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Offlcial Organ of tte German Metel Societies of New Tort, Chicaio, Cleveland anfl San Frau«»,
Rew Vorker
IfledizinifdK monatsfcbrift
Offizielles Organ der Deutschen medizinischen Gesellschaften der Städte new Vork,
Chicago, Gleveland und San Trancisco.
Redigiert von Dr. A. Ripperger.
Office. 50 W. I30th Street, New York City, N. Y. Telephone Call, 2<&0 Hartem., , .
n Zb i'jtjl
Entered at the Post Office, New York, as Second-Clas» Matte7"
Val YIY Nn I I Diese Zeitschrift erscheint monatlich /■>, 10117 t\.V
T Ol. Alrt. MI. I. | Preis pro Heft, 20 Cts. Preis für 12 Hefte im Jahres-Abonnement, $2.00. ! •-"*«•
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JNcw Yorker
JVIedizinische Monatsschrift
Offizielles Organ der
Deutzen medizinifdicn ßefellfcbaften der Städte Hew V»rh,
Chicago, Ciewiand und San Trancisco.
Redigiert von Dr. A. Ripperger.
Bd. XIX. New York, 1907. No. r.
Originalarbeiten.
Uebcr die Anwendung löslicher Quecksilber-Präparate bei der inneren Be-
handlung der Syphi is.*
Von Dr. Hermann G. Klotz, New York.
Mag man auch noch so grosse Vor-
liebe für andere Methoden der Quecksil-
berbehandlung Syphilitischer haben, so
begegnet man in der Praxis immer einer
Anzahl von Fällen, in denen infolge
verschiedener Umstände die Einführung
des Quecksilbers durch den Mund und
den Verdauungstrakt die einzige an-
wendbare Methode bleibt. Hier in den
Ver. Staaten ist sie jedenfalls immer
noch die von der grössern Mehrzahl der
Aerzte bevorzugte Behandlung. Sieht
man sich in der periodischen Literatur
sowie in Lehr- und Handbüchern um.
so wird die Y^erabreichung in Pillenform
beinahe ausschliesslich berücksichtigt,
und das gelbe oder grüne Quecksilber jo-
did, das Protojoduret wird ganz allge-
mein empfohlen, wenigstens während der
frühen Stadien der Krankheit ; nur bei
späteren Erscheinungen wird von eini-
gen Autoren dem „mixed treatment",
der Verbindung des Sublimats oder des
roten Quecksilber jodids mit Jodkalium
der Vorzug gegeben. Wahrscheinlich
legen sich nur wenige von den Aerzten,
welche das Protojoduret verschreiben, je
*) Vortrag, gehalten in der Deutschen Med.
Gesellschaft der Stadt New York.
die Frage vor, warum sie gerade dieses
Präparat anwenden ; bei vielen ist irgend
ein Symptom, oft nur der Verdacht auf
Syphilis unvermeidlich mit der gelben
Pille oder Tablet verknüpft. Auch ver-
schiedene Verfasser von Lehrbüchern,
wie G r e eü e in dem von Hangs und
H a r d a w a y herausgegebenen S a u n-
d e r'schen Sammelwerke, geben keine
Gründe für die Bevorzugung dieses Prä-
parates an ; es hat den Anschein, als be-
dürfe es angesichts der allgemeinen An-
wendung hier zu Lande und namentlich
auch in Frankreich keiner Rechtfertig-
ung. F. W. White in M o r r o w's
System (II. p. 732) ist geneigt, dem ge-
ringen Gehalt an Jod einen wohltätigen
Einfluss zuzuschreiben, aber in der
Hauptsache glaubt er doch, dass das Pro-
tojoduret aus dem praktischen Grunde
den Y7orzug verdiene, dass es in der An-
wendung von Seiten Hunderter von Au-
toren in zehntausenden von Fällen gute
Resultate ergeben und so die Probe be-
standen habe. K e. y es (in K e y e s und
C h e t w o o d. Venereal Diseases, 1900)
gibt für seine als tonische bezeichnete
Behandlungsmethode dem Protojoduret
den Vorzug vor dem Sublimat, übrigens
einem in hohem Grade tonisch wirken-
2
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
den Präparat, vor der blauen Pillen-
masse und dem Kalomel, ohne die
Brauchbarkeit dieser in Abrede zu stel-
len. Aber er sagt, dass dieselben den
Darmkanal nicht in so genügender Weise
wie das Protojoduret reizen; das letztere
äussert seine warnende Stimme, dass man
die Maximaldose im einzelnen Falle er-
reicht habe, während der Patiönt noch"
weit entfernt von der Salivationsgefahr
sich befindet. K e y e s wendet die Gar-
nier-Lamoureux'schen mit Zucker über-
zogenen Pillen an, die nicht wie die gel-
ben Pillen und Kügelchen das chemisch
reine gelbe Protojoduret enthalten, son-
dern gleichmässig eine Mischung von
gelbem und unreinem grünen Protojodu-
ret, Einsprengungen von rotem Queck-
silber joduret, kleine Kugeln metallischen
Quecksilbers und eine Spur freien Jods.
Indessen legt er dem Präparat keine
spezifische Wirkung bei ; man könne jede
Verbindung brauchen, solange dieselbe
nur in ganz kleinen Dosen verteilt werde,
so dass man dieselben beliebig versuchen
könne. Er erwähnt auch die Verabreich-
ung des 'Sublimats in Tinctura Ferri ses-
quichlorati aufgelöst als eine nützliche
Verbindung; die Dose für das Sublimat
solle mit 1/50 bis 1/100 Gran begonnen
werden. R. W. Taylor ( Gen. Urin
and Vener. Dis., 1904, p. 674) spricht
sich zu Gunsten des Protojodurets aus,
ohne Gründe dafür anzugeben ; allein er
zählt die Nachteile anderer Präparate
auf, darunter die des Sublimats, das sehr
häufig Schmerzen in der Brust und in
den Eingeweiden und Reizung des gas-
tro-intestinalen Kanals hervorruft ; man
könne sich auf dasselbe nicht verlassen,
denn in kleinen innerlichen Gaben habe
es nur sehr geringe oder gar keine Wirk-
ung und in grössern Gaben sei es zu
reizend. Taylor spricht sich nicht
darüber aus, ob sich dies auf die An-
wendung in Form von Pillen oder in
Lösung beziehe. Weiterhin aber (p.
679) empfiehlt er in späteren Stadien der
Krankheit eine Auflösung des Deuto jo-
duret s (2 — 4 Gran mit J/2 Drachme
Jodkalium in 2>l/2 Unzen Tinct. Cincho-
nae compos. und y2 Unze Wasser) mit
dem ausdrücklichen Bemerken, dass in
dieser Form das Quecksilber der wirk-
same Teil ist und das Jod nur dazu dient,
es in Lösung zu erhalten. Dieser Mixtur
erteilt er das Lob ausserordentlicher
Wirksamkeit, .sie. werde in der Regel vom
Magen gut vertragen, aber man müsse
bei ihrer Anwendung sehr vorsichtig
sein.
Deutsche Syphilidologen empfehlen in
der Hauptsache andere Methoden der
Quecksilberbehandlung und schenken
der inneren Anwendung nur wenig Be-
achtung ; meistens aber werden auch in
erster Linie die Protojoduretpillen ge-
nannt, obgleich Kaposi, Neumann,
Lang und Z e i s s 1 das Sublimat in
Lösung erwähnen, aber mit der Warn-
ung, w ährend der Anwendung den Darm-
kanal genau zu überwachen. Mehr als
in irgend einem andern Lande des euro-
päischen Kontinents hat die innerliche
Behandlung mit Quecksilber in Frank-
reich das Feld behauptet, bis in neuerer
Zeit die hypodermatischen oder intra-
muskulären Einspritzungen viele Anhän-
ger gefunden haben. Es existierten da
eine Menge beliebter Formeln für Li-
queurs, Syrups, Pillen etc. Mauriac,
der jüngst verstorbene verdienstvolle
Syphilidologe, sieht in seinem Buch
(Traitement de la Syphilis, 1896, p. 195)
das Sublimat und das Protojoduret für
die am meisten benutzten Präparate an,
das erstere auf die Autorität von v.
S w i e t e n und Boerhave hin, das
letztere verdanke seine Popularität wohl
am meisten der Empfehlung R i c o r d's.
Mauriac, augenscheinlich vorwiegend
die Anwendung in Pillenform im Auge
habend, unterzieht die verschiedenartige
Wirkung der beiden Präparate einer ge-
nauen Prüfung, ohne einem derselben
absolut den Vorzug zu geben ; vielmehr
empfiehlt er, im einzelnen Falle die Wahl
entsprechend den bestehenden Verhält-
nissen anzupassen. Das Sublimat, ein
scharfes und ätzendes Gift, äussert sei-
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
3
nen Einfluss mehr auf den Magen als
auf den Darm. Gibt man dasselbe in
entsprechend kleinen Dosen, so klagen
manche Patienten, namentlich im An-
fang der Behandlung, über kneifende
krampfartige Schmerzen im Magen,
leichtes Brennen etc. Diese mögen all-
mählig verschwinden oder anhalten und
eine wirkliche Gastralgie zur Folge ha-
ben. Im allgemeinen vertragen Frauen
das Sublimat viel weniger gut als Män-
ner. Man soll die Behandlung nicht zu
lange fortsetzen, doch habe er Patienten
4 bis 5 Zentigramm (2/3 bis 5/6
Gran) pro die monatelang ohne den
geringsten Nachteil nehmen sehen. Pil-
len verursachen leichter Störungen als
der Liquor von Van Swieten, aber
dieser sei manchen Patienten wegen sei-
nes unangenehmen Geschmacks zuwider.
Dem könne man bis zu einem gewissen
Grade abhelfen dadurch, dass man einer
genügenden Menge Wasser etwas Syrup
oder aromatische Substanz wie Kognak,
Rum oder Kirschwasser zusetze. Allein
er fügt die sehr gerechtfertigte Besorg-
nis hinzu, dass manche Patienten sich
verleiten lassen möchten, mit dem Aro-
matisieren zu weit zu gehen. Das Pro-
tojoduret greift den Darm mehr an als
den Magen und zwar in Gestalt leichter
Koliken, einer leichten Diarrhoe nament-
lich in den ersten 3 bis 4 Tagen, aber oft
auch erst im Verlauf der Behandlung,
Gastralgie oder Dyspepsie kommen sel-
ten vor, dagegen ruft es frühzeitig Gin-
givitis und Stomatitis hervor. Im all-
gemeinen solle man daher das Sublimat
geben, wo der Zustand der Mundhöhle
und des Darms berücksichtigt werden
muss. und das Protojoduret den Dyspep-
tikern. Fs ist behauptet worden, dass
das SuHimat eine tiefere und dauerndere
Wirkung: auf die Syphilis zu entfalten im
stände sei. und dass dasselbe daher mehr
bei Snätformen. inveterierten und terti-
ären Svmptornen zur Anwendung kom-
men solle und das Protojoduret in frühe-
ren Stad'p'r M a u r i a c gibt diese ge-
ringere Wirksamkeit des Protojodurets
nicht zu, da man es wenn nötig in viel
grösseren Dosen geben könne, als durch-
schnittlich geschieht. Im Betreff eines
gewissen Grades von Salivation wirft er
die Frage auf, ob dieser nicht unter Um-
ständen nötig sei. Wer sich von dem
fast vollständigen Ausbleiben von Sto-
matitis oder auch nur der leichtesten
Reizung des Zahnfleisches und der
Mundhöhle während der Anwendung in-
tramuskulärer Einspritzungen von Sali-
zylquecksilber und andern unlöslichen
Ouecksilberpräparaten, oft auch des Ka-
lomels überzeugt hat, in Gegenwart oft
ganz auffälliger therapeutischer Wirk-
ung, wird kaum geneigt sein, die Saliva-
tion und andere unangenehme Zugaben
der merkuriellen Behandlung für vor-
teilhaft oder notwendig anzusehen.
Meine eigene Erfahrung, die sich über
etwa 30 Jahre erstreckt, stimmt nicht
überein mit der allgemeinen günstigen
Ansicht von der Wirkung des Proto-
jodurets in Pillen. Als ich mich mehr
speziell mit der Behandlung der Syphi-
lis zu beschäftigen anfing, wandte ich
ohne Vorurteil ebenfalls meistens
dieses Präparat an, nach den üblichen
Regeln, gewöhnlich in Verbindung mit
kleinen Dosen von Opium, in vollem
Vertrauen auf die Richtigkeit der all-
gemeinen günstigen Ansicht über die
Vorzüge des Präparats. Die Wirk-
samkeit betreffend, so war kein Grund
zur Unzufriedenheit vorhanden, so-
lange der Verlauf der Krankheit sich
innerhalb der als normal zu bezeich-
nenden Grenzen hielt. Syphilide und
besonders die schuppenden papillären
Syphilide der Hohlhände und Fuss-
sohlen, auch in späteren Stadien, wur-
den besonders günstig beeinflusst. Et-
was weniger wirksam erwies sich die
Behandlung der Schleimhautaffektio-
nen des Mundes und Halses. Andere
Symptome dagegen wie die flachen,
breiten Papeln, besserten sich nur
sehr langsam und das Auftreten neuer
Erscheinungen auf der Haut und den
Schleimhäuten war nicht gerade sei-
4
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
ten ; spätere sekundäre und tertiäre
Symptome wurden wenig beeinflusst.
Abgesehen von diesen unbefriedigen-
den Resultaten der Protojoduretbe-
handlung wurden direkte Klagen über
unangenehme Nebenerscheinungen
laut in erster Linie betreffend die Ver-
dauungsorgane: Kolikschmerzen, Diar-
rhoe, nicht gerade reichlich, 3 bis 4
Stuhlgänge im Tage, von geringer
Quantität aber von scharfem, reizen-
den Charakter, nicht selten auch Ap-
petitsverlust und dyspeptische Er-
scheinungen. Weit unangenehmer war
die Wirkung auf das Zahnfleisch und
die Mundhöhle im allgemeinen, nicht
gerade in Gestalt schwerer ulzerieren-
der Prozesse des Zahnfleisches, aber
mehr weniger andauernden Speichel-
flusses, Schwellung und Röte des
Zahnfleischrandes und der ganzen
Schleimhaut begleitet von einem
scharfen unangenehmen Geruch. Ver-
suche mit andern Präparaten in Pil-
lenform, dem Sublimat, dem Tannat
und selbst mit dem Salizylsäuren Queck-
silber, ergaben nicht viel bessere Re-
sultate, wenn sie auch nicht von dem
bei dem Protojoduret zuweilen vor-
kommenden leichten Jodausschlag im
Gesicht begleitet waren. Nach solcher
Erfahrung wandte ich mich der älteren
französischen Methode der Sublimat-
lösungen zu, nicht genau dem Liquor
Van S w i e t e n's, einer Lösung von
1 Gramm Sublimat in 100 Gramm Al-
kohol und 900 Wasser, sondern Lös-
ungen verschiedener Stärke mit all-
mähliger Vergrösserung der Dose. Was
Pillen für den Patienten so angenehm
macht, ist die Bequemlichkeit, mit der
sie dieselben bei sich tragen können,
unter LTmständen direkt in der Westen-
tasche. Es handelt sich also darum,
einen Weg zu finden, der die Anwen-
dung der Lösung nicht zu unbequem
machen würde. Eine 3 Unzen haltende
Elasche, namentlich flacher ovaler
Eorm, ist wohl das grösste Gefäss, das
man ohne Unbequemlichkeit in der
Rock- oder W estentasche unterbringen
kann. Ihr Inhalt beträgt etwa 24
Theelöffel, mit dem unvermeidlichen
Verlust kann man sicher auf 21 Thee-
löffel, also 3 tägliche Dosen von l
Theelöffel für 1 Woche rechnen. Weist
man nun den Patienten an, dass die
Medizin 7 Tage ausreichen muss, so
hat man eine fast ebenso genaue Do-
sierung wie mit den Pillen. Noch be-
quemer ist es, wenn sich der Patient
ein !/> Unze fassendes Eläschchen zu-
legt, dasselbe jeden Tag ^ voll füllt
und so nur die 3 Tagesdosen bei sich
zu tragen braucht; etwas Wasser zur
Verdünnung der Medizin findet er
leicht ; übrigens brauchen auch die
meisten Patienten einige Schlücke
Wasser. um Pillen hinunter zu
schlucken. Auf diese Weise fing ich
an, das Sublimat sowohl Privatpatien-
ten wie auf meiner Abteilung im Deut-
schen Dispensarv zu verschreiben, und
ich kam bald zu der Ueberzeugung.
dass die Nachteile oder Gefahren die-
ser Behandlung keineswegs so
schlimm oder häufig waren, wie es die
Lehrbücher behaupteten. In manchen
Fällen erwies sich allerdings der Ge-
schmack in hohem Grade wiederwär-
tig, nicht sowohl direkt beim Einneh-
men der Medizin als wegen des metal-
lischen Nachgeschmacks beim Auf-
wachen am Morgen. Indessen fehlt
dieses auch bei andern Präparaten und
auch bei Pillen, keineswegs gänzlich.
Bei längerer Dauer der Behandlung
mag allerdings der üble Geschmack zu-
weilen so unangenehm werden, dass
man wenigstens vorübergehend die-
selbe unterbrechen muss, aber das ist
keineswegs die Regel. Viel weniger
häufig und intensiv waren die Wirkun-
gen auf den Magren ; Appetitlosigkeit,
Dyspepsie oder Magenschmerzen wur-
den nur selten beobachtet, im Gegen-
teil machten eine Anzahl Patienten,
und zwar nicht den ungebildeten Klas-
sen angehörige, ganz freiwillig die An-
gabe, dass die Verrichtungen ihrer
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
5
Verdäuiltlgsorgäne regelmässiger und
naturgemässer sich vollzogen habe beim
GebfaUch der Sublimatlösung als bei
andern Präparaten oder vorher ohne
spezifische Medizin. Diese Wirkung
dürfte wohl den antiseptischen Eigen-
schaften zuzuschreiben sein. Klagen
über Schmerzen in der Bfttst erinnere
ich mich nicht gehört zu haben, da-
gegen traten zuweilen nach mehr-
wöchetltlicher Behandlung Kopf-
schmerzen auf, aber nicht gerade häu-
figer als bei andern Quecksilbermetho-
den. Ein grosser Vorteil war das fast
völlige Ausbleiben von Mundstörun-
tren. Diese ist wohl ebenfalls der anti-
septischen Wirkung der Lösung zuzu-
schreiben und erscheint dieselbe um
so weniger auffällig, wenn man bedenkt,
dass nach den Angaben einiger neuerer
Autoren wie Borkhardt (Mön. f.
prakt. Dermatologie, 1885) und Lanz
( Pathogenese der merkuriellen Stoma-
titis und Salivation, Berlin 1897) die
für gewöhnlich in grosser Zahl sich in
der Mundhöhle aufhaltenden Bakterien
eine wichtige Rolle spielen bei der Er-
zeugung der merkuriellen Stomatitis.
Es ist vielleicht nicht so allgemein be-
kannt, dass eines der besten lokalen
Mittel bei dieser Stomatitis eine Subli-
matlösung von 1 : 2 — 3000 Wasser ist,
auf das ich vor einer Reihe von Jahren
durch meinen Freund Dr. C. Schuh-
ffl a c h e r in Aachen aufmerksam ge-
macht wurde. Das übliche Ausspülen
mit einer Lösung von chlorsaurem
Kali war meist ausreichend, die Mund-
hohle gesund und rein zu erhalten, ja
ich habe wiederholt beobachtet, dass
durch vorhergegangene Quecksilber-
behandlung anderer Art erkranktes
Zahnfleisch während längerer Subli-
matbehandlung reine normale Beschaf-
fenheit wieder erlangte und behielt.
Ein weiterer Vorteil der Sublimatbe-
handlung zeigte sich in der bedeuten-
den Beeinflussung der Symptome der
Svphilis und augenscheinlich auch der
Krankheit selbst, die jene der Proto-
joduretpillen bei weitem übertraf.
Diese zeigte sich nicht nur in der
rascheren Beseitigung der Haut- oder
Schleimhaut Veränderungen, sondern
auch in der geringeren Häufigkeit von
Rezidiven und in der mehr ausge-
sprochenen Wirkung auf sekundäre
Spät- und sogenannte tertiäre Formen.
Dies bezieht sich ausdrücklich auf die
Sublimatlösung allein, nicht auf die
Verbindung mit Jodkalium, dem
,,mixed treatment", dessen Wirksam-
keit ja allgemein anerkannt ist. Ich
will nun nicht bestimmt behaupten,
dass diese besseren Resultate der siche-
ren und rascheren Absorption des
Quecksilbers in der gelösten Form zu-
zuschreiben seien, obwohl ich im all-
gemeinen zu der Annahme neige, dass
der gelöste Zustand einer Medizin für
die Aufnahme die günstigsten Bedin-
ungen darbietet. Allein wir haben
keine positive Kenntnis von den che-
mischen Prozessen, welche im Magen
und sonst im Organismus vor sich
gehen, um die Assimilation des Queck-
silbers zu bewerkstelligen. M a u r i-
ac (1. c, p. 207) gesteht nach einer
Uebersicht über die verschiedenen
Theorien von den chemischen Vor-
gängen im Magen und im menschli-
chen Körper überhaupt bei der Queck-
silberassimilation ein, dass eine be-
stimmte Antwort auf diese Frage bei
dem jetzigen Stande unserer Kennt-
nisse nicht möglich sei.
Im allgemeinen habe ich keine be-
sonders grossen Gaben zur Anwen-
dung gebracht. Die gewöhnliche Ver-
ordnung im Deutschen Dispensary
war 15 Zentigramms in 90 Gramm
Wasser (2l/2 Gran in 3 Unzen). Ich
würde vorgezogen haben, 100 Gramm
Wasser zu verschreiben, wenn nicht
die hier gebräuchlichen Medizin-
flaschen auf LInzen eingerichtet und
für das metrische System nicht immer
passend wären, sodass der Apotheker
für too Gramm schon eine 4 Unzen-
flasche dispensieren würde. Bei einem
6
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
Rezept von 15, 20 oder 25 Zenti-
gramms in 90 oder 100 Gramm Was-
ser, oder 2l/2 bis 4 Gran in 3 Unzen
würde die Einzeldose 0,7, I, oder 1,2
Zentigramm, oder l/% bis zu }i Gran
pro dosi, }i bis Ys Gran pro die be-
tragen.
Diese Dosen entsprechen ziemlich
genau den von M a u r i a c empfohle-
nen. In der Regel wurde die Medizin
ohne weitere Zusätze von Syrup oder
aromatischen Substanzen verordnet,
da in einer Lösung in destilliertem
W asser kaum eine Zersetzung statt-
rinden kann, dagegen wurden die Pa-
tienten angewiesen, die Medizin einige
Zeit nach den Mahlzeiten mit Wasser
oder Milch verdünnt einzunehmen.
Diese Methode wurde durch eine Reihe
von Jahren bei vielen Patienten ange-
wandt und hat sich mir sehr gut be-
währt, ebenso, soviel ich weiss, meinen
damaligen Kollegen im Deutschen Dis-
pensary, Dr. A. F. B ü c h 1 e r. S. P o 1-
litzer und H. G r a e s e r. Schon
vor längerer Zeit hatte ich daher daran
gedacht, die Aufmerksamkeit auf die
Vorteile der löslichen Präparate zu len-
ken, als in 1900 in der Festschrift für
Prof. Kaposi (p. 81) B r o c q, der
bekannte Pariser Dermatologe und
Syphilidoktge, eineja Artikel veröffent-
lichte : Les doses fractionees de bi-
chlorure et de bijodure de mercure
dans le traitement de la Syphilis. Da
B r o c q's Ansichten und Erfahrungen
beinahe ganz mit den meinigen über-
einstimmen, namentlich die wichtigsten
Punkte betreffend, erscheint es ge-
rechtfertigt, über seinen Artikel in
Kürze zu berichten und durch seine
Autorität meine eigenen Behauptungen
zu bestärken.
Die Behandlung vom Magen aus,
sagt er, ist von mannigfachen Unbe-
quemlichkeiten begleitet, namentlich
wenn die Quecksilberpräparate in Pil-
lenform gegeben werden, und doch
muss man die Tatsache anerkennen,
dass die meisten Aerzte auf Drängen
der Patienten Pillen verschreiben,
weil sie ein leicht zu verbergendes
Mittel haben wollen. Indessen muss
man zugeben, dass die Verabfolgung
in Pillen viel weniger zuverlässig ist,
da die völlige Zerteilung der Pille und
die Absorption ihres Inhalts vom Zu-
fall abhängig ist ; auch kann der aktive
Bestandteil der Pille, wenn sie sich auf-
löst, die Schleimhaut des Verdauungs-
kanals schädigen. Auf Grund dieser
Unzuverlässigkeit und der Belästigung
des Magens haben die Freunde der in-
tramuskulären Injektionen die Pillen-
behandlung angegriffen. Allein dit
Pillen repräsentieren nicht die ganze
innere Behandlung, und seit Men-
schengedenken hat man den Grundsatz
anerkannt : corpora non agunt nisi so-
luta.
B r o c q gibt weiter an, dass er seit
r888 von der Richtigkeit dieses Prin-
zips überzeugt und so viel wie mög-
lich Versuche mit der Behandlung per
os aber nur mit löslichen Quecksilber-
präparaten gemacht hat, die Praxis der
älteren Syphilidologen wieder aufneh-
mend. Die Verabreichung geschah
auf zweierlei Weise : entweder wurde
die ganze Tagesdose in einer oder zwei
grösseren Gaben am Morgen vor dem
Frühstück oder vor den beiden Haupt-
mahlzeiten gegeben. Dies ist die be-
quemere Weise, da der Patient keine
Medizin mit sich herum zu tragen
braucht, aber sie ist weniger wirksam
und den Verdauungskanal eher zu be-
lästigen geneigt. Oder die Tagesdose
wird in 4 bis 6 Einzelgaben verteilt,
die vor oder zwischen den Mahlzeiten
in einer Tasse Milch oder Vichy ge-
nommen werden. Dieser Methode gibt
er den Vorzug und erweist sich die-
selbe sehr wirksam. B r o c q zieht
dann einzeln die Nachteile in Betrach-
tung. Uebler Einfluss auf den Magen
sei viel weniger zu fürchten, wenn die
Medizin mit einer genügenden Menge
Milch oder Vichy genommen werde
Er behauptet auch, mit der Bemerk-
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
7
ung, dass dies etwas paradox erschei-
nen dürfte, dass bei einigen Patienten
w ahrend der Anwendung die Funktionen
der Verdauungsorgane besser vollzo-
gen wurden, dass sie regelmässigere
Stuhlentleerung, in einzelnen Fällen
sogar Verstopfung, bekamen. Wo
Leihschmerzen oder Diarrhoe auftraten,
waren einige Tropfen Opiumtinktur
meist genügend, um Erleichterung zu
bringen. Der Widerwille einiger Pa-
tienten gegen die Medizin kann meis-
tens beseitigt werden durch die Zu-
fügung eines Riechmittels wie Anis
oder durch einen aromatischen Syrup,
in einigen Fällen ist es aber nicht mög-
lich, den Widerwillen zu beseitigen ;
auffälliger Weise kommt dies weniger
in der Privatpraxis als in den Hospi-
tälern vor. Der grösste Uebelstand ist
die Unbequemlichkeit, da manche Pa-
tienten wirklich keine Gelegenheit bä-
hen, die Medizin mehrmals am Tage zu
nehmen wegen ihrer Beschäftigung,
öder weil sie Niemand wissen lassen
dürfen, dass sie überhaupt Medizin
einnehmen ; andere vergessen es. Er
gibt den Patienten eine kleine gradu-
ierte Flasche, in der sie die ganze täg-
liche Dose mit irgend einer Flüssigkeit
gemischt bei sich tragen können. Auf-
fällig ist. dass B r o c q der Wirkung
auf die Mundhöhle gar keine Erwähn-
ung tut; dieses Stillschweigen lässt
sich vielleicht dadurch erklären, dass er
keine Stomatitis bei seinen Patienten
beobachtete. Als Vorteile der Be-
handlung führt er die Genauigkeit der
Dosierung im Vergleich mit Einrei-
bungen und Inhalationen an, ferner die
geringe Reizwirkung auf den Verdau-
ungskanal, die Tatsache, dass der Pa-
tient nicht so häufig zum Arzt zu
gehen braucht, das Vermeiden von
Schmerzen oder vorübergehender Ar-
beitsunfähigkeit, welche bei Injektio-
nen vorkommen können. Er behaup-
tet, dass die therapeutische Wirksam-
keit, namentlich der häufigen kleinen
Dosen, beinahe derjenigen der Ein-
spritzungen gleichkomme. Oft wur-
den 19 bis 20 Gramm von Van
S w i e t e n's Liquor im Tage gegeben,
und mit solchen Gaben von 1,5 bis 2
Zentigrammen (34 bis 3/3 Gran) wur-
den viel bessere Resultate erzielt
als mit 3 bis 4 Pillen ä 1 Zentigramm.
Die seltneren und grössern Dosen wir-
ken nicht gleich günstig. Während der
12 Jahre, in denen Brocq diese Me-
thode ausübt, kamen ihm wenige Sy-
philiserscheinungen vor, die derselben
Widerstand geleistet hätten mit Aus-
nahme tertiärer, psoriasisartiger Syphi-
lide der Handteller und Fusssohlen
und ei-niger Fälle der seltneren skleroti-
schen g-ummatösen Infiltrate in der
Mundhöhle, besonders der Zunge. Ge-
gen diese ausserordentlich hartnäcki-
gen Symptome kommt keine Behand-
lung den Kalomelinjektionen gleich.
Aber frühzeitige bösartige Syphilisfor-
men, zum Zerfall neigende Gummata,
Periostitis, serpiginöse tertiäre Ge-
schwüre weichen meistens den verteil-
ten Dosen löslicher Quecksilberpräpa-
rate entweder allein oder in Verbin-
dung mit Jodkalium. Dennoch will
Brocq diese Methode nicht als die
ausschliessliche Behandlungsweise für
Syphilis hinstellen, sondern wendet
auch andere Methoden wie Einreibun-
gen und Einspritzungen besonders in
der Hospitalpraxis an. Und darin
schliesse ich mich ihm vollständig an.
T30 W. 58. St.
8
New Yokkek Medizinische Monatsschrift.
Allgemeine Behandlung der Tabes. *
Von Dr. H. S. Frenkel-Heiden.
Tabes ist eine unheilbare Krankheit,
unheilbar, wenn Sie den pathologisch
anatomischen Standpunkt nehmen. Es
ist kein Fall bekannt, in welchem je-
mand, an dem während seines Lebens
die Diagnose der Tabes gemacht wor-
den ist, auch wenn es sich nur um Kar-
dinal-Symptome, also nur um einen
leichten Fall gehandelt hat, — bei der
Autopsie keine Degeneration der hinteren
Stränge gezeigt hätte. Aber wenn Sie
sich andererseits die pathologische
Anatomie der Tabes ins Gedächtnis zu-
rückrufen, so werden Sie begreifen,
dass symptomatisch-klinisch die Ta-
bes sich in ganz verschiedenen Formen
dem untersuchenden Arzte darbietet.
Erstens einmal kann der tabische Pro-
zess an allen Stellen des Rückenmarks
einsetzen, und es ist klar, dass es für
die Funktionen des Menschen ganz
verschiedene Bedeutungen hat, ob der
tabische Prozess z. B. im unterem Zer-
vikal-Mark oder in dem unteren Dor-
sal-Mark einsetzt. Er wird im ersten
Falle Beschwerden im Arm haben, in
seiner Brust, Parästhesien, aber seine
Gehbewegung z. B. wird ganz intakt
sein. Ganz anders wird sich das Bild
darstellen, wenn der tabische Prozess
im unterem Dorsal-Mark oder im Lum-
bal-Mark einsetzt. Sie werden dann
hauptsächlich das Symptom der Ataxie
und andere Symptome, die mit den un-
teren Extremitäten und dem unteren
Teil des Rumpfes zusammenhängen,
zu Gesicht bekommen. Zweitens : die
Frage der Ausdehnung des Prozesses ;
für das klinische Bild kommt es sehr
darauf an, ob der tabische Prozess eine
ganze Anzahl von Segmenten hinter-
einander ergreift. Wieder anders wird
das Bild sein, wenn der tabische Pro-
*) Vortrag, gehalten in der Deutschen Med.
Gesellschaft der Stadt New York am 3. Dez.
1906.
zess an verschiedenen Stellen gleichzeitig
eingreift, oder, wie es meistens der Fall
ist, grosse Stücke des Rückenmarks in-
takt lässt. All dieses hat für das klini-
sche Bild ein besonderes Interesse und
für Sie als Aerzte ein besonderes In-
teresse betreffs der Frage der Prognose,
wenn Sie bei einem Kranken, der im
Beginn zu Ihnen kommt, die Diagnose
der Tabes dorsalis stellen, und zwar
in einer absolut sicheren Weise, was heut-
zutage bei dem Stand unserer Kennt-
nisse nicht nur möglich, sondern eine
einfache Sache ist. Sie müssen sich
in Bezug auf die Prognose ei-
ner grossen Reserve befleissigen. Sie
können absolut nicht wissen, was aus
diesem Menschen werden wird in zwei
Jahren, in zehn Jahren, zwanzig Jah-
ren, und diejenigen Aerzte, die in ei-
tern natürlichen Bedürfnis nach Ehr-
lichkeit und Aufrichtigkeit dem Patien-
ten eine üble Prognose geben, wie das
verhältnissmässig häufig vorzukommen
pflegt und gerade unter unseren besse-
ren Kollegen, werden sich nicht nur
vielfach irren, sondern, durch diesen
Irrtum dem Kranken den grössten
Schaden zufügen, psychisch und in sei-
nen geschäftlichen Arrangements. Die
Diagnose der Tabes kann in Bezug auf
die Prognose absolut nichts aussagen, und
die Klinik zeigt uns, dass die Bilder ei-
nes Menschen mit tabischem Prozess
oft so sehr unähnlich sind, dass man oft
wünschen möchte, es würde eine ver-
schiedene Diagnose gestellt werden. Im
allgemeinen können Sie sich vorstellen
dass die klinischen Bilden in einander
fliessen, und jede Einteilung ist ebenso
künstlich wie es künstlich wäre, an ir-
gend einer bestimmten Stelle im Zen-
tral-Nervensystem den tabischen Pro-
zess aufhören zu lassen und an anderer
Stelle ihn auf gesundem Gewebe wie-
der entstehen zu lassen. Uebergänge
New Yorker Medizinische Monatsschrh^-
9
sind pathologisch, anatomisch und
klinisch vorhanden. Trotzdem sind
doch die verschiedenen Enden dieser
in einander übergehenden Linien so
verschieden, dass wir berechtigt sind,
von ganz bestimmt verschiedenen klini-
schen Tabes-Formen zu sprechen. Im
allgemeinen bewährt sich eine Einteil-
ung, wenn Sie die Sache so ansehen,
dass es keine klinischen Formen gibt,
welche alle Symptome in ungefähr
gleichem Masse ausgebildet zeigten.
Also ein typisches Beispiel ist ein
Mann, der vor zehn Jahren seine ersten
Schmerzen gehabt hat, der anfängt mit
Blasen-Beschwerden und Schwierig-
keiten beim Gehen, namentlich im Dun-
keln. Sie machen die Diagnose. Dann
vermehren sich einzelne Symptome;
die Magenbeschwerden, die Blasenbe-
schwerden werden grösser, die Ataxie
wird grösser, und im Laufe von fünf,
sechs Jahren ist der Mann bettlägerig
('der hat eine schwere Cystitis, die ihn
an sein Zimmer fesselt. Aber ich weiss
nicht, ob diese Form die Mehrzahl der
Tabiker begreift. Ich habe doch eher
den Eindruck, als ob diese Form, die
gewissermassen alle wichtigen Partien
des Zentral-Nervensystems in schneller
Reihenfolge ergreift, doch nicht so häu-
fig ist. Jedenfalls ist es gestattet, neben
dieser allgemeinen Tabes andere For-
men von Tabes festzustellen, die man
wegen ihrer Eigentümlichkeit klinisch
abzutrennen berechtigt ist, und die wir
vielleicht mit dem Namen monosymp-
tomatische Formen bezeichnen können.
Also, um an einem Beispiel die Sache
klar zu machen, gibt es Fälle, welche
ihr ganzes Leben lang nichts anderes
zeigen als Schmerzen. Solche Fälle
können 10 bis 25 Jahre nichts weiter
zeigen als von Zeit zu Zeit heftige
Schmerzanfälle, deren Intensität mög-
licherweise in umgekehrtem Verhält-
nis zu der Schwere des übrigen Zu-
standes steht. Bei grösserer Erfahrung
wird man finden, dass gerade die ele-
mentaren vehementen Schmerzen, vor-
ausgesetzt dass sie den Charakter der
echten tabischen Schmerzen haben, d. h.
einen in einem gewissen Moment be-
fallen, dann eine Zeit lang, vielleicht
24 Stunden dauern und dann spurlos
wieder verschwinden. Bei dieser spe-
ziellen Form von Schmerzen, die sich
nicht mit anderen Schmerzen verglei-
chen lassen, kann man sagen, dass diese
Form sehr heftiger Schmerzen in Be-
zug auf die übrigen Symptome gün-
stig ist. Warum, wissen wir nicht.
Solche monosymptomatische schmerz-
hafte Tabes-Formen bedürfen eigent-
lich keiner weiteren Behandlung —
wenn man davon absieht, dass es eine
besondere Therapie geben könnte, die
Tabes kuriert — als die der Schmerzen.
Eine andere monosymptomatische
Form ist die Tabes, die wir als atak-
tische Tabes bezeichnen können, die
gesunden Tabiker, die absolut gesund
sind, so lange Sie neben ihnen sitzen
und sich mit ihnen unterhalten, die
geistig wohlauf sind, keine Beschwer-
den haben, deren Krankheit einfach in
der Ataxie der unteren Extremitäten
liegt.
Eine dritte Form, die klinisch noch
nicht genügend ausgearbeitet ist, die
aber jedenfalls selbstständig genug ist,
um sie abtrennen zu können, ist die
Form, bei der eine bestimmte Verän-
derung in den Muskeln und als Unter-
abteilung auch in den Knochen vor-
handen ist. Und diese erstere hat des-
wegen eine besondere Bedeutung, weil
sie oft kombiniert ist mit Ataxie und
weil man unter Umständen geneigt ist,
diese beiden zu verwechseln. Ich will
Ihnen gleich sagen, was ich meine. Es
gibt Veränderungen der Muskelsub-
stanz, die nur bei Tabes in dieser Form
vorkommen, infolge dessen die Mus-
keln und Gelenke in der Weise sich
verändern, dass das Gehen und das
Stehen des Patienten wesentlich gehin-
dert ist. Es kann vorkommen, wenn
Sie einen derartigen Patienten auf seine
Ataxie untersuchen, dass diese Ataxie
zu Ihrem grossen Erstaunen verhält-
nissmässig gering ist. Nun wissen Sie,
I()
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
dass wir heute Methoden haben,
die Ataxie zu beseitigen. Solche Men-
schen, die besonders stark an Gehbe-
schwerden durch Hypotonie der Mus-
keln leiden, werden am wenigsten Vor-
teile haben von der Behandlung der
Ataxie, und insofern ist es für Sie aus-
serordentlich wichtig, diese Form von
der ataktischen Form abzutrennen. Ich
kann mich nicht auf Einzelheiten ein-
lassen, aber sie sind für jeden von
Ihnen in der Weise zugänglich, dass
Sie sich darüber ein klare Bild machen
können.
Sehen wir zunächst einmal von die-
ser gemischten Form ab, so möchte ich
nun auf den strikten Gegensatz von
diesen Formen hinweisen, nämlich auf
die allerschwerste Erscheinung der
Tabes, bei denen der Kranke vollkom-
men den Eindruck eines Schwerkran-
ken macht, ganz abgesehen von den
speziellen durch die Läsion in seinem
Rückenmark bedingten Symptome.
Das sind die Fälle, die man nicht selten
zu Gesicht bekommt, die anfangen kön-
nen wie jeder andere. Ein Mann hat
vor 4 bis 5 Wochen einen grossen
Marsch gemacht und findet sich heute
in dem Zustande völliger Hilflosigkeit,
schwerer Ataxie und allgemeinen Be-
schwerden. Sie haben den Eindruck,
dass solche Fälle, die sich so schnell
entwickeln, eine sehr ungünstige Prog-
nose geben, und es ist durchaus mög-
lich, dass ein solcher Mann, der vor
vier Wochen in sein Geschäft zu Fuss
gegangen ist, nach einem oder zwei
Jahren tot ist, ohne dass der Tod ver-
ursacht worden wäre durch irgend wel-
che besondere Ursachen, wie wir sie sonst
bei chronischer Nervenkrankheit fin-
den. Nicht dass er notwendigerweise
an Cystitis zu Grunde geht oder an einer
Blutung oder an Dyspepsie, sondern
die Leute gehen an einer Kumulation
aller Symptome, welche in den Hinter-
strängen des Rückenmarks lokalisiert
sind, zu Grunde. Es ist wichtig, dass
Sie das wissen, bevor wir auf unser ei-
gentliches Thema, die Behandlung ein-
gehen. Diese wird ganz wesentlich da-
von abhängen, in welchem Zustand
und mit welcher Form von Tabes Sie den
Patienten finden.
Selbstverständlich hat es an Bestre-
bungen nicht gefehlt, den Prozess
selbst zu beseitigen, die Tabes zu ku-
rieren. Diese Bestrebungen sind bis
jetzt erfolglos geblieben, wenigstens in
Bezug auf die grosse Mehrzahl. Man
hat in allen Fällen, in denen eine
wesentliche Besserung des tabischen
Prozesses angenommen werden konnte,
die Möglichkeit gehabt, sie auf andere
Ursachen zurückzuführen als auf die
Behandlungsweise, die man mit dem
Patienten vorgenommen. Bekannt ist
Ihnen, und es ist die wichtigste, die in
den letzten 20 Jahren unsere Aufmerk-
samkeit auf sich zieht, die antisyphili-
sche Behandlung der Tabes. Auch da-
rin ist ein theoretischer Standpunkt
eingenommen worden, von der Er-
kenntnis ausgehend, dass wahrschein-
lich alle Tabiker Syphilis gehabt haben,
und Männer wie Erb und Fournier
empfehlen sie jetzt noch. Eine eigene
Meinung habe ich nicht. Ich habe nie-
mals Fälle gesehen, bei denen die anti-
syphilitische Behandlung einen so emi-
nenten Erfolg gegeben hat, dass man
ihn darauf zurückführen musste. An-
dererseits habe ich Fälle gesehen, bei
denen man mit Bestimmtheit versichert
hat, dass sie nach einer oder mehreren
antisyphilitischen Behandlungen von ei-
ner Anzahl von Symptomen befreit
worden sind. Wer die Geschichte der
Behandlungsmethoden kennt und sich
darüber aufhält, dass dieselben so
wechseln, mache sich einmal klar, wie
ungeheur schwer es in jedem Zweige
irgend einer Wissenschaft ist, aus dem
post hoc auf das propter hoc zu schlies-
sen, oder dieses post hoc, ergo propter
hoc auszuschliessen. Beides ist nur an
einem so kolossalen Material mit einiger
Evidenz möglich, dass ein Jahrhundert
oder mehr darüber vergehen muss, be-
vor wir Klarheit darüber haben. Prak-
tisch stellt sich aber die Sache jeden
New Yorker Medizinische Monatsschrifi.
r £
Tag so dar, dass Sie entscheiden müs-
sen, ob Sie einem Patienten eine ener-
gische Schmier-Knr empfehlen sollen
oder nicht. Als Richtschnur möge
Ihnen nicht dienen die Angabe des Pa-
tienten, ob er einmal Syphilis gehabt
hat. Manche wissen es, manche wissen
es nicht. Eine grosse Anzahl verheim-
licht es, namentlich die, welche die Be-
handlungsweise durchgemacht und die
Nutzlosigkeit derselben eingesehen
haben. Ich kann meine Statistik all-
jährlich im Sinne der syphilitischen
Aetiologie verbessern, indem ich durch
Hausärzte, durch Brüder mich dar-
über vergewissere, dass tatsächlich in
einem Fall, wo Lues geleugnet wurde,
diese doch vorhanden war. Als Kurio-
suni möchte ich mitteilen, dass die
Aerzte unter den Leugnern der Lues
einen auffallend hohen Prozentsatz stel-
len und zwar so sehr, dass ich gewohnt
bin, seit Jahren meine Statistik über die
Aerzte ganz besonders von der der an-
deren Patienten zu führen. Es ist das
ganz verständlich. Die Aerzte haben
gar kein Interesse daran, mir und An-
deren ihre luetische Vergangenheit zu-
zugeben, sie haben alles versucht, sie
würden es auch tun, wenn sie sich mit
mir aussprächen. Es ist mir das trotz-
dem ausserordentlich auffällig und fast
beunruhigend für meine andere Statis-
tik gewesen, bis eine andere Erfahrung
mich auf den richtigen Weg führte,
nämlich die Erfahrung der Psychiater
mit der Paralyse unter den Aerzten ;
denn es ist bei einer Anzahl von Aerz-
ten mit progressiver Paralyse gelungen.
Lues nachzuweisen, trotz absoluter
Ableugnung ihrer luetischen Vergan-
genheit. In allen diesen Fällen ist es
mit unumstösslicher Gewissheit gelun-
gen, nachzuweisen, dass sie alle Lues
gehabt haben, davon gewusst haben
und sieh regulär an Lues haben behan-
deln lassen. Sie werden also einen Fall
darnach beurteilen, ob der Mann in
seinem Allgemeinbefinden eine lueti-
sche Kur durchmachen kann. Das ist
heutzutage nicht mehr ein gefährliches
Experiment. Jeder Patient beginnt die
antiluetische Behandlung erst, wenn er
sich vom Zahnarzt den Mund vollstän-
dig in Ordnung hat bringen lassen. Sie
werden dann ferner erforschen, ob der
Mann eine luetische Behandlung ge-
habt hat. Sie werden dieselbe vorsichtig
probieren und natürlich unterbrechen,
sobald ernste Zwischenfälle vorkommen.
Es ist natürlich leicht, von einem the-
oretischen Standpunkt aus zu sagen, die
Tabes ist keine Lues, trotzdem ein Ta-
biker früher Lues gehabt hat, und doch
kommen Männer mit so grosser Er-
fahrung wie Fournier und Erb
immer wieder auf die Wohltätigkeit
eines solchen Verfahrens zurück. So-
lange Sie den Patienten unter ihrer ei-
genen Aufsicht haben und die Sache
jeden Moment unterbrechen können,
sollten Sie doch einen Versuch damit
machen. Ich glaube nicht, dass Sie viel
damit erzielen. Ich glaube nicht, dass
eine frühzeitige und kontinuierliche
antiluetische Behandlung bei einem
Menschen, der Lues gehabt hat, den
Ausbruch der Tabes hindern kann.
Dazu habe ich ein paar zu frappante
Beispiele gesehen, bei denen Leute un-
ter Fourniers Leitung vom ersten
Tag an antiluetisch behandelt worden
waren. Die Patienten wurden ein Jahr
lang sehr streng behandelt, dann wie-
der beaufsichtigt u. s. w. Es ist eine
fortwährende Kontrolle, und trotzdem
kenne ich ein paar Fälle, bei denen sich
die Tabes in genau der gleichen Weise
entwickelt hat, wie wenn sie nicht be-
handelt worden wären.
Es kommen in zweiter Reihe die Jod-
Präparate in Frage. Dr. J a c o b y
sagte mir, dass die strenge Jod-Behand-
lung hier eine übliche ist. Wir scheinen
in Europa auch zu dieser Tendenz zu
kommen. Kompetente Aerzte finden,
dass wir zu kleine Dosen geben, aber es
scheint, dass man jetzt doch dazu ge-
kommen ist, auch in Europa grosse Do-
sen Jod zu geben. Sie werden gut tun,
wenn Sie kein Jodkalium, sondern Jod-
natrium geben. Die Franzosen legen
New Yorker Medizinische Monatsschrifi\
ein ziemliches Gewicht hei allen Jod-
und Brom-Präparaten auf eine gewisse
Hygiene des Darmes, dass, wenn je-
mand Jod nimmt, er regelmässigen
Stuhlgang hat u. s. \v. Unter den Be-
handlungsmethoden, die besonders Auf-
sehen erregt haben, ist Ihnen die
11 r o w n-S equar d'sche bekannt, die
jetzt aufgegeben ist. Aehnlich ist es
mit der P o e h l'schen, die jetzt nicht
so sehr gegen die Tabes selbst als
gegen ein wichtiges Symptom, gegen
die Schmerzen warm empfohlen wurde.
Das ist ein sehr kostspieliges Präparat.
Man kann nur wenigen Patienten es
zumuten, dasselbe selbst zu bezahlen.
W ir haben in einem Sommer grosse
( >pfer gebracht, solchen Patienten die
P o e h l'schen Präparate einzuflössen.
Der Erfolg war gleich Null. Neuer-
dings ist von ziemlich ernsthafter Seite
ein Präparat empfohlen worden unter
dem Namen Keratin. Es wird von
Merck dargestellt. Es ist zu neu, als
dass ich selbst eine massgebende Er-
fahrung mitteilen könnte. Es hat den
Vorzug für reiche Patienten, dass es
sehr teuer ist, und den Vorzug, dass es
den Patienten den ganzen Tag beschäf-
tigt ; er muss 20 bis 30 Pastillen den
Tag nehmen. Es wird ganz gut ver-
tragen. Der Kollege scheint Gutes da-
von gesehen zu haben. Das Keratin-
Präparat wird aus Hornsubstanz her-
gestellt. Möglicherweise machen Sie
einmal einen Versuch an einem einzel
nen Fall und publizieren denselben.
Das wird Alle, die sich damit zu be-
schäftigen haben, sehr interessieren.
Eine nicht symptomatische Behand-
lung, die Tabes zu kurieren Anspruch
erhebt, ist die Elektrizität in allen ver-
schiedenen Formen, und neuerdings ist
sie in einer neuen Form aufgetaucht,
nämlich in der Form der haute fre-
quence. Die Literatur hat keinen Fall
gezeigt, in dem eine Verbindung zwi-
schen dieser Behandlung und dem tabi-
schen Prozess notwendiger Weise er-
schlossen werden konnte. Die Klassi-
ker in unserer jetzigen Tabes-Therapie,
wie Er b, haben eine besondere Methode.
Sie lassen im Laufe des Jahres einem
Tabiker ein paarmal ein paar Wochen
lang das Rückenmark galvanisieren mit
dem aufsteigenden Strom. Ich glaube,
dass Erb noch jetzt die Ueberzeugung
hat. damit einer grossen Anzahl Pa-
tienten genützt zu haben, und es ist
nicht meine Absicht, diesen Glauben er-
schüttern zu wollen, obgleich ich nichts
gesehen habe, das notwendiger Weise
auf Erfolg schliessen lassen muss.
Wenden wir uns jetzt zu der wich-
tigsten Frage, der symptomatischen
Behandlung. Dabei ist, wie schon ge-
sagt, erst die Form zu nennen, die wir
als Schmerzform kennen. Den Kran-
ken muss man helfen gegen ihre
Schmerzen. Sie können so kolossale
sein, dass sie die Besinnung des Patien-
ten rauben, dass sie, trotzdem sie vor-
übergehend sind, zu Selbstmordver-
suchen geführt haben und den Arzt
selbst in grösste Aufregung versetzen.
In neuerer Zeit haben wir ein wert-
volles Mittel dagegen. Die Reihe der
künstlichen aromatischen Salze begann
mit dem Kairin. Nach dem Kairin kam
das Antipyrin, das ganz gewiss nach-
teilig für unser Nervensystem ist. Es
macht Dyspnoe und affiziert das Herz.
Wir haben es für unseren Zweck ganz
aufgegeben. Das Antifebrin wird noch
manchmal gegeben. Die beiden haupt-
sächlichsten Mittel, welche jetzt diese
Domäne beherrschen, sind das Aspirin
und das Pyramidon, beides Kombinatio-
nen von Salizyl-Präparaten, von verschie-
denen Fabriken dargestellt und beide
mit ziemlich gleicher Intensität em-
nfohlen. Strichweise im Norden
Deutschlands gibt mancher Aspirin, im
Westen und Süden Pyramidon. Ich
erlaube, dass Aspirin manchmal den
Magen afhziert, und würde raten, einmal
Pyramidon zu versuchen. Sie können
es in kleinen Dosen von 0,4 gr. geben,
zweimal hintereinander in einer Stunde.
Wenn die Schmerzen dann nicht aufge-
hört haben, können sie von der Wirk-
samkeit nichts mehr erwarten. Es ist
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
13
ein ungefährliches Mittel in einer viel
grösseren Dosis, als angegeben ist, ob-
gleich ich sagen muss. dass, wenn Sie
eine grössere Dosis anwenden, Sie dies
auf Ihre eigene Verantwortung tun.
Aber ich habe eine Erfahrung, wonach
ein Patient ärgerlich und verzweifelt
eine ganze Schachtel Pyramidon ge-
schluckt hat, vielleicht zehn bis fünf-
zehn Gramm, und er hat es nicht er-
brochen. Er war beduselt, seine
Schmerzen waren weg, und er ist nicht
daran gestorben. Das scheint darauf
hinzuweisen, dass Pyramidon kein ge-
fahrliches Mittel ist. In ähnlichem
Sinn würde ich aus der Tatsache
schliessen, dass Leute, die an unerträg-
licher Parästhesie des Rumpfes leiden,
Monate lang täglich zwei bis drei
Gramm Pyramidon genommen haben,
ohne dass ich irgend welche nachteilige
Folgen für Herz oder Gefäss-System ge-
sehen hahe.
Eine andere symptomatische Be-
handlung ist die der Hypotonie bei
Tabes. Das ist eine rein spezialistische
Sache. Ich würde Ihnen raten, diese
Form selbst nie in Behandlung zu neh-
men, aber sie ist sehr besserungsfähig,
wenn auch noch nicht ganz feststeht,
was wir machen müssen. Es ist die
Sache des neurologischen Orthopäden,
welcher die Gelenke in richtige Posi-
tion bringen muss. Dann wird die
hypotonische Störung besser. Sie sind
aber auch anderseits gezwungen, den
Menschen mit hypotonischer Tabes
entsprechend behandeln zu lassen, weil
sonst unter Druck des Körpers sich die
Hypotonie, namentlich der Kniege-
lenke, steigert und tatsächlich der voll-
kommene Verlust der Gehfähigkeit bei
einem solchen Patienten eintritt. Es
gibt Fälle, deren ganze Störung darauf
beruht, dass man nicht rechtzeitig
gegen diese Symptome mit allen mög-
lichen Mitteln eingeschritten ist.
Schliesslich kommen wir auf die Frage
der Ataxie, die Sie vielleicht an dem
heutigen Abend besonders interessiert,
und ich möchte doch, obgleich wir hier
von allgemeiner Behandlung der ■ Tabes
sprechen, einige Bemerkungen, zu dieser
Methode machen. Was leistet dieselbe?
Um diese Frage zu beantworten, wollen
wir uns auf ein möglich günstiges Ni-
veau stellen und können dann immer die
Kontra-Indikation leicht finden. Also
am günstigsten ist der Fall bei einem
Menschen, der s. Z. die Entwicklung der
Tabes normaler Weise durchgemacht hat
und zu der Form der „ataktischen" ge-
hört, sodass seine wesentlichen Be-
schwerden in der Ataxie liegen. Solche
Fälle hat man häufig genug. Das sind
die Leute, von denen ich vorhin sprach,
die ganz gesund sind, wenn sie sitzen. In
dieser Form dürfen Sie an einem Erfolg
einer rationell vorgenommenen Behand-
lung durch bestimmte L'ebungen gar
nicht zweifeln, und Sie dürfen es nicht
als L nbescheidenheit von mir ansehen,
wenn ich sage, dass heutzutage der Arzt
nicht das Recht hat, einem Patienten,
welcher an Ataxie in dieser Form leidet,
die Tatsache vorzuenthalten, dass es für
ihn eine Besserung gibt. Ich halte das
nicht mehr mit dem Gewissen verträg-
lich. Wenn er das nicht tut, muss er da-
für besondere Gründe haben.
Die Länge der Dauer und die Schwere
der Ataxie als solche hat nicht den ge-
ringsten Einfluss auf die Besserungs-
fähigkeit eines Ataktikers ; also konkret
ausgedrückt, ein Mensch liegt seit 10
Jahren im Bett ohne die Möglichkeit, ei-
nen Moment auf seinen Füssen zu
stehen, auch nicht wenn er unterstützt
ist. Diese Tatsachen haben nichts zu tun
mit der Prognose ; nicht ausgeschlossen
ist, dass ein solcher Mensch die vollkom-
mene selbstständige Fähigkeit des Gehens
und Stehens findet. Die Frage ist, wie
lange die Behandlung dauert. Das kann
im Minimum 6 Monate dauern, im Maxi-
mum ein Jahr und noch länger, nicht
länger als \l/2 Jahre. Wenn Sie dann
keinen vollkommenen Erfolg haben, so
ist nichts weiter zu hoffen. Sie werden
sagen, eine so langwierige Behandlung
ist undenkbar. Allerdings für den prak-
tischen Arzt. Sie ist nur möglich in be-
'4
Nfw Yorker Medizinische Monatsschrift.
sonderen Anstalten. Da ist sie vollstän-
dig gesichert. In Europa wird sie durch
Krankenkassen gesichert werden, hier
durch Wohltätigkeit.
Jemand, bei dem sich Tabes im Laufe
von Wochen, von 2 Monaten entwickelt
hat, der ganz ataktisch geworden ist,
dem werden Sie ja nicht raten, Uebungen
zu machen, sondern Sie werden ihn be-
handeln wie einen chronischen schweren
Nervenfall, mit Ruhe u. s. w.
Die Gefahren dieser Behandlungsme-
thode sind so gross wie ihre Vorzüge.
Ich kann im Einzelnen nicht darauf ein-
gehen, aber im allgemeinen wird unge-
heuer viel Schaden damit angerichtet,
weil man merkwürdiger Weise glaubt,
dass jeder sich diese Uebung nach einem
besonderen System ausdenken kann, und
weil wir unter dem unglückseligen Ein-
fluss des gymnastischen Jahrhunderts
leben. Ich will sagen, dass die Heilgym-
nastik nicht das geringste zu tun hat mit
dieser Methode, und Sie werden sich
diesen Unterschied am besten klar ma-
chen, wenn Sie sich fragen, ob Sie, um
besonders gut Klavier zu spielen, vorher
eine halbe Stunde mit den schwersten
Hanteln üben sollen, oder, wenn Sie eine
feine Stickerei machen wollen, ob Sie
vorerst eine schwere Hausarbeit gemacht
haben sollen. Sie werden sagen, dass
diese Arbeit umgekehrt gewirkt haben
wird. Also die Heilgymnastik in ihrer
Widerstandsbewegung ist das schäd-
lichste, was Sie Ihrem Patienten geben
können, und alle Methoden, welche ir-
gend welchen Zusammenhang damit ha-
ben, werden den Patienten, statt ihnen
zu nützen, schaden. Damit kommen wir
der Frage näher, wie kann man diese
Methode lernen. Es gibt Bücher dar-
über. Wer aber glaubt, dass er aus dem
Buch die Methode lernen kann, ist auf
dem Holzwege. Praktische Ausführun-
gen, die mit technischen Einzelheiten
verbunden sind, und das genaue Studium
der ihm vorgemachten und erklärten
Tatsachen können es allein nur lehren.
Ich möchte Sie nicht zu lange aufhal- j
ten und nur noch über die allgemeine Be- 1
handlung der Tabes ein paar Worte sa-
gen. Die Mode hat in dieser Beziehung
gewechselt. Zu Rombergs Zeiten
hat man die Leute in den Lehnstuhl ge-
legt, Ihnen gute Bouillon gegeben und
versucht, ihnen die letzten Lebenstage so
angenehm wie möglich zu machen.
Heutzutage wäre das ein Verbrechen.
Sie sind verpflichtet, diese Leute nicht als
verlorene Posten anzusehen, sondern im
Gegenteil, aber Sie werden auch finden,
dass. wenn die Patienten gesehen haben,
dass die Quacksalberei nichts genützt hat,
sie doch den Aerzten treu bleiben, und es
ist nicht selten, dass die Tabiker kom-
men und auch ihr Allgemeinbefinden
kontrollieren lassen wollen, und da wer-
den Sie sich als grundsätzliche Mass-
regel vornehmen, den Patienten alles zu
verbieten, was Uebermüdung ist. Jede
einzelne Frage müssen Sie vom Stand-
punkt der Ermüdung beurteilen. Der
Patient fragt, ob er Bäder nehmen soll.
Bei uns, wo die Bädereinrichtung nicht so
allgemein verbreitet ist, dass auch die
ärmeren und Mittelklassen immer ein
Badezimmer zur Verfügung haben, wer-
den Sie nicht ohne Weiteres antworten
können, ohne zu wissen, unter welchen
Umständen der Mann sein Bad zu neh-
men hat. Wenn der Mann vielleicht von
seinem Hause eine halbe Stunde zu gehen
und wieder zurückzugehen hat. so müs-
sen Sie ihm das absolut verbieten. Der
Effekt des Bades wird niemals diese Er-
müdung aufwiegen. Das ist eine wich-
tige Sache bei der Frage der Badekuren.
In Europa wie hier werden die Tabiker
in Bäder geschickt, obwohl ich nicht ein-
sehe, was dies für einen Zweck hat.
Ich habe den grössten Schaden gesehen,
wenn Leute, die nach Nauheim gingen,
unter den grössten Schwierigkeiten zu
ihrem Bad kamen. Wenn Sie Ihre Pa-
tienten erh-dten wollen, empfehlen Sie
ihnen also Ruhe.
Eine zweite Frage betrifft den Wein
und Tabak. Gegen mässigen Weinge-
nuss ist nichts zu sagen. Tabak ist mit
ziemlicher Strenge zu kontrollieren ev.
nicht ganz zu versagen, aber es ist zwei-
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
feilos, dass er ungünstig wirkt. Wenn
Sie es tun können, verbieten Sie den Ta-
bak vollständig, sonst beschränken Sie
ihn, soweit es geht.
Von allergrösster Bedeutung ist die
Frage der Verdauung. Ich glaube, dass
eine Anzahl von schweren Tabikern an
einer ganz eigentümlichen Form von
Autointoxikation zu Grunde gehen. Man
ist manchmal ganz ratlos, wenn man
plötzliche Verschlechterung bei Tabi-
kern findet, wozu keine Veranlassung da
ist. Man denkt sich, der tabisohe Fro-
zess ist weiter gegangen, aber das äussert
sich doch irgend wie. Sie. .untersuchen
den Urin und finden nichts. Sie erkundi-
gen sich nach der. Verdauung und hören,
dass der Patient ir.it meni oder mlnöei
Hilfe Stuhlgang hat. Sie werden sich
aber dadurch nicht abhalten lassen und
untersuchen den Darm mit dem Finger
und Sie finden manchmal ein überrasch-
endes Resultat. Der erschlaffte Darm
ist unter Umständen von dem untersten
Abschnitt so hoch, wie Sie heraufkommen
mit steinharten Massen von altem Stuhl
angefüllt, von dessen Existenz weder der
Patient noch der Arzt, die Familie eine
Ahnung hat, da der Patient scheinbar
natürlichen Stuhlgang gehabt hat, der
diese Massen passiert hat. Nun begrei-
fen Sie diesen eigentümlichen Zustand
von langsamer Autointoxikation. Die
Massen sind so steinhart, dass man mit-
unter Schwierigkeit hat, sie zu zerklop-
fen. Ich würde raten, in jedem Fall, der
sich besonders stark verschlechtert und
Appetitlosigkeit zeigt, regelmässig den
Darm zu untersuchen. Sie werden dann
unglaubliche Quantitäten von Kot auf
einmal herausbefördern.
Ich kann nicht schliessen, ohne auf die
Fras:e des Morphiums, diese praktisch
wichtige Frage zu kommen. Es gibt
Schmerzanfälle, die so kolossal sind, dass
Sie, da Sie dieses Wundermittel in der
Hand haben, oft in Versuchung kommen
werden, es anzuwenden. Für Schmerzen
wende ich es absolut nie mehr an, nach-
dem ich die Erfahrung gemacht, dass je-
mand, dem man Morphium gegeben hat,
weiss, das nichts anderes nützt als Mor-
phium. Was aus dem Menschen wird,
der gewohnt ist, Morphium zu nehmen,
das wissen wir nicht. Für gastrische
Krisen ist das Morphium unter Umstän-
den nicht zu vermeiden. Es gibt gas-
trische Krisen, die den Patienten an den
Rand des Todes bringen, und es hängt
nur von einer Morphium-Einspritzung
ab, dass dieser Mann morgen wieder ge-
sund ist. Jedes Jahr nehme ich mir vor,
, Morphium nicht zu geben, und doch gebe
ich unter Umständen eine Einspritzung,
.aber mit der Vorsichtsmassregel, weder
ein Morphium-Rezept zu verschreiben,
noch es dem Patenten oder der Familie
uiit/uteven, -und in letzter Zeit weiss es
nicht einmal der behandelnde Arzt, denn
der ist am allermeisten versucht, es zu
geben. Sie müssen Mittel und Wege
finden, sich mit dem Arzt ins Vernehmen
zu setzen.
Meine Herren ! Es liesse sich noch
sehr viel darüber sagen, aber wenn Sie
die ganze allgemeine Prognose der Tabes
ansehen im Verhältnis zu früher, so hat
sie sich wesentlich verbessert, und zwar
hauptsächlich durch Einführung der
Uebungen. Wir wissen, dass die Tabes
nicht notwendiger Weise ein progressi-
ver anatomischer Prozess ist. Man hat
das früher geglaubt, weil die Ataxie ein
progressiver Prozess ist. Wenn ein
Mensch Ataxie hat und tut dagegen
nichts, so wird er immer ataktischer.
Die Folgen sind Erschlaffung der Funk-
tion der Muskulatur, die gerade bei Ta-
bes eine besondere Neigung hat, ihre
Funktion einzubüssen. Sie können
sehen, das einer eine Cystitis hat, weil
die Bauchmuskulatur nicht mitarbeitet,
da der Mann nicht geht. Unter Umstän-
den werden diese Formen vollständig be-
seitigt oder gebessert unter Einfluss der
Uebungs-Therapie. Ich habe in den letz-
ten Jahren schwere Cystitiden selten ge-
sehen, und das Katheterisieren ist für
mich eine seltene Prozedur geworden.
i6
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
Ein Fall von Empyem der Nebenhöhle der Nase kombiniert mit Durchbruch
in die Orbita.
Von Dr. John Guttmax.
Wiewohl Erkrankungen der Neben-
höhlen der Xase nicht zu den seltenen
Vorkommnissen gehören, so ist die
Diagnostizierung derselben, besonders
der latenten chronischen Formen, doch
relativ selten, da die subjektiven Symp-
tome wie Kopfweh, SclnvindpläjifäTle
etc. so allgemeiner XaUIr 'sind, dass
deren Ursache in einer/ Erkrankung
des Magens, der Nieren oder des Ner-
vensystems gesucht Averden kann, und
da andererseits die objektiven Symp-
tome nur den Spezialisten nach gründ-
licher Untersuchung zur richtigen Dia-
gnose führen. Diesem wird aber der
Patient nur dann überwiesen, wenn der
behandelnde Arzt eine jede Erkrank-
ung irgend eines anderen Organes,
welche möglicherweise die Ursache der
vorhandenen Symptome sein könnte,
ausgeschlossen hat.
Bei einer akuten Erkrankung der
Nebenhöhlen der Nase, oder wenn
diese Erkrankung kompliziert ist mit
der Erkrankung eines anderen Orga-
nes, wie in nachstehendem Falle mit
einem Abszess in der Orbitalhöhle, ist
die richtige Feststellung der richtigen
Diagnose bedeutend erleichtert.
Die Krankengeschichte des Falles
ist in kurzem folgende: Ein 15 Jahre
altes Mädchen, ohne hereditäre Belast-
ung, das früher immer gesund ge-
wesen war, klagte am 21. September
1906 über Zahnschmerzen. Irgend ein
aus der Apotheke geholtes Medikament
stillte den Zahnschmerz, sodass Pa-
tientin die Nacht hindurch schlafen
konnte.
22. September. Der Zahnschmerz
kam am Morgen wieder, zugleich
stellte sich Fieber mit starkem Schüt-
telfrost ein. Ein Arzt, der gerufen
wurde, glaubte, die Schwellung der
Wange einem Zahngeschwür zuschrei-
ben zu können und schnitt das Zahn-
fleisch über dem schmerzenden Zahn
ein.
23. September. Ein anderer Arzt
Vv'urde , zugezogen, der den kranken
£ahn extiahjeren Hess. Da aber dar-
nach die Schwellung sich bis auf die
Augenlider ausbreitete, wurde ich kon-
sultiert und fand folgenden Zustand :
. .Te.mper^Uir .103° F„ Puls 110. Die
rech te.W.ange .wie auch das obere und
untere Lid derselben Seite stark ge-
schwollen. Die Konjunktiva bulbi
zeigte einen chemotischen Wulst. Der
Bulbus stark vorstehend und seine Be-
weglichkeit sehr vermindert. Die
Haut in der Gegend des inneren Au-
genwinkels war rot, geschwollen und
sehr empfindlich auf Druck. Die Seh-
schärfe auf dem rechten Auge betrug
r 5/200. Die ophthalmoskopische Un-
tersuchung zeigte eine Hyperämie des
Augennerven. Die Untersuchung der
Nase ergab fauligstinkenden Eiter im
mittleren Nasengang.
Ich Hess die Patientin am darauffol-
genden Morgen zu mir kommen, bei
welcher Gelegenheit ich eine Probe-
punktion der Kieferhöhle vornahm,
welche die Anwesenheit von Eiter da-
selbst ergab. Ich machte darauf eine
, .radikale" Antrum-Operation, indem
ich den grössten Teil der vorderen
Antrumwand mit dem Meissel ent-
fernte, dann den Teil der innern Wand,
der in den mittleren Nasengang führte,
durchbrach und so eine breite Kom-
munikation zwischen Nase und An-
trum herstellte.
Am folgenden Tage entfernte ich
das vordere Ende der mittleren Mu-
schel, eröffnete die Siebbeinhöhle und
entfernte eine recht grosse Menge ne-
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
17
krotischer Knochen und stinkenden
Kiters. Darnach eröffnete ich von aus-
sen in der Gegend des innern Augen-
winkels den ( trbitalabszess. Die Oeff-
nung in der Lamina papyracea, die
schon vorher durch den Eiterungspro-
zess entstanden war, wurde noch mehr
erweitert und so eine weite Kommuni-
kation zwischen dem Orbitalabszess
und der Siebbeinhöhle hergestellt.
Drei Tage später heilte die äussere
Wunde mit Hinterlassung einer kaum
sichtbareil Xarbe zu. Nach fünf Ta-
gen sistierte der stinkende eitrige Aus-
fluss aus der Nase. Die Hyperämie
des Sehnerven verschwand und die
Sehschärfe ist jetzt wieder normal.
Der beschriebene Fall ist von In-
teresse wegen des sehr akuten und
raschen Verlaufes der Erkrankung,
welche nicht nur die Vernichtung ei-
nes sehr wichtigen Organes. des Au-
ges, bedrohte, sondern auch das Leben
der Patientin, wenn nicht rechtzeitig
ein operativer Eingriff erfolgt wäre.
Der sehr virulente Eiter hätte nicht
allein den Augapfel durchdringen und
zerstören können, sondern konnte auch
durch den optischen Kanal oder durch
die Lamina cribriformis des Siebbeins
in das Gehirn dringen und hier einen
| Gehirnabszess erzeugen. Der ganze
Prozess machte einen sehr rapiden
| Fortschritt. Von dem Beginne des
Zahnschmerzes bis zur Schwellung
der Augen waren kaum 48 Stunden
verflossen.
Ich halte es nicht für wahrscheinlich,
dass die primäre Ursache der Erkrank-
ung in einer Entzündung der Zahn-
wurzel zu suchen ist, wie ich es in ei-
nem nahezu identischen Falle, den ich
in den ,, Annais of ( )phthalmologv" im
Januar 1900 veröffentlicht habe, an-
nahm, und dass diese Entzündung die
Kiefer- und später die Siebbeinhöhle
affizierte, um dann endlich in die Au-
genhöhle durchzubrechen. Ich halte
| es vielmehr für wahrscheinlicher, dass
j diese Patienten an einem chronischen
latenten Empyem der Siebbeinhöhle
litten, ohne merkbare subjektive Symp-
tome, und dass dieses Empyem sich
dann auf die Kieferhöhle ausbreitete.
Die Eiterung in der Kieferhöhle verur-
sachte eine Nekrose der Zahnwurzel.
Zugleich wurde durch ein unbekanntes,
sehr giftiges Agens diese latente Form
der Entzündung in eine foudroyante
I Form umgewandelt, welche sich dann
bis auf die Orbita erstreckte und da-
selbst einen Abszess bildete.
Barbarismus in der Aerztlichen Sprache.
Von A. Rose.
In La Semaine Medicale, Xo. 52, 1906,
erschien ein Artikel von M. S a k o r-
rhaphos, Professor der Medizin an
der Universität von Athen, „Comment
011 doit former les neologisms medicaux
du (irec". in welchem nicht nur alles,
was ich während der letzten dreizehn
Jahre üher diesen Gegenstand gesagt,
festgestellt wird, sondern in welchem
auch viele treffende Beispiele von un-
richtigen medizinischen Benennungen
angeführt werden, die ich selbst in zahl-
reichen Schriften blossgestellt habe.
L i t t r e schrieb vor länger als einem
Jahrhundert: Die medizinische Sprache,
welche in ihrer ersten Zusammensetzung
fast ganz griechisch war, hat nicht auf-
gehört zu dieser Quelle zurückzukehren,
wenn die unvermeidliche Notwendigkeit
entsteht, neue Benennungen zu finden : in
vielen Fällen jedoch sind die Nomenkla-
toren der neueren Zeit irre gegangen.
iS
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
indem sie überflüsige Worte schufen und
die Gesetze der Analogie und der Ortho-
graphie missachteten.
Bekämpfung dieses Uebelstandes
durch Richtigstellung ist unter allen Um-
ständen nützlich, für Lehrer sowohl als
für wissenschaftliches Denken.
S a k o r r h a p h o s hat augenschein-
lich meine eigenen Bemerkungen nicht
gelesen, in welchen ich die schönen
Worte Lavoisiers über die Notwen-
digkeit einer richtigen wissenschaftlichen
Sprache anführe.
Die landläufige Entschuldigung für
Beibehaltung von Barbarismen in un-
serer Nomenklatur „Usus est tyrannus"
könnte man übersetzen „Darwin hat
Recht".
G. Tl. Roger, den S a k o r r h a-
phos anführt, sagt: „Zahlreiche tech-
nische Bezeichnungen in der medizini-
schen Onomatologie sind so unrichtig
geformt, dass die Griechen es schwierig
finden müssen, den Ursprung und die Be-
deutung solcher griechisch sein sollende"
Bezeichnungen zu erkennen.
Der ununterbrochene Fortschritt in
der Medizin, besonders seit Einführung
der Bakteriologie, machte die Schaffung
neuer Namen für neue Begriffe zur Not-
wendigkeit : Fi irscher und Entdecker, in-
dem sie neue Namen schufen, nahmen
keine Rücksicht auf Grammatik, sie ver-
fielen in die Gewohnheit, ein Lexikon zu
konsultieren, zwei oder drei Worte zu-
sammenzufügen, gleichviel ob die Neu-
bildungen mit grammatischen Regeln
übereinstimmten oder den richtigen Sinn
ausdrückten.
Den Unregelmässigkeiten in der Bil-
dung neuer medizinischer Benennungen
war ein weites Feld gegeben, weil die
Aerzte der neueren Zeit grammatische
Studien mehr und mehr vernachlässigen.
Während die Grammatiker bisher sehr
weniff getan — bei der bestehenden Ani-
mosität gegen wissenschaftliche medizi-
nische Sprache — konnten die Nomen-
klatoren ihre Kühnheit auf die äusserste
Spitz? treiben, so weit, dass die Gefahr
besteht, dass in nicht langer Zeit die me-
dizinische Onomatologie gänzlich unver-
ständlich werden wird. Ich stimme voll-
ständig mit Sakorrhaphos überein,
wenn er von der Feindschaft der Aerzte
spricht, sobald man den medizinischen
Jargon angreift; jeder Mann aber, der
treu den wissenschaftlichen Grundsätzen
ist, wird dem beistimmen, wenn er sagt,
dass es gut sein würde, dem bestehenden
Missbrauch der Sprache Halt zu gebie-
ten. Während die Medizin beständig
fortschreitet, sind wir bedroht, dass die-
ser Sprachenmissbrauch zu einem Chaos
führt, welches das Studium der Medizin
erschwert und zu einem undankbaren
macht.
Der Verfasser illustriert den Zustand
unserer Onomatologie durch einige Bei-
spiele.
Amyotrophia, Amyatrophia, diese
zwei Synonyme, von denen das erstere
gebräuchlicher ist als das letztere, sind
nicht nach grammatischenRegeln kom-
poniert worden. Sie kommen nicht von
uns, Muskel, und trophe, Ernährung,
wie medizinische Wörterbücher ange-
ben, sondern von mys und atrophia ;
letzteres kommt von atrophos, ohne Er-
nährung, welches aus einem Privativ
und von trephomai, sich ernähren, ge-
bildet ist. Bei der Benennung Amya-
trophie sowohl als bei der Benennung
Amyotrophie, in denen das Privativ aus
seinem rechtmässigen Platz genommen
und vor das Präfix myo gesetzt worden,
figuriert es, wie die Grammatiker es nen-
nen, als Hyperlatum, i. c. Inversion ; die
griechische Sprache aber gestattet nicht
Zusammensetzungen, welche gegen die
Regeln der Sprache Verstössen und un-
richtig gebildet sind wie zwei Privative
in einem Wort, was eine Perissologie
oder Kontradiktion bedeuten würde —
zwei Negative sind gleich einer Bejah-
ung — und aus diesem Grunde schlägt
Sakorrhaphos vor. anstatt der zwei
unrichtigen Benennungen Amyataxie
und Amyasthenie die Wörter Myataxie
und Myasthenie. Dies würde ausserdem
mit dem Wort Neurasthenie, welches
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
10
grammatisch richtig' gebildet ist, über-
einstimmen.
Anophthalmie. Diese Benennung wird
gewöhnlich .gebraucht, um kongenitales
Fehlen eines Auges zu bezeichnen. Im
Griechischen jedoch würde dieses Wort
vollständiges Fehlen der Augen bedeu-
ten. Kongenitales Fehlen eines Auges
heisst griechisch Monophthalmie, von
monos, allein, ophthalmos, Auge. Die
alten Griechen nannten die Kyklopen
Monophthalmes und nicht Anophthal-
mes.
Abrachia. Dieses Wort ist schon von
mir selbst kritisiert worden. Die Ueber-
setzung ist nicht Fehlen der Arme, son-
dern Fehlen von Felsen (a- — Privativ,
brachos — Felsen). Ich fand die Be-
nennung Abrachionia (a — Privativ,
und brachion ( — onos. Arm) . Sakor-
rhaphos gibt Lipobrachionia (von
leipo, abwesend) in Analogie mit Lipo-
blepharie, Lipoglossie, Lipotrichie, aber
er gebraucht auch Abrachionia und sagt,
wir sollten kongenitales Fehlen von Arm
und Kopf nicht Abrachiokephalie sondern
Abrachionokephalie nennen ; wenn man
einwenden sollte, dass das letztere Wort
wegen seiner Länge unbequem sein
würde, so müsse vom etymologischen
Standpunkt geltend gemacht werden,
dass man nicht, um eine oder zwei Syl-
ben zu ersparen, ein Wort verstümmeln
dürfe ; mit demselben Grunde sollten wir
nicht sagen Brachiotomie (Felsenschnei-
den) sondern Brachionotomie. Das hier
zur Geltung kommende Prinzip ist : zu-
sammengesetzte Wörter werden aus dem
( renitiv gebildet, der den Wortstamm
oder, nach grammatischer Sprache, das
Thema des Wortes gibt. Der Genitiv
von Tenon ist Tenontos, deshalb darf es
nicht Tenotomie. sondern es muss Te-
nontomie heissen.
Akromegalie, Chiromegalie, Spleno-
megalie, Diese Benennungen sind ge-
gen alle Regeln, welche Wortbildung im
Griechischen beherrschen, gebildet wor-
den ; ich selbst habe diese Beispiele schon
seit Jahren in meinen Schriften ange-
führt und die richtigen Namen Megala-
kria, Megalochiria etc. genannt. S a-
korrhaphos sagt : Wenn die Grie-
chen eine Komposition mit Hilfe eines
Substantivs und einem der Adjektive ma-
kros, megas, mikros, polys etc. bilden,
wird das Adjektiv immer der erste Kom-
ponent. In Uebereinstimmung mit dif*
ser Regel bestehen schon eine Anzahl
von medizinischen Namen wie Makro-
kephalie, Makroglossie, Mikrokephalie,
Polydaktylie etc.
Akinesie. Ich hatte dieses Wort, weil
es grammatisch richtig gebildet ist, nicht
kritisiert ; Sakorrhaphos zeigt
aber, dass es zu unbestimmt ist. Er sagt,
Roraberg hat diese Bezeichnung ils
Synonym mit Paralyse eingeführt. Jas
Wort besteht allerdings im Griechischen,
aber die Bedeutung desselben ist so all-
gemein und so verschieden, dass es nicht
mit Nutzen in der medizinischen Ononia-
tologie verwendet werden kann. Man
hat darunter verstanden die Schwierig-
keit bei Atrophie bestimmter Muskeln
gewisse Bewegungen auszuführen, aber
auch die Pause zwischen den Herzpulsa-
tionen, welche die Systole von der Di-
astole trennt. Von diesen Interpreta-
tionen ist die erstere unrichtig, denn
Schwierigkeit der Bewegung sollte nicht
Akinesie, sondern Dyskinesie genannt
werden, entsprechend dem Wort Dysar-
thria (Partikel dys und Arthron).
Dyspnoe, Schwierigkeit der Atmung,
Dyspepsie, Schwierigkeit der Verdau-
ung. Der Name Akinesie, wenn über-
haupt gebraucht, sollte nur für vollstän-
dige Bewegungslosigkeit stehen bleiben,
und dabei wäre der Name des Organs
das in Frage kommt zu nennen, z. B.
Akinesie des Herzens.
Nun kommt Sakorrhaphos auf
eine Unrichtigkeit zu sprechen, welche
mir selbst während der letzten sieben
Jahre viel zu schaffen gemacht hat. In
einer Vorlesung, welche ich vor sieben
Jahren in Washington vor der American
Ga'stro-Enterological Society hielt, legte
ich Gewicht darauf, dass das Wort Gas-,
troptosis ungrammatisch sei und gab da-
bei die Etymologie, nach welcher es Gas-
20
New Yorker Medizin-
ische Monatsschrift.
troptosie heissen müsse. Trotzdem dass
ich den unumstösslichen Beweis für die
Richtigkeit meiner Behauptung gegeben,
änderten die Redakteure von Journalen
die Schreibweise Gastroptosia in Gas-
troptO'Sis nicht nur in meinen Manu-
skripten, sondern auch in den Titeln mei-
ner Schriften, wenn letztere zur Be-
sprechung kamen. Die Etymologie, die
ich gegeben, stimmt ganz genau, ja fast
wörtlich mit der von Sakorrha-
phos gegebenen überein. S ä k o r-
r h a p h o s schreibt : Es ist in der Tat
bekannt, dass abstrakte Namen im
( griechischen, welche in sis endigen, un-
verändert bleiben, wenn sie in eine Zu-
sammensetzung mit einer Präposition
kommen, wie z. I!. Stasis, Anastasis,
Katastasis, aber wenn diese abstrakten
Xamen mit sis in eine Zusammensetzung
mit einem Wort kommen, das nicht eine
Präposition ist, ändern sie ihre Endung
in sia, wie Stasis, Astasia ; Pepsis, Dys-
pepsia. Ich erwähnte, um den Unter-
schied besonders anschaulich zu machen
Sepsis, Asepsia, und Sepsis, Antisepsis.
S a k o r r h a pho s gibt folgende Bei-
spiele :
Arthrolysia, nicht Arthrolysis.
( iastroptosia, nicht Gastroptosis.
Xephroptosia, nicht Nephroptosis.
Thyreoptosia, nicht Thyreoptosis.
Häinostasia, nicht Hämostasis.
Hystolysia, nicht Hystolysis.
Wir haben übrigens in unserer No-
menklatur eine grosse Anzahl von Wör-
tern dieser Art, die ganz richtig gebildet
sind, z. Ii. Paralysis, nicht Paralysia,
Diagnosis, nicht Diagnosia, Antisepsis,
nicht Antisepsia.
Sakorrhaphos sagt : Wir haben
sehr ausführlich über zusammengesetzte
Wörter mit den Endungen is und ia ge-
sprochen, um darzuthun, dass eine grosse
Anzahl dieser Art bestehen, welche un-
richtig sind und welche leicht korrigiert
Werden könnten.
Dann kommt er zu Wörtern, welche
nicht den Sinn geben, den sie geben
sollten.
Anämia. Um Armut oder zu geringe
Quantität des Blutes zu bezeichnen,
sollte man den Xamen ( )lighämia (oli-
gos. wenig, und Häma. Blut) wählen.
Es scheint viel verlangt zu sein, in diesem
besondern Falle eine Aenderung vorzu-
schlagen, aber es ist am besten nicht zu-
rückzuhalten, wenn die Frage vorliegt,
ob richtige Ausdrücke, die den richtigen
Sinn geben, eingeführt werden sollen,
oder ob die Pasis des medizinischen Stu-
diums eine falsche bleiben soll.
Wir hören so oft, dass man möglichst
kurze Wörter liebt, und doch sagen wir
Diplokephalie, Diplosomie, anstatt die
kürzeren und einzig richtigen griechi-
schen Xamen beizubehalten. Die Grie-
chen nennen ein Monstrum mit zwei
Köpfen dikephal und nicht diplokephal,
ein solches mit zwei Körpern disom, und
nicht diplosom ; die entsprechenden Sub-
stantive sind Dicephalie, Disomie. Diese
Perichtigung ist um so mehr geboten, als
die medizinische Onomatologie schon
richtig gebildete analoge Wörter hat,
z. It. didelph, dikrot. didym.
Athetosis. Dieses Wort kommt von
der schwachen Wurzel des Verbums
tithemi, aber in Verbindung, mit einem
Privativ ist es in Athesia umgewandelt
worden. Das Wort Athesia, das schon
in der klassischen Eiteratur vorkommt,
sollte jedenfalls das barbarische Athe-
tosis verdrängen.
Allochiria, Allokinesia. Gm Dualität,
ein Paar, zu bezeichnen, bedienen sich
die Griechen nicht des Adjektivs allos,
sondern wählen heteros. Wrir sollten
deshalb in diesem Falle sagen Hetero-
chiria, Heterokinesia. Heterogenia, He-
teromorphia etc.
Aktinomykosis. Diese unrichtige Be-
nennung ist von mir schon vor Jahren
kritisiert worden. Der Genitiv von
Mvkes ist Myketos, deshalb müssen wir
sagen Myketosis anstatt Mykosis, und
die betreffende Krankheit Aktinomyke-
tosis nennen; aus demselben Grunde
Saccharomyketosis, Trichomyketosis etc.
anstatt Saccharomykosis, Trichomykosis.
Anorchidia. Ohne Hoden sein heisst
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
21
auf Griechisch anorchos, und der patho-
logische Zustand Anorchia und nicht
Anorchidia.
Was S a k a r r Ii a p h o s über Phobia
schreibt, ist mir unverständlich, weil es
nicht mit dem übereinstimmt, was ich aus
der griechischen ( biomatologie gelernt.
Immerhin im Fall Phobie nicht bestimmt
genug ist, kann man krankhafte Furcht
Phohopalhia nennen.
Hyperakouria, Hypakouria. Die Grie-
chen bezeichnen feinhörig mit euekoos
von eu, gut, leicht, und akoe, hören:
hieraus wird Euekoia gebildet. Hart-
hörig oder schwerhörig heisst dysekoos,
daher sollten wir anstatt FIvperkouria
und Hvpakouria Euekoia und Dysekoia
sagen. Es gibt viele Analoge in der
medizinischen Sprache wie Eupepsia,
Dvspepsia, Eutokia. Dystokia.
Pcllakiuria. D i e U 1 a f o y hat dieses
Wort eingeführt, um häufiges Urinlassen
zu benennen, nicht wissend, dass die
( iriechen niemals das Adverb pollakis als
ersten Komponenten in einem Worte an-
wenden. E a b o u 1 b e n e hat Sychnuria
(von sychnos, häufig) vorgeschlagen.
Ueber die unglückliche Gewohnheit
mancher Autoren, neue technische Na-
men zu konstruieren, indem sie einen
griechischen und einen lateinischen
Komponenten verbinden, sagt S a k o r-
rha p h o s, dass durch dieselbe eine bi-
zarre Mosaik entstanden ist, welche
schliesslich die medizinische Sprach?
unmöglich machen wird, und dass dieser
bedauerliche Zustand nur gehoben wer-
den kann, wenn man zur griechischen
Sprache zurückkehrt. Er gibt einige
Beispiele, welche im Vergleich zu denen,
die ich in vielen meiner Schriften ange-
führt, sehr zahm sind.
Was er vorschlägt, um eine Reform
der Onomatologie zu erzielen, die Er-
richtung einer Akademie ad hoc. ist un-
praktisch. Ich selbst habe den Weg be-
zeichnet wie man ohne Schwierigkeit
zum Ziel gelangen kann : wir haben ein-
fach die richtigen wissenschaftlichen
Namen, die uns die Professoren der Uni-
versität von Athen geben können, anzu-
nehmen. Sobald diese Namen ernsten
Männern der Wissenschaft bekannt sind,
wird es keiner Frage unterliegen, dass
gute Autoren sie auch einführen werden.
Der Artikel von Sakorrhaphos,
von dem ich hier einen Auszug gegeben,
zeigt, was wir erreichen können, wenn
wir uns bezüglich der Ouomatologie-
frage mit unseren griechischen Kollegen
in Verbindung setzen.
Auszüge aus der neuesten Journalliteratur.
( i. Riebold (Dresden): Ueber die
Behandlung akuter Arthritiden mit
intravenösen Kollargolinjektionen.
K. berichtet über 15 Fälle verschie-
dener Gelenkaff'ektionen, in denen im
Stadtkrankenhaus Johannstadt zu
Dresden durch Ki illargolinjektionen 11
mal eine völlige Heilung und 4 mal
eine ganz wesentliche Besserung er-
zielt wurde. Es handelte sich um 7
Fälle von gonorrhoischen Arthritiden,
2 Fälle von Polyarthritis rheumatica
acuta, 4 Fälle von mehr subakutem Ge-
lenkrheumatismus mit hartnäckigen
Gelenkschwellungen und 2 Fälle von
septischen ( ielenkaff'ektionen. Diesen
1; Fällen stehen 20 Fälle gonorrhoi-
scher, subakuter rheumatischer oder
septischer Gelenkaffektionen gegen-
über, bei denen durch intravenöse Kol-
largolinjektionen kein wesentlicher Er-
folg, höchstens nur eine vorübergeh-
ende Besserung einzelner Symptome
erzielt wurde. Jedoch können die
meisten dieser Fälle deshalb nicht als
Misserfolge gezählt werden, weil bei
ihnen die Kollargolbehandlung aufge-
geben wurde, wenn nicht sofort nach
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
der ersten Injektion ein in die Augen
springender Erfolg eintrat, oder weil
aus äusseren Gründen nur eine Injek-
tion gemacht werden konnte.
Am regelmässigsten wurde eine Her-
abminderung der Schmerzen nach der
Kollargolinjektion beobachtet. Sehr
häufig trat auch sehr bald eine Bes-
serung des Allgemeinbefindens ein.
Die Gelenkschwellungen wurden oft
in geradezu eklatanter Weise beein-
flusst, woran sich meistens eine Bes-
serung hinsichtlich der Beweglichkeit
der affizierten Gelenke anschloss. Sehr
oft konnte auch eine ausgesprochen
antipyretische Wirkung des Kollargols
beobachtet werden.
Was die Menge und Konzentration
des einzuspritzenden Kollargols anbe-
langt, so kamen regelmässige 2 prozent.
Lösungen zur Verwendung, von wel-
chen das erstemal nur 4 — 8 cem, die
folgende Male aber 8 — 10 cem einge-
spritzt wurden. Die Grösse der Dosis
ist von verschiedenem Einfluss auf die
Wirksamkeit. Die Häufigkeit der In-
jektionen richtet sich nach dem gege-
benen Fall. Sowie ein erkranktes Ge-
lenk wieder anschwillt, die Tempera-
tur wieder ansteigt, die Schmerzen
wieder stärker werden, ist eine Wieder-
holung der Injektion angezeigt.
R. gibt zum Schlüsse der interessan-
ten Arbeit folgendes zusammenfassen-
des Urteil ab: Bei der Behandlung
der gonorrhoischen Gelenkentzündun-
gen stellt das Kollargol ein äusserst
wertvolles, nur selten versagendes,
fast spezifisch wirkendes Heilmittel
dar. das selbst in den hartnäckigsten
Fällen oft noch prompt wirksam ist.
I11 frischen Fällen von Polyarthritis
rheumatica liegt wohl kein Grund vor,
die wesentlich einfachere und meist
erfolgreiche Behandlungsmethode mit
Sal izyl- oder Antipyrinpräparaten auf-
zugeben. Hingegen empfiehlt sich in
allen Fällen, in denen die Antirheuma-
tika oder sonstige therapeutische
Massnahmen versagen, namentlich in
älteren, subakuten Fällen, einen Ver-
such mit Kollargolinjektionen ,zu ma-
chen. Man erzielt dabei nicht selten
recht günstige Resultate und selbst
völlige Heilungen. Auch für die Be-
handlung der septischen Arthritiden
sind die Kollargolinjektionen sehr zu
empfehlen. (Münchener med. Wo-
chenschr., i<jo6, No. 32.)
Sitzungsberichte
Deutsche Medizinische Gesellschaft der S adt New York.
Montag, den 7. Januar 1907.
Dr. J. A. Schmitt; eröffnet die
Sitzung um 8.30.
Sekretär Dr. John A. B e u e r-
m a n n verliest das Protokoll der
vorhergehenden Sitzung, welches ge-
nehmigt wird.
Hierauf tritt die Versammlung in
die Tagesordnung ein :
Dr. J ohn A. Schmitt: Der Be-
richt über die Tätigkeit der Gesell-
schaft in den letzten zwei Jahren
braucht nur sehr kurz auszufallen, da
Sie ja die Begebenheiten, die sich wäh-
rend dieser Zeit in unserem Verein zu-
getragen, selbst mit erlebt haben. Ich
würde Sie daher nur mit einer ermü-
denden Statistik unterhalten. Trotz-
dem erlaube ich mir einige Punkte her-
vorzuheben.
Unser Verein hat in den letzten Jah-
ren, auch in den Jahren vor meiner
Präsidentschaft, stetig zugenommen.
Wir haben bald die Marke 400 erreicht.
Es ist das ein sichtbarer Beweis dafür,
dass doch noch das Bedürfnis vorhan-
den ist, medizinische Wissenschaft in
deutscher Sprache zu pflegen. Damit
soll aber nicht gesagt sein, dass unser
Verein eine Sonderstellung einnimmt.
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
23
Im Gegenteil, in manchen wichtigen
Fragen gehen wir Hand in Hand mit
den amerikanischen Gesellschaften.
Und es ist das auch sehr natürlich
hierzulande, wo aller möglicher Ho-
kuspokus in gesetzlichem und unge-
setzlichem Wege gestattet ist und wo
von den Politikern und ihren Hinter-
männern ab und zu der Versuch ge-
macht wird, die geistige und morali-
sche Höhe des ärztlichen Standes her-
unterzudrücken. Wir haben auch je-
derzeit mit grösster Bereitwilligkeit
amerikanische Kollegen in unsere Ge-
sellschaft eingeladen und ihnen in zu-
vorkommender Weise die Erlaubnis
erteilt, an der Diskussion in englischer
Sprache teilzunehmen.
Die Vorträge, die in unserem Ver-
ein gehalten wurden, berühren alle
Zweige unserer Wissenschaft — der
Natur der Sache gemäss der ange-
wandten Medizin. Die Themata aus
den Grenzgebieten der Medizin waren
immer eine Anziehung für unsere Ge-
sellschaft, und da habe ich die Erfah-
rung gemacht, dass es durchaus nicht
rätlich ist, diese Symposien auseinan-
derzureissen, dergestalt, dass man den
Vortrag an einem Abend hält und die
Diskussion oder einen Teil derselben
auf den nächstfolgenden Abend ver-
legt. Es schädigt das den Reiz und
die Einheit des Plans ausserordentlich.
Man sollte unter allen Umständen
einen vollen Abend einem Thema wid-
men.
Wir haben auch öfters die Ehre ge-
habt, deutsche Gelehrte in unserer
Mitte zu unterhalten und ihren Vor-
trägen zu lauschen. Es war die Mei-
nung in unserem Verein immer geteilt,
auf welche Weise wir unsere deutschen
Gäste ehren sollten, und auch da habe
ich die Erfahrung gemacht, dass es
immer besser ist, sich behufs eines
Liebesmahls für unsere Gäste an eine
beschränkte Gruppe von Aerzten zu
wenden, als an die ganze Gesellschaft
zu appellieren. Es hat das auch den
grossen Vorteil, dass die Kasse unse-
res Vereins in keiner Weise in An-
spruch genommen wird, da die Kosten
für die Unterhaltung unserer deut-
schen Gäste ausschliesslich von den
einzelnen Teilnehmern getragen wer-
den.
Ich hatte erwartet, dass mit der Ein-
ladung zur heutigen Sitzung auch ein
Zirkular versandt würde, das die Mit-
glieder auffordert, ihr Scherflein zu
dem Unterstützungsfond beizutragen.
Ich weiss nicht, warum es unterlassen
wurde. Ich nehme daher hier noch-
mals Gelegenheit, Sie dringend zu bit-
ten, des Unterstützungsfonds für not-
dürftige Aerzte zu gedenken. Wenn
Sie wüssten, wie wohltätig dieser Un-
terstützungsfond wirkt, würden Sie
freudigen Herzens Ihre Taschen öff-
nen und Ihren Teil dazu steuern.
Wenn jedes Mitglied auch nur einen
Dollar dazu beiträgt, ist dem Fond auf
lange geholfen. Ich nehme gern Ver-
anlassung, hier dem Vorsitzenden die-
ses Unterstützungs-Fonds, Herrn Dr.
Gleitsmann, ganz besonders für das
Interesse und die Opferwilligkeit zu
danken, die er jederzeit in dieser Sache
an den Tag gelegt hat.
Es erübrigt noch, den Beamten den
Dank auszusprechen, die mir während
meiner Amtsjahre treu zur Seite ge-
standen haben. Sie haben mir mein
Amt leicht gemacht. Ueber den Vor-
standssitzungen waltete immer der
Geist des Friedens, der es auch immer
ermöglichte, widerstreitende Ansieb-
ten gütlich beizulegen. Die Verwal-
tungsbeamten waren immer von dem
einzigen Gedanken beseelt, nur im In-
teresse des Vereins zu arbeiten. Es
gereicht mir zu ganz besonderem Ver-
gnügen, insbesondere dem Schatz-
meister und dem korrespondierenden
Sekretär für ihre Mühewaltung mei-
nen und der Gesellschaft Dank auszu-
sprechen.
Zum Schluss komme ich meiner vor-
nehmsten Pflicht nach, unsern neuen
Präsidenten, Herrn Dr. Beck, in mei-
nem und der Gesellschaft Namen z>?
begrüssen und willkommen zu heissen.
Einleitende Worte bei der Inau«u-
rationsrede des Präsidenten der D.
Med. Gesellschaft am 7. Januar 1907.
(Der Vortrag über Lungengangraen
wird im demnächst erscheinenden
Buch des Verfassers über chirurgische
Krankheiten der Brust erscheinen.)
24
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
Altherkömmlicher Tradition zufolge
liegt es mir oh, hei der heutigen fest-
lichen Gelegenheit einige Worte an
Sie, meine geehrten Herren Kollegen,
zu richten. Dieselben sollen zunächst
solche des Dankes dafür sein, dass Sie
mir das grosse Vertrauen schenkten,
mich zu Ihrem Präsidenten zu erwäh-
len. Oh ich den Erfordernissen dieser
ehrenvollen Stellung in vollem .Masse
gerecht werden kann, ist mir vorläufig
noch zweifelhaft ; jedenfalls beseelt
mich der beste Wille dazu. Was je-
doch das Können betrifft, so bedarf ich
dazu Ihrer freundlichen Beihilfe und
Ihrer Nachsicht.
Mein geehrter Herr Vorgänger wird
mir dies einigermassen erschweren,
denn, was Pflichttreue und Aufopfe-
rung betrifft, wird die Deutsche Medi-
zinische Gesellschaft nie einen besse-
ren Präsidenten ihr eigen nennen kön-
nen.
Bezüglich des Themas meiner An-
sprache schwankte ich zuerst, ob ich
ihnen eine Revue über die Vergangen-
heit unserer Gesellschaft vorführen
sollte nach dem Rezept unseres Kolle-
gen Dr. Faustus, „zu sehen wie vor
uns ein weiser Mann gedacht, um wie
wir's dann so herrlich weil g ;bra :ht."
Es liesse sich ja tatsächlich d i i ine
Reihe glorreicher Momente anfuhren.
Dieselben sind Ihnen jedoch allen so
wohl bekannt, dass ich fürchten
müsste, mit deren Rekapitulation Eu-
len nach Athen zu tragen.
Ich entschloss mich deshalb, ein
wissenschaftliches Thema auszuwäh-
len, einmal weil Sie von der Mitbe-
trachtung eines gelehrten Stoffes mehr
Nutzen haben, als von der Anhörung
einiger noch so schön aufpolierten
Phrasen. Und dann dünkt es mir, dass
man überhaupt den Interessen unserer
Gesellschaft am besten dient, wenn
man der Wissenschaft am meisten zu
dienen strebt.
Zugleich wünschte ich, dass Sie in
meiner Anrede das Paradigma erken-
nen, nach welchem ich den Charakter'
unserer Vorträge gestaltet zu sehen
wünschte, in anderen Worten, ich
mochte, dass das Leitmotiv derselben
ein grenzgebietliches sei.
Es liegt in der Natur unserer Ge-
sellschaft, dass nur eine kleine Mitglie-
derzahl ein grosses Interesse an sol-
chen wissenschaftlichen Fragen
nimmt, welche ein hervorragend spe-
zialistisches Gepräge tragen. Derlei
Themata gehören vor ein ausschliess-
lich spezialistisches Forum. Ein ge-
deihliches Interesse an unseren Sitzun-
gen dürfen wir deshalb am ehesten da-
durch erwarten, dass wir bestimmte
Vertreter ihres Faches — und in New
York giebt es ja zahlreiche Meister —
ersuchen, ihrem spezialistischen Ge-
dankengang einen universellen An-
strich zu geben, so dass der allgemeine
Arzt ihren Ausführungen sonder Mühe
folgen kann. Der Spezialist soll sich
sozusagen, wie es zuweilen berühmte
Solisten thun, im Orchester zum allge-
meinen Besten unterordnen und in den
Dienst der grossen Symphonie stellen,
zu deren machtvoller Polyphonie er
zwar seinen vollendeten Teil beiträgt,
worin er aber keine dominierende
Rolle spielt. Und unsere unendliche
Symphonie heisst die grosse medizini-
sche Wissenschaft, innerhalb deren
Einfriedigung wir uns alle als eben-
bürtige Kollegen zusammenfinden. Ob
klein oder gross, das gleiche ehrliche
Streben nach wissenschaftlicher Voll-
kommenheit adelt jeden.
Das Thema nun, welches ich heute
streife, ist der Brusthöhle entnommen,
einem Gebiet, auf welchem sich der
Interne ebenso heimisch fühlt als der
I Chirurg, für welches sich der allge-
meine Praktiker ebenso interessiert,
als der Pathologe oder auch sogar der
Bakteriologe, denn wie könnte man
sich heute noch eine Lungendiagnose
ohne Untersuchung des Sputums vor-
stellen ?
Präsident Dr. Carl Beck: Ich
habe das Vergnügen, Ihnen Herrn Dr.
! H o f f n e r vom Sanatorium ( dotterbad
' bei Freiburg vorzustellen und heisse
j denselben herzlich in unserer Mitte
willkommen.
Dr. Rudolf D en i g verliest einen
Vortrag :
Die Berücksichtigung des Allge-
meinzustandes bei der Ausführung der
Staroperation.
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
25
Diskussion.
I )r. Leonard Weber: Ich
mochte die Frage berühren, die der
Vortragende anregte, die Ursachen
des Todes eines Kindes betreffend, das
im Alter von fünf Monaten wegen Ka-
tarakt operiert wurde. Eine Autopsie
lag in dem Fall nicht vor. Ich denke an
zwei Möglichkeiten : die einer Embo-
lie der Pulmonararterie, die allerdings
selten die Ursache des tötlichen Aus-
gangs ist nach operativen Fingriffen,
oder wahrscheinlicher des sogenann-
ten status lymphaticus, d. h. die plötz-
lich eintretende Ueberschwemmung
des Blutes mit Lymphzellen. Eines
oder das andere mag in dem Fall vor-
gelegen haben, da in der Voruntersuch-
ung sonst nichts gefunden wurde, was
eine Kontraindikation in Bezug auf die
( )peration abgegeben hätte.
Unter den Fällen, die ich im Laufe
der Jahre in meiner eigenen Praxis
habe operieren sehen, kenne ich nur
zwei mit ungünstigem Ausgang in
Bezug auf das Auge bei konstitutio-
nellen Veränderungen. Der eine Fall
betrifft einen Diabetiker, der im 65.
Jahre auf einem Auge operiert wurde
und dasselbe verlor. Der zweite Fall
betrifft eine noch lebende Patientin
von 38 Jahren. Sie hat bilateralen Ka-
tarakt und wurde mehrere Jahre von
mir und einem ( )phthalmologen beob-
achtet, sie drang zuletzt auf < )pera-
tion. Keiner von uns beiden riet zu
Operation, trotzdem der Ophthalmo-
loge und ich zuletzt unsere Einwilli-
gung gaben. In dem Fall handelte es
sich um chronischen Gelenkrheumatis-
mus, mit Klappenfehler, chronisch in-
sofern als die Anfälle häufig vorge-
kommen sind. Als sie vor circa acht
Jahren anfing, den Urin untersuchen
zu lassen, war er niemals eiweissfr i.
Also hallen wir in dem Fall chronische
Endokarditis. Klappenfehler mit chro-
nischer Nephritis. Das spezifische Ge-
wicht des Urins ist selten über 10 ge-
blieben, der Eiweissgehalt massig, aber
immer Cylinder darin zu finden. Inso-
fern als Iritis, die nach der Staropera-
tion eintrat, wieder rückgängig wurde,
ist gar kein so schlechtes Resultat zu-
letzt übrig geblieben. Die Patientin
ist imstande, auf der Strasse und im
Hause ihren Weg zu finden. Sie kann
nicht lesen und dergleichen, aber im-
merhin ist das Resultat nicht absolut
ungünstig gewesen, soweit das Auge
in Betracht kommt.
Dr. Frust Danziger: Ich
mochte fragen, ob Eiterung in der
Xase als Kontraindikation anzusehen
ist, da dann eine mögliche Infektion
durch den Tränenkanal vorliegt.
Dr. R. Den ig: In den Fällen, wo
Dakryocystoblennorhoe vorhanden ist,
ist unbedingt anzuraten, den Tränen-
sack zu entfernen. Ich erinnere mich
eines Falles, wo der Patient sich nuht
darauf einliess. Das Auge wurde an-
derweitig operiert und ging an Infek-
tion zu ( rrunde.
Dr. Carl P f i s t e r : Zu dem Tode
des Kindes möchte ich bemerken, dass
kaum anzunehmen ist, dass das Kind
infolge der Xarkose zu Grunde ging.
Es wurde jedenfalls anfangs der 8oe-
Jahre operiert und hatte Chloroform
bekommen, keinen Aether. Chloro-
form wird aber von ganz kleinen Kin-
dern vertragen, die wenige Tage alt
sind, sehr oft viel besser als von Er-
wachsenen. Also an Tod infolge von
Chloroform am Tage nach der Opera-
tion ist wohl kaum zu denken, zumal
in so kurzer Zeit nicht Nephritis ein-
treten kann, infolge von Chloroform,
und so akut, wie es notwendig gewe-
sen wäre, um den Tod herbeizuführen.
Aber dass das Kind vielleicht an Hä-
mophilie zu Grunde ging, ist absolut
nicht ausgeschlossen. Mir ist es bei
einer ganz unbedeutenden ( )peration
passiert, dass ich eine Blutung bekom-
men habe, die ganz kolossal war und
schwer zu stillen. Es gibt Fälle, in
denen eine so profuse Nachblutung
stattfindet, dass sie zum Tode führt.
Dr. H. Riedel: Hatte das er-
wähnte Kind von 5 Monaten eine Atro-
Pineinträuflung bekommen? (Dr. R.
Denig: Es bekam 2 — 3 Tropfen einer
Atropinlösung ; das war alles.) Dann
möchte ich fragen, warum nicht an die
Möglichkeit gedacht werden darf, dass
die Atropineinträuflung etwas mit dem
plötzlichen Tode zu tun hatte. Ich
hab" in meinem Hospitaldienst meh-
rere Fälle bei erwachsenen und kräfti-
gen Patienten zu sehen bekommen, wo
26
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
infolge einfacher Atropineinträuflung
plötzlich akutes Delirium mit Tob-
suchtsanfällen ausbrach, das nur durch
zufällige Ansaugung eines Teils der
Atropineinträuflung in den Tränenweg
zu erklären war. Es wird allerdings
schwierig sein, bei einem Kind von 5
Monaten mit Sicherheit eine Atropin-
Vergiftung klinisch zu erweisen öder
auszuschliessen.
Dr. R. D e n i g: An die Möglichkeit
einer Atropinvergiftung ist nicht za
denken, weil sonst absolut kein Symp-
tom der Atropinvergiftung in diesem
Fall ausgesprochen war. Es wird aus-
drücklich erwähnt, dass das Kind voll-
ständig munter nach der Operation
war und die Mutterbrust nahm. Das
spricht doch gegen die Annahme einer
Atropinvergiftung.
Dr. D. Cook: Wir wissen ja alle,
welche homöopathische Dosen bei
Kindern manchmal Vergiftung her-
vorrufen ; aber die Symptome sind ja
so leicht zu erkennen, die Intoxikation,
die roten Backen, Dilatation nach der
anderen Seite. Ich habe nie den ge-
ringsten Grad von Atropin und Bella-
donnavergiftung gesehen ohne rote
Backen und alle Symptome einer In-
toxikation.
Dr. H. Fischer: Ich muss auch
sagen, wie ich mit Dr. M o s c h c o w i t z
über diesen Todesfall sprach, dass wir
zuerst an Atropinvergiftung dachten.
Nehmen wir ganz kleine Dosen Gift
wie Kokain, wie wir sie täglich gebrau-
chen, so lösen sie oft so schwere Ver-
giftungen aus, dass man es gar nicht
für möglich halten sollte. Ich habe
einen Fall gehabt, in dem ich zwecks
Cystoskopie eine lOprozentige Kokain-
lösung in die Harnröhre einspritzte
und der Mann plötzlich sehr blass
wurde und kollabierte. Es war eine
ganz geringfügige Dosis auf die
Schleimhaut gebracht, die in verhält-
nismässig kurzer Zeit genügt hatte, so
schwere Erscheinungen auszulösen.
Der Mann hatte auch nicht die regu-
lären Kokainvergiftungserscheinungen
Cyanose, rapide Herzaktion — er
wurde plötzlich ohnmächtig und lag
iy2 Stunden da, nachdem das Cysto-
skop längst entfernt war. Dass der
Zustand von der Untersuchungsme-
thode kam, war ausgeschlossen. Kin-
der werden so ausserordentlich leicht
durch derartige Gifte selbst in kleinen
Dosen alteriert, sodass es mir scheint,
dass es sich in dem vorliegenden Fall
auch ohne typische Erscheinungen um
Atropinvergiftung gehandelt hat.
Dr. H. Riedel: Ich erinnere mich
eines Vortrags von Liebreich in Paris,
in dem er einen von ihm angegebenen
und vorgezeigten Klemm- Apparat em-
pfahl, zum Zwecke, bei Atropinein-
träuflungen ein Aufsaugen durch den
Tränenweg unmöglich zu machen.
Dr. A. V. Moschcowitz: Ich
möchte nur sagen, dass ich ebenso wie
Dr. Fischer bei dem Vortrag des Falls
auf die Idee gekommen bin, dass es
sich um .Atropinvergiftung handelt.
Dr. Denig erwähnte ja auch, dass das
Kind 3 Tropfen einer Atropinlösung
bekommen hat. Es kommt aber da-
rauf an, wie stark die Lösung war.
Denn Dr. Denig hat den Fall nicht be-
obachtet, er erzählt nur das, was er in
der Literatur darüber gefunden hat. In
der Beschreibung des Falles war viel-
leicht von Rötung der Wangen nicht
die Rede, aber man kann einen Fall
nicht nach einem kurzen Referat be-
urteilen, das veröffentlicht wird. Ich
habe selber auch den Eindruck gewon-
nen, dass es sich in dem Fall um Atro-
pinvergiftung handelt.
Dr. Ludwig Ewald: Ich
glaube nicht, dass es sich in die-
sem Fall um Atropinvergiftung han-
deln kann. Ich hatte früher Gele-
genheit, bei Geburten Versuche mit
Atropin zu machen, und ich muss
sagen, dass die Erscheinungen der-
art frappant sind, dass sie auch
dem oberflächlichen Beobachter bei
leichter Atropinvergiftung nicht ent-
gehen können. Die Symptome von
seiten der Atmung und des Herzens
sind sofort wahrnehmbar.
Wenn die Ophthalmologen, wie Dr.
Denig bemerkt hat, die vorgeschrit-
tene Schwangerschaft als Kontraindi-
kation betrachten, so muss ich bemer-
ken, dass die Herren in der Vorsicht
etwas zu weit gehen. Wir wissen
durch Erfahrung, dass selbst die gröss-
ten Eingriffe wie Appendizitis, selbst
Operationen am Uterus, bei weit vor-
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
27
geschrittener Schwangerschaft vorge-
nommen werden ohne Nachteil ; ich
habe viele Fälle gesehen, wo Eingriffe
an Ohr und Nase, auch die Staropera-
tion ohne den leisesten Nachteil ge-
macht wurden. Die Verabreichung von
Kokain ist ja hier gering: ich habe die
Statistik danach durchgesehen und
nichts Gegenteiliges gefunden. Ich
denke, dass die Herren Ophthalmolo-
gen ohne irgend welches Bedenken
verhältnismässig kleine Eingriffe vor-
nehmen können.
Dr. R. Den ig: Ich möchte Ihnen
den ersten Fall ausführlich mitteilen.
Das erste Kind war von Warlomont
in Brüssel beobachtet worden, und der
Fall wurde in der Heidelberger Gesell-
schaft i. J. 1863 diskutiert, und Graefe
selbst beteiligte sich an der Diskus-
sion. Hören Sie, was in dem Bericht
der Heidelberger Gesellschaft steht :
Der Patient Warlomont's war ein
1 1 Monate alter, gesunder, kräftiger
Junge. Je 2 Diszissionen waren auf
beiden Augen schon ausgeführt. Es
handelte sich auf dem linken Auge um
die Entfernung eines flottierenden
Kapselstückchens, was mit Leichtig-
keit gelingt. Rechts dagegen, wo das
Kapselrestchen fest anhaftet, empfand
der Operateur einigen Widerstand und
die Befreiung der Pupille gelingt nicht
ohne einige, wenn auch nur unbedeu-
tende Zerrung der Iris. Während des
Tages trat mehrmaliges Erbrechen
ein, das die ganze Nacht über anhielt.
Es ist eine Iritis mit reichlichen plasti-
schen Ausschwitzungen vorhanden.
Am Abend war das Kind tot.
Albrecht v. Graefe sprach sich bei
der Diskussion für die Ansicht aus,
dass hier ein unglückliches Zusam-
mentreffen verschiedener und von ein-
ander unabhängiger Affektionen anzu-
nehmen sei.
Von Atropin wird nichts erwähnt,
in der Diskussion auch nicht.
Dr. Max Töplitz: Ich möchte
ein Wort über die Narkose hinzufü-
gen. Dr. Pfister hat gesagt, dass die
Narkose durch Chloroform bei kleinen
Kindern vollständig ungefährlich sei.
(Dr. Pfister: Das habe ich nicht
gesagt. Vollständig ungefährlich ist
keine Narkose. Ich habe nur gesagt,
dass die Chloroformnarkose von klei-
nen Kindern merkwürdig gut vertra-
gen wird, sehr oft besser als von Er-
wachsenen.) Ich war unter dem Ein-
drucke, dass bei Kindern reine Chloro-
formnarkose gefährlicher sei als
Aether. Packard stellt 25 Todesfälle
nach Halsoperationen bei Kindern zu-
sammen, die durch Narkose erfolgt
sind, und er gibt an, dass von den 25
Fällen 24 durch Chloroform narkoti-
siert worden sind und ein einziger
durch Aether. Ich habe immer ge-
glaubt, dass es besser sei, keine reine
Chloroformnarkose bei Kindern zu ge-
ben.
Dr. Ewald meinte, wenn ich ihn rich-
tig verstanden habe, dass bei Kokain,
in kleinen Dosen gegeben, keine Ver-
giftungserscheinungen eintreten. Ich
gebe Kokain in der Nase in grossen Do-
sen, und zwar trage ich das Kokain di-
rekt in Substanz, in der Pulverform
auf. Solange das Kokain nicht in den
Hals läuft und nicht absorbiert wird,
macht es keine Vergiftungserscheinun-
gen. Aber ich habe einmal eine y2-
prozentige Kokainlösung in das Ohr
eingespritzt und eine gehörige Reak-
tion bekommen, sodass der Patient De-
menzerscheinungen hatte ; seitdem
habe ich es aufgegeben, subkutane In-
jektionen in die Nase oder andere Teile
des Körpers selbst mit einer ^prozen-
tigen Lösung zu machen.
Dr. C. Pfister: Ich schweife viel-
leicht vom Thema ab, aber ich möchte
zu den Bemerkungen von Dr. Töplitz
über Narkose doch sagen, ich halte die
Narkose von reinem Chloroform für
die verhältnismässig ungefährlichste
von allen Narkosen, vor allem bei Kin-
dern. Kinder vertragen Chloroform
gut, und die Gefahr ist mit der beende-
ten Narkose vorbei, während man bei
Aethernarkose fortwährend an Pneu-
monie denken muss. Gerade diese
Aetherpneumonie ist ungemein gefähr-
lich. Ich habe Kindern Chloroform
gegeben, die 2 Tage alt waren, und es
ist nichts passiert, während ich bei
Aether oft schwere Erscheinungen
und Todesfälle gesehen habe.
Dr. Barkau: Das Vertragenwer-
den von Chloroform richtet sich nach
dem Blutreichtum des Gehirns, und da
-'S
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
der Blutreichtum des Gehirns bei Kin-
dern und schwangeren und niederkom-
menden Frauen der grösste ist, so wird
auch von diesen Chloroform ausge-
zeichnet vertragen. Sie finden einige
Analoga, z. B. die Rettung eines durch
Chloroform asphyktisch Gewordenen
dadurch, dass man den Körper nach
unten stürzt, wodurch das Blut zum
Gehirn kommt und das betr. Indivi-
duum gerettet wird. Das wäre die se-
kundäre Erscheinung. Die primäre
Erscheinung war die berühmte Ratte
von Haiedon, welcher eine von Chlo-
roform scheinbar tote Ratte nach un-
ten hielt, und die Ratte erhielt ihr Le-
ben wieder. Ihm fiel die Sache auf, er
machte weitere Experimente, und da-
rauf stellte sich das Ergebnis heraus,
dass man einen Chloroform-Asphykti-
schen in den meisten Fällen retten
kann, wenn man den Körper nach un-
ten hält. Er ging noch einen Schritt
weiter und hat vor Jahren angeraten,
Chloroform bei Sonnenstich zu ver-
wenden, weil bei Sonnenstich auch eine
Hyperämie des Gehirns vorhanden ist.
Er hat das in einigen Fällen angewandt
und ausgezeichnete Erfolge erzielt,
aber das ist im Sande verlaufen.
Dr. E. Danziger: Ich möchte
auf eine Bemerkung von Dr. Ewald
zurückkommen. Er erwähnte, dass
man an schwangeren Frauen sehr häu-
fig ungestraft Operationen vornehmen
könnte, und erwähnte u. a. die Nase.
Es ist allbekannt, dass zwischen Ute-
rus und Nase reflektorische Beziehun-
gen bestehen. Während der Menstrua-
tion sind die Schleimhäute in der Nase
geschwollen. Wie dem auch sei, ich
habe die persönliche Erfahrung, dass
ich schon verschiedene Male, nach-
dem ich einen Naseneingriff gemacht,
eine verfrühte Menstruation hervorge-
bracht habe, und hüte mich selbst so
viel als möglich, bei schwangeren
Frauen an der Nase zu operieren.
Hierauf erfolgt Schluss und Ver-
tagung.
Dr. John A. B e u e r m a n n ,
Prot. Sek.
Therapeutische und klinische Notizen.
— Hefetherapie der Gastroenteritis im Kin- .
desalter. Sittler hat auf der Kinderpoli-
klinik Versuche mit Hefepräparaten bei der
Gastroenteritis der Kinder gemacht. An-
gewandt wurden Levurinose, Levure Adrian
( beide in Pulver zu je i g) und Levu-
retin (in Tabletten zu 0.5 g). Letzteres
Präparat schien sich auch am besten zu bewäh-
ren. Die Dosis betrug bei den beiden erstge-
nannten Präparaten 1 — 2 — 3 g täglich, beim
Levuretin 3 — 4 — 5 g Tabletten, je nach dem
Alter des Kindes. Die Präparate wurden fast
immer anstandslos genommen und gut ertra-
gen. Die meisten der behandelten Patienten
befanden sich im ersten Lebensjahr; das jüngst
behandelte Kind war zwei Wochen alt.
Das Hefepräparat wurde fein verrührt in ab-
gekühltem gesüsstem Tee oder Zuckerwasser
gegeben : daneben wurde die Diät entsprechend
geregelt : Aussetzen der Milch und an deren
Stelle Tee, Eiweisszuckerwasser, eventuell Kin-
dermehlabkochungen ; später Milchmehlmisch-
ungen ; bei älteren Kindern : Schleimdiät. Auf-
fallend war der Erfolg der Hefetherapie bei
den mit starker Fäulnis des Darminhaltes ein-
hergehenden Enteritiden. Auch die anderen
Enteritiden reagierten meist gut auf Hefe. Bei
Gastroenteritis hörte das Brechen prompt auf.
In den meisten Fällen wurde Hefe allein gege-
ben ; in einigen Fällen wurde vor der Hefe
Kalomel oder Purgen verabreicht, in anderen
gleichzeitig mit der Hefe Wismut, Bismutose
oder Tannalbin.
— Dr. H. v. Sc h rütter berichtete in der
Gesellschaft für innere Medizin und Kinder-
heilkunde in Wien über eine im Wege der di-
rekten Bronchoskopie an der Klinik Hofr.
Escherichs ausgeführte Extraktion eines
Fremdkörpers. Er fasst seine Ausführungen,
wie folgt, zusammen : Auf dem genannten
Wege gelang es in diesem Falle, durch äussere
Umstände um einen Tag verzögert, ein Kno-
chenstück, das sich schliesslich an der Teil-
ungsstelle des rechten Unterlappenbronchus
verankert hatte, im Wege der oberen Methode,
ohne Narkose und ohne Lokalanästhesie mit
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
29
Sicherheit zu entfernen. Der Fall erscheint
noch durch das Alter, zehnmonatliches Kind,
sowie durch den Umstand bemerkenswert, dass
der eingedrungene Fremdkörper eine auffal-
lende Grösse besass. ( Wiener med. Wochen-
schr., 1906, No. 46.)
— Behandlung der lanzinierendeu Schmerzen
bei Tabes. Wenn die Quecksilberbehandlung
ohne Wirkung geblieben ist, verordnet Prof.
Raymond (Paris) Natrium nitrosum 0,1,
Aq. dest. 10,0. Man injiziert täglich I cem
dieser Lösung während zehn Tagen. Darauf
folgt eine zehntägige Pause und dann eine
zweite Injektionskur von zehn Tagen. Das
zweite Mal wird aber eine doppelt so starke
Lösung (Natr. nitros. 0,2, Aq. 10,0) injiziert.
Zweite Ruheperiode mit darauffolgender drit-
ter Injektionsperiode mit 0,03 Natr. nitros. pro
dosi. Man fährt mit letzterer Dosis weiter fort
mit alternierenden Ruhe- und Injektionsperio-
den. Nach 40 — 50 Injektionen (früher nicht)
tritt beinahe regelmässig eine Besserung ein.
Diese gefässerweiternde Behandlung wird als
die wirksamste von Ray m ond warm em-
pfohlen. ( Nouveaux remedes, No. 6, Korre-
spondenzbl. für Schweizer Aerzte.)
— Die zunehmende Unfähigkeit der Frauen
ihre Kinder zu stillen. Der epochemachende
Vortrag Bunges ist vor Kurzem in fünfter
Auflage erschienen. Als Bunge ihn im
Jahre 1899 hielt, waren es nicht mehr als 300
Fälle, auf die sich seine Schlussfolgerungen
stützten ; das Material hat sich seitdem ver-
zehnfacht; es sind jetzt 2051 Familien, auf die
sich die Untersuchungen Bunges beziehen.
In der Vorrede zur neuesten Auflage wendet
sich Bunge gegen die Angriffe, die seine
Arbeit von Seiten einiger Frauen- und Kinder-
ärzte erfahren hat. Bekanntlich richten sich
diese Angriffe weit weniger gegen die von
Bunge auf Grund seiner statistischen Er-
hebungen festgestellte Tatsache, dass die Töch-
ter trunksüchtiger Väter die Fähigkeit, ihr
Kind zu stillen, verlieren und dass diese Fähig-
keit dann fast immer auch für die kommenden
Generationen verloren bleibt, sondern gegen die
von ihm vertretene Anschauung, dass die Un-
fähigkeit der Frauen, zu stillen, in rascher Zu-
nahme begriffen sei und dadurch die Gefahr
der Entartung sich von Generation zu Genera-
tion steigert. In zahlreichen Arbeiten wird der
Reweis zu erbringen versucht, dass der Pro-
zentsatz der zum Stillen unfähigen Frauen kei-
neswegs beunruhigend gross sei. Bunge
macht seinen Gegnern den Vorwurf, ihn nicht
genau gelesen zu haben. Unter Befähigung
zum Stillen versteht er die Fähigkeit, wenig-
stens neun Monate u. zw. ausreichend, d. h.
so zu stillen, dass neben der Muttermilch keine
andere Nahrung notwendig ist. die Gegner
verstehen aber absolute Unfähigkeit darunter,
woraus sich das Missverständnis erklärt.
Die neu zu der Statistik hinzugekommenen
Fällen stimmen in ihren Ergebnissen genau mit
den bereits früher veröffentlichten überein.
Bunge gibt selbst zu, dass seine Statistik
noch viel umfassender und grösser sein sollte
und fordert deshalb alle Aerzte, besonders
jene, die an seinen Schlussfolgerungen zwei-
feln, auf, daran mitzuarbeiten, damit die Wahr-
heit über diese so ausserordentlich wichtige
Frage an den Tag komme. Die Fragebogen
schickt er allen Kollegen auf Wunsch gerne zu.
Kleine Mitteilungen
— Die Deutsche Medizinische Gesellschaft
in Chicago erwählte für das laufende Ge-
schäftsjahr die folgenden Beamten: Präsi-
dent, Dr. Maximilian Herzog; Vize-
präsident, Dr. Adolf Decker; Schrift-
führer, Dr. August Strauch ; I. Bei-
sitzer und Schatzmeister, Dr. Ernst Sa u-
renhaus ; 2. Beisitzer, Dr. Gust a v
Schirmer.
— Dr. A. Rose's Hcftpüastcrverband. Dr.
Groddeck, Baden-Baden, schreibt am 16.
Januar 1907 über den Artikel Physiologie
und Pathologie der Bauchmuskeln in der
N. Y. Med. Monatsschrift, Nov. 1906: „Ihre
Sendung hat mich freudig überrascht und
noch mehr durch den lehrreichen Inhalt, den
Sie an die Erwähnung meines Namens knüp-
fen. Ich begrüsse den Gebrauch des Heft-
pflasterverbandes mit besonderer Freude, da
mir sein Nutzen ohne weiteres einleuchtet,
und hoffe auf eine grosse Verbreitung dieser
Idee. Speziell erscheint es mir wichtig, dass
die vielfach so verderblich wirkenden Leib-
30
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
binden dadurch aus der Welt geschafft wer-
den. Der stetige Druck des Verbandes hat
ausserordentliche Vorteile vor den wechseln-
den des Gürtels, abgesehen von der grossen
Schädigung der Rückenmuskulatur und der
Lendennerven durch die Bauchbinden. Und
dass es auf diese Weise gelingen muss, das
Volumen des Bauches dauernd zu verkleinern,
unterliegt für mich gar keiner Frage. Ich
glaube übrigens, dass Sie mit grossem Nutzen
diese Technik auch auf andere Gebiete aus-
dehnen können, speziell den Hals, Morbus
Basedowi, Kropf, Migraine etc. Die Volumen-
verringerung hat nach meinen Erfahrungen
rasch eine Verminderung der Stauungen zur
Folge."
Dr. B. S c h m i t z, Bad Wildungen, schreibt
am 15. Januar 1907: ,.Es ist ein neuer Stoff
und eine neue Bearbeitung dieses Feldes.
Diese neuen Gesichtspunkte müssen Beach-
tung und Anerkennung finden, wenn auch alles
Neue vorerst mit Reserve aufgenommen wird,
und was sehr schätzenswert ist, es wird die
Praxis dadurch gewinnen, d. h. die mannig-
fachen Unterleibsleiden werden eine andere
Auffassung und eine andere Behandlung er-
fahren. Ich kann allen Ausführungen nur zu-
stimmen."
— Bakterien im Bier. Von zwei Seiten
wurden in jüngster Zeit Untersuchungen über
den Bakteriengehalt des Flaschenbieres ver-
öffentlicht. Dr. F u h r m a n n in Prag hat
die aus verschiedenen Brauereien und Bier-
füllereien in Graz stammenden Biere auf ihren
Bakteriengehalt untersucht; keine einzige
keimfreie Probe konnte darunter gefunden
werden. Die meisten enthielten vielmehr sehr
zahlreiche Bakterien, meist Kugel- und Stäb-
chenbakterien. So fanden sich z. B. in einer
Probe Märzenbier 1.380,00 Mikroben im Liter,
die 14 verschiedene Arten von Bakterien ent-
hielten ; trotz dieser gewaltigen Menge von
Keimen sah das Bier keineswegs ungeniessbar
aus, da es nur ganz geringfügige Trübung
zeigte. Die Flasche hatte Patentverschluss.
Ein anderes, aus einer Flasche mit Korkver-
schluss stammendes spiegelhelles Bier wies im-
mer noch 605.000 Keime im Liter auf. Ein
von der Brauerei selbst auf Flaschen gefülltes
Bockbier enthielt 560,000 Bakterien, 520,000
Schimmelpilze und über 1 Million Hefezellen
im Liter. Der niedrigste Bakteriengehalt, der
festgestellt werden konnte, war 24,000 im Li-
ter. Viele Biere stehen dem Murwasser im
Bakteriengehalt nicht nach.
Der geringe Alkoholgehalt von ca. 4 Prozent
reicht durchaus nicht hin, um das Bier steril
zu machen, ja nicht einmal alle krankheitser-
regenden Mikroorganismen werden dadurch
getötet. Sie werden wohl im Wachstum be-
hindert, sobald sie aber auf günstigen Nähr-
boden gelangen, entwickeln sie sich üppig.
Vermag doch selbst ein Alkoholgehalt von
Prozent in Fleischbrühe das Wachstum des
Erregers des Unterleibstyphus selbst nach 29
ragen nicht zu unterdrücken ; Micrococcus
pyogenes blieb 51 Tage darin lebensfähig. In
sterilisiertem Biere bleiben alle diese Krank-
heitserreger wochen-, selbst monatelang ent-
wicklungs- und lebensfähig; daraus geht her-
vor, dass der Genuss infizierten Bieres nicht
als ungefährlich bezeichnet werden kann.
Besonders bedenklich ist das Flaschenbier,
wenn die Flaschen und die beim Abfüllen ver-
wendeten Geräte nicht peinlich gereinigt und
in strömendem Wasserdampfe und kochendem
Wasser sterilisiert werden. Durch unreine
Bierflaschen, die ja durch so viele Hände und
in so viele Familien wandern, ist die Ueber-
tragung von Infektionskrankheiten sehr leicht
denkbar. Beinahe unmöglich ist die Sterilisie-
rung der Kautschuckdichtung bei Patentver-
schlüssen, die deshalb absolut verwerflich sind.
Der andere Forscher ist der japanische Arzt
Dr. M a t s u h u i t a. der im getrübten Biere
krankmachende Bakterien nachwies. Es wa-
ren grosse, den Heu- und Milzbrandbazillen
ähnelnde Bazillen. Ihre Giftigkeit erwies sich,
als sie Tieren eingespritzt wurden. Mäuse und
Meerschweinchen starben bei Einspritzung un-
ter die Haut nach 18 — 36 Stunden unter den
Erscheinungen der Bauchfellentzündung, des
Magendarmkatarrhs, sowie der Milz- und Le-
berschwellung. Das Vorkommen dieser Keime
! dürfte nach Dr. M a t s u h u i t a auf ungenü-
gende Reinigung der Flaschen zurückzuführen
sein.
JVIccUzimscbe JVlotiatsscbrift
Offizielles Organ der
Detitfcben medizinUchen 6efeiir<hafttn der Städte new V^rfc,
Chicago, Cleveland und San Trancisco.
Redigiert von Dr. A. Ripperger.
Bd. XIX. New York, 1907. No. 2.
Originalarbeiten.
Dermatologische Winke für den praktischen Arzt.*
Von Dr. Edward Pisko, New York.
In der Januar-Nummer des „Post-
Graduate" las ich über die verschie-
denen Methoden der physikalischen
Untersuchung des Kindes, vom Stand-
punkte eines jeden einzelnen Spezia-
listen aus betrachtet und erläutert und
da dachte ich, dass es für den prakti-
schen Arzt, der sich doch zumeist mit
Kindern befasst, nicht nur von Inter-
esse wäre, zu wissen, wie man die ein-
zelnen Organe des Kindes zu unter-
suchen hat, um durch klinische und
pathologische Bilder eine Diagnose
machen zu können, sondern dass dem
Praktiker vielmehr daran gelegen sein
wird, einige Winke zu bekommen in
Bezug auf die mehr alltäglichen Er-
krankungen der Haut des Kindes, und
dies sei der Gegenstand meiner heuti-
gen Vorlesung.
Mehr als irgend ein anderes Organ
des menschlichen Körpers ist gerade
die Haut im Kindesalter wesentlich
verschiedener, viel zarter und ge-
schmeidiger und elastischer und Er-
krankungen gegenüber viel gutartiger,
als im zunehmenden Alter, in welchem
wir einer steigenden Malignität der
Hautleiden begegnen. Da es wohl
kaum ein Organ gibt, welches allen
*) Vortrag, gehalten im Physicians' Club.
möglichen Schädlichkeiten von aussen
her so ausgesetzt ist als gerade die
Haut, so wird es leicht begreiflich er-
scheinen, dass es eine Unmenge von
äusseren Ursachen gibt, die Hautleiden
erzeugen, ja selbst bei neugeborenen
Kindern sehen wir solche auftreten.
Bei der physiologisch vorhandenen
Hyperämie, dem regen Leben, das in
Talg und Schweissdrüsen vor sich
geht, bei der starken Sekretion und
Exkretion kann es ja doch kaum be-
fremden, wenn besonders um den
Mund herum durch den Speichel und
die Nahrung, um das Genitale herum
durch den Urin und um den After
herum durch die Faeces und in den
Hautfalten durch das reichliche Sebum
gleich in den ersten Lebensstunden
Schaden angerichtet wird, und dazu
kommt noch, dass das so zarte Epithel
durch das Plus und Minus in puncto
Pflege und Reinhaltung des Kindes
verletzt wird; ich spreche absichtlich
von einem Plus und Minus, denn sehr
oft begegnen wir Hautleiden bei Kin-
dern, die von einer allzu peinlichen
Reinhaltung herrühren. Die Kinder
werden zu oft gebadet und gewaschen,
das Wasser ist oft viel zu heiss, stark
parfümierte Seifen und Toilettewässer
werden benützt, mit Alkohol wird frot-
32
New Yorker Medizi
nische Monatsschrift.
tiert u. s. \v., ja dabei geht das zarte
Epithel verloren, die noch dünne Horn-
schichte löst sich ab und so haben wir
den Anfang eines keratolytischen Pro-
zesses, der oft zum Schrecken und Ge-
spenst aller Hautkrankheiten im Kin-
desalter wird - — das Ekzem. In der-
selben Weise entwickelt sich aber auch
bei dem Minus an Reinlichkeit dieser
Vorgang, wenn Exkrete und Sekrete,
selbst wenn physiologisch ganz nor-
mal, genügend Raum und Zeit finden
— ich meine besonders Harn und
Faeces — sich zu zersetzen, sie bilden
ja den günstigsten Nährboden für die
in der umgebenden Luft vorhandenen
Bakterien und Kokken, und warum so
etwas zu jucken und das Kind instink-
tiv zu kratzen anfängt, und nicht auf-
hört, bis es sich blutig gekratzt hat,
das wissen wir nicht, aber den ange-
richteten Schaden sehen wir leider gar
zu oft : Kratzeffekte, die zuerst ohne
und dann mit Hinzutreten des Staphy-
lococcus aureus und albus zu infizierten
Wundherden führen, besonders auf der
Kopfhaut und im Gesichtchen, und da
gibt es im 20. Jahrhundert noch Müt-
ter, die abergläubisch genug sind, zu
verbieten, dass die Nägelchen abge-
schnitten werden. Und erst das in-
zwischen sekundär entstandene Ekzem
ist recht ein noli me tangere,
es könnte sich, wenn man es vertreibt,
„nach innen schlagen" und dann
Krankheiten erzeugen ; die Ursache ist
hier offenbar mit der Wirkung ver-
wechselt und dies bringt uns auf die
sogenannten inneren Ursachen der
Hautkrankheiten, der grösseren Mehr-
zahl nach dem Verdauungsapparat ent-
springend, ferner Diathese als Skro-
phulose, Tuberkulose, Hämophilie —
gestörter Stoffwechsel ins Gebiet der
Biochemie und des Metabolismus ge-
hörend, wonach sich hauptsächlich und
in erster Linie, wie ich dies vor zwei
Jahren Ihnen hier zu erörtern die Ehre
hatte, die Behandlung zu richten hat,
mit anderen WTorten ausser lokalen
Applikationen ist eine methodische
und systematische diätetisch-hygienische
Allgemeinbehandlung unerlässlich.
Beginnen wir nun mit dem eben neu-
geborenen gesunden Kinde und be-
trachten uns die für den praktischen
Arzt wichtigen Hautleiden, denen er
fast alltäglich begegnet. - — Ich muss
vorweg bemerken, dass ich die kon-
genitale Syphilis nicht im Rahmen die-
ser Vorlesung beleuchte, ebenso nicht
die akuten Infektions-Krankheiten.
Zunächst und obenan steht die In-
tertrigo. Die Kinder werden wund und
zwar meist an Berührungsflächen, ins-
besondere bei fetten Kindern in den
Cervikal-, Axillar-, Inguinal-, Genital-,
Krural- und Analfalten, was man
aber leicht verhüten kann, wenn man
prophylaktisch vorgeht, solange noch
nur ein blosses Erythem besteht. Die
erste Frage, die ausnahmslos an uns
gerichtet wird, und dies lehrt mich
eine 19jährige Dispensary-Erfahrung,
selbst bei Leuten, die nur ein einziges
Mal im Jahre ein Bad nehmen, ob sie
es brauchen oder nicht, ist die: „Darf
ich das Kind baden?" Was ich hier-
auf zu erwidern habe, bezieht sich
mutatis mutandis auch auf das ebenso
oft auftretende Ekzem, die Impetigo
contagiosa, die Skabies und die ande-
ren Dermatomykosen, und ich werde
nach Besprechung dieser Affektionen
mich über das Baden äussern. Pro-
phylaxe ist nach meiner Ueberzeugung
nirgends so angebracht und deren Aus-
übung bringt nirgends so viel Segen als
gerade bei den Hautleiden kleiner
Kinder.
Bleiben wir bei dem Ervtlicm, der
Vorstufe der Intertrigo : Von den
meisten Müttern wird dies kaum be-
achtet, die Rötung wird dafür genom-
men, dass das Kind gesund ist und die
Nahrung gut verträgt, es wird nur
höchstens bei dem öfteren Trocken-
legen reichlicher Pulver gestreut.
Und nun erst bei einem kranken Kinde
mit pathologischem Harn und alkali-
schen Faeces, bei oft 10 — 2omaliger
Entleerung per Tag, bei Enteritiden,
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
33
Cholera infantum u. s. w. — erlaubt
die Mutter dem Kinde in diesen Se-
kreten und Exkreten zu liegen, so wird
bald ein Mazerationsprozess eintreten,
der oft zu ulzerativen und gangränö-
sen Ekzemen führen wird, ebenso bei
einem Plus in puncto zu heissen Was-
ser und zu starkes Abreiben mit Seife
und zu starkes Frottieren beim Ab-
trocknen prädisponiert die ja ohnehin
schon stark lädierte Haut zur Inter-
trigo mit nachfolgendem Ekzem. Also
Prophylaxe Reinigen mit einem mil-
den Adstringens und, wenn die Kru-
sten und das zu reichlich benützte
Streupulver angebacken sind, zuerst
ein in Olivenöl getauchtes Läppchen
benützen, eventuell mit Zusatz von ein
bis zwei Prozent Salicyl- oder Bor-
säure, um so den selbst physiologisch-
normalen Urin, die Faeces, die aus dem
Munde kommende Milch und den Spei-
chel zu verhindern, durch Zersetzung
die Haut zu zerstören. Vor Angst,
dass ein kalter Luftzug den Ausschlag
nach innen treiben könnte, bleiben die
Kinder vier- und fünffach in Linnen
und Wolle eingepackt, Ventilation ist
erst recht verpönt, und so kommen die
traurigen Folgen und wir sehen ein in-
tertriginöses Ekzem etabliert.
