
Localisirte peripherische Neuritiden im Verlaufe der acuten Infectionskrankheiten
sind schon von einigen Klinikern beobachtet. Verf. giebt jetzt eine genaue Be-
schreibung eines einen Typhus complicirenden Falles. Die ersten Symptome der
Neuritis sind Sensibilitätsstörungen entweder das TaubheitsgefQhl in der betroffenen
Extremität oder aber heftige blitzartige Schmerzen im Verlauf des befallenen Nerven,
die aber auch ihren Sitz zuweilen verändern. Diese Schmerzen steigern sich anfalls-
weise so sehr, dass die Patienten laut schreien und nicht das Gewicht der Bettdecken
vertragen können. Die Schmerzhaftigkeit, sich ofl; auch auf Muskeln und Gelenke
fortpflanzend, dauert verschieden lange, sogar bis zu 6 Monaten, schliesslich nur sehr
allmählich schwindend. Neben der schmerzhaften Irritation besteht stellenweise
Anästhesie. Zu diesen Sensibilitätsstörungen gesellen sich demnächst Bewegungs-
störungen von leichten Paresen bis zur vollständigen Beactionslosigkeit gegen elek-
trische Beizungen. Vorzugsweise werden die unteren Extremitäten, namentlich die
Flexoren befallen; daneben werden auch trophische Störungen beobachtet
Die Prognose richtet sich nach der Zahl der befallenen Nervenstämme, selten
bleiben dauernde functionelle Störungen. W. ist geneigt, die peripherische Nerven-
erkrankung auf die gleiche Infection wie die typhöse überhaupt zurückzuführen.
Zander.
13) Sanit&ta-Berioht über die deutsohen Heere im Kriege gegen Frank-
reich 1870/71. Vn. Band: Erkrankungen des Nervensystems.
Herausgegeben von der Militär-Medizinal-Abtheilung des königl. preuss.
Eriegsministeriums unter Mitwirkung der betreffenden bayrischen,
sächsischen und württembergischen Behörden. (Berlin 1885. Ernst
Siegfr. Mitüer & Sohn.) — [Fortsetzung.]
— 253 —
Die poBttyphöBon Nervenerkranktingeii nehmen in dem Werke einen sehr
groBsen Baam ein. Trotzdem eine genaue Statistik aller dahin gehöriger Fälle nicht
möglich gewesen, liess sich doch so viel feststellen, dass der Frocentsatz der ner-
vösen Kachkrankheiten des EriegstTphos ein überaus hoher, die Friedensstärke weit
übertreffender war. Das grösste Kontingent zu Neuropathien fallt auf die ausge-
dehnten Seuchen vor Metz und Paris. — Dem ttberwiegenden Theil derjenigen
Typhus-Erkrankungen, an die sich in der Beconvalescenz ein Nervenleiden ange-
schlossen, war gewöhnlich eine Zeit angestrengtester Märsche und aufreibenden Be-
lagerungsdienstes vorausgegangen. Den „Kriegstyphus" charakterisirt u. A. auch
eine verschleppte Genesungs-Feriode. Je länger aber das Stadium der Gonvalescenz,
desto grösser die Qefahr nervöser Nachkrankheiten. — Die Gesammtzahl der zur
Beobachtotig gekommenen posttyphösen Neuropathien beträgt 134. Davon sind 38
geheilt, 17 gebessert, 47 ungeheilt geblieben, 8 gestorben. Der Ausgang von
24 Fällen ist unbekannt Schon vor dem Kriege war dieses Feld der Neurologie
von verschiedenen Fachschriftsteilem bearbeitet worden. Neuralgien und Neurosen,
Epilepsie, Seh- und Sprachstörungen, motorische Lähmungen peripherischen und cen-
tralen Ursprungs, multiple Sclerosen u. a. m. konnten in sehr vielen Fällen auf
einen überstandenen Typhus, als ihren Ausgangspunkt zurückgeführt werden. Durch
die Kriegserfahrungen wurde dieses Gebiet noch weiter ausgedehnt und geebnet;
denn über das Auftreten von Faralysis agitans, Chorea, acuter Ataxie,
Muskelhypertrophie, vasomotorischer Neurose nach Typhus des mitt-
leren Lebensalters enthielt die Literatur vor dem nichts. Die Yerff. haben auch
versucht die moderne Lehre von der multiplen Neuritis für die Erklärung mancher
in dieser Gruppe verzeichneten Krankheiten heranzuziehen. Aus der Menge der
interessanten Krankengeschichten dieses Abschnittes ragt besonders eine Mittheilung
hervor, die ich hier kurz skizziren will, weil sie bestätigt, was ich in der Einleitung
über die günstige Position der Berichterstatter in Bezug auf langjährige Beobach-
tnngs-Möglichkeit der Nervenfölle vorangeschickt habe: 1872 hatte Hitzig in der
Berliner klin. Wochenschr. „einen Fall von Hypertrophie eines Armes" veröffentlicht,
den er unter die Auerbach-Berger'schen Fälle von echter Hypertrophie einreihen
zu müssen glaubte. — Der Zufall fügte es, dass dieser Fatient 7 Jahre später zur
militär-ärztlichen Untersuchung kam. Er bot jetzt ganz das Bild einer juvenilen
Muskelatrophie (Dystrophia muscularis progressiva), wie es Erb beschrieben.
Die Krankheit liess sich am wahrscheinlichsten auf einen im Kriege überstandenen
Typhus zurückführen. Es waren Jetzt sehr ausgebreitete Atrophien, nur an ein-
zelnen MnskehoL hypertrophische Frocesse und vor Allem völliger Mangel der EaB
nachzuweisen. Die mit vorzüglichen Abbildungen der Gesammt-Musculatur des Mannes,
sowie der durch Harpunisirung gewonnenen mikroskopischen Muskelbilder versehene
Krankengeschichte beweist übrigens die Bichtigkeit der angenommenen Diagnose.
Der Invalide wurde beim Wachtdienst an der Siegessäule verwendet, ergab sich aber
dem Trünke und starb an Tuberkulose im Juli 1884. Die Section im Berliner
pathologischen Institut ergab den merkwürdigen Befund einer Erkrankung des
Nervensystems am Haisstamm und an den Halsganglien des Sympathi-
cus und an den intramusculären Nervenästen. — Es werden in diesem Kapitel
am Schlüsse die nervösen Erkrankungen nach Ruhr, nach Pocken, Diarrhoe, Diph-
therie und Intermittens abgehandelt, die theilweise auch recht beachtenswerthes
Material bieten.
(Fortsetzung folgt.)
— 254
Psyehiatrie.
14) Fsyohosed alter oataract-operations, by Dr. Landesberg. (Medical and
Surgical Reporter 17. Öctober 1885, nach Referat von Eiernan, im Joom.
of nervoos aud mental disease. 1886. H. 1.)
2 Fälle von Geistesstörung nach Gataractoperation ; sie betreffen einen Mann
von 65 Jahren mit Yerfolgungswahnvorstellnngen nnd Gehörs-, Gesichts^ und 6e-
schmackshallucinationen, die nach 4 Tagen vollständig heilten, nnd eine 57jalinge
Fran, die am 2. Tage nach der Operation (auf dem 2. Ange) unruhig und reizbar
wurde und unter dem Ausbruch von Gehörshallacinationen in einen dentlichen De-
pressionszustand und dann in kurzdauernde Erregung verfiel; nach 4 Tagen trat
auch in diesem Fall völlige Genesung ein.
Analoge Fälle hat Schnabel (Berichte des naturwissenschaftl. u. med. Vereins
zu Innsbruck, Jahrg. YUI) beschrieben. Sommer.
16) G^istesstönmg nach Salioylgebrauoh, von Dr. Julius Erneg, Arzt an
der Privat-Irrenanstalt zu Ober-Döbling. (Wiener med. Presse. 1886. Nr. 13.
S. 406.)
In dem hier mitgetheilten Falle liegt eine Idiosyncrasie gegen Saliqri vor, an
der vielleicht eine frühere, durch dnen Eolbenschlag auf den Eopf herbeigefOhrte
Commotio cerebri die Schuld trägt Nach Gebrauch von 9 gr Natron salicyL (gegen
acute Pleuritis verordnet) trat bei dem ÖSjähr. Herrn zuerst Ohrensausen auf, später
halludnirte er, bis sich schliesslich Yerfolgungswahnideen einstellten. Am 8. Tage
nach der Intozication erfolgte unter Gebrauch von Digitalis, die Yerf. gegen das
Ohrensausen nach Chinin- und Salicyl-Gebrauch, sowie jedes habituelle Ohrensausen
nervöser Personen warm empfiehlt, Nachlass aUer Erscheinungen. Sperling.
Therapie.
16) The Analgesie aotion of Theine, by Thomaa J. Mays, M. D. pf Phila-
delphia. (Medical News, 1886. April 17.)
M. beschäftigte sich schon seit längerer Zeit mit der Wirkung des Theins. £r
hat in sorgfaltiger Weise erst die physiologische Wirkung genau stndirt, und hat
dann Ober die praktische Anwendung dieses Mittels selbst und durch andere sich
Erfahrung verschafft. Hauptresultat der physiologischen Studien ist, dass 4afi Thein
hauptsächlich auf die sensiblen Nerven wirki^ währen Gaffeln die motorischen Nerven
beelnflusst. Versuche am Menschen ergaben nach Einspritzung unter die Haut von
0,02 Abstumpfung der Sensibilität am Arme und an der Hand, unterhalb der In-
jectionsstelle Eältegefflhl; geringe Yerlangsamung des Pulses; keine Bewegungs-
störungen. Was die therapeutische Wirkung des Theins betrifft, so lautet das Urtheil
von M. und vielen GoUegen, die in seinem Auftrage arbeiteten, zu Gunsten des Theins
als schmerzstillendes Mittel. Es muss dies so allgemein gefasst werden, denn das
Mittel wurde eben bei den allerverschiedensten Erkrankungen versucht. M. selbst
zieht die Grenzen etwas enger und meint» dass das Mittel sich hauptsächlich bei der
Behandlung schmerzhafter Spinalerkrankungen (Tabes etc.) bei Neuralgien, Spinal-
irritation etc. bewähren wird. M. giebt femer an, dass es ausserordentlich prompt
wirkt und dass der Effect ein lang anhaltender sei. Hypodermatisch soU von 0,015
bis 0,03 eingespritzt werden. Vor tiefen Einspritzungen wird gewarnt» da in einem
Falle ein maniakalischer Zustand auf diese Weise, vermuthlich durch Einspritzung
in em Blutgefäss, hervorgerufen wurde. Sachs (New Tork).
255
m. Aus den Gesellsoliafteii.
Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenkrankheiten. Sitznng
vom 10. Mai 1886. (Schluss.)
Oppenheim: Beiträge zur Pathologie der Tabes.
Kurz nachdem die Abhandlung von Dejerine erschienen war, welche der schon
von Westphal und nach ihqL von Pierret erwiesenen Betheiligmig der peripher.
Nerven an den tabischen Degenerationsprocessen eine allgemeinere Bedeutung verlieh,
habe ich mich in Gemeinschaft mit Collegen Siemerling auf Anregung unseres
hochverehrten Lehrers, des Herrn Geheimrath Westphal dem Studium dieser Vor-
gänge zugewandt. £s war unsere Absicht^ durch die Untersuchung der peripherischen
Nerven in einer grösseren Anzahl von Tabes-Fällen festzustellen« ob die Degeneration
derselhen zu den regulären pathologisch-anatomischen Befunden gehöre, ob es sich
stets am denselben histologischen Process handle, zu ermitteln, ob eine Beziehung
walte zwischen der Intensität und Ausbreitung der spinalen und der peripherischen
Nervenerkrankung — , endlich gaben wir uns der Hoffimng hin, dass auch für die
Dentong gewisser klinischer Erscheinungen aus diesen Untersuchungen etwas Er-
sprieesliches wflrde hervoi^ehen. Sehr bald stellte sich eine Schwierigkeit heraus,
die uns von dem ursprünglich eingeschlagenen Wege ablenkte. Wir hatten nämlich,
um unsere Präparate mit normalen vergleichen zu können, diese den Leichen von
Personen entnommen, welche an irgend einer Erkrankung zu Grunde gegangen waren,
die nach unseren bisherigen Erfahrungen gewöhnlich den peripherischen Nervenapparat
intact lässt. Nun aber fanden wir auch hier gewöhnlich nicht die Bilder, welche
man nach den Schilderungen der Autoren als den Typus des Normalen hätte er-
warten sollen, ja die Abnormitäten waren so häufig und zuweilen so ausgeprägt,
dass wir unsere Aufjgabe erweitem mussten und an die Specialuntersuchung nicht
eher herantreten durften, bis das Verhalten der Nerven unter den verschiedensten
pathologischen Bedingungen festgestellt war; besonders auch im Hinblick auf die
Thatsache, dass die Tabeskranken gewöhnlich nicht an dem Bückenmarksleiden,
sondern an gewissen Folgezuständen und Complicationen zu Grunde gehen, deren
Einfluss auf die peripherischen Nerven noch zu ermitteln war.
Wir haben deshalb sensible und gemischte Nerven untersucht von Personen,
die an Tuberoulose, an Inanition, an Geschwulstcachezie, an Arteriosderose, senilem
Marasmus, an Infections- und Intoxicationskrankheiten, an Tumor cerebri etc. zu
Grunde gegangen waren. Ausserdem bezog sich unsere Untersuchung auf die Nerven
von 13 Individuen, die an Tabes dorsalis, resp. (in einigen Fällen) an combinirter
Erkrankung der Hinter- und Seitenstränge gelitten hatten und längere Zeit klinisch
beobachtet waren. Von 8 dieser Kranken wurde auch das Bückenmark und die
MeduUa oblongata, von 3 ausserdem ein Theil der Spinalganglien einer mikroskopischen
Prüfung unterzogen.
Was den Modus der Nervenunteniuchung anlangt, so haben wir dieselben frisch
zerznpft und nach der Behandlung mit Osmiumsäure in bekannter Weise auf Quer-
schnitten und Zupfpräparaten beurtheilt, femer wurden nach der Härtung in Chrom-
salzlösungen Querschnitte hergestellt, die mit Picrocarmin, Carmin, Hämotox]rlin,
Boraxcarmin, nach der Weigert*schen Methode oder auch mit Groldchlorid geförbt
wurden.
Die Beobachtung erstreckte sich auf sensible und gemischte Nerven. Wir unter-
suchten Hautnervenzweige aus der Gegend des Fussrückens, der Sohle, des Unter-
achenkels, der Vola manus, den N. saphenus m^jor sowohl in seinem Oberschenkel-
theile, als auch in seinen peripherischen Verzweigungen. Ferner den Peroneus,
Cruralis, sowohl den Stamm wie Muskeläste, den Medianus, Musculocutaneus etc.,
doch nicht alle diese Nerven in jedem Falle. Von den Hirnnerven gelangte 5mal
— 256 —
der Vagus einige Male auch der Laryngeus recurrens, und einmal der Laryngeas 8up.
zur Untersuchung.
Wir gewannen so ein sehr umfangreiches Material, das uns zwar nicht, über
alle hier in Frage kommenden Verhältnisse Aufschluss gab, aber doch zu einigen
beachtenswerthen Ergebnissen führte. Die einfachste und gewöhnlichste Form der
Nervendegeneration ist dadurch charakterisirt, dass sich zwischen den markhaltigen
Fasern von normaler Beschafifenheit Gruppen von Fasern finden, die ihr Nervenmark
mehr oder weniger vollständig eingebüsst haben und deren AxBncylinder atrophisch
oder ganz geschwunden ist, sodass schliesslich nur die leere Schwann'sche Scheide
restirt. Auf mit Carmin behandelten Querschnitten markirt sich dies so, dass zwischen
den quergetroffenen Nervenfasern mit gut erhaltenem Marke und deuüich sichtbarem
Axencylinder mehr oder weniger ausgedehnte Flecke hervortreten, die bei schwacher
Vergrösserung diffus rothgefärbt erscheinen, während die genauere Untersuchung
lehrt, dass hier dichtgedrängt kleine Bohren nebeneinander liegen, die kein gelbes
Mark mehr enthalten und nur zum geringen Theil noch mit einem als roth gefärbtes
punktförmiges Qebilde erscheinenden Axencylinder versehen sind. Wo die atrophischen
Fasern liegen, haben die Kerne eine Zunahme erfahren. Es ist hierbei nur in Bück-
sicht zu ziehen, dass schon normaliter die cerebrospinalen Nerven einzelne, gewöhn-
lich in kleinen Gruppen stehende myelinfreie Fasern enthalten, die aber noch mit
einem Axencylinder versehen sind; sie sind aber so spärlich, dass sie an Zahl ganz
verschwinden gegen die Menge der doppelcontourirten Fasern. Es lässt sich zwar
nicht numerisch bestimmen, wo der pathologische Excess beginnt — man gewinnt
aber durch vergleichende Studien ein sicheres Urtheil und hütet sich vor Fehlschlüssen,
wenn man auf die geringsten Grade der Veränderung keinen Werth legt. Wo sich
nun diese Degenerationsvorgänge deutlich ausgeprägt finden, sieht man immer auch
einzelne von den grossen markhaltigen Bohren gewisse Veränderungen ihrer Structur
erleiden: der Axencylinder erscheint gequollen, verdickt, zeigt oft unregelmässige
Contouren, das Mark zeigt nicht mehr die Bingelung, sondern sieht wie homogen
aus, färbt sich mehr oder weniger stark und gewinnt zuweilen emen eigenthümlichen
hellen Glanz, dessen Bedeutung nicht zu ermitteln war. — Bei dieser Form der
Nervenentartung ist der bindegewebige Apparat: das Perineurium, Endoneurium, die
Gefässe unbetheiligt
Die geringeren Grade dieser Degeneration finden sich unter den
verschiedensten Bedingungen, und bei Vorgängen, die gar nicht vom
Nervensystem ausgehen, sondern auf dem Wege der Infection, der In-
toxication, der Erschöpfung, des Marasmus den gesammten Organismus
schädigen.
Wir fanden diese Alterationen im massigen Grade ausgeprägt bei Individuen,
die an Tuberculose, an Garcinom-Gachexie, senilem Marasmus mit Arteriosderose, an
Inanition, an septischen Processen, Infectionskrankheiten etc. zu Grunde gegangen
waren. In einem Fall von Tuberculose, der ohne nervöse Krankheitserscheinungen
verlaufen war, in einer Beobachtung von Septicaemie sowie in einer von Typhus
wurden selbst höhere Grade der Erkrankung erreicht, aber immer doch nur in dem
Maasse, dass zwischen den Haufen atrophischer Fasern noch eine grosse Anzahl ge-
sunder erhalten war.
Die höchsten Grade der Nervendegeneration wurden in diesen
nicht zur Tabes zählenden Fällen nur dort gefunden, wo auch intra
vitam die ausgesprochenen Erscheinungen der „multiplen Neuritis''
vorgelegen hatten, nämlich in einem Falle von Tuberculose mit den
Symptomen der degenerativen Neuritis, in einem andern von schwerem
Alcoholismus mit den Zeichen der multiplen Neuritis.
Wenn wir nun mit diesen Besultaten diejenigen vergleichen, welche durch di®
Untersuchung der Nerven Tabes-Kranker genommen wurden, so ist gleich das eine
— 267 —
hervonuliebeii, dass in der Mehrzahl der Fälle von Tabes doraalis in den
Verzweigungen der Uautneryen so beträchtliche Alterationen aufge-
funden wurden, wie sie sonst gar nicht oder doch in annäherndem
Grade nur in den sich klinisch als Neuritis darstellenden Fällen zur
Beobachtung gelangten.
Dieee Degeneration kann so weit gehen, dass der Querschnitt des Nervenbündels
nur noch ein paar ganz vereinzelt st^ende und schnell zu überzählende markhaltige
Fasern aufweist. (Demonstration.)
Solche Grade der Degeneration constatirten wir in 7 Fällen von Tabes dorsalis
und zvrar in den Verzweigungen des N. saphenus major am Fuss oder Unterschenkel,
in den kleinen Zweigen des Peroneus, welche die Haut der Zehen verseifen, in den
Aesien des Ulnaris, welche zu den Fingern ziehen. Zweimal wurden diese stärksten
Grade der Entartung auch im Vagus und Laryngeus recurrens von Personen gefunden,
die an gastrischen und Larynzstörungen gelitten hatten. Selbstverständlich haben
diese Befunde der höchsten Degeneration einen besonderen Werth, während man in
den Fällen, in welchen sich nur mittlere Grade zeigten, im Zweifel bleibt, ob die
Erkrankung auf Rechnung der Tabes oder eines begleitoAden Leidens zu bringen sei,
da unsere Tabes-Kranken zum Theil an Tuberculose, an Pyämie, an Typhus zu Grunde
gegangen oder in den letzten Lebensmonaten einer erheblichen Macies anheimgefallen
waren.
Untersucht man die grösseren Nervenstämme, die Stämme der gemischten Nerven,
so läset sich auch in diesen häufig noch ein bemerkenswerther Grad von Degeneration
constatiren, die aber immer an Intensität weit zurück bleibt hinter dem Grade der
Erkrankung der entsprechenden Hautnervenäste. Wir hatten in verschiedenen Fällen
Präparate aus dem N. saphenus major am Oberschenkel hergestellt und damit die
aus den peripherischen Verzweigungen gewonnenen Querschnitte verglichen, immer
war die Differenz eine beträchtliche, d. h. der Nerv war in seinen dem Gentralorgan
näher gelegenen Partien weniger stark ergriffen als in den entfernteren. Wir haben
häufig einen erklecklichen Faserschwund in dem Stamme des Peroneus, des Gruralis,
Medianus etc. constatirt, aber nur selten gingen die Veränderungen über das Maass
hinaus, welches gelegentlich auch bei Nicht-Tabischen unter den oben genannten
Bedingpongen aufgefunden wurde, sodass man aus diesen Befunden kaum hätte schliessen
können, dass die Tabes eine Erkrankung ist, welche den peripherischen Nerven-
apparat in Mitleidenschaft zieht
Ist nun die geschilderte Form der Nervendegeneration die einzige, welche bei
Tabes vorkommt oder giebt es Degenerationsformen von anderem histologischem
Charakter? Gar nicht selten sind wir einer Alteration der peripherischen
Nerven begegnet, die sich auf dem Querschnitt so darstellt: Perineurium
stark verdickt, abnorm kernreich. Zwischen Perineurium und den von
ihm umschlossenen Nervenfasern findet sich eine mehr oder weniger
breite Gewebsschicht, welche Gefässe einschliessi Von diesen Ge-
fassen ist kein einziges normal, sie sind grossentheils obliterirt, die
Wandungen sind erheblich verdickt, sclerosiri Sie sind oft so reich-
lich, dass die eigentliche Nervensubstanz wie von einem Kranze von
Gefässen umrahmt ist, die benachbarten Nervenfasern sind atrophirt,
während der übrige Querschnitt weniger stark betroffen ist Manch-
mal durchziehen vom Perineurium aus breite Züge fibrillären Gewebes,
ebenfalls Gefässe führend, die Hervensubstanz. Gewöhnlich ist in diesen
Fällen auch das Epineurium abnorm stark vascularisirt.
Es handelt sich hier also um eine echte interstitielle Neuritis resp.
Perineuritis.
Wir fanden diese Form der Degeneration einigemale bei Tabes-Kranken (Demon-
stration) und zwar zweimal besonders ausgeprägt im N. ulnaris, ein andermal im
— 258 —
Peroneus und Saphenns — aber dieeelben Yer&nderangen boten sich and ancb das
in dem Saphenns major einer an PhthisiSi in dem Peroneus oommnnis einer an De-
lirinm tremens, in dem Peroneus einer an Longengangr&n mit Sepsis verstorbenen
Person, sowie bei zwei Individuen mit ausgesprochener allgemeiner Arteriosclerose.
Wir sind deshalb leider nicht in der Lage zu entscheiden, ob die geschilderten
Anomalien auf Rechnung der Tabes zu bringen sind oder durch complidrwide Er-
krankungen bedingt wurden. Ich komme darauf zurück.
GHehen alle Fälle von Tabes mit Nervendegeneration einher, ist diesdbe auch
schon in Irflheren Stadien zu constatiren?
Von unseren 13 Fällen boten 7 oder 8 eine Degeneration der peri-
pherischen Nerven, die nach ihrer Intensität mit Sicherheit als eine
mit der Tabes in Zusammenhang stehende Veränderung aufzufassen ist
In einem Falle sind aber trotz vorgeschrittener Bfickenmarkserkran-
kung die peripherischen Nerven, welche zur Untersuchung gelangten,
gesund befunden worden.
In zwei anderen Beobachtungen, in welchen die Alterationen fehlen, oder doch
nur gering ausgeprägt waren, handelte es sich um Dementia paralytica mit Hinter-
strang-Erkrankung. — Im Ganzen glauben wir aus unseren Befunden schliessen zu
dürfen, dass die Degeneration peripherischer Nerven zu den gewöhnlichen patholog.
Befunden der Tabes dorsalis gehört.
Die schwersten Läsionen fanden wir in weit vorgeschrittenen Fällen, anderer-
seits wurde eine erhebliche Atrophie des N. saphenns major am Unterschenkel in
einem Falle von Tabes dorsalis aufgefunden, in welchem sowohl die klinischen Er-
scheinungen, wie der Bückenmarksbefund auf ein frühes Stadium der Erkrankung
hinwiesen.
Die Frage, ob die peripherische Nervendegeneration in directer Abhängigkeit stehe
von der Bückenmarkserkrankung, ist schon von Dejerine im verneinenden Sinne be-
antwortet worden. Er führt den Beweis damit, dass er zeigt, wie die in*8 Qanglien
intervertebrale eintretende hintere Wurzel völlig atrophirt ist, während das Ganglion
selbst und die aus ihm kommenden sich mit der vorderen Wurzel zum gemischten
Stamm vereinigenden Fasern so wie dieser gesund befunden wurden. Wir haben in
drei Fällen die Spinalganglien auf dieses Verhalten hin geprüft und zwar erhielten
wir den besten Ueberblick auf Längsschnitten, welche im günstigen Falle gleichzeitig
die beiden Wurzeln des Ganglions und den auftretenden Nerven treffen. Wir fanden
die hintere Wurzel völlig degenerirt, die aus dem Ganglion heraus-
tretenden Fasern, wie die vordere Wurzel nicht wesentlich verändert,
dagegen zeigte das Ganglion selbst in unseren Fällen beim Vergleich
mit normalen Spinalganglien besonders deutlich bei Weigert'scher
Färbung einen entschiedenen Faserschwund und zwar, wie es scheint,
wesentlich in dem den eintretenden Wurzeln zugewandten Pole. (De-
monstration.)
Besteht nun eine Beziehung zwischen der Intensität und Ausdehnung der
Hinterstrangerkrankung einerseits und der peripherischen Nervend^eneraüon anderer-
seits? Diese Frage können wir mit Bestimmtheit verneinend beantworten. Einer-
seits fanden wir trotz vollständiger Atrophie der Hinterstränge im
Lenden- und Brusttheil die sensibeln Nerven der unteren Extremi-
täten intact, andererseits waren in einzelnen Beobachtungen die
Bückenmarks- Veränderungen gering trotz beträchtlicher Nerven-
entartung.
Sobald die Selbstständigkeit dieser peripherischen Nervenerkrankung zugegeben
wird, ist damit die Berechtigung zu der Annahme gegeben, dass diese Degeneration
auch eme klinische Bedeutung hat Es ist dies schon von Dejerine ausgesprochen,
er ist der Ansicht, dass die Sensibilitätsstörungen und damit auch die Ataitie, vor
— 269 —
allem auch das Fbftnomen der yerlangsamten Empfindongsleitosg vieUeicht auf diese
Erkrankung der sensibeln Nerven isnrflckzafQhren sei.
Wir können aos unseren Beobachtungen folgende Beiträge herleiten: In einem
Fiüle von Tabes dorsalis, in welchem trotz der Schwere der flbrigen Krankheits-
erscheinungen die Hautsensibilitat an den U. E. wenig beeinträchtigt war, fanden
sich auch die sensibeln Haatnerven der ü. E. nicht wesentlich verändert, während
die ffinterstrangdegeneration den höchsten Grad erreicht hätte. Entsprechend der
weit stärkeren Anästhesie der Hände, die im Ulnarisgebiet begonnen hatte, traten
nun auch ganz markante Veränderungen im ülnaris hervor; aufOallend bleibt es aber
dabei, dass, obgleich die Anästhesie schon lange aufs Medianusgebiet übergegriffen
hatte, in einem Fingerast dieses Nerven, keine wesentliche Alteration constatirt wurde.
Bei einem andern Pai hatte sich die Erkrankung 11 Jahre vor dem Tode mit
Schmensen, Parästhesien nnd Anästhesie der rechten Obereztremität eingeleitet, die,
wie gewöhnlich, zuerst im Ulnarisgebiet aufbat. Auch kurz vor dem Tode war hier
die Sensibilitätsstönmg, die sich nun auch auf andere Hautgebiete erstreckte, am
stärksten; bei diesem Kranken zeigte sich nun der rechte Ulnaris erheblich erkrankt,
während die Nerven der U. E. nur im geringen Grade betroffen waren. Die Frage
nun, ob sich die Nervendegeneration auf die sensiblen Fasern beschränkt, ist schon
damit abweisend beantwortet, dass entsprechend dem klinischen Befände der Augen-
mnskellähmung bei Tabes von anderen Autoren eine Erkrankung der Augenmuskel-
nerven festgestellt worden ist. Ich habe dasselbe für den Vagus und Laryngeus
recurrens constatirt und entsprechend dieser D^eneration gefunden, dass in einigen
Fällen von Tabes, die mit Stimmbandlähmung einhergingen, die elek-
trische Beaction vom Laryngeus recurrens aus aufgehoben war, wie ich
in einer der letzten Sitzungen der Charit^Qesellschaft ausgeführt habe. Ende 1884
demonstrirte ich in dieser Gesellschaft die Präparate, welche aus dem Vagus einer
Patientin gewonnen waren, die an Larynxstörungen und Aphonie gelitten hatte, es
sind inzwischen auch beide Nn. laryngei recurr. untersucht worden, die Zeichnung
des Querschnitts, die ich Ihnen vorlege (Demonstration), wird Sie überzeugen, dass
der Nerv beträchtlich atrophirt ist Da die Beurtheilnng des N. vagus und seiner
Aeste besondere Schwierigkeiten hat, war es selbstverständlich, dass wir die Prä-
parate mit den Querschnitten normaler Vagi verglichen.
Ich kann heute noch einmal mit Bestimmtheit betonen, dass die-
jenigen Partien in der Oblongata, welche mit dem Vagus in Verbin-
dung stehen, nämlich die Vaguskerne, das Längsbündel, die Vagus-
wurzeln intact befunden wurden, lieber die Beschaffenheit des Längsbündels
l^ann man sich leicht täuschen, wenn es nicht genau quer getroffen wird. Uns stand
ein 80 reiches Vergleichsmaterial zur Verfügung, dass ein entscheidendes Urtheil
gewonnen wurde. — Derselbe Befund — nur war die Vagusdegeneration nicht so
stark ausgeprägt — wurde bei einem Kranken erhoben, der an Crises gastriques
und Anfallen von Dyspnoe gelitten hatte, aber in der letzten Zeit vor dem Tode von
bliesen Slümngen Arei war. Umgekehrt fand sich bei einer anderen Patientin, die
Jahre hing an Larynxcrisen gelitten hatte, der Vagus (es kam nur der eine zur
Untersuchung) unverändert, während hier eine deutliche Atrophie des Ijängsbündels
^d einzelner Vagnswurzeln beobachtet wurde.
Wenn die Theilnahme motorischer Himnerven an den tabischen Krankheits-
Pioceesen als gesichert zu betrachten ist (Augenmuskelnerven, Hypoglossus, Vagus-
Accessorius), so gehört eine Betheili'gung der motorischen Extremitätennerven jeden-
falls zu den Ausnahmen.
Sehr fhippant war deshalb für uns der Befund einer echten interstitiellen Neu-
ritis mit erhebtiohen Gefässveränderungen in der oben geschilderten Weise und zwar
^enen betreffend, in deren Bereich schwere Functionsstörungen bestanden hatten.
Man kann sich kaum vorstellen, wie ein von den bindegewebigen Theilen der Nerven
— 260 —
ansgehende EntzüBdung nur die sensibeln Faaern sch&digen, die motoriflcben aber
verschonen soll — und doch wird man zn dieser Annahme hiagedr&ngt durch die
Thatsache, dass die Kriterien der motonsdien Nervendegeneration, nfimlich die de-
generative Lähmung bei Tabes wenigstens im Bereich der Extremitätennerven fehlen
oder doch nur ungewöhnlich selten vorkommen. Die Lösung dieser Frage bleibt
weiteren Beobachtungen Überlassen.
Betreffs der Bückenmarksveränderungen will ich heute nur das eine hervor-
heben, dass Faserschwund in den Glarke'schen Säulen auch von uns wiederholentUch
beobachtet wurde.
Zum Schluss sei noch darauf hingewiesen» dass uns^^ Untersuchungen ganz
unabhängig sind von den inzwischen publicirten von Pitres und Yaillard's, die
einige Berührungspunkte mit den unserigen haben; wir sind seit mehr als 2 Jahren
mit diesen Untersuchungen beschäftigt und hatten unsere Besultate gewonnen, ehe
die Beobachtungen dieser Autoren zu unserer Kenntniss gelangten.
XI. Wanderversammluxxg . südwestdeutsoher Neurologen und Irrenärste
zu Baden-Baden am 22. und 23. Mai 1886.
Original -Bericht von Dr. Laquer in Frankfurt a. M.
Erste Sitzung den 22. Mai: Nachmittags 27« Ulir Eröffnung durch den
letztjährigen Geschäftsführer Geh. Hofrath Prof. Dr. Bäum 1er (Freiburg). — Auf
Vorschlag desselben übernimmt Prof. Erb (Heidelberg) den Vorsitz^ welcher die
DDr. Laquer (Frankfurt a. M.) und Ho ff manu (Heidelberg) zu Schriftführern beruft.
Anwesend sind 58 Mitglieder.
L Prof. Goltz (Strassburg): Zur Physiologie der GroBshimrinde.
Da die Vertreter der Lehre von den Bindencentren annehmen, dass der schon
einige Zeit nach Zerstörung einzelner Oentren eintretende Ausgleich der durch die
Läsion gesetzten Functionsstörungen dadurch zu Stande komme, dass der Best von
Bindensubstanz die Functionen übernehme, sah sich Goltz genöthigt, um dieser An-
nahme zn begegnen, möglichst grosse Stücke der Binde zu entfernen. Er nahm
nicht blos Stücke der Binde weg, sondern grosse Lappen, nicht blos graue, stmdera
auch weisse Substanz bis auf die Basis.
Bei dem ersten Hunde, dessen rudimentäres Gehirn am Schlüsse des Vortrages
zur Demonstration gelangt, sind durch zwei im Januar resp. im Februar vollführte
Operationen zuerst linkerseits, dann rechterseits die Stimlappen und motorischen
Bindenfelder in ihrer Gesammtheit zerstört worden, rechts auch em erheblicher Theil
der Binde des Hinterhauptlappens, während linkerseits der Hinterhauptslappen voll-
ständig erhalten ist. — Der also operirte Hund hat keine Spur einer Lähmung ge-
zeigt, er konnte sich aller seiner Extremitäten bedienen, die Wirbelseite nach rechts
und links krümmen, sich an den Vorderfüssen emporheben; die Bewegungen waren
aber plump und unbeholfen, der Gang schwankend. — Die Musculatur des Kopfes
und die Eaubewegungen waren vollkommen frei Seine Empfindung war intact Er
konnte knurren und bellen ohne Belkentrum. Aber eine Störung, die bis zu der
2V2 Monate nach den operativen Eingriffen erfolgten Tödtung des Hundes an-
hielt, war sehr bemerkenswerth: das Thier blieb ausser Stande, selbstständig zu
fressen I — Doch kam dies nicht von einer Lähmung der Fresswerkzeuge; wenn die
Nahrung ihm in*s Maul gesteckt wurde, verzehrte er dieselbe, wenn man sie ihm
nahe vorhielt» beachtete er sie gar nicht. Das Thier war tief blödsinnig; es war
nicht möglich, zu ihm in irgend ein persönliches Verhältniss zu treten: er konnte
Personen und Thiere nicht unterscheiden („Seelenblindheit'')» noch beachtete er irgend
— 261 —
indche Gehöre •Eindrficke, reagirte aach nicM auf die Peitsche, ebensowenig auf
Anschreien, doch war er nicht taub. Der Gerach mangelte ihm, der Greschmacksinn war
Torhanden. Damit ist bewiesen, dass trotz grosser Verletzungen im Yorderhim beim
Hunde Bewegong und Empfindung nicht gelähmt zu sein braucht, dass aber durch
diese Eingriffe die Sinneswahmehmungen eine deutliche Einbusse erleiden. — Das
Thier erschi<m fast vollständig blind, obwohl die linke sogenannte Sehsphäre unver-
sehrt und die rechte zum Theil noch vorhanden war. — Auch schien der Hund
taub zu sein trotz erhaltener Höraphäre. — Das -Gegenst&ck zu diesem Thiere bil-
dete der zweite Hund, welcher eine sehr grosse und tiefe Zerstörung beider Hinter-
hanptslappen überstanden hatte. — Obwohl die sogenannte Sehsphäre beiderseits bei
ihm völlig vernichtet war, konnte dieser Hund noch so gut sehen, dass er Bedroh-
ungen mit der Hand mit grösster Sicherheit wahrnahm und nach der Hand biss,
die man ihm entgegenstreckte: es handelte sich um ein sehr wüthendes Individuum
— man erwartete, dass der Charakter desselben nach der Operation sich mildem
würde, was aber nicht geschah. — Diese beiden Fälle lehren, dass unter Umständen
ein Thier nach sehr aui^edehnter und tiefer Zerstörung des Yorderhims blind werden
kann, während andererseits ein Thier mit zerstörten Sehsphären nicht nothwendig
blind werden muss. Der Yortragende legt femer das Gtohim eines Affen vor, der
nach einer sehr grossen Verletzung innerhalb des linken Gentralhims zwar unmittelbar
nach der Operation fast hemiplegisch war, bald aber die vorher gelähmten Glied-
maassen wieder in sehr vollkommener Weise benfitzen lemte. Um durch Uebung
die Herstellung der fehlenden Functionen zu beschleunigen, wurde die linke Hand
des Thieres durch eine Art von Zwangsjacke gefesselt,, sodass es darauf angewiesen
war, sich der paretischen rechten Hand zu bedienen, was ihm auch bald in so voll-
kommener Weise gelang, dass der Affe bald ohne Mühe die einzelnen Beeren einer
Weintraube zu pflücken und zum Munde zu führen vermochte. — Im Anschlüsse an
diesen Fall theilt G. noch mit, dass auch ein Hund nach völliger Zerstörung der
„sogenannten" Gentren der Gliedmaassen in der linken Himhalfte gleichwohl die
Fähigkeit wieder erwerben kann, die rechte Vorderpfote wie eine Hand darzureichen.
Der Vortr. ffihrt aus, dass alle diese Erfahrungen absolut unvereinbar sind mit der
Annahme umschriebener Centren in der Hirnrinde, welche einzelnen Functionen dienen
sollen. Er verwahre sich aber gegen die Verdächtigung, als wenn er ein Gegner
jeder Localisation der Grosshimfunctionen sei. Indem er in dieser Beziehung auf
das verweise, was er in seiner letzten Abhandlung bemerkt habe, hebt er zum Schlüsse
nochmals besonders hervor, dass alle Thiere, welche symmetrische tiefe und ausge-
dehnte Zerstörungen des Yorderhims überstanden, höchst auffällige Störungen bei der
Nahrungsaufhahme und grosse Plumpheit aUer Bewegungen zeigen.
II. Prof. Wiedersheim (Freiburg): Ueber die Urgeschichte der höheren
Sinnesorgane.
W. referirte über Arbeiten von Blaues, Board und Froriep.
Leydig und Franz Eilhard Schnitze hatten die Lehre von den Haut*
sinnes-Organen („Sechster Sinn'') begründet, diese Schleimapparate bei Fischen und
Amphibien gefunden. Redner demonstrirte Zeichnungen dieser Organe. Sie bieten
bei den verschiedensten Thierklassen die mannigfachsten Modificationeu dar, lassen
sich aber alle prinzipiell auf ein Schema zurückführen: Polygonales Netz von
Zellen, in der Tiefe Sinneszellen, welche je mit einem Nerven verbunden sind, femer
Stfltzzellen. Bei Fischen und Molchen sind nun die Biechzellen Eohlenmeilerartig
angeordnet, und diese sowohl wie die Geschmacksknospen zeigen in ihrem Bau,
besonders durch den Wegfall der Deckzellen, eine auffallende Aehnlichkeit mit den
Organen der Seitenlinie der Fische. Auch bei Meerschweinchen und Katzen lehre die
Entwicklung, dass die Gemchszellen eine kolbenartige Gestalt haben. Aus Bedners
— 262 —
Zeichnungen geht denüieh hervor, dass in der Entwicklnngsreihe der Thiere Gemcbs-
und Geschmacksorgane nnd gewöhnlich anch das Gehörorgan zurdckznfOliren seien
auf die Hautsinnesoi^ne. Wie der Yortr. sehr genau an einer Abhildnng der
betreffenden Organe vom Haifischembryo ausfahrt, sind die höheren Sinnesorgane
überhaupt phyletisch nichts anderes, als niedrige subbranchiale Organe, die einem
Functionswechsel unterworfen sind. Die Entwicklungsgeschichte zeigt uns, wie aus
dem noch offenen Neuralrohr beiderseits ein Ner? entspring^: Glossopharjngeos, Tri*
geminus etc., welcher an die Eörperwand gelangend zu einem Ganglion anschwillt
Ein solcher Nerv entspricht je einem Eiemenbogen, ebenso dem Mund, der ja aus
2 Eiemenspalten hervorgeht. Alle die einzelnen Sinnesnerven unterliegen dem gleichen
Schema; ihr Typus ist gegeben in den Organen der Seitenlinie — den Organen des
sechsten Sinnes.
Femer geht W. näher ein auf die Zirbeldrüse, deren Stiel (Götte) zuweilen bis
unter das Schädeldach zu verfolgen ist, wo er in einem Pigmentfleck endigt Die
Yermuthung, dass man in der Glandula pinealis ein rudimentäree Sinnesorgan, viel-
leicht ein nnpaares Auge vor sich habe, erfuhr eine wesentliche Stütze, als es dem
Yortr. gelang, bei Anguis fragilis am SUel der Zirbel ein wirkliches Auge mit
Linse und Sinnesepithel, sowie Pigment zu entdecken, welches zwar nur als Rudiment
anzusehen, aber in das räthselhafte Dunkel, mit welchem die Natur die Zirbeldrüse
umkleidet, mehr Klarheit zu bringen scheint.
III. Prof. Erb (Heidelberg): ITeber Maskelbeftuid bei der juvenflen Form
der Atrophia masoularis progressiva.
Die von E. in seiner bekannten Arbeit im Archiv für klin. Medicin der juvenilen
Form unter den progressiven Muskelatophieen eingeräumte Sonderstellung hat von
Seiten fast aller Autoren Anerkennung erfahren. Nur sind von Einzelnen Einwen-
dungen erhoben worden, sowohl gegen die Bezeichnung , Juvenile Form'^ da die
Krankheit auch oft erst im reiferen Alter einzusetzen scheint als gegen den Namen
„Dystrophia muscularis progressiva'', den E. wegen des gleichzeitigen Bestehens von
hypertrophischen und atrophischen Processen vorgeschlagen hatte. E. hält den letz-
teren Namen für ganz charakteristisch, besonders wegen der histologischen Mnskel-
veränderungen, die ihm wichtig zu sein scheinen und die auch in dem jüngsten
Falle, welchen E. zu beobachten Gelegenheit gehabt, in sehr prägnanter Form an
intra vitam ausgeschnittenen Muskelstückchen nachzuweisen waren: Es handelt sich
um einen 41 jähr. Metzgergesellen Namens Ignafe Wolf aus Böhmen, der bis zu seinem
34. jähre immer gesund gewesen ist. Erst nachdem er in diesem Alter durch Fall in
einen Steinbruch eine schwerere Verletzung erlitten, sollen sich allmählich zuneh-
mende Schwäche der Schulter- und Armmuskulatur und jene wunderbaren Diffor-
mitäten in den einzelnen Muskeln eingestellt haben, welche vorgelegte Photographien
auf das deutlichste veranschaulichen. Atrophisch waren bei dem Kranken die beiden
Pectorales, die Clavicnlarportion der GucuUares, die Bhomboidei; weniger atrophirt
die Brachiales intemi, der Biceps, der Quadriceps des L. Beines und die GlutaeL
Hypertrophisch und zwar in ganz colossaler Weise die Deltoidei, der Triceps und
verschiedene Muskeln der Schulter. Die Vorderarmmuskeln und die kleinen Hand-
muskeln zeigten völlig normales Verhalten. Fibrilläre Zuckungen wurden nicht
beobachtet, G^ichts-, Kau- und Zungenmuskeln erschienen unbetheiligt Die elec-
trische und mechanische Erregbarkeit war nur entsprechend dem verminderten Muskel-
volumen herabgesetzt, aber ohne jede Spur von Entartungsreaction. So bot
der Kranke vollkommen das Bild einer Dystrophia muscularis progressiva.
Aus diesem Grunde wurden dem Kranken Muskelstückchen von einer Stelle am
innem Rande des Oberarms aus exstirpirt, an welcher man den hypertrophischen
Deltoidous und den theilweise schon atrophirten Biceps gleichzeitig erreichen konnte.
— 263 —
Quersclmitte der Muskelfasern des Deltoideos zeigten bei Doppelfärbung mit Eosin
und Hämatoxylin eine ganz enorme Verbreiterung (100 — 170 Micra), femer eigen-
thümlicbe Abspaltung resp. Theilungsvorgänge, sowie Vainolenbildung, theils mit
theils ohne gleichzeitige Gerinnung. Femer waren die Muskelkerae deutlich ver-
mehrt, das Bindegewebe gewuchert, die Ge^se verdickt. Dagegen boten die
histologischen Yerandemngen der aus dem Biceps herausgenommenen Farthien ver-
schiedene Grade des Leidens dar: auf der einen Seite hypertrophische Frocesse, wie
im Deltoideus, andrerseits atrophische, nirgends aber Lipomatose. Hier stellt sich E.
m sehr entschiedenen Gegensatz zu Frof. Penzoldt, der in der Münchner med. Wochen-
schrift den Fat. schon beachheb, aber nach der Ansicht £rb*s in nicht correcter
Weise; auch sei F.*s Auffassung, als handle es sich bei Wolf um eine Uebergangs-
form von Dystrophie zu Fseudo^Uypertrophie eine irrige. Der Fat wandelt als
sehenswarthe klinische Erscheinung durch Deutschland. Kurz nach seiner Entlassung
aus dem Heidelberger Krankenhause ist er auch in der Armen-Klinik zu
Frankfurt a/M. aufgetaucht, wo Dr. Laquer ihn ebenfalls längere Zeit zu be-
obachten Gelegenheit hatte, und sich der diagnostischen Auffassung Frof. Erb's
vollständig anschloss. Aus dem Muskelbefunde ergiebt sich, dass bei der Dystrophie
in den hypertrophischen Muskeln auch wirklich eine echte Hyperlarophie der Muskel-
Substanz mikroskopisch nachzuweisen sei, dass die atrophischen Fasern dagegen
zurücktreten. Erb hält an der Anschauung fest, dass bei diesem £[rankheitsprocesse
die Muskelveränderungen das Wichtigste und wohl auch das Frimäre sind.
(Genauere Fublication des Falles soll bald erfolgen.)
Im Anschluss an den Vortrag Prof. Erb*s macht
ly. Dr. Laquer (Frankfurt a. M.): Mittheilung über einen Fall von wahrer
allgemeiner Mtuikel-Hypertrophie.
Es handelt sich bei dem 31jährigen August Faul (alias Maul), welcher eben-
falls zu Demonstrationszwecken herumreist^ um eine schon von Jugend auf bestehende
ganz colossale Entwickelung der Fectorales, der Deltoidei, des Triceps beiderseits, der
Serratiy femer der Hals- und Bückenmusculatur, wie aus 4 vorliegenden Fhoto-
graphien ersichtlich ist Die sich contrahirenden Muskeln sind überall bretthart
anzuflUilen, gleichmässig hypertrophirt, nirgends ist eine Spur von schlaffen, etwa
liponmtösem resp. pseudohypertrophischem Muskelgewebe durch die Falpation zu ent-
decken. An den unteren Extremitäten, an den Händen und Vorderarmen zeigt die
Musculatur wohl auch einen athletischen Bau, aber nichts von den excessiven Circum-
ferenzen, wie sie Rumpf und obere Extremitäten darbieten; Gesichts- und Zungen-
muskeln weichen von der Norm nicht ab. — Die Kraft der hypertrophischen Muskeln
entspricht nicht ganz dem enormen Volumen derselben, auch ermüdet der Kranke
leicht bei stärkerem und längerem Gebrauche seiner musculösen Glieder. — Die
elektrischen Reactionen zeigen nicht die mindeste Abnormität, fibrilläre Zuckungen
worden nicht beobachtet. Dieser „Muskel-Mensch'' ist sonst überhaupt ganz gesund,
^ myotonischen Erscheinungen der Thomsen*schen Krankheit fehlen ihm: Keiner
der hypertrophischen Muskeln zeigt eine wider den Willen des Individuums fort-
dauernde Contraction. — Ebenso ermangelt er, wie Frof. Erb, welcher den Mann
ebenfalls gesehen, bemerkt, jeder Andeutung der von E. in seinem jüngst erschienenen
Buche: ,,Die Thomsen'sche Krankheit (Myotonia congenita)" als für die letztere
charakteristisch beschriebenen myotonischen Reaction.
(Schluss des Berichtes im nächsten Hefi)
— 264 —
Society de Biologie de Paris. SitzuDg vom 8. Mai 1886.
Galippe erklärt, dass das Ausfallen der Zähne, das man der Tabes zuschreibt^
ein pathologischer Irrthum sei. Er hat in der Pulpa dieser Zähne MifaxH
Organismen gefunden, welche denen vollständig gleichen, die Malassez bei der
Periostitis alveolaris gefunden hat Der Zahn fallt nur aus, wenn er selbst krank
ist; und die Tabes hat noch keinen einzigen ausfallen lassen. M.
IV. Mittheilung an den Herausgeber.
In Bezug auf das Referat des NeuroL GentralbL (Nr. 10 Referat 17) über die
ezspectatiye Behandlung des Delir. tremens darf ich wohl in Erinnerung bringen, dass
ich auf der Versammlung der deutschen Aerzte und Naturforscher zu Hannover (1864)
einen Vortrag genau in gleichem Sinne gehalten habe. Nur konnte ich mich auf
ein ungleich grösseres Material (des allgemeinen Hamburger Krankenhauses) beziehen.
Der Vortrag ist etwas erweitert in der Berliner klinischen Wochenschrift später
(März 1865) veröffentUcht.
Ich bemerke noch, dass mir Herr Christian, dem ich einen Abdruck meiner
Arbeit sandte, in liebenswürdigster Weise die Uebereinstimmung unserer Ansichten
constatirte.
Göttingen, 26. Mai 1886. Professor Ludwig Meyer.
V. Personalien.
Dr. Guder, bisher I. Assistent der psychiatrischen Klinik in Jena» wurde zum
n. Arzt der Provinzial-Irren-Anstalt bei Ueckermünde ernannt
VL Vermisohtes.
Einer sehr lesenswerthen Skizze über die Fortschritte des IrrcDwesenB in Italien (von
G. B. Verga im Archiv, ital. per le mal. nervös. 1885. XXII. p. 486) mag als Vorbild für
deutsche Verhältnisse die im Jahresbericht der Mailänder Irrenanstalt f&r 1884 aufgef&hrte
Thatsache entnommen werden, dass der dortige Fonds zur Unterstfttzimg armer enUaasener
Irrer, der erst seit wenigen Jahren besteht, auf 177696 Free, gestiegen ist und dass hiersa
noch ein ganz neuerdings zugewiesenes Legat von 20000 Frcs. hinzuzurechnen ist.
Sommer.
Mit Bücksicht auf die Anpreisungen des Cocains gegen Seekrankheit erlaube ich mir
die kurze Mittheilung, dass ich auf einer Reise mit dem Dampfer von Stettin nach Libaa
(Kurland) im Herbst vorigen Jahres das Cocainum muriatioum Merck ftjut ohne gfuistige
Erfolge gebraucht habe. Als durch das Stunpfen der Maschine sich bei mir Hinterhaupte-
kopfschmerz einstellte, nahm ich etliche Milligramme in etwa 50 ccm Wasser. Sie wirkten
gar nicht» da nach 20 Minuten die Nausea doch zum Ausbruch kam. Etwa 2 "Standen
später 1 Decigiamm in etwa 200 com Wasser erhöhte nur die Beschwerden. In der Nacht
durfte ich mich gar nicht aufrichten, ohne sofort Herzklopfen und Brechreiz zu haben. Am
nächsten Morgen nahm ich mehrmals etwa 2 Gentigramme ohne Erfolg. Ob die heftigCD
Kopfschmerzen vom Cocain vermehrt wurden, kann ich nicht behaupten. Mittags kurz vor
dem Essen nahm ich etwa 1 Decigramm in Vs % Lösung. Es erzeugte sehr unangenehme
Schlingbeschwerden und erhöhte den Brechreiz, sodass ich erst nach 1 Stande im Stande
war, etwas zu geniessen und bei Beobachtung der horizontalen Lage bei mir zu behalten.
Die Nausea schwand, sobald wir auf der ruhigen Bhede von Libau ankamen, dodi dauerten
die HinterkopfBchmerzen noch Qber 86 Stunden fort Ueber Athmung und Pols an mir
selbst Beobachtungen zu machen, war ich unfähig. Blomberg (Ueckermünde).
Verlag von Vsit & Comp, in Leipzig. — Druck von Mbtzobb & Wittiq in Leipzig.
teüROLOGISCHESCENTRALBLAn.
Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie
und Therapie des Nervensystemes einschliesslich der Geisteskrankheiten.
Herausgegeben yon
Professor Dr. E. Mendel
Ffinftor " ^^^^ Jakrgang.
Monatlich erscheinen zwei Nnmmem. Preis des Jahrganges 16 Mark. Zn beziehen durch
alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Beichs, sowie
direct von der Verlagsbuchhandlung.
1886. 15. Jnni. m 12.
Inhalt. I. Originalmittheilung. üeber eine familiäre, durch 6 Generationen yerfolgbare
Form congenitaler Paramyotonie, von Prof. A. Eulenburg.
II. Referate. Anatomie. 1. The comparative Auatomy of the Pyramidal Tract, by
Spiizfca. --;- Pathologie des Nervensystems. 2. A contribution to IJie pathology of
hemianopsia of central origin, by Segoin. 3. An unusual case of hemianopia, by Anderson.
4. Des mouvements involontaires, provoqu^ dans les membres paralys($s des h^ipl^giques
par les mouvements volontaires des muscles non paralys^, par Camus. 5. üeber die post-
hemiplegisohen Bewegungsstörungeu, von Greidenberg. 6. Drei Fälle von Brown-S^quard'scher
Lähmung mit Bemerkungen über das Verhalten der Sehnenrefleze etc. bei derselben, von
Hoff mann. 7. Paialysis of tongue, palate and vocal cord, by Jackson. 8. lieber das ünter-
kieferphänomen, von Rybalkln. 9. Des paralysies radiculaires, par Pr^vost. 10. Sanitäts-
Bericht über die deutschen Heere im Kriege gegen Frankreich 1870/71. VII. Band: Erkran-
kangen des Nervensystems. (Fortsetzung.) — Psychiatrie. 11. Des perversions chez les
persecut^, par Cullldre. 12. Alcoolisme pris pour une paralysie g^n^iale, par Garnler.
13. Snr la tension des muscles comme substratum de l'attention, par Slkorsky. 14. Beport
of a case of insanity foUowing Gunshot lujury to the Head; Cerebral cyst; aspiration. Be-
eovery, by Macdonald. 15. Ueber Agoraphobie, von Rosenbaum. — Therapie. 16. Üeber
das Acetophenon, von SdiBlor. Ueber dasselbe von Mairet und Combomale. 17. Epilepsie ä
aura periph^rique gu^rie apr^s l'application de vesicatoires au dessus du point de d^part de
l'aura, par Dfgnat. — Anstaltswesen. 18. Thirty-fourth report of the Inspectors of Irish
lunatic asylums.
lil. Aus den Gesellschaften. XI. Wanderversammlung südwestdeutscher Neurologen und
Irrenärzte zu Baden-Baden: Ueber spinale Erkrankunspen bei progressiver Paralvse, von
FOrttnor. Ueber Ursprungsverhältnisse des Acustions und die „directe sensorische Eieinhirn-
bahn", von Edinoer. Ueber einen Fall von Polyneuritis, von Thomas. — Gesellschaft für
Psychiatrie und Nervenkrankheiten zu Berlin: Ueber einen FaU von isolirter Lähmung des
Bhckes nach oben mit Sectionsbefund, von Thomson. Gesetze der Widerstandsveränderungen
der menschlichen Haut durch den oonstanten Strom, von Martius.
I. Originalmittheilungeii.
Ueber eine familiäre, durcli 6 Generationen verfolgbare
Form congenitaler Paramyotonie.
Von Prof. A. Eulenbtizg« Berlin.
In der an der Oatseekfiste einheimischen and weitverzweigten Familie G.
besteht bei zahlreichen Mitgliedern eine eigenihämlichey ererbte und angeborene
Form musculärer Idiosynkrasie. Dieselbe, der sogenannten Thomsen'schen
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— 266 —
Krankheit einigermaassen verwandt, aber doch
durch wesentlidie Zage von ihr geschieden, wird
in der Familie selbst als ,,Klammheit'' — die
davon beMenen Individuen werden als ,,ldamm^
bezeichnet. Die Anomalie lässt sich — nach
Ausweis des von einem ärztlichen Familienmit-
gliede mit grosser Genauigkeit geführten Stamm-
baums — gegenwärtig bis auf 6 Generationen,
und zwar bis zu ihrem ersten Auftauchen in der
Familie zurück verfolgen. Sie ist nämUch nicht
üi der Familie selbst ursprünglich zu Hause,
sondern in dieselbe durch Heirath, und zwar
mit einer eingewanderten, in Born von
einer Bömerin geborenen Frau (D. 0.)
hineingetragen. Ihre Ausbreitung innerhalb der
nachfolgenden 5 Generationen ergiebt das beige-
zeichnete Schema.
Ein Ueberspringen fand demzufolge niemals
statt Die Vererbung erfolgte stets direct, bald
von väterlicher, bald von mütterlicher Seite, auf
Söhne und Töchter. Wie es scheint, ist die Ano-
malie jetzt innerhalb der Familie im Verschwin-
den begriffen. Auch in der B.'schen Familie,
aus welcher die Anomalie ursprünglich in die
C.'sche übertragen wurde, ist zur Zeit Niemand
mehr mit der „Elammheif ' behaftet
Die von mir vorläufig als Paramyotonia
congenita bezeichnete Anomalie äussert sich,
wie schon erwähnt, nicht bei allen FamiUenmit-
gliedem, sondern nur bei einem nicht gering-
fügigen Theile derselben. Sie wird von kun-
digen Familienmüttem sofort beim Neugeborenen
diagnosticirt; d. h. schon bei diesem weiss man
auf Grund seiner Bewegungen, des langen Ge-
schlossenbleibens der Augen beim Waschen mit
kaltem Wasser etc., dass er zu den „klammen'^
gehören werde. Die Anomalie erstreckt sich auf
das gesammte willkürliche Muskelsystem, tritt
aber nicht an allen Eörperregionen in völlig
übereinstinunender Weise hervor. Vielmehr sind
an der Musculatur einzelner Eörperabschnitte die
Erscheinungen des „Erampfes'S der Bigidität
— in anderen dag^n nach vorangegangenem,
meist kurzem Krämpfe die Erscheinungen der
— 267 —
y^ahmung^', der Bewegangshemmung durchaus überwiegend. Im Allge-
memen lasst sich, den einzelnen Eörperregionen und Muskelgruppen entsprechend,
folgendes Verhalten beobachten.
In den Gesichts- und Halsmuskeln giebt sich die Anomalie fast ausschliess-
hch als tonischer Krampf zu erkennen. Augen- und Mund-Sphincter ziehen sich
mit grosser Energie zusammen, so doss bei anhaltender Erregungsursache das
Sehen äusserst erschwert, die Sprache undeutlich wird. Nach dem Lachen bleibt
der Mond leicht stehen. Auch die Schlingmuskeln werden von schmerzhaftem,
aber schnell Tornbergehendem tonischem Ejampfe befallen.
An den oberen Extremitäten, namentlich an den Händen, ist der eigent-
Uche Eramp&ustand meist nur ein rasch vorübergehender, momentaner — die
darauffolgende „Lähmung" aber Stunden und selbst halbe Tage hindurch an-
haltend. Die Störung der willkürlichen Innervation erreicht zeitweise eioen so
hohen Grad, dass der Gebrauch von Messer und Gabel, das Oefhen eines
Schlosses, Knöpfen, Schreiben und die verschiedensten Hantirungen dadurch
wesentlich erschwert, ja völlig unmöglich gemacht werden können. Niemals
handelt es sich aber selbst in den zumeist befallenen Muskeln der Hand
und der Finger um eigentliche und persistirende Lähmung. — In ganz ana-
loger Weise verhalten sich auch die unteren Extremitäten. Die Bewegungs-
schwäche überwi^, und wird bald nur durch ein unbehaghches GefOhl von
Steifheit, bald auch durch sichtbare rhythmische Osoillationen, besonders der
Oberschenkelmusculatur , eingeleitet Die Locomotionsstörung kann eiue sehr
bedeutende werden und äch beim höchsten Grade der „Klanmiheit" bis zum
Umfallen steigern, wobei sich die Kranken ohne fremde Hülfe öfters nicht zu
erheben vermögen.
Am schnellsten geht immer die Klammheit des Gesichtes vorüber, am lang-
samsten die der Finger (vgl. unten). Sind die Beine affidrt gewesen, so bleibt
auch nach wiederhergestellter Leistungsfähigkeit eine Abgeschlagenheit, ein
Schwächegefuhl nicht selten 12 bis 24 Stunden zurück.
Die „Klammheit" der Gesichtsmuskeln, wird, besonders nach einem Aufent-
halt im nicht genügend erwärmten Zimmer, durch nasskalte Witterung, Sprfih-
r^n mit Wind u. dgL in intensivster Weise hervorgerufen. Die Befiallenen
haben dann Mühe, ihren Weg zu finden, selbst dem Begleiter sich verständlich
zu machen — doch verliert sich der Zustand im erwärmten Zinmier schon
nach wenigen Minuten. Ein von mir untersuchter Patient schützte- sich theil-
weise durch Vorhalten eines Tuches vor das Gesicht, auf der Strasse. — Die
Kälte ruft auch in den Händen, zumal wenn diese nicht anhaltend in Thätig-
keit sind, den Zustand am leichtesten hervor; aber nicht eben grössere Kälte,
sondern es genügt dazu beispielsweise schon die Berührung einer polirten Holz-
tafel (beim Schreiben) in einer Temperatur von 10 oder 11^ B.; umgekehrt
verliert sich der lähmungsartige Zustand der Hände nach einer reichlichen
Mahlzeit, nach Au&ahme grösserer Mengen warmen Getränkes (s. u.), auch nach
dem Eintauchen der Hände in sehr heisses Wasser. Uebrigens können die
Hände selbst sich vollkommen warm anfühlen und dennoch fortdauernd „klamm*.
— 288 —
sein. Die analoge Störung in den unteren Extremität^ tritt bei niedxiger
Temperatur besonders im Sitzen ein, wenn Beine und Unterleib nicht genogend
bedeckt sind; unter ähnlichen Verhältnissen auch in der Bettlage. Waones
Getränk, bei der Betüage häufiges IJmherwälzen, Beiben des Unterleibes, wanne
Umschläge auf letzteren können auch hier den Zustand beseitigen. Elektzicität
ist dagegen, auch als Palliativ, ganz ohne Einfluss.
Bemerkenswerth ist noch, dass zuweilen nicht beide Eörperhälften ganz
gleichmässig afficirt zu sein scheinen. Bei einem jetzt 4jährigen Knaben wird
z. B. die linke Oesichtshälfte leichter „klamm" als die rechte. Uebrigens findet
eine Minderung des Zustandes mit vorrückenden Jahren im Allgemeinen nicht
statt; doch lernen die Betroffenen dem Eintreten der „Klammheit** durch die
erwähnten Prophylactica rechtzeitig vorzubeugen. Dass sie durch die Idiosyn-
krasie von manchen Berufsarten so gut wie ausgeschlossen sind, der Botrieb
anderer ihnen wenigstens in hohem Maasse erschwert wird, bedarf wohl kaum
einer besonderen Erwähnung.
Die vorstehend gezeichneten allgemeinen Züge des Krankheitsbildes sind
theils eigener Beobaditung, theils der mir gütigst übermittelten detaillirten
Schilderung eines ärztUohen Familiengliedes entnommen. Zur Vervollständigang
desselben nach einzelnen Sichtungen diene der Befund, welchen ich bei einem
von mir sehr häufig und eingehend untersuchten älteren Famihenmitgliede, dem
jetzt 59jährigen J. G. aufgenommen habe. (Derselbe gehört der 4. Generation
an; seine 3 Schwestern hatten das nämliche Leiden; von seinen 3 Kindern
hatte es das älteste, im Alter von 11 Jahren an Petechialtyphus verstorbene,
während die beiden jüngeren verschont sind.) — Herr C, Beamter bei einer
Versicherungsgesellschaft, und als solcher oft nahezu 16 Stunden täglich mit
Bureauarbeiten, d. L vorzugsweise mit Schreiben beschäftigt, hat das Leiden
seit frühester Kindheit Er erfreut sich im TJebrigen einer völlig ungetrübten
Gesundheit, ist mittelgross, neigt zur Corpulenz, hat eine kräftige, aber keines-
wegs übermässig entwickelte Musculatur an allen Theilen des Körpers. Er zeigt
die oben beschriebenen Erscheinungen an Gesicht, an Händen und Füssen,
namentlich nach Kälteeinwirkung, in ganz typischer Weise. Als Herr G.
mich zum ersten Male besuchte, war es gerade an einem ziemlich kalten Winter-
tage, und die „Klammheit" — wie auch er den Zustand bezeichnete — in Folge
dessen sehr deutlich ausgesprochen. — Am hochgradigsten zeigte sich dieselbe
an den Händen, welche demgemäss eine ganz eigenthümliche Deformation
darboten. Die 3 Mittelfinger standen, in den ersten Phalangen gestreckt, in
den letzten leicht gebeugt, dicht auf einander gepresst und fast vollkommen
unbeweglich, während Daumen und kleiner Finger ziemlich stark abduoirt waren.
Auch nach fast zweistündigem Aufenthalt im geheizten Zinmier und nachdem
die Hände ganz warm geworden waren, hatten sich die Deformation und die
Unbew^lichkeit kaum etwas vermindert; die mittleren Finger konnten nicht
auseinander gebracht, Daumen und kleiner Finger nur schwierig opponirt und
flectirt werden. Beim Aufheben der Finger erfolgte leicht etwas Zittern. Die
- 269 —
Erschainuiigeii waren so, dass man an eine TAhmupg der kleinen Handmnflkdn,
zuumentUch der Inteiosseiy der Mosculator des Daumen- und des Eleinfinger-
ballens m denken geneigt war. Bei seinem nächsten Besuche hatte Herr C^
um mir die Hände in anderem Zustande präsentiren zu können, das Opfer ge-
bracht, vier Glas Orogk zu sich zu nehmen; und nun war in der That von der
neulichen Deformation und Immobilität keine Spur nachzuweisen — die Fioger
Terhielten sieh in jeder Beziehung vollständig normal Die Djmamometeiprüfung
ergab das erste Mal an beiden Händen 38 — 40 E., das zweite Mal 54—57.
Auch, der elektrische Befund war beide Male ein verschiedener (vgl. u.). Wie
an den obeien, so verhielt sich die Sache auch an den unteren Extremitäten.
Das eiste Mal nahezu Umfallen beim Auftreten, grosse Steifigkeit beim Sitzen;
Einkrämmen und Ausstrecken der Kniee imd Abstossen des Fusses waren beson-
ders erschwert; das oben erwähnte oscillatorisdie Zittern zeigte sich wiederholt bei
Bew^^uigsveisuGhen, ausser in der Obeischenkelmusculatur (Yastus ext und int)
namentlich auch. in den Gastrocnemii. Das zweite Mal war von alledem nichts
wahrzunehmen. Sensibilität, Haut- und Sehnenreflexe waren übrigens völlig
normal; kein Fussdonus, keine paradoxe Zuckung, das Kniephänomen auch zur
Zeit der „Kl^munheit^^ in keiner Weise verändert.
Die Prüfung der mechanischen Nerven- und Muskelreizbarkeit
häufig und an den versohiedensten Regionen vorgenommen, ergab weder beim
Bestehen der „Elammheit^' noch bei Abwesenheit derselben irgend welche er-
wähnenswerthen Anomalien. Insbesondere fehlte ganz und gar die für
Thomsen'sche Krankheit in so hohem Grade charakteristische Er-
höhung der mechanischen Muskelerregbarkeit, die Bildung idio-
musculärer Wülste, die Nachdauer — wie sie von Erb (NeuroL Ctrlbl.
1885. Nr. 13), von mir und Mblchebt (Berliner klin. Wochenschr. 1885. Nr. 88)
und neuerdings von Fischeb (NeuroL Ctrlbl. 1886. Nr. 4) so exquisit beobachtet
wurde. Von alledem war niemals auch nur eine Andeutung vorhanden. —
Etwas complicirter waren die Ergebnisse der elektrischen Exploration. (Zur
Ausführung derselben diente als diflerente Elektrode stets die sog. EBs'sche
Normalelektrode, kreisrund, von 10 qcm Inhalt; vgl. Neuro!. Ctrlbl. 1886.
Nr. 1). Ich will gleich das Resultat von sämmtlichen Einzelversuchen dahin
zusammenfassen, dass im Allgemeinen die elektrische (faradische und
galvanische) Nervenreizbarkeit normal oder höchstens vielleicht in ganz
geringem Orade unter der durcSischnittliohen Norm war; dass dagegen die
faradische Muskelreizbarkeit überhaupt etwas herabgesetzt erschien
und zwar in weit höherem Grade zur Zeit der „Elammheit'^ als
ausserhalb derselben. Diese letztere BiSetem durfte nicht etwa auf Er-
höhung des Leitungswiderstandes bei der Klammheit bezogen werden, da 1) bei
gleich^itigen Prüfungen der Nervenreizbatkeit sich eine entsprechende Differenz
nicht herausstellte; 2) directe galvanometrische Messungen des Leitungswider-
standes, an gleicher Stelle mit den üblichen Cautelen ausgeführt, irgend welche
Anhaltspunkte dafür nicht darboten. Was endlich die galvanische Moskel-
reizbarkeit betrifft, so war diese namentlich an den Extremitätenmuskeln
— 270 —
Meist devtlieh kerabgesetst; dabei zeigte sieh aber yielfkeh ^ne hSekst
avIRUlige fiemeigtheit siim Eintretem yon Davennekiuigeii (SeUiessuHgs-
tetaHvs), sowohl am der Kathode, wie aveh ganz besonders an der Anode.
Die Zuckungen hielten, namentlich an kleineren Mnskeln (Inter-
ossei), schon bei Strömen, welche kanm den Schwellenwerth über-
schritten, häufig während des ganzen Geschlossenseins der Kette,
eine Minnte nnd darüber, mit fast nnyerminderter Energie an.
Oeffnnngszncknngen konnten fast niemals ausgelöst werden; selbst
mit den stärksten Strömen nicht, und gerade mit diesen am allerwenigsten —
offenbar weil die während der ganzen vorherigen Stromdauer anhaltende teta-
msche Muskelcontraction nnd der Nachlass derselben im Momente der Ketten-
öflbnng das Sichtbarwerden einer activen Oeffiiongsreaction erschwerte oder ver-
hinderte. Niemals zeigte sich eine Spar der bei Thomsen'scher
Krankheit von Ebb, tob mir nnd Melchert, von Fisgheb beobach-
teten „Kachdaner^' der faradischen und galvanischen Muskelzuckung;
noch weniger der von Ebb beschriebenen, wellenförmig über die
Muskeln hinlaufenden Contractionen. Letztere fehlten selbst bei An-
wendung der stärksten (20 M.-A. und darüber betragenden) Ströme.
Als Beispiele mögen die folgenden Emzelbefonde hier Platz finden. (Bollen-
abst&nde in Millimetern — galvanische Stromstarke in Milliamperes bestimmt.)
M interosseus ext I.
(Während der „Elammheit", am 8. März 1886.)
Rechts. Links.
40—50 (unsicher) Far. E. 40
8—9 KaSZ 9
11 ASZ 11
10—11 KaDZ 11—12
11—12 ADZ 11—12
— AOZ —
M. interosseus ext. L
(Bei Nichtbestehen der ,,Elammheit", am 12. März 1886.)
Rechts. Links.
80
Far. E.
85
5
KSZ
4
5
ASZ
4
6—6,2
KBZ
4—5
6—6,5
ADZ
4—5
—
AOZ
^
. exten
sor di|
S. com
Rechts.
Links.
90
Far.E.
95
4,8
KSZ
4,4
7,8
ASZ
8
6
KDZ
5,2
8,4
ADZ
8—9
AOZ
— 271 —
M. rectns femoris.
Bechts.
Links.
70 Far. E.
68
6 7 KSZ
8,4
8 ASZ
10
8 EDZ
10
9—10 ADZ
12
AOZ
—
M. gastrocnemius.
Bechts.
Links.
64 Far. E.
68
8 £SZ
7—8
11 12 ASZ
10
9—10 KDZ
9—10
12 13 ADZ
12
— AOZ —
Es scheint mir unnöthig, die Zahl der Beispiele noch zu vermehren^ sowie
auch die — durchschnittlich normalen — Schwellenwerthe bei Prüfung der
faradischen und galvanischen Nervenreizbarkeit (ESZ=0,5— 2,2) speciell anzu-
führen. Die Zuckung war bei galvanischer Nervenreizung stets kurz und blitz-
artig; KDZ und ADZ erschienen erst verhaltnissmässig spät, dagegen wurde
AOZ häufig in der gewöhnlichen Weise, bald vor, bald hinter ASZ, beobachtet
Dass die bei der Familie G. beobachtete Anomalie von dem Bilde der sog.
Thomsen'schen Krankheit symptomatisch in wesentlichen Zügen abweicht, Hegt
wohl auf der Hand. Es fehlt besonders die für Thomsen'sche Krankheit charak-
teristische Erscheinung, dass die krampfhafte Muskelstarre auf spontane moto-
rische Erregungen im Moment des activen Bewegungsimpulses sich einstellt, und
dann füt gleichartig fortdauernde Erregungen allmählich verschwindet Dagegen
wird die als „Klammheit" bezeichnete krampfhafte Starre hier &st aussohliess-
hch unter dem Einflüsse der Kälte hervorgerufen; sie verschwindet in einzelnen
Muskelgebieten rascher, in anderen langsamer, um entweder dem nonnalen Zu-
stande, oder einer längere Zeit anhaltenden lähmungsartigen TJnbewegliohkeit
Platz zu machen. Auf die erheblichen Verschiedenheiten des mechanischen und
elektrischen Explorationsbefundes ist schon oben aufinerksam gemacht worden.
Beiden Affectionen gemeinsam ist die fiamiliäre Ausbreitung, die hereditäre und
oongenitale Art des Auftretens — alles dies bei der hier geschilderten Anomalie
in höchster Prägnanz entwickelt; gemeinsam sind femer manche symptomatische
Einzelheiten, die begünstigende Wirkung der Kälte, der ermässigende oder
sistirende Einfluss von Wärme, Mahlzeiten, warmem Oetsränk u. dgL; insbeson-
dere auch ein wesentlicher Theil des elektrischen Befundes — die in hohem
Maasse verstärkte Neigung zu Dauerzuckungen bei directer galvanischer Beizung.
Die auch bei der Thomsen'schen Ejrankheit aufgeworfene und seit längerer
Zeit discutirte Frage, ob es sich um eine primär neuropathische oder
myopathische Affection handle, ist natürlich für die in Bede stehende Anomalie
— 272 —
noch weniger mit Sicherheit zu beantworten. Vielleicht ist streng genommen
weder das Eine noch das Andere der Fall. Darf ich, mit allem Yorbehalty eine
Hypothese über die Natur der geschilderten Affection aussprechen, so möchte
ich annehmen, dass der eigenthämlichen Starre eine durch gewisse occasio-
nelle Beize, namentlich durch Kälte, vielleicht reflectorisoh hervor-
gerufene temporäre, spastische Yerengerung der Muskelgefässe zu
Grunde liege. Bekannt ist ja, dass Unterbindung der Muskelarterien bei Warm-
blütern Starre, nach anfangs gesteigerter, dann verminderter Erregbarkeit, hervor-
rufen kann; ebenso auch Verstopfung der Muskelgefässe durch Gerinnung. Erst
neuerdings ist von Yousulann und Leseb ^ auf die durch Circulationsbehinderung
entstehenden (ischämischen) Lähmungen und Contracturen, besonders an Hand
und Fingern, aufmerksam gemacht worden. — Es liesse sich annehmen, dass
die reflectorische Verengerung der Muskelgefässe durch die mit ihr verbundene
Circulationsunterbrechung eine Ernährungsstörung im Muskel zur Folge habe,
durch welche die herabgesetzte Erregbarkeit, die krampfhafte Starre und mehr
oder weniger lange anhaltende XJnbeweglichkeit des Muskels ihre Erklärung finde.
Bei sehr häufiger Wiederkehr des Zustandes könnten sich selbstverständlich auch
Veränderungen bleibender Art im Muskelprotoplasma entwickeln, auf welchen
vielleicht die auch ausserhalb der „Elammheit'^ herabgesetzte Reizbarkeit, die
Neigung zu Dauerzuckungen etc. beruht — welche aber dennoch nicht als Ur-
sache, sondern vielmehr als Wirkung der eigenthümlichen Functionsanomalie des
Muskels au&ufassen wären. Wir würden es demnach in erster Reihe nüt einer
Art von vasomotorischer Reflexneurose, mit einer spastischen Angioneurose
des willkürlichen Muskelapparates zu thun haben, welche auf eine in
hereditärer congenitaler Anlage beiuhende Labüität ausgedehnter Abschnitte
des vasomotorisdien Systems zurückzufahren sein wurde.
In spedell ätiol<^cher Hinsicht möchte ich sdüiesslich noch auf das von
Bebmhabdt (Gtrlbl. f. Nervenheilk. etc. 1885. Nr. 6) bei Thomsen'scher Krankheit
«üs wichtig erkannte Moment blutsverwandter Ehen Bezng nehmen. Nach den
von mir eingezogenen Erkundigungen sind innerhalb der C'schen Familie und
ihrer Abzweigongen nachweisbar nur zwämal blutsverwandte Ehen, seit Hinein-
tragung der EranUieit, vorgekommen. Ein Bnkel der D. 0. heirathete nach
dem Tode seiner ersten Frau (unter deren 3 Eindem ein Sohn „klamm'' war]
seine C!ou8ine von muttorliober Seite, und hatte von ihr zwei Eander^ wovon der
jüngere Sohn die Anomalie zeigte. Der zweite Fall betraf einen Urenkel der
S. 0., weldier die Enkelin einer Cousine seines Vaters heirath/ste;, von den
beiden Eindem aus dieser Ehe g^örte die Tochter zu den „Klammen'', der
Sohn nicht Eine wesentliche Bolle dürfte also dieses Moment in der hier vor-
liegenden Familien-Anomalie nicht spiden.
^ LnuB, UntersuchangeD fiVer isobämisi^e llii8kellähmang«ii and GontnetueB. Leip-
zig 18S4.
278 —
II. Referate.
Anatomie.
1) The oomparative Anatomy of the Pyramidal Traot, by eV 0. Spitzka,
New York. (Journal of comparative Medicine and Surgery. 1886.)
Verf. studirte in sehr eingehender Weise vergleichend-imatonusch das Gehirn
der Hauptvertreter der verschiedenen SangethierfaHÜlien, mit Bücksicht auf die
morphologische Bedeutung jener s&ulenartigen Erhabenheiten an der ventralen Fissur
der Medulla obl., die in der Begel als den Pyramiden des menschlichen Gehirns
homologe Bildungen aufgefasst werden ^ und kam dabei zu folgenden nicht nninter-
essanten Ergebnissen:
Die pyramidenförmigen Erhabenheiten neben der Laogsfissur der ventralen Partie
der Med. obl. setzen sich bei den verschiedenen Säugethieren aas mindestens dreierlei
ganz verschiedenen anatomischen Bestandtheilen zusammen, von denen jeder entweder
für sich allein oder in Verbindung mit den übrigen jene charakteristische Bildung
zu produeiren im Stande isi Diese Bestandtheile können sein: 1) die wahren Pyra-
miden (Mensch, Baubthiere, Nager, Fledermausarten), 2) die Olivenzwischenschicht
(Einbaut) und 3) die unteren Oliven (Delphin). Beim Elephanten und beim Delphin
fehlen die wahren Pyramiden vollständig, beim Gürtelthier sind sie schwach entwickelt
Bei den Säugeüueren mit wahren Pyramiden lassen sich zwei Pyramiden^Typen
aufstellen; der eine Typus zeigt einen mächtigen, scharf ausgesprochenen Faserzug
längs der ventralen Fissur der Med. obl., der sich kreuzt und in den contralateralen
Seitenstrang zieht (Primates, Cheiroptera, Carnivora Bodentia); beim andern erscheint
der Faserzug wenig abgegrenzt, schmal im Yerhäitniss zum Grosshira und verräth
keine bündelweise Kreuzung.
Wo eine wahre Pyramide vinrhanden ist, da zeigt die cerebrale Portion dieses
Fasei^uges folgende, auch schon von anderen Autoren hervorgehobene charakteristische
Merkmale : Die Pyramide entspringt aus der sog. motorischen Zone der Grosshim-
oberfläche, zieht in dem hinter dem Knie der inneren Kapsel liegenden Feld, sie
bildet einen Bestandtheil des Pes pedunculi, sie durchsetzt im Weiteren die Quer?-
fasern der Brücke, sie erscheint in der Brückengegend von der Olivenzwischenschicht
durch transversale Fasern getrennt, sie liegt ventral vom Corp. trapez. und ventral-
medial von den unteren Oliven und zi^ht schliesslich die Eaphe kreuzend in die
contralaterale Hälfte des Bückenmarks.
Die Kreuzung der wahren Pyramiden vollzieht sich auf dreiwlei Art. Der ge-
wöhnlichste Typus ist der, daas der gröeste Theil der Pyramidenfasem in den ge-
kreuzten Seitfflistrang zieht (Primates, Carnivora, einige Bodentia); nur bei diesen
Thieren ist die Pyramide ein richtiger Gradmesser für die Intelligenz und die feinere
Entwickelung höherer Centra. Bei Meerschweinchen und Batten zieht ein grosser
Tkeil der Pyramidenfasem in den gekreuzten Hinterstrang. Manche Thiere (Fleder-
mäuse) zeigen äne Pyramidenkzeuzung, die sich auf der Gehimoberfläche vollzieht;
in. diesem Fall verlaufen die Fasern in das laterale Feld der Oblongata.
Zwischen den Querfasem der Brücke und den Pynuniden besteht kein Paralle-
lismus, ebmsowenig zwischen diesen und dem Corp. trapez. Der Elephant besitzt
die grössten transversalen Fasern, aber keine Pyramiden. Auch hält die Entwicke^
lung der Oliven und der Pyramiden in der Säugethierreihe durchaus nicht immer
gleichen Schritt, obwohl bei den höchst orgaaisirten Thieren eine mächtige Pyra*
midenbildu]^ mit einer bedeutenden Entwickelung des gezahnten Kerns der unteren
Olive nicht selten ausammenfällt (Mensch). v. Monakow.
— 274 —
Pathologie des Nervensystems.
2) A oontribution to the pathology of hemianopsia of central
(oortez-hemianopsia), by E. C. Seguin. (Journal of nervons and mental
diseases. 1886. XTU. Jan. p. 1—38.)
Verf. hatte Gelegenheit gehabt, kürzlich einen Fall von lateraler Hemianopsie
ohne jedes andere cerebrale Symptom mehrere Monate lang bis zum Tode zn be-
obachten und war im Stande gewesen, schon im Leben die topische Diagnose zu
stellen. Im Anschlnsse an diese Erankenbeobachtnng yerÖfiPentlicht er nun eine ans-
fOhrliche Darstellung über laterale Hemianopsie und ihre genauere Localisation. Ein
kurzer Auszug der werthyoUen Arbeit sei hier wiedergegeben.
Unter Hemianopsie Tersteht man bekanntlich den fnnctionellen Ausfall je einer
H&lfte des Gesichtsfeldes. Das Gesichtsfeld kann nun durch eine horizontale oder
durch eine verticale Linie halbirt sein. Im ersten Fall handelt es sich fast immer
um eine intraoculare Erkrankung, im anderen um eine Läsion zwischen Chiasma imd
Hirnrinde, und zwar ist der Ausfall der medianen Hälften oder der der lateralen
Hälften beider Gesichtsfelder auf eine Störung im Chiasma zu beziehen, während die
sog. laterale oder homonyme Hemianopsie den Sitz der Läsion im Tractus opticus
und in seiner weiteren Verbindung mit dem corticalen Sehcentrum yermuthen lässt Verf.
theilt in der vorliegenden Arbeit nun sämmtliche aus der Literatur bekannten Fälle
mit, welche im Leben laterale Hemianopsie und bei der Section eine Erkrankung der
cerebralen optischen Bahnen und Centren darboten. Es sind dies im Ganzen 40 Be-
obachtungen, deren Einzelheiten in tabellarischer Form zusammengestellt sind, und zu
denen noch 5 Fälle von traumatischer Entstehung der Sehstörung, aber ohne Autopsie,
hinzukommen.
Diese 45 FäUe zerlegt Verf. nun in 6 Gruppen: a) Fälle, die in Hinsicht auf
Localisation nicht yerwerthet werden können (4), b) FäUe, in denen eine Läsion
indifferenter Himtheile vorlag, welche nur durch weiter fortgepflanzten Druck auf
den Tractus opticus etc. die Sehstörung hervorrief (3), c) Fälle mit Erkrankung des
Corp. geniculat. laterale oder des Thalamus opticus oder beider (6), d) Fälle mit
Erkrankung des Marks eines Ocdpitallappens (11), e) Fälle mit Ttauma des Occiput
und Hirnverletzung (5) und f) Fälle mit Erkrankung der Rinde des Occipital-
lappens (16).
In der letzten Gruppe befinden sich 4 Beobachtungen, in denen die Läsion sich
auf ein und dieselbe und verhältnissmässig sehr kleine Stelle beschränkte, so dass
Verf. sie als das „Sehcentrum" annehmen zu dürfen glaubt. Es sind dies die Fälle
von Haab (Nr. 28 der Tabelle), Huguenin (Nr. 29), F^rö (Nr. 41) und Seguin
(Nr. 45). Dreimal bestand eine Erweichung und einmal ein käsiger Tumor, welche
die Binde um die Fissura calcarina, soweit die letztere den Guneus nach unten be-
grenzt, in mehr oder weniger breiter Ausdehnung nach oben und unten zerstört
hatten. Zu dieser Localisation kann noch der sehr interessante Fall Nr. 3 heran-
gezogen werden. Eni 23jähriger Soldat war im September 1862 verwandet worden.
Die Mini^kugel war in der Medianlinie 3,5 cm über der Prominentia occip. exi in
der Bichtung nach vom, etwas nach oben und links aussen eingedrungen und war
in der Entfernung von ca. 5 cm von der Medianlinie und ca. 7 cm von der Eintritts-
öffnung ausgetreten. Es zeigte sich sofort Sehstörung, bald auch rechtsseitige Hemi-
plegie und BewussÜosigkeit. Doch waren nach 2 Monaten alle Erscheinungen ge-
schwunden mit Ausnahme einer rechtsseitigen lateralen Hemianopsie, die auch bei
einer Untersuchung durch Keen und Thomson 1870 noch als einziges Symptom
bestand. Verf. hatte nun die seltene Gelegenheit, den Verwundeten im Jahre 1885,
also 23 Jahre nach der Verletzung, durch die Invalidenbehörden ausfindig machen
und einer ärztlichen Versammlung vorstellen zu können. Abgesehen von einer mini-
malen Parese der rechten Körperhälfte war die rechtsseitige Hemianopsie auch jetzt
— 275 —
noGb der einzige abnorme Befand. Die Lage der beiden Narben am Kopfe wurde
genan festgestellt und dann wurden an einem Cadaver an den entsprechenden Stellen
des Schädels Trepanöffiiungen ausgebohrt. Die Yerbindongslinie beider ging, wie sich
nach der Härtung des Gehirns herausstellte, durch das Bündel der (optischen) Fasern
kurz vor ihrem Eintritt in den linken Cuneus.
Ans der Analyse der anderen Fälle zieht Verf. folgende Schlüsse :
1) Laterale Hemianopsie deutet stets auf eine intracranielle Erkrankung und
zwar auf der Seite, welche die erhaltene Hälfte beider Gesichtsfelder angiebt
2) Laterale Hemianopsie mit Pupillenstarre, oder Opticusatrophie resp. Neuritis,
besonders wenn noch basale Symptome hinzukommen, deuten auf Erkrankung eines
Tractus opticus, des Thalamus opticus oder des Corpus geniculat. lateral.
3) Laterale Hemianopsie mit Hemianästhesie, Chorea oder Ataxie einer Körper-
hälfte deutet auf den Sitz der Läsion im hinteren und seitlichen Abschnitt des Tha-
lamus opticus oder des hinteren Theils der Capsula interna.
4) Laterale Hemianopsie mit Hemiplegie und Hemianästhesie deutet auf aus-
gedehnte Erkrankung der Capsula interna (Knie und hinterer Theil derselben).
5) Laterale Hemianopsie mit Hemiplegie (mit Aphasie im Fall rechtsseitiger
Lähmung) und ohne Hemianästhesie deutet auf ausgedehnte aber oberflächliche Er-
krankung des Gebiets der Arteria cerebri media, also auf Erkrankung der Umgebung
der Sylvi'schen Furche, des Gyrus supramarginalis oder des Gyrus angularis.
6) Laterale Hemianopsie mit Hemiparese deutet auf tiefe Zerstörung des unteren
Scheitellappens und des Gyrus angularis, die bis auf die bis zum Cuneus verlaufen-
den optischen Fasern dringt oder drückt.
7) Laterale Hemianopsie ohne andere Symptome deutet auf Erkrankung der
Rinde des Cuneus.
Im Uebrigen ergiebt die ophthalmoskopische Untersuchung, ausser bei Tumoren,
nur selten abnorme Befunde; in den Symptomencomplexen 3 bis 7 ist die Pupillen-
reaction gewöhnlich normal. Sommer.
3) An unusaal oase of hemianopia, by Dr. Anderson. (Medical Times. 1885.
Nr. 1842.) . .
Ein 28 Jahr alter Mann bemerkte nach einem Schwindelanfall Abnahme der
Sehkraft und Schwäche in den rechtsseitigen Extremitäten, welche ausserdem un-
controlirbare Bewegungen machten. Keine Vorgeschichte von Syphilis. 2 Jahre
später zeigte sich bei der Untersuchung keine deutliche Herabsetzung der Kraft,
wohl aber ausgesprochene Anästhesie in den rechtsseitigen Gliedmaassen. Geruch,
Geschmack, Gehör intact. Kniephänomen rechts verstärkt. Der Fat. konnte nur die
obere Hälfte von Gegenständen sehen. Die Bewegung der Augen ungestört. Die
untere Hälfte des Gesichtsfeldes anästhetisch. Herz zeigt nichts Abnormes. Urin
ebenfalls nicht. Gehimhämorrhagien häufig in der Familie vorgekommen. Nach
Dr. Anderson war ah eine Verletzung des hinteren Drittels der linken Capsula
interna zu denken, welche auch auf die im mittleren Drittel verlaufenden Fyramiden-
fasem wirkte. Die Augena£fection lässt eine symmetrische Läsion der Nervi optici
oder einen Herd an der oberen und vorderen Chiasmafläche vermuthen.
Buhemann.
4) Des mouvements involontaires, provoquäs dami les membres paralysäs
des hämiplögiques par les mouvements volontaires des musoles non
paralyBäs, par le Dr. Camus. (Bordeaux 1885.)
Verf. bespricht die „assocürten Bewegungsvorgänge" oder Synkinesien, die im
unmittelbaren Anschluss an einen Willensimpuls neben der intendirten Bewegung
— 276 —
nnbewusst nach Art eines Reflexes in einem anderen nnd oft ganz entfernt liegenden
Mnskel entstehen, und speciell diejenigen Erscheinungen von Mitbewegang, die bei
Hemiplegikem in Folge von beabsichtigten Bewegungen einzelner Muskeln der nicht
gelähmten Körperhälfte spontan in der gelähmten Seite ausgelöst werden.
Nach einer Uebersicht über die bisher yeröffentlichten Untersuchungen von
Jaccoud, Yulpian, Brissaud; Westphal, Renzi u. A. tiber die Entstehung
unfreiwilliger Mitbewegungen in gelähmten Gliedern schildert Terf. selbst 6 Falle
aus seiner eigenen Beobachtung (5 Männer und 1 Weib). 5mal war die Lähmung
rechts (4mal mit noch bestehender Aphasie) und einmal links; immer waren die
Kniereflexe gesteigert und nur in einem Falle fehlten alle Symptome von epileptoidem
Zittern (Fussdonus etc.) und von secundärer Contractur. Die zeitliche Reihenfolge,
in der sich die angegebenen Erscheinungen an die Lähmung angeschlossen hatten,
war folgende: zuerst hatte sich die Steigerung der Reflexe, dann das choreatiBche
Zittern und die Contractur, die übrigens gewöhnlich nur einen massigen Grad ein-
nahm, eingestellt und dann erst traten gelegentliche Mitbewegungen in den gelähmten
Gliedern auf.
Dieselben wurden zunächst durch beabsichtigte und auch durch reflectorische
Bewegungen der nicht gelähmten Extremitäten ausgelöst, sobald die letzteren eine
gewisse Stärke erreicht hatten. Häufig schlössen sie sich auch an spontane oder
reflectorische Bewegungen des Rumpfes, wie beim Niesen, Husten etc. an. Dagegen
vermochte Verf. nicht, wie Renzi es beschrieben hat, durch eine passive Bewegung
der einen gelähmten Extremität eine analoge Bewegung in der anderen gelähmten
hervorzurufen.
Bei allen Yersuchsanordnungen traten die Mi|;bewegungen gewöhnlich zuerst in
derjenigen Extremität auf, die zu der primär bewegten symmetrisch liegt, später
erst in der anderen gelähmten Extremität und dann in der gelähmtmi Gesichtshälfte
und zuletzt in fast allen Muskeln des Körpers.
Die Litensität der Synkinesien ist sehr verschieden, sie schwankt zwischen ^mer
einfachen momentanen Verhärtung ohne deutliche Verkürzung der ergri£Eenen Muskeln
und einer Gontraction, die im Allgemeinen der primären Bewegung entspricht, in der
Mehrzahl der Fälle sogar intensiver als diese ist; in nur pai^tischen Muskeln ist sie
gewöhnlich bedeutender, als die grösste Gontraction, diö durch den Wissensimpuls
noch möglich ist. Im Uebrigen sind unter sonst gleichen Verhältnissen die Mit-
bewegungen der oberen Extremität energischer als die der unteren, und die des
symmetrischen Gliedes stärker als die des anderen.
Die Hervorrufung der assocürten Bewegungen in durch eine ..organische Him-
läsion gelähmten Muskeln beruht nach der Ansicht des Verf. auf einer gesteigerten
Reizbarkeit der grauen Substanz des Rückenmarks. Sommer.
5) neber die posthemiplegiaohen BewBgrungsstörungeiL Eine klinische Studie
von B. Greidenberg. (Arqh. f. Psych. XVII. S. 131.)
In der vorliegenden 86 Seiten umfassenden Studie giebt G. gestützt auf die
267 Nummern ausmachende Literatur ein Bild vom g^enwärügen Stande der Materie,
deren Details durch 15 eigene klinische Beobachtungen illustrirt werden. Den ver-
schiedenen bisher^en Eintheilungen der posthemiplegischen Bewegungsstörungen sub-
stituirt er nachfolgende:
r clonische
Krämpfe * tonische
1 lintermittirende
[ Muskelrigidität
Früh — paralytische, passive, vorübergehende
g -, f beständige, fortwährende, fixirte
*^* l veränderliche (latente).
Gontracturen
apoplectische
— 277 —
Erhöliaiig der Sehnenrefleze.
Mitbewegnngen.
freflectorisches — Clonus
eigentliches Zittern (Tremor)
in Form von Faralysis agitans
[ lin Form Yon disseminirter Sclerose
{bestäadige
bei intendirten Bewegungen — Störung der
Coordination (Hemiataxie)
Athetose.
Kurz finden sich noch die pathologische Anatomie, Pathogenese und Therapie
zQsammengefassi A. Pick.
i essentielles
Mischformen in verschie-
denen Combinationen.
6) Drei Fälle von Brown-Säquard'soher Lähmimg mit Bemerl^uiigen über
das Verhalten der Sehnenreflexe etc. bei derselben, von Dr. S. Hoff-
mann, Heidelberg. (D. Arch. f. klln. Med. 1886, Bd. 38. H. 6. S. 587—606.)
(Aus der medicinischen Klinik des Herrn Prof. Erb.)
Es handelt sich in den ersten beiden F&Uen um Patienten, welche beide in der
H5he des Domfortsatzes des Y. Brustwirbels rechterseits in den Rücken gestochen
wurden. Im 3. Falle traf der, Stich den Nacken zwischen dem 3. und 4. Halswirbel.
Nach Mittheilung der ausführlichen Krankengeschichten und der aus den Ver-
letzungen resultirenden Krankheitserscheinungen unterzieht Verf. die einzelnen Symp-
tome einer genaueren Besprechung. Er bemerkt, dass keiner der angeführten Fälle
das scharfe Bild einer Brown-Säquard*schen Lähmung zeigt, da der Stich keine
genau halbsjßitige Durchschneidung der MeduUa spinalis bewirkt habe.
Im Fall I wurde z. B. der Hinterstrang der lädirten Seite nicht mit betroffen,
weshalb die Tastempfindung der gegenüberliegenden Seite. intact blieb; während im
Fall U, ausser der linken Rückenmarkshälfte auch der rechte Hinterstrang durch-
schnitten wurde, da das Tastgefühl an beiden untern Extremitäten gestört war, eine
Annahme, welche in einem analogen Fall Müller*s durch den Sectionsbefund ihre
anatomische Bestätigung erfuhr.
Wie schon von anderer Seite mehrfach beobachtet, waren auch hier die Sehnen-
reflexe auf der gelähmten Seite gesteigert und' im Falle I und m mit Muskel-
spannungen combinirt, während sie sich auf der anästhetischen Seite normal oder
nur wenig lebhaft verhielten.
Ob die Steigerung der Sehnenreflexe sofort nach der Verletzung eintritt oder
erst später durch einen von der Läsionsstelle ausgehenden secupdären Degenerations-
process, wie er von Gharcot und Müller in zwei derartigen Fällen wirklich durch
Section nachgewiesen wurde, bedingt wird, hält Verf. für noch nicht feststehend.
Die Hautreflexe fehlten auf der gelähmten Seite entweder ganz oder waren auf
ein MQnimum abgeschwächt, auf der anästhetischen Seite verhielten sie sich in Fall HI
normal, in Fall I waren sie bis auf den Plantarreflex, in Fall II bis auf den Bauch-
reflex vorhanden.
Wie in der Regel, erfolgte auch hier die Rückkehr der Motilität bis zu einem
gewissen Grade bereits in den ersten Monaten, während die Anästhesie viel länger
unverändert bestehen blieb. — Ob die brennenden Sensationen auf der anästhetischen
Seite (Fall HI) als die ersten Andeutungen der wiederkehrenden SeBsibilitftt oder als
meningitische Symptome aaftnfassen sind; läset Verf. unentschieden. -^ Dagegen er-
klärt er die Hyperalgesie auf der paralysirten Seite in Uebereinstimmimg mit Brown-
S^qnard damit, dass dieselbe auf eine Hyperämie und Reizung der andern Bflcken-
msri[8h&ifte während der reactiven Entsündung um die Läsionsstelle znrftckznführan
— 278 —
sei, eine Hypothese, die allerdings nicht f&r alle Fälle ausreicht, da auch Hyper-
ästhesie von 20jähriger Dauer zur Beobachtung kam.
Schmerz- und Temperatursinn verhielten sich ziemlich gleich. — Bemerkens-
werth ist, dass ein kräftiger Druck auf den Hoden der anästhetischen Seite bei dem
Kranken I absolut schmerzlos, bei dem Kranken HI nur wenig empfindlich war im
Vergleich zur gelähmten Seite, ein Beweis, dass der Hoden als drüsiges Organ sich
analog der Haut verhält.
Die Temperatur wurde auf der gelähmten Seite constant niedriger gefunden, als
auf der anästhetischen Seite. Verf. hält es für das Wahrscheinlichste, dass unmittelbar
nach der Verletzung, wie auch von anderen Autoren durch Thierexperimente con-
statirt wurde, die Temperatur der paralysirten Seite erhöht ist, um dann allmählich
normal oder sogar subnormal zu werden.
BiBtentio oder Incontinentia alvi et vesicae bestand im Beginn in allen 3 Fällen,
bildete sich jedoch bald wieder zurück.
Elektromusculäre Sensibilität, MuskeMnn, Goordination, sowie elektrisches Ver-
halten der Muskeln und Nerven vollkommen normal —
Daran anschliessend theilt Verf. noch einen Fall mit von Spondylitis mit Ezsudat-
bildung im Wirbelcanal und dadurch bewirkte Compression der Medulla spinalis, bei
welchem sich, wenigstens auf der gelähmten Seite, ein der Brown-S^qard'schen
Halbseitenläsion gleiches Krankheitsbild darbot.
Es bestand auf der rechten Seite Parese und Atrophie des Beines, gesteigerte
Sehnenreflexe der Ober- und ünterschenkelmuskeln, Fatellarclonus und angedeuteter
Dorsalclonus, erhöhte Temperatur und eine gegen einfache Berührung, gegen Stich
und Kälte hochgradige Hyperästhesie (Hyperalgesie), welche sich vom Erkrankungs-
herd (Domfortsätze des 3. und 4. Brustwirbels) bis herab zur Fusssohle erstreckte.
Dagegen fehlte vollkommen die Anästhesie der gegenüberliegenden (linken) KGrperseite.
Die streng halbseitige, genau bis an die Medianlinie reichende Hyperästhesie
auf der paretischen Seite sucht Verf. auf eine Hyperämie und Entzündung der
spinalen Häute zurückzuführen, bei welcher Annahme allerdings das Fehlen öfterer
Beizerscheinungon oberhalb der Läsionsstelle und vor allem die scharfe Begrenzung
der Hyperästhesie durch die Mittellinie auffällig erscheinen würde. Eine andere
Erklärung hat Woroschiloff durch Thierexperimente gewonnen. Nach ihm beruht
die H3rperästhesie der gelähmten Seite auf dem Wegfall einer Anzahl hemmender
Fasern, welche mit den motorischen Fasern gleichen Verlauf haben sollen. Die in
ziemlich demselben Zeitraum stattgefundene Wiederkehr der Motilität einerseits, und
das Verschwinden der Hyperästhesie andererseits, wie im vorliegenden Fall beobachtet
wurde, würde für diese Hypothese sprechen. Jedenfalls genügt die alleinige klinische
Beobachtung dieses Falles ohne beweisenden Sectionsbefnnd nicht, um gegen die
Brown-S^quard'sche Theorie, dass die sensiblen Bahnen sich im Bückenmark
kreuzen, verwerthet werden zu können.
Nach l'/^ Jahren trat im letzterwähnten Falle vollkommene Heilung ein, sodass
derselbe zu den günstigem Formen der Hemilasion des Bückenmarks zählt, wie auch
Bosenthal neuerdings einige mittheilte. F. Seifert.
7) Faralysls of tongue, palate and vooal oord» by J. Hughlings Jackson.
(The Lancet. 1886. Vol. I. Nr. XV.)
In der Harveian Society stellte J. einen Patienten vor, bei dem sibh Lähmung
und Atrophie der rechten Zungenhälfte, Paralyse des rechten Velums und des rechten
Stimmbandes zeigten. In einigen anderen Fällen (London Hospital Beports, 1864
und 1868) fand sich diese Trias von Symptomen ebenfalls; femer waren Lähmung
und Atrophie des linken Supinator longus, des Biceps, Brachialis intemus, Deltoides,
— 279 —
SapraspinatnB and Infraspinatas zu constatiren (Erb*sche Lähmung). Diese Muskeln
reagirten nicht auf den faradischen Strom. ASZ war stärker als die ESZ. Der
Infraspinatns reagirte nicht bei Einschaltung von 40 Elementen. Ausserdem eine
ziemlich kreisrunde, gegen Druck und Stich empfindungslose Stelle Ton ungeföhr
6 Zoll Durchmesser auf der Höhe der linken Schulter. Linke Pupille etwas weiter
als die rechte, reagirt weder direct noch indirect auf Licht. Dagegen Beaction auf
Accommodation vorhanden. Mangelnde Accommodation auf beiden Augen. Beim
Sehen nach unten oder innen verkleinert sich die linke Pupille, beim Sehen nach
oben oder aussen wird sie weiter. Pat. klagt über zeitweises Schwitzen der linken
Gesichtshälfte.
J. hielt die Affection für syphilitisch und meint, dass der rechte Hypoglossns-
kern und der obere (bulbäre) Theil des rechten N. accessorius, sowie einige Wurzeln
der zum linken Plexus brachialis ziehenden Nerven getroffen seien. Die PupiUar-
verhältnisse konnte Vortragender nicht erklären. Eniephänomen war vorhanden, sonst
keine Ataxie etc.
Dr. S. Mackenzie macht darauf aufmerksam, dass wegen der Nähe der Hypo-
glossus- und Accessorinskeme in der Medulla oblongata die gleichzeitige Affection
der halbseitigen Zungen-, Velum- und Stimmbandlähmung unschwer zu erklären sei.
Die Anästhesie der Schulter kann weder er noch Jackson erklären.
Buhemann.
8) Heber das Unterkieferphänomen (j&w-jerk), von J. Bybalkin. (Wratsch.
1886. Nr. 13. Bussisch.)
Verf. untersuchte das Verhalten des unlängst durch Watteville*s Notiz^ all-
gemein bekannt gewordenen ünterkieferphänomens in 315 Fällen (136 Männer und
179 Weiber) im Alter von 12 — 65 Jahren. Zur Untersuchung wurde der Mund
ein wenig geö&et, der Unterkiefer durch Druck auf die untere Zahnreihe nach unten
gezogen, und durch einen Schlag mit dem Percussionshammer Dehnung der Mm.
masseteres hervorgebracht.
Unter den untersuchten Subjecten waren 69 gesunde. Bei allen wurde durch
bezeichneten Vorgang eine deutliche Contraction der Kaumuskeln erzielt, stets ein-
malig, ohne Glonus. Die Contraction stellte sich auch bei Beklopfen des Kinns oder
der Unterkieferäste ein, obgleich dann in geringerer Intensität.
Das nämliche Besultat ergab die Untersuchung von 144 Beconvalescenten. Nur
bei einigen derselben musste zur Erzielung des Unterkieferphänomens die von Jen-
drassik zur Untersuchung des Kniephänbmens vorgeschlagene Methode angewandt
werden.
Von 56 Fieberkranken (Typhus und Schwindsucht) wiesen 9 Unterkieferclonus
und 20 einfache Steigerung des Phänomens auf. Verf. erinnert hier an die von
Ballet, Strümpell u. A. beobachtete Steigerung des Kniephänomens bei Fiebernden.
Die letzte Gruppe bilden 45 Nervenkranke, darunter Affectionen des Grehims
und Bückenmarks, Muskelatrophien, functionelle Neurosen etc. Abnormes Verhalten
des ünterkieferphänomens wurde in folgenden Fällen gefunden; Bei zwei Henii-
plegikem mit posthemiplegischen Contracturen und Fussclonus, bei einer Hysterischen
mit spastischer Paraplegie und zuweilen in einigen Fällen von Tetanie — Unter-
kieferclonus; bei zwei anderen Hemiplegikem (ohne spastische Erscheinungen), in
einem Fall amyotrophischer Lateralsclerose mit bulbären Symptomen, und in einem
Fall juveniler Muskelatrophie — einfache Steigerung; bei Meningitis cerebralis
(2 Fälle), in einem Fall progressiver Paralyse (incipiens), in einem Fall juveniler
Muskelatröphie und bei 3 Neurasthenikem — Herabsetzung; in einem Fall mul-
tipler Sclerose — Fehlen des Kniephänomens (auch nach Injectionen von Strychnin);
1 et d. Gentralbl. 1886. S. 49.
— 280 —
in allen anderen Fällen (Hemiplegien, Myelitis, peripherische Lähmnngen« Hysterie,
Neurasthenie, Epilepsie) war das UnterldeferphäBonien nnvei&ndert
Was die Natur des in Bede stehenden Phänomens anbetrifft^ so ist Verf. geneigt,
es als einen periostealen Beflex anzusprechen. F. Bosenbach.
9) Des paralysies radioulaireSv par J. L. Fr^vodt. (Bevue m^d. de ia Suisse
romande. 1884. Nr. 4.)
Im Anschlnss an eine* zusammenfassende Darstellung des bisherigen Standes der
Lehre Ton den Wurzellähmungen im Gebiete des Plexus brachialis berichtet F. über
6 eigene in Gemeinschaft; mit Faul Binet gemachte Versuche, die er dahin resumirt:
Bei 2 Katzen wurde durch elektrische Beizung der 8. HalsnerTenwurzel deutliche
oculo-pupülare Beaction endelty bei 3 anderen und einem Kaninchen blieb deren
Beizung ohne Wirkung. Die Beizung des 1., 2. und 3. Brustneryanwiinelpaares
wirkt am energischsten auf das Auge, die des 7. cervicalen Paares war wirkungslos,
wis, weil Versuchen Yon Franck widersprechend, auf wechselnde Vertheüung der
sympathischen Fasern bezogen wird. A. Pick.
10) Banititts-Bericht über die deutsohen Heere im Kriege gegen Frank-
reich 1870/71. vn. Band: Erkrankungen des Kervensystems.
Herausgegeben tou der Militar-Medizinal-AbtheiluBg des kOnigl. preuss.
Eriegsministeriums unter Mitwirkung der betreffenden bayrischen,
sächsischen und wflrttembergischen Behörden. (Berlin ,1885. Einst
Siegfr. Mittler & Sohn.) — [Fortsetzung.]
Volle 100 Fälle von Tabes dorsalis, die den Invalidenlisten entnommen sind
und deren Entstehung auf den Krieg zu beziehen ist, bilden die letzte Gruppe im
Berichte über die Nervenkrankheiten. Die Krankengeschichten sind tabellarisch zu-
sammengestellt Hauptpunkte aus denselben: Beruf, Zeit und Zahl der mitgemachten
Feldzfige, Heredität und Prädisposition, syphilitische Affection, andere ätiologiscbe
Momente, Auftreten der Initialsymptome, Krankheitsverlauf, Ausgang und Behandlung
bilden in dieser Krankentabelle die hervorragendsten Bubriken. Das Studium der-
selben im Originalwerke wird dem Leser des Interessanten Mancherlei bieten. Die
verschiedenen tabischen Krankheitserscheinungen^ welche diese Patienten boten, sind
in klarer und ezacter Weise epikritisch besprochen, die darüber bisher veröffent-
lichte in- und ausländische Literatur ist trotz ihres enormen Umfange fleissig benützt
und ehrlich citirt. Wir müssen hier die Einzelheiten übergehen und wollen nur die
Begeisterung constatiren, mit welcher die Berichterstatter für das Westphjarsche
Symptom, den Mangel des Kniephänomens als diagnostisches Kriterium der Tabes
einzutreten bemüht sind. Zur Zeit des Krieges war dasselbe noch nicht bekannt,
die Untersuchung darauf hat sich ja erst in den letzten Jahren eingebürgert. Die
Tragweite dieses, so frühzeitig auftretenden Symptoms sei aber für die nulitärarztliche
Untersuchung eine besonders grosse. Es treten im Prodromal-, resp. Initialstadium
der Tabes so viele rein subjective Störungen auf, die den auf Invalidität prüfenden
Militärarzt irre machen könnten, dass man militärischerseits, wie der Bericht sehr
ausführlich darlegt, dieses objective Kriterium, welches von Seiten der Aerzte laicht
zu erlernen und leicht festzustellen, — von Seiten der Patienten aber schwer 2;,q
simuliren sei, nicht genug schätzen könne.
Den Entstehungs-Ursachen der Bückenmarks-Schwindaucht haben die Autoren
ihre besondere Aufmerksamkeit gewidmet Die Controverse, ob es eine syphilitisohe
Tabes gebe oder nichts hat sie vornehmlich beschäftigt; sie glauben auf Grund
ihres Materials diese Frage entschieden verneinen zu müssen. Sie bemängeln vor
Allem den Werth der anamnestischen Explorationen, welche 4en bisbengen statistischen
— 281 —
Erhebungen über die viel discutirte Tabes-Syphilis-Frage zu Grande gelegen haben.
Sie meinen, es gebe viele, besonders tabeskranke Patienten, welche die unschaldigsten
Genitalaffectionen als luetische bezeichneten, durch die betreffenden Fragen des Arztes
erschreckt sich sofort all' der „sexuellen Kleinigkeiten'' erinnerten, denselben die
schlimmsten Gonsequenzen zuschrieben -^ und so die Statistik durch ihre Unge-
nauigkeit yerdürben. — Das militärische Material wäre für derartige Feststellungen
besser zu gebrauchen. Bei 67 von den erwähnten 100 Tabesfällen sind sichere
Angaben über diesen Punkt zu extrahiren gewesen: es konnten unter diesen 67 nur
7 Invaliden gezählt werden, bei welchen möglicher Weise eise Prädisposition vorlagt
also nur 7,4 ^/q. Wir bezweifeln, ob dieses Ergebniss des Kriegsberichtes in sein«
überraschenden Kleinheit, den grossen Procmitzahlen Erb*s und Fournier*s gegen-
über allenthalben die nöthige Anerkennung finden wird. Auch wir können weder
ihren statistischen, noch ihren sonstigen Auseinandersetzungen in dieser Frage volle
Beweisbaft zuerkennen. „Das Bestreben der Leute, ihre Gebrechen auf einen mit-
gemachten-Feldzug zurückzuführen," so sagen die Autoren selbw, „ist ein leicht
erklärliches und natürliches!" Deswegen gestehen sie auch der Durchnässung und
Erkältang, welche in vielen ihrer Fälle (bei 57 Individuen) als ürsacli^en der Tabes
angegeben worden sind, nur eine beschränkte Bedeutung zu. Aber ganz aus dem-
selben Grunde lässt sich doch Wohl annehmen, dass viele Invaliden es verstanden
haben^ die Militärärzte bei der Untersuchung auf Lues zu täuschen, dass sie bestrebt
gewesen sein werden, wenn sie objectiv durch verdächtige Narben, Drüsen u. s. w.
nicht zu überführen warw, die vorhanden gewesene Syphilis zu verheimlichen, um
alle Schuld auf den Feldzug selbst zu wälzen. Sie recapituliren ihre übrigens sehr
präcisen Auseinandersetzungen über die Aetiologie der Tabes etwa dahin: „Prüft
man die FddzngserfahruBgen im Verein mit den Angaben der Autoren, so darf nur
das als feststehend angenommen werden, dass unter dem Eüifluss einer einmaligen
oder wiederholten Erkältung die ersten tabiacben Symptome manifest werden können,
dass die Tabes im Allgemeinen eine Krankheit eines bestimmten Lebensabschnittes
ist, dass sie darum in der activen Militärdienstzeit nur relativ selten beobachtet
wird, dass ihre Frequenz unter den Personen des Soldatenstandes erst zunimmt,
wenn eine Altersdisposition geschaffen ist, dass die Lues ihres depotenzirenden Ein-
flusses wegen die Widerstands£9.higkeit des Nervensystems gegen bestimmte Angriffe
herabsetzt und darum eine Hülfsursache der Tabes wird, dass aber die eigentliche
Ursache der Tabes noch unbekannt ist.'' — Wer den Kampf der Meinungen über
die eben erörterten Punkte in den letzten Jahren genauer verfolgt hat, — wer da
weiss, mit welcher Erregung der Streit von verschiedenen Seiten geführt worden ist,
der wird mir nach Lektüre des Werkes zugeben müssen, dass, als sich auch die
Kriegsberichterstatter auf diesem Kampfplatz eingefunden, ihnen die hervorragenden
Gegner der syphilitischen Tabes secundirt und den Bericht sehr wesentlich in ihrem
Sinne beemfliuist haben mögen. — Von den 100 kriegsinvaliden Tabikem sind nach-
weislich 23 gestorben, Heilung erfolgte nur in einem Falle, den wir hier kurz an-
führen: Paüent, ein beim Beginn der Krankheit dljähriger Bäoker^ hatte 3 Feldzüge
mitgemacht Als charakteristische Symptome der Krankheit^ weh^e 1870/71 )mit
spinalen Neuralgien in den Beinen begonnen hatte, fiemd Fräntzel 1878 Ataxie in
den Bdnen bei unveräaderter motorisdier Kraft, Brach •Bomberg'sches Symptom,
HerabeetzoBg aämmtüchtt: Qualitäten der Seisibilität ufid vollkommene Einbusse des
Kniephäiiomeii& Nach einer schon 1880 deutlich nachweisbaren Besserung eiAzelnw:
Ereeheinongen konnte Oberstabsarzt Stricker 1884 Zeichen einer Erkrankung der
sensiUen Bahnen niehA mehar entdecken. Die Seusibiütät war iM^llig intact, Farästfaesien
bestanden nkhty ebensowenig Schmerzen, Ataxie verschwunden/ Patellarreflexe lebhalt
erhöht, rechts Fnssclonus, Pupillen ven mittlerer Weite und guter Beaction, Blase
und Mastdarm fnnctionirten normal. La quer.
«(Schluss folgt)
— 282 —
Psychiatrie.
11) Des perversions chez les persöcutös, par Culli^re. (Annales in^d.-psyclL
1886. Mars. p. 211.)
C. hebt an der Hand Ton 5 sehr interessanten Krankengeschichten den Zu-
sammenhang Ton sexueller Perversion, welche sich in einzelnen Fällen zu völliger
Impotenz steigerte, sowie den allen diesen Fällen mehr oder weniger innewohnenden
Zug der psychische Degenerescenz hervor. Die krankhafte Veränderung der sexuellen
Instincte und Störungen der Innervation in der Sexualsphäre werden für die Ent-
stehung und Färbung der Wahngebilde direct verantwortlich gemacht. — Die Zu-
gehörigkeit der in Frage stehenden Formen zu hereditären Psychosen ist danach
evident. Jehn.
12) Alooolisme pris pour iine paralysie gänärale, par Garnier. (Annales
m4d.-psych. 1886. Mars. Arch. cÜniques. p. 232.)
Im Anschluss an die vor Kurzem durch Christian an gleicher Stelle aufge-
worfene Frage der Schwierigkeiten in der Diagnose der allgemeinen Paralyse wird
ein Fall von Alcoholismus beschrieben, welcher bei 3maliger Aufnahme in die Anstalt
jedesmal den zwingenden Eindruck echter Paralyse machte. Die letzte Beobachtni^,
welche einen Zeitraum von 15 Jahren umfasste, sicherte die Diagnose einfacher De-
menz nach Schwund aller verdächtigen körperlichen Symptome. Jehn.
18) Sur la tension des moaoles oomme substratom de rattention, par
Sikorsky. (Arch. de Neurolog. 1885. Vol. X. p. 145.)
Es ist bekannt, dass der Gedanke an eine Bewegung oder Handlung, ebenso
wie der Willensbeschluss einer solchen von einer gewissen (im letzteren Fall vorbe-
reitenden) Innervation der betreffenden Muskeln begleitet wird. Hierauf beruht die
Kunst des sogenannten Oedankenlesens, nämlich in der eingeübten Fähigkeit, diese
Innervationszustände der Muskeln beim intensiven Denken an Bewegungen oder Hand-
lungen durch das GlefOhl zu erkennen. S. beschreibt derartige von ihm angestellte
Versuche. Siemens.
14) Beport of a oase of insanity following Gunshot Injury to the Head;
Cerebral oyst; aspiration. Beoovery; by G. F. Mac Donald. (Americ.
Joum of Med. sc. 1886. April.)
Ein kurz gefosster, vorzflglicher Bericht eines interessanten Falles geistiger Er-
krankung nach Verletzung des Gehirnes.
Ein Sträfling im Alter von 27 Jahren, ohne hereditäre Belastung, aber aloo-
holischen Excessen ergeben, schoss sich in selbstmörderischer Absicht eine Kngel in
den Kopf, die Kugel wurde bald nach der Verletzung entfernt. Nachdem er unge-
fähr 2 Jahre im Staatsgefängniss zugebracht^ entwickelte sich eine deutliche Psychose
OfChronic Mania'Oy weswegen er in die StsAts-Irren-Anstalt fOr Gefangene gebracht
wurde. M. constatirte eine kreisrunde Depression des Schädeldaches ungefähr ^/, Zoll
im Durchmesser und ^/^ Zoll tief. Diese Depression entsprach der Vereinigungsstelle
des vorderen und mittleren Drittiheils der ersten Frontalwindung rechts. Druck auf
diese Depression war ungeheuer schmerzhaft. Am zweiten Tage nach der Aofbabme
in die Irrenanstalt wurde der Patient tief narcotiairt Nach Durchtrennung der Haut
fand sich eine fibröse Masse, die verletzte Partie bedeckend. Durch diese fibröse
Masse hindurch wurde mehrmfds mit einer kleinen Spritze Probepunddon ausgeffihrt;
— 283 —
bei dem 4. Yersucbe gelang es, seröse Flfissigkeit zu aspiriren, und es wurden auf
diese Weise schliesslich 8,0 seröser Flüssigkeit entfernt. Man wollte trepaniren,
entschloss sich aber, den Patienten aus der Narcose aufwachen zu lassen, um den
Einfluss der Entleerung der Cyste zu beurtheilen. Zum Erstaunen der Aerzte fing
der Fat. bald nach beendeter Operation vernünftig zu reden an, gab nach 3 Stunden
einen zusammenhängenden Bericht seiner ganzen Erkrankung und war im Laufe
einiger Wochen vollkommen hergestellt. Sachs (New York).
15) Heber Agoraphobie, Inaug.-Dissertation von A. Bosenbaum. Berlin 1886.
3 Fälle von Agoraphobie, darunter einen sehr typischen aus der Mendel'schen
Foliklinik, schildernd, kommt Verf. zu der Ansicht, dass im Gegensatz zur Meinung
Westphars, dass das den Fat. befallende Angstgefühl kein motivloses, ihm selbst uner-
klärliches sei und mit plötzlicher zwingender Gewalt während eines völlig indifferenten
Gemüthszustandes beim Durchschreiten eines freien gtossen Baumes auftrete, sondern
dass es durch die Furcht entsteht, dass ein einmal dagewesener Schwindel- oder
Ohnmachtsanfall wiederkehren könne. Diese „Angst vor der Angst, das Kriterium
des Krankhaften der Angstanfalle bei Agoraphobie'', tritt nun einmal auf grossen
Flätzen ein, weil der betreffende sich die Hülflosigkeit bei dem etwaigen Wieder-
auftreten des Anfalls ausmalt, sodann in Versammlungen, Gesellschaften, Theatern,
wo er sich durch eine Ohnmacht lächerlich machen könnte. Diese Angstanfalle sind
also von der Natur der ersten Attacke ganz verschiedeu, die auf Erkrankung des
Digeetionsapparatee oder des Circulationsapparates oder der sexuellen Sphäre zurück-
zuführen sei.
Entgegen der Ansicht, dass die Agoraphobie eine eigene Krankheit sei und nur
zuweilen als Theüerscheinung einer Gesammtheit von Nervensymptomen vorwiegend
hypochondrischer Natur vorkomme, hält Yerf. sie nur für ein Symptom der Neu-
rasthenie, das gleichzeitig mit vielen andern Erscheinungen dieser Krankheit auftrete.
Bei seinen Kranken fand Yerf. Eingenommenheit des Kopfes, Depressionszustände
mit Ezaltationszuständen abwechselnd, Gedächtnissschwäche, Beizbarkeit, abnorme
Sensationen, Gefühl von Taubsein der Extremitäten, Kriebeln, Ameisenkriechen,
Schwäche oder Steifigkeit der Extremitäten, lang andauernde Baies m^nin^tiques
(bis 1^/2 Stunden), plötzlichen Schweissausbruch, nächtliche Samenverluste etc.
Verf. ist nicht der Ansicht JoUy's, dass die Flatzaugst als ein Cardinalsymptom
der Hypochondrie aufzufassen sei. Buhemann.
Therapie.
16) Heber das Aoetophenon, von cand. med. F. Schüler. Aus der medidnischen
Klinik des Herrn Frof. Leube in Würzburg. (Münchener med. Wochenschr.
1886. Nr. 14.)
Es wurde in 14 Fällen, und zwar theils bei Gesunden, theils bei Kranken
(Herzaffectionen, Fhthisis, Bronchiectasie) des Acetophenon oder H3rpnon angewendet,
zu 2 bis 4 Tropfen in Gelatinekapseln. Es trat nach Vs ^^ ^Vs Stunden ein
ruhiger mehrstündiger Schlaf ein ohne alle Nebenwirkungen. ÄIb aber einmal 6 Tropfen
gegeben waren, wurde schon vor Verlauf einer halben Stunde ein tiefer lang an-
dauernder Schlaf beobachtet, nach welchem Kopfschmerz und leichtes Erbrechen
eintrat. Ha dl ich.
In der Acad^mie des sdences zu Faris (Sitzung vom 18. Januar 1886) berich-
teten Mairet und Combemale über Aoetophenon, dem sie die hypnotische Wir-
— 284 —
kang abspreeheiL Die Wirkang desselben besteht in Horvorbringung einer Anämie
im Gentralnervensystem. Der Nutzen des Mittels in der Psycluatrie erscheint
zweifelhaft. M.
17) EpilepslB & aura perij^riqae guörie aprds Tapplioatioa de vesieatoires
au desauB du point de döpart de Faura, par Dignat (Frogr. m^
1886. Nr. 18.)
Die neuen Arbeiten von Buzzard und Hirt haben die Aufmerksamkeit wieder
auf eine schon ältere Behandlungsmethode der partiellen Epilepsie gelenkt, welche
in der Application von Tesicatorw an den Ausgangspunkten der Aura besteht. D.
bespricht die Literatur dieser Frage und gedenkt dabei besonders der schon im Jahre
1826 erschienenen Krankengeschichten von Bravais, ferner der noch älteren von
MaissoneuTe, Brunner, Boerhave, üalen u.a.m. Dann theilt er seine eigene
Beobachtui^ mit.
Ein junger und kraftiger, 21 jähriger Schiduaacher, der weder dem Trünke er-
geben, noch luetisch, noch hereditär belastet war, bekam i. J. 1880 einen epilep-
tischen Anfall, dem eine sensible und motorische Aura im Daumen dm: linken Hand
Torausging. Er verlor das Bewusstsein, der Kopf war nach links, die Augen nach
rechts und oben gerichtet. — Allgemeine (?) Convulsionen traten hinzu, nach 10 Min.
trat Schlaf ein. — Während eines Zeitraumes von 17 Monaten hatte er 21 solcher
Attacken bei Tage und eine unzählige Menge leichterer bei Nacht In den freien
Interrallen zeigte er ausser einer deutlichen Steigerung der Sehnenreflexe weder
motorische noch sensible Störungen. — Nur in der linken Ellenbeuge fand e^h im
Verlauf des N. median, ein auf Druck sehr schmerzhafter Punkt Als er im Sommer
1882 in Pitres* Hospital zu Bordeaux aufgenommen wurde, appücirte man ihm
2mal (am 8. und 15. Juli) 6 qcm grosse rechteckige Vesicatoiree gerade auf jene
si^merzhafte Stelle. — Dieselben blieben TOn 3 Uhr Nachmittags bis zum nächsten
Morgen um 9 Uhr liegen. — Eine wMtere innere Medlcation wurde bei dem Kranken
nicht in Anwendung gezogen. — Er soll von da ab bis zum Jahre 1884^ wo man
ihn zum letzten Maie sah, Yon jedem epileptisdiem Anfall frei geblieben sein. —
Ein Urtheil über Sitz und Entstehungsart der geschilderten epileptischen An&Ue,
sowie über den Zusammenhang zwischen den Oonyulsioiien und der Druckschmerz-
haffeigkeit des linken N. medianus erlaubt sich der Terf. nicht Laquer.
Anstaltswesen.
18) Thiity-^roorth teport cf the iBSpeoto» of Hish latiftdo av^tusiB. (Jomm.
of ment scienee. 1886. Aprü.)
In Irland sind bei einer Bevölkerung von 5 Millionen 14279 Geisteskranke
versorgt (allerdings davon 3775 in Arbeits- und Armenhäusem, 178 im Criminal-
asyl in Dundrum), sodass auf 350 Einwohner immer ein versorgter (jeisteskranker
kommt; der Bericht hebt aber hervor, dass doch noch viele Kranke in ländlichen
Districten der Fürsorge entbehrten. Die Aufnahmen während des Jahres 1884 be-
trugen 2736 (1519 M., 1217 F.), von diesen wurden 1150 (635 M., 515 F.) ge-
heilt entlassen, 462 gebessert, 111 ungebessert, die Zahl der Todesfölle betrug 865,
darunter 6 Fälle von Selbstmord. Eine besondere Zunahme der Zahl der Geistes-
kranken ist nicht constatirt. Zander.
— 285 —
III. Aus den Gresellsohaften.
XI. Wanderversammluiig Büdwestdeutsoher Neurologen und Irrenftnte
zu Baden-Baden am 22. und 23. Mai 1886.
Original -Bericht Yon Dr. Laquer in Frankfurt a. M.
V. Prof. Fürstner (Heidelberg): Ueber spinale Erkrankungen bei progressiver
Paralyse.
F. yerglich zunächst die F&lle von ParalysOi in denen Jahre hmg prim&re tabische
Erscheinungen vorhanden sind, mit einer zweiten Gruppe, in welcher ausschliesslich
die Pjramiden-Seitenstränge sich degenerirt erweisen. Wie Westphal» Zacher
und Schnitze, nimmt auch F. an, dass es sich hier um eine primäre Degeneration
handelt In weitaus der Mehrzahl der FäUe stellen sich die spastischen Erschei-
nungen secundär ein, F. hat aber mehrere Fälle beobachtet, wo sie ebenso wie die
tabischen Symptome primär zu constatiren waren: specieU hochgradig gesteigerte
Sehnenreflexe an den oberen und unteren Extremitäten, und wo erst später die Deu-
tung der cerebralen Symptome zweifellos wurde. In den letzten Stadien dieser Fälle
hat F. häufig, wie Zacher, Gontracturbildung in allen 4 Extremitäten gesehen
und zwar ausschliesslich Beugecontracturen, ebenso Muskelstarre und -Spannung von
grosser Intensität und Ausbreitung. Bei der Mehrzahl der Fälle, in denen die De-
generation auf die Pyramiden beschränkt ist, hält F. den Verlauf für einen ziemlich
schnellen (2 — 3 Jahre). Als weitere Gruppe stellt F. dann Fälle auf, wo neben
den Pyramiden-Seitensträngen die Eleinhim-Seitenstränge erkrankt sind, während sich
die Hinterstränge als völlig intact erweisen. — Zwei einschlägige Beobachtungen
werden mitgetheilt: In dem ersten reichten die Veränderungen der Pyramiden-Seiten-
stränge bis an's Ende des oberen Drittels vom Halsmark, die der Eleinhim-Seiten-
stränge noch etwas höher hinauf; der Höhepunkt der Degeneration war an der
Grenze des oberen Drittels des Brustmarks, von da ab allmähliche Abnahme. Die
Degeneration der Eleinhim-Seitenstränge war viel bedeutender, als die der Pyramiden-
Seitenstränge. Graue Substanz normal, in den Clarke'schen Säulen die Nervennetze
unverändert, vereinzelte Ganglienzellen verändert» daneben aber noch normale. Im
zweiten Falle reichte die Pyramiden-Seitenstrang-Erkrankung nur kurz über die Hals-
anschwellung hinaus, die Eleinhim-Seitenstrang-Entartung bis in die Mitte des Hals-
marks, auch hier war letztere erheblicher. Die Glarke*schen Säulen zeigten keine
bestinmiten Veränderungen. Im Hirn keinerlei Herderkrankung, die Atrophie des
Stimhims ziemlich stark. In dem klinischen Bilde sprach kein Symptom für Be-
theilignng der Eleinhimseitenstränge, die F. als zuerst erkrankt betrachtet; der
Symptomencomplex entsprach dem bei Pyramidenerkrankung zu beobachtenden. Der
Verlauf war in beiden Fällen sehr rapid — bis 2 Jahre, aulKllig war eine überaus
schnelle Abmagerung. F. bespricht sodann die Fälle, in denen die Pyramiden-
erkrankung noch keine über das ganze Fasersystem verbreitete ist, sondern wo bei
intacter oder wenig diffuser Veränderung der Pyramidenbahnen im Verlaufe derselben
fleckweise Degenerationen auftreten, sodann Fälle, in denen erkrankt sind: die Elein-
him-Seitenstränge, die Pyramiden-Seitenstränge und die Hinterstränge mehr oder
weniger partiell, dann die combinirten Erkrankungen von Pyramiden-Strängen und
Hintersträngen. Dass es trotz der Pyramidenstrang-Erkrankung nicht zu spastischen
Erscheinungen kommt, wenn die Wurzelzonen der Hinterstränge und die zugehörigen
Bückenmarks-Abschnitte verändert sind (Westphal, Zacher), — dass dieser Satz
auch Geltung hat für die secundäre Degeneration, dafär theilt F. einen Fall mit, in dem
seit vielen Jahren Tabes bestand und die Reflexe fehlten; im weiteren Verlaufe traten
zuerst rechtsseitige Lähmungserscheinungen auf, die sich zurückbildeten, nach mehreren
— 286 —
Monaten linksseitige bleibende. Eine Zeit nach dem letzten Insult trat der Tod ein.
Bei der Obduction ergaben sich 2 symmetrische Herde im vorderen Theil der inseren
Kapsel, doppelseitige absteigende Degeneration und graue Degeneration der Hinter-
stränge, speciell der Wurzelzonen bis in's Halsmark hinein; niemals traten im Ver-
laufe irgend welche spastische Erscheinungen auf, namenüich nicht Steigerung der
Sehnenreflexe. Weiter erörtert F. die Frage, ob nun in der That bei allen diesen
spinalen AfiTectionen die cerebralen Veränderungen bei der Paralyse dieselben seien,
ob namentlich — die Allgemeingültigkeit der Tuczek'schen Lehre vorausgesetzt —
Faserschwund sich fände bei den Fällen Tabes + Paralyse, ob er in den Fällen von
Pyramiden-Seitensträngen-Degeneration etwa besonders hochgradig seL F. erinnert
dabei an einen von Zacher berichteten Fall, in dem hochgradigste spastische Er-
scheinungen vorhanden waren bei intacten Pyramiden-Seitensträngen, und endlich —
ob dieselben Himpartien regelmässig betroffen werden.
Schliesslich theilt F. mit, dass er in den letzten Jahren sein Augenmerk darauf
gerichtet habe, ob in Fällen von Paralyse, in denen Syphilis anamnestisch nach-
gewiesen, sich die Hinterstränge der grauen Degeneration exponirt erwiesen. Die
bisherigen Resultate sprechen nicht sonderlich für diese Annahme. F. beobachtete
4 Fälle, wo von luetischen Secundärerscheinungen mit Bestimmtheit berichtet wurde,
— wo aber im weiteren Verlaufe der Paralyse die Pyramiden-Seitenstränge erkrankten,
die Hinterstränge aber intact blieben.
VI. Dr. Edinger (Frankfurt a. M.): Ueber Ursprungs Verhältnisse des AouBtioas
und die „directe sensorische Kleinhimbahn^*.
E. giebt zunächst eine Uebersicht der neueren Ansichten und berichtet dann über
das, was seine eigenen an zahlreichen Foeten vom Mensch, an Katzen und am Gehirn
von Erwachsenen angestellten Untersuchungen ergeben haben. Danach hält er sich
für berechtigt, das Folgende auszusagen:
I. Die hintere Wurzel des Nervus acusticus stammt aus dem sog. Nudeus acustici
anterior. Dieser Kern steht in Verbindung 1) mit der Oliva superior der gekreuzten
Seite durch ein mächtiges als „Corpus trapezoides'' verlaufendes Bündel^ 2) mit der
Oliva superior der gleichen Seite durch weniger Fasern, 3) durch Bogenfasem, welche
das Corpus restiforme umschlingen mit dem inneren Acusticuskem. Diese Fasern
liegen ventral von den sog. Striae Acustici. Bedner demonstrirt ausserdem Verbin-
dungen der oberen Olive mit dem Cerebellum, eine Bahn, die bei Katzen viel mäch-
tiger ist, als beim Menschen und einen starken Faserzug zwischen oberer Olive und
Abducenskem. Durch diesen wäre der Acusticus in Verbindung gesetzt mit dem Kern
der Augenmuskelnerven: eine Einrichtung, die nicht gleichgültig sein kann, wenn im
Acusticus wirklich Fasern vorhanden sind, welche zur Erhaltung des Gleichgewichts
dienen. —
II. Die vordere Wurzel des Nervus acusticus stammt, wie Vortragender sehr
entschieden im Gegensatz zu einigen neueren Autoren festhalten muss, aus dem
Nucleus acustici internus. Dieser Kern ist ebenfalls verbunden mit der oberen Olive
und nach innen von ihm ziehen dünne Fasern, welche nicht über den Abducenskem
hinaus verfolgt werden konnten. Ein drittes Fasersystem, welches in den Acusticus
eingeht, ist gegeben in einem Zweige der „directen sensorischen Kleinhirn-
bahn''. Als solche bezeichnet E. einen grossen Theil dessen, was von Meynert und
Andern „innere Abtheilung des Kleinlümschenkels" genannt wurde. Die „directe''
sensorische Kleinhimbahn entspringt aus der Gegend des Pfropfs, der Kugel- und der
Dachkeme mit ziemlich dicken Fasern, welche alle medial vom Corpus dentatum
cerebelli liegen. Sie scheidet sich scharf vom spinalen Theil des Corpus restiforme,
welcher lateral das Corpus dentatum umgreift. Ihre Fasern gelangen bis dicht an
die vordere Kreuzungs-Commissur (Stilling) des Wurms heran. Ob sie in diese
— 287 —
übergahen, konnte nicht sicher ennittelt werden. — Aus dieser directen sensorischen
Kleinhimbahn gelangt ein Theü in den Acosticus, ein zweiter steigt weiter vorn
zum Trigeminns herab. Ein drittes Bündel wendet sich nach rflchw&rts nnd ist bis
in die Hinterstr&nge hinein zu verfolgen. — Auf diesem Wege wird es dflnner und
ist es wahrscheinlich, dass es Fasern zum Glossopharyngeus und Vagus abg^ebt
Dieses Bfkndel, welches gar nichts mit dem Acusticus zu thun hat, ist identisch mit
dem, was Boller als aufsteigende Acusticus wurzel bezeichnet hat. Es ist bei niederen
Thieren, namentlich bei Fischen, ausserordentlich mächtig. Redner hat deshalb den
betreffenden Namen gewählt, weil diese Fasern, ohne in Beziehung zu Nervenkemen
za treten, direct aus dem Kleinhirn in peripherische sensorische Nerven übergehen. In
den Verlauf dieser „directen" sensorischen Kleinhimbahn ist der Deiters'sche Kern
eingesprengt, dessen Degeneration nach Dnrchschneidung der Hmterstränge (Monakow
mid Vejas) sich jetzt wohl besser als früher erklärt, weil gleichzeitig der hintere
Zweig der „directen sensorischen Kleinhimbahn'' mit durchschnitten wird.
Vn. Prof. Thomas (Freiburg): Ueber einen Fall von Polyneuritis.
Ein 32jähr. Mann erkrankte unter massigen Fieberbewegungeu an einer sehr
schmerzhaften Affection der unteren Extremitäten, die objectiv eine hochgradige Hyper-
ästhesie darboten. — Im Verlauf weniger Wochen magerte die Musculatur desselben
sehr ab, ein gleiches geschah mit der rechten oberen Extremität, wo sich ebenfalls
Schmerzen eingestellt hatten. Die Muskeln des linken Armes und des ganzen Rumpfes
blieben verschont Da sich Patient während der Beobachtung durch den Vortr. auf
einem kleinen Landorte befand, war eine galvanische Untersuchung nicht möglich. —
Der Ham wies einen Zuckergehalt von ^/^ ^/q auf während der ganzen Dauer jener
nervösen Störungen, das specifische Gewicht war nicht vermehrt, ebensowenig die
Menge desselben gesteigert. — Unter Salicyl-Behandlung und Faradisation der be-
troffenen Muskelpartien ging das Leiden des Fat. vollständig zurück. Der Vortr.
fasst dasselbe als eine durch Glykosurie complicirte Polyneuritis rheumatischen
Ursprungs auf; vielleicht läset sich das Zuckerharaen, wie Th. meint,« auch durch
einen reichlichen Biergenuss erklären, dem Fat. sich einige Zeit vor Beginn seiner
Erkrankung hingegeben hatte; von einem wirklichen Diabetes kann im vorliegenden
Falle nicht die Bede sein, da später im Ham Zucker nicht wieder aufgetreten ist.
Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenkrankheiten zu Berlin. Sitzung
vom 7. Juni 1886.
Thomson spricht über einen Fall von isolirter TAhmnng des Blickes
nach oben mit SeotionabefünoL Der 49jährige Kranke, der sonst noch andere
für multiple Sderose verdächtige nervöse Symptome aufwies, konnte die Augen nach
unten, rechts und links gut bewegen, nur nach oben konnten die Augen nicht oder
luum ftber die Horizontalebene erhoben werden. Bei monoculärer Prüfung erwies
sich der Defect der Aufwärtsbewegung rechts noch etwas stärker, wie links. Die
rechte Pupille reagirte minimal, die linke wenig, beide Sehnervenpapillen waren
etwas blase.
Die Section ergab eine wenig intensive multiple Sderose des Bückenmarks und
seiner Wurzeln bis zum oberen Halstheil; von da aufwärts waren sderotische Flecke
nicht nachweisbar, es bestand nur eine starke Ependymitis des 4. Ventrikels.
Die Nervenkeme in Medulla. und Pens, speciell die Kerne der Oculomotorii er-
wiesen sich als gesund. Dagegen fand sich zwischen den Himschenkeln gerade an
der AustrittssteUe der Oculomotorii eine gummOse Neubildung, welche links nur ober-
flächlich, rechts dagegen tief in den Himschenkelfuss, die Substantia nigra bis an
den rothen Kern heran hineingewuchert war. Die Wurzelbündel des Nerven sind
links gesund, rechts dagegen hochgradig degenerirt, soweit sie die Neubildung passiren.
- 288 —
Qaerscbnitie der Stamme ei^aben rechts eine allgemeine hochgradige, links eine
partielle leichte Degeneration der Nerven; die Musculi recti superiores waren geBund,
die kleinen Muskeläste rechts degenerirt.
Es handelte sich also gar nicht um eine „Associationsl&hninng'S sondern um
eine rein peripherische Läsion ganz besonders des rechten Oculomotorins — sonderbar
erscheint, dass die hochgradige Degeneration des rechten and die ganz leichte des
linken Nerren, an beiden Augen denselben Bewegungsdefect und eben nur diesen
hervorgerulen hat und so eine Blicklähmung vortäuschte.
Martins stellte auf Grund eigener Untersuchungen und unter Zuhülfenahme
der graphischen Darstellung folgende ^Gtoeetase der Widentandsverändeningen
der mensohlichen Haut dnroh den oonstanten Strom" auf:
1. Die absolute Grösse der für ein und dieselbe Stromrichtung bei unveränderter
Elektrodengrösse erreichbaren Widerstandsverminderung wächst mit der im Kreise
herrschenden elektromotorischen Kraft, d. h. mit der Zahl der angewandten Elemente.
2. Diese Widerstandsverminderung kann jedoch eine gewisse Grenze, die bei
Anwendung mittelg^'osser Elektroden zwischen 3000 — 1000 Ohm liegt, nicht über-
schreiten. Ist diese Grenze erreicht, so bringt eine weitere Steigerung der elektro-
motorischen Kraft keine weitere Widerstandsverminderung mehr hervor.
3. Der zeitliche Ablauf der Widerstandsverminderung ist um so steiler, je grosser
die Zahl der Elemente ist.
4. Bei Verwendung einer relativ grossen Anode und einer relativ kleinen Ka-
thode erreicht die absolute Grösse der Widerstandsverminderung höhere Werthe, als
im umgekehrten Falle. Ebenso zeigt der zeitliche Ablauf der Widerstandsabnahme
eine grössere Steilheit.
5. Wenn bei Anwendung gleichgrosser Elektroden durch den Strom einer Rich-
tung das Widerstandsminimum für diesen Strom erreicht isi^ so bringt jede Wendung
des Stromes, sei es die primäre oder die secundäre (d. h. die Wendung zurück zur
Anfangsstellung) in gleicher Weise eine Widerstandsverminderung hervor, die jedoch
nach wenigen Secunden emem erneuten Anwachsen des Widerstandes Platz zu machen
beginnt. Der neue definitive Widerstand wird etwa in 1 bis 1^/, Minuten erreicht.
Durch die erste Wendung wird der definitive Widerstand absolut herabgesetzt; darch
die folgenden Wendungen kann eine weitere Herabsetzung des definitiven Wider-
standes nicht mehr erreicht werden.
6. Dies letztere Gesetz der Widerstandsschwankungen bei Wendungen des
Stromes erleidet eine wesentliche Aenderung, wenn Elektroden von sehr verschiedenem
Querschnitt zur Anwendung kommen.
Ist bei Verwendung der kleinen Elektrode als Kathode das Minimum des Wider-
standes bei gleichbleibender Stromrichtuug erreicht» so bringt eine Wendung auf die
Anode eine sehr schnelle (in wenigen Secunden yerlanfende) Widerstandsverminderung
hervor, die alsbald einer beträchtlichen definitiven Widerstands Vermehrung
Platz macht. Die nun folgende Wendung auf die Kathode (die Bezeichnung der
Wendung bezieht sich immer auf die kleine oder difierente Elektrode) bringt eine
definitive Widerstandsverminderung hervor, während durch eine erneute Wendung auf
die Anode der Widerstand wieder einen höheren definitiven Werth erreicht, als er
vor der ersten Wendung hatte und so fort.
6. Alle diese durchaus gesetzmässig auftretenden Erscheinungen lassen sich in
befriedigender Weise aus den von Munk aufgestellten physikalischen Gesetzen der
kataphorischen Stromwirkungen ableiten.
Einsendungen f&r die Bedaotion sind zu richten an Prot Dr. E.Mendel.
Berlin, NW. Kronprinzen-Ufer 7.
Verlag von Vbit & Comp, in Leipzig. — Druck von Mbtzobr & Wirno in Leipzig.
NEUROLOGISCHESCENTRALBLAn.
Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, PatJfioiogie
und Therapie des Nervensystemes einschliesslich der Geistesicranicheiten.
Herausgegeben von
Professor Dr. E. Mendel
Fflnfter "* ^«^ Jalirgang.
Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 16 Mark. Zu beziehen durch
alle Buchhandlungen des In- und Auslandes» die Postanstalten des Deutschen Kelchs» sowie
direct von der Verlagsbuchhandlung.
1886. 1. Jnli. M 13.
Inhalt. I. Originalmittheilung. 1. Muskelbefund bei der juvenilen Form der Dystrophia
muBCularis progressiva, von W. Erb. 2. Eine einfache elektrodiagnostische Methode quanti-
tativer galvanischer Erregbarkeitsbestimmung» von Ernst Remak.
II. Referate. Anatomie. 1. Sulla fina anatomia degli organi centrali del sistema
nervöse» del Golgl. — Pathologie des Nervensystems. 2. Sur une forme particuliäre
d'atrophie musculaire progressive souvent familiale a^butant par les pieds et les jambes et
attcignant plus tard les mains, par Cliarcot et INarle. 8. Neuro- und myopathologische Mit-
theüungen aus der Erlanger med. Klinik von Penzoldt u. Kreske. 4. Primary spastic paralysis
and pseadohypertrophic paralysis in diiferent meinbers of tbe same family, with probable
heremty in both, by Philip. 5. De l'atropbie musculaire dans les paralysies hysteriques, par
Babinski. 6. Sanitats-Bericht ttber die deutschen Heere Im Kriege gegen Frankreich 1870/71.
VIL Band: Erkrankungen des Nervensystems. (Scbloss.) — Psychiatrie. 7. Quelques
dounäes cliniques concemant les relations existant entre repilepsie et Tidiotie, par Ingels.
— Therapie. 8. Welche Bedeutung können wir der Weir Mitchell Playfair'schen Kur
beilegen? von Leyden.
III. Aus 4en eesellschafte«. XI. Wanderversammlung sfid westdeutscher Neurologen und
Irrenarzt« zu Baden-Baden. (Fortsetzung.) — Soci^tä de biologie a Paris.
VI. Personalien.
V. Vermischtes.
I. Originalmittheilungen.
1. Muskelbefnnd bei der juvenilen Form der Dystrophia
muscularis progressiva.
Nach einem Vortrag, gehalten auf der XI. Wanderversammluug der süd west-
deutschen Neurologen und Irrenärzte in Baden-Baden am 22. u. 23. Mai 1886.
Von W. Brb.
Vor einigen Jahren habe ich auf Grund eigener, relativ zahlreicher Be-
obachtungen versucht, eine Neuordnung der unter dem Namen „progressive
Muskelatrophie" noch immer zusammengefassten verschiedenartigen Krankheits-
formen zu machen.* Alle seither von mir selbst gemachten weiteren Beobach-
tungen haben lediglich dazu gedient, mir die Richtigkeit der damals vorgetragenen
1 W. Ebb, Über die juvenile Form der progress. Mnskelatrophie nnd ibre Beziehungen
zur sog. Pseudobypertrophie der Muskeln. Deutsch. Arch. f. klin. Med. 1884. Bd. 34. S. 467.
— 2Ö0 —
Anschaaungen zu erweisen und ich habe die grosse Befnedigung zu sehen, dass
dieselben anch fast allgemein acoeptirt worden sind nnd dass &st alle, den
Gegenstand seither behandelnden Autoren die von mir gegebene Eintheilung
nnd Zosammenfassnng den klinischen nnd anatomischen Thatsachen entsprechend
gefanden haben.
Gegenüber den Formen von progressiver Mnskelatrophie, welche durch
Erkranlning der grauen Yordeisäulen des Rückenmarks bedingt sind nnd für
welche ich den Namen der Amyotrophia spinalis progressiva gewählt
habe, habe ich unter dem Namen der Dystrophia muscularis progressiva^
einerseits die schon längst bekannte „Pseudohypertrophia muscivians infantum"
und die von Letben' angestellte „hereditäre Muskelatrophie", andererseits die
von mir aufgestellte und beschriebene ,Juvenile Muskelatrophie" zusammengeÜEisst
Dass dazu auch noch die von Duchenne' zuerst beschriebene „Atroph. muscuL
progressive de Tenfance" gehört, kann nach allen neueren Arbeiten über diesen
G^enstand^ nicht wohl zweifelhaft sein — trotz der Auseinandersetzungen von
Landouzy und Dejebine.
Wie aus der sehr verdienstlichen Zusammenstellung in der Monographie
^ Trotz der von verBchiedenen Seiten gemachten Einwände gegen die Wahl dieser Be-
zeichnung kann ich doch nicht zugeben, dass irgend eine andere glücklicher wäre. Ver-
gebens habe ich mich bemfiht, ein Wort za finden, das die Mannigfaltigkeit des anatomischen
Qeschehens in den Muskeln: — Hypertrophie und Atrophie der Muskelfasern, Kemvermehrung,
Vacuolenbildung und Spaltungsvorgange in denselben, Hyperplasie des Bindegewebes und
Lipomatose! — kürzer nnd zutreffender bezeichnete als „Dystrophie" =: Miss -Ernährung,
„falsche** Ernährung (analog der „Dyscrasie"). Die französische „Myopathie** ist doch noch
viel weniger präcis und der von Fb. Sohultzb vorgeschlagene „primäre progressive Muskel-
schwund mit Hypertrophie'* dürfte schon seiner Länge wegen wenig Anklang finden. Ich
möchte also bitten, den Namen „Dystrophia muscularis progressiya*' für diese Erankheits-
form bis auf Weiteres beizubehalten. Es kommt ja doch schliesslich nur darauf an zu
wissen, was man unter einem solchen Namen versteht — und das ist hier ja scharf genug
präcisirt — und keineswegs, dass derselbe nun das ganze Wesen und die systematische
Stellung des Leidens erschöpfend bezeichnet. Bei einer Krankheit, über deren eigentliches
Wesen wir zur Zeit ja noch ganz unklar sind , ist das überhaupt gar nicht möglich.
Auf das Adjectiv ,Juvenil", welches ich der einen Unterart dieser „Dystrophie" bei-
gelegt habe, und welches verschiedentlich MissfaUen erregt zu haben scheint, lege ich keinen
besonderen Werth, um so weniger, als der heute mitzutheilende Fall ja gegen dasselbe
spricht. Bis jetzt weiss ich aber auch noch nichts Besseres, um diese Unterart prägnant
zu bezeichnen.
' Lbtdbn, Klinik der Bückenmarkskrankheit. 1876. II. S. 525.
> DuoHBNirs (de Boulogne). Electrisation localis^. 1872. 8. 6d. p. 518.
^ £. Bbmax, Ueber die gelegentliche Betheiligung der Gesichtsmuskeln bei der juvenilen
Form etc. NeuroL CentralbL 1884. Nr. 15. — Mossdorf, Ein 2. Fall von Betheiligung der
Gesichtsmuskeln bei der juvenilen Muskelatrophie, ibid. 1885. Nr. 1. — Lakdoüzt et Dbjebdib,
De la myopathie atroph, progressive. Bevue de M^d. 1885. F^vr.-Avril. — Chaboot, Bevision
noBograph. des atrophies muscul. progress. Progräs mÖd. 1885. Nr. 10. — P. Mabib et G.
GuiNON, Formes cliniques d. 1. myopathie progress. primitive etc. Bev. de M^d. 1885. OcL
— A. Kbbokb, Ueber die myopathische Form der progr. Muskelatrophie mit Betbeiligung
der Gesichtsmuskeln. Münchener med. Wochenschr. 1886. Nr. 15.
— 291 —
von Fb. Sohültzb^ hervorgeht , besitzen wir zwar von der sog. Pseudohyper-
trophie der Muskehx schon recht zahlreiche anatomische Untersuchungen, sehr
wenige dagegen nur von meiner sog. juvenilen Form der Muskelatrophie. Ausser
einigen älteren, sehr unvollständigen Beobachtungen, ausser dem bekannten, in
seiner klinischen Stellung jedoch nicht ganz sicheren, Falle von Liohtheim'
und der von Laiibouzy-Dejbbine in ihrer Monographie (1. c.) beschriebenen
Beobachtung von hereditärer (DüCHENKE'scher) Myopathie, ist es eigentlich nur
der von Fb. Schxjltzx: selbst soeben publicirte Fall aus der Heidelberger Klinik,
welcher mit allen Hülfsmitteln der modernen Technik und nach allen Richtungen
hin untersucht wurde, und auch diesen Fall — den ich übrigens ebenfalls zu
meiner ,JuYenilen^^ Form zu stellen sehr geneigt bin — bietet mancherlei Eigen-
thümlichkeiten und kam erst nach so langem Bestände des Leidens zur Unter-
suchung, dass er nicht wohl nach allen Seiten entscheidende Befunde liefern
konnte. — Jedenfalls war es wünschenswerth, in einem typischen und zweifel-
losen Fall von meiner ,Juvenilen Form'' einmal die Muskeln, besonders in den
früheren Stadien der Krankheit, genauer zu untersuchen und den Befund zu
vergleichen mit den Muskelbefunden bei der Pseudohypertrophie und bei der
hereditären Muskelatrophie.
Gelegenheit dazu bot sich in dem folgenden Falle von ausgesprochner
juveniler Muskelatrophie, welchen ich jüngst beobachtete und bei welchem
es möglich war, aus zwei Muskeln in relativ frischem Stadium der Erkrankung
Stacke zu excidiren und genauer zu untersuchen.'
Ignaz Wolf, 41 Jahr, Metzger aas Böhmen, in meiner Klinik vom 19. Febr.
bis 18. März 1886.
In der Familie nichts Aehnliches, keine Heredität
Frühere Krankheiten: Conjunctivitis, Typhus, Bahr, Carbnnkel, Hämorrhoiden.
Nie Syphilis. — Im Alter von 34 Jahren Sturz in einen Steinbruch, ca. 60 Fass
hoch hinab; ein Stein fiel ihm dabei noch in's Kreuz; war bewosstlos, lag 6 Wochen
^ Fb. Schultzb, Üeber den mit Hypertrophie verbundenen progressiven Muskelschwund
und ähnliche Krankheitsformen. Wiesbaden 1886.
' LiCHTHSiM, Progr. Muskelatrophie ohne Erkrankung der Vorderhömer des Bücken-
marks. Arch. £. Psych, u. Nerv. 1878. VIII.
* Wenn mich nicht alles tauscht, ist dies derselbe Fall, welchen Prof. Pbnzoldt jüngst
als „Uebergangsform der Dystroph, muscul. progr. Ebb's" beschrieben hat (Münchn.
med. Wochenschr. 1886. Nr. 14—16), die Personalien und die Anamnese stinunen wenigstens
genau überein. Dagegen ersehe ich aus der Beschreibung des Falles, dass zur Zeit, als
Penzoldt den Kranken sah, eine Reihe von Veränderungen noch nicht vorhanden zu sein
schien, welche jetzt unzweifelhaft vorhanden waren und welche den Fall nicht als eine
Uebergangsform, sondern als eine ganz typische reguläre Dystrophie (juvenile
Form) erscheinen lassen, bei welcher lediglich der späte Beginn des Leidens abweichend ist.
Wie aus meiner Beschreibung hervorgehen wird, ist der Deltoideus nicht theilweise hoch-
gradig atrophisch, er ist nicht lipomatds; die Gucullares, die Bhomboidei, die Sapinatores,
die Gesäss- und Oberschenkelmuskeln sind nicht frei, sondern z. Th. recht erheblich er-
krankt! Es ist nicht angegeben, zu welcher Zeit der Kranke in Erlangen war — aber es
ist schwer anzunehmen, dass seitdem so erhebliche Veränderungen mit ihm sollten vorge-
gangen sein, wie sie sieh aus der Differenz unserer Beschreibungen ergeben.
— 292 —
im Spital, (ohne Fractarl), konnte anfangs nor schwer geben, nach weiteren 4 bis
5 Wochen aber wieder arbeiten.
Ca. 1 — IV2 Jahre später (Angaben darüber nicht ganz zuverlässig) Beginn
des jetzigen Leidens mit Schwäche in den Schultern (die früher entschieden
nicht bestanden zu haben scheint), Abmagerung der Oberarme, Herabsinken der
Schultern, beschränkter Gebrauchsfähigkeit der Arme.
Seit 3 Jahren auch Spannungsgefühl und Ermüdung der Beine; weiterhin
Abmagerung der Oberschenkel. Bei längeren Anstrengungen schmerzhaftes Er-
müdungsgefühl in den Beinen.
Sonst nie Schmerzen in den Armen oder Beinen oder im Bücken; keine Parasthe-
sien, keine Zuckungen oder Steifheit; das ganze Nervensystem vollkommen normal.
Status. Der Kranke zeigt ganz das typische Bild der juvenilen Dystrophie,
das auf Photographien plastisch hervortritt.
Gesicht, Kaumuskeln, Zunge, Gehirn und Himnerven frei. — AufiEallend vor
allem die Deformität und abnorme Haltung der Schultern. Eine kurze Skizze der
Muskel Veränderungen mag hier genügen. Obere Körperhälfte: Atrophisch und
paretisch sind: die Pectorales (bis auf kleine Reste des Glavicularbündels), Cucul-
lares (bis auf schwache oberste Bündel), Rhomboidei, Seirati antic. maj., Latissimi
(vollständig fehlend), Bicipites und Brachiales intemi, Supinatores long! (vollständig
fehlend), Tricipites (z. Th. lipomatös resp. hypertrophisch), die Rückgratstrecker (in
massigem Grade).
Hypertrophisch sind: die Deltoidei (sehr hochgradig und in ihrer ganzen
Auedehnung, nur die hinteren Bündel etwas schlaffer als die vorderen), die Flexoren
am rechten Vorderarm, die Supra- und Infraspinati (in geringem Grade), vielleicht
auch die Subscapulares und Teretes (in geringem Grade).
normal sind die Levatores scapulae, Stemodeidomast., die noch nicht erwähnten
Vorderarm- und alle Handmuskeln.
Untere Körperhälfte. Gang leicht wackelnd, geringe Lordose der Lenden-
gegend. — Rückenmuskeln etwas geschwächt, Bauchmuskeln kaum.
Atrophisch sind die linken Oberschenkel- und die rechtseitigen Gesässmnskeln
(in geringem Grade, linker Oberschenkel unten ca. 2 cm dünner als der rechte),
vielleicht auch der rechte Tibialis anticus.
Normal der Tensor fasciae (etwas hypertrophisch?), Unterschenkel- und Fuss-
muskeln.
Sensibilität überall normal; Hautreflexe normal. Sehnenreflexe vor-
handen, aber schwach, Tricepsreflex fehlt. Sphincteren normal
Keine fibrillären Zuckungen (wurden während des 4w6chentlichen Aufent-
halts nie bemerkt).
Die Muskeln zeigen bei der Palpation das gewöhnliche Verhalten; ihre mecha-
nische und elektrische Erregbarkeit ist, ihrem Volumen entsprechend, ein-
fach herabgesetzt; keine EaR.
Innere Organe, Harn etc. normal.
Am 12. März wird dem Kranken (durch Herrn Dr. Oehle) ein Stückchen
Muskel aus dem (stark hypertrophischen) rechten Deltoidens und ein solches
aus dem (massig atrophischen) rechten Biceps brachii excidirt Härtung in
Müller'scher Flüssigkeit, dann in Alcohol, Einbettang in Oelloidin, Anfertigung
von Quer- und Längsschnitten, Färbnng mit Alaoncarmin oder — da diese
nicht durchweg gut gelang — Doppelfarbung mit Eosin-Hämatoxylin. — Das
Ergebniss der mikroskopischen Untersuchung ist — in kurzer vorläufiger Mit-
theilung — folgendes:
— 298 —
Muse, deltoideus (stark hypertrophisch). Querschnitte: Muskel-
fasern fast alle erheblich hypertrophisch, nur vereinzelte atrophische
darunter. Durchmesser von 15 — 170 fi; mehr als die Hälfte der Fasern hat
über 100 /u (Normalzahlen 40 — 60^, Grenz werthe 15—75 .a). — Die zehn
grossten Fasern zeigten 130—170 fi, die zehn kleinsten 15 — 40 fi. — Die Yer-
theilung der Fasern auf dem Querschnitt ist unregelmassig; an einzelnen
SteUen finden sich die kleineren reichlicher. Sie zeigen vielfach eine mehr
rundliche, nicht die normale scharfeckige Form und stehen weiter von
einander ab, als normal — besonders die mittleren und kleineren Fasern.
Die Querschnittszeichnung ist gleichmässig, kleinkörnig, mit Spältchen und
Rissen versehen. Es zeigt sich erhebliche Eernvermehrung — im Mittel
ca. 6 Kerne pro Faser (normal 1,8 pro Faserquerschnitt); auch finden sich
relativ viele Fasern (ca. 22 ^/o) mit central gel^enen Kernen, nicht mit bloss
randstandigen.
Einzelne Fasern zeigen auch die von Cohnheim^ und Knoll* schon be-
schriebenen Formen, die auf Spaltungsvorgänge in den Muskelbündeln hin-
weisen. Einige wenige zeigen auch deutliche Vacuolenbildung in ihrem
Innern, wie sie Fb. Sohxtltze' jüngst in seinem Falle und wie ich selbst sie
bei der Thomsen'schen Krankheit beschrieben habe.^
Das Bindegewebe ist entschieden vermehrt, wenn auch nur massig;
nur an einzelnen Stellen erheblicher, mit breiten welligen Faserzügen; sein
Eernreichthum ist grösser als normal, an einzelnen Stellen finden sich
Eernanhaufungen. Die Gefässe zeigen vielfach etwas verdickte und kern-
reichere Wandungen. Yon Lipomatose ist keine Bede; nur an wenigen Stellen
finden sich einige Fettzellen neben den Oefassen.
Längsschnitte: Auch hier erhebliche Verbreiterung der Fasern;
vorwiegend Längsstreifung mit Spältchenbildung an denselben, viel&ch aber
auch deutliche feine Querstreifung. — Nirgends fettige oder körnige Degeneration,
nirgends Zerfall unter Bildung von Kemhaufen. — An 2 Fasern Andeutung
von Vacuolenbüdung. — Erhebliche Kernvermehrung, zahlreiche Kem-
zeüenvon 10— 30 Kernen. — Bindegewebe reichlich, kemreich; Gefasse verdickt.
Muse, biceps brachii. Längsschnitte verhalten sich ganz ebenso wie
am Deltoideus: Faserverbreiterung, Kemreichthum, massige Bindegewebsvermeh-
rung etc.
Querschnitte: Hier lassen sich 2 Bündel unterscheiden, von welchen das
eine das weiter fortgeschrittene Stadium des Leidens darzustellen scheint.
Grenzwerthe. Grösste Fasern. Kleinste Fasern.
Abtheilung I: 15—160 fi 140—160 fi 15—40 fi
Abtheüungn: 15— 140 jii 125—140^ 15— 35 ju.
* CoHNHBiM, Verb, der Berl. med. Gesellsch. 1866. IL
' Kkoll, üeber Paralysis pseudohypertrophica. Wiener med. Jahrb. 1872. S. 1.
> 1. c. S. 17 ff.
^ W. E&B, Die Thomsen'sche Krankheit (Myotonia congenita). Leipzig 1886. S. 92.
— 294 —
Die Kemvermehrung ist bei beiden Abfheilungen sehr erheblich, bei I mehr
als 7 Kerne durchschnittlich pro Faserquerschnitt, bei 11 ca, 6 Kerne.
Die Abtheilung I sieht ziemlich ebenso aus, wie der Deltoideus: erheb-
liche, ziemlich gleichmassige Hypertrophie der Fasern, betrachtliche Kern-
vermehrung, Spaltungsvorgänge, auch deutliche Yacuolenbildung. Die
einzelnen Fasern ziemlich dicht beisammenstehend; Bindegewebe wenig ver-
mehrt, etwas kemreicher; Oefasse etwas verdickt, mit kemreichen Wandungen.
Die Abtheilung II zeigt viel ungleichmässigere Fasern, nicht mehr
so viele hypertrophische, sondern auch sehr viel kleinere; die einzelnen Fasern
stehen sehr viel weiter auseinander, sind mehr rund. Sie zeigen
Spaltungsbilder;- Vacuolen fand ich bis jetzt hier nicht. — Das Binde-
gewebe ist erheblich vermehrt, kernreich, zartfaserig, wellig; an einzelnen
Stellen reichliche Kemanhäufungen. Oefasse verdickt; einzelne Fettzellen, keine
eigentliche Lipomatose.
Beim Vergleich mit Präparaten aus dem Gastrocnemius und Infraspinatus
eines Falles von infantiler Pseudohypertrophie, welche ich in Strassburg demon-
strirt habe,^ zeigte sich in allem Wesentlichen an den Muskelfasern die grosste
Uebereinstimmung (Hypertrophie, Atrophie, Kernvermehrung, Spaltbildung, auch
Yacuolenbildung, wie ich zur Ergänzung des von Schültze 1. c. S. 23 Gesagten
jetzt hinzufQgen kann), nur war bei diesem Fall die Bindegewebsvermehrung
eine viel erheblichere, als in dem vorliegenden; vielleicht ein vorgeschritteneres
Stadium des Leidens?
Beim Vergleich mit den Thomsen'schen Muskeln ^ zeigte sich auf den ersten
Blick, besonders für die Deltoideuspräparate, eine sehr grosse Aehnlichkeit Die
Unterschiede bestehen darin, dass bei der Thomsen'schen Krankheit die Hyper-
trophie der Fasern viel gleichmässiger und noch hochgradiger, der Kernreichthum
grosser, das Bindegewebe spärlicher und kernärmer ist, dass keine Spaltbildungen
und keine Faseratrophie vorkommen«
Fasse ich das Gesagte zusammen, so handelt es sich hier offenbar um
relativ frühe Stadien der Muskelveränderung in einem unzweifelhaften Fall von
Dystrophia muscularis progressiva beim Erwachsenen. Prägnant hervortretend
ist dabei die Thatsache, dass die Veränderungen an den Muskelfasern
selbst erheblich in den Vordergrund treten, während die Bindegewebs-
vermehrung sehr zurücktritt. Besonders ist die fast alle Fasern betreffende
Hypertrophie zu betonen, dann die Kemvermehrung, die Theilungsvorgänge
und die Vacuolenbildung an den Muskelfasern. Es darf nach den vorliegenden
Befunden vermuthet werden, dass es im späteren Verlauf des Leidens an den-
selben Muskelfasern zu einfacher Atrophie kommt, während fettige und
sonstige Degenerationen der Muskelfasern vermisst werden. —
^ Tageblatt der 58. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte in Strassburg.
1885. S. 508.
* Ebb, Die Thomsen'sche Krankheit. 1. c. S. 83 ff.
— 295 —
Es besteht ja gleichzeitig eine unzweifelhafte Yennehrung des interstitiellen
Bindegewebes, bei Verdickung der Gefasse und massigem Kemreichthum. Die-
selbe tritt jedoch sehr zurück und bildet jedenfalls nicht das Wesentliche des
Processes; und Ton Lipomatose endlich ist hier gar keine Bede. Es kann somit
ganz gewiss nicht daran gedacht werden, dass in diesem Falle durch die
Wucherung des Binde- und Fettgewebes etwa erst secundär die Muskelfasern
afficirt und in „tödtlicher Umarmung erstickt würden". Offenbar liegen da
ganz andere „trophische" Störungen vor, die in erster Linie an den Muskelfasern
einsetzen, deren Wesen und Geschehen, deren Verursachung besonders uns zur
Zeit aber noch recht wenig bekannt sind.
Natürlich weiss ich, dass mit dieser Untersuchung zweier mandelgrosser
Muskelstückchen eine entscheidende Beantwortung der hier sich aufdrangenden
Fragen nicht versucht werden darf; immerhin dürften aber auch diese Frag-
mente für die Beurtheilung des ganzen Erankheitsvorganges nicht ganz werth-
los sein und jedenfalls zeigen dieselben eine weitgehende Uebereinstimmung der
Muskelbefunde bei der ,,juvenilen Dystrophie" und bei der „infantilen Pseudo-
hypertrophie".