Ich erwähnte Eingangs, dass wir es im
Säuglingsalter mit einer mehr oder we-
niger physiologisch-normalen Hyperämie
und Hypersekretion der Drüsen zu tun
haben ; dem Produkte dieser funktionel-
len Hypersekretion der Talg-Drüsen,
einer Ueberproduktion von 'Sebum be-
gegnen wir fast alltäglich auf dem
Kopfe des Kindes ; unter allmählich sich
steigender Rötung, Entzündung und Ex-
sudation, die zur Abhebung der obersten
Epithelschichten führt, bekommen wir
das bekannte Bild der Seborrhoe, nach
und nach backen die Produkte zusam-
men mit den Haaren zu einer Kruste,
einer Borke, der Prozess geht über die
Stirne nach dem Gesicht und über die
Ohren nach dem Nacken, und so hat
sich auch hier ein sekundäres Ekzem
etabliert, das seborrhoische Ekzem, und
da kommt wieder die Prophylaxis in
ihre Rechte. Hat man es mit einer thö-
richten Mutter zu tun, die diesen Belag
vom Köpfchen zu entfernen aus Aber-
glauben sich weigert, so lässt sich eben
nichts machen und das passiert in der
Praxis noch allzuhäufig, andererseits
aber erzielt man glänzende Resultate,
wenn man zunächst mit grüner Seife den
Kopf wäscht, nachher die Krusten und
Borken mit Oel entfernt und solange
Exsudation stattfindet, milde Adstrin-
gentia in Form von Umschlägen anwen-
det und zur Heilung eine Resorzin-
Schwefelsalbe mit oder ohne Zusatz von
Salizyl, alle Applikationen in kleinem
Prozentsatz, da ja die lädierte Haut
schon genug gereizt ist.
Bleiben wir beim Kopfe, wo wir
noch anderen Erkrankungen sehr
häufig begegnen, als Follikulitiden und
Furunkeln, die eine chirurgische Be-
handlung erheischen, und einer an-
deren Gruppe von Krankheiten para-
sitären Ursprungs. Zunächst die Pedi-
culosis capitis, deren Behandlung ein-
fach ist, mehrmalige Einreibung von
Olivenöl und Petroleum zu gleichen Tei-
len, 3 — 4 mal per Tag, mit imper-
meablem Stoff bedeckt lassen, nach drei
bis vier Tagen mit Essig und grüner
Seife auswaschen und reinigen, und für
die nächsten drei bis vier Tage mit Del-
phinium Tinktur und Aether zu gleichen
Teilen einreiben, wozu man noch 5 — 10
Prozent Perubalsam zusetzen kann ; die
protrahierte Behandlung ist notwendig,
um nicht nur die Läuse, sondern auch
die Nüsse zu töten. Ohne Behandlung
infolge des anhaltenden Kratzens mit
den schmutzigen Fingernägeln etabliert
sich das Ekzema e pediculis.
Fast ebenso häufig ist die Titnea tonsu-
rans, ein äusserst hartnäckiger Feind, her-
vorgerufen durch den Trichophiton-fun-
gus, einen vegetabilischen Parasiten. Hat
man es mit einem etablierten Ringwurm
zu tun, so ist es geraten, die benachbar-
ten Partien durch Rasieren vor dem
Uebergreifen zu schützen und die abge-
brochenen, trockenen Haare der er-
34
New Yorker Medizi
nische Monatsschrift.
krankten Area zu epilieren. Kommt es
zur Eiterung innerhalb der Haarfollikel,
dann müssen feuchte Dauerverbände mit
Antisepticis gemacht werden, eventuell
muss man manchmal mit der Knopf-
sonde in die Eiterherde einstechen, um
den Eiter zu entleeren, nachher Subli-
mat oder Naphtol- Alkohol, 5 — 10 Pro-
zent einpinseln und später Ichthyolsalbe,
5 — 20 Prozent, bei zwei oder drei klei-
nen Herden gebrauche ich reines Ich-
thyol ganz unverdünnt und Forma-
lin (40prozent. Lösung). — Als ein in
Folge der russischen und italienischen
Einwanderung häufiges Leiden der
Kopfhaut wäre auch noch der Faz'iis
zu erwähnen, der ebenfalls durch einen
vegetabli sehen Parasiten, Achorion
Schoenlein, hervorgerufen wird ; hier
führt das Skutulum zur Atrophie mit
Narbenbildung ; therapeutisch starke An-
tiseptika und Epilation. Hieran reihe
sich naturgemäss noch eine Erkrankung,
die äusserst häufig ist und leider auch
sehr oft verkannt wird : die Skabies, be-
dingt durch einen animalischen Parasi-
ten, Acarus skabiei, im Bilde wenig ver-
schieden von der des Erwachsenen, die-
selben polymorphen Eruptionen an den
charakteristischen Stellen, anstatt Schwe-
fel und Styrax, die schmutzig und un-
angenehm riechen, benütze ich Epikarin
1 — 5 Prozent ; Peruol, ein Ersatz für
Perubalsam, 1 — 2 Prozent, Eudermol
1 — 2prozentig, als Salbengrundlage
Lanolin oder Resorbin, zur Nachbehand-
lung eine 2 — Sprozentige Bromokollsalbe.
Alle eben genannten Erkrankungen sind
von höchster Wichtigkeit und verlangen
eine genaue Kenntnis und eine rigorose
Behandlung und Prophylaxis, insbeson-
dere im schulpflichtigen Alter wegen der
hohen Ansteckungsgefahr ; die Kinder
werden nämlich heimgeschickt, eventuell
aus der Schule ausgeschlossen.
Als letzte in der Gruppe der Dermatomy-
kosen reiht sich die Impetigo contagiosa
an, die gewöhnlich das Gesicht des Kin-
des befällt ; die Erkrankung beginnt mit
Bläschen in den obersten Hautschichten,
die darunter liegende Haut ist ganz nor-
mal, höchstens am Rande des Bläschens
leicht gerötet ; das dauert zwei bis drei
Tage, nachher füllen sich diese Bläschen,
die nie primär Eiter enthalten, und
trocknen unter Zurücklassung einer
Kruste ab, die sich nachher abstösst. —
Heilung mit restitutio ad integrum. Die
Behandlung ist sehr einfach : Nach Ent-
fernung der Kruste, denn in diesem Zu-
stande bekommen wir fast ausnahmslos
die Impetigo contagiosa zu sehen, —
man bedient sich hierzu am besten eines
2prozentigen Salizylöls — gebraucht man
2 — 5 — lOprozentige weisse Praezipitat-
salbe, wobei ich Lanolin oder Resorbin
als Salbengrundlage benütze; bei hefti-
gem Jucken, beispielsweise bei gleichzei-
tig bestehender Urtikaria, benütze ich
Resinol als Salbengrundlage und setze
1 — 2 Prozent Menthol zu. Ist die Haut
durch Kratzen schon sehr gereizt oder
überhaupt sehr empfindlich, dann em-
pfiehlt es sich zunächst, Umschläge zu
applizieren, am besten die Lotio Kala-
mine und Zink :
Ac. carbolic 2.00
Calaminae praepar 4.00
Zinc oxyd 8.00
Glycerin 12.00
Aqu. calcis 16.00
Aqu. ad 120.00
und Theer in Form von Ol. Rusci
Vienna-Waldheim.
Urticaria : Ich liess das Wort fallen,
bleiben wir gleich dabei, Sie alle
kennen die Quaddel, und wenn sie
auch nicht ganz so wie nach Be-
rührung der Brennnessel aussieht, sie
juckt doch ebenso entsetzlich und quält
die Kinder, im 4. oder 5. Lebensmonat
beginnend, oft jahrelang: hier haben
wir es positiv, wie bei dem primären
Ekzem, mit einem toxischen Prozess zu
tun. Was wir gewöhnlich zu Gesichte
bekommen, ist die Urticaria papulosa,
die Papeln kommen und gehen, oft über
den ganzen Körper verbreitet, und dass
man da auf der Höhe der Effloreszenzen
— infolge des unausstehlichen Juckens
kratzen sich die Kinder Tag und Nacht
— keinen einheitlichen Charakter mehr
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
35
haben wird, ist ja klar; es kommt oft
zur Bildung von Furunkeln, Abszessen,
Geschwüren, grossen Eiterblasen (Urti-
caria bullosa) und zu sekundären Ekze-
men. Hier kommt das ätiologische Mo-
ment par excellence in Betracht, und
darnach hat sich die Behandlung in
erster Linie zu richten, und da kommt
die bis jetzt noch ungelöste Frage der
rationellen Ernährung des Kindes in den
Vordergrund. Da es keine spezifischen
Mittel für die Heilung der Urticaria
gibt, muss man vor allem Darmantisep-
tika, z. B. Salol, Kreolin, Tannin u. s. w.,
gebrauchen, lokal Menthol, Karbol, Epi-
karin und Bromokoll von 2 — 10 Prozent,
in alkoholischen Lösungen und sonst
hygienisch-diätetisch.
Und nun zum Ekzem : Wollte ich
alles über Ekzem Wissenswerte auch
nur flüchtig erwähnen, brauchte ich
einen separaten Abend ; es genügt mir,
zu sagen, dass das meiste, was ich
heute erwähnte, sich auf das Ekzem
bezieht. Vor allem halte ich daran
fest, im akuten und subakuten Sta-
dium nur feuchte Umschläge und erst
im chronischen Stadium Salben resp.
Pasten und ganz besonders Teer in
Form von Ol. Rusci. Baden ist nie kon-
traindiziert, es müsste denn sein, dass
man für einige Tage eine bestimmte Ab-
sicht mit dem betreffenden Medikamente
hat, wie beispielsweise die Einwirkung
des Schwefels bei Skabies. Das dun-
kelste Gebiet bei den Hautkrankheiten
kleiner Kinder ist jedenfalls die Aetio-
logie des Ekzems, welche ich in einer
späteren Vorlesung Ihnen zu erörtern
mir erlauben werde.
616 Madison Ave.
The Sydenham Bldg.
Cysticercus.
Von Dr. Reinhard Rembe.
Eddie Behringer, Niles Center, III.,
Waisenknabe, 7 Jahre alt, kräftiger
Junge, noch nie krank, hatte nie ein
Augenleiden oder eine Verletzung der-
selben.
Am 1. Oktober vorigen Jahres be-
merkten die Pflegeeltern, dass das rechte
Auge rot und entzündet war und von
Tag zu Tag sich wesentlich verschlim-
merte. Der Junge wurde dann von Dr.
S i n t z e 1 ( Niles Center) behandelt ;
derselbe liess Borsäure-Aufschläge ma-
chen und nach einigen Tagen trat Bes-
serung der entzündlichen Erscheinungen
ein. Da der behandelnde Arzt nicht
sicher bez. der Diagnose war, schickte er
mir den Fall zu.
Patient kam am 6. November in meine
Behandlung. Die Untersuchung ergab
das folgende :
Die Augenlider mässig ödematös, die
Lidspalte verengt, die Conjunctiva bulbi
oberflächlich infiziert, jedoch im Limbus
conjunctivalis nach oben und unten mit
einem leichten Gefässkranz versehen.
Die Hornhaut in ihrem ganzen Umfang
weniger glänzend und durchsichtig als
im normalen Zustande ; die vordere
Kammer etwas verengt, der Humor
aqueus nicht sichtlich getrübt. Die Iris
scheint mehr nach vorn gedrängt, doch
lässt sich dieses Verhältnis wegen des
grösstenteils ausgefüllten Raumes der
Kammer nicht mit Genauigkeit eruieren.
In der Vorderkammer nämlich befindet
sich unmittelbar vor dem unteren äusse-
ren und inneren Quadranten der Iris ein
erbsenförmiger, weissgraulicher, blasen-
förmiger, durchscheinender Körper, der
den Raum zwischen Hornhaut und Re-
genbogenhaut einnimmt.
Am Boden der Blase erblickt man
einen milchweisen, gekrümmten, in einen
Strang auslaufenden Körper, dessen An-
36
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
fang in der hinteren Wand der Blase zu
finden ist, und dessen Ende in der Ge-
gend des inneren Quadranten der Iris
sich verliert. In der ganzen Blase, na-
mentlich aber in dem darin befindlichen
Körper, sieht man eine eigentümliche
Bewegung, die in einem Wechsel zwi-
schen Zusammenschnüren und Auf-
blähung besteht. In dieser Bewegung
nimmt auch der erwähnte weiter nasal-
wärts gelegene weisse Strang insofern
Anteil, als er bald sehr gestreckt oder
verkürzt in lateraler Richtung sich be-
wegt.
Atropinum sulfuricum bewerkstelligte
eine mässige Erweiterung der Pupille
nach oben, im unteren Teil der Iris war
eine deutliche Rigidität bemerkbar. Das
Sehen war auf Fingerzählen in 3 Meter
Entfernung reduziert.
Die Erkennung des Blasenwurmes war
in diesem Falle nichts weniger als kom-
pliziert. Die operative Beseitigung
wurde ohne Schwierigkeit vollführt ; es
schien mir ratsam, mit der Lanze am
Kornea-Skleralrand mehr zentral als
peripher einzugehen und sofort, sozu-
sagen, die Cyste zu spalten ; merkwür-
digerweise aber glitt die Spitze der Lanze
an der festen vorderen Membran ab, ich
schob selbige ohne Hindernis bis zur
Iris vor. Kammerwasser floss ab, und
nun ging ich mit geschlossener Kapsel -
pinzette ein, ergriff die Cysticercuswand
und beförderte Blase und Inhalt leicht
heraus. Die Wunde restituierte sich
rasch und schloss vollkommen, das Auge
wurde stark atropinisiert, bandagiert und
die Heilung ging glatt von statten. Das
anfangs bestehende weissliche Exsudat
hat sich vollkommen resorbiert, eine noch
bestehende hintere Synechie zerriss je-
doch nicht, weder spontan noch auf Ein-
träuflung von Atropin. Jede Spur von
Iritis und auch der Hauch an der Des-
cemetschen Membran sind verschwun-
den,. Visus fast normal, 56.-
Wie der Cysticercus seinen Weg in
die vordere Kammer, resp. in die Regen-
bogenhaut gefunden hat, konnte man
sich wohl in der folgenden Weise den-
ken. Die Pflegeeltern des Knaben sind
Gemüsegärtner mit grossen Treibhäusern
und ziehen speziell Radieschen, gelbe
Rüben, Gurken und Salate. Es ist eine
bekannte Tatsache, dass Gemüsegärtner
mit Vorliebe menschliche Faeces als
Dünger verwenden. Angenommen, ein
Mensch mit Bandwurm würde selbst nur
einmal den Abtritt gebrauchen, dann
kann derselbe mit einem Stuhlgang 30
bis 60 Millionen Eier daselbst entleeren;
werden nun die Faeces auf dem Garten-
land oder im Treibhaus verteilt, auf wel-
chem schon nach ein bis zwei Monaten
junge Radieschen, Rüben etc. wachsen,
so können leicht Taenien-Eier an den
Radieschen oder Rüben hängen bleiben.
Der Junge gibt auch zu, dass er mit Vor-
liebe fast täglich Rüben aus der Erde ge-
zogen und gegessen habe, ohne dieselben
abzuwaschen, und auf diese Weise dürf-
ten wohl die Taenien-Eier in den Magen
gekommen sein. Einmal da, löst sich die
Membran um den Embryo auf und der
Parasit bohrt sich mit Hilfe seiner sechs
Haken durch den Magen und wandert
so lange, bis er einen Widerstand findet.
Auf seinem Wege kann er nun ein Ge-
fäss treffen, wird in den Blutstrom ge-
rissen und auf diese Weise nach irgend
einem Teil des menschlichen Körpers ge-
führt. In unserem Falle gelangte der
Parasit in die Arteria ciliaris und von
da in die Iris. Hierauf fing die initiale
Invasionsreaktion an, welche sich in der
vorher beschriebenen Irititis charakteri-
sierte. Der Parasit zeigt eine Neigung,
in der Richtung minoris resistentiae zu
wandern, daher wurde die vordere Kam-
mer bevorzugt.
Die Reaktion der Gewebe zeigt sich
unter dem Bilde der Entzündung und
Proliferenz von Bindegewebe; zu dieser
Zeit entsteht die Cyste, und damit hat
der Blasenwurm seine Reife gewisser-
massen erreicht.
Derselbe besteht nun aus einem etwa
erbsengrossen Körper mit einem dünnen
Halse und Kopf des zukünftigen Band-
wurms. Die Finne geht schliesslich in
das Stadium der Indolenz oder Verpup-
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
37
pung über und richtet so unter gewöhn-
lichen Umständen im menschlichen Ge-
webe keinen Schaden an, im Hirn und
Auge jedoch tritt früher oder später das
Stadium der terminalen Reaktion auf,
welche bei entsprechendem Sitze im
Auge zur totalen Erblindung desselben
führt.
Als der Junge unter meine Beobach-
tung kam, hatten bereits die Symptome
der initialen Reaktion wesentlich nach-
gelassen. Der Kasus ist insofern von
Bedeutung, als er vielleicht der erste
authentische Fall ist, der hier in Amerika
beobachtet wurde. In Folge der in
Deutschland rigiden Schlachthausinspek-
tion gehören Cysten gegenwärtig zur
grössten Seltenheit.
Im Jahre 1830 entdeckte Dr. Schott
in Frankfurt als erster in der vordem
Kammer eines lebenden Menschen eine
lebende Schweinefinne. In Okeris Isis,
Band 23, wird ferner bemerkt, dass Dr.
Schott über seine Entdeckung so er-
freut w?ar, dass er den Blasenwurm als
Wappen in seinem Siegelring trug. Im
Jahre 1854 entdeckte A. von Graefe
den Cysticercus in der dunkeln Tiefe
des Auges.
Ich möchte diese Beobachtung nicht
schliessen ohne zu erwähnen, dass Herr
Kollege S i n t z e 1 im vorigen Jahre 20
Fälle von Bandwurm in Behandlung
hatte, dass der kleine Patient nirgendswo
an der Oberfläche Cystikerken darbot,
und dass Klagen, welche auf Taenien zu
beziehen waren, weder von demselben
noch von der Umgebung angegeben
werden.
100 State Street, Chicago, III.
Geharzter Wein.
Von Dr. Walther Nie. Clemm,
Sanatorium für Verdauungs- und Stoffwechselleidende in Bollenstedt a/Harz
(früher Spezialarzt in Darmstadt).
In zahlreichen Variationen immer neu
auftauchend bieten Medizinalweine doch
im Prinzipe alle dasselbe : Es sind alko-
holische Auszüge aus Rinden und Wur-
zeln, deren Alkaloide und Glykoside ent-
haltend, und hinterher mit Südweinen
versetzt zur Erhöhung ihrer Bekömm-
lichkeit und zur Geschmackverbesserung.
Meist handelt es sich dabei um Auszüge
der China- oder der Kondurangorinde,
häufig auch um solche der Rhabarber-
wurzel.
Ueber den Wert der Bitterstoffe zur
Anregung der Verdauung hat das Licht,
welches P a w 1 o w's Prometheusfackel
in die verschlungenen Labyrinthwege der
Verdauungsarbeit hineingeworfen hat,
ein anderes, besseres Urteil gezeitigt, als
es vor diesen bahnbrechenden Untersuch-
ungen darüber mehr und mehr Geltung
sich zu verschaffen gedroht hatte : Wäh-
rend man den Amaris auf Grund der Be-
obachtung, dass sie unmittelbar die Ver-
dauung nicht anregen, bereits jedwede
Bedeutung absprechen wollte, hat der
russische Forscher die Ergebnisse der
Empirie bestätigt, in dem er erwies, dass
die Bittermittel den Appetit anregen und
somit die vornehmste Grundlage zu ge-
besserter Verdauung schaffen helfen, in-
dem sie den ,, Zündsaft" hervorlocken.
Ob wir hiefür nun die Alkaloide der
Chinarinde, die Glykoside und Harze der
Kondurangorinde oder andere in Alkohol
lösliche Harze etc. wählen, das bleibt sich
für die Wahl des Weines als Stomachi-
kum ziemlich gleichgiltig. Wünschen wir
die Chininwirkung, so geben wir das Mit-
tel besser und sicherer in bestimmter Do-
sierung, ebenso wie wir den Rhabarber
als Abführmittel nicht in der teuren
weinigen Lösung anwenden würden ; und
38
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
die Träume, welche Friedreich von der
spezifisch - antikarzinomatösen Wirkung
derKondurango geträumt hat, haben sich
längst als eitel Schäume erwiesen. Wozu
also diese mühsam künstlich hergestell-
ten weinigen Spiritusextrakte als ein-
fache Stomachika wählen, wenn wir ein
in rein natürlicher Form sich darbieten-
des Ersatzmittel derselben uns weit billi-
ger leicht zu beschaffen vermögen ! ? Der
Wein als solcher spielt eine nicht uner-
hebliche Rolle dabei : Als Magensaf t-
treiber ersten Ranges unterstützt er diese
Wirkung der in ihm gelösten Bitterstoffe
wesentlich ; suchen wir also einen Wein,
dem im Gährprozess Bitterharze in Lös-
ung zugeflossen sind und der uns daher
— schon aus diesem Grunde — solche
Kunstweine zu ersetzen vermag : Und
der ist bereits gefunden, uralt ist seine
Geschichte, wenn auch er in der Heil-
kunde nur mit einer bescheidenen Rolle
bisher hat Yorlieb nehmen müssen.
Freilich ist dieser Harzwein nicht aus
physiologischen Ueberlegungen heraus-
gewachsen, sondern dankt seine Entsteh-
ung rein-ökonomischen Gründen in
grauer Vorzeit, und die Gewohnheit, die
mächtigste Fessel, die den Menschen bin-
det, hat ihn bis heute eine bescheidene,
nur wenigen Eingeweihten bekannte Ex-
istenz abseits von der grossen Strasse,
auf der heute der Menschheit Kulturle-
ben auf- und abflutet, in von der Klio
Griffel geheiligtem Winkel fristen lassen.
Seine medizinischen Eigenschaften vol-
lends scheinen mehr vom Weinhändler
dort zu Reklamezwecken benutzt als
ärztlicherseits einer Prüfung unterzogen
worden zu sein. Wenigstens war davon
bei uns in Deutschland nichts bekannt,
als ich, wie ich später schildern werde, I
meine vom Zufall angeregten Untersuch- J
ungen in den Jahren 1902, 1903 und 1904
darüber anstellte. Erst vor ganz Kurzem :
erhielt ich durch die Liebenswürdigkeit
der Firma H. Chardon in Coblenz
eine alte Flaschenetikette in die Hand,
welche mir anzeigt, dass man in Italien
wenigstens den „Theerwrein," vino catra-
mato, eines A. Stamatiadis ärztlich |
einzuschätzen begann, und es ist da das
Urteil keines geringeren als M a n t e-
g a z z a's darüber angeführt. Doch auch
hievon später. Ehe wir uns zur medizi-
nischen Beurteilung des Harzweins wen-
den, betrachten wir erst seine Geschichte,
die mit der des Weines überhaupt in
engem Zusammenhange steht.
Der Grieche bezeichnete mit ^ev
jedes berauschende Getränk, und das be-
weist ebenso wie der Umstand, dass im
Deutschen das gleiche Wort, „Meth", für
das aus vergohrenem Honigwasser her-
gestellte süsse Dickbier gebräuchlich war,
dass die Griechen einst Meth brauten,
ehe sie den Weinbau erlernten: Denn
Wörterstämme sind älter als Gebräuche
und weisen in die graueste Vorzeit der
Völker zurück. Der Begriff des Be-
rauschenden bleibt mit dem Namen des
Methes verknüpft, denn nach der Edda
trinken die Menschen Bier, das den
Asen als ,,Bräu" in den Wisenhörnern
schäumt, den Einhörnern als „Aul" oder
,,Oel" eingeht, den Wanen „Würznass",
den Thorsen ,, Lautertrank" ist, den blei-
chen Schatten aber in Hels Reich „Meth"
heisst. Ich sehe darin die Bezeichnung
des Totentranks als des Trunkes der
Vergessenheit analog der „Lethe" der
Griechen. Für trunkenmachen sagt der
Grieche neBfoKuv; mit uidv berauschte
Zeus seinen Vater C h r o n o s, ehe er
ihn vom Throne stürzte, und der Stamm
im Namen des Göttermundschenks
Ganymedes zeigt uns, dass der Nektar
der alten Olympier gleich dem in Wal-
halla's Hörnern schäumenden Bräu ein
stark alkoholisches Getränk war, das
ursprünglich nicht von der Traube
stammte. Der Göttervater Wotan
allerdings nährte sich nur von Wein,
Vieth und Speise den niederen Göttern
überlassend. Ein früher Hinweis schon
auf die geistesanregenden Eigenschaften
des Traubensaftes gegenüber anderen
geistabstumpfenden Getränken ; denn
Odin, der Gott der Raben und der
Runen, herrscht über die anderen Götter
wie über die plumpen Riesen durch sei-
nes Geistes Ueberlegenheit.
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
39
Wie nun der im Walde wild wachsende
bittere Hopfen dem Biere* zugesetzt
ward, um seine Haltbarkeit zu erhöhen,
so mag auch dem von der gleichfalls in
Asiens Wäldern wild wachsenden Rebe
stammenden Wein ein, gleichfalls dem
Walde entnommener, Klärungszusatz in
dem Fichtenharz von Alters her gemacht
worden sein : Der Fichten- (oder Pi-
nien-) Zapfen, welcher den Thyrsosstab
der Bacchanten krönte, spricht für eine
uralte Beziehung des Weingottes zur
harzigen Fichte. Aber schon bei H o-
m e r finden wir — im geraden Gegen-
satze zu der Behauptung auf dem er-
wähnten Teerwein-Etikett — keine An-
deutung dieses Brauches mehr, er muss
also schon in hohem Altertum auf lange
Zeit verloren gegangen sein : Home r's
Epitheta nennen den Wein, „süss, ijSis,'
oder sie preisen ihn als „honiglich-lieb-
lich", rtSveiS^s. oder auch sie rühmen seine
„honigliche Gesinnung" indem sie ihm
das lieblich klingende Lob des „ofcos
■l]Sv(ppui>" spenden.
Erst bei Dioskorides finden wir
V, 10 den ,,olvos pr)Tlvi)v TCirvlv-qv ?xü"/"- d. h.
den Harz von der Kiefer oder Föhre ent-
haltenden Traubensaft erwähnt, dessen
V, 35 auch als „olvos ^lyrtvlriis", als geharzten
Weines gedacht wird. V, 34 wird dann
erzählt, dass zu des Dioskorides
Zeiten besonders in Galatien solcher
Harzwein bereitet ward. Es kann sich
*) Den Namen Bier verdient der vergorene
Gerstensaft nach R. Kobert „zur Geschichte
des Bieres" (Dorpat 1896) erst in seiner
Mischung mit dem bitteren Hopfen. Nach
dieses Forschers Mitteilungen in der gedachten
Arbeit, der auch in Vorstehendem manche Data
entnommen sind, sind die Chewsuren, die
Hochgebirgsgeorgier, die Erfinder des gehopf-
ten Bieres; diese Schweizer des Kaukasus
brauen auch heute noch ein heiliges Bier, das
nach R a d d e dem „Erlanger" sehr ähneln soll
und alljährlich in dreitägigem Opferfest den
Gläubigen fliesst. Auch die Osseten, der am
Kaukasus hausende Rest der Alanen und
Goten, beanspruchen das Erfinderrecht für
sich ; ihr gehopftes Bier soll dem englischen
Porter ähneln.
da nur um die kleinasiatische Landschaft
dieses Namens handeln, denn Gallien, das
ebenfalls TaXarla hiess, kam damals, um
50 n. Chr., als weinbauendes Land noch
nicht in Betracht — die Chateau Yquem
und die Volnay waren späteren Zeiten
vorbehalten. Uebrigens nennt auch jener
erwähnte Stamatiadis seinen Wein
ausdrücklich „Nebet (arabisch — Wein)
della salute Asiatico", und führt den Ur-
sprung desselben auf Kleinasien zurück.
Zu des P 1 i n i u s Zeiten war der
Brauch der Weinnarzung in Italien all-
gemein eingebürgert, denn der Altmeis-
ter sagt XIV, 24: „resina condire musta
vulgare est Italiae provinciisque finiti-
mis", d. h. in Italien und den umliegen-
den Provinzen macht man die Trauben-
presssäfte, die Moste, durch Harzzusatz
haltbar ; und XIV. 25, 3 fügt er weiter
hinzu, dass neben der Erhöhung der Halt-
barkeit durch den Harzzusatz auch auf
die Stärke des Weins eingewirkt zu wer-
den pflege.
Und C a t o, der allen ausländischen
und besonders hellenischen Bräuchen so
abholde nüchterne ernste C a t o,
schreibt vor, auf einen culeus=525 Liter
Most 3 Pfund Harz zuzusetzen ; das er-
gibt im Vergleich mit der durch die auf
meine Veranlassung angestellten Ver-
suche ermittelten Ziffer für die in Lö-
sunggehenden Terpene etc. die Hälfte
des höchstmöglich löslichen Terpentinzu-
satzes: Denn 0,75% Kiefernharz ver-
mochte gährender Rosinensaft aufzu-
nehmen ; offenbar des Geschmackes hal-
ber riet also C a t o ein geringeres, aber
immer noch auf die Haltbarkeit des Wei-
nes einwirkendes, Quantum Harz zu
nehmen.
P 1 i n i u s' Vorschriften für die Resi-
nierung des Weines erwähnen drei ver-
schiedene Arten des Zusatzes : Entweder
wird ,,flos resinae", als feinstgepulvertes
trockenes Harz genommen, oder es fand
ein eigens dafür bereitetes, bei P 1 i n i u s
XIV, 22, „crapula" genanntes Terpentin
dafür V erwendung, oder drittens es ward
dem acht Tage alten Wein Pech zuge-
setzt. Und dieses, zu Pichungen dien-
40
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
ende, zähklebrige Harz ist es wohl auch,
das der mehr erwähnte Stamatiadis
seinem „vino catramato" (Teerwein)
zusetzt, mit dessen „Fabrikation" er sich
brüstet. — Heute noch haben ausser den
Küstenstrichen Kleinasiens, wo der
„Nanedes"-Teerwein erzeugt wird, ein-
zelne Provinzen Griechenlands, nämlich
ein Teil des Peloponnesos und Mittel-
griechenlands die Sitte der Weinharzung
beibehalten, um den, in der lingua franca
„vino recinato", von den heutigen Athe-
nern „Krasi" genannten, Harzwein her-
zustellen.
Ich vermute, dass es in erster Linie die
geringe Haltbarkeit war, welche bei den
primitiven Kelterungs- und Kellerungs-
verfahren und — möglichkeiten des Alter-
tums dem Weine bei Lagerung in Am-
phoren mit Oelverschluss, beim Auf-
hängen in Bockshäuten etc. die Existenz
gefährdete, und welche zum Aufsuchen
von Konservierungsmethoden — auch auf
Kosten des Geschmackes — geführt hat.
In köstlicher Weise hat mit seinem un-
vergleichlichen Frohsinn bei so viel
gründlichem Studium Scheffel diese
kläglichen Kellereien des Altertums in
seinem „Gaudeamus" („das grosse Fass
zu Heidelberg", S. 106, 3) uns geschil-
dert, die freilich keine „Rose" im Bremer
Ratskeller kannten und dgl. Und dies
rasche Verderben des Weines hat wohl
die stammverwandten Völker der Grie-
chen und Römer veranlasst, auf die
längst in Vergessenheit geratene (s.
obige Zitate aus Home r) Sitte des
Harzzusatzes zum Moste zurückzugrei-
fen und so einen haltbaren und bekömm-
licheren Tischtrunk zu erzielen. Ganz
sicher führt dieser Brauch auf eine weit
ältere Wurzel zurück — das beweist wohl
schon der Fichtenzapfen am Szepter des
Weingottes — , als z. B. die von den
Koern aufgebrachte Vermischung des
süssen Mostes mit Seewasser ( !) Auch
andere Stämme hatten diese 'Sitte ange-
nommen nach ihnen, und P 1 i n i u s er-
wähnt XIV, 10, 2 den Pharineer als —
horrible dictu ! — besonders gesalzenen
Wein ! In Italien hat wiederum beson-
ders der grimme C a t o sich um die Ein-
führung dieser Kondierungsart bemüht,
und er scheint es auch gewesen zu sein,
der die, nahe genug liegende, Verwend-
ung von Kochsalz anstelle des Seewas-
sers empfahl.
Sicherlich haben Salz und Meerwasser,
besonders nach C a t o's Vorschrift ange-
wandt — wie sie gleich den meisten aus
P 1 i n i u s hier benutzten Quellenan-
gaben bei K. B. Hofmann, Prof. d.
med. Chemie in Graz, in seiner Mono-
graphie „die Getränke der Griechen und
Römer vom hygienischen Standpunkte"
nachgelesen werden kann — eine konser-
vierende, ja gewisslich aber und wahr-
haftig— auch wenn der Wein nicht ver-
salzen ward, wie dies häufig vorgekom-
men zu sein scheint, — eine ganz ab-
scheulich schmeckende Eigenschaft
auf ihn ausgeübt !
Eine andere Art der Weinkondierung
erhöhte seinen Alkoholgehalt in bedenk-
lichem Masse und war daher schon aus
diesem Grunde — abgesehen von der
Bleivergiftungsgefahr, auf die Hof-
mann hinweist — recht verwerflich :
Ich meine das Einkochen des Mostes in
Bleipfannen — wodurch nach Hof-
m a n n's Untersuchungen etwa 0,237
Prozent Blei in Lösung geht — zu sap£
(auf die Hälfte) oder zu defrutum (au;
ein Drittel seines ursprünglichen Volu-
mens), um nachher diese Zusätze zu ge-
ringerem Wein beizumischen etc. — wenn
diese Weinsirupe nicht gar pur genos-
sen wurden ! Ohne Erhöhung des Alko-
holgehaltes und ohne Intoxikationsge-
fahr bei nicht gar so abscheulicher Ge-
schmacksveränderung, wie sie das See-
wasser hervorgerufen haben muss, leis-
tete der Harzzusatz den Alten raschere
Klärung des Weins von seiner Hefe und
längere Haltbarkeit desselben. Alle an-
deren Verfahren, von denen einige im
Vorstehenden skizziert sind und deren
noch eine Anzahl anderer bestand, sind
längst spurlos verschwunden, lediglich
das Versetzen des Weins mit Harz bei
der Gärung hat sich bis auf den heuti-
gen Tag, wie bereits erwähnt, in einigen
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
4i
Provinzen Griechenlands und seiner
früheren kleinasiatischen Kolonien er-
halten, und zwar sollen es ganz bestimmte
Weinsorten sein, die dazu Verwendung
finden. Freilich ist die alte P 1 i n i u s'-
sche Vorschrift dafür verloren gegangen,
es wird heute vielmehr einfach das Harz
der Strandkiefer, wie es aus breiten,
künstlich gerissenen Rindenwunden
fliesst, in Bastkörben aufgefangen und
mit den Trauben eingemaischt.
Diesem resinierten Wein soll die Ei-
genschaft unbegrenzter Bekömmlichkeit
anhaften, es soll ihm der durch unmässi-
gen Genuss verdiente „Jammer" nicht
folgen, wie mir ein solcher Kneipheld ver-
sichert hat. Kaum hat den im Weinge-
nuss so mässigen Griechen dieser Lohn
des Lasters vorgeschwebt, auch war es
zum mindesten kein klares Bewusstsein
seines therapeutischen Wertes, was sie
an dem Brauch der Weinharzung bis
heute festhalten Hess, als dieselbe den
Nachbarländern allmählich gänzlich ver-
loren gegangen war : Denn der eigen-
artige Terpentingeschmack verursacht
dem Nichtgriechen ein ablehnendes Na-
senrümpfen, dem griechischen Weinbau-
ern ist er vertraut und angenehm.
Eine gelegentlich davon erhaltene
Probe brachte mich auf den Gedanken,
in einem Falle von darniederliegender
Esslust, wo ein Medizinalwein mit Sto-
machikum angezeigt erschien, dieselbe zu
erproben. Der günstige Erfolg veran-
lasste die Fortsetzung der Ordination,
und bald spielte der Resinatwein in mei-
ner Rezeptur eine nicht unbedeutende
Rolle: Vor allem fiel mir auf, dass die
unangenehme Nachgährung, welche den
Weingenuss bei Gastrektasieen und
schwerer motorischer Insuffizienz so
qualvoll werden lässt, bei diesem Harz-
wein nicht oder doch nur in weit geringe-
rem Masse eintrat, dass er sich sozusagen
steril dagegen verhielt. Es lag nahe und
bedurfte keines besonderen Scharfsinnes,
den Grund hiefür in dem Terpentineehalt
des Weines, d. h. in den alkohollöslichen
Terpenen und anderen flüchtigen,
aetherischen Stoffen zu suchen ; die
Weinsorte konnte von vorneherein als be-
langlos angesehen werden.
Ich veranlasste daher, dass eine Reihe
von Analysen des Resinatweins angestellt
wurden, die jedoch zunächst, der Flüch-
tigkeit der Stoffe halber, nach denen ge-
fahndet ward, unbefriedigende Resultate
lieferten. Erst als Gährproben mit Rosi-
nen, reingezüchteten Weinhefen aus dem
berühmten Labaratorium von Dr. Popp
und Dr. Becker in Frankfurt a. M.
und Kieferharz angestellt wurden, zeigte
sich — unseren Erwartungen entsprech-
end — , dass der geharzte Rosinensaft
rascher abklärte und nicht nachtrübte,
wie der ohne Resinierung gebliebene es
tat. Andere Versuche ermittelten u.a. den
Gehalt des Harzweines an löslichen Ter-
pentinbestandheiten : Es wurde das Harz
in Stücken gewogen vor dem Zusatz und,
nach der Gärung getrocknet, der Ge-
wichtsverlust bestimmt, wobei sich etwa
0,75 Prozent dafür ergaben.
Wegen der abgekürzten Gärzeit
bleibt solchermassen bereitetem Wein of-
fenbar ein höherer Gehalt an Trauben-
zucker ; er bildet einen geringeren Pro-
zentsatz an Alkohol und enhält eine
weniger grosse Menge, durch die Nach-
gärung entstehender, organischer Säu-
ren : Vorteile, welche seine Bevorzugung
als Tischtrank — ganz abgesehen von
seiner medizinischen Bedeutung erklär-
lich machen. Der appetitanregenden
Wirkung ist bereits eingangs gedacht ;
es bedarf daher nur noch der Betracht-
ung des therapeutischen Werts der wein-
löslichen Terpentinbestandteile, d. h. der
zu 0,75 Prozent etwa darin enthaltenen
aetherischen Oele oder Terpene, und es
zeigt sich hiebei eine gar mannigfaltige
Bedeutung derselben :
1) Sie üben nämlich eine beträchtliche
Hemmung aus auf Gär- und Fäulnis-
prozesse ;
2) sie besitzen eine deletäre Wirkung
auf Eingeweideparasiten ;
3) sie steigern den Blutdruck durch
Reizung des Gefässnervenzentrums ;
4) sie regen die Diurese lebhaft an;
5) sie desinfizieren den Harn;
42
New Yorker Medizi
nische Monatsschrift.
6) sie lösen das Sekret erkrankter
Schleimhäute in unvergleichlicherWeise ;
7) sie setzen die Darmperistaltik in
Tätigkeit und bringen so den Gallenfluss
in Gang;
8) sie dienen als Antineuralgika ;
9) sie bringen Blutungen rascher zum
Stillstand ;
10) sie werden endlich auch als Anti-
dot gegen Phosphorvergiftung empfoh-
len.
Ad. 1 ) Die Gärungs- und Fäulnis-
hemmenden Eigenschaften des Terpen-
tins bezw. der Terpene sind durch zahl-
reiche ältere und neuere Untersuchungen
erwiesen. Aus der Einleitung erhellt
das hohe Alter der Bekanntschaft des
Menschengeschlechtes mit dieser Eigen-
schaft des Terpentins. Neuerdings hat
dieselbe Ausdruck verliehen bekommen
in der durch Blond und W a d d y er-
folgten Anwendung des Terpengemen-
ges „Tereben" als Antiseptikum und
Desinfiziens, das nur zu einigen Tropfen
intern Verwendung finden soll, mithin
leichter durch Resinatwein ersetzt wer-
den kann.
Ad. 2) In solch' kleinen Dosen wie in
der weinigen Lösung ist von einem dele-
tären Einfluss auf Darmparasiten aller-
dings wohl kaum die Rede ; aber ihre An-
siedelung im Darme wird vielleicht da-
durch erschwert.
Ad. 3) H. K ö h 1 e r und R. K o b e r t
haben 1877 im Medizin. Centralbl. , .Un-
tersuchungen über die physiologische
Wirkungen des sauerstoffhaltigen Ter-
pentinöls" veröffentlicht, worin sie nach-
wiesen, dass kleine Mengen davon bei
jeder Art der Anwendung Reizung des
Gefässnervenzentrums bewirken und so-
mit den Blutdruck bei gesteigerter peri-
pherer Zirkulation steigern sowie die
Sekretion sämtlicher Drüsen anregen.
Diese Resultate wurden vielfach be-
stätigt.
Ad. 4.) Kleine Gaben, bereits 10 — 30
Tropfen, bewirken bereits eine Zunahme
der Harnabsonderung.
Ad. 5) Bei Tripper, Weissfluss und
ISlasenkatarrh wird Terpentin intern zur
Desinfektion angewandt, und Nichol-
son hat es sogar gegen Syphilis em-
pfohlen.
Ad. 6) Die Einatmung von Terpentin-
dämpfen bei veralteten Erkrankungen
der Atmungsorgane, insonderheit bei
putrider Bronchitis, Bronchektasie, Lun-
gengangrän etc., sogar bei Diphtheritis.
ist — abgesehen von letzterer Krankheit
— wohl das einzige zuverlässige Hilfs-
mittel, das uns gegen diese scheusslichen
Krankheiten zur Verfügung steht. Da
aber das Saugen an der „Terpentin-
pfeife", der mit Doppellochstopfen ver-
sehenen Flasche, aus welcher der Kranke
an langem Schlauche ä la Wasserpfeife
die von der Gegenöffnung aus zur Sät-
tigung mit Terpentindämpfen der
Flasche zuströmende Luft ansaugt, recht
unbequem und anstrengend ist, und da
es ganz gleichgiltig ist, ob das Terpentin
lokal oder vom Magen aus ■ — wo es rasch
und ausgiebig resorbiert wird — durch
die Blutbahn zur Wirkung gelangt, so
ziehe ich entschieden die interne An-
wendung vor. So hat auch G u e 1 p k a
das Terpinol, welches nach W a 1 1 a c h's
Untersuchung aus Terpinol und den drei
Terpenen : Terpinen, Terpinolen und
Dipenten besteht, als Expektorans inner-
lich zu einigen Tropfen pro dosi em-
pfohlen, ebenso wie Lepine Terpinhy-
drat zu geben riet : Hier ersetzt uns der
Harzwein jede derartige Ordination!
Bei Magenverschleimung ist die einzig
vernünftige Terpentinanwendung die per
os, und hier tritt auch die sekretions-
und appetitanregende Eigenschaft spe-
ziell des Harzweines in den Vorder-
grund.
Ad. 7.) Bei atonischer Trägheit und
Schlaffheit des Magens sowie bei Me-
teorismus gastro-intestinalis wirkt der
Resinatwein durch seinen Terpentinge-
halt entleerungsfördernd ; er hat da, wie
wir zu beobachten oftmals Gelegenheit
hatten, die bekannte Momentwirkung
eines Magenschnapses, ohne mit diesem
den hohen Alkoholgehalt zu teilen. Der
Schutz gegen Nachgärung im Magen
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
43
lässt ihm nebenbei vor anderen Weinen
den Vorzug in solchen Fällen geben.
Die Anregung der Darmperistaltik
wirkt stuhlfördernd und ebenfalls gas-
entleerend und regt reflektorisch die
Sekretion der grossen Bauchdrüsen an ;
Prevost, Bin et und Rutherford
haben für das Oleum terebinthinae und
seine Derivate Terpinhydrat und Ter-
pinol eine besonders starke cholagoge
Eigenschaft gefunden, die wohl auf dem
Wege der reflektorisch erregten Peristal-
tik in den ausführenden Gallenwegen sich
erklärt. Von Alters her ist ja auch diese
Eigenschaft des Terpentins in den D u-
rand e'schen Tropfen, der Lösung von
5 Teilen Terpentinöl in dem vierfachen
Volumen Aether, zu nutzen gesucht wor-
den.
Ad. 8) Sind zahlreiche Angaben über
antineuralgische Eigenschaften des Ter-
pentins, insonderheit bei Ischias, ge-
macht.
Ad. 9) Als Hämostatikum intern ist
Terpentin vielfach empfohlen bei Metror-
rhagieen, bei Lungenblutungen, Darm-
blutungen etc., und nach F. Lasse und
Walker soll es besonders nach Zahn-
extraktionen blutstillend wirken. Bei be-
ginnender Lungentuberkulose rühmte es
besonders G. See als blutstillend.
Ad. 10) Köhler und Schimpf
haben Terpentin gegen Phosphorvergift-
ung gereicht.
Bei dieser Uebersicht habe ich mich
hauptsächlich von der Zusammenstellung
leiten lassen, die Vogl-Wien in E u 1 e n-
b u r g's Realencyklopädie gegeben hat.
In Fällen der Kategorieen 1, 3, 4, 5, 6,
7,9 werden wir vom Resinatwein zweifel-
los vielfache Erfolge sehen können ; Er-
krankungen der Arten 8 und 9 bedürfen
natürlich der Auswahl ; bei Lungenblut-
ungen habe ich mehrfach davon Ge-
brauch gemacht.
Sehen wir nun, was Herr A. S t a m a-
t i a d i s auf seiner Etikette hiezu an Bei-
trägen liefert :
Sui polmoni, pleura e bronchi levando
gli ingombri malsani ed ascuigrando le
ci'-atrici de essi prodotte.
Sul fegato esportando per mezzo degli
intestini le sostanze impure esistenti nel
sangue e producendo una bile sana.
Sülle reniajutandole ademettere colle
urine le impuritä che si sono formate
nella vesica ed'anuessi condotti.
Sula cutte escitandola a permettere che
mediante la tranpiratione siano espulse
dal corpo le sostanze corottee mante-
nendo condotti oleosi e le glandole su-
darife in stato di vera salute.
Sullo stomacaintandolo a digerire ed
impedendo la fomazione di uno eccesso
di acidi o di alcali e cosi producendo una
aziore armoniosa fra lo stomaco il fe-
gato e gl' intestini.
Also : Sekretfördernd und fortschaf-
fend aus den Luftwegen, gallentreibend,
harntreibend und blasenreinigend,
Hautzirkulation anregend und zersetz-
ungshindernd, anregend die Drüsense-
kretion, endlich verdauungsfördernd
preist St. seinen Teerwein an und diese
wissenschaftlich voll begründeten Be-
hauptungen blieben bei uns in Deutsch-
land gänzlich unbeachtet, sie verhallten
ungehört ! Und dennoch hat M a n t e-
g a z z a bereits 1881 sich empfehlend
darüber angesprochen, dass er „utilissi-
mo nei catarri bronchiali e della vesica"
sei und, ,,e molto digestivo profuma le
urine et e sudorifico" !
Wir glauben daher, den Gebrauch ge-
harzten Weines als Appetitmittel, bei
Verdauungs- und Sekretionsträgheit, bei
frischen und veralteten Katarrhen der
Luftwege, bei Notwendigkeit der Erhöh-
ung von Blutzirkulation, Harn und
Schweiss, bei Blähsucht und Cholestasis
anregen zu sollen neben den besproche-
nen Indikationen anderer Art. Sehr er-
wünscht wäre es. wenn in weinreichen
Gegenden, wie in manchen Pfälzer Lagen
und im Markgräfler Lande, sich Wein-
bauer dazu entschlössen, genügende
Mengen solcher Harzweine herzustellen ;
einstweils wäre der griechische und asi-
atische Resinatwein heranzuziehen.
Was die Dosierung anlangt, so ergiebt
sich nachdem in oben erwähnten Ver-
suchen ermittelten Harzgehalte von ca
44
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
0,75 Prozent, dass anolg 5 — 25 Tropfen
Terpentinöl oder 0,2 — 0,5 Prozent Ter-
pentinhydrat etwa ein Gläschen Resinat-
wein von 25 — 60 ccm Inhalt dreimal täg-
lich zu reichen wäre. Besonders gerne
lasse ich 1 Ei mit 2 — 3 Teelöffeln Zucker
und 1 Teelöffel Puro zerschlagen mit
Resinatwein angerührt zweimal täglich
Yz Stunde vor der Mahlzeit nehmen, wo-
durch der Appetit sich hebt neben er-
höhter Nahrungszufuhr.
Darmstadt, 10. Dezember 1906.
Wissenschaft und Geschäft.*
Von Dr. Georg Richter, St. Louis.
Meine Herren !
Mein Thema klingt etwas nach
einem Feuilleton, denn es behandelt
nicht, wie unter uns sonst gebräuch-
lich, ein eigentlich medizinisches The-
ma. Ich habe es deshalb gewählt, weil
ich trotz grosser Bemühungen keine
fertig abgeschlossenen Untersuchun-
gen vorzubringen hatte. Was ich in
den letzten Jahren gearbeitet habe,
kann ohne reichere Kenntnisse einer
mir unzugänglichen Literatur nicht
zum nötigen Abschluss gebracht wer-
den.
Die Entwickelung der Medizin hat
in Folge der Unmenge von Einzeler-
fahrungen zu zahllosen Spezialitäten
und einer höchst komplizierten Tech-
nik in jeder Spezialität geführt. Rech-
net man dazu die Lawinen wissen-
schaftlicher Literatur, mit denen wir
überschüttet werden, so ergibt sich von
selbst, dass ein erfolgreiches Streben,
auch nur einen LTeberblick über unsere
Wissenschaft zu gewinnen, dem Ein-
zelnen unmöglich ist. Und doch em-
pfindet jeder ehrlich Arbeitende das
Bedürfnis, diese Schwierigkeiten zu
überwinden.
Ich glaube, einen Weg weisen zu
können, der das scheinbar Unmögliche
wenigstens teilweise ermöglicht, näm-
lich dem wissenschaftlichen Praktiker.
Der berühmteste Arzt der Mitte des
18. Jahrhunderts war A 1 b. v o n Hal-
1 e r, Professor in Göttingen, „Professor
*) Vortrag gehalten im Verein Deutscher
Aerzte, St. Louis.
der Medizin, Anatomie, Botanik und
Chirurgie". Dazu Bibliothekar, fleissi-
ger Dichter und ungemein fruchtbarer
Rezensent der schönen Literatur. In
der Politik spielte er ebenfalls eine
grosse Rolle.
Eine derartige Wirksamkeit können
wir uns heutzutage kaum vorstellen,
besonders da es sich bei H a 1 1 e r
nicht um einen „Polyhistor", sondern
um einen bahnbrechenden Entdecker
vieler physiologischer und anderer Ge-
setze handelt. Wir neigen uns zur
Ansicht, das Universalgenie habe mit
Goethe und Humboldt seine
letzten Repräsentanten gehabt.
Bedenken wir nun den Lehrplan der
Universitäten, wenigstens zu meiner
Zeit ! (Anfang der 70er Jahre.) So-
weit ich mich erinnere, waren vor
dem Baccalaureats - Examen obligato-
risch Vorlesungen und Laboratorium
nicht nur der Chemie, Physik, Physio-
logie, Anatomie, Botanik, Zoologie,
sondern auch Logik und Psychologie,
Mineralogie und Geologie. Im Mine-
ral-Examen fragte Prof. C r e d n e r :
„Was ist das für ein Mineral, das ich
in der Hand habe?" — Darf ich es
genauer ansehen ? — „Wenn Sie es an-
sehen, wissen Sie doch nicht, was es
ist!" —
Verschiedene jener Examensbedin-
gungen sind seitdem aufgegeben wor-
den. Die Erfordernisse unserer gegen-
wärtigen wissenschaftlichen Bildung
beziehen sich auf das Fach mit grösse-
rer Betonung positiver Einzelkennt-
nisse und Einübung von Methoden,
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
45
leider zum Nachteil einer mehr allsei-
tigen Erkenntnis des gesammten na-
turwissenschaftlichen Gebietes. Es
duldet aber keinen Zweifel, dass eine
allgemein naturwissenschaftliche Vor-
bildung für den praktischen Arzt von
grösstem Wert ist.
Wir leben in einer Zeit der Speziali-
sierung. Wir erschweren uns unsere
Aufgaben noch durch Belastung des
Gedächtnisses mit unpraktischen Be-
zeichnungen. Ich erinnere Sie an die
Benennung vieler Dinge nach ihren
ersten Beschreiben!. Tuba Falopii,
Romberg'sches Symptom, Koplick-
sche Flecken, Hodgkin's disease, etc.
ad infinitum. Im Gemeinwesen be-
zeichnet man Strassen mit Vorliebe
nach Zahlen und Buchstaben. Neuer-
dings werden die grossen Geschäfts-
häuser mit eigenem Namen bezeichnet,
sodass es immer schwerer wird, sich
deren Lage in den bekannten Strassen
zu merken. Das ist gewiss ein Rück-
schritt.
Der grosse Anatom H e n 1 e war
zum Teil erfolgreich in seiner Reform,
wenigstens der anatomischen Nomen-
klatur. Denken Sie an die zahllosen
Färbemethoden in der Mikroskopie !
Eine Revision mit klarer Bezeichnung
des charakteristischen würde eine
Menge Gehirnermüdung ersparen.
Darin haben die Chemiker auf ver-
schiedenen Kongressen ganz erheb-
liches geleistet. Es ist aber nicht al-
lein diese methodische Vereinfachung
der Namengebung, die anzustreben ist,
es ist auch notwendig, dass die dazu
Berufenen sich bemühen, wie es
H u m b o 1 d t getan hat, wie es Ost-
wald, Kernst, A r r h e n i u s,
Hamburger und andere auf den
Gebieten der Physik und Chemie an-
bahnen, das Gleichartige unter weite-
ren, umfassenden Gesichtspunkten zu
vereinigen. Zu unserer Zeit war das
Studium der Physik und der Chemie
schwerer als heute, trotz der Unmenge
von Einzelforschungen, die man heute
kennen muss. Man ahnte wohl die
Identität der Physik und Chemie.
Man behauptete sie aber nur nach lo-
gischen Folgerungen. Heute wissen
wir, dass es keine physikalischen Pro-
zesse gibt, die nicht auch zugleich
chemische wären. Nur für die Schwer-
kraft ist es noch nicht definiert. Und
umgekehrt ist mit jeder „chemischen"
Veränderung in den Stoffen, oder dem
Stoff, ein physikalisches Geschehen
verbunden. (Wenn die Könige bauen,
haben die Kärrner zu tun.) Das Ver-
stehen des inneren Zusammenhangs
des Geschehens erleichtert heute das
Lernen.
Nun handelt es sich für den Arzt
freilich nicht allein um die unentbehr-
liche, breite und detaillierte naturwis-
senschaftliche Kenntnis. Die Tätig-
keit des Arztes bezieht sich auf Men-
schenleben. Es handelt sich in jedem
einzelnen Fall um Probleme, die sich
vielleicht für immer einer physikalisch-
chemischen Beurteilung entziehen wer-
den. Der psychologische Teil unserer
Tätigkeit bleibt zunächst der absolut
geheimnisvolle. Alle theoretische und
technische Ausbildung macht noch
nicht den Arzt, der ohne jene wieder-
um seinen Beruf nicht ausüben kann.
Wir belieben da von einer ärztlichen
Kunst zu sprechen, eine ganz unan-
gemessene Bezeichnung! Vielmehr ist
es eine Gabe der durch objektive Kri-
tik begründeten Analyse der Erschei-
nungen, der materiellen wie der physi-
schen, die den Arzt auszeichnen muss.
Für den aufmerksamen Beobachter er-
gibt sich dann das anzuwendende Ver-
fahren. Der Arzt sei ein beobachten-
der Kritiker, ein schaffender Künstler
sei er nicht.
Die Teilung der ärztlichen Tätigkeit
in Spezialitäten hat zwei Haupt-
gründe : das Talent und das Geschäft.
Die Fertigkeit, die der Spezialist durch
sich einschränken auf seine begrenz-
tere Aufgabe erhält, macht ihn zum
vollkommeneren Praktiker. Das Re-
sultat ist auch der äussere Erfolg.
Ihm fällt es daher auch leichter, sich
mit den anderen Aufgaben des Bür-
gers, des gebildeten Mannes, zu be-
fassen. Aber doch ist es häufiger der
allgemeine Praktiker, den man an öf-
fentlichen Aufgaben beteiligt findet,
— vielleicht, weil er auch häufiger
sich einen weiteren Gesichtskreis be-
wahrt.
Neben den genannten Vorteilen be-
stehen gewisse Nachteile im Verfolgen
46
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
einer Spezialität. Dem Praktiker sind
die Fachkenntnisse der Spezialitäten
fremd. Aber das weiss er, deshalb
zieht er den Spezialisten nicht nur
zu Rate, leider überlässt er ihm den
Fall nun gewöhnlich ganz und gar.
Er wird zum Clearing House für Spe-
zialisten. Er verliert nicht nur, was
ihm zukommt, sondern auch den Ein-
blick in die Wirksamkeit des besser
Unterrichteten. Ich möchte aber be-
haupten, dass viele Spezialisten in
noch viel bedenklicherem Grade den
Zusammenhang mit der allgemeinen
Medizin verlieren und dass das allge-
meine Wissen darunter leidet. Die spe-
zialistische Behandlung sollte für ge-
wöhnlich nicht unter Ausschluss (oft
freiwillig) des sog. Hausarztes statt-
finden. Gemeinschaftliche Behandlung
wäre vorteilhaft für alle Beteiligten.
Fassen wir die Sachlage zusammen:
Die ärztliche Wissenschaft ist zu weit-
schweifig geworden, als dass der
durchschnittliche begabte und eifrige
Arzt imstande wäre, das Gebiet in nur
einigermassen befriedigendem Um-
fang zu beherrschen. Die Notwendig-
keit der Spezialisierung und die Nach-
teile derselben sind ohne weiteres klar.
Aber dasselbe finden wir auf allen
Gebieten des wirtschaftlichen Lebens.
Kein Uhrmacher macht die ganze Uhr.
Wir haben überall die Erfahrung, dass
Arbeitsteilung allein uns fördern kann.
Wir wissen aber auch, dass der beste
Arbeiter der ist, der gewisse Kennt-
nisse in allem dem besitzt, das sich auf
seine Arbeit bezieht, auch ausser sei-
ner unmittelbaren Aufgabe. Unsere
ärztliche Erziehung strebt eben dieses
an, wie es die Gewerbe- und Handels-
schulen für ihre eigenen Schüler tun.
Erst aus einer solchen Grundlage ent-
wickeln sich Neigung und Talent und
der schliessliche Beruf, die Spezialität.
Aus demselben Grunde verlangt unser
alter Code of Ethics, dass die Speziali-
tät sich aus der allgemeinen Praxis
entwickeln solle.
Die Arbeitsteilung hat aber erst
einen Sinn, wenn sie auf dem Prinzip
der Kooperation beruht. Beim Haus-
bau müssen sich Zimmermann, Stein-
metz, Tischler, Schlosser u. s. w. wohl
verstehen. Sie tun es unter der Lei-
tung des Architekten, der selbst in sei-
nen Plänen die Ausführbarkeit durch
die Arbeiter vornehmlich in Betracht
ziehen muss. Auf wissenschaftlichen
Gebieten war sowohl Kooperation wie
Spezialisierung immer vorhanden, ob-
wohl man sich dessen nicht immer
ganz klar bewusst gewesen ist. Auch
wir sind Arbeiter, die freilich nicht
allezeit in der Lage sind, Häuser zu
bauen. Unser Architekt ist die Wis-
senschaft. Auch in geschäftlicher Hin-
sicht war jederzeit eine Neigung vor-
handen, Trades-Unions zu bilden, eine
Verständigung über gemeinschaftliche
Arbeitsbeziehungen. Sie äusserte sich
im Prinzip der „Kollegialität"', in der
Gründung wissenschaftlicher Vereini-
gungen, im Aufstellen eines „Code of
Ethics", in der Gründung von Lehr-
anstalten und Anerkennung der Be-
rechtigung zur Praxis nach festen Be-
stimmungen. Am schwierigsten war
die Normierung der finanziellen Be-
rechtigung. Noch heute ist das un-
bestimmte Gefühl bemerkbar, der Arzt
sollte, wie im Altertum, keine mate-
rielle Gegenleistung für seine Tätig-
keit verlangen dürfen. Das Hegt da-
ran, dass eine Beurteilung des Wertes
einer ärztlichen Wirksamkeit unmög-
lich ist. Welchen Geldwert besitzt auf
der einen Seite das Denken und Raten?
Welchen finanziellen Nachteil hat das
Leiden, welchen Geldwert das Men-
schenleben, die Heilung? — Man hat
versucht, für Klagefälle zwecks Ent-
schädigung bei Verletzungen sichere
Gesichtspunkte aus national-ökonomi-
schen Erwägungen zu gewinnen. Vom
Säuglingsalter bis zur Arbeitsfähigkeit
kostet jedes Individuum eine gewisse
Summe Geldes an Ernährung, Klei-
dung, Unterricht etc., bis eine gewisse
Erwerbsfähigkeit eintritt. Die Er-
werbsfähigkeit steigt bis zu einem ge-
wissen Alter, um dann allmählich
nachzulassen. Danach lässt sich aller-
dings eine Summe für den Wert im
Einzelfalle berechnen, unter Berück-
sichtigung zahlreicher Einzelumstän-
de, die nicht erst erwähnt zu werden
brauchen. So gewinnt man den Skla-
venwert. Nach solchen Ueberlegun-
gen wurden in früheren Zeiten die
Sklaven-Auktionen abgehalten. Die
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
47
statistischen Berechnungen sind eben-
so herzlos, wie der ehrliche Arzt zu-
zeiten sein muss. Aber selbst die
kühlste Ueberlegung lehnt sich gegen
einen solchen Modus der Berechnung
auf. Den ökonomischen W ert eines
Menschenlebens müssen wir zugeben.
Aber ist der arbeitsunfähige Greis, die
ausgediente Mutter wertlos?
Auf der anderen Seite, wie lässt sich
die ärztliche Wirksamkeit nach ihrem
Geldwert beurteilen, wo wir alle zu-
geben müssen, dass sie sich in der
Regel nur auf Wahrscheinlichkeiten
gründet? Hier versagt der Vergleich
mit Trades-Unions vollkommen. Er
versagt auch bei jedem Versuch, starre
Regeln über Kollegialität aufzustellen.
In der Tat, man kann in praxi das
alte Wort variieren und sagen : Alle für
Keinen. Keiner für Alle ! Und das ist
fast selbstverständlich. In Konsulta-
tionen fügt sich der Eine oder Andere
gewöhnlich aus respektvoller Höflich-
keit, oft in innerem Grimm. Ueber die
Grundfragen einigt man sich viel leich-
ter als über die Behandlung. Denn
hier trifft, meist unbewusst, jenes
psychologische Moment, ich möchte es
den ..unbekannten Faktor" nennen,
auf, das Heiligtum des Arztes. Man
akzeptiert den Vorschlag und freut sich
auf den Misserfolg. Aber man ist ge-
deckt ! Das ist freilich keine Koope-
ration im aufrichtigen Sinne. Es ist
die Folge des ungenügenden Systems
unserer Praxis. Der ärztliche Verein
lindert solche Uebel, ohne sie ganz zu
beseitigen. Auch die Verdienstfragc-
hat damit zu tun. In dieser Beziehung
ist der Spezialist im Vorteil. Bei ihm
handelt es sich vorwiegend um eine
technische, — ■ im weitesten Sinn — ,
Fertigkeit, die ebenso gut ihren Preis
hat, wie die des Kunsthandwerkers.
Aber, wie gesagt, danach lässt sich
die allgemeine Praxis nicht beurteilen,
ihr finanzieller Wert ist ganz unbe-
stim mbar.
Wir sind zu einem Entgeld für un-
sere ehrliche Tätigkeit ganz gewiss be-
rechtigt, unbestritten.
Für den einzelnen Arzt liegt also die
Sache so : Unter gegenwärtigen Um-
ständen und Gepflogenheiten kann der
praktische Arzt das ihm gebührende
Mass von Kenntnissen nicht beherr-
schen. Die Arbeitsteilung ist heute
unbefriedigend, die Remuneration ist
ohne Norm und unangemessen. Eine
Hauptursache an allen diesen Uebeln
glaube ich darin zu finden, dass die
praktische Tätigkeit nicht mit der
Wissenschaft fortgeschritten ist, dass
wir die Erfahrungen auf anderen Er-
werbsgebieten nicht benutzen, dass
wir uns, jeder für sich, de facto isolie-
ren, trotz aller „Harmonie".
Noch Eines ist zu erwähnen. Sich
auf der sog. Höhe der Wissenschaft zu
erhalten, nimmt nicht nur viele Ar-
beitsstunden, teils für Lektüre, teils
für experimentelle Arbeit, sondern ver-
ursacht auch immense Kosten. Selbst
eine mässig komplette Ausstattung
kostet viele hunderte von Dollars, un-
gerechnet das übliche Instrumenta-
rium, das Mikroskop, Spekula etc. —
Apparate für quantitative Bestimmun-
gen, Stickstoffuntersuchungen, Kryo-
skopie, Tonometer, Röntgenoskopie,
Endoskop, Spektroskop, Polariskop,
genaue Blutbestimmungen u. s. w.
sind äusserst kostspielig und nur weni-
gen erreichbar. Der Gebrauch solcher
Apparate und Instrumente fordert
aber auch Uebung. Das Experimen-
tieren darf nicht willkürlich unter-
brochen werden, soll nicht viel Mühe
und Arbeit verloren gehen. Aerzte,
die in der Lage sind, sich Assistenten
zu halten, sind wohl zu beneiden, aber
nicht die Assistenten, wenn sie selber
Aerzte sind und nun auf eine einseitige
Beschäftigung angewiesen werden.
Andere, denen die Laboratorien und
Spezialisten von Colleges ohne weite-
res zur Verfügung stehen, können
wohl Untersuchungen in vollendeter
Weise ausgeführt bekommen, werden
sich aber wohl in der Regel nicht um
den Gang solcher Untersuchungen
kümmern. In beiden Fällen wird die
wissenschaftliche Fortbildung gefähr-
det. Alle anderen Aerzte sind übel
dran. Die privaten Hilfsmittel der am
günstigsten situierten Praktiker sind
ihnen ebenso wenig zugänglich wie die
grossen Laboratorien, auch wenn per-
sönliche Courtoisie hier und da hel-
fend eintreten sollte. Im allgemeinen
steht dem die engere Kollegialität in-
48
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
nerhalb der einzelnen Lehranstalten
im W ege.
Die von mir aufgezählten Nachteile,
unter denen der weniger erfolgreiche
Praktiker zu leiden hat, bezeugen zu-
gleich, dass nur in einem Utopien Ab-
hilfe zu erwarten wäre. Aber doch
meine ich, vieles Hesse sich wesentlich
bessern, wenn man die Erfahrungen
auf anderen Berufsgebieten benutzen
wollte.
Ich meine zunächst das Prinzip der
Kooperation. In praktischer Ausfüh-
rung stelle ich mir diese so vor, wie sie
in kleinem Massstabe schon in unse-
rem Verein ausgeübt wird : der Aus-
tausch von Erfahrungen und Meinun-
gen auf unserem Gebiete zwischen im
wesentlichen gleichwertigen Berufs-
genossen. Kooperation meint aber
eigentlich Geschäfts - Teilhaberschaft.
Eine solche ist nur in seltenen Fällen
auf die Dauer vorteilhaft. Besseres
würde die Arbeitsteilung, aber nicht
eigentlich im Sinne der Spezialitäten
versprechen. Ich stelle es mir in der
Weise vor, dass eine kleine Anzahl —
drei, vier oder sechs Aerzte ein
Uebereinkommen treffen, gewisse Ar-
beit unter sich zu teilen und die Un-
kosten pro rata zu tragen. Eine solche
Gruppe könnte für sich bestimmen,
dass der eine über neue Publikationen
Bericht erstattet, der andere physika-
lisch-chemische Untersuchungen für
die anderen unternimmt, ein dritter
sich mit dem bakteriologischen Teil
befasst, wieder ein anderer auf elek-
trische und photographische Arbeiten
sich wirft. Es müsste möglichst ein
gemeinschaftliches Laboratorium ein-
gerichtet werden, in dem einem Jeden
Gelegenheit gegeben wird, sich mit
der Arbeit vertraut zu machen und
auf dem Laufenden zu erhalten. In
wöchentlicher Versammlung wäre
dann ein Bericht über die Arbeit zu
erstatten und derselbe müsste aufbewahrt
werden. Nach ungefähr einer solchen
Methode würde das Interesse der Teil-
haber an ihren Fällen wachsen. Sie
könnten die zur Publikation des Wich-
tigsten nötigen Daten bekommen. Die
Patienten würden bald bemerken, wie
viel aufmerksamer sie behandelt wer-
den. Manche Flüchtigkeit in der
Diagnose wäre vermieden. Die Be-
handlung Hesse sich fast mit derselben
Sorgfalt kontrollieren wie in einem
guten Hospital. Es wäre zugleich eine
kolossale Ersparnis an Zeit und Geld
für einen Jeden. Schliesslich böte sich
Jedem ein soviel grösseres Kranken-
und Untersuchungsmaterial.
Ich hoffe, dass diese „Utopie" we-
nigstens Ihren theoretischen Beifall er-
wirbt. Aber ich möchte noch einen
Schritt weiter gehen. Mein Plan wäre
doch nur ein zeitweiliges Auskunfts-
mittel für eine Gruppe von Männern,
die willens sind, zu ihrem eigenen
Besten gewisse Opfer zu bringen. Für
die grosse Masse von wissenschaftlich
eifrigen Aerzten wäre damit nichts
gewonnen, sie würden eine solche
„Clique" vielleicht bekämpfen. In den
Postgraduate Schulen ist für eine Art
Notbehelf in einer Richtung gesorgt.
Entschieden besser wäre es, wenn
ärztliche und naturwissenschaftliche
Laboratorien, geleitet von gut unter-
richteten Männern, gegen eine mässige
Taxe und unter sorgfältig abgefassten
Bestimmungen in verschiedenen Stadt-
teilen, ähnlich wie die öffentlichen
Zweigbibliotheken, Allen zur V erfü-
gung gestellt würden.
Jedenfalls würde die Verwirklichung
der einen oder anderen Idee zur He-
bung unseres Standes und zur Förde-
rung jedes Einzelnen viel beitragen.
Aus der verblödenden Routine-Praxis
würde eine Erhebung zum wissen-
schaftlichen Niveau auch den verküm-
merten und versauerten, dabei unge-
bührlich selbstzufriedenen Doktoren
Bluemass und Quinine ermöglicht
werden.
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
49
Sitzungsberichte
Deutsche Medizinische Oesellschaft der Stadt New York.
Montag, den 4. Februar 1907.
Präsident Dr. Carl Beck er-
öffnet die Sitzung und die Versamm-
lung tritt sofort in die Tagesordnung
ein.
D r. A. R o s e : Heftpflaster-Verband
für Gastroptosie.
Ehe ich Ihnen, auf besonderen
Wunsch des vorigen Präsidenten und
der Deutschen Medizinischen Gesell-
schaft der Stadt Xew York den von
mir angegebenen Gastroptosie-Ver-
band demonstriere, bitte ich einen Aus-
zug aus zwei Briefen verlesen zu
dürfen, in denen die Bedeutung der
Methode hervorgehoben wird.
Dr. Groddeck von Baden-Baden
schreibt am 16. Januar 1907 über den
Artikel Physiologie und Pathologie der
Bauchmuskeln : „Ihre Sendung hat
mich freudig überrascht und noch
mehr durch den lehrreichen Inhalt, den
Sie an die Erwähnung meines Namens
knüpfen. Ich begrüsse den Gebrauch
des Heftpflasterverbandes mit beson-
derer Freude, da mir sein Nutzen
ohne weiteres einleuchtet, und hoffe
auf eine Verbreitung dieser Idee. Spe-
ziell erscheint es mir richtig, dass die
vielfach so verderblich wirkenden
Leibbinden dadurch aus der Welt ge-
schafft werden. Der stetige Druck des
Verbandes hat ausserordentliche Vor-
teile vor den wechselnden des Gür-
tels, abgesehen von der grossen Schä-
digung der Rückenmuskulatur und der
Lendennerven durch alle Bauchbinden.
Und dass es auf diese Weise gelingen
muss, das Volumen des Bauches
dauernd zu verkleinern, unterliegt für
mich gar keiner Frage. Ich glaube
übrigens, dass Sie mit grossem Nutzen
diese Technik auf andere Gebiete aus-
dehnen können, speziell den Hals, mor-
bus Basedowii, Kropf, Migraine etc.
Die Volumenverringerung hat nach
meinen Erfahrungen rasch eine Ver-
minderung der Stauungen zur Folge."
Dr. B. Sch m i t z, Bad Wildungen,
schreibt am 15. Januar über denselben
Artikel: „Es ist ein neuer Stoff und
eine neue Bearbeitung dieses Feldes.
Diese neuen Gesichtspunkte müssen
Beachtung und Anerkennung finden,
wenn auch alles Neue vorerst mit Re-
serve aufgenommen wird, und was
sehr schätzenswert ist, es wird die
Praxis dadurch gewinnen, d. h. die
mannigfachen Unterleibsleiden werden
eine andere Auffassung und Behand-
lung erfahren. Ich kann allen Ausfüh-
rungen nur zustimmen."
Demonstration. — Der Verband ist
von mir und Anderen so vielfach be-
schrieben worden, dass ich mich dar-
auf beschränken kann, Ihnen einfach
das Verfahren hier zu zeigen. Nur
möchte ich nochmals betonen, dass es
wichtig ist, das beste Material zu ver-
wenden : ein Zinkoxyd-Gummipflaster
auf Moleskin gestrichen, das gut klebt
und die Haut nicht irritiert. Wenn das
beste Material gewählt und das Pfla-
ster gut angelegt ist, kommt Ekzem
selten vor.
Wie ich dies bei jeder Gelegenheit
hervorgehoben, bin ich Dr. Einhorn
zu Dank verpflichtet, weil er mich ein-
lud, mit ihm gemeinschaftlich experi-
mentelle Studien über Plätscherge-
räusch anzustellen, es war dies vor
vielen Jahren in seiner Klinik im Deut-
schen Dispensary, und das Resultat
dieser Studien habe ich mit seiner
Hilfe veröffentlicht. Ich bin ihm fer-
ner zu Dank verpflichtet, weil er es
war, der mich in die Post Graduate
Medical School einführte. Ich will fer-
ner hinzufügen, dass ich nur mit Ach-
tung von seinen Forschungen, seinen
Arbeiten, seinen Erfolgen sprechen
kann und ich glaube, dass die medizini-
50
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
sehe Wissenschaft von ihm gefördert
worden ist.
Dies als Einleitung zu dem, was ich
im Interesse der Wissenschaft über
Dr. Einhorn zu sagen habe : Als
ich, auf Tatsachen gestützt, eine ganz
neue Bedeutung des Plätschergeräu-
sches erkannt, die Dr. Einhorn und
mir bei unseren experimentellen Stu-
dien entgangen war, und ich ferner
den besonderen Verband zur Hebung
der Atonia gastrica ausgedacht — es
war dies vor vielen Jahren — begab
ich mich vor allem zu Dr. E i n-
h o r n, um ihm meine Idee mitzutei-
len, allein ich fand kein Gehör, ich
wurde so entschieden abgewiesen, dass
ich meine Beobachtungen nicht be-
schreiben konnte. Vor etwa fünf Jah-
ren hielt ich in einer medizinischen
Gesellschaft, in der an jenem Abend
Dr. E i n h o r n präsidierte, einen Vor-
trag über Gastroptosia, in welchem ich
nicht nur alle meine Grundsätze be-
züglich des Plätschergeräusches und
des Verbandes auseinandersetzte, son-
dern auch einen Patienten demon-
strierte, der fünfzehn Jahre lang an
Hyperchlorhydria und Gastroptosie in
ausgesprochenster Weise gelitten, der
von mehreren Kollegen behandelt wor-
den und auch eine von einem Banda-
gisten angefertigte Leibbinde getragen
hatte. Am 11. September 1901 legte ich
ihm den Pflasterverband an und hatte
die Genugtuung, zu hören, wie der
Patient sich enthusiastisch über das
Wohlbehagen aussprach, das er nach
Anlegung des V erbandes empfunden..
Als ich den Patienten am 23. Septem-
ber sah, waren alle Symptome der
Hyperchlorhydria verschwunden und
er hatte drei Pfund an Gewicht gewon-
nen. Am 11. Oktober, nachdem der
Verband vier Wochen gelegen, ent-
fernte ich denselben und fand die Haut
intakt. In diesen vier Wochen hatte
Pat. sieben Pfund an Gewicht zugenom-
men. Es ist wahr, ich hatte ihm die
Diät, die I 1 1 o w a y in einer klassi-
schen Arbeit über Hyperchlorhydria
angegeben, verordnet, aber wie ich
nun aus reichlichen späteren Beobach-
tungen feststellen kann, ist nicht der
Diät allein, sondern neben derselben
dem Verband ein Hauptanteil des Er-
folges in solchen Fällen von Hyper-
chlorhydria zuzuschreiben. Der Fall
und die Diskussion über denselben sind
veröffentlicht worden. Einhorn ver-
hielt sich ablehnend. Er will von Tat-
sachen, die für den Heftpflastterverband
sprechen, nichts wissen.
Ich wartete ab, ob nicht die Mittei-
lungen von allen Seiten über den Wert
der Methode ihn günstiger stimmen
möchten, finde nun aber in der neue-
sten, der 4. Auflage seines Buches über
Magenkrankheiten den folgenden Pas-
sus: "In such cases A. Rose 's
method of covering the abdomen with
adhesive Strips may be employed. The
plaster cannot, however, generally sup-
plant a bandage, as the constant plas-
ter Strips in contact with the skin is a
source of some discomfort." Diesen
Bemerkungen, die irreführend sein
können, möchte ich entgegentreten.
Tatsache, die wohl kein vorurteils-
freier Kollege in Abrede stellen kann,
ist, dass der Heftpflasterverband nicht
nur die Leibbinde ersetzt, sondern un-
zählige Vorzüge derselben gegenüber
hat, dass auch seine Bedeutung eine
ganz besondere ist, nämlich auf Zirku-
lation und Innervation einzuwirken,
wie die Leibbinde nicht in demselben
Masse einwirken kann.
Nun möchte ich noch bitten, auf
eine andere Stelle in E i n h o r n ' s
Buch, die sich auf das Plätscherge-
räusch bezieht, hinweisen zu dürfen, weil
dies in engem Zusammenhange mit
den Prinzipien der Anlegung des Ver-
bandes steht : "Bouchar d made an
extensive study of this splashing sound
and considered it a sign of great diag-
nostic value in dilatation of the
stomach. Now-a-days we do not at-
tach so much importance to the splash-
ing sound per se."
Dazu wünsche ich zu sagen, dass
"now-a-days" das Plätschergeräusch
eine noch viel grössere Rolle spielt, als
je vorher, denn es ist die Manifestation
von Erschlaffung der Bauchmuskeln;
welche Wichtigkeit die Erschlaffung
der Bauchmuskeln beansprucht, habe
ich in meinem letzten Vortrag vor die-
ser Gesellschaft dargetan.
Dr. Max Einhorn: Ich habe
mich dem Pflasterverband gegenüber
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
5>
keineswegs so feindlich verhalten. Ich
selber habe nur gefunden und Herrn
Dr. Rose gesagt, dass gute Binden
dasselbe leisten und dass deshalb ein
Heftpflasterverband nicht obligato-
risch ist. In manchen Fällen ist aller-
dings ein Pflasterverband vorzuziehen,
nämlich bei dünnen Leuten, die keinen
grossen Leib haben ; da kann man mit
der Binde nicht viel ausrichten. Das
habe ich auch in meinem Buch gesagt,
und ich glaube, dass ich mich Dr.
Rose gegenüber ganz loyal verhalten
habe. Es ist eine Tatsache, dass Pa-
tienten der von mir gegründeten Kli-
nik, die den Pflasterverband hatten,
öfter zu mir kamen und über Be-
schwerden klagten, und wenn ich
ihnen den Pflasterverband abnahm und
die Binde gab, fühlten sie sich wohl,
da sie nicht die Unbehaglichkeit des
Pflasters hatten. Wir müssen Dr.
Rose für die Einführung dieses
Pflasterverbandes dankbar sein, aber
ich möchte nicht sagen, dass man ihn
immer anlegen muss; wo man keine
geeignete Binde hat, ist er am Platze.
Was das Plätschergeräusch betrifft,
so möchte ich sagen, dass man es auch
bei Leuten erzeugen kann, die einen
ganz normalen Magen und normale
Bauchdecken haben, wenn man nur die
Sache gut zu behandeln versteht. Wir
haben in der Klinik hundert Leute
daraufhin untersucht. Man kann,
wenn der Magen etwas Flüssigkeit
enthält, ein Klatschgeräusch erzeugen,
wenn man den Patienten überrascht
und schnell auf die Bauchdecke
schlägt. Gleich darauf ziehen sich die
Muskeln zusammen, und da ist es
schwer, ein Geräusch zu erzeugen, da
die Leute dann den Leib spannen. Das
Plätschergeräusch an sich ist nicht von
grosser Bedeutung, aber wohl der
Platz, an dem man das Geräusch er-
zeugt hat, über welche Fläche und wie
leicht man es erzeugen kann. Wenn
man einen Patienten hat, bei dem man
das Plätschergeräusch über einen gros-
sen Teil des Leibes und leicht erzeu-
gen kann, so sieht man, dass der Ma-
gen eine grössere Ausdehnung erhalten
hat und dass die Bauchdecken relaxiert
sind.
Dr. Rose (Schlusswort): Ich bin
Dr. Einhorn für seine Bemerkun-
gen dankbar, indem ich es den Kol-
legen nun überlassen kann über die
streitigen Punkte zu entscheiden. Nie-
mals habe ich gesagt, dass ich das
Plätschergeräusch, d. h. einen Patien-
ten einfach wegen des Plätschergeräu-
sches behandle, ich habe ganz be-
stimmt hervorgehoben, dass, wenn bei
gastrischen, nervösen und gewissen
Zirkulationsstörungen zugleich Gas-
troptosie vorliegt, ich den Verband an-
lege, und dass die günstigen Wirkun-
gen oft glänzende, mit keiner anderen
Behandlungsmethode zu vergleichende
sind. Dr. Einhorn hat nun zum
zweiten Mal vor dieser Gesellschaft
gesagt, dass meine Patienten zu ihm
kommen, um sich über meine Methode
zu beklagen. Gibt es wohl einen Kol-
legen unter uns, zu dem nicht schon
Patienten gekommen sind, die sich über
einen anderen Kollegen und seine Be-
handlungsweise beklagten? Es ist doch
wohl ungewöhnlich, dergleichen als
Beweisstück gegen eine Methode vor
einer ernsten Gesellschaft vorzubrin-
gen. Als ich meinen letzten Vortrag
vor dieser Gesellschaft hielt, sprach ich
von einer Patientin, die an einer hyper-
trophischen Lebercirrhose seit fünf Jah-
ren und während der letzten 18 Monate
am Ikterus und dabei seit längerer Zeit
an Aszites gelitten. Sie war von vie-
len Kollegen behandelt worden, ehe sie
in meine Klinik kam. Der Anfang der
Behandlung von mir bildete der Gas-
troptosieverband, wie ich damals in
meinem Vortrag erwähnte. Jetzt ist
die Kranke schon seit etwa zwei Mo-
naten frei von Ikterus, der Aszites ist
schon längst verschwunden und Leber-
vergrösserung und Verhärtung sind
nicht mehr zu erkennen. Sie hat sich
selbst erboten, vor einer medizinischen
Gesellschaft vorgestellt zu werden, al-
lein ich habe nichts mehr zu demon-
strieren, ich muss mich auf die Kran-
kengeschichte beschränken, denn sie
ist allem Anschein nach jetzt vollstän-
dig gesund. Diesen Fall erwähne ich
hier nochmals, weil es so ganz mit dem
übereinstimmt, was Groddeck in
seinem Briefe gesagt hat.
Ich bin schon froh, dass ich mich
endlich mit Dr. Einhorn habe aus-
52
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
sprechen können, und ich werde ihm
verbunden sein, wenn er mir fort und
fort Gelegenheit geben will, zu bewei-
sen, dass der Heftpflasterverband eine
ganz andere Bedeutung hat als die ge-
wöhnliche Leibbinde.
Dr. Friedmann stellt einen drei-
jährigen Jungen vor, bei dem wegen
Ileus vor einigen Wochen eine Lapa-
rotomie vorgenommen worden war.
Sekretär Dr. John A. Beuer-
m a n n verliest hierauf das Protokoll
der vorigen Sitzung, das von der Ver-
sammlung genehmigt wird, und teilt
aus der letzten Sitzung des Verwal-
tungsrats mit, dass Herr Dr. J. W.
Gleitsmann zum Vorsitzenden des
Aufnahmekomitees für das laufende
Jahr ernannt wurde.
Präsident Dr. Carl Beck: Ich
habe Ihnen die traurige Mitteilung zu
machen, dass unser langjähriges Mit-
glied Dr. A 1 p h o n s Müller vor
drei Wochen gestorben ist. Ich habe
namens der Gesellschaft ein Beileids-
schreiben an die Familie geschickt und
ersuche Sie, sich zum Andenken des
Verstorbenen erheben zu wollen.
Ich möchte ferner bemerken, dass
wir unsere Sitzungen zu spät anfangen
und infolge dessen unsere Arbeiten
kaum bewältigen können. Die meisten
medizinischen Gesellschaften, die hier
tagen, beginnen offiziell ihre Sitzungen
um 8 Uhr. Ich glaube kaum, dass wir
jemals vor 8.15 ein Quorum haben
werden, aber ich glaube, dass, wenn
wir den Anfang der Sitzung auf 8 Uhr
ankündigten, wir pünktlich um viertel
nach acht mit der Vorstellung von
Patienten beginnen könnten.
Es wird beschlossen, in dem Pro-
gramme in Zukunft als den Anfang der
Sitzung 8 Uhr anzuzeigen.
Dr. Fr. Foerster: Fall von
Schwangerschaft, kompliziert durch
Uterusfibrom, nebst Präparat.
Die Frage, wie man sich in Fällen
von Uterusmyomen, welche Schwanger-
schaft komplizieren, zu verhalten habe,
ist eine so vielseitige, dass sie nicht in
wenigen Worten abgetan werden kann.
Es genüge hier zu sagen, dass jeder
Fall wohl am besten individuell zu be-
handeln ist, dass wir den Umständen
gemäss unser Vorgehen einzurichten
haben.
In dem vorliegenden Fall handelt es
sich um eine 38 Jahre alte Frau, welche
vor sieben Jahren ein Kind gebar. Die
Geburt wurde, trotzdem der Verlauf
ein sehr langsamer war, ohne Kunst-
hilfe beendigt. Das schwächliche Kind
starb kurze Zeit nach der Geburt. Die
Frau sehnte sich nach Nachkommen-
schaft. Sie hatte nie Gelegenheit ge-
nommen, sich untersuchen zu lassen,
trotzdem die Regeln während 5 — 6
Jahre ziemlich profus waren. Da die
Regel einen Monat ausgesetzt - hatte,
konsultierte sie ihren Hausarzt, wel-
cher Schwangerschaft bei myomatösem
Uterus feststellte. Ich konnte den Be-
fund nur bestätigen. Ein kleinfaust-
grosser, etwas beweglicher Myomknoten
ist recht vorn, oberhalb des Os inter-
num, kleinere Knoten sind am Fundus
uteri zu fühlen. Die Situation wird
mit dem Hausarzt und der intelligenten
Patientin besprochen. Die Beweglich-
keit des Myomknotens, sein verhält-
nissmässig hoher Sitz oberhalb der
Cervix gaben für die Hoffnung Berech-
tigung, dass es sich um ein subseröses
Myom handle, dass die Geburt dadurch
nicht erschwert werden würde. Es
wird daher beschlossen, in Anbetracht
des Wunsches der Patientin und der
übrigen L'mstände, die Schwanger-
schaft nicht zu unterbrechen. Sollte
die Entbindung nicht auf natürliche
Weise vor sich gehen oder sollten sich
vorher drohende Erscheinungen ein-
stellen, beabsichtigte ich operativ ein-
zugreifen. Während der ganzen Zeit
der Schwangerschaft lagen die Ver-
hältnisse möglichst günstig, der
Myomknoten stieg nach oben, flachte
sich etwas ab, so dass er kaum gefühlt
werden konnte.
Acht Tage nach der berechneten
Zeit verlor Patientin ohne irgend
welche Wehen eine Menge Frucht-
wasser, zuerst klar, doch bald mit
Mekonium versetzt. Herztöne waren
nicht zu hören, bei der Untersuchung
fand sich das Os externum etwas er-
weitert, während das Os internum
kaum die Fingerspitze zuliess. Quer-
lage des abgestorbenen Foetus. Die
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
53
Anwendung von Dilatatoren aller Art
und manuelle Erweiterung erzielten
eine Eröffnung des Os internum, genü-
gend um den rechten Arm des Foetus
zum Vorfall zu bringen, die Einfüh-
rung der eigenen Hand behufs Wen-
dung war unmöglich. Ich erkannte
nun, dass Myomknoten von dem dem Os
internum nächstliegenden Uterusge-
webe soviel in sich aufgenommen
hatten, dass an eine Erweiterung, ohne
Ruptur zu veranlassen, nicht zu den-
ken war, ich veranlasste daher die
Ueberbringung der Patientin in das
Hospital, wo ich den schwangeren
myomatösen Uterus entfernte. Ich
wählte die extraperitoneale Stilver-
sorgung, da bei dem unterdessen
jauchig gewordenen Ausfluss nur so
eine reine Operation erzielt werden
konnte. Patientin hat sich prompt er-
holt, höchste Temperatur nach der Ope-
ration 100 F.
Das Präparat zeigt, dass das Gewebe
um das Os internum allerdings durch
wir ein wirklich gutes noch nicht ge-
funden haben.
Von der oft nicht genügenden Wirk-
samkeit beim Gebrauch der jetzigen
Tonsillotome zur Ueberzeugung ge-
bracht, habe ich zu einer Verbesse-
rung dadurch beizutragen versucht,
dass ich an dem bekannten geraden
Tonsillotom in der Nähe des schnei-
den Teiles eine Kurve habe anbringen
lassen, wodurch bessere Resultate in
der fast gänzlichen, radikalen Entfer-
nung der Mandel erzielt werden.
Das Instrument besteht aus drei
Teilen : das untere und das obere Blatt
mit der Gabel. Die beiden Blätter sind
nahe des Ringmessers fast zu einem
rechten Winkel gekrümmt, Händel
und Ringmesser sind zu einander pa-
rallel. Durch diese Krümmung ge-
winnt man bei den grossen Messern
einen Zentimeter im Vergleich zu den
gewöhnlichen, geraden Tonsillotomen
(Matthieu oder Mackenzie's Form);
d. h. die Entfernung von der Gabel zur
Myomknoten eingeschränkt ist, dass
eine zur Geburt genügende Erweite-
rung nicht hätte bewerkstelligt werden
können, der ausgetragene Foetus war
jedenfalls, der Zersetzung nach zu ur-
teilen, schon seit 6 — 8 Tagen abge-
storben.
Dr. Franz C. Ruppert: Ein
neues Tonsillotom !
In der letzten Sitzung der laryngo-
logischen und rhinologischen Sektion
der Akademie der Medizin stellte ich
mein neues Tonsillotom vor und
möchte mir die Gelegenheit nicht ent-
gehen lassen, dasselbe auch hier zu
tun.
Ich bin zur Genüge über die grosse
Anzahl von verschiedenen Instrumen-
ten zur Entfernung der erkrankten
oder vergrösserten Mandeln unterrich-
tet und es scheint mir die Tatsache,
dass so viele, verschiedenartige Instru-
mente im Handel und in Anwendung
sind, der beste Beweis zu sein, dass
äusseren Seite des Ringmessers be-
trägt einen Centimeter. Wenn also das
Messer über die Mandel eingeführt
wird, kommt es einen Centimeter näher
der Rachenwand zu liegen als das ge-
rade. Wird nun das Instrument noch
nach aussen gedrückt, so erfasst es die
ganze Mandel bis zur Basis ; ist das
Messer gezogen und die Mandel ent-
fernt, dann ist der Raum zwischen den
beiden Gaumenbögen ziemlich gut aus-
geräumt. Bei den kleinen Ringmes-
sern ist die Entfernung eine geringere.
So erscheint der Vorzug des ge-
krümmten Tonsillotomes über dem ge-
raden leicht erklärlich, eine radikale
Entfernung der Mkndel ist gesichert.
Nach meiner Ansicht hat dieses Instru-
ment einen noch viel grösseren Wert
für den allgemeinen praktischen Arzt,
in dessen Interesse es liegt, auch eine
erfolgreiche Tonsillotomie zu machen.
Dieses Tonsillotom wurde für mich
von E. B. Meyrowitz angefertigt,
und speziell Herrn G o 1 d s t e i n von
54
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
der Firma fühle ich mich für die aus-
gezeichnetet Art und Weise, wie er
meine Idee ausführen Hess, zum besten
Dank verpflichtet.
Dr. J. W. G 1 e i t s m a n n : Vor
etwa sechs Wochen besuchte mich Dr.
R u p p e r t und legte mir die Idee des
Instrumentes dar, um meine Meinung
darüber zu hören. Seitdem ist das In-
strument noch mehr vervollkommnet
und fertig gestellt worden. Ich konnte
Herrn Dr. Ruppert schon damals,
als er mir die Skizze brachte und die
Konstruktion des Instrumentes ausein-
andersetzte, zu der Ausführung ermun-
tern, denn es ist jedenfalls für viele
Fälle tauglich und wird in diesen ge-
eigneten Fällen einen Vorzug vor an-
deren Tonsillotomen haben. Ob man
mit diesem Instrument Tonsillen her-
ausnehmen kann, die vollständig zwi-
schen den Gaumenbögen liegen, ist
fraglich, denn die Tonsillen sind in der
Regel mit den Gaumenbögen verwach-
sen. Ich habe in der letzteren Zeit
mehrere Fälle zur Beobachtung und
Operation bekommen, bei denen ich
das Instrument gern gehabt hätte;
aber in anderen Fällen, wie bei einem,
den ich heute operiert habe, wäre ich
nicht imstande gewesen, viel mehr zu
entfernen als mit anderen Tonsilloto-
men, weil die Tonsille verwachsen war.
Jedenfalls aber ist dieses Instrument
für eine ganze Reihe von Fällen sehr
wünschenswert, weil man damit mehr
herausnehmen kann als mit dem ge-
raden Tonsillotom.
Präsident Dr. Carl Beck teilt
mit, dass die Herren Drn. B. Oniif
und A. M. B a c e v i c z e zu Mitglie-
dern der Gesellschaft gewählt worden
sind, und schlägt Dr. Franz Leh-
ma c h e r von Newark vor.
Symposium über Ileus.
Die folgenden Vorträge wurden ver-
lesen :
Dr. Max Einhorn : Symptoma-
logie, Diagnose und medizinische Be-
handlung des Ileus.
Dr. J. Kaufmann: Wie lange
kann bei Verdacht auf Ileus mit der
Operation gewartet werden?
Dr. Ch. Eisberg: Chirurgische
Behandlung des Ileus. Wie können
unsere Resultate gebessert werden?
Dr. F. M a a s s : Ileus nach Laparo-
tomie. Diagnose und Behandlung.
Diskussion.
Dr. Carl Pfister: Das Thema
Ileus ist ja durch die Vorträge der
Herren beinahe so erschöpft worden,
dass eine Diskussion kaum möglich ist.
Ich möchte nur ein paar Fälle aus mei-
ner eigenen Erfahrung hier erwähnen,
und zwar waren das zwei Fälle, die ich
im vorigen Jahre unter den allerun-
günstigsten Umständen und in der
allertraurigsten Umgebung operiert
habe. Es handelte sich in beiden Fäl-
len um Obstruktions-Ileus durch ein
falsches fibrinöses Ligament, das sich
um den Dünndarm gebildet hatte. In
beiden Fällen waren es Leute in einem
Tenementhaus, in der Ii. und 12.
Strasse, in der traurigsten Umgebung.
Die Patienten waren beide kolossal
heruntergekommen, als ich sie sah,
und ich fürchtete durch den Transport
nach dem Hospital soviel der besten
Zeit zu versäumen, sodass ich mich
entschloss, sie selbst unter den primi-
tiven Verhältnissen dort zu operieren.
Unter sehr wenig Narkose gelang es
mir, die Obstruktion bald zu finden
und zu durchschneiden, und die beiden
Leute kamen davon.
Im Anschluss an die Worte von Dr.
Eisberg, dass man bei der Auf-
suchung von Hindernissen und Her-
vorziehung von Darmschlingen vor-
sichtig sein soll, möchte ich noch sa-
gen, dass ich es von grosser Wichtig-
keit halte, wenn man den Ileus ope-
riert, doch ja keinen zu kurzen Ein-
schnitt zu machen, da die Diagnose,
wo sich das Hindernis befindet, nicht
ganz korrekt gemacht werden kann.
Der Patient stirbt nicht daran, ob der
Einschnitt ein oder zwei Zoll länger
ist oder nicht. Man sichert sich ein
besseres Feld zum Ueberblick und zur
Hervorziehung der Darmschlinge und
auch dazu, die Darmschlinge wieder
zu reponieren.
In einem anderen Falle handelte es
sich um einen 14jährigen Knaben, der
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
durch eine Anhäufung von Kirschstei-
nen — er hatte deren über 400 im Ma-
gen - — ■ eine vollständige Darmver-
stopfung hatte, einen Darmverschluss,
wie er mitunter durch einen grossen
oder verschiedene kleine Gallensteine
entsteht.
Auf einen anderen Ileus möchte ich
noch hinweisen, der von keinem der
Herren erwähnt ist, das ist die reduc-
tion en bloc, wie sie nach einge-
klemmtem Bruch vorkommt und zwar
durch lange und nicht sehr sauber aus-
geführte Taxis hervorgerufen wird.
Es kann kommen, dass der Bruch
plötzlich zurückgeht, die Einklem-
mungserscheinungen scheinbar geho-
ben sind, der Darminhalt aus dem ,
Bruchsack entleert ist, und trotzdem |
bestehen die Einklemmungserschei- i
nungen fort. Nach 4 — 5 Stunden wird
der Zustand schlimmer, und man muss I
die Operation ausführen, und findet !
dann diese innere Einklemmung des
Darmes, die man ohne Zögern resezie-
ren muss, wenn Gangräne eingetreten
ist, oder, wie Dr. M a a s s erwähnt,
einfach die Darmschlinge nach aussen
öffnen und am zweiten oder spätestens
dritten Tage Anastomose machen.
Ich möchte auf zweierlei aufmerk-
sam machen : auf die Narkose, die eine
der gefährlichsten Sachen bei der Ope-
ration ist, und vor allem darauf, keinen
zu kurzen Einschnitt zu machen, wenn
man nicht ganz genau weiss, wo das
Hindernis ist.
Dr. M. I. K n a p p : In der letzten
Zeit ist ziemlich viel über Ileus ge-
schrieben worden, sowohl in den deut-
schen als auch in den englischen Jour-
nalen. Wir verstehen unter Ileus den
Verschluss des Darmes und die darauf
folgenden Erscheinungen. Wir haben
hier (Erläuterung durch Zeichnung an
der Tafel) den Dickdarm — das Kolon
ascendens, das Kolon transversum, das
Kolon descendens und das Kolon sig-
moideum und dann das Rektum. Sehr
häufig kommt im Darme eine Ueber-
produktion von Gasen vor, und im
Dickdarm verursacht eine solche Gas-
spannung Knickungen an diesen Win-
keln (Erläuterung an der Zeichnung).
Sehr schön hat Otto Reith das Zu-
standekommen dieser Knickungen be-
schrieben (Medizinische Klinik, No. I,
1906). Wenn diese Knickungen län-
gere Zeit bestehen, kann ein Exsudat
diese beiden Darmschenkel zusammen-
löten. Je stärker die Gasspannung,
desto spitzer der Winkel des abge-
knickten Darmes, und so bildet sich
ein Darmverschluss mit allen dazu ge-
hörigen Symptomen. Hat sich ein
Exsudat gebildet, dann ist das Hinder-
nis am Darmlumen permanent. Solch
einen Fall habe ich unlängst diagnosti-
ziert und operieren lassen ; die Diag-
nose wurde bestätigt und der Patient
geheilt. Solche Fälle kommen ziem-
lich häufig vor und muss hier eine
Diagnose gemacht werden, da diese
Diagnose nur eine Therapie hat, die
Operation. Mit internen Mitteln kann
hier nichts erzielt werden. Bei post-
operativem Ileus habe ich Atropin mit
ausgezeichnetem Erfolg gebraucht.
Dr. F r i e d m a n n : Ich möchte in
Bezug auf die Lokalisation des Ileus
ein paar Worte sagen. Der Fall, den
ich vorgestellt habe, sowie einige an-
dere Fälle haben mich gelehrt, dass
man in manchen Fällen die Diagnose
ziemlich genau machen kann, wenn
man den Harn untersucht. Natürlich
ist der Kalkgehalt nicht immer für eine
Lokalisation des Prozesses im Dünn-
darm massgebend, aber wenn wir eine
lokale Stagnation ausschliessen können
— und die meisten atypischen Fälle
verlaufen ohne Konstipation, manche
sogar mit Diarrhoe — so denke ich,
dass diesem Indikan-Fall mehr Auf-
merksamkeit geschenkt werden muss.
Hierauf tritt Vertagung ein.
Dr. John A. Beuermann,
Prot. -Sekretär.
56 New Yorker Medizinische Monatsschrift.
Kommers der Deutschen Medizinischen Gesellschaft von Chicago.
Dem April v. J. abgehaltenen Kom-
mers der deutschen med. Gesellschaft
von Chicago lag die Absicht zu
Grunde, einen Anfang zu machen, die im
Westen zerstreuten akademisch gebilde-
ten Männer zuammeln. Es war nur
ein Versuch, aber gerade dieser mit den
einfachsten Mitteln angestellte Versuch
zeigte, dass es nur der Anregung bedarf,
einen Verein der alten deutschen Stu-
denten hier zu gründen. Viele Meilen
weit waren Kollegen extra zum Kom-
mers hierher gekommen und wer nicht
kommen konnte, dem tat es leid. Sie
gedachten ihrer feiernden Kollegen in
Telegrammen wie z. B. das aus Daven-
port :
„Weg mit den Grillen und Wanzen !
Den Aeskulap's- Jüngern 'nen Ganzen!"
Eröffnet wurde der Kommers mit fol-
gender Begrüssung: „Meine Herren!
Das soeben gesungene Lied, „Vom hohen
Olymp herab ward uns die Freude", ist
ein alter Hymnus. In der Tat, Freude
und Fröhlichkeit sind eine Gabe der
Götter. Deshalb haben auch die Philo-
sophen Recht, wenn sie behaupten,
Freude und Fröhlichkeit seien die
höchste Entwicklungsform des Herren-
menschen. Diese hohe Stufe bezweckte
stets das deutsche Studentenleben, dem
alles Banale und Philiströse verhasst war.
Als einen Gottesdienst der Freude und
der Fröhlichkeit betrachtet der deutsche
Student den Kommers und hat damit in-
stinktmässig eine Entwicklung erreicht,
die andere Klassen nicht sobald erreichen
werden. Ich möchte nun ein Bild aus
dem Studentenleben Ihnen vorführen.
Mit gleichgestimmten Kommilitonen zo-
gen wir beim Bummel hinaus in der
schönen Maienzeit, wenn Drosselschlag
und Lerchenlied uns zu Lehrmeistern
wurden. Auf den Blumenauen und im
Waldesschatten fühlten wir die Schön-
heit dieser Welt und begriffen, dass wir
später, als führende Geister, etwas von
Maienluft und Frühlingswehen in unsern
Beruf hineintragen würden. Andere frei -
lich, gelehrter als wir, blieben hinter den
Mauern hocken und freuten sich nicht
des Gesanges in den Lüften und fühlten
nicht die üppig grünende Natur um sich
herum. Wie bald war es mit ihrer Ge-
lehrsamkeit zu Ende, wie wenig Förde-
rung hatte die Menschheit von ihren
staubigen Theorien erfahren! Fanden
wir uns dann wieder auf unserer Bude
in der alten Musenstadt, die Brust ge-
schwellt von Freude, das Herz erfüllt
mit Fröhlichkeit, da ertönte uns der
Glockenklang der mitternächt'gen Stunde
in einer ganz neuen wundersamen Melo-
dei. Andere, die vor uns gelebt, hatten
dieselben Empfindungen, wie es ihre Lie-
der bezeugen, die ihrer Wahrhaftigkeit
halber ihre Zauberkraft nie verlieren
werden. Ist's ein Wunder dann, dass
der deutsche Student nach intensiver und
instinktiver Arbeitsleistung in übermü-
tig fröhlicher Stimmung die Stunden
eines fröhlichen Kommerses feiertü Ein
Jeder, der nur einmal an einem solchen
Göttermahle der Freude und der Fröh-
lichkeit teilgenommen hat, wird es nie
vergessen. Mag auch die rastlose Frau
Sorge im Laufe der Jahre das Feuer
unserer Begeisterung nach Kräften ein-
gedämmt haben, mag auch manches von
unsern Luftschlössern in Trümmer zer-
fallen sein, die Glut der wahren Begeiste-
rung wird auch unter der dicksten
Aschenschicht niemals verlöschen, ja sie
wird fortglühen bis an das Ende unserer
Tage. Deshalb auf, Genossen, auf zur
Wallfahrt nach dem Mekka unserer
Alma Mater, auf zur Wallfahrt nach
dem Jungbronnen unserer schönen Stu-
dentenzeit ! Meine lieben Freunde ! Möge
aus dieser Zeit heute Abend jedem Ein-
zelnen von uns feierlicher Glockenklang
erklingen, feierlich das Lied erklingen
aus schöner, goldener Jugendzeit. De-
nen, die sich uns zugesellt, zum Feste der
Freude und Fröhlichkeit, unsern lieben
Gästen sei der erste Trunk geweiht. Ein
kräftiger Salamander auf unserer Gäste
Wohl \" Zur Ehre sei's gasagt : Keiner
klappte nach. Mit Enthusiasmus wur-
den die alten Lieder gesungen, bei denen
neuern Datums ging es herzlich schlecht.
Wie immer, es zeichnete sich Kollega
Dr. Adolph Decker durch reiche dich-
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
57
terische Gaben aus. Könnten wir dem
Genius den Weg zeigen, wir würden
Kollega Decker ausschliesslich die Feder
allein in die Hand drücken. Nur zwei
Proben seiner Kunst will ich dem Leser
hier vorlegen :
Ich weiss nicht, was soll es bedeuten,
Dass ich so traurig bin?
Die Heilkunst der neuesten Zeiten,
Die kommt mir nicht aus dem Sinn.
Der Arzt kam sacht zu dem Kranken,
Mit dem Stock mit dem goldenen Knopf,
Untersuchte von oben bis unten
Und schüttelte häufig den Kopf.
Er zählte, die Uhr in der Linken,
Wie schnell der Puls sich bewegt,
Er liess die Zunge sich zeigen
Und sah, wie sehr sie belegt.
Er schaute, hämmerte, horchte
Mit Intelligenz und Bedacht,
Dann ward aus allen Symptomen
Die Diagnose gemacht.
Der Arzt vom neuesten Datum
Braucht den Patienten nicht,
Nur das Blut, Se- und Exkretionen,
Was er spuckt, uriniert und erbricht.
In Retorten und Mikroskopen
Erblickt er der Krankheit Spur
Und bestimmt im Laboratorium
Die Art und Weise der Kur.
Das ist die neue Methode,
Wie man sie jetzt lernet und lehrt,
Auf die das Geschlecht der Jungen
Blindwütigen Eifers schwört.
Ich glaube, die Zeiten verschlingen
Noch manchen Auswuchs daran,
Dann wird sie mehr Nutzen noch bringen
Als sie bisher es getan.
28. April 1906.
Auf des Olympus ferner Höh,
Im reichgeschmückten Saale,
Sass Vater Zeus zu später Stund
Beim süssen Abendmahle.
Zum Hermes sprach er dann das Wort :
Jetzt mach dich auf die Sohlen,
Mir drüben aus dem Office-Schrank
Mein Teleskop zu holen.
Ich muss im Aug von Zeit zu Zeit
Da drunten die behalten,
Auf dass sie mir nicht allzuviel
Nach eignem Willen schalten.
Der Bote ging und Hera sprach :
Bist du doch ein alter Sünder,
Willst schaun nur, wo du finden kannst
Die schönsten Menschenkinder.
Zeus schrie voll Aerger : Quos ego !
Du bist 'ne böse Sieben.
Verdenkst mir's, weil mein Pflichtgefühl
Mich heisst die Menschen lieben.
Du hast mir's immer so gemacht
Mit deinem1 losen Munde,
Sei still, sonst schleudr' ich dich
Zu Hades tiefstem Grunde.
Da kam auch Hermes schon herbei :
Schnell her mit deinem Rohre !
Nun will ich auf die Erde sehn
Und durch verschloss'ne Tore.
Und wie er blickt und wie er lauscht
Ringsum durch alle Zonen,
Da schüttelt plötzlich er den Kopf :
Wer mag nur dorten wohnen?
Hermes, schnall deine Flügel an
Und flieg mir in die Ferne,
Bis nach Chicago flieg mir hin
Und halt heim roten Sterne.
Dort hat 'ne grosse Männerschaar
Mein Teleskop gefunden.
Was die da treiben, weiss ich nicht,
Geh du und tu's erkunden.
Und Hermes flog zum roten Stern
Mit des Gedankens Schnelle
Und fand im Russ der Riesenstadt
Auch bald die gute Quelle.
Und die Tarnkappe auf dem Haupt
Wagt er sich zu den Leuten.
Nicht lange währt es und er weiss.
Was alles soll bedeuten.
Flugs eilt er zum Olymp zurück
Mit schnellen Flügelschlägen.
Zeus, Vater, ruft er, Heureka,
Ich will's zurecht dir legen.
§8
New Yorker Medizi
nische Monatsschrift.
Dort in der Stadt am grossen See,
Im roten Sternensaale,
Dort sitzet eine Männerschaar
Bei Bier und kaltem Mahle.
Um zu erraten, wer sie sind,
Spitzt ich die beiden Ohren.
Sie sprechen deutsch, sie singen deutsch,
's sind Aerzte, 's sind Doktoren.
Und nicht Chicagoer allein,
Auch fremde Aerzt' sind drunter,
Von weither kamen sie des Wegs
Und sind fidel und munter.
Da spricht der alte Jupiter,
Es klingt wie Donnergrollen :
Du wirst doch nicht voll Uebermut
Mich heute foppen wollen?
Mehr als dreitausend lange Jahr
Bin ich jetzt schon am Leben
Und dachte nie, dass solch ein Fest
Es jemals könnte geben.
Doktoren, deutsche noch dazu,
Und sitzen froh und friedlich?
Und kneipen wie zur Jugendzeit
Und machen sich's gemütlich?
Merkurius, mit viel Verdruss
Hör ich die falsche Märe,
Als Strafe, Kerl, zu Sherlock Holmes
Schick ich dich in die Lehre.
Nun geh und borg den Donnerkeil
Bei meiner lieben Frauen,
Weil ich jetzt nach Chicago will,
Um selbst mich umzuschauen.
Frau Zeus wollte nicht, sie tat
Im Winkel schmollend hocken;
So macht sich ohne sein Symbol
Zeus auf die Göttersocken.
Auch Hermes musste wieder mit.
Zeus wollt ihm demonstrieren,
Dass er sich schauderhaft geirrt, —
Ihn ad absurdum führen.
Doch wie sie in dem Saale sind,
Als unsichtbare Geister,
Erkennt sein Unrecht Jupiter,
Merkur wird aber dreister.
„Nicht Sherlock Holmes, nicht Pinkerton,
Nicht alle Agenturen,
Die fänden so genau und flink
Wie ich die rechten Spuren.
Beim grossen Kronos, du hast Recht,
Sprach Zeus, ich muss dich loben ;
Mein alterprobtes Wissen ist
Wie eitel Spreu zerstoben.
Doch kann ich ob der Aenderung
Vor Freude mich nicht lassen ;
Was sollten deutsche Aerzte auch
Befehden sich und hassen?
Schau, Hermes, wie sie lustig sind
Bei ihrem kalten Biere,
Und blick ich vorwärts, seh ich sie
Noch sitzen um halb viere.
Und ziehn sie morgen wieder zu
Den heimischen Gestaden
Und widmen ihrem Werke sich,
Im Schutze der Penaten,
So hoff ich, jeder denket froh
Des Fests im roten Sterne,
Und kommt zum zweiten Festkommers
Im nächsten Jahre gerne.
Nachdem noch verschiedene ernste
Biergerichte abgehalten waren, da trenn-
ten wir uns mit der freudigen Hoffnung
auf den nächsten Kommers. Soll ich
mir ein Zukunftsbild machen, so sehe ich
beim nächsten Kommers den lateinischen
Farmer neben dem Universitätspro-
fessor sitzen, als fröhliche Söhne einer
grossen Mutter — Alma Mater. Den-
jenigen, welche eine darartige Verein-
igung willkommen ist, möchte ich
zurufen : ,, Hoffe ! Du erlebst es noch,
dass der Frühling wiederkehrt." Ja, in
die Tretmühle der beruflichen Pflichten
wollen wir Ruhestunden setzen, fröh-
liche Stunden, den schönsten Erinner-
ungen geweiht.
Dr. Gustav Schirmer.
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
59
Therapeutische und klinische Notizen.
—Müller (Hamburg) mächt auf den Ge-
brauch des Validols in der Gyn.aekologie auf-
merksam. Die Dosis, welche man verwendet,
schwankt je nach den Verhältnissen und be-
wegt sich zwischen 5 — 25 Tropfen dreimal am
Tage. Die Wirkung des Validols ist besonders
wertvoll bei den verschiedenen nervösen Er-
krankungen der Frauen und man kann durch
dieselbe in vielen Fällen leicht und verhältnis-
mässig rasch Besserung und Heilung der Lei-
den erzielen, bei denen ohne Validol lange
und umständliche Kuren notwendig sein wür-
den. Das Validol wirkt einerseits anregend
auf die Herzfunktion und andererseits beruhi-
gend auf das Nervensystem. Dementsprehend
hat man dasselbe in vielen Fällen von Nerven-
leiden und nervösen Herzaffektionen verwen-
det und von recht guten Erfolgen berichtet.
Die Erfahrungen Müllers mit Validol
stützen sich auf Beobachtungen bei nervösen
Beschwerden während und nach gynäkolo-
gischen Erkrankungen und er hat da eine
Reihe guter Resultate erzielt, welche ihn ver-
anlassen, das Validol dauernd zu verwenden.
Man muss aber bei der Therapie mit Validol
von vornherein bedenken, dass eine günstige
Wirkung des Mittels nicht sofort nach den
ersten Tagen der therapeutischen Verwendung
eintritt, sondern, dass erst eine Zeit von
wenigstens 8 — 14 Tagen verstreicht, ehe eine
sichtbare Besserung dauernder Art der ner-
vösen Leiden eintritt und eintreten kann.
Trotzdem bewirkt Validol in geeigneten Fäl-
len auch momentan nach Verabreichung an die
Patienten eine Besserung, namentlich bei ner-
vösen und hysterischen Anfällen mit Ohn-
macht und dergleichen. Was aber die
chronischen Nervenleiden, die hysterischen
und neurasthenischen Beschwerden anlangt,
so kann man nicht eine sofortige Wirkung er-
warten.
Besonders günstig hat sich das Validol in
einigen Fällen von Migräne und neuras-
thenischen Beschwerden wie Kopfschmerz,
Schwindel, Unruhe und Erregtheit bewährt,
die bei Frauen nach verschiedenen Leiden
Endometritis, Blutverlusten etc. zurückgeblie-
ben waren oder gleichzeitig mit anderen Zu-
ständen ( Dysmenarrhoe) auftraten.
In allen solchen Fällen, wo es sich um
hochgradige allgemeine Nervosität handelt,
hat sich das Validol bestens bewährt.
Von ganz grosser Bedeutung ist die Wir-
kung des Validols bei den Beschwerden zur
Zeit des Eintrittes des Klimakteriums.
Neben diesen Vorzügen des Validols als
Nervenberuhigungsmittel, kommt es noch als
ein die Herzkraft anregendes in Betracht, denn
es wirkt auf die Herztät:gkeit anregend und
ist dadurch besonders wertvoll bei akuten
Herzschwächezuständen, wie man sie gerade
recht oft in der Sprechstunde des Chirurgen
und Frauenarztes beobachten kann. („Der
Frauenarzt", 1906, Nr. 10 u. Ii.)
— Zum Erbrechen nach der Narkose. Die
Zahl der Mittel gegen das Brechen ist eine
grosse, ihre Wirkung im grossen und ganzen
eine unsichere.
Wanietschek und Dr. H e r z u m ka-
men auf das Alypin durch einen Artikel von
T a u s z k in den „Therapeutischen Berichten",
welcher das Alypin u. a. auch bei zwei Fällen
von hysterischem Erbrechen mit gutem Er-
folge verabreicht hat. Sie benützten es in der-
selben Weise wie T a u s z k, Tropfen in 50%-
iger Lösung. Der Erfolg war ein überrasch-
end guter. Tatsache ist, dass in den letzten
drei bis vier Monaten, die Zeit, wo sie Alypin
anwenden, mit wenigen zwei bis drei Ausnah-
men kein Narkotisierter erbrach. Sie geben,
sobald der Narkotisierte erwacht, resp. zu
schlucken vermag, fünf bis sechs Tropfen
obiger Lösung, bei Kindern entsprechend wen-
iger. Dies kupiert oft das Brechen ein für
allemal oder man ist nach einer bis zwei
Stunden genötigt, jene Dosis zu wiederholen.
Es noch ein drittes Mal oder gar viertes Mal
geben zu müssen, kamen sie e!gentlich nur in
einem bis zwei Fällen in die Lage. Dabei
kann man das unbekenklich tun. T a u s z k
ging bis zu 8 cg pro die, das sind 32 Tropfen
der 59f igen Lösung tagsüber verteilt. Natür-
lich kann man im Bedarfsfalle die Einzeldosis
entsprechend steigern.
Neuerdings geben beide Autoren auch zu
Beginn der Narkose fünf bis sechs Tropfen
der Lösung, wodurch natürlich auch das Wür-
gen und Brechen zu Beginn der Narkose ver-
mieden wird. Mit Rücksicht auf die guten Er-
folge, die sie mit dem Mittel gemacht haben,
unterbreiten sie es den Fachkollegen zur Beur-
teilung; dasselbe iit einer Nachprüfung wert.
(„Prager Mediz. Wochenschr." 1906, Nr. 50.)
6o
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
Kleine Mitteilungen.
— Der erste Kongress der deutschen Gesell-
schaft für Urologie wird vom 2. — 5. Oktober
1907 in Wien im Gebäude der k. k. Gesell-
schaft der Aerzte tagen.
Als Hauptthemen werden in Diskussion ge-
zogen :
I. Diagnostik und Therapie der Nieren-
tumoren. Referenten : Küster- Mar-
burg, v. Eiseisberg - Wien.
II. Diagnostik und Therapie der Nephroli-
thiasis. Referenten: Kümmel -Ham-
burg, Holzknecht, Kienböck-
Wien.
III. Die Albuminurie. Referenten : v. N o o r-
d e n - Wien, P o s n e r - Berlin.
Anmeldungen von Vorträgen und Demon-
strationen haben mit einer kurzen Inhaltsan-
gabe versehen bis spätestens 15. Juli 19x17 an
die Geschäftsstelle in Wien (Dr. Kapsam-
mer, IX. Maria Theresienstrasse 3) stattzu-
finden. Ebendahin sind auch Anmeldungen zur
Diskussion über die genannten drei Haupt-
themen zu richten.
Während des Kongresses wird eine Aus-
stellung von Präparaten, Instrumentetn und
urologischen Gebrauchsgegenständen veran-
staltet, für welche die Anmeldungen ebenfalls
bis spätestens 15. Juli an die Geschäftsstelle in
Wien zu erfolgen haben.
Nichtmitglieder wollen ihre Teilnahme an
dem Kongresse an die Geschäftsstelle in Wien
melden, woselbst auch der Teilnehmerbetrag
von 10 K zu erlegen ist.
Alle weiteren Mitteilungen über den Kon-
gress, für welchen auch mehrere Festlichkei-
ten in Aussicht genommen sind, werden nur
jenen Nichtmitgliedern zugestellt, welche dies
ausdrücklich verlangen oder den Teilnehmer-
betrag bereits erlegt haben.
Die Mitglieder der Gesellschaft werden ge-
beten, den von der konstituierenden Versamm-
lung in Stuttgart festgesetzten Jahresbeitrag
von 10 M. an die Zahlstelle in Breslau (Dr. F.
Löwenhardt, Karlstrasse 1) zu senden.
Good Opportunity for Physician
HT ( J LET. Furnished parlor floor, with labora-
tory, bot and cold water, door Service and
telephone. Select location. Board if desired.
Address or call 218 West I38th Street, New
York. ( King model houses.)
f^cw Yorker
JYIedtzimscbe ]VIonat88cbnft
Offizielles Organ der
DeutfcDcn mcdizinifcbcn ßefellfcbafttn der Städte new V»rk.
Chicago, Cleveland und San Trancisco.
Redigiert von Dr. A. Ripperger.
Bd. XIX. New York, 1907. ^ No. 3.
Originalarbeiten.
Allgemeine Peritonitis infolge von Appendizitis und ihre Behandlung.*
Von Dr. A. P. Moschcowitz.
Binnen kurzer Zeit wird im „Archiv
für klinische Chirurgie" eine längere
Arbeit erscheinen, über 2000 Fälle von
Erkrankungen des Wurmfortsatzes,
welche auf den zwei chirurgischen Ab-
teilungen des Mount Sinai Hospitales,
im Laufe der letzten acht Jahre behan-
delt wurden. Für den heutigen Vor-
trag entnehme ich der erwähnten Ar-
beit jene Gruppe von Fällen, welche
mit Peritonitis kompliziert waren. Die
Fälle sind von den Herren Dr. A. G.
Gerster, Howard Lilienthal,
Jos e.fWiener, Charles A. Eis-
berg, A. A. Berg und mir operiert
worden, und es bereitet mir Vergnü-
gen, den erwähnten Herren auch an
dieser Stelle meinen Dank für Ueber-
lassung ihres Materials abzustatten.
Die Ansichten der Chirurgen über
Peritonitis im Verlaufe von Appendi-
zitis gehen weit auseinander und er-
klären die grossen Unterschiede der
Statistiken, namentlich in Hinsicht der
Mortalität. Wir wollen Anderen un-
sere Klassifikation nicht aufdrängen,
sondern nur den in dieser Arbeit so oft
gebrauchten Ausdruck „Peritonitis"
*Vortrag, gehalten in der Deutschen med.
Ges. der Stadt New York am 4. März 1907.
genau feststellen : denn nur so können
unsere Resultate gewürdigt werden.
Die überall gebräuchlichen Bezeich-
nung „allgemeine" Peritonitis ist kli-
nisch nicht gerechtfertigt, denn es
lässt sich nur bei einer Autopsie fest-
stellen, ob der entzündliche Prozess
sich auf sämmtliche Abteilungen der
Bauchhöhle erstreckt. Wir ziehen des-
halb den Ausdruck „diffuse" Peritoni-
tis vor.
Damit unsere Fälle richtig verstan-
den werden, will ich in aller Kürze die
Symptomatologie der appendikulären
Peritonitis beschreiben ; mit beson-
derer Berücksichtigung der Differen-
tialdiagnose gegenüber anderen akuten
Erkrankungen des Wurmfortsatzes.
1. Die Kranken machen einen viel
schwereren Eindruck.
2. Der Schmerz wird im ganzen
Bauch gefühlt, im Gegensatz zu den
unkomplizierten Appendizitiden, in
denen er lokalisiert ist.
3. Erbrechen ist konstanter und
widerholt sich öfter.
4. Obstipation ist die Regel. Selten
bestand Diarrhoe, namentlich in den
Fällen, die mit Gangrän des Coecum
kompliziert waren.
62
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
5. Die Temperatur hat nichts charak-
teristisches. Der Puls ist meist fre-
quent, 120 und darüber. Die Zahl der
Respirationen ist nicht erhöht, ausser
in weit vorgeschrittenen Fällen.
6. Das Abdomen ist stark aufgetrie-
ben.
7. Sämmtliche Bauchmuskeln sind
gespannt, nicht nur die der rechten
Seite.
8. Das ganze Abdomen ist empfind-
lich ; vielleicht etwas mehr auf der
rechten Seite, was dann auf den
Wurmfortsatz als Ausgangspunkt der
Peritonitis hinweist.
9. Ein nebenbei bestehender Ab-
szess kann manchmal als Tumor pal-
piert werden ; meistens jedoch ist dies
wegen Spannung der Bauchdecken un-
möglich.
10. Rektale oder vaginale Unter-
suchung ergeben Empfindlichkeit auch
des Bekenperitoneums.
11. Durch Perkussion kann die An-
wesenheit eines beweglichen Exsudates
im Peritoneum nachgewiesen werden.
Bei der Eröffnung des Bauchfells
strömt sofort seröse, seröseitrige oder
eitrige Flüssigkeit heraus. Dieselbe
kommt aus allen Teilen der freien
Bauchhöhle und ist nicht durch Ad-
häsionen abgesackt. Die Menge des
Exsudates wechselt in weiten Grenzen.
Das Peritoneum selber zeigt verschie-
denartige Veränderungen, je nach dem
Charakter des Exsudates und der Viru-
lenz der Infektion. Entweder ist es
hochrot injiziert oder mit Fibrinauf-
lagerungen bedeckt, oder es hat nur
seinen normalen Glanz verloren. Die
Darmschlingen sind in der Regel stark
aufgetrieben ; einzelne können leicht
untereinander verklebt sein. Fälle, in
denen die obengenannten V eränderun-
gen nur die nächste Umgebung des
Wurmfortsatzes betreffen, werden von
uns selbstverständlich nicht zu den
Peritonitiden gerechnet.
Unsere Klassification der Peritoniti-
den, wie aus Tabelle I zu ersehen ist,
hängt vom Charakter des Exsudates
ab ; wir unterscheiden demzufolge eine
seröse, serös-eitrige, eitrige und trock-
JU3ZOJJ
JU3ZOJJ
juazojj
IHBZ
}U3ZOJ<J
uaqjoisao
uaqjojsag
IHEZ
juazojjj
uaqjojsarj
JU3ZO-I<J
g uaqjo;s39
00
8,
ene Peritonitis. An dieser Stelle
möchte ich auch die Aufmerksamkeit
auf eine Unterart lenken, die bis jetzt
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
63
nur wenig beachtet wurde. Es sind dies
Fälle von milden Symptomen ; die Em-
pfindlichkeit ist gering, und die Rigidität
ist wenig ausgesprochen. Die physi-
kalische Untersuchung jedoch ergibt
die Anwesenheit eines grossen Exsu-
dates. Bei der Operation ergiesst sich
eine grosse Menge dicken, rahmigen
Eiters aus der freien Bauchhöhle, nicht
etwa aus einem Abszesse. Das Peri-
toneum weist keine oder nur sehr ge-
ringe Veränderungen auf; seine Ober-
fläche ist glatt, glänzend und nicht ge-
rötet ; hie und da finden sich zarte
Fibrinbeschläge. Die Prognose in die-
sen Fällen ist meistens gut. Obzwar
wir sie hier durchweg zu den eitrigen
Peritonitiden gerechnet haben, möch-
ten wir für sie in der Zukunft den
Namen ,,Pyoperitoneum" vorschlagen.
Die trockenen Peritonitiden können
mit wenigen Worten abgefertigt wer-
den. Sie sind dadurch gekennzeichnet,
dass kein flüssiges Exsudat vorhanden
ist ; das Peritoneum ist intensiv ge-
rötet und zeigt feine Fibrinauflagerun-
•gen. Klinisch waren beide unserer
Fälle besonders schwer.
Man hat die serösen, serös-eitrigen
und eitrigen Peritonitiden vielfach als
verschiedene Stufen desselben ent-
zündlichen Prozesses hingestellt. Dass
dem nicht so ist, geht daraus hervor,
dass die Krankheitsdauer in allen drei
Formen nur wenig schwankt ; und dass
die seröse Form, ein vermutlich frühes
Stadium der Infektion, sich ernster er-
wies als die serös-eitrige. Es ist viel-
mehr wahrscheinlich, dass die drei
Formen der Ausdruck der verschie-
denen Virulenz der infektiösen Keime
und der verschiedenen Reaktionsfähig-
keit der einzelnen Patienten sind.
Wir haben den Zustand des Wurm-
fortsatzes (ob gangränös oder per-
foriert oder beides) unbeachtet gelas-
sen, denn wir glauben, dass die Peri-
tonitis eine überwältigende Rolle
spielt.
Die Kombination mit Abszessbil-
dung ist häufig genug, um eine eigene
Rubrik zu gerechtfertigen. Der Ab-
szess muss jedesmal extra drainiert
werden.
Die letzte Gruppe appendikulärer
Abszess und diffuse Peritonitis ura-
fasst die Fälle, in denen der Wurmfort-
satz nicht entfernt wurde, wo wir also
dessen Zustand nicht kennen. Von den
acht Fällen dieser Rubrik fallen sieben
noch in das Jahr 1899, als wir mit der
Entfernung des Wurmfortsatzes noch
nicht so dreist waren wie jetzt.
In sämmtlichen Fällen wurde im
pathologischen Laboratorium des Hos-
pitales eine bakteriologische Unter-
suchung des peritonitischen Exsudates
gemacht. Leider ging ein Teil der ein-
schlägigen Berichte verloren, sodass
ich nur über 171 Fälle berichten kann.
Es wurden gefunden
Genesen. Gestorben.
Bac. Coli in 116 Fällen 89 27
Bac. Coli und Strepto-
coccus in 14 *« i0 4
Streptococcus in 13 " g 4
Friedländer's Bac. in... 4 " 4 0
Pneumccoccus in 3 " 3 0
Staphylococcus albus in 3 " 2 t
Streptococcus u. Staphy-
lococcus in 4 " 2 2
Proteus vulgaris in 4 " 2 2
Proteus und Coli in.... 2 " 1 1
Coli und unbekannte
Bac. in 2 "• i, x
Bac. pyoeyaneus in 2 " 1 1
Coli, pyoeyan., staphyl.,
strep. in 2 " 1 1
Coli und Staphyl: aureus
in r " 1 o
Strepto und Friedlander
in 1 " 1 o
Summe 171 " 127 44
Diese Tabelle zeigt, dass die Coli-
Peritonitis die häufigste ist, und daher
ist auch ihre Mortalität die verhältniss-
mässig höchste. Man glaubt allgemein,
dass die Streptococcus-Peritonitis be-
sonders virulent sei ; unsere Zahlen
sind jedoch zu klein, um diesen Punkt
zu beleuchten.
Behandlung. Wann soll ein gegebe-
ner Fall von appendikulärer Peritonitis
operiert werden? Sofort. Dies ist der
Standpunkt, den wir im Laufe der
Jahre erreicht haben ; wir verweigern
64
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
die Operation nur in moribunden Fäl-
len.
Technik. Unsere Technik war nicht
immer die gleiche ; wir haben sie
schrittweise vervollkommnet.
Anfänglich machten wir eine grosse
Schräginzision in der rechten Fossa
iliaca, parallel den Fasern desObliquus
externus, der internus und transversa-
lis wurden quer zu ihrer Faserrichtung
durchschnitten. Nach Eröffnung der
Bauchhöhle war unser Hauptbestreben,
das erkrankte Peritoneum zu drainie-
ren. Wir legten zu diesem Zweck
Gazestreifen nach allen Richtungen
ein und machten Gegeninzisionen auf
der linken Seite oder Lumbalgegend.
Den Wurmfortsatz entfernten wir nur,
wenn er leicht zugänglich war. Die so
behandelten Patienten bedurften aus-
giebiger Stimulation. Die meisten
gingen an Darmobstruktion zu
Grunde, der sowohl dynamisch als
auch mechanisch bedingt sein mochte.
Einzelne genasen, wie wir damals uns
rühmten, infolge unserer aktiven Be-
handlung, wie wir jetzt sagen möch-
ten, trotz derselben.
Als weitern Schritt fügten wir dazu
ausgiebige Auswaschung der infizier-
ten Peritonealhöhle. Durch eine grosse
Inzision wurden grosse Mengen heis-
ser Salzlösung in die Bauchhöhle und
über die eventrierten Därme gegossen,
und mit den Händen mit allen Ab-
schnitten in Berührung gebracht.
Darauf folgte Tamponade mit Gaze-
streifen und Drainröhren. Die Nach-
behandlung war die gleiche. Die Re-
sultate nicht besser.
Späterhin machten wir kleine In-
zisionen und führten lange Glassröhren
ein, durch die wir die Bauchhöhle irri-
gierten, bis die rückläufige Flüssigkeit
klar war. Wir tamponierten weniger
und gebrauchten auch schon soge-
nannte Zigaretten-Drains. (Bekannt-
lich bestehen dieselben aus dünnen
Jodoformgazestreifen, die mit Gutta-
percha umwickelt sind.) Die Resul-
tate waren bedeutend besser, aber nie
so gut, wie von den Anhängern der
Methode behauptet wird.
Unsere jetzige Methode will ich et-
was ausführlicher beschreiben. Da, wie
gesagt, unsere Fälle sofort nach der
Aufnahme operiert werden, verlieren
wir keine Zeit mit Vorbereitungen.
Wir geben ihnen blos ein Schwamm-
bad und Seifenwasser Klystier. Als
Anaestheticum gebrauchen wir Lach-
gas und Aether, ausnahmsweise ope-
rieren wir in lokaler Anaesthesie.
Die Inzision ist gewöhnlich die
Kammere r'sche, zwei bis höchstens
drei Zoll lang. Nach Abfliessen des
Exsudates werden Gazestreifen einge-
führt, nur um einen etwa vorhandenen
Abszess nicht in die allgemeine Bauch-
höhle bersten zu lassen. Jetzt wird der
Wurmfortsatz aufgesucht ; das Mesen-
teriolum wird abgebunden, die Basis
des Wurmfortsatzes wird mit einem
Katgutfaden abgeschnürt und darüber
mit dem Paquelin das Organ abgetra-
gen und der Stumpf verschorft. Ein
etwaiger Abszess wird mit Gazetup-
fern ausgewischt. Ein dünner Ziga-
rette-Drain wird zum Appendixstumpf,
eventuell auch in eine vorhandene Ab-
szesshöhle, geführt. Die Becken-
höhle wird oberflächlich ausgetupft
und manchmal ein zweiter Zigarette-
Drain in den Douglas eingeführt.
Gespült wird prinzipiell nicht. Die
ganze Wunde wird in Etagen bis auf
den Drain geschlossen. Wir ge-
brauchen Katgut fortlaufend fürs Peri-
toneum, Chromkatgut für die Rektus-
scheide und Seide für die Hautnaht.
Die unmittelbare Nachbehandlung
gestaltet sich wie folgt. Das Kopf-
ende des Bettes wird um zwei bis drei
Fuss erhöht und in dieser, der soge-
nannten F o w 1 e r'schen Lage, ver-
bleibt Patient die ersten vier oder fünf
Tage. Patient bekommt nichts per os,
bis der Brechreiz verschwunden ist ;
zur Stillung des Durstes werden oft
wiederholte kleine Einläufe physiologi-
scher Salzlösung gegeben, und wenn
der Allgemeinzustand des Patienten es
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
65
erheischt, werden auch subkutane oder
intravenöse Salzinfusionen gemacht.
Binnen einiger Stunden nach der
Operation ist der erste Verband ge-
wöhnlich durchnässt und er wird
dann gewechselt. Nach Aufhören des
Erbrechens sind Eispillen oder heisser
Thee oder Kaffe erlaubt.
Am zweiten Tage bekommt Patient
einen niedern Seifenwasser Einlauf;
wirkt das nicht, so wird ein hoher Ein-
lauf mit Zugabe von Ochsengalle ge-
geben; darauf erfolgt gewöhnlich
Stuhl oder wenigstens Beseitigung
der Tympanie, zur grossen Erleichter-
ung des Patienten. Am dritten Tage
bekommt Patient 0,2 Kalomel in sechs
Dosen und eine halbe Flasche Mag-
nesium-Citrat ; manchmal muss auch
jetzt noch mit einem Einlauf nachge-
holfen werden. Nachdem Stuhlgang
erzielt ist, bekommt Patient reich-
lichere Kost.
■ Am dritten Tage wird der bisherige
trockene Verband durch einen feuch-
ten ersetzt. Am nächsten Tage wird
der Zigaretten-Drain durch leichten Zug
entfernt und an seiner Stelle wird so-
fort ein Gummidrain eingeführt. Die
Hautnähte werden am fünften oder
sechsten Tage herausgenommen. Der
Verband wird täglich erneuert oder,
wenn der Ausfluss sehr stark ist, auch
zweimal. Wenn das Sekret serös ge-
worden ist, wird der Gummidrain
rapide gekürzt und entfernt. Die
Wunde ist gewöhnlich in zwei bis drei
Wochen geschlossen.
Bekanntlich ist nichts so trügerisch
als Theorien, die sich nur auf Statis-
tiken stützen. Durch Eliminierung ge-
wisser Fälle und Zusatz anderer kön-
nen Statistiken so gedoktort werden,
dass man damit irgend etwas beweisen
kann. So sind zum Beispiel in vielen
Statistiken Fälle nicht mitgerechnet,
die • nach dem dritten Tage operiert
worden sind, oder aber solche, die in-
nerhalb von zwölf Stunden nach der
Operation starben. Es wäre allenfalls
gerechtfertigt, die nicht operierten
Fälle auszuschliessen. Der Einfach-
heit halber haben wir sogar diese
Fälle mitgerechnet. Unsere Sterblich-
keitsziffer ist daher möglichst hoch,
denn sie stellt sozusagen eine Mor
biditäts- und nicht eine Operations-
mortalität dar.
Unsere Mortalität, wie aus Tabelle I
zu ersehen ist, nimmt stetig ab. Dies
zeigt sich besonders bei der eitrigen
Peritonitis, der häufigsten und virulen-
testen aller Peritonitiden. Ihre Mor-
talität ist jetzt um 75 Prozent geringer
als in 1899. Sie ist immerhin noch
sehr hoch ; da sie aber, wie gesagt, im
stetigen Abnehmen begriffen ist, kön-
nen wir hoffen, dass eine spätere Sta-
tistik noch viel bessere Resultate auf-
weisen wird.
Die Verbesserung unserer Resultate
verdanken wir folgenden Umständen :
1. Die Fälle kommen früher zur Be-
handlung.
2. Wir gebrauchen kleinere In-
zisionen.
3. Wir haben die früher gebrauchte,
exzessive Drainage aufgegeben.
4. Wir vermeiden alle unnötigen ope-
rativen Manipulationen, wie Eventra-
tion, Spülungen, u. s. w.
5. Wir führten die F o w 1 e r'sche
Lage ein.
Der Fortschritt unserer Behand-
lungsmethoden lässt sich an dem steti-
gen Sinken unserer Mortalität verfol-
gen, wie aus Tabelle I zu ersehen ist.
Wir liessen uns dabei mehr von em-
pirischen als theoretischen Grund-
sätzen leiten. Vom theoretischen
Standpunkt aus dürften manche un-
serer Prozeduren auf Widerspruch
stossen. Wir haben alle bekannten
Methoden der Reihe nach versucht,
und das, was wir jetzt üben, als das
beste erprobt. Damit ist nicht gesagt,
dass wir unsere Methoden zum Ab-
schluss gebracht haben ; dieselben
mögen sich von Jahr zu Jahr ändern
und, wie wir hoffen, zur stetigen Bes-
serung unserer Resultate führen.
öö
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
Mitteilungen aus der neuesten Journalliteratur.
B e r t h o 1 (1 Goldberg ( Köln) : Be-
steht ein Zusammenhang zwischen
Prostatitis und Prostatahypertrophie?
Die Frage der Beziehungen zwischen
Prostatitis und Prostatahypertrophie hat
ein grosses theoretisches und praktisches
Interesse. Unter heiläufig }4 Tausend
chronischer Prostatitiden hat G. einige
wenige Male Drüsen gefunden, die sich
makroskopisch und dem Gefühl nach in
nichts von hypertrophischen unterschie-
den, wiewohl ihre Träger 30er bis 40iger
waren. Diese Drüsen waren sehr gross,
sehr hart, und hatten durch ihre Form
auch die Urethra prostatica in der bei
Prostatahypertrophie bekannten Weise
verändert. Sekret war nicht auszupres-
sen. Diese Pat. litten jedoch nicht an
den objektiven Störungen der Harnent-
leerung, wie sie beim „Prostatiker" fest-
gestellt werden ; sie hatten keine Retentio
urinae. Vielmehr drückte eine hoch-
gradige Neurasthenie und Hypochondrie
dem klinischen Bilde sein Gepräge auf
mit besonderer Lokalisation im Bereiche
der Urogenitalorgane.
Eine andere Gruppe von Pat. aber
zeigten nicht bloss die subjektiven, son-
dern alle objektiven Störungen der
Harnentleerung, welche wir von dem
zweiten und dritten Stadium der Prosta-
tahypertrophie her kennen, akute Reten-
tio urinae, chronische inkomplete Re-
tentio urinae, akute und chronische
sekundäre Infektion der Harnwege, Dis-
tension der Harnwege u. s. w. Solcher
Prostatitiden hat G. bei Männern von
25 — f5 Jahren im Laufe von 15 Jahren
12 beobachtet, unter 500 Prostatitiden,
unter ca. 4000 an Harn- und Ge-
schlechtskrankheiten leidenden männli-
chen Personen. Die Prostata war bei
fünfen mittelgross, bei dreien mässig
gross, bei vieren klein ; sie war stets Sitz
einer hochgradigen diffusen endoglandu-
lären und interstitiellen Entzündung.
Da die, meist bleibende, Cystoparese der
Prostatitis ihre Besonderheit verleiht,
wie sie sich der Prostatahypertrophie
nähert und von der gewöhnlichen Pro-
statitis trennt, so hat G. vorgeschlagen,
die Krankheit Prostatitis chronica cysto-
paretica zu nennen (vgl. „Zentralblatt
für Harnkrankheiten", 1906, Oktober.)
Unter seinem 50 letzten Fällen fand
G. Entzündung in irgend einer Form
20mal. Motz und Goldschmidt
haben bei Sektionen in 80 hypertrophi-
schen Drüsen 9mal Abszess und 4mal
Periprostatitis purulenta gefunden, kli-
nisch bei Prostatikern 2mal einen Ab-
szess, 8mal Eiter und Mikroben im Pro-
statasekret.
Bei 20 Fällen von G. handelt es sich
aber um die verschiedensten Dinge.
3mal ist auf die lange bestehende Hy-
pertrophie durch Katheterinfektion eine
eitrige Enzündung aufgepfropft ; das ist
eine sekundäre, akzidentelle Affektion.
2mal trifft eine gonorrhoische Prostatitis
alte Pat. mit alter Hypertrophie ; einen
Einfluss auf den gewöhnlichen Lauf der
Dinge äussert diese Prostatitis nicht.
7mal ist es umgekehrt. Zuerst besteht
eine chronische Gonorrhöe, die nicht
recht abheilt. Ganz allmählich im Laufe
der Jahre, aber in unmittelbarem An-
schluss an die Gonorrhöe, ohne ein
Zwischenstadium vollständiger Be-
schwerdefreiheit, entwickeln sich die
klinischen Erscheinungen des Prostatis-
mus ; schliesslich findet man dieselben
erklärt durch eine, meist nicht sehr be-
trächtliche, meist einseitige asymmetri-
sche und meist halbharte Yergrösserung
in der Prostata. Eine genaue Unter-
suchung dieser Fälle aber lehrt, dass sie
sich in nichts anderem von der oben ge-
schilderten „Prostatitis chronica cysto-
paretica" unterscheiden, als dass sie
statt junger alte Männer betroffen ha-
ben. Und da ja auch die oben erwähn-
ten Pat. ihre in vorgeschritteneren Sta-
dien unheilbare, aber nicht tödliche
Krankheit mit uns ins Alter herüber-
nehmen, so ist durch beide Gruppen von
Fällen der Beweis geliefert, dass viele
bisher der „weichen Form" der Prostata-
hypertrophie zugerechneten Erkrankun-
gen nichts weiter sind als Prostatitiden.
Ihre Abgrenzung von der Prostatahyper-
trophie ist für Prognose und Therapie
von grosser Bedeutung.
Zwei Fälle verhielten sich ebenso wie
die vorstehenden 7, nur dass zwischen
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
67
dem Ablauf der Gonorrhöe und dem Be-
ginne der Harnbeschwerden ein viel-
jähriger freier Zwischenraum lag.
Endlich bei 5 Prostatikern, welche we-
der jemals geschlechtskrank gewesen,
noch bis da katheterisiert worden waren,
hat G. durch Untersuchung des expri-
mierten Sekretes, welches zum Teil mas-
senhaft Leukozyten erhielt, den Beweis
der Existenz einer primären Prostatitis
geliefert. Irgendeinen klinischen An-
halt für einen ursächlichen Zusammen-
hang zwischen Entzündung und Ver-
grösserung, die meist auch mit Ver-
härtung verknüpft war, boten diese 5
Fälle nicht.
Was das Verhältnis der Gonorrhöe zur
Prostatahypertrophie in den erwähnten
50 Fällen angeht, so ist sie 13mal, d. i. in
J4 der Fälle, eruiert worden. 2mal ent-
stand sie, als die Prostatahypertrophie
längst da war, 4mal war sie 20 — 50
Jahre vor dem Beginne der Prostatis-
musbeschwerden dagewesen, ohne dass
irgendein vermittelndes Zwischenstadium
sich bemerkbar gemacht hätte ; 7mal end-
lich ist ein Kausalnexus nicht abzu-
streiten; aber das sind eben jene chroni-
schen cystoparetischen Prostatitiden.
(Zentralbl. für Chirurgie, 1907, No. 8.)
A. Herzfeld (New York): Seltene
Lokalisation eines luetischen Primär-
affektes.
Die Krangeschichte des Patienten ist
folgende : A. R., 23 Jahre alt, von Ge-
burt Franzose, seit kurzer Zeit in den
Vereinigten Staaten, von Beruf „Artist".
Patient gibt an, immer gesund gewesen
zu sein. Seine Eltern leben und sind ge-
sund. Patient fühlt sich seit einigen Ta-
gen krank. Er klagt über konstante
Kopfschmerzen, die nachts sich derartig
verschlimmerten, dass er nicht schlafen
kann, Mattigkeit, Gliederschmerzen, Ap-
petitlosigkeit und Fieber. Bei der Un-
tersuchung fällt sofort der den ganzen
Körper bedeckende makulöse kupferrote
Ausschlag auf. Patient gibt an, densel-
ben selbst seit mehreren Tagen bemerkt
zu haben. Da es sich hier ohne Zweifel
um ein makulöses Syphilid zu handeln
schien, untersuchte H. sofort des Patien-
ten Genitalien, die gesund waren, und
er konnte auch keine palpablen Inguinal-
drüsen finden. H. konnte nirgends am
Körper des Patienten irgend eine ver-
dächtige Läsion konstatieren und war be-
reits im Begriff, die Erkrankung auf das
Konto der bei den Franzosen so belieb-
ten Diagnose „Empoisonnement du
sang" zu setzen, als der Patient ihn da-
rauf aufmerksam machte, dass er ,,un
trou dans la bouche" habe. Es handelte
sich also um eine typische, charakteristi-
sche Initialsklerose. Ungefähr \l/2 cm
hinter der oberen Zahnreihe, in der Mit-
tellinie, nach links sich ausdehnend, fast
kreisund, von der Grösse eines ameri-
kanischen Zehnzentstückes, sass am har-
ten Gaumen der harte Schanker. Das
Geschwür selbst war speckig belegt, mit
deutlich indurierten Rändern und schien
dem Patienten fast keine Beschwerden
zu bereiten. Die Drüsen auf beiden Sei-
ten des Halses waren geschwollen, be-
sonders links, und konnten deutlich bis
zur Submaxillargegend verfolgt werden.
Andere Drüsen konnte H. nicht finden.
Patient hatte z. Z. Temperatur 102° F.
H. stellte nun die Diagnose harter
Schanker und Syphilis, und der Patient
teilte ihm dann mit, dass er selbst sich
solches schon gedacht hätte, aber wie der
Schanker auf diese seltene Stelle gekom-
men, wollte er nicht erzählen. Nach
Einleitung der Quecksilberkur sah H.
den Patienten nicht mehr wieder. (Der-
matologisches Zentralbl., 9.Jhrg., No. 5.)
C. Boeck (Christiania) : U eher einige
Versuche mit Sajodin.
Aus seinen Beobachtungen zieht B.
folgende Schlussfolgerungen :
Im Sajodin besitzen wir ein wirk-
sames Mittel gegen sekundäre und ter-
tiäre Lues, allerdings wirkt das Mittel
weniger intensiv als Jodkalium. Dafür
wirkt aber Sajodin viel milder auf den
Organismus und hat nicht die Neben-
wirkungen im Gefolge, die man fast
regelmässig bei Anwendung der Jod-
kalien sieht. Bei schwächlichen nervö-
sen Individuen, bei denen man nach Jod-
kalidarreichung so oft schwere Störun-
gen des Allgemeinbefindens beobachtet,
dürfte das milder wirkende Sajodin ganz
speziell indiziert sein. Es scheint viel-
leicht auch geeignet zu sein, die Toleranz
für Jodkalien vorzubereiten in Fällen, wo
68
New Yorker Medizi
nische Monatsschrift.
man diese energisch wirkenden Mittel
nicht entbehren kann. Sajodin ist über-
all da vorzuziehen, wo eine plötzliche
starke lokale Reaktion mit Gefahren ver-
bunden ist, z. B. bei Larynxaffektionen,
Cerebrallues etc. 'Auch bei Psychosen
auf luetischer Basis, wo bekanntlich Jod-
kali sehr leicht Kriesen hervorruft, wird
das Sajodin mit Vorteil Verwendung
finden. Sajodin ist als Pulver sehr gut
einzunehmen. Höhere Dosen als 3 g
täglich wurden nicht gegeben, obwohl
von anderen Klinikern bis zu 5 g täg-
lich oft schon verordnet worden ist.
(Pharmacie, No. 11, 1906, und Therap.
Revue der Allg. Wiener med. Ztg., 1907.
S. 6.)
Tansard: Behandlung der chroni--
sehen gonorrhoisclicn Urethritis mit
Kol largo! .
Nachdem der Ver fasser früher bei der
Behandlung akuter Gonorrhöen (zwei-
mal täglich Urethra-Blasenspülungen
mit 1 Liter Kollargollösung 1 : 50) eine
starke gonokokkentötende Wirkung und
eine absolute Reizlosigkeit des Kollar-
gols auf Urethra und Blase konstatiert
hatte, hat er es nun in ausgedehntem
Masse bei der Behandlung alter chroni-
scher Urethritiden in vierprozentiger
Lösung verwendet. Von dieser Lösung
instillierte er 2 ccm. deren Wirkung er
in ganz veralteten Fällen mit tiefen Lä-
sionen der Mukosa dadurch zu verstär-
ken sucht, dass er nach vorausgegange-
ner Benique-Sondenmassage, Spülung
und Instillation der Urethra hinter der
Glans mittels eines Fadens abschnürt,
was eine unter Umständen stundenlange
Einwirkung des Kollargols ermöglicht.
In allen alten Fällen verschwinden die
Gonokokken in weniger als 30 Instilla-
tionen. Im Anfang der Behandlung tritt
manchmal eine nur kurz dauernde Stei-
gerung des Ausflusses auf. • Cystitis be-
handelte der Autor mit einmal täglichen
Instillationen von 3—4 ccm der vierpro-
zentigen Lösung und heilte dadurch fünf
von sechs Fällen in weniger als acht
Tagen. Neben seiner deutlichen Wir-
kung auf Gonokokken hat das Kollargol
dem Verfasser Vorzüge gezeigt, die kein
anderes Präparat aufzuweisen hat: 1.
absolute Reizlosigkeit auf Urethra und
Ulase, 2. absolute Schmerzlosigkeit der
Behandlung, 3. Unmöglichgeit, durch
Anwendung zu starker Lösungen Aetz-
wirkungen zu erzeugen, da das Kollargol
absolut nicht ätzt. (Journal des Prati-
ciens, 1906.)
Mollereau (Paris): Behandlung
der Anasar ka mit intravenösen Kol-
largolinjcktioncn.
Da die von Dieckerhoff einge-
führte und auch von Prof. Thomas-
sen in Utrecht (,,Rev. Gen. de Med.
Vet.", 15. März 1904) mit Erfolg ange-
wandte Behandlung der Anasarka durch
tägliche intravenöse Kollargolinjektionen
in die Jugularis — je 25 ccm der 2%igen
Lösung — in Frankreich noch nicht ge-
nügend bekannt ist, teilt Verfasser die
Geschichte von neun von ihm auf diese
Weise behandelten Fällen mit. Mit Aus-
nahme eines Falles, der schon mit einer
Temperatur von 41° in Behandlung kam,
trat immer Heilung ein und zwar durch-
schnittlich nach fünf Injektionen, deren
jede von einem Sinken der erhöhten
Temperatur begleitet war. Bei Verwen-
dung nicht frischer Kollargollösung tra-
ten gelegentlich vorübergehende Erreg-
ungszustände auf ; auch schien in diesen
Fällen die therapeutische Wirkung aus-
zubleiben. Gleichzeitiger Gebrauch von
Diureticis empfiehlt sich. Wenn auch
die Zahl der behandelten Fälle nicht sehr
bedeutend ist, so sind die Resultate doch
so günstig, dass sie zu weiteren Ver-
suchen auffordern. (Recueil de Med.
Vet., 1905. No. 24.)
S. Moser (Weimar) : Uebcr die Wei-
terbehandlung von Fingcrvcrlctrjun-
gen.
Autor empfiehlt bezüglich der Weiter-
behandlung der Fingerverletzungen das
folgende Verfahren : ,,Jede frische, ge-
reinigte und geglättete Wunde wird,
wenn es irgend angängig ist, durch Naht
geschlossen, mit reinem Ichthyol reich-
lich bestrichen, mit Gaze und Watte be-
deckt und der Finger unter steifem Gaze-
verband völlig ruhig gestellt. Die an-
deren Finger bleiben, abgesehen bei
Sehnennähten frei, um so den Verletzten
die Möglichkeit zu geben, die Hand so
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
69
gut es geht zu gebrauchen. Ist die Naht
nicht notwendig, respektive nicht an-
gängig, nehme man zum Verband eine
mindestens 30%ige Ichthyolsalbe —
reichlich aufgetragen — und verfahre
weiter wie oben angegeben. Keine auf
diese Weise behandelte Naht oder
Wunde ist vereitert, auch schwere
Quetschungen heilten ohne Eiterung an-
standslos und sehr rasch konnten die
Verletzten ihre Arbeit wieder aufneh-
men. Handelt es sich um schon infizierte
Wunden, setze man obiger Ichthyolsalbe
noch Argentum colloidale 5 bis 10%
hinzu. Als Salbengrundlage benützt
Moser gern Vasenolum liquidum.
Gaze lässt sich sehr gut mit diesem flüs-
sigen Gemisch tränken und zum Tampo-
nieren, respektive Drainieren der In-
zisionswunden verwenden. Das Bren-
nen, das beim Anbringen - von Ichthyol
auf Wunden entsteht, ist ein rasch vor-
übergehendes. Ein' Weitergehen der In-
fektion hat M. bei diesem Verfahren bei
seinen immerhin an Zahl nicht geringen
Fällen nie beobachtet, wohl aber öfters
einen überraschend prompten Stillstand
und baldige Heilung. Ein öfterer Wech-
sel des Verbandes — bei infektiösen
Wunden anfangs täglich — ist aller-
dings notwending. • Diese Art der Be-
handlung war eine viel zufriedenstellen-
dere "als früher unter Gebrauch von
Jodoform, Xeroform u. dgl."
Sitzungsberichte
Deutsche Medizinische Gesellschaft der Stadt New York.
Extra-Sitzung Montag, den 25. Fe-
bruar 1907.
Präsident Dr. Carl Beck eröffnet
die Sitzung und ie Versammlung tritt
sofort in die Tagesordnung ein.
Dr. C h. Jaeger: Sechs Fälle
von gonorrhoischen Exostosen. (Ge-
schichte und Demonstration durch
Röntgenbilder.)
Prof. Dr. Th. Schott von Nau-
heim wird der Versammlung vom
Präsidenten vorgestellt und hält einen
Vortrag über Methoden und Fort-
schritte in der Behandlung von chroni-
schen Herzkrankheiten.
Diskussion. Dr. Alfred Meyer:
Bei aller Anerkennung des Wertes der
Nauheimer Behandlung scheint es
doch angebracht, vor den übertriebe-
nen Anzeigen des Erfolges der Nau-
heimer Bäder zu warnen. Eine ge-
wisse Reaktion gegen Nauheim wurde
durch die Veröffentlichungen von
Bezley Thorne in England her-
vorgerufen, der über einige fabelhafte
Fälle von Herzverkleinerung infolge
der Nauheimer Behandlung berichtete.
Ueber die Grösse des Herzens, sei es
des normalen oder des durch Hyper-
trophie veränderten Herzens, besteht
jedoch immer ein gewisser Zweifel,
Weder die Röntgen-Strahlen noch das
Fluoroskop geben ein vollkommenes
Bild der Grösse des Herzens, wir sind
vielmehr gezwungen, die Grösse abzu-
schätzen. Ich habe manche gute Ar-
beit mit dem Orthodiagraph gesehen,
aber obwohl mir die Möglichkeit einer
genauen Messung des Herzens in der
Zukunft vorschwebt, so glaube ich
doch nicht, dass wir das Bild des Or-
thodiagraphen ohne weiteres als voll-
wertig annehmen können. Ich glaube,
die gute Sache der Nauheimbehand-
lung kann durch die in anderen Län-
dern erschienen Artikel nur geschädigt
werden.
Ferner sollte Dr. B e n e k e mehr
Kredit gegeben werden. Er war der
eigentliche Vater der Nauheimer Be-
handlung. Wenn Dr. Schott auch
wesentlich zu dem Ruhm dieser Be-
handlung beigetragen hat, so scheint
es mir doch, dass B e n e k e's Arbeiten
über die Grösse des menschlichen Her-
zens nicht genügend geschätzt wer-
, den. Ich weiss, dass Schriften gegen
ihn veröffentlicht worden sind, aber
70
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
wenn von Nauheimer Behandlung die
Rede ist, sollte seiner immer in
freundlicher Weise gedacht werden.
Prof. Schott hat die Versehen
nicht erwähnt, die gelegentlich bei
dem künstlichen Nauheimer Bad ge-
macht werden. Dr. Caraac berich-
tete im „John Hopkins Hospital Bul-
letin" vor ungefähr 9 Jahren über selt-
same Vorkommnisse beim Gebrauch
der künstlichen Nauheimer Bäder im
Westen. Als nämlich die Salzsäure in
das Wasser getan wurde, entwickelten
sich Dämpfe von Chlorgas, und der
Patient erstickte beinahe ; man hatte
anstatt Calcium Chloride, wahrschein-
lich Calcium Hypochloride gebraucht.
Ich möchte also alle die warnen, die
jene Veröffentlichung nicht gelesen
haben. Natürlich kann so etwas in
Nauheim selbst nicht vorkommen, und
das ist vielleicht Grund genug, eine
Reise übers Meer zu machen. Für die
Amerikaner ist es trotz der Anstreng-
ung einer Seereise von grossem Werte,
wenn sie sich einmal vollständig vom
Geschäft trennen und nach Deutsch-
land gehen, und wenn Deutschland
sich industriell so zu entwickeln fort-
fährt, wie ich es zu meinem grossen
Erstaunen letzten Sommer nach länge-
rer Abwesenheit gesehen habe und
wenn die Schornsteine dort so überall
aus der Erde zu wachsen fortfahren
wie in den letzten Jahren, dann wer-
den wir hier ein 'amerikanisches Nau-
heim einrichten müssen, und Dr.
Schott wird uns deutsche Patienten
hierher schicken müssen, wie wir sie
ihm jetzt nach Deutschland senden.
Dr. G. Mannheimer: Ich denke,
wir sollten uns die Gelegenheit nicht ent-
gehen lassen, Fragen zu stellen ; denn
wir werden selten einen Gast unter uns
haben, der eine solche Erfahrung in
Herzkrankheiten besitzt. So möchte ich
Herrn Dr. S c h o t t's Ansicht hören
über den Gebrauch von Alkohol, Thee
und Kaffee seitens Herzkranker. Fer-
ner über die Diät: Gibt es eine spezielle
Diät, die durch die Herzkrankheit als
solche indiziert ist ? Weiterhin über
medikamentöse . Behandlung, speziell die
Kombination von Digitalis mit anderen
Drogen. F. A. Hof fma n n hat kürz-
lich in einem Vortrage die kranken Her-
zen vom therapeutischen Standpunkt in
3 Gruppen geteilt : in Digitalis-, Jod-
und Kaltwasserherzen. Was hält der
Herr Vortragende von dieser Idee ?
Prof. Dr. Tli. Schott: Ich muss
sagen, eine Klassifikation, wie sie Hof f-
mann gegeben hat, ist uns anderen
Deutschen absolut unverständlich. Ich
glaube nicht, dass überhaupt eine der-
artige Einteilung gemacht werden kann.
Ich kann natürlich hier nicht auf die
Sache näher eingehen. Aber ein Herz,
das nur auf ein Jod- oder Digitalis
oder irgend ein spezifisches Mittel ein-
gehen soll, das kennen wir nicht, und
ich muss sagen, ich habe diese Arbeit
nicht einmal, sondern dreimal durchge-
lesen und mir immer gesagt, was hat
sich eigentlich Hoffmann darunter
gedacht?. Eine Reaktion, wie wir sii
bei der Chemie in der Retorte haben,
haben wir leider nicht auf das Herz, und
ich möchte nur das eine ausführen.
Wenn H o f f m a n n ein Herz ein
Digitalis - Herz nennt, so ist damit
nicht angegeben, wo das Digitalis-
Herz eigentlich zu suchen ist. Das
eine Mal habe ich bei derselben Kate-
gorie von Patienten gefunden, dass
Digitalis wirkt, das andere Mal nicht.
In Boston wurde mir dieselbe Frage vor-
gelegt. Sie haben alle gehört und ge-
lernt, dass bei Myokarditis die Digitalis
entweder gar nicht oder sehr unzuläng-
lich wirkt. Dem kann ich nicht beistim-
men. Ich habe Fälle gesehen, wo sie bei
vorgeschrittener Myokarditis, bei Fett-
herz ganz ausgezeichnet gewirkt hat.
Ich glaube nicht, dass ich mich auf Bad
und Gymnastik beschränke. Ich stehe
auf dem Standpunkt, jeder Arzt soll dem
Patient helfen so rasch, so gut er kann.
Wenn ich ein Fettherz mit Oedem habe
und finde Embolie, wie ich das im vori-
gen Herbst erlebt habe, so kann ich mich
nicht darauf beschränken, erst die Wirk-
ung des Bades oder der Gymnastik ab-
zuwarten, und nun finde ich bei dersel-
ben Kategorie, dass einmal Digitalis
wirkt, das andere Mal nicht. Eine solche
Klassifikation halte ich für ein Phanta-
siegebilde, sie existiert nicht und hat bei
uns in Deutschland absolut keinen An-
klang gefunden. Jedenfalls bin ich nicht
imstande, dem beizustimmen, und ich
kann nach der Richtung dem Kollegen
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
7i
M annheimer keine genaue Aus-
kunft geben : mit meiner Beobachtung
verträgt sich die Klassifikation nicht.
Was den Alkohol anbelangt, so wissen
Sie, dass in Deutschland Alkohol viel-
fach missbraucht worden ist. Ich möchte
den Alkohol als Stimulans für das Herz
nicht entbehren, natürlich nur in sehr ge-
ringer, milder Dosis. Ich kenne kaum
ein besseres Anregungsmittel für ein ge-
schwächtes Herz als unverfälschten alten
Rheinwein. Da können Sie sehen, dass
das Herz viel kräftiger zu schlagen an-
fängt. Wenn dieser nicht zur Verfügung
steht, gebe ich den Rat, dem Patienten 1
oder 2 Theelöfifel voll alten reinen
Cognac zu geben. Aber grössere Men-
gen von Alkohol darf man nicht geben,
die peitschen das Herz unaufhörlich, und
dann können Sie leicht einen Kollapszu-
stand darnach sehen.
Gegen den Alkohol ist meiner Mein-
ung nach in ganz unangebrachter Weise
zu Felde gezogen worden. Eine hoch-
stehende englische Dame kam einst, da
ich bei einer Freundin von ihr alten
Rheinwein verordnet hatte, atemlos in
meine Sprechstunde und frug mich,
wie ich einer Temperenzlerin Alko-
hol verordnen könne. Ich erklärte
ihr, dass ich das nach meinem Ge-
wissen für das beste hielt. Sie er-
widerte : „Warum haben Sie ihr nicht
Aether gegeben?" Sie werden darüber
lachen. Aber grössere Mengen Alkohol
können nach zwei Richtungen schaden,
erstens durch die Reizung und zweitens
durch das grössere Quantum, das in den
Magen genommen wird.
Ueber die Diätfrage habe ich vor 3
Jahren einen längeren Artikel veröffent-
licht, und ich wüsste nicht, wie ich in der
kurzen Zeit von wenigen Minuten ge-
nauere Angaben machen könnte. Die
Prinzipien sind sehr einfach. Jede starke
Füllung des Magens ist zu vermeiden,
aus mechanischen Gründen und Druck-
steigerungsgründen. Sie führt zu Kom-
pression der Lunge und führt dazu, dass
das Zwerchfell das Herz nach aussen und
oben treibt und das Herz dadurch zap-
pelig wird. Es kommt nach grossen
Mahlzeiten häufig vor, dass dann durch
die starke Anfüllung der intra-abdomi-
nale Druck gesteigert wird, und das
wirkt auch auf die Gefässe, und das
Herz hat dagegen zu kämpfen und zap-
pelt sich ab.
Dass sehr starke Gewürze durch Nie-
renreizung schädlich wirken, ist selbst-
verständlich. Dass sich die kohlensauren
Getränke dadurch verbieten, dass sie Ma-
gen und den ganzen Leib aufblähen, ist
ebenfalls einleuchtend. Schwer verdau-
liche Substanzen wie frisches Brot müs-
sen vermieden werden. Es lässt sich da
ein ganzes Schema aufstellen, aber, wie
gesagt, ich kann hier nicht auf Einzel-
heiten eingehen. Die Nahrung sei eine
leicht verdauliche, grössere Mengen sind
zu verhüten, gährende oder aufblähende
Getränke und Speisen sind zu vermeiden.
Vor ungefähr 25 Jahren stand ich fast
allein, als ich auf die Gefahr des Tabaks
aufmerksam machte, und ich hatte einen
kleinen wissenschaftlichen Streit mit
einem französischen Arzt. Ich hatte bei
Matrosen und Kapitänen den Einrluss
des Schnupfens und Kauens und bei an-
deren den Einfluss des Rauchens gesehen
und eine ganze Anzahl von Fällen be-
obachtet, in denen gar keine andere Ur-
sache für das Zustandekommen frühzei-
tiger Arteriosklerose vorhanden sein
konnte als unsinniges Rauchen, vor allem
auch von frischen Zigarren, gleichgiltig,
ob dies frische Havanna- oder frische
Pfälzer Zigarren waren. Auf dem vor 2
Jahren abgehaltenen Kongress für in-
nere Medizin war auch nicht ein einziger,
der nicht auf die ausserordentlich schäd-
liche Wirkung des Rauchens bezüglich
des Entstehens der Arteriosklerose auf-
merksam gemacht hat. Vielleicht ist
man heute eher geneigt, die Sache etwas
zu übertreiben, aber jedenfalls steht fest,
dass Alkohol, Nikotin und am meisten
Lues hochgradige und frühzeitige Ar-
teriosklerose verursachen können.
Dr. J. H o f f m a n n : Jeder prakti-
sche Arzt hat Fälle von Hvperkynesis
zu beoabchten, ich meine die Hvperky-
nesis der Neurastheniker. Es ist sehr
häufig dass Neurastheniker einer echten
Herzneurose unterworfen sind, die sich
auch durch echte Herzkrämpfe äussert.
Sie haben Krämpfe beim Lesen, beim
Aufblicken an sehr hohen Gebäuden; sie
können am hellen Tage Herzkrämpfe be-
kommen, wobei sie unter Auslösung eines
Rerlexschreis nach dem Boden streben,
um sich sofort wieder zu erheben. Die-
72
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
ser periodische Krampf zustand kann
rasch wieder vorübergehen, aber er kann
10, 15, 20 und mehr Jahre anhalten.
•Solche Neurastheniker haben oft ganz
eigentümliche Gefühle, abgesehen vom
Alpdrücken den sogenannten Stimm-
ritzkrampf, der sie aus dem Bette
schreckt und am Boden einige Schritte
krabbeln lässt, wonach sie sich wieder
legen, als ob gar nichts passiert wäre.
Manchmal haben sie das sonderbare Ge-
fühl, als ob sie jemand anbläst, auf die
Hand, das Gesicht u. s. w. Oder wenn
sie in der Zeitung lesen, dass ein Luft-
schiffer 3000 Fuss über dem Boden am
Trapez turnt, werfen sie rasch die Zei-
tung weg und schliessen die Augen.
Ebenso können sich Krämpfe einstellen
beim Urinieren und oft sehr heftige beim
Beischlaf ; ebenso bei Anhörung eines
Konzerts, desto mehr, je näher der Neu-
rastheniker der- Musik sitzt, und beim
Selbstmusizieren, besonders auf Streich-
instrumentn. Das sogenannte Ver-
schlucken ist eine häufige Erscheinung
und das Zucken oder Emporwerfen des
ganzen Körpers vor dem Einschlafen.
Nach dem Erwachen treten Palpitationen
auf. Nach reichlichen Mahlzeiten oder
Uebernächtigkeit leiden derartige
Kranke sehr. Eine Hyperkynesis muss
nicht notwendigerweise von einem sub-
jektiven Gefühl begleitet sein und umge-
kehrt kann der Kranke eine Hyperky-
nesis empfinden, ohne dass eine ver-
stärkte Herzaktion nachweisbar ist.
Kurz, ich hätte über die Behandlung
solcher Neurastheniker mit vorwaltender
Konvulsion des Herzens gern etwas ge-
hört.
Ich wollte noch hinzufügen, dass sol-
che Kranke sich beim Einschlafen helfen,
indem sie da, wo sie solche Konvulsionen
empfinden — der Ort wechselt — die
Fingerspitzen, die Daumen oder sogar
die zwei Fäuste zwischen und gegen die
Rippen pressen. Oder, um das rasche
Einschlafen zu vermeiden, lang wach
bleiben, resp. langsam einzuschlafen
suchen.
Dr. I. A d 1 e r : Es tut mir ausser-
ordentlich leid, dass ich den Vortrag
nicht hören konnte. Ich war ausserhalb
der Stadt und der Zug war verspätet. Ich
habe also nicht gehört, was Prof.
Schott gesagt hat, und kann deshalb
an der Diskussion nicht teilnehmen. Ich
kann nur meiner Freude darüber Aus-
druck geben, dass wir endlich einmal von
autoritativer Seite etwas Näheres und
Offizielles über die Behandlung gehört
haben, und begrüsse es mit grosser
Freude, dass wir einmal den Kollegen
Schott zu rein wissenschaftlichen
Zwecken, zur Erläuterung und Aufklär-
ung der prakti sehen Aerzte über Nau-
heimer Verhältnisse hier gehabt haben.
Dr. T h. Schott (Schlusswort) : Ich
möchte Herrn Dr. Adler für seine
freundlichen Worte danken und betonen,
dass ich aus dem Grunde hier herüber
gekommen bin, weil ich zu meinem gros-
sen Schmerz gesehen hatte, dass die Be-
handlungsmethode, mit der vor 13 Jahren
der erste Anfang gemacht wurde und die
sich durch Bezley T hörne eine
Zeit lang, wenn auch langsam, einen
stetigen und richtigen Weg gebahnt hat,
in den letzten 5 Jahren in die Kreise von
Masseuren und Masseusen, vielleicht so-
gar von Quacksalbern, den sogen. Osteo-
pathen kam, die man in meinem Lande
nicht kennt. Ich bekam sogar Bücher
zugeschickt und sah zu meinem Leid-
wesen, dass darin grosse Abhandlungen
über unsere Methode waren, die ganz
anders zur Anwendung gebracht wurde.
Besonders sah ich die ganz unsinnige
Reklame von der Verwendung künstli-
cher Nauheim-Schott'scher Bäder. Jeder
Patient, der nicht nur nach Nauheim,
sondern auch nach Karlsbad, Marien-
bad kam, wenn er amerikanischen Ur-
sprungs war, konnte sicher sein, dass
ihm auf irgend eine Weise eine solche
Reklameschrift in die Hände gespielt
wurde, und auf der ersten Seite stand,
Schott, sagt, man kann mit den künst-
lichen Bädern identische Resultate er-
zielen. Das hat dazu geführt, dass das
Publikum nicht mehr zu den Aerzten
gegangen ist, sondern geglaubt hat, dass
man nichts notwendig habe, als einige
von diesen Ingredienzien ins Wasser zu
werfen, um ein Nauheim-Bad zu haben
und damit ein untrügliches Mittel für
die Behandlung von Herzkrankheiten,
und ich habe viele Patienten gesehen, die
in dem Glauben zu mir kamen, ohne je
nach meinen Vorschriften behandelt
worden zu sein. Ich habe im vorigen
Jahr zwei Patienten von Baltimore ge-
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
73
habt, die hatten unsere Herzgymnastik
von Masseusen gemacht bekommen ; das
war aber nicht Gymnastik, sondern Ath-
letik in höchster Potenz. Ich sagte mir,
wenn das aufhören soll, so ist es meine
Pflicht, zu Ihnen zu kommen, um Ihnen
zu zeigen, wie wir uns eine solche Be-
handlungsmethode vorstellen, und auch
auf die Fehler aufmerksam zu machen,
die sich auf diese Weise eingeschlichen
haben. Und da komme ich noch auf
einen anderen Punkt, nämlich dass in
der letzten Zeit leider Gottes die Kontra-
indikation selbst von meiner Nauheim-
seite nicht mehr so in den Vordergrund
gestellt wird, dass Fälle, die gar nicht
mehr einer solchen Behandlungsmethode
zugänglich sind, trotzdem behandelt
werden und dass dann die Todesfälle
nach der Richtung nicht unbedeutend
sind. Und dann sind Theorien aufge-
stellt worden, mit denen sich unsere
Wissenschaft nicht befreunden kann.
Kurz, ich danke Herrn Dr. Adler da-
für, dass er mich veranlasst hat, meinen
Standpunkt hier zu erörtern.
Nun möchte ich einige Punkte, die be-
rührt worden sind, der Reihe nach er-
wähnen. (Ein Mitglied: Wie steht es
mit Kaffee und Thee?) Was Kaffee
und Thee anbelangt, so gibt es ein abso-
lutes Verbot nicht. Ein schwacher Kaf-
fee oder Thee kann hie und da anregend
wirken. Durchschnittlich suche ich bei
Herzkranken diese Dinge zu vermeiden,
denn hier kann sehr leicht jede Anreg-
ung zu einer Aufregung, jede Aufregung
zu einer Reizung, jede Reizung zu einer
Ueberreizung führen. Also, wenn eini-
germassen möglich, lasse ich meine
Leute am liebsten Milch und Kakao
trinken. In Deutschland wird der soge-
nannte Malzkaffee mehr zur Gewohn-
heit, mit dem ich mich nicht befreunden
kann. Dann kommt ein sehr leichter
Thee, vor allem Thee mit viel Milch,
dann auch verdünnter Kaffee, aber ich
gebe dem Thee den Vorzug, wenn
nicht, wie ich das bei Engländern ge-
sehen habe, eine kolossale Reizbarkeit
des Herzens bereits bei Thee stattge-
funden hat — dann kann sich allmählich
eine Idiosynkrasie ausgebildet haben —
sodass verdünnter Kaffee viel leichter
wirkt als Thee.
Was Neurasthenia cardis anlangt, so '
habe ich bereits i. J. '88 darüber eine
Abhandlung geschrieben. Das ist also
eine Herzaffektion, die eine solche
Summe von Bildern darbietet, mit so
wechselnden Zuständen, dass es sehr
schwer ist, sie in wenigen Worten zu
schildern. Ich will betonen, dass, wenn
man eine planmässige mit sehr
schwachen Widerständen anfangende
Gymnastik anwendet, man ausgezeich-
nete Erfolge hat, und es wird Sie interes-
sieren, zu wissen, dass mein Bruder und
ich unsere Herzgymnastik ursprünglich
nicht bei Herzkranken angewendet, son-
dern geradezu neurasthenische und hy-
sterische Kranke ursprünglich damit be-
handelt haben mit ihren wechselnden
Zuständen und dass es auf diese Weise
nicht zu schwer ist, allmählich ioni-
sierende Wirkungen auf das Herz und
das gesammte Nervensystem herzustel-
len. Doch ist hier eine stetige, sehr vor-
sichtige Kontrolle notwendig, denn sonst
kann man sehr leicht die Zustände ver-
stärken statt sie zu beruhigen. Wenn
man aber vorsichtig ist und grosse Ruhe-
pausen macht, sodass gar keine Ermüd-
ung und keine Reizzustände stattfinden,
so kann man eine ganz ausgezeichnete
Beruhigung hervorrufen. Was die Ba-
demethode bei diesen Leuten anbelangt,
so ist selbstverständlich auch ein ganz
vorsichtiges Vorgehen notwendig. Dass
man keine heissen Bäder verwenden
darf, dass man mit ganz kalten Bädern
vorsichtig sein muss, versteht sich von
selbst. Das brauche ich nicht zu sagen,
dass die psychische Therapie bei solchen
Leuten eine kolossale Rolle spielt. Das
sind die Patienten, die dem Arzt die
meiste Schwierigkeit machen. Sie kom-
men vormittags und nachmittags in die
Sprechstunde, und die Geduld des Arz-
tes muss diese Menschen psychisch be-
ruhigen. Ich werde ihnen solche Men-
schen vorführen, wenn Sie nach Nau-
heim kommen, und werde Ihnen zeigen,
wie es gelingt, solche Patienten zu be-
ruhigen und ihr Nervensvstem zu kräfti-
gen. Ein Freund von mir hat für diese
Zustände eine sogen. Herzstütze erfun-
den, die vorübergehend gut wirkt. Dass
das Herz nicht eine ganz andere Lage
annimmt, halte ich für selbstverständlich.
Er hat sich darin getäuscht. Doch kann
vorübergehend ein ganz ausgezeichneter
74
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
Erfolg damit erzielt werden. Aber es
gibt auch andere Mittel genug.
Nun komme ich auf die vom Kollegen
Dr. Alfred Meyer erwähnten
Punkte zu sprechen. Ich will da chrono-
logisch vorgehen. Was die Perkussion
des Herzens anbelangt, so möchte ich be-
tonen, dass auch hier mein Bruder mit
seiner seitlich abgedämpften Perkussion
in dieser Diagnostik geradezu bahn-
brechend gewirkt hat. Leider hat er sie
in einem Buch veröffentlicht, das nur
eine kleine Auflage gehabt hat, sodass
diese Methode nicht bekannt geworden
ist. Aber ich habe sie hier vielfach
demonstriert. Ich lege nicht den Haupt-
wert auf die absolute Grösse des
Herzens. Das möchte ich besonders be-
tonen. Denn es ist mit dem Ürthodia-
graphen wie mit dem Radiogramm und
anderen Mitteln. Es ist absolut unmöglich,
die Grösse des Herzens bis auf Zenti-
meter festzustellen. Dazu sind die Herz-
grenzen nicht scharf genug. Wir haben
keinen absoluten Anhaltspunkt von der
Entfernung des Patienten und auch da-
für nicht, ob sich das Herz nicht nach
dem Bad oder der Gymnastik in seiner
Lage verschiebt und nicht mehr dieselbe
Grösse hat. Und so lege ich viel mehr
WTert auf die Formveränderung als auf
die absolute Grösse. Was nun die An-
gaben von Moritz anbetrifft, diese
minutiösen Bestimmungen der Herz-
grenze, so halte ich sie für absolut unzu-
verlässig. Das bringen wir nicht fertig,
vor allem nicht in der liegenden Stellung
des Patienten. Da verschiebt sich das
Herz nach allen Richtungen und bewegt
sich ganz un regelmässig. Dann wissen
wir nie, in welcher Phase wir das Herz
in dem Augenblick festgehalten haben.
Sie wissen nie, ob Sie das Herz in
mittlerer Stellung, in systolischer oder
diastolischer Stellung photographiert
haben, und mit dem Durchleuchtungs-
schirm das so genau festzustellen, halte
ich für unmöglich.
Mein Bruder und ich waren immer
diejenigen, die Beneke gegenüber un-
sere Dankbarkeit bezeugt haben, denn er
war der erste, der die Aufmerksamkeit
auf die Sache gelenkt hat und es uns er-
möglicht hat, Herzkranke zu behandeln.
Nun komme ich auf einen Punkt, der
auch für mich sehr wichtig ist. Camac
war bei mir im Winter. Er war mir von
Osler geschickt worden und hat die
Sache bei mir studiert, aber die Vor-
sichtsmassregeln, die ich ihm gegeben
und hier geschildert habe, ausser Acht
gelassen. Man muss sehr vorsichtig mit
der Salzsäure sein. Man legt sie ent-
weder in das Wasser hinein oder giesst
sie über das Wasser aus. Aber die Salz-
säureflasche muss erst untergetaucht
werden, so dass keine Salzsäure in die
Luft entweichen kann. Mit Chlorkal-
cium muss man sehr vorsichtig sein. Es
ist ein Mittel von kolossaler kaustischer
Wirkung auf die Haut, und infolge des-
sen muss man mit einem solchen künst-
lichen Bad sehr vorsichtig sein. Wenn
ich kein Badesalz haben kann, verwende
ich Chlornatrium. Mein Bruder und ich
hatten in den ersten Jahren, als wir
künstliche Bäder verwendeten, ein Bei-
spiel, das zeigt, wie vorsichtig man mit
reinem Chlorkalcium sein muss. Der
Patient war ein starker, kräftiger Bier-
brauer, der viel klüger sein wollte als
wir. Er verwendete Nauheimer 39*4 —
40% Chlorkalcium. Eines Tages fing
der Mensch an, kolossal gesteigerte
Herztätigkeit zu bekommen. Er kolla-
bierte binnen der nächsten 3 — 4 Wo-
chen. Am zweiten Tage, als ich ihn
wieder sah, nachdem er ungefähr 10 — 12
Bäder genommen hatte, sah ich, dass die
Haut in Fetzen herunterhing. Was
hatte er getan ? Er hatte das Badewas-
ser, das er heute benutzt, sich morgen
wärmen lassen und wieder neue Mutter-
lauge genommen. Im Laufe von 2 — 3
Wochen war er eine Leiche.
Dass jede Ausspannung von geschäft-
lichen Sorgen, Familiensorgen, andere
Luft und Diät alles sehr einschlägige
Faktoren sind, ist selbstverständlich, und
ich lege wenig Wert darauf, ob da ein
paar Fabriken mehr oder weniger sind.
Natürlich darf die Luft nicht verpestet
werden. Wenn die Luft sonst rein ist,
dürfen Deutschland und Amerika auch
noch mehr Schornsteine haben, nur muss
der Patient in andere Luft gebracht wer-
den. Aber es kann nicht jeder aus sei-
nem Geschäft und von seiner Familie
fort nach Nauheim gehen. Für solche
Leute brauchen wir die künstlichen
Bäder, und deshalb haben mein Bruder
und ich endlich die Methode ausgebildet,
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
75
künstliche Bäder für die Aerzte zu ver-
wenden, deren Patienten nicht fortgehen
können. Von Nauheim und der Bade-
Direktion wurden mir deshalb immer
Vorwürfe gemacht. Aber ich habe nie
gesagt, dass ein künstliches Bad absolut
dieselbe Wirkung hat. Ich habe gesagt,
man kann fast ähnliche oder fast diesel-
ben Resultate erzielen, und ich stehe
heute noch auf dem Standpunkt. Ich
will Ihnen zwei Bilder geben : eine
Kopie eines R a f f a e Fschen Gemäldes
sieht wie ein R a f f a e l'sches Gemälde
aus, ist aber keines ; jeder kann sich nicht
das Gemälde anschaffen, sondern man-
cher muss sich mit der Kopie begnügen.
Oder: es ist jemand stundenlang in einer
grossen Wüste herumgelaufen, und sein
Körper ist so ausgetrocknet, dass ihm
die Zunge am Gaumen hängt ; er kommt
an ein Haus, wo er keinen Kaffee haben
kann, aber er wird zufrieden sein, wenn
er seinen Durst mit Zichorie stillen kann.
Zuletzt möchte ich betonen, ich kann
nicht für alle Angaben meiner Schüler
verantwortlich sein. So hat mein Schü-
ler Thorne unsere Methode mit der
auskultatorischen Perkussion verknüpft.
Ich selbst bin nicht imstande, eine Herz-
grenze mit der auskultatorischen Perkus-
sion festzustellen. Ich habe ihn darüber
zur Rede gestellt, aber er bleibt auf sei-
nem Standpunkt stehen. Ich kann diese
Herzgrenze so nicht finden. Jedoch hat
das mit der Methode als solcher gar
nichts zu tun. Ich möchte aber beson-
ders Dr. Meyer bitten, das, was meine
Schüler nach der Richtung verbrochen
haben, nicht auf mich übertragen zu
wollen.
Sie sehen, ich bin skeptisch genug.
Ich möchte aber doch auf eines aufmerk-
sam machen und damit schliessen. Diese
Angaben von Thorne haben zu gros-
sem Skeptizismus geführt, aber ich habe
das den anderen Schülern mitgeteilt, und
das hat allgemeinen Anklang gefunden.
Als in London auf dem Kongress für
innere Medizin eine Anzahl meiner
Schüler die Methode schilderten und dis-
kutierten, stand selbst ein tüchtiger
Kliniker, M a c E w a n. auf und behaup-
tete, dass die Perkussion überhaupt eine
trügerische sei, dass es sich gar nicht um
Verkleinerung der Herzgrenzen handle,
sondern sowohl durch das Bad wie die
( rymnastik ein „overlapping of the
heart" stattfinde. Ich, für meinen Teil,
konnte an und für sich schon nicht be-
greifen, wie ein einfaches mildes Solbad
mit oder ohne Kohlensäure zu einem
Emphysem führen soll. Nun könnte
man sagen, dass die Leute Chlorsäure
eingeatmet haben. Wie aber durch eine
ganz milde Gymnastik ein künstliches
Emphysem, ein „overlapping of the
heart" stattfinden soll, ist mir unbegreif-
lich. Die Diskussion wurde fortgesetzt,
und es tat mir leid, dass meine Schüler
nicht schlagfertig genug waren, sofort
die Antwort zu geben. Wenn das rich-
tig wäre, dass das Herz sich nicht ver-
kleinert und dass ein künstliches Em-
physem stattfindet, so hiesse das mit an-
deren Worten : Herz, vergrösserte
Lunge, das ganze Brustvolumen ver-
grössert (Erläuterung durch Zeichnung
an der Tafel), und infolgedessen müsste
das Zwerchfell heruntersteigen. Infol-
gedessen würde die Herzspitze nach un-
ten gehen. Nun findet aber, wie Sie
sehen, gerade das Lmgekehrte statt.
Die Lungen werden nicht vergrössert,
das Herz aber verkleinert, und Sie wer-
den finden, dass die Herzspitze nach in-
nen geht. Wenn Sie aber umgekehrt
durch irgend welche Tätigkeit Dyspnoe
hervorrufen, dann bekommen Sie das
Bild, das MacEwan geschildert hat,
dass die Herzspitze nach aussen geht.
Dass aber die Herzspitze nach innen und
oben und das Diaphragma nach oben
geht, ist ein unumstösslicher Beweis, dass
die Herzgrenze kleiner geworden ist.
(Vorzeigen und Erläutern von verschie-
denen Radiogrammen. )
Präsident Dr. Carl Beck ( nach-
dem aus der Mitte der Versammlung
der Antrag gestellt und angenommen
worden war, Herrn Prof. Dr. Schott
den Dank der Versammlung auszuspre-
chen) : Ich spreche Ihnen den Dank der
Versammlung aus. Wir alle haben heute
Abend recht viel gelernt und sind Ihnen
zu ganz besonderem Dank verpflichtet,
weil Sie auf so kurze Notiz hin sich ent-
schlossen haben, uns einen so erschöp-
fenden Vortrag zu halten. Sie sehen in
dem Umstand, dass Sie in so ungünsti-
ger Zeit und dazu bei einer so spröden
Gemeinde, wie sie die New Yorker Me-
dizinische Gesellschaft darstellt, ferner
76
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
bei der Kürze und Unvollkommenheit
unserer Benachrichtung eine so ausser-
ordentliche Zuhörerschaft bekommen
halien, den besten Beweis, in wie hohem
Masse Ihr Vortrag gewürdigt worden
ist.
Die Sitzung wird geschlossen und ein
gemütliches Stündchen der informellen
Unterhaltung gewidmet.
Montag, den 4. März 1907.
Präsident Dr. Carl Beck eröffnet
die -Sitzung.
Sekretär Dr. John A. B e u e r-
m a n n verliest das Protokoll der
Sitzung vom 4. Februar, das von der
Versammlung angenommen wird, des-
gleichen das Protokoll der Extra-
Sitzung vom 25. Februar, welches
ebenfalls angenommen wird.
Dr. Georg Merzbac h — Berlin
(vom Präsidenten als lieber Gast be-
grüsst und der Gesellschaft vorge-
stellt) spricht über drei von ihm im
letzten Jahre beobachtete Fälle irr-
tümlicher Geschlechtsbestimmung (er-
reurs de sexe). Ausgehend von einem
Falle irrtümlicher Geschlechtsbestim-
mung in Phoenix, Arkansas, der den
zweimal verheirateten Sekretär des rus-
sischen Generalkonsuls in Chicago be-
trifft, der im Krankenhause als Frau
erkannt wurde, berichtet der Vor-
tragende über die drei Berliner Fälle.
Irrtümliche Geschlechtsbestimmun-
gen in Form von Pseudohermaphro-
ditismus masculinus und femininus
dürften häufiger vorkommen als ge-
meinhin angenommen wird, zumal von
Neugebauer mehr denn 1200
Fälle dieser Art im „Jahrbuch für
sexuelle Zwischenstufen" zusammen-
gestellt hat.
Echter Hermaphroditismus, also
Vorliegen männlicher und weiblicher
Keimdrüsen ist selten und zuerst als
Ovotestes der Säugetiere in der Zoolo-
gie beschrieben worden.
Während in Deutschland das alte
preussische Landrecht vom Jahre 1784
in den §19 — 23 die Zwitter rechtlich
behandelte, fielen diese Bestimmungen
im Neuen Bürgerlichen Gesetzbuch,
das am 1. Januar 1900 in Kraft trat,
mit der Begründung fort, dass Zwitter
sich wissenschaftlich als unhaltbar er-
wiesen hätten.
Die Antwort auf diese falsche Vor-
aussetzung erteilte schon am 24. No-
vember 1903 Garrö in Königsberg,
der einen Fall echten Zwittertunis bei
einer weiblichen Person nachwies, bei
der er in einer leistenbruchartigen Ge-
schwulst Ovotestis, Tube und Samen-
strang, kurz beide geschlechtliche
Keimdrüsen völlig ausgebildet vereint
vorfand. Ebenso wurde mikrosko-
pisch sowohl Ovarialstroma nachge-
wiesen als auch Samenkanälchen, die
sich im Stadium der Ruhe befanden,
womit ihre Funktionsunfähigkeit in-
dess keinesfalls nachgewiesen war.
Unser erster Fall, dessen Gutachten
an den Minister des Innern zwecks
Umänderung des Personenstandes der
Person in toto zur Verlesung gelangte,
betrifft eine 21jährige bisher als Aläd-
chen lebende Person, bei der die Un-
tersuchung alle männlichen primären
und sekundären Geschlechtscharaktere
zu Tage förderte, neben einer Hypos-
padia peniscrotalis und Lokalisation
der Urethra in einer kahnförmigen
Grube am hinteren Ende des geteilten
Hodenbehälters. Der Penis ist, wie
eine Wachsmoulage veranschaulicht,
gut ausgebildet, die Hoden teils in einer
der grossen Labien teils als Bauch-
hoden untastbar. Ejakulat enthält
keine Spermatozoen. Patientin hat
schon früher in einer der normalen
ähnlichen Art mit Frauen sexuell ver-
kehrt, fühlt völlig männlich und ge-
denkt nach Umänderung ihrer Metrik
eine Dame zu heiraten, die sich zwecks
Schliessung dieser neuen Ehe von
ihrem ersten Gatten scheiden lässt.
Der zweite Fall betrifft eine jetzt
40jährige als Frau in einer Stellung
sich befindende Person, bei der die
Verhältnisse der Genitalien ähnlich
liegen. Hypospadia peniscrotalis mit
Labial- oder Bauchhoden. Bei dieser
Person, die ausserordentlich männlich
aussieht und völlig männlich fühlt,
liessen sich lebende Spermatozoen
nachweisen. Diese Person, die unter
starker Abneigung zweimal mit Män-
nern geschlechtlich verkehrt hat, ver-
kehrt ihrem Geschlechte entsprechend
jetzt nur noch mit Frauen. Ihre Me-
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
77
trik will sie nicht ändern, da sie völlig
mittellos ist und glaubt, als Mann
schwerer ihr Fortkommen zu finden.
Der dritte Fall liegt am günstigsten.
Derselbe betrifft einen jetzt 42jähri-
gen Herrn, der glücklicher Vater
einer gesunden Tochter ist. Bei
seiner Geburt stritten sich He-
bamme und Vater wegen des Ge-
schlechts des Kindes. Die Meinung
der Hebamme siegte wegen des vor-
handenen Spaltes und das Kind wurde
als Mädchen getauft und erzogen. Als
weibliche Person lebte sie 25 Jahre, um
endlich an seine Mutter mit dem
Wunsche heranzutreten, sie zum
Manne avanzieren zu lassen. Kreis-
arzt Ballichs in Altona stellte das
erste Attest aus, dass die Person zwei-
fellos ein Mann sei und der Bremenser
Senat beschloss in Verlauf von weni-
gen Wochen die Umänderung der Me-
trik der Person.
Man sieht diesem in seinem Fache
ausserordentlich geschickten Hand-
werker heute sicher nicht an, dass er
25 Jahre als Mädchen gelebt hat.
An diese Beobachtungen knüpfen
sich folgende Schlüsse und Forder-
ungen :
Das bürgerliche Gesetzbuch hat
Zwitter als vorkommende Abnormi-
täten unter seine Rechtsmöglichkeiten
einzubeziehen.
Ist der Hebamme oder den Ange-
hörigen eines Neugeborenen ein Zwei-
fel entstanden über das Geschlecht des
Kindes, so ist ein ärztliches Urteil
über dessen Geschlecht einzuholen.
Ist das Geschlechtes wegen der
Möglichkeit von Aenderungen im pubi-
schen oder postpubischen Alter nicht
sicher zu bestimmen, so empfiehlt es
sich, das Kind als unbestimmten Ge-
schlechtes zu registrieren mit dem
Hinweis auf eine eventuell zu ände-
rende Metrik.
Praktisch empfiehlt es sich, ein Kind
als männlichen Geschlechtes, z. B.
Paul, Martin (Paula, Marta) anzu-
melden, das es leichter ist als Mann er-
zogen und für den Lebenskampf aus-
gerüstet und dann Weib zu wer-
den, als für ein weiblich erzogenes
Individuum, vom Weibe sozusagen
zum Manne zu avanzieren.
Schliesslich ist diesen Personen
genau wie den Kontrarsexuellen ge-
genüber eine humanere, verständnis-
vollere Auffasung anzustreben, denn
beide Klassen von Mitmenschen sind
ausser ihrer angeborenen anatomi-
schen oder psychischen Veranlagung
in jeder Hinsicht vollwertige Men-
schen, die unser Mitgefühl und unser
Verstehen verdienen, nicht aber un-
seren Hohn und unsere Verachtung.
Diskussion. Präsident Dr. Carl
Beck: Da niemand das Wort
wünscht, so erlaube ich mir einige Be-
merkungen zu machen, obgleich es
nicht gebräuchlich ist, dass der Präsi-
dent dies tut. Diese Fälle von echtem
Hermaphroditismus sind jedoch so
ausserordentlich selten, dass Sie mir
wohl gestatten, darauf aufmerksam zu
machen, dass ich vor ungefähr 12 Jah-
ren einen derartigen Fall im „Medical
Record" beschrieb. Es handelte sich
um einen jungen Mann, der im St.
Mark's Hospital Aufnahme gefunden
hatte, nachdem er vorher in einem
Mädcheninstitut erzogen worden war,
wo er wegen allzu intensiver Annäher-
ungsversuche plötzlich entlassen wurde.
Ich entfernte im St. Mark's Hospital
seine kindskopfgrossen Hoden, welche
intraperitoneal gelagert und sarkoma-
tös entartet waren. Zwei Monate spä-
ter erkrankte er an Pneumonie. Als
seine Eltern telegraphisch benach-
richtigt wurden, dass ihr Sohn krank
sei, antworteten sie sie hätten keinen
Sohn, sondern nur eine Tochter. Pa-
tient starb. Bei der Autopsie konnte
festgestellt werden, dass ein mässig
grosser Penis, sehr entwickelte Va-
gina, Uterus und Rudimente von Eier-
stock vorhanden waren.
Dr. G. Merzbach (Schlusswort) :
Der Fall von Dr. Beck ist mir nicht
unbekannt, denn er ist von Neuge-
b a u e r mit aufgenommen worden.
Ich habe ihn nur nicht erwähnt, weil
ich nicht alle Fälle erwähnen konnte.
Was die Diagnose angeht, so kommen
diese Fälle häufig unter der Flagge der
Homosexualität vor, und da ich unge-
fähr 2000 homosexuelle Männer und
Frauen zu untersuchen hatte, ist es
nicht wunderbar, dass ich diese Fälle
gesehen habe. Im übrigen wird es Sie
78
New Yorker Medizi
nische Monatsschrift.
nicht Wunder nehmen, dass solche
Personen sehr leicht unter der Flagge
Frauen gehen können, wenn Sie selbst
Homosexuelle sehen, die sonst als
Männer zu leben pflegen und als
Frauen unerkennbar sind. Ich habe
jüngst in Berlin Gelegenheit gehabt,
einen Offizier des Garde Grenadier
Regiments als Dame gekleidet in
einem Coupe der Stadtbahn sitzen zu
sehen. Kein Mensch würde ihn für
einen Offizier gehalten haben. Die
Täuschung ist eine so ausserordent-
liche, dass es für Laien ausserordent-
lich schwer ist, derartige Persönlich-
keiten zu erkennen. Aber ein geübtes
Auge erkennt sie. Ich hatte neulich
hier auf einem Maskenball dazu Ge-
legenheit. Ich bin durch den Saal ge-
gangen und war eine Stunde da und
habe drei homosexuelle Männer ge-
funden, als Damen gekleidet, die die-
sem Maskenball beiwohnten. Ich
habe sie nicht angesprochen, da für
mich die Diagnose ganz sicher ist.
Aus der Mitte der Versammlung
wird der Antrag gestellt und von der
Versammlung angenommen, Herrn
Dr. Merzbach den Dank der Ge-
sellschaft auszusprechen. Dies ge-
schieht durch den Präsidenten, Dr.
Carl Beck.
Dr. H. J. B o 1 d t : Wie lange ist ab-
solute Bettruhe post laparotomiam
nötig?
Ich beabsichtige heute Abend haupt-
sächlich über die nötige Bettruhe für
laparotomierte Patienten zu sprechen ;
anderweitig von mir gebräuchliche
Massnahmen sind an anderer Stelle
veröffentlicht.
Meine Behauptung geht dahin, dass
es für die Mehrzahl laparotomierter Pa-
tienten vorteilhafter ist, die jetzt übli-
che Zeit der Bettruhe ganz bedeutend
abzukürzen. Es ist selbstverständlich,
dass die Bauchdeckennaht exakt ange-
legt werden muss, und zwar die übli-
che Etagennaht. Der Schnitt sollte
genügend lang sein, um den patholo-
gischen Zustand, den man in Angriff
nehmen will, genau besichtigen zu
können. Der Fasssinn allein, wie es
T a i t lehrte, der kurze Inzisionen
machte, ist nicht verlässlich. Man
kann durch eine genügend lange In-
zision viel schonender arbeiten und
läuft weniger Gefahr, in Folge von
Trauma durch eine zu kurze Wunde,
eine Bauchdeckeneiterung zu verur-
sachen.
Bei Vernähung der Fascia sollte
diese überlappt werden, um eine brei-
tere Adhäsionsfläche zu erzielen ; die
Haut wird durch eine subkutane Naht
geschlossen. Als Nähmaterial wird
durchweg Katgut gebraucht ; auf die
Wunde wird ein schmaler, sterilei
Gazeverband gelegt und mit zwei
schmalen, kurzen Heftpflasterstrei-
chen in situ gehalten, um die Ver-
schiebung der Gaze während der An-
legung des Schlussverbandes zu ver-
meiden. Zum Sicherheits- oder Schluss-
verbande wird eine Scultetus-Binde
verwendet, die aus zuverlässigem
Zinkoid - Pflaster hergestellt wird,
und zwar werden die breiten Rollen,
31 Zentimeter breit, und von genügen-
der Länge angewendet, um den Leib
so zu umspannen, dass das ganze Ab-
domen doppelt vom Pflaster bedeckt
wird. — In der Mitte der unteren Pflas-
terseite wird ein kleiner Halbkreis
herausgeschnitten, der den Zweck hat,
die Verunreinigung bei Stuhlentleer-
ung zu vermeiden. Zinkoid - Pflaster
verdient den Vorzug, weil es weniger
irritiert als anderes Pflaster. Die
Scultetus-Binde wird auf dem Fahr-
tisch bereit gehalten, sodass der Pa-
tient nach Beendigung der Operation
und Abtrocknung des Rückens so
darauf gelegt wird, dass das Steiss-
bein über den ausgeschnittenen Halb-
kreis zu liegen kommt. Die Pflaster-
enden werden nun in vier gleiche
Teile eingeschnitten, und, mit dem un-
teren Ende anfangend, dieses bis zum
Körper des Patienten eingerissen und
dann fest über den Leib angelegt ;
ebenso wird mit dem entgegengesetz-
ten Ende verfahren, bis die vier En-
den befestigt sind. Der obere Streifen
sollte nie zu fest angezogen werden,
besonders wenn derselbe bis zum Epi-
gastrium hinauf reicht. Bei mageren
Patienten werden die Spina; ilii etwas
gepolstert. Man hat nun auf dem
ganzen Leibe einen doppelten gut
sitzendes Pflaste^nanzer. und ein der-
New Yurker Medizinische Monatsschrift.
79
artiger Verband gibt absolute Sicher-
heit gegen Aufplatzen der Wunde
durch intraabdominalen Druck, wie
das ja doch sonst bei heftigem Er-
brechen oder Husten vorkommen
könnte. Der Verband kann so lange
liegen bleiben, bis er lose wird, was
bei schwitzenden Patienten mitunter
schon nach Verlauf von einer Woche
passiert ; gewöhnlich aber kann er drei
bis vier Wochen liegen bleiben. Sollte
es nötig sein, den Verband vor der vier-
ten Woche zu entfernen, dann bleibt
der Körper während eines Tages ohne
Pflasterverband, und in dieser Zeit
wird der Körper da, wo der V erband
gewesen, öfters mit Alkohol abge-
waschen und gepudert ; am nächsten
Tage wird ein ähnliches Verband an-
gelegt. Falls Anzeichen von Bauch-
deckeneiterung vorhanden sind, wird
der Verband selbstverständlich sofort
in der Mitte über der Gaze aufge-
schnitten, und sollte sich die Vermut-
ung bestätigen, wird die Wunde wie
gewöhnlich behandelt. Zur schnelleren
Hebung der Eiterung gebrauche ich
mit Vorliebe, nachdem die Wunde ge-
reinigt ist, eine kräftige Betupfung
mit reiner Karbolsäure, die sofort wie-
der mit reinem Alkohol abgewaschen
wird. Solange die Eiterung anhält,
werden die Patienten ruhig gehalten.
Die Patienten werden aufgemuntert,
das Bett so bald als möglich nach der
Operation zu verlassen. Die Zeit-
dauer der vollständigen Bettruhe
kommt ganz auf den Zustand der Pa-
tienten an : wie lange es dauert, ehe
sie sich von der Narkose erholt haben ;
ob sie vor dem operativen Eingriff
bettlägerig waren : wie die Qualität
und Zahl der Pulsschläge ist. u. s. w.
Mitunter war es mir möglich. Patien-
tinnen, welche am frühen Morgen we-
gen nicht komplizierter Ovarial-Ge-
schwülste, einfache Hysterektomien
wegen Myome, Myomektomien etc.
operiert wurden, schon am späten
Nachmittag desselben Tages in einem
bequemen Stuhl sitzen zu lassen.
Während der ersten Tage muss man
ihnen dabei behülflich sein, aus dem
Bette zu kommen. Die Durchschnitts-
dauer der absoluten Bettruhe braucht
nicht mehr als drei Tage in Anspruch
zu nehmen. Alle Gründe, welche für
die lange Bettruhe gewöhnlich ange-
geben werden, sind nicht stichhaltig,
wenn man sie mit den Erfahrungen
vergleicht, die bei Patienten gewonnen
werden, denen es erlaubt wird, früh
aufzustehen. Sicherlich ist es nicht
der im Becken vorgenommene opera-
tive Eingriff, der uns daran hindern
sollte, eine Patientin früh aufstehen zu
lassen, denn seit mehr als fünfzehn
Jahren erlaube ich Patientinnen, an
denen eine vaginale Totalextirpation
gemacht wurde, schon am nächsten
Tage das Bett zu verlassen, wenn ich
das Scheidengewölbe abschliessen
konnte oder nur einen kleinen Gaze-
streifen im Zentrum des sonst abge-
schlossenen Scheidengewölbes in-
serierte, der während der ersten 24
Stunden als Drainage dienen sollte,
und habe ich nicht einen einzigen Un-
fall dadurch zu verzeichnen gehabt.
Nur einen stichhaltigen Grund konnte
man gegen das baldige Aufstehen an-
geben, nämlich die Gefahr, dass die
Bauchdecken nicht genügend fest ver-
wachsen, und dass später eine Hernia
eintreten könnte, oder gar, dass die
Bauchwunde aufplatzen könnte. Diese
Einwände werden jedoch durch den
von mir beschriebenen Verband mit
Sicherheit hinfällig, wenn das Pflaster
fest bleibt. Dass Thrombosen oder
Embolien dabei mehr zu befürchten
sind (speziel bei Myom-Operationen),
als wenn man die Patientinnen ruhig
im Bette liegen lässt, bestreite ich auf
das entschiedenste. Wir wissen aus
Erfahrung, dass solche Unglücksfälle
auch bei Bettruhe vorkommen, und
nach einer Analyse der mir zu Gebote
stehenden Fälle sogar häufiger, als bei
der von mir befürworteten Behand-
lungsmethode. (H. J. B o 1 d t, The
Management of Laparotomy Patients
and Their Modified After-treatment,
Xew York ,,Medical Journal", Tanu-
ary, 1907.)
Bei mehr als 1000 so behandelten Pa-
tientinnen, von denen mehr als 400 von
mir persönlich so behandelt wurden,
sind nur zwei leichte Venenentzündun-
gen beobachtet worden.
Verhältnissmässig selten kommt es
mir jetzt vor, dass ich meine Patien
8o
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
tinnen länger als drei Tage im Bette
liegen lasse, gewöhnlich weniger, aus-
ser wenn besondere Komplikationen
bei der Operation vorkommen, wie
z. B. es vor kurzem bei der Totalex-
tirpation eines grossen retroperitoneal
entwickelten Myoms geschah, dass der
Ureter durchschnitten wurde, und ich
denselben in die Blase einpflanzen
musste und folglich es für angebracht
hielt, während der ersten vier Tage
einen Dauerkatheter liegen zu lassen ;
aber auch in diesem Falle war die Pa-
tientin vom fünften Tage an ziemlich
viel ausser Bett..
Nach den gemachten Beobachtun-
gen ist die Mehrzahl der so behandel-
ten Patientinnen nach Verlauf von
vier Wochen nach der Operation in
solch körperlichem Zustand, dass sie
ihre gewohnte Tätigkeit wieder auf-
nehmen können. Bei einfachen Laparo-
tomien, wie z. B. bei Interval-Appendizi-
tiden. nicht komplizierten Ovarialzysten
u. s. w. können sie schon meistens ihren
Haushalt nach zwei Wochen wieder ver-
walten.
Besonders markant ist der Vorteil
des sehr frühen Aufstehens bei solchen
Patienten, an denen eine explorative
Laparotomie wegen einer bösartigen
Neubildung gemacht wird, und man
dann findet, dass die Erkrankung
schon zu weit vorgeschritten ist, um
eine radikale Entfernung vornehmen
zu können. Wenn solche Patienten
im Bett gehalten werden, kommt es
doch häufig vor, dass sie bettlägerig
bleiben und sich überhaupt nicht mehr
erholen ; lässt man sie dagegen am
nächsten oder dem darauf folgenden
Tage aufstehen, so werden sie in Folge
dieses Eingriffs nicht mitgenommen,
und der Krankheitsprozess nimmt sei-
nen gewöhnlichen Verlauf, als ob sie
überhaupt keinen operativen Eingriff
zu bestehen gehabt hätten.
- Ich habe gefunden, dass man die
modifizierte Nachbehandlung bei etwa
85 bis 90 Prozent der von Gynäkolo-
gen vorgenommenen Laparotomien
mit Vorteil anwenden kann. Das erste
Mal sitzen die Patientinnen nicht
lange, etwa eine halbe bis drei viertel
Stunde Morgens, und abermals am
Nachmittag, aber täglich wird die Zeit
des Aufseins etwas verlängert.
Die Patientinnen sträuben sich et-
was, die ersten paar Tage das Bett zu
verlassen, wohl weil sie von anderen ge-
hört haben, dass man nach einer Bauch-
operation das Bett ein paar Wochen
hüten müsse ; aber ein wenig Zureden
hilft, nur muss man ihnen behilflich
sein, recht schonend aufzustehen.
Man lässt sie die Arme um den Hals
der Wärterin legen und legt den einen
Arm hinter ihren Rücken, mit dem an-
dern Arm die unteren Extremitäten er-
fassend, dreht man, indem man den
Körper aufhebt, die Beine langsam
herum, so dass sie am Bettrande in
sitzender Stellung anlangen ; nun kann
man sie ganz ruhig vom Bett herunter
nehmen, und ihnen erlauben, ein paar
Schritte zum Stuhl zu gehen, indem
man sie dabei unterfasst.
Es ist wunderbar, den psysischen
Zustand der so behandelten Patientin-
nen zu beobachten, nachdem zwei
Wochen vergangen sind, im Ver-
gleiche zu denen, die nach der gewöhn-
lichen Methode im Bett gehalten wer-
den. Bei leichten abdominalen Ein-
griffen laufen solche Patientinnen
schon nach fünf bis sechs Tagen um-
her, als ob sie nicht operiert worden
wären. Patienten, bei welchen ich es
aus diesem oder jenem Grunde für
besser halte, sie im Bett zu halten, be-
mühe ich mich, zu bewegen, leichte
Uebungen der unteren und oberen Ex-
tremitäten öfters vorzunehmen.
Der Zweck, den man damit erreicht,
ist Erschlaffung der Muskulatur zu
verhindern und eine bessere Blutzir-
kulation zu erzielen, was durch mäs-
sige Bewegung des Körpers geschieht.
Die meisten Patienten, an denen Ope-
rationen wegen chirurgischer Er-
krankungen vorgenommen werden,
bessert man nicht in ihrer Gesundheit
durch absolute Bettruhe, im Gegen-
teil, das Muskelsystem wird mehr oder
weniger dadurch geschwächt, sie ver-
lieren Kräfte, weil alle physiologi-
schen Funktionen durch die forzierte
Ruhe herabgesetzt werden. Ich muss
gestehen, dass ich den Eindruck ge-
wonnen habe, dass öfters die Patien-
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
81
tinnen, an denen sehr komplizierte Ope-
rationen vorgenommen wurden, gerade
durch frühzeitige körperliche Beweg-
ung genesen sind ; deshalb glaube ich
auch, dass die Mortaliät durch das
frühe Aufstehen verringert wird. Dem
Zufall ist die Genesung in solchen Fäl-
len sicherlich nicht zuzuschreiben, wie
dies von anderer Seite bei Gelegenheit
einer Diskussion behauptet wurde ;
denn dafür ist die Zahl der so Behan-
delten zu gross.
Auch einer Reihe ausländischer Kol-
legen hatte ich Gelegenheit, so behan-
delte Patientinnen zu demonstrieren,
so dass sie Gelegenheit hatten, weit-
gehende intraabdominale Eingriffe zu
sehen, und am nächsten Tage die so
operierten Patienten ausserhalb des
Bettes zu finden, desgleichen die An-
legung des von mir geschilderten Ver-
bandes. Ich glaube auch, dass es mir
gelang, einigen Herren die von mir ge-
schilderten Vorteile plausibel zu ma-
chen, wie ich aus einem Aufsatze von
Dr. Carl Hartog „Wann soll man
Coeliotomirte aufstehen lassen ?" (aus
der Frauenklinik der Herren L. Lan-
dau und Th. La n d a u in Berlin,
„Berliner klinische Wochenschrift",
1907, Xr. 1) ersehe dem es doch ge-
lang, seine Chefs zu überreden, die
Methode zu versuchen, obgleich mir
Herr Hartog zur Zeit sagte, dass
es seiner Ansicht nach ganz unmöglich
sein werde, solche radikale Abänder-
ungen in Deutschland einzuführen,
oder selbst jemand dazu zu verleiten,
den Versuch zu machen. Wenn Dr.
Hartog den erwähnten Artikel mit
dem Satze beginnt „Dass in den letz-
ten Jahren sich die Nachbehandlung
der Operierten in ihrer (Landau's)
Klinik wesentlich geändert habe, so
kann dies nur seit vorigem Jahre ge-
schehen sein, nachdem ich Herren Dr.
Hartog bei seinem Hiersein von
dem Werte meiner Behandlungsweise
überzeugt und alle seine Bedenken
zerstreut habe. Handelt es sich doch
in diesem Artikel hauptsächlich um
die Erfahrungen über das frühzeitige
Aufstehen der Patienten nach Lapa-
rotomien. Das hat mich eine grosse, über
15 Jahre sich erstreckende Erfahrung ge-
lehrt. Es wird sogar die Darmperi-
staltik bei diesen sowohl als bei den
abdominal Operierten durch das Auf-
sitzen und die frühere körperliche Be-
wegung angeregt, so dass Ileus natur-
gemäss nicht so leicht eintreten kann,
als bei denen, die im Bett gehalten
werden.
Ausser den schon erwähnten Vor-
zügen hat die Methode des frühen
Aufstehens noch andere Vorteile.
Blähungen gehen eher ab : spontane
Stuhlentleerung erfolgt früher ; Lün-
gen- und Bronchial-Komplikationen
werden eher verhütet, und nochmals,
Zirkulationsstörungen kommen nicht
so häufig vor. Schliesslich, und das ist
von sehr grosser Bedeutung für die
meisten Patienten, können sie ihre ge-
wohnte Tätigkeit früher aufnehmen.
Aussergewöhnliche Vorbereitungen zu
der Operation werden bei meinen Pa-
tientinnen nicht vorgenommen, und
brauchen auch nie vorgenommen zu
werden, wenn ein operativer Eingriff
am Darm oder am Magen nicht vorge-
nommen werden soll.
Diskussion. Dr. von Ramdohr:
Ich möchte nur zu dem Vortrag er-
wähnen, dass gewiss niemand etwas
gegen die Methode hat. Das lange
Liegenbleiben war gewiss von gros-
sem Uebel, und deshalb ist ein Vor-
gehen gegen die lange Bettlagerung
der Laparotomierten von allergröss-
tem Wert. Unter allen Umständen
am ersten oder zweiten Tage aufzu-
stehen, ist natürlich absolut zu verwer-
fen. Aber wie Dr. B o 1 d t jetzt die
Indikation gestellt hat, wenn jeder ein-
zelne Fall individualisiert wird, wenn
alles gründlich und sorgfältig durchge-
führt ist und der Patient sonst in
gutem Zustand sich befindet, dann ist
eine frühe Erhebung vom Lager ge-
wiss am Platze, und ich schliesse mich
den Ausführungen Dr. B o 1 d t's über
die neue Methode vollständig an.
Dr. Carl Pfister: Ich glaube
auch, dass vor allem der Verschluss
der Bauchdecke sehr wichtig ist und
die Art und Weise, wie sie verschlos-
sen wird. Ich selbst tue es in der
Weise, dass ich die Fascien ]/2 Zoll
übereinander legen, mit unterbrochenen
Nähten verschliesse. Das Peritoneum
82
New Yorker Medizi
nische Monatsschrift.
wird mit fortlaufender Naht vernäht,
alles übrige mit Knopfnähten. Bei
einer kleinen Infektion kann man dann
einen Stich herausnehmen, ohne die
ganze Xaht zu zerstören. Von grosser
Wichtigkeit für frühes Aufstehen ist,
dass die Bauchdecken fest und gut
unterstützt sind, wie bei dem Ver-
band von Dr. B o 1 d t. In Berlin ist
man auch, wie ich im vorigen Sommer
gesehen habe, ganz davon abgekom-
men, die Leute so lange im Bett liegen
zu lassen. Vor 10 Jahren musste ein
Patient mit Appendizitis noch 4
Wochen im Bett bleiben, mit Bruch 6
Wochen, bei Overientumor ungefähr
ebenso lange. Die Sache ist jetzt her-
untergedrückt, und man lässt Patien-
ten mit Interval-Appendizitis nach 14
Tagen aufstehen, und mit anderen
Fällen ist es ebenso. Allerdings sagt
Dührsen noch in seinem „Hand-
buch der Gynaekologie", indem er die
Vaginalfixation gegenüber der Ven-
trofixation empfiehlt, dass er die Vagi-
nalfixation deshalb vorzieht, weil bei
Laparotomie infolge zu frühen Auf-
stehens so leicht ein Volvulus pas-
sieren kann. Wir haben neulich hier
über Volvulus gesprochen und wissen,
dass er meist die Folge septischer Vor-
gänge ist.
Dr. Willy Meyer: Die Methode,
welche Dr. B o 1 d t heute Abend hier
vertreten hat und seit längerer Zeit be-
folgt, hat jedenfalls sehr gute Seiten.
Es ist das Bestreben aller Chirurgen
hüben und drüben seit langer Zeit, die
Bettruhe ihrer Patienten möglichst
abzukürzen, und speziell bei Laparoto-
mie sind alle darin übereingekommen,
dass die Patienten am sechsten oder
siebenten Tage aufstehen. Ohne
Frage ist die sorgfältige Bauchnaht die
Hauptsache bei jeder Operation, und
es ist wünschenswert, dem Patienten
zu zeigen, wenn er sich wohl befindet,
w i e wohl er sich befindet, ihm Mut
einzuflössen, und dazu ist frühes Auf-
stehen von grossem Wert. Die Ge-
fahren, die unseren Patienten bei La-
parotomie drohen, sind vor allem, wie
der Vortragende bemerkt hat, Throm-
bose, Embolie und Pneumonie. Man
kann vielerlei zur Verhütung dieser
Gefahren anwenden. Ich habe es seit
Jahren so gehalten, dass ich meine Pa-
tienten vom ersten Tage an Athem-
übungen machen lasse; sie müssen sich
häufig links und rechts drehen, speziell
das linke Bein in der Hüfte beugen
und strecken und das Fussende des
Bettes mässig erhöht haben.
Es scheint mir von Wichtigkeit,
keine feste Regel aufzustellen und
nicht etwa darauf zu bestehen, dass
der Patient nach 12 Stunden aus dem
Bett genommen wird, sondern zu indi-
vidualisieren. Sowie es richtig er-
scheint, dass der Patient aufstehen
sollte, sollte man ihn dazu ermuntern
und bei guter Bauchnaht aus dem
Bett lassen. Jedenfalls sehe ich in dem
Kreuzzug, den Dr. B o 1 d t gegen
langes Bettliegen unternommen hat,
viel Wahres und Gutes.
Dr. Franz Torek: Dr. B o 1 d t
hat speziell über Laparotomie im un-
teren Teil des Abdomens gesprochen.
Das frühe Aufstehen bezieht sich viel-
leicht noch in höherem Grade auf La-
parotomie im oberen Teil des Abdo-
mens, weil in diesem Teil der Druck
bei der sitzenden oder stehenden Stell-
ung noch geringer ist als bei Laparoto-
mie in der unteren Bauchhälfte. Mir
ist dies auch schon seit längerer Zeit
klar gewesen, und um dies zu zeigen,
habe ich z. B. vor 5 oder 6 Jahren vor
dieser Gesellschaft einmal einen Pa-
tienten vorgestellt, an dem ich vier
Tage vorher eine Gastrostomie ausge-
führt hatte. Ich brachte ihn hierher,
um zu zeigen, dass der Patient nach
der Zeit sogar imstande war, aus sei-
nem Hospital hierher vor das Publi-
kum gebracht zu werden. In jenem
Falle wurde ich dazu geleitet, dieses
Verfahren zu befolgen, weil sich am
nächsten Tag eine ziemlich starke
Bronchitis entwickelte ; deshalb habe
ich ihn sogleich aufsitzen und am zwei-
ten Tag nach der Operation ausser
Bett bringen lassen. Ganz speziell
wäre die Methode noch anzuwenden
bei den Fällen, in denen man einen
kleinen epigastrischen Schnitt macht,
um sich über gewisse Vorgänge im
Leibe zu versichern, eine exploratori-
sche Laparotomie, um die Anwesen-
heit oder Abwesenheit von Tumoren
in der Magengegend zu entdecken.
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
83
Dr. J. A. Schmitt: Es unterliegt
keinem Zweifel, dass durch Abkürzung
der Bettruhe nach Laparotomie die
Gefahr der Pneumonie verringert wird.
Ein Risiko scheint mir jedoch mit zu
frühem Aufstehen verknüpft zu sein,
nämlich das Aufplatzen der Bauch-
wunde. Ein solches Bedenken ist
durchaus nicht unbegründet, da trotz
sorgfältig angelegter Etagennaht auch
bei Laparotomierten, die im Bette ver-
weilen, die Bauchwunde sich spontan
öffnen kann. Dies geschieht nament-
lich dann, wenn den Bauchwandungen
durch Husten, Brechen, überhaupt
durch Erhöhung des intraabdominellen
Druckes mehr zugemutet wird. Sicher-
heitsmassregeln nach dieser Richtung
hin bestehen in durchgreifenden Silk-
worm-Nähten in Verbindung mit der
Etagennaht und vor allen Dingen in
dem Querschnitt über der Symphyse.
Laparotomierte, die man früh auf-
stehen lässt, sollten gegen die Gefahr
des Platzens der Bauchwunde beson-
ders geschützt werden.
Dr. West: Dr. B o 1 d t hat aller-
dings bei einer Anzahl von Patienten
mit seiner Methode, die Patienten früh
ausser Bett zu bringen, wertvolle Er-
fahrungen gemacht. Aber es tut mir
leid, diese Methode befolgt zu sehen,
denn ich glaube, sie wird die Leiden
derer, die sich der Operation der La-
parotomie unterziehen müssen, nur
vermehren. Wenn jemand krank ist,
bringen wir ihn gewöhnlich zu Bett,
und ich habe noch nie einen Patienten
gesehen, der nach der Laparotomie
nicht sehr krank war. Für solche Pa-
tienten ist es am besten, sie 10 Tage
bis 2 Wochen im Bett zu lassen. Ich
kann keinen Vorteil darin sehen, diese
Zeit von 2 Wochen zu kürzen. Dr.
B o 1 d t und andere, die seine Methode
befolgt haben, haben allerdings bewie-
sen, dass die Patienten aufstehen kön-
nen, aber ich halte das nicht für gut,
die Patienten sollten vielmehr im Bett
bleiben. Wo es sich um Schliessung
von Wunden handelt, da fördert die
ruhige Lage im Bett den Heilungspro-
zess viel mehr als Bewegung.
Dr. B. S. Talmey: Ich kann mich
den Ausführungen des Vorredners nur
anschliessen. Ich kann die Vorteile,
die Dr. B o 1 d t geschildert hat, nicht
so recht einsehen. Es hat allerdings
gewisse Vorteile, den Patienten früher
aufstehen zu lassen, als man es vor
Jahren gewöhnt war, aber ich glaube,
dass man dieselben Vorteile erzielen
würde, wenn man die Patienten nach
6 — 7 Tagen aufstehen Hesse. Da wür-
den sie auch Mut bekommen und auch
vielleicht früher ihre Gesundheit .wie-
der erlangen und die Gefahr nicht so
vorhanden sein, als wenn man sie, wie
Dr. B o 1 d t will, am Nachmittag auf-
stehen lässt, nachdem sie am Morgen
operiert worden sind.
Dr. H. J. B o 1 d t ( Schlusswort ) : Ich
habe hier natürlich einen grossen Teil des
Vortrags auslassen müssen. Die Einzel-
heiten sind in einem englischen Aufsatz
im New York Medical Journal beschrie-
ben. Diejenigen Patienten, die ich
nicht so früh aufstehen lasse, ermutige
ich, körperliche Bewegungen der obe-
ren und unteren Extremitäten zu
machen, um eine bessere Zirkulation
hervorzurufen. Ich glaube, dass wir
da ziemlich übereinstimmen, dass eine
frühe Beweglichkeit der Extremitäten
von sehr grosser Wichtigkeit ist, um
etwaige Thrombosen zu vermeiden.
Was nun die Methode des frühen
Aufstehens betrifft, so muss ich sagen,
es ist ganz sonderbar, dass manche
Herren davon reden, ihre Patienten
nach einer Woche oder 10 Tagen auf-
stehen zu lassen. Die Patienten wur-
den von den allerersten Operateuren
immer 4 — 6 Wochen ruhig gehalten.
Wenn nun die Herren die Patienten
jetzt schon nach einer Woche auf-
stehen lassen, so haben sie sich damit
ganz bedeutend der neuen Behandlung
angeschlossen. Das ist nicht die alte
Nachbehandlung. Jemand, der seinen
Patienten nach einer grösseren Opera-
tion innerhalb 2 Wochen aus dem Bett
lässt, hat die modifizierte Nachbe-
handlung angefangen. Gerade bei
grossen operativen Eingriffen wurde
sehr selten davon Gebrauch gemacht,
dass die Patienten frühzeitig auf-
stehen. Wo die explorative Laparoto-
mie im oberen Teile des Bauches ge-
macht wird, ist selbstverständlich der
intra-abdominale Druck nicht so stark.
Von allergrösster Wichtigkeit halte
84
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
ich es aber bei Laparotomie wegen
bösartiger Neubildungen, besonders
wenn diese schon ziemlich weit vorge-
schritten sind, dass. solche Patienten
rechtzeitig aus dem Bett kommen.
Dass man individualisieren muss, ist
selbstverständlich. Ich habe stets in-
dividualisiert. Nach leichten Eingrif-
fen lasse ich die Patienten innerhalb 24
Stunden aufstehen, und sie befinden
sich besser. Wenn die Herren es pro-
bieren und die Patienten beobachten
wollen, so werden Sie finden, sie laufen
nach 5 — 6 Tagen herum, als ob sie nie
operiert worden wären. Nach wenigen
Tagen können sie ihren Geschäften im
Hause nachgehen. Zeigen Sie mir Pa-
tienten, die Sie mehrere Wochen im Bett
liegen lassen, ob sie nach drei Wochen
ihrer Tätigkeit im Hause nachgehen
können. Es ist unmöglich.
Dr. A. P. Moschcowitz: All-
gemeine Peritonitis infolge von Ap-
dendizitis und ihre Behandlung. (Der
Vortrag ist in dieser Nummer als Origi-
nalarbeit gedruckt.)
Diskussion. Dr. Will y Meyer:
Jeder denkende und beobachtete Arzt
hält die Appendizitis heutzutage für
eine chirurgische Erkrankung. Es ist
wohl nicht zu viel behauptet, wenn
wir sagen : „Bekämen wir alle Patien-
ten mit akuter Appendizitis innerhalb
der ersten 12 — 24 Stunden zu Gesicht,
so würden wahrscheinlich sämmtliche
durch Operation geheilt werden. Die
Schwierigkeit liegt darin, dass, speziell
in der Hospitalpraxis, dieses Mille-
nium niemals kommen wird und kom-
men kann. Infolge davon kommen
derartige Patienten oft erst in späterer
Stunde, am 2., 3., 4. oder 5. Tage,
unter chirurgische Behandlung. Die-
jenigen, die bis dahin nicht gestorben
sind, entwickeln nun zweierlei: ent-
weder gehen sie über — ich spreche
von Appendizitis als solcher — in das
Intervall oder sie entwickeln einen
Abszess, lokale oder diffuse Peritonitis
oder beides zusammen. Bezüglich der
Behandlung der Intervall-Fälle sind
sich alle Chirurgen und die meisten
Patienten einig. Je nach ihrer Zeit
werden sie entweder sofort oder später
operiert. Die Resultate sind natürlich
immer gut. Ueber die diffuse Perito-
nitis herrscht auch allgemeine Ueber-
einstimmung unter den Chirurgen.
Wenn solche Patienten speziell Rigidi-
tät der ganzen Bauchmuskulatur zei-
gen und Druckempfindlichkeit, ganz
abgesehen von Puls und Temperatur,
so steht die Diagnose fest, und sie soll-
ten sofort operiert werden. Manch-
mal ist in dieser Beziehung das Urteil
etwas getrübt dadurch, dass vielleicht
die Empfindlichkeit fehlt, da der Pa-
tient, ehe er in Behandlung kam, mit
Opiaten behandelt wurde. In dieser
Beziehung ist ein Fall letzthin für
mich sehr lehrreich gewesen, und ich
habe mich dadurch täuschen lassen.
Der Fall kam am 6. Tag der Krank-
heit in meine Behandlung. Es kam
mir vor, als handele es sich um einen
beginnenden Abszess "im Douglas und
beschloss ich, zu temporisieren. Die
Symptome waren dadurch besonders
von Interesse, dass bei dem Spasmus
der Bauchmuskeln Druckempfindlich-
keit absolut fehlte. Der Patient ging
später an allgemeiner Peritonitis zu
Grunde. Deshalb möchte ich wieder-
holen : wenn das Abdomen total rigid
ist, aber mit Druckempfindlichkeit,
nachzuforschen, ob solche Patienten
mit Opiaten behandelt wurden. Mus-
kelspasmus ist als klinisches Symptom
das wichtigste ; an zweiter Stelle folgt
Druckempfindlichkeit. Sind eins oder
beide vorhanden bei einschlägiger
Krankengeschichte, so sollte prompt
operiert werden, abgesehen von Puls
und Temperatur.
Die dritte Möglichkeit ist Bildung
eines lokalen Abszesses als Folge einer
Appendizitis.
Wie soll man vorgehen bei einem lo-
kalen peritonitischen Abszess? Das
ist heute durchaus noch nicht vollkom-
men klar gestellt. Der lokale Abszess
wurde noch vor ganz kurzer Zeit von
der grossen Mehrzahl der Aerzte so
behandelt, dass zu Anfang der zweiten
Woche meist der Eiter entleert wurde
und der Patient der Genesung ent-
gegen ging. Fast durchweg machte
der Patient eine gute Rekonvaleszenz
durch.
Die einzige Frage ist die : wird er
in späterer Zeit wieder einen Anfall
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
85
bekommen? Wenn man die Statisti-
ken durchsieht, so sind es ausseror-
dentlich wenige Fälle, die später wie-
der zu leiden haben. Natürlich ist es
von grossem Vorteil für den Patienten,
zu wissen, dass sein Appendix entfernt
ist, und deshalb streben die Chirurgen,
in dieser intermediären Zeit vorwärts
zu gehen, den Eiter zu entleeren und den
Appendix zugleich zu entfernen. Ich
hatte gedacht, dass gerade dieser
Punkt heute Abend hier diskutiert, be-
tont werden würde. Er interessiert den
allgemeinen Praktiker sicherlich weit
mehr als die Varietäten rein chirurgi-
scher Behandlung der allgemeinen
Peritonitis, ob wir mitten, links oder
rechts schneiden, kurz oder lang,
drainieren oder nicht drainieren etc.
Nirgends mehr sollte, meine ich, mehr
individualisiert werden als in der Be-
handlung einer akuten Appendizitis
mit Eiterbildung im sogenannten in-
termediären Stadium. Wenn man in
jedem Fall es sich zum Ziel macht, so-
wie ein lokaler Abszess entstanden ist,
ob die Leute jung oder alt sind, sofort
einzugreifen, so werden manche Men-
schenleben zu Grunde gehen, die an-
derweitig gerettet werden könnten.
Patienten im kräftigen Alter zwischen
ca 10 — 15 und 50 sollten an irgend ei-
nem Tag des Anfalls operiert, der
Eiter entleert und der Appendix ent-
fernt werden. Anders ist es aber bei
Kindern und bei alten Leuten, da
muss man jeden einzelnen Fall beur-
teilen, um das zu erreichen, was wir
alle anstreben, nämlich das Leben zu
retten. Ich darf vielleicht zwei spe-
zielle Fälle in dieser Beziehung an-
führen. Ich weiss von einem Fall, wo
ein kleines Mädchen, am 5. Tag der
Erkrankung, weil Temperatur und
Puls plötzlich höher steigen, von einem
tüchtigen Chirurgen operiert wurde.
Es deutete alles darauf hin, dass ein
Abszess da war, der unter hohem
Druck stand. Es zeigte sich bei der
Operation, dass das Peritoneum als
solches vollkommen frei war und der
Abszess retroperitoneal und abge-
schlossen war bei Gangrän des Appen-
dix. Das Kind ging zu Grunde und
sein früher Heimgang hat in der Fa-
milie für immerdar seinen Schatten
hinterlassen. Es war später die An-
sicht sämmtlicher Chirurgen in dem
Fall, auch des erfahrenen Operateurs,
dass, hätte man gewartet und nicht so-
fort in den Fall eingegriffen und erst
am 8., 9. oder 10. Tage operiert, das
Kind wahrscheinlich zu retten ge-
wesen wäre.
Ein anderer Fall betrifft einen
Jungen von 9 Jahren, dessen schwere
Erkrankung als akute Appendizitis
vom Arzt offenbar nicht genügend
früh erkannt war. Er bekommt in der
Nacht vom dritten zum vierten Tag
Schüttelfrost und alle Zeichen einer
lokalen Perforation, Empfindlichkeit
speziell auf der rechten Seite, Puls 140.
Der Junge war zart. Ich sah ihn um
Mitternacht, und trotzdem der Fall
nahelegte, prompt vorzugehen, ver-
suchte ich zu temporisieren, weil ich
mir sagte, wenn du diesen Jungen
jetzt sofort operierst, geht er zu
Grunde. Wir haben vierzig Stunden
temporisiert und dann unter grösster
Vorsicht rechts operiert. Wir sahen in
der Tiefe des Abszesses einen gangrä-
nösen Appendix vor uns. Der Eiter
wurde nun entleert, ringsum tampo-
niert, und wenige Tage später stiess
sich der Appendix von selbst ab. Der
Junge ist heute vollkommen gesund.
Ich habe jetzt gerade eine Dame von
78 Jahren operiert. Da war ein an sei-
ner Basis gangränöser Appendix. Ich
habe den Eiter entleert, die Adhäsio-
nen belassen, den Appendix nicht ent-
fernt und drainiert und glaube, auf
diese Weise der Patientin das Leben
zu retten.
Bezüglich diffuser Peritonitis haben
wir heute Abend gehört, was in einem
grossen Hospital geschehen kann und
geschehen ist. Wir alle haben ähn-
liche Fälle unter den Händen gehabt
und sind der Ansicht, prompt zu
operieren. Auch ich mache in den
meisten Fällen einen Seiten-Schnitt.
Ich habe selten gespült, ich tupfe nur
aus und nähe die Bauchwunde zu bis
aufs unterste Ende oder ganz. Bei
grösseren Ergüssen sitzt der Patient
auf, in der F o w 1 e r'schen Lage; ich
lege dabei häufig ein Zigarettendrain
ein. Es ist noch nicht ganz klar, ob
man in diesen Fällen drainieren soll
86
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
oder ganz zunähen. Ich glaube, nur
da, wo der Patient einen nekrotischen
Prozess intraperitoneal hat und behält,
den man oeprativ nicht sofort elimi-
nieren kann, ist es von Vorteil für den
Patienten zu drainieren. Sonst soll
man die ganze Wunde schliessen, das
Peritoneum, wenn nicht lädiert, wird
mit den Entzündungserregern und
Produkten schon fertig. Zur Steiger-
ung der Leukozytose glaube ich von
Nuklein subkutan günstige Erfolge ge-
sehen zu haben.
Ich möchte nochmals sagen, dass
man augenblicklich speziell nur noch
darüber diskutiert, ob man den peri-
typhlitischen Abszess zu irgend einer
Zeit direkt angreifen soll und den Ap-
pendix mit entfernt oder ob man ihn
nach alter Methode in der zweiten
Woche entleert und dann den Appen-
dix sich selbst überlässt. Nochmals
möchte ich betonen, dass hier nichts
mehr geraten ist, als nicht nach der
Schablone zu arbeiten, sondern zu in-
dividualisieren, denn nur auf diese
Weise kann es gelingen, das höchste
Ziel unserer Kunst zu erreichen : mög-
lichst viele Leben zu retten.
Dr. H. Lilienthal: Ich werde
versuchen, mich an das Thema Peri-
tonitis zu halten. Freilich hat Dr.
Moschcowitz das Thema fast
vollständig erschöpft, so dass nicht viel
zu sagen übrig bleibt, vielleicht mit
Ausnahme einer geringen Differenz in
der Behandlungsmethode. Auch bil-
lige ich die Bezeichnung Pyoperi-
toneum ; damit verstehen wir Fälle, in
denen viel Eiter in der freien Bauch-
höhle vorhanden ist, jedoch mit nur
sehr geringen Reizerscheinungen.
Was die Art der Infektion im allge-
meinen betrifft, so hängt diese nicht
nur von der Art, dem Namen oder der
Eigenschaft der Bakterien ab, sondern
auch von der Empfänglichkeit des In-
dividuums für das eigentümliche Gift,
das der Keim hervorbringt. Nicht nur
die Infektion, sondern die Art und
Weise, wie ein Individuum auf die In-
fektion reagiert, ist von grosser Wich-
tigkeit, und sollten in der Prognose
eines gegebenen Falles berücksichtigt
werden.
Was nun die Methode betrifft, so
bin ich an eine Methode gewöhnt, die
verschieden ist in manchen unwesent-
lichen Details von der, die Dr.
Moschcowitz beschrieben hat.
Ich mache den Kammerer - Schnitt
nicht in allen Fällen, ebenso oft ver-
wende ich einen Schnitt durch den
Rektus ; denn in einigen Fällen musste
ich den Kammererschnitt erweitern
und kam in Konflikt mit den unteren
Kostalnerven. Seit ich die transrek-
tale Methode adoptiert habe, habe ich
in keinem Fall eine Hernie gesehen.
Ich lege keine Gazepackung ein, weil
ich glaube, dass Gazepackung das
Peritoneum verletzen und für Ent-
zündung empfänglich machen würde.
Nachdem das Abdomen geöffnet, ohne
eine Packung einzulegen, wird der
Appendix gesucht. Ich kümmere mich
nicht darum, ob ein Abszess da ist
oder nicht; ich glaube nicht, dass dies
von besonderer Wichtigkeit ist. Wenn
der Appendix entfernt ist, wird ein
Abszess drainiert und der Rest
des Peritoneums geschlossen. Keine
Drainage, kein Auswaschen. Wenn
die Abszesshöhle gross ist, gebrauche
ich den Zigarettendrain. Also kein
Auswaschen, kein Auswischen, keine
temporäre Packung, keine Drainage
fürs Peritoneum ; nur Abszesshöhlen
werden drainiert. Wenn es sich um
eine ungeheure Ausdehnung handelt,
in einem sehr vorgeschrittenen Fall,
da wird die Enterotomie ausgeführt,
um den Patienten zu erleichtern, nicht
weil ich glaube, dadurch eine Obstruk-
tion überwinden zu können.
Ich bedauere sehr, was Dr. Meyer
betreffs der Kinder gesagt hat.
Selbst da, wenn das Kind nicht in
einem verzweifelten Zustand ist, sollten
wir versuchen, den Appendix heraus
zu bekommen. Ich habe Fälle ge-
sehen, in denen eine zweite Operation
nötig war. Ich stimme mit Dr.
Meyer überein, was alte Leute be-
trifft. Wenn diese wiederholte An-
fälle bekommen, so sind die Chancen
des Lebens nicht dieselben wie bei
Kindern. Da können wir warten und
einfach den Abszess eröffnen.
Dr. Franz Torek: Wie wohl
manchem von Ihnen bekannt sein
wird, habe ich denselben Gegenstand
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
87
unter dem Namen diffuse eitrige Peri-
tonitis behandelt. In betreff der In-
zision möchte ich sagen, dass dieselbe
nach meiner Ansicht an eine Stelle ver-
legt werden soll, von der aus man den
Prozess in allen seinen Teilen gleich
gut erreichen kann. Wenn sich nun
der Eiter nicht bis ganz nach links er-
streckt, sondern nur bis zum äusseren
Rande des linken Rektus, so würde die
rechte Rektusinzision den Erfordernis-
sen entsprechen. Wenn jedoch der
Prozess sich bis ganz nach links hin
erstreckt, gibt die Inzision in der Mit-
tellinie den besten Zugang. Von der
rechten Rektusinzision kann man die
linke Bauchhälfte, besonders das linke
Hypochondrium nur sehr unvollkom-
men reinigen. Was die Grösse der In-
zision anbetrifft, so sollte diese nach
meiner Meinung gross genug sein,
dass man unter Leitung des Auges ar-
beiten kann. Ich habe Fälle gesehen,
wo neben dem freien Eiter noch ver-
schiedene grössere Eiteransammlungen
hinter frisch adhärenten Darmschlin-
gen verborgen waren, welche man
ohne direkten Einblick nicht entdeckt
hätte. Die Gegner der grossen In-
zision heben hervor, dass dadurch der
Shock vergrössert würde. Ich habe
mich davon nicht überzeugen können.
Eventration verursacht Shock und
wird daher womöglich vermieden.
Wenn ich jedoch in die Lage versetzt
würde, entweder eventrieren zu müs-
sen oder unvollkommen zu reinigen, so
würde ich ganz entschieden even-
trieren. Ferner wird hervorgehoben,
dass die grössere Inzision zu viel Zeit
raubt. Das ist auch nicht der Fall.
Wenn man eine grössere Inzision hat,
so kann man den wichtigsten Teil der
Operation, das Reinigen, viel schneller
fertig bringen, als bei kleiner Inzision.
Ich habe Operationen mit grozzer In-
zision mehrmals in 20 — 25 Minuten be-
endet.
Was die Frage des Wischens oder
Spülens anbetrifft, so scheint es zwei
Faktionen zu geben. Die einen wollen
immer gewischt haben, die anderen im-
mer gespült. Meiner Ansicht nach soll
man darin elektiv vorgehen. Wenn
der Eiter sich nur über einen verhält-
nissmässig kleinen Teil des Peritone-
ums verbreitet, wäre es töricht, durch
Spülung denselben über die ganze
Bauchhöhle zu verbreiten. Wenn wir
aber schon diffuse eitrige Peritonitis
haben, ist die Spülung entschieden das
schonendere Verfahren. Selbst in die-
sen Fällen jedoch tupfe ich zuerst vor-
sichtig das Gros des Eiters hinweg
und lasse nachher eine sorgfältige
Spülung folgen. Das Wischen von
ausgedehnten Strecken des Peritone-
ums halte ich jedoch für absolut falsch,
denn dadurch können, wie Dr.
L i 1 i e n t h a 1 hervorgehoben, Läsio-
nen entstehen, welche das Peritoneum
in seiner bakteriziden Kraft schädigen.
Was die Drainage betrifft, so mag
manchem von Ihnen bekannt sein, dass
ich als erster in dieser Krankheit syste-
matisch die Drainage unterlassen habe
und mich in allen Fällen der diffusen
eitrigen Peritonitis des vollständigen
Verschlusses der Bauchwunde bedient
habe. Wenn die peritoneale Höhle so
gut gereinigt ist, dass man makrosko-
pisch keinen Eiter mehr findet und die
Spülflüssigkeit nicht mehr trübe wird,
dann ist das Peritoneum imstande,
auch noch der übrigen Infektion Herr
zu werden, vorausgesetzt dass es nicht
durch Einführen fremder Substanzen,
wie z. B. Gazedrains, geschädigt wor-
den ist. Je ausgiebiger man drainiert,
desto mehr wird das Peritoneum ge-
schädigt und in seinem Kampf gegen
Infektion gestört. Nach F o w 1 e r
wird nur das Becken drainiert und
der Patient in eine schräg sitzende
Lage gebracht, mit der Idee, dass das
eitrige Exudat nach unten ablaufen
soll. Ich halte die Anhänger dieser
Lehre für grosse Optimisten, denn es
handelt sich ja nicht um grosse An-
sammlungen von Eiter, die durch ihre
Schwere nach unten sinken könnten ;
denn wären uns diese bei der Opera-
tion entgangen, so waren sie gewiss
abgesackt, und können schon aus dem
Grunde nicht nach unten flicssen.
Handelt es sich aber um eine flächen-
hafte Beschmutzung mit Eiter, so wird
dieser kraft seiner Adhäsion kleben
bleiben. Und ferner halten viele iener
sehr schwer kranken Patienten diese
Lage überhaupt nicht aus. In einer
Anzahl meiner Fälle habe ich sogar
88
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
den Kopf niedriger legen müssen we-
gen drohenden Kollapses. Die Fälle,
die nach der F o w 1 e r'schen Methode
geheilt worden sind, verdanken ge-
wiss ihre Rettung nicht der F o w 1 e r'
sehen Lage, sondern der Tatsache,
dass nur sehr wenig drainiert worden
ist und daher das Peritoneum nur
wenig Schädigung erlitten hat. Wenn
man nicht drainiert, bekommt man
auch weniger Adhäsionen, und deshalb
ist die Gefahr des postoperativen Ileus
bedeutend geringer. Nach dieser Me-
thode habe ich bis jetzt 23 Fälle von
diffuser eitriger Peritonitis behandelt
und davon 20 gerettet, 3 sind gestor-
ben, aber einer davon, der in mori-
bundem Zustand kam und nie hätte
operiert werden sollen. Es wären so-
mit aus 22 Patienten 2 gestorben, was
eine Mortalität von 9 Prozent be-
deutet. Es ist ganz gewiss, wie Dr.
Moschcowitz sagt, nicht das
letzte Wort gesprochen über die Be-
handlungsmethode, und es wird wahr-
scheinlich nie das letzte Wort gespro-
chen werden. So lange es selbständig
denkende Aerzte gibt, wird es ver-
schiedene Methoden der Behandlung
geben, und wenn einer nach seiner
Methode genügend günstige Resultate
erzielt hat, so glaube ich, dass er auch
bei der Methode bleiben soll und nicht
eine Methode versuchen, die ihm nicht
geläufig ist. Er würde dann vielleicht
nicht so gute Resultate erzielen.
Dr. Willy Meyer: Ich möchte
mich noch in einer persönlichen Be-
merkung richtig stellen. Dr. Lilien-
thal hat mich, glaube ich, nicht rich-
tig verstanden. Ich habe nicht ge-
sagt, dass ich bei Kindern einen gan-
gränösen Appendix nicht entferne. Ich
habe gesagt, dass man sich bei Kin-
dern (wie bei alten Leuten), die
schwer krank und schwach sind, be-
sondere Mühe geben soll, richtig zu
individualisieren und nicht nach der
Schablone zu arbeiten. Man soll eben
nicht in jedem Fall darauf bestehen,
wenn man in der Interimszeit oder
auch noch etwas später zur Operation
kommt, den Appendix bei Eröffnung
des Abszesses mit zu entfernen. Tut
man es, so wird man, glaube ich, nicht
so viele Kinder am Leben erhalten, als
wenn man etwas konservativer ver-
fährt.
Dr. A. V. M oschcowitz
(Schlusswort) : Um an das anzu-
knüpfen, was Dr. Meyer jetzt er-
wähnt hat, so bin ich auch der Mein-
ung, dass man, wenn irgend möglich,
den Appendix entfernen sollte. Ich
habe mit Dr. L i 1 i e n t h a 1 freund-
schaftlich über dieses Thema gespro-
chen. Ich weiss, ich hätte es erwähnen
sollen, dass Dr. L i 1 i e n t h a 1 nicht
genau nach unserer Methode arbeitet,
dass er insbesondere keine Gazepack-
ung einlegt. Wir haben diesen Punkt
öfters diskutiert, aber wir haben es
beim Disputieren lassen müssen, denn
wenigstens für den Augenblick kann
ich mich nicht mit der Idee befreun-
den, dass es nicht schädlich ist, den
Abszess in die freie Bauchhöhle zu
perforieren. Ich glaube wenigstens,
dass ein Abszess viel besser entleert
werden kann, wenn man ihn mit Gaze-
packung temporär abgeschlossen hat
und den Eiter ausdrückt.
Dr. Tore k's Absicht ist es, das
Peritoneum zu reinigen. Das kann
nur heissen, mehr oder minder reini-
gen. Wir haben in unserer Methode
gar nicht die Absicht, das Peritoneum
zu reinigen. Wir tupfen auch nicht,
wir wischen nicht. Wir lassen den
Eiter so viel wie möglich abfliessen.
Ein bis zwei Gazetupfer werden ober-
flächlich in den Douglas eingeführt
und damit etwas von dem Eiter her-
ausgeholt, mehr, sozusagen, zu diag-
nostischen Zwecken, um zu sehen, wie
viel Eiter da ist.
Ich weiss auch, dass Dr. T o r e k
seine Fälle von Peritonitis absolut
verschliesst. Diese totale Naht wird
auch von vielen anderen befürwortet.
Es ist eine Genugtuung, ein Sicher-
heitsventil, mag das Drain noch so
klein sein, eines hinein legen zu kön-
nen.
Dr. T o r e k hat auch erwähnt, dass
die Patienten oft die F o w 1 e r'sche
Lage nicht gut vertragen. Er be-
fürchtet Gehirnanämie. Wir lassen
aber die Patienten nicht im Bett sitzen.
Wir heben das ganze Kopfende des
Bettes, sodass der Patient gewisser-
massen im Bett steht, und wir finden,
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
89
dass die Patienten das nicht nur sehr
gut vertragen können, sondern sich be-
deutend wohler fühlen, als wenn sie
flach liegen. Diese F o w 1 e r'sche
Lage benützen wir auch bei allen Pa-
tienten, bei denen wir Pneumonie be-
fürchten.
Präsident Dr. Carl Beck: Die
Abstimmung hat ergeben, dass die
vorgeschlagenen Kandidaten Dr. R.
S t e c h 111 a n n und Dr. Fr. Hein
aufgenommen sind. Ich erkläre die-
selben hiermit als Mitglieder der Ge-
sellschaft.
Es werden zur Mitgliederschaft vor-
geschlagen Dr. Morris Klein und
Dr. Emil M a n t n e r, Xewark.
Hierauf Schluss und Vertagung.
D r. J. A. B e u e r m a n n,
Protokoll Sekretär.
Deutsche Medizinische Gesellschaft der Stadt Chicago.
Sitzung vom 15. November 1906.
Vorsitz : Dr. Herzog.
Programm.
1. Dr. A. Strauch: Primäre Sple-
nomegalie (mit Krankenvorstellun-
gen).
2. Dr. Clausius: Paroxysmale
Haemoglobinurie (mit Krankenvor-
stellungen).
3. Dr. H. Schiller: Hauterkrank-
ungen während der Menstruation.
4. Geschäftliches: Aufnahmsgesuche
der Herren Dr. Ed. S e u f e r t, Dr. M.
R e i c h m a n n und Dr. R. Rem b e.
Das Protokoll der vorhergegange-
nen Sitzung wird verlesen und ange-
nommen.
Diskussion zu Dr. S t r a u c h's Vor-
trag:
Dr. Herzog: Wir nennen diese
Erkrankungsform primäre Splenome-
galie, weil wir annehmen, dass die
Milz das primär-erkrankte sei, ohne je-
doch die Ursache dieser Milzvergrös-
serung vorläufig zu kennen.
Auszuscheiden sind manche Fälle,
deren Aetiologie man kennen gelernt
hat. Milztumoren mit progressiver
Anämie werden häufig in den Tropen
z. B. in Indien und auf den Philip-
pinen-Inseln gefunden. Für eine Reihe
dieser Fälle ist es bereits gelungen, ei-
nen Parasiten als Urheber aufzufinden,
der vielleicht in die Gruppe der Trypa-
nosomen gehört. Diese Befunde
L i c h m a n's und Donova n's wur-
den von anderen Autoren vielfach be-
stätigt. Eine ganze Anzahl von Fällen
von Milztumor mit Anaemie wird
wahrscheinlich noch weiterhin ausge-
schieden werden, wenn sich der para-
sitäre Ursprung erwiesen haben wird.
In den Tropen gibt es aber viele Fälle,
deren Aetiologie völlig unbekannt ist.
Herzog, der auf den Philippinen-
Inseln sehr oft die Kombination von
grossen Milztumoren mit Lebercir-
rhose beobachten konnte, untersuchte
hunderte von solchen Milzen auf Para-
siten, jedoch mit negativem Erfolge.
Die Milzvergrösserungen mit Anaemie
auf den Philippinen-Inseln sind vor-
läufig nicht auf Parasiten zurückführ-
bar.
Bezüglich der pathologischen Anato-
mie der primären Splenomegalie bemerkt
Dr. Herzog, dass die bedeutende Ver-
mehrung der Endothelzellen in der Milz
sehr auffallend sei, sodass ursprünglich
von den Franzosen der Prozess als dif-
fuse Karzinomatose aufgefasst worden
war. Der Haemoglobingehalt ist bei pri-
märer Splenomegalie mehr vermindert
als die Zahl der roten Blutkörperchen.
Vielleicht ist die enorme Endothelwu-
cherung die Ursache der Anaemie. Im
vorliegenden Falle ist die Aenderung des
Blutbildes im Sinne einer bedeutenden
Besserung sehr interessant : Dr. H e r-
zog würde daher vorläufig zögern, zu
operieren. Die allgemeine Auffassung
bezüglich der Therapie spricht sich zu
Gunsten der Operation aus, Osler hin-
gegen empfiehlt Arsenik auf das Wärm
ste.
Die von Dr. Strauch erwähnte
Vermehrung der eosinophilen Zellen
post Operationen! hat Dr. H. selbst ge-
sehen, sowohl an Menschen als auch bei
Tieren. Zum Studium der Frage, ob
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
sich erworbene Eigenschaften vererben
können, splenektomierte Dr. Herzog
Ratten in drei fortlaufenden Genera-
tionen mit folgender Ueberlegung :
Wenn man zum Studium dieser Frage,
wie es Weidmann getan, Ratten die
Schwänze abschneidet, so bleiben erstere
biologisch dieselben Individuen ; wenn
man den Tieren aber die Milz exstirpiert,
so repräsentieren sie, wie man annehmen
muss, biologisch andere Individuen. Es
Hesse sich darum vielleicht die Frage
nach der Vererbung erworbener Eigen-
schaften, wie z. B. einer dauernden Ver-
änderung des Blutes mit mehr Erfolg
auf letzterem Wege studieren. Doch
geben Dr. H e r z o g's Experimente
keine eindeutigen, unanfechtbaren Resul-
tate.
Dr. Carl Beck bemerkt zur Tech-
nik der Splenektomie : für die gewöhn-
lichen Splenektomien sind einfache
Längsschnitte sehr gut. Bei sehr gros-
sen Milztumoren jedoch sind Lappen-
schnitte zu empfehlen, um jeden starken
Zug an der Milz und ein gewaltsames
Manipulieren an derselben mit Hinsicht
auf die zartwandigen dilatierten Venen
vermeiden zu können. Die Entwicklung
der Milz kann unter Umständen sehr
schwierig sein. Sogar Durchtrennung
von Rippen war in einem seiner Fälle
notwending, um die Milz aus der
Schnittwunde hervorzubringen. Die
Operation ist mit starker Blutung ver-
bunden, der Shock ist oft ein tiefer und
kann sich über eine lange 1 Zeit er-
strecken, so dass sich die Patienten nur
langsam von demselben erholen. In
einem von Dr. C. Beck operierten Falle
war noch nach 24 Stunden der Puls
kaum fühlbar. In einem seiner Fälle
trat Exitus letalis durch Sepsis ein ; in
einem anderen Falle wurden Röntgen-
strahlen therapeutisch mit Erfolg ver-
wendet. Solange der Patient behandelt
wurde, verkleinerte sich die Milz merk-
lich : nach Unterbrechung der Röntgen-
strahlenbehandlung wuchs sie wieder;
das Spiel wiederholte sich.
Dr. H. Schiller hält die Fälle für
Anaemia splenica, da bei Bantischer
Krankheit bereits Ascites und Ka-
chexie vorhanden sein müsste ; auch
das familiäre Auftreten spreche gegen
Bantische Krankheit.
Dr. Strauch (Schlusswort) hat
sich bei der Besprechung der Differen-
zieldiagnose für Anaemia splenica er-
klärt. Die Leber zeigt ja trotz des
wenigstens Zl/2 Jahre, wahrscheinlich
vier Jahre langen Bestehens der Er-
krankung beim älteren Patienten keine
klinisch nachweisbaren Veränderun-
gen, keine funktionelle Störung im
Sinne einer alimentären Glykosurie.
Kachexie und Ascites tritt erst im
Endstadium der Bantischen Krank-
heit auf, die höchstens Al/2 Jahre dau-
ert ; andererseits können bei Anaemia
splenica die kachektischen Erscheinun-
gen unter Umständen früh auftreten.
Im Frühstadium ist die Differenzial-
diagnose wohl meist unmöglich. Der
riesige Milztumor bei dem älteren Bru-
der ist sehr gut beweglich, wie sich die
Herren überzeugen konnten, sodass
man hier einen langen Stiel und die
Abwesenheit grösserer Adhäsions-
bildung, speziell mit der Bauchwand
vermuten kann. Interessant ist das in
der Literatur des öfteren beschriebene
gleichzeitige Vorkommen von ausge-
sprochener Polycythaemie mit Milz-
tumor. Bezüglich der Folgen nach
Exstirpation der Milz ist noch hinzu-
fügen, dass bei manchen Thieren, wie
Pferd, Hund, Frosch, Neubildungen
von milzähnlichem Gewebe im Mesen-
terium und Netz beobachtet worden
sind.
Diskussion zum Vortrag des Herrn
Dr. C 1 a u s i us über Paroxysmale
Haemoglobinurie.
Dr. Schmauch hat das Blut des
demonstrierten Patienten untersucht
und keine Besonderheit gefunden aus-
ser einer Verminderung der Resistenz-
fähigkeit der roten Blutzellen, indem
leicht Missformen, z. B. Stechapfel-
formen derselben entstehen. Plasmo-
dien sind keine nachweisbar. Malaria
haemoglobinurica ist auszuschliessen.
Patient leidet nur in der kalten Wit-
terung. Die paroxysmale Haemoglo-
binurie ist eine Erkältungskrankheit.
Dass Kälte tatsächlich eine wichtige
Rolle spielt, ist nicht nur durch die
klinische Beobachtung schon lange
bewiesen, sondern auch durch die Tat-
sache dem Verständnis näher gerückt,
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
9i
dass das Serum solcher Menschen auf
jedes Blut haemolytisch wirkt, falls
das erstere abgekühlt worden war.
Was aber das haemolytisch Wirkende
ist, ist völlig unbekannt.
Dr. Strauch empfiehlt für
schwere Fälle von paroxysmaler Hae-
moglobinurie den Aufenthalt in einem
südlicheren Klima wenigstens während
unserer Winterszeit.
Dr. Schiller weist auf die Mit-
teilungen Dr. B a b e k's aus Rumänien
hin, dass bei Gelegenheit einer Winter-
epidemie von Haemoglobinurie unter
Rindern diplokokkenähnliche Bakterien
im Blute als mögliche Erreger aufge-
funden worden seien.
Dr. Herzog: Ich weiss nichts von
dieser Entdeckung; aber ein typisches
Beispiel von Rinder-Haemoglobinurie
ist das Texasfieber, eine Piroplasmosis,
bei welcher Protozoen in den roten
Blutkörperchen gefunden werden.
Der Vortrag des Herrn Dr. S c h i 1-
1 e r wird wegen vorgerückter Zeit ver-
tagt.
Bankett der Deutschen Medizinischen Gesellschaft von Chicago,
20. Oktober 1906.
Den Statuten des Vereines entspre-
chend, den Beginn eines neuen Vereins-
jahres in geselliger Weise durch ein
Festmahl zu feiern, vereinigten sich
zahlreiche Mitglieder und Gäste im Ho-
tel Bismark.
Der abtretende Präsident, Herr Dr.
Gustav Schir m e r, verlas nach dem
Essen seinen Jahresbericht und gab fol-
gende Uebersicht über die Leisungen
und Schicksale der Gesellschaft:
..Meine Herren! Als abtretender Vor-
sitzer Ihrer Gesellschaft habe ich die
Verpflichtung, Ihnen eine Uebersicht
über die Leistungen und Schicksale der
Gesellschaft im abgelaufenen Vereins-
jahr zu geben. Mit bangen Sorgen
übernahm ich seiner Zeit den Vorsitz,
meiner schwachen Kraft bewusst, die
den Erwartungen des einzelnen Mit-
gliedes gerecht werden sollte. Wie weit
mir das annähernd gelungen ist, dafür
sollen Sie heute Abend Richter sein. —
Unsere Mitgliederzahl erreichte einen
Höchststand von 1C4, von denen uns lei-
der 2 durch den Tod entrissen wurden.
Es bildeten sich zu keiner Zeit befeh-
dende Parteien oder Kliquen. Jeder von
Ihnen weiss, dass die Bildungshöhe un-
serer Mitglieder eine ungewöhnlich
grosse ist und dass die Bedingungen zu
einer zielbewussten harmonischen Ent-
wicklung unserer Tätigkeit ausserordent-
lich günstige waren. Das zeigte sich
denn gleich zu Anfang unsers Vereins-
jahres, als wir am 19. Oktober im Ger-
mania-Klubhaus unser Stiftungsfest und
Prof. Dr. von Noorden durch einen
glanzvollen Empfang feierten. So etwas
wäre nicht möglich gewesen, wenn sich
nicht unsere Mitglieder, alles kleinliche
bei Seite werfend, für eine höhere Idee
begeistert hätten. Prof. v. X o o r d e n
konnte auch daher bei seiner Reisebe-
schreibung in der „Frankfurter Zeitung"'
die Deutsche Medizinische Gesellschaft
von Chicago rühmend als hervorragen-
des geistiges Zentrum feiern. Die
Summe von geistiger Anregung, die v.
Noorden uns durch seinen einfachen
Vortrag gegeben hat, ist eine sehr
grosse. Ich selbst habe für das Schar-
lachfieber die Noor d'schen Anschau-
ungen in der Praxis durchgeführt und
war über die Resultate einfach erstaunt.
— Der grossen Feier, welche die ameri-
kanischen Kollegen am 11. November zu
Ehren von Prof. Dr. Senn abhielten,
wohnten sehr viele unserer Mitglieder
bei, ebenso der Abschiedsfeier von Dr.
Dohert y, dem ehrenwerten Missionär
friedlicher Kultur in den Philippinen.
Exofficio war der Verein beim Bankett zu
Ehren des Barons Takaki, Surgeon-
92
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
General of the Imperial Japanese Navy,
am 10. Februar vertreten — die erste
öffentliche Anerkennung unserer Gesell-
schaft. — Am 28. April wurde der erste
Kommers unter den Auspicien Ihrer Ge-
sellschaft abgehalten. Die Zeit war we-
gen des Wohnungswechsels nicht gün-
stig gewählt, die Kommers-Idee fand
aber Anklang und ein solcher Kommers
sollte ■ — • etwas länger vorbereitet — wie-
derholt werden.
Sie sehen an gesellschaftlichen Unter-
brechungen hat es nicht gemangelt, sie
sollten stets benutzt werden, unsere in-
nere Stärke auch nach aussen zu betäti-
gen. Unsere wissenschaftliche Sitzun-
gen wurden regelmässig am 1. und 3.
Donnerstag jeden Monates abgehalten,
nachdem das Programm in den vor-
schriftsmässigen Vorstandssitzungen be-
sprochen worden war. Soweit es meine
Kräfte erlaubten, suchte ich für Vor-
träge auch Kräfte heranzuziehen, die
nur ungern sich bestätigten. Auf diese
Weise gelang es, dass 30% unserer Mit-
glieder an Vorträgen sich beteiligten.
Erschöpfende Vorträge wurden gehalten
über : Ranula, akute Pankreatitis, Hals-
phlegmone. Dementia paralytica, hy-
peralgetische Zonen bei Kopfschüssen,
okulte Darmblutungen, chirurgische Be-
handlung des Magengeschwürs, Geh-
gipsverband, Lungengangrän und über
spezielle Kapitel von Augen-, Ohren und
Hauterkrankungen. Neben der erschöp-
fenden Behandlung genannter Themata
beschäftigten wir uns zu verschiedenen
Malen mit den für den praktischen Arzt
zur Zeit so wichtigen 4 Fragen : Tuber-
kulose, Kindbettfieber, B i e r'sche Stau-
ung und der Giftwirkung der Heilsera.
1. Tuberkulose. Wer von Ihnen die
letzte Literatur-Uebersicht der Tuberku-
loseforschung in unserem Vereinsblatt ge-
lesen hat, muss zugeben, dass mit fie-
berhafter Emsigkeit gearbeitet wird.
Nicht weniger denn 58 Arbeiten über
Tuberkulose sind referiert. Was die
Therapie anbelangt, so kommen nach
meiner Anschauung nur 2 Männer in
Betracht : K 1 e b s und Behring.
K 1 e b s, unterstützt von nur wenigen
Kollegen, hat seit 15 Jahren die Heil-
ung der Tuberkulose angestrebt und
hat durch eigene Mittel die kost-
spieligen Experimente weitergeführt —
v. Behring verwandte darauf die
Tantiemen des Diph. Antitoxins und
seinen Nobelpreis — das Alles war ver-
pulvert, und er war noch nicht am
Ziele. Zur Zeit ist er durch die weise
Regierung des deutschen Staates in
den Stand gesetzt, die Versuche in
grossartiger Weise fortzusetzen und
die praktische Bedeutung seines Präpa-
rates wird jetzt probiert. Nur As-
sistenten von befreundeten Klinikern
werden zum Vorbereitungskurs von 3
Monaten zugelassen und ihre späteren
Beobachtungen werden monatlich nur
von Behring kontrolliert. In der
ganzen Geschichte der Medizin gab es
nie eine strammere derartige Organi-
sation. Wie klein und zerfahren da-
gegen ist die Gemeinde von Prof. D.
G. K 1 e b s ! Sie begreifen jetzt meine
bittern Worte bei der Diskussion über
die Tuberkulose. Dass die Tuberku-
lose mit dem Tc. von Ed. K 1 e b s
heilbar ist, habe ich des öftern ange-
deutet und ich benutze den heutigen
Festabend dazu, um unsern Stifter
zu ehren, Ihnen ein Röntgenbild zu zei-
gen, welches klipp und klar beweist,
dass wir mit dem Tc. von K 1 e b s
auch eine tuberkulöse Kaverne zur
Schrumpfung bringen können.
2. B i e r. Die ganze Menge der
physiologischen Fragen, welche sich
bei der B i e r'schen Methode uns auf-
drängten, habe ich seiner Zeit berührt.
Mein Satz, dass nur eine Klärung der
Theorie die praktische Anwendung der
B i e r'schen Methoden erlaubt, er-
scheint mir mehr und mehr richtig;
die schablonenhafte Anwendung bringt
mehr Schaden wie Nutzen. Diejeni-
gen Kollegen, welche meinem Rat
folgten und nur die dem Auge sicht-
baren Erkrankungen mit der B i e r'-
schen Methode behandelten, sind mir
dankbar und mit den Resultaten mehr
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
93
denn zufrieden. Meine Hypothese
über die katalytische Wirkung des ge-
stauten Blutes hat insofern eine glän-
zende Bestätigung gefunden, als Dr.
•R öraer in Marburg aus dem Blute
ein katalytisches Präparat hergestellt,
das den höchsten katalytischen Wert
besitzt. Benützt wird dasselbe zur
Herstellung der Perhydrasen - Milch,
einer Milch, die keimfrei sich für Wo-
chen hält. In der Ernährungsfrage wird
diese Milch eine grosse Rolle spielen.
3. Kindbettfieber. Mit grösster Ge-
nugtuung lauschten wir den Ausführ-
ungen von Prof. Dr. v. R o s t h o r n.
Wir sahen, dass die beiden Herren
Referenten in dieser Frage, Dr.
S c h m auch und Dr. Decker, uns
wahrheitsgetreu die wissenschaftliche
und praktische Ausführung in der
Kindbettfrage dargelegt hatten. Die-
jenigen, welche durch dit Aeusserung
von Prof. R o s t h o r n betreffs der
Kollargolbehandlung knieschwach wur-
den, möchte ich auf die vor einigen
Tagen erschienene Arbeit aus der
1! u m m 'sehen Klinik in Berlin verwei-
sen, in der Stabsarzt Dr. Hochei-
s e n ein hohes Lied den intravenösen
Kollargoleinspritzungen singt gegen-
über dem A r o n s o n'schen Serum.
4. Giftwirkung der Heilsera. Das
Referat von Strauch war höchst
zeitgemäss. Die scheinbar nur theo-
retischen Ueberlegungen sind prak-
tisch ungemein wichtig, die Kenntnis
der neu entstandenen Namen ist für
den Leser einer medizinischen Zeitung
unumgänglich notwendig. Betrachten
wir unter diesem Thema die Giftwir-
kung fremder Sera auch im Magen, so
ergibt sich eine ungemein grosse Per-
spektive zu neuer Arbeit und neuem
Können, besonders bei Erkrankung der
Kinder.
Gerade so wie der Anfang unseres
Vereinsjahres, glanzvoll und vielver-
sprechend war, ebenso war es auch
unsere letzte Sitzung am 14. Juni.
Prof. Dr. v. Rosthorn zeigte in
vollster Meislerschaft, wie ein deut-
scher Professor sein Thema be-
herrscht, wissenschaftliche Fragen
klar und scharf zu beleuchten versteht.
Volle 2y2 Stunden sprach derselbe,
jedes wichtige Kapitel der Geburts-
hilfe und Gynäkologie berührend. Mit
grösster Genugtuung können wir kon-
statieren, dass alle die wichtige Kapi-
tel der Wissenschaft von uns schon be-
handelt worden waren, dass wir also
vollständig auf der Höhe der Zeit
stehen. Nicht ohne Nebenabsicht
sprach er von der Verpflichtung des
praktischen Arztes zur selbstständigen
Forschung, zur selbstständigen Be-
obachtung und führte als Beweis der
Hochschätzung der Arbeit auch des
praktischen Arztes die Tatsache an,
dass er in seinen Vorlesungen, die
Krankheitsschilderung von Nögge-
r a t h regelmässig vorlese.
Sie sehen der Vorstand Ihrer Gesell-
schaft hat es nicht daran fehlen lassen,
dem praktischen Arzt neue Hilfsquel-
len des Erwerbes zu zeigen, und wenn
auch die strenge wissenschaftliche
Behandlung einer medizinischen Frage
nicht gleich in Dollars und Cents um-
gesetzt werden kann, der Zuwachs an
Energie und Schlussvermögen erhöht
unsere Fähigkeit, leichtere Probleme
zweckmässig zu lösen, erhebt uns über
die Handwerker und beglückt uns mit
Selbstbewusstsein und Selbstachtung.
Sie wissen gut genug, dass hochbe-
gabte Mitglieder unseres Vereins uns
in ihrer Kurzsichtigkeit die kalte
Schulter gezeigt haben, weil wir hier
weder Weihrauch streuen noch unser
Freund Decker ein bestechlicher
I .( i1 »eshymnensänger ist. Aber für
die, welche sich ehrlich und redlich
geplagt haben, lohnt es sich, die Frage
zu beantworten : Wozu all' dieser
Kraftaufwand und welches ist das Ziel?
Mit der Beantwortung dieser Frage
kehren wir wieder zurück zu dem
Problem, das Dr. Fischkin in un-
serer ersten Versammlung am 2. No-
vember behandelt hat. In traurig düs-
tern Farben hat er uns die Lebens-
94
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
Philosophie eines Tolstoi erklärt,
die ganz und gar identisch ist mit der
eines Ed. v. Hartmann: Wenn
Alles aufhört, dann ist die Welt erlöst,
das ist ihr Ziel und je eher wir dieses
Ende des Weltprozesses kommen las-
sen, desto treuere Jünger sind wir
eines T o 1 s t o i. Aus solcher Lebens
anschauung müssen wir uns retten,
wollen wir glückliche Menschen, rechte
Aerzte sein. Wo ist das Heilmittel?
Zu den grossen Männern müssen wir
aufblicken, deren Ziele und Aufgaben
einen neuen Schwung in unsere Köpfe
und Herzen bringen. Umlernen müs-
sen wir, wenn das Genie die überkom-
mene Geisteswelt cyklopisch in Stücke
schlug, und neue grössere Werte, die
alten ersetzen. Dann schwingt unsere
Seele mit der nit rastenden Weltenseele
in herzerquickender Harmonie. Das
nenne ich Lebensbejahung! Selbstgeret-
tet, schwebt dann über uns der Genius
höherer Kultur, und mithelfend retten
wir die Menschheit vor der Verküm-
merung, vor dem Hinabsinken in die
Gleichheit, in's Blöde, Aermliche und
Widerliche, gewaltigere Götzen und
( iötter im Herzen tragend als die
Masse."
Die Klänge einer guten Musik und
ein Kranz alter Burschenlicder, die wie
ein Echo aus weiter Ferne die Poesie
deutscher Studentenherrlichkeit wider-
hallen Hessen, verknüpfte die zahlrei-
chen, bald heiter sprudelnden, bald
sanft erwachend klingenden Reden,
Toaste und Gedichte. Der Abend war
ein gelungener und es ist die alljährige
Wiederholung solch' einer rein gesel-
lig-kollegialen Vereinigung zur Pflege
deutsch-gemütlichen Wesens im Sinne
aller Teilnehmer.
D r. A u g. Strauch,
Schriftführer.
Therapeutische und klinische Notizen.
— Coryün, der Aethylglykolsäureester des
Menthols, ein neues Mentholderivut, wird von
den Farbenfabriken vorm. Friedr. Bayer &
Co., Elberfeld, in den Handel gebracht. Cory-
fin stellt eine farblose, ölige, fast geruchlose
Flüssigkeit dar, schwer löslich in Wasser,
leicht löslich in Alkohol, Aether, Chloroform.
Erwärmt man Coryfin mit Alkalien, so wird
das Präparat unter Abscheidung von Menthol
in seine Komponenten zerlegt. Coryfin ist ein
ausgezeichnetes Linderungsmittel bei nervösen
Kopfschmerzen, Migräne, auch Schnupfen und
Rachenkatarrhen, da an den mit Coryfin be-
handelten Stellen (Stirn-Nasenschleimhaut)
nach der Applikation durch Einpinseln, re^p.
Einreiben eine allmählich stattfindende Spal-
tung des Coryfins unter Abscheidung von
Menthol stattfindet, wodurch ein lange anhal-
tendes Gefübl der Kühlung und Erfrischung
hervorgerufen wird, resp. eine Erleichterung
der Atmung bewirkt wird. Bei Rachenkatarrh
und Heiserkeit setzt man dem lauwannen
Gurgelwasser einige Tropfen Coryfin zu oder
man lässt im Munde langsam ein Stückchen
Zucker, mit drei bis vier Tropfen Coryfin be-
' träufelt, zergehen. Coryfin kommt in Fläsch-
chen zu 10 und 25 g in den Handel. ( Leip-
ziger med. Monatsschrift, 1907, Nr. 3.)
— Dymal als Streupulver wird von Linke
warm empfohlen. Dasselbe ist im wessent-
lichen ein salicylsaures Didym und kommt als
sehr feines, absolut geruchloses Pulver, dane-
ben aber auch als Dymal-Lanolinsalbe in den
Händel. In Pulverform dient es zunächst zur
Behandlung von Hyperhidrosis und Intertrigo.
Bei sekundären Exkoriationen und Rhagaden
wirkt es kühlend und austroknend, vertreibt
den penetranten Geruch, der das ganze Zim-
mer verpesten kann, mindert den Juckreiz, der
meist durch das unwillkürliche Kratzen
zu einer Verewigung des Leidens führt, und
bekämpft die Entzündung. Der Preis des
Dymals ist ein sehr niedriger, da es ein blosses
Nebenprodukt ist, das bei Herstellung der
Auer'schen Glühlichtstrümpfe abfällt und
sonst weggeworfen werden müsste. (Thera-
peutische Neuheiten, Sept. 1006.)
JSew Yorker
JVIecÜzintscbe JVlcmatsscbrift
Offizielles Org-an der
Deutzen medtzinifdicn öcfciifchaften der Städte new V«rk,
Chicago, Cleveland und San Trancisco.
Redigiert von Dr. A. Ripperger.
Bd. XIX. New York, 1907. No. 4.
Originalarbeiten.
Die Mandeln und ihre Bedeutung für die Entwicklung der Tuberkulose. *
Von Dr. E. Danziger, New York,
Adj. Otol. and Laryngol. to the Sydenham Hospital and Conntry Sanitarium of the
Montefiore Home in Bedford, Otol. and Laryngol.
to the German Dispensary.
1 )ie ( räumen und Rachenmandeln sind
umschriebene lymphoide Gewebsmassen,
die zum grössten Teil in einer bindege-
webigen Kapsel enthalten sind.
An ihrer freien, bukkalen Oberfläche
sind sie mit einem Säulenepithel bedeckt,
welches in den Follikeln, die tief in das
Struma der Mandeln hinein tauchen, die
Form des I'flasterepithels annimmt.
Das Epithel zeigt zahlreiche Defekte,
die nach S t o e h r physiologisch und für
die Durchwanderung von Lymphozyten
bestimmt sind.
Die Mandel selbst besteht aus einem
Stroma von Bindgewebe, in dem die
Blut- und Lymphgefässe enthalten sind
und in den Maschen des bindegewebigen
Netzes Lymphozyten.1 )
In der Tiefe der Follikeln sind Keim-
*) Vortrag, gehalten in der Deutschen med.
Gesellschaft der Stadt New York am 6. Mai
1907.
' ) J. Go r d o n Wilson: Some Anatomi-
cal and Physiological Considerations of the
Faucial Tonsil. „Journal of American Med.
Association," May 26, 1906.
Zentren, wo wir Zellen finden, die sich
mitotischer Teilung unterziehen.
Die neu entstandenen Lymphozyten
werden entweder durch die Follikeln in
den Rachen entleert oder wandern durch
die vorher erwähnten S t o e, h r'schen
Defekte in die tiefern Gewebsschichten
der Mandeln und von dort in die Lymph-
gefässe oder Blutzirkulation. Wood2)
hat in einer Reihe von Experimenten die
Lymphdrainage der Mandeln demon-
striert, dadurch dass er unter Druck Ani-
linfarben in das Mandelgewebe ein-
spritzte, und es gelang ihm auf diese
Weise, die Vasa efferentia zu injizieren.
So fand er dann, dass die Gaumenman-
deln in die oberflächlichen Halsdrüsen
und von dort in die tiefen vorderen
Lymphdrüsen des Halses, die unter dem
vorderen Rande des Sternokleidomastoi-
2) George B. Wood: The Lymphatic
Drainage of the Faucial Tonsil. „Am. Jour.
of Med. Science." August. 1905. and The
Lymphatic Drainage of the Pharyngeal Ton-
sil, „Am. Jour. of Med. Science," May, 1906.
o6
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
deus-Muskel gelegen sind, drainieren.
Die erste dieser Kette wird, wenn sie
geschwollen ist und von andern ge-
schwollenen Drüsen vorwärts gedrängt
wird, häufig mit der Submaxillardrüsc
verwechselt.
Die Rachenmandel clrainiert in die
retropharyngealen Drüsen und von dort
in die subokzipitalen und tiefen hinteren
Halsdrüscn unter dem hinteren Rande
des Sternokleidomastoideus.
Durch Anastamose mit den retro-
sternalen, peritrachealen und Bronchial-
drüsen kann Infektion direkt nach der
Pleura und den Lungenspitzen gelan-
gen.3 ) Die Rachenmandel liegt am Dache
des Pharynx am Eingänge zum Atmungs-
traktus und inspirierte Luft trifft sie
direkt.4)
Die Gaumenmandeln liegen am Ein-
gange zum Verdauungstraktus zwischen
den Gaumenbögen, die beim Schlucken
die Mandeln zusammen drücken.
Die physiologische Funktion der Man-
deln besteht in der Produktion von Lym-
phozvten. Goodale6) von Boston
zeigte in einer Serie von Versuchen,
wie die Mandeln auf die Einführung von
fremden Substanzen reagieren. Er ap-
plizierte eine Karminlösung auf eine An-
zahl Mandeln, die zur Entfernung be-
stimmt waren. Er Hess dann verschie-
den lange Zeitabschnitte verstreichen,
bevor er dieselben exstirpierte und kam
zu folgenden Schlüssen : Nach einer
kurzen Zeit kann man Karminpartikel
in den Follikeln sehen. Hier und da
findet man einen Leukozvten, der Farb-
stoffteilchen enthält. Allmählich dringen
Karminteilchen durch die physiologi-
schen Defekte und werden im subepi-
3) Grober: Tonsillen als Eingangspforten
für Infektion. Klinische Jahrbücher, 1905.
*) T. L. Goodale: Ueber die Absorption
von Fremdkörpern durch die Gaumenmandeln
mit Bezug auf die Entstehung von infektiösen
Prozessen.
") Dmocho witz: Ueber sekundäre Er-
krankungen des Mundes und der Balgdrüsen
an der Zungenwurzel bei Schwindsüchtigen.
,,Ziegler's Beiträge," Vol. X.
! thelialen Gewebe von Leukozyten um-
ringt, deren Kerne häufig in Teilung
I begriffen sind. Später dringt das Kar-
min tiefer in das Stroma ein und kann
sogar in den Lymphgefässen gesehen
werden. Bakterien werden nicht so
leicht absorbiert.
Tuberkelbazillen sind aber von
1 ) m 0 c h o w i t z6) und W o o d7) ge-
sehen worden, wie sie das Epithelium
durchdrangen.
Bakterien können in die Tonsillen ein-
wandern durch ihre eigene Bewegungs-
fähigkeit oder dadurch, dass sie in Kolo-
nien hineinwachsen.
Die Wahrscheinlichkeit, ob sie in das
Stroma eindringen werden oder nicht,
hängt erstens von ihrer Zahl, zwei-
tens von ihrer Virulenz, drittens von der
individuellen W'iederstandsfähigkeit und
viertens und hauptsächlich von dem Zu-
stand der Mandel ab.
Das Epithel scheint die Barriere zu
sein, die das Lindringen von Bakterien
verhindert. Ist diese zerstört, dann steht
der Infektion Thür und Thor offen.
Es ist die Infektion mit der Tuber-
kulose, auf die ich in dieser Verbindung
näher eingeben will.
Wir alle wissen, wie häufig bei Kin-
dern eine chronische Schwellung der
Lymphdrüsen stattfindet. Man pflegt in
diesen Fällen von der skrofulösen oder
lymphatischen Diathese zu sprechen.
Schlenker8) und Krueck-
m a n n9 ) haben durch ausgedehnte Un-
tersuchungen nachgewiesen, dass ein
grosser Prozentsatz dieser Drüsen-
schwellungen auf tuberkulöse Prozesse
zurückzuführen ist. Die Infektion die-
ser Drüsen findet entweder durch eine
7) W o o d : A Contribution to the Study of
Tuberculosis of the Tonsils. „Laryngoscope,"
May, 1906.
8) Schlenker: Untersuchungen über die
Entstehung der Tuberkulose der Halsdrüsen
besonders über die Beziehung zur Tuberkulose
der Tonsillen. „Yirchow's Archiv," Bd. 134.
°) Krueckmann: Ueber die Beziehung
der Tuberkulose der Halsdrüsen zu den Ton-
sillen. ..Yirchow's Archiv." Bd. 138.
New Yurker Medizinische Monatsschrift.
97
retrograde Thrombose der Lymphge-
fässe statt, die ihren Ursprung in einer
Lungentuberkulose hat, oder durch eine
Infektion in den Gaumen oder Rachen-
mandeln. Sie untersuchten in Fällen von
Adenitis cervicalis tuberculosa die
Mandeln histologisch und fanden in ei-
ner grossen Anzahl derselben tuberku-
löse Läsionen. Sie fanden dieselben Ver-
änderungen, wie D m o c h o w i t z und
Wood sie beschrieben haben, nämlich :
eine geringe Anzahl von Tuberkelbazil-
len in den Follikeln, wo sie das Epithel
durchwandern. Das letztere reisst sich
entweder teilweise von dem unterliegen-
den Bindegewebe ab oder wird manch-
mal im Ganzen ausgestossen. In den
subepithelialen Schichten findet man
Tuberkeln und Riesenzellen.
Was die Häufigkeit tuberkulöser Läsi-
onen betrifft, kommen verschiedene
Forscher zu verschiedenen Resultaten in
Folge der von ihnen angewandten ver-
schiedenen Untersuchungsmethoden.
Die einen untersuchen mikroskopisch
und sehen jeden Fall als tuberkulös an,
in dem sie Tuberkeln und Riesenzellen
finden, obgleich P i 1 1 i e r10) in einer
Serie von zehn Rachenmandeln, die Rie-
senzellen enthielten, durch Innokula-
tion keine Tuberkulose hervorbringen
konnte.
Anderseits ist die Tuberkulationsme-
thode, d. h. die Einimpfung von ver-
dächtigem Gewebe in das Peritoneum
des Versuchstieres oft unzuverlässig aus
folgenden Gründen :
1. wegen der individuellen Wieder-
standsfähigkeit des Tieres ;
2. wegen der Möglichkeit einer vor-
her bestehenden Tuberkulose. Man
muss daher immer eine Läsion an der
Impfstelle nachweisen ;
3. wegen der Möglichkeit, dass Tu-
berkelbazillen im Sekret der Mandeln
enthalten sind, ohne tuberkulöse Er-
10) P i 1 1 i e r : Note sur la presence de
cellule geante dans les vegetations adenoides
du pharynx. „Bulletin de la Societe anato-
mique de Paris, May 25, 1892.
krankung dieser Organe (Straus s11) ;
4. wegen der Möglichkeit, dass das
Gewebsstück zufällig keine tuberkulöse
Läsion enthielt, obgleich die Mandeln er-
krankt sind.