Einer meiner Schüler hat die weitere und eingehendere histologische Durch-
arbeitung und die speciellere literarische Verwerthung dieses Falles übemonmien.
2. Eine einfache elektrodiagnostische Methode quantitativer
galvanischer Erregbarkeitsbestimmung.
Von Dr. Ernst Bemak, Frivatdocent in Berlin.
Die gangbare Methode der quantitativen Bestimmung der galvanischen Er-
regbarkeit der motorischen Nerven und Muskeln besteht bekanntlich darin, bei
allmählicher möglichst proportionaler Steigerung der Stromstärke (durch den
Elementenzahler oder den Rheostaten) und damit auch der nicht nur von dieser,
sondern auch vom Elektrodenquerschnitt abhängigen Stromdichte zunächst das
Contractionsminimum (die Minimalzuckung) bestimmter Phasen des
Zuckungsgesetzes, meist nur der EaSZ, zu ermitteln und alsdann den dazu
nöthigen Schwellenwerth des Reizes am Galvanometer zu messen.^ Obgleich
nach der Einführung der absoluten oder Einheitsgalvanometer und der EBB'schen
Normalelektrode (vgl. dieses Centralbl. 1886 Nr. 1) diese Methode zu viel besser
vergleichbaren Resultaten führt, haften ihr doch einige üebelstände an, welche
die ermittelten Zahlenbestimmungen anfechtbar machen. Wenn nämlich nach
V. ZiEMSSEN und Erb zur Schonung des Galvanometers die Minimalzuckung
zunächst bei Ausschaltung des letzteren (durch den guten Nebenschluss eines
Schlüssels) aufgesucht wird, so verändert, wie mir schon längere Zeit bekannt
> Vgl. y. ZiBMSSBN, Die Elektricität in der Medicin. 1885. 4. Aufl. IL S. 14. — Erb,
Handbuch der Elektrotherapie. 1886. 2. Aufl. S.159. — E. Kemak, Elektrodiagnostik. ]V.
1. B. S. 28 des S.-A. aus der Realencyklopädie. 18S6. 2. Aufl.
**
— 296 —
war, und F. Mabtius in einem am 7. Juni d« J. in der hiesigen Gresellschaft
for Psychiatrie gehaltenen Vortrag ansfohrlich belegt hat, die nachheiige Ein-
schaltong des Galvanometerwiderstandes von 471 Ohm des HiBSCHMAKi^schen
oder 330 Ohm der empfindlichsten Anordnung des grossen EDELMAim'schen
Einheitsgalvanometers nicht unwesentlich die Stromstärke, so dass also der
gemessene Strom schon darum nicht mehr der für die Minimal-
zuckung (ohne Galvanometer) verwendete ist Aber auch wenn man
die Gkdvanometemadel schon während der Aufsuchung der Minimalzuckung frei
schwingen lässt oder die eben angeführte Fehlerquelle dadurch vermeidet» dass
der das Galvanometer ausschaltende Nebenschluss genau seine Widerstände ent-
hält, so bedingen die längst bekannten, von mir^ schon vor längerer Zeit stu-
dirten von der Einwirkung des ruhenden galvanischen Stromes selbst abhängigen
Widerstandsveränderungen der Haut, welche nach den eingehenden Untersuch-
ungen von GlBTmsB^ und Jolly' ungeahnt schnell und erheblich namentlich
in den ersten SO Secunden nach dem Stromesschluss, also in der bis zur Be-
ruhigung der Galvanometemadel mitunter verfliessenden Zdt erfolgen, dass die
Messung um so ungenauer wird, je langsamer die Dämpfung eintritt.
Gäbtkeb^ und Stintzing^ haben in verschiedener Weise diese Fehlerquelle
elektrodiagnostischer Messung zu vermeiden gesucht, ersterer durch Verwendung
einer besonderen Pendelvorrichtung mit nur V4 Secunde währender und dennoch
exact am Spiegelgalvanometer, neuerdings auch am Edelmann'schen Horizontal-
galvanometer messbarer Stromschliessung, letzterer durch ausschliessliche Be-
nützung des innerhalb 5 Secunden völlig gedämpften Edelmann'schen Galvano-
meters. Beide Autoren sind von der ausschliesslichen Verwendbarkeit ihrer
Methoden zu wissenschaftlich brauchbaren Besultaten gleich überzeugt, und wird
namentlich von SriNTzma die Brauchbarkeit aller anderen absoluten Galvano-
meter zu publicistisch verwerthbaren Messungen rundweg in Abrede gestellt
Es muss unumwunden anerkannt werden, dass durch diese Arbeiten die
elektrodiagnostische Methodik am Lebenden zu rein wissenschaftlichen Zwecken
erheblich gefordert worden ist, namentlich für Laboratorien und Listitute, in
welchen die sichere Function der Apparate und die vor Erschütterungen und
anderen Störungen völlig gesicherte Aufstellung der Messinstrumente gewähr-
leistet ist. Dennoch wird für die weniger günstigen Verhältnisse stark besuchter
Ambulanzen die Frage berechtigt sein, ob es unumgänglich ist, dass unter
Umständen die Untersuchung zahlreicher noch wartender Patienten im eigent-
lichsten Sinne des Wortes an einem Coconfaden hängt, und ob nicht durch
resistentere absolute Galvanometer, insbesondere das für die therapeutische
1 Deutsches Arch. f. klin. Med. 1876. XYIU. Bd. S. 286 u. ff.
* Wiener med. Jahrbücher. 1882. 4.
' UntersnchnngeD über den elektrischen Leitangswiderstand des menschlichen Kdrpen.
Strassbnrg 1884.
« Wiener med. Jahrbücher. 1885. S. 389 und 1886. S. 161—166.
"'Stintzikq, Ueber elektrodiagnostische Grenzwerthe. Deutsches Arch. f. klin. Med.
1886. XXXIX. Bd. S. 76—139.
— 297 —
Stromdosirang allseitig bewahrt gefandene Hirschmann'sche absolute Yertical-
galvanometer bei entsprechender Methodik ebenfalls praktisch branchbare
Messresnltate erzielt werden können, zumal es in hohem Orade wünschenswerth
sein wird, denselben Messapparat zu diagnostischen und zu therapeutischen
Zwecken yerwenden zu können.
Bereits 1876 habe ich^ hervorgehoben, dass die damals von mir beschriebene,
1880 in der Real-Encyklopädie etwas modificirt abgebildete Apparatenanordnung,
bei welcher ein Eurbelrheostat in der Nebensohliessung eingeschaltet ist, wäh-
rend der menschliche Körper und das Galvanometer sich im anderen Strom-
zweige befinden, durch den breiten Spielraum der im Rheostaten leicht thun-
iichen Abstufungen es gestattet, in jedem Eörpertheil zu jeder Zeit
unabhängig von seinen Leitungswiderständen durch Herbeiführung
des gewünschten Nadelausschlags irgend eine beliebige Stromstärke
herzustellen. In der That kann sich jeder Inhaber meines durch Einfagung
des Hirschmann'schen absoluten Galvanometers in der 2. Auflage der Real-
Encyklopädie verbesserten Apparats namentlich bei der zum Schlüsse des Ab-
schnittes II, 2, angegebenen Yertheilung der Widerstandsmassen des Rheostats
nach kurzer Einübung die Technik aneignen, nachdem die angefeuchteten Elek-
troden an den UntersuohungssteUen wohl fixirt sind, ohne nennenswerthe Schwan-
kung die Galvanometemadel auf jede gewünschte Theü- oder Yollzahl von Milli-
amperes zu bringen. Dabei empfiehlt es sich, wie überhaupt zu Messungen,
nur die dem Nullpunkt näher liegenden Scalentheüe zu benutzen, also wenn
die gewünschte M.-A.-Zahl unter 2 liegt, die empfindlichste, wenn sie zwischen
2 und 4 liegt, die mittlere und wenn sie noch höher liegt, die am wenigsten
empfindliche Galvanometereinschaltung anzuwenden.
Ich schlage nun vor, die gewöhnliche Methode der Aufsuchung der Minimal-
zuckung mit proportional gesteigerten unbekannten Stromdichten dahin zu
modlficiren, dass man nur mit vorher abgemessenen Stromstärken operirt.
Nachdem also beispielsweise als „unterer Grenzwerth'' die Stromstärke von
0,5 K-A. (also 0,05 absolute Dichtigkeit bei Benutzung der Normalelektrode)
eingeschlichen ist, wird sofort der Strom im Stromwender unterbrochen, dann
wieder geschlossen und dabei beobachtet, ob eine Zuckung eintritt Ist dies
wider Erwarten der Fall, so kann untersucht werden, ob die Minimalzuckung
noch bei geringerer Stromstärke zu haben ist Tritt keüie Zuckung ein, so
wird mit, je nach der wünschenswerthen Genauigkeit der Untersuchung, um
0,25 oder 0,5 oder 1,0 M.-A. gesteigerter, in derselben Weise abgemessener
Stromstärke weiter untersucht, bis die erste Reaction eintritt und dann die
M.-A.-Zahl notirt.
Da Gabtneb gezeigt hat, dass der Stromesschluss und die Stromöffnung
als solche keinen Einfiuss auf den Hautwiderstand haben, so ist nicht zu be-
fürchten, dass bei unveränderter Anordnung durch den Act der Stromöffnung
und Schliessung nach der Messung noch die Stromstärke und die Stromdichte
irgendwie alterirt werden. Es ist also eine erneute Messung nach erhaltener
> a. a. 0. Deutsches Arch. f. klin. Med. XVXII. S. 276.
— 298 —
Beaction ganz überflässig und nicht einmal nothwendig, dass während der prü*
fenden Stromschliessangen die GalTanometemadel frei schwingt, wenn nur in
der oben angedeuteten Weise dafür gesorgt wird, dass durch die Ausschaltang
des Galvanometers nicht die Widerstände der Leitung und damit die Stromstärke
und Stromdichte geändert werden. Die Ausschaltung des Galvanometers während
der Stromöfihungen und Schliessungen wird durch Verhinderung der unnützen
Nadelschwingungen sogar den Zeitverlust ersparen, welcher dadurch verursacht
wird, dass vor jeder weiteren Abmessung der nächsten üntersuchungsstromstärke
der völlige StiUstand der Nadel abgewartet werden muss. Aber auch bei frei-
schwingender Nadel kann nach der Beruhigung dieselbe mit desto grosserer
Leichtigkeit ohne neue Schwankungen durch den Bheostaten auf den nächsten
ScalentiieU gebracht werden u. s. w. Man überzeugt sich leicht, dass eine Er-
regbarkeitsuntersuchung nach dieser Methode weniger zeitraubend ist^ als die
bisher übliche mit jedesmal drei Schliessungen mittelst zwar proportional abge-
stufter, aber unbekannter Stromstärken, welche erst nach der Erzielung der
Minimalcontraction ungenau gemessen wurden.
Es können also bei dieser vorgeschlagenen und vielfach erprobten, leicht
durch Beispiele zu erläuternden üntersuchungsmethode unbeschadet der Genauig-
keit der Messung auch weniger gut gedämpfte Galvanometer verwendet werden,
als das Edelmann'sche. Allerdings entspricht aber diese wesentlich praktischen
Bedürfnissen angepasste Methode keineswegs idealen wissenschaftlichen Anforde-
rungen, schon deswegen nicht, weil durch die zum Zwecke der Strommessung
der prüfenden Stromschliessung vorausgeschickte, wenn auch kurze Stromdauer
vielleicht die zu untersuchende Erregbarkeit schon etwas modificirt worden ist.
Diese Fehlerquelle kommt aber, wie ich^ schon früher ausführte, allen bisherigen
-elektrodiagnostischen Methoden zu, vielleicht mit einziger Ausnahme der neuer-
dings von Gäbtneb entwickelten.
Lnmerhin glaube ich, dass mit der soeben beschriebenen Üntersuchungs-
methode erhaltene Schwellen werthe, wofern sie gewissenhaft erhoben sind, das
Licht der Publicistik nicht zu scheuen brauchen. Es wird so ein zu thera-
peutischen Zwecken angezeichneter Messapparat, welcher sich in den Händen
vieler Aerzte befindet, sehr wohl auch zu elektrodiagnostischen Messungen
brauchbar.
Bei einseitigen Afiectionen wird es sich auch hier empfehlen, zuerst die
gesunde Seite zu untersuchen und von dem hier gefundenen Schwellenwerth bei
der Untersuchung der erkrankten Seite auszugehen. Für die Aufsuchung des
Schwellenwerths der gesunden Seite oder beider Seiten bei doppelseitigen Affec-
tionen ist die Kenntniss des unteren elektrodiagnostischen Grenzwerthes des gerade
in Betracht kommenden motorischen Nerven oder Muskels erforderlich. Grund-
legend hierfür sind die äusserst fleissigen oben erwähnten Untersuchungen
Stintzino's, welche indessen mit einer Elektrode von 3 Dem gemacht sind.
Da STiNTzma fand, dass die zur Minimalreizung der motorischen Nerven
und Muskeln erforderliche Stromdichte mit der Grösse des Elektrodenquerschnittes
^ a. a. O. Deutsches Arch. f. klin. Med. S. 309.
— 299 —
I
varijrt und mit der Vergrösserang des letzteren im unbekannten Verhaltniss
abnimmt, so sind seine Resultate nur bei Verwendung seiner Einheitselektrode
von 3 qcm Querschnitt verwerthbar. Wenn nun auch zuzugeben ist, dass die-
selbe sich besser als die Normalelektrode jeder in Betracht kommenden Eörper-
stelle anlegen lässt^ so kommt doch zu Gunsten der EBs'schen Normalelektrode
von 10 qcm, abgesehen von der Bequemlichkeit der Rechnung, in Betracht, dass
mit der Verringerung des Elektrodenquerschnitts die Schwellenwerthe für jede
Untersuchungsmethode, also auch für die empfohlene kleiner werden, und durch
die kleineren in Betracht kommenden Zahlen etwaige Unterschiede der Erreg-
barkeit schwerer erkenntlich und übersichtlich werden. Für die Normalelek-
trode hat EsB^ selbst bereits einige Grenzwerthe ermittelt, welche nach dem
Vorbilde der STiNTzrNG'schen Untersuchungen mit den besten Apparaten noch
ergänzt werden müssten.
Berlin, den 12. Juni 1886.
n. Referate.
Anatomie.
1) Sulla Ana anatomia degli organi oentrali del sistema nervoso. Studi
del prof. Golgi. (Rivista speriment. di freniatr. 1885. XL)
Aus der ausgezeichneten Arbeit, die auch in Buchform erscheint and damit
weiteren Kreisen zugänglich gemacht wird, sei hier vorläufig wenigstens das Schlnss-
capitel herausgenommen. Es enthält die Darstellang der Untersuchungsmethoden des
Centralnervensystems, wie sie der hervorragende Verf. für seine Zwecke ausgebildet
bat. um indessen ähnliche Erfolge zu erzielen, ist ihre genaue Nachahmung durch-
aus erforderlich; ein ausführliches Referat erscheint daher geboten.
Die wichtigste Methode ist die sogenannte „schwarze Färbung" Golgi's mit
Bichromat und Silbemitrat. Sie ist übrigens in keiner Weise mit den früheren
Silberimprägnationen zu vergleichen, da sie ganz andere Absichten verfolgt und z. B.
von der Einwirkung des Lichtes ganz unabhängig ist.
Möglichst frische und kleine Stücke (1 — 2 cbcm) werden in eine 2 ^o Kalium-
bichromatlösung (oder auch Müller'sche Lösung), der, um Schimmelbildung zu ver-
meiden, Campher oder Sallcylsäure zugesetzt ist, eingelegt; die Concentration wird
in Stufen von je 0,5 — 1 ^o steigend und unter jedesmaliger Erneuerung der ganzen
Lösung bis auf 5 7o gebracht. Die Dauer des Einlegens hängt von der Menge und
von der Stärke der Lösung ab und besonders von der Temperatur, deren Einfluss
von hoher Bedeutung ist. Im Allgemeinen lässt man die Himstücke im Sommer
15 — 20, selten 40 — 50 Tage, im Winter mindestens 5 — 6, selbst bis 16 Wochen
liegen. Es empfiehlt sich, recht viel kleine Stückchen einzulegen, um in gewissen
Zwischenräumen je eins für eine Probeförbung mit Höllenstein opfern zu können, bis
die letztere befriedigend ausfällt.
Der zweite Theil der „Schwarzfärbung" besteht nun in dem Einlegen der ge-
härteten Stücke in eine Silberlösung von 0,75 ^Z^; man nimmt die Concentration
etwas schwächer, bis 0,5 ^/q, wenn die Härtung nicht ganz genügend erscheint, und
bei etwaiger Ueberhärtung etwas stärker, bis 1 7o- ^^^ Flüssigkeitsmenge muss auch
hier verhältnissmässig gross sein, öolgi nimmt auf 2 — 3 Stücke schon etwa
1 a. a. 0. S. 166.
— 300 —
100 cbcm. Sobald die Stücke in die HöUenfiteinlösung kommen^ entsteht ein Nieder-
schlag von Silber Chromat; da das ausgefällte Silber keine Wirkung mehr ausflben
kann, muss man die Lösung erneuern, bis kein Niederschlag mehr entsteht. Das-
selbe muss geschehen, sobald die Lösung blassgelb wird. In der definitiven Lösung
bleiben die Stücke im Allgemeinen 24—30 Stunden; ein längerer Aufenthalt ist
gewöhnlich übrigens nicht schädlich.
Nach dem Schneiden werden die Präparate sehr sorgfUtig mit Alcohol ge-
waschen und entwässert; dann werden sie in Creosot und nach einigen Minuten m
Terpentinöl durchsichtig gemacht und auf der Unterseite eines Glasplättchens, das
auf ein gefenstertes Holzbrettchen aufgeklebt ist, mit Dammarlack so befestigt, dass
sie nicht über den Holzrahmen hinüberragen. Ein Deckgläschen ist überflüssig.
Wenn gut ausgewaschen ist, brauchen die Präparate übrigens nicht vor Lichteinwir-
kungen geschützt zu werden; Verf. besitzt Präparate, die über 9 Jahre alt sind und
die keine Einbusse erlitten haben.
Um jede Leichen Veränderung zu vermeiden, empfiehlt Verf., der Härtung eine
Einspritzung von 2V2"/o Bichromatlösung in die Carotiden unmittelbar nach dem
Tode vorauszuschicken; die Silberfärbung wird wesentlich begünstigt durch einen
Zusatz von 5 — 6^0 Gelatine. Vortheilhaft ist es femer, der Härteflüssigkeit eine
constante Temperatur (20—25^ C.) zu geben; kommt es darauf an, in möglichst
kurzer Zeit (5 — 8 Tage) verhältnissmässig gute Präparate zu liefern, so kann ein
Theil der Härteflüssigkeit (20— öO^/^) durch Erlicki'sche Lösung (Kaliumbichro.
mat 2,5, Kupfersulfat 0,5, Aq. destill. 100,0) in schneller Steigerung ersetzt werden.
Noch schneller und sicherer wirkt ein vorübergehender Aufenthalt der in Kalium-
bichromat eingelegten Stücke in einer Mischung von 8 Theilen i^l^^U Bichromat-
lösung und 2 Theilen einer 1 ^/^ Osmiumsäurelösung, ehe sie in das Silberbad kommen.
Ungefabr dieselbe Färbung wie durch die Silberbehandlung kann man auch durch
ein terminales Einlegen in eine Sublimatlösung von 0,5^0 erzielen, doch müssen die
Gehimstücke sehr lange in der letzteren liegen bleiben. Andererseits hat diese Me-
thode den Yortheil, dass man mit ihr auch sehr grosse Objecte, selbst ganze Gehirne
färben kann, was für die Anfertigung von Schnittserien wünschenswerth sein kann.
Die Ergebnisse der geschilderten Methoden gehören einem späteren Referat an.
Sommer.
Pathologie des Nervensystems.
2) SiLT une forme partiouli^re d'atrophie musoulaire progressive souvent
familiale d6butant par les pieds et les jambes et atteignant plus
tard les mains, par J.-M. Charcot et P. Marie. (Bevue de mM. 1886.
FÄvrier. p. 97.)
Auf Grund von fünf neuen und einigen älteren, aus der Literatur zusammen-
gestellten Beobachtungen beschreiben die Verff. eine neue oder vielmehr bis jetzt
wenig beachtete Form der (juvenilen) Muskelatrophie, welche ebenfalls nicht selten
bei mehreren Geschwistern derselben Familie, zuweilen auch in einigen auf einander
folgenden Generationen auftritt. Die Atrophie beginnt stets an den unteren Ex-
tremitäten und zwar gewöhnlich zunächst an dem Extensor hallucis longus und
Ext. digitorum communis, zuweilen auch in den Mm. peronei. Wahrscheinlich werden
gleichzeitig oder noch früher auch die kleinen Muskeln des Fusses selbst befallen.
Etwas später atrophiren dann auch die Wadenmuskeln, während die Muskeln der
Oberschenkel längere Zeit widerstehen. Schliesslich kommt es aber auch hier zur
Erkrankung, namentlich am Yastus internus.
Gewöhnlich erst einige Jahre später kommt die Musculatur der Hände an
die Reihe. Die Interossei und die Muskeln des Thenar und Hypothenar atrophiren
— 301 —
zaerst» sp&ter auch die Maskeln der Yorderanne, bald mehr die Strecker, bald mehr
die Beager. Der Snpinator longns bleibt stets gesund, ebenso die Maskeln der
Schulter, des Halses, des Rumpfes und des Gesichts. Die Atrophien sind nicht immer
ganz S3rmmeirisch; zuweilen kann die Affection auf der einen EOrperh&lfte aufiEallend
stärker sein, als auf der anderen.
Was das Verhalten der erkrankten Muskeln betrifift, so sind fibrilläre Con-
tractionen namentlich an den erkrankten Handmuskeln zwar nicht in sehr be-
trachtlichem Grade, aber doch ganz deutlich vorhanden. Die elektrische Unter-
suchung ergab in einigen Fällen starke Herabsetzung der Erregbarkeit und in
einzelnen Muskeln auch zweifellose Entartungsreaction. Die Hautreflexe sind
normal, die Sehnen refl exe sind abgeschwächt oder fehlen. Die Unterschenkel
fahlen sich kalt an und sehen oft bläulich-roth aus. Die Sensibilität ist meist
Töllig ungestört; nur in einem Falle beobachteten die Verff. eine deutliche Anästhesie
an den Unterschenkeln und den Fusssohlen. Zugleich traten hier zeitweise auch
spontane Schmerzen auf. Fast bei allen Kranken zeigte sich, besonders bei willkür-
lichen Bewegungen, in den Oberschenkelmuskeln häufige krampfhafte Contractionen.
Was die anatomische Ursache der Erkrankung betrifft, so äussern sich die
Yerff. hierüber sehr zurückhaltend. Die mannigfaltigen Aehnlichkeiten mit der juve-
nilen Muskelatrophie und Pseudohypertrophie (Beg^ in der Kindheit, Heredität)
legen ja den Gedanken nahe, dass es sich auch hierbei um ein primär musculäres
Leiden handelt Trotzdem neigen die Verff. aber doch weit mehr zu der Ansicht
hin, dass die Krankheit als eine nervöse Atrophie aufgefasst werden muss, wofür
namentlich das Vorhandensein der Entartungsreaction und der fibrillären Zuckungen
sprechen sollen. Ob es sich aber um Degenerationen peripherischer Kerven oder
um ein spinales Leiden handelt, kann z. Z. nicht entschieden werden.
Strümpell.
3) Neuro- und myopathologlsohe Mittheilungen aus der Erlanger medi-
oiniBohen Klinik, von Prof. Dr. Penzoldt und Assistenzarzt Dr. Kreske.
(Münchener med. Wochenschr. 1886. Nr. 14 — 16.)
1. Hemiatrophia flftoialis von Prof. Penzoldt.
Verf. theilt 2 Fälle mit» die, einander recht ähnlich, interessante Besonderheiten
haben. Der erste betrifft eine 31 jähr. Frau, die sich vor 3 Jahren an der Gegend
des linken äusseren Augenwinkels stiess, vor V/^ Jahren beständigen Schmerz und
das Gefühl des Frierens in der linken Gesichtshälfte hatte und seit 1 Jahre eine
Abmagerung derselben bemerkt. Es besteht in der That eine merkliche Differenz
beider Gesichtshälften, die linke ist magerer und blasser. An mehreren Stellen finden
sich daselbst weisse narbenähuliche Flecke, mehrere Centimeter lang und breit. Im
linken Masseter bestehen fortwährende fibrilläre Zuckungen. Den Mund kann Pat.
nicht vollständig öffnen und bekommt beim Versuche, es doch zu thun, einen mehrere
Minuten anhaltenden, von der Ohrgegend nach oben und unten ausstrahlenden hef-
tigen Schmerzanfall mit tonischer Contraction und dazwischen fallenden klonischen
Zuckungen im linken Masseter und Temporaiis. — Sehr bemerkenswerth ist, dass
nach Angabe der Patientin und ihres Arztes seit etwa '/^ Jahren die abge-
inagerte Gesichtshälfte wieder wesentlich voller geworden ist. Eine
derartige Besserung ist nach P. bisher nur von Bärwinkel in 2 Fällen beschrieben
worden. — Die Gombination der Atrophie mit sensiblen und motorischen Reizungs-
erscbeinungen im dritten Aste des Quintus bringt P. zu der Annahme, dass in diesem
Falle die Gesichtsatrophie auf pathologische Vorgänge im 5. Himnerven resp. tro-
pbische Fasern desselben zurückzuführen sein dürfte, wobei er andere Entstehungs-
&Tten des Leidens (von einer Sympathicuserkrankung lier) für andere Fälle durchaus
nicht leugnen will.
— 302 —
Im zweiten Falle schloss sich an ein iriederfaolt im Anfang 1885 aofg^tretenes
Zahngeschwfir am rechten Oberkiefer bei einer 28jähr. Frau eine Tom Jnli an be-
merkte Abmagerung der rechten Backe an mit Gef&hl von Frost» Spannung nnd
Unempfindlichkeit und mit Blasse. Ende 1885 war die Abmagerung am stärksten
und soll seitdem wieder etwas geringer geworden sein. Es besteht eine
deutliche, wenn auch geringe Differenz beider Gesichtshälften durch eine hinlänglich
ausgeprägte Atrophie der Haut und des Unterhautgewebes. — Es sei noch erwähnt,
dass an den I'upillen, femer in Tasomotorischer und secretorischer Beziehung nichts
Abnormes zu bemerken war und dass' (wie auch im ersten Falle) die Muskeln beider
Gesichtshälften sich gegen beide elektrischen Stromesarten gleich gut Terhielten. —
Auch für den zweiten Fall scheint P. die Annahme einer Erkrankung einzelner Fasern
der peripherischen Trigeminusverzweigungen noch am plausibelsten.
2. Ueber die xnyopathisohe Form der progretaiven Muskelatrophie mit
BetheiligUBg der Oesichtsmoskeln, von Dr. Ereske.
Ein jetzt lOjähriger Knabe — bei dem keine neuropathische Anlage nachzu-
weisen ist — hat schon als kleines Kind stets eine „ernste Miene" gemacht, nie
gelacht; seit seinem 3. bis 4. Jahre kann er die Augen nicht mehr völlig schliessen;
seit 2 Jahren spflrt er eine zunehmende Schwäche der Extremitäten, seit mehreren
Monaten eine starke Abmagerung derselben. Das Gesicht des Knaben hat etwas
Starres, da alle vom Facialis versorgten Gesichtsmnskeln gelähmt sind bei Intactheit
der Kau-, Augen-, Zungen-, Gaumen-Muskeln. Augen und Mund können nicht voll-
ständig geschlossen werden. — Geschwunden sind die Muse, cucullares, beide pecto-
rales und der Deltoideos grösstentheils. Beim Herabhängen der Arme steht der
äussere Rand der Scapulae fast horizontal. Die Arme können nur bis zur Horizon-
talen erhoben, nicht über der Brust gekreuzt werden. Die Mm. serrati antici migores
fehlen völlig, die Oberarmmuskeln sind stark atrophisch, vom Unterarm nur d^
Supinator longus in geringem Maasse. — An den unteren Extremitäten bestehen nur
relativ geringe Atrophien verschiedener Muskeln. — Die Bauchmuskeln sind völlig,
die Sacrolumbales theilweise atrophisch, woraus eine auffallende Körperhaltung (Lor-
dose der unteren Brust- und Lendenwirbelsäule) hervorgeht. Das Aufrichten geschieht
mit Hülfe der Arme. — Nirgends Spuren von Hypertrophie eines Muskels, nirgends
fibrilläre Zuckungen. Die Kniephänomene sind beiderseits verschwunden. Haut- und
Cremasterreflexe sind vorhanden.
Von der genauen elektrischen Untersuchung sei hier nur erwähnt, dass dieselbe
dem Grade der Atrophie entsprechend herabgesetzte, sonst normale Beaction ergab,
nirgends Entartungsreaction. An den Bauch- und Gesichtsmuskeln war mit den
stärksten anwendbaren Strömen keine Beaction zu erzielen. — Sensibilitätsstörungen
bestehen nicht.
K. setzt auseinander, dass der vorstehende Fall genau der von Landouzy und
Dejerine aufgestellten „infantilen" Form der progressiven Muskelatrophie entspricht
mit der von erster Kindheit her entwickelten Gesichtsmuskelatrophie, mit dem Fehlen
jeder Spur von Pseudohypertrophie, — auch die Deltoidei atrophisch, die bei Erb's
juveniler Form hypertrophisch sind. Freilich sei keine Heredität nachzuweisen, es
bestehe aber sonst volle Uebereinstimmung mit dem von E. Remak beschriebenen,
bisher einzigen deutschen, Falle, und mit den betreffenden Fällen der französischen
Autoren. Dennoch sei es wohl am besten, alle diese Fälle nach Erb als Dystrophia
muscularis progressiva zusammenzufassen, weil doch Uebergänge auch zwischen der
„juvenilen" Form Erb's und der „infantilen" der Franzosen vorkommen dürften, wie
Gharcot*s Beobachtung zeige, der bei einem Falle, welcher sonst ganz der infantilen
Form (mit Gesichtsmuskelatrophie) entsprach, den Quadriceps femoris beiderseits
hypertrophisch fand.
— 303 —
3. Uebergangsform der Dystrophia musoularis progreesiva Erb's, von
Prof. Penzoldt.^
Es handelt sich um einen 41 jähr. Mann, bei welchem seit dem 34. Jahre eine
Abmagerung an Schaltern und Oberarmen aafgetreten sind. Atrophisch wie bei der
Dystroph, musc. progress. sind jetzt beide Pectorales (excl. Clavicularportion der P.
major, Oberarmmaskeln (dabei am Triceps pseudohypertrophische Partien), Bauch-
muskeln, Unterschenkelmuskeln; pseudohypertrophisch die untere Hälfte des Deltoideus
(obere atrophisch). Frei sind die Cucullares und die übrigen Schulterblatt- und
Bückenmuskeln, der Supinator longus, sowie sämmtliche Gefass- und Oberschenkel-
muskeln.
Ausser dem abweichenden Ausbreitungsbesdrk der Krankheit ist also ungewöhn-
lich der späte Beginn, femer das Fehlen hereditärer Anlage; auch bestehen an ver-
schiedenen Muskeln fibriUäre Zuckungen. Der Patellarsehnenreflex ist beiderseits
beträchtlich abgescliwächt. — Entartungsreaction fehlte vollständig.
P. hält demgemäss diesen Fall für eine Uebergangs- oder Grenzform von Erb's
Dystrophia museal, progressiva. Vielleicht auch wäre es denkbar, „dass es auch
Mischformen geben könne, in denen sich Ernährungsstörungen im Muskel einerseits
und der nervösen Bahn bis zu den Yorderhömem andererseits entweder gleichzeitig
oder nacheinander entwickelten.'' Ha dl ich.
4) Frimary spastio paralysis and pseudohypertrophio paralysis in different
members of the same family, with probable heredlty in both, by
R.W.Philip. (Brain. 1886. January. p. 520-527.)
Ein 60jähriger Bergmann hatte seit seinem 20. Jahre in den ersten 25 Jahren
im Eisen-, später im Kohlenbergwerk meist in gekrümmter Lage gearbeitet in einem
Baume, dessen Höhe nicht selten nur wenig über 2 Fuss betrug. Vor 12 oder
13 Jahren war er durch Zerreissen eines Seiles im Schacht eine grössere Strecke
geschleift worden und hatte mehrere Verletzungen des rechten Beines und der Hüfte
erlitten, so dass er 26 Wochen lag. Nachher nahm er leichtere Arbeit, musste aber
dabei noch mehr gekrümmt aushalten.
Der aphoristische Status verzeichnete starke Contractur des rechten Beins bis
zum rechten Winkel, sowohl am Hüft- als am Kniegelenk; Contractur der Adductoren
des Oberschenkels beiderseits, Schlaffheit der Waden, verminderte Beaction der affi-
cirten Muskeln gegen faradische Beizungen, Alopecia areata, Gedächtnissschwäche.
Von 9 Kindern dieses Mannes aus einer 32jähr. Ehe mit einer 53jähr. gesunden Frau,
welche einen Onkel und einen Vetter mit ähnlichen Lähmungszuständen hatte, waren
bereits 2 Kinder mit „pseudohypertrophischer Lähmung" gestorben. Das vorletzte
lebende Kind, ein 13jähr. Knabe, hatte im Alter von 5 Jahren zuerst Schwerfällig-
keit des Ganges gezeigt mit zunehmender Neigung zu fallen. Es bestand auffallende
Dicke der Zunge, ausgeprägte Struma, gekreuzte Lage der contracturirten Unter-
extremitäten bei meist sitzender Stellung im Bette, Contractur der Oberextremitäten,
starke Lordose des unteren Dorsaltheiles der Wirbelsäule, Lähmung besonders des
linken Armes, Atrophie des oberen Theiles der Deltoidei, der Trapezii, des rechten
Pectoralis, des Biceps und Brachialis internus, beiderseits waren der Triceps, der
Vorderarm und die Hände nicht ergriffen (auch die Sapinatoren waren intact). An
den (Jnterextremitäten bestand keine Atrophie, sondern auffallende Härte der contrac-
turirten Muskeln, leichter Pes equino-varus, Fehlen des Kniephänomens und Fuss-
phänomens. Das jüngste 11 jähr. Kind ging seit 4 Jahren steif und hatte Schwäche
in den Knieen, seit Jahren setzt es links nicht mehr den Fuss voll auf, sondern
geht mit erhobener Ferse; später auch rechts. Die Waden sollen nicht zugenommen
1 Cf. dieses Centralbl. Nr. 11. S. 262 (Erb).
— 304 —
haben. Es besteht Zehengang bei Pes eqnino-vanis, Contractnr der AchiUeesebne,
Steigeniiig des Eniepbänomeiis and der übrigen Sehnenphänomene.
Es wird eine doppelt vererbte Tendenz zu einer die pseadohypertropbische Läh-
mong bedingenden „primären Latenüsderose'' einmal direct Tom dnrcb traamatische
Veranlassungen erkrankten Vater, dann mittelst der Mutter Ton ihrer Familie her
angenommen. E. Bemak.
6) De ratxophie musoalaire daaa les paralyaies hyatöriques, par Babinski.
(Progr. möd. 1886. Nr. 16.)
Der Mangel von trophischen Störungen galt lange als eines der wichtigsten
negativen Symptome der hysterischen Lähmungen.
Vier &anke aus Charcot's Klinik, von denen zwei an einer hysterischen Mono«
plegia brachialis, zwei an einer hysterischen Hemiplegie ohne Eacialisbetheiligung
leiden, bieten an den gelähmten Gliedmaassen ausgesprochene Amyotrophien dar.
Letztere charakterisiren sich durch eine ziemlich erhebliche Ausdehnung: Gircumferenz-
Unterschiede von 3 resp. 5 Centimetem gegen die gesunde Seite, durch Abwesenheit
der fibrillären Zuckungen und Fehlen der elektrischen Beactions- Anomalien, besonders
der EaR, endlich durch die Bi^dität, mit der sie sich bald nach Einsetzen der Lähmung
zu entwickeln pflegen, und mit der sie später auch wieder verschwinden, sobald die
Lähmung des amyotrophischen Gliedes als geheilt zu betrachten ist. Ch. sei nicht
geneigt, die Störungen als Inactivitäts- Atrophie aufzufassen, da es in einer Zahl von
Fällen, bei denen hysterische Lähmungen Jahre lang bestanden, nie zu einer Muskel-
Atrophie gekommen sei. — Er fasst sie als trophische Erscheinungen auf, vindicirt
ihnen einen centralen Ursprung, ohne dabei an eine organische Veränderung der
Vorderhömer des Rückenmarkes zu denken: es sei eine „dynamische Unterbrechung"
des von diesem Theile des Gentrums ausgehenden Einflusses auf die Ernährung der
Gewebe vorhanden, ähnlich wie sie nach Gharcot*s Ansicht bei den articulären
Atrophien, sowie bei manchen Amyotrophien setzenden cerebralen Hemiplegien mit
absteigender Degeneration angenommen werden müsse, wo man eine Erkrankung der
Vorderhömer nicht hätte nachweisen können. Laquer.
6) SanitätB- Beriebt über die deutaohen Heere im Kriege gegen Frank-
reicb 1870/71. Vn. Band: Erkrankungen des Nervensystems.
Herausgegeben von der Militär-Medizinal-Abtheilung des königl. preuss.
Eriegsministeriums unter Mitwirkung der betreffenden bayrischen,
sächsischen und württembergischen Behörden. (Berlin 1885. Ernst
Siegfr. Mittler & Sohn.) — [Schluss.]
Ueber die Gtoisteskrankbeiten im Kriege — sie bilden den Schluss des
neurologischen Sanitätsberichtes — liegen wiederum gerade 100 ausführliche Kranken-
geschichten vor, die auf das Sorgfaltigste für Allgemeinbetrachtungen benutzt worden
sind. Die früher allgemein gehegte Annahme, dass grosse politische Umwälzungen
und Kriege vorzugsweise geeignet seien, die Zahl der Geisteskranken in der Be-
völkerung der davon betroffenen Länder zu vermehren, ist vornehmlich nach dem
letzten Kriege durch die über ganz Frankreich ausgedehnten Erhebungen Lunier's
beseitigt worden. Dagegen muss aus den Berechnungen über den betreffenden Zu-
gang an die Irrenanstalten aus der Zahl der Heeresangehörigen eine massige Ver-
mehrung der Geisteskranken in der Armee während der Dauer kriegerischer Ereig-
nisse mit vieler Wahrscheinlichkeit gefolgert werden. Denn sowohl 1866 als 1870/71
stieg der Procentsatz an Geisteskranken im deutschen Heere gegen die Zahlen der
Friedensstatistik sehr beträchtlich an. Im Ganzen sind 316 Soldaten in den Zähl-
— 305 —
karten des letzten Krieges als geisteskrank bezeichnet, bei 244 von ihnen fehlt eine
genauere Diagnose. Unter den übrigen 72 lautet dieselbe: 44mal auf Melancholiei
17mal auf Tobsucht, llmal auf Wahnsinn. Auf dem Kriegsschauplätze selbst
sind relatiy wenig Psychosen zum Ausbruche gekommen: sie charakterisirten sich
besonders durch Verfolgungswahn und GehOrstäuschangen, sowie durch ex-
pansive Manien, besonders Grössenwahn, sowie überhaupt durch die Anfangs-
symptome der Dementia paralytica, einer Krankheit, die vom Kriege recht
viele Opfer gefordert hat. Häafig begegnete man aach gewissen psychopathischen
Zuständen, die man seitens der Militär-Schriftsteller mit dem Namen der „Fatigatio"
belegt bat. Es handelte sich dabei, wie Heubner in seinen „Beiträgen zur internen
Kriegsmedicin" ausführlicher erörtert hat, vorwiegend um nervenschwache Individuen.
Ihre sensible Natur verräth sich, wenn die körperlichen Anstrengungen and die ge-
waltigen Eindrücke der Schlacht und des Vorpostendienstes mehr als sie ertragen
kann, auf sie eingewirkt haben, — durch SLlagen über allerlei neuralgische Be-
schwerden, durch Abmagerung und Anämie. Leute dieser Art schrecken leicht zu-
sammen, haben Herzklopfen, Beklemmung, Appetitlosigkeit, Darm-, Magen- und Muskel-
krämpfe. — Andere zeigen völlige Apathie, schlaffe Körperhaltung, sind traurig
gestimmt, schlaflos und machen den Eindruck tiefer Depression. Schreitet der Kräfte-
verfall fort, so erscheinen sie wie Geisteskranke. Sie haben einen stieren Blick, einen
nichtssagenden Gesichtsausdruck, eine vomübergebeugte Haltung, sie antworten auf
die dringlichsten Fragen kaum oder unverständlich mit matter klangloser Stimme,
beschmutzen Bett und Wäsche. Nach einigen Tagen der Ruhe und Erholung wird
es klar, dass es sich nicht um eine veritable depressive Psychose gehandelt habe,
sondern dass das Ganze nur in einem Zustande äusserster nervöser Erschöpfung
bestand. Diese Fatigatio kann sich weiter fortentwickeln, schliesslich Angstzustände
hervorrufen, sogar zu Selbstmordgedanken führen. Wir wollen übrigens hier gleich
erwähnen, dass bei der gesammten deutschen Armee während des Khegsjahres nur
30 Todesf&lle durch Selbstmord bekannt geworden sind. Unter den 316 oben
genannten Geisteskranken des deutschen Heeres sind 10 gestorben, 17 an Anstalten
überwiesen, 12 als Invaliden, 129 aber als geheilt entlassen, resp. in die Heimath
beurlaubt worden. Die 100 genauer geschilderten Fälle sind im Berichte in drei
grosse Gruppen gesondert. Es sind 1) die GtoisteBBtörungen naoh Verletziing
oder Ersohütterung des Kopfes; bei diesen haben die traumatischen Einwirkungen
durch directe Alteration des Centralorgans zu einer psychischen Störung geführt,
oder durch peripherischen Beiz auf die Kopfnerven eine reflectohsche Psychose ver-
ursacht. — In einer 2. Gruppe folgte geistige Störung auf eine Verletaung,
die nicht den Kopf betraf. Es handelt sich meist um schwerere Verwundungen
des Rumpfes und der Extremitäten, die lange Eiterungen, schweres Siechthum etc.
mit sich brachten. Eine Reihe von Geisteskranken verdankt ihr Leiden überstandenen
acuten Krankheiten, besonders dem Typhus, der Ruhr und den Pocken. Sonnenstich
bezw. Hitzschlag soll nur in einem ätiologisch nicht ganz klaren Falle zu einer
Geisteskrankheit geführt haben. — Es ist bekannt, dass psychische Affectionen durch
das Hinzutreten fieberhafter Erkrankungen einer wesentlichen Besserung resp. der
Heilung entgegen geführt werden können. — In einem mitgetheilten Falle leitete
eine Pneumonie den günstigen Ausgang der Psychose ein. — Die letzte Gruppe
führt den Titel: Geistesstörungen ohne nachweisbares Vorausgehen einer
bestimmten körperliohen oder geistigen Einwirkung; sie enthält 30 Fälle,
in denen man annehmen musste, dass die erst nach Beendigung des Krieges einge-
tretene seelische Störung mit den Kriegsstrapazen im Allgemeinen in causalem Zu-
sammenhange stehe, dass diese Patienten an einer „Kriegs- Psychose'' xat i^oxnv
litten. Eine besondere Form geistiger Erkrankung stellt dieselbe nicht dar. — Die
Franzosen haben zwar schon früher eine eigene Klasse von Geistesstörung für den
Krieg „folie patriotique'' aufzustellen versucht, auch der oben schon citirte Lunier
— 306 —
hat dies in seinen Beobachtungen über den deutsch-französischen Krieg unternommen.
Es ist dies gewöhnlich auf Grund der Thatsache geschehen, dass sich während und
nach grossen Kriegen die Irrenhäuser mit solchen Kranken füllen, deren Hallucinationen
und Wahnideen vorwiegend Kanonendonner, Leichen, Schlachtenscenen etc. zum Gegen-
stände haben. Das ist aber eine irrige Voraussetzung! — Denn es geben die Zeit-
ereignisse naturgemäss besonders in den gebildeteren Ständen den Hintergrund für
solche Delirien ab; damit ist aber noch keineswegs die Entstehung des Seelenleidens
durch eben jene Ereignisse selbst bewiesen. Darum hat auch jene Aufstellung einer
besonderen Form von geistiger Störung während des Krieges — bei den übrigen
Psychiatern keinen Anklang gefunden. Es haben nach Beobachtungen Anderer die
psychisch Gestörten alle auch zu Friedenszeiten beobachteten Krankheitsformen
und nur solche dargeboten. Dagegen ist auch nach den Ermittelungen des Berichtes
im Verlauf und Ausgang der durch die Knegsstrapazen selbst hervorgerufenen
Geisteskrankheiten ein Unterschied den Fällen aus den Friedensjahren gegenüber
nicht zu verkennen. Früh eintretende geistige Schwäche und ein grosser
Procentsatz von Dementia paralytica haben den genannten 30 in der letzten
Gruppe mitgetheilten Fällen ein besonderes Gepräge verliehen und diese beiden Mo-
mente müssen auch vorläufig als Charakteristicum der eigentlichen „Kriegs-
psychosen" festgehalten werden. Sie waren prognostisch schlimmer als die schon
während des Krieges in mehr acuter Weise zum Ausbruch gekommenen geistigen
Erkrankungen. Bei der einen Hälfte aller im Kriege genauer beobachteten Geistes-
krankheiten konnte eine erbliche Belastung nicht nachgewiesen werden, bei der
anderen war dies möglich. — Etwa der vierte Theil aller Kranken waren Paralytiker.
Ein sehr genaues Literaturverzeichniss über alle nur irgendwie direct benützten
Publicationen beschliesst den neurologischen Theil des Sanitätsberichtes, der in vor-
züglicher Ausstattung und in einer Stärke von 480 Folioseiten erschienen ist. Die
Schreibart zeichnet sich durch eine militärische Kürze und Frische, durch eine fast
„schneidig*' zu nennende Klarheit aus. — Die in dem Buche niedergelegten Beobach-
tungen rühren ja zum grössten Theile nicht von den Autoren desselben her, aber
die Neuropathologie muss den Kriegsministerien Dank wissen, dass sie die ihnen
unterstellten Medicinal- Beamten und Behörden zur Sammlung der für alle Zeiten
wichtigen Kriegs -Casuistik ermächtigt und zur Ausgabe des Berichtes veranlasst-
haben. — Mit ehrender Anerkennung müssen wir der einzelnen, leider unbekannt
gebliebenen Mitarbeiter gedenken, welche durch ihre dabei an den Tag gelegte echt
deutsche Gründlichkeit der Wissenschaft einen grossen Dienst erwiesen, ohne den in
unserer heutigen Zeit so überaus kostbaren „Autor-Kuhm" für ihren Fleiss einzuheimsen.
La quer (Frankfurt a. M.).
Psychiatrie.
7) Quelques donn^es cliniques oonoemant lee relatione existant entre
l*6pilepsie et Tidiotie, par le docteur B. C. Ingels. (Extr. du compte-
rendu du congräs de phr^niatrie et de neuropathologie. 1886.)
An der Hand von 120 kurz, zum Theil mit Sectionsbefund mitgetheilten ein-
schlägigen eigenen Beobachtungen bespricht J. die Beziehungen zwischen Epilepsie
und Idiotie.
Die erste Reihe von Fällen, 66, mit congenitalem Beginn beider Affectionen,
hat eine fast durchaus schlechte Prognose, zeigt vielfach sonstige körperliche Ab-
normitäten, bezüglich der Aetiologie fehlen meist genügende Angaben; häufigere epi-
leptische Anfalle hemmen meist den psychischen und geistigen Fortschritt und sind
auch oft die Todesursache; nur 3 — 4 zeigten eine Besserung des geistigen Zustandes;
bei einem wurde Simulation epileptischer Anfälle beobachtet.
— 307 —
Die zweite Beibe, die restlichen F&lle umfassend, zeigt, dass es sich bei den-
selben eigentlich um frühzeitige Demenz handelt, bedingt durch den Stillstand der
geistigen Entwickelung in Folge der früher oder später eintretenden Epilepsie. Als
ätiologisches Moment für diese letztere fand J. öfters einen psychischen Shok. Sonstige
somatische Abnormitäten fanden sich in dieser Reihe unendlich viel seltener, als bei
der ersten; der Einüuss der Epilepsie auf die Intelligenz war ein yerscbiedener; in
einzelnen F&Uen war die Vernichtung derselben eine sofortige und totale, bei andern
eine allmähliche, fast immer gleichen Schritt haltend mit der Zahl und Stärke der
Anfalle; in seltenen Fällen blieb die Intelligenz intact und nahm selbst zu trotz
Zunahme der Anfälle; in der Mehrzahl der Fälle bringt eine Verminderung der An-
fälle eine Besserung des intellectuellen Zustandes mit sich. A. Pick.
Therapie.
8) Welche Bedeutung können wir der in neuerer Zeit mehrfiBkoh genannten
Weir Mitchell Playfair'sohen Kur beilegen? von E. Leyden. (Dtsch.
med. Wochenschr. 1886. 14.)
In der Sitzung des Vereins für innere Medicin am 29. März d. J. referirte
Herr E. Leyden in eingehender Weise und sehr anerkennend über Weir MitchelTs
Buch resp. Methode, besprach ausführlich die einzelnen Punkte seines Heilverfahrens,
die Absonderung, Buhe, Massage, Elektricität, Diät, und erwähnte dann kurz die
auf Weir MitchelPs Methode bisher erschienenen Publicationen (Playfair, Bins-
wanger, Burkart, JoUy). L. rühmt die ausserordentlichen Erfolge dieser Kur,
deren Originelles in der Combination einer Reihe von durchaus nicht neuen Heil-
potenzen liegt und darin, „dass sie nicht eigentlich die Krankheit zum Gegenstand
ihrer Angriffe macht, sondern sich zur Behandlung des kranken Individuums wendet''
— „ein therapeutischer Weg, der fruchtbar ist, und von dem ich behaupten möchte,
dass die Stärke der inneren Medicin auf ihm gelegen ist."
Allerdings hat die Methode auch Schattenseiten und diese bestehen in ihrer
Kostspieligkeit, in der Schwierigkeit, den Kranken — besonders wenn es Familien-
mfitter sind — zu isoliren, in der weiteren Schwierigkeit, geeignetes Pflegepersonal
zu finden. Die Isolirung hält L. nicht für unbedingt nöthig, unt«r Umständen sogar
für hinderlich; und in Bezug auf die Diät verzichtet er, wenn nöthig, auf die Milch
und giebt dafür andere flüssige Nahrung.
In der Discussion bemerkt zunächst Herr Mendel, dass er bei Hypochondrie
keine Erfolge von Weir MitchelVs Methode gesehen habe, wohl aber ganz aus-
gezeichnete bei Hysterie, besonders der convulsiven Form und bei Hystero-Epilepsie;
auch sehr schwere Formen seien dauernd geheilt, wenigstens noch nach 1^2 — ^ Jahren.
— Die Entfernung aus der Familie hält M. unbedingt für nothwendig. Uebrigens
scheine die Zahl der geeigneten Fälle eine viel begrenztere zu sein, als Play fair
annehme.
Herr Ewald theilt aus einem Manuscripte des Herrn Burkart (Bonn) mit,
dass derselbe in 21 Fällen (4 Männer, 17 Frauen) 57 ^/^ Heilungen erzielt hat.
Auch Herr B. begrenzt die Anzahl der Fälle, die sich zur Playfair'sohen Kur
eignen, schliesst alle Erregungszustände des Gehirns aus, desgleichen Hysterie mit
unstillbarem Erbrechen, viscerale Neuralgien, die nervöse Dyspepsie; er sah dagegen
bei schwerer Hysterie ohne Erbrechen, sowie bei spinalen Irritationen bei jungen
Frauen und Mädchen ausgezeichnete Erfolge. — Herr Ewald selbst vermisst die
physiologische Grundlage der Methode.
Herr Gnauck sprach in sehr ausführlicher Weise von seinen Erfahrungen über
die W. M.*sche Kur, der er volle Anerkennung zollt. Psychosen (Melancholie und
— 308 —
Hypochondrie) hält auch G. für ungeeignet, ebenso Hysterie mit stark erhöhter Beflex-
erregbarkeit, aasgeprägter Hyperästhesie und Hyperalgesie. Qt. hält» wie Herr Mendel,
es für anbedingt nöthig, den Kranken aus seinen häuslichen Verhältnissen heraus-
zunehmen, denn er hat bei Unterlassung dieser Vorschrift die Kar fehlschlagen ge*
sehen. Ueberhaupt hält G. die ToUständige körperliche und geistige Buhe für die
Hauptsache. Die strenge Milchdiät ist nicht überall durchzuführen und auch ganz
gut durch andere flüssige Nahrung zu ersetzen. Bei der Massage ist Erregung der
Muskeln unter möglichster Schonung der Hautnerven zu erstreben und darum die
„effleurage", wie schon Binswanger hervorgehoben hat, am meisten anzuwenden.
Fatal ist, dass die Massage bei manchen Hysterischen hypnotisirend wirkt und hier-
durch die Wirkung der Kur vereitelt werden kann. Das Faradisiren kann, wo es
nicht vertragen wird, am ehesten ohne Schaden fortbleiben; dagegen kann man mit
Nutzen eine Wasserbehandlung massigen Grades der Kur hinzufügen, Abwaschungen,
lauwarme Voll- und Halbbäder. Bei unvollständigem Erfolge ist eine Wiederholung
der Kur, deren Dauer zwischen 6 und 10 Wochen schwankt, in*s Auge zu fassen.
Hadlich.
m. Aus den Gesellschaften.
ZI. Wanderversammliing aüdweatdeutaoher Neurologen und Irren&rste
zu Baden-Baden am 22. und 23. Mai 1886.
Original -Bericht von Dr. L aquer in Frankfurt a. M.
(Fortsetzung.)
VUI. Docent Dr. Bumpf (Bonn): Zur Pathologie der motorischen
Bindencentren.
B. spricht über das Verh<niss der motorischen Bindencentren zur Fühlsphäre
unter Zugrundlegung eines sehr bemerkenswerthen Krankheitsfalles: Ein im Alter
von 30 Jahren stehender Mann war mit einer Mistgabel über den Kopf geschlagen
worden, sodass er plötzlich ohnmächtig zusammenbrach. Er trug eine Lähmung der
ganzen rechten Körperhälfte und des linken Beines davon. — Der Zustand blieb
lange Zeit der nämliche, später kam es zu Gontracturen in den gelähmten Gliedern.
Die Paralyse der unteren Extremitäten war eine vollkommene. Die Sehnenreflexe
waren enorm gesteigert. Dagegen ergab die mit peinlichster Sorgfalt angestellte
Untersuchung aller Gefühlsqualitäten auch nicht die mindeste Abweichung von der
Norm. Bei näherer Untersuchung des Schädels fand sich eine Impression vor, welche
das linke Scheitelbein und den oberen Theil des rechten Scheitelbeines betroffen
hatte. Diese Stelle entsprach etwa dem Verlaufe der oberen Drittel der Central-
windung links und in geringerem Maasse auch demjenigen der rechten Seite. Durch
eine Läsion dieser beiden Stellen der Grosshimrinde war offenbar die oben beschrie-
bene Lähmung der Extremitäten verursacht worden. In Folge dessen bat der Vor-
tragende Professor Trendelenburg, einen operativen Eingriff zu versuchen, derselbe
meisselte auch die beiden auf die Gehimoberfläche drückenden Knochenstücke heraus.
Nachdem dies geschehen war, stellte sich eine ausserordentlich rasche Besserung in
dem Zustande des Pat. ein. Er lernte in wenigen Wochen selbstständ^ gehen und
laufen, was er vorher nur mit Unterstützung von zwei Personen vermocht hatte. Er
bot im Laufe der Zeit das Bild einer gewöhnlichen spastischen Spinallähmung. Der
Arm ist völlig gut geworden.
IX. Prof. Hack (Freiburg): Zur operativen Therapie des Morbus Basedowii.
Bei der 17jährigen Patientin bestanden die Erscheinungen des Exophthalmus,
des mangelnden Consensus zwischen Lidbewegung und Senkung der Blickebene, sowie
— 809 —
der Erwditenuig der Lidspalte schon seit frühester Kindheit, w&hrend eine massige
SchilddrQsenvergrGssenmg nnd hochgradige Anfalle von Herzklopfen sich erst später
hinzngesellt hatten. Das letistere Symptom hatte allmählich bedentende Verbreiterung
der Herzgrenzen nach allen Dimensionen, vorwiegend aber nach links, zar Folge. Fat.
wurde dnrch die Zunahme langbestandener Obstructionserscheinungen in der Nase
zum Vortragenden geführt. Die Ursache derselben wurde in beträchtlicher Ver-
grösserung der Schwellgebilde an der unteren und mittleren Muschel beiderseits ge-
funden. Die galvanocaustische Zerstörung dieser Partien war von eigenthümlichera
Effect begleitet. Denn als auf der rechten Seite operirt worden war, so trat am
darauffolgenden Tage auf der gleichen Seite die Bulbusprominenz nahezu völlig
zurück, während sie auf der andern Seite bestehen blieb; als die Operation links
vorgenommen wurde, trat auch auf dieser Seite der Exophthalmus zurück: ebenso
verlor sich durch das Verschwinden des Gräfe*schen Symptoms der starre Gesichts-
ansdruck der Patientin. Auch die Anfalle nervösen Herzklopfens, eine nach des
Redners Erfahrungen sehr häufige Begleiterscheinung bei Nasenleiden, hatten auf«
gehört. In Folge dessen verminderte sich allmählich die Dilatation des Herzens und
die Struma; eine Beihe von Monaten später konnte selbst bei genauester Untersuchung
keine Verbreiterung der Herzgrenzen mehr nachgewiesen werden. Redner stellt den
Symptomencomplex für seinen Fall in Parallele mit andern von der Nase ausgehenden
Beflexneurosen, die ihrem Wesen nach als vasodilatatorische aufgefasst werden dürften:
80 könne eine stärkere Turgescenz des retrobulbären Fettgewebes in Folge reflec*
torischer Gefasserweitemng den Exophthalmus bedingen, eine reflectorische Dilatation
der Goronar- Arterien durch den grösseren Blutznfluss die automatischen Herzganglien
kräftiger erregen und stärkere Palpitationen veranlassen. Redner betont indess aus-
drücklich, dass allgemeine Schlüsse über das Wesen des Morbus Basedowii ans
einem vereinzelten FaUe nicht gezogen werden dürften; dagegen scheint ihm die aus
seiner Beobachtung resultirende Thatsache des gelegentlich peripherischen Ur-
sprungs des Morbus Basedowii praktisch von grosser Bedeutung: man möge daher
nicht versäumen, Fälle Basedow'scher Krankheit auch rhinoskopisch zu untersuchen,
namentlich wenn wirklich nasale Symptome existirten.
(Der Vortrag ist in der Deutschen med. Wochenschr. zum Abdruck gelangt.)
Zweite Sitzung den 23. Mai: Vormittags 9V4 Uhr eröfi&iet Prof. Berlin
(Stuttgart) die Verhandlungen mit einer Beihe geschäftlicher Angelegenheiten. Prof.
Jelly (Strassburg) ladet die Wanderversammlung für nächstes Jahr zum Besuche
Strassburg*8 und zur Besichtigung der dort neu errichteten Psychiatrischen
Klinik ein. Die Versammlung beschliesst demgemäss, das nächste Mal in Strassburg
zu tagen und wählt Prof. JoUy und Dr. Fischer (lUenau) zu Geschäftsführern für
das Jahr 1886/87.
Vor Eintritt in die wissenschaftliche Tagesordnung legt Dr. E ding er (Frank-
furt a. M.) eine Anzahl Mikrophotographien und Photographiedrucke vor, welche die
Firma Kühl & Comp, in Frankfurt a. M. neuerdings herstellt. Dieselben zeigen,
zumeist mit dem orthochromatischen Verfahren aufgenommen, eine wunderbare Klar-
heit und Schärfe auch bei solchen Präparaten, welche, wie die nach Weigert mit
Hämatoxylin behandelten des Nervensystems, bisher kaum scharf wiedergegeben wurden.
Die Drucke sind direct von der Platte genommen, und macht E. darauf aufmerksam,
dass sie viel schärfere und reinere Bilder geben, als die gewöhnliche Photographie,
die Linien sind härter, der Grund heller, was bei Abbildungen von Faserzügen im
Nervensystem sehr in Betracht kommt Der Photographiedruck ist billiger als jedes
Verfahren, das des Zeichnens bedarf. Er ist da vorzuziehen, wo tadellose Präparate
sicher wiedergegeben werden sollen. Dabei ist jede beliebige Farbe sowohl photo-
graphisch als auch im Druck anzubringen. Die Photographien von Kühl & Comp.
— 810 —
ertragen starke Lonpenvergrösserung, — wie an einem Bückenmarksschnitt demon-
strirt wurde, welches bei schwacher Yergrössening aufgenommen, alle Ganglieu-
zellenforts&tze erkennen Hess, wenn man die Loupe anwendete.
Dann demonstrirt Docent Dr. Bieger (Würzburg) das von Prof. Eohlrauscb
angegebene Federgalvanometer mit folgenden, den Sitzongs-Berichten der Würzb.
physik. med. Gesellschaft entnommenen Erläuterungen:
Für viele Zwecke der Praxis wird ein Strommesser verlangt, der die Bedingungen
vereinigt, dass er einfach herzustellen und zu handhaben ist, dass er sich schnell
ruhig einstellt und endlich, dass er auf die Dauer eine gewisse ünveränderlichkeit
verbürgt Auf eine besondere Feinheit der einzelnen Ablesung dagegen wird man,
schon wegen der Stromschwankungen, bei vielen praktischen Zwecken kaum zu sehen
brauchen. Es scheint mir, dass es an einem solchen Instrument für schwache Strdme
z. B. für ärztliche Zwecke fehle. Das vorliegende Galvanometer kann da vielleicht
gute Dienste thun, wo eine Genauigkeit der Angaben auf etwa Vio ?^^^ ^^^
kann das Instrument für beliebig starke Ströme einrichten. Abwärts ist dasselbe
etwa bis 0,001 Ampere brauchbar.
Eine Magnetnadel, welche nur theilweise in eine Drahtspule eintaucht, wird
bekanntlich von einem in geeigneter Bichtung durch die Spule gehenden Strome mit
einer gewissen Kraft in die Spule gezogen. Hängt man diese Nadel an einer elas-
tischen Spiralfeder au^ so wird die Nadel je nach der Stromstärke mehr oder weniger
einsinken, und es wird jeder Stellung der Nadel eine bestimmte Stromstärke ent-
sprechen.
Die Elastidtät einer Feder, etwa von Stahl oder Neusilber, kann auf lange
Zeit als ziemlich unveränderlich verbürgt werden. Der Magnetismus der Nadel
freilich, mit welchem die hineinzuziehende Kraft ja wächst, erleidet Yeränderangen,
die besonders nach längerer Nichtbenutzung des Instrumentes einen merklichen Be-
trag erreichen können. Allein das letztere bietet ja selbst das einfachste Mittel, die
Nadel jederzeit frisch zu magnetisiren. Die Stromrichtung, welche die Nadel in die
Spule zieht, ist derartig, dass der Magnetismus dadurch verstärkt wird. Man braucht
also auch nach längerer Nichtbenutzung des Instruments nur einen Augenblick einen
einigermaassen kräftigen Strom durchzuschicken (der die Nadel bis auf den Boden
der Spule zieht), um sie sofort wieder mit ihrem ursprünglichen Magnetismus zu
versehen. Die möglichen Aenderungen werden sich dann kaum auf Vio belaufen.
Doch wird man gut thun, wenn ein starker Strom durchgegangen war, vor der
Messung schwacher Ströme zuerst eine Stromunterbrechung eintreten zu lassen, weil
sonst auch von dem temporären Magnetismus durch den starken Strom ein Best
übrig bleibt, der die Angaben des Instruments etwas zu hoch ausfallen lässt
Eine solche Stromwaage, die für die Stromstärken von 0,001 bis 0,015 Amp.
(1 bis 15 Milli-Amp.), wie sie in der Elektrotherapie gebraucht werden, eine geeignete
Scala liefert, aber durch andere Drahtstärken oder durch Nebenschliessungen auch
für beliebige andere Stromstärken eingerichtet werden kann, bildet das Kohlen-
rausch'sche Galvanometer. Die Drahtspule hat etwa 60 mm Länge, 6 und 35 mm
inneren und und äusseren Durchmesser. Die Durchbohrung des Spulenrahmens, in
welcher die Nadel spielen soll, ist natürlich glatt ausgearbeitet und gesäubert; sie
hat einen Durchmesser von 3 mm. Grössere Weit« ist schon deswegen ungünstig,
weil die Nadel, wenn sie sich weiter aus der mittleren Lage entfernen kann, sich
mit einer gewissen Kraft an die Seitenwände anlegt und dann einer grösseren Bei-
bung unterliegt.
Die Wickelung füi Stromstärken von 0,001 bis 0,015 Amp. besteht ans etwa
10000 Windungen feinsten Kupferdrahtes.
Eine 90 mm lange magnetisirte Stahlnadel (Stopfnadel) ist an einer Spiralfeder
von feinem Neusilberdraht aufgehängt und taucht in ihrer Nullstellung (ohne Strom)
— 311 —
20 mm tief in die Spule ein; Als Index zum Ablesen an der auf dem Glasrohr
angebrachten Scala dient eine an dem oberen Ende der Nadel befestigte Scheibe aus
Hom, die zugleich eine andere Aufgabe erfüllt, nämlich die Schwingungen des In-
struments rasch zu beruhigen. Denn da der Scheibe in dem Glasrohre nur ein
kleiner Spielraum gegen die Wandungen gelassen worden ist, da femer das untere
Ende der Spulendnrchbohrung durch einen Kork geschlossen ist, so bildet sich bei
einer Bewegung der Nadel auf der vorderen Seite eine Verdichtung, auf der hinteren
eine Verdünnung der Luft, welche die vorhandene Bewegung rasch dämpfen.
Die Einstellungen erfolgen bei einer Scheibe, die das Bohr beinahe ausfüllt, fast
momentan, und man kann auch raschen Stromschwankungen mit der
Beobachtung vollkommen folgen.
Stellschrauben in dem Holzfusse lassen das Instrument so aufstellen, dass die
Nadel freie Bewegung hat.
Wie schon gesagt, ist der Strom immer in einer und derselben Bichtung durch
das Instrument zu senden. Die Anbringung eines Stromwenders ist dadurch natürlich
nicht ausgeschlossen, man muss nur die Stromwaage immer zwischen den Stromwender
und die Batterie einschalten.
Sollte aus Versehen einmal ein starker Strom in verkehrter Bichtung durch
das Instrument gegangen sein und die Nadel ummagnetisirt haben, so lässt sich
dieser Schaden auf demselben Wege durch einen kräftigen Strom in normaler Bich-
tung, indem man nöthigenfaUs die Nadel dabei in die Spule einsenkt, wieder aus-
bessern. Wenn man es vorzieht, mag man auch die ummagnetisirte Nadel weiter
gebrauchen, muss dann aber den Strom immer in der verkehrten Bichtung durch
das Instrument schicken.
Der Widerstand des mit dem feinen Draht bewickelten Instrumentes beträgt
etwa 1000 Quecksilbereinheiten. Die Scala erlangt dabei eine Grösse, dass man
etwa auf 0,0001 Amp. noch ablesen kann. Ein weiterer Spielraum für die zu
messenden Ströme kann leicht in bekannter Weise durch Nebenschliessungen (Shuntes)
erzielt werden. Man kann hierdurch z. B. bewirken, dass je nach der Stellung
eines Stöpsels nur der zehnte oder auch nur der handertste Theil des Stromes durch
die Spule fliessi Es sind dann also die Angaben mit 10, resp. mit 100 zu multi-
pliciren, und dasselbe Instrument reicht also von 0,001 bis 1 Amp. Die Wider-
stände, welche die Nebenschlüsse bilden, und die in dem Boden des Instrumentes
stecken, betragen zu diesem Zweck Vo» ^^V- ^Iw ^^s Hauptwiderstandes. Bei dieser
Benutzung wird dann auch der Gesammtwiders^d auf etwa 100, resp. 10 Q.-E.
reducirt, was für stärkere Ströme vortheilhaft ist. Derselbe Stöpsel lässt in einer
dritten Stellung das Instrument aus dem Stromkreise ausschalten.
Sollte der Nullpunkt des Instrumentes durch unvorsichtige Behandlung oder
durch die Zeit sich ein wenig ändern, so corrigirt man mit der verstellbaren Auf-
hängevorrichtung, bis wieder der alte Nullpunkt hergestellt ist. Die Federkraft wird
durch solche Aenderungen, wenn sie nicht zu bedeutend sind, nicht merklich geändert.
Das Instrument ist von dem Mechaniker des physikalischen Instituts in Würz-
bnrg, C. Marstaller, zu beziehen.
(Fortsetzxmg folgt.)
IV. PersonalieiL
Am 13. Juni endete ein gewaltsamer Tod das Leben von Bernhard v. Gudden,
geb. den 7. Juni 1824 in Cleve. Es soll an dieser Stelle nicht auf das tragische
Ereigniss, dem Gudden zum Opfer fiel, eingegangen werden, es soll hier nur der
tiefen Trauer um den schweren Verlust, den die Wissenschaft durch seinen Tod er-
litten, wie der hohen Verehrung ein Ausdruck gegeben werden, die der Dahinge-
schiedene in reichstem Maasse genoss. Nach seinen hervorragenden Arbeiten über
— 312 —
das ScMdelwachstham hatte sich G. besonders der anatomischen und phyüologiacheD
Forschung des Oehims zugewandt und durch die Anwendung einer neuen Methode,
die als Angrif&ponkt das junge, möglichst das neugeborene Thier nimmt, wie durch
die gewonnenen Resultate dauerndes Verdienst sich erworben. Zahlreiche Schüler,
z. Th. schon in hervorragenden Stellungen, arbeiten in seinem Sinne weiter. In
den letzten Jahren betheiligte er sich in besonders reger Weise an den jährlichen
Sitzungen des Vereins der deutschen Irrenärzte und hatte auch für die diesjährige
im September in Berlin das Referat über ,,die Grundsätze von Aufnahme und Ent-
lassung von Geisteskranken", wie über „die mechanische Behandlung der Dementia
paralytica'' übernommen; ebenso thätig nahm er Antheil an den Sitzungen der Natur-
forscherversammlung. Es war selbstverständlich, dass er bei diesen Zusammenkünften
sowohl wegen seiner hervorragenden geistigen Bedeutung, wie wegen seines liebens-
würdigen Wesens den Mittelpunkt bildete, um den sich die Fachgenossen sammeltea
Wie er in seinen wissenschaftlichen Arbeiten mit der peinlichsten Gewissen-
haftigkeit vorging, so war sein Streben in der praktischen Psychiatrie erfüllt von
dem Ideal, die Leiden seiner Kranken auf das mögUcbst geringste Maass zurück-
zuführen. Zeugniss hierfür giebt noch der letzte Jahresbericht, den er veröffentlichte
und über den wir in dieser Zeitschrift 1885 S. 564 referirten. Für seine Pflicht,
in der Erfüllung seines Berufes ging er in den Tod. Ehre seinem Andenken, Friede
seiner Asche. M.
In Gent starb am 22. Mai Dr. Ingels, ein hervorragender belgischer Psychiater,
über dessen letzte Arbeit wir in dieser Nummer referirten.
Von unsem Mitarbeitern wurde Herr Prof. Dr. Emminghaus von Dorpat an
die Universität Freiburg als Director der psychiatrischen Klinik berufen, Herr Dr.
Kraepelin geht von Dresden als Professor der Psychiatrie an die Universität Dorpat,
und Privatdocent Herr Dr. Falk zu Berlin wurde zum Prof. extraordinarius daselbst
ernannt.
Herr Prof. Grashey (Würzburg) ¥nirde, wie uns aus München berichtet wird,
zum Nachfolger Guddens berufen.
V. Vermischtes.
Italien wird in Dächster Zeit eine besondere Anstalt für oriniineUe Irre erhalten. Daa
Ministerium des Inneren bat angeordnet, dass die bisherige Strafanstalt Ambrogiana in eine
Irrenanstalt umgewandelt wird. Mindestens 8 Abtheilangen werden voranssicEtlich in der-
selben eingericbtet, nämlich für irre Verbrecher, für irre Untersnchnngsgefangene und fftr
die Simalstionsverd&chtigen; wahrscheinlich werden aber auch solche Irre dort Aufnahme
finden können, die ihrer geistigen Störung wegen bereits freigesprochen oder aus der Haft
entlassen sind, die aber in den allgemeinen Irrenanstalten sich so gemeingefährlich gezeigt
haben, dass sie einer besonderen Versicherung bedürfen. Zum Director des neuen Institut^,
das hoffentlich das Schicksal der criminellen Geisteskranken erleichtem wird, ist der auch
ausserhalb seines engeren Vaterlandes wohlbekannte Ponticelli bestimmt.
Sommer.
Im Herbst d. J. wird die erste Anstalt ftir Epileptische in der Schweiz eröffnet werden.
Sie befindet sich auf der Rüti bei Zürich, ist mit allen hygienischen Einrichtungen der
Neuzeit ausgestattet und für ca. 40 Kranke berechnet.
(Ztschr. f. BchandL Sohwachainniger u. Epileptischer. 1886. 3.)
Die Soci^te contre Tabus du tabac hat für das Jahr 1888 folgende Preisaufgabe (Preis
1000 fr.) gestellt:
Les effets du tabac sur la sant^ des gens de lettrcs, son influence sur Tavenir de la
litt^rature fran9aise.
Verlag von Vbit & Coiip. in Leipzig. — Druck von Mbtzobb & WiTne in Leipzig.
Neurologisches Centralblatt.
Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie
und Therapie des Nervensystemes einschliesslich der Geisteskrankheiten.
Herausgegeben yon.
Professor Dr. E. Mendel
Fflnfter laBwun. Jahrgang.
Monatiich eneheinen zwei Nninmern. Preis des Jahrganges 16 Mark. Zu beziehen dnrch
alle Bachhandlungen des In- und Auslandes» die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie
direct von der Yerlagsbuchhandlang.
1886. 15. JnU. M 14.
Inhalt I. Originalmittheilungen. 1. Beitrae^ zur Lehre Ton der Aetiologie des Tic
convulsif, von Dr. med. Otto Buss. 2. Üeber das Kniephänomen, yon Dr. P. Zenner.
11. Referate. Anatomie. 1. Nuoto processo di conrersazione dcUe sezioni microeco-
piche, del Giacomlni. — Experimentelle Physiologie. 2. Physiologische Studien über
Fsychophysik, von MOIIer. — Pathologische Anatomie. 8. Mittheilungen über einige
milrocepbale Hirne, von ROdinger. 4. A case illastrating the condition of the nervous sysfcem
after amputation of an extremity, by Dudley. — Pathologie des Nervensystems. 5. La
Emiplegia, Saggio di fisio-patolog^a del cervello, pel Bianchl. 6. üeber Störungen der all-
gemeinen und speciellen Sensibilität bei Epileptischen, von Oserez|owski. 7. On a case of
loconiotor ataxia with laryngeal crises and one of priroary sclerosis of the columns of GoU,
complicated with ophthalmoplegia externa, by Ross. 8. On the relation between the posterior
oolumns of the spinal cord on the excito-motor area of the cortex with especial reference to
Prof. SchiSia views on the subject, by Horsley. 9. Locomotor ataxy with almost entire ab-
sence of lightning pains, by Bramwell. 10. Ein Fall von Tabes dorsalis, coniplicirt mit Dia-
betes mellitus, von Reumont. 11. Lähmung der Glottis-Erweiterer als initiales Symptom der
Tabes dorsalis, von Well. 12. Ein Fall von Affection der Gelenke bei Tabes, von Minor.
13. The pathology of rheumatoid arthritis, von Lane. 14. Chronic rheuraatic artbritis of the
hip-joint, bv Adams. 15. Ursachen und Verlauf der Sehnervenatrophie, von Peltesohn. 12. A
case of multiple simultaneous cerebral haemorrhages, causing hemiplegie and oculo-pupillary
Symptoms, by Wlilte. — Psychiatrie. 17. Decrease of general paralysis and increase of
insanity at advaneed ages, in Edinburgh, by Cloviton. 18. Observation de folie paralytique
ä l'age de 80 ans, par Lentz. 19. Paretic dementia, by Kiernan. 20. Syphilis und Dementia
paralytica, von Brie. 21. Ueber die Syphilis' als Aetiologie der Tabes dorsalis und der De-
mentia paralytica, von Preuss. — Therapie. 22. Snlle variazioni locali del polso nel cer-
vello e neU'avambraccio deiruomo per effetto di alcuni agcnti terapeutici, pei Capelli e Brugia,
IM. Aus den Oetellscliaften. — IV. Bibliographie. — V. Vermischtes.
I. Ortginalmittheilangen.
1. Beitrag zur Lehre von der Aetiologie des Tic convulsif.
Aus der medicinischen Umversitätsklinik zu Götüngen.
Von Dr. med. Otto Boss, Assistenzarzt der Klinik.
Die Beseitigang des als Tic convnlsif oder als mimischer Qesichtsmuskel-
krampf bezeichneten clonischen Krampfes im Gebiete des Nervus facialis hat in
vielen Fällen den behandelnden Aerzten grosse Schwierigkeiten bereitet
f _ 314 _
Abgesehen von denjenigen Fallen, die als Refleikrampf an^fasst werden
müssen,' da nach^Bäseitignng des sensiblea Beizee auch "der F^iaUskrampf auf-
hört, weichen nar nodi die anscheinend nach Erkältung aufgetretenen I%Ue
einer entsprechenden Behandlung. Die grosse Anzahl derjenigen Fälle, deren
Aetiologie dunkel ist, setzen den tiierapeutischen Bestrebungen ausserordentlich
hartnädügen Widerstand entgegen.
In solchen Fällen wurde auch, nachdem Medicamente und die Anwendung
der Elektricität vergeblich versucht waren, die Dehnung des Nervus facialis,
welche zuerst von Baum emp^len worden ist, auggefUirt Das Resultat der
Operation war jedoch im Allgemeinen wenig zufriedenstellend. Die Zuokuiigen
sistirten manchmal Tage, ja sogar Monate lang, in letzterem Falle war durch
die starke Dehnung des Nerven eine schwere, peripherische Lähmung desselben
hervorgerufen worden, fast stets aber stellten sich nach Regeneration der Nerven-
fasern auch die Zuckungen wieder ein.
M. Bernhardt,^ welcher der Frage betreffs der Behandlung des clonischen
Facialiskrampfes mittelst Nervendehnung mehrfisu^h näher getreten ist, weist
mit Hinsicht auf die häufig allen therapeutischen und operativen Maassnahmen
trotzenden Fälle darauf hin, dass man bei denselben eine unserer Therapie nicht
zugängliche Ursache annehmen müsse, wie z. B. in dem von Schitltze' publi-
cirten Falle, wo ein linksseitiger Faciahskrampf durch ein den Nervus facialis
comprimirendes Aneurysma der Arteria vertebr. sinistr. hervorgerufen worden war.
Schon früher hatte M. Bobbnthal einen Fall mitgetheilt, bei dem der
Facialiskrampf durch ein basales Cholesteatom, welches den Nerven drückte,
bedingt war.
Diesen beiden bislang in der Literatur bekannten Fällen von Tic convuMf,
bei denen ein peripherischer Reiz, welcher den Stamm des Nerv, facialis intra-
craniell traf, einen clonischen Krampf desselben auslöste, will ich einen dritten,
auf der Göttinger medicinischen Universitätsklinik von mir beobachteten ähn-
lichen Fall beifögen«
Am 28. Mai 1885 kam auf der medicinischen Klinik der 48jähr. Schlosser
Aug. Bergmann aus Göttingen wegen Athembeschwerden und Husten zur Auf-
nahme. Bei der Untersuchung wurden ein substantielles Lungenemphysem mit
Bronchitis, eine beträchtliche Hypertrophie des Herzens, ausgesprochene Athero-
matose der peripheriscben Arterien, sowie ein linksseitiger Tic convulsif eonstatirt
Die clonischen Zuckungen betrafen fast die ganze linke Gesichtshälfte. Am
meisten in die Augen fallend war das Blinzeln und Schliessen der Augenlider,
sowie die Verzerrung der Wange und des Mundwinkels; an der Stirn, am Ohr
und am Kinn sah man keine Bewegungen.
Schmerzen hatte Patient nirgends, weder spontan, noch auf Druck. Bei
psychischer Erregung wurden die Zuckungen heftiger. Seit wann die Zuckungen
b^tanden, vermochte Fat nicht genau anzugeben; er wusste nur soviel, dass
' M. Bernhardt, Zcitschr. f. klin. Med. 1881. III. — Derselbe: Deutsche med. Wochen
Schrift. 1882. Nr. 9.
' SoHTTLTZB : Virohow's Archiv. Bd. LXV. S. 885.
— 815 —
seit mehrereii Monaten „dss Zneken im Gesicht^ stetig zugenonunen habe. Ueber
Störungen des Gehörs wurde nicht geklagt Da Patient keine ejrheblicheu Be-
schwerden von dem clonischen Facidiskrampf hatte, auch die Erkrankung der
andern Oigane bedeutend in den Vordergrund trat, wurde von jeglicher thera-
peutischer Beeinflussung des Krampfes abgesehen. Eine elektrische Untersuchung
hat nicht stattgefunden.
Nachdem Pat drca 5 Wochen wegen seines Lungenleidens auf der Klinik
behandelt worden war, wurde er gebessert entlassen; der Tic convulsif bestand
unverändert fort.
Im Juli 1885, circa 4 Wochen nach der Entlassung, wurde Pat. Abends
6 "ühr in einem Tragkorbe auf die Klinik gebracht Er war bei der Arbeit
plöizlich schwindelig geworden, war zu Boden gefallen und hatte mehrfach
erbrochen; er war nicht im Stande allein zu stehen oder zu gehen, ausserdem
klagte er über reissende Schmerzen in der ganzen rechten Körperhälfte. B6-
wussüos soll er nicht gewesen sein.
Bei der Aufnahme konnte Pat den Hergang der Erkrankung selbst erzählen;
jedoch machte ihm das Sprechen grosse Mühe und stiess er häufig dabei an.
Er klagte über Lähmung und heftiges Reissen in den rechtsseitigen Extremi-
täten; besonders heftig sollten die Schmerzen in der rechten Gesichtshälfte sein; er
war auf Aufforderung jedoch im Stande, die rechtsseitigen Extremitäten ziemlich
frei zu bewegen; der Druck der rechten Hand war sehr schwach. Es bestand
eine linksseitige Facialisparese; in den paretischen Muskeln der Wange, der
Oberlippe und der Augenlider sah man geringfügige clonische Zuckungen.
In der folgenden Nacht wurde Pat bewusstlos; sämmtliche Extremitäten
fielen aufgehoben schlaff herunter. Die Temperatur war auf 4P gestiegen, ohne
dass eine fieberhafte Qrganerkrankung nachzuweisen war.
Am Nachmittage des folgenden Tages erfolgte der Exitus letalis. Die
Temperatur betrug gleich nach dem Tode gemessen 43^.
Die Zuckungen im Gebiete des linken Facialis waren am letzten Tage nicht
mehr so deutlich als früher zu sehen; zuletzt, mehrere Stunden vor dem Tode
hörten sie ganz anf.
Die am folgenden Morgen von Prof. Qbth angeführte Obduction ergab als
Todesursache eine ausgedehnte Zerstörung der Brücke durch einen taubenei-
grossen Bluterguss. Die Zerstörung war auf der linken Seite grösser, als auf
der rechten, eneichte jedoch die Medulla oblongata nicht
Abgesehen von dem übrigen Befunde, der uns in diesem Falle nicht inter-
essirt, fand sich noch Folgendes: Die linke Arteria cerebelli post war etwas
weiter, als die rechte, verlief geschlängelt und bogenförmig nach vom und zeigte
ausserdem, wie fiist alle Arterien der Basis atheromatöse Stellen. Sie li^ mit
einer Windung, an der sich eine stark atheromatöse Stelle befand, dem linken
Facialis und Acusticus fest auf. An beiden Nerven war äusserlich nichts Ab*
normes zu ^tdecken. Die Untersuchung der frischen und gehärteten Nerven,
sowie des Fadalisursprunges in der Brücke ergab ein negatives Resultat Beide
- 316
Nerven verhielten sich genau so, wie die der rechten Seite, welche zum Ver-
gleiche dienten.
Unser negativer Befund entspricht dem von SoHUiiTZE, welcher ebenüaUs
nicht im Stande war, an dem durch das Aneurysma gedrückten Nerven patho-
logische Veränderungen nachzuweisen.
Es ist die Annahme überaus nahegelegt, dass in unserm Ealle der links-
seitige clonische Facialiskrampf durch den Druck, welchen die atheromatöse
Stelle der erweiterten linken Art cerebelli post auf ihn ausübte, hervorgerufen
worden ist. Wenigstens ist bei der sehr genau ausgeführten Untersuchung
nichts gefunden worden, was sonst für die Entstehung des Tic couFulsif ver-
antwortlich gemacht werden könnte.
Jedoch möchte ich annehmen, dass wesentlich die Erweiterung des Arterien-
rohres, welche die atheromatöse Stelle in nahe Berührung mit dem unterli^endeu
Nerven brachte, die Entstehung des Tic convuMf veranlasst habe.
Wie in dem Falle von Sghültze fehlten auch in unserem Falle jegliche
Reizerscheinungen von Seiten des Acusticus. Der Kranke hat niemals über
abnorme Sensationen im Ohr geklagt. Es würde denmach diese Beobachtung
auch wieder dafür sprechen, dass Reizung des Acusticusstammes weder Ohren-
sausen, noch Schwerhörigkeit hervorzurufen pflegt.
Endlich stimmt unser Fall noch in dem Punkte mit dem ScHULxzB'schen
überein, dass im Facialisgebiet tonische Krämpfe nicht beobachtet wurden.
Natansok nahm bekanntlich an, dass ein Beiz, der einen motorischen Nerven
in irgend einem peripherischen Abschnitte treffe, einen tonischen Krampf der
zugehörigen Musculatur hervorrufe.
Sowohl der Fall von Schui/fze, wie der unserige sprechen dagegen.
2. Heber das Kniei)hänomen.
Von Dr. P. Zenner in Cincinnati, 0.
Ich habe kürzlich das Kniephänomen an 2174 Personen tmtersucht, bez.
untersuchen lassen. Von diesen waren 1174 Insassen von Irrenhäusern, die
übrigen 1000 waren hauptsächlich Personen in scheinbar gutem Gesundheits-
zustande. 267 von den Irren waren weiblichen, alle übrigen Untersmchten
männlichen Qeschlechtes. Alle waren erwachsene Personen.
Bei 23 von den 1174 Irren fehlte das Kniephänomen. Von diesen waren
10 Fälle von allgemeiner Paralyse, während zwei zur Zeit diagnostisch noch
zweifelhaft waren. Von den 10 Paralytikern hatten 9 ausserdem reflectoiische
Pupillenstarre.
Bei den übrigen 1000 fehlte das Kniephänomen in 5 Fällen. Zwei von
diesen hatten noch andere Symptome von beginnender Tabes; einer war ein
alter Mann von 94 Jahren mit beträchtlicher Muskelatrophie und Zeichen an-
derer Gewebsdegeneration; während die übrigen zwei offenbar in gutem Gesund-
heitszust^de sich befanden. Einer von diesen letzteren war ein Farbigen
— 817 —
39 '3 Ate alt*^ weldbefr früher eiBen Sehanker gehabt hatte, und zdtweise an
S<^hmer2»n an verschiedenen TheOen des Körpers Utt, welche jedoch nicht den
Charakter der bei heginnender Tabes vorhandenen Schmerzen hatten. iW an-
dere,. 25 jak(pe alt, gab an, dass er lue an ..einer venerisohaa Eraukheit gelitten
hafce^ imd war auBcheinend. vollkommen gesund. Beide waxen G^^mgene in
don Cöicinnattar Arbeitshänse. SMgMeherweise werden sich bei ihnen mit der
Zeit die Zeichen von vorhandener Tabes entwickeln. Doch mag dies sein, wie
es will, das steht fest, dasß das Eniepbänomen in eifern so geringen Frocent-
sat» bei anscheinendi gesunden Personen nicht vorhanden ist, dass maa das
Fehlen desselben als ein beinahe sicheres pathognomisches Zeichen betanchten kaain.
Za diesen Besnltaten bifi ich mit ZuhUfenahme der Methode von Jm-
D'BLkBSöc (cf. d. GentralbL 1885. !Nr. 18) gekonmien, wobei der zu Untersuchende
die Pinger beider Hände ineinänderhakt und dann kräftig auseinanderziehb Die
betr. F^rapnen sassen bei diesen Untersuchungen, mit herahbängendw Beinen
auf einem Tische. In einer Anzahl von Fällen konnte das Phänomen nur mit-
telst der jENDBASSiK'sGhen Methode hervorgerufen werden. Doch gelang es
mir nicht immer, im G^änsatze zu JendrassHc^ Erfahrungen, das Phänomen,
selbst mittelst aemer Methode,, leicht auszulösen. In einigen Fällen war 'e&
schwierig, dasselbe nachzuweisen j und dann war es sehr unbedeutend. Einige
vQiL diesen worden, in Folge der grossen Anzahl der zu gleieher Zeit zu unter-
suehenden Personen, nur einmal flfichtig und nur in Beziehung auf das Enie-
phänomen untersucht. Zwei waren FäDe von Alkoholismus; einige andere wur-
den bei sorgfältiger Untersuchung vollkommen . gesund befunden. Ob daher eine
derartige. Beaction patbologisdie. Bedeutung hat, kann ich nicht sagen. Es ist
zoHt Wenigsten zweifelhaft Allerdii^ hftbe ich eine deiart^e Beaction in
einigen wenigen Fällen von beginnender Tabes gefunden. Jedoch muss man
in derartigen Fällen meht von der allmählichen Abnahme des Phänomens urr
theilen,' als von dem Umst^;ide ,. dass .dasselbe nur bei einer einzelnen Unter-
sufihung wenig au^IȊgt 6r8chei^t
'•^
n. Referate.
..* ,*,!
''" Anatomie.
l) Nuoyo proQipsfpp di ponvemnalone 4eJile fienloni mierosooirfolifi» dal Prof.
< . „ iQlA.opmiiAL^ (^tesettc^ d#l^ ohlinii^be. 1885« n. Nr. 22). .
Verf. hat z. Th. ans Sparsamkeitsrfteksiicht^ in Beza^ auf Kosten, Baum und
Zttt 'eine netr^ Mefihede zur Atffbewftbrufig mikroskopisch zu uBtersncbender Schnitte
ereönnen, ^ deren BTinzdheiten hier zwar -liich^ können, die aber
inihr^ti HaupIcfigen^^ilSiM zu werden verdient nnd' die b^onders ffir Demonstrations-
ziireeke löttj^eMeneweWh 'äti sein scheint/ - >•
^'' VerC' woHtt^ innächst den Aufirand; 'fftf Objectträger und Deckgläser vermeiden
üfild' dftiiii die HerJ^Utiti^; Aufbewahrung nhä den Transj^ort der Präparate erieicbtem.
% dieseiA Behtife' briei^ er die gefärbten Schnitte zunächst in eine OelatinelCshng,
dl^'ln elneni Wasserbade wann erhislten wSi^d nnd die vorher durch Eiweiss geklärt;
— 818 —
und filtrirt worden ist. Dann wird anf eine sorgfältag gereinigie nnd polirte Glas-
platte eine dflnne Schicht Gollodiam ani^ebreitet^ nsioh der Trocknung wird der Schnitt
mit etwad Gelatinelösang darauf gelegt und später wieder mit einem OoUodinmflbemig
versehen. Nach 2 — 3 Tagen kann das ganze Object» n&mlich eine dflnne Gelatine«
Schicht mit dem Schnitt zwischen zwei noch dflnneren CoUodiomschichten Ton der
Glasplatte abgehoben und nun ohne Weiteres aufbewahrt werden. Das ganze Prä-
parat ist vollkommen hart und durchsichtig; es gestattet bei genttgender Dflnne die
Anwendung jeder Yergrösserung. Für die Herstellung und fllr die Haltbarkeit ist
die vorausgegangene H&rtung und Färbung ohne besonderen Einfiuss.
Zu demonstrativen Zwecken hat Verf. auch öfters mehrere Schnitte, ja ganze
Serien in eine und dieselbe Gelatineschicht eingeschlossen. Fflr die Branchbarkeit
seiner Methode, allerdings wohl auch fflr seine persönliche Geschicklichkeit^ sfMicht
sein Versuch, eine Serie von ca. 200 Schnitten durch die Yarolsbrflcke eines aus-
gewachsenen menschlichen Gehirns der Reihenfolge nach auf einer einzigen Tafel
von 100 cm Länge und 60 cm Breite zu fixiren; auch hat er Schnitte durch ganze
Gehirne auf diese Weise eingebettet und hofft, solche als Ersatz fiir Abbildungen
allgemeiner einbürgern zu können. Sommer.
Experimentelle Physiologie.
2) Physiologische Studien über Paychophysik, von Dr. Franz Carl Mflller.
(Arch. f. Anai u. Fhysiol. Fhjsiol. AbtheU. 1886. S. 270—320.)
M. will in seiner Arbeit die Frage, ob das sogen. Weber*sche Gesets überhaupt
für die durch Reizung hervorgerufenen Zustände verminderter Erregbarkeit chaimk-
teristisch ist, im Speciellen fflr die Zustände verminderter Erregbarkeit, welche sich
unter der Einwirkung des galvanischen Stromes auf die Nervenfaser entwickeln, ex-
perimentell beantworten; an eine als vorläufig zu betrachtende Darlegung der Eigeb-
nisse und ihrer Oonsequenzen reihen sich an Versuche bezflglich einer etwugen ana-
logen Gesetzmässigkeit für die Zustände erhöhter Erregbarkeit und solche bezflglich
des Ueberganges aus verminderter in erhöhte Erregbarkeit
Die Versuche, die M. am N. ischiadicus des Frosches, am ausgeschnittenen
Nerven warmblfltiger Thiere und am Menschen anstellte (Versuchsanordnung und
Detailergebnisse siehe im Original), ergaben nun, dass fflr die galvanische Beizung
peripherischer Nerven dasselbe Gesetz exisUrt, welches Weber fflr die physiologische
Sinnesreizung nachgewiesen, so dass M. dieses nur als den psychophysischen Fall
eines allgemeinen von ihm als neprophysischen bezeichneten G^esetzes anzusehen sich
fflr berechtigt halt, welches er so formulirt: Die Erregung, welche durch Aenderung
der Intensität eines erregbarkeitsvermindemden Reizes verursacht wird, bleibt unter
sonst gleichen Umständen innerhalb gewisser Grenzen der absoluten Beizstärke gleich
gross, wenn das Verhältniss der Aenderung der Intensität zu der Intensität^ von der
die Aenderung ausgeht, das gleiche bleibt. Ausserhalb der erwähnten Grenzen findet
bei gleichbleibendem Verhältniss zwischen Intensität und Intensitätsändenmg von
einem Beizwerthe zum nächst höheren, bei geringen Beizstärken eine Zunahme, bei
hohen Beizstärken eine Abnahme der Erregung statt
Auf der Basis dieses Gesetzes sucht nun M. weitere Schlussfolgerungen bezflg-
lich der physiologischen Grundlage der fraglichen psychischen Processe zu ziehen
und zu prüfen, ob die in dem Gesetze sich ausdrflckende Uebereinstimmung eine zu-
fällige oder eine in den wesentlichen Eigenschaften des nervösen Erregungsprocesses
begründete ist. Er geht von der Erwägung aus, dass die Unterschiedsempfindung
ein Urtheil ist, und dass dieser Verschiedenheit des psychischen Vorganges gegenflber
der Empfindung eine Verschiedenartigkeit des psychophysischen Vorgangs und dieser
eine Verschiedenartigkeit des Beizvorganges zu Grunde liegt, die Empfindung einem
— 319 —
mit oonatanter Inienait&t wirkendmu Beise, die Unterachiedsempfiiidaiig einer Aende-
nmg in der Intensit&i des Beissefl entspricht; daraus ergiebt sicli, dass die Unter-
scMedaempfindnng nnd die Erregnngy welche am peripherischen Nerven bei der Beiz«
achwanknng anftritt, in einer ihrer wesentlichen Eigenschaften identisch sind. Weiter
ergiebt nch, dass der physiologiBohe Repräsentant der Unterschiedsempfindung die-
jenige Erregung ist, welche den Uebergang eines Erregbarkeitszastandes in einen
andern begleitet, nnd da sich in dieser Hinsicht das Erinnaningsbild oder die Vor-
stellniig ebenso wie die Empfindung verhUt^ so folgt daraus, dass, wenn zwei dem-
selben Sinn angehdrige Yorstellnngen dnrch's Bewosstsein ziehen, im Bewosstseins-
organ zwei verschiedene Eiregbarkeitszost&nde sich folgen, deren Uebergang in ein-
ander unter bestimmten Bedingungen eine Erregung hervorbringt, die von jenen
Zuständen ganz verschieden, die gesetzmässige Beziehung derselben zu einander
repräaentirt^ welchem Acte psychologisch die einfachste Form des Urtheils entspricht
Weiter zieht M. mit Bücksicht auf die Discussion bezüglich des Maasses der
Empfindung oder Unterschiedsempfindung die Möglichkeit in Betracht, die jener Dis-
cussion zu Grunde liegenden theoretischen Folgerungen einer experimentellen Ent-
scheidung durch seine Versuche mit peripherischer Nervenreizung zu unUHrwerfen.
Die erste der auCsuwerfenden Fragen nach dem Yerhältniss zwischen Intensität der
Empfindung und Intensität des Beizes sieht et durch seine Versuche schon gelöst
und dahin lautend: Der der Empfindung zu Grunde liegende psychophysische Process
als ein Zustand verminderter Erregbarkeit ist direct proportional der Beizintensitäi
Die Frage nach dem Verhältniss der Grösse der Unterschiedsempfindung zur Grösse
der Aenderung der Beizintensität, resp. die daraus resultirenden Unterfingen lässt
IL unentschieden.
Im Fönenden befasst er sich mit den Zuständen erhöhter Erregbarkeit, als
deren Bepräsentant im (Gebiete der Affecte die bekannte Formel Laplace*s von der
Fortune morale et physique gelten kann; die Möglichkeit einer e^erimentellen Prü-
fung jener sieht M. als gegeben an, doch enthält er sich einer abschliessenden Dis-
cussion seiner diesfälligen Versuche, da eine denselben anhaftende Complication die
Beweiskraft den^lben als nicht gesichert erscheinen lässi
Schliesslich berichtet M. über Untersuchungen bezüglich des Ueberganges aus
verminderter in erhöhte Erregbarkeit, durch welche er zur Formulirung des nach-
stehenden neurophysischen Gesetzes gelangt: Bei dem Uebergange aus einem Zustande
vermind^ier in erhöhte Erregbarkeit bleibt in einem Gebiete unterschwelliger Werthe
des die Erregbarkeit vermindernden Beizos die Erregung gleich, wenn das Verhält-
niss des die Erregbarkeit vermindernden Beizes zu dem um seinen SchweUenwerth
verminderten die Erregbarkeit erhöhenden Beize das gleiche bleibt A. Pick.
Pathologisclie Anatomie.
3) MlttheUimgen über einige mikrooephale Hirne» von Prof. Dr. Büdinger.
(Münchener med. Wochenschr. 1886. Nr. 10—12.)
Als Beitrag zur Entscheidung über die Frage, ob die mikrocephalen Bildungen
nach C. Vogt's Theorie von den atavistischen Bückfällen oder nach Virchow's
Lehre vom Tginflnaa pathologischer Processe herzuleiten seien, beschreibt B. 6 mikro-
cephale Gehirne. Hier können nur einige kurze Notizen von denselben gegeben
werden.
1. Gehirn eines 19jährigen kräftigen Bauemknechtes, ven 719 Gramm Gewicht
und einer Entwickelung der Windungen, die etwa deijenigen eines 8monatlichen
menschlichen Fötus entspricht
2. Gehirn eines neugeborenen mikrocephalen Mädchens, sehr klein, 47 Gramm
schwer; die höckrigen Grosehimhemisphären berühren mit ihren hinteren Spitzen
— 320 —
kanm. das CerefoeUam, liaben IM gtr keine Farcheiii die Feeea Syl?ii iet kaira an*
gedeutet; der Balken fehlt, die £ia setzt sich dkect in das Inaere der Grosshini«
h6Uen fort.
S. Gehirn eines Neugeborenen Ton 168 Gramm Gewicht mit Yerwachsong beider
Hendisph&rsn vom Chiasma bis zum Ycmwickely die Lieeln liegen a. Th. frei; Foniz
fehlte Balken ist rodimentar, Tom- Olfaetorins wird nichts gesagt (Arhinenoephalie?
Ref.). . Windongen mehrftusL abnorm, aber Ton menschlichem Typus.
.4.-«^6. Die 3 folgenden. Gehirne entstammen den mikrocephalen Kinders «des
bekannten Ehepaares Becker in Bflrkd bei OflBsnbach (weldies nach 2 normalen
Kindern 5 nükrocephale erzeugte, von denen nor die I6jftlffige Margaretha noch lebt).
Das- Hirn der 8j&hrigen Helena hat v. Bisch-off genau be8<^riebeD und mit dem
eines Afien» etwa eines Cynoo^alns ver^chen.^^ B. findet jedoeh an demselben nor
die GiMae, nicht aber die formelle Bildung eines Alüanhirns. Das Fehlen der dritten
Stknwin&uilgen allein bedingt— in der spitzen Form -^^ eine AffeD&hnlichkiMt; alle
fibrigeD Windungen: lassen keine Terwandtsohaft mit jenen der Anthropoidenhime
nachweisen. ' Die Hemmung der. £utwickelung ditarfke vor dem 8. Monat des Fdtal-
lebens eing^eten sem.. . ' . ^
5« Das Gelüm der Schwester Katharina (107 Gramm schwer) ist ein dem vor-
stehend« sehr ähnliches, zeigt wie : dieses Srusserlich: keine pathologischen Processe,*
idle Sheile des Gehirns sind gleichafismg in der Bntwickelung gehemmt und «eigen
ann&hemd den Oharakter, wie bei einem FGtus. von 7 Monaten.
€4 Dasselbe gut auch von dem Gehini der dritten Schwester Maria, welches
l'&2 Graomi wog, tmd B. sohliesst hienuiSr dass dieselbe intra-uterine Uiaaohe bei
allen 3 Kindern zur Wirkung gelangt ist.
B. kommt zu der Annahme^ dass bei der Mikrocephfllie fBtra-uterine pathologische
Processe die Ausbildung, des Grossbims beeintrftchtigen, TMrschieden nach 2eit^
dehnung und Art ^ • Hadlich.
4) A oase illuatratiiig theoonditloii of tho aorvona aystem «ftav ampntetikm
'."^ orm eocfemnlty^^.bj William Dudley. (Brain. 1886. April, p. 87— 89.)
Ein 39j&hriger Paralytiker, welchem in Folge von Schusswunden 11 Jahre znvtnr
dör Ihtke Oberschenke! an der Grenze^ des unteren und mittleren Drittels amptttiit
Worden war, zeigt abgesehen Ton dMn gewöhnlichen cerebralen Befunde foig^de, ^n
der Atnputation abhängig iu machende anatomische Terändemngen: Die vordere Oentral-
whidUTig war rechts etwas dchmäler, die nukroiskopische Untersuchung der Galtglien-
zollen etc. ergab abe^ keine Differenz der beiden Seiten. Etwa einen Zoll über^detn
untern Ende des Bückenmarks war auf .Querschnitte eine Differenz der grauen
Substanz zu Ungunsten der linken Seite erkenntlich etwa in dem Yerhältniss wie 2 : 3.
In dieser Höhe kamen bei dei* mikroskopischen Untersuchung auf 15 bis 18 plumpe
u^ atrophirte Z^en ^er linken Seilte. 40 bis 45 wol4gebUd^e djQr ^rechjbeii,S|eitp^
In derselben iBEöhe waren die Yorderwurz!^ rechts vie^ f^9crrei(iher^.,als links, wache
theilweise degenerirte Axencjlinder darboten. Querschnitte des linken Oruralis er-
geben unregelmässig gruppenweise sehr zahlreiche Bftndel dünnster Fasern (deir fechte
Nerv stand zur Verfeleichung nicht zu Geböte). . ' ' ' £. Bemak: ' '
Pathologie des Nervensystems. '^
^,.J^. JUnipl^giik , Si«gio 41 , flsip-p^talogto. Oali eewfiUo.f |a1. . Dett« j Jjeop
Bianchi.) Napoli. 1886. • .,..1 ... «:,.: . . ,.
•Ih 13 Vorlesungen entwickMt >der Terf. '«nf Inrelter ' anatooAsch-^^
Basb:an eigenen undifremden BeobaChtniigen die LelM von dar Hemiplegie. Be-
— 921 —
z4gUch dee Verlaufes der meitorischfil Bahnen .«ooQrtdrt er die Charcoi*Bri^-
saudische Anschauiing, bezüglicli der motoriaehea Bindenssone sohlieeet er sidi fixuetr
an. Dia «uisiUe Bindenzone fiUlt mit der motorischen und der optiadiea, Yielleicht
auch ainem' Theil der acafitiBiäien<2ond KUBammeii* Dia InteUigenz ist oicgeads losa-
lisirt, räe ist ^daa Ganza im Theil''.
In 8 Fällen will Yert bei einseitigem Herd eine Absohwftohang der motoriaoken
Kraft aueh auf der gleichen Seite beobachtet haben.
ScwAtisenswerth sind namentlich die Kapüel über Hemicliorea und Hemiathetose
weg^ der eing^enden Besprechung- der Literatur und eines intefeasanten^ genau
geschilderten Falles tosi doppelseitiger -Ohorea mit Seotiensbefund. Die hemiplegisohe
Chorea wird dann unter Verwerfung dmr E ahler »Fick^schen und OharcpVschen
Hypotheaen auf eine Msion des Thalamus oder seiner B&ndel im Fusa znr&ekgefUut.
Dia Contraeturen werden a«if Sderas^ oder funetioaäto Beizung. der Pyramide«
bahn «urfickgeffihri Ihr Vorwiegen bei den Flexoren des Armes und Extenaoreu
des Beines erklärt sich aus der intensiveren Function dieser am Bein, jener am Arm.
Bemerkenawerth ist die Besprechung der therapeutischen Erfolge der Elektrisa-
tion des Kopfes. . . Th. Ziehen.
6) Ueber Störungen der aUgemeixien und speoiellexL Sensibilität bei Kp^-
lepüaoiien, Yon OserezkowakL (Medicinskoje Obosreu^O. 1885. ^r.^*
Russisch.)
Verf. behauptet» beiseits im Januar 1883 einen Fall yon Epilepsie beobachtet
zu haben, in wehdiem im Anschluss an die Anfälle Anästhesie der Haut und der
höheren Skiaesorgane eintrat > Seitdem untersuchte er in dieser Richtung alle Epi-
leptiker, die zu seiner Beobachtung gelangten, und verfügt gegenwärtig über 93 Fälle,
▼on d^ien nur 17 keine Bensibilltätsstörungen aufwiesen. In 76 dagegen wurden
letztere constatürt, und zwar Herabsetzung der Sehkraft 56mal, des Ges^unacks 48mal,
des Gehörs 36mal, des Tastsinns 60mal, des Sohmer^efuhls 69mal, des Muskel-
Sinns 34maL Die Beeinträchtigung der HantsensibUität bot meistens das BUd all-
gemeiner Anästhesie oder Hemianästhesie, zaweüen betraf sie nur den Tastsinn oder
nur das Sehmen^efühl.-. Die Vertheilung der anästhetischen Stellen an der Eörper-
oberfläche war höchst unregelmässig. .Die Affeotion des Oesichts bestand sowohl, in
Abnahme der centralen Sehschärfe, als auch in Beschränkung des Gesichtsfeldes und
Störung der Farbenperception. Am . häufigsten war Herabsetzmig^ der- Hantsensibilität
mit StörungMi seitens der höheren Sinnesorgane Terbunden; in 13 Fällen wurde
Hemiaaästbesie mit Veriust des Schmerzgefühls beobachtei
Einen Zusammenhang zwischen Sensibilitätsstörungen und psychischen Erank-
heitseiacheinungaQ an Epileptischen konnte Verf. — im Gegensalz zu Thomson nnd
Opjpenheim -^ nicht constatiren. Ebenso wenig kann er das häufigere Vorkommen
stalienärw 8ensibäitäta<*Störangen in yeralteien Fällen ron Epilepsie bestätigen.
Uebrigens . ist tu bemerken, dass er es meistens mit 21 — 23 jährigen Rekruten zu
thun hatte, unter denen jedoch einige seit 10 — 15 Jahren an Epilepsie litten.
Jedenfalls gehingte Verf. zu dem Schluss, dass Intensität und Beständigkeit der Sen-
ÄbilxtatÄstmimgön in keinem Uostimmlön Vörh<niss zu 'der Dauer der irankbeit
ölehen: •' " ' ' ' ' T: EosenKdch.
« r.
7) On a eaae of loopmuoXojp ataxia witfa laismgeal criaea and one of pcimary
aclerosis of the oplunma pf OoU, complioated with ophthalmoplegla
. externa, l:^ James Ross. (Brain. 1886. April, p. 24-:— 41).
L Ein d6jähinger Fischhändler mit syphilitischan Anfocedentien litt seit drei
Jahren an ^fBcfaeb gastrischen Krisen, später an Unsicherheit im Dtäikeln, zeit-
— 322 —
weiligem Einschlafen der Fflase, Doppelsehen, Scbwachsiehtigkeit. Seit 2 Jahren
inspiratoriachen Stridor und Larynzkrisen.
Die Untersachnng ergab Fehlen des Knieph&nomens, Haatsensibilit&tssifjrmigsn
(mit Yerlangsamung der Schmerzempfindnng) nnd Mnskelgef&hls- Alterationen der
unteren und Ataxien der unteren und oberen Extremitäten, doppelseitige leichte
Ptosis, Parese sämmtlicher Augennerven mit Ausnahme der Nn. abdncentes, reflec-
torische Pnpillenstarre, ophthalmoskopisch weisse Atrophie der Sehnerren und
laryngoskopisch mangelhafte Excursion der Stimmb&nder w&hrend der Respiration.
Die Autopsie ergab totale Degeneration der ICnterstr&nge und wabischeinlidi
auch der directen Eleinhimstränge und partielle der Medulla oblongata und Crura
cerebri. In ersterer erstreckt sich die Sderose auf die die obere Ausbreitung der
Goli*8chen Stränge bildende dünne Lage weisser Substanz oberhalb des Nucleus cu*
neatus, femer auf die Lage weisser Fasern an der Aussenseite des Nucteus trian-
gularis als Fortsetzung der hintern Wurzelzonen, dann die EleinhimstrangaforlBätm,
die absteigende Trigeminuswurzel, den Fasdculus rotundus und den grOssten Theil des
Yaguskemes. Schnitte durch die Crura cerebri ergeben beträchtliche YerSndenmgen
des Ocolomotorius- und Trochleariskemes und ihrer Nachbartheile, Atrophie der
Wurzelfasem dieser Nerven. Kaum eine Spur des Bftndels von Longitudinalfasem,
welche die absteigende Quintuswurzel enthält, war yorhanden, indem die Ton den
vordem Yierhügeln' durch dieselbe quer hindurch zum Oculomotoriuskem ziehenden
Fasern unterbrochen und atrophirt sind. (Von einer Untersuchung der peripherischen
Augennerven und des Vagus verlautet nichts.)
Die Larynxstörungen sollen von den anatomischen Yeränderongen der Medulla
oblongata^ die Ophthalmoplegie von der Atrophie der mitsprechenden Kerne abhängen.
Das schmale Bflndel von Fasern, welches durch die absteigende Quin-
tuswurzel quer hindurch von den vorderen Tierhügeln zu den Kernen
des 3. und 4. Hirnnerven zieht, soll der Beflexbogen der Pupillarreaction
auf Licht sein, durch dessen Unterbrechung die reflectorische Pupillen -
starre entstand. (Die nicht vollständige Blindheit soll im vorliegenden Falle als
Erklärung nicht ausreichen.)
II. Ein 35jähriger Köhler hatte seit 3 Jahren leicht tabische Symptome. Neben-
her bestand beiderseitige Ptosis und Unbeweglichkeit beider Augen bei guter Pupillar-
reaction auf Licht und bei der Accommodation. Es fehlte das Kniephänomen u. s. w.
Der Tod trat unter den Erscheinungen eines apoplectischen Insults ein, für welchen
der negative Gehimbefund keine Erklärung gab, während vom Bückenmark zwar
wesentlich eine Degeneration der QoU'schen Stränge, aber auch ihrer Gegend im
untersten Theil der Lendenanschwellung vorlag, wo dieselben nach Flechsig nicht
mehr vertreten sind, mit Banddegeneration der hintern Wurzelzonen. Auf letztere
wird das Fehlen des Kniephänomens zurückgeführt Während auch hier Atrophie
der Kerne der motorischen Augennerven constatirt wird, waren in negativer Ergänzung
des vorigen Falles die für die Pupillarreaction in Ansprach genommenen Fasern intaci
B. Bemak.
8) On the relation between the posterior oolumna of the spinal oord o&
the exoito-motor area of the oortex with espeoial reference to
Prot SohifDi viewB on the subjeot, by Victor Horsley. (Brain. 1886.
ApriL p. 42—62.)
Schiff hatte gefunden, dass, wenn bd Hunden, deren Hinterstränge in der Cer-
vicalregito durchschnitten waren, nach Verlauf Ton vier Tagen die sogenannte mo-
torische Binden -Begion blos gelegt werde, diese beiderseits nicht mehr erregbar
wäre. Wenn nur ein Hinterstrang durdischnitten war, sei nur die entgegengesetzte
Seite des Hirns unerregbar. Wenn die Hinterstränge in der Lumbarregion durch-
— 828 —
schnittai waren, so brftehie Beizong der Hirnrinde nur Bewegungen der Vorderbeine,
nicht der Hinterbeine hervor. Es sollte die aufsteigende Degeneration der Hinter-
stränge innerhalb dieser Zeit die entgegengesetzte Hirnrinde erreichen und Degeneration
ihrer grauen Substanz bewirken, welche das perceptive Centrum der tactilen Sensi-
bilität w&ren, durch dessen Beizung erst anderweitig gelegene motorische Centren
angeregt würden.
Verl hält diese Schlüsse so lange nicht für gerechtfertigt^ bis nicht die suppo-
nirte Degeneration des Gyrus sigmoideus nachgewiesen ist und nicht ausgeschlossen
ist, daas durch die Durchschneidung der Hinterstränge noch anderweitige Veränderungen
des Rückenmarks gesetzt werden. In ersterer Beziehung waren seine Bemühungen
erfolglos; in letzterer hat er durch sieben Durchschneidungsversuche mit sorgfältiger
Beobachtung der Motilität und Sensibilität innerhalb des Lebens und anatomischen
Untersuchung der gehärteten Bückenmarke, über deren Details au? die Originalarbeit
mit Abbildungen verwiesen werden muss, gefunden, dass, je mehr Lähmungserschei-
nnngen (keine Ataxie) und Störungen der tactilen Empfindung vorhanden und die
von Schiff beobachteten Besultate der Beizung der entgegengesetzten motorischen
Zone nachweisbar waren, auch um so deuüieher jedesmal wohl charakterisirte De-
generation der hinteren Theile der Seitenstränge, also der motorischen Bahnen con-
werden konnte. £. Bemak.
9) Iiooomotor ataaor with älmost entire absenoe of lightning pains, by
Dr. Byrom Bramwell. (Brii med. Joum. 1886. 2. Jan. p. 14.)
Zweifelloser Fall von Tabes dorsualis von vieijähriger Dauer der Ataxie, ohne
dass. jemals Blitzschmerzen in den Extremitäten beobachtet worden wären; nur über
unbedeutende Bückenschmerzen war gelegentlich geklagt worden. Fat. war ein
35jähriger Ingenieur, der nie luetisch gewesen war, längere Zeit aber an Malaria
und Dysenterie in Ostindien gelitten hatte. Sommer.
10) Bin Fall von Tabes dorsalis, eomplieirt mit Diabetes mellitus. Nebst
einigen Bemerkungen über ätiologische Beziehungen von Lues und Merkur
zum Diabetes mellitus, von Dr. A. Beumont, Geh. Sanitätsrath, Aachen.
(BerL kL Woch. 1886. 18.)
Yeraplasst durch den von Dr. Oppenheim-Berlin mitgetheilten derartigen Fall
berichtet B. über einen Kranken, 42 Jahre alt, der vor 12 Jahren luetisch in^cirt
wurde, im Januar 1885 plötzlich eine rechtsseitige Oculomotorius-Parese, dann Far-
ästhesien, taubes Geflihl in den Fusssohlen etc. bekam. Kach zweimaliger merku-
rieller Kur wurde am 11. Juni Glykosnrie constatirt, 0,4 — 0,87o* ^oa Juli aus-
gesprochene Tabes — Weelphal'sches und Bomberg'sches Zeichen etc. etc. — ohne
Ataxie. Trotz Aachen, Quecksilber, Jod u. A. blieb der Zustand ziemlich derselbe
(December 1885), der Zuckergehalt war bis l^O^o gestiegen.
B. spricht sich dahin aus, dass sowohl für die Tabes wie für die Glykosurie
Lues als Ursache anzunehmen sei. Die Oculomotorius- und Abducens-Farese weise
auf den Boden des 4. Ventrikels hin als vermuthlichen Sitz der bedingenden Affection.
B. findet nur bei Althans die Bemerkung, dass er einige Male Zucker im Urin
bei Tabischen gefunden habe; femer von Eulenburg einen Fall von Tabes erwähnt,
wo der Harn zeitweise Zucker enthalten haben soll. Im Uebrigen scheinen die Fälle
von Glykosurie ans Lues sich auf Gehimleiden zu beziehen, nur einmal bei Gowers
auf chronische Myelitis.
Dass der wiederholte starke Qnecksilbergebrauch den Zuckergehalt des Urins
erzeugt haben könne, glaubt Bl bestimmt in Abrede stellen zu dürfen.
Hadlich.
— ag4 ^
IJ^) TAhmnng d#r OloMs-Effweitttror als. inifcWa» Symptom dmr Tabeed^s»-
Balis» Ton JProL Dr. A. Weil in Hftiddbei«. (BerL kL Wooh. 1686. 19^)
Yeif. recapitalirt zunächst die bislieri^e Literatar ftW die so^. JjstjraBavsm
bei Tabes und kommt vbl dem ErgeÜtdsa, dass z#ar Btimitibsndifibmimgeii bei dleaen
Larynxlorisen beobachtet iTorden tSxA, dassaber diese ;,KriBen'^ ebne Mcbe 'lA-
mangen und andererseits Stimmbandlahmimgen ebne Krisen Yorkommen^
W. berichtet sodann ftber folgenden FalL Ein 49 Jähriger Schiffer hat vdr einem
Jahre -^ nach starker gemftthlicher Erregang — zum ersten Haie einto Ahfidl
heftigster Atheiänoth hekornineii, d^ etwa' 10 Miimten dauerte. Tor etiv^ 4 Wochen
trat — nach raschem Laufea -^ ein neuer derartiger Aitfall auf Ton- kftnerer Dauer:
seitdem tritt Athnrang mit lautem Stridor bdi jeder körpetüchen Anstrmgnng auf.
Die Stimme ist immer rein und laut, und die Untersuchung srgab doppelselt^
Lähmung der Qlottis-Erw^tterer. Daneben bestand ieflectorische PupiHenstarre, West-
phal'BChes Zeichen, Mchte Ataxie sämmtlicher Esctremitäten und Schwanken' b^ ge-
schlossenen Augen, abgeetumpfbes Qefühl in den Fingerspitzen, Störungen der'ÜHn-
entleerung, Abnahme des ' Geschlechtstriebes u. a. m. Es lag also Tabes Tot*, bd
welcher einß doppelseitige- Lähmung der Olottis^ürweiterer dSA allererste Symptotti
gtfȟdet hatte. ! , . -
Die Larynxerscheinungen waren allerdings in diesem Falle abweichend Ton'dem
gewöhnlichen Bilde der sog. „crises laryng^"; es bestand erstens kein Husten bei
dem Anfalle, mid zweitens trat nach ümn zweitmAnttUe ein bleibanäar toAk-
hafter Zustand ein, der nur durch gewisse Ursachen yeräbergehend yeiadhlimmert
wurde. W. möchte jedoch glauben, dass unter den „crises laryng^es'^ ICancbes be-
sdirieben ist, was dem hier Yorliegenden Bilde ähnlich isi
Fälle von Tabes mit Larynx- Krisen bei Posticus- Lähmung findet W. erwähnt
bei Erishaber, Oppenheim und Foarnier und mehrere Ton Uorgan und
Mc Bride, sowie einen von Gerhardt beschriebenen Fall möchte W. hierher rechnen.
In den meisten Fällen waren die tabischen Symptome dem Auftreten der Eehlkopf-
lahmung Jahre lang vorausgegangen, während bei W.'s Schiffer diese das erste E[rank-
heitssymptom darstellte. . , Hadlicbk.
12) Ein Fall von Affeotion der Gelenke bei Tabea« von L. Minor. (Wratsch.
1886. Nr. 11.-13, Eussisch,)
•
Es handelt sich um eine 50jährige Frau, die seit acht Jahren an tabetisehen
ßrsche&Dungen litt, ohne dass* sich jedoch Ataxie emgestellt hätte. Ihr Mann war
syphilitisch- infldrt^ an ihr selbst liess neh kerne syphilitische Erkrankung ceaatatiieD.
Die unteren Extremitäten sind ^nrch Arthropathien verunstaltet, und zwar besteht
vollständige Luxation und Deformität (Anschwtf ung) des liidLen; Fussgelenks und
Hydarthrosis des rechten Knies. Yor einigen Jahren war aaeli das linke Knia^
schwollen. An der rechten Unterextremität ist die peripherische Temperatur beinahe
um 2^ höher, als an der linken. -^ VerL hält es Ittr mö^h, dass den tabischen
Arthropathien Erkrankungen des Sympalhlcus zu Grunde liegen;
• P. BoseHb^aeh;
■ 1 » M.; ; I . ■
•'V
13). The pathology of rheumatoid arthritis« Yo^rtrag vgn Pr.Ajrbuthnot
JiSne in der PathoL Society of London, (Brit med. Joum. 24,/Ap^ 1^66.
p. 780.) .. ,. „V . '.
140 Ohronio rhewaatiie arlhrttia of the Up-jalBi. . YouMvig -von- W^ Adams
in der Harveian Sodiety. .of .Loodgn* . (Brit. med.. Joucn^ tS^Mifz- IjBQS.
p. 49T.)
^ 885 —
2wei Arbeiton fitef das Wesen ciep diffonnireiiden chronidcbeii Oelenkentzün-
dongeii, wie solebe aogeblioh auf rhjeamatoider Basia oder im Glefolge gewisser Spi-
nal- -und NervenerkmnkfuigMi YorkonuneB.
Läse glaiibtrCharcot*8 OeLenkerkrankongen nicht aJb» neoropathisch oder rbea-
matieob»: eoodeni ala Eolgesastände änaserer Einwirkimgen, Yerletaw^en, ungesebiokiier
GtobYersuche ^. Bc w. aoffisfiaea zu müseen, während Adame in besonderer Hinsicht
auf das Hüftgelenk die neuropathiscben Erkrankungen scharf ?<m den rheumatischen,
ganz Abgesehen von den gewiflsennaassen traumatischen, trennt. Nach il^m sind die
chromschei^ rheumatischen Erocesse im Hüftgelenk gewöhnlich von hypertrophischem
Charakter, sie begnoen in den Weichth^en, sind dauernd schmerzhaift, aber nur an
der ^krankten Stelle; es fehlen Fieber^rscheinungen» gastrische Krisen und Augen-
symptome; die Beflexe sind erhalten, die Beweglichk^t des Obwschenkels ^iat be-
schränkt, der Verlauf ist langsam, die Patienten erreichen gewöhnlich ein hohes
Alter« • Bei der CharQot'scben Gelenkerkrankung ist im Allgemeinen das Gegentheil
au be^büchten.: . I^ Frocesse sind vorwiegend atrophischer Natur, beginnen in den
Knochen, verlaufen», abgesehoi von den Blitzschmerzen , schmerzfrei. Die Beflexe
fshleni Fieber, spinale, pupillare und gastrische Symptome sind gewöhnlich vorhwden,
die Beweglichkeit im Hüftgelenk ist abnorm; dabei ist der Verlauf häufig rapid und
die Patienten stehen im. kräfUgon Mumeealter.
An beide Vorträge schloss sich eine längere Discussion an, doch kam man zu
keiner Einigaag. Dr. Buzzard wies indess darauf hin, dass manche Symptome des
acuten Gelenkrheumatismus am besten durch die Annahme, es läge dem ganaen
Knolkheitsbilde eine acute ^tzündung in gewissen Bezirken der MeduUa oblongata
zu Gnuide, erklärt werden könnten, und mit dieser Hypothese liesse sich auch ein
Cansalnexns zwischen chronischem Spinalleiden und chronischem Gelenkrheumatismus
nicht allzu schwer aufstellen. Sommer.
15) UrsaohQiL und Verlauf der Sehnervenatrophie , von Dr. N, Peltesohn.
(Gentralblatt für prakt. Augenheilkunde. 1886. Februarheft, Märzheft und
Aprilheft.)
Yerf. behandelt in diesem Aaszug aus seiner Dissertation die einfache, nicht
entzündliche Atrophie des Sehnerven und zwar die spinalen (cerebrospinalen) Formen
derselben. . .
a) Unter 98 spinalen Atrophien seines Materials zählte Verf. 78 Tabiker. Hin-
sichtlich des Alters bemerkt er , dass , während die Tabes sich zwischen dem 30.
und 40. Lebensjahre häuft, jenseits des 50. aber nur. ausnahmsweise beobachtet wird,
die Opticüsatrophie in jenen 78 Fällen 13 mal nach dem 50. , ja in 4 Fällen erst
nach dem 60. Lebensjahre sich zu entwickeln begann. Fast in der Hälfte der Fälle
gingen die Sehstörungen mehr oder weniger Jahre den ersten subjectiven Empfin-
dungen seitens des Centralnervensystems voraus.
Sehschärfe und Grösse des Gesichtsfeldes halten nicht gleichen Schritt mit der
Atrophie, d. h. sie nehmen nicht um so viel ab, als die letztere zunimmt; weit mehr
reagirt die Farbenperception auf den atrophischen Process im Sehnerven; in den re-
lativ ineisten Fällen wird die Grün-^ dann die Bothempfindung und endlich die Blau-
empfindung eingebüsst, die nach Gharcot noch lange und intensiv fortbestehen soll.
Die Aetiologie der Tabes streifend, ^ebt Verf. an, dass in seinen 78 Fällen
nach den bestimmten Angaben der Patienten oder nach einem Complex von mehreren
secundären und Folgeerscheinungen der Syphilis zu schliessen 22 mal unzweifelhaft
luetische Infection stattgefunden hatte, 7 mal ein Ulcus genitalium concedirt wurde,
über dessen Charakter freilich nichts Genaueres eruirt werden konnte. Vom Jahre
1883 an gerechnet, von wo ab regelmässig eine Untersuchung auf Lues angestellt
wurde, stellen sich die Verhaltnisse so, dass von 37 Fällen ausgeprägter und von
— 826 —
9 Fällen beginnender Tabes mit Sehnerrenatrophie 15, beziebungsweiBe 5 sypbili-
tiscli, 4 resp. 2 mit einem Ulcus genitalinm bebaftet waren, » 43 ^/^ sicherer und
13^/q zweifelhafter Syphilis. Besonders macht Verf. noch aufmerksam auf die relativ
grosse Häufigkeit der Augenmuskellähmungen, die gerade bei den syphilitischen Fallen
Yomehmlich vorkamen und den Verdacht erweckten, als wären diese Lähmungen nicht
auf Kosten der Tabes zu setzen, wie ja allgemein angenommen wird, sondern auf
die Syphilis zu beziehen.
b) Bei der progressiven Paralyse, wo nach Mendel und Hirschberg die
Atrophie in 4 — 5"/o der Fälle vorkommt, sprach das Material des Verf. fOr 3,06^/^;
denn von 98 spinalen Atrophien zählte Verf. 3 Fälle von Dementia paralytica.
c) Yerf. fuhrt dann 3 Fälle unzweifelhafter Atrophie bei multipler Sderose des
Gehirns und Bückenmarks an.
d) Ein Fall einfacher Atrophie bei Myelitis chronica.
e) Ein Fall von einfacher Atrophie bei Paralysis agitans, zu dem Verf. bemerkt,
dass es ein wunderbarer Zufall wäre, wenn eine verhältnissmäsag seltene Affection
zu einer noch selteneren sich hinzugesellte, ohne dass eine innere Causa sie mitein«
ander verbände. Wenn man aber, wie es von vielen Autoren geschieht, den Sitz
der Erkrankung bei der Schüttellähmung in die Yierhflgel verlegt, so bleibt bei der
Nähe der Opticuscentren keine grosse Schwierigkeit, die Atrophie der Sehnerven-
fasem zu deuten.
Endlich führt Yerf. aus seinem Material je einen Fall von Atrophie der Papille
bei spastischer Spinalparalyse und Bulbärparalyse an.
Die Untersuchungen des Yerf. wurden an dem reichen Hirsohberg'schen Mate-
rial gemacht, den Nervenstatus nahmen Mendel oder Eulenburg selbst auf.
Buhemann.
16) ▲ oase of multiple BimultaneouB oerebral haemorrhagea, oausing hemi-
plegie and ooulo-pupillary Symptoms, by W. Haie White. (Brain.
January 1886. p. 632—634.)
Ein 44 jähriger Mann, welcher schon 18 Monate zuvor ohne Bewusstseiiisverlust
eine linksseitige Hemiparese bekommen hatte, wird nach einem neuen Schlaganfall
comatös mit einer Temperatur von 36,4^ C, reactionslosen verengten Pupillen, De-
viation beider Augen (nicht des Kopfes) nach links, Parese des rechten Mundfacialis,
Paralyse und Contractur des rechten Armes und Beines, Albuminurie und Herzhyper-
trophie aufgenommen. Das linke Auge blieb nach links abgelenkt, während das
rechte zeitweilig in die Mitte rückte und seine Pupille schliesslich weiter als die
linke war.
Die Obduction ergab Yerdickung der Cerebral- und Basilararterien (ohne miliare
Aneurysmen); femer eine grosse Hämorrhagie, welche links die innere Kapsel, den
Linsenkem und Thalamus opticus zerstört hatte, in die Yentrikel durchgebrochen
war und diese sämmüich erfüllte. Ausserdem wurde in der Mitte des Pons eine
hirsekomgrosse frische Hämorrhagie und eine grössere dritte unmittelbar unter dem
Boden des Aquaeductus Sylvii gefunden. Granularatrophie der Nieren.
Die grosse linksseitige Hämorrhagie soll die Hemiplegie, die Temperaturherab-
setzung, die Bewusstlosigkeit bedingt haben, während die pontinen Hämorrhagien
durch allmähliche Betheiligung verschiedener Abschnitte der betreffenden Centren
die wechselnden oculomotorischen und pupillären Symptome erklären sollen.
E. Bemak.
— 827 —
Psychiatrie.
17) Beorease of general paralysis and inorease of ixisanity at advanoed
agest in Edinburgh, by Dr. Cloneton. (The British med. Jonm. 1886.
8. May, p. 901.)
Verf. theilt in seinem Jahresberichte über das Boyal Edinburgh Asylum zu
Momingside 1885 mit, dass er glaube, in den letzten 5 Jahren seien in Edinburgh
geüBÜge Erkrankungen seltener geworden. Besonders sei dies auffallig in Bücksicht
auf die allgemeine Paralyse. Gerade diese so charakteristische Krankheit, die das
Prototyp einer individuell erworbenen Geistesstörung darstelle, sei seltener geworden.
1873—77 habe er unter 1680 Aufnahmen 115 Fälle von Paralyse 7,3% ^^
1880 — 85 unter }667 Aufoahmen nur 75 = 4,57o beobachtet. Im Jahre 1885
sind nur 11 Paralytiker aufgenommen gegen 23 resp. 15 im jährlichen MitteL Verf.
glaubt, je günstiger die allgemeinen socialen VerhältniBse liegen, je lebhafter Handel,
Verkehr und Unternehmungsgeist auftreten, um so mehr Individuen erkranken an Para-
lyse und anderen erworbenen Psychosen, was im Allgemeinen auch richtig sein dürfte.
Auffällig ist die grosse ZaU der zur Auftiahme gelangten Irren aus den höheren
Leben^ahren. 12,8% ^^^ männlichen Aufnahmen stand im Alter von über 60 Jahren.
Neben der gewöhnlichen Dementia senilis, neben den postapoplektischen Geistesstörungen
u. s. w. existirt eine besondere Form des Irreseins, die Yerf. dem klimacterischen
der Frauen vergleichen möchte, und die auszubrechen pflegt, wenn ein überarbeiteter
und überlebter Mann in den 60iger Jahren dieselben Leistungen zu entwickeln ver-
sucht wie früher, bis er endlich ausspannen muss und unter Anaemie, Appetit- und
Schlaflosigkeit, Unruhe und Depression rasch yerfäUt. Sommer.
18) Observation de folie paralytique & Tage de 80 ans, par le Dr. Lentz,
Touraai. (Bulletin de la booiM de medic. mentale de Belgique. 1885. N. 39.)
Zur Widerlegung der Ansicht Legrand du Saulle*s, dass ein gewisses Alter
— in einem speciellen PaUe 67 — 68 Jahre — genüge, um Dementia paralytica
aosschliessen zu können, theilt L. obigen Fall mit, der freilich viel zu unvoUst&ndig
beobachtet und beschrieben ist, um als beweisend angesehen werden zu können.
Ein gewisser R wurde 1873, im Alter von 78 Jahren, in die Anstalt auf-
genommen in starkem Erregui^zustande mit schwachsinnigen Grössenideen. Er
klagt über Schwache in den Beinen, zittert und schwankt, seine Sprache ist etwas
schwerföllig, kein Zittern der Zunge und der Lippen. Nach Eintritt der Beruhigung
nimmt die Intelligeaz mehr und mehr ab, Patient wird ganz verwirrt und stirbt nach
raschem körperlichen und geistigen Verfall etwa 6 Monate nach der Aufnahme. Die
Bewegungen der Beine waren im Liegen noch zuletzt vollkommen gut, doch konnte
der Patient vor Schwäche nicht auf sein. — Anamnestische Angaben fehlten. — Die
Autopsie ergab Adh&renzen der Haute, an der Pia bleibt beim Abziehen die erweichte
Hirnrinde in kleinen Stückchen h&ngen. — Das genügt dem Verf., um zu sagen, dass
der Verlauf des Falles wie der Leichenbefund keinen Zweifel an der Annahme einer
„folie paralytique'' zulasse. Verf. ist eben im Anschluss an Marc^ der Ansicht»
dass die F&Ue von seniler Dementia grossentbeils Fälle von allgemeiner progressiver
Paralyse sind. Hadlich.
19) Pavetio dementiat by J. Q. Klernan. (The Alienist and Neurologisi 1886.
Vn. p. 107.)
Unter 921 in das Cook County Hospital aufgenommenen Irren finden sich
83 »9^0 Paralytiker. AufUlend sind die Altersverh<nisse derselben, wie aus der
folgenden Tabelle hervorgeht
828 —
Es standen im Alter Yon
•
20—26 Jahren 6
Männer
— Frauen 5
"23 30" „ 8
• • >
3 ^,.. • ir.
80—36 „ 10
2 „ iS
35—40 „ 8
3 „ 11
40—40 „ 18
1 „ 19
45_50 „ 4
*
1 » 6
50—60 „ 12
•
• 2 „ 14"
60—70 „ 4
1 «6
80 „ 1
j.
— « 1
•/•'*
70 13 83 . . . ' ~' ;
34®/o und dabei yorwiegend idiopathische, nicht also luetische oder tabische Para-
lytiker waren noch nicht 35 Jahre alt.
Was die Nationalität anbetrifft, so werden Irrländer und Neger, die in Chicago
sehr lebhaft am Kampf um*s materielle Leben theilnehmen, verhältnissmässig ain
häufigsten ergriffen. Von 83 Fällen (70 M. und 13 Fr!) hatten 32 U. und 5 tr.
= 37, fast 4S^Iq YOT 5 — 20 Jahren Lnes acqnirirt. An 2 ^Uen von Paranoia
schlosd sich terminale Paralyse an. Sommer.
20) Syphilis und Sementift paralytioA. yon Paul ßrie. (Disseri Breslau 1686.)
Nach einer ausf&hrlicheii Literatiirangiüi>e über den betrefifonden Gegenstand theüt
Verf. mit, daas Yon 198 Fandytikem aus der Breslauer Klinik bei 60 nicbt oruirt
werden konnte, ob Syphilis vorausgegangen, von den 148 tlbrigen waren 21 aidier,
25 sehr wahrscheinlich luetisch. Verf. glaubt, dass die Syphilis als ätiologisches
Moment bei der Paralyse zu berücksichtigen sei. M.
ai) lieber die Syphilis als Aetiologie der Tabes dorsalis und d<er Dementia
paralytioa. Inaug.-Dissert. von Julius Freuss. BerMn 1886.
Yerf. beleuchtet kritisöh das statistische Material, welches bisher gesammelt ist»
um den Zusammenhang zwischen Syphilis einerseits und Tabes dotsalis sowir Demeslia
paralytioa andererseits dafznthun. Bei beiden Erankheiteti kommt die Syphilis als
Yorläuferin im Vergleich zu ihrem Aufboten bd andem Affectiom^ so häufig vor,
dass sich eine Beziehung dieser Nervenaffectionen zu der Lues als unzweifBlhafI ergiebi
Diese Beziehungen kOnnen sein: 1) Die Syphilis bewirkt direkt die als Tabes be-
zeichnete Form der Bückenmarkserkrankung: Tabes syphilitica und annalo^^ damit
eine Gehimsyphilis unter dem Bilde der progressiven Paralyse: Dementia paralytica
syphilitica. 2) Die Syphilis bewirkt eine Praedisposition des 0i|;aliisitiu8 in dem
Sinne, dass andere Schädlichkelten nun einwirken können: Tabes theuiiialiea auf
syphilitischem Boden; in gleichem Sinne ffihrt Yerf. eine Dementia paralytica auf
syphilitischem Boden an. 3) Endlich fehlt die Sypliilis in der Yorgeschichte beider
Affektionen. Klinisch lässt sich kein Unterschied zwischen den 3 Formen auffinden.
Yerf. bespricht dann 2 Fälle aus der Menderschen Poliklinik, von denen der eine
untw das Schema der Tabes syphilitica, der anderein die Beihe der D^neutia syphi-
litica zu rangiren sei. Buhniann. -
' • ■ - . •
Therapie.
28) SuUe vairifltoioid looali del jpolso nel iserveUo e iM^tmmhma^m dstt'
uomo per effetto di alouni agenti terapeutici. pel. dott Q: Capelli
. e B. Brugia. (Archiv, ital. per le malat aenros. 1886. XXIII. p.td-^21.)
Der Einfluss therapeutischer. Miibtel auf die Blutbevegung in Schädel ist neeh
wenig erforscht und doch ist seine Eenntniss sehr etrwdnsoht, hesoQders'ia 46r
— 820 —
Psychiatrie, damit man.^iup1it.s.,^. JE*<)Ig^n8tftnde.y9ii Hyporftmie mit Agentien be-
kampfty die ihreraeits wiederum Hyperämie henrorrufeiL Zur annähernden Benrthei-
IqW: .4iWj .oelattTen Hoimeoge» de» Blatdroeto odtr dos GeffiastomiS' ianerbalb .des
Schädds hat man sich- tohtr mit. äUMereuAnseiehen, dem Garotidenpuls, der Farbe
der Glesichtshaut, der Injection der Conjnnctiya nnd der OhrmuBphel, femer der
Temperaturmessnng der Kopfhaut und endlich der Ophthalmoskopie und wohl anch
der Otoskopie begnügen müssen. ZüterläsBig aber konnte natürlich nor die ünter-
sochiiiir.^-<ahdiinei iwh i»r Fia.selbet aeia^.Beint Mensohen ist diese nur mög-
lich, wenn ein grösserer Defect des knöchernen Schädeldachs vorhanden ist. Mosso,
Burckhardt, Hays, Mnsso und Bergesiö, sowie Gurci haben in neaester Zeit
(Gelegenheit gehabt', derartige Untersuchungen anzustellen.
Die beiden Terff. der liier zu referirenden Arbeit haben nun an zwei Personen
mit traumatischen Defecten des Stirnbeins die Einwirkung verschiedener therapeutischer
Agentien auf die Circulation innerhalb der Schäd^lhöhle untersucht, indem sie die
durch die Herzcontfactionen bedingten periodischen Yolumsvermehrungen des Schädel-
iiihalts und eines peripherischen anderen Körpertheils, nämlich des Vorderarms, und
gleichzeitig noch die sphygmographischen Curven aufzeichneten. Sie benutzten einer-
seits den Uosso^schen und andererseits den Marey*schen Apparat, ohne dass' hier
genauer auf die Tersughsanordnungen eingegangen werden müsste.
Die wichtigsten Eesultate sind nun die folgenden:
1. Amylnitrit setzt die Herzkraft und den Blutdruck herab, bedingt Gefass-
lälimüng, wirkt viel schneller und deutlicher auf die Gefässe des Gehirns^ als auf
die des Torderarms, und ruft in beiden Organen bedeutende, aber von einander un-
abhängige Schwankungen in ihrem Volumen hervor.
2. Morphium (0,01—0,02 subcutan) verengert zunächst die Gefässe des Gehirns
und des Vorderarms, dann tritt in beiden Organen gleichzeitig eine Lälimuiig des
Gefasstonus und damit eine bedeutende Volumszunahme ein, die mit dem Beginn der
hypnotischen Wirkung ihr Maximum erreicht, und während des Schlafes allmählich
in das normale Verhältniss zurückkehrt
3. Chlorai bedingt zunächst Anämie des Gehirns in Folge von Gefasslähmung
und Dilatation in der Peripherie (Hautdecken etc.). Der. Eintritt, des Schlafes wird
durch Hyperämie des Hirns in Folge allmählicher Ausbreitung der Gefässparese auch
auf die lifeningealgefässe eingeleitet. Am Ende des Schlafes und in der ersten Zeit
des wachen Zustandes . stellt sich dann wieder eine Volumsabnahme des Gelirns, also
eine ^ Erhöhung des Gefasstonus ein, die niur allmählich in den normalen Zustand
übergeht/ . \ . , ! -/'. .
i. Paratdehyd. In den Fällen, in denen Faraldehyd (3,0) schlafbringend wirl^
setzt es die Herzkraft etwas herab, lähmt die peripherischen Gefässe in massiger
Intensität un^ /bewirkt dadurch eine geringe, oft kaum nachweisbare Himanämie.
Faraldehyd wäre als Schlafmittel immer dem Ghloral vorzuzieheUi wenn es ebenso
sicheif wirken ' möchte und wenü die Herabsetzung der Herzkraft nicht gelegentlich
doch einige Vorsicht geböte; der Gefässzustaud während des Paraldehydschlafes
koipmt dem wahrend des, physiologisphen Schafes sehr nahe.
'o.^'fiy\)scyamiAC^iQÖ3) bedingt' zunächst ein bedeutendes Ansteigen der Herz«
kraft und des Gefasstonus; nach etwa 20 Minuten sinken beide unter Beschleunigung
der fiM^xaotioii 1)1» 2tt elMm mioimiiien Grade während des tiefen ^SeMaflBd, nm sich
dann ^eder aUmflldiek mf die Nora zu erheben.
( v$j. iBin; kiHe» Vollbad bewit^kt sohnell Hautanämie und Himhyperämle.
""/'7.' Bitt wwmeB^^VoUbttd bewirkt -'Haat&ypeiftmie und Himanämie, ohne diu»,
wi0'^Nnv0Ot imd- Borges to goAmden haben, ^ine initiale Himhyperäroie i<i Folge
nomentanor' Contraolion.der Hanlgolässe vorAusgegimgm wäre. Somtner.
— 880 —
nL Aus den OesellsohafteiL
ZI. Waadenrersamniliuig BüdwestdeutBoher Neurologen and Xrrenftzmte
zn Baden-Baden am 22. und 23. Mai 1886.
Original -Bericht von Dr. Laqner in Frankfurt a, IL
(Fortsetsang.)
X. Prof. Käst (Freibnrg): Zur Anatomie der cerebralen gfaderlMimniig.
Unter Berücksichtigung der betreffenden Literatur giebt K. zuerst eine historische
Darstellung des klinischen Begriffes: Cerebrale Kinderlähmung und geht besonders
auf die Frage ein, ob diesem Begriffe auch wklich anatomisch eine Polioencephalitis
immer zu Grunde liegen mtisse, wie zuerst Strümpell und nach ihm auch Andere
behauptet haben. Vortr. hat zwei Fälle zu beobachten Gelegenheit gehabt, die fUr
diese Frage von Belang sind: Der erste Fall betraf ein Kind, welches bis zum
sechsten Monat seines Lebens vollständig gesund gewesen war, dann aber in einer
Nacht plötzlich unter heftigem Erbrechen und Krämpfen erkrankte. Die Gonvulslonen
betrafen rechten Arm und rechtes Bein, welche nachher auch gelähmt blieben. Der
Facialis war nicht betheiligt Einige Monate nach dem ersten AnfallB-Cyklus trat
ein zweiter auf, welcher mehr die linke KGrperhälfte in Mitleidenschaft zog. So
traten nach verschiedenen Pausen immer wieder neue Attacken bald mehr links,
bald mehr rechts ein; die rechte KOrperhälfte war schliesslich paralytischer als die
linke. Das Kind wurde blöde, lernte weder gehen noch stehen noch sprechen und
starb im Anfall, nachdem die Krankheit 14 Monate gedauert hatte. Bei der Ob-
duction fanden sich keine localisirten Krankheitsherde weder in der rechten noch in
der linken Hemisphäre. Dagegen war der Himmantel in seiner Geaammthoit sehr
reducirt, und mikroskopisch war ein sclerotischer Process von diffusem Charakter
sowohl in der grauen als in der weissen Substanz nachzuweisen, welcher besonders
das motorische Hirn betroffen hatte.
Einige Zeit nach dieser Beobachtung kam ein kleines Kind zur Cognition des
Vortragenden, welches mitten in der besten Gesundheit unter heftigen rechtsseitigen
Convulsionen erkrankt war und dann alle paar Monate an partieller Epilepsie litt,
die von spasiäscher Lähmung gefolgt war. Dasselbe starb nach Sjähr. Dauer der
Erkrankung. Es fand sich Atrophie einer Himhälfte, dagegen keine Herderkrankung,
auch kein degenerativer Process in der Rinde oder in der weissen Substanz. Nach
diesen beiden FäUen und nach einer Zusammenstellung, die aus einem Genfer Hos-
pitale herrührt, kann man nach Ansicht Kast*s von einer Analogisirnng
der Poliomyelitis und der sog. Polioencephalitis nicht mehr sprechen.
Wir müssen bis auf Weiteres, wie Redner meint, nur den allgemeinen Begriff der
cerebralen Kinderlähmung fest halten, der durch die verschiedentlichsten ana-
tomischen Veränderungen bedingt sein und auch auf congenitalen Processen beruhen
kann. —
XI. Docent Dr. Engesser (Freiburg): Heber einen Fall von Complioation
eines acuten Gtoletikrhemnatismns mit spinaler Lähmung.
Spinale Lähmung als Folgeerscheinnng von Polyarthritis rheumatica acuta ist
wenig beschrieben. Der Patient, welcher der .Yersammlung vorgestellt wird, ist ein
57jähr. HaupÜehrer, der Ende Januar vorigen Jahres acuten GelenkrheumatismiiB
bekam und 4 Wochen lang daran litt Besonders stark beih#igt waren Hüft-, Knie-
und Fua^elenke, sowie die Zwischengelenke der Lendenwirbdsänle, deren Proe, spinosi
sehr druckempfindlich erschienen. — Am 20. Januar d. J., nachdem die rhaanu-
tischen Erscheinungen fast völlig zurückgetreten waren, wurde eine motorische Läh-
mung beider Beine constatirt Die Sensibilität war intact. — Das Kniephänomen
— 331 —
war rechts erloscheii, links erheblicli herabgesetzt Die iaradische Erregbarkeit war
in den rechten GaBtrocnemüs, sowie in der inneren Flexorengrappe des rechten Ober-
schenkelfly femer in den Flexoren nnd Eztensoren des linken Oberschenkels herab-
gesetzt; in der Uoscnlatar der linken Wade, dem Biceps nnd Quadiiceps des rechten
Oberschenkels erloschen. — Sonst zeigte die faradische Prftfung keine Abnormitäten.
Galvanisch geprflft erwiesen sich die linken Dorsalflexoren als normal; die Mm. semi-
tendinosns nnd semimembranosns rechts zeigten nnr mftssige Entartnngsreaction, in
Tiel höherem Grade die Mm. biceps nnd qnadriceps femoris, in diesen fand sich
ancb erhöbte mechanische Erregbarkeit. Eine l&nger fortgesetzte galvanische Behand-
lung besserte den Znstand sehr erheblich und eine am 30. April wiederholte elektr.
Untersuchung ergab überall gebesserte Beactionen. Andeutungen von EaB waren nur
noch im Gastrocnemius sin. und Qnadriceps femor. dexi vorhanden. Während früher
Fat. nur mühsam steif mit Unterstützung von 2 Personen g^hen konnte, ist seine
Locomotion eine viel freiere geworden. — £. h< es für wahrscheinlich, dass durch
den Gelenkrheumatismus in der Lendenwirbelsäule sich secundär eine Meningo-Mye-
litis mit besonderer Betheiligung der grauen Yorderhömer herausgebildet habe (Polio-
myelitis anterior acuta?).
XU. Dr. Friedmann (Stephansfeld): Ueber die histologischen VeränderongeiL
bei den traumatischen Formen der acuten Bncephalitis.
In der Lehre von der pathologischen Anatomie der acuten Encephalitis bestehen
noch mannig&che Lücken. Eine grössere an Kaninchen und Sperlingen angestellte
Reihe von Beizungsversnchen des Gehirns (einschliesslich mehrerer Versuche am
Bückenmark) fOhrten den Vortragenden zu folgenden Ergebnissen.
I. Bezüglich der systematischen Anatomie der Encephalitis:
1) Die entstehenden Entzündungsformen sind je nach der Art der Beizung
wesentlich difTerente, und zwar bildet sich bei Anätzung direct um die centrale
Nekrose innerhalb der ersten Tage ein bindegewebiges aus zahlreichen spindel- und
sternförmigen Faserzellen formirtes Gerüstwerk, in das grosse runde, meist mehr-
kemige Zellen eingelagert sind, die Fett und Mark enthalten und bei geeigneter
Behandlung vielfach karyokinetiische Eemtheilungsbilder ergeben; Eiterzellen fehlen
dabei beinahe ganz oder sind sehr spärlich, während bei septischer Beizung regel-
mässig Vereiterung und Abscess entsteht Diese charakterisirt sich durch frühzeitige
reichliche Extravasation von Bundzellen aus den der Beizstelle benachbarten Gefässen,
in dem Gewebe selbst wachsen die praformirten Zellen protoplasmatisch (nicht faserig)
aus und bilden so unter Verschwinden des gliösen Gerüstwerks zusammen mit dem
Eiter Zellenhaufen. In diesen sind durch Färbung nach Grau'scher Methode Mikro-
kokken reichlich nachzuweisen. — Beginnt in der Umgebung des Eiterherdes das
Bindegewebe zu Faserzellen auszuwachsen, so kommt es zur Bildung der Abscess-
membran. Bei einfach mechanischer (aseptischer) Beizung entsteht ebenfalls
eine centrale Nekrose, auf dieselbe folgt zunächst eine Degenerationszone mit relativ
spärlichen Fettkömchenzellen, darauf erst die Beizungszone mit ähnlichen, aber weniger
intensiven und wesentlich auf Bindegewebe und Gefässwände sich beschränkenden
Proliferationen wie bei der Aetzung, sodass es (innerhalb der ersten Wochen) nicht
zur Formation eines continuirlichen bindegewebigen Fachwerks kommt.
2) Entsprechend zeigt bezüglich des Verlaufs das erste Stadium der acuten
Encephalitis, die sogen, rothe Erweichung von vornherein histologisch wesentliche
Differenzen je nach ihrem späteren Uebergang in Eiterung oder primäre Organisatipn
(in dem einen Fall Faserzellen und mehrkemige grosse Kömchenzellen, im andern
Eiter um die Geffisse, grosse protoplasmatische Zellen im Gewebe etc.). Spätere
Stadien der Aetzentzündung (vierte bis achte Woche), nur bei leichterer Verletzung
beobachtet» wiesen offenbare Tendenz zu bindegewebiger Verdichtung auf, reichliche
— 382 —
dicliter betMmmeii stehende stem- und iq^iiidelförmigo Fuerzetten ai^ s^Uehemi
zwlscbengelagerten KGrnokens^eiL
3) Als Kriterium der primiren (z. B. auf Trauma folgenden) oigausIrandflB
Entzündung gegenflber der seeundaren bei Enreieliung nacb GefSeererselüiiag hsi das
Vorkommen reichUcher mehrkömiger Kömcbenzellen mit Karyokineeen zu galten, wie
Bolcbe Vortragender auch in einem (nicht traumatiecbett) enceplialitieediBn Herd beim
Menffßhen beobachtet hat, femer der geringere Faserreii^thum der gitOBsentheils ge-
schwellten Bindegewebszellen.
4) Für die Frage der üntersdieidung parenchymatOeer und interstitieller ForiMii
der acuten Encephalitis ergab sichi dass jede intensivere Beizung (sped^ Aetzung
und septischer Beiz) primär sowohl im Bindegewebe als im nerrOsen Panmehym
(hier bei den sog. Körnern sicher als progressiT zu deutende) intensiYen Ver&nde^
rangen setzt, während schwächere Beizangen weeentlioh das GUagewebe anregen«
Innerhalb der weissen Substanz des Bückenmaris kann dagi^en (bei Früedien «nd
Menschen) als erste Beaction auf mechanische Verletzung ausgedehnte 13<Afwellung
der Axenqrlinder beobachtet werden.
Eine Unterscheidung erweichender und sogenannter hjperplastis^er Farmen
(Hayem) bei der nicht abscedirenden Encephalitis empfiehlt sich nicht, da meistens
neben einander in gleichem Abstand von der BeizsteUe zasammenhsngiose KAnchen*
zellenhaufen tmd Einschachtelung derselben In das bindegewebige Fachwerk vorkommt
II, Bezüglich der Histogenese der Entzündungsproducte wurde fol^ndes
ermittelt:
X) Progressive Vorgänge, sind erst von der Uitte des zweiten Tages wahrnehm-
bar, zunächst an Veränderung (CompUcation) des feineren Gerüstwerks der Gewebs-
keme, sodann in Gestalt der bald folgenden Schwellung der Bindegewebszellen. Zur
selben Zeit beginnt die Kömchenzellenblldung.
2) Das bindegewebige Fachwerk bei der Aetzentzündung geht jedenfalls über-
wiegend durch Auswachsen und Vermehrung der präexistenten Gliazellen hervor, von
denen ein grosser Theil evident im Znsammenhang mit den wuchernden Geflisswänden
sich befindet. In der grauen Substanz wird bei den sogenannten Körnern sehr reich-
lich das interessante Phänomen beobachtet, dass vom zweiten Tag an der Band des
Hohlraums, in dem die Körner gelegen sind, an der Stelle des sog. Bandkoms halb-
mondförmig anschwillt und dass sich daraus weiterhin wohl charakterisirte Binde-
gewebszellen entwickeln. Nebenbei scheint dadnrch bewiesen^ dass der Holdmum
präexistent und ven im normalen Zustand platten endothelartlgen, bei acuteir Ent-
zündung anschwellenden und dadnrch hervortretenden Zellen ausgekleidet wird. Die
früher erwähnten mehrkörhigen, in das Fach werk eingelagerten Fett und IKsA hal-
tenden Zellen liehen sicher zum Theil ans den Körnern hervor, in denen sieh katyo-
kynetische Vorgänge noch in ziemlichem Abstände von der Beizapplicationsstelle ab-
spielen. Bei der Vereiterung hingegen vergrössert sich, soweit die Körner* nicht
primär durch Zerfall zu Grunde gehen, das Protoplasma derselben, und die l&nd-
zellen wachsen aus der Halbmondform zu protoplasmareichen, unter sich zum Theü
anastomosirenden Zellen aas. Eine Bildung von Eiter^ellen läset sich ans dieser
Wuchenmg der fixen Zellen nicht demonstriren.*
3) Die reichliche Gefässnenbildung der entzündlichen Oi^nisation Sdiexnl unter
wesenüicher Betheiligong der spinnenartigen und spindelförmigen Bindegeweb^Uen,
die dich' canalisiren. Vor sich zu gehen. . ^i tu
4) An allen Wucheitmgen betheiligt 4ädi die Pia mater und das ^^«lid^ der
Naohbarschafb lebhaft.
5) An den eigentüehen GanglienzeDett wurden «ncbUeli r^gressamVoifäng«
beobachtet» hauptsächlich Schrumpfung ond Sderesimng unter ^Kenimplost» homogene
St$hweliüng, wobei die homogene Substanz an die Stelle derkunäcistittkchi'derPe»*
pherie der Zelle gedrängten normalen streifen-^ und netzfömig gezeldmeten-MMtaiii
— 383 —
triU, endlich kömiger Zerfall und Körncbenzellenbildung. Umwandlung einzelner
Exemplare in indifferente (kömerartige) Zellen scheint daneben vorzukommen, doch
sind gerade bei Thieren hier Irrthtimer leicht möglich wegen der in weiten Grenzen
(besonders in der Hirnrinde) wechsehiden Normalzahl der ausgebildeten Ganglienzellen.
Kemtheilungsbilder an Zeilen, die noch als Abkömmlinge ausgebildeter Ganglienzellen
zuverlässig anzusprechen waren, kamen nicht zu Gesicht
An den Axencjlindem der weissen Substanz waren ausser homogener vidfach
bald grobkörnig werdender und zu Zerfall in einzehie Stücke führender Schwellung
keine sicher als progressiv zu deutenden Vorgänge zu beobachten, speciell keine
Korn- oder Zellenbildung. Die Markscheide gerinnt und zerföllt, wie Weigert-Pr&-
parate lehren, sehr rasch, um dann zu verschwinden und sich in den Kömchenzellen
zum Theil wiederzufinden. Die vorliegenden Angaben über endogene Kembildung
in Axencjlindem bei acuter Entzündung lassen den Nachweis vermissen, dass In-
vagination von Rundzellen oder Verwechslung mit den häufig vorkommenden, manch-
mal Axencylindem täuschend ähnlich sehenden langgestreckten geschwellten Gliazellen
auBgeschlossen war. Uebrigens zeigten auch histogenetische Untersuchungen bei
Frosch- und Salamanderlarven dem Vortragenden, dass gemäss der Hensen'schen
Ansicht sich die Axencylinder der weissen Substanz nur als Ausläufer von Zellen
der grauen Substanz und nicht aus besonderen Zellen anlegen.
XIII. Prof. Schnitze (Heidelberg) demonstrirt erstens Präparate von mnl-
tipler Soleroee, bei denen die Freud*sche Goldmethode angewendet wurde und welche
auf Querschnitten die different gefärbten nackten Axencylinder in den sderotischen
Partien in grosser Masse zeigen. Der Vortragende muss gegenüber Koeppen daran
festhalten, dass sich bei der genannten Methode die Axencylinder durch differente
Färbung -gegenüber dem Nervenmark sowohl wie gegenüber der Glia scharf abheben,
falls die Methode nicht überhaupt versagt
Sodann demonstrirt derselbe Präparate von Spinalganglien des Menschen sowie
des Hundes ebenso wie Schnitte aus dem Rückenmark des Hundes, um die eigen-
tbümliche, von Flesch sowohl wie von Kreyssig beschriebene differente Färbung
der Ganglienzellen unter normalen Verhältnissen zu zeigen. Ueber die Ursache dieser
auffiallenden Reaction lässt sich Sicheres zur Zeit nicht aussagen; es ist aber von
Werth, den Befund überhaupt zu kennen, um nicht zu voreiligen Deutungen bei
etwaigen pathologischen Processen irgend welcher Art zu gelangen.
Schliesslich berichtet derselbe kurz über einto Fall von Tuberkel in der
Medulla spinalifl und oblongata bei einem 48jährigen Manne, welcher nach der
Krankenbeobachtung von Herrn Dr. G. Fischer, welchem der Vortr. das immerhin
seltene Präparat verdankt^ an allmählich fortschreitender motorischer und sensibler
Lähmung der Unterextremitäten gelitten hatte. Der Tuberkel sass in dem oberstmi
Theile der Lendenanschwellung auf der rechten Seite und nahm den grössten Theil
des Querschnittes derselben ein. In Folge von Compression auch der anderen Hälfte
des Rückenmarkes war secundäre aufsteigende Degeneration der Hinterstränge ein-
getreten. Ausserdem fand sich ein kirschkemgrosser Tuberkel in dem Corp. resti-
forme der einen Seite vor, welcher keine deutlichen Krankheitssymptome gemacht zu
haben scheint.
K. K. Gesellschaft der Aerzte zu Wien. Sitzung vom 7. Mai 1886. (Wiener
med. Presse. 1886. Nr. 20.)
Prof. Stricker: Heber Laut- und Tonvorstellungen. Prof. Stricker
macht eine Mittheilung über einige Beobachtungen, die Prof. Störk am Menschen
und Dr. Josef Pollak am Hunde gemacht hat Diese Beobachtungen stützen sich
auf eine psychologische Grundidee, für welche Prof. Stricker bisher nur subjective
- 884 —
Argumente hatte. Der Vortragende faatte bereits vor sieben Jabren in seinen ,,Stadien
über SpFachvorstellungeu" die Behauptung aufgestellt, dass, wenn num die Sprache
hört, man sie nicht deshalb verstehe, weil man jedes Schallbild hört, sondern weil
sich an jedes Schallbild die Innervation der Muskeln knüpft, mit denen man dieselben
Worte sprechen würde. Diese Innervation wird ausgelöst vom Spracfacentrum und
wenn dieses Mittelglied durch Krankheit ausfällt, so kommt es sur Aphasie, die
Leute hören die gesprochenen Worte, verstehen aber die Sprache nicht
Stricker hat seine Theorie auch auf das Gebiet der Sprache ausgedehnt und
ist in seiner Ansicht noch bestärkt worden, seitdem er im Intnvese der Sache an-
gefangen hat, selbst Musik zu treiben. Inzwischen ist Prof. Stumpf in seinem
grossen Werke über Tonpsychologie den Ansichten Stricker's entgegengetreten, wes-
halb Letzterer die Polemik gegen Stumpf in seiner in Paris erschienenen Arbeit
„Du langage et de la mumque" aufgenommen hat
Auf die Musik applicirt, hiutet die Theorie folgendermaassen: W«m ich Musik
höre, wild gleichzeitig in mein<»n Kehlkopfe jene Innervation ausgeführt, die nöthig
wäre, um diese Melodie (es ist hier nur einstimmige Musik gemeint) ansauführen.
Nach einiger Zeit geht die Klangfarbe verloren und nur das motorische Bild bleibt
zurück. * Das trifft aber nicht bei allen Menschen zu, es giebt Leute, bei denen die
erwähnte Innervation beim Hören eines Musikstückes oder beim Denken an eine
Melodie in den Lippen vor sich geht. Darauf mag die Thatsache zurückzuführen
sein, das» Mozart immer pfeifend über die Strasse ging und Johann Strauss war
ganz überrascht über das lebhafte Spiel seiner Lippen beim Denken an eine Melodie,
nachdem ihn Prof. Stricker darauf aufmerksam gemacht hatte.
Für die erwähnte motorische Natur der Tonvorstellung hat nun Prof. Störk
folgende objective Beobachtung gemacht: Er führt einer Sängerin den Kehlkopfspiegel
ein und veranlasst sie, an ein Musikstück zu denken oder lässt ihr etwas vorsingen,
man beobachtet dann, dass die Stimmbänder sich in dem Rythmus des gedachten
oder vorgesungenen Musikstückes mit bewegen.
Es giebt aber eme Beihe von Musiker, inabesondere Klavierspieler, die weder
im Kehlkopfe noch in den Lippen, dagegen in der Gegend des Gehörorganes etwas
verspüren. Der Vortragende hatte bereits in seiner Schrifi; „Du langage et de la
musique'' angedeutet, dass es sich in diesen Fällen vielldcht um €k)ntractionen des
Tensor tympani handeln würde.
Nun ist Stricker im Stande, auch für diese Ansicht objective Beweise zu
liefern, und zwar auf Grundlage von experimentellen Untersuchungen, die Dr. Josef
Pollak unter Mitwirkung des Dr. Gärtner in seinem Laboratorium ausgeführt hat
Nach entsprechender Präparation wurde eine feine Nadel in dem Tensor tympani
hineingesteckt und nun zeigte sich in äusserst frappanter Weise, dass der Tensor
tympani bei Tönen von verschiedener Höhe verschieden starke Contractionen ausführe
Ausserdem haben aber diese Versuche noch etwas Neues ergeben. Zunächst liess
sich constatiren, dass der Tensor tympani nicht nur auf Töne von verschiedener
Höhe, sondern auch die verschiedenen Selbstlaute (a, e, i, o, u) reagire, am inten-
sivsten auf a, am schwächsten auf u. Es ist diese Wahrnehmung ein wichtiger
Fingerzeig, inwiefeme die Hunde unsere Sprache yerstehen.
Die Action des Tensor tympani |ist zweifellos ein Reflexakt; pfeift man dem
Hunde in ein Ohr hinein, so reagirt auch der Tenor tympani des anderen Ohres;
nach Durchschneidung der Medulla oblongata hört diese reflectorische Action auf.
Diese Experimente wurden an 5 grossen Hunden öfter vriederholt und immer
mit demselben Erfolge.
Bei einem Hunde, der taub war, fand sich der ganze Schallleitungsapparat
intact, aber der Tensor tympani zeigte absolut keine Spur von Beaction. Alle diese
Umstände sind objective Belege für die von Stricker behauptete Theorie der moto-
rischen Tonvorstellungen.
— 38B —
Prof. Störk bemerkt, dass Edch zu derartigen Yersiicben mir solche Individuen
eignen, die den Kehlkopfspiegel vertragen . können. Wenn man solchen Individuen
ein Notenblatt vorhält und sie veranlasst, dasselbe stillschweigend 2u lesen oder
wenn man solche Individuen an eine Melodie denken lasst, so sieht man die Stimm*
bänder sich genau entsprechend dem Bythmus der Melodie mitbewegen. Bei geübteren
Säi^em kann man ausser den rhythmischen Bewegungen im Kehlkopfe ebensolche
des Thorax mit aufgelegter Hand constatiren.
Academie der Wissenschaften zu Paris. Sitzung vom 28. Juni 1886.
Vulpian hat die Versuche von Steiner in Bezug auf die Abtragung der Gross«
himlappen bei Knochenfischen (Karpfen) wiederholt und kommt — entgegen seinen
eignen im Jahre 1854 mitgetheilten Beobachtungen wie Steiner zu dem Schluss,
dass die willkürlichen Bewegungen bei den Knochenfischen nach Fortnahroe der
Grosshimlappen vollständig denen mit intactem (Gehirn gleichen.
Pierret (mitgetheilt von Charcot) macht Yon Neuem auf die grosse Häufig-
keit peripherischer Neuritis bei Tabes aufmerksam; diese Läsion ist jedoch durchaus
nicht constant; und sie kann auch bei unzweifelhaften Tabikem heilen. P. sah
neuerdings in einem Fall Erneuerung der Nervenröhren. Er glaubt, dass die Existenz
dieser Neuritiden in Zusammenhang mit einer centralen Läsion in die Nervenpatho-
logie eine neue Art von Entzündungen einzufahren gestattet, welche, ohne aufzuhören,
systematische zu sein, Herde mit Zwischenräumen an verschiedenon Punkten des er-
griffenen Systems setzen, ohne dass die Läsion des dazwischen gelegenen Nerven-
t>der Bindegewebes absolut nothwendig sei. M.
IV. Bibliographie.
Die Besiehungen swisohen Gtoistesstorung und Verbreohen. Nach Beobach-
tungen in der Irrenanstalt Dalidorf von Dr. W. Sander und Dr. A. Bichter.
Berlin 1886. (Fischer's med. Buchhandlung. H. Kornfeld.)
Das reiche Material, das die Berliner Irrenanstalti wie keine andere in Deutsch-
land, in Bezug auf solche Kranke bietet» die mit dem Strafgesetz in Conflict gekommen
sind, hat in diesem Buche eine Bearbeitung erfahren, für die wir den Yerff. zum grössten
Dank verpflichtet sein müssen.
In dem ersten, von Bichter bearbeiteten Theile werden uns die einzelnen
Kranken, nach Krankheitsformen geordnet, vorgeführt (Imbecillität und Idiotie, ori-
ginäre Verrücktheit, Verrücktheit, secundäre Geistesschwäche, chronischer Alcoholis-
mus, Epilepsie, Paralyse). Eine reiche Fundgrube für Jeden, der sich für foren-
sische Psychiatrie- interessirt, für den Arzt, wie für den Bichter und Psychologen
liegt in den hier niedergelegten, zum Theil sehr ausführlichen Krankengeschichten.
Der zweite Theil, von Sander verfasst, enthält 4 verschiedene Aufsätze: 1. Zur
Statistik der mit dem Strafgesetz in Conflict gerathenen Geisteskranken, aus der wir
hier, um die Grösse des Materials zu charakterisiren, nur hervorheben wollen, dass
unter den am I.Juli 1883 von der Stadt Berlin verpflegten Geisteskranken 153 Männer
und 24 Frauen, d. h. 18 ^/^ der Männer und 2,8 ^/^ der Frauen sich befanden, welche
mit dem Strafgesetz in Conflict gekommen waren. 2. Zehn Gutachten über schwie-
riger zu beurtheilende Fälle von Geistesstörung. 3. Ein Gutachten über zwei der
Simulation verdächtige Verbrecher.
Diese 11 Gutachten sind, wie dies nach den früher veröffentlichten Gutachten
Sander's zu erwarten, als mustergiltig zu bezeichnen.