Man sollte daher beide Methoden
gleichzeitig anwenden, um zuverlässige
Resultate zu erhalten.
Wir müssen zwei Formen der Man-
deltuberkulose unterscheiden, die akute
und chronische.
Die akute Mandeltuberkulose wird als
eine Teilerscheinung der akuten Miliar-
tuberkulose gefunden oder als ein meta-
statischer Prozess im letzten Stadium der
Lungentuberkulose. Sie verursacht dann
grosse Gewebszerstörungen in der Form
von irregulären Ulzerationen, in dem
nicht ulzerierten Gewebe sieht man die
gelblichen Miliarknötchen.
Im Gegensatz zu dieser akuten Form
verläuft die chronische fast immer latent
und symptomlos. Diese letztere Er-
krankung ist entweder primär oder
sekundär. In Fällen von Lungentuber-
kulose wurde bei der Autopsie Mandel-
tuberkulose sehr häufig gefunden, ob-
gleich intra vitam kein einziges Symptom
darauf hindeutete.
Schlenker, Schlesinger,
W a 1 c h a m, 1 1 o, Dmochowitz,
Krueckmann und Strassmann
fanden in 136 Fällen von Lungentuber-
kulose 94 von Mandeltuberkulose oder
69%.
Die Infektion der Mandeln in den
sekundären Fällen findet durch das Spu-
tum statt. Während des Hustenaktes
wird der tuberkelbazillenhaltige Aus-
wurf auf die Oberfläche der Mandeln
aufgelagert, während des Schluckens
drücken die Gaumenbögen die Mandeln
zusammen und pressen das Sputum in
die Krypten, von wo dann die Bazillen
in das Stroma eindringen. Dass die
sekundäre Läsion in nicht sehr bösarti-
") Strauss: Sur la presence du bacille
de la Tuberculose dans les cavites nasales de
l'liomme. „Annales des maladies de l'oreillc
et du larynx," 1895.
98
New Yorker Medizi
nische Monatsschrift.
ger Weise um sich greift und grosse Ge-
webszerstörungen hervorruft, ist dadurch
zu erklären, dass der Körper durch die
schon bestehende Lungentuberkulose ei-
nen bestimmten Grad der Immunität er-
reicht hat. Bändel i e r12) und Gra-
w i t z haben durch eine Reihe von Be-
obachtungen gezeigt, dass der Prozent-
satz von Mandeltuberkulose im Verhält-
nis zur Menge des Sputums wächst.
Was die primären Erkrankungen der
Tonsillen anbetrifft, so ist Lar m o-
yez13) wohl der erste, der diese Form
der Tuberkulose beobachtete.
Einer seiner Patienten verfiel nach der
operativen Entfernung der Rachenman-
del rapide und entwickelte Lungentuber-
kulose. DieserUmstand veranlasste ihn,
32 Rachenmandeln von scheinbar nicht
tuberkulösen Patienten zu untersuchen,
wobei er zweimal Tuberkulose dieses Or-
gans feststellte und zwar durch die Inok-
kulationsmethode.
Brindel. Baup, Rüg e,14) D i e u-
lafoy,1"') Gottstein,10) Pluder
und Fischer bestätigen seine Unter-
suchungen. W o o d stellt eine Tabelle
aus der Literatur zusammen, worin unter
1671 Fällen 88mal primäre Mandeltu-
berkulose gefunden wurden oder 5%.
Wie findet nun die Infektion in diesen
primären Fällen statt?
Die Rachenmandel liegt am Eingange
12) Bandelier: Tonsillen als Eingangs-
pforten der Tuberkulose. „Beiträge zur
Klinik der Tuberkulose." 6. Band, r. Heft.
1906.
13) Larmoyez: Des Vegetations ade-
noides tuberculeuses. „Annales des maladies
de l'oreille et du larynx." 20. April 1894.
") Rüge: Die Tuberkulose der Tonsillen
vom klinischen Standpunkte. „Virchow's Ar-
chiv," Bd. 144.
l5) Dieulafoy: „Bulletin de l'Academie
de Medecin." April and May, 1895.
ls) Gottstein: Pharynx und Gaumenton-
sille als primäre Eingangspforte der Tuberku-
lose. „Berl. klin. Wochenschrift," August 1896.
17 ) Pluder und Fischer: Ueber pri-
märe latente Tuberkulose der Rachenmandel.
„Fraenkel's Archiv," Vol. IV.
des Atmungstraktes, und die durch die
Nase eingeatmete Luft trifft dieselbe mit
ziemlicher Kraft. Ist die Mandel nun
hyperplastisch, und sind ihre Follikel
durch vorhergehende entzündliche Zu-
stände ihres Epithels verlustig gegangen,
so kann man leicht sehen, wie die einge-
atmeten Tuberkelbazillen den geeigneten
Nährboden für ihr Entwicklung und
Tätigkeit finden. Ist die Rachenmandel
so stark vergrössert, dass die Nasenat-
mung unmöglich wird und Mundatmung
eintritt, so ist es klar, wie auf dieselbe
Weise die Infektion der Gaumenmandeln
möglich wird. Am häufigsten werden
die letzteren aber infiziert durch tu-
berkelbazillenhaltige Nahrungsstoffe.
( ) r t hls ) und Baum garten fütter-
ten Tiere mit tuberkulösem Gewebe und
fanden nach kurzer Zeit immer eine Tu-
berkulose der Hals- und Bronchialdrü-
sen, allerdings auch später der Mesen-
terialdrüsen, meistens ohne Läsionen im
Darme.
Nachdem die Infektion der Mandeln
stattgefunden hat. bleibt dieselbe lokali-
siert, und können die Läsionen vollstän-
dig verheilen, oder die Infektion dehnt
sich auf die Halsdrüsen. Peritracheal- und
Bronchialdrüsen aus, um von dort direkt
in die Pleura zu gelangen oder die Lun-
genspitzen in Mitleidenschaft zu ziehen
durch den Zerfall einer, benachbarten
Bronchialdrüse. Solche Fälle sind von
Wood und Richardson von Chi-
cago beobachtet worden.
Andrerseits kann die Infektion auch
durch den Lymphstrom direkt die Zirku-
lation erreichen und so eine Miliartuber-
kulose verursachen. Ein Beobachter
fand auch, dass die Rachenmandelinfek-
tion die retropharyngealen Drüsen an-
greift, durch deren Zerfall die Halswir-
belsäule erkrankte und eine P o t t'sche
Krankheit zu Stande kam.
Als wichtig ist zu betonen, dass die
chronische Tuberkulose der Mandel la-
tent verläuft.
IS) Orth: Experimentelle Untersuchungen
über die Fütterungstuberkulose. „Virchow's
Archiv." 76.
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
99
Wenn man daran denkt, dass die Pro-
zesse in der Tiefe der Krypten oder in
dem subepithelialen Gewebe stattfinden,
kann man leicht sehen, warum es unmög-
lich ist, diese Läsionen zu diagnosti-
zieren. Ich habe im Montefiore Home
Sanatorium hundert Fälle von Lungen-
tuberkulose klinisch auf Tonsillener-
krankung untersucht, und obgleich es
durch die vorherbeschriebenen Unter-
suchungen feststeht, dass ungefähr 69%
an Tonsillentuberkulose leiden, konnte
ich in keinem einzigen eine andere klini-
sche Diagnose machen als hypertrophi-
sche, atrophische, katarrhalische Man-
deln oder in einzelnen Fällen gelbliche
Sekretanhäufungen in den Krypten.
Denkend an die Schlussfolgerung Ban-
d e 1 i e r's über die Zunahme der Er-
krankung mit der Menge des Sputums,
liess ich die Patienten nach der Menge
ihres Auswurfs klassifizieren, konnte
aber auch klinisch nicht beobachten, dass
die Mandelerkrankungen der Menge des
Auswurfs entsprach.
Wenn wir nun aber wissen, dass es
eine primäre Mandeltuberkulose gibt,
müssen wir in Fällen von chronischen
Halsdrüsenschwellungen an die Möglich-
keit der Infektion durch die Tonsillen
denken und dürfen nicht glauben, dass
mit der Entfernung der Drüsen alles ge-
tan ist. Wir müssen uns über den Zu-
stand der Mandeln vergewissern und,
wenn sie irgendwie erkrankt sind, die-
selben entfernen, weil wir sonst vielleicht
die fons et origo der Infektion zurück-
lassen.
Die Entfernung der Mandeln muss ab-
solut radikal sein, weil wir wissen, dass
die Läsionen in der Tiefe der Follikeln
gelegen sind, die sonst die Bindegewebs-
kapsel erreichen. Wenn nach einer sol-
chen Operation der Patient sich nicht er-
holt oder abnimmt, muss man sofort die
hygienisch diätetische Behandlung ein-
schlagen, um einer möglichen Ausdehn-
ung der Tuberkulose einen Riegel vorzu-
schieben.
Dr. E. Danziger, 6 W. 126. Str.
Auszüge aus der neuesten Journalliteratur.
Maxjacob y (Mannheim) : Zur Be-
handlung der Dysmenorrhoe.
Ueber die Behandlungsweise der
Dysmenorrhoe sind vielfach wider-
sprechende Ansichten geäussert wor-
den. Es beruht dies zum grossen Teil
auf der Verschiedenartigkeit der Aeti-
ologie dieser Affektion. Es ist be-
kanntlich durchaus nicht immer eine
rein mechanische Behinderung des mo-
natlichen Blutabflusses oder sonstige
pathologisch-anatomische Veränderun-
gen an den Geschlechtsorganen, wo-
durch die dysmenorrhoischen Be-
schwerden hervorgerufen werden ; viel-
mehr macht schon Theilhaber
darauf aufmerksam, dass die Dys-
menorrhoe sehr häufig eine idiopathi-
sche Krankheit sei, die eine patholo-
gisch gesteigerte Sensibilität der uteri-
nen Nerven zur Ursache hat. Dass
diese Nervenerregbarkeit meist einer
bestehenden Chlorose zur Last fällt,
dass sie sich weiterhin zu ernsteren
Störungen im Zentralnervensystem, zu
funktionellen Neurosen, vor allem
Hysterie steigert, ist ein Vorgang, den
man täglich beobachten kann.
Bei der Behandlung der dysmenor-
rhoischen Erscheinungen ist es natür-
lich nötig, auf diese verschiedenen Ur-
sachen Rücksicht zu nehmen. Ist die
Dysmenorrhoe lediglich Folge eines
bestehenden Leidens, etwa von Dislo-
kation des Uterus, von Stenose des
Muttermundes, von Entzündungspro-
zessen des Uterus und seiner Anhänge,
von Polypen und Myomen, so wird die
Beseitigung des Grundübels auch die
dysmenorrhoischen Beschwerden zum
Verschwinden bringen. Anders ist es
schon, wenn man einer zurückgeblie-
100
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
benen Entwickelung der Geschlechts-
organe begegnet. In geeigneten Fäl-
len wird hierbei zwar eine roborierende
Behandlung in Verbindung mit Thure-
Brandt'scher Massage fördernd ein-
wirken, viele Fälle bieten aber jeder
physikalischen Behandlung Trotz. Das
Gleiche gilt auch von der so häufigen
eigentlichen idiopathischen Dysmenor-
rhoe ohne anatomische Grundlage.
Von den zahlreichen schmerzlindern-
den Mitteln, die hier empfohlen wur-
den, wird wohl am meisten die Kom-
bination von Bromkali mit Valeriana
und Extr. viburn. prunifol. angewandt,
wenn auch der Nutzen dieser Medika-
tion meist recht zweifelhaft sein
dürfte.
J. lenkt nun die Aufmerksamkeit auf
eine Therapie, die ihn in einer grossen
Anzahl von Fällen noch nicht im
Stiche gelassen und ihm deshalb ange-
sichts der schwierigen Behandlung der
idiopathischen Dysmenorrhoe wohl zu
verdienen scheint, in die weitesten
Kreise zu dringen. Es ist die Verab-
reichung relativ hoher Dosen von
Styptol. Alle Autoren stimmen darin
überein, dass wir im Styptol ein wert-
volles Mittel zur Bekämpfung von Ge-
bärmutterblutungen besitzen, dessen
Wirkung auch dann meist noch ein-
tritt, wenn andere Mittel versagt ha-
ben. J. fand diese Angaben bestätigt.
Ebenso wie die meisten Autoren zieht
er das Styptol den sonst angewandten
Ffaemostaticis, besonders dem Extract.
hydrastis. canad., dem Stypticin und
dem Sekale entschieden vor, da die
Wirkung dieser letzten nicht nur un-
sicher ist, sondern speziell bei den Se-
kalepräparaten auch öfters unange-
nehme Nebenwirkungen beobachtet
werden. Er zweifelt deshalb nicht,
dass das Styptol in Zukunft die übri-
gen uterinen Haemostatica immer
mehr verdrängen wird, denn es hat
ausser der besseren Wirkung auch den
Vorzug der Billigkeit. Was nun die
Wirkungsweise des Styptols betrifft,
so haben sich damit ausser Abel und
M o h r, V i e t h (Ludwigshafen), auch
C h i a p p e und R a v a n o in der
Bossi'schen Klinik (Genua) befasst.
Die Experimente derselben zeigten,
dass das Styptol keine Wirkung auf
die Uterusmuskulatur ausübt, so dass
es z. B. auch in der Schwangerschaft
gegeben werden kann, ohne VVehen zu
erzeugen, und ferner ging aus ihnen
besonders eine deutliche sedative Wir-
kung des Mittels hervor. Mit grös-
seren Dosen beobachtete man auch bei
Menschen beruhigende und Schlaf
machende Wirkung. Diese sedative
Wirkung scheint nun von grosser Be-
deutung bei der Verwendung des
Styptols gegen Dysmenorrhoe zu sein.
Ausserdem weist J. auch noch auf
einen Versuch von M o h r hin, der eine
direkte Verminderung der Erregbar-
keit der uterinen Nerven durch Styptol
zu beweisen scheint. M o h r legte bei
einem trächtigen Kaninchen den
Uterus frei und erzeugte durch elek-
trische Reizung der Nerven des Plexus
hypogastricus, die zum Ganglion uteri-
num verlaufen, Kontraktionen des
Uterus. Als dann Styptol injiziert
worden war, wurde durch den gleichen
Reiz an gleicher Stelle keine resp. nur
eine sehr schwache Kontraktion her-
vorgerufen. Die Reizempfindlichkeit
der uterinen Nerven war also offenbar
durch das Styptol herabgesetzt wor-
den. Bedenkt man nun weiter, dass
die Dysmenorrhoe vornehmlich mit
einer hohen Empfindlichkeit des Endo-
metriums, die sich besonders bei der
Berührung mit der Sonde zeigt, in Ver-
bindung zu bringen ist, so erklärt sich
hiermit leicht, dass ein Mittel, welches
eine Verminderung der Erregbarkeit
der diesbezüglichen Nerven bewirkt,
auch schmerzlindernd bei Dysmenoi"-
rhoe wirken muss. Diese kombinierte
sedative und hämostatische Wirkungs-
weise des Styptols verleiht diesem
Mittel besondere Vorzüge vor den an-
deren Stypticis, vornehmlich den Prä-
paraten des Mutterkorns, welche be-
kanntlich Uteruskontraktionen erre-
gen und die daher zur Behandlung der
Dysmenorrhoe ebenso wie bei Blutun-
gen in der Schwangerschaft kontrain-
diziert sind.
Auch die pharmakologische Zusam-
mensetzung des Styptols ergibt leicht
eine Erklärung für seine Doppelwir-
kung. Das Styptol ist bekanntlich das
neutrale phtalsaure Salz des Cotarnins.
Sowohl beim Cotarnin wie bei der
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
ror
Phtalsäure ist die blutstillende Wir-
kung nachgewiesen. Die sedative
Wirkung des Styptols wird verständ-
lich durch seine Darstellung aus dem
( )piumkaloid Narkotin. Man könnte
die Wirkungsweise des Styptols bei
Menstrualkolik sehr wohl mit derjeni-
gen des Opiums bei Darmkolik ver-
gleichen. Anfänglich wurde das Styp-
tol bekanntlich lediglich als Haemo-
staticum in die Therapie eingeführt.
So wurde auch in Breslau an der dorti-
gen gynäkologischen Abteilung Styp-
tol bereits allgemein angewandt, aber
mir zur Bekämpfung von Blutungen.
Erst die Versuche von Abel und
Vieth veranlassten J.. Styntol auch
als Sedativum bei Dysmennorrhoe zu
geben. J. hat nun seit geraumer Zeit
seine Aufmerksamkeit diesem Gebiete
besonders zugewandt und verfügt zur
Zeit über einige fünfzig solcher Fälle.
Die Erfahrungen, die er hierbei mit
Styptol machte, waren meist so über-
raschend gute, dass er den Kollegen
nur angelegentlichst empfehlen kann,
einen Versuch damit zu machen. Um
den gewünschten Erfolg zu erzielen,
ist aber durchaus zu beachten, dass
nicht zu kleine Dosen verabreicht
werden. Die ungünstigen Erfahrun-
gen, die z. B. XV e i s s b a r t mit Styp-
tol bei Dysmenorrhoe machte, finden
ihre Erklärung in der geringen Dosis,
in der er das Mittel verordnete. Er
selbst schiebt den Misserfolg auf den
Umstand, dass es sich um Patientinnen
handelte, bei welchen der Schmerzen
wegen bereits eine Menge Medika-
mente zur Anwendung gelangt wären,
und die dadurch skeptischer wurden.
Er verordnete pro die zirka 4 Tablet-
ten ä 0,05 g. Da von sämmtlichen
Autoren die geringe Giftigkeit des
Styptols nachgewiesen wurde, so ist
es ganz unverständlich, dass dieses
Mittel von einem Teil der Autoren in
so geringen Dosen verordnet wird. Ge-
wiss wird bei einfachen Menorrhagien
oft schon nach 3mal täglich 1 Tablette
gute Wirkung gesehen, aber wenn
auch die styptische Dosis so niedrig
liegt, so liegt doch die sedative Dosis,
auf die es bei Dysmenorrhoe an-
kommt, wesentlich höher. Dies liegt
wohl daran, dass die sedative Wirkung
hauptsächlich vom Cotarnin ausgeht,
während die styptische auch von
Phtalsäure mit unterstützt wird. Auch
Chiappe, Ravano und P a o-
1 e 1 1 i heben hervor, dass, wenn je-
mand einmal von Styptol keine zu-
friedenstellenden Resultate bekommt,
dies meist auf Rechnung einer zu ge-
ringen Dosis zu setzen ist. J. hat von
diesem Mittel, das übrigens in Form
von roten Tabletten in Originalröhr-
chen zu 20 Stück ä 0,05 g in den Han-
del kommt, sofort 4 mal 2 Tabletten
pro die gegeben, in schweren Fällen
von Dysmenorrhoe sogar mit 4 mal 3
Tabletten pro die begonnen, ohne
auch nur einmal eine nachteilige Wir-
kung auf eines der Organe beobachtet
zu haben. Einmal begegnete ihn eine
Patientin, die Tabletten nicht zu
schlucken vermochte. Er liess für sol-
che Fälle folgendes Rezept anfertigen :
Rp. Styptol pulv 1,0
Sir. simpl 50,0
Aqu. foenieul 50,0
M. D. S. 3 mal täglich 2 Teelöffel am
besten mit etwas Kognak zu nehmen.
Diese Ordination wurde gut vertragen
und erzielte die gewünschte Wirkung.
Es ist ferner wichtig, mit der Dar-
reichung des Styptols nicht erst bis
zum Tage des Auftretens der dysme-
norrhoischen Beschwerden zu warten,
sondern mit der Verabreichung schon
2 — 3 Tage vorher zu beginnen. J. gibt
in der Regel 3 Tage vor dem Termin
der Menses 3 mal 2 Tabletten und
steigert dann allmählich die Dosis bis
5 mal 2 Tabletten. Das Mittel wird
dann während der ganzen Dauer der
Menses genommen. Diese schon vor-
zeitig beginnende Darreichung des
Mittels übt zu gleicher Zeit auch einen
viel günstigeren Einfluss auf die Blut-
ung aus. Sehr häufig sind die dysme-
norrhoischen Beschwerden von lange
dauernden und starken Menorrhagien
begleitet. J. hat fast stets bei eben be-
schriebener Darreichung sowohl die
Stärke der Blutung vermindern wie
ihre Dauer verkürzen können.
Noch auf einen Punkt weist J. be-
züglich der therapeutischen Anwen-
dung des Styptols hin. Wie schon
früher hervorgehoben, stellen ein
102
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
grosses Kontingent zu den mit dysme-
norrhoischen Beschwerden behafteten
Personen die chlorotischen Individuen.
Die Wirkungsweise des Styptols wird
nun wesentlich unterstützt, wenn man
diesen Patientinnen während der inter-
menstruellen Zeit ein blutbildendes
Mittel verbunden mit einer Milchkur
verabfolgt. Es ist dabei nur zu beach-
ten, dass man mit der Darreichung der
blutbildenden Präparate vor Heginn
der Menses, also vor Verabfolgung
des Styptols aufhört.
Zum Schluss fasst J. seine Erfah-
rungen in folgenden Sätzen zusam-
men :
Es ist zu unterscheiden zwischen
Dysmenorrhoe als Symptom und Dys-
menorrhoe als idiopathische Krank-
heit. Gegen die idiopathische Dysme-
norrhoe besitzen wir in Styptol ein
Heilmittel, welches nicht nur vorüber-
gehend beruhigend wirkt, sondern die
Krankheit meist dauernd zu heilen im-
stande ist. Infolge seiner doppelten
sedativen und hämostatischen Wir-
kung ist es ein sicheres Mittel gegen
schmerzhafte und langdauernde Men-
struation. Die sedative Wirkung
bleibt fast nie aus, wenn es in ge-
nügend starker Dosis verordnet wird.
Die tägliche Dosis sei 4 — 5 mal 2 Tab-
letten ä 0,05 g oder 3 mal 3 Tabletten.
Irgend welche toxische Wirkungen
sind bei Gebrauch des Styptols bisher
überhaupt noch nicht beobachtet wor-
den. Mit der Darreichung des Styptols
gegen dysmenorrhoische Beschwerden
ist schon einige Tage vor Beginn der
zu erwartenden Menses anzufangen.
Bei gleichzeitig bestehender Chlorose
ist während der intermenstruellen Zeit
ein blutbildendes Präparat verbunden
mit einer Milchkur zu verordnen. (Die
Therapie der Gegenwart, Jhrg. VIII.
H. 6.)
H. Vieth und O. Ehrraann: Un-
tersuchungen und Beobachtungen
über ältere und neuere Balsamica.
Man hat bis in die neueste Zeit an-
genommen, dass die reinen Balsamica,
z. B. das reine Sandelöl, als solche
keine Nebenwirkungen hervorbringen
und diese nur von deren Verunreinig-
ungen resp. Verfälschungen mit Zu-
satzpräparaten hervorgerufen werden.
Es lässt sich jedoch mit Sicherheit
nachweisen, dass auch ganz reine Prä-
parate unangenehme Nebenwirkungen
hervorrufen können. Allerdings ist
bei der Prüfung der Balsamica zu be-
achten, dass sie auch im echten und
unverfälschten Zustande nicht immer
gleichmässig beschaffen sind, da sie in
dem Verhältnis ihrer natürlichen Kom-
ponenten oft beträchtlich schwanken.
Der Kopaivabalsam z. B. besteht aus
Kopaivaölen und Kopaivaharzen,
deren gegenseitiges Mengenverhältnis
aber nicht konstant ist, sodass schon
darin gewisse Wirkungsunterschiede
bedingt sein können.
Es wurden untersucht: Terpentinöl,
Fichtenharz, die Kopaivabalsamarten,
das ostindische und westindische San-
delöl, Zedernöl, Wacholderbeeröl, Ku-
bebenextrakt und Kawaharz.
Die Prüfungen und Versuche basier-
ten auf der Zerlegung der Balsamica
in ihre Komponenten, wobei von
Vieth vier verschiedene Körperklas-
sen isoliert wurden, welche in einem
nahen genetischen Zusammenhang
stehen, nämlich: I. Terpene, II. Ter-
penalkohole, III. Harzsäuren, IV. Re-
sene und andere Neutral-Harze und
-Ester. Alle Balsamica liefern bei der
Trennung eine oder mehrere solcher
Gruppen.
Mit den erhaltenen Substanzen wur-
den nun bei den Tierversuchen zuerst
äussere, lokale Applikationen vor der
innerlichen Verabreichung gemacht,
zur genauen Feststellung, welche Kör-
pergruppen hauptsächlich die Reizwir-
kung auf die Oberflächen lebender Ge-
webe ausüben.
Körperklasse I : Terpene, C10H1B und
Sesquiterpene, Ci5H24, reine Kohlen-
wasserstoffe. Dazu gehören : Terpen-
tinöl, die Kopaivaöle aus den verschie-
denen Kopaivabalsamarten, das San-
talen des Oleum santali, die Haupt-
massen des Zedernöls und Wacholder-
beeröles. Bei äusserlicher Anwendung
sind alle diese Oele starke Reizmittel.
Die Versuche wurden hauptsächlich an
Kaninchenohren gemacht, die am em-
pfindlichsten reagieren. Pur eingerie-
ben rufen sie alsbald Entzündung,
manchmal schon nach 24 Stunden Ex-
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
103
sudation hervor. Bei innerlicher An-
wendung treten ebenfalls Reizer-
scheinungen, speziell der Nieren auf.
Die Diurese steigt schon nach kleinen
Dosen, bei gesunden Menschen um
etwa 50 Prozent nach Dosen von 1 —
2 g. Bei fortgesetzter Darreichung
geht diese Vermehrung der Harnse-
kretion allmählich zurück.
Körperklasse II: Terpenalkohole.
Hierhin gehören : das Santalöl des ost-
indischen Sandelöls, Amyrol des west-
indischen Sandelöls und Credol des
Zedernöls. Bei ein- bis zweimaliger
Einreibung der Sandelöle (die haupt-
sächlich aus den Alkoholen bestehen)
oder der reinen Terpenalkohole sieht
man noch keine Reizwirkung. Erst bei
fortgesetzter Anwendung wird begin-
nende Reizung beobachtet. Nach in-
nerlichem Gebrauch grösserer Dosen
bei Kaninchen (1 g pro Kilo) sieht
man Magendarmstörungen und Tem-
peraturherabsetzung von 38° auf 36° ;
speziell junge Tiere gehen bei fortge-
setzten Gaben meist ein, unter ähnli-
chen Erscheinungen wie nach Verab-
reichung der Terpene. Diese Körper
sind also zwar milder als die reinen
Terpene der Klasse I, doch ist es kei-
neswegs angängig, sie als ganz reizlos
zu bezeichnen, wie dies von manchen
neueren Autoren geschieht. Das zeigt
auch die klinische Erfahrung.
Körperklasse III : Harzsäuren. Hier-
hin gehören : Fichtenharz oder Kolo-
phonium, die verschiedenen Kopaiva-
harzsäuren, ferner wahrscheinlich Ku-
bebenharzsäure und Kawaharzsäure
(beide noch wenig untersucht). Bei
der äusseren Anwendung zeigen nun
die Substanzen dieser Gruppe zum
Unterschiede von denen der vorher-
gehenden, dass die lokale Reizwirkung
fehlt. Dasselbe ist auch nach innerer
Anwendung bei Pflanzenfressern (Ka-
ninchen) der Fall. Bei Fleischfressern
und beim Menschen aber tritt hier ein
neuer Faktor auf : im alkalischen
Darmsaft werden bei ihnen die Harz-
säuren in Harzseifen übergeführt, und
diese rufen (ähnlich den gewöhnlichen
Seifen) dann Durchfall hervor. Auch
Kolophoniumharz macht Leibschmer-
zen und Durchfall. Die Kopaivaharz-
säuren machen sämmlich Durchfall.
Auch Quincke fand bei Menschen
auf Gaben von 2 — 3 g Leibschmerzen.
Nierenreizung wurde aber nicht be-
obachtet.
Körperklasse IV : Resene und neu-
trale Ester. Hier fehlt die Reizwir-
kung, die bisher von Gruppe zu Gruppe
abnahm, gänzlich, auch die spezifische
Darmwirkung der Harzsäuren ist nicht
vorhanden. Tiere und Menschen ver-
tragen relativ hohe Dosen ohne Stör-
ung. Die Körper dieser Klasse haben
vor denen der früheren Gruppen noch
den Vorzug, dass sie meist nur einen
schwachen Geruch und Geschmack be-
sitzen und daher von allen am besten
für interne Darreichung geeignet sind.
Nach diesen Versuchen lag der Ge-
danke nahe, durch Ausschaltung der
am stärksten reizenden Körper
(Gruppe I), resp. durch chemische
Umwandlung der übrigen Bestandteile
in resenartige Substanzen ein geeig-
netes Harnbalsamikum darzustellen,
welches die günstigen antiblennorrhoi-
schen Eigenschaften besitzt, gleich-
zeitig aber von den störenden Neben-
wirkungen der gewöhnlichen Balsa-
mica frei ist. Abgesehen von dem Go-
nosan, das lediglich eine Mischung von
80 Prozent Oleum Santali in unverän-
dertem Zustand mit 20 Prozent Kawa-
harz darstellt, wurde schon früher ver-
sucht, aus Sandelöl durch Trennung
von Komponenten die schädlichen Ne-
beneffekte auszuschalten. Allein auch
damit wurde kein wesentlicher Fort-
schritt erzielt.
Ein anderen Weg beschritt nun
Vieth, indem er statt einfacher
Mischung oder Trennung von Balsam-
bestandteilen durch chemische Ver-
bindung neue Balsamkörper herstellte,
welche derart beschaffen waren, dass
sie erst nach der Resorption im Or-
ganismus in ihre ursprünglichen Be-
standteile gespalten wurden. Beim
Kopaivabalsam sind allein die Harz-
säuren der Veresterung zugänglich.
Sie wurden mit verschiedenen Säuren,
speziell mit Benzoesäure chemisch ver-
bunden, und so wurde eine neutrale
Substanz erhalten, welche in ihren Ei-
genschaften den Resenen gleicht: das
Benzoylkopaivaharz.
Schon im Tierversuch zeigte sich der
104
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
erwartete Unterschied, indem die neue
Substanz keinerlei Darmreizung mehr
hervorrief. Während nach 2 g Kopai-
vaharz Durchfall eintrat, wurden 4 g
Benzoylkopaivaharz reaktionslos ver-
tragen. Auch bei Tripperkranken
wurden nach den den zahlreichen Be-
obachtungen E h r m a n n s niemals
Magendarmreizungen gesehen, auch
bei grossen Dosen nicht (dreimal täg-
lich 2 g). Dagegen zeigten sich die
nicht seltenen Kopaivaexantheme wie
beim Kopaivaharz auch beim Benzoyl-
harz. So beobachtete Ehrmann an
einem Eisenbahnbeamten ein hoch-
gradiges Benzoylkopaivaexanthem, be-
stehend in einem allgemeinen, roten
Fleckausschlag mit zum Teil lividen
Färbungen, es waren z. \\. die Hand-
rücken tiefblau bis violett gefärbt. Der
Ausschlag sass an Brust, Gesäss, Ell-
bogen, Beinen und Händen. Später
trat bei demselben Patienten — ■ nach
Aussetzen und Wiedereinnehmen des
Mittels — am Schenkel ein leichter
urtikarieller Ausschlag auf. Aus die-
sen pharmokologisch interessanten Be-
obachtungen musste man den Schluss
ziehen, dass die Umwandlung des Ko-
paivaharzes in seine Benzoylverbin-
dung nicht genügte, um die Exanthem
hervorrufenden Prinzipien ebenso zu
eliminieren, wie dies für die Magen-
darmreizungen tatsächlich erreicht
war.
Deshalb mussten die Verf. trotz der
sonst guten Eigenschaften des neuen
Präparates sich einem anderen Balsa-
mikum zuwenden, das ohnehin bei in-
nerlicher Darreichung nicht so leicht
Hautreizungen macht wie Kopaiva
und seine Derivate, und zwar dem ost-
indischen Sandelöl, dessen nicht sel-
tene Reizwirkung auf das Magendarm-
system aber genügend bekannt ist.
In dem Salizylsäureester des Sandel-
öls wurde ein Präparat mit den ge-
wünschten Eigenschaften gefunden,
welches den Namen „Santyl" erhielt:
Ausser dem Salizylester wurden auch
noch andere Ester wie Santalolum ben-
zoicum und carbonicum geprüft, doch
verdient der erste den Vorzug, weil er
im Organismus neben dem Santalol
die bei Cystitis recht wirksame Sali-
zylsäure abspaltet. Santyl ist ein fast
geruch- und geschmackloses Oel von
hellgelber Farbe, welches 60 Prozent
Santalol, als Ester chemisch an Salizyl-
säure gebunden, enthält. Es ist in un-
verändertem Zustande etwa so reizlos
wie Olivenöl. Es wird im Organis-
mus, nachdem es den Magen, ohne ihn
zu reizen, passiert hat, allmählich in
seine Komponenten gespalten. Durch
diese allmähliche Abspaltung sind die
inneren Reizeffekte so herabgemildert,
dass keine Nierenschmerzen mehr auf-
treten. Auch die Exspirationsluft bleibt
infolgedessen frei von jenem unange-
nehmen Geruch, der die Sandelpatien-
ten so oft kennzeichnet. Tierversuche
an jungen Kaninchen zeigten, dass das
Mittel auch in grossen Dosen gut ver-
tragen wurde, während schon kleinere
Dosen reinen Santalols denselben Tie-
ren die Fresslust benahmen. Die Aus-
scheidung mit dem Urin beginnt bei
gesunden Menschen nach etwas einer
Stunde und ist nach etwa 24 Stunden
beendet. Bei ihnen ruft es keinerlei
Beschwerden hervor. Die Tatsache,
dass das Santyl seines angenehmen
Geschmackes wegen in Tropfen ge-
nommen werden kann, während alle
anderen Sandelpräparate in Kapseln
genommen werden müssen, ist in dop-
pelter Beziehung ein Vorteil: manche
Patienten können keine Kapseln
schlucken, und die Resorption wird
nicht durch die Gelatinemasse er-
schwert. Der angenehme Geschmack
ist daher beim Santyl ein nicht zu un-
terschätzender Vorzug.
Es wurde nun im Laufe eines Jahres
von den Verf. bei 40 Patienten mit
meist gonorrhoischer Urethritis Santyl
verordnet. Dabei ergab sich, dass der
Magendarmtraktus in keiner Weise
durch das Mittel affiziert wurde, eben-
so wurde bisher in keinem einzigen
Falle Nierenschmerzen oder Albumi-
nurie beobachtet. Wenn auch das Ma-
terial von 40 Fällen zu klein ist, um
darüber ein definitives Urteil abgeben
zu können, so steht doch jetzt schon
fest, dass durch die chemische Bindung
des Santalols mit Salizylsäure auch die
Reizwirkung auf die Nieren im Ver-
gleich mit den bisherigen Santalpräpa-
raten zum mindesten sehr herabgemil-
dert ist.
New Yorker Medizini
SCHE MONATSSCHRIFT.
105
Ueber die therapeutischen Resultate
der Santylmedikation fassen die Verf.
ihr Urteil dahin zusammen, dass sie
vom Santyl die gleiche Heilwirkung
gesehen haben, die man im allge-
meinen vom reinen Sandelöl und sei-
nen Präparaten, dem Gonorol und Go-
nosan, zu sehen gewohnt ist. Das
Brennen in der Harnröhre, die Schmer-
zen bei der Miktion, der Urindrang
lassen in den meisten Fällen unter San-
tylbehandlung schnell nach, die manch
mal auftretenden schmerzhaften Erek-
tionen verschwinden gewöhnlich, der
Ausfluss wird geringer und der trübe
Urin klärt sich. Besonders bei Ure-
thritis posterior, bei der die Balsamica
von alters her einen guten Ruf ge-
niesen, wurde auch mit Santyl gute
Wirkung erzielt. Freilich ist die meist
schnell eintretende Klärung des Urins
ohne Lokalbehandlung öfter nur vor-
übergehend. Die Verf. haben zwar
einige Fälle gesehen, in denen Santyl
noch wirksam war, nachdem die an-
deren Balsamika bereits versagt hat-
ten, sie stehen aber auf dem Stand-
punkt, dass weder Santyl noch irgend
ein anderes Balsamikum ohne Lokal-
behandlung als eigentliches Heilmittel
gegen den Tripper zu betrachten sei.
Auch die bei Urethrocystitis allgemein
recht empfehlenswerte Kombination
von Hexamethylenamin mit einem Bal-
samicum versagt gelegentlich, während
oft die Lokalbehandlung (ein bis zwei
Instillationen in die pars posterior)
rasch den Urin klärt (freilich wird
auch hier gelegentlich kein so rascher
Erfolg gesehen). Auch bei Terminal-
blutungen haben sie in einigen Fällen
den günstigen Einfluss des Santyls
feststellen können und die entzünd-
liche Hyperämie und Blutung rasch
verschwinden sehen, während in an-
deren Fällen sowohl Santyl als auch
Gonosan ohne Wirkung blieben und
erst nach Darreichung von Styptolta-
bletten (dreimal zwei Stück pro die)
die Blutung stand.
Was nun die Herabminderung der
Schmerzhaftigkeit betrifft, so haben
die Verf. hier mit besonderer Aufmerk-
samkeit das Santyl mit dem < ronosan
verglichen, von welchem ja behauptet
wird, dass es durch seinen Gehalt an
Ivawaharz spezifisch anästhesierende
Wirkung habe. Es ist zwar allen Prak-
tikern bekannt, dass auch reines San-
delöl ohne Kawa lindernd auf die sub-
jektiven Beschwerden bei Gonorrhoe
wirkt, wir haben aber zu wiederholten
Malen bei starken Schmerzen reines
Kawaextrakt verabreicht, ohne jedoch
eine andere Wirkung als vom gewöhn -
lichen Sandelöl gesehen zu haben.
Lohnstein meint, dass das Kawa-
harz nach dieser Richtung ebenso
wirksam sei wie Ol. Santali ; alle wei-
tergehenden Angaben über anästhe-
sierende Wirkungen der Kawa im Ge-
gensatz zum Sandelöl können wir nicht
bestätigen. So sahen V. und E. auch
vom Santyl, welches ja keine Kawa
enthält, gleiche anästhesierende Ef-
fekte wie vom Gonosan. Auch die
..unbedingt anaphrodisische" Wirkung
des Gonosans konnte z. B. Merz-
bach nicht bestätigen, da er in die
Lage kam, durch Gonosan nicht beein-
flusste Erektionen mit Narkotizis zu
bekämpfen. Analog dem Gonosan hat
auch das Santyl bei den schmerzhaf-
ten Erektionen gelegentlich versagt.
(Deutsche med. Wochensch., 1906,
No. 2.)
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
Sitzungsberichte
Deutsche Medizinische Gesellschaft der Stadt New York.
Sitzung vom 1. April 1907.
Präsident Dr. Carl Beck eröffnet
die Sitzung.
Sekretär Dr. John A. B e u e r-
m a n n verliest dass Protokoll der
Sitzung vom 4. März, welches geneh-
migt wird.
Dr. J. Wiener J r. berichtet über
eine Anzahl von Strumenfällen, gibt
deren Geschichte und die durch Ope-
ration erzielten Erfolge und demon-
striert die Präparate.
Dr. Carl Pfister: Fall von Ap-
pendizitis.
Mittwoch vor drei Wochen wurde
ich gerufen, um einen an Appendizitis
erkrankten Patienten zu sehen, der da-
mals bereits vier Tage krank war. Der
Prozess war vollständig im Abklingen
und der Patient sollte im Intervall
operiert werden. Als ich den Patien-
ten sah, hatte er normale Temperatur
und guten normalen Puls — ebenso am
Donnerstag. Es bestand auch keine
Druckempfindlichkeit. Sonntag Abend
stieg plötzlich die Temperatur auf
101°, Montag früh Temperatur 102°,
Puls 140. Unter den Umständen hielt
ich es nicht für ratsam, mit der Opera-
tion zu warten. Um 3 Uhr Nachmit-
tags betrug die Temperatur fast 104°.
Bei Oeffnung der Bauchhöhle fand ich
absolute Gangrän. Es war nur noch
ein Rudiment vom Appendix vorhan-
den. Ganz in der Tiefe war ein Ab-
szess. Ich entleerte 3 — 4 Löffel übel-
riechenden Eiters, tupfte und vernähte
und legte ein kleines Zigarettendrain
ein. Am Dienstag Nachmittag hatte
der Mann schon Stuhlgang, noch 102°
Temperatur ; heute ist der Patient ge-
nesen.
Der Fall ist von Interesse wegen des
eigentümlichen Verlaufs vor der Ope-
ration. Man wird so oft gefragt, soll
man mit der Operation warten oder
nicht. Dieser Mann machte absolut
keinen kranken Eindruck und hatte
keine Schmerzen, und doch bin ich
überzeugt, wenn ich ihn Dienstag
Morgen statt Montag Abend operiert
hätte, wäre er unrettbar verloren ge-
wesen.
Diskussion. Dr. J. Wiener: Man
muss dem Kollegen Pfister zu dem
brillianten Resultat gratulieren.
Präsident Dr. Carl Beck: Ich
habe den Patienten gesehen, als Dr.
Pfister gerade die Bauchhöhle öff-
nete. Ich kann mich den Worten von
Dr. W i e n er nur von Herzen an-
schliessen. Es ist sehr erfreulich, dass
auch solche Fälle, die im allgemeinen
als rettungslos angesehen werden, doch
ab und zu durchkommen.
Präsident Dr. Carl Beck: Ich be-
nütze die Pause, um Ihnen mitzuteilen,
dass Herr Professor Friedrich
Müller von München, einer unserer
bedeutendsten deutschen Kliniker, sich
bereit erklärt hat, uns einen Vortrag
über die Beziehungen der Affektionen
der weiblichen Geschlechtsorgane zu
inneren Krankheiten zu halten. Leider
ist der genannte Herr nicht imstande,
zu unserer regelmässigen Sitzung zu
kommen, da er am 17. dieses Monats
bereits zurückreist. Die Frage ent-
steht nun, ob wir eine Extra-Sitzung
für ihn abhalten sollen oder nicht. Wir
haben im vorigen Monat bereits eine
Extra-Sitzung gehabt, und ich möchte
es daher nicht auf mich allein nehmen,
eine zweite Extra-Sitzung zu venan-
stalten, so sehr auch die Versuchung
nahe liegt. Ich brachte die Angelegen-
heit heute Abend vor den Verwalt-
ungsrat, und dieser hat einstimmig be-
schlossen, Ihnen zu empfehlen, dass
wir Herr Professor Müller einladen,
uns am 15. dieses Monats einen Vor-
trag zu halten.
Dr. Carl Pfister: Ich stelle den
Antrag, unter allen Umständen den
Vortrag abhalten zu lassen, denn wir
können es uns zur grossen Ehre rech-
nen, wenn Prof. Müller uns den
Vortrag halten will. (Unterstützt.)
Die Versammlung beschliesst ein-
stimmig diesem Antrag gemäss.
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
107
Präsident Dr. Carl Beck: Wir
haben ferner heute Abend im Ver-
waltungsrat beschlossen, in der näch-
sten Sitzung einen Nachruf für den
hervorragenden Chirurgen, Prof. v o n
B e r g m a n n, sprechen zu lassen. Die
Einzelheiten darüber sind noch nicht
bestimmt. Ich glaube, es ist unnötig,
Sie zu einem Antrag in dieser Hinsicht
zu veranlassen, und fordere Sie vor-
läufig auf. sich zum Andenken an den
Dahingeschiedenen zu erheben.
Die Versammlung erhebt sich.
Die Abstimmung hat die Aufnahme
der beiden Kandidaten, Dr. Franz
L e h m a c h e r und Dr. Marcus
F i n k e 1 s t e i n, ergeben, und ich er-
kläre dieselben zu Mitgliedern der Ge-
sellschaft.
Ferner liegt das Resignationsge-
such von Dr. Klotz J r. vor.
Dasselbe wird mit Bedauern ange-
nommen.
Präsident Dr. Carl Beck: Ich
möchte hierzu noch bemerken, dass
diese Resignation schon im vorigen
Dezember eingereicht wurde und dass
sie durch unsere eigene Schuld so
lange brach gelegen hat, weil wir den
Versuch gemacht haben, den Herrn
umzustimmen. Herr Dr. Keppler
ist schwer erkrankt und teilt mit, dass
er seinen Vortrag nicht halten kann.
Da ich dies erst heute erfahren habe,
war ich nicht in der Lage, einen Sub-
stituten zu rinden.
Dr. J. Wiener verliest ein Vortrag
über Prostatahypertrophie und ihre
Behandlung.
Diskussion. Dr. H. Goldenberg:
Ich glaube, man kann getrost sagen,
dass die Prostatektomie in Amerika
sich das Bürgerrecht erworben hat.
Vor einigen Jahren war das noch sehr
diskutierbar. Wenn früher über Pro-
statahypertrophie und deren Behand-
lung diskutiert wuirde, so geschah die
Diskussion nicht ganz sine ira et stu-
dio. Es gab gewissermasscn zwei oder
drei Lager. Die einen wollten gar
keine Operation, die anderen ware n für
B o t t i n i und die dritten sprachen da-
mals noch sehr schüchtern von Pro-
statektomie. Ich glaube, die Zeit ist
vorüber.
Ich stimme im grossen und ganzen
mit Dr. W i e n e r überein. Es handelt
sich heute um klare Tatsachen, die von
den wenigsten disputiert werden. Nur
in einigen wenigen Punkten bin ich
anderer Ansicht. Ich habe auch, in
gelegentlicher Privatunterhaltung mit
Dr. W i e 11 e r, betont, dass ich seine
Angst vor der Cystoskopie nicht teile.
Ich halte die Cystoskopie, wenn ich die
suprapubische Prostatektomie machen
will, vielleicht manchmal für entbehr
lieh, aber nicht unbedingt und jeden-
falls nicht für schädlich. Ich habe es
mir zur Regel gemacht, vor jeder Ope-
ration, wenn die Cystoskopie ausführ-
bar ist, sie vorzunehmen, und zwar ist
das nicht ein theoretisches Raisonne-
ment, sondern ist auf praktische Er-
fahrung und Beobachtung gestützt,
und zur Erhärtung will ich einen Fall
anführen. Ein Patient, der von einem
bekannten und tüchtigen Chirurgen
prostatektomiert wurde, geht nach
Hause. Seine Beschwerden sind noch
dieselben wie vorher. Ich sehe ihn
ungefähr zwei Monate nachher und
finde durch Cystoskopie, dass der pro-
statektomierte Patient einen Stein in
der Blase hat. Nach der cystoskopi-
schen Untersuchung nehme ich die
Sectio alta vor, in Beckenhochlager-
ung, und finde zu meinem grossen Er-
staunen den Stein nicht. Der Stein
war in der T r e n d e 1 e n b u r g'schen
Lage in den Fundus der Blase ge-
rutscht und wäre mir entgangen, eben-
so wie dem Kollegen, der die Prosta-
tektomie ausgeführt hatte, wenn ich
nicht vorher cystoskopiert hätte. Das
zeigt, dass die Cystoskopie. die gar
kein Eingriff ist, namentlich wenn
man den Patienten nachher operiert,
doch eine Indikation bei der Prostata-
hypertrophie ist.
Was den Katheter betrifft, so lasse
ich mich von der sozialen Stellung des
Patienten leiten. Ich bin überzeugt,
dass jeder Patient, der ein Katheter-
leben führen muss, besser prostatekto-
miert wird. Immerhin gibt es Patien-
ten, die sich den Luxus des Katheters
mit gründlicher Asepsis durch Arzt
oder Diener leisten können und die da-
bei gut wegkommen. Ich habe der-
artige Patienten lange in Beobachtung
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
gehabt. W enn dagegen ein Handwer-
ker oder Arbeiter ein Katheterleben
führen müsste, wäre er viel besser
daran, wenn er sofort prostatektomiert
würde.
Was die Bottinische Operation be-
trifft, so teile ich vollständig die An-
sicht von Dr. W i e n e r.
Bezüglich der Wahl der Methode
möchte ich dem, was Dr. Wiener
angeführt hat, hinzufügen, dass mich
bei der Wahl der ( )peration — ich habe
sowohl die perineale wie die suprapu-
bische ausgeführt — unter anderem
der Umstand leitet, dass meine funk-
tionellen Resultate bei der suprapubi-
schen weitaus bessere sind. Das mag
individuell sein. Ich will auf der an-
deren Seite hinzufügen, dass Young
von Baltimore, der ca. 200 perineale
Operationen gemacht hat, über ausge-
zeichnete funktionelle Resultate nach
seiner Methode berichtet.
Bezüglich der zweizeitigen Opera-
tion bin ich ganz der Ansicht des Vor-
tragenden. Ich habe es mir nament-
lich seit etwas über einem Jahre zur
Regel gemacht, wenn der Zustand des
Patienten nicht sehr gut ist, wenn
möglich immer die zweizeitige Opera-
tion auszuführen ; die erste, in lokaler
Anästhesie, gelingt sehr leicht, die
zweite event. unter Lachgas. Dass
man mit der Operation selbst bei Pa-
tienten, die lange Jahre ein Katheter-
leben geführt haben, noch gute Resul-
tate bekommen kann, zeigte mir ein
82jähriger Patient, der 18 Jahre ein
Katheterleben führte. Ich habe ihm
in zweizeitiger Operation von 5 — 6 Wo-
chen die Prostata entfernt. Er uriniert
jetzt schon sehr gut und bedarf des
Katheters nicht mehr.
Dr. Carl Pfister: Dr. Wiener
und Dr. Goldenberg haben ei-
gentlich das Feld vollständig er-
schöpft. Ich möchte nur bemerken:
fast alle Prostatapatienten, die ich ge-
sehen habe und die nur für ganz kurze
Zeit den Katheter gebraucht haben,
waren infiziert. Wenn die Leute noch
so vorsichtig sind, es kommt doch vor,
dass der Katheter nicht richtig aus-
kocht oder mit schmutzigen Händen
angefasst wird — kurz, ich habe noch
keinen Fall gesehen, der nicht infiziert
war. Trotzdem kommt es sehr oft vor,
dass die Leute Jahre lang mit dem Ka-
theter auskommen, denn vor 10 Jahren
ist kaum eine Prostatektomie gemacht
worden.
Ich habe bis vor kurzer Zeit absolut
keine andere Prostatektomie gemacht
als die perineale, und zwar beide, die
französische Boutonniere und den drei-
eckigen Lappenschnitt, der noch vor-
zuziehen ist. Aber in der letzten Zeit
habe ich auch die Blase eröffnet.
Meine Resultate waren sehr gut darin,
und ich muss gestehen, dass der drei-
eckige Lappenschnitt der beste Ein-
griff ist, um die Prostata zu entfernen.
Ich habe die zweizeitige ( )peration
nicht gemacht, sondern nur an demsel-
ben Tag operiert, nämlich deswegen,
weil meine Fälle, die ich operiert habe
per sectionem altam. nicht so infiziert
waren wie die von Dr. W i e n e r ope-
rierten.
Von der Bottinischen Operation bin
ich immer ein ausgesprochener Geg-
ner gewesen. Ich habe sie aus dem
Grunde nicht für richtig gehalten, weil
man schliesslich etwas tut, einen
Schnitt macht, den man nicht sehen,
den man mit den Augen nicht kontrol-
lieren kann.
Dr. J. Wiener (Schlusswort):
Ich möchte nur eines Dr. Golden-
i) e r g erwidern, nämlich in Bezug auf
die Cystoskopie. Ich hätte gewiss
nichts gegen die Cystoskopie, wenn
jeder das Cystoskop so häufig und so
sorgfältig gebrauchen würde wie Dr.
Goldenberg, und es wundert mich
nicht, dass er keine schlechten Resul-
tate vom Gebrauch des Cystoskops ge-
sehen hat. Aber ich habe bei anderen
K< illegen .schlechte Resultate gesehen,
und zwar am Anfang meiner Tätigkeit
auf diesem Felde. Und deshalb habe
ich es häufig betont, dass die cystosko-
pische Untersuchung mit Gefahr ver-
bunden ist, und ich glaube, Dr. G o 1-
d e n b e r g wird mit mir übereinstim-
men, dass der allgemeine Gebrauch des
Cystoskops nicht ohne Gefahr bei die-
sen Fällen ist.
Was die besseren funktionellen Re-
sultate vom hohen Blasenschnitt be-
trifft, so kann ich mit Dr. Golden-
berg übereinstimmen. Ich habe die
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
109
Literatur ziemlich sorgfältig verfolgt,
und danach sind die Resultate vom
hohen Blasenschnitt besser. Ich könnte
Ihnen aus meiner Praxis verschiedene
Fidle vorlegen, wo die Patienten nicht
nur potent nach der Operation waren,
sondern viel besser potent nachher als
vorher. Ich möchte nur an einen Pa-
tienten erinnern, der acht Wochen
nach der Prostatektomie einen voll-
kommen normalen Beischlaf mit seiner
Frau hatte. Ich könnte auf andere
Fälle hinweisen, wo die Patienten zwei-
bis drei Jahre keinen geschlechtlichen
Umgang haben konnten und nach
der Prostatektomie ihn genossen.
Das ist aber nicht das gewöhnliche
Resultat. Das gewöhnliche Resultat
ist, dass Leute, die vorher potent wa-
ren, auch nachher potent sind, und
die vorher nicht potent waren, auch
nachher nicht potent werden. Aber von
der Literatur kann ich konstatieren,
dass nach der perinealen Operation
eine höhere Impotenz vorhanden ist,
als bei dem hohen Blasenschnitt.
Die zweizeitige Operation ist noch
nicht allgemein in Brauch und ist doch
von sehr grossem Wert. Ich könnte
auf 3 — 4 Fälle hinweisen, die sicher zu
Grunde gegangen wären, wenn wir
nicht die zweizeitige Operation ausge-
führt hätten.
Vortrag von Dr. A. Herz f e 1 d über
vorzeitige Ablösung der normal sit-
zenden Placenta.
Die Arbeit erscheint in extenso in
der Festschrift zu Professor v o n
W i n c k e Ts (München) /Ojährigem
Geburtstag. Der Vortragende be-
schreibt im Anschluss an einen eigenen
Fall die Gefahren, welche diese schwere
und gefürchtete Komplikation für
Mutter und Kind im Gefolge hat und
welch' grosse Anforderungen dieselbe
an den Geburtshelfer stellt. Fr be-
spricht die Terminologie und die Ge-
schichte der Krankheit, welche schon
im 16. Jahrhundert bekannt war und
von Baudelocque genau beschrie-
ben wurde. Im Anschluss an 250 aus
der Literatur gesammelte Fälle be-
schreibt H. die Symptomatologie und
die Differenzialdiagnose, bei welcher
besonders die Placenta praevia, Rup-
tura uteri und Perforationsperitonitis
in Betracht kommt.
Das sofortige Grösserwerden des
Leibes, seine ungewöhnliche Schmerz-
haftigkeit bei Berührung, das schnelle
Einsetzen schweren Kollapses und der
Anämie, die Schwierigkeit in dem Pal-
pieren der Kindesteile und der kon-
stante Blutabgang sprechen für die
vorzeitige Ablösung der normal sitzen-
den Placenta. Diese schwere Kompli-
kation der Geburt ist häufiger, als wir
nach älteren Statistiken denken sollten,
viele der Fälle werden nicht richtig be-
urteilt und nicht bekannt.
Aetiologisch kommt zunächst die
Nephritis in Betracht, ein Fünftel aller
Fälle waren durch diese häufige Kom-
plikation der Schwangerschaft verur-
sacht. Chantreuil war der erste,
der auf diese Ursache der vorzeitigen
Ablösung der Placenta aufmerksam
machte. Die vorzeitige Ablösung des
Mutterkuchens wird ferner durch
Trauma. Endometritis, Kürze der Na-
belschnur und Vergiftung verursacht.
Entgegen der früheren Annahme be-
weist Ff., dass die vorzeitige Ablösung
die Primiparae ebenso häufig befällt
als die Multiparae, und das Alter der
Frau hat keinen Einfluss auf diesen
Unfall. Die Prognose ist besser als
früher, doch immer noch sehr schlecht
für das Kind, von 248 Frauen starben
72 = 29 Prozent, von 246 starben 204
= 82.9 Prozent. In der Pathologie
weist der Vortragende speziell auf
die Arbeiten von von Weiss,
Schickele, Gottschalk, Vei t
und S e i t z hin, welch' letzterer in
einem Falle vorzeitiger Ablösung der
normal sitzenden Placenta, trotz ge-
nauester Untersuchung keine andere
Veränderungen an Uterus und Pla-
centa nachweisen konnte, wie anders
wir sie an diesen Organen am Ende
der normalen Schwangerschaft zu fin-
den gewohnt sind, und deswegen führt
S e i t z die Ablösung der normal sit-
zenden Placenta auf Toxinwirkung
zurück. Die Therapie hat sich im
Laufe der Jahre in ihren Prinzipien
nicht geändert, auch heute noch wie
damals ist die Beschleunigung der Ge-
burt, die Entleerung der Gebärmutter
das einzige Heilmittel.
I IO
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
Eine einheitliche Behandlung- gibt es
nicht, jeder Fall muss für sich beurteilt
werden. Ist die Gebärmutter noch
nicht geöffnet, kann je nach der Lage
des Falles die Tamponade, Gummibal-
lons, das Bozzi'sche Dilatatorium, der
vaginale und der reguläre Kaiser-
schnitt in Betracht kommen. Vor der
vorzeitigen Blasensprengung wird ge-
warnt. Ist die Gebärmutter bereits ge-
öffnet, SO kommt die Zange resp.
W endung in Betracht. Prima ratio est
foetus extractio.
Diskussion. Dr. Ewald bemerkt,
dass er in den meisten Fällen den vagi-
nalen Kaiserschnitt als das indiziert:-
und ideale Verfahren betrachte.
I )r. A. Herzfeld ( Schlusswort) :
Ich möchte zu dem, was Dr. Ewald
gesagt, bemerken, dass ich den vagi-
nalen Kaiserschnitt auch für ein ideales
Verfahren halte. Aber wenn man in
einem Tenement-Haus im 4. Stock
operiert, ganz allein ist und die Frau
im Sterben liegt, da kann man sich
nicht mit dem vaginalen Kaiserschnitt
befassen. Man muss versuchen, die
Gebärmutter so schnell wie möglich zu
eröffnen, was vielleicht am besten
noch mit dem Bozzi'schen Instrumente
geschehen dürfte.
Dann hat Dr. Ewald die Atonie
des Uterus erwähnt, und ich möchte
hinzufügen, dass die Atonie des Uterus
22 Prozent von allen Todesfällen ver-
ursacht hatte.
Hierauf Schluss der Sitzung und
Vertagung.
Ausserordentliche-Sitzung Montag,
den 15. April 1907.
Präsident Carl Beck eröffnet die
Sitzung, indem er Herrn Prof. Dr.
Friedrich Müller von der Uni-
versität München der Versammlung
vorstellt.
Tagesordnung.
Dr. Max Einhorn demonstriert
ein Reagenzpapier zur Vereinfachung
der Blutprobe bei Magenkarzinom.
Prof. Dr. Friedrich Müller
( München) verliest einen Vortrag über
die Beziehungen der Affektionen der
weiblichen Geschlechtsorgane zu in-
neren Krankheiten.
Diskussion. Präsident Dr. Carl
B eck: Sie haben den ausserordent-
lichen Vortrag eines ausserordent-
lichen Klinikers gehört und werden
sicherlich einen unauslöschlichen Ein-
druck mit nach Haus nehmen. Ich
möchte fürchten, dass die Vornehm-
heit des Vortrags in Ihnen den
Wunsch rege macht, denselben durch
keine Diskussion versehrt zu sehen,
damit Sie ihn völlig unbeeinflusst nach
Hause tragen. Herr Prof. Müller
hat aber in seiner geraden Weise den
Wunsch ausgesprochen, dass Sie seine
Anführungen doch diskutieren, und ich
fordere Sie deshalb auf, dem gemäss
zu handeln.
Prof. Dr. A. Jacobi: Wir haben
eben gehört, Herr Prof. Müller,
dass es Ihr besonderer Wunsch sei,
den Vortrag diskutiert zu sehen. Ich
würde sonst dasselbe Gefühl gehabt
haben, welches der Präsident eben aus-
gesprochen hat. Mit Ihrer Erlaubnis
aber will ich ein paar Bemerkungen
machen, da sie in der Ordnung zu sein
scheinen.
Zunächst eine Bemerkung über das
Verhältnis des Darms zum Weibe.
Die Enteritis mueosa seu membrana-
cea kommt nicht blos bei Weibern vor.
aber ich habe sie nur bei neurotischen
Individuen beobachtet. Ich weiss mit
Bestimmtheit, dass ich sechs Fälle bei
Kindern gesehen habe ; davon zwei bei
einem 3 jährigen Jungen und einem
5 — öjährigen Mädchen, ausgesprochene
Jahre lang dauernde membranöse En-
teritis. Die beiden Geschwister kamen
in einer durchweg neurotischen Fa-
milie vor. Ich habe einen Fall ge-
sehen, an den ich mich deutlich erin-
nere, bei einem Jungen von 10 — 11
Jahren, den ich nicht lange beobachtet
habe und von dem es hiess, dass er
seine charakteristischen Stühle neben
Nervenerscheinungen hysterischer Art
seit vielen Jahren gehabt hatte. Dann
kommt sie bei Männern vor, wo ich sie
zweimal in der Privatpraxis gesehen
habe, und in der ,,Medical History of
the Rebellion", ich weiss nicht, in wel-
chem Bande, I. oder II., im Zusam-
menhange mit andern bei Soldaten
vorkommenden Erkrankungen der
Darmschleimhaut beschrieben. , So
äew Yorker Medizinische Monatsschrift.
Iii
kommt die Enteritis membranosa
also bei Männern, Kindern und Wei-
bern vor, allerdings die bei weitem
grösste Anzahl von Fällen bei Wei-
bern.
Die Fälle von chronischen Lungen-
entartungen auf Grundlage von Pneu-
monie, von denen Prof. M ü 1.1 er ge-
sprochen hat, sind meiner Erfahrung
nach nicht immer das Resultat einer
genuinen Pneumonie. Man hat früher
wohl die beiden als synonym bezeich-
net. Das anatomische Resultat ist
wenigstens nicht immer dasselbe. In
solchen Fällen findet man Ver-
schrumpfungen und Retraktionen des
Lungengewebes. Das eigentliche Lun-
gengewebe verschwindet, es bleibt
eine grosse Masse von Bindegewebe
zurück, das allmählich vernarbt, sich
zusammenzieht und Gelegenheit gibt,
den Brustkorb zu retrahieren, beson-
ders in den oberen Partien und ganz
besonders der rechten Lunge. In sol-
chen Fällen kommt man sehr häufig in
die Gefahr, eine chronische Tuberku-
lose zu diagnostizieren. Man findet da
Abflachung, sogar Einfallen der Brust-
wand, vermindertes oder bronchiales
Atmen, aber sie atmen fast immer
ohne irgend welche Rasselgeräusche.
Das ist ein Vorkommen, das meiner
Erfahrung nach nicht so selten ist.
Was das Herz anbetrifft und die Zir-
kulation, so werden sie gewiss in der
Weise gestört, wie Prof. Müller be-
schrieben hat. Die Angiome der ver-
schiedensten Art werden immer gross
w ahrend einer Schwangerschaft, haben
die Neigung, sich dann wieder zu ver-
kleinern, aber die Gefahr ist immer
da, dass mit jeder folgenden Schwan-
gerschaft das Angiom grösser bleibt.
Was das Herz anbetrifft und die Ver-
änderungen und die Arhythmie, die
man während der Schwangerschaft
und kurze Zeit nach dem Wochenbett
noch findet, so muss die doch von den
Veränderungen der Muskulatur ab-
hängen. Ich habe die Arhythmie nicht
durch einfachen Klappenfehler erklärt,
sondern sie hängt ab von einer Ver-
änderung in der Muskulatur des Her-
zens selber. Die ist geneigt, nach dem
Wochenbett allmählich besser zu wer-
den.
Dr. F. Krug: Ich bin hierher ge-
kommen, um zu hören, nicht um ge-
hört zu werden, aber da es gewünscht
wird, will ich gern ein paar Worte
sagen. Wollte ich auf jeden Punkt
eingehen, den der geehrte Redner des
Abends berührt hat, so müsste ich bei-
nahe soviel Zeit in Anspruch nehmen,
als bereits gebraucht worden ist. Ich
will daher nur sagen, dass ich in den
meisten Punkten mit ihm überein-
stimme, und will nur wenige Punkte
berühren, in denen ich verschiedener
Ansicht bin.
Prof. Müll e r hat gesagt, dass das
artifizielle Klimakterium, das nach Ex-
stirpation der beiden Adnexe erfolgt,
schlimmer sei, wenn zu gleicher Zeit
auch der erkrankte Uterus entfernt
wird als das artifizielle Klimakterium,
das bei Exstirpation der Adnexe allein
erfolgt. Meine Erfahrung ist diame-
tral entgegen gesetzt. Ich betone, dass
ich hier nur die Fälle berühre, in denen
die Adnexa hoffnungslos erkrant sind,
denn ich bin sehr konservativ in
meinen Anschauungen. Müssen die
Adnexa jedoch entfernt werden, so
habe ich gewöhnlich gefunden, dass
das Leiden ebenso im Uterus Platz ge-
griffen hat, sogar meistens, wie bei der
gonorrhoischen Infektion, zuerst, und
dass, wenn der zuerst erkrankte Uterus
auch mit entfernt wird, das artifizielle
Klimakterium leichter für die Frau ist,
als wenn blos die Ovarien exstirpiert
worden sind und der ebenfalls er-
krankte Uterus zurück gelassen wird.
Ich kann nicht mit dem Redner über-
einstimmen, dass es notwendigerweise
einen derartig radikalen Einfluss auf
die Ambition der Frau haben soll,
wenn sie kastriert ist. Im Gegenteil,
ich habe in vielen Fällen gefunden, wo
z. B. eine jung verheiratete Frau mit
Gonokokkus infiziert worden war von
einem Manu, dem vom Hausarzt ver-
sichert worden war, dass er vollständig
geheilt sei, und wo auf der Hochzeits-
reise die akute Infektion stattfand und
schliesslich nach langem chronischen
Siechtum die radikale Operation ge-
macht werden musste, — in diesen
Fällen habe ich häufig gefunden, nach-
dem jahrelang palliative Mittel ange-
wandt worden waren, dass die Frau
1 12
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
erst anfing zu leben und ihr Leben zu
geniesen, nachdem die Radikalopera-
tion gemacht war. Mit gehöriger Be-
handlung und diätetischen Vorschrif-
ten ist ausgeschlossen, dass sich die
Form der Frau so verändern sollte,
dass sie notwendig wie eine alte Frau
aussieht.
Kröpfe finden wir hier in Amerika
mit Ausschluss der Eingewanderten
nur sehr selten. Myome finden wir
sehr häufig, das Myomherz erst recht.
Ich habe mich schon häufig bemüht,
einen rationellen Zusammenhang zwi-
schen Myomherz und, was ich dabei
speziell erwähnen möchte, dem niedri-
gen Hämoglobingehalt des Blutes bei
Myom zu finden, und auf der anderen
Seite nach der Exstirpation der Myome
zu finden, dass, ohne viele Tonika zu
geben, der Hämoglobingehalt sowohl
wie das Herz sich von selbst wieder
restituiert. Ich habe noch niemals eine
Myomoperation wegen schlechten
Herzens refüsiert, dagegen viele mit
ausgezeichneten Resultaten operiert,
die von Anderen refüsiert waren. Be-
sondere Vorsichtsmassregeln bei der
Narkose habe ich gebraucht und vor
allem versucht, so rasch wie möglich
zu arbeiten, ohne grossen Blutverlust.
Ich habe noch niemals, auch bei den
schlimmsten Myomfällen, eine Kontra-
indikation wegen des Herzens gefun-
den, und ich habe mich mehr und mehr
überzeugt, dass man das Myom nicht
zu einem Grade anwachsen lassen soll,
bis das ausgesprochene Myomherz da
ist.
Dr. J. Kauf m a n n : Ich möchte
zunächst auf eine Krankheit hinwei-
sen, die nicht so selten im Verlauf der
Schwangerschaft sich entwickelt, näm-
lich das Magengeschwür. Ich habe
eine Anzahl von Fällen gesehen, wo
sich bei bis dahin magengesunden
Frauen zunächst während der ersten
Monate der Schwangerschaft ganz er-
hebliche Uebersäuerung des Magens
einstellte mit all den subjektiven Be-
schwerden, die wir bei dieser Störung
zu sehen gewöhnt sind, insbesondere
regelmässiges Auftreten sehr heftiger
epigastrischer Schmerzen nach den
Mahlzeiten. Gewöhnlich sistieren diese
Erscheinungen nach Verlauf der ersten
drei Monate. In anderen Fällen aber
entwickelt sich der Zustand weiter bis
zum vollen Bild des Magengeschwürs
mit Bluterbrechen, das erst nachlässt
mit Ablauf der Schwangerschaft. Ich
habe in einer Anzahl von Fällen im Be-
ginn der Schwangerschaft, wenn diese
Beschwerden sehr ausgeprägt waren,
sie behandelt, wie wir sie behandeln in
Fällen, in denen keine Schwanger-
schaft vorliegt, und ich glaube, dass
das ein zweckmässiges Verfahren ist,
einmal mit Rücksicht auf die Möglich-
keit der Entwicklung des Magenge-
schwürs, sodann zur Beseitigung der
manchmal sehr unangenehmen Be-
schwerden.
Ich möchte aus der Gruppe von Er-
krankungen, die im Klimakterium be-
obachtet werden, auf schwere motori-
sche Störungen des Magens hinweisen,
die sich in gewissen Fällen ganz plötz-
lich entwickeln können und manchmal
mit häufigem Erbrechen verknüpft
sind. In mehreren derartigen Fällen,
die ich gesehen habe, kam es zu Stag-
nation von Mageninhalt und zur Ent-
wicklung des ganzen Symptomenkom-
plexes, den wir als .Magenerweiterung
zu bezeichnen gewohnt sind, sodass
dann die Patientinnen so herunter
kommen, dass der Verdacht einer ma-
lignen Neubildung erweckt würde.
Das gänzliche Verschwinden aller die-
ser Erscheinungen mit dem Ablauf des
Klimakteriums gab aber den Beweis
dafür, dass das Klimakterium die Ur-
sache dieser schweren motorischen
Störungen des Magens war.
Ich möchte dann bestätigen, was
Prof. Müller bezüglich der Häufig-
keit des ersten Gallensteinanfalls kurz
nach einer Entbindung gesagt hat. Ich
kann das aus meiner eignen Erfahrung
nur durchaus bestätigen.
W as die Frage der Schleimkolik an-
betrifft, (1. h. der echten Schleimkolik,
die in Anfällen auftritt mit heftigen
Schmerzen und dem Abgang von einer
grossen Menge Schleim und bei freien
Intervallen mit gesunden Darmfunk-
tionen, so muss ich dem beistimmen,
was Dr. I a c o b i bereits erwähnt hat.
dass diese Fälle von echter Schleimko-
lik nicht ausschliesslich bei Frauen,
sondern auch bei Männern, allerdings
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
nur bei Männern neurotischer Natur,
beobachtet werden. Bei Durchsicht
der Krankengeschichten einiger Fälle,
welche ich als echte Schleimkolik bei
Männern in der Erinnerung hatte, finde
ich, dass alle diese Patienten an chroni-
schem Darmkatarrh litten. Dieselben
können also nicht als Fälle von reiner
Colica mueosa geführt werden, wenn
man die Colica mueosa als eine Neu-
rose ansieht.
Dr. Willy Meyer: Die hochin-
teressanten, von Herrn Prof. Müller
berührten Fragen liegen meiner Spe-
zialität leider so fern, dass ich nicht
viel zur Diskussion beitragen kann.
Ich möchte nur kurz unterschreiben,
was Dr. Kaufmann eben erwähnt
hat. dass die Bemerkung von Prof.
Müller auch hier in unserem Lande
so häufig zutrifft, dass kurz nach der
Entbindung ein oder gar der erste Gal-
lensteinanfall eintritt. Ich habe meh-
rere solcher Fälle zu beobachten Ge-
legenheit gehabt.
Auf einen Punkt möchte ich nur
noch eingehen, das ist die Pyelitis, das
Auftreten und manchmal sehr ernste
Auftreten einer Pyelitis während der
Schwangerschaft, ein Zustand, den
man natürlich nicht mit einer Pyone-
phrose verwechseln darf. Ich habe 2
solcher Fälle im Laufe der Jahre ge-
sehen, bei denen ich behufs Operation
zugezogen wurde. Das heisst, es fand
sich soviel Schleim-Eiter im LJrin seit
längerer Zeit, und es war solch hohes
Fieber vorhanden gewesen, dass man
sich zur Operation entschloss. Ich
habe mich in beiden Fällen gegen die
Operation gestemmt, und zwar haupt-
sächlich aus dem Grunde, weil zufällig
die Patientinnen schon in der Schwan-
gerschaft ziemlich weit vorgeschritten
waren. Sie befanden sich beide im sie-
benten Monat, und der Allgemeinzu-
stand war nicht ein solch schwerer,
dass es gerechtfertigt schien, zu den
schon vorhandenen LJnbequemlichkei-
ten nun noch eine Tnzision der Niere
zu setzen, denn um diese konnte es
sich nur handeln, um das Nieren-
becken während des Restes der
Schwangerschaft abzudrainieren. Ich
habe mich deshalb nach verschiedenen
Besprechungen mit den die Fälle be-
handelnden Kollegen gegen die Opera-
tion ausgesprochen. Wir kamen über-
ein, nachdem die Untersuchung des
Harns den Colon - Bazillus in nahezu
Reinkultur zeigte, dass es sich um
einen ascendierenden Prozess handele,
dass sich zur Ureteritis eine Pyelitis
gesellt hatte und dass nach Entleer- ,
ung des Uterus Besserung zu erwarten
war. Und so ist es in beiden Fällen
eingetreten. Ich habe später bei einer
der beiden Patientinnen die Ureteren
katheterisiert und fand noch nach
vielen Monaten Zeichen vorhandener
Nierenbeckenerkrankung. Auch darin
möchte ich Herrn Prof. Müller bei-
stimmen, dass solche Patientinnen ja
nicht als gesund angesehen werden
sollten, nach dem die Entbindung ein-
getreten, sondern dass sie sorgfältiger
Weiterbeobachtung und Nachbehand-
lung bedürfen.
Dr. H. J. B o 1 d t : Ich will nur zwei
Punkte berühren. Der erste betrifft
die Schleimhautkolik, worüber Prof.
Müller gesprochen hat. Ich muss
offen gestehen, dass ich noch nicht
einen einzigen Fall bei gynäkologi-
schen Leiden gesehen habe, wo ich sa-
gen könnte, dass das gynäkologische
Leiden die Schleimkolik verursacht
hat. Ich basiere meine Behauptung
darauf, dass in einer sehr grossen Zahl
von gynäkologischen Patientinnen, die
Schleimhautkolik haben, sämmtliche
derartige Patientinnen neurotisch sind,
und in den Fällen, wo der gynäkologi-
sche Zustand post operationem oder
nach der Behandlung vollständig ge-
bessert wurde, die Schleimhautkoliken
trotzdem nicht aufgehört haben und
ebenfalls der neurotische Zustand der
Patientinnen derselbe blieb.
Der zweite Punkt, den ich aber un-
terstützen möchte, ist der Zusammen-
hang von Wurmfortsatz-Erkrankung
und Adnex-Erkrankung. Ich habe
jetzt einige hundert Wurmfortsätze
ganz genau pathologisch untersuchen
lassen ; sie wurden zur Zeit der
operativen Eingriffe bei Beckenleiden
entfernt, und nur eine verhältnismäs-
sig kleine Zahl, zwischen 5 und 8 Pro-
zent dieser Wurmfortsätze wurde nor-
mal gefunden ; der grosse Ri st war er-
krankt. Zum Teil war der entzündete
H4
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
Zustand so bedeutend, dass es wirklich
erstaunlich ist, dass nicht schwere
Symptome durch die Appendizitis her-
vorgerufen wurden — sodass ich davon
überzeugt bin, dass wir einen direkten
Zusammenhang zwischen Adnexent-
zündungen und W'urmfortsatzentzünd
ungen haben.
Dr. S. J. Meitzer: Das einzige,
was ich zu sagen habe, ist, dass es fast
25 Jahre her sind, dass ich den Genuss
gehabt habe, einen so zusammenfas-
senden Vortrag zu hören.
Dr. Otto G. Th. K iliani: Ich
möchte auch mein Interesse an dem
Vortrag durch Teilnahme an der Dis-
kussion bezeugen, nur möchte ich sa-
gen, dass das Bild der Appendix-
stumpf-Abszesse, von dem Prof. M ü 1-
1 e r uns gesagt hat, ..Sie kennen alle
das Bild", uns unbekannt ist. Ich
weiss nicht, woher das kommt. Nicht
bloss mir persönlich, sondern auch ei-
ner Reihe anderer Chirurgen ist das
Bild der Appendixstumpf - Abszesse
nicht bekannt. Liegt es daran, dass
wir mehr schliessen, nicht drainieren,
dass wir die Patienten nur kurze Zeit
im Bett lassen? Ich lasse gewöhnlich
Intervall-Patienten nach 4 Tagen auf-
stehen. Worüber die deutschen Kol-
legen in der Literatur berichtet haben,
ist uns jedenfalls hier nicht bekannt.
Ein anderer Punkt, auf den ich viel-
leicht hinweisen darf, obwohl er sehr
selten ist, ist der, dass auch die Neural-
gien während der Schwangerschaft
ausserordentlich an Heftigkeit zuneh-
men. Dass dies bei Ischias der Fall
ist, ist leicht erklärlich ; dass aber auch
sonstige Neuralgien gesteigert wer-
den, ist weniger leicht zu erklären.
Wenn ich noch einen Punkt erwäh-
nen darf, so bezieht sich der nicht so
sehr auf das, was Prof. Müller, als
auf das, was Dr. Meyer hervorge-
hoben hat über Schwangerschaftsniere.
Ich muss sagen, dass ich in den letzten
zwei Fällen, wo ich operiert habe,
ebenso froh darüber war, dass ich ope-
riert habe, wie Dr. Meyer froh war,
dass er nicht operiert hat. Die
Schwangerschaft ist dadurch nicht un-
terbrochen worden. Die eine Frau, die
schwere Temperaturen durchgemacht
hat, 10-4 — 105°, wurde mit dem Mor-
gen, wo die Niere geöffnet wurde, bes-
ser. Das Fieber fiel ab. Die Frau
wurde gesund, die Schwangerschalt
blieb fortbestehen. Das Kind wurde
geboren, und in dem anderen Fall wird
der Geburt entgegengesehen.
Dr. C. A. von Ramdohr: Ich
habe dem Vortrag auch mit viel Ge-
nuss zugehört und möchte nur noch
auf einige wenige Punkte aufmerksam
machen. Speziell auf das Klimak-
terium. Ueber das künstliche Klimak-
terium spricht jeder ex cathedra, hat
seine eigene Erfahrung. Das künst-
lich Klimakterium ist in manchen Fäl-
len durchaus nicht von so bösartigen
Folgen, wie sie Prof. Müller ge-
schildert hat. Selbst das natürliche
Klimakterium scheint in der Stadt
New York gewöhnlich ohne spezielle
schwere Symptome vorbeizugehen.
Das künstliche Klimakterium scheint
aber in der Stadt New York von gar
keinem besonderen Wert zu sein. Die
Frauenzimmer lassen sich sämmtliche
Eierstöcke und den L'terus herausneh-
men und fühlen sich ganz wohl. Sie
setzen Fett da an, wo es ihnen am
meisten gut tut, und haben später noch
viel Vergnügen von ihrem Leben.
Was die Pubertätszeit betrifft, von
der wir speziell in New York mehr
hören als sonst wo, so finden wir auch
bei den unglücklichen anämischen
Mädchen kaum irgend welche schwere
Symptome. Sie waren entweder
schlecht ernährt oder sie hatten Eltern,
die auf Ernährung während der Zeit
wenig Wert legten. Sonst kommen
die Mädchen hier ganz gut über die
Pubertätszeit fort.
Was die Tuberkulose anbetrifft, so
ist im allgemeinen hier in New York
der gynäkologische Standpunkt : so-
lange die Fortpflanzung der Tuberku-
lose auf den Foetus nicht erwiesen ist,
lässt man im allgemeinen die Schwan-
gerschaft ruhig durchgehen, und der
allgemeine Standpunkt ist, dass das
Kind ganz gesund ist, und der Mutter
schadet es nichts.
Was Schwangerschaftsniere und
schwere Nierenerkrankung betrifft, so
hat das Prof. Müller ausgezeichnet
festgesetzt. Das Resultat ist, dass man
eine Frau, die eine schwere Nierener-
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
krankung hat, nicht absolut zur Kin-
derlosigkeit verdammen soll, denn es
kann ganz gut gehen, und die ge-
schwächte Niere, eine halbe oder vier-
tel Niere kann sich später regenerieren,
und die Frau kann gesunde Kinder ge-
bären.
Dr. Max Einhorn: Ich wollte
nur sagen, dass ich mit Prof. Müller
darin übereinstimme, dass nach Exstir-
pation der Ovarien entschieden Fälle
vorkommen, die sehr schwere Leiden
nachher verursachen. Kollege Krug
hat das so dargestellt, als ob sie nach-
her ganz gesund sind. Ich weiss nicht,
das mag wohl in vielen Fällen stim-
men, aber ich habe eine grosse Anzahl
von Patientinnen gesehen, die sehr
schwer leiden an allen möglichen Ma-
generscheinungen und sonstigen Neu-
rosen, die sehr schwer zu bekämpfen
sind und die man auf das Fehlen der
Drüsen der Ovarien zurückführen
muss.
Dr. B. S. T a 1 m e y : Ich möchte
hinzufügen, dass ich dieselbe Erfahr-
ung habe wie Dr. Einhorn, und
wenn Dr. Krug und der andere Kol-
lege gefunden haben, dass Frauen, die
kastriert worden sind, so gesund sind,
so kommt das daher, dass sie, nachdem
man ihnen alles heraus genommen hat,
nicht mehr zum Gynäkologen wegen
ihrer Leiden gehen, sondern zum
Kliniker.
Dr. Gustav Seeligmann: Aus
dieser Gegend des Hauses sind schon
mehrere Bemerkungen gemacht wor-
den über die Frage der Pyelitis bei
Schwangerschaft, und wenn Sie mir
eine Minute gestatten wollen, so
möchte ich im Anschluss an die Be-
merkungen von Dr. Meyer und Dr.
K i 1 i a n i sagen, dass diese Frage in
den letzten Jahren hier in Amerika leb-
haft studiert worden ist. Wir haben
schöne Arbeiten darüber, unter an-
deren die von C r a g i n, der sich hier
ziemlich als erster mit der Frage be-
schäftigt hat. Das Zusammentreffen
von Pyelitis und Schwangerschaft von
Herr Prof. Müller heute Abend so
konzis und so scharf beleuchtet zu
sehen, war eine wahre Freude. Der
Satz gegen Ende seiner Ausführungen,
dass nämlich selbst nach glücklichem
Ablauf der Gravidität und damit
scheinbarem Ablauf der Pyelitis, diese
Frauen nicht als gesund zu betrachten
seien, sondern als krank und demge-
mäss weiter beobachtet werden sollen,
ist gewiss zu unterschreiben. Von
zwei ziemlich schweren Fällen meiner
Beobachtung, einem Privat- und ei-
nem Hospitalfall, die ich erwähne, weil
beide seitdem eine zweite Gravidität
und Geburt durchgemacht haben, erin-
nere ich mich, ganz entgegengesetzte
Resultate gesehen zu haben. Der eine
war eine Graviditäts- Pyelitis, die von
3 Aerzten gesehen und nur symptoma-
tisch behandelt wurde. Trotz wochen-
langem Fieber, Schüttelfrösten ging die
Affektion nach der Geburt zurück,
auch keine Erscheinungen nachher —
allerdings auf Bakteriurie wurde nicht
untersucht — und bei der zweiten
Schwangerschaft und Geburt vor etwa
einem Jahre keinerlei Symptome, wäh-
rend der andere Fall während der an-
derthalb Jahre, die zwischen der ersten
und zweiten Geburt lagen, Symptome
hatte und dieser Zustand sich während
der zweiten Schwangerschaft prompt
wieder zu einer ausgesprochene Pyeli-
tis verschlimmerte. Ich glaube, dass
das Resultat, das die Chirurgie bei die-
sen bis jetzt nicht operierten Fällen
von Pyelitis in der Schwangerschaft
erreicht, eher ermutigend ist, und dass
die Frage nach der Therapie vielleicht
jetzt so zu beantworten ist, dass man
bei Pyelitis im Beginn der Schwanger-
schaft, nach Entleerung des Uterus
wenn nötig, die Pyelitis operativ an-
greift, bei Fällen gegen Ende der Gra-
vidität dagegen wenn möglich konser-
vativ verfahrt und die Geburt ab-
wartet.
Was die Idee angeht, die Schwere
des Uterus und den Druck, den er auf
die Ureteren ausübt, ätiologisch mit
Dilatation der Ureteren und Pyelitis
in Verbindung zu bringen, so darf ich
mir die kurze Bemerkung erlauben,
dass ich mit Rücksicht auf die alte
Theorie der Ureterenkompression
durch den Uterus bei Eklampsie in
zwei Fällen von Section caesarea, die
ich wegen Eklampsie gemacht habe,
auf beide Ureteren achtete und in bei-
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
den Fällen nicht imstande war, eine
Dilatation zu finden.
Dr. J. G. W. Greff: Ich möchte
noch Nephroptose und Enteroptose als
schwere Folgen der Schwangerschaft
erwähnen.
Dr. Barkan: Bei tuberkulösen
Ehekandidatinnen, die bemittelt sind,
könnte man auch den Ausweg finden,
sie nach Florida zu schicken. Sie ge-
nesen da, werden schwanger, und alles
läuft sehr schön ab.
Ueber das Erbrechen bei Schwan-
geren möchte ich mir folgende Be-
merkung erlauben : Bei Seekranken be-
obachtet man das Uebergehen der
Krämpfe des Magens auf ausgiebige
Uteruskrämpfe. Mit anderen Worten,
Seekranke gebären mit ausgezeichne-
ten Wehen. Sollte da nicht auch das
Gegenteil eintreten, dass der Uterus,
der durch die Schwangerschaft ge-
stemmt und gekrampft wird, auch
diese Expansionen auf den Magen
überträgt ?
Prof. Dr. Friedrich Müller
(Schlusswort) : Ich danke zunächst
allen den Herren, die sich an der Dis-
kussion beteiligt und damit ihr In-
teresse zum Ausdruck gebracht haben.
Ich möchte nur noch auf ein paar
Punkte eingehen, zunächst die Frage
der Colica membranacea. Es handelt
sich um eine Zusammenstellung auf
Grund eigener Erfahrung, und ich
habe noch keinen Fall von wirklicher
Colica mucosa bei einem Mann oder
einem Kinde gesehen. Es interessiert
mich daher destomehr, dass mitgeteilt
worden ist, dass diese Krankheit auch
bei Männern und Kindern vorkommt.
Ich glaube ganz sicher, dass wir ver-
schiedene Arten von Colica mucosa zu
unterscheiden haben. Zunächst haben
wie den Ausdruck Colica membrana-
cea mit Vorsicht zu gebrauchen. Es
sind keine Membranen. Wir haben die
Masse untersucht und gefunden, dass
sie fast ganz aus komprimiertem Mucin
besteht. (Dann habe ich zwei Fälle
gesehen, wo diese Massen sehr viel
enthalten haben, obwohl keine Para-
siten vorhanden waren.) Das ist ein
Verhalten, welches wir bei Asthma
finden, das ich auch z. Z. beschrieben
habe. Ist es nicht vielleicht möglich,
dass wir es mit adäquaten Zuständen
des Darms zu tun haben, ähnlich denen
bei den Bronchien. Auch vom Asthma
gilt, dass es sich hauptsächlich bei ner-
vösen Individuen findet. Uebrigens
müssen wir uns hüten, den Darmka-
tarrh mit Colica membranacea oder
mucosa zu verwechseln, das sind ver-
schiedene Dinge.
Es ist darauf hingewiesen worden,
dass Herzfehler sich während der
Schwangerschaft verschlimmern, und
auch hier tritt die Frage auf: soll man
den Mädchen verbieten zu heiraten,
wenn sie einen Herzfehler haben?
In Betreff des artifiziellen Klimak-
teriums möchte ich wiederum betonen,
dass jeder seine eigenen Beobachtun-
gen macht. Ich war unglücklich ge-
nug, solche Fälle zu sehen, und sie
haben mir einen unauslöschlichen Ein-
druck gemacht. Die Fälle, welche
günstig ausgefallen sind, bekomme ich
nicht zu sehen.
Ich habe aus dem, was gesagt wor-
den ist, entnehmen können, dass ein
häufiges Zusammenkommen von
gynäkologischen Erkrankungen und
Schleimhautkolik oder Erkrankung
des Darms besteht. Halten wir uns
an das Zusammenkommen und lassen
wir Theorien bei seite.
Ob man Pyelitis operieren soll, dar-
über möchte ich mich etwas reserviert
ausdrücken. Es kann vorkommen,
dass alles glatt ausgeht. Aber ich
habe einen Fall gesehen, wo die Kom-
pression der Ureteren sehr bedenklich
war und der Harn lange Zeit immer
nach hinten abfloss. Man hat die Niere
herausnehmen müssen, und die andere
Niere war nicht gesund, und die Frau
war in grosse Gefahr gekommen. Sie
lebt noch. Das Resultat war aber
nicht sehr schön.
Präsident Dr. Carl Beck: Ich
glaube, ich spreche in Ihrer aller Sinn,
wenn ich Herrn Prof. Müller un-
seren allerverbindlichsten Dank für
seinen geistvollen und überzeugenden
Vortrag ausspreche. Er hat uns durch
seine meisterhaften Ausführungen
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
t f 7
nicht nur einen genussreichen Abend
bereitet, sondern auch mit seinen
neuen Gesichtspunkten uns frucht-
bringende Anregungen gegeben und
überhaupt einen so tiefen Eindruck auf
uns gemacht, dass wir ihn schwerlich
je vergessen werden.
Hierauf Vertagung.
Dr. John A. Beuerman n,
Prot. Sekretär.
Deutsche Medizinische Gesellschaft der Stadt Chicago.
Vereinsjahr 1906-1907.
1. (138) Sitzung am 4. Oktober 1906
im Hotel Bismark.
Das Protokoll der letzten Sitzung
des verflossenen Sommersemesters
wird verlesen und angenommen.
Der Schatzmeister, Herr Dr. Sau-
re n h a u s berichtet über die Ergeb-
nisse seiner Rechnungsführung wäh-
rend des letzten Vereinsjahres. Die
zu Revisoren erannten Herren, Dr.
Harms und Dr. Ries, prüfen den
Bericht, worauf dem Herrn Dr. S a u-
r e n h a u s unter Anerkennung der
Musterhaftigkeit seiner Buchführung
und der Genauigkeit des Aktivsaldos
der Dank des Vereines ausgesprochen
und Decharge erteilt wird.
In der Vorstandswahl wird für
das beginnende Vereinsjahr gewählt:
Präsident Herr Dr. Herzog, M. ;
Vizepräsident, Herr Dr. D e c k e r, A. ;
1. Beisitzer und Kassier, Herr Dr.
Saurenhaus, E. ; 2. Beisitzer, Herr
Dr. Sch irm er, G. ; Schriftführer.
Herr Dr. Strauch, A.
Es wird ferner beschlossen, das übli-
che Festessen zur Eröffnung des Se-
mesters am 20. Oktober 1906 im Hotel
Bismark abzuhalten ; es wird ein Ko-
mitee ernannt, bestehend aus den Herren
Dr. Harms und Dr. Barnard.
Endlich wird das Austrittsgesuch
des Herrn Dr. S c h a 1 e k verlesen und
angenommen. Herr Dr. Schalek
hat einen ehrenvollen Ruf als Profes-
sor für Haut- und Geschlechtskrank-
heiten nach Omaha bekommen und
angenommen. Die besten Wünsche
der Anwesenden begleiten die An-
nahme seines Gesuches.
Hierauf legt der abtretende Schrift-
führer, Herr Dr. T. H o 1 i n g e r, sein
Amt in die Hände des Nachfolgers
und spricht die Hoffnung aus, dass die
Deutsche Medizinische Gesellschaft
von Chicago weiter wachsen und ge-
deihen möge durch gute wissenschaft-
liche Arbeit und sorgfältige Kritik
derselben, zur höchsten Genugtuung
der Mitglieder und zum Wohle ihrer
Patienten.
Dr. A. Strauch,
Schriftführer.
II. (139.) Sitzung am 1. November
1906.
Vorsitzender : Herr Dr. Herzog.
Programm.
1) Dr. Carl Beck: Multiple sep-
tische Thrombophlebitis und deren
Behandlung (mit Krankenvorstell-
ung).
2) Dr. K o 1 i s c h e r : Ueber Blasen-
tumoren.
Das Protokoll der letzten Sitzung
wird gelesen und genehmigt.
Dr. Carl Beck stellt ein ca.
7jähriges Mädchen vor, das vor 9 Wo-
chen ein Trauma erlitt, indem eine
Wagendeichsel gegen die Brust stiess.
Das Mädchen leidet seither an Herz-
klopfen, dem sich später Erstickungs-
anfälle und Hüsteln hinzugesellten.
Objektiv finden sich starke, verbreitete
Herzaktion und intensives Katzen-
schnurren über dem ganzen Herzen,
am stärksten an der Herzbasis. Das
Röntgenstrahlenbild zeigt einen Schat-
ten in den obersten Interkostalräu-
men, bis zur Clavicula hinaufreichend.
Das Fremissement ist systolisch und
diastolisch ; in der Fossa jugularis
deutliche Pulsation. Radialispuls bei-
derseits gleich. Keine Heiserkeit,
laryngoskopisches Bild normal. Nach
Gelatinefütterung trat eine leicht Bes-
serung in der letzten Zeit auf. Dia-
gnose : Traumatisches Aneurysma des
Aortenbogens.
New Yorker Medizin
ische Monatsschrift.
Dr. Lackner hält eine traumati-
sche Erweiterung des linken Atrium
Für wahrscheinlicher.
Dr. Doepfner weist darauf hin,
dass die objektiven und subjektiven
Symptome für ein Aneurysma spre-
chen.
Hierauf hält Dr. Carl Beck seinen
Vortrag über Venenentzündungen.
Bei oberflächlicher Venenentzünd-
ung ist die Diagnose leicht, bei tiefer
ist sie schwieriger, manchmal unmög-
lich oder erst dann zu machen, wenn
eitriger Zerfall mit Abszessbildung ein-
getreten ist. Dr. C. Beck berichtet
über drei Fälle.
I. Fall. Ein Mann erlitt eine Ver-
letzung an einem Finger, worauf
Lymphangoitis und Lymphadenitis
der Axilla auftrat. Nach der Exstirpa-
tion der Drüsengeschwulst durch einen
Arzt stellte sich Schüttelfrost ein,
langdauerndes Fieber mit rückläufiger
Entzündung des Armes, von der
Achselhöhle ausgehend.
Inzisionen zeigten keinen Eiter, aber
eine gelatinöse Infiltration um die
Oberarmvenen. Trotz lokaler Heilung
dauert das schwere Allgemeinbefinden1
mit täglichen Schüttelfrösten und
Schweissen als pyämische Manifesta-
tion an.
Unter Schmerzen im Unterbauch
trat ein auffallendes Symptom auf, dem
Dr. C. Beck eine grosse semiotische
Bedeutung zuschreibt : Abwechselndes
An- und Abschwellen eines Beines mit
Druckschmerzhaftigkeit der Gegend
der Fossa ovalis. Bei der Inzision
zeigte sich die Gefässscheide verdickt,
die Vene solid, strangartig, thrombo-
tisch bis zur Vena iliaca und umgeben
von plastisch - gelatinösem Exsudat.
Auch die Vene wurde inzidiert, drai-
niert, worauf in den nächsten Tagen
reichliche Sekretion eintrat, am vierten
Tage erst von eitrigem Charakter.
Das Fieber dauerte noch 3 Monate
infolge Abszessformation bis zum Dia-
phragma hinauf, sodass eine Kontra-
inzision mit Drainage zwischen 11. und
12. Rippe nötig wurde. Trotz sich
wickelnder Amyloidose trat schliess-
lich Heilung ein.
II. Fall. Junger Mann erhielt einen
Schlag auf den Kopf mit Fraktur des
Oberkiefers. Naht der Wunde durch
einen Arzt ; darauf Fieber, Benom-
menheit, Durchfall. W i d a l'sche Re-
aktion negativ. Es traten bald Nasen-
beschwerden auf und schliesslich
wurde von Dr. Josef Beck ein Se-
quester aus der Nasenhöhle entfernt,
sowie massenhafte Granulationen aus-
gelöffelt, die sich um den Sequester
gebildet hatten. Nach dieser Opera-
ti'in trat unter Fieber und Schmerzen
eine Entzündung des rechten Armes
auf, mit auffallendem An- und Ab-
schwellen derselben. Die oberflächli-
chen Venen des Armes und der Schul-
ter waren entzündet. Multiple Inzisio-
nen mit Drainage. Es bestand zugleich
eine septische iokale Hautaffektion.
III. Fall. Thrombophlebitis (Para-
nephritis) zwischen rechter Niere und
Peritoneum. Von anderen Aerzten
wurde an Appendizitis und Gallen-
steine gedacht. Bei der Laparotomie
wurde jedoch ein plastisches Exsudat
mit Thrombose der Venen bis zur Le-
ber hinauf gefunden. Es wurden
Drains eingelegt, durch die sich nach
einigen Tagen ein Abszess entleerte.
Unter beständigen Fieberbewegungen
tritt im Trigonum Petiti Fluktuation
auf ; nach Inzision und Entleerung von
gangränösen Massen erfolgte Heilung.
Dr. Carl Beck zieht drei wichtige
Schlüsse aus diesen Fällen :
1) Bei akut entzündlichen Venen-
prozessen soll eine Radikaloperation
mit Entfernung des Gewebes vermie-
den werden, um nicht eine Propagation
des Prozesses zu befördern. Einfache
Inzision mit Drainage muss genügen.
2) Nach Entfernung eines Knochen-
sequesters sollen die Granulationen
nicht ausgelöffelt werden, die Ausräu-
mung von Thromben soll unterlassen
und durch blosse Drainage ersetzt wer-
den.
3) Flüchtige Oedeme mögen für tiefe
Thrombophlebitis pathognomisch sein.
Diskussion. Dr. Lieberthal,
der den zweiten Fall gesehen hatte,
teilte näheres über die am Arme lokali-
sierte Hautaffektion mit. Es handelte
sich um ganz oberflächlich, zum Teil
blutigen Inhalt besitzende Blasen von
der Grösse eines Stecknadelkopfes bis
zu der eines Quarters. Variola war
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
119
leicht auszuschliessen. Gegen Pem-
phigus acutus sprachen das lokalisierte
Auftreten und der hämorrhagische
Charakter. Ueherdies bestanden beim
Patienten einfache Hämorrhagien der
Haut auf Wangen und Stirne. Ge-
gen Malleus, woran anfangs mit Rück-
sicht auf die Xasenaffektion gedacht
werden konnte, sprach der negative
bakteriologische Befund. Für toxi-
sches Erythem war die Erscheinung
viel zu beschränkt. Blasen mit bluti-
gem Inhalt werden hier überdies nicht
beobachtet. Es kann sich somit nur
um eine septische Hautaffektion han-
deln.
Dr. Z i m m e r m a n n fragt, warum
Dr. Beck die Vena femoralis ange-
schnitten habe. Antwort: Wenn eine
eitrige Schmelzung vorliegt, so er-
folgt der Eiterdurchbruch in der Rich-
tung des geringsten Widerstandes.
Dies gilt auch für die Venenentzünd-
ung; und tatsächlich entleerte sich
auch im ersten Falle Eiter am vierten
Tage durch die Drains. Dr. Z i m-
m e r m a n n hingegen erwidert, er
würde eine unstillbare Blutung durch
diese- Vorgehen befürchten ; denn mit
dem Lösen und Heraustreten des
Thrombus aus der Wunde könnte der
Weg für das Blut eröffnet werden.
Dr. H o 1 i n g e r : Die Otologie hat
sich viel mit der Behandlung der Sinus-
thrombose zu befassen. Die Gefahr
der Blutung ist hier nicht sehr gross,
da es sich um kleinere Venen handelt
und weil Knochen die Venen ringsum-
schliessen, sodass Druck zur erfolg-
reichen Blutstillung ausgeübt werden
kann.
Bezüglich der Radikalbehandlung
stehen sich zwei Meinungen gegen-
über : Die eine will sofort nach der
Diagnose tief eingehen, die Vena
(jugularis) unterbinden, dem Sinus
folgen und so die ganze Vene offen-
legen. Nach der anderen Meinung soll
einfach der Proc. mastoideus eröffnet
und dann abgewartet werden. Die
Statistik ergibt auf der einen Seite 63
Prozent, auf der anderen 65 Prozent
Heilung, spricht also weder gegen das
eine noch gegen das andere Verhalt-
ungsprinzip.
Durch die radikale Operation wird
aber das Leben, das durch die Krank-
heit ohnehin gefährdet ist, noch mehr
in Gefahr gebracht; hingegen hat die
Idee, den Thrombus soviel wie mög-
lich in Ruhe zu lassen und abzuwarten,
viel für sich.
Dr. Ochsner: Das Prinzin des
Dr. C. B e c k] in Fällen von Thrombo-
phlebitis nicht viel zu tun, ist das be-
deutsamste Prinzip, das er vorführt.
Dr. O chsner hat gegenwärtig fünf
schwere Fälle von Thrombophlebitis
im Spital. Vier Fälle betreffen die
oberen Extremitäten, und wurden be-
reits schwer septisch ins Spital ge-
bracht. Das von Dr. C. Beck hervor-
gehobene Symptom, nämlich das ab-
wechselnde An- und Abschwellen, war
auch hier zu sehen. Das Anschwellen
führt Dr. Ochsner auf fehlerhafte
Behandlung zurück, wenn nämlich
nicht vollkommene Ruhe beobachtet
wird. Ruhe des Gliedes ist am meisten
geeignet, den septischen Prozess sta-
tionär zu machen ; umgekehrt kann das
septische Produkt durch Bewegungen
der Muskeln weitergedrückt werden.
Unzweifelhaft beruht der Fortschritt
der Infektion zum Teile auf dem Druck
der sich kontrahierenden Muskeln auf
die Vene. Wenn die Muskeln ruhig
gestellt sind, genügen die übrigen
Venen, den Blutkreis zu besorgen.
Ruhe ist das Wichtigste. Bei Eiter-
formation soll jedoch sofort Inzision
mit Drainage gemacht werden. Der
Verbandwechsel soll nicht zu oft und
nur mit Vorsicht unter Vermeidung
von Druck und Bewegung des Gliedes
gemacht werden.
Dr. Doepfner hat den ersten Fall
des Herrn Dr. C. Beck gesehen.
Auch die Gegend der linken Glutaeal-
muskeln war schmerzhaft und in den
pyämischen Prozess hineinbezogen. Es
handelte sich bei diesem Patienten um
eine nicht sehr virulente Infektion. In
der rechten Lunge bestand kleinblasi-
ges Rasseln. Die Krankheitskeime
dürften nach Passierung der Lungen
auf dem Wege der Blutbahnen (Bak-
teriämie) nach den verschiedenen Kör-
perstellen verschleppt worden sein.
Das An- und Abschwellen weist darauf
hin, dass es sich um bloss murale
Thromben handeln kann und nicht um
120
New Yokkek Medizinische Monatsschrift.
totale — sodass eben noch ein Teil
der Vene durchgängig ist. Man soll
darum expektativ sein.
Dr. C. Beck teilt im Schlusswort
mit, dass er die tnzision in die Vena
femoralis erst dann gemacht habe,
nachdem die Punktion der Vene kein
Blut ergeben hatte.
Hierauf hält Dr. Kolischer sei-
nen Vortrag.
Diskussion. 1 )r. Ochsn e r : Dr.
Kolischer hat das Thema sehr
gründlich behandelt und es ist nicht
viel hinzuzufügen. Seine Thesen sind
chirurgisch richtig; wir müssen diesen
im Interesse der Patienten folgen.
Wir müssen zuerst die gutartigen von
den bösartigen Geschwülsten differen-
zieren, dann genau lokalisieren und bei
der Operation die Blase möglichst
schützen, nicht zerren, nicht so viel
wischen, kurz so wenig als möglich
verletzen.
Im Schlusswort betont Dr. K o 1 i-
scher, dass die Cystoskopie unter
den Aerzten populär sein solle und
dass man in die Urologie allgemein
chirurgische Prinzipien einführen
müsse.
Neue Mitglieder sind : Dr. Dar-
ling, 3802 Elbs Ave. ; Dr. L. A. M ü 1-
1 e r, 306 East Division St. ; Dr.
Remb e, 100 State St. ; Dr. Reic h-
m a n n, 405 Schiller Building; Dr.
S e u f e r t, 107 Evergreen Ave. ; Dr.
V a h 1 t e i c h. 1624 Addison St. ; Dr.
Z i m m e r m a n n, 142 Howe St.
Sitzung vom 6. Dezember 1906.
Vorsitzender : Dr. Herzog.
Programm.
1) Dr. R. R e m b e : Cysticercus cel-
lulosae der Iris. (Der Vortrag ist in
der Mainummer ds. Jahrgangs als
Originalarbeit erschienen.)
2) Dr. H. Schill e r : Hauter-
krankungen während der Menstrua-
tion.
Diskussion zu Dr. Rembe's Vor-
trag.
Dr. Abele: Cysticercus findet sich
häufiger im Glaskörper, wo er mittels
Augenspiegel gesehen werden kann.
Die Beobachtung des Parasiten in der
Iris ist naturgemäss leichter als beim
Sitze in der Tiefe des Auges. Dr.
Abele sah in Königsberg, resp. in
Danzig, drei Fälle von Augencysti-
I cercus ; davon einen in der vorderen
: Augenkammer. Das Resultat der Ope-
I ration bei letztgenanntem Sitze des
I Blasenwurmes ist gewöhnlich ein
I gutes, wie auch in unserem Falle ; aber
j nicht so gut beim Sitz im Glaskörper
und zwar wegen der Trübungen und
entzündlichen Veränderungen im Au-
geninnern, hervorgerufen durch dieGe-
genwart des Fremdkörpers. Immerhin
wird auch hier oft ein Sehvermögen
erzielt, das praktisch verwertbar ist.
In Deutschland war der Augencysti-
cercus in der Periode vor Einführung
der Fleischbeschau viel häufiger als
gegenwärtig. .Vach früheren Zusam-
menstellungen kam ein Cysticercus
auf 1000 Augenkranke, gegenwär-
tig aber (nach Hirschberg ein
Cysticercus auf 20,000 bis 30,000 Au-
genkranke als Erfolg der obligatori-
schen Fleischbeschau.
Dr. Sintzal hatte in der kleinen
Ortschaft, wo unser Patient wohnt, im
letzten Jahre über 20 Fälle von Taenia
solium gesehen und behandelt ; die
Häufigkeit des Vorkommens dieses
Bandwurms ist auf den dort üblichen
( renuss von rohem Schweineschinken zu-
rückzuführen. Bei einigen Bandwurm -
trägem hatten sich zwei Taenien vorge-
funden.
Dr. Strauch: Der von Dr. R e m b e
herangezogene Erklärungsmodus der In-
fektion unseres Patienten durch Genuss
von rohem, nur flüchtig gereinigtem Ge-
müsse aus Feldern, welche mit mensch-
lichen Exkrementen gedüngt waren,
liegt im Bereiche der Möglichkeit. Der
Import der Taenieneier in den mensch-
lichen Magen kann aber auch durch
Selbstinfektion des Trägers stattfinden
oder die Eier können von einem Indi-
viduum der Umgebung direkt herrühren.
Der Uebertritt der Proglottiden in den
Magen des Bandwurmwirtes kann durch
antiperistaltische Bewegungen des Dar-
mes oder infolge von Erbrechen ge-
schehen. Bei geisteskranken Kopro-
phagen oder bei Kindern. welche
sowohl die eigenen als auch ge-
legentlich fremde Faekalien essen,
kann das Schlucken von Taenien-
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
121
eiern, sogar von Proglottiden stattfinden ;
oder es können die Eier während des
Schlafes mit den beschmutzten Fingern
vom After nach dem Munde gebracht
werden. Ob unser Patient oder dessen
nächste Umgebung einen Bandwurm hat,
konnte bisher aus äusseren ' Gründen
nicht sichergestellt werden. In vielen
Fällen, die symptomlos verlaufen, kann
nur die mikroskopische Untersuchung
der Stühle auf Taenieneier Sicherheit
geben. Die Bandwurmabtreibung ist mit
Rücksicht auf die Gefahr der Selbstinfek-
tion im Interesse sowohl des Bandwurm-
trägers als auch dessen Umgebung indi-
ziert. Interessant von diesem Gesichts-
punkte ist der Fall (Karewski), wo
ein jähriger Säugling mit Augencysti-
cercus durch die Mutter, die Bandwurm
hatte, infiziert worden war. Gehirn
und Muskeln bilden die wichtigsten
Prädilektionsstellen für Cysticercus
cellulosae ; selten ist das Unterhaut-
zellgewebe der Sitz des Parasiten.
Dr. Schmauch hält im allgemei-
nen den kürzeren Infektionsweg vom
„After zum Mund" für den wahrschein-
licheren. Auf eine Anfrage des Dr.
Rembe teilt Dr. Herzog mit, dass
die Blase dem Parasiten angehört.
Beim Ecchinococcus, — so wissen wir
— besteht die Wand der eigentlichen
Blase aus einer chitinartigen Substanz ;
nach aussen schliesst sich die vom be-
nachbarten Parenchym durch reak-
tive Entzündung gebildete Bindge-
webskapsel ; die Riesenzellen werden
natürlich ebenfalls vom Wirt geliefert.
Diskussion zu Dr. S c h i 1 1 e r's Vor-
trag.
Dr. Lieberthal: Während der
Menstruation findet eine Umstimmung
oder Verstimmung des Nervensystems
und ceteris paribus eine Beeinflussung
der Zirkulation statt, die zuweilen
auch an der Haut zum Ausdruck
kommt. In dreifacher Weise werden
Veränderungen wahrgenommen: Ent-
weder entstehen dann Hautaffektionen
oder es werden bereits bestehende in
progressiver oder regressiver Weise
verändert. So sehen wir oft Akne,
Ekzem u. s. w. sich verschlimmern,
während bei manchem Pruritus das
Jucken abnimmt oder für die Zeit der
Menstruation ganz schwindet. Da
nun die Erscheinungen der neu ent-
standenen Hauteruptionen meist Cha-
raktere der polymorphen und toxischen
Erytheme tragen, so erklärt sich, dass
an eine Infektion oder Intoxikation ge-
dacht wird. Möglicherweise sind man-
che Eruptionen Manifestationen von
durch die Menstruation ausgelösten
latenten Erkrankungen. Das Auf-
treten von Erysipel der Nase in einer
Anzahl der Fälle jedoch Hesse sich
vielleicht dadurch erklären, dass man-
che nervöse Personen, und es sind ja
meist unzweifelhaft nervös veranlagte
Individuen, bei denen Hauterscheinun-
gen während der Menses auftreten,
leicht geneigt sind, in der Nase mit
den Fingern zu bohren, und somit eine
Infektion begünstigen. Erythema
multiforme wird kaum mit der Men-
struation zurückkehren ; wahrschein-
lich wird es dann nur stärker. Aus-
bruch von Urticaria wurde beim Plat-
zen von Ovarialcysten wohl infolge
der Absorption des Serums beobachtet.
Es soll mehr Aufmerksamkeit der Be-
ziehung zwischen Menstruation und
Hauterkrankungen zugewendet wer-
den.
Dr. Herzog kritisiert die statisti-
sche Grundlage der Behauptung, dass
zwischen Nasenerysipel und Menstru-
ation eine Beziehung bestehen könne;
eben dieselbe Statistik, welche von Dr.
Schiller für das Bestehen einer sol-
chen Beziehung herangezogen wird,
kann zum Beweise des Gegenteiles be-
nützt werden. Statistiken sind oft zu
subjektiv gefärbt. Dr. H. kannte eine
junge Dame, welche während jeder
Menstruation an einer „roten Nase"
litt (Erythem). Nach Ergotin blieb
diese Affektion aus.
Dr. Schmauch: Der Zusammen-
hang zwischen Menstruation und Ovu-
lation ist durchaus nicht sichergestellt;
wahrscheinlich haben dieselben zeit-
lich gar nichts mit einander zu tun.
Während der Menstruation vollzieht
sich im Organismus eine Art Wellen-
bewegung der Funktion. Die Ener-
gie der sämmtlichen Funktionen der
Organe sind kurz vor Beginn der Men-
struation gesteigert, um dann mit dem
Beginn der Blutung selbst rasch abzu-
nehmen. Eine Art Wellenbewegung
122
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
und Periodizität wird aber auch beim
männlichen Geschlechte unter Um-
ständen beobachtet, z. B. bei Hämor-
rhoidariern, welche jede 3 bis 4 Wo-
chen bluten. Eine Alteration des Blu-
tes während der Menstruation ist sehr
problematisch. Viele Frauen mit stin-
kendem Ausfluss oder mit ulzcrieren-
dem Uteruskarzinom zeigen keine Ex-
antheme. Dr. S c h m auch beobach-
tete einmal das Platzen einer Ovarial-
cyste ohne nachfolgende Hauterschein-
ungen.
Dr. Schiller (Schlusswort) teilt
auf eine Anfrage mit, dass unter der
Bezeichnung Liehen menstrualis Fälle
beschrieben sind, bei denen sich zur
Zeit der Menstruation papilläre, lichen-
artige Effloreszenzen über Rücken,
Schulter etc. verbreitet, entwickelt
haben.
Ein Zusammenhang zwischen Men-
struation und dem im Vortrag erwähn-
ten Nasenerysipel ist durch die ge-
nauen Beobachtungen J e r u s a 1 e m's
in Wien, der 18 hierher gehörige Fälle
beschreibt, hinreichend erwiesen.
Geschäftliches.
Dr. Herzog teilt den Wunsch
mehrerer Herren mit, ein Bankett mit
Damen zu veranstalten. Dr. S c h i 1-
1 e r stellt den bezüglichen Antrag, der
unsterstützt wird.
Sitzung vom 20. Dezember 1906.
Vorsitzender : Dr. Decker.
Programm.
Dr. Herzog: Meine medizini-
schen Erlebnisse und Beobachtungen
auf den Philippinen-Inseln.
Dr. Herzog führt im Anschluss
an seinen interessanten, mit lebhaften
Schilderungen ausgeschmückten Vor-
trag in Beantwortung einiger an ihn
gerichteten Fragen folgendes aus : Er
hat zu wiederholten Malen sowohl
primäre als auch sekundäre Lungen-
pest gesehen, eine Krankheitsform, die
nicht nur eine sehr hohe Mortalität be-
sitzt, sondern auch durch das reich-
liche Vorhandensein von Pestbazillen
im Sputum eine grosse Infektionsge-
fahr für die Umgebung mit 'sich
bringen. Bei Lungenpest findet man
ausser subpleuralen und anderweitigen
Hämorrhagien interlobuläre Herde bis
zur Grösse einer Haselnuss und dar-
über; dieselben sind konsolidiert, grau-
rötlich-weiss bis braunrot und umge-
ben von intensiv hyperämischem Ge-
webe. Durch Kontinenz können die
Herde das Bild der lobären Konsolida-
tion zeigen. Die primären Bubonen
werden von den Bronchiallymphdrü-
sen gebildet.
Die Infektion mit Pestbazillen bei
der gewöhnlichen Form der Erkrank-
ung, nämlich der Beulenpest geschieht
durch Hautläsionen ; die Propagation
erfolgt auf dem Wege der Lymphbah-
nen ; es schwellen die regionären
Lymphdrüsen, meist die in inguine
und in axilla an und bilden den soge-
nannten primären Bubo. Später kön-
nen die anderen Lymphdrüsen ergrif-
fen werden.
Der therapeutische Wert der ver-
schiedenen Pest-Sera ist ein sehr frag-
licher ; dies wird auch durch die Er-
fahrungen am Arthur Road Hospital
in Bombay, dem grössten Pestspital,
bestätigt, wo die Patienten mit graden
Aufnahmszahlen mit, die mit ungraden
Aufnahmszahlen ohne Serum behan-
delt worden waren, ohne dass sich eine
besondere Differenz in der Mortaliät
der beiden Gruppen gezeigt hatte. Der
prophylaktische Wert z. B. der Haf-
k i n'schen Vakzine wird zugestanden ;
die Präventivwirkung derselben er-
streckt sich auf ca. 6 Monate ; doch ist
diese Art der Immunisierung sehr
schmerzhaft.
In Manila wurden 3000 Chinesen
gegen Pest immunisiert; von diesen
soll innerhalb der folgenden zwei
Jahre kein einziger an Pest gestorben
sein ; doch ist mit Rücksicht auf die
Unzuverlässigkeit des chinesischen
Materiales nicht allzuviel Wert auf
diese Statistik zu legen. In Indien
wurden gute Erfahrungen mit der Prä-
ventivbehandlung im grossen Mass-
stabe gemacht.
Dr. Zeit macht die Mitteilung, dass
hier in Chicago Trypanosomiasis unter
den Ratten vorkomme.
Mit Beziehung auf Dr. H e r z o g's
Beschreibung der Amoeba histolytica
und Amoeba coli sei zu bemerken, dass
der morphologische Unterschied zwi-
schen beiden so gering ist, dass Dr.
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
123
Zeit bei seinen Experimenten den
biologischen Beweis hat heranziehen
müssen. Amoeben von Menschen,
welche an Durchfall litten, wurden
Katzen und Hunden ins Rektum ge-
spritzt; die Tiere starben und zeigten
bei der Sektion Ulzerationen und
stark-hyaline Amoeben im Darme.
Amoeba coli ist für Katzen jedoch
harmlos.
Dr. Herzog: Das 'Protozoen, das
Lösch zuerst als Amoeba coli be-
schrieben hat, ist nach den Unter-
suchungen S c h a u d i n n's und an-
derer ein ganz harmloser, gelegentli-
cher Bewohner des Darmes. Die
Amoeba, welche die Dysenterie oder
Tropenruhr erzeugt, nämlich Amoeba
histolytica, ist verschieden von der
erstgenannten. Dieselbe bildet nach
den genauen Untersuchungen Schau-
d i n n's ganz andere Sporen und zeich-
net sich durch eine stark-hyaline Be-
schaffenheit des Ektoplasmas aus. Da
jedoch die rein morphologische Unter-
scheidung dieser beiden Arten, wie Dr.
Zeit eben erwähnte, von einander oft
sehr schwierig ist, so bediente sich
auch S c h a u d i n n des Experimentes
an Katzen und Hunden, für welche nur
die Amoeba histolytica pathogen ist.
Affen sind ebenfalls für Dysenterie
empfänglich und ( )rang-Utangs ster-
ben an künstlich erzeugter Amoeben-
dysenterie.
Geschäftliches.
Herr Dr. E d w a r d S e u f e r t, 107
Evergreen Ave., wird einstimmig als
Mitglied aufgenommen.
Dr. G. Schirmer stellt den An-
trag, dass künftighin als Gesuche zur
Aufnahme in die Deutsche Medizini-
sche Gesellschaft gedruckte Formu-
lare dienen sollen, welche eine Ru-
brik für Alter, Geburtsort, Ort und
Zeit der medizinischen Studien, des
Doktorates und des Staatsexamens
enthalten. Antrag angenommen.
Es wird weiterhin beschlossen, ein
Bankett mit Damen zu veranstalten.
Zur Vorbereitung und Leitung des-
selben wird ein Yergnügungskomitee
ernannt.
Dr. Aug. Strauch,
Schriftführer.
Therapeutische Notizen.
— Validol bei Magenleiden. Nach einer
Mitteilung im .Journal des Praticiens" hat
A m b 1 a u d während mehrerer Jahre die Wir-
kung des Menthols hei Gastralgie geprüft und
zieht er dieses Mittel dem Cocain mit seiner
Giftwirkung vor.
D e j a c e hat seit mehr als 6 Jahren das
Menthol valerianic, oder Validol mit Erfolg
verwendet und fand, dass dieses leicht ver-
trägliche Anästhetikum Schmerzen und Er-
brechen lindert, dabei ausgesprochen antisep-
tisch auf den Mageninhalt wirkt und entschie-
denen Einfluss auf den Blutkreislauf ausübt.
Die Baldriansäure ergänzt die kalmierende
und antiseptische Wirkung des Menthols noch
durch ihre antispasmodischen Eigenschaften.
Validol ist bei Dyspepsie zu empfehlen, so-
fern diese nicht durch ein organisches Leiden
verursacht, sondern vorzugsweise die Folge
von funktionellen und sekretorischen Störun-
gen darstellt, mögen diese durch vorüberge-
hende Intoxikations- oder Innervations-Er-
scheinungen verursacht werden. Bei Blutar-
mut, Bleichsucht. Neurasthenie, sowie bei
Schwangerschaft mildert Validol den Magen-
schmerz und beseitigt rasch die Uebelkeit.
Auch bei Seekrankheit hat sich Validol als
vorzügliches Mittel bewährt.
Validol kann man auch bei Kindern an-
wenden.
Verabreicht wird es am einfachsten in
Tropfen auf gestossenem Zucker, wobei man
zweckmässigerweise etwas Wasser nachtrin-
ken lässt. Gaben von 10 — 15 Tropfen zwei-
mal pro die genügen häufig, um Anfälle von
Gastralgie zu beseitigen. (Therap. Revue der
Allgem. Wiener med. Ztg., 1907, S. 2r.)
— Typliusbeluuidluiig mit Pyramidon. Auf
Grund der in der letzten Zeit erschienenen,
günstig lautenden Publikationen von V a 1 e n-
t i n i, Sabarthez, H ö d 1 m o s e r, K r a ti-
li a 1 s u. a. über die 1 yphusbehandlung mit
Pyramidon hat Robitschek, während ei-
ner Typhusepidemie in der Garnison in Her-
mannstadt, da die Bäderbehandlung mit grosser
Schwierigkeit verbunden war. auf dieses Mit-
tel zurückgegriffen.
124
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
Robitschek fasst die Ergebnisse dieser
Behandlung in folgendem zusammen:
Bei der Undurchfülirbarkeit der Bäderbe-
handlung hat das Pyramidon allein und in
Verbindung mit leichten hydriatischen Proze-
duren einen vollkommenen Ersatz für die ge-
bräuchlichste Behandlungsmethode bei Typhus
geboten. Nur musste jedesmal individuali-
sierend und mehr symptomatisch bei der Dar-
reichung des Mittels vorgegangen werden.
Dieses Medikament erwies sich selbst bei
längerem Gebrauche, namentlich in rechtzeiti-
ger Verbindung mit Stimulantien und Herz-
tonika, als vollkommen unschädlich.
Es beeinflusste in der vorteilhaftesten
Weise das subjektive Befinden der Kranken
und die verschiedenen nervösen Störungen,
ermöglichte eine bessere Nahrungsaufnahme
und bewirkte, dass auch Kranke mit vielen
Komplikationen sich rasch erholten.
Eine direkte Beeinflussung des Typhuspro-
zesses wurde wohl nicht beobachtet ; indirekt
becinflusst Pyramidon gerade wie die Bäder -
beliandlung den Verlauf insoweit günstig, als
es auch durch prompte und schnelle Herab-
setzung der abnormen Temperaturen die durch
dieselben bedingte Schädigung der parenchy-
matösen Organe behindert.
Dass sich das Pyramidon auch in der Kin-
derpraxis bewährt hat, kann aus den der Ar-
beit Robitschek beigegebenen Tempera-
turkurven ersehen werden, von denen die eine
ein siebenjähriges Mädchen und die zweite
ein fünfjähriges Mädchen betrifft. Bei dem
letzteren trat nach zehn fieberfreien Tagen ein
Rezidiv auf, in dessen Verlauf schon Gaben
von 0,05 g Pyramidon eine Herabsetzung der
Temperatur um mehr als 3° C. herbeiführten;
bei dem ersteren wurde von Anfang bis zu
Ende ausschliesslich nur Pyramidon angewen-
det. (Allgemeine militärärztliche Zeitung.)
— Ein neues Asthmamittel. Dr. Z. Z e h-
den empfiehlt ein alkaloidfreies Mittel, das
imstande sein soll, den Asthmaanfall prompt
zu kupieren, nämlich das aus einer von der
„Deutschen Astlnnakarbon-Gesellschaft einge-
führten neuen Droge hergestellte Asthmakar-
bon. Die aus Argentinien stammende, bisher
in Europa noch nicht verwertete Punaria As-
cochingae ist eine interessante und schöne
Pflanze ; sie gebort zur Familie der Kompo-
siten, und zwar zum Typus der Tribuliflorae.
Sie wächst strauebartig, die Blumenkrone ist
zweilippig mit dreiteiliger Unter- und zwei-
teiliger Oberlippe, der Griffel ist unter den
Narben pinselförmig behaart ; die Blätter sind
ganzrandig, linealisch und zurückgerollt. Zu
Heilzwecken wird sowohl das Kraut, als auch
die Wurzel benutzt. Wirksam, aber gänzlich
ungiftig ist ein darin enthaltenes Glykosid und
ein Harz. Alkaloide fehlen in der Pflanze,
ein grosser Vorteil gegenüber den bisherigen
Räuchermitteln.
Die Pflanze kommt unter der Bezeichnung
„Asthmakarbon" in einer nach Namen und
Form geschützten Aufmachung in den Ver-
kehr. Kraut und Wurzeln werden hiezu aufs
feinste pulverisiert, dann werden 5 g zu einer
Tablette komprimiert, die ungefähr die Grösse
und Form eines Markstückes hat. Die Tab-
lette ist auf einer zylindrisch gestanzten, fein-
porösen Holzkohle befestigt. Dieses ganze als
„Asthmakarbon" bezeichnete Antiasthmatikum
wird in folgender Weise angewandt : Beim
Beginn des Anfalles wird die Kohle mittels
eines Streichholzes auf dem beigegebenen
Blechuntersatz zum Glühen gebracht. An der
Kohle entzündet sich die Tablette. Sobald
die charakteristisch riechenden. weissen
Dämpfe aufsteigen, wird das Asthmakarbon
in die Nähe des Kranken gebracht, der die
Dämpfe langsam aus einiger Entfernung ein-
atmet. Die Wirkung macht sich dann in
eklatanter Weise bemerkbar, dass nach an-
fänglichem leichten Hustenreiz die Atmung
ruhiger wird und sich vertieft, dass die asth-
matischen Beschwerden aufhören, und dass
der Kranke meist nach einiger Zeit in ruhigen
Schlaf verfällt. Erwähnenswert scheint auch
die günstige Einwirkung auf die Atmungsbe-
schwerden der Phthisiker, namentlich bei
starken nächtlichen Hustenanfällen, die sonst
stets mit erheblichen asthmatischen Beschwer-
den verbunden waren. (Med. Woche. Nr. 35,
1906.)
JVIecUzimscbe JVIonatsscbnft
Offizielles Organ der
DeutfdKn Itledizinifdicn 6ercll[cbaften der Städte n«w Vwlt,
Chicago, Cleveland und San Trancisco.
Redigiert von Dr. A. Ripperger.
Bd. XIX. New York, August, 1907. No. 5.
Originälarbeiten.
Ucbcr den Mund der Speiseröhre.*
Von Gustav Killian in Freiberg am Breisgau.
Meine Herren ! Sie werden sich
über das eigenartige Thema meines
Vortrages gewundert haben. Hat denn
die Speiseröhre einen Mund?
Es wird mir ein Vergnügen machen,
Ihnen dies genauer auseinander zu set-
zen, nachdem ich mich in den letzten
Monaten eingehend mit dieser Frage
beschäftigt und eine grössere Zahl spe-
zieller Beobachtungen gesammelt
habe.
Wenn wir mit dem Finger in den
Hals eingehen, so erreichen wir beim
Erwachsenen höchstens den Kehlkopf-
eingang, und es ist kaum möglich, sich
über die vorliegende Frage zu orien-
tieren. Der Praktiker weiss nur, dass
das Einführen von Instrumenten in die
Speiseröhre hinter dem Kehlkopf fast
immer gewisse Schwierigkeiten macht.
Es gehört Uebung dazu, hier mit leich-
ter Hand vorbei zu kommen.
Wer sich von den Vorstellungen
leiten lässt, welche uns die Bilder der
*) Vortrag, gehalten in der Deutschen med.
Gesellschaft der Stadt New York am 3. Juni
1907.
Anatomen erwecken und die sich auf
Beobachtungen an der Leiche stützen,
der kann es nicht begreifen, weshalb
man so schwer hinter dem Kehlkopf
vorbei in die Speiseröhre gelangt, denn
bei der Leiche besteht hier gar kein
Hindernis und die Anatomen zeichnen
den Weg hinter dem Kehlkopf vorbei
so, wie sie es an der Leiche gesehen
haben, weit offen. Besseren Aufschluss
gibt hier die Untersuchung mit dem
Kehlkopfspiegel. Betrachten wir uns
ein Kehlkopfspiegelbild, so ist es für
den Neuling gar nicht leicht, zu sagen,
wo der W eg in die Speiseröhre vorbei
geht. Man bekommt in der Tat von
den Studenten auch auf eine diesbe-
zügliche Frage manchmal recht son-
derbare Antworten. Dazu gibt aller-
dings bis zu einem gewissen Grad die
Veränderung der Lagebeziehungen
durch die Spiegelung Anlass. So sieht
man in diesem Bild den Kehldeckel
oben, während er in Wirklichkeit vorn
gelegen ist und die Arvgegend unten,
während sie in Wirklichkeit die hintere
Begrenzung des Kehlkopfeinganges
bezeichnet. Es kann danach nicht
I2Ö
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
schwer sein, den Weg in die Tiefe des
Speisekanals zu finden ; er muss in die-
sem Bild hier unter der Hinterwand
des Kehlkopfes gelegen sein und wird,
wie Sie sehen, durch eine einfache
Linie zeichnerisch festgelegt. Man er-
kennt daraus, dass beim Lebenden der
Kehlkopf der Vorderfläche der Wirbel-
säule anliegt und dass der Weg zur
Speiseröhre im Ruhezustand, h. h. so-
lange nicht geschluckt wird, geschlos-
sen ist.
Lässt man bei der Spiegeluntersuch-
ung einen Ton singen, so gibt sich der
weitere Verlauf des Speisewegs hinter
dem Kehlkopf noch eine Strecke weit
zu erkennen. Die Aryknorpel bewegen
sich nämlich bei der Phonation (um so
mehr, je höher die Töne sind) etwas
nach vorn und heben sich von der hin-
teren Rachenwand ab. So sieht man
noch eine Strecke weiter in die Tiefe,
eventuell bis zum oberen Rand der
Ringknorpelplatte und seitlich tief in
die Sinus pyriformes, bei dem einen
mehr, bei dem andern weniger.
Vom oberen Rande der Ringknorpel-
platte an bleibt der Weg fest geschlos-
sen. Ich habe mir gewöhnlich vorge-
stellt, und so wird es Ihnen auch er-
gangen sein, dass dieser Verschluss
durch die Art der Aufhängung des
Larynx und seine Fixation durch Mus-
keln und Bänder bedingt sei, wobei die
Muskeln sich vollständig untätig ver-
halten und sich im Ruhezustand befin-
den, ähnlich wie bei der Leiche. Nun be-
steht aber doch ein wesentlicher Un-
terschied, auf den wir erst aufmerksam
geworden sind, als wir versuchten, den
Kehlkopf von der Wirbelsäule abzu-
ziehen. Bei der Leiche ist das, wenn
keine Muskelstarre besteht, leicht zu
bewerkstelligen ; beim Lebenden aber
begegnet man einem bedeutenden
Widerstand. Man braucht nur an ei-
nem mageren Hals den Versuch zu
machen, den Kehlkopf von vorn zu
fassen und anzuziehen oder von hinten
her mit beiden Händen nach vorn zu
drängen oder mit einer Zange zu
packen, die von vorn her hinter dem
Ringknorpel eingreift. Der Wider-
stand ist enorm. Die gesammte Mus-
kulatur, welche mit dem Kehlkopf in
Beziehung tritt, wehrt sich energisch
dagegen, ohne dass der Wille beteiligt
ist. Es besteht also in diesem Gebiet
ein Muskeltonus, der den Kehlkopf in
seiner Lage festhält und nur durch
zentrale Impulse geändert werden
kann, wie z. B. beim Schlucken, Er-
brechen, Singen und dergl. mehr, wo-
bei Ortsbewegungen des Larynx ein-
treten.
Dass man bei der Phonation manch
mal noch tiefer sehen kann, habe ich
in einer Reihe von Fällen direkt be-
obachtet, jedoch nur unter besonderen
Umständen. Wenn man den Patienten
beim Laryngoskopieren den Kopf
stark nach vorn beugen lässt und von
unten nach oben in den Hals sehend
laryngoskopiert, so kann man manch-
mal noch eine Strecke der Schleimhaut
sehen, welche die Rückenfläche der
Ringknorpelplatte betrifft. Ja verein-
zelt ist es mir sogar gelungen, bis
gegen die Mitte oder selbst das untere
Drittel der Ringknorpelplatte in die
Tiefe zu blicken, wenn auch nur mo-
mentweise.
Mit grosser Sicherheit erreicht man
dieses Ziel, wenn man die v. Eicken'-
sche Hypopharyngoskopie anwendet.
Dabei wird mit einer starken Kehl-
kopfsonde (dem Larynxhebel) in den
kokainisierten Kehlkopf eingegangen
und das ganze Organ kräftig nach vorn
gezogen. Man kann aber auch in an-
derer Weise vorgehen, indem man ein
passendes Instrument hinter den La-
rynx schiebt und ihn direkt nach vorn
zieht.
Alle diese L ntersuchungen lehren
eines : Der Pharynx zieht hinter dem
Kehlkopf zunächst in seiner ganzen
Breite in die Tiefe und verengt sich
konzentrisch rasch zu einer mittleren
schmalen Zone, welche im Bereiche des
unteren Drittels der Ringknorpelplatte
gelegen ist. Man sieht deutlich, wie
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
127
seine seitlichen Wände nach dieser
Stelle konvergieren, wie seine vordere
Wand (dargestellt durch die hintere
Wand des Kehlkopfes) in grader Rich-
tung nach dieser Stelle hinzieht, aber
man kann auch etwas Neues beobach-
ten : Je mehr man den Kehlkopf ab-
zieht, desto mehr biegt die hintere
Rachenwand in sanftem Bogen gegen
die genannte Stelle nach vorn ab. Hier
ist also ein energischer Verschluss vor-
handen.
Es fragt sich vor allem, wie sich die
Speiseröhre von dieser Stelle an, wel-
chen wir als ihren Anfang bezeichnet
haben, weiter nach abwärts verhält.
Wir müssen also jetzt noch weiter in
die Tiefe vorzudringen suchen. Ich
habe zu diesem Zweck vor allem den
Versuch gemacht, durch einen wesent-
lich energischeren Zug, als er von oben
ausgeführt werden kann, den Larynx
von der Wirbelsäule abzuziehen. Dazu
standen mir 3 Tracheotomierte zur
Verfügung. Der subglottische Raum
wurde von der Wunde aus gut kokaini-
siert, dann ging ich mit einem Haken
nach oben zu ein und zog energisch am
Ringknorpel selber, während ich
gleichzeitig mit dem Spiegel bei vorge-
beugtem Kopf (um den Hals des Pa-
tienten möglichst zu erschlaffen) den
Hypopharynx betrachtete. Ich stellte
so fest, dass auch bei einer derartigen
Kraftentfaltung der Anfang der Speise-
röhre — denn als solchen müssen wir
offenbar diese Stelle auffassen — , nicht
zum Klaffen zu bringen ist. Das Mün-
dungsgebiet bleibt fest geschlossen
und wird mitsammt dem Kehlkopf
nach vorn gezogen. Die hintere Ra-
chenwand wird über dem Eingang von
der Wirbelsäule stark entfernt und an-
gespannt. So fest haftet die Stelle des
Speiseröhreneinganges am Kehlkopf,
dass sie sich eher mit dem Kehlkopf-
eingang nach vorn ziehen lässt, als dass
sie sich öffnet.
Es ist jetzt klar, im Anfangsteil der
Speiseröhre liegen die Schleimhaut-
flächen nicht einfach aneinander wie
bei anderen Hohlorganen, sondern sie
werden durch die tonische Muskelkon-
traktion einer Art Sphincter in festem
Kontakt gehalten — eine ringförmig
angeordnete Muskulatur schliesst dau-
ernd die Speiseröhre ab.
Aber noch mehr! Diese Muskulatur
muss mit dem Ringknorpel in fester
Verbindung stehen, sonst wäre es nicht
möglich, dass der Oesophaguseingang
beim Zug am Kehlkopf nach vorn die-
sem folgt. Die anatomische Unter-
suchung lehrt, dass in der Tat derjeni-
ge Teil des Constrictor inferior, den
wir als Crico-pharyngeus bezeichnen,
die hier geforderten Bedingungen er-
füllt. Er entspringt an der Seite des
Ringknorpels hinter dem Crico-thyreo-
ideus, zieht in Schleifenform um den
Anfangsteil des Oesophagus herum
und erreicht die andere Seite des Ring-
knorpels. Der tonische Kontraktions-
zustand dieses Muskels erklärt die ge-
nannte Erscheinung.
Weitere Aufschlüsse kann uns die
Oesophagoskopie verschaffen. Es ist
ein Leichtes, mit einem Rohr von pas-
sendem Kaliber hinter dem Ringknor-
pel vorbei bis zum Oesophaguseingang
vorzudringen und dann das Rohr unter
fortgesetzter Beobachtung in den
Oesophagus hinein zu schieben. Wir
finden dabei auf einer Strecke von eini-
gen Zentimetern ein fest geschlossenes
Lumen, das sich vor dem Rohr lang-
sam entfaltet (Mundstück der Speise-
röhre), und kommen erst dann in den
klaffenden Teil der Speiseröhre. Die
analoge Beobachtung lässt sich beim
Herausziehen des Rohres anstellen,
worauf schon v. Mikulicz hinge-
wiesen hat. Schon in seiner Arbeit
über die Oesophago- und Gastroskopie
im Jahre 1881 begegnen wir der Be-
merkung, dass der Oesophaguseingang
durch den Constrictor inferior ge-
schlossen gehalten werde. Wie ich ge-
zeigt habe, kommt nur der Ringknor-
pelanteil dieses Muskels in Betracht,
128
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
offenbar beteiligt sich aber auch die
Ringmuskulatur des Oesophagus sel-
ber eine Strecke weit.
Die Tatsache, dass die Speiseröhre
nach unten von ihrem Anfangsgebiet
bis zur Cardia eine klaffende Röhre
darstellt, die mit Luft gefüllt ist, hat
v. Mi k u 1 i c z über allen Zweifel erho-
ben und auch auf physiologischem
Weg eingehend geprüft. Bei jeder
Oesophagoskopie kann man sich von
neuem von ihrer Richtigkeit überzeu-
gen ; v. Mikulicz zeigte auch, dass
die Luft in der Speiseröhre unter einem
negativen Druck steht. Ich dachte
vorübergehend, man könne mit diesem
negativen Druck vielleicht das Ge-
schlossensein des Anfangsstückes der
Speiseröhre erklären und habe, um mir
Klarheit zu verschaffen, während der
Ausführung der unteren Hypopharyn-
goskopie einen Katheter in den Luft-
raum der Speiseröhre eingeführt. Das
Anfangsstück des Oesophagus um-
schloss den Katheter krampfhaft, kam
aber nicht weiter zum Klaffen.
Durch die Annahme eines sphincter-
artigen Verschlusses des Oesophagus-
einganges wird der Vergleich mit der
Cardia des Magens angeregt. Auch
die Cardia ist durch tonische Muskel-
kontraktion geschlossen. Ihr Ver-
schluss löst sich auf reflektorischem
Wege während des Schluckens und
während des Erbrechens. Wie verhält
sich das Mundstück der Speiseröhre in
dieser Hinsicht? Ich kann hierüber
eine Reihe höchst interessanter Be-
obachtungen anführen, vor allen Din-
gen den Fall, der meine Aufmerksam-
keit auf diese Verhältnisse hinlenkte
und den Karl v. Eicken in seinem
Aufsatz über die Hypopharyngoskopie
bereits erwähnt hat. Es handelt sich
um eine Patientin, welche während
der laryngoskopischen Lntersuchung
durch den Kitzel des Spiegels zu
Würgbewegungen veranlasst wurde,
v. Eicken beobachtete dabei, dass
man einen tiefen Blick in den Hypo-
pharynx gewann und dass sich manch-
mal sogar die Speiseröhre selber weit
öffnete. Ihr gesammtes Mundstück
kam zum Klaffen. Ich hatte in einem
günstigen Augenblick sogar Gelegen-
heit, etwas höchst Eigenartiges zu
sehen. Im Bereiche des unteren Drit-
tels der Ringknorpelplatte sprang eine
dicke halbmondförmige Falte vor, wel-
che sich von der hinteren W and des
Hypopharynx beiderseits nach vorn
zum Ringknorpel hin erstreckte. Als
wir diese Erscheinung noch weiter be-
obachten wollten, versagte leider die
Patientin, ,,sie tat ihre Speiseröhre
nicht mehr auf." Das Gesehene be-
schäftigte mich sehr. Ich erkannte die
Wichtigkeit dieser Beobachtung und
dachte sofort an die Paralelle mit dem
Bassavant'schen Wulst, welcher sich
bekanntlich im Bereiche des oberen
Endes des Constrictor superior bildet
gegenüber dem Velum palatinum,
wenn der Epipharynx beim Sprechen
oder Schlucken abgeschlossen werden
soll. Gern hätte ich das Phänomen
noch weiter studiert, die Patientin
wurde noch öfter bestellt, aber sie tat
uns merkwürdiger Weise nicht den
Gefallen. ihren Speisenröhrenmund
wieder zu öffnen. So trat die ganze
Frage in den Hintergrund, bis dieselbe
Patientin im Anfang dieses Jahres wie-
der auf der Bildfläche erschien. Dies-
mal war es ein Leichtes, durch Kitzeln
mit dem Larynxspiegel Würgbeweg-
ungen auszulösen, das Mundstück der
Speiseröhre zum Klaffen zu bringen
und meine halbmondförmige Falte,
die Lippe des Speisenröhrenmundes.
mit überzeugender Klarheit festzustel-
len.
Jetzt kam es darauf an. zu prüfen,
ob diese Lippe einen zufälligen Befund
darstellte, eine Eigentümlichkeit un-
serer Patientin aus dem Glottertal, oder
ob es sich um eine allgemeine Er-
scheinung handelte. Ich führte zu die-
sem Zweck bei einer Reihe von Patien-
ten die Hypopharyngoskopie aus und
bemühte mich. Würgbewegungen aus-
zulösen. Es gelang mir zwar nicht in
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
129
jedem Fall, aber doch bei einer genü-
genden Anzahl dasselbe zu erzielen
wie bei der oben zitierten Patientin.