Den Schluss macht endlich 4. eine Arbeit über die Frage, ob besondere An-
stalten für die geisteskranken Verbrecher nothwendig sind. Es wird die Beantwortung
— 336 —
dieser Frage, die sieh in dem Satze ansdrfickt: Nieht Specialanstalten, sondern Special-
ärztel (d. h. Vorbildung der StrafanstaltBärzte in Irrenanstalten) vielfach Tl^dersprach
erfahren, ja es hat den Anschein, als ob znr Zeit in der That in Prenssen, speciell
in Berlin mit dem Versache, solche Specialanstalten zn gründen, vorgegangen werden
soll, Eef. kann sich aber aus den Gründen, die er bereits 1876 in der Enlenberg'-
sehen Vierteljahrsschrift entwickelt hat, nur mit den Sander*8chen Anschauungen
einverstanden erklären, und ist überzeugt, dass die Irrenärzte, die jetzt, weil ihnen
die sog. verbrecherischen Irren in den Irrenanstalten unbequem waren, sie jenen An-
stalten überweisen wollen, im Interesse ihrer Clienten später bedauern werden, einer
Einrichtung Vorschub geleistet zu haben, die nur geeignet erscheint, die mit Mühe
gewonnenen, im Strafgesetz niedergelegten Bestimmungen über die Zurechnungsfunfahig-
keit zum Nachtheil der Geisteskranken in ihrer praktischen Anwendung verschlechtert
zu haben.
Die Hinweisung auf den reichen Inhalt des Buches genügt wohl allein schon,
um sagen zu können, dass dasselbe in den Händen jedes Psychiaters wie jedes Arztes
sein muss, der zur Abgabe forensischer Gutachten über den Geisteszustand eines
Angeklagten berufen wird.
Die Ausstattung ist, wie wir dies von der rührigen Verlagsbuchhandlung ge-
wöhnt sind, eine gute. M.
NeuritiB.
(Cf. Register 1885 S. 573 und diesen Jahrgang S. 8. 21. 60. 118. 212 u. S. 248 u. f.)
Guinon: Sur Tanatomie pathologique et la pathog^nie du b^rib^ri. Progr. med.
1885. Nr. 14 u. 15. — Piliotis: De la n^vrite p^riph^rique du cubital-cons^utive
ä la flövre typhoide. Paris, Davy, 1885. Thöse. — Homön: Beitrag zur Lehre
von den multiplen Neuritiden. Erlenmeyer's Ctrlbl. 1885. 14. — Löwenfeld: Ueber
multiple Neuritis. Aerztl. Intelligenzbl. 1885. Nr. 6. — Grocco: Contribuzione allo
studio clinico ed anatom. pathologico della nevrit. multipl. primitive. Milano 1885.
— Buzzard: On some forms of paralysis dependent upon peripherica! neuritis.
Lancet. 1885. Nov. and Dec. — Pitres et Vaillard: Contribution k T^tude des
nevrites p^riph^riques survenant dans le. cours de la convalesconce de la fi^vre typhoide.
Rev. de ra^d. 1886. Dec. — Oppenheim: üeber 2 Fälle, welche unter dem Symp-
tomenbilde der multiplen Neuritis verliefdn und in voUkommne Heilung ausgingen.
D. Arch. f. klin. Med. 36. S. 561. — Lilienfeld: Zur Lehre von der multiplen Neu-
ritis. Klin. Woch. 1885. 45 (cf. d. Ctrlbl. 1886. S. 352). — Chavcot: Note pour
servir ä T^tude de la n^vrite ascendante dans les moignons d*amputation et de myelite
consecutive. Nancy 1885. — Petrone: Contribuzione al progresso delle neunte
multiple e di alcuni affezioni spinali. Arch. ital. per le malat. nervös. 1885. Oct. e
Nov. — Kauders: Ein seltener Fall von Neuritis ascendens. Wiener med. Woch.
1885. 62. — Salvat: Etüde sur les nevrites consöcutives aux injections hypo-
dermiques d'^ther. Bordeaux 1885. — Deschamps: üeber dasselbe Thema. Pranw.
mÄi. 1885. 50.
V. Vermischtes.
„Bevue de l'Hypnotisme exp^rimental et th^rapeutiqae" nennt sich ein neues Joumftl
das jeden Monat einmal zu Paris erscheinen soll and von dem die erste Nammer vorliegt
Bedactenr ist Dr. Bärillon. Unter den Mitarbeitern sehen wir Frenkel (Dessan), Haek
Take (London), Grasset (Montpellier), Ireland (Edinbuig), Ladame (Qenf), Lays,
Voisin (Paris) a. A.
Einsendungen für die Bedaction sind zu richten an Prof. Dr. £. Mendel,
Berlin, NW. Kronprinzen-Ufer 7.
Verlag von Veit & Coxp. in Jjeipzig. — Druck von Mrtzgrb ft Wittio in Leipzig.
Neurologisches Centralblatt.
Uebersicht tfer Leistungen aof dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie
und Therepie des Nervens]fSteme$ einschliesslich der Geisteskranicheiten.
Hdram8geg<eb6ik yon
Professor Dr. E. Mendel
Fftftfter iaB«riiiL Jahrgang,
Moofltlich enuheineii zwti NmnaenL Pieia dfli. lalurgangM IS' Msrk. Zu bestehen dueb
alle Badthaadlugea det In- nnd Anstoadeft, die Poetanstalton des Deatschen Beiehs, eoivie
diseefc von d«r YeiiagsbAohhaiidiang.
1886. 1. August. N^ 15.
Inhalt. I. OrisifiaJnitfhtllangeiu l. Graphische üntecaachunff der Muskelznckang bei
EntartangereactlQn von Privatdocent Dr. P. Resenbach and Stad. med. A. Schtscherbak.
2. Ein Fill tod schwerer complieirter Schlaf l&hmang am Imken Arme, ron Dr. S. N. Soheiber.
II. Riferati« Experimentelle Physiologie. 1. Trois caa de l^sion m^nllaire am
niyeaa de jonotion de ta mobile ^pini^re et du bulbe rachidien, par Iferzen et Loewentbal.
2. Ueber den elektrischen Leitungs widerstand des menschlichen Körpers, tod TIschkow.' —
Pathologische Anatomie. 8. A remarkable lesion of the nerve-centres in lencocjthaemia,
by BrmmMli. — Pathologie des NerTensystems. 4. Ueber Fortdauer des Kniephino-
mens bei DMenention der Hinterstrange. Zugleich ein Beitrag zur combinirten pnm&reo
Erkrankung & BückenmarkistrSnge, von Wiilplial. — Psychiatrie. 5. Statistische Unter-
suchungen aber den Zusammenhang zwischen Syphilis und progressiver Paralyse, von Rieger.
— Therapie. 6. Ck)ntributiott to neurological therapeutics, by Clevengor.
ni. Am den Oesellschaften.
IV. Personallen.
I. Originalmittheilungen.
1. Graphische üntersxichung der Muskelzuckung bei
Entartnngsreaction.
Von Privatdocent Dr. P. Roaenbaob und Stud. med. A. Schtsohorbak
in St. Petersburg.
Trotz der sahireichen klinisohen und experimentellen Untersuchungen, die
dem Stadium der Entartungsreaction gewidmet sind, blieb bisher das Verhalten
der Latenzperiode der Muskelzuckung bei dieser interessanten Yerändening der
elektrischen Err^barkeit unerforscht; auch über den zeitlichen Verlauf der
Muskelcontraction bei EAB liegen keine genauen Angaben vor; die von Käst
gezeichneten (in Ebb's Lehibuch der Elektrotherapie abgebildeten) Myogramme
illostriren mir ganz im Allgemeinen die fOr EAR charakteristische Veriangsamung
der Zuckungscurre. In Anbetracht dieser in der Lehre von der Entartungs-
reaction bestehenden Lücke unternahmen wir es einen Fall von EAR vermittelst
— 338 —
gn^llißcherJ^e^sajpparat^ yenaa^^n qnteisuctien, Gejegenbeit 4&za bot pos eine
H^ Fbli/mjBÜtis fU]^er)qr ia<;ilita ;cerjigi(Us^lH|enf^fiai|^ |ie| lsi4h ider Ubter-
suchung 1}ereifwiII]gst unterzog.
Patietitio, eine 34jährige roesiMbe.B&iijQän, erlcnrnlctr imiiai 1885 im Laufe
einiger Tage an Lähmung beider Oberextremitäien unter fieberhaften Erscheinungen,
die ungefähr eine Woche lang anhielten. Die Lähmung des rechten Armes war von
Anfang an voUständig; im linken dagegen blieben einige Bewegungen erhalten. Bald
nach dem Fieberanfall sollen die gelähmten Arme angefangen haben abzumagern.
Zu .unserer Beobachtung gelangte^ P^tientip, im Febru^ c. mit folgendem Status:
Bin kräftiges Subject mittleren Wuchs68;"all^eiheiner Emäimngszustand beledigend;
Organe der Brust- und Bauchhole gesund. Pupillen gleichmässig, mit regelmhtcr
Reaction. Seitens der Hiranerven keine Erkrankung. Motilität und MuskelemahruBg
an den Untereztremitäfen erhalten; Eniephänomen reohts stärker als links. Haut-
reflexe beiderseits gleichmässig, ausser dem Interseapulnreflez, der rechtersieitB fehlt
An beiden Oberextremitäten besteht scUaJffe atrophische Lähmung. An der
rechten ist dieselbe ToUständigi hier kann Patientin kmne einzige willkQrliche Be-
wegung ausführen; einige Muskeln, wja de^ M» supraspinatus, deltoideus sind faat
YoUständig geschwunden^ alle anderen in hohem Maasse atrophisch. An der linken
Oberextremität sind Atrophie und Lähmung der Muskeln weniger intensiv. Sehnen-
refiexe und mechanische Erregbarkeit der Musk'^n sind beiderseits geschwunden;
dagegen Moskelgefühl und Hautsensibilität Überall erhalten. Die Teränderung der
elektrischen Erregbarkeit ist aus folgender Tabelle, zu ersehe;! . * ^-
Rechts
Links
QalTanische Beaotion
■ ■ I - .-■ T '
Galnmisehe Beaetioa
-
Faradiache
ße^ction
1 .. . . IXl . . .
FaradiB^he
Beaotion
•" «
L
Zuckungs-
Zuckungs-
Zuckungs-
Znekxuigs-
gcsetz
minimum
*
gesetz
minimum
BAs^.ia^O.
^
JL^ M.-A.
.JBAirlS^
„ 13^
2 M. A.
N. ulnaris ....
4 „
N. radialis. . . .
^ unerreg-
„ 12,0
4 ,.
N. mcdianus . . .
bar
^ 18.0
2.5 .,
Plexus brachiaiis
-
•
> . .
S, 13.0
6
M. deltoideus . . .
Ka>An
18 M.-A.
^
Ka>An
10 „
M. supraspinatus
An>Ka
45 .,
■mürvoflP»
AD>Ka
30 „
M. bieeps -» . . .
AD>Ka
IS „•
itxiarrc|{*.
bar
Sa>Afi
3 „
M. triceps ....
An>Ka
19 ^
AD>Ka
20 „
M. sapinator lougus >
?
AD>Ka
^22 „
J
Ka>An
5
M. ext. digit. comm. i
Ka>An
15 „
RAsll,0
Ka>An 6,5 „
M. abd. {>olL long, .
g
Ka>An
18 ..
«. 12,0
Ka>Aii
2,5 ..
M. ext. poll. long. .
0
Ka>An
19 „
„ 11.0 Ka>An
5 „
M. ulnaris. int . .
An>Ka
16 .,
„ 12,0 Ka>An
3 ,.
.\[. ftex. digit subl. ^
AD>Ka
u „
M 18.0
Ka>An
^ «
M. flex. digit prof. <
Ao>Ea
18 „
» 11,5
Ka>An
2,5 ,.
M. abd. poll. brevis
An>Ka
6 „
r, «».0
Ka>An
T „
M. opponens poll. .
M. flex. polL orev.
■
An>Ka
6 u
., 10,0
— J
*~~ »»
Ka>An
9 „
« 10,0
—
^■" •»
M. interoBsei . . .
AD>Ka
10 ..
—
Ka>An
10 „
^RA bedeutet Rollenabstand des du Bois-Bejrmond'sohen Schlittcnindoetoriums in
Centimetem; M.-A, «- Hilli-Amp^res, durch ein Qaiffe'aches absolutes GalTanometer ge-
messen. Die Zahlen geben diejenige Stromstärke an, bei welcher minimale Zuckungen aus-
gelöst wurden. — Patientin sowohl, als die von ihr erhaltenen Originalcurren wurden is
der März-Sitzung der St. Petersburger psychiatrischen Gesellschaft demonstrirt.
Wir wählten nur grsjAisolien TJnteisoehimg den m. bie«p3 dext-, in welcbfön
— wie ans der Tsb^e zn erwben ist — vcdletändige EAS beetand, mit Her«^
setznng der galvanischen Err^barkedt (minimale -AnSZ bei 18 MUli-Ämpirea)
and Verlust der meehanisehfin.
An den Utukel worde ein IklABKi'wbea U^i^ntphion ai^^eEchnallt, dessen
mit einem Fol dar Battone Terboodonei Knopf roglfi^ »Ha K^leotrode dient«,
wUnmd die indifiiBipnt« Xlectrode am Steniiun platz fand. Der Lufbanm des
MyographioDs oonmumiobl« veimittelit eines OumnuadllaaohB mit einer ge-
wühnlioben polygraphische SchreibtromiBel (tamboui i> levier}, deren Sohreibetät
vor einer benissten rcitirendfln Eymogiaptaumtroinmel aufgestellt wmde. Zum
Stndiom der quaütatiren Yttinderung der jUa^elzackung benutzten wir eine
mb lutgsim ; bewegende TrontiBol, deren Umdrehnng- um ^re Aze in ongeiTE^
16 Secunden geschah.
Vergleichung der Figoren I und II lässt den Unterschied erkennen, der
zvisehfn der Zackung des gesunden Sluskels und deijoügen bei EAR besieltf.
FIf, I. ZaikoJiK «»('s gesanden Hnaluli; +AiiäZ, -EaSZ (bei Urgauner TTindrehiuig d«r
Trommel).
flfl, II. MnskelKnekoDg b« BotartangBieMtioD; +AnSZ, — KtSZ (bei langaunet UmdrtJiniig
dir TroDUD«!).
Im ersteren Fall (Fig. 1} seboi wir eine blitzartige Zuckung; die Contraction
wädist rasch an und ersohlafil sofort ebeoso nuoh. Im letzteren dag^en (Fig. Ö)
geht das Stadium der ContractioD allmähtieh in daqenige der Erschlaffung Aber,
und die Erschaffung selbst geschieht in langsamer^ träger Weise. Zugleich ist
selbstverständlich in Fig. I KaSZ>AnSZ, in Fig. II umgekehrt AnSZ>KftSZ.
Bei h&nfiger Wiederholung der elektrischen Beizung am kranken Hnskel stellte
sich bald Ersehr-pfaTig der Kiegbarkeit desselben ein, die darin Aasdrnck &nd,
dasa er auch auf stärkere Ströme nor mit geringer Contraction reagirte; zugkioh
nahm die Trägheit letzterer ^gemein za. Hg. III stellt solche Zuckungen dar,
die saeh Etsohöpfnng der Err^barkeit dureh häafig wiederholte elektrische
Beizung (maximale Stromstärke) erhalten wurden.
Cm die Latentperiode der Muskelzutkang bei EAR, wie Oberhaupt die
quantitativen Yerändeningen der Zuckungsourve za ermitteln, mussten wir zu
emer oomplicirteren Versnchsanordnung greifen. Es war dazu eine, solche Botatioos-
gescbwindigkeit der r^istrirenden Trommel erforderlich, die es ermöglichte die
I _ 840 -
I Daoer der Zadnug danb frequeut« Stisungabelsohiriiigoiigeii
I zQ meaaeB; uusndem miuat« der Monoit der eIrtlrisiAen
I Reizung genao DOtirt werdoo.
I Es erwies sich eine Troiiimel aU genftgend, die sieh
I in 1^ SeoondeD xiin ihre Aze drAte, da Bau daran beqaem
I 250 Stiinmgabelsotmngaiigen in 1" wicfaBen konnte. Da
I HcHneot der SchUeesnng des die UoskelnickaBg aasUaeDdeTi
I gtiTaDlubeB Sttomea wurde darcb ein DEP&az'ectaes Signal
I notirt, KD dessen Bedtennng an DAvuLL'sdiea Eüenent ge-
nflgte. Beide Strdae painrten einen QneckKlbei>Untnteecber,
wrtcher derai^g fingeateUt war, dasi OeAiong' des Signal-
Stroms mit Sohliasnmg das gidvaaisohen Hoskebazasgi-
I Stroms zusammenfiel.
Beide Schreibstifte — derjenige des Biguds and des Myo-
I graphions — wurden nebeneinander in einer Linie tot der
I BagUrtttroBuncd an^eatflH^ und Mrtne in BdHUm grincht,
wobei beide Stifte parallele gerade Linien laicJuietea. Nach
I lO — 1 5 Seonnden (dann erreichte die Botationsgesdunod^fcöt
I der Trommel eine beständige Grösse) wurde durch Umw»-
dung des Qaecknlber - Untnitrecbers der darcJi da« Mjo-
graphion lum Muskel gehende Strom geschlossen, aaf dessen
W^ ein absolutes GAiFFE'sches Galvanometer eingeschaltet
war. La UiHnent der SohliesBiuig dieses SbtOKfl xwdmetie
der Signalstift — dareh Oefionng des SgnalstTOBis — nne
kone au&teigende Linie, und gleich danach scbtieb der
UfographiOQStift die Ourre der MartelzDckang. Kadi Ablauf
derselben worden beide angegebenen Ijoieii ao. dagenigw
Punkten vereinigt, die dem Beginn der Reizung, dem B^inu
der Zuckung, dem Beginn des Abfallens der Curve und dem
Ende letaterer entspiachen. Zuletzt worden anf die l^mmel
— bei der .nimlieben Botatünagesohwindigkeit — die Sckwin-
gungen der Stimmgabel aufgetaigen (350 in 1"). In dieser
Weise konnten wir die Daoer eines jeden der uns inter-
esnreoden Uomente mit einer Genauigkeit bis 0,002" be-
reohnan.
I Da die Litoatar keine Angaben über die Dauer der
LatauqMriode dtf Unakelawikung und letzterer selbst bei
peroutaner galvaniaehcf Beimo^ am Mensohen enth&U, so
moBstMi wir savördent diese Gröesen am Oesoadcn wnuttehL
Wir benutiten dazu ebenfalls den M. bioeps tetefaü. Es er-
gab sich, dass die Latenzpedode ftir den gesunden Muskel
I im Mittel 0,013" beträgt, und dass sie b« AnSZ und KaSZ
die i^mliobe bleibt; audi die Intensität des Stromee hat
aiLscheinend keinen Einfluss auf ihre Dauer.
— 341 —
Hier ist an bemerken, da» Mekdelbohn' auf Oiwd edner miC itm la-
doetionsstrom aogestellteo Untersuchnngen fftr die Daaer der Latenzperiode des
gesooden Uoskels im Mittel 0.006—0.008" aogiebt, also' einen gerin^ren Werth,
als wir bei galvaiiischer Beiznog ^den. Wir wiederholten seine ÜDt«rsn6hang
mit Hilfe unserer oben beschriebenen Anoidmuig, indem wir ebenfalls den
Oeffnongssohlag des Indnctionsstroms benatcten, uod fanden wieder im Mittel
0.013". Auch andere Autoren (U. ter Üeulbs and Biknekdtk*, Eddioih')
fanden bei &iadi8cheT Cntereuohnng fOr die Latenzperiode grössere Zahlen, als
MxNitBLsoHN. Die von Rdino^ ang^ebenea Werthe stimmen sogar fctst genau
mit QDserem Besultat überein: er fand als Uaiimum 0.016", als Minimum
0.009 und am h&Dfigstea Mittelwerthe ron 0.012—0.014". Uebrigeos sind
Tig. IT. AnSZ dn g^sondeD HnAeb. Stromstäike o 19 U.-A. x Linie iir Zac^nngtcuv«,
y StimmgabeUchwingiiDgai, t SignaUinie, a Beg'im der B«lSQiig (Homeot dL-r MaHkeUtma-
BchlieBtang), b Bqpna der ContnctioD. a End« denell^n, d Baginn dos Abfallens dR
ZnckangscnrTe. Eine vollBtäadige Schwingung der Stimmgabel eDtapricht '/itt"- '
KaSZ des gesnoden Hoskels.
diese geringen Differenzen nioht TOn wesentlicher Bedentang; jedenfalls steht
sowohl MxifssifOHM's, als EinnoEa's Angabe und unser Besultat der von Helu-
HOLTE ffir den Frosohmnskel bestimmten Grösse (0.01"). sehr nahe.
Was die Dauer der durch galranisahe.BeiEang aasgelösten Muskelcontractiun
(am äesnnden) selbst anbelangt, ao hat darauf der zur Reizung dienende Pul
Einfluss: wir fanden bei KaSZ im Mittel 0.214", bei AnSZ nur 0.191".
' HzirD>Lsoai>. Archives de phjsiol. norm, et pstbo)<«. 1B80,
' O. lu Hbülm. Zeittobrift fBr klia. IM. V, IBSa, S. 10».
> EDIIMB&. Ibidem VI, laBS, S. 188-160.
— 342 —
Die auf Fig. IV and V al^loldeteD Curven war*
den Tom gesunden Hnskel bei galvanist^er Beizong
gezeichnet (bei groner BotationsgeschwiDdigkeit der
registrirendeD Trommel). In Hg. IV ist die Cure
küraer ala in Fig. V; aach ist die Contraction in
erstcrer sohwftcber, trotz der grfisseren StromBtärke.
In beiden Cturen bemerkt man steiles Ansteigen nnd
raacdies Erschlaffen, ol^Ieicfa im Ganzen die Oestalt
der Garren in Folge der bedeutend grösseren Botatioos-
geschvindigköit der r^^iatrirenden Trommel im Ver-
glaoh zu Fig. I sehr ver&udert ersclieint
Qanz andere Werthe ergiebt das Studinm der
CorreD, die wir von dem EAB aufweisenden Mnakel
erhielten. Ein betr> die Lstenzperiode im IGttel
0.062" und die Dauer der Coutraction selbst 0.406";
mit anderen Worten die Latenzpeiiode bti EAB ist
um 4mal liinger als im gesunden Muskel, tmd die
Zackungsdauer um Smal. Dieses Verhältniss ergab
sioh nicht nur 61r die Mittelvrerthe, aondem auch fär
die einieluen Pille, in welchen die Zahlen in gewissen
SlI^^E^^HHH Grenzen T(m denselben abirichen.
^ II^^^^^HH In Folge der bedeutenden Herabsetzung der elek-
trischen Erregbarkeit des Muskels unserer Patientin
„ ^^^^^^^^ nuusten wir b« ihrer TJatetsochmig starke Ströme
£; H^^^^^^IIH anwenden, vorzflglich solche von 15 — SO und sogar
" 44 M-A; dagegen wurden die Curren Tom gesunden
Muskel bei Stromstärken von 4—20 M-A gewonnen.
Dieser Umstand könnte als hindernd f&r die Ter^eich»-
m&glichkeit der Zahlen in beiden Fällen erscAeineii,
do<^ ist er thats&cfalich nicht von Belang, da als
Material zur Tergleichong Zookungen gleidiwerthiger
Intensität (minimaler and mittlerer) dienten; dazu
kommt noch, dass bei der Patientin die Latenzperiode
kräftiger Zackungen keinen wesentlichen Unterschied
von denen geringerer aufwies. Was den Einfiuss des
Pols auf die liänge der Zucknngsdauer selbst anbetrifft,
so e^b auch hier EaSZ längere Curven als AnSZ.
und diese D^flereiu trat mehr hervor, als im gesun-
den Muskel: die mittlere Dauer der Contraction bei
EAB betrug fOr KaS 0.420", fflr AnS 0.381".
Tergleichong der Figuren VI und VII, welche
Entartuugsreactions-Curveo (bei grosser BotatioD^g^
schwindigkeit der registrirenden Trommelj darstellen, zeigt, dasa EaS ein»
sehr intensiven Stromes (40 M-A) eine bedeutend schwächere Zuckung auslöst
— ?43 —
als AaS fiiaes vieL^gficifigerea Stams (20 UnA). Ferx^ ist kifiht zu erseheD,
dass die Verlängerung der Curve, die besonders bei EaSZ (Fig. YII) ausgezogen
erscheint^ hauptsächlich von der Erschlaffungsperiode der Zuckung abhängt
Dies wird noch deutlicher, wenn man an den 4 letzten Abbildungen (IV— VII)
einerseits die Entfernungen von b— d, andererseits von d — c vergleicht.
Selbstrerständlidi können die von uns beschriebenen qualitativen und quan-
titativen Veränderungen der Zuckungscurve bei EAB nur f&r daqenige Stadium
derselben volle Gültigkeit beanspruchen ^ welches wir bei unserer Patientin an-
getroffen haben , d. h. das Stadium tiefer Herabsetzung der galvanischen Erreg-
barkeit; vielleicht verhält sich die Latenzperiode und Curvengestalt bei EAR zu
der Zeit, wo die galvanische Erregbarkeit erhöht ist, anders. Darüber müssen
specielle Untersuchungen entscheiden. Uebrigeus ist zu beachten, dass Trägheit
und Langsamkeit der Zuckung der EAB von Anfang an eigenthümlich sind, und
ausserdem, dass das Stadium erhöhter Erregbarkeit nur gewisse, verhältniss-
mässig kurze Zeit andauert, während die darauf folgende Herabsetzung derselben
lange oder für immer bestehen bleibt.
Zum ScUuss müssen wir uns noch einmal zur Ej:anke9geschi(ihte unserer
Patientin zurückwenden, an der unsere Untersuchung angestellt wurde. Im
Beginn unserer Bekanntschaft mit ihr konnte sie, wie oben bemerkt, mit keinem
Muskel ihrer rechten Oberextremität eine Bewegung ausführen; nach 3 — 4 Wochen
indessen gelang es ihr die rechte Schulter ein wenig zu erheben. Ausserdem
wurden minimale Zuckungen (AnSZ) des m. biceps, die anfänglich nur bei einer
Stromstarke von 18 M-A eintraten, späterhin bereits bei 15 M-A ausgelöst (zur
elektrodiagnostischen Untersuchung benutzten wir beständig eine „Normalelektrode'^
mit einem Durchmesser von 3,5 cm). Also hatte sich mit der Zeit in den Arm-
muskeln eine zwar geringe, doch jedenfalls bemerkbare Be^ruüg eingestellt,
sowohl hinsichtlich der willkürlichen Motilität, als auch der elektrischen Erreg-
barkeit. Ohne dieser Thatsache eine besondere Bedeutung zuschreiben zu wollen,
möchten wir jedoch auf folgenden Umstand aufinerksam machen: Bei der
graphischen Untersuchung unserer Patientin reizten wir ungefähr im Laufe eines
Monats fast täglich ihre atrophirten Muskeln mit Strömen, die nicht selten
eine Intensität von 40 M-A und darüber besassen ; falls man dazu noch berück-
sichtigt, dass der als Beizelectrode dienende Knopf des Myographions einen Durch-
messer von nicht mehr als 1 cm. hatte, so wird es klar, dass bei solcher Strom-
dichtigkeit die Intensität der elektrischen Reizung ausschliessliche Höhe ehreichte.
In der elektrotherapeuthischen Praxis gelten bekanntlich Ströme von 15 — 20 M-A
für sehr stark*, und gewöhnlich benutzt man zu Heilzwecken Ströme von 1 — 15
M-A. Eben in Berücksichtigung dessen ist zu beachten, dass bei unserer Patientin
Anwendung von unvergleichlich stärkeren Strömen (und ausschliesslich grosser
Dichtigkeit) nicht nur den atrophisch-gelähmten Muskeln keinen Schaden' zu-
gefügt hat, sondern im Gegentheil von relativer Besserung begleitet wurde.
Inwiefern letztere wirklich durch die elektrische Reizung bedingt war oder von
> Vgl. M. MsTSE. Die Elektrioit&t in ihier Anwendang auf praktiBohe Medicio.
4. Aufl. S. 142—143.
Flf. Tit. EaSZ bei i
zufälligen anderen Ursachen abbing, lässt sich natürlich nicht mit Bestimmtheit
entscheiden. Jedenfalls Terdient aber unseres Eraehtens die Anwendung sehr
starker Ströme in der Elektrotherapie atrophischer Lähmnngen wettere Yersucbe.
2. Ein Fall tod schwerer eomplicirter Scfalaflähmung am
linken Arme.
Tod Dr. 8. H^ Soheiber ans Bndapeet.'
A. B., 42 Jahre alt, Schlosser, verheirathet, hat vor 8 J^iren eine schwere
Lnngenentzändang äberstanden und leidet seit 4 Jahren an häufigen Scbwindel-
aoßllen, wobei er aber das Bewusstsein nicht verliert, und die schon nach einigen
Secunden wieder verschwinden. Syphilis hat er angeblich nie gehabt Am
9. März 1. J., d. i. am letzten FascÜngstage, hatte er noch am Vormittage in
der Fabrik gearbeitet und fählte sich vollkommen wohl. Nachmittags ging er
nicht ZOT Arbeit, nnd da er sich nach dem Mittagsmahle müde i&hlte, legte er
sich ai^ekleidet, wie er war, in's Bett und schlief volle 2 Stunden sehr tief.
Er lag dabei, wie stets seine Gewohnheit ist, auch diesmal auf der linken Seite
nnd zwar so, dass der linke Arm im Ellbogen gebeugt war, die Hand ontei
dem Kopfe und der Oberaim zum grossen Theile unter den Brustkorb zu- U^en
kam. Auf ausdrückliches Be^ikgen sagte Fat, dass er mit dem ganzen Körper
im Bette uod mit keinem Theile auf einer harten Unterlage, etwa am Bett^
raode, idg. Auch weiss Fat. nichts von einem Falle oder Sto&se, den er etwa
erhalten hätte, ebensowenig von einem Zuge, dem er ausgesetzt gewesen wäre.
Als er nun vom Schlafe erwachte, nahm er zu seinem Schrecken wahr, dass
die ganze linke Hand gefühllos und gelähmt war, so dass ei keinen Finger
rühren konnte. Als er am 15. März 1. J. zum ersten Male zu mir kam, könnt«
ich folgenden Status praesens constatiren:
Der Kranke bewegt den linken Oberarm leicht nach allen Kchtnagea;
Beugung und Streckung des Vorderarmes geht auch gut, obwohl jene nicht so
II <ler Bitzong der k. fleHlUebAft dir Aantc in Budapest Tom
isiärle = 40 M,-A.
kräftig ist, als aaf der rechWn Seite. Bei himzoDtaleT Haltung des 1. Vorder-
aimes hängt die Hand schlaff heranter, die Finger sind stark eingezogen. Die Hand
kann nicht gehoben, die Finger kCnnen nicht gestreckt werden. Bengtnigdbr Hand
und der Finger bei forcirter Wirkung der Flexoren noch in geringem Orade
möglich. Der Saamen ganE unbeweglich; die anf den Tisch gelegt« Hand kann
nach keiner Seite hin bewtgt und der gestreckte Vorderarm nicht snpinirt
Verden. Somit dnd sämmtliofae au der Streckseite des Yorderannes gelegenen,
d. h. vom BadiaUs Tersorgten Muskeln vellständig gelähmt
Aber auch die ao der Bengeseite des Vorderarmes gelegenen und die kleineu
Handmnskeln sind , obgleich in geringerem Oiade als die auf der Streckseite
gelegenen, geMmt, was ich anf folgende Weise couststiren konnte: fiekanntlieh
ist die Beugung des Handgelenkes bei blosse Badiaüalähmimg w^en Zniii^e-
rnckens der InserfkoBpunkte und der fehlenden antagoniatischea StAtse von
Seiten der Strecker eine wia beschränkt». Werden aber Hand and Finger
passiv dorsal gebeugt und mit gewisser Kraft in dieser Stellung gehalten, so ist
die Wirkung der Beuger eine prompte and ebmso kraftvolle , wie auf der ge-
sunden Seite. Bei Anwendung dieses Jlauörars hat es sich nun gezeigt, dass
die Beuger schon einen sehr geringen Widerstand, den ich ansAbte, am die
Hand imd Finger gestreckt za erhaben, nicht za besiegen vermochten, und deui
in die Hand gelegten DTnamometei kaum 1»8 auf 8 Kilogi. zosammenBUdrOckea
im Stande waren, wogten der Kranke denselben mit der rechten Hand bis
auf 80 zusammendrftiAte. Noch mehr als dieses sprechen aber f&r die gleich-
leit^ Lahmiing des Nenros uläaris and medianos die soglsiofa zu schildemdea
sensitiven Störongen , die sonderbarerweiBe die mutoriseben an diesen Nerven
noch aberwogen; .auch die Ab- and Addootioii der Fingea- .(mit Ausnahme dea
Daumens) war möglich, aber in viel beschränkterem Maasse, als rechterseita.
Die elektromuBkulöse Reizbarkeit war an den Kervenstämmen, sowie
an den Moskeln der Beugeseite des Vordenumee nnd des kleinen Handmuakeln
normal, an den an der Streoksöte dee Vecdeiannes gelegenen Muskehi jedoch
sowohl gegen den faiadisofaeo als galvanischen Stzom herabgesetzt Xu Bezug
auf den foradisdien Strom Eeigte sich mit Ausnahme des Si^nnator longns eine
Verminderung gegen rechts von 1,5 — 2 Ctm. des Bollenabetandee am no Bois-
REmoKD'schen Schlittena^parate; blos der Supinator longns zeigte eine Ver-
mindwang von nur 0,5 Ctm. In Bezog auf den galvanischen Strom aeigte äch
— 346 —
eine noch staita» HatabartHttg, lodMi ninlkb au fiSgWByiflhiMi iStirarlrmnfflrftlTi
des Vorderarmes reohts die erste ESZ bei 2 — ^8, links erst bei 5—7 Milliamp^ie
eintraL Am mästen haben gelitten der Flexor digit. eonoananis and der Ab-
ductor poll. longoSy am wenigsten der Stqpinator longns. EaB war nicht zu
constatiren.
Die Empfindung sowie die elektrocutane Sensibilität war in der
ganzen Ausdehnung der Hand und der Finger, sowohl an ihrer DcHrsal- als
Yolarflache, voUstindig angehoben. Eine am Handrücken wo immer aufge-
hobene Hautfalte konnte mittelst Nadel durchstochen werden, ohne den minde-
sten Schmerz zu empfinden und ohne dass durch die durchstochene Hautstelle
ein Tropfen Blut hervoigequollen wäre. Der Kranke ÜUüte nicht nur das
Brennen mit dem elektrischen Pinsel an der ganzen Hand und den Fingern
nicht, sondern nicht einmal das Bestreichen mit demselben. Die Anästhesie
bestand auch, aber in viel geringerem Grade am Vorderarme, und da zeigte
sich wieder dieselbe an der Streckseite starker, als an der Beugeseite. Ebenso
erstreckte sich die Anästhesie auch auf die hintere Fläche des Oberarmes.
Von vasomotorischen und trophischen Störungen sind zu erw&hnoi,
dass der linke Vorderann und die linke Hand stets eiskalt und blass waren.
Femer, dass sich schon in der 3. Woche der Erkrankung eine Abmagerung am
Vorderarm zeigte , die selbst dem Kranken auffiel, und bis jetzt immer noch
langsam zugenommen hat, so dass jetzt die Peripherie an der dicksten Stelle
desselben 2 CtnL kleiner ist als rediterseits an derselben Stelle. Endlich fohlt
der Kranke im linken Handgelenke sowie im Metacarpo-idiaiangealgelenke des
Daumens stechende Schmerzen auf Druck oder passire Bewegung dieser TheQe,
besonders entsprechend der Badialseite des Handgelenkes, wo auch dasselbe so-
wie das genannte Gelenk des Daumens etwas angeschwollen sind.
Der Kranke hat nirgends Formioationsonpfindungen, keine Motilitäts- und
Sensibilitätsstörungen im linken Bdne oder an den rechten Extremitäten. Pa-
pillen normal, ebenso die Zunge, der Facialis, sowie auch alle sonstigen Hirn-
nerven. Der Kranke hat keine Kopf- oder Bückenschmerzen, überhaupt keinerlei
spontane Schmerzen, weder am linken Arme noct am Hidse, Nacken oder an-
derswo. Ebensowenig empfindet der Kranke Schmerzen auf Druck am linken
Arme längs der Nervenstänune oder an den Muskeln, audi nicht an den Nerven-
g^echten am Halse oder in der Achselhöhle. Er hat guten Appetit, nonnalen
Schlaf und Stuhl, Kopf nicht eingetunnmen; Herz, Lunge und Unterleibsorgane
normal
Aus dem bisher (Geschilderten geht nun hervor, dass ausser dem Nervus
radialis (inclusive dessen Bamus outaneus eztemus, der bekanntlich nach dessen
Durchtritt zwischen dem mittleren und kurzen Kopfe des Triceps* abzweigt, aber
(rime dessen Trioepsast) und ausser dem N. ulnaris und medianus au<di, ob*
wohl nur in geringerem Grade, der Hautast des N. musoulocutanens
und des N. cutaneus brachii medius nfiBcirt waren. Und wahrsdieinlich
ist es der Tjähmung auch dieser 2 letzterwähnten Hautnerven zuzuscfareibeDf
dass die sensitive Lähmung der Hand eine totale, jedenMs eine stärkere war.
— 847 —
als sonst bei einfocher BadialisUhmnng im Badialiqgebiete (wo sie aach be-
kanntlich ganz zu fehlen pflegt] und als solche im IJlnaris- und Medianusgebiete
der motorischen L&hmung dieser Nerven entsprechen würde« Bekanntlich com-
municiren die genannten, die Beugeseite des Yordeiarmes mit Hautasten Ter*
sehenden Hautnerven einerseits mit den Hautästen des N. radialis , andererseits
mit denen des N. ulnaris, und können demzufolge im Falle ihres Intactbleibens
vicariirend für die sensitiven Functionen dieser letzteren eintreten. Dass übri-
gens auch die Muskelaste , namentlich der Bicepsast des N. musculocutaneus,
geUtten haben muss, geht daraus hervor, dass bei angestrengter Beugung des
Vorderarmes der Bauch des Biceps links bei Weitem nicht so hart wurde , als
bei derselben Bewegung auf der gesunden Seite, wahrend der Triceps sich gleich
kräftig zusammenzog auf der linken wie auf der rechten Seite.
Unter allen Nerven hat indessen der N. radialis am meisten geUtten, was
auch die quantitative Veränderung der elektromuskulären Reizbarkeit sämmt-
licher Streckmuskeln des Vorderarmes, die partielle Atrophie, die ausschliesslich
die Strecker betraf, femer auch, wie wir gleich sehen werden, das späte Er-
wachen der willkürlichen Bewegung dieser Muskeln, und schliesslich der Um-
stand beweist, dass bei Abnahme der Sensibilitätsstörungen die des Badialis-
gebietes sich später besserten, als die von den anderen Nerven abhängigen.
Am 3. Mai 1. J., also 8 Wochen nach Beginn der Krankheit, fing der
Kranke zum ersten Male an, die Hand und die Finger ein wenig zu strecken.
Die Besserung der Beuger und der kleinen Handmuskeln begann schon früher,
sich bemerkbar zu machen; ebenso ist die Empfindung in der Hand schon eine
Woche Mher zurückgekehrt und ist seit der Zeit die Besserung rasch vorge-
schritten, so dass bei Vorstellung des Kranken in der Oesellschaft 'der Aerzte
die Streckung der Hand und der Finger schon fiäst bis zur horizontalen Linie
möglich war. Die Empfindung an der Beugeseite des Vorderarmes war zu der
Zeit schon eine nahezu normale. Der Händedruck ist mit der linken Hand ein
kaum nennenswerther. Die Behandlung bestand in der Anwendung des galva-
nischen Stromes und speciell an der Hand in Application des elektrischen
Pinsels.
Die Ursache der Lähmung der in Bede stehenden Nerven kann dem Ge-
sagten zufolge in nichts Anderem gesucht werden, als in dem Drucke, dem der
Oberarm, reep. dessen Nervenstänmie, während des zweistündigen tiefen Schlafes
von Seite des Stammes ausgesetzt waren. Wir haben es mit einem Wort mit
einer Schlaflähmung zu thun. An eine rheumatische Lähmung ist in diesem
Falle nicht zu denken , da einerseits jenes Substrat nicht vorliegt , auf Grund
dessen man in früheren Zeiten derlei Lähmungen nach Schlaf (unter freiem
Himmel, auf feuchtem Boden , neben einem offenen Fenster u. s. w.) als rheu-
matische bezeichnet hat, und im G^entheil der Kranke bei geschlossenen Thüren
und Fenstern in einem geheizten Zimmer (es war ja Winter) und noch dazu im
e^[enen Bette gelegen ist; andererseits aber fühlte der Kranke bis zum Schiafen-
legen noch keinerlei Beschwerden, um etwa glauben zu kennen, dass sich der-
selbe schon früher erkältet hätte; auch findet man nirgends die Zeichen einer
— 348 —
Neuritis auf. Ebensowenig findet man Anhaltspunkte^ um die Lähmung als
centrale deuten zu können.
Es ist anzunehmen, dass der die Lahmung bedingende Druck im mittleren
Diitttheil des Obenurmes stattfand, da der Tricepsast des N. radialis, der ober-
halb des Durchganges dieses letzteren zwischen mittlerem und kurzem Kopf des
Triceps abgdit, unversehrt blieb, dagegen der Ramus cutaneus ext, der schon
nach dem Durchtritte des N. radialis durch die genannten Muskelköpfe von
diesem entspringt, ja afficirt war.
Auf ausdrückliches Befragen sagte Fat., aus , dass sein Arm während des
Schlafes durchaus nicht am Bettrande oder auf einem anderen „harten^' Gegen*
Stande, sondern überall am Unterbett auflag. Wenn man aber bedenkt, dass
einerseits die Matratze bei armen Leuten überhaupt keine bescmders weiche,
mitunter eine sehr knollige ist, andererseits der Kranke, nachdem der letzte
Fasching war, und ohnehin am Nachmittag nicht zur Arbeit ging, sich mehr
Oenuss Ton Wein als gewöhnlich erlaubt haben dürfte (obwohl er angeblich
kein „Trinker'^ ist), und schliesslich, wenn man bedenkt, dass, wie VuiiPiah
nachgewiesen hat, kein besonders grosser Druck auf Nerven ausgeübt zu werden
braucht, um nacn einer gewissen Zeit gelähmt zu werden (je länger der
Druck dauert, desto geringer braucht er zu sein, um einen gewissai Grad dei
Lähmung zu bewirken), das Alles zusammengenommen, dürfte das Zustande-
kommen der Lähmung in Folge des Drucken von Seite des Stammes auf den
Oberann leicht erklären. Dass dabei jedenfalls der Radialis, weil zumeist dem
Drucke von Seite des Oberarmknochens ausgesetzt, mehr als die anderen von
Weichtheilen geschützten Nerven gelitten hat, versteht sich von selbst
Gewöhnlich betrifft die sogen. Schlaflähmung blos einen einzigen Ner-
ven, und zwar zumeist den Radialis; weit seltener ist die Schlaflähmung des
Ulnaris oder Medianus verzeichnet Aber einen Fall, wo sämmtliche den
Vorderarm und die Hand versorgenden sensitiven und motorischen
Nerven von Schlaf läbmung betroffen worden wären, konnte ich in der
Literatur nicht auf&nden. Und somit dürfte dieser Fall von schwerer com-
plicirter Schlaflähmung bis jetzt als ünicum in der Literatur dastehen.
Bei Schlaflähmung ist gewöhnlich die elektromnsouläre Contractilität, sowohl
von Seite des Nerven als von der der af&cirten Uuskehi, eine normale, und somit
die Läbmung eine leichte zu nennen. Li unserem Falle ist die Beaction wohl
von Seite der Nerven eine normale, aber von Seite der Muskeln im Badialis-
gebiete gegen beide Stromesarten eine quantitativ bedeutend verminderte, und
ist demnach die Lähmung, obwohl keine EaR vorhanden ist, dennoch als mittel-
schwere aufzufassen, wofür einerseits das späte Wiedererwaohen der willkür-
lichen Bewegung (zu 8 Wochen), andererseits die, wenn auch nicht hochgradige
Atrophie der Streckmuskeln am Vorderarme spricht^
^ Schon Duchenne führt in seinem Werke (De T^Iectrisation looalis^e. 1S55. p. 732)
einen FaU von allerdinga damals noch na«h seiafir Anffiassong ftr rhenmatischer Nator ge
haltenen Badiarislahmnng nach Schlaf mit ziemlich hoobgradigor Atrophie der StreckmV'
— 849 —
IL Referate.
Experimentelle Physiologie.
1) Troia oas de läsion mödidlaire au niveau de jonotion de la modlie
epiniöre et du bolbe raohidien, par Hm. A. Herzen et N. Loewentbal
k Lausanne. 2 PI. (Archives de Physiologie normale et patbologique. 1886.
1. AytIL No. 3.)
Die y«rf. berichten über die pbyaiologiBcbeii und anatomischen Operationserfolge
nach halbeeitifer gieiebxeitiger DnrchtrenDong der Pyramidenbahn imd der Hinter-
sMnge im nntersten Absebnüt der Mednlla obl. an der Katze. Die Openition wurde
an drei erwachsenen Thieren ansgafilhrt. Letztere blieben acht Wochen hmg am
Leben ond worden w&hrend dieser Zeit wiedeiholt nnd eingpehend ge^HiöfL
•Unmittelbar Tor dw Tödtnng wurden elektrische fieizTersnche an der Grossbim*
oberflAehe vorgenommen. Die Feetstellnng der anatomiscben Ausdehnung der operar
tiven LMonen; sowie der secundaren Degenerationen geschah anter Anfertägung von
sncoeauren SehBittserien.
Obwohl in allen drei Yersnchen die n&mliche Lfision beabsichtigt wurde» fielen,
wie die spAtve anatonusche Untersncbung zeigte» die Yerletzungen sehr verschieden
ans. Dem entsprechend diflGHirten auch die während des Lebens constatirten Aus-
faUaefScheinungen nicht unbetrftchtlicb. Hit Recht machen die Verf. bei diesem An-
laas anf die Schwieri^eit anfinedraun, die Lftsion auf bestimmte Faaerxfige zu
begrenasn.
Verhftltnissm&ssig am reinsten gelang die Operation bei der ersten Katze» bei
welcher auf der linken Seite die Pyramidenbahn nahezu voUst&ndig und der Burdaeh*-
sehe Strang in seinen zwei äusswen Drittek durchtrennt wurde; der GolUsdie Strang
blieb intact, dagegen erschien det Kopf des Hinterhoms bedeutend mit lädirt Wäh-
rend des Lebens wurde hier als dauernde Erscheinung Herabsetzung der tactilen
Sensibilitftt links, besonders in der bintem Extremität^ verbunden mit Unempfind-
lichkeit gegen Kälte, beobachtet, während die Schmerzempfindung normal blieb. Be-
einträchtigang in der Bewegungsfähigkeit bestand als dauernde Erscheinung nur in
sofern, als das Thier bei intendirten Bewegungen sich in der Regel der rechten
Pfoten bedi^te. Im Anfang bestand Ataxie, die sidi aber allmählich ganz zurOck-
bildete. -^ Die zweite Katae zeigte anfänglich ganz ähnUche Erscheinungen wie die
erste, die SensibilitätsstOmngen verloren sich indessen mit der Zeit vollständig nnd
es blieb einzig die Abnormität zurück, dass auch dieses Thier bei gewollten Be-
wegungen sich vorwiegend der der Läsion gekreuzt liegenden Pfoten bediente. Der
Bordach^die Strang .efsohien hier laieriieUidi verletzt und anoh das Pycamidenbflndel
war weniger beträchüich zerstört ids bei der Katze I, hingegen zeigten die ventralen
Partien des Seitenstranges sowie die Proc. reticular. tiefe Zerstörungen. — Was die
dritte Katze anbetriflft, so verhielt sich dieselbe hinsichtlich der Sensibilität und der
automatischen Bewe^ichkeit merkwürdiger Weise ganz ähnlich wie Katze I, obwohl
hier der Burdach*sche Strang nur in unerheblichem Grade betroffen war und mehr
die ventralen und inneren Partien des Seitenstranges lädirt erschienen; die Pyramiden-
bahn und die Kleinhimseitenstrangbahn waren auch nur partiell durchtrennt, dagegen
verrieth die graue Substanz sowohl im Hinter- als im Vorderhom beträchtliche
Defecte.
Unter Berücksichtigung der bekannten Yersuchsresnltate Schiff's sind die Yerff.
geneigt, die Sensibilitätsstörungen beim ersten Yersuchsthier mit der Läsion des
kein des Vorderarmes an, bei welchem die faradische Beaction des Nerven normal, die der
Hnskeb jedoch stark herabgesetzt war. (Auf galvanische BeacUoB ontersücbM er bekannt-
lich damals noch nicht)
— 860 —
Bardach'schen Stranges in Zofiammdiiliaiif la-bringeft^ Der Widerspruch im Operatioiis-
erfolg bei diesem Thier and demjenigen bei der Katze III, bei welcher identische
AnsfaUserscheinongen mit relativer Intactheit des Bnrdach'scbeii Stranges einheigingen,
lässt sich nach Meinung der Yerff. nur durch die Annahme heben, dass jener Strang
bei Katze III dennoch, aber in einer mit den gewöhnlichen histologischen (Jnter-
suchungsmethoden nicht nachweisbaren Weise, l&dirt war, odef dass es sich hinsicht-
lich der Sensibilit&tsstörung um Hemmungserscheinungen Seitens anderer Bahnen
gehandelt habe; unter allen Umständen bleibe da Manches räthselhafL Die nicht
fem liegende Bventualit&t hingegen^ dass die in beiden Versuchen stAttgefandene
hedeutende Mitlasion des Hinterhoms und dasselbe dorchsetaender Faaert>ftndel ftkr die
SensibilitfttaBtörangen veramtwortUoh gemacht werden mflsse, worde von den Veiff.
«sffiUlaider Weise kaum in Berftckd^tigung gezogen.
HinsichtUeh des Pyranndenbfindels betonen ii% Veiff., dass desien einaeitige
Zerstörung wohl von yorfibergehendem Einfluss sei auf die willkürliehe, nicbt aber
auf die automatische Beweglichkeit derselben Seite. Trotz Entwidc^ung absteigender
seeundftrer Degenera^onen werde . die Bttckbildong der willkürlichen Beweglichkeit
nicht wesentlich gehindert, was sich nicht anders erklären lasse, als durch Amahme
von Bildung neuer Leilungsbahnen, welcihe du BoUe der Pyramidenbahn Abflmehmen.
Die Pjramidenbahn sei der gewOhniiehe Leitimgsweg fflr die bdumnteB, von der
Oresshknrinde ausgehenden Beize; wfkrde dieser Weg zerstört, dann bildeten sich
coUaterale Bahnen,» die die nämlichen Functionen übenehmen, auf denen abor die
Leitung grösseroi Widerständen begegnet, als auf der eigentlichen Pyramidenbahn.
Die elektrischen Reizungen der Himoberfläche mit dem faradischen Strome zeigten
trotz der (bei Katze I nahezu völligen) Durchtrennmig des Pyramidenbflndels und
des Burdaoh'schen Stranges, auf beiden Seiten nahezu den nämlichen Erfolg (coor-
dinirte Bewegungen meist auf der gekreuzten Seite).
Was die seoundären Degenerationen anbetrifft', so sei nur hervorgehoben, dass
auch hier, im Anschluss an die Duröhtrennung des Burdach'schen Stranges, eine auf-
steigende Degeneration desselben bis in die laterale Abtheilung des entsprechenden
Kerns sich nachweisen Hess (in Uebereinstimmung mit den schon vor einigen Jahren
vom Bef. mitgetheilten Operationserfolgen ^ nach Hemiseetioii des BQckenmarks an
neugeborenen Kaninchen) und dass nach ausgedehnter Durchschneidong der Seiten-
stränge, neben der Pyramidenbahn, audi noch die von N.Loewenthal in seiner
Dissertation^ beschriebene äussere Zone des Seitenstrangs (bestehend aus derben
Axeneylindem) absteigend degenerirte. v. Monakow
%) Ueber den elektrisohen LeltangawidArataad des uMnaohliehen XSrpezf ,
von J. Tischkow. (Dissertation. St. Petersburg 1886. Busäsch.).
Tor Kurzem wurde von einem russischen Ingenieur-Ofücier (P. Tischkow) ein
hier nicht näher zu beschreibender, vom Erfinder „A-V-O-Messer** benannter Apparat
erfanden, der es ermi^glicht, ohne grossen Zeitverlust Ampkes-, Tolt- und Ohm-Anzahl
galvanischer Batterien zu bestimmen.
Verf. benutzte diesen Apparat zur Messung des Leitungswiderstandes des mensch-
lichen Körpers, indem er sich zur Controle seiner Apparate der Wheatstone^schen
Brücke und für InductionsstrOme des Siemens'schen Spiegel-Electrodynamometers
bediente.
Die Untersuchungen des Verf. erstrecken sich auf Leichen und lebende Menschen.
Die Versachsbedingungen waren derartig gewählt, wie sie bei der üblichen Kranken-
» Archiv f. Psyeh. Bd. XIV. 1.
' In Kr. 2 dieses Centralblattes referirt.
— 861 —
exploraiion statt haben — es wardea IrapfDrne, aiit Leder beKogeDe, angefeuchtete
£lektro4en benntzt
Zasrörderst bestätigt Verf. die bereits seit lan^e festgestellte Th'atsache, dass
den grtesten elektrischen Leitungswiderstand im m^nßc^chen EOiper die Kpidermis*
Schicht der Haut bietet: nach Entfernung derselben an Leichen erhidt er Zahlen
von 700 — 800 Ohm, w&hrend bei unversehrter Hautbedecbmg der Widerstand
36,000—45,000 in der Inguinal- und Bauchgegend, und 200,000—300,000 an
anderen Stellen betrug. Vergrössernng der ElektrodenMche ,hatte durchaus nicht
entsprechende VerriBgerung des Widerstandes zur Folge, und auch die Entfernung
zwischen den AppUcationssteUen beider. Elektroden erwies auf denselben keinen be-
stimmten Einfluss, Dagegen bot der Leitnngswiderstand des Körpers grosse Schwan-
kungen auf in Abhängigkeit ypn dem Purchfeuohtungsgrade der Haüti der Kraft,
mit welcher die Elektroden- aufgedrückt wurden» femer von der Dauer der Strom-
durchleitung, der Intensität der elektromotorischen Kraft, der Temperatur, der Ap-
plicationssielle der Elektroden, schliesslich yon TersMchiedenen inneren Bedingungen
des Organismus; Veränderung der Stromrichtujig und Polarisation sollen keinen be-
merkbaren. Einfluss auf den Laitungswiderstand erweisen, wenigstens bei Anwendung
schwacher StrOme.
Nachdem Verf. den Einfluss der genanten Umstände auf das Verhalten des
Leitungswiderstandes. ermittelt hatte, achritt er zur Messung desselben an Personen
yerschiedenen Alters und Geschlechts und an verschiedenen Körperstellen. Er unter-
suchte mit dep galvanischen .Strom im Oanzen 54 Individuen, indem in allen Fällen
die nämlieben Versuchsbedingungen eingehalten wurden. Die dabei orhalienen Zahlen
schwanken zwischen 4000 nnd 500,000 Ohm, Die einzelnen maximalen, minimalen
und Mittelgrössen sind in Tabellenform, für alte und junge Männer und Weiber
gesondert, aufgeführt, Durchmusterung derselben ergiebt, dass fflr den Leitungs-
widerstand an symmetrischen Stellen zwischen der rechten und linken KörperhSlfte
kein wahrnehmbarer Unterschied besteht; dass er an Kindern geringer ist, als an
Erwachaenen; dass maximale Zahlen am häufigsten an alten Personen männlichen
Geschlechts vorkommen; dass im mittleren Alter Männer und Weibjor im Allgemeinen
die nämlichen Zahlen ergeben; dass der LeitungswideJistand bei jungen Weibern am
Gesicht hölysr und am Bumpf niedriger isi, als an den entsprechenden Stellen bei
Männern. Was die Differenzen zwischen verschiedenen KörpersteUen betrifffe, so ist
es schwer, sie in eine systematische Reihenfolge zu bringen; doch beständig wurde
der grösste Widerstand an den Dorsalflächen der Extremitäten gefunden^ der kleinste
— an der Volarfläche der Hände, an den Fusssohlen, am {Besicht und an der In-
guinalregion.
Verf. schliesst seine Arbeit mit folgenden Worten: Wenn der Arzt wissen will,
mit welchem Leitungsvdderstand er es bei seiner elektrodiagnostischen oder elektro-
therapeutischen Action zu thun hat, so muss er ihn in jedem einzelnen Fall selbst
bestimmen. P. Bosenbach.
Pathologische Anatomie.
3) A remarkable lealon of the nerve-centres in leuoooythaeznis, by B.
Bramwell, Edfnburgh. (Brit. med. Joum. 1886. June 12.)
In einem Fall yon schwerer Leucaemia lienalis fanden sich zahllose kleine und
grosse (bis hflhnereigrosse) Extra?asate, zumeist aus weissen Blutkörperchen bestehend,
im ganzen Gehirn, femer coiossale Dilatationen der grossen Blntgefi&sse und Ci^Hlaren
mit Anhäufungen und Stasen weisser Blutkörperchen (auch im Bflckenmark, Retina,
N. opticus). Die Suche nach Mikroorganismen blieb vergebens, nur im GangL cervic,
sup. fand sich eine Infiltration mit Mikrokokken ähnlichen, aber unfärbbaren „gra-
nulären Partikelchen". Th. Ziehen.
— 862 —
. Pathologie des Nervensystems.
4) Ueber Fortdauer des Eniephanomens bei Degeneration der Hinter-
strange. Zugleloh ein Beitrag rar oombinirten prim&ren Brkran-
kung der Büokenmarksstrftnge» von Prof. C. Westphal. (Arch. f. Päych.
u. Nervenkrankh. Bd. XVII. 2.)
In Nr. 6 dieses Centralbl. (S. 142) ist fiber yorstebende Arbeit, soweit Verf.
sie in der Sitzung der Berliner Gesellscbaft f&r Psjcbiatrie und NerrenkrankbeiteB
vom 8. März 1886 vorgetragen bat, bereits referirt worden.
Hier sei ergänzend bericbtet, dass W. in der gedruckten Arbeit eine sehr ein*
gebende, cbronologiscb genau geordnete Krankengescbicbte der beiden Fälle mit
erbaltenem Kniepbänomen g^ebi Dabei wird an dem ersten Kranken (ffreiziger)
eine eigentbümlicbe Erscbeinnng bescbrieben, welche 2 ITonate vor dem Tode auftrat
Die Endpbalangen der Finger, bald eines, bald mehrerer, erschienen cjanotisch bis
Iriauschwarz gefärbt und zwar besonders sfcark an der Yolarfläche des kleinen Pingers
und dementsprechenden Theile der Hand, rechts mehr wie links. Die Uane Farbe
schwand unter dem Fingerdruck. Andere Phalangen waren ausserordentlich blaas,
ond die Hände fühlten sich kühl an. Die Intensität dieser Erscheinung wechselte,
der Badialpuls war klein und weich. Am linken Fuss zeigte sich ein ähnlicher
Zustand in schwächerem Maasse. — W. lässt es dahingestellt, ob der Gnmd für
diese enorme Cjanose etwa in der bei der Autopsie gefundenen Ifitbetheiligung der
Medulla oblong, zu suchen sei.
Den Theil des äusseren Abschnittes der Hinterstränge, an dessen Erkrankung
der Wegfall des Kniephänomens gebunden sein dflrfle, will W. nicht als Wnrzelzone,
sondern lieber als „Wurzeleintrittszone'' bezeichnen, weil letzteres genauer ist, denn
die Wurzelzone reicht weiter nach vom, als das in Frage kommende Gebiet der
Hinterstränge. Wahrscheinlich ist die Degeneration der in diesem Gebiete verlaufen-
den intramedullären Wurzelfasem die Bedingung für den Wegfall des Kmephänomens,
doch ist etwas Sicheres hierüber schwer zu ermitteln.
Wenngleich der mikroskopische Befund beider Fälle im Grossen und Ganzen
entschieden gegen eine sog. Systemerkrankung des Rückenmarks spricht, so besteht
doch, wie W. hervorhebt, eine gewisse auffallende Betheiligung der Türck'schen
Stränge; aber es wiederholt sich die Betheiligung derselben Partie der Yorderstränge
im Lendenmark, wo doch die Türck'schen Stränge als solche nicht mehr existiien.
Die Yerbindx^ng der Erkrankung der Hinterstränge mit einer solchen der Seiten-
(und Vorder-) stränge, das dadurch bedingte Auftreten motorischer Schwäche, anderer-
seits das Fehlen der reflectorischen Pupillenstarre in seinen beiden Fällen lässt W.
die Frage erörtern, ob denn hier auch Tabes vorliege? Seine Antwort auf diese Frage
deutet auf einen entschiedenen Fortschritt in der Lehre und Kenntniss von den Rücken-
marks-Krankheiten hin, wenn er sagt: „sachgemässer ist es jedenfalls, nicht Tabes
zu diagnostidren, sondern weiter zu gehen und die Diagnose auf den anatomischen
Befund zu richten, wozu die klinische Beobachtung nunmehr gewisse Anhaltspunkte
giebt".
Als diagnostisches Mittel hat das Westphal*sche Zeichen durch die mitgetheilten
Fälle entschieden durchaus nicht verloren, sondern im Gegentheil an Schärfe und
Genauigkeit gewonnen. Hadlich.
Psychiatrie.
5) BtatiBtiaohe Unterauohung^i über den Zusammenhang awiaohen SyphiliB
und progressiver Paralyse, von Dr. Bieg er, Würzburg. (Schmidts
Jahrb. Bd. CGI. S. 88.)
Verf. zeigt die Werthlosigkeit des seitherigen Verfahrens, die Zahlen verscbie-
dener Beobachter einfach mittelst Uebersetzung in Procentzahlw zu vergleichen;
— 863 —
dabei wird namentlich der verschiedenen Grösse des Beobachtongsmaterials nicht
Rechnung getragen. Es hat daher die Wahrscheinlichkeitsrechnung einzutreten. Verf.
stellt 11 Statistiken so zusammen, dass die subjectiven Dispositionen der verschiedenen
Forscher ausgeglichen werden. Er findet dann durch Anwendung der Foisson*schen
Formel, dass mit der Wahrscheinlichkeit von 212 gegen 1 unter 1000 Nichtpara-
lytiachen sich nicht weniger als 33 und nicht mehr als 45 Syphilitische sich be-
finden (eigentlich bezieht sich dies auf die nichtparalytischen Insassen von Irren-
anstalten), dass hingegen unter 1000 Faralytischen mit einer noch sehr viel
grösseren Wahrscheinlichkeit sich mindestens 364 und höchstens 434 Syphilitische
befinden. Damit ist ein causaler Zusammenhang beider Krankheiten festgestellt.
Der Syphilitische hat eine 16 — 17mal stärkere Disposition an Paralyse zu erkranken
als der Nichtsyphilitische. Th. Ziehen.
Therapie,
6) Contribution to neurologioal therapeutios, by S. Y. Clevenger. (Joum.
of nervous and mental disease. 1886. Nr. 3. p. 160.)
Verf. hat mit mehreren, sonst nicht gerade allzuhäufig angewendeten Arznei-
mitteln Versuche bei verschiedenen neuropsychopathischen Zuständen angestellt und
öfters grosse Erfolge erzielt. So rühmt er besonders Seeale comutum, unter der
Form von Squibb*s Fluid extract, innerlich gegeben. Durch seine Verbindung mit
Natriumbromat habe er bei mehr als 20 Epileptikern die günstigsten Resultate ge-
habt; selbst in einem später natürlich letal verlaufenen und durch Section nachge-
wiesenen Fall von Cerebellartumor seien die Schwindelanfalle und die psychische
Stömng fast unterdrückt worden. Sehr empfeUenswerth sei es im Delirium tremens
und im chronischen Alcoholismus, bei Neurasthenie und Ueberarbeitungsschlaflosig-
keit, und besonders bei den unregelmässig mit stuporösen Zuständen abwechselnden
Erregungsanfallen der Katatonie.
Zum Theil noch günstigere Resultate hat Verf. von der Verordnung des Cortex
radicis Gossypii gesehen, welche Droge dem Seeale in seiner Wirkung sehr nahe
steht, aber schneller und energischer wirkt und selbst bei sehr empfindlichem Magen
kein Erbrechen hervorruft. Vom Seeale giebt Verf. verhältnissmässig grosse Dosen,
2 — 3 Drachmen (7 — 11 g) des Squibb'schen Fluidextract; vom Gossypium würden
Vs — ^4 ^^^ i^^^^ Dosis, also etwa ö — 8 g zu verordnen sein. Sommer.
IIL Aus den Gesellsohaften.
ZI. Wanderversammlting südwestdeutsoher Neurologen und Irrenärzte
zu Baden-Baden am 22. und 23. Mai 1886.
Original -Bericht von Dr. L aquer in Frankfurt a. M.
(Sohloss.)
XIV. Prof. Schottelius (Freiburg): lieber die Fasteur'sohen SohatBimpfüngen.
Der Vortragende, erst kürzlich von einer längeren Studienreise zurückgekehrt,
welche zum Zweck hatte, die Fasteur*schen Untersuchungsmethoden und die
Herstellung von Schutzimpfstofifen an Ort und Stelle zu studiren, hat nicht die
Absicht, über die äussern Verhältnisse der dortigen Laboratorien, die Technik der
Schtttzimpftmgen etc. zu berichten, sondern wollte versuchen, den innem Zusammenhang
der Pastenr'schen Experimente, den Weg, auf dem dieser Forscher schliesslich zu
seinem Schutzimpfungsverfahren gelangte, den Anwesenden zu vergegenwärtigen. —
Vor Allem muss berücksichtigt werden, dass Pasteur Chemiker ist und speciell der
Begründer unserer heutigen Gährungslehre.
— 354 —
Zwei fundamentale Thatsacben aus der G^hrnngslehre: 1) die Erzeugung eines
Stoffwechselproductes durch das organisirte Ferment und 2) die wachsthumsbemmende
Wirkung dieses Stoffwechselproductes f&r die Sprosspilze selbst wurden demnächst
auch auf die Lebensäusserungen der Spaltpilze übertragen.
So liegt bei Pasteur für die Erklärung einer pathogenen Wirkung von Spalt-
pilzen stets der Gedanke des Vorhandenseins eines chemisch giftigen Stoffwechsel-
productes zu Grunde — und für die Erklärung des Ueberstehens, der Heilung, einer
auf Wirkung solcher Stoffwechselproducte beruhenden Krankheit — der Gedanke des
wachsthumshemmenden Einflusses dieses Stoffwechselproductes für die Producenten —
die Spaltpilze selbst. — In der That finden sich ja aus der Lehre Yon den Spalt-
pilzen einschlägige Beispiele, welche für diese Anschauung verwandt werden können.
Der zweite Factor, welcher zum Verständniss des innem Zusammenhangs der
Pasteur*schen Experimente führt, ist in den Erfahrungen zu suchen, welche beim
Studium thierischer Infectionskrankheiten von Pasteur über die Inconstanz der In-
fectionsträger gemacht wurden. — Der Vortragende unterscheidet dabei 2 Formen
von Inconstanz.
1) Die relative Inconstanz, welche ihren Ausdruck findet in dem verschiedene»!
Verhalten verschiedener Thierarten gegen bestimmte Infectionsträger der Art, dass
manche Thierarten gegen gewisse Erankheitsgifte ganz immun, andere dingen höchst
empfänglich sind, imd dass sich zwischen diesen beiden Extremen eine Beibe mehr
oder weniger oder mittleren Grades empföngliche Thierarten befinden.
2) Die absolute Inconstanz, welche in einem Schwanken der pathogenen Kraft
der Infectionsträger selbst ihren Grund findet.
Beide Formen wurden durch Beispiele erläutert und demnächst darauf hinge-
wiesen, wie sowohl die relative als die absolute Inconstanz künstlich im Sinne der
Abschwächung der Infectionsstoffe beeinflusst werden können. Pasteur war der
Erste, welcher die Thatsache der Unbeständigkeit der giftigen Wirkung von Infections-
stoffen systematisch prüfte und praktisch verwerthete. — Die Zahl der jährlich in
Frankreich durch Schutzimpfung behandelten Thiere geht in die Hundert-Taosende,
und bezüglich der praktischen Brauchbarkeit der Methode ist wohl der gesunde
Menschenverstand der französischen Landwirthe, welche mit ihrem Geldbeutel für den
Erfolg haften, genügende Garantie. — Uebrigens sind Schutzimpfungen gegen ver-
schiedene Thiersenchen auch bereits in andern Ländern, namentlich in Belgien und
in der Schweiz mit Erfolg eingeführt. Sonach nach theoretischer Begründung und
nach praktischer Bewährung seines Princips kann man wohl Pasteur nicht die
Berechtigung absprechen, irgend welche Infectionskrankheiten in seinem Sinne zum
Zwecke des Schutzimpfverfahrens in Arbeit zu nehmen.
Ob er nach dieser Bichtung hin mit den Schutzimpfungen gegen die Hunds-
wuth Erfolg haben wird, lässt sich vorläufig noch nicht bestinmien. — Abfällige
Urtheile sind mindestens noch verfrüht. Der praktische Werth günstiger Erfolge
würde übrigens für uns Deutsche wegfallen, da bei uns durch sanitäre Präventiv-
Maassregeln die Hundswuth so gut wie ausgerottet ist. — Ganz anders ist die Be-
deutung dieser Krankheit für Frankreich, wo dieselbe etwa den allgemeinen Werib
hat, wie für uns die Trichinosis, welche ihrerseits in Frankreich nicht vorkommt
Bezüglich der Erklärung der vorgenommenen Schutzimpfversuche gegen die Hunds-
wuth der Thiere und des Menschen sowie andere Einzelheiten sei auf die demnächst
erscheinende ausführliche Bearbeitung des vorliegenden Themas hingewiesen.
XV. Docent Dr. Tuczek (Marburg): Weitere Mittheilungen über die
bleibenden nervdsen Störungen im Gtofolge des ErgotismuB.
T. berichtet über die weiteren Schicksale der von ihm und Siemens (Arch. f.
Psych. VIII u. XI) beschriebenen Fälle von Ergotismus spasmodicus epidemicas,
welche im Jahre 1879/80 im Kreis Frankenberg zur Beobachtung kamen, und welche
— 865 —
ausser Stönragen der Intelligenz und epileptischen Krämpfen s&mmtlich Erscheinungen
einer Affection der Hinterstränge des Bückenmarks dargehoten hatten, welche letztere T.
in den 4 tödtlich verlaufenen Fällen hatte anatomisch nachweisen können. Von den
übrigen 25 Kranken sind inzwischen noch weitere 5 an den Folgen des Ergotismus ge-
storben, yiele sind recidiv geworden, 2 leiden noch jetzt an epileptischen Krämpfen,
12 an mehr oder weniger tiefen Defecten der Intelligenz, 4 an Farästhesien, 9 an Kopf-
weh. Bei nur zweien ist das Kniephänomen beiderseits wiedergekehrt^ bei einem auf
einer Seite, bei den übrigen fehlt es noch heute. Nirgends dagegen war ein
progressiver Charakter weder der Demenz noch der Hinterstrangaffec-
tion nachweisbar, in Analogie mit ähnlichen durch andere Gifte secundär hervor-
gerufenen Aflfectionen. An einem der 4 früher demonstrirten Bückenmarke konnte T.,
wie er an Fräparaten zeigte, fast vollständigen Schwund der Nervenfasemetze in
den Clarke*schen Säulen nachweisen.
Xyi. Prof. Berlin (Stuttgart): Weitere Beobachtungen über Dyslezle mit
Seotionsbefand.
B. hebt zuerst hervor, dass ihm zur Zeit seiner ersten Mittheilung vor 3 Jahren
5 Beobachtungen zu Gebote gestanden haben; 3 seiner Fatienten seien damals schon
gestorben gewesen. Jetzt stehen ihm im Ganzen 6 Fälle zur Verfügung und zwar
seien nunmehr alle 6 letal ausgegangen, d. h. sie seien mit Ausnahme eines einzigen,
der an einem intercurrenten Erysipel zu Grunde ging, sämmtlich an derjenigen
Krankheit gestorben, in deren Beginne die Dyslexie als eines der Anfangssymptome
aufgetreten sei. Fünf von seinen Fatienten waren männlichen Geschlechtes, einer
weiblich; dem Alter nach waren sie 29, 43, 59, 63, 65 und 75 Jahre; die Dauer
der S[rankheit schwankte zwischen ^/j und 7, bei einem Durchschnitt von 2^/^ Jahren.
Was zunächst das symptomatologische Bild der Dyslexie angeht, so besteht
dieselbe darin, dass der Kranke nur im Stande ist, von einem beliebigen Druck, sei
er gross oder klein, 3 — 4 — 5 Worte hintereinander zu lesen. Dies geschieht ganz
correct, ohne etwelche paraphasische Beimischung, dann aber vermag der Fatient
nicht mehr fortzufahren. Nach einer kurzen Fause von wenigen Secunden geht es
wieder wie vorher, aber immer bringt er nur die angegebene geringe Zahl von
Worten heraus. Er ist jedoch nicht im -Stande, aus der Summe dieser kleinen
Leistungen eine grössere Gesammtleistung zusammenzusetzen. Dabei ist besonders
zu betonen, dass die Störung in derselben Weise auftritt, gleichgültig ob der Kranke
h&ut oder für sich liest. Die Sprache selbst, d. h. das Yerständniss der Sprache,
die willkürliche Sprache und das Nachsprechen sind völlig intact.
Diese Anomalie erinnert an eine Lesestörung, welche die Augenärzte unter der
Bezeichnung des Hebetudo visus, Asthenopie bei Fresbyopie, Hypermetropie, Insuffi-
cenz der Musculi recti extemi und intemi, Accommodationskrampf, Hysterie etc. zu
beobachten gewohnt sind. Sie unterscheidet sich aber von den genannten Formen
durch die Kürze der vorausgegangenen Leistung, die Flötzlichkeit, mit der sie auf-
tritt und durch den Mangel an vorausgehenden subjectiven Symptomen, d. h. durch
den Mangel des Schmerzes am Auge und des Verschwindens der Buchstaben, schliess-
lich auch durch die Vollständigkeit der Störung, insofern dieselbe in dem Augen-
blicke, wenn sie eintritt, weder durch Concentration des Willens, noch durch optische
Uülfsmittel gebessert werden kann. Das Hauptunterscheidungsmerkmal liegt aber
darin, dass in unseren Fällen alle jene bekannten Ursachen der Hebetudo visus fehlten,
resp. dass eine eingehende augenärztliche Untersuchung die Integrität des Sehorgans
nachwies. Waren Veränderungen an den Augen nachweisbar, wie Cataracta incipiens,
einseitige Hornhauttrübungen und myop. Astigmatismus, so ergab sich, dass dieselben
mit der Lesestörung in keinerlei Beziehung standen.
Diese Unabhängigkeit der Dyslexie von etwaigen Erkrankungen des Auges, und
die Flötzlichkeit, mit welcher dieselbe bei bis dahin gesunden Menschen in die Er-
— S56 —
scbeinung zn treten pflegt, weisen schon mit einem hohen Grade Ton Wahrschein-
lichkeit darauf hin, dass die Ursache derselben in einer Erkrankung des GteliiinB zo
suchen sei. Diese Auffassung gewinnt an Wahrscheinlichkeit, wenn man diejenigen
cerebralen Symptome berücksichtigt, die im Verlaufe dieser Erkrankung auftreten.
Dieselben bestanden in Schwindel, Kopfweh, Yorftbergehenden Obscurationen, Hemi-
anopsie, Aphasie, Zuckungen der rechten Gesichtshälfte, Binggeflihl am kleinen Finger
rechterseits, Lähmungen der rechten Extremitäten, einmal auch der linken, Bewusst-
losigkeit, Convulsionen etc.
Was die Stellung der Dyslexie in den aphasischen Systemen angeht» so glaubt
Redner ihr dieselbe anweisen zu müssen, welche die isolirte Wortblindheit
einnimmt. Bei dieser wäre nach dem Lichtheim*schen Schema eine Unterbrechung
zwischen dem Schriftbildcentrum (0) und dem Elangbildcentrum (A) zn statuiren,
die Centren selbst und alle übrigen Bahnen wären als frei anzusehen. Dem ent-
spricht die oben hervorgehobene Thatsache, dass bei dieser Erkrankung sammtliche
wirkliche Sprachbähnen frei bleiben. Es wäre also die Dyslexie nicht den eigent-
lichen Aphasien zuzuzählen, sondern sie stellte nur eine Aphasie im weiteren Sinne
dar. Der Unterschied zwischen der eigentlichen Wortblindheit und der Dyslexie
wäre aber der, dass bei der letzteren die Erkennung der Worte nicht aufgehoben,
sondern nur quantitativ beschränkt sei. Sie wäre also ihrem Wesen nach als eine
„unvollkommene isolirte Wortblindheit'' zu bezeichnen.
B. weist noch darauf hin, dass dem Lichth ei mischen Schema entsprechend,
bei der Dyslexie sammtliche Bahnen für das Schreiben intact sind, dass demgemäss
auch das Spontanschreiben, das Dictatschreiben und das Schreiben nach Vorlagen
ungestört sein sollte. In diesen Bichtungen hat Redner eine Lückenhaftigkeit seiner
Beobachtungen zuzugeben, er hebt aber hervor, dass die letzteren zum Theil älter
sind als sammtliche Sprachbahnschemata und ausnahmslos älter als das Licht-
heim*sche. Ausserdem bemerkt er, dass er die Früftmg des Schreibens in seinen
Fällen bis dahin absichtlich aus dem Grunde unterlassen habe, weil er voraussetzte,
es würde eine der Dyslexie ähnliche Erschwerung des Schreibens im gegebenen Falle
von einer beim Schreibact etwa auftretenden Erschwerung des Lesens nicht wohl zu
unterscheiden sein. Indessen gesteht er zu, dass es zweckmässig sein wird, diese
künftighin im Sinne des Lichtheim*sdhen Schemas zu prüfen; es wäre ja auch
denkbar, dass sich eine Schreibestörung, eventuell in Form von Paragraphie, kund
geben könne.
Nach Ansicht des Vortragenden ist die Dyslexie ein Herdsymptom. Wegen
der vorgerückten Zeit kann er diese Seite der Frage nur kurz besprechen, weist aber
auf die bevorstehende ausführliche Veröffentlichung seiner Beobachtungen hin. Die
Rechtsseitigkeit der gleichzeitig mit der Dyslexie auftretenden cerebralen Symp-
tome (Lähmungen, Muskelzuckungen, Sensibilitätsstörungen und Hemianopie) führen
uns dazu, dass die zu Grunde liegenden anatomischen Läsionen in der linken Hemi-
sphäre des Gehirns zu suchen seien. Dem entsprechen auch die anatomischen Be-
funde, welche dem Redner von 4 seiner Beobachtungen zu Gebote stehen. Von
2 auswärts Gestorbenen liegen keine Sectionsberichte vor, 2 Obductionsprotokolle
verdankt er befreundeten CoUegen, 2mal war er selber bei der Section zugegen.
In den sämmtlichen 4 Fällen war die linksseitige Gehirnhälfte erkrankt; 3mal allein,
einmal gleichzeitig mit der rechten. In den beiden von ihm selbst beobachteten
Fällen wurde das erste Mal eine sichtbare Veränderung der Gehimsubstanz seltet
vermisst, es zeigte sich aber eine hochgradige, auf die linke Art. fossae SylTÜ
beschränkte und diese bis in ihre kleinsten Ausläufer einnehmende
Atheromatose. In dem zweiten Falle fand B. eine ausgedehnte Erweichung der
grauen Substanz der linken unteren Scheitelwindung; auffallenderweise nahm diese
einen grossen Theil des Bezirks ein, welchen Redner vor 3 Jahren als die bei event
Autopsie zu beachtende Localität bezeichnet hatte. B. giebt zur Erläuterung dieselbe
— S6T —
scbematiscbe Zeichnung herum, welche er vor 3 Jahren Yorgezeigt hat. Eine Yer-
gleichnng mit einer Zeichnung dee vorliegenden Befundes bei der in Bede stehenden
Beobachtung ergiebt, dass beide sich zum grossen Theil decken. Bedner bemerkt,
dass auch in einigen F&llen von isolirter Wortblindheit Läsionen der unteren Scheitel-
windung gefunden wurden, welche freilich mehr nach rückwärts gelegen waren. Er
legt auf diesen Localbefund kein allzugrosses Grewicht, weil in diesem Falle auch
noch an anderen Stellen der Grosshimrinde Erweichungsherde gefunden wurden und
verwahrt sich namentlich dagegen, dass dieser einmalige Befund dazu berechtige,
den Herd der Erkrankung bei der Dyslexie ein für alle Mal hier zu localisiren. —
Dagegen glaubt er auf die Thatsache ein besonderes Gewicht legen zu dOrfen, dass
auch bei dieser Form von Aphasie ausnahmslos die linke Gehimhälftie erkrankt ge-
funden wurde.
¥^ie aber auch in späteren Fällen der anatomische Befund ausfallen werde,
möge derselbe die bis jetzt gefundenen Ergebnisse bestätigen oder nicht, so glaubt
Bedner doch, dass die vorliegenden klinischen Beobachtungen über Dyslexie den
diagnostischen und prognostischen Werth dieses Symptoms festgestellt haben. Der
Werth dieser anscheinend so unbedeutenden Störung, welche bei oberflächlicher Be-
obacbtung so leicht mit Hebetudo visus verwechselt werden kann und welche in allen
Fällen nur eine vorübergehende Dauer, meist von nur ca. 4 Wochen hatte, ist fol-
gender: sie ist das Herdsymptom einer Gehirnerkrankung, welcher aus-
nahmslos eine letale Prognose gestellt werden muss; jedesmal war die
Ausgangserkrankung, welche sich in einzelnen Fällen in verschiedener Bichtnng ent-
wickelte, eine Gefasserkrankung der Gehimarterien. —
XYII. Dr. V. Hof mann (Baden-Baden): Ueber einen operativ behandelten
Fall von HeningitiB mit Eiterung im intravaginalen Baum des JX. opticus.
Der Pai, welcher zur Vorstellung gelangt, erkrankte im Juni v. J. nach einer
vorausgegangenen Furunculoee des Nackens an heftigen Kopfschmerzen, namentlich
über dem linken Auge, Yerlangsamung des Pulses und der Bespiration. Später trat
leichte Temperatursteigerung, völlige Erblindung des linken Auges ein. Der Yortr.
sab zu dieser Zeit den Pat. und constatirte linksseitige Ptosis, massigen Exophthal*
mos, Unbeweglichkeit des Bulbus, erweiterte Pupille, klare Medien, aber ezcessive
Scbwellungspapille bei völliger Erblindung des linken Auges. Der Zustand blieb
lange Zeit unverändert, nur ward das Auge allmählich mehr nach innen und unten
dislodri — Bedner vermuthet eine Eiterung in der Tiefe der Orbita und schritt
unter Ghloroform-Narcose am 1. Juli zur Operation. Nach Ablösung des oberen
Augenlides fand sich aber dort kein Eiter vor. — Dagegen fand sich der Sehnerv
nach Abtrennung des Bectus sup. und ext. etwa kleinfingerdick geschwollen und
beim Zerreissen der Scheiden quoll der Eiter aus dem ampullenartig erweiterten
Intravaginalraum hervor. Derselbe wurde freigelegt und drainirt; die Augenmuskeln
wurden wieder angenäht. Nach 14 Tagen schloss sich die Wunde. Das Fieber
verschwand, Herzthätigkeit und Allgemeinbefinden wurden normal. Letzteres wurde
nur eine Zeit lang getrübt durch Auftreten eines Milzinfarctes, der sich nach aussen
öffnete. — Was den Augenbefund anlangt, so hängt das linke obere Augenlid willenlos
über den zurückgetretenen Bulbus herab. — Die Beweglichkeit des Auges ist eine
ziemlich vollkommene. Die Erblindung blieb selbstverständlich eine complete: es ist
Atrophia nervi optici eingetreten.
XVUI. Dr. Hecker (Johannisberg): Die Auftiahmebedingungen der sog.
offenen Kuranstalten für Kervenkranke.
Die offenen Kuranstalten haben wiederholt mehr oder weniger herbe Beurthei-
lung erfahren. — Doch entsprächen sie einem Bedürfniss, ihre Zahl wachse von
Jahr zu Jahr. Den Brosius*schen Angriffen gegen dieselben müsse aber entgegen-
— 858 —
gehalten werden, dass die Krankheits-Diagnose allein keinen brauchlNiren Maaas-
Stab abgebe für die Aufnahmefähigkeit der geeigneten Patienten. Denn während
beispielsweise die Mehrzahl der Fälle von Hysterie, Hypochondrie, maladie dn doute,
Angstznständen etc. sich für die offenen Anstalten und nur für diese eigneten, gebe
es doch auch gerade innerhalb dieser Erankheitsformen Einzelfalle, die nur in die
Irrenanstalt passten. Man müsse rein praktische Gesichtspunkte für die Beurtheilong
des Einzelfalles erstreben und auf diesem Wege sowohl Aerzten als Laien Handhaben
bieten, mittelst deren sie vor eventuellen Fehlem geschützt wären.
Auf Grund seiner Erfahrungen theilt er fünf Grundsätze mit, welche maass-
gebend sein sollten, wenn die Einweisung von Kranken in die offene Kuranstalt in
Frage käme.
Zur Aufnahme in diese Institute sind nur solche Patienten geeignet, die
1. volles Krankheitsbewusstsein und Krankheitseinsicht haben,
2. freiwillig mit dem Wunsche, sich ärztlich behandeln zu lassen, in die Anstalt
eintreten,
3. durchaus Herr ihrer Handlungen und im Stande sind, den ärztlichen Anordnungen
Folge zu leisten,
4. keiner besonderen Aufsicht und Ueberwachung bedürüen und endlich
5. ihrer Umgebung nicht als geistig abnorm auffcJlen und derselben in keiner Weise
lästig werden.
Seitdem H. für seine Anstalt alle diese 5 Bedingungen zusammen bei den auf-
zunehmenden Kranken als entschieden nothwendig voraussetzt, sind Missgriffe von
seiner Seite nicht mehr geschehen.
Bedner verbreitet sich des Näheren über die Forderung von Krankheitsbewusst-
sein und Krankheitseinsicht, durch welche die Fälle initialer Melancholie, in denen
wohl ein allgemeines Gefühl von Kranksein vorhanden ist, wo aber die einzelnen
krankhaften Erscheinungen nicht als solche anerkannt werden, — sich schon nebenher
Wahnvorstellungen zu entwickeln beginnen, ausgeschlossen sind. — Aufnahmefähig
im Sinne dieser Anforderung erscheinen dagegen besonders die Fälle von Zwangs-
vorstellungen und verschiedenen Phobien, in denen Bedingung 3, dass sie Herr ihrer
Handlungen sind, zutrifft. Die Fälle von Zwangsvorstellungen, in denen der Fat
nicht, mehr im Stande ist, das Umsetzen der Zwangsgedanken in Zwangshandlungen
zu verhüten, gehören in die Irrenanstalt» leichtere mit Waschsucht, Berührungsfurcht
behaftete Kranke sind noch zuzulassen. Die zweite Bedingung, den freiwilligen Ein-
tritt betreffend, müsse besonders streng genommen werden. Wiederholt haben Para-
noiker mit weitverzweigten Wahnideen freiwillig um Aufnahme gebeten, weil sie
von der Furcht geplagt waren, man möchte sie in eine Irrenanstalt bringen. — Die
Behandlung der Morphiumsucht und des Alcoholismus in offenen Anstalten befür-
wortet der Vortr. auf Grund einiger günstiger persönlicher Erfahrungen; er glauboi
dass solche Kranke sich moralisch gehoben fühlten, wenn man ihnen gewisses Ver-
trauen schenkte, und die Abstinenz-Erscheinungen oft leichter ertrügen, wenn sie sich
von Zwang frei wüssten. Punkt 4 lehnt die einer besonderen Bewachung bedürftigen
und namentlich die des Selbstmords verdächtigen Melancholiker ab. — Die wirk-
lichen Melancholiker fühlen sich unter den freien Yerkehrsformen der offenen Anstalt
nicht wohl, sie bedürfen noch grösserer Abgeschiedenheit und Isolirung. Dagegen
giebt es Neurastheniker mit arg quälenden Zwangsgedanken und Zwangsgefühlen,
welche ihrem Leben mit all* seinen unerträglichen Qualen bei normaler Ueberlegung
ein Ende machen wollen. Bei diesen bietet unbedingt die psychische Behandlung
und vollkommenste Freiheit einen viel grösseren Schutz als die Einschliessung und
die dauernde Ueberwachung.
Da die Aufnahme der für die offenen Kuranstalten nach den oben genannten
fünf Sätzen geeigneten Patienten keineswegs eine so dringliche ist, dass nicht vorher
über diese Anforderungen eine eingehende Gorrespondenz geführt werden könnte, sc
— 359 —
ist deren Handhabung durchaus nicht schwer. Wichtig ist vor Allem, dass all' diese
Kranken in jenen Instituten auch eine wirklich psychiatrische Behandlung finden,
— dass die Leiter derselben geschulte Irrenärzte seien. — Nur solche sind im
Stande, die offene Kuranstalt von ungeeigneten Elementen frei zu halten und zu
verhüten, dass dieselbe sich schliesslich in eine verkappte Irrenanstalt mit mangel-
haften irrenanstaltlichen Einrichtungen zum grössten Schaden der Patienten verwandle.
Es ist natürlich auch nöthig, an jeden in der Anstalt befindiichen Krankheitsfall bei
seiner Weiterentwickelung immer wieder den Maassstab der Aufnahmebedingungen
anzulegen und ungeeignet gewordene Patienten wieder zu entfernen.
XIX. Dr. A. Frey (Baden): lieber den Einfluss der Schwitsbftder bei der
merouriellen Behandltmg der Syphilis.
Der Vortragende recapitulirt kurz die Resultate seiner früheren Experimente
über die Wirkung der Schwitzbäder und berichtet über neue, noch nicht veröffent-
lichte sphygmographische Studien, in denen nachgewiesen wird, dass der Druck und
die Wandspannung der Arterien in dem Maasse ebenso wie der Puls an Frequenz
steigt, und dass unter dem Einflüsse der abkühlenden Proceduren der Puls schnell
in Frequenz zur Norm zurückgeht, und dass dabei der Druck im Gefässrohre sowie
die Wandspannung in demselben bedeutend ansteigen, und die normalen Verhältnisse
wesentlich überschreiten. — Der Einfluss der Schwitzbäder bei der mercuriellen
Behandlung der Syphilis äussert sich nach drei Bichtungen: 1) Wird der Appetit
angeregt und der Stoffwechsel wesentlich beschleunigt. 2) Sichern sie in zweifel-
haften Fällen die Diagnose in der Frage, ob eine Syphilis geheilt oder nur latent
geworden dadurch, dass sie die latenten Keime mobil machen und eine Eruption
veranlassen; femer in der Frage, ob zur Zeit bestehende Symptome als syphilitische
oder mercurielle anzusprechen sind, indem sie auf die ersteren einen verschärfenden,
auf die letzteren einen bessernden Einfluss ausüben. — 3) Beschleunigen sie die
Ausscheidung des für die Neutralisirung der Luesbacillen wirkungslos gewordenen
Quecksilbers, in dem sie durch schnellen Zerfall der Eiweisskörper die feste Ver-
bindung dieser mit dem Quecksilber lockern und dies so zur Ausscheidung geeigneter
machen. Darauf beruht auch, dass wir bei sehr energischen Quecksilber-Curven,
wenn wir Schwitzbäder damit verbinden, nur mercurielle Symptome zu sehen be-
kommen. Von den Proceduren, Quecksilber einzuverleiben, giebt Vortr. der Schmier-
kur den Vorzug, bequemt sich jedoch auch zu Sublimatkochsalzii^ectionen, wenn die
Verhältnisse es dringend verlangen. Die combinirte Kur besteht darin, dass, während
dajB Quecksilber nach der bekannten Art einverleibt wird, der Kranke in regelmässigen
Intervallen Schwitzbäder nimmt; was Anordnung und Zahl derselben anlangt, so ist
darin wesentlich der Grad der Erkrankung und die Besistenz des Kranken maass-
gebend. Selbst bei Syphilis des Bückenmarks, des Gehirns und der Augen ist die
combinirte Kur mit gewissen Einschränkungen zulässig und von günstigen Erfolgen
begleitet, wie durch kurze Krankengeschichten erörtert wurde.
Der Schluss der Versammlung erfolgte Mittags 12^1^ Uhr.
Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenkrankheiten in Berlin. Sitzung
vom 12. Juli 1886.
Mendel stellt einen zweiten Fall von SohwefelkohlenstoflVergiftaiig vor
(über den ersten, in der med. Gesellschaft vorgestellten, wird demnächst in extenso
berichtet werden). Es handelt sich um einen 18jährigen jungen Mann, der seit
3 Jahren als Arbeiter in einer Gummifabrik beschäftigt ist; seit '/« Jahren besteht
seine Beschäftigung darin, dass er den Gummi mit der linken Hand in die Flüssig-
keit (Schwefelkohlenstoff und Chlorschwefel) taucht Anfang Februar d. J. stellte
— 360 —
sich eine Steifigkeit in den Fingern der linken Hand ein mit Kribbeln und taubem
Gefühl in den Fingerspitzen; die Finger blieben schliesslich in Extensionsstellang
stehen, dazu trat dann eine ähnliche Aflfection im linken Fuss. Diese Steifigkeit
verschwand im weiteren Verlauf, dafür trat eine bei Bewegungen und stärkeren
psychischen Eindrücken hervortretende Bewegungsstörung ein, die noch jetzt besteht
Der ganze linke Arm geräth, sobald man ihn in Bewegung versetzt» in heftige
zitternde und schüttelnde Bewegungen, dasselbe tritt in geringerem Grade am linken
Bein hervor. Die grobe motorische Kraft der linksseitigen Extremitäten ist gegen
die rechtsseitigen erheblich herabgesetzt. Die Himnerven sind frei, ebenso lassen
sich weder Störungen der Sensibilität, noch der Reflexe irgendwie nachweisen. Der
elektrische Befund ist ebenfalls normal.
Falk berichtet über einen forensischen Fall von Bailway-Spine. Ein Loeo-
motivfQhrer F. war am 18. März 1885 bei einem Zug-Zusammenstoss mit der rechten
Hälfte seines Hinterkopfes an die Bedachung der Locomotive gefallen; er wurde
dadurch stark erschreckt, trug aber keine äussere Verletzung davon, verlor auch
nicht vorübergehend das Bewusstsein. Er fühlte sich unpässlich und erschien als-
bald seiner Umgebung in seinem Wesen verändert, ängstlich, zerstreut, aufwallend.
Aerztlicher Bath wurde aber nicht nachgesucht. Nachdem aber F. durch Nicht-
beachten eines Bahnhof-Einfahrtsignals beinahe einen, nur durch die Aufmerksamkeit
der Bahnwärter verhüteten Zug-Zusammenstoss am 4. December 1885 verursacht
hatte, meldete er sich 8 Tage danach beim Bahnarzt, der nun die Vermuthung aus-
sprach, dass eine organische Gehimkrankheit in den Entwickelungs-Stadien vorläge.
Im Verlaufe der trotzdem gegen den Locomotivführer auf Grund des § 316 des
Strafgesetzbuches eingeleiteten strafgerichtlichen Untersuchung kam zur Sprache, ob
der Beamte nicht schon am 4. December 1885 unter dem Einflüsse eines abnormen
Geisteszustandes gestanden habe. Die gerichtsärztliche Expertise bejahte dies und
leitete den Krankheitszustand von dem Zug-Zusammenstoss vom 18. März 1885 ab.
Der Symptomencomplex bestand darin, dass in psychischer Beziehung sich vor Allem
Mattigkeit, Kopfschmerz, Schwindelneigung subjectiv bemerkbar machten bei gleich-
zeitiger massiger Steigerung der Beflexerregbarkeit und sexueller Impotenz. Daneben
bestanden geistige Arbeitsunfähigkeit, Vergesslichkeit, Gemüthsdepreesion, leicht mit
Aufregung abwechseld.
Das Strafverfahren wurde vorläufig eingestellt.
IV. Personalien.
Zum Nachfolger Kraepelin*s an dem Stadtkrankenhause in Dresden wurde
Dr. Ganser, bisher 2. Arzt in Sorau, gewählt. — Gleichzeitig ist die Erbauung
einer neuen Beobachtungsstation für 80 — 100 Geisteskranke auf dem Areal des
Asyls für Sieche in Dresden beschlossen worden. Die von Kräpelin entworfenen
Pläne liegen bereits vor; die Kosten sind auf ca. 200 000 Mark veranschlagt, und
die Eröffnung in etwa 1^/, — 2 Jahren in Aussicht genommen.
Dr. Herrman Nitsche, bisher 2. Arzt und stellvertretender Director auf dem
Sonnenstein, tritt zum 1. August als 2. Arzt in die Dr. Pierson'sche Anstalt zu
Pirna.
Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten«
Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E.Mendel,
Berlin, NW. Kronprinzen-Ufer 7.
Verlag von Vsit & Comp, in Leipzig. — Druck von Mbtzgsb & Wrine in Leiprig.
NeurologischesCentralbutt.
Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie
und Therapie des Nervensystemes einschliesslich der Geisteskrankheiten.
Herausgegeben von
Professor Dr. E. Mendel
Fünfter " "«"^ Jahrgang.
Monatlich erscheinen zwei Nnmmem. Preis des Jahrganges 16 Mark. Zn beziehen durch
alle Buchhandlungen des In- nnd Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs» sowie
direot von der Verlagsbachhandlnng.
1886. 15. Angnst M 16.
Inhalt I. Origlnalinittheiluiigen. 1. Die elektrische Erregbarkeit der Nerven and
Muskeln Neugeborener, von Prol 0. Wesiphal. 8. üeber den Paramyoclonus multiplex
(Friedreich), yon Prof. Schultzo.
II. Referate. Anatomie. 1. Ueber einige bemerkenswerthe Elemente des Centnü-
nervensystems von Sophius piscatorius, von Fritsch. 2. üeber seouDdare Degenerationen, von
V. Monakow. — Experimentelle Physiologie. S. üeber die Function der Sehhtigel der
Thiere und des Menschen, von Bechterew. 4. üeber electrodiagnostuche Grenz werthe, von
Stintzing. — Pathologie des Nervensystems. 5. Ataxie paraplegia, by Gowers. 6. Para-
mvoclonus multiplex, par Marie. 7. Hcmiatrofi af tungan af buloart Ursprung, Fall medde-
laat af Honschon. 8. Fall af progressiv bulbftrparalvs, meddeladt af Petersson. 9. Sur deux
cas d'acrom^galie, par Marie. 10. Des n^vrites peripn^riques chez les tuberculeux, par Pitres
et Valllard. 11. Üeber diabetische Neuralgien, von v. H0sslln. 12. Note sur cinq cas de
n^vrite multiple, par Maslus et Francotte. — Psychiatrie. 18. Beobachtungen über die
Trunksucht und ihre Erblichkeit, von Thomsen. 14. Del esame del cranio nei pazzi, pel
Vorga. 15. La folie a deux, par Ball. 16. Fall af morfinism, af Alm4n. — Therapie.
17. CUnical observations on reflex genital neurosess in the female, by Mundl.
III. Aus den Gosellscliaften.
IV. Bibliographie.
V. PorsonallOR.
I. Originalmittheilungen.
1. Die elektrische Erregbarkeit der Nerven und Muskeln
Neugeborener.
Von Prof. C. Westphal.
Za Anfang dieses Sommersemesters erhielt ich von Herrn Ck)llegen Schröder
die Aufforderung y elektrische Reizversuche an dem Gehirne eines neugeborenen
Kindes anzustellen, welches mit einem Defecte der ganzen Schädeldecke geboren
war, und bei dem der grösste Theil der beiden Hemisphären des Qehims frei
lag, nur von der Pia bekleidet Die Versuche fielen n^ativ aus, ich fand aber
-^ 362 —
bei dieser Gelegenheit eine Thatsache in Betreff der Err^barkeit der periphe-
rischen Nerven und Muskeln, welche, so viel mir bekannt ist und so weit ioh
dureb Erkandigung bei competenten Forsehem in ErfUiruni^ bringen konnte,
bisher bei neugeborenen Kindern nicht beobachtet ist. Es zeigte sieh nämlich,
dass zur Erregung der grösseren peripherischen Nervenstämme sowohl, als auch
zur directen Erregung der Muskeln des Kindes viel stärkere tnductionsstrome
erforderlich waren, als beim Erwachsenen. Es galt dies vom Facialis niid den
Qesichtsmuskeln ebenso, wie von den spinalen Nerven resp. Muskeln der Ex-
tremitäten. Strome, welche, an den gleichen Stellen bei Erwachsenen applicirt,
bereits stärkere Contractionen erzeugten, sohienen bei dem Neugeborenen ganz
wirkungfilos, und erst sehr starke Strome führten zu relativ schwaohen Con-
tractionen. Zwischen Erregung von Nerven und Muskeln schien in dieser Be-
ziehung kein Untersdiied zu bestehen.
Im Anschlüsse an diese Beobachtung untersuchte ich später einige gesunde
Neugeborene der geburtshülf liehen Abtheilung der Charit^, welche mir durch
die Freundlichkeit des Herrn CoUegen Gussebow zur Verfügung gestellt vraren.
Die Untersuchung, welche übrigens wegen der lebhaften Bewegung der Extre-
mitäten der Kinder nicht ohne Schwierigkeit ist und viel Geduld erfordert, er-
gab dieselbe Thatsaohe, die sich nunmehr auoh für die Erregung mit dem
Constanten Strom bestätigte. Dabei war es deutlich, dass die Contractionen,
sowohl bei faradisoher, als galvanischer Beizung einen von dem gewämlichen
abweichenden eigenthümlichen Charakter hatten durch die grössere Langsamkeit
ihres Entstehens und Yerschwindens; sie erschienen auch im Ganzen relativ
schwach.
Es ist mir, wie oben erwähnt, nichts über derartige Beobaohtosgen bei
neugeborenen Kindern bekannt gewesen, und ich war durch die Thatsache in
hohem Grade überrascht. Weitere Nachforschungen ergaben mir alsdann, dass
eine analoge Thatsache von 0. Soltmakn^ bei neugeborenen und jungen Kanin-
chen beobachtet und in einer vortrefflichen experimentellen Arbeit in ihren
Einzelnheiten näher untersucht ist Soltmann fand die Erregbarkeit der mo-
torischen Nerven der neugeborenen Kaninchen für den elektrischen Beiz geringer
als bei den erwachsenen, und dass sie von der Geburt an bis etwa zur 6. Lebens-
woche steigt; auch war die Bewegungserscheinung beim Neugeborenen „lang-
samer^' und „träger'', hatte etwas „Schleppendes'' und „Kriechendes", und glich
das Myogramm dem der ermüdeten Thiere (Muskeln). Zugleich ergaben sich
andere Eigentbumlichkeiten bei gewissen Arten elektrischer Beiaung, die ^n Ort
und Stelle nachgesehen werden mögen.
Gewiss sind diese Thatsachen, wenn man sie — beim Menschen — mit
der sehr späten und bei der Geburt noch nicht yollendeten Entwickelung der
Pyramidenseitenstrangbahnen zusammenhält, sehr interessant und fordern vor
Allem zur genaueren Untersuchung der peripherischen Nerven (und Muskeln)
der Neugeborenen auf. Von Soltmann ist dies in Bezug auf die peripherischen
1 Jahrb. d. Kinderheilkmide. 187S. Bd. XII. S. 1.
— 363 —
Nerven bei Thieien geaohehen; er fand beim neugeborenen Tbiere die Zahl der
markloeen Fasern zahlreicber vertreten als beim erwaohsenen und häufig im
Gedchtsfelde Faeeni) die nur streckenweise markhaltig, streckenweise wieder
markk» waren; wo eine Markscheide vorhanden, war sie zarter, weniger dick
und im Niveau des Kerns unterbrochen (vgl. Soltmank, über die Erregbarkeit
der sensiblen Nerven des Neugeborenen; nach einem in der pädiatr. SeoL der
52. NatarfoFBoher-Versammlung zu Baden-Baden 1870 gehalteneu Vortrage). —
Ich habe geglaubt, meine oben mitgetheilten Beobachtungen am ueuge*
borenen Menschen veröffentlichen zu sollen, um Andere, welche mehr Beruf zur
weiteren Untersuchung der betreffenden interessanten Thatsachen haben, zu
■
einer solchen aufzufordern und anznr^en.
Berlin, im Juli 1886.
2. üeber den Paramyoclonus multiplex (Friedkeich).
Von Prof. Sohultse in Heidelberg.
Die ganz vor Kurzem erschienene Mittheilung von Seeligmülleb über die
in der XJeberschrift genannte Krankheit (Deutsche med. Wocfaenschr. 1886*
Nr. 24) mahnt mich an die Verpflichtung, über den weiteren Verlauf der Er-
krankung in dem FsiEDHEiCH'schcn Falle und über den Sectionsbefund zu be-
richten, welchen ich, soweit er das Nervensystem betrifft, schon vor etwa drei
Jahren zu machen Gelegenheit hatte.
Zunächst möchte ich nachholen, dass bei dem betreffenden Kranken seinerzeit,
im April 1881, von mir nicht nur eine mehrmalige Untersuchung des Zustandes
der elektrischen Erregbarkeit vorgenonunen wurde, wie aus der von FRiEDaEiCH
g^benen Epikrise vielleicht hervorgehen könnte, sondern dass ich ausserdem
eine regelrechte galvanische Behandlung einleitete, welche darin bestand, dass
ich sowohl central mit kraftigen Strömen die Med. siHnalis elektrisirte, als auch
peripher die zackenden Armmuskeln mit labilen Strömen bestrich. Zu meinem
Brstannen worden sdion während der ersten drei Atzungen die Zuckungen
seltener; und bei der viertea und fünften liess sich gemäss meinen darüber
vorhandenen Notizen keine Zuckung in den betroffenen Armmuskeln während
der GalvanisatiDn und nach derselben mehr wahrnehmen. Eine directe Gal-
vanisirung der Beinmuskeln war nicht vorgenommen worden. Ob sich nodi
weitere Sitzungea ansohloesen, ist leider nicht ausdrücklich notirt worden; es
können aber, wenn überhaupt^ nur noch sehr wenige gewesen sein.
Diese sdmelle Besserung der Zuckungen war gegenüber der gewöhnlichen
Resttltaüoeigkeit der Elektrotherapie bei der Behandlung von Krämi^en äus^rst
auffiallendy so anfiiallendy dass ich zunächst daran dachte, der Kranke könnte
die Zacknngen simulirt haben. Freilich ergab sich bei näherer Untersuchung,
daas gesunde Individuen nur ausnahmsweise einzelne Muskeln in der Weise
zacken lassen konnten» wie es seitens des Patienten geschah; aber es war doch
— 864 —
möglicL Der Zweck der Simulation selbst konnte fix den gänzlich mittellosen
Mann sehr wohl darin bestehen , sich auch nach Besserung seines BrosÜeidens
im Spitale zu halten ; die Galvanisimng, welche ihm ziemlich unangenehm war,
konnte ihn denn veranlassen, seine Muskeln wieder in Buhe zu stellen. In-
dessen liess sich schwer begreifen, wie der Kranke auf eine derartige eigen-
thümliche Simulationsform hatte gerathen sollen, von welcher er gewiss nicht
wissen konnte, dass sie irgend welches Interesse für die behandelnden Aerzte
bot, zumal ihm die einfache Uebertreibung der Folgen seines vorhandenen
Lungenleidens viel näher lag. Ausserdem widersprach der weitere Verlauf der
Zuckungen der Annahme einer Simulation durchaus, sodass die anfällige Besse-
rung des Ziistandes nach der Galvanisimng in anderer Weise erklärt werden muss.
Der Kranke wurde wegen der Exacerbation seines Lungenleidens — (Schrum-
pfung des rechten Oberlappens; Bronchitis und Emphysem) — am Ende des
Jahres 1881 bis Anfang 1882, fast 3 Monate lang, von Neuem im Kranken-
hause verpflegt, während welcher Zeit die Zuckungen wieder in derselben
Weise bestanden, wie während des ersten Aufenthaltes. Zeitweise waren auch
schmerzhafte Gontractionen der Ob^rschenkelmusculatur vorhanden. Bei einem
erneuten Aufenthalt in der medic. Klinik im Jahre 1888 trat Fieber ein; die
Lungenaflection wurde ausgebreiteter, Nachtschweisse und Dyspnoe stellten sich
ein; ausserdem wurde eine acute parenchymatöse Nephritis bemerkbar, deren
Folgen der Kranke am 15. März 1883 erlag.
Wenige Tage vor dem Tode hatten die Zuckungen aufgehört, nach-
dem sie bis dahin in der alten Weise bestanden hatten. Nur kurz vor dem
Exitus letalis waren die Zuckungen wieder wahrnehmbar.
Die Sectio n ergab eine schiefrige Indication beider Lungenspitzen, beson-
ders der rechten, Gaveme im rechten oberen Lungenlappen, Bronchitis; Yer-
käsung und Verkalkung des Inhaltes einzelner Bronchen; acute parenchymatöse
Nephritis und Hypertrophie und Dilatation des Herzens; Diphtherie der Schleim-
haut des Ileum.
Die genauere Untersuchung des MuscuL biceps und der Med. spin.,
welche von mir vorgenommen wurde, ergab auch bei der mikroskopischen
Untersuchung der in gewohnter Weise gehärteten Präparate keinerlei wahr-
nehmbare Abnormität Es war also der gewöhnliche Befund vorhanden,
wie wir ihn bei Krampf krankheiten immer daim constatiren, wenn die Function
der betroffenen Nervenabschnitte keine Einbusse erlitten hat; es feilten gröbere
Veränderungen. —
Was nun die nosologische Stellung der von Frtwdrkich so klar geschil-
derten Affection des Kranken betrifit, so hatte ich selbst die Erkrankung in
meinem Journal als einen ausgebreiteten Tic convulsif bezeidmet, welcher
niemals einen hohen Grad von Intensität erreichte. So gut es bä dem Tic
convulsif par excellence, demjenigen im Fadalic^ebiet, nach der Schilderung
von EsB Fälle giebt, „in welchen fast beständig hie und da aufblitzende
Zuckungen bemerkt werden, die nur in ihrer Intensität und räumlichen Ver-
breitung gewissen Schwankungen unterli^en^^, so gut also hier gdegentUch die
— 365 —
starken Zackungen, welche zam wilden Grimassiren führen, ausbleiben können,
so gut können aach in andern Muskeln, als im Facialis, und auch einmal
doppelseitig die gleichen Erscheinungen sich einstellen, ohne dass üothwendiger
Weise der Charakter der Krankheitssymptome ein ganz verschiedener zu sein
braucht Die Bemissionsßhigkeit der Zuckungen, dass Aufhören derselben im
Schlafe , die Intactheit der motorischen Kraft und die Abwesenheit jeglicher
sonstiger nervöser Symptome ist hier wie dort vorhanden. So wie beim Tic im
Gebiete des Facialis die Mundwinkel rasch verzogen werden, so wurden bei den
Zuckungen des Biceps femoris im FniBDBEiGH'schen Falle die Kniescheiben
rasch und kurz emporgezerrt. Gerade so wie gelegentlich beim Facialiszucken
oft „einzelne tonische, länger anhaltende Gontractionen bestimmter Muskeln'^
(Ebb) erscheinen, so gingen in dem FniEDBEiOH'schen Falle manchmal die
Zuckungen in einen „kurzen, 1 — 2 Secunden andauernden Tetanus" über, der
geradezu schmerzen konnte.
Ein Unterschied besteht, abgesehen von der Doppelseitigkeit der Erkran-
kung, g^nüber den gewöhnlichen Formen des Tic hauptsachlich darin, dass
bei diesen in der Ruhe das Muskelzucken gewöhnlich sich vermindert, während
en bei dem FniEDBEiCH'schen Kranken gerade in der Ruhe am stärksten auf-
trat Dieser Unterschied genügt aber schwerlich, um zwei verschiedene Krank-
heitsformen aus ihm herzuleiten, da auch beim Tic im Facialis die Anfalle in
der Ruhe kommen können, ja sogar manchmal nicht einmal im Schlafe völlig
verschwinden.
Von den in der Literatur bisher mitgetheilten Fällen ist derjenige von
LöwENFELD (Bayr. Intelligenzbl. 1883. Nr. 15) mit dem FniEDEEiCH'schen von
nahezu gleicher Beschaffenheit; ein von Remak bei einem diphtherischen Kinde
beobachteter, im Arch. f. Psychiatrie, Bd. 15, S. 853 ff., genauer geschilderter
Fall gehört ebenfalls hierher, während der SEBUGMüLLEE'sche Fall eine viel
grössere Heftigkeit der Zuckungen darbot als der FsiEDBEiCH'sche. In dem
SEELiGMüLLEB'schen Falle war ausserdem, wie der Autor selbst hervorhebt, der
Facialis mitbetheiligt und ferner waren zugleich Krämpfe der Respirationsmuskeln
vorhanden.
Ausserdem ist bekanntlich die „Chorea electrica^' Henogh's und Hennio's,
welche wieder von der nicht hierher gehörigen Chorea electrica Dubini's zu
unterscheiden ist, von Rbmak in der Art in die nächste Beziehung zu dem
FniEDBEiOH'schen Päramyoclonus gebracht worden, dass er die Frage zur Dis-
cussion stellt, ob nicht die HENOCH'sche Chorea electrica in einzelnen Fällen
mit demselben identisch wäre. Ich selbst habe niemals die von Henogh ge-
schilderte Krankheitsform gesehen; sie muss sich aber nach der Schilderung
Henogh's rein äusserlich betrachtet von dem FniEBBEiGH'schen Falle als sehr
verschieden repräsentiren, da die Zuckungen bei ihr viel stärker sind und mit
raschen Lageveränderungen der Glieder einhergehen. Dieses Gliederzucken fehlte
aber bei dem FniEDBEiCH'schen Falle nahezu völlig; durch die Kleider hindurch
war die Krankheit deswegen nicht zu diagnosticiren. Aber abgesehen von dieser
Verschiedenheit in der Intensität und Ausbreitung der Zuckungen ist die Ueber-
— 366 —
einstimmimg der bdden Erankheitsformen nicht zn verkennen; and auch die
ätiologischen Momente — Entstehung durch Schreck — , der Yerlaof, der günstige
Einflnss des Galvanismns stimmen für manche Fälle überein, so dass aach
meiner Meinung nach die HsKOOH'sche Cholera electrica wohl nur als ein höherer
Grad des FBiEDSEicH'schen Paramyoclonus multiplex anzusehen ist, der ge-
legentlich auch sowohl die Facialis* als die Respirationsmuskeln mit ergreifen
kann. —
Eigenthümlicher Weise haben sowohl Lö'wenfbld und SsELiGMüLiiBB wie
Remak in ihren diesbezüglichen Fällen eine entschiedene Besserung resp. Hei-
lung nach der Einwirkung galvanischer Ströme gesehen, während bei dem ge-
wöhnlichen Tic convulsif im Fadahsgebiet meistens eine derartige bessernde
Einwirkung des elektrischen Stromes fehlt Auch m dem FsiEBBEOLCH^schea
Falle hatte der GkQvanismus eine so aufiallige Einwirkung, dass ich nicht an
ein rein zufälliges Zusammentreffen zu glauben vermag. Ob aber der Strom
etwa dadurch wirkte, dass er den Patienten zur willkürUchen Unterdrückung
der Zuckungen veranlasste, oder ob der gesetzte Hautreiz reflexhemmend ein-
wirkte, oder ob irgend ein anderer Modus der günstigen Beeinflussung des
Leidens vorlag, das ist nicht auszumachen; und ich bedaure lebhaft^ dass nicht
später weitere therapeutische Versuche nach dieser Richtung an dem Kranken
angestellt wurden. Jedenfalls lässt sich aber auch auf Grund dieser grösseren
Beeinflussbarkeit durch den elektrischen Strom keineswegs eine grundsatzliche
Verschiedenheit des fBiEDBEicH'schen Paramyoclonus oder der HENOOH'schen
Chorea electrica gegenüber dem gewöhnlichen Tic convulsif ableiten. Denn
auch bei dem letzteren lässt sich eine lindernde resp. heilende Einwirkung des
elektrischen Stromes in manchen Fällen nicht bestreiten. In dem Handbuche
der Elektrotherapie von Ebb findet sich eine AuMhlung einiger derartiger
Fälle; besonders eclatant ist auch die von Bebgeb vor Kurzem in diesem Blatte
veröffentlichte Beobachtung. Ich selbst konnte beobachten, dass bei der An-
wendung der von diesem Autor angegebenen Methode in einem Falle von Jahre
lang dauerndem Tic convulsif der rechten Seite die Affecüon nahezu verschwand.
Der betreffende Kranke hatte den Tic bereits 5 Jahre lang ohne nach-
weisbare Ursache; während einer früheren elektrischen Behandlung hatte bereits
eine Remission der Krämpfe stattgefunden. Im November 1883 begann ich die
galvanische Behandlung nach Bebgeb: Anode im Occiput, Kathode auf die
Dorsalfläche der rechten Hand; kräftige Ströme, so stark sie ertragen wurden;
Dauer der Behandlung zuerst 20, später, als schon starke Renaission der Krämpfe
eingetreten war, 10 Minuten lang. Zuerst dreimal wöchentlich eine Sitzung;
nach mehreren Wochen nur zweimal. Seit Anfang Januar 1884 der Tic fast
ganz geschwunden; auch bei längerem Sprechen, Lachen u. s. w. des Kranken
fast keine Zuckungen mehr wahrnehmbar; nur im Attrahens auric. und im
Triangularis noch zeitweise einzelne Blitzer sichtbar. Auch im letztgenannten
Muskel schwanden die Zuckungen später; der Kranke entzog sich dann der
Behandlung und ward nicht mehr gesehen.
Auch in Bezug auf die Dauer der Erkrankung ist ein wesenüioher
— 367 —
TJnterscbied zwisohes dem Tic oonvulsif und dem Faramyoolonus resp. der Chorea
electrica nicbt m finden; in dran EaiEDKBiOH'sohen Fa^e selbst blieb die Afiec-
tion, allerdings nnter Remissionen» Jalue lang bestehen; ob in dem Löwbnfeld'-
schen ein Becidiv sich eingestellt hat^ ist unbekannt Bei dem Sebuomülleb'-
sehen Falle handelt es sich ebenfalls um ein chromschesy wenn auch durch freie
Intervalle unterbrochenes Leiden.
Ob die Erhöhung der Beflexerregbarkeit von den Sehnen aus ein mehr
wie begleitendes Element des FmKDRETCH^schen Clonus darstellt, ist noch nicht
auszumachen; in dem FBiEDBEiCH'schen Falle schwand die Steigerung der
Patellarreflexe mit der allgemeinen Eräftigong des Kranken; bei dem gewöhn-
lichen Tic convulsif ist auf die Beschaffenheit dieser Beflexe bisher noch nicht
geachtet worden. —
lieber den Sitz der Erkrankung wage ich keine Yermuthungen aufzu-
stellen, da nach meiner Auffassung sichere Anhaltspunkte zur Zeit darüber fehlen,,
ob in den Muskeln oder peripherischen Nerven, ob im Bückenmarke oder gar
in den oberhalb der spinalen (Ganglienzellen gelegenen Bahnen und Gentral-
apparaten oder ob in manchen dieser Bahnen resp. Stationen zugleich die er-
höhte Beizbarkeit steckt Ebenso ist es unbekannt, von wo aus, falls es sich
um abnorme reflectorische Erregung an sich normal erregbarer Apparate handelt,
diese Erregung bei dem Paramyoclonus ausgeht Ich möchte es deswegen auch
nicht fiir richtig halten, den der Krankheit von Fbiebreich gegebenen Namen
in einen „Myoclonus spinalis multiplex'^ umzuwandeln, wie das Löwenfeld
gethan hat Auch der Zusatz des Wortes „congenita'^ zur „Mjoclonia^', in
welche Seeliqmülleb den Paramyoclonus umwandelt, ist deswegen selbst für
den SEEUGHüiiLEB'schen Fall nicht gut anwendbar, da doch bei seinem Kranken
immerhin erst im fünften Lebensjahre die Muskelzuckungen zuerst sich einstellten,
derselbe also nicht gleich zuckend zur Welt kam.
Das Wort „Myoclonia" anstatt Myoclonus verleiht ausserdem den Krämpfen
gewissermaassen einen mehr tonischen, gezogenen Charakter, analog der Myotonia,
so daj9S auch selbst in dieser Bichtung die FiOEDBEiCH^sche Bezeichnung den
Vorzug verdient Es ist daher wohl am besten, den FBiEDßEiCH'schen Aus-
druck vielleicht mit Streichung des „Para" beizubehalten, da auch die Uebertragung
des französischen „Tic convulsiP' auf die meiner Meinung nach analogen Zuckungen
verschiedener Bumpf- und Extremitatenmuskeln eine zu weitläufige Bezeichnung
ergeben würde.
Nachträglicher Zusatz.
Nach Absendung des Manuscriptes der vorstehenden Arbeit kam mir der
jüngst erschienene Aufsatz von P. Mabib über „Paramyoclonus multiplex^'
im Pr(^r^ m^dical (Nr. 8 u. 12) in die Hände. In diesem Au£satze wird über
einen neuen Fall dieser Krankheit berichtet, weldie bei einem 52jährigen Blei-
arbeiter sich eingestellt hatte. Es handelte sich hauptsächlich um stossartige
Zuckungen („seoousses'O in den Muskeln beider Unterextremitaten, die in
wechselnder Intensität und Häufigkeit auftraten, bei der Buhelage der Glieder
**
— 368 —
ebenso wie bei psychischen Erregungen oder bei Kitzeln der Fassauhle and
Percussion der Patellarsehnen sich stägerten. GtelegenUioh gesellten sich auch
Zuckungen gewisser Oberextremitatenmuskelny und zwar besonders des Pectoralis,
des Deltoides und des Triceps hinzu. Druck auf die Musculatar steigerte die
Erregbarkeit; auch die verschiedenartige Stellung der Qliedmaassen hatte Ein-
fluss. Anderweitige Störungen der Motilität , der elektrtsdien Err^barkeit und
der Sensibilität fehlten vollständig.
Ausserdem erwähnt Mabie in einer Anmerkung einen weiteren Fall, welchen
ich im CANBTATT'schen Jahresberichte ebensowenig wie in diesem Centralblatte
referirt finde, und der mir auch im Originale nicht zugänglich ist Derselbe ist
von O. SiLVASTBiNi in der ,,Medicina contemporanea^' Februar 1884 mitgetheilt
und betraf eine 45jährige Frau, bei welcher sich auch die Facialismusculatar
an den Gontractionen mitbetheiligte. Gewisse Einzelheiten fehlen nach Mabie
in der Schilderung dieses Falles; bemerkenswerth ist, dass der Patellarreflex
fehlte und die Heilung der Affection nach der Anwendung von Nickel eintrat
Mabie geht in der Besprechung seines Falles ebenso wie ich selbst auf
die näheren Beziehungen des FBiEDBEiCH'schen Paramyoclonus zu dem Tic ein.
Nur glaubt er im Gegensatze zu meinen obigen Ausführungen beide Affectiünen
von einander trennen zu müssen, wobei er freilich die neuerdings von Chabgot
sogenannte „Maladie des tics convulsifs'' im Auge hat, über welche Guinok
in der Bevne de M6decine Januar 1886 berichtet. Diese Affection combinirt
sich häufig mit „Echolalie^' und „Koprolalie'' und stellt jedenfalls etwas com-
plicirteres dar, als der gewöhnliche Tic convulsif des Gesichtes, von welchem ich
selbst ausging.
Während ich mit Bezugnahme auf den gewohnlichen Tic den FBiEDBEiCH'-
schen Fall geradezu als Tic convulsif der Extremitäten bezeichnete,' glaubt Mabie
eine Reihe von Unterschieden hervorheben zu müssen, auf die ich hier noch in
Kürze eingehen muss. In erster Linie ist die Localisation nach Mabie eine
verschiedene; beim Myocionus Fbiedbeich's ist die Gesichtsmusculatur nicht
mit ergriffen, während das beim Tic convulsif in der Regel der Fall sei. Das
ist gewiss zuzugeben, soweit die geringfügige Anzahl der bisherigen Beobach-
tungen überhaupt Schlüsse zulässt; indessen sind doch sowohl in einigen Fällen
der so nahe verwandten Chorea electrica Henoch's, ebenso wie in den Be-
obachtungen von Seeugmülleb und Silvastbeni Zuckungen der Gesichts-
muskeln constatirt worden; und vor Allem würde die Verschiedenheit der
Localisation an sich noch keine prindpielle Trennung beider Krankheitsformen
begründen. Zweitens schwinden nach Mabeb die Zuckungen beim Myocionus
Fbiedbeioh's hei den willkürlichen Bewegungen und stören diesriben nicht, wäh-
rend das beim Tic nicht der Fall ist. Indessen sagt Mabib von seinem Kranken
selbst, dass das Verschwinden der Zuckungen bei willkürlichen Bew^fungeu
kein absolutes war; und bei dem SEELioMüLi«EB'schen Krauken, welcher freiUcli
einen erheblich höheren Grad der Affection darbot, als der FBiEnoBEiCH'schC;
war das Gehen sogar so gestört, dass der Patient gelegentlich einen AVechse]-
tritt machte. Wenn man nun bedenkt, dass bei dem SBELiaMüiiiJSB'scheo
— 369 —
Kranken gerade während des Gehens besonders häufige und starke Rucke er-
folgten, und umgekehrt bei dem Tic des Facialis das Sprechen gewöhnlich nicht
gestört wirdy und wenn man femer erwägt , dass, wie schon oben erwähnt, die
Faroxjsmen des Facialiefllc auch in der Ruhe, unabhängig von intendirten Be-
wegungen, auftreten können und sehr häufig auftreten, so wird auch dieser
unterschied in seiner Schärfe sehr beeintraohtigt Freilich kann man sagen,
dass der SEEUGMüLLER'sche Fall wegen dieses seines abweichenden Verhaltens
nicht zu dem Clonus Fbiedaeigh's, sondern zu den Ticformen im MAiUE'schen
Sinne zu zählen sei und er deshalb nicht zur Feststellung der differentiell diag-
nostischen Momente herbeigezogen werden könne. Es bliebe demgemäss eine
gewisse Verschiedenheit der ausgeprägten Fälle der einen und der anderen
Grattung nach dieser Richtung hin bestehen; ob dieselbe aber gross genug ist,
um gegenüber der sonstigen Uebereinstimmung zwei diflferente Erankheitsformen
anzunehmen, das bleibt jedenfalls noch fri^lich.
Weiterhin verhalten sich nach Mame die Zuckungen beim Paramyoclonus
analog denjenigen bei elektrischer Reizung; die entstehende Bewegung ist absolut
„banal'', während beim Tic stets eine mehr oder weniger coordinirte Bewegung
resultire, die ein bestimmtes Ziel habe. Diese Bemerkung bezieht sich wesentlich
auf das Verhalten der Zuckungen bei der Maladie des tics von Chaboot-Guinon,
während beim gewöhnlichen Tic des Facialis von eigentlichen coordinirten Be-
wegungen schwerlich die Rede sein kann und jedenfalls nicht bei denjenigen
Fällen, welche schon oben mit wörtlicher Anführung der betreffenden Schilderung
von Ebb scizzirt wurden. Schliesslich fuhrt Mabie noch an, dass die Zuckungen
des Tic nicht durch die Einwirkung kalter Luft auf die Haut, femer nicht durch
Kitzeln, Stechen oder durch die Percussion der Patellarsehnen hervorgerufen
werden können. Auch das bezieht sich mehr auf die bis jetzt bekannten Fälle
von Chabcot-Guinoh, während beim gewöhnlichen Tic des Facialis „sensible
Reizungen des Gesichts^' (Ebb 1. cit) entschieden Anfalle auslösen können.
Der Einfluss von Eältereizen auf die Gesichtshaut wird natürlich ein viel
geringerer sein müssen, als wenn gewöhnlich bedeckt gehaltene Hautpartien der
Kältewirkung ausgesetzt werden; und der Einfiuss der Percussion der Patellar-
sehnen oder des Kitzeins der Fusssohle auf den gewöhnlichen Tic ist wohl
schwerlich bisher untersucht worden.
Wenn ich also auch mit Mabie der Meinung bin, dass besonders in dem
Verhalten der Zuckungen g^enüber der Bewegung und der Ruhe eine gewisse
Verschiedenheit des Qonus Fbiedbeioh's und des gewöhnlichen Tic oonvulsif
im Facialis sich kundgiebt, so möchte ich doch gegenüber den sonstigen vor-
handenen Analogien beide Krampfformen als eng zusammengehörig betrachten,
falls nicht weitere Beobachtungen, welche neue Resultate bringen, die Noth-
wendigkeit einer vollständigen Trennung ergeben.
In Bezug auf die Nomenolatur befinde ich mich mit Mabeb in vollkommener
üeberejnstimmung.
— 370 —
IL Referate.
Anatomie.
1) Ueber einige bemerkenswerthe Elemente des Oentralnervenflystems Tcm
Sophius piscatoriusy von G. Fritscb. (Arch. f. mikrosk. Anatomie. Bd. 27.
S. 13.)
Bei Sophius piscatoriiis liegen dorsal auf der Oblongata ungeheure Zellen von
0,13 — 0,257 mm Grösse in einem dünnen Geflecht zarter GefSlsse sospendirt Diese
Ganglienzeilen sind nicht nur von Gefassen umgeben, sondern es drängen sich
Gefässe in ihr Protoplasma selbst hinein, durchbohren dasselbe sogar hie
und da. Zahlreiche feine Fortsatze gehen von der ZeUperipherie ab in die Binde-
gewebsscheide hinein; ein einziger grösserer Fortsatz, der Axencylinderfortsatz, ent-
springt von einer Art Platte an der Zelle und zieht mit denen der anderen ana-
logen Zellen nach vom, wo sie sich direct zu den sensitiven Wurzeln des Yagas
und Trigeminus begeben. Diese enorm dicken Axencylinder fallen im Kervenquer-
schnitt sofort auf. Auf diesem Wege verschmelzen einzelne Fibrillen von
verschiedenen Axencylindern, sie lagern sich um und schliesslich ist die Zahl
der Axencylinder kleiner, ihr Volum aber noch mehr gewachsen. Da der Ursprung
der „Kolossalfasem" so leicht zu verfolgen ist, so gelang es auch nachzuweisen,
dass sie nicht nur ihre Fasern tauschen, sondern dass sich diese Fasern ans einem
ürsprungscentmm ganz verschiedenen Kerven' beimengen. Alle diese Fasern lassen
sich durch die Ganglien des Yagus und Trigeminus hindurch mit einiger Sicherheit
in die massigen Hautaste jenes Nerven verfolgen. Die Arbeit Fritschs enthält
noch eine Anzahl Bemerkungen über die Zellen der Spinalganglien und präcisirt
Verf. seine Stellung dahin, dass es eigentlich unipolare Ganglienzellen gar nicht
giebt, dass aber die anderen Fortsätze theils sehr fein sind, theils als Spiralfaser,
vielleicht auch als Fibrillen des Axencylinders selbst, verlaufen. Edinger.
2) Ueber eeoundäre Degenerationen, von v. Monakow. Sitzung der Ges. der
Aerzte zu Zürich, am 6. Februar 1886 (Schw. Corresp. 1886. Juli).
Ausser dem bereits im Arch. f. Psych. XVI. 1. beschriebenen Falle von secun-
därer Degeneration der Fornixsäule und einem zweiten, in dem durch Druck eines
Sarcoms der Dura mater in der linken Schläfengmbe Atropliie des Gyr. uncinatus und
Ammonshoms mit consecutiver Degeneration im Fomix entstanden, hat v. M. jetzt einen
dritten Fall dieser Art beobachtet, der zwar noch nicht genauer untersucht, aber
schon bei macroscopischer Betrachtung mit einer erheblichen Atrophie des linken
Temporallappens (derselbe ist in Folge von Hydrocephalus internus in einen dünn-
wandigen, fluctuirenden Sack verwandelt), hochgradige Atrophie der linken
Fornixsäule und des linken Corpus mamillare zeigt. Aus diesen Fällen
geht in Bezag auf die Anatomie des Fomix hervor:
1. Die von Meynert angenommene Schleife im Corp. mamillar. besteht nicht,
auch kein Uebergang von Fasern in das Vicy d'Azyr'sche Bündel, wie schon Gudden
nachgewiesen.
2. Ein nicht geringer Theil der Fomixfasem steht dagegen mit den Kernen des
Corp. mamillar. in dirccter Verbindung, und zwar vor Allem mit der lateralen Ab-
theilung des lateralen Kerns, aber auch mit dem medialen Ganglion (gegen v. Gudden,
der eine solche Verbindung bestritt). Möglicher Weise vermittelt das Grau des
Corp. mamillar. die Beziehung zwischen aufsteigender Fomixsäule und Vicq d*Azyr-
schem Bündel, d. h. es bUdet dasselbe ein Intemodium zwischen beiden.
Die in das Corp. mamillar. ziehenden Fomixfasem entstammen dem Temporal-
lappen und zwar höchst wahrscheinlich dem Ammonshom und Gyr. HippocampL
M.
- 371 -
Experimentelle Physiologie.
d) Ueber die Function der Sehhügel der Thiere und des Menschen, von
Professor W. Bechterew. (Wjestnik psychiatrii i nevropatologii. 1885. IL
Bassisch.)
Diese ftber fOnf Druckbogen starke Abhandlung enthält die ausführliche Schilde-
ning der von B. bereits vor einigen Jahren begonnenen Untersuchungen über die
y Errichtung der thalami optici.^ Sie zerfallt in mehrere Abschnitte.
Im erstem bespricht Verf. die Frage über Ausdrucksbewegungen im Allgemeinen
und begründet die Ausscheidung emer besonderen Gruppe derselben, nämlich solcher,
die ausschliesslich zum Ausdruck von Gemüthsbewegungen dienen und vollständig
unabhüDgig ?om Willen sind; indem er den yon manchen Autoren für letztere ge-
br&acblichen Namen „Psychoreflexe" ungeeignet findet, bezeichnet er sie als „ange-
borene Ausdrucksbewegungen'^ Zugleich schildert er die Art und Weise, wie sich
Yerschiedene Gemüthszustände an den Thieren äussern, an welchen seine Experimente
angestellt wurden (Frösche, Tauben, Hühner, Batten, Meerschweinchen, Kaninchen
und Hunde).
Der folgende Hauptabschnitt behandelt das reflectorische Auftreten von Aus-
drucksbewegungen an Thieren, denen die Grosshimhemisphären abgetragen sind.
Zahlreiche Versuche an verschiedenen Thieren führen zu dem Ergebniss, dass es
nach Abtragung der Hemisphären gelingt, vermittelst entsprechender peripherer Beize
(der Haut und der höheren Sinnesorgane) diejenigen complicirten motorischen Acte
hervorzurufen, welche der betreffenden Thiergattung im normalen Zustand zum Aus-
druck ihrer .Affecte und Gemüthsbewegungen dienen. Zur Abgrenzung des Gebietes,
in welchem der dazu erforderliche reflectorische Mechanismus locahsirt ist, dienen
weitere mannigfaltige Experimente mit Abtragung der Grosshimhemisphären nebst
den Sehhügeln, mit isolirter Zerstörung letzterer, auch mit electrischer Beizung der
Sehhügel. Die Besultate dieser Versuchsreihen, auf deren Einzelheiten wir hier
nicht eingehen können, führen zu folgenden Schlüssen:
1) Thiere mit abgetragenen Grosshimhemisphären können von selbst weder will-
kürliche, noch Ansdrucksbewegungen ausführen; doch lassen sich letztere vermittelst
versofaiedener Beize, also auf rein, refiectorischem Wege auslösen, und zwar mit viel
grösserer Beständigkeit, als an normalen Thieren. 2) Nach Abtragung der Hemi-
sphären und der Sehhügel verlieren die Thiere nicht nur die Fähigkeit, von
selbst willkürliche oder Ausdrucksbewegungen auszuführen, sondern letztere lassen
sich auch nicht mehr auf refiectorischem Wege hervormfen, d. h. durch Tastreize
und Eindrücke auf die höheren Sinnesorgane; nur intensive schmerzhafte Beize der
Haut sind noch im Stande solchen Thieren Aeussemngen allgemeiner Unruhe und
reflectorisches Schreien zu entlocken. 3) Beizung der Sehhügel bewirkt sowohl an
Thieren mit erhaltenen, als auch mit abgetragenen Hemisphären Bewegungserschei-
nungen an verschiedenen Eörpertheilen, vorzüglich an solchen, die an der Aeusserung
des Qemüthszustandes betheüigt sind (Bewegungen des Gesichts und der Ohren, ver-
SG)iiedene Laute etc.). Schliesslich 4) Thiere, denen nur die Sehhügel (die hintere
Portion derselben) zerstört, während die Grosshimhemisphären unversehrt gelassen
sind, bewahren ihre willkürliche Motilität^ verlieren aber die Fähigkeit ihren Gemüths-
zustand durch Ausdmcksbewegungen zu äussern; es gelingt zwar noch einige der-
selben (monotone Laute, allgemeine Unruhe, Jjaufbewegungen) auf refiectorischem
Wege auszulösen, doch nur vermittelst intensiver schmerzhafter Beize, während
schwache Hautreize und Beeinflussung der höheren Sinnesorgane in dieser Hinsicht
ohne Erfolg bleiben.
Also spielen die Sehhügel, nach Verf. 's Worten, eine hervorragende Bolle in
^ Eine „vorläufige Mittheilung** darüber erschien iu diesem Centralblatt 1883.
— 372 —
der Aeusserung verscMedener Gefflble und Gemüthszostände. Das Zustandekommen
einfacherer (den gewöhnlichen Reflexen sich nähernder) Ausdrucksbewegungen nach
Abtragung der Hemisphären mitsammt den SehhDgeln unter dem Einfluss schmerz-
hafter Beize geschieht seiner Meinung nach durch Vermittlung yon im Yerlängerten
Mark gelegenen Oentren.
Weiter wird z. Theil nach eigenen Untersuchungen, z. Theil auf Grand der in
der Literatur vorhandenen Angaben der Nachweis geführt, dass die Sehhügel auf
die Thätigkeit einiger niedrigerer reflectorischer und automatischer Ceniren (des
vasomotorischen, Athmnngscentrums etc.), deren Betheiligung am Ausdruck von Ge-
müthsbewegungen allgemein bekannt ist, Einfluss besitzen.
Das Schlusscapitel enthält eine Zusammenstellnng eigener und fremder Beob-
achtungen, die einerseits zu Gunsten des Bestehens gesonderter Leitungsbahnen für
die willkürlichen und Ausdrucksbewegungen sprechen, und andrerseits die Thatsache
bekräftigen, dass die Sehhügel Centren für die unwillkürliche Innervation verschie-
dener Muskelgroppen repräsentiren. Abgesehen von Beobachtungen isolirter mimischer
liähmung gehören hierher Fälle von Hemichorea, in welchen Affection der Sebhfigel
gefunden wurde. In einigen Fällen waren auch an den Yersuchsthieren Bechte-
rew*s mit partieller Sehhügelläsion an den Muskeln der gegenüberliegenden Körper-
hälfte choreaartige Bewegungen aufgetreten. P. Bosenbacb.
4) Ueber eleotrodiagnostisohe Grenswerthe« von Dr. Bod. Stintzing, Docent
für innere Medicin. Aus dem medicinlsch-klinlschen Institut zu München.
(Deutsch. Archiv f. klin. Medicin. 39. B. 1. H. S. 76—139.)
Stintzing stellt sich die Aufgabe, auf Grund zahlreicher Beobachtungen der
electrischen Erregbarkeitsverhältnisse am normalen Menschen electrische Grenzwerthe
zu finden und so für alle Beobachter einen Maassstab zu schaffen, welcher es er-
möglicht, die physiologischen Beactionen der Nerven und Muskeln auf den electrischen
Strom von den pathologischen zu trennen und ihr Verhalteu zu benrtheilen.
Stintzing bediente sich zur Bestimmung der Stromdichte bei seinen Unter-
suchungen
1. des Edelmann*schen Einheitsgalvanometers, dessen Vorzüge vor allen andern
bis jetzt construirten Galvanometern er in ausführlicher Weise hervorhebt;
2. einer Beizelectrode von 3 qcm Querschnitt (mit kreisrunder Oberflache),
welche Grösse er für die zweckmässigste hält;
3. einer indifferenten Electrode von 12 cm Länge und 6 cm Breite (aufs Sternum).
Als geeignetstes Moment für die Bestimmung der electrischen Erregbarkeit be-
zeichnet Stintzing die erst auftretende minimale Zuckung, also für den galvanischen
Strom die ESZ und für den Inductionsstrom das am negativen Pol des Oeffhungs-
inductionsstromes auftretende Zuckungsminimum. Die übrigen Phasen des Zuckungs-
gesetzes waren weit grossem Schwankungen unterworfen.
Allgemein gültige vergleichbare Normalwerthe für das faradische Zuckungs-
minimum aufzustellen, ist z. Z. nicht möglich, da es kein absolutes Maass für den
Inductionsstrom giebt; doch fand Stintzing, dass bei der faradischen Erregbarkeits-
prüfung die Widerstände im menschlichen Körper weit weniger Berücksichtigung
bedürfen, als bei der galvanischen.
An 58 Versuchspersonen (42 männlich, 16 weiblich) von verschiedenem Alter
wurden an den einzelnen motorischen Funkten die obem und untern Grenzwerthe,
ebenso die Mittelwerthe festgestellt und tabellarisch geordnet. Dabei stellte es sich
heraus, dass die normale electrische Erregbarkeit schwankte:
a) an ein und demselben Individuum
faradisch im Mittel um 44 mm Bollenabstand;
galvanisch im Mittel um 2,3 M.-A.;
— 373 —
b) an verschiedenen Individuen
faradisch in maximo um 80 nun Bollenabstand,
galvanisch in maximo am 3,0 M.-A.
IMe physiologische Erregbarkeit der einzelnen motorischen Nerven (and Muskeln)
lässt sich also generell begrenzen.
Die Minimalerregang der gleichen Nerven verschiedener Individuen findet statt
innerhalb ,,specifischer Strombreiten'S die durch einen obem und untern Grenzwerth
bestimmt sind.
Diese Strombreiten lassen sich für die einzelnen Nerven in eine bestimmte Er-
regbarkeitsscala ordnen.
Am leichtesten erregbar ist N. muscalocutaneus und accessorius, dann folgt
der Ulnaris, darauf der Medianus, Mentalis, Cruralis und Peroneus, femer N. zygo-
maticus, frontalis, tibialis, endlich als am schwersten erregbar N. facialis und radialis.
Auch die ErregbarkeitsdiSerenzen zwischen beiden Körperhalften dess^ben Indi-
viduums lassen sich durch absolute Werthe begrenzen.
Die zur Minimalreizung erforderliche Stromdichte variirt mit der Grösse des
Electrodenquerschnittes und nimmt mit der Yergrösserong des letzteren im unbe-
kannten Yerhältniss ab.
Bei allen electrodiagnostischen Untersuchungen muss man die Prüfung mit dem
Inductionsstrom derjenigen mit dem constanten Strom vorausgehen lassen, da bei
umgekehrter Beihenfolge entweder die faradische Erregbarkeit durch die Einwirkung
des constanten Stromes gesteigert wird oder eine Widerstandsverminderung eintritt.
— Mit Hülfe der gefundenen Resultate am normalen Menschen konnte Verf. in einer
Anzahl pathologischer Fälle abnorme Steigerung oder Verminderung der electrischen
Erregbarkeit mit Sicherheit constatiren. So wies er in einem Falle von beginnender
acuter Myelitis, bei Tabes (späteres Stadium) und progressiver Muskelatrophie eine
einfache Erregbarkeitssteigerung mit Bestimmtheit nach.
Die Arbeit liefert einen dankenswerthen Beitrag, um einen allgemein gültigen
vergleichbaren Maassstab für die electrischen Erregbarkeitsverhältnisse zu schaffen,
ein Mangel, dessen Beseitigung gewiss von jedem Electrotherapeuten sehr ge-
wünscht wird. P. Seifert.
Pathologie des Nervensystems.
5) Ataxie paraplesia, by W. B. Gowers. (The Lancet. 1886. Vol. IL No. 1.)
Verf. beschreibt unter der Bezeichnung „ataktische Faraplegie'' eine gut charak-
terisirte Krankheit, welche in den Handbüchern der Nervenkrankheiten als eine Abart
der Tabes oder der spastischen Paraplegie kursirt und aus gewissen Gründen besser
nach ihren klinischen Symptomen als nach ihrem pathologisch-anatomischen Substrat
genannt werden dürfte.
Sie kommt bei beiden Geschlechtem vor, ihre ersten Symptome zeigen sich bei
Leuten im 30. bis 45. Lebensjahr. Nervöse Belastung ist selten, ebenso spielt die
Syphilis in der Vorgeschichte dieser Krankheit im Gegensatz zur Ataxie keine Bolle.
Dagegen sind Erkältung, psychische Erregung und Ueberanstrengung als ursächliche
Momente wirksam. Der Verlauf des Leidens ist langsam, die ersten Erscheinungen
treten in den Beinen auf, nicht immer oder erst nachher in den Armen. 2 Sjrmp-
tome charakterisiren das Bild der Krankheit, Verlust der Kraft und Mangel der
Coordination. Anfisugs besteht Schwäche und Unsicherheit der Bewegungen, später
entsteht Lähmung und Ataxie; die Paralyse ist eine spastische, indem die myosta-
tische Erregbarkeit gesteigert ist. Sehnenreflexe verstärkt, Fussklonus und Klonus
des M. rectus femoris deutlich ausgeprägt. Flantarreflexe gewöhnlich excessiv. Die
Emahnmg und electrische Erregbarkeit der Muskeln ist normal. Die Viscerab'eflexe
— 374 —
zeigen keine sehr wesentlichen Störungen. Die Popillarreaction sowohl auf Licht
wie auf Accommodation ist in manchen Fällen au%ehoben, eine Atrophie der Papille
sowie Neuritis retrobulharis wird manchmal beobachtet Die AugenmoBkeln bleiben
nnbetfaeiligt; Nystagmus fehlt Was die Sensibilität betrifft:, so YMmisst man die
lancinirenden Schmerzen der Tabes und findet nur leichte Paraesthesien, wohl aadi
Herabsetzung des Berührungsgefühles, dagegen keinen Verlust der Schmerz- und
Temperaturempfindung.
Unter den Complicationen treten geistige Störungen auf, die alsdann das Bild
der progressiven Paralyse vortäuschen; zuweilen kommt leichte Muskelatrophie hinzu,
nicht selten Nierenaffectionen, wohl auch Arthritis. Zum Tode führt das Leiden
an sich nicht
Was die pathologische Anatomie der Affection betrifft, so findet man in allen
Fällen Sderose der Hinter- und Seitenstränge. Jene unterscheidet sich in 2 Rich-
tungen von der grauen Degeneration bei Tabes, indem einmal die Dorsalregion stärker
und früher als die Lumbairegion, oft jene nur allein betroffen ist, sodann im Gegen-
satz zur Läsion bei der Ataxie locomotrice hauptsächlich die mittleren drei Fünftel
der Hinterstränge sclerosirt sind. Ist die Sclerose beträchtlich, so findet sich auf-
steigende secundäre Degeneration der Goirschen Stränge. Die Degeneration der
Seitenstränge hat selten Systemcharakter an sich, in einem oder zwei Fällen war
die ganze Pyramidenbahn ergriffen. In einigen Fällen war die Kleinhimseitenstrang-
bahn affieirt Die peripherischen ISTerven sind bisher noch nicht geprüft worden,
dagegen zeigte sich die Musculatur normal.
Die differentiell diagnostischen Symptome der atactischen Paraplegie gegenüber
der Tabes dorsalis, der hereditären Ataxie, der typischen Lateraladerose in knapper
Form hervorhebend, bemerkt Verf., dass die Diagnose der beschriebenen Bflckenmarks-
erkranknng gegenüber der myelitiscfaen Affection der Seiten- und Hinterstränge sehr
schwer zu stellen ist; doch gäbe die Tendenz zum Fortschreiten bei der Atactic
paraplegia ein Moment ab, welches eine Myelitis wegen ihres regressiven Charaktens
mit Wahrscheinlichkeit ausschliessen lasse. GerebeUartumoren erzeugten auch wohl
Ataxie und Sohwächezustände, indess finden sich bei jenen hinreichend charakteristisGhe
Symptome wie Kopfschmerz, Erbrechen, Neuritis optica etc.
In therapeutischer Beziehung wäre Ausschluss aller ursächlich wirkenden M<>-
mente wie Erkältung, Ueberanstrengung, alcoholische oder sexuelle Excesse anzurathen.
Medicamente wie Jodkali, Arsen, Oaktbarbohne, Belladonna, Chinin, Nux vomica,
letzteres vor dem Eintritt der spastischen Symptome, erfüllten ihren bei allen chro-
nischen Spinalleiden bekannten Zweck auch bei dieser Form der Bückenmarksaffection.
Die elektrische Wirkung sowohl des Inductionsstroms wie des constanten Stroms be-
friedigte wenig. Gegen die Muskelspasmen wären Beibungen günstig. Eine Ueber-
wachung und regelmässig event mit dem Katheter erzeugte Blasenentleernng beuge
einer Cystitis und ihren unheilvollen Folgeerscheinungen vor. J. Buhemann.
6) Faramyoolonus multiplex, par Marie. (Progr. m6d. 1886. Nr. 8 et 12.)
Drei Fälle von Paramyodonus multiplex sind bisher publicirt worden, der erste
von Friedreich, welcher überhaupt zum ensten Male das Krankheitsbild schilderte
und demselben den Namen gab, der zweite von Löwenfeld und der dritte ist der
vorliegende. (Ein vierter von Silvastrini in der „Medicina contemporanea'' im
Febr. 1884 veröffentlicht, dessen Marie in einer Anmerkung Erwähnung thnt, ent-
behrt der Vollständigkeit) lieber Friedreich's Arbeit ist in dieser Zeitschrift im
Jahrg. 1882 S. 17, über die Löwenfeld's im Jahrg. 1884 S. 395 referirt worden.
M. giebt über diese Publicationen ein sehr ausführliches Besumä, dem er eine ein-
gehende Mittheilung über seine eigene Beobachtung voranschickt: Bei dem 52jährig«i
>(anne, der aus einer nervös nicht belasteten Familie stammt, nie luetisch war.
— 375
beganii das Leiden vor 3 Jahren mit heftigen Schmerzen in den oberen und unteren
Extremitäten, mit leichter Ermüdbarkeit in den Beinen, sowie mit einer allgemeinen
Schwftdie die ihn schliesslich znm Arzt trieb. Die eigenthflmliohen Muskelzuckungen
welche das Charakteristische der Affection ausmachen, hatte der Kranke fast gar
nicht beachtet, sie fielen Ghareot zuf&llig während seiner Gonsnltation auf. Am
stärksten sind dieselben, wenn der Patient steht, sie betreffen dann hauptsächlich
die Oberschenkelmuskulatur, greifen aber auch auf Schulter- und Bumpfmuskulatur
ftber. Sie sind brüske „Einzelstösse'' die den Gebrauch der Muskeln nicht stören,
auch während der willkürlichen Bewegungen niemals einzutreten pflegen, sondern
besonders deutlich werden im Sitzen und in der Ruhelage des Kranken. — Ihre
Häufigkeit und Heftigkeit ist eine sehr versclüedene, gewisse Beize lösen dieselben
aus, besonders das Beklopfen der ligameni Fatellae und das Kitzeln der Fusssohle.
Auf diesem Wege entstehen in den aller verschiedensten Muskeln der hinteren und
vorderen Fläche von Unter- und Oberschenkel, am Bumpf und an den Armen (Pectoral.
major, Deltoid. und Biceps) einzelne, oft ziemlich h^tige Zuckungen. Wenn man
einen längeren Druck aof den linken Yastns extemus ausübt, so entstehen sehr
deutUohe Mnskelstösse in dem rechten Quadriceps (44 in der Minute). In der Nacht
hören die Ersdieinungen vollständig auf. Die Prüfung der Sensibilitöt und Motilität
ergiebt keinerlei Abweichung von der Norm, die idiomusknläre Erregbarkeit ist erhöht,
die elektrischen Prüfungen bieten nichts besonderes dar, nur bei der farad. Pinselung
der Haut treten sehr leicht die Muskelstösse in den oben näher bezeichneten Gregenden
auf. Graphische Darstellungen veranschaulichen die grosse Unregehnässigkeit der
eigenthümlichen Bewegungsovcheinungen. Wenn man die drei Krankengeschichten
mit einander vergleicht, so lässt sich nach Marie an den Kranken manches Gemein-
schaftliche entdecken. Der Triceps brachii, Quadriceps cruris und der Semitendinosus
wurden bei allen drei Patienten von Zuckungen am ehesten getroffen und es macht
gerade den besonderen Charakter des Paramyoclonus aus, dass sich immer nur eine
gewisse Zahl von Muskeln betheiligen, dass der Beiz weder auf benachbarte noch auf
Muskeln überspringt, die von demselben Nerven innervirt werden. Die Gesichts-
musknlatur blieb immer verschont Immer ist die Intensität der durch die Stöese
herbeigeführten Bewegung so gering, dass eine Lageverändenmg des Gliedes durch
dieselbe nicht hervorgernfen wird. Auch die Auslösung der paramyoclonischen Phäno-
mene durch Hautreize war in allen bisher geschilderten Fällen zu constatiren. In
Bezug auf die Natur und den Sitz des Leidens beschränkt sich Verf. darauf, nur die An-
sichten Friedreich's und Löwenfeld's zu wiederholen. Ersterer hatte es f ür mne
Schreck-Neurose erklärt und eine gesteigerte reflector. Erregbarkeit gewisser Ganglien-
zellen der grauen Substanz des Bnckenmarks angenommen. Löwenfeld hatte sich
Fr. in Hinsicht auf den Sitz in der grauen Substanz angeschlossen. Von Chorea
minor und den verschiedeBen „Tic'' der Muskeln ist der Pammyodonus multiplex,
wie M. schliesslich ausführt, sehr leicht zu unterscheiden. Laqner.
7) Hemiatrofl af tungan af bulbärt Ursprung. Fall meddeladt af G. E. Henschen.
(üpsala läkarefören. förh. 1886. XXI. 7. S. 347.)
Ein 27jähriger Mann, ohne erbliche Anlage, war im Alter von 15 Jahren von
einem durchgehenden Pferde geschleift worden, wobei er aber nicht mit dem Kopfe
aufgeschlagen war. Danach hatte er Schmerz im linken Ellenbogen und Schulter-
gelenk (mit der linken Hand hatte er die Zügel gehalten), in der Folge entwickelte
sich Beugungsstellnng der 3 äussern Finger und Schwäche im Arme, aber ohne
Parästbesien. Irgend einer Kopfverletzung konnte sich Pat. nicht erinnern, Kopf-
sdimerz oder Schwindel hatte er nie gehabt, Kauen und Schlingen waren stets un-
gehindert gewesen, doch gab er an, dass er sich mitunter in die Zunge gebissen
hatte. Eine Veränderung an der Sprache hatte Pat. nie bemerkt Die Mutter des
— 37H —
Fat. soll bemerkt haben, dass seine Znn^e etwa ein Jahr nach einem Scharlachfteber
mit nachfolgender Nephritis, das Fat. im Alter von 9 Jahren flberstanden hatte,
knollig gewerden war. Bei der Untersnchnng des Kranken, der wegen Longmiödem
und urämischer Symptome aufgenommen wurde (wovon er genas), fand man die
linke Zungenhälfte normal, die rechte 33 Millimeter von der Spitze entfernt bedeu-
tend atrophisch, weiter hinten war nur der äussere Znngenrand atrophisch bis zur
Wurzel. Der atrophische Theil war schwammig aufgelockert und zeigte 2 Centimeter
von der Spitze eine fast narbenartige, unregelmässige Vertiefung, von der mehrere
Furchen strahlenförmig ausgingen; dazwischen fanden sich mehrere unregelmässige
Einsenkungen. Einige Centimeter von der Spitze entfernt betrug die Breite der
rechten Zungenhälfte 16, die der linken 24 Millimeter. Die Schleimhaut erschien
an der atrophischen Stelle fkberall normal, Narben fanden sich nirgends. In der
kranken Zungenhälfte zeigten sich ziemlich lebhafte fibriUäre Zuckungen, die bei
Bewegungen der Zunge bedeutend stärker wurden. Beim Hervorstrecken wich die
Zungenspitze nach rechts ab; die Bewegungen der herausgestreckten Zunge waren
ziemlich unbehindert; beim Versuch, die Zunge hohl zu machen, gelang dies an der
Spitze, aber auf der kranken Seite weniger vollständig, an dem Sitze der Atrophie
nur auf der gesunden Seite. Die Sensibilität war auf beiden Zungenhalffcen gleich,
ebenso der Oeschmack. Der Mundboden war rechts tiefer als links, der harte Gaumen
symmetrisch, das rechte Gaumensegel etwas breiter, mehr herabhängend und weniger
beweglich als das linke; die Uvula hing gerade herab. Die Sprache war ziemlich
unbehindert, nur die Linguallaute waren etwas undeutlich. — Die elektrische Unter-
suchung der Zunge ergab an der Spitze die EaS-Zuckung fQr 6 Elemente an beiden
Seiten gleich, für die An keine Zuckung; am ZungenrQcken KaS-Zuckung bis 6 Ele-
menten links deutlich, rechts schwach, wenn die Elektrode an den Zangenrand auf-
gesetzt wurde, bei Application in der Vertiefung trat keine Zuckung ein. Für die
An waren 10 Elemente erforderlich, um Zuckung auszulösen, die rechts schwächer
war. An der untern Znngenfläche gab KaS bei 6 Elementen schwächere Zuckung
rechts, An keine Zuckung. Bei Application des Inductionssb'oms an die Zungenspitze
wurde die rechte Zungenbälfte bedeutend schmäler, wenn die Elektrode in der Ver-
tiefung aufgesetzt wurde, erfolgte keine Breiteverminderung, bei Aufsetzen nach hinten
unter der Zunge entstand links starke Depression und schrie Verziehnng, rechts
nur ganz unbedeutende; eine Verkürzung der Zunge durch den Inductionsstrom er-
folgte auf der rechten Seite nicht, wohl aber auf der linken. Bei Beizung mit der
Elektrode contrahirten sich links die Fasern des Genioglossus stark, rechts nur ganz
unbedeutend. — Das rechte Stimmband stand näher an der Mittellinie, seine Be-
weglichkeit bei der Inspiration war vermindert, bei der Phonation schloss sich die
Glottis gut. — Die linke Hand zeigte ausgeprägte Klauenstellung, der Thenar war
atrophisch, die Atrophie erstreckte sich auch auf den Vorderarm. — Sonst fanden
sich keine Er^heinungen von Seiten des Nervensystems, namentlich keine Tabessymp-
tome. — Bei dem Mangel jedes andern ursächlichen Moments nimmt H. an, dass
die Bulbäratrophio mit Wahrscheinlichkeit als eine Folge des Scharlachfiebers mit
Nephritis zu betrachten sei, das Fat. im Alter von 9 Jahren überstanden hatte;
Blutungen im Gehirn sind ja bei Nephritis nicht selten. Die Atrophie an der linken
Hand ist wohl eine Folge des erwähnten Traumas, das Fat. später erlitt
Walter Berger.
8) Fall af progreasiT bolMrparalys, meddeladt af 0. V. Petersson. (Upsala
läkarefüren. f$rh. 1886. XXI. 4 och 5. S. 213.)
Eine 47jähr. Frau hatte bei sonstigem Wohlbefinden seit dem Juli 1882 Stö-
rungen der Sprache und der Zungenbewegungen und Beschwerden beim Flüssigkeit-
schlucken bemerkt, die allmählich zugenommen hatten, später war das Auftreten er-
schwert. Bei der Aufiiahme am 4. Jan. 1884 konnte Fat. ausser einem undeutlichen a
— 377 —
lieinen Bnchstaben mehr articuliren, sie bot die deutlichen Erscheinungen der pro-
gressiTen Bulbärparalyse, hatte starke Schlingbeschwerden und war ganz paralytisch,
nur die Beine konnte sie unbedeutend bewegen, „mehr in Form von Zuckungen in
den Muskeln, als von eigentlicher Bewegung". Trotz der starken Schliogbeschwerden
war die Ern&hrung noch ziemlich mittelmässig. Am 7. Jan. starb die Kranke. —
Bei der Section fand sich reichliche Cerebrospinalflüssigkeit, sowohl in den Seiten-
ventrikeln, als um das Qehim hemm, die Himmasse rosa gefärbt, aber ohne un-
gewöhnliche Blutsprenkelung; das Kleinhirn erschien vielleicht etwas kleiner als normal.
Die histologische Untersuchung ergab, dass in der ganzen Ausdehnung des Hypo-
glossns die Ganglienzellen mehr oder weniger atrophirt waren, auch die Hypoglossus-
Wurzel war im intrabulbären Verlauf atrophisch; das interstitielle Gewebe im Kerne
war nicht geschrumpft. Im Yaguskem fand sich ebenfalls Atrophie der Ganglien-
zeUen, doch nicht in so hohem Grade wie im Hypoglossuskern, auch in der Vagus-
wurzel war die Atrophie geringer. Im Nucleus ambiguus fand sich ebenfalls Atrophie
der Ganglienzellen. Die vordere Verlängerung des Vaguskems (Glossopharyngeus)
zeigte sich nicht verändert Im Facialiskem fanden sich ebenfalls Zeichen von Atrophie,
aber in noch geringerem Grade. Abducenskem und Oculomotoriuskem zeigten keine
Veränderang. Ausserdem fand sich Sclerose der Fyramidenbahnen in der pedunculären
und bulbären Strecke derselben. Walter Berger.
9) Sar deux oas d'aoromägalie (hypertrophie singulidre non oongdnitale
des extrteiitäB sapärieareB, Införieiirea et o^halique), par Pierre
Marie. (Bevue de medecme. 1886. Avril. p. 297.)
Marie beschreibt in dieser Arbeit zwei Fälle einer eigenthümlichen Wachsthums-
stömng, die er als Acromegalie (dx^oy = das äusserste Ende) zu bezeichnen vor-
schlägt. In beiden Fällen handelte es sich hauptsächlich um eine beträchtliche
Grössenznnahme der Füsse, der Hände und des Kopfes. Die Hände waren besonders
in der zuerst mitgetheilten Beobachtung sofort durch ihre ungewöhnliche* Grösse auf-
gefallen. Die Entfernung von der untersten Falte des Handgelenks bis zur Spitze
des Mittelfingers betmg 18,3 cm, die Breite der Hohlhand 11 cm. Die Hand im
Ganzen erschien übrigens wohl proportionirt, aber so, als ob sie einem Biesen ange-
hörte. Die Finger waren an der Grössenzunahme in entsprechender Weise betheiligi
Nur in dem zweiten Falle zeigten die Fingergelenke geringe Auftreibungen. Die
Nägel waren breit, etwas abgeplattet und gestreift; sonst ohne Besonderheiten.
Besonders charakteristisch ist es, dass im Gegensatz zu den Händen die Vorder-
arme und Oberarme durchaus gewöhnliche Grössenverhältnisse darboten. Das oben
Gesagte gilt. in gleicher Weise von den Füssen. Auch hier zeigte sich die unge-
wöhnliche Grösse derselben im Gegensatz zu den sonst normal entwickelten Beinen.
— Sehr anfallend waren in beiden Fällen die Verftnderangen am Kopf, und zwar
vorzugsweise im Gesicht. Hier handelte es sich um eine entschiedene Grössen-
zunahme der Nasenknochen, der Jochbeine und des Unterkiefer. Die hier-
durch entstehende eigenthümliche Verändemng des gesammten Gesichts wird durch
einige beigegebene Abbildungen veranschaulicht Weniger auflßülend sind die Ver-
ändemngen am Schädel. In Bezug auf die übrigen Knochen ist bemerkenswerth,
dass die Wirbelsäule in beiden Fällen eine kyphotische Krümmung zeigte und dass
insbesondere bei der zweiten der mitgetheilten Beobachtungen auch eine geringe Ver-
grösserung der Glaviculae, der Rippen, der Kniescheibe und des Beckens nachgewiesen
werden konnte. Dagegen erschienen die langen Böhrenknochen bemerkenswerther
Weise in beiden Fällen vollkommen unverändert. In den Gelenken war nichts
Besonderes zu finden, die Muskeln erschienen aufEnllend abgemagert. Nur die Zunge
war gross. Eine Herabsetzung der Sensibilität bestand nirgends (die Blindheit der
einen Kranken war wohl nur eine znflUlige Complication). Dagegen klagten beide
— 378 —
Kranke über ziemlich heftige Schmerzen im Kopf» im Bücken und in dan Armen.
Ausserdem bestand das Gefühl allgemeiner Schwäche und Mattigkeit. Bemerkens-
werth ist vielleicht, dass bei der einen Kranken starke Varicen an den Unterachenkeln
und Hämorrhoiden bestanden. Die Schilddrüse erschien verkleineri Endlich ist
noch zu erwähneUi dass der Durst gesteigert war und der Urin in auffallend reich«
licher Mei^e entleert wurde.
Marie hat noch fünf ähnliche Falle in der Literatur gefunden, die er auch
zur Acromegalie rechnet (darunter zwei Beobachtungen von Friedreich, welche
Brüder betrafen). Von Myxoedem ist die Krankheit vollständig verschieden, ebenso
von der von Virchow beschriebenen Leontiasis ossea und von der Ostitis
deformans Q,ma]aLäxe de Paget")- Strümpell.
9) Des nävrites pMphöriques ohes les taberonleux, par A. Pitres et L.
Yaillard. (Bevae de m6decme. 1886. Mars. p. 193.)
Die Yerff. berichten über eine Anzahl älterer und über 6 neue eigene, sehr
sorg^ltig angestellte Beobachtungen, welche das Vorkommen ausgedehnter Degene-
rationen in den peripherischen Nerven bei Phthisikem von Neuem bestätigen. In
allen Fällen ergab die genaue mikroskopische Untersuchung des Gehirns und des
Rückenmarks nichts Abnormes, während von den peripherischen Nerven am häufigsten
die Nerven der Extremitäten, seltener aber auch einzelne Gehimnerven (Opticus,
Augenmuskelnerven), femer zuweilen der Vagus und der Phrenicua befallen waren.
Was die Symptomatologie dieser Degenerationen betrifft, so lassen sich die bisherigen
Beobachtungen in drei Gruppen theilen. Zunächst können die Degenerationen der
peripherischen Nerven vollkommen symptomlos verlaufen: sogenannte latente Neuritis.
Zwei eigene, hierher gehörige Falle werden von den Verff. ausführlich mitgetheilt.
Zur zweiten Gruppe gehören die Fälle, bei denen sich vorzugsweise ausgedehnte
atrophische Jifuskellähmungen entwickeln. Bei der dritten Gruppe endlich bestehen
solche Krankheitserscheinungen, die vorzugsweise von einem Befallensein sensibler
Fasern abhängen: Anästhesien, Hyperästhesien, neuralgische Schmerzen u. dgl. Je
mehr man bei den Phthisikem auf das Vorkommen der genannten Erscheinungen
achtet, um so mehr wird man die verhältnissmässig grosse Häufigkeit der periphe-
rischen Neuritiden bei ihnen bestätigt finden. Strümpell.
10) Ueber diabetisohe ü^euralgien, von Dr. R. v. Hösslin, dirlg. Arzt der
Heilanstalt Neu- Witteisbach bei München. (Münch. med. Wochenschr. 1886. 14.)
Ein 52jähr. Mann, der seit 15 Jahren wied^holt an Trigeminusnenralgie ge-
litten hat, klagt seit 3 Monaten über heftigen Schmerz im linken Bein, von der
Hüfte bis zum Unterschenkel, in viel geringerem Grade über solche im rechten Bein.
Dabei besteht grosse Dmckempfindlichkeit im Verlaufe des linken N. ischiadicus,
Herabsetzung der Sensibilität der Haut des linken Unterschenkels mit Vergrüsserung
der Tastkreise, leichtes Oedem und Glanzhaut, Fehlen des Kniephänomens links.
Auch rechts waren die Tastkreise an Sohle und Zehen vergrössert. Die elektrische
Untersuchung ergab normales Verhalten.
Der Urin enthielt 3,6 ^/^ Zucker, kein Albumen, hatte 1040 specifisches Gewicht
bei einer Tagesmenge von 1200 ccm. .
Bei Behandlung mit den galvanischen Strom (Anode auf die schmerzhaften Stellen)
trat fast völlige Heilung ein; auch der Zuckergehalt des Urins wurde fast vollständig
beseitigt. Später recidivirten jedoch die Erscheinungen.
Verf. scheint der Fall für die Ansicht v. Ziemssen's zu sprechen, dass die
diabetische Neuralgie auf einer Neuritis beruhe, einer chronischen Neuritis, die ab-
— 379 — .
bängig resp. bediogt ist durch den Zuckergehalt des Blutes, analog der peripherischen
Nerrenerkrankungen bei Aleoholismus. Hadlich.
11) Note BOT cinq oas de nevrite multiple, par M. Masius et M. X. Fran-
cotte, Li^ge. (Bulletin de FAcad. royale de Belgique. 1886.)
Ffinf Fälle werden kurz beschrieben, zwei mit Sectionsbefund. Je einmal lag
Tnberculose, Magencarcinom, Alcoholismus und Erkältung Tor. Im ersten und fOnften
Fall fehlten alle objectiven SensibilitätsstCrungen; die Flantarreflexe fehlten einmal
ganz. Der zweite Fall setzte ganz plötzlich mit Ataxie ein. In drei Fällen fand
sich HalleolenOdero, einmal mit Pityriasis, ein zweites Mal mit Hyperhidrosis.
Th. Ziehen.
Psychiatrie.
12) Beobachtungen über die Trunksucht und ihre Erblichkeit, von Dr. J.
Thomson, Kreisphysikus. (Arch. f. Psych. XVII. 2.)
Verf. fasst die Trunksucht als die krankhafte Steigerung eines natürlichen Triebes
auf, eine Steigerung, die in vielen Fällen zur wirklichen Psychose werden kann. Dass
der Berauschungstrieb ein in der menschlichen Natur tief begründeter, natürlicher
ist, wird dadurch bewiesen, dass sich bei jedem nur einigermaassen civiUsirtem Volke
Beranschungsmittel finden. Die krankhafte Trunksucht zeigt sich in periodischer
(Dipsomanie), in continnirlicher Form, sowie in üebergängen zwischen beiden. Der
continuirlich Trunksüchtige degenerirt sehr schnell körperlich und geistig und geht
an Del. trem. oder an intercurrenten Krankheiten zu Grunde. Der Dipsomane bleibt
in den Zwischenpausen geistig frisch und kann ein hohes Alter erreichen. Für die
krankhafte Natur spricht ausser der Periodicität der Dipsomanie auch noch die hoch-
gradige Erblichkeit. Hierfür werden einige prägnante Beispiele angeführt. Nach
Verf. vererbt sich die Trunksucht direct oder mit Ueberspringen einzelner Generationen:
dass Kinder von Trunksüchtigen erblich zur Epilepsie, zur Scrophulose etc. neigten,
sei jedenfalls viel seltener. Bruns.
13) Del esame del oranio nei pazzi, pel Doti A. Verga. (Archiv, italian. per
le malatt. nervös, ecc. 1886. XXIII. p. 86.)
Verf. wendet sich gegen die moderne Craniologie und bestreitet, dass dieselbe
der Psychiatrie einen wesentlichen Vortheil zu bringen vermöge. Es entzögen sich
fast '/s der Gehumoberflacbe, die Basis und die beiden Medianflächen der Hemi-
sphären, einer irgend wie genaueren Untersuchung und ausserdem läge ja die Hirn*
rinde dem Schädel gar nicht an, sondern sei von dem letzteren durch eine Flüssig-
keitsschicht getrennt, die sehr grossen Schwankungen ohne eine äussere Andeutung
derselben unterworfen sein könne. Die Schädelmessung gestatte daher immer nur
einen annähernden Scbluss auf die Grösse und Form des Gehirns und fast gar keinen
auf locale Abnormitäten desselben. Einen positiven Werth habe die Schädelunter-
suchung eigentlich nur in Fällen mit mangelhafter Anamnese, wenn sich Knochen-
narben, Exostosen etc. nachweisen liessen, und in Fällen mit ganz extremer Grösse
oder Kleinheit oder Dilformität des Schädels, wo solche aber auch ohne Messung zu
erkennen wären.
Ref. glaubt, auf weitere Emzelheiten nicht eingehen zu sollen, obschon er sich
auf diesem Gebiet leider nicht ganz den Ausführungen des geschätzten Verf. anzu-
schliessen vermag; er erlaubt sich gewissermaassen „pro domo" auf seine Arbeiten
über Irrenschädel in Virchow's Archiv Bd. 89, 90 und 94 hinzuweisen, um hier
_ 380 —
nicht seine in mancher Beziehung abweichende Auffassnng genauer begründen zu
müssen. Ein nnverhältnissmassig grosser oder kleiner Schädel wird bei Berflcksich«
tigung des Alters, des Geschlechtes and der individuellen Körpergrösse ebenso, wie
jede bedeutendere Asymmetrie oder Difformität den Verdacht erwecken, dass nicht
nur der Schädel, sondern auch sein Inhalt während der Entwickelnngsjahre im wei*
testen Sinne des Wortes „krank" gewesen ist und daher noch für spätere Zeit
mindestens als ,,locas minoris resistentiae" betrachtet werden muss. Sorgföltige Kopf-
Untersuchung wird, wie lief, hofft, besonders bei erwachsenden Kindern, eine Pro-
phylaxe gegen psychopathische Erkrankungen und in zweifelhaften forensen Fällen
die Diagnose erleichtem. Schädelabnormitäten sind im Allgemeinen nicht künstlich
hervorzurufen und wenn sie gleichzeitig mit anderen somatischen Krankheits- und
Degenerationszeichen und mit psychischen Auffälligkeiten bei ein und demselben Indi-
viduum nachzuweisen sind, so können sie häufig genug eine Simulation der letzteren
mit Sicherheit ausschliessen. An und für siqh hat die Erkenntniss von Schädel-
abnormitäten für die Psychiatrie allerdings keinen hervorragenden Werth, in Verbin-
dung mit der klinischen Untersuchung aber kann sie gewiss von grosser Bedeutung sein.
Sommer.
14) La folie k deux, par B. Ball. (L'Enc^phale. 1886. Nr. 2.)
B. giebt eine recht klare Schilderung dieser immerhin seltenen und interessanten,
zuerst von Falret beschriebenen Irreseinsform, doch führt er neue Thatsachen,
welche nicht auch schon aus der deutschen Literatur bekannt wären, nicht an. Be-
merkenswerth an der von Ball vorgetragenen Krankengeschichte ist es, dass in
diesem Falle gerade die Person, welche ursprünglich die geistig potentere gewesen,
zum Träger der Wahnideen der geistig schwächeren Persönlichkeit wird, und somit
die passive Rolle des Echo spielt, welche sonst dem weniger intelligenten Theile
zufallt. Zander.
15) Fall af morflnism, af Prof. Alm^n. (Hygiea. 1885. XLVII. 12. Svenska
läkaresällsk. förh. S. 282.)
A. erwähnt einen Fall von Morphinismus, in welchem der Pat. während un-
freiwilliger Abstinefnz sich einer gesetzwidrigen Handlung schuldig machte und ver-
urtheilt wurde, obgleich er zur Zeit der That seine Handlungen nicht frei beurtheilen
konnte, an schweren Abstinenzsymptomen litt und sich in einem äusserst elenden
Zustande befand. Pat. hatte täglich 1,5 Gramm Morphium verbraucht und da er
sich aus Mangel an Geld keins beschaffen konnte, die Summe eines Sparkassenbuchs
gefälscht, so dass er mehr darauf erhielt, als er in die Kasse eingezahlt hatte.
Schon früher einmal hatte er sich durch Fälschung eines Beceptes Morphium zu
verschaffen gesucht. Derartige Fälschungen sind überhaupt schon oft vorgekommen.
Walter Berger.
Therapie.
16) Clinioal observations on reflex genital neurosas in the female, by
Paul F. Munde. (Joum. of nervous and ment disease. 1886. H. 3. p. 129.)
Verf. befürwortet in seinem Vortrage, den er am 12. März 1886 vor der Neu-
rologischen Section der Academy of Medicine zu New York gehalten, gynäkologische
Untersuchung nerv5ser und psychopathischer Frauen, sobald auch nur ein Verdacht
vorläge, es könne sich um eine Störung handeln, die von erkrankten Beckenorganen
— 381 —
reflectorisch ausgelöst werde. Werde dann bei der Exploration eine Abnoimitat ge-
fanden (Lageveränderungen und Narben am UieruSi OYarialtamoren, Perinealrisse etc.),
so sei eine entsprechende Behandlung vorzunehmen, selbst wenn der Zusammenhang
zwischen dem localen Leiden und der angenommenen Reflexneurose nicht klar Yor
Augen l&ge. Verf. erw&hnt u. A. einen Fall Ton schwerer Migräne, die seit 18 J.
bestehend durch Excision einer alten Narbe der Yaginalportion seit 5 J. geheilt
worden ist
In einem anderen Fall wurde jedesmal durch den €!oItu8, dann aber auch bei
der Digitaluntersuchung ebenfalls in Folge der Beizung einer Gervixnarbe ein kata-
leptiformer Anfall mit Anästhesie und Bewusstlosigkeit ausgelöst, der sich nach der
Elxcision und Naht der Wunde niemals wiederholt hat. Selbst bei jahrelang bereits
bestehenden und anscheinend hofihungslosen Neuropsychopathien hat Verf. noch auf-
fallende Heilungen im Anschluss an die Beseitigung alter Ghmitalafifectionen gesehen
und er empfiehlt daher aufs Wärmste eine tactvolle gynäkologische Behandlung ner*
Yöser und geisteskranker Frauen. Sommer.
m. Aus den Geseliscliaften.
Ophthalmological Society of the United Kingdom. Sitzung vom 6. Mai
1886 zu London. (Brii med. Joum. 1886. 15. Mai. p. 929.)
Die ganze Sitzung war einzig der Casuistik des Morbus Basedowii gewidmet
und die zahlreich vorgetragenen und zum Theil sehr bemerkenswerthen Einzelfalle
entziehen sich daher einem kurzen Referat Da das Original nicht allzu schwer zu-
gänglich ist, so genügt hier der Hinweis, dass besonders die -Heilbarkeit (Anwendung
Yon Kälte), die Combination mit Albuminurie, Diabetes und Morbus Addisonii, die
Aetiologie (Menstruationsanomalien, Herzfehler, Lues, Seltenheit des ganzen Symp-
tomencomplexes bei. Männern und die Heredität (je drei und vier Schwestern) berück-
sichtigt worden sind.
In der Symptomatologie wurde von Hill Griffith hervorgehoben, dass das
Stellwag'sche Zeichen (die anhaltende Contractur des Levator palpebrae sup.) 22mal
unter 30 Fällen vorhanden gewesen sei, während das Graefe*sche Zeichen nur 4mal
positiv erwähnt seL
In einem Fall von Higgius wurde wegen der hochgradigen Vortreibung der
Bulbi die operative Verengerung der Lidspalte versucht, Patientin starb aber während
der Narcose (cf. Transactions of the Patholog. Society. XXY. p. 240.)
Jessop erwähnte endlich, dass durch Cocalneinträufelung eine Lähmung der
Augenmuskeln und dadurch eine künstliche Vortreibung des Bulbus und in einem
Falle Basedow*scher Erkrankung eine bedeutende Vergrösserung des Exophthalmus
bewirkt werden könne. (Vgl. auch mein Referat über Sighicelli*8 Arbeit, dieses
Centralbl. 1886. Nr. 9. S. 202.) Sommer.
Soci^t^ de Biologie ä Paris. Sitzung vom 12. Juni 1886.
Pitres und Vaillard haben bei 2 Kranken, die an typischer Arthritis defor-
mans (Rheumat articuL chron. deform.) mit erheblichen Knochenläsionen und tro-
phischen Störungen in der Haut litten, bei der Untersuchung post mortem Neuritis
parenchymatoea degenerativa in den ergriffenen Gliedern geftinden. Die Atrophie der
Nerven hatte an einzelnen Stellen fast sämmtliche Nervenfasern ergriffen.
Ist diese Läsion eine zufällige oder ist sie die Ursache der Veränderungen der
Knochen, Muskeln und der Haut bei dem chronischen Rheumatismus? M.
— 882 —
IV. Bibliographie.
fileolrodiagnostik und Bleotrotheraplav von Dr. £. Bemak. Sep.-Abdr. aus
der Real-Encjclopädie der gesammten Ueilkimdef herausgegeben von Prof. A.
Eulen bürg, II. Auflage. Verlag von Urban & Schwarzenberg. Wien und
Leipzig. 1886.
Die Ausbildung der Electrodiagnostik und Elektrotherapie hat in den lotsten
Jahren einen so lebhaften Aifechwang genommen und eine so reiche Litentor her-
vorgemfen, dass eine encyclopädische Darstellong dieses Zweiges der •Medioin nicht
gerade zu den leichten Dingen gehöri Um so ireniger, als die Electrotherapie
im engem Sinne doch noch eine minder auf physiologischen Piincipien, als auf
exacter empirischer Beobachtung ruhende Disc^ilin ist, sich also keineswegs in ge-
wisse allgemeine Lehrsatze zusammenfassen läset Wir mfissen unomwnnden aner-
kennen, dass es B. in dem von ihm bearbeiteten Abschnitt der BeaUEneydopadie
gelungen ist, eine möglichst gedrängte und doch auch mö^chst vollständige Dar-
stellung des betreffenden Gebietes zu geben. Die eminente Knappheit der Form be-
dingt es, dass eine solche Bearbeitung weniger auf den mit der Specialität noch nicht
Vertrauten, als auf den schon Orientirten berechnet ist. Ersterer wird durch die
Ffdle der oft aphoristischen Angaben leicht verwirrt werden, letzterer aUein im Stande
sein, den reichen Inhalt des häufig grössere Untersnchungsreihen in wenige Sätze
zusammendrängenden Inhalts zu würdigen. Für ihn ist auch die Vollständigkeit des
Literaturverzeichnisses von nicht geringem Werth.
Wie sehr B. darauf bedacht war, den neuesten Stand der Kenntnisse in der in
stetigem Fluss begriffenen Disciplin zum Ausdruck zu bringen, geht schon daraus
hervor, dass die vorliegende zweite Auflage bei unveränderter Kflrze der Darstellung
vor der im Jahre 1880 erschienenen ersten ein Plus von 26 Seiten voraus hat
Die beiden Hauptabschnitte Electrodiagnostik und Electrotherapie parti-
cipiren gleichmässig an dieser Erweiterung. Bef. möchte nur an wenige Einzelheiten
eine Bemerkung anknflpfen.
Im Capitel electrodiagnostische Apparate wird dem Hirschmann'schen
absoluten Galvanometer ein Lob ertheilt, das nach Ansicht des Bef. in Bezug auf
die Untersucbimg nicht ganz berechtigt ist. Wie Stintzing hervorhebt, Bemak
neuerdings selbst anerkennt, ist die lange Schwingungszeit der Nadel des Hirsch-
mann*8chen Galvanometers der Präcision des Besultats verhängnissvoU. Bef. hat
deshalb stets das Edelmann'sche sog. Taschen -Galvanometer, das sich durch voll-
kommene Dämpfung auszeichnete, zum Zweck der Untersuchung vorgezogen und
möchte dessen Benutzung auch der jüngst von Bemak vorgeschlagenen Methode
der Messung mittelst des H.^schen Galvanometers vorziehen. Fflr subtilere Unter-
suchungen dürfte das grosse Edelmann*sche Galvanometer schliesslich doch allgemein
acceptirt werden.
Bei der Beschreibung der zur Diagnostik nöthigen Apparate bezieht sich B.
hauptsächlich auf die von ihm angegebene und sehr zweckmässige Anordnung.
Die im Abschnitt Electrophysiologie und Untersuchungsmethode an-
gegebenen Schwellenwerthe der einzelnen Beactionen nach absolutem Maass würden
durch die neuen Stintzing'schen Untersuchungen eine Erweiterung und Modification
erfalireD.
Sehr hübsch, zweckmässig und vollständig ist die übersiohtliehe Zosammen-
Stellung der verschiedenen pathologischen Beactionen und deren Vorkommeo,
sowohl für die motorischen, als für die sensiblen nnd für die Sinnesnervea.
Die Electrophysiologie des Bieohnerven, die in der 1. Auiage noch als
leeres Blatt fignriren mnsste, hat durch die imter Bemak*s Leitung angestellten
Untersuchungen eine thatBäehliehe Basis erbalten.
Der II. Theil, die Electrotherapie, umfasst 4 Abschnitte: Galvanotherapie,
— J83 —
Faradotlieuipie, GalvaftofaradotherapiOy Franklinotherapie, -^ natfirlkli
von sebr nngleicheiii Umfang.
In der Galvanotherapie macht sich der enorme Yortheil der jetxt mögliehen
genanen Angabe der Stromdosirong (mit BerückBii^tigang der Stromdiohte) in
li.*8 Darstallnng in herrorragender Weise geltend, so dase eine Reibe von ohne
Weiteres klaren und dnrect verwerthbaren therapeutischen Vorschriften einfliesst, —
als ErfOUnng des hinge gehegten Desiderates pr&oiser electrotberapentischer Regeln.
Btne wichtige Stelle niiunt in der Galvanotherapie die Besprediang der Gal«
vanisation des Gehirns ein: es werden die neueren Methoden auch mit Angabe
der absoluten Stromstärke, der zweckmässigen Electrodengrösse etc. vorgeführt und
gewürdigt. Nicht einverstandeai aind wir mit der Angabe, dass die cerebrale Gal-
vanisation bei apoplectiscben Lähmungen „übereinstimmend" schon früh, bereits
8 Tage nach Eintritt der Apoplexie empfohlen werde, noch weniger mit der Em-
pfehlung selbst Erb beginnt z. B. die Behandlung etwa 3—4 Wochen nach Ein-
tritt der Lähmung, in schweren Fällen erst später (Electrotherapie 2. Aufl. 8. 856);
die eingehend motivirte Abneigung Brenner^s gegen die centrale Behandlung apo-
plectischer Hemiplegien überhaupt dürfte doch wohl noch der Erwähnung werth sein.
Ref. ist von der häufigen Schädlichkeit einer frühen Behandlung der fraglichen
Hemiplegien, gegenüber dem immerhin nur massigen Nutzen im günstigen Fall,
überzeugt
Bei der Erwähnung der günstigen Einwirkung der Galvanisation auf die Aphasie
möchten wir Charcot, der darüber genaue Beobachtungen veröffentlicht hat, hinzu-
fügen. —
Im Abschnitt Galvanofaradotherapie fertigt R. die sonderbaren Behaup-
tungen Engelskjön's, die sogar in neuen hervorragenden Lehrbüchern der Electro-
therapie eine unverdiente Berücksichtigung gefunden haben, scharf ab.
Die Frank linotherapie ist den sich an bunter Mannigfaltigkeit von Tag zu
Tag häufenden Er£ahrungen und Mittheilungen entsprechend ausführlicher behandelt
Für die Beurtheilung der therapeutischen Verwendung der Franklinisation wünscht
R. ein etwas strengeres Auseinanderhalten der Wirkungen localisirter Spannungsströme
und deijenigen des allgemeinen electrostatischen Luftbades, spricht sich im Ganzen
aber ziemlich ablehnend über die Zweckmässigkeit einer allgemeineren Einführung
der betreffenden Methode aus.
Ref. scbUesst mit dem angenehmen Eindruck, den die Lecture der R.*schen
Arbeit trotz des unvermeidlicher Weise nicht immer leichten und flüssigen Stiles auf
ihn hervorgebracht, eine musterhafte und aufs Sorgfältigste ausgeführte Skizze der
Elektrotherapie mit dem Siegel der ernsten wissenschaftlichen Kritik vor sich zu
haben und empfehlen zu dürfen. Eisenlohr.
Epilepaie.
(Cf. Register 1885 S. 571 und 1886 S. 14. 17. 22. 34. 58. 83. 84. 93. 108. 138.
159. 186 und 210.)
Hallager: Klin. Beiträge zur Lehre von der nnregelmässigen Epilepsie. In-
augural-Dissert. Kopenhagen 1884. — Tonnini: La Epilessia. Archiv, di Psichiatria
scienze penali etc. 1885. VI. 4. — Tripier: Des d^viations du rythme cardiaque
assod^es ä l'epilepsie. Revue de m^d. 1884. D^c. et 1885. Janv. — d'Abundo:
Ricerche cliniche sui disturbi visivi nell'epilessia« Giomale di Neuropat 1885. 3 et 4.
— Boucheron: Epilepsie von den Ohren ausgehend. Union. 112. p. 272. —
Legrand du Sanlle: ilpilepsie cans^e par la vue d*un cadavre. Gaz. des Höp.
1885. 63. — Fnsier: Epilepsie cons^cutive ä nne frayeur vive. Encäphale. 1885. 2.
— Adamkiewicz: Zur sog. Jackson'schen Epilepsie. Klin. Woch. 1885. 23 u. 24.
— Barbier: De F^pilepsie syphilit et de son diagnoatic differentiel avec Epilepsie
— 384 —
YQlgaire. Thise de Paris 1885. — Zinsmeister: Stat. epilept im secimd&reii
Stadium der Syphilis. Wiener med. Woch. 1886. 37. — Sie: L'^pUepsie et le
Bromare. Le9ons de la clinique mM. Paris 1886. Delahaye & Lecrosnier. —
Wildermath: lieber die Behandlang von Epileptikern in Anstalten. Ztschr. f. Be-
handlung Schwachs. n. Epilepi 1886. Mai. — Weiss: Epilepsie nnd deren Behand-
lang. Wiener klinische Woohenschr. 1884. April. — Erlenmeyer: Ein Fall von
Trepanation des Schädels wegen Epilepsie. Centralbl. f. Nervenheilk. 1885. 22. —
Caraso: Dell'oso dell*atropino e del corare nella cura dell'epilessia. Qiomal. dl
nearop. 1885. 3 e 4.
Intoadoatioiinieurosen imd PiyohoBen (S. 235).
Blei. (Register 1885 8. 571. 1886 S. 9. 10. 11. 60. 159 and 238.)
Seifert: Kehlkopfmaskellähmnng in Folge von BleiYergiftong. Klin. Woch.
1884. 1. Sept — Robinson: On the neryoas lesions prodaced by Lead-Foisoning.
Brain. 1885. Janoary. — Schachmann: Enc^phalopathie satamine. Arch. g^näral.
1885. Juin. — Porter: Enoephalopathia satomina. Lancei 1885. II. 12. Sept
Arsenik.
Skolozonboff: Paralysie arsänicale. Arch. de Physiol. 1884. 17.
Chinin.
Gaatier: Urticaire et d^lire qainiqae. Rev. m^d. de la Saisse romande.
1885. Jani.
AI CO hol. (Register 1885 S. 570. Bes. auch S. 436.)
Strümpell: Ueber die Nervenerkrankang der Alcoholisten. Klin. Woch. 1885. 32.
— Lanc^raax: Paralysies toxiques et paralysies alcooliqaes. Union m^d. 1885. 96.
— Dajardin Beaametz: Becherches exp^rimentales sor Talcoolisme chronique.
Paris 1884. Dein. — Lentz: De Talcoolisme. Paris, Baillidre, 1885. — Peetera:
L*alcool physiolog.» patholog. et m6d, legale. Bnixelles 1885. Moncereaax. —
Casanova: Intoxication chroniqae par Talcool, Tabsinth et le vnln^raire. Th^ de
Paris 1885. — Francotte: Un cas de paralysie alcooliqae Li^ge 1885. Extraits
des Annal. de la soci^t^ mM. chir. — Gilson: Absinthisme chroniqae. Enc^phale
1885. 4.
Aether (cf. Register 1885).
Belnze: De Nthermanie. Thdse de Paris 1885.
Morphinm.
Zambaco: Contribation k Ntade de la Morph^omanie. Enc^phale. 1884. 6.
— Marandon de Montyel: über dasselbe Thema. Annal. mM. psych. 1885. Jan?.
Smidt and Ranke: üeber die Bedeatang des Cocain bei der Morphinmentziehung.
Klin. Woch. 1885. 37. — Jäckel: Zar Behandlang der Morphiamsacht mittelst
Cocalb. D. Medicinalzeitg. 1885. 83.
V. Personalien.
Unser Mitarbeiter Herr Dr. Pick wurde znm ordentlichen Professor der Psychiatrie
an der medicinischen Facalt&t der deutschen Univerait&t zu Prag ernannt
Verlag Ton Veit & Comp, in Leipzig. ~ Druck von Mbtzosb & Witmo in Leipzig.
Neurologisches Centralbuh.
Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie
und Therapie des Nervensystemes einschliesslich der Geisteskrankheiten.
Herausgegeben von
Professor Dr. E. Mendel
Fttnfter " *^""- Jahrgang.
Monatlich erscheinen zwei Nummem. Preis des Jahrganges 16 Mark. Zn beziehen dnrch
alle Bncfahandlnngen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie
direct von der Verlagsbuchhandlung.
1886. 1. September. m 17.
Inhalt I. OriginalMiHiiellungeii. 1. Die in's Qehira und B&ckenmark herabsteigenden
experimentalen Degenerationen ala Beitrag zur Lehre von den cerebralen Localisirungen, von
Prof. L. Bianchi und Dr. 6. d^Abundo. 2. Zur Frage ttber den weiteren Verlauf der Hinter-
wunelfasem Im Rttckenmarke, von 6. Rossolymo.
il. Referate. Anatomie. 1. Ueber die B^tandtheile des Corpus restiforme, von Bech-
terew, -r Experimentelle Physiologie. 2. Sur une fonction dite psychique de la mobile.
Comnmnication faite a la sod^t^ m^. de Gen^ve, par Girard. 8. Influence du Systeme ner-
veux sur la dilatation de la pupiUe, par Kevalewsky. 4. B^^tr^issement r^fiexe de la pupille
par la lumi^re, par Bechterew. — rathologische Anatomie. 5. Hyaline Degeneration
der Fasern des N. medianus sin. bei Gegenwart eines lateralen Myxofibroms an demselben,
von Schuster. 6. Kritische Bemerkungen fiber die Bedeutung der „Kunstproducte" bei der
Benrtheilung entzündlicher und atrophischer Processe in den Elementen des centralen Nerven-
ayatems, von PecqueHr. — Pathologie des Nervensystems. 7. A case in which an cid
amputation of the left upper arm was associated with an atrophied right ascending parietal
convolution, by WIglesworth. 8. Contribution ä l'histoire des localisations c^r^brales, par
Salesses. 9. Bidrag til IiokaUsationalaren, af Leef ard. 10. Till frSf^an om benets motoriska
barkcentrum, af Henschen. 11. Gase of injury to skull. — Trephming for epileptiform at-
tacks. — Bemoval of deaÜi bone. — Death, by Davy. 12. Üeber Tumoren des Balkens, von
Bnins. 18. Zur Catuistik der Heiderkrankangen der Brücke mit besonderer Berücksichtigung
der Störungen der combinirten seitlichen Augenbewegungen, von Bleuler. 14. Hämorrhagie
de la protub^rance, par Raymond. 15. Ein Fall von Tumor der Zirbeldrüse, von Reinhold.
16. Ueber einen Fall von gummöser Erkrankung des Chiasma nervorum opticorum, von
Oppenheim. — Psychiatrie. 17. States of deUrium in inebriety, by Crothers* — Therapie.
18. Die Anwendung des Atropins bei Ptyalismus, von Hebold.
tV, Bibliographie.
I. Originalxnittheilungen.
1. Die in's Gehirn nnd Rückenmark herabsteigenden
experimentalen Degenerationen als Beitrag zur Lehre von
den cerebralen Localisimngen.^
Von Prof. L. Bianohi, Privatdocent an der Universität Keapel und
Dr. G. d'Abundo» Assistent an der psychiatrischen Klinik der Universit&t Neapel.
Das so sorgsam studirte und so eingehend besprochene Problem der func-
tionalen Localisiningen auf der Gehirnrinde verlangte die Mitwirkung zahlreicher
' Deutsche Ueberaetzxmg von Dr. G. d'Abuhdo.
— 386 —
Factoren, ehe es einen gewissen Grad wissenschaftlicher Evidenz erreichte nnd
auf die Bahn einer sicheren Lösung gelangte. Von der einfachen elektrischen
Beiznng der Gehirnrinde, so dunkel in ihrem Mechanismus , so wenig ein-
schränkbar in ihrer Thätigkeit, und noch weniger geeignet zum vollen Beweise
der functionalen Localisirung der Rinde zu führen, bis zur Abschälung mehr
oder weniger ausgedehnter Zonen des Gehirns nach allen von der LiSTEB'schen
Chirurgie empfohlenen Normen ausgeführt, um Thiere am Leben zu erhalten
und Müsse zu haben, die verschiedenen symptomatischen Phasen der Abschälung
selbst Monate lang zu beobachten (die Hemmungsphänomene, die beidseitlichen
und diejenigen der Entschädigung), ist ein riesiger, und wir können auch sagen,
rascher Schritt gethan worden. Aber weder der Beweis ist vollbracht, noch
die Lehre vollständig überzeugend. Es finden sich darin nur die allgemeinen
Ausdrücke, aber das Detail ist noch verwirrt. Zwischen der Doctrin Schiff's,
welcher der bewegenden Zone Hitzi0'8 und Febbieb's keine andere Bedeutung,
als die eines Centrums des Gefühlssinnes der entgegengesetzten Körperhälfte
gewährt, und somit hieran den Gedanken einer Endstation der Hinterstrang-
fasem des Rückenmarks knüpft, und derjenigen Mükk's, welche den Gedanken
eines Centrums der mnemonischen Eindrücke aller Eigenschaften der Empfin-
dung der entgegengesetzten Körperhälfte enthält, Eindrücke, aus denen der
Bewegungsimpuls, welcher den wahren Bewegungscentren übertragen wird, her-
rührt, zwischen derjenigen Luciani's, welcher sie als ein gemischtes Centrum
der Empfindung und der Bewegung betrachtet, und jener Goltz's, welcher
kaum einen gewissen functionalen Unterschied zwischen dem vorderen und hin-
teren Gehirnlappen zulässt, läuft eine solche Distanz, die für sich allein schon
der beredteste Beweis der eigentlichen Schwierigkeiten dieses Problems ist Es
ist wohl wahr, es handelt sich darum, Phänomene des psychischen Lebens der
Säugethiere vom menschlichen Gesichtspunkte aus zu erklären und der Phjsiolog,
der experimentale Phänomene erforscht, legt sich solche nach seinem Gutbefinden
aus, und mit allem Anschein des experimentalen Positivismus ist er in vollster
speculativer Beherrschung, da wo die Phantasie und der abstracte Gedanke
mitunter leichtes Spiel finden.
Es war darum noth wendig, experimentale, weniger anzugreifende und ob-
jectivere Beweise, als die durch einfache Beobachtung an theilweise am GFehim
verstümmelter Thiere gelieferten, beizubringen. Auf dieser Bahn sind wir
angelangt Wenige sind uns hierin vorangegangen, Fillifpeaux und Vulpian,
Frakk und P1TRE8, und besonders der betrauerte von Güddbn, von Monakow,
LöWENTHAii und Mabchi^ haben (wenigstens was den motorischen Theii be-
trifiPt) die aussergewöhnlichen Bedingungen, welche unumgänglich nothweudig
sind für ein endgültiges Urtheil über den physiologischen Werth der Zone,
welche man als Bewegungszone hat betrachten wollen, nicht realisirt
In der That war es unumgänglich nothwendig, bei Führung der Experi-
mente jede Verletzung der unter der sogenannten Bewegungszone der Binde
befindlichen Bündel zu vermeiden, weil die nachfolgenden Degenerationen sonst
^ Eine kurze vorgäogige Notiz.
— 387 —
gerade der Yerletzimg dieser Bündel statt derjenigen der Bindensubstanz hätten
zugeschrieben werden können.
BiNSWAKOEB war es, der diese Frage zuerst genau behandelte, als er mit
einer bemerkenswerthen Arbeit zu zeigen glaubte, dass die Verletzungen der
Binde allein keine darausfolgenden Degenerationen bewirkten. Damit bekämpft
er offen und resolut die CHAscoT'sche Doctrin und dessen Schule; und erklärte,
dass die Verletzungen der Rinde allein keine herabsteigenden Degenerationen
zur Folge haben.
Die Resultate unserer Experimente sind in offenem Widerspruche mit den-
jenigen Binswanoeb's.
üebrigens war der Zweck unserer Nachforschungen nicht ausschliesslich,
nur den physiologischen Werth der verschiedenen Rindenzonen festzustellen,
sondern besonders in jeder Hinsicht den Verlauf der degenerirten Fasern der
abgeschälten Rindenzonen in den verschiedenen Segmenten des Gtehims, des
Mesocephalon und des Rückenmarks zu verfolgen. Wir haben also den Stimlappen,
den Gyr. sigmoides mit einer umliegenden Zone und den Hinterhauptslappen
an Hunden und Katzen, neugeborenen wie ausgewachsenen, zerstört Wir haben
die Thiere einige Wochen bis zu zwei Jahren am Leben erhalten, ganz genau die
Symptomatologie in ihren verschiedenen Phasen verfolgt, und nachher die Thiere
mit Chloroform getödtet, das Gehirn, Mesocephalon und Rückenmark untersucht
vermittelst horizontaler und verticaler Totalschnitte, um ohne irgend welche
vorgängige Idee jene Veränderungen, welche allenfalls eingetreten, studiren
zu können.
In dieser ersten Mittheilung daher ausschliesslich nur das, was die soge-
nannte bewegende Zone betrifft
Was die gefundenen Symptome, aller in der grauen Substanz des Gyr. sig-
moides verstünmielten Thiere anbetrifft, so waren solche identisch. Permanente
Aenderung in den Gliedern des entgegengesetzten Körpertheils, lang andauernde
Gesichtsveränderung, wenig oder gar keine Störungen des Hautgefahls, welches wir
meistentheils erhalten finden. Keine bemerkenswerthe Störung der psychischen
Thätigkeit der verstümmelten erwachsenen Thiere. Die Bewegungsverhinderung
besteht nicht in Ataxie im gewöhnlichen Sinne, sondern in einem wahren
Kraftmangel, in einer wahren Paresis, welche der Ausdehnung der Läsion mehr
in deren Oberfläche, weniger in deren Tiefe entspricht
Der Paresis ist eine Art verborgener Mitlähmung (Contractur) zugesellt, welche
sich blos äussert) wenn der verstümmelte Hund beim Leibe aufgehangen, oder wenn
er auf den Band eines l^hes gesetzt wird, die paretischen Glieder herunter-
hängen lassend und jene des entgegengesetzten Körpertheils gebogen; kurz
jedesmal, wenn das Thier eine Bewegung allein, an welche es nicht gewöhnt
imd die von denen der andern Glieder getrennt ist^ ausfahren will In dieser
Lage wächst die Mitlähmung durch den Tastungsreiz, während das Gesicht diese
weder verbessert^ noch dem leidenden Thiere den Beiz meiden hilft Das Ver-
schwinden des willkürÜGhen Bewegens ist vollständig. Die Steifheit ist durch
- 388 —
den psychischen Antrieb, die unbequeme Stellung aufeugeben, gewachjsen. Diese
Phänomene waren permanent
Die Sehstörungen sind inmier bemerkenswerth, wenn im Bereiche der Ab-
schälung, die zweite äussere Windung, da wo sie unten den Gyrus sigmoides
umgiebt, einbegriffen ist Diese sind durchaus nicht flüchtig, sondern erst nach
Wochen und Monaten verschwinden sie ganz. Sie bestehen in der gleichnamigen
Hemiopie, wie in einer früheren Arbeit von einem von uns gezeigt wurde.^ Die
äussere Hälfte des Augennetzes auf der Seite der Läsion und die innere Hälfte
des entgegengesetzten Auge» sind erblindet Die Störungen des entgegengesetzten
Auges sind, der Ausdehnung und Intensität wegen, immer bemerkbarer, als die
des der Läsion gleichseitigen. Bei einigen Hunden scheint es, man habe es
wirklich mit Erblindung des ganzen Gesichtsfeldes des entgegengesetzten Auges
zu thun. Bei viel genauerer Untersuchung erscheint die Hemianopsie. Die Grenze
der Blindheit im Gesichtsfeld des gegenüberliegenden Auges findet sich innerhalb
des verticalen Meridians des Auges, während in dem auf der Seite der Läsion
solche Grenze sich ausserhalb findet Ob es sich hier um psychische Blind-
heit, oder gänzliche Erblindung handelt, ob es Fehler einer der Gesichtsfactoren,
z. B. die Lichteindrücke, oder die Wahrnehmung der Distanzen, woher die
Schwierigkeiten, die Gegenstände, welche in die Abschnitte des Gesichtsfeldes
fallen (die wir für blind halten), zu erkennen, ist hier nicht der Ort zu be-
sprechen.
Aus den auf der Höhe der verstümmelten Zone vorgenommenen verticalen
Schnitten entnimmt man die Oberflächlichkeit der Läsion. In vielen Fällen er-
scheint die Uebertragung ausschliesslich auf die graue Substanz beschränkt,
ohne je die darunter liegende weisse Substanz zu erreichen. Die Läsion er-
scheint gut localisirt am Gyrus sigmoideus und an einer umli^nden Zone,
die Veränderungen sind auch makroskopisch sichtbar.
Die mikroskopische Untersuchung üess in allen Fällen folgendes feststellen.
Von der verletzten Stelle geht ein Bündel degenerirter Nervenfasern ab,
von welchen der grösste Theil das semiovale Gentrum, die innere Eapsei, den
Himschenkelfuss und den ganzen motorischen Theil der der operirten Seite
entsprechenden Pyramide einninunt An der Kreuzungsstelle der Pyramide be-
obachtet man das degenerirte gekreuzte Pyramidenbündel mit dem glachnamigen
entgegengesetzten sich kreuzend und auf die gegenüberliegende Seite passiren,
wo es den am hintern Hom äosserlich gelegenen Theil des Seitenstrangs ein-
nimmt Im Gehirn und Bückenmark 'ersieht man ausser der Fortsetzung der
Degeneration des gekreuzten Pyramidenbündels der der Verletzung g^nüber-
liegenden Seite auch die Degeneration des Bündels von Tübck.
Bei der vor ca. 2 Jahren operirten Hündin, von der schon vorher die Bede
gewesen, findet man auch die Degeneration eines kleinen Theils des Pyramiden-
bündels der andern Seite ; was sich auch in der Brücke und dem verlängerten
Mark constatiren lässt. Im Bückenmark finden sich dann eben&lls die vor-
seitlichen Stränge degenerirt Hauptsädilich in Fällen, wo die Verletzungen
^ BiAHGHi» Le Gompensasioiii fiuijuoiiali ddlla cortecda eto. La Fbidüatiia. 1888.
— 389 —
seit langer Zeit bestehen, hat ^lan die Gegenwart degenerirtei Fasern hier und
dort im Hinter- und Seitenstrang des Rückenmarks zerstreut beobachten können.
Von der ?erleteten Zone über das soeben erwähnte degenerirte Bündel
hinaus gehen andere ebenfalls degenerirte Fasern , welche im Balken sich ver-
laufen, aosy sie Tßrfolgen ein gutes Stuck desselben und einige verlieren sich
umbiegend in der Bogen wulst, andere gehen weiter und verlieren sich immer
mehr. Die Hälfte des Balkens der verstümmelten Hemisphäre ist immer dünner,
als die andere Hälfte. Andere degenerirte Fasern gehen bis i|pi den Streif enhugel
und den entsprechenden Linsenkem.
Bemerkenswerth ist die Thatsache, dass der Stxeifenbügel und der ent-
sprechende Linsenkem in der w^genommenen Zone verkleinert sind und Yer-
mdirung von Kernen. und Keiiroglia zeigen. Der 8ehh^;el der verletzten Seite
erscheint leicht kugliger und abgerundeter, als der des gleichnamigen entgegen-
gesetzten. Der der verletzten Zone entsprechende Seitenventrikel ist sehr erweitert
Das anscheinend gewachsene Volumen des Sehhügels ist wahrscheinlich dem
verminderten Widerstand im erweiterten kleinen Bauche wegen Atrophie des
Streifenhugels zuzuschreiben.
Die mikroskopische Untersuchung lässt bei starker V^rgrösserung in den
degenenrten Theilen das Yersohwinden des Markes und einer guten Anzahl
Axencylinder und die Verbreiterung von Neuroglia erkennen.
Im degenenrten Pyramidenbündel ist kaum irgendwelche Faser verschont
Im Streifenhügel und Linsenkem der verletzten Seite sind die nervösen Elemente
im Vergleiche mit den gleichnamigen der andern Seite vermindeit, gleichzeitig
ist die Neuroglia leicht gewachsen und die Haargefasse sind mehr erweitert.
Wir führen hier ein einziges der von uns voigenommenen Experimente an
und dessen entsprechendes mikroskopis^es Besultat. Ausgewachsene Hündin,
am 23, November 1884; Vertilgung der Binde der Bewegungszone rechts (Oyrus
sigmoideus 5 — 8 mm um selben herum) nach Anästhesie und Feststellung der
erregbaren Zone mit elektrischer, I(eizung; wenn diese starker wurde, wurden die
Bewegungen beiderseitig. Paresis der linksseitigen Glieder, stützt sich häufig
auf die linke, rückwärts gebogene JSinterpfote. Das rechte Auge mit etwas Wachs
geschlossen; sie blinzelte mit dem linken nicht, wenn man sie mit der Hand
schrecken wollte, oder mit einer Flamme, oder einem Stock. Ein,e gewisse Beaction
erhält man im innem linken Augenwinkel. Auch mit diesem misst sie Ent-
fernungen; auf den Tisch gesetzt, nachdem sie ringsum gegangen und jedes
Widerstreben besiegt, thut sie einen abgemessenen Sprung, am Boden angelangt,
überschlägt sie sich rechts.
Posthemiplegische Mitlähmung (Gontractur) in verborgenem Zustand am
Körper aufgehoben, nüt den Beinen herunterhängend, bildet sich Steifheit der
linksseitigen Glieder, welche mit Tastungs- und Schmerzensreiz. vermehrt wird
und welchen gegenüber sie nicht reagirt.
Ungefähr nach IQ Monaten Schwächung des linken Hintergliedes. Es
bildete sich eine leichte Art von Paraplegia postica.
— 390 —
Schwangerschaft, Geburt, Sangen wurden bei vollständiger Ctesundhät
vollbracht
Vollständiges Verschwinden der Gesichtsstörungen. Nach nngefahr 22 Mo-
naten getödtet
Autopsie. Bindenverletzung von ca. 2 qcm auf die oberflächlichsten
Schichten der grauen Substanz limitirt
Degenerirtes Bündel, welches vom Gentrum der Verletzung bis in's ovale
Gentrum des Gyrus sigmoideus verfolgt werden kann. Einige der d^enerirten
Fasern gehen in den Balken und von diesem dringen einige in das ovale Cen-
trum des Bogenwulstes der nämlichen Seite, andere gehen in den Balken der
andern Seite über.
Streifenhügel und linsenkem verkleinert mit Vermehrung von Kernen und
Neuroglia. Die degenerirten Fasern sanuneln sich neuerdings in der innem
Kapsel, wo man einen Sclerosefleck bemerkt Leichteste Veränderung im Seh-
hügel und in den Sehstreifen.
Fast vollständige D^eneration im rechten Himschenkelfuss, aber theiiweise
auch der linke degenerirt. An der Brücke nichts anderes, als die Degeneration
der Pyramidenbündel, vollständig rechts, theiiweise links. Im verlängerten Mark
ist ausser der Degeneration der rechten auch die der linken Pyramide klar er-
sichtlich. Im Rückenmark Degeneration der gekreuzten Pyramidenbündel; be-
merkenswerther deijenigen links. Man bemerkt keine Degeneration längs der
Bündelbahnen Tübck's.
Degeneration der GolPschen Stränge, welche am untern Theil des Rücken-
marks anfängt, wo sich Myelitis aller weissen Bündel zeigt (Leuco-Myelitis).
Die Schlüsse, welche diese Untersuchungen und die mikroskopischen oben
erwähnten Resultate zu ziehen uns berechtigen, sind folgende:
1. Da wir die unmittelbar unter der Hirnrinde liegenden Fasern nicht
verletzt haben, so muss die Degeneration nothwendiger Weise ausschliesslich der
Rindenverletzung zugeschrieben werden.
2. Dass wir bis in die Binde den Lauf der Degeneration haben verfolgen
können, liefert uns den sichersten Beweis, dass jene Fasern und die zum TheQ
zerstörte Rinde in intimen Beziehungen zu einander stehen, ein einziges System
bilden; wir haben gezeigt, was von Fleohsi0 nicht bewiesen, sondern nur
vorausgesehen wurde mit seinen so wichtigen Studien über die embryonale
Entwickelung der verschiedenen Fasersysteme im Rückenmark und im Gehirn.
3. Der Streifenhügel ist im Widerspruche mit dem, was Wsrniokb zu
beweisen gesucht hat, mit der zerstörten Zone vermittelst eines Fftaersystems
des Stabkranzes (von dem Pyramidenbündel verschieden) nach der von Mstkebt
angestellten Doctrin in enger Beziehung; mit den bedeutenden Zerstönmgen
der Bewegungszone zerfällt er in Atrophie. Dieses stimmt überein mit den
Resultaten der Untersuchungen von Bianohi über die Porencephalie (La Psi-
cUatria. 1884).
4. Wenn das Pyramidenbündel ein Bewegungsbündel ist, so kaim sein
Gentrum nichts anderes als ein Bewegungscentrum sein. Die wiederholte Unter-
— 391 —
snchnng der operirten Hunde, die posihemiplegische Mitlähmung (Gontractur)
und die erwähnten anatomischen Befunde sohliessen in entschiedenster Weise
aus, dass es sich um ein Gefühlscentrum weder im Sinne Schiffes, noch
demjenigen Mttnk's handle, somit scheint uns seine Eigenschaft als wahres
Bew^^gscentrum bewiesen.
5. Erwähntes Bewegungscentrum ist nicht allein beim Hunde in der
Evolutionssteigerung der Bewegungscentren am höchsten, um so eher, als nicht
der Gang, der Sprung, der Lauf etc., sondern nur einige weniger gewohnliche
und weniger organisirte Bewegungen gestört werden, es ist aber auch die wahre
QueUe der Kraft, wirkliche Lähmupg ist in den gegenüberliegenden Gliedern
vorhanden.
6. Die Hunde, denen nur die Bewegungszone vertilgt worden ist, verlieren
nichts oder sehr wenig von ihrem inteUectuellen Leben, bewahren dieselben
Instincte, denselben Humor, die gleiche Lebhaftigkeit, sind erkenntlich, treu,
lustig, anhänglich wie früher, ja selbst noch mehr. Sie nähren sich gut und
vermehren sich unter sich, epileptische Junge zur Welt bringend.
7. Die Ersetzung eines Theiles der Phänomene, welche in der ersten, der
Oehimverstümmelung bei Hunden folgenden Woche verschwinden, kann nicht
von dem Streifenhügel und den Linsenkemen behauptet werden, denn es kann
die Hyperfunction nicht mit der Hypotrophie und der Degeneration zusammen
gehen. Es bleibt daher immer mehr die Idee des functionalen Ersatzes der
Rinde bekräftigt, wie einer von uns in oben erwähnter Arbeit behauptete.
Wir können jetzt schliesslich behaupten als entscheidenden Beweis der
Localisirungen auf der Gehirnrinde, dass die Zerstörungen am Hinterhaupts-
lappen einen Symptomencomplex hervorrufen, sehr verschieden von dem vorhin
beschriebenen, und dass die Degenerationen sioh auf Bahnen befinden, die von
den pyramidalen entfernt sind, aber hierüber werden wir uns erlauben ein
andermal zu sprechen.
Das Degenerationsbündel, welches von der zerstörten Zone aus verfolgt
werden kann, entwickelt durch den Balken nicht allein nur die beiderseitigen,
von der elektrischen Err^nng der einen Rindenseite hervorgerufenen Bewe-
gungen, über welche einer von uns in der vorstehend angeführten Arbeit sich
ausführlich aussprach, sondern auch den Einfluss, welchen eine Hemisphäre auf
beide Körperh&lften haben kann, und die Ersetzung in gewissen Grenzen, wenn
eine der beiden Hemisphären in ihrer Bew^ungszone verstümmelt ist
2. Zur Frage über den weiteren Verlauf der Hinterwurzel-
fasem im Rückenmarke.
Von G. Bossolymo, Assistent an der Nervenklinik in Moskau.
Bekanntlich wird gegenwärtig in der Neurologie fast allgemein der Satz
angenommen, dass die Fortsetzungen der hinteren Wurzeln, wenigstens eines
— 392 —
Theiles derselben, im Bückenmarke in den Hintersträngen, speciell in den GoU'-
schen Strängen verlaufen. Dieser Satz, der ursprünglich unter dem Einflösse
der ScHiFF'schen Lehre von dem Verlaufe der tactilen Bahnen in den Hinter-
strängen entstand, gründet sich hauptsächlich auf der bekannten Thatsache der
secundären aufsteigenden D^eneration der Goll'schen Stränge nach Querschnei-
dungen oder krankhaften Läaionen des Bückenmarkes. — Da es schon seit
Walleb's Untersuchungen bekannt war, dass die hinteren Bückenmarkswuneln,
nachdem sie durchgeschnitten sind, in ihrem centralen Abschnitte, wie man
annimmt) in Folge der Trennung von dem trophiscben Gentrum — dem Spinal-
ganglion, degeneriren, so konnte daraus natürlich die Voraussetzung entstehen
dass auch die Bückenmarksbahnen, welche die Fortsetzungen der hinteren Wur,
zeln in sich schliessen, nach Trennung derselben vom Spinalganglion entweder
durch Wurzel- oder Bückenmarksdurchschneidung, nach aufwärts degeneriren
sollen. — Wenn nun diese Voraussetzung richtig ist, so müssen angesicbts der
Entwickelung der secundären Degeneration in den GoU'schen Strängen bei oben
genannten Bedingungen die Fasern derselben als Fortsetzungen der hinteren
Wurzeln betrachtet werden. — Und dies um so mehr, als die gleiche Degene-
ration auch in den Fällen der pathologischen Läsion der Gauda equina beim
Menschen einerseits^ und bei experimentellen Durchsohneidungen der hinteren
Wurzeln bei Hunden andererseits beobachtet wurde.^ Trotz aller dieser Ergeb-
nisse aber, die zu Gunsten des Zusammenhanges der Goll'sohen Stränge mit
den hinteren Wurzeln sprechen, kann man kaum jetzt die Fasern der ersteren
für Sensibilitätsleitende Bahnen halten. — Gegen solche Auffassung sprechen
ebenso die zur Zeit in der Physiologie herrschenden Anschauungen, dass die
soeben genannten Bahnen wahrscheinlich in den Seitensträngen des Bücken-
markes verlaufen, als die klinisch-anatomischen Beobachtungen der Fälle com-
pleter Hinterstrangsdegeneration (Tabes), in denen bei Lebzeit gar keine oder
unverhältnissmässig geringe Störungen der Sensibilität beobachtet wurden. —
Bei solchem Widerspruche bleibt natürlich die Frage von der Wechselbeziehung
zwischen den GolPschen Strängen und hinteren Wunsein unaufgelöst — Fol-
gende Ueberlegungen schienen mir nun bei Wiederholung des Versuches der
' CoBNiL in Leyden, Klinik der Rflckenmarkskrankheiten. Bd. 11. S. 807.
Lanob, Nord. med. ark. 1S72. IV. 2. Nr. 11. S. 1-^lS. — Sehm. Jahrb. 1872. Bd. 1&5.
S. 281.
Simon, Arch. f. Psych. 1874. Bd. V. S. 114.
Lbyden, 1. c.
SciiuLTZB, Arch. f. Paych. 1884. Bd. XIV. S. 112.
EiSBNLOHB, Ncnrolog. Centralbl. 1884. Nr. 4.
* BuppALiNi et BoBSi. Arch. d. Physiol. norm, et path. 1876. p. 829.
J. SiNOBB, Sitznngsber. d. )Vien. Acad. 1881. Abth. III. S. 390.
Kahlbb, Prager med. Wochenschr. VIII. Jahig. Nr. 15. Ref. im Jahresber. von Vibchow
und HiBscH. 1883. Bd. I. S. 89.
Bkchtrrbw und Rosbnbach, Nenrolog. Centralbl. 1884. Nr. 10. ~ Die Einwendong
Ton Prof. ScHULTZB, ibid. 1884. Nr. 12. — Nachtrag von Bbohtbbbw q. Boskn-
baor, ibid. 1884. Nr. 14.
— 393 —
experimentellen Entscheidung dieser Frage in Betracht genommen werden za
können. — Bekanntlich verhält sich das Backenmark des Meerschweinchens,
wie ans den Erscheinungen der sog. Brown-S^qnard'schen Lahmung bei halb-
seitigen Lasionen oder Henüsectionen des Bückenmarkes folgt, ganz ähnlich dem
Bückenmarke des Menschen in betreff der completen Kreuzung der die (Sensi-
bilität) leitenden Bahnen einerseits, als auch (wie ich mich durch besondere
einschlägigo Untersuchungen überzeugt hatte) in Betreff der Form und Aus-
dehnung der secundären au&teigenden Degenerationen andererseits. — Befinden
sich nun in der That im Bereiche dieser aufwärts degenerirenden Fasern die
die (Sensibilität) leitenden Bahnen des Bückenmarkes, dann könnte man eine
Degeneration derselben auch in dem Falle erwarten, wenn anstatt der Hemi-
section des Rückenmarkes die Durchsohneidung der hinteren Wurzeln der
gegenüberliegenden Seite ausgeführt würde.
Zur Entscheidung dieser Frage habe ich unter Leitung des Herrn Prof.
Dr. W. Qlikt, dem ich meinen innigsten Dank schuldig bin, folgende Versuche
unternommen.
Dem chloroformirten Meerschweinchen wurden (nach Entfernung der Bogen
der zwei oder drei Lendenwirbel) behutsam die hinteren Wurzeln, die zur Bil-
dung des Ichiadicosstammes sich betheiligen, auf der einen (immer rechten)
Seite bei jedem Einzelversuche in verschiedener Zahl (1 — 3) durchschnitten. —
Bei streng antiseptischer Behandlung heilte die Wunde bald, die Knochen
regeuerirten sich. — Die complete Annästhesie des entsprechenden Gebietes der
Unterextremität bestand fort — Nach Verlauf von 3 — 5 Monaten wurde das
Thier getödtet, und die gleich ausgeführte Secüon und Untersuchung der be-
treffenden Theile in frischem Zustande ergab in allen Fällen Folgendes: ganz
unbeträchtliche Zeichen einer leichten circumscripten Meningitis im Bereiche
des Operationsfeldes; das Bückenmark selbst stellte von Aussen nichts Besonderes
dar, die centralen Abschnitte der durchschnittenen hinteren Wurzeln reprasen-
tiren sich als feine graue Fäden, während die vorderen Wurzeln derselben,
sowie die hinteren und vorderen der anderen Seite durchaus normal aussehen.
— Bei Osmiumsäurebehandlung der obengenannten centralen Stücke der durch-
schnittenen hinteren Wurzeln konnte man leicht die complete Degeneration aller
ihrer Nervenfasern constatiren.
Das Bückenmark wurde in Müller'scher Flüssigkeit und weiter in Alcohol
erhärtet, dann mittelst Mikrotom in Querschnitte zerl^; die letzteren, mit
Hämatoxylin nach Weioebt oder mit Fikrocarmin behandelt, zeigten bei der
mikroskopischen Untersuchung folgende Bilder den verschiedenen Höhen des
Schnittes entsprechend : Auf den Querschnitten im Niveau der Spitze des Conus
medullaris (Fig. IV) bemerkt man ganz unbedeutende Zeichen einer Leptomenin-
gitis circumscripta, entsprechend dem rechten Hinterhorn, gänzliche Abwesenheit
auf der rechten Seite der hier eintretenden und in dem Hinterhome verlaufenden
Hinterwurzelfasem, die Abnahme der Zahl der Nervenzellen im Hinterhome,
sdir beträchiiiche Verkleinerung fast bis zum gänzlichen Verschwinden des
rechten Burdach'schen Stranges und unbedeutende, ja kaum bemerkbare De-
— 394 —
generatioQ eüiiger Nerreiüaseru im Seitenstrange am äussereu Bande iee Kopfes
des rechten Hinterhornes.
Auf der Höhe des gtüssteu UmfaDges (Fig. II a. III) der Lendenanschwellong
locaJiäireu sich die Veraoderungeu auch unr in der rechten Seite des Bäcken-
marbeb hier sieht man auch die complete Degeneration der rechten Hintei-
wurzelfabern und ihrei ForU>etzungeQ im Hiuterhume, die Verkleinerung des
Pig I
Fig. U.
0 bereit VieiUl der LeDdenanschwcUunt;
Zweites Viertel (von oben) der Lenden-
anBchwellniig.
letzteren jedoch hei Unversehrtheit der Nervenzellen, die Abnahme des Gebietes
des rechten Burdach'schen Stranges in seinem mittleren, dem Halse des Hinter-
horiis ai^renzendem Drittel. Was die den im Conus medullaris gefundenen
CoDOB meduUaria.
Drittes Viertel (van oben) der Lendenftnachwellong.
entsprechenden Veräudeningen im Seitenstrange' betrifft, so sind solche in dieser
Höhe viel weniger ausgeprägt — Auf den Querschnitten aus dem oberen Theile
der Lendeuanschweltung (Fig. I] können weder in den hinteren Wurzeln, noch
' „Hinterwnraelgebiet der SeitenBtr&nge", von Beohtbkbw. (Arch. f. An&t. tu PhjiioL
18S6. Anatom. AbtbeiL Siebe ancli dieoea Ceotiftlbl. 1886. Nr. 9.)
— S95 —
im HinterhoTne und Seitenstrange schon iigendwelcfae Yeranderungen entdeckt
werden. Nur die partielle Yerkleinerang des Burdach'schen Stranges, seiner an
die Gommissura posterior angrenzenden Abtheilung nämlich, soll als die einzige
hier bemerkbare Veränderung erwähnt werden.
Im Dorsal- und Halstheile der rechten Seite des Bückenmarkes , sowie in
der ganzen linken Hälfte desselben und den übrigen nach oben liegenden Ab-
theilungen des Centralnervensystems sind durchaus keine Veränderungen zu
bemerken. Besümiren wir jetzt die oben beschriebenen Veränderungen, die nach
Durchschneidung der hinteren Wurzeln sich entwickeln, so finden wir sie be-
schränkt 1) auf die D^eneration des centralen Stumpfes der durchschnittenen
Wurzeln in seinem extra- und intramedullaren Verlaufe, 2) auf die mehr oder
weniger beträchtliche Beduction des Burdach'schen Stranges in einiger Ausdeh-
nung (den durchschnittenen Wurzeln entsprechend) nach der Länge, und 3) auf
ein kleines Degenerationsfeld neben dem äusseren Bande des Kopfes des Hinter-
homes. — Die übrigen Abtheilungen des Bückenmarkes, namentlich die Goll'-
schen Stränge beiderseits, erweisen sich als ganz normal.
Daraus erlaube ich mir folgende Schlüsse zu ziehen:
1) Die Fasern der hinteren Bückenmarkswurzeln hören beim Meerschwein-
chen nach ihrem Eintritte in das Hinterhom auf, indem sie wahrscheinlich in
den hier liegenden Nervenzellen endigen.
2) Es giebt, ergo, in den hinteren Bückenmarkswurzeln des Meerschwein-
chens keine Fasern, die sich ununterbrochen in die Fasern des Groll'schen Stranges
derselben oder der anderen Seite fortsetzen.
3) Die Fasern der GoU'schen Stränge haben ihr trophisches Centrum nicht
im Spinalganglion, sondern irgendwo an einem anderen Orte.
4) Die physiologische Bedeutung der GoU'schen Stränge blieb durch meine
Untersuchungen unerklärt, und so muss ich diese Frage dahingestellt sein lassen.
Hier beeile ich mich, meinen yerbindlichsten Dank Herrn Prof. Eojewni-
KOFF auszusprechen ftbr seine Liebenswürdigkeit, meine mikroskopischen Prä-
parate betrachtet zu haben.
Moskau, Mai 1886.
n. Referate.
Anatomie.
1) Ueber die Bestandtheile des Corpus restiforme» von Prof. W. Bechterew.
(Wjestnik psychiatrii i nevropatologii. 1886. I. Russisch.)
Die Angaben B.*s beruhen auf der Untersnchnng von Gehimquerschnitten ans
Föten yerschiedener Altersperioden (von 25 cm Lange bis zur völligen Reife). Durch
Y^olgong der Markscheidenentwickelung gelang es ihm, im Corpus restiforme das
Vorhandensein von fünf besonderen Fasersystemen nachzuweisen, und zwar: 1) Die
Fortsetzung der directen Kleinhimseitenstrangbahn, deren Fasern bereits bei 25 cm
langen Früchten markhaltig erscheinen. 2) Fasern aus dem gleichseitigen Nud. funic.
cuneati; sie entwickeln sich bald nach den vorigen und liegen im (Corpus restiforme
— 396 -
tlieils dorsal von denselben, theils vermischt mit ihnen. H) Fasern, die vom gleich-
sMtigen Nud. latenJis, genauer Yom Nacl. laier. post. (Boller) aufsteigen. 4) Bein
38-—40 cm langen Fotos erhalt das Corp. rostiforme einen bedeutenden Ziavaohs aus
beiden Nud. funic. gracilis durch Fibrae arcuatae anter. und posier, ei^ra. 5) Cregen
das Elnde des intrauterinen Lebens treten in ihm noch markhaltige Fasern auf, die
aus der contralateralen unteren Olive stammen.
Im Gegensatz zu anderen Autoren behauptet Verf., dass weder die Formatio
reticularis, noch die Pyramiden, noch das V. und VIII. Nervenpaar (Edinger) sich
am Aufbau des Corp. restiforme betheil^en.
Was die Fortsetzung des Corp. restiforme im Kleinhirn betrifft, so zerfällt es
daselbst in drei gesonderte Bündel.
Eins davon enthält drei Fasersysteme — die directe Kleinhimseiteiistrangbahn,
die Faserzfige aus dem Nncl. funic. cuneati und diejeftigen aus dem Nucl. lateralis.
Letztere enden wahrscheinlich in der Rinde des Yermis super, der gegenüberliegenden
Seite, währe^d die beiden ersteren zum vorderen Theil des gleichseitigeii Yermis
super, ziehen.
Die zweite gesonderte Fortsetzung des Strickkörpers iu) Kleinhirn führt die aus
den Nucl. funic. gracilis stammenden Fasern zu den mittleren Theilen des gleich-
seitigen Yermis super.
Das dritte Bündel bilden die Fasern aus den unteren Oliven. Sie ziehen haupt-
sächlich zu der grauen Substanz des Nucl. dentatus» zum Theil vidleicht auch direct
zur Kleinhimrinde. P. Bösen bach.
Experimentelle Physiologie.
2) Sur ime fonotion dite psychique de la mobile. Conununioation faite
a la Booietö m^d. de Gendve» par le Dr. U. Girard. (Revue medic. de
la Suisse romande. 1886. Nr. 7.)
Yerf. demonstrirte 3 Frösche, denen, er nach dem Yorgang von Talma ^ die
hinteren Wurzeln des Plexus lumbalis einseitig durchschnitten und dann das Rücken-
mark dem einen hinter dem Kleinhirn,' dem zweiten aber in der H6he des Hypo-
glossus dnrehtrennt hatt«, während der dritte ein unversehrtes Centnünervensystem
besass. Durch das Stadium der Bewegungen dieser Thiere wird Yerf. zur Bestätigung
der Angaben Talma's und zu Reflexionen geführt, die im Original nachzulesen sind.
Hitzig.
3) Influence du systdine nerveux sur la dilatation de la pupille« par N.
Kovalewsky, prof. ä TUni versitz de Kasan. (Extrait des Arch. Slaves de
Biol. Paris 1886.)
K. kommt auf Grund einer grossen Zahl von an Katzen ausgeführten, combinirten
Durchschneidungs- und Reizungsversuchen zu folgenden Schlüssen.
1) Die Hypothese von Schiff und Salkowski über den directeu. Yerlauf von
Erweiterungsfasem der Pupille, welche von einem Gehimcentrum aus durch den
Seitenstrang des Halsmarkes in den Halstheil des Sympathicus eintreten sollen, ent-
spricht den Thatsachen nicht.
2) Die Hypothese von Budge, welche gegenwärtig von Luchsinger, S. Mayer
und Pf ibram aufrecht erhalten wird, betreffend die ^E^xistenz' eines autonomen, im
Rückenmark gelegenen pupillenerweiternden Centrums, entspricht ebensowenig den
Thatsachen.
* Pflöger»8 Arch. Bd. XXXVn. S. 617 ff.
— 397 —
Si) Das autonome der reflectorißchen Erregung zugängige Centrum fOr die pupiUen-
erweitemden Nerven Hegt in der Himregion.
4) Aus diesem Centrum entstehen intercentrale Faserzüge, welche sich auf zwei
Wegen — einer Hirn- und einer Rückenmarksbahn — zu den Ganglienzellencom-
plexen begeben, aus denen die pupillenerweitemden Fasern entspringen.
5) Wahrscheinlich verläuft die RQckenmarksbahn in den Seitensträngen und
zwar für jede Pupille doppelseitig. * '
6) Nicht alle pupillenerweitemden Fasern verlaufen durch den Halstheil des
Sympathicus nach dem Auge. Für eine kleine Zahl von Fasern muss noch ein
anderer Weg existiren.
7) Die Bahnen für die sensibelen von den Ischiadicis aufsteigenden und in das
dilatireüde Qehimcentrum einstrahlenden Reize verlaufen hauptsächlich in den Seiten-
strängen; im Cervicalmark jeder Seite finden sich Fasern beider Ischiadici; und von
jeder Seite aus kann deshalb doppelseitige, reflectorische Pupillenerweiterung aus-
gelöst werden!
8) Beizung des Vagus, Hjpoglossus, Lingualis und Infraorbitalis bewirkt ebenso
wie Reizung der bereits bekannten Nerven reflectorische Pupillenßrweiterung.
9) Das centrale pupillenerweitomde Centrnm ist nicht nur der reflectorischen,
sondern auch der directen Erregung fähig, vermittelt namentlich durch Verringerung
der arteriellen Blutzufuhr (Verschluss der Carotiden) und durch Dyspnoe.
10) Für die Retraction der Nickhaut und dio Protrusion des Bulbus existirt
gleichfalls ein autonomes Gehimcentrum ; aber die aus demselben entstehenden Bahnen
verlaufen ausschliesslich in den Seitensträngen. Diejenigen peripherischen Bahnen,
welche aus dem Rückenmark entspringen, verlaufen nicht ^ämmtlich durch den Hals-
theil des Sympathicus, sondern beschreiten noch einen anderen Weg.
11) Das durch Reiz- und Lähmungsversuche producirte Gesammtbild der Augon-
erscheinungen (Auge, Nickhaut und Lidspalte) deqkt sich in seinen einzelnen Zügen
nicht bei allen Versuchen. Es kommen im Gegentheil Fälle vor, bei denen neben
der Erregung der pupillenerweitemden Fasem Abschwächung der Innervation der
Nickhaut beobachtet wird. Aus diesem Gmnde und wegen der Verschiedenheit des
Verlaufs der pupillenerweitemden und der motorischen Fasem der Nickhaut muss
die Innervation jeder dieser beiden Bewegungen gesondert untersucht werden.
Hitzig.
4) BtotetBsement r^fleze de la pupUle par lalumidre» par M. Bechterew.
(Arcfa. slaves de biol. 1886. L 2. S. 356.)
In Fortsetzung seiner früheren Versuche constatirte B. an Hunden durch Ex-
stirpation im Bereiche des 3.. Ventrikels, dass bei Läsion des postero-lateralen An-
theils dieses Ventrikels die correspondirende Pupille ad maximum erweitert und
reactionslos ist; dadurch ist erwiesen, dass die Trennung der den Irisrefiex ver-
mittelnden Fasem von den das Sehen vermittelnden nicht unmittelbar hinter dem
Chiasma, sondern erst im weiteren Verlaufe der Tractusfasem erfolgt; Versuche einer
genaueren Bestimmung der Localität scheiterten an operativen Schwierigkeiten. 6.
benutzte deshalb Tauben und Hühner und constatirte vorerst, dass die vom normalen
Thiere bekannte Erscheinung der Pupillenverengerung bei Lidschluss auch bei ent-
himten Vl^geln bei Berühmng der Comea eintritt, was beweist, dass zwischen dem
Trigeminus einerseits, dem Oculomotbrius, dessen Ast für den Levator palpebr. sup.
andererseits eine anatomische Verbindung besteht, und den Schluss erlaubt, dass auch
bei Unterbrechung der reflexvermittehiden Fasem zwischen Opticus und Oeulomotorius
Pupillenverengung durch Reizung der Comea zu erzielen ist. Ging B. zwischen den
Zweihügeln mit einem Pfriem ein, so trat jedesmal Pupillenstarre bei maximaler Er-
weiterung ein, sowie Lähmung des Orbicülaris; in einzelnen Fällen gelaug es, die
— 398 —
Erscheinangen aaf ein Äuge beschrankt zu erzeugen bei ganz schwacher BetbeiHgung
der anderen Iris und ergab die Section, dass die Läsion die innere Partie des gleich-
seitigen Tubercnl. bigemin. getroffen hatte.
Weitere Versuche über den Ort des Abganges der reflectorischen Fasern vom
Opticus zum Oculomotoriuskem bei Vögeln ergaben, dass derselbe vor dem Eintritt
der Tractusfasern in's Tubercul. bigemin. erfolgte und dass jene im centralen Höhlen-
grau verlaufen.
Vögel mit Lasion des Ventrikelgrau's zeigten in der Regel nach der Operation
rhythmische Gontractionen der Iris.
Wir benützen diese Gelegenheit, das neue Archiv, das die Arbeiten rososcher
und polnischer Autoren in erfreulicher Weise auch unserem Leserkreise erschliessen
wird, hiermit zu begrüssen. A. Pick.
Pathologische Auatomie.
6) Hyaline (waohsartige) Degeneration der Fasern des N. medianns sin.
bei (Gegenwart eines lateralen Myxofibroms an demselben, von H.
Schuster. (Zeitschr. f. Heilk. 1886. VII.)
Gänseeigrosser Tumor in der medialen Bicipitalfurche, dessen Kapsel in die
Scheide des N. medianus übergeht, ausserdem 3 kleinere, anderweitige Tumoren.
Symptome während des 8jähr. Verlaufs: Parästhesien, Schmerzen, klonische Zuckungen
der Vorderarmmuskeln, Paresen. — Exstirpation der Geschwülste und Besection des
N. medianus. Erstere erweisen sich als typische Myxofibrome mit hyaliner D^ene-
ration, welche sich auch im Bindesubstanzgewebe des resecirten Nervenstücks findet
Ganz einzig dastehend ist aber das gleichzeitige Vorkommen von hyaliner Substanz
innerhalb der Nervenfaserscheiden im ganzen resecirten Stück (Zupfpraparate
in V2 — ^^/o Osmiumsäure: Scheiden gequollen und mit Buckeln beseiust, ausgefüllt
von hyalinen, mit Jod sich nicht specifisch farbonden Ballen, zwischen letzteren ge-
quollenes, umgewandeltes Mark, Axencylinder persistiren, leicht gequollen).
Hypothetisch wird das Auftreten des Hyalins auf den erhöhten Druck bezogen,
dem der Nerv durch die Geschwulst ausgesetzt war. Th. Ziehen.
6) Kritische Bemerkungen über die Bedeutung der »«Kunstproduote** bei
der Beurtheilung entEündllcher und atrophischer Prooesse in den
Elementen des centralen Nervensystems, von W. Pecqueur. (Wjestnik
psychiatrii i nevropatologii. 1886. I. Russisch.)
Durch eigene Untersuchungen mit dem Studium atrophischer Vorgänge au den
Nervenzellen beschäftigt, unterzieht Verf. die neuerdings von Fr. Schultze und
Kreyssig (Virchow's Arch. Bd. 102), wie auch vor einigen Jahren von B. Schulz
(dieses Gentralblatt 1883 — 84) aufgestellten Behauptungen über arteficielle und
cadaveröse Veränderungen der Nervenzellen in den Gentralorganen einer gründlichen
und scharfen Kritik. Was den zuletzt genannten Autor anbetrifft» so schliesst sich
P. an die seiner Zeit vom Referenten gemachten Ausführungen über die Bedeutung
der Vacuolisation der Nervenzellen (vergl. dieses Gentralblatt 1884) vollständig an.
Seine eigene Polemik ist hauptsächlich gegen den von Fr. Schnitze und Kreyssig
ausgesprochenen Zweifel am pathologischen Charakter der Nervenzellenveränderongen
bei Intoxicationen gerichtet. Dieser Zweifel entstand bekanntlich einerseits dadurch,
dass es gelingt auch an Präparaten von „gesunden" Thieren verschiedene FärbungB-
nuancen der Nervenzellen zu beobachten; anderM:Beits dadurch, dass auffälliger Weise
die verschiedensten Gifte (in den Untersuchungen von Danillo, Popow, Tschysch
u. A.) die nämlichen Veränderungen hervorbrachten. Verf. führt den Nachweis, dass
— 399 —
sowohl die genannten, als auch mehrere andere in Deutschland unbekannt gebliebene
russische Autoren, die atrophisch-degenerativen Veränderungen der Nervenzellen im
Gehirn nnd Rückenmark beschrieben haben, sich dabei durchaus nicht ausschliesslich
von Veränderungen der Tinctionsßlhigkeit an erhärteten Präparaten leiten Hessen,
sondern sich auf sehr mannichfaltige chemische und optische Eigenthümlichkeiten der
Zellen, sowohl in erhärtetem, als auch frischem Zustande stützten. Femer macht er
darauf aufmerksam, dass die relative Einförmigkeit der betreffenden mikroskopischen
Bilder bei verschiedenen Intoxicationen und pathologischen Processen nicht nur nichts
Aufi[alliges bietet, sondern im Gegentheil sehr natürlich ist; ganz die nämlichen Ver-
änderungen der Nervenzellen wurden auch von verschiedenen Autoren als pathologischer
Befund bei diversen Erkrankungen des Centralnervensystems des Menschen angegeben
— bei progressiver Paralyse von Meynert, Ljubimow, Mierzejewski, bei Bulbär-
Paralyse von Erb u. A., bei Myelitis von Ziegler, Erb, Leyden, Charcot etc. etc.
Femer sind ganz ähnliche Veränderungen an den Zellen der Darmganglien bei der
Cholera von Prof. Ivanowski (russisch) beschrieben worden, an den Zellen der
Herzganglien bei Vergiftung mit Qallensäuren von Jaroschewski u. s. w.
Verf. macht femer auf das Paradoxon auftnerksam, zu dem wir gelangen wurden,
wenn die in Rede stehenden Verändemngen der Nervenzellen in der That nichts
Anderes wären, als durch Erhärtung und andere Umstände bedingte Kunstproducte;
es müsste bei den verschiedenen pathologischen Zuständen, um die es sich hier
handelt, den Elementen des Nervensystems eine ganz merkwürdige Resistenzfahigkeit
zugesprochen werden, und eine solche Annahme ist um so mehr unzulässig, als in
diesen Fällen degenerative Veränderungen anderer Zellenelemente (z. R in der Leber,
in den Muskeln) allgemein anerkannt sind.
Indem hier nicht der Ort ist, auf weitere Einzelheiton der gekennzeichneten
Polemik einzugehen, begnügen wir uns mit dieser gedrängten Schilderang.
P. Rosenbach.
Pathologie des Nervensystems.
7) A case in which an old amputation of the left npper arm was asso-
oiated with an atrophied right ascending parietal convolution« by
Wiglesworth. (Joum. of ment. science. 1886. April.)
W. beschreibt das Gehirn, einer im Alter von 56 Jahren gestorbenen epilep-
tischen Kranken, welche im Alter von 4 Jahren eine Amputation des linken Ober-
arms im mittleren Drittel überstanden hatte. Der Fall bietet dem Verf. eine Be-
stätigung für die Localisirnng der Gehimfunctionen, denn im rechten Gyr. centr.
post. fand sich eine stark ausgeprägte Atrophie. Wegen der Zahlen über Maasse und
Gewicht der einzelnen Theile und wegen der Abbildung muss auf das Original ver-
wiesen werden. Zander.
8) Ck}ntribution & l'hlBtoire des locaUsatioos cerebrales, par Salesses.
(L'Encöphale. 1886. Nr. 3.)
S. berichtet über 2 verschiedene Fälle von Zerstörung von grauer Rindensub-
stanz, in welchen er eine Stütze der Functionslocalisation an bestimmte Hiracentren
erblickt; im ersten handelt es sich um angeborene Atrophie der excitomotorischen
Centren der Rinde der linken Hemisphäre, in Folge deren vom 2. Lebensjahre an
eine spasmodische rechtsseitige Hemiplegie constatirt wurde und im späteren Lebens-
alter bildete sich eine epileptische Psychose aus. Im zweiten Falle führt umgekehrt
die Amputation des rechten Armes im Alter von 13 Jahren zur Atrophie der grauen
— 400 —
Binde in der oberen Partie der linken aufsteigenden Stimwindang (Gyr. centr. ant).
Die Details der beiden Gehirnbefunde, welche durch Zeichnungen näher erläutert
sind, müssen im Original eingesehen werden. Zander.
9) Bidrag til LokaUsationslftren, af Chr. Leegard. (Norsk Hag. f. LägevidensL
1885. 3. E. XV. 4. S. 191.)
Ein SOjähriger Mann war nach einem heftigen Schlag auf die rechte Seite des
Kopfes Y4 Stunde lang bewnsstlos und am linken Arme gelähmt gewesen; nach
72 Stunde konnte er den Arm wieder bewegen, Hand und Finger aber nicht. An
der verletzten Stelle bildete sich eine Fistel, aus der Eiter ausfloss and die sich
später schloss, aber immer wieder aufbrach. Etwa 5 Monate nach der Verletzung
trat ein epileptiformer Anfall auf, der mit Zuckungen in den linken Extremitäten
begann. Bei der Aufnahme am 15. Nov. 1884 (11 Mon. nach der Yerletzong) fand
sich am rechten Os parietale eine von einer scharfen Enochenkante begrenzte De-
pression, die sich nach oben zu allmählich verlor und vom Tuber parietale nach der
Sutura coronaria hin ging. Sie war 7,5 cm lang und lag 13 cm oberhalb der Spitze
des Processus masi und 7 cm nach vom von der Sutura longitudinalis. Am Tnber
parietale fand sich eine Fistelöffhung, die auf unebenen, blossgelegten Knochen ftkhrte;
nach einer Incision zeigte sich eine Fractur, durch welche man in einen Baum zwischen
Knochen und Dura gelangte; pulsirende Bewegung sah man nicht im Wundboden.
Durch Ausmeisselung von Knochen am hintern Wundwinkel wurde die Oeffiiung in
dem Schädel vergrössert, die Dura aber nicht geöffnet. Ein antiseptischer Verband
wurde angelegt. An demselben Tage trat ein epileptiformer Anfall auf, danach ver-
fiel Fat. in Coma mit nach links gewendetem Gesicht; die Pupillen waren gleich.
In der folgenden Nacht trat wieder ein Anfall auf, in dem sich die Krämpfe nur
auf die Arme beschränkten; bewusstlos wurde Fat. dabei nicht. — Die Intelligenz
schien ungeschwächt, Fat. klagte nur über geringe Steifheit und (Jnbeholfenheit im
linken Arme und in der Hand, mit taubem Gefühl in den Fingern. Die Beweglich-
keit der G^ichtsDDuskeln war gut, auch die der Augäpfel, Diplopie war nicht vor-
handen. Die Zunge wurde deutlich nach links geneigt herausgestreckt^ die linke
Hälfte derselben war kleiner als die rechte, die Bewegungen der Zunge waren aber
gut (es erscheint zweifelhaft, ob diese Asymmetrie der Zunge zum Kntnkheitsbild
gehörte). Am weichen Gaumen zeigte sich nichts Bemerkenswerthee; das Gefühl
war überall gut. Der linke Arm, besonders die Hand, war paretisch; alle Bewegungen
konnten ausgeführt werden, waren aber unbeholfen, besonders feinere Bewegungen.
Bei gesclüossenen Augen bestand eine geringe Unsicherheit, auch bei einfachen Be-
wegungen. Periost- und Sehnenreflexe am Hand- und Ellenbogengelenk waren deut-
lich vermehrt, die Hautrefiexe normal, ebenso die mechanische Muskelreizbarkeit.
Deutliche Bigidität war nicht vorhanden, auch keine Atrophie. — Die Sensibilität
war etwas herabgesetzt an der Hand und an den Fingern, oberhalb des Handgelenb>
schien sie normal. Einfache leichte Berührung fühlte der Kranke nicht am kleinen
Finger, aber wohl an den übrigen Fingern; der Unterschied zwischen der Spitze und
dem Kopf einer Stecknadel wurde an allen Fingern unsicher aufgefasst, an der
rech ton Hand aber mit Leichtigkeit; die Eindrücke wurden unsicher localisirt, Fat
wusste nicht immer den berührten Finger genau anzugeben. Die Spitzen des Aesthesio-
meters werden an den Fingerspitzen, selbst bei grösserem Abstand nicht unterschieden.
Das Temperaturgefühl war ebenfalls deutlich herabgesetzt, auch das DruckgefEUi].
Das Muskelgefühl war sonst gut und Patient koimte bei geschlossenen Augen mit
Leichtigkeit mit der rechten Hand und dem rechten Arm die Bewegungen nachmachen,
die mit dem linken passiv vorgenommen wurden. — An beiden untern Extremitäten
waren die Sehnenreflexe verstärkt
Die beschädigte Gehimstelle muss in den mittleren Theil der Centralwindong
401 —
verlegt werden tmd dieser Localisation entsprechen die motorischen Störungen. Von
grösserem Interesse sind die Sensibilitatsstönm^en; der Fall deutet darauf hin, dass
dieselben Theile der Corticalsubstanz, die für die Motilität Bedeutung haben, diese
auch für die Sensibilität besitzen, wodurch Munk's Experimente und Exner*s kli-
nische Untersuchungen eine Stütze gewinnen. Munk's Theorie von der Seelenläh-
mnng scheint indessen nach L. nicht durch solche Fälle bestätigt zu werden.
Walter Berger.
lO) Till fvagan om benets motoriska barkoentnun, af S. E. Henschen.
(Upsala läkarefören. förh. 1886. XXI. 7. S. 359.)
Bei einem 5jährigen tuberculösen Knaben trat im August 1884 eine Parese im
rechten Bein und im rechten Arme auf. Im Arme war sie bei der am 8. Sept. er-
folgten Aufnahme wieder verschwunden, im Bein blieb sie bestehen. Das Gefühl
verhielt sich normal. Einige Tage vor dem am 26. Dec. erfolgten Tode stellte sich
tuberculöse Meningitis ein. Bei der Section fand sich eine tnbercnlöse Masse, welche
den Lobulus paracentralis einnahm, einen Theil des Lobulus quadratus, den obersten
Theil des Gyrus centralis posterior und die angrenzenden Theile des Gyrus anterior
und den vorderen Theil des Gyrus parietalis superior. — Aus der Zusammenstellung
einer Reihe von Fällen aus der Literatur zieht H. folgende Schlüsse in Bezug auf
die Localisation. 1) In allen Fällen von Bein-Monoplegie fand sich eine Läsion des
Lobulus paracentralis. 2) In allen Fällen folgte auf Beinamputation eine Atrophie
des Paracentrallappens (ausser in einem Falle, in dem die Atrophie ihren Sitz im
2. Frontalgyms hatte). 3) In 4 Fällen (von 8) von Monoplegie des Beines fand
sich ausserdem Läsion der oberen Theile der Centralwindungen (einer oder beider);
in einem Falle scheinen diese Windungen oder die davon ausgehenden motorischen
Fasern nicht angegriffen gewesen zu sein; in 3 Fällen besteht Ungewissheit in dieser
Hinsicht 4) In 3 Fällen (von 4) wird erwähnt, dass nach Amputation des Beines
Atrophie der Centralwindungen eintrat (in 1 Falle beider, in 1 Falle der vorderen,
in 1 Falle der hinteren). 5) Weder der Gyrus fomicatus, der Fnss der 1. Frontal-
windung, der Gyrus quadratus, noch der Gyrus parietalis superior brauchen bei
motorischer Monoplegie des Beines ergriffen zu sein. — Als bewiesen ist demnach
nur zu betrachten, dass der Zerstörung des Lobulus paracentrali& stets Monoplegie
des Beines folgt Mehrere Beobachtungen sprecheii dafür, dass auch der oberste
Theil der Gyri centrales .das Bein innervirt, das kann indessen noch nicht als voll-
kommen bewiesen betrachtet werden. Vorausgesetzt ist bei diesen Schlusssätzen, dass
die motorischen Centra fixe Punkte sind, die für alle Individuen an derselben Stelle
in demselben Gyrus liegen. Walter Berger.
11) Case of injury to skull. — Trephining for epileptiform attaoks. —
Bemoval of death bone. — Death, by Richard Davy with a note on
the physiological and medical aspects of the case byA. Hughes Bennet h.
(Brain. 1886. Aprü. p. 74—80.)
Die Obduction eines nach einer Schädelwunde (durch den eisernen Haken einer
eisernen Kette) wegen nachfolgender epileptiformer Anfälle mit unglücklichem Aus-
gang trepanirten Gasarbeiters ergab am Gehirn eine grössere Wunde, breit genug,
um einen dünnen Finger einzuführen, links im oberen Theile der vorderen Gentral-
windung unmittelbar gegenüber dem Lobulus paracentralis, denselben zum Theil ein-
schliessend. bis hinein in die Gehimsubstanz (wie tief? Bef.).
Die genaue klinische Beobachtung von Hughes Benneth hatte wesentlich eine
Monoplegie der rechten Unterextremität mit gesteigertem Kniephänomen und Fuss-
phänomen ergeben, während die Bew^ungen der rechten Oberextremitat nur etwas
— 402 —
ungeschickt waren bei beiderseits gleichen Sehnenphänomenen, Fehlen von Lähmnngs-
erscheinungen des Facialis nnd objectiv intacter Sensibilität Es sei ans der Be-
obachtung der Schluss zu ziehen, dass eine Läsion der betreffenden Bindenstelle und
unten liegenden Stabkranzfaserung wesentlich eine Lähmung der entgegengesetzten
Unterextremität veranlasse. E. Bemak.
12) lieber Tumoren des Balkens (aus der psychiatrischen nnd Nervenklinik zu
Halle a. S.), von Dr. L. Brnns. (BerL klin. Wochenschr. 1886. 21 n. 22.)
B. bringt zur Bereicherung des spärlichen Materials über Balkenaffection drei
neue Fälle aus Prof. Hitziges Material, die freilich alle nicht reine Balkentumoren sind.
Im ersten Falle bestand bei einem 77jährigen Manne ein Gliosarcom von 3 cm
Länge, im hinteren Theile des Balkens vor dem Splenium gelegen (daneben eine
Hämorrhagie in der linken Hemisphäre, Pachjmeningitis, Himatrophie). — Hier war
seit einem halben Jahre vor dem Tode ein rascher Verfall der Intelligenz beobachtet,
schleppender Gang, besonders rechterseits, Beeinträchtigungsideen und Aufregung.
Der zweite Fall zeigte ausser einem grossen Tumor (Gliosarcom) des Splenium
corp. call., welcher sich beiderseits weit in das Parietal- und Hinterhanptshim aus-
breitete, noch zahlreiche kleinere Tumoren, zum Theil mit Hämorrhagien in und
neben ihnen, sowie capillare Hämorrhagien durch den ganzen Himstamm. Klinisch
hatte Fat. das Bild einer Paralysis progressiva dargeboten, ein Tumor war nicht
vermuthet worden.
Der dritte Fall endlich betrifft einen 60jährigen Mann, bei welchem sich seit
3 — 4 Monaten rasch ein tiefer Blödsinn entwickelt hatte, und bei dem in sehr auf-
fallender Weise beim Gehen und Stehen anfangs eine sehr grosse Unsicherheit, später
geradezu Unmöglichkeit bestand, der zuletzt auch nicht einmal mehr sitzen konnte.
— Die Section ergab einen kleinen Tumor im Balkenknie nnd mehrere wallnuss-
grosse Geschwülste in verschiedenen Theilen beider Stimhime.
Nach eingehender Besprechung der von Bristowe aufgestellten Anhaltspunkte
für die Wahrscheinlichkeitsdiagnose eines Balkentumors kommt Verf. zu folgendem
Resultat: Wenn 1. die Erscheinungen eines organischen Himleidens vorhanden sind
und so wie bei Tumoren langsam zunehmen; wenn 2. hemiparetiscbe und nament-
lich paraparetische Affectionen dazukommen; wenn 3. ein hochgradiger Blödsinn vor-
handen ist, der in einem gewissen Gegensatze zu der Geringfügigkeit oder dem Fehlen
der allgemeinen Tumorerscheinungen (Kopfschmerz, Erbrechen, Convulsionen, Stauungs-
papille) steht, und wenn dabei keinerlei Erscheinungen vorhanden sind, die die An-
nahme einer anderweitigen Localisation gestatten, so kann man die Wahrscheinlichkeits-
diagnose eines Balkentumors stellen. — Freilich ist hervorzuheben, dass 1. auch
andere Affectionen (Tumoren des Stimhims, multiple Tumoren) dieselben Symptome
hervorrufen, 2. Balkentumoren je nach den Himpartien, die sie betheiligen, auch
ganz andere Symptome machen können. Hadlich.
13) Zur Casuistik der Herderkrankungen der Brücke mit besonderer Be-
rücksiohtigung der Störungen der oombinirten seitlichen Augen-
bewegungen, von E. Bleuler. Aus der medicinischen Klinik in Bern.
(Deutsch. Arch. f. klin. Med. 37. VI. S. 627—569 u. 38. I u. H. S. 29—55.)
Bei dem Umfang der überaus sorgsamen Arbeit ist es nur m^lich, in groben
Zügen auf den Inhalt derselben einzugehen.
Zuerst werden drei in Lichtheim*s Klinik beobachtete Falle von Pons-Erkran-
kungen ausführlich beschrieben. Abgesehen von den weiteren Symptomen bot der erste
eine Lähmung der Kechtswender der Bulbi und des Kopfes, dabei Nystagmus in
— 403 —
Folge eines Herdes in der rechten Seite des Pens; der zweite in Heilung ausgehende
Fäll, bei welchem eine multiple Entzflndungsform als Ursache der vielen Störungen
angenommen wurden zeigte Lähmung der seitlichen Augenbewegnngen mit leichtem
Nystagmus auf der Höhe der Excursion, der dritte Lähmung beider Abducentes und
zuckende Bewegungen der Musculi intemi bei combinirten Augenbewegungen; es fand
sich hier bei der Autopsie ein grosser Tuberkel im Pens, mehr in der rechten Hälfte,
bis in die Med. oblong, hineinragend.
Es folgt hierauf ein grosser Beitrag zur Physiologie der combinirten Augen-
bewegnngen, geschöpft aus 33 Krankenbeobachtungen und Sectionsbefunden von den
verschiedensten Autoren. Um auf einige derselben einzugehen, so kam Foville
(Gnbler) za dem Schluss, dass die Innervation des linken Musculus extemus und
rechten internus und umgekehrt aus derselben Quelle stamme. Yulpian (Pr^vost)
stellte folgendes Gesetz auf: „Bei Läsionen in den Hemisphären findet eine conjugirte
Deviation der Augen nach der verletzten Seite (Himhälfte) statt, bei Läsionen des
Nesencephalon und des Kleinhirns kann dieselbe auch nach der gesunden Seite statt-
finden", während Desnos sich bestimmter aussprach: „bei Läsionen des Pens findet
die Angendeviation immer nach der gesanden Seite statt." Wer nicke suchte aus
seinem Falle die Symptome mit den anatomischen und physiologischen Verhältnissen
in Einklang zu bringen und kam zu der Annahme eines „Centrums fQr associirte
Seitenbewegungen beider Bulbi", sowie einer Innervation eines Musculus int. von dem
Abducenskem oder dessen unmittelbarer Umgebung der anderen Seite aus. Aehnliches
nahm Graux an und erklärte die oft vorkommende seitliche Augendeviation bei
Himläaion aus einer vermittelst des Liquor cerebro spinalis auf den Abducenskem
hervorgebrachten Femwirkung. Die Anschauung Wernicke*s erhielt Stützpunkte
durch die Experimente von Duval und Laborde, welche Verbindungen des Ab-
ducens mit Trochlearis und Oculomotorius beim Pens der Katze entdeckten, sowie
dass Verletzung eines Abducenskemes Lähmung des Abducens derselben und des
Musculus int. der andem Seite hervorbringe. Erstere Beobachtung konnten beide
Forscher auch auf den Menschen ausdehnen. Hitzig, Ferrier, Munk, Landouzy
und Grasset fanden Stellen der Gehirnrinde, deren Beizung Contractionen der Augen-
muskeln hervorbrachte; bei den einen ist es der Gyrus angularis, bei den anderen die
Umgebung der Fossa Sylvii. Grasset und Landouzy stellten das Gesetz auf für
Beizung und Lähmung: „ein Kranker mit Grosshimläsion sieht nach der Seite des
Herdes, wenn dieser ein lähmender, nach der gesunden, wenn er ein reizender ist;
das umgekehrte findet statt bei Herden im Pons." Schliesslich hat Hunnius alle
Beobachtungen über conjugirte Augenbewegungen zasammengestellt; zu dem Wemicke*-
schen Centrum nimmt er noch ein Centram für die Convergenz beider Bulbi an und
constatirt, dass einmal eine Schwächung der Augenbewegungen nach der gelähmten
Seite hin ohne Deviation bei Grosshimapoplexien sehr häufig ist und ferner, dass
eine Stömng der combinirten Seitwärtsbewegung durch einen Ponsherd nicht noth-
wendig eine Läsion des Abducenskemes oder dessen nächste Umgebung involvirt.
Uebrigens hatte der Engländer Gull schon 1839 das Gesetz der conjugirten
Deviation entdeckt, ohne indessen weitere Beachtung zu finden.
Im Folgenden resümirt Verf. aus den Beobachtungen die für seine Zwecke wich-
tigen Thatsachen und klassificirt die Störungen der Augenbewegungen in 3 Rubriken:
1) einfache Lähmung eines Bectus extemus und des gekreuzten Rectus intemus,
2) Reizzustand der gleichen Muskeln und ihrer Nerven,
3) Combination von Lähmung der Wender nach einer Seite und Contractur der
Antagonisten.
Die weitem Ueberlegungen zur Erklämng dieser Erscheinungen gipfeln in der
vom Verf. aufgeworfenen Frage: „existirt ein Centram für combinirte Augenbewe-
gungen?" Nach Prüfung der Gründe und Gegengründe kommt Verf. zu dem Schluss,
dass es unwahrscheinlich und unnöthig ist, ein solches anzunehmen. Man kommt
— 404 —
damit aus, wenn man ein willkfirlicheB Centrom für die Angenbewegangen in die
Binde, ein reflectorisches in den Hirnstamm verlegt. So wird ein Schema aufgebaut
und durch eine beigegebene Figur dargestellt, welches die Verbindungen der Central-
Organe mit den Bulbis erläutert Ausser den durch den Tractns opticus hargestellteti
sind noch 3 Bahnen zu merken:
1) Verbindung von Grosshimrinde mit gekreuztem Abducenskem und auf diesem
Wege mit Rectus extemus derselben Seite,
2) gekreuzte Bahn von der Binde zum Rectus internus; schleifenart^ Um-
biegung in der Nähe des Abducenskemes,
3) Bahn zur Gonvergenz der Bulbi, ebenfalls gekreuzt
An diesem Schema werden einzelne Punkte als Herderkrankungen angenommen
und so die betreffenden Symptome erklärt
Verf. macht zum Schluss auf die Wichtigkeit der conjugirten Augendeviation
als Herdsymptom des Gehirns aufmerksam und hofft voq einer sehr genauen Kranken-
beobachtung von Seiten der Specialisten weitere Fortschritte und Erkenntnisse auf
diesem Gebiete. Sperling.
14) Hämorrhagie de la protuböranoe, par B'aymond. (Soc. anatom. 1886. Jan.
Progr. m^d. 1886. Nr. 13.)
Bei einer 32jährigen Frau, deren Vater an Tuberculose gestorben war, die aber
selbst bis auf häufig eintretendes Nasenbluten sich stets voller Gesundhat erfreute,
traten Dysarthrie, Dysphagie und Taubheit ein. Fat magerte sehr ab, sseigte Stö-
rungen in ihrem Gedächtniss und auf dem Gebiete der gemüthlichen Sphäre und
ging innerhalb 14 Tagen comatös zu Grunde, nachdem siegln den letzten Tagen
nur leichte Lähmungserscheinungen des rechten Facialis in der rechtsseitigen oberen
Extremität dai^eboten hatte.
Bei .der Obduction fand sich ausser einer acuten Nephritis nichts weiter vor,
als zwei erbsen*, resp. linsengrosse Herde, von denen der erstere in der Mittellinie
des Pens nahe seiner Vereinigung mit der Med. oblongata, der zweite 1^/2 cm Qber
dem ersten hinter den vorderen CommissurenfaBem des Pens lag. Laqner.
15) Ein Fall von Tumor der Zirbeldrüse« Beobachtung aus der medidnischen
Klinik zu Froiburg i. B. von Dr. Heinr. Reinhold, Assistenzarzt (Deutsches
Arch. f. klin. Med. 1886. Bd. 39. H. 1. S. 1—30.)
Patient, 19 Jahre alt, von Jugend auf von schwächlicher Constitution, erkrankte
in der Nacht vom 3. zum 4. Januar 1884. ' Er erwachte plötzlich mit lebhaftem
Schwindelgefühl und heftigem Kopfschmerz, welche Symptome, zeitweise exacerbirend,
für die Folge andauerten. Dazu trat im Laufe der nächsten 2 Wochen einigemale
Erbrechen und ein continuirliches Gefühl .eines dumpfen Druckes im SchädeL
Am 18. Januar stellte sich unter Fieber (38,6) ein excessiver Schmerzanfall
ein. Die Schmerzen werden hauptsächlich auf Vorderkopf und Scheitel localisirt
Jede Bewegung und Einwirkung auf die Sinnesnerven ist äusserst schmerzhaft Stei-
gerung der Sehnen- und Hautreflexe der unteren Extremitäten ohne Rigidität der
Muskeln; keine Sensibilitätsstörungen. — Einigemale anfallsweise auftretende totale
Verdunkelungen des Gesichtsfeldes mit negativem Augenspiegelbefund. — Leichte
linksseitig^ Abducensparese.
Am 21. Januar unter wiederum zunehmenden Kopfschmerzen, aber bei vollem
Bewusstsein ein tetanieartiger Anfall von äusserst schmerzhaften Contracturen der
Ellbogen- und Handgelenke mit vasomotorischen Störungen (hochgradige Anämie der
befallouen Extremitäten). Andauernde Pulsverlangsamung (54 — 60 Schläge).
— 405 —
In den folgenden 3 Wochen hat sich allmählich eme Parese heider Abducentes
und des rechten Facialis, femer eine Ptosis beider Augen ausgebildet Beim Ver-
suchy nach oben zu blicken, tritt Nystagmus ein. — Pat. wird psychisch benommen
und schlaMchtig. — Es treten wiederholt Anfalle von Bewasstlosigkeit mit wesent-
licher Yerlangsamung des Pulses und der Respiration ein und am 20. Februar —
also nach sechswöchentlicher Krankheitsdauer — erfolgte unter Temperatursteigerung
(39,0 ^ Coma, und starker Cyanose der Exitus letalis.
Znr Diagnostik der Tumoren der Vierhügelgegend, speciell der Zirbeldrüse, hält
Verf. die Lähmungen gleichnamiger einzelner Oculomotoriuszweige (Störungen der
assocürten Augenbewegungen nach oben und unten), sowie doppelseitige Ptosis —
bedingt durch Druck auf die unter den Vierhügeln gelegenen Augenmuskelkeme —
ausserdem die Trochlearislähmung für die wichtigsten Symptome.
Anschliessend an diesen Fall enthält die Arbeit eine eingehende Besprechung
der einzelnen Krankheitserscheinungen mit sehr ausführlichen Literaturangaben, in
Bezug worauf das Original eingesehen werden muss. P. Seifert.
16) lieber einen Fall von gummöser Erkrankung des Chiasma nervorum
opüoorum, von Dr. H. Oppenheim, Berlin, WestphaPsche Klinik. (Vir-
chow^s Arch. Bd. 104.)
Der interessante Fall betriflft eine 31jährige Frau, welche seit September 1883
an Kopfschmen, Erbrechen, Polydipsie und Polyurie erkrankte, nachdem sie in 9jähr.
Ehe mit ihrem syphilitisch inficirten Manne gelebt hatte. Im März 1884 ergab die
Untersuchung als einziges Lähmungssymptom eine Hemianopsia bitemporalis (links
nicht 80 Tollständig wie rechts); dabei Abnahme der Sehschärfe. Diese Hemianopsie
zeigte eine aufbUende Unbeständigkeit, schwand im Mai 1884 fast vollständig, kehrte
dann wieder und schwankte mehrmals. Ebenso hatte die Polydipsie und Polyurie
einen remittirenden Charakter. — Erst am 14. December 1884 trat eine wesenüiche
Veränderung des Krankheitsbildes ein, mit Benommenheit und Verwirrtheit, Parese
der linken KörperhWte, Lähmungen im Bereiche beider Oculomotorii, besonders links.
Tod am 23. December 1884.
Bei der Autopsie fand sich eine gummöse, von den Hirnhäuten ausgehende
Neubildung, welche besonders das Mittelstück des Chiasma nervorum opt. schädigte,
sodass hier es zu einer mehr oder weniger vollständigen Unterbrechung der Seh-
nervenfaserung gekommen war, während in die lateralen Partien nur Zweige und
Zapfen des Geschwulstgewebes hineindrangen. Die rechte Hälfte des Chiasma ist
im Allgemeinen stärker in Mitleidenschaft gezogen, als die linke. Das gummöse
Crewebe ist zu einem grossen Theile sehr gefössreich, woraus sich das Fluctuiren der
Krankheitserscheinungen erklärt. — Ausserdem bestand als Grundlage der zuletzt
aufgetretenen linksseitigen Hemiparese ein encephalitischer Herd in der Marksnbstanz
der rechten Hemisphäre. — Lehrreich ist das Verhalten der Nn. oculomotorii, die
sich schon stark von der Neubildung durchwuchert zeigen, während Functionsstörungen
erst in den letzten Lebenstagen auftraten.
Zum Schluss erwähnt 0. die Sectionsergebnisse der beiden Fälle von Hemi-
anopsia bitemporalis, welche Saemisch und E. Müller beschrieben haben, und citirt
die Aeusserung RosenthaFs, welcher die Entstehung von Diabetes bei Geschwülsten
in der Gegend des Chiasma mit den Circnlationsstömngen in Verbindung bringt, die
im Trichter und in den Wänden des 3. und 4. Ventrikels entstehen.
Hadlich.
— 406 —
Psychiatrie.
17) States of delirium in inebriety, by T. D. Crothers. (The Alienist and
Neurologisi 1886. VII. p. 44.)
Der auf dem Gebiete des Alcoholismus wohl bekannte Verf. bespricht eigen-
thümliche krankhafte Geisteszustände, welche bei Trinkern, besonders bei Dipsomanen
während und selbst einige Tage nach dem Anfall zu beobachten sind. Während
nämlich die Patienten, abgesehen von den Trinkexcessen, in jeder Beziehung geistig
normal zu sein scheinen, stehen sie unter der Herrschaft einer „Monomanie". Es
drängen sich ihnen dann bestimmte und regelmässig bei jedem Anfall wiederkehrende
„Zwangsneigungen'S wenn man diesen Namen einführen darf, auf, denen sie mehrere
Tage hindurch nicht zu widerstehen vermögen, und die ihnen sonst ganz fremd, ge-
wöhnlich sogar höchst unsympathisch sind. So zeigte einer der Patienten des Verf.
unmittelbar nach dem dipsomanischen Anfall die zwangsartige Neigung, über Pferde-
käufe zu verhandeln, ein anderer, kleine Kinder zu adoptiren, ein Arzt, Musik za
treiben und Blasinstrumente anzukaufen, ein vierter, ein sehr tüchtiger und über-
legter Techniker, ein Perpetuum mobile zu construiren etc. etc. Verf. deutet auf
die forense Wichtigkeit derartiger Zustände hin und macht in prophylaktischer Um-
sicht darauf aufmerksam, dass derartige Individuen durch weiteren Alcoholabusus
einer unheilbaren Psychose entgegen geführt werden. Sommer.
Therapie.
18) Die Anwendung des Atropins bei PtyallBmua, Vortrag von Dr. HeboR
(AUg. Ztschr. f. Psych. Bd. 42. H. 6.)
Der Speichelfiuss aus nervöser Reizung ist der Behandlung durch Atropin zu-
gänglich. H. berichtet Über 2 Fälle, in welchen günstige Resultate erüeit wurden.
Der erste betraf einen Alcoholiker, welcher ausser dem Symptom des Ptyalismns noch
das des zeitweiligen Auftretens von Eiweiss und Zucker im Urin darbot. Der zweite
Fall war ein blödsinniger Epileptiker.
[Ref. hat das Atropin auch mit promptem Erfolge bei solchen Kranken, welche
ihren Speichel in Folge von Wahnideen und krankhaften Sensationen nicht schlacken,
sondern fortwährend in Gläser, Spucknäpfe oder auf den Fassboden enüeeren, in
Anwendung gebracht. Auch gegen die üble Angewohnheit des fortwährenden Be-
spuckens der Umgebung hilft oft eine Dosis Atropin subcutan.] Siemens.
UL
Die Funotions-IiOcaliBation auf der Qrosshimrinde, von Luciani und Sep-
pilli. Autorisirte deutsche und vermehrte Ausgabe von Dr. M. 0. FränkeL
Leipzig, Denicke, 1886.
Die rühmlichst bekannten Yerfif. haben sich die Aufgabe gestellt, die positiven
Kenntnisse über Himlocalisation durch eine Zusammenfassung der bestbegründeteo
Thatsachen, durch eigene und fremde zuverlässige Experimente und Beobachtungen
zu erweitem. Luciani hat hierbei vorzugsweise den experimentellen Theil bearbeitet»
während Sep pilli die pathologische Anatomie und die klinische Casuistik behandelt
und der letzteren noch einige bisher nicht veröffentlichte Fälle hinzugefügt hai Direr
gemeinschaftlichen Arbeit wurde vom kgl. lombardischen Institut für Wissenschaft am
8. Januar 1885 der Preis Fossati zuerkannt.
Das Werk selbst zerfällt in 2 Haupttheile, die einerseits die Bindencentren der
Sinnesorgane und andererseits die für das Haut- und Muskelgefühl und für die
Willensäusserungen (das sog. „sensoriomotorische Bindenfeld") behandeln und zwar sowohl
vom physiologischen als auch vom klinischen Gesichtspunkt
— 407 —
In einer Einleitung weisen die Verff. zunächst aaf die Fehlerquellen hin, denen
man in Folge der von vornherein zu erwartenden Combination von Ausfallserscheinungen
(dnrch Zerstörung eines Bindenabschnittes) mit coUateralen Beizerscheinungen durch
Blutongi Wundreaction etc. bei operativen Eingriffen ausgesetzt ist, und heben dann
die Kriterien hervor, nach denen man den normalerweise einem bestimmten Himtheil
zakommenden Fnnctionswerth abzuschätzen vermag.
1. Unberührt gebliebene Functionen haben mit dem exstirpirten Himtheil nichts
zu schaffen.
2. Gonstante Ausfallserscheinungen bei jeder Wiederholung einer Exstirpation
bei verschiedenen Individuen hängen mit dem exstirpirten Himtheil zusammen, wäh-
rend nur vereinzelt beobachtete Ausfalle auf Neben Verletzungen, Wundeinfluss etc.
zurückzuführen sind.
3. Existirt überhaupt eine „Hiralocalisation", so müssen auf die Exstirpation
verschiedener Himabschnitte differente Ausfallserscheinungen folgen.
4. Es kann die Qegenüberstellung der differenten Wirkungen mehrerer nach und
nach an demselben Individuum vorgenommenen Exstirpationen ebenfalls einen Anhalt
für die Entscheidung der Localisationsfragen ergeben; besonders sind hier symme-
trische Zerstörungen von Wichtigkeit. Hat sich z. B. nach linksseitiger Exstirpation
eines gewissen Hirotheils eine Qehörsstömng auf der rechten Seite gezeigt und dann
im Verlaufe einiger Wochen wieder zurfickgebildet, und bedingt nun die Wiederholung
der Operation auf der rechten Seite nicht nur auf dem linken, sondern auch wieder
auf dem rechten Ohr eine Störung (wie es übrigens wirklich der Fall ist), so ist der
Beweis der gegenseitigen Aushülfe beider Hemisphären zweifellos geliefert.
5. Endlich ist noch in Betracht zu ziehen, welche möglichst kleine Exstirpation
aus dem vermutheten Functionsfelde den möglichst grossen, d. h. also den durch
totale Bindenzerstörung überhaupt erreichbaren Ausfall bedinge.
Bei genügendem Material wird man mit diesen Kriterien im Stande sein, eine
einwandsfreie Topik zu b^ründen. Bisher hatten sich je nach dem Ergebniss und
der Erklärung der ebenen Untersuchungen 2 Ansichten unter den Forschem gebildet.
Die Einen glauben bekanntlich für jede Function ein bestimmtes Gebiet der Hirn-
rinde in Ansprach nehmen zu müssen; die Anderen meinen, jeder einzelnen Stelle
der Hirnrinde seien mehrere Functionen eingetragen. Die Verff. glauben nun, dass
keine dieser Ansichten mit den wirklich ermittelten Thatsachen vollständig in Ueber-
einstimmung zu bringen ist, während jede derselben etwas Wahres enthält. Als
sicher ist einerseits anzunehmen, dass die verschiedenen Bindenabschnitte ihrem
Wesen und ihrer Function nach nicht einander gleich sind und andererseits, dass
die verschiedenen Functionsfelder so innig mit einander verbunden sind, dass sie
sich z. Th. decken, und dass es daher nicht möglich ist, eine derselben vollständig
zu entfernen, ohne in mehr oder weniger empfindlicher Weise auch andere zu stören.
Zeichnet man auf ein Schema der Hiraoberfläche alle Funkte ein, deren Zer-
störang eine Beeinträchtigung einer gewissen Function zur Folge hatte, so erhält
man die Sphäre der betreffenden Function. Man kann sich so eine Seh-, eine Hör-,
eine Biech- und eine Tast-Sphäre constmiren; für den Geschmack glauben die Verff.
sich noch einer genaueren Umgrenzung enthalten zu müssen. Bringt man nun jene
4 Himschemata zur Deckung, so sieht man sofort, dass von jeder „Sphäre" nur ein
kleiner Theil selbstständig, also ein „reines Centrum" ist; ein verhältnissmässig grosser
Theil wird auch von anderen Sphären bedeckt und dessen Verletzung muss daher
eine Beeinträchtigung auch noch in anderen Functionen herbeiführen. Jede Sphäre
zerfällt daher in ein „Centralfeld" und in „Irradiationszonen", in denen mehrere
Functionen in einander greifen. Allen Sphären gemeinsam ist nun die hintere Partie
des Scheitellappens (Munk's Zone F „die Augengegend"). Sie ist gewissermaassen
als Centmm aller Sinne zu betrachten. Ihre Zerstömng muss Ausfälle in allen
Sinnen bewirken und muss also auf die „Psyche" von grösstem Einfluss sein. Goltz
— 408 —
bat dementsprechend nach Exstirpation beider Scheitellappen eine merkliche Charakter-
ändemng seiner Hnnde beobachtet. Die Verff. glauben dieselbe auf eine diffuse
Störung in der psychischen Verarbeitung aller Sinneswahmehmungen sarflckfdhren so
können. Im Uebrigen stellen die einzelnen Sinnessphären nur das Gebiet dar, in
welchem sich die psychischen Yorg&ngei die durch die elementaren Empfindungen
ausgelöst werden, abspielen. Die Sehsphäre ist also nur als Localisation der Gtosichts-
vorstellungen zu betrachten; ihre beiderseitige Zerstörung bewirkt daher abgesehen
von einer später wieder schwindenden totalen Blindheit nur eine dauernde ,,Seelen-
blindheit". Die einfachen Gesichtsempfindungen sind in den subcorticalen Ganglien
des Mittelhims localisirt Dieselbe Trennung in verschieden gelegene Empfindungs-
und Vorstellnngscentren ist für die acustische Function erwiesen und fQr den Geruch
mindestens wahrscheinlich. Auch stellen die YerflL die stricte Auffordenmg an die
Anatomie, die von ihnen als nothwendig vorhanden angesehene „partielle Kreuzung^
der beiderseitigen Acnsticus- und Olfactoriusfasem aufzufinden, wie sie fQr den Opticus
ja notorisch ist Beim letzteren übrigens und beim Aoustious verläuft der grössere
Theil der Fasern gekreuzt, während es beim Olfactorius der kleinere Theil ist» der
gekreuzt zu verlaufen scheint
Die weiteren Einzelheiten und die Beweismittel mflssen nattkrlich im Original
nachgesehen werden. Hier sei noch die Begrenzung der einzelnen Sphären mit-
getheilt
1. Die Sehsphäre nimmt hauptsächlich die Hinterhsjpts- und Parietallappen ein.
2. Die Uörsphäre betrifft die Schläfenlappen, strahlt aber noch in die umliegenden
Lappen aus; auch dürfte das Ammonshom wenigstens theilweise zu ihr zu rechnen sein.
3. Die Geruchsphäre umfosst die ganze Begrenzung der Fossa Sylvü mit Aus-
strahlungen in die Umgebung und den hinteren Theil des Gyrus hippocampL
Was nun endlich die „sensoriomotorische Sphäre" betrifft, so umfesst sie die
Stimlappen und den vorderen Theil der Scheitellappen bei Hunden und Affen; beim
Menschen dürfte sie hauptsächlich die beiden Oentralwindungen, die hinteren Ab-
schnitte der drei Stimwindungen, die vorderen Abschnitte der Parietalwindungen und
den Lobnlus paracentralis einnehmen.
Doch kommt Luciani auf Grund seiner experimentellen (Jntersuchimgen zu
dem Schluss, dass eine circumscripte Localisation der Sensibilität nach einzelnen
Bezirken nicht anzunehmen sei. Jeder Exstirpation eines motorischen Oeiitrums
entspricht eine ausgedehnte Beeinträchtigung des Gefühls der gekreuzten Körperbälfle;
über den motorisch gelähmten Gliedern ist die Abstumpftang der Sensibilität, die
gewöhnlich überhaupt nur einen massigen Grad zu erreichen pflegt, allerdings deut-
licher als an anderen Stellen. Auch die klinischen Beobaditnnget lassen keine feinere
Begrenzung des Hautgefühls zu.
Dass mit diesen (ond vielen anderen hier nicht erwähnten) Folgerangen die
Frage nach den „Himlocalisationen" nicht erledigt ist, ist selbstverständlich. Jahr-
hunderte werden noch daran zu arbeiten haben. ' Jedenfalls aber haben die Verff.
werthvolles Material zusammengetrag^i und sind mit dessen Hülfe zu Schlüssen ge-
langt, die auch aus anderen Gründen wahrscheinlicher zu sein scheinen, als die
einseitigen Theorien anderer Forscher.
Dem verdienten Uebersetzer gebührt allseitiger Dank, dass er das ausgezeichnete
Werk Luciani*s und Seppilli*8 weiteren Kreisen zugänglich gemacht hat
Sommer.
Um Einsendung von Separatabdrücken an den Heraasgeber wird gebeten.
Einaendungen für die Bedaction sind zu richten an Prof. Dr. £. Mendel,
Berlin, NW. Kronprinzen-Ufer 7.
Verlag von VmT & Comp, in Leipzig. — Druck von Mstzgbr & Wittio in Leipzig.
NEUROLOGISCHESCENTRALBLAn.
Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie
und Therapie des Nervensystemes einschliesslich der Geisteskrankheiten.
Hdraasgegeben Ton
Professor Dr. E. Mendel
Fttnfter »» ^»^ Jahrgang.
Monatlich erscheinen zwei Nnmmem. Preis des Jahrganges 16 Mark. Zu beziehen durch
alle Bnchhandlnngen des In- nnd Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie
direct von der Verlagsbuchhandlung.
1886. 15. September. M 18.
Inhalt. I. Originalmittboilungan. 1. Casuistisohe Mittheilungen aus dem hensoglichen
Krankenhause zu firaunsohweig, von Dr. Richard Schulz. 2. Ueber die durch Chloroform
auf kataphorischem Wege zu erzeugende Hautanästhesie, von Dr. Heinrich Paschkis und Dr.
Julius Wagner. 3. üeber den Einflnss der centralen Gehirntheile auf den Blutdruck und die
Herzth&tigkeit, von Prof. Dr. W. Bechterew und Prosector Dr. Wistlawsky.
IL Referate. Anatomie. 1. On Prof. Hamilton's theoiy conceming the oorpiu cal-
losam, bj Beevor. 2. Beitrag zum Faserverlauf im EUnterhom des menschlichen Rücken-
marks und zum Verhalten desselben bei Tabes dorsaUs, von Lissauer. — Experimentelle
Physiologie. 8. Contributo sperimentale alla psicoflsiologia dei lobi ottici nella testuggine
palostre, del Fano. — Pathologische Anatomie. 4. Degeneration der GoU'sohen Str&uge
bei einem Potator, von Vierordt. 5. Ueber Cysticerken im vierten Ventrikel, von Breche. —
Pathologie des Nervensystems. 6. Till lärau om afasi, af Henschen. 7. Om lokalisa-
tionen i hjembarken af afasiens ^ika former; af Lennmalm. 8. Embolus of the basilar ar-
tery, by Chadwick. 9. De Th^miplegie et de l'^pilepsie purtielle ur^miques, par Chantemesse
et Teneson. 10. Gontribntion a l'ötude des n^vrites periph^riques survenant dans le cours
ou la convalescence de la fiävre tvphoide, par Pitres et Vaillard. — Psychiatrie. 11. Gon-
tribntion ä r^tude de Tagoraphobie, par Cherchevsky. 12. Sui movimenti del respiro nell'
angoscia praecordiale degli stati melancob'ci, del INusso. 13. Allgemein-pathologische Be-
trachtungen über das Vorkommen und die Bedeutung der Unreinlichkeit der Geisteskranken,
von Llndenbom. 14. Three oases of choking, by Weiss. 15. Lead-poisoning, with mental
and nervous disorders, bv Robertson. 16. On the appetite in insanity, by CaoMibeil. 17. Psy-
chische Symptome bei chronischer Nephritis, von Kleudgen. — Therapie. 18. Ueber die
Behandlung der Trigeminus-Nearalffie, von Gussenbauer. 19. Gase of ovariotomy in an in-
sane patient, by Smith. 20. Du rdle de l'oxyg^ne dans la neuroth^rapie, par Laschkewitch.
lU. Bibliographie.
iV. Personallen.
I. Origiiialinittheilangen.
1. Gasnistisclie Mittheilungen aus dem herzoglichen
Krankenhause zn Braunschweig.
Von Dr. Biohard Soholz,
Vorstand der medicinischen Abtheilung.
L Fnrnncnlas im Nacken. Meningitis cerebialis.
Seit der VenroUkoinnuiQng unfierer bacteriologischen Untersucbangsmethoden
durch EocH, Ehblich, Gbam und Andere ist es uns in vielen Fällen bei weitem
— 410 —
mehr ermöglicht, den letzten Ursachen von Erankheitsprocessen nachzugehen,
als wir früher dazu im Stande waren. Erankheitsprocesse, welche man früher
yielleicht als zufällig zosanmien vorkommend ansah, erscheinen bei genauer
bacteriologischer Untersuchung als innig im Zusammenhang stehende Com-
plicaüonen.
Der nachstehend in Kürze mitgetheilte, auf meiner Abtheilung zur Beobach-
tung gekommene Fall, der schon der Seltenheit der Complication wegen Inter-
esse verdient, möge hierfür als Beispiel gelten.
Am 7. April d. J. wurde im herzoglichen Krankenhanse der 27jährige Tischler
Kiesling mit einer Temperatur von 39^ C. aufgenommen.
Anamnestisch war von dem Kranken nichts Sicheres zu erfahren, ausser dass
er erst seit einigen Tagen krank sei. Derselbe sprach verworrenes Zeug, stiess in
Absätzen nnarticolirte Laute heraus.
Sat. praes. Mittelgrosser, leidlich kräftiger Mensch. Gesicht geröthet, auf
der Stirn dicke Schweissperlen. Kopf liegt nach links gewandt. Keine Nackenstarre.
Auf der rechten Seite des Nackens ein fast wallnussgrosser Furunkel mit infiltrirter,
gerötheter Umgebung, in der Mitte eine gelb gefärbte Stelle zeigend, aus welcher
sich Eiter bei Druck entleert. Conjunctivae gerOthet, Angenbeweguugen träge, an-
geblich Doppelsehen, Keine Facialislähmung. An der linken Unterlippe Herpes
labialis. Zunge massig belegt. Delirien. Athmung sehr beschleunigt. Ab und zu
Hasten ohne Auswurf. Percossion und Auscultation der Lungen ergiebt nichts Ab-
normes. Herztöne rem. Puls 110, unregelmässig. Keine Extremitätenlähmung.
Patellarreflez links erhalten, rechts aufgehoben. Bauch- und Plantarreflexe nicht
hervorzurufen. Gremasterreflez schwach angedeutet. Sensibilität normal. Auf Stiebe
sehr lebhafte Beaction. Im Urin Spuren von Albumen.
Ordination. Eisblase auf den Kopf. Sol. KaL jod. 5,0:150,0 3mal täglich
1 Esslöffel.
Der weitere Verlauf war in Kürze folgender. Am 8. April war der Zustand
im Wesentlichen derselbe. Es war besonders Nachts grosse Unruhe vorhanden ge-
wesen. Stuhl und Urin liess Pat. unter sich gehen. Am 9. April war der PuIb
120, schwächer und unregelmässiger. Pupillen verengt, linke enger als die rechte.
Pat. reagirt nicht auf Anreden. Sehnenreflexe im Gleichen. Hautreflexe ganz fehlend.
Keine Lähmungen. Gegen Mittag wird Pat. immer mehr comatös und stirbt 3^/^ Uhr
Nachmittags.
Die Section wurde am 10. April Mittags gemacht (Herr Prosector Dr. Engel-
brecht).
Pathologisch-anatomische Diagnose: Furunculus nuchae. Multiple hämor-
rhagische Infarcte der Lungen. Pleuritis fibrinosa purulenta incipiens. Lepto-Meniugitis
incipiens. Milztumor.
Aeussere Besichtigung.
Schwach ernährte männliche Leiche. Starre und Todtenflecke stark entwickelt
Conjunctivae sclerae links injicirt, rechts blass. Pupillen rechts von mittlerer Weite,
links enger. Im Nacken ein nach aussen perforirter Furunkel. Subcutanes miss-
farbiges Gewebe in der Ausdehnung einer grossen Bohne noch vorhanden.
Innere Besichtigung.
Brusthöhle. Stand des Zwerchfells rechts am unteren Bande der IX, links
an der Y. Rippe. Herzbeutel nur seitlich von den Lungen bedeckt Pleura
parietalis von stärkerem Blutgehalt. Pericardialflüssigkeit nicht vermehrt Herz
von entsprechender Grösse, gut contrahirt. Yorhöfe reichlich geffillt. Coronarvenen
reichlich gefüllt Klappen vollständig normal, ebenso die Herzmusculatur.
— 411 —
Langen im Ganzen lufthaltig und blutreich, zeigen zahlreiche erbsen- bis
bohnengrosse Infarcte und darftber, in deren Mitte sich jedesmal ein ungefähr steck-
nadellmopfgrosser gelblicher Punkt befindet. Die Pleura zeigt am linken unteren
und rechten mittleren Lappen fibrinös eitrige Auflagerungen. Bronchialschleimhaut
stark injicirt.
Bauchhöhle. Milz Vl^fuch vergrössert. Kapsel prall mit etwas sehniger
Verdickung. Substanz mürbe, blutreich.
Leber von entsprechender Grösse. Ränder scharf. Substanz blutreich. Acinöse
^ichnung deutlich. Gallenblase mit dunkler Galle reichlich gefüllt. Nieren
von entsprechender Grösse, blutreich, sonst normal.
Blase contrahirt, Schleimhaut blass.
Magen von mittlerer Ausdehnung, Schleimhaut gefaltet, blutreich.
Pancreas blutreich.
Därme von mittlerer Ausdehnung.
Kopfhöhle. Dura niater sehr blutreich, flberall von normalem Glanz. Grosse
Blutleiter strotzend gefüllt. Pia mater etwas verdickt, sehr stark injicirt, löst sich
leicht vom Gehirn, zeigt etwas trübseröses Exsudat. Die Pia der Convexität zeigt
vereinzelte mohnkorngrosse graugelbliche Herde. Ventrikel normal Plexus
chorioid. stark injicirt. Gefässe normal. Substanz des Gehirns von guter Consistenz,
leicht rosa geförbt, sehr blutreich. Die Basis cranii und cerebri ohne Abweichung.
Ein Stück des Furunkels im Nacken, sowie mehrere der kleineren Lmigen-
infarcte wurden in Muller'scher Lösung conservirt, nachher in Alcohol gehärtet.
Dieselben wurden später in Celloidin eingebettet und mit dem THOMA'schen
Mikrotom in Schnitte zerlegt. Die Schnitte wurden nach der GEAM'schen Me-
thode behandelt und mit Eosin nachgefärbt
Die Furunkelschnitte zeigten den gewöhnlichen Befund einer eitrigen Zell-
gewebsentzündung. Li kleinsten Venen und auch an einzelnen Stellen im
Gewebe zerstreut finden sich bei Oelimmersion (Seibebt und Ebapt ^/^g) Häuf-
chen von Streptococcus pyogenes (Rosenbagh^) mit deutlicher Eetten-
gliederung.
Die Untersuchung der Lungeninfarcte ergaben den gewöhnlichen Befund
derselben, ungemeine Anschoppung des ganzen Lungengewebes mit extravasirten
rothen Blutkörperchen. Den gelben Pünktchen in der Mitte der Infarcte ent-
sprechend fanden sich auch hier Häufchen desselben Streptococcus pyogenes
wie in dem Furunkelgewebe. Leider war von den mohnkomgrossen gelblichen
Herden in der Pia mater Nichts zur Untersuchung aufbewahrt worden, jedoch
scheint es mir kaum einem Zweifel unterworfen, dass auch in diesen sich der-
selbe Streptococcus gefunden haben würde.
Obwohl nun im mitgetheilten Falle anamnestisch nicht festgestellt werden
konnte, ob die ganze Erkrankung des Patienten mit der Entwickelung des
Furunkels im Nacken begann, kann man doch kaum einen Zweifel an diesem
Thatbestand hegen. Das vorgeschrittene Stadium des Furunkels und die erst
seit einigen Tagen bestehende ernstere Erkrankung spricht sehr dafür. Meiner
Auffassung nach sind im weiteren Verlauf Golonien des Streptococcus pyogenes,
der so häufig Furunkel verursacht, in kleinere Venen der Haut (siehe den
1 Culturen waren leider nicht angelegt worden.
— 412 —
mikroskopischen Befnnd) gelangt» dann doich die Vena jogolaiis ins rechte Herz
und haben von hier aas die embolischen Infarcte in den Lungen yeranlasst
Angenommen weiter, auch die mohnkomgrossen gelblichen Herde der Pia mater
und die sich daran schliessende allgemeine Meningitis cerebralis wären durch
eine Embolie von denselben Streptococcen verursacht, wofür der exacte mikro-
skopische Nachweis allerdings leider nicht geliefert werden konnte, so würden
diese Embolien zwei Möglichkeiten der Erklärung zulassen.
Erstens wäre es möglich, an eine venöse Embolie und einen retrograden
Transport in den Venen im Sinne BECKLiNaBHAusEN's^ zu denken, jedoch spricht
gegen diese Möglichkeit der Umstand, dass etwas Aehnliches noch nie beobachtet
worden ist Die wirklich beobachteten Fälle von retrograder Embolie beziehen
sich alle auf die Herz-, Leber-, Nieren- und Blasenvenen.
Viel wahrscheinlicher ist mir die zweite Möglichkeit, dass Streptococcen
Colonien von den Lungeninfarcten aus in die Lungenvenen eingedrungen sind,
das linke Herz passirt haben und so in den grossen Kreislauf gelangt sind.
Nur der Umstand spricht eventuell gegen diese Annahme, dass sich ausser in
der Pia des Gehirns nicht auch sonst im grossen Kreislauf in der Milz, der
Leber, den Nieren (das Knochenmark ist nicht untersucht worden) beginnende
embohsche kleinste Abscesse fanden, in d e n Organen, welche nach den Unter-
suchungen von Wyssokowitsoh^ gerade die Ausscheidungsoigane von ins Blut
gelangten Mikroorganismen bilden. Aber auch dieses erscheint nicht auflE&llend,
wenn man in Betracht zieht, dass naturgemäss die zartesten, empfindlichsten
Gebilde, und zu diesen gehört doch wohl die Pia mater, zuerst reagiren in der
Leber, Milz, den Nieren dagegen bei der Kürze der Erkrankung sich noch keine
makroskopischen Veränderungen zeigen konnten. Damit ist nicht ausgeschlossen^
dass eine mikroskopische Untersuchung in den betreffenden Organen die Strepto-
coccen hätte nachweisen können.
Dass es ausserdem in diesem Falle, der vollständig einem physiologischen
Experimente gleicht, nur dass die Mengen der in die Blutbahn gelangten
Mikroorganismen jedenfalls eine ausserordentlich viel kleinere gewesen ist, als
bei den von Obth, Wtssoko witsch, Bobbbt angestellten künstlichen Ver-
suchen, nicht zu einer mycotischen Endocarditis gekommen ist, erklärt
sich daraus, dass das betreffende Lidividuum vollständig normale, in keiner
Weise zur Ansiedelung von Microorganismen disponirte Klappen besass, wie
solche Obth' mit Recht bei mycotischer ulceröser recurrirender Endocarditis,
bei puerperaler Endocarditis Ghlorotischer etc. voraussetzt.
Dass ohne Section und ohne genaue bacteriologische Unter-
suchung in diesem Falle wohl kaum der Furunkel im Nacken und die
1 Yirchow's Arch. Bd. 100. H. IIL S. M>8. Ueber die vendse Embolie und den retro-
graden Transport in den Venen und Lymphgefassen.
* Ueber die Schicksale der in's Blat injicirten Mikroorganismen im Körper der Warm-
blüter. Zeitschr. f. Hygiene. 1886. I. S. 8.
' Ueber die Aetiologie der experimentellen myootisohen EndocarditiB. Virchow'B Arch.
1886. Bd. 108. S. 334.
— 413 —
Meningitis cerebralis in ursächlichen Zusammenhang gebracht, sondern als
zufalliges Nebeneinandervorkommen au^efisust worden waren, um so mehr, da
sich die yerhältnissmässig kleinen hämorrhagischen Infarcte dem klinischen
Nachweis entzogen, bedarf wohl keiner weiteren Auseinandersetzung.
(Sohloss folgt)
2. Ueber die durch Chloroform auf kataphorischem Wege
zu erzeugende Hautanästhesie (Adamkiewicz).
Von Dr. Heinrich Fasohkis und Dr. Julius Wagner,
Docenten an der Wiener Universit&t.
Nachdem der eine von uns gezeigt hat^ dass es durch Benützung der kata-
phorischen Wirkung des elektrischen Stromes gelingt, durch Cocain locale An-
ästhesie der Haut zu erzeugen,^ haben wir uns die Frage vorgel^, ob sich
nicht eine Beihe anderer medicamentöser Stoffe zu dieser percutanen Application
eignen würde. Die Versuche, die wir hierüber angestellt haben, sind noch nicht
abgeschlossen. Wir sehen uns aber durch eine Mittheilung von Adamkiewicz,
der angeblich durch kataphorische Einbringung von Chloroform in die Haut
locale Anästhesie erzielt hat, veranlasst, unsere Er&hrungen über dieses Mittel
mitzutheilen. Wir können uns eine eingehende Wiedergabe der Angaben von
Adamkiewicz ersparen, da diese ohnehin in Nr. 6 des laufenden Jahrganges
dieser Zeitschrift enthalten smd.
Wir hatten (schon bevor uns die oben genannte Mittheilung bekannt ge-
worden war) unter anderen Anästheticis auch das Chloroform versucht, theilweise
aus demselben Grunde, der Adamkiewicz zu diesem Körper geführt hat, näm-
lich in der HofGaung, für das theuere Cocain einen Ersatz zu finden. Wir
mussten aber diese HofGaung bald aufgeben, da wir uns überzeugten, dass
Chloroform den elektrischen Strom fast gar nicht leitet.
Wenn wir die Elektrode, an der die Kataphorie zu Stande kommen sollte,
mit Chloroform benetzt auf die Haut setzten, bekamen wir selbst bei Einschal-
tung von 30 Stöhrer'schen Elementen selbst an der sehr empfindlichen grossen
Edelmann'schen Bussole keine Spar von Ausschlag. Umsomehr überraschten
uns die Angaben von Adamkiewicz, der bei Füllung der von ihm angegebenen
Diffusionselektrode mit Chloroform und Durchleitung des Stromes von Strom-
stärken von 8, 5, 7, ja 10 Milliamperes spricht
Wir waren über diese Angaben aufs Höchste überrascht und um uns
zweifellos zu überzeugen, dass wir bei unseren früheren Beobachtungen nicht
einem Irrthum zum Opfer gefallen waren, machten wir zunächst eine möglichst
exacte Bestimmung des Leitungswiderstandes, den Chloroform dem elektrischen
Strome entgegenstellt. Wir füllten eine cylindrische Bohre aus Olas, die durch
^ Dr. Julius Waonbr: Eine Methode, Hantanästhesie dorch Cocain zu erzeugen. Wien,
med. Blätter. 1S86. Nr. 6.
— 414 —
parallele Wände aus Metall abgeschlossen war, mit chemisch reinem GUorofoirn
(bezogen von der Firma EahüjEaum in Berlin). Das Oefiss hatte einen Durch-
messer von 6 cm und eine Höhe von 3,5 cm. Wir bestimmten nun den ab-
soluten Widerstand dieser Chloroformschichte mit der Wheatstone'schen Methode.
Der Erfolg des Versuches übertraf eigentlich unsere Erwartungen, denn wir
bekamen als Ausdruck des absoluten Widerstandes unserer Ghloroformschichte
eine Zahl, die ca. 48 V2 Millionen S. E. ausmachten. Rechnen wir nun den
absoluten Widerstand auf specifischen Widerstand um, so bekommen wir eine
Zahl, die ca. 4 Billionen beträgt, und dabei haben wir den Umstand, da^
unser Chloroform bei einer 0^ Celsius übersteigenden Temperatur gemessen
wurde, noch nicht einmal mit in Rechnung gezogen.
Diese, man kann mit Bücksicht auf die vorliegenden Verhältnisse sagen,
unendlich grosse Zahl als Ausdruck des specifischen Widerstandes des Chloro-
forms beweist also, dass Chloroform den elektrischen Strom fast gar nicht
leitet. Ein Versuch, den wir mit käuflichem Chloroform anstellten, eigab tro^
der möglichen Verunreinigungen das gleiche Resultat
Wir haben dann weiter das Leitungsvermögen des Chloroforms in der
Weise geprüft^ dass wir Chloroform in eine Schale gössen und einen Stromkräs
in den eine Batterie von 8 Elementen und eine äusserst empfindliche Hernnan'-
sche Bussole eingeschaltet war, in der Weise schlössen, dass die isolirten Drahte
enden dieser Combination in die Chloroformschale tauchten. Wir bekamen
dann einen ganz minimalen Ausschlag, der aber wahrscheinlich gar nicht durch
das LeitungsTormögen des Chloroforms bedingt war. Wir hatten nämlich dabei
einen Versuchsfelder nicht ausgeschlossen. Das sehr rasch verdampfende und
sich dadurch stark abkühlende Chloroform muss in einer mit Wasserdampf ge-
schwängerten Atmosphäre an seiner Oberfläche einen Niederschlag von Wasser
hervorrufen und möglicher Weise leitet dann nur die dünne Wasserschichte,
die sich an der Oberfläche des Chloroforms gebildet hatte.
Dies wurde dadurch besonders wahrscheinlich, dass sich das aus dem Gal-
vanometerausschlag ersichtliche Leitungsvermögen des Chloroforms sogleich be-
deutend steigerte, wenn man die Chloroformschale anhauchte.
Nachdem wir uns so von der Thatsache der Leitungsunfahigkeit des Chloro-
forms, die schon unsere ersten oberflächlichen Versuche ergeben hatten, auf
exacte Weise überzeugt hatten, prüften wir die Sache neuerdings am Menschen
und benützten dabei die von Adamkiewicz angegebene Diffusionselektrode.
Das Resultat dieser Versuche entsprach ganz unseren Erwartungen. Wenn
wir die mit Flanell oder Leinwand überzogene und mit Chloroform gefüllte
Diffusionselektrode auf die Haut aufsetzten und als 2. Elektrode eine gewöhn-
liche, mit Wasser befeuchtete Plattenelektrode benützten, bekamen wir nie eine
mit den gewöhnlichen Apparaten messbare Stromstärke. Selbst an der grossen
Edelmann'schen Bussole und bei 5 Minuten übersteigender Dauer der Einwirkung
von 30 Stöhrer'schen Elementen bekamen wir auch nicht eine Spur von Aus-
schlag. Es leitet also das Chloroform so schlecht^ dass man es geradezu als
einen Isolator bezeichnen kann.
— 415 —
Es aiiid ttns nach dem Gesagten die Angaben Adahkiewioz's über Strom-
starken bis 10 Milliamperes, die er bei Anwendung einer mit Chloroform ge-
tränkten Elektrode erzielt haben will, ganz unverständlich und können wir nur
annehmen, dass dteselben auf einem groben Irrthmn beruhen.
Wir sind jedoch weit entfernt, deswegen behaupten zu wollen, dass der
elektrische Strom deswegen am Chloroform nicht seine kataphorische Wirkung
entfalten könne.
Wir sind selbst nicht Physiker genug, um die Frage zu entscheiden, ob
nicht das an imd für sich nicht leitende Chloroform, durch den elektrischen
Strom in die Haut eingetrieben werden könnte, und wir konnten uns auch
über diese Frage bei Durchsicht des Werkes von Wtkdemann keinen Aufschluss
verschaffen.
ArnKKiKwicz fahrt allerdings eine Beobachtung an, die ein Yersohwinden
von Chloroform in der Haut beweisen soll, die aber bei unbefangener Ueber-
legung viel einfacher auf andere Weise zu erklären ist
Es nahm nämlioh die in der Difinsionselektrode enthaltene Chlorofonnmenge
bei seinen Anästhesirungsversuchen ab. Adamkiewicz meint, dieser Verlust
komme auf Rechnung des in der Haut verschwindenden Chloroforms. Sein
Geruchsorgan hätte ihn belehren können, dass dieser Verlust an Chloroform zum
grössten Theile oder vielleicht selbst ganz auf Rechnung der Verdunstung kommt.
Adamktevicz hat aber noch ein anderes Factum angeführt, das ein kata-
phorisches Eindringen des Chloroforms in die Haut zu beweisen scheint: die
Anästhesie, die unter der Elektrode entsteht
Diese Angabe können wir fast vollinhaltlich bestätigen, zugleich aber be-
weisen, dass diese Anästhesie weder mit der kataphorischen Wirkung noch mit
dem elektrischen Strome überhaupt etwas zu thun habe.
Es tritt nämlich dieselbe Anästhesie auch auf, wenn man die Diffusions-
elektrode mit Chloroform gefallt auf die Haut aufsetzt, ohne den elektrischen Strom
durchzuleiten. Nach Verlauf von einigen Minuten hört die Anfangs schmerzliche
Empfindung auf und man überzeugt sich jetzt, dass die betreffende Hautstelle
anästhetisch ist. Die Anästhesie ist nicht so hochgradig, wie die durch Cocain
erzeugte, sie reicht nämlich weniger tief und sie verschwindet rascher. Die be-
treffende Stelle fühlt sich intensiv kalt an; es verdunstet nämlich vom Bande der
Elektrode eine immerhin nicht unbeträchtliche Menge Chloroform. Wir glaubten
deshalb Anfangs, wir hätten es hier mit einer Kälte-Anästhesie zu thun. Wir
überzeugten uns aber von der Unrichtigkeit unserer Annahme. Wenn man
nämlich die betreffende Stelle durch Auflegen eines warmen Körpers erwärmt,
so schwindet die Kälte früher als die Anästhesie. Noch schlagender beweist
dies folgender Versuch:
Wenn man ein Schröp^las mit Chloroform füUt, es dann so auf eine Haut-
stelle stürzt, dass der Luftzutritt abgeschlossen ist, so tritt ganz so wie im
früheren Versuche Anästhesie ein, eine Abkühlung der Haut kann aber, da die
Verdunstung des Chloroforms verhindert ist, nicht stattfinden.
(Dass Chloroform und andere leicht flüchtige Stoffe aus der Alkoholgruppe
4141
— 416 —
aof die Hant gebracht, abgesehen Ton der AbUhlnng, zaerst leichte sensible
Erregang und dann Abstcunpfting der Empfindfichkeit heryormfen, ist ohnehin
l&ngst bekannt)
Die Procednr ist aber sehr schmerzhaft und wir empfehlen jedem, der sie
wiederholt, Vorsicht an, weil man dadurch ziemlich tiefgehende Yer&txongen
der Haut erzengen kann, wie wir ans zu unserem Schaden überzeugten.
Wir können natürUch die therapeutischen Erfolge, die Herr Adameikwicz
durch seine Methode erzielt hat, zwar nidit bestreiten, mtkssen aber seine An-
schauung über die Art und Weise, wie dieselben zu Stande kommen, als eine
YoUst&ndig inige bezeichnen.
3. Ueber den Einflnss der centralen G^himtheile auf den
Blutdruck und die Herzthätigkeit.
Yon Prof. Dr. W. Beohterow und Prosector Dr. Miialawsky.
Zur Ergänzung unserer Untersuchung über den Einfluss der Groeshimrinde
auf den Blutdruck und die Herzthätigkeit^ haben wir in der nämlichen Rich-
tung Experimente mit Beizung der centralen Oehimtheile angestellt Die Er-
gebnisse dieser Versuche bestehen kurz gefiasst in Folgendem:
Entsprechend dem Umstand, dass sich von Verschiedenen Gebieten der
Groeshimrinde aus durch elektrische Beizung eine Beeinflussung des Blutdrucks
erzielen lässt, gelingt es auch durch Beizung verschiedener Punkte der centralen
Gehimtheile eine solche hervorzubringen; in letzterem Eall beobachteten vrlr bis
jetzt nur Steigerung des Blutdrucks. Am stärksten war in dieser Hinsicht die
Wirkung bei Beizung des Sehhügels und Globus paUidus des linsenkems. Vom
grössten TheU der inneren ELapsel aus erhielten wir auch äusserst ausgeprägte
Steigerung des Blutdrucks; bei Beizung ihrer vorderen Abschnitte war dieselbe
weniger bedeutend. Den schwächsten Eflfect ergab Beizung des NucL candati
(sowohl dessen Körpers, als audi des Schweifes).
Da die soeben berichteten Grundresultate der Versuche mit Beizung der
Gentralganglien auch dann die nämlichen bleiben, wenn durch vorhergehende
Abtragung des motorischen Bindenfeldes am operirten Thier secundäre Degene-
ration der Pyramidenbahn hervorgebracht wurde, so ist es offenbar, dass den
Gentralganglien (Glob. pallidus und Thalamos opt) die Fähigkeit zukommt, un-
mittelbar den Blutdruck zu beeinflussen. Also müssen in den Grosshimhami-
sphären ausser den Fasern der Pyramidenbahn auch die die Binde mit den
Gentralganglien verbindenden Fasern zur Uebertragung der Im-
pulse von der Hirnrinde auf den Gefässtonus dienen.
Was den Einfluss der Hirnrinde auf die Herzäiätigkeit anbetrifft, so bringen
uns unsere neueren Yersudie zur Ueberzeugung, dass bei Beizung der Ober-
fläche des vorderen Bindengebietes sehr oft ausser der gewöhnlichen Puls-
' S. Neorolog. Centralbl. 1S86. Nr. 9.
— 417 —
beachlemiigimg anoh mäa oder ireniger bedeoteode Y eiUngsamang der Pals-
sohl&ge ooDstUärt winL Letztere stellte sich in nnseren Yersnolien am h&nfigsten
nach anf&nglicher Besohleanlgang des Pnlses od, aber in einten Fällen
aacdi prim&r. Dniohsolmeidang der Nu. vagi hatte — wie zu erwarten war
— Tollstündigfi Aofhebnng dos hemmenden filnflnsses der Bindenreizong aof
die Herzthätigkeit zar Folge.
Nachdem wir die Obeifl&che der Hemisphäre dnich schichtenweise Schnitte
abtn^en, reizten wir die damnterli^ende weisse Snhetaiiz mit sc^waoben
Strdmen. Hierbei erwies es sich, dass Beizong eines bestünmten Fanfctee im
Teureren Gebiet des Stabbanzee (entspieohend der Lage der vorderen Gentral-
windong) nicht nur äusserst ausgeprägte Falsveilaogsamang, sondern
PiK. 1.
auch — bei gewisser Daoer der Beizong — ToUständig diastolischen Still-
stand des Herzens bewirkt Also tritt hierbei der nämliche Effect ein, wie
bei Beiznng des peiipherischen Endes des N. vagns. Dagegen ergab Beiznng
der hinteren Gebiete des Stabkranzes, sowohl der dem bezeichneten benachbarten,
als anoh weiter gel^ener, eine mehr oder weniger beträohtliehe Ste^rong des
BlntdnickB, ohne von irgend bedeutendem Einfiosa auf die Herzthätigkeit be-
Einen dem oben angegebenen ganz analogen Effect beobachteten wir
ebenlalls bei Boznng der äosseren Portion des Sehhfigels. Li letzterem Fall
* stellte sich, wie in jenem, bereits in knizer Zät nach ESnwirkuiig eines schwachen
Stromes vollatändiger diastolischer Stülstand des Herzens ein, welchem allmäh-
liche Verlangsamnng der FnlssohUige Toianging.
418 -
^ Der hemmende ISiiifliiss der bezeichneten Himtheile auf die Herztb&tigkeit
wird in augenscheialichster Weise auf den zwei beigegebenen Conren demon-
strirt, von denen die erste einen Versuch mit Beizung des vorderen Gebietes
des Stabkranzes, die zweite — mit Beizung des Sdihügeb betrifit^
Unsere Versuche zeigen also, dass in der Binde der Hemisphären neben
den den Blutdruck beeinflussenden Leitungsbahnen auch solche enthalten and,
die auf die Herzthatigkeit wirken; letztere wird durch eine derselben beechleunigt,
durch eine andere gehemmt. Beide sind hauptsachlich in den vorderen Gebieten
der Hemififphären vertheilt, indem die den hemmenden Einfluss auf die Herz-
thatigkeit leitenden Fasern , wie unsere Versuche lehren , anscheinend schon in
der weissen Substanz der Hemisphären sich in ein besonderes Btkndel sammeln,
welches im vorderen Gebiete des Stabkranzes verläuft
In Anbetracht der analogen Beeinflussung der Herzthatigkeit seitens des
Sehhügels ist Grund vorhanden anzunehmen, dass das in Bede stehende Bündel
zum Bestand der Strahlung des letzteren gehört, und dass der hemmende Ein-
fluss der Grosshimhemisphäre auf die Herzthatigkeit vermittelst des genannten
Ganglions zu Stande kommt
IL Referate.
Anatomie.
1) On Professor Hamilton's theory oonceming the corpus oalloBum, bj
C. E. Beevor. (Brain. 1886. April p. 63—73.)
Diese Arbeit enthält eine ausführliche Beschreibung der bereits vorläufig (vgl.
Centralblatt. 1886. S. 4) bekannt gegebenen anatomischen Untersuchungen über die
Faserang des Corpus callosumi welche keine Anhaltspunkte geben, dasselbe mit
Hamilton als eine Decussation aufzufassen. Auch vergleichend anatomische Momente^
dass nämlich bei niederen Thieren mit der geringen Ausbildung des Balkens die
vordere Commissur an Mächtigkeit zunehme, spräche daf&r, dass der Balken nur
eine interhemlsphärische Commissur ist. E. Bemak.
2) Beitrag som Faserverlauf im Hinterhom des mensohliohen Büokon-
marks und sum Verhalten desselben bei Tabes dorsalis,' von Dr.
H. Lissauer in Leipzig. 1 Tafel. (Arch. f. Psych. Bd. XVH. 2.)
Terf. suchte unter ausschliesslicher Anwendung der bekannten Weigert*schen
Tinctionsmethode in die feineren pathologisch-histologischen Veränderungen bei der
Tabes dorsal, einzudringen. Die Untersuchungen, bei denen Verf. nothwendiger Weise
auch auf das normale anatomische Gebiet geführt wurde , beziehen sich vorwiegend
auf die Verhältnisse im Lendenmark resp. in der Lendenanschwellung, wo ja die
Degenerationserscheinungen in der Regel ihren Anfang nehmen.
Verf. geht zunächst von einer recht eingehenden Darstellung der normalen ana-
tomischen Verhältnisse, soweit sie durch Anwendung oben erwähnter Methode einer
^ Beide Cnrven sind auf photogiaphiachem Wege um die Hälfte ihrer natürlichen Grosse
verkleinert.
* Vgl. Merzn Nenrolog. Centralbl. 1885. Nr. 11, sowie die Verhandlungen des IV. Coo-
gressei fCr innere Medicin zu Wiesbaden.
— 419 —
Klärung sog&nglich sind, aus und legt bei der Trennnng der Fasersysteme mit Becht
groBses Oewicht auf das Galiber der Fasern, wie es bekanntlich vor Allem Deiters
getban bat. Das wichtigste Untersuchungsergebniss ist die Dentimg jener meist
feinen, ^ertical yerlaufenden Fasern zwischen der äusseren Kappe der gelatinösen
Substanz und der yentralen Peripherie des Bückenmarks, der sog. Bandzone, als ein
besonderes Fasersystem. Die Bandzone, welche von den Autoren irrthfimlich als
Anhängsel der gehitinösen Substanz aufgefasst oder zum Seitenstrang gerechnet
wurde, setzt sich vorwiegend aus feinen Fasern der hintern Wurzeln zusammen«
Diese Fasern gebmgen schliesslich zum grossen Theil in die gelatinöse Substanz,
zum kleinen Theil in's Innere der Hinterstränge.
Am Hinterhom unterscheidet Verf. drei Abschnitte: 1) die spongiöse Zone der
gelatinösen Substanz, welche dicht an die Bandzone grenzt und in dessen Flechtwerk
sich die Fasern der Bandzone hauptsächlich auflösen; 2) die eigentliche gelatinöse
Substanz, ähnlich gebaut wie die Spongiosa; hier finden sich grobe (aus den hintern
Wurzeln und äusseren Partien der Hinterstränge stammend) und feine Fasern, welch*
letztere die Fortsetzung des Flechtwerkes in der hintern spongiösen Schicht bilden;
3) die Subst. spongiosa, die von der gelatinösen Substanz an bis zur Basis des
Hinterhoms sich erstreckt und wiederum in eine hintere und vordere Zone zerfällt.
Auch diese Partie des Hinterhoms wird noch von hinteren (groben und feinen)
Wurzelfasem durchsetzt. Hinsichtlich der näheren Details muss auf das Original
verwiesen werden.
Das Hinterhom empföngt somit hintere Wurzelfasem von zweierlei Kategorien:
1) grobe, die sich direct bfindelweise bis in die Spongiosa ziehen und hier eine
andere Bichtung einschlagen, 2) feine Fasern (gemischt mit anderen Fasersystemen),
die sofort nach Wurzeleintritt nach aussen abzweigen und sich zu einer aufsteigenden
Säule (Bandzone des Hinterhoms) bilden; ein Abschnitt der letzteren zieht längs
dem Seitenstrang aufwärts, ein anderer erstreckt sich theils in die Sahst, gel., theils
in das Innere der Hinterstränge.
Die pathologisch-anatomische Untersuchung erstreckte sich auf 13 Fälle, von
denen 6 in sehr detailirter Weise behandelt werden. Ganz besondere Aufmerksam-
keit wurde den Faserverhältnissen im Lendenmark geschenkt und dabei vor Allem
auf folgende Faserkategorien Bücksicht genommen: 1) die feinen Fasern der Band-
zone, 2) die feinen Fasem im Innern des Hinterhoms, 3) die groben Wurzelfasem
des Hinterhoms, 4) die Einstrahlungsmassen aas dem Keme des Hinterstranges
(StrümpelTs Wurzelzonen), 5) die .dar keuschen Säulen.
Die Bandzone, deren Verhalten bei Tabes früher wenig beachtet wurde und die
Verf. als ein besonderes (speciell zu den hinteren Wurzelfasem gehörendes) Faser-
Efystem auffasst, fand sich unter 13 Fällen 12mal degenerirt. In 3 Fällen bildete
die Bandzone ein Degenerationsfeld für sich. Der Zeitpunkt der Erkrankung dieser
Bahn ist variabel, in der Begel aber erkrankt sie frühe. Hinsichtlich der sub 2)
angefahrten Fasem muss bemerkt werden, dass ihr Verlust ein wesentlich geringerer
ist, als deijenige aus der Bandzone; in zwei Fällen mit Degeneration der letzteren
waren jene relativ intact; immerhin bestehen gewisse Beziehungen zwischen Band-
zone und den Fasergeflechten des Hinterhoms, nur dauert es eine gewisse Zeit, bis
der Process sich zu den letzteren fortpflanzt. Die groben Wurzelfasem erkruiken
bei der Tabes relativ spät and ihre Erkrankung macht langsame Fortschritte (in
2 Fällen waren sie gesund). Die Einstrahlungsfasem der Hinterstränge hingegen
verhalten sich wie die entsprechenden Theile der Hinterstränge, aus denen sie her-
vorgehen. Sie kommen aus den Wurzelzonen und fehlen Mh, während die Substanz
des Hinterhoms, welche sie durchsetzen, noch normal ist. Man darf den Ausfall
dieser Fasem neben den Veränderungen der Clarke*schen Säulen als erste patholog.
Erscheinung in der grauen Substanz bezeichnen. Die Verändemngen an den Glarke*-
schen Säulen sind constant und schon in den ersten Stadien der Tabes zu constatiren;
— 420 —
vor Allem werden hier die medial liegenden feinen Fasern, welche aas den Hinter-
strängen der Lumbairegion stammen, von der Degeneration betroffen, während mehr
lateral liegende Iowie die Ganglienzellen intact bleiben. Sehr spät betheüi^ sieh
die umgebende spongiöse Substanz des Hinterhoms an der Atrophie. Nich den
Untersuchungen des Verf., die mit denjenigen Ton Krauss^ im Einklänge stehen,
nimmt die Glarke^sche Säule aus sehr verschiedenen Theilen des HinterstrEUiges und
aus sehr yerschiedenen H6hen sich rekrutirende Faserbfindel auf, und es g^t hier
das Gesetz, dass die aus geringerer Tiefe kommenden mehr dem äusseren, die aus
grösserer Tiefe kommenden mehr dem inneren Theile der Säule sich zuwenden.
V. Monakow.
Experimentelle Physiologie.
3) Contributo sperimentale alla psioofiBiologis dei lobi ottioi nella testug»
gine paluBtre, del Prof. G. Fano in coUaborazione col Dr. S. Lourie.
(Bivisi speriment. di Freniatr. e di Medic. leg. 1885. XI. p. 480.)
Die Yerff. gehen bei der vorstehend angezeigten Arbeit über Functionen der
Lobi optici (Corp. quadrigem.) der Schildkröten von der eigenthümlichen Erfahrung
aus, dass es unter den gewöhnlichen Sumpfschildkröten zwei Formen giebt, die sich
sowohl durch körperliche wie auch durch geistige Eigenschaften streng von einander
unterscheiden lassen. Die Individuen mit üachem, glattem und gelbbraungefiecktem
Bfickenschild sind nämlich sehr lebhaft und reizbar, während die mit stark gewölbtem,
warzigem und gleichförmig dunkelbraunem Panzer apathisch und schwerfällig er-
scheinen. Werden sie z. B. auf den Bücken gelegt, so werfen sich die ersteren
schnell in die normale Lage und suchen trotz aller äusseren Beize etc. hastig zo
entfliehen, während die letzteren liegen bleiben, den Kopf, den Schwanz und die
Extremitäten unter den schützenden Panzer verbergen und sich nun regungslos ver-
halten, bis jede Gefahr geschwunden zu sein scheint.
Andererseits dachten die Yerff. an den Ausspruch Herzen*s, nach dem die
Intensität der Gedankenarbeit im umgekehrten Yerhältniss zur Schnelligkeit der
äusseren Beaction stehen soll, und an den ähnlichen Buccola*s, nach welchem
alle Yorstellungen bei ManiakaHschen sehr schnell ablaufen und sich in Bewegungen
umsetzen, während bei Melancholikern die Yorstellungen viel dauerhafter sind, nicht
gewissermaassen zur Ableitung nach aussen projicirt werden und daher keine oder
nur wenig ausgiebige Bewegungen auslösen; Buccola folgerte femer, dass die Heftig-
keit und Schnelligkeit reactionärer Bewegungen im umgekehrten Yerhältniss zur
Intensität des Bewusstwerdens, ihrer sensiblen Yeranlassung steht, und dass daher
bei Melancholischen die psychische Beizbarkeit viel grösser ist, als bei Maniakalischen,
wie er es auch experimentell bei geisteskranken Menschen gefunden hat
Die Yerff. beabsichtigen nun, ebenfalls einen experimentellen Beweis dafür zu
liefern, dass die motorische Beaction auf äussere Beize bei „melancholischer" Stim-
mung längere Zeit und schwächere Beize erfordere, als bei „maniakalischer" Stim-
mung, und haben sich jene beide Arten von Schildkröten als Yersuchsobjecte aus-
gesucht, besonders weil es, wie Fano seiner Zeit gezeigt hat, durch einen operativen
Eingriff möglich ist» eine „melancholische" Schildkröte in eine „maniakalische" umzu-
wandeln, und weil man so in den Stand gesetzt ist, bei einem und demselben Indi-
viduum beide Stimmungszustände zu untersuchen.
Einer auf den Bücken gelegten und in dieser Haltung fixirten Schildkröte
werden 2 als Elektroden dienende Metallplättchen in den Mund gebracht, so dass
mit Hülfe eines Stromschliessers in beliebigen Momenten eine lebhafte Beizung der
> Neuiolog. Centralbl. 1S85. Nr. 28.
— 421 —
Handschleimhaat bewirkt werden kann. Das Versachsthier reagirt durch eine
Zackimg der Extremitäten, deren Eintritt und Intensität ebenso wie der Beginn der
Beizung und die Daner des Experimentes in ^/^^^ Secnnden graphisch dargestellt
wird. —
Bei der ,,melancholiBchen" Schildkröte ergab sich nun eine mittlere Dauer von
0,081 See. bis zum Eintritt der motorischen Beaction, bei der „maniakalischen" nur
von 0,052. Die minimale Beizung, welche eine deutliche Zuckung auslöste, entsprach
einem Bollenabstand von 118 mm bei ersteren und einem von 90 mm bei letzteren.
Beide Ergebnisse stimmen sehr gut zu den oben erwähnten Erfahrungen Buccola*s
bei Irren. Bemerkenswerth ist es nun, dass analoge Unterschiede in der Dauer bis
zum Eintritt der Beaction und in der drösse des auszuübenden Beizes auch bei einer
und derselben Schildkröte zu beobachten sind, wenn man ein „melancholisches"
Exemplar künstlich in ein „maniakalisches" verwandelt: die Dauer sinkt von 0,082
auf 0,037, die mindestens erforderliche Beizstärke steigt von einem Bollenabstand
von 130 mm auf einen von 105 mm nach der Operation, die übrigens in der Ent-
fernung des vorderen Yierhügelpaars besteht. Beizt man aber die letzteren Organe
direct, so zeigt sich das entgegengesetzte Verhalten: die Dauer steigt von 0,073 auf
0,084, der Bollenabstand von 80 auf 125 mm.
Die Verff. glauben daher, dass dem vorderen Yierhügelpaar eine gewisse regu-
latorische Function zukommt. Je nach dem „Tonus" der ganglionären Elemente
derselben ist der Leitungswiderstand im centralen Beflexbogen vermindert oder ver-
mehrt, und zwar wächst der Widerstand mit der Intensität des Bewusatwerdens.
In der Melancholie mit ihrer intensiven inneren Gedankenarbeit wird daher der
Tonus der Lobi optici gesteigert sein. Schwächere Beize als unter anderen Verhält«
nissen genfigen hier, am eine Empfindung zu veranlassen; die Zeit bis zum Eintritt
der Beaction ist aber länger als sonst. Ein „melancholisch" abgestimmtes Gehirn
wird daher unter allen Umständen mehr (d. h. häufiger und länger) in Anspruch
genommen, als ein normales oder maniakalisches, also auch leichter erschöpft
Bef. glaubt, dass die Bestätigung derartiger Theorien einen praktischen Werth
ffir die Therapie haben kann. Sommer.
Pathologische Anatomie.
4) Degeneration der Qoirsohen Stränge bei einem Potator, von Dr. Osw.
Vierordt, Leipzig. (Arch. f. Psych, etc. 1886. Bd. XVII. H. 2.)
Ein 30jähriger Handarbeiter, starker Schnapstrinker, nie syphilitisch, litt
seit März 1884 an häufigen stechenden, blitzartigen Schmerzen in den unteren Ex-
tremitäten, gleichzeitig an Schwäche und Unsicherheit der letzteren. Zeitweilige
Besserung, dann Zunahme der Erscheinungen, Eriebeln in den Beinen. Bei der Auf-
nahme im Januar 1885 fand sich ein eigenthümlicher Symptomencomplex an den
Extremitäten. Die oberen Extremitäten gleichmässig abgemagert, normaler Tonus
der Muskeln, die rohe Kraft dem Volumen der letzteren entsprechend, keine Ataxie,
normales Muskelgeffihl, normale Hautsensibilität, keine Druckempfi^dlichkeit der
Nerven, aber exquisite Schmerzhaftigkeit der Muskeln bei Druck.
An den unteren Extremitäten ganz diffuse Abmagerung, der Mades entsprechend,
normaler Tonus, Herabsetzung der groben Kraft im Verhältniss zum Volumen, etwas
Ataxie der Bewegungen. Parästhesien in beiden Beinen bei einer geringfügigen
Störung der Hautsensibilität an der Aussenseite der rechten Wade; keine Hyper-
ästhesie, normales Muskelgefühl. Atactischer (rang, starkes Schwanken bei geschlos-
senen Augen, die Patellarreflexe erloschen, die Hautreflexe erhalten. Auch an den
unteren Extremitäten au£GEdlende Druckempfindlichkeit der Muskeln. Keine
solche an den Nervenstämmen.
— 422 -
Die mechanische Erregbarkeit der Maskeln aulEAllend lebhaft, die Zuckungen
kurz. Mehrfach wiederholte elektriache Unterenchong ergab durchweg normale Beac-
tion der Nerven und Muskeln, quantitativ, wie qualitatiVi faradiach und galvanisch,
auch stets im weiteren Verlaufe. Pupillen, Blase und Mastdarm stets nonnaL
Im weiteren Verlaufe traten h&ufige neuralgiforme Schmerzen und Par&sthesien
in den Beinen, zunehmende Störung des Ganges mit theils paretischem, theils atak-
tischem Charakter hervor.
Nebenbei macht eine tuberculöse Erkrankung der Lungen mit fortdauerndem
hohen Fieber rasche Fortschritte. Bei späteren Untersuchungen machte sich die
Steigerung der mechanischen Erregbarkeit der Muskeln in noch erhöhtem Grade
geltend, während die Sehnenreflexe constant fehlten. Die grobe Kraft zeigte sich
hauptsächlich durch die bei Bewegungen auftretenden Schmerzen, schliesslich aber
doch auch durch wirkliche Parese, spedeU an den Beinen, wesentlich herabgesetzt
Zuletzt waren die Bewegungen der Beine „sehr unsicher, aber nicht eigentlich atac-
tlBch". Pat. starb am 12. April.
Die Diagnose intra vitam war von erheblichen Schwierigkeiten umgeben; haupt-
sächlich kam initiale Tabes und peripherische Alcohol-Neuritis in Betracht
Die Untersuchung des Kückenmarks post mortem ergab ausser leichter
chronischer Leptomeningitis spinalis, die sicher bedeutungslos, eine Entartung der
Goirschen Stränge in der Oblongata, im Hals- und Dorsalmark, eine
geringe Degeneration der seitlichen Hinterstrangpartien im untersten
Dorsalmark, eine sehr massige Erkrankung der hinteren Wurzeln des
mittleren und unteren Dorsalmarks und eine noch geringere De-
generation der hinteren Lendenmarkswurzeln, während das Bückenmark
.selbst im gesammten Lendentheil vollkommen normal war.
In der Oblongata war die Degeneration der Goll'schen Stränge eine totale, im
oberen Halsmark war der hintere Theil der Goll*schen Stränge (mit Ausnahme
eines ganz schmalen Saumes) erkrankt, im Dorsalmark war der hinterste Abschnitt
der Goll'schen Stränge frei, dann massige, in der Mitte der Strecke zwischen Peri-
pherie und Commissur ziemlich intensive Erkrankung; nach dem unteren Dorsalmark
nahm der Grad der Degeneration rasch ab.
Nerv, ischiadicus und radialis dexter normal, ebenso die intramuscu-
lären Nerven.
In den Muskeln (quadriceps und peron.) interstitielle Kemvermehrung, da-
gegen keine Vermehrung der Muskelkeme und normale Beschaffenheit der Muskel-
fasern.
Ausserdem ergab die Section verbreitete Tuberculose.
Verf. ventilirt bei der Deutung des Befundes die Frage, ob es sich um eine
von den hinteren Wurzehi des Dorsal- und Lendenmarkes ausgehende Erkrankung
und secundär aufsteigende Degeneration der Goll'schen Stränge handelte, oder um
eine primäre Degeneration eines Theiles der Goll'schen Stränge. Er vindicirt der
zweiten AufiEassung die grössere Wahrscheinlichkeit Und zwar würde, dem Befund
entsprechend, der Beginn der Degeneration zu verlegen sein in die Kerne der zarten
Stränge, von wo aus sie in den langen centripetalen Bahnen nach den Wurzeln zu
fortgeschritten wäre — entgegen der Richtung der secundären Degeneration und in
dieser Beziehung analog der primären Degeneration der Pyramidenbahnen.
Bezüglich der Vereinigung der klinischen Symptome mit dem anatomischen
Befand bemerkt Verf., dass zur Erklärung der landnirenden Schmerzen in den Beinen
und der erloschenen Patellarreflexe die Erkrankung der Lendenmarkswurzeln heran-
gezogen werden müsse. Die Druckhyperästhesie und die gesteigerte mechanische
Erregbarkeit der Muskeln ist nicht sicher zu erklären; vielleicht steht erstere in
Zusammenhang mit dem Eemreichthum des interstitiellen Gtewebes. Zur spedellen
Symptomatologie der eventuellen primären Erkrankung der langen Hinterstrangbahnen
— 423 —
ist der Fall nicht Terwerthbar. Die beiden in der Literatur niedergelegten, einiger-
maassen analogen Fälle von Fierret und Friedreich tragen zur Aufklärung des
Vierordt'schen Falles nicht wesentlich bei. Eisenlohr.
5) lieber Cysticerken im vierten Ventrikel, Inaugnral-Dissertation von Albert
Brecke. (Berlin, 18. März 1886.)
Kaoh 5 Fällen, die ihm znr Disposition standen, hat Verf. mit Fleiss nnd Sorg-
falt ein ganz hübsches anatomisches und. klinisches Bild entworfen. Im ersten und
dritten Fall erreicht der Cysticercus Erbsen- bis Bohnengrösse; im 2. und 4. dag^en
kommt er dem Umfang eines Tauben- resp. Hühnereies gleich und besteht ans einem
Conglomerat von Blasen, wie es unter dem Namen Cysticercus racemosus beschrieben
worden ist. Verf. räumt der Cysticerken-Blase ein durchaus selbstständiges Wachs-
thnm ein, das indessen durch die räumlichen Verhältnisse vielfach bestimmt wird.
Die Veränderungen, welche der Parasit in der Nachbarschaft hervorbringt, sind vor
Allem eine Verdickung des Ependyms (Ependymitis chronica), Hydrops der Ventrikel
in Folge des Druckes auf die grossen Venen, Anämie des Gehirns überhaupt und
Abplattung der Gyri als Folgeerscheinung des Ventrikel-Hydrops.
Was die in solchen Fällen beobachteten klinischen Symptome anlangt, so richtete
sich die Intensität derselben deutlich nach der Ausdehnung des Cysticercus. Unter
den Erscheinungen, welche durch den vermehrten Druck in der Schädelhöhle hervor-
gerufen werden, ist zuerst der Kopfschmerz zn erwähnen, den Verf. aus Druck und
Zerrung von Trigeminns-Aesten der Dura erklärt Derselbe soll stets plötzlich
aufgetreten, später aber in Bezug auf Intensität verschieden gewesen sein. Die Er-
klärung, welche für ersteres in der znr Schmerzempfindung nöthigen Summation von
Beizen, für letzteres in der von früheren Autoren beobachteten Bewegung der Para-
siten gesucht wird, scheint ganz plausibel. Die in einem Falle aufgetretenen Con-
vulsionen werden ganz richtig als von der gedrückten und gereizten Hirnrinde aus-
gehend erkannt. Veränderungen am Sehapparat finden sich ebenfalls. Psychische
Störungen erklären sich theils aus der Anämie, theils aus dem erhöhten Druck, unter
dem das Gehirn steht.
Die an der MeduUa oblongata als dem den Parasiten am nächsten liegenden
Theile des Centralnervensystems beobachteten Erscheinungen sind Erbrechen (Beiz
des Vaguskemes), plötzlicher Stillstand der Athmung (übermässige Anhäufung von
Eohl^isäure) und in einem Falle Diabetes insipidus (Beiz des Diabetes-Centrums).
Vergleichsweise wird die von Bernhardt aufgestellte Tabelle über plötzlichen
Tod bei Hirntumoren angeführt^ welcher den grössten Procentsatz (24 ^/q) bei Ge-
schwülsten der Medulla oblongata gefunden hat. Merkwürdig ist das Fehlen von
Erscheinungen von Seiten der ffimnerven, welche am Boden des IV. Ventrikels ihren
Ursprung haben. Verf. findet hierfür eine Erklärung in der Ependym- Wucherung,
die nirgends in die Himsubstanz sich hineinerstreckt, wie er mikroskopisch nach-
gewiesen hat, und für jene vielleicht ein schützendes Polster bildet.
Die in zwei Fällen eingetretene Störung der Coordination der Bewegungen beim
Gehen wird vom Verf. auf eine Läsion des Kleinhirns und zwar nach dem Vorgange
Nothnagers auf eine Unterbrechung des Wurms mit den Hemisphären bezogen.
Damit meint er, stehe auch das Schwindelgefühl in Verbindung, welches sich bei
3 Patienten vorfindet
Störungen der Sensibilität und Motilität sind nicht vorhanden.
Die Dauer der Krankheit, von der Einwanderung des Cysticercus an bis zu
seinem Absterben (nach Schiff in 3 — 6 Jahren) und zur Degeneration und grösstem
Anwachsen der Parasitenblase ist nur vermuthungsweise zu bestimmen.
Sperling.
— 424 —
Pathologie des Nervensystems.
6) Till Iftran om aflEMri, af S. E. Henschen. (IJpsala läkarof5reii. f5rh. 1886.
XXI. 7. S. 380.)
H. theilt folgende 4 Fälle mit 1) Eine an Aortenstenose mit chronischer
Pneumonie leidende, 62 Jahre alte Fran wnrde plötzlich von atactischer Aphasie he-
fallen, ohne dass irgend welche subjectiTe Erscheinungen Yoransgegangen waren ausser
einem (xefQhl von Zucken im ganzen Körper. Allmählich besserte sich das Sprach-
vermögen wieder etwas und nach der etwa 3 Wochen nach dem Anfalle erfolgten
Aufnahme in der med. Klinik in Upsala fand sich nur noch amnestische Aphasie
und Agraphie. Alexie war vorhanden, sie beruhte aber nicht auf Wortblindheit;
diese trat nur bisweilen momentan auf bei Anstrengung, den Ausdruck fflr ein ge-
schriebenes Wort zu finden. Nach dreiwöchentlicher Behandlung war die Aphasie
kaum noch bemerkbar, auch in der Folge zeigten sich weder Aphasie, noch andere
locale Himerscheinungen. Etwa ein Jahr nach dem Auftreten der Aphasie starb die
Kranke plötzlich. Bei der Section fand sich Erweichung des Gyrus frontalis tertius
und secundus auf der linken Seite und der angrenzenden Theile der vorderen Gentral-
windung.
2) Ein an Hypertrophie des Herzens und der Leber leidender 55jähriger Mann
erlitt in einer Nacht einen Schlaganfall, der totale atactische Aphasie und Lähmung
der rechten Extremitäten zurückliess. Die Lähmung besserte sich, auch die Aphasie
nahm ab. Später bestand amnestische Aphasie, die sich zwar bedeutend besserte,
aber noch bis zu dem einen Monat später erfolgenden Tode vorhanden war. Wort-
taubheit war nicht mit Sicherheit nachzuweisen, aber Wortblindheit war vorhanden.
Bei der Section fand sich Erweichung des linken Gyrus angularis.
3) Eine an einer organischen Herzkrankheit mit Klappenfehler und Lungen-
infarcten leidende 57jährige Frau hatte in einer Nacht ein eigenthämliches schmerz-
haftes Gefühl in der linken Stirn- und Schläfengegend und konnte am nächsten
Morgen weder sprechen noch lesen. Es bestand amnestische Aphasie und Paraphasie.
Worttaubheit war nicht vorhanden, aber Wortblindheit; ob Aphasie vorhanden war,
Hess sich nicht feststellen. Die Kranke starb 3 Wochen nach dem Anfall. Bei der
Section fand sich Erweichung der oberen Spitzen des Gyrus temporalis primus und
secundus und des Gyrus angularis auf der linken Seite.