Das Mundstück des Oesophagus kam
im Moment des Würgens zum Klaffen
und die halbmondförmige Lippenfalte
trat deutlich hervor. Man konnte sich
überzeugen, dass es sich nicht um eine
reine Schleimhautfalte handeln konnte,
sondern offenbar zugleich auch um ei-
nen Muskelwulst. Misserfolge hatte
ich, wenn die Würgbewegungen so
heftig eintraten, dass keine reguläre
Beobachtung mehr möglich war.
Durch ausgiebige Kokainisierung Hess
sich der ganze Vorgang so mildern,
dass noch ein positives Resultat zu
Stand kam. An dem regelmässigen
Auftreten der halbmondförmigen Lip-
penfalte des Oesophagusmundes beim
Würgen ist also kaum mehr zu zwei-
feln. Wir lernen aber auch zugleich,
dass das Mundstück der Speiseröhre
sich beim Würgen verhält, wie die
Cardia. Die Würgbewegung ist ja nur
ein Teil der Brechbewegung und bei
dieser kommt die Cardia zum Klaffen,
gleichzeitig mit dem Mund der Speise-
röhre.
Nun fehlte mir noch die Beobach-
tung der Verhältnisse beim Schlucken,
denn die Würgbewegung ist ja eine
retrograde Bewegung, die Schluckbe-
wegung dagegen eine vorwärtsschrei-
tende. Die Ausführung der Hypo-
pharyngoskopie mit einem langen gra-
den Spatel, den v. Eicken nach dem
Muster des Amerikaners H. P. M o-
s h e r hatte anfertigen lassen, gab mir
Gelegenheit, meinen Schleimhautmus-
kelwulst auch beim Schlucken zu
sehen, ebenso wie die Eröffnung des
Mundstückes der Speiseröhre. Zwei
Patienten, die ich in dieser Art prüfte,
konnten bequem an dem schmalen
Spatel vorbeischlucken. Dabei kam
die Lippe des Oesophagusmundes zum
Vorschein und der Mund selber klaffte.
So unterliegt es also keinem Zweifel,
dass die Speiseröhre über einen Ver-
schlussmechanismus verfügt, gerade
so wie der Mageneingang. Daraus er-
gibt sich die Aufklärung einer ganzen
Reihe von Erscheinungen, über die wir
uns früher nicht genügend klar gewor-
den sind.
Es ist bekannt, dass es Personen
gibt, welche 1 oder 2 mal ange-
schlucken und danach grosse Flüssig-
keitsmengen ohne sichtliche Schluck-
bewegungen in den Magen hinunter
giessen können. Die Helden im Bier-
jungentrinken sind ein prägnantes Bei-
spiel dafür. Hier wird offenbar durch
Willensimpuls der Tonus der Sphinc-
teren am Anfang und am Ende der
Speiseröhre eine Zeitlang gehemmt.
Wir werden wohl nicht fehlgehen,
wenn wir die Konstriktionsempfindun-
gen, Globusgefühle in der Halsgegend
mit einem verstärkten Kontraktionszu-
stand des Speisenröhrenmundes in Be-
ziehung bringen. Ich erinnere an die
Empfindung beim raschen Schlucken
stark kohlensäurehaltiger Flüssigkei-
ten.
Verätzungsstrikturen der Speise-
röhre findet man häufig gerade im Be-
reiche ihres Mundes, weil die Säure
hier intensiver eingewirkt hat. Wahr-
scheinlich lässt der Oesophagusmund
die Säure nicht anstandslos passieren
und legt ihr durch Kontraktur trotz
der angesetzten Schluckbewegung ein
gewisses Hindernis in den Weg.
Fremdkörper bleiben mit Vorliebe
im Bereiche des Oesophagusmundes
stecken. Die Berührung der Schleim-
haut mit der fremdartigen Masse führt
zu einer Kontraktur des Sphinkters.
Ich erinnere mich nachträglich in zwei
Fällen von verschluckten Münzen, wel-
che im Mundstück des Oesophagus
feststeckten, einen Kontraktionsring
über der Münze gesehen zu haben,
welcher der Extraktion gewisse
Schwierigkeiten bereitete.
Ungenügend gekaute, noch grobe
Bestandteile enthaltende Bissen wirken
ähnlich wie Fremdkörper. Der Oeso-
phagusmund lässt die Nahrung nur in
weicher Form gern passieren. So ent-
130
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
steht, wenn das hastige Schlucken un-
genügend gekauter Nahrung jahrelang
betrieben wurde, der bekannte Zustand
des Oesophagospasmus, den ich in
zahlreichen Fällen beobachtet habe. Die
Patienten geben dabei deutlich an,
dass sie ein Konstriktionsgefühl haben
im Bereiche des Oesophagusmund-
stückes und dass hier öfter die Speisen
schwer durchgehen. Der Oesophago-
spasmus kann mit dem Kardiospasmus
vergesellschaftet sein und beide sind
oft sekundäre Neurosen bei chronischen
Erkrankungen des Magens. Bei der
Erklärung der Dilatation der Speise-
röhre infolge von Kardiospasmus darf
das Verhalten des Oesophagusmund-
stückes nicht mehr ausser Betracht ge-
lassen werden, wenn die in die Speise-
röhre gelangte Nahrung zwischen zwei
Sphincteren gepresst wird, so lässt
sich eine Dilatation leichter verstehen.
Helles Licht bringt meine Beobach-
tung in die Frage der Entstehung der
Pulsionsdivertikel der Speiseröhre.
Wir wissen jetzt, dass diese Divertikel
nicht mehr zur Speiseröhre, sondern
zum Hypopharynx zu zählen sind,
denn sie liegen regelmässig über der
halbmondförmigen Lippe des Speisen-
röhrenmundes. Diese Lippe ist iden-
tisch mit dem, was ich früher als
Schwelle des Divertikels bezeichnet
habe. Präpariert man die Muskulatur
dieser Gegend beim Divertikel, so kann
man meine Behauptung bestätigen.
Die Fasern des Crico-pharyngeus
ziehen stark hypertrophiert durch die
Schwelle des Divertikels. Das Diver-
tikel erstreckt sich nach hinten, es ge-
hört der hinteren Wand des Hypo-
pharynx an. Es ist leicht verständlich,
dass diese Wand bei erhöhten Druck-
verhältnissen während des Schluckens
nachgeben muss, denn die vordere
wird von der Ringknorpelplatte gebil-
det. Von einer kleinen Bucht aus,
welche über der Lippe des Speise-
röhrenmundes entstanden ist, kann
sich allmählig sehr wohl durch wei-
tere Ausbuchtung ein grösserer Sack
entwickeln. In der Regel handelt es
sich um Patienten, die schlecht gekaut
und hastig geschluckt haben — Leute
in höherem Alter. Diese Pulsionsdi-
vertikelbildung ist das Analogon der
Dilatation der Speiseröhre nach Kar-
diospasmus. Wir werden nicht fehl
gehen, wenn wir annehmen, dass spa-
stische Vorgänge am Oesophagus-
mund mit zur Divertikelbildung
helfen.
Damit soll nicht gesagt sein, dass
diese mechanische von Zenker in-
augurierte Theorie die Geheimnisse
der Pulsionsdivertikelbildung im Be-
reiche des Hypopharynx vollständig
enthüllt. Bekanntlich hat v. Berg-
mann immer noch für die Entstehung
aus einer angeborenen Anlage plai-
diert. Ich bin der Ansicht, dass beide
Theorien wahrscheinlich zu Recht be-
stehen. Mir scheint namentlich, dass
die bei jugendlichen Individuen be-
obachteten Divertikel mit engem Ein-
gang doch wohl kaum rein mechani-
schen Ursprunges sein können. Vor
kurzem haben wir einen solchen Fall
beobachtet und mit allen unseren
Hilfsmitteln genau studiert. Hier
konnte man sich des Eindrucks nicht
erwehren, dass doch wohl anfänglich
eine Anlage da gewesen sein muss,
welche auf mechanischem Wege zu ei-
nem Sack erweitert wurde. Aus mei-
nen Untersuchungen über die Bursa
pharyngea weiss ich noch, dass bei ge-
wissen Säugetieren in der bewussten
Gegend Pharynxdivertikel regelmässig
vorkommen. Warum sollte das nicht
auch beim Menschen in allerdings un-
gemein seltenen Fällen möglich sein?
Vielleicht löst einmal der Zufall diese
interessante Frage.
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
131
lieber Wanderniere.
Von Geh. -Rat Prof. Dr. Kuester.
Meine Herren! Gestatten Sie mir
zunächst, meiner Genugtuung Aus-
druck zu geben, dass Ihre freundliche
Einladung mir Gelegenheit gibt, vor
Ihnen ein Thema zu erörtern, mit dem
ich mich Jahre meines Lebens beschäft-
igt habe, die Nierenchirurgie. Ich habe
aus diesem sehr umfangreichen Thema
ein Kapitel gewählt, welches mir be-
sonders zur Erörterung geeignet er-
scheint, nicht etwa aus dem Grunde,
weil ich imstande bin, wesentlich,
Neues zu bieten, sondern weil inner-
halb der elf Jahren, seit meine Nieren-
chirurgie erschienen, eine Reihe von
Arbeiten gekommen sind, welche neue
Gesichtspunkte aufstellen und welche
meine Ansichten zum Teil bekämpfen.
Es ist mir eine besondere Freude, diese
Erörterung vor einer Gesellschaft zu
machen, deren Mitglieder zum grossen
Teil in Europa nicht nur bekannt sind,
sondern deren Namen einen ausseror-
dentlich guten Klang hat.
Die Wanderniere ist eine so ausser-
ordentlich häufige Krankheit, dass man
wohl sagen kann, sie ist eine der Geis-
sein des weiblichen Geschlechts.
Schon von diesem Gesichtspunkt aus
ist es wirklich der Mühe wert, sich ein-
gehend mit der Sache zu beschäftigen.
Wenn die Wege, welche für die Be-
handlung der Wanderniere eingeschla-
gen worden sind, nicht immer dem ent-
sprechen, was ich wünschen möchte,
so trägt daran die Schuld ein Mann,
der sehr grosse Verdienste um die
Nierenchirurgie sich erworben hat, ein
sehr verdienter Kollege und Freund,
James Israel, der aber in dieser
*) Vortrag, gehalten in der Deutschen med.
Gesellschaft der Stadt New York am 3. Juni
1907.
Frage sich seit Jahren durchaus ab-
lehnend verhält. Ich werde nachzu-
weisen versuchen, mit welchem Recht.
Die erste der Fragen, in welcher eine
sehr verschiedene Anschauung sich
geltend macht, ist die Frage nach der
Entstehung der Wanderniere. Immer
wieder taucht die Meinung auf, dass
in sehr vielen Fällen die Wanderniere
nur ein kongenitales Leiden sei.
Meine Herren ! Das ist weder patholo-
gisch-anatomisch noch klinisch zu
rechtfertigen. Wenn wir patholo-
gisch-anatomisch ein verlagerte Niere
sehen, welche auf kongenitaler Basis
beruht, sehen wir, dass es nicht bloss
die Ektopie ist, welche das We-
sen der Sache darstellt, sondern
dass zugleich eine ganze Reihe von
anderweitigen Veränderungen, Ver-
kürzung der Harnleiter und derglei-
chen vorhanden ist. Wir werden also
in einem Fall, in welchem wir die Sek-
tion zu machen Gelegenheit haben,
kaum jemals irgend welche Zweifel
haben. Aber auch klinisch ist die
Sache sehr wohl zu unterscheiden.
Wenn wir einen Tumor finden, etwa
am Rande des Beckens, den wir durch
anderweitige Untersuchung als eine
Niere ansehen müssen, ist es kaum ei-
nem Zweifel unterlegen,dass wir es
mit einer kongenital verlagerten Niere,
nicht mit einer Wanderniere zu tun
haben. Die Wanderniere kann fest
werden, nicht aber ist sie es von vorn-
herein, und wir werden aus dem
Munde der Kranken in den meisten
Fällen erfahren, dass sie eine beweg-
liche Geschwulst schon seit Jahren im
Bauch gefühlt haben, bis unter gewis-
sen Erscheinungen diese Geschwulst
fest wurde. Das ist ein so sicherer
Gang der Ereignisse, dass wir auch
132
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
klinisch nicht im Zweifel sein kön-
nen, was wir vor uns haben. Wenn
wir so die kongenitale Verlagerung als
in Bezug stehend zur Wanderniere ab-
lehnen müssen, so fragt es sich, ob wir
überhaupt eine kongenitale Wander-
niere annehmen können. Die Frage
muss verneint werden, denn wir sehen,
dass gerade eine bestimmte Anzahl
von Frauen, die schlanken, mageren,
eine besondere Prädisposition für die
Entstehung der Wanderniere haben.
Es muss also etwas an dem Bau des
Körpers sein, was den treibenden Ein-
flüssen, die Wanderniere hervorrufen,
freien Spielraum gibt, und so dürfen
wir annehmen, dass zwar eine kongeni-
tale Disposition vorhanden ist, nicht
aber eine kongenitale Wanderniere.
Der Einfluss, welcher die Wanderniere
bedingt, ist ausschliesslich traumati-
scher Natur, und zwar in zwei grossen
Gruppen, entweder so, dass das Trauma
ganz akut wirkt oder dass eine oft
wiederholte traumatische Einwirkung
die Verbindungen lockert, die die
Niere an ihrem Platz festhalten. Diese
Verbindungen sind nicht nur die
Nierenkapseln, Fettkapseln, sondern
von der Nierenkapsel strahlen eine
Anzahl von Bindegewebesträngen aus,
die durch alle diese Hüllen hindurch in
Verbindung dringen mit der Faszie
der Muskeln der Vorderseite und wel-
che selbst zwischen die Muskelbündel
sich hinein schieben. Wie überall, kann
auch unter solchen Umständen etwas
gelockert werden, und dann verliert die
Niere ihren Halt. Es ist aber ein Mo-
ment vorhanden, welches für die ganze
Frage der traumatischen Entstehung
der Wanderniere in erster Linie in Be-
tracht kommt, die Adhäsionsbewegung
der elften und zwölften, der beiden
freien Rippen. Wir können uns nun
unschwer davon überzeugen, dass es
durch einen Druck oder Schlag ge-
lingt, die Nieren so stark der Wirbel-
säule zu nähern, dass dadurch entwe-
der die Niere eingequetscht wird und
verletzt werden kann oder dass sie in
ihrem Lager gelockert wird. Es haben
statistische Erhebungen festgestellt,
dass die verschiedenen Erscheinungen,
die nach solchen Adhäsionsbewegun-
gen auftreten, nämlich die Zerspreng-
ung der Niere und die Lockerung der
Niere, sich in auffälliger Weise auf
beide Geschlechter verteilen, sodass sie
in umgekehrtem Verhältnis stehen.
Sprengung der Niere in 92 Prozent
beim Mann, 8 Prozent beim Weib,
während die Wanderniere in 86 — 88
Prozent aller Fälle beim Weib und 12
— 14 Prozent beim Mann vorkommt.
Es geht daraus hervor, dass die glei-
chen Traumen einwirken können, ohne
doch die gleichen Veränderungen zu
erzeugen, sodass etwas im Bau des
Körpers vorhanden sein muss, was
diese Verschiedenheiten bedingt, und
das ist in der Tat zu suchen in der ver-
hältnismässig kurzer Taille des Weibes,
dem Fettpolster der Hüfte, wodurch
eine Anzahl von Traumen verhindert
werden. Die Adhäsion der 11. und 12.
Rippe ist es nun. welche uns einzig
und allein das Verständnis eröffnet für
die früher nicht recht erkannte und
auch jetzt noch vielfach bekämpfte An-
schauung, dass durch Muskelzug eine
Wanderniere entstehen kann, ebenso-
wie dadurch unzweifelhaft eine
Sprengung der Niere entstehen kann.
Die Literatur weist eine Menge von
Beispielen nach, z. B. einen Fall von
einem Mann, der einen vom Wagen
fallenden Sack aufzuhalten sucht,
plötzlich heftige Schmerzen in der
Nierengegend fühlt, Urindrang be-
kommt und reines Blut durch den
Urin entleert. In gleicher Weise sehen
wir, dass eine solche heftige Muskel-
anstrengung, das Heben eines schwe-
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
133
ren Gegenstandes, das Hochlangen
und Herunterheben eines schweren
Gegenstandes bei dem Weibe plötzlich
eine Wanderniere zu erzeugen vermag.
Wir haben also anzunehmen, dass un-
ter solchen Umständen eine Zerreisung
der Aufhängebänder der Niere stattfin-
det und so die Niere aus ihrer Lage
verschoben wird.
Neben dieser Form der traumati-
schen Einwirkung haben wir eine
Reihe von anderen Einwirkungen. Es
sind diese traumatischen Einwirkun-
gen aber zweifellos unendlich häufiger,
als man früher angenommen hat. Je-
mehr Wandernieren ich gesehen habe,
destomehr bin ich zu der Ueberzeug-
ung gekommen, dass akute Traumen
ziemlich häufig derartige Einwirkun-
gen darstellen, welche die Niere zum
Lockern bringen.
Die zweite Gruppe traumatischer
Einwirkungen ist chronischer Natur.
Diese wirken langsam und allmählich.
Unter ihnen spielt eine besondere Rolle
das Schnüren, aber das Schnüren nicht
bloss in der Form, wie es in früherer
Zeit beim Weibe üblich war, dass mit
grosser Gewalt der untere Brustkorb
zusammengezogen wird, sondern es
genügt dazu schon das Zubinden der
Röcke. Wenn diese etwas stark ange-
zogen werden, verursachen sie Ein-
schnürung in der Lendengegend, und
wenn dabei schwere Arbeit verrichtet
wird, wird bei jeder tiefen Inspiration
das Rockband tiefer einsinken und bei
der konischen Form der Lendengegend
beim Weibe gegen die untere Rippe
gedrückt werden. So kann ein anschein-
end unbedeutendes Trauma doch ge-
nügen, um im Verlauf von Wochen
oder Monaten allmählich die Haltebän-
der so zu beeinflussen, dass sie nach-
geben, und zwar geschieht das am häu-
figsten auf der rechten Seite, schon
deshalb weil die rechte Niere mit
ihrem unteren Boden in die 12. Rippe
hinaufreicht und deshalb leicht nach
unten gedrückt werden kann. Ich
möchte noch hinzufügen, dass man
sich von der Einwirkung der Schnür-
vorrichtung nach den Versuchen in der
Kieler Klinik, die von Bartels und
seinen Schülern gemacht wurden, sehr
gut überzeugen kann. Wenn man den
Leib einer Leiche öffnet und mit einer
kräftigen Schnürvorrichtung den un-
teren Teil des Thorax zusammen-
drückt und die Hand in die offene
Bauchhöhle einführt, fühlt man, wie
die Niere unter dem Druck etwas nach
aufwärts geht.
Ich kann mich also in Bezug auf die
Aetiologie dahin zusammenfassen,
dass in der Tat die kongenitale Ent-
stehung der Wanderniere abgewiesen
werden muss und dass einzig und al-
lein traumatische Einflüsse akuter oder
chronischer Natur die Wanderniere
veranlassen.
Wie ist nun der Verlauf eines sol-
chen Leidens? Für unsere therapeuti-
sche Besprechung werden wir in erster
Linie die Frage aufstellen müssen, ob
denn eine Wanderniere sich selbst
überlassen, so schwere Störungen her-
vorruft, dass wir mit einfachen Mit-
teln nicht mehr auskommen. Ist das
der Fall oder nicht? Darauf ist zu
antworten : Ja. Es sind zwei Gruppen
von Erkrankungen, die sich ziemlich
regelmässig oder zum grossen Teil der
Wanderniere anschliessen, wenn auch
erst nach Jahren. Die eine Gruppe be-
trifft allgemeine Störungen, die andere
örtliche. Ich sehe von Dingen ab, die
ja regelmässig vorhanden zu sein pfle-
gen, Störungen der Verdauung und der-
gleichen. In der Regel sind dieselben
nicht so erheblich, dass operative Ein-
griffe dadurch herausgefordert werden,
aber eine andere Gruppe von Erschein-
ungen ist von der grössten Wichtig-
134
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
keit, das sind die nervös-hysterischen
Erscheinungen, die sich fast regelmäs-
sig an Wanderniere anschliessen. Es
ist von grosser Wichtigkeit, zu zeigen,
dass alle Formen von hysterischen Er-
scheinungen die Folgen einer Wander-
niere sein können, sowohl Hyperästhe-
sie als Anästhesie. Wie schwer durch
Hysterie das Leben der Patientinnen
beeinträchtigt wird, brauche ich nicht
zu schildern. Wohl aber möchte ich
an die Tatsache erinnern, dass die
hysterischen Erscheinungen, welche
auf irgend welche körperliche Verän-
derungen zurückgeführt werden kön-
nen, wenn sie sehr lange bestanden
haben, auch dann nicht mehr rück-
gängig werden, wenn sie sich gewis-
sermassen von dem Mutterboden, auf
dem sie aufgewachsen sind, losgelöst
haben und ganz selbständig geworden
sind. Das ist eine Tatsache, die zu
kennen für die Behandlung von der
grössten Wichtigkeit ist. Es liegt auf
der Hand, dass wir von vornherein uns
sagen müssen, dass wir nicht alle Hy-
sterischen heilen können.
Die andere Gruppe der Erscheinun-
gen ist örtlicher Natur. Sie beschränkt
sich auf Veränderungen in der Niere.
Es ist Tatsache, dass ein sehr grosser
Teil der Sackniere, wie ich sie genannt
habe, zurückgeführt werden kann auf
Stauung, hervorgerufen durch Wan-
derniere, und merkwürdigerweise ge-
rade der Gegner dieser Anschauung,
nämlich Israel, welcher nachgewie-
sen hat, dass in mindestens 92 Prozent
aller Fälle die Sackniere auf eine be-
wegliche gewordene Niere zurückge-
führt werden kann. Sie wissen, dass der
Harnleiter die allerverschiedensten
Stellungen einnimmt. Es kann zu ei-
ner bogenförmigen Krümmung kom-
men, in den Fällen aber, in denen ir-
gend ein entzündlicher Prozess im obe-
ren Teil des Harnleiters stattgefunden
hat, kann es zu winkliger Knickung
kommen. Nach Tierversuchen ruft
nun dies Stauung im Becken hervor.
Wir sehen daraus schon, dass es nicht
in allen Fällen auf einfache Stauung
beschränkt bleibt, sondern nun noch
entzündliche Prozesse irgend welcher
Art hinzukommen, in der Regel infolge
einer Infektion. Denn wie bei allen
Entzündungen des Inhalts von Hohl-
räumen spielt die Stauung eine ganz
erhebliche Rolle, welche den einge-
drungenen Bakterien Gelegenheit zu
ruhiger Weiterentwickelung gibt. So
auch hier. Es mögen erst einfache
sein, dann kommt es zu winkliger
Knickung, dann zu Pyonephrose, zur
Bildung einer Sackniere, wo dann der
Inhalt eitrig wird.
Das sind die beiden Gruppen von
Gefahren, die den Patienten drohen,
die von Wanderniere heimgesucht
werden. Diese Gefahren sind gross
genug, um Veranlassung zu geben,
dass man nicht mit gefalteten Händen
solchen Patienten gegenüber steht,
sondern sobald die Diagnose gestellt
ist, seine Massnahmen trifft, ihnen ent-
gegen zu treten.
Die Diagnose ist leicht zu stellen.
Es handelt sich darum, solche Patien-
ten in verschiedenen Stellungen zu un-
tersuchen und nicht die Sache als ab-
geschlossen anzusehen, wenn man bei
einmaliger Untersuchung nichts ge-
funden hat. Zwei Tage darauf findet
man vielleicht deutlich einen Tumor,
der bei der ersten Berührung unter die
Rippen schlüpfte.
Wie sollen wir der Wanderniere ent-
gegentreten? Die Bemühungen, wel-
che man gemacht hat, um ohne blutige
Opfer zum Ziele zu kommen, können
wohl im wesentlichen als gescheitert
angesehen werden. Es ist schon rich-
tig, dass man bei nicht zu hochgradi-
gen Fällen mit Darreichung eines Kor-
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
135
setts auskommt. Ich habe eine An-
zahl solcher Fälle gesehen, in denen in
der Tat alle Erscheinungen ver-
schwanden und die Frauen sich sehr
wohl fühlten. Bei diesen ist von Ope-
ration nicht die Rede. Aber diese
Fälle gehören zu den seltenen Ausnah-
men, und in der Mehrzahl wird man
immer die Antwort bekommen, es hat
nichts geholfen, ich fühle mich schlech-
ter als vorher. Die Frauen haben
recht. Wir sind also auf die operative
Behandlung angewiesen. Hier haben
wir zunächst eine Operation, die man
im ersten Enthusiasmus anwendet, die
Nephrektomie. Dieselbe könnte in
Frage kommen, wenn man auf eine völ-
lig veränderte, degenerierte, kaum noch
operationsfähige Wanderniere trifft. In
allen übrigen Fällen ist von einem so
radikalen Verfahren abzusehen. Es
handelt sich vielmehr um eine Methode
der Nephropexie, welche uns die Mög-
lichkeit gibt, die Niere an ihrer Stelle
festzuhalten — meine eigene Methode,
die nun seit mehr als 25 Jahren ange-
wendet wird. Da jeder Vater sein
Kind lieb hat, so gestatte ich mir,
Ihnen meine Methode zu schildern, da
ich sie für diejenige halte, welche das
beste Resultat gibt.
(Erläuterung der Methode durch
Zeichnung an der Tafel.)
Das ist die Methode, wie ich sie in
den letzten zwei Jahren regelmässig
geübt habe. Was erreicht man mit
dieser Methode? Zunächst einmal ist
die Methode ganz ungefährlich. Die
Statistiken der Wanderniere ergeben,
dass ungefähr 2 Prozent Todesfälle
vorgekommen sind, und ich selber
habe unter 200 Operationen 4 Todes-
fälle gehabt, die ich aber mit einer
Ausnahme unmöglich auf die Opera-
tion zurückzuführen kann. Drei-
mal ist es geschehen, dass die Pa-
tientinnen 10 oder 12 Tage nach der
Operation sich im Bett umdrehten,
aufsetzten oder wider das Verbot auf-
standen, umfielen und tot waren. Wir
erleben solche Todesfälle auch ander-
weitig. Es ist immer auffällig, zu
sehen, dass dreimal unter 200 Fällen
ein solcher Zufall eingetreten ist. Ich
bin nicht im Stande, einen Zusammen-
hang zwischen der Operation und die-
sem Ereignis zu konstatieren. Der an-
dere Fall ist klar: der Patient starb
am 2. oder 3. Tag an Erbrechen, offen-
bar hervorgerufen durch das Anziehen
der Niere aus ihrer Stellung bei im
übrigen ziemlich ausgedehnter Ne-
phroptose. Ich hatte vor, den Leib zu
eröffnen und die Verhältnisse in Ord-
nung zu bringen. Da erfolgte das Er-
brechen während der Narkose, noch
ehe ich das Messer eingeführt hatte,
und er ging daran zu Grunde.
Wie steht es im übrigen, was er-
reichen wir durch die Operation? Hier
komme ich nun auf die Einwendungen,
welche Israel meiner Statistik ge-
genüber gemacht hat. Er sagt, wenn
ich im ganzen 80% dauernde Heilung
ohne jede weitere Störung gesehen
habe, dass das kein so günstiges Resul-
tat sei, weil andere noch bessere Ver-
hältnisse gesehen haben. Dabei macht
er selber die Bemerkung, dass man
doch unterscheiden müsse zwischen
Fällen, welche unkompliziert waren,
und komplizierten Fällen. Wenn ich
das tue, habe ich von meinen unkom-
plizierten Fällen 92 Prozent dauernde
Heilung und von den komplizierten
Fällen ungefähr 62 Prozent. Immerhin
ist auch bei diesen komplizierten Fäl-
len, bei denen also schon Störungen in
der Niere vorhanden waren, 62 Prozent
ein ausserordentliches gutes Resultat,
welches bei der relativen Ungefährlich-
keit der Operation es verlohnt, dass
man die Operation macht.
Ich glaube, dass die Operation der
136
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
Wanderniere in der Tat es verdient,
mehr geübt zu werden, als bisher der
Fall gewesen. Ich kann Ihnen die Ver-
sicherung geben, dass ich selten dank-
barere Patientinnen gesehen habe wie
die, welche von langjähriger Wander-
niere befreit worden waren. Sie schrei-
ben mir von Zeit zu Zeit immer noch
einmal, um mir zu danken, dass ich sie
von diesem abscheulichen Leiden be-
freit habe, und die Fälle, welche nicht so
günstige Resultate ergeben, gehören in
der Regel zum weitaus grössten Teile
in die Gruppe der komplizierten Fälle.
Nun könnte man sagen, ich operiere
fortan überhaupt nur unkomplizierte
Fälle. Das wäre sehr grausam, denn
viele komplizierte Fälle sind derart,
dass Erscheinungen vorhanden sind,
die völlig verschwinden, wenn man die
Operation macht. Ich möchte deshalb
damit schliessen, dass ich Ihnen drin-
gend ans Herz lege, die Operation der
Wanderniere recht häufig zu üben, um
sich zu überzeugen, dass es in der Tat
eine ausserordentlich segensreiche
Operation ist.
Zur vorzeitigen Ablösung der normal sitzenden Plazenta/1
Von Dr. A. Herzfeld.
Die vorzeitige Ablösung der normal
sitzenden Plazenta während der
Schwangerschaft resp. Geburt ist einer
der unglücklichsten Zufälle, denen wir
in der Ausübung unseres Berufes be-
gegnen. Selbst wenn die Wehen einer
normalen Geburt bereits begonnen,
kann dieses Ereignis plötzlich ohne
jedwede Prodromalerscheinungen ein-
setzen und das Leben der Mutter und
des Kindes auf das höchste gefährden.
Nichts in der Geburtshilfe stellt an die
diagnostische Fähigkeit, Geschicklichr
keit, Vorsicht und rasches Eingreifen
des Geburtshelfers grössere Anforder-
ungen als die gefürchtete und gefähr-
liche Blutung, verursacht durch die
Loslösung der Plazenta von ihrer nor-
malen Haftfläche im Uterus vor Aus-
stossung des Kindes. Glücklicherweise
ist dieses Ereignis selten, doch keines-
wegs so selten, wie uns die älteren
Statistiken lehren, denn mit dem Fort-
schritt unserer diagnostischen Ausbil-
dung und Hilfsmittel werden diese
*) Vortrag, gehalten in der Deutschen med.
Gesellschaft der Stadt New York am i. April
1907. Archiv für Gynäkologie, Band 82.
Fälle genauer beobachtet und besser
beurteilt. Welche Schwierigkeiten
diese Fälle uns in der Diagnose verur-
sachen können, lehrt uns v. W i n c-
kel (1) in seinem Lehrbuche: „Der
Patient kann dem starken Blutverluste
erliegen, noch ehe das Leiden erkannt
ist."
Wie die Diagnose oft schwierig, so
ist die Prognose schlecht für Mutter
und Kind, die Aetiologie und die
1 'athologie noch nicht genügend ge-
kannt, die Therapie schwierig und ihre
Resultate unbefriedigend. Diese Um-
stände haben mich bewogen, im An-
schlüsse an einen eigenen Fall eine
grössere Anzahl Fälle aus der Litera-
tur zusammenzustellen, denn : „The
feeblest ray of light is welcome, when
shed upon obscure diseases." (Good-
ell.)
Anamnese und Krankengeschichte
meines Falles ist folgende :
M. R., 38 Jahre alt, 6 para, von Ge-
burt Italienerin, 13 Jahre in Amerika.
Die Frau hat 4 normale Geburten
durchgemacht und eine Frühgeburt
bald nach ihrer Verheiratung, sonst ist
sie stets gesund gewesen. Anfangs
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
137
des 7. Monates dieser Schwangerschaft
bemerkte sie Oedem an beiden Unter-
schenkeln nnd Füssen. Sie hat diese
Oedeme bei ihrer dritten Schwanger-
schaft bereits bemerkt. Während die-
ser Schwangerschaft klagte sie zeit-
weise über heftige Schmerzen in der
Lebergegend. Ikterus war nie vor-
handen. Dieses ist die ganze Vorge-
schichte, die ich in Verbindung mit
dem Falle erhalten konnte.
Am 19. 6. 04 wurde ich frühmorgens
von einer italienischen Hebamme zu
der Patientin gerufen. Die Hebamme
teilte mir mit, dass, obwohl sie mehrere
Stunden gewartet, sie keinen Fort-
schritt in der Geburt bemerkt und kei-
nen vorliegenden Teil fühlen konnte.
Die Frau hatte alle 5 Minuten ziemlich
heftige Wehen. Bei der äusseren Un-
tersuchung konnte man den Kopf deut-
lich links auf der Darmbeinschaufel
palpieren, der Rücken vorn und links,
die kleinen Teile rechts und der Steiss
im Fundus rechts. Die kindlichen
Herztöne links vom Nabel deutlich
und normal. Bei der inneren Unter-
suchung konnte ich obigen Befund be-
stätigen, der Kopf war vom Becken-
eingang abgewichen, stand auf der lin-
ken Darmbeinschaufel, das Os uteri
war für zwei Finger durchgängig, die
Wasserblase drängte sich dem unter-
suchenden Finger entgegen. Da kein
Grund für einen sofortigen Eingriff
vorlag, so lagerte ich die Patientin auf
ihre rechte Seite, verliess sie, um nach
einer halben Stunde zurückzukehren.
Vor dem Hause der Patientin stürzte
mir eine Frau entgegen, die mir zu
verstehen gab, dass „oben was
Schreckliches sich ereignet, die Frau
liege im Sterben". Ich fand die Frau
in schwerem Kollaps, pulslos, kalt,
langsam stöhnende Respiration, die
Augen halb geöffnet, in kaltem
Schweiss. Der Bauch war sehr auf-
getrieben, der Kopf schien noch an
derselben Stelle zu stehen, die Kindes-
teile undeutlich. Im Bette lagen zwi-
schen den Beinen der Frau mehrere
Coagula und noch sickerte Blut aus
den Genitalien der Frau. Die He-
bamme teilte mir mit, dass dieser Zu-
stand vor wenigen Minuten plötzlich
eingetreten sei, ohne dass sie die Frau
im geringsten berührt, noch dass die
Frau sich aufgerichtet. Ich konnte
mir im Augenblicke diesen plötzlichen
Wechsel in dem Zustand der vor einer
halben Stunde noch vollends gesunden
Frau nicht erklären. Ich war mir klar,
dass die moribunde Frau sofort ent-
bunden werden müsste. Ich ging so-
fort mit der linken Hand in den Uterus
ein, die Vagina war mit Coagula ge-
füllt, die Cervix gab unter leichtem
Druck nach. Ich fasste den mir nächst-
liegenden Fuss und machte die Wen-
dung, extrahierte das Kind, ohne dass
die Frau im geringsten reagierte. Mit
der Geburt des Kopfes stürzten Pla-
zenta, eine grosse Menge Coagula und
flüssiges Blut aus den Genitalien.
Jetzt sah ich, was sich hier ereignet
hatte. Die Nabelschnur war nicht um-
schlungen. Das Kind war frischtot.
Die Wendung und Extraktion hatten
nur wenige Minuten in Anspruch ge-
nommen. Während die Hebamme den
schlecht kontrahierten Uterus hielt,
machte ich der Frau eine Kochsalzin-
fusion. Die Plazenta habe ich nur
oberflächlich untersuchen können, da
dieselbe in der Aufregung weggewor-
fen wurde, auffällig Abnormes konnte
ich an derselben nicht bemerken. Ich
gab der Frau Ergotin und Stimulan-
tien, worauf sie sich allmählich er-
holte. Nachblutung hatte sie keine
und sie machte ein fieberloses Wochen-
bett durch.
Eine Untersuchung ihres Allgemein-
zustandes ergab Folgendes : Herz und
Lungen gesund.. Der zweite Pulmo-
nalton verstärkt. Leber und Milz von
normaler Grösse. An Magen und
Darm nichts Abnormes. Die Oedeme
an Füssen und Unterschenkeln sind
noch vorhanden. Der Urin enthielt
kein Eiweiss, noch andere pathologi-
sche Bestandteile.
138 New Yorker Medizin
Dass es sich in diesem Falle um
eine vorzeitige Ablösung der normal
inserierten Plazenta gehandelt haben
dürfte, kann wohl für sicher angenom-
men werden. Keine Komplikation der
Geburt verursacht in solch kurzer
Zeit derartig schwere Symptome des
Kollapses, einen solch lebensbedrohen-
den Zustand, als der schwere Blutver-
lust des von seiner normalen Haft-
fläche im Uterus vorzeitig losgelösten
Mutterkuchens. Nach dem klinischen
Bilde des Falles zu urteilen, wäre man
wohl zur Annahme berechtigt, dass es
sich in diesem Falle um eine sofortige
totale Lösung der Plazenta gehandelt
haben dürfte, das plötzliche Einsetzen
des schweren Kollapses und mit der
nur wenige Minuten nach Einsetzen
der akuten Symptome vorgenomme-
nen Extraktion stürzte die total ge-
löste Plazenta mit dem Kinde heraus.
Adhärente Coagula hatte ich an der
Plazenta nicht bemerkt. Die Nabel-
schnur war von genügender Länge.
Das frischtote Kind hatte keinerlei
Verletzungen und war voll ausgetra-
gen.
Von Interesse dürfte noch in der
weiteren Geschichte dieser Frau sein,
dass sie letztes Jahr von einem gesun-
den ausgetragenen Kinde entbunden
wurde. Die oben beschriebenen Oe-
deme waren wieder vorhanden. Sie
klagte seit Geburt ihres letzten Kindes
über häufige Anfälle von schwerem
Gelenkrheumatismus. Der Urin ist
frei von Eiweiss, die Herztöne sind
leise, doch rein.
Geschichtliches.
Die „verborgene" Blutung in den
schwangeren Uterus war schon im 16.
Jahrhundert bekannt, wie uns A. C.
Baudelocque in seiner „Anleitung
zur Entbindungskunst" mitteilt. Gu i 1-
1 e 111 e a 11 (1612) kennt die Blutung
hinter die „afterburthen", welche die
Unterbrechung der Schwangerschaft
im Gefolge hat. Paul Portal
(1664) kennt ebenfalls diese gefahr-
ische Monatsschrift.
volle Komplikation der Geburt.
Thomas Ray na 1 (1634) beobach-
tete die schwere Blutung der vorzeiti-
gen Ablösung der Plazenta nach hefti-
gem Erbrechen, nach starken Abführ-
mitteln und nach Trauma. C o s m e
V.iardel (1671) führt die Blutungen
ebenfalls auf Trauma zurück. Will-
iam G i f f a r d (1 734) spricht von ei-
ner „real" und einer „partial Separation
of the placenta", welche am häufigsten
im Fundus uteri zu suchen ist, woher
auch die Blutungen kommen. Die to-
tal gelöste Plazenta kann auf das Os
internum herabfallen. G i f f a r d dila-
tiert sofort das Os uteri manuell,
sprengt die Blase, macht die innere
W endung und löst den Kopf mit dem
Mauriccau'schen Handgriff. Fran-
gois Mauriceau beschreibt aus-
führlich das klinische Bild der vorzeiti-
gen Ablösung der normal inserierten
Plazenta, welches Ereignis auch durch
die Kürze der Nabelschnur herbeige-
führt werden könnte. Mauriceau
(1740) empfiehlt als einzige Behand-
lung die sofortige Entbindung durch
manuelle Dilatation und Wendung.
Auch La Motte (1746) führt die
vorzeitige Lösung der Plazenta auf
Trauma zurück und empfiehlt die so-
fortige Entleerung des Uterus. M.
Puzos (1759) beschreibt 6 Fälle aus
seiner Praxis und empfiehlt das ,,Ac-
couchement force". Andre L e v r e t
und William S m e 1 1 i e (1766)
kannten die Gefahr der „verborgenen
Blutung" und Leroux (1776) führt
die Tamponade in ihre Therapie ein.
Edward R i g b y (1777) unter-
scheidet zwischen „unavoidable" (Pla-
centa praevia") und „accidental" (vor-
zeitiger Ablösung) hemorrhages. D a-
vid Spence (1784) behauptet, dass
die Lues ein wichtiger ätiologischer
Faktor bei der vorzeitigen Ablösung
der normal inserierten Plazenta wäre,
doch könnte diese auch von anderen
krankhaften Zuständen der Gebärmut-
ter veranlasst werden. Auch Trauma,
Plethora, Kürze der Nabelschnur könn-
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
139
ten das Leiden herbeiführen und die
schnelle Entbindung ist die einzige
Behandlung. A. C. Baudelocque
(1797) berichtet in seiner preisgekrön-
ten Schrift: „Une memoire sur les
hemorrhagies uterines cachees sans
soulement de sang au dehors, pendant
le travail de l'enfantement", alles, was
bis zu dieser Zeit über die vorzeitige
Ablösung der normal sitzenden Pla-
zenta bekannt war. Er beschreibt drei
Fälle aus seiner Praxis, in welchen alle
Kinder und eine Frau zu Grunde gin-
gen. Baudelocque empfiehlt die
sofortige manuelle Dilatation und
Wendung, so lange der Kopf beweg-
lich, die Zange, wenn der Kopf unbe-
weglich im Becken. Thomas Den-
man (1802) kennt die Gefahren der
vorzeitigen Blasensprengung und ver-
langt in der Behandlung der vorzeiti-
gen Ablösung, „jeden Fall für sich zu
beurteilen". Mdme. Boivin (1819)
und Mdme. Lacha pelle negieren
die Möglichkeit einer intrauterinen
Blutung während der Schwanger-
schaft. Obwohl diese beiden „weisen
Frauen" auf eine eigene Statistik von
über 42000 Geburten zurücksehen
konnten, haben sie ein derartiges
Ereignis nicht gesehen. Mdme. L a-
c h a p e 1 1 e behauptet, dass die Theo-
rie des ,,lentikulären" Blutklumpens,
welcher sich hinter der Plazenta bil-
den sollte und hier von ihrer Mitte aus
die Plazenta allmälig ablöse, eine ,,pure
Spekulation" sei. Mdme. Boivin
sagt, dass in den schwangeren Uterus
eine Blutung sich nicht ereignen
könnte, da derselbe mit dem Eisack
und Mutterkuchen angefüllt sei. Eine
Blutung in den schwangeren Uterus
könne auch niemals derartige Dimen-
sionen annehmen, dass sie den Tod der
Mutter verursachen könnte, da die in-
nere Blutung selbst wie ein Tampon
wirke, ,.s'il en etait autrement, il fau-
drait bannir le tampon de la therapeu-
tique des hemorrhagies uterines"
(1819). J. A. Schmidtmu eller
(1800) hält die Blutung nach der „Aus-
sonderung des Kindes" für die gefähr-
lichere, doch empfiehlt auch er für die
Blutung vor der Geburt die Beschleu-
nigung der Entbindung. Tanner
beschreibt 1851 zwei Fälle. E. V.
Siebold (1854) empfiehlt die
Sprengung der Wasserblase, desglei-
chen J. Braxton Hicks (1860),
der 13 Fälle aus der Literatur gesam-
melt. H u g h L. H o d g e (1864) hält
die ,, okkulte" Blutung in den schwan-
geren Uterus zwar nicht für unmög-
lich, doch für unwahrscheinlich, indem
a priori der schwangere Uterus ein
„plenum" sei, was auch schon die
Boivin früher behauptet hatte. Im
Jahre 1870 publizierte W i 1 1 i a m
G o o d e 1 1 seine Statistik von 106 Fäl -
len, eine Arbeit, die allen späteren zur
Richtschnur gedient.
Terminologie.
In der englischen fast ausschliess-
lich, häufig in der französischen Litera-
tur, sind die Fälle der vorzeitigen Ab-
lösung der normal inserierten Plazenta
unter dem Titel der „akzidentellen,
verborgenen Blutung in den graviden
Uterus" berichtet. Dieser Titel ent-
spricht nicht vollständig den tatsächli-
chen Verhältnissen. Die Blutung,
welche durch vorzeitige Ablösung der
normal sitzenden Plazenta verursacht
wird, ist nicht immer eine verborgene,
„concealed, cachee". G o o d e 1 l's
Statistik, welche unter dem Titel „con-
cealed, accidental hemorrhage into the
gravid uterus" erschien, enthält unter
106 Fällen 27 von sofortiger äusserer
Blutung. Holmes (3) „Ablatio
Placentae" nur 45 verborgene Blutun-
gen unter 200 Fällen, in meiner Zu-
sammenstellung von 250 Fällen sind 52
„verborgen", nur ein Fünftel der Fälle.
Der Terminus „accidental" wäre eben-
falls zu beanstanden, mit demselben
Rechte könnte man den „unavoidable
hemorrhage" „accidental" nennen,
„unavoidable" (unvermeidlich) sind in
beiden Fällen die Blutungen. Schlies-
sen wir die Fälle von Ruptur der Na-
140
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
belschnurgefässe oder deren Verzweig-
ungen und jene seltenen Fälle von
Vorfall der Plazenta aus, so sind diese
Blutungen ätiologisch durch die vor-
zeitige Ablösung der normal inserier-
ten Plazenta verursacht, v. W e i ss(4)
spricht von „Ablatio placentae prae-
matura".
Symptomatologie.
Das klinische Bild der vorzeitigen
Ablösung der normal sitzenden Pla-
zenta wird von den Symptomen der
Blutung beherrscht. Die Erscheinun-
gen, welche die Blutung verursacht,
korrespondieren mit der Schwere und
Heftigkeit, mit welcher dieselbe ein-
tritt. Die sich vollständig wohl fühl-
ende Frau wird plötzlich, oft ohne die
geringsten Prodromalerscheinungen,
von einer Ohnmacht befallen, entwick-
elt schnell die Symptome einer schwe-
ren Blutung, Anämie, Atemnoth,
rascher, kleiner, kaum fühlbarer Puls,
Sinken der Körpertemperatur, Aengst-
lichkeit, Ohrensausen, kalter Schweiss
etc. Von 250 Fällen hatten 88 sofort
nach Einsetzen der Ablösung der Pla-
zenta Symptome schweren Kollapses.
Häufiger entwickeln sich die Symp-
tome und Zeichen des schweren Blut-
verlustes langsam und fortschreitend.
Die Blutung ist zunächst eine innere,
es sammelt sich das ergossene Blut
zwischen Mutterkuchen und Uterus-
wand und kann selbst hier genügende
Dimensionen annehmen, den Tod der
Frau herbeizuführen. In den von mir
zusammengestellten Fällen fand ich
drei derartige mit Sektionsbericht be-
schrieben, von Basset t, Davis
und D e n h a m. In dem von B a s-
s e 1 1 berichteten Falle zeigte die Au-
topsie, dass ein Drittel der Plazenta
gelöst war und hinter diesem stark
komprimierten losgelösten Teil der
Plazenta hatten sich in einem ,,Cul de
sac" genügend Coagula angesammelt,
um den Tod der Frau zu verursachen.
Die Eihäute waren in diesen Fällen
nicht von der Uteruswand losgelöst.
In den meisten Fällen ist die Ablösung
anfangs eine geringe, die klinischen
Symptome der inneren Blutung nicht
gefährlich, doch das sich bildende
retroplazentare Hämatom löst all-
mählich eine grössere Fläche los und
auf diese Weise kann es in kurzer Zeit
zur totalen Ablösung des Mutterku-
chens kommen oder es trennt das er-
gossene Blut nur einen Teil der Pla-
zenta los, drängt sich zwischen Ei-
häute und Uteruswand, wo es sich an-
sammelt, ohne dass aussen auch nur
ein Tropfen Blut sichtbar wird. Diese
sind die Fälle von sogenannter innerer
,,concealed"-Blutung, welche am häu-
figsten im Fundus uteri, als dem ge-
wöhnlichen Sitz der normal inserierten
Plazenta, zu suchen ist. Ich habe in
250 Fällen 52 von rein innerer Blutung
gefunden, ungefähr ein Fünftel aller
Fälle, G o o d e 1 1 berichtete von 73 in
106 Fällen. In der grösseren Anzahl
der Fälle drängt das ergossene Blut
nach aussen, überwindet den intra-
uterinen Druck und wird in den äus-
seren Genitalien sichtbar. Durch das
aussen abfliessende Blut kann natürli-
cherweise nicht auf die in das Innere
des Uterus ergossene Blutmenge ge-
schlossen werden, die Schwere der in-
neren Blutung kann nur durch ihre
Wirkung auf den Gesammtorganismus
beurteilt werden. Die innere Blutung
kann öfters durch den Abgang von
Serum oder serosanguinolenter Flüs-
sigkeit erkannt werden. Auf dieses
Zeichen hat zuerst der ältere Barnes
aufmerksam gemacht. Das ausge-
presste Serum darf nicht mit Liquor
amnii verwechselt werden. Dieser Ab-
fluss von Serum bei schwerer innerer
Blutung- wird in den Fällen von Hen-
nig, Meyer, Odebrecht, S i m-
m o n s, W e s t p h a 1 o n erwähnt.
Selten ist die rein innere Blutung in
jenen Fällen vorzeitiger Ablösung der
normal inserierten Plazenta, welche
sich während der Geburt ereignen, da
die Wehen und das bereits geöffnete
Os uteri die äussere Blutung begünsti-
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
141
gen. Von 29 Fällen, in welchen die
Ablösung während der Geburt statt-
fand, waren 3 mit gänzlich innerer
Blutung : C o 1 c 1 o u g h, J a r d i n e,
S c h u h 1. 1 11 diesen Fällen stand die
Wasserblase bis zur Geburt des Kin-
des, ein Beweis, dass die Wasserblase
einen hemmenden Einfluss auf die in-
nere Blutung ausübt. In vielen Fällen
tritt die äussere Blutung erst nach
Sprengung der Blase ein, in anderen
Fällen erst nach Zurückdrängen des
vorliegenden Teiles, der nicht selten
die innere Blutung fast hermetisch ab-
schliesst. Sehr selten ist die Blutung
in den Fruchtsack, welche durch das
Einreissen der dem übermässigen
Druck ausgesetzten Eihäute verursacht
wird, derartige Fälle wurden 4 be-
schrieben : Anderson, Beck,
Gottschalk, S c h u h 1. In den
von Anderson und Beck beschrie-
benen Fällen fehlt die Beschreibung
des Präparates. Unter normalen Ver-
hältnissen verursacht ein Bluterguss in
den Uterus Kontraktionen (Wehen),
die Gebärmutter sucht sich des Fremd-
körpers zu entledigen. Bei der vor-
zeitigen Ablösung der Plazenta scheint
dieser physiologische Vorgang nicht
einzutreffen, denn fast sämmtliche Be-
obachter berichten einstimmig, dass
nach Einsetzen der Ablösung die be-
reits bestehenden Wehen nachgelassen
oder gänzlich ausgesetzt hätten, und
dass der Bluterguss selbst keine
Wehen ausgelöst. Dieses plötzliche
Aussetzen der Wehen wird durch die
Ueberdehnung der Muskelfasern des
Uterus erklärt. Häufig setzt die vor-
zeitige Ablösung mit einem heftigen
Schmerz ein, 62mal wurde dieses be-
obachtet. Die Frauen beschreiben die-
sen Schmerz verschiedenartig, „als
wäre etwas gerissen oder es wäre et-
was im Leibe heruntergefallen
(dropped)". Der Schmerz wird am
häufigsten in den Fundus verlegt,
scheinbar in die Gegend des normalen
Sitzes der Plazenta. Bald nach Ein-
setzen der Ablösung klagen die Pa-
tienten über konstante Schmerzen im
Leibe, der Uterus vergrössert sich und
mit seiner Vergrösserung verschlim-
mern sich die Schmerzen, die Span-
nung wird unerträglich, die Frau hat
das Gefühl des Auseinanderreissens,
des Berstens. Diesen Schmerzen fehlt
jeder wehenartige Charakter, sie sind
konstant, manchmal kolikartig und ha-
ben nicht den geringsten Einfluss auf
das Os uteri. Eine weitere Folge der
Blutung in den schwangeren Uterus
sind die Veränderungen der Gebär-
mutter selbst, ihre Form, Ausdehnung,
Konsistenz, ihre Empfindlichkeit.
Dieses plötzliche Grösserwerden, diese
ballonartige Auftreibung sind patho-
gnomonisch und fehlen selten, wenn
nicht sofort nach der Ablösung eine
starke Blutung nach aussen erfolgt.
Die Ausdehnung im Längsdurchmes-
ser kann derartige Dimensionen an-
nehmen, dass dieselbe der Patientin
schwere Atembeschwerden verur-
sachen kann (Beck, Freuden-
berg). Dieses schnelle Wachstum
der Gebärmutter, das sich oft unter
den Augen des Beobachters vollzieht
und das in keinem anderen Zustande
der Pathologie der Geburt gesehen
wird, sollte einen Irrtum in der Dia-
gnose ausschliessen. Wird aber dieses
plötzliche pathologische Wachstum
der Gebärmutter von dem Geburtshel-
fer nicht bemerkt, so kann dies der An-
lass zu einem anderen Irrtum werden,
i. e. in der Bestimmung des Schwan-
gerschaftsmonates, in welchem die be-
treffende Geburt sich befindet. Be-
kannt ist der Fall von Chevalier,
der eine Sectio caesarea machte, um
einem 3 Monate alten Fötus das Leben
zu retten; derartig war die Gebärmut-
ter mit Blutmassen angefüllt, dass
Chevalier eine Geburt ,.ä terme"
erwartete. J a g g a r d beschreibt ei-
nen Fall, in welchem die Gebärmutter
im 7. Schwangerschaftsmonat am
Proc. xiphoideus stand, ,,der LJterus
enthielt 3 Liter Blut und Coagula".
H e n n i g berichtet einen ähnlichen
14-'
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
Fall. Diese Volumenzunahme des
Uterus ändert auch seine Form.
Hörne beschreibt dieselbe als ,,ro-
tund", Jardine oval, Hennig im
Sagittaldurchmesser vergrössert. In-
teressant und von diagnostischer
Wichtigkeit ist das Erscheinen einer
von aussen fühlbaren Geschwulst im
Fundus uteri, welche durch das hinter
der zentral gelösten Plazenta und
Uteruswand angesammelte Blut verur-
sacht wird. Baudelocque hat auf
diese „Projektion" als diagnostisches
Zeichen zuerst aufmerksam gemacht.
In 22 der von mir gesammelten Fälle
ist diese Geschwulst bemerkt und ge-
nau beschrieben worden. A t c h i s o n
beschreibt dieselbe als hart, wie ein Fi-
broid, W arren spricht von einem
,,bag", der die linke Fundushälfte
durch eine Furche in 2 Teile geteilt,
sobald dieser „bag" (Sack) geborsten,
erfolgte eine Blutung aus den äusseren
Genitalien. Diese Geschwulstbildung
im Fundus uteri wird am häufigsten
bei der sogenannten inneren Blutung
beobachtet, doch kann dieselbe auch
fortbestehen (Coagula), wenn eine
äussere Blutung eingetreten ist. Die
Empfindung, welche uns die mit Blut
und Fötus im Eisack angefüllte Gebär-
mutter bei der Palpation gibt, ist ver-
schieden beschrieben worden, ,, ge-
spannt, hart wie Holz, prall elastisch
wie eine Ovarialcyste, aufgetrieben wie
ein Ballon, aufgespritzt" (Winter).
Die Spannung, welche bis zur Entleer-
ung des Uterus andauert, bedingt die
enorme Empfindlichkeit und Schmerz-
haftigkeit des Organs bei der leisesten
Berührung. Diese Empfindlichkeit der
gespannten Gebärmutter zeigt fast
jede Patientin, es sei denn, dass sie in
tiefem Kollaps oder in vollständiger
Apathie sich befindet, und wird zu-
rückgeführt auf die übermässige Dehn-
ung des den Uterus deckenden Peri-
toneums, wo K o u w e r kleine Zer-
reissungen gefunden hat.
Eine ähnliche Beobachtung machte
L e L o r i e r, er fand das Peritoneum
an einer Stelle des Uterus 1 — 2 cm ab-
gehoben und subperitoneale Ekchy-
mosen. Die durch die Blutung in den
graviden Uterus verursachte übermäs-
sige Ausdehnung und Spannung ma-
chen uns Schwierigkeiten in dem Pal-
pieren der Kindesteile. Fast sämmt-
liche Beobachter beschreiben die
Schwierigkeiten in der genauen Be-
stimmung der Lage des Kindes, die
sich oft nicht einmal annähernd bestim-
men Hess, nachdem die Blutung der
vorzeitigen Ablösung der Plazenta ein-
gesetzt hatte. Diese Schwierigkeit
wird noch erhöht durch das fast gleich-
zeitige Aufhören der kindlichen Herz-
töne. Ist die Blutung langsam und
fortschreitend, so fühlt die Frau zeit-
weise noch unregelmässige Bewegun-
gen des Kindes, die bald nachlassen
um gänzlich aufzuhören. Bei der in-
neren Untersuchung finden wir bei der
äusseren Blutung Coagula in der
Scheide, und hat die Geburt bereits be-
gonnen, auch in der Portio und im un-
teren Uterinsegment. Steht die Blase
noch bei eröffneter Cervix, so drängen
sich die Eihäute dem untersuchenden
Finger entgegen und geben das Ge-
fühl der „Tenseness", Straffheit, be-
sonders bei schwerer innerer Blutung.
Diese Beobachtung machte zuerst
Bruntons, später beschrieben Ba-
ker, Barnes, Johnson u. A. das-
selbe diagnostische Zeichen.
Von anderen Symptomen, welche bei
der vorzeitigen Ablösung der normal
sitzenden Plazenta beobachtet wurden,
möchte ich noch das unstillbare Er-
brechen erwähnen, Bluterbrechen be-
obachtete Gott schalk, eine schwer.?
Epistaxis beschrieb Hirigoyen.
Diagnose.
Differenzialdiagnostisch kommen bei
der vorzeitigen Ablösung der Plazenta
in erster Linie Placenta praevia und
Ruptura uteri in Betracht. Bei der
Placenta praevia finden wir bei der in-
1 neren Untersuchung den abnorm in-
s Herten Mutterkuchen und lassen uns
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
143
durch vorliegende Blutgerinnsel nicht
täuschen. Die Blutung bei Placenta
praevia erfolgt ruckweise, während der
Wehen, bei der vorzeitigen Ablösung
des Mutterkuchens blutet es nach aus-
sen auch in der Wehenpause. Das so-
fortige Grösserwerden des Leibes,
seine ungewöhnliche Schmerzhaftig-
keit bei Berührung, das schnelle Ein-
setzen schweren Kollapses und der
Anämie, die Schwierigkeit in dem Pal-
pieren der Kindesteile und der kon-
stante Blutabgang sprechen für die
vorzeitige Ablösung der normal in-
serierten Plazenta.
Die Uterusruptur, für welche sich
fast immer eine Ursache nachweisen
lässt, ereignet sich am häufigsten wäh-
rend der Geburt, während starker
Wehen. Bei der Uterusruptur tritt das
Kind teilweise oder gänzlich in die
Bauchhöhle und die Kindesteile sind
unter den Bauchdecken deutlicher als
im Uterus durchzufühlen, der übrige
Teil der Gebärmutter ist kontrahiert,
kleiner und der vorliegende Teil ist
zurückgewichen. T a r n i e r erwähnt
als diagnostisches Merkmal der Rup-
tura uteri eine Depression an der rup-
turierten Stelle, dieselbe sei oft von
aussen sichtbar.
Extrauterinschwangerschaft und Per-
forationsperitonitis können durch Pal-
pation und Perkussion ausgeschlossen
werden, überdies lässt sich ein freier
Erguss in der Bauchhöhle nachweisen.
O 1 i v i e r (30) öffnete die Bauchhöhle
auf der Suche nach einer extrauterinen
Schwangerschaft, es handelte sich um
einen Fall vorzeitiger Ablösung der
normal inserierten Plazenta.
Häufigkeit.
Die Häufigkeit der vorzeitigen Ab-
lösung der normal inserierten Plazenta
ist schwer zu bestimmen, da viele Fälle
erkannt, viele nicht registriert werden.
Beruht doch jene Statistik der Rotunda
Dublin's, nicht einen Fall in 156,100
Geburten, sicherlich auf Irrtum, um so
mehr als die heutigen Statistiken von
jener bedeutenden Entbindungsanstalt
ganz anders lauten. Kleine Ablösun-
gen vor der Geburt des Kindes machen
oft keine oder wenige klinische Symp-
tome, sind ohne nachteilige Folgen für
Mutter und Kind, nur der dem Mutter-
kuchen noch anhaftenden Blutklumpen
zeugt davon, dass ein kleiner Teil der
Plazenta sich in utero vor der Geburt
des Kindes losgelöst hatte. Diese klei-
nen Ablösungen wurden schon von
Spiegelberg (51) beschrieben und
Brodhead fand in 1000 Geburten
des Sloane Maternity Hospitals in New
York 7 mal diese kleine ante-partum
Lösungen, welche sich als kleine Blut-
klumpen in der Plazenta documentier-
ten, in den Geburtsgeschichten ver-
zeichnet.
FleetwoodChurchill(9) hat
163,738 Geburten aus verschiedenen
Quellen zusammengestellt und fand
unter diesen 218 Fälle von ,,accidental"
und 261 „unavoidable" hemorrhage.
J. W. S m y 1 y fand in 6455 Geburten
der Rotunda in Dublin aus den Jahren
1889-1893 im Ganzen 36 Fälle vorzeiti-
ger Ablösung der normal inserierten
Plazenta, in den ersten 24 Fällen nur
9 schwere. C o 1 c 1 o u g h's Statistik
aus der Rotunda Dublin's vom Novem-
ber 1896 bis 30. November 1901 um-
fasst 17,200 mit 83 Fällen vorzeitiger
Ablösung.
Mdme. Henry berichtet von 27
Fällen in 20,927 Geburten der Mater-
nite in Paris. G a 1 a b i n's Statistik,
zitiert von H e 1 1 i e r des Guy Hospital
in London, umfasst 23,591 Geburten
mit 31 vorzeitigen Ablösungen. Das
Lying-in Hospital (10) in New York
hatte in 10,000 Geburten keinen Fall.
Das Sloane Maternity Hospital in New
York (11) in 5900 Geburten 57 Fälle.
R o s s fand in 8621 Geburten des St.
Mary 's Hospital in Manchester 34 die-
ser Fälle. R i h 1 hatte 3 Fälle in 3024
Entbindungen seiner Privatpraxis. Im
Ganzen 259,456 Geburten mit 489 Fäl-
len von vorzeitiger Ablösung (0,018
Prozent). Die grosse Differenz in der
144
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
Häufigkeit der Fälle in den einzelnen
Statistiken erklärt sich dadurch, dass
manche Geburtshelfer leichte Fälle ig-
norierten.
Aetiologie.
Blutungen aus den weiblichen Geni-
talien in Folge von Plazenta- oder
Deziduaerkrankung sind in den ersten
Schwangerschaftsmonaten nicht selten,
bei weitem seltener sind dieselben in
der zweiten Hälfte der Schwanger-
schaft. Nach Charles Robi n's
(12) Untersuchungen soll die Plazenta
im vierten Schwangerschaftsmonat den
höchsten Grad ihrer Befestigung an
der Uteruswand erreichen, nach dieser
Zeit lockert sich allmählich dieser Halt
und zur Zeit der Geburt soll nur eine
einzige kräftige Kontraktion genügen,
die Plazenta von ihrer normalen Haft-
fläche zu lösen. Ob heftige Kontrak-
tionen während der Schwangerschaft
oder vor Ausstossen des Kindes unter
normalen Verhältnissen bei gesundem
Endometrium und intaktem Ei eine
vorzeitige Ablösung der normal in-
serierten Plazenta herbeiführen kön-
nen, ist mehr als zweifelhaft. Täglich
setzt sich die schwangere Frau körper-
lichen Insulten aus, welche häufig
starke Uteruskontraktionen d. h.
W ehen auslösen, doch stets passt sich
die gesunde Plazenta der Verkleiner-
ung ihrer Haftfläche an und die
Schwangerschaft nimmt ihren norma-
len Verlauf. Anders liegen die Ver-
hältnisse, wenn wir es mit einem
krankhaften Mutterkuchen zu tun ha-
ben, das kranke Plazentargewebe hat
seine Kontraktil ität eingebüsst, bei
Einwirkung selbst eines leichten
Reizes oder Traumas folgt die Plazenta
nicht mehr den Kontraktionen des
Uterus, sie wird brüchig, es kommt zur
Blutung und leicht löst sich dann der
Mutterkuchen los durch den Druck der
hinter seiner uterinen Fläche angesam-
melten Blutgerinnsel. Ob diese retro-
plazentare Blutung Kontraktionen aus-
löst, welche den Mutterkuchen weiter
von seiner Haftfläche am Uterus los-
trennen, ist unwahrscheinlich, indem
mit Einsetzen der Blutung in fast
sämmtlichen Fällen vorzeitiger Ablös-
ung der Plazenta alle uterine Tätigkeit
sistierte.
Nicht in allen Fällen vorzeitiger Ab-
lösung der normal sitzenden Plazenta
ist diese krankhaft gefunden worden,
es gibt eine Anzahl Fälle, in welchen
trotz sorgfältiger Untersuchung eine
Erkrankung des Mutterkuchens oder
der Dezidua sich nicht hat nachweisen
lassen und deswegen führt S e i t z (43)
die vorzeitige Ablösung auf eine Tox-
inwirkung zurück.
Eine häufige Ursache der Plazenta-
und Deziduaerkrankung ist die Ne-
phritis, die, wie wir ja wissen, zu Blut-
ungen neigt. Der Erste, welcher auf
den Zusammenhang der Nephritis und
der vorzeitigen Ablösung der normal
inserierten Plazenta aufmerksam ge-
macht, war Chantreuil (13), des-
sen diesbezügliche Beobachtung 6
Jahre später von Winter (14) und
Fehling (15) bestätigt wurden. In
der deutschen Literatur werden W i n-
t e r, in der englischen Weathe r-
1 y (16), als die ersten bezeichnet, wel-
che auf diesen Zusammenhang der Ne-
phritis und der vorzeitigen Ablösung
der Plazenta aufmerksam gemacht
haben ; es sei mir deswegen erlaubt,
einen diesbezüglichen Passus aus
C h a n t r e u i Ts Arbeit „Hemorrha-
gies uterines et placentaires Hees ä l'al-
buminurie", im Original zu bringen :
..II y a en effet pendant la grossesse,
pendant le travail, pendant les suites
de couches des metrorrhagies, dont
l'albuminurie est la cause. Si l'epan-
chement sanguin est abondant, s'il
decolle non seulement une portion du
placenta, mais les membranes elles-
memes et que la grossesse se trouve
interrompue." Wie häufig die Nephri-
tis die Ursache der vorzeitigen Ab-
lösung der Placenta ist, lässt sich nur
schwer statistisch nachweisen, in vie-
len Fällen wird nicht an Nephritis ge-
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
145
dacht, besonders wenn ein Trauma der
Ablösung vorausgegangen. In nur 59
von 250 Fällen konnte ich eine Urinun-
tersuchung erwähnt finden, von diesen
59 litten 48 an Nephritis, darunter 6
mit Eklampsie, Primparae waren 18,
multiparae 27, bei 2 Frauen fehlen die
diesbezüglichen Angaben. Ueber die
Hälfte dieser Frauen befand sich im 8.
und 9. Schwangerschaftsmonat, von 45
Kindern starben 40.
Endometritis ohne Nephritis wurde
in 8 Fällen gefunden. No. 137, 161,
164, Endometritis auf gonorrhoischer
Basis : 1 Fall. Morbus Basedowii
zweimal, in einem Falle in Verbindung
mit Albuminurie. — Lues zweimal, ein
Fall mit Albuminurie. — Zwillinge
dreimal, zweimal mit Hydramnion.
Auf Intoxikation führt Gueri n-V a 1-
m a 1 in einem seiner Fälle die vor-
zeitige Ablösung der Plazenta zurück.
Die Frau hatte während der Schwan-
gerschaft einen Ikterus, welcher auch
den Fötus affiziert hatte, der in einem
Zustande der „rigidite cadaverique"
geboren wurde und dadurch die Ge-
burt sehr erschwerte. Dieser Zustand
des Fötus wurde auch von B u d i n(29)
bei der vorzeitigen Ablösung der nor-
mal inserierten Plazenta beobachtet.
Zweimal ereignete sich die Ablösung
bei künstlicher Frühgeburt.
Kürze der Nabelschnur wurde in 9
Fällen beobachtet, mit einer Mortalität
für die Mutter von 22,2 Prozent, für
das Kind von 50 Prozent. Hier scheint
die Ablösung auf rein mechanische
Weise zu entstehen. In 5 von diesen
9 Fällen war die Nabelschnur „abso-
lut" zu kurz, in 4 relativ (um den
Hals geschlungen), unter den ersteren
waren zweimal Zwillinge. Mauri-
ceau hat zuerst auf die Kürze der
Nabelschnur als Ursache der vorzeiti-
gen Ablösung aufmerksam gemacht.
Hämorrhagische Diathese wurde ein
Mal beobachtet von de Lee.
Eine weitere Ursache der vorzeiti-
gen Ablösung der normal sitzenden
Plazenta ist das Trauma, welches die
Uteruswand direkt trifft oder indirekt
durch Erschütterung des Körpers oder
durch psychische Erregung auf die-
selbe einwirkt. Ich habe 55 derartige
Fälle gefunden, mehr als ein Fünftel
särnrntlicher Fälle, doch wird zweifel-
los die traumatische Entstehung der
vorzeitigen Ablösung der Plazenta
überschätzt, indem in den meisten Fäl-
len traumatischen Ursprunges nach
keiner weiteren Ursache gesucht wor-
den ist. Eine bereits erkrankte Pla-
zenta kann leicht durch ein hinzu-
tretendes Trauma von ihrer Haftfläche
losgelöst werden, doch dann war be-
reits eine Vorbedingung für die Ab-
lösung geschaffen. Hierher gehören
wohl auch die von Li von (17) und
Anderson berichteten Fälle unstill-
baren Erbrechens und des Ptyalismus.
Zweifellos kann das Trauma „pure and
simple" eine Plazentarlösung veranlas-
sen, dafür gibt es eine Reihe gut be-
obachteter Fälle. F. v. Winckel (1)
erlebte einige Fälle vorzeitiger Ablös-
ung der Plazenta durch Trauma
stumpfer Gewalt, das direkt den Un-
terleib getroffen. In dem von E. G.
Barnes berichteten Falle, der zur
Sektion kam, verursachte das direkte
Trauma (Fall) auf der Bauchwand und
der korrespondierenden Stelle am Fun-
dus uteri eine Ekchymose, im Innern
der Gebärmutter war an derselben
Stelle ein Lappen der Plazenta losge-
löst „aus welchem die letale Blutung
erfolgte." Uterus, Fötus und Plazenta
waren gesund.
Die vorzeitige Ablösung der normal
sitzenden Plazenta trifft die Multipara
häufiger als die Primipara. Von 204
Fällen, in welchen ich eine diesbezüg-
liche Bemerkung finden konnte waren:
1 parae 50
2 " 18
3 " 15
6 " 19
5 " 7
Mehr als 5 Geburten 95
Dieses häufigere Vorkommen der
vorzeitigen Ablösung der Plazenta bei
146
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
der Mehrgebärenden soll durch die
Schlaffheit und Nachgiebigkeit der
durch die häufigen Schwangerschaften
gedehnten Uterus- und Bauchwand be-
dingt sein ; weiter wird auch die Häufig-
keit der Endometritis und Nephritis
bei der Mehrgebärenden dafür verant-
wortlich gemacht. Der Unterschied zu
Gunsten der Erstgebärenden ist unbe-
deutend, wenn wir bedenken, dass die
Erstgebärende von allen Geburten un-
gefähr ein Viertel bis zu einem Drittel
liefert. Fast ein Viertel, 24,5 Prozent,
dieser Fälle vorzeitiger Ablösung der
normal inserierten Plazenta waren
Primiparae, folglich ist dieses Ereignis
bei der Primipara keineswegs so selten,
als man nach früheren Statistiken,
G o o d e 1 1 12,5 Prozent, annehmen
sollte, die Primipara wird von diesem
Unfall verhältnismässig ebenso häufig
betroffen als die Multipara.
Wie bereits oben erwähnt trifft die
vorzeitige Ablösung die Frau am häu-
figsten gegen das Ende der normalen
Schwangerschaft. Von 206 Fällen
ereignete sich die Ablösung
im 5. Monat in 4 Fällen
" 6. " " 10 "
" 7. " " 23 "
" 8. " " 53 "
« 9 « " 92
Während der Geburt " 29 "
Ueber die Hälfte der Ablösungen
ereignete sich gegen das normale Ende
der Schwangerschaft, eine Erschein-
ung, die wohl für die Löslichkeit der
Plazenta von ihrer Haftfläche im
Uterus zu dieser Zeit sprechen dürfte ;
so kann die vorzeitige Ablösung noch
eintreten, wenn der Kopf bereits aus
dem Uterus ausgetreten tief im Becken
steht, wie ein Fall von Reynolds
zeigt.
Das Alter der Frauen war in 167
Fällen angegeben :
Unter 20 Jahren . 5 Fälle
Zwischen 20—30 Jahren 60 "
Zwischen 30-^K) Jahren 84 "
Ueber 40 Jahre 18 "
61 Prozent der Frauen waren über 30
Jahre alt.
Dieser scheinbare Einfluss des Al-
ters der Frau auf die vorzeitige Ablös-
ung der normal sitzenden Plazenta
kann von einer grossen Bedeutung
sein, wenn wir bedenken, dass von 50
Primiparae nur 8 (16 Prozent) über 30
Jahre waren.
In 204 Fällen war die Lage des Kin-
des angegeben :
Schädellagen 183=89,7 Prozent
Steisslagen 13= 6,3
Schieflagen 3= 3,4 "
Gesichtslagen 1= 0,48 "
Prognose.
Die Prognose der vorzeitigen Ablös-
ung der normal sitzenden Plazenta hat
sich seit früheren Statistiken für Mut-
ter und Kind gebessert, von 248
Frauen starben 72=29 Prozent.
Vergleichen wir mit dieser Good-
e 1 l's Statistik : von 106 Frauen star-
ben 54=50,9 Prozent. Auffallend gün-
stig wird die Statistik für die Mutter
in den Jahren 1900—1906; von 73
Frauen starben 15=20,5 Prozent.
Zweifellos sind diese günstigen Resul-
tate auf die bessere Diagnostik und
Therapie zurückzuführen.
Nicht so günstig lauten die Resul-
tate für die Kinder :
Von 246 Kindern waren bei der Ge-
burst 204 tot=82,9 Prozent, 42 lebten
= 17,1 Prozent. In den Jahren 1900—
1906 starben von 72 Kindern 57=79,1
Prozent.
Vergleichen wir mit dieser Good-
e 1 l's Statistik ; von 107 Kindern lebten
6 bei der Geburt=5,6 Prozent, tot 94,4
Prozent.
Von 172 Fällen, in welchen die Blut-
ung sofort oder bald nach Einsetzen
der Ablösung aussen sichtbar wurde,
starben 47=27,3 Prozent. Von 52 Fäl-
len von sogenannter innerer Blutung
starben 21=40,4 Prozent, die rein in-
nere Blutung ist die gefährlichere. Die
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
Uz-
Prognose für die Mutter in jenen Fäl-
len vorzeitiger Ablösung der normal
inserierten Plazenta, welche sich wäh-
rend der Geburt ereignen, ist schlech-
ter als die Prognose im allgemeinen
und schlechter als in den Fällen mit
äusserer Blutung. Diese Beobachtung
differiert mit der allgemeinen An-
nahme, da die Verhältnisse während
der Geburt wegen der Eröffnung des
Muttermundes und der Wehentätig-
keit günstiger liegen.
Von 29 Fällen vorzeitiger Ablösung
während der Geburt
lebten 20 Frauen 71,4 Prozent
tot 8 " 28,5
in einem Falle fehlte eine diesbezüg-
liche Angabe.
Von den Kindern lebten 11=40,7 Proz.
tot 16=59,2 "
in 2 Fällen fehlt die Angabe.
Zur Erklärung der ungünstigeren
Prognose dieser Fälle fand ich, dass in
13 Beobachtungen die Plazenta mit
Einsetzen des Unfalles, während der
normalen Wehentätigkeit, sich total
gelöst hatte und die Frau durch den
enormen Blutverlust in kurzer Zeit zu
Grunde ging. Für das Kind ist in die-
sen Fällen die Prognose besser, be-
dingt durch die schnellere Entbindung.
Spiegelberg (S. 423) sagt, dass
nach totaler Ablösung der Plazenta
noch nach 10 Minuten ein lebendes
Kind geboren werden kann.
Wie weit die partielle Lösung der
Plazenta das Leben des Kindes gefähr-
det, darüber fand ich folgende Beob-
achtungen. Suter berichtet, dass
nur ein Sechstel der Plazentarfläche
gelöst war und doch das Kind gleich
abgestorben ist. Interessant ist die
Beobachtung von Odebrecht. Hier
lebte das Kind noch fünf Wochen mit
einer zu zwei Fünfteln gelösten Pla-
zenta und in der 36. Schwangerschafts-
woche wurde ein gesundes und gut
entwickeltes Kind geboren. Das los-
gelöste Stück der Plazenta war stark
komprimiert. Bei W i 1 1 i e n lebte
das Kind mit einer Plazenta, welche
ein Drittel, bei Johnson und W a-
r e n ein Viertel gelöst war.
Pathologie.
Die pathologischen Veränderungen
im Uterus und in der Plazenta, welche
der vorzeitigen Ablösung der normal
sitzenden Plazenta vorausgehen und
dieselbe verursachen, sind noch nicht
genügend gekannt. Es liegen uns
zwar heute eine Anzahl genauer patho-
logischer Untersuchungen vor, welche
uns zu der Annahme berechtigen, dass
in einer grossen Anzahl Fälle ein di-
rekter Zusammenhang zwischen der
vorzeitigen Plazentarlösung und Dezi-
duaerkrankung besteht, doch gibt es
Fälle, in welchen trotz genauer Forsch-
ung ein solcher Zusammenhang nicht
gefunden werden konnte. Die einzige
Erkrankung, von der wir mit Sicher-
heit behaupten können, dass sie in der
Aetiologie der Erkrankung der Dezi-
dua und Plazenta, folglich in der
Pathologie der vorzeitigen Ablösung
der normal sitzenden Plazenta eine be-
deutende Rolle spielt, ist die Nephritis,
doch wird diese, wie die sog. Schwan-
gerschaftsniere nur in einer gewissen
Anzahl der Fälle gefunden. Schon
Carl Rokitansky ( 18) beschrieb
Blutungen und Entzündungsprozesse
mit Bindegewebswucherungen in Pla-
zenta und Dezidua, welche das Plazen-
targewebe „zertrümmern bis zur Her-
stellung von Herden mit Loswühlung
des Kuchens vom Uterus". Die Ne-
phritis verursacht, wie dies v. Weiss
zuerst ausführlich beschrieben, exsu-
dative und degenerative Veränderun-
gen in der Dezidua mit kleinzelliger
Infiltration in das Endometrium, die
Endometritis decidualis. Schick-
ele (19) fand, dass die Degeneration
der Deziduazellen auf eine primäre
Gefässerkrankung in Folge der Nephri-
tis zurückzuführen ist, welche durch
häufige Blutungen die Deziduazellen
zum Absterben bringt und auf diese
Weise oder durch die Blutung selbst
148
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
mechanisch die Plazenta von ihrer
Haftfläche an der Uteruswand loslöst.
S e i t z (20) beschreibt in einem seiner
Fälle eine primäre Endometritis deci-
dualis mit Rundzelleninfiltration in De-
cidua serotina und Zotten, insbeson-
dere um die thrombosierten Gefässe,
deren Lumen dadurch verengt und
schliesslich verödet wird. Diese Ge-
fässerkrankung und der durch die Ne-
phritis erhöhte Blutdruck verursachen
die Blutung in das Gewebe, die Dezi-
dualzellen degenerieren und es kommt
zur Loslösung der Plazenta. S e i t z
fand, wie schon vor ihm v. Weiss,
entzündliche und degenerative Verän-
derungen in der Muscularis uteri. Die-
ser pathologische Prozess in der Mus-
cularis uteri war in zwei Fällen von v.
Weiss (No. 237-238) ohne Nephritis
vorhanden und derart fortgeschritten,
dass der Uterus seine Kontraktions-
fähigkeit verloren hatte, eine Frau
durch Atonia uteri sich verblutete, die
andere noch durch supravaginale Am-
putation gerettet werden konnte.
Gottschalk (21) führt ebenfalls
die vorzeitige Ablösung der normal sit
zenden Plazenta auf die Veränderun-
gen in der Decidua basalis zurück,
deren im Blute zirkulierende Zerfalls-
produkte die Ablösung der Plazenta
sowohl, als auch jene funktionelle Stö-
rung der Niere, die Schwangerschafts-
niere herbeiführen könnte, „beide sind
das Produkt desselben pathologischen
Prozesses". Dass die Nephritis nicht
immer diese pathologischen Veränder-
ungen im Gefolge hat, beweist ein wei-
terer Fall von S e i t z, der wie sein er-
ster Fall sub partu an vorzeitiger Ab-
lösung der Plazenta in Eklampsie mit
hämorrhagischer Nephritis zu Grunde
ging. In diesem zweiten Falle konnte
S e i t z weder makroskopisch noch mi-
kroskopisch andere Veränderungen an
Dezidua und Nachgeburt nachweisen,
wie wir dieselben von diesen Geweben
in der letzten Zeit normaler Schwan-
gerschaft zu sehen gewohnt sind. Da
in diesem Falle auch Mikroben nicht
nachzuweisen waren, so glaubt der
Autor, dass die oben beschriebenen
Veränderungen in Dezidua und Pla-
zenta auf chemisch-toxischem Wege
zu Stande gekommen sind, durch die
Toxine des Fötus. Interessant ist nun,
dass auch F e h r i n g (22) in zwei
Fällen vorzeitiger Ablösung der nor-
mal inserierten Plazenta, von denen
der eine an schwerer Eklampsie gelit-
ten, der andere an Oedemen, keine wei-
teren Veränderungen an der Plazenta
linden konnte, anders wie wir dieselben
an dieser bei vorgeschrittener Schwan-
gerschaft oder zur Zeit der Geburt des
Kindes sehen.
L e L o r i c r fand in einem bei einer
Sectio caesarea wegen vorzeitiger Ab-
lösung gewonnenen Stück Uterusmus-
kulatur mikroskopisch zahlreiche
kleine Blutextravasate, welche auf der
Oberfläche des Uterus als Ekchymosen
sichtbar waren, weiter nichts Patholo-
gisches. Maslowsky beschreibt
die Veränderungen, die der Gonokok-
kus Neisser in der Dezidua hervorruft,
die Endometritis decidualis interstiti-
alis gonorrhoica, welche die vorzeitige
Ablösung veranlasst hatte.
J. Veit erklärt die vorzeitige Ab-
lösung der normal sitzenden Plazenta
als eine Folge der Deportation der
Chorionzotten. F. Scheffer (23^1
versuchte diese Theorie experimentell
nachzuweisen. Nach Veit verstopfen
die Chorionzotten die Deziduavenen,
auf diese Art kommt es zur Stauung,
Ruptur der Blutgefässe und vorzeiti-
gen Ablösung der Plazenta. Auch
Veit spricht von einer primären En-
dometritis, welche die Aufnahme der
Zotten in den Kreislauf begünstigt und
auf diese Weise die Schwangerschafts-
niere verursacht.
Als fettig entartet wurde die Pla-
zenta in 8 Fällen beschrieben. J a g-
gard fand in einem Falle Echinokok-
kus der Plazenta, C o e eine Verkalk-
ung derselben. Weisse Infarkte wur-
den in 10 Fällen beobachtet.
(Schluss folgt.)
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
Referate und Kritiken.
Deutsches Bäderbuch, bearbeitet unter
Mitwirkung des Kaiserlichen Ge-
sundheitsamtes von Dr. F. Him-
stedt u. a. a. CIV und 536 Seiten
mit 13 Tafeln graphischer Darstel-
lungen von Quellenanalysen, einer
Uebersichtskarte und der H e 1 1-
m a n n'schen Regenkarte. In Ori-
ginalleinenband 15 Mark. Verlag
von J. J. W e b e r in Leipzig 1907.
Unter dem Vorsitz des Kaiserlichen
Gesundheitsamtes hat sich eine aus
Gelehrten und Fachmännern gebildete
Kommission zusammengefunden, um
den deutschen Aerzten, Wissenschaft-
lern und Laien mit dem Deutschen
Bäderbuch in unparteischer, nur von
wissenschaftlichen Gesichtspunkten ge-
tragener Arbeit eine zuverlässige Nach-
schlagequelle über Deutschlands Heil-
quellen, Seebäder und Luftkurorte zu
erschliessen. Das Werk bildet ein
grundlegendes Lexikon der deutschen
Balneologie. Es gibt in zuverlässiger
Weise Auskunft über Lage und Klima,
Heilquellen und sonstige Kurmittel.,
hygienische und öffentliche Einricht-
ungen und über Verkehrsverhältnisse
von etwa 490 deutschen Kurorten. Um
einen Ueberblick über die reichen
Quellenschätze im Deutschen Reich zu
geben, haben auch solche Mineralquel-
len Aufnahme gefunden, die nur zu
Versandzwecken dienen oder z. Z.
überhaupt nicht ausgebeutet werden.
Rund 650 Quellenanalysen gestatten
dem Arzt eine schnelle und sichere
Orientierung über den therapeutischen
W ert der Mineralquellen. Ganz beson-
deren Wert gewinnen die Analysen da-
durch, dass sie sämmlicht in einheitli-
cher Form dargestellt sind, wodurch
eine unmittelbare Vergleichung aller
deutschen Mineralquellen ermöglicht
wird. Die Neuberechnung, bei der
möglichst auf die Originalanalysen zu-
rückgegriffen worden ist, ist auf Grund
der neuen chemischen Anschauungen
über die Natur der Salzlösungen
(Ionentheorie) erfolgt; daneben sind
zur Erleichterung des Verständnisses
die Analysen auch in der älteren Form
der Darstellung, und zwar wiederum
in einer für alle Mineralquellen ein-
heitlichen Weise wiedergegeben. Mit
Sorgfalt sind hierbei alle Zufälligkei-
ten und Fehler ausgeschlossen worden,
die den früheren Analysendarstellungen
oft anhafteten und bei den vielen ver-
schiedenen willkürlichen Berechnungs-
weisen auch anhaften mussten. 13 Ta-
feln in Buntdruck veranschaulichen die
Zusammensetzung jeder einzelnen
Quelle und erleichtern damit die Ver-
gleichung der Quellen untereinander.
In einer Gesammteinleitung, verfasst
von hervorragenden Chemikern, Kli-
nikern, Pharmakologen, Geologen, Me-
teorologen u. s. w. wird der heutige
wissenschaftliche Stand der Balneolo-
gie in eingehender Weise erörtert und
klargelegt. Ausserdem geht jeder
Gruppe der Mineralquellen, der See-
bäder und der klimatischen Kurorte
eine kurze Einleitung voraus, in denen
auch der praktische Badearzt zu Worte
kommt. Eine geographische Ueber-
sichtskarte und eine Regenkarte, auf
der die mittleren jährlichen Nieder-
schlagshöhen veranschaulicht sind,
werden eine willkommene Zugabe die-
ses Werkes bilden.
Bei der Sammlung und der kritischen
Prüfung des ungemein umfangreichen
Materials ist es infolge der Mitarbeit
des Kaiserlichen Gesundheitsamts
möglich gewesen, nicht nur die Quel-
len- und Kurverwaltungen, sondern
auch Behörden, meteorologische Zen-
tralinstitute und zahlreiche geologische
Sachverständige zu Rate zu ziehen, so-
dass der erreichbare Grad von Zuver-
lässigkeit der Angaben gesichert er-
scheint. Insbesondere liegt hier zum
erstenmale ein rein wissenschaftliches
Bäderbuch vor, das von Empfehlungen
und Anpreisungen gänzlich frei ist.
Da die Mitglieder der Kommission
die mehrjährige Arbeit sämmtlich
ehrenamtlich übernommen haben,
wurde es möglich, den Preis des Wer-
kes, besonders im Vergleich zu ande-
ren wissenschaftlichen Büchern und
trotz solider und reicher Ausstattung,
doch mässig zu gestalten. Eine viel-
fach empfundene Lücke wird durch
das „Deutsche Bäderbuch", wie es in
ähnlicher Art und in ähnlichem Um-
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
fang noch kein anderes Land besitzt,
ausgefüllt und Deutschlands Wissen-
schaft auch in dieser Richtung an die
führende Stelle gesetzt.
Bäder-Album der Königlich Preussi-
schen Domänen-Verwaltung im
Auftrage des Herrn Ministers für
Landwirtschaft, Domänen und For-
sten beschrieben von Badeinspektor
Dr. Stern, Langenschwalbach.
Das im Auftrage der preussischen
Regierung herausgegebene Bäder-Al-
bum darf sowohl was Inhalt wie Aus-
stattung anbelangt als Prachtwerk be-
trachtet werden. Beschrieben sind
die Bäder Ems, Langenschwalbach,
Schlangenbad, Weilbach, Niedersel-
ters, Fachingen, Geilnau, Nenndorf,
Rehburg und Norderney. Es finden
sich eingehende Schilderungen der kli-
matischen Verhältnisse der betreffen-
den Badeorte, der zur Verfügung steh-
enden Kurmittel (Trinkquellen, In-
halationseinrichtungen, Bäder, Einrich-
tungen für Hydrotherapie, Flussbäder,
Molken-, Kefir- und Milchkur) sowie
deren Wirkungen und Indikationen.
Ferner sind in dem Buche genaue An-
gaben über die wirtschaftlichen Ver-
hältnisse, Reisegelegenheiten, Wohn-
ungsverhältnisse, Kurtaxen, Vergnüg-
ungen, Spaziergänge und Ausflüge etc.
enthalten. Kurzum das vorliegende
I läder-Album bietet die denkbar best-
möglichsten Auskünfte über die schon
längst weltberühmten oben genannten
Bäder. Ausgezeichnete Abbildungen
und farbige Illustrationen nach Gemäl-
den von Gescheidel, Günther und v.
Wedel ergänzen den Text.
Sitzungsberichte
Deutsche Medizinische Gese
Sitzung vom 6. Mai 1907.
Präsident Dr. Carl Beck eröffnet
die Sitzung um halb 9 Uhr.
Sekretär Dr. John A. Beuer-
m a n n verliest das Protokoll der regel-
mässigen Sitzung vom 1. April sowie
das der ausserordentlichen Sitzung
vom 15. April. Beide Protokolle wer-
den genehmigt.
Tagesordnung.
1) Vorstellung von Patienten, De-
monstration von Präparaten, Instru-
menten u. s. w.
Dr. Carl Beck (Patientin vorstel-
lend) :
Die Röntgentherapie kann unsere
erprobte chirurgische Dynamik nur
ausnahmsweise ersetzen. In den mei-
sten Fällen fällt ihr nur eine aushilfs-
weise oder mitwirkende Bedeutung zu.
Dieselbe kann allerdings von vitaler
Wichtigkeit sein, im grossen und gan-
zen aber ist ihr die moderne Technik
der ausgiebigen Exstirpation des Brut-
ortes überlegen. Je mehr malignes
chaft der Stadt New York.
Gewebe entfernt wird, desto mehr trei-
bende Momente zum Rezidiv werden
eliminiert. Ferner sind die verbleiben-
den Deckgewebe leichter durchdring-
bar, sodass einzelne erratische Zellen
der postoperativen Röntgenbehand-
lung um so leichter erreichbar sind.
Also nicht: Hie Skalpell, hie Rönt-
genbehandlung! sondern Arm in Arm
sollen die beiden Methoden mit einan-
der gehen und sich gegenseitig er-
gänzen. Verfolgen wir dieses Prinzip,
so können wir bei bösartigen Neoplas-
men unsere Indikationen viel weitge-
hender stellen als früher.
Ich habe, seit ich die Freude hatte,
Ihnen vor genau sechs Jahren den er-
sten Fall eines mit Röntgenstrahlen
behandelten Sarkoms vorzustellen, wie-
derholt Gelegenheit gefunden, Ihnen
Patienten vorzuführen welche durch
die Röntgenbehandlung geheilt wur-
den. Ich habe Ihnen aber auch zu-
gleich von einer grösseren Zahl malig-
ner Fälle berichtet, welche durch diese
Art der Therapie nicht im geringsten
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
151
beeinnusst wurden. Ja, bei einigen
schien sie den Zerstörungsprozess ge-
rade zu beschleunigen. Bei dem ge-
genwärtigen Stande unseres Wissens
ist es unmöglich, das Warum dieses
ausserordentlichen Phänomens zu be-
antworten. Die Verschiedenheit der
Wirkung wird wohl zumeist im Ver-
hältnis zu der verschiedenartigen Tex-
tur der Geschwulsttypen stehen. Das
Punctum saliens ist uns aber noch ein
X, wie die Strahlen selbst. Das Wesen
der von mir befolgten Methode fusst
also auf folgenden Prinzipien:
1) Möglichst ausgedehnte Exstirpa-
tion der malignen Neubildung mit An-
strebung der prima intentio. Bei gros-
sen Defekten möglichste Deckung
durch gleichzeitige sorgfältige Plastik.
Nach Verlauf einer Woche intensive
Röntgenbestrahlung in 2tägigen Inter-
vallen bis zur Reaktion.
2) Bei vorgeschrittenen Neubildun-
gen, wie wir sie speziell öfter beim
Karzinom der Brust finden, ist der ge-
schaffene Defekt offen zu belassen so
dass gleich nach der Operation täglich
bestrahlt werden kann. Nach einer
Woche sind die Ränder dann durch die
sekundäre Naht (Seide) zu vereinigen.
3) Im Anfang ist die Bestrahlung
stets in Verbindung mit Diaphragma
vorzunehmen, da die W irkung auf den
ursprünglichen Heerd viel intensiver
ist. Später ist es vorzuziehen einen
möglichst grossen Radius der Um-
gebung zu bestrahlen, also ohne abzu-
decken.
Auch bei kleinen Epitheliomen halte
ich die primäre Exstirpation für das
geeignetere Verfahren, obgleich ich
mich widerholt überzeugte, dass die
meisten derselben auch durch einfache
Bestrahlung heilten. Eine Ausnahme
mache ich nur bei solchen Gebilden
welche sich in unmittelbarer Nähe des
Auges befinden, da wir hier ein sehr
viel besseres kosmetisches Resultat
durch die Strahlenbehandlung allein
erreichen.
Die Reaktion halte ich für eine Con-
ditio sine qua non bei der Röntgenbe-
handlung. Ich habe tatsächlich nie
eine Heilung eines malignen Prozesses
eintreten sehen, wo keine Reaktion
vorausgegangen war. Dieselbe scheint
mir durchaus essentiell für den Erfolg
zu sein. Man muss diese Erwägungen
dem Kranken von vornherein klar
machen und ihm vorstellen, dass es
sich nicht um eine unschuldige Haut-
affektion handelt, welche man mit ho-
möopathischen Röntgendosen behan-
deln darf. Auf Spatzen schiesst man
nicht mit Kanonenkugeln. Wo es sich
aber um formidable Feinde handelt, da
sind auch eindringliche Repressalien
angezeigt. Beherzigt der Patient diese
so überaus verständliche Tatsache, so
ist er weit entfernt, den Operateur zu
tadeln, wenn die Haut zu jucken be-
ginnt und die bestrahlte Zone sich
rötet, er freut sich im Gegenteil darauf.
Hat man aber im Tone gottähnlicher
Infallibilität dem Patienten auf seine
Frage, ob keine Verbrennung zu fürch-
ten sei, hochtrabend erwidert, dass ein
derartiges Malheur ausgeschlossen
wäre, so nimmt das Opfer im Fall einer
Verbrennung mit Recht an, dass es mit
der Gottähnlichkeit nicht weit her sei.
Mit dem einfachen Zugeständniss eige-
ner Unvollkommenheit sowohl als der
des Verfahrens kommt man auch bei
dieser Art Routine am weitesten.
Wie oben angedeutet, sind es heute
gerade sech Jahre, dass ich Ihnen ei-
nen 36jährigen Küfer vorstellte, des-
sen Knöchelsarkom unter dem Einfluss
der Röntgenbehandlung geheilt war.
Patient erlag mehrere Monate später
einer Metastase des Unterleibs (siehe
„Münchener Medizinische Wochen-
schrift," No. 32, 1901).
Ich darf Ihnen auch wohl in's Ge-
dächtnis zurückrufen, dass ich Ihnen
vor fünf Jahren die Gattin eines Kol-
legen vorführte, welche ich wegen ei-
nes ausgedehnten Sarkoms der Orbita
operierte und kurz darauf mit Rönt-
genstrahlen behandelte. Nach einer
intensiven Reaktion verschwand ein
beginnendes Rezidiv und ist Pat. bis
auf den heutigen Tag gesund geblie-
ben. Nur verspürt Pat. von Zeit zu
Zeit erhebliches Spannungsgefühl in
den vernarbten Bezirken.
Heute erlaube ich mir, einen Fall
von Fibrosarkom des Fussrückens vor-
zustellen, dessen Heilungsprozess ei-
nige höchst bemerkenswerte Punkte
bietet. Pat., ein 16jähriges Mädchen,
New Yorker Medizi
nische Monatsschrift.
erkrankte vor zehn Monaten an einer
warzenförmigen Wucherung der Haut
über dem rechten Metatarsophalange-
algelenk der vierten Zehe. Nach einem
Monat, als die Neubildung die Grösse
eines Pfennigs erreicht hatte, begann
die Oberfläche zu ulzerieren. Gleich-
zeitig nahm die Geschwulst beständig
zu, bis sie gegen Weihnachten 1906 die
Dimensionen eines massig grossen
Apfels erreichte.
Vor wenigen Jahren würde ich ohne
weiteres auf der Absetzung der Glied-
masse bestanden haben. Unter dem
neuen Regime aber hielt ich einen Ver-
such mit der Kombinationsmethode
für gerechtfertigt. Ich exstirpierte
demgemäss (St. Mark's Hospital) die
Geschwulst weit im Gesunden, sodass
ein ansehnlicher Defekt zurückblieb,
den ich durch eine Plastik aus der
Fussrückenhaut kaum zur Hälfte
decken konnte. Ich musste mich also
damit bescheiden, den Rest durch
Granulation heilen zu lassen. Die lo-
kale Behandlung bestand in der Appli-
kation eines feuchten Sublimatverban-
des. Innerlich Roncegnowasser.
Nach drei Wochen begannen grau-
gelbe, leicht blutende Granulationen
aufzuschiessen, deren üppige Wucher-
ung auch durch Chlorzink nicht hint-
angehalten werden konnte, sodass
ich sie mittelst scharfen Löffels ent-
fernte. Die trüben Aussichten auf ein
baldiges Rezidiv Hessen mich schon an
eine Amputation denken, als ich den
Entschluss fasste, den weiteren Wund-
verlauf nicht erst abzuwarten, sondern
sofort mit intensiver Röntgenbehand-
lung zu beginnen. Es wurde nunmehr
jeden zweiten Tag 10 Minuten lang
bestrahlt bis nach der siebten Sitzung
ein Erythem entstand. Nunmehr
wurde statt des bisher fortgeführten
Sublimatverbandes Dermatollanolin
appliziert. Die Heilung vollzog sich
innerhalb weiterer drei Wochen. Seit
vier Monaten besteht nun die Ver-
narbung unverändert. Das Allgemein-
befinden der zuerst leicht kachekti-
schen Patientin ist vortrefflich.
Die Untersuchung des Tumors
durch Herrn Professor Buxton er-
gab grosse Spindelzellen mit wenig
Protoplasma (Kernfasern). Die Struk-
tur der Neubildung war derb. Sie
liess sich schwer von der Faszie los-
schälen.
Als wichtigste Beobachtung in die-
sem Falle erscheint mir die prompte
Unterdrückung der Wiederkehr der
Granulationsmassen, welche sich übri-
gens ebenfalls als sarkomatös erwie-
sen, nach der Bestrahlung. Sie deutet
an, dass man möglichst bald nach der
Operation, namentlich da, wo man
keine prima intentio erreichen kann,
sofort mit der Röntgenbehandlung be-
ginnen soll, anstatt erst die völlige
Verwachsung der Wundränder abzu-
warten.
Eine höchst eklatante Illustration
der Nützlichkeit einer weitgehenden
Kombination liefert der Fall eines
15jährigen Mädchens, welches vor
mehr als einem Jahr an einer drüsen-
artigen Anschwellung unterhalb des
linken ( )hres erkrankte, welches sich
allmählig unter stellenweisem Zerfall
über Gesicht und Hals verbreitete und
schliesslich das Ohrläppchen zerstörte.
Die Diagnose wurde ursprünglich auf
Sarkom gestellt, obgleich die mikro-
skopische Untersuchung kein klares
Bild gab. Nach ausgedehnter Exstir-
pation in einer Nachbarstadt trat bin-
nen kurzem ein Rezidiv ein. Nunmehr
Verdacht auf Lues, obgleich die Kran-
kengeschichte nicht den geringsten
Anhalt lieferte. Demgemäss Jodkali-
behandlung. Die Zerstörung schritt
aber unaufhaltsam fort. Zwei Monate
nach der Operation wurde mir die Be-
handlung des Falles übertragen. Wie
es das vorliegende, zu jener Zeit ge-
nommene Bild andeutet, entsprach die
Grösse des flachen ulzerierenden Tu-
mors der Hand eines Erwachsenen.
In seiner Mitte befanden sich graurote
sklerotische Bindegewebsstränge zwi-
schen Geschwürskratern, deren Basis
mit nekrotischen Fetzen durchsetzt
war. Die Geschwulstränder waren
ödematös. Das charakteristische Bild
des Gummas fehlte. Die mikroskopi-
sche Untersuchung zeigte neben deut-
lichem Granulationsgewebe unklare
Gebilde, welche man bei oberflächlicher
Betrachtung als kleine Rundzellen
hätte auffassen können. Im ganzen
also ein vorworrenes Bild. Trotzdem
Jew Yorker Medizinische Monatsschrift.
153
verordnete ich nach dem alten löbli-
chen Grundsatz Ex juvantibus et no-
centibus eine Jodkalimerknrialkur und
begnügte mich vorläufig', soweit die
operative Indikation in Frage kam, mit
der Ausschabung der zerfallenen Ge-
webe. Zugleich aber began ich die
Röntgenbehandlung mittelst Dia-
phragmas.
Innerhalb zweier Monate, während
dem mit kurzer Unterbrechung nach
mässiger Reaktion intensiv bestrahlt
wurde, trat völlige Vernarbung ein.
Es war wunderbar zu beobachten, dass
während die frühere tadellose chirur-
gische Behandlung in Verbindung mit
der spezifischen Therapie keinen Er-
folg aufwies, ein sofortiger Um-
schwung eintrat, als zu derselben Be-
handlungsart die Röntgenbehandlung
entscheidend als Tertium hinzutrat.
Patient erfreut sich heute der besten
Gesundheit. Die weitere Beobachtung
wird wohl mehr ätiologische Klarheit
bringen. Ich nehme an, dass es sich
um einen eigentümlichen Fall von
hereditärer Lues handelt und dass die
spezifische Wirkung der Röntgen-
strahlen die sklerotischen Gewebspar-
tien zur Auflockerung brachte.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit
abermals betonen, dass ich den Ge-
brauch des Diaphragmas bei der Rönt-
genbehandlung für wesentlich halte,
wo immer eine intensive Wirkung er-
zielt werden soll. In demselben Masse,
wie wir zu diagnostischen Zwecken
ein deutlicheres Bild auf der Platte er-
zielen wenn wir die vagabundierenden
Strahlen abhalten, erhöhen wir auch
die Energieabgabe an die Gewebe bei
der therapeutischen Durchstrahlung.
Dies gilt nicht blos für die Fälle von
der Natur der oben geschilderten, also
in prophylaktischem Sinne, sondern
auch bei Rezidiven oder bei inopera-
blen Neoplasmen. Sobald eine regres-
sive Metamorphose bemerkbar ist, em-
pfiehlt es sich dann ein grösseres Ter-
ritorium zu bestreichen.
Diskussion. Dr. Leonard W e-
ber: Ich möchte Herrn Dr. Beck
fragen, was er über die mixed toxins
von Dr. C o 1 e y erfahren hat. Coley
hatte sie eine Zeit lang aufgegeben,
soll aber jetzt 4 Fälle haben, die er mit
mixed toxins erfolgreich behandelt
hat. Er hat dieselben bereits vorge-
stellt oder wird sie nächstens vor-
stellen.
Dr. Carl Beck: Ich habe mich
viel mit dieser Frage beschäftigt. Wie-
derholt hatte ich Gelegenheit, Fälle zu
beobachten, welche teils von mir teils
von Herrn Kollegen Coley behan-
delt wurden und über die mir derselbe
in freundlicher Weise berichtete. Lei-
der ist bei keinem der betr. Patienten
Heilung eingetreten. Trotzdem bin
ich überzeugt, dass die Coley 'sehe Tox-
inbehandlung ab und zu erfolgreich
ist. Die Zahl der Heilungen ist aber
gering. Es scheint, dass im Verein
mit der Röntgenbehandlung die Toxin -
behandlung sich etwas kraftvoller er-
weist, So viel ich weiss, arbeitet Kol-
lege Coley auch nach dieser Rich-
tung hin. Trotz meiner eigenen un-
günstigen Erfahrungen, würde ich es
doch immer wieder für meine Pflicht
halten, in geeigneten Fällen die Toxine
zu versuchen. Wäre z. B. in meinem
Falle keine Heilung oder Besserung
eingetreten, so hätte ich sie ange-
wandt.
3) Abstimmung über den Kandida-
ten.
Präsident Dr. Carl Beck teil mit,
dass die Abstimmung die Aufnahme
des Kandidaten Dr. John Alfred
Heim ergeben habe, und fährt fort:
Ich habe Ihnen noch die traurige Mit-
teilung zu machen, dass unser Mit-
glied Dr. Leo Rosenberg am 20.
März gestorben ist, und fordere Sie
auf, sich zu seinem Andenken zu er-
heben.
Die Versammlung erhebt sich.
3) Vorträge.
a) Nachruf über E. von Bergmann.
1) Dr. Carl Beck: E. von Berg-
mann als Mensch.
2) Dr. M. Reich: Die Bedeutung
E. von Bergmann als Chirurg.
b) Dr. C. R. Keppler: Massage
und Heilgymnastik in der Behandlung
der Hemiplegie.
c) Dr. E. Danziger: Die Man-
deln und ihre Bedeutung für die Ent-
wicklung der Tuberkulose.
(Der Vortrag ist in der Juli Num-
154
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
mer ds. Monatsschrift als Originalar-
beit erschienen.)
Diskussion. Dr. Rotte nberg:
Dass die Mandeln eine primäre Infek-
tion für Tuberkulose bilden, ist so all-
gemein bekannt, dass jeder praktische
Arzt, wenn er eine einfache Tonsilitis
bei seinem Patienten sieht, sehr vor-
sichtig sein muss, dass da nicht eine
andere Infektion stattfinde. Wir wis-
sen, dass in der letzten Zeit der Tonsi-
litis mehr Bedeutung beigelegt wird
als in früheren Jahren geschehen ist.
Wenigstens bin ich in meiner Praxis
sehr behutsam, wenn ich auch einfache
Tonsilitis erblicke, und ich erinnere
mich lebhaft des kleinen Kindes eines
Kollegen, wo eine einfache Tonsilitis
stattfand und ich die Mutter aufmerk-
sam machte, dass sie nicht so leicht
darüber hinweggehen solle. Nach ei-
nigen Tagen stellte sich eine Lungen-
entzündung ein und infolge der Lun-
genentzündung ein Empyem, welches
auf tuberkulöser Basis stattfand. Das
Kind wurde operiert, das Empyem
wurde bakteriologisch untersucht, und
es wurden viele Tuberkelbazillen ge-
funden. Das Kind starb auch später,
und die Autopsie hatte eine Tuberku-
lose der Tonsillen gezeigt. Ich glaube,
dass wir mehr primäre Tuberkulose in
den Mandeln finden, als Kollege D a n-
ziger erwähnt hat. Ich glaube ganz
gewiss, dass wir mehr als 69 Prozent
der Tuberkulose in den Tonsillen fin-
den. Immerhin ist es der Mühe wert,
den Tonsillen mehr Aufmerksamkeit
zu schenken, als man es bis jetzt ge-
tan hat.
Dr. John A. Beu ermann: Ich
habe beim Anhören des Vortrags ge-
dacht, dass wir Herrn Dr. D a n z i-
g e r dafür dankbar sein sollten, dass
er diese Frage hier angeregt hat. Wie
Sie alle wissen, ist jetzt die Tendenz
in der Wissenschaft, zu glauben, dass
ein grosser Teil der tuberkulösen In-
fektionen nicht eine Einatmungsinfek-
tion, sondern eine Fütterungsinfektion
ist, und ich glaube gerade, dass derar-
tige Vorträge dazu beitragen, uns et-
was Licht in die Sache zu bringen.
Wenn wir durch die Tonsillen eine di-
rekte Infektion nachweisen können, so
glaube ich, dass die Theorie der Ein-
atmung der Tuberkulose dadurch ge-
stärkt wird. Meine Ansicht war die,
dass die Theorie der Fütterungstuber-
kulose durch die letzten Untersuchun-
gen der europäischen Aerzte mehr
Halt bekommt, zwar nicht direkt eine
Fütterungstuberkulose, sondern die
Tuberkulose, die ihre Infektion zuerst
in der Nase zeigt und nachher durch
die Säfte in den Magen eintritt und
von dort indirekt die Infektion der At-
mungswege verursacht.
Dr. E. Danziger (Schlusswort) :
Ich möchte zunächst eine Aeusserung
von Dr. Rottenberg berichtigen.
Er sagte, dass mehr als 69 Prozent der
Mandeln mit primärer Tuberkulose er-
krankt wären. Das habe ich nicht ge-
sagt. Man findet in 69 Prozent sekun-
däre Erkrankung bei vorhergehender
Lungentuberkulose.
Ich möchte noch besonderes Ge-
wicht darauf legen, dass man bei Ex-
stirpation der Halsdrüsen, die chro-
nisch infiziert sind, doch sehr vorsich-
tig auf die Tonsillen und Rachenman-
deln achten soll, weil es sonst, wie es
so häufig passiert, immer wieder vor-
kommt, dass andere Drüsen wieder in
fiziert werden und sekundäre Opera-
tionen notwendig machen. Wenn man
die tuberkulöse Mandeln nicht ent-
fernt, lässt man die Ursache der In-
fektion zurück.
Was die Bemerkungen von Dr.
B e u e r m a n n über Fütterungstuber-
kulose betrifft, so möchte ich nochmals
darauf hinweisen, dass sowohl die all-
gemeine Literatur wie meine eigene
Meinung dahin geht, dass in der
Nase und Rachenmandeln die tuber-
kulöse Infektion hervorgerufen wird
durch die Einatmung von Tuberkelba-
zillen, dass es aber bei den Gaumen-
mandeln sich um eine Fütterungstu-
berkulose handelt. Man darf unter
Fütterungstuberkulose nicht nur Tu-
berkulose verstehen, die Läsionen im
Darm. Mesenterium u. s. w. hervor-
ruft. Der Verdauungstraktus fängt
überhaupt im Hals bei den Gaumen-
mandeln an : dort muss man anfangen
zu suchen, und wenn dort Infektionen
sind, sind sie als Fütterungsinfek-
tionen zu betrachten.
Präsident Dr. Carl Reck: Ich
.■Jew Yorker Medizinische Monatsschrift.
155
habe Ihnen noch die angenehme Mit- uns in der nächsten Sitzung im Juni
teilung zu machen, dass Herr Profes- mit einem Vortrag über Oesophagus-
sor K i 1 1 i a n aus Freiburg, der be- krankheiten erfreuen wird,
rühmte Erfinder der Bronchoskopie, Hierauf tritt Vertagung ein.
Mitteilungen aus der neuesten Journalliteratur.
T h. Runck: Bromural, ein neues
Nervinum.
Die lange Reihe der Schlafmittel,
mit denen die neuere chemische
Forschung den Arzneischatz im letz-
ten Jahrzehnt beschenkt hat, hat nicht
vermocht, die Bedürfnisse und Wün-
sche der Aerztekreise nach dieser
Richtung hin in genügendem Umfange
zu befriedigen, so anerkennenswerte
Erfolge auf einzelnen Indikationsge-
bieten auch verzeichnet werden konn-
ten. Bald waren es unliebsame Eigen-
schaften des Präparates, wie Geruch
und Geschmack, die dem Kranken läs-
tig waren, bald waren es unerwünschte
Nebenwirkungen, durch die zugleich
der therapeutische Erfolg beeinträch-
tigt oder ganz in Frage gestellt wurde.
Insbesondere haben die seither em-
pfohlenen Schlafmittel alle, die einen
mehr, die anderen weniger, den Nach-
teil gezeigt, dass sie nicht frei sind von
narkotischer Nebenwirkung, welche
mit Erhöhung oder Häufung der Ein-
zelgabe noch deutlicher zum Ausdruck
kommt. Oft erzeugen sie anstatt
Schlaf nur einen Zustand der Betäu-
bung und rauschähnlicher Benommen-
heit, welcher von unruhigen Traum-
bildern und Vorstellungen bewegt,
auch den gewünschten Schlafeffekt,
das Gefühl der Erquickung und Erhol-
ung, vermissen lässt ; an Stelle dieses
Gefühls tritt ein Zustand der Einge-
nommenheit, der psychischen Depres-
sion, welcher den ganzen Tag hindurch
nachwirken und besonders häufig bei
schwächlichen und älteren Personen
beobachtet werden kann.
Wie bei den Narkotizis sehen wir
auch bei diesen schon länger bekann-
ten Schlafmitteln die Gefahr der An-
gewöhnung gegeben. Trotz der kumu-
lierenden Nachwirkungen reicht die
gewöhnliche Dosis nicht mehr aus und
muss einer stärkeren Gabe weichen.
Die toxischen Nebenwirkungen, die zu-
vor vielleicht nicht besonders fühlbar
zum Bewusstsein kamen, lassen sich
nun nicht mehr verschleiern und füh-
len zu den zwar unerfreulichen aber
unausbleiblichen Folgezuständen.
Man schien die narkotische Neben-
wirkung als unvermeidlichen Bestand-
teil eines wirksamen Hypnotikums mit
in den Kauf nehmen zu müssen ; das
mag zu verantworten und vielleicht
nicht zu umgehen sein für jene Fälle,
welche mit Schmerzen, mit quälenden,
den Schlaf aufhebenden Symptomen
verbunden sind, aber wo Schmerz-
symptome nicht vorhanden sind, wo
nur reine nervöse Unruhe und Reiz-
barkeit das einzige Hemmnis für den
Eintritt eines ruhigen, normalen Schla-
fes bilden, wird man von der Anwen-
dung betäubender Mittel nur zu gern
absehen. Durch ihre auf toxischer
Basis beruhenden Neben- und Nach-
wirkungen verlieren daher diese Hyp-
notika das Anrecht und den Vorzug,
als reine Nervina, als harmlose und un-
gefährliche Schlafmittel gelten zu kön-
nen. Diese Lücke unter den Schlaf-
mitteln scheint nun durch den von Dr.
Saarn dargestellten und unter dem
Namen Bromural in den Handel ge-
brachten x — Bromisovalerianylharnstoff
ausgefüllt worden zu sein.
R. trat den Versuchen mit Bromural
auf den verschiedenen Indikationsge-
bieten näher, nachdem die Unschäd-
lichkeit des Mittels durch vorausge-
gangene pharmakologische Prüfung
dargetan worden war und er sich selbst
und Personen, welche aus freien
Stücken dem ungefährlichen Experi-
mente sich unterzogen hatten. Ein-
zelngaben von 0,3 bis zu 6,0 verab-
reicht hatte. Auf Grund seiner Ver-
156
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
suchsreihen kommt R. zu folgenden
Schlussfolgerungen :
Die Bromuralwirkung ist nicht iden-
tisch mit der Wirkung der übrigen zur
Zeit bekannten neueren Schlafmittel ;
sie ist vielmehr von dieser scharf abge-
grenzt durch das Fehlen von narkoti-
schen Neben- und Nachwirkungen und
das Beschränktsein auf Fälle leichter,
nervöser Schlafbehinderung. Bromural
erzeugt in Dosen von 0,3—0,6, (in den
meisten Fällen 0,6=2 Tabletten) eine
einschläfernde und beruhigende Wir-
kung auf die Dauer von durchschnitt-
lich 3 — 5 Stunden. Nach dieser Zeit
erlischt seine Wirkung und tritt erst
wieder hervor, wenn eine weitere Do-
sis gereicht wird. Stärkere Gaben ha-
ben keine stärkere oder länger dau-
ernde Wirkung. Der Bromuralschlaf
ist ähnlich dem natürlichen Schlafe,
insofern er frei ist von Traumbildern,
die natürliche Dauer nicht über-
schreitet und der Patient beim Erwa-
chen dieselbe subjektiv klare und
frische Empfindung zeigt. Dagegen
sehen wir Bromural vollständig versa-
gen, wenn Schlafwiderstände mittleren
oder schwereren Grades, wie schwere
Unruhe, Husten, Reizerscheinungen,
Delirien, Schmerzen, hohes Fieber, In-
kompensationen aller Art, vorhanden
sind. Dafür ist es frei von merkbar
narkotischer Wirkung. Andererseits
geben wieder jene Fälle zu denken, wo
die Narkotika sich unzulänglich zeig-
ten, dagegen das harmlosere Bromural
seine Dienste anbietet und hilft. Seine
Ungefährlichkeit und Bekömmlichkeit
wird ihm eine ausgedehntere und um-
fassendere Verwendungsmöglichkeit
sichern, als den übrigen modernen
Schlafmitteln, welche diesen Vorzug
nicht besitzen. Man wird daher in Zu-
kunft kaum zu einem Narkotikum grei-
fen, solange die Möglichkeit gegeben
ist, dass man das gleiche mit dem
harmloseren Bromural erreichen kann.
(Münchencr med. Wochenschr., 1907,
No. 15.)
Therapeutische und klinische Notizen.
— Uebcv Sajodin. Cr am er hat das Sajo-
din seit einigen Monaten reichlich verwendet
und kann die bisherigen Beobachtungen nur
bestätigen. In einem Falle von lymphatischer
Leukämie bei einem i8j ährigen Mädchen mit
wochcnlangem hohem kontinuierlichem Fieber
um 390 herum, ausgebreitetem Bronchialka-
tarrh mit reichlichem, bräunlichem, schaumi-
gem Auswurfe sind im Laufe der Zeit hin-
tereinander etwa 200 g (täglich 2 — 3) ver-
braucht worden, ohne dass nur eine Spur von
Jodismus auftrat. Dabei sind während der
Anwendung des Sojadins die leukämischen
Erscheinungen zurückgegangen.
Ein anderer Patient gebrauchte seit Wochen
täglich 2 g Sajodin bei Leberzirrhose mit As-
cites, der nach einer Kalomelkur nach Punk-
tion nicht wiedergekehrt ist, ohne eine Spur
von Jodismus.
Die Gattin eines Arztes nahm auf C r a-
m e r's Rat seit 4 Wochen wegen Schilddrü-
senschwellung täglich 2 g Sajodin ohne eine
Spur von Jodismus, bis auf kleine kommende
und gehende Aknepusteln auf der Haut der
Brust, besonders über dem Sternum. Aehn-
liche Fälle hat C. jetzt eine ganze Reihe er-
lebt. Aus ihnen ergibt sich, dass das Sajodin
überaus gut und besser als die früheren Jod-
präparate vertragen wird und jedenfalls kei-
nerlei Unannehmlichkeiten im Gefolge hat,
weshalb eine sorgsame Krankenpflege gerade
von ihm besonderen Gebrauch machen sollte.
(Zeitschrift für Krankenpflege, Nr. 7, 1906.)
JVIecüzimscbe Monatsschrift
Offizielles Organ der
Deutzen medizinifdien Gefclifcbaften der Städte new Vorn,
Chicago, €levcland und San Trancisco.
Redigiert von Dr. A. Ripperger.
Bd. XIX. New York, September 1907. No. 6.
Originalarbeiten.
lieber die Behandlung der puerperalen Mastitis mit dem Hyperämieverfahren.*
Von Professor Dr. V. Schmieden.
(Chirurgische Universitätsklinik zu Berlin).
Meine Herren ! Wenn ich heut Eini-
ges über die B i e r'sche Hyperämiebe-
handlung vorzutragen beabsichtige, so
will ich mir erlauben, ein einzelnes,
spezielles Kapitel herauszugreifen,
weil ich die Ueberzeugung habe, dass
in diesem Kreise von deutschen Aerz-
ten hier in New York die grossen all-
gemeinen Prinzipien hinreichend be-
kannt sind, welche der B i e r'schen
Lehre zu Grund liegen. Ich möchte
kurz über die Hyperämiebehandlung
der puerperalen Mastitis sprechen und
zwar scheint mir dieses Kapitel des-
halb besonders geeignet, weil es ge-
wissermassen den Typus einer Hyper-
ämiebehandlung darzustellen vermag ;
ferner, weil diese Behandlung grosse
praktische Bedeutung hat, gerade für
den praktischen Arzt, und weil die
Durchführung des Verfahrens hierbei
nicht schwer ist, sodass der Anfänger
unschwer gerade hierbei seine ersten
Erfahrungen sammeln kann.
*) Vortrag, gehalten in der Deutschen med.
Gesellschaft der Stadt New York am 3. Juni
1907.
Ich möchte zunächst mit einigen
pathologischen Besprechungen begin-
nen : Bei einer frischen puerperalen
Mastitis dringen Eitererreger, meist
Staphylokokken, in die Brustdrüse ein
und breiten sich im wesentlichen in
dem lockeren interstitiellen Bindege-
webe aus, welches sich zwischen den
einzelnen Drüsenläppchen befindet.
Diesem Angriff giftiger Feinde setzt
der Körper schnell eine sehr lebhafte
Abwehr entgegen ; das Blut strömt in
stark vermehrter Menge dem geschä-
digten Bezirke zu, es entsteht heftige
schmerzhafte Rötung und Schwellung.
Diese Reaktion des lebendigen Kör-
pers auf die eingedrungene Schädlich-
keit ist im Sinne Biers nicht die
Krankheit selbst, sondern die Abwehr
des Körpers gegen die Krankheit und
somit der wesentlichste Heilfaktor.
Leider entsteht nun zwischen dieser
reaktiven Entzündung einerseits und
der Milchbildung in der puerperalen
Brustdrüse andererseits eine unange-
nehme Wechselwirkung: die entzünd-
liche Schwellung verlegt die Ausführ-
New Yurker Medizinische Monatsschrift.
ungsgänze und verhindert die Ent-
leerung des Drüsensekretes — diese
Milchstauung wiederum wird die Pro-
dukte der Entzündung mitsammt den
Bakterien durch die zunehmende Ge-
websspannung in immer tiefere Ge-
biete hinein treiben. Trotzdem gelingt
es der heilbringenden Entzündung in
manchen Fällen, in einem frühen Sta-
dium der Erkrankung über die Bak-
terien Herr zu werden ; wir haben das
vor uns, was wir das spontane Aus-
heilen einer Mastitis nennen, ohne dass
Eiterung eintritt. Wir können diese
Spontanheilung durch einen einfachen
Stützverband und durch regelmässige
Milchentleerung unterstützen. In ei-
nem zweiten Stadium gelingt dem
Körper die Beseitigung des Feindes
nicht so leicht, wenigstens nicht ohne
Opfer; sobald die Bakteriengifte be-
reits die Nekrose von Zellen oder < re-
weben herbeigeführt haben, bildet der
Körper den Eiter, der die Aufgabe hat,
das nekrotische Gewebe von dem
lebendigen zu lösen und in Gestalt ei-
nes Abszesses, der schliesslich die
Haut durchbricht, alles Tote und Un-
brauchbare aus dem Körper heraus zu
befördern. Wir unterstützen diese
Entwickelung des Leidens durch die
operative Eröffnung der Abszesse. In
einer dritten Gruppe von Fällen ist der
Körper nicht im stände, den Feind in
der Brustdrüse selbst zu vernichten ;
es entstehen unter einem schweren all-
gemeinen Krankheitsbilde metastati-
sche Eiterungen der regionären
Lymphdrüsen oder gar entfernter Kör-
perorgane. Die Bakterien waren zu
virulent oder die Reaktionsfähigkeit
des Körpers zu gering; das Leiden
kann unter dem Bilde der Pyämie zum
Tode führen.
Was will nun eine Methode errei-
chen, welche im Sinne Biers die ent-
zündliche Reaktion des Körpers stei-
gert? Im ersten Stadium wird sie dem
Körper helfen, das schädliche Agens
schneller und gründlicher zu überwin-
den, die Bakterien zu töten, ehe noch
eine Nekrose stattfindet. Im zweiten
Stadium wird sie im stände sein, die
Bildung der Einschmelzung zu be-
schleunigen und die Entfernung der
Nekrose zu bewirken ; sie wird ähnlich
wirken, wie ein heisses Kataplasma.
Vor allem aber wird sie im stände
sein, die Grenze zwischen dem ersten
und zweiten Stadium in dem Sinne zu
verschieben, dass viel mehr Fälle ohne
Eiterung heilen als sonst. Endlich
wird sie durch frühzeitiges Entfachen
der eignen Kräfte fies Körpers der Ent-
stehung des dritten Stadiums vorbeu-
gen.
Was bewirkt im Gegensatz hierzu
eine Behandlung, welche die entzünd-
liche Reaktion des Körpers unter-
drücken will? Sie wird in jedem Sta-
dium den Verlauf, nur verzögern und
damit den Körper der Einwirkung der
Bakterien preisgeben. Sie muss unbe-
dingt dazu führen, dass viel mehr
Fälle in das zweite, eitrige Stadium
übergehen.
Wer sich diesen Gedankengang zu
eigen gemacht hat, der wird es ver-
stehen, dass wir in B i e r's Klinik nie-
mals eine beginnende Zellgewebsent-
zündung z. B. eine beginnende Masti-
tis mit der Eisblase behandeln. Diese
Behandlung kann nach unserer festen
Ueberzeugung wohl vorübergehend
eine angenehme Empfindung bewir-
ken, etwa wie ein überkaltes Trink-
wasser für den Fiebernden wohl an-
genehm, aber durchaus nicht nützlich
ist, aber sie kann den Prozess selbst
nicht günstig, sondern nur ungünstig
beeinflussen ; wenn unter einer Eisbe-
handlung eine solche akute Entzünd-
ung schwindet, so ist es nur so zu er-
klären, dass der Körper nicht nur mit
der Infektion, sondern auch noch mit
der Eisblase fertig geworden ist.
Von den hyperämisierenden Me-
thoden, welche uns zur Steigerung der
Entzündungserscheinungen zur Ver-
fügung stehen, benützen wir bei der
Mastitis ausschliesslich die Saughy-
perämie ; diese letztere hat Prof.
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
159
K 1 a p ]> an unserer Klinik besonders
ausgebildet und ihre Anwendung bei
der Mastitis empfohlen. Wir wenden
eine grosse Saugglocke an (Demon-
stration) und setzen diese über die
ganze Brustdrüse herüber. Die Ränder
dieser Glocke sind gewölbt, damit jeder
schwerzhafte Druck vermieden wird,
und sind mit Vaseline befettet, damit
der Apparat luftdicht aufsitzt. Nun
wird die Luft in der Glocke mit einer
Saugspritze verdünnt, die Brust zieht
sich in die Glocke hinein, wird lebhaft
hyperämisch und entleert unter der
Einwirkung der Saugkraft die in ihr
stagnierende Milch aus den Milch-
gängen. Diese Hyperämisierung ist
imstande, die entzündliche Rötung,
welche bereits in der Brust vorhanden
ist, lebhaft zu steigern und dadurch
die Infektion in frischen Fällen oftmals
geradezu zu unterdrücken, sehr viel
häufiger, als das ohne die Hyperämie-
behandlung möglich ist. Hierfür las-
sen sich klinische Beweise erbringen:
noch vor kurzem wurde aus der Frau-
enklinik der Universität zu Erlangen
berichtet, dass die Hyperämiebehand-
lung der Mastitis einen völligen Um-
schwung bedeute : während früher bei
der antiphlogistischen Behandlung
etwa 33 Prozent der Fälle zur Eiterung
kamen, war dies nach Einführung der
Hyperämiebehandlung nur noch in 6
Prozent der Fälle der Fall. Nur noch
in 6 Prozent der Fälle musste die Be-
handlung operativ zu Ende geführt
werden. Das bedeutet wohl ohne
Zweifel einen ganz ungeheueren Fort-
schritt. Dieses auffallend günstige
Ergebnis ist gleichzeitig dem Um-
stände zu danken, dass in der Frauen-
klinik die Mastitisfälle ganz frisch in
Behandlung kommen.
Es muss jedoch noch Einiges über
die Technik der Behandlung hinzuge-
fügt werden : Zunächst muss man da-
rauf achten, dass die ganze Behand-
lung völlig schmerzlos sei. Während
wir die Luftverdünnung in der Glocke
bewirken, achten wir möglichst auf
eine rote Hyperämie und fragen die
Patientin jederzeit, ob kein Schmerz
entsteht. Sobald lebhafter Schmerz
vorhanden ist, ist die Luftverdünnung
zu stark. Wir legen die Saugglocke
jedesmal für 5 Minuten an und nehmen
sie dann für 2 bis 3 Minuten ab, damit
in dieser kurzen Pause die Hyperämie
verschwinden kann. Im Ganzen dau-
ert die tägliche Behandlung ^4 Stun-
den. Nicht immer gelingt es, mit die-
sen grossen Sauggläsern die Milch völ-
lig zu entleeren ; dann nimmt man
kleinere zu Hilfe, die nur die Brust-
warze umfassen.
Im Allgemeinen pflegt das erste
Symptom der Besserung das baldige
Nachlassen der Schmerzen zu sein. In
fieberhaften Fällen pflegt vom Tage
der Behandlung an das Fieber lang-
sam zu verschwinden, manchmal eben-
falls schon nach einem Tage. Oft fin-
den die Patientinnen schon nach dem
ersten Tage wieder ruhiger Schlaf.
Während wir auf diese Weise in
frischen Fällen das Leiden im Keime
ersticken können, kommt es in jedem
vorgeschrittenen Fall zur Eiterbildung
in der Tiefe. Die Hyperämiebehand-
lung, welche wir in solchen Fällen aus-
führen, ist genau die gleiche ; indessen
wird sie mit stichförmigen Inzisionen
der Abszesse kombiniert. Bei der Ma-
stitis gilt also dieselbe Regel, wie sie
für jede Hyperämiebehandlung zu-
trifft: jeder Abszess muss geöffnet
werden, sobald er erkannt ist. Die Er-
fahrung hat gezeigt, dass wir bei
gleichzeitiger Hyperämiebehandlung
mit ganz kleinen stichförmigen In-
zisionen auskommen ; diese werden
unter Chloräthylspray ausgeführt und
sind kaum als eine Operation zu be-
zeichnen. Ihr Zweck ist es, den Eiter
vollständig zu entleeren, was unter der
Saugwirkung sehr vollständig und
schmerzlos gelingt. Es bedarf noch
der Erwähnung, dass häufig bei der
starken entzündlichen Infiltration sich
Abszesse nicht ganz leicht nachweisen
lassen. Gerade bei der Mastitis tritt
i6o
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
das Symptom der Fluktuation oft erst
spät, kurz vor dem Durchbruch der
Abszesse, auf. Wir haben es uns da-
her zur Regel gemacht, hartnäckige,
schmerzhafte Infiltrate im akuten Sta-
dium der Erkrankung, die nicht unter
der Hyperämiebehandlung rasch zu-
rückgehen, alsbald mit Stichinzisionen
zu eröffnen. Die sofort angelegte
Saugglocke entleert dann viel Blut,
mit Eiter untermischt.
Nach der jedesmaligen ^stündigen
Saugbehandlung legt man einen Sal-
benverband an ; dieser verhütet am
besten das zu frühzeitige Verkleben
der Stichöffnungen. Die ganze Hy-
perämiebehandlung darf nicht zu früh
unterbrochen werden., damit keine
Rückfälle eintreten. Auch wenn
Schmerz und Eiterung verschwunden
sind, wird die Saugglocke noch für
etwa 8 Tage täglich, aber nur für
kürzere Zeit, angelegt.
Diese äusserst schonende Behand-
lung bietet eine ganze Reihe wesent-
licher Vorteile. Der Heilungsverlauf
wird erheblich abgekürzt und ist
schmerzlos, indem die Operation, die
nachfolgende Tamponade und Drai-
nage völlig fortfallen ; jede Narkose ist
überflüssig; fast alle Patienten können
ambulant behandelt werden. Im Ge-
gensatz zu der Behandlung mit grossen
Schnitten wird hier die Tätigkeit der
Brustdrüse nur sehr viel seltener un-
terbrochen. Sobald es die Schmerzen
irgend gestatten, lässt man das Kind
ruhig anlegen, nur nicht in den Fällen,
bei welchen die eiternden Stichinzisio-
nen nahe an der Brustwarze liegen.
Der grösste Vorteil aber ist unbedingt
darin zu erblicken, dass die Form der
Brustdrüse erhalten bleibt, während
diese durch die früheren, grossen, radi-
ären Inzisionen oft in rücksichtsloses-
ter Weise zerstört wurde. Dies em-
pfinden die Frauen mit grösster Dank-
barkeit, auch wissen die Frauenärzte
sehr wohl, dass solche alten Opera-
tionsnarben oftmals in einem späteren
Wochenbett die natürliche Ernährung
des Kindes verhindern. Es bleibt im
Gegensatz hierzu bei dem Hyperämie-
verfahren Form und Funktion der
Drüse erhalten.
Die regelmässige Anwendung der
geschilderten Therapie in der B i e r'-
schen Klinik hat uns gezeigt, dass die
Patientinnen sehr bald grosses Ver-
trauen zu dem schonenden Verfahren
gewinnen. Die Gewissheit, dass nicht
sofort eine schmerzhafte Operation be-
vorsteht, führt sie vor allen Dingen
sehr viel frühzeitiger in die sachkun-
dige Behandlung, in einem Stadium, in
welchem die Hyperämiebehandlung
noch sehr viel mehr leisten kann, als
später; sie warten nicht bis zum Aeus-
sersten. Sobald der Arzt daher selbst
erkannt hat, wieviel er mit unserem
Verfahren erreichen kann, soll er auch
die Hebammen dazu erziehen, die
kranken Frauen frühzeitig in die
Sprechstunde zu schicken, ehe die
beste Zeit verloren ist.
In Deutschland hat das Verfahren
der Hyperämiebehandlung akuter Ent-
zündungen weit über die Grenzen von
B i e r's Klinik hinaus lebhaften An-
klang gefunden, bei Chirurgen und bei
Gynäkologen. Auf dem Chirurgen-
Kongress des verflossenen Jahres in
Berlin haben sich zahlreiche Redner in
diesem Sinne geäussert, unter anderen
auch Herr Geheimrat Küster, der
hier unter Ihnen weilt, und soeben vor
Ihnen gesprochen hat. Ich selbst habe
mich hier in Amerika, überall, wo ich
nur hinkam, davon überzeugt, welches
Interesse die neuen Ideen erregen, wel-
che von Bier ausgehen, und beson-
ders hier in New York ist es ja Herr
Dr. W. Meyer, der am Deutschen
Hospital sich schon seit vielen Jahren
mit gutem Erfolge der Hyperämiebe-
handlung bedient.
Meine Herren ! Ich bin Ihnen für
Ihre freundliche Aufmerksamkeit sehr
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
161
dankbar; ich schliesse meine Ausführ-
ungen, indem ich der Ueberzeugung
Ausdruck gebe, dass jeder Arzt, der
einmal sorgfältig einige Mastitisfälle
mit dem neuen Verfahren behandelt
hat, es nicht wieder verlassen wird.
Zur vorzeitigen Ablösung der normal sitzenden Plazenta.
Von Dr. A. Herzfeld.
(Schluss.)
Therapie.
Die Behandlung der vorzeitigen Ab-
lösung der normal sitzenden Plazenta
hat sich im Laufe der vielen Jahre seit
Mauriceau und Baudelocque
in ihren Prinzipien nicht geändert,
auch heute noch, wie damals, ist die
Beschleunigung der Geburt, die Ent-
leerung der Gebärmutter das einzige
Heilmittel.
Gibt es nun in der Behandlung der
vorzeitigen Ablösung der normal in-
serierten Plazenta feste Regeln, wie
wir dieselben in der Behandlung des
Abortes oder der Placenta praevia ha-
ben, nach denen der Geburtshelfer sich
richten kann ? Auch die Zusammen-
stellung von diesen 250 Fällen hat ge-
zeigt, dass es eine einheitliche Behand-
lung nicht gibt, jeder Fall muss für
sich beurteilt werden und das einzige
Mittel, der Blutung Herr zu werden,
ist die schnelle und schonende Ent-
bindung, nur sie allein kann das Leben
der Frau retten. Die Aussichten für
die Erhaltung des kindlichen Lebens
sind sehr schlecht, bald nach Einsetzen
der schweren Blutung geht das Kind
in bei weitem den meisten Fällen an
Asphyxie zu Grunde. In den letzten
Jahren hat sich auch für die Kinder die
Statistik etwas gebessert, was auf das
schnelle Eingreifen des Geburtshel-
fers, auf die Fortschritte in der Thera-
pie zurückzuführen ist.
Die rein exspektative Behandlung
bei geringer oder mässiger Blutung,
solange das Leben der Mutter nicht
bedroht und die Geburt ihren norma-
len Verlauf nimmt, ist für die Mutter
wohl die bessere, doch schlecht für das
Kind.
38 Fälle endeten spontan :
Prozent.
34 Frauen lebten = 91
3 Frauen tot = 8,1
1 fehlt Angabe,
31 Kinder tot = 81,5
7 Kinder lebten = 18,4
In 30 Fällen wurde bei vollständig
erweitertem Muttermund die künstliche
Blasensprengung gemacht.
Prozent.
Die Frauen lebten sämmtlich = 100
10 Kinder lebten = 35,7
18 Kinder tot = 64,3
Bei 2 Kindern fehlt Angabe.
Für stärkere lebensbedrohende Blut-
ungen ist schon von Leroux die
Scheiden- und Cervixtamponade em-
pfohlen worden.
Die Tamponade als die einzige Be-
handlung wurde in 21 Fällen ange-
wandt :
16 Frauen lebten = 76,2 Prozent
5 Frauen tot = 23,8
3 Kinder lebten — 14,2
18 Kinder tot = 85,7
R i g b y und Leroux waren die
ersten in der Anwendung der Tampo-
nade bei der Ablösung der Plazenta,
später empfiehlt John Burns (24)
diese Behandlung, ebenso tamponiert
S p a e t h (25) bis zur vollständigen
Erweiterung des Muttermundes.
Spiegelberg empfiehlt die Tam-
ponade selbst bei frühzeitig geborste-
ner Blase. Colclough hatte 21
l62
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
schwere Fälle vorzeitiger Ablösung
mit Tamponade behandelt und nur ei-
nen Todesfall an Ruptura uteri, Ly 1 e
(26) in 15 schweren Fällen keinen To-
desfall.
In dem Rotunda-Hospital Dublin's
ist die Tamponade in allen Fällen vor-
zeitiger Ablösung der Plazenta, so
lange die Blase noch steht, die einzige
Behandlungsmethode. Nach Smyly
(27) verhindert die feste Tamponade
der Vagina eine weitere Blutung, sie
wirkt als wehenanregendes Mittel, sie
dilatiert die Portio, erhöht den intra-
uterinen Druck gegen die blutende Ge-
fässe, sie unterstützt die überdehnte
Uterusmuskulatur, sodass während
der Tamponade die Muskelfasern sich
„erholen" und daurch die Nachblutung
in der Rotunda Dublin's zur Seltenheit
geworden ist. Auf die Technik legt
Smyly grossen Wert. Er tampo-
niert mit sterilisierten, wallnussgros-
sen, mit einer leicht antiseptischen
Lösung angefeuchteten Wattebäusch-
chen. Die Packung wird mit Jodo-
formgaze bedeckt, durch eine Peri-
nealbandage in situ gehalten und diese
wird in einer fest angelegten Abdomi-
nalbinde befestigt. Ist die Tamponade
durchgeblutet, so wird dieselbe erneu-
ert. Bei vorzeitigem Blasensprung
verwirft auch Smyly die Tamponade
und empfiehlt das Accouchement
force.
Die Blasensprengung war seit ihrer
Einführung in die Therapie der vor-
zeitigen Ablösung der normal sitzen-
den Plazenta eine viel diskutierte
Frage. Zur Anregung der Wehentä-
tigkeit und zur Entlastung des über-
dehnten Uterus empfiehlt schon P u-
z o s die frühe Blasensprengung,
,, durch die Verminderung seines In-
haltes zieht sich der Uterus fest um
den Fötus zusammen, drängt ihn
gegen das Os uteri und verkleinert auf
diese Weise die blutende Fläche.
N a e g e 1 e, S c a n z o n i, E. V. S i e-
bold, Goodell, Ahlfeld, 0 1 s-
hause n-V e i t empfehlen die frühe
ßlasensprengung. W a r r e n und
G r a e f e weisen darauf hin, dass nach
der Blasensprengung sofort die Wehen
eingesetzt haben.
S p a c h t, Hohl, Brunton,
Spiegelberg warnen vor der
frühen Blasensprengung, auch W i n-
ter, Königstein, Barnes, Heil,
Guerin - Valmal, Guirauden
(v. i.) raten davon ab.
In den Fällen von B a 1 1 a n t y n e,
B a r n e s, v. G i e s o n, H e i 1, L o n g-
aker, Sligh, Hickenbotham,
T a r g e 1 1 sind bald nach der vor-
zeitigen Blasensprengung grössere
Schwierigkeiten entstanden. Lee(28)
berichtet, dass es in 7 von 39 Fällen,
trotz vorzeitiger Blasensprengung, in
den Uterus weiter geblutet hat. D e
F o r i n (39) fand, dass von 34 vor-
zeitigen Blasensprengungen 21=61,7
Prozent der Frauen zu Grunde gingen.
Ich hatte fast das gleiche Resultat, von
26 Fällen starben 16=61,5 Prozent.
Eine genaue grössere Statistik dieser
Fälle zusammenzustellen, ist schwierig,
da in den meisten Fällen der Zeitpunkt
der Blasensprengung nicht angegeben
wurde.
Zweifellos wirkt die vorzeitige Bla-
sensprengung als wehenanregendes
Mittel, doch ist dieselbe im allgemei-
nen nicht empfehlenswert, da ihre Fol-
gen für die Geburt selten günstige
sind. Die Blase soll erhalten werden,
bis wir den Uterus entleeren können,
bis wir die Geburt in der Hand haben.
Kann man den Uterus nicht sofort ent-
leeren, so ist es unweise, einen Teil
der im Uterus sich befindlichen Flüs-
sigkeit ablaufen zu lassen, da der auf
diese Weise verminderte Gegendruck
eine neue Blutung in den Uterus zur
Folge hat, welche das Leben der Mut-
ter unnötiger Weise aufs Neue gefähr-
det. Weiter wissen wir, dass bei der
Nachblutung oft nur ein einziges Ko-
agulum die Blutung aufrecht erhält
und diese erst dann steht, wenn der
Uterus vollständig entleert ist.