4) Ein 29jähriger Mann hatte einen Schlaganfall, nach welchem er 14 Tage
lang bewusstlos blieb. Es bestand Lähmung der rechten Körperhälfte und Aphasie.
Die genauere Untersuchung war mit besonderer Schwierigkeit verbunden, weil ausser
der Aphasie noch Herabsetzung der Intelligenz und partielle Parese der Zunge vor-
handen war. Es bestand partielle Worttaubheit und fast vollständige Wortblindheii
Die Aphasie nahm etwas ab, aber nur in geringem Grade; während des ganzen Ver-
laufes bis zum im 5. Monate nach dem Schlaganfalle an Lungengangrän erfolgenden
Tode bestand amnestische und atactische Aphasie und Paraphasie. Ob Agraphie
bestand, Hess sich nicht feststeUen, weil die rechte Hand gelahmt bUeb. Bei der
Section fand sich Zerstörung der Binde an den Temporal-, Parietal-, Central- und
Frontalwindungen der linken Seite durch Erweichung bis zur Capsula interna.
Walter Berger.
7) Om lokallsationen i hjembarken af aftuiiens olika former; af F. Lenn-
malm. (Upsala läkarefören.fOrh. 1886. XXI. 8—10. S. 405— 530. 564— 592.)
L. hat auf Grund von 231 aus der Literatur gesammelten Fällen die anato-
mischen Veränderungen einer genauen Durchsicht unterworfen, die sich bei den ver-
schiedenen Formen der Aphasie finden, und ist dabei zu folgenden Schlusssätzen
gelangt
— 425 —
Um uns nnseren ICitmenfichen mitznibeileiii verfügen wir über einen ganz com-
plicirten Sprachmechanismas, der durch verscliiedene Fnnctionscentra in der Hirnrinde
regalirt wird. Wenn wir ein Wort gesprochen hören, so wird dieses durch den
Acusticns in die Hirnrinde geleitet zu einem Gentrum, in welchem wir das gesprochene
Wort aufiGassen. Ein analoges Centrum findet sich für die Auffassung des geschrie-
benen (gedruckten) Wortes. Was wir durch diese Gentra auffassen, ist nur die con-
ventionelle Bedeutung, welche wir in der Sprache dem betreffenden Worte gegeben
haben; durch die Vereinigung der Auffassung, die wir Ton einer Sache durch diese
beiden Centra erhalten, mit der Auffassung, welche wir vielleicht erhalten durch die
übrigen Gentra, welche wir als zur Aufnahme aller dahin geleiteten Eindrücke be-
stimmt supponiren müssen, bekommen wir erst einen Begriff von dem betreffenden
Worte; von einem Begriffscentrnm kann man wohl nicht eigentlich reden, da That-
sachen daf&r sprechen, dass dieses Centrum an einen grossen Theil der Himober-
fl&che gebunden ist.
Wenn man nun etwas sprechen oder schreiben will, so geht von dem sogenannten
Begriffscentrum ein Impuls aus zu dem Centrum für die Coordination der Bewegungen,
die bei der Articulation des Wortes vor sich gehen, oder zu dem Centrum, das der
Coordination der Schreibbewegungen vorsteht
So haben wir 4 Centra; diese sind natürlich unter einander auf das Innigste
verbunden, aber es findet sich nichts, was dafOr spräche, dass nur eine einzige,
anatomisch begrenzbare Associationsbahn sie vereinigte, sondern sie sind vermuthlich
durch mannigfaltige Associationsfaden mit einander verbunden.
In jedem dieser 4 Centra ist ein Theil des Wortged&chtnisses deponirt: im
Centrum für die Auffassung des gesprochenen Wortes haben wir die Erinnerung
daran, wie das gesprochene Wort lautet, im Centrum für die Auffassung des ge-
schriebenen Wortes die Erinnerung daran, wie das geschriebene Wort sich dem Auge
darstellt» im motorischen Sprachcentrum die Erinnerung an die coordinirten Bewe-
gungen, vermittelst welcher das Wort articulirt wird, imd im motorischen Schreib-
centmm die Erinnerung an die coordinirten Schreibbewegungen.
Die 4 Centra liegen (bei Rechtshändigen) resp. im linken Gyrus temporalis
superior, im linken Lobulus parietalis inferior, im hinteren Theile des Gyrus fron-
talis inferior und (wahrscheinlich, nicht sicher) im unteren Theile des Gyrus centralis
anterior. Wenn man sprechen. Gesprochenes verstehen, schreiben und lesen kann,
müssen alle diese Centra normal fnnctioniren.
Die verschiedenen Formen von Aphasie kommen nun zu Stande durch Zerstö-
rung oder Störung der verschiedenen Centra. Ist das Centrum fQr die Auffassang
des gesprochenen Wortes zerstört, so tritt Worttaubheit ein (sowie, da dieses Cen-
trum im Allgemeinen das Wichtigste ist und Controle über das motorische Sprach-
centrum ausübt, Paraphasie); ist dieses Centrum in Unordnung gebracht, so bleibt
das Vermögen, gesprochene Worte aufzufassen, bestehen, d. h. die Lautbilder des
Wortes werden durch Impulse von aussen her hervorgerufen, aber hingegen ist das
Vermögen verloren, von selbst dieselben Lautbilder in das Gedächtniss zu rufen, es
ergiebt sich daraus eine amnestische Aphasie, auf dem Verlust des Gedächtnisses für
die Lantbilder des Wortes beruhend. In Analogie hiermit entsteht bei Läsion des
Centrums für die Auffassung des geschriebenen Wories Wortblindheit und wahr-
scheinlich giebt es auch hier eine amnestische Form.
Ist das motorische Sprachcentrum zerstört, so entsteht motorische Aphasie
(Aphemie), ist es nur in Unordnung gebracht, so entsteht amnestische Aphasie, be-
nihend auf Verlust der Erinnerung für die coordinirten Bewegungen, welche bei dem
Sprechen ausgefOhrt werden. Auf dieselbe Weise entsteht bei Läsion des motorischen
Schreibcentrums Agraphie und wahrscheinlich auch eine amnestische Agraphie.
Walter Berger.
— 42« —
8) Brnbolus of the basilar artery, by Ch. M. Chadwick. (The British med.
Journ. 1886. 27. Febr. p. 391.)
Ein 21jähr. verheiratheter Mann, der Mher stets gesund» wenn auch massiger
Potator gewesen war, fing ohne nachweisbare Veranlassung fiber heftige Schmerzen
im Hinterkopf zn klagen an. Am nächsten Abend nahm er ein Pnrgans und es
schien daranf eine bedeutende Besserung einzutreten. Als indess am dritten Abend
die Frau des Patienten nach einer kaum 5 Minuten langen Abwesenheit zu dem
letzteren zurückkehrte, fand sie ihn htüflos zusammengebrochen in einem Lehnstuhl,
sprachlos und unfähig zu gehen. Er vermochte zwar noch durch Handzeichen an-
zudeuten, dass er zu Bett gebracht werden wolle, doch verfiel er bald darauf in
einen tief benommenen Zustand, in dem er leise vor sich hin klagend auf jede Be-
wegung oder Berührung schmerzlich reagirte und endlich in voller Bewusstlosigkeit
nach 56 Stunden verstarb, ohne Fieber (über 38 ^ C.) oder andere auffallende Symp-
tome dargeboten zu haben.
Die Section ergab bei vollständiger Integrität der körperlichen Organe, beson-
ders des Herzens und seiner Klappen, venöse Hyperämie der Meningealgefässe und
im vorderen Abschnitt der Arteria basilaris ein kleines, aber das Lumen ausfüllendes
und an den Bändern bereits entfärbtes Gerinnsel. Woher dieser todtbringende Em-
bolus gestammt haben mag, war nicht zu ermitteln. Sommer.
9) De llitoiiplegie et de ripil^sie partielle urömiques« par Chantemesse
et Teneson. (B^vue de m6d. 1885. Nov. p. 935.)
Die mitgetheilten Beobachtungen sind in Kürze folgende:
Fall 1: Schwangerschaft, Albuminurie. Vorübergehende neuralgische Schmerzen
im Oesicht und in den Armen. Anfall von Krämpfen, gefolgt von linksseitiger
Hemiplegie, welche in wechselnder Stärke anhält. Tod im Coma mit Temperatur-
Steigerung. Autopsie: Klare seröse Flüssigkeit in den Maschen der Arachnoidea.
Keine Herderkrankung im Gehirn. Compression beider Ureteren durch den Uterus.
Fall 2: Arteriosclerosis und Albuminurie. Coma. Bechtsseitige Hemiplegie,
Steifigkeit im rechten Arm. Tod unter Temperatursteigerung. Autopsie: Schrumpf-
nieren. Hydrops der Qehimventrikel, Gehimödem. Keine Herderkrankung in der
linken Hemisphäre.
Fall 3: Arteriosclerosis. Albuminurie. Beständige Myosis. Coma mit Anfällen
von partieller Epilepsie in der rechten Körperhälfte. Deviation conjugu^ der Augen
und des Kopfes nach rechts. Allmähliches Aufhören der urämischen Erscheinungen.
Fat. verlässt gebessert das Hospital.
Fall 4: Chronische Nephritis. Urämie. Bechtsseitige Hemiplegie. Autopsie:
Keine Spur, einer Herderkrankung.
Ebenso Fall 5 und 6.
Man sieht somit, dass im Verlauf der Urämie cerebrale Herdersoheinungen
(Hemiplegie, partielle Epilepsie) auftreten können, welche von keiner gröberen ana-
tomischen Herderkrankung abhängen, sondern nach Ansicht der Verff. auf ein nm-
schriebenes Gehimödem zu beziehen sind. „Dieses Oedem ist die Folge det Blut-
verändemng; es ist urämischen Ursprungs." (Vgl. die Arbeit von Baymond, Bevue
de m^decine, September 1885, referirt in diesem Centralblatt, 1885, S. 8.)
Strümpell.
10) Ck>ntriliution 4 ritode des növritee p^riphöriquee Burvenaat daiiB le
oours ou la oonyalesoenoe de la fi^vre typhoide, par Pitres et L.
Vaillard. (Bevue de mM. 1885. D^. p. 985.)
— 427 —
Nach einer ansflüirliclien üebersicht über die bisher TerOffentlichteii F&lle von
posttyphösen Lähmimgen berichten die Yerff. Aber mehrere eigenCi hierher gehörige
Beobachtnngen.
Die erste Beobachtung betrifft eine Ulnarislähmung, welche unter lebhaften
Schmerzen, drei Tage nach eingetretener Entfieberung, eich bei einem 24jährigen
Soldaten entwickelte. Die gelähmten Muskeln wurden stark atrophisch, es stellten
sich Gontracturen, Sensibilitätsstörungen, Entartungsreaction ein und einige Wochen
später bemerkte man auch im Badialisgebiet geringe SensibilitätsstGrungen. Obgleich
die elektrische Behandlung ein halbes Jahr regelmässig fortgesetzt wurde, blieb die
Lähmung unverändert bestehen und schien somit eine unheilbare zu sein.
Durchaus ähnlich ist die zweite Beobachtung, welche ebenfalls eine schwere
Ulnarislähmung betrifft, die unmittelbar im Anschluss an einen leichten Abdominal-
typhus entstanden war.
Die Yerff. nehmen als anatomische Erkrankung in beiden Fällen eine Neuritis
des Nervus ulnaris an.
Um sich Aber die Veränderungen in den peripherischen Nerven beim Typhus
noch genauer zu unterrichten, untersuchten sie ausserdem bei vier am Typhus ge-
storbenen Personen, welche keine besonderen nervösen Symptome dargeboten
hatten, die peripherischen Nerven. Sie fanden hierbei bald staürkere, bald geringere,
aber deutlich nachweisbare degenerative Veränderungen in einzelnen Nerven
(Ulnaris, Radialis, Peroneus, Saphenus u. a.). Es liegt hier somit eine ähnliche
Thatsache vor, wie bei der Diphtherie, wo bekanntlich auch ausgedehnte degenerative
Veränderungen in den peripherischen Nerven vorkommen, ohne dass ausgesprochene
klinische Erscheinungen vorhanden zu sein brauchen. Dass indessen auch beim
Typhus gewisse geringfügigere nervöse Erscheinungen (Muskelabmagerung und Muskel-
schwäche, Anästhesie und besonders Hyperästhesie der Haut, Anomalien der Reflexe
und dergl) von derartigen Veränderungen in den peripherischen Nerven abhängen,
ist im höchsten Grade wahrscheinlich. Strümpell.
Psychiatrie.
11) Ckmtrfbutlon 4 ritude de Pagoraphobie, par le Dr. Gherchevsky. (Revue
de m6decme. 1885. p. 909.)
Die Arbeit enthält die genaue Beschreibung dreier gut beobachteter Fälle von
Agoraphobie. Wegen der Einzelheiten muss auf das Original venriesen werden.
Verf. hält die Agoraphobie mit Recht für eine besondere Erscheinungsform der Neu-
rasthenie. Strümpell.
12) Soi movimenti del respiro neU'angosoia praeoordiale degll atatl melan-
oolioi, ricerche sperimentali del dott. G. Musso. (Archiv, ital. per le mal.
nervös. 1886. XXm. p. 76.)
Verf. hat bei vier Patienten, die an Angstzuständen litten, mit Hülfe eines
Pneumographen die Respirationsbewegungen graphisch aufgezeichnet. Bei deren Ana-
lyse kommt er zu folgenden Ergebnissen.
Im Angstanfall verlangsamt sich die Athmung, so dass im Allgemeinen nur
7 — 9 Respirationen auf die Minute kommen. Die einzelne Respiration ist ganz
oberflächlich und sehr kurz dauernd; jede dritte bis vierte Respiration ist tiefer und
anhaltender. Wird durch irgend einen äusseren Vorgang die Aufmerksamkeit des
Patienten von seinem Seelenzustande abgelenkt, so nähert sich der Athmungstypus
fast ganz dem normalen. Ist der Kranke selbst leicht erregbar, so geschieht es
öfters, dass die Muskelbewegungen, welche die Respiration und besonders die Phase
— 428 —
der Inspiniioii be^^eitaii, geMdeza den Chankter eineB Mtigen Tremon aaneliiiieii.
Das Diagnunm einor einzigeQ Beepintion zeigt dann das Bild einer Corre^ die sidi
in einigen dreissig und mehr Absätzen (Fig. 4) von der AtwciwienaTe entfernt nnd
wieder zn ihr zorflckkebri •
Ans der leichten Beeinflnssnng des Athmnngstypns durch insBere ESnwirkiingen
auch während dnes schweren Angstzoslandes folgert YerT, dass die Ansidit Schillers
nnd Anderer Aber die Entstehung der Angst (primäre St(^iing des Athmungwcentnims
resp. des Vagus etc.) zu beanstanden seL Sommer.
13) Allgemein -pathologiBolie Betraohtasgen über das VoriEominen und
die Bedeatang der XJnreinliohkeit der Geisteskranken, yon Dr.
Lindenborn. (Arch. t PsycL ZVIL H. 2. S. 322.)
Um ,,den Sachyerhalt leichter Teidanlich^ zu machen (mn bei der Unappetit-
lichkeit der Materie nicht ganz glücUich gewählter Ausdruck) giebt der Yerf. eine
gründliche psycho-pathologische Analyse der yerschiedenen Acte bä der Unreinlich-
keit der Geisteskranken, insbesondere der Schmieracte. Er theüt sie in drei Chuppen
ein: erstens psychomotorische (centrifngale) Beizroigänge ; krankhaft entstandene
Beizvorgänge auf das psychomotorische Bindencentrum und damit die anfiüigliche
Abwesenheit eines veranlassenden psychischen Motivs höherer Ordnung. Zweite Gruppe:
periphersensible und psychosensible Beizvorgänge (centripetal). In einfieicher Form
als Beflexvorgang, in den complicirteren durch Hinzutreten dunkler sinnlicher GefOhle
zu dem pathologischen Beiz, z. B. Angst, oder von HaUudnationen oder Wahnideen.
Dritte Gruppe: rein psychische (intracentrale) Beizvorgänge; Schmieren aus Illusion,
Hallucination, ZwangsvoisteUung, Wahnidee. — Form und Intensität des Schmier-
actes sind verschieden, je nachdem nur ein dunkler Gefählszustand, oder Wahnideen
und Sinnestäuschungen die Triebfeder sind, je nachdem das Bewusstsein mehr oder
weniger umnebelt, endlich, je nach der psychischen Gesammtconstitution und der
Intensität des Widerstandes der hemmenden Vorstellungen. — Unabhängig von diesen
krankhaften Beizvorgängen giebt es eine Beihe von Schmieracten, welche mehr als
logische und consequente Aeosserungen einer krankhaft veränderten Persönlichkeit^ so
in secundären Psychosen, bei constitutionellen Neurosen und Degenerationszuständen
auf hereditärer Basis, anzusehen sind. „Die Schmierer der zweiten Hauptreihe folgen
ihrer Ueberzeugung und sind mit sich zufrieden." Das Schmieren steht entweder
in einer bestimmten subjectiven Beziehung zu ihrer Person, oder es geht aus an-
geborener perverser Anlage hervor und wird ausgefährt, um der Umgebung Mflhe,
Ekel nnd Aerger zu machen. Andere (hochgradige Idioten) schmieren, weil sie auf
einer mehr thierischen Bildungsstufe stehen; noch andere in täglicher Wiederholung
schliesslich unbewusst und automatisch. Eine dritte Hauptreihe wird gebildet durch
die Schmierer, welche Artefacte der Isolirung darstellen. Alle Irrenärzte sind einig,
dass unvorsichtige und zu lang dauernde Isolirung das Schmieren begünstigt —
Dieser Darstellung lag die Schüle*sche Publication über Unreinlichkeit als Anlehnung
vor; im Weiteren giebt Yerf. eine Analogie der Aeusserungen anderer Autoren über
diesen Gegenstand.
Wenn Verf. die Behandlung der Unreinlichkeit auch als ausserhalb seines Themas
liegend betrachtet, so kommt er doch bei weiterer Erörterung des Gegenstandes immer
wieder auf die therapeutischen Beziehungen zurück und möchte Bef. den Werth des
letzten Theils der fleissigen Arbeit, in welchem über die Wachabtheilung für Un-
reinliche, über die täglichen genauen Nachweise der Unreinlichkeit in der Anstalt,
über die Beziehungen der Unreinlichkeit zur Isolirung und zum Bestraint, über den
hohen Werth permanenter Beobachtung, über die prophylactischen Klystiere, endlidi
über das Vorkommen der Unreinlichkeit bei Kranken ausserhalb der Anstalten abge-
handelt wird, als einen recht bedeutenden besonders hervorheben. Die sorgsame Be-
handlung der Frage in der Heppenheimer Anstalt erscheint dabei im günstigen Lichte.
Siemens.
— 429 —
14) Three oases of ohoking, by D. Weiss. (Joom. of ment. sdence. 1886. Jnly.)
Verf. berichtet über 3 Fälle von plötzlicher Erstickung durch Speisebrocken,
die fast unter den Augen des Arztes passirten, und trotz sofort gemachter Tracheo-
tomie konnte dennoch die Atbmung nicht wieder hergestellt werden, nur in einem
auf wenige Stunden. Die Section ergab in allen 3 Fällen Lungenödem als Todes-
ursache. Zander.
15) Iiead-poisoning, with mental and nervous disorders, by A. Robertson.
(Joum. of ment. science. 1886. July.)
R. berichtet über 2 Fälle von acuten Bleipsychosen mit schweren Affectionen
des Gesichts und Gehörs, welche sich beide auch dadurch auszeichnen, obwohl die
Psychose sich in verschiedener Weise äusserte, dass die schweren Intoxicationserschei-
nungen schon nach halbjähriger Arbeit in einer Färberei auftraten. Zander.
16) On the appeüte in insanity, by J. A. Campbell. (Joum. of ment. science.
1886. July.)
Verf. bespricht an der Hand vieljähriger Beobachtungen seine Wahrnehmungen
über die mannigfaltigen Appetitsstörungen bei Geisteskranken. Bemerkenswerth ist
die Beobachtung des Verf., dass Leute, welche in gesunden Tagen gut und reichlich
zu essen liebten, am ehesten geneigt sind, in frischer geistiger Erkrankung die Nah-
rung zurückzuweisen, unter sonst ärmlich lebenden Leuten sei Nahrungsverweigerung
seltener zur Beobachtung gekommen.
Sondenfütterung wendet Verf. nur im äussersten Nothfall an. Zander.
17) Psychische Symptome bei chronischer Nephritis, von Dr. Elend gen,
Obemigk. (Deutsche med. Wochenschr. 1886. 26.)
Verf. schildert 2 Fälle (ohne Sectionsbefund), bei denen er Eiweiss und Gylinder
im Harn nachweisen konnte, in deren einem auch Oedeme und Flüssigkeitsergüsse
in die grossen Körperhöhlen bestanden; dabei Herzhypertrophie. Beide Fälle zeigten
— wenigstens zeitweise — die Symptome der progressiven Paralyse. In der An-
stalt wurde nun beobachtet, dass das Leiden ein anfallsweises war. Es traten von
Zeit zu Zeit Bewusstseinsstörungen mit Hallucinationen auf, nach Steigerung eines
auch sonst bestehenden Kopfschmerzes in*s Unerträgliche; die Sprache wurde lallend,
der Grang unbeholfen, das Kehrtmachen schwierig, die Schrift incorrect, zittrig, mit
lückenhaftem Inhalt. Die Intelligenz erschien entschieden herabgesetzt, und für die
Vorgänge während der Höhe der Anfälle bestand theilweise Amnesie.
Aber air das ging zum Theil schon nach einigen Tagen, zum Theil nach einigen
Wochen vollständig vorüber, Sprache, Schrift, Oang wurde vollkommen normal, die
Intelligenz erschien ganz intact, nur eine gewisse hypochondrische Verstimmung und
ein querulirendes Verhalten war dauernd. — Nicht immer waren die Anfälle von
Bewusstseinsstörung begleitet, oft auch nur von Herzklopfen, Angstgefühl, neural-
gischen Schmerzen.
K. glaubt die Anfalle als urämische ansehen zu dürfen, welche in dieser eigen-
thümlichen Form auftraten.
Leider fehlt bei beiden Fällen, die K. selbst nur relativ kurze Zeit beobachten
konnte, die Section. Der Tod erfolgte bei beiden Kranken ziemlich bald nach der
Zeity wo K. sie beobachtet hatte. Ha d lieh.
_ 430 —
^ ^jyi(^2iiiziu8-Neuralgie, von C. Gassen bau er.
2^> ^Tpwjr^'' '"**'• htnogen auf den schon von Charles Bell und Stro-
V frühere ^^^^^^„g von Trigeminusneuralgie und Störungen im Ver-
^te*^^^ ^k^'^n»**'^*' operirte G. seither nur in 4 Fällen, während in
m^^^^gii^,^^^}^ dene habit^öU® Obstipation bekämpft wurde; es geschah durch
^^^fJ^^^ ^^^ ^rclystoeßf continuirliche feuchtwarme Einpackung des Abdomen und
^^ licl»^ ^^^^sche, mehrere Minuten dauernde kalte Abwaschung des Abdomen event
^lic^^ ^'•^ir des ganzen Körpers; daneben präcise Diät, in hartnäckigen Fällen
rjjte ^^^^ chon nach wenigen Tagen zeigte sich Besserung, in 1 — 2 Wochen Ver-
jKilcbdi^^' Kearalgie; in sehr hartnäckigen Fällen dauerte die Behandlung 6 und
gebwind ^'^-gj, jjjg die Neulttlgie aufhörte. Mitgetheilt wird ein FaD, in welchem
©ehr ^VjMoser interner Behandlang (auch durch Bamberger und Nothnagel)
nach ®^j^iier eine Nervenresection ausgeführt hatte. A. Pick.
10) Obbb ot ovariotomy in an insane patient, by B. Percy Smith. (Journ.
of ment. science. 1886. July.)
Die Frage des Causalnexus zwischen Psychose und gleichzeitiger Erkrankung
der weiblichen Genitalorgane ist noch immer nicht endgültig entschieden, trotz der
reichen Casuistik. S. bringt einen Fall, in welchem eine Patientin entschieden mit
dem Wachsen des Ovarialtumors oine heftige Steigerung der Erregungssymptome zeigt.
Gleich nach der auffallend gut verlaufenden Ovariotomie erfolgt ein totales Abblassen
der Psychose, aber schon nach wonigen Tagen weiter folgt ein Wechsel, es trat eine
ganz allgemeine Verwirrtheit ein, die unverändert fortbesteht. Auch hier reducirt.
sich also der scheinbare Causalnexus in einfache Coincidenz. Zander.
20) Du role de roxyg^ne dans la neurothörapie, par le prof. V. Laschke-
witch (de Charkov). (Revue de m6d. 1885. Oct. p. 865.)
Verf. berichtet über eine Anzahl von Heilerfolgen, die er durch Einathmungen
von Sauerstoff bei nervösen Erkrankungen erzielt haben will. Da die mitgetheilten
günstigen Fälle aber alle zur Hysterie und functionellen Nervosität gehören,
so erscheint es dem Referenten viel wahrscheinlicher zu sein, die eingetretene BeSv^^e-
rung auf eine psychische Beeinflussung der Kranken und nicht auf eine besondere
Wirkung des Sauerstoffs zu beziehen. Bei wirklichen anatomischen Erkrankungen
bleiben die Sauerstoffeinathmungen (Verf. versuchte dieselben auch bei Lyssa, bei
Paralysis agitans, Myelitis transversa u. a.) ohne allen Nutzen. Strümpell.
III. Bibliographie.
Lehrbuch der allgemeinen Elektrisation des mensohllohen Köri>ers, von
Dr. S. Th. Stein. lU. Auflage. Halle a./S. 1886. (Verlag von Wilhelm
Knapp.)
Die allgemeine Elektrisation, welche Board und Rockwell unter der Form
der allgemeinen Galvanisation und Faradisation eingeführt haben, wurde in den letzteD
— 431 —
«labren theoretisch und praktisch weiter ausgebaut und ist durch die Heranziehung
der elektrischen Bäder, sowie der Reibungselektricitat zu einem heryorragenden Zweige
der wissenschaftlichen Elektrotherapie herangewachsen. Diesem Umstände hat der in
Fachkreisen besonders durch seine physikalischen Arbeiten wohlbekannte Verfasser
in der vorliegenden dritten Auflage seines Werkes Rechnung getragen. Die Tier
Hauptabschnitte desselben, nämlich : 1) die allgemeine Faradisation und Galvanisation,
2) das elektrische Wasserbad, 3) die Franklinisation (Behandlang mit der statischen
Elektricität) und das elektrostatische Luftbad, 4) Leistung und Pflege der Apparate,
bis auf die Einzelheiten ihres Inhaltes zu würdigen, kann hier nicht unsere Aufgabe
sein. Wir begegnen fast in jedem Capitel einer Menge von praktischen, durch ausser-
ordentlich sorgfaltige Zeichnungen illustrirten Winken. Insbesondere werden die
mannigfaltigen Abschweifungen des Verfassers auf das ärztlich -elektrotechnische Ge-
biet, auf welchem Stein wie keiner der FachcoUegen heimisch ist, dankbar aufge-
nommen werden. Die Kenntnisse einzelner dieser Fragen ist auch fflr den prak-
tischen Arzt heutzutage nothwendig. Während jene Erörterungen eine allgemeine
Bedeutung haben, werden die klinischen Erfahrungen Steines das Interesse der 19eu-
rologen im Speciellen erregen und dazu beitragen, skeptische Bedenken zu zerstreuen,
von welchen viele den klinischen Lehrstuhl einnehmende „ängstliche Gemflther''
immer noch befangen sind. Manche von ihnen blicken vornehm auf elektrotherapeu-
tische Erfolge überhaupt herab, weil die elektrische Behandlung vielfach den klinischen
Famnlis, Coassistenten oder gar den Wärterinnen überlassen wird. Besonders anzuer-
kennen ist die Sorgfalt, mit welcher St. in einzelnen Kapiteln die geschichtlichen
Daten behandelt und den ein Jahrhundert weit zurückreichenden Anfangen elektro-
therapeutischer Thätigkeit nachgespürt hat.
Von hohem theoretischem Interesse sind des Verf. Untersuchungen über die
Stromvertheilung und die Polarisationsverhältnisse im elektrischen Bade. Aus-
führlicher waren dieselben bereits in der Zeitschrift für klinische Medicin (Bd. X,
H. 5 u. 6) publicirt worden. Die auf Grund sehr genauer mathematischer Berech-
nungen und physikalischer Messungen, sowie nach Thierversuchen gewonnenen Resul-
tate Stein's sind etwa die folgenden:
I. Das monopolare Bad (ein Pol ausserhalb der Wanne) ist für die praktische
Anwendung deshalb nicht empfehlenswerth, weil bei dem Stromschlusse ausserhalb
des Badewassers an der betreffenden Körperstelle ein Strom von zu grosser Dichtig-
keit die Organtheile durchsetzt, was eine bedeutende Steigerung der Polarisation an
diesen Stellen zur Folge hat.
II. Da das dipolare Bad so eingerichtet werden kann, dass die Stromdichte in
den verschiedenen Körpertheilen nicht wesentlich schwankt, so ist diese Form für
die Praxis die geeignetste.
III. Die bisherigen Behauptungen, dass der Körper beim dipolaren Bade im
Nebenschlüsse liege und dadurch zu wenig Strom erhalte, beruht auf missverstandenen
Gesetzen der einschlägigen Stromverhältnisse.
IV. Sowohl bei dem monopolaren, als dipolaren Bade können einzelne Strom-
schleifen mit Leichtigkeit abgezweigt, auf verschiedene Methoden mit empfindlichen
Galvanometern nachgewiesen und auf das Genaueste hieraus die den badenden Körper
durchsetzenden entsprechenden Stromlinien berechnet werden.
V. Die Polarisationserscheinungen sind im dipolaren Bade in Folge der Grösse
der elektrodenflächen und der geringen Dichtigkeit des in den Körper eintretenden
Stromes an allen Körpertheilen minimale, die hierdurch bedingte Stromstärke mög-
lichst constant
Der dritte Abschnitt des Lehrbuchs, in welchem die Franklinisation (die
Behandlung Nervenkranker mit Reibungselektricitat) in eingehender und klarer Weise
unter Berücksichtigung der gesammten bisher darüber veröffentlichten Literatur ge-
schildert und durch einschlägige Krankenbeobachtungen beleuchtet wird, hat für die
— 432 —
Elektrotherapie eineu ganz besonderen Werth, weil sich unseres Wissens hier zum
ersten Male ein deutscher Autor auf diesen schlüpfrigen Boden wagt. Mit grossem
und berechtigtem Misstrauen ist man allerwärts in Deutschland den ersten Pariser
Fublicationen über die ^^statische" Elektrotherapie begegnet, da sie oft gar wunder-
sam klangen. Stein versucht in exacter Weise uns eines Besseren zu belehren.
Hoffentlich ist damit Bahn gebrochen für weitere Prüfung der statischen Behandlungs-
methoden. Es bleibt das Verdienst Steines, diesen Theil der Elektrotherapie in
Deutschland zum ersten Male in grösserem Umfange rationell geübt und auf Grund
zahlreicher eigener Erfahrungen ein höchst zweckmässiges, nicht zu kostspieliges
Instrumentarium dafür geschaffen zu haben. Das in Bede stehende, yon deutschen
Elektrotherapeuten bisher stiefmütterlich behandelte Kapitel über Verwendung der
statischen Elektricität zu Heilzwecken berührt im Gegensatze zu den yon französischer
Seite in die Welt geschleuderten überschwanglichen, ja zum Theil unsinnigen Be-
hauptungen insofeme recht angenehm, als das einschlägige Material zum ersten Male
in kritischer Weise von Stein gesichtet wurde. Das Besultat seiner bezüglichen
Beobachtungen gipfelt in dem Umstände, dass die statische Elektricität auf allgemeine
Neurosen, die sich durch eine erhöhte Beizbarkeit auszeichnen, besonders hysterische
Affectionen, besänftigend wirke.
In dem betreffenden Abschnitt weist Si, indem er den wirklichen Verdienste
französischer Autoren vollste Gerechtigkeit widerÜEihren lässt, auf das tadelnswerthe
Vorgehen jener Phantasten hin, welche auch in der Elektrotherapie ihren Chauvinis-
mus nicht lassen können. Leute, welche von den lächerlichsten Motiven getrieben,
die von der Gesammtwissenschaft anerkannten grossen Verdienste Erb's in den Staub
zu ziehen versuchen und die für die wissenschaftliche Elektrotherapie so wichtige
Lehre von der Entartungsreaction blos aus Deutschenhass aus der Welt schaffen
wollen, verdienen unserer Ansicht nach gar kein Pardon. . . .
Sehr bemerkenswerth ist endlich das Schlusskapitel des vorliegenden Werkes.
Es enthält eine eingehende Schilderung der Erfordernisse, welche der Arzt sowohl
an den Bau der Batterien der verschiedensten Construction, als auch an die Leistungs-
fähigkeit derselben zu stellen hat Der Verf. geht sehr genau auf den Werth der
mannigfachen Spaltungen der Elemente für diesen oder jenen therapeutischen Zweck
ein; es ist damit für jeden sich der Elektrotherapie bedienenden Arzt ein vorzüg-
liches technisches Vademecum gegeben, welches wir in dieser Verständlichkeit
schon lange vermisst haben.
Steines Lehrbuch wird in seiner neuen, durch vortrefflichen Druck, grosse
Uebersichtlichkeit und eine knapp und klar gehaltene Schreibweise ausgezeichneten
Auflage in keiner Bibliothek von Fachgenossen und vorwärtsstrebenden Collegen
künftig fehlen dürfen, denn die Therapie der Nervenkrankheiten weist noch so viele
Lücken auf, dass die ärztliche Wissenschaft Bücher, wie das vorliegende, stets gern
willkommen heisst! Laquer.
IV. Personalien.
Am 14. August starb nach kurzem Krankenlager an Diabetes mellitas der
Director der Landes-Irren- und Kranken-Anstalt zu Boda, der Gtoh. Medidnalrath Dr.
Maeder.
Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber vrird gebeten.
Einsendungen für die Bedaction sind zu richten an Prof. Dr. E.Mendel,
Berlin, NW. Kronprinzen-Ufer 7.
Verlag von VmT ft Comp, in Leipzig. — Druck von Mktzosb ft Wirvzo in Leipzig.
NEUROLOGISCHESCENTRALBLAn.
Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie
und Therapie des Nervensystemes einschliesslich der Geisteskrankheiten.
Herausgegeben Ton
Professor Dr. E. Mendel
Fftnfter ~ «•'"»• Jahrgang,
Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 16 Mark. Zu beziehen darch
alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie
direct von der Verlagsbuchhandlung.
1886. 1. October. m 19.
Inhalt. I. Originalmittheilungen. 1. Kinifi^e Bemerkungen über den Zusammenhang
zwischen Tabes resp. progressiver Paralrse und Syphilis, Ton Prof. Dr. Adolf Strümpell.
2. Casuistische MittheUungen ans dem herzoglichen Krankenhause zu Braunschweig, von
Dr. Richard Schulz.
II. Rtferate. Pathologie des Nervensystems. Vom Verhältnisse der Polioroyelen-
cephalitls zur Basedow'schen Krankheit, von Jendhilllk.
III. Bibliographie.
IV. Vermischtes.
I. Originalmittheilungen.
1. Einige Bemerkungen über den Zusammenhang zwischen
Tabes resp. progressiver Paralyse und Syphilis.
Von Prof. Dr. Adolf Strümpell in Erlangen.
Je genauer und sorgfaltiger man seine Aufmerksamkeit auf die Beziehungen
zwischen der Tabes und einer vorhergehenden Syphilis richtet, um so mehr
muss man zu der Ueberzeugung kommen, dass irgend ein Zusammenhang
zwischen diesen beiden Krankheiten besteht. In der Tbat hat auch die Anzahl
derjenigen Aerzte, welche trotz eigener ausreichender Erfahrung einen der-
"artigen Zusammenhang ganz in Abrede stellen, von Jahr zu Jahr abgenommen.
Man darf daher hoffen, dass allmählich auch die letzten noch vorhandenen
Gegner der FouBinsB-EBB^schen Lehre sich nicht lange mehr der Gewalt der
Thatsachen werden verschliessen können.
Es liegt nicht in meiner Absicht, auf die Gründe für die häufige Ab-
hängigkeit der Tabes von einet früheren Syphilis hier noch einmal näher ein-
zugehen. Der wichtigste Beweis bleibt nach wie vor die einfache statistische
— 434 —
Erfahnmgy dass ein auffallend grosser Theil aller Tabeskranken nachweislich
früher an Syphilis gelitten hat Mit diesem, Ton zahlreichen Unteisndiein in
den letzten Jahren bestätigten Satse stinunen auch meine eigenen Er&hmngen
vollständig aberein. Bei 61 7o meiner Tabeskranken durfte eine vorhergehende
Syphilis mit Sicherheit angenommen werden. Bechne ich auch die Fälle mit
wahrscheinlicher Syphilis hinzu, so erhöht sich der Procentsatz sogar auf fast 90®/^
Ausser dieser allgemeinen statistischen Thatsache sind es aber auch immer
noch bestimmte einzelne Fälle, bei denen uns der Zusammenhang beider
Erkrankungen in besonders auffallender und überzeugender Weise entgegentritt
Ich erinnere z. B. an die von Bebgeb mitgetheilte Beobachtung einer Tabes
bei einem 72jährigen Manne, welcher dem entsprechend noch in seinem
70. Jahre an Lues erkrankt war. Gewissermaassen als Gegenstück hierzu möchte
ich zwei meiner eigenen Erfahrungen anführen, wo die Erscheinungen der Tabes
bei Kranken in dem aufl^end jugendlichen Alter von 24 resp. 26 Jahren
begannen. In diesen Fällen war auch die luetische Infection ungewöhnlich früh
(im Alter von 17 resp. 20 Jahren) erfolgt Hinzuweisen ist hier auch noch
auf die Tabes der Frauen. In den niedrigeren Standen, aus denen hauptsäch-
lich das Material der Kliniken und Polikliniken stammt, ist die Tabes bei Frauen
nicht besonders selten. In den höheren GFesellschaftsklassen, wo die Syphilis
bei Frauen doch nur ganz ausnahmsweise vorkommt, ist auch die Tabes beim
weiblichen Geschlecht eine sehr seltene Erscheinung. Aber gerade in den wenigen,
hierher gehörigen Fällen, die ich beobachtet habe, konnte wiederum die Syphilis
(gewöhnlich Ansteckung durch den Mann) entweder mit Sicherheit nachgewiesen
oder mindestens sehr wahrscheinlich gemacht werden (wiederholte Aborte und
dergleichen).
Wenn somit zahlreiche Erfahrungsthatsachen darauf hinweisen, dass irgend
ein Zusanmienhang zwischen der Tabes und einer vorhergegangenen syphilitischen
Infection in zahlreichen Fällen bestehen muss, so ist doch hiermit die Art
und Weise dieses Zusammenhangs noch keineswegs klargelegt Gerade
aus dem Umstände, dass die Tabes sich durchaus nicht in den Rahmen der
gewöhnlichen syphilitischen Erkrankungen einfugen lässt und dass sie sich auch
äusseren Einflüssen, so namentlich den antisyphilitischen Arzneimitteln gegen-
über ganz anders verhält, als die sonstigen Erscheinungen der Syphilis, hat man
ja bekanntlich die hauptsächlichsten Gründe gegen die oben auch von uns
vertretene Ansicht entnommen. In der That liegt es auch auf der Hand,
dass der anatomische Process der Tabes grundsätzlich verschieden ist von den
specifisch syphilitischen, gummösen Neubildungen. Niemals findet man bd der
Tabes im Ruckenmark jene charakteristische kleinzellige Neubildung, über^l
handelt es sich um nichts Anderes, als um eine degenerative Atrophie einzelner,
ganz bestimmter nervöser Faserzüge und um die hiervon abh&igigen Folge-
zustände.
Ist nun aber ein derartiges Verhalten mit der Annahme eines directen
Zusammenhangs zwischen Tabes und Syphilis wirklich unvereinbar? Ich glaube,
durchaus nicht Mir erscheint im Gegentheil die Tabes nur ein besonderes
— 435 —
Beispiel einer sehr häufigen im Gebiete der Infectionskrankheiten
zu beobachtenden Erscheinung zn sein. Schon lange weiss man, dass
nach dem Ablauf vieler Infectionskrankheiten nicht sehr selten gewisse charak-
teristische j^nervöse Nachkrankheiten'^ auftreten, deren Zusammenhang
mit der rorhergehenden Krankheit unzweifelhaft ist, ohne dass aber die Art
dieser secundären Erkrankungen irgend eine Aehnlichkeit mit dem ursprüng-
lichen Leiden hat. Nehmen wir als bekanntestes Beispiel die Diphtherie
Jedermann weiss, wie häufig, zuweilen erst mehrere Wochen nach der voll-
ständigen Abheilung der diphtherischen Bachenaffection , ausgedehnte Yer-
änderongen im Nervensystem eintreten. Diese Veränderungen haben ihren Sitz
vorzugsweise in ganz bestinmiten peripherischen Nervengebieten ; sie sind grössten-
ttieils einfach degenerativer Natur und haben nicht die mindeste Aehnlichkeit
mit der croupös-diphtherischen Natur der ursprünglichen Schleimhauterkrankung.
Auch wird kaum Jemand die Ansicht vertheidigen, dass diese nervösen secun-
dären Erkrankungen unmittelbar von den specifischen organisirten Diphtherie-
err^em als solchen abhängen, dass etwa die Diphtheriebacillen selbst in fast
alle peripherischen Nerven gelangen, sich hier weiter entwickeln und die De-
generation der letzteren hervorrufen. Unsere gegenwärtigen Anschauungen über
die Wirksamkeit der organisirten Krankheitserreger weisen vielmehr mit weit
grösserer Wahrscheinlichkeit darauf hin, dass es sich hierbei um den Einfluss
eines chemischen Giftes handelt, dessen Entstehung freilich mit den spe-
cifischen Eigenschaften der ursprünglichen organisirten Krankheitserreger auf
das Engste zusammenhängt. Ueber die näheren Vorgänge bei der Bildung
dieses Giftes, über die besonderen Bedingungen seiner Entstehung, endlich über
seine Beschaffenheit selbst ist uns freilich noch fast gar Nichts bekannt. Die
im Obigen ausgesprochene allgemeine Anschauung kann aber schon jetzt als
durch zahlreiche Erfahrungen gestützt angesehen werden. Durchaus ähnliche
Verhältnisse, wie bei der Diphtherie, liegen bei zahlreichen anderen Infections-
krankheiten vor, wie die nervösen Nachkrankheiten des Typhus, der Dysenterie
u. V. a. zeigen.
Anknüpfend an diese klinischen Erfahrungen, können wir nun auch, wie
mir scheint, ein Verständniss für die Art des Zusammenhangs zwischen Syphilis
und Tabes gewinnen. Auch hierbei handelt es sich um die „nervöse Nachkrank-
keit" einer Infectionskrankheit. Wie bei den diphtherischen Lähmungen und
Ataxien ist auch bei der Tabes die Zeit ihres Auftretens, freilich innerhalb noch
viel weiterer Grenzen (s. u.), sehr verschieden. Gewöhnlich ist bei beiden Krank-
heiten zur Zeit des Auftretens der nervösen Erscheinungen das ursprüngliche
Gründleiden schon vollständig abgelaufen. Wie die postdiphtherischen Nerven-
erkrankungen auch in ihren schwersten Formen auf die leichtesten Fälle von
Diphtherie folgen können, so kann auch die Tabes sich an die scheinbar
leichtesten Fälle von Syphilis anschliessen. Wie die Natur der anatomischen
Erkrankung in den Nerven bei den diphtherischen Lähmungen grundverschieden
von der ursprünglichen Schleimhauterkrankung ist, so ist auch die anatomische
Erkrankung bei der Tabes grundverschieden von der specifischen syphilitischen
— 436 —
Neubildung. Auch bei der Tabes handelt es sich somit meines Erachtens nicht
um eine unmittelbare Einwirkung der Luesbacillen selbst, und es wäre ein
vergebliches Bemühen, dieselben in den degenerirten Hinterstrangen des Rücken-
marks nachweisen zu wollen. Viel ansprechender und wahrscheinlicher erscheint
mir vielmehr die Annahme der Einwirkung eines chemischen, durch den Sjphilis-
process erst secundär erzeugten Giftes auf das Rückenmark und auf gewisse peri-
pherische Nerven.
Mir ist wohl bewusst, dass sich gegen die oben durchgeführte Analogie
zwischen der Tabes und den postdiphtherischen nervösen Erkrankungen mehr-
fache Einwände lassen machen, so namentlich die ungleich grössere Zeitdauer,
welche zwischen der Syphilis und dem etwaigen Auftreten einer Tabes besteht
und ausserdem das stetige Fortschreiten der Tabes im Gegensatz zu den
meist heilbaren oder mindestens zeitlich abgrenzten nervösen Nachkrankheiten
der Diphtherie, des Typhus u. a. In Bezug hierauf ist aber daran zu erinnern,
dass die Syphilis selbst doch einen ganz anderen, eigenartigen Verlauf hat, als
die erwähnten acuten Infectionskrankheiten. Sie selbst ist eine äusserst chro-
nische Infectionskrankheit^ welche Latenzperioden zeigt, wie sie fast bei
keiner anderen Krankheit bekannt sind. Wenn wir bd der Syphilis nicht
selten beobachten, dass nach einem scheinbar vollständigen Verscdiwinden aller
äusseren Erankheitssymptome noch 5 — 10 Jahre später von Neuem tertiäre
Erscheinungen an irgend einer Körperstelle auftreten, so folgt hieraus, dass die
specifischen syphilitischen Krankheitserreger in irgend einer Weise Jahre lang
im Körper verborgen zubringen können. Hiermit kann es sehr wohl im Zu-
sanmienhang stehen, dass auch die secundären (toxischen) syphilitischen Gift-
wirkungen viel langsamer und später auftreten und dass sie bei dem, wenn
auch latenten Furtbestehen der ursprünglichen Krankheit einen anhaltend fort-
schreitenden Charakter zeigen. Aehnliches findet vielleicht auch bei den ner-
vösen Nachkrankheiten anderer chronischer Infectionskrankheiten statt Man
denke z. B. an die Fälle von multipler Neuritis, welche mit Tuberkulose
zusammen zu hängen scheinen. Vielleicht spielen ähnliche Verhältnisse auch
bei der Lepra eine gewisse Rolle.
Uebrigens ist der fortschreitende Charakter der Erkrankung auch keines-
wegs in allen Tabesfallen vorhanden. Mir kommt es so vor, als ob wir jetzt,
wo die Diagnose der Tabes gegen früher eine so ungemein verfeinerte geworden
ist, auch leichten Formen der Tabes annehmen müssen, bei welchen nur
einzelne Symptome der Krankheit zur Entwickelung kommen und dann ein
vollständiger Stillstand derselben eintritt. Doch gebe ich zu, dass die Beobach-
tungszeit bisher eine zu kurze ist, um obige Anschauung schon jetzt mit Be-
stimmtheit vertreten zu können.
Auf zahlreiche Einzelnheiten in der Pathologie der Tabes, welche mit der
Auflhssung derselben als einer postsyphilitischen Erkrankung in dem oben an-
geführten Sinne in Beziehung zu bringen sind, gehe ich nicht ein, um nicht
noch mehr in rein hypothetische Vorstellungen zu gerathen. Die dargelegte
Grundauschauung aber, welche die Tabes in eine Reihe mit zahlreichen anderen
— 437 —
nervösen Erkrankungen stellt, scheint mir schon jetzt wenigstens soweit gerecht-
fertigt zu sein, um sie der Präfang der Fachgenossen vorlegen zu dürfen.
Nur zwei Punkte möchte ich noch kurz berühren. Zunächst die Folgerungen,
welche aus der obigen AufGi^sung in Betreff der Behandlung der Tabes zu
ziehen sind, und dann die Beziehungen zwischen der Tabes und der progres-
siven Paralyse.
In Bezug auf die Behandlung der Tabes hat man den Anhängern der
Ansicht von dem Zusammenhange zwischen Tabes und Syphilis häufig als
Gegengrund geltend gemacht, dass eine antisyphilitische Behandlung bei der
Tabes erfahrungsgemäss nur selten nütze oder wenigstens niemals in so deut-
licher Weise, wie dies bei den meisten echt syphilitischen Erkrankungen der
Fall ist. Unserer Anschauung gemäss ist dieser Einwand nun selbstverständlich
hinfällig. Denn wir wissen, dass die specifische Syphilisbehandlung mit Queck-
silber und Jodkalium ihren unzweifelhaften Einfluss nur auf die echte syphi-
litische Neubildung, welche wir als eine unmittelbare Wirkung des oigamsirten
Syphilisgiftes selbst betrachten müssen, ausübt. Auf die secundären toxischen
Zerstörungen im Nervensystem kann die antisyphilitische Behandlung wahr-
scheinlich gar keiuen nennenswerthen Einfluss mehr haben, ebenso wenig, wie
es etwa Jemandem ein&llen könnte, eine postdiphtherische Ataxie der Beine
durch Bacheneinpinselungen zur Heilung zu bringen. Am allerwenigsten kann
eine Quecksilberbehandlung im Stande sein, die Regeneration der einmal zer-
störten Nervenfasern anzuregen und hierdurch, wie mau verlangt hat, die einge-
tretenen AusfaUserscheinungen wieder zum Verschwinden zu bringen. Dagegen
ist es eine andere Frage, ob eine antisyphilitische Behandlung nicht das Fort-
schreiten des tabischen Processes aufhalten könne, indem sie die Bedingungen
für die Fortdauer der die Nervendegeneraüon erzeugenden Schädlichkeit ein-
schränkt In dieser Beziehung bin ich in der That geneigt, einen günstigen
Einfluss der antisyphilitischen Behandlung bei der Tabes anzuerkennen. Wenig-
stens scheinen mir meine eigenen therapeutischen Erfahrungen den Schluss zu
gestatten, dass man bei Tabeskranken, welche im Beginne ihrer Erkrankung
noch längere Zeit hindurch energisch antisyphilitisch behandelt worden sind, oft
einen aufiiaUenden Stillstand des Leidens in den nächsten Jahren beobachtet.
Was den zweiten Punkte das Yerhältniss der Tabes zur progressiven
Paralyse betrifft, so muss ich mich hier auf einige kurze Bemerkungen be-
schränken. Ich bin der Ansicht, dass das oben von der Tabes und ihrer
Beziehung zur Syphilis Gesagte in fast durchaus gleicher Weise auch von der
progressiven Paralyse gilt. Dass auch bei der grossen Mehrzahl der Paralytiker
früher eine Syphilis bestanden hat, scheint mir nach fremden und ebenso nach
meinen eigenen ErfEihnmgen unzweifelhaft zu sein. Tabes und progressive Para-
lyse sind aber für mich eng zusammengehörige Krankheiten. Die progressive
Paralyse ist, um einen treffenden Ausdruck von Möbiüs zu gebrauchen, die
Tabes des Gehirns. Dass beide Krankheiten in wechselnder Beihenfolge in ein-
ander übergehen können, dass zahlreiche Symptome (Verhalten der Pupillen^
der Beflexe, der sonstigen spinalen Erscheinungen u. a. m.) bei beiden Krank-
— 438 —
heiten in ganz gleicher Weise auftreten, daes radlich die anatomischen Yeiän-
denmgen der Tabes eine der gewöhnlichsten Theilerseheinnngen im anatomischen
Bilde der Paralyse sind — dies Alles ist so bekannt, dass es nui angedeutet
zu werden braucht Ich glaube daher, dass es durchaus ähnliche, meist eben-
falls von der Syphilis abhängige Schädlichkeiten sind, welche in d«n einen
Falle („Tabes^O grosstentheils nur peripherische und spmale Faser^ysteme an-
greifen, während sie in anderen Fällen („progressive Paralyse'') vorzugsweise oder
wenigstens anfanglich nur gewisse cerebrale Nervengebieto zur D^eneration
bringen. Wovon dieser Unterschied in der Localisation der Erkrankung abhängt,
wissen wir ebenso wenig, wie wir auch nicht wissen, warum nach einer Diph-
therie das eine Mal eine Augenmuskellahmung oder eine Graumenlähmong, das
andere Mal eine Ataxie und eine Schwäche der Beine auftritt Zuweilen können
bekanntlich die genannten postdiphtherischen Erkrankungen auch gleichzeitig
oder nach einander bei demselben Kranken auftreten, wodurch die Analogie mit
den postsyphilitischen Nervend^enerationen noch grösser wird.
Zum Schluss muss ich die Frage berühren, ob man nun annehmen soUe,
dass alle in symptomatischer Hinsicht als Tabes oder als progressive Paralyse
zu bezeichnenden Krankheitsfälle in ätiologischer Hinsicht zur Syphilis in Be-
ziehung stehen. Ich glaube, dass hierzu noch kein Orund vorliegt, obwohl
die Zahl der posteyphilitischen Erkrankungen wahrscheinlich die übrigen Falle
weit überwiegt. Man muss aber zugeben, dass es auch Tabeskranke giebt, bei
welchen eine frühere Syphilis nicht nachweisbar und zuweilen sogar unwahr-
scheinlich ist In der That wäre es durchaus nicht unmö^ch, dass auch
andere Schädlichkeiten dieselben Gebiete zur Atrophie brächten, wodurch natür-
lich die gleichen Krankheitebilder entetehen müssten. Denken wir z. B. an
die multiple motorische Neuritis, so wissen wir, dass dieselbe häufig mit chro-
nischem Alkoholismus zusammenhängt, in anderen Fällen aber, wie es scheint,
mit Tuberkulose oder mit einem vorhergehenden Typhus, während sie in noch
anderen Fällen endlich eine besondere eigenartige Infectionskrankheit zu sein
scheint Es können also unter verschiedenen Umständen entetandene Krankheits-
gifto dieselbe Wirkung ausüben. Ob dieselben nur toxicologisch identisch, aber
chemisch verschieden, oder nicht vielleicht auch chemisch verwandt sind, ist
noch gänzlich unbekannt
Sollte sich in Zukunft eine derartige ätiologische Verschiedenheit der Tabes-
falle endgültig nachweisen lassen, so wäre natürlich zu untersuchen, ob sich
dem entsprechend nicht auch besondere klinische und anatomische Merkmale
festeteilen Hessen.
— 439 —
2. Casüistische Mittheilungen aus dem herzoglichen
Krankenhanse zn Brannschweig.
Von Dr. Biohard Schulz,
Vorstand der medicimsclien Abtheilong.
(Schlofis.)
IL Tumor der Zirheldrüse.
Den wenigen Fällen von nnr anf die Zirbeldrüse beschränkten Tumoren,
deren im Ganzen jetzt fünf in der Literatur beschrieben worden sind von Blan-
QXTiNQUE,^ Massot,' Nieden,' Biebmeb-Webnicke^ ond Beinholi),' möchte
ich im Nachstehenden, angeregt durch die Arbeit BsiNHOLD'Sy einen weiteren
Fall anreihen. Derselbe kam in der Privatpraxis zu meiner Beobachtung. Nur
von Zeit zn Zeit habe ich den Patienten gesehen. Genauere Notizen hatte ich
mir leider über denselben nicht gemacht und zwar zum grossen Theil deshalb,
weil bei dem Patienten objective Störungen nicht yiele zu notiren waren, jedoch
steht mir das ganze Erankheitsbild noch so lebhaft im Gedächtniss, dass ich
glaube es noch zutreffend wiedergeben zu können. Die anamnestischen Angaben
sind dnrch Nachfrage bei der Familie vervollständ^.
Der zur Zeit seines Todes 28jährig6 Maschinenbauer N. N. ist immer gesund
gewesen, Sohn gesunder Eltern, in keiner Weise neuropathisch belastet, hat nie einen
Schlag über den Kopf bekommen, auch keine stärkere Gontusion des Kopfes durch
Fall erlitten. Er hatte keine Zahnkrämpfe als Kind, hat eine normale Entwickelung
dnrchgemacht, besass sehr gnte Intelligenz. Seiner Militärpflicht hat er zwei Jahre
genügt mit 22 Jahren. Er war zweimal wegen noch nicht genügend entwickelten
Brustbaues zurückgesetzt worden. Schon vor dem Eintritt in*s Heer, 6 Jahre vor
seinem Tode, soll er, bei einem Schlossermeister praktisch beschäftigt, öfters über
Kopfschmerz geklagt haben. Stärkere Kopfschmerzen traten erst auf 1883 nach
der Abdienung seiner Militärpflicht. Er musste damals schon des Morgens öfters
länger liegen bleiben, kam oft Nachmittags früher von der Arbeit der Kopfschmerzen
wegen nach Hause. Bedeutend stärker traten die Kopfschmerzen 3 Jahre vor
seinem Tode, also 1883 auf.
Am 23. März 1884 ersuchte mich der Hausarzt des Patienten Herr Dr. Müller
um eine Consultation, bei welcher Gelegenheit ich den Fat. zum ersten Male sah.
Derselbe hatte seit Ende Januar fest zu Bett gelegen wegen anhaltender heftiger
Kopfschmerzen, welche besonders die Hinterkopfgegend einnahmen. Um die-
selben zu erleichtem nahm Fat. immer mit seinem Kopf eine vorn übergebeugte
Stellung ein. Ausserdem bestand aber auch im ganzen Kopf das Gefühl, als
würde er auseinander getrieben. Es bestanden Klagen über Abnahme der
1 Gaz. hebd. 1871. p. 5S2.
> Lyon m^d. 1872. Nr. 15.
3 Centralbl. f. Nervenheilk. 1879. Nr. 8.
« Lehrb. d. Gehirnkrankh. 1888. HI. S. 299.
* Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 89. H. 1 u. 2. S. 1.
— 440 —
Sehschärfe, besonders auf dem linken Auge. Schon im Febraar 1884 hatte sich
Fat Ton Herrn Augenarzt Dr. Fbbgb dieserhalb untersuchen lassen. Die Notizen
desselben mir gütigst zur Verfügung gestellt, lauten über den ophthalmoskopischen
Befund: „Pnpillengrenzen yerwischt. Pupille geröthet, jedoch nicht geschwellt"
Stat praes. Mittelgrosser, leidlich kräftig gebauter junger Mann mit gut
entwickelter Musculatur, mit intelligenten, etwas vorgetriebenen Augen, den
Kopf vom übergebeugt haltend. Kopf normal gebaut Percussion des Kopfes be-
sonders in der Occipitalgegend schmerzhaft Pupillen gleichweit, gut rea-
girend. Keine Spur von Lähmungserscheinungen weder in Armen noch
Beinen, volle Muskelkraft, keine Ataxie, keine Sensibilitätsstörungen. Gang
etwas weitbeinig taumelnd. Patellarreflexe gesteigert, Andeutung von
Dorsalclonus. Hautreflexe normal. Lungen, Herz ohne Abnormitäten. Puls
nicht verlangsamt, kein Fieber. Kein Erbrechen. Urinsecretion normal Urin
ohne krankhafte Bestandtheile.
Der Patient lag bis Ende April, wurde allmählich besser, hielt sich in den
Sommermonaten in Altenau am Harz mit gutem Erfolg auf. Auch dort zeigte er
den taumelnden Gang, konnte nicht allein gehen. Ausserdem verschluckte er sich
sehr leicht, so dass ihm Essen an der Table dliöte sehr unangenehm war. Die
Besserung hielt an bis in den September 1884, zu welcher Zeit nach einer Auf-
regung der Zustand sich wieder verschlinunerte, jedoch konnte mich Patient am
29. September und am 29. December 1884 in meiner Sprechstunde aufsuchen. Jedes
Mal konnte ich denselben Zustand constatiren.
Zu bemerken ist, dass der Exophthalmus der Augen etwas zuzunehmen schien,
ausserdem viel mir auf, dass bei scharfem Fixiren das rechte Auge öfters nach rechts
abwich. Im Sommer 1885 befand sich Patient besser, er brachte denselben bei
Verwandten im Freien zu und suchte mich am 5. Juni und 23. Juli in meiner
Sprechstunde auf. Jedesmal konnte ich als hauptsächlichste objective Störungen nor
den taumelnden Gkmg und die immer zunehmende Erhöhung der Sehnenreflexe an
den unteren Extremitäten constatiren. Stets bestanden die Klagen über den inten-
siven Hinterkopfschmerz und das Gefühl, als würde der Schädel auseinandergetrieben,
femer über häufiges leichtes Verschlucken. Ausserdem behauptet Pat, bei gerader
Kopfhaltung nicht schlucken zu können, sondern nur bei stark vomübei^ebeugtem
Kopfe. Er nahm deshalb fast nur Flüssigkeiten mittelst Glasröhre zu sich. Gaumen-
segelstörung war nicht vorhanden.
Pat wandte sich an Herrn Dr. Fleischeb, Specialarzt für Kehlkopfkrankheiten,
jedoch auch dieser fand objectiv Nichts. Eine Zeit lang wurde von demselben elek-
trische Behandlung ohne jeden Erfolg angewandt
Ende des Jahres verschlimmerte sich der Zustand wieder und Pat wurde Ende
November fest bettlägerig.
Am 23. Dec. 1885 ersuchte mich Herr Dr. MOlleb wiederum um eine Consul-
tation. Der Pat lag zu Bett, ohne Fieber, Puls nicht verlangsamt, mit voll-
ständig vom übergebeugtem Kopf, das Kinn auf der Brust, das Gesicht geröthet,
«twas cyanotisch, die Augen injicirt, Bulbi etwas vorgetrieben, Pupillen gleich-
weit reagirend, keine Augenmuskellähmung. Keine Facialislähmung. Zunge
dick belegt. Nahrungsaufnahme nur möglich durch Aufsaugen von Flüssigkeiten
mittelst Glasröhre. Kein Erbrechen. Keine Lähmungen der Arme oder Beine.
Leichte Parästhesien in den Füssen und rechten Arm. Objectiv Sensi-
bilität intact Keine Blasen- oder Mastdarmstörungen. Gehen nur mit Unter-
stützung möglich. Das Aufstehen aus dem Bette wegen der Kopfhaltung und der
Schmerzen äusserst mühsam. An beiden Beinen hochgradig gesteigerte Sehnen-
reflexe und ausgeprägter Dorsalclonus.
Am 25. December war derselbe Zustand. Am 27. Dec. desgleichen. Fortwährend
hatte Schlaflosigkeit bestanden, immer die heftigsten Kopfschmerzen. Die Cyanose
— 441 —
des Geaiclits hatte etwas zngenommen, Patient konnte den Schleim nicht ordentlich
anfhosten. Puls nicht yerlangsamt, kräftig. Wir beschlossen, demselben Abends
0,01 Morph, mur. im Kacken iigiciren zu lassen. Die Injection wurde durch einen
Heilgehülfen Abends ausgeführt 15 Minuten nachher war Patient in Schlaf ge-
kommen, aus welchem er nicht wieder erwachte.
Die Diagnose war von mir auf Tnmor cerebri gestellt worden, eine ge-
nauere Feststellung des Sitz^ desselben konnte bei dem Fehlen fast aller ge-
naueren objectiven Localzeichen nicht gemacht werden, es wurde von mir nur
angenommen, dass die Pyramidenbahnen in der einen oder anderen Weise,
direct oder indirect gedrückt und gereizt würden.
Die am 29. Dec. Mittags von mir vorgenonmiene Section des Schadeis be-
stätigte die Diagnose.
Schädeldach ziemlich dick. Substantia spongiosa blutreich. Dura mater
sehr gespannt, innen von normalem Glanz. Sinus massig bluthaltig. Windungen
des Gehirns an Convexität und Basis stark abgeplattet und verstrich en. Pia
mater normal. Bei Herausnahme des Gehirns flieest eine ziemlich beträchtliche
Menge Cerebrospinalflüssigkeit ab.
Chiasma nerv. opt. und Tuber einer. Torgewölbt und fluctuirend.
Substanz des Grosshims massig fest, blutarm. Seitenventrikel und Yen-
triculus tertius höchstgradig erweitert und mit reichlicher Flüssigkeitsmenge
gefüllt Plexus chorooideus normal. Bei Betastung des Pons von unten fällt eine
grössere Besistenz auf.
Auf den Corp. quadrigem. aufliegend, dieselben abflachend und etwas aus-
einander drängend, an der Stelle der Glandula pinealis sich Torfindend, liegt eine
gut wallnussgrosse, grauröthliche, massig feste, ziemlich blutreiche
Geschwulst. Pons und Medulla oblongata zeigten mabx>skopisch keine Degene-
rationen.
Die G^chwulst wurde behufs weiterer Untersuchung in Müller'scher Lösung
und Alcohol gehärtet Ihre mikroskopische Untersuchung ergab ein von zahl-
reichen ectatischen Capillaren durchzogenes Gliom ohne jede Spur von Sand-
körpenL
Der vorstehend geschilderte Fall von Gliom der Glandula pinealis unter-
scheidet sich von den beiden genauer mitgetheilten Fällen von Nieden und
RfiiNHOLD durch das Fehlen fast aller Herdsymptome. Der Symptomencomplex
bestand in meinem Falle in den heftigsten Hinterhauptskopfschmerzen, dem
Gefühl des Auseinandergedrängtwerdens des Schädels, dem taumelnden unsicheren
(}ang, Abnahme der Sehschärfe, keiner ausgesprochenen Stauungspapille, Protru-
sion der Bulbi, vorübergehend sich zeigender InsufGcienz des M. rect int dextr.,
eigenthümlichen Schlingbeschwerden, allmählich zunehmender Steigerung der
Sehnenreflexe, und zuletzt sich zeigenden leichten Parästhesien in dem rechten
Arm und den Füssen. Die Hinterhauptskopfischmerzen bedürfen keiner weiteren
Erklärung, sie kommen bei allen Tumoren der hinteren und mittleren Schädel-
gruben vor und fanden sich in dem Falle Nieden, verbunden mit Stimkopf-
schmerzen in dem Falle Blanquinqije's, während in den FäUen Massot und
REiNHOiii) nur Stirn, Scheitel und Schläfenschmerzen vorhanden waren. Das
— 442 —
Gef&hl des Aoseinandergedrangtwerdens des Kopfes, welches in JEIbinhoiiD's
Falle ebenfalls als dumpfer Drack im Kopfe beschrieben wird, beruht jedenfalls
auf der Entwickelung des sehr bedeutenden Hjdrocephalus internus und der
damit einhergebenden Baumbeengung im Schädelmark.
Der taumelnde unsichere Gang, der nichts atactisches hatte, darf wohl auf
eine Druckbeeintrachtigung der Corpora quadrigemina, viellaiGht aodi des
Cerebellums zuruc^efuhrt werden. In dieser Weise £ftnd sich das Symptom
in keinem der bisher mitgetheilten Falle, bei Blanqüinque bestand Unvermögen
der Beine den Bumpf zu tragen, bei BEnmoLD war Gehen und Stehen nicht
möglich. Die Abnahme der Sehscharfe fand sich ausser in meinem Falle bei
Blakqttinque's, endigend mit Blindheit und Atrophia N. optic* , und im Falle
Massot's. Sichere Stauungspapille bestand, wenigstens zur Zeit der ophthalmo-
Nr.
Autor
1
1
Patholog.-anat.
Befund
SensibiUtät
MotiUtät
AugenstorungcD
1.
Blanqüinque
Gaz. hebdom.
1871. p. 532.
39
m.
Taubeneigrosser
Tumor d. Qland.
pin. (Hypertro-
phie. Psammom).
Comnression der
Yierhügel und
Yen. Qalen. Hy-
droceph. intern.
Besonders Hinter-
kopfschmerzen,
weniger in der
Stirn.
Epilept. Anfalle.
"Keine eigentliche
Lähmung. Un-
vermögen der
Beine d. Rumpf
zu tragen.
Alhnahliche Ab-
nahme dw Seh-
schärfe und des
Gesichtsfeldes.
Yollständige
Blindheit. Atro-
phie nerv, optic
Augäpfel nach
unten u. rechts
eingestellt ohne
eigentLLähmung.
Convulsive Be-
wegungen ders.
2.
Marsot
Lyon. m^.
1872. Nr. 15.
19
m.
EUipsoides
hartes, nöckriges
Carcinom d. 61.
pin. 28— 33 mm
Durchmesser.
Doppelseitiger
Stirn- u. Schläfen-
schmerz.
Epilept. Anfalle.
* Diptopie. 6e-
sicntsschwäche.
Bestuidiges
Zwinkern der
Augenlider.
3.
NiSDXN
Centralhl. fELr
Nervenheilk.
1879. Nr. 8.
50
w.
Hydrops cysticus.
aer Qland. pin.
(20—25 Cysten
durch festes
Bindegewebe
geschiedene
wallnussgrosse
Qeschwufit, den
ni. Yentr. aus-
fallend. Druck
auf die Yierhügel»
diese abflachend
d. Structur ver-
ändernd. Druck
auf d. Ursprung
des Nervus
trochlearis. d.
Hinterkopf-
schmerz. Keine
Sensibilitäts-
störungen.
Keine Lähmung.
Parese d. Nerv.
trochlear. deitr.
Augenhinter-
grund normal.
Sehschärfe intact
4.
BlEBMEB-
Webnioke
Lehrbuch der
Qehimkrankh.
m. S. 299.
Fall nur
andeutungsweise
erwähnt.
^
^»
Aehnliche Symp-
tome. Doppelseit
AugenmusieUih-
mung wie in
AU 1.
— 448
skopischen TTütersnchung im rebraar 1884, in meinem Falle ebensowenig, wie
in den übrigen beschriebenen Fällen, jedoch ist nicht aasgeschlossen, dass sie
gegen Ende der Krankheit bestanden hat nnd die zunehmende Abnahme der
Sehschärfe darin ihre Erklärong findet
Auf zonehmende Stammg in den Bulbis möchte ich die Protrusion der
Augapfel zurückführen. In Reikhold's Falle sollen die Bulbi leicht protrudirt
gewesen sein, aber der Blick soll etwas eigenthümlich Starres, an den Ausdruck
der an Morb. Basedowii Leidenden Erinnerndes gehabt haben.
Ausgeprägte Augenmuskellähmungen, wie in den Fallen Blakquinqub's,
Massot's, Nieben's, Biebmeb-Webnigke's, BsiNHOiiD's fanden sich nicht, nur
eine vorübergehend auftretende Insufficienz des rechten Musculus rect. internus
bestand.
Intelligenz
nnd
Sprache
Pols
Befleze
Ham-
secretion
Er-
brechen
Decu-
bitus
Tro-
phische
Stö-
rungen
Vaso-
motor.
Stö-
rungen
Nacken-
starre
Ver-
minderang
der
Intelligenz.
Nichts
ange-
geben.
Nichts
ange-
geben.
Nicht
ange-
geben.
•
Verlast
des
Gedächt-
nisses.
Sopor.
Klein
n. sehr
lang-
sam.
Nichts
ange-
geben.
Polyurie
ohne
Zucker u.
Albumen.
Vor-
handen.
Delirien
und
Tobsnoht
1
1
Vor-
handen
firfth-
zeitig.
Vor-
handen.
Sehr
elender
Körper^
zustand.
^_^ •
AAA
JL X X
Nr.
Autor
1
1
Patholog.-anat.
Befand
Sensibilität
Motilität
Augenstörungen
5.
Deutsches
Arch. f. klin.
Med. Bd. 89.
H. 1 u. 2. S. 1.
19
m.
Wallnnssffroeses
Gliom d. Gl. pin.
stärker nach hnks
entwickelt» Vier-
hügel nach rück-
wärts yersohoben,
vordere Paar aus-
einandergedrängt
Hydrocephalns
intern.
Stirn- n.Scheitel-
kopfiBchmerz.
Gefühl dumpfen
Druckes im
Kopfe. Keine
sonstigen Sensi-
bilitätsstömngen.
Schwerhörigkeit
auf dem linken
Ohre.
Keine Extremi-
tätenlähmun^en.
Stehen u. Gehen
nicht möglich.
Störungen im r.
unteren Facialis-
gebiet beim
Sprechen. Keine
Epilepsie. Einmal
tonisdier Krampt
Keine Stauungs-
papille. Ver-
schwommenheit
d. GesiehtsfeldeB
und totale Ver-
dunkelimg. Pa-
pillen gleichweit
nicht verkleinert,
später üngldch-
heiL Nysti^os-
artige Bewegun-
gen bei Bück nach
oben. Blick stair,
an Morbus Base-
dowii erinnernd.
Doppelseitige
Ptosis. Doppels.
Abducenslähm.
6.
Eigener Fall
28
m.
WaUnussgroBses
Gliom d. Gl. pin.
die Vierhügel ab-
flachend u. auB-
einanderdrän-
gend. Hydro-
cephalus intern.
Hinterkopf-
schmerz. Gefühl
des Auseinander-
ffedrängtwerdens
d. Kopfes. Leichte
Parästhesien im
r. Arm u. Füssen.
Objectiv Sensi-
bilität intaot.
Keine Extrem!«
tätenlähmung.
Taumelnder un-
sicherer Ganff.
Keine Epilepsie.
Eigenthüm-
liche Schling-
beschwerden.
PupiUengrenzen
verwiachtPapille
geröthet, jedoch
nicht geschwellt
Abnamne d. Seh-
schärfe. Insufüc
d. M. rect intern.
ocuL dextr. Pro-
trusion d. Bulbi.
Die Schlingbeschwerden, bestehend in leichtem Verschlacken und erschwer-
tem Schlacken, finden sich in keinem der früheren Falle erwähnt; sie dürften
wohl ähnlich wie in den Fällen von Eleinhirntamoren, bei welchen sie öfteis
vorkommen, durch Drack auf den Föns and das verlängerte Mark erklärt werden
können (siehe Bebnhaedt, Himgeschwülste. 1881. S. 240).
Die bedeatende Steigerang der Sehnenreflexe, welche aach von Reinhold
beobachtet warde, findet ihre Erkläning in Beeinträohtigang der Pyramiden-
bahnen entweder darch Drack des Tamor aaf den Pens, oder was mir wahr*
scheinlicher ist, darch den gleichmässigen Drack der Hydrocephalosfiossigkeit
aaf die Fyramidenfasem (Stabkranz£äserang) in den Grosshimhemisphären.
Steigerangen der Sehnenrefleze bei beträchtlichem Hydrooephalas intemas sind
schon früher wiederholt, von Buhff^ and mir' beobachtet worden, in diesen
Fällen bestand zugleich das aasgeprägte Symptomenbild der spastischen Spinal-
paralyse allein' oder mit Ataxie verbanden.
Secandäre Degenerationen in den Seitensträngen des Bückenmarks fehlten
and masste man deshalb eine fanctionelle Beeinträohtigang der Fjrramiden-
bahnen annehmen. Aach in meinem Falle würde sich wohl keine Degeneration
' Deutsches Arch. f. klm. Med. Bd. YYTn S. 527.
* Ebenda Bd. XXTTT. H. m. S. 851.
' Centialbl. l Nervenheilk. 1882. Y. Jahrg* Nr. 4.
445 —
Intelliffenz
ana
Sprache
Pols
Befleze
Ham-
Er-
Deea-
Tro-
phische
Vaso-
motor.
Nacken-
secretion
brechen
bitas
Stö-
rungen
Stö-
rungen
starre
G^gea
Va^
Sdmen-
In jeder
Vo^
...
Ftiikn.
Vor-
Keine
Ende
lang*
und
Weise
banden.
haaden.
Nacken-
BewoMfc-
samt.
Hant-
normal
starre.
loaiffkeit.
54—60
refleze
Söhlige.
gesteigert
der Stupor.
•
Normal.
Be-
schlea-
nigt.
Patellai^
refleze
gesteigert.
Dorsal-
olonns.
Hantrefleze
normal.
Normal.
Fehlt
«
Keine
Nacken-
starre.
Kopf
immer
nach vorn
über-
gebeugt
der Seitenstrange (das Büokenmark ist leider niobt mit herausgenommen) gb*
fanden haben.
Erbrechen, epileptische Anfille, psychische Störung Mlten in meinem Falle,
während sie in dem einen oder anderen der bisher beschriebenen F&Ile beobachtet
worden.
TJebereiPHtimmend mit alten bisher beobaohteten Fallen zeigte auch der
meinige kdne Uhmnngseracheinangen , kdne ansgesproohenen SensibBit&t»-
stOmngen. Um eine genauere Yergleichung der bisher beobachteten FUle zu
ermSghchen, gebe ich zum Schluss noch in tabellarischer Zusammenstellung mit
theilweiser Benützung der BmtimAitPT'schen Tabelle (1. c. S. 172) dieselben mit
den beobachteten Symptomen. Es geht meiner Meinung nadi daians hervor,
dass wir zur Zeit noch nicht im Stande sind, irgend welche pathognomische
Symptome ffir Zirbeldriisentumoren aufstellen zu können, wir können Tumoren
dieser Stelle höchstens muthmaassen, wenn bei intensivem Hinterkopfschmerz
keine Lahmungserscheinungen, keine Sensibilitatsstörongen bestehen, wenn dabei
Abnahme der Sehschärfe und Paresen oder Paralysen des einen oder anderen
AogenmtBkels sich zeigen, wenn weiterhin Steigerang der Sdmenrefleze auftritt
Erst eine grössere Anzahl von Beobachtungen wird Aufitellung eines genaueren
Symptomencomplezes ermöglichen.
— 446 —
n. Referate.
Pathologie des Nervensystems.
Vom VerhältniBse der Foliomyeleneephalitla sxur Basadow'scAen Krank-
heit, Ton Dr. Ernst Jendr&ssik. Aus der I. med. Klinik des Prof. Wagner
in Budapest. (Arch. f. Psych, etc. 1886. Bd. XYII. H. 2.)
Ein 16jähiiger Lehrling in einer Tuchßrbefabrik (Bleifiirben) bekam 4 Monate
Yor der Aufnahme plötzlich Doppelsehen, 2 Monate sp&ter Erschwerung des Kanens,
Parese des Mundes, rasch zunehmende L&hmung der Augenmuskeln, zuletzt die Symp-
tome des Morbus Basedowii. Bei der Aufnahme wurde constatirt: beiderseitiger
Exophthalmus (rechts etwas stärker), Parese des Orbicular. palpebrarum, fast totale
IJnbeweglichkeit beider Bulbi mit leichter Divergenz der Sehaxen (gekreuzte Doppel-
bilder), normale Beaction der Pupillen, normale Accommodation und normaler oph*
thahnoskopischer Befund. Parese des unteren Facialis, des Gkiumensegels, der Kau-
muskeln beiderseits, beträchtliche motorische Schwäche der oberen Extremitäten
Anschwellung der Schilddrüse, YergrGsserung der Herzdämpfung erheblich. Puls-
firequenz (ca. 120 in der Minute). Die elektrische Erregbarkeit im mittleren und
unteren Zweige der Nn. fadales im Gegensatz zum Bam. frontalis sehr stark herab-
gesetzt (Entartungsreaction?).
Das Krankheitsbild setzt sich, wie Verf. ausfuhr^ zusammen aus dem Symp-
tomencomplex der sog. Ophthalmoplegia externa mit Betheiligung des Facialis
und motorischen Quintus, und der Trias der Basedow'flchen Krankheit. Als ana-
tomische Grundlage der ersteren bezeichnet Verf. eine Poliomyelencephalitis
superior. Bef. möchte betonen, dass ihm der Name Encephalitis und Myelitis f&r
die einschlägige Krankheitsgruppe nicht geeignet erscheint, so wenig wie f&r die
Bulbärparalyse und spinale progressive Muskelatrophie, da die entzündliche Natur
der betr. Processe sehr unwahrseheinlioh ist
Es gelang dem Verl, in der Literatur noch einen Fall (von Warner) aata-
finden, der dieselbe Combination des , Morbus BaaedowU mit Paralyse sämmtlicher
Augenmuskeln (und Paresen des 7. und 5. Himnerven) zeigte. Ausserdem erwähnt
er einige Fälle von Combination des Basedow mit isolirten Augenmuskellähmungen
Verf. sucht aus dieser Combination auf eine bestimmte Localisation der
Baaedow'schen Krankheit an sddiessen, dass diese Loealitftt eine centrale und
dass sie im verlängerten Mark gelegen sei« St fUurt als Sttttze sn seiner An-
sicht noch andere häufigere oder gelegentliche Complicationen das Morbus Basadowii
an, z. B. den Diabetes mellitus. Seine zur Erklärung der hyperplastischen Erschei-
nungen des Morbus Basedowii, der Hyperplasie des retrobulbären Fettgewebes, des
Heizens, der Gland. thyreoidea, versuchte Parallelisinmg mit der Pseudohyper-
trophie der Muskeln steht ' unseres EUbchtens auf sehr ediwachen FAseen.
Wir stimmen dem Verf. darin bei» dass die centraie Natur des Morbus Base*
dowii sehr wahrscheinlich ist, möchtcm aber seine weitere Annabme, dass diese Er»
krankung auf eine circumscripte Stelle in der Medulla oblongata — in der Nähe
des Facialiskemes — zurückzuführen sei, als mindestens gewagt und ungenügend
gestützt bezeiöhnen. Man hat neuerdings mehrfach gefanden, dass nch die ana-
toauschsn Yerändcrnngen b« systematlsoheur AfEettiousii des Bflckenmarks und der
OUongata viel weiter central verbrmten Uteaen^ als man aouahm, — wir «rniBsni
nur an die an^otrophische Lateralsclerose, und wir halten deshalb an der Möglich-
keit fest, dass auch für die Symptome des Morbus Basedowii centraler gelegene
Störungen verantwortlich sein können. Eisenlohr.
447
JXL Aus d64. Qesellschaiten.
Jaliressitzimg des Vereins der deutschen Irren -Aerzte zu Berlin am
19. September issa.
. I . ,
Am VorstandfitisGli Westphal, Lahr, Pelman. Der Vorätzende Westphal
eröAiet die Sitvcmg init Worten des Gedenkeos an den dahifageschiedenen Gudden,
auch die anderen im letsten Jahre fersterbenen Tereinsmitglieder werden genannt.
An Ondden's Stelle wird Grashey in d^n Vorstand gewählt.
Moeli: Was lehren die in balldorf gemachten Erfahrungen für die
Frage nach der Unterbringung geisteskranker Verbrecher P — Während in
der ersten Zeit die in Dalldorf untergebrachten geisteskranken Verbrecher sich pro-
miscue unter den anderen Krankten be&nden, hat ihre Qualität und Menge jetzt Aus-
nahmemaassregeln nöthig gemacht. Diese Maasanahmen fahren leicht zur Ueber*
Schätzung der Nachtheilei welche die Anstalt durch die Verbrecher erleidet. Zur
genauereu Analysirung der Thatsachen zeij^ M. an einer graphischen Darstellung,
dass z. 6. die gewaltsamen kntweichungen und die Versuche dazu Yorzu|p9weise Yoji
den schweren Gewohnheitavarbrechem |;egen das Eigenthum ausgehen. Die Melurza^
dieser Verbrecherkategorie gehört dem jugendlichen Alter an (ca. 70 ^L vor dem
25. Leben^ahre). Ein Drittel dieser Personen war vor dem 20. Lebensjahre bereits
ein- oder mehreremale in Anstalten gewesen. Hier sind es also Störungen der Ent-
wickelung und defecte Anlage; daz^ kommt meist noch der schlechte moralische Ein-
fluss der Umgebung und die ihnen in der Familie von Kind auf gegebene böse Anr
leitung. — Eine Anhäufung dieser Elemente in der Anstalt giebt zu Bedenken
ernstester Art Anlass, es entstehen Conspirationen, ein Staat im Staate, welcher die
anderen Kranken terrorisirt. Schädlich ist auch die Nähe der Hauptstadt, welche
bewirkt, dass diese Verbrecher stets im Contact mit ihrer se^üecbten Sippe und ihrer
Verbrechervergangenheit bleiben. Dieser letztere Umstand macht auch, dass Ent-
lassun|^en der vielleicht Gebesserten umnöglich sind, —
Die in Dalldorf gemachten besonderen Einrichtungen sih^ Kothbehelfe und daher
nicht mustergültig. Wenn «uoh ein Zusammendräogen dieser Verbrecher ?erderblich
ist, so gehören sie doch unzweifelhaft in die Irrenanstalt. Kleinere Abtheilungen
und nächtliche Isolirung sind jfür sie nothwendig, dabei auserlesenes Wartpersonal
mit besonders . guter Bezahluf^ —
Discussion. Hitzig: Wichtig ist die Stellung des Publikums.. und der vorge-
setzten Behörde der Anstalt zu 4^^ I^rage. Ist diese den Entweichungen gegenüber
rigoros, so ist der Directc^ in übler tiage. ,,Die Fra^ der Unterbringung ist für
jede Anstalt besonders zu lösen, für manche Anstalt ist sie unlösbar. — ^of die
gesetzliche Regelung der Sache müssoi Irrenärzte einen bestimmenden Einfluss l^aben;
H. empfiehlt die Inyalidengefängnisse. .
Schroten In I^lldo^ ^im^ besonders ungünstige Verhäll^iisse, aber auch an-
dere Ansjtalten leiden) sodass ein gemeinsames Depot für die schweren Verbreche^
wünschenswerth ist; für zweifelhafte Fälle Stationen bei den Strafanstalten. Ebenso
wie man Epileptiker und Idioten besonders unterbringt, so, sollten die irren Gewohn-
heitsverbrecher auch besof^ere Anstalten hab^.
Mendel Wenn e^ in Dalldorf geht, so muss es bei der. geringen Zahl der
irren Verbrecher in der Provinz erst rechi gehen. Wenn die Einrichtungen fehlen,
so muss man sie schafiten. Die 6ache ist principiell von der grössten Wichtigkeit
und davor müssen die Klagen einzelner Anstalts-Directoren verstummen. Die Er-
rungenschaften des § 51 d^s SiG.B. werden durch Verpoischung von Verbrechen und
Geisteskrankheit in Frage gestellt und das sollte man vor Allem vermeiden im Inter-
esse der Strafrechtspflege. Ich habe dies vor Jahren ausführlich in Eulenberg*s
tt
— 448 —
Yierteljahraschrift erörtert — Kor eine Cumiilation der irren Verbrecher in den
Anstalten muss vermieden werden.
Hitzig. Mendel onterscb&tze die technischen Schfdeiigkeiten der Unterbrin-
gung; dieselben können so gross sein, dass sie geradezu eine Lebenstage f&r äe
Anstalt werden. H. wül nicht Special-Asyle wie Broadmoor, sondern Invaliden-
Oef&ngnisse, in denen überhaupt kranke Verbrecher aufgenommen werden.
Sander hat kernen Grund, von seiner schon frflher geänsserten Ansicht abxu-
gehen. Er sieht in den invaliden-Gefilngnissen von England nichts Brnpfi^enswerthes;
wenn die iiren Verbrecher darin ihre Strafe abgesessen haben, konunen sie nach
Broadmoor und dann in die ProYinzial-A^le.
Reinhard giebt far Hamburg an, dass sie in Friedrichsberg ohne besondere
Einrichtungen ausgekommen seien.
Sander. Wenn die Gewohnheitsverbrecher dem jüngeren Alter angehören, so
muss für die Prophylaxe mehr gethan werden. — Die Schwierigkeiten fOr die An-
stalten kommen weniger von Aussen (Publikum, Behörde), als von den Anstalts-
ärzten selbst.
Snell. Die Verbrecher sind stets ein dauernder Schaden für die Anstalt
Publikum, Angehörige und Kranke beschweren sich. Für diese Schäden muss man
Abhülfe schaffen.
L&hr spricht in demselben Sinne und weist auf Sachsen hm, wo besondere
Einrichtungen bestehen.
Moeli. Die Verbrecher gehören unter Anstaltsregime, ob jede Anstalt sie
haben kann, ist etwas anderes. Etwa für 2^/^ der Anstaltsbevölkerung sind be-
sondere Einrichtungen, festerer Abschluss, nöthig. — Was die neue AbtheQung in
Moabit betrifft, so ist der Erfolg 'von der Art der Handhabung abhängig. Werden
die betreffenden Personen als geisteskrank erkannt und wird ihre Unheilbarkeit fest-
gestellt, 80 bekommen wir sie, vielleicht eher wie sonst, hoffiratlich noch weniger
verdorben.
Meschede. Die Verbrecher stören den Heilzweck der Anstalt, durch die be-
sonderen Maassnahmen, welche sie nöthig machen, durch den schlechten Eindruck
auf die Angehörigen und die Kranken. Daher eignen sie sich nur für Pflege-
Anstalten.
Sander. Er verkenne die SchädHchkeiten für Dalldorf nicht Los sein möchte
er die Verbrecher auch. Die Station Moabit wird uns nur noch mehr solcher Leute
zuführen.
Siemens hat bei 220 Männern, darunter etwa 60 mit dem 8tG3. in Conffict
gerathenen, nur 2 irre Gewohnheitsverbrecher, welche besondere Maassregeln erforder-
lich machen. Für neuere Anstalten mit fMeren Vetpflegungsformen sind derartige
Leute absolut unpassend, sie gehören in geschlossene Anstalten mit dem Charakter
der Pflegeanstalt
Zinn hat für Eberswalde besondere Schwierigkeiten und NachtheHe bei der
Unterbringung der Verbrecher nicht beobachtet —
Es folgte der Vortrag von Siemerling: Veber das Open-door-Syvtom in
Sohottland, Der Dienst m der Anstalt mit unverschlossenen Thüren wird an dem
Beispiel der Irrenanstalt Woodely bei Glasgow im Einzelnen erörtert. — Der Haupt-
schwerpunkt liegt in der regelmässigen Beschäftigung aller Kranken; nur Betäägeiige
und tobsüchtig Erregte sind ausgeschlossen. Zahl der Wärter 1:10. Ihr Gehalt
ist ein sehr hoher. Entweichungen der Kranken, ebenso Unglücksfälle und Selbst-
morde sind nicht häufiger geworden. In den Abtheilungen herrscht Buhe, Isolimngen
smd selten. Die SteUung des Wärters ist eine bessere gegenüber den Kranken.
Die finanziellen Ergebnisse sind günstig wegen fehlender Beparaturen. — Die von
grösseren Städten entfernteren Anstalten mit grossem Areal zur Landwirthschall smd
die geeignetsten für Open*door, nicht zu viel Aufnahme, keine UeberfüUung, gutes
— 449 —
PersonaL Siechenhäiiser und fBinili&re Verpflegung sorgen ffir AbfluBS der Kranken»
Kdne irren Verbrecher.
Fürstner. Im Interesse der Irrenpflege sind aber gerade Tiele und schnelle
Aufnahmen zu wflnschen. Dies, und das mangelhafte Personal sind bei uns hindere
lieh für Open door, welches flbrigens theilweise ja auch bei uns geübt wird.
Pätz macht auf Altscherbitz auftnerksam, wo es in grossem umfange schon
seit Jahren geübt wurde.
L&hr warnt vor Schlüssen aus kurzen Besuchen solcher Open-door-Anstalten.
Er selbst hat viele unverschlossene Abtheilungen in seiner Anstalt, möchte es aber
nicht als System hinstellen.
Tuczek fragt, wie viel ^/^ in Schottland in Anstalten untergebracht sei Bei
uns ist stellenweise noch nicht 1 Kranker aufs Tausend der Bevölkerung in Anstalten^
das zweite ^/qq kann mit Open door verpflegt werden, das dritte in Familien.
Siemerling hat die Zahlen nicht bei der Hand.
Es folgt der Vortrag von Sander: Eünblioke imd Ausblioke in das Irren-'
wesen Berlins« — Bericht über die Art und Ausdehnung der Irrenfürsorge in
Berlin. Die Charit^ und ihr historisches Verhältniss als Aufiiahme-AbtheUung und
Heilanstalt Daüdorf ist nicht Pflegeanstalt im gewöhnlichen ffinne, es entlftsst viele
Geheilte bezw. Gebesserte. Die Dalldorfer Kranken haben kemeswegs aUe den
chroniBcnen Charakter. Zahlen über das Anwachsen der Anstaltsbevölkerung. Eine
wirkliche (procentuansche) Vermehrung der Geisteskrankheiten ist fraglich, sicher ist
eine Vermehrung des Bedürfriisses nach Anstaltspflege. Der erschwerte Kampf
um*s Dasein, der wirthschaftliche ]^edergang, die Ueberproduction, der vermehrte
Zuzug von Aussen und die Concurrenz, endlich die Schädlichkeiten des grossstSdtischen
Lebens sind Hauptmomente. Das Wachsen der Stadt durch Zuzug bedingt eine
andere Beurtheilung als das Wachsen durch Geburten. Der Zuzug bringt die Krank-
heit oder den Keim dazu zum Theil mit, daher von Zeit zu Zeit sprungweises An-
wachsen. Die Jahre des wirthschafflichen Niederganges (1875 — 1880) scheinen auch
auf den Nachwuchs schädlich gewirkt zu haben, das beweist der Zuwachs an Idioten
in den letzten Jahren.
Die Keuerrichtung städtischer Anstalten ist nöthig und auch schon beschlossen.
Auch das Verhältniss zur Charit^ bedarf der Beform. —
Bei einer Neuordnung der Dinge ist eine Vereinbarung zwischen Staat und
Stadt anzustreben, ein Stadtasyl für frische Auftiahme ist nöthig. Die Stadt muss
alle Kranken in eigene Fürsorge nehmen, sie nicht in Privat-Anstalten geben. Die
familiäre Pflege ist noch weiter zu cultiviren.
Eine Discussion schloss sich nicht an. Siemens.
Berioht über die 60. Versammlung deutscher Natorforsoher und Aente
in Berlin vom 18. bis M. September 1886.
Section für Anatomie.
Herr His: lieber die Bntrtehnng und Auabreitungsweiae der Nerven-
fhMem. Nachdem das Bückenmarksrohr sich geschlossen hat, macht sich ein Gegen-
satz geltend zwischen dichter gelagerten inneren und etwas lockerer liegenden
äusseren Zellen (Innenplatte und Mantelschicht). Von Zellen der Innenplatte
ausgehend, bildet sich ein Gierüst (Myelospongium), welches mit seinem äusseren
Theü die kernhaltigen ZeUentuben überragt und damit das Lager zur Bildung weisser
Bückenmarksstränge liefert Die Bildung von Nervenfasern geschieht beim mensch-
lichen Embryo vom Beginn der 4. Woche ab. Die Zellen der Mantelschicht ent-
— 450 —
wickeln je einen Azencylinderfortsatz, der mit conischem Ursprungsstück beginnt und
von früh ab eine fibrilläre Streifung zeigt. Die aus Äer vorderen Hälfte der Mantel-
schicht entstehenden Fasern verlassen das Bückenmark als motorische Wurzeln. Die
weiter hinten entstehenden f^em treten in sagittaler Richtung bezw. in bogen-
förmigem Verlaufe nach vom (Formatio arcuata). Ein Theil dieser Fasern geht in
die Commissui^a anterior über, die Anfangs nur aus wenigen Fasern besteht
Zugleich mit den letzteren erscheinen auch sparsame Lflngsfasern als Beginn der
Vorderstr&nge.
Yehweigte Ausläufer bilden sich' an den Zellen der Mantelschicht, bezw. an den
motorischen Vorderhomzellen, später als diö Äxencylinderfortsätze.
Die Ganglienanlagen sind nach erfolgter Abgliederung vom Bückenmark durch-
aus geschieden, ihre Zellen strecken sich und entwickeln ^ Ausläufer, von denen
einer als hintere Wurzel in das Bückenmark ein^tt, der andere peripberiewärts
sich entwickelt. Der Kern der spinalen. Oanglienzellen rückt excentrisch zur Seite
und damit leitet sich die Bildung T-fÖrmiger Fasern ein. Die Formen sind beim
4 — 5 wöchentlichen Embryo deshalb leicht erkennbar^ weil bei ihm die Zellen noch
keine Endothelscheiden besitzen. .
Die in das Bückenmark dringenden Wurzelfasem sammeln sich in einem Anfangs
sehr dünnen, späterhin stärker werdenden Längsbündel (ovales Hinterstrang -
bündel), später eindringende Fasdm können di^s Btlndel durchsetzen und zwischen
die Zellen gelangen. ' '
Mögen die Nervenfasern central wärts öder peripheriewärts aus wachsen, so ge-
schieht ihre Ausbreitung nur mit einer gewissen Langsamkeit; in den Extremitäten
kann man das successive Yorsdiieben der Stämme leicht verfblgen und es zeigt sich
z. B., dass noch am Schlüsse des 2. Monats die Finger und Zehenspitzep nervenfrei
sind. Die peripherisch auswachsenden Stämme bahnen sich ihren Weg in der lockeren
Bindesubstan^ der Theile und sie sind Anfangs vo^ relativ enormer Mächtigkeit.
Die centralen Fasern finden ihre Bahn in den Maschen des Hjelo-spongiums vor-
gezeichnet. , V -N ' •.•.••,;• ' " ■ i
Aus dem Frincip dfes Auswachsens' ergebeii sich sowohl in Hinsicht, der peri-
pherischen als der centralen Endigungsweise gewisse Folgerungen, welche hier nur
angedeutet werden können. Das primäre Verhalten ist jedenfalls immer. ein freies
Auslaufen der ungethetiten oder getheilten Fasern. Inwieweit secundäre Verbindungen
mit Zellen eintreten können, das ist sowohl im Centrum als an der Peripherie als
eine offene 3Prage zu betrachten.
In der Discussion bemerkt Herr MerkerCÖöttingen): Er glaube, dass die
terminalen Zellen des sensiblen Nervens^T^temes unter allen ' Umständen ihre physio-
logische Bedeutung behalten, sei es, dass sie, wie qr seibist meint, mit den heran-
tretenden A^encylindem verwachsen, sei es, dass sie vielleicht nur in innigstem
Contact mit denselben verlöthet sind.
Herr W. Wolff erinnert daran, er habe vor Jahren mitgetheilt, dass die Nerven
des Froschlarvenschwanzes vom Centrum nach der Peripherie hinwachsen und unter
dem Epithel enden. — Die iStützfasem^ 'die. die' 'Auskleidung der Himrückenmark-
höhie und eine starke Limitans bilden, habe 'er auf Schnitten aus Hirn und Bücken-
mark von Säugethierembryonen anch gesehen vjjA betrachte sie wie der Vortragende
als Anfänge der Neuroglia. .
Weiter bemerkt Herr His auf eine Anfrage des Herrn Waldey er, die Be-
ziehung der Innen-Platte und Umgebung des Centralkanals betreffend, und der Herren
Wiedersheim und Waldeyer, die Beziehung der Spinalganglien zur Neuralcrista
und der letzteren zum Bückenmark betreffend, folgendes: Die Innenplatte werde nicht
gänzlich für das Epithel des Centralkanals verbraucht, um ^so weniger, da gerade
hier die Zellenvermehrnng stattfinde; vielmehr sei ein Theil auch ihrer Zellen
faserbildend.
— 451 —
Die SpiimlgangUen siammen nieht ab toh der Bückeiunarksanlage, sondern vm
einer neben derselben gelegenen Anlage, welche neben der Medollarrinne hn Eetoderm
zu snchen ist (Zwischenrinne, nach seiner ehemaligen Bezeichnongsweise). Nach
Soblnaa der Medidlaitiime gehe danun ein an der'deraalen Seite des Medollarrohres
zwischen diesem und /dem Eetoderm gelegener Strang hervor, welcher sich weiterbki
in Form zweier Strfiage neben das Hednllarrohr legt nnd durch Abgliedenmg die
Spinalganglien liefert Selbst bei Pkigiostomen sei die Abstammung dieses Zwischen-
stqpiges Ton der Mednllaranlage nur eme scheinbare, indem bei Schluss der Medullar-
rinne die genannte Anlage fn den dorsalen Ausschnitt derselben hineingezogen werde.
Auf eine weitere Anfrage des Herrn Wiedersheim bestätigt Herr His, dass
die motorischen Fasern früher als die sensiblen aufboten«
Herr Adamkiewicz: Ueber ohromoleptlaolie Fartten im BfiokMimartu
Nachdem der Vortragende mit Hülfe seiner Safrantinction in den Nerven d«r weissen
Bückenmarksfasem die chromoleptisehe Substanz und im Bückenmark besondere durch
den Gehalt an solcher Substanz sich markirende Partien, dargestellt hat, kam es ihm
nunmehr darauf an, deren Bedeutnng festzustellen. Er fimd bei Untersuchung von
Bückenmarksaffectionen aller Art, dass die betreffenden Partien, sowie die Systeme
den Angri£Gipunkt bestimmter Krankheiten darstellen. Sie lassen sich in mehreren
Ffillen als ürsprungsorie der Tabes und der multiplen Sderose nachweisen. Dabei
geht die Veränderung der Nerven tom Mark aus. Bs tritt Wucherung der Neu-
roglia ein.
Der Vort. hält die Präexistoiz der chromoleptischen Partien für bewiesen.
Er bespricht femer seine Injectionen von Ganglienzellen; Ton der Arterie aus
wird die Peripherie, von der Vene aus der Kern der Zelle injicirt.
Discussion: Herr Edinger (Frankfurt) m^kshte annehmen, dass durch die
Härtung, der Herr Adamkiewicz seine Präparate unterwirft;, seine „chromoleptischen
Tai^m*^ entstäiiden; dea BeMia fSrdevoit Präexisienz sieht er durch das Auftireten
patiiologischer Processe in den hinteren chromoleptischen Zonen nicht erbracht. Die-
selben (Tabesi) treten möglicher Weise aus ganz anderen Gründen (Pierret)
dort auf.
Heicr Stieda constatirt, dass man an gehärteten Bückenmarksschnitten auch
t durch Carmin versohiedrae Färbungen der Marksubstanz erzeugen kann; er ist aber
der Ansicht, dass die. Ursachen der yenichiedenen Färbung zum gröeste» Theil auf
verschiedene Härtungsgrade des Rückenmarkes zurückzuführen sind, nicht aber in
einer bestimmten Structur des Bückemnarkes liegen.
Herr Virchow hat unmittelbar nach Veröffi»ntliohung der früheren Mittheilungen
von Heim Adamkiewicz seine Methoden nachgemacht und evident gesehen, dass
<■ die angewendeten Erhärtungsilüssigkeiten (Alkohol, Eleinenberg*sche Flüssigkeit)
erheblich different auf die tiefergelegenen und oberflächlicher gelegenen Partien des
Bückenmarks wirken, Worauf die Unterschiede der Färbung zweifellos zum grossen
: Theil zurückgeführt werden müssen; er wagt jedoch nicht, auf Grand dieser Er-
; fahrungen alles, worauf sich die Angaben des Vortr. über das normale Bückenmark
beziehen, für Kunstproducte zu halten.
■^ Herr Adamkiewicz betont, dass wenn seine chromoleptischen Partieen nicht
präexistent wären, sie nicht erkranken könnten, die Tinction allein sei für ihn nicht
beweisend.
:' Herr Stieda ist dev Heinunft dass bei der sog. Injection es sich um eine Im-
"^ bibition bandelt Aehnliche Vorgänge sind ihm bekannt an Präparaten, wo- naoh
Injection von Carmin in die Arterien Kerne von Drüsenzellen sich färbten.
Herr Benda hält die Erscheinjong ebenfalls für Tinction, nicht Injection.
\ Herr Adamkiewicz führt dagegen den verschiedenen BfiPect bei Injectionen
von der Vene und von der Arterie aus an und betont die Verschiedenheit einer
— 452 —
ugicirteD toh einer tingirien Ganglieiizelle. Er hftlt die Bzistens eines centralen
Qeftflsclienfl am Kern fttr enrieeen.
Herr Fritscli spricht über die Blememte des Cenftralnerrmiayttema der
eleoCslaohen naohe und Tersncht den Nachweis, dass als Axencylinder Terlanfende
Fasern durch Yerschmelzang ton Frotoplasmafortsfttzen entstehen kennen.
Der Ursprung des AxencyUnders ans der Zelle bildet raerst einen kegelf5miigen
Yorsprong, der durch Yerschmelning breiter Foris&tie entstanden ist und Ton Ge-
flflsen durchsetzt wird (Gynuiotus, LopMus piscatorius, Maiapterurus electricoa).
Bei Ganglienzellen (Spinalganglien) von Lophius gehen ausser dem Azeocjlinder
feine Fortsätze durch die. Kapeelwandung und yerschmeben ausserhalb derselboL
Danach ist man berechtigt, auch da eine Yerschmelzung feiner Fortsätze der Nerren-
zeUen zu Axenqylindeni anzunehmen, wo die Feinheit derselben den Nachweis uo-
m^ch macht
Discussion: Herr Waldeyer macht darauf auftnerksam, dass er in seiner
«
Arbeit über den Ursprung des Azencylinders eine Entstehung Ton Axenqrlind«fort*
Sätzen aus «ner Yerschmelzung feiner Fortsätse beschrieben habe.
Herr Kollmann spricht seine Freude über die Entdeckung des Herrn Fritscli
aus, möchte aber die betr. Nerrenfaseni, namentlich im Hinweis auf die Arbeiten
Golgi's, nicht als Axen^linderfortsätze bezeichnen.
Herr Ehrlich unterscheidet an Ganglienzellen, die intra Titam mit Methylen-
blau tingirt wurden, 3 verschiedenartige Fortsätze:
1) Oboflächennetz, 2) grade Fortsätze, 3) Protoplasmafortsätze.
Herr Bawitz bemerkt, dass bereits vor Jahren von Courvoisier und dann
von ihm die bezüglichen Yerhältnisse beschrieben worden seien.
Herr Kadyi (Lemberg): Veber die BLutgeftaae dee mensoblioheii Bücken-
marke. Für das Bückenmark bestimmte GeOsse (Arteriae et venae radiales me-
dullae spinaUs anteriores et posteriores) sind an allen Nervenwurzeln angelegt» jedoch
nicht überall ausgebildet Die Art vertebralis ist der Summe einer vorderen und
einer hinteren Wurzelarterie des Bückenmarks gleichwerüdg. In der Pia mater
hUden die Arterien Netze, unter welchen Längsketten hervortreten.
Die Yenen des Bückenmarks sind hmsichtlich des Yerlaufes und der Yerbrei*
tungsweise von den Arterien unabhängig. Die Arterien sind, soweit sie ins Bücken-
mark eintreten, Endarterien im Sinne Gohnheims. Dagegen kommen venOee Ana-
stomosen im Binem des Markes zahlreich und stark vor. Die Gapülametze des
Bückenmarks bilden ein einziges zusammenhängendes Ganze: nur die Dichtigkeit mid
Form der Haschen ist in verschiedenen Partien verschieden. Es giebt drei düferen-
zielle Netzformen.
Eine Unterscheidung von Stromgebieten auf dem Bückenmarksquersdmitt ist
unmöglich.
Discussion: Herr Albrecht bemerkt, dass es keine interoostalen und inter-
vertebralen Arterien giebt» dieselben mnd costal und inteiprotovertebral.
Herr Kadyi entgegnet, dass er ja den morphologischen Standpunkt gamicbi
berührt habe.
Herr Bawitz (Berlin) sprach über den feineren Bau den Nervenaystema
der Aoephalen. Bei seinen Untersuchungen konnte derselbe das Yorkommen uni-
polarer ZeUen im Sinne der alten Histologie constaüren. Die sogenannte Leydig-
sche Punktmasse ist als ein Homologon des Marks der Wirbelthiere aufzuftuBsen;
dieselbe liegt zwischen den Fibrillen, wdche das centrale Nervennetz bilden, und den
Faserzügen, welche das Netz durchsetzen. Das Nervennetz selber wird von dm
— 453 —
Fortsätzen der Ganglienzellen gebildet, welche sich in der Harksnbstanz auflösen.
Den Faserrerlanf anlangend, konnte er eine weitgehende Krenznng der Fasern fest-
stellen. Die Pectinellen stehen am höchsten in der Acephalenklasse, weil deren
Nerrensystem die weitgehendste Differenzimng zeigt
Section ffir Physiologie.
Herr Hitzig^ spricht über die Functionen des GrosshimSi indem er sich die
Frage zur Beantwortung stellt: Giebt es motorisohe Oentren im Bim, und
welches ist ttire Bedeutung P Da die Beactionszeit auf einen an unverletzter
Hirnrinde angebrachten Beiz länger ist, die Zucknngscunre eine andere Form hat«
als bei Anbringung desselben Beizes auf die subcorticale Substanz nach Entfernung
der Binde und da die Erfolge der Morphiumvergifkung nadi den Bindenezstirpationen
wegfallen, h< er die selbstst&ndige Erregbarkeit der Hirnrinde fOr erwiesen. Der
complidrte Erklärungsversuch von Schiff kann nicht aufrecht erhalten werden. Wenn
Goltz gegen die Versuche mit kleinen, lähmenden Eingriffen den Einwand erhebt^
dass durch die Yersuche irgendwo eine Femwirkung ausgeübt werde, so hat er die
Pflicht, den Ort zu zeigen, der ausser dem angegriffenen Punkt der Oberfläche noch
mechanisch beleidigt werden muss, damit der Erfolg eintrete. Gegen den zweiten
Einwand, dass es unmöglich sei, eines der contralateralen GUeder isolirt zu lähmen,
hebt H. hervor, dass es ihm gelangen sei, durch Einstich an verschiedenen Stellen
des Gyrus sigmoides beim Hunde getrennte Bewegungsstörungen an Vorder- und
Hinterbein zu bekommen und zwar vom medialen Ende des hinteren Schenkels der
genannten Windung auf die Hintereztremität, dagegen vom lateralen Viertel des
vorderen Schenkels auf die Vordereztremitäi üebrigens bestehe kein isolirtes Neben-
einandersein zweier Centren, sondern eine Verflechtung beider. Was die Bestitution
der durch Verletzung der Hknrinde geschädigten Functionen betrifft, so hat H. nach
totaler Ezstirpation des Gyrus sigmoides nie gesehen, dass die Störungen in der
contrahiteralen Extremität sich ausgleichen. Er hat Hunde 2 Jahre nach der Operation
erhalten und die ungewöhnliche Stellung der Extremität, die Gleichgültigkeit gegen
passive Dislocation derselben, ihr Hängenlassen Aber den l^hrand, war immer noch
nachzuweisen, und es werden auch keine Bewegungen mit derselben ausgeführt, die
besonders darauf gerichteten Willensacten ihre Entstehung verdanken. Den letzten
wichtigen Punkt stellte Bedner auf folgende Weise fest Er hängt die Hunde behufs
der Beobachtung in der Schwebe auf, wie es nach ihm auch Schiff, Bianchi und
Luciani gethan haben, nähert er dann einem so aufgehängten Hund, dem vorher
der linke Gyrus sigmoides entfernt worden war, lange Nadeln, deren stechende Wir-
kung der Hund vorher kennen gelernt hat, so benimmt sich der Hund bei Annähe-
rung der Nadelspitze an die linke Vorderextremität in gewöhnlicher Weise, er zieht
die bis dahin an den Leib gehaltene Extremität zurück. Trifft die Annäherung aber
die redite Vorderextremität, so bleibt dieselbe nach wie vor schlaff herunterhängen,
während der Hund den Bewegungen der Nadel mit dem Auge folgt» wohl auch durch
Winseln, Bellen, Beiasen und Fluchtversuche sein Missbehagen zu erkennen giebi
Bei solchen Hunden gwieth die rechte Vorderextremität Überhaupt niemals isolirt in
Bewegung, selbst wenn sie 2Vs Jahre am Leben blieben.
Herr Flesch berichtet über die Arbeiten der Frau von Kowalenskaja:
Qleiohartige hiatologisohe Veraohiedenheiten wiederholen sieh an fünc-
tionell vergleichbaren Bindengebieten, Er betont die Scheidung verschiedener
Typen, die nicht aUe von dem Meynert*schen Schema abzuleiten sind.
> Der Vortrag ist bereits in Nr. 40 der klin. Woch. (4. Oct 1886) in extenso erschienen
und machen wir auf denselben besonders aufmerksam.
— 464 —
Herr Goltz (Straasbni;^) bezeichnet als wesenilielien Inhalt aeineB Vortrags:
^^Beitrag lur Physiologie des Grasahims** die ▲osführang, daas es munö^li
sei, innerhalb der Hirnrinde Abschnitte zu umgrenzen, die aoaschliefialich dem Sehen
oder dem Ffihlen dienen. In der vor und naeh der Sitznng stattgehabten Demon-
stration legte Herr Goltz zwei Gehirne von Hunden Tor, bei denen er beiderseits
die ffinterhanptslappen in solcher Ansdehnnng zerstört hat, daas die Ton Mnnk
angegebene Sehsphare ToUstftndig in das Zer8t(irosg8g0biet fallt Diese Thiere ver-
mochten gleichwohl Hindemisse zu vermeiden, waren also nicht blind. Derselbe
demonstrirt femer das Gehirn dnes Hnndes, dem er beiderseits die ganze sogenannte
erregbare Zone weggenommen hat Dieser Hnnd hatte keine Spur von Stinüappen,
konnte aber dennoch die Wirbelsäule von rechts nach links krömmen. Dun fehlte
beiderseits das Beüoentrom, und er konnte bellen. Er ermangelte der sämmtlichen
FttUsphären Mnnk*8 nnd hatte überall Empfindmig. Dagegen hatte dieser Hand
dne ansgeprftgte Sehstönmg, obgleich sein linker Hlnterhanptslappen unversehrt war
and von dem rechten noch ein ansehnlicher Theil bestand.
In der Discassion hob Herr Mnnk das Charakteristische seiner Methode
hervor. Er versuche mit dem Messer die Eingriife zu localisiren, dabei dehne er
seine Versuche auf eine grosse Zahl von Objecten aus und verwerfe alle Versuche,
bei denen Encephalo-Meningltis eintrete. Die reactive Entzündung, welche den Ver-
narbungsprocess begleite, setze allerdings das zerstörende Werk des Messers fort,
aber in eng umgrenzter, nachträglich zu controlirender Weise. Was die zu demon-
strirenden Hunde anlange, so habe er zwei, die nach beiderseitiger Exstirpafion der
Sehsphäre absolut blind seien. Der eine ist vor einem, der andere vor mehr als
zwei Jahren operirt. Drei Hunde, bei denen kleine Spuren der Sehsphäre zurück-
geblieben waren, sehen spurenweise. An den Präparaten des Herrn Goltz könne
er schwer erkennen, ob und wo Beste der Sehsphare zurückgeblieben seien, weil er
nicht durch Beobachtung der Hunde intra vitam Fingerteige für die Betrachtung des
Präparates gewojmen habe. Neuerdings hat M. nach Exstirpation der Sehsphare bei
jungen Hunden Atrophie des Sehnerven und Verfärbung der Papille erhalten. Die
Lebenszeit der früher von ihm operirten Hunde, 3 — 4 Monate, habe nicht ausgereicht,
jetzt habe er längere Lebensdauer der operirten Thiere und damit den Erfolg in
Bezug auf die Atrophie von der Hirnrinde zum Tractus opticus. Der Erfolg der
Atrophie des Occipitalhims nach Enucleation der Augen sei allerdings unsicher.
Hen Hitzig: Herr Goltz hat darin Becht, daas durch Laaion ausserhalb der
Sehsphäre Sehstömngen herbeigeführt werden können; im Uebrigen ist Herr Goltz
auch diesmal wieder, wie stets, der Beantwortung der Frage, wie die Effecte locali-
sirter Lähmungs- und Beizungsversuche mit seinen An^cliauungen zu vereinbaren
seien, aus dem Wege gegangen,
Herr Meynert weist gegen FIes<>h aaf Clarke*s und eigene Besobreibungen
verachieden gebauter Bindenstellen hin.
Herr Fritsch oonstatniy daas Herr Goltz selbst, wema auch mit gewissen
Vorbehalten, in seinem Vortrag die Ungleiehwerthigkeii der verschiedenen Binden-
regionen, an anderer Stelle direct die Locaüsation zugegeben hat. Auf diese Un-
gleichwerthigkeit kam es Hitzig und ihm bei den 1869 begonnenen Unter-
suchungen an. Wie scharf die Grenze. der einehlen Begicmen seien, darüber lässt
sich zur Zeit nichts feststellen. Die anatomische Ungleichwerthigkeit der Binde an
verschiedenleii Stellen der Hirnrinde spreche ^egen die physiologische Glwchwerthigkeit
Herr Goltz: Seine Differenz mit Hitzig würde geiinger, da dieser die circum-
scripten Oentren aufgäbe. Die Forderung, den Erfolg elektrischer Beizung imd kleiner
Eingriffe zu erklären, weist Bedner zurück.
Herr Munk legt die Gehirne von 4 demonstnrten Hunden vor, welchen im
Verlauf der letzten 2 Jahre die Sehsphäre beiderseits exstirpirt worden ist Zwei
— 455 —
von ihnen waren vollkommen blind. Ein Hnnd sah ganz sparweise. Der vierte
Hund sah nur wenig mehr, mit dem linken Auge aber an der Nasen-, mit dem
rechten Auge allein an der Schläfeseite. Die Betrachtung der Hirne zeigt, dass
beim vierten Hunde der vordere Band der beiden Sehsphären stehen geblieben ist.
Beim dritten Hund ist der dort am Sulcus calloso-marginalis, tief an der medialen
Seite der Hemisphäre, anzimehmende Sehsphärenrest, wie wegen der Kleinheit der
Störung vorausgesehen wurde, am frischen Hirn nicht zu constatiren. Es wird die
Autoerksamkeit auf die völlige Gleichmässigkeit der zu den verschiedensten Zeiten
im Verlaufe zweier Jahre ausgefdhrten Exstirpationen gelenkt
Hierauf erhält Herr Goltz das Wort: Am Montag lud uns Herr Munk ein,
seine Hunde zu sehen und stellte uns frei, uns über das Verhalten derselben zu
äussern. Gestern folgte ich dieser Einladung. Ich sah seinen Hund, der eine schwere
Sehstörung hatte, nach Herrn Munk blind war. Dieser Hund sollte, abgesehen von
der Blindheit, keinerlei andere Störungen besitzen und in seinem Verhalten gleich
sein einem gesunden Hunde mit exstirpirten Augen. Ich constatirte darauf die That-
sache, dass der Hund mit verstümmeltem Gehirn sich mangelhaft durch das Gehör
orientirte, und dass er ausser Stande war, die hohen Stufen der Treppe des Hörsaals
herabzusteigen. Der blinde Hund mit unversehrtem Gehirn lief dagegen anstandslos
die Stufen nach Anrufen herunter. Herr Munk liess sich sodann zu der Bemerkung
hinreissen, er lasse- sich nicht drein reden, er sei Herr im Hause. Kach diesem
Ausfall verzichtete ich auf die Vorführung der übrigen Hunde und verliess das Haus.
Auf die Vorlesung des Herrn Munk werde ich bei ^ einer anderen Qelßgenheit
antworten.
Herr Ezner findet eine erfreuliche Annäherung Herrn Munk*s an seine Gegner
darin, dass er selbst bemerkte, es Hesse sich event. ein kleiner. Best der Sehsphäre
anatoinisch und mit freiem Auge nicht nachweisen, sondern nur physiologisch* Es
heisst das : anatomisch merklich gleiche Läsionen können ungleiche Functionsstörungen
ergeben. Es steht das nicht im Widerspruch mit dem Kausalgesetz, wie ein Beispiel
zeigen möge.
Es giebt Menschen, welche, indem sie schreiben, die Buchstaben mitarticaliren,
und andere, die blos nach dem optischen Erinnerungsbilde die Worte schreiben. Wird
das Bindengebiet, welches der Articulation vorsteht, im ersten Falle verletzt, so muss
eine schwere Störung der Schreibfertigkeit eintreten, im zweiten Falle kann diese
Störung fehlen. Ganz unabhängig davon, ob das angeführte Beispiel der Erfahrung
entspricht, können derartige Verschiedenheiten die Grundlage der ungleichen Indivi-
dualitäten bilden und so ungleiche Effecte bei gleichen Läsionen bedingen.
Herr Munk antwortet auf die Erklärung des Herrn Goltz, dass er zu, der
Zeit angekündigtermassen vor einer grossen Versammlung habe demonstriren und
nicht von neuem über die Localisation discutiren wollen. Die von Goltz hervor-
gehobenen Erscheinungen am demonstrirten rindenblinden Hunde waren, dass der Hund
1. wenn er auf den Zuruf die richtige Bichtong eingeschlagen hatte, di^elbe bald
verlor und 2. die Treppe nicht passirte: .und diese Erscheijpiungen t^ rindenblinden
Hunde hat gerade Herr Munk schon 1880 bei der ersten Veröffentlichung über
solche Hunde ausdrücklich hervorgehoben.
Herr Hitzig wünscht zu constatiren, dass das eine von Herrn Loeb am Montag
demonstrirte Gehirn Veränderungen zeigte, auf welche derselbe nicht aufmerksam
gemacht hatte. Im Femeren zeigte Herr Loeb einen Hund, dem er, die sogen.
Centren für die Hinterextremitäten exstirpirt hatte, um zu beweisen, dass derselbe
noch auf den Hinterbeinen gehen könne, was niemand von uns bestritten hai Da-
gegen wusste Herr Loeb gar nicht, dass dieser Hund eine Anzahl von motorischen
Störungen an den Hinterbeinen hatte, die Bedner ihm erst zeigen musste. Gegenüber
der grossen Bestimmtheit, mit der Herr Loeb literarisch auftritt» ist die Feststellung
dieses Thatbest-andes von Wichtigkeit.
- 456 —
Herr Loeb demonstrirt Tier Gehirne der von ihm operirten Thiere, welche er
den Sectionsmitgliedem zeigte. Alle yier Fälle zeigen das (Gemeinsame, daas die
nach der Localisationstheorie des Herrn Munk Yorgeschriebenen SMnmgen fehlten,
dass dafOr aber andere Störungen vorhanden waren. Insbesondere betont er, dass
nach Exstirpation des Stimlappens Herrn ttunk zufolge das Thier dauernd die
Fähigkeit verlieren solle, die Bumpf-Lendenwirbelsäule spontan nach der gekreuzten
Seite einwärts zu drehen, dass dagegen nie eine Spur einer Sehstörung erfolge. Im
Gegensatz dazu fand Loeb bei einem solchen Thier, dessen Gehirn vorliegt und dem
der linke Stimlappen zugegebenermassen völlig fehlte, dass die Fähigkeit» die Bumpf-
Lendenwirbelsäule spontan nach der gekreuzten Seite einwärts zu drehen, erhalten
war, dass dagegen eine schwere Hemiamblyopie dauernd vorhanden war.
Gegenüber dem Vorwurf des Herrn Hitzig ist zu bemerken, dass während der
Demonstration der Thiere in der landwirthschaftlichen Hochschule eme eingehende
Discnssion unmöglich war und dass es geboten war, Beobachtungen, welche dem
Demonstrator für die Discussion der Streitfrage der Localisation irrelevant erschienen,
unberücksichtigt zu lassen. Die Behauptung des Herrn Hitzig, dass ich die nicht
erwähnten Dinge auch nicht gewusst habe, muss ich wiederum unter Berufung auf
das Zeugniss von Herrn Zuntz als unrichtig zurückweisen.
Herr Zuntz bezeugt, dass der in Bede stehende Hund mit Ezstirpation von
mehr als dem ganzen Stimlappen die Lendenwirbelsäule vollkommen normal drehen
konnte, dass derselbe aber eine schwere Sehstörung seit der Operation bestän-
dig zeigte, sodass diese Störung nicht durch die finale tödtUche Meningitis erklärt
werden kann.
Nachdem noch mitgetheilt ist, dass das von Herrn Lehmann demonstrirt«
Kaninchen, welches nach ausgedehnten, über die Sehsphären nach vom hinaus gehen-
den Abtragungen des Grosshimes — mittelst Lehmann*8 Aspirationsmethode —
noch sieht, zur Stelle ist und nach der Sitzung vor den Augen der Herren sedrt
werden soll, wird in die Tagesordnung eingetreten.
Herr Meynert demonstrirte im Physiologischen Institut eine Beihe sagittaler
Hirnschnitte von Menschen, und legte besonderes Gewicht auf den Nachweis von
Einstrahlungen aus der äusseren Kapsel in den Linsenkem und auf die Verfolgung
des Tractus opticus in den Thalamus. In einer kurzen, an die Demonstration ange-
schlossenen Auseinandersetzung besprach Herr Meynert die nahen Beziehungen des
Thalamus opticus zu centripetalen Bahnen, namentlich sensorieller Natur (Opticus,
Acusticus, Olfactorius), legte auf Grund seiner Demonstration Verwahrung ein gegen
die Auffassung des äusseren Abschnittes des Linsenkems als einer, der Binde gleich-
werthigen Himpartie und sprach seine Ueberzeugung dahin aus, dass der wahre Ent-
stehungsort epfleptischer Convulsionen nicht in der Hirnrinde liege.
Herr Knoll (Prag): Uebdr die Dmoksohwankongen der Oerebxoapinal-
fHüMdgkeit nnd die weohaelnde Blutfülle des oentralen Kervensystemi.
Bedner berichtet über eine einfache Methode zur Verzeichnung der Dmckscbwankungen
der Cerebrospinalflüssigkeit, sowie über die wesentlichsten Ergebnisse der hiermit an-
gestellten Beobachtungen. Von diesen hebt er insbesondere das eine hervor, dass
die Gefässe des centralen Nervensystems sich an der allgemeinen Gefässverengung
nicht betheiligen, und erläutert die Bedeutung dieser Thatsache für die Pathologie.
In der Discussion fragt Herr Kronecker (Bem) den Vortr., ob er mano-
metrisch oder plethysmographisch die Aenderungen der Cerebrospinalfiüssigkeit be-
stimmt habe, und bemerkt, dass Mos so ebenfalls darauf hingewiesen, dass während
Beizung der Gefässnerveu die Fülle der Gehimflüssigkeit zunimmt.
Herr Falkenheim (Königsberg) bestätigt auf Grund von Versuchen, welche
von Naunyn-Königsberg und ihm nach der von Naunyn und Schreiber frCiber
— 467 -
geübten yenachsanordnang angestellt sind, die Beeultate des Herrn Vortragenden.
Er berichtet femer, dass die Schwankungen der Gerebrospinalfiflssigkeit, welche auf
Aortencompression, Aussetzen der Respiration, Aufblasen einer Öummiblase im rechten
Ventrikel eintreten, ein verschiedenes Verhalten unter einander zeigen, wenn gleich-
seitig der Druck der Cerebrospinalflüssigkeit künstlich erhöht wird.
Herr W. Biedermann (Prag): Veber die Binwirkiuig das AMäats auf
einige elektromotorlflohe Bnoheinongen an Muekeln und Verven.
Er hat geftinden, dass der qnergestr^fte Muskel durch Einwirkung ton Aether-
dtopfen in einen Zustand gerftth, in welchem er bei Tollkommenem Erhaltenbleiben
der elektromotorischen Wirkungen gegenüber äusseren Beizen g&nzlich unempfindlich
sa sebi scheint, indem keinerlei direct wahrnehmbare Yerftadeningen weder örtlich
noch entfernt yon der Beiistelle erkennbar sind. Dagegen treten an dieeer letzteren
galTamsch nachweisbare Veränderungen und zwar in gleicher St&rke wie vor der
üburcose als Ausdruck der Erregung hervor. (Erhaltenbleiben der negativ-kathodischen
and positiv-anodischen Polarisation.)
Bezftglich des Elektrotonus markhallager Nerven weist Biedermann darauf
hin, dass schon gewisse Erscheinungen bei Reizung mit scfawicheren Strömen darauf
hinweiBfn, dass derselbe eine physikalische und eine physiologische Oomponente ent»
hält Um beides zu trennen wurde wieder die Aethemarcose verwendet Da aber
zeigt sich, dass dabei vor Allem die andektrotonischen Ablenkongen in der Nähe
der Beizstrecke sonst an GMsse abnehmen, während die Wrkungen des Katelektro-
tonne an gleicher Stelle zunächst unverändert bleiben oder sogar zunehmen. In
einem gewissen Stadium sind dann die an- nnd katelektrotonischen Wirknigen ganz
gleich nnd bleiben es anch bei jedw Stromstärke. Bei der Erholung der Nerven
nehmen dann umgekehrt wieder die anelektrotonischen mrknngen rasch zu. Bei
marUosen Nerven verschwinden durch das Aetherisiren sowohl die an- wie anch die
katelektrotonischen Wirkungen ganz.
Herr Qrfltzner beschreibt im Anscbluss an den Vortrag des Herrn Bieder-
mann einen Versuch von der Wirkung dea Kalisalpeters auf Muakeln, und
zwar auf den Sartorius des Frosches. Bestreichung der oberen (unter der Haut ge-
legenen) Schicht dieses Muskels mit schwacher Kalisalpeterlösung bedingt eine starke
Zusammenaiehung dieses Muskels; Bestreichung der unteren Schicht ist wirkungslos.
Mikroskopische Untersuchung des Muskels zeigte dass die obere Schicht dünne (rothe),
die untere dicke (weisse) Muskelfasern aufweist Der Salpeter wirkt also, wie es
scheint^ nur auf die eine Art von MuskehL
Section für Neurologie und Psychiatrie.
Herr Fürstner: UelMr ezperlinentelle Uhtennehnngen im Beveioh dee
oentralen ITegveinysteins«
Herr Fürstner rec^^itulirt zunächst die Drehversuche, die Mendel anstellt^
wobei nach 14 Tagen klinische Erscheinungen und Symptome auftraten^ die, wie Mendel
glaubte, der Paralyse entsprachen. Die zu Grunde gegangenen Thiere boten einen
ähnlichen anatonuschen Befund wie Paralytiker.
Fflrstner hat nun Hunde mit dem Kopf nach der Peripherie auf einer Drehscheibe
befestigt^ gedreht und zwar nach rechts, oder nach links, und zwar in möglichst ge-
ringer Intensität 1 — 2 Minuten pro Tag, dann öfter 60 — 60 Drehungen in der
Minute. Fürstner erzielte auf diese Weise bei Thieren, die ^4 ^^ixn, 9 Monate
gedreht waren, doppelseitige Degeneration der Seitenstränge, aussodem Degeneration
eines bestimmten Abschnittes der Hinterstränge, bei anderen war nur ersteres er-
krankt. Die Degeneration ist eine primäre; bei nach rechts gedrehten Thieren ist
sie links stärker und umgekehrt; weisse und graue Substanz im übrigen intaci
— 458 —
Fürstner fand femer Veränderungen des Augenhintergrundes, in einem Fall be^nnende
atrophische Processe im Opticus. Im Hirn fand Fürstner ähnliche Veränderungen,
wie Mendel beim Hunde.
Klinisch hebt Fürstner hervor, das leichteres Benommenwerden der Thiere,
welche längere Zeit gedreht, vermehrte Speichelsecretion, Durst, paralytische Anfalle;
später oacfai Monaten iaxi\m .lfUsm!k^ E^hmungen ia den Extremitäten aaf» &e als
spinal bedingt anzuhaben sind.
Bs gdingt also ohne directe Verletzmig der Nerrensubatanz mit dieser Methode
zu erreichen eine Degeneration der.Fy S. und partiell der Hiatwstränge, vielleicht
atrophische Proceeee im Opticus.
Fürstner hebt ausdrücklich hervor, dass alle diese Fragen noch genauen
Studiums bedürften, er habe nur die Anregung zu erneuten Versnchen «nf diesem
Oebiete geben wollen.
Discussion: Herr Mendel bemprkt^ dass seine biaherigen PubUcationen über
den Gegenstand nur den Charakter einer vorläufigen Mittheilong hatten. Er fineae sich
im Uebrigen, dass im Wesentlichen seine Beobachtungen und Befunde an den gedrehten
Hunden, soweit sie das Gehirn beträfen, durch Fürstner bestätigt worden sind. Ein-
zebie Abweichungen ^aben sich aus der nicht ganz gleichen Ausführung dier betr.
Methode. Dass Stürungen im Bellen und des Uhnlassens eintraten^ was Fürstner
nicht beobachtete, bat an seinen Hunden Prof. Munk bestätigt Was den pathologisch-
anatomiscben Befund anbetrifft, so werde er hoffentlich noch im Laufe der Sections-
Sitzungen Grelegepheit haben, au demonstriren, dass Gefilssneubildangen, wie Degenera-
tion der GaoglienzeUen in der Hirnrinde stattfinden. Was speciell die von FfiLrstner
angezweifelte Degeneration der Ganglienzellen bei der Paralyse überhaupt betreffe, so
ist dieselbe auf der irrenftrztlichen Versammlung in Iieipzig vor zwei Jahren ohne
Widerspruch von ihm demonstrirt worden. SpeoieU hsJt)e der verstorbene Gudden
bei jener Versammlung ausdrücklich erklärt, dass dieselbe sehr intensiv und h&nfig seL
Augenspiegeluntersuchungen sind auch bei seinen Hunden von Herrn Prof. Hirsch-
berg mit negativem Beftmde gemacht worden. Im uebrigen bemerkt er, dass ein
Zustand von diffuser' Ifimerkrankun^ mit dem psychischen Charakter des Blödsinns
und Lähmuttgssymptomen, wie er bei Hunden nach jenen Versuchen eintritt, dem
paralytischen Blödsinne beim Menschen verglichen werden müsse. Einzelne Ab-
weichungen von dem Bilde wären ebenso erklärlich, wie z. B. auch die Tuberkulose
beim Buttde einen anderen Verlauf nehme, wie die beim Menschen. Die sehr schönen
Befunde Fürstner's am Bückenmark, an dem er, weil er kürzere Zeit gedreht,
nichts Krankhaftes beobachtet, sprächen noch mehr für die Analogie.
Herr Heimann: Herr Mendel hat durch Drehung der Hunde in erster Linie
Hyperaemie des Gehirtis erzeugt und diese als eiBtes und ursächliches Moment zur
Sntstehnng t4er .weitere £nti>rtvngeii des Goton« an^Bs^hen. Wenn nnn Herr Fürst-
ner seine Versuchsthiere in gleicher Lage wie Herr Mendei gtdrehfc tait« so sraes
demnach hier Anaemie des Bückenmarks entstanden sein. Da ich nun selbst im
Jahre 11884 ähnliche Drehungsversache angestellt habe, bei denen ich gerade in
Folge anderer Lage der Thiere auf der Drehacheibe partielle Anaemie des Gehirns
erzeugte, und ebenfalls Lähmungen erhielt» so gestatte ich mir die Frage, welches
aetiologisQhe Moment siur EntstehuAg der Sückenmarkserkrinkung der betreuenden
V^nohstbiere Herr Fürstner annjmmjfc?
Herr Adamkiawicz: Die firsdieinungen der Paralyse in acutester Form lassen
sich bei Thiaren auch durch Ii\jectionen differenter Flüssigkeiten in die Himgefasse
erzielen^ wie Bedner in seinen Arbeiten über „Himdmck" gezeigt hat
Herr Mendel beinerkt dagegen, dass es sich in den Adamkiewicz^sdisn
Untersucbongen um acute vorübergeh-ende Zustände gehandelt habe, die mit den
von ihm erzeugten chronischen und progressiven nicht direct verglichen werden können.
Herr Fürstner erwidert Herrn Heimann, dass er mit den Begriffen Anaemie
— 459 —
und Hyperaemie nicht rechnen könne, er beschränke sich auf die Thatsachen, ohne
Torläuüg eine Erklärung geben zu können.
Herr Adamkiewicz: Ve\)er mtiltlple Soletose mit Be^onsti^atioii ent-
sprechender Prftparate.
Die Auf&smmg der moltiplen Sclerose als eines interstitiellen Processes ist
wesentlich dadurch bedingt, dass man %xir Untersuchung sclerotischer Bückenmarke
Kerntinctianen anwandte, welche nidr die Endprodücte der Affection kennen
lehrten. Wendet man die Safranuitinction zur Untersuchung der kranken Bflcken-
marke an, so kann man auch primäre Nervenveränderungen nachweisen und zeigeü,
dass der Process der multiplen Sclerose von den l^erven ausgeht und zwar speciell
von der Markscheide. — Es erkranken zuerst die Nerven der chromoleptischen
Partien. Die Degeneration schreitet von diesen Partien centrifugal in unregelmässiger
Weise fort — An die Nervendegeneration schliessen sich Veränderungen, Verdichtung
und Neubildung der Neuroglia. — Dieselben VeräDderungen, beschränkt auf die
chromoleptisehen Partien der Hiüterstränge, liegen der parenchymatösen tabes zu
Qmnde. So könnte man letztere und die multiple Sclerose gegenüber den Systeiü-
erkrankungen (secundäre Degeneration) als )[»rimäre Degeneration bezeichnen.
Herr Binswanger: Zur Lehre yoa 4«n sphaMiohean. Atörnagen, Bina-
wanger becqiHicht die BezMtuBgen der psydM^togiBoheii andpaydiophyBisohenStaditti
aber die klinischen Varianten der Spraohstörangen 2u den localdiagnodtiMheQ Ergebe
nissen der pathologisch-anatomisoken Unteancfanng. Er fahrt an derHawi .einet
Beobachtung mit Sectionsergebniss — atactisch-amnestische Aphasie; Herd im unteren
Soheitellappeti, QfmB onglilans nnd tbeilweise 1. Sehlftf^nwindüng, Marklager des
ganzen lateralen Theils des tBchlftfenli^pens -^ aus, dass eine UebeHragung' -der
pgychophysiichen Stadien tk^r motoriBche und sensorische Aphasien auf die ver»
sohiedenen Territorien der die Sylvische Furche begrensenden Wiihdungen nicht
dnrohfUirbar. Die MDWMrische Aphasie im engeren Sinne (Wernioke) odel* Wort«
taubheit (Kussmaul) bestand nicht.
Herr M. Boaenthai (Wien):. UnterBUielHifi^en vnd Beobadhlnuigedi über
Morphtamwirkuxig» Aia noch wenig gekannte and gewflrdigte Symptome geben
sich bei mittelstarken Injectionan : von .0>03^ 0,06 üb4r 'Smg nach nrehrwöobentliidMai
Gebrauche kund: aufEäUige Heiterkeit und Gesprächigkeit, erhöhte geschlechtliche
Erregbarkeit^ beträchfli'che Steigerung des Tastsinnes,: de^ Cfemeingefdhle, der, gal-
vanischen Erregbarkeit (fQr geringe Stromreize) und lebhafte Pateüarreflexe. Diese
Erscheinungen von erhöhter Erregbarkeit der Centren weichen erst bei
längerem Gebrauch höherer Injectionsdosen den Symptomeh ceiitraler Depression
(Verstimmung, Apathie, VerM der sexuellen und refiectorischen Erregbarkeit, Herab-
setzung des Tastsinnes, der Gemeingeffthle der g^anischen Beizbarkeit sowie des
Blutdruckes).
Bei den im Basch'schen Laboratorium anlgestellten Experimenten an Hunden
mit Injection von 2proc. Morphinlösungen wurde nebst dein herkömmlichen Art^rien-
druck aucli der Venendruck gemessen. Bei einer Anzahl von' Versuchen war
kein wesentKcher unterschied in beiden Blutdrucken . erweislich. Bei anderen, be-
zfigiich der Entstehung' noch nicht näher gekannten, Fällen war die Arteriendruck-
Emiedrigung ' von einer Venendruck-Ertiöhung begleitet. Die bei inteosiyerer Mor-
phiumvergiftung eintretende hochgradige Erniedrigung der Blutdrucke 'sowie der
Vaguserregbarkeit wiesen auf Strychnininjection beütchtUche Steigerung auf. Die
Unregelmässigkeit des Pulses verlor sich auf beiderseitige Vagotomie, war demnach
central bedingt. Die durch Strychnininjection bewirkte Blutdruckerhöhung konnte
dutch Einspritzungen von Chloralhydrat dauernd herabgesetzt werden. Das Mor-
phium wirkt daher toxisch auf die Erregbarkeit der bulbären Vaguscentren. ' Die
— 460 —
Sehwankimgen der beideii Kntditeker ^^ deren Benehmigen bedtbfen noch weitenr
Stadien.
Herr Bemak Aber Iknutleohft KntnrtangerengtioeiML Diese Bemchnimg
hat Vortragender 1873 fSr die von ihm in einigen Fällen atrophiaeher Spjnall&hmnng
gefundene Erscheiniuig gewählt, daas einiebie degenentiY-atropiache Mnakehi neben
der gew6hnlicheii, partiellen Entartnuggreaction auch Ar den indndrten Strom sowohl
bei indirecter, als besonders bei direeier Beizong mit triger Znckong antworteten»
welche man sonst nur bei galTano-mnacoUrar Rdzong sn sehen pflegte^ R. hak
1883 Yoigeschlagen, derartige F&Ue als Unterart der partiellen Satartangsreactioa
mit indirecter Zncknngsträgheit zu bezeichnen. R. hat jedoch beobachtet»
daas die indirecte Znckungsträgfaeit und die directe Caradische Sntartoagareaction
nicht nothwendig nuBammengehOren. In einem Falle y<a Dmcklahninng des Ulnan<
wurde indirecte Zacknngsträgheit bei Nenrenreizong Ar beide Stromesarten sdion
am fünften Tage vor dem Anftretoi der directen Entartongsreaction beobachtet»
welche erst Ende der zweiten Woche auftrat und ebenso indirecte Znckongsträgheit
in der Begeneration einer schweren traomatiachen Peronenslahmong eonatatirt, bei
welcher die directe faradische Eiregbarkeit der Muskeln noch lange Zeit fehlte.
Andererseits hat R. directe faradische Entartungsreaetionen gefunden, in welchen
die Nerrenmiaghaikeit nodi nkht wiedeigekelirt war. Indireole Zoekangatrigheit
ist also von der ftuaadischen Bntaitnngareaetion zu trennen, welch letitere ein nidit
unerheblieheB Literesse dadurch hat^ daas anch fOr admeUaehligige Strtae ktnesler
Daner der Muskel mit triger Zuckung antworten kann.
Herr Meschede fil>0r eine neue kllntaiih und pnihogwietiaoh wohl
obnnilcteriairto Form ^on Soolanetorang. Er beschreibt einen Fell (als Pfen»
digma anderer) von protopathischem Auftreten einer tiefen Sttenng auf inteUectuellem
Gebiet mit tranaitorischem Charakter der Seelenblindheit^ der sdineU in Heilung mit
partieller Amnesie an die Zeit der Krankheit flbeigeht Aetiologie: plMaliche Ge-
mftthserschfittemng, namentlich Schreck.
In der Discussion glaubt Henr Mendel, daas man derartige Fälle anch kflnftig,
wie biahei^ eis Demenin aorta aiffansen solle. Eine Seelenblindheit k6nne er dabei
nicht IkndML Dieeen Ansehannngen sdüiessen sich im Wesenttidien die folgenden
Redner, die Herren Sander, Fftrstner, Arndt, Hitaig an.
lieber die angAUolie Zonahnae tobl QelsteikTankluittmi in England
Yon D. Hack Take, M. D. London.
Da er kürzlich einige statistische Tabellen angefertigt» um die Frage za beant-
worten, ob die yon Andern behauptete Zunahme Ton Geisteskrankheiten in England
bestätigt wird durch die ofSdellen Zahlen, die sich aus den detinirten oder der
in Irrenhäuser aufzunehmenden Patienten ergeben, so glaube er, wird es dieser Section
von Interesse sein, das Resultat zu erfahren, beyor es in dem Journal of Mental
Science^ deren Redacteur er sei, yerOffentlicht wird.
1. Muss man sich hewusst sein, dass es trOgerische Resultate giebt» wenn man
die Irrenhäuser-Insassenzahl fhlherer Perioden mit der der gegenwärtigen yergleicbi
Wenn man diesen Mschen Weg geht, so findet man eine bedeutend grössere Zahl
von Geisteskrankheiten als frOher. Denn auf 100 detinirte Irre oder Idioten in Eng^
land im Jahre 1859 kommen jetzt 218, oder nach Abrechnung der BeyölkemngB-
zunahme 154« Allein dieser ganze Zuwachs erklärt sich aus dem natärlichen EflEect
der Accumulation und der geringeren Sterblichkeit, die jetzt gegen frflher in unsen
Krankenhäusern Platz greifL
2. Wenn wir also diese trügerische üntersuchungamethode yerlassen und nsr
unter Berficksichtigung der Bey^lkerungsznnahme die Fälle, die frisch in die Inen-
häuser aufgenommen werden, in Betracht ziehen, so finden wir eine Zunahme yon 15^^.
— 461 —
Obwohl diese Bereohnmigsinetbode besser ist als die firfihere, so ist sie dennoch nicht
einwnrfsfrei, weil die in Irrenhäusern aufgenommenen F&lle nicht vollkommen corres-
pondiren mit dem, was wir suchen, mit der Zahl der neuen Fälle zu ver-
schiedenen Perioden, oder in anderen Worten mit der Zahl derer, die irre
werden. Dies ist der einzige richtige Prfifstein. Deshalb habe er versucht, die
Zahl der Irrewerdenden in England in verschiedenen Jahren im Yerhältnise zur
Bevölkerung festzustellen. Dabei sei er einem Hindemiss begegnet, nämlich die
nothwendigen Daten sind nur vom Jahre 1878 an zu haben. So kurz auch diese
Periode ist, so ist doch das Ergebniss von Bedeutung und zeigt, zu wie verschiedenen
Schlüssen man kommt, wenn man dieser Untersuchungsmethode huldigt im Vergleich
zu der, die lediglich die Zahl der in Irrenhäusern detinirten Fälle in den succes-
siven Jahren in Rechnung zieht. Wir finden nämlich, dass im Jahre 1878 3,337
auf 10000 Personen in England zum ersten Mal in Irrenhäusern aufgenommen
wurden, und dass seitdem die Zahl 4 auf 10 000 nie erreicht worden ist; dass sogar
1885 die Zahl am kleinsten von allen, nämlich 3,101 auf 10 000 betrug. Diese
Resultate sind sehr befriedigende, wenn sie auch nur die letzten 8 Jahre betreffen;
sie beweisen, dass die angebliche Zunahme von Geisteskrankheiten in England nicht
vorhanden ist.
Nun muss man aber in Betracht ziehen, dass eine beträchtliche Zahl von Per-
sonen geistig afficirt sind oder an kurzen vorübergehenden Attacken von acuter
Geisteskrankheit in ihrem eigenen Hause leiden, ohne deshalb mitgezählt zu werden,
so dass mit Hinzunahme dieser unregistrirten Fälle möglicher Weise eine Zunahme
von Geisteskrankheiten besteht, die aber in der Statistik naturgemäss nicht mit in
Rechnung gezogen werden. Deshalb dispensiren uns diese Statistiken nicht von der
Sorge, Geisteskrankheiten nach Kräften zu verhüten zu suchen.
Zum Schluss füge er hinzu, dass er sich freuen würde, behufs Publikation
in dem „Journal of Mental Science'' eine Statistik zu erhalten, die die Zahl der
Irrewerdenden in Deutschland jetzt und in früheren Perioden aufführt.
Hr. Oppenheim und Hr. Siemerling: lüttheiliuigeBL über Pseudobulbär-
paralyse und acute Bulbftrparalyse.
Sie haben in 5 Fällen, die nach ihren klinischen Erscheinungen als Pseudo-
bulbärparalyse aufgefasst werden mussten, bei der anatomischen Untersuchung ausser
den Erweichungsherden in beiden Grosshirnhemisphären regelmässig auch Krankheits-
herde in Pens und Medulla oblongata aufgefunden. Der Nachweis der letzteren
konnte aber gemeiniglich erst erbracht werden durch eine sorgföltige mikroskopische
Untersuchung dieser Gebilde auf Serienschnitten, da die Herde zum Theil erst unter
dem Mikroskop erkennbar und oft so circumscript sind, dass sie nur in einzelnen
Schnitten hervortreten, daher leicht vernachlässigt werden können.
Eine nach diesem Resultat an die in der Literatur enthaltenen Fälle von Pseudo-
bulbärparalyse gelegte Kritik lehrt, dass von den wenigen noch eine Anzahl wegen
ungenügender mikroskopischer Prüfung gestrichen werden muss, und dass die Lehre
von der Pseudobulbärparalyse demnach bisher nur durch ein sehr spärliches Beob-
achtungsmaterial gestützt ist, während die gemischte Form: die cerebrobulbäre Glosso-
Laryngo-Labialparalyse, die häufigste der sich acut entwickelnden Bulbärlähmungen
zu sein scheint, und zwar entstanden auf dem Boden einer schweren Arteriosclerose.
Am Schlüsse demonstrirten sie die Präparate eines Falles von acuter Bulbär-
paralyse, bedingt durch den Druck der aneurysmatisch erweiterten Yertebralis
sinistra auf die Oblongata. Letztere zeigt in ganzer Ausdehnung eine Druckmyelitis,
die der Lage und dem Verlauf der Yertebralis entspricht. Es ist bisher noch nicht
genügend beachtet worden, dass die sderotischen Gefässe an der Himbasis auf dem
Wege der Baumbeschränkung Pens und Medulla oblongata in ihrer Function schä-
digen können.
— 462 —
Hr. Smidt: tJober Cocatniamiis und neue BtfUimiigen fiber Oocaln-
wlrkiing bei MorphiomentBleinizig.
S. trägt zunächst im Anschlnss an die Erlenmeyer^sehen Mittheünngen eine
Krankengeschichte exquisiten Morpbio-OocalnismQS vor. Die hier auftretenden schweren
psychischen Erscheinungen schwanden, wie in allen yom Vortr. beohaditeten Fällen,
sofort nach Aussetzen des Cocains. Auch als nach gfinzlieher Weglassung des Mor-
phiums wiederum Cocain zur Bekämpfong der Abstinenzsymptome gegeben wurde,
stellten sich nur ganz leichte Andeutungen von Beeintrichtig^ngsideen ein. Da so-
mit die schweren Intoxicationssymptome hauptsächlich der Combination beider
Medicameute zuzuschreiben sind, werden die Entwöhnungen im Asyl Bellevue (Kreuz-
ungen) so modifidrt» dass das Cocain erst nach völliger Fortiassung des Morphiums
im Ganzen 5 — 8 Tage gegeben wird, bis die Hauptabstinenzsymptome Torbä sind.
Bei Fat, die vorher schon Cocain gebraucht haben, wird dies sofort entfernt und
wurden entgegen Erlen meyer's Erfahnmgen keine Cocalnabstinenzsymptome beob-
achtet Nach Entfernung des Morphiums wurde auch bei frfiheren Cocalnisten Cocain
zur Erleichterung der Abstinenz gegeben, wirkte dann aber weniger gut. — Interes-
sant ist, dass sich die Verfolgungshailucinationen der Morphio-Cocalnisten direct an
die Cocalninjection anzuschliessen pflegen, während das Cocain die Inanitionshalluci-
nationen während der Abstinenz zu mildem pflegt — Den Satz Erlenmeyers,
dass chronische Morphio-Cocalnisten leichter recidivirten, hält Vortr. f&r nicht un-
wahrscheinlich, aber fflr unbeweisbar, glaubt jedoch, dass auf keinen Fall die kurz-
dauernde Cocalnapplication w&hrend der ersten Tage der Morphiumkuren auf die
Häufigkeit der Beddive einen Einfloss hat. Ganz besonders warnt aber Vortr. noch-
mals vor dem combinirten Morphio-Cocaingebraach und vor den stets misslingenden
Versuchen der Selbstentwöbnung.
In der Discussion bemerkt Hr. West phal, dass er bei einem Fat, der nach
langem Morphiumgebrauch sich Cocain einspritzte, den Ausbruch einer acuten halln-
cinatorischen Verrücktheit beobachtet habe, der nach 2 — 3 Tc^n völlig schwand.
Hr. Haupt: Die psychischen AflPectionen, welche Dr. Smidt nach chronischem
Morphinm-Cocalnismus gesehen hat, habe er auch in einem Fall von reinem Cocal-
nismus beobachtet Es handelte sich dabei um einen 14jährigen Knaben, der seit
8 Monaten das Mittel einspritzte und 4 Gramm pro die verbrauchte. Er zeigte
schwere Hallucinationen und traten namentlich abends Angstzustände auf, die sieb
oft bis zu krampfartigen Faroxysmen steigerten.
Hr. Jastrowitz: Die Erfahrungen, welche er in der Lage war zu machen,
bezififem sich nach Dutzenden, und er habe wenige Morphinisten in neuerer Zeit
behandelt, welche nicht zugleich Cocain genommen hätten. Die Symptome sind die
vom Vortr. erwähnten; er möchte hinzufügen: Speichelfluss und Trockenheit
im Schlünde.
Er habe sich vergeblich bemüht, einen Fall von reinem Cocalnismus zu beob-
achten; alle Fälle waren solche von Morphio-Cocalnismos.
In Anbetracht der Gefährlichkeit des Mittels möchte er empfehlen, das Cocain
nur in schweren Fällen von Morphinismus in Anwendung zu ziehen.
Der Cocalnismus an und für sich ist leicht zu beseitigen; die Morphinisten em-
pfanden die Cocaincarenz nicht, wenn sie nur Morphium erhielten.
Hr. Smidt hat nicht ausgeschlossen, dass unter Umständen auch Cocain allein
Psychosen erzeugt, ebenso wie das auch Morphium unter Umständen thut, doch ist
die Combination beider ganz besonders gefährlich. Bei Beurtheilung von Heilerfolgfli
bittet er zu berücksichtigen, dass die Morphinismusfälle heutzutage viel schw^ier
im Durchschnitt sind, wie vor wenigen Jahren. Da jetzt die verhängnissvollen Folgen
des chronischen Morphiumgebrauches allgemein bekannt sind, so sind die fHschen
— 468 —
F&ll« weit seltener, das Gros der in Behandlung kommenden Morphinisten spritzt
schon viele Jahre und hat schon eine ganze Beihe von Bntzi^nngen hinter sich.
Hr. Heimann (Gharlottenborg): Oooaln in der Psychiatrie.
Yerochiedene Eigenschaften, welche von Ck>caln gelobt werden, wie der Einflnss
auf die motorischen Nervencentren , die Herabsetznng der Empfindlichkeit, die be-
lebende Kraft, sowie die euphorische Wirkung, welche es hervorruft, haben den Vor-
tragenden veranlasst, das Mittel bei verschiedenen Psychosen und Psychoneurosen an-
zuwenden. Cocain, mur. 0,01 bis 0,2 pro die, sowohl innerlich wie subcutan wurde
mehrere Wochen hindurch bei den verschiedenen Formen der Melancholie mit und
ohne Hallucinationen, bei (Geistesstörung mit Katatonie, bei Hypochondrie, Neurasthenie
und Hysterie ohne sichtlichen und bleibenden Erfolg verordnet.
Nach diesen Erfahrungen spricht der Vortragende dem Cocain seine Stellung als
Medicament in der psychiatrischen Behandlung ab.
Im zweiten Theil des Vortrages wird ausführlicher eine bis jetzt noch wenig
beobachtete, höchst gefahrliche Wirkung des Cocains abgehandelt. Durch längeren
oder kürzeren internen wie subcutanen Gebrauch grösserer oder kleinerer Dosen Co-
cains, sowie nach Genuss von Cocablättem wird eine Psychose hervorgerufen, welche
der gewöhnlichen Paranoia hallucinatoria sehr ähnlich sieht, sich jedoch durch charak-
teristische Krankheitssymptome, durch den Verlauf der Krankheit, sowie durch den
Nachweis des Cocains im Urin leicht von jener unterscheiden lässt.
Discussion: Hr. Smidt glaubt, dass die Cocalnpsychose doch nicht ganz so
typisch sei; speciell hat er die Hallucination auf Grund der Hauptsymptome nicht
gesehen. Auch hat er mehrfach constatiren können, dass die Hallucinationen und
die darauf basirenden Handlungen sofort nach Sistirung des Cocaingebrauchs cessirten.
Hr. Heimann: Er habe in seinem Vortrag das Schiessen des Pat. nur als
Zufall hingestellt, obgleich er keinen anderen Fall gesehen habe.
Was das sofortige Schwinden der Sinnestäuschungen anbetrifft, so halte er an
seiner Ansicht fest, dass nach Aussetzen des Mittels keine neuen Sinnestäuschungen
auftreten, doch die alten nur allmählich schwinden, wohl aber glaube er, dass die
betreffenden Patienten dissimuliren.
Herr Moritz Meyer (Berlin): Ueber neuritisohe Exsudate als Ursachen
von Neurosen.
Von der Behauptung ausgehend, dass Nervenentzündungen, die man Mher
für verhältnissmässig seltene Krankheiten gehalten habe, wie jetzt erwiesen, nicht
nur in Folge traumatischer und rheumatischer Anlässe, sondern auch durch das
Uebergreifen von Entzündungen benachbarter Organe auf die anliegenden oder durch-
tretenden Nerven erfolgten, dass sie femer in einzehien Fällen von Tabes, in Fällen
von Diabetes etc. constatirt seien, den Ausgangspunkt des Zoster und der vielge-
staltigen PolyneuritiB bildeten — hält der Vortragende auch damit ihren Wirkungs-
kreis noch keineswegs für erschöpft. Er ist vielmehr der Ansicht, dass der grösste
Theil der sogenannten coordinatorischen Beschäftigungskrämpfe, der peri-
pheren Neuralgien ihren Ausgangspunkt von einer Neuritis nehmen, und dass
auch manche motorische und vasomotorische Krämpfe, einzelne Fälle von
Migräne, Tic douloureux, selbst epileptische Insulte darauf zurückzuführen
seien. In derartigen Fällen war der Vortragende auch meist im Stande, die neu-
ritischen Exsudate nachzuweisen und durch deren Beseitigung oftmals HeUung
herbeizuführen, was er durch einzelne prägnante Fälle belegt.
Hieraus zieht er folgende therapeutische Schlüsse:
1. Ist eine Neuritis im acuten Stadium als Ursache einer Neurose erkannt, so
ist energische Antiphlogose (Blutegel, Kataplasmen) am Platze. 2. Ist dies
Stadium verpasst, so nehme man zum galvanischen Strom als kräftigstem
— 464 —
Besorbens seine Zuflucht 3. Es wird auch eine Reihe von Fällen geben, in denen
dis Nervendehnung mit Nutzen angewandt wird.
In der Discussion bemerkt Herr Erb, dass er sich gegen die allzuweitgehende
Annahme von Neuritis oder gar von neuritischen Exsudaten als Grundlage der yer-
schiedensten Neurosen yerwahre; speciell bei den sogenannten Koordinationsneurosen
fehlen doch alle objectiven Symptome einer Neuritis in den meisten Fällen. Ueber-
haupt erscheine es, bei dem noch ganz unsicheren Stande der pathologisch-anato-
nuschen Lehre Ton der Neuritis, geboten, mit der Diagnose einer Neuritis höchst
vorsichtig und zurückhaltend zu sein und sie nur auf Grund objectiver Symptome
zu stellen.
Herr Meschede spricht über Ossifikationen der weichen Hirnhftute und
berichtet über zwei von ihm bei Geisteskranken beobachtete Fälle dieser Art
Der erste Fall betraf eine 19jährige Geisteskranke, welche im Verlaufe eines
ausgeprägt melancholischen Zustandes von epileptischen Erampfanfällen
betroffen und in Folge derselben gestorben war. Es war stark hereditäre Belastung
mütterlicherseits nachzuweisen; bereits im 10. Jahre hatte sich nach vorhergegangenen
Kopfschmerzen Defluvium capillorum eingestellt; im 16. Lebensjahre hatt« Patientin
einen Anfall von Melancholie durchgemacht. Bei der Section fand sich auf der
Oberfläche des rechten Stimlappens ein 1^/2 cm langes und 1cm breites Enochen-
blättchen der weichen Hirnhäute, welches sich von der Hirnrinde ohne Läsion der-
selben abheben und bei der mikroskopischen Untersuchung deutlich die
Structur wirklichen Knochengewebes erkennen Hess. Ausser dieser grösse-
ren fanden sich noch mehrere kleinere Flättchen auf der Oberfläche der linken
Hemisphäre zerstreut.
Der zweite Fall wurde bei einer an periodischer Tobsucht leidenden
Geisteskranken constatirt. Hier war die Verknöcherung viel umfangreicher und der
Falx anliegend, so dass die Hypothese nicht unberechtigt erscheint, dass durch den
Druck, welchen diese Verknöcherung auf den Sinus ausgeübt haben muss, gelegent-
lich leicht eine Behinderung des Blutabflusses zu Stande gekommen sein kann. Da
wir über die pathologisch-anatomische Grundlage der periodischen Geistesstörung so
gut wie gar nichts wissen, so habe er geglaubt, auch diesen Fall hier kurz mit-
theilen zu sollen.
Herr Goldscheider: Ueber eine neue Methode der klinischen Tempe-
ratursInnsprüfOng. Der Nachweis der Dualität des Temperatursinns 1^ uns die
zwingende Nothwendigkeit auf, die Kälte- und Wärme-Empfindlichkeit gesondert zu
prüfen. Hierfür hat Eulenburg die Bestimmung der eben merklichen Beizgrössen
vorgeschlagen. Die vom Kedner empfohlene Methode beruht darauf, dass der Tem-
peratursinn bezüglich seiner topischen Entwickelung an der Hautoberfläche sehr be-
deutende Unterschiede zeigt, welche direct aas dem jeweiligen localen Nervenreich-
thum resultiren und sich dadurch kennzeichnen, dass ein gleicher Temperaturreiz
örtlich ganz verschieden starke Empflndungen verursacht. Diese Unteischiede haben
bei den verschiedenen Individuen eine so grosse Konstanz, dass man sie zur Basis
der klinischen Prüfung benutzen kann. Zu dem Zwecke wurde von dem Vortragenden
der Kälte- wie der Wärmesinn in seinen physiologischen Abstufungen über die ge-
sammte Körperoberfläche hin studirt. Die vorgelegten Tafeln zeigen für die Kälte-
empflndüchkeit 12, für die Wärmeempflndlichkeit 8 Abstufungen. Ausserdem wurde
eine Anzahl von anatomisch flxirten und leicht auffindbaren Stellen bestimmt, welche
die verschiedenen Abstufungen mit einer genügenden Konstanz repräsenüren und
ziemlich aUe Nervengebiete vertreten, derart, dass an jedem Körperabschnitt die ge-
sammten hier vorkommenden Abstufungen in den ausgewählten Stellen enthalten smd.
Es wurden Abbildungen des Körpers vorgelegt, auf welchen die sämmtlichen SteUen
mit ihrem Stufenwerth eingetragen sind, sowie nach Körperabschnitten geordnete
— 465 —
tabellaiisclie Zosammenstellnngen, welchen Untersucliimgen am eigenen Körper nnd
an 30 gesunden Personen zu Grunde liegen. Das Prinzip der Methode besteht nun
darin, dass hei pathologischer Veränderung des Temperatursinns an einem E6rper-
abschnitt die Prflfungsstellen desselben, yerglichen mit physiologisch gleichstufigen
Stellen gesunder Gebiete, eine zu schwache resp. zu starke Empfindung ergeben,
d. h., dass die an dem erkrankten Eörpertheil Yorhandene Scala von Intensit&ts-Ab-
stufungen eine Verschiebung zeigt. Als Beizobject wird ein einfacher solider Messing-
cylinder an einer Handhabe von Harl^ummi benutzt, welcher fOr die E<esinn-
Prüfung Lufttemperatur besitzt, für die Wärmesinn-Prüfung auf 45 — 50^ über einer
Spirituslampe angewärmt wird, so dass er am Handrücken ein massig starkes Wärme-
gefühl erregt. Derselbe wird folgeweise auf je eine Prüfungsstelle des zu unter-
suchenden Gebietes und eine gleichstufige eines gesunden Gebietes aufgesetzt, und
es wird, wenn sich ergiebt, dass die Empfindung an jener nicht nonnal ist» diejenige
Stufe bestimmt, welcher letztgenannte jetzt äquivalent ist. Die Untersuchung er-
streckt sich hauptsächlich auf die empfindlichsten Stellen des erkrankten Gebietes.
Der Vorzug der Methode besteht in ihrer handlichen und schnellen Ausführbarkeit»
welche es ermöglicht» dass die Prüfung des Temperatursinnes nicht wie bisher eine
besondere Finesse darstellt» sondern in den Bahmen der simpelsten Diagnostik auf-
genommen werden kann. Für feinere Untersuchungen bleibt deshalb doch die Me-
thode der eben merklichen Beize vorbehalten, zu welcher sich bezüglich der prak-
tischen Bedeutung die vorgetragene „topographische'' Methode ungefähr so verhält,
wie die gewöhnlich geübte Ortssinn-Prüfung, bei welcher man den Patienten auf die
gereizte Stelle zeigen lässt, zu der Untersuchung mittelst Tasterzirkel. Die Methode
wurde von dem Vortragenden an dem Erankenmaterial der Herren ProfL Eulenburg
und Mendel vielfältig erprobt.
Herr J. Salgo: Ueber eine Fonn motorisoher Stonuig der Iris. Ausser
der Pupillendifferenz und den myotisch verengten Pupillen kommt eine Innervations-
störung der Irismuskulatur mit besonderer Häufigkeit im VM'laufe der progressiven
Paralyse vor, welche bisher nicht genügend gewürdigt wurde. Diese Störung besteht
kurz gesagt darin, dass die im Zustande der Buhe befindliche Pupille die verschie-
densten von der Kreisform abweichenden Formen zeigt. Die Pupille erscheint drei-,
vier- und mehreckig mit stumpfen Winkeln, oder spaltförmig, wobei der Längsdurch-
messer bald senkrecht, bald quer gestellt erscheint, oder endlich in einer Weise ver-
zogen, wie wir sie in Folge von Synechien zu sehen pflegen. Besonders klar prä-
sentirt sich eine solche Formveränderung, wenn mit dem lichtschwachen Spiegel der
Angenhintergrund erleuchtet wird. Solche Pupillen sind in der Begel nicht starr
und bieten das weitere Interesse dar, dass sich bei Erweiterung resp. Verengerung
die Difformitäten zum Theil oder ganz ausgleichen oder aber anderen Abweichungen
von der Ejreisform Platz machen.
Diese Veränderlichkeit in der Unregelmässigkeit der Pupille legt es nahe, die
erwähnte motorische Störung den andern bei der progressiven Paralyse beobachteten
anzureihen, insofern sie ebenfalls keinen eigentlichen Lähmungszustand bedeutet,
sondern nur eine unregelmässige, unkoordinirte Innervation mit dem Gharacter atak-
tischer Bewegungsstörung.
Discussion: Herr Moeli hat diese Veränderungen vornehmlich bei frühzeitig
bestehender Pupillenstarre beobachtet.
Herr Salgö giebt dies für die meisten seiner Fälle nicht zu.
Section für Ophthalmologie.
Herr Schmidt-Bimpler (Marburg): Beitrag bot Diagnostik der Nuolear-
l&hmnngen. Ein 20jähriges Mädchen kam mit rechtsseitiger Abducenslähmung in
— 466 —
die Marborger Augenklimk. Dieselbe ging unter Entwickelong einer linkss^tigen
Abducenslähmung zurück. Sp&ter traten Symptome der Bolb&rparaljse anf, schliess-
lich totale Lähmung der ganzen Körper- nnd Gesichtsmnscnlatur. Exitns letalis.
Die Section ergab Glioma pontis, das sich in die Cmra cerebelli ad pontem nnd
Fyramidenbündel fortsetzte. Die ganze Entwickelnng, das Fehlen einer Stanongs-
papiUe (nur 2 Tage vor dem Tode traten leichte Hyper&mie nnd Trfibnngen auf)
machten die Diagnose einer Nndeariähmung wahrscheinlich.
Herr Uhthoff (Berlin): Zur Ophthidmoplegia externa. U. stellt zunächst
einen Kranken von 15 Jahren mit beiderseitiger Ophthalmoplegia externa vor. Die
Beweglichkeit beider Augen fast yöllig aufgehoben, mittlere Ptosis, ferner doppel-
seitige leichte Parese des N. facialis. Alle sonstigen Gehimerscheinungen fehleii,
subjectiYes Wohlbefinden. Urin normal. Keine Sensibilitatsstömngen, Function der
übrigen Sinnesorgane normal. Ophthahnosc. nihil, Pupillenreaction, Sehschärfe, Äc-
commodation normal. Die Affection hat sich 7or ca. V« J&hre entwickelt und be-
steht seit der Zeit ziemlich unverändert
Zweitens demonstrirt U. Präparate von einem 3jährigen Kinde, das an allge-
meiner Tuberculose zu Grunde ging. Intra vitam zeigte das Kind neben Gehim-
erscheinungen Ophthalmoplegia externa, d. h. völlige Lähmung im Sinne beider
Nervi abducentes, sehr starke Beeinträchtigung der Beweglichkeit im Sinne beider
B. intemi und ebenso die Beweglichkeit der Bulbi nach oben und unten deutlich
beschränkt, Verhalten der Pupillen normal Als Ursache für die Ophthalmoplegie
findet sich ein haselnussgrosser Solitärtuberkel in der Medulla oblongata. Der Sitz
dieses Tuberkels und sein Yerhältniss zu den Nervenkemen der Augenmuskel erklärt
vollständig den objectiven Befund der Ophthalmoplegia externa. U. zeigt sodann
makroskopisch wie mikroskopisch die einschlägigen Präparate.
Discussion: Herr Göpel (Frankfurt a. d. 0.) macht Bemerkungen über einen
ähnlichen Fall, welcher zeitweise Nachlass der Krankheitserscheinungen zeigte.
Herr Alexander (Aachen) berichtet über 4 Fälle von Ophthalmoplegia externa,
welche er als nucleare Lähmung bezeichnet. Nachdem er bereits früher über die
Lähmung des inneren Augenmuskels mehreres publicirt hatte, welche er jetzt nach
den experimentellen Untersuchungen von Volkers und Hensen, Sattler und Pick
als eine Läsion am Boden des 3. Gehimventrikels bezeichnet, während er die von
ihm beobachteten Fälle von Ophthalmoplegia externa für Herderkrankungen im Aquae-
ductus Sylvii resp. im 4. G^himventrikel hält.
Herr Oohn (Breshiu) demonstrirte die Flora arteflaota ophthalmoplegica,
welche er auch ausgestellt hat. Dieselbe enthält die bei Augenkrankheiten viel ver-
wendeten Topica: Atropa, Hyoscyamus, Goca, Physostigma und PUocarpus, femer die
Purgantia: Aloö, Jalappa, Bheum, Ricinus, Senna und Bhamnus. Die Pflanzen sind
ausgezeichnet künstlich gearbeitet von der Blumenhandlung von Chr. Jauch in
Breslau, unter Controle des Lispectors des botanischen (Wartens Herrn Stein, und
sind mit botanischen, physiologischen und pharmakologischen Erläuterungen vom Vor-
tragenden versehen. Jeder Pflanze ist der von ihr offlcinell benutzte Theil, z. E
die Calabarbohne, das Jalappenharz etc. beigelegt. Die Sammlung dürfte sich iür dm
Unterricht in Augenkliniken empfehlen, da die Pflanzen, deren wirksame Be-
standtheile täglich verordnet werden, selbst ausgezeichneten Ophthalmologen oft nidit
genügend bekannt» sicher aber bisher niemals für die Demonstration zur Hand ge-
wesen sind.
Herr Nieden (Bochum): Fall von Dyslexie mit Seotionsbeftixid. Es
handelt sich um einen Fall von Dyslexie, der bei einem 39jährigen, ganz gesunden
Individuum als einziges Initialsymptom einer schweren Herderkranknng des Ge-
hirns beobachtet wurde, die sich bei der Section als multiple Apoplexie des Corpus
striatum der linken Seite darstellte.