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
163
Einen bedeutenden Fortschritt in
der Beschleunigung der Entbindung,
ohne die Frau allzu grosser Gefahr
auszusetzen, brachte das Dilatatorium
von B o s s i. Dieses Instrument wurde
im Ganzen in 5 Fällen gebraucht, in 4
Fällen von J o 1 ly und in einem Falle
von B a 1 1 a n t y n e. J o 1 1 y erwei-
terte mit einer Modifikation dieses In-
strumentes in 20 — 30 Minuten die noch
erhaltene Portio bis auf Handteller-
grösse, rettete sämmtliche Frauen und
3 Kinder durch die sofort angeschlos-
sene Wendung. In einem Falle wurde
der nachfolgende Kopf perforiert. In
2 Fällen hatte J o 1 1 y tiefe Cervixrisse,
welche er der ungenügenden Erweiter-
ung der Cervix zur Last legt und rät,
das Kind erst dann zu extrahieren,
nachdem das Dilatatorium ad maxi-
mum aufgedreht ist. Ballantyne
benutzte das Bossi'sche Instrument
mit weniger Glück, die Mutter ging an
einer Nachblutung zu Grunde, das
Kind war vorher abgestorben.
Cervixinzisionen nach Dührssen
wurden in 3 Fällen, in welchen ander-
weitige geburtshilfliche Operationen
nötig waren, gemacht. Der Gummi-
ballon als Erweiterungsmittel wurde
vielfach der Tamponade vorgezogen,
seine Wirkung ist schonend, aber lang-
sam. S c h a 11 1 a hat mit dem Ballon
in 20 — 30 Minuten eine vollständige
Erweiterung der Portio erreicht.
Barn e's Bags wurden 16 mal ange-
wandt, Champetier de Ribes
4 mal, H e g a r's Stifte 3 mal, G o o d-
e 1 l's Dilatator 1 mal, F i e u x zieht
die manuelle aller instrumentellen Er-
weiterung vor.
„Kristeller" wurde 4 mal gemacht:
3 Frauen lebten,
3 Kinder tot
Squire will durch allzu kräftigen
Kristeller die normal sitzende Plazenta
losgelöst haben.
Wendungen wurden 53 gemacht :
26 Frauen tot = 49 Prozent
46 Kinder tot = 87
Zange wurde 41 mal angelegt :
18 Frauen lebten = 40 Prozent
22 Frauen tot — : 53,6 "
1 Angabe fehlt.
34 Kinder tot = 89,7 Prozent
4 Kinder lebten = 10,3
2 fehlt Angabe.
Zange am nachfolgenden Kopf ein-
mal.
Die grosse Mortalität der Zange und
Wendung ist nicht zum wenigsten
darin zu suchen, dass die Indikation
dieser Eingriffe in vielen Fällen nicht
genau gestellt wurde. Die hohe Zange
wurde bei beweglichem Kopfe 2 mal
ausgeführt mit einer Mortalität für die
Mutter von 50 Prozent, für die Kinder
von 100 Prozent.
Die Perforation wurde 18 mal ausge-
führt mit einer Mortalität von 50 Pro-
zent. Der nachfolgende Kopf wurde
5 mal perforiert.
Porro 4 mal, B a j o t, S m y 1 y,
Store r, Targett mit keiner Mor-
talität für die Mutter, doch alle Kinder
starben.
Der vaginale Kaiserschnitt 1 mal
von Ruehl, No. 182. Mutter lebt,
Kind todt.
Sectio caesarea 4 mal, 2 mal an der
lebenden, 2 mal an der toten Frau.
In dem Falle L e L o r i e r's löste sich
die Plazenta während der Geburt am
normalen Ende der Schwangerschaft.
Die sofort ausgeführte Sectio caesarea
rettete die Frau, das Kind war tot.
Kouwer operierte wegen einer
schweren inneren Blutung, die Frau
ging an einer Nachblutung zu Grunde.
Unentbunden starben 14 Frauen. In
5 dieser Fälle stand noch die Blase, in
5 wurde dieselbe vorzeitig gesprengt,
in 3 Fällen war sie vorzeitig gesprun-
gen. Tamponiert wurden 6 Fälle, 3
bei stehender, 3 bei geborstener Blase ;
diese Fälle gingen sämmtlich an gros-
sem Blutverluste zu Grunde. 3 der
unentbundenen Frauen litten an
Eklampsie. In 6 Fällen wurde bei der
Autopsie die Plazenta im Uterus total
164
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
gelöst, im Blute schwimmend, ge-
funden.
In 33 von 196 Fällen stürzte die Pla-
zenta mit Blutmassen sofort dem Kinde
nach, in 77 Fällen kam sie spontan
bald nach der Geburt des Kindes, 36
mal wurde Crede gemacht, in 50 Fäl-
len wurde die Plazenta manuell ent-
fernt und in 54 Fällen waren keine An-
gaben bezüglich der Plazenta gemacht.
In 36 Fällen berichtete der Autor, dass
die Plazenta total gelöst war, in 1 Falle
wurde die Plazenta durch den geris-
senen Uterus aus der Bauchhöhle ent-
fernt. Wie bereits oben erwähnt, ist
die losgelöste Plazenta in der Gebär-
mutter starkem Druck ausgesetzt, so
dass sie bis auf die Hälfte ihrer Dicke
reduziert sein kann. Dieses Phäno-
men wurde zuerst von S a e n g e r ge-
nau beschrieben und wurde seither in
einer ganzen Anzahl Fälle beobachtet.
Baker (No. 10) behauptet, dass in
dem von ihm beschriebenen Falle die
Plazenta das Dreifache ihrer normalen
Grösse angenommen hatte. Die Blut-
menge, welche bei der Geburt der los-
gelösten Plazenta folgt, ist verschie-
dentlich geschätzt worden. So spricht
der jüngere Barnes von 4 Pfund, d e
F o r i n von 6 Pfund, J a g g a r d von
3 Liter Blut. Hier wird wohl die Auf-
regung des Beobachters bei der Ab-
schätzung der Quantitäten assistiert
haben.
Nachblutungen sind bei der vorzeiti-
gen Ablösung der normal sitzenden
Plazenta häufig. In 22 Fällen war die-
selbe letal, 32,4 Prozent sämmtlicher
Todesfälle. In mehreren Fällen wurde
der Uterus ohne Erfolg tamponiert,
Y a r r o s machte erfolglos die vagi-
nale Hysterektomie. Bei den günsti-
gen Resultaten, welche ich bei schwe-
ren Nachblutungen mit Adrenalin er-
zielt habe, möchte ich dasselbe auch
hier empfehlen.
Was die Behandlung im allgemeinen
betrifft, so muss die Frau bei den gün-
stigsten Anzeichen einer Blutung so-
fort zu Bett gebracht werden ; in einer
Anzahl Fälle ist die schwere Blutung
erst bei dem Urinieren, beim Stuhl-
gang oder im Bade eingetreten. Viel-
fach wurden Kochsalzinfusionen ge-
macht, Kelly und Harrington
schreiben die Rettung ihrer Patienten
der Kochsalzlösung zu.
Ergotin und seine Derivate sind viel-
fach gebraucht worden, doch scheint
ein günstiger Einfluss des Ergotins auf
die Blutung von keinem der Beobach-
ter besonders erwähnt worden zu sein,
Stimulantien sind oft nötig, am besten
hypodermatisch.
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28. Lee, cit. v. Barnes, Lancet. 1881. Vol.
2, p. 1038.
Alkohol und Tuberkulose*
Von Dk. Holitscher, Pirkenhammer bei Karlsbad.
Dass die zwei verheerendsten Volks-
seuchen der Gegenwart, Alkoholismus
und Schwindsucht, in mannigfaltigster
Wechselbeziehung stehen, ist eine all-
seitig anerkannte Tatsache ; niemand
leugnet den grossen Anteil, der dem
Alkoholmissbrauche bei der Entsteh-
ung der Tuberkulose zufällt, wenn die
Meinungen auch über die Art dieses
Kausalverhältnisses noch auseinander-
gehen. Natürlich wird dieser Zusam-
menhang von den Alkoholgegnern im
engeren Sinne des Wortes, in erster
Linie den Abstinenten, besonders her-
vorgehoben und die Forderung ge-
stellt, dass bei der Behandlung der
Lungenschwindsucht alles vermieden
werde, was einer Begünstigung oder
Wertschätzung des Alkoholgenusses
seitens der Patienten Vorschub leisten
könnte, und zwar mit der Begründung,
dass jede Empfehlung der geistigen
Getränke bei Lungenkranken doppelt
gefährlich sei ; erstens durch den
Schaden, den der Kranke selbst dabei
*) Prager Med. Wochenschrift. XXX., No.
11 — 12, 1906.
nehmen könne, zweitens aber durch
den Einfluss, den die Tatsache, dass
ein chronisch Kranker ärztlicherseits
Alkoholika verordnet bekommt, auf die
Umgebung und die Volksmeinung
überhaupt ausübt. Wer darüber Er-
fahrungen gesammelt hat, wie sehr die
allgemein verbreiteten Vorurteile über
die kräftigenden, stärkenden und näh-
renden Eigenschaften der geistigen Ge-
tränke gerade durch die missbräuch-
liche Verordnung durch Aerzte erzeugt
und gestützt werden, wird diese Ge-
fahr keineswegs gering schätzen.
Ganz Hervorragendes auf dem Ge-
biete der ungeheuersten Ueberschät-
zung des Alkohols bei der Behandlung
der Tuberkulose haben die Lungen-
heilstätten geleistet, solange sie noch
von der Brehme r-D e 1 1 w e i 1 e r'-
schen Lehre der Alkoholbehandlung
beeinflusst wurden. Es ist ja bekannt,
dass Kognak und schwere Weine in
Görbersdorf in Strömen flössen, und
dass zu dieser Zeit Potatoren in den
Anstalten grossgezogen wurden, geben
selbst warme Alkoholverehrer zu. Un-
ter dem Einflüsse der Antialkoholbe-
i66
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
wegung haben sich die Verhältnisse ja
sehr gebessert; es kann zugegeben
werden, dass solche Uebertreibungen,
wie sie damals auf der Tagesordnung
standen, heute nicht mehr so häufig
vorkommen. Trotzdem kann die Lage
der Dinge die Alkoholgegner auch
heute noch nicht befriedigen, die rund
heraus erklären, in den Lungenheilan-
stalten gehöre der Alkohol in die An-
staltsapotheke, nicht aber auf den Ess-
tisch, und die ihre Angriffe immer wie-
der gegen jene Sanatorien richten, in
denen — ■ und das sind fast alle — die-
sem Grundsatze nicht entsprochen
wird.
Die Verteidigung des Alkoholge-
brauches in den Lungenheilstätten und
die Abwehr besagter Angriffe setzt sich
ein Aufsatz zum Ziele, den Hofrat
W o 1 f f , der Besitzer und ärztliche
Leiter der Privatlungenheilanstalt in
Reiboldsgrün vor kurzem veröffentlicht
hat.*) W o 1 f f untersucht die, wie er
erklärt, literarisch noch wenig bear-
beitete Frage nach den Beziehungen
des Alkohols zur Tuberkulose sowohl
was die ätiologische Bedeutung des
Alkoholismus, als auch was die Bedeut-
ung des Alkohols als Heil-, Nahrungs-
und Genussmittel während der Er-
krankung betrifft, und kommt zu dem
Schlüsse, dass die Behauptungen der
Abstinenten unbewiesen, unwissen-
schaftlich und übertrieben, ihre Folger-
ungen ungerechtfertigt seien. Wenn
nun auch W o 1 f f meine Legitimation
zur Kritik kaum anerkennen wird, da
er gegen mich, ebenso wie er es gegen
Liebe und L e gr a i n getan hat, den
Einwand erheben wird, dass ich als
Abstinent befangen und voreingenom-
men bin, so betrachte ich es dennoch
als meine Pflicht, die Bedenken, die
sich mir beim Studium dieser Arbeit
aufgedrängt haben, in strengster Ob-
jektivität hier wiederzugeben.
*) „Beiträge zur Klinik der Tuberkulose".
Herausgegeben von Dr. L. Brauer, Würz-
burg. Bd. IV. H. 3- S. 239 ff. Wolff,
„Alkohol und Tuberkulose".
Die Rolle, die der Alkohol bei der
Entstehung der Schwindsucht spielt,
wird von Wolff zwar anerkannt, aber
auf ein möglichst geringes Mass herab-
gedrückt. Er lässt eigentlich nur den
sozialen Einfluss des Alkoholismus bis
zu einer gewissen Grenze gelten, wäh-
rend er die statistischen und experi-
mentellen Beweise für den direkten
Einfluss des Alkoholgenusses auf die
Entstehung der Tuberkulose als nicht
genügend bezeichnet.
Nun unterliegt es ja allerdings gar
keinem Zweifel, dass der statistische
Nachweis der ätiologischen Bedeutung
eines — wenn auch noch so bedeut-
samen— Faktors bei einer Krankheit,
deren Entstehungsursachen so mannig-
faltig und verwickelt sind, wie die
der Schwindsucht, ausserordentlich
schwierig ist. Das Zusammentreffen
grossen Alkoholmissbrauches mit
hoher Schwindsuchtssterblichkeit, wie
es bei einzelnen Völkern, manchen Be-
rufskategorien festgestellt ist, genügt
selbstverständlich noch nicht, um diese
Bedeutung zu erhärten, da hier eine
Menge anderer Umstände mitschuldig
sein können. Wolff hat z. B. ganz
recht, wenn er darauf hinweist, dass
unregelmässiges Leben, Mangel an
Schlaf und Rauchluft an der grossen
Zahl der im Wirtshausgewerbe phthis-
isch Erkrankten ebenso schuld tragen,
wie der Alkoholmissbrauch, wenn auch
seine Behauptung, dass unter den
Wirtinnen Alkoholmissbrauch selten
ist, den Tatsachen wohl kaum ent-
spricht. Warum hat aber W o 1 f f un-
terlassen, die für den Zusammenhang
zwischen Trunksucht und Tuberkulose
viel beweiskräftigere Tatsache anzu-
führen, dass auch beim Brauereibe-
triebe, bei dem die oben erwähnten
Schädlichkeiten ausser dem Alkoholis-
mus keine Rolle spielen, die Sterblich-
keit an Tuberkulose eine sehr grosse
ist? Nach Guttstadt betrug sie in
Preussen während der Jahre 1884 —
1893 479.10 auf 1000 zwischen 24 und
40 Jahren Gestorbene, während die be-
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
167
treffende Zahl in bezug auf die über-
haupt gestorbenen Männer dieses Al-
ters 376.38 ist. Und doch gibt es bei
den Bierbrauern weder Rauchluft,
noch Mangel an Schlaf, noch auch
schlechte Ernährung, wohl aber sehr
verbreiteten und sehr bedeutenden Al-
koholmissbrauch, der hier ganz direkt
als die Ursache bezeichnet werden
kann. Auch in England beträgt die
Sterblichkeit an Schwindsucht unter
den Bierbrauern 148 gegen eine Stand-
ardsterblichkeit von 100 für sämmtli-
che Gewerbe ; unter den Gasthausbe-
diensteten steigt sie allerdings auf
257 ! Nach Sendtner starben in
München zwischen 1859—88 28.9 Pro-
zent der Brauer an Schwindsucht.
Wenn diese Zahlen gewiss keinen ent-
scheidenden Beweis zu liefern im
stände sind, so darf ihre Bedeutung
doch nicht unterschätzt werden.
Die von W o 1 f f vermissten Tierex-
perimente, die den Einfluss des Alko-
hols auf die Tuberkulose beweisen,
haben in jüngster Zeit Achard und
G a i 1 1 a r d angestellt ; auf dem jüng-
sten, in Paris abgehaltenen Tuberku-
losekongresse, der im übrigen recht
drastische Beweise dafür geliefert hat,
wie die theoretisch anerkannte Alko-
holbekämpfung von den Schwind-
suchtsspezialisten in praxi aufgefasst
wird, haben sie darüber referiert. Es
wurde Meerschweinchen, die mit Tu-
berkelbazillen infiziert worden waren,
Alkohol täglich subkutan oder per os
zugeführt und ausnahmslos starben
die alkoholisierten Tiere weit früher
als die Kontrolltiere, und zwar die
erste Gruppe (subkutan) durchschnitt-
lich nach 63 Tagen, die zweite (per os)
nach 76 Tagen, während die Kontroll-
tiere im Durchschnitte 174 Tage leb-
ten. Dabei wurde bezüglich der Do-
sierung des Alkohols, ebenso wie bei
den Experimenten in bezug auf Milz-
brand, Streptokokken u. s. w., über die
L a i t i n en in Budapest referierte,
darauf Rücksicht genommen, dass die
Verhältnisse den bei der Alkoholthera-
pie oder dem Alkoholmissbrauche beim
Menschen vorkommenden Mengen
entsprachen. Diese keineswegs von
Abstinenten angestellten Versuche
sprechen eine ganz unzweideutige
Sprache und ihnen gegenüber einzu-
wenden, dass das Tierexperiment „in
diesem Falle" sich schwer auf den
Menschen übertragen lässt, wie es
W o 1 f f L a i t i n e n und Abbott
gegenüber tut, ist ohne Angabe von
ausreichenden Gründen ganz unzuläs-
sig.
Es fehlen daher keineswegs durch-
aus verlässliche statistische und ex-
perimentelle Beobachtungen, die die
kausale Bedeutung des Alkoholmiss-
brauches für die Entstehung der
Schwindsucht beweisen. Die von
Wol f f zitierte Ansicht Hamme r's,
nach der durch Alkoholeinfluss in tu-
berkulösen Organen Hyperplasie des
Bindegewebes und damit Heilungsvor-
gänge eintreten können, wurde von
keiner Seite bestätigt. Auch dem Be-
funde H a m m e r's, dass bei Alkoholi-
kerleichen rezente Tuberkulose selten
sei, stehen ganz widersprechende Be-
obachtungen anderer Aerzte gegen-
über; so fand R. Weber unter 29
Cirrhosesektionen 8mal tuberkulöse
Peritonitis und lOmal Phthisis pulmo-
num. Das spricht nicht sehr für
H a m m e r's Theorie ! Und wie ver-
trägt sich diese Beobachtung mit
W o 1 f f's Anschauung, dass Alkohol-
erkrankungen und Tuberkulose auffal-
lend selten zusammentreffen?
Die Verhältniszahlen, die W o 1 f f
bezüglich der Zahl der Alkoholisten
unter seinen Anstaltspatienten mitteilt,
sind ebenfalls im Widerspruche mit
den von anderen Autoren veröffentlich-
ten Ausweisen. Liebe fand in Los-
lan bei 40 Prozent ausgesprochenen
Alkoholismus und bei 27 Prozent täg-
lichen Genuss grösserer Mengen Bier,
J a q u e t bei 252 Schwindsüchtigen
der Pariser Spitäler 71.4 Prozent, B a r-
b i e r, R e n d u und Constan gar
88 Prozent Alkoholisten, G r i g o-
i68
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
rieff unter 173 Phthisikern nur 23
Nichttrinker. Wenn demgegenüber
unter den 199 männlichen Tuberkulö-
sen des Arbeiterstandes in Reibolds-
grün kaum 7 Prozent Alkoholiker ge-
wesen sein sollen, so erweckt diese
Zahl Bedenken darüber, wie in diesem
Falle der Begriff „Alkoholmissbrauch"
aufgefasst worden ist, denn niemand,
der auch nur einige Erfahrungen ge-
sammelt hat, wird in Abrede stellen,
dass der Begriff des „massigen Alko-
holgenusses" nicht nur von den Kran-
ken selbst, sondern auch von den
Aerzten mitunter ausserordentlich
weit ausgedehnt wird.
Es wird z. B. sehr wenige Nichtab-
stinente geben, die einen dem Mittel-
stande angehörigen, durchaus achtba-
ren, braven und soliden Familienvater
und Beamten als „Alkoholiker" be-
zeichnen werden, weil er jeden Abend
einige Stunden im Wirtshause geses-
sen und 6 — 8, in Ausnahmsfällen wohl
auch 10 — 12 Glas Bier getrunken hat.
Und doch ist bei diesem Manne seine
Lebensweise mit voller Bestimmtheit
als Ursache der Phthise zu bezeichnen,
die ihn im Vorjahre nach Reibolds-
grün geführt hat. Ob er dort zu den
„Alkoholikern" gezählt wurde, weiss
ich freilich nicht; ich glaube es aber
bezweifeln zu dürfen.
Ich gebe aber zu, dass alle diese Pro-
zentberechnungen, ob sie nun für oder
gegen den Alkohol sprechen, beinahe
ganz wertlos sind, solange man nicht
weiss, wie viele Alkoholiker es über-
haupt gibt; erst dann könnte man die
Berechnung anstellen, ob die Zahl der
an Phthise erkrankten Trinker grösser
oder kleiner ist, als es dem V erhält-
nisse der Trinker zu der Gesamtbevöl-
kerung entsprechen würde. Aber da-
von kann ja noch auf lange hinaus gar
keine Rede sein ; wird doch gegenwär-
tig von der offiziellen Statistik nur der
bereits vollkommen entartete Schnaps-
säufer als „Alkoholiker" betrachtet.
Ganz anders steht es mit den oben
zitierten Zahlen der Schwindsuchtsto-
desfälle bei den Bierbrauern, da sich
da tatsächlich ein Vergleichsobjekt in
der Gesammtheit der Bevölkerung
findet.
Was W o 1 f f über die indirekte, so-
ziale Bedeutung des Alkoholismus für
die Entstehung der Phthise sagt, ent-
spricht im ganzen unseren Anschau-
ungen, wenn er es auch unterlässt, die
Folgerungen daraus zu ziehen und,
was sehr auffällig, einen sehr wichti-
gen, ja wahrscheinlich wichtigsten
Faktor so gut wie gar nicht erwähnt,
nämlich den Einfluss des Alkoholmiss-
brauches auf die Nachkommenschaft.
Und doch liegt in der Degeneration,
die den Kindern der Trinker als trau-
riges Erbteil zufällt, unbedingt eine
der wichtigsten Ursachen für den Man-
gel an Widerstandsfähigkeit gegen die
Tuberkulosvergiftung, und sie gibt
auch die Erklärung für die von W o lff
triumphierend betonte Tatsache, dass
die Schwindsucht unter den Frauen
viel häufiger ist, als sie bei dem Um-
stände, dass die Trunksucht unter
ihnen selten ist, sein dürfte, wenn die
Abstinenten recht hätten. Ja, wie
zahlreich sind aber unter der Arbeiter-
bevölkerung die Fälle, in denen die
Töchter von Trinkern entweder im
Kindesalter oder auch als Erwachsene
an Tuberkulose zu Grunde gehen ! Zu-
gegeben, dass das keine „direkte" Al-
koholwirkung ist, sondern die anderen
sozialen Schädlichkeiten, Unterernähr-
ung, Verwahrlosung u. s. w., wie sie
in der Familie des Trinkers unver-
meidlich sind, ebenso viel schuld tra-
gen, wie die Keimverderbnis selbst ;
aber es ist doch nur Sophisma, dadurch
den Alkohol exkulpieren zu wollen.
Hätte der Vater nicht getrunken, dann
wäre eben auch das Milieu ein anderes
gewesen. Der Ausgangspunkt bleibt
der Alkoholgenuss.
Ob gegen die Trunksucht, die heute
so verheerend wütet und die in
Deutschland alljährlich über 3,000,000,-
000 und nicht wie W o 1 f f (wohl ein
Druckfehler?) schreibt, 300,000,000
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
169
Mark verschlingt, Abstinenz oder Mäs-
sigkeit das wirksamere Mittel ist, das
zu erörtern ist hier nicht der Ort. Die
Bierbrauer und Schnapsbrenner schei-
nen die erstere mehr zu fürchten.
Denn während sie mit den Aussprü-
chen der Mässigkeitsvertreter Reklame
machen und die F r a e n k e l'schen
Gutachten sogar in Schnapsannonzen
zitiert haben, bekämpfen sie die Absti-
nenz mit wahrem Hasse und mit dem
Aufgebote aller ihnen zur Verfügung
stehender Mittel.
Wenn ich mich nun der in diesem
Falle wichtigeren und eigentlich zur
Diskussion stehenden Frage zuwende,
ob der Alkohol bei Schwindsüchtigen
verwendet werden darf, so muss ich
vorausschicken, dass die Bemerkung
W o 1 f f's ,,es sei recht wohl ein Ein-
fluss des Alkohols auf die Schwind-
suchtsentstehung denkbar, ohne dass
dadurch die Möglichkeit, den Alkohol
mit Nutzen bei der Behandlung Lun-
genkranker zu verwenden, an sich aus-
geschlossen werden muss, eine unbe-
rechtigte Forderung, die vielfach in
den Schriften der Alkoholgegner sich
findet" auf einer missverständlichen
Ausdeutung dessen beruht, was wir
Alkoholgegner verlangen. Es wird
keinem von uns einfallen, die Ver-
wendung des Alkohols bei der Be-
handlung Lungenkranker — wenn sich,
was noch zu besprechen, Indikationen
für sie finden, — deshalb zu verwerfen,
weil der Alkohol ein Gift ist, das oft
genug auch Schwindsucht verursacht.
Wohl aber halten wir es für eine wohl-
begründete und selbstverständliche
Forderung, dass man dieses giftige und
gefährliche Heilmittel nicht bei der
Table d'höte serviert, sondern gleich
dem Morphium und der Belladonna in
der Apotheke verwahrt, von der es nur
gegen Rezept abgegeben werden darf
— natürlich in Lungenheilanstalten,
dem Patienten anheimgegeben wird,
dann darf dagegen wohl mit Fug und
Recht protestiert werden ; wie dem ent-
lassenen Phthisiker und seiner Familie,
seinem Umgangskreise daraus die Ge-
fährlichkeit des Alkoholes klar werden
soll, dass die gesammte Einwohner-
schaft des Sanatoriums mittags und
abends Wein und Bier getrunken hat,
erscheint als unlösbares Rätsel.
Gehen wir nun aber auf die Vorteile
ein, die W o 1 f f von der Alkoholdar-
reichung bei Lungenkranken erwartet,
so finden wir bald, dass es damit recht
schwach und unsicher steht. Was
W o 1 f f über B r e h m e r's Theorie
sagt, hat doch nur mehr historischen
Wert. Der Gedanke, das Herz bei
chronischen Krankheiten durch Alko-
hol „kräftigen" zu wollen oder den
Blutzufluss zur Lunge durch Alkohol
zu steigern, ist wohl für alle Zeiten als
chimärisch abgetan. Auch was W o 1 f f
mit Berufung auf H a m m e r und
Kühn. Alexander, J a c o b i und
Weber sonst über die Möglichkeit
der Tuberkuloseheilung durch Alkohol
sagt, ist nichts wie Vermutung, Kon-
stätierung von Möglichkeiten, für die
weder irgendwelche experimentelle
noch klinische Beweise existieren.
W o 1 f f empfiehlt selbst nur mit gros-
ser Vorsicht, an die Versuche heranzu-
gehen, die eine Wiedereinführung der
Alkoholtherapie bezwecken sollen. Ob
in den Anstalten auftretende Herz-
schwäche häufig oder selten dem Alko-
holgenusse zuzuschreiben ist, ob Ma-
generkrankungen Folge des Alkohol-
genusses oder verkehrter diätetischer
Massregeln sind, wird sich erst dann
mit Sicherheit entscheiden lassen,
wenn genügendes Material zum Ver-
gleiche vorliegt, d. h. bis in einer grös-
seren Zahl gut geleiteter Lungenheil-
anstalten der Alkohol gänzlich ausge-
schaltet sein wird.
Und nun endlich die „symptomati-
sche" Anwendung des Alkohols, das
Hintertürchen, durch das der durch
das Fiasko der Alkoholtherapie ent-
thronte Herrscher wieder in die Lun-
genheilstätten eingedrungen ist und
dort nach wie vor sein Zepter
schwingt. Da gibt es die verschieden-
I/O
New Yorker Medizi
nische Monatsschrift.
sten Symptome, die er „mit Erfolg"
bekämpft. Die Nachtschweisse, die
Unbekömmlichkeit der Milch, das Fie-
ber, die Appetitlosigkeit und endlich
last, but not least, die Melancholie.
Die Bekämpfung der Nachtschweisse
und des Fiebers können wir wohl aus
dem Spiele lassen ; die letztere ist ob-
solet, ich glaube nicht, dass es heute
noch jemanden einfällt, die Tempera-
tur durch Alkohol herabsetzen zu wol-
len. Und was die Nachtschweisse be-
trifft, gegen die bei manchen Phthisi-
kern der Alkohol eine gewisse Wirk-
samkeit zu haben scheint, so ist nichts
dagegen einzuwenden, wenn der Arzt,
der dieses Mittel nicht entbehren zu
können glaubt, dem Kranken jeden
Abend seine Dosis Spiritus in irgend
unverfänglicher Form verordnet, so
gut wie er es mit Morphium oder Sul-
fonal auch tut. Ich für meinen Teil
habe mit kaltem Salbeiaufguss immer
bessere Resultate und dabei die Sicher-
heit gehabt, ein unschädliches Mittel
zu verwenden.
Aber darauf legen ja auch die Ver-
teidiger des Alkohols weniger Wert,
die Hauptsache ist und bleibt der Ap-
petit und die Ernährung. Man kann
sagen, dass das der Angelpunkt ist, um
den sich die ganze Frage dreht. Denn
nur, wenn es wahr ist, dass der Alko-
hol die Ernährung des Phthisikers er-
möglicht oder erleichtert, dass er Ap-
petit erregt, seine Kalorien wirklich
dem sonst unterernährten Fiebernden
zugute kommen, lassen sich die ietzt
noch in den Privatlungenheilstätten
bestehenden Gebräuche, die sich in
nichts von den auch sonst herrschen-
den Trinksitten unterscheiden, recht-
fertigen.
Die Frage, ob der Alkohol Appetit
macht oder nicht, wird sich selbstver-
ständlich überhaupt nie generell be-
antworten lassen. Dass er die Ver-
dauung nicht befördert, steht fest ; ich
verweise auf die Untersuchungen
B u c h n e r's, Gluzinsk i's. K r e t-
s c h y's, besonders aber Ernst Mey-
e r's, die alle die verdauungshemmende
Wirkung des Alkohols, noch mehr
aber der gegohrenen Getränke, beson-
ders des Bieres hervorheben ; nur bei
reiner Fettnahrung hat Meyer eine
Beschleunigung der Magenverdauung
beobachtet. Als Stomachikum darf
man den Alkohol daher sicher nicht
betrachten ; wenn von einer appetitan-
regenden Wirkung überhaupt die Rede
sein kann, so ist sie eine psychische;
durch seine betäubende, narkotisie-
rende Kraft werden unangenehme
Sensationen. Widerwille gegen die
Speisen, trübe Gedanken verscheucht ;
die Möglichkeit, dass der Kranke dann
mehr isst, als er sonst gegessen hätte,
ist zuzugeben. Aber es darf nicht ver-
gessen werden, dass sich diese Wir-
kung, eben weil sie eine zentrale,
psychische ist, rasch abstumpft und
dass dann mit der Menge gestiegen
werden muss, will man den Effekt er-
reichen : dass nach Beendigung der
psychischen Wirkung die Reaktion
eintritt und die Appetitlosigkeit erst
recht gross wird und dass endlich ge-
rade diese Seite der Alkoholwirkung,
das Gehirn willig für Nahrungszu-
fuhr zu machen, sehr rasch zur Ge-
wohnheit und zum Bedürfnisse wird.
Man kann ruhig behaupten, dass fast
in allen Fällen, in denen der Alkohol-
genuss den Appetit merklich hebt, die
Appetitlosigkeit eine artifizielle, durch
oder bei gewohnheitsmässigem Alko-
holgenuss entstandene ist. Bei Absti-
nenten wirkt der Alkohol nicht appe-
titerregend, was man bei Kindern
sehr gut beobachten kann, die meist
schon nach kleinen Mengen Bier oder
Wein den Appetit für die nächste
Mahlzeit verlieren.
Und nun die Ernährungsfrage ! Ich
muss offen gestehen, dass ich es nicht
begreife, wie heutzutage ein Arzt noch
an die Möglichkeit glauben kann, ir-
gendeinen lebenden Organismus, ob
gesund oder krank, mit Alkohol füt-
tern zu können. Dabei sind mir alle
Experimente, die anscheinend das Ge-
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
171
genteil beweisen, vollständig gegen-
wartig, dabei erkenne ich die Autori-
tät Rosemann's auf dem Gebiete
der Stoffwechseluntersunchungen voll-
ständig an. Aber ich habe die feste
Ueberzeugung, dass diese Frage durch
Stoffwechselexperimente überhaupt
nicht entschieden werden kann, dass
unsere grobchemischen Methoden weit
entfernt sind, uns einen Einblick in die
Vorgänge der Erneuerung und des
Zerfalls, des Auf- und Abbaues un-
seres Körpers, der Zelle, des Proto-
plasmas zu verschaffen, dass wir nur
wissen, was hineingeschafft und her-
ausbefördert wird, von den Vorgängen,
die dazwischen liegen, aber noch gar
keine Vorstellung haben. Wie man
glauben kann, einem Fiebernden da-
durch Vorteil zu bringen, dass man
ihm einen Stoff zuführt, der im Körper
zu Wasser und Kohlensäure verbrannt
wird, zu diesem Zwecke gierig Sauer-
stoff an sich reisst, wo er ihn findet,
das Protoplasma der feinsten Zellen
beschädigt und dann durch Haut.
Lunge und Nieren wieder ausgeschie-
den werden muss, also dem Organis-
mus Schaden und Arbeit bringt und
sonst gar nichts, ist mir ein Rätsel.
Ja, richtig, die Wärme, die Kalorien !
Natürlich, weil der Fiebernde so viel
Wärme abgibt, muss man ihm doch
wieder Wärme zuführen, ist das nicht
klar? Ist es nicht bei jedem Ofen
auch so? Aber ich meine, dass es dem
Körper nicht um Stoffe zu tun ist, die
verbrennen, sondern um solche, die er
für seinen Aufbau brauchen kann, die
ihm wiedersetzen, was er durch Le-
bensprozess, Arbeit oder Krankheit
verloren hat, die er sich assimilieren
kann und die nicht seine Bestandteile
angreifen und zerstören. Schon hat
die als felsenfest betrachte Lehre vom
Stickstoffgleichgewicht, vom zum Le-
ben notwendigen Eiweissminimum ei-
nen bedenklichen Riss bekommen ; un-
sere ganze Ernährungstheorie wird
revidiert werden und dann werden die
Kalorien aufhören, Protoplasmagiften
zum Range von Nahrungsmitteln zu
verhelfen.
Der von W o 1 f f als Gewährsmann
angerufene Rosemann sagt : „Wenn
somit auch der Alkohol sicherlich ein
Nahrungsstoff ist ,so kann er doch we-
gen seiner giftigen Nebenwirkungen
für die Ernährung des Gesunden prak-
tisch nicht in Betracht kommen." Dass
diese „giftigen Nebenwirkungen" bei
chronischen Kranken und besonders
bei Phthisikern weniger ins Gewicht
fallen sollen als bei Gesunden, ist ein
Rätsel, dessen Lösung ich weder bei
W o 1 f f noch bei Rosemann finde.
Der Fall steht auch ganz vereinzelt da,
dass ein Stoff, der seit Jahrtausend be-
kannt und als Genussmittel geschätzt,
jedoch niemals als Nahrungsmittel
verwendet wurde, weil der Volksin-
stinkt schon längst herausgefunden
hat, dass er keiner ist, auf Grund von
Stoffwechselversuchen als solcher er-
klärt werden soll. Vereinzelt? Doch
nicht ganz! Er gibt zwei Analogien.
Die erste ist das Glyzerin. Auch auf
Grund von chemischen Voraussetzun-
gen und mit Rücksicht auf den bedeu-
tenden Kalorienwert wurde in den 70er
Jahren von L i n d s a y das Glyzerin
zur Ernährung kachektischer Kranken
benützt ; er erzielte auch bedeutende
Gewichtszunahmen. Ich frage W o 1 f f,
warum man den Phthisikern kein Gly-
zerin mehr gibt, trotzdem es doch un-
zweifelhaft im Körper verbrannt wird?
Der innere Grund ist der, dass Gly-
zerin für den Organismus giftig ist und
in grösseren Mengen sehr bedenkliche
Folgen zeitigt — ganz wie der Alko-
hol. Der äussere aber der, dass die
Patienten Glyzerin nicht gerne neh-
men, nicht daran gewöhnt sind, es in
den Anstalten nicht vermissen und
deshalb ihren Aufenthalt dort verkür-
zen und endlich, dass man nicht viel
daran verdient — und dadurch unter-
scheidet es sich vom Alkohol.
Die zweite Analogie ist das Opium.
Die indischen Aerzte behaupten, dass
man die Kranken besser und leichter
172
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
ernähren könne, wenn man ihnen Opi-
um zur Nahrung zusetze ; die Nähr-
stoffe würden dann besser ausgenützt.
Ja, sie bemühen sich sogar, eine theo-
retische Erklärung für dieses Mirakel
zu finden. Aber die Erklärung ist
ganz einfach ; in Indien verlangen die
Kranken nach dem Opium so, wie in
Europa nach dem Alkohol. Und die
Aerzte stehen da und dort unter uralter
Suggestion und vermögen sich vom
Banne des Vorurteils nicht freizu-
machen.
Und wenn wir uns endlich mit dem
praktischen Versuche, den Kranken
mit Alkohol zu ,, nähren", etwas näher
befassen — was ist denn da gar so un-
ersetzliches ? 50 gr Alkohol, d. i. ein
halber Liter Wein oder beinahe \l/>
Liter Bier, durchaus kein unbedeuten-
des Quantum, sind erst 350 Kalorien,
also etwa so viel, wie 200 gr Rahm ent-
halten, eine verschwindend kleine
Menge, die jedem Kranken mit Leich-
tigkeit beizubringen ist (nebenbei be-
merkt, findet sich an dieser Stelle bei
W o 1 f f [S. 262, Z. 2] ein sinnstören-
der Druckfehler ; 50 gr Alkohol sind
nicht gleich 85 gr Kohlehydraten und
37.5 gr Fett, sondern 85 gr Kohlehy-
draten oder 37.5 gr Fett).
Zum Schlüsse bleibt noch die Frage
offen, ob der Alkohol in den Lungen-
heilanstalten nicht als Genussmittel,
d. h. zur Hebung der Stimmung der
meist sorgenvollen und melancholi-
schen Kranken notwendig ist. Die Be-
antwortung dieser Frage ist deshalb
die wichtigste, weil sie — im Sinne
W o 1 f f s bejahend entschieden — allen
Missbräuchen Tür und Tor öffnet. Je
mehr Alkohol, desto fideler die Stim-
mung; und da fidele Stimmung dem
Heilungsprozesse förderlich, noch
mehr Alkohol. Auf Grund dieser logi-
schen Schlussfolgerung wird auch
heute noch in den Privatlungenheilan-
stalten bei den gemeinsamen Tafeln
mittags Wein, abends Bier getrunken,
ganz so, wie in besseren Kreisen sonst
i .blich. ,, Individualisiert" wird frei-
lich, aber nur insoferne, als Hämoptoi-
kern das Trinken allerdings verboten,
Diabetikern anstatt Bier Wein verord-
net, sonst aber das Mittrinken als
selbstverständliche Regel, das Nicht-
mittrinken ungefähr ebenso betrachtet
wird, wie an der Table d'höte eines
Rheindampfers; kein Mensch sagt was,
Gott behüte, aber — jeder fühlt, dass
das nicht gentleman like ist.
Aber es gibt auch Anstalten, in
denen mann es gerade heraus sagt, in
denen schwer Lungenkranken erklärt
wird, sie müssten täglich so und so viel
Wein trinken und warum der Wein so
oft auf ihrer Rechnung fehle ; wenn sie
nicht hören wollten, werde man ihnen
den Wein aus der Apotheke verschrei-
ben, so dass er doppelt teuer sein
werde.
In einer anderen Anstalt wird beim
Scheiden eines jeden Patienten eine
Sektbowle aufgesetzt und bis tief in
die Nacht gezecht ; in einer der bekann-
testen Anstalten kam es zur Gründung
eines ,, Sektklubs". Ein Patient einer
dritten Anstalt hatte für sich und seine
Leidensgefährten an einem Abende
eine Kognakrechnung von 15 Mk. Man
begreift dann wohl, dass ein bekannter
Berliner Professor derartige Anstalten
als „Hotels ersten Ranges mit ärztli-
cher Bedienung" charakterisierte. All
das hier Aufgezählte rührt keineswegs
aus der angeblich schon längst über-
wundenen Periode der Brehme r'-
schen Alkoholtherapie, sondern aus der
jüngsten Zeit ; es lässt den von W o 1 f f
zurückgewiesenen Ausspruch L i e-
b e s : „Je mehr der Arzt von der wirt-
schaftlichen Verwaltung abhängt,
desto schwerer wird er dem (recht ein-
träglichen) Alkoholkonsume zu steu-
ern vermögen" als durchaus berechtigt
erscheinen.
Die Stimmung der Lungenkranken
(es ist doch übrigens notorisch, dass
gerade die Phthisiker ohnedies merk-
würdig leichtlebig, optimistisch und
wohlgelaunt sind) durch Alkohol he-
ben zu wollen, unterliegt genau den-
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
173
selben Bedenken, wie diese ja so all-
gemein verbreitete Sitte, die Unlustge-
füble zu betäuben, überhaupt. Am
Morgen des nächsten Tages erwacht
der Kranke in doppelt graner Gemüts-
verfassung, die erst recht der Narkose
bedarf. Es ist ein Testimonium pau-
pertatis für jeden ärztlichen Leiter ei-
nes Sanatoriums, wenn es ihm nicht
gelingt, durch andere Mittel den Mut,
die Zuversicht, das Frohgefühl seiner
Pfleglinge zu heben. Ebenso schlimm
ist es um die Qualifikation des Arztes
bestellt, wenn er es nicht versteht, den
Kranken zur Abstinenz zu erziehen,
ohne ihn dabei zum „Gesundheits-
fexen", wie W o 1 f f sagt, zu machen.
Es muss dies mindestens ebenso leicht
möglich sein, wie ihm das Rauchen ab-
zugewöhnen, an dem die Kranken
ebenso fest zu hängen pflegen. Die
,, mittlere Linie zwischen Vorsicht und
Leichtsinn" einzuhalten, ist für viele
Menschen gerade beim Alkoholge
nusse, sowie beim Gebrauche jedes
narkotischen Giftes schwierig, oft un-
möglich und jedenfalls nur mit Auf-
gebot viel grösserer Willensstärke
durchführbar, als die völlige Enthalt-
samkeit. Gerade die Lungenheilan-
stalt ist der geeignete Ort, um die
Kranken zu überzeugen, wie schön, an-
genehm und freundlich das Leben auch
ohne Alkoholgenuss sein kann, wie
man ohne Wein und Bier stark und
kräftig wird, und dass der Verzicht auf
ihn kein Opfer, kein Verlust, sondern
ein Gewinn, ein Vorteil ist ; freilich
muss der Arzt, der Leiter, mit seinem
Beispiele vorausgehen und freilich
muss der Gewinn aus den geistigen Ge-
tränken aus dem Etat der Anstalt ge-
strichen werden.
Die von W o 1 f f vertretene Mei-
nung, dass nur die Volksheilstätten die
Aufgabe haben, hygienisch zu er-
ziehen, mutet um so eigentümlicher an,
als nach der Statistik seiner eigenen
Anstalt die Zahl der Alkoholiker unter
den wohlhabenden Phthisikern um so
viel grösser ist als unter den lungen-
kranken Arbeitern. Die auch von
W o 1 f f nicht in Abrede gestellte Tat-
sache, dass es in den Volksheilstätten
keinen regelmässigen Alkoholgenuss
gibt, wirft ja überhaupt seine ganze
Beweisführung über den Haufen, denn
der von ihm ins Treffen geführte Un-
terschied im Krankenmaterial (in den
Volksheilstätten sind angeblich keine
appetitslosen Kranken, bei denen die
Ernährung Schwierigkeiten bereiten
könnte) wird kaum als hinreichend an-
erkannt werden können. Wenn dort
der Alkoholgenuss für besondere Ge-
legenheiten (Festtage) reserviert und
nach „möglichst unschädlicher Form"
der Alkoholverabreichung gesucht
wird, so erscheint dadurch die Ueber-
flüssigkeit, ja Gefährlichkeit des Ge-
nusses für jeden objektiven Beurteiler
als vollkommen bewiesen und die jetzt
noch geübte „Temperenz" dieser An-
stalten als Ki iiizession an die Wünsche
der Kranken, des Anstaltspersonales
und das eigene Alkoholbedürfnis der
Anstaltsleiter.*)
Den pädagogischen Grundsatz, nur
Erreichbares zu erstreben, vertreten
die Abstinenten und nicht die soge-
nannten Mässigen, wie tausendfältige
Erfahrung und nicht zum mindesten
die Geschichte der Alkoholdarreichung
in den Heilstätten selbst beweist. Eine
Anstalt abstinent zu führen, ist sehr
*) In der grössten Lungenheilanstalt Oester-
reichs bekommen die Patienten der II. Klasse
mittags Wasser, abends 03 Lit?r Rier : es ist
ihnen gestattet, anstatt dieser Bierration eine
Milchspeise zu wählen, wovan ca. 15 Prozent
Gebrauch inachen. In der I. Klasse gibt es
mittags 0,3 Liter Wein. Dass diese minimalen
Dosen irgendeine günstige Wirkung auf Ap-
petit, Stimmung oder sonst etwas haben kön-
nen, ist wohl ausgeschlossen ; sie werden wohl
auch fast nie schaden, trotzdem wäre es aus
pädagogischen Gründen besser, sie blieben
weg. Jedenfalls aber beweist dieser Usus, wie
er in Alland gepflegt wird, meines Erachtens
unwiderleglich, dass in den Privatheilanstalten
mit Alkohol Unfug getrieben wird; was dort
möglich ist, muss in — auch gehen. Nebenbei
bemerkt, gibt es in Alland keinen Kognak !
174
New Yokkek Medizinische Monatsschrift.
einfach, sobald der Leiter auf den Al-
kohol verzichtet und seinen Willen
durchzusetzen versteht; in den angeb-
lich „templerenzlerisch" geführten
Heilstätten kommen aber zahlreiche
Fälle von ausgesprochenem Alkohol-
missbrauch gar nicht selten vor, was
keinen Sachverständigen wundern
wird, denn Mässigkeit ist zwar indi-
viduell sehr wohl möglich, gesellschaft-
lich aber auf lange Zeit hinaus undenk-
bar. Ich kann mir sehr gut eine Na-
tion denken, die keinen Alkohol ge-
niesst, aber ein Volk, das die Alkohol-
sitte angenommen hat, ohne dass ein
gewisser Perzentsatz der Bevölkerung
unmässig ist, hat es nie gegeben und
erscheint als eine Utopie.
W o 1 f f hat den Nachweis, dass der
Alkohol als Heil-, Xahrungs- und Ge-
nussmittel notwendig oder auch nur
vorteilhaft sei, nicht erbracht ; noch
viel weniger ist es ihm natürlich ge-
lungen, die heute in den allermeisten
Privatheilstätten übliche Sitte zu
rechtfertigen, die Anstaltspatienten
geistige Getränke in sehr unbestimm-
ter Dosierung so ziemlich nach eige-
nem Gutdünken und in oft geradezu
missbräuchlicher Menge konsumieren
zu lassen. Wenn der Patient nach
Hause kommt und berichtet, dass im
Sanatorium fast jeder Kranke mittags
eine Flasche Wein, abends 2 — 3 Glas
Bier habe trinken „dürfen", von oben
angeführten Exzessen gar nicht zu
reden, so kann wohl der „erzieherische"
Einfluss auf die weitesten Kreise nur
der sein, dass die alten Vorurteile von
der nährenden und stärkenden Kraft
des Alkohols, von seiner Unschädlich-
keit, Nützlichkeit und Unentbehrlich-
keit erheblich gefestigt werden. Die
guten Lehren und Warnungen, die der
Pflegling neben den Erfahrungen, die
er in der Anstalt gewonnen hat, mit
auf den Weg bekommt, werden da
wenig Wert haben.
Dass aber auch die Heilerfolge der
Anstalten bessere sein werden, wenn
die Widerstandsfähigkeit des Organis-
mus, die man sich auf jede mögliche
Weise zu heben bemüht, nicht durch
ein sie nachgewiesenermassen herab-
setzendes Gift Tag für Tag untergra-
ben wird, ist unsere feste Ueberzeug-
ung. Vor wenigen Jahren wurden
jene mit Feuer und Schwert verfolgt,
die an der Berechtigung der damals
noch zünftlerischen Alkoholtherapie ä
la Görbersdorf mit einem halben Liter
Kognak pro die zu zweifeln wagten.
Heute wird die Unentbehrlichkeit des
„mässigen" Alkoholgenusses verkün-
det. Aber es ist gar nicht daran zu
zweifeln, dass auch diese — schon jetzt
nicht mehr in LJebereinstimmung mit
den Fortschritten der Wissenschaft
stehende — Lehre bald zu den Toten
geworfen werden und die alkoholfrei
geführte Lungenheilanstalt als einzig
berechtigt, wahrhaft mustergiltige
und hygienische, das Feld behaupten
wird.
Alkohol und Tuberkulose.
Von Dr. Kaeser.
Nach dem gegenwärtigen Stand un-
serer Kenntnisse handelt es sich bei der
Tuberkulose um eine Krankheit, die
durch einen spezifischen Keim, durch
den Tuberkelbazillus, hervorgerufen
*) Aus dem Ii. Jahresbericht der Tuber-
kulöse nheilstätte Heiligensch wendi.
wird, vorausgesetzt, dass der Mensch
oder überhaupt das lebende WTesen
auch erkrankungsfähig ist oder die
entsprechende Anlage besitzt.
Wir müssen annehmen, dass der spezi-
fische Same erst nach der Geburt, aller-
dings oft schon in der Kindheit in den
Organismus eindringt, gewöhnlich aber
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
175
nicht sofort, sondern erst später seine
Zerstörungen beginnt.
Erst dann, wenn sich eine gewisse
Schwäche, eine gewisse Widerstandslo-
sigkeit ausgebildet hat, ist dies mög-
lich.
Diese Krankheitsanlage oder Konsti-
tutionsschwäche kann angeboren und er-
worben sein.
Angeboren kann dieselbe sein, wenn
die Krankheit schon bei den Eltern oder
Grosseltern vorgekommen ist oder wenn
bei diesen Krebskrankheiten, Alkohol-
und Bleivergiftungen etc. aufgetreten
sind.
Erworben wird die Anlage zur Tuber-
kulose durch verweichlichende Erzieh-
ung, Aufenthalt in schlechter, staubiger
und rauchiger Luft, feuchten, engen
Wohnungen, durch Ueberanstrengung
bei ungenügender Ernährung, unregel-
mässigen Genuss geistiger Getränke
etc.
Von diesen und andern Ursachen, wie
wir sie in den letzten Jahresberichten
regelmässig nach den Angaben der
Kranken zusammenzustellen versuchten,
wollen wir etwas näher auf den Zusam-
menhang von Tuberkulose und Alkohol
eintreten.
Da, wo verschiedene Momente als Ur-
sache einer Krankheit in Betracht kom-
men, wie es bei der Tuberkulose und na-
mentlich bei der Lungentuberkulose ja
meist der Fall, ist es selbstverständlich
schwierig anzugeben, wie stark die ein-
zelnen beteiligt sind. Es ist selten mög-
lich, die Prozentzahl zu nennen, wo der
Alkohol als alleinige, oder nur als Haupt-
ursache für die Entstehung der Tuberku-
lose in Betracht kommt. Dass er aber
eine grosse Rolle spielt, wird heute von
keiner Seite bestritten. Der Gewohn-
heitstrinker wird selbst leicht tuberku-
lös, oder es sind seine Nachkommen ge-
genüber der Krankheit weniger wider-
standsfähig.
Der Alkohol ist — und zwar auch in
verdünnter Form — ein Protoplasma-
bebendes Ei weiss) gift. Tierische und
pflanzliche Keime entwickeln sich auch
bei geringem Alkoholzusatz lü/00 — 1°/3
nicht oder nur unvollkommen. Er ver-
ändert die Tätigkeit der lebenden Zellen
in ungünstiger Weise, er lähmt oder ver-
langsamt sie. Der Stoffwechsel ist
träger.
Wenn der Alkohol auch teilweise ver-
brennt, — zum Teil wird der durch die
Lungen wieder ausgeatmet und schädigt
diese dabei, — so kann er doch nach ge-
nauen, neuern Untersuchungen nicht als
Nahrungsmittel betrachtet werden ; er
kann nicht teilnehmen am Aufbau oder
am Wiederersatz verbrauchter lebender
Körpersubstanz.
Gewohnheitsgemässer, auch nur mas-
siger Gebrauch schädigt die einzelnen
Zellen und Organe je nach ihrer Wider-
standsfähigkeit früher oder später. Die
Verdauungs- und Blutbereitungsorgane,
das Herz und das Gefässsystem, das Ge-
hirn und die Nerven werden, wenn auch
nur langsam, so doch sicher krankhaft
verändert.
Die Schutzstoffe gegen Bakterien und
Krankheitsgifte werden zerstört ; die Im-
munität oder Resistenzfähigkeit wird
nach den zahlreichen Tierversuchen von
Prof. Dr. Laitinen u. a. auch durch
kleine Dosen herabgesetzt.
Das gleiche zeigt sich auch beim Men-
schen. Individuen, die durch schlechte
Ernährung oder Alkoholgenuss ge-
schwächt sind, erliegen bei Epidemien
am schnellsten. Die Antikörper- oder
Gegengiftbildung ist bei Alkoholgenuss
eine verminderte.
Tatsächlich haben auch die englischen
Krankenkassen für Abstinente pro Jahr
und Mitglied nur 4 Krankheitstage, wäh-
rend auf ein Mitglied der Kassen für
Mässigtrinkende 13 Krankheitstage in
derselben Zeit entfallen.
Deutlich weisen auch die englischen
Lebensversicherungsgesellschaften nach,
dass durch Alkoholgenuss das Leben ver-
kürzt wird. Bei der Gesellschaft Sceptre
Life sind in 21 Jahren bei den Mässigen
80 Prozent der erwarteten Todesfälle
eingetreten, bei den Abstinenten aber
bloss 54,7 Prozent. Bei der Provident
x 76
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
Institution betragen die analogen Zahlen
in 39 Jahren 95,2 Prozent gegen 71,7
Prozent bei den Enthaltsamen.
Die sehr mässig lebenden Juden errei-
chen auch ein bedeutend höheres Durch-
schnittsalter als die in denselben Ver-
hältnissen lebenden Christen.
Bekannt ist auch die Tatsache, dass in
Basel — und in andern Städten steht es
kaum besser — von den Männern, die im
40. — 60. Jahre sterben, beinahe }i dem
Alkoholismus zum Opfer fallen.
Wenn, wie schon oben bemerkt, bei
akuten Epidemien Trinker besonders
häufig und gefährlich erkranken, so ist
das bei der Tuberkulose, dieser chroni-
schen Epidemie, nicht weniger der Fall.
Von keiner Seite wird ein ursächlicher
Zusammenhang zwischen Tuberkulose
und Alkohol in Abrede gestellt. Viele
französische und englische Aerzte füh-
ren den Alkohol sogar in erster Linie als
krankmachend an. Sicherlich begünstigt
er das Auftreten der Tuberkulose ; er be-
reitet der Krankheit den Boden vor.
Indianer und Neger sollen die Zu-
nahme der Tuberkulose hauptsächlich
dem Alkoholgenuss verdanken. Die mäs-
siglebenden Chinesen und Japaner an-
derseits haben bedeutend weniger unter
der Tuberkulose zu leiden. Auch die
mässig lebenden Juden in den schlechte-
sten Vierteln von London und New
York werden weniger von der Tuberku-
lose ergriffen ; die Gesammtbevölkerung
der Vereinigten Staaten hat ungefähr 3
mal mehr Tuberkulosesterblichkeit als
die jüdische.
Bekannt ist auch die enorme Tuberku-
losensterblichkeit der Kellner und Gast-
wirte. Während bei den erstem eine
Reihe von ungünstigen Verhältnissen
mitspielen, ist das bei den letzteren
weniger der Fall.
Auch andere Berufsarten, deren Ver-
treter viel mit der Weinflasche in Be-
rührung kommen, wie Metzger, Kut-
scher, Musiker und Bierbrauer u. s. w.
bezahlen der Tuberkulose einen reich-
lichen Tribut.
Nach Dr. Lavarenne sterben
die reichen australischen Farmer, die
unter den besten hygienischen Ver-
hältnissen leben aber etwas starke
Trinker sind, auffallend häufig an Tu-
berkulose.
Aus einer Enquete von Prof.
Bunge geht mit Deutlichkeit hervor,
dass die Erkrankung an Tuberkulose
durch den Alkohol befördert wird.
Während bei den nicht gewohnheits-
mässigen Trinkern die Tuberkulose in
4 Prozent der Fälle vorkommt, trifft es
bei den gewohnheitsgemäss mässig
Trinkenden schon fast 6 Prozent und
bei den Unmässigen 10 — 14 Prozent.
Sehr schwer ist es immer, von den
Patienten selbst zuverlässige Angaben
über ihre eigenen Trinkgewohnheiten
zu erhalten ; sie geben selten zu, ge-
wohnheitsgemäss getrunken zu haben,
während sie in etwa 20 — 30 Prozent
den Vater als Trinker bezeichnen.
Vielleicht hängt aber doch mit den
Trinkgewohnheiten der Männer die
auch von Philippi bestätigte Tat-
sache zusammen, dass bei ihnen
Blutungen häufiger vorkommen. Bei
609 Entlassenen des letzten Jahres ka-
men zu Hause bei Männern 90 und bei
Frauen 75 Blutungen vor, hier bei
Männern 11 und bei Frauen 9. Es ist
dabei zu bedenken, dass nur 230 Män-
nern zur Entlassung kamen, Frauen
aber 251. Wir begegnen nicht selten
den Angaben, dass Blutungen nach
Bier- oder Weingenuss aufgetreten
und sich auch gern nach solchen wit-
derholen.
Auch ist der Verlauf bei Wirten und
bei andern, bei denen wir erfahren,
dass sie gewohnheitsgemäss relativ
viel getrunken, ein ziemlich rapider;
der verhängnisvolle Ausgang lässt sich
selten aufhalten.
Interessant ist auch die allgemein
gemachte Erfahrung, dass die Frauen
bessere Dauererfolge haben. Dies ist
gewiss nicht bloss darauf zurückgu-
führen, dass für die Männer der Kampf
um's Dasein ein schwerer, sondern
dass die Lebensweise der Männer na-
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
177
mentlich in Bezug auf Alkoholgenuss
nicht immer eine solide ist. Dem aus
der Heilstätte mit guten Vorsätzen
Zurückgekehrten tritt die Verführung
in verschiedener Gestalt entgegen : ein-
mal ist es ein Arzt, der ein gutes Glas
Wein gerne erlaubt, dann fällt auch
die Tatsache schwer in die Wagschale,
dass man im Spital und in vielen Sana-
torien Wein erlaubt oder zur Hebung
des Ernährungszustandes Bier verord-
net. Dass es selten bei dem einen vom
Arzte erlaubten Glase bleibt, lehrt die
Erfahrung tausendfach. So wird uns
denn nicht selten die betrübende Nach-
richt, der Patient würde wohl auch am
Leben sein, wenn er bald nach seiner
Rückkehr das unregelmässige Wirts-
hausleben nicht wieder angefangen
hätte.
Der Alkoholgenuss schafft nicht nur
beim Trinker selbst Disposition oder
Anlage zur Tuberkulose, sondern auch
bei seinen Kindern. Es ist bekannt,
dass die Kinder von Alkoholikern sehr
oft an Hirntuberkulose sterben. Aus
der oben erwähnten Enquete von Prof.
Bunge geht auch hervor, dass dort,
wo der Vater nicht gewohnheitsge-
mäss trank, Tuberkulose bei den Kin-
dern nur in 8,7 Prozent vorkommt,
dort, wo er gewohnheitsgemäss mässig
trinkt, in 10,7 Prozent und dort, wo er
gewohnheitsgemäss unmässig trinkt,
in 16,7 Prozent ; Kinder von eigentli-
chen Säufern leiden in 21,7 Prozent an
Tuberkulose.
Ein Arzt, der mir im Berichtsjahr
ein 14jähriges, lungenkrankes Mädchen
schickte, schreibt : Der Vater des Kin-
des ist seit 11 Jahren abstinent. Die
Kinder, die vor dieser Zeit geboren
sind, sind alle skrophulös oder tuber-
kulös, die spätem dagegen sind alle ge-
sund.
Indirekt wirkt der Alkohol noch in
verschiedener Weise ungünstig. Er
schädigt den Organismus oder viel-
mehr den Stoffwechsel des Menschen
auch durch Einatmen von verdorbener,
staubiger und rauchiger Luft beim
stundenlangen Aufenthalt in den Knei-
pen. Nicht zu vergessen ist auch der
Umstand, dass im Staub dieser Lokale
Tuberkelbazillen sich finden (Mazza).
Das ist auch leicht begreiflich, wenn
man weiss, dass in den Wirtschaften
auch Tuberkulöse verkehren, ihren
Auswurf auf den Boden spucken und
denselben im schlimmsten Falle noch
austreten, sodass er schneller eintrock-
net und als Staub der Luft sich bei-
mengt.
Erwähnen möchte ich auch die Tat-
sache, dass mancher ehrliche Bürger
im Zustande der Trunkenheit eine ge-
setzwidrige Handlung begeht, in's Ge-
fängnis kommt, dort tuberkulös wird
und den Keim der Krankheit auch in
seine Familie trägt.
Wenn der Trinker infolge seiner ei-
genen Widerstandskraft nicht tuber-
kulös wird, so leidet seine Familie
doch erheblich. Nach Tausenden zäh-
len die Familien, die durch das be-
liebte Schöppeln des Vaters in Not,
Sorgen und Elend geraten, die infolge-
dessen schlecht wohnen und sich nur
ungenügend nähren können und
schliesslich ein Glied nach dem andern
der Tuberkulose zum Opfer fallen.
Jedes Jahr werden hier Frauen und
Kinder behandelt, die die Krankheit
der Trunksucht des Mannes oder Va-
ters verdanken.
Mit Recht meinte einmal der Ver-
storbene Dr. Sonderegger: ,,Die
Freiheit eines schlechten Hausvaters
ist dem Staate heilig, das Schicksal
seiner Familie aber ist ihm gleichgül-
tig, bis sie physisch und moralisch zu
Grunde gerichtet ist. Wir gestatten
dem Kneipwirte und manchen klei-
neren Sündern, die öffentliche Ord-
nung, das Familienleben und den Na-
tionalwohlstand zu untergraben, und
zwingen den Staat und die Gemeinden
zu unendlichen Opfern für Korrek-
tionsanstalten des Leibes und der
Seele ; aber eine Wirtshausbeschränk-
ung ist für uns undenkbar. Wir sehen
gedankenlos zu, wie die Ursachen ent-
178
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
stehen und wirken ; geschieht uns Un-
recht, wenn die Folgen uns zermal-
men ?"
Drei Milliarden Mark werden jähr-
lich in Deutschland für alkoholische
Getränke nutzlos verausgabt, in der
Schweiz an die 400 Millionen (Mühet)
und im Kanton Bern wohl etwa 60
Millionen. Es gibt kein Land, wenn
es noch so reich ist, das sich eine sol-
che Ausgabe auf die Dauer ohne Scha-
den gestatten kann, ohne dass der Ein-
zelne, die Familie und der Staat dar-
unter leiden. Wohlstand, Gesundheit
und Volkskraft werden durch den Ty-
rannen Alkohol unbarmherzig zerstört.
Von dieser Erkenntnis geleitet, ha-
ben die Direktionen der schweizeri-
schen Volksheilstätten den Genuss jeg-
lichen geistigen Getränkes untersagt.
In der Heilstätte, und das wird im-
mer mehr betont, soll der Kranke nicht
bloss bazillenfrei, widerstandsfähiger
oder 4 oder 5 Kg. schwerer werden,
sondern er soll in gesundheitlicher Be-
ziehung für sich und seine Angehöri-
gen etwas lernen. Er soll in Zukunft
alle Schädlichkeiten meiden, und dazu
gehört auch der Genuss des Alkohols.
Die Abstinenz in der Heilstätte macht
im allgemeinen keine Schwierigkeiten.
Die Kranken befinden sich ohne Wein
und Bier recht wohl und werden kräf-
tig und leistungsfähig und sind auch
recht munter und guter Dinge. Ich
habe nie die Wahrnehmung gemacht,
dass sie bei der Abstinenz, wie W o 1 f f
meint, Kopfhänger und Hypochonder
werden. Dagegen haben schon viele
Frauen, wenigstens die zu Hause oder
im Spital verordnungsgemäss täglich
Wein und Kognak geniessen mussten,
ihre Freude bekundet, dass hier der Al-
kohol verboten ist.
Nach eingezogenen Erkundigungen
wird einzig in der Genfer Heilstätte
noch Wein verabfolgt; der jetzige lei-
tende Arzt ist aber bestrebt, denselben
abzuschaffen. Das B a s 1 e r Sanato-
rium und das Glarner in Braun-
wald gestatten den Kranken 2 — 3 mal
im Jahre bei festlichen Anlässen etwas
Rotwein. In Wald (Zürich), Leysin
und bei uns wird vollständig abstiniert.
Der Alkohol kommt nach Mitteilung
der Chef-Aerzte auch als Medikament
nur selten zur Verwendung und dann
nur vorübergehend; als Fiebermittel
haben ihn die wenigsten mit Erfolg an-
gewandt. Bei uns wird der Alkohol
seit 4 Jahren nicht mehr gebraucht.
Gegen die Nachtschweisse habe ich bis
jetzt selten ein Medikament nötig ge-
habt; sie verschwinden gewöhnlich so-
fort ohne unser Zutun, oder dann nach
Essig- und Salzwasserwaschungen.
Früher habe ich oft bei Transport von
Schwerkranken etwas Kognak reichen
lassen ; dass Resultat war gewöhnlich
Uebelkeit und Erbrechen ; jetzt geht
dies bei etwas Tee oder Tee mit Milch
viel besser.
Wenn W o 1 f f meint, in den Volks--
Sanatorien hätte man weniger Schwer-
kranke und könnte deshalb den Alko-
hol besser entbehren, so stimmt das
wenigstens für die schweizerischen
nicht, in diesen werden oft recht
schwere Fälle behandelt.
Unverständlich scheint mir die Be-
hauptung eines deutschen Heilstätten-
arztes, dass 1 Liter Bier täglich not-
wendig sei ; ein anderer gibt Bier, um
im Entzug des Bieres ein wirksames
Disziplinarmittel zu haben.
Es wäre doch gewiss seltsam, wenn
die gleiche Substanz, die bei der Aeti-
ologie der Tuberkulose eine bedeu-
tende Rolle spielt, d. h. die Entstehung
der Krankheit zum mindesten begün-
stigt, bei vorhandener Affektion zur
Behandlung notwendig sein sollte, um
die Heilung zu beschleunigen.
Das ist denn auch nicht der Fall.
Erfahrene Spezialisten, wie Turban
und eine Reihe anderer, betonen, dass
der Alkohol nicht notwendig sei.
Wenn B r e h m e r früher für den mäs-
sigen Genuss von ]/$ Liter Bier täglich
eintrat, so wollte er damit das Herz
kräftigen und den Eiweisszerfall ver-
mindern. Heute wissen wir aber, dass
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
179
durch längern chronischen Genuss das
Herz eher geschädigt und schlaff und
der Blutdruck herabgesetzt wird. Wir
sehen bei Lungenkranken immer wie-
der, dass trotz verstärkter Herzaktion
die Pulswelle eine kleine ist.
Uebrigens hat Brehmer seinen
Schüler D e t t w e i 1 e r sehr energisch
bekämpft, weil er seinen Patienten
mehr Alkohol und auch als Genussmit-
tel gewährte. Er betont ausdrücklich,
dass der Alkohol ein verderbliches Ge-
nussmittel sei. und dass der stete Trop-
fen schliesslich doch den Stein höhlt.
Den Biergenuss verurteilte B r e h-
m e r ganz, da derselbe, auch mässig
genossen, die Verdauung verlangsame
oder aufhebe. Der jetzige Leiter der
B r e h m e r'schen Anstalt (Hahn)
sagt : ..Jetzt hat man die schädlichen
Wirkungen des Alkohols selbst für den
gesunden Menschen erkannt, umso-
mehr muss man den geschwächten tu-
berkulösen Organismus davor schüt-
zen."
Und B e s o 1 d sagt in der dritten
Auflage von D e t t w e i 1 e r's Behand
lung der Lungentuberkulose in ge-
schlossenen Heilstätten : „Der Kognak
als Heilmittel hat Fiasko gemacht, er
schadet gewöhnlich mehr als er nützt."
Hüppe, der so wenig wie die vori-
gen etwa zu den Abstinenten gehört,
sagt : „Die meisten Phthisiker vertra-
gen keinen Alkohol ; sie werden durch
denselben in ihrer Ernährung tief ge-
schädigt, und doch muss man sich zur
Heilung in erster Linie an die Ernähr-
ung halten."
Auch von den verschiedenen Ver-
dauungsschnäpsen (Bitter etc.) ist
nachgewiesen, dass sie die Verdauung
ungünstig beeinflussen.
„Es ist eine verhängnisvolle Be-
ruhigung," sagt M o s s 1 e r, „wenn der
Arzt bei Bewertung der Diät die Ka-
lorien des Alkohols mit in Rechnung
setzt; es ist nicht möglich, eine Nah-
rung, die sonst für den Bedarf unzu-
reichend, durch Zulage von noch so
grossen Mengen Alkohols zu einer aus-
reichenden zu machen."
Es ist im Gegenteil richtig, dass die
Ausnutzung der Nahrungsstoffe durch
den Alkohol verringert wird. Die Oxi-
dation, der Stoffwechsel wird verlang-
samt, und das ist kein Vorteil, sondern
ein Nachteil für den Kranken. L i e-
b e rm e i s t e r befürwortet gerade
deshalb die Höhe für Tuberkulöse, weil
dort der Stoffumsatz ein erhöhter ist ;
wenn er vermindert oder gar aufgeho-
ben ist, sagt er, so gewinnen die Bak-
terien die Oberhand.
LJngünstig ist für den Tuberkulösen
auch die lähmende Wirkung der geisti-
gen Getränke auf das Gehirn und das
Nervensystem. Gerade diese Wirkung
kann dem Tuberkulösen verhängnis-
voll werden. Wenn das Ermüdungs-
gefühl, dieser Wächter und Warner,
gelähmt ist, so lässt er sich zu Ueber-
anstrengungen und Unvorstichtigkei-
ten verleiten, die sich oft schwer
rächen.
Was für den Tuberkulösen in der
Heilstätte gilt, kommt für ihn zu
Hause noch viel mehr in Betracht.
Auch opfert der tuberkulöse Arbei-
ter eine nicht unbeträchtliche Quote
seines Einkommens dem Alkohol,
schädigt dadurch seine Gesundheit,
verliert Zeit, Arbeitslust und sein sauer
verdientes Geld ; er nährt sich und
seine Familie auch schlechter und ist
gezwungen, eine billigere und gesund-
heitswidrige Wohnung zu beziehen.
Das soziale Elend hat viele Ursa-
chen, die zum Teil nur mit grossen
Opfern zu verbessern wären, den Al-
kohol aber kann jeder mit grossem
Vorteil von heute auf morgen meiden ;
es bedarf hiefür nur Einsicht und Wil-
lenskraft.
i8o
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
Sitzungsberichte
Deutsche Medizinische Gesellschaft der Stadt New York.
Sitzung vom 3. Juni 1907.
Präsident Dr. Carl Beck eröffnet
die Sitzung gegen halb 9 Uhr mit fol-
genden Worten : Meine Herren Kol-
legen! Ich habe die grosse Freude
Ihnen mitzuteilen, dass wir heute
Abend drei ganz hervorragende deut-
sche Gelehrte unter uns haben, deren
Namen uns ja schon seit vielen Jahren
bekannt sind : Herrn Geheimrat K ü s-
t e r, dessen Werke in Bezug auf die
chirurgischen Krankheiten der Brust
und Krankheiten der Niere in vielen
Beziehungen bahnbrechend geworden
sind, dann Professor K i 1 1 i a n, von
dem Sie wissen, dass wir ihn den
Vater der Bronchoskopie nennen kön-
nen, dessen Assistenten Dr. K u h 1-
reuter, ich zugleich begrüsse, und
wir haben ferner unter uns den Ober-
arzt Dr. Schmieden, den Vertreter
des genialen Chirurgen Prof. Bier.
Wenn ich aber Herrn Dr. Schmie-
den den Vertreter von Prof. Bier
nenne, so meine ich damit nicht, dass
der Herr Oberarzt nicht selbst Eige-
nes, Hervorragendes geleistet habe.
Ich bitte zunächst Herrn Geheimrat
Küster, das Wort zu ergreifen.
Die Versammlung tritt hierauf in
die Tagesordnung ein :
1) Vorträge.
a) Geheimrat Küster: Ueber
Wanderniere.
b) Prof. Dr. Killian: Ueber den
Mund der Speiseröhre.
Präsident Dr. Carl Beck: Ich
lasse nicht erst darüber abstimmen, ob
die Herren, welche uns diese glänzen-
den Vorträge gehalten haben, ein Dan-
kesvotum verdienen. Ich erlaube mir
von vornherein, dieses Dankesvotum
im Namen der Gesellschaft auszuspre-
chen. Ich danke Ihnen von ganzem
Herzen, meine Herren, dass Sie ge-
kommen sind. Abgesehen von Ihren
Vorträgen haben Sie uns schon durch
ihre Anwesenheit eine grosse Freude
bereitet. Die meisten von uns sind ja
in Deutschland geboren, viele von uns
haben in Deutschland studiert. Sie,
meine Herren, so vornehme Repräsen-
tanten der deutschen Universitäts-
lehrerschaft, bringen zugleich den lie-
ben Erdgeruch der alten Heimat mit
sich, und schon deshalb seien Sie ver-
sichert, dass Sie uns unendlich sym-
pathisch sind.
Dann haben Sie uns durch Ihre Vor-
träge ausserordentlich genützt. Sie,
Herr Geheimrat Küster, haben ein
Thema behandelt, welches uns durch-
aus nicht fremd ist. Ich möchte fast
sagen, dass viele von uns von der Dis-
kussion dieses Themas geradezu er-
schöpft sind. Es wurde schon die
grösste Befürchtung über eine längere
Dauer der Diskussion über dieses
Thema laut. Sie haben es aber mit be-
wunderungswürdiger Fassung des Mo-
ments verstanden, uns einen ganz
neuen Gesichtskreis zu eröffnen.
Ihnen, Herr Prof. Killian, darf ich
auch nochmals speziell danken. Sie
haben ein dunkles Gebiet heute abend
für uns erhellt. Sie haben schon vor
vielen Jahren, seit dem wir überhaupt
Ihren gefeierten Namen kennen, so hell
in die dunkle Gasse hineingeleuchtet,
dass wir wohl sagen können, dass Sie
in der ganzen Welt dankbare Patien-
ten haben, die durch Ihr Bronchoskop
gerettet worden sind. Als Chirurg
habe ich ein besonderes Recht, darauf
hinzuweisen. Was haben wir früher
tun können, wenn ein Fremdkörper in
den Bronchus gedrungen war ! Es gibt
Patienten, die Monate lang einen
Fremdkörper hatten, und in wenigen
Minuten gelang es Prof. Killian,
den Fremdkörper heraus zu befördern.
Herrn Oberarzt Schmieden schul-
den wir ebenfalls unsern herzlichen
Dank für die meisterhafte Darstellung
eines genialen Verfahrens. Das Ver-
fahren ist hier noch sehr wenig be-
kannt. Unserm Kollegen Dr. Willy
M e v e r, der ein enthusiastischer Ver-
ehrer des Verfahrens ist, müssen wir
Dank sagen, dass er sich solche Mühe
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
181
geben hat, es hier einzuführen. Ich
bin überzeugt, dass durch Ihren Vor-
trag der Erfolg des Verfahrens erst
recht gekrönt werden wird. Manche
fürchten sich davor, das Verfahren an-
zuwenden, ie Neuheit des Verfah-
rens hat noch viele Feinde, und erst
bei näherer Bekanntschaft ist es, dass
wir das angenehm finden, was wir vor-
her verabscheut haben.
Ich möchte Sit bitten, meine Herren
Kollegen, heute Abend von einer Dis-
kussion Abstand zu nehmen, sodass
wir Gelegenheit haben, unsere Gäste
gebührend zu ehren.
2) Abstimmung über den Kandi-
daten.
Sekretär Dr. John A. B e u e r-
m a n n : Es sind 41 Stimmen für den
Kandidaten Dr. G. A. Fried m a n n
abgegeben worden.
1 'räsident Dr. Carl Beck: Ich er-
kläre Herrn Dr. Friedman n als
Mitglied der Deutschen Medizinischen
Gesellschaft.
Sekretär Dr. John A. B e u e r-
mann: Der Verwaltungsrat hat in
seiner letzten Sitzung beschlossen,
Herrn Prof. Dr. R ö n t g e n als Ehren-
mitglied der Gesellschaft vorzuschla-
gen.
Hierauf Schluss und Vertagung.
Deutsche Medizinische Gesellschaft der Stadt Chicago.
Sitzung vom 3. Januar 1907.
Vorsiztender : Dr. Herzog.
Programm.
1) Dr. Holinger: Residuen im
Mittelohr.
2) Dr. H. Schiller: Behandlung
des Puerperalfiebers mit Streptokok-
kenserum.
3) Geldbewilligung für das Abonne-
ment der ,,New Yorker Medizinischen
Monatsschrift."
4) Kandidate : Dr. Rerabe, 100
State Str., und Dr. M. R e i c h m a n n,
Schiller Building.
Das Protokoll der letzten Sitzung
wird verlesen und nach einer kleinen
Ergänzung angenommen.
Diskussion zu Dr. H o 1 i n g e r's
Vortrag.
Dr. Josef Beck: Ausser den im
interessanten Vortrag ausführlich be-
handelten Residuen mögen noch fol-
gende eine Erwähnung finden :
1) Residuen nach Blutergüssen im
Mittelohr infolge von Traumen oder
anderen Gründen, wie Anämie, Leukä-
mie etc. Einen Fall letzterer Art sah
Dr. B e c k : er teilt den genauen Trom-
melfellbefund mit.
2) Osteophytenbildungen nach lang
dauernden Eiterungen.
3) Kalkablagerungen im Trommel-
fell.
4) Atrophie der ganzen Schleimhaut
des Mittelohres.
Die Ursache der Trommelfellperfo-
ration im Attik ist meist eine Nekrose
der Gehörknöchelchen und vielleicht
nicht so sehr die von Dr. Holinger
hervorgehobene langdauernde starke
Einziehung des Trommelfelles bei
chronischem Tubenverschluss. Grös-
sere Perforationen des Trommelfelles
heilen nur mit Narben, welche sich an
die Schleimhaut des Mittelohres anle-
gen und dadurch Funktionsstörung —
Schwerhörigkeit — bedingen können.
Kleine Perforationen können allerdings
mit einem funktionell sehr guten Re-
sultat heilen. Um den Heilungspro-
zess zu befördern, ist es empfehlens-
wert, die Perforationsränder mit Tri-
chloressigsäure zu verätzen. Bei flakzi-
den Membranen kann eine Gehörver-
besserung durch Belegung derselben
mit Papierchen oder durch Bestreichen
derselben mit Kollodium mittels feinen
Pinsels (alle 3 bis 4 Wochen) erzielt
werden. Die Resultate der letztge-
nannten Methode sind nach Dr. B.'s
Erfahrungen besser oder zum min-
desten ebenso gut wie die bei An-
wendung von Wattekügelchen.
Dr. Holinger dankt bestens für
182
New Yorker Medizinische Monatsschiuft.
die Ergänzungen zu seinem Vortrag
und entgegnet folgendes :
Eine genuine Perforation der
Shrapnell'schen Membran infolge von
akuten oder chronischen Mittelohrei-
terungen ist kaum je zu sehen; sie ist
vielmehr auf den Verschluss der Tuben
zurückzuführen. Nekrose der Gehör-
knöchelchen ist natürgemäss oft mit
der Perforation der Shrapnell'schen
Membran verbunden, doch fragt es
sich, was Ursache und was Wirkung
sei. Nach B e z o 1 d's Auffassung ist
die Perforation das Primäre, die Ne-
krose der Gehörknöchelchen das Se-
kundäre. Es ist von Wichtigkeit, die
Patienten mit Trommelfellperforation
auf die Gefahr aufmerksam zu machen,
welche mit dem Eindringen von Was-
ser in die Ohren beim Waschen und
Baden verknüpft ist, da das Wasser
verschiedene schädliche Wirkungen
hervorrufen kann, wie z. B. schwere
Entzündungen, die, wie Erfahrungen
gezeigt haben, binnen wenigen Tagen
tädlich enden könne. Hunderte von To-
desfällen, namentlich unter Kindern —
ereignen sich während der Badesaison.
Wahrscheinlich steht eine Reihe dieser
Todesfälle mit dem plötzlichen Ein-
dringen von kaltem Wasser beim Ba-
den ins Ohr im Zusammenhang, auch
wenn keine Perforation des Trommel-
felles vorhanden ist. Die Personen
werden infolge des sensiblen Reizens
beim Eindringen des kalten Wassers
bewustlos und ertrinken. In Analogie
zu diesen Ereignissen steht das ge-
legentlich beobachtete plötzliche Zu-
sammenstürzen, die Synkope von Pa-
tienten, bei denen zu kaltes Wasser
zum Ohrenausspritzen verwendet wor-
den ist.
Besonders Badenden mit Trommel-
fellperforation ist es anzuraten, sich
die Ohren prophylaktisch mit ölge-
tränkten Wattebäuschchen gut zu ver-
stopfen. Besser ist es, statt Oel Lano-
lin zu benützen, da in den im Ohre zu-
rückbleibenden Oelresten Schimmel-
pilze wuchern und Störungen hervor-
rufen können.
Der Vortrag d. H. Dr. Schiller
wird wegen vorgerückter Zeit verscho-
ben.
Geschäftliches.
Dr. Gustav Schirmer empfielt
im Namen des Vorstandes das Weiter-
Abonnement der „New Yorker Medi-
zinischen Monatsschrift." Dr. Beck
stellt den bezüglichen Antrag, der ein-
stimmig angenommen wird.
Dr. R. R e m b e, 100 State Str., und
Dr. Max Reichmann, 406 Schiller
Building, werden einstimmig zu Mit-
glieder der Deutschen Medizinischen
Gesellschaft ernannt.
Dr. Herzog reicht einen schriftli-
chen Antrag als Zusatz zu den Statu-
ten mit folgendem Wortlaut ein :
Mitglieder, welche der Gesellschaft
drei- oder mehr Jahre angehört haben,
die Chicago dauernd verlassen, können
auf Empfehlung des Vorstandes unter
Zustimmung von 4/5 der anwesenden
Mitglieder zu auswärtigen Mitgliedern
erwählt werden. Derartige auswärtige
Mitglieder zahlen keine Beiträge. Die-
ser Paragraph soll rückwirkende Kraft
haben.
Dieser Antrag wird unterstützt ; die
Abstimmung soll in der nächsten Sit-
zung vorgenommen werden.
Sitzung vom 17. Januar 1907.
Vorsitzender : Dr. Herzog.
Programm.
1) Dr. Josef Beck: Bericht über
zwei Fälle von Kleinhirnabszess mit
Sektionsbefund des einen.
2) Dr. H. Schiller: Behandlung
des Puerperalfiebers mit Streptokok-
kenserum.
3) Geschäftliches.
Dr. Josef Beck berichtet über
einen Fall von rechtsseitigem Klein-
hirnabszess, der nach einer lange Jahre
dauernden Otorrhoe infolge von eitri-
ger Otitis media mit Nekrose im Mit-
telohr aufgetreten war. Nach Opera-
tion trat Heilung ein.
Sodann demonstriert Dr. Josef
Beck das Gehirn eines an Kleinhirn-
abszess verstorbenen Mannes, der bis
ganz kurz vor seinem Tode keine
cerebralen Symptome geboten hatte.
Dieser Fall bietet einen Beitrag zum
Kapitel „sudden death." Der Patient
hatte durch viele Jahre hindurch eine
Otorrhoe und litt seit 6 Wochen an
Mastoiditis mit typischen Symptomen,
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
183
die sich so steigerten, dass eine Radi-
kaloperation nötig wurde. Zehn Tage
post operationem traten Kopfschmer-
zen auf und Patient starb völlig uner-
wartet, ohne irgend welche Zeichen
eines Hirn-Abszesses vorher geboten
zu haben. Erst die Sektion klärte die
Todesursache auf. Das Operationsfeld
hatte normales Aussehen. In der lin-
ken Kleinhirn-Hemisphäre fand sich
ein Abszess. Da vorläufig noch keine
genaueren Schnitte des Gehirnes ge-
macht worden sind, so lässt sich nur
die Vermutung aufstellen, dass viel-
leicht durch die Entleerung des Ab-
szesses in den vierten Ventrikel hinein
der plötzliche, unerwartete Tod herbei-
geführt worden ist. (Druck auf das
Respirationszentrum.)
In der Literatur finden sich mehrere
solche Fälle vor. Die Symptome des
Kleinhirn-Abszesses sind oft sehr un-
bestimmt, die Diagnose dann schwie-
rig. Bei gleichzeitigem Vorhanden-
sein mehrerer Symptome, wie z. B.
Brechen, Kopfschmerz, Nystagmus,
Schwindel Nackenkontraktur, Pulsver-
langsamung etc. ist die Diagnose
leicht.
Dr. Reichmann demonstriert
das Röntgenbild des Kleinhirnes ei-
ner Patientin, die wegen Atro
phia nervi optici und rechtsseitiger
Hemiparese zu ihm geschickt wurde,
da die Differenzialdiagnose zwischen
Tumor und Abszess des Kleinhirns
klinisch nicht gemacht werden konnte.
Die Röntgenstrahlenuntersuchung er-
gab einen ca. hühnereigrossen Klein-
hirnabszess ; derselbe soll bald operiert
werden.
Dr. H o 1 i n g e r berichtet über ei-
nen Fall von Kleinhirn-Abszess, der
unter unbestimmten Symptomen ver-
lief und nur von Schwindel und Hin-
terhauptkopfschmerz begleitet war.
Der Abszess wurde bei der Operation
gefunden ; doch starb Patient an Me-
ningitis, die bereits zur Zeit der Opera-
tion im Gange war.
Dr. Welcher beobachtete einen
Fall von Kleinhirn-Abszess bei einem
4jährigen Kinde. Es bestand einsei-
tige Stauungspapille ; sonst waren nur
unbestimmte Symptome vorhanden ;
es ist begreiflich, dass erst bei der Sek-
tion die Diagnose gemacht wurde.
Dr. Carl Beck bestätigt, dass in
dem von Josef Beck erwähnten
Falle von ,,sudden death" erst unmit-
telbar vor dem Exitus Symptome auf-
getreten seien, nämlich plötzlich ein-
setzendes tiefes, sehr langsames At-
men, Cyanose und sehr kleiner Puls;
binnen 20 Minuten war Patient eine
Leiche, noch bevor eine klinische
Diagnose gemacht werden konnte.
Wahrscheinlich handelte es sich um
plötzlichen Durchbruch in den vierten
Ventrikel.
Bei der Operation von Gehirnab-
sz: ss ist es von Wichtigkeit, durch ex-
akte Tamponade rings um die Stelle,
an welcher der Abszess eröffnet wer-
den soll, die Umgebung zu schützen,
wie es auch im Cavum peritoneale ge-
schieht, da sonst leicht eine Meningitis
entstehen kann. In der Tat genügte in
einem Falle die durch einen Troikar er-
zeugte Punktionswunde, um eine Ver-
breitung der Infektion auf die Menin-
gen mit Exitus bewirkt zu haben. Es
ist darum eine exakte periphere Tam-
ponade zum Schutze der Umgebung
von höchster Wichtigkeit.
Dr. Josef Beck: Die Diagnose
des Hirnabszesses stützt sich auf das
Vorhandensein einer erkennbaren Ur-
sache, hier einer Mittelohreiterung.
Meist ist derTemporosphenoidallappen
der Sitz der Eiterung. Bei linksseiti-
ger Lokalisation, nahe dem Sprachzen-
trum sind natürlich Sprachstörungen
zu erwarten ; Stauungspapille und mo-
torische Störungen sind bei entspre-
chenden Sitze als unmittelbare oder als
entfernte Symptome aufzufassen. Her-
vorgehoben zu werden verdient der
starke Perkussionsschmerz über dem
Abszess. Fieber muss keines be-
stehen ; die Temperatur mag sogar sub-
normal sein. Oft kann die Diagnose
erst bei der Sektion mit Sicherheit ge-
macht werden.
Diskussion zu Dr. S c h i 1 1 e r's V or-
trag.
Dr. Strauch: Streptokokken-
serum wurde nicht nur bei den erwähn-
ten Streptokokken in fektionen des
Puerperalfiebers, bei Erysipel, Phleg-
monen und Septikopyämie verwendet,
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
sondern auch bei Skarlatina, welche
ja von einigen Autoren mit einem ge-
wissen Grade von Wahrscheinlichkeit
als eine primäre Streptokokkeninfek-
tion aufgefasst wird. Unbestritten ist
die Bedeutung der Streptokokken bei
den Komplikationen des Scharlachs.
Die serotherapeutischen Versuche mit
dem Aronson'schen und Marmorek'-
schen Scharlachserum hatten im gros-
sen und ganzen negative Resultate.
Erst die Einführung des Moser'schen
polyvalenten Scharlachsenims scheint
eine Wendung in der Therapie des
Scharlachs zu bezeichnen, denn die Er-
folge, welche an der Escherich'schen
Kinderklinik in Wien an einer bereits
200 Fälle übersteigenden Reihe erzielt
wurden, lassen — nach dem Aus-
spruche Escheric h's — keinen
Zweifel übrig, dass das Moser'sche
Serum eine spezifische Wirkung be-
sitzt. Die Injektion muss möglichst
früh und in grosser Dosis — 180 bis
200 Gramm des Serums — gegeben
werden.
Dr. G r e y hatte zü wiederholten
malen bei den Sekundärinfektionen
der Lungentuberkulose Streptokok-
kenserum angewendet. Möglicher-
weise wird dadurch das Leben etwas
verlängert. Leider ist die Reaktion auf
solche Injektionen oft sehr heftig und
kann durch zwei Wochen anhalten.
Dieser Umstand macht sich bei den
ohnehin schon geschwächten Indivi-
duen, welche an vorgeschrittener Tu-
berkulose leiden, sehr unangenehm be-
merkbar. Doch sind die Patienten
nach Ablauf der Reaktion besser, als
sie es vor den Injektionen waren. Das
allgemeine hygienische Regime darf
natürlich nicht vernachlässigt werden.
Dr. Harms hatte schon vor 10 Jah-
ren das Streptokokkenserum und zwar
im Früstadium der Infektinn im Wo-
chenbett verwendet, wenn die Pulsfre-
quenz im Vergleich zur Fiebertempe-
ratur eine viel zu hohe war. Viele
Fälle zeigten eine rasche, ganz auffal-
lende Besserung des Befindens, wes-
halb das Streptokokkenserum (Par k e,
D a v i s & C o.) zu versuch&n sei.
Dr. Emil Ries: Es wurde Strep-
tokokkenserum prophylaktisch vor
septischen Uteruskarzinom - Operatio-
nen empfohlen. Dr. Ries jedoch ver-
meidet überhaupt eine Operation, wenn
bestehendes Fieber auf eine vorhan-
dene Infektion hinweist und wartet, bis
Bettruhe etc. das Fieber zum Schwin-
den gebracht hat. Die Operation bei
Uterus-Karzinom wird von ihm sehr
radikal ausgeführt, nämlich möglichst
weit entfernt vom Karzinomgewebe
und dem Infektionsherd, so dass die
Gefahr der Verschleppung der Bak-
terien dadurch bedeutend verringert
wird. Dr. Ries schneidet, wenn mög-
lich, mehrere Zoll weit entfernt, vom
kranken Gewebe. Dies ist zwar nach
vorn gegen die Blase zu natürlich nicht
möglich, doch ist hier die Infektions-
gefahr dadurch herabgesetzt, dass das
übrige Gewebe des Operationsfeldes
bereits versorgt ist, wenn die Ablösung
von der Blase begonnen wird. Aucb
Dr. Ries sah Fälle von Uterus-Kar-
zinom, die bald post operationem ein
überaus schweres Bild der Allgemein-
erkrankung boten. Hier wäre der Vor-
schlag einer Streptokokken-Serumin-
jektion zu erwägen.
Dr. Kolischer: Die Frage nach
der Wirksamkeit des Streptokokken-
serums im Puerperalfieber lässt sich
nicht entscheiden, solange man das
Urteil nur auf ,, Eindrücke" basiert;
umsoweniger, als der Begriff Puer-
peralfieber nicht ein bestimmter ist,
sondern alle möglichen Arten der In-
fektion mit verschiedenen Charakteren
zusammenfasst. Viele Infektionen, die
heute sehr schwer zu sein scheinen
und mit sehr hoher Pulsfrequenz ein-
hergehen, können morgen spontan ge-
heilt sein.
Der Ausdruck „Sepsis" wird sehr
missbraucht ; jedenfalls müssen bei
derselben Herz und Nieren affiziert
sein. Die Frage nach der Serumwir-
kung kann nur an der Hand eines
grossen Materials geprüft werden ;
man muss Morbiditäts- und Mortali-
täts-Ziffern für eine Reihe von Jahren
ohne und mit Serumbehandlung unter
sonst gleichen Verhältnissen zur Ver-
fügung haben. Dr. Kolischer übt
weiterhin Kritik an den vorhandenen
Statistiken der Serumtherapie des
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
185
Puerperalfiebers. Man weiss, dass die
meisten Puerperalprozesse spontan
heilen.
Dr. Herzog: Um Sepsis diagnos-
tizieren zu können, muss man durch
das Kulturverfahren den Nachweis er-
bringen, dass sich im Blute des Patien-
ten Mikroorganismen befinden und
sich hier vermehren. Schlussfolgerun-
gen von Tierexperimenten bezüglich
der Wirkung der Sera auf den Men-
schen müssen mit grosser Vorsicht ge-
macht werden. Ein Serum mag bei
einer Tierspezies kurativ und prophy-
laktisch wirken, nicht aber bei einer
anderen Tierspezies oder beim Men-
schen. Meerschweinchen lassen sich
gar nicht, Affen etwas gegen Beulen-
pest immunisieren; eine Schlussfolger-
ung vom Meerschweinchen auf den
Menschen wäre aber grundfalsch.
Sowohl aus dem Tierversuche als
auch durch die klinische Beobachtun-
gen am Menschen weiss man, dass die
Serumbehandlung nicht immer indif-
ferent ist.
Dr. Schiller: Streptokokken-
serum wurde bereits in vielen hunder-
ten Fällen von Uterus Karzinom an-
gewendet, ohne das weitere Schädig-
ungen ausser den bekannten temporä-
ren Nebenerscheinungen wie Fieber,
Gelenksschmerzen, Exantheme, etc ,
die nach jedem fremdartigen Serum
auftreten können, beobachtet worden
sind. Empfohlen werden gegenwärtig
Autoinokulationen mit Streptokokken,
die aus dem Uteruskarzinom gewon-
nen werden, u. zw. in sehr kleinen,
steigenden Dosen. Bei Lungentuber-
kulose mit Sekundärinfektion wäre
Streptokokken-Kakzine zugleich mit
Tbc- Vakzine zu versuchen.
Geschäftliches.
Der Antrag des Herrn Dr. Her-
zog wird nach einer Debatte in fol-
gender Modifikation einstimmig ange-
nommen.
Mitglieder der Deutschen Medizini-
schen Gesellschaft von Chicago, III.,
können bei ihrem Wegzug von Chicago
mit ihrer Zustimmung im Verzeichnis
als auswärtige Mitglieder aufgeführt
werden, zahlen als solche keine Bei-
träge und erhalten die offiziellen Mit-
teilungen.
Dieser Paragraph hat rückwirkende
Kraft.
Dr. V a h 1 t e i c h, jr., wird einstim-
mig zum Mitglied der Deutschen Medi-
zinischen Gesellschaft ernannt.
Dr. Harms stellt den Antrag, dass
die Gesellschaft der freundlichen Ein-
ladung des Herrn Dr. Carl Beck zu
einem klinischen Demonstrationsabend
im North Chicago Hospital folge leiste.
Dieser Antrag wird einstimmig ange-
nommen.
Dr. Herzog begrüsst im Namen
der Deutschen Medizinischen Gesell-
schaft Herrn Dr. Ries, der von seiner
Reise nach Jamaika zurückgekehrt.
D r. A. Strauch,
Schriftführer.
Sitzung vom 31. Januar 1907 im North
Chicago Hospital.
Vorsitzender : Dr. Herzog.
Programm.
Dr. Carl Beck: Fälle aus den
Grenzgebieten der Chirurgie und inne-
ren Medizin.
Dr. Emil B eck: Sarkoma des
Carpus, Carcinoma frenuli linguae.
Dr. Josef Beck: Nerventrans-
plantation bei Fazialislähmung, Na-
senexenteration.
Dr. Carl Beck demonstriert (I.)
einen 31jährigen, sehr fetten, bartlosen
Mann mit Hypoplasie des äusseren
Genitales. Der Penis ist äusserst klein,
ebenso der linke Hoden rechtsseitiger
Kryptorchismus, spärliche Scham-
haare. Im rechten Lappen der sonst
vergrösserten Schilddrüse befindet sich
ein harter, fibröser, schmerzhafter Tu-
mor. Die Intelligenz des Patienten
ist gering. Dr. C. B. weist auf das
Zusammentreffen dieser Affektionen
hin.
Dr. Doepfner teilt mit, dass er
im Kanton Bern (Schweiz) zu wieder-
holtenmalen genitalen Infantilismus
bei Myxoedem gesehen hat und hält es
für wahrscheinlich, dass auch im vor-
liegenden Falle die Genitalveränderun-
gen und die Beeinträchtigung der In-
telligenz mit einer Erkrankung der
Schilddrüse im Zusammenhang steht.
i86
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
II. Fall: 55jährige Frau mit grossem
Milztumor und Anämie. Blutbefund:
40 Prozent Hämoglobin, 3,496,000 rote,
3000 weisse Blutkörperchen. Poikilo-
zytose und Makrozytose. Es handelt
sich um eine Form der primären Sple-
nomegalie. Die Röntgenstrahlenbe-
handlung scheint eine Verkleinerung
der Milz herbeizuführen.
III. Fall: Leontiasis ossea. 37jährige
Frau. Seit Jahresfrist eine allmählig
zunehmende Schwellung des Oberkie-
fers, zuerst rechts, dann links ; später
Wucherungen in der Gegend beider
Stirnhöcker, Entwicklung von Protu-
beranzen am Unterkiefer, rechts be-
deutender als links, namentlich in der
Nachbarschaft des Unterkieferwinkels.
Der Oberkieferalveolarfortsatz zeigt
eine ganz enorme Vergrösserung und
schmerzlose Auftreibung von knochen-
harter Konsistenz. Das Röntgenstrah-
lenbild zeigt allgemeine Knochenzu-
nahme und .Ausfüllung des Antrum
Highmori. An den Schlüsselbeinen be-
stehen kallusähnliche Hyperostosen.
Patientin hat Trommelschlägelringer,
die im Röntgenstrahlenbild Hyperosto-
sen und Osteoporose zeigen. Auch an
den Beinen sind ähnliche Veränderun-
gen. Patientin ist sehr schwach, kann
nicht gehen, und leidet an heftigen
Schmerzen in Xerven, welche durch
Knochenkanäle ziehen, offenbar be-
dingt durch Kompression. Es ist zu
erwarten dass mit der Zeit die Orbitae
durch Knochenwucherungen schwin-
den werden. In zwei von 16 Fällen
der Literatur wurden Resektionen vor-
genommen. Auch im vorliegenden
Fall ist Resektion in Aussicht genom-
men.
IV. Fall : 20jähriger Mann mit in-
operablem Mastdarmkarzinom von
auffallend rapidem Wachstum.
V. Fall : Demonstration eines Präpa-
rates einer primären Tuberkulose der
Brustdrüse einer 22jährigen Frau. Die
Brust wurde wie bei Karzinom mit
Entfernung der Lymphdrüsen ampu-
tiert.
Dr. Emil Beck demonstriert fol-
gende Fälle :
I. Fall: Eine Frau, welche durch
viele Jahre hindurch eine etwas
schmerzhafte Geschwulst am linken
Handgelenk hatte. Erst in der letzten
Zeit geringes Wachstum bemerkbar.
Die Diagnose wurde auf Tuberkulose
des Knochens gestellt, da das Röntgen-
strahlenbild beginnende Knochenzer-
störungen zeigte. Röntgenstrahlenbe-
handlung war ohne Erfolg, so dass vor
2 Monaten zur Operation geschritten
werden musste, bei der sich einige
Karpusknochen erkrankt erwiesen und
entfernt wurden. Auch ein Teil des
Radius musste reseziert werden.
Die mikroskopische Untersuchung
des Präparates wies Knochensarkom
nach. (Im August 1907 musste nach
späterer mündliche Mitteilung wegen
Rezidive die Amputation in der Mitte
des Vorderarmes ausgeführt werden.
Der Schriftführer.)
II. Fall: 45jähriger Mann. Im Sep-
tember 1906 wurde wegen Carcinoma
frenuli linguae eine zweizeitige Radi-
kaloperation vorgenommen. Im er-
sten Akt wurden beiderseits die
Lymphdrüsen radikal entfernt, erst
später der Zungentumor. Durch die
Zweizeitigkeit soll eine Wundinfektion
mit Karzinomteilchen leichter verhin-
dert werden. (Nach späterer mündli-
cher Mitteilung trat ein lokales Rezi-
div auf.)
Dr. J osef Beck: 1. Fall : Patien-
tin im mittleren Lebensalter. Vor vie-
len Jahren erkrankte dieselbe an Oh-
renfluss mit einem Abszess im Pro-
cessus mastoideus, der schliesslich eine
Radikaloperation mit Entfernung eines
Sequesters aus dem Temporalknochen
und der Schnecke nötig machte.
Trotzdem ist etwas Gehör vorhanden.
Der Nervus facialis wurde zerstört.
Sieben Monate später wurde der Ner-
vus hypoglossus in den Nervus facialis
implantiert ; nach 4 Monaten bereits
(post operationem) zeigte sich die
Fähigkeit, mit dem Schluckakt die
früher gelähmt gewesene Gesichts-
hälfte zu kontrahieren. Gegenwärtig
ist auch der Augenschluss beim
Schluckakt möglich, das Gesicht ist
symmetrisch.
II. Fall: Einige Monate nach einem
Trauma der Nase mit Fraktur des
Oberkieferknochens wurde infolge er-
heblicher Nasenbeschwerden die Den-
k e r'sche Operation mit Ausräumung
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
187
des Antrum Highmori, mit Entfernung
von Granulationsmassen und eines
Knochensequesters vorgenommen.
Eine W oche post operationem traten
Erscheinungen der allgemeinen Sepsis
mit entzündlichen Venenthrombosen
auf, welche mehrfache Inzisionen er-
forderten. Die Nasenerscheinungen
verschlimmerten sich bald wieder, es
bildeten sich abermals Granulommas-
sen mit Beeinträchtigung des Gehöres,
so dass schliesslich vor kurzem eine
Radikaloperation mit vollständiger Ex-
enteration der Nasenhöhle ausgeführt
werden musste. Es hatte sich offenbar
um eine Fraktur mit Infektion und
Granulombildung gehandelt.
(Einer späteren mündlichen Mitteil-
ung zufolge erlag der Patient nach
mehreren Wochen einer Meningitis.)
Nach diesen Krankenvorstellungen
erfolgte die Demonstration mehrerer
zugehöriger Röntgenstrahlenbilder.
Dr. Gustav Schirmer feiert in
einer Ansprache das Andenken Dr.
Semmelweiss und widmet der
Deutschen Medizinischen Gesellschaft
ein Bildnis der in Budapest errichteten
herrlichen Statue dieses medizinischen
Pfadfinders und Vorkämpfers.
Dr. Herzog nimmt das Bild in
Obhut und dankt im Namen der Deut-
schen Medizinischen Gesellschaft.
Dr. Aug. Strauch,
Schriftführer.
Berichtigung unpassender
In der Sitzung der Aerztlichen Ge-
sellschaft von Athen am 14. April 1907,
unter dem Präsidium von Dr. M. G e-
roulanoSj stellte Dr. K a 1 1 i b o-
k a s den Antrag, eine Kommission von
Aerzten einzusetzen die, mit Zuzieh-
ung eines Professors der Philologie, es
unternehmen sollten, die medizinische
Nomenklatur zu regulieren. Nach
kurzer Diskussion wurde der Antrag
angenommen und die Kommission er-
nannt. Dieselbe ist aus folgenden Mit-
gliedern zusammen gesetzt: G. Man-
ginas, Präsident; A. Rose (New
York) , Gabrielidis ( Konstanti-
nopel), D. Demitriadis, S. Don-
tas, A. K a 1 1 i b o k a s, I. K a r a-
b i a s, I. Kindene s, D. Kokko-
te s, G. Kosmetatos, A, Kou z e s,
K. L ampros (Kairo) , K. Louros,
M. Mankakes, K. M e 1 i s s i o-
n o s, K. M e r m e n k a s, T. M i t a n t-
s e s, A. M o r e 1 a s, I. B i s t e s, M.
O i k o 11 o m a k e s, P. P a m p o u-
k e s, I. Papatheodorou, S. Pa-
pa s o t e r i o 11, B. P a t r i k i o u, N.
P e t s a 1 e s, M. S a k o r r h a p h o s,
Th. S k a s e s, Dem. Soteriadou,
B. T o u p h a x e s, G. Trochanes,
A. T s e 1 i o s, I. Phoustanos, An,
Christides (Konstantinopel) und
S. C h o m a t i 0 n o s.
In neuerer Zeit haben Aerzte des
ärztlicher Kunstausdrücke.
westlichen Europas und Amerikas neue
Namen für die durch neue Forschun-
gen, Entdeckungen und Erfindungen
geschaffenen Begriffe in die wissen-
schaftliche Medizin eingeführt. Die
neuen Benennungen sind meist der
griechischen Sprache entnommen, die
meisten derselben aber unrichtig ge-
bildet oder unrichtig gewählt. Aus
diesem Grunde wurde die Einsetzung
einer Kommission, wie diese der Aerzt-
lichen Gesellschaft von Athen, die un-
richtigen Benennungen zu sammeln
und richtige Definitionen an deren
Stelle zu geben, zur Notwendigkeit.
Eine Zusammenstellung aller medizi-
nischen Namen, die endgültig als rich-
tig festgestellt sind, wird in Zukunft
der Verwirrung, welche in der medizi-
nischen Onomatologie bestanden hat
und noch besteht, ein Ziel setzen.
Als Beispiel wählen wir das Wort
Phagocyt, für welches von Manchen
Phagocytosis, von Anderen Phagocyt-
tarosis und wieder von Anderen Cyt-
tarophagia gebraucht wird.
Die Kommission wird den passend-
sten von solchen Namen auswählen,
damit derselbe, um Verwirrung abzu-
schaffen, in Zukunft von allen Autoren
gebraucht werde, auch wird sich die
Kommission besonders bemühen, sol-
che Benennungen vorzuschlagen, die
i88
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
so viel als möglich die mit demselben
verbundene Meinung klar ausdrücken.
Folgendes ist der Wortlaut eines
Briefes der an jedes Mitglied der Kom-
mission geschickt worden ist:
Die Medizinische Gesellschaft von
Athen.
(Nummer des Protokolls 281.)
Athen, den 8./21. Mai, 1907.
Geehrter Herr Kollege ! Die Medi-
zinische Gesellschaft von Athen
wünscht mit all ihren Kräften die Bil-
dung eines Systems klassisch - grie-
chisch-medizinischer Nomenklatur zu
fördern. Dieses System soll den Män-
nern der Wissenschaft, welche haupt-
sächlich die griechische Sprache für
wissenschaftliche Benennungen ge-
brauchen, dienen. Es wurde ein Ko-
mitee unter dem Vorsitz von Professor
S. Mangina ernannt, um klassisch-
griechische Definitionen als Ersatz für
neu in die medizinische Literatur Grie-
chenlands und anderer Länder einge-
führte unregelmässige Benennungen
zu sammeln.
In Anbetracht der gewichtigen Ar-
beiten, die von Ihnen über diesen Ge-
genstand veröffentlicht worden sind,
hat die Medizinische Gesellschaft von
Athen einstimmig beschlossen, Sie zu
einem Mitglied dieses Komitees zu er-
wählen.
Indem wir Sie von dieser Wahl in
Kenntnis setzen, bitten wir Sie die-
selbe anzunehmen und dem Sekretär
des Komitees, Herrn Dr. A r i s t.
K o u z e, 43 Boulestrasse, Ihre Vor-
schläge über den Gegenstand einzu-
reichen.
Mit unserer Aller Hochachtung,
der Präsident M. Geroulanos.
S. A. D o n t a s, Sekretär.
Therapeutische und
— Digalen und dessen Anwendung in Form
von intravenösen Injektionen. Pesci hebt
auf Grund seiner Versuche hervor, dass das
Digalen gegenüber ähnlichen Präparaten
und der Digitalis selbst den Vorteil bietet,
dass es genau dosierbar ist und dadurch
Uebelstände und Gefahren verhütet, sowie
die Wirkung sichert. Der grösste und in-
diskutierbare Vorzug des Digalens aber be-
steht darin, dass dieses Mittel sich am
besten zu intravenösen Injektionen eignet,
und dass diese Wahl der Einfuhrform zur
Notwendigkeit wird in dringenden Fällen
und häufig bei Intoleranz des Magens gegen
die Digitalis. — Durch die intravenöse In-
jektion ist die Wirkung stets eine sichere,
prompte und erfolgreiche, was bei den un-
sicheren, oft toxischen, galenischen Präpa-
raten nicht der Fall ist, welch' letzteren
keine Wirkung entfalteten, wo das Digalen
gleichfalls versagte. Für spezielle Fälle,
wo Schwierigkeiten für die intravenöse In-
jektion bestehen, kann man das Digalen, ob-
wohl nicht mit so grossem Erfolg, in Form
von intramuskulären Injektionen verab-
reichen.
Um eine tonische Wirkung auf das Herz
zu erreichen, genügt es, 2 — 3 ccm. Digalen
per os täglich zu verabreichen ; man wird
klinische Notizen.
dann nach und nach diese Dosis vermin-
dern und mit dem Mittel am vierten bis
fünften Tage aussetzten. Bei geschwunde-
ner Kompensation in Fälleil von chroni-
scher Myocarditis, von Mitralfehlern und
von plötzlicher Insuffizienz des Herzmus-
kels wegen Perikarditis oder im Verlaufe
von Infektionskrankheiten muss man das
Digalen intravenös in Dosen von 3 — 5 ccm.
auf einmal am Morgen injizieren ; diese
Dosis wird nach Bedarf im Laufe des Tages
wiederholt, alsdann progressiv verringert
oder das Mittel wird ganz ausgesetzt, je
nach dem Verhalten des einzelnen Falles
und je nach den erreichten Resultaten. Aus
den von ihm beobachteten Fällen schliesst
Verfasser, dass die Digitalis und noch mehr
das Digalen ihre Indikation bei den arteri-
ellen Herzerkrankungen (auch mit erhöh-
tem Blutdruck) finden, wenn die Kompen-
sationsstörungen mit einem deutlichen Di-
krotismus vergesellschaftet sind.
Das Digalen ist also ein wertvolles Prä-
parat, welches in vielen Fällen der Digitalis
vorzuziehen ist, und das jeder Arzt in Vor-
rat haben sollte, um es intra venam in den
Fällen zu verabreichen, wo die Digitalis
ihre Wirkung versagt, oder wo sie nicht an-
gewendet werden kann. (Zentralblatt für
innere Medizine, Nr. 44, 1905.)
JVlecüzimscbe JVlonatöscbrift
Offizielles Organ der
Deutzen medizinifdKn ßcfelifcbaften der Städte rtew V#rR,
Chicago, Cleveland und San Trancisco.
Redigiert von Dr. A. Ripperger.
Bd. XIX. New York, Oktober, 1907. No. 7.
Orkjinalärbeiten.
Moderne Methoden in der medizinischen Behandlung der Magenkrankheiten.
Von Dr. A. Rose.
Eine rationelle Therapie der Magen-
krankheiten setzt eine präzise Diagnose
voraus. Zur präzisen Diagnose gehört
auch bei Magenkrankheiten die Berück-
sichtigung der allgemeinen Verhältnisse,
des Zustandes des Zirkulationsapparates,
des Respirationsapparates und des Ner-
vensystems. Das ist nichts Neues, aber
die Deutung gewisser mechanischer Ver-
änderungen, die die Ursache von motori-
schen und sekretorischen Störungen der
Magenfunktion sein können, das ist ein
Fortschritt der allerneuesten Zeit ; neu
ist auch, dass man seit dem Bekanntwer-
den der P a w 1 o w'schen Experimente
grössere Berücksichtigung dem Nerven-
einfluss auf sekretorische Magenstörun-
gen zuschreibt.
Physikalische und diätetische Behand-
lungsmethoden sind, wie in der Therapie
überhaupt, so auch bei Behandlung der
Magen- und Darmerkrankungen in neue-
rer Zeit mehr und mehr zur Geltung ge-
kommen. In Deutschland besteht eine
Gesellschaft von Aerzten,um die Interes-
*) Nach einem Vortrag, gehalten vor der
Deutschen medizinischen Gesellschaft der
Stadt New York am 7. Oktober 1907.
sen der physiko-diätetischen Therapie zu
fördern, sie gibt ein eigenes Organ her-
aus, von dem jetzt der neunte Jahrgang
erscheint. Die bittersten Feinde dieser
Gesellschaft — und jeder Schritt in fort-
schrittlicher Richtung in der Wissen-
schaft ist ein Kampf gegen Misokainie —
müssen zugestehen, dass die Erfolge der
neuen physiko - diätetischen Methode
glänzende sind. In allerjüngster Zeit ist
wieder eine Zeitschrift für physikalische
Medizin gegründet worden, deren Her-
ausgeber die bedeutendsten Kliniken
Deutschlands sind. Vom 13. — 16. Okto-
ber tagte in Rom der Kongress für phy-
sikalische Therapie.
Physiologisch - chemische Exploration
durch Sondierung des Magens und Un-
tersuchung des Mageninhalts ist selbst-
verständlich in den meisten Fällen uner-
lässlich, aber die eine Zeitlang gegoltene
Uebertreibung, dass keine Diagnose und
keine rationelle Therapie ohne die Unter-
suchung des Mageninhaltes möglich, ist
überwunden, und dasselbe gilt von den
Magenauswaschungen. Es ist nicht sehr
lange her, dass in allen denkbaren Fällen
von Magenstörungen diese Auswaschun-
gen vorgenommen wurden und dass diese
190
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
Prozedur für manche Aerzte das tägli-
che Brod bedeutete. Hier und da trifft
man noch einen Patienten, der sich rüh-
men kann, dass er es verstanden, seinen
eigenen Magen täglich auszuwaschen.
Jetzt hat man die Indikationen für das
Verfahren genau festgestellt, man weiss,
wo es angezeigt, wo es überflüssig, und
wo es schädlich ist.
MAGEN DILATATION.
Durchleuchtet mit Kern p's Circumscrib-
ing Gastro-Diaphan und Fluoreszin vor An-
legung des R o s e'schen Verbandes.
Wie bei jeder Krankheitsfeststellung
beginnt die Untersuchung mit der
Anamnese. Dieser folgt die Lokalge-
schichte, und für die Erforschung der
letzteren findet sich ein Schema in jedem
Lehrbuch.
Nach der Anamnese folgt die eigent-
liche Magenuntersuchung, beginnend mit
der Inspektion, die besonders Kollege
Knapp zu hoher Vollendung ausgebil-
det hat.
Dann folgt die Palpation, um Schmerz
und Druckempfindlichkeit festzustellen.
Das Ende der Palpation bildet die Fest-
stellung, ob ein Plätschergeräusch vor-
handen, welcher Art es ist, und von wel-
II.
MAGEN DILATATION.
Derselbe Kranke. Durchleuchtung in glei-
cher Weise nach Anlegung des R o s e'schen
Verbandes.
Genaue Messung ergibt, dass der Magen ge-
hoben und die untere Grenze desselben 4 Zoll
höher ist, als ehe der Verband angelegt war.
Die untere Magengrenze findet sich jetzt ober-
halb des Nabels.
eher Bedeutung es in dem besondern Fall
sein kann.
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
191
Mittelst Perkussion des Magens lassen
sich die Ausdehnung- und die untere
Grenze des Organs erkennen.
Schliesslich kann der Perkussion noch
die Auskultation folgen, um die von
Meitzer entdeckten und beschriebe-
nen Geräusche zu bestimmen.
Nach der physikalischen Utersuchung
folgt die physikalisch-chemische Explo-
ration des Mageninhaltes.
Bei der Behandlung der Erkrankun-
gen des Digestionstraktes spielt selbst-
verständlich die Diät die erste Rolle ; bei
zwei Erkrankungen, der Hyperchlorhy-
dria und der Achylia gastrica ist man oft
einzig auf diätetische Behandlung ange-
wiesen, wie dies für die erstere I 1 1 o-
w a y und für die letztere Einhorn in
unübertrefflicher Weise angegeben ha-
ben. Die Abhandlung 1 1 1 o w a y's über
Hyperchlorhydria und ihre ausschliess-
liche Behandlung durch Diät gehört zu
den klassischen Schriften der medizini-
schen Literatur. Die Verdienste E i n-
horn's um die genaue Kenntnis und
rationelle ausschliesslich diätetische Be-
handlung sind jedem Arzt bekannt.
Der Grundsatz hat sich geltend ge-
macht, dass Ersatz des fehlenden Ma-
gensaftes durch künstlich zubereiteten
nicht das wissenschaftliche Heilmittel
ist. Physiko —diätetische Behandlung,
Rechnung mit dem Umstand, dass Ma-
gensaft abwesend und bei Achylia gas-
trica bleibend fehlt, die Berücksichtigung
der Nervenstörungen als Ursache bei
Hyperchlorhydria, dieses sind Massnah-
men, welche einen wesentlichen Fort-
schritt in der medizinischen Behandlung
der Magenkrankheiten bilden.
Die Tatsache, dass Hyperchlorhydria
von krankhaften Nervenzuständen ab-
hängt, ist durch die Experimente von
P a w 1 o w erwiesen. Die ganze Physio-
logie der Verdauung wird jetzt von den
Resultaten dieser Experimente be-
herrscht. Neu ist ebenfalls, wie schon
angedeutet, die Kenntnis von der Be-
ziehung mechanischer Zustände, Er-
schlaffung der Bauchmuskeln, Atonia
gastrica, zur Magensekretion.
In den Lehrbüchern der Anatomie
lesen wir sehr wenig über die Wirkung
der Bauchmuskeln, es wird uns da nicht
gesagt, dass sie die Bestimmung haben,
die Baucheingeweide in der physiologi-
schen Lage zu erhalten, auch nicht, dass
sie die abdominelle Innervation kontrol-
lieren, die Flüssigkeitsbewegung im
Bauch beherrschen, und zwrar nicht nur
die Flüssigkeitsbewegung in den Einge-
weiden, die Sekretionen, sondern auch
die Flüssigkeitsbewegung in den Gewe-
ben. Hierüber, d. h. über die Physiolo-
gie und Pathologie der Bauchmuskeln,
habe ich schon einen Vortrag vor dieser
Gesellschaft gehalten, auf den ich hin-
weisen möchte ; dort hob ich hervor, dass
die Erschlaffung der Bauchmuskeln zu
Gastroptosia führt, dass diese wiederum
die Ursache von Nervenstörungen, und
dass diese Nervenstörungen sich in gas-
trischen Sekretionsanomalieen manifes-
tieren. Wenn wir diese mechanische
Ursache der Magenaffektionen nicht be-
rücksichtigen, und vor allen Dingen
diese Ursachen beseitigen, so ist die Be-
handlung der Magenkrankheiten unwis-
senschaftlich.*)
Die Berliner Koryphäen unter dem
Spezialisten für Magenkrankheiten, wie
Ewald und Boas, haben sich bemüht,
uns zu erklären, was unter dem Namen
Atonie zu verstehen ist, auch viele An-
dere haben das Wesen der Atonie zu er-
klären versucht, und viele Umschreibun-
gen des Wortes aber keine Uebersetzung
desselben eingeführt. Wenn wir die
medizinischen Lehrbücher, die Artikel in
den medizinischen Zeitschriften von
heute durchlesen, so finden wir, dass
über Atonie viel wissenschaftlicher Un-
*) Dr. K e m p hat durch genaue Beobachtungen in
seiner Klinik im Manhattan State Hospital nachge-
wiesen, welchen Einfluss die Hebung der Atonia gas-
trica, d. h. die Stützung der erschlafften Bauchmus-
keln auf die in solchen Fällen vorliegenden Störungen
der Magensekretion hat. Von ihm vorgenommene
Durchlt uchtungen mittelst seines Circumscribing Gas-
trodiaphans und Benutzung von Fluoreszinlösung
haben gezeigt, wie Gastroptosis durch den Heftpflaster-
verband reguliert wird. Die Abbildungen die ich hier
vorzeige sind die eints herabgesunkenen und durch
den Verband gehobenen Magens. Hier ist die untere
Magengrenze um vier Zoll gehoben.
102
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
sinn, wie es Kant genannt haben
würde, geschrieben worden. Wer etwa
glaubt, dass dies Uebertreibung ist, möge
die Probe machen, einfach überall, wo
von Magen- und Darmatonie die Rede
ist, das Wort Erschlaffung setzen. Es
gibt Einige, von denen man, wie der
Lacedämonier von den Athenern, sa-
gen kann : sie wissen, was das Rich-
tige ist, aber sie tun es nicht. In einem
Buche findet sich folgende Kapitelüber-
schrift und folgender Kapitelanfang:
„Die Atonie und die Gastrectasia (letz-
teres Wort ist barbarisch), Magener-
schlaffung, Magenerweiterung. Die bei-
den Begriffe bezeichnen die Störungen
der Motilität des Magens. Es ist das
Verdienst von E w a 1 d und Boas,
diese Begriffe genau präzisiert zu haben ;
trotzdem walten in der Praxis noch viel-
fach unklare Vorstellungen von diesen
an und für sich einfachen Verhältnissen
ab" — richtiger wäre gewesen : Ewald,
Boas und Andere haben viel. Verwir-
rung geschaffen, weil sie nicht bei der
einzig richtigen Uebersetzung des Wor-
tes Atonie, Erschlaffung, geblieben sind.
Es ist gewiss am Platz, bei dieser Ge-
legenheit diese Tatsachen festzustellen,
denn eine rationelle Therapie der durch
Atonie herbeigeführten Magenstörungen
ist nicht denkbar, wenn man sich nicht
klar ist, was Atonie bedeutet.
Vor einer medizinischen Gesellschaft
bemerkte ich, dass Atonie und Dilatation
identisch seien ; ich hatte dabei im Auge,
dass eine erschlaffte Muskelfaser not-
wendigerweise auch eine verlängerte
Muskelfaser sein muss, aber einer un-
serer bekanntesten Kollegen, ein hoch-
angesehener Forscher, bestritt die Iden-
tität von Atonie und Dilatation, jeden-
falls weil er sich unter dem Namen Ato-
nie, wie dies Viele tun, motorische In-
suffizienz vorstellte.
Moderne Gastrotherapie ist bis zu ei-
nem gewissen Grade unwissenschaftlich,
weil man die Tatsache der Beziehungen
mechanischer Verhältnisse, der Atonia
gastrica, zu Sekretionsstörungen des Ma-
gens nicht anerkennen will.
Etwas besser verhalten sich die Dinge
in Bezug auf die Anerkennung des Zu-
sammenhangs zwischen Nervenstörun-
gen und Anomalien der gastrischen Se-
kretion.
P a w 1 o w hat in seinem Laborato-
rium eine Fabrik, natürlichen Magensaft
herzustellen. Auf einem langen Tische
stehen in Gestellen sechs grosse Hunde,
denen Magenfisteln angelegt und der
Oesophagus in der Mitte des Halses
durchschnitten ist. Die Hunde fressen
begierig aus einem Napf Fleischstücke,
die beständig aus dem Loch in der Spei-
seröhre in den Napf zurückfallen, um
von neuem den Turnus zu beginnen.
Aus der Magenfistel strömen dabei reich-
liche Mengen eines stark sauren, wasser-
klaren Magensaftes, von dem ein solcher
Hund im Laufe eines Vormittags drei-
viertel bis einen Liter und mehr liefert.
Der so gewonnene Magensaft wird spä-
ter durch Chamberlain-Filters getrieben
und kommt als „natürlicher Magensaft"
in den Handel. Wenn man bei einem
Hunde mit grosser Magenfistel und
durchschnittener Speiseröhre zunächst
mechanisch mit einem Glasstab, einem
Federkiel oder mit dem Finger die Ma-
genschleimhaut reizt, so erhält man
höchstens ein wenig alkalisch reagieren-
den Schleim, so stark man auch den Ma-
gen malträtieren mag. Mechanische
Rekung des Magens erregt keine Saft-
sekretion. Nach ungefähr 5 — 6 Minu-
ten, nachdem der Hund gefressen, be-
ginnt eine profuse Sekretion eines was-
serklaren 0,5 — 0,6% Salzsäure enthalten-
den Magensaftes. Aber es ist nicht ein-
mal nötig, den Hund das Fleisch kauen
zu lassen, bereits ein Vorhalten dessel-
ben oder das Zerschneiden von Fleisch-
sücken am Nebentisch genügt, um nach
der gleichen Zeit die Saftsekretion her-
beizuführen. P a w 1 o w nennt ihn
„psychischen Magensaft" oder „Appetit-
saft".
Es hat sich herausgestellt, dass sowohl
der gemischten Kost, als auch der Ein-
zeldarreichung von Fleisch, Brot, Milch
u. s. w. jedesmal eine spezifische Arbeit
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
193
der Magendrüsen entspricht. Je nach
der Art der Nahrung ist Menge, Fer-
mentgehalt und Dauer der Sekretion des
Magensaftes eine verschiedene. Fast
das gleiche Verhalten wird aber auch
schon bei der Scheinfütterung beobach-
tet, bei welcher die Substanzen also gar
nicht in den Magen kommen. Es waltet
hier also ein äusserst komplizierter Me-
chanismus, der eine nervöse Verbindung
zwischen den höheren Sinnesorganen
und dem Magen darstellen muss. Die
zentrifugale Leitungsbahn dieses Sy-
stems bildet der Nervus vagus, nach des-
sen Durchschneidung die zugeführte
Saftsekretion sistiert.
Einen besonders traurigen Eindruck
machen die Hunde, denen man beide
Nervi vagi durchschnitten und bei denen
nun der psychische Magensaft fehlt. Die
Hunde gehen bald zu Grunde, die Spei-
sen faulen ihnen im Magen ; es besteht
Achylia gastrica und Stagnation.
Moderne Gastrotherapie, soweit Ano-
malien der Magensekretion in Betracht
kommen, beruht auf Berücksichtigung
nervöser und mechanischer Zustände.
Dies ist selbstverständlich bei weitem
nicht alles, was ich über moderne Be-
handlungsmethoden zu sagen habe, aber
es scheint mir, dass das Angeführte die
am meisten charakteristischen Punkte
des Fortschrittes während dieses Jahr-
hunderts umfasst.
Zur vorzeitigen Ablösung der normal sitzenden Plazenta.
Von Dr. Alfred Herzfeld, New York.
II.
Der Vollständigkeit halber veröffent-
liche ich nachstehend die genaueren
Quellenangaben zu den sämmtlichen
von mir in meiner Arbeit*) zitierten und
benützten 250 Fällen:
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3i, P- 457-
235 — 238. Weiss. Archiv für Gyn., 1894, vol.
46, p. 256 (4 F.).
239. W oerz. Zentralblatt der Gyn., 1895, p.
581.
240 — 242. Winter. Zeitschrift für Geburts-
hilfe und Gyn., 1885 (3 F.).
243. Weathcrly. British Med. Jour., 1878,
p. 284.
244 — 245. Westphalen. Monatssch. für Ge-
burtshilfe und Gyn., 1895, No. 2, p. 210 (2 F.).
246. Welch., Phil. Med. Times, 1874, vol. 4,
P- 237.
247 — 249. Yarro's Americ. Jour. of Obst.,
vol. 822, 1905 (3 F.).
250. Eigener Fall.
Beitrag zur Alkoholanwendung bei der Pneumonie.*
Von Dr. med. Fock in Hamburg.
Die exakte Indikationsstellung für
die Verordnung von Alkohol leidet,
wie überhaupt die ganze Lehre von
der Alkoholwirkung, noch an mancher-
lei Unklarheit; die Anschauungen der
Aerztewelt in diesem Punkte befinden
sich in einer steten Umbildung, wie ein
kurzer Blick auf die Geschichte der
Alkoholtherapie lehrt. Zeigten die
Aerzte in den ersten Jahrzehnten des
verflossenen Jahrhunderts so wenig
Neigung, Alkohol zu verordnen, dass
am Rhein noch 1845 ein Arzt unter An-
klage gesetzt wurde, er habe durch
Verordnung von Wein bei einem Ty-
phuskranken dessen Tod herbeige-
führt, so kam später eine andere Zeit,
in der immer mehr, ja zuletzt in fast
enthusiastischer Weise Alkohol in
grossen und sehr grossen Mengen bei
*) Aus der Münchener medizinischen Wo-
chenschrift, No. 44, 1906.
akuten und chronischen Krankheiten
verordnet wurde, so dass, wie v.
J a k s c h sich ausdrückt, „Hunderte
von Menschen durch übermässige Dar-
reichung von Weingeist getötet wur-
den". Heute haben wohl die Meisten
diesen extremen Standpunkt wieder
verlassen, da diese Medikation nicht
den gehegten Erwartungen bezüglich
des Erfolges entsprach, und in vorsich-
tiger und kritischer Weise sucht man
tatsächliche Unterlagen für das Ver-
halten am Krankenbette zu gewinnen.
Von einer einheitlichen Meinung kann
aber noch keine Rede sein.
In dem Wunsche, ein klein wenig
zur Klärung beizutragen, und zwar
speziell zunächst einmal festzustellen,
welche Ansichten die hervorragendsten
Aerzte z. Z. hegen, wandte ich mich
mit einem Fragebogen betreffs Alko-
holanwendung bei der Pneumonie an
eine grosse Zahl von Professoren, in
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
erster Linie die inneren Kliniker und
andere Aerzte in Deutschland, Oester-
reich, Schweiz, Dänemark, Schweden
und England, und es haben so viele
der befragten Herren die Güte gehabt,
den Fragebogen ausgefüllt zurückzu-
senden, teilweise mit ganz ausführli-
chen Berichten, dass der Zweck, ein
wohl einigermassen zutreffendes Bild
der heute geltenden Ansichten zu er-
langen, erreicht werden konnte ; ich
gebe mich der bescheidenen Hoffnung
hin, dass die Vergleichung der recht
verschiedenen Meinungen mancherlei
Anregung zu weiteren Beobachtungen
geben wird. Es wurde gerade die
Pneumonie gewählt, weil sie mit ihrem
typischen, im Vergleiche zu andern
Krankheiten relativ einfachen Bilde am
ehesten geeignet sein dürfte, die Wir-
kung des Alkohols hervortreten zu las-
sen und zur Herausarbeitung einer
richtigen Indikationsstellung mitzu-
helfen.
Die erste Frage lautete: Wird Al-
kohol verordnet in jedem Falle von
Pneumonie oder nur in besonderen
Fällen? Nur einzelne wenige Beob-
achter geben jedem Pneumoniker Al-
kohol ; in einer Antwort heisst es, dass
in der betreffenden süddeutschen Kli-
nik jeder Patient täglich }4 Liter leich-
ten Landwein erhalte und so eben
auch der Pneumoniker. Das Gegen
teil davon bilden eine Anzahl Antwor-
ten, die in keinem Falle Alkohol geben,
teils weil sie ihn für entbehrlich, teils
weil sie ihn für direkt schädlich halten.
Die weit überwiegende Mehrheit geht
den Mittelweg und will nur in beson-
deren Fällen Alkohol gegeben wissen ;
einige Male heisst es: „Die Mehrzahl
der Pneumoniker erhält Alkohol", viel
häufiger aber: „Die meisten Patienten
erhalten keinen Alkohol". Gründe für
Darreichung von Alkohol sind : Allge-
meine Schwäche (am häufigsten er-
wähnt), Kollaps, hohes Fieber, man-
gelnde Nahrungsaufnahme, Alters-
pneumonie, Gewöhnung an täglichen
Alkoholgenuss, umgekehrt auch Nicht-
gewöhnung. Doch davon nachher Ge-
naueres.
Die zweite Frage : In welcher Form
und in welcher Menge wird Alkohol
gegeben? wird wie folgt beantwortet:
Champagner, Portwein, Tokayer, Ma-
laga, Sherry, Kognak, Rum, Rotwein,
Weisswein, Schnaps, Tee mit Rum
und Kognak, und in vielen Fällen Mix-
turen nach folgenden Rezepten : Rp.
Kognak, 25 — 50,0 Vitell. ovi unius, Sir.
simpl. 20,0, Aqu. dest. ad 150,0
(Stokes' Mixtur) oder Rp. Extract.
cortic. aurant. 0,5, Sir. simpl! 30,0,
Spirit. 20,0, Aqu. dest. ad 200,0 oder
Rp. Decoct. cort. chinae 15,0: 120 0
Cognac, Sir. aurant. cortic. ana 30,0.
Die Vorschriften über die Mengen pro
dosi und pro die schwanken natürlich
auch in diesen selbstverständlich ganz
allgemein gehaltenen Angaben sehr.
Wir finden : Art des alkoholischen Ge-
tränkes nach Geschmack oder Gewohn-
heit des Patienten ; Art und Menge
nach Geschmack und Gewohnheit des
Patienten ; mindestens die gewohnte
tägliche Menge ; bei Deliranten
Schnaps; „soviel als möglich"; „ad
libitum" ; die beiden letzten Massbe-
stimmungen nur je 1 mal ; mehrfach
wird ausdrücklich betont: nie ad libi-
tum, und meistens sind genauere Men-
gen angegeben : von den Mixturen
2 stündlich 1 Esslöffel voll, Cham-
pagner pro dosi 1 Glas, pro die y2 — 1
Flasche ; Portwein und Tokaver A — 6
mal 1 Esslöffel, % bis }i Flasche ; ein-
mal heisst es : Tokayer oder Malaga,
denn Portwein ist ja stets verfälscht ;
Sherry 2 — 3 kleine Gläser pro die,
Kognak und Rum mehrfach täglich 1
Teelöffel bis Esslöffel voll, pro die 40
— 50 g Kognak, 50,0 Kognak oder Rum
mit Tee ; 1 — 3 Glas Grog von Kognak,
%. Liter Grog; 1 Ei mit Zucker und
Kognak; Schnaps pro dosi 10 — 15 ccm,
150—300,0 pro die; Rot- und Weiss-
wein 2 stündlich 1 Esslöffel, — 2
Flaschen in 24 Stunden. Manche Au-
toren betonen, dass sie nur bis an die
unterste Grenze gehen, andere, dass
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
199
man gern über die obere Grenze hin-
ausgehen könne.
Die nächste Frage : „Erfordert die
Pneumonie bei Potatoren Alkoholdar-
reichung?", förderte wieder Ansichten
aller Schattierungen zutage. Die Ma-
jorität erklärt es für notwendig, jedem
an Lungenentzündung erkrankten
Trinker Alkohol zu geben ; eine starke
Minorität ist wieder der Ansicht, dass,
wie ja überhaupt dem in ärztliche Be-
handlung gelangenden Potator jetzt
wohl überall der Alkohol sofort gänz-
lich entzogen wird, dies auch dann zu
geschehen habe, wenn er an Pneumo-
nie erkrankt sei. Die in der Mitte
Stehenden führen an, dass nur bei
Herzschwäche und drohendem Kollaps
Alkohol notwendig sei (so A u f-
recht, d'E p i n e, Ewald, Gra-
w i t z, Schulze, P ä s s 1 e r) oder
dass Inanition (St ick er) oder das
Zusammentreffen von Delirium und
Pneumonie (D e n e k e) ihn nötig er-
scheinen lasse.
Am interessantesten und wichtig-
sten sind die beiden folgenden Fragen
mit ihren Antworten : „Welche Wir-
kung wird vom Alkohol erwartet ?"
und „Inwieweit erfüllt er diese Er-
wartung?", denn die prinzipielle Auf-
fassung von der Art, wie der Alkohol
in die Lebensvorgänge des Organis-
mus eingreift, findet hier ihren Aus-
druck. Und auch hier wieder ein wei-
tes Auseinandergehen der Ansichten.
Wenn wir zunächst die weniger häufig
genannten Indikationen betrachten, so
sehen wir da : Er wird gegeben, weil
.er allgemein beruhigend wirkt (D e-
n e k e, Penzoldt, S t i c k e r) , weil
er als Narkotikum bei Nichtgewöhnten
den Husten lindert (G r a m-Kopenha-
gen), weil er direkt antitoxisch wirkt
(Litt mann), weil er ein Genuss-
und Anregungsmittel ist (F 1 e i n e r),
weil er diaphoretisch und diuretisch
wirkt (G r i s s o n), weil er den Absti-
nenzerscheinungen und dem Delirium
vorbeugt, weil er subjektiv die Atem-
beschwerden lindert ; einige Male wird
eine nährende Wirkung angegeben.
Die allermeisten jedoch verordnen ihn,
weil sie eine Beeinflussung von Herz-
und Vasomotoren erwarten ; leider
sind die Antworten in diesem Punkte
in der Regel nur ganz kurz, so dass
nicht daraus hervorgeht, in welcher
Art die „Beeinflussung" oder „Anreg-
ung" oder „Kräftigung des Herzmus-
kels und der Vasomotoren" gedacht
ist. Gelegentlich heisst es: Es wird
eine Gefässerweiterung, besonders in
den unteren Extremitäten erzielt, oder:
Eine allgemeine Gefässerweiterung,
die eine momentane Entlastung des
Herzens bedeutet und zusammen mit
Digitaliswirkung vorteilhaft wirkt.
Wer den Alkohol als Exzitans be-
trachtet, der wird dann jedenfalls nur
gelegentlich, in besonderen Fällen und
für ganz kurze Zeit ihn verordnen,
denn Exzitation bedeutet nur temporär
gesteigerte Arbeitsleistung, aber kei-
neswegs eine Stärkung, eine Steiger-
ung der Leistungsfähigkeit. Wer die
Ansicht hegt, der Alkohol stärke den
Herzmuskel selbst oder die Herzner-
ven oder die Vasomotoren, der wird
ihn ausgiebiger verwenden. Leider
haben aber die bisherigen Forschun-
gen keinen sicheren Anhalt für die
Richtigkeit der einen oder der anderen
Ansicht ergeben. Erb sagt einmal:
„Ich habe mir die Frage vorgelegt, ob
nicht ein Teil dessen, was wir bei
Schwerkranken sehen, die wir mit Al-
kohol behandeln, eine Folge sehr gros-
ser Alkoholdosen sein könnte, ob nicht
ein Teil des Kollapses auf diesen Alko-
holgenuss zu schieben wäre" ; und
Rosenfeld sagt in seinem Buche:
„Der Einfluss des Alkohols auf den
Organismus," Seite 164: „Wenn wir
unter Analeptikum ein Mittel ver-
stehen wollen, welches die Zirkulation
verbessert, so können wir vom Alkohol
nur sagen, dass von ihm eine derartige
Wirkung im mindesten nicht erwiesen
sei ; denn weder steigt die Pulszahl
noch der Blutdruck durch selbst grös-
sere Dosen von Alkohol in nennens-
200
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
werten Grössen. Auch ist nach den
Versuchen von K o b e r t, wie nach
Pässler, der Spiritus kein Mittel,
um die kleinen Gefässe zu verengern.
Soweit wir also im stände sind, objek-
tiv die Lage der Blutbewegung im le-
benden Menschen zu beurteilen — es
fehlt uns freilich noch das meiste, um
es wirklich zu können — , zeigt sich der
Alkohol nicht als Exzitans für die Zir-
kulation.
Die Indikationen, denen der Alkohol
zu genügen hätte, sind zweifacher Art.
Einerseits soll er die vis a tergo, die
Tätigkeit des Herzens verbessern, an-
dererseits für den Tonus der kleinen
Gefässe sorgen. Die Störung der Zir-
kulation in den Infektionskrankheiten
kann auf beide Momente zurückge-
führt werden : entweder ist die Leis-
tung des Herzens insuffizient, wie bei
nachweisbaren und nicht nachweisba-
ren Krankheiten des Endo-, Myo- und
Perikardiums, oder die Innervation der
kleinen Gefässe leidet unter der Beein-
trächtigung des Vasomotorenzen-
trums, wie bei den Allgemeininfektio
nen — Sepsis, Pneumokokkensepsis
(Romberg, P ä s s 1 e r). In beiden
Richtungen hat sich der Alkohol als
leistungsunfähig erwiesen. Vorläufig
müssen wir es als nicht erwiesen be-
trachten, dass der Alkohol ein Exzi-
tans sei.
v. Jürgensen sagt in seinem
Lehrbuche : „Für den Gebrauch des
Weines gilt im allgemeinen das gleiche
wie bei dem Typhoid. Man wird bei
Alten und Schwachen gut tun, von
Anfang an die stärksten Sorten in
nicht zu kleinen Mengen zu reichen ;
so wird die Herzschwäche sicherer
verhütet. . . .Dazu ist zu bemer-
ken, dass der Wein die Herzschwäche
verhindert und dass die stärksten
Spirituosen, Kognak, Rum u. s. w. mit
heissem Tee- oder Kaffeeaufguss zu-
sammen selbst bei dem Schnapssäufer
noch sehr wirksame Erreger für das
Herz sind. . . ." Und an der an-
gezogenen Stelle beim Typhus will v.
Jürgensen den Alkohol gegeben
wissen: „1. Vor und nach jedem Bade,
damit das Herz, die von ihm vorüber-
gehend verlangte grössere Kraftsleist-
ung liefern kann ; 2. als Sparmittel ;
3. um durch den Wein teilweise den
Wasserverlust des Körpers zu erset-
zen."
v. S t rü m p e 1 1 : „Unzweifelhaft
notwendig ist reichliche Zufuhr von
Alkohol bei Potatoren, zumal bei be-
ginnendem oder bereits ausgesproche-
nem Patienten kleine Mengen Wein
exzitierend und anregend wirken kön-
nen, mag richtig sein, obgleich wir uns
von dem oft gerühmten Einfluss auf
die Herztätigkeit nie recht überzeugen
konnten. Grössere Mengen . . .
halten wir nicht für gerechtfertigt."
Die nächste Frage lautete : „Würde
sich die erwartete Wirkung auch
durch andere therapeutische Massnah
inen erzielen lassen?" Aus den Ant-
worten seien folgende hervorgehoben :
Gewiss! — Unbedingt! — Gewiss, aber
da ich nie einen Schaden sah, so habe
ich keinen Grund gehabt, den Alkohol
zu untersagen, trotzdem für die An-
stalt ein grosser pekuniärer Vorteil
vorhanden wäre. — Andere Mittel sind
nicht so bequem in der Anwendung. —
Oft sind andere Mittel neben Alkohol
nötig. — Es werden stets andere Mit-
tel mit herangezogen, die dem Patien-
ten nützen können. — Alkohol wird
erst herangezogen, wenn die anderen
Mittel versagen. — Wenn Alkohol
nicht mehr genügt, werden andere
Mittel angewendet. — In späten Nacht-
stunden wird Kaffee und Thee gege-
ben, Alkohol erst wieder von 11 Uhr
vormittags ab. — Kein Mittel hebt die
Herzkraft so schnell, wie Alkohol. —
Andere Herztonika, wie Kampher,
Digitalis, Koffein, Tee, Aderlass und
Hydrotherapie können den Alkohol
ganz oder teilweise ersetzen oder müs-
sen neben ihm angewendet werden. —
Aderlässe, die in der Behandlung der
Lungenentzündung in früheren Zeiten
eine so grosse Rolle spielten und in
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
201
England scheinbar auch heute noch
viel mehr angewendet werden als bei
uns, wurden nur dies eine Mal ge-
nannt.
Eine besondere Erwähnung verdie-
nen wohl die Berichte des seit 1873 be-
stehenden London Temperance Hos-
pital, welches seit einer Reihe von
Jahren die besten Genesungsziffern
von allen Londoner Krankenhäusern
hat. Das Hospital nimmt wahllos Al-
koholabstinente und Nichtabstinente
auf; die Aerzte sind gehalten, je-
den Fall von Alkoholverordnung mit
allen Einzelheiten, Art, Dosierung und
Dauer der Alkoholanwendung in ein
besonders für diesen Zweck angeleg-
tes Buch zu schreiben. Die Jahresbe-
richte liefern nun folgende Zahlen :
1901 : 1299 klinische, 12,846 polikli-
nische Patienten ; bei 63 Pneumoni-
kern 1 mal Anwendung von Alkohol.
1902: 1471 klinische, 15,349 polikli-
nische Patienten ; im ganzen in 5 Fäl-
len Alkohol ; 98 Pneumonien, bei die-
sen 2 mal Alkohol.
1903: 1376 klinische, 14,524 poli-
klinische Patienten ; im ganzen 9 mal
Alkohol ; 60 Pneumonien mit 4 mal
Alkohol.
1904: 1337 klinische, 15,621 poli-
klinische Patienten ; im ganzen 6 mal
Alkohol ; 76 Pneumonien mit 4 mal
Alkohol.
Nebenbei bemerkt : Die Kosten für
Alkohol dürften in keinem Jahre die
Summe von 10 M. überschreiten ; in
den meisten deutschen Kranken-
häusern sind sie recht erheblich ; im
Allgemeinen Krankenhaus in Wien
betrugen sie 1897 : 50,000 Kronen (etwa
43,000 Mk.), 1902 nur noch die Hälfte;
in den Hamburgischen Staatskranken-
häusern 1905: 124,000 M.
Systematische Vergleiche sind von
den Beantwortern der Fragebogen
nicht angestellt worden. Es berichtet
Dr. Hay (Lancet 1904, S. 1672) über
solche Vergleiche, die eine um 15 Proz.
geringere Sterblichkeit bei den alko-
holfrei Behandelten ergab, und
S m i t h, der von 54 Pneumonien im-
mer eine mit, die nächste ohne Alkohol
behandelte, sah, dass im Verlauf kein
Unterschied hervortrat : nur war die
Rekonvaleszenz der alkoholfrei Behan-
delten leichter und schneller. Sehr
viele der Aerzte, welche stets alkohol-
frei behandeln, behaupten ebenfalls,
dass die Rekovaleszenz viel schneller
verlaufe, wenn der Kranke gar keinen
Alkohol erhalten habe, doch beruht
dies Urteil meistens mehr auf allge-
meinen subjektiven Eindrücken als auf
systematischen Vergleichen, die z. B.
darauf Bezug nehmen könnten, wie
lange Zeit die Kassenpatienten im gan-
zen erwerbsunfähig sind. Heute kön-
nen wir nur sagen : Man sieht, dass
sehr viele Patienten von einer Pneu-
monie genesen, wenn sie während der
Krankheit oder der Rekonvaleszenz
oder während beider Alkohol erhalten
haben und man sieht ebenso sehr viele
genesen, die keinerlei Alkohol erhalten
haben. Der Alkohol ist also sicher im
allgemeinen überflüssig. Es bleiben
aber die beiden extremen Ansichten ;
die einen : der Alkohol ist nicht bloss
überflüssig, sondern direkt nachteilig,
die anderen : wenn er auch nicht unbe-
dingt notwending ist, so ist es doch
besser, ihn anzuwenden. Den Streit
dieser beiden Ansichten sicher ent-
scheiden können wir heute noch nicht ;
dazu bedarf es einer grossen vergleich-
enden statistischen Untersuchung und
es läge da für grosse Krankenhäuser
ein dankbares Gebiet, die Lösung der
Frace erheblich zu fördern. Wenn in
strenger Regelmässigkeit abwechselnd
der eine Fall mit Alkohol, der andere
ohne Alkohol behandelt würde — na-
türlich Ausnahmen zugelassen, sowie
das Wohl des Patienten durch die eine
oder andere Massregel irgendwie ge-
fährdet erscheinen könnte — , so müsste
allmählich eine Statistik erwachsen,
die durch das Gesetz der grossen Zah-
len Beweiskraft erhielte ; Unter-
schiede, die verursacht werden durch
die verschiedene Virulenz der jeweili-
202
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
gen Krankheitserreger — vergl. den
Wechsel, der sich in dieser Weise in
Tübingen vollzogen hat ; Dissertation
von Werfer, Tübingen 1904 — ,
durch die Verschiedenheit der Konsti-
tution, die verschiedene Gewöhnung
an Alkohol u. s. w., würden bei einer
Statistik, die über Tausende von ge-
nau beobachteten Fällen verfügte, kei-
nen Einfluss mehr auf die Zuverlässig-
keit des Ergebnisses ausüben. Bei ei-
nem Mittel aber, welches vielseitige
Verwendung findet, wie der Alkohol,
sollte unsere Wissenschaft eilen, die
gänzlich auseinandergehenden Mein-
ungen zu klären.
Zum Schlüsse ist es mir eine ange-
nehme Pflicht, allen den Herren, die
mich durch Ausfüllen der Fragebogen
bei dieser Arbeit unterstützt haben,
auch an dieser Stelle meinen verbind-
lichsten Dank auszusprechen!
Pyrenol in der Therapie der Respirationsorgane.*
Von Dr. med. P. Schuette, Magdeburg.
Das Pyrenol, welches etwa seit vier
Jahren in den Arzneischatz der modernen
Heilkunde aufgenommen worden ist,
sollte wegen seiner Vielseitigkeit an
wirksamen Eigenschaften jedem Arzt
bekannt sein. Es gibt wohl kaum ein
Mittel, welches neben einer Mannigfal-
tigkeit und Promptheit seiner Wirkungs-
weise zugleich den Vorzug des Fehlens
jeder schädlichen und gefahrbringenden
Nebeneigenschaften in so ausgesproche-
nem Grade besitzt, wie man dies von
„Pyrenol" behaupten kann. Seine Vor-
züge werden uns voll und ganz verständ-
lich, wenn wir die Zusammensetzung des
Präparates kennen.
Das „Pyrenol" wird chemisch darge-
stellt durch Einwirkung von Benzoe-
säurethymylester auf Benzoyl-Oxyben-
zoesäure und Neutralisation durch Na-
trium, und entspricht folgender Formel :
C6 H5
-O. C6 H5 C. O.
C. O. O. Na.
'C. H3
C3 H7
O. CÄ PL C. O.
Das „Pvrenol" bildet ein weisses kry-
stallinisches, etwas hygroskopisches Pul-
ver von aromatischem Geruch und mild-
süsslichem Geschmack. Es löst sich in
*) Aus „Deutsche med. Presse," 1907,
No. 19.
etwa 5 Teilen Wasser und 10 Teilen Al-
kohol. Die wässrigen Lösungen sind et-
was getrübt infolge des Gehaltes an em-
pyreumatichen Stoffen der Benzoesäure.
Das „Pyrenol" ist nicht nur ein ausge-
zeichnetes Expektorans und Sedativum,
sondern hat auch milde anti febrile und
antirheumatische Eigenschaften. Gegen-
über den Salizyl- und Salizylersatzpräpa-
raten hat es den Vorzug, dass es anre-
gend und kräftigend auf die Herztätig-
keit einwirkt, während man bei den Sali-
zyl- und verwandten Präparaten vielfach
kollabierende Wirkungen beobachtete.
Die unangenehmen Nebeneigenschaften
so vieler anderer ähnlicher Ingredienzien,
wie z. B. der schlechte Geschmack, die
appetitherabsetzenden Einflüsse, die
Reizung der Nieren und das Hervor-
rufen von gewissen nervösen Störungen,
Ohrensausen, u. s. w. kommen beim
„Pyrenol" vollständig in Fortfall. Das
Präparat ist leicht zu nehmen und kann
jedem Geschmack angepasst werden.
Das „Pyrenol" kann in Tablettenform
und in Lösungen verabreicht werden. Bei
Erwachsenen wendet man am zweckmäs-
sigsten die Tablettenform an, wo dies
nicht angängig ist, wie bei Kindern und
durch hohes Fieber Benommenen, hält
man sich besser an die Lösungen, die
man in 2 bis 5 prozentiger Stärke gibt.
Der nicht unangenehme aromatische Ge-
New Yorker Medizini
sche Monatsschrift.
203
schmack kann, je nach Wunsch und Be-
dürfnis, durch Syrup, Pfeffermünze,
Himbeersaft, Milch, Kaffee, Selterwas-
ser u. s. w. korrigiert, werden.
Ich selbst habe das „Pyrenol" in einer
Reihe von Fällen angewendet, in denen
es sich vornehmlich um Erkrankungen
der Respirationsorgane handelte, und
habe dabei die Erfahrungen gemacht,
dass dasselbe nicht nur ein hervorragen-
des Spezifikum gerade für derartige
Fälle darstellt, sondern dass es auch die
Hebung des Allgemeinzustandes in so-
fern befördern hilft, als es appetitanre-
gend wirkt, den Stoffwechsel hebt und
die Herztätigkeit in günstiger Weise be-
einflusst. Bei mit Fieber einhergehenden
Erkrankungen der Atmungsorgane wie
z. B. bei Pneumonien, Pleuritiden,
u. s. w. hat es zugleich einen hervorra-
genden antifebrilen Wert. Ich habe die
Beobachtung gemacht, dass bei Tempera-
turen von 40° C. dieselbe im Verlauf von
einer Stunde nach Einnahme des „Pyre-
nols" um 1 bis \l/2° C. zurückging und
nach ca. 3 Stunden nach dem Gebrauch
des Mittels wieder zu steigen begann.
Die heftigen, stechenden Schmerzen in
der affizierten Brustseite, mit denen die
Pneumonien und Pleuritiden einherzu-
gehen pflegen, erfuhren durch die fort-
gesetzte Darreichung des Pyrenols eben-
falls eine wesentliche Milderung, wo-
durch sich das Präparat, abgesehen von
den hustenstillenden und später im Sta-
dium der Lysis sich so wunderbar be-
währenden expektorierenden Wirkungen,
auch als unfehlbares Sedativum zeigte.
Bei der Behandlung des Asthmas, so-
wohl der bronchialen als auch der ner-
vösen Form, leistete es hervorragende
Dienste. Beim Bronchialasthma machten
sich zunächst die expektorierenden Ei-
genschaften des „Pyrenols" in äusserst
günstiger Weise bemerkbar, indem eine
leichte und reizlose Lösung ermöglicht
wurde. Die pfeifenden und schnurren-
den Geräusche, die meist den dvspnoei-
schen Anfällen vorauszugehen pflegen,
traten immer mehr in den Hintergrund,
der trockene Husten verschwand und
asthmatische Anfälle zeigten sich wäh-
rend der Zeit des Gebrauchs des „Pyre-
nols" nur äusserst selten oder gar nicht
mehr.
Bei der Behandlung des nervösen
Asthmas mit „Pyrenol" traten mehr die
sedativen Eigenschaften des Mittels in
den Vordergrund, indem die auf nervöse
Einflüsse zurückzuführenden krampfhaf-
ten Kontraktionen der Muskulatur der
feineren Bronchien und Lungenbläschen,
die doch den Charakter des nervösen
Asthmas bilden, anfänglich in wesentlich
milderer Form auftraten und schliesslich
ganz nachliessen.
Die akuten Larynx- und Bronchialka-
tarrhe verliefen unter der Anwendung
des „Pyrenols" bei weitem rascher und
günstiger, als ich dies bisher beim Ge-
brauch anderer innerlicher Mittel beob-
achtet hatte. Hier erwies sich wieder die
Vielseitigkeit des Präparates, die dasselbe
vor allen anderen für solche Fälle in Be-
tracht kommenden Präparate voraus hat,
als einzig dastehend, indem die expek-
torierenden Wirkungen durch die sedati-
ven und antifebrilen Eigenschaften des
Mittels in einer Weise ergänzt wurden,
wie man es auf einem anderen Wege zu
erzielen kaum im stände ist. Das wunde,
schmerzhafte Gefühl im Halse, sowie
hinter dem Brustbein, das von dem Kran-
ken ungemein lästig empfunden wird, der
ewig quälende Reiz zum Husten und die
oft krampfartigen Exazerbationen, in die
dieselbe ausartet, zeigten sich in wesent-
lich milderer und erträglicher Form, so
dass die Kranken verhältnismässig leicht
und schnell darüber hinwegkamen. Be-
sonders machten sich die sedativen Wir-
kungen während der Nacht vorteilhaft
bemerkbar, insofern als sie den Kranken
einen ungestörten, durch Hustenanfälle,
Stick- und Beklemmungserscheinungen
in keiner Weise unterbrochenen Schlaf
angedeihen Hessen.
Bei den chronischen Bronchialkatar-
rhen, mit denen ja auch meist ein chroni-
scher Kehlkopfkatarrh verbunden ist,
selbst in veralteten Fällen, die bereits in
Emphysem ausgeartet sind, erwies sich
204
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
das „Pyrenol" als ein Erleichterungs-
und Linderungsmittel, welches wie kein
zweites sich bewährte.
Bei Keuchhusten hatte ich nur in ei-
nem Falle Gelegenheit, das Mittel zu er-
proben, und muss behaupten, dass dieser
eine Fall mir genügte, um das, was meine
Vorgänger Rühmenswertes von der spe-
zifischen Wirksamkeit des „Pyrenols" bei
Pertussis feststellten, voll und ganz be-
stätigen zu können.
Ich wandte das „Pyrenol" in Tablet-
tenform und in Lösungen an. Von Ta-
bletten, deren jede 0,5 g des Mittels ent-
hält, Hess ich Erwachsenen, je nach Be-
darf und dem Charakter des einzelnen
Falles entsprechend, 3 bis 4 mal täglich
1 bis 3 Tabletten reichen, bei Kindern
dem Alter entsprechend l/\ bis 1 Tablette
3 bis 4 mal täglich. Bei kleinen Kindern
wurde das Fragment der Tablette zerrie-
ben und in Zuckerwasser, Milch, Fenchel-
tee oder Alteesyrup vermischt gegeben,
was die Kleinen sehr gern nahmen.
Lösungen verordnete ich in 4 bis 5 pro-
zentiger Stärke bei Erwachsenen, etwa in
der Form :
Rp. Pyrenol 8—10,0
Tinctr. Aurant 5,0
Aqu. destill 200,0
D. S. 2 bis 3 stündlich 1 Esslöffel.
Bei Kindern :
Rp. Pyrenol 2—3—4,0
Aqu. destill 100,0
Syrup. Alth 20,0
oder Rub. id.
D. S. 2 bis 3 stündlich y2 bis 1 Teelöffel,
je nach dem Alter.
Die einzelnen Fälle, in denen ich „Py-
renol" anwandte, werden durch nach-
stehende Krankengeschichten illustriert.
Fall 1 : Der Handlungsgehilfe Willi
M. in M., 20 J. alt, erkrankte an kroupö-
ser Pneumonie, die mit Schüttelfrost und
sehr hohem Fieber (40° C.) einsetzte.
Ich verordnete neben der erforderlichen
Bettruhe fortgesetzte kalte Kompressen
auf die erkrankte Brustseite und gleich
von Anfang an „Pyrenol" in 5 prozenti-
ger Lösung 2 stündlich 1 Esslöffel.
Schon eine Stunde nach Beginn der
Pyrenoldarreichung war das Fieber auf
39° herabgesunken und im Verlauf der
nächsten Stunde auf 38,4° C. und be-
wegte sich bei fortgesetztem (lebrauch
des Mittels bis zum Eintritt der Krisis
stets in der Höhe von 38,3° bis 39° C.
Unter Schmerzen und Hustenreiz hatte
der Kranke verhältnismässig wenig zu
leiden, da die sedativen Eigenschaften
des „Pyrenols" ihre mildernden Wirkun-
gen nicht verfehlten. Der Kranke be-
fand sich meist in einem angenehmen
ruhigen Sopor, der von Fieberphantasien,
selbst des Nachts kaum unterbrochen
wurde. Nach Eintritt der Krisis, die
etwa nach 9 Tagen erfolgte, erklärte der
Kranke, dass er von seiner Krankheit
kaum etwas wahrgenommen hätte. Im
weiteren Verlauf ging die Expektoration
leicht und ohne Beschwerden vor sich,
und nach 3 Wochen seit Beginn der
Krankheit war der Patient vollständig
wieder hergestellt.
In einigen anderen Fällen von Pneu-
monie, z. B. bei einem jungen Mädchen
von 16 Jahre, Frl. R. in M., bewährte
sich das „Pyrenol" in gleich günstiger
Weise sowohl als antifebriles, als auch
als sedatives und expektorierendes In-
gredient. Es würde zu weit führen, die
einzelnen Fälle zu detaillieren, da der
Verlauf derselben im allgemeinen der
gleiche war.
Fall 3 : Herr Buchhalter Sch. aus O.,
34 J. alt, kam wegen Asthmas in meine
Behandlung. Ich stellte einen chroni-
schen Larynx-Katarrh und Bronchial-
Katarrh mit beginnendem Emphysem
fest. Es handelte sich besonders um die
feineren Bronchien, in denen der Katarrh
sich festgesetzt hatte. Das Herz war ge-
sund. Patient wurde täglich mehrmals
durch asthmatische Anfälle belästigt, die
während der Nacht mit besonderer Hart-
näckigkeit auftraten und einen gesunden
und ruhigen Schlaf nur selten zuliessen.
Den Kehlkopf behandelte ich örtlich mit
5 prozentiger Argentnit. -Lösung und
gab innerlich „Pyrenol" in Tabletten-
form, 3 mal täglich 2 Tabletten. Schon
in der nächsten Nacht nach Beginn des
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
205
Pyrenolgebrauchs trat das Asthma mit
geringerer Heftigkeit und nur in kurzem
Anfall auf, der mit einer erleichternden
und ausgiebigen Expektoration endete.
Während der folgenden Tage zeigten
sich nur noch hin und wieder einige
leichte Ansätze von dyspnoeischen Er-
scheinungen, um sie dann für immer zu
verlieren. Der früher quälende Husten
war verschwunden, da die Expektoration
glatt und unbeschwerlich vor sich ging,
und Patient erholte sich sichtlich, da mit
einem gesunden Schlaf und der Aussicht
auf Genesung auch das seelische Gleich-
gewicht wiederkehrte. Eine kräftige,
diätvolle Ernährung tat noch ihr weiteres,
um den heruntergekommenen Kräftezu-
stand noch vollends zu heben. Patient
fühlt sich heute als gesunder Mensch und
wird von Asthma nicht mehr gequält.
Das „Pyrenol" braucht er regelmässig
weiter, 3 mal täglich 1 Tablette und fühlt
sich sehr wohl dabei, während er früher
vielfach Jodkali regelmässig anwandte,
was ihm nur wenig genützt hat und oben-
drein noch schädliche Nebenwirkungen
verursachte.
Fall 4: Steinbrucharbeiter O. aus N.,
32 J. alt, litt an Bronchialasthma und
wurde des Nachts häufig von Erstick-
ungsanfällen heimgesucht. Bei der Un-
tersuchung konstatierte ich neben dem
bronchialen Grundleiden zugleich einen
chronischen Kehlkopfkatarrh mit Granu-
lationen an den Stimmbändern. Die letz-
teren wurden abgetragen und der Kehl-
kopf jeden zweiten bis dritten Tag mit
10 prozentiger Argentumnitrikumlösung
touchiert. Innerlich bekam der Patient
Pyrenoltabletten 3 mal täglich 2 Stück.
Der Kranke hatte schon nach einigen Do-
sent des Mittels wesentliche Erleichter-
ung, indem der trockene Husten nach-
liess und die Expektoration leicht und
beschwerdelos von statten ging. Die
Asthmaanfälle schwächten sich ab und
verloren sich nach einigen Tagen ganz,
so dass der Kranke einen ungestörten
Schlaf hatte. Nach den letzten Berichten
des Kranken fühlt sich derselbe unter
dem fortgesetzten Gebrauch des „Pyre-
nols" sehr wohl und hat von asthmati-
schen Beschwerden nichts wieder ge-
spürt.
Fall 5 : Schuhmacher Jul. M. in M., 54
J. alt, war Emphysematiker und hatte
unter quälendem Husten, Trockenheit im
Halse und dyspnoeischen Erscheinungen
viel zu leiden. Patient war früher immer
mit Jodkali behandelt worden, aber ohne
wesentlichen Erfolg. Ich wandte nun
„Pyrenol" an und gab 3 mal täglich 2
Tabletten. Der Erfolg war geradezu ein
überraschender. Der Husten wurde ge-
ringer und verlor unter einer erleichtern-
den. Expektoration seinen trockenen,
quälenden Charakter, die Atmung wurde
leichter und freier und die dyspnoei-
schen Beschwerden Hessen wesentlich
nach. Patient braucht das Mittel fortge-
setzt weiter und führt jetzt ein erträgli-
ches Dasein, ohne dass ihm der Weiter-
gebrauch des Mittels irgendwelche Ne-
benbeschwerden verursacht.
Fall 6: Frau Anna B., Bahnbeamten-
gattin in H., 37 J. alt, litt an chron.
Kehlkopf- und Lungenkatarrh und wurde
durch wundes, trockenes Gefühl im Halse
und fast anhaltenden Husten Tag und
Nacht gequält. Patientin war schon von
anderer Seite mit allen möglichen Ex-
pektorantien, Kreosot, Morphium u. s. w.
behandelt worden, aber leider mit wenig
Erfolg. Als die Kranke zu mir in Be-
handlung kam, war sie sehr abgemagert
und entkräftet, was ja auch nicht zu ver-
wundern war, da sie fast keine Nacht
schlief des quälenden Hustens wegen und
auch nur wenig Neigung zur Nahrungs-
aufnahme zeigte.
Ich behandelte den Kehlkopf zunächst
örtlich mit 5 prozentiger Argentumnitri-
kumlösung, wodurch die schmerzhaften
Empfindungen im Halse wesentlich ge-
hoben wurden. Innerlich gab ich „Pyre-
nol" in 5 prozentiger Lösung mit Althee-
syrup vermischt, 2 stündlich 1 Esslöffel,
und verordnete eine kräftige und reich-
liche Ernährung, die infolge der appetit-
anregenden Wirkungen des „Pyrenols"
auch ermöglicht wurde. Im übrigen
machten sich auch die expcktorierenden
20Ö
New Yokkek Medizi
nische Monatsschrift.
und sedativen Eigenschaften des „Pvre-
nols" in äusserst günstiger Weise be-
merkbar. Der quälende Husten nahm
eine wesentlich mildere Form an, wurde
immer seltener und liess die Kranke ver-
hältnismässig gut schlafen, die Expekto-
ration ging leicht und glatt von statten
und die Sekretion wurde immer geringer.
Unter dem Nachlassen dieser Symptome
sowie der vermehrten Nahrungsauf-
nahme, verbunden mit einem gesunden
Schlaf, besserte sich auch sehr bald der
Allgemeinzustand der Kranken. Jetzt
nach ca. 4 wöchentlicher Behandlung
sieht die Kranke sehr wohl und munter
aus, hat wieder frische Farben und For-
menfülle bekommen, hat nur selten noch
Beschwerden im Halse und wird von
Husten und den früheren quälenden Er-
scheinungen kaum mehr belästigt.
Fall 7 : Der Weber Aug. K. in H., 54
J. alt, litt an Lungenphthise und tuber-
kulösen Geschwüren im Kehlkopfe, wo-
durch ihm viele Schmerzen, Hustenqual
und Atmungsbeschwerden verursacht
wurden. Auch konnte der Kranke we-
gen erschwerten Schlingens nur mit
Mühe Nahrung zu sich nehmen und war
infolgedessen sehr abgemagert und ent-
kräftet, hatte aber trotzdem bis zum Ein-
tritt in meine Behandlung immer noch
seine Arbeit verrichtet. Ich schrieb ihn
zunächst erwerbsunfähig und behandelte
die tuberkulösen Geschwüre örtlich mit
Milchsäure, was ihm wesentliche Erleich-
terung schaffte. Innerlich reichte ich
„Pyrenol" in Tablettenform, 4 mal täg-
lich 2 Stück, welche ich aber, da sie nicht
geschluckt werden konnten, zerrieben
und in eine halbe Tasse Milch eingerührt
geben liess. Auch hier machten sich
neben den mild expektorierenden Wir-
kungen des Präparates besonders die
sedativen Eigenschaften desselben her-
vorragend bemerkbar. Der Kranke hatte
weniger Schmerzen im Halse, konnte
besser schlucken und wurde von Husten
und Atembeschwerden weniger gequält.
Mit der Besserung dieser Symptome
stellte sich auch der Appetit und ein
grösseres Verlangen nach Nahrung wie-
der ein, was die Körperkräfte wieder hob
und dem Kranken wieder neuen Lebens-
mut und Hoffnung auf Genesung
brachte. Wenn man auch nicht hoffen
darf, dass durch „Pyrenol" die Heilung
eines solchen Zustandes herbeigeführt
werden kann, so hat man doch in diesem
Präparat ein wertvolles Mittel, um die
Leiden eines solchen Kranken wesentlich
zu erleichtern und ihm das Dasein zu ei-
nem erträglichen und freundlicheren zu
gestalten.
Fall 8: Der Schlosser Hans Fr. in N.,
25 J. alt, konsultierte mich wegen eines
Halsleidens. Ich konstatierte einen chro-
nischen Kehlkopfkatarrh und chroni-
schen Katarrh der Bronchien. Patient
war vollständig aphonisch, klagte übet
auffallende Trockenheit und Kratzen im
Hals und wurde besonders von einem
trockenen Husten arg geplagt, der häufig
in asthmatische Beklemmungen ausartete.
Bei der Auskultation wurden pfeifende
und schnurrende Atmungsgeräusche ge-
hört. Emphysem war noch nicht vor-
handen, die Ernährung gut. Es handelte
sich also hier lediglich darum, dem
Kranken die Hals- und Brustbeschwer-
den zu lindern. Dies wurde mit dem
„Pyrenol" im vollsten Masse erreicht.
Neben einer örtlichen Behandlung des
Kehlkopfes mit 5 bis 10 prozentiger Ar-
gent. nit. -Lösung bekam der Kranke 3
mal täglich 2 Pyrenoltabletten. Schon
kurze Zeit nach Beginn dieser Behand-
lung trat eine wesentliche Erleichterung
bei dem Kranken ein. Die Hustenanfälle
wurden seltener und es trat eine Lösung
der zähen Sekretmassen ein, die leicht
und glatt expektoriert wurden. Dadurch
hörten auch die pfeifenden Atemge-
räusche und die Beklemmungserschein-
ungen auf. Die Trockenheit im Halse
schwand und die Stimme wurde wieder
klangvoll. Der Kranke ist jetzt 3 Wo-
chen in meiner Behandlung und ist mit
den Resultaten derselben sehr zufrieden.
Ich habe ..Pyrenol" noch in einer Reihe
von ähnlichen Fällen angewendet und im-
mer mit gleich günstigem Erfolg. Die
expektorierenden. sedativen und zugleich
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
207
tonisierenden Eigenschaften machten
sich immer wieder mit gleicher Prompt-
heit bemerkbar. Ein unverkennbarer
Vorzug des Präparates ist entschieden
auch der, dass man dasselbe unbedenk-
lich längere Zeit hintereinander geben
kann, wie dies z. B. bei Asthmatikern,
Emphysematikern u. s. w. erforderlich
ist. Ich habe niemals irgend welche
schädlichen oder unangenehmen Folge-
erscheinungen bei selbst sehr langer Py-
renolbehandlung wahrgenommen. Im
Gegenteil fühlen sich die Behandelten da-
bei sehr wohl, kommen über ihr Leiden
leicht hinweg, entwickeln meist einen
tüchtigen Appetit, erfreuen sich eines ge-
sunden Schlafes und heiteren, gleichmäs-
sigen Temperamentes.
Bei Kindern habe ich „Pyrenol" in
mehreren Fällen von fieberhafter Bron-
chitis angewandt. Das Mittel wurde von
den Kindern nicht nur gern genommen,
sondern hatte auch stets den gleichen
Erfolg, indem es nicht nur fieberherab-
setzend wirkte, sondern auch die Respi-
rationsbeschwerden erleichterte, den
Husten mildete und für eine glatte Ex-
pektoration sorgte.
In einem ausgesprochenen Falle von
Keuchhusten, an dem das 4 Monate alte
Kind B. in N. erkrankte, wendete ich das
„Pyrenol" mit äusserst günstigem Er-
folge an. Die Anfälle traten in wesent-
lich milderer Form und in grösseren In-
tervallen auf, hatten nicht das langanhal- .
tende, krampfhaft-quälende, sondern gin-
gen unter leichter und erleichternder Ex-
pektoration vor sich. Auch war die
Dauer des Verlaufes eine bedeutend kür-
zere, als man es sonst bei Pertussis zu
beobachten pflegt. Jedenfalls steht es
fest, dass wir, wie auch schon viele
andere Autoren einstimmig erklärt
haben, in dem ,, Pyrenol*' ein bisher un-
erreichtes Spezifikum für Keuchhusten
haben.
Ich kann also nach den Erfahrungen,
die ich mit dem „Pyrenol" gemacht habe,
behaupten, dass es gerade in der Thera-
pie der Atmungsorgane ein wertvolleres
Mittel, das so viele wirksame, die Funk-
tionen des Respirationstraktus günstig
beeinflussende Eigenschaften in sich ver-
einigt und nebenbei noch die Fähigkeit
besitzt, auch auf den Allgemeinzustand
kräftigend und belebend einzuwirken,
nicht gibt. Ich kann daher die Anwend-
ung des Präparates in analogen Fällen
allen Praxis ausübenden Kollegen nur
aufs wärmste empfehlen.
Ueber eine neue Verbindung des Anästhesins (Dr. Ritsert) zur subkutanen
Injektion „Subcutin" (Dr. Ritsert).*
Von Dr. Becker.
Ueber das Anästhesin, den in Wasser
fast unlöslichen Aethylester der Para-
amidobenzoesäure (Ritsert), ist zu-
erst in eingehender Weise von v. Noor-
d e n ( 1 ) berichtet worden. Die Resul-
tate der Behandlung an einem ziemlich
umfangreichen Material vorwiegend in-
nerer Erkrankungen lassen es ausser
Zweifel, dass die lokalanästhetische Wir-
kung des in Pulver- oder Salbenform
*) Aus der Miinchener medizinischen Wo-
chenschrift.
oder in öliger Lösung angewandten Mit-
tels als mindestens gleichwertig den
sonst üblichen erkannt wurde, häufig sie
sogar an Intensität und Dauer übertraf.
Bei Reizzuständen der pharyngealen
und laryngealen Schleimhäute, des Ma-
gen- und Darmtraktus, Hämorrhoidal-
beschwerden, Hlasenzwang, juckenden
und schmerzenden Hautaffektionen war
es in dort näher angegebener Weise zu
äusserst erfolgreicher Anwendung ge-
langt.
Auch von Seiten der Nasen- und Kehl-
208
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
kopfspezialisten wurde dem neuen Kör-
per aus der Gruppe der aromatischen
Karbonsäureester, der ausser der anäs-
thetischen auch die Eigenschaft der Un-
. giftigkeit hatte, wie Koberts und
Binz' (2) Untersuchungen zeigten,
reges Interesse entgegengebracht
(Spiess (3). Ausserdem haben in
kurzen Mitteilungen Hart mann (4)
und neuerdings Kennel (5) über ihre
Erfahrungen bei internen Erkrankungen,
oberflächlichen Schleimhaut- und Haut-
wunden, Verbrennungen berichtet und
Henius (6) (v. Noorden) in ei-
nem Beitrag zur Behandlung des Ery-
sipels das Anästhesin als souveränes
schmerzstillendes Medikament schätzen
gelernt.
Unsere Erfahrungen mit der Appli-
kation als Streupulver, zu 10 bis 20 Pro-
zent mit Dermatol gemischt, bei Haut-
verbrennungen II. Grades bestätigen die
genannten Mitteilungen. Wiederholt ha-
ben wir ein Nachlassen der quälenden
Schmerzen konstatieren können ; die
Wundheilung wurde in günstigem Sinne
beeinflusst und selbst bei ausgedehnten
Flächen traten bei fortgesetzter Anwen-
dung keine unangenehmen Nebenwir-
kungen auf.
Die schmerzlindernde Wirkung be-
ruhte auf der Möglichkeit eines direkten
Kontaktes des Anästhesins mit den Ner-
venendigungen des seines deckenden
Epithels grösstenteils beraubten Papillar-
körpers der Haut, denn eine tiefergeh-
ende Wirkung bei übergranulierten
Hautdefekten, Ulcus cruris etc., wodurch
eine schmerzlose Abkratzung, z. B. als
Vorbereitung zu Transplantationen, er-
möglicht werden sollte, wurde nicht er-
zielt.
Zu einem noch weitergehenden Ge-
brauch als in angedeuteter Weise ver-
langte die Chirurgie das Mittel als Anäs-
thetikum für subkutane Injektion. Be-
grüsste man in seiner Ungiftigkeit doch
einen Faktor, der ihm vor seinem gros-
sen Rivalen, dem Kokain, den Vorzug
gab. Indes bot die Schwerlöslichkeit des
Anästhesins im Wasser ein unüberwind-
liches Hindernis für eine ausgedehntere
Verwendung zur Injektion. Ritsert
bemühte sich zunächst in der Darstellung
öliger Lösungen, wozu Mandelöl und
eine Reihe reizfreier dünnflüssiger Oele
in Anwendung kamen, dem Wunsche des
Chirurgen näher zu kommen.
Wir haben es versucht mit sterilisier-
ten 2 — 2,5 proz. Mandelöllösungen und
eine komplette Anästhesie erreicht. Aber
wie leicht ersichtlich, involviert der Ge-
brauch öliger Flüssigkeiten gewisse Mis-
stände. Es können nur weite Kanülen
verwendet werden, um ohne angestreng-
tes Drücken den Spritzenstempel zu be-
wegen. War es in gesundem, elasti-
schem Gewebe mitunter schwierig, zu in-
jizieren, so scheiterte der Versuch gänz-
lich bei entzündlich geschwollenem. Die
Isolation kleiner Geschwülste aus dem
fettig infiltrierten Gewebe, das Fassen
der Gefässe, Gefahr des Abgleitens der
Ligaturen, das Arbeiten mit öligen Fin-
gern gaben Veranlassung, die Anwen-
dung auf einfache Inzisionen, Eröffnung
von Abszessen zu beschränken. Abge-
sehen von diesen Nachteilen hat die
ölige Injektion, wenn auch sehr selten,
die Gefahr einer Fettembolie, wie u. a.
Folowell (7), der mit öligen Guaja-
kollösungen anästhesierte, solche Fälle
erlebt hat.
Es wurde nun in der Folgezeit von
Ritsert in der Darstellung des salz-
sauren Salzes des Anästhesins eine Mo-
difikation von grösserer Löslichkeit in
Wasser (1:100) gefunden und Dun-
bar (8) (Eylau) hat damit seine
Versuche mit einer der Schleich'-
schen ähnlichen Zusammensetzung.
Anaesthesinum mur 0,25
Natr. chlorat 0,15
Morph, mur 0,015
Aqu. dest 100
gemacht. Die praktische Anwendung,
der prüfende Tierexperimente vorausge-
gangen sind, erstreckte sich auf eine
kleine Zahl unbedeutender chirurgischer
Eingriffe, wobei eine befriedigende Wir-
kung beobachtet wurde.
Wir haben bei grösseren Injektions-
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
209
gebieten indessen häufig entzündlichen
Reiz in ausgesprochener Rötung und em-
pfindlicher Schwellung gesehen.
In der fortschreitenden Durchprüfung
einer ganzen Gruppe von Salzen des
Anästhesins geläng es Ritsert in der
paraphenolsulfosauren Verbindung des
Anästhesins einen Körper zu finden, der
bedeutend milder, dessen Reizwirkung in
später näher bezeichneter Konzentration
verschwindend, und dessen Löslichkeit
in Wasser durch Einführung der Sulfo-
gruppe grösser ist.
Das Subcutin = paraphenolsulfosaurer
Paraamidobenzoesäureaethylester
C6H4=
NH2— SO3H— C„H4OH
COOC.IL
ist ein weisses feinnadelförmiges kristal-
linisches Pulver vom Schmelzpunkt
195,6, löst sich in kaltem Wasser zu 1
Prozent, bei Körpertemperatur zu 2,5
Prozent.
Es erzeugt in Substanz oder Lösung
auf die Zunge gebracht ein taubes Ge-
fühl, ist in Lösung haltbar und beständig
beim Kochen. Schon darin besteht ein
wesentlicher Vorzug vor dem Kokain,
das sich schlecht hält und beim Sterili-
sieren in Benzoyl Ecgonin und Methyl-
alkohol zersetzt, wodurch Reizung und
Verlust der Anästhesie eintritt.
Durch Versuche mit Typhus- und
Cholerakulturen sind von bakteriologi-
scher Fachseite dem Präparat entwick-
lungshemmende Eigenschaften nachge-
wiesen.
Das Salz ist ebensowenig wie das An-
ästhesin von schädlichen Allgemeinwir-
kungen für den Organismus. Wie aus
Fütterungs- und Injektionsversuchen
hervorging, wurden Dosen vertragen, die
unter gewöhnlichen Verhältnissen auch
bei grösseren Operationen nicht in An-
wendung kommen. Mittelschweren Hun-
den wurden 5 — 6 g per os eingegeben
ohne Reaktion. Bei Kaninchen von 1200
bis 1500 g zeigten sich erst bei Injektion
von 2 g (d. i. 1,6 g pro Kilogramm Tier)
in erwärmter Lösung vorübergehende
Intoxikationserscheinungen, krampfar-
tige Streckung der Hinterbeine. Die
Tiere kamen aber nach 1 — 2 Stunden
wieder auf die Beine, waren munter und
zeigten im übrigen keine abnormen Ver-
hältnisse in der weiteren Beobachtung.
Um die anästhetische Wirkung zu
prüfen, wurden zunächst Instillationen
von y2 — 1 proz. Lösungen ins Kanin-
chenauge gemacht. Wir haben von dem
nicht ganz einwandfreien Verfahren des
Vernähens der Lider nach Einbringen
der Substanz in den Bindehautsack Ab-
stand genommen und durch Zuhalten der
Lider den Kontakt der Lösung mit der
Konjunktiva beliebig lange ermöglicht.
Bei den 1 proz. Lösungen trat eine Spur
von Reiz und eine flüchtige, eben erkenn-
bare Trübung der Kornea auf, bei 0,5
und 0,8 Prozent nicht mehr erkennbar.
In allen Fällen vollkommene Anästhesie,
sodass man mit spitzen oder stumpfen
Nadeln auf der Kornea ca. 8 — 10 Minu-
ten, ohne Lidschlag auszulösen, herum-
fahren konnte. Ich möchte hier gleich
bemerken, dass man nicht unterlassen
darf, die vollständige Auflösung des
Salzes abzuwarten, sodass keine Kri-
stalle mehr im Wasser schwimmen, denn
der Kontakt der ungelösten Substanz mit
der Kornea ruft Verätzungen auf dersel-
ben hervor.
Um zur subkutanen Injektion eine Lö-
sung zu haben, die auf die Gewebe we-
der quellenden, noch schrumpfenden
Einfluss hat, wodurch nach den eingeh-
enden Untersuchungen von Braun (9)
und H e i n z e (10) Reizung und Injek-
tionsschmerz hervorgerufen wird, setz-
ten wir eine entsprechende Menge Koch-
salz hinzu.
Zur Herstellung einer Salzlösung von
derselben osmotischen Spannung wie die
der Gewebsflüssigkeit, welche nach
Braun einer 0,9 proz. Kochsalzlösung
entspricht, bestimmt man das Molekular-
gewicht des betreffenden Salzes, was von
Subcutin = 339. Eine 1 proz. Lösung
desselben ist nun äquivalent einer 0,17
proz. Kochsalzlösung. Um die Subku-
tollösung also isotonisch der Gewebsflüs-
2IO
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
sigkeit zu machen, müssen ca. 0,7 Pro-
zent Kochsalz hinzugefügt werden.
Nachdem so eine Lösung geschaffen
war, bei deren Injektion in erwärmtem
Zustand alle sonstigen Reize auf die Ge-
webe ausgeschlossen und lediglich der
lähmende Faktor durch unmittelbaren
Kontakt mit den Nervenendigungen in
Wirksamkeit treten konnte, machten wir
intrakutane Quaddelinjektionen nach
Schleich (am eigenen Vorderarm
und bei einigen Wärtern). Zum Ver-
gleich habe ich auch 1 proz. und 0,1
proz. Kokain in Zusammensetzung mit
der Schleie h'schen Lösung am an-
dern Arm injiziert. Injektionsschmerz
war nicht vorhanden, die Kokainquaddel
hatte mit der Subcutinquaddel die Anäs-
thesie gemein, nur konnte bei der letz-
teren der über den Quaddelrand hinaus-
gehende anästhetische Hof („Fernwir-
kung") nicht konstatiert werden, wie er
bei 1 proz. Kokainlösung regelmässig
beobachtet wird. Die Dauer der Anäs-
thesie ist etwas länger als die der 0,1
proz., kürzer als die der 1 proz. Kokain-
lösung.
Die Zurückbildung der Quaddeln er-
folgte ohne jede Reaktion in beiden Fäl-
len. Wir wurden also darauf hingeführt,
dass das Subcutin für Schleie h'sche
Anästhesierung ein vollkommenen und
ungiftiger Ersatz für Kokain sein dürfte.
Die Fernwirkung ist nicht so auffallend
und intensiv wie bei Kokain, indes ha-
ben wir die Erfahrung gemacht, dass sie
doch bis zu einem gewissen Grad vorhan-
den ist. Legt man nämlich beim Kanin-
chen den Ischiadicus frei und bringt ei-
nen mit isotonischer Subcutinlösung
triefend getränkten Wattebausch y2 Mi-
nute auf den Stamm ohne Druck, so ent-
steht eine 6 — 10 Minuten lange vollkom-
mene Anästhesie im Bein, sodass auf
starke Reize, Kneifen mit Pinzette und
Stechen keine Reaktion eintritt.
Auf Grund dieser Beobachtungen war
die Voraussetzung berechtigt, dass eine
regionäre Anästhesie im Sinne R e c 1 u s'
und Oberst's hervorzurufen sei. Wir
haben daher zu Fingerexartikulationen
und ähnlichen Eingriffen nach der
Obers t'schen Methode verfahren und
vollkommene Anästhesie erzielt.
Im folgenden soll eine kurze Ueber-
sicht der Operationen gegeben werden,
wobei wir das Subcutol angewandt ha-
ben, zumeist als Schleie h'sche Infil-
tration mit der Lösung.
Subcutin .- 1,0—0,8")
Natr. chlorat 0,7
Aqu. dest 100,0
1. Phlegmone am Oberarm. — 2.
Phlegmone am Fussrücken. — 3. Ab-
szess tb. am Ellenbogen. — 4. — 5. Bur-
sitis praepat. purul. — 6. Periostitis am
Schienbein. — 7. Periostitis am Unter-
kiefer. — 8. Karbunkel auf der Schulter.
— 9. Karbunkel im Nacken. — 10. Ab-
szess tb. am Rücken. — 11. Abszess tb.
am Oberschenkel. — 12. Abszess tb. an
der Kopfhaut. — 13. — 18. Abszess tb.
am Hals. — 19. Abszess tb. am Vorder-
arm. — 20. Abszess tb. an der Hand. —
21. Abszess tb. der Achseldrüsen. — 22.
Fistel am Oberschenkel. — 23. Infizierte
Stichwunde am Ellenbogen. — 24. — 25.
Mastitis. — 26. Vereitertes Hämatom
um die Niere. — 27. Vereiterte Cyste
am Hoden.
1 — 27 : Inzisionen.
28. — 31. Panaritien an Fingern: In-
zisiön, 2 Nagelextraktionen. — 32. Infi-
zierte Gelenkwunde am linken Kleinfin-
ger: Resektion. — 33. Gelenkverletzung
am Mittelfinger : Resektion der Gelenk-
enden. — 34. Fingerende- und Mittel-
gliedzerquetschung : Exartikulation. ■ —
35. Zerquetschung der 4. Zehe : Exarti-
kulation. — 36. Zerquetschung des End-
gliedes des IV. Fingers : Amputation.
— 37. — 38. Unguis incarnat. der Gross-
zehe : Exstirpation. — 39. Durchtren-
nung der Sehne des Flexor poll. long. :
Sehnennaht. — 40. Schnittverletzung
am Vorderarm : Muskelnaht. — 41. 10
cm lange granulierte Wunde am Unter-
kiefer: Sekundärnaht. — 42. Inzisions-
wunde am Knie : Sekundärnaht. — 43.
Lappenwunde am Kopf: Sekundärnaht.
— 44. Ulcera cruris : Transplantation
nach Krause. — 45. Atherom am
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
211
Thorax : Exstirpation. — 46. Bursi-
tis praepatellaris : Exstirpation des
Schleimbeutels. — 47. Phimose : Ope-
ration nach R o s e r. — 48. Varizen am
Unterschenkel : Exstirpation. — 49. Va-
rizen an beiden Unterschenkeln : Un-
terbindung der Vena saphena. — 50.
Oesophagusstriktur (Karzinom): Gas-
trostomie. — 51. Empyem: Rippenre-
sektion.
Die Anästhesie war bei genügender
Durchtränkung des Gewebes im Be-
reich der Infiltration eine vollkommene.
Bei grösseren und tieferen Inzisionen
scheint es vorteilhafter, 2 — 3 Minuten
mit dem Schnitt zu warten, da die
Anästhesie dann sicherer eingetreten ist.
Transplantationen grösserer Hautlap-
pen von beiden Oberschenkeln nach
entsprechenden Hautdekten an dem
Unterschenkel (bei Ulcera crurum)
nach Krause haben, nebst vielen an-
deren am selben Individuum ausge-
führten (Kreuzschnitt bei Karbunkel
etc.) Operationen Gelegenheit gegeben,
vergleichsweise Kokain anzuwenden
und dabei die gleichmässige anästhesie-
rende Wirksamkeit beider zu beobach-
ten. Der grosse Vorzug einer bezüg-
lich der Intoxikation gefahrlosen In-
jektionsflüssigkeit machte sich häufig
bei grösseren Inzisionen und länger
dauernden Eingriffen, wo öfter nachin-
jiziert werden musste, geltend ; kommt
man doch nie in Verlegenheit, nach-
träglich zur Narkose greifen zu müs-
sen, wenn unvorhergesehene Kompli-
kationen eine weitere Infiltration grös-
serer Gebiete erheischen.
Das Gewebe antwortete auf die In-
jektionen in keinem Falle mit einer
entzündlichen Reaktion. Ab und zu
kam es vor, besonders wo mit Ab-
schnürung operiert wurde, dass ein
länger bestehendes Oedem (1 — 2 Tage)
nachblieb, das sich dann langsam, aber
ohne maligne Folgen resorbierte. Die
Heilung war in allen Fällen, wo es sich
um nichtinfektiöse Prozesse handelte,
per primam erfolgt.
Die genannten Eigenschaften lassen
das Subcutin als ein Anästhetikum er-
scheinen, das Anspruch auf weitgehen-
dere Verwendung machen kann und
u. a. namentlich für Blasenspezialisten
zur Cystoskopie als Ersatz des Ko-
kains eintreten könnte, wo letzteres
schon einige Male Ursache von Todes-
fällen war.
Literatur.
1. Berl. kün. Wochenschr., 1902, No. 17.
2. Berl. klin. Wochenschr., 1902, No. 17.
3. Münch, med. Wochenschr., 1002, No. 39.
4. Ther. d. Gegenw., 1902, H. 10.
5. Berl. klin. Wochenschr., 1902, Ni. 52.
6. Ther. d. Gegenw., 1903, No. 1.
7. O'Folowell: L'anesthesie locale par
le gaiacol etc. These Paris, 1897.
8. Deutsche med. Wochenschr., 1902, No. 20
und 22.
9. Arch. f. klin. Chir., 57. Bd., H. 2.
10. Experimentelle Untersuchungen über In-
filtrationsanästhesie etc. Virchow's Arch. f.
path. Anat. u. Phys., 153. Bd., 1898.
11. Die 0,8 proz. Lösung ist in ihrer Wirkung
nahezu identisch der 1 proz., wir haben sie in
letzter Zeit mehr verwandt.
Sitzungsberichte
Deutsche Medizinische Gesellschaft der Stadt Chicago
Sitzung vom 14. Februar 1907.
Vorsitzender: Dr. Herzog.
Das Protokoll der beiden letzten
Sitzungen wird verlesen und angenom-
men.
Programm.
1) Dr. Emil Ries: a) Ueber
komplizierten Ileus, b) Ueber Kropf-
fistel.
In der Diskussion zum Vortrag des
Herrn Dr. Ries bemerkt Dr. D o e pf-
212
New Yorker Medizi
nische Monatsschrift.
n e r, dass der Patient mit der Kropf-
fistel wahrscheinlich Abdominaltyphus
gehabt habe, denn gerade bei dieser
Erkrankung werden metastatische
Entzündungen der Thyroidea, resp.
einer Struma beobachtet — die Thy-
reoiditis und Strumitis typhosa meta-
statica. Die Halsphlegmone dürfte
sich bei unserem Patienten erst nach
dem Auftreten der Schilddrüsenent-
zündung entwickelt haben.
Dr. Zimmer m a n n : Strumitis
mit Fistelbildung kommt natürlich
auch ohne Abdominaltyphus aus an-
deren Ursachen vor ; wir haben keinen
überzeugenden Beweis, dass die in
Frage stehende Allgemeinerkrankung
des Patienten, zu der die Schilddrüsen-
entzündung in Beziehung gebracht
wird, Typhus gewesen sei. Dr. Z. sah
einen Fall von Strumafistel resp. Thy-
reoideafistel, die nach abwärts hinter
das Sternum führte. Wahrscheinlich
ist die Unmöglichkeit oder Schwierig-
keit einer freien Eiterabführung in sol-
chen Fällen die Ursache der Fistelbil-
dung und nicht so sehr die Starrheit
des Gewebes, in der die Fistel wie ein-
gebettet ist.
Dr. H o 1 i n g e r : Luftaspiration in
die Venen werden nicht nur bei Ope-
rationen am Halse, wie z. B. bei Stru-
maoperationen beobachtet, sondern
auch bei Operationen am Sinus. So-
gar beim Verbandwechsel kann post
Operationen in solchen Fällen Luft an-
gesaugt werden, wie ich es selbst bei
einem Patienten beobachten konnte,
bei dem das lauthörbare schlürfende
Geräusch der Luftaspiration von Ohn-
macht gefolgt war. Bei kräftigen
Menschen ist infolge von guter Blut-
füllung der Venen die Möglichkeit des
Lufteintrittes weniger zu befürchten
als bei geschwächten, anämischen Per-
sonen. Sofortige Tamponade, noch be-
vor es zur Wiederholung von Atem-
zügen kommt, ist dringend nötig; doch
bringen nur grössere Luftmengen Ge-
fahr mit sich.
Dr. Herzog: Da die fragliche Er-
krankung, im Anschluss an welche
sich die Strumitis entwickelt hatte,
vor etwa drei Monaten aufgetreten
war, 'so lässt sich durch den Ausfall
,der W i d a l'schen Reaktion heute
noch die Entscheidung treffen, ob es
sich um Abdominaltyphus gehandelt
habe oder nicht. Auch das bei der
Operation exzidierte Gewebsstück der
Thyreoidea soll auf Typhusbazillen
untersucht werden. (In der folgenden
Sitzung teilte Dr. Herzog mit, dass
die W i d a l'sche Reaktion positiv
war.)
Dr. Ries (Schlusswort) : Fistelöff-
nungen liegen in der Tat gewöhnlich
über dem Jugulum oder über der
Clavicula und es ist möglich, dass un-
ter solchen LJmständen die Erschwer-
ung des Eiterabflusses bei dem gewun-
denen Verlauf der Fistel die Unter-
haltung der letzteren bedinge ; doch
spielen gewiss auch die starren, fibrö-
sen Massen in der Umgebung dersel-
ben, die Unmöglichkeit des Zusam-
menfallens des ausgedehnten starren
Gewebsringes um die Fistel eine wich-
tige Rolle hiebei. Die Gefahr einer
Luftembolie während der Operation
an unserem Patienten war eine ziem-
lich grosse infolge der Unmöglichkeit
des Kollabierens der Wände der Vena
jugularis, die von starrem, unnachgie-
bigem Gewebe umschlossen war.
2) Diskussion über Scharlach.
Dr. Herzog: Die Aetiologie des
Scharlachs ist gegenwärtig noch
vollständig unaufgeklärt. Weder Strep-
tokokken noch die Glas s'schen
Diplokokken, oder andere gelegent-
lich gefundene Mikroorganismen,
wie z. B. die M a 1 1 o r y'schen
intrazellulären Protozoen können
nach dem gegenwärtigen Stande
unseres Wissens als sichere Erreger
angesprochen werden. Die pathologi-
sche Anatomie bietet nicht viel cha-
rakteristisches. Wir finden eine aus-
gesprochene Hyperplasie des lympha-
tischen Apparates, einschliesslich der
Lymphknötchen im Alimentär- und
Respirationstraktus. Wir finden pa-
renchymatöse Degeneration mit trüber
Schwellung in der Leber, den Nieren
und gelegentlich in der Milz. Die
Haut zeigt gelegentlich subkutane
Blutungen. Die Schleimhäute des
Respirationstraktus sind stark konges-
tioniert, gelegentlich finden sich Ulze-
rationen im Oesophagus, Blutungen in
der Darmschleimhaut. Im Mittelohr
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
213
fand P e a r c e in 50 Prozent aller töt-
lichen Fälle Entzündungen, Broncho-
pneumonien in ca. 33 Prozent der
Fälle. In der Niere findet sich mikro-
skopisch das von C o u n c i 1 m a n be-
schriebene Bild der akuten interstitiel-
len Nephritis mit Plasmazellen-Infil-
trationsherden. Bei der schweren
postskarlatinösen Nephritis findet man
die hyaline Thrombose der Glomeru-
lusschlingen, wie H e r z o g sie für die
Beulenpest als sehr charakteristisch
beschrieben.
Dr. Gustav Schirm er ( Auto-
referat) führt zur Therapie des Schar-
lachs folgendes aus : Solange als die
Mortalität beim Scharlach noch auf 30
Prozent und darüber steigen kann und
die Zahl der Nachkrankheiten nach
Angabe der Spezialisten eine sehr hohe
ist, verlohnt es sich, neue therapeuti-
sche Vorschläge zu machen. Bei der
Unmöglichkeit einer kausalen Thera-
pie bleibt nur übrig, die den Schäd-
lichkeiten ausgesetzten Organe zu
schützen und sie funktionsfähig zu er-
halten, in der Hoffnung, dass sie da-
durch am leichtesten der Toxine Herr
werden.
Die entündete Haut eignet sich sehr
wenig zur Ausscheidung, gleichgiltig
ob kalte Bäder oder heisse Packungen
■etc. gemacht werden. Das viele Ab-
waschen halte ich für schädlich ; eine
entzündete Haut lässt man am besten
in Ruhe und reibt nicht auf ihr herum.
Die kleinste Verwundung kann neue
Infektionswege eröffnen. Gegen das
lästige Hautjucken und Brennen wer-
den kalte, in Oel getränkte Läppchen
aufgelegt oder nur Bor-Talkum-Pulver
aufgestreut.
Das Erbrechen soll nicht unter-
drückt werden, denn die in den Magen
ausgeschiedenen Toxine werden auf
diese natürliche Weise entfernt. Aus-
ser bei schwerer Verstopfung lässt
man den Darm in Ruhe, denn erstens
besteht bei Scharlach Neigung zu Hä-
morrhagien und zweitens ist bei einer
Verdünnung des Darminhaltes eine
stärkere Resorption im Darme zu be-
fürchten. Darmeinläufe mit Wasser
unter niedrigem Drucke befördern die
Stuhlentleerung und sind, entspre-
chend temperiert, und häufig genug ge-
macht, wohl das beste Mittel bei sehr
hohem Fieber oder geringer Diurese.
Das wichtigste Organ für die Aus-
scheidung der Toxine sind die Nieren.
Es ist nur eine logische Folgerung,
wenn ich diese, mit neuer Arbeit über-
bürdeten Organe absolut schone.
Ohne jede Schädigung des Organismus
erreichen wir das, wenn wir dem Pa-
tienten eine Nahrung geben, die im
Körper selbst verbrannt wird und für
die Nieren keine Abbauprodukte ab-
gibt. Ein solches Nahrungsmittel ist
der Zucker; für vier Tage gebe ich nut
Zucker in irgend einer Form als Nahr-
ung, und Wasser so viel, als der Pa-
tient gutwillig nehmen will. Nach die-
ser Zeit gebe ich getrocknete Früchte,
wie Feigen, Datteln, Pflaumen, und
dann unter steter Kontrolle des Urines
Abkochungen von Hülsenfrüchten mit
Beigabe von Butter ; Fleisch, Eier
und Milch werden für einige Zeit voll-
ständig vermieden. Diese Diät wird
am schwersten am zweiten Tag em-
pfunden. Die schwierigste und wich-
tigste Aufgabe ist die Desinfektion der
Mund- und Nasenhöhle.
Beide werden in ^stündigen Zwi-
schenräumen mit Kollargol in 5% Lös-
ung und Hydrogenium hyperoxyda-
tum, dem Aqua Calcis beigesetzt wird,
behandelt. Gleichgiltig, wie es ge-
braucht ist, die Hauptsache ist, dass
die zu desinfizierenden Teile mit
der Kollargollösung imprägniert wer-
den und gleich darauf mit Hy-
drogen. hyperoxyd. cum Aqua Cal-
cis in Berührung gebracht werden.
Die Eiweisssubstanzen haben eine
grosse Affinität zum Kollargol, und
sind sie imprägniert, so bilden sie kata-
lytische Depots zur Zersetzung des
H2Oo. Ob wir dabei mit dem Pinsel
das Kollargol auftragen oder mit dem
Spray das Peroxyd in den Rachen
spritzen, das hängt viel vom Alter des
Patienten und der Schwere des Falles
ab. Bei ganz kleinen Kindern gebe ich
10 Tropfen Kollargollösung und nach
einer Minute 20 Tropfen Wasserstoff-
superoxydlösung.
In die Nasenhöhle schütte ich zwei
Tropfen Kollargollösung und 8 Trop-
fen H202 Lösung mit einem Teelöffel
bei zurückgebeugten Kopfe. Sehr häu-
214
New Yorker Meuizi
nische Monatsschrift.
fig tritt im Anfang der Krankheit bei
dieser chemischen Zersetzung Erbre-
chen und Würgen ein, bei dem grosse
Schleimmassen heraus befördert wer-
den. Es macht mir den Eindruck,
dass gerade solche Fälle ausserordent-
lich rasch genesen. Auch echte diph-
therische Beläge verschwinden bei
dieser Behandlung. Diese Wirkung
ist eine umso mehr willkommene, als
die Einverleibung des Diphtherie-An-
titoxines bei Scharlach — d. h. dem
vollständig entwickelten — keine
gleichgiltige Sache ist ; für den Grund
kann ich keine wissenschaftliche Be-
lege beibringen ; aber schon die Tat-
sache, dass die Minimaldosis von
Diphtherie - Antitoxin bei Scharlach
5000 Einheiten beträgt, beweist den
grossen Unterschied gegenüber der
einfachen Diphtherie.
Die Zeiträume der Desinfektion wer-
den von Tag zu Tag länger, müssen
aber bis in die Zeit der vollständigen
Genesung fortgesetzt werden. Uro-
tropin kann zweckmässiger Weise ge-
geben werden. Wenn meine Methode,
die drei Jahre alt ist, richtig durchge-
führt wurde, so beobachtete ich 1.
Rasches Verschwinden der toxischen
Symptome, 2. Schweissbildung sehr
frühzeitig, 3. Spiellust der Kinder, 4.
rasches Verschwinden der schmerz-
haften Drüsengeschwülste, 5. ausge-
zeichnete Diurese mit eiweissfreiem
Urin.
Dr. H o 1 i n g e r unterstützt die
Therapie des Dr. Gustav Schir-
m e r, soweit Nase und Pharynx in Be-
tracht kommen ; Reinigung des Ra-
chens ist von grösster Wichtigkeit,
eventuell Spray.
Es gibt drei Formen von Scharlach-
otitis, die zur Behandlung kommen.
1.) Die akute Form der Mittelohr-
entzündung während des Scharlachs ;
bei ihr erfolgt der Durchbruch nach
aussen meist sehr früh und oft hoch
am Trommelfell ; sie betrifft einen
sonst meist schwer erkrankten Orga-
nismus, der sich nicht mehr wehren
kann, weshalb der Zerfall, die Nekrose
bei Scharlachotitis so rasch und aus-
gedehnt ist — im höheren Grade als
bei Otitiden aus anderen Gründen.
Darum ist hier die Trommelfellperfo-
ration so gross und die Zerstörungen
im Warzenfortsatz so häufig. Die Ab-
fuhr der Sekrete zugleich mit der He-
bung des Allgemeinbefindens ist von
höchster Wichtigkeit.
2. ) Chronische Mittelohrentzündun-
gen, die erst später, oft nach Jahren in
Behandlung kommen. Hier findet
man starke Epidermiswucherungen
und Cholesteatombildungen, die auch
noch nach 15 bis 20jährigem Bestand
der Otitis mitunter durch Komplika-
tionen von Seiten des Sinus die opera-
tive Behandlung erheischen.
3. ) Otitis interna (Labyrinthentzün-
dung) mit Taubheit. Die Statistiken
der Taubstummenanstalten geben 18
Prozent Taubstummheit als durch
Scharlach bedingt an. Diese Otitis in-
terna ist gewöhnlich hämatogenen Ur-
sprunges und kann ohne Mittelohrei-
terung verlaufen. Natürlich bedeutet
eine Innerohrerkrankung eine Er-
schwerung des Krankheitsbildes des
Scharlachs.
Die Kinder sind bewusstlos, haben
Kopfschmerzen und bieten, wenn sie
aus der Umnebelung erwachen, Taub-
heit. Sie zeigen ausserdem Schwindel,
Unsicherheit in allen Bewegungen,
Erscheinungen, welche für Monate
oder Jahre andauern können. So sieht
man in den Taubstummenanstalten
viele der Insassen mit breitspurigem
Gange gehen. Die meisten Fälle von
akuter Otitis interna enden wohl letal ;
man findet dann bei der Sektion die
Schnecke mit Granulationen ausgefüllt
oder im späteren Stadium in soliden
Knochen umgewandelt. Neuritis acus-
tica kommt nicht häufig bei Scharlach
vor.
Die weitere Diskussion über Schar-
lach wird wegen vorgerückter Zeit ver-
tagt.
Dr. M a y w i 1 1 demonstriert ein
mikroskopisches Präparat von Glass'-
schen Körpern von einem seiner
Scharlachkranken.
Sitzung vom 7. März 1907.
Vorsitzender : Dr. Herzog.
Programm.
1) Fortsetzung der Diskussion über
Scharlach.
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
215
2) Dr. A. Decker: Zweck und
Ziel der Deutschen Medizinischen Ge-
sellschaft von Chicago, III.
3) Kandidaten : Dr. L. A. M ü 1 1 1 e r,
306 E. Division St. ; Dr. Darling,
3802 Ellive Ave.
Das Protokoll der Sitzung vom 31.
Januar wird verlesen und angenom-
men.
Dr. A. Strauch: Die Tatsache,
dass zu den ersten Symptomen des
Scharlachs Halsschmerzen gehören,
weisst auf die Tonsillen als den pri-
mären Herd des Krankheitserregers
hin. Diese Annahme wird durch den
Verlauf des (extrabukkalen) Wund-
scharlachs gestützt. Erst von den Ton-
sillen — ■ der Prädilektionsstelle — ge-
langen die Erreger auf dem Wege der
Lymphbahnen in die regionären
Lymphdrüsen und durch direkte
Uebertragung auf die Schleimhäute des
Nasenrachenraumes, der Nase, der
Tuba Eustachii und des Mittelohres und
erzeugen hier die primären Komplika-
tionen. In einem gewissen Gegensatz
stehen die toxischen Symptome, zu
denen das Erbrechen, das Fieber,
die bedeutende Pulsbeschleunigung,
die Beteiligung des Nervensystems
und das Exanthem gehören. Gerade
diese toxischen Symptome werden
durch das Mose r'sche polyvalente
Streptokokkenserum auffallend günstig
beeinflusst. Dr. S. geht des genaueren
auf die Besprechung der Symptoma-
tologie mit besonderer Berücksichtig-
ung der Frühdiagnose mit Gegenüber-
stellung der Diphtherie und der ge-
wöhnlichen Angina ein, behandelt die
Differenzialdiagnose zwischen Schar-
lach und Röteln, Arzneiexanthemen,
Serumexanthemen, Erythemen bei In-
fluenza, Typhus abdom. und Kinder-
pneumonien ; Erythema scarlatiforme
recidivum, Erythema infectiosum (Me-
galerythema epidemicum), Ekzemen
kleiner Kinder etc. Es folgen Bemerk-
ungen über die Leukozyten bei Schar-
lach, über die multiple Lymphadenitis
(in axilla, inguine), über Wundschar-
lach und septische Erytheme. Von
den im akuten Stadium sich vorfinden-
den Lymphdrüsenschwellungen ver-
schieden ist die Lymphadenitis sub-
maxillaris postscarlatinosa, deren Er-
kenntnis für die Spätdiagnose wichtig
sein kann.
Die gegenwärtige grosse Scharlach-
epidemie in Chicago, mit ihren in der
überwiegenden Mehrzahl typischen,
wenn auch leichten Krankheitsformen,
gab Gelegenheit zur Beobachtung zahl-
reicher in manchen Punkten atypischer
Fälle, die jedoch die Annahme, dass es
sich um Duk e'sche Krankheit han-
dele, durchaus nicht rechtfertigen. Dr.
Strauch sah verspätetes Auftreten
des Scharlachexanthems am 3., 4. und
5. Tag nach Einsetzen der Initialer-
scheinungen bei sicherer Beobachtung,
ferner einigemale sehr flüchtige, lo-
kalisierte Scharlachexantheme, das
Auftreten von masernähnlichen und
diffusen Prodromalexanthemen, eine
Komplikation mit Varizellen, Herpes
labialis neben Angina als seltenes Ini-
tialsymptom, wiederholte Fälle von
Scarl. sine exanthemate, rudimentäre
und ganz leichte Scharlachformen,
deren Identität durch gleichzeitiges
Vorkommen typischer Scharlachfälle
in derselben Familie gesichert ist. Ge-
rade diese leichten, sowie die rudimen-
tären Fälle mit blossen Scharlachangi-
nen, die ohne Inanspruchnahme des
Arztes verlaufen, verdienen eine grosse
praktische Würdigung, da die Patien-
ten bei ihrem „nur leichten Unwohl-
sein" den Verkehr mit der Aussenwelt
überhaupt nicht unterbrechen oder zu
früh wieder aufnehmen, sei es in
Schule oder anderwärts, und auf diese
Weise die Verbreitung der Krankheit
ohne Zweifel besorgen. Das Nasen-
rachensekret Scharlachkranker und Re-
konvaleszenter spielt bei der Krank-
heitsübertragung eine gewisse Rolle,
wie experimentell nachgewiesen wurde.
Viele Kinder mit leichtem Scharlach
würden aus der Schule nach Hause ge-
schickt, oft erst im Stadium beginnen-
der Schuppung. Einführung einer
gründlichen Schulinspektion durch
Aerzte ist daher ein dringendes Gebot.
Möglicherweise hängt die numerisch
so enorme Ausbreitung der gegenwär-
tigen Scharlachepidemie zum Teile auf
diese Weise direkt mit dem auffallend
leichten Genius epidemicus zusammen.
Die Vermittlung des Scharlachs
durch Milch ist erwiesen ; namentlich
2l6
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
aus England rühren diesbezügliche Er-
fahrungen her. Nicht, als ob Schar-
lach bei Kühen vorkommen würde;
vielmehr handelt es sich um mechani-
sche Verunreinigung der Milch beim
Melken der Kühe und Hantieren der
Milch durch scharlachkranke Bedien-
stete oder deren Angehörige. Beson-
ders der Rahm soll gefährlich sein.
B a g i n s k y stellte eine ganze Reihe
einwandfreier Fälle aus der Literatur
zusammen.
Bekanntlich wird der gegenwärtige
Scharlachausbruch in Evanston (Vor-
stadt von Chicago) auf die Milchver-
sorgung aus Genua Junction von den
Aerzten zurückgeführt, wo unter Far-
mern und Angestellten der Milchwirt-
schaft Scharlachfälle konstatiert wor-
den waren. Im Augenblick ist eine
Kritik dieser Annahme noch nicht mög-
lich.
Dr. Strauch wiederholt die er-
mutigenden Resultate, die man mit
dem M o s e r'schen Scharlachserum in
Wien und an anderen Orten erzielt hat.
Die Darstellung dieses Serums be-
gann man in Wien 1900 durch Immuni-
sierung von Pferden mit Streptokok-
kenkulturen, die aus dem Herzblut von
vielen Scharlachleichen genommen wa-
ren. Es wurden gewöhnlich nur solche
Kranke mit dem Serum behandelt, wel-
che eine dubiöse oder fast letale Prog-
nose boten, um, wie Moser sagt, „die
Mortalitätsstatistik ungünstig zu be-
lasten."
Mit Dosen von 180 — 200 Gramm, am
ersten oder zweiten Krankheitstag ge-
geben, gelang es, alle Kinder zu retten.
Die Mortaliät beginnt erst bei Anwen-
dung des Serums am dritten Tage und
beträgt hier 14 Prozent, am vierten
Tage 23,08 Prozent, am fünften Tage
33 Prozent, am sechsten Tage 40 Pro-
zent.
Die Sterblichkeitsziffer, die an der
E s c h e r i c h'schen Kinderklinik in
den früheren Jahren zwischen 12 und
16 Prozent geschwankt hatte, sank mit
der Einführung des Mose r'schen
Scharlachserums auf 8,9 bis 6,7 Prozent
hinunter, während die der übrigen Wie-
ner Kinderspitäler mit 13 Prozent figu-
riert, obwohl gerade die leichteren
Fälle von der E s c h e r i c h'schen Kli-
nik an die letzteren gewiesen worden
waren.
Das Mose r'sche Serum hat nach
den Erfahrungen Escheric h's einen
ausgesprochenen günstigen Einfluss
auf die sogenannten toxischen Symp-
tome der Scarlatina, wie Temperatur-
steigerung, abnorm hohe Pulsfrequenz,
Dyspnoe, Erbrechen, Exanthem und
die Alterationen des Nervensystemes,
Delirien, Koma, Somnolenz, Jakta-
tionen. Kinder, welche hochgradige
Intoxikationserscheinungen geboten
hatten, mit kühlen Extremitäten,
cyanotisch'-fleckigem Exanthem als
Ausdruck des Kollapses, zeigten 24
Stunden nach der Seruminjektion ein
völlig verändertes Bild im Sinne auf-
fallender Besserung. Die Temperatur
sinkt, das Bewusstsein kehrt zurück, die
Erscheinungen der auf Intoxikation be-
ruhenden Herzschwäche schwinden,
das Exanthem bleibt in seiner Ent-
wicklung stehen oder verschwindet
rasch. Die Krankheitsdauer ist ver-
kürzt. Die Injektion muss aber mög-
lichst frühzeitig gemacht werden. Die
präventive Injektion wurde in 39 Fäl-
len gemacht ; von diesen erkrankten
nur vier und zwar an sehr leichten
Scharlachformen. Therapeutisch wurde
das Serum an über 200 Fällen der
E s c h e r i c h'schen Klinik erprobt.
Günstig äussern sich auch Pospi-
schill, Schick, Z u p p i n g e r,
Bokay und andere, während Heub-
ner und Babinsky sich sehr skep-
tisch verhalten.
Man kann auf Grund der Literatur
über diesen Gegenstand, der erst un-
längst von Dr. Saltykow zusam-
mengestellt wurde, die Meinung aus-
sprechen, dass das Mose r'sche Serum
Beachtung verdient und weiteren An-
wendungen und Untersuchungen un-
terworfen werden soll.
Im Interesse der Kranken und der
Wissenschaft sollte auch hier in Chi-
cago das Serum an den Scharlachab-
teilungen versucht werden, und es ist
zu bedauern, dass hier vorläufig kein
Institut für die Darstellung des Schar-
lachserums nach den Angaben M o-
s e r's und P a 1 1 a u f 's besteht.
Die Verwendung des Behring'-
schen Diphterieserums bei reinem
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
217
Scharlachdiphtheroid ist theoretisch
und praktisch unbegründet. Natürlich
hat es seinen Platz bei der Kombina-
tion von Scharlach mit echter Diph-
therie.
Die Bezeichnung „Vierte Krankheit"
(fourth disease) erscheint zum ersten
mal 1900 in der englischen Literatur
(,,Lancet"). Die Krankheit verhält
sich symptomatisch zum Scharlach wie
die Röteln zu den Masern, d. h. sie ist
dem mit milden allgemeinen Infek-
tionserscheinungen einhergehenden so-
genannte abortiven Scharlach ähnlich.
Clemens Dukes (Arzt im Rugby
Hospital), nach welchem auch die
Krankheit genannt wird, fasste dieselbe
als eine selbstständige Erkrankung auf,
für welche der milde Verlauf, der Man-
gel an Komplikationen und Nachkrank-
heiten, das Schwinden der Infektions-
fähigkeit innerhalb 2 bis 3 Wochen,
das Fehlen der Himbeerzunge und die
lange Inkubationsdauer von 14 bis 15
Tagen charakteristisch ist. Diese Er-
krankung wurde von Dukes zu wie-
derholtenmalen bei Kindern gesehen,
die echten Scharlach oder Röteln be-
reits durchgemacht hatten.
Schon Nil F i 1 a t o w hat 1885 die
Frage nach der Möglichkeit der Exis-
tenz einer solchen selbstständigen In-
fektionskrankheit aufgeworfen. Die
Frage ist jedoch bis heute noch nicht
erledigt.
Dr. Alex. Behrendt wendet sich
gegen den von Dr. G. Schirmer ge-
forderten Ausschluss der Milch von
der Ernährung Scharlachkranker wäh-
rend der ersten vier Wochen der
Krankheit. Milch ist nicht nur ein aus-
gezeichnetes Nährmitel, sondern auch
Heilmittel bei Nephritis und wirkt als
vorzügliches Diuretikum, kann also bei
Scharlach durchaus keine Belastung
der Nieren bedingen. Zufuhr von
stickstoffhaltiger Nahrung ist für die
notwendige Erhaltung des Eiweissbe-
standes, der ohnehin durch die Krank-
heit bedroht ist, dringend nötig.
Dr. G. Schirmer wiederholte zur
Entgegnung seine früher vorgebrach-
ten Argumente für seine Ernährungs-
prinzipien bei Scharlach und weist auf
die damit erzielten guten Resultate hin,
insbesondere auf die Tatsache, dass die
Kinder trotz der Milchabstinenz in der
Rekonvaleszenz ein gutes Aussehen
und einen guten Ernährungszustand
bieten.
Dr. Luckhardt pflichtet Dr.
Strauch in der Annahme bei, dass
es sich während der gegenwärtigen
Epidemie in Chicago um reinen, wenn
auch in einigen Fällen etwas atypi-
schen Scharlach handelt. Die Identi-
tät solcher atypischer Fälle mit Schar-
lach wird durch das gleichzeitige Auf-
treten typischer Scharlachfälle in ein
und derselben Familie hinreichend be-
wiesen. Dr. L. litt selbst vor Jahren
an Scharlach, dessen Quelle ein Pa-
tient mit Scarlatina sine exanthemate
war. Seine Erfahrungen während der
gegenwärtigen Epidemie (seit Novem-
ber) erstreckt sich auf 80 bis 100 Fälle
der eigenen Praxis. Die vom Depart-
ment of Health ausgegebenen Zahlen
der Scharlacherkrankungsfälle sind viel
zu klein, da mit Sicherheit eine erheb-
liche Anzahl von Erkrankungsfällen
nicht angezeigt wird ; wird ja zuge-
standenermassen meist nur der erste
Scharlachfall in einer Familie dem Ge-
sundheitsamt berichtet, um die Erfor-
dernisse der Quarantainevorschriften
durchzusetzen, nicht mehr aber die un-
mittelbaren folgenden Fälle derselben
Familie. Dr. L. beobachtete ebenfalls
zu wiederholtenmalen blosse Anginen
in Scharlachfamilien. Bei einem Schar-
lachkranken sah Dr. L. das Auftreten
eines subkutanen Abszesses in der
Palma und am Oberschenkel, in einem
anderen leichten Scharlachfall Verei-
terung von Lymphdrüsen in beiden
Axillen. Unter seinen Patienten star-
ben vier. Dr. L. befürwortet Milch-
diät; doch ist bei Niereninsuffizienz die
Flüssigkeitszufuhr im Sinne v. N o o r-
d e n's zu beschränken ; das heisst, die
übermässige Flüssigkeitszufuhr etwa
in der irrigen Absicht, die ,, Nieren
durchzuspülen" ist zu verwerfen mit
Rücksicht auf die dadurch hervorge-
rufene funktionelle Mehrbelastung von
Herz und Nieren.
Dr. M a y w i 1 1 zitiert aus der Lite-
ratur eine Erfahrung, welche ein 20-
jähriges Ueberdauern des Scharlach-
giftes beweisen soll. Er selbst beob-
achtete in der jetzigen Epidemie einige
218
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
Fälle von Lymphadenitis submaxillaris
postscarlatinosa und erwähnt zwei
von ihm beobachteten Fälle von Ty-
phus abdominalis mit scharlachähnli-
chem Exanthem.
Dr. R a d e s i n s k i's Beobachtungen
der letzten Jahre erstrecken sich auf
ca. 300 meist sporadische Scharlachfälle
mit einer Mortalität gleich Null. Es
scheint, wenn man die Mortalitätsziffern
aus Europa zum Vergleich heranzieht,
hier in Amerika der Krankheitscharak-
ter im allgemeinen ein leichterer zu
sein.
Dr. R. verhält sich in der Therapie
gewöhnlich expektativ ; man macht die
Beobachtung, dass hier in Chicago von
sehr vielen Aerzten bei Scharlachdiph-
therie das B e h r i n g'sche Diphtherie-
antitoxin verwendet wird.
Dr. Dohr m a n n hat in der gegen-
wärtigen Epidemie unter ca. 70 Patien-
ten keinen einzigen verloren.
Dr. West erschulte bedient
sich der Hydrotherapie und kühler
Wassereinläufe in den Mastdarm zur
Bekämpfung zu hoher Temperaturen
und befürwortet die Milchdiät und die
Verabreichung von Schleimsuppen und
Fruchtsäften. Auf die Erhaltung der
Körperkräfte ist besonderes Gewicht
zu legen.
Dr. Decker vermisst in den eben
vorgebrachten Behandlungsmethoden
eine wirkliche, überzeugende Moti-
vierung. In leichten Fällen von Schar-
lach, der ja eine zyklische Krankheit
ist, bedarf es keiner therapeutischen
Eingriffe, da er spontan heilt.
Hierauf hält Herr Dr. Decker sei-
nen, von ungeteiltem Beifall aufgenom-
menen Vortrag, der eine interessante
objektive, juristische Studie darstellt.
Wegen vorgerückter Zeit wird die Dis-
kussion aufgeschoben.
Herr Dr. L. A. Müller und Herr
Dr. Darling werden einstimmig zu
Mitgliedern der Deutschen Medizini-
schen Gesellschaft gewählt.
Sitzung vom 21. März 1907.
Vorsitzender : Dr. Decker (in Ab-
wesenheit des Präsidenten).
Programm.
1 ) Diskussion über den Vortrag des
Herrn Dr. Decker: Zweck und Ziel
der Deutschen Medizinischen Gesell-
schaft von Chicago.
2 ) Dr. A. H e y m : Multiple Neuritis.
3 ) 1 )r. R e m b e : Ueber Nasenblu-
ten.
I. An der Diskussion, die eine
sehr rege ist und das lebhafte Interesse
an dem Inhalt des Vortrages beweist,
nahmen die Herren Dr. Lieber-
thal, Dr. Gustav S c h i r m e r, Dr.
Riebel, Dr. Josef Beck, Dr.
Carl Beck, Dr. H o 1 i n g e r und
Dr. S c h m a u c h teil.
Im Schlusswort spricht Dr. Decker
seine Genugtuung darüber aus, dass
dieses Thema mit Gründlichkeit und
Offenheit diskutiert und mit Interesse
aufgenommen worden war. Die Dis-
kussion soll nach einer Beschlussfas-
sung nicht publiziert werden.
II. Diskussion zu Dr. Hey m's Vor-
trag:
Dr. Riebel macht Mitteilung von
einem Falle von Polyneuritis, eine
Frau betreffend, bei der sich vornehm-
lich Schmerzen und nicht motorische
Lähmungen gezeigt hatten. Die Pa-
tientin starb.
Auf die Bemerkung des Herrn Dr.
Decker, in der Abhandlung über
Neuritis im Nothnage l'schen Hand-
buch heissc es, dass die Reflexe ge-
steigert seien, erwidert Dr. H e y m,
dass die Reflexe bei ausgesprochenen
Neuritiden fehlen, dass sie höchstens
im Anfang vorhanden sein mögen.
Ausnahmen kommen allerdings vor.
Dr. Carl Beck fragte nach Er-
fahrungen bezüglich der Dauer einer
traumatischen Radialislähmung und
der Abkürzung derselben durch elek-
trische Behandlung, da er gerade ge-
genwärtig einen Fall einer auf Narkose
aufgetretenen Radialislähmung seit 6
Wochen in seinem Spitale ohne Aen-
derung des Zustandes in Behandlung
habe.
Dr. Strauch (Autoreferat) teilt
mit, dass er Gelegenheit hatte, zahl-
reiche Fälle von Beriberi (Neuritis
multiplex endemica) im Orient zu
sehen : die ersten drei Fälle bei der
Einschiffung von 600 chinesischen
Kulis in Singapore für die Reise nach
Hongkong. Die Diagnose konnte schon
aus der Entfernung aus der charakteristi-
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
219
sehen Gangstörung gemacht werden,
welche hesonders deutlich heim Gehen
üher die vom Quai auf das Schiffsver-
deck steil aufsteigende Brücke war. Es
handelte sich in diesen Fällen um die
chronische atrophische Form mit Be-
teiligung des Herzens, die sich im
schnellen, unregelmässigen, leicht er-
regbaren Puls, in Hypertrophie des
Herzens mit Akzentuation des zweiten
Pulmonaltones äusserte; es bestand
noch Atemnot bei geringen körperli-
chen Anstrengungen. Abgesehen von
abortiven, rudimentären Formen von
Beriberi gibt es drei Hauptformen. Die
atrophische Form mit progressivem
[Muskelschwund besonders an den un-
teren, oft aber auch an den oberen Ex-
tremitäten, neuritischen Ursprunges.
Folgeerscheinungen dieser Paralysen,
z. B. Spitzfuss und Kontrakturen am
Handgelenk durch vornehmliche Be-
teiligung der Extensoren ähnlich der
Bleilähmimg, Heiserkeit und Aphonie
infolge Lähmung der Kehlkopfmuskeln
konnte Dr. S. in einem Spital in Hong-
kong sehen. Ebenso auch Beispiele
der zweiten Form, der oedematösen,
bei der es namentlich an den Beinen zu
oedematösen Schwellungen kommt.
Anästhesie ist selten. Die dritte Form
ist die kardiale, perniziöse, bei welcher
binnen kurzer Zeit analog wie bei
Diphtherie durch Herzlähmung der
Tod erfolgen kann. Die Patellarseh-
nenreflexe fehlen in entwickelten Fäl-
len von Beriberi vollständig. Heilung
ist möglich, die Mortalität schwankt
zwischen 3 bis 50 Prozent in den ver-
schiedenen Epidemien — also inner-
halb sehr weiter Grenzen. Beriberi ist
eine multiple Neuritis.
Dr. Strauch berichtet ferner über
einen Fall von viele Monate dauernder
Arsenikneuritis der unteren Extremi-
täten nach kleinen Dosen von Fow-
1 e r'scher Lösung.
Dr. Heym antwortet im Schluss-
wort, dass die Heilungsdauer der trau-
matischen Neuritis von der Intensität
des Traumas und dessen Wirkung ab-
hängig ist. Traumatische Facialisläh-
mungen können bereits nach acht Ta-
gen schwinden, wofern dieselben nur
wenig ausgesprochen waren. Im
Durchschnitt nimmt die Restitution
etwa 3 Monate in Anspruch, mitunter
aber noch längere Zeit, bis Jahre ; oder
in seltenen Fällen ist die Lähmung un-
heilbar. Gewöhnlich heilen die trau-
matischen Radialislähmungen. Mit Be-
ziehung auf den von Dr. R i e b e 1 zi-
tierten Fall bemerkt Dr. Hey m, dass
die motorische Lähmung nicht immer
deutlich sichtbar zu sein braucht,
wenn noch genügend andere motori-
sche Nervenfasern funktionsfähig ge-
blieben sind ; doch würde man Entart-
ungsreaktion nachweisen können.
Wichtig ist es zu beachten, dass bei
Neuritis alkoholische Getränke streng
zu vermeiden sind, da Alkohol ein
Nervengift ist.
Wegen vorgerückter Zeit wird der
Vortrag des Herrn Dr. R e m b e ver-
tagt.
Sitzung vom 4. April 1907.
Vorsitzender : Dr. Herzog.
Programm.
1) Dr. R e m b e : Ueber Nasenblu-
ten.
2) Dr. Z i m m e r m a n n : Ueber
moderne Wundbehandlung.
3) Geschäftliches.
Dr. Holinger eröffnet die Dis-
kussion zu Dr. Remb e's Vortrag.
Es dürfen von den praktischen Aerz-
ten keine technischen Erfahrungen in
den verschiedenen, oft komplizierten
Blutstillungs- und Untersuchungsme-
thoden verlangt werden, die er nicht
haben kann. Einfach ist es aber, die
Nasenspitze aufzuheben, um am vor-
deren Ende des Septums die blutende
Stelle zu sehen und zu behandeln. Dr.
H. spricht sich ebenfalls gegen die
Verwendung von Eisenchloridlösung,
wenn auch mit einer Einschränkung,
aus : Die sonst unerwünschte ver-
schonende Wirkung des Eisenchlo-
rides ist dort angebracht, wo es sich
um die Behandlung ektatischer Venen
handelt ; auch Trichloressigsäure ist
hier verwendbar. Der Staub und
Schmutz in den Städten spielt eine sehr
wichtige ätiologische Rolle in der Er-
zeugung des Nasenblutens, bedingt
durch eine Rhinitis anterior, die hier in
Chicago namentlich sozusagen epide-
misch ist. Die Epidermis überwuchert
220
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
die Schleimhaut, eine Metaplasie ist
die Folge des chronischen Reizes, der
mit beständigem Bohren und Entfer-
nen der Krusten aus dem Vestibulum
verknüpft ist. Ein einfacher Tampon
auf die blutende Stelle hier appliziert,
genügt zur Blutstillung. Zur Verhin-
derung neuer Krustenbildungen dient
eine Salbe, z. B. Lanolin mit etwas
gelbem Quecksilberoxyd und einigen
Tropfen Perubalsam, der den Zweck
hat, die Salbe besser klebend zu ma-
chen.
Dr. V a h 1 1 e i c h verwirft alle Ei-
sensalze, inklusiv das von Dr. Re m b e
empfohlene Ferropyrin, mit Rücksicht
auf die nekrotisierende, koagulierende
Wirkung derselben auf das Schleim-
hautepithel. Nach Abstossung des
Schorfes entsteht eine entblösste Stelle,
welche ulzerieren kann. Bei arteriel-
len Blutungen wirken sowohl Eisen-
salze als auch Wasserstoffsuperoxyd,
das von Dr. R e m b e so warm em-
pfohlen wird, unsicher, und man kann
den Patienten nicht mit ruhigem Ge-
wissen fortgehen lassen. Sicher wirkt
nur die Tamponade. Ausgezeichnet,
wenn auch etwas kompliziert, ist die
von F e e r beschriebene „schichtweise
Tamponade" mittels schmaler Lint-
streifen, die mit Bismut imprägniert
sind ; das letztere verhindert das Fau-
len, sodass man diese Tampons sechs
Tage liegen lassen kann.
Dr. E. Ries bemerkt, dass die
Lehre von den vikariierenden Nasen-
blutungen unrichtig sei ; er wenigstens
habe trotz 18 bis 20jähriger gynäko-
logischer Erfahrung noch niemals ei-
nen solchen Fall gesehen, auch nicht
nach Entfernung des Uterus mit Zu-
rückbleiben der Ovarien. Schwellun-
gen der Nasenschleimhaut können na-
türlich zur Zeit der Menstruation ge-
legentlich Blutungen hervorrufen, doch
sind diese unregelmässig, während vi-
kariierendes Nasenbluten regelmässig
wiederkehren müsste.
Dr. Carl Beck: Die schichtweise
Packung wird in den verschiedensten
Körperhöhlen verwendet, ist sehr wir-
kungsvoll, hat aber den Nachteil, dass
die Entfernung der Streifen manchmal
sehr schwierig ist. Besser ist die Ver-
wendung eines einzigen langen Strei-
fens, der in der Mitte mit einem Faden
armiert ist, längs des Fadens kann der
Streifen leichter sowohl eingeführt als
auch herausbefördert werden. Der Fa-
den hat einfach den Zweck, eine Ver-
wicklung des Streifens zu verhindern.
Dr. Zimmermann weist auf die
grossen Schwierigkeiten der Blutstil-
lung bei Haemophilie hin.
Dr. Decker: Nasenblutungen sind
im allgemeinen leicht und nach den
\ erschiedenen, hier erwähnten Metho-
den zu stillen; doch kommt es dem
praktischen Arzt hauptsächlich um die
Anwendung der einfachsten Mittel an.
Die Applikation von Gelatine mittels
Wasser habe ihm gute Dienste geleistet.
Dr. C r o f t a n : Es gibt Nasenblut-
ungen, die man nicht stillen soll, weil
sie ähnlich einer Venaesektion erleich-
ternd wirken ; z. B. bei Herzfehlern, bei
drohender Apoplexie. Die Möglichkeit
einer vikariierenden Nasenblutung ist
doch nicht so absolut von der Hand zu
weisen.
Dass Wasserstoffsuperoxyd, das von
Dr. Rerabe so warm empfohlen
wurde, ein ausgezeichnetes Haemosta-
tikum ist, habe er an sich selbst erfah-
ren, nachdem die verschiedensten Mit-
tel gegen eine acht Tage lang wäh-
rende arterielle Blutung aus einer
kleinen Exulzeration am Xasenseptum
vergeblich angewendet worden waren.
Dr. Rerabe (Schlusswort) : Eisen-
chlorid ist nachteilig, wenn die Blutung
nicht sofort steht, da sich viele Koa-
gula bilden, deren schwierige Entfern-
ung wieder eine Blutung anfachen
kann. Die ,, schichtenweise Tampo-
nade" hat den Nachteil, dass sie zu um-
ständlich ist, von Seiten des Praktikers
viel Geschicklichkeit und eine gute Be-
leuchtung erfordert. Die Anwendung
des Wasserstoffperoxydes hingegen ist
höchst einfach und kann sozusagen im
Dunkeln geschehen.
Bei der Verwendung von Gelatine in
loco ist die Möglichkeit einer Tetanus-
infektion im Auge zu behalten. Gela-
tine wirkt auch innerlich genommen
und wäre neben Adrenalin intern viel-
leicht bei Nasenblutungen Haemophi-
ler zu versuchen.
Hierauf hält Dr. Zimmermann
seinen ausführlichen Vortrag.
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
221
Dr. Saurenhaus eröffnet die Dis-
kussion.
Seit 20 Jahren bediene er sich nur
des Katguts, das zur Verhinderung von
Nekrose immer nur leicht geknüpft
werden soll. Dieser technische Punkt
ist sehr wichtig. Die Asepsis bei Ope-
rationen ist schwierig zu beachten,
wenn mehrere Personen (Assistenten,
Wärterinnen etc.) beteiligt sind; je
grösser die Anzahl der beteiligten Hände
umsogrösser die Wahrscheinlichkeit von
kleinen Verstössen gegen die Asepsis
mit bisweilen schweren Folgen. Dr.
S. konnte als unbeteiligter Zuschauer
bei Operationen fast immer derartige
Fehler beobachten. Besonders nach
Assistentenwechsel häufen sich die Un-
regelmässigkeiten.
Dr. Carl Beck betont die Wich-
tigkeit der sich gleichbleibenden As-
sistenz zur Wahrung der Asepsis und
die Notwendigkeit der Trennung der
„septischen" von „aseptischen" Assis-
tenten und Operationslokalen. Das
grobe Operieren soll so viel wie mög-
lich vermieden werden ; namentlich
das Zerreissen der Gewebe mittels
Hand oder Gazebausch, da so nekroti-
sche Fetzen geschaffen werden, die für
die primäre Wundheilung nicht gleich-
giltig sind. Auch eine exakte Blutstil-
lung, Vernähung eines nicht mehr blu-
tenden Gewebes nach Versorgung auch
kleinster Gefässe ist bedeutungsvoll,
denn Räume mit Blutansammlung ge-
ben Keimen Gelegenheit zur Entwick-
lung. Das Ligieren von grösseren
Bündeln muss soviel wie möglich ver-
mieden werden, vielmehr soll nur das
Gefäss unterbunden und die Zahl der
Nähte und Knoten möglichst be-
schränkt werden. Bei infektiösen Ope-
rationen sind Gummihandschuhe zu
verwenden, um die Hände vor Infek-
tion zu schützen.
Dr. Doepfner macht einige his-
torische Bemerkungen und weist da-
rauf hin, dass die offene Wundbehand-
lung bereits vor der Antiseptik ent-
wickelt war ; erst nach dem bakteriolo-
gischen Unwesen kam die vergessene
offene Wundbehandlung wieder in den
Vordergrund. Wunden nach Unfälle
oder solche, die von uns gesetzt wer-
den mit nicht sicherer Asepsis, sollen
offen bleiben, bis die Asepsis evident
ist, und mögen dann sekundär genäht
werden. War die Wunde nicht asep-
tisch, dann ist der Verlauf derselben
bei der offenen Behandlung leichter zu
beherrschen. Bei Unfallswunden und
unsicheren chirurgischen Wunden soll
man ja nicht zu viel nähen. Auch das
Anlegen von zu kleinen Schnitten bei
Infektionen ist ein falsches Prinzip.
Dr. E. Ries kritisiert die hier in
Amerika vielfach geübte Anwendung
von starken Antiseptizis bei Unfalls-
wunden, besonders auch bei den leich-
testen Verletzungen und berichtet ei-
nen Fall, wo durch den Gebrauch von
starken Antiseptizis ausgedehnte Ent-
zündungen der Haut hervorgerufen
worden sind. Solche Wunden werden
durch reizende Mittel wie Karbolsäure
in der Heilung gestört ; oberflächliche,
vielleicht auch tiefere Gangrän (Ne-
krose) kann unter solchen Umständen
Platz greifen. Bergmann zeigte,
dass akzidentelle Wunden bei einfach
aseptischer Behandlung rascher heilen
als bei antiseptischer. Ueber den Mi-
kroorganismen darf man nicht den Ma-
kroorganismus mit seiner Wider-
standskraft vergessen, für deren Mass-
stab wir vorläufig kein Mittel besitzen.
Ob der Opsoninindex hiezu dienen
kann, wird die Zukunft erst zeigen.
Herr Dr. Z i m m e r m a n n ist zu be-
glückwünschen zu der reichen Gele-
genheit, die sich ihm geboten hatte, mit
Chirurgen vieler Länder und Nationen
bekannt zu werden ; darum freue uns
die Anerkennung, welche Dr. Z i m-
m e r m a n n den Amerikanern zollt,
umsomehr.
Dr. Holinger: Bei Ohren- und
Nasenwunden liegen besondere Ver-
hältnisse vor; jene sind stets septisch.
Dr. H. sieht vollständig von vorberei-
tenden Desinfizierungen der Nase oder
des Rachens vor operativen Eingriffen
ab ; trotzdem kommt Heilung bereits
nach 3 bis 4 Tagen zu Wege.
Dr. R i e b e 1 : Die Vorbereitung der
Haut vor Operationen soll nach ein-
fachen Prinzipien geschehen ; die Haut
soll nicht durch die Anwendung von
zu starken Antiseptizis angegriffen
werden. Katgut ist, da es aus Darm
fabriziert wird, oft sehr unrein ; Naht-
222
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
material, das aus dem Ligamentum
nuchae der Walrosse verfertigt wird,
(S e n n) verdiene wegen seiner Rein-
lichkeit und grösseren Haltharkeit den
Vorzug.
Dr. Doepfner weist noch einmal
darauf hin, dass es eine Illusion ist,
septische Wunden mit Antiseptizis zu
behandeln ; letztere wirken höchstens
deodorisierend.
Dr. Alfred Schirmer spricht
über seine guten Erfahrungen mit Kol-
largol bei der Behandlung von akziden-
tellen Wunden, im speziellen der Kopf-
wunden. Kollargol habe den Vorzug, |
dass es bei starker antiseptischer Wir-
kung keine Reizung der Gewebe her-
vorrufe.
Dr. Zimmer m a n n dankt im
Schlusswort für die Ergänzungen in
der Diskussion.
Geschäftliches: Es wird beschlossen,
im Sinne eines Antrages des Herrn Dr.
Ries, dem „Vereine alter deutschen
Studenten in New York" unsere Sym-
pathie mit dessen Bestrebungen, liier
in Chicago einen Zweigverein zu be-
gründen, auszudrücken.
Dr. Aug. Strauch,
Schriftführer.
Therapeutische und klinische Notizen.
— Die Prophylaxe der venerischen Krank-
heiten und insbesondere der Gonorrhoe ist
im Verlaufe der letzten 10 Jahre zu einem viel
und öffentlich besprochenen Thema geworden.
Das Haupt verdienst daran hat die „Deutsche
Gesellschaft zur Bekämpfung der Geschlechts-
krankheiten". In Deutschland wurde die
,,Autoprophylaxe" in einer ganzen Anzahl von
Mitteilungen besprochen ; spezielle Apparate
zur Verhütung der gonorrhoischen Infektion
werden unter immer neuen Namen empfohlen ;
so hat u. a. B 1 o k u s e w s k i bereits im Jahre
1899 einen Taschentropfapparat, mit 2 proz.
Protargollösung gefüllt, zu diesem Zwecke in
den Handel gebracht und einige Jahre spate:
seine Apparate „Samariter" und „Sanitas"
konstruiert. Allein das trifft alles nur für
europäische Länder zu ; hier in Amerika
durfte von derartigen Dingen beileibe nicht
die Rede sein, sonst hätte man sich ja dem
Vorwurfe ausgesetzt, durch diese prophylak-
tische Mittel die Unmoral zu fördern. Bei
einer in der Deutschen medizinischen Gesell-
schaft der Stadt New York im Jahre 1903
stattgefundenen Diskussion über die Abortiv-
behandlung der Gonorrhoe machte Dr. L.
Weiss die Mitteilung, dass er, von dem Ge-
danken ausgehend, dass die Prophylaxe vor
die Abortivbehandlung zu setzen sei, schon
früher einige dieser Präservativfläschchen aus
Deutschland herübergebracht habe, dass aber
einige amerikanische Kollegen augenverdreh-
end dazu bemerkten : „We don't want German
morals here". Dabei geht aber, wie Dr.
Weiss hinzufügt, die Durchseuchung mit
venerischen Krankheiten flott weiter, und.
würde die individuelle Prophylaxis häufiger
geübt, so wäre die Abortivkur überflüssig.
Dies wäre nur möglich, wenn augenver-
dreherischer Utopismus sich weniger breit
machen würde.
Im Laufe der letzten Jahre ist aber dennoch
ein Umschwung in diesen Anschauungen hier-
zulande eingetreten und eine einheimische
Firma hat es unternommen, den bisherigen
Vorurteilen zum Trotz und unbeirrt von dem
Gekläffe der muckerischen Meute einen den
in Deutschland gebräuchlichen ähnlichen Ap-
parat herzustellen und auf den Markt zu
bringen. Es ist dies die „Preventol Chemical
Company" und das kleine Fläschchen, das von
dieser Gesellschaft fabriziert wird, heisst „The
Preventol Tube". Der Inhalt des Fläsch-
chen besteht aus einer 2 proz. Protargolmisch-
ung mit Gelatine, welcher noch einige Anti-
septika (Eukalyptol und ätherische Oele) bei-
gegeben sind. Aerzten gegenüber ist es über-
flüssig, den Wert eines derartigen Prophylak-
tikums hervorzuheben. Es möge nur noch
hinzugefügt werden, dass der kleine Apparat
in nur ethischer Weise vertrieben wird, d. h.
die Firma wendet sich nur an die Aerzte mit
demselben und inseriert nicht in Tageszeitun-
gen.
JVTecUzimscbe ]VIonat88cbnft
Offizielles Organ der
Deutzen mcdizinifcbcti Gcfell[chaften der Städte Hcw y»rR,
Chicago, €lcveland und San Trancisco.
Redigiert von Dr. A. Ripperger.
Bd. XIX. New York, November, 1907. No. 8.
Originalarbeiten.
Schilddrüse, Epithelkörper und
Von S. J.
Die höfliche Einladung des Herrn
Präsidenten lautete : Ueber die Physiolo-
gie der B a s e d o w'schen Krankheit zu
sprechen. Eine fertige Physiologie oder
auch Pathotlogie des Basedow gibt es
auch heute noch nicht ; Alles ist noch im
Gähren, im Werden begriffen. Ich
konnte höchstens den gegenwärtigen
Stand dieser Gährprozesse besprechen
und auch den zurückgelegten Weg kurz
skizzieren.
Eine Physiologie des Basedow meint
heut zu Tage eine Physiologie der
Schilddrüse. Ich sage „heut zu Tage" ;
denn die Erkenntnis von der engen Be-
ziehung dieser Drüse zu der Base-
d o w'schen Krankheit ist nur kurzen
Datums. Es ist eine überraschende, und
von einem gewissen Gesichtspunkte aus
auch instruktive, Tatsache, dass für fast
ein halbes Jahrhundert gar nicht daran
gedacht wurde, in dem pathologischen
Zustande der Thyreoidea die eigentliche
Ursache dieser Erkrankung zu suchen.
Dabei stand der betreffende Zeitabschnitt
*) Vortrag, gehalten in der Deutschen
Medizinischen Gesellschaft der Stadt New
York am 14. November 1907.
die Basedow'sche Krankheit.*
Meltzer.
in der medizinischen Geschichte doch
vorwiegend unter dem Zeichen der pa-
thologischen Anatomie, und der patho-
logische Zustand der Schilddrüse beim
Basedow ist doch gewiss eine grob
anatomische Veränderung. Freilich
konnte man bei dieser Krankheit keine
besondere postmortale pathologische
Anatomie konstatieren, Alles, was da
pathologisch ist und primär zur Krank-
heit gehört, sieht schon der behandelnde
Arzt. Vielleicht darum haben die patho-
logischen Anatomen im allgemeinen sich
um die B a s e d o w'sche Krankheit nie
recht gekümmert ; das Forschen und Ar-
gumentieren auf diesem Gebiete wurde
wesentlich von den Klinikern fortge-
führt. Ein weiterer Erklärungsgrund
liegt vielleicht in der Tatsache, dass man
bald Fälle von Basedow sah, bei denen
eigentlich kein Kropf konstatiert wer-
den konnte, andererseits viele Kropf-
fälle vorhanden sind, die keine der an-
deren Symptome der B a s e d ow'schen
Krankheit aufweisen.
Als Basedow seine erste Darstel-
lung der nach ihm benannten Krankheit
gab, da herrschte in der medizinischen
Literatur der verschwommene Geist der
224
New Yorker Medizi
nische Monatsschrift.
Krasenlehre, welche von Rokitansky
ersonnen wurde, um die grossen Lücken
der pathologischen Anatomie zu über-
brücken. Im Sinne dieser Lehre nahm
Basedow an, dass eine schlechte Säf-
temischung die in Rede stellende Krank-
heit verursacht, Wer da will, der darf
behaupten, dass diese Auffassung nicht
weit weg ist von den gegenwärtigen
herrschenden Theorien. In der darauf
folgenden Epoche, als durch das Ein-
greifen V i r c h o w's der Herrschaft der
Humoralpathologie ein Ende bereitet
wurde, da entstanden nacheinander eine
ganze Schar von Theorien, deren
grösste Mehrzahl den Basedow in der
einen oder anderen Weise durch Störun-
gen im Nervensystem entstehen liesen.
Der früher so mysteriös erscheinende
Sympathikus und der wenig durchsich-
tige Begriff der Neurosen spielen eine
beträchtliche Rolle in diesen Theorien.
Ich werde natürlich auf eine Diskussion
dieser Theorien hier nicht näher ein-
gehen. Aber ich will doch bemerken,
dass manche dieser Theorien gar nicht
so weit weg hinter uns liegen. Finden
wir doch noch in A 1 1 b u t t's grossem
Handbuch den Hinweis auf die grosse
Aehnlichkeit des Basedow mit Angst -
zuständen und die bestimmte Angabe,
dass der pathologische Zustand der
Schilddrüse nicht das primäre sein kann.
Und es ist doch wohl noch in aller Ge-
dächtnis, dass hüben und drüben zur
Heilung des Basedow der Halssympathi-
kus oder das obere Halsganglion rezesiert
wurde. In manchen dieser Theorien
freilich spielte auch die vergrösserte
Schilddrüse eine Rolle aber nur dadurch,
dass sie durch ihre Grösse die wichtigen
Halsnerven drückt und so entweder Reiz-
ungs- oder Lähmungserscheinungen oder
gar beides bewirkt. Von einer Beteilig-
ung dieser Drüse am Krankheitsprozess
durch ihre Tätigkeit war nirgends die
Rede. Wusste doch niemand welcher
Tätigkeit diese Drüse fähig wäre. Nun
darin kam wie mit einem Schlage neues
Licht. Die denkwürdige kurze Epoche
in den achtziger Jahren des letzten Jahr-
hunderts dürfte noch manchem von
Ihnen hier lebhaft in Erinnerung sein.
Theodor Koc h e r berichtete
1 8<S3 auf dem Chirurgen- Kon^ress in
Berlin über die merkwürdigen Veränder-
ungen, welche die Patienten darboten, an
denen die totale Exstirpation der Schild-
drüse ausgeführt wurde. Eine ähnliche
Mitteilung wurde bald auch von A. R e-
v c r d i n in Genf gemacht. Dann stellte
es sich bald heraus, dass diese Veränder-
ung denjenigen ähnlich waren, welche ei-
nige Jahre vorher Gull an einigen Pa-
tienten beobachtet hatte. Eine solche
Patientin kam zur Autopsie und Ord
konstatierte den Mangel einer Schild-
drüse. Nun hatte Schiff bereits vor-
her Angaben über die Bedeutung dieses
ürganes für das Leben der Tiere ge-
macht ; seine Angaben sind aber unbe-
achtet geblieben. Jetzt nun wurden sie
von verschiedenen Seiten geprüft und
allgemein bestätigt gefunden. Die Schild-
drüse war also ein lebenwichtiges Organ
und die am Tiere beobachteten Ausfalls-
erscheinungen waren zum Teil denen
ähnlich, wie sie beim Myxoedem und der
menschlichen Cachexia strumipriva be-
obachtet wurden. Schiff zeigte auch
bald, dass durch eine peritoneale Implan-
tation einer Schilddrüse die Ausfallser-
scheinungen beim Tiere zum Verschwin-
den gebracht werden können. Diese Be-
obachtung führte bald durch einige Zwi-
schenstufen zu der praktisch hoch be-
deutsamen Entdeckung von Murray,
dass auch am Menschen durch Verfütter-
ung von Schilddrüsen oder deren Ex-
trakte die Symptome des spontanen und
des chirurgischen Myxoedems beseitigt
werden können. Anfangs der Neunziger
Jahren war nun das ganze neue Kapitel
zunächst abgeschlossen. Die Schilddrüse
hatte nun eine Physiologie, eine Patholo-
gie, und die letztere sogar auch schon
eine Therapie. Die Drüse versorgt den
Körper mit einem lebenswichtigen Saft,
bei dessen vollständiger Abwesenheit jene
auffälligen Symptome entstehen, wie man
sie nun in den folgenden fünf verschie-
denen Zuständen kennen gelernt hat : Das
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
225
Myxoedem des Erwachsenen, das infan-
tile Myxoedem. der Kretinismus, die
chirurgische und die experimentelle
Cachexia strumipriva. Zn diesen For-
men der kompletten Athvreosis dürfen
noch jene inkompletten Formen zugefügt
werden, welche nur Folgen einer Hyp-
thyreosis variablen Grades sind; es sind
dies die mitigierten Formen, auf deren
Vorkommen Hertoghe besonders
aufmerksam gemacht hat, und die For-
men einseitiger Symptome, welche von
Kocher als thyreoprive Aequivalente
bezeichnet werden.
Und nun kommen wir zu den Bezieh-
ungen der Schilddrüse zum Basedow.
Bald nach dem Bekanntwerden des ope-
rativen Myxoedems haben wohl viele an
der Möglichkeit einer solchen Beziehung
gedacht. Es war jedoch Moebius,
der bereits 1886 auf die wichtige Tat-
sache hinwies, dass die meisten Symp-
tome der B a s e d o w'schen Krankheit
das gerade Gegenteil von den Sympto-
men darstellen, die beim Myxoedem vor-
kommen, und obenan steht der Gegen-
satz, hier das Fehlen einer Schilddrüse,
dort das Vorhandensein einer hypertro-
phischen Drüse. Moebius stellte nun
die Hypothese auf, dass die Erkrankung
der Schilddrüse die primäre Ursache im
Symptomenkomplex des Basedow sei ;
der Ueberschuss an Schilddrüsensaft, der
Hvperthyreoidismus, veranlasse all diese
Symptome. Diese Hypothese wurde an-
fangs der Neunziger Jahre durch
zwei weitere Tatsachen gestützt. Er-
stens wurde inzwischen durch unlieb-
same Erfahrungen festgestellt, dass
durch die Verabreichung von zu
viel Schilddrüse Symptome entstehen,
welche in vieler Hinsicht denen des Ba-
sedow sehr ähnlich sind. Dann berichte-
ten mehrere Chirurgen, dass bei einer
teilweisen Entfernung des Basedowkrop-
fes viele der Krankheitssymptome we-
sentlich zurückgingen. Die thyreogene
Theorie des Basedow, wie man jetzt
die M o e b i 11 s'sche Hypothese nennt,
stand nunmehr im Vordergrund der Dis-
kussion.
In den folgenden Jahren wurde viel
über die Funktion der Schilddrüse und
über deren Beziehung zum Basedow
gearbeitet. Mehr oder weniger wichtige
Tatsachen sind zu Tage gefördert wor-
den. Manche Arbeiten freilich haben
nichts weniger als zur Klärung der Pro-
bleme beigetragen. An der Spitze der
neugewonnenen Erkenntnisse darf aber
ein Resultat hingestellt werden, das an
Wichtigkeit und Tragweite der Grund-
erkenntnis von der Funktion der Schild-
drüse nicht nachkommt und in einer Be-
ziehung diese noch übertrifft, indem
nämlich nicht nur eine neue Funktion
eines Organes erkannt wurde, sondern
vielmehr das Organ selbst musste erst
entdeckt werden. Dabei wurde helles
Licht auf manche Widersprüche gewor-
fen, welche in der experimentellen wie in
der chirurgischen Beobachtung über die
Exstirpation der Schilddrüse zu Tage
traten. Es hatte damit folgendes Be-
wandtnis. Zunächst haben die Chirurgen
manchmal ein auffälliges Symptom kon-
statieren müssen, das beim spontanen
Myxoedem nie gesehen wurde, nämlich
Tetanie. Dann hatte die Uebereinstim-
mung zwischen den Beobachtungen an
Tieren und an Menschen viel zu wün-
schen übrig gelassen. Das Eklatanste
am Tierexperimente war noch das, dass
die Tiere eine totalen Exstirpation der
Schilddrüsen meistens nicht lange über-
leben konnten. Freilich war auch das
nicht immer der Fall und namentlich
nicht bei allen Tierspezies. Aber das
könnte man noch durch Vorhandensein
von akzessorischen Schilddrüsen oder
durch das Zurücklassen von Drüsenres-
ten und Hypertrophierung derselben er-
klären. Unliebsam störend waren jedoch
die Tatsachen, dass man bei den Tieren
fast nie Symptome von Myxoedem er-
zielen konnte, und was man da nach der
Drüsenexstirpation sah, war wiederum
hauptsächlich Tetanie. Man versuchte
den Widerspruch durch die Verschieden-
heit der Nahrung oder der Tierspezies
u. s. w. zu erklären. Befriedigend waren
diese Erklärungen nicht. Und nun ent-
226
New Yorker Medizin
ische Monatsschrift.
wickelte sich nebenher eine neue Er-
kenntnis. Sandstroem hatte 1880
zum ersten Male die Existenz von ganz
kleinen Körperchen an der hinteren
Fläche der Schilddrüse beschrieben, wel-
che er als Nebenschilddrüsen benannte.
Für längere Zeit wurde deren Zugehörig-
keit zur Schilddrüse als selbstverständ-
lich angenommen, und manche betrach-
teten sie als embryonales Schilddrüsen-
gewebe. G 1 e y kam nun 1891 auf den
Gedanken, dass die nach Entfernung der
Schilddrüsen beobachteten Tetanien in
irgend einer Weise mit diesen Neben-
schilddrüsen zusammenhängen. Er ent-
fernte bei Kaninchen die zwei freilie-
genden Nebenschilddrüsen allein oder die
Schilddrüsen allein und sah dabei keine
üblen Folgen. Dagegen sah er Tetanie
prompt auftreten, wenn er die Schilddrü-
sen und Nebenschilddrüsen zusammen
gleichzeitig entfernte. G 1 e y nahm an,
dass die Nebenschilddrüse kompensato-
risch für die Schilddrüse eintreten könne.
Alfred Kohn, der bekannte Prager
Histologe. hat aber durch gründliche
Studien nachgewiesen, dass die soge-
nannten Nebenschilddrüsen vollständig
selbstständige Organe sind und weder
histologisch noch embryologisch etwas
mit der Schilddrüse zu tun haben. Er
nannte sie Epithelkörper. Kohn zeigte
ferner, dass beim Kaninchen vier solcher
Epithelkörper vorkommen, von denen
zwei in der Schilddrüse eingebettet lie-
gen. G 1 e y hatte darum gar keinen sol-
chen Versuch gemacht, in welchem alle
Parathyreoideae allein entfernt worden
sind. Solche Versuche haben bald Vas-
sale und Generali ausgeführt und
haben in der Tat gefunden, dass bei kom-
pletter Entfernung aller Epithelkörper
unter Schonung der Thyreoidea die
Tiere unter reinen Symptomen der Teta-
nie zu Grunde gingen ; dagegen zeigten
Tiere, denen die Schilddrüse entfernt
wurde unter Schonung der Epithelkörper
keinerlei Zeichen von Tetanie. Weitere
Versuche von anderen Forschern, na-
mentlich die kürzlich mitgeteilten Beob-
achtungen und Experimente von Pen-
n e 1 e s und von E r d h e i m stellten die
Sache über allen Zweifel fest, dass Teta-
nie eine nur den Epithelkörpern zuge-
hörige Ausfallserscheinung ist, und dass
die bei Mensch und Tier vorkommende
Tetanie nach Entfernung der Schilddrüse
durch eine unbeabsichtigte Mitentfern-
ung der Epithelkörperchen zu stände
kommen. Des weitern ist interessant zu
bemerken, dass bereits 1898 sowohl
M o u s s u als L u s e n a durch intrave-
nöse Einspritzungen von aus Neben-
schilddrüsen bereitetes Extrakt die Teta-
nie beseitigen konnten. P> e e b e hier hat
im laufenden Jahre Lösungen aus den
Xukleoproteiden dieser Epithelkörper-
chen hergestellt ; er konnte damit bei
Hunden die tetanischen Anfälle minde-
stens temporär beseitigen ; und Hal-
sted berichtete kürzlich, dass diese Nu-
kleoproteine auch in einem Falle von
postoperativer Tetanie beim Menschen
gute Dienste leistete. In den letzten Ta-
gen wurde von Leise liner in Wien
berichtet, dass es ihm gelungen ist, die
Epithelkörperchen mit dauernder Erhalt-
ung ihrer Funktionsfähigkeit zu trans-
plantieren. Damit ist der Weg ange-
bahnt, die parathyreoprive Tetanie dau-
ernd zu heilen.
Somit ist unser Wissen durch die ex-
perimentellen Arbeiten der letzten Jah-
ren wiederum um ein neues Kapitel wun-
dersam bereichert worden. Winzige
Körperchen, von deren Existenz noch
vor drei Dezennien kein Mensch eine
rechte Ahnung gehabt zu haben scheint,
wurden als lebenswichtige Organe er-
kannt, deren Entfernung Tetanie und
Tod im Gefolge hat. Es wurde ferner
nunmehr erkannt, dass die widerspre-
chenden Resultate der früheren Experi-
mente und Operationen ihren Grund da-
rin hatten, dass mit der Entfernung der
Schilddrüse oft gleichzeitig die Epithel-
körperchen entfernt oder deren Zirkula-
tion geschädigt wurde. H a 1 s t e d und
Evans haben kürzlich eine sehr sorg-
fältige Studie über die Gefässversorgung
der Epithelkörper beim Menschen ver-
i öffentlicht. Aus dieser Studie kann man
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
227
ersehen, wie ungemein schwierig es ist,
bei Kropfoperationen die Schädigung
der Zirkulation dieser Organe zu ver-
meiden. Eine genaue Kenntnis dieser
Verhältnisse wird aber auch der Base-
dow-Therapie zu gute kommen.
Wir wollen an dieser Stelle auch er-
wähnen, dass bei Fällen von Basedow,
die zur Autopsie kamen, von G. W. M c-
C a 1 1 u m und anderen die Nebenschild-
drüsen sich als normal erwiesen haben.
Die Epithelkörper haben demnach, für
gewöhnlich, an der Entstehung des Base-
dow wohl keinen wesentlichen Anteil.
Eine weitere wichtige Gruppe von Tat-
sachen von bleibendem Werte, welche die
Untersuchungen der letzten Jahren zu
Tage gefördert haben, betrifft die Be-
ziehung des Jodes zur Schilddrüse und
und deren wirksames Produkt. Ich
werde die bezüglichen wesentlichen Tat-
sachen nur ganz kurz erwähnen. B a u-
m a n n fand, dass die normale Drüse jod-
haltig ist. Die weiteren Forschungen er-
gaben, dass der Jodgehalt mit der Jod-
aufnahme im Körper wächst. — Die
Schilddrüsen von Neugeborenen enthal-
ten noch kein Jod. — Auch die Schild-
drüse von manchen Tieren, namentlich
Raubtieren, enthalten kein Jod. — Wird
ein Teil einer Schilddrüse entfernt, so
wächst der Jodgehalt des zurückgebliebe-
nen Teiles. — Das Jod ist in der Drüse
an Globulin gebunden. — Das Jodothyrin,
wie man die Jodeiweiss-Verbindung der
Schilddrüse früher nannte, ist bei Myx-
oedem wirksam ; es scheint aber doch,
dass Extrakte der ganzen Drüsensub-
stanz merklich besser wirksam sind als
das Jodothyrin. — Die jodfreie Substanz
ist nicht wirksam. — Beim Basedow ist
die Schilddrüse ärmer an Jod.
Viele der beteiligten Untersucher sind
geneigt, die Wirksamkeit der Drüse we-
sentlich der darin enthaltenen Jodver-
bindung zuzuschreiben. Doch ist zu be-
denken, dass auch bei Neugeborenen und
bei Raubtieren die Schilddrüse ein le-
benswichtiges Organ ist. Es will mir
scheinen, dass der konstatierte Parallelis-
mus zwischen der Wirksamkeit der
Drüse und der Quantität des anwesenden
Jodes nicht zwingend dafür spricht, dass
die Jodverbindung das wirksame Prinzip
ist. Man konnte es auch so deuten, dass
je wirksamer die Drüsensubstanz ist, um
so grösser ist ihre Fähigkeit, Jod aufzu-
nehmen, und zwar geschieht dies als eine
Teilaufgabe der Schilddrüsenfunktion,
den Körper von gewissen Giftstoffen zu
befreien. Doch werde ich hier auf eine
weitere Diskussion dieses Themas nicht
mehr eingehen.
Die Stoffwechseluntersuchungen haben
die Tatsachen festgestellt, dass beim
Basedow die Sauerstoffaufnahme ver-
mehrt und die Oxydation verstärkt ist,
und dass mehr stickstoffhaltige Substan-
zen verbraucht werden. Beim Myxoe-
dem dagegen walten genau die entgegen-
gesetzten Verhältnisse ab.
Aus den vielen histologischen Unter-
suchungen ist hervorzuheben, dass weit-
aus die meisten Untersucher für den Ba-
sedowkropf spezifische Vorgänge konsta-
tieren und zwar weist alles auf eine
Wachstumstätigkeit hin. Die histologi-
schen Bilder sind meistens denen ähnlich,
welche H a 1 s t e d in dem zurückbleiben-
den Teile der Drüse nach teilweiser Ex-
stirpation beobachtet und beschrieben hat
und welche von ihm als Ausdruck einer
kompensatorischen Hypertrophie gedeu-
tet wurden. Albert Kocher hat sich
jedoch in seinem Vortrage in Atlantic
City dahin ausgesprochen, dass diese Bil-
der nicht spezifisch für den Basedow sind.
Mit der grösseren Zellwucherung in-
nerhalb der hypertrophierenden Schild-
drüse hängt wohl auch die von B e e b e
gemachte Beobachtung zusammen, dass
der Nukleoproteidgehalt des Base-
d o w'schen Kropfes grösser ist als der
der normalen Schilddrüse.
Ueber den Kolloidgehalt des Basedow-
kropfes sind die Angaben schwankend.
Im vorgeschrittenen Stadium scheint
das Kolloid entweder vermindert oder,
wenn vermehrt, viel dünnflüssiger zu
sein.
Alle sind darin einig, dass die erkrank-
ten Stellen der Schilddrüse bei Base-
228
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
dovv eine Verstärkung der Vaskularisa-
tion aufweisen, was wiederum auf eine
vermehrte Aktivität der Drüse hinweist.
— Nach den Angaben einiger Beobachter
bilden sich beim Basedow lymphoide
Gewebe innerhalb der Schilddrüse, es
schwellen auch die Lymphdrüsen in der
Nachbarschaft an und auch die Thymus
ist häufig vergrössert — alles in allem
eine Art Status lymphaticus. Ferner,
nach den Befunden der Kocher'schen
Klinik, weist das Blut der Basedowkran-
ken eine gewisse Vermehrung der Lym-
phozyten auf, was auf eine Intoxikation
hinweisen soll ; mit der durch den opera-
tiven Eingriff bewirkten Besserung ver-
schwindet auch die Lymphocytosis.
Ich will hier die interessanten Studien
von R e i d Hunt erwähnen. Er hat
zunächst die Tatsache gefunden, dass
nach einer mehrtägigen Fütterung von
Mäusen mit minimalen Dosen von
Schilddrüse die Tiere widerstandsfähig
werden gegen eine hundertfache Gift-
dose von Acetonitril oder Methylcyanid.
Manche Autoren wollen in dieser Tat-
sache einen Beweis dafür erblicken, dass
die Schilddrüse entgiftungsfähig ist. Das
ist aber insofern nicht ganz richtig, als
diese Entgiftung nur für Mäuse gilt.
Ratten und Meerschweinchen dagegen
werden durch Schilddrüsenfütterung
noch suszeptibler für Acetonitrilgift.
Interessant aber ist die folgende Beob-
achtung. Hunt hat diese entgiftungs-
fähige Eigenschaft als eine Methode aus-
gebildet, um minimale Dosen von Schild-
drüsensaft nachzuweisen. Mit dieser
Methode ist es ihm gelungen, im Blute
einer an der B a s e d o w 'sehen Krank-
heit verstorbenen Frau die Anwesenheit
von Schilddrüsensaft nachzuweisen, wäh-
rend das Blut von normalen Personen
schilddrüsenfrei war. Sollte sich dieser
Befund bei mehrfacher Untersuchung be-
stätigen, dann wäre er wohl geeignet, die
thvreogene Theorie des Basedow am
besten zu stützen.
Und nun kommen wir dazu, den gegen-
wärtigen Stand der Basedow-Theo-
rien zu besprechen. Man darf wohl sa-
gen, dass jetzt Experimentatoren, Klini-
ker und Chirurgen alle darin einig sind,
dass der wesentliche Grund der Base-
dow 'sehen Krankheit in den Veränder-
ungen der Schilddrüse zu finden ist.
Welcher Art aber diese Veränderungen
sind, darüber gehen noch die Ansichten
weit auseinander. Alan kann die Ansich-
ten in drei grössere Klassen einteilen :
1 ) Die Theorie des Hyperthyreoidismus,
welche annimmt, dass die Sekretion bloss
vermehrt, der Saft aber normal ist. 2)
Die Theorie des Dysthyreoidismus, d. h.
die erkrankte Drüse liefert eine giftigern
Saft. 3) Die Theorie des Hypothyreoi-
dismus, d. h. dass auch im Basedow
die Leistungen der Schilddrüse minder-
wertig ist. — M o e b i u s welcher zu-
nächst statuiert, dass die Schilddrüse
beim Baseclowkropfe mehr sezerniert,
nimmt weiter an, dass die Drüse erkrankt
ist und einen giftigern Stoff produziert
— ■ Dysthyreoidismus. Die Theorie des
Hypothyreoidismus umfasst eigentlich
mehrere Theorien, die sich einander recht
lebhaft befehden. Oswald nimmt an,
dass die Drüse beim Basedow zwar
mehr sezerniert, aber einen minderwerti-
gen Saft, die Krankheit entsteht durch
eine Insuffizienz der Schilddrüse ; darum
das dünnere Kolloid und die Verminder-
urg des Jodes. G 1 e y hält noch an sei-
ner ursprünglichen Ansicht fest von einer
gegenseitigen Beziehung zwischen der
Schilddrüse und den Nebenschilddrüsen,
und nimmt an, dass beim Basedow
die Schilddrüse minderwertig ist, was zu
einer kompensierenden Leistung der Ne-
benschilddrüsen führt, was dann weiter
zum ganzen Basedow - Unheil führt.
Eine eigenartige Vorstellung entwickelt
B 1 u m, welche er durch viele experimen-
telle Untersuchungen zu stützen sucht.
Das Blut, sagt er, enthalte enterogene
eiweissartige Gifte, welche von der
Drüse angezogen werden, wo sie durch
gewisse, vielleicht fermentartige Pro-
zesse, namentlich aber durch Jodierung
entgiftet werden, worauf sie dann in
völlig unschädlichem Zustande zur Zirku-
lation zurückkehren. Beim Basedow
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
229
entweichen diese enterogenen Produkte
aus der Schilddrüse, bevor sie völlig ent-
giftet sind. Also auch nach B 1 u m ist
die Schilddrüse insuffizient ; er nimmt
aber überhaupt keine Sekretion innerhalb
der Schilddrüse an, d. h. die Drüse liefere
keinen Saft an die allgemeine Zirkula-
tion.
C y o n gibt an, dass inorganische Jod-
salze auf den Zirkulationsapparat entge-
gengesetzt wirken als die Jodverbindun-
gen der Schilddrüse, und meint, dass die
Hauptaufgabe der Schilddrüse darin be-
stehe, das Jod zu entgiften. Auf seine
geistreiche aber verwickelte Anschauung
über den dabei beteiligten selbstregu-
lierenden Nervenmechanismus der
Schilddrüse wollen wir hier umsoweni-
ger eingehen, als manche seiner experi-
mentellen Daten nicht bestätigt werden
konnten. Auch sprechen die günstigen
Resultate der Transplantationen der
Schilddrüse gegen den wesentlichen Teil
seiner Theorie des Nervenmechanismus.
Die meisten Autoren neigen sich jetzt
zur Theorie des einfachen Hyperthyreoi-
dismus, d. h. dass bei der B a s e d o w'-
schen Krankheit die Schilddrüse das Blut
mit zu viel normalem Safte versorgt.
Gegen einen Hypothyreoidismus in ir-
gend welcher Form spricht die Tatsache,
dass beim Basedow kein Symptom
vorkommt, das für Athyreosis charak-
teristisch wäre ; im Gegenteil, weitaus die
meisten Symptome sind genau das Ge-
genteil von denen des Myxoedems. Für
einen einfachen Hyperthyreodismus
spricht ferner die Tatsache, dass man
durch reichliche Einspritzung von Ex-
trakt, erhalten von normalen Schilddrü-
sen, nahezu alle Symptome des Base-
dow künstlich erzeugen kann. Man hat
gegen die Theorie des Hyperthyreoidis-
mus eben das verwerten wollen, dass man
durch solche Injektionen nicht alle
Symptome, z. B. den Exophthalmos, er-
zeugen könne. Dagegen lässt sich sagen,
dass erstens es Edmunds in der Tat
gelungen zu sein scheint, beim Affen
auch den Exophthalmos zu erzeugen.
Ferner aber, wenn es auch nicht gelänge,
durch künstliche Einspritzungen einen
kompletten Basedow zu erzeugen, so darf
man doch unmöglich daraus den Schluss
ziehen, dass es auch dem natürlichen,
lebenden Produkt im lebenden Tiere
nicht gelingen kann, dies zu bewerkstelli-
gen. Unsere Extrakte sind doch gründ-
lich abgetötete Stoffe und unsere Ein-
verleibungen sind doch nur ganz rohe,
völlig unzulängliche Nachahmungen der
Methoden, deren der lebende Organis-
mus sich bedient, seine Produkte in elek-
tiver Weise an den richtigen Ort zu brin-
gen. — Dann muss man sich noch eines
erinnern. Die Schilddrüse enthält ge-
wiss verschiedenartige Produkte und, was
noch mehr ist, wahrscheinlich auch Pro-
dukte antagonistischen Charakters, von
denen der Organismus je nach Bedarf
einmal den einen, einmal den anderen
Antagonisten verwendet. Bei Verwen-
dung aber eines künstlichen Extraktes
erhalten wir nur ein neutralisiertes Pro-
dukt und nur einen Bruchteil des natürli-
chen Saftes und können darum doch un-
möglich erwarten, damit ganz normale
Resultate zu erzielen. — Endlich muss
auch hier schon gesagt werden, dass zur
Entstehung eines kompletten Basedow
noch andere Faktoren als der Ueber-
schuss an Drüsensaft in Betracht gezo-
gen werden müssen, z. B. eine gewisse
Disposition. Wir kommen später darauf
zurück.
Sehr wichtig zu Gunsten des thyreoi-
dalen Ursprunges des Basedow spricht
die nicht mehr zu bezweifelnde Tatsache,
dass mit der chirurgischen Verkleinerung
des Kropfes die Symptome sich eklatant
bessern. Theodor Kocher, der
nicht nur einer der besten Chirurgen,
sondern auch einer der grössten Forscher
unserer Zeit ist, und der über ein unge-
wöhnliches Beobachtungsmaterial ver-
fügt, hat sich in der letzten Zeit widerholt
präzise und bestimmt ausgesprochen,
dass die Besserung genau in Proportion
ist zu der Grösse des weggenommenen
Stückes ; oder vielleicht richtiger, in um-
gekehrter Proportion zum zurückbleiben-
den Stücke. Je kleiner der Drüsenrest
230
New Yorker Medizi
nische Monatsschrift.
ist, um so kompletter ist die Besserung
und um so nachhaltiger hält sie an.
Einen guten Beweis für den Hyper-
thvreoidismus könnte, wie schon gesagt,
der oben erwähnte Befund von R e i d
Hunt liefern, wonach die Anwesenheit
von Schilddrüsensaft im Blute einer Ba-
sedowkranken sich direkt nachweisen
liess.
Wenn wir aber auch annehmen, dass
der Ueberschuss von normalem Schild-
drüsensaft die wesentliche Ursache der
B a s e d o w'schen Krankheit ist, so brau-
chen wir noch nicht darauf zu bestehen,
dass alle Symptome der Krankheit und
in jedem Krankheitsfall einzig und allein
dem überschüssigen Schilddrüsensaft zu-
zuschreiben sind. Die unzweifelhaft
sichere Beobachtung, dass bei einseitigem
Kröpfe oft ein Exophthalmos nur an der
entsprechenden Seite sich befindet, und
K o c h e r's Angabe, dass er mehrfach
nach einseitiger Exstirpation des Kropfes
zunächst ein Zurückgehen des Exoph-
thalmos auf derselben Seite beobachtet
habe, spricht doch dafür, dass in man-
chen Fällen auch ein mechanisches Mo-
ment beim Zustandekommen des Ex-
ophthalmos eine Rolle spielt. Ich will
hier auf die vor ein paar Jahren ge-
machte Mitteilung von M c C a 1 1 u m
hinweisen, wonach bei Reizung des
Halssympathikus eine peristaltische Kon-
traktion des Mülle r'schen Muskels in
der Orbita direkt beobachtet werden
kann. Ferner zeigt doch das Vorkom-
men von inkompletten Formen von Base-
dow, oder von sogenanntem Kropfherz,
oder von Pseudo-Basedow u. s. w., wie,
auf der einen Seite, die sogenannten
thyreotoxischen Faktoren nicht immer
alle Symptome des Basedow erzeugen,
und, wie auf der anderen Seite, rein me-
chanische Verhältnisse gewisse Symp-
tome dieser Krankheit zu Tage fördern
können.
Dann darf man auch nicht ohne wei-
teres behaupten, dass der Ueberschuss
von Drüsensaft allein alles ist, was man
in allen Fällen für das vollkommene Zu-
standekommen dieser Krankheit braucht.
Man kann sich wohl vorstellen, dass ge-
wisse Grade von Hyperthyreoidismus
existieren können, ohne dass der Körper
mit Basedow-Symptomen gleich darauf
reagiert. Treten aber Zustände dabei auf,
die das Nervensystem erschüttern, oder
auch chronisch untergraben oder treten
solche mässige Grade von Hyperthyreoi-
dismus bei Menschen mit minderwerti-
gem Nervensystem auf, dann kommt der
Basedow plötzlich oder langsam zum
Vi »rschein. Wir können so das plötzliche
Entstehen von Basedow verstehen, wel-
cher nach Schreck oder nach mässigen
Infektionskrankheiten einsetzt, oder das
Auftreten von Basedow in Familien, die
mit anderen Nervenkrankheiten behaftet
sind.
Ferner darf darauf hingewiesen wer-
den, dass aller Wahrscheinlichkeit nach,
noch andere Körperorgane Funktionen
besitzen, die ähnliche oder auch entgegen-
gesetzte Wirkungen ausüben können wie
die Schilddrüse, wenn auch im geringem
Grade. Aber auf diese wie auf noch
viele andere einschlägige Einzelheiten
wollen wir hier nicht mehr eingehen.
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
231
Bemerkungen zum Morbus Basedowii.
Von Dr. J. Kaufmann.
Bei einer kurzen Besprechung der
klinischen Bilder, unter denen sich die
B a s e d o w'sche Krankheit präsentiert,
kann ich Abstand nehmen von einer
Schilderung der bekannten 3 Kardinal-
symptome : Exophthalmus, Struma, Ta-
chykardie. Wo diese Trias angetroffen
wird, ist die Diagnose bald gestellt, ins-
besondere wenn das auffälligste dieser
Symptome, der Exophthalmus gut aus-
gebildet ist und sofort die Aufmerksam-
keit auf das Bestehen eines Basedow
hinlenkt.
Der Exophthalmus ist aber kein kon-
stantes Symptom, er fehlt in einem Drit-
tel der Fälle gänzlich und auch da, wo
er vorhanden ist, ist er nicht immer so
stark entwickelt, dass er ohne weiteres
die Aufmerksamkeit erweckt.
Das konstanteste und wichtigste Symp-
tom ist die Tachykardie, welche zum Un-
terschied von anderen Zuständen nicht
anfallsweise auftritt, sondern kontinuier-
lich und persistierend ist.
Auch die vaskuläre Struma wird sel-
ten vermisst. Indessen ist die Schild-
drüse keineswegs immer so stark ver-
grössert, dass sie sich sofort dem Beob-
achter aufdrängt. Geringere Grade der
Schilddrüsenschwellung werden erst bei
einer dahin gerichteten Untersuchung
offenkundig , hier muss also schon an-
derweitig der Verdacht erweckt sein,
dass es sich um Basedow handeln könne.
Und bei diesem Punkte möchte ich
einen Augenblick verweilen.
Vielfache Beobachtungen neuerer Zeit
haben die Tatsache klargestellt, dass in
einer grossen Anzahl von Fällen, in wel-
chen es sich unzweifelhaft um Hyper-
thyreodismus handelt, die eben genannte
Trias von Symptomen nicht entwickelt
*) Vorgetragen bei dem Symposium über
die Basedow-Krankheit vor der Deutschen
Med. Gesellschaft der Stadt New York am
4. November 1907.
ist, wo vielmehr mannigfache andere
Symptome, insbesondere von Seiten des
Nervensystems in den Vordergrund
treten. Es mag dahingestellt bleiben,
ob es zweckmässig ist, diese Fälle als
atypische resp. als formes frustes abzu-
grenzen. So viel ist jedenfalls sicher,
dass sie sehr viel häufiger vorkommen,
als man früher angenommen hat. Wei-
terhin muss betont werden, dass auch in
sogenannten typischen Fällen die Trias
manchmal erst während des späteren
Verlaufes zur Entwicklung gelangt, wäh-
rend in den Anfangsstadien dieser Fälle
solch markante Symptome wie Exopthal-
mus und prominente Struma oft ver-
misst werden.
Da nun aber jede Behandlungsart, sei
sie interner oder chirurgische Natur,
mehr Aussicht auf Erfolg verspricht,
wenn sie in den Frühstadien zur Anwen-
dung kommt, so leuchtet ohne weiteres
ein, wie wichtig es ist, nicht nur die
atypischen Fälle zu erkennen, sondern
auch die typischen frühzeitig diagnos-
tisch festzulegen, eventuell schon bevor
ein sichtbarer Kropf und Exophthalmus
das Bestehen eines Basedow ohne wei-
teres dartun.
Zustände, welche stets den Verdacht
auf atypische Formen resp. auf frühere
Entwicklungsstadien des Basedow er-
strecken sollten, sind namentliche solche,
bei denen es zu schnellem Kräfteverfall
und starker Gewichtsabnahme kommt,
ohne dass eine greifbare Ursache für die
Inanition nachweisbar ist.
Der Hyperthyreoidismus führt durch
intensive Steigerung der oxydativen Pro-
zesse im Organismus zu schwerer Stö-
rung im Körperhaushalt. Die Stoff-
wechselstörung findet einen Ausdruck in
der starken Zunahme der Harnbestand-
teile, des Stickstoffs und des Harnstoffs,
der Harnsäure, der Phosphate, sie führt
zu Glykosurie und manchmal zur Albu-
232
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
minurie, erzeugt gelegentlich leichtes
Fieber, ist aber vor allen Dingen die
Ursacbe einer oft trotz reichlicher Er-
nährung sehr rapid verlaufenden Ab-
magerung. Basedow-Kranke verlieren
manchmal in kurzer Zeit 20 — 50 Pfund
an Körpergewicht.
Handelt es sich dabei um ältere Indi-
viduen, so wird leicht Karzinose vorge-
täuscht, besonders wenn gleichzeitig über
Appetitmangel oder gar Widerwillen
gegen Nahrungsaufnahme geklagt wird.
Mir sind solche Fälle zugeführt wor-
den mit der Frage, ob es sich um Ma-
genkrebs handle. Bei einem dieser Pa-
tienten bestärkte der Befund einer Achy-
lia gastrica den Karzinomverdacht. Wei-
tere Beobachtung klärte die Situation
durch den Nachweis sicherer Zeichen von
Hyperthyreoidismus.
Bei jungen Mädchen geben leichtere
Formen von Basedow Anlass zu Ver-
wechslung mit Chlorose, um so mehr als
sowohl Tachykardie als auch vaskuläre
Strumen dem Krankheitsbild der Chlo-
rose zugerechnet werden. Hier ist der
Blutbefund ausschlaggebend, der bei Ba-
sedow meist normalen oder selbst ver-
mehrten Hämoglobingehalt zeigt, jeden-
falls nicht ausgesprochene Hämoglobin-
verminderung, die für die Chlorose
charakteristisch ist.
Wenn jugendliche Basedowkranke
schnell an Gewicht verlieren, etwas Fie-
ber haben und stark schwitzen, so drängt
sich zunächst der Gedanke an Tuberku-
lose auf.
Bei diesen und ähnlichen Zuständen
allgemeinen Kräfteverfalls soll man nie
versäumen, auf Basedow zu untersuchen.
Auch wo die Trias nicht entwickelt ist.
können sich mannigfache Symptome von
Hyperthyreoidismus finden, von denen
einige konstanter und wichtiger sind als
der Exophthalmus, insbesondere der
charakteristische Tremor, der so häufig
angetroffen wird, dass man ihn auch als
viertes Kardinalsymptom bezeichnet hat.
Ausser den Tremor finden sich andere
Symptome, welche Störungen im cere-
brospinalen und im sympathischen Ner-
vensystem anzeigen, namentlich grosse
psychische Unruhe und Scblaflosigkeit,
leichte Ermüdung, Hyperhidrosis u. s.
w. Dabei treten die Erscheinungen
seitens des Nervensystems oft so sehr
in den Vordergrund, dass man den Ein-
druck gewinnt, es handle sich um Neu-
rasthenie und ähnliche Krankheitszu-
stände.
Von den thyreotoxischen Erscheinun-
gen am Zirkulationsapparat sind ausser
der Tacbykardie als Zeichen der oft
enorm gesteigerten Herztätigkeit zu er-
wähnen : Erheblich gesteigerter arteriel-
ler Blutdruck, starkes Klopfen der Karo-
tiden und der Aorta abdominalis und am
Herzen selbst neben systolischen Geräu-
schen stark akzentuierte Herztöne.
Meist stellen sich erst später im An-
schluss an die langdauernde intensive
Herzarbeit Zeichen von Herzerweiterung
und Herzinsuffizienz mit Herabsetzung
des arteriellen Blutdrucks ein, hauptsäch-
lich eine Folge der konstanten Gift Wir-
kung, zum Teil aber auch bedingt durch
mechanische Verhältnisse, insbesondere
wenn substernale Strumen die obere
Brustapertur einengen und sowohl den
venösen Kreislauf wie die Atmung be-
bindern.