— 467 —
Eine yier Tage dem Tode ToranBgehende leiehte und Torftbergehende Parese
des Facialis und der rechten Extremitäten ohne Farästhesie Hess im Anschloss an
die djsleetischen Erscheinnngen, die sich in einem absoluten Unvermögen, mehr als
3 — 4 Worte zusammenhängend zu lesen, äusserten, die Annahme zu, dass es sich
um eine Herderkrankung, wahrscheinlich in der Gegend der Broca*schen Windung
und des Bewegungsoentrums der rechten Extremitäten handele. Die Autopsie be-
stätigte diese Annahme. Die liiteratur Terf> erst fiber 6 Fälle gleicher Gattung.
Herr Berlin (Stuttgart) freut sich, dass ausser seinen Beobachtungen jetzt
weitere DyslexieflUle mit demselben letalen Verlauf, den er constatirt, yeröffentlieht
wurden. Auch derjenige von Nieden zeigt eine pathologisch -anatomische Verände-
rung der linken Himhemisphäre. Vor zu detaillirter Diagnose warnt er. Femer
hebt derselbe hervor, dass er wie Nieden beobachtete, dass die Patienten einen
ausgesprochenen Widerwillen gegen das Lesen an den Tag legten und möchte das-
selbe als „UnlustgefQhl'' bezeichnen.
Er giebt in folgender Sitzung eine vervollständigte Beschreibung von dem symp-
tomatologlschen Bilde, hebt dabei den Unterschied zwischen der Hebetudo visus her-
vor und bezeichnet als charakteristisch fOr die Dyslexie die Kürze der Leistung,
die Vollständigkeit der Functionsstörung und die Plötzlichkeit des Aufbretens der
Krankheit Dieser letztere Umstand ist schon im Verein mit der leichtesten Störung
des Nervensystems z. B. mit Kopfweh und Schwindel diagnostisch sehr wichtig.
Femer betont Berlin, dass er wiederholt auf die etymologischen Bedenken, welche
dem Ausdmck „Dyslexie^' entgegen stehen, hingewiesen hat. Er habe das Wort den
einmal in der medicinischen Nomenclatur eingeführten Ausdrücken Alexie und Para-
lexie nachgebildet und empfiehlt den Ausdmck der Kürze und Verständlichkeit wegen,
vorläufig beizubehalten, erklärt sich aber von vornherein bereit für eine etwaige
neue Bezeichnung, welche physiologisch mehr befriedigt, ohne das medicinische Ver-
ständniss zu erschweren. Die Ausdrücke „Dysanagnosie"' oder „unvollständige isolirte
Wortblindheit'' scheinen sich doch nicht zu empfehlen.
Section für Otiatrie.
Herr Steinbrügge (Glossen): Ueber Labyrinth-Erkrankimgexi in Folge
von Cerebrospinal-lSieniiigitis.
St. bespricht das Zustandekommen der Zerstörang labyrinthärer Gebilde durch
den der Cerebrospinal-Meningitis eigenthümlichen Krankheitsprocess, auf Gmnd zweier
von ihm untersuchter Fälle, von denen der eine acut und stürmisch, unter dem
ausgesprochenen Bilde der Cerebrospinal-Meningitis, der andere mehr latent und
schleichend verlaufen war. Der Vortragende ist der Ansicht, dass man zweierlei
Vorgänge bei der Zerstörung unterscheiden müsse, nämlich einestbeils die eitrige
Entzündung und anderentheils nekrotisirende Processe, welche letztere namentlich im
Periost der knöchemen Bogengänge durch directe Einwirkung des Krankheitsgiftes
auf die kleinen Gewisse desselben zu Stande kommen. Durch Entstehung von Stase
und Thrombose in diesen erfassen wh*d der Zerfall des Periosts und der an diesem
befestigten häutigen Labyrinthgebilde eingeleitet. Die Nekrose ist daher nicht der
Ausgang des eitrig-entzündlichen Processes, sondern erfolgt primär, und erklärt sich
daraus das frühzeitige Entstehen und unheilbare Persistiren der Taubheit in vielen
Fällen der Cerebrospinal-Meningitis.
Die Zerstörung der Gewebe durch den Eiter wird namentlich durch mechanische
Einwirkung des letzteren bedingt, sobald derselbe in grösserer Menge producirt worden
ist. Die Befunde am N. facialis z. B. beweisen, dass geringere Mengen von Eiter
in der Umgebung dieses Nerven und zwischen seinen Fasem, ohne Symptome zu
erregen, vorkommen können, während in dem zweiten der besprochenen Fälle ein
— 468 —
Theil der Aeosticasfasem dnrch Auseinanderdr&ngen yermitlelst grosserer Eitermengen
zerstört zu sein schien.
Als weiteres Stadium der labyrintharen Erkrankung ist die Neubildung von
Bindegewebe zu betrachten, welche wahrscheinlich wieder den üebergang zur Yer-
knöcherung darstellt
Zum Schluss macht Vortragender auf das eigenthümliche Verhalten dear Tem-
peratur in Fällen sporadischer Cerebrospinal-Meningitis aufmerksam; dieselbe kann
trotz der eitrigen Hirnhautentzündung und beträchtlicher labjrinthärer Zerstörungen
nur vorübergehend erhöht und während längerer Intervalle ganz normal sein, worauf
entweder der Ausgang in partielle Genesung oder neue Recidive, selbst mit letalem
Exitus erfolgen können. Die Wichtigkeit dieses Verhaltens der Temperatur wird
namentlich mit Bücksicht auf taube, der Simulation verdächtige Militärpersonen
hervorgehoben.
Es folgt die Demonstration mikroskopischer Präparate.
Discussion. Herr Barth (Berlin): Bei Meningitis in Folge von Otitis supp.
besteht häufiger 8 — 14 Tage lang vor dem Tode normale, ja subnormale Temperatur,
die vielleicht im letalen Moment noch einmal ansteigt. Wenn bei diesen niedrigen
Temperaturen sich nicht auch die übrigen Erscheinungen bessern, so sind jene em
bedenkliches Zeichen.
Herr Schwartze. MeningitiB ex otitide kann in seltenen Fällen zum Tode
führen, ohne dass 38^ überschritten wird. Dass Himabsceese ohne Fieber verlaufen,
bildet die Begel.
Herr Truckenbrod hat 2 Mal bei Cerebrospinal-Meningitis acute Mittelohr-
Eiterung beobachtet, die er aber nicht als im Zusammenhang mit jener betrachtet,
das Gehör für die tiefen Töne war gut erhalten.
Herr Schwabach erwähnt 3 Fälle von Taubheit nach Cerebrospinal-Meningitis,
darunter 1 Kind von 5 Jahren, das erst vor 3 oder 4 Tagen erkrankt war. Fieber
ist weder vom Hausarzt noch vom Vortragenden beobachtet worden. Im Gegenaatx
zu dem Falle des Herrn Truckenbrod war hier die Hörfähigkeit für die in der
viergestrichenen Octave getragenen Töne erhalten.
Keller (Köln): Die von mir beobachteten, einschlägigen Fälle sind mit Fieber
verlaufen.
Herr Lucae macht darauf aufmerksam, dass die Prüfung der durch Meningitis
taub Gewordenen, besonders von Kindern, auf verschieden hohe Töne nur einen sehr
relativen Werth hat, da die wenigsten dieser Patienten im Stande sind, die wahr-
genommene Tonhöhe richtig anzugeben.
Herr Guye (Amsterdam) fragt an, ob auch diejenigen Fälle, in welchen der
ganze Krankheitsprocess als solcher nach 8 — 10 Tagen vorüber war, als Cerebrospinal-
Meningitis oder als selbständige Labyrinth-Entzündung aufzufassen sind.
Herr Gottstein (Breslau) weist auf die von ihm gemachte Zusanmienstellung
solcher Fälle plötzlich erschienener Taabheit hin, die epidemisch auftraten und be-
sonders zu einer Zeit, wo Cerebrospinal-Meningitis herrschte.
Section für innere Medicin.
Hr. Lennhartz (Leipzig) spricht gegen die anttdotarisohe Behaadlong der
Morphiumvergiftungen mit Atropin. Von 132 Vergiftungsfällen, die Vortra-
gender sammelte, ergaben 59 mit Atropin behandelte Fälle 28^/^ Mortalität^ während
bei 73 anderen nur 15 ^/^ Mortalität verzeichnet wurden. Durch 8 Versuche an
morphiumvergifteten Thieren mit Atropin wurde nicht der geringste Erfolg herbei-
geführt. Die Thiere starben gerade so früh, in 2 Fällen sogar offenbar an dem
cumulativen Effect.
In der Discussion spricht sich Hr. L. Lewin für die Atropinbehandlung aus.
— 469 —
Hr. Naunyn (Königsberg) spricht nach kurzer Auseinandersetzung über den
deneitigen Stand der Iiehre vom Himdruok«
1. Vom Himdruck beim Hydrocephalus spec. dem Hydrocephal. acut. — Die
Cerebrospinalflüssigkeit geht in einem ununterbrochenen Strome durch die Spatia
arachnoidea. Eine Aufstauung dieser kann nur durch Störung der Resorption zu
Stande kommen, dies lehrten N. seine in Gemeinschaft mit Dr. Falkenheim aus-
geführten Versuche. Sie ergaben, dass die Besorptionsgrösse des Liq. cerebrospinal.
eine sehr bedeutende ist, sie hängt Yom intracraniellen Druck ab und wächst mit
diesem ganz gewaltig, bis zu 4 ccm in jeder Minute bei einem Druck, der Himdruck
noch nicht erzeugen kann, die Secretion ist demgegenüber nicht so bedeutend. N.
und F. fanden bei einem Hunde von 25 k 74 <^^ V^^ Minute. Durch Blutdruck-
steigerung in den Himgefössen wurde weder die Resorption noch die Secretion durch
Steigerung des arteriellen Druckes beeinflusst. Hingegen wird die Secretion durch
Verdünnung des Blutes um 20— 50% gesteigert
2. Die Himdruckanfölle beim Hirntumor. — Es treten bekanntlich die eigent-
lichen Himdruckerscheinungen beim Hirntumor anfallsweise ein, obgleich und auch
da, wo die Steigerung des intracraniellen Druckes dauernd, aber ungenügend ist, um
die Himdruckerscheinungen hervorzurufen. Es können diese Anfölle durch Beides,
Sinken des arter. Blutdruckes (seil, in den Himgefässen) und durch plötzliche Stei-
gerung desselben hervorgerufen werden. Die durch plötzliche Steigerung hervor-
gerufenen Anfalle (die N. nach Bergmann und Althaus erklärt) sind weit weniger
gefährlich, wie die durch Sinken des Blutdruckes erzeugten; nur gefährlich werden
können auch sie, wenn gleich nach der Erhöhung des Blutdruckes eine Erniedrigung
desselben folgt. Deshalb ist unter allen Umständen vor dem Aderlass zu warnen,
denn dieser soll nur durch Erniedrigung des Blutdruckes wirken.
Hr. Strümpell (Erlangen) bespricht die Compresslonslfthmungen des
BüokenmarkB. Während man die bei Wirbelerkrankui^en auftretenden Faraplegien
gewöhnlich als Folge einer auf das Rückenmark fortgesetzten Entzündung („Com*
pressionsmyelitis") ansieht, handelt es sich nach den Untersuchungen des Vortr. nur
um mechanische Druckvorgänge. Die histologischen Veränderungen im Rücken-
mark sind hierbei genau dieselben, welche man auch experimentell durch Druck auf
das Rückenmark von Thieren hervorbringen kann. Besonders bemerkenswerth ist
aber, dass ein Druck die Leitung im Rücken bereits zum Theil aufheben kann, ohne
die gröbere Structur der Nervenfasern und Zellen zu ändern. Daher ist zuweilen der
Befund im Rückenmark fast negativ, obwohl zu Lebzeiten des Kranken schwere Para-
plegie bestand. Auch secundäre Degenerationen fehlen in solchen Fällen. Praktisch
wichtig ist aber, dass solche Compressionsstörungen wieder ausgeglichen werden
können, wenn der Druck aufhört. So erklärt sich die zuweilen vorkommende Hei-
lung der Paraplegie bei Wirbelerkrankungen, ohne dass man Degenerationsvorgänge
im Rückenmark anzunehmen braucht.
Discussion: Hr. Renz (Wildbad): Die häufige Heilbarkeit der Gompressions-
myelitis durch spondylitische Peripachymeningitis sei auch der Balneologie sehr be-
kannt; doch komme es hier sehr auf das Stadium der Erkrankung an. Im Stadium
incrementi nehmen die Compressionssymptome gewöhnlich zu; doch dürfe auch da
die Prognose nicht ungünstig gestellt werden. Denn wenn der spondylitische Eiter
einen Ausweg gefunden habe, lasse der comprimirende Druck nach, und man beob-
achte da in scheinbar verzweifelten Fällen, nachdem sie längst den Badeort verlassen
haben und ohne dass sie einen Brennstreif auf den Rückien bekommen hätten, noch
eine vollständige Heilung. — In zweiter Linie möchte R. darauf aufmerksam machen,
dass die gewöhnliche Angabe „intacter" Sensibilität bei Oompressionsmyeliten un-
richtig sei. Die locale Sensibilität sei unterhalb der Zone der Compression fast
— 470 -
stets ebe ▼erminderte, und lasse sach diese Hjpisthesie dnrcli ProfnBg mit
schwachen catanofaradischen Strömen mit Sicherheit nachweisen.
Section für Chirnrgie.
Herr F. Krause (Halle): lieber Vertnderongen der Nerven und des
Bnokenmarks nach Amputation.
Nach Amputation atrophiren nur sensible Nervenfasern in den Nerven der
Stampfe. Die Atrophie besteht darin, dass das Mark seine normalen Beschaffenheiten
und Beactionen verliert und erheblich im Durchmesser verringert wird. Auch der
Axencylinder atrophirt, bleibt aber selbst nach 10 Jahren noch nachzuweisen. Diese
qualitative Veränderung geht bis zum Spinalganglion, oberhalb desselben ist nur
eine quantitative Veränderung vorhanden und zwar eine Verschmälerung dar Hinter-
strange (nach Amputation einer Unterextremität im Lenden- und Bmstmark, nach
Armamputation im Halsmark). Ferner nehmen die Ganglienzellen in den
Clarke'schen Säulen nach Beinamputationen an Zahl ab, ebenso die
Ganglienzellen in der hinteren lateralen Gruppe des Vorderhorns der
Lendenanschwellung. Nach Armamputation ist die Verschmälerung des Hinter-
strangs im ganzen Halsmarke sehr deutlich.
Section fftr Zoologie.
Herr Gustav Joseph (Breslau) spricht über das oentrale Nervensystem
der Bandwürmer. Sein Vortrag gipfelte in folgenden Sätzen:
1) Die beiden EUmganglien der Tanien sind bei manchen Arten (Taenia trans-
versalis des Murmelthieres, T. rhopalocera des Hasen) nicht wie bei vielen Arten nur
durch eine emzige, nämlidi dorsale, Eommisur verbunden, sondern durch 2 Kommi-
euren, eine dorsale und eine ventrale, die durch Grundsubstanz und Muskelaosstrah-
Inngen getrennt sind. Bei T. crassicollis ist die ventrale Kommissur nahe an die
dorsale geschoben, aber noch von derselben geschieden. Schon bei den Trematoden
ist die ventrale Kommisur dflnn.
2) Jedes der Himganglien ist aus 3 Ganglien, nämlich einem mittleren grossen
und je einem dorsalen und ventralen kleineren zusammengesetzt^ die am dentUdisten
bei T. crassicollis, und zwar durch Muskelausstrahlungen von einander getrennt sind.
Jeder der beiden Seiteunervenstämme bat daher drei Wurzeln. Ersteres Moment
erhellt aus Querschnitten durch den Kopf der T. saginata var. triquetra; letzteres
aus Querschnitten durch den Hals der T. crassicollis.
3) In dem Stadium der Finne, in welchem die AussttÜpung des Haftapparates
noch nicht stattgefunden hat, ist das centrale Nervensystem in 6 äquatorial gesteUten
Ganglienzellenhaufen (Qanglienzelle von 0,012 mm Durchmesser, Kern derselben
0,0046 mm Durchm.) angelegt, die später durch Auswachsen bipolarer Fortsatze
zu einem Nervenring mit 2 ans je 3 Ganglienhaufen bestehenden Verdickungen sich
verbinden.
Section für Veterinärmedicin.
Herr Dr. Schmidt -Aachen: Ueber Meningitis oerebro - spinalis der
Binder. Diese Krankheit, deren Ursachen unbekannt und deren Verlauf regelmässig
tödtlich ist, hat in der Literatur eine zutreffende Schilderung noch nicht erfahren.
Sie lässt zwei Stadien erkennen, das der Beizung und das der Depression. Zunächst
sind die Thiere höchst unruhig, schütteln und schleudern den Kopf seitwärts, können
aber schon bis jetzt keine Beiigungen desselben ausführen. Körperwärme, Herzschlag
und Respiration zeigen keine Abnormität. Das Erregungsstadium dauert 12 bis
— 471 —
liöclisteBs SO Stunden. Bald zeigt sich Muskelsteifigkeit, Krampf der Halsmusknlatnr,
welcher jede Kopfbeugnng verhindert und event. mit Kinnbackenkrampf sich verbindet.
Die Thiere stehen theilnahmlos, indessen ist die Psyche nicht getrübt. Allmählich
wird die Haut kalt, die Temperatur sinkt unter die Norm (auf 38^), die Athmung wird
langsam und tief. Vom zweiten Tage ab treten regelmässig auch Zuckangen im
Muse, longissim. dors. auf, welche bald schnell, bald langsamer, etwa 20 pro Minute
erfolgen und allmählich stärker werden. Dazu gesellen sich in den einzelnen Fällen
Zuckungen im Muse, serratus, an den Augenlidern, eigenthümlich hoch aufwärts und
vorwärts gestreckte Stellung des Kopfes, manchmal Lähmung und Gefühllosigkeit der
Yorderschenkel. Nur in einem Fall wurde Genesung beobachtet, wobei die Muskel-
zuckungen noch 4 Wochen lang anhielten; hier stellte sich übrigens am zweiten
Tage eine 24 Stunden dauernde Athembeschwerde ein. In allen anderen Fällen trat
in 6 — 8 Tagen der Tod ein. Die Section ergiebt im ersten Stadium nur Hyperämie,
nach 2 — 4 Tagen bis zu 30 gr röthlich klare Flüssigkeit in den Maschen der Pia
mater und gelatinöse Ablagerungen, besonders in den Sulci der Hirnrinde. In den
Binnenräumen und der Substanz des Gehirns und Marks war nichts Abnormes nach-
zuweisen.
Jede Behandlung ist erfolglost Laxantia wirken prompt, bleiben aber ohne Ein-
fluss auf den Krankheitsverlauf.
Section für gerichtliche Medicin.
Hr. Mendel: Ueber die Vagabondenfrage vom gerlohtsärztliolieii Stand-
punkte.
In der Yagabondenfrage, die seit Jahren lebhaft alle Kreise beschäftigt, sind
die Aerzte bis jetzt wenig zum Wort gekommen. Es ist dies um so auffallender,
als ein Theil der Vagabonden unzweifelhaft nicht durch äussere Verhältnisse, son-
dern durch innere krankhafte Zustände zum Landstreichen und Betteln getrieben
werden. Den Psychiatern sind solche Thatsachen bei Epileptikern, Paralytikern,
Imbecillen, den dkoholistischen Psychosen bekannt. Vor dem gerichtlichen Forum
haben jedoch diese Erfahrungen wenig praktische Anwendung gefunden, woran vor
Allem auch das summarische Verfahren mit den Vagabonden Schuld trägt. Mendel
hat unter den ca. 1000 Detinirten eines Arbeitshauses 85 untersucht, die ohne Aus-
wahl herausgesucht wurden.
Von diesen waren 2 Paralytiker, 4 Paranoiker, 5 hochgradig Schwachsinnige,
8 Epileptiker mit geistigen Defecten, 14 mit chronischen körperlichen Erkrankungen,
die ihre Arbeitsföhigkeit ganz oder theilweise vernichteten. Von den übrigen 52
sind 5 noch anders zu beurtheilen als wie normale Menschen, da sie eine erhebliche
hereditäre Belastung zu Geisteskrankheiten zeigten und im jogendlichen Alter bereits
mehrfach bestraft waren.
Von dem Beste dürften in Betracht kommen besonders noch 2 Fälle, in denen
in der Entlassung aus dem Krankenhause nach schwerer körperlicher Erkrankung die
Arbeitsfähigkeit noch nicht eingetreten war und Betteln dadurch veranlasst wurde.
i Zur Besserung der jetzigen Zustände schlägt M. vor:
1. Die auf Grund des § 361, 3 u. 4 (Landstreichen und Betteln) Angeschul-
digten sind vor ihrer Verurtbeilung gerichtsärztlich zu untersuchen.
2. Diejenigen, die an einer krankhaften Störung der G^istesthätigkeit leiden
(Epileptiker, ImbeciUe, chronische alkoholistische Psychosen), sind den Irrenanstalten
resp. Epileptikeranstalten zu überweisen. Da diese Kranken fast durchgängig un-
heilbar sind und kurze Zeit nach der Entlassung immer wieder in das Arbeitshaus
gebracht werden, so werden die Kosten der Unterhaltung, die für Irrenanstalt, wie
für Arbeitshaus, bei uns die Provinz zu tragen hat, nicht vermehrt Eine grosse
Beihe eignet sich für coloniale Verpflegung. Durch dauernde Beaufsichtigung
— 472 —
wird den Kranken genfitzt, das Pnbliknm aber vor einem erheblichen Bmchtheil der
Vagabonden bewahrt.
3. Chronisch körperliche Kranke nnd dadurch arbeitsunfähige Vagabonden sind
den Kommnnen zur entsprechenden Unterstfitzung zn fiberweisen.
4. Ffir die Beconvalescentenpflege nnd Entlassung ans den Krankenhäusern ist
in entsprechender Weise zn sorgen.
Die Discnssion, an der sich die Herren Bär, Falk, Littaner, Lissner,
Seydel betheiligten, bekundet eine wesentliche Uebereinstimmung mit den Anschau-
ungen des Vortragenden.
In der Section ffir Gynäcologie
hielt Herr Schramm einen Vortrag fiber EaBtration bei Epilepsie nnd bejaht
die Frage, ob die Kastration gesunder Oyarien durch Herbeiffibrung des kfinstlichen
Klimacterium sich als Heilmittel erweisen kOnne. Er schildert zwei schwere Falle,
die nach Ablauf von l^s resp. 1 Jahr gänzlich hergestellt worden.
Herr Schröder: Ueber Kastration bei Neurosen. Er glaubt, dass die
Frage, ob die Entfernung gesunder Ovarien bei Neurosen Vortheil bringt, nnr durch
die Erfahrung entschieden werden kann. Er hat 12mal aus dieser Indication opeiirt,
von diesen sind 3 mit sehr gfinstigem Resultat bereits S^s» 7 und 5 Jahre alt;
die fibrigen lassen sich noch nicht verwerthen.
Es können also schwere Neurosen durch die Kastration gesunder Ovarien heilen.
In der Discussion fiber die beiden Vorträge hebt Herr He gar hervor, dass
auch er die Kastration gesunder Ovarien wegen Neurosen nicht verwerfe, aber die
Gegenwart einer mit der Neurose in causalem Zusammenhang stehenden pathologischen
Veränderung im Sexualapparat verlangt.
Während Herr Freund fiber einen Fall von ovaneller Hysterie berichtet, welcher
durch Entfernung des dermoiden Tumors des linken Ovarium nicht geheilt worden
ist, stimmen Herr Olshausen, wie Herr Gusserow Schröder bei, dass schwere
Neurosen (Epilepsie u. s. w.) durch die Entfernung beider gesunder Ovarien geheilt
werden können.
Herr Landau hat 4 Fälle beobachtet, in denen die Kastration ohne jeden Effect
war bezfiglich der Schmerzen. Er, wie Schröder, betrachten die Ovarie als eine
centrale Erkrankung.
Herr Sänger hebt die Menstruation als Veranlassung zum Ausbruch eiotf
Neurose hervor, was Herr Hegar fraglich gelassen hatte.
IV. Vermischtes.
Die Latah-Krankheit der Malaien. Zur VervoIlBtändigung der Literator über
„Latah" oder ,»Midi-Mali", jenen eigenthümlichen pathologischen Zostand, in dem der Patient
ahnlich wie in der Hypnose trotz seines lebhaften Widerwillens Alles nachmachen moss»
was ihm vorgemacht worden ist, sei hier darauf hingewiesen, dass sich ein Referat Ober
eine spanische Arbeit der DDr. Armangu^ und Maser as (Ija Ooeanla Espafiola» Vanila»
October 1885.) im Qlobas, Bd. 49, Nr. 24, 8.376 befindet V^ auch O'Brien io den
Archives de Nearulogie. VUI. 1885, und dieses Centralblatt 1883 S. 288, 1884 S. 280 n. 426,
1885 S. 161. Sommer.
Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten.
Einsendungen fftr die Bedaction sind zu richten an Prof. Dr. E« Mendel,
Berlin, NW. Kronprinzen-Ufer 7.
Verlag von Vbit & Comp, in Tieipzig. — Druck von Mktzgkb ft Wittio in Leipzig*.
Neurologisches Ceotralbutt.
Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie
und Therapie des Nervensystemes einschliesslich der Geisteskrankheiten.
Herausgegeben von
Professor Dr. E. Mendel
Fftnfter ■" ^^ Jahrgang.
Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 16 Mark. Zu beziehen durch
alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie
direct von der Yerlagsbuchhandlnng.
^-^— ^ I n » - -^ - IM »^^^^»^^»^ ■ - - _i I I ■ ■ ^■^_^_^>^*i^^i^B^^^i^^M^W^^i^^a^^^B^^^^^^^^^^^i^^h^^
— ' - — . . . < . — . , ■ ' ' ■ ■ ■ ■ » .^ ■■ — I ■ "i ■ ^ ^^^^^^^^m,^^^^^
1886. 15. October. M 20.
Inhalt. I. Origintlmittheilttngen. 1. Beitntf zur Localisation des PateUanehnea-
reflexes nebst Bemerkungen zur Degeneration des Hinterhoms bei Tabes dorsalis, Ton Dr.
Ed. KrattSS. 2. Ueber eine frflhe Störung der Sensibilität bei Dementia paralytioa, von Dr.
Tb. Ziehen.
II. Referate. Anatomie. 1. Untersuchungen über die motorischen Nervenendigungen
der quergestreiften Muskelfasern, von Miura. 2. The Intra-azial oourse of the Auditoiy
Tract, by Spitzka. — Experimentelle Physiologie. 8. Influence du syst&me nerreux
suT la nutrition des tissus, par Lewaschew. — Pathologische Anatomie. 4. A ease in
which a lesion of one hemisphere of the cerebellum was associated with degeneration of
the olivary body of the opposite side. by Dudley. 5. Ueber einen Fall von Porencephalie, von
Blnswanger. — Pathologie des Nervensystems. 6. Beriberi, von Tscholowskl. 7. Con-
tribution a l'ätude de la n^vrite multiple, par Frartcotte. 8. Hyperaesthesia plantae bilateralis,
af Laache. 9. Trophische Störung im Verästelangsgebiete des linken N. supraorbitalis, von
Dechterioff. 10. A contribation to the localization of focal lesions in the pons-oblongata
transition, by Spitzka. 11. A case of abscess of the occipital lobe with hemianopsia, by
Janeway. 12. A case of panüysis of the trigeminus, foUowed bv alternate hemiplegia, its
relations to the nerve of taste, by Dana. 18. A case of haemorrhage into the crura cerebri
with remarks, by Rlekards. 14. Sur la maladie des tics convulsifs, par Gulnon. 15. Etüde
Bür les contractures provoqn^es ohes les hyst^ques a T^tat de veille, par Desciibes. 16. Note
sor les lones l^thargofi^niatrices chez les hyst^riques, par Bianc-Fontenllle. — Psychiatrie,
lt. Consid^rations sur la Morphinomanie, par Plchon. 18. Du d^lire chez les diginMs, par
Legrain. 19. Report of a case of melancholia with Stupor of five years dnration, hj Wllsey.
20. Gontributo allo studio degli epilettici, pei Clvldalll e Amati. 21. Gontributions a Tetude
des hallucinations alcooliques, nar MIerzeJewsM. 22. Ueber einige nach epileptischen und
äpoplectischen Anfallen aunretenae Erscheinungen, von FOrstner. — Therapie. 28. Alopecia^
the result of lesion of trophic nerve center, by Overall.
Ili. Bibiioflraphle.
I. Originalmittheilungen.
1. Beitrag zur Localisation des Patellarsehnenreflexes
nebst Bemerkungen zur Degeneration des Hinterhoms bei
Tabes dorsalis.
Von Dr. Ed. ExausB.
Seit dQr Yeiöffentlicbang der Arbeiten von Westphal und Ebb über die
Sehnenphänomene hat die Frage nach der (Genese, diagnostischen Bedeutung
— 474 —
und anatomischen Grnndlage deiselben das Interesse der Nenropathologen in
hohem Grade in Ansprach genommen. Indem wir ans hier Torwiegend mit
der Frage nadi dem anatomischen Sitze des wichtigsten dieser Sdmenphanomene,
des Eniephanomens oder, wie es meist genannt wird, des Knie- oder Fatellar-
sehnenreflexes beschäftigen wollen, sei 2xiTor mit einigen Worten der diagnos-
tischen Bedentang dieser Erscheinang gedacht Westphal^ hat zaerst in einer
aasgezeichneten Arbeit die Bedeatnng dieses Symptoms for die Diagnose der
Tabes hervorgehoben, indem er fand, dass in allen Fällen, die sich klinisch
dentlich als Tabes charakterisiren, das Eniephänomen constant fehlt and dass
dieses aach for die initialen Fälle Geltang habe. Erb* hat schon in seiner
ersten Arbeit einen Fall Ton Ataxie mit erhaltenen Patellarreflexen erwähnt; in
seinem Lehrbach betont er die Wichtigkeit des Fehlens der Patellarrefiexe für
die Diagnose der Tabes, fügt jedoch za dem obigen Fall 2 weitere Fälle hinzu
— es handelt sich bei diesen am initiale Tabes — , in denen diese Reflexe vor-
handen waren. Bebqeb' konnte in seiner Arbeit über Sehnenreflexe im All-
gemeinen die Angaben von Westphal bestätigen, macht jedoch darauf auf-
merksam, dass das Fehlen der Patellarrefiexe auch für die Fälle von vorge-
schrittener Tabes nicht als ein ausnahmslos gültiges Symptom zu betrachten sei,
die Patellarrefiexe in 2, 4 p. c. der Fälle von typischer Tabes vorhanden seien.
Andere Autoren haben ähnliches gefunden, so Fisgheb, Hu0hss, Leyben,
FouBNiEB, Stbümpell, Hibt, Westphal etc.
Aus dem Mitgetheilten wird die grosse Bedeutung des Patellarsehnenreflexes
für die Diagnose der Hinterstrangserkrankung zu entnehmen sein; es wird sich
die Frage erheben, ob eine bestimmte Stelle des Hinterstranges . mit dem Knie-
phänomen in Beziehung steht Westphal wies in seiner oben genannten Arbeit
nach, dass, wenn die Degeneration der Hinterstrange sich bis in den unteren
Brust- und Lendentheil erstreckt, dies Phänomen verschwindet; er zeigte in seinen
späteren Arbeiten,^ dass hierbei die äusseren Abschnitte der Hinterstränge und
zwar die Wurzelzonen in Betracht kommen. In einer jüngst erschienenen Arbeit^
bezeichnet er nur einen Theil der Wurzelzone, die von ihm als „Wurzeleintritts-
zone'' bezeichnete Gegend am Uebergang vom Brust- zum Lendenmark als von
Bedeutung für das Fehlen des Patellarreflexes. Diese Wurzeleintrittszone wird
begrenzt „nach innen durch eine Linie, welche man sich dem hinteren Septum
parallel durch den Punkt gezogen denkt, in welchem die das Hinterhom be-
kleidende Substantia gelaünosa nach innen zu einen Knick, einen nach innen
einspringenden Winkel bildet; nach hinten bildet die Grenze die Peripherie des
Rückenmarks, nach aussen die die innere Seite des Hinterhoms bekleidende
' Westphal, Ueber einige doroh meohaniBche EiswirkiiDg auf Sehnen and Hoskeln
hervorgebrachte Bewegongserscheinnngen. Areh. f. Psych. Y. 8.
' Ebb» Ueber Sehnenreflexe bei Oesunden und bei Büokenmarkskranken. Archiv för
Psychiatrie. V. 8.
* Bbbobb, Ueber Sehnenreflexe. OentralbL f. Nervenheilk. 1879. IL 4.
* Wbstphal, Ueber das Verschwinden und die Localisation des Kniephänomeos etc.
Berl. klin. Wochenschr. 1881. Nr. 1, ferner Arch. f. Psych. XV. 3 n. XVI. 2 n. 3.
* Wbstphal, Ueber Fortdauer des Kniephänomens etc. Arch. f. Psych. XVU. 2.
— 475 —
Snbstantia gelatinosa und der Eintritt der hinteren Wurzeln in die Spitze des
Hinterhoms (resp. in die Snbst gelatinosa)'^ Wbstphal erwähnt nnn 5 Fälle
von Hinterstrangerkrankung, die für diese Frage von Wichtigkeit sind. Im
ersten Falle waren die Patellarreflexe bis zum Tode erhalten, die Wurzeleintritts-
zone intact, im zweiten Fall erreichte die Degeneration dieses Feld, der Patellar-
sehnenreflex war 22 Tage vor dem Tode verschwunden, im dritten Fall war
2 Monate vor dem Tode der Patellarreflex erloschen, die Degeneration dem-
entsprechend weiter in die Zone vorgerückt; ähnlich verhielt es sich im vierten
Falle, während im fünften Falle, in dem die Ausbreitung der Erkrankung am
weitesten vorgerückt war, der Beflex seit 5 Jahren gefehlt hatte.
Bei der geringen Zahl derartiger Fälle dürfte es wohl angezeigt sein, neues
Material herbeizubringen und in Bezug auf jene von Wbstphal ang^bene
Topographie zu vergleichen. Ein auf der Erankenabtheilung des Breslauer
städtischen Armenhauses (t Prof. Bebgeb) zur Section gelangter Fall, der für
diese Frage von Interesse ist, erlaube ich mir in Folgendem kurz mitzutheilen.
A. K., 61 Jahre alt, Schmied, aufgenommen am 21. Februar 1880, gestorben
am 26. Nov. 1882.
Anamnese: Als Kind hat Patient Pocken und ein nervöses Fieber fiberstanden,
war sonst stets gesund bis zum Jahre 1865. In diesem Jahre wurde er angeblich
in Folge einer Erkältung in seinem Berufe — er setzte sich eines Tages leicht be-
kleidet und erhitzt dem kalten Herbstwetter aus — von einem Bfickenmarksleiden
befallen. Blitzende Schmerzen im Bücken und in den Beinen, besonders Nachts,
Blasenbeschwerden (Dysurie) und Obstipation stellten sich neben beträchtlicher Gang-
störung ein, so dass Patient dieses Leidens wegens in den folgenden Jahren öfters
das Spital auüBuchte. Die Augen sind seit dem Beginn seiner Erkrankung „blöde".
Ein bei seiner Aufnahme festgestellter Status ergab Folgendes:
Mittelgrosser, kräftiger Mann, mit gut entwickelter Musculatur, klagt über
scbiessende Schmerzen in den unteren Extremitäten, besonders Nachts und über
Schmerzen quer in der Bippengegend.
Schädel auf Druck nirgends schmerzhaft ohne Difformität. Beide Pupillen
stecknadelkopfgross, auf Licht fast gar nicht reagirend, dagegen auf Accommodation.
Im Bereich der Himnerven nichts abnormes. Chronischer Mittelohrkatarrh.
Die oberen Extremitäten zeigen vollkommen intacte active und passive
Motilitäi Tast- und Baumsinn vollkommen normal, desgleichen Muskelsinn; dagegen
findet sich Analgesie vor, indem auch tiefe Nadelstiche nicht schmerzhaft empfunden
werden. Mechanische Muskelerregbarkeit erhalten.
Bumpf: Sensibilität intact, nur an der unteren Hälfte des Bückens findet sich
Ana^esie. Beiderseits deutliche Bauchrefiexe. Dämpfung an der linken Lungenspitze,
auch auscultatorisch die Zeichen eines Katarrhs. Herzdämpfong nach links ver-
grössert, diastolisches Geräusch entsprechend dem zweiten rechten Intercostalraum
und auf dem Stemum. Pulsus celer. Abdominalorgane normal. Urin frei von
Zucker und Eiweiss.
Die unteren Extremitäten in gutem Emähnmgszustand und gleichfalls ohne
Störung in Betreff der activen wie passiven Beweglichkeit. Die Sensibilität verhält
sich wie an den oberen Extremitäten, indem tiefe Nadelstiche nur als Druck empfunden
werden. Patellarreflexe beiderseits in erhöhtem Grade vorhanden, schwache Achilles-
sehnenrefiexe. Plantarreflexe vorhanden. Links schwacher Cremasterreflex, re<dits
fehlend.
- 476 —
. Im weiteren Verlauf ergab sieb» dass Anfang Juli 1881 der ünksBeitige Patellar-
reflex schwächer wurde und Ende Juli dieses Jahres nicht mehr hervorgebracht
werden konnte. Am 21. Juli 1881 ergab sich folgender Status:
Kopf: Klagen über zeitweise auftretende reissende und zuckende Schmerzai in
der Stirn und Schläfengegend. Gedächtniss angeblich schwächer. Hochgradig«
Myosis mit reflectorischer Fupillenstarre. Sehnerv und Netzhaut durchaus normal,
vor allem keine Entfärbung am Sehnerv. Netzhaotgefösse gleichfalis normal. Die
Venen vielleicht etwas stärker injicirt wie gewöhnlich. Im Bereich der UimnenreD
keine Störung.
Obere Extremitäten: Häufige blitzartige Schmerzen von der Schulter bis in
die Finger^ besonders in die drei ersten Finger mit krampfhaften Zusammenziehmigen.
Formicationen und Taubeein aller Finger mit Ausnahme des Daumens. Kältegefühl
entlang dem Dorsum manus bis zum unteren Drittel des Vorderarms sich erstreckend.
Abnahme der Schmerzempftndung an den Händen und Vorderarmen, sonst ist die
Sensibilität normal. Muskelsinn vollkommen erhalten, elektromusculäjre Contractilität
normal.
Rumpf: Herzdämpfnng nach links verbreitert; rechts vom Stemum in der
Gegend der zweiten Rippe fühlt man einen apfelgrossen, deutlich pulsirenden Tumor.
Diastolisches Greräusch daselbst nach der Herzspitze hin abnehmend. Die Herztöne
sonst normal Urin frei von Eiweiss und Zucker. Lungen, gleichwie Digestions-
organe normal. Oft Tenesmus, leichte Ischurie.
untere Extremitäten: Häufige, anhaltende, besonders nächtliche, neuralgische
Schmerzen an verschiedenen Stellen des Beines, bohrend mit lebhaften Zuckungen.
Formicationen in beiden Füssen und Unterschenkeln. Grosse Müdigkeit der B^e,
doch kann er mit Unterbrechungen stundenlang gehen. Gang breitspurig, leicht
paretiBch, nicht atactisch. Kein Schwanken beim Augenschluss. Kann, wenn auch
mit Mühe, mit geschlossenen Augen einen Stuhl besteigen. Musculatur schlau^ schlecht
entwickelt, ohne locale Atrophie mit guter elektrischer und mechanischer Erregbarkeit
Elektromusculäre Contractilität erhalten. Im Fuss-, Knie- und Hüftgelenk sind zwar
die Bewegungen, aotive wie passive, ausführbar, aber sie erfolgen langsam, mit ge-
ringer Kraft und können leicht untersucht werden. Keine Ataxie der Einzelbewegungen.
Grosse Schwierigkeit, das ausgestreckte Bein frei zu halten, dabei ziemlich starker
Tremor mit stärkeren klonischen Zuckungen in der Ober- und Unterschenkelmuscnlatur,
so daBs das Bein unwillkürliche, unregelmässige Bewegungen macht Tastsinn in allen
Qualitäten ganz normal, ebenso der Muskel- und Kraftsinn. Dagegen beträchtliche
Analgesie bis zum unteren Rand der vierten Rippe nach aufwärts sich ersia-eckend.
Patellarreflex rechts schwach, aber deutlich, links nicht vorhanden. Mechanische
Erregbarkeit des Quadriceps ungestört Achillesreflexe fehlen. Plantarreflexe vorhanden.
Im weiteren Verlauf traten die Herzbeschwerden mehr in den Vordergrund,
Herzklopfen und Dyspnoe stellten sich ein, October 1882 Oedem der unteren Ex-
tremitäten. Vom 24. October 1882 fehlte bis zum Lebensende auch der rechtsseitige
Patellarreflex. Im Uebrigen verblieb der Status unverändert. Unter Zunahme der
Dyspnoö, Auftreten von Oedem an den oberen und unteren Extremitäten erfolgte am
26. NoY. 1882 der Exitus letalis.
SectionsprotokoU (sec. 27. Nov. 1882):
Starke Todtenstarre. Hinten zahlreiche diffuse Todtenflecke. Pupillen beider-
seits sehr enge. Beide Unterextremitäten zeigen starke ödematöse Durchtränkung
des Unterhautzellgewebes. Abdomen etwas aufgetrieben.
Schädeldach symmetrisch. Dura an ihrer Innenfläche feucht Gefässe der Pia
stark iigicirt Leiditer Hydrops meningeus und ödematöse Durchtränkung der Hhn-
Substanz. Seitenveii^nkel nicht erweitert. An Grosshim, Pens, Medulla oblougata
und Kleinhirn niehts Abnormes. Die Optici weiss, vollkommen normal , desgleichen
die übrigen Himnerven.
— 477 —
Die Innenfläche der Dnra nater spinalia ist rosaroth and xeigt abnorm reich-
liebe Vascolarisatitm, sowie dflnne, membranOee Verbindung;en mit den weicben Hänten.
Diese Letzteren sind gleichfalls injicirt. Auf zablreichen Qnerachnitten ergiebt sich
normale Beschaffenheit des Balamarkes nnd des oberen nnd mittleren Abschnittes des
Brastmarkee. Im untersten Theile desselben findet sich eine sehr dentliche, BtilziKe
grane Beschaffenheit der Hinterstr&nge mit Ausnahme eines erhaltenen vorderen
Saumes. Das Lnmbalmarh erscheint makroskopisch normal, desgleichen die vorderen
und hinteren Wurzeln.
Anatomische Diagnose: Degeneratio grieea fmücnlomm poster, mednll. spin,
dorsalis. Oedema cerebri. Aneurysma sacciforme magnnm arcns Aortae eztraperi-
cardiale. Endarterütis chronica gravis Aortae et arteriar. totius corpor. Insnfflcientia
valv. Aortae. Bypertrophia et dilatatio praecipae ventricnli sin. Pleuritis adhaesiva
totalis bilateraÜB. Emphjsema et induratio mbra pulmonum. Oedema pulmonum.
Indoratio lienis et renum. Perisplenitis. Hepar moschatum. Cystitis parulenta.
Hydrops anasarca.
Mikroskopische Üntersnchnng.
Diese wurde an den in Celloidin eingebetteten Bückenmarkstbeilen voi^^enommen,
das Lnmbalmark nnd untere Brustmark wurde in Stufen von '/i ^^ oatersuchi
Im Sacralmark und im unteren Lumbaimark vollkommen normale Yer*
hältnisse.
Im mittleren Lendenmark ist das vordere nnd hintere Drittel normal, das
mittlere Drittel mit ausnähme eines Saumes an der Piss. long. post. und am Hinterbom
leicht degenerirt; es findet sich hier ein verbreitertes QUagewebe mit runden Kernen
und eine entsprechende Abnahme der Nervenfasern. Die durch den, Hinterstrang ziehen*
den Wurzel/asem zum Tbeil leicht verdflnnt. Hinterhom und Bandzone normal, dee-
gleichen hintere Worzeln, Pia mater und der flbrige Querschnitt
Fig. 1.
Fig. 8.
Fig. 8.
Oberei Lendenmark.
Uebei]enDgHZone vom nnteren Doml-
theu in die LeodenanschwellnDg.
Unteres Dorsalmark.
Im oberen Lendenmark (Fig. 1) derselbe Befand.
An der Uebergangsstelle vom Lendenmark zum unteren Dorsaltheil
(Fig. 2) findet sieh eine leichte keilförmige Degeneration des inneren Hinterstranges.
Die D^eneration reicht nach aoSBen hin etwas in die Wnrzeleintrittszone hinein;
anaserdem findet sich eine ansgesprocbene Degeneration in Form je eines kleinui
dreieckigen Fleckes nach innen von der Bintrittsatelle der hinteren Wurzeln (Fig. 2a).
Links ist die Degeneration etwas Üefer wie rechts.
Die Clarke'schen Säulen in ihrer inneren H&Ifte leicht degenerirt, desgleichen
die in das Hinterhom einstrahlenden Wnrzelfasem, sonst Hinterhom normaL Indem
nun die Hinterstrangdegeneration nach oben stetig zunimmt, erreicht sie in der HOhe
des achten Brustnerven (Fig. 3) ihre grösste Intensität. Hier ist eine exquisit
deutlicbe, offenbar schon lange bestAndene Degeneration fast des gesammten Hinter-
strangs vorhanden mit Ausnahme eines schmalen Saumes längs der Hinterhßmer und
- 478 -
«inea etwas breiteren &n der Commiasura postar. Die Clsrke'schen Säulen sind bis
änf einen scbmalen sosaeren Saum degenerirt und treten schon makroekopiscli bei
Weigert'scher Färbung dnrcb ihre Blässe hervor. Die Degeneration ist längs der
Fisa. long. post. geringer and findet sich dort noch ein schmkler, nach hinten gegen
die Peripherie sich verbreitemder Saum. Eine schwache Degeneration ist in äea
hinteren äosseren Feldern, besondere der linken Seite, vorhanden. Ein Theil der in's
Hinterbom ziehenden Worzelfsaem (die lateral gelegenen) sind intact, während die
inneren degenerirt sind. An der hinteren Peripherie findet aiiA im Oebiete dee
degenerirten Keils wne grössere Zahl Nervenfasern von. Das Hinterbom, abgesehen
von Clarhe'schen Säulen und EinstrahlnngBbflnde], intact; desgleichen, wie es scheint,
die Bandzone. Die histolo^schen Details ergeben ein derbes mit runden Kernen ver-
sehenes Gliagewebe, das relativ spärliche Lücken aufweist, in denen sich blasse Zellen
mit kleinem, rundlichem Kern vorfinden, sosserdem eine massige Mengo von Corpora
amylacea nnd verdickte, mit hyaliner Wand versehene Capillarea. Die grösseren G«-
ßsse nicht wesentlich verdickt. Pia normal. Die Degeneration nimmt nach ansäen
und vorne ab, erstreckt sich jedoch in geringem Qrade annähernd bis an den Hinter-
hordrand einerseits, die Commiasura poster. andererseits. Hintere Woneln vor dem
Eintritt in's Bflckenmark deutlich d^enerirt, nur spärliche Kervenfasem noch vor-
handen. Beide Seitenstränge leicht degenerirt
Die D^neration des Hinter- und Seitenstranges nimmt nach aufwärts ziemlich
Bchnell ab, so dass im mittleren Brnstmark (B^. 4) eich nnr eis schmaler
Degenerationsstreifen in beiden äusseren Hintersträngen vorfindet, vom Hinterhora
durch einen normalen Sanm getrennt Die hinteren Wnnelfasem nnd die Clarke'schen
Säulen nur leicht degenerirt
Kg. 4. Rg. 6.
Hittlerei Bnutmark. HalMmohwelliov.
Im mittleren Halsmark (Fig. 5) am Anssenrand der äoll'schan Stiftnge ein
schmaler, laicht degenerirter Streifen, der flbrige Querschnitt nonoaL
Das obere Halsmark normaL
Der N. ischiadicns nnd die Hnacnlatur dea Oberschenkels ohne BescmderheiL
Der mi^theilte Fall ist daduicb ganz besonders interessant, weil hier nntet
den Auges des Arztes bei einem den Srniptomencomplex einer chronischeD
Bfickenmarkskrankheit darbietenden Manne oa. V|^ Jahi vor dem Tode das
Schwinden dea linksseitigen Patellairefiexee nnd ein Monat vor dem Tode des
rechtsseitigen Beflexea beobachtet werden konnte. Waren anch kurze Zeit vor
dem Gxitns letalis die für Tabes charakteristischen Hauptsymptome vorhanden,
iirie das Fehlen der Pat«llarreflexe, die reäeotorische Papillenstarre, neoralgi-
forme Schmerzen, Analgesie, so machte doch das gesammte kliuiadie Bild, das
Fehlen einer eigenUichen Atexie, die vorhandene Parese der Beine die Annahme
emer ein&chen ancomplicirten Tabes nnwahrscheinlich. In der That ergab eine
genaue anatemische üntersDchnng eine Betheihgang beider Seitenstränge neben
einer intensiven Hinterstrangerkranknng im unteren Brnstmark. Nach oben und
— 479 —
unten nahm die Degeneration ziemlich rapid ab, 80 dass im Lendenmark und
Halsmark nur eine äusserst geringe Erkrankung der Hinterstrange wahrnehmbar
war, während die Seitenstrange normal waren. Die erkrankten Abschnitte be-
treffen den inneren und einen Theil des äusseren Hinterstranges derart, dass
am Uebergang des unteren Bmstmarks in die Lendenanschwellung die Gegend
der „Wurzeleintrittszone'' mitergriffen ist Hier ist einmal ein kleines degene-
rirtes Feld an der inneren Seite der hinteren Wurzeln nachweisbar, sodann
ergreift das innere Degenerationsgebiet nach aussen hin schon diese Zone.
Der mitgetheilte Fäll entspricht vollkommen der WESxPHAii'schen Annahme,
dass Degeneration der Wurzeleintrittszone am Uebergang des Dorsaltheils in die
Lendenanschwellung den Patellarreflex zum Schwinden bringt Allerdings ist
die Zahl der in Bezug auf jene Localisation des Patellarreflexes publicirten Fälle
noch eine äusserst spärliche, so dass eine reservirte Beurtheilung angebracht
erscheint. Ist es doch a priori keineswegs unumgänglich nothwendig, dass der
Verlust des Patellarreflexes bei der Tabes dorsaüs allein und ausschliesslich in's
Kückenmark zu verlegen ist Wsstphal hat in seiner letzten diesbezüglichen
Arbeit die Bedeutung der Atrophie der extramedullären hinteren Wurzelfasem
hervorgehoben, wenngleich er nicht annimmt, dass in ihrer Erkrankung die
alleinige Ursache des Schwindens des Kniephänomens gelegen sein kann. Aber
selbst wenn wir das Schwinden des Kniephänomens nüt dem Hinterstrang in
Verbindung bringen, so wird es sich erst aus einer grösseren Anzahl Fälle
entscheiden lassen, ob sich dieses stets an jene oben bezeichnete Stelle knüpft
oder ob auch hier individuelle Schwankungen vorkommen.
Es sei mir gestattet, im Anschluss hieran einige kurze Bemerkungen zur
Degeneration des Hinterhorns bei Tabes dorsaüs hinzuzufagen. Die
Veränderungen desselben sind kürzlich in zwei vorläufigen Mittheilungen und
einer ausfOhrlichen Arbeit von Lksaueb^ beschrieben worden. Ich kann nach
meinen bisherigen Untersuchungen die Befände dieses Autors vollkommen be-*
stätigen, wie dies zum Theil aus einer früheren Mittheilung^ in dieser Zeitschrift,
in der ich in Betreff der Glarke'schen Säulen einige neue Mittheilungen machen
konnte, hervorgeht Hinzufügen möchte ich, dass die Veränderungen an der
Basis des Hinterhorns im Cervicalmark, d. h. der Schwund der Ein-
strahlungsbündel wie des feinen Fasemetzes daselbst — der Substantia spon-
giosa entsprechend — in einzelnen meiner Fälle ausgesprochener war und hier-
durch dieser Abschnitt durch Faserarmuth sich von der Umgebung deutlich
abhob, wenngleich allerdings so prägnante Bilder wie durch Degeneration d^
Glarke'schen Säulen im Brustmark niemals erzielt wurden.^ Femer möchte
ich auf die Degeneration longitudinaler Bündel grober markhaltiger
1 LiBSAüSB, Foitsehr. d. Medidn. 18S4. Nr. 4. — Derselbe, Nenrolog. Centralbl. 1885.
]^T. 11- — Derselbe, Beitrag srom Faserverlanf im Hinterhom etc. Arch. f. Psych. XVn. 2.
' Kbauss, Nenrolog. Centralbl. 1885. Nr. 8.
* Lbtdbn und Stbümpbll haben gleichlftlls Atrophie der Basis des Hinterhorns im
Halsmark in einzelnen Fällen von Tabes beobachtet.
— 480 —
Nervenfasern in der oberen Cervicalanschwdlong an der Basis des Hinterboms
(meist etwas hinter der Ebene des Gentralkanals) oder auch in dem inneren, an
das Hinterhom anstossenden Prooetsos retioalaris aufmerksam machen. Nach
oben und unten fehlte diese Degeneration, sie beschrankte sich, wie gesagt, in
meinen Fällen — es sind dies drei — anf die obere Oervicalschweliaug. Wahr-
scheinlich haben wir es hier mit Fortsetzungen hinterer Wurzelfasem zu thun.
Breslau, den 8. September 1886.
2. üeber eine frühe Störung der Sensibilität bei
Dementia paralytica.
Von Dr. Th. Ziehen, Assistenzarzt der psychiatrischen Klinik in Jena.
Bei Gelegenheit eingehender Sensibilitatsuntersuchungen bei Geisteskranken
fand ich mehrfach bei der progressiven Paralyse der Irren, dass ein Nadelstich
zwar momentan richtig localisirt wurde, dagegen auffallend erhebliche Locali-
sationsfehler sich einstellten, wenn zwischen Stich und Localisation eine Pause
von 15 Secunden oder mehr lag. Ein Vergleich mit Gesunden ergab, dass hier
solche Pausen den Localisationsfehler nur unerheblich steigerten. Bei sogenannten
„emfachen Seelenstörungen" stieg gleichfalls im Allgemeinen der Localisations-
fehler nach selbst 30 Secunden Pause höchstens um die Hälfte des Fehlers bei
momentaner Localisation. Dabei blieb freilich als unvergleichbarer Factor der
verschiedene Grad der Aufmerksamkeit für die Beurtheilung störend: in der
That zeigt ein unaufmerksamer Paranoiker oft ebenso erhebliche Fehlersteigerungen
als ein aufmerksamer Paralytiker, der gesund zu scheinen sich Mühe giebt Nun
constatirte ich aber in zwei Fällen einer beginnenden progressiven Paralyse bei
Abwesenheit deutlicher sonstiger Sensibilitätsstorungen ein ungleiches Verhalten
der beiden Eörperseiten bezüglich des „Sensibilitätsgedächtniss^'S wenn ich diesen
Ausdruck brauchen darf. Während z. B. rechts der Fehlerzuwachs bei einer
Pause von 30 Secunden zwischen Stich und Localisation ca. 50 Prooent des
Fehlers bei momentaner Localisation betrug, betrug er links durchschnittlich
100 Procent und mehr; ein Kranker behauptete öfter nach nur 15 Secunden
ganz ohne Erinnerung fär den Ort des Stichs rechts zu sein, links kam dies
nie vor.
Diese Ungleichheit des Sensibilitatsgedächtnisses nun ohne andere
deutliche Sensibilitätsstörungen habe ich nur in jenen beiden Fällen offenbarer
beginnender Paralyse und in 2 Fällen mit dringendstem Verdacht auf solche
gefunden, niemals aber in irgend erheblichem Maasse bei einfachen func-
tion eilen Geistesstörungen. Dagegen fand ich freilich eine recht grosse Zahl
beginnender Paralysen ohne dies Symptom. Nach allem möchte ich glauben,
dass der Befund desselben in zweifelhaften Fällen diagnostisch wohl den Aos-
— 481 —
schlag zu Gunsten der Annahme einer Paralyse geben könnte. In späteren
Stadien der Paralyse habe ich dasselbe nie mit Sicherheit constatiren können.
Prüfungen auf Druck- und Temperatursinn lieferten im Ganzen ähnliche,
aber nicht so constante Eesultate.
Praktisch bedeutsam ist noch, dass man zur Untersuchung nicht sehr
differenzirte Hautflächen wählt, um zu vermeiden, dass der Kranke rein b^iff-
lich den Ort des Stichs sich merke. Am meisten empfiehlt sich Hand- und
Fussräcken, Unterschenkel und Vorderarm.
Jedenfalls ist diese Herabsetzung des Sensibilitätsgedächtnisses eine zu-
sammengesetzte Erscheinung und handelt es sich nicht etwa nur mn ein
schnelleres Abklingen einer Empfindung. Ebenso wie die complicirteren
motorischen Bindenfunctionen meist zuerst bei der progressiven Paralyse leiden,
so betrifft auch die an sich viel geringere Störung der Sensibilität im Beginn
der Paralyse die complicirteren sensiblen Functionen, speciell das Gedächt-
uiss für Localisation sensibler Eindrücke.
n. Referate.
Anatomie.
1) TJntersuohangen über die motorischen Nervenendigungen der quer-
gestreiften MnskelÜEUiem, von M. Miura. (Virchow's Archiv. GV. 1.)
Verf., der im pathologischen Institut in Berlin arbeitete, fand, ausser einigen
im Original nachzulesenden anatomischen Details, dass die motorischen Endplatten
unter der Wirkung von Curare in einfache Atrophie verfallen, wenn die Thiere
längere Zeit am Leben bleiben; letzteres erreichte Verf., indem er an Fröschen und
Eidechsen im Winterschlaf experimentirte. Dabei arbeitet das Herz trotz der
starken Curaredosis thätig fort, während die Eörpermuscolator vOllig gelähmt isi
Th. Ziehen.
2) The Intra-axlal oonrse of the Auditory Traot; by E. C. Spitzka, New York.
(Med. Joum. 1886. Sept. 18.)
An Gehirnen von amerikanischen Cetaceen stndirte der Yeif. den Verlauf der
Acusticnsbahn innerhalb des Stammes. Die Arbeit basirt auf der, den Meisten wohl
durch Meynert'sche Untersuchungen bekannten anatomisch-physiologischen Methode.
Das Gehirn von Tukiops tnrsio zeichnet sich ganz besonders durch Verkümmerung
der Fyramidenbahn und Hypertrophie der Acusticnsbahn aus. Durchschneidet man
den Stamm hinter den Lob. opt post., so fallt Folgendes auf: Es fehlt die Fyra-
midenbahn im Föns, und der mittlere Theil der Schleife. Die Bindearme sind gegen
die Mitte zu durch eine enorme, der lateralen menschlichen Schleife entsprechende
Bahn gedrängt Man bemerkt die Verlängerung der Commis. post, und von der
inneren Abtheilung der Schleife nur das Bändel vom Fuss zur Haube. Das Corp.
trapezoid. ist ungewöhnlich entwickelt. Seine Fasern bilden einen longitndinalen
Strang, der die Lage der Schleife einnimmt und in das hintere Vierhfigelpaar über-
geht Spitzka*s Beobachtungen bekräftigen nur die durch die Atrophie-Methode
gewonnenen Resultate (Baginsky, von Monakow und Onufrowioz), denn er
beweist, dass Hypertrophie der hinteren Acusticnsbahn sich mit Hypertarophie des
— 482 —
Corpus trapez., der lateralen Schleife, des hinteren Vierhügelpaars und des Ck>rpiis
genic. int. yergesellschaftet Alle vorliegenden Arbeiten in Betracht ziehend , wird
der Schall (nach Spitzka) von der Schnecke ans durch die hintere Abtheilnng des
N. acust., das Corp. trapez. derselben Seite, von da kreuzend durch die (lat.) Schleife,
das hintere Yierhügelpaar, durch das Corp. genic. int und Corona radiata bis in die
corticale Hörsphäre geleitet. Sachs (New York).
Experimentelle Physiologie.
3) Influenoe du Byst^me nerveux eur la nutritlon dee tissus, par Serge
Lewaschew. (Arch. slaves de biol. 1886. I. p. 397.)
Behufs Klärung der Frage vom trophischen Einfluss der Nerven machte L. an
dem vorsichtig freigelegten Ischiadicus von Hunden Beiz versuche, während gleich-
zeitig auch der andere Ischiadicus behufs Ausschaltung aller sonstigen Factoren frm-
gelegt wurde. Die Beizung erfolgte durch einen mit Schwefel- oder Salzsäure imbi-
birten durchgezogenen Faden, was meist eine ziemlich weit nach oben und unten
sich erstreckende Neuritis bewirkte; einige Zeit nach der Operation entwickelte sidi
eine Entzündung ganz gleichmässig in den vom Nerven innervirten Partie, sowie im
ganzen Organismus, die mit dem Zurückgehen der Erscheinungen am Nerven gleich-
falls verschwand; in seltenen Fällen manifestirte sich die locale Beizung durch
Gefössverengerung, Verkleinerung des Volumens und Herabsetzung der Temperatur
am betrefifenden Beine; bei neuerlicher Beizung mehr peripheriewärts traten die
gleichen Erscheinungen neuerlich auf; doch zeigte sich ein sehr differentes Verhalten
bei einzelnen Hunden, die selbst bei vielfach wiederholten Beizungen keinerlei tro-
phischen Einfluss erkennen Hessen.
In der Mehrzahl der Fälle fanden sich wenige Tage nach der Operation an &er
betreffenden Extremität die Zeichen der Entzündung, später Hyperästhesie in der vom
Cruralis versorgten Plantarregion, Herabsetzung der Tastempfindung in der vom
Ischiadicus versorgten Plantarregion und eine dem entsprechende Beugung des Fusses
beim Glühen. Diese Erscheinungen verschwanden nach 6 — 8 Monaten sehr rasch.
Als Folge neuerlicher anhaltender Beizung fanden sich ödematöee Schwellung
der Weichtheile, glossy-skin, Ulcerationen zwischen den Zehen, Schuppung und Ver-
dickung der Haut an der Planta, Verdickung einzelner oberflächlicher Knochen, so
der hinteren Partie des Astragalus; Veränderung der elektrischen Muskelerregbarkeit^
Tolumsabnahme der Muskeln; später Verkleinerung und Temperaturabnahme der be-
troffenen Extremität; völliger Schwund der Muskeln an der Planta, Verschmächtigung
und Abblassung der des Beins, Verdünnung der Etaut mit Ausnahme der verdickten
Stellen, Sderose des subcutanen Bindegewebes, keine oder geringe Verkleinerung der
Knochen, rosenkranzf5rmige Veränderung der Qefösse der Planta. Mikroskopisch fand
sich anAnglich Erweiterung mit Füllung der Gefässe mit Blutkörperchen, später Nra-
bildung von Gefässschlingen, Transsudation in's umgebende Qewebe, und Anhäufung
von Blutkörperchen um die Gefässe mit consecutiver Gewebsumwandlung und Ver-
drängung des Muskelgewebes; bezüglich der Veränderungen am Gefässsystem siehe
L.*s Arbeit in Virchow's Arch. 1883. Bd. 92. Später folgt Schrumpfung des neu-
gebildeten Bindegewebes, dadurch bewirkte Verdünnung der Haut, Gefässeinschnürungen,
welche letztere ihrerseits Volumsvermindemng und Temperaturabnahme der Extremität
erzeugen.
Versuche mit Durchtrennung des Nerven oder mit sehr starker, die Leitnngs-
fllhigkeit des Nerven zerstörender Beizung ergaben, abgesehen von den traumatisch
bedingten Folgezuständen, die oben geschilderten, jedoch in geringerem Giade und
wesentlich langsamer verlaufend.
— 483 —
Veranderangen der übrigen Organe fanden sich besonders bei den Beizyersuchen;
sie waren meist halbseitige Gefösserweitemng, Temperatursteigerung, Keratitiden,
Eczem etc.; in seltenen, junge and zarte Thiere betreffenden Fällen traten epilepti-
forme, rasch t6dtliche Anfälle auf.
Bei der Deutung der Erscheinungen tritt L. fflr deren yasomotorische Natur
ein, indem er als deren Grundlage eine Beizung der Yasodüatatoren, Tielleicht auch
th^weise Lähmung der Yasoconstrictoren annimmt Bücksichtlich der Anwendung
des von L. Grefundenen für die menschliche Pathologie siehe das Original.
A. Pick.
Pathologische Anatomie.
4) ▲ oase in whioh a lesion of one hemiaphere of the oerebellom was
asBOoiated with degeneration of the ollvary body of the opposite
aide, by William Dudley. (Joum. of meni science. 1886. Julj.)
Verf. berichtet über einen Fall langjähriger Demenz mit Lähmungserscheinungen,
namentlich deutlich erschwerter Articulation, doch ohne Aphasie. Die Section ergab
verschiedene Erweichungsherde in dem Thal. opt. und in der weissen Substanz unter
der aufsteigenden Parietalwindung (Gyr. central, post.), links einen Herd, welcher den
Kucl. lenüf. und das Glaustrum umfasste, mehrere andere im Thai, opt Disseminirte
kleine Erweichungsherde von der Grösse eines Hanfkoms in grosser Anzahl in beiden
Hemisphären. Im Gentrum des linken Kleinhirns ein grosser Erweichungsherd von
'/^ Zoll Durchmesser, die rechte Olive zeigte dabei ein gelatinöses Aussehen mit ver-
waschenen Contouren, herrührend von Zerstörung der meisten Nervenzellen, an deren
Stelle grob granulirte Masse getreten ist, die Hypoglossuskeme sind sehr stark
pigmentirt. Die Zeichnungen müssen im Original eingesehen werden. Zander.
6) Heber einen Fall von Forenoephalie« von Prof. 0. Binswanger in Jena.
OTurchow's Archiv. 102. 1.)
Verf. giebt die genaue Beschreibung einer nur auf die linke Hemisphäre be-
schränkten porencephalischen Defectbildung. Es waren in dem Defect zu Grunde
gegangen:
1) die ganze untere (dritte) Stimwindung,
2) das untere und fast das ganze mittlere Drittel der beiden Gentralwindungen,
3) das ganze Gebiet des unteren Schläfenlappens (Lobulus supramarginalis und
Gyrus angularis),
4) die ganze erste Schläfenwindung,
5) das ganze Gebiet der Insel (bis auf einige Beste?),
d. h. also das Gebiet der Art. fossae Sylvii. — Die Einz^heiten siehe im Original.
Die eigenthümliche radiäre Anordnung der Windungen um die Mitte des Defects
herum sprach — nach Eundrat — für das Angeborensein der Störung. Hiermit
stimmte dagegen nicht die Beschaffenheit der Pia, welche nach Eundrat decken-
artig über den Defect weggespannt hätte erwartet werden müssen, während sie viel-
mehr faltig verdickt mit dem Grunde des Defects verwachsen war. — EundraVs
AufEassung von der Natur des Processes — anämische Nekrose — war aber auch
hier wahrscheinlich gemacht durch die Beschaffenheit der zum Gesammtgebiet der
Art. fossae Sylvii gehörigen Gefösse, welche in narbig verdicktem Arachnoidalgewebe
ein unregelmässiges Gewirr ganz feiner Aestchen bildeten. Vielleicht ist die Meningeal-
erkrankung das Primäre gewesen. — Auffallend war die relativ sehr gute Entwicke-
lung der nicht betroffenen Windungen. — Die rechte Hemisphäre zeigte keinerlei
— 484 —
compensatoiische Hypertaropbie. Der Schädel hatte an der Stelle des Defeetes eine
Vertiefung.
Der Träger dieses Defectes ^ar etwa 38 Jahre alt geworden« Er war mit einer
atrophischen oberen rechten Extremität geboren» die rechte untere lahmte. Sr litt
seit firühester Jagend an Epilepsie mit fast täglichen Anfällen. Etwa l^s Jahre
vor seinem Tode traten tobsüchtige Zustände auf, die seine Versetzung in eine An-
stalt nöthig machten, wo er starb. Früher war er meistens still und bescheiden,
immer dement Er beschäftigte sich gern mit leichten Hausarbeiten.
AufEallend war, bei dem gänzlichen Untergange der mit der Sprache in Be-
ziehung zu bringenden Bindenpartien, die Entwickelung der Sprache bei dem Kranken.
Allerdings umfasste sein Sprachschatz nicht viele Worte: die, welche sich auf die
ihn umgebenden Dinge im Hause und im Geschäft des Vaters bezogen, Esswaaren,
Hausgeräthe, die Namen der Angehörigen u. s. w. Er suchte sich meistens durch
Gesticulationen, die er in Verbindung mit «nzelnen Worten lebhaft ausführte, An-
deren verständlich zu machen. Satzbildungen, wenn er sie auch anfangs behielt,
entschwanden immer bald wieder seinem Gredächtnisse, bis auf einige Redensarten,
wie z. B. „das wird mein Vater sagen'', oder ,4ch esse Alles, ich bin kein Kost-
verächter". Er konnte mit den Zahlen von 1 — 10 addiren, subtrahiren und multi-
pliciren; die Zahlen von 1 — 100 konnte er hersagen. Hadlich.
Pathologie des Nervensystems.
6) Beriberi, von TscholowskL (Dissertation» St. Feteraburg 1886, Russisch.)
Während seines Aufenthalts in Singapur und Nagasaki hatte Verf. Gelegenheit,
mehrere Fälle der daselbst endenüsch verbreiteten Beriberi-Erankheit zu beobachten.
Seine Arbeit enthält neben einer ausführlichen kritischen Zusammenstellung der
betreffenden Literatur die Beschreibung des klinischen Verlaufs zweier genau beobach-
teten Fälle und der Sectionsbefunde von drei an Beriberi Verstorbenen. In beiden
^klinischen Beobachtungen (aus dem Pauper hospital in Singapur) wurden Seaslbilitäts-
' Störungen und paretische Erscheinungen an den Unterextremitäten constatirt; die
Muskeln derselben waren atrophisch, mit herabgesetzter elektrischer Erregbarkeit»
gegen Druck empfindlich. Die Oberextremitäten boten nichts Abnormes. In einem
Fall fand sich Anästhesie am Kinn. Die Symptome seitens anderer, nicht nervöser
Organe sind hier nicht zu besprechen.
Die pathologisch -anatomische Untersuchung dreier Fälle erwies zuvörderst das
Fehlen jeglicher Abnormität im Gehirn. Dagegen wurden in den Nervenstämmen des
Tibialis und Peroneus stark ausgeprägte degenerativ-atrophische Veränderungen ge-
funden, während solche in den Nerven der Oberextremitäten fehlten. Die mikro-
skopische Untersuchung des Bflckenmarks ergab im Lendentheil desselben Affection
einzelner Zellen der Vorderhömer: sie waren geschrumpft, atrophisch, und hatten
zum Theil ihre Fortsätze verloren. An den Muskeln der Unterextremitäten wurde
fettige Entartung constatirt.
Verf. hält die Veränderungen des Bückenmarks in der Beriberi-Krankheit für
secundäre und unwesentliche und ist geneigt» die nervösen Symptome als Resultat
einer Neuritis multiplex ascendens aufzufassen. F. Eosenbach.
7) Contribation & Tötude de Is növrite multiple, par X. Francotte, Li^ge.
(Bevue de möd. 1886. Mai. p. 377.)
Die Arbeit enthält vier gute eigene Beobachtungen über multiple NeuritiB. Von
zwei Fällen, welche tödtlich endeten, wird ein ausftülurlicher Secüonsbefund mit mikro-
— 485 —
skopiscber UntersiiGhang des BückenHiarks, der peripherisclien Nerven und der Mus*
kein mitgetheili Von Einzelnheiten heben wir als bemerkenswerth hervor, dass dje
Veränderungen der Nerven in der Peripherie am stärksten waren, nach aufwärts zu
abnahmen. Die untersuchten vorderen Wurzeln ergaben sich als vollkommen
normal. In den Nerven waren die Veränderungen rein parenchymatöser Natur.
Das interstitielle Bindegewebe bot keine Veränderung dar. Verf. betont daher den
rein degenerativ-atrophischen Charakter der Erkrankung, welche nicht ohne Weiteres
als »^entzündliche'' angesehen werden darf.
In dem ersten der beiden tödtlich endenden Fälle bestand seit längerer Zeit
eine chronische Lungentuberkulose. Alkoholist war Patient nicht. In dem
zweiten der zur Section gekommenen Fälle war dagegen überhaupt kein ätiologisches
Moment nachweisbar. Es bestand weder Tuberkulose noch Alkoholismus.
Die beiden anderen, klinisch ebenfalls wohl charakteri^irten Fälle gingen in
Heilung über. Der erste derselben betraf einen starken Potator, der zweite eine
alte Prostituirte, welche aber versicherte, nie viel getrunken zu haben. Auch Zeichen
von Syphilis fanden sich bei ihr nicht.
In Betreff weiterer Einzelnheiten, welche indessen nicht von dem jetzt allgemein
Bekannten abweidlien, kann auf das Original verwiesen werden. Strümpell.
8) Hyperästhesia plantae bilsteralis, af S. Laache. (Norsk Mag. f. Lägeri-
densk. 1886. 4. B. I. 1. S. 18.)
Der Patient, ein 25jähr. Tischler, war als Kind rachitisch gewesen und hatte
erst im Alter von 8 Jahren laufen gelernt, später hatte er an Masern, Bmstentzün*
düng und wiederholt an dyspeptischen Beschwerden gelitten. Seit dem August 1883
litt er an auf die Fusssohlen beschränkter Empfindlichkeit mit Brennen; das Leiden
verschlimmerte sich bei Druck, so dass es beim Stehen und besonders beim Gehen
ausserordentlich störte; da das Leiden hauptsächlich in den Fersen seinen Sitz hatte,
ging Fat. auf den Zehenballen. Gleichzeitig hatte sich Fnssschweiss eingestellt, an
dem Pat früher nicht gelitten hatte. Plattfuss war nicht vorhanden, Gefühl und
Beflexe verhielten sich normal an den untern Extremitäten. Pat. konnte besser
gehen, wenn er Strümpfe und Stiefel an hatte, als barfuss, weil die einigermaassen
elastische Fussbekleidung den Druck beim Gehen etwas milderte. Andere Symptome
von Bedeutung waren nicht vorhanden. Anfangs wurde das Leiden für ein rheu*
matisches gehalten, wofür flüchtige Schmerzen in den Beinen, später auch im Bücken
sprechen konnten. Die Anwendung des elektrischen Pinsels mit kräftigem Strom,
Galvanisation, Jodbepinselung und salicylsaures Natron erwiesen sich vollständig
wirkungslos, subcutane Injectionen von Garbolsäurelösung oder von Morphiumlösung
hatten nur vorübergehende Wirkung, erst nach unblutiger Dehnung des Ischiadicus
(und des Bückenmarks) mittelst Beugung der tJnterextremitäten und des Bückens
gegen einander nahmen die Symptome entschieden ab und Pat. konnte nach 6 Monate
langer Behandlung im Hospitale gebessert entlassen werden. Die Besserung ging
später in vollständige Heilung über.
Da kein locales Leiden vorlag, nimmt es L. als höchst wahrscheinlich an, dass
der Schmerz und die Empfindlichkeit an den Fusssohlen als irradiirte Symptome
eines Bückenmarksleidens, speciell der Hinterstränge, zu betrachten sei, obgleich sich
andere Zeichen von Bückenmarksaffection nicht fanden ausser dem bilateralen sym-
metrischen Auftreten. Walter Berger.
9) Trophisohe Stdnmg im Verästolungsgebiete des Unken K. eupraorbi-
tfüis, von W. D echter iof f. (Wjestnik psychiatrii i nevropatologii. 1886. L
fiufisisch.)
— 486 —
Verf. beschreibt an einem ISjäbrigen schwächlichen, aber gut entwicMten und
sonst gesunden Mädchen folgende MjBsbildnng: LSngs der Mittellinie der Stirn zi^t
sich von der Glabella aufwärts eine schmale Erhöhung, welche die normale reC'hie
Stimhälfte von der erkranl[ten linken abgrenzt; letztere ist eingesunken und braun
pigmentirt» und in ihrer unmittelbaren Fortsetzung auf die Kopfhaut sind auf einer
keilförmigen Fläche von 11 cm Länge und 3,5 — 4,5 cm Breite die Haare ausgefidlen,
während in ihrer unmittelbaren Umgebung, wie auch am ganzen Kopf flppiger Haar-
wuchs besteht Die Haut ist an dieser, z. Th. dem Stirn-, z. Th. dem Scheitelban
entsprechenden Stelle atrophisch, dOnn, und macht den Eindruck einer Narbe, ob-
gleich die Veränderung nicht traumatischen Ursprungs ist In demselben Gebiet ist
auch der Knochen verdfinnt. Die Sensibilität ist an der atrophischen Stelle unrer-
ändert Druck auf die Incisura supraorbitalis wird linkerseits schmerzhaft empfunden.
Sonst nichts Abnormes in Sensibilität, Motilität und elektrischer Reizbarkeit am
ganzen Körper und Gesicht, abgesehen von genngfägiger Herabsetzung des Geruchs-
vermögens linkerseits und unbedeutender Blässe der linken Papilla n. optici
Die beschriebene Affection hatte sich allmählich im Laufe eines Jahres ent-
wickelt. Vor 1^/2 Jahren stiees Patientin mit dem Kopfe gegen eine Eisenstange,
aber so schwach, dass sie kaum Schmerz verspflrte; bald darauf begannen an der
bezeichneten Stelle die Haare auazuÜEÜlen, und zugleich stellten sich linksseitige
Kopfschmerzen ein, auch zuweilen Nasenbluten an der linken Seite. Neuropatlüsche
Disposition ist nicht wahrnehmbar, obglnch die Mutter an einem Nerrenldden ge-
litten hatte.
Verf. betrachtet seinen Fall als eine reine Trophoneurose, die sich auf das
Verästelungsgebiet des N. supraorbitalis beschränkt hat Bei sorgfiUtigster Dmrdi-
forschung der Literatur fand er nur eine ähnliche Beobachtung Ton Karewski
(Ueber einen Fall von Trophoneurose im Bereiche des Nervus supraorbitalis. Beii
klin« Wochenschr. 1883. Nr. 36). Dem Beispiele desselben folgend, ist er geneigt,
solche Affectionen nicht als besondere Krankheitsfoim aufnifiissen, sondern in die
Gruppe der Hemiatrophia facialis progressiva (incompleta) einzureihen.
P. Bosenbach.
10) A oontribation to the loealisation of fooal leaiona !n the ponB-oblon-
gata transition, bj E. G. Spitzka. (Joum. of nervous and meni disease.
1886. Xra. p. 193.)
Ein interessanter Beitrag zur topischen Diagnostik der Herderkranknngen in
Pens und Oblongata.
Es handelt sich um eine 23jähr. verheirathete Frau, nicht hereditär belastet,
aber vielleicht luetisch; im Juni 1883 täglich ein Anfall von Erbrechen; in den
nächsten 3 Monaten nur 3 solcher Anfallei aber jedesmal mit heftigem Schwindel;
nach dem dritten Anfall vorabergehende Sehstömng. Dann TaubheitBgef&hl in der
linken KörperhäUte und häufige Verzerrungen des Mundes nach rechts. Im November
fOr einige Tage Diplopie, späterhin Unföhigkeit, Gegenstände zu fixiren, so dass
dieselben vor den Augen zu tanzen schienen, besonders wenn Pat sich selbst be-
wegte oder nach links zu sehen versuchte. Bereits seit September nasale Sprache
und zunehmende Schlingbeschwerden, seit März 1884 (subjective^) Rigidität der rechts-
seitigen Kaumuskeln, unregelmässige aussetzende Herzaction, Angstanfälle mit Dyspnoe,
und aufiEällende Schläfrigkeit. Endlich gesellten sich zu dem Taubheitsgefühl der
linken Seite Parästhesien (Nadelstiche und Amdsenkriechen), sowie ein gelegentliches,
aber dann sehr deutliches Kältegefühl.
Status am 15. Mai 1884: VerhältnissmSssig gute Körperemährung, Locomotion
und Coordination vollkommen f^ei, Muskelsinn ohne Störung, Tastgefühl beiderseits
etwas herabgesetzt, Gewichtsunterschiede werden rechts deutlicher als links wahr-
— 487 —
genommen; leichte Berflhnmgen der linken Extremit&ien erzeugen eine KUteempfin-
dung; Reflexe nonnal. Totale und compleie TAhmnug des rechten Facialis mit
Lagophthalmus, Thr&nenfluss und Abweichung des Zäpfchens nach rechts. Der rechte
Masseter scheint schwächer innervirt. Die Zunge, ohne Tremor und fibrilläre Zuck-
ungen, weicht nach rechts ab; der Geschmack ist auf der rechten Hälfte herabgesetzt.
Die Kehlkopfs* und Athmungsmusculatur ist nonnal. Parese des Gaumensegels, hoch-
gradige Schluckbeschwerden, VomituSi sobald sich Fat. bei gefOlltem Hagen bewegt,
und Tympanie in Folge der UnAhigkeit, Magengase zu entleeren. Unregelmässiger
Puls; gelegentlich h6rt man ein ungewöhnliches systolisches Geräusch und gleich-
zeitig eine aufiUlend starke Herzcontraction, der sich nach einer kleinen Pause eine
ganze Reihe zahlreicher kurzer Pnlsationen anschliesst Subjectives Taubheitsgefühl
in der rechten Gesichtshälfte, das aber nicht auf den behaarten Eopftheil übergreift.
Opticus normal, Pupillen gleich weit, reagiren langsam. Augenbewegungen frei, doch
ist gemeinsame Drehung holder Augen nach rechts unmöglich: in der Mitte der Lid-
spalten bleiben die Augen wie festgemauert stehen, während das linke Auge richtig
funcüonirt^ wenn es allein bewegt wird; das rechte Auge kann auch allein nicht
Aber die Mitte der Lidspalte nach rechts bewegt werden.
Diagnose: Neubildung, wahrscheinlich Syphilom, das sich im Uebergangstheil
zwischen Pens und MeduUa obL befindet und die Wurzeln resp. Kerne des rechten
Facialis, Abducens und Vagus betrifift.
Später stellten sich dann wieder sehr heftige Kopfschmerzen (gegen die übrigens
Cauterisation des Nackens hülfreich war) sowie ein durch Nichts zu stillender Heiss-
hunger ein; dabei immer heftigere Schling- und Athembeschwerden, Atrophie der
linken Zungenh&lfte; die Zunge kann nur mühsam hervorgestreckt werden, weicht
nach links ab und zeigt fibrilläre Zuckungen; Articulationsstörungen, Herabsetzung
des Raumsinns, massige Ataxie, Schwäche des linken Beins und vielleicht Polyurie.
Patientin starb am 9. Juli 1884.
Die Section bestätigte die im Leben gestellte Diagnose. Die weiche, graulich
geförbte und aus rundlichen Sago ähnlichen Körnern zusammengesetzte Neubildung
lag hauptsächlich im rechten oberen Quadranten des Endtheils der Med. oblongata
und griff einige Millimeter über die Mittellinie hinüber. Die Krankheitserscheinungen
passen ganz befriedigend zu dieser Localisation; da Verf. übrigens beabsichtigt, in
nächster Zeit eine grössere Arbeit über diesen und über ähnliche Fälle zu veröffent-
lichen, so braucht hier nicht auf die Einzelheiten eingegangen zu werden. Es sei
noch erwähnt, dass einige Abbildungen die genaue Topographie des interessanten
Falles ermöglichen. Sommer.
11) ▲ oaae of absoees of tfae ooolpital lobe with hemianoiMda, by E. G.
Janeway. (Joum. of nervous and mental disease. 1886. p. 224.)
Ein 25 jähr. Mann erlitt am 4. Nov. 1885 einen Schlag auf den Kopf mit Haut-
verletzung; dÄbei massige Betäubung, ohne völligen Bewusstseinsverlusi Am folgenden
Tage war er arbeitsOhig; nach 3 Tagen aber klagte er über heftige Kopfschmerzen
und es entwickelte sich ein Erysipelas capitis und Eiterung in der Hautwunde, 'die
dann in Heilung überging. Unter Fortdauer der KopfiMshmerzen entstand nach
mehreren Wochen ein GkfQhl von Taubheit im 1. Arm und dann auch im 1. Bein
und später gegen Neujahr eine langsam sich ausbildende Hemiparese und Hemian-
aesthesie; ausserdem leichte Benommenheit, Hemianopsia (Ausfall der 1. Gesichtsfeld-
hälften) und beiderseits Stauungspapille. Da in weiteren 14 Tagen das Bewusst-
sein immer getrübter wurde, da sich unregehnässiges Fieber und bedeutende Puls-
frequenz (über 150 Schläge) entwickelte, wurde auf Grund der Diagnose: Abscess
in der Nähe der Verletzung (Hautnarbe von 1 Zoll Länge etwas links vom Scheitel)
elue Operation zur Entleerung des Eiters etc. beschlossen und zunächst rechts von
— 488 —
der Mittellinie, dann links von derselben aber obne Erfolg ausgeführt Die nimmehr
besonders mit Bücksicht anf die Hemianopsie vorgeschlagene Trepanation über dem
r. Hinterhanptlappen mnsste bei der zunehmenden Schwäche des Fati«iten unter-
bleiben; er starb am 1. Febr. 1886, 9 Standen nach dem operativen Eingriff.
Die Section ergab einen rundlichen Abscess von 2 Zoll im grössten Dupchmesser
im Mark des rechten Uinterhauptlappens, dicht bis an die Binde heranreichend und
n. A. auch die Fasern zum Cunens und zu der basalen Hinterhauptsrinde zerstörend.
Sommer.
12) A oaae of paralysis of the trigeminus, followed by altemate hemi-
plegiftf itB relations to the nerve of taste, by G. L. Dana. (Jonm.
of nerv, and ment. disease. 1886. p. 65.
Im Anschluss an einen selbst beobachteten Fall von L&hmung des linken Tri-
geminus (totale Anaesthesie des linken Qesichts incl. Cornea» Gaumen- und Zangen-
hälfte) bei einem 36 jähr. Mann mit späterer Hemiplegie der rechten Extremitäten,
und als diese geschwunden^ des linken Armes, hebt Verf. hervor, dass iarotz der voll-
ständigen Fnnctionsaufhebung des Trigeminus der Geschmack ganz unbeeinträchtigt
geblieben sei. Besonders stehe sein Befund in vollem Gegensatz zu der Annahme
Gowers, dass alle Geschmacksfasem dem centralen Trigeminus angehörten und daas
der Glossopharyngens überhaupt kein sensorischer Nerv sei Auf Grund eines längeren
EUüsonnements verwirft er auch die landläufige Ansicht, nach der der Trigrasinus
von den beiden vorderen und der Glossopharyngens von dem hinteren Drittel der
Zunge die Geschmacksfasem zum Hirn leite und schliesst sich den Anschanongen
von (Brücke und) Carl an, dass nämlich sämtliche (Geschmacksfasem im centralen
Glossopharyngens zum Hirn verlaufen: die Fasen vom hinteren Drittel der Zunge
direct, die von den beiden vorderen durch den Lingualis imd einerseits vermittelst
der Chorda, des Facialis, des GangL geniculi, des Bamus communicans zum Plexus
tympanicos, und andrerseits durch den Lingualis weiter zum Ganglion oticum und
von da durch Fasern des N. petrosus superficialis minor ebenfalls zum Plexus tym-
panicus und von hier nun gemeinsam durch den N. Jacobsonii zum (langl. petroeum
des Glossopharyngens.
Für die topische Diagnostik ergiebt sich noch der Schluss, dass bei Trigeminus-
lähmung mit G^hmacksstörung ein peripherischer Sitz und bei Trigeminnslahmung
ohne Geschmacksstörung ein centraler Sitz des Leidens angenommen werden muss.
Sommer.
13) A oaae of haemorrhage into the omra oerebri wifh remaika, by Edw.
Bickards. (British med. Journal. 1886. 24. IV. p. 774.)
Patient, ein 64jähr. sehr zurückgezogen lebender Mann, aus dessen Vorleben
eigentlich nur Potatorium bekannt war, fiel eines Tages durch die Unsicherheit seines
Ganges und durch eine leichte Ptosis des rechten Augenlides auf; am nächsten
Morgen war er benommen, sein Gang stark schwankend und es bestand massige
Ptosis beider Augenlider. Im Hospital zeigte sich dann neben Benommenheit und
Verwirrtheit eine erhöhte Beizbarkeit mit vagen Vergiftungsvorstellungen ond eine
deutliche Parese der linken Gesichts- und Körperbälfte auf motorischem und sen-
siblem Gebiet; am dritten Tage bestand völlige beiderseitige Ptosis, Drehung des
Kopfes nach links, obschon Patient auf lautes Anrufen den Kopf ziemlich frei be-
wegen konnte; die Zunge wurde gerade hervorgestreckt; es war keine Augenmuskel-
lähmung (Deviation etc.) nachzuweisen; Pupillen gleich und reactionsföhig; Reflexe
erhalten. Unter allmälüicher Zunahme des Sopor verschied Patient am 15. Tage»
ohne dass besondere Symptome hinzugetreten wären.
— 480 —
Die Section ergab ein haemorrhagisches Extravasat, das die medianen oberen
Partien beider Crura cerebri, auf der rechten Seite sdlerdings in weit grösserer
Ausdebnnng als links zerstört hatte. Wahrscheinlich war die Blntong am ersten
Krankheitstage in den rechten Himschenkel nar gering nnd gewann erst am zweiten
Tage eine grössere Ausdehnung, indem sie sich auch auf den linken Himschenkel
aasbreitete.
Gegenüber der gewöhnlichen Symptomatologie, Augenmaskellähmnng auf der
kranken nnd motorische, sowie sensible Lähmnng der gesunden Körperhälfte, ist es
auffallend, dass die sensible nnd motorische Lähmnng des Körpers keinen höheren
Grad erreichte, und dass sich die Augenmnskellähmung einzig auf den Levator pal-
pebrae super, beschränkte. Die psychischen Erscheinungen werden auf den Druck
des Extravasates auf die Vena Galeni oder auf den Aquaeductus Sylvii und dadurch
beding^ Hydrops ventricul. zurückgeführt. Sommer.
14) Shir la ntaladie des tios oonvulBifls» par Georges Guinon, interne ä
rhospice de la Salpötridre. (Bevue de m^. 1886. Janvier. p. 50.)
Im Anschluss an die merkwürdigen, ebenfalls aus der Salpötri^re stammenden
Beobachtungen von Gilles de la Tourette, welche dieser unter dem Titel „affec-
tion nerveuse caract^ris^e par de Tincoordination motrice, accompagnee d'^cholalie et
de coprolalie" im Archives de neurologie (1885. Nr. 25) veröffentlicht hat und welche
den in Amerika, auf den malayischen Inseln und in Sibirien vorkommenden wunder-
baren Krankheitszuständen („Jumping du Maine'', „Latah'', ,,Myriachit") durchaus
ähnlich sind, beschreibt G. in der vorliegenden Arbeit vier neue, hierher gehörige
Krankheitsfälle.
Es handelt sich hierbei um einen eigenthümlichen, meist bei nervös beanlagten
Personen auftretenden neuro-psychopathischen Zustand, der charakterisirt ist 1) durch
das Auftreten von häufigen Zwangsbewegungen („tics"), wie Grimassenschneiden,
Bewegungen in den Armen oder in den Beinen, Kratzbewegungen u. v. a. 2) durch
das unfreiwillige, also krampfartige Hervorstossen gewisser Laute oder ganzer Worte,
eine Erscheinung, die also auch als „tic'' gedeutet werden kann, 3) durch den häu-
figen Eintritt gewisser Zwangsvorstellungen, die zu impulsiven Handlungen führen
können, z. B. Zähltrieb, Trieb die vorliegenden Gegenstände zu ordnen, auch Angst-
zustände ü. dgl., also gewisser maassen psychische „tics". Dazu kommt 4) als eine
offenbar zu 2) gehörige Erscheinung die Koprolalie, d. h. das zwangmässige Aus-
sprechen irgend welcher unanständiger Redensarten, Schimpfwörter u. dgl., und end-
lich 5) die zwangmässig ausgeführten Nachahmungen, sei es in der Form von Echo-
lalie (Wiederholung vorgesprochener Worte) oder von „Echokinesie" (Nachahmung
vorgemachter Bewegungen), ein Zustand, welcher zuweilen auch bei hypnotisirten
Personen hervorgerufen werden kann und da als Echomatismus bezeichnet worden ist
Aus diesen Erscheinungen setzt sich das Krankheitsbild im gegebenen Falle zu-
sammen. Doch können einzelne Erscheinungen auch fehlen, andere besonders hervor-
treten, so dass es auch hier mannigfaltige „formes frustes" giebt. — Alle vier, von
dem Verf. ausführlich beschriebenen, interessanten Beobachtungen hier im Auszuge
wiederzugeben, würde zu viel Raum beanspruchen. Wir geben daher als Beispiel im
Folgenden nur von einer einen kurzen Auszug.
J., 64jähr. Frau. Eltern nnd mehrere Verwandte waren geisteskrank. Patientin
selbst litt in ihrer Jugend an Krämpfen und an Chorea. Unmittelbar nach ihrer
Verheirathung litt sie vorübergehend an Hallucinationen, später an maniacalischen
Anfallen u. dgl. — Ihr jetziges Leiden tritt in einzelnen „Krisen" auf. Die Frau
springt plötzlich von ihrem Sitz in die Höhe, stösst heftige Schimpfworte („merde'S
„chameau" ü. a.) aus, macht sehr starke, krampfhafte Bewegungen mit den Armen
und Beinen, schneidet Grimassen u. dgl. Beim Sprechen duzt sie Jedermann und
— 490 —
fügt einzelne bestimmte Worte, die immer wiederkehren, in den Satz ein. So sagte
sie z. B. zu Gharcot: „il y a longtemps qae je ne suis venne te voir, toi et ia
sainte musiqne; poorquoi m*as-ta fait venir dans ton saint-sifflet?'' Die Worte „saint-
sifflet'', yySainte-musiqne'S ^ySaint-sacrement'' mischen sich überhaupt in fast alle Satze
ein. Dabei ist sich die Patientin des Unpassenden ihrer Bedeweise yoUkommen be-
wnsst, vermag es aber nicht zu ändern. Jeder Ausruf in ihrer Umgebung wird tob
ihr sofort wiederholt, ebenso ahmt sie jede Grimasse nach, während Bewegungen der
Extremitäten kein Echo finden. Ihr Gedächtniss hat etwas gelitten. Die Intelligenz
dagegen ist normal. Fixe Ideen bestehen nicht Die Stimmung ist oft trfibe, so
dass die Kranke sogar schon oft Selbstmordgedanken gehegt hat
StrümpelL
16) Stade BOT les oontraoturee provoquäes ohes les hystöriqnes a F^tat
de Yeille, par le Dr. P. Descubes. (Bordeaux 1885. 90 pages.)
Verf. selbst stellt als das Ergebniss seiner zahlreichen Untersuchungen (an
9 hysterischen Individuen) folgende Sätze auf:
1. Man kann bei vielen Hysterischen auch im bewussten Zustande derselben
eine diffuse Muskelstarre durch gewisse äussere Einwirkungen beliebig hervonrufen.
2. Als hierzu geeignete Mittel haben sich erwiesen :
a) Hautreize, wie einfache Berührung, Beiben, Kitzeln, längere Zeit fortgesetztes
Anblasen, Besprengen mit kaltem oder warmem Wasser, Faradisation der Haut, Ap-
plication gewisser Metalle oder des Magneten,
b) Muskelreize, wie Kneten, Percutiren, Faradisiren,
c) Ligament- und Knochenreize, wie Druck auf nur von Haut bedeckte Knochen,
brfiske Erschütterungen ganzer Extremitäten, passive Zerrungen der Glieder, Siösse
mit dem Fnss oder mit der geballten Faust in die Luft etc., und
d) psychische Beize, wie „Suggestion imperative" und „Suggestion par i>er-
suasion''.
3. Die auf eine dieser Weisen ausgelöste Muskelstarre breitet sich schnell auf
benachbarte Muskeln, auch auf solche, die von ganz anderen Nerven versorgt werden,
aus und kann sich über den ganzen Körper erstrecken. Während übrigens die Ex-
tremitäten- und Kaumuskeln leicht afficirt werden können, gelingt es bei den vom
Facialis abhängigen Muskeln nur schwierig. Die Starre selbst ist von schmerzhaften
Empfindungen begleitet, ausser bei Hemianästhesie; sie schwindet nie von selbst und
kann daher zu einer permanenten Gontractur werden, wenn sie nicht künstlich vneder
beseitigt wird.
4. Als hierzu geeignete Mittel sind u. A. energisches Beiben und Anblasen der
Haat über der Gontractur, der Transfert durch den Magneten, die Esmarch*sche
Blutleere, Faradisation der Sehnen der starren Muskeln, Druck auf die Ovarien und
das Anblasen des Epigastriums zu erwähnen.
5. Die Möglichkeit, derartige Gontracturen beliebig herbeizuführen, ist kein
nothwendiges Symptom der Hysterie, doch kann es für die Diagnose sdir wichtig
werden, da man bei keiner anderen &ankheit mit derselben Leichtigkeit Gontracturen
zum Entstehen und zum Schwinden zu bringen vermag wie bei der Hysterie. Am
häufigsten lassen sich die Muskeln einer hemianästhetischen Seite in Starre versetzen.
Sommer.
16) Note 8ur les sonee löthazg^nes et läthargofiräniatrioeB ohes les hysti-
riquee, par H. Blanc-Fontenille. (Sep.-Abdr. aus Journal de MMecine
de Bordeaux. 1886.)
Yerf. giebt zunächst eine Darstellung der von Paul Sicher auf Grund Char-
coVscher Beobachtui^en veröffentlichten Untersuchungen über die künstliche Hervor-
— 4dl —
rafung und Wiederanterdrücküiig „lethargischer'' Zustände bei Hysterischen nnd be-
merkt alsdann, dass seine eigenen Beobachtungen auf der Krankenabtheilong von
Pitres in Bordeaux nicht unwesentlich von denen Bicher*s abweichen. Verf. fand,
dass die Patientinnen allerdings unfähig sind, im lethargischen Zustande irgend eine
willkürliche Bewegung zu unternehmen; passiv in die Höhe gehobene Glieder fallen
bei ihnen wie gelähmt herab. Dagegen fand er die von Bicher beschriebene
neoromusculäre Beizbarkeit und die totale Anästhesie nicht vor. Die Kranken scheinen
sich zwar während der Lethargie völlig ausserhalb der irdischen Welt zu befinden
und es fehlt auch die leiseste Spur einer Beaction auf unangenehme Sinnesreize.
Trotzdem werden die letzteren aber ganz richtig wahrgenommen und unmittelbar
nach dem Erwachen aus der Lethargie können die Patienten mit voUer Sicherheit
angeben, was ihnen zugerufen worden ist, oder nach welcher Bichtung und in welcher
Stärke ihre Sinnesorgane gereizt worden sind etc.
Derartige Zustände von „Lethargie" können nun bei geeigneten (nicht bei allen)
hysterischen Kranken durch äussere Beizung gewisser Hautpartien nach Belieben
hervorgerufen werden. Die Lage der „lethargogenen Zonen" ist sehr verschieden,
bei einem und demselben Individuum aber constant; die Zonen können übrigens auch
auf der gefühllosen Körperhälfte einer hemianästhetiBchen Hysterica liegen. Jede
mechanische Beizung der lethargogenen Stelle (Drücken, Kneifen, Kitzeln etc.) genügt
zur Hervorruf nng der Lethargie: Patientin macht gewöhnlich noch eine tiefe Inspiration
und verfällt dann sofort in den eigenthümlichen Benommenheitszustand.
Den lethargogenen Zonen stehen nun solche gegenüber, deren Beizung die Le-
thargie vrieder aufhebt, d. h. es kommt allerdings nie zu einem plötzlichen üeber-
gange aus der Lethargie in das normale Verhalten, wie es in umgekehrter Beihen-
folge ja bei der Beizung der lethargogenen Zonen geschieht, sondern es wird der-
selbe stets durch einen eingeschobenen hypnotischen Zustand vermitteli Beizt man
übrigens eine die Lethargie aufhebende Zone, ohne die Patientin Yorher in Lethargie
versetzt zu haben, so entwickelt sich unmittelbar eine richtige Hypnose. Die Lethargie
wird also nur durch Herbeiführung einer Hypnose unterdrückt und die letztere wird
dann erst später durch Suggestion und andere bekannte Mittel aufgehoben. Spontan
gebt die Lethargie nie vorüber; Yerf. hat bis 36 Stunden gewartet und sah sich
dann doch genöth^ sie auf die angedeutete Weise zu beenden.
Die ,4ethargolytischen" Zonen liegen häufig den lethargogenen symmetrisch
gegenüber, oft freilich ist ihre Lage ganz unberechenbar. Yerhältnissmässig oft ist
sie in einer Ovarialgegend zu suchen.
Gelegentlich kann man nun jene Beobachtungen auch praktisch verwerthen. Ist
durch zufällige Beizung einer (bis dahin vielleicht ganz unbekannten) lethargogenen
Zone eine Lethargie entstanden, so kann dieselbe in kürzester Zeit beendet werden,
sobald man die lethargolytische Zone desselben Individuums kennt oder findet. Trifft
man eine Patientin in lebhaften Gonvulsionen oder in hysterischen Schreiparoxysmen,
80 kann man der Scene durch absichtliche Beizung der lethargogenen Zone ein plötz-
liches Ende machen, ja man kann, wenn z. B. der Anfall durch einen psychischen
Einfluss, durch einen Aerger, einen Streit oder dergL ausgelöst war, 4ie zum Aus-
bruch Veranlassung gegeben habende Unannehmlichkeit während des lethargischen
Zustandes durch Suggestion ausreden und unschädlich machen, so dass man nun die
absichtlich hervorgerufene Lethargie beenden darf, ohne eine Wiederholung des An-
falles befürchten zu müssen.
Weitere Untersuchungen sind jedenfalls wünschenswerth, und nothwendig, um
ein sicheres Urtheil über jene aufEEdlenden Erscheinungen abgeben zu können.
Sommer.
— 492 —
Psychiatrie.
■ >
17) Consid^rations Bur la Morpbinomaiiie» par 0. Picbon. (L'Encipliale.
1886. Nr. 3.)
P. trägt die Geschichte einer morphinmsüchtigen Patientin Yor, die an schwerer
erblicher Disposition zu Neurose leidet, welche in der Zeit ihrer Krankheit bis znr
täglichen Dosis von 2,0 von dem Gifte verbrauchte und diesen Missbrauch w&hrend
8 voller Jahre fortsetzte. Durch alle Spitäler von Paris nahm die Kranke ihren
Weg, sie wünschte dringend geheilt zu werden; einmal machte sie sogar einen
Selbstmordversuch, weil sie nicht Herr über ihre Leidenschaft werden konnte. Dennoch
betrog sie überall die Aerzte, betrog sie die Wärterinnen in raffinirtester W^se, was
ihr mit Hülfe ihrer Schwester, die auch morphiumsüchtig war, stets gelang, bis
schliesslich, als die verderblichen Wirkungen der Leidenschaft den höchsten Grad
erreicht hatten, in der Klinik des Prof. Ball mit Hülfe der rigorosesten dausur
die Heilung gelang. In der eingehenden Besprechung über die Behandlung redet
Verf. sehr energisch der allmählichen Entziehung, welche er als französische Methode
bezeichnet, das Wort; nur ausnahmsweise will er die brüske Entziehung — von
ihm deutsche Methode benannt — angewendet wissen, wenn nämlich die Existenz
der Kranken durch die Folgen der Morphiumcachexie selbst bedroht ist, oder wenn
die Täuschungen der Morphiophagen bei langsamer Entziehung nicht bemeistert
werden können. Aufs Entschiedenste räth P. zur Sequestration des Morphiophagen,
er glaubt durchaus nicht, dass solche Kranke, auch beim besten Willen ihrerseits,
in gewohnter Umgebung genesen können, und darin wird jeder Arzt^ dmr in der
Sache Erfahrung hat» mit ihm übereinstimmen. Zander.
18) Du dilire ohes les dögänirös, Observations prises ä Faslle St. Anne, par
M. Legrain. Paris 1886. (290 Seiten.)
Verf., Schüler Magnan's, kennt nur eine degenerative Heredität: die foHe h^r€-
ditaire ist für ihn die folie des d^g^n^r^s. Letztere tritt in 3 klinischen Formen
auf, einem ^tat mental, einem ^tat syndromique und einem ^tat d^lirani Der ^tat
mental des Degenerirten^ d. h. sein psychischer Charakter im Allgemeinen ist der
der cerebrospinalen Gleichgewichtsstörung mit oder ohne geistigen Defeci Danach
die 4 Klassen der idiotes, imb^ciles, d^iles und intelügents sup^rieurs: bei den
letzten findet sich eben nur jene Gleichgewichtsstörung.
Auf dem Boden eines solchen ^tat mental d^g^n^rä und nur auf diesem Boden
kann sich ein ^tat syndromique entwickeln, d. h. es treten episodisch Symptome wie
Kleptomanie, Agoraphobie etc. auf, alle charakterisirt durch impulsive Unwiderstehlich-
keit, erhaltenes Krankheitsbewusstsein, begleitende Angst und nach vollbrachter im-
pulsiver Handlung rasch erfolgende Erleichterung.
Die manie raisonnante imd folie morale sind schon dem ^tat dfllrant der De-
generirten verwandt, da das Krankheitsbewusstsein gestört ist
Der ^tat d^lirant der Degenerirten ist stets ausser durch den präexistirenden
6tat mental d^g^n^r^ auch durch ganz bestimmte andere Merkmale von jedem nicht-
erblich degenerativem d^lire (d^lire = jede Psychose mit Wahnvorstellung) unter-
schieden. Er tritt auf als
1) tendance au d^e.
2) premidre ^bauche: hierher die maniakalische Exaltation und zum Theü Melan-
cholia Simplex.
3) dAire d*embl£e: brüsk auftretende, logisch incohärente, polymorphe, rasch
wechselnde Wahnideen, zu denen erst secundär Hallucinationen sich gesellen. Dies
d^lire findet sich nur bei Degenerirten und ist bei diesen das häufiigste. Fast stets
Heilung.
— 493 —
4) dflire k ÖTolatLon chronique: von dem nicht-hereditaren d^lire chronique
(chronische Paranoia) durch atypischen Verlauf, mangelnde Systematisation der Wahn-
vorstellungen, bunte Variabilität und mehr oder weniger schwachsinnigen, bizarren
Charakter derselben, Mangel primärer sensorieller Hallucinationen verschieden. Hierher
auch die meisten folies intermittentes. Nicht selten Ausgang in Demenz, doch oft
auch hier Heilung.
Der ^tat d^irant entwickelt sich aus dem allgemeinen ^tat mental d^g^n^r^
durch Grelegenheitsursachen; Pubertät, Puerperium etc. wirken stets nur als solche,
die erbliche Prädisposition ist wesentlich.
67 zum Theil sehr interessante Krankengeschichten stützen diesen neuesten Aus-
bau der Magnan'schen Lehre yon der folie des d6g6n6r^; dieselben geben Verf.
auch Anlass zu einer grossen Zahl werthvoller Einzelbemerkungen.
Th. Ziehen.
19) Beport of a oase of melanoholia with Stupor of five years duration,
by OrvMle Jay Wilsey. (The Alienist and Neurologist. 1886. VII. p. 209.)
Ein Fall von stuporöser Melancholie, die nach 5jähriger Dauer in volle Gene-
sung übergegangen sein soll. — Pai, ein 45jähr. Bedacteur, der schon 1879 einen
kurzen Anfall von Geistesstörung überstanden hatte und der in Folge heftiger Partei-
kämpfe und Ueberarbeit im Herbst 1880 mit melancholischen Selbstvorwürfen, Ver-
hungerungsbefürchtungen etc. wieder erkrankt war, wachte nach fast 5jähr. Bestehen
von ängstlichem Stupor und Stummheit — vielleicht im Anschluss an intercurrente
Erkrankungen wie Pleuritis und Dysenterie — langsam aus seiner Benommenheit auf
und besprach später mit grosser Ausführlichkeit und vollem Erankheitsbewusstsein
die schreckhaften Wahnideen und Sinnestäuschungen, die ihn so lange völlig beherrscht
gehabt hatten. So hatte er geglaubt, durch halb thierische und halb menschliche
Wesen in einem in der Luft schwebenden Gefilngniss festgehalten zu werden, und
hatte jeden Augenblick seine Hinrichtung, deren Vorbereitungen er sah und hörte,
sowie das Hinschlachten der Seinigen befürchtet. Auch meinte er, in der Luft über
die ganze Erde hingeführt zu werden: er sah alle Gegenden, von denen er früher
gelesen, dann aber auch den Himmel mit seinen goldenen Strassen etc. Die erste
klarere Vorstellung sei ihm gekommen, als er in der Beconvalescenz von der Pleu-
ritis in*s Freie gebracht worden sei: da habe er zuerst wieder bemerkt, dass er denn
doch nicht mit seinem Gefängniss in der Luft umhersegele, sondern wieder festen
Boden unter seinen Füssen habe. Der Sonnenschein, die smgenden Vögel, das Grün
der Bäume hätten ihn dann allmählich auf den Weg zur völligen Genesung gebracht.
Im October 1885 konnte Pat. als geheilt entlassen und dann später einer Aerzte-
versammlung vorgestellt werden. In der neuesten Zeit ist er allerdings an einer
Apoplexie plötzlich verstorben. Sommer.
20) Ckmtributo allo studio degli epilettioi, pei Dott. Gividalli e Amati.
(Archivio di psichiatr., scienze pen. ed antrop. crim. 1886. VII. p. 84.)
Die Verf. haben 120 Epileptiker, 68 M. und 52 W., aus der Irrenanstalt zu
Born zum Gegenstand ihrer statistischen Untersuchungen gemacht; aus den Ergeb-
nissen derselben seien die folgenden kurzen Mittheilungen gestattet. Keinmal war
directe üebertragung der Epilepsie nachweisbar, 65mal war wenigstens eines der
Eltern neuropsychopathisch oder Säufer, und 12mal scrophulös. Bei 78 Patienten
stellte sich der erste Anfall, meist im Anschluss an eine acute Himerkrankung
oder an die Kinderexantheme, vor dem 14. Jahre ein; nur 5 oder 6 beschuldigten
eine Kopfverletzung, verhältnissmässig viele aber einen plötzlichen Schreck als Ur-
sache. Während das Körpergewicht der Epileptiker den normalen llittelzahlen gleich-
— 494 —
kommt» ist ihre Körperlänge TerhältiiiBsmässig gross: 66^0 ^^^ Mümer sind über
160 and 71 ^/^ der Weiber über 150 cm lang. Im Uebrigen leigen sich
schiefe Schädel bei 33,8 and 34,6 ®/o
schiefe Gesichter bei 57,4 „ 32,6 ^/o
niedrige Stirn bei 19,0 „ 9,6 ®/o
flaches Hinterhaapt bei 25,0 „ 5,7 ®'o
Degenerationszeichen am Ohr bei . . . 55,7 „ 23,0%
A- and Dyschromatopsie bei 44,2 „ 51,7 ^/^
(von allerdings nor 43 resp. 29 hierauf üntersnchten)
organische oder fanctionelle Herzfehler bei 45,4 nnd 30,7®/,,
Sprechfehler 11,7 „ 11,5 "/o
Schwachsinn 61,7 „ 69,2 "/o
Ged&chtnissverlust 91,2 „ 78,8%
Hallucinationen 41,1 „ 36,5%
impulsive Anfälle 50,0 „ 44,2 ^/^
Jähzorn 100,0 „ 61,5%
Neigung zum Lögen etc 100,0 „ 100,0%
Neigung zur religiösen Schwärmerei . . 86,7 „ 100,0%
Masturbation 67,6 „ 21,1%
perverse Sexualität etc 2,94 „ 3,84%
Sommer.
21) Contribations & l'^tude des halluoinations aloooliques, par J. Mierze-
jewski. (Arch. Slaves de biol. 1886. I. 2. p. 433.)
M., die Hallucinationen des Delirium tremens besprechend, nimmt an, dass viele
der Gesichtsillusionen so auch die des Fallens der Objecto durch einen Tremor d^
Brück ersehen Muskels bewirkt sind; er constatirt femer im Beginne eine Hjper-
aesthesie, später Herabsetzung und selbst Fehlen der Farbenperception fOr gewisse
Farben. Eingehends bespricht er die Thatsache, dass die Hallucination im Momente
ihrer Projection nach aussen durch Verknüpfung mit gleichzeitig auftretenden Em-
pfindungen nach Grösse, Färbung und Localisation beeinflusst wird. Die Beobaclitang
Sander's (Arch. f. Psych. I. p. 487) von der wechselnden Grüsse der hallucinirten
Figuren je nach der Entfernung, in welcher sie hallucinirt wurden, erklärt er aas
dem Einflasse der Muskelempfindongen beim Fixiren; bezüglich der Farbe erwähnt
er die Thatsache, dass bei Alcoholiken mit theüweiser Farbenblindheit in den noch
erhaltenen Farben hallacinirt wird, femer die Beobachtung, dass bei solchen mit
Hyperaesthesie des Farbensinns die Hallucinationen von der Nachwirkung objediv
percipirter Objecto in ihrer Färbung beeinflusst werden, analog der bekannten Beob-
achtung von Lazarus.
Weiter berichtet M. über den Einfluss von Empfindungen in anderen Sinnes-
gebieten auf Hallucinationen; er erzählt Fälle, wo bei objectiv erzeugten Tast- oder
Schmerzensempfindungen Gehörshallucinationen in die von jenen betroffene Partie
localisirt oder durch jene verstärkt wurden. Daran knüpft M. die Mitthdlong von
durch Soggestion hervorgerufener Gesichtshallucination bei gleichzeitiger Erregung
einer Tastempfindung. Schliesslich bespricht er unter Mittheilung eines einschlägigen
interessanten Falles den von Crothers zuerst eingehend gewürdigten sog. alcoholic
trance. A. Pick.
22) neber einige naoh epileptisolien und apopleotisolien Aniftllen auf-
tretende Ersolieiniingen, von Fürstner. (Arch. f. Psych. XYII. 2. S. 519.)
F. bestätigt neuerdings die von ihm nach paralytischen Anf&Uen constatirte
einseitige Bindenblindheit, indem er seine Anschauung genauer dahin präeisirt, „dass
— 496 —
sie bei den dementen und dann meist benommenen Patienten mit unseren heutigen
Untersuchnngsmethoden wenigstens nur an einem Auge nachweisbar ist, dass diese
Einseitigkeit des Defectes auch nicht etwa lediglich dadurch vorgetäuscht wird, dass
das eine Auge in erheblich überwiegendem Grade yon dem Ausfall betroffen ist, der
sich an dem andern nur in minimalen Grenzen hält". Ausnahmslos fand sich da-
neben während und nach dem Anfalle gleichseitige, mehr oder weniger vorübergehende
Extremitätenparese mit Herabsetzung der Schmerzempfindung, sowie Fehlen des re-
flectorischen Lidschlusses. Die Parese und die Sehstömng schwinden nicht gleich-
zeitig, vielmehr geht diese voraus; es scheint, dass die Sehstöruug häufiger bei Para-
lytikern mit Seitenstrangsymptomen vorkommt.
Weiter erwähnt F. vasomotorische Störungen der Haut, häufig und zwar doppel-
seitig auch bei Einseitigkeit der sonstigen Erscheinungen intensive Böthung, spontan
oder reactiv auf mechanische Reizung, selten Serumtranssudation und Quaddelbildung.
Bezüglich der Sehnenreflexe erwähnt F. das einseitige Verschwinden des Patellar-
reflexes auf der paretischen Seite mit allmählicher Wiederkehr nach dem Anfalle,
das meist bei Individuen mit Symptomen von combinirter Hinter- und Seitenstrang-
affection beobachtet wird, femer vorübergehende, auch ungleichseitige Steigerung der
Sehnenreflexe.
Weiter beschreibt F. von Epileptikern mit dauernder Pupillenungleichheit eine
selten prodromal, häufiger postparoxysmell, bis für Tage zu beobachtende, meist ein-
seitige beträchüiche Zunahme der Pupillenweite, femer postepileptische Sprachstö-
rungen, meist Bradylalie und Bradyarthrie , welche in schweren Fällen permanent
werden können; dreimal beobachtete F. Stottern, das bei einem alkoholistischen Epi-
leptiker habituell wurde.
Von den sog. „automatischen" Bewegungen, die im postepileptischen Psychosen-
Stupor und bei Moria vorkommen, bespricht F. die von ihm sog. „convulsivischen'', die
sich als typische, donische Zuckungen einer Eörperhälfte oder einer Extremität» als
kurze fibrilläre Zuckungen einzelner Muskeln oder Muskelgruppen, schliesslich als
transitorische Hemichorea und Hemiathetose darstellen; alle treten bei freiem oder
mehr oder weniger getrübtem Sensorium auf, während die complicirteren Bewegungen
coordinirter Art, die F. als „Beactionsbewegungen" bezeichnet, bei massig starker
Herabsetzung der Bewusstseinsschärfe auftreten; die schon von Zacher beschriebene
durch Widerstand hervorgerafene Verstärkung der Bewegungen beobachtete F. beson-
ders in moriaartigen , paralytischen oder typischen epileptischen Anfallen folgenden
Zuständen. Als Analogen dazu beschreibt er eine bei gewissen postparoxysmalen
Zuständen mit verminderter Bewusstseinsintensität vorkommende sprachliche Beaction,
die durch beständige monotone Wiederholung richtiger oder paraphatisch gebildeter
Worte und Satztheile charakterisirt ist
Als Basis für diese Zustände nimmt er einen pathologischen Erregungszustand
centraler motorischer Gebiete an. Die von Samt beschriebene postepileptische Moria
findet F. nicht blos öfters bei Epileptikem, sondem auch nach apoplectiformen An-
fallen Paralytischer oder anderweitig organisch Himkranker, bemängelt jedoch die
Bezeichnung als Moria. Schliesslich erwähnt er noch aphatische Zustände und die
als Theilerscheinung der Bewusstseinsstörung zu beobachtende Herabsetzung der
Schärfe der optischen Erinnerangsbilder. A. Pick.
Therapie.
23) Alopecia, ihe result of leslon of trophio nerve oenter, by Dr. Overall.
(The Alienist and Kenrol. 1886. YH. p. 264.)
Eine nach einer fieberhaften Erkrankung zurückgebliebene Eahlköpfigkeit bei
einem 14jährigen Mädchen wird nach 7jähriger Dauer und nachdem alle bekannten
— 496 —
Mittel erfolglos geblieben waren, dnich Elektricität (,^g&Danl figadiratw» and central
galvanization" sowie locale Application fiuadiaciber SMme anf die Koplliant) in etwa
10 Monaten völlig beseitigt, indem eich zuerst auf der rechten, dann andi auf der
linken Kopfhälfte reichliche Haare entwickelten. Sommer.
HL Bibliographie.
Gmndrisa der medicmiachen SlektrioitfttBlehre für Aente und Studirende,
von Bieger. Jena, Gosta? i^her, 1886. (62 Seiten.)
Das vorliegende kleine Werk soll inhaltlich nichts Neues darbieten, sondern
nur in gedrängtem Auszuge die fOr den Praktiker wichtigsten physikalischen und
physiologischen Vorkommnisse behufs diagnostischer und therapeutischer Elektricitats-
Anwendung vermitteln. In formeller Beziehung ist das Buch dagegen von seinen
zahlreiche Vorgängern zum Theil erheblich yerschieden; wobei die Vorzöge zumeist
auf der Seite des Bieger*schen Buches zu suchen sein dürften. Die Anordnung des
Stoffes ist sehr zweckmässig, die DarsteUnng durch Klarheit und Kftrze ansgezeidinet;
als ganz besonders werthvoll aber, weil ffir den Anfanger wesentlich zur Erleich-
terung des Verständnisses beitragend, erscheinen die 24 auf besonderen Tafeln bei-
gedruckten und vortrefflidi ausgefOhrten Chromolithographien. Dieselben stellen theib
Bestandtheile des elektromedicinische ArmamentarSy Elemente etc. dar, — theils
vergegenwärtigen sie schematisch die Stromvertheilnng, die Sfaromdichte unter v«--
schiedenen Umständen der verschiedenen Arten elektrischer Behandlung, die ptt'cotaoe
Nervenreiznng, die Elektrodiagnostik der Lähmungen. Es dürfte an dem Boche nur
sehr Weniges auszusetzen sein; am meisten der Mangel ausfOhrlicherer Mittheilungen
über die jetzt gebrauchlichen Galvanometer. Gerade nach dieser Richtung wä^en
doch wohl, dem Zwecke des Baches gemäss, etwas genauere Details am Platze ge-
wesen, statt der blossen allgemeinen Angabe (S. 9), dass die in der Praxis fiblidien
Galvanometer nach einem einheitlichen Maassstabe graduirt seien. Dagegmi erwähnt
und empfiehlt B. die Kohlransch'sche Stromwaage, als fttr den medidnischen Gebraudi
am meisten geeignet Allerdings dürfte diesem Instrumente vor den gewöhnlichen
Vertical-Galvanometem der Vorzug grösserer Constanz zu vindidren sein; jedoch ist
die „Stromwaage'' nach der v<hi Kohl rausch herrührenden Beschreibung (Sitzungs-
bericht der Würzburger phys.-med. Gesellschaft, 25. Juli 1885) nur für Ströme bis
zu 10 M.-A. Stärke eingerichtet^ überdies auch (was weniger in Betracht käme) nur
für eine Bichtong des Stromes benutzbar. — Ungewöhnlich ist, dass R. stets von
„Dichtigkeit" (statt des feststehenden Terminus „Dichte") des Stromes spricht. Wenn
es (S. 48) heisst, „über eine galvanische Beaction des Geruchsorgans ist nichts
Sicheres bekannt", so scheinen dem Verf. die Aronsohn*schen Untersuchungen über
diesen G^enstand (VerhandL d. physiolog. Ges. in Berlin, 1883 — 1884, Nr. 15 u. 16)
entgangen zu sein, obgleich dieselben schon in neueren Lehrbüchern, z. B. v. ZiemsseD
(II. S. 162) Aufoahme gefunden haben. — Dass die Beibungs-Elektricität ,4n der
heutigen Medicin ohne praktische Verwendung" sei und deshalb unbernciraichtigt
bleiben könne, lässt sich doch wohl nicht unbedingt rechtfertigen. — Abgeselien tob
derartigen Kleinigkeiten wird die vortrefflich ausgestattete Schrift ihren Zweck der
raschen Orientirung und Vorbelehrung für Studirende und nicht-specialistische Aerzte
sicher in vollkommenster Weise erfüllen. A. Eulenburg.
Um Einsendimg von Separatabdracken an den Herausgeber wird gebeten.
EinBendongen fnr die Bedaetion sind za richten an Prot Dr. E. Mendel.
Berlin, NW. Kronprinzen-Ufer 7.
Verlag von Vbit & Comp, in Leipzig. — Dmck von Mbtsokb & Wmno in Leipzig.
NEUROLOGISCHESCENTRALBLAn.
Uebersicht der Leistungen auf denn Gebiete der Anatonnie, Physiologie, Pathologie
und Therapie des Nervensystemes einschliesslich der Geisteskrankheiten.
Herausgegeben Ton
Professor Dr. E. Mendel
Fflnfter *" ^*^- Jahrgang.
MonaÜicli erscheinen zwei Nnmmern. Preis des Jahrganges 16 Mark. Zu beziehen durch
alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie
direct von der Verlagsbuchhandlung.
1886. 1. November. M 2L
Inhalt. I. OriglnalmittheUungen. 1. Zur DifFusionselektrode, von Prof. Dr. Adamklowicz.
2. Nachtrag zu der Mittheilung „Tumor der Zirbeldrüse" in Nr. 19 d. BL, von Dr. R. Schulz.
II. Referate. Anatomie. 1. Sulla mecoanica della locomozione del cervello in rap-
porto ai moTimenti del capo, per il Venfurl. 2. The Paroccipital, a newly recognized Fis-
sural Integer, by Wilder. — Experimentelle Physiologie. 3. Erregbarkeit der motor.
Bindencentren an neugeborenen Hunden, von Bechferew. 4. Sulla fisiologia del grande hippo-
campo, ricerche sperimentaH del Fasola. — Pathologische Anatomie. 5. Syringomyetie,
von Krauts. 6. Öau des Büokenmarkes bei Mikrocephalen, von Sfelnlechner Qretschlschnlkoff.
7. Combinirte Systemerkrankungen des Bückenmarks, Yon Erllcki und Rybalkln. — Patho-
logie des Neryensystems. 8. H^miplögie aveo hydr^mie de rhömisph^re du cöt4 oppos^
a l'h^mipl^e et a une läsion pulmonaire pr^^ezistante, par Lupine. 9. Hämiplögie diabätique
avec l^sions seulement microscopiques des circonvolutions motrices, par Lupine et Blanc.
10. Perforating Tuberculosis of scml with cerebral Symptoms, by Edmunds. 11. Ascesso
cerebrale da earie del temporale destro, nota del Mariani. 12. Empyema with cerebral abscess,
by FInlay. 18. Paralysie cerebrale spastique de l'enfance, par Francotte. 14. PoliencephalitiB
infantilis, Yon Richter. 15. Cerebrale Einderlähmung, von Ranke. 16. Sullo spasmo clonico
della Hngua, del Seppilll. 17. Troubles nerveuz dans la diab^te chez les feounes, par Lechorch6.
18. Von der angeborenen Myotonie, von Danlllo. 19. Nosographie des chor^es, par Lannols.
— Psychiatrie. 20. La durata delle frenosi guaribili, del Riva. 2t. Ophtnalmoscopic
studiea of acute mania with notet of cases, by Lautenbach; Histories of natiens, by Bennet
22. The opium habit in an idiot boy, b^ Carson. 23. Physiologie des hallucinations; les
deuz th^ries, par Balllarger. 24. Curabüit^ de la dömence, par Kowalewski. — Therapie.
25. Trephining for Traumutic Epilepsy, by Donald. 26. Compound depressed frasture of the
vault Dt the skull; trephining; recovery under the care of Drew. 27. Compound depressed
fracture of right parietal bone, trephining, reimplantation of the trephined portion, recovery,
by Warlng. 28. 'm^^anation bei Hirntumor, von Horsley. 29. Di un nuovo sistema di letti
per dementi-paralitici ideato dal dott. Ferotti e in uso nel B. Manicomio di Torino, relazione
del Mondlno. 30. Les nouveauz hypnotiques et leur emploi en mödicine mentale, par taillier.
Hl. Aus den Gesellschaften. — IV. Bibliographie. — V. Personallen. — VI. Vermischtes.
I. Originalmittlieilungen.
1. Zur Diffusionselektrode.
Von Prof. Dr. Adamkiewioz.
In einer der letzten Nummern^ dieser Zeitschrift wird mein Verfahren,*
Ghlorofonn yermittelst meiner Diffosionselektrode za therapeutischen Zwecken,
* Nr. 18. Üeher die durch Chloroform auf kataphorischem Wege zu erzeugende Haut-
anästhesie (Adamkibwicz) von Pasohkis und Wagnbb.
' Die DiAunonselektrode. Diese Ztschr. 1886. Nr. 10.
— 498 —
besonders zor Behandlang ?on Neoralgie&y za kataphoresireii von den Herten
Paschkis and Wagneb einer angünstigen Kritik ont^woifen.
Den Eemponkt denselben bildet die Bebanptang meiner Q^ner, daas du
Chloroform, da es nicht elektrisdi leite, aach nicht katapboresirt werden könne.
Meine Diffosionselektrode lasse daher mit Chlorctform gefallt einen elektrischen
Strom überhaupt nicht darch. Und was ich als eine Folge der Chlorrform-
Eataphorese beschrieben hatte, käme ganz ohne Mitwirkung des Stromes onta
dem Einflass des Chloroforms allein za Stande. Dasselbe dringe aach gar nicht
in die Gewebe ein, sondern verschwände aas der Diffosionselektrode einfEu^ an
der Luft darch Verdampfen, wie man sich darch — den Gerach davon über-
zeugen könne.
Es ist bekannt, dass Chloroform, wie jede andere alkoholische and ätherische
Flüssigkeit, sehr wenig leitet Dass aber trotzdem das Chloroform in meiner
Diffosionselektrode den Strom nicht nor nicht unterbricht, sondern nicht einmal
merklich beeinflusst, — das kann Jeder mit lidchtigkeit feststellen, der, wie es
sich von selbst verstehen sollte, die Elektroden vor ihrer Verwendung
mit Wasser befeuchtet Wer das versäumt, der sollte sich billigerweise
über die Stromlosigkeit seiner Vorrichtung nicht wundem und, wenn er von
„groben Lrrthfimem'' zu sprechen sich gedrängt fohlt, in besdieidener Einsicht
zunächst an Ach denken.
Wird es nun so einerseits klar, weshalb in den Händen meiner Herres
Kritiker die Diffussionselektrode versagen musste, während ich mit ihr 5 und
10 Milliamperes erhalte und, wenn es nöthig sein sollte, auch noch mehr; — so
will ich anderseits hier noch besonders danuif hinweisen, dass eine sorgfaltige
Befeuchtung der Diffosionselektrode mit Wasser für die Eataphorese besonders
wichtig ist Taucht man die Elektrode in üblicher Weise nur einfach in's
Wasser, so läuft man Gefahr, die Poren des Leinwandüberzuges zu verschliesseo
und so die Eataphorese zu erschweren. Drückt man dagegen das die Dif-
fussionselektrode überziehende Leinwandläppchen vor dem Versuch unter Wasser
aus, so bleiben die Leinwandporen offen. Und während nun die Leinwand-
faden den elektrischen Strom leiten, findet der kataphorische Strom in den Poren
der Leinwand offene Pforten.
In dieser Weise vorbereitet, kann man sich schon durch den Versuch am
Menschen von der Eataphorese des Chloroforms sicher überzeugen.
Appiicirt man die Diffusionselektrode
1. als Anode eines Stromes von bestimmter Dauer (etwa 4 Minuten) und fest-
gesetzter Stärke (etwa 3 M.-A.), nachdem man sie einmal mit Wasser und
ein zweites Mal mit Chlorofoim gefQUt hat und
2. als einfaches Chloroformreservoir unter denselben Bedingungen und ohne Strom.
so erhält man folgende Besultate:
1. Die Diffusionselektrode ist mit Wasser gefUlt:
Man hat das bekannte leicht brennende Gefühl des elektrischen Stromes.
Nach der Einwirkung ist die Haut gegen Stiche empfindlicher, als sie es
vorher war.
— 4»» —
2. Die nSbsionselekfarode ist mit Chloroform gefiUlt imd stromlos:
Während der Application massiges Brennen. Nach derselben Ab-
stumpfung des Gefühls zunächst für Temperaturunterschiede, spater für
Schmerzeindrüeke.
3. Die DiftasioMelektrode ist mit Chloroform gefüllt und elektrisch dtiroh-
stromt:
Schnell aaisteigendes sehr intensives Brennen, später Abnahme des-
selben noch während des Versuches (beginnende Anästhesie). Nach demselben
intensive Abstumpfung des Temperatur- und des Schmerzgefühls.
Diese Scala beweist, wie der elektrische Strom die Wirkung des Chloro-
forms erhöM. — Und man kann sich diesen Einfluss des elektrischen Stromes
nicht anders vofstellen, Biß so, dass er das Chloroform in innigeren Contact mit
den Geweben bringt, d. h. in dieselben hineinzieht Daher nehmen denn
auch die materiellen Folgen dieses Contactes mit steigender Stromstärke schnell
zu. Und man kann schon bei Strömen von 7 — 10 M.-A. in wenigen Minuten
neben absekiter Bantanästheeie Gewebsveränderungen, Erytheme bis tiefe Yer-
schorftingen, erzeugen. — Das Chloroform allein brauchte zu solchen Wirkungen,
falls es sie überhaupt hervorzubringen im Stande sein sollte, zum Mindesten
Stunden.
Bei sorgfältiger Abmessung der Stromdaner nnd Stromesinten-
sität lassen sich diese schwereren Einwirkungen der Chloroform-
kataphorese immer vermeiden. Man erhält dann nur locale Gtefühls-
abstumpfiiDgen. Und diese in prcmiptester und zuverlässigster Weise.
Während der letzten Naturforsoherversammlung hatte ich Gelegenheit, den
Mitgliedern der dermatologischen Secüon, die mich zu Versuchen mit der Dif-
fosionselektrode freundlichst eingeladen hatten, hiervon einige Proben zu geben.^
Sehr schön lässt sich die Thatsache der Chloroformkataphorese am Eaninchen-
ohr demonstriren. —
Man färbt zu dem Zweck das Chloroform, beispielsweise mit Gentianaviolet,
und legt die mit diesem Chloroform gefüllte Diffussionselektrode für eine be-
stimmte Zeit (etwa 5 Minuten) an die innere, haarlose Fläche der einen und
dann der anderen Ohrmuschel. Lässt man auf der einen Seite nur das Chloro-
form, auf der anderen das Chloroform in Gemeinschaft mit einem mittelstarken
Strom (etwa 10 — 15 M.-A.) wirken, — so erkennt man, nachdem man von
beiden Muscheln den äusserlich anhaftenden Farbstoff mittelst Alkohols vorsichtig
abgewaschen hat, besonders bei durchfallendem Licht sehr deutlich, wie auf dem
vom Strome nicht durchflossenen Ohr nur ein blasser, hellvioleter, der Form der
Elektrode entsprechender Fleck entstanden ist, während das andere Ohr an der
Applicationsstelle der Diffusionselektrode tief blau tätowirt erscheint. — Die
mikroskopische Untersuchung lehrt dann auch, wie auf dem einen Ohre nur
^ Tageblatt der 59. YerBammlnng deutscher Naturforscher nnd Aerzte in Berlin. Nr. 9.
S. 398. — Die Herren Proif. nnd Drr. Sohwimmbb (Buda-Pest). Köbnbb (Berlin), Lipp (Graz),
QaeirPKLi) (Wien), Bbbbbkdt, BoSb (Beilin) n. a. waren so firenndlich, sich für diese Ver-
suche besonders su iat^r^ssir^n«
— 500 —
die obeiflaGhlichen Epidermisschichten, auf dem anderen, kat^^horoBiiten dagegen
die Epidermis in ihrer ganzen Dicke und selbst das Unterhautzellgewebe diffus
gefiurbt ist —
Damit ist der Beweis geliefert, dass das Chloroform mitteist meiner Elek-
tiode, falls sie nur richtig gehandhabt wird, thatsaohlich kataphoresirt wird.
Wenn sich daher anch meine Herren G^Tier auf das Zeugniss ihres Ge-
mchsoiganes gegen mich berofen, so mnss ich doch zn meinem Leidwesen
constatiren, dass sich dasselbe als Hessappaiat fär quantitative (Montforxn-Be-
Stimmungen leider nicht bewahrt hat —
Bei dieser Gelegenheit möchte ich noch der irrthümlichen Auffiassong ent-
gegentreten, als ob ich auf die durch mein Yerfähren zu erzielende Haatanästhesie
ein besonderes (rewicht legte. Diese dürfte, glaube ich, ebensowenig, als die
durch Gocainkataphorese erzeugte, auf praktische Yerwerthbarkeit Ansprach
erheben. Hypodermatische Injectionen und Einpinselungen mit Cocain sind
weniger umständlich und stehen der Eataphorese an Sicherheit gewiss nicht nach.
Worauf ich dagegen den Nachdruck lege, das ist dar Umstand, dass die
Chloroformkataphorese sich mir als ein äusserst wirksames schmerz-
stillendes Verfahren bewährt hat, — ein Verfahren, mit dem ich zur Zeit
mich noch weiter beschäftige und über das ausfBhrlichere MittheQungen zu
machen ich mir yorbehalte. —
2. Nachtrag zn der Mittheilnng „Tumor der Zirbeldrüse'' in
Nr. 19 d. Bl.
Von Dr. Biohard Sohuls.
Zu meinem Bedauern bemerke ich nachträglich, dass ich zwd Beobach-
tungen von Tumoren der Zirbeldrüse, welche im Jahre 1885 in diesem Blatte
Nr. 18 von Feilchenfeld und Nr. 24 von PoNTOPPmAN mitgetheilt worden
sind, in meiner letzten Arbeit unberücksichtigt gelassen habe.
Der erste nicht nur auf die Zirbeldrüse beschränkte Tumor braucht streng-
genommen nicht mit in Betracht gezogen zu werden. Er betraf einen ISjähr.
Mann mit Kopfschmerz, Schwindel, Erbrechen, Ataxie der Arme und Beine,
intacter Sensibilität, gesteigerten Sehnenreflexen rechts, Lähmung beider Nn.
Oculomotorii, Parese des Imken N. facialis, ungleichen Pupillen, beiderseitiger
Stauungspapille, Fieber.
Der zweite Fall, ein wallnussgrosses stark vascularisirtes Bundzellensaroom
der Zirbeldrüse, betraf einen 31 jähr. Maler, firüher syphilitisch mit Kopfweh,
Schwindel, psychischer Trägheit, Unfähigkeit des Stehens und Gehens, inyolon-
tären Excretionen, benommenem Sensorium, motorischer Schwäche linkerseits,
trägen Pupillen, starrem Blick ohne Schielen oder Doppelsehen. Pat zeigte
Neigung, die linke Seitenlage einzunehmen, Neigung nach hinten zu Men,
später trat Opisthotonus und ein epileptiformer Kramp&nM au^ auch entwickelte
sich beiderseits Neuritis optica.
— 501 —
An Dmckfehlem möchte ich gleichzeitig noch in der betreffenden Arbeit
berichtigen:
S. 442 Zeile 4 „Schädelinnem'' statt „Schädehnark^^
S. 443 Zeile 6 ,,nicht protrudirt^' statt „leicht protnidirt'^
IL Referate.
Anatomie.
1) Sullft meooanioa della looomozione del oervello in rapporto ai movl-
menü del oapo, per 11 Prof. Ventari. (Biv. sperim. di freniatr. ecc. 1885.
XI. p. 159.)
Verf. hat das von Lnys n. A. in neuester Zeit behauptete Vorhandensein einer
Beweglichkeit des Gehirns innerhalb der Schädelkapsel, entsprechend den verschie-
denen Haltungen des Kopfes, aber unabhängig von den Einflüssen der Respiration
und Herzbewegung, genauer untersucht. Er hatte zuföllig bei der Section eines
Epileptikers in der wie gewöhnlich stark verdickten Calotte eine länglich ovale Aus-
höhlung beobachtet, welche durch eine auffällig entwickelte Pacchionische Granulation
in der Breite ganz ausgefüllt wurde, während sie nach vom und hinten derselben
einen bedeutenden Spielraum gewährte. Er schloss daraus, dass sich jene Granula-
tion selbst ihr „Geleise'' bei den Längsverschiebungen des Hirns in Folge veränderter
Kopfhaltung ausgearbeitet haben könnte. Experimentell stellte er darauf fest, dass
thatsächlich eine Bewegung des Gehirns mit der Arachnoidea stattfindet und zwar
nach hinten, wenn der Kopf auf den Nacken gebeugt wird, und nach vom beim um-
gekehrten Verfahren. Er fasst diese. Bewegung als eine Drehung des Gehirns in toto
um den biauricularen Durchmesser auf und meint, sie erfolge einfach nach dem Ge-
setz der Schwere, indem der Liquor als specifisch leichter in die höheren Partien
des Schädelinnenraumes eintritt, und das Hirn daher gevrissermaassen in die tiefer
gelegenen eintritt. Sommer.
2) The Farocoipital, a newly reoognized Fissural Integer, by Burt G. Wilder.
(Joum. of nerv, and ment. dis. 1886. Vol. XÜI. p. 301.)
Der obige Aufsatz enthält einige recht interessante Betrachtungen, die aber
leider durch die Wilder*sche Nomenclatur schwer verständlich sind. Der Verf.
wendet sich erst gegen die Fissura transversa occipitalis (Ecker), deren Selbst-
ständigkeit er in Abrede stellt. Ecker*s Fissura interparietalis wird demnach auch
hinfällig; denn diese F. interp. enthält (nach Wilder) eine eigentliche Fiss. parietalis
und den longitudinalen Theil (zygon) der Fissura paroccipitalis. Diese Fissura par-
ocdpitalis ist eine der Orbitalfissuren ähnliche Formation; sie besteht aus einem
länglichen Theile, welcher sich vom und hinten in je zwei laterale Theile verzweigt.
Die Fissura transversa occipitaUs (Ecker) repräsentire die hinteren Verzweigungen
(stipes und ramus) dieser Fissurenbildung. Sachs (New Tork).
Experimentelle Physiologie.
3) Heber die Erregbarkelt der motorisohen Bindenoentren an neugeborenen
Hunden, von W. Bechterew. (Wratsch. 1886. Nr. 34. Russisch.)
Die Untersuchung des Verf. schliesst sich an die bekannten Arbeiten Solt-
mann*s und Tarchanow's über den bezeichneten Gegenstand an, deren Ergebnisse
— 502 —
er im Allgemeinen bestätigt, mit Aosnahme einiger Yerbaltnifise, beti^s welcher er
neue Behauptungen aufstellt. So fand er, dass zwischen dem Auftreten der Rinden-
erregbarkeit und Oeffoen der Augen keine beständige Beziehung besteht, dass im
Qegentheil beide Erscheinungen unabhängig von einander sind. Femer behauptet er,
dass auch die Entwickelung von Riesenzellen in der Rinde des motorischen Feldfö
nicht eine unumgängliche Bedingung der elektrischen Erregbarkeit repräsentirt; da-
gegen fand er, dass letztere mit der Markscheidenentwickelung an den Nervenfasern
des Pyramidenstranges zusammenfällt, die bei Hunden nicht vor dem 10. Tage,
meistens zwischen dem 12. und 15. nach der Geburt beginnt Was die Locaüsation
der Gentren anbetrifft, so kann B. der Behauptung Soltmann's nicht beistimmen,
dass sie ausglich einen grösseren Raum einnehmen, als am erwachsenen Hund.
B. fand bei seinen Versuchen, dass das Gebiet, dessen elektrische Reizung motorische
Wirkung hat, auch am jungen Hunde auf den Gyrus sigmoides beschränkt ist, und
dass die einzelnen Centren in derselben topographischen Anordnung liegen, vrie am
erwachsenen. Ein Unterschied zwischen beiden besteht darin, dass am jni^en die
Centren noch wenig different sind, indem man am letzteren nur drei erregbare
Punkte findet (fär die Gesanmitmusculatur des Gesichts und der Extremitätoi),
während im motorischen Felde des erwachsenen Hundes 16 einzelne Punkte vor-
handen sind, deren Reizung isolirte Muskelgruppen in Contraction versetzt. Letztere
sind vom Verf. in einer in Gemeinschaft mit Referent ao^ef&hrten Arbeit (rassisch)
beschrieben und abgebildet. Zum Schluss macht Verf. die Angabe, dass es an jungen
Hunden, deren Centren bereits erregbar sind, trotzdem nicht gelingt, durch elektrische
Reizung der Hirnrinde epileptische AnfaUe hervorzurufen. P. Bosenbach.
4) Sulla flsiologia del grande hippooBini>o, rioercdie sperlmentali del Dott.
G. Fasola. (Riv. speriment. di freniatr. 1886. XI. p. 434.)
Verf. kommt auf Grund seiner zahlreichen Thierversuche (an mittelalten Hunden)
zu folgenden Schlüssen:
Das Ammonshom steht in functionellem Zusammenhang mit dem Gesichts-, Ge-
hörs-, und Geruchssinn; es bildet eine Zone, in der die drei Sinnesspharen gemein-
sam vertreten sind und in der vielleicht die Associationen zwischen den verschiede
erzeugten Erinnerungsbildern vermittelt werden.
Die optischen Fasern des Ammonshoms kreuzen sich theilweise; das mächtigere
Bündel ist das, welches mit der gekreuzt liegenden Retina in Yerbindong steht,
beim linken Ammonshom also mit dem linken Abschnitt der rechten Retina. Die
acustischen Fasern kreuzen sich ebenfalls theilweise und auch hier ist das gekreuzte
Bündel das mächtigere. Die osmischen Fasern verlaufen wahrscheinlich ungekreuit.
Sommer.
Pathologische Anatomie.
6) neber einen Fall von Syringomyelie» von Dr. E. Krauss, Breslau. (Yir-
chow's Archiv. Bd. 100. S. 304.)
Eine 50 Jahre alt gewordene Fabrikarbeiterin bemerkte in ihrem 32. Jahre
plötzlich eine Lähmung des rechten Armes und Beines; die des letzteren verlor sieh
wieder, am rechten Arm entwickelten sich Contracturen sämmtlicher Finger. Bis zg
ihrem 46. Lebensjahre befand sich Fat. dabei in erträglichem Zustande; seitdem
Verschlimmerung, besonders viel Schmerzen in beiden Beinen, in der rechten Körper-
hälfte; häufiges Urinlassen. Die obere rechte Extremität massig atrophisch.
Aus den letzten 3 — 4 Jahren ihres Lebens, die sie im Krankenhause ambraebte,
ist zu erwähnen, dass der Urin meist eiweisshaltig war, ohne corpusculäre Elemeot^-
— 503 —
Wirbelsäule nirgends auf Dmck schmerzhaft; Banchreflex nicht vorhanden, Sensibilität
normal. Zuletzt heftige Schmerzen im rechten Schultergelenk, danach Gontractnren
in diesem sowie im rechten Ellenbogengelenk; h&ufiges Erbrechen.
Die Bection (Tod den 4. Jan. 1883) ergab Syringomyelie mit grauer Degeneration
des rechten Seitenstranges. Die H6hle reichte yom unteren Ende der Oliven bis
zum 6. Dorsalnerven. Der Centralkanal war an den meisten Stellen erhalten. Dass
die H6hle durch den Zerfall gewucherten Gliagewebes entstanden war, erwies die
mikroskopische Untersuchung zweifellos. Die Gliawucherung betheiligte im unteren
Dorsaliheil nur die Umgebung des Centralkanals, weiter oben das rechte Hinterhoin,
einen Theil des rechten Seitenstranges, ja zuletzt auch das linke Hinterhom. Auch
die Clarke*schen Säulen, das rechte Yorderhom, Hinterstränge und Theile der Med.
oblongata waren afficirt. — Es bestand Nierenschrumpfung. —
Das plötzliche Auftreten der rechtsseitigen Lähmung erklärt Verf. durch eine
bei dem schon längere Zeit sjmptomlos vorhanden gewesenen Leiden eingetretene
Blutung. — Mit Rücksicht auf die Angaben von Fr. Schultze und Bernhardt
hebt Verf. hervor, dass, abgesehen von den rechtsseitigen resp. sonstigen Schmerzen,
Sensibilitätsstömngen, bes. Anästhesie, Analgesie, Lähmung des Temperatursinnes etc.
fehlten. Hadlich.
6) Ueber den Bau des Büokenmarkes bei Mikrooephalen; ein Beitrag zur
Kenntnjss des Einflnaaea des Vorderhimes auf die Entwiokelting
anderer Theile des Centralnervensystems, von Alexandra Stein-
lechner Qretschischnikoff. (Arch. f. Psych. 1886. Bd. 17. Nr. 3.)
Das Material zu vorliegender Arbeit bestand ans dem Bückenmark zweier Mikro-
cephalen. Der Gehimbefund muss im Original nachgelesen werden. Die Bücken-
marke wurden auf Mikrotomschnitten mittelst Messung und Zählung der Nervenfasern
in bestimmten Querschnittsfeldem untersucht. Die Resultate sind folgende:
Es besteht in beiden Fällen von Mikrocephalie eine Verkümmerung des Rücken-
marks, für die locale Ursachen nicht aufzufinden sind. In beiden Fällen sind die
Pyramidenbahnen, die Gk>irschen Stränge, und die Yorderstrangsgrundbündel ; im
stärkst afficirten Präparat auch die Kleinhimseitenstränge und die Yorderhomgang-
lien affidrt Die Eeilstränge sind freigeblieben.
Die Verf. schliesst daraus, dass vor Allem die Ausbildung der Pjramidenbahn
und der GoU'schen Stränge direct unter dem Einflüsse des Qrosshims geschehe: dann
folgen die YorderhomgangUen. Ein Theil der Pyramidenbahn könne aber nicht direct
vom Grosshime abhängen, da er auch noch bei hochgradigster Alfection desselben
vorhanden sei. Dasselbe sei der Fall mit den Yorderstrangsgrundbündeln.
Bruns.
7) Zur Frage der oombinirten Systemerkrankungen des Büokenmarks,
von Erlicki und Bybalkin. (Arch. f. Psychiatrie. 1886. Bd. 17. Nr. 3.)
Ein ISjähriges Mädchen erkrankte in Fol^e einer Erkältung und zeigt 1 Jahr
nach dem Erankheitsbeginn folgende Symptome: Hochgradige Ataxie der Beine,
geringere der Arme, Romberg's Symptom. Muskelgefühlsstörung an allen vier Ex-
tremitäten. Im Uebrigen keine Sensibilitätsstörung; keine Schmerzanfölle oder Par-
ästhesien. Patellarreflexe erloschen. Keine Lähmungserscheinungen, keine oculären
Symptome, keine Sprachstörung. Bis zum Tode, der 20 Monate nach Beginn der
Erkrankung an Tuberculose erfolgte, traten neue Symptome nicht hinzu.
Pathologisch-anatomisch fand sich Degeneration der Pyramidenseitenstränge, fast
der gesammten Hinterstränge (nur iin Lendenmai'k blieben die vordersten Partien
dieser Stränge intact) und eines Theiles der grauen Substanz: die laterale Zone der-
selben in der Gegend zwischen Yorder- und Hinterhömem.
*«
— 504 —
Die Yerft. scheinen geneigt, ihren Fall der hereditären Ataxie Friedreich*s
anzureihen, deren bisherige Gasnistik sie besprechen. Freilich fehlten der Nystagmus,
die Sprachstöning und die Lähmnngserscheiniihgen; doch seien das Sp&tsyniptome,
die bei dem schnellen Yerlanf ihres Falles nicht austreten seien. Anch die Moskel-
gef&hlsst6ningen trübten etwas das Krankheitsbild. Ueber hereditäre Verhältnisse
war nichts zu emiren, da die Fat ein Findelkind war.
Hervorgehoben wird noch die Intactheit des Tast- und SchmerzgeftJils bei fast
vollständiger Zerstörong der Hinterstränge. Der Verlust des Muskelsinnas wird auf
die beschriebene Affection der grauen Substanz bezogen. Brnns.
Pathologie des Nervensystems.
8) Delix cas dliömiplögie aveo hydremie de llidniisphöre du cötö oppoae
a rhömipl^e et a une läsion pulmonaire präexistante, par B. Le-
pine. (Bev. de mäd. 1886. Jan vier p. 85.)
L. berichtet über eine Hemiplegie, welche kurz vor dem Tode bei einem Kranken
mit Lungenphthisis aufgetreten war. In der entgegengesetzten Gehimhemisphäre
fand sich keine der gewöhnlichen Herderkrankungen. Die Gehirnsubstanz daselbst
erschien aber etwas blasser, weicher und eine quantitative Bestimmung ihres Wasser-
gehaltes ergab eine Vermehrung desselben gegenüber der anderen Hemisphäre. In
einem anderen Falle trat bei einem Kranken mit croupöser Pneumonie ebenfalls kun
vor dem Tode eine Hemiplegie auf, welche nicht durch eine Herderkrankung bedingt
war. Auch die Wasserbestimmung lieferte kein entscheidendes Besnltat
Strümpell.
9) Hömipl^e diab6tlque aveo iMona aeulement miorosoopiques des cir-
oonvolationa motrioes, par B. Lupine et L. Blana (Bev. de m6d. 1886.
F^vrier p. 167.)
Bei einem 39jährigen Diabetiker entwickelte sich innerhalb 14 Tagen eine voll-
ständige, die Extremitäten und das Glicht betreffende rechtsseitige Hemiplegie.
Später trat auch fast vollkommene Aphasie dazu. Sehr häufig zeigten sich in der
gelähmten Seite epileptiforme Anfälle. Nach beinahe einjähriger Dauer gingen diese
nervösen Störungen so gut wie vollständig wieder zurück. Patient starb aber bald
darauf an Lungenphthisis. Die Section ergab keine dem blossen Auge auffiOlendo]
Veränderungen im Gehirn. Mikroskopisch dagegen fanden sich in der Binde der
linken motorischen Begion deutliche Veränderungen, vor Allem fast vollständiger
Schwund der Pyramidenzellen, Erweiterung der perivasculären Lymphräume xl a.
Strümpell
10) Case of perforating Taberoolosia of skull with cerebral Symptoms,
by Walter Edmunds. (Brain. 1885. April, p. 88—90.)
Ein 14 jähriger Knabe hatte 18 Monate vor der Au&ahme innerhalb einer
tuberculösen Peritonitis einen kalten Abscess auf der linken Seite der Kopf hant über
dem Schläfenbeine unter Kopfschmerzen bekommen, aus welchem 2mal dicker Eiter
aspirirt wurde. Etwa 6 Monate später klagte er über Taubheit im rechten Ann
und Hand, und 4 Monate später begann sich der Abscess wieder zu füllen. 2 Tacre
vor der Aufnahme trat ein Krampfanfall ein, in welchem unter Bewusstseinsverlnst.
Schaum vor dem Munde, Zungenbiss und unwillkürlicher Urinentleerung, beide Beine
und der rechte Arm zuckten. Es bestand auf der linken Scheitelbeingegend m
— 505 —
flnctuirender Tamor, motorische Schwäche des rechten Armes und Beines, leichte
rechtsseitige Facialparalyse, normale Sensibilität, ophthalmoskopisch Schwellung der
Papillen ohne Hämorrhagien, keine Sehstömng, normale Kniephänomene. Nach Frei-
legnng des Ab^cesses fand sich in der ganzen Dicke des Schädels ein Sequester,
nach dessen Entfemnng die Dura mater bloss lag nnd die Gehimpolsationen sicht-
bar waren. Noch 2 AnflUle nach 2 nnd 8 Wochen nach der Operation, in welchen
der Kopf nach rechts gedreht wurde unter allgemeinen Gonvulsionen. Die Neuritis
optica ging zurück; nach 4 Monaten bestand noch rechtsseitige Hemiparese. Der
durch eine Süberplatte geschützte Defect des Schädels lag einen halben Zoll nach
Tom von der Mitte der Bolando*schen Spalte. Es wird der Fall als perforirende
Tuberculosi9 des Schädels aufgefasst. E. Bemak.
11) Aflcesso cerebrale da oarie del temporale destro, nota del Dott. M.
MarianL (Archivio ital. per le mal. nervöse ecc. 1886. XXUI. p. 193.)
Bei einer 31jährigen Frau, die schon zweimal geisteskrank gewesen war, zeigte
sich im Verlauf des dritten Anfalls von maniakalischer Verwirrtheit und Aufregung
eine allmählig zunehmende Benommenheit, der sich nach etwa 5 Monaten hefiage
Kopfschmerzen in der rechten Schläfe und 4 Monate später Ausfluss von fötidem
Eiter aus dem rechten Ohr ausschlössen. Nach weiteren 4 Wochen trat der Tod
ein, nachdem sich noch Oedem der rechten Schläfen- und Stimgegend und Himdruck-
erscheinungen (Sopor, langsamer Puls bis 40, und Vomitus) ohne motorische oder
sensorische Störungen, abgesehen von einer leicht erklärlichen Herabsetzung des
Geh6rs auf der rechten Seite, gezeigt hatten.
Die Section ergab Garies des Schläfenbeins und einen ganz isolirten nussgrossen
Abscess im Mark des rechten Schläfenlappens, der nirgends die Binde erreichte.
Auf&lHg ist der Mangel aller Herdsymptome und das Fehlen eines jeden localen Zu-
sammenhanges des Abscesses mit der Garies, obschon eine causale Verbindung zwischen
beiden doch wohl angenommen werden muss. Sommer.
12) A oase of empyema with cerebral absoess, by David W. Finlay. (The
Lancet 1886. Vol. I. p. 298.)
Ein 20jähriger Mann wurde wegen linksseitigem Empyem operirt und ihm eine
reichliche Menge fötiden Eiters entzogen. Wohlbefinden. 8 Tage nach der Operation
bekam er einen 15 Minuten dauernden, epileptiformen Anfall, der sich alsdann inner-
halb 24 Stunden 6mal wiederholte. Zuerst presste er dabei die Zähne aufeinander;
dann Spasmus der Nackenmuskeln, Bigidität des Stammes und der Extremitäten,
Beine in Extensionsstellung, Arme flectirt. Der Kopf wurde nach rechts gedreht,
ebenso die Augen, Oyanose^ Zungenbiss. Pupillen anfangs eng, dann weit, auf Licht
nicht reagirend. Incontinentia urinae. Nach dem Anfall OoUaps und langsam ster-
toröse Bespiration. In der interparoxysmellen Zeit schläfrig, benommen; er klagt
über Kopfschmerz. 3 Tage später wurde beim Herausstrecken der Zunge linksseitige
Deviation derselben, ausserdem linksseitige Facialislähmung bemerkt. Abnahme der
Kraft im linken Arm, leichter Tremor desselben. Ophthalmoskopisch nichts beson-
deres. Zunahme der Paralyse des linken Arms, später Lähmung des linken Beins.
Temperatur subnormal. 7 Tage später Erbrechen; er versteht nicht, was man sagt,
nnd antwortet nicht. Einige Tage später Tod im Goma.
16 Stunden nach Exitus Obduction. Abgesehen von den Veränderungen der
Fleurae und Pulmones fand sich ein Abscess dicht unter der grauen Masse des
rechten Cortex, entsprechend dem mittleren Theile des Gyrus praecentralis und bis
zum Seitenvenlaikel hin sich ausdehnend.
— 506 —
Der Abscess des (JeliiniB ist durch septische Embolie zu erkl&ren; abw wie
kommt es, dass sich keine metastaüschen Abscesse in der Longe fanden, wohin doch
nach der Beschaffenheit des E[reishiafs die septischoi Stoffe zuerst gelangen mnaslen?
Eine genaue Localisation des Abscesses liess sich nach den Symptomen bereits während
des Lebens machen; aber ob eine darauf hin unternommene Operation einen Erfolg
gehabt hätte, ist wegen der beträchtlichen Grösse des Eiterherdes stark zu be-
zweifeln. Buhemann.
13) Un oaa de Paralysie cöräbrale spastique de l'enfianee, par X. Fran-
cott e, Li^ge. (Ann. de la Soc. möd.-chir. de Li^. 1886.)
Ein 5jähriger Knabe verfällt plötzlich in rechtsseitige Krämpfe mit Delirium.
Nach eintägiger Dauer, längerem comatösen Zustand, mehrwöchentlicher Bettruhe
ward eine rechtsseitige Lähmung entdeckt Dieselbe bildet sich zum Theil zurück,
eine Parese blieb. Krämpfe kehrten nicht wieder. Schwachsinn ohne Sprachstörung,
Andeutungen der Charakterzüge eines Moral-insanity-Kranken.
Stat praes. im 9. Jahre: Rechtes Bein und namentlich rechter Ann kürzer und
magerer, Contracturen, spastischer Gkmg. Elektrische Erregbarkeit der Muskeln,
Sensibilität, rechter Facialis (der an den Krämpfen, Yielleicht auch an der anfijig-
lichen Lähmung betheiligt war) normal. Kniephänomen rechts gesteigert^ kein Foss-
klonus, aber Zittern des ganzen rechten Beines, wenn das Kind sich sitzend auf die
Fussspitze stützt.
Verf. schliesst eine kurze Besprechung der Krankheit und ihrer anatomischen
Grundlage an. Th. Ziehen.
14) FolienoephalitiB infaxitilia, Inaugural- Dissertation von Eduard Richter.
Berlin 1886.
Verf. schildert diese Affection und weist auf die Analogie ihrer Schwesterkrank-
heit, der spinalen Kinderlähmung, hin. Dann fasst er die differentiell diagnostischen
Merkmale zwischen beiden Leiden zusammen: Das Verhalten der Nerren und Muskeln
gegen den elektrischen Strom, hier Entartungsreaction, dort höchstens quantitatire
Veränderungen der Erregbarkeit; hier monoplegische oder paraplegische Form der
Parese, dort Hemiplegie; hier normales Verhalten der Sensibilität und intacte Psyche,
dort Gefühlsstörungen und Störungen der Intelligenz etc.
Als pathologisches Substrat nimmt Verf. einen interstitiellen Entzündungsprocess
der grauen Hirnrinde an, der secundär Atrophie des Farenchjms der gangliöaen und
nervösen Elemente herbeiführt.
8 Fälle der Poliencephalitis acuta bringt Verf. bei, von denen 4 aus dem Material
der MendeTschen Poliklinik entnonomen sind. Ruhemann.
16) Ueber cerebrale Kinderlähmung, Hemiplegia oerebralls spastioa (Heine),
FolienoephalitiB acuta (Strümpell), yon Prof. Dr. H. Ranke, München.
(Münch. med. Wochenschr. 1886. Nr. 17.)
In übersichtlicher, klarer Weise stellt der Verf. zunächst das Krankheitsbild
der spinalen Kinderlähmung, auf J. v. Heine's Arbeiten zurückgehend, und das der
cerebralen Kinderlähmung, wie es Strümpell^ und vor ihm schon ebenfalls J.y. Heine
geschildert, gegenüber, um dann seine eigenen Beobachtungen der letzteren I[rank-
heit, in Bezug auf welche er sich ganz an StrümpelVs treffliehe und erschöpfende
^ S. dieses CentralblaU 1884. S. 502.
— 507 —
Schilderung anschliesst, folgen zu lassen. B. hat in den letzten 10 Monaten in
seiner Poliklinik 12 Fälle von spinaler und 11 Fälle von cerebraler Einderlähmung
beobachtet; die letzteren betrafen 7 Mädchen und 4 Knaben und zeigten 8mal die
hemiplegische, 3mal die monoplegische Form (Imal der Arm, 2mal das Bein). Das
InitialBtadium war meist wenig markirt. Bei den Hemiplegien war immer der Arm
am stärksten betroffen und 7mal unter den 8 Fällen eine deutliche Wachsthums-
hemmung des Armes vorhanden; eben so oft bestanden athetotische Bewegungen,
theils der ganzen Glieder, theils nur der Finger und Zehen. — 3mal lagen Störungen
der Intelligenz vor, Imal Epilepsie mit Beginn der Krämpfe auf der gelähmten Seite.
Die Lähmui^ war stets eine spasiäsche, doch waren die Sehnenreflexe nicht immer
— wie Strümpell fand — erhöht. Die elektrische Erregbarkeit gegen beide
Stromesarten war ungestört, niemals wurde Entartungsreaction beobachtet.
Zu Sectionen hatte B. bisher keine Glelegenheit, führt aber aus der Literatur
2 Fälle von Langenbeck (Berliner med. Gresellschaft 1862) welche offenbar hierher
gehören, an, in welchen sich einmal — bei linksseitiger Hemiplegie — ein alter
encephalomalacischer Herd in der rechten Hemisphäre, das andere Mal — linksseitige
brachiale Monoplegie — ein eben solcher grosser rechtsseitiger Herd fand. — Ebenso
sind Fälle von Kundrat aus dessen „Forencephalie" und ein Fall von W. Sander
(Ctrlbl. f. d. med. Wissensch. 1875. Nr. 15) mit Gehimdefecten auf primäre cerebrale
Kinderlähmung zu beziehen.
Aetiologisch erklärt B. es für bemerkenswerth, dass in 3 seiner Fälle die Kinder
nach schwerer Geburt asphyctisch zur Welt gekommen waren; in einem anderen
Falle war offenbar eine Erkältung durch heftige plötzliche Abkühlung des erhitzten
Körpers zn beschuldigen, und H. ist darum zur Annahme eines infectiösen Agens
wenig geneigt.
Zum Schluss stellt B. in einem Schema von 14 Punkten je für die spinale und
die cerebrale Kinderlähmung beide Krankheiten differential-diagnostisch gegenüber.
Hadlich.
16) SuUo spasmo olonioo della lingua, nota clinica del Dott. Seppilli.
(Biv. sperim. di freniatr. 1886. XI. p. 476.)
Von den nicht zahlreichen bisher in der Literatur bekannten Fällen clonischer
Krämpfe der Zungenmusculatur unterscheidet sich der, der der oben angezeigten
Arbeit zu Grunde liegt, dadurch, dass sich die klonischen Zuckungen einzig auf die
rechte Hälfte der Zunge beschränkten, hier aber in allen Muskeln (im Lingualis,
Stjloglossus, Hypoglossus und Genioglossus) nachweisbar waren. Die Zuckungen
erfolgten 40 — 50mal in der Minute und hörten niemals ganz auf; nur ihre Intensität
war mannigfachen Schwankungen unterworfen. Im Allgemeinen war weder das
Schlucken noch das Sprechen wesentlich gehindert.
Der Krampf hatte sich ziemlich gleichzeitig mit den ersten Zeichen einer Puer-
penümelancholie bei einer 34jährigen hereditär belasteten Frau gezeigt und dauerte
noch zur Zeit der Genesung, die nach 6monatlicher Dauer der Psychose eintrat, wenn
auch in sehr bedeutend gebessertem Maasse fort. Die Behandlung hatte in localer
Faradisation der Muskeln und in der Verordnung von Bromkalium (3,0 pro die)
bestanden. Sommer.
17) Troubles nerveuz dana la diabdte ohez las femmes, par Lecorch^.
(Arch. de Neurologie. 1885—1886. X. p. 395 et XI. p. 50.)
Die nervösen Störungen beim Diabetes sind theils auf grobe materielle Läsionen
der Gentralorgane, theils auf feinere Veränderungen, hervorgerufen durch die fehler-
hafte Blutmischung oder durch arterielle Anämie, zurückzuführen. Vielleicht kann
Ersteres aus Letzterem entstehen.
— 508 —
Als directe Nerrenstönrngen bezeiclmet L. die sensiblen, motorischen oder in-
tellectnellen Störungen, welche der diabetischen Kachexie znkonunen, wahrend er die
Herderkranknngen, welche secundär durch Gefässerkranknng etc. entstehen, als in-
directe bezeichnet.
Störungen der Sensibilität finden sich in verschiedenster Weise, im Bereiche der
Sinnesorgane, wie in der Haut mit ihren verschiedenen Qualitäten, und in den fibrigoi
Nerven. Die Motilität ist im Ganzen seltener afficirt, doch sind bekanntlich Para-
lysen und Paresen beschrieben worden, auch allgemeine oder partielle Muskelschwache
kommt vor. In einzelnen Fällen sind Krämpfe in gewissen Muskelgruppen beobachtet
Betreffend die geistigen Störungen, so sind melancholische und paranoische Zustände,
Delirien verschiedener Art, grosse Reizbarkeit verbunden mit Schwäche häufig, des-
gleichen Schwindel, Kopfschmerzen, Schlaflosigkeit Es ist klar, dass alle diese
Symptome im Einzelfalle mit dem ganzen Krankheitsbilde, der hereditären Anlage,
dem Verlauf, den Gomplicationen und dem Befunde verglichen werden und nur so
richtig verstanden werden können. Die genaueren Krankengeschichten müssen in des
Verf. „Trait^ de diab^te'' nachgelesen werden.
Ebenso ist die Frage, ob die Herderkrankungen, welche sich bei Diabetikem
finden, Folgen oder Ursache der Glycosurie sind, nur von Fall zu Fall zu entscheiden.
— Die Folgeerscheinungen der Läsionen erscheinen rasch oder langsam, im ersteren
Falle als apoplectischer Insult oder Krampfanfall, mit tödtlichem Ausgang oder
passager, auch sich wiederholend. Bei den Frauen hat L. Erweichungen und Blu-
tungen im Gehirn gesehen; die psychischen Symptome waren entsprechend verschieden.
Die Sehstörungen betreffen bekanntlich besonders häufige Gataract, vorzüglich
bei Diabetes nach der Menopause. Amblyopie wird sehr häufig gekli^ allein oder
mit snbjectiven abnormen Gefühlsempfindungen, Wolken-, Nebel-, Licht- und Funken-
sehen. Presbyopie, Doppeltsehen, Pupillendifferenzen etc. gehören meist den vorge-
schrittenen Stadien der Krankheit an. —
Der zweite Theil der Arbeit bezieht sich auf das Coma diabeticum und auf die
Acetonämie. Ueber das diabetische Coma und die terminalen Anfalle sind verschiedene
Theorien aufgestellt Nach Besprechung derselben ergiebt sich für L., dass keine
für alle Erscheinungen genügend ist. Dieses kommt nach L. daher, weil zwei funda-
mental verschiedene Grundzustände auseinander gehalten werden müssen: erstens den,
bei welchem niemals Aceton in der Exspirationsluft und im Urin nachgewiesen wurde,
und zweitens den, bei welchem Aceton vorhanden war. Diese beiden verschiedenen
Zustände verlangen verschiedene Erklärungsweisen für die plötzlichen Anfälle des
Coma: der erste scheint dem Verf. hauptsächlich auf Herzinsufficienz zurückzuführen
zu sein, man kann ihn daher Coma diabeticum simplex oder CoUapsus diabeticos
nennen. Der zweite hat keine Verwandtschaft mit dem ersten, hier handelt es sich
nicht um einfachen CoUaps, sondern um Collapsus durch Intoxication. Welches ist
das Gift? Ein Stoff, in dessen Yeränderungsreihe das Aceton eine Phase ist, ein
dem Aceton verwandter Stoff, welchen wir noch nicht bestimmt bezeichnen können.
Dass wir noch nicht wissen, wie das Gift entsteht, besonders ob es vom Zucker
stammt, spricht nach L. nicht gegen die Theorie, genug, dass das Aceton in allen
Organen des Diabetikers gefunden ist Wie es wirkt zur Intoxication, ist auch unklar,
doch beweisen nach L. die gegnerischen Theorien nichts gegen die Annahme der
Acetonämie als Todesursache.
Im Weiteren werden die klinischen Formen des diabetischen Coma genauer
analysirt Die Charakteristika des Coma diab. simplex sind: Fehlen der Excitations-
erscheinungen im Anfang, Fehlen des Acetons im Athem und im Urin. Beim Coma
acetonaemicum ist die bekannte Acetonreaction vorhanden, es treten Störungen des
Intestinaltractus auf: Appetitmangel, Nausea, Erbrechen und Diarrhö, Störungen der
Respiration: Dyspnoe, und Störungen von Seiten des Nervensystems: im Anfang
Excitationserscheinungen, dann der Depression. Der klinische Verlauf bietet bei
— 509 —
yerscbiedenen Fällen Verschiedenheiten dar, L. unterscheidet acnte, chronische und
intermittirende Acetonämie. Das Greschlecht scheint keinen wesentlichen Einfluss auf
den Verlauf zu haben, als Gelegenheitsursache steht die Ueberanstrengung obenan,
dann acddentelle acute Krankheiten, besonders Nephritis und Albuminurie. — Die
Behandlung muss vorsichtig sein, da bei Unterdrückung der Zuckerausscheidung das
Auftreten des Acetons beobachtet ist; das Aceton scheint überhaupt mit der Ver-
minderung oder dem Aufhören der Zuckerausscheidung zu kommen, insbesondere mit
dem absoluten Fleischregime.
[Alles deutet darauf hin, dass das Aceton an den Zustand der Inanition ge-
bunden ist, denn auch absolutes Fleischregime ist ein partieller Unngerznstand. Es
scheint an die Entziehung der Kohlehydrate gebunden zu sein. Daher
sollten die Inanitionszustände zur Erforschung der Acetonämie mehr benutzt werden,
nicht blos der Diabetes; der Acetonathem und der Acetonurin kommen sowohl bei
jedem einfachen Hungerzustand als bei allen Gonsumptionskrankheiten vor; kleinere
Kinder haben das bei jeder fieberhaften Krankheit, in welcher sie wenig Nahrung
zu sich nehmen. Bef.] Siemens.