Von den Störungen am Digestions-
traktus bieten die Magensymptome wenig
charakteristisches, nur muss betont wer-
den, dass in vielen Fällen gänzlicher Ap-
petitmangel oder Geschmacksstörungen,
häufige Uebelkeiten und Erbrechen die
für diese Kranken so wichtige Ernähr-
unsfrage zu einer schwierigen gestalten.
Grösseres Interesse beanspruchen die
im Verlauf des Basedow so häufigen An-
fälle von Diarrhoen. Da profuse Diar-
rhoen nicht selten das dominierende
Symptom im Krankheitsbild des Base-
dow darstellen, so soll man es sich zur
Regel machen, bei allen Fällen von per-
sistierender Diarrhoe, besonders wenn
deren Aetiologie nicht klarliegt, auf Ba-
sedow zu fahnden.
Basedow-Fälle mit Diarrhoe sind be-
sonders schwer der Behandlung zugäng-
lich, weil die ohnehin heruntergekom-
New Yorker Medizini
sche Monatsschrift.
^33
rhenen Patienten durch die häufigen Ent-
leerungen noch mehr geschwächt werden
und ausserdem die Ernährung unter sol-
chen Umständen mit ganz besonderen
Schwierigkeiten zu kämpfen hat.
Die Diarrhoen mögen ähnlich der Hy-
perhidrosis eine Folge vasomotorischer
Störungen sein. Man kann sich aber auch
vorstellen dass die beim Basedow wirk-
samen Toxine in den Darm ausgeschie-
den werden und dann reizend auf den
Darm wirken. Von diesem Gesichts-
punkt ausgehend habe ich in mehreren
Fällen mit Nutzen systematisch Kolon-
irrigationen angewandt.
Um hier einige Worte über die Be-
handlung anzuknüpfen, so muss zunächst
bemerkt werden, dass das Urteil über die
direkte Behandlung der exzessiven
Schilddrüsentätigkeit mittelst solcher
Präparate wie das M o e b i u s'sche Anti-
thyreoidin, Rodagen, das Rogers-
Beeb e'sche Serum u. a. recht ver-
schieden lautet. Mitteilungen über gute
Resultate stehen andere gegenüber, wo-
nach mit diesen Mitteln wenig erreicht
wurde. Dem Roger s-B e e b e'schen
Serum wird überdies zum Vorwurf ge-
macht, dass die Kranken durch die bei
Anwendung dieses Mittels auftretenden
sogenannten Reaktionen oft schwer ge-
schädigt werden, ohne dass diese Schä-
digung in allen Fällen durch ein günsti-
ges Endresultat gerechtfertigt wurde.
Ich kann dies aus eigner Erfahrung nur
bestätigen. Ferner wird hervorgehoben,
dass in gebesserten Fällen die Besserung
möglicherweise der stets gleichzeitig
angewandten Allgemeinbehandlung zu-
gerechnet werden sollte. Indessen,
wenn gegenwärtig ein sicheres Urteil
über den Wert dieser Mittel auch noch
nicht gewonnen ist, so ist es doch ratsam,
einen Versuch mit denselben zu machen.
Medikamentös sind neben sedativen
Mittel (Opium, Brom etc.) namentlich
Arsen und Eisen viel gebraucht, sowie
das von Kocher empfohlene neutrale
Natrium phosphoricum.
Im uebrigen ist die Behandlung all-
gemeiner Natur : Körperliche und geis-
tige Ruhe, zweckmässige Ernährung
(Lacto-vegetabilische Kost unter Ein-
schränkung des Fleisches), hydrothera-
peutische, elektrotherapeutische und kli-
matische Massnahmen führen oft zur
Besserung und in manchen Fällen auch
zur Heilung.
Wenn unter derartiger Behandlung
Besserung eintritt, so soll man bei der
jeweiligen Methode bleiben ; auch wenn
Rezidive erfolgen, werden oft noch gute
Endresultate erzielt.
Versagen aber interne Behandlungs-
methoden, dann soll man mit der Er-
wägung der operativen Behandlung
nicht zu lange zögern. Durch Entfern-
ung eines Teiles der Schilddrüse wird
die Menge des dem Körper zugehenden
Schilddrüsensekretes erheblich einge-
schränkt und dadurch, wie die Berichte
Koche r's, H a 1 s t e d's und May o's
lehren, der Hyperthyreoidismus besei-
tigt. Die Chirurgen sind aber auch einig
darüber, dass die Aussichten am besten
sind, wenn frühzeitig operiert wird, d. h.
insbesondere ehe das Herz zu sehr ge-
schädigt ist. Da die Berichte über gün-
stige Operationsresultate sich mehren,
so, glaube ich, sind wir verpflichtet bei
dem sonst so trostlosen Verlauf vieler
Basedow-Fälle die chirurgische Behand-
lung möglichst früh in Erwägung zu
ziehen. Die nächste Zukunft wird uns
Aufschluss darüber bringen, was die
chirurgische Behandlung leistet und un-
ter welchen Bedingungen ihre Vornahme
angezeigt ist. So viel aber lässt sich
jetzt schon sagen, dass man sehr viel
häufiger und sehr viel zeitiger die par-
tielle Resektion der Schilddrüse vorneh-
men wird, ohne indessen auf die Ver-
wendung interner Behandlungsmethoden
zu verzichten.
234
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
Die chirurgische Behandlun
Von Dr. med.
Herr Präsident, meine Herren ! Die
interessante Erkrankung, deren Sympto-
menkomplex wir unter dem Namen des
Morbus Basedowü oder „Grave's Dis-
ease" zusammenfassen, hat besonders in
letzter Zeit wieder das lebhafte Interesse
aller Aerzte in Anspruch genommen.
Namentlich in den letzten 10 Jahren, in
denen diese Krankheit immer mehr in
das Grenzgebiet von innerer Medizin
und Chirurgie gerückt ist, ist schon heiss
zwischen diesen beiden Lagern um die
Berechtigung der einen oder der anderen
Behandlungsmethode diskutiert worden.
Wir treffen auch hier, wie so häufig
in der Medizin bei Krankheitsbildern, die
noch nicht ätiologisch und pathologisch-
anatomisch genügend geklärt sind, auf
diametral entgegengesetzte Ansichten.
Eule n b u r g, der über 600 Fälle be-
obachtet hat, verhält sich auch jetzt noch
der chirurgischen Behandlung gegen-
über absolut ablehnend, während
Lemke so enthusiastisch für die Ope-
ration dieser Krankheit eintritt, dass er
sich zu dem Ausspruch verleiten lässt :
,,Der Morbus Basedowü gehört auf die
chirurgische Abteilung." Wie lässt sich
nun ein so weiter Abgrund zwischen die-
sen beiden Ansichten überbrücken und
wie können wir zu einem für den Pa-
tienten erspriesslichen Modus vivendi
kommen ?
Die Physiologie und Pathologie der
Erkrankung ist schon von anderer Seite
eingehend besprochen, so dass es sich für
mich lediglich erübrigt, nur diese Ver-
hältnisse in soweit zu berühren, wie es
absolut notwendig ist.
Worauf stützt sich der Gedanke, einen
Basedow-Kranken operativ von seinem
Leiden zü befreien ? Buschan kommt
nach sorgfältigen Studien der bis 1894
*) Vortrag, gehalten am 4. November 1907
in der Deutschen Medizinischen Gesellschaft
der Stadt New York.
g des Morbus Basedowü.*
H. Fischer.
vorhandenen Literatur zu dem Schluss,
dass wir den Morbus Basedowü als eine
Krankheit aufzufassen haben, deren
Hauptsitz das Nervensystem ist. In-
folgedessen ist er kein Befürworter chir-
urgischer Eingriffe bei diesem Leiden,
wenigstens nicht in den Fällen, in wel-
chen die B a s e d o w'sche Krankheit als
, .primäres" Leiden besteht. Anders ver-
hält er sich zu den Fällen, in denen zu
lange bestehendem Kropf die Basedow-
Symptomen hinzutreten. In diesen von
ihm „sekundärer Basedow" genannten
Fällen empfiehlt er die Operation. An-
dere Forscher, besonders in neuester
Zeit in Frankreich, glaubten die Er-
scheinungen der Krankheit zum Hals-
sympathikus in Beziehung bringen zu
müssen und empfahlen daher mehr oder
weniger ausgedehnte Resektionen dessel-
ben. M o e b i u s kam durch seine Un-
tersuchungen zu dem Schluss, dass die
B a s e d o w'sche Krankheit eine Vergift-
ung des Körpers durch die krankhafte
Tätigkeit der Schilddrüse sei. Gegen
die Nerventheorie spricht er sich folgen-
dermassen aus : „Eine blosse Nervener-
krankung kann nach unseren bisherigen
Erfahrungen nie und nimmer einen
Kropf machen, bei dem es sich nach den
neuesten Forschungen um parenchyma-
töse Veränderungen in der Drüse, nicht
um vermehrte Blutfüllung handelt."
Diese Theorie hat sich in der neueren und
neuesten Zeit immer mehr Anhänger er-
worben und scheinen die Erfolge der-
jenigen Chirurgen, welche die Schild-
drüse zum Angriffspunkt ihrer therapeu-
tischen Massnahmen gemacht haben,
diese Ansicht von M o e b i u s zu stützen.
Die Operationsmethoden, die zur Heil-
ung des Morbus Basedowü angewandt
sind, scheiden sich den angeführten The-
orien entsprechend in zwei Hauptgrup-
pen :
1. Operationen am Halssympathikus.
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
235
2. Operationen, die die Schilddrüse
selbst in Angriff nehmen.
Die Bedeutung des Nervus sympathi-
cus in der Pathologie der Basedow'-
sehen Krankheit ist nach F a b o u 1 a v,
F o n n e s c o, G a y m e, B o i s s o n u.
a. eine vielfache.
Der Exophthalmus beruht in einer
durch Reizung des Halssympathikus her-
vorgerufenen energischen Kontraktion
des Muskeltonus, welcher den hinteren
Pol des Bulbus bekleidet. Die vaskuläre
Struma ist hervorgerufen durch eine
übermässige Dilatation der Schilddrüsen-
gefässe. Diese Erweiterung hat ihren
Grund in einer anhaltenden Reizung der
dem Hals- und Brustsympathikus ent-
stammenden vasodilatatorischen Fasern
(D a s t r e und Morat). Die perma-
nente Reizung der sekretorischen sympa-
thischen Fasern der Schilddrüse ist
verantwortlich zu machen für die Hyper-
aktivität und Hypersekretion der Schild-
drüse (Fonnesco). Die Tachykardie,
der Tremor, das Hitzegefühl, die
Schweisse, die gastro-intestinalen Störun-
gen, der nervöse Aufregungszustand be-
ruhen ebenfalls nach Fonnesco auf
der Reizung der entsprechenden Fasern
des Sympathikus. Hieraus hat man den
Schluss gezogen, dass eine Unterbrechung
der Leitung dieser sämmtlichen Fasern
diese Reizung beseitigen und zur Heilung
des Leidens führen müsse. Um dieses
zu erreichen, hat man folgende Opera-
tionen empfohlen :
1) Einfache Durchtrennung des Hals-
sympathikus, von E d m u n d s vorge-
schlagen, zuerst ausgeführt von Fabo u-
1 a y.
2) Ausreissung des Halssympathikus
(Faboulay).
3) Dehnung des Halssympathikus
(Faboulay).
4) Partielle Resektion des Halssym-
pathikus nach Alexander.
5) Die partielle und totale Resektion,
besonders ausgearbeitet von F o li-
tt e s c o.
Von diesen Methoden scheint die to-
tale Resektion die rationellste zu sein.
Fonnesco hat eine Reihe Fälle da-
mit geheilt, die in extenso von Bala-
c e s c u mitgeteilt sind. Danach berech-
net Balacescu 63,8% Heilungen,
18,1% Besserungen und 18,1% Misser-
folge. Todesfälle sind diesen Autoren
bei der Methode nicht vorgekommen.
Obgleich dieses Vorgehen in den Hän-
den ihrer Erfinder zufriedenstellende
Resultate gezeitigt hat, so hat es doch
keine grosse Anzahl Anhänger gefunden.
Andere Chirurgen, die die Methode an-
gewandt haben, waren in ihren Erfolgen
weniger glücklich. Kocher verwirft
sie. C u r t i s, der dieselbe in 7 Fällen
angewandt hat, berichtet über 4 Besser-
ungen, 3 Todesfälle und keine einzige
vollständige Heilung.
Die Hauptaufmerksamkeit der meisten
Chirurgen hat sich der Thyroidea selbst
zugewandt. Es werden folgende Metho-
den empfohlen :
1) Die Exothvreopexie (Fabou-
lay).
2) Ligatur einer oder mehrere Arteriae
thyreoideae.
3) Die partielle Resektion der Schild-
drüse.
Die Exothyreopexie besteht in einer
Auslösung der Struma aus ihrem Bette
mit Vorlagerung, dieselbe ist wohl all-
gemein wegen der grossen Gefahr und
der Unsicherheit des Erfolges verlassen.
Von der grössten Bedeutung für die
Behandlung des Morb. Bas. ist die Liga-
tur der Gefässe und die partielle Exstir-
pation der Schilddrüse geworden. Chir-
urgen von grosser Erfahrung auf diesem
Gebiete wie Kocher, M a y o und an-
dere bringen durch die grosse Anzahl
ihrer vollständig und dauernd geheilter
Fälle so zwingende Beweise für die
guten Erfolge dieser Operation, dass
heute kaum noch an die Berechtigung
derselben gezweifelt werden kann.
Die Methoden, die Kocher em-
pfiehlt, sind die folgenden :
1 ) Ligatur mehrerer vergrösserter
Arterienstämme der Struma.
2) Exzision halbseitig vaskulärer
Strumen.
236
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
3) Einseitige Exzision mit Ligatur ei-
ner Arterie der anderen Strumahälfte.
4) Exzision von mehr als der Hälfte
der Struma mit oder ohne Ligatur eines
zum Strumarest führenden Arterien-
stammes.
A. Kocher hat auf dem Kongress
der American Medical Association in die-
sem Jahre Bericht erstattet über 315
Operationen, die in seines Vaters Klinik
an Basedow-Kranken ausgeführt wur-
den. Unter diesen Fällen hatte er eine
Mortalität von 3,5%. Nach den letzten
63 Operationen hat er gar keine Todes-
fälle zu verzeichnen, jedenfalls glänzende
Resultate. Er hat in keinem Falle, der
operativ behandelt wurde, erlebt, dass die
Krankheit nicht günstig beeinflusst wor-
den wäre. Sämtliche Fälle ohne Auswahl
zusammengestellt ergaben ein Heilungs-
resultat von 83%. 73% Heilung in Fäl-
len von sogenanntem ..primären Base-
dow." 92% Heilung in Patienten mit
bestehender Struma, zu dem später Base-
dow Symptome hinzugetreten waren, so-
genannter „sekundärer Basedow" und
100% Heilung bei der vaskulären
Struma. C. H. M a y o berichtet über
176 Fälle mit 9 Todesfällen. In seinen
letzten 75 Operationen hat er nur einen
Fall verloren.
Schulze, der die operativ behandel-
ten Basedow-Fälle aus der Riedel'-
schen Klinik zusammengestellt hat, be-
richtet über 50 Fälle. Den Standpunkt,
den er in Bezug auf die Operationsresul-
tate einnimmt, formuliert er mit folgenden
Worten : „An den Begriff der Heilung
stellen wir die höchsten Anforderungen :
die Kranken müssen sich vollkommen ge-
sund und leistungsfähig fühlen, die ob-
jektiven und subjektiven Krankheits-
svmptome müssen vollkommen ver-
schwunden, oder dürfen nur noch andeu-
tungsweise vorhanden sein. Eine jahre-
lange Beobachtung muss diesen Erfolg
als dauernd feststellen. Von einer Bes-
serung verlangen wir eine wesentliche
Verminderung der objektiven Krank-
heitserscheinungen sowie eine wesentli-
che erhöhte Erwerbsfähigkeit. Von
Misserfolg reden wir, wenn das Krank-
heitsbild im wesentlichen unverändert
fortbesteht." Danach berechnet er 100%
Heilung in leichten Fällen; in mittel-
schweren Fällen 66% Heilung, 14%
Besserungen, 5,7% Misserfolge und
5,7% Todesfälle ; in den schweren Fällen
57% Heilungen, 7,7% Besserungen,
5,7% Misserfolge und 28,5% Todesfälle.
Die Erreichung dieser Resultate in den
letzten Jahren wurde nur möglich da-
durch, dass wir gelernt haben, zwei
schwere postoperative Zustände zu ver-
meiden: die akute Vergiftung, den so-
genannten Hyperthyreoidismus und die
Tetanie. Der erstere wird hervorgeru-
fen durch Absorption des toxischen Blu-
tes, besonders wenn Drüsengewebe rese-
ziert und verletzt wird. Die letztere wird
verursacht durch Verletzung und Ent-
fernung der Glandulae parathyreoideae
oder Epithelkörperchen.
Wann sollen nun die Basedowkranken
operiert werden und soll jeder Basedow-
kranke dem Chirurgen überwiesen wer-
den ?
Den Standpunkt, den wohl jetzt die
meisten Chirurgen und eine grosse An-
zahl Internisten einnehmen, kann man
folgendermassen formulieren : In leichten
Fällen soll erst ein Versuch mit innerer
Behandlung gemacht werden. Wird Pa-
tient in kurzer Zeit nicht gebessert, so ist
chirurgische Hülfe in Anspruch zu neh-
men. Diejenigen Fälle, die mit starker
vaskulärer Struma einhergehen, sollten
immer sobald als möglich operiert wer-
den. In diesen Fällen heilt nach K o-
c h e r die Unterbindung oder Exzision
einer Hälfte der Drüse in kurzer Zeit
und definitiv. In den Fällen von länge-
rer Dauer ist chirurgische Behandlung
anzuraten. Es muss aber mit grosser
Vorsicht vorgegangen werden, da in die-
sen Fällen immer schwere Veränderun-
gen im Herzen vorliegen. In diesen Fäl-
len sollte mehrzeitig operiert werden.
Was die Frage des Anästhetikums be-
trifft, so glaube ich, dass alle Basedow-
fälle unter Lokalanästhesie zu operieren
sind.
New Yorker Medizinische Monatsschrift. 237
Ein neuer Katheter- und Cystoskop-Sterilisator mit Verwendung von
Autandämpfen.*
Von Dr. Arthur Weiss,
Em. Assistenten der Allgem. Poliklinik in Wien.
Als vor mehr als Jahresfrist ein neues
Formaldehydpräparat — Autan genannt,
— • zu Raumdesinfektionszwecken auf
dem Markte erschien, erregten sowohl
die Einfachheit der Anwendungsweise
desselben als auch der Umstand meine
Aufmerksamkeit, dass mit dem Formal-
dehyd auch gleichzeitig reichlich Was-
serdämpfe entwickelt werden, die die
Polymerisation des Formaldehyds in den
Paraform verhindern, in jenen weissen,
kri stallinischen Körper, den wir bei der
trockenen Desinfektion mit Trioxyme-
thylen an den Instrumenten haften sehen
und der, in den Urogenitalapparat ein-
geführt, daselbst starke Reizerschein-
ungen hervorruft.
Alle diese Umstände veranlassten
mich, dem Studium dieses Körpers näher
zu treten, und so begann ich denn ge-
meinsam mit Dr. M autner, dem As-
sistenten der Allgemeinen Poliklinik im
Laboratorium des Professor M onti,
mit informativen Raumdesinfektionen
mittelst Autan. Dieselben führten erst
dann zu einem halbwegs befriedigenden
Resultate, als wir statt der mit 24 Stun-
den alten Kulturen beschickten Argar-
platten zu ebenso alten Bouillonkulturen
griffen. Erst jetzt vermochten wir in
der angegebenen Zeit von 6 Stunden ei-
nen grossen Teil der exponierten Bak-
terien zu töten, einzelne jedoch nur im
Wachstum zu hemmen. Von der Vor-
aussetzung ausgehend, dass bei einer
Ueberdosierung des Mittels auch resi-
stentere Bakterienarten abgetötet wer-
den können, setzte ich die Versuche in
Zylinderglässern fort, in denen ich die
60 — 80 fache Menge der für die Raum-
*) Vortrag, gehalten auf dem Kongress der
Deutschen Gesellschaft für Urologie in Wien,
5. Oktober 1907.
desinfektion angegebenen Autandosis
verwendete. Die Ergebnisse waren
durchgehend positive. Es gelang mir,
mit Diphtheriebazillen, Bacillus pyoeya-
neus und Staphylococcus pyogenes au-
reus infizierte und sodann getrocknete
Seidenfäden und Leinwandfleckchen zu
sterilisieren. Die Testobjekte erwiesen
sich nach dreiwöchentlicher Beobachtung
als vollständig steril.
Ich zog nun daraus die Nutzanwen-
dung für die Urologie.
Die Desinfektion der Cystoskope, wie
sie von Casper angegeben wird, dass
man die infizierten Instrumente dreimal
eine Minute lange mit Seifenspiritus ab-
reibt und in Tüchern, resp. Tupfern, die
mit demselben Mittel befeuchtet sind, bis
zum nächsten Gebrauche aufbewahrt,
hatte in mir stets das Gefühl grosser Be-
unruhigung erzeugt.
Ebenso bedurfte die Desinfektions-
technik der UJreterencystoskope und Ure-
terkatheter einer den Anforderungen der
Anti- und Aseptik zeitgemässeren Re-
form.
Die zur Aufnahme der Ureterenkathe-
ter und der Schiene bestimmten Röhren
wurden nur mit deinfizierenden Lösun-
gen durchgespült, die Ureterenkatheter
desgleichen. Aufbewahrt wurden die so
gereinigten Instrumente in sterilen Tü-
chern, Kassetten oder in Trioxymethy-
lendämpfen, die, zum grossen Teile poly-
merisiert, in Gestalt des stark irritativ
wirkenden Paraforms an den Instrumen-
ten festhalten.
Meine Versuche gingen nun dahin,
dass ich Katheter der verschiedensten
Kaliber bis zu Guyon-Ureteren- und
Filiform-Kathetern anfangs an der Aus-
senfläche, später auch an der Innen-
fläche durch Durchspritzen mit den ver-
schiedensten Bakteriengattungen infi-
238
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
zierte und den Autandämpfen aussetzte.
Sämmtliche, selbst die filiformsten, mit
Reinkulturen von Bacterium coli, Bacil-
lus pyocyaneus, Staphylococcus pyogenes
aureus, Bacillus anthracis mit Sporen,
Typhusbazillen und Tuberkelbazillen in-
fizierten Katbeter wurden sicher sterili-
siert, wodurch die von mancher Seite
aufgestellte Behauptung, es könne kein
so starker Ueberdruck des Formalde-
hvdgases erreicht werden, dass dieses
das Ureterenkatheterlumen durchdringen
könne, widerlegt wurde. Die von uns
abgetöteten Reinkulturen von Tuberkel-
bazillen injizierten wir intraperitoneal ei-
nem Meerschweinchen, das innerhalb der
sechswöchentlichen Beobachtungszeit um
50 Gramm zunahm und dessen Organe
sich bei der von Herrn Dozenten Ba r t el
am W cichselbau m'schen Institute
vorgenommenen Sektion als normal er-
wiesen. Auch die von diesem Tiere an-
gefertigten mikroskopischen Schnitte der
verschiedensten Organe zeigten eine nor-
male Struktur, während das Kontrahier
sowohl makro- als mikroskopisch das
Bild einer disseminierten Tuberkulose
darbot.
Bei einem Versuche über die notwen-
dige Mindestdauer der Exposition von
Instrumenten in meinem Apparate ergab
sich, dass statt der früher vorgeschlage-
nen sechs Stunden,*) jetzt für Filiform-
katheter drei, für dickere Katheter je-
doch zwei Stunden genügen, um völlige
Keimfreiheit zu erzielen.
Der von mir konstruierte Apparat be-
steht aus einem Metallfuss, in dessen
Höhlung ein Glasgefäss eingelassen ist.
Auf diesen Fuss ist ein oben mit einer
Metallkappe verschliessbarer, eine Filiere
mit Kathetern enthaltende Glasröhre
mittelst hermetischen Bajonettver-
schlusses aufsetzbar. In dem Glasge-
fässe werden die Formaldehyddämpfe
durch einfaches Verrühren eines aus Me-
*) Wiener Med. Wochenschrift, No. 24, 1907.
tallsuperoxyden und Paraform bestehen-
den Pulvergemenges mit einer abgemes-
senen Wassermenge erzeugt. Es ent-
stehen alsbald dichte, aus Formaldehyd-
gas und Wasserdämpfen bestehende
Wolken, die das Zylinderglas erfüllen.
Für das Ureterencystoskop und die
Ureterenkatheter wurde eine eigene Fi-
liere angegeben, an deren Unterseite an
Häckchen die in eine Schlinge gelegten
Ureterenkatheter hängen. Letzteres hat
den Zweck, diese Katheter steril, ohne
Gefahr des Anstreifens am oberen, nicht
einwandsfrei sterilen Zylinderrand in der
Weise entnehmen zu können, dass man
sie mittelst Pinzette in das auf eine
sterile Kompresse gestellte Zylinderglas
hinabwirft.
Sämmtliche in meinem Apparate des-
infizierten Instrumente können demsel-
ben nach der angegebenen Zeit zum so-
fortigen Gebrauche entnommen werden,
ohne dass sie irgend welche Reizer-
scheinungen hervorrufen. Es ist dies
durch die Uebersättigung der Atmos-
phäre im Zylinderglase mit Wasser-
dämpfen bedingt, die den Formaldehyd
gasförmig erhalten, während das an den
Instrumenten sich bildende Kondens-
wasser nur in minimalen Spuren nach-
weisbare Formaldehyddosen enthält.
Wenn ich die Vorzüge dieses Appa-
rates resümierend hervorhebe, muss ich
sagen :
1 ) Der Apparat kann durch jeder-
mann, selbst den ungeschultesten Men-
schen bedient werden.
2) Er sterilisiert Cystoskop und Ka-
theter in zwei, Filiformkatheter in drei
Stunden einwandsfrei.
3) Die in dem Apparate sterilisierten
Instrumente können sofort nach der an-
gegebenen Zeit in Verwendung genom-
men werden, ohne die geringsten Reiz-
erscheinungen hervorzurufen.
4) Der Apparat dient zur sterilen Auf-
bewahrung daselbst desinfizierter Instru-
mente.
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
239
OTTOMAR ROSENBACH:
Charakterzüge aus seinem Leben.
Aus den Nachrufen zusammengestellt von Dr. A. Rose.
Nichts ist lehrreicher und nützlicher
für unser ärztliches Leben und Wirken
als von grossen und edlen Männern un-
seres Standes Charakterzüge kennen zu
lernen, denn sie regen uns zum Nach-
denken an und wirken erhebend auf un-
sere Bildung. Es liegt nahe einiges
Schöne aus dem Leben eines Mannes wie
Rosenbach hier zu geben, weil er zu
den besten und bedeutendsten Aerzten
seiner Zeit gehörte.
Seine Biographie habe ich im ,,Medi-
cal Brief" in der Aprilnummer des Jahres
1904 veröffentlicht und in der Mainum-
mer 1907 desselben Journals ihm einen
Nachruf gewidmet ; heute gebe ich eine
Auslese dessen, was seine nächsten
Freunde und Schüler über ihn geschrie-
ben.
Das Ausgezeichnete dieses seltenen
Menschen, die zarte Rücksichtnahme auf
seine Umgebung, hat er noch über das
Grab kundgegeben. Er starb am 20.
März, 1907, und erst zwei Tage nach
seinem Tode erhielten die näheren
Freunde diese Nachricht : das war seine
ausdrückliche Bestimmung gewesen. Wie
er sich jedes Geleit zur letzten Ruhe-
stätte verbeten hatte, so hatte er auch die
Zeichen äusserer Trauer verboten ; die
weiblichen Angehörigen seines Haus-
halts empfingen die teilnehmenden
Freunde, die sich auf die Todesnachricht
hin einfanden, in hellen Kleidern.
Eine langjährige ärztliche Tätigkeit
hatte die Feinheit und Intensität des
Mitfühlens vertieft. Stets und für Alle
war er voll von Güte und Teilnahme ;
seinen Kranken gegenüber bewährte er
die grosse Kunst, sich völlig in die Lei-
denden einzufühlen. Bei der Kranken-
untersuchung entfaltete er eine Rück-
sicht, die äusserst wohltuend war.
Rosenbach war in jeder Bezieh-
ung eine aussergewöhnliche Persönlich-
keit. Er war ein Arzt, wie es wenige ge-
geben hat. Seine Diagnosen waren von
bewundernswerter Schärfe, in seinen
Prognosen hat er nur selten geirrt, und
in der Therapie hatte er aussergewöhn-
liche Erfolge zu verzeichnen. Charak-
teristisch war, dass so viele Aerzte sich
seinen Rat erbaten. Seine Arbeitslust
und Kraft waren geradezu erstaunlich.
Er war ein selten scharfer, origineller
Denker, für den kein Autoritätsglaube
existierte. Er nahm für sich das Recht
in Anspruch, alle Probleme selbstständig
durchzudenken, und es gab wenige,
denen er dabei nicht neue Seiten abge-
wann. Mit durchdringendem Verstände
begabt, war er zugleich von einer sel-
tenen Herzensgüte und Zartheit der Em-
pfindung. Er übte zahllose Wohltaten
aus, stets so, dass ein Dritter nichts da-
von erfuhr, und hatte für alle mensch-
lichen Schwächen Verständnis. Sein
überaus stark entwickeltes Gerechtig-
keitsgefühl liess ihn stets für alle L Unter-
drückten eintreten.
In theoretischen Ueberzeugungen war
er unerbittlich, er liess sich durch den
Widerstand fast aller seiner Kollegen
nicht irre machen. Es gibt nun schon
unter den älteren praktischen Aerzten
viele, die aus langer Berufsübung heraus
zu den Anschauungen Rosenbac h's
vorgedrungen sind, und unter den jünge-
ren Aerzten gibt es nun ebenfalls viele,
die den Rosenbac h'schen Lehren
mehr Sympathie und Verständnis ent-
gegenbringen, als es von Seiten der jetzt
berrschenden Autoritäten geschieht. Auf
einem verhältnismässig kurzen Lebens-
gange hat dieser bis zum letzten Atem-
zuge seinen wissenschaftlichen Proble-
men lebende und nachdenkende Geist
eine solche Fülle von neuen und bedeut-
2-fO
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
samen Begriffen geschaffen oder umge-
prägt, althergebrachte wiederum be-
kämpft, und schon fundamentierte zu er-
schüttern gesucht, lediglich auf die ei-
gene Kraft vertrauend, ohne Anlehnung
und oft im Gegensatz zur bestehenden
Richtung, dass seine Spuren auf dem
Wege der fortschreitenden medizinischen
Wissenschaft nimmermehr verwischt
werden können. Unter seinen 278
Büchern, Monographien, Abhandlungen
und Schriften ist keine einzige, deren In-
halt den Stempel der Banalität trägt,
oder unter der Engbrüstigkeit seiner
nachuntersuchenden oder wenigstens
nachempfindenden Forschungsweise lei-
det. Trotz der Fülle des Geschriebenen
war Rosenbach immer neu, immer
selbstständig, immer geistvoll, oft pole-
misch und widersprechend, nicht selten
voll beissenden Witzes und packender
Ironie, immer aber mit eiferndem Ernste
bereit, das, was ihm die Wahrheit schien,
auch gegen eine ganze Welt zu verfech-
ten, unbekümmert um eigene Nachteile,
den Blick vielmehr kraftvoll gerichtet
auf grosse allgemeine Fragen, nicht aus-
schliesslich der engern medizinischen
Wissenschaft, sondern auch der sozialen
Fürsorge, der ärztlichen Kollegialität,
und selbst auf Fragen der ferneren Ge-
biete der Naturwissenschaften und der
Psychologie.
Rosenbach hatte die Neigung, sich
mit theoretischen Problemen gedanken-
reich zu beschäftigen, und diese seine
Geistesrichtung ist fruchtbar für die
praktische Medizin geworden ; ihr ver-
danken wir seine Lehren von den funk-
tionellen Erkrankungen, von den Organ-
insuffizienzen, von den suggestiven Wir-
kungen, von der psychischen Behand-
lung : Lehren, für die er einst nicht ohne
Widerstand eintreten musste. obwohl sie
heute zu Selbstverständlichkeiten gewor-
den sind. Und seine noch nicht genug
verstandene Lehre von der Energetik
findet schon heute in der Biochemie und
Biophysik ihre materielle Bestätigung.
Der Schüier seines Oheims Traube
und Cohnhei m's. hat er auch eine
Fülle von exakten klinischen und experi-
mentellen Arbeiten, die ebenfalls hoch
bedeutsam gewesen sind, geschaffen.
Aus ihrer Menge seien nur als Beispiele
die Experimente über Aortenklappenin-
suffizienz, die Lehre vom Mechanismus
der Stimmbandlähmungen, die Behand-
lung der Magenerweiterung herausge-
griffen. Als einer der Ersten hat er die
Bedeutung der verminderten Funktions-
leistung für den Betrieb des Magenme-
chanismus erkannt und als erste reife
Frucht dieser Anschauungen die viel zi-
tierte Abhandlung „Mechanismus und
Diagnose der Mageninsuffizienz" erschei-
nen lassen. Mit dieser im Jahr 1879
publizierten Arbeit ist Rosenbach
als Begründer der funktionellen Diagno-
stik der Magenkrankheiten zu betrach-
ten. Seit dieser Zeit ist die Bezeichnung
..motorische oder mechanische Insuffi-
zienz" als eine der grundlegendsten Er-
rungenschaften in die Diagnostik der
Magenkrankheiten eingeführt worden.
Gerade diese Auffassung von der Funk-
tionsleistung und Funktionsschädigung
bildete für Rosenbach der Aus-
gangspunkt für seine spätem Studien
über Energetik, die er auf die Gesammt-
pathologie des Menschen übertragen hat.
Für mich waren seine Experimente mit
Kohlensäure von besonderer Bedeutung ;
er hat hier Tatsachen festgestellt, die mir
zur Grundlage meiner Behandlung von
Dysenterie und Mastdarmfisteln mit
Kohlensäure dienten. Als ich gezeigt
und bewiesen, dass Mastdarmfisteln ohne
Operation mittelst Applikation von Koh-
lensäure prompt, vollständig und perma-
nent geheilt werden können, beglück-
wünschte er mich, diese Aufgabe gelöst
zu haben. Seine Tätigkeit erstreckte
sich so ziemlich auf alle Einzelgebiete
der Medizin, alle erfuhren durch ihn Be-
reicherung und Fortentwickelung — kei-
nes aber wohl in höherem Grade, als die
Lehre von den Herzkrankheiten, die
durch die von ihm geschaffene und in
diesem Sonderfache zur Vollendung er-
hobene funktionelle Diagnostik auf teil-
weise neue, auch die Prognostik und
New Yurker Medizinische Monatsschrift.
241
Therapie wesentlich umgestaltende
Grundlagen gestellt wurde. In dieser
Beziehung werden seine „Krankheiten
des Herzens und ihre Behandlung" als
bahnbrechendes Werk angesehen werden
dürfen.
Rosen b ach war der geborene Ex-
perimentator. Bei den Experimenten
verstand er es, die Probleme mit seltener
Scharfe zu präzisieren und alle Möglich-
keiten zu berücksichtigen. Er erkannte
die grossen Schwierigkeiten, die sich ei-
ner einwandfreien Beantwortung wissen-
schaftlicher Fragen in den Weg stellen,
besonders in Bezug auf das Tierexperi-
ment, vor dessen Ueberschätzurig er ein-
dringlich gewarnt hat. Namentlich
gross war er in der kritischen und syn-
thetischen Verwertung der gemachten
Experimente und Erfahrungen, da seine
Assoziationsfähigkeit in geradezu stau-
nenswerter Weise entwickelt war. So
hat er auf Grund eines sorgfältig selbst
beobachteten Falles und mit kritischer
Verwertung der in der Literatur be-
schriebenen Fälle das berühmte Gesetz
von der verschiedenen Vulnerabilität der
Rekurrenzfasern aufgestellt, das, wie er
sogleich erkannte, nur ein Spezialfall des
allgemeinen Gesetzes ist, dass bei Affek-
tionen der Nervenstämme oder der Zen-
tralorgane die Beuger viel später ge-
lähmt werden als die Strecker.
Als eine seiner hauptsächlichen Le-
bensaufgaben hat Rosenbach es im-
mer betrachtet, für die Einheitsbestre-
bungen in der Medizin gegenüber dem
überhandnehmenden Spezialistentum ein-
zutreten und dem praktischen Arzte das
gesammte Gebiet der Medizin wieder zu
gewinnen. So sehr er die experimentelle
Forschung hochhielt und jedes ihrer Er-
gebnisse als bedeutsam für die Fortent-
wickelung der Wissenschaft anerkannte,
erhob er doch immer wieder seine
Stimme warnend gegen die Lieberschätz-
ung einer lediglich aus dem Laborato-
rium stammenden Diagnostik und Thera-
pie.
Im Kampf gegen die herrschende
Macht der Bakteriologie ist er nicht ohne
Erfolg geblieben, indem er sorgfältig die
Abwehrkräfte des Organismus und die
Vielartigkeit seiner Reaktionen hervor-
hob und die Uebertreibungen spezifischer
Heilverfahren geisselte.
Mit dem Jahre 1890, als Koch das
Tuberkulin empfahl, begann der Kampf
Rosenbach's gegen die Bakteriolo-
gie. In vielen Punkten hat er schon jetzt
Recht behalten, in anderen wird ihm vor-
aussichtlich die Zukunft Recht geben.
Seine gesammelten diesbezüglichen Ar-
beiten hat er 1903 in dem Buche „Arzt
contra Bakteriologie" veröffentlicht, das
wie eine Bombe einschlug. Rosen-
bach war aber durchaus kein Feind der
Bakteriologie, deren Bedeutung als bio-
logische Wissenschaft er im Gegenteil
hochschätzte. Er bekämpfte nur die An-
massung der „Nichts-als-Bakteriologen",
gewissermassen Richter über den Arzt
am Krankenbette zu sein, und die Schä-
digung in sozialer und ethischer Bezieh-
ung, die durch die übertriebene Furcht
vor Ansteckung und rigorosen Absper-
rungs- und Desinfektionsmassregeln
erzeugt werden.
Rosenbach hat zu Lebenszeiten
aus verschiedenen Gründen leider nicht
die Anerkennung gefunden, die er sicher
verdient hat. Der wesentlichste ist wohl
der, dass er zur unrechten Zeit, zu früh,
gelebt hat, während einer Zeitströmung,
die „naturphilosophischen" Arbeiten re-
fraktär gegenüberstand. Aber weder
das Verschweigen seiner Arbeiten, noch
<lie zuweilen dagegen unter der Maske
der Wissenschaftlichkeit gerichteten ab-
sprechenden Urteile — für ernsthafte
Kritiken war er stets dankbar und hatte
eine begründete Ausstellung weit lieber
als eine lobende Phrase — konnten R o-
senbach von seinen Ueberzeugungen
abbringen und ihm den Glauben an den
Sieg seiner Ideen rauben.
Möge bald die Zeit kommen, wo man
die Verdienste dieses ausserordentlichen
Mannes anerkennen wird.
242
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
Referate und Kritiken.
Ernst Romberg: Lehrbuch der
Krankheiten des Herzens und der
Blutgefässe. Mit 53 Abbildungen.
Verlag von Ferdinand Enke. Stutt-
gart 1906. 548 S. Preis 13 M.
Das vorliegende Werk ist im wesent-
lichen eine Neubearbeitung des von R.
abgefassten Abschnittes über die Krank-
heiten der Kreislaufsorgane in dem be-
kannten E b s t e i n-S c h w a 1 b e'schen
Handbuche der praktischen Medizin.
Lücken in der Behandlung des Stoffes,
die in dem engen Rahmen des Hand
buches unvermeidbar waren, sind in der
Separatsausgabe ausgefüllt worden, so-
dass dieselbe darauf Anspruch machen
kann, als eine nach jeder Richtung hin
erschöpfende Darstellung der Krankhei-
ten der Kreislaufsorgane angesehen zu
werden. Das Werk ist meisterhaft ge-
schrieben, und wir können wohl sagen,
dass uns bis jetzt noch keine bessere Ab-
handlung über die Herz- und Blutgefäss-
erkrankungen zu Gesicht gekommen ist.
F. C a 1 o t : Die Behandlung der an-
geborenen Hüftgelenksverrenkung.
Uebersetzt von P. Ewald. Mit 206
Abbildungen. Mit einem Vorwort
von Prof. Dr. Oscar V u 1 p i u s.
Verlag von Ferdinand Enke. Stutt-
gart 1906. 283 S.
Der Verfasser des Werkes ist der auch
in Deutschland wohlbekannte Kinder-
chirurg C a 1 o t in Berck-sur-mer, der,
wie Prof. V u 1 p i u s in dem Vorwort
sagt, wie kein zweiter kraft seiner gros-
sen Zahl von Beobachtungen und seiner
Behandlungsmethode berufen ist, zu dem
Kapitel kongenitale Hüftgelenksverrenk-
ung seine Stimme zu erheben und über
seine technischen Modifikationen und
seine Erfolge zu berichten. Aufgebaut
auf eine ungewöhnlich grosse Erfahrung
an einem reichen Krankenmaterial hat
das Werk Vorzüge mannigfacher Art
aufzuweisen. Es behandelt das Thema
erschöpfend, indem auch die kleinsten
Manipulationen des Arztes von der er-
sten Untersuchung an bis zum Abschluss
der Nachbehandlung Erwähnung finden.
Die Darstellung ist, wie V u 1 p i u s rüh-
mend hervorhebt, eine glänzende, ausge-
zeichnet durch eine geradezu plastische
Klarheit und erfrischende Lebendigkeit.
Zwar teilt V u 1 p i u s die Anschauung
C a 1 o t's nicht, wenn er die Behandlung
der Hüftgelenksverrenkung von jedem
praktischen Arzt durchgeführt wissen
will, da die Forderungen, die Calot
selbst in seinem Buche aufgestellt, ein
vielbeschäftigter praktischer Arzt un-
möglich erfüllen kann. Die Calot'-
sche Methode ist nicht neu im Ganzen,
wohl aber in Einzelnheiten. Die wach-
senden Erfolge, welche von ihm mit der
Ausbildung seiner Technik in engem
Zusammenhang gebracht werden, schei-
nen überraschend günstig zu sein. Die
Illustrationen des Buches, besonders aber
die beigegebenen schematischen Zeich-
nungen sind äusserst instruktiv. Die
Uebersetzung des französischen Origi-
nals durch P. Ewald, erster Assistent
der V u 1 p i u s'schen Klinik, ist muster-
giltig und wird dem Original in jeder
Beziehung gerecht.
Dr. Carl Beck's „Surgical Diseases of the Chest."
In der in Berlin erscheinenden „Deut-
schen Medizinischen Presse" 22. No-
vember 1907) finden wir nachfolgende
Bücherbesprechung (?), die besonders
für die in New York wohnenden Kol-
legen von Interesse sein dürfte und die
wir deshalb hier unverkürzt zum Ab-
druck bringen :
„Beck, Carl (Professor of Surgery
in the New York Post-Graduate Medical
School and Hospital, Yisiting Surgeon
to the St. Mark's Hospital and the Ger-
man Policlinic, Consulting Surgeon, etc.,
President of the American Therapeutic
Society, President of the New York So-
ciety of Medical Jurisprudence. etc..
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
243
etc.), Surgical Diseases of the Chest.
With 16 colored and I62 other illustra-
tions. Philadelphia, 1907. P. Blakis-
ton's Sons & Co. IX, 371 pp. Preis 5
Dollars.
,,Der von mir — und von wem wohl
dies- und jenseits des Ozeans nicht? —
hochverehrte, geniale New Yorker Chir-
urg und Chirurgie-Professor Carl
Beck sandte mir das jüngste Pro-
dukt seines rastlosen, staunenswerten
Fleisses mit folgendem, unter dem 27.
September 1907 aus seiner Villa Beck
in Pelham-New York datierten Schrei-
ben :
Lieber hochverehrter Herr Kollege !
Erst jetzt erfahre ich, dass man Ihnen
mein neuestes Buch nicht zusandte
und bat ich die Verlagshandlung dies
sofort nachzuholen. Nehmen Sie es
gütigst als einen herzlichen Gruss
eines Sie hochschätzenden Menschen
an. Sie brauchen es ja Gott sei Dank
nicht mehr zu besprechen. Seit ich in
meiner Villa wohne, geht es mir viel
besser, aber nächstes Jahr komme ich
doch wieder hinüber. Dann werde ich
Sie beizeiten benachrichtigen. Herz-
lichen Gruss. Ihr ergebenster
Carl Beck.
„Fast a tempo mit diesen Zeilen traf
auch das Avis der Verleger und wenige
Stunden nach ihm das prächtige Buch
selbst ein. Obwohl der Verf. (nicht die
Herren Verleger) mich von der Pflicht
einer Anzeige ausdrücklich befreit hat,
so kann ich es doch nicht über mich
bringen, die herrliche Dedikation anzu-
nehmen, ohne ihrer wenigstens mit eini-
gen Worten der Dankbarkeit zu geden-
ken. Ich gehe nicht weiter auf den In-
halt des Exzellenz v. C z e r n y gewid-
meten Buches ein — das ist Sache eines
berufenen, dem populärsten deutsch-
amerikanischen Chirurgen Beck eben-
bürtigen europäischen bezw. deutschen
Meisters — und bemerke hierüber nur
kurz unter Anlehnung an die Vorrede,
dass in den jüngsten Jahren die ameri-
kanischen Leistungen sich hauptsächlich
auf die Abdominalchirurgie konzentriert
haben und seit 1896, dem Publikations-
jahre von P a g e t's Werk, keine speziell
die Brustchirurgie zusammenfassend be-
handelnde Publikation in Amerika er-
folgt ist, während doch die Fortschritte
auch hierin Dank der Asepsis, der Bak-
teriologie und der Röntgendiagnostik
ausserordentlich rapide gewachen sind.
— Nur soviel sei bemerkt : Wer den
amerikanischen Anteil an diesen Fort-
schritten und Leistungen kennen lernen
will, wer speziell B e c k's, des wunder-
bar vielseitigen und fast übermenschlich
arbeitenden Mannes, Verdienste auch in
dieser Sparte der Medizin und Chirurgie
würdigen will, wer endlich an der Pracht
amerikanischer Buchausstattung Auge
und Herz weiden lassen und die hellste
Freude darüber empfinden will, dass und
wie sehr man in Amerika es versteht,
streng wissenschaftlichen Büchern ein
Gewand zu geben, als handle es sich etwa
um eine Prachtillustrationsausgabe von
D o r e's Bibel, G o e t h e's Faust oder
einem sonstigen klassischen Werk, der
greife zu B e c k's ,Siwgical Diseases of
the Chest'. Er wird sich über dessen
Aeusseres und Inneres tief befriedigt
fühlen und dem Autor gratulieren um
der Wissenschaft willen, der Wissen-
schaft um eines solchen Autors willen. —
Ich habe Beck, den ich mit Stolz hier —
salva venia — meinen Freund zu nennen
mir anmasse, geschrieben, dass von dem
Buch eine deutsche Ausgabe veranstaltet
werden müsste und glaube das vertreten
zu können, auch wenn der amerikani-
schen Ausgabe europäischer Ruf sicher
ist. Denn es gibt immerhin leider noch
bei uns weite Kreise von Aerzten, denen
die englische Sprache nicht so geläufig
ist, dass sie im stände wären, Beck's
Werk glatt und ohne Schwierigkeiten zu
studieren. Und dadurch würde diesen
Kreisen und der deutschen Literatur
überhaupt ein Buch entgehen, das zwei-
fellos den Rang eines Standard-work für
diesen Sonderzweig der Wundheilkunde
beansprucht. Pagel.
Berlin, den 9. Oktober 1907."
244
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
Auszüge aus der neuesten Journalliteratur.
Jervois Aarons: M edical Treat-
ment of Utcrinc Hemorrhage.
Bei Uterusblutungen kann allein die
Aetiologie darüber entscheiden, ob ein
operativer Eingriff nötig ist oder ob ein
Hämostatikum zu verabfolgen ist. Oft
wird durch eine voreilige Operation
Schaden gestiftet, wo therapeutische
Heilung hätte bewirkt werden können.
A. bringt eine tabellarische Zusam-
menstellung der von ihm behandelten
Fälle, darunter auch einige, die durch
Operation geheilt wurden, nachdem
durch vorherige Darreichung eines Hä-
mostatikums günstig vorgearbeitet wor-
den war. Neu ist unter seinen Behand-
lungsmethoden die Anwendung von
Gelatine gegen Uterusblutungen. Im
übrigen kamen zur Verwendung: „Hy-
drastin Compound", Ergotin, Adrenalin
und Styptol d. i. neutrales Cotarnin.
phtalic. „Hydrastin Compound" wurde
post partum und post abortum vorab-
folgt. Das darin enthaltene Cotarnin.
hydrochlor. allein (Stypticin) verwendet
Verf. nicht, da es vor „Hydrastin Com-
pound" keinen Vorteil bietet und im Ge-
genteil oft Schwindel und Kopfschmer-
zen verursachen soll, was allerdings auch
bei fortgesetzter Darreichung von ,. Hy-
drastin Compound" eintritt, eben infolge
seines Gehaltes an Cotarnin. hydro-
chloric. Ergotin, innerlich und subku-
tan, leistete gute Dienste, wo Uteruskon-
traktionen erwünscht waren, also eben-
falls bei den angeführten Indikationen.
Adrenalin erwies sich als geeignet zur
rein lokalen Behandlung. Kalzium-
laktat und- chlorid hat den Vorteil, die
Koagulabilität des Blutes bedeutend zu
erhöhen. Mittels Gelatine durch Ein-
führung per Rektum konnten in 3 Fäl-
len die uterinen Blutungen zum Still-
stand gebracht werden. Ausführlicher
geht Verfasser auf Styptol ein, das er
viel und mit sehr gutem Erfolge an-
wandte. Als besonderes wesentlich wird
die sedative und analgetische Wirkung
des Mittels neben der blutstillenden er-
wähnt. Auch bewirkt Styptol keine
Uteruskontraktionen. Ungenehme Fol-
geerscheinungen wurden in keinem Falle
beobachtet. Verfasser behandelte erfolg-
reich Fälle von Dysmenorrhoe, klimak-
terischen Blutungen, Blutungen während
der Schwangerschaft, ferner inoperables
Karzinom, Endometritis (nach vorher-
gegangenem Kurettement), Salpingitis
und Lageveränderungen des Uterus.
Das Styptol-Knoll verdient im höchsten
Grade wegen seiner prompten Wirkung
die Beachtung der Gynäkologen. (Brit-
ish Gvnaecological Journal, February,
1907.)
G. S. Hayn es: Beiträge zur Verwen-
dung der Herztonika.
Die galenischen Digitalis- und Stro-
phantuspräparate sind in ihrem Wir-
kungswert meist sehr verschieden und
unterliegen einer fortwährenden Aen-
derung. Es ist daher als ausserordent-
licher Fortschritt anzusehen, dass das
Digitoxin und Strophantin als einheitli-
che chemische Körper in den Handel ge-
bracht wurden. Beim isolierten, mit
Ringer-Lock e'scher Flüssigkeit
durchbluteten Kaninchenherzen übt das
Strophantin selbst in minimalen Dosen
(0,00001 g) eine sofortige kräftige Wir-
kung aus. Bei intravenöser Injektion
wirkt das Strophantin fast augenblick-
lich.
Die meisten Herztonika bewirken eine
periphere Gefässverengerung, was bei
Arterienerkrankungen und Blutdruck-
steigerung im Auge zu behalten ist. In
Fällen, wo, wie z. B. bei Dilatatio cordis,
neben Digitalis eine Gefässerweiterung
erwünscht ist, kombiniert man dieses am
besten mit den Purinderivaten : Koffein,
Theobromin und Theophyllin. Am bes-
ten bewährt sich das Diuretin (Theo-
bromin. natriorsalicyl.). Es bewirkt
ähnlich wie Koffein eine Verstärk-
ung des Herzspitzensstosses. Bei Durch-
blutung des isolierten Kaninchenherzens
mit Diuretin enthaltender Ringer-
Lock e'scher Flüssigkeit zeigt sich vor
allem auch eine bedeutende Erweiterung
der Koronargefässe. Eine Kombination
eines Herztonikums mit einem vasodila-
tatorisch wirkenden Mittel von der Art
des Diuretins bewirkt eine Verlangsam-
ung und Kräftigung des Herzstosses und
zugleich eine vermehrte Durchblutung
der Arterien. Die Vaguswirkung der
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
245
Herztonika wird teilweise durch die ex-
zitomotorische Wirkung des Diuretins
aufgehoben.
Diuretin wirkt gleichzeitig als Herz-
stimulans. Da es nicht nur den Puls
kräftigt, sondern auch die Koronalge-
fässe erweitert, ist es vor allem zur Kom-
bination mit Digitalis angezeigt, da des-
sen grösster Nachteil bei der Behandlung
von Herzkrankheiten in der Gefässver-
engerung beruht. Ausser auf die Koro-
nararterien wirkt das Diuretin auch auf
die peripheren Gefässe dilatierend ein ;
da jedoch auch die Herzaktion vermehrt
ist, so sinkt der Blutdruck nicht unter
seine normale Höhe. Eine andere Wir-
kung des Diuretins, die erhöhte Diurese,
ist stets das sekundäre, während die in-
tensivere Durchblutung der Nieren das
primäre ist. Auf keinen Fall ist eine
spezifische Einwirkung des Diuretins di-
rekt auf das Nierenepithel erwiesen.
Eine Kombination von Diuretin mit Di-
gitalis erscheint besonders aussichtsreich
bei kardialem Hydrops, Herzschwäche
und vor allem bei Allgemeinerkrankun-
gen der Herzgefässe.
Die kumulative Wirkung der Herzto-
nika macht sich besonders bei Digitalis
und Scilla bemerkbar, weniger bei Stro-
phantins, speziell bei intravenöser An-
wendung des Strophantins ist diese Wir-
kung kaum zu befürchten. (Folia thera-
peutica, Oktober, 1907.)
Professor Ernst von Leyden:
Uebcr einige neuere ScJilaf mittel.
Unter den neuen Schlafmitteln, die
eine wirkliche Bereicherung des Arznei-
schatzes bedeuten, ist wohl zeitlich als
erstes das Veronal zu nennen. Es ist ein
bitter schmeckendes, in heissem Wasser
ziemlich schwer, in kaltem Wasser fast
unlösliches Pulver, dagegen sind seine
Alkalisalze ziemlich leicht löslich. Vom
chemischen Standpunkte ist es ein Harn-
storTderivat. Es kommt in einmaligen Do-
sen von 0.3 — 1,0 g zur Verwendung ; von
einer Steigerung der Dosis wurde abge-
sehen, weil sich in diesen Fällen wieder-
holt unangenehme Nebenwirkungen zeig-
ten, ohne dass die einschläfernde Wir-
kung des Veronals verstärkt zu sein
schien. Die Nebenwirkungen bestehen
vor allem in Uebelkeit, Kopfschmerzen,
kalten Extremitäten, unregelmässigem
l'uls. Es erscheint dringend geboten,
Veronal nur in Lösung zu geben, da sich
die Tabletten oder die Pulver bei vielen
Kranken im Darm nur schlecht lösen,
sodass der gewünschte Schlaf in der fol-
genden Nacht nicht eintritt, dagegen
zeigt sich dann am folgenden Tage häufig
eine Art Schlafsucht, wohl bedingt durch
die späte Resorption des schwerlöslichen
Veronals im Darm. Tritt der gewünschte
Schlaf ein, so befindet sich der Patient
am folgenden Tage vollkommen munter.
In ähnlicher Weise wie das Veronal
wirkt das Proponal, welches keinen be-
sonderen Vorzug vor dem Veronal hat,
ausser dass es in kleineren Dosen (0,2 —
0,3 g pro die) gegeben werden kann.
Ein grosser Gewinn für den Arznei-
schatz scheint das neue Schlaf- und Be-
ruhigungsmittel Bromural zu sein. Es
wird in Tabletten form ( zu 0,3 g, 2 Stck.)
vor dem Schlafengehen genommen und
wirkt dann nach 20 — 25 Minuten schlaf-
bringend. Ein grosser Vorzug dieses
Präparates besteht darin, dass es ausge-
zeichnet vertragen wird und keine Ne-
benwirkung zeigt. Der durch Bromural
hervorgerufene Schlaf lässt keine Ab-
weichung von dem natürlichen erkennen..
Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass-
bei manchen Patienten die Schlaflosig-
keit in einer geringen Herzschwäche be-
gründet ist . und in diesem Falle pflegen
die Hypnotika nur eine geringe Wirkung
auszuüben ; man erzielt dann meistens,
mit Digitalis oder Strophantus einen
guten Erfolg. (Folia Therapeutica. Ok-
tober, 1907.)
246
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
Sitzungsberichte
Deutsche Medizinische Gesellschaft der Stadt New York.
Sitzung vom 7. Oktober 1907.
Präsident Dr. Carl Beck eröffnet
die Sitzung um halb 9 Uhr.
1. Vorstellung von Patienten, De-
monstration von Präparaten, Instru-
menten u. s. w.
a) Dr. HermannFischer: Fall
von Spina bifida sacralis, geheilt durch
Operation.
b) Dr. G. Mannheimer: Demon-
stration einer Maske zur Hyperämie-
anwendung bei Brustkrankheiten.
Sekretär Dr. John A. Beuer-
m a n n verliest das Protokoll der
vorigen Sitzung, welches genehmigt
wird.
Präsident Dr. Carl Beck: Ich
habe mitzuteilen, dass wir zwei liebe
Mitglieder durch den Tod verloren ha-
ben, Dr. E. J. Messemer und Dr.
F. Norde mann, und ich bitte Sie,
sich zum Andenken an diese Mitglie-
der erheben zu wollen. (Geschieht.)
Sie wissen, meine Herren, dass Dr.
Norde mann sozusagen der geistige
Urheber der Deutschen Medizinischen
Gesellschaft in New York war zu einer
Zeit, als das Deutschtum noch sehr
wenig hervorragende medizinische
Männer aufzuweisen hatte. Dr. N o r-
demann ist in den letzten Jahren,
ich glaube wegen Krankheit, nur sel-
ten zu uns gekommen, er hat uns aber
immer mehr oder minder freundlich
zur Seite gestanden. Ich selbst war
zu meinem Bedauern nur sehr ober-
flächlich mit ihm bekannt, ich möchte
daher Dr. G 1 e i t s m a n n, der ihn
näher kannte, bitten, einige Worte zu
sagen. Ich möchte nur noch bemer-
ken, dass die meisten Mitglieder des
Verwaltungsrats bei seinem Leichen-
begängnis zugegen waren und ihn da-
durch geehrt haben.
Dr. J. W. Gleitsmann: Ich
danke Ihnen, Herr Präsident, dass Sie
mir das Privilegium gewährt haben,
ein paar Worte über unsern verstorbe-
nen Kollegen Dr. Nordemann an
die Gesellschaft zu richten. Die weni-
gen Aufzeichnungen, die ich mir er-
laube vorzulegen, sind teilweise von
seinem Sohn, unserm Mitglied Dr.
Hermann Nordemann, mir ge-
geben worden, anderseits sind es per-
sönliche Erinnerungen.
Dr. Felix Nordemann war am
16. März 1829 in Bern geboren, wo-
selbst er auch 1853 promovierte.
Er kam nach New York 1854 und
übte bis zu seinem Tode allgemeine
Praxis aus.
Seine Beziehungen zu unserer Ge-
sellschaft waren mannigfacher Art und
datieren bis zu deren Beginn zurück.
Obwohl er nicht bei der ersten Zu-
sammenkunft am 19. Dezember 1860
zugegen war, trat er schon im Februar
1861 der Gesellschaft bei und ist einer
der Gründer derselben. Er war einer
der 5 Mitglieder, die 1867 den noch
jetzt bestehenden Charter herausnah-
men, war Präsident drei Jahre lang von
1882 bis 1884 und stellte sein eigenes
Heim dem Verein für seine Versamm-
lungen während dreier Jahre zur Ver-
fügung, als derselbe durch den Ver-
kauf des Wallfisches heimatlos gewor-
den war.
Sein Hauptverdienst jedoch war.
dass er mit den sechs anderen Kol-
legen, welche der Jahresversammlung
1884 beiwohnten, der zur Sprache kom-
menden Auflösung des Vereins oppo-
nierte und mit Dr. Carl H e i t z-
m a n n die Reorganization des Vereins
energisch betrieb.
Wie sehr er an unserer Gesellschaft
hing, zeigt der Artikel, den er 1896
derselben dedizierte, und seine An-
hänglichkeit ist am besten in den Wor-
ten ausgedrückt, die mir sein Sohn vor
wenigen Tagen zusandte :
,,Er betrachtete die Deutsche Medi-
zinische Gesellschaft als sein Kind, er
fühlte stolz und glücklich, wenn er Je-
mand von ihr sprechen, sie loben hörte.
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
247
Er verliess die Stadt niemals der Er-
holung halber, er war glücklich und
zufrieden."
Meine persönlichen Beziehungen zu
dem Verstorbenen waren stets die
freundschaftlichsten, und sahen wir
uns in früheren Jahren häufig, als er
noch unsere Versammlungen besuchen
konnte. Ihm und Dr. Carl H e i t z-
m a n n habe ich es hauptsächlich zu
danken, dass ich Ihnen 1894 über die
frühere Geschichte der Gesellschaft be-
richten konnte. Auch Dr. Rose
fühlte sich ihm zu Dank verpflichtet,
als er 1899 mit grossem Fleise und
Mühe die Daten der Aufnahme sämmt-
licher Mitglieder zusammenstellte.
Ich erlaube mir, Herr Präsident, den
Antrag zu stellen, uns nicht mit dem
üblichen Erheben von den Sitzen zu
begnügen, sondern den Sekretär zu be-
auftragen, seinen Hinterbliebenen un-
sere Sympathie und auch den Dank
der Gesellschaft auszudrücken, für die
er so viel getan und der er bis an sein
Lebensende sein Interesse bewahrt hat.
Die Versammlung beschliesst die-
sem Antrag gemäss.
Präsident Dr. Carl Beck: Ich
habe nun die grosse Ehre und das nicht
minder grosse Vergnügen, Ihnen einen
vornehmen Vertreter der alten berühm-
ten Fakultät Wien vorzustellen, Herrn
Prof. Dr. Hermann Schlesin-
ger. Ich heisse ihn in unserer Mitte
recht herzlich willkommen und hoffe,
dass sein Aufenthalt in Amerika nicht
bloss für ihn, sondern auch für uns
Frucht bringen wird. Der Herr Pro-
fessor ist so gütig gewesen, ein Thema
zu wählen, welches für unseren Verein
ausserordentlich passt, nämlich den
Lungenabszess.
Professor D. H. Schlesinger:
Lungenabszess und Lungengangrän.
(Der Vortrag erscheint in ds. Monats-
schr. als Originalarbeit.)
Präsident Dr. Carl Beck spricht
Herrn Prof. Schlesinger für sei-
nen trefflichen Vortrag den herzlich-
sten Dank aus, und die Versammlung
beschliesst, in eine Diskussion des
Vortrags einzutreten.
Diskussion. Dr. Otto Kiliani:
Ich bin wie der Präsident und die Mit-
glieder der Gesellschaft glücklich, dass
der Verfasser des Buches ,, Chirurgi-
sche Eingriffe bei inneren Erkrankun-
gen" und der Herausgeber des Zen-
tralblatts der Grenzgebiete sich heute
über dieses Thema uns gegenüber aus-
gelassen hat. Die Indikationsstellung
wird eigentlich soviel besser von dem
heutigen Internisten gemacht von dem
Schlage wie Prof. Schlesinger,
Friedrich Müller und anderer,
dass der Chirurg wirklich nicht so im
stände ist, ein so umfassendes Bild zu
geben, wie dies der Vortragende getan.
Meine persönlichen Erfahrungen, ob-
wohl ich mit einem grösseren Material
arbeite, sind recht gering. Ich weiss
nicht, ob andere Herren darin glück-
licher oder unglücklicher waren, wie
man es auffassen will.
Wenn ich mir eine Bemerkung er-
lauben darf, so weiss ich nicht, ob
Herr Professor Schlesinger die
Sepsis als ätiologischen Faktor er-
wähnt hat. Ich habe septische Lun-
genabszesse in einer Anzahl von Fällen
von gangränöser Appendizitis beobach-
tet. Gangränöse Appendizitis gibt ein
so abgegrenzt scharfes klinisches Bild,
dass man die Diagnose schon vor der
Eröffnung machen kann ; es scheint, als
ob diese Neigung zu Gangränisierung
auch im anderen Gewebe zur Geltung
kommt. Ich habe drei Fälle von
gangränösem Lungenabszess als Chir-
urg gesehen. Auch möchte ich Prof.
Schlesinger danken für die War-
nung, die er dem praktischen Arzt aus-
gesprochen hat, die Punktionsnadel zu
gebrauchen. Ich hatte heute morgen
das Vergnügen, Herrn Professor
Schlesinger im Deutschen Hospi-
tal zu treffen und an der Hand eines
Falles von operiertem Lungenabszess,
der anf meiner Abteilung lag, ihn dar-
über sich aussprechen zu hören. Ich halte
überhaupt den Gebrauch der Punk-
tionsnadel, ganz gleich zu welchem
Zweck, wenn sie nicht als Leitführer
zu Anfang einer Operation verwendet
wird, für ein Verbrechen. Es ist wirk-
lich nur eine Befriedigung der Neugier
für den Praktiker, die Spritze einzustos-
sen, da er ja nicht in der Lage ist, den
Befund operativ auszunützen ; dagegen
ist der dadurch verursachte Schaden
manchmal gross. Die Warnung von
248
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
Prof. Schlesinger war ausseror-
dentlich angebracht. Ich schliesse
meine kurzen Bemerkungen mit inni-
gem Dank für Prof. Schlesinger.
Dr. R. Stein: Ich hin dem Vor-
trag des Prof. Schlesinger mit
grossem Interesse gefolgt, und es wird
mir nicht einfallen, in irgend einem
Punkte Opposition zu machen. Ich
möchte ihn aber doch fragen, ob er
selbst schlechte Erfahrungen mit der
Punktionsnadel beim Lungenabszess
gemacht hat und ob es ihm selbst pas-
siert ist, dass er die Pleura infiziert hat.
Ich weiss wohl, dass F r ä n k e 1 sich
in seinem Buch gegen die Punktions-
nadel ausspricht. Die Sache verhält
sich aber doch in der allgemeinen
Praxis ganz anders. Haben wir z. B.
einen Fall von Pneumonie, und es tritt
dazu akut eine Gangrän, so wissen
wir, um was es sich handelt. Nach der
Angabe der Autoren würde man da
nicht Punktion anwenden, da man die
Pleurahöhle infiziert. Es gibt aber
eine ganze Anzahl von Fällen, ich habe
selbst eine Anzahl im Deutschen Hos-
pital gehabt und in der Privatpraxis
behandelt, bei denen es sich um einen
chronischen Verlauf handelt. Es wer-
den Patienten eingeliefert, meist ältere
Leute, die schon Pneumonie, Influenza
gehabt haben, längere Zeit husten,
denen in der Praxis nicht geholfen
wurde. Sie kommen ins Hospital, man
untersucht den Fall näher, untersucht
das Sputum und findet Eiter, vielleicht
auch elastische Fasern, man kann dann
die bestimmte Diagnose des Falles
nicht stellen — sie schwankt immer
zwischen Tuberkulose und Abszess.
Die Zeichen sind dabei gar nicht klar,
es kann sich um einen ganz kleinen
Abszess handeln. Ich habe einen sol-
chen Fall jetzt im Deutschen Hospital.
Es handelt sich um eine Frau, die
schon wochenlang im Hospital war,
wieder wegging und wieder kam. Sie
spuckte auch viel Eiter aus. Wir such-
ten nach Lungenfetzen, Lungenfasern
und fanden dieselben nicht. Die Frau
hatte Fieber, eine Geschichte von
mehrmonatlicher Erkrankung. Ich
hörte an einer Stelle an der linken hin-
teren Lungenpartie ein amphorisches
Atmen mit metallischem Klang, und es
wurde daraufhin punkiert. W ir konn-
ten den Eiter nicht erreichen. Es
wurde dann auf dem Operationstisch
von Dr. T o r e k punkiert, der wirkli-
chen Eiter herauszog und im Anschluss
an diese Exploration den Lungenab-
szess mit Erfolg operierte.
Ich könnte noch zwei andere Fälle
erzählen, die genau ebenso verliefen.
Es handelt sich also um chronische
Fälle, bei welchen die Diagnose
schlecht zu stellen ist und wo meiner
Erfahrung in einer kleinen Anzahl von
Fällen nach die Punktion nichts scha-
det ; allerdings würde ich sie in ganz
akuten Fällen von Gangrän nicht
machen.
Dr. C. Bloch: Im Hinblick auf
Prof. Schlesinger's Bemerkung,
dass selbst von den operierten Fällen
vielleicht nur 50% Heilung ergeben,
und dass es anderseits in sehr vielen
Fällen recht schwierig ist, dem Ab-
szess beizukommen, möchte ich einige
Erfahrungen erwähnen, die ich mit
einem Medikamente gemacht habe und
die ganz überraschend waren. Ich
habe einmal einen Fall von Pneumonie
gehabt, bei dem sich auf einmal zur
Zeit, wo wir Genesung hätten erwarten
können, auskultatorische und perkutori-
sche Symptome einstellten, die mich
auf die Idee brachten, dass es sich um
einen Pfrofen handle, der einen Bron-
chialast der rechten Lunge verstopfe.
Diese Diagnose wurde von einem Kon-
sultanten bestätigt, und es kamen
Schüttelfröste, und dann begann auch
Eiterauswurf und es erschien eine be-
schränkte Dämpfung im mittleren
Lappen ziemlich oberflächlich nahe der
Wirbelsäule; Erscheinungen, welche
kaum eine andere Diagnose möglich
machen, als Abszess. Da aber der Ab-
szess von dem Pfropfen herrührte und
ich das plötzliche Auftreten dieser
Dämpfung konstatieren konnte und
der Eiter immer reicher wurde, so be-
schloss ich mit dem Konsultanten, lie-
ber abzuwarten, ob der Abszess sich
nicht entleeren würde. Dies geschah
auch. Es war drei Wochen nach dem
Beginn der Pneumonie. In weiteren
fünf Wochen war der Abszess voll-
ständig geheilt, und der Kranke, in
ausgezeichnetem Gesundheitszustande,
jIew Yorker Medizinische Monatsschrift.
249
wog ungefähr 30 Pfund mehr, als er
vor der Krankheit gewogen hatte.
Ich habe ein ähnliches Resultat nach
Pneumonie mit Empyem gesehen. Es
war ein Kind, und es war akuteste
Atemnot vorhanden, und, um den El-
tern zu zeigen, dass eine Operation
nötig, nahm ich eine grosse Spritze
voll heraus ; dies half der augenblick-
lichen Atemnot ein wenig. Aber die
Eltern sagten, der liebe Gott wolle das
Kind sterben lassen und verweigerten
die Operation absolut trotz dringender
Vorstellungen. Da gab ich dem Kind
Kreosot, und es war in sechs Wochen
vollständig genesen. Ich glaube, dass
ich Kreosot in solchen Fällen, wenig-
stens wo es nicht geraten oder möglich
ist, zu operieren, stark empfehlen darf.
Dr. G. Mannheimer: Meine Er-
fahrungen beziehen sich ausschliess-
lich auf den chronischen Lungenab-
szess. Die Ausführungen des Redners
haben mich daran erinnert, wie schwer
sich die Untersuchung solcher Patien-
ten gestaltet dadurch, dass die Er-
scheinungen so ausserordentlich wech-
seln, sowohl die Perkussion wie die
Auskultationsbefunde. Ich habe diese
Veränderlichkeit der physikalischen
Zeichen, die durch den wechselnden
Füllungszustand der Lungenhöhle be-
dingt ist, an einer Anzahl von Patien-
ten im Bedford Sanatorium beobachtet,
die als tuberkulös dorthin geschickt
worden waren. Die Aehnlichkeit mit
Tuberkulose ist ausgesprochen genug,
um den Unerfahrenen zu täuschen.
Es fanden sich bei ihnen die Zeichen
von Höhlenbildung, massenhaft eitri-
ger oder sich in Schichten absetzender
Auswurf, darin elastische Fasern, aber
bei wiederholter Untersuchung keine
Tuberkelbazillen. Letzterer Umstand
erscheint mir als sehr bedeutungsvoll,
wird aber nicht genügend gewürdigt.
Ich habe mehrere dieser Patienten,
meist junge Leute unter 20 Jahren, aus
dem Sanatorium in allgemeine Kran-
kenhäuser geschickt, und ich weiss von
zweien, dass sie plötzlich an Herzläh-
mung gestorben sind. Hat Herr Prof.
Schlesinger ähnliche Erfahrung
gemacht ?
Eine weitere Frage ist die : Finden
sich im Auswurf nicht auch andere
morphologische Bestandteile, die auf
Lungenabszess hindeuten ? Gibt es
differenzialdiagnostische Punkte zwi-
schen Bronchiektasie und Lungenab-
szess ?
Was die Differenzialdiagnose zwi-
schen Lungenabszess und abgesack-
tem Pleuraexsudat oder Empyem be-
trifft, so darf nicht vergessen werden,
dass beide Zustände zusammen vor-
kommen können.
Präsident Carl Beck: Ich be-
merke mit grossem Bedauern, dass Herr
Prof. Schlesinger mit den Rönt-
genstrahlen etwas langsam behan-
delte. Da nun keiner der Anwesenden
Herren Kollegen ein gutes Wort für
die Röntgenstrahlen einlegte, so kann
ich das trotz meiner neutralen Position
als Vorsitzender nicht schweigend hin-
gehen lassen, denn Qui tacet, consen-
tire videtur. Wie ich schon Anfang
dieses Jahres behauptete, als ich über
denselben Gegenstand vom chirurgi-
schen Standpunkte aus sprach, ist mit
der Röntgenmethode eine völlig neue
Aera für die Lungenchirurgie an-
gebrochen, mit anderen Worten: Die
Chirurgie hat einen Teil der diagnosti-
schen Bedeutung aus den Händen der
Internisten genommen und zwar ver-
möge ihrer naturgemäss grösseren
Kenntnis in der Röntgentechnik. Prof.
Schlesinger hat trefflich hervor-
gehoben, wie schwierig die Differen-
zialdiagnose ist ; er trifft den Nagel auf
den Kopf, wenn er sagt, dass wir ein-
mal bei der Perkussion einen soliden
Schall hören und dann wieder tympa-
nitischen, sodass unser theoretischer
Katechismus in's Wanken gerät, ähn-
lich ist es mit der Auskultation. Vor
der Aspirationsspritze warnt er uns.
Das ist in der Abdominalchirurgie ge-
rechtfertigt, aber sonst halte ich sie für
den besten Freund des allgemeinen
Praktikers, da sie bei obskuren Fällen
oft die überraschendsten Aufschlüsse
gibt. Beim Lungenabszess nützt die
Aspiration nicht, weshalb ich dir Aspi-
ration in solchen Fällen verwerfe, aber
nicht aus Furcht vor der Infektion,
denn was tun wir nicht alle-; im medi-
zinischen Aufklärungsdienst, das In-
fektion hervorbringen könnte und doch
ohne Reaktion verläuft! Ein Abszess
250
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
der Lunge ist ja kein Abszess der
Pleura, keine gänzlich mit Eiter ge-
füllte Höhle, sondern enthält nur zur
Hälfte oder zu einem viertel Eiter und
Detritus. In früheren Jahren wagte
ich es manchesmal nicht zu operieren,
weil die Diagnose auf so schwachen
Füssen stand. Ja, selbst bei gemach-
ter Diagnose erschien es schwierig, den
Abszess zu lokalisieren. Es tröstete
mich, den Vorzug zu haben, mit in-
ternen einigermassen Autoritäten zu
konsultieren, von denen der eine auf
Grund einer Schallveränderung er-
klärte : „Hier ist der Abszess," der an-
dere ,,Dort." Und schliesslich war er
weder hier noch dort. Welch grosse
Wohltat ist es nun, dass wir in un-
serer Not nun mit einem Male das
Röntgenstrahlenverfahren besitzen, auf
Grund dessen wir mit absoluter Sicher-
heit sagen können, hier liegt der Ab-
szess, hier schneide ich ein, 5 Zoll,
sagen wir, von der Wirbelsäule, zwi-
schen der 7. und 8. Rippe.
Was die sogenannten Irrtümer der
Röntgenmethode betrifft, so kann ich
sagen : Die Botschaft hör' ich wohl,
allein mir fehlt der Glaube. Es gibt
keine Irrtümer der Methode, sondern
des Individuums, es gibt schlechte
Röntgenbilder, und ich habe selbst
viele hundert derselben auf dem Ge-
wissen. Es ist mir aber nie eingefallen
zu behaupten : Dies ist ein gutes Rönt-
genbild, wenn es schlecht ist. Wenn
ich trotz wiederholter Versuche nicht
reüssierte, gestand ich einfach der
Wahrheit gemäss : Mein Bild ist nicht
zuverlässig, wir müssen uns nach an-
deren Verfahren umsehen. Mit Em-
phase möchte ich die Bemerkung von
Prof. Schlesinger, dass die Rönt-
genstrahlen in Harmonie mit den phy-
sikalischen Methoden sein müssen, in-
dossieren. Wer diese unsere Metho-
den beherrscht, weiss sich sofort auch
auf dem Röntgenbild zurecht zu rinden.
Bei Lungengangrän sind Irrtümer
kaum denkbar ; da haben wir es gros-
senteils mit solidem Gewebe zu tun,
und das solide Gewebe, namentlich das
nekrotische, ist nicht sehr durchgängig
für Röntgenstrahlen, präsentiert sich
also sehr deutlich. Die Diagnose auf
Gangrän zu stellen, ist überhaupt äus-
serst leicht. Man braucht ja bloss
der Nase nach zu gehen. Der Foetor
ex ore bei Lungengangrän ist so furcht-
bar, dass selbst die Mutter ihrem Sohn
aus dem Wege geht, wenn er anfängt
zu husten. Aber mit der Diagnose
Gangrän allein ist es nicht getan ; an
der weit schwierigeren Frage : Wo soll
man einschneiden und den Herd tref-
fen, hängt vielmehr das Leben des Pa-
tienten, und da man die Frage früher
nicht gut beantworten konnte, hat sich
der Chirurg gefürchtet, die Operation
vorzunehmen. Erst allmählich lernte
man, unter dem leuchtenden Schild der
Röntgenstrahlen den graden Weg zu
gehen. Ich möchte nun nicht dahin
missverstanden werden, dass ich die
alten und besonders die physikalischen
Methoden nicht hochschätze. Ich hätte
mich aber gefreut, wenn der Herr Kol-
lege den gleichen Respekt vor der
Röntgenmethode, dieser neuen verbün-
deten Kraft, gezeigt hätte. Anschlies-
send an meine kurze Bemerkung von
vorhin "betreffs der Explorationsspritze
möchte ich fragen : Was soll der Prak-
tiker im Hinterwald machen, den es
Stunden beschwerlicher Fahrt nimmt,
ehe er zum Kranken kommt? Sagen
wir: Wenn er nach einer abgelaufenen
Pleuropneumonie an die Möglichkeit
eines Empyems denkt, wie will er des-
sen Anwesenheit beweisen? Doch nur
durch die Aspirationsspritze. Wenn er
das nicht tut und sich zu dem un-
schönen Risiko längerer Beobachtung
bequemt, wird der Kranke sterben,
weil das Empyem nicht früh genug er-
kannt worden ist. Denn die Spätope-
ration kann die verlorene Expansion
der Lungen und die Toxämie nicht
mehr gut machen. Pinselt man einen
Tropfen Jodtinktur auf, so vermeidet
man zunächst, dass infiizierende Mo-
mente mit in die Pleurahöhle hin-
eingetragen werden. Gelangt man in
gesundes Lungengewebe, wird man mit
sterilisierter Nadel in geschützter Haut
nie eine Infektion verursachen, sticht
man aber in krankes Gewebe, so ope-
riert man ja baldmöglichst darauf und
macht den Schaden, wenn es wirklich
einer war, wieder gut. Also dieser
Einwand hat praktisch keine grosse
Bedeutung, wenn er auch theoretisch
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
-'5>
gerechtfertigt ist. Die Röntgenstrah-
len sagen uns ferner nicht bloss, wo
ein grosser Abszess sich befindet, son-
dern auch kleinere stellen sich auf dem
Röntgenbild dar.
Ich möchte deshalb die Kollegen bit-
ten und ihnen ans Herz legen, in zwei-
felhaften Fällen ein Röntgenbild ma-
chen zu lassen und sich stets die nor-
male Anatomie vergleichender Weise
zu vergegenwärtigen. Dann werden
Sie, wenn Sie auf dem Boden der Tat-
sachen zu bleiben sich bemühen, selten
Irrtümer machen. Mir werden manch-
mal Röntgenbilder zur Begutachtung
vorgelegt, denen Erklärungen beilie-
gen, dass die Haare zu Berge stehen.
Womöglich tritt dann noch, wie bei
den Harnbeschauern vergangener
Jahrhunderte die naive Frage dazu :
Was fehlt auf Grund dieses Röntgen-
bildes dem resp. Patienten?
Das ist eine traurige Poeterei
wirrer Köpfe und vor solchen kühnen
Schlussfolgerungen warne ich Sie. An-
dererseits kann ich Sie versicheren, dass
man sich auf ein gutes Röntgenbild
absolut verlassen kann. Und wenn es
sich um einen chirurgischen Eingriff
handelt, so sollen ausser dem Röntgen-
verfahren alle anderen diagnostischen
Methoden sorgfältig erwogen und mit
dem Röntgenbild in Einklang gebracht
werden.
Prof. Schlesinger (Schluss-
wort) : Gestatten Sie mir, dass ich auf
die verschiedenen Aeusserungen zu-
rückkomme, die im Laufe der Diskus-
sion gefallen sind.
Was dis septische Aetiologie des
Lungenabszesses anbelangt, so hatte
ich das zu erwähnen vergessen. Es
kommt nicht selten vor, dass man im
Laufe der Sepsis Lungenabszess auf-
treten sieht.
Es wurde dann weiter die Anfrage
gestellt, ob nicht öfter ein Abszess in
der Pleurahöhle vorkomme. Nach
dem, was ich gesehen habe, möchte ich
meinen, dass ein grosser Teil der Lun-
genabszesse gleicher Zeit Pleuraab-
szesse sind, derart dass ich mich ge-
wöhnt habe, von Pleura-Lungenab-
szess zu sprechen. Ich habe bei opera-
tivem Eingriff oft gesehen, dass ein
Teil der Pleurahöhle abgeschlossen
war durch Adhäsionen, dass ein Teil
der Abszesswand von der Pleura ge-
bildet war; ein Teil des Abszesses lag
in der Lunge.
Was die Punktion anbelangt, so
wurde die Frage wiederholt gestreift,
ob die Probepunktion am Platze wäre
oder nicht. Ich habe meinen Stand-
punkt präzisiert und befinde mich in
Gesellschaft sehr vieler Chirurgen,
welche einen solchen Eingriff doch
nicht für eine harmlose Sache halten,
und ich habe selber nach einer solchen
Operation ein Empyem zu stände
kommen sehen. Seit dieser Zeit habe
ich mich von dem Eindruck nicht frei
machen können. Möglich, dass ich
darin manchmal etwas zu weit gehe,
aber ich erkläre ausdrücklich, dass ich
in jedem Fall von Pleuraempyem die
Probepunktion anwende, sofort wenn
ich den Kranken sehe.
Plötzlichen Exitus bei Kranken,
welche chronischen Lungenabszess ha-
ben, habe ich zu wiederholten malen
gesehen. Einmal bei einem Kranken,
der operiert war und aus dem Kran-
kenhaus entlassen werden sollte.
Plötzlich Hess das Herz nach. Die
Autopsie ergab schlaffes Herz.
Was die Differenzialdiagnose anbe-
langt, so sind Bronchiektasie und
chronischer Lungenabszess dieselben
Erscheinungen, oft so vollkommen
identisch, dass man nur von multiplen
Höhlen in einem Lungenabschnitt re-
den kann und es dahin gestellt bleiben
muss, ob es sich um chronischen Ab-
szess oder Bronchiektasie handelt, be-
sonders da häufig Uebergänge vorhan-
den sind. Sehr oft geht aus Bronchi-
ektasie Abszess hervor, nicht selten
geht von dem Abszess ein Prozess her-
vor, der Bronchiektasie einleitet.
Was nun die Röntgendiagnostik an-
belangt, so bin ich offenbar von dem
Präsidenten missverstanden worden.
Ich schätze die Röntgendiagnostik aus-
serordentlich hoch ein und betrachte
sie als ganz ausserordentlichen Fort-
schritt bei Lungenabszess. Ich habe
nur häufig bedauert, schlechte Bilder
für die Diagnose zu bekommen. Es
gibt Leute, die sehr schlechte Bilder
machen, ich habe wiederholt falsche
Lokalisation gesehen. W enn aber das
252
New Yorkek Medizinische Monatsschrift.
Röntgenbild ein gutes ist, dann ist die
Unterstützung der Diagnose eine ganz
ausserordentliche, und wenn die ande-
ren Punkte, Auskultation und Perkus-
sion, nicht mit dem Bilde übereinstim-
men, dann ist die Lokaldiagnose ir-
gendwie falsch — sie müssen sich
decken.
Vize-Präsident Dr. G. M a n n h e i-
m e r übernimmt den Vorsitz.
b) Dr. A. Rose: Moderne Metho-
den der medizinischen Behandlung der
Magenkrankheiten. (Der Vortrag ist
in der Oktobernummer ds. Monatsschr.
als Originalarbeit erschienen.)
Diskussion. Dr. M. I. Knapp: Da
der Redner meinen Namen erwähnt
hat, so möchte ich ein paar Worten
sagen. Es sind drei Momente, über
die ich sprechen will. Erstens einmal
glaubt Dr. Rose, dass eine Magenun-
tersuchung nicht immer notwendig ist,
dass man eine Diagnose ohne Magen-
untersuchung machen kann. Das will
ich in Abrede stellen. Eine Magenun-
tersuchung muss gemacht werden,
wenn eine Diagnose gemacht werden
soll, und ohne Diagnose kann man
keine Magenkrankheit behandeln. Wie
könnte Dr. Rose die Krankheit er-
kennen, welche er hier genannt hat,
nämlich die Schimmelbildung im Ma-
gen, eine Krankheit die ich 1902 be-
schrieben habe, ohne eine Magenunter-
suchung vorzunehmen ? Das geht
überhaupt nicht. Und wie leicht diese
Krankheit irgend ein anderes Bild vor-
täuschen kann, habe ich z. B. in mei-
ner Abhandlung genau beschrieben.
Ich habe jetzt drei Fälle, die zu mir
wegen Diabetes gekommen sind. Alle
Symptome sind da, doch ist kein Dia-
betes vorhanden. Es ist eben Schim-
melbildung im Magen.
Nun will ich auf das zurückkommen,
was Dr. Rose sagte, dass ich die In-
spektion zur Vollkommenheit gebracht
habe. Ich freue mich, wenn Dr. Rose
das anerkennt. Wenn ich hier sage,
dass die Inspektion uns alles lehren
kann, wenn ich Ihnen sage, dass ich
im Stande bin, jedes einzelne Organ im
Körper durch die Haut durchzusehen,
so glauben Sie nicht, dass ich ein Gott
bin. Ich kann es Ihnen gern beweisen.
Ich zeige es Ihnen, wie mit freiem
Auge alle Organe des Körpers zu sehen
sind, und das soll von Jedem studiert
werden. Ich bin gern bereit, es zu zei-
gen, so oft ich es auch demonstrieren
soll. Ich habe Tumoren des Magens
gesehen, die nicht grösser gewesen
sind als etwa }4 Zoll, wie sie die La-
parotomie dann zeigte; nicht einmal in
vollständiger Narkose konnten Sie di-
agnostiziert werden. Das habe ich
mehrere male getan. Das Herz kann
mit vollständigster Genauigkeit ge-
sehen werden. Heute hatte ich einen
Fall in der Klinik, in dem ich einen
Klappenfehler genau sehen konnte.
Vorgestern hatte ich einen Fall, wo ich
genau eine Verdichtung der Lunge
habe sehen können, und, wie gesagt, es
lassen sich alle Organe sehen, Herz,
Leber, Lunge, Milz, Nieren, alle Teile
des Darms und Magens, und wenn es
mir gegönnt ist, die Sache in diesem
Verein zu zeigen, so tue ich es gern,
wenn ich verschont werde, die Patien-
ten selbst zu bringen. Also, die In-
spektion der Organe ist nichts über-
natürliches und ist leicht zu lernen.
Es hat mich Jahre genommen, dies zu
entwickeln, dennoch ist es sehr leicht
zu lernen. Ich will Ihnen ein Beispiel
geben von einer Konsultation, bei der
ich nicht weiter kam, als vor das Ende
des Bettes des Patienten. Der Körper
des Patienten war entblösst, und meine
Diagnose, die ich in etwa einer halben
Minute oder noch früher gemacht, war:
Herzkrankheit und Vergrösserung der
Leber. Das war es, wie es auf andere
Weise bestätigt worden. Und das
kann nicht bloss bei mageren Patienten
gesehen werden. So paradox es aber
scheinen mag, wenn ich zu Zwecken
der Demonstration die Wahl haben
sollte zwischen fetten und mageren
Patienten, so ziehe ich die fetten Pa-
tienten vor. Mit aller Schärfe kann
alles gesehen werden. Je schwächer
die Beleuchtung, desto weiter muss der
Arzt vom Patienten abstehen. Je
heller das Licht, desto näher muss er
zum Patienten treten.
Dr. H. I 1 1 o w a y : Ich möchte ei-
nige W'orte zu dem bemerken, was
Herr Dr. Rose aufgeführt hat. dass
der Magen sehr oft die Ursache von
nervösen Störungen ist, und dass man
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
253
mit einer dem Fall angepassten Diät
sehr oft die nervösen Störungen heilen
kann. Ich kann mich eines Falls erin-
neren, wo eine Frau, die von hysteri-
schem Temperament war, in eine sehr
schwere Melancholie verfiel. Sie
wurde von einem Nervenspezialisten
behandelt, aber ohne Erfolg. Ich
wurde hingerufen, und Pat. reagierte
auf einfache Diät. So ist es in vielen
Fällen. Das umgekehrte kommt aber
auch vor, dass eine nervöse Störung
das Magenleiden verurascht, und da
muss man sein Augenmerk in der Be-
handlung auf das Nervöse richten und
nicht auf den Magen.
In einem kann ich aber mit Dr.
Rose nicht übereinstimmen, dass eine
Atonie und Dilatation eine und das-
selbe seien, denn nach meiner Ansicht
kann eine Atonie bestehen und der
Magen doch nicht dilatiert sein. Dr.
Rose hat ja selbst eine sehr lehr-
reiche Arbeit über das Plätscherge-
räusch mit einer Statistik von sehr vie-
len Fällen, die er damals beobachtet,
publiziert, und obgleich man das Plät-
schergeräusch oft ganz natürlich bei
Dilatation findet, so unterscheidet es
sich doch insofern von dem ato-
nischen Plätschergeräusch, als dieses
nicht so weit nach unten gefunden wird
wie das der Dilation. Das kann man
sehr gut mit dem Stethoskop präzisie-
ren. Bei der Dilatation ist der Magen
nie leer. Ich glaube, dass eine Dilata-
tion nur da stattfindet, wo eine Ob-
struktion im Pylorus ist, und dass da,
wo der Pylorus frei bleibt, nie eine
wirkliche Dilatation zustande kommt.
Dr. A. Rose (Schlusswort): Dr.
K n a p p hat mich missverstanden.
( legen den Gebrauch der Magensonde
und des mittelst derselben gewonnenen
Mageninhaltes habe ich im allgemei-
nen keinen Einwand erhoben, sondern
nur behauptet, dass die Anwendung der
Sonde und die Untersuchung des Ma-
geninhaltes in vielen Fällen überflüssig
sind. Selbstverständlich kann man
Schimmelbildung im Magen nicht er-
kennen, ohne den Mageninhalt unter-
sucht zu haben.
Dr. I 1 1 o w a y hat meinen Vortrag
nicht genau verfolgt. Atonie heisst auf
deutsch Erschlaffung und nichts an-
deres. Erschlaffung der Muskelfaser
ist selbstverständlich Verlängerung
der Muskelfaser, und deshalb sind Ato-
nie und Dilatation identisch. Wenn
man freilich unrichtigerweise unter
Atonie etwas anderes als Erschlaffung
versteht, so entsteht Verwirrung, und
gerade darüber habe ich ausführlich
gesprochen.
Hierauf tritt Vertagung ein.
D r. J o h n A. Beuermann,
Prot. Sek.
Deutsche Medizinische Ges<
Sitzung vom 18. April 1907.
Vorsitzender : Dr. Herzog.
Das Protokoll der letzten Sitzung
wird verlesen und genehmigt.
Programm.
1 ) Dr. A 1 e x. B e h r e n d t : Ist der
Magensaftschwund (Achylia gastrica)
eine Neurose oder eine organische
Magenerkrankung? (Ein Beitrag zur
Lösung dieser Frage, mit Krankenvor-
stellung.)
2) Dr. H e y m : Vorstellung eines
interessanten Falles von progressiver
Muskelatrophie.
schaft der Stadt Chicago.
Diskussion zu Dr. B e h r e n d t's
Vortrag :
Dr. C r o f t a 11 spricht zur Therapie
und führt folgendes aus :
Den Empfehlungen von grossen Ga-
ben Salzsäure nach dem Essen ist bei-
zustimmen ; im allgemeinen werden
viel zu geringe Dosen gegeben ; einige
Tropfen Salzsäure — die gewöhnliche
V erordnungsweise — sind fast wirk-
ungslos. Bei guter motorischer Funk-
tion des Magens mit Achylia ist es
durchaus nicht nötig, HCl zur Beför-
derung der Mageneiweissverdauung
zu verabreichen. Die gute W irkung
254
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
der HCl bei Diarrhoea gastrica ist viel-
leicht durch die antifermentative Ei-
genschaft der ersteren zu erklären.
Bei Appetitlosigkeit ist HCl ein vor-
zügliches Stomachikum, wenn vor dem
Essen in kleiner Dosis gereicht, die-
selbe vermag so wahrscheinlich die
Salzsäuredrüsen zu stimulieren, wo-
fern kein vollständiges Fehlen der
Drüsenfunktion vorliegt. Zu wieder-
holtenmalen wurden Patienten mit
Achylia gastrica als karzinomver-
dächtig operiert; wenn in solchen Fäl-
len der Tumor nicht aufgefunden wer-
den konnte, so wurde nichtsdesto-
weniger trotz guter motorischer Funk-
tion eine Gastroenterostomie ausge-
führt, welche die Beschwerden nur
noch mehr zu steigern geeignet war.
Bei der Regelung der Diät ist vor
allem die motorische Leistung des Ma-
gens zu berücksichtigen, nicht so sehr
der Mangel an Salzsäure. Ist die
Kraft schlecht, besteht somit Stagna-
tion, dann mögen Magenauswaschun-
gen Platz greifen und es ist die Auf-
nahme von nur kleinen Mengen von
Speisen und Flüssigkeiten gestattet.
Die Nahrung soll gemischt und im
fein verkleinerten Zustand sein.
Dr. Carl Beck spricht zu Gunsten
der Probelaparotomie bei begründetem
Verdacht auf Karzinoma, denn nur
eine solche macht die Frühdiagnose
des Karzinoms möglich. Vor zwei
Wochen hatte Dr. B. eine Patientin
operiert, die seit Jahren an Achylia
gastrica gelitten, ohne an Körperge-
wicht abgenommen zu haben. Sie
wurde von mehreren Aerzten für ner-
vös erklärt. Bei der Röntgenunter-
suchung fand sich eine eigentümliche,
verdächtige Form des Pylorus. Bei
der Operation zeigte sich ein sehr klei-
nes Karzinom, das unmöglich hätte
palpiert werden können. Diese Früh-
diagnose wurde nur durch die Opera-
tion ermöglicht.
Dr. R e i c h m a n n : H o 1 z k n e c h t
in Wien behauptete in einer früheren
Publikation, dass die Röntgenstrahlen-
untersuchung des mit Bismutum sub-
nitricum gefüllten Magens eine früh-
zeitige Erkennung des Karzinomas er-
mögliche. Dem gegenüber ist zu be-
merken, dass auch Bänder und Ad-
häsionen, welche den Pylorus zusam-
menschnüren, unter Umständen die-
selben Bilder zeigen. In einer neueren
Publikation gesteht Holzknecht
ein, dass die Schlussfolgerungen seiner
früheren Untersuchungen nicht stich-
haltig seien. Viele Fälle, welche von
ihm auf Grund der Röntgenstrahlen-
untersuchung für Karzinoma verdäch-
tig erklärt worden waren, wiesen bei
der Operation andere Magenaffek-
tionen auf.
Dr. Reichmann gibt einen kur-
zen Bericht über seine eigene Magen-
erkrankung, die seit 4 Monaten besteht
und wegen des Mangels an Salzsäure
und wegen des bedeutenden Verlustes
an Körpergewicht an Karzinom den-
ken Hess, zumal letzteres in seiner Fa-
milie hereditär ist. Die empfohlenen
grossen Gaben von HCl riefen bei ihm
heftigen Durchfall hervor, der erst mit
der Abbrechung der Medikation auf-
hörte. Gegenwärtig fühle er sich be-
deutend besser, das Körpergewicht
habe wieder zugenommen.
Dr. Behrendt (Schlusswort)
führt das Auftreten von Durchfall bei
Dr. Reich mann bei HCl Medika-
tion darauf zurück, dass es sich bei ihm
nicht um Achylia gastrica, sondern
nur um Hypocnlorhydria mit Pepsin-
produktion gehandelt habe. Die stop-
fende Wirkung der Salzsäure bei
Achylia ist bekannt und wahrschein-
lich auf ihre desinfizierende Eigen-
schaft zurückzuführen. Salzsäure vor
dem Essen hat sich als vorzügliches
Stomachikum namentlich bei Kindern,
die an sonst unüberwindlichem Appe-
titmangel gelitten, bewährt.
II. Dr. Heym stellt einen Mann
von mittleren Jahren vor. der
zu wiederholtenmalen Xerventraumen
schwerer Xatur erlitten hatte; einmal
wurde er vom Blitze getroffen und im
Jahre 1894 erlitt er Sonnenstich. Die
gegenwärtige Erkrankung begann im
Jahre 1896 mit Schwäche in der rech-
ten, später in der linken Hand, von
den distalen Enden der Extremitäten
proximal über Unterarm, dann am
Oberarm weiterschreitend und sich auf
die Schultermuskeln ausdehnend. Vor
drei Jahren traten bulbäre Erscheinun-
gen, namentlich Sprachstörungen auf
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
und vor einem Jahr trat Schwäche in
der linken unteren Extremität hinzu.
An den kleinen Handmuskeln zeigt
sich ein für die hochgradige Kraft-
losigkeit verhältnismässig nicht sehr
intensiver Schwund ; die Füllung der
Hand ist nicht so schlecht, als man es
erwarten würde. Dagegen erstreckt
sich eine hochgradige Atrophie bis
vollständiger Schwund auf die Mus-
keln des Unterarmes, des Oberarmes
beiderseits und auf die Muskeln der
Schultern, spez. des Infraspinatus,
Supraspinatus, während der linke Del-
toideus weniger, die Muse, serrati ant.
maj. gar nicht beteiligt zu sein
scheinen. Es besteht infolge Affektion
der Rückenmuskulatur eine Verkrüm-
mung der Wirbelsäule. Auffallend
ist, dass trotz hochgradiger Atrophie
nur wenige Zeichen von Entartungs-
reaktion vorhanden sind. Mit Rück-
sicht auf diesen Umstand und auf den
Beginn der Erkrankung an der Peri-
pherie der oberen Extremitäten und
den aszendierenden Charakter der
Lähmungen ist anzunehmen, dass es
sich ursprünglich um eine spinale
progressive Muskelatrophie gehandelt
hat, zu welcher sich eine Dystrophia
musculorum hinzugesellt hat. Mit
chronischer Poliomyelitis hat der Fall
nichts zu tun. Dr. Hey m geht im
Anschluss an die interessante Analyse
des Krankheitsbildes des genaueren in
die Besprechung der Differentialdia-
gnose zwischen spinaler progressiver
Muskelatrophie, der Poliomyelitis
chronica, der verschiedenen Formen
der (myopathischen) progressiven
Muskeldystrophie und der neuroti-
schen Muskeldystrophie ein.
In der Diskussion erwähnt Dr.
Luckhardt einen Fall, den er für
chronische Poliomyelitis hält : Eine
35jährige Frau erkrankte plötzlich un-
ter Fiebererscheinungen und Delirien
an vollständiger Lähmung aller Mus-
keln des linken Armes. Die Lähmung
besserte sich im Laufe der Zeit um
bedeutendes. Ein Jahr später ent-
wickelte sich an der rechten oberen
Extremität eine langsam progressive
.Muskellähmung, die von den kleinen
Handmuskeln ihren Ausgang nahm
und aszendierenden Charakter besass.
Teilweise Entartungsreaktion. Nach
Auffassung des Dr. L. handelte es sich
anfangs um eine akute Poliomyelitis
anterior, zu der sich die chronische
Form später hinzugesellte.
Dr. H e y m spricht seine Meinung
bezüglich des von Dr. L. berichteten
Falles dahin aus, dass es sich ursprüng-
lich zwar um Poliomyelitis anterior
acuta gehandelt habe, im Anschluss an
welche jedoch eine spinale progressive
Muskelatrophie aufgetreten sei. Sol-
che Fälle sind bekannt. Die akute Po-
liomyelitis spielt denselben ätiologi-
schen Faktor in diesen Fällen, wie es
Traumen sonst tun. Bei der progres-
siven spinalen Muskelatrophie findet
man die Ganglienzellen der Vorderhör-
ner affiziert ; die Nervenfasern und
Muskeln entarten sekundär. Von der neu-
rotischen Muskelatrophie liegen zwei
Sektionsbefunde vor; die Befunde erin-
nern in manchen Punkten an Tabes dor-
salis, indem z. B. neben der Nervende-
generation Atrophie der Hinterstränge
und der Ganglionzellen vorhanden ist.
Bei Myopathie können die Ganglienzel-
len sekundär atrophieren.
Dr. A. Strauch,
Schriftführer.
Therapeutische und klinische Notizen.
— Ucbcr Coryfin, ein neues Mittel bei ner-
vösen Kopfschmerzen. Vor kurzem haben die
Farbenfabriken vormals Fried r. Bayer &
Co. in Elberfeld unter dem Namen Coryfin
ein neues Mentholpräparat in den Handel ge-
bracht, welches nach Meinung, P o 1 1 a k s, be-
rufen ist, im Arzneischatze eine wichtige Rolle
zu spielen. Die günstigen Erfolge, die P. mit
einzelnen Präparaten der genannten Firma in
seiner Praxis erzielt hat — er fährt von den
neueren nur das ausgezeichnete Jodpräparat
„Sajodin" an — veranlassten ihn, auch mit
dem Coryfin einen Versuch zu machen. Er
hat dieses Mittel ausschliesslich bei Neuras-
thenikern verwendet, die über Kopfschmerz
in der Stirngegend oder Druckgefühl daselbst
256
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
klagten, und zwar Hess er das Coryfin, eine
färb- und fast geruchlose Flüssigkeit, mit ei-
nem feinen Pinsel auf den oberen Teil der
Stirne auftragen, wobei man nur acht zu
geben hat, dass das Mittel nicht zu nahe den
Augen oder gar in dieselben gebracht wird.
Nach kurzer Zeit stellt sich unter Auftreten
eines deutlichen, aber ganz angenehmen Kälte-
gefühles ein Nachlassen der Beschwerden
prompt ein.
Eine ganze Reihe der Patienten P o 1 1 a k s,
welche zumeist schon durch längere Zeit in
seiner Behandlung standen und alle möglichen
Mittel gegen ihre Kopfschmerzen angewendet
hatten, war mit dem Coryfin sehr zufrieden,
so dass P. es jetzt in den geeigneten Fällen
stets ordiniert und auch den Kollegen zur
Ueberprüfung empfiehlt. (Therap. Revue der
Allgem. Wiener med. Zeitung.)
— Tuberculosc et glande thyroide. Morin
hat bereits im Jahre 1895 auf das häufige Vor-
kommen von Atrophie der Schilddrüse bei
Tuberkulösen hingewiesen. Von 348 Phthi-
sikern, die darauf untersucht wurden, zeigten
ungefähr 25% diese Anomalie. Aus dem Vo-
lumen der Glandula thyreoidea allein lässt sich
allerdings kein bindender Schluss auf die Qua-
lität und Quantität der Sekretion der Drüse
ziehen, festzustehen scheint dagegen die Tat-
sache, dass Atrophie der Schilddrüse das
Fortschreiten des tuberkulösen Prozesses be-
schleunigt. Mit dieser Anschauung stimmt die
klinische Erfahrung, dass Kranke mit nor-
maler oder leicht hypertrophischer Glandula
thyreoidea zu einer besseren Prognose be-
rechtigten als solche, bei denen das Drüsen-
volum deutlich vermindert ist, gut überein.
Man hätte demnach in der Tätigkeit der Glan-
dula thyreoidea ein natürliches Verteidigungs-
mittel gegen das Gift der Tuberkelbazillen zu
erblicken.
Da wir nun durch Ilauman n's Untersuch-
ungen wissen, dass die Kolloidsubstanz, welche
die Glandula thyreoidea sezerniert, Jodothyrin
enthält und wir auch sonst Fingerzeige dafür
haben, dass man mit gewissen Jodpräparaten
tuberkulöse Erkrankungen günstig beeinflussen
kann, entsteht die Frage, ob wir mit geeig-
neten Jodmitteln allein die Tuberkulose zu
heilen vermögen. Wenn wir nun auch diese
Frage nicht bejahen können, so entfällt damit
noch lange nicht die Bedeutung der Jodpräpa-
rate als Unterstützungsmittel der Therapie der
Phthise. Von einschneidender Bedeutung ist
die Wahl der richtigen Jodverbindung. Metal-
lisches Jod und die anorganischen Jodpräpa-
rate weichen in ihrer Wirkung beträchtlich ab
von jenen Jodverbindungen, die wir in un-
serer Nahrung aufnehmen und in der Kolloid-
substanz der Schilddrüse wiederfinden. M.
appliziert seit einiger Zeit das Jod äusserlich
in Form der Jothionsalbe.
Jothion (Dijodhydroxypropan) enthält 80%
Jod. Es wird leicht von der Haut absorbiert
und ist nach kurzer Zeit im Harn nachweisbar.
Es ruft weder Jodismus noch Erscheinungen
von Intoleranz hervor. Eine zweckmässige
Verordnung ist : Jothion 10.0, Lanolin anhy-
dric. 6.0, Vaselin 4.0. Bei empfindlichen Pa-
tienten wird einmal täglich die eine Thorax-
seite, haselnussgross, eingerieben, am nächsten
Tage in gleicher Weise die andere Seite, am
dritten Tage die eine Hälfte des Rückens, am
vierten Tage die andere Hälfte. Am fünften
Tage wird wieder von vorn angefangen. Bei
diesem Modus der Inunktion tritt keine Haut-
reizung ein.
Zur innerlichen Darreichung des Jods ist
das Sajodin 3 — 4 g pro die zu empfehlen.
Die Patienten vertragen diese Medikation
ausgezeichnet und die erzielten Resultate sind
sehr ermutigend. (La Presse medicale.)
Kleine Mitteilungen.
— Verzogen : D . R . D e n i g nach 56 Ost 58. Strasse.
]Sew Yorker
]Y[ecUzimscbe ]Vlonatsscbrift
Offizielles Organ der
DeutfdKn medizinirdicn öcfellfcbaften der Städte new Virk,
Chicago, Umland und San Trancisco.
Redigiert von Dr. A. Ripperger.
Bd. XIX. New York, Dezember, 1907. No. 9.
Originalarbeiten.
Wirklicher und vermeintlicher Haarverlust bei Syphilis.
Von Dr. Hermann G. Klotz, New York.
Bei der Besprechung der Störungen
des Haarwuchses bei Syphilis lassen die
Hand- und Lehrbücher eine auffallende
Einmütigkeit der Ansichten erkennen.
Die wesentlichen Punkte in ihrer Dar-
stellung sind ungefähr die folgenden :
1. Haarverlust oder Alopecie ist eins
der frühen und der gewöhnlichsten
Symptome der Syphilis.
2. Diese Alopecie mag bedeutende Un-
terschiede in dem Grade des Haarver-
lustes erkennen lassen. Derselbe mag so
gering sein, dass er bei gelegentlicher Be-
obachtung ganz übersehen wird, und
kaum gross genug, um die Aufmerksam-
keit des Kranken selbst darauf zu len-
ken, jedoch mag derselbe auch wieder so
bedeutend sein, dass ausgedehntere Be-
zirke oder selbst der ganze sonst behaarte
Kopf vollständig kahl werden.
3. Der Haarverlust besteht hauptsäch-
lich in einem unregelmässig über den
ganzen Schädel verteilten Dünnerwerden
des Haares und ist nicht wie bei den erb-
*) Vortrag, gehalten in der Deutschen med.
Gesellschaft der Stadt New York am 2. De-
zember 1907.
liehen oder andern Formen frühzeitigen
Haarverlustes auf gewisse Stellen des
Kopfes, wie den Scheitel oder die Schlä-
fen, beschränkt.
4. Inder Regel verläuft derselbe ohne
mit blossem Auge wahrnehmbare Verän-
derungen der Haut selbst, obgleich ei-
nige Autoren Trockenheit und leichte
Abschuppung erwähnen.
5. Dieser Haarverlust ist die Folge ei-
ner durch die Durchseuchung mit dem
Gift der Syphilis bedingten Umstim-
mung des ganzen Organismus und un-
mittelbar das Ergebnis der mangelhaf-
ten Ernährung des Haares und seiner
Anhänge.
6. Der Haarverlust mag sich auch auf
andere Stellen des Körpers als den be-
haarten Kopf erstrecken, so namentlich
auf die Augenbrauen, den Bart und*
überhaupt auf alle Körpergegenden, auf
denen für gewöhnlich Haarwuchs ange-
troffen wird.
7. Wenn der Patient nicht schon allzu-
weit in Jahren vorgeschritten ist, darf
man auf mehr weniger vollständigen
Nachwuchs des Haares rechnen.
8. Für gewöhnlich wird der Haarver-
258
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
lust der Syphilitischen innerhalb der
ersten drei bis sechs Monate nach der
Ansteckung beobachtet, doch kann der-
selbe zu irgend einer Zeit im Verlauf der
Krankheit auftreten.
9. Gelegentlich begegnet man anstatt
des allgemeinen Dünnerwerdens des
Haares dem x\uftreten von kleineren, un-
regelmässigen, nicht scharf begrenzten,
nicht absolut aller Haare verlustiger kah-
ler Stellen, die zuweilen in einander über-
gehen. Sie lassen sich unschwer von
den scharf ausgeschnittenen Herden der
Alopecia areata unterscheiden und geben
mehr das Bild der Hundekrätze oder von
Mottenfrass.
Schon im Anfange meiner ärztlichen
Tätigkeit waren infolge einiger Beob-
achtungen Zweifel in mir rege geworden
betreffs der absoluten Richtigkeit einiger
dieser Lehren. Deshalb habe ich mich
bemüht, in den zahlreichen Fällen von
Syphilis, die im Laufe der Jahre unter
meine Beobachtung gekommen sind, von
dem Zustand des Haares genaue Kennt-
nis zu nehmen. Infolge dieser Untersuch-
ungen bin ich zu gewissen Schlüssen ge-
kommen, die einigermassen in Wider-
spruch stehen mit den landläufigen und
traditionellen Lehren.
Alle Autoren sind sich darüber einig,
dass in der Frühperiode der Syphilis der
Haarverlust in einer so wenig auffallen-
den Weise auftreten kann, dass er sich
der Beobachtung des Kranken ganz ent-
zieht oder kaum dessen Aufmerksamkeit
auf sich lenkt. Von solchen Zuständen
als von Fällen syphilitischer Alopecia zu
sprechen oder sie zur Begründung der
Behauptung zu benutzen, dass Haarver-
lust ein beinahe unausbleibliches Symp-
tom der Syphilis ist, dürfte kaum ge-
rechtfertigt erscheinen angesichts gewis-
ser wohl begründeter Tatsachen, und dem
vorurteilsfreien Beobachter muss diese
Ansicht sinnlos erscheinen und geeignet,
Irrtum zu erregen und geradezu Unheil
anzustiften. Man muss nur festhalten, dass
bei jeder auch ganz gesunden Person
ein gewisser Abgang von Haar fortwäh-
rend vorhanden ist mit gelegentlichen
vorübergehenden Steigerungen dieses
Vorgangs : altes Haar fällt aus und
neues wächst von der Papille aus nach.
Die physiologischen Prozesse sind vor-
züglich von U n n a studiert und genau
festgestellt worden. Der Mehrzahl der
Menschen sind diese Erscheinungen un-
bekannt und, solange sie sich ungestör-
ter Gesundheit erfreuen, geben sie nicht
im geringsten auf dieselbe Acht, da
sie sich gewöhnt haben, dieselben als ganz
natürlich anzusehen. Sie werden aber
sofort anfangen, denselben die grösste
Aufmerksamkeit zu schenken, sobald sie
mit Syphilis angesteckt worden sind und
sie von der Wahrscheinlichkeit eines ge-
wissen Haarverlustes infolge derselben
Kenntnis erhalten haben, entweder durch
die Lektüre von Konversationslexikas
oder medizinischen Büchern, oder durch
Mitteilungen von geschäftigen Freunden,
oder nicht zum wenigsten durch die an-
gelegentlichen Fragen ihrer Aerzte, wel-
che von den herrschenden Lehren von
der unvermeidlichen Alopecie tief durch-
drungen sind. In der Tat werden die
Patienten im stände sein, einige Haare im
Kamm zu finden, und daraufhin werden
sie sofort ihrem Arzt berichten, dass sie
ihr Haar verlieren. Dieser wiederum,
meistens ohne viel weitere Untersuchung,
wird pflichtschuldigst einen weiteren
Fall von syphilitischer Alopecie ankrei-
den, anstatt darin einen einfachen physio-
logischen Vorgang zu erkennen.
Weiterhin, obgleich für gewöhnlich
angenommen wird, dass bei dieser Form
von Haarverlust makroskopisch wenig-
stens keine Veränderungen oder Efflores-
zenzen der Haut wahrnehmbar sind, wird
von einigen Autoren das Vorhandensein
einer leichten kleienartigen Abschuppung
während der Dauer dieser Periode des
Haarausfalls erwähnt. Hier wiederum
müssen wir nicht übersehen, dass auf dem
Kopfe vieler Männer und Frauen ein
massiger Grad des gewöhnlich als Pityri-
asis oder Seborrhoea des Kopfes beschrie-
benen Zustande? vorhanden ist, ohne dass
derselbe besondere Aufmerksamkeit er-
regt, selbst wenn er von einem massigen
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
259
Ausfall des Haares begleitet wird. Sol-
cher „dandruff" wird von Vielen als ein
völlig natürliches Vorkommnis ange-
sehen, das weder besondere Beachtung
noch Behandlung erfordert. Sobald aber
der Kranke gewahr geworden ist, dass er
mit Syphilis angesteckt worden ist, dann
taucht sofort das Gespenst drohender
Kahlheit vor seinen Gedanken auf. Der-
selbe wird sofort feststellen, dass beim
Kämmen eine gewisse Anzahl Haare aus-
kommen und dies pflichtschuldigst dem
Arzte melden ; dieser, der ohnehin schon
auf die unvermeidliche syphilitische Alo-
pecie gefahndet hatte, wird, ohne genau
den behaarten Kopf zu untersuchen, ge-
treulich die Erscheinung des traditionel-
len Symptoms zu Buche bringen. Solche
Fälle sind keineswegs selten. Aus meiner
eignen Erfahrung könnte ich eine An-
zahl von Fällen aufweisen, in denen die
Ansteckung mit Syphilis die Veranlass-
ung gab zur Erhaltung eines ganz guten
Haarbestandes anstatt zu dessen Verlust,
indem nun die Kranken eher willens wa-
ren und sich bereit fanden, die üblichen
nicht spezifischen, örtlichen Heilmittel
mit der gehörigen Sorgfalt und Ausdauer
anzuwenden, um einen günstigen Erfolg
zu sichern.
Unter der gebräuchlichen Auslegung
des Begriffes der syphilitischen Alopecie
kann man mit Bestimmtheit annehmen,
dass die beiden besprochenen Klassen
eine grosse Mehrheit aller berichteten
Fälle ausmachen, obgleich sie in Wirk-
lichkeit auch nicht den leisesten Zusam-
menhang mit Syphilis haben und daher
vollständig aus der Zahl der Symptome
dieser Krankheit ausgeschlossen werden
sollten. Es bleibt jedoch eine mässige
Anzahl von Fällen übrig, in denen in der
Tat mangelhafte Ernährung und nach-
träglicher Ausfall der Haare vorkommt,
zuweilen allerdings sich nur äussert
durch Trockenheit und Glanzlosigkeit
des Haares, oder aber zu dem fast voll-
ständigen Verlust nicht nur der Kopf-
haare führt, sondern auch der Haare an
allen andern Körperteilen, welche sonst
Haarwuchs aufweisen, augenscheinlich
als eine Folge der allgemeinen Durch-
seuchung des Körpers mit dem Syphilis-
gift und als das Ergebnis einer mangel-
haften Ernährung des Körpers im allge-
meinen. Diese Wirkung ist aber nicht
als eine spezifische aufzufassen, welche
der Syphilis eigentümlich wäre, sondern
sie ist mehr oder weniger gewöhnlich zu
beobachten bei Infektionskrankheiten,
besonders bei denen, welche einen kurzen,
zyklischen, von hohem Fieber begleiteten
Verlauf haben, wie der Unterleibstyphus,
Erysipelas, Septichämie und die akuten
Exantheme, mögen dieselben eine Be-
teiligung des behaarten Kopfes an den
begehenden Hauterscheinungen aufwei-
sen oder nicht. In der Regel steht der
Haarverlust in geradem Verhältnis zu
dem Grade der Intoxikation, wie dieselbe
zum Ausdruck kommt in allgemeinen
Symptomen, hauptsächlich in dem An-
steigen der Körpertemperatur oder der
Höhe des Fiebers. Mit Ausnahme der
nicht häufig beobachteten kachektischen
Zustände der Spätstadien der Syphilis,
welche hier nicht weiter berücksichtigt
zu werden brauchen, tritt der Charakter
der Infektionskrankheit bei der Syphilis
am meisten hervor während der zweiten
Inkubationsperiode, w7elche dem Aus-
bruch der gewöhnlichen sekundären
Haut- und Schleimhautsymptome vor-
ausgeht. Während dieser Periode
scheint eine ganz bedeutende Anzahl der
Angesteckten sich eines absolut ungestör-
ten allgemeinen Wohlbefindens zu er-
freuen, objektiv wie subjektiv: dies mag
die verhältnissmässig grosse Anzahl von
Fällen von übersehener oder nicht er-
kannter Syphilis, namentlich beim weib-
lichen Geschlecht erklären. Andere er-
fahren eine mässige Gewichtsabnahme,
einen gewissen Grad von Blutarmut, aber
fühlen keine grössere Abnahme ihrer
Kräfte, keine gedrücktere Gemütsstim-
mung, als sie unter vielen andern Ver-
hältnissen auch erfahren würden oder als
man auf den psychischen Einfluss der
Ansteckung zurückführen könnte. Eine
Anzahl Patienten jedoch entwickeln viel
ernstere Symptome, in der Regel ohne
2ÖO
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
eine augenfällige oder direkt nachweis-
bare Ursache, mehr oder weniger starkes
Kopfweh und „rheumatische" Schmer-
zen in andern Körperteilen und den Glie-
dern, mit oder ohne Druckempfindlich-
keit, begleitet von Verlust des Appetites
und des Schlafes und nicht eben selten
von beträchtlicher Temperatursteigerung
und Nachtschweissen. Häufig genug
folgt auf solche Symptome ein mehr oder
weniger bösartiger Verlauf der Sekun-
därerscheinungen, während wiederum in
anderen Fällen der Verlauf der Krank-
heit auch nicht den geringsten Unter-
schied zeigt von Fällen mit ganz leich-
ten Prodromalerscheinungen. Unter sol-
chen Umständen kann man ziemlich häu-
fig einen Verlust von Haaren beobachten,
gewöhnlich in einem den allgemeinen und
besonders den nervösen Symptomen ent-
sprechenden Grade, das Auftreten der
sekundären Symptome begleitend oder
demselben nachfolgend. Obwohl sich
hierbei in der Regel augenfällige Ge-
websveränderungen in der Haut, welche
den Haarverlust erklären könnten, nicht
nachweisen lassen, so können wir ihre
Anwesenheit nicht absolut in Abrede stel-
len. Für eine gewisse Anzahl von Fäl-
len müssen wir immerhin die Möglich-
keit in's Auge fassen, dass hier ein nicht
beobachtetes Fleckensyphilid der Kopf-
haut diese frühzeitige Alopecie verur-
sacht habe ; man rnuss zugeben, dass sol-
che fleckige Ausschläge doch wohl häufi-
ger vorkommen, als sie bemerkt und mit
Bestimmtheit erwähnt werden, nament-
lich wenn sie als Teilerscheinung eines
sehr verbreiteten Ausschlags vorkom-
men, ebenso dass sie dann von gewissen,
der Svphilis eigentümlichen Strukturver-
änderungen begleitet werden, eventuell
auch von der Gegenwart von Spirochae-
ten. Können wir aber diese Zustände
mit ziemlicher Sicherheit ausschliessen,
so dürften die Strukturveränderungen,
wenn solche überhaupt vorhanden, sich
nicht unterscheiden von denen in Zu-
sammenhang oder im Verlauf von an-
deren Infektionskrankheiten auftreten-
den. Der Haarverlust steht dann in der-
selben Beziehung zur Syphilis wie die
dem Typhoid nachfolgende Alopecie zu
dieser Krankheit oder zu ihrer Ursache :
dem E b e r t h'schen Bazillus. Man
kann denselben also nicht als ein spezi-
fisches, direkt von dem Syphilisgift ab-
hängiges Symptom ansehen, sondern
vielmehr als eine Komplikation, als ein
parasyphilitisches Phänomen, wenn Sie
wollen, das verursacht wird durch Tox-
ine, von deren Natur wir zur Zeit noch
wenig bestimmte Kenntnis haben.
Ausser dieser mehr allgemeinen Alo-
pecie wird von den meisten Autoren eine
andere Form beschrieben, bei welcher
der Haarverlust in Gestalt runder oder
ovaler, nicht scharf umgrenzter Flecken
auftritt, meist von der Grösse eines Fin-
gernagels. Solche Flecken können ziem-
lich nahe beisammen stehen in Gruppen,
nicht symmetrisch angeordnet, meistens
mehr über den hintern und obern Teil
des Kopfes verteilt. Sie geben ein ei-
gentümliches Aussehen, das von Man-
chen als motten- oder mäusefrassähn-
lich, von andern als räudig bezeichnet
wird, nach andern (Jackson) sieht
der Kopf aus, als wenn das Haar ohne
jede Sorgfalt mit einer stumpfen
Scheere geschnitten worden wäre. Diese
Stellen zeigen eben nicht die scharf be-
grenzte, ganz glatte Oberfläche der Alo-
pecia areata ; sie sind unregelmässig, von
schmutzig weisslicher Farbe, zuweilen
teilweise schuppig, einzelne lange Haare
oder Gruppen von solchen, gelegentlich
auch einige Haarstümpfe bleiben noch
über die Oberfläche zerstreut zurück.
Dieser Zustand verursacht keine subjek-
tiven Symptome wie Jucken, aber durch
das auffällige Aussehen wird derselbe zu
einer Quelle grossen Verdrusses, umso-
mehr als, mit Ausnahme nur ganz ver-
einzelter Fälle, diese Form des Haarver-
lustes für sich allein die Diagnose der
Syphilis rechtfertigt. Kahle Stellen
treten hier und da im behaarten Teil des
Gesichts auf, mit besonderer Vorliebe
aber in den Augenbrauen, entweder eine
Lücke in dem Bogen herstellend, oder in
der Gestalt vollständigen Verlustes des
Wew Yorker Medizinische Monatsschrift.
261
äussern Teiles (Fournier). In der
Literatur findet man diese umschriebene
Alopecie gewöhnlich mit der allgemeinen
Form identifiziert und nur als eine Un-
terart derselben beschrieben ; es wird an-
genommen, dass dieselbe ungefähr um
dieselbe Periode der Krankheit vor-
komme, d. h. drei bis sechs Monate nach
der Ansteckung, aber mit sehr wenigen
Ausnahmen tritt sie wirklich in einer
späteren Periode der Krankheit auf, ge-
wöhnlich während der zweiten Hälfte
des ersten Jahres bis selbst dem Ende
des zweiten Jahres der Syphilis. Ana-
tomische Veränderungen in der Haut
selbst, welche das Vorkommen dieses
umschriebenen Haarverlustes erklären
könnten, lassen sich in der Regel nicht
nachweisen. Wenn die allgemeine Er-
nährungsstörung für das Ausfallen des
Haares verantwortlich gehalten werden
sollte, so wäre es doch schwer zu er-
klären, warum dasselbe auf so bestimmte
Bezirke beschränkt bleiben sollte. Das
fast ausschliessliche Auftreten dieser un-
vollkommenen Alopecie bei Individuen,
welche innerhalb einer gewissen Periode
der syphilitischen Infektion stehen, legt
einen Zusammenhang mit einer lokalen
Einwirkung des syphilitischen Giftes
selbst mindestens sehr nahe, obwohl ein
solcher zur Zeit noch nicht hat nachge-
wiesen werden können, und rechtfertigt
es, dieselbe als eine spezifische Kund-
gebung der späten sekundären Periode
anzusehen. E. Hoffmann, in dem
der Deutschen Dermatologischen Gesell-
schaft in Bern 1906 gegebenen Bericht
über die Aetiologie der Syphilis (Ver-
handlungen, p. 140) , spricht sich darüber
also aus : „Interessant wird es sein,
durch nähere Untersuchung zu erfor-
schen, ob nicht die so charakteristische
Alopecia specifica auch eine Folge der
in die Haarwurzel eindringenden Spiro-
chaeten sein kann ; dass dieser Haaraus-
fall, wie vielfach angegeben wird, durch
den Druck des Infiltrates, also auf rein
mechanische Weise, zu stände kommen
soll, will mir nicht recht einleuchten ; ich
glaube, dass die Spirochaeta pallida
selbst ihn verursacht (oder ihre Gifte)
und zwar entweder durch Eindringen in
die Haarpapille (und ihre Gefässwände)
oder auch durch Einwanderung in die
Haarzwiebel und Wurzelscheiden."
Diese umschriebene Alopecie nimmt
in der Regel einen ausserordentlich lang-
weiligen und schleppenden Verlauf, der
sich über Monate und selbst Jahre er-
strecken mag und dadurch dem Kranken
viel Verdruss und Gemütsverstimmung
verursacht. Meist jedoch tritt am Ende
ein mehr weniger vollständiger Wieder-
ersatz des Haares ein. Neuerdings hat
L e i n e r ( Arch. f. Dermat. lxxxviii,
p. 241) darauf aufmerksam gemacht,
dass diese syphilitische Alopecie in der
gleichen Form bei hereditärer wie bei
akquirierter Syphilis vorkommt. Bei
beiden mag der Haarverlust umschrieben
oder ausgebreitet sein ; bei der ererbten
Syphilis scheinen beide Formen öfter
gleichzeitig aufzutreten, aber die um-
schriebenen Flecken erscheinen gewöhn-
lich erst nach dem Verschwinden des
Ausschlages, oft in einer viel späteren
Periode ; beide Formen haben keine Be-
ziehungen zu syphilitischen Effloreszen-
zen der Kopfhaut und sind wahrschein-
lich die Folge von Ernährungsstörungen.
Nur kurze Erwähnung beanspruchen die
sogenannten sekundären Alopecien
syphilitischen Ursprungs, das heisst
stellenweiser Haarverlust infolge von
tuberkulösen und gummatösen Ge-
schwürsformen oder auch von manchen
pustulösen und papulösen Ausschlägen.
Hier ist der Haarverlust einfach die
Folge der Zerstörung der Haarpapillen
und der ganzen an der Haarproduktion
beteiligten Anteile der Haut und der
nachfolgenden Narbenbildung. Das
Endprodukt des lokalen syphilitischen
Prozesses, das Narbengewebe, unter-
scheidet sich in keiner Weise von dem
durch Zerstörungsprozesse anderer Art
und anderen Ursprungs hinterlassenen.
Man darf daher diese stellenweisen,
sekundären Haarverluste nicht als spezi-
fischer Natur ansehen.
Auf Grund dieser Betrachtungen
2Ö2
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
möchte ich nun meine Ansichten über
syphilitische Haarverluste folgendennas-
sen zusammenfassen :
1. Alopecie oder Haarverlust ist nicht
ein gewöhnliches oder regelmässiges
Symptom der Frühstadien der Syphilis.
2. Der unbedeutende Ausfall von Haa-
ren, der bei ganz gesunden Menschen als
die Wirkung des physiologischen Haar-
wechsels fortwährend stattfindet, er-
streckt sich natürlich auch durch den
ganzen Verlauf der Syphilis und über
denselben hinaus, und muss derselbe in
Betracht gezogen werden, ehe man einen
Haarverlust der Syphilis zuschreibt, der
so gering ist, dass er ganz übersehen
oder von dem Kranken gar nicht be-
rücksichtigt wird.
3. Die gleiche Regel muss auf die zahl-
reichen Fälle ganz leichter Seborrhoe
der Kopfhaut angewendet werden, die
unter gewöhnlichen Verhältnissen gar
nicht der Beachtung oder gar der Be-
handlung wert angesehen werden wür-
den.
4. In einer gewissen Anzahl von Fäl-
len mag die Syphilis allerdings von ei-
nem verbreiteten Haarverlust begleitet
werden, der mehr weniger den ganzen
behaarten Kopf einnehmen kann, sehr
verschieden an Intensität und ganz ähn-
lich den bei anderen Infektionskrankhei-
ten, wie Typhoid. Erysipelas, etc. vor-
kommenden Alopecien.
5. Bei der Abwesenheit irgend welcher
nachweisbarer lokaler Veränderungen in
der Haut ist diese Alopecie als das Re-
sultat einer mangelhaften Ernährung
des Haares, seiner Anhänge und der
eranzen Haut anzusehen, als Teilerschein-
ung einer den ganzen Organismus be-
treffenden allgemeinen Umstimmung in-
folge der Syphilisinfektion.
6. Dieser Haarverlust ist daher nicht
wirklich ein Symptom der Syphilis, das
direkt durch das Gift hervorgebracht
wird, sondern mehr eine Komplikation.
7. Diese Alopecie hängt direkt ab von
den allgemeinen Symptomen, welche die
zweite Inkubationsperiode begleiten, ist
meistens den letzteren proportioniert und
erscheint gewöhnlich einige Wochen
nach dem Auftreten dieser prodromalen
Symptome, ähnlich wie beim Typhoid
und anderen Infektionskrankheiten.
8. Obgleich diese Alopecie sehr ausge-
breitet sein kann und auch andere Kör-
perteile als den Kopf betreffen mag, zeigt
sie doch grosse Neigung zu vollständi-
gem Wiederersatz des Haares, wenn
nicht der Kranke schon in weit vorge-
schrittenem Alter ist oder erbliche Neig-
ung zu Kahlheit besitzt.
9. Gelegentlich begegnet man einer
Alopecie in Gestalt nicht scharf begrenz-
ter, unregelmässiger, kleinerer, zuweilen
zusammenfhessender kahler Stellen, die
hauptsächlich über den Hinterkopf und
die seitlichen Partien verteilt sind ; sie
geben dem Haarwuchs ein räudiges oder
mottenf rassähnliches Aussehen.
10. Diese Form der Alopecie kommt
fast ausschliesslich bei Syphilitischen
vor und ist so charakteristisch, dass sie
mit ausserordentlich seltenen Ausnah-
men erlaubt, bei dem damit befallenen In-
dividuum die Diagnose ererbter oder er-
worbener Syphilis zu stellen.
11. Diese Alopecie ist also ein charak-
teristisches Symptom der Syphilis und
tritt fast stets in einer mehr weniger
längere Zeit von der Infektion entfernten
Periode der Krankheit auf, gewöhnlich
nicht vor dem Ende des ersten Jahres
und selbst bis zum Ende des zweiten
Jahres. Ihr Verlauf ist meist ein sehr
langsamer, obwohl meistens in Wieder-
ersatz des Haares endend.
12. Bei der Abwesenheit aller nach-
weisbaren anatomischen Veränderungen
der Haut selbst, welche einen spezifischen
lokalen Prozess anzeigen, bleibt es vor-
läufig schwer, den Ursprung dieser
fleckenweisen Alopecie zu erklären.
Wenn es einer Entschuldigung zu be-
dürfen schiene, dafür dass ich diesen Ge-
genstand vor eine Gesellschaft vorzugs-
weise praktischer Aerzte gebracht habe,
so möchte ich darauf aufmerksam ma-
chen, dass derselbe von recht grosser
praktischer Bedeutung ist. Sie wissen
wohl alle, dass eine der ersten und frühe-
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
sten Fragen, welche der eben mit Syphi-
lis infizierte Patient an den Arzt zu
richten pflegt, diejenige ist, ob er wohl
sein Haar verlieren werde, denn früh-
zeitige Kahlheit, eingesunkene Nase und
andere Verstümmelungen des Gesichts
sind die gewöhnlichen Schreckbilder für
diese Unglücklichen. Sie wissen auch
jedenfalls, wie sehr syphilitische Patien-
ten geneigt sind, jedes auch noch so
geringe Symptom genau zu beobachten,
seine Wichtigkeit zu überschätzen und
sich über jede Kleinigkeit die grösste
Sorge zu machen. Wenn sie den ge-
ringen Haarausfall infolge natürlicher
Vorgänge oder in Begleitung einer
leichten Seborrhoe entdeckt haben und
man Ihnen zu verstehen gegeben, dass
derselbe eine Folge der Syphilis ist, so
werden sie selbstverständlich erwarten,
dass derselbe nach eingetretener Behand-
lung, gleich den andern Symptomen,
verschwinden wird. Besteht aber unter
solchen Umständen der Haarausfall un-
verändert fort, so werden sie ganz lo-
gischer Weise zu dem Schlüsse kommen,
dass sie noch nicht geheilt und nicht ein-
mal frei von Erscheinungen der Krank-
heit sind, solange sie ihr Haar verlieren,
und werden sich und den Arzt mit ihrem
beharrlichen Verlangen quälen, ihren
Haarausfall zum Aufhören zu bringen.
Wollen Sie den Kranken jetzt die un-
schuldige Natur dieses Vorgangs er-
klären, so wird ihnen dies schwerlich
mehr Eindruck machen als den einer
nachträglich zu ihrer Beruhigung erfun-
denen Entschuldigung und wird nicht
zur Beseitigung ihrer Unzufriedenheit
beitragen. Ich brauche Ihnen hier nicht
weiter den Gemütszustand solcher Sy-
philophoben zu schildern ; sie verdienen
in hohem Grade unsere Berücksichtig-
ung und unsere Teilnahme. Es wäre da-
her in hohem Grade wünschenswert, dass
die sogenannte syphilitische Alopecie in
den Lehrbüchern und beim Unterricht
eine mehr den Tatsachen entsprechende
Darstellung finden möchte.
130 W. 58th St.
Lungenabszess und Lungengangrän.*
Von Prof. Dr. H.
Ich danke vielmals für das liebens-
würdige Willkommen und vor allem
dem Präsidenten für die Gelegenheit,
in dieser illustren Gesellschaft spre-
chen zu können. Ich habe mich ge-
freut, wie ich bei Besteigung des Schif-
fes die Einladung fand, hier einen Vor-
trag zu halten, und dachte, es wird
wohl nichts Passenderes zur Sprache
gebracht werden können wie ein
Thema, welches jetzt in gleicher Weise
den Chirurgen wie den Internisten in-
teressiert und, glaube ich, wieder neue
Fragen stellt und immer wieder von
neuem diskutiert werden muss. Es ist
*) Vortrag, gehalten in der Deutschen
med. Gesellschaft der Stadt New York am
7. Oktober 1907. Stenographischer Bericht.
Schlesinger, Wien.
kein Zweifel, dass die Lungenchirurgie
vor einer neuen Periode des Auf-
schwungs steht, und es kann dieser
Periode nur förderlich sein, wenn
durch gegenseitigen Meinungsaus-
tausch so viel wie möglich Erfahrun-
gen der Chirurgen und Internisten klar
gelegt werden. Gestatten Sie, dass ich
als Internist in dieser Frage spreche.
Ich möchte vorausschickend sagen,
dass, wenn ich über die Behandlung des
Lungenabszesses sprechen will, ich
auch die Lungengangrän behandeln
will. Nur in den Lehrbüchern ist die
Sonderung eine strenge. In Natur
sieht die Sache anders auch. Ein Lun-
genabszess wird häufig im Verlauf der
Krankheit gangränös, und die Krank-
heit kann als Gangrän beginnen und
264
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
in Lauf der Zeit sich ein Abszess ent-
wickeln. Die reinen Fälle von Lun-
genabszess und Lungengangrän las-
sen sich allerdings in der Regel son-
dern, aber ich möchte nach meinen Er-
fahrungen sagen, beinahe die Minder-
heit der Fälle. Also das, was ich vom
Lungenabszess sagen will, bezieht sich
auch auf die Lungengangrän. Ge-
statten Sie, dass ich gleich mitten in
die Sache gehe.
Was die Aetiologie anbelangt, so
sind die Autoren verschiedener Mein-
ung. Die einen behaupten, dass Pneu-
monie ein ätiologisches Moment für
Entstehung des Lungenabszesses wäre.
Andere sagen, es sei eins der seltensten
Momente. Da spielen gewiss im-
mer besondere Verhältnisse mit ; in
der einen Stadt können die Ver-
hältnisse anders liegen als in der
anderen, oder in einer und dersel-
ben Stadt wechseln die Verhältnisse zu
verschiedenen Zeiten. Nach meinen
Erfahrungen ist der Lungenabszess
ganz besonders häufig nach Pneumo-
nie. Diese Erfahrungen beziehen sich
auf Wien. In den letzten 15 Jahren
haben wir beinahe keinen reinen Fall
von Pneumonie gehabt, sondern eine
Infektion mit Influenza gemischt, und
dies ist die Ursache, dass wir so häufig
nach Pneumonie Abszess auftreten
sehen.
Von anderen ätiologischen Momen-
ten kommen Fremdkörper in Betracht;
nicht die grossen, welche sofort be-
merkt werden und schwere Erschein-
ungen hervorrufen, wenn sie in die
Luftwege geraten, sondern gerade die
kleinen. Sie wissen, wie häufig ein
Fehlschlucken stattfindet, an das nicht
mehr gedacht wird. Daraus dürfte
sich erklären, warum man so häufig
Abszess und Gangrän bei Potatoren
findet und bei geschwächten Indivi-
duen, die an schweren Krankheiten ge-
litten haben. Andere ätiologische Mo-
mente wären die Tuberkulose, das
Trauma. Dies spielt unter allen diesen
Faktoren wohl die geringste Rolle, we-
nigstens soweit meine Erfahrung reicht.
In der grossen Mehrzahl der Fälle fängt
die Sache mit Schüttelfrost an oder mit
Fortdauer des Fiebers, wo es sich um
Pneumonie handelt, und da möchte ich
auf eme praktisch wichtige Beobachtung
aufmerksam machen. Sehr häufig wer-
den die Fälle von Lungenabszess über-
sehen. Nach meinen Erfahrungen, und
ich habe diese nicht nur in Wien, son-
dern in verschiedenen Ländern ge-
macht, wird der Lungenabszess sehr
oft übersehen, und zwar besonders
häufig die Lungenabszesse, die nach
Pneumonie entstehen. Wenn eine
Pneumonie ungewöhnlich lange zögert
mit ihrer Krisis, wenn am 9., 10., 11.
Tage das Fieber immer noch unverän-
dert heftig ist, dann denken Sie an eine
Komplikation mit Abszess, selbst wenn
eine Eitergeschwulst fehlen sollte.
Wenn man überhaupt an die Möglich-
keit einer Komplikation denkt, dann
wird man sehr häufig die Eiterung fin-
den. In vielen Fällen aber fängt der
Abszess nicht mit Fieber an, sondern
mit subnormaler oder normaler Tempe-
ratur, und ich muss sagen, gut ein
drittel meiner Fälle haben auf die
Weise begonnen, dass die Kranken erst
später gefiebert haben, wenn man sie
ordentlich stimuliert hatte ; manche ha-
ben erst nach der Operation, wenn sie
sich besser gefühlt haben, Fieber be-
kommen. In diesen Fällen habe ich
Fieber immer als Bonum omen be-
trachtet.
Was das Sputum anbelangt, so ist
es meist eiterig. Ich habe wiederholt
Kranke gesehen, bei welchen die Spu-
tummenge einen Liter und darüber pro
Tag betragen hat. Allerdings wissen
wir nicht, ob in diesen Fällen das Spu-
tum vom Abszess stammt. Es ist eine
begleitende Bronchitis vorhanden, und
es kann diese grosse Menge Sputum
zum grossen Teil von anderen Partien
der Lunge stammen. Also von einer
sehr grossen Menge Sputum kann man
nicht unbedingt auf einen grossen Ab-
szess schliessen. Die Menge kann
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
265
aber auch auffallend gering sein. Ich
habe einen Kranken gesehen, bei dem
die Tagesmenge 10 — 15 Gramm betrug,
aber die anderen Erscheinungen waren
derart, dass auf einen gangränösen Ab-
szess geschlossen werden musste, den
ich auch eröffnen Hess. In diesem Fall
war die Sputummenge ausserordent-
lich gering.
Der Auswurf ist sehr häufig mit
Blut untermengt ; das reine Blut ist
sehr selten, aber die blutigen Beimeng-
ungen häufig. Dass der Geruch oft un-
erträglich werden kann, ist allgemein
bekannt, aber nicht so allgemein be-
kannt, dass der Geruch oft auf kurze
Zeit, auf mehrere Tage verschwinden
kann, um dann wieder mit grosser In-
tensität aufzutreten. In diesen Fällen
dürfte es sich um gangränösen Ab-
szess handeln, da verliert das Sputum
den fötiden Charakter.
Was nun die Untersuchung des
Sputums anbelangt, so möchte ich her-
vorheben, dass man bei jeder Form des
Lungenabszesses, bei gangränösem wie
bei nicht gangränösem Abszess, elas-
tische Fasern in grosser Menge vorfin-
den kann. Sie werden bezügliche An-
gaben in den Lehrbüchern finden. Da
heisst es : Lungenabszess und Gangrän
unterscheiden sich so, dass bei Gangrän
Lungenfetzen ausgeschieden werden,
bei Abszess elastische Fasern. Das ist
nicht ganz richtig. Sie können bei gan-
gtänosem wie nicht gangränösem Ab-
szess elastische Fasern in grosser Zahl
finden, Sie müssen nicht, aber Sie kön-
nen. Da ist der Rückschluss erlaubt,
dass es sich um einen rasch fortschrei-
tenden Prozess handelt.
Der bakteriologische Befund ergibt
nie brauchbare Resultate. In der Regel
kann man eine grosse Zahl von Bak-
terien aus