18) Zur Lehre von der angeborenen Myotonie (Thomsen'sohen Krankheit),
von S. Danillo. (Wjestnik psychiatrii i nevropatologii. 1886. I. Russisch.)
Die Arbeit enthält eine graphische Untersuchung der Muskelcontraction in einem
Fall Thomsen*8cher £[rankheit Derselbe betraf einen 24jährigen Student, welcher
seit frühester Kindheit an dieser merkwürdigen Störung der Innervation litt, in jeder
anderen Beziehung jedoch vollständig gesund war. Erblichkeit war nicht nachzu-
weisen, abgesehen davon, dass eine Cousine des Patienten von einer ähnlichen, aber
undeutlich ausgeprägten Innervationsstörnng befallen war. Die mjotonische Affection
des Patienten betraf beide Ober- und ünterextremitäten, kam stets nur bei der ersten
Bewegung nach längerer Buhe zum Vorschein, und verschwand nach dem Genuss
geringer Quantitäten spirituöser Getränke.
Die graphische Untersuchung des Verf. wurde am M. biceps brachii mit Hülfe
des Marej'schen Myographions angestellt und erstreckte sich auf das Studium des
Verhaltens der myotonischen Zucknngscurve unter verschiedenen physiologischen Be-
dingungen. Es ergab sich, dass Belastung, Ernährung, Erkältung und Ermüdung
die Zucknngscurve bei Myotonie in der nämlichen Bichtung verändert, wie am ge-
sunden Muskel, obgleich die charakteristische Form der Zuckung sich dabei erhält.
Dasselbe betrifft auch die durch faradische Beizung ausgelösten Gontractionen. Im
letzteren FaU erscheint die Cnrve verlängert.
Verf. glaubt auf Grund seiner Untersuchung schliessen zu dürfen, dass die Ur-
sache der myotonischen Innervationsstörnng nicht in einer Erkrankung des periphe-
rischen Nerven-Muskelapparates allein zu suchen ist, sondern dass ihr wahrscheinlich
eine Fnnctionsstörung (Hemmungsvorgänge) in den psychomotorischen Centren zu
Grunde liegt. Auf Letzteres weist seiner Meinung nach hauptsächlich der Umstand
hin, dass verschiedene psychische Einflüsse die myotonische Zuckungsveränderung
häufig aufheben. P. Bosenbach.
19) Nosographie des ohorees, par Marie Lannois. (Paris, Bailli^re & fils,
1886. 170 Seiten.)
Verf. bespricht in vorliegender Arbeit die Chorea magna, die Chorea minor oder
Sydenham*sche Chorea und die Tics convulsifs, denen er eine Mittelstellung zwischen
beiden anweist. Er scheidet aus der Gruppe der Chorea aus, die Salaamkrämpfe
(Hirntumor oder Epilepsie), die Chorea eleckica Dubini (organische Krankheit des
Centralnervensystems) und die Chorea electrica Bugnon (unbekannte Aetiologie).
— 510 —
Die zur Chorea magna gehörenden Erankheitsbilder nennt er rythmiflche Chorea-
formen: die Bewegungen sind Nachahmungen gewisser vernünftiger, h&ofig professio-
neller Bewegungen; während die der Chorea minor wed«: Temfinfkig sind, nodi
irgend eine im normalen Leben natürliche oder gewöhnliche Bewegpong wiederholen:
sie heissen bei ihm arythmische Choreafonnen. Die Tics convulsifs stehen wieder
in der Mitte.
Unter dem Namen Chorea rhythmica werden nnn sowohl die epidemischen Erkran-
kungen des Mittelalters und der neueren Zeit beschrieben: die Chorea St. Viti am
Khein und in HoUand, der Tarantismus, die abyssinische Chorea, die Jumpus in Wales
und Comwales, die Campmeetings der Methodisten; wie die vereinzelt oder in kleiner»
Endemien vorkommenden Chorea-magna-FSlle der Jetztzeit Verf. sucht vor AUeis,
im Anschluss an seinen Lehrer Charcot und mit Bichet zu beweisen, dass hsssk
alle diese Fälle unter die Hysterie zu subsumiren sind. Bei der Chorea St. Yiti des
Mittelalters sind es: die langandauemden psychischen Prodrome, die epilepUformen
Krämpfe, die Contorsionen während der Umzüge und Tänze, die als grands mouve-
ments aufgefasst werden, die specifischen Halludnationen, die aistirende ^V^kung der
Ovarialcompression, bei dem Tarantismus hypnotische und lethargische Erscheinungen,
die für die Hysterie angeführt werden. Bei der vereinzelt vorkommenden Chorea magna
der Jetztzeit, die Verf. direct Chorea rhythmica hysterica nennt, handelt es sich
entweder um einfache Modificationen der grands mouvements, der 2. Periode der grande
Hysterie, Bewegungen, die dieser Form den Namen Chorea natatoria, saltatoria,
oder rotatoria und nutans eingetragen haben — auch diese häufigen salntations
dieser Periode kommen hier vor, es bleiben Lähmungen und Contracturen zurück,
Ovarialcompression sistirt. Beklopfen der Patellarsehne provocirt die Anfälle — oder
aber es sind neben den Symptomen der Chorea nur solche der petite Hyst^e,
Globus etc. vorhanden. Verf. erklärt aber mit Charcot ausdrücklich, dass ähnliche
Erscheinungen auch wohl einmal ganz losgelöst von der Hysterie vorkommen könnten.
Die Tics convnlsifs theilt Verf. nach Charcot in 1. Tics vulgaires, die Tics
convulsifs der deutschen Autoren, in 2. Tics coordonn^, zur Gewohnheit und unbe-
wusst gewordene, zunächst gewoUte Bewegungen: wie Zupfen an Bart und Ohrläppchen,
am Halskr^en, an den Nägeln, häufig wiederholtes Hervorstossen kurzer Laute und
Worte und in eine 3. Form: die Tics göneralis^s: die er folgendermaassen charak-
terisirt: 1. plötzliche blitzartige Bewegungen, die alle Eörpertheile betheüigen and
sehr denen bei Chorea magna ähneln, sich aber von diesen durch die elektrischen
Zuckungen ähnelnde Plötzlichkeit und Schnelligkeit des Ablaufis, sowie dadurch unter-
scheiden, dass sie weniger professionelle, als wie natürliche, z. B. beim Gehen, Springen,
Laufen etc. vorkommende Bewegungen wiederholen; 2. häufiges Vorkonunen von Echo-
lalie, Eoprolalie und Echokinesie; 3. psychische Störungen in Form von Wahnideen
und besonders Vorliebe und Abneigung gegen gewisse Zahlen (Arithmomanie, Charcot).
Man sieht leicht, wie trotz der skizzirten Unterschiede die Trennung dieser Tics
göneralis^s von der lythmischen Chorea manchmal schwer, ja unmöglich sein wird,
was Verf. übrigens im Schlusswort, wenn auch nicht unumwunden, zugesteht Die
Tics vulgaires stehen bei Ausdehnung auf die Extremitäten wieder der Chorea minor
sehr nahe.
Im Anschluss an die Tics g^neraliste werden auch die Springer von Maine, die
Latah der Malayen, die Myriachit der Sibirer besprochen. Ebenso der Paramyoclonns
multiplex, dessen Stellung nach Verf. noch nicht klar ist
Die saltatorischen Beflexkrämpfe schliesst er an die rhythmische Chorea an: er
weist auf das häufige Vorkommen von hysterischen Erscheinungen bei dieser Neurose
hin, verwahrt sich aber ausdrücklich, sie einfach unter die Hysterie zu subsumiren.
Die Chorea arythmica, die Chorea minor seu Sydenhamii umfasst diese, die Ch.
gravidarum, senilis, hereditaria, prae- und posthemiplegica und die Athetose. Die im
— 511 —
übrigen sehr genaue Besprechung bietet nicht viel des Neuen. Bei der gewöhnlichen
Chorea der Kinder wird das öftere Vorkommen von Paresen in den befallenen Glied-
maassen betont: es nähert sich dieselbe denen der von Hirt als Chorea mollis be-
schriebenen Form, bei der die Paresen ?iel deutlicher sind, als die Krämpfe, eine
Form, die übrigens ebenfalls eine gute Prognose hat.
In Bezug auf die ätiologische Bolle des Rheumatismus articularis steht Verf.
der deutschen Ansicht sehr nahe: er weist vor Allem auch auf die Beobachtung
Oharcot's hin, dass auch in der Anamnese der Hysterie Rheumatismus sehr häufig
sei, ohne dass man ihn für diese Neurose verantwortlich mache.
Vereinzelte Beobachtungen, die in der neuesten Zeit bei Hemichorea gemacht
sind: wie epileptiforme £[rämpfe, Hemianästhesie, Gesichtsfeldeinschränkung, Möglich-
keit des Tiansfert, Heilbarkeit durch Hypnose, sucht Verf. für die nahe Verwandt-
schaft zwischen Hysterie und Chorea zu verwerthen: man wird wohl eher geneigt
sein, diese Fälle als Hysterie mit choreatischen Symptomen anzusehen.
Bruns.
Psychiatrie.
20) La durata delle firenosi gniaribili (psiponeurosi primaria), nota del Doti
G. Riva. (Rivist. sperim. di freniatria ecc. 1886. XI. p. 507.)
Aus 1226 Entlassungsföllen aus der Irrenanstalt zu Reggio-Emilia (706 männl.
nnd 520 weibl.) hat sich Verf. alle „vollständigen*' Genesungen herausgesucht, um
an ihnen die durchschnittliche Dauer der heilbaren Psychosen eben bis zum Eintritt
der Genesung zu berechnen. Alle „Besserungen" und scheinbaren Heilungen blieben
ausgeschlossen; berücksichtigt sind daher nur einfache uncomplicirte Fälle von acuten
Psychosen.
Als genesen waren also ehtlassen worden 291 m. und 240 w. = 531 Individuen,
d. h. 26 resp. 19 ^/q der in demselben Zeitraum überhaupt aufgenommenen Kranken.
Bei der strengen Kritik, die Verf. an die Bezeichnung „genesen" anlegt, hält er dies
für ein günstiges VerhSItDiss. Die mittlere Dauer aller Fälle vom Ausbruch bis zur
Heilung der Krankheit betrug bei beiden Geschlechtem 4 Monat 18 Tage.
Was nun weitere Einzelheiten betrifft, so rechnet Verf. zu den heilbaren Krank-
heitsformen die einfache tobsüchtige Erregung und die acute Manie mit 55 resp.
143 Fällen, einfache Schwermuth mit 83 und agitirte Melancholie mit 32 Fällen,
und von den Erschöpfungszuständen endlich die acute Demenz (Stupor etc.) mit 19
und pellagrösen Wahnsinn mit 199 Fällen. Die mittlere Dauer der Erregungszustände
betrug 3 Monat 27 Tage, die der Depressionszustände 7 Monat 25 Tage und die
der Erschöpfungszustände 3 Monat 8 Tage. Die einfache Erregung beanspruchte
zur Heilung nur 2 Monat 28 Tage, während die schwerere Form, die Manie,
4 Monat 8 Tage erforderte; umgekehrt war es bei den Depressionen, wo die ein-
fache Dysthymie 8 Monat 28 Tage und die schwerere Melancholia agitata nur
4 Monat 28 Tage zur Heilung brauchte. Uebrigens war bei der letzteren kein
wesentlicher Unterschied in Bezug auf das Geschlecht zu bemerken (4 Monat 25 Tage
resp. 5 Monat 2 Tage), während bei der ersteren Form die Dauer bei Männern
(42 Fälle) 10 Monat 19 Tage und bei 41 Frauen nur 7 Monat 7 Tage betrug.
Die Aussichten auf Genesung sind, wie Verf. durchaus zu bestätigen vermochte,
um so günstiger, je frühzeitiger die sachverständige Behandlung nachgesucht wird.
Von den 531 Genesenen wurden im ersten Semester der Krankheit 442 = 83,24%,
im zweiten 77 = 14,50 ^/o und später überhaupt nur noch 12 = 2,26®/o geheilt.
Endlich mag hier noch erwähnt werden, dass von allen mit der Diagnose: Erregungs-
zustand aufgenommenen Personen 41 ^/^ (46 ^/^ der Männer und 36 ^/q der Weiber)
geheilt wurden, während von all«i MelanchoÜkem nur 24,5 7o (^^'^ ^^^ 20 7o)
genasen. Sommer.
— 512 —
21) Ophthalmoecoplo Btodies of acute maaia wtth noteB of caacwr, bj Dr.
Lautenbach; EListories of pattontB, by Dr. Alice Bennet (Jornn. of
nervoos and mental diseasee. 1886. JUii. p. 337.)
AaflEallende Hänfigkeit von Abnormität des Angenhintergrondes bei Geistes-
kranken: von 707 Irren hatten nur 136=19,2% einen normalen Angenhinteignmd;
Ton 278 lianiakalisclien nnr 41 = 14,7 %. Von 101 FaU ,,acnter Manie'' boten
gar nnr 11,8 ®/^, das normale Verbalten, 16,8 ^1^ Eetinalbyperamie, 23,7 ^/^ Congestion,
17,8% entzündliche und 24,7% atrophische Znstande dar, idlerdings in den yer-
schiedensten Stadien. AUbnt wie Noyes hatten übrigens auch nnr bei 12,5 ^/^^
ihrer Tobsüchtigen normale Angen gefanden.
Bemerkenswerth scheint femer, dass Fälle mit hyperamischen und congestiTen
Zustanden eine bedeutend günstigere Prognose in Bezug auf die Heilung der Tob-
sucht gewähren, als solche mit entzündlichen oder gar atrophischen Erscheinungen.
Sommer.
22) Beport of a oase of the opiam habit in an idiot boy, by J. C. Carson.
(The Alienist and Neurolog. 1886. Vn. p. 247.)
Ein Fall yon Opiophagie, der wohl als einzig dastehend zu betnu;hten ist, und
der daher eine ausführlichere Erwähnung verdient.
Eine in Folge schwerer Neuralgie seit 8 Jahren dem regelmässigen Opium-
genuss (0,6—1,2 pro die) ergebene Frau gebar Zwillinge und starb unter Krämpfen
einige Stunden später. Während die früheren 4 Kinder derselben todtgeboren waren,
blieben die Zwillinge bei einem Körpergewicht von nur 2000 und 1000 Gramm am
Leben. Etwa in der sechsten Stunde nach der Geburt fingen sie aber an so unruhig
zu werden, dass die Grossmutter auf die Yermuthung kam, es könne sich bei ihnen
um Abstinenzerscfaeinungen handeln. Um der sterbenden Tochter Buhe zu Terschaffen,
Aösste sie beiden Kindern etwas Opium ein, „je einen Theelöffel einer Lösung eines
weizenkomgrossen Stückes Opium in etwas Wasser". Der Erfolg war wunderbar,
aber schon nach 6 — 8 Stunden wiederholte sich das Schreien so regelmässig und so
energisch, dass die Grossmntter in ihrer Verzweiflung mit der Opiumbehandlung
fortfuhr und die Dosis allmählich noch immer yergrössertel Das kleinere Kind starb
nach 1 Monat unter Krämpfen, das andere entwickelte sich aber weiter und erhielt
im 7. Lebensjahre bereits 0,6 Opium täglich. Körperlich war es übrigens ziemlich
wohlgebildet, doch lernte es erst im 3. Jahre gehen und im 7. nothdürfüg sprechen;
geistig war es in hohem Maasse schwachsinnig.
Jeder Versuch, die Opiumdosis zu verringern, rief eine derartige Reaction herror,
dass man für das Leben des Patienten fürchtete, und erst in einer Idiotenanstalt
gelang es, dem 9jährigen Knaben den Opiumgenuss allmählich abzugewöhnen.
Dass das unbändige Schreien etc. als Abstinenzerscheinung angesehen werden
muss, lässt sich schwerlich beweisen; wahrscheinlich wird diese Auffassung aber durch
den Umstand, dass zwei Kinder gleich nach ihrer Geburt von einer opiumsüchtigen
Mutter dieselben Aufregungssymptome darboten und dass in beiden Fällen die Ver-
abfolgung von Opium von unmittelbarem Erfolge begleitet war. Zweifelhafter ist es,
ob die Idiotie mit dem Opiumgenuss in Verbindung gebracht werden muss: 3 Cousins
des Vaters waren auch Idioten und besassen dazu 7 Finger und Zehen.
Sommer.
23) Physiologie des halluoinations ; las deux theories, par Baillarger.
(Annales medico-psychologiques. 1886. Juli.)
Die rein psychische Theorie der Hallucination lässt aus den Erinnerungsbildern
ohne Mitbetheiligung der Sinnesapparate Bilder oder Sensationen wiedererstehen,
— 513 —
wogegen die psychosensorielle Theorie die Entstehung einer Sensation ohne innere
sensorielle Reizung leugnet.
B. wägt in einer mehr psychologisch-klinischen als physiologischen Untersuchung
ab, für welche der beiden Theorien die Beobachtungen und Untersuchungen der ein-
schlagigen Literatur sprechen und kommt unter Anfflhrung sehr bemerkenswerther
Beobachtungen zu dem Schluss, dass bei einer sehr grossen Anzahl von HaUudnationen
die Sensationen unter directem Einfluss von Sinneseindrücken entstehen. Die Oon-
currenz dieser sei, wie an Beispielen gezeigt wird, im Momente des Auftretens der
Uallucination vielfach nachweisbar, sei es, dass die Halludnation auf dem Boden
einer Krankheit oder aus einfacher Ermüdung des Sinnesorgans entsprang. Auch die
in Folge toxischer Einwirkung, oder durch sehr lebhafte Qemüthsbewegnng auf-
tretenden Hallucinationen sind oft begleitet oder eingeleitet durch reine Sinnes-
empfindungen.
Manche Hallucinationen, welche sich durch die vorstehende Darlegung nicht
ohne Weiteres erklären lassen, entspringen aus Girculationsstörungen der Sinnes-
organe selbst
B. glaubt daher angesichts der sehr spärlichen Beobachtungen, welche für die
rein psychische Theorie sprechen, welche dazu noch verschiedene Deutung zulassen,
und angesichts der viel zahlreichere Facten, welche für die andere Theorie in die
Wagschale fallen, sich für die psycho-sensorielle entscheiden zu müssen.
Jehn.
24) Sur la oorabilitä de la dömenoe, par EowalewskL (Annales m^dlco-
psychologiques. 1886. Juli. p. 40.)
Die Thatsache der Heilbarkeit der Demenz steht für den Verf. fest, der selbst
Genesungen sah.
Um den Vorgang einer solchen Heilung klar zu machen, stellt er folgende
Theorie auf. Die Zahl und Qualität der Ganglienzellen bedingen das geistige Leben.
Vernichtung der Zellen und Störungen oder Unterbrechung in den Verbindungsfasem
der Ganglienzellen bedeuten die Demenz. Die einzelne Zelle denkt E. sich von Sen-
sationen und Vorstellungen „occupirt", neben den „occupirten'' Zellen aber noch nicht
occupirte Zellen, um als „depOt'' für späteres intellectuelles Material zu dienen'M
Wie man sieht, wird die Sache jetzt ganz einfach! Unter Znhülfenahme der Zeit,
welche ein menschliches Gehirn zum Werden einer Vorstellung braucht und bei
einem mittleren Lebensalter von 35 Jahren lässt sich die Zahl der möglichen Vor-
stellungen schon berechnen (1,387,584,000). Diese Zahl reducirt sich allerdings
auf nur 46,252,800, da K. zu berücksichtigen findet^ dass „das sensitive Leben
mindestens soviel Zeit in Anspruch nehme, als das psychische'' und die Zeit, welche
nothwendig sei für die Association der Vorstellungen und Urtheilsbildung mindestens
dreimal so lang sei, als die zur Bildung der Vorstellung selbst. —
Degeneration und Ausfall einer Anzahl von Ganglienzellen ist aber, wenn auch
irreparabel, doch noch kein Grund für dauernden Blödsinn, da durch die verschiedenen
Verbindungen der Zellen und Centren unter einander ein Eintreten der nicht occu-
pirten Depötzellen möglich ist. — Sei die Ernährung eines Gentrums von einem
Geföss abhängig, so tritt bei Verschluss dieses durch Anastomose die Erhaltung des
bedrohten Theiles durch Seitenzweige anderer Gefässe ein.
Auch hier hilft eine Hypothese leicht über sonst erhebliche Schwierigkeiten fori
Die secundäre Demenz entsteht nach Melancholie oder nach Manie; die Zerstörung
erfolgt — nach Versicherung des Verfassers — im ersteren Falle durch einen un-
genügenden, im zweiten Falle einem übermässigen Efflux von Blut zum Gehirn.
Die sämmtlichen Theile der nervösen Gentren werden aber nicht gleichmässig
ergriffen, es besteht vielmehr nach Vorstellung des Verf. bei der Demenz neben den
— 514 —
vernichieten oder nnihätigrä Ganglienzellen auch eine Reihe ton in einem Znstand
des Toipors befindlichen, lebens- nnd erweckongsfiUiigen Zellen, deren Thatigkeit
durch Herbeif&bning einer geregelten Emahrang des Gehirns wieder enielt werden
könne. Verringert werden die Aussichten auf Heilung der Demenz, wenn neben
den Gentren auch die Associationsleitungen vernichtet sind.
Als Hauptcnrmittel der Demenz, von welchem der Verf. edatante Erfolge sah,
wird schwere körperliche Arbeit angegeben, zu welcher die Kranken alkrdings be-
ständig „gereizt und gedrängelt'' werden mtlssten. Auf welche Weise diese Anregung
der anerkannt trägen und vielfach ganz passiven Blödsinnigen geschieht, wird leider
nicht mitgetheilt
Die Fälle von Demenz, welche auf dem Boden der Heredität entstanden, bieten
nach E. eine sehr schlechte Prognose. Jehn.
Therapie.
26) Beport of two auooeasfül oases of Treiminlng for Tmumatio Epilepay;
by C. J. Mac Donald. (Journal of nerv, and ment disease. 1886. VoL xm.
p. 488.)
Der Verf., dem als Chef der Irrenanstalt für Sträflinge zu Aubmn, New York,
ein vortreflTliches Material zu (Gebote steht, berichtet über zwei durch Trepanation
geheilte Fälle traumatischer Epilepsie.
Der erste Fall betrifft einen Hausierer, der wegen „acuter Manie" in die Irren-
anstalt aufgenommen wurde. Im Jahre 1880 wurde er von einem Schutsmanne am
Kopfe verletzt; litt viel an Schwindel, war zornig und streitsflchtig. Bei der Auf-
nahme in die Anstalt wurde Verfolgungswahn diagnosticirt; er litt nebenbei an den
heftigsten Kopfschmerzen. Es fand sich eine Depression, 1^/^ Zoll an Durchmesser,
ungefähr über der hinteren Abtheilung des Lobul. pariet. sup. Hatte häufige An-
fälle von Petit mal. Am 16. Dec 1885 wurden zwei Trepanlöcher angelegt; obwohl
die Dura etwas verletzt wurde, heilte die Wunde gut; bis zum 1. Sept (nach späterer
Mittheilung des Verf.) waren keine Anfölle eingetreten; der psychische Zustand soll
auch bedeutend gebessert sein.
Der zweite Fall ist einer von chronischer Epilepsie. Der Patient hatte eine
Depression am Schädel in ungefähr derselben Lage, wie im vorigen Falle. Im Alter
von 6 Jahren fiel er die Treppe hinab; mit dem 16. Jahre typische (nächtliche)
Anfalle; am 25. Aug. 1885 wurde eine Trepanöfhung gemacht Auch in diesem
Falle wurden bis zum heutigen Datum, mehr als ein Jahr nach der Operation, keine
AnfäUe beobachtet; der geistige Znstand (der nicht genauer beschrieben wird) soll
sich ebenfalls gebessert haben.
In der Arbeit werden nach Robertos Statistik 93 amerikanische Fälle tod
Trepanation bei traumatischer Epilepsie erwähnt, davon wurden 63 geheilt, 13 ge-
bessert, 2 nicht gebessert und 14 starben. Wegen Statistiken von Walsham und
Brigss siehe das Original der Mac Donald*8chen Arbeit.
Sachs (New York).
26) Two oases of Compound d^pressed firactore of the vault of the skull;
trephinixig; recovery under the care of H. Y. Drew. (The Lancet
1886. Vol. I. Nr. XU. p. 874.)
Es werden 2 Fälle von schwerer Schädelverletzung geschildert, die nach Tre-
panation und Aufrichtung des eingekeilten Knochenstflcks einen ausgezeichneten Ver-
lauf nahmen. Im ersten Falle, in welchem die Verletzung durch Pferdehuf ge-
schehen, und eine rechtsseitige Paralyse eingetreten war, wurden nach Eröflhung des
— 515 —
Schädelfi entsprechend der linksseitigen aufsteigenden Parietalwindung etwa 15 Qramm
zerquetschter Himsubstanz entfernt. Auswaschen der Wunde mit 2,5 ^/q GarboUösung,
Nähte nicht angelegt; Irrigation mit dieser Garbollösnng, sp&ter mit Spiritus recti-
ficatissimus. Kein Erbrechen. Am 13. Tage nach der Operation konnte Fat. sein
gelähmtes Bein beugen, 12 Tage sp&ter dasselbe strecken. Einige Tage sp&ter waren
Beuge- und Streckbewegungen im rechten Arm. möglich, dagegen noch nicht Pronation
und Supination. 8 Wochen sp&ter war die Motilit&t vollkommen wieder hergestellt
und nach einem Jahre befand sich der Kranke noch yoUkommen wohl. Zu keiner
Zeit Tempwatnrsteigemng, abgesehen yon einer leichten, durch Qallensteinkolik be-
wirkten Fieberbewegung.
Im zweiten Falle schwere Verletzung durch einen Hammer am rechten Stirnbein
mit starker Depression eines grossen Theiles dieses Knochens. Blutung aus der
Nase, Suffosion des rechten Augenlides. Am Tage nach der Trepanation und der
Aufrichtung des eingedrückten Knochens Doppeltsehen, Taubheit auf dem rechten
Ohre, An&sthesie im Bereich des N. infraorbitalis. Geschmacksempfindung stark
herabgesetzt. 4 Wochen später wird Fat. vollkommen gesund entlassen.
Verf. meint, dass der Erfolg in diesen Fällen der peinlichen Antisepsis und dem
strengen hygienischen wie di&tetischen Regime zu verdanken sei. Euhemann.
27) Compound depreased firaoture of right parietal bone, trephining, reim-
plantaüoii of the trephined portion, recovery, by G. Warin g. (Brlt.
med. Joum. 1886. 24. April, p. 779.)
Wenn der vorstehende aus dem Antrim-Krankenhaus berichtete Fall auch eigent-
lich ein Yorwiegend chirurgisches Interesse hat, so mag er doch wegen des Sitzes
der Verletzung, um die es sich handelt, auch in diesem Centralblatte kurz erwähnt
werden.
Ein 2^l2J&hngfi8 Kind hatte eine complicirte Fractur der Mitte des rechten
Parietalbeins erlitten, ohne besondere Cerebralerscheinungen darzubieten. Am selben
Tage (31. Juli) wurde die Wunde vorsichtig erweitert und gereinigt. Durch den
Trepan wurde nun eine Knochenplatte von der Grösse eines Sixpencestückes entfernt
und in lauwarmer schwacher Carbolsäurelösung aufbewahrt. Nachdem es alsdann
gelungen war, die übrigen deprimirten und zum Theil tief durch die Dura in das
Gehirn hineingetriebenen Knochensplitter zu entfernen oder in ihre richtige Iiage zu
bringen, wurde das ausges>e Stflck wieder eingef> und die Wunde, so weit es
möglich war, drainirt und genäht. Trotz eines intercurrenten Erysipelas capitis gelang
die Einheilung der Knochenplatte und auch der weitere Verlauf war so günstig, dass
das Kind am 31. August genesen entlassen werden konnte. Eine ärztliche Vorstellung
im Februar des folgenden Jahres bewies die völlige Integrität aller cerebralen Func-
tionen trotz der erheblichen Rindenverletzung. Sommer.
28) Trepanation bei Hirntumor. (Brit. med. Journal. 1886. 2. Oct.)
Victor Horsley trepanirte am 23. Sept. einen Mann, der seit einem Monat
hemiplegisch war und halb comatös wurde; er hatte vorher über heftige Kopfschmerzen
geklagt Es wurde über der rechten Hemisphäre an der motorischen Region der
Schädel geöffinet, und ein Tumor entfernt, der 4^/, Unze wog, 3 Zoll lang, 2V2 Zloll
breit und 2 Zoll hoch war.
Am Tage nach der Operation war der Patient vollständig bei Besinnung, und
sagte, dass er vollständig frei von Schmerz sei. Am 27. Sept war die Wunde ge-
schlossen und Patient hatte etwas Kraft in seinen Beinen erlangt.
Es ist dies der 4. Fall, in dem Horsley mit Erfolg in der motorischen Region
— 516 —
«
operirt hat. Anf die 3 andern Falle kommen wir bei dem Bericht über die Yer-
sanmünng der englischen Aerzte in Brighton zurück.
(Die wichtigste Frage wird nun sein, wie lange nach der glücklichen Operation
haben die Patienten noch gelebt, nnd wie haben sie die Zeit bis znm Tode ver-
bracht? Erst dann wh'd sich die Frage beantworten lassen, ob das Beispiel Horsley*s
ZQ weiteren Versuchen auffordert. Bef.) M.
29) Di un nuovo sistema di letti per dementi-paralitioi ideato dal dott
Perotti e in uso nel B« llCanioomio di Torino, relasione del dott
C. Mondino. (Archiv, di psichiatr. scienze pen. 1886. VII. p. 191.)
Verf. empfiehlt auf das Wärmste ein von Perotti construirtes Bett für Un-
reinliche, das sich in der Turiner Irrenanstalt gut bewährt hat. Auf einem Spiral-
netz, das zwischen Kopf- und Fussende eines eisemen Betl^estelles durch Schrauben
beliebig gespannt werden kann und das in der Mitte eine Oefi&iung hat, wird eine
Matratze und darüber eine dünne und glatte Guttaperchaplatte gelegt Von der
Mitte der letzteren geht ein wasserdicht angef>es Bohr durch die Matratze und
das Drahtnetz hindurch in ein geschlossenes Zinkgefäss, das irgend ein Desinficiens
enthalten kann; ein Laken fehlt Sobald ein Kranker sich, verunreinigt, wird er aof
eine Seite gedreht, sein Bücken etc. wird mit einem Schwamm gereinigt, ebenso die
Unterlage und da die ganze Flüssigkeit schnell abfliesst, so kann der Patient nach
kurzer Abtrocknung wieder auf den Bücken gelegt werden. Die Unterlage darf nicht
Yulcanisirt oder mit Zinkozyd etc. versetzt sein, da der Urin sonst Verförbungen
und unangenehme Qerüche entstehen lässt; die Oberfläche der Guttaperchaplatte soll
ganz glatt sein und wird durch gelegentliches Anrudern von Talk in diesem Zu-
stande erhalten; gerade hierin erblickt Verf. einen besonderen Yortheil, da so ein
Beibungsdecubitus völlig vermieden werden kann; Verf. hat wenigstens seit der An-
wendung des Perotti'schen Bettes keinen Decubitus mehr gesehen.
Die Kosten eines derartigen Bettes werden durch die lange Haltbarkeit desselben
und durch die Ersparnisse an Matratzen, Bettzeug etc. schnell ausgeglichen; die
Kranken liegen bequem und werden beim Beinigen nur unbedeutend gestört.
Sommer.
30) Les nouveaux Hypnotiques et leur emploi en mödeoine mentale, par
Laillier. (Annales m^co-psychologiques. 1886. JulL p. 64)
Die Mittheilungen über Paraldehyd bieten, was die Wirkung dieses Schlafmittels
anbelangt, nichts Neues. Als Corrigens wird statt der vielfach verwandten Vanille
die Caryophylltinctur empfohlen. Aus den Bemerkungen zum Chloralhydrat ist für
den möglichen Fall einer Vergiftung mit dem enorm viel gebrauchten Mittel der
Antagonismus der Strychninsalze hervorzuheben.
Neben dem Chloralhydrat werden die Wirkungen der alkoholischen Verbindung
des Chlorais (Alcoolat de Chloral), welches zu gleichen Dosen wie das Vorgenannt«
verabreicht wird, gerühmt. Die Vorzüge liegen in dem viel besseren Greschmack
und in der vielfach kräftigeren Wirkung bei manchen Individuen; allerdings ist der
Preis ein dreifacher g^en den des gewöhnlichen Chloralhydrats.
Die Mittheilungen über Uretfaan lauten sehr verschieden; einige Beobachter
loben es wegen der guten Wirkung und fehlenden unangenehmen Nebenwirkungen,
andere (Mairet und Combenale) finden keinen bestimmten hypnotischen Effect and
haben variable Wirkung des Urethans zu rügen. Die Dosen sind viel stärker ge-
nommen, als in den ersten Veröffentlichungen über dieses Mittel ang^eben (bis
5 Gramm). Verf. räth zu einer einmaligen grösseren Gabe. Auch er fand, dass die
Wirksamkeit sich nach einigen Malen der Anwendung rasch verbrauche.
% _ 617 —
Das Hypnom (Acetophenom) wird nach den neueren franzMachen Beobachtungen
nicht als Hypnoticum aufgefasst, sondern vielmehr als ein schmerzberuhigendes und
dadurch secund&r schlafbringendes Mittel. Die Experimente von Mairet und Combe-
nale stellten auch unangenehme congestive Nebenwirkungen auf Lungen, Nieren und
Leber fest Diese Congestionen scheinen auch Paresen der unteren Extremitäten
herbeizuführen.
Das Hopein in semer Erscheinung als amorphe braune Substanz ist dem Verf.
verdachtig, trotz mancher guten Eigenschaft und Herbeiffthrung ruhigen Schlafes
ohne unangenehme Folgen, welcher ihm nachgerühmt wird. Die Bedenken scheinen
mehr gegen die nicht genügend bekannte chemische Zusammensetzung des Mittels
gerichtet zu sein.
Ueber Cocain berichtet die Arbeit nichts Neue^^ ebensowenig über Gannabis
indica. Um eine Wirkung von dem Mittel zu sehen, ist nach einer Mittheilung von
Lewis Jones, welche abgedruckt ist, innerhalb 24 Stunden die Menge von 50 bis
75 Centignunms nothwendig.
Die Piscidia erythriea ist nach verschiedenen Beobachtungen, ähnlich wie das
Hjpnom, weniger ein Schlaftnittel, als ein beruhigender, schmerzlindernder Stoff,
welcher mit Erfolg bei Delirium tremens angewandt wurde und gegen die maniakalische
Erregung bei progressiver Paralyse empfohlen worden ist Die Wirkung dieses
Arzneimittels scheint jedoch noch nicht genügend eiprobt zu sein. Jehn.
nL Aus den GtesellschafteiL
Deudöme Oongrös fraii9al8e de Ohirurgie i Paris.
Sitzung vom 19. October 1886.
Dionssion über Natur, Pathogenie und Behandlung des Tetanus.
Yaslin (Angers) hat bei 17 Fällen nur eine Heilung gesehen. Behandlung
mit Chloral und Morphiuminjectionen. Ein Hund, dem er Blut, Schweiss, Urin von
Tetanuskranken injicirte, blieb gesund.
Balestreri (Genua) hält den Tetanus für eine Neurose und empfiehlt Tartar.
stibiatus, den ersten Tag 0,05, am andern Morgen 0,2 — 0,25 Gramm auf ein Mal.
Ein Tetanuskranker hatte in 8 Tagen 320 Gramm Chloral genommen.
Thiriar (Brüssel) hat 4 tödtliche Tetanusfölle in Fo^e von Ovariotomie be-
obachtet Er hält den Tetanus für eine durch Mikroben veranlasste Affection.
Oocaininjectionen scheinen günstig zu wirken.
Maunoury (Chartres). hält den Tetanus nicht für contagiös. Besonders die
Erfahrungen der Thierärzte zeigten, dass von einer Contagion nicht die Bede sein
könne. Jeder Schluss über die Aetiologie des Tetanus sei zur Zeit verfrüht
Verneuil. Der Tetanus kommt vom Pferde, und zwar überträgt er sich auf
den Menschen aus den Dejectionen der Pferde. Ein spedelles Agens, vielleicht eine
Mikrobe, ruft ihn hervor.
Doyen (Bheims) berichtet über 4 Fälle, in einem fand er Neuritis in dem ver-
wundeten Nerven, in den 3 andern Staphylococcus. Er hält den Tetanus für eine
Modalität der Septicämie, mit spedeller Localisation der Mikroben in den Nerven-
centren.
Bories (Montauban) beobachtete Heilung nach Chloral und Morphiuminjectionen,
Isolirung des Kranken in dunkelem Baum.
Langer spricht ebenfalls für die infectiöse Natur des Tetanus.
Blanc (Bombay) giebt an, dass in Bombay zwar nach der Wundbehandlung
nach Lister die Fj^ämie verschwunden, der Teianus jedoch unverändert geblieben
— 518 —
sei. Cholera und Tetanus gehen mit emander. Er unterscheidet 3 F<Hrmen: 1) die
acute Form, selten länger als 5 Tage dauernd mit starker TemperatnrerhöhiiBg (bis
110^ Fahrenheit = 43,6^ Gels.), immer tödtlich; 2) die snbaeate Form, sehr häoig
tödtlich; der Tod tritt in der Regel gegen den 12. Tag ein mit variabler Temperatur,
und 3) die chronische Form, 30—60 Tage dauernd, fteberlos, mit 3 Perioden: in-
crementi, stabile, decrementi, meist in Genesung übergehend.
Die pathologischen Veränderungen des Bückenmarks sind nicht die Ursacbe, son-
dern die Wirkung des Tetanus, sie fehlen in den schnell Terlaofenden FäUen. Ge-
wisse Medicationen, wie Kai. bromai in fortgesetzten Gaben sind soh&dlich.
Die Hindus behandeln den Tetanus mit Abführmitteln. Die Thatsache, daas in
Bombay viele Pferde Tetanus haben, bestätigt die Annahme Vernettils. Er hält
den Tetanus für contagiös, und glaubt, dass derselbe, wie die Cholera, sich durdi
das Trinkwasser yerbreite. M.
Aoademie des soienaes a Paria. Sitzung Yom 11. October 1886.
Brown-S^quard bekämpft die Ansicht des grössten Theiles der Physiologen,
dass die Leichenstacre ganz oder vorzugsweise von der Coagulation der yerschiedeDen
Eiweissstoffe im Muskelgewebe abhänge.
Yulpian zeigt, dass ein Karpfen, dem die Hirnlappen und die Glandula pinealis
Yollständlg entfernt worden waren, und der die Operation 6 Monate überlebt hatte,
vollständig gut sah, hörte, schmeckte und fühlte, nur wegen Entfernung der Processus
olfactoiii nicht roch. M.
VI. BibliograpMe.
Zur Prognose der Gtohimsyphüis für praktische Aerste, yon Dr. O. Braus
in Burtscheid, Aachen. (Hirschwaid 1886. 40 Seiten.)
Die kleine Schrift bringt ausser einer Beihe kurz skizzirter Krankengeschichten
die Erfahrungen des Verf. über die Wirksamkeit der Merkurialkur bei Hlmsyphilis.
Neben Heilungen und Besserungen werden auch sichtliche Yerschlimmernngen während
der Kur beobachtet. Aus seinen Sätzen heben wir (auch mit Bücksicht auf die
Streitfrage: Tabes-Syphilis und Paralyse-Syphilis) hervor, dass die Wirkungslosigkeit
einer Merkarialkur gegen eine Gehimerkrsöikung kein Beweis fUr die nichtsyphUitische
Katur des Leidens ist, denn man sieht bei Patienten, weiche neben der Gehimerkran-
kung zu gleicher Zeit charakteristische Erkrankungen anderer Organe (Gummata,
Exostosen, Bypia, serpiginöse Geschwüre) haben, diese letzteren nach Einleitung einer
Merkurialkur heilen, während jene Yon der Kur kaum oder gar nicht beeinflusst wird.
Die Behandlung hat bei der Gehimsyphilis ausserdem nur bis zu einer gewissen Zeit
ihres Bestehens Aussicht auf Erfolg.
Verf. wendet 5,0 Ungt. dner. täglich an, eyeni mit Kai. jodat. Tritt bis zur
80. Einreibung durchaus keine Veränderung ein, dann giebt er die Hoflhnng auf
Erfolg auf. M*
Zur Genese der nervösen Symptomenoomplexe bei anatomisohen Ver-
änderungen in den Sezualorganen» von Privatdocent Dr. Engelhardt
(Stuttgart 1886. Emke. 71 Seiten.)
Der Verf., dem ein reichhaltiges Material aus der Freiburger Klinik zu Gebote
stand, theilt die einschlägigen Falle in 4 Gruppen. Die erste umfasst solche Per-
sonen, bei denen die bedeutendsten anatomischen Veränderungen der Sexualoigane ohne
alle nervösen Symptome, selbst ohne DysmenorrhO bestanden. 21 Personen, darunter
— 519 —
3 Nalliparae und 18 Multiparae, warden der Untersuchung unterzogen. Bei 15 Per-
sonen einer zweiten Gruppe (s&mmüich NuUiparae) fanden sich Lendenmarksymptome
mit und ohne anderweitige nervöse Störungen bei Abwesenheit aller anatomischen
Veränderungen in den Sexualorganen. Bei 8 Personen (40 ^/g) Hess sich erbliche
nervöse Belastung und das Auftreten von Lendenmarkssjmptomen bereits in der
Kindheit nachweisen. In den 14 Fällen der dritten Gruppe zeigten sich Lenden-
nuurlrasymptome bei geringen anatomischen Veränderungen der Sexualorgane, wie Er-
schlaffung der Gebärmutterbänder und ihre Folge Betroversio, gutartiger Katarrh
des Gtobärmutterhalses u. s. w. 6 NuUiparae und 8 Multiparae gehören hierher.
In der vierten Gruppe (59 Personen) begegnen wir grossen anatomischen Verände-
rungen mit Lendenmarkssymptomen. 14 NuUiparae und 15 Multiparae wurden
untersucht Bei 11 Personen (17 ^Iq) fanden sich nervöse Erscheinungen schon in
der Kindheit, bei 9 Personen (15 ^/q) traten dieselben zugleich mit der ersten
Menstruation auf. Nach dem Verf. kann ein örtUches GenitaUeiden für sich allein
gewisse nervöse Erscheinungen hervorrufen, welche häufig auf die mit dem Lenden-
mark zusammenhängenden Nerven beschränkt sind. Schwere verbreitete Neurosen
entstehen jedoch nur durch eine solche locale Erkrankung, wenn diese längere Zeit,
Jahre hindurch gedauert hat Der reflectorische und consensueUe Einfluss ist dann
fast nie aUein wirksam. Auch die durch das Leiden bedingten Säfteverluste, Ver-
dauungsstörungen, Entziehung der frischen Luft, Mangel an Muskelthätigkeit, psychische
Factoren spielen dabei mit, wenn schon die Sexualkrankheit in diesen Fällen die
primäre und wichtigste Ursache ist. Die verschiedensten Störungen können dabei
bei jeder Art der anatomischen Veränderungen entstehen. In weitaus der Mehrzahl
sämmtlicher mit Sexualkrankheiten verbundenen nervösen Leiden besteht eine sehr
compUcirte Entstehung. Angeborene Anlagen, in der Kindheit erworbene Disposition,
ConstitutionsanomaUen, fehlerhafte Ernährung und Körperpflege während der Pubertät,
unzweckmässige Bekleidung, psychische Noxen, geschlechtUche Beizungen, Mangel an
Schonung zur Zeit der Menstruation oder nach der Geburt, acute und chronische
Erkrankungen, schwere wiederholte Niederkünfte, Säfteverluste, Blutungen, übermässige
körperUche und geistige Arbeit etc. schädigen für sich das Nervensystem und führen
im Verein mit der Genitalaffection zu den functioneUen Nervenleiden.
. Kalischer.
Des Vertiges, par le Docteur E. Weill. Mödecin des Höpitaux de Lyon. (Paris
1886. BaiUi^re. 120 Seiten.)
Im Anschluss an Jackson, Makenzie, Goltz, Ferrier, Charcot, Grainger-
Stewart definirt der Verf. den Schwindel als das Gefühl des gestörten Gleichgewichts,
der Unbeständigkeit unserer SteUung im Baume in Bezug auf die uns umgebenden
Gegenstände. Diese Empfindung der Unfähigkeit, unser Gleichgewicht zu erhalten,
unsere Muskeln richtig zu innerviren und zu coordiniren, geht vom Cerebellum aus,
dessen Erregung oder Verletzung sowohl auf die Sensibilität wie auf die Motilität
einwirkt. Das Gleichgewicht kann gestört werden 1. durch Störungen in den das
Gleichgewicht durch reflectorische Wirkungen erhaltenden Organen (CerebeUum, Pe-
duncuU cerebeUi, Canales semicirculares), 2. durch Störungen in den Sinnesempfin-
dungen (Gesichtssinn, Gtohörssinn, Tastsinn, Muskelsinn), 3. durch gemischte Störungen.
Zu der 1. Gruppe gehören: die Menidre*sche Krankheit, Verletzungen des CerebeUum
und der PeduncuU cerebeUi, organische Erkrankungen des Nervensystems mit ver-
schiedenem Sitz (Hirntumor, progressive Paralyse, Tabes, multiple Sclerose, chronische
diffuse Myebtis), Neurosen (EpUepsie, Neurasthenie, Hysterie, Basedow'sche Krank-
heit), Circulationsstörungen (Trauma, Hitze, Anämie, Chlorose, Cachexie, atheromatöse
Entartung der Gefasse, Aorteninsufficienz. Congestionen), Reflexvorgänge bei Erkran-
kungen des Magens, des Darmes, der Nasenhöhle, des Rachens, des Schlundes, in-
fectiöse Krankheiten (Typhus, Grippe, Malaria, Scarlatina, Meningitis cerebrospinalis,
— 520 —
Syphilis), Diathesen (Gicht, Migiine, Bheumatismus, Diabetes), toziscbe üraacheii
(Digitalis, Eohlenozydgas, Chinin, Salicjlsanres Natron, Narcotica, Solaneen, Alkohol,
Blei). Zur 2. Gruppe, in der hauptsachlich die Ton den Störungen des GeeichtsönneB
und der Augenmuskelbewegung ausgehenden Schwindelgef&hle betrachtet werden,
gehören: Diplopie, Nystagmus, musculäre Asthenopie, Augenschwindel (Vertige ocnlaire)
ohne jede Läsion wie bei andauernder Fixation, schnellem Wechsd von Licht und
Schatten, schnellen Bewegungen etc. Zur 3. Gruppe, „Yertiges mixtes^', za deren
Hervorbringung mannigfache Factoren mitwirken, zahlt der Verf.: das Besteigen eines
Thurmes, Schaukeln, Drehungen, Tanzen, Seeknmkheii — Fflr die Platzangst und
ähnliche Störungen werden rein psychische Vorgänge als Ursache angesehen, die
ebenso durch Anomalien in den Sinnesempfindungen geweckt werden, als sie secundär
solche anregen können. Das Kleinhirn und die halbcirkelförmigen Canäle sind die
Organe, you denen die Schwindelgefflhle hauptsächlich hervorgerufen werden. Dem
Cerebellum können von der Grosshimrinde, von den Canales semicirculares etc. Be-
wegungen zufliessen, die eine Störung des Gleichgewichts auslösen. Nachdem der
Verf. die oben erw^nten Gruppen und ünterabtheilungen ausf&hrlicher beschrieben
hat, wendet er sich der Differentialdiagnose, Prognose, Pathogenese und Therapie fnr
die einzelnen Arten des Schwindels zu. Im Gegensatz zu der Gruppimng nach
ätiologischen Momenten, war der Verf. bemüht, seiner Eintheilung physiologisdie
Thatsachen zu Grunde zu legen. Ealischer.
V. PersonalieiL
Herr Dr.. Otto Dornblflth, bisher 3. Arzt an der Provinzial-Irren-Anstalt za
Bunzlau, geht zum 1. November als 2. Arzt an die Provinzial-Irren-Anstalt Brieg.
IV. Vermisolites.
Die Acad^mie de mödecine zu Paris hat f&r 1888 den Preis Civrieux (1000 Fr.) fax
die beste Arbeit über: Des haUncinations de rouie, den Preis Falret (1500 Fr.) f&r eine
solche über: Des rapports entre la paralyde gön^rale et la syphilis o§r6brale bestimmt
Selbstmorde in Spanien.. Einem Auszöge, den V. Rossi aus dem offidellen Be-
richte des spanischen JnstizministerB Über das Jahr 1884 im Archivio di psichiatria. scienze
Senali etc. Yll. p. 151 mittheilt, entnehmen wir folgende Daten. Auf 16,5 MilL Einwohner
es europäischen Spaniens kamen 650 vollendete und versuchte Selbstmorde, also 4 auf lOOOOO;
rechnet man nur die vollendeten Selbstmorde, so kommen 2,86 auf 100000. Nach Mors eil i*s
sehr zuverlässigen Angaben über die Jahre 1881—1883 kommen 2,8 (wahrscheinlich nur
vollendete) Selbstmorde auf 100000, was also eine unbedeutende Zuni^me im Jahre 1884
beweisen würde. Das Verhältniss der Männer zu den fVauen ist im Allgemeinen wie 497
zu 153; werden nur die vollendeten Selbstmorde berücksichtigt, wie 391:82. Die Männer
sind also viel energischer in der Ausführung ihrer Selbstmordpläne, als die Frauen, indem
von 100 männlichen Selbstmördern 78,7 und von 100 weiblichen nur 58,6 ihren Zwed[
erreichten.
Was die (wahrscheinlichen?) Ursachen der Selbstmorde betrifft, so konunen auf je
100 Selbstmörder mit bekannten Motiven
Männer Frauen
Selbstmord aus Nahrungasoigen . .
somatische Krankheit
psychische Krankheit
Trunksucht ....
unglückliche Liebe
26.4 8,5
24,8 33,0
23.5 21,2
11,5 2,1
8,2 22,2
Familienverhältnisse 5,8 12,7.
Sommer.
Vertag von Vkit & Comp, in Leipzig. — Druck von Mbtzgbb & WiTno in Leiprig.
NEUROLOGISCHESCENTRALBLAn.
Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie
und Therapie des Nervensystemes einschliesslich der Geisteskrankheiten.
Heransgegeben tod
Professor Dr. E. Mendel
Fflüfter " ^^"^ Jahrgang.
Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 16 Mark. Zu beziehen darch
alle Bnchhandlnngen des In- and Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie
direet Ton der Verlagsbuchhandlung.
1886. 15. NoTember. M 22.
Inhalt. I. Orifinalmitthenungen. 1. Zur Frage vom ürsprungsgebiete der Fasern der
Torderen CommiMur m der Hirnrinde des Menschen, Ton Dr. med. N. Popoff. 2. Zusatz zu
vorstehender Mittheilun^, von Paul Flechsig. 8. Üeber ein gesetzmassiges anatomisches Yer*
halten der Wuneln in den verschiedenen Höhen des Bückenmarkes, von Dr. Siemeriing.
II. Riftrate. Anatomie. 1. Die primären Optiouscentren und ihre Beziehung zur
GroBshiinrinde, von Darfcschewittch. 2. Sulla crista frontale interna e suUa fossetta occi*
pitale mediana, nota del Varaglia. — Experimentelle Phvsiologie. 8. Sülle degenera-
zioni discendenti eonseoutive a lesioni della oorteccia cerebrale, nota dei Marchi e Algerl. —
Pathologische Anatomie. 4. Angeborene Himdefecte, von Scbuitzo. — Pathologie
des Nervensystems. 5. Anomalien der Empfindung und ihre Beziehung zur Ataxie oei
Tabes dorsalis, von Stern. 6. Nachtrag zu Vorstehendem. 7. Ataxie looomotrice avee arthro-
pathie etc., par Ricbardi^ro. 8. Ataxie, von Vlerordt 8. Progressive locomotor ataxia, by
Mann. 10. Disseminated Sderosis with unusual spnptoms, by Edge. U. Diaseminated cere-
bro-spinal sclerosis in early stage, aflfecting ezdusively the right extremities, by Duckworth.
12. Unilateral disseminated cerebro-spinal sderosia, by Latham. 13. Multipel Cerebrosmnal-
Sklerose, af Bemer. 14. Scleroei disseminata a placche, pel üparl. 15. Bechtsseitiger Hirn-
tumor, von Schüler. 16. Contribution a T^tode des fausses solöroses syst^matiques de la
mobile öpini^re, par Popoff. 17. Atrophia musoularis progressiva etc.» ai Wallie. 18. Mul-
tiple spinal and cerebral tumours etc., by Harris. — rsychiatrie. 19. Dell'eta dei ffenitori
in rapporto alle forme di alienazione mentale, per il Canger. 20. L'equazione personale d^U
epilettici. pel Tanzi. 21. Om Vägttabet efter det epileptiBke Anfal^ af Hallager. 22. In-
version du sens genital avec Epilepsie, par Legrain. 23. Pupillenreaction und Ophthalmoskop.
Befunde bei geisteskranken Frauen, von Siemeriing. — Forensische Psycniatrie. 24.
Geistesstörung als Ehescheidungsgrund, von Christoph. -- Therapie. 25. Gm Underbinding
af Art. verteoralis som Middel mod Epilepsi, af Hallager. 26. Du traitement des ph^nomenes
douloureux de Fatade locomotrice progressive par pulvdrisations d^^Üier et de chlorure de
S^thyle, par Raison. 27. L'uretano nei pazzi, per il Slghicelll. — Anstaltswesen. 28. Des
pileptiques simples en g^n^ral et de leur hospitalisation dans le Departement de TAllier,
par Lapoiiite.
III. Aus den Geeellschaften. — IV. Personallen. — V. Vermlechtet.
I. Originalmittheilungen.
1. Zur Frage vom Ursprungsgebiete der Fasern der vorderen
Commissur in der Hirnrinde des Menschen.
(Aus dem Laboratormm von Prof. Paul Fleohbiq in Leipzig.)
Von Dr. med. K. Fopoff aus Si Petersburg.
y,Die vordere Hirncommissur der Säugethiere ist zwar vielfach beschrieben,
indessen stimmen die Ansichten der Autoren über dieselbe so wenig überein,
— 522 —
t
dass von einer wirklichen Erkenntniss nicht die Bede sein kann.'' Mit dies^
Worten beginnt S. Ganseb seine Arbeit „Ueber die vordere Himoommissor
der Säugethiere'V ^^^^ obgleich im Verlauf der sieben Jahre, die seitdem ver-
gangen sind, mehrere sehr wichtige Untersuchungen in der Anatomie des Gehirns
erschienen sind, können dieselben Worte auch gegenwärtig noch mit ToUem
Rechte wiederholt werden, da wir bis jetzt noch nicht mit Bestimmtheit sagen
können, welche Gebiete der Hirnrinde durch die Fasern der vordem Commissaj
unter einander verbunden werden.
Wenngleich fast alle neueren Beobachter darin übereinstimmen, dass ein
Theü der Fasern dieser Commissur (beim Menseben ein sehr geringer) in den
Bulbis olfactorüs seinen Ursprung nimmt, so kann noch bei weitem nicht das-
selbe behauptet werden, wenn es sich um das Ursprungsgebiet des andern TheUcs
dieser Fasern handelt.
Ich werde nicht genau alle Ansichten anfuhren, die bis in die letzten Jahre
über diesen Gegenstand bestanden haben, und werde nur darauf hinweisen, dass
während einige Autoren die Fasern der vorderen Commissur bis zu den Schläfen-
und Hinterhauptslappen (Bübdach, Vom Bau und Leben des Grehims. 1822.
Meynebt, Vom Gehirn der Säugethiere. Stbicker's Handbuch. G&atiolet.
Anatomie comparee du Systeme nerveux. 1839 — 1857. Huguenin, Anatomie
des centres nerveux. 1879) oder sogar nur bis zu den Schläfenlappen allein ver-
folgt haben (Luts, Recherches sur le Systeme nerveux c^r^bro-spinale. 1865.
Iconographie photographique des centres nerveux. 1878. Abnold, Handbuch
der Anatomie des Menschen. 1851), andere Autoren diesen Fasern ein viel
grosseres Verbreitungsgebiet anweisen, nämlich im ganzen Bereiche des Gjrus
fomicatus von dessen Ursprung an der Lamina perforata anterior bis zum Mandel-
kerne (FovüiLE, Trait6 complet de Tanatomie etc. 1844).
In der oben erwähnten Arbeit behauptet Ganseb ganz ausdrücklich, sieb
auf die Untersuchung der von ihm gemachten Präparate des normalen Menschen-
gehims gründend, dass die vordere Commissur, ausser einem Faserbündel aus
dem Bulbus olfactorius, nur Fasern aus den Schläfenlappen enthalte and dass
es ihm auf keinem Präparate gelungen sei, deren Ursprung aus den Hinter-
hauptslappen zu sehen, obgleich er am Schlüsse seiner Arbeit sich etwas vor-
sichtiger ausdrückt, indem er Folgendes sagt: „Beim Kaninchen enthält die
vordere Gonmiissur nur Gonmiissurenfasem, welche einerseits beide Bnlbi olfac-
torii, andererseits gewisse noch nicht näher begrenzte Bindengebiete des Schläfen-
lappens verknüpfen. Man wird schwerlich fehlgehen, wenn man diesen Satz
auch auf die übrigen Säugethiere anwendet"
Trotz der Bestimmtheit der Schlüsse, hat Ganseb's Arbeit wenig zur
Gleichung der Ansichten der Autoren, die nach ihm an dieser Frage gearbeitet
haben, beigetragen.
So meint SchwaiiBe,' dass die vordere Gonmiissur die Commissur der
Stanmilappen sei, obgleich er anderwärts, den Gang und die Beziehungen der
* Archiv für Psychiatrie. 1879. Bd. IX. H. 2.
* Lehrbuch der Nearologie, 1881.
— 523 —
Fasern dieser Gommissur geDauer beschreibetid, dennoch sagt, dass sicli dieselbe
durch Faserang und an Schnitten bis zur Spitze des Schläfeolappens verfolgen
lasse, in welche sie lateralwärts vom Mandelkerne einstrahle and dabei gesteht,
dass die Frage von den Beziehnngen der vordem Conmusanr zur Insel onent-
schieden bleibe. Webnicke' nnd EDmeEB* sind geneigt anzonehmen, dass
diese Commisaur beide Schläfenlappen verknöpfe. MEsirEBT bestätigt in seinem
neuesten Werke (Klinik der Erkrankungen des Vorderhirns) nur das, was er
schon früher ansgesf^^ hatte (dehe oben).
Angesichts solcbei Widerspräche scheint mir die Veröffentlichung der Unter-
suchungsresnltate eines Falles von Herderkrankui^ des Glehims, welches Prof.
Fij£Cubi6 geffUl^ zu meiner Verfügung gestellt hat, einiges Interesse zu bieten.
Von aussen besehen zeigte dieses Gebim, welches idi schon m Müller'scher
Flüssigkeit erhärtet erbalten habe, auf der untern Oberfläche der Hinterhaupts-
lappen ztrei symmetrisch gelegene Erweichungsherde (siehe Fig. 1): an der Unken
Fig. 1.
Fig. 2.
FronUlocbnitt dnrch die linke HemiBphore
CO. 2 cm hinter dem Balkenwolst.
(Fall Fopon.)
a FiHnra oaloaiin».
b Hinterhorn das Seitenventhkeb.
e .^ehatrahlong" Qutiolet
X degcnerirte Zfige im nnteren Theile
der „Sehstnüilniig".
l Znngenwindiuig.
Ol Snleiu ooaipito^emponlia.
Hemisphäre nahm diese Erweichung den ganzen Gjrus Uogualis und den bintom
Theil des Innenrandes des Gyrus occipito-tempoiaüs (Splndelwindung) ein, sich
nach Tome bis zum ITebergange der Zungenwindung in den G;rue Hippocampi,
und nach innen fast bis zur Fissora calcarina verbreitend (s. Fig. 2); an der
rechten Hemisphäre nahm die Erweichung fost den ganzen Gyrus lingualis, ausser
Basale Ansiolit der Schlafen Hinterhanptslnppen.
mi Solctu oocipito-temporaliH
ifl QjTDB lingiulu (occipito-tempoialiB).
gfGjim fodfonui«
gh Gynu luppocampL
ScfanfSrt: Erweicbnngsherde im Fall Pofoff'b.
Ptmktirte Linie links vergl. Zusatz von
P. Flbohbio.
' Lehibnch dsi Oehiinkranklieiten. 1881.
' Zehn Vorleiangen über den Ban der nervJhen Centrolorgane. 1
524 —
dessen Aussenrande ein, und reichte vorne bis zum Gjrus Hippocampi^ nach
innen bis in die Fissura calcanna (auch die zum Cuneus gehörige AusUeidnng
derselben mit einbegreifend) und nach aussen fast bis zur Fissura ocdpito-
temporaUs. In der Dicke der beiden Hemisphären verbreitete sich die Erkran-
kung bis zu den Seitenventrikeln, deren Wände in den entsprechenden Partien
ebenfalls nicht glatt, sondern erweicht erschienen (vgL Fig. 2). Die übrigen
Windungen der Hinterhauptslappen, sowie auch die beiden Schläfenlappen und
beide Stammlappen boten gar keine sichtbaren Veränderungen dar.
TJeberdies war die hintere Fläche der rechten Eleinhimhemisphäre und ein
ziemlich bedeutender oberflächlich gelegener Theil des Pulvinar des Sehhiigeis
der linken Hemisphäre erweicht Letzterer Herd reichte nirgends auch nur in
die Nähe des hinteren Schenkels der vorderen Commissur.
Eine Erklärung der Entstehung und der Verbreitung der eben beschriebenen
Erweichungsherde ergab sich bei der Untersuchung der Himgefasse: an der
Arteria basilaris befindet sich nämlich ein stark entwickeltes cylindrisches Aneu-
rysma, alle Aeste dieser Arterie zeigen deutliche Merkmale einer atheromatösen
Degeneration und beide Arteriae occipitales (Dueet) sind durch voluminöse
Thromben verstopft.
Vermittelst Schanze's Mikrotom habe ich aus diesem Gehirne eine Beihe
Frontalschnitte, vom hinteren Bande des Pons Varolii an bis zur vordem Partie
der Sehhügel erhalten; gefärbt wurden die Präparate nach Wsigbbt's bekannter
Methode. Bei mikroskopischer Untersuchung dieser Schnitte erwies es sidi, dass
alle Fasern des Orosshimschenkels und Pons Varolii intact geblieben waren;
dagegen konnte an allen höher liegenden Schnitten die Degeneration fast
aller Fasern des hinteren Schenkels (Haupttheil beim Menschen) der
vorderen Commissur, die makroskopisch, sowie auch bei schwacher Ver-
grösserung, gar nicht gefärbt erschien, constatirt werden; bei stärkerer Ver-
grösserung erschienen gefärbt, an Querschnitten dieser Commissur hin und
wieder kleine Bündel oder nur einzelne Fasern, mit meistens ungleichen, rosen-
kranzartigen Umrissen, Zerfallmassen, bindegewebige Elemente und eine unge-
heure Quantität Fettkörnchenzellen. Ausserdem bemerkt man, dass der
untere Theil von Gbatiolet's Sehstrahlungen, welcher sich in unmittelbarer
Nähe des oben erwähnten Erweichungsherdes befindet» ebenfsklls affidrt ist (siehe
Fig. 2). Die Faserbündel aus den Bulbis olfactorüs zur vorderen Commissur
zeigten deutliche Anomalien nicht!
Uns zur Literatur der Frage von den secundären Degenerationen im Gehirne
wendend, finden wir in derselben keine Beschreibung einer Degeneration dar
vorderen Commissur beim Menschen; unser Fall ist der erste, welcher geeignrt
ist, auf diesem so zuverlässigen Wege AufBchlüsse über die corticalen Ursprünge
des Hauptbündels zu geben.
Im vorliegenden Falle haben wir nun sowohl beide Stammlappen,
als auch beide Schläfenlappen vollkommen unverändert gefanden;
nirgends findet sich im bekannten Verlaufsabschnitt der Commissur ein pri-
märer Herd, nur beide Zuugenwindungen der Hinterhauptslappen haben sicfa
— 525 —
vom ErweichUBgsproceBB angegriffen erwiesen; ^ans können wir den Schlnss
ziehen, dass der hintere (Haupt-)Theil der vorderen Gommi^sur haupt-
sächlich zur Verbindung der beiden Zungenwindungen dient, der
Ursprung aber eines irgend wk beträchtliche TheUes der Fasern aus den
SchäfeDl^>pen höchst zweifelhaft ist^ da, wie oben erwähnt, nur einige wenige
unveränderte Nerven&sem in der vorderen Gommissur unseres Gehirns &brig
geblieben waren.
Der zweite Schluss, zu dem wir im vorliegenden Falle, in Folge der voll-
standigen Abwesenheit der secundaren Degeneration im Oroeshimschenkel ge-
langen können, ist negativen Charakters und besteht darin, dass es keine Fasern
giebt, welche aus den Zungenwindungen ihren Anfang nehmend, nach unten zur
Medulla oblongata gehen; dieser Schluss stimmt also voUkonmien mit Ghaboot's
Beobachtungen, der bd Erweichungsherden in den Hinterhauptslappen in keinem
Fall secundäre D^enerationen im Orosshimschenkel etc. gefunden hat
Zum Schluss halte ich es für eine angenehme Pflicht, Herrn Professor
Pauii Fleohsig sowohl für das zu meiner Verfügung gestellte Material, als auch
hauptsachlich für die freundliche Anweisung und Leitung, die ich während
meiner Beschäftigungen im Laboratorium an der Irrenklinik in Leipzig genossen
habe, meinen Dank abzustatten.
2. Zusatz zu vorstehender Mittheilung.
Von Faul Flechsig.
Bei Untersuchung eines zweiten Falles von Erweichung der basalen Fläche
des Lobus occipito-temporaUs finde ich gleichfalls eine secundäre Degeneration
der vorderen Gonmässnr des Qehims. Es war hier erweicht in der rechten
Hemisphäre (bei vollständiger Intactheit der linken) das auf Fig. 1
schraffirte Gebiet und ausserdem der grösste Theil d. h. die hinteren zwei Drittel
der Spindelwindung, ein weiteres Stück des Gyrus hippocampi (vgl Fig. 1 das
durch die punktirte Lhiie eingeschlossene Gebiet) und der Cuneus, sowie die
Spitze des Hinterhauptlappens. Die vordere Gonmiissar erschien auf einem
Medianschnitt um mehr als die Hälfte verkleinert, doch waren Fettkömchen-
zellen nicht in grösserer Anzahl darin nachweisbar. Die Nerven&sem scheinen
nur verdünnt zu seiu. Ob sich diese histologischen Differenzen dadurch erklären,
dass im ersten Fall beide corticale Ursprung^biete der Gommissur zerstört
waren, im zweiten nur das rechtsseitige, muss ich dahin gestellt sein lassen.
Obwohl der Bindendefect im zweiten Fall grösser war als im ersten, war im
letzteren die Degeneration mikroskopisch weit stärker ausgeprägt.
— 526 —
3* üeber ein gesetzmässiges anatomisches Verhalten der
Wurzeln in den verschiedenen Höhen des Rückenmarkes.
Ton Dr. ffiemerllng.
(Naeh einem in der GeieUfldiaft ftr Psyehiitrie nnd NerrenknuiUieiten im 9. Not. 1886
gehaltenen Yoitnge.)
Auf AniBgong meines hochTeiehrten Lehrers^ des Heim Geheiniraüi West-
FHAii, habe ich es nntemommen, eine systematische TTntersnchnng der
Wurzeln des Bäckenmarks anzustellen.
Bei einem Backenmark emes 35jährigen Mannes habe ich von jeder an-
zelnen Wnizel Querschnitte angefertigt Es kamen zur Untersuchung die 8 Hals-,
12 Dorsal-, 5 Lenden- und 3 Sacndwurzeln. Die Wuizehi wurden bald nadi
ihrem Austritt aus dem Bückenmark in einer Entfernung Ton c& 2 — 3 mm
von demselben abgetrennt und in ihrem Verlaufe bis zur Bildung des Spinal-
ganglion in Queischnitte zerlegt Von einzelnen wurden Zupl^iapaiate herge-
stellt Vordere wie hintere Wurzel auf der rechten und linken Sdte wurden
gleichmassig untersucht (in toto 112 Wurzeln).
Die Präparate wurden in Celloidin eingebettet Die Schnitte wurden aus
freier Hand angefertigt Die Färbung erfolgte imt den verschiedensten ge-
bräuchlichen Färbemethoden. Stets wurden ungefärbte Schnitte zur Controle
herangezogen.
Die Besultate, wie sie sich bei Durchmusterung der Schnittserie ergeben
haben, sind folgende (unberücksichtigt bleiben vorläufig die Sacralwurzdn):
1) Die vorderen Wurzeln des Hals- und Lendentheils sind aus-
gezeichnet durch einen beständig vorwiegenden Beichthum an
grossen, breiten Nervenfasern.
Durch dieses Ueberwiogen der breiten Fasern in den vorderen Wuizehi
des Hals- und Lendentheils lassen sich diese von allen übrigen Wurzeln, sowohl
den hinteren aus den entsprechenden Partien, als auch von allen Dorsalwuizdn
scharf sondern.
2) In den hinteren Wurzeln des Hals- und Lendentheils ist
eine grössere Anzahl feiner Nervenröhren vorhanden, welche ein-
zeln oder in kleinen Gruppen zusammenliegeiL
Dabei haben aber die breiten Fasern noch immer das Uebergewicht Die
Breite der einzelnen grossen Fasem ist im Durchschnitt nicht mehr so betracht-
lich, als in den vorderen.
In dem Dorsalmark gestaltet sich das Büd noch anders.
3) In den Wurzeln des Dorsalmarks sind die kleinen Fasern in
sehr grosser Anzahl vorbanden, in grössere Bündel gelagert treten
sie zwischen den breiten Fasern auf.
Die Breite der grossen Nervenfasern erleidet keine Einbusse; sie entspricht
der Breite der gleichen Fasem in den hinteren Wurzehi des Hals- und Lenden-
theils. In den vorderen Wurzeln scheinen mehr kleine Fasern, als in den hinteren
vorhanden zu sein, doch ist der Unterschied nicht so durchgreifend, dass nun
— 527 —
jedesmal genau eine voideie von einer hinteren Doisalwiirzel untersoheiden
könnte.
Eins verdient bei der Beschreibung der kleinen Fasern besondere Berück-
sichtigong, dieselben zeigen immer die Stractur einer NervenÜEuer durch den
Axencylinder und den nmgebenden Ring.
Durch diese Begelmässigkeit der Yertheilung der feinen Fasern in den
Wurzeln aus den verschiedenen Höhen des Bückenmarks ist man in den Stand
gesetzt, an einem vorgelegten Querschnitt mit Bestimmtheit anzugeben, ob dieser
der vorderen Wurzel aus dem Hals- resp. Lendentheil, oder der hinteren Wurzel
aus dem gleichnamigen Grebiet, oder endlich einer Dorsalwurzel entstammt
Die Sacralwurzely soweit sie untersucht, verhalten sich, von der ersten an
gerechnet, zunächst wie die Wurzeln aus dem Lendentheil. Weiter unten, von
der 8. Sacndwurzel an, näheren sie sich in ihrem Bau den Dorsalwurzeln.
Zur C!ontrole der so erhaltenen Besoltate dehnte ich meine Untersuchungen
noch auf weitere drei Fälle von normalem Bückenmark aus. Dieselben waren
Personen entnommen im Alter von 88, 44 und 66 Jahren. In allen drei Fällen,
wie auch in dem ersten Falle, ergab die üntersuchmig des Bückenmarks selbst
keine Abweichung vom Normalen. Ich habe mich hier darauf beschränkt, nur
aus einzelnen Höhen Querschnitte verschiedener Wurzeln anzufertigen, nament-
lich untersuchte ich die Wurzeln am Ende des Hals- und Dorsaltheils und am
Beginn des Dorsal- und Lendentheils , um zu sehen, ob dieser chandrteristische
Befund in der Yertheilung der feinen und breiten Fasern mit dem Aufhören
eines Wurzelgebietes abschlösse, um dem für den nächsten Abschnitt besonderen
Verhalten Platz zu machen. Der üebergang ist allerdings in der Begel ein
sehr schneller; die einzelnen Partien der Wurzeln lassen sich scharf von ein-
ander trennen.
Vergleiche ich nun diese Präparate der normalen Wurzeln mit dem Quer-
schnitt einer z. B. bei Tabes degenerirten Nervenwurzel, so wird es leicht sein,
bei dem charakteristischen Verhalten der vorderen und hinteren Wurzeln des
Hals- und Lendentheüs, bei ihrem überwi^nden Beichthum an breiten Fasern
auch geringe Orade von Degeneration zu erkennen. Schwieriger wird die Sache
im Dorsalmark. Hier ist die Menge der kleinen Fasern eine so grosse, dass
man auf den ersten Blick geneigt sein könnte, eine solche Wurzel flbr degeneiirt
zu halten. Bei Untersudiung der Dorsalwuizeln auf etwa vorhandene Degene-
ration ist jedenfalls grosse Vorsicht für die Beurtheilung anzorathen; so lange
man in jeder der kleinen Nervenröhren durch den Axencylinder, durch den
umgebenden kleinen Bing die Structar einer Nervenfaser gewahrt findet, wird
man kaum von Degeneration sprechen können.
Zum Schluss möchte ich noch auf einzelne Abweichungen aufmerksam
machen, wie sie bereits von Autoren beschrieben sind und Erwähnung in Lehr-
büchern gefunden haben.
Zunächst eine grob anatomische Abweichung von dem getrennten Ursprung
der einzelnen Wurzelbündel.
— 528 —
Bb kommt fofty dass ein Nerveiuist zwischen zw6i Wmzflln eatspringend
gich gabelfönnig spaltet mid mit dem einen Ende zn der obersten, mit dem
anderem zn der nächst nntersn Wnizel zieht; dieses Verhalten konnte kk emige
Male heobachteiL
Weiter ist bekannt das ?erstreate Yorkonunen yon Gangüenzeilen hnYer-
laofe der Wnrzel bereits vor dem Spinalganglion. Anch ich konnte in einigea
Präparaten yereinzelte Ganglienzellen, eingebettet zwischen die NerFenqnerschnitte,
nachweisen.
An den Vortrag schloss sich eiae Demonstration der Präparate.
n. Referate.
Anatomie.
1) Ueber die sogenannten primären Opttoasoentren und ihre Besiehnng
rar Ghfoaahimrinde, von L. Darkschewitsch, Moskau. (Arch. f. Anat
iLFhys. 1886.)
VerC hat den Verianf der Sehfasem rein anatomisoh mit Hfilfe der Weigert*-
sehen Methode an Eanincben and Himdegehimen untersucht und gefunden: Nicht
nur der untere Yierbügel und das Corp. genic. ini haben keine Beziehung zu den
Opticusfasem, sondern auch Pulvinar und Corp. genic. ext. werden von Opticus&sern
nur durchsetzt, geben aber keinen Opticusfasem den IJtiBprnng. Aus der Glasd.
pinealiB und dem Ggl. habenulae gesdlen sich Popillarfasem den Opticaabaem sil
Nur der obere Vierhügel ist Opticuscentnun, imr fftr ihn Usst sich ein ZusanrnMo-
hang mit der Hlmrinde durch ein gesondertes BQndel histologisch nachweisen.
Th. Ziehen.
t) BfoXiB ciista frontale interna e stilla fössetta oooipftale mMlana» nota
dxü Doti Varaglia. (Aroh. di psichiatr. sdenze pen. ecc. 1886. YII. p. 109.)
Verf. bestätigt die Angabe Tenchini*s und Bianchi's, dass bei verbrecherisdiai
und bei geisteskranken Frauen die innere Stimleiste st&rker entwickelt zu sein pflegt
als bei anderen Frauen und bei Männern; dagegen bestreitet er Tenchini's Behaup-
tung, dass mit aufiQLllig hoher Crista frontalis gewöhnlich auch eine mediane Hinter-
hauptsgmbe vereinigt sei. Bei persistirender Stirnnaht fehlt die innere Stimleiste
fiist regelmässig. Sommer.
Experimentelle Physiologie.
S) SuUe degenerasioni discendenti oonseouttve «t lesioni della oorteoeia
cerebrale, nota dei Dott. V. Marchi e G. AlgerL (Rivist sperimeoi di
frenatr. ecc. 1886. XI. p. 492.)
Die Verff. haben an 2 Affen und 6 Hunden grössere Partien der Himrind«
entfernt upd dann nach verschieden langer Zeit die secund&ren Degenerationen in
dem mit Müller'scher Lösung und Osmiumsäure von 1 ^/^ behandelten Bückenmark
untersucht. Sie kommen zu folgenden Resultaten:
Ist die sogenannte motorische Zone exstirpirt, so betrifft die absteigende De-
generation ganz Tonriegend die gekreuiste Pyramidenbahn, in geringer Ausdehnung
auch die directe Pjramidenbahn (im Türck*schen Bündel) und endlich noch Y&m-
zelte Fasern im directen Seiten- und Hinterstrang. War die Binde hinter dem
Sulcus cruciatus entfernt, so fand sich regelmässig neben der Degeneration der g^
kreuzten Pyramidenbahn noch eine ausgedehnte Degeneration der Burdach^sito
— 529 —
Strange. War die E^tirpation auf die Occipitalrinde beschränkt^ so zeigte sich
stets eine Entartung der Hinterstränge, während die Seiten- and Vorderstränge fast
intact blieben.
Die weiter sich ergebeoden Schlüsse stehen in Uebereinstimmung mit den Er-
fahrungen Lucianos, di^ nämlich die motorische und die sensorische Zone ein
grösseres Feld der Hirnrinde (in der Parietal- und Angular-Qegend) gemeinsam haben;
auf die Zerstörung desselben folgt daher eine gleichzeitige Degeneration der moto-
rischen Fyramidenbahn und des sensiblen Hinterstranges. Sommer.
Pathologisohe Anatomie.
4) Beitrag zur Lehre ypi^ den angeborenen Himdefecten (Porenoephalie),
von Dr. Fr. Schnitze. Heidelberg 1886. (Nach einer auf der 56. Ver-
sammlung deutscher Naturforscher und Aerzte in Strassburg 1885 gemachten
vorläufigen Mittheihmg.)
Der Yon Heschl zuerst gebrauchte Name „Porencephalie'' wird auch fttr solche
Fälle angewandt, in denen es sich nicht nur um einen mehr oder weniger trichter-
förmigen SubstanzYerlust des Hirns (Perus), sondern um gewaltige Defecte handelt
(Knndrat). Bin solcher Fall ist der beschriebene. Es fehlen: das Stimhim zum
allergrössten, die Centralwindungen zum grössten Theil, femer ein grosser Theil
beider Schläfelappen und ein kleiner Theil der Parietalwindungen. Im Vacuum be-
findet sich Liquor cerehroepipalis. Nach der ausfflhrlichen Beschreibung der Defecte
resp. des noch Vorhandenen und den beigegebenen schönen Abbildungen kann man
sich leicht genauer orientiren* — Inhaber des derartig redudrten Gehirns war ein
5jähriger Knabe, der bis zum dritten Vierteljahre seines Lebens angeblich die Hände
bewegt haben soll, später wi^en sie flectirt und adducirt, die Beine krampfhaft
adducirt und nur leicht gebeugt. Dabei YoUst&ndige geistige Stumpfheit.
Sehr interessant ist besonders die Frage nach der Aetiologie des Defectes. Der
pathologisch-anatomische B^und (yermehrte Glia in der dem Perus benachbarten
verschmälerten Hirnrinde und massenhafte Corpora amylacea, in der dazu gehörigen
weissen Substanz sderotische Fle(skeq und Kömcbenzcllen) spricht in diesem Falle
dafür, dass man es mit den Besten eines pathologischen Processes — keiner Ent-
wickelungshemmung — z^ thun hat. TY^^^^^^i^ -^ derselbe gewesen, kann Verf.
nicht entscheiden, erörtert jedocih alle Möglichkeiten und neigt schliesslich der An-
sicht zu, dass eine primäre Arterienerkrankung (die Mutter des Kindes war Potatriz)
Yorgelegen haben könnte.
Interessant ist auch die Frage nach der Entwickelung des im Allgemeinen kleinen,
jedoch ziemlich ausgebildeten Schädels; die Stelle des für dieselbe nothwendigen
Himdrucks scheint der Druck des Hydrops ex vacuo eingenemmen zu haben.
Secundär degenerixt sind die Pyramidenbahnen ; ausserdem findet sich eine
eigenthfimliche Veränderung der GangUenzeUen der Vorderhörner«
Die Literatur der forenceph^e umf^t 51 Fälle. Sperling.
Pathologie des NerYensystems.
6) ITeber die Anomalien der Bmpflndnng tmd Ihre Besiehungen rar Ataxie
bei Tabes dorsalis, von Bölko Stern. (Aus der Nervenklinik der Charit^.)
(Arch. f. Psych. 1886. Bd. XVIli Nr. 2.)
Die unter Leitung Oppenheim*s verfasste Abhandlung theilt zunächst die an
80 Tabikem eonstatürten Störungen der Sensibilität mit Der Verf. theilt die Stö-
rungen der Sensibilität ein: in 1. quantitativOi hierbei ist das Verhältniss zwischen
— 580 —
BeizgrOsse und Empfindung gestört: Hyperästhesien, Anästhesien; 2. qualitative: per-
verse Empfindungen oder Dysästhesien.
A. Quantitative Störungen: sie treten gegen die qualitativen zurück.
1. Hyperästhesien: selten, bestellen wahrscheinlich, aber nur vorQbeigehend,
während der SchmerzanföUe. In 2 Fällen wurden einfache Tastreize als
schmerzhafte angegeben. Häufiger bestellt Hyperästhesie gegen Kälte-
reize; femer die relative Anästhesie Leyden's: Anästhesie gegen schwadie,
abnorme Empfindlichkeit gegen stärkere Beize.
2. Anästhesien:
a. Analgesien; häufig relative Analgesie (Berger): normale, resp. ab-
norm gesteigerte Empfindlichkeit gegen schwache, Analgesie gegen
stärkere Beize.
b. Störungen des Tastsinns: seltener und immer geringer als die der
Schmerzempfindung.
c. Temperatursinn. Er war in 5 Fällen gestört bei vollständig nor-
maler Tastempfindung.
B. Qualitative Störungen.
1. Verschiedenartige Beize werden nicht deutlich differenzirt; z. B. aUe als
Brennen angegeben.
2. Yerlangsamung der Empfindung um 1 — 8 Secunden. Beschränkt sidi
diese Yerlangsamung auf einzelne Empfindungsqualitäten, so tritt
3. zeitliche Incongruenz der Empfindungen auf; mehr z. B. bei schmerz-
haften Beizen erst Tast-, dann Schmerzempfindung; seltener bei ther-
mischen Beizen: erst Tast-, dann Temperaturempfindung. Andeutungen
von Incongruenz bestehen auch bei Gesunden: Incongruenz wie Yer-
langsamung der Leitung bessert sich häufig während der Untersuchung.
4. Doppelempfindung: nicht mit Nr. 3 zu verwechseln. Nur wenn bmde
empfondenen Beize qualitativ ganz gleich sind, ist echte Doppelempfin-
dung zu constatiren. Sie wurde nur in 3 Fällen, stets im Qebiete der
Algesie beobachtet, niemals im Gebiete der Tastempfindung (Polyästhesie:
Fischer).
5. Eigenthflmliche Störungen der Sensibilität» die darin bestehen, dass Fat
verschiedenartige Beize nicht richtig, sondern als solche percipirt, auf
die man seine Aufmerksamkeit lenkt» z. B. man fragt bei Application
von Nadelstichen: kalt oder warm und erhält als Antwort: „Warm,
wärmer, heiss", je nach der Intensität des Stiches. Die ESrklämngs-
versuche dieser Störung müssen im Original nachgelesen werden.
6. Ortssinnstörungen: dahin gehören auch falsche Angaben Aber die EUcli-
tung applicirter Striche: dann
a. Irradiation: punktförmige Beize werden als Striche empfanden.
b. das Gegentheil: strichförmige Beize werden als Punkte empfundoL
7. Empfindung erst nach mehrfachen Beizen: in einem Falle wurden die
ersten schmerzhaften Beize nur als Druck oder Kälte, die nächsten als
Schmerz angegeben; (es bestand also hier sicher kein Mangel der Auf-
merksamkeit, der auch in den übrigen Fällen möglichst ausgeschlossen
wurde).
Yerf. fasst die qualitativen Störungen der Sensibilität als Uebergangszustände
von der Aesthesie zur Anästhesie auf^ entsprechend gewissen, weniger weit vorge-
schrittenen pathologischen Zuständen der Nerven; das deute auch ihr ephmnerer
Charakter an. Die von Oulmont behaupteten Prädilectionsstellen der Sensibilitäts-
störungen (Fusssohlen, Eniee, Malleolen) bestreitet er.
Weiter wendet sich Yerf. zur Frage der Ursache der Ataxie bei Tabes. Er
constatirt zunächst den Unterschied zwischen LagegefCÜü, das oft fälschlich Mu^*
— 631 —
gef&hl genannt werde, und dem eigentiichen MuskelgefUhl, das man bisher woU als
Kraftsinn beaeicbnet habe; letzteres sei nur unter ganz besonderen Umständen z. B.
bei Hemiplegikem mit Sicherheit zu prüfen. Lagegefühls- und Sensibilitätsstörungen
überhaupt, könnten aber nicht, wie Leyden wül, die einzige Ursache der Ataxie
sein, wenn auch Verf. eine Störung des ersteren nur in einem Falle Ton Tabes
yermisst hat; denn 1. bestehe kein Yerhältniss zwischen Ataade und Sensibilitäts-
stönmg und 2. gäbe es Fälle von Ataxie ohne Sensibilitätsstörungen (Friedreich's
hereditäre Ataxie, 2 Fälle des Verfassers; siehe auch: Yierordt, Beitrag zur Eennt-
niss der Ataxie. Berliner Uin. Wochenschrift. 1886. Nr. 21. Bef.). Andererseits
sprachen für die motorische Theorie (Coordination) das Vorkommen Yon von
Sensihilitätsalterationen unabhängigen Goordinationsstörungen bei Tabes. Von solchen
Störungen erwähnt Verf.: 1. Mitbewegungen (4 Falle), 2. Spontanbewegungen, die
in ihrer Art sehr verschieden, aber von Chorea stets leicht zu unterscheiden seien.
Sie treten in der Buhe auf oder mischten sich in andere willkürliche Bewegungen.
In letsterer Hinsicht ist besonders ein Fall interessant, bei dem Spontanbewegungen
and Ataxie, das letztere in Folge des ersteren, in der linken oberen Extremität
heftiger waren, wie in der rechten. Bruns.
6) KaohtrfigUohe Bemerkungen m der Abhandlung über die Anomalien
der Empfindung und ihre Besiehungen zur Ataxie bei Tabea dor-
salifl, von Bolko Stern. (Arch. f. Psych. 1886. Bd. XVU. Heft 3.)
Bosenbach hat in der Deutschen med. Wochenschrift 1884, H. 22, Beobach-
tungen veröffentlicht, aus denen hervorgeht, dass aus rein psychischen Gründen bei
Temperaturreizen mittlerer Intensität und Dauer zuerst Tast-, dann Temperatur, end-
lich Schmerzempfindung entstehe. Stein hat diese Beobachtungen nicht gekannt»
führt aber aus, dass bei Anwendung von Beizen von der Intensität, wie er sie in
seinen Tabesfallen angewandt habe, bei Gesunden eine solche Incongruenz nicht auf-
getreten sei Er müsse deshalb die von ihm bei Tabikem beschriebene Incongruenz
für pathologisch halten. Bruns.
7) Ataxie looomotrioe aveo arthropathie etc., par A. Bichardidre. (Bevue
de m^dedne. 1886. Fövrier. p. lyo.)
Kurze Beschreibung eines interessanten Falles von Tabes mit Arthropathie des
Metacarpo-Phalangealgelenks des linken Daumens, Spontanluxation desselben, Ausfall
der Zähne, Larynxkrisen, Aorteninsufücienz u. a. Da auch sonstige, wahrscheinlich
syphilitische Enochenaffectionen bestanden, so könnte man diesen Fi^ zur Stütze der
Ansicht des Bef. anführen, wonach die tabischen Arthropathien nicht von der Tabes
direct abhängen, sondern syphilitischen Ursprungs sind. Strümpell
8) Beitrag zur Eenntnisa der Ataxie, von Dr. 0. Yierordt, Leipzig. (BerL
klin. Wochenschr. 1886. Nr. 21.)
Y. glaubt, dass besonders klinische Untersuchungen in Yerbindung mit der
anatomischen und pathologisch-anatomischen Forschung die Theorie der Ataxie auf-
klären werden. Er erwähnt von neueren Beobachtungen die von East, wo exquisite
Ataxie bei normalem Muskelsinn (Lagevorstellungen) bestand, gegenüber einem Falle
Yon Winter, wo bei völligem Yerlust jeder Lagevorstellung, allgememer Hautanäs-
thesie etc. keine Spar von Ataxie vorhanden war. — Erb hat in Nr. 2 d. Ctrlbl.
von 1885 einen Kranken mit jahrelang bestehender Ataxie der Beine beschrieben
ohne Parese, bei minimalen Störungen des Muskelsinns, normaler Hautsensibilität etc.
— 532 —
Y. selbst beobachtete folgenden IW:
Ein 34jäbriger Mann^ hereditär und anch betreffs der Syphilis gnu intaet^ der
als 4jährige8 Kind eine ohne Folgen gebliebene StimTerletKong erlitten hatten bekam
August 1684 Schwindel, Schwäche im linken Bein, später auch im linken Anne nnd
in den beiden rechtsseitigen Extremitäten; gleichzeitig Kop&chmen und ^raeh-
Störung. Im April 1886 wurde auf der Leipziger Klinik (Prof. Wagner) conststizt:
beiderseits horizontaler Nystagmus, lallende Sprache, hochgradige Ataxie aller "vier
Extremitäten bei ganz normalem Muskeltonus, gpiter roher Kraft» TöUig normaler
Sensibilität, sehr feinen LagOYorstellungen. Patellarreflexe lebhaft, Sehnenreflexe an
den oberen Extremitäten schwach, Hautreflexe normal. Fat. kann ohne fremde Hfllfe
nicht gehen, schleudert enorm, greift stets vorbei etc. Im Sonuner 1885 trat starkes
Schwanken des Rumpfes beim Sitzen ein. — Herbst 1885 wurden die PateUairefiexe
schwach bis zum Verschwinden, zeigten sich später aber wieder von nmmaler Stärke.
Diffuser Kopfschmerz, Schwindel, Brechneigung. Intelügeni sehr gut
Der Nystagmus erweist sich bei genauer Prfifüng als locomotorisoke Ataxie,
indem Pai beim Blicken immer über den Stsationspunkt hinausschieest Dasselbe
gilt fDr Phonation und Articulation, indem Fat nicht in regelmäsaiger» giatter Weise
mehrere Buchstaben hintereinander bilden kann; während Fat alle einzelnen Buch-
staben ganz deutlich sprechen kann, werden beim Sprechen von Worten mandie
Buchstaben (besonderB 1 und m nach anderen Conscmanten) undeutlidi oder garnidit
ausgesprochen, andere werden in explosiver Weise rasch hervorgeBtoBBen etc.
Dabei ist die Hautsensibilität in allen Qualitäten vollkommen intac^ Tastgefllhl,
Temperatursinn, die Lagevorstellungen der Glieder, die Feinheit der Baumvorstellung
(als Schätzung des Abstandes zwischen 2 Fingern), die Ferception von Gewichten etc,
Alles ist ganz normal, sogar sehr gut ausgebildet
Vierordt betont zum Schluss, dass es also eine ecl^te Ataxie ohne eine Spur
von nachweisbarer sensibler Störung und ohne Störung der Lagevorstellungen giebt,
wie ja seit längerer Zeit ziemlich allgemein zugegeben wird. — üeber die spinale
oder cerebellare oder cerebrale Natur der Ataxie bei seinem Kranken lässt sich vor-
läufig, d. h. ohne Autopsie, etwas Sicheres nicht ermitteln. Hadlioh.
9) A oase of progressive looomotor ataada» by Edw. C. Mann. (The Alienist
and Neurologist. 1886. VE. p. 206.)
Verf. hat bei einem 40jährigen nicht hereditär belasteten und nicht luetischen
Mann nach öjährigem Bestehen tabischer Symptome (Blitzschmerzen, Anästhesien und
Parästhesien der Haut der Unterextremitäten, Fehlen der Patellarreflexe^ Amblyopie^
Schwindelanfalle, Gürtelgefähl, hochgradige Ataxie, gastrische Krisen eta) Heilung
oder wenigstens ein vollständiges und bereits durch etwa 2 Jahre constatirtes Schwinden
aller Krankheitserscheinungen erzielt Da während der Behandlung numnigfi^^he
Mittel herangezogen wurden, so ist es nicht möglich, einem bestimmten Eingriff die
günstige Beeinflussung zuzuschreiben. Neben der elektrischen Behandlung (galvanische
und statische Elektriätät) scheint Ferrum reductum mit Zincum phosphoratiim (0,12
resp. 0,01 je 3mal täglich), dann Jodkalium und Argentum phosph(^cum (ä 0,02 pro
dosi) von besonderer Wirkung gewesen zu sein. Sommer.
10) Blsseminated Solerosia wiih unusual Symptoms, by A. M. Edge. (The
Lancet. 1885. Vol. n. p. 568.)
Ein 29jähriger Mann, der stets gesund gewesen war, fiel im Februar 1881 von
massiger Höhe; er klagte über Xreuzschmen, konnte aber ohne Hülfe gehen; nadi
3 Tagen arbeitete er bereits. 2 Tage später fiel er wieder und schlug sieh eine
— 638 —
Eopfwonde. Eine WoGhe lang arbeitete er, dann hörte er auf, weil seine Arme zo
zittern begannen nnd seine Beine schwaoh wnrden. Dann zeigte sich Schwierigkeit
im Sprechen; Fat. klagte über allgemeine Nervosit&t, Gedächtnissschwäche. Er brach
ohne besondere Ursache in Thränen ans, zeigte sich sehr aufgeregt Tremor lingnae.
Sprache langsam und irie bei einem Kinde, das etwas herbetet, ohne es zu verstehen.
Zittern der Augenlider bei Lidschluss. Kein Nystagmus. Gehör schwach. Kein
Tremor capitis. Die Arme gerathen in rhythmischen Tremor, wenn Fat Bewegungen
damit intendirt. Fatellarrefleze stark. Fnssdcmus vorhanden. Gefahl und faradische
Erregbarkeit ungestört. Innere Organe gesund. Keine Albuminurie.
Am 18. Sept 1881 verlor Fat. den Gebrauch seines rechten Armes und Beines
für ca. ^y. Stunde; hierbei gab er an, ähnliche Anfälle schon früher gehabt zu haben,
die ebenfalls wie dieser mit geringem Schwindel verknüpft waren, ohne dass sich
jedoch Schmerzen oder Bewusstlosigkeit eingestellt hätten.
Am 23. Sept. plötzliches Unwohlsein und starke Aufregung. Die Arme fühlten
sich ganz kalt an und zeigten Furpurröthe bis zum Ellenbogen; ebenso kalt zeigten
sich die Unterextremitäten bis zum Enie hin, ohne dass die Hautfarbe verändert
war. Rechtes Bein nnd rechter Arm konnten nur mit Mfihe bewegt werden. Herz-
töne rein. Athmung ruhig. Derartige kurzdauernde Anfidle von Hemiplegie, zeit-
weise auch von Faraplegie, zuweilen mit halbseitiger Lähmung des Facialis, aber ohne
die erwähnten vasomotorischen Phänomene traten im October und November sehr oft
auf; dabei mehrmals leichte Wahnvorstellungen, Zunahme des Tremors manuum, Ver-
schlechterung der Sprache. Anfang December Besserung. Beim Verlassen des
Krankenhauses am 8. Febr. 1882 war nur geringer Tremor beider Arme und der
Zunge Torhanden, geringe Verstärkung des Kniephänomens.
Verf. hält die in diesem Falle von disseminirter Sclerose erwähnten vasomoto-
rischen Erscheinungen, die von Erb auf „atonische Hyperämie durch Stagnation'^
bezogen werden, für ein ungewöhnliches Symptom. Erb beobachtete ein ähnliches
Phänomen bei einer Sclerose der Pyramidenseitenstränge. Die hemiplegischen und
paraplegischen Attacken sind bei einer multiplen Sclerose des Gehirns und Bücken-
marks nichts Ungewöhnliches. Buhemann.
11) Diasemlnated oerebro-spinal solerosia in early stage, affeoting ezolu*
Bively the rlght eztremltles, by Dyce Duckworth. (The Lancei 1885.
VoL I. p. 880.)
Verf. besprach einen Fall von cerebrospinaler Sclerose in einem sehr firühen
Zeitpunkt^ wobei sich die Krankheit noch unter dem Bilde einer rechtsseitigen Hemi-
plegie daratellte.
G. B., 21 Jahr alt, bemerkte vor etwa einem Jahre, dass seine rechte Hand
bei mtendirten Bewegungen zitterte, später zeigte sich dasselbe am rechten Bein;
allmählich wurde letzteres steif, schwer und beim Gehen hinderlich. Die Kraft der
rechten Hand liess nach. Sonst zeigten sich keine Motilitätsstörungen, Facialis und
Augenmuskeln frei, Pupillanieaction prompt. Kein Nystagmus, kein Fussclonus, nur
leichte Verstärkung des rechtsseitigen PateUarreflezes; Sensibilität intact. Die elek-
trische Erregbarkeit der Muskeln zeigte keine Abnormitäi Blasen- und Mastdarm-
fnnction ungestört Buhemann.
12) Unilateral disseminated oerebro-Bpinal soleroaiB, by Dr. Latham. (The
Lancei 1885. Vol. ü. Nr. H. p. 888.)
L. stellte in der Cambridge Medical Society einen Fall von einseitiger disse-
minirter Gerebroepinalsclerose vor, ein Analogen zu dem von Dr. Duckworth im
Lancet am 16. Mai 1886 veröffentlichten Falle.
— 534 —
Ein 40jähriger, yerheiratlieier LokomotiYffihrer ohne hereditäre Yeranlagimg, oline
syphilitisclie oder alcoholistisclie Belastung bemerkte vor etwa 2 Jahren, dass seine
Sprache schwerfällig wurde. Im Juli 1884 unfreiwilliges Bücken im rechten Arm,
Patient blieb aber bis zum December dieses Jahres in seinem Berufe; nach ^nem
Dienst in kalter Nacht waren die Bewegungen der rechten Seite fast ganz unmögücL
Abnorme Sensation in Hand und Fuss. In den letzten Monaten merkliche Abnahme
des Gedächtnisses.
Der Patient von gesundem Aussehen zeigt schleppende Sprache, leichte mentale
Depression, leidet an Schwindel. Linke Pupille weiter wie die rechte, beide rea^ren
auf Licht Kein Nystagmus. Augenlicht gut Tremor linguae; Pat yerschluckt
sich leicht
Ausgeprägter Tremor der rechten Hand und des rechten Beins. Ausserdem
Intentionszittem. Sensibilität gut. Bedeutende Verstärkung der Patellarreflexe, rechts-
seitiger Fussclonus. Sphincteren intact Buhemann.
13) To Tilf&lde af multipel CerebroepinalBklerose» af H. Bern er. (Norsk
Mag. f. Lägeyidensk. 3. B. UV. 8. S. 545.)
Von den beiden mitgetheilten Fällen von multipler Cerebrospinalsderose weicht
der 1. nicht von der gewöhnlichen typischen Form ab; Alter der Pat 24 Jahr (zur
Zeit des Todes), gradweise Entwickelung der Krankheit mit Bemissionen und chro-
nischem Verlauf, die Erscheinungen von Seiten des Nervensystems, besonders Inten-
sionstremor, Nystagmus, skandirende Sprache und Lähmungen, lassen keinen Zweifel,
dass es sich um den bei Sclerose gewöhnlichen Process im Gehirn und Bückenmark
gehandelt hat^ wenn auch die Section nicht ausgeführt worden ist — Bei dem
2. Kranken trat im Alter von 33 Jahren allmähUch sich entwickelnde Schwäche im
linken Beine auf, die sich zur Parese steigerte, später Schwäche der ganzen link^i
Körperhälfte und undeutliche Sprache, ohne Sensibilitätsstörui^en. Durch Jodkalium
und Galvanisation wurde bedeutende Besserung erreicht Nach 1 — 2 Jahren hatte
sich der Zustand wieder verschlimmert; 1883 wurde Pat in das Beichshospital in
Chnstiania aufgenommen mit der Diagnose: Paraplegie. Die Lähmung hatte beide
Beine ergriffen und breitete sich später nach oben aus und ergrif die Arme^ ausser-
dem entwickelte sich stark vermehrte Beflexirritabilität Contracturen traten auf, auch
bei ruhiger Haltung. Harn- und Darmentleerungen gingen unfreiwillig vor sidi,
obwohl Pat die Entleerung fühlte. Das Sehvermögen hatte abgenonunen, die linke
Pupille war grösser und reagirte langsamer als die rechte. Die Sprache war un-
deutlich, schleppend und wurde schliesslich ganz unverständlich, aber nicht scandirsud;
Tremor und Nystagmus waren nicht vorhanden; ziemlich bedeutende Schlingbeschwerden
stellten sich ein. Die Intelligenz und das Gedächtniss schien etwas geUtten zu haben.
Unter Decubitusbildung erfolgte der Tod. Bei der Section fand sich multiple Cerebro-
spinalsderose. — Einen 3. Fall erwähnt B. nur beiläufig. Der Kranke Utt an Tremor,
Nystagmus und stammelnder Sprache, aber die psychische Sphäre litt hier vorwiegead;
mehrere Monate lang bestand ein maniakalischer Zustand mit Delirien, nnmhigeii
Bewegungen und Schreien; 2mal verweigerte Pat die Nahrung je eine Woche lang.
In dieser Periode war das eigentliche Krankheitsbild so verdeckt dass die Diagnose
schwerlich hätte gestellt werden können. Walter Berger.
14) Caso raro di solerosi diSBeminata a plaoohe, pel dott G. LiparL (U
Psichiatria etc. 1886. HL p. 277.)
Ein 67jähriger Mann, nicht hereditär belastet, weder Potator noch Lnetiker,
aber seit längerer Zeit an rheumatoiden Beschwerden und an Malaria leidend, erlitt
— 535 —
vor 5 Jahren ohne bekannte Veranlassung einen heftigen Zitteranfall im rechten Arm
von ^/^ Stande Daner und einige Minuten später auch im linken Arm, dem sich in
der Folge sehr h&ufig unregelmässige, aber viel schwächere Anfälle in beiden Ex-
tremitäten anschlössen, ohne dass sie den Patienten in seinem Berufe gehindert hätten
und ohne dass andere nervöse Symptome zu beobachten gewesen wären. Erst kürzlich,
2 Monate vor der Aufoahme, wurden in Folge eines lebhaften Aergers die Bewegungen
störender und bald weit intensiver, als im Beginn der Erkrankung.
Seitdem tritt nun das Zittern anfallsweise auf, fast immer im Anschluss an
intendirte Bewegungen, selten spontan, nie im Schlaf. Jeder Anfall dauert 1 — 2 Stunden,
kann aber oft durch Einnehmen einer horizontalen Lage abgekürzt und in der In-
tensität erleichtert werden. Im üebrigen fehlt jede Störung der Sprache und der
Sinnesfunctionen; eine leichte Amblyopie kann wohl mit Becht als senil betrachtet
werden. Die vegetativen Organe sind gesund. Das Zittern selbst ist beschränkt
auf die beiden Arme und auf rhythmische Mitbewegungen des Kopfes. Die Oscilla-
tionsbreite des „Pendeins" beträgt gewöhnlich 5 cm, im Maximum 10 — 15 cm nach
jeder Richtung, die Zahl der Schwingungen im Maximum 345 in der Minute. Zwischen
der rechten und linken Extremität ist kein deutlicher Unterschied in dieser Blnsicht.
Das äussere Ansehen der combinirten Armbewegungen wird dem beim Wirbelschlagen
auf der Trommel verglichen. Ist ein „Anfall" beendet^ so wird durch die Erneuerung
einer intendirten Bewegung mit den Armen ein zweiter, wenn auch weniger heftiger
Anfall ausgelöst und erst nach mehrmaliger Wiederholung bleibt ein solcher ganz aus.
Während der Behandlung im Krankenhause ist nun keine wesentliche Verände-
rung im Verhalten des Patienten eingetreten. Es fehlte auch dort jede Andeutung
von Parese; die Sphinkteren waren normal, wie alle Beflexe.
Die Diagnose ist zweifellos schwierig, wie auch der Verf. zugiebt, und ob hier
wirklich eine multiple Cerebrospinalsderose anzunehmen ist, scheint dem Bef. noch
fraglich. Das hohe Alter, das Fehlen von Diplopie, Parese, Sprachstörung und secun-
därer Demenz ist gewiss aufißallend nach einer fünQährigen Krankheitsdauer. Man
könnte in klinischer Hinsicht vielleicht an eine — bisher allerdings noch nicht be-
obachtete — clonische Form der Thomsen*schen Krankheit denken?
Sommer.
16) Beohtsseitiger Hirntumor mit Ersoheinungen der multiplen Him-
Büokenmarkssclerose, von Schuler. (Charit^-Annalen. 1885. S. 330.)
Ein nahezu enteneigrosses sarcomatöses Blumenkohlgewächs der Dura mater, das
die rechtsseitige Insel, die untere Stimwindung und den lateralen Theil der vordem
Centralwindung comprimirte, hatte während des Lebens die Erscheinui^n der mul-
tiplen Hira-Bückemnarkssderose hervorgerufen (motorische Parese, Contracturen, In-
tentionszittem, scandirende Sprache, Sehstörungen, Nystagmus, psychische Störung,
apoplecti- und epileptiforme Anfälle) und zwar waren die Functionsstörungen doppel-
seitig gewesen, obwohl ausser der rechtsseitigen Geschwulst kein anderer Herd
gefunden wurde. M.
16) Ck>ntribution & rötude des fauBses solöroses systämatiqueB de la moölle
öpinidre, par N. Popoff. (Arch. de Neurologie. 1885. X. p. 305.)
Beobachtung: 22jähriges Mädchen, Erkrankung mit Fieber (vielleicht auch schon
Torher allmählich), Ursache nicht ersichtlich, insbesondere nichts von Syphilis erwähnt.
Spastischer Gang, Muskelrigidität, Zittern and Contracturen, Schwäche der motorischen
Kraft, starke Steigerung der Sehnenreflexe. Langsamer Verlauf, von unten nach oben,
ohne Muskelatrophie. Auch Störungen der Sensibilität und Bhisenstörung wurden
beobachtet. Mikroskopische Untersuchung (Kai. bichr. Härtung und Carminf&rbung).
— 536 —
Im Halsmark leichte Yerdickui^ des Zwischengewebos in den hinteren Partien der
Seitenstrange, ebenso auch in den hintern Partien der GoU'achen Stränge. Die Ver-
änderungen der Hinter- und Seitenstränge verbreitern äch nach unten zu; leider
sind die beigegebenen Abbildungen nicht gut Die der Seitenstränge erstrecken sich
auch auf die Peripherie (Kleinhimseitenstrangbahn). Im Dorsalmark weiter nach
unten geht die Veränderung bis an die graue Substanz der Hinterhömer, während
die der GoU'schen Stränge verschwindet Auch die graue Substanz zeigt in den
Dorsalpartien des Bückenmarks Veränderungen an Gelassen und Nervengewebe^ während
sie in der Lumbairegion normal ist.
Dieses Krankheitsbild ist nach der Beweisführung des Verf. nicht als oombinirte
Systemerkrankung, sondern als diffuse Sderose aufzufassen. Es soll aber auch dazu
dienen, die Streitfrage zwischen den Systematikem und den Myelitikem in Sachen
der Tabes spasmodica zu Gunsten der letzteren zu entscheiden. P. nimmt auch die
in der Literatur niedergelegten Fälle zu Hülfe und folgert zum Schluss:
1} Es giebt bis jetzt keine Beobachtung, welche die Erhasche Annahme von
der anatomischen Natur der spastischen Paralyse bestätigt.
2) Man findet den klinischen Symptomencomplex der Tabes spasmodica bei ver-
schiedenen Bückenmarksaffectionen.
3) Die erste Stelle unter diesen letzteren nimmt die diffuse Sclerose ein.
Siemens.
17) Fall af atrophia musoalariB progreeBiva, beroende pi hydromyeli, medd.
af prof. C. Wallis. (Hygiea. 1886. XLVHI. 9. S. 578.)
Bin 38jähriger Bauer hatte vor 18 Jahren bemerkt, dass seine rechte Hand
schwäche wurde, als die linke, und leicht ermüdete. Vor 7 bis 8 Jahren zeigte
die linke Hand dieselben Veränderungen; seit unbestimmter Zeit war auch das Ge-
fühl in der rechten Hand herabgesetzt Bei der Aufnahme am 3. Jan. 1885, die
wegen seit dem Oct. 1884 bestehender Pleuritis erfolgte, fanden sich an der rechten
Hand die Interossei» der Thenar und Antithenar atrophisch, die Hand hatte Krailen-
stellung« auch die Muskeln des Arms und der Schulter auf der rechten Seite waren
etwas atrophisch. Gleiche Veränderungen zeigten sich links an Hand und Arm, aber
in geringerem Grade. Am 10. Jan. starb der Kranke. Bei der Section fand sich
ausser den durch die Pleuritis bedingten Veränderungen weit vorgeschrittene Atrophie
der Muskeln der rechten Hand, geringere an der linken Hand, der Arme und der
reohtmi Schalter. Die Muskelfosem hatten an den meisten Stellen ihre Qnerstreifung
verioren, und zeigten fettige Entartung. — Das Gehirn war anämisch, zeigte aber
makroskopisch keine Veränderungen. — Am Bückenmark zeigte sich ungefähr 1 cm
unterhalb der Medulla oblongata eine allmählioh zunehmende Erweiterung des Centrai-
kanals, der an der Abgaagsstelle des 2. und 3. Oervicalnervenpaares einen Breite-
durehmesser von 1, in der Bichtung von vom nach hinten einen Durchmesser von
^2 <$ni hatte; die Erweiterung war vollständig symmetrisch. Die vordem H^Uner
waren deutUch atrophisch, die hintern unregelmässig geformt und vetsehoben, aber
nicht atrophisch. Die Erweiterang setzte sich durch den ganzen Cervicaltheil in
gleicher Ausdehnung und in symmetrischer Form fort, war am Ende des Gervical-
theils germger und nahm eine mehr kreisrunde, ab«r immw symmetrkMshe Fwm an.
Hier war die Atrophie der Voideriitaior weniger aogenftllig. Im untern Bmsttheil
war der Centralkanal im Durchschnitt 0,8 cm weit und vollkommen rund; diese
Erweiterung setzte sich fort bis zum Anfonge des Lumbaltheiles, dabei war aber der
Querschnitt des Marks normal Die Wandung des Kanals bestand aus einer unge-
fähr 1 mm dicken« festen, weissen Membran, die da am meisten entwickelt war, wo
sich die grösste Erweiterung fand; der Kanal enthielt eine dünne, durchsichtige
Flüssigkeit Die mikroskopische Untersuchung ergab Atrophie der vordem Homer,
— 687 —
während hiiitere Homer und weisse Sabstanz nn?er&ndert ersehienen. — Die Ver-
änderungen im Bflckenmark sind nach W. dajB Primäre gewesen, worauf schon die
dicke und feste Beschaffenheit der Kaaalwandungen hindeutet Welcher Art der im
Innern des Kanals auftretende Erankheitsprocess ursprünglich gewesen sei, Hess sich
nach dem Brgebniss der Section nicht feststellen; entztindliche Yeränderungen'fanden
sich nicht im Inhalte des Kanals. Walter Berger.
18) On a oase of multiple spinal and oer^ral tnmouni (saroomata) with
a oontzUmtion to the pathology of asrringomyelia, by Thomas Harris.
(Brain. 1886. Januaiy. p. 447 — 473.)
Ein 38j&hriger Mann litt schon 18 Monate an permanenten Schmerzen in den
ünterextremitäten, mehr in den linken mit beträchtlicher Schwäche der letzteren.
Bei der Aufnahme fand sich starke Atrophie der Strecker des linken Oberschenkels
mit fast völliger Aufhebung des Kniephänomens. Im Verlauf der folgenden Monate
stellte. sich auch Schwäche und Abmagerung des rechten Beins ein und Unfähigkeit^
sich aus der Bflckenlage zu erheben. Am linken Oberschenkel bestand Entartungs-
reaction, ebenso Andeutungen derselben an der Vorderseite des linken Unterschenkels.
Im dritten Monat der Beobachtung entstand ein anästhetischer Fleck an der vor-
deren und äusseren Seite des linken Oberschenkels, ein zweiter über den Bippen
in der rechten Mamillarlinie; nach weiteren 6 Wochen An&sthesie der rechten Unter-
extremitäten bis zur Höhe des Kabels. Nicht viel später trat Anästhesie der rechten
Stimgegend, rechtsseitige neuroparalytische Keratitis, dann ein Geschwür der anäs-
thetischen Oberlippe hinzu. Schon vorher Urinverhaltnng, dann Bigidität des rechten
Arms. Decubitus.
Bei der Autopsie fand sich ein Spindelzellensarcom, welches die Oauda equina
betraf, ein zweites in der Dorsalregion des BQckenmarks in der Ausdehnung von
272 ^U; ein dritter Tumor ersetsste die rechte Hälfte der Brücke und schloss den
rechten Trigeminus und das rechte Ganglion Gasseri ein. Eine ausgebildete Höhlen-
bildung in der Cervicalanschwellung ist Verf. geneigt als Erweiterung des Central-
kanals mit Devertikelbildung anzusprechen. Auch die von den verschiedenen Herden
ausgehenden secondären Degenerationen werden gewürdigt. E. Bemak.
Psychiatrie.
10) DeU'eta dei genitori in rapporto alle foxme di alienasdone mentale,
per il Dott. B. Gange r. (ü Manicomio. 1886. n. p. 86.)
Auf dem Anthropologencoiigress zu Bom (im November- 1885) hatte Marro die
Behauptung auflgestellt» solche Patienten, die an Depresmonszuständen erkrankten,
seien vorwiegend von Bltem im höheren Alter erzeugt, wählend maniakalische Patienten
meistens von jugendlicheren Eltern abstammten. Ganger hat nun bei mögliehst
vielen Patienten der Anstalt Nocera das Alter der beiden Eltern bei der Geburt
des später psychisch erkrankten Kindes festgestellt, nämlich bei 196 M. und 161 Fr.
Von diesen litten an einfachen Seelenstörungen mit melanoholischer Basis 31 M.
und 24 Fr., und an solchen mit maniakalisdier Basis 88 M. und 82 Fr.
Von den melancholischen Männern hatten 29 resp. (bei Melandiolia Stupor.)
26^21 ^Iq jugendliche Väter im Alter von 20 — 80 Jahren und 37 resp. 25 «31%
jugendliche Mfltter. Bei den maniakaUsohen Männern (Mania simples resp. Mania
furiosa) waren aber die entsprechenden Zahlen 40 resp. 36 «88^/0 jugendliche Väter
und 69 resp. 50 »64% jugendliche Mfttter. Bei den Weibern lauten die ent-
sprechenden Zahlen
— 538 —
melancholische Formen: 24 resp. 28»26®/o jugendliche V&ter
41 „ 28=34 0/^^ „ Mütter
maniakaliflche Formen: 37 ,/ 32=35^/o ,, Yäter
60 „ 72=66% „ Mfttter.
Fasst man nun Manner nnd Franen znsammen, so ergeben sich ffir Patienten
mit Melancholie nur 26 ^/^ jugendliche Väter und 32 7o jugendliche Mfltter^ während
sich für Patienten mit Manie 36 ^/^ jugendliche Yäter und 59 ^/^ jugendliche Mütter
berechnen.
Verf. kann demnach jene Ai^be Marro's bestätigen; er glaubt eine Erklärung
darin zu finden, dass nicht nur Krankheiten und Oharaktereigenthümlichkeiten, son-
dern auch Tem|>eramente erblich übertragen werden. Jugendliche Eltern, die ge-
wöhnlich heiter und lebhaft sind, werden dem Kinde die maniakalische „Frohnatur''
übertragen, während Eltern in den höheren Jahren den melancholischen Ernst des
Lebens vererben. (?) Sommer.
20) L'equAsione personale degli epiletticit pel DoU. TanzL (Archivio di
psichiatr., scienze pen. etc. 1886. YII. p. 168.)
Verf. suchte die persönliche Gleichung für Gehörseindrücke bei 13 noch nicht
dementen Epileptikern zu bestimmen und fand, dass (natürlich in einer anfallsfreien
Zeit) die Dauer zwischen der Entstehung des Tones und der Reaction auf denselben
im Mittel von je 40 Versuchen bei jedem Individuum 0,207 Secunde und dass die
mittlere Abweichung der einzelnen Experimente von diesem Durchschnittswerth
0,023 Secunden betrug. Für 10 normale Personen fand Lurie mit demselben
Apparat etc. 0,141 und 0,011 Secunden.
(xelstig noch anscheinend gesunde Epileptiker fassen daher Gehörseindrficke im
Allgemeinen viel langsamer und im Einzelfall mit grösserer Schwankung der Reac-
tionszeit, also mit geringerer Auftnerksamkeit etc. auf, als normale Personen. Verf.
glaubt diese Beobachtungen gelegentlich für die Diagnose verwerthen zu können.
Sommer.
21) Om Vftgttabet efter det epileptiske Anfald, af Dr. med. Fr. Hailager. (Nord.
med. ark. 1886. XVm. 1. Nr. 2.)
Verf. stellte seine Untersuchungen an 8 Pai in der Irrenanstalt zu Yiborg an;
nur bei 2 von diesen 8 war der (Gewichtsverlust nach dem epileptischen Anfall
unverkennbar, bei den übrigen konnte nur ausnahmsweise Geirichtsverlust nach den
Anfällen constatirt werden, namentlich war er dann, wenn mehrere Anfalle rasch
hinter einander auftraten, zu gering, um nicht auch von andern zufälligen Ursachen
abhängig sein zu können. In dem ersten der beiden genauer untersuchten und mitge-
theilten Fälle war der Gewichtsverlust nicht unbedingt constant nach jedem Anfiüle, aber
in der Begel war solcher vorhanden und namentlich bedeutMid, wenn mehrere An£Ule
rasch auf einander folgten. Parallel mit dem Gewichtsverlust ging die Hammenge ohne
Vermehrung der Wasseraufiiahme; auch Vermehrung des Gehaltes an Harnstoff fand
nach jedem Anfalle statt Vermehrte Diurese in Folge von vermehrter Zufuhr von
Getränken war, wie Verf. sich durch Versuche überzeugte, nicht v(hi vermehrter
Hamstoffausscheidung begleitet. Ob die vermehrte HamstoQ[»roduction zu den Anfällen
in Beziehung steht, konnte Verf. nicht ermitteln, aber xmtex allen Umständetn kann
der Vermehrung der Hamstof^roduction, selbst wenn sie constant ist, nur eine unte^
geordnete Bedeutung bei der Erklärung des Gewichtsverlustes nach dem epileptisch«!
Anfall zuerkannt werden; nach Verf. Untersuchung«! hängt vielmehr an Gewichts-
verlust, wenn er nach einem epileptischen Anfalle vorkommt, von einer Vermindenmg
der Wassermenge des Körpers durch vermehrte Diurese ab.
- 539 -
Bei „psychischer EpQepsie'' fand Verf. nur einen Gewichtsverlnst nach Nahnmgs-
verweigerung. Wenn aber bei psychischer Epilepsie auch constant ein Gewichtsver-
lnst vorhanden wäre, so würde dies doch nicht für die Aeqnivalenz mit dem epilep-
tischen Anfalle sprechen« wenn nicht der Gewichtsverlnst in beiden Fällen anf dieselbe
Ursache zurückzufahren ist; dies ist aber nach Verf. Erfahrung nicht der Fall, son-
dern bei psychischer Epilepsie beruht der Gewichtsverlust auf allgemeiner Abmagerung,
wie bei andern Geisteskrankheiten, nicht anf der vermehrten Harnausscheidung wie
nach dem epileptischen Anfalle. Walter Berger.
22) Kote snr un oaa d'inveraion du Bons genital aveo öpilepsiey par Legrain.
(Arch. de Neurologie. 1886. XI. p. 42.)
Erblich belasteter, mit Degenerationszeichen behafteter d5j&hF. Mensch, welcher
mit 5 Jahren erst sprechen und gehen lernte, mit schwach entwickelter Intelligenz.
Derselbe war schon in der frühen Kindheit der Masturbation ergeben und vergriff
sich auch an kleineren Knaben. Er wurde daher aus den Schulen entfernt wegen
des schlechten Beispiels für die andern Schulkinder. Vom 12. Jahre an war sein
Hauptvergnügen, Puppen zu entkleiden und sie nackt zu besehen und zu peitschen,
indem er dabei err(ythete. Er betrachtete sie weder als weibliche noch als m&nnliche
Individuen, doch gewann er später Abneigung vor den Mädchen und Vorliebe für
junge Männer. Er beschäftigte sich mit weiblichen Arbeiten. Mit 16 Jahren hatte
er den ersten epileptischen Anfall, mit 17 Jahren kam er in das Asyl Betel. Die
Anfälle waren später häufig und waren von psychischer Störung gefolgt Die per-
versen Sexualneigungen gingen bis zur Päderastie, dabei häufiges Masturbiren. Die
Epilepsie war in diesem FaUe ohne besonderen Causalnezns mit der conträren Sexual-
empfindung, die letztere bestand vielmehr schon flrüher. — Beides waren Symptome
desselben Grundleidens, der „Folie h^rMitaire''. Siemens.
23) Fapülenreaotion imd ophthalmoakopiBohe Beftmde bei geisteakraiikeii
Frauen, von Dr. Siemerling. (Charit^Annalen. 1886. XI.)
Verf. fand bei 63 unter 105 paralytischen Frauen und nur bei 16 unter 808
nicht-paralytischen, geisteskranken Frauen Lichtstarre (einseitige oder doppel-
seitige). Auch für 6 FäUe von Lichtstarre bei functionellen Psychosen vermuthet
Verf. voraufgegangene Himlues oder Alcoholmissbrauch. Deutliche Papillartrübung
fand sich nur bei 8 7o ^^^ weiblichen Paralysen. Oft ausgesprochene temporale Ab-
blassung der Papille in Folge von Alcoholismus ohne aufiEällige Sehstörung. 2 Tabellen
geben genaue üebersicht. Th. Ziehen.
Forensische Psychiatrie.
24) TTeber Gteistesstörong als Ehesoheidungsgrund vom juristisch-pByobia-
trisohen Standpunkte, von Dr. juris A. Christoph. (Allg. Zeitschr. f.
Psych. Bd. XUI. H. 6.)
Der Yerf. giebt zunächst eine historische Einleitung, in welcher er die Ent-
wicketang des Bechtes über die Ehescheidung darlegt und die bei den einzelnen
Völkern und Staaten gültigen Gesetze erörtert Die Gesetzgebung Deutschlands
zeichnet sich heute noch durch eine verwirrende Mannigfaltigkeit der Bestimmungen
in den einzelnen Bechtsbezirken aus, hier wird das zu erwartende allgemeine bürger-
liche Gesetzbuch hoffentlich bald Wandel schaffen.
— 540 —
Die Cardinalfrage: Soll Geistesknuikheit als EhMChefdimgBgnmd angmommen
werden? bejabt Yerf. von seinem Standpnnl:te ans nnd giebt eine MoüTirong semcs
Votoms, welches sieb anf eine grfindliche, sowobl jnristiscbe, als psycbiatrisebe
Literatorkenntmss stützt, wenn ancb nene G^esiditspimlcte nicbt vorgebraebt werden.
Siemens.
Therapie.
26) Om Underbinding af Art. vertebzalis som Middel mod BpUepai, af
Dr. Fr. Hallager. (Hosp.-Tid. 1886. 3. B. lY. 28.)
Der 26j&hrige Mann, der am 16. M&n 1878 in der Iirenanstalt nm Viborg
aufgenommen wnrde, nnd seit dem Alter Ton 19 Jabt^n an epileptischen Anfilien
litty hatte stark onaiDtirt, ein anderes ätialogisohes Moment liess sich nicht nadiweiseD.
Die Anfälle nahmen an Häufigkeit und St&rke zu und traten schliesslich mit Inter-
vallen Yon 6 Tagen bis zu 6 an einem Tage auf. Audn in der Nacht traten An-
föUe auf. Oft trat 1 — 2 Tage nach dem Anfalle, namentlich wenn mehrere unmittelbar
nach einander aufgetreten waren, Verwirrtheit mit ELallucinationen und Erregung auf.
Mitunter war der Kranke ruhig, aber wie in somnambulen Zustande, ohne stärkere
Congestionen» mit einer Pulsfrequenz von 90. — 110; manchmal hatte er heftige Con-
gestionen, die Pubfireqnenz stieg bis zu 140, die Pupillen waren extrem erweiteri;
dabei war er ui^berdig und lärmend, aber selten aggresiv. Die HallucinationeD
waren oft schreckhafter Natur. Wahrend des poetepUeptischen Anfalls bestand
Nahrungsverweigerung, so dass Ernährung mit der Sohlundsonde nöihig war. Der
Uebergang zu dem gewöhnlichen ruhigen Zustand geschah gewöhnlich durch einen
tiefen Schlaf. Die Pupillen waren während der postepil^tischan Ani&Ue immer
erweitert gewesen. Im Mai 1879 wurde zum ersten Male bemerkt, daas die linke
PupiUe naoh dem epileptischen Anfalle weiter war, als die rechte, von Anfang 1882
war dieser Unterschied constant^ auch wenn kein epileptiBcher Anfall kurz Torber
stattgefunden hatte.
Am 3. October 1883 wurde die linke Art yertebralis unterbunden, dicht vor
deren ISntritt in den Vertebralkanal. Unmittelbar nach Aidegmig der Ligatur traten
starke tonische Krämpfe anf, namentüoh in der rechten K6rperiiälfte, das Gemdit
zeigte cyanotische Färbung. Am Tage nach der Operation bestand der gewöhnliche
postepileptische Anfall, die rechte Pupille War stark erweitert, die linke etwas weniger,
die Differenz war auch bei Einwirkung von Licht vorhanden. Am 10. Oct hatte
der Kranke 4 ErampfanfSlle, die ganz so verliefen wie frtlher, auch der postepilep-
tische Anfall war unverändert Am 15. Oct traten wieder 2 Anfälle auf und am
16. erschien die postepileptische Unruhe.
Am 15. Nov. wurde die rechte Art vertebralis unterbunden. Nach der Ope-
ration war die Pulsfrequenz auf 52 gesunken, die Pupillen waren gleichweit Nach-
dem der Kranke zu Bett gebracht war, trat ein E[rampfiuifiül auf, der aber nicht
über das tonische Stadium hinaus kam; nach dem Anfall war die Pulsfrequenz ant
90 gestiegen, fiel aber wieder auf 60, die Pupillen waren gleichweit» nicht besonders
dilatirt Der Kranke bekam in der Folge wieder Krampfznfälle, ab und zu mit
postepileptischen Anfällen, die sich aber weniger scharf gegen den stumpfen, ver-
wirrten Zustand als Hintergrund abhoben. Im Dec. war die linke Pupille nach den
Anfällen bedeutend weiter als die rechte. Die Anfälle waren nicht sehr stark,
nahmen aber Anfimg 1884 wieder an Stärke zu. Die rechte PupiUe blieb eugw
als die linke. Tom 8. April an wurde Bromkalium gegeben (5 Gramm pro die)
und im Laufe des Jahres trat nur noch ein Anfall am 26. Mai auf. Anch der
Hbrige Zustand besserte sich.
Vom 1. Jan. 1885 an wurden nur noch 4 Gramm Bromkaüum tSgliidi gegeben.
Am 5. frOh trat ein ziemlich starker Anfidl anf, der sich Nachmittags wiederholte
— 541 —
und am 6. noch zweimal. Am 7. Abends begann* der postepileptische Anfall mit
Verwirrung, Unruhe und Uallucinationen; die linke Pupille war dabei weiter als die
rechte, abcör am 11. Jan., als nach einem Anfalle die Pupillen sehr stark erweitert
waren, erschienen sie gleich gross, am nächsten Tage, als die Dilatation weniger
stark war, war die linke wieder grosser. Trotz Vermehrung der Gabe des Brom-
kalinm bis zu 10 Gramm taglich hOrten die Anfälle doch nicht auf und die Stumpf-
heit und die Verwirrung nahmen zu. Am 9. Mai wurde der Kranke todt im Bette
gefunden, das Gesicht in das Kopfkissen gedrückt, nachdem kurz vorher nichts Be-
sonderes an ihm bemerkt worden war.
Bei der Section, die sich auf den Schädelinhalt beschränken musste, fanden sich
im Gehirn nur Zeichen von Erstickungstod. Die Wandungen der Artt. vertebrales,
namentlich der linken, erschienen dicht am Eintritt in die SchädelhGhle etwas ver-
dickt, sonst zeigten die Gefässe an der Basis nichts Abnormes.
Nach dem vorliegenden Falle zu urtheilen, dürfte die Unterbindung der Art.
vertebrales nicht ganz ohne Bedeutung für die Bekämpfung der Anfälle sein, ihre
Wirkung scheint aber nur vorübergehend zu sein. Nach der Unterbindung wurde
durch Bromkalinm der Erfolg erzielt, dass der Kranke 7 Monate firei von Anfällen
blieb. Dass die Anfälle noch weiter ausbleiben konnten, wenn die Dosis nicht ver-
mindert worden wäre, ist möglich, doch deutet der Umstand, dass später grössere
Gaben ohne Wirkung blieben, darauf hin, dass dem Bromkalium nun „ein Bundes-
genosse fehlte, mit dessen Hülfe es 7 Monate lang die Anfälle hatte unterdi-ücken
können''. Nach H. lässt sich annehmen, dass die lange Pause in den Anfällen
ausser durch das Bromkalium noch durch eine Veränderung bedingt wurde, die Folge
der Operation war; dafür spricht das Verhalten der Pupillen nach den Operationen;
der Umstand, der auf die vasomotorischen Verhältnisse einen Einfluss ausübte, konnte
Huch auf die Anfälle einwirken; diese Annahme gewinnt dadurch an Wahrscheinlich-
keit, dass das Verhalten der Pupillen wieder wie vor den Operationen war, ahs die
Anfalle wieder begannen. Von einer Wirkung der Operation durch psychischen Ein-
druck kann im vorliegenden Falle nicht die Rede sein. Walter Berger.
26) Du traätement des phinomönes douloiireiiz de ratazie looomotrioe
progressive par pulvärlsations d'6ther et de ohlorure de mithyle,
par A. G. Raison. Paris 1886. (42 Seiten.)
Verf. rühmt auf Grund von 11 angefClhrten Beobachtungen die Erfolge der
Kefrigerationsmethode bei der Behandlung tabischer Schmerzen incl. Krisen. Er giebt
dem Aether den Vorzug vor dem Methylchlorürgas, der localen AppUcation am Locus
dolens den vor der vertebralen. Bei methodischer Behandlung auch allgemeinere,
dauerndere Erfolge. Methylchlorür wirkt zwar sehr rasch, ist jedoch weniger hand-
lich und macht leicht oberflächliche Nekrosen. TL Ziehen.
27) L'uzetano nei paosi, per il dott. C. Sighicelli. (Archiv, ital. per le mal.
nerv. 1886. XXUL p. 389.)
Verf. hat das Urethan als Schlafmittel bei zahlreichen Geisteskranken versucht
und kommt zu nicht gerade günstigen Resultaten. Er fand die Wh-ksamkeit dep
vielfach (von Jacksch, Jelly, Kräpelin, Otto und König, Sticker etc.) em«
pfohlenen Mittels nur bei maniakalischen Erregungszuständen beMedigend: hier Hess
es ihn nur bei einem von 11 verschiedenen Patienten im Stich. Ungünstiger waren
die Erfahrungen bei Melancholie und ganz besonders bei Dementia senilis und Para-
lyse. Unangenehme Nachwirkungen hat er übrigens nicht gesehen: ohne Bedenken
— 542 —
kanA di# (im AUgenieinen wirksamste) Dosis von 3 Gramm fibeFBcbritten werden.
Sein Präparat stammte von Merck.
Ref. hat — beiläufig bemerkt — ebenfalls keine hervorragenden Erfolge bisher
vom ürethan gesehen. Sommer.
Anstaltswesen.
28) Des iSpileptiques simples en gdniral et de leur hospitalisation dans
le Departement de rAllier, par Lapointe. (Annales med.-psych. 18H6.
Mal p. 400.)
Das Departement Allier beabsichtigt die Epileptiker seines Bezirks, soweit die-
selben der öffentlichen Fürsorge bedürfen, in Anstalten unterzubringen. Die Zahl
der Epileptiker scheint dort eine sehr grosse zu sein; denn im Ganzen wurden
11,69 auf 10000 Einwohner festgestellt.
Die Studie des Verf. zeigt nun die ausserordentlichen Schwierigkeiten dieses
Unternehmens, dem sich in Frankreich noch die Bestimmungen des Iirengesetiea vom
30. Juni 1838, bezüglich einer Unterbringung einfach Epileptischer in Irrenanstalten
entgegenstellen.
Die Schwierigkeit liegt vorwiegend auf demselben Gebiete, welches es uns in
Deutschland so schwer macht, in fruchtbarer Weise Trinkerasyle zu gründen, da kein
Mittel zur Hand ist, um die Hülfsbedürftigen zu einer Fortsetzung ihrer Knr zu
zwingen. Trotz jener Bestimmung des Irrengesetzes und einer sehr pradsen Ab-
lehnung der Erlaubniss, Epileptische in Irrenanstalten unterzubringen, seitens des
Frafecten von Marseille sind, wie aus dem Aufsatz ersichtlich wird, doch eine Menge
Epileptiker in öffentlichen Irrenanstalten untergebracht. Man hat sich, um die Auf-
nahmen möglich zu machen, mit der Hervorhebung der jedem Anfall mehr oder
weniger anklebenden geistigen Trübung zu helfen gewusst, um, wie sich Legrand
du Saulle in Bezug auf den gleichen Gegenstand ausgedrückt hat^ dem Epileptiker
die „Livr^ des däires" überzuwerfen.
Verf. geht von dem Gesichtspunkt aus, dass, wenn man den Epileptikern, welche
ihres abschreckenden Leidens wegen von der Gesellschaft gemieden und Verstössen
sind, ernstlich helfen wUl, dies nur durch Hospitalisation geschehen kann; zumal
erübrige nichts Anderes für die mittel- und hülflosen Epileptiker.
Der Plan zur Ausführung der Hospitalisation wird im Allier noch durch Legat
einer hochherzigen Frau unterstützt» welche ihrerseits aber die Separatbehandlune
der Epileptiker bestinmit hat L. denkt nun durch Anschluss von gesonderten, der
speciellen Pflege der Epileptiker gewidmeten Abtheilungen an das Bezirksa.sjl
(Moulins) den Schwierigkeiten begegnen zu können und die Kosten der beabsichtigten
50 — 60 Betten dadurch zu decken, dass man neben den armen Epileptikern auch
zahlende vermögende, oder anderen Departements angehörige Kranke zu entsprechend
bemessenen Sätzen aufnehme. J e h n.
IIL Aus den Gesellschaften.
Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenkrankheiten in Berlin. Sitzung
vom 9. November 1886.
Vor der Tagesordnung stellt Herr Mendel einen Patienten vor, den er noch
nicht in allen Detaila untersuchen konnte, da er eben erst in seine Behandlung ge-
kommen, um an diesem Kranken das Zusammenvorkommen 3 verschiedener Sehnen-
Phänomene zn demonstriren, nämlich den Verlust beider Patellarreflexe (vielleicht
— 543 —
ist auf der rechten Seite eine schwache Gontraction noch im Yastos extemus vorhanden),
beiderseitigen Fassclonns und paradoxe Gontraction {Westphai) am
linken Fnss.
Patient ist 40 Jahr alt, Tischler, nicht syphilitiBch gewesen, and erkrankte im
December 1877 mit Schmerzen im linken Htitbein, die mehr und mehr zunahmen,
später aber wieder nachliessen, um verstärkt nach einigen Jahren^ zurückzukehren
und sich über das ganze linke Bein zu erstrecken, später auch im rechten Bein auf-
zutreten, und neuerdings sich auch in der rechten Schulter zu zeigen. Allmählich
trat auch, während die obem Extremitäten kräftig blieben, Schwäche in den unteren,
besonders im linken Bein, auf.
Die Untersuchung ergiebt: Linke Pupille weiter als rechte, linke Gesichtshälfte
schlaffer als rechte; die gerade herausgestreckte Zunge ein wenig zitternd. Grobe
Kraft der oberen Extremitäten nicht gestört, die der unteren sehr erheblich herab-
gesetzt, besonders die des linken Beins, an den unteren Extremitäten deutliche
Störungen der Sensibilität, auch des Muskelgefühls; erhebliche Atrophie der Muskeln
des linken Oberschenkels, auch der linken Wade, weniger ausgesprochen rechts.
Blasenrefiex ein wenig gestört, Potenz abgenommen. Keine Gürtelschmerzen etc. Das
Verhalten der Sehnenreflexe ist oben erwähnt
Die elektrische Untersuchung konnte noch nicht gemacht werden.
M. denkt an multiple Sclerose, bei der ein Herd sich in der im Gruralis ver-
laufenden Beflexbahn des Quadriceps befindet, da das Kniephänomen vernichtet, ein
anderer in den Seitensträngen des Bückenmarks sich befindet, unterhalb des ersteren,
in der Bahn des Ischiadicus, und so auf das Fussphänomen erregend gewirkt wird,
d. h. Fussdonus entsteht
Herr Bemak hat den von M. vorgestellten Kranken vor Monaten einmal unter- ^
sucht und ebenfalls Verlust des Kniephänomens beiderseits bei doppelseitiger spasti-
scher Parese der Unterschenkel mit Fussphänomen constatirt. Er hat aber ein
grösseres Gewicht auf die im linken Bein bestehende hochgradige Parese des Ileo-
psoasus und der Strecker des Kniegelenks um so mehr gelegt, als eine Herabsetzung
der Erregbarkeit des linken N. cruralis und Andeutungen von EaB im abgemagerten
Rxtensor quadriceps gefunden wurden. Besonders bemerkenswerth war der Ausfall
des linken M. tibialis anticus bei faradischer Beizung des linken N. peroneus. Dieser
Muskel contrahirt sich auch jetzt refiectorisch nicht und betheiligt sich nicht an der
Dorsalflexion des paradoxen Phänomens. Da auch sonst die Oombination atrophischer
Lähmung des Oruralisgebietes mit isolirter Lähmung des M. tibialis anticus bei polio-
myelitischen Lähmungen beobachtet worden sei, so hat Herr B. wenigstens für das
linke Bein den Verlust des Kniephänomens von einer Erkrankung der Kemregion im
oberen Theil der Lendenanschwellung abhängig gemacht und in diesem Falle eine
schon früher von ihm gemachte Annahme verwirklicht gesehen, dass bei Querschnitts-
erkrankung des oberen Theiles des Lendentheiles amyotrophische Lähmung der Ober-
schenkel mit spastischer des Unterschenkels einhergehen kann. Die Sensibilitäts-
störungen deuten nun allerdings darauf hin, dass man mit dieser Erklärung des
Falles nicht auskommt
Herr Bernhardt glaubt, dass das Auftreten der paradoxen Gontraction mit
der Znsammenziehung des Tibialis anticus gegen die Bemak*sche Auffassung spreche.
Herr Mendel macht gegen die Bemak^sche Auffassung einmal die nachgewiesenen
Sensibilitätsstörungen, andererseits auch die Betheilignng der Himnerven geltend.
Herr Oppenheim hat wiederholt das WestphaPsche Zeichen neben Myoclonus
gesehen. So in einem Falle von spastischer Spinalpüalyse, wo sich die Erscheinungen
unter seinen Augen ausbildeten; femer in einem Falle von Wirbelverletzung, wo eine
scharfe Knickung der Wirbelsäule zwischen letztem Dorsal- und ersten Lendenwirbel
bestand. — Die paradoxe Zuckung ausserdem noch dabei hat er allerdii^s noch
nicht gesehen.
544
Herr Mendel hat eben dieses dreifache ZusammenTorkommen hente
demonstriren wollen.
Der darauf folgende Vortrag des Herrn Siemerling ist als Originalmittheilnng
oben abgedruckt.
IV. Personalien.
Herr Dr. F. Schuchardt, Docent f&r Psychiatrie und Arzt an der Provinzial-
Irrenanstalt in Bonn, ist zum Director der Mecklenburgischen Heilanstalt Sachsenberg
bei Schwerin emai^t
y. Vermisohtes.
In einer Sitzung der Medieo^shimigical Sodety zu Glasgow kamen kfirslich die imao-
genehmen und selbet schädlichen Fol^MRistande zur Besprechung, die doreh sehr intensiTe
und hohe Töne, speciell durch das Pfeifen der LocomotiYen, bei reizbaren Individuen herror-
gerufen werden können. Barr klagte besonders die Höhe des Tones, das nlötzliche, uner-
wartete Einsetzen desselben, die Häufigkeit und die verhältnissmässige Nane, aus der die
Töne der Pfeife auf Bahnhöfen in das Ohr des Publikums dringen, als schädlich an. Wenn
auch seine physiologischen ErklärungSTersuche über die Schädlichkeit derartiger Töne maoeben
Widerspruch heryorriefen , so fanden seine Beschwerden und die Forderungen zu ihrär Ab-
hülfe: tiefere Stimmung, Variation in der Höhe und Intensität während des Pfeifens, tot-
bereitende AvertisBements-Signale und natürlich möglichste Einschränkung im Gebrauch der
Pfeife, idlgemeine Unterstützung. (The Glasgow Medical Journal. 1886. p. 126.)
In ßeuBsen sind, soweit dem Kef. bekannt, schon vor mehreren Jahren derartige Klagen
erhoben und von Seiten der Behörden durch entsprechende Anweisungen an die Asdunen-
führer etc. erledigt worden, üebrigens scheinen die Töne der DampÜBchiffpfdfen durch-
gängig weniger einschneidend zu sein, und die letzteren dürften sich daher yielleicht zur
allgemeinen Einführung auch auf Locomotiven empfehlen. Sommer.
Als im Sommer 1885 die Cholera in Sieilien wüthete, zeigte sich in einem norditalieni-
sehen Gebiigsthal den erschreckten Bewohnern angeblich die Jungfrau Maria in schwarsem,
blutbeflecktem Gewände, Thränen vergiessend und Unheil verkündend. Im Anschhiss so
die allgemeine Erregung glaubten dann immer mehr Personen die Madonna zu sehen, und
bald gesellten sich zu den Halludnationen noch andere patholo^sohe Symptome, wie con-
vulsive Anfälle und ekstatische Zustände zahlreicher junger und bejahrter Personen. Tanaend«
vereinigten sich zu glühenden Hymnen, Freudenfeuer flammten zum Himmel, da die Seuche
nicht weiter zu dringen schien, und Hunger, Wachen und Beten verwirrten immer mehr
Oemüther, bis endlich die Behörden auf die möglichen Gefahren dieser „Epidemie" auf-
merksam wurden und energisch einschritten. Militär besetzte die heiligen Orte und etwa
150 Personen, die in ihrer religiösen Erregung noch Widerstand leisten wollten und die skb
immer von neuem an der Stätte ihrer Visionen zu venammeln versuchten, wurden verhaftet
Gleich darauf waren die übrigen Einwohner beruhigt; man hörte nichts mehr von über-
irdischen Erscheinungen ^ und die armen Verurtheüten werden jetzt der Gnade des Souveräne
empfohlen. (Arehiv. italian. per le mal. nervöse ecc. 1886. XIII. p. 289.) Sommer.
Piscidia erythrina, im Handel auch unter dem Namen Jamaiea dogwood bekannt,
wird in neuester Zeit dringend als Anodynum und Hypnoticum empfohlen; es soll alle Vor-
züge des Opiums und keinen seiner Nachtheile besitzen. Besonaers gerühmt wird es bet
Neuralgien und bei Delirium tremens. Die Dosis wird auf Vs bis 1 Drachme (IfS— 3,7) dei
Fluideztract angegeben. (The Praddtioner. 1886. p. 207.) Sommer.
Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten*
Einsendungen für die Bedaction sind zu richten an Prot Dr. E.Mendel,
Berlin, NW. Kronprinzen-Ufer 7.
Verlag von Vbit & Comp, in Leipzig. — Druck von Mbtzorb & Wimo in Leipzig.
Neurologisches Centralblah.
Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie
und Therapie des Nervensystemes einschliesslich der 6elstesl(ranl(heiten.
Herausgegeben von
Professor Dr. E. Mendel
Fünfter ^ ^^^ Jahrgang.
_ " — ^^^"^^ ' ■ - I I II ----■--! * - ™ ■ ■ ■ ^
Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 16 Mark. Zu beziehen durch
alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie
direct von der Verlagsbuchhandlung.
1886. 1. December. M 23.
Inhalt. I. Origintlmittheiliingen. 1. Zur Lehre vom centralen Yerlaof der Sinnesnerven,
von Prof. Paul Flechsig. 2. Ein Fall von progressiver Paralyse complicirt mit amyotrophischcr
Lateralsderose, von Dr. Zacher. 8. Zum Zusammenhang zwischen allgemeiner Paralyse und
Syphilis. Casuistischer Beitrag von Sommer.
II. Referate. Anatomie. 1. Sülle degenerazioni consecutive all'estirpazione totale e
parziale del cerveletto, pei Marchl. — Experimentelle Physiologie. 2. Ueber das Ath-
mungscentrum, von Misslawsky. 3. Einfluss des Nervensystems auf die thierische Temperatur,
von Mosso. — Pathologische Anatomie. 4. Zur Pathologie der postfebrilen Dementia
nebst Bemerkungen über die Nervenfasern der Grosshimrinde, von Emminghaus. — Patho-
logie des Nervensystems. 5. Zur Lehre von den Localisationen im Grosshim, von BuffaL
6. Zur Lehre von den Localisationen im Gehirn, von Panormow. 7. Contribation a l'^tude
de rh^mianopsie d'origine centrale, par S^guln. 8. Lesion of both temporal lobes without
word-deafnoss or deafness, by Gray. 9. Ein Beitrag zur Kenntniss der stellvertretenden
Thätigkeit des rechten Gehirns bei Ausfall des linken Sprachcentrums, von Kauders. 10. Con-
tributo alla diagnosi di sade delle midattie del ponte di Varolio, pel Tassi. 11. Absces tuber-
coleux et tubercules crus multiples du pont de Varole, par d'Espine. 12. Ein Fall amyo-
trophischer Sclerose, von Koshewnikow. — Psvchiatrie. 13. Ueber motorische Symptome
bei einfachen Psvchosen, von Freusberg. 14. On convulsive tic with explosive disturbances
cif speech, so-caUed Gilles de la Tourette's disease, by Dana and Wllkin. — Therapie.
15. üeber die Behandlung der Dipsomanie mit Strychnin, von TolwinsM. — Anstalts-
wesen. 16. Ueber schottische, englische und französische Irrenanstalten, von Siemerling.
III. Aus den Gesallscbaften.
I. Originalmittlieilungeii,
1. Zur Lehre vom centralen Verlauf der Sinnesnerven.
Von Prof. Paul Fleohsig.
In der am 15. März 1885 ausgegebenen Nummer dieses Blattes findet sieh
Seite 122 Anmerkung folgender Satz: „Das Corpus trapezoideum geht im Wesent-
lichen hervor aus dem vorderen Acusticuskem und stellt eine centrale Bahn
des Acusticus bez. VIII. Hirnnerven dar (Flechsig)." Diese Thatsache war mir
seit langem bekannt; eine Notiz darüber findet sich bereits in meinen 1876
— 546 —
erschienenen ,^itangsbahnen etc.^ S. 121. Andererseits hatte ich gefunden,
daas die laterale Schleife aus dem unteren Vierhugel nach abwärts nur bis ssur
oberen Olive und dem Corpus trapezoideum zu verfolgen ist, wie dies auf meinem
Plan des menschlichen Gehirns (1883) dargestellt ist» wo ich die laterale Schleife
in der Gegend des Acusticuseintritts enden, bez. beginnen lasse. Obwohl ich
nun bereits seit Jahren in meinen Vorlesungen aber die Anatomie des Gehirns
es als sehr wahrscheinlich bezeichnet hatte, dass der untere Vierhugel mit dem
Acusticus zusammenhängt, so hielt mich doch einestheils der Umstand, dass
nach Angabe sonst zuverlässiger klinischer Beobachter totale Zerstörung der
hinteren Vierhügel ohne Störungen des Gehörs bestehen kann, andemth^ der
Mangel entschieden beweisender anatomischer Befunde ab, den Zusammen-
hang vom unteren VierhOgel und Acusticus mit aller Bestimmüieit zu behaupten.
Um Gewissheit zu erlangen, veranlasste ich Herrn Bechterew, an menschlichen
Föten, also mittelst der „entwickelungsgeschichüichen Methode'^ dieser Frage
näher zu treten. Es ergab sich hierbei dann auch alsbald, dass diese Methode
in durchaus unzweideutiger Weise die Lösung der Aufgabe ermöglicht. Herr
Bechtebew fand zunächst, was mir bis dahin unbekannt war, dass der Nervus
vestibularis sich beträchtlich früher mit Mark umhüllt, als der Nervus cochlearis.
Ein Theil des Acusticus ist (bei 20 — 25 cm langem Fötus) bereits markwei^s,
färbt sich in Ueberosmiumsäure, bei WEiasBT'scher Hämatoxylinbehandlung etc.
schwarz, während ein zweiter Theil noch keine Spur von Markscheiden erkennen
lässt Es gelingt nun bei ca. 20—25 cm langen Föten durch Präparation
unter der Lupe mit aller Sicherheit zu beweisen, dass der zu dieser Zeit mark-
haltige Theil des Acusticus einerseits aus dem Vorhof kommt, andererseits die
vorderen Acusticuswurzeln der Autoren bildet, mit den hinteren Wurzeln, dem
vorderen Kern des Acusticus etc. nichts zu thun hat, während die noch mark-
losen Bündel sich durch Präparation in die Schnecke verfolgen lassen. Sobald
dieser letztere Theil des Acusticus markhaltig wird (bei ca. 26 — 30 cm langen
Fötus), sind auch im vorderen Kern des Acusticus überwi^end markhaltige
Fasern nachweisbar und gleichzeitig erhalten Corpus trapezoideum und ontere
(laterale) Schleife Markscheiden; und da hier fast alle übrigen Faseizüge in der
Brücke etc. noch völlig marklos sind, so lässt sich an gut ge&rbten Präparaten
mit aller Sicherheit der Zusammenhang des Nervus cochlearis mit dem vor-
deren Acusticuskem demonstriren, wie auch das Hervorgehen des Corpus trapezoi-
deum aus dem genannten Kern sich über alle Zweifel klar darstellt Ueber
diese Thatsachen hat Herr Beohtebew bereits in der am 1. April 1885 aus-
gegebenen Nummer dieses Blattes berichtet. Es gelang demselben nun alsbald
auch ein Entwickelungsstadium zu finden, in welchem sich der von mir für
sehr wahrscheinlich gehaltene Uebergang eines Theiles des Corpus trapezoideum
in die laterale Schleife mit aller Sicherheit wahrnehmen lässt Bei ca. 28 cm
langen Föten, ist in den oberen zwei Dritteln der Brücke ausser den hinteren
Längsbündeln und den Trigeminuswurzeln nur die laterale Schleife mark-
haltig, und hier ist denn der Zusammenhang derselben mit dem Corpus trapezoi-
deum so klar, dass ich mich veranlasst sah, in der Sitzung der Königlich Säch-
— 547 -
sischen Gesellschaft der Wissenschaften (math. physikal. Classe) vom 4. Mai 1885
den Satz auszusprechen: „Die Untersuchung von Gehirnen 28 — 30 cm
langer Föten nöthigt zu der Annahme, dass das untere Yierhügel-
ganglion durch die laterale Schleife mit den oberen Oliven und
dem Corpus trapezoideum und hierdurch mit dem achten Hirn-
nerven zusammenhängt^' Dieser Satz findet sich wörtlich nicht nur in
dem betreffenden Sitzungsbericht, sondern auch in meinem Referate hierüber
in der am 1. August 1885 ausgegebenen Nummer dieses Blattes. Der Zu-
sammenhang zwischen Gehörsohnecke und hinterem Yierhügelganglion ist dem-
nach von Bechtebbw und mir erkannt worden, bevor noch irgend sonst Jemand
daran gedacht hatte.
Unsere Angaben wurden alsbald bekämpft von Onutbowicz auf Grund
von Untersuchungen, welche mit Hülfe der GüBDEN'schen Experimental-Methode
angestellt waren. 0. untersuchte unter Leitung Fohbl's die Gehirne zweier
Kaninchen, bei denen je ein Acusticus kurz nach der Geburt zerstört worden
war. Wie fast Alle, welche diese Methode üben, überschätzt er weit die Trag-
weite derselben und bemängelt die Zuverlässigkeit der von uns angewandten.
So äussert er u. A.: „Bechterew nennt ebenfalls die hintere (Acusticus-) Wurzel
Nervus oochlearis, die vordere Nervus vestibuli, macht indess keinen Versuch (!),
diese Auffassung zu begründen'M Nach dem Wortlaut dieser Bemerkung könnte
man auf den Gedanken kommen, man habe bereits früher die Beziehungen der
hinteren Acusticuswurzeln zur Cochlea gekannt; und die von Beohtebsw ange-
wandte Methode gebe überdies keineswegs klare Resultate, während im Gegen-
theU im Vergleich zu letzterem O.'s Beweisführung recht dürftig erscheint 0.
widerspricht femer wenigstens theilweise unseren Besultaten: „Dagegen können
wir der anderen Behauptung Bbghterew's resp. Flbghbig's nicht beistinmien,
dass nämlich das Corpus trapezoideum aus dem vorderen Kern (des Acusticus)
hervorgehe. Dasselbe zeigt bei unserem Kaninchen nicht die geringste Atrophie
und ist auf beiden Seiten vollkommen gleich ausgebildet^' Ich bin durch diese
und andere absprechende Aeusserungen nicht veranlasst worden, meine Ansicht
bezüglich des centralen Verlaufe des Acusticus zu ändern ; und es hat sich dann
auch etwa ein Jahr nach Veröffentlichung unserer ersten Mittheilungen eine
Stimme gefunden^ die auch auf Grund von Untersuchungen nach der Gubden'-
schen Methode uns in der Hauptsache beistimmt: Baohtskt, der allerdings in
dem schwer erklärlichen Irrthume befangen ist, den Zusammenhang von Schnecke
und hinterem Vierhügel zuerst aufgefunden zu haben (Sitzungsberichte der Ber-
liner Akademie vom 25. Februar 1886). Bagiksky hat 3 sehr jungen Kaninchen
die Schnecke einer Seite zerstört und die hierdurch im Centralorgan hervorge-
rufenen Atrophien studirt. Er berichtet abweichend von Qnufbowigz und Fobel,
eine Atrophie der mit der zerstörten Schnecke gleichseitigen oberen Olive und
^ Bemerkeosweiiher Weiae erwähnt Forbl in seiner vorläufigen Mittheilang über O.'b
Befunde (dieses Blatt 1. März 1885) nichts von den Beziehungen der Cochlea zur hinteren
Acusticuswurzel. Erst in der nach Bbchtbrew's Mittheilung erschienenen ausf&lirlichen
Arbeit O.'s finden sich entsprechende Bemerkungen!
■ «f40
eine geringe des gleichseitigen Corpus tn^iezoideam gefunden zu haben, des-
gleichen Atrophie der lateralen Schleife, des unteren Vierhngelganglion, des
Brachium conjunct post und Corpus geniculatnm intemum der anderen SeiU*.
Baoinbkt erschliesst wie wir, dass Fortsetzungen der Schneckennerven in
der Brücke eine Kreuzung eingehen, weiss aber nidit wo er selbige hinverlegen
solL In das Corpus trapezoidenm verlegt er sie nicht, auch leitet er die atro-
phischen Bändel desselben nidit vom vorderen Acusticuskem, sondern Tom
Tuberculum acusticum ab.
Soweit decken sich die Befunde von BscHTEBSVir und mir einer-, die von
Baginsky andererseits nicht in völlig beMedigender Weise. Wie kommt dies?
Haben wir uns geirrt? Ich bin der Ueberzeugung, nein! Man kann am circa
28 cm langen Fötus direct beobachten, dass die untere Schleife in das Corpus
trapezoidenm übergeht, und sich in diesem kreuzt Ueberhaupt gehören hier
alle im unteren Drittel der Brücke sich kreuzenden markhaltigen Faserzuge
dem Corpus trapezoidenm an« Was femer die Beziehungen zwischen letzterem
und dem Tuberculum acusticum anlangt, so sind solche beim Menschen ent-
schieden sehr geringfügig. Das Tuberculum acusticum ist überhaupt bdm
Menschen wenig entwickelt, der vordere Acusticuskem dagegen recht gut
Wie kommt es nun, dass das Corpus trapezoidenm nach Zerstörung der
Schnecke angeblich so wenig Veränderungen zeigt? Die Antwort scheint mir
ziemlich einfach. Das Corpus trapezoidenm ist ein etwas oomplicirtes Gebilde;
es enthält eine grössere Anzahl von Fasersystemen; nur in seinem unmittelbar
nach innen vom N. acusticns gelegenen Abschnitt (an der Aussenseite der auf-
steigenden Trigeminuswnrzel) ist es relativ einfach gebaut Gerade dieser Theil
geht im Wesentlichen aus dem gleichseitigen vorderen Acusticuskem hervor
und gerade hier zeigt auf BAamsKY's Abbildungen das Corpus trapezoidenm
recht erhebliche Differenzen der Durchmesser (vgl. dessen Figuren 1, 2 und 3).
Mehr g^n die Medianlinie vermischen sich im Corpus trapezoidenm äch
kreuzende Fasem aus beiden vordem Acusticuskemen, es kommen von hinten
her noch Eleinhimfasem zur oberen Olive dazu u. a. m. Hierzu kommt noch
etwas. Man erhält bei ca. 28 — 32 cm langen Fötus durchaus den Eindrack,
dass zahlreiche Faserbündel des Corpus trapezoidenm von einem vorderen Acus-
ticuskem zum anderen verlaufen, also Commissuren darstellen. Es ist nicht
abzusehen, weshalb alle diese Faserzüge d^eneriren sollen, wenn eine Schnecke,
ein Acusticns zerstört wird. Bevor ich die Frage nach einer Commissur im
(brpus trapezoidenm bezüglich ihrer allgemeinen Bedeutung betrachte, möchte
ich noch darauf hinweisen, dass das hintere Yierhügelpaar nur bei jenen Thieren
von dem vorderen sich deutlich sondert, bei welchen die Schnecke wie beim
Menschen stark gewunden erscheint — eine weitere Stütze for den Zusammen-
hang von Schnecke und unterem VierhügeL
Ueberblickt man das bisher über die primären Centren der Sinnesnerven
anatomisch Festgestellte, so ergiebt sich, dass bereits an mehreren derselbaa
Commissurenfasera nachgewiesen sind. Ich verweise auf die Verbindung der
Bulbi olfactorii durch die vordere Conmiissur, aul die Verbindung der primären
— 549 —
OptiouBoentreu durch die Gommissura inferior Gubdbn's. Zu diesen würde sich
fttr piimäre Acusticnsoentren naoh den obigen Bemerkungen eine Gommissur
im C!orpu8 trapeioideum gesellen. Meinen Befunden nach wurden letztere
Conunissuren&^m nur die vorderen Acusücuskeme und vielleicht die Tuberoula
acustica unter einander verbinden, also nur primäre Gentren der Nervi cochleares.
Die Hauptkerne der Nervi vestibuläres haben eine besondere Com-
missur, welche weit oben in der Brücke gelogen ist Dieselbe begleitet die
oberen Eleinhimschenkel, mit denen sie aus dem Eleinhim, bez. den Seiten-
theüen des IT. Ventrikels austritt Sie liegt der Bindearmkreuzung nach hinten
unten an und ist bei ca. 28 cm langen Fötus äusserst klar nachweisbar^ weil
sie hier schon markhaltig ist, wahrend die Bindearme in der Hauptsache nodi
völlig marUos erscheinen oder nur in ihrem dorsalsten Bündel sich mit Mark
zu umhüllen beginnen.
Wenn sonach für drei höhere Sinnesnerven das Bestehen von Gonmiissuren
der primären Gentren nachgewiesen, bez. höchst wahrscheinlich ist, so legt dies
die Yermuthung nahe, dass die^ Einrichtung allen ^ Sinesnerven gesetz-
massig zukommt, ein Gesichtspunkty der mir insofern beachtenswerth erscheint,
als die Erscheinungen des „Transfert'' hierdurch einer anatomisch-physiologischen
Deutung zugänglich würden. Es wird, die Richtigkeit jener Anschauung voraus-
gesetzt, jede Erregung eines Sinnesnerven der rechten Seite die Erregbarkeit
(des primären Gentrums) des correspondirenden Nerven der linken Seite zur
Folge haben können, ja vielleicht nothwendiger Weise mit sich bringen.
Vordere und untere Gommissur des (Gehirns degeneriren nicht, wenn die
peripherischen Endorgane der betreffenden zugehörigen Sinnesnerven zerstört
werden; es ist deshalb auch gar nicht abzusehen, weshalb das Gorpus tiapezoideum
ganz oder auch nur zum grosseren Theile bei Exstirpation einer Schnecke, eines
Acusticus degeneriren soll; es würde nicht einmal gegen seine Zugehörigkeit
zum Acusticus sprechen, wenn es bei Exstirpation beider Sdmecken zum guten
Theil erhalten bliebe.
Bezüglich des centralen Verlauüs des Nervus vestibularis legen die
Befunde am menschlichen Fötus die Vermuthung nahe, dass in den oberen
Kleinhirascfaenkeln (Bindearmen) Bahnen dieses Nerven enthalten sind. Die
Kerne der Nervi vestibuläres in den Seitenwänden des vierten Ventrikels stehen
durch besonders umfängliche Faserbündel mit Kugelkem und Pfropf in Ver-
bindung, und von hier aus gelangen (direct oder durch Vermittelung der Binde
des Wurms?) in die Bindearme zahlreiche Bündel, welche besonders frühzeitig,
aber eist nach der oben erwähnten Gommissur markhaltig werden und im rothen
Kern der Haube verschwinden. Ein directer üebergang von Fasern der Nervi
vestibuläres in das Kleinhirn, bez. die Bindearme ist nadi Befunden an Föten
fast sicher auszuschliessen, und beruhen demgemäss frühere Angaben über Be-
ziehungen des Acusticus zu den Bindearmen wohl auf Täuschung.
Dem bisher über die cerebrale Fortsetzung der Hinterstränge, bez. die
Schleifenschicht Bdrannten bin ich in der Lage, noch einige neue Befunde
* Ich werde an einem andern Ort hierftber N&beres mittheilen.
— 550 —
be^eseUen zo konneiL Die Schleifenscbicbt der Brocke theilt sidi beiiii Ueber-
gai^ m den Grosshirnschenkel in zwei Abtbeilnngen, weldie ich „Fnas-*' und
j^HaabeniBcbleife'^ nennen wül. Die erstere war bisher in der Haaptsaehe unbe-
kannt, wennsehon Bechtebew und ich Brachstacke ihres Verhuifs kannten.
Die Fassschleife, welche ich noch bei 42 cm langen Fotos marklos gefdnden
habe, trennt sich schon am obersten Brackenrand von dem ,,centralen'' Theil der
Schleifenschichty ihre Bündel l^n sich i m Pes pedancoli den Pyramidenbahnen
direct nach aussen hinten an. Sie ziehen mit letzteren bis in die Nähe des
LüTs'schen Körpers and wechseln hier allem Anschein nadi ihre Lage. Es ist
möglich, dass sie in den Lurs'schen Körper eintreten oder direct nadi sossm
in den linsenkem ziehen. Wahrscheinlicher ist es mir indessen, dass sie den
Pyiamidoibahnen sich dicht nach aossen hinten anlegen and mit denselben
in den Stabkranz bez. die Grosshimrinde der Scheitelgegend eintreten. — In
der Gegend des LüTs'schen Körpers begegnet die Fasssdüeife mem anderen,
viel früher (bei 83 cm Körperlange) markhaltig werdenden, bereits von Beqhtebew
beschriebenen Schleifenbündel, welches in der Haabenschldfe nach oben zieht,
aossen vom roUien Kern nach aossen and basalw&rts umbiegt, von oben her
an Substantia nigra and Lmrs'schen Körper herantritt und thefls in dessen
Kapsel eindringt, theils nach aussen von besagtem Körper in den Grosshim-
schenkelfnss übergeht, an der Yorderfl&che desselben als MnYKEBT'sche Com-
missur auftaucht, and in dieser den Linsenkem nur streifend in den LüTs'schen
Körper der anderen Seite überzugehen scheint, so dass die „MEYiTBBT^'sche
üommissar also keine Gommissur, sondern eine Schläfenkreuzung darstellen würde.
Obwohl ich schon an Schnit^eihen von Bechterew einen Theil des Verlaufs
dieser Bündel gesehen, haben doch erst lückenlose Schnittreihen, welche Herr
Dr. BoanoFF in meinem Laboratorium gefertigt hat, mich den soeben beschrie-
benen Verlauf völlig klar erkennen lassen. Es gestatten nach alledem die Be-
funde am Fötus die Annahme, dass alle Fasern der Haobenschleife, welche bis
zur Gegend des Linsenkems vordringen, zunächst im Ltrrs'schen Körper ein
Ende finden. Bei den zahlreichen Verbindungen, welche zwischen letzterem
und dem Globus pallidus nachweisbar sind, ist zwar eine ausgiebige Verbindung
der Schleife (bez. der Hinterstränge) mit dem Linsenkem, wie wir sie firüher
angegeben haben, auch jetzt noch wahrscheinlich. Immerhin bleibt es, da die
Leitungsrichtung in den LuYS'schen Körper und Globus pallidus verbindenden
Fasern unbekannt ist — fraglich, ob die genannten Theile der Schleife die Thätig-
keit nur des LüTs'schen Körpers oder des Linsenkems oder beider zugleich
beeinflussen bez. auslösen. — Der LuYs'sche Körper, die Substantia nigra und
der rothe Kem erscheinen nach den Befunden an den Präparaten Booboff's
als Schaltstücke, welche je mit besonderen sensorischen Bahnen verknü^A
sind und das Zusammenwirken von Thalamus, Linsenkem, Vierhügeln, Brücke,
Kleinhirn u. s. w. je in besonderer Gombination vermitteln; ich habe hierüber
bereits in der Sitzung der mathematisch - physikaUschen Glasse der Königlich
Sachsischen Gesellschaft der Wissenschaften vom 24. October d. J. Mittheüungen
t,'einacht, auf welche icli hiermit verweise. Es finden sich daselbst auch An-
— 661 —
gaben über eine von Boobovf anfgefandene , bisher völlig unbekannte Wurzel
des Nervus opticus, welche direct vom Chiasma aus in das centrale Höhlen-
grau des nL Ventrikels eintritt
2. Ein Fall von progressiver Paralyse complicirt mit
amyotrophischer Lateralsclerose.
Von Dr. Zaoher, 2. Arzt der Irrenanstalt Stephansfeld im Elsass.
Während man gar nicht selten Fällen von progressiver Paralyse begegnet,
die klinisch durch den Symptomencomplex einer spastischen Lähmung, anatomisch
durch eine typische Seitenstrang-, resp. Pyramidenseitenstrangbahn-Degeneration
ausgezeichnet sind, ist bis jetzt auffallender Weise noch kein Fall von Paralyse
bekannt geworden, bei dem diese spastischen Symptome mit ausgebreiteten
Muskelatrophien vergesellschaftet gewesen wären. Es dürfte daher nachstehender
Fall von progressiver Paralyse mit amyotrophischer Lateralsclerose, wenn er
auch nicht in allen Punkten den Anforderungen einer exacten Beobachtung
entspricht, immerhin von grösserem Interesse sein.
Aug. O , lediger Holzhändler, 30 Jahre alt, aufgenommen am 31. Juni
1883, gestorben am 17. März 1885.
Patient, hereditär nicht belastet, soll früher sehr begabt und ein tüchtiger
Geschäftsmann gewesen sein. Im Jahre 1870 luetische Infection. Sechs Jahre
nachher trat eine Erschwerung der Sprache sowie Schwäche in den Beinen auf,
welche Symptome auf geeignete Behandlung gebessert wurden. Seit einem Jahre
soll er „Dummheiten^' im Oeschäfte machen und ganz kindisch und nachlässig
in seinem Benehmen geworden sein; zugleich wurde die Sprache allmälig schwer-
falliger. Im letzten Winter mercurielle Kur ohne jeden Erfolg. Seit einigen
Wochen sei er sehr aufgeregt, wolle durchaus heirathen, producire massenhafte
Grossenideen und sei übermässiger, heiterer Stimmung.
Bei der Aufaahme ist der Kranke sehr gehobener Stimmung, faselt von
seinen Beichthümem, seinen Beiseplänen, seiner colossalen Eörperkraft etc. Die
rechte Pupille ist grösser als die linke und besteht rechtsseitiger Strabismus
convergens. Die Zunge zittert beim Herausstrecken, die Sprache ist langsam
unsicher und monoton, dabei hie und da Stolpern. Der Gang ist aufiiallend
schleppend und steif; die Patellarreflexe sind gesteigert, Schmerzempfindlichkeit
nicht gestört
In der nächsten Zeit steigerte sich die Unruhe und Aufregung derart, dass
der Kranke häufig isolirt werden musste. Zugleich nahm die Sprachstörung
auffallend rasch zu, so dass Fat. bereits im August kaum noch einzelne ver-
ständliche Worte hervorbringen konnte. Gegen Ende des Jahres war die Sprache
ganz lallend und unverständlich geworden; zugleich hatte die Schwäche in den
Beinen derart zugenommen, daas sich Fat. nur noch an den Wänden entlang
forttasten konnte. Psychisch war hochgradiger Verfall und tiefer Blödsinn ein-
getreten.
— 552
Ajabjkg 1884 bot der Kranke folgenden Status dar: Pnpillendifferenz ;
lechtaseitiger Strabismns conrergens; Tremor der Zange, Sprachvermögen fast
vollständig aufgehoben, da Pal nur noch unarticulirte Laute vorzubringen im
Stande ist; Schlucken unbehindert; die unteren Extremitäten sind paretisdi und
kann sich Fat nur noch mit Unterstützung einige Schritte fortbew^en. Dabei
zeigt der Gang einen ausgesprochen spastischen Charakter. Die Beine werden
im Kni^elenk etwas gebeugt gehalten, während Fat fiiist nur mit den Fuss-
spitzen auftritt und die Füsse kaum vom Boden erhebt Die Musculatur fühlt
sich fest und oontracturirt an und finden passive Bewegungen lebbaften Wider-
stand. Die Bewegungen der Arme sind plump und uiigesdii<^, kein Tremor
an denselben. Auch hier an den oberen Extremitäten machen sieh bei brüsken
passiven Bew^^gen Spannungen bemerkbar. Fatellarrefiexe stark gesteigert;
beiderseits Dorsalclonus. Nadelstiche werden anscheinend überall deutlich ge-
fühlt Eine genauere Untersuchung des vollständig verblödeten, dauernd un-
ruhigen und abwehrenden Kranken unmöglidi. Derselbe schrat tagelang in
monotoner Wdse fort, wobei er nur unartioulirte Laute vorbringt Ausserdem
ist er beständig unrein, ohne dass jedoch eine Lahmung der Sphincteren vor-
li^ Dieser Zustand hielt im grossen Ganzen während d^ nächsten Monate
in gleicher Weise an, nur nahm die Muskelrigidität an den unteren Extremi-
täten allmählich immer zu und bildete sich inuner deutlicher eine Flexions-
contractur der Beine aus. Ausserdem fiel zeitweise eine starre, steife Haltung
des Kopfes auf, derzufolge Fat bei Bettlage den Kopf stundenlang frei und
ununterstntzt über dem Kopfkissen hielt
lin October traten dann an 8 hinteieinanderfolgenden Tagen eine Reihe
paralytischer Anfalle auf, zumeist epileptoider Natur, die von rasch vorüber-
gehenden Lähmungen einzelner Glieder gefolgt waren. Nach den Anfallen er-
weisen sich die Ciontracturen an den Beinen noch ausgesprochener. Dieselben
sind im Hüftgelenke stark flectirt und adducirt und im Kniegelenk gldchfidls
stark gebeugt, so dass die Oberschenkel fast die Bauchwand berühren. Fasave
Streckung nur mit grosser Mühe ttieilweise möglich. Musculatur gut entwickelt
und fest contrahirt Die oberen Extremitäten zeigen auch Neigung zu Gontractur-
stellung, wenigstens werden beide Arme dicht an den Thorax angepresst gehalten,
während die Unterarme zumeist gegen die Oberarme in flectirter Stellung
stehen; doch sind active Bewegungen noch gut, wenn auch in etwas plumper
Weise ausführbar, da Fat sehr häufig sein Schreien durch Händeklatschen be-
gleitet Fassiven Bewegungen der Arme wird jedoch lebhafter Widerstand ent-
gegengesetzt Sehr deutlicher Trioepsreflex; Musculatur überall gut entmckelt
Kopf und Hals werden zumeist ganz steif gehalten und sind passive Bewegungen
hierselbst nur mit Mühe auszuführen. Auf Nadelstiche erfolgt ziemlidi prompte
Schmerzreaction; Flantarreflex lebhaft Ln Uebrigen bietet Fat das Bild hoch-
gradigster Verblödung dar und beschränkt sich das geistige Leben auf die elemoi-
tarsten Aeusserungen.
Anfang 1885 bemerkt man, dass die Contracturstellung der Beine mit wenig
Mühe ausgeglichen werden kann und dass die passiv gestreckten Glieder einige
- 553 —
Zeit rahig in dieser Stellang verharren. Zugleich ergiebt sich, dass die Mus-
culatnr nicht mehr so fest contrahirt ist wie früher und stellenweise sich sogar
ziemlich schlaff anfOhlt. Das rechte Bein erscheint im Oberschenkel etwas dünner
als das linke. Die Patellarrefleze sind noch sehr lebhaft, dagegen fehlte nun-
mehr der Dorsaldonus. An den Armen besteht die Gontracturstellung und die
Starre bei passiven Bewegungen noch fort Bei der dauernden Unruhe und
dem geistigen Zustande des Fat sind Sensibilitätsprüfiingen nicht möglich. Im
Laufe der nächsten Wochen nahm die Schlaffheit der Musculatur an den Beineu
inmier mehr zu, so dass die Beine nunmehr in gestreckter Stellung verharrten;
von der Unterlage erhoben, fielen sie schlaff herunter; desgleichen schienen
active Bewegungen derselben unmöglich. Ausserdem entwickelte sich an beiden
Beinen eine ausgedehnte Atrophie der Musculatur, welche sämmtliohe Muskeln
betraf und die besonders an der Vorderseite beider Oberschenkel sehr ausprägt
war. An den^ oberen Extremitäten liess die Starre und Spannung gleichfalls
allm&hlich nach und traten hier hauptsächlich in der Musculatur der Hände
Atrophien ein.
Am 15. März traten eine grossere Anzahl paralytischer Anßdle meist epi-
leptiformer Natur auf, die von tiefem Ooma gefolgt waren. Während dieses
Gomas konnte folgender Status aufgenommen werden: Fat ist tief benommen
und reagirt auf Nichts mehr. Bechte Lidspalte ein wenig enger als die linke;
rechte Pupille grosser als die linke ; keine Lichtreaction mehr, kein reflectorischer
Lidschluss; Augenstellung nach rechts, horizontaler Nystagmus von der Mitte
nach rechts hin. Keine Facialisparese. In den rechten Extremitäten treten hie
und da leichtere, circumscripte Zuckungen auf. Der rechte Arm steht in leichter
Beugestellung, fallt aber erhoben sddaff herab; passive Bewegungen leicht aus-
fährbar. Das rechte Bein gleichfaUs gelähmt; alle passiven Bewegungen ge-
schehen leicht mit Ausnahme der Abductionsbewegungen, die im Hüftgelenke
einen mächtigen Widerstand finden. Der linke Arm steht in Beugecontractur-
stellung und rufen hier passive Bewegungen noch sehr deutlichen Widerstand
hervor; das linke Bein zeigt nur im Hüftgelenke bei passiven Bewegungen eine
leichte Behinderung und fillt erhoben schlaff herunter. Die Musculatur an den
Beinen, mit Ausnahme der Adduotoren, die noch einen gewissen Tonus auf-
weisen, vollkommen schlaff; dabei ist dieselbe überall, besonders aber an den
Oberschenkehi stark atrophisch. An den Armen ist die Musculatur im Allge-
meinen fester und derber, erweist sich aber sowohl an beiden Händen wie auch
an der Streckseite der Unterarme deutlich atrophirt Der Bauch ist auffallend
flach und eingesunken und ragen die unteren Rippenbogen stark hervor. Schmerz-
empfindliohkeit vollständig aufgehoben, kein Flanta- und Comeareflex. Fatellar-
reflex rechts ganz schwach, links ein wenig stärker. An den Armen sind gleich-
falls nur schwache Sehnenreflexe hervorzurufen. Mechanische Muskelerregbarkeit
nicht gesteigert
Eine elektrische Untersuchung konnte nur vermittelst des Inductionsstromes
stattfinden. Dieselbe ergab deutliche Zuckung am
rechten N. radiaUs bei 110 mm Bollenabstand
— 564 —
linken N. radialis bei 90 mm RoIIenabstand
rechten „ medianus ,, 180 ,y ,,
linken „ „ „ 160 „ „
rechten „ ulnaris „ 112 „ ,,
linken „ „ „ 110 „ „
Beide Nn. orurales ergaben auch bei übereinandergeschobenen Bollen keine
Zuckung mehr, desgleichen auch die Nn. peronei nicht Die elektrische Erreg-
barkeit der Musculatur war an den Armen z. Th. stark herabgesetzt, während
sie an den Beinen z. Th. vollständig aufgehoben war.
Dieser comatöse Zustand mit Temperatursteigerungen bis zu 39^ blieb bis
zum Tode bestehen, der am 17. März unter DyspnoG-Erscheinungen eintrat
Die Section ergab Folgendes: Schadeldach schwer, reichlidie diploetische
Substanz; stellenweise Verwachsungen der Dura mit der Innenfläche des Schädels.
Duralsack weit, enthält viel klare Flüssigkeit; im üebrigen Dura mater ohne
Veränderung. Pia über die ganze Gonvexität hin verdickt, weisslich getrübt
und z. Th. besonders in den vorderen Partien mit sulzigen Massen infiltrirL
üeber dem Occipitalhim sind die Verändenmgen geringfügiger; an der Basis
finden sich über der Sylvischen Grube, sowie über den vorderen Abschnitten
des Kleinhirns gleichfalls stärkere Veränderungen der Pia, während sie über
dem Orbitaltheil und an den Schläfenlappen weniger erheblich sind. Keine
Adhärenzen der Pia. p]rhebliche Atrophie der Windungen mit Ausnahme der
Occipitallappen; am stärksten sind Stirn- und Centralhim betroffen. Seiten-
ventrikel beiderseits stark erweitert; Ependym kömig granulirt Auf Frontal-
schnitten erweisen sich die Basalganglien gleichMs ziemlich klein und fallt
besonders auf, dass das äussere Glied des rechten Linsenkems kaum halb so
gross ist, als das entsprechende linkerseits. Die Binde ist deutlich verschmälert,
ziemlich blass und blutleer; desgleichen auch die übrige Himsubstanz wenig
blutreich, dabei aber von ziemlich derber Consistenz. Ependym des 4. Ventrikels
gleichfalls granulirt. Pons und MeduUa zeigen nichts Auflalliges; desgleichen
lässt das Bückenmark auf Querschnitten nichts Abnormes mit Sicherheit er-
kennen. Pia des Bückenmarkes gleichmässig in massigem Grade verdickt. Hini-
gewicht 1200 Granmi.
Im Üebrigen ergiebt die Section Atherom der Aorta im Beginne derselben,
hypostatische Pneumonie der rechten Lunge, keine Drüsenschwellungen.
Mikroskopische Untersuchung.
Die mikroskopische Untersuchung des Gehirns ergab einmal einen sehr
deutlichen und zum Theil sehr erheblichen Schwund markhaltiger Nervenfasern
in der Binde des ganzen Gehirns, der in den vorderen Gehimabschnitten im
Allgemeinen ausgesprochener war, als in den hinteren. Desgleichen liess sich
vielfach deutlicher Faserschwund in dem weissen Marklager unter der Binde,
unter anderem speciell in der äusseren Kapsel nachweisen, wahrend dies in der
inneren Kapsel mit Sicherheit nicht geschehen konnte. Andererseits fanden sich
durch das ganze Gehirn hindurch, am ausgesprochendsten allerdings in der
— 555 —
Rinde, sehr erhebliche Yeianderangeii am Gefössapparate, sowie innerhalb des
Grundgewebes. Speciell fiel eine stärkere Spinnenzellenwucherung in tieferen
Rindenschichten auf. Auch die Ganglienzellen zeigten Yiel£ach, stellenweise
sogar recht ausgesprochen und zahlreich pathologische Yeranderongen , doch
b^egnete man daneben noch überall, auch in den Gentralwindungen, anscheinend
normalen Zellen in reichlicher Zahl.
Pens und Medulla wiesen im Allgemeinen die gleichen Veränderungen an
den G^fassen und im Grundgewebe auf, doch schienen dieselben durchgehend
nicht so erheblich wie im Gehirn zu sein. Auffälligere Veränderungen in den
Nervenkemen, speciell deutliche Erkrankungen der Ganglienzellen daselbst waren
nicht vorhanden; desgleichen liessen sich auch in den Nervenfaserzügen und
zwar speciell in den Pyramidenbahnen keinerlei Degenerationen mit Sicherheit
nachweisen.
Die Untersuchung des frischen Rückenmarks ergab in Bezug auf Kömchen-
zellen ein negatives Resultat. Nach der Erhärtung traten in den Seitensträngen
deutUch hellere Partien hervor, die sich bei der mikroskopischen Untersuchung
als die degeneriiten Pyramidenbahnen erwiesen. Die Degeneration, ausgezeichnet
anscheinend durch eine einfache Atrophie der Fasern, beschränkte sieh auf die
Pyramidenbahn der Seitenstränge, während die Türkischen Bündel nicht be-
troffen waren; dieselbe erstreckte sich durch das ganze Rückenmark, nahm im
oberen Halsmark ab und Hess sich jenseits der Decussatio nicht mehr nach-
weisen. Daneben fanden sich durch das ganze Rückenmark dieselben G^fass-
veränderungen wie in Pens und Medulla; auch die Gliasubstanz trat vielfach
starker hervor und war besonders an der Peripherie, wo die durchweg verdickte
Pia vielfach adharirte, stellenweise deutlich gewuchert
Die graue Substanz und zwar die der Vorderhömer, war im AUgemeinen
schwieriger zu beurtheilen. Im Halsmark und zwar hauptsächlich innerhalb
der Halsschwellung begegnete man fast auf jedem Schnitte einer oder mehreren
Gtinghenzellen, die ein etwas verändertes Aussehen darboten. Zum Theil waren
die Contouren verschwommen, die ZeDe wie aufgetrieben, z. Th. aber erschienen
die ZeUen kleiner, derber, wie sderosirt, was sich auch schon durch eine inten-
sivere Färbung anzeigte; dabei waren sie mehr oder weniger, einzelne sehr stark
pigmentirt Derartig veränderte Zellen fanden sich bald in dieser, bald in jener
Gruppe, wobei die mediale keineswegs bevorzugt war, und zwar mitten unter
normal aussehenden Ganglienzellen, die an Zahl entschieden bedeutend über-
wiegten. Eine eigentliche Verminderung der Zellen lag keineswegs vor; manch-
mal begegnete man auch Schnitten, wo keine verdächtigen Zellen zu sehen
waren. Eine Abnahme, resp. Veränderung der markhaltigen Fasern Innerhalb
der Vorderhömer war gleichfalls nicht nachzuweisen, vielmehr liessen Weigert'sche
Präparate in denselben durchgehends ein reiches, schön ge&rbtes Fasemetz er-
kennen. Dagegen schien es an Hämatoxylinpräparaten, als ob die zelligen Ele-
mente in der Gliasubstanz etwas reichlicher als gewöhnlich vorhanden waren
und liessen sich ausserdem an feinen Schnitten ganz vereinzelte Spinnenzellen
nachweisen.
556 —
Im Doisalmark lagen in Bezog auf die Yorderhönier ähnliehe Veihältnisae
wie im Hatamarke vor, dodi waren yeidachtige Qanglienaellen hier vid seKener
zu sehen; dergleichen begegnete man hier aach keinen SpinnenzeDen.
Im Lendenmarke waren dagegen die pathologisch aossehenden Ganglien-
zellen in den Yorderhomem wieder reichlicher, doch überwogen andi hiffir die
normal aussehenden bei Weitem. Eine eigentliche Yennindenmg der Zellen
liess sich auch hier nicht constatiren und fanden sich überaO in den flimiiinAn
Gruppen neben den vereinzelten pathologischen Zellen reichliehe voa nonnalem
Aussehen. Auch das Nervenfiasemetz liess keinen Schwund, resp. Yeranderungen
erkennen und waren die sonstigen Yeranderungen, abgesehen von denen an
den Geßssen, äusserst geringffigige. Die austretenden vorderen Wunelbündd
zeigten ein normales Aussehen und war insbesondere äne deutliche Atro^iie
und Yerschmälerung der Fasern nicht zu constatiren.
Ausserdem gelangten noch ein StOck vom rechten Nerv, medianus, ein
solches vom rechten N. cruralis sowie einzelne Muskelstucke vom rechten Qoadri-
ceps zur Untersuchung.
Die Nerven, welche im frischen Zustande nicht wesenUich verändert er-
schienen, wurden in Müller'scher Flüssigkeit gehärtet und nadiher nach Weigert'-
scher Methode und mit Carmin behandelt Die auf diese Weise behandelten
Quer- und Längsschnitte liessen sehr deutlich eine ausgesprochene Atro^dliie resp.
Schwund von Faserbündeln erkennen, die in unr^ielmässiger Weise über den
Nervenquerschnitt vertheilt waren und mitten unter normal aussehenden Eaaer-
bündeln lagen. Besonders instructiv erwiesen sich Längssdmitte, wo man an
den feinen, atrophischen Fasern vielfiftoh kleinere Markansoh wellungen, in ähn-
licher Weise, wenn auch nicht so ausgesprochen wie an den atioiduBcdien Nerven-
ÜBsem in der Hirnrinde, beobachten konnte. Die Degeneration war im N. cru-
ralis durchgehends stärker und ausgebreiteter als im N. medianus, doch waren
die d^generirten Fasern in den einzelnen Nervenbündeln fast durchgehaids in
der MmderzahL Die Gelasse zeigten auch hier an beiden Nervenatämmen
stärkere Yeranderungen ähnlicher Art wie im Gehirn und Bückenmark und
schien auch das Epineurium im Allgemeinen etwas reichlicher als gewöhnlich
entwickelt zu sein.
Die untersuchten Muskelstücke boten die bekannten degenerativen Yeran-
derungen in sehr ausgesprochener Weise dar. Die meisten Fasern waren ver-
sdmiälert, oft bis auf ein Drittel ihrer gewöhnlichen Breite reducirt; dabä
zeigten dieselben vielfach ein rissiges oder wie bestäubtes Aussehen, während
eine deutliche Querstreifung nur relativ selten vorlag. Ausserdem fiel eine er-
hebliche und anscheinend überall gleichmassige Yermehrung der Muskelkeme
auf; eine stärkere Entwickelung von Bindegewebe zwischen den Muskelfiisem
war nicht vorhanden.
Der vorstehende Fall verdient nach manchen Seiten hin und zwar sowohl
in klinischer als in pathologiseh-anatomischer Hinsicht ein besonderes Interease.
Fassen wir den klinischen Yerlauf kurz zusammen, so sehen wir bei einem
Paralytiker recht frühzeitig in den unteren Extremitäten spastische Ersobeüiungai
- 557 —
— gesteigerte Sehneniefiexe und Muskelrigiditaten — zur Entwickelang gelangen.
Diese Symptome steigern dch im weiteren Verlaufe, der Gang wird vollständig
spastasch, es treten allmählich inmier starker werdende Lähmnngszustände auf
und schliesslich stellen sich ausgesprochene Beugecontracturen an den Beinen
ein. Zugleich kommt dann mittlerweile dieser spastische Symptomencomplex
auch an den oberen Extremitäten zur Entwickelung. Nachdem diese Erschei-
nungen eine Zeit lang bestanden haben, gehen die Gontracturen und die übrigen
spastischen Symptome an den Beinen alhnählich zurück, während sich zu gleicher
Zeit eine totale Lähmung derselben, sowie eine erhebliche Muskelatrophie ein-
stellt, welche sämmtliche Muskehi der Beine betrifft In ganz analoger Weise
nehmen an den oberen Extremitäten unter Auftreten paretischer Zustände und
Muskelatrophien die spastischen Erscheinui^n an Intensität ab, ohne jedoch
ganzlich zu verschwinden; ausserdem stellen sich Muskelatrophien am Bauche
und am Rumpfe ein. Eigentlich bulbäre Erscheinungen fehlen, da man die
bereits frühzeitig aufgetretene Sprachstörung auf den pathologischen Himprocess
zurückführen muss; desgleichen fehlen Störungen von Seiten der Blase und des
Mastdarms, während das Verhalten der Sensibilität als unbestimmbar dahingestellt
bleiben muss.
Diesem klinischen Bilde gegenüber ergab sich nun anatomisch neben den
bekannten Veränderungen im Gehirne eine ausgesprochene Degeneration der
Pyramidenseitenstrangbahn, die vom Lendenmark bis zur Dccnssatio reichte,
nicht aber höher hinauf ging, relativ geringfagige Veränderungen in der grauen
Substanz der Vorderhömer, die innerhalb der Halsschwellung am stärksten zu
sein schienen, sowie degenerative Veränderungen in den untersuchten periphe-
rischen Nerven und Muskehi. Daneben ftpiden sich durch das ganze centrale
und peripherische Nervensystem, soweit es untersucht wurde, ausgesprochene
Veränderungen des Oefässsystems und der bindegewebigen Hüllen.
Das Auffälligste an diesem pathologischen Befunde ist jedenfalls der Um-
stand, dass neben den erheblichen degenerativen Veränderungen in der Pyn^
midenbahn des Bückenmarks einerseits und denen der peripherischen Organe
andererseits die Vorderhömer nur in relativ geringfügiger Weise erkrankt waren,
wodurch unser Fall eine ganz exceptionelle Stellung einnimmt. Am ehesten
würde er sich noch in anatomischer Hinsicht an den von EiseniiOhb^ mitge-
theilten Fall von progressiver atrophischer Lähmung anreihen, falls wir einmal
von der Pyramidenbahnerkrankung in unserem Falle absähen. Hier wie dort
hätten wir alsdann gerii^fGigige Vorderhomerkrankungen und ausgeprägte, hoch-
gradige degenerative Veränderungen in den peripherischen Nerven und Muskeln
allerdings mit der Beserve, dass es in unserem Falle nicht wie dort sicheigestellt
werden konnte, dass die Veränderungen in den mehr peripher gelegenen Theilen
der Nerven stärker und intensiver waren, als in den centralen Partien derselben.
In unserem Falle tritt nun noch die Degeneration der Pyramidenseiten-
strangbahn hinzu, welche in dem Falle von EisBiniOHB fehlte. Man könnte
sich nun im Anschlüsse an Eisenlohb vorstellen, dass der krankhafte Process,
> Dies CentralbL 1SS4. 8. 145.
— 558 —
welcher zuerst die Pyramidenbahu betrufieu hat, wofür aa<di der klinische Ver-
lauf zu sprechen scheint, auf die Vorderhörner abergegriffen habe und dass dann
von hier aus secondar die peripheren Yerandeningen hervorgerofen worden wäiea
Es lasst sich jedoch nicht leugnen, dass diese Annahme etwas gesucht erscheini,
insbesondere wenn man die erheblichen peripherischen Yeranderongen den gering-
fügigen der grauen Substanz gegenflberhält Wenn man dagegen die Annahme,
welche in letzter Zeit immer mehr Vertreter findet, nämlich dass das ganze
System des. willkürlichen Bew^ungsapparates an den verschiedensten Regionen
primär erkranken und dass derartige Erkrankungen auf einzelnen Abschnitten
des Systems localisirt bleiben können, für gesichert hält, so muss auch die
weitere Annahme, dass dieses ganze neuromusculäre System an mehreren, ge-
trennten Regionen entweder gleichzeitig oder aber nach einander von einem
krankhaften Processe beMlen werden könne, statthaft sein. Dies vorausgesetzt,
würden wir demnach für unseren Fall annehmen, dass sich zuerst die Dege-
neration der Pyramidenseitenstrangbahn entwickelt habe und dass erst später
die peripherischen Theile des motorischen Leitungssystems unabhängig von jenem
Processe erkrankt wären, wobei ich es vor der Hand ganz unerörtert lassen will,
ob der geringfügigen Vorderhomerkrankung überhaupt irgend welche Bedeutung
for die Aufibssung des Krankheitsfalles zukonmie oder nicht Mit dieser An-
nahme würde sich auch ganz ungezwungen der klinische Verlauf in unserem
Falle sowie die einzelnen Erscheinungen desselben erklären lassen. In der ersten
längeren Periode der Erkrankung, wo der krankhafte Prooess nur auf der Pyra-
midenseitenstrangbahn localisirt war, finden wir bei unserem Pat das typische
Bild einer spastischen Paralyse vor, welches längere Zeit als solches bestehen
bleibt. Später, als anscheinend die peripherischen Organe erkranken, treten
ziemlich rasch vollständige Lähmung und ausgebreitete MuskeUitrophie hinzu,
während gleichzeitig die spastischen Symptome zurücktreten, resp. vdlständig
verschwinden.
Wir haben es demnach hier mit einem FalliB zu thun, der kliniscb das
Bild der von Chaboot scizzirton amyotrophischen Latoralsclerose darbietet, sich
in anatomischer Beziehung aber von den CnABcoT'schen Fällen ganz wesentlich
dadurch unterscheidet, dass die Erkrankungen der Vorderhörner nur äusserst
geringfügig, die der peripherischen Organe dagegen recht erheblich waren. Dem-
zufolge müssen wir auch in unserem Falle die Lähmungen und Muskelatrophien
auf diese peripherischen Degenerationen zurückfuhren, während dieselben be-
kanntlich Chabcot durch die Vorderhomerkrankung bedingt sein lasst
Interessant und bemerkenswerth ist in unserem Falle noch, dass dieses
Krankheitsbild bei einem Paralytiker zu Stande kam und möchte ich im Hin-
blick auf die erheblichen Veränderungen, welche unter anderem auch die Rinde
der Gentralwindungen darbot, nochmals ganz speciell hervorheben, dass die
Pyramidenstrangerkrankung nicht über die Decussatio hinaus verfolgt werden
konnte. Ob die weitverbreiteten und zum Theil hochgradigen Geffissveränderungen,
welche sich, wie erwähnt, nicht nur im Gehirn, sondern auch im Rückenmark
und an den Nerven vorfanden, irgend welche Bedeutung für die Genese der
— 559
eben besprochenen, degenerativen Processe haben, muss ich dahiDgestellt bleiben
lassen, jedenfalls ist eine direote Abhängigkeit beider Krankheitsprocesse auszu-
schliessen, da eigentlich entzündliche Yeränderangen sowohl in den Seitensträngen
und in der granen Sabstanz, als auch an den Nerven- und Muskelfasern voll-
ständig fehlten.
3. Zum Zusammenhang zwischen allgemeiner Paralyse und
Syphilis. Casuistischer Beitrag.
Von Dr. Sommer in AUenberg.
Im Anschluss an die soeben von Stbümpell in seinem Aufsatz über den
Zusammenhang zwischen Tabes, resp. Paralyse und Syphilis veröfifentlichten
„Einzelfälle'^ (vgl. dieses Centralbl. 1886. S. 434) sei hier ein analoger Fall kurz
mitgetheilt Er betrifft einen jungen Mann, der, aus psychopathischer Familie
stammend, im 22. Lebensjahre nach etwa 272Jähriger Krankheit unter allen
Symptomen der classischen Paralyse starb. Das ausserordentlich frühe Alter
beim Ausbruch der letzteren erklärt sich aus dem Umstände, dass er ab Säug-
ling von seiner Amme, die syphilitische Geschwüre an den Brustwarzen hatte,
inficirt worden war, und so schwer, dass es erst nach IV2 jähriger Behandlung
gelang, die secundären Erscheinungen zur Heilung zu bringen.
IL Referate.
Anatomie.
1) Sulle degenerazioni conseoutiYe aU'estirpaBione totale e paniale del
cerveletto, pel Dott. V. Marchi. (Bivist. sperim. di Freniatr. 1886. XII. p. 50.)
Verf. hatte Gelegenheit, das CentralnenreDsystem mehrerer Thiere (von 6 Hunden
und 2 Affen) genauer zu untersuchen, bei denen Luciani das ganze Cerebellum oder
Theile desselben entfernt hatte, und bei denen es gelangen war, sie noch Monate
lang am Leben zu erhalten, so dass secundare Degenerationen genügend Zeit gehabt
hatten, sich auszubilden.
Nach totaler Entfernung des Kleinhirns fand er Sclerose der „grauen Substanz,
welche in der oberen Hälfte der Brücke die Pyramiden einhüllt", und der Oliven,
femer Degeneration aller Kleinhimstiele und des Fl echsi gesehen directen Kleinhirn-
Stranges, aber keine Affection der Himnervenkeme und der übrigen grauen Substanz
auf dem Boden des IV. Ventrikels.
Nach halbseitiger Exstirpation zeigten sich dieselben Entartungen auf der Seite
der Verletzungen, auf der anderen aber nur in geringerer Ausdehnung; die Annahme
einer totalen Kreuzung speciell der oberen Kleinhimstiele (der Bindearme) kann daher
nicht wohl aufrecht erhalten werden; ein Theil derselben verliert sich wahrscheinlich
im Stilling'schen Kern derselben Seite.
Nach Exstirpation des Mittellappens allein beschränkt sich die secundare Ent-
artung auf einzelne Faserbündel, die z. B. zu den Pyramidenbündeln, zum directen
Kleinhimstrang, zur Beirschen Schleife und zu den Fibrae areif ormes gehören.
— 560
Bemerkenswertb ist noch, dass nach allen theilweiMn oder voUstandigen fix-
stirpaüoiieD emzelne Faeern aller Hinmerren degeneriren, wahrend ihre ürsproiigs-
kerne dorcbaus intact bleiben. (Nach Edinger lassen sieb übrigens auch nach der
Flechsig'schen Methode Fasern ans dem Dache des Wnrms nnd ans der Flocke an
den Kernen vorbei bis in den Stamm des Acnsticns nnd Trigeminns yerfolgen.)
Sommer.
Experimentelle Physiologie.
2) Ueber das Athmnngsoentniin, von N. Misslawsky. Dissertation. (Kasan
1885. Russisch.)
Die Unvereinbarkeit der verBcbiedenen in der Literatur vorhandenen Angaben
über die Beziehung des verlängerten Marks zum Bespirationsmechanismns veranlasste
Verf., diese Frage einer eingehenden anatomischen und experimentellen Prüfong zu
unterziehen. Er hatte sich dabei die Aufgabe gestellt zu ermitteln« ob die Hedulla
oblongata, eventuell welche Theile derselben, Centren oder Leitungsbahnen für die
Athmung enthalten. Seine Untersuchungen sind vorzüglich an Katzen, zum Theil
auch an Hunden, im Laboratorium von Prof. Kowalewsky (Kasan) angestellt.
Im anatomischen Theil seiner Arbeit beschreibt Verf. eine seiner Behauptung
gemäss bisher nicht beachtete Zellengmppe im verlängerten Mark genannter Thiere.
Dieselbe liegt in der Formatio reticularis symmetrisch neben der Baphe^ medial wärts
von den Hypoglossuswurzeln, ventral vom Hypoglossuskem und dorsal von den unteren
Oliven; sie beginnt in der Höhe des Calamus scriptorius und endet aufwärts zu-
gleich mit dem Hypoglossuskem, wo sie an das untere (hintere) Ende des Boller'schen
Nudeus centralis grenzt; ihre Zellen sind kleiner, als die des letzteren (0,0113 bis
0,0343 mm).
Die experimentellen Untersuchungen Misslawsky*s bestanden in partiellen
Durchschneidungen des verlängerten Marks in der Gegend der bezeichneten Zellen-
gruppen sowohl, als auch an anderen Stellen, und hatten den Zweck, festzustellen,
ob durch Verletzung bestimmter Gebiete der Medulla oblongata Athmungsstöningen
bewirkt werden. Ausser Durchschneidungsversuchen wurden auch solche mit elek-
trischer Beizung des verlängerten Marks angestellt Die Athmungsbewegungen wurden
in allen Experimenten auf graphischem Wege notirt, der Umfang und Ort der Läsion
in den Durchschneidungsversuchen durch mikroskopische Untersuchung ermittelt.
Die Ergebnisse, zu denen Yerf. auf Grund seiner mfthevoUen Arbeit gelangt^
lassen sich in Folgendem resumiren:
Die Gierke*schen Bespirationsbündel (Funic. solitarius) haben keine Beziehung
zu den Athmungsbewegun^n. Letztere werden dagegen durch Durchsohneidniig der
oben bezeichneten Zellengrnppe an der entsprechenden KörperhäUte sistirt In Folge
dessen ist diese Zellengmppe als Athmungscentrum zu betrachten. Läaionen des
verlängerten Marks, welche dieses Gentrum unversehrt lassen, beeinträchtigen die
Bespiration in keiner Weise, wenn nicht gerade die betreffenden Leitmigsbahnen ge-
troffen sind; letztere liegen im verlängerten Mark nach aussen vom Funic solitarius.
Vollständige Abtrennung des Bückenmarks von der Medulla oblongata hat Stillstand
der Athmungsbewegungen zur Folge, und Yerf. behauptet^ nach dieser Operation
niemals automatische Bespiration beobachtet zu haben. Beizung des verlängerten Marks
mit dem Inductionsstrom am Winkel und in der Mitte des Calamus scriptoiins be-
wirkt Beschleunigung der Athmung oder Stillstand derselben in der Inspiration; da-
gegen an der Basis des Calamus — exspiratorischen Stillstand. Galvanische Bcdzuog
des Calamus scriptorius bringt bei absteigender Stromrichtung inspiratorischen Still-
stand, bei aufsteigender — exspiratorischen hervor.
Eine besondere Yersuchaieihe war dem Studium des Einflusses h6her gelegenor
— 561 -
Himtheile auf die Athmnngsbewegongeii gewidmet. Hierbei überzeugte sich Verf.,
dass Abtrennung des Grosshims und der Yierhügel keine wesentliche Veränderung
der Respiration bewirkt; Beizung sowohl, als Zerstörung der in diesem Gebiet ge-
legenen Centren ist nur von vorübergehenden Erscheinungen seitens der Athmungs-
bewegungen begleitet, die zudem mit anderen Störungen des Locomotionsapparates
combinirt sind.
Die mitgetheilten Yersuchsergebnisse führen M. zu dem Schluss, dass das yon ihm
ini verlängerten Mark beschriebene Athmungscentrum das „primum movens" der
Bespirationsbeweg^gen repräsentirt^ in dem es zugleich den reflectorischen Sammel-
punkt für alle die Bespiration beeinflussenden sensiblen Nerven bildet; wahrscheinlich
besteht es ans zwei gesonderten Centren — einem in- und exspiratorischen. Da-
gegen haben die von Christiani, Martin und Booker im dritten Himventrikel
und in der Umgebung des Aquaeductus Sylvii beschriebenen Athmungscentren für
die Bespiration eine untergeordnete Bedeutung, indem sie zum psycho-reflectorischen
Apparat gehören. P. Bosenbach.
3) IMnfliiHB des NervensystemB auf die thierisohe Temperatur, von Dr. Ugo-
lino Mosso. (Yirchow's Archiv. Bd. 106. S. 80—126.)
In dieser von der Turiner med. Facultät preisgekrönten Arbeit weist Yerf. ex-
perimentell nach, dass Muskelarbeit und Wärmeerzeugung zeitlich und quantitativ
nicht einander parallel gehen. Er nimmt daher besondere, Stoffwechsel und Wärme-
entwickelnng beeinflussende Nerven und Centren an. Besonders beweisend erscheint,
dass an curarisirten Thieren Strychnin trotz andauernder Unbeweglichkeit die Tem-
peratur steigert. Sensible Beize und psychische Eindrücke wirken reflectorisch tem-
peraturerhöhend. Cocain wirkt ganz spedell reizend auf die thermischen Centren
(Steigerungen um 4 — 5^. Die Centren liegen im Gehirn und Bückenmark. Die
lesenswerthe Arbeit ist auch im Giom. dell. B. Acc. di Med. di Torino 1885 mit
Literatur erschienen! Th. Ziehen.
Pathologische Anatomie.
4) Zur Pathologie der poBtfebriien Dementia nebst Bemerkungen über die
Nervenjßasem der Grosshimrinde, von Prof. H. Emminghaus. (Arch.
f. Psych. Bd. XVDL 3.)
19jähr. Student, nach schwerer Becurrens acute agitirte Demenz, nach ein paar
Monaten bei fortbestehender Psychose Tod durch chron. ulceröse Pneumonie und
Marasmus.
Section: Makroskopisch Nichts. Mikroskopisch: Nervenfasern der Binde überall
durchaus erhalten (modificirte Flechsig-Freud^sche Gold-Methode); Ganglienzellen
der ganzen Binde (ausgenommen die beiden Cunei und den Lobul. anguL sin.) im
Zustand der sog. Sclerose (Meynert), die pericellulären Bäume ebenda erweitert.
£. nimmt an, dass ursprünglich trübe Schwellung und albuminös-fettige Degeneration
des Zellprotoplasmas bestand und die Erweiterung der Pericellularräume von Härtungs-
schrumpfnng der Gkmglienzellen herrührt. E. will daher nicht von Sclerose, sondern
von parenchymatöser Schwellung sprechen, letztere bringt er mit den intra vitam
beobachteten Erscheinungen der Demenz in Zusammenhang. Th. Ziehen.
— 662 —
Pathologie des Nervensystems.
5) Zur Lehre von den Looalisationen im Grosshim, von Dr. Ad. Büffet,
dirigirender Arzt des Centralho^izes zu Ettelbmeck. (Sep.-Abdr. aus dem
Bull, de la See. des sciencee med. 1886.)
Ein 64jähriger Mann war am 28. Febr. 1885 durch Schläge auf den Kopf und
zwar wahrscheinlich vornehmlich in der Gegend der unteren Hälftie des linken Scheitel-
beins misshandelt worden. 2 — 3 Monate später begann er zu kränkeln und psychisch
abzunehmen; 4 — 5 Monate später stellten sich rechterseits leichte krampfhafte
Zuckungen zuerst nur im Gesicht, dann auch im Arm und endlich auch
im Beine ein. Am 31. Dec. wurde er wegen sich häufender epileptischer An^e
in das Hospital aufgenommen. Es wurde Parese der unteren Hälfte des rechten
Facialis, des Hypoglossus (mit anarthrischer Sprachstörung) und beider rechten Ex-
tremitäten, Steigerung der Haut- und der Sehnenreflexe dieser Seite constatirt In
der Gegend des vorderen, unteren Viertels des linken Scheitelbeines verspürt der
Kranke einen schmerzhaften, dumpfen Druck. Bei Beginn des Anfalles fangt es dort
in der Tiefe unter Zunahme des Schmerzes an zu klopfen, es tritt heftiger Schwindel
ein, Gesicht und Kopf werden nach rechts gezogen, die Zunge setzt sich in Bewe-
gung und gleich darauf auch Arm und Bein. Ist der Anfall leicht, so befallt er
nur das Gesicht, ist er stärker, so betheiligt sich auch der Arm oder mit diesem
auch das Bein. Während der Beobachtungszeit traten die Convulsionen immer in
derselben Reihenfolge und Oombination, wie sie von dem Kranken angegeben war,
auf; waren sie heftig, so betheiligte sich später auch die linksseitige Musculatiur.
Den AnföUen vorauf ging Erblassen des Gesichts, in ihrem Gefolge erschien vorüber-
gehende Zunahme der Lähmung und Trübung des Bewusstseins. Schliesslich scheint
der Kranke amnestische Sprachstörungen gezeigt, die Sensibilität in den gelähmten
Gliedern verloren zu haben und verblödet zu sein. Einige Tage vor dem am
25. März d. J. eintretenden Exitus war der linke Arm dauernd contracturirt
Die Section wies eine Neubildung nach, die die unteren '/^ des linken Klapp-
deckels vornehmlich in seinem der vorderen Gentralwindung angehörenden TheÜe
einnahm und die, soweit sich dies nach der gegebenen Beschreibung beurtheilen lässt,
ein hämorrhagisches Gliom oder Gliosarcom war. Der Best der beiden Gentnüwin-
dungen, Fuss der 3., theilweise der 2. Stimwindung, der zugehörige Theil der inneren
Kapsel und der anliegende Theil der Insel fand sich weiss erweicht. Hitzig.
6) Zur Lehre von den Looalisationen im Gfrehim, von A. Panormow.
(Wratsch. 1886. Nr. 39. Russisch.)
Der Beitrag des Verf. zur Localisationslehre besteht in der Mittheilung eines
leider sehr unvollständig untersuchten Falles cerebraler Herderkrankung mit Autopsie.
Patient, ein 50jähriger, in seiner Jugend wahrscheinlich syphilitisch infidrter
Mann, war in seinem 32. Jahr an Parese des rechten Arms erkrankt, die nach
kurzer Zeit bei indififerenter Behandlung verschwand; nach 5 Jahren stellte sich die
Parese von Neuem ein, entwickelte sich sogar bis zur vollständigen Lähmung, ging
aber nach einer Mercurialcur bald wieder vorüber. In seinem 42. Jahre erknuikt«
er an motorischer Aphasie, die bis an sein Lebensende anhielt, obgleich bereits nach
kurzer Zeit (Jodkaligebrauch) eine bedeutende Besserung der anfänglich vollständige!!
Sprachstörung eingetreten war. Der Tod war durch Pneumonia chronica bedingt
Die Autopsie ergab im Gehirn nur eine beschränkte Affection der hinteren Hälfte
der zweiten und dritten Stimwindungen rechterseits. Hier war die Rinde atro-
phirt, und die Nervenelemente zum grössten Theil durch Neurogliage webe ersetzt
Untersuchung des verlängerten Marks erwies das Vorhandensein einer normalen
Pyramidenkreuzung. P. Rosenbach.
— 668 —
7) Ck>ntribution a l'ötude de lliteiianopsie d'origine oentrale (hömianopsie
oortioale) par £-0. S^guin (New York). (Arch. de Neurol. 1886. Vol. XI.
p. 176.)
Eine historisch -kritische Zosammenstellang der Fälle centraler Sehstörang mit
besonderer Berücksichtigung der corticalen Hemianopsie. Er theilt die F&lle ein:
1) 4 mangelhafte und nichts beweisende Fälle.
2) 3 Fälle: Sitz der Läsien in für das Sehen indififerenter E^on, Secnndär-
wirknng durch Compression.
3) 6 Fälle von Läsion des Corpus geniculatum laterale, des Thalamus opticus
oder Beider.
4) 11 FäUe von Läsion der weissen Substanz des Occipitallappens.
5) 5 Fälle von traumatischer Läsion des Hinterhaupts und des Gehirns.
6) 16 Fälle von Läsion der Bindensubstanz mit oder ohne der darunterliegenden
weissen. 4 davon sind gleichgeartet und ,dsLheT beweisend, einer entstammt
der eigenen Beobachtung von S.; die andern sind von Haab, Huguenin,
Diese vier Beobachtungen werden genauer reproducirt, zuvor aber eines Falles
von Trauma des Hinterhaupts (Schuss) mit zurückgebliebener rechtsseitiger Hemia-
nopsie mit verticaler Scheidung Erwähnung gethan und darüber kurz berichtet
Der S^guin^sche Fall betrifft einen 46jährigen Mann, welcher in Folge eines
Mitralklappenfehlers und der multipel auftretenden Embolien neben anderweiten cere-
bral-nervösen Symptomen eine linksseitige Hemianopsie darbot. Man fand einen
älteren gelben Erweichungsheerd an der medialen (inneren) Seite der rechten Hemi-
sphäre, welcher die Basis des Cuneus, die 4. und 5. Temporalwindung und einen
Theil des Gyrus hippocampi einnahm. Leider war bei der Aufbewahrung des Prä-
parates die vordere Hälfte der Hemisphäre zu Grunde gegangen, sodass kern voll-
ständiger Befund erhoben werden kann. S. meint aber bestimmt, dass der be-
schriebene Heerd die Ursache der Hemianopsie ist. Der genauere Zusammenhang
wird an der Hand eines nach Munk und v. Monakow construirten Schema's
erläutert und die verschiedenen Complicationen und Modificationen erörtert.
Siemens.
8) Lesion of both temporal lobes without word-deafnesB or deaftiesst
by Landen Carter Gray. (Journ. of nervous and mental disease. 1886.
p. 554.)
Krankengeschichte eines 50jährigen Mannes, der unmittelbar nach einem apo-
plectiformen Anfall einen eclatanten Erinnerungsverlust für alle Vorgänge aus der
neueren Zeit ohne Sprachstörung und überhaupt ohne jegliches andere Symptom
eines Himleidens dargeboten hatte. Nach mehreren Krampfanfällen und nach
Delirien in den letzten Tagen trat 3 Monate nach der Erkrankung der Tod ein.
Die Section ergab bei normaler Dura beiderseits ausgedehnte Periencephalitiden und
Capillarapoplezien in allen Windungen, welche die Sylvische Furche umgrenzen;
hauptsächlich war die Binde von links T, und T.^, und rechts von T^ ergriffen.
Ausserdem bestand eine Erweichung des Marks im linken Schläfenlappen.
Als Seitenstück wird der bekannte Fall von Westphal (Zerstörung des linken
Schläfenlappens ohne Aphasie, Berl. klin. Wochenschrift. 1884, S. 777) herangezogen.
Während es sich hier aber um einen Linkshänder handelte, war dies dort nicht der
Fall und es hätte die beträchtliche Läsion des linken Schläfenlappens Sprach- und
Gehörsstörungen erwarten lassen müssen. Verf. glaubt daher die Localisation speciell
der sensoriellen Aphasie im linken Schläfenlappen bezweifeln zu dürfen.
Sommer.
— 664 —
0) Ein Beitrag lur EeimtiiiaB der stellvertretenden Thätigkeit des xeohteD
Gehirns bei Auafoll des linken Spraohoentnuns tob Dr. Felix
Eanders. (Med. Jahrb. 1886.)
Mann von 25 Jahren erlitt einen Schlaganfall mit rechtsseitiger Kgri>erl&hinnng>
Hemianästhesie, Aphasie und allmählich sich entwickelnder Gontraktiir des rechten
Arms, Sprachstörung und Lähmung des rechten Beins bildeten sich leidlich zoröck.
Nach 2 Jahren Paraplegie der Beine> Sphincterenlähmong, DecabitoSy Tod. Seetion:
Compressionsmyelitis in Folge von Oaries tnbercnlosa des 1.— 4. BrostwirbelSy ferner
linksseitiger encephalomaladscher Heerd, der den gyr. front. lU, z. T. audi n, den
gyr. temp. I, Klappdeckel, unteres Scheitelläppchen, Insel und Vormauer mit dem
darunterliegenden Mark zerstört hat.
Die Rückbildung der Aphasie, Worttanbheit und Schriftblindheit erklärt Verf.
aus Uebemahme der Funktion durch die rechte Hemisphäre, die Erweichung selbst
aus anämischer Necrose. Th. Ziehen.
10) Contributo alla diagnosi di sede delle malatüe del ponte di Varolio,
pel doti £. TassL (Rivisi speriment. di freniatr. etc. 1886, XII, pag. 72.)
Ein 60jähriger Mann, früher luetisch, litt seit 4 Jahren an heftigen and be-
sonders zur Nachtzeit auftretenden Hinterhauptsschmerzen. Später gesellten sieb
epileptische Anfälle, Articulationsstörnng bis zur Sprechunfähigkeit, motorische und
sensorische Lähmung der linken Extremitäten mit secundärer Contractur und neu-
ndgiformen Blitzschmerzen, Abschwächung des Gehörs, Facialparalyse rechts, Ab-
weichung der Zunge (wohin?), beiderseitige Myosis und Strabismus convergens, sowie
Geistesschwäche hinzu und unter mengingitischen Symptomen erlag nach Tmonatlichef
Krankenhausbehandlung Fat. seinen Leiden. Die Seetion bestätigte vollauf die be-
sonders mit Bücksicht auf Nothnagers Angaben gestellte Diagnose auf ein Syphilom
in der rechten Hälfte der Yarolsbrücke. Sommer.
11) Absods tuberooleuz et tnberoiiles oms mnltiples du pont de Varole,
par le prof. A. d'Espine. (Bevue mMLcale de la Suisse romande Nr. VI
pg. 371.)
Ein 24jähriger Mann mit phthisischen Lungensymptomen erkrankte nach starker
Erhitzung und darauf folgender schneller Abkühlung mit linksseitigem Kopfschmerz,
der besonders Abends an Intensität zunahm: nach 6 Tagen folgte eine Parese des
linken Armes und Beines, welche ohne Bevmsstseinsverlust eintrat^ später öfteres Er-
brechen und Schwindel. Im weiteren Verlauf stellten sich Analgesie, Anaesthesie
und Parästhesien in den paretischen Gliedern ein, desgl. in der linken Gesichtshälfte.
Weiterhin kommt dazu eine Lähmung des rechten äussern, dann des linken innem
und zuletzt des linken äussern Augenmuskels, während die Pupillen gleich bleiben
und egal funktioniren. Weitere Krankheitssymptome sind dann: Idcfate Ptosis links,
Fadalisparese rechts, besonders im Facialis superior, Zunge weicht nach links ab,
vollständige Taubheit auf dem linken Ohr, Geschmack fehlt auf beiden Znngenhälften,
vasomotorische Störungen links (Temperatur links ein wenig höher wie rechts). Die
ganze Krankheit dauerte ö Wochen.
Bei der Sektion fand man einen Abscess, in dem übrigens Tuberkel-BatiU«!
nachgewiesen werden konnten, welcher die rechte und vordere Hälfte der Brücke
und zwar dabei mehr die obere und seitlichen Partieen einnahm.
Auf wtttere Schnitte in geringen Abständen von vorn nach hinten aeigte sieb
die rechte Hälfte von käsigen gelben Tuberkeln eingenommen, die indessen auch
nach links herübergreifen und den Abducens und Acusticus-Kem mehr oder weniger
schädigen, während der letztere rechte intact geblieben ist.
— 565 —
Aus der Kritik dieses Falles, welche im wesentlichen sich an die Arbeiten
deutscher Autoren anschliesst (cf. d. Centralbl. 1886 S. 402 Ref. über Bleuler:
Heerderkrankungen der BrQcke), ist hervorzuheben, dass V., um das Zustandekommen
der conjugirten Augendeviation zu erklären, für eine Verbindung der Abducens und
Oculomotorinskeme durch das „hintere Längsbündel" eintritt. Sperling.
12) Bin Fall amyotrophlBoher Solerose (Degeneration der Pyramiden-
bahnen in ihrer gansen Ausdehnung, und auoh der entsprechenden
Regionen der Grosshimrinde) von Professor A. Koshewnikow (Wjestnik
psychiatrii i nevropatologii. 1885, ü. Russisch.)
Eine 51jährige Frau wurde am 19. September 1884 in die Moskauer Nerven-
klinik mit folgendem Status aufgenommen: Lähmung und Atrophie (mit herabgesetzter
electrischer Erregbarkeit) der Muskeln an beiden Oberextremitäten, am Schultergürtel
und Nacken; Parese der unteren Gesichtshälfte; leichte Parese der Unterextremitäten;
bedeutende Steigerung der Sehnenreflexe. Sensibilitätsstörungen fehlten; Sprache ver-
langsamt, mit undeutlicher Articulation; Zunge nach rechts abgelenkt, mit heftigen
fibrillären Zuckungen, aber ohne wahrnehmbare Atrophie: Diagnose sclerosis late-
ralis amyotrophica. Die Krankheit hatte — nach Angabe der Patientin — ungeföhr
vor einem halben Jahr begonnen. Zuerst stellten sich Schmerzen in den Armen ein,
denen bald allmählich zunehmende Abmagerung folgte; fast zu gleicher Zeit wurden
auch die Nackenmuskeln befallen. Die Sprachstörung und Schwäche der Beine hatte
sich erst vor Kurzem hinzugesellt. Der Tod erfolgte zwei Monate nach der Auf-
nahme unter asphyctischen Erscheinungen, bedingt durch rasch fortschreitende Bulbär-
lähmung — Sprachstörung, Schlingbeschwerden und Athemnoth; die Parese der
Unterextremitäten hatte auch zugenommen, die anderen Symptome waren wesentlich
unverändert geblieben.
Die sorgfaltige postmortale Untersuchung ergab folgende Resultate: In den afü-
cirten Muskeln fand sich einfache Atrophie und Schwund der Muskelfasern, ohne
I>egenerationszeichen. Die Nervenstämme der Oberextremitäten (medianus, radialis,
ulnaris), zum Theil auch N. peroneus, femer die vorderen Wurzeln der unteren
Oervicsd- und oberen Dorsalnerven und des N. hypoglossus, die schon makroscopisch
verdünnt und grau verfärbt erschienen, enthielten eine Menge atrophischer und
degenerirter Fasern. Im Bückenmark erwies die mikrospische Untersuchung einer
fortlaufenden Querschnittsreihe ausschliessliche Degeneration der Pyramidenseiten-
stränge in der weissen Substanz, und Atrophie (Schwund, Zerstörung, Entartung) der
grossen multipolaren Zellen in den Vorderhömem, hauptsächlich in der Cervical-
anschwellung und im oberen Dorsalmark. Femer fand sich Atrophie und Degene-
ration der Nervenzellen im Hypoglossuskem. Die Degeneration der Pyramidenbahn
setzte sich beiderseits durch das ganze Bückenmark und Gehirn fort. Sie konnte
bis zur Uöhe des Streifenhügels als compactes Bündel verfolgt werden; weiter auf-
wärts — in der Marksubstanz der Hemisphären — wies die mikroscopische Unter-
suchung zerstreute Degeneration einzelner Nervenfaserbündel mit entsprechenden Ver-
ändemngen der Neuroglia nach. In den Markleisten der Centralwindungen nahm die
Degeneration wieder einen mehr compacten Character an. In der Rinde dieser
Windungen selbst, namentlich in den inneren Schichten wurde Atrophie (Schwund
und pathologische Veränderungen) der Nervenzellen constatirt. Die Menge der grossen
Pyramidenzellen in der 4. und 5. Schicht (nach Meynert) erschien vermindert;
andere hatten ihre normale Configuration und Fortsätze eingebüsst; auch hatte hier
Neubildung von Spinnenzellen und Kemen stattgefunden, während die äusseren Binden-
schichten, von der 3. angefangen, nichts Abnormes erkennen Hessen. Die Binden-
afifection betraf hauptsächlich das mittlere und obere Drittel der vorderen Central-
windung und den Lobulus paracentralis; in der hinteren Centralwindung war sie be-
— 666 -
deutend schwächer ausgeprägt, und in den anderen EUsgionen der Himoberfiäche
fehlte sie vollständig.
Zum Schlnss macht Verf. auf die grosse, sogar alle Details der pathologischen
Veränderungen betreffende Analogie aufmerksam, die zwischen seiner Beobachtung und
zwei neulich von Charcot et Marie (Archives de Neurologie 1885, Nr. 28 — ^29)
veröffentlichten Fällen amyotrophischer Lateralsclerose aufmerksam. In letzteren
wurde die Degeneration der Fyramidenbahnen ebenfalls bis in die Binde der Central-
windungen hinein verfolgt P. BosenbaclL
Psychiatrie.
13) Ueber motorisohe Symptome bei einftohen FflyohoBen, von Dr. Freus-
berg, Bonn. (Arch. f. Psych. XVn. 3.)
Verf. zerlegt die mot. Symptome in 6 Gruppen oder Stufen:
1. Veränderte Erregbarkeit der mot. Apparate.
2. Veränderter Tonus der Muskulatur.
3. Paroxysmelle motorische Entladungen psychischer Erregungsvorgänge durcb
Krämpfe oder Starre oder unwillkürliche Bewegungen (Grimassen, Herum-
wälzen etc.).
4. Dem Vorstellungsinhalt inadäquate mot. Begleiterscheinungen.
5. Intentionsbewegungen.
6. Automat. Bewegungen.
Verf. hat speciell Gruppe 3 studirt. Krampf und Starre sind ihm nicht prin-
cipiell verschieden; wie jede Erregung auf Gleichsinnigkeit, jede Hemmung auf Un-
gleichsinnigkeit der Beize beruht, so entspricht auch das Eintreten von motorischen
Hemmungs- oder Beizerscheinungen bei Psychosen nur einem verschiedenen Grade
der Thätigkeitsentladung psychischer Spannung auf das motor. Gebiet.
Das Verhältniss zu Alkoholismus, Epilepsie und Hysterie wird eingehend erörtert
Das Bewusstsein nimmt an diesen Parozysmen keinen Antheil, zeitweise ist es
traumhaft getrübt. Hallucinationen können nebenher gehen, spielen aber ebensowenig
wie peripherische Beize oder die Willkür eine ursächliche Bolle: die motorischen Central-
apparate werden durch die psychische Erregung direkt beeinflusst Associations-
Störungen, klare Wahnideen und Affekte fehlen wenigstens primär in den Paroxysmen.
Die Verrücktheit stellt das grösste Contingent solcher Entladungen.
Th. Ziehen.
14) On oonvnlsive tio with explosive disturbanoeB of 'speeoh, ao-oalled
Gilles de la Tourette's disease, by C. L. Dana and W. P. Wilkin.
(Joum. of nervous and ment. disease. 1886. p. 407.)
Die angezeigte Krankheit, charakterisirt durch plötzliche Ausbrüclie cborea-
artiger Bewegungen und Gestiiculationen, die von unwillkürlich ausgestossenen Lauten
oder Worten begleitet werden, ist zuerst von Bouteille 1818 in seinem Traite d«
chor^ erwähnt und seitdem auch häufiger beobachtet worden; sehr wahrscheinlich
gehören zu demselben Symptomencomplex die als „Jumping", „Myriachit" und »Jjatah"*
aus den Vereinigten Staaten Amerikas, au» Sibirien und Java beschriebenen Krank-
heitszustände. 1884 und 1886 hat Gilles de la Tourette in den Archives de
Neurologie alle früheren und eigene Beobachtungen vereinigt und besonders darauf
aufmerksam gemacht, dass die unwillkürlichen Bewegungen und AusrufungeD häufig
einen nachahmenden Charakter haben; sie reprodudren häufig nur die Bewegungcs
und Beden, die andere Personen soeben vorgenommen oder gehalten haben — Echo-
— 667 —
tonesis and Echolalie. Recht h&ofig kommt es aber auch zu Eoprolalie, d. h. zu
dem unwillkürlichen Auastossen schmutziger Worte, ohne dass sie vorgesagt wären.
Die Verf. theilen nun folgenden neuen Fall mit. Ein 12jähriger Knabe, der in
jeder Beziehung weit zurück geblieben war, fing, angeblich nach einer Verstauchung
des einen Fusses, plötzlich an, ohne jede Veranlassung und ganz zusammenhanglos
höchst obscöne Worte einige Mal schnell hintereinander auszurufen, so dass Patient
dieser Störung wegen aus der Schule entfernt wurde. Bald gesellte sich Echolalie
dazu, d. h. er musste unwillkürlich die letzten Worte eines jeden Bedesatzes, den
er gehört hatte, laut wiederholen, und er selbst vermochte nicht mehr etwas zu ver-
heimlichen oder zu leugnen, weil er automatisch und sehr wider Willen seine letzten
Gedanken aussprechen musste. Dabei wurde auch das (jesicht durch Grimassen und
choreatische Bewegungen verzerrt und nach einigen Monaten bildete sich immer deut-
licher Chorea aus, während die Zwangsreden seltener wurden.
Grewöhnlich ist der Verlauf übrigens umgekehrt Bei neuropathischen Kindern,
oft im Anschluss an eine heftige psychische Erregung, stellten sich unwillkürliche
Bewegungen im Gesicht und in den oberen Extremitäten ein, die anfaUsweise und
mit verhältnissmässig freien Zwischenräumen wiederkehren, und erst dann schliessen
sich die unarticulirten Ausrufe, die Schimpfworte und die echomässig reproducirten
Redesatze (und Bewegungen) an.
Alle diese eigenthümlichen Zustände sind sehr hartnäckig und recidiviren
ausserordentlich leicht, so dass schon Board sagte: Once a Jumper, always a Jumperl
Isolirung scheint die beste Therapie.
(Vergl. auch dieses Gentralblatt 1883 S. 288, 1884 S. 280 und 426 and
1885 S. 161.) Sommer.
Therapie.
16) neber die Behandlung der Dipsomanie mit Strychnin, von K. Tol-
winski. (Wratch. 1886. Nr. 38. Russisch.)
Im Anschluss an die vor Kurzem erschienene Hittheilung Popof's über Be-
handlung der Dipsomanie (s. Bef. in diesem Gentralblatt 1886 S. 236) theilt Verf.
einen Fall aus seiner Praxis mit.
Ein 34jähriger Bäcker, dessen Vater an Alkoholismus und dessen Schwester au
Hysterie Utt, war seit seinem 25. Jahr häufigen Anfällen von Trunksucht unterworfen.
Dieselben begannen mit Verstimmung, Herzklopfen, Neigung zur Einsamkeit und un-
überwindlichem Drang nach Branntwein; während der Anfälle selbst stellten sich
zahlreiche Sinnestäuschungen des Gesichts und Gehörs ein, nebst Schlaflosigkeit und
heftigem Zittern. In den letzten Jahren nahm die Dauer der einzelnen Anfälle zu
(bis zu 2 — 3 Monaten), und die sie trennenden Zwischenräume wurden immer ge-
ringer. Seit August 1886 hatte Verf. wiederholt die üblichen Mittel (GhlonQhydrat,
Bromkali, Opium) ohne ersichtlichen Erfolg angewandt Während eines Anfalls im
Mai c. versuchte er Strychnin in Pillenform zu Yeo ^^^^ P^^ ^^^' ^°^ bereits nach
einigen Tagen stellte sich objective und subjective Besserung ein, die bei fort-
dauerndem Gebrauch des nämlichen Präparats im Laufe mehrerer Monate von keinem
neuen Anfall unterbrochen wurde.
(Aehnliche Beobachtungen über den therapeutischen Nutzen des Strychnins bei
Dipsomanie sind in letzter Zeit auch von Prof. Manassein [Wratsch Nr. 38] und
Dr. Parzewski [Medicinskoje Obosrenije Nr. 15; russisch] mitgetheilt worden^ — Bef.)
P. Bosenbach.
— 568 —
Anstaltswesen.
16) neber sohottischet englisohe und franzöeisohe Irrenanstalten, von
Siemerling. (Arch. f. Psych. XVH. 2, S. 577—598.)
Der Vortrag bietet eine interessante Ergänzung unserer Eenntnipse über, fremd-
Indisches Irrenwesen, die sich jedoch naturgemäss einem kurzen Referate entzieht
jo eingehendste Darstellung widmet er dem schottischen Irrenwesen, speciell dem
( ^ .cn-Door-System, der familiären Irrenpflege und der Frage nach der Unterbri^ng
geisteskranker Yorbrecher; die Darstellung der letzten Frage bildet auch den gross-
ten Theil des dem englischen Irrenwesen gewidmeten Raumes. Zu bedauern und
zwar nicht blos im Interesse derjenigen Leser, die nicht selbst französische An-
stalten besucht, ist, dass S. sein im Ganzen wenig günstiges Urtheil über diese nicht
in eingehender Darstellung motivirt hat. A. Pick.
m. Aus den Oesellscbaften.
In der Sitzung der k. k. GfresellBohalt der Aenste bu Wien, vom 12. No-
vember 1886 kam im Anschluss an eine Demonstration eines geheilten Falles von
syphilitischer Ataxie locomotrice von Dr. Hebra die Syphilis -Tabesfrage zur Dis-
cussion. v. Bamberger, Nothnagel, Rosenthal sprachen sich gegen jeden Znsammen-
hang zwischen Tabes und Syphilis aus, während Benedict, Wintemitz, Grünfeld einen
solchen Zusammenhang nicht zurückwiesen. Neue Gesichtspunkte traten dabei nicht
zu Tage.
Wenn man der Statistik überhaupt einen Werth in der Medicin beimessen will
— und die Thatsachen unserer Aetiologie sind zum grössten Theil aus der „Statistik"
entstanden — , dann wäre es doch endlich Pflicht der Gegner des Zusammenhanges
zwischen Syphilis und Tabes eine Statistik zu bringen, in der eine verhältnissmässig
grosse Zahl von Tabikem nicht vorher syphilitisch war, um damit also die Statistik
£rb*s u. A. zu entkräften.
Man kommt über die Zahlen nicht mit autorativen Aeusserungen und Erklärungen
hinweg, wie: „Der Zusammenhung von Tabes und Syphilis ist nur ein zufalliger'' oder:
„Tabes hat mit Syphilis nichts zu thun". Wenn man in der Anamnese der Tabiker
in ca. 75^/o der Fälle Syphilis findet und bei derselben gleichaltrigen Bevölkemngs-
classe, die nicht tabisch ist, nur in ca. 12^ ^q vorangegangene Syphilis nachzuweisen
im Stande ist, wie die neueren Erhebungen des Ref. zeigen, wenn solche Zahlen
immer und immer und an den verschiedensten Orten wiederkehren, dann m$gen die
Gegner, wenn sie ihre Behauptungen beweisen wollen, doch endlich einmal „zufällig"'
eine Statistik mit umgekehrten oder auch nur weniger frappanten Yerbaltnisszahleu
bringen. Bisher ist davon nichts bekannt geworden.
In der Sitzung der mediciniechen Gtosellschaft sa Berlin am 17. Novbr.
1886 sprach sich Virchow bei Gelegenheit der Discussion über Arthropathia tabi-
donim, auf die wir zurückkommen, dahin aus, dass die Tabes als eine Erscheinung
der constitutionelleu Syphilis auftreten kann. M.
Druckfehler her ich tigung.
In Nr. 22 lies S. 531 Z. 22 von oben „physikalisch*' statt „psychisch"; Z. 24 ».Stern"
statt „Stein".
Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird »gebeten.
Einsendungen fnr die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E.Mendel»
Berlin, NW. Kronprinzen-Ufer 7.
Verlag von Veit & Comp, in Leipzig. — Druck von Mbtzgbr & Wittig in Leipzig.
NEUROLOGISCHESCENTRALBLAn.
Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie
rnd Therapie des Nervensystemes einschliesslich der Geisteskrankheiten.
Herausgegeben tod
Professor Dr. E. Mendel
Fflnfter «» ^"^ Jahrgang.
Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 16 Hark. Zu beliehen durch
alle Buchhandlangen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs» sowie
direct von der Verlagsbuchhandlung.
1886. 15. December. NE; 24.
Inhalt. I. Originalmittheilungen, lieber den Schwachsinn, von Dr. L. Wltkowski.
II. Referate. Anatomie. 1. Le cerveau de Gambetta, par Ouval. 2. Bericht über die
Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie des Centralnervensystems vom 1. Januar 1885
bis 1. Juni 1886, von Edinger. — Pathologie des Nervensystems. 3. Gases of Cere-
bellar Disease, by Wilklnt. 4. Tumeur de oervelet; neoformation de tissn nerveux dans le
cervelet et la protubärance, par Camescane. 5. A case of alcoholic paralysis preceded and
accompanied by amblyopia ex abusu, by Standish. 6. Ueber die multiple Neuritis der Alkoho-
listen, von Bernhardt. 7. Ein Fall von'Erb'scher PlexusliUimung, von Martius. 8. Ein Neu-
rom der Erb'schen PlexusMrurzeln, von Rote. 9. Ueber Steigerung der Sehnenreflexe bei
Erkrankung peripherischer Nerven, von Strümpell und Möbius. 10. Ein Fall von Chorea
posthemiplegica „spuria", von Scheiber. 11. NJvralgie et paralysie oculaire a retour p^o*
dique, constituant un Symptome clinique special, par Parinaud et Marie. — Psychiatrie.
12. The reli^tionship of marriages of consangulnity to mental unsoundness, by Shuttleworth.
13. Note sur un cas d'^pilepsie avec conscience, par Ball. — Forensische Psychiatrie.
14. De l'etat mental et de la responsabüitö pönale dans le morphinisme chronique, par
Garnier. — Therapie. 15. The use of nitrite of amyl in the severe paroxysms of whoo-
pingoough, by Lewis. 16. La corrente elettrica in un caso di paraJysis agit^ns, nota del Ingria.
III. Pertonallen.
Register.
•
I. Originalmittlieilungen.
Ueber den Schwachsinn.
Von L. Witkowski.
(Nach einem Vortrage auf der 10. Versammlung sfidwestdeutscher Irrenärzte am 30. Oct. 1886.)
Bei der vorjährigen Yersammlong des Vereins deutscher Irrenärzte hatte
ich einen Vortrag „zur klinischen Psychiatrie^^ gehalten, der mit den betreffenden
Verhandlungen im 42. Bande der AUg. Ztschr. f. Psychiatrie erschienen ist und
die weitere Ausfuhrung eines vor nunmehr 10 Jahren in der Berl. klin. Woohenschr.
erschienenen Aufsatzes bildete. Im Anschluss hieran möchte ich heute mit ein
paar Worten auf das Verhältniss einiger der Grundformen des Irreseins zu ein-
ander zurückkommen. Es handelte sich zunächst um Melancholie und Verrückt-
heit. Neben den typischen Fällen beiderlei Art erweist die Erfahrung das Vor-
kommen einer „melancholischen Verrücktheit^ die sich von der reinen
Melancholie, incl. derjenigen ^^it Wahnideen^' bestimmt unterscheidet.
- 570 -
Sie enthält gleichzeitig die Grundelementer beider Erkrankangs-
formen, dauernde Depression neben systematisirter Wahnbildnng,
und lasst sich durch eine Anzahl weiterer Charaktere — stationären Yerlaof
mit £Eist absolut ungünstiger Prognose nach rascher Fiximng der Stimmung
und des Wahnsystems, Fehlen von Verwirrtheit und tieferen Schwachsinnsgraden,
starke Entwickelung von illusionärer Personen- und Sachenverkennung neben
mehr oder weniger intensiven (Gehörs- (nicht selten auch Ge8ichtB-)tau8chungen.
Auftreten typischer Ideenrichtungen (Zweifel, Verneinung, Tod, Ver&ultsein,
Nichtsterbenkönnen) — so bestimmt präcisiren und von anderen Untergruppen
der Verrücktheit sondmi, wie es die Belativität aUer derartigen Unterscheidungen
überhaupt znlässt Es kann hinzugefügt werden, dass für die Manie nichts
ganz Entsprechendes beobachtet wird, eine etwaige „maniakalische Verrücktheit^'
vielmehr im Wesentlichen mit der chronischen Manie zusammenfallen würde.
In zweiter Reihe war von dem Verhältniss des Schwachsinns zu den ver-
schiedenen psychischen Erankheitsbildem und speciell zur Verrücktheit die Bede.
Neben den mehr stationären Formen dieser Erkrankung, welche fast aus-
schliesslich die Grundlage der bisherigen Schilderungen gebildet haben, muss
man erfiihrungsgemäfis progressive Fälle unterscheiden, die firüher oder später
deutlichen Schwach- und sogar Blödsinn erkennen lassen. Durch die vieUaltigen
Uebergänge zwischen beiden Extremen wird eine feste Abgrenzung vereitelt.
Viehnehr zeigt sich, dass eine ununterbrochene Stufenleiter von dem einfachen
Schwachsinn durch allmählich zunehmende Einmischung von Sinnestäuschungen
und Wahnvorstellungen zur Verrücktheit hinüberfahrt. Es ist nicht immer
leicht im einzelnen Falle zu entscheiden, ob das positive oder das negative
Erankheitselement, die Abschw&chung oder die Wahnbüdung, überwiegt IJebrig0[LS
muss man ganz Aehnliches über das Verhältniss des Schwachsinns zur Manie
und Melancholie aussagen; auch hier sind Mischformen und üeberg&nge etwas
gan^K Gewöhnliches und haben zu der von mir schon früher als wenig zweck-
mässig erwähnten Bezeichnung „combinirte Psychosen'^ Veranlassung g^;eben.
Hiermit nicht genug, schien mir aber ausserdem auf Grund meiner Er-
fahrungen der gewöhnlich angewendete Ausdruck, die meisten Formen von
Seelenstörung, soweit sie nicht mit Genesung oder Tod enden, führten zu „se-
cundären Schwächezuständen'S den Thatsachen nicht zu entsprechen. In sehr
vielen, vielleicht den meisten Fällen von chronischer, dauernder Geistesstörung
ist die psychische Schwäche vielmehr etwas Primäres, und nimmt den gewöhn-
lich vorzugsweise beachteten Erscheinungen der Stimmungsanomalien, Dehri^,
Wahnbildungen gegenüber dieselbe Stellung ein, wie bei anderen G«hirnkrank-
heiten die Ausfalls- gegenüber den Beizersoheinungen. Indess^ genügt es
natürlich nicht, auf diese immerhin beherzigenswerthe Analogie die Anfinexannbat
zu lenken, sondern es bedarf bestimmter Beweise, um die Ansicht von der pii-
mären Natur vieler Fälle von Schwachsinn zu stützen, wobei die grosse Schwie-
rigkeit besteht, dass im Anfange, ähnlich wie dies aber auch bei vielen „orga^
nischen^' Gerebralerkrankungen der Fall ist, die positiven Beizerscheinungen die
mehr negativen der Schwäche verbergen und verdecken und letztere dann
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Familienanlage im
Ganzen bei t28» 62%
originäre Anlage im
Ganzen bei 125 »60%
Anlage im
i Ganzen bei
172 = 82 %
origin&rer und
primärer
Schwaohflinn
bei 156 =74%
erst nach dem Naohlayss der ersteren deatlich hervortreten« Trotzdem lassen
sich doch ans der directen Beobachtung wertb?olle Beweisstücke beibringen, als
deren Qnmdlage folgende kleine Tabelle dienen mag, die nach Daten der hie-
sigen Anstalt angestellt ist
Unter 217 Personen (127 Männer, 90 Frauen) deren Vergangenheit gut
bekannt ist^ fand sich:
Familienanlage aUein bei 47 (SSM.
14 P.) = 22 %
Familienanlage n. originäre Anlage
bei 81 (45 M. 36 P.) = 40 %
originäre Anlage allein bei 44(29M.
15 P.) = ca. 20 %
primärer Schwachsinn ohne erkennbare Anlage bei 31 (20 M. 11 Fr.) = 14 %
Smnma: 203 (127 M. 76 F.) Best (von 217) = 14 ansschliesBlich Frauen.
Hierzu zunächst ein paar erl&utemde Bemerkungen. Die absolute Mehr-
heit von Männern hat ihren rein äusserlichen Grund darin, dass zur Zeit nicht
sämmtliche S[rankengeschichten der Frauen zur Hand waren. Doch bleibt es
bemerkenswerth, dass auch relativ die Männer tiberall überwiegen und zuletzt
nnr ein weibhcher Best zurückbleibt Ob hierbei mehr äusserliche oder in der
Sache selbst liegende Ursachen massgebend sind, namentlich etwa der primäre
Schwachsinn bei Frauen verhältnissmassig seltener oder die Wirksamkeit der
bekannten vornehmlich im Geschlechtsleben der Frauen wurzelnden Krankheits-
ursachen auch ohne besondere Anlage erhebücher ist — besonders gering er-
scheint die Ziffer reiner Familienanlage d. h. solcher ohne deutliche Abnormität
in dem psychischen Vorleben der Patienten (14 : 90 » 6,5^/o gegen M. 33 : 127 »
über 25^/o) — vennag ich nicht mit Sicherheit zu entscheiden. Im Allgemeinen
werden die sehr hohen Zahlen überraschen: eine Erblichkeit von 62^/o, originäre
Anlage 60%, Beides zusammen sogar über SO^/^! Auch hier wirken aber äussere
Gründe mit, indem alles irgend Zweifelhafte weggelassen wurde, ganz sichere nega-
tive Angaben aber immer sehr schwer zu erhalten sind, und ausführUche Journale
besonders von denjenigen Kranken vorliegen mögen, aus deren Vergangenheit posi-
tive belastende Momente nachgewiesen werden konnten. Doch bleibt es immerhin auf
Grund dieser Ergebnisse auch unter Berücksichtigung der letzterwähnten um-
stände wahrscheinlich, dass unter den schweren chronischen Irreseinsformen einer
Pflegeanstalt, in der acute Fälle gar nicht, subchronische (z. B. Paralyse) sehr
wenig, desto mehr dagegen die tiefsten Formen des Blödsinns, sowie die durch
allerlei störende Eigenschaften ausgezeichneten „degenerativen^^ ^[ranken ver-
treten sind, die vererbte sowohl wie die individuelle Anlage und vielleicht auch
der primäre Schwachsinn besonders häufig vorkommen. Während hier '/g erb-
lich Veranlagte vorhanden sind, hatte ich früher, an der Strassburger klinischen
Anstalt, die Erblichkeitszahl wiederholt auf V4 festgestellt und nur für die Ver-
rücktheit allein etwas höhere Zahlen geAinden, die aber ebenfalls Vs ^^^^
überstiegen.
Die originäre Anlage ist bisher meist mit der Erblichkeit vollständig zu-
sammengeworfen oder doch n ur nebenher und wie beispielsweise bei EHMmaHAus
— 572 —
mehr theoretisch behandelt worden. Dagegen habe ich versucht, sie auf rein
empirischer Grandlage d. h. einfach den anamnestischen Angaben folgend abzu-
sondern. Dabei stellte sich heraus, dass funiliäre und indiridaelle Anlage etwa
in der Hälfte der Falle zusammengehen, die andere Hälfte aber zu ungefäir
gleichen Theilen, also etwa je ^1^, einem der beiden Gebiete ausschliesslich an-
heimfällt, wie sich dies aus der Tabelle ergiebi Versuchsweise wurden dann
femer, um dem Begriff der abnormen Anlage etwas näher zu treten, ent-
sprechend den Fingerzeigen, welche aus der Durchsicht der ersten Journale zu
entnehmen waren ^ alle hierher Gehörigen unter 4 Gruppen gebracht, je nach-
dem sie als einfach schwachsinnige, stille, nervöse oder bösartige
Kinder geschildert waren. Diese Gruppirung bestätigte vollauf, was von vorn-
herein sehr wahrscheinlich war, dass bei der ganzen „abnormen Anlage*'
die geistige Schwäche die Hauptsache ausmacht, ja fast allein in Be-
tracht konunt. Nicht nur, dass sie für sich allein mehr süs Vs ^^^ Gesammt-
zahl begreift, sondern bei mindestens der Hälfte der Uebrigen lässt sie sich
ausserdem mit voller Sicherheit neben Anderem nachweisen und überhaupt nur
bei einem verschwindend kleinen Bruchtheil des Bestes bestimmt aussdiliessen.
Man kann deshalb auch, ohne einen beträchtlichen Fehler zu begehen, die ganzen
125 (607o9 allenfalls mit einem Abzüge von höchstens IO^q) dem originären
Schwachsinn zuzählen. Inunerhin gebührt den drei übrigen Classen eine
kurze Besprechung. Der Zahl nach die schwächsten sind die Stillen (ein-
schliesslich der excessiv Beligiösen). Sie haben keine besondere Erankheits-
disposition, namenüich nicht zu der von W. Sai^deb beschriebenen „originären'*
Verrücktheit, von der sich kein Beispiel in dieser Gruppe findet Viehnehi
konunen sehr verschiedene Bilder vor, doch ist bemerkenswerth, dass das stille
und scheue Wesen fast immer auch später fortbesteht, sodass derartige Ejnanke
meistens dauernd etwas Stuporöses, gewöhnlich mit deutUch melancholischer
Färbung, an sich tragen und zu den schweigsamsten, dabei aber oft brauch-
barsten Bewohnern der Anstalt gehören. Die Nervösen (und Kränklichen) machen
etwa V4 der Veranlagten aus, worunter mindestens die Hälfte bestimmt gleich-
zeitig von vornherein schwachsinnig ist Man darf nicht erwarten, etwa hyste-
rische oder „neurasthenische'' KrankheitsbUder mit Vorliebe zu finden; viehonehr
haben auch hier die Formen nichts Specifisches. Beachtung verdient nur, das>
bei der zweiten Zahnung oder der Pubertät öfters erhebliche Besserung der
Körperconstitution, gleichzeitig aber tiefer geistiger Verfall eintritt, wodurch aus
schwächlichen, aber noch einigermassen geistig r^^samen Kindern sich robuste
Idioten entwickeln. In Bezug auf die Zahlen gleichen die boshaften Kinder fast
absolut der vorigen Gruppe. Die häufigste Krankheitsform ist hier wie übrigens
auch beim einfachen originären Schwachsinn die Verrücktheit, welche in der
Geneigtheit dieser Individuen, von scheinbar femliegenden und gleichgültigen
Dingen gemütblich afißcirt zu werden und Alles auf das eigene Ich zu beziehen,
einen besonders günstigen Boden zu finden scheint. Denn ist auch die System-
bildung ein wesentlich intellectueller Act, so entstehen und fixiren sich doch
Wahn- und Zwangsvorstellungen am leichtesten da, wo eine zeitweilig oder
- 578
dauernd abnorm erhöhte Erregbarkeit der Gemüthsthatigkeit selbst fernstehende
Personen, Dinge and Ereignisse zur eigenen Person in Beziehung bringt, zumal
wenn das Darniederliegen der Kritik die Gorrectur verhindert und einen Beiz-
zustand der Sinnescentren begünstigt, der bald primär, bald secundär sich am
Ausbau des Systems betheiligt. XJebrigens kommen auch andere Psychosen hier
vor und die Bösartigkeit verliert sich nicht selten in späteren Jahren. Die
Existenz eines rein „moralischen^' Irreseins ganz ohne geistige Schwäche halte
ich nicht für erwiesen und für wenig wahrscheinlich; doch hat die Bezeichnung
ihre Berechtigung, theils für gewisse Perioden und Symptome bei complicirteren
Processen, wie Paralyse, Hysterie, circulärem Irresein, auch mancher Manie
oder Verrücktheit, theils für Kranke, die mit einem relativ geringen Grade von
Schwachsinn eine besondere Perversität der Gemüthsrichtungen und Triebe, und
zwar meistens nur eines Theils derselben, verbinden. Hierher gehören die
meisten als „sittliche Idioten" beschriebenen Individuen (siehe z. B. den kürzlich
in Berlin verhandelten Fall Schneider, wo trotz deutlichsten Schwachsinns Ver-
urtheilung erfolgte).
M^n nun auch die hier mit^etheUten Zahlen in Folge äuaserlioher Um-
stände abnorm grosse sein, so bleiben sie doch auch nach etwa erforderlichen
Abzügen geeignet, die ausserordentliche Häufigkeit zu beleuchten, mit welcher
Schwachsinnserscheinungen, originäre oder primäre, den eigentlichen Psychosen
vorangehen. Berechnet man auf Grund der meisten Anstaltserfahrungen die
Zahl der Genesungen auf V4 — Vs? ^ ^^^ ^^ diesem Yerhältniss entsprechend
die Ziffer der ohne Anlage mit deutlichen primären Schwächeerscheinungen Er-
krankenden — statt auf 14^/0 wie hier — auf etwa 10^/^, diejenige aller von
Anfang an Schwachsinnigen auf etwa 50^/^ annehmen, wovon ^/g auf den ori-
ginären, Vs &^ ^^^ primären Schwachsinn kommen würden. Bedenkt man,
dass unter den übrigen 50^/^ acute und subacute Fälle, Delirien, Intoxicationen
und ähnl. einen beträchtlichen Bruchtheil ausmachen, so tritt dadurch die Be-
deutung vorangehender geistiger Schwäche für das Gebiet der hier
ausschliesslich ins Auge gefassten chronischen Geisteskrankheiten
in um so hellere Beleuchtung. Für den primären Schwachsinn speciell bleibt
dabei noch zweierlei zu berücksichtigen, was seine Ziffern zu steigern geeignet
ist Nämlich einmal, dass unter den mit „reiner^^ Familienanlage Behafteten
sich noch eine Anzahl hierhergehoriger Fälle verbirgt Zweitens, dass bei nicht
wenigen Kranken nur der directe Nachweis des Defects im Anfang nicht zu
führen ist, wie oben ausgeführt NatfirUch aber handelt es sich hierbei nicht
nur um die gröbsten, sondern zum grossen Theile auch um leichtere Fälle von
Schwachsinn. Die hauptsächlich in Betracht kommenden Erscheinungen seien
hier kurz angeführt, um Missverständnissen vorzubeugen. Es sind zunächst
Einbusse an Initiative, Selbständigkeit, Arbeitsfähigkeit, Pünktlichkeit, Genauig-
keit, Gewissenhaftigkeit, an Theilnahme an der Aussenwelt, Schicklichkeitsgefühl,
Kritik über eigene und fremde Thaten, sowie äussere Ereignisse; dann Incon-
gruenz von Thaten und Worten untereinander und gegenseitig, von Gedanken-
gang und Stimmung und um TJnmotivirtheit eines derselben oder beider; femer
- 574 —
Gedäcbtüissschwäche, besonders Vergessen der jüngsten Ereignisse als Beweis für
die Oberflächlichkeit der zur Zeit im Bewosstsein sich abspielenden Yoigange,
wodurch ein festes Haften der Eindrücke verhindert wird, endlich die Neigung
zu rascher ErscblaflFung, Einschlafen, Dämmern und Träumen, wie es nicht nur
im Beginne, sondern oft schon längere Zeit vor dem eigentlichen Ausbruch der
Krankheit in Form minuten- bis tagelang dauernder Stuporzustände beobachtet
wird. Ohne auf Vollständigkeit Anspruch zu erheben, dürfte diese kurze Zu-
sammenstellung genügen, um klar zu machen, welche leichteren Erscheinungen
psychischer Schwäche es sind, die öfters wochen- und monatelang den positiven
Zeichen der Geistesstörung vorangehen und derselben von vornherein den Cha-
rakter des Defects verleihen, ohne übrigens, wie ausdrücklich erwähnt sei, die
Vorhersage zu einer absolut ungünstigen zu gestalten.
Von den Fällen, in denen erst einige Zeit nach dem Einsetzen der er-
wähnten Zeichen sich Erregungssymptome einstellen, um an Art, Stärke, Dauer,
Ausdehnung sehr verschiedene Grade zu erreichen, führt eine zusammenhängende
Kette von Debergängen bis zu den sofort mit einem kurzdauernden Delirium
beginnenden Formen, so dass es gar nicht möglich ist, die letzteren von
andern Fällen primären Schwachsinns mit ihren früheren oder späteren, leich-
teren oder schwereren Erregungsstadien scharf zu trennen. Beide Male hat man
es mit Reizerscheinungen zu thun, die dem sich vorbereitenden oder vollendenden
Ausfall von Functionen entsprechen. Für diese Auffassung lassen sich noch
zwei ins Gewicht fallende Momente anführen. Nämlich einmal der im späteren
Verlauf nicht selten in mehr oder weniger scharfer Periodicitat sich wieder-
holende Eintritt ähnlicher Zeiten, die dann gar keine andere Deutung mehr zu-
lassen; andererseits die oft gleichzeitig auftretenden bestimmten Zeichen des
Hirnreizes: Schmerzen, Schwindel, Zittern, Röthe und Blässe, Krämpfe, wodurch
die Analogie mit anderweiten Gehimkrankheiten , besonders klar hervortritt
Ich habe öfters erlebt, dass unter solchen Umständen, z. B. im Beginne einer
auf schwachsinniger Basis entstandenen Verrücktheit, die Krämpfe sowie die
Störung des Bewusstseins so intensiv und so anhaltend waren, dass sie von
Unerfahrenen für Urämie angesehen wurden.
Diese Momente — die Analogie mit andern Hirnkrankheiten und die
Häufigkeit des originären und primären Schwachsinns, sowie der
nach kurzen Delirien zu dauerndem Defect führenden Psychosen
sind es, welche zur Stütze der hier vertretenen Anschauungen zunächst an-
geführt werden dürfen. Man könnte freilich die ganze Sache für bedeutungs-
los halten und meinen, dass es sich nur um einen Streit um Worte handelt
Dies ist aber nicht der Fall, vielmehr lassen sich verschiedene Vorzüge der
veränderten Betrachtungsweise feststellen. Schon die auf diesem Wege erreichte
Analogie mit den übrigen Cerebralafifectionen muss als etwas sehr Erwünschtes
angesehen werden. Dazu tritt an Stelle einer doppelten Buchführung für pri-
märe Geisteskrankheiten und secundäre Schwächezustände wenigstens in Bezug
auf einen grossen Theil der chronischen Processe eine vereinfachte, einheitliche
Auffassung. Die Schwierigkeiten, die bisher eine allgemein gültige Nomendatur
— 575 -
und Classification der Psychosen vereitelt haben, erhalten eine grösstentheils
ausreichende Erklärung und andererseits wird für den Schwachsinn selbst die
Möglichkeit einer wirklich klinischen Eintheilung näher gerückt. Nach den ver-
schiedenen Verlaufsarten wird man u. A. melancholische und stuporöse,
„paranoische" (der Verrücktheit nahestehende) und postdeliriöse Schwach-
sinnsformeu neben denjenigen der chronischen, remittirenden oder
periodischen Manie resp. des maniakalischen Schwachsinns zu unter-
scheiden haben und durch den weiteren Ausbau dieser einzelnen Typen die ge-
nauere Eenntniss dieser noch vielfach dunklen Zustande fördern können. Je
mehr hierzu von verschiedenen Seiten Materialien zusammengetragen und viel-
leicht mit Hülfe einer gut organisirten und auf längere Zeiträume ausgedehnten
Sammelforschung, nach bestimmten Principien verwerthet werden, desto eher
wird man hoflFen dürfen, allmählich zu allgemein gültigen Normen zu gelangen.
Anstalt Hördt i. E., November 1886.
IL Referate.
Anatomie.
1) Iie oerreau de Gambetta, par Dnval. (Frogr. m^d. 1886. Nr. 30.)
D. nennt in einem Berichte an die Society d'anthropologie über Gambetta*s Ge-
liim, welches er, nachdem es gehärtet und geformt worden war, genauer stndirt hat,
dasselbe „ein schönes Gehirn"; alle Windungen nnd Furchen sind wohlgebildet, ihre
Linien gleichmässig. — Specielle Eigenthümlichkeiten bietet besonders der linke
Frontallappen dar. Die III. Stimwindung bildet gewöhnlich die Form eines grossen
lateinischen M. — Der mittlere Theil dieses M, welches bei den anthropoide Affen
gar nicht existirt, dagegen von Bfldinger am Gehirn des Philosophen Haber und
des Juristen Wnlfert verdoppelt gefanden wurde, zeigt auch bei Gambetta eine ausser-
ordentliche Entwickelung, mehrere sehr bemerkenswerthe Unterabtheilungen, sodass
die Gestalt eines grossen lateinischen W herauskommt Analog den Beobachtungen
Rüdinger^s, dessen obengenannte Gehirne von Männern stammten, die des Wortes
ausserordentlich mächtig gewesen sein sollen, glaubt auch Duval berechtigt zu sein,
die eigenthümliche falten- und furchenreiche Entwickelang der III. Stimwindung,
die er in sehr minutiöser Weise beschreibt, in Zusammenhang bringen zu dürfen mit
der aussergewöhnlichen Rednergabe, die Gambetta eigen gewesen. Die andern Win-
dungen und Furchen bieten nichts Besonderes dar.
Das Gewicht des Gehirns betrag nach einer approximativen Schätzung D.'s etwa
1241 Gramm. — Somit steht es um 150 Gramm hinter der Norm zurück.
Laquer.
2) Beriolit über die Leistimgen auf dem Gebiete der Anatomie des Central-
nervensystems vom I.Januar 1886 bis I.Juni 1886, von Edinger
in Frankfurt a. M. (Schmidts Jahrbücher. 212. S. 3.)
Wir machen auf diese Uebersicht, die in sehr klarer Weise das Resultat der
neueren Arbeiten auf dem Gebiete der Himanatomie zusammenstellt, ganz besonders
aufmerksam. M.
Pathologie des Nervensystems.
3) Gases of Cerebellar Disease, by George Wilkins. (Canada Med. and Surg.
Jonmal. 1886. April.)
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Drei Fälle von Kleinhirnerkrankang, deren grOsstes Interesse dann gipfelt, dass
in allen dreien der Tod sehr unverhofft; eintrat in Folge blutigen, resp. eitrigen Er-
gusses in den 4. Ventrikel. Aus den dreien sollen hier nur die zwei mit Autopsien
versehenen berichtet werden. Dass die Diagnose des Autors auch in dem dritten
Falle richtig gestellt war, wollen wir nicht bezweifeln.
Fall I: Mädchen von 19 Jahren bekommt morgens nach dem Aufstehen einen
Anfall von heftigsten Kopfschmerzen, wird ohnmächtig und stirbt in einigen Minuten
darauf, ehe der Arzt hinzugerufen werden konnte. Die Autopsie, weiche erst 14 Tage
nach stattgefundener Beerdigung erlaubt wurde, ergab bedeutende Vergrössernng des
rechten Kleinhimlappens. Es fand sich ein pflaumengrosses Blutcoagulum in der
Nähe des Lobulus centralis; fernerhin auch eine kleine nadelkopfgrosse Oefl&iung auf
der oberen Fläche dieses Lappens; von diesem Lappen aus floss das Blut nach vor-
wärts und in den 4. Ventrikel hinein.
Der U. Fall betrifft einen 17jährigen Burschen, der über Kopfschmerzen und
Schwindel klagte, die er auf einen 2 Wochen früher stattgehabten Sturz von einem
Wagen zurückführte; er verletzte sich dabei Schulter und Kopf. Es stellten sich
nach 2 Wochen Erbrechen und Ataxie ein. Am 16. Tage (circa) nach dem Sturze
wurde der Fat plötzlich cyanotisch und asphyktisch. Puls 120. Pupillen contrahiri
Während 50 Minuten wurde künstliche Respiration versucht; sobald damit aufgehört
wurde, starb der Patient. — Bei der Autopsie fand man das Gehirn vollkommen
normal bis auf die basalen Theile. Es fand sich Eiter in dem Arachnoidealranm
zwischen der Medulla und dem rechten Kleinhimlappen. Bei sorgfaltiger Hebung
der Medulla fand man auch mehrere Tropfen dicken Eiters zwischen dem Kleinhirn
und dem Boden des 4. Ventrikels. Im rechten Lappen des Kleinhirns hat sich ein
mehr als haselnussgrosser Abscess ausgebildet Sachs (New York).
4) Tumeur de oervelet; neoformation de tissu nervexix dans le oervelet
et la protuböranoe, par Camescane. (Progr. m6d. 1886. Nr. 23.)
Ein 43jähriger, sehr kräftiger Mann hatte seit 3 — 4 Jahren eine Abnahme
seiner Körperkräfte gemerkt. — Von Zeit zu Zeit traten ohnmachtsähnliche Anfalle
von kürzerer und längerer Dauer ein mit mehr oder minder tiefer Umnebelung des
Bewusstseins, aber ohne jegliche Convulsionen. — Als er in*s Hospital aufgenommen
wurde, zeigte er eine gewisse Langsamkeit und Trägheit sowohl in seinen psychischen
Functionen wie in seinen Bewegungen, keine eigentlichen Lähmungen, keine Spur von
Ataxie, keinerlei Störungen der Sprache. [Der Augenhintergrund scheint nicht unter-
sucht worden zu sein?! D. Ref.] Fat. starb in einer Nacht ganz plötzlich. Die
Autopsie ergab gefurchte Tumoren an der Unterfläche des Pons, sowie des rechten
Kleinhirns, die grösstentheils aus Neurogliamassen bestanden. Färbung von Schnitten
dieser Neubildung nach Weigert'scher Methode zeigte den Mangel an jeglichen Nerven-
fasern sehr deutlich. La quer.
6) A oaae of alooholio paralysis preoeeded and aooompanied by ambly-
opia ex abusu, by Dr. Myles Standish. (Boston med. and surgical
Journal, 22. April 1886.)
Ein 52jähriger Arzt, der gelegentlich von ganz vereinzelten epileptischen Krampf-
anfallen ergriffen worden war und der seit Jahren in Alcohol und Tabak excedirt
hatte, merkte im Juni 1884, dass seine Sehschärfe abnahm und im Sept. dess. J.,
dass er nur noch wie durch einen dicken Nebel sehen konnte. Die genauere Unter-
suchung ergab ein normales Gesichtsfeld beiderseits, aber ein Skotom für grün (und
weniger deutlich fftr roth), Yio Sehschärfe, hyperaemische Papillen, aber normalen
Fundus. Obschon totale Abstinenz (neben Strychnin 0,0018 gramm 2 X pro die)
— 577 -
6mpfo)ilen war, fing Patient bald wieder an zu excediren: schnell versclilimmerte
sich die Schwäche und es traten nun auch Grehstörungen ein. Nach weiteren 6 Mo-
naten bestand fast complete Blindheit, Atrophie, Parese und Anaesthesie der Unter-
extremitaten und des linken Arms, Hyperästhesie auf Druck und bei Bewegungen,
sowie Schlaflosigkeit und hochgradige maniakalische Erregung und Verwirrtheit.
Totale Abstinenz und Jodkali (2.7 gramm 3 X pro die) brachten allmähliche Besse-
rung, so dass Patient im März 1886 wieder gehen. Treppen steigen und sich ohne
fremde HOlfe vom Bett erheben konnte, doch blieb der linke Oberschenkel dünner
als der rechte; der Patellarreflex fehlte beiderseitig; Sehschärfe Vio' ^®^° Farben-
skotom, aber graue Atrophie beider Papillen.
Verf. nimmt mit Recht eine Polyneuritis alcoholica als Ursache der Krankheits-
erscheinungen an. Er weist femer darauf hin, dass die sogen. Tabaksamblyopie
wahrscheinlich häufiger dem gleichzeitigen Alcoholgenuss, als dem Tabak allein zu-
zuschreiben sei. Schon Brudenel Carter hätte hervorgehoben, dass bei den Türken,
die doch sehr stark rauchten, aber wenig tranken, Amblyopie sehr selten sei. Unter
107 Fällen von angeblicher Tabaksamblyopie, in denen Angaben über etwaigen Al-
coholgenuss gemacht seien, wären nur 8, in denen keine Alcoholexcesse notirt seien.
Sommer.
6) Ueber die mtdtiple Neuritis der Alkoholisten: Beiträge bot differen-
tiellen Diagnostik dieses Leidens von der Tabes, der Poliomyelitis
subacuta und der sogenannten Landry'sohen Paralyse, von Prof.
M. Bernhardt (Zeitschrift für klinische Medicin, XI. Band IV. Heft.)
Nach Beschreibung eines selbst beobachteten Falles von mnltipler Neuritis bei
einer Alkoholistin stellt der Verf. zu den bereits von Schulz gesammelten Fällen,
einige neuere Beobachtungen von intactem Bückenmark und degenerirten peripherischen
Nerven bei Alkohollähmung aus der Literatur zusammen und kommt zu dem Schlüsse,
dass die Kückenmarksveränderung keineswegs zu den primären, den nothwendigen
Befunden der Alkohollähmung gehöre. Darauf wendet er sich zu der Besprechung
jener Gruppe von Erkrankungen, die als Ataxia alcoholica, als Neurotabes peripherica,
Psendo-Tabes etc. von vielen Autoren aus der grossen Menge der bei Alkoholisten
zu beobachtenden klinischen Störungen herausgehoben und näher beleuchtet worden
ist. Auch in den meisten der hierher gehörigen Fälle wurde das Bückenmark nor-
mal, die peripherischen Nerven aber verändert gefunden. Schwierig ist es, das Bild
der ataktischen Form der Alkoholneuritis von dem oft sehr ähnlichen Symptomen-
complex der wahren Tabes zu trennen. Die ganz eigenthümliche Qehstorung, die
früh eintretende Schwäche der Muskeln, die Schnelligkeit der Entwicklung des Krank-
beitsbildes, die mögliche Besserung bei Entziehung des Alkohols sprechen für die
alkoholische Ataxie. Femer führen die in den ersten Jahren der Tabes zu beobach-
tenden Lähmungen nicht zu Atrophie, nicht zu bemerkenswerthen Veränderungen der
electrischen Erregbarkeit, wenigstens nicht der qualitativen. Letzteres findet nur in
jenen seltenen Fällen statt, wo die Tabes mit einer Erkrankung der grauen Vorder-
säulen des Marks sich combinirt. Allein auch peripherische Lähmungen höchst
wahrscheinlich neuritischer Natur sind bei Tabes beobachtet. Verf. sah zweimal bei
ausgesprochenen tabeskranken Individuen schwere peripherische Lähmungen neuritischer
Natur im Bereich der Nn. peronei; einmal trat vollständige Heilung dieser Lähmung
ein. Jedoch sind die bei den Alkoholisten vorkommenden atrophischen Lähmungen
nicht symmetrisch und mit theils anästhetischen, theils hyperästhetischen Zuständen
verbunden. Das Sehnenphänomen ist bei Alkoholneuritis vorhanden oder es schwindet
nur Torübergehend, nicht selten kann es durch die von Schreiber, Jendrassik,
Baierlacher erwähnten besonderen Maassnahmen wieder deutlich gemacht werden.
Doch auch in einigen Fällen von Tabes kann das Sehnenphänomen bestehen bleibeu.
Myosis und reflectorische Pupillenstarro findet sich bei allgemeiner Neuritis der Säufer
- 578 —
selten. Alkoholisten leiden an centralem Skotom, bei Tabes findet mehr eine allmäb-
liche Einengang des peripherischen Gesichtsfeldes statt. Neuritis optica wurde bei
acuter Myelitis, multipler Sklerose, bei multipler Neuritis, Neuritis alcoholica beo-
bachtet, aber nie bei wahrer Tabes. Femer wird auf das frühe Auftreten Yon psy-
chischen Störungen bei den Alkoholisten hingewiesen. Nachdem noch einige Symptome
hervorgehoben worden, die für die Unterscheidung der Alkoholneuritis von Poliomye-
litis und von der Landry*schen acuten Paralyse von grosser Bedeutung sind, bietet
uns der Verfasser eine ausführliche Angabe der sehr reichhaltigen Literatur.
Kalischer.
7) Ein Fall von Erb'soher Plexuslähmung, von Stabsarzt Dr. Martius,
Berlin. (Berl. klin. Wochenschrift. 1886. Nr. 28.)
Ein 47jährig6r Arbeiter zog sich durch Sturz (von einem Gerüste) auf die linke
Schulter eine Lähmung zu, welche dem Symptombilde einer Erhaschen Plexuslähmung
entsprach. Befallen waren der Muse, deltoideus, infraspinatus, teres minor, sub-
scapularis (?), supinator longus, biceps, brachialis internus. Die genannten Muskeln
zeigten später hochgradige Atrophie mit completer Entartungsreaction; auch ent-
sprechende Sensibilitatsstörungen wurden beobachtet. —
Verf. kommt nach Besprechung der mannigfachen Differenzpunkte in Bezug aof
die genauere Localisation dieser Lähmungen zu dem Schluss, dass bei der Erhaschen
Plexuslähmung das Befallensein der 4 Muskeln deltoideus, brachialis internus, biceps
und supinator longus allein typisch sei; dass dagegen die Betheiligung noch anderer
Muskeln, des Infra-supraspinatus, supinator brevis n. a. m. inconstant und dadurcb
zu erklären sei, dass bei der individuell wechselnden Abzweigung der Nerven von
den Nervenwurzeln in verschiedener Combination die Nerven der letztgenannten
Muskeln eben mitbetroffen sein können. P. Seifert
8) Ein Neurom der Erb'schen Flexuswurseln, operirt von Prof. Dr. £. Rose.
(Separatabdruck aus der Deutschen Zeitschrift für Chirurgie. XXIV. Band.)
Bei einem 46jährigen Manne stellte sich unter intensiven Schmerzen am Halse
im linken Trigonum cervicale posticum eine Qeschwulst ein, welche sich bei zu-
nehmender Schmerzhaftigkeit in den letzten Wochen schnell vergrösserte.
Bei der Operation fand sich, dass es sich um ein ziemlich grosses Neurom
handelte, welches von dem gemeinsamen Stamme ausgegangen war, den die beiden
vorderen Aeste des V. und VI. Ualsnerven bilden.
Die Excision dieser Nervengeschwulst veranlasste nun eine Lähmung bestimmter
Muskelgruppen, wie sie bei der Erb'schen Plexuswurzellähmung beobachtet zu werden
pflegt, allein auch in diesem Falle mit Abweichungen vom gewöhnlichen Typus,
IParalytisch und später von degenerativer Atrophie befallen wurde der linke
Musculus scalenus anticus, deltoideus, supra und infraspinatus, biceps, brachialis
internus, supinator longus, teres major und minor, subscapularis (?), serratus anticus
major. Frei blieben der M. supinator brevis, latissimus dorsi und pectoralis major
Sensibilitatsstörungen fehlten gänzlich. Dieser Fall liefert einen neuen Beweis für
die Inconstanz des Faserbezugs der peripherischen Nerven aus der V. und YL Plexus-
wurzeL
Daran anschliessend, theilt Verf. seine Erfahrungen mit über die operative Ent-
fernung dieser Nervengeschwülste und zwar plaidirt er bei isolirten gutartigen Neu-
romen, die den Nervenstämmen leicht anhaften, für eine Ausschälungsmethode mit
Erhaltung des Nervens, während er bei bösartigen Geschwülsten, z. B* Sarkom der
Nerven, diese conservative Behandlung aufgab, da er sehr schnell darnach Kecidive
auftreten sah.
In derartigen Fallen zieht er eine radicale Excision mit Einschluss der Nerven vor.
P. Seifert
— 579 -
8) Ueber Steigerung der Sehnenreflexe bei Erkrankung peripherischer
Nerven, von A. Strümpell in Erlangen und F. J. Mob ins in Leipzig.
(Münch. med. Wochenschr. 1886. Nr. 34. S. 601—603.)
Die beiden hier mitgetheilten Fälle von multipler Perineuritis widersprechen der
allgemeinen Regel, dass bei peripherischen Nervenerkrankungen die Reflexe herab-
gesetzt, ja die Sehnenreflexe sogar häufig aufgehoben sind. Hier sind sie in beiden
Fällen erheblich gesteigert.
Die Frage nach der Ursache dieser Erscheinung kann nicht endgültig gelöst
werden. Jedoch wird von den drei Hypothesen, dass es sich 1) um eine Reizung
im aufsteigenden, sensiblen Theil des Reflexbogens, 2) um eine Reizung im mittlem
Theil, der grauen Substanz des Rückenmarks (analog der Strychninvergiftung) und
3) im absteigenden, motorischen Ast handelt, die erstere in sofern als die wahr-
scheinlichste hingestellt, weil es sich in den vorliegenden Fällen vorwiegend um
sensible Reizerscheinungen (Schmerzen, Parästhesien) handelt. Sperling.
10) Bin Fall von Chorea posthemiplegioa „spuria", von Dr. S. H. Scheiber,
Budapest. (Pest. med.-chir. Presse. 1886.)
Ein 14 Vorjähriger anämischer Knabe mit Insufficienz des Bicuspidalis (nie acuter
Gelenkrheumatismus) bekam plötzlich Schmerzen im rechten Sprunggelenk ohne Fieber.
Nach 2 Wochen schwanden die Schmerzen, Parese des rechten Arms und Beins ward
constatirt. Nach einem Monat plötzlich ein nächtlicher Erregungsanfall (Fat. schrie,
man bewerfe ihn mit Nadeln), danach ein stuporöser Zustand mit aphatischen Er-
scheinungen und Zuckungen des rechten Arms und Beins, nach 14 Tagen auch des
linken, nach 3 Wochen auch des Rumpfes und Gesichts. Genauere Untersuchung
stellte den choreatischen Charakter der Zuckungen fest, eine Hemiparese und Hemi-
anästhesie des rechten Beins und Arms, eine leichte Parese des rechten Mundfacialis
und Percussionsempfindlichkeit der linken Schädelhälfte. Besserung bei Galvanisation
des Kopfes und der Wirbelsäule und Gebrauch von Tct. Fowl.
Verf. schliesst aus der allmählichen Betheiligung des ganzen Körpers an der
Chorea und ihrer raschen Zurückbildung, dass die Chorea mit der Hemiplegie in
keinem Konnex steht, vielmehr denkt er au eine Embolie im hinteren Theile der
linken Caps. int. als Ursache der Hemiparese und Hemianästhesie; hingegen sollen
multiple, capillare Embolien der linken Hirnrinde die anfangliche Hemichorea» die
psychischen Alterationen und die Aphasie bewirkt haben. Diese Rindenläsion war
wiederum Gelegenheitsursache zur Entstehung jener functionellen Störungen im übrigen
Gehirn, welche das Substrat der gewöhnlichen, allgemeinen Chorea bilden, also hier
der nachträglichen, allgemeinen Zuckungen. Das ganze Krankheitsbild bezeichnet
Seh. als „unechte Chorea posthemiplegica". Th. Ziehen.
11) Kövralgie et paralysie ooulaire ä retour periodique, constituant un
Symptome olinique special, par Parinaud et Marie. (Arch. de Neuro-
logie. 1886. XI. p. 15.)
Diese in Frankreich bisher noch nicht beschriebene, in Deutschland und Eng-
land bereits mehrfach beobachtete periodische Augenmuskellähmung bildet den Gegen-
stand einer Krankengeschichte aus der Charcot'schen Klientel, welche mit den im
Auszuge mitgetheilten Beobachtungen der früheren Autoren die Charakteristica gemein-
sam hat: Zu Anfang allgemeines Uebelbefinden mit gastrischen Erscheinungen und
Schmerzen, dann Auftreten der Augenstörungen mit Doppeltsehen, Schielen, Accommo-
dationsstörungen von verschiedener Dauer; Tendenz zu Recidiven und zum perio-
dischen Wiedererscheinen. Die Geschlechter scheinen beide gleich disponirt, der
Beginn pflegt in die Kindheit zu fallen. Was die Natur des Leidens betrifft, so
— 580 —
kann es keine einfache migräneartige Neuralgie sein; eine stärkere organisclie Lasion
im Centralorgan, aaf welche der Fall Ton Weiss hindeutet, ist auch nicht wohl
sichergestellt. Eine genauere Erklärung ist noch Terfrflhi Anseinandenohalten ist
dieses Krankheitsbild mit den sich mitunter wiederholenden Augenmnakelstfinmgen,
wie sie bei Basaltnmoren, bei Tabes, bei Herdaclerose, bei Dementia panüytica» bei
Himsyphilis vorkommen. Siemens.
Psychiatrie.
12) ThB relati<Mi8hip of maarriages af oonsaoguiziity to mental unaoundness,
by G. E. Shuttleworth. (Joum. of ment science. 1886. Oct)
S. kommt zu dem Schlnss, dass die Gefahr bei Ehen zwischen nahen Yerwandten
hauptsachlich darin beruhe, dass gerade 2 fehlerhafte Individuen sich mit einander
verbanden, ebenso wie durch die Inzucht bei niederen Thieren eine Comulation der
Fehler der Bace erzielt werde, bei wirklich fehlerlosen Zuchtthieren die Inzucht aber
nicht schada Gerade in neurotischen Familien aber sind am meisten Yettemheirathen
zu constatiren. Eine genaue Statistik der Yerwandtenheirathen giebt es in keinem
Lande, doch ist ausgerechnet, dass in England von den Bewohnern der Irrenanstalten
3,4 ^/o aus Yerwandtenehen entsprossen seien, in Schottland 5,25 ^/^ und dass in
2^/o keine andere Ursache für die Geisteskrankheit gefunden werden konnte.
Yerf. führt auch die Urtheile bedeutender Forscher an, welche die Yetteni-
heirathen völlig perhorresciren. Zander.
13) Note Bur un oaa d'öpilepsie aveo oonsoience, par Ball. (L'Encephale.
1886. Nr. 4.)
Im Allgemeinen gilt es als Begel, dass im Status epilept das Bewusstsein
vollkommen geschwunden ist, dass jede Thätigkeit, sei sie auch noch so brutal, jeder
Willensdirection völlig entzogen ist. Aber wie es Somnambulen giebt, die, entgegen
der aUgemeinen Begel, Gedächtoiss für Yorkommnisse während ihres somnambulen
Znstandes behalten, so kommt auch dasselbe bei Epileptikern vor. Einen aolchen
Fall beschreibt B. aus der englischen Literatur, einen zweiten aus eigener Beobach-
tung. In B.*s eigenem Falle kommt aber auch nur ausnahmsweise, wenn auch mehr-
mals, die Conservirung des Gedächtnisses für die während des Status epilept be-
gangenen Acte vor. Für die forensische Psychiatrie sind solche Beobachtungen
ausserordentlich wichtig. Zander.
Forensische Psychiatrie.
14) De l'ötat mental et de la responsabilitö pönale dans le morphinisme
ohronique, par Garnier. (Annales medico-psychologiques. 1886. Mai.)
Zur Nosologie des Morphinismus enthält der Aufsatz nichts, was nicht schon
bekannt wäre. — Die Untersuchung, in wie weit Ausschreitungen Morphiumsüchtiger
gegen die Gesetze unter die allgemein giltigen Gesichtspunkte des Strafgesetzbuches
fallen, bietet jedoch manches Bemerkenswerthes. Das Uebel scheint in Frankreich
auch andere Gesellschaftsclassen ergriffen zu haben, als in andern Ländern, da her-
vorgehoben wird, dass gerade der arbeitende Stand, in Paris wenigstens, eine
traurige Anzahl von Opfern aufweise und das Leiden sich immer mehr ausbreite.
Die mit^etheilten Fälle von Confiicten mit dem Gesetz betreffen antfälliger Weise
nur morphiumsüohtige Frauen, denen gegenüber das Gericht keineswegs immer mil-
dernde Umstände aus den demoralisirenden Wirkungen des Gewohnheitsabusus her-
geleitet zu haben scheint. Garnier ist auch gar nicht geneigt, dem „Schwindel-
zustand", in welchem eine der Thäterinnen sich befunden zu haben behauptete, ab
- 581 -
sie einen Diebstahl im Morphiumrausch ausführte, irgend welche Bedeutung bei-
zumessen.
Bezüglich des Curverfahrens ist Garnier mehr für die allmähliche Entziehung,
und für die Leyinstein'sche plötzliche Unterbrechung des Morphiumgebrauchs nur
bei solchen Patienten, welche an nur geringere Dosen gewöhnt und nicht kachektisch
sind. In dem Cocain meint Garnier ein sehr schätzenswerthes Substitut des Mor-
phiums für eine allmähliche Entziehung des Gewohnheitsgiftes erblicken zu sollen
und beruft sich auf eine Reihe in Deutschland gemachter Versuche. Doch macht er
mit Becht auf die Gefahr aufmerksam, dass man anstatt ein Gift durch das andere
auszutreiben, vielmehr neben dem schon Gewohnten ein zweites einbürgern könne.
Garnier vermuthet zwar nach den bis jetzt vorliegenden Beobachtungen, dass das
Cocain nicht die eigenthümliche Disposition habe, sich so leicht und rasch, als das
Morphium, zu einem mit Nothwendigkeit gefordertem ßedürfhiss des Organismus zu
machen; der enorm rasch gewachsene, massenhafte Verbrauch des Cocains dürfte
jedoch darüber bald ein, wahrscheinlich erschreckendes, Licht verbreiten.
Jehn.
Therapie.
15) The iise of nitrite of amyl in the severe parozysxns of whooping-
ooiigh, by Dr. Morris Lewis. (Journal of nervous ai^d mental disease.
1886, p. 437.)
In einem verzweifelten Fall von Keuchhusten bei einem Kinde von 7 Wochen,
das bei jedem Hustenanfall zu ersticken drohte, wurden Aetherinhalationen zur mo-
mentanen Beseitigung des Bespirationskrampfes angewendet. Es wurde aber ein der-
artiger Collapszustand hervorgerufen, dass einmal die künstliche Athmung eingeleitet
werden musste. Verf. versuchte nun zur Inhalation eine Mischung von Aether mit
Amylnitrit (3:1); bei jedem beginnenden Faroxysmus wurde dem Kinde ein mit
einem Tropfen jener Mischung benetzter Finger vorgehalten und dasselbe athmete,
da der Aether sich sehr schnell verflüchtigt, fast reines Amylnitrit ein, und mit bestem
Erfolge. Es trat kein einziger CoUaps mehr ein und die einzelnen Hustenanfälle
verloren an Heftigkeit Sommer.
16) La corrente elettrica in un caso di paralysis agltans, nota del dott.
V. E. Ingria. (La Psichiatr. 1886, IV. p. 31.)
Sehr bedeutende aber nur temporare — 1 bis l^/j Stunden anhaltende —
Besserung des Tremors in einem Fall von Schüttellähmung, jedesmal im unmittelbaren
Anschluss an die Anwendung des constanten Stroms; die positive Electrode stand im
Nacken, die negative auf dem letzten Halswirbel. Interessant sind die Facsimile der
Handschrift des Patienten vor und nach der Electrisation. Sommer.
m. Personalien.
Unser verehrter Mitarbeiter Herr Dr. Eisenlohr ¥nirde zum Oberarzt der med.
Station des Allgemeinen Krankenhauses zu Hamburg gewählt.
Berichtigungen.
In meinem Aufsatz „Zur Lehre vom centralen Verlauf der Sinnesnerven" (Nr. 23 d. Bl.)
sind nachstehende Berichtigaugen aufzunehmen:
S. 549 Z. 20 von oben lies „die Herabsetzung der Erregbarkeit" statt „die Erregbarkeit".
S. 550 Z. 8 von oben streiche „aussen". P. Flechsig.
Register 1886.
I. Originalaufsätze.
Sdle
1. Vorschlag einer „Normalelektrode" für galvanische Errcgbarkeitsbestimmungen, Ton
W. Erb 1
2. Ueber einen Fall von progressiver Ophthalmoplegie, von Prof. Dr. Ad. Strfimpell 25
8. Zur Anatomie der Glandala pinealis, kurze Mittheilung von Dr. L. Darksche-
witsch 29
4. Bemerkungen über das Unterkieferphanomen oder die Beaction der Sehne des
Masset^r mit Bücksicht auf einen Fall von amyotrophischer Lateralsderosis mit
Olonus des Unterkiefers von E. E. Beevor, von ür. A.deWatteville. . . . 49
5. Zur Untersuchungsmethode des Eniephänomens» von Dr. Fr. Pelizaeus . . . 50
6. Zur Paraldehyd Wirkung, von Sommer 51
7. Ein Fall von Thomsen'scher Krankheit, von Dr. Gg. Fischer 73
8. Bemerkungen über die antcro-laterale aufsteigende Degeneration im Bückenmark,
von Dr. W. B. Gowers 97
9. Einige Bemerkungen über den Faserverlauf in der hinteren Commissur des Gehirns,
von Dr. L. Darkschewitsch 9^
10. Zur Wirkung des Urethan, V3n Dr. Emil Kraepelin 10.^
Tl. Ueber die Beziehungen des Strickkörpers zum Hinterstrang und Hinterstrangskem
nebst Bemerkungen über zwei Felder der Oblongata, von Dr. L. Darkschewitsch
und Dr. Sigm. Freud 121
12. Bemerkungen über die Struktur der Ganglienzellen, von Prof. Dr. Max Flesch
und stud. med. H. Eoneff 145
18. Ein Fall von totaler Degeneration eines Hirnschenkelfusses, von G. Bossoljmo 147
14. Weitere Bemerkungen üoer den aufsteigenden antero- lateralen -Strang, von Dr.
W. B. Gowers 150
15. Ein Fall von Ponstuberkel, von Dr. Ludwig Bruns 169
16. Nachtrag zu dem Fall von totaler Degeneration eines Hirnschenkelfusses in Nr. 7
d. Bl. von G. Bossolymo 172
17. Ueber den Einfluss der Grosshimrinde auf den Blutdruck und die Herzthätigkeit,
von Prof. W. Bechterew und Prosector Dr. Misslawsky 193
18. Ueber den elektrischen Widerstand des Körpers, von A. de Watteyille . . . 196
19. Ein Beitrag zur einseitigen Wahrnehmung doppelseitiger Beize bei Herden einer
Grosehirnhemisphäre , von Dr. L. Bruns l9^
20. Kephalometrischer Befund bei oorticaler angeborener Blindheit, yon Prof. Dr.
Moritz Benedikt 217
21. Die DiSusionselektrode, von Prof. Dr. Adamkiewicz 219
22. Ueber einige seltene Initialerscheinungen der Dementia paralytica, von Dr. Peli-
zaeus 223
23. Zur Lehre von der Innervation der Ausdrucksbewegungen, von Privatdocent Dr. P.
Bosenbach 241
24. Ueber eine familiäre, durch 6 Generationen verfolgbare Form congenitaler Para-
myotonie, von Prof. A. Eulen bürg 265
25. Muskelbefund bei der juvenilen Form der Dystrophia muscuiaris progressiva, von
W. Erb 2S9
26. Eine einfache elektrodiagnostische Methode quantitativer galvanischer Erre^barkeits-
bestimmung» von Dr. Ernst Bemak 295
27. Beitrag zur Lehre von derAetiologie des Tic convulsif, von Dr. med. Otto Bubs 313
28. Ueber das Kniephänomen, von Dr. P. Zenner 3U'
29. Graphische Untersuchung der Muskelzuckung bei Entartungsreaction von Privat-
docent Dr. P. Bosenbach und Stud. med. A. Schtscherbak 337
583 —
Seite
30. Ein Fall von schwerer complioirter Schlaf lab mang am linken Arme, von Dr. S. H.
Scheiher 344
31. Die elektrische Erregbarkeit der Nerven und Muskeln Neugeborener, von Prof.
C. Westphal 861
32. lieber den Paramyoclonus multiplex (Friedreich), von Prof. Schultze . . . . 363
33. Die in's Oehim und Rückenmark herabsteigenden ezperimentalen Degenerationen
als Beitn^ zur Lehre von den cerebralen Localisirungen, von Prof. L. Bianchi
und Dr. G. d'Abundo 385
34. Zur Frage über den weiteren Verlauf der Hinterwurzelfasem im Rückenmarke, von
G. Rossolymo 391
35. Casuistische Mittheilungen aus dem herzoglichen Krankenhause zu Braunschweig,
von Dr. Richard Schulz 409. 439
36. Ueber die durch Chloroform aof kataphorischem Wege zu erzeugende Hautanäßthesie,
von Dr. Heinrich Paschkis und Dr. Julius Wagner 413
37. Ueber den Einfluss der centralen Gehirntheile auf den Blutdruck und die Herz-
thätigkeit, von Prof. Dr. W. Bechterew und Prosector Dr. Misslawski . . 416
38. Einige Bemerkungen über den Zusammenhang zwischen Tabes resp. progressiver
Paralyse und Syphilis, von Prof. Dr. Adolf Strümpell 433
39. Beitrag zur Iiocalisation des Patellarsehnenreflexes nebst Bemerkungen zur De-
Seneration des Hinterhorns bei Tabes dorsalis, von Dr. Ed. Kranss . . . . 473
eher eine frühe Störung der Sensibilität bei Dementia paralytica, von Dr. Th.
Ziehen 480
41. Zar DifFusionselektrode, von Prüf. Dr. Adamkiewicz 497
42. Nachtrae zu der Mittheilung „Tumor der Zirbeldrüse" in Nr. 19 d. Bl., von Dr.
Richard Schulz 500
43. Zur Frage vom Uniprungsgebiete der Fasern der vorderen Comniissur in der Hirn-
rinde des Menschen, von Dr. med. N. Po puff 521
44. Zusatz zu vorstehender Mittheilung, von PaulFlechsig 525
45. Ueber ein gesetzmässiges anatomisches Verhalten der Wurzeln in den verschiedenen
Höhen des Rückenmarkes, von Dr. Siemerling 526
46. Zur Lehre vom centralen Verlauf der Sinnesnerven, von Prof. Paul Flechsig . 54')
47. Ein Fall von progressiver Paralyse complicirt mit amyotrophischer Lateralsclerose,
von Dr. Zacher 55t
48. Zum Zusammenhang zwischen allgemeiner Paralyse und Syphilis, casnistischer
Beitrag von Dr. Sommer 569
49. Ueber den Schwachsinn, von Dr. Wittkowski 4f)9
Abnndo 385.
Adamkiewicz 219. 451. 458.
459. 497.
Adams 324.
Aguglia 94.
Albrecbt 452.
Alexander 466.
Algeri 209.
Ahnön 380.
Althaus 110.
Amati 493.
Anderson 275.
Anton 202.
Azam 90.
Babinski 140. 211. 304.
Baginsky 153.
Baillarger 15. 161. 512.
Balestreri 517.
Ball 380. 580.
Barritt 81.
Barth 468.
Baudny 93.
Beaunis 30. 106.
n. Namenregister.
Bechterew 4. 52. 174. 193.
199.371.395.397.416.501.
Beely 21.
Beevor 4. 418.
Benda 451.
Benedict 43. 217.
Bennet 401. 512.
Berckhan 163.
Bergesio 117.
Berlin 355. 467.
Bemer 535.
Bernhardt 22. 141. 142. 180.
287. 543. 577.
Bemheim 177.
Bianchi 320. 385.
Biedermann 457.
Binswanger 459. 483.
Bjaschkow 129.
Björck 187.
Blake 204.
Blanc 504.
Blanc-Bombay 517.
Blanc-Fontemlle 490.
Bleuler 213. 402.
Blix 31.
Boeck 60.
Bonnard 45.
Bories 517.
Bourneville 229.
Bramwell 323. 351.
Braus 518.
Brecke 423.
Brie 328.
Brink 178.
Bristowe 39. 189.
Brösln 204.
Brosius 139.
Brower 210.
Brown-S^quard 95. 117. 518.
Brugia 328.
Bruns 151. 169. 198. 402.
Büffet 562.
Bull 136.
Bulhird 11.
Buss 313.
Camescane 576.
Camus 275.
584
CamoBet 162.
Campbell 429.
Canger 537.
Capelli 828.
Caroe 13.
Carson 612.
Cartaz 232.
Gatsapas 163.
Chadwick 426.
Chantemesse 426.
Charoot 35. 37. 156. 228. 300.
Cbeadle 163.
Cherchevsky 427.
ChriBtian 15. 91. 208. 236.
Christoph 589.
CividaUi 493.
Clark 210.
Clevenger 853.
Cloiuion 327.
Cohn (Brealaa) 466.
Combemale 283.
Crothers 406.
Colliäre 282.
HaUidet 205.
Dana 488. 566.
Danillo 509.
Darkschewitsoh 29. 99. 121.
528.
Dastre 211.
Davies 116.
Davy 401.
Debove 44. 68.
Dechterio£f 485.
Dejerine 214. 247.
Delom-Sorb^ 201.
Le Denta 45.
Descubes 490.
Dignat 284.
Douty 81.
Dowall 116.
Doyen 517.
Dreschfeld 251.
Drew 514.
Droeze 93.
Dmmmond 13.
Dnckworth 136. 533.
Dndley 320. 488.
Diun^nil 86.
Dupuy 67.
Duval 575.
Kamee 18.
Eccheverria 17.
Edinger 166. 181. 286. 309.
451. 576.
Edge 532.
Edmunds 504.
Ehrlich 452.
EmminghaoB 561.
Engelhurdt 518.
Engesser 38. 380.
Erb 1. 72. 238. 262. 289. 464.
Erlicki 503.
Espine 564.
Emaa 249.
Enlenburg 48. 265.
Ewald 307.
Exner 455.
Falk 360.
Falkenheim 456.
Fasola 502.
Feinberg 227.
¥M 117. 132. 189.
F^röol 68. 214.
Ferrand 58.
Perrier 117.
Finkelstein 14.
Finlay 505.
Fische 79.
Fischer Gg. 73.
Flechsig 525. 545.
Flesch 145. 153. 172. 453.
FoYÜle 28.
Fränkel 406.
Franck 67.
Francotte 879. 484. 506.
Freud 121. 251.
Freund 472.
Freusberg 566.
Frey 359.
Friedmann 831.
FritBch 370. 452. 454.
Fürstner 175. 285. 449. 457.
458. 494.
d^alezowski 68.
Oalippe 264.
Garnier 282. 580.
Gaskell 225.
Gastematzky 131.
Gauster 42.
Gerhardt 109.
Giacomini 317.
Gierke 104.
Giesbers 89.
Gilles de la Tourette 45.
Gilson 16.
Girard 396.
Giuffi^ 184.
Göpel 466.
Goldscheider 178. 464.
Golgi 299.
Goltz 260. 454. 455.
Gombault 251.
Goodhart 189.
Gottstein 468.
Gowers 97. 150. 176. 878.
Graf 64.
Grashey 179.
Gray 563.
Greidenberg 209. 276.
Griffith 381.
Grützner 457.
y. Gudden 191.
Guinon 35. 182. 489.
Gussenbauer 430.
GuBserow 472.
Guttmann 44.
Guye 468.
Haab 212.
Hack 808.
Hadden 247.
Hallager 588. 540.
Hamilton 232.
Hammond 165.
Harris 537.
Harrison 94.
Haupt 462.
Hawkins 159.
Hebold 87. 406.
Hebra 568.
Hecker 357.
Hegar 472.
Heimann 458. 468.
Heinemann 83.
Henschen 375. 401. 424.
Herzen Mm. 349.
Higgius 381.
Hill 246.
Hirsch 48.
Hirt 120. 136.
His 449. 450.
Hitzig 447. 448. 453. 454. 455.
V. Hdsslin 249. 378.
Hoffmann (Heidelberg) 277.
V. Hof mann (Baden-Baden) 357.
Hom^n 55. 250.
Horsley 822. 515.
Hospital 91.
Hnmphreys 88.
Jackson 278.
Jacob 66.
V. Jaksch 84.
Janewa^ 487.
Jasirowitz 462.
Jeaffireson 159.
Jendrassik 446.
Jessop 381.
Illorey 65.
Ingria 581.
JoSroT 44. 45. 68.
Joseph 470.
Josham 42.
Kadyi 452.
Kahler 80. 212. 214.
Ealischer 42.
Käst 330.
Eatschanowski 53.
Eauders 564.
Keller 468.
Kiemau 24. 327.
Kleudgen 429.
Knecht 138.
KnoU 456.
Koppen 246.
Konlrausoh 310.
Kollmann 452.
Koneff 145.
Koahewnikow 565.
Kostjurin 132.
KoTalewsky S96. 513.
Kraepelin 108.
Krause (Halle) 470.
Krause 473. 502.
Kreske 301.
Kreyssig 5.
Kronecker 456.
585
Krueg 254.
Kaessner 204.
Laache 485.
Uborde 45. 67 (2).
Ladame 66.
Laehr 448. 449.
Laillier 516.
Landan 472.
Landesberg 254.
Lane 324.
Lang 120.
Langer 517.
Lannois 509.
Ijapointe 542.
Laqner 268.
Laschkewitsch 480.
Latham 588.
Lanlanid 44.
Lantenbacfa 512.
Lecorch^ 507.
Leegard 188. 400.
Lcflaive 209.
Legrain 492. 589.
Lennhartz 468.
Lennmalm 424.
Lentz 327.
Löonard 58.
Lepine 504 (2).
Leval-Piquechef 113.
Lewaschew 482.
Ijewin 113.
Ijewin, L. 468.
Lewis 86. 200. 581.
Lejden 20. 21. 44. 307.
Liman 22.
Lindenbom 428.
Lipari 534.
Lissaaer 418.
Locb 456.
Loewenthal, N. 32.56. 155. 349.
Lombroso, 0. 64.
Lombroso, G. 231.
Londe 45.
Lourie 420.
Lucae 468.
Laciani 406.
LajB 63. 130. 204.
Mabille 17.
Maccabruni 114.
Mac Donald 282. 514.
Macgregor 135.
Maclaren 214.
Macphael 87.
Mairet 107. 283.
Malibran 11.
Mann 210. 532.
Manning 65.
ManouTrier 45.
Marandon de Montyel 88.
Marchi 528. 559.
Mariani 505.
Marie 14. 35. 156. 158. 182.
228. 300. 374. 377. 580.
Marro 54.
Martins 288. 578.
MasioB 379.
Mathien 11.
Maunonry 517.
Mays 254.
Mendel 142. 237. 307. 359.
447. 458. 460. 471. 542.
543. 544.
Merkel 450.
Meschede 448. 460. 464.
Meyer, Ludwig 264.
Meyer, Moritz 463.
Meynert 43. 191. 454. 456.
Miokle 93.
Mierzejewski 494.
Miliard 68.
Minor 324.
Misslawsky 193. 416. 560.
MitcheU 60. 184. 200.
Minra 481.
Moebins 579.
Moeli 22. 447. 448. 465.
V. Monakow 213. 370.
Mondino 516.
Money 118.
Mosso 561.
MlUler, Franz 318.
Mand^ 380.
Munk 154. 454. 455.
Musso 16. 117. 427.
BTasse 115.
Nannyn 469.
Nearonow 34.
Nicaise 182.
Nieden 466.
Normann 140.
Obersteiner 235.
Oettinger 248.
Ogiloce 135.
Oliver 37. 60.
Olshaosen 472.
Onufrowicz 79.
Oppenheim 21 (2). 34. 255.
405. 461. 543.
Ord 190.
Oraay 67.
Oserezkowski 321.
Ott 155.
Overall 495.
Paetz 449.
Panormow 562.
Parinaad 580.
Parker 118.
Parsona 83.
Paschkifl 413.
Patton 138.
Pecqnenr 398.
Pelizaeos 50. 223.
Peltesobn 325.
Penzoldt 301.
Petel 86. .
Petersson 376.
Philip 303.
Pichon 58. 492.
Pick 43. 114. 120.
Pierret 335.
Pipping 110.
Pitres 21. 205. 378. 381. 426.
Planes 162. *
Playfair 183.
Pontoppidan 230.
Popoff 92. 236. 521. 535.
Ponpon 178. 229.
Preoss 328.
Pr^vost 280.
Pribram 211.
Prince 70.
Prior 158.
%adart 23.
Raison 541.
Ranke 506.
Raspopow 108.
Rawitz 452.
Raymond 8. 9. 404.
Rehm 137.
Reinhard 448.
Reinhold 404.
Remak 9. 22. 134. 141. 142.
181. 238. 295. 460. 543.
Rendn 44.
Renz 469.
Reunont 823.
Rey 90. 131.
Richardiäre 531.
Richer 37.
Richter (Dalldorf) 335.
Richter, Ed. 506.
Riokards 488.
Rieger 310. 352. 496.
Riva 511.
Robertson 429.
Rose 96. 578.
Roscioli 130. 207.
Rosenbaoh 241. 337.
Rosenbaom 283.
Rosenthal 81. 203. 459.
Roshdestwenski 114.
Ross 321.
Rossolymo 147. 172. 391.
I Rothmann 44.
I Rooz 141.
Rüdinffer 191. 319.
Rumpf 308.
RybaUdn 279. 503.
Sachs, H. 158.
Saenger 472.
Salesses 899.
Salge 465.
Sander, W. 335. 448. 449.
Sanndby 190.
Savage 116.
Scheiber 230. 344. 579.
Schmidt 159. 470.
Schmidt-Rimpler 465.
Schottelins 353.
Schramm 472.
- 586
Schröder 472.
Schröter 447.
Schtscherbak 337.
Schüler 288.
Schüler 535.
Schnitze (Heidelberg) 6. 9. 108.
838. 86S. 529.
Schulz (Brannschweig) 132.
409. 439. 500.
Schaster 398.
Schwabach 468.
Schwartze 468.
Schwarz 118.
Scguin 274. 563.
Scppilli 205. 406. 507.
Shuttleworth 580.
SiemcDB 448.
Siemerling 22. 70. 448. 461.
526. 539. 568.
Siehicelli 202. 541.
Sikorsky 282.
Silva 55.
Sioli 40.
Smidt 187. 462. 463.
Smith-Percy 480.
Snell 448.
Sommer 51. 116. 559.
SoDza- Leite 38.
Spitzka 165. 273. 481. 486.
Standish 577.
StcarDs 209.
Stein 139. 480.
Steinbnigge 467.
Steinlechner-Grctschischnikoff
508.
Stephan 59.
Stern 529. 531.
Stieda 451.
Stintzing 12. 372.
Störk 335.
Stricker 333.
Strfibing 62.
Strümpell 25. 160. 433. 469.
579.
Stühlinger 175.
Stumpf 191.
Talma 85.
Tanzi 538.
TamowBki 92.
Tassi 564.
Taty 41.
Taylor 190.
Tbierry 134.
Thirias 517.
Thoraas 287.
ThomBcn (Berlin) 22. 69. 70.
237. 287.
Thomsen, J. 879.
Tiegel 66.
Tisohkow 350.
Tolwinski 567.
Tooth 227.
Tovar 72.
TroiHier 48. 214.
Tmckenbrod 468.
Tscholowski 484.
Tnczek 354. 449.
Take 95. 189. 460.
Tnmer 186. 190.
Uhthoff 19. 70. 466.
Vaillard 378. 381. 427.
Varaglia 55. 528.
Vaslin 517.
Vejas 138.
Ventra 162.
Vcnturi 18. 501.
Verga 164. 264. 379.
Vemeuil 517.
Vicenta 236.
Vierordt 421. 531.
Virchow, R. 568.
Virchow 451.
VizioU 111.
Vogelgesang 139.
Yoisin 232.
Volland 180.
Vnlpian 69. 335. 518.
Wadsworth 10.
Wagner, E. 207.
Wagner, Jul. 119. 413.
Waldeyer 452.
Wallis 536.
Walter fi2.
Walton 204.
Waring 515.
Watteville 49. 196.
Weber 165.
Weil, A. 824.
WeiU, E. 519.
Weiss, D. 63.
Weiss, M. 61.
Weiss 429.
West 190.
Westphal 6.70. 142.231
361. 462.
White 826.
Wiedersheim 261.
Wiglesworth 399.
Wilder 501.
Wilkin 566.
Wilkins 576.
Wilsey 498.
Witkowski 569.
Wolff, W. 450.
Wright 71.
Würti 252.
Zacher 551.
Zenner 816.
Ziehen 480.
Y. Ziemssen 46.
Zinn 448.
Zantz 456.
352
<t
Accessorias - Willisii-Ijahmang
181.
.\cephalen-Norvün8y8tem 452.
Acctonintozication 84.
— im Athem and Urin 508.
Acetophenon 288 (2). 517.
Acromegalie 377.
Aousticas 52. 79. 153. 286.
481. 547.
Addison'scho Krankheit 113.
Aother, Einwirkung auf elck-
tromot. Erscheinungen 457.
— bei Tabes 541.
— Intozication 384.
Agoraphobie 288. 427.
Ala cinerea 105.
Alcohol bei Psychosen 139.
in. Sachregister.
Alcoholismus , Bibliographie
884.
— Anästhesie 22.
— Delirium 406.
— Hallucinationen 494.
— Pathologie 71.
— Pseudoparalyse 115.
— Paralys. progr. 282.
— Polyneuritis 577 (2).
— Golrsohe Strange dabei 421.
— Pilocarpin 42.
cf. Del. tremens, Dipso-
manie, Trunksucht.
Allochirie 117.
Alopecie, Therapie 495.
Amaurosis bei Epilepsie 83.
— angeborene 218.
cf. Localisation und Opti
COS.
Ammonshom 502.
Amylnitrit, EinflusB auf Bio;
bewegung 329.
— bei FuBsia eonvuls. 581.
AmTotrophie cf. Muskelatr
phie.
Amyotrophiache Lafceralsclcn»
816 49. 156. 158. 551. 56:>
Anästhesie 8. 22.
— durch Cocain 119.
— kataphoiisch 221. 41.3. 4n
Aneurysmen derBückenmarU
gefaase 87.
cf. auch Art. basilaris et«*.
Anstaltswesen cf. Irrenanstalt
i"
587
Anstalten, offne, Aufnahme-
bedingangcn 357.
Antagonisten , gleichzeitige
Contractor derselben 30.
Aphasie, Bibliographie 192.
— amnestische 133.
— Localisation 45. 1 77. 178 (2).
179. 180 (2). 181. 189. 191.
424. 425. 459. 484. 564.
cf. auch Localisation.
Apoplectifonne Anfälle 8.
Arsenik bei Chorea 163.
Arsenvergiftnn^ 5.
— Bibliographie 384.
Arteria basilaris, Aneurysmen
426.
— cerebelli post., Aneurysmen
315.
— yertebralis, Unterbindung
bei Epilepsie 540.
Arthritis deformans 381.
— rheumatica 324.
Arthropathia tabidorum
cf. Tabes.
Ataxie 8.
— und progr. Paralyse 15.
— und raraplegie 373.
— Ursachen 530. 531 (2).
cf. auch Tabes.
— hereditäre 111.
cf. fViedreich'sche Kraokh.
Athmungscentren 560.
Atrophia musc. progr.
cf. Dystrophia u. Muskel-
atrophie.
Atropin und Morphium 468.
— bei Ptyalismus 406.
Augenbewegungen, Störungen
403.
Augenmuskellähmung , asso-
ciirte 152. 171. 402.
— isolirte 287.
— Nuclearlähmung 466 (2).
— recidiyirende 580.
cf. Ophthalmoplegie.
Ausdrucksbewegungen, Inner-
vation derselben 241.
Bäder, Einwirkung auf Cir-
culation und Hirn 117.
— auf Hirngefässe 329.
Balken cf. uorp. callosum.
Basedow'sche Krankheit 39.
308. 381. 446.
Beriberi 484.
Bewegunpstorungen, posthe-
miplegische 276.
Biographisches Lexicon 48.
Bleiintoxication, Bibliographie
9 (2). 10. 11. 60. 238. 384.
— neuritis 159.
— mit psychischen Altera-
tionen 429.
— bei Pferden 159.
Blicklähmung, isolirte 287.
Blindheit, angeborene Eephalo-
metrie dabei 218.
Blut bei Psychosen 87.
Blutsverwandtschaft und Psy-
chosen 580.
Brown-Söquard'schc Ijähmung
277.
Bulbärerkrankung , Hemiatro-
phie der Zunge dabei 375.
Bulbärparalyse 376.
~ acute 461.
Cannabinon 189.
Capsula interna, Zonen 67.
Carotis interna, Theilnng der-
selben 172.
Castration bei Epilepsie und
Neurosen 472.
— bei Psychosen 430.
Centralfurohe, Ueberbr&ckung
129.
Centralnervensystem , Stutz-
substanz 104.
cf. Nervensystem.
Centren der Hirnrinde 453. 454.
6f. Localisation.
Centrum oculo-pupillare 53.
Cerebralparalyse , spastische
180. cf. Kinderlähmung.
Cerebrospinalflüssigkeit 456.
Cerebrospinalmeningitis 467.
Charakter bei E^rankheiten 90.
Chiasma nv. opt.. Erkrank. 405.
Chininintoxicationen , Biblio-
graphie 384.
Chloral, Einfluss auf Himge-
gefässe 329.
— abusus 137.
Chorea 158 (2). 159. 162. 163.
509. 566.
— electrica 365.
— posthemiplegica spur. 579.
Clark'sche Säulen 109. 156.
Cocain bei Nervenkrankh. 93.
— und Psychosen 2lO. 463.
— kataphorisch 119.
— bei Morphinismus 210.
— bei Seekrankheit 264.
— Exijerimentelles 227.
Cocain ismus 462.
Commissur, vordere 521. 525.
— hintere 99.
Compressionslähmangen des
Euckenmarks 469.
Contracturen, hyster. 37. 490.
— paradoxe 7. 37. 543.
— posthemiplegische 276.
Corpus callosum 4. 202. 402.
418.
— mamlllare 370.
— quadrigera., Physiol. 420.
546.
Tumor 189.
— restiforme 52. 121. 395.
— striatum 53. 390.
— tra^ezoideum 546.
Coxalgia hyst. beim Manne 228.
Craniologie 217. 379.
cf Schädel.
Crista front, int. 528.
Crura cerebri , Hämorrhagle
488.
cf. auch Himschenkel.
Curare bei Chorea 16t?.
— bei Tetanie 164.
Cysticercen im 4. Ventrikel 423.
Hegeneration, secundärc 32.
55. 56. 119. 156. 239. 247.
350. 385. 528.
— im antero-lateralen Bündel
97. 228.
— von Corp. mamillarc und
Fomix 370.
— vom Kleinhirn 559.
— im Himschenkelfuss 147.
172. 174. 179.
— Waller'sche 251.
Degenerescenz, Delirien dabei
492.
Delirium bei den Degencrirten
492.
~ traumaticum 96.
— tremens 96.
Behandlung 236. 264.
cf. Alcoholismus.
Dementia 569.
— postfebrile 561.
— Heilungen 513.
Dementia paralytica
cf. Paralys. progr.
Diabetes. Hemiplegie 504.
— nervöse Störungen 507.
— Neuritis 378.
— Pseudotabes 113.
Dififusionselektrode 219. 413.
497.
Diphtherie, Lähmung 44.
Dipsomanie u. Psychose 879.
~ Behandlung 236. 567.
d. Alcoholismus.
Dynamometrie 117.
Dyslexie 355. 466. 467.
Dystrophia musc. progr. 183.
253. 262. 289. 302. 303.
cf. Muskelatrophie.
Kchokinesie 489.
Echolalie 489. 567.
Ehescheidung und Psychosen
539.
Elektricitätslehre 46. 238. 382.
496.
Elektricität bei Alopccie 495.
— bei Epilepsie 93.
— kataphorische Wirkung 11 9.
219. 413. 497.
— Wirkung auf Nerven 31.
Elektrisation, allgemeine 430.
Elektrische Apparate 66.
— Bäder 431.
— Fische, Nervensystem 452.
— Widerstand des Körpers
196. 350.
; Elektrodiagnostik 1'. 12. 77.
270. 288. 295. 372. 382.
588
Elektromotor. Erschein angen
457.
Elektrotherapie 189. t41.
— Qenohichte 66.
Encephalitis tranmat. 38t.
Entartiinjgpsreaction 46.72. 837.
-> faradische 460.
Epilepsie, Bibliographie 883.
186. 495.
— Symptomatologie» Sehstö-
rangen 14. 58. 83. 821.
Gehör 538.
Pupillen 495.
— — Sensibilität 321.
— — postepileptische Läh-
mnng 84.
perverse Sexnalempfln-
dung 539.
ohne Bewusstseinsver-
lost 580.
Qewichtsverhältn. 589.
Phosphor im Urin 108.
— und Chorea 159.
und Idiotie 806.
— xmd Verwirrtheit 188.
— Handlungen 17.
— Aetiologie: Statistisches
494.
— — acetonica 84.
— Therapie 68.
Elektr. 93.
Castration 472.
— — Seeale 353.
— — Trepanation 210. 514.
Unterbindung der Ver-
tebral. 540.
— — Vesicantien 284.
— — Anstalten 312. 542.
— Forensisch 17. 22.
— partielle 34.
— aus Urämie 426.
Erb'sche Lähmung 578 (2).
Ergotismus, nervöse Störungen
dabei 354.
Erregbarkeit, elektr. 861.
Erregbarkeitsbestimmung, gal-
vanische 1. 295.
Facialis-Innervation 248.
— Krampf 313.
— Paralyse aus Zoster 62. 63.
peripherische 142.
Färbemethode 299.
Faradischer Strom
cf . Elektricitäi
Farbenperception bei Erkran-
kung des Nervensystems 14.
Fissura paroceipitadis 50t.
Flexiooscontraetur bei Him-
krankheit 136.
Folie ä deux 380.
Forensische Fälle 65 (2). 94.
216. 447. 471.
Ehescheidung 539.
— — Morphinismus 580.
Fomix 370.
Fossa occipitalis 528.
Friedreich'sche Krankheit, Bi-
bliographie 111. 167. 504.
FuniculuB solitarius 560.
Fussclonus 183 201.
cf. Sehnenphänomene.
C^alvanometcr 310.
Gang der Nervenkranken 45.
Ganglienzellen , Degeneration
399.
— Färbung 213.
— Structur 145.
— Yacuolen 6. 147. 898.
Ganglion Gasseri. Tumor 190.
Gedächtniss, Pathologie 114.
Gedankenlesen 282.
Gefassnerven 225.
Geist, Natur desselben 70.
Gelenkrheumatismus, spinale
Lähmung 330.
Genickstarre 235.
Geschmack, Verlust desselb. 69.
Geschmacksfasem und Trige-
minus 488.
Gesichtsatrophie 114. 182. 301.
Gesichtsfeldverengerung 14.
69.
Gheel 189.
Glandula pinealis 29. 262.
— Tumor 404. 439. 500.
Gliome des Hirns 190.
Gliose, centrale, der Hirnrinde
175.
— des Bückenmarka 106.
GoU'sche Stränge 394.
— Degeneration 421.
cf. Rückenmark u. Tabes.
Gossypium 353.
Gumma, kalkhaltiges 81.
Gyrus angularis, Zwangsbe-
vregungen 5.
cf. auch Lobi und Locali-
sation.
Haemorrhagia cerebr. 326.
Hallucinationen, alcohol. 494.
— halbseitige 165.
— • bei Taurotummen 209.
— Theorie 512.
Hautanästhesie of. Anästhesie.
Hautreflex, Lippenreflex 211.
Hauthypertrophie 184.
Hautsmnesnerven 178.
Hemianopsie 182. 274. 275.
488. 563.
— bitemporalis 405.
cf. Localisation.
Hemiathetosis 321.
Hemiatrophie des Gesichts
of. Gesichtsatrophie.
— linguae bei Bleilähmung
238.
Hemichorea 277. 321.
Hemikranie, Sehstömngen da-
bei 118.
Hemiplegie, cerebrale H20. 326.
— hysterische 68.
— bei Kindern 14. 180.
•— syphilitische HO.
-- mit unwillkürlichen Be-
wegungen 275. 276.
— aus IMmie 426.
— bei Diabetes 504.
~ ohne Herd 504.
Heredität bei Nervenkrank-
heiten 247.
— bei Psychosen 40. 41. 42.
537.
Herpes zoster 61. 62 (2),
Hinterstränge der Medulla»
Anatomie 121.
— Phvsioloffie 322.
OL Bückenmark.
Himabsoess 504. 505 (2).
Himanatomie 166. 299. 576.
— Untersuchungsmetbode 79.
817.
— Mikrophotographie 309.
— Foserverlaiu 130.
— Fissuren 501.
— Gambettas Gehirn 575.
Himbewegungen 45. 501.
Himdruck 469.
Hirn, Einflnss auf Blutdruck
198. 416.
— Elxtravasate bei Leucocj-
thämie 351.
Himgewichtll6. 131. 192. 319.
Hirnhäute, Ossification 464.
Himkrankheiten, Bibliographie
215.
Himmeobanismns 246.
Himphysiologie 885.
Hirnrinde, ^nsanunensetxung
105.
— Circolationsverhiltnisse
117.
— Nerrenfasem 561.
— Sulc central. 189.
— motorisehe Centren 308.
— Erregbarkeit 131. 501.
— Zittern von der EGnrinde
aus 131.
— Verändemngim Alter 132.
— Gliose und HohlenbildoDg
175.
— Sklerose 176.
— Physiologe 198. 260.
cf die einzelnen Lobi uhI
Lokalisation.
Himschenkel-Fuas, Degenera-
tion 147. 172. 174. 179.
— Herde 206. 488.
Himsyphilis 81. 109. 203. 204.
518.
Hirntumoren 189. 190. 535.
(et die einzelnen Himtheile.)
— Blutdruck dabei 469.
Hirnwindungen 180.
Hopein 120. 517.
Husten bei Hysterie 38.
— 589 —
Hydroeeph&las, Hirndrack da-
bei 469.
Hydromyelie 586.
Hyoscyamin 829.
HypefästhoBie Dlant. 485.
Hypertrophie aer Muskeln,
wf^re 60.
et Miukelatrophie und
Thonuseii'Bohe Krankheit.
Hypnon 517.
Hypnotica 544.
— bei Psychosen 516.
Hypnotisnins 106. 117. 490.
— Journal für 336.
Hypoglossnsbabn 181.
Uypoglossnseentren 178.
UypoglossQskrampf 507.
Hysterie, Bibliograph. 289.
— Gesichtsfeld 14.
— Sensibilität 69.
— brachiale Monoplef^e 85.
— puiMloxe Contraotion 37.
— - Oligurie und Ischnrie 88.
— Niesen 88.
- Sputum 207.
— Stnmmheit 232.
— Moskelatrophie 304.
— Contractoren 490.
— lethargische Zonen 490.
— beim Manne 43. 44. 68(2).
228(2). 229. 280. 281. 232.
— und Bailway spine 34.
— und Paralyse 90.
Hystero-Catalepsie 232.
Hystero-Epilepsie 37. 229. 230.
Idiotie mit Epilepsie 306.
— und Opiomgenass 512.
Imbecillität 16. 569.
InfectioDskrankheiten, Pseudo-
tabes dabei 113.
in toxicationen, Pseudotabes da-
bei 113.
Iris» motor. Störungen 465. ^
Irrenanstalten 18. 23. 43. 448.
568.
— Berlin 449.
— englische 70. 72. 140.
— irische 284.
— italienische 164.
— amerikanische 95.
— Gheel 189.
— för criminelle Irre 312. 447.
Irrengesetzgebung 23. 95. 140.
144.
Irrenstatistik 42. 164. 327.
— in England 460.
Irrenwesen 264.
Ischurie bei Hysterie 38.
Hataphorie 219. 418. 497.
Kephalometrie 217.
cf. Craniologie n. Schädel.
Kinderlähmung, cerebrale 830.
— spastische 180. 506(2).
cf. Poliencepbalitis, Polio-
myelitis und Kflekenmark.
Kleinhirn, Erkrankung
576 (2).
— Erweichung 134. 483.
— Gliomatöse Degeneration
189.
— Sarkom 135. 136.
— Tuberkel 135.
— secund&re Degeneration
nach Exstirpation 559.
Kleinhimbahn, directe senso-
rische 286.
Kleinhimschenkel, unterer 52.
cf. Corp. restiforme.
KniegelenkyFlexionscontractur
(Kernig) 186.
Kniephänomen 50. 136. 142.
148. 200. 214. 816. 473. 495.
578. 579.
cl Sehnenreflexe, Tabes,
Westphal'sches Zeichen.
Lähmungen, atrophische, Bi-
bliographie 168.
Landiy'scne Paralyse 578.
Latah 472.
Lateralsderose , amyotrophi-
sche cf. Amyotr. Lateralscl.
LautTorstellungen 388.
Leichenstarre 518.
Lethargische Zone bei Hyste-
rischen 490.
Leukämie, Hirn dabei 351.
Leukodermie, hereditäre 205.
Linsenkern
cf. Nucl. lentiformiK.
Lippenreflex 211.
Liquor cerebrospinalis
cf. Oerebrospmälflüssigkeit.
Lobus firontalis 191.
— occipitalis 563.
Structur 488.
temporalis 505. 563.
cf. Gyn, Hirnrinde, Lo-
calisation.
Looalisation in Hirnrinde
Bibliographie 67. 154. 178.
191. 260. 885. 406. 453. 502.
— Aphasie u. obere Extremi-
täten 45. 188. 178. 189. 191.
399 (2). 400. 424. 425. 459.
484. 564.
-- Dyslexie 356. 467.
— Facialis 178. 245.
— untere Extremitäten 320.
401 (2).
— Pupillen und Augenbewe-
gung 53.
— Sehen und Hören 154. 192.
— Sehen 275. 487. 563.
— Hören 563.
— Hypoglossus 178.
Luys'sche Körper 550.
Manie, Phosphorsäure im Urin
108.
« Pachymeningitis 116.
Manie, Augenhintergmnd 512.
— bei Schildkröten 421.
Medulla oblongata, Herd 487.
— secundäre Degeneration 56.
Melancholie 138.
— Athembewegun^n 16.428.
— Phosphorsäuremi Urin 108.
— mit Stupor 493.
— bei Schildkröten 420.
Meningitis cerebralis und Fu-
runkel 410.
— operativ behandelt 357.
Menmgitis cerebrospinalis epi-
dem. 184. 235.
— bei Kindern 470.
" und Kniephänomen 287.
Mikrocephalie 319.
~ Bückenmark dabei 503.
Mitbewegungen 276. 277.
Mitchell-Playfair'sche Kur 307.
Monoplegie brachiale, hyste-
risdie 85.
— Bibliographie 192.
cf. auch Localisatiou.
Moral insanity, Psychoraotrie
54.
Morphinismus 88. 380. 492.
— Cocain dabei 210. 462.
— Biblio^phie 384.
— forensisch 581.
Morphium, Einfluss auf Him-
gefasse 329.
— Wirkung 459,
— und Atropin 468.
Musculus tibialis anticus bei
Lähmungen 184.
— supra- und in&aapinatns,
atrophische Lähmung 142.
Muskel-Contraotion 44.
— Einwirkung von Kalisal-
peter 457.
— Nervenendigungen 153. 481.
~- Boflexcontraction 80.
— Veränderungen bei Dystro-
phien 293.
Muskelatropbie, Bibliographie
168.
— mit Augenmuskellähmung
39.
— progressive 11. 183. 300.
— nach Traumen 187.
— und Svringomyelie 109.
— und dydromyelie 536.
— secundäre Degeneration 21 1 .
— bei Hysterischen 304.
cf. Dystroph, musc. progr.
Muskelhypertrophie, wahre 60.
268.
Muskelrigidität 86.
Muskelspannnnff 282.
Muskelzuckung D. Entartungs-
reaction 887.
Myelitis acuta disseminata 204.
cf. Rückenmark.
Myelitis asoendens nach Ty-
phus 9.
590
Myotoni» oongenita 500.
Myotoniscfae Mftctionsform 77.
Mjrzoedem 67.
IVahnmgBYerweigerang 187.
Neryendehnong, VerSndemiig
des RflckeninarkB dabei 92.
Nerven, dnrchBchnittene, elek-
trisches Veriialten 81.
— nach Amputation 470.
— elektrischeErregbarkeit bei
Nengebornen 361.
— Entstehung 449.
— für Druck 174.
— fbr Kälte u. W&nne 178.
— trophische 95. 482. 485.
— Wurzehi des Rückenmarks
526.
hintere 891.
Nervensystem bei Acephalen
452.
— bei Bandwürmern 470.
— der elektr. Fische 452.
— von Soph. piseat 870.
— Einfluss auf Gewebe 482.
auf Temperatur 561.
Nervus medianus, Degenera-
tion 898.
— supraorbitalis , trophische
Störung 485.
Neugebome, elektrische Erreg-
barkeit 361.
Neuritis, Bibliographie 8. 256.
336.
— Sehnenreflexe dabei 579.
— degenerative multiple 21.
60. 212. 248. 249 (2). 250.
251. 252. 258. 287. 879.
484 (2).
— am Arm 118.
— ascendens 208.
— bei Alcoholismus 577 (2).
— bei Arthrit. def. 881.
— bei Bleiintoxication 159.
— bei Diabetes 878.
— bei Tabes 256. 885.
(cf. auch Tabes.)
~ bei Tuberculose 878.
— nach Typhus 252. 426.
— Exsudate als Ursache von
Neurosen 463.
— optica 69.
Neuroglia 104.
Neurosen durch Intoxication,
Bibliographie 884.
— durch neuritische Exsudate
468.
~ vasomotorische 58.
— Behandlung mit SauerstofF-
einathmungen 480.
— Castration dabei 472.
Niesen bei Hysterie 88.
Normalelektrode 1.
Nudearlfthmune der Augen-
muskeln cf. diese.
Nucleua lentiformis 456.
Nymphomanie, paradoxe 64.
Ocnbmotoriuslahmung, reci-
divirende 580.
et Augenmuskellfthmnng.
Oonlopupilläres Centrum 58.
Oligurie bei Hystoie 88.
Oliven beiKleinhimaffectionen
488.
Open-door-Svstem 448.
Opiophagie bd einem Idioten
512.
Ophthalmoplegie bei Bleiver-
giftung 10.
— progressive 25. 89.
— externa 466.
— Flora zur llervorbringung
466.
cf. Augenmuskellahmung.
Opticus, Atrophie 825.
— Gentren 528.
ef. Looalisation.
— Erkrankung vom Chiasma
405.
Ovarie bei Chorea 158.
Ovariotomie cL Castration.
Pachymeningitis int tuberc.
63.
— haemorrhag. 116.
— cervical. hypertroph. 132.
Paradoxe Contraction
cf. Contractur.
Paraldehyd 51. 286.
— Einfloss auf HimgefSsse
829.
Paralysis agitans» Sehnerven-
atrophie 326.
— Elektridtit dabei 581.
Paralysis alcohol. 248. 251.
Paralys. progr., Bilbliographie
215.
— bei Hunden 457.
— Symptomatologie, Ini-
tialerscheinungen 228.
Ataxie 8. 15.
Pupillen 20. 465. 589.
SensibiUtiit 480.
ohne Geisteskrankheit
63.
— — und Hysterie 90. 229.
281.
Knochen dabei 91. 208.
Katatonie 138.
mit amyotrophischer
Lateralsclerote 551.
Sehnervenatrophie 326.
— Actio logie bei Negern 24.
bei Hereditariem 15.
nach Tabes 116.
Krieg 805.
Alter 327. 328.
Abnahme 827.
Blei 429.
Syphilis 64. 328 (2).
352. 483. 559.
Alcohol und Syphilis
115. 1
Paralys. pro gr., Paiholog
An ato m ie : Hiragewicht
116. 161.
spinale Erkrankung 285.
— Diagnose: mitiiooholis-
mua 282.
mit Gliose und Hohlen-
bildung der Hirnrinde 175.
— inerapie: contaraimaiion
116.
üreihan 104.
Paramyoclonus multiplex
(Friedreich) 868. 874.
Paramyotonie oongenita 265.
Paranoia bei Epilepsie 138.
— bei Tabes 116.
— hallucinatoria acuta 209.
Paraplegie, atactische 373.
cf. Kückenmaik.
Parthenium hyst6rofliomm72.
Pasteur'sche SohutEnupfungen
353.
Patellarreflex cf. Kniephino-
men, Westphal'scheB Zeichen.
Pedunculi cerebri
of. Himsohenkel.
Peptonurie bei Ckisteskniikeii
114.
Periencephalitis Inetica 89.
Perineuritis 257. cf. Neuritis.
Phosphorsäure im Urin 107.
108.
Phosphorver|[iftung, Bftdcen-
mark dabei 5.
Photograph. Abbildungen 309.
Phvsische Zeichen bei Psy>
diesen 42.
Pia mater cerebr., Lipom 132.
— spinalis, Saroom 183.
Pilocarpin gegen AloohoL 42.
Piscidia er^hrina 517. 544.
Plexus brachialis» Wunellsh-
mung 280.
PoUencephalitis 330. 506 (3).
Polyomyelencephalitis 446.
Pohomyelitis ant acuta 13 (2).
chron. adult. 12.
Polyneuritis
of. Neuritis multipL
Polyurie, Localisation 214.
— traumat. 80.
Pens, Bibliographie 215.
— Blutung 404.
— Degeneration 56.
— Herderkrankung 402. 4^7.
— SyphUom 564.
— T?uberkd 151. 169. 564.
Porencephalie 483. 529.
PosthemiplegischeBewegung»*
Störungen 277.
Preisaufgaben 48. 240. 520.
Pr&cordudang&t 427.
Pseudobulbärparalyse 461.
Pseudohypertrophie der Mus-
keln 182.303. (f.Dyrtrophia.
Pseudoparalyse 115.
— 691 —
Pseadotabes IIS.
Psyohometrie 54.
Psychophysik 318.
Psychosen» Symptomatolo-
gie: geistige Sohwftche 16.
Sexnalempfindong 282.
Blut dabei 87.
— — Temperatur 92. 209.
motor. Sympt. 566.
mit Chorea 159.
Senaibilit&tsstöning 69.
Appetit 429.
Pupillen 539.
— — Scmldelmessang 879.
Phoaphorsiare im Urin
108.
Peptonnrie 114.
Ünreinlichkeit428.516.
Verbrechen 386.
— Aetiologie: erbl. Anlage
40. 41. 42.
Blutsverwandtschaft
580.
epidemisch 544.
durch Kopfverletzung
282.
Krieg 804.
Nephritis 429.
durch Intoxicationen,
Bibl. 285. 384.
Cocain 210.
nach Cataract 254.
nach SaUcyl 254.
Morphium
cf. Morphinismus.
— Patholoj^ische Anato-
mie: Ossincation der Hirn-
häute 464.
— Dauer der heilbaren f^lle
511.
— Ausgänge, Heilung nach
mehrjähr. Dauer 498.
Erstickung 429.
— Therapie: Cocain 93. 468.
Alcohd 139.
Urethan 104. 541.
OTsriotomie 430.
Tabak 18.
Hjrpnotica 516.
— forensisch cf. Forensische
FäUe.
cl auch die einzelnen
Psychosen: Dementia, Ma-
nie etc.
Ptyalismus, Atropin dagegen
406.
Puerperium, Aphasie 178.
Pupillenbewegung 396.
Pupillencentrmn 53.
— Dei Enilepsie 495.
cf.auciiParalyse, Tabes etc.
Pupillenreflez 212. 897.
Pupillenstarre, reflect 19. 322.
Pyramiden, compat. Anatomie
273.
— DegeneiatioD 160.
Roilway-Bpine 84. 860.
— Pupülen dabei 20.
Bealencyclopädie 48.
Beetom, Ernährung durch, 93.
Beflexe
cf. Haut-, Sehnenrefleze.
Beflezlähmung 208.
Beflezneurosen vom Genital-
apparat 380.
Bespirationsbündel 560.
Bindenfelder o£ Localisation.
Bfiokenmark, Anatomie 5.
121.
ohromolept Substanz
451.
antero-lateraler Strang
97. 150.
Seitenstränge 199.
hintere Wurzeln 391.
526.
Hinterhom 419.
Blutgefässe 452.
— Physiologie: EinflusB auf
Körperwärme 155.
Durchschneidung 349.
peyohisehe Fnnct 896.
— Patholog. Anatomie:
bei Phosphor* u. Arsen Ver-
giftung 5.
Degenerationen 56. 57.
97. 150. 156.
et diese.
Hioterstränge 7.
Aneurysmen d. Bficken-
marksgefisse 87.
Veränderung durch Ner-
vendehnung 92.
centrale Gliose 108.
oombinirte Solerose 140.
144. 160. 503. 585.
nach Amputationen 820.
470.
Spindelzellensarkom 537.
Tuberkel 888.
bei MilatMephalen 503.
bei Hunden nach Dreh-
ung 457.
— Pathologie: Ersohütte-
rung 86.
oombinirte Erkrankung
352.
Compressionslähmungen
469.
cf. die einzelnen Rficken-
markserkrankungen: Myeli-
tis, Spinallähmungen, Tabes
u. s. w.
Sanitätsbericht des deutschen
Heeres 185.
Sauerstoff, Einathmung bei
Neurosen 430.
Sehädel bei Psvchosen 42.
— bei Verbrechern 55. 528.
— Blutbewegung 328.
— perforirende Tuberkel 504.
Schädelfraeturen 82. 88 (2).
— Trepanation 514. 515.
Schädelfissuren 81.
Schilddrüse, Ezstirpation 67.
Schläfelappen
cf. Lob. temporalis.
Schlaflähmung 344.
SchlaÜBUoht 162.
Schleife cf. Aousticus.
Schnürun^parese 141.
Schwachsinn 569.
et Dementia.
— originär 54.
Schwdelkohlenstoifvergiftnng
359.
Schwindel 519.
Sderose, oombinirte d. Bücken-
marksstränge 140. 144. 160.
503. 535.
— miliare des Hirns 176.
— multiple 459. 532. 533.
534 (2). 535. 543.
— halbseitige 583.
— Bibliographie 168.
— histol. Veränderungen 246.
333.
— Sehnervenatrophie 326.
— HeUbarkeit 168.
cf. Lateralsclerose, RAoken-
mark, Tabes etc.
Seeale comutum bei Epilepsie
353.
Seekrankheit, Cocain dabei 264.
Seelenblindheit 177.
cf. Localisation.
Sehhügel cf. Thal, opt
Sehnenreflexe 49. 50. 86. 183.
473.
— bei Alcoholisten 578.
•— nach epilept. Anfällen 495.
— bei Neuritis 579.
cf. Kniephänomen, West-
ßal'sches Zeichen etc.
törungen bei Epilepsie 58.
321. (cf. diese.)
— bei Migräne 118.
cf. Lo^sation u. Opticus.
Seitenstrangsclerose cf. amyo-
trophische Lateralsclerose u.
SpmalparalyBe, spast.
Selbstmord und Krieg 805.
— in Spanien 520.
Sensibilität bei Epilepsie 321.
— bei Paralys. progr. 480.
— bei Tabes 529.
Sexualempfindun^ 64. 282. 539.
Sexualorgane und Nervosität
518.
Sialorrhoe 17. 223.
Sinnesnerven, centraler Ver-
Uuf 545.
Sinnesorgane, Urgeschichte der
höheren 261.
Sophus niscator. 370.
Speichelarü8en,Inncrvation 69.
Spina bifida 134.
5Ö2
SpinalgangUen 383.
Spimüpandyse, spastische 160.
308.
cf. Latenüsclerose.
SplDalparalyse» Bibliographie
167.
Sprachcentram cf. Aphasie n.
LocaUsation.
Statistik cf. IrreDanstalten u.
Irrenstatistik.
Stimmbänder, Parese 224.
Strickkörper, Anatomie 121.
cf. Cforp. restif.
Strychnin bei Dipsomanie 567.
Stnmmheit, hysterische 282.
Siiggestion 36. 106.
Sympathicna 225.
— Erkrankung 253.
— Verletzung 233.
Sympathische Nervenzellen
141.
Synkinesien 276.
Syphilis
cf. HirnsyphiUs, Paralys.
progr. und Tabes.
— hereditäre 110.
— Einfluss von Bädern 359.
Syringomyelie 108. 502. 537.
Systemerfrankung, combinirte
140. 144. 160. 503. 535.
Tabak, Gebrauch 18.
Tabes» Bibliographie 166. 280.
— Pseudotabes 113.
— S y m p 1 0 m e : Arthropathien
20. 21. 45. 68. 214. 324.
325. 531. 568.
— — Ataxie, Ursache 530.
(cf. diese.)
erhaltenes Kniephäno-
men 136. 142. 236. 474.
Ausfallen der Zähne 264.
Augenmuskellähmung
39. 212.
ohne blitzartige Schmer-
zen 823.
Pupillen dabei 29.
Laryngeakrisen322.324.
Sensibilität 529.
Lähmung der Glottis-
erweiterer 324.
Tabes, Symptome: mit Dia-
; betes 323.
mit Paranoia 116.
combinirte Erkrankung
144.
— Aetiologie, Syphilis 59. 212.
280. 328. 438. 568.
— Path. Anatomie 150. 255.
335. 527.
Hinterhorner 419. 473.
-- Therapie 66. 532. 541.
Temperatur, subnormale 92.
209.
— Einfluss des Nervensystems
561.
Temperaturprttfnng 464.
Temperatorsinn 178.
Tetanie 183.
Tetanus 517.
— traumat. 163. 233.
— rheumat. 284.
— Behandlung 188.
Thalamus opticus, Function
245. 371.
Thein, Analgesie dadurch 254.
Thomsen'sche Krankheit, Bi-
bliographie 78. 205. 215.
289. 271. 509.
Tic convulsif 313. 866. 489.
509. 566.
Tonvorstellung 838.
Tourette's Krankheit 566.
Trauma, Erkrankung des Ner-
vensystems durch 34.
— Hysterie 35. 43. 44.
Tremor cf. Zittern.
Trepanation bei Epilepsie 210.
514.
— bei Schädelbruch 514. 515.
— bei Tumor 515.
Trigeminuslähmung 488.
Trigeminusneuralgie 72.
— Therapie 430.
Trigeminuswurzel 199.
Trophoneurosen 187.
Trunksucht 71.
— und Erblichkeit 879.
Tussis convuls. 581.
Typhus und Myelit. asc. 9.
^ u. Nervenkrankh. 253. 254.
— und Neuritis 426.
Vnterkieferclonus 49.
Unterkieferphänomen 49. S6.
279.
Urämie mit apoplectifonuen
Anfallen 8.
— mit Hemiplegie und £{ii-
lepsie 426.
— mit Psychose 429.
Urethan 103. 516. 541.
Vacuolen in den Ganglien-
zellen 6. 147. 398.
Vagabundenfrage 471.
Vasomotorische Neurosen .^^.
Ventrikel, vierter, Cysticerktn
428.
— Tumor 81.
Verbrechen und Geistesstöning
335. (cf. forens. Fälle.)
— und Schädel 55. 91.
Verwirrtheit et Paranoia.
Vicq d'Azyr'sches Bündel 3Tii.
Vierhügel cf. Corp. quadrigem
Wahrnehmung, einseitige, W>
doppelseitigen Reizen 19>.
Wärmesinn ete. cf. Temperatur.
Westphal'sches Zeichen 142.
237. 280. 352. 548.
cf. Kniephänomen, Sehnen -
refleze.
Widerstandsveränderungen d.
Haut durch Constanten Sti om
288.
Windungen cf. Gyri, Lobi.
WorttauDheit cf. Localisatioii
und Lob. temporalis.
XirbeldrüBc
cf. Glandula pinealis.
Zittern 85.
— von der Hirnrinde 131.
— posthemipl. 277.
Zoster cf. Herpes zoster.
Zungenkrampf 507.
Zungenlähmung 278.
— Hemiatrophie dabei 375.
Zwangsbewegungen 4.
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Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten.
Einsendungen für die Bedaction sind zu richten an Prof. Dr. £. Mendel,
Berlin, NW. Kronprinzen-Ufer 7.
Verlag von Vrit & Comp, in Leipzig. — Druck von Mbtzqer & Wittig in lieijjzig.
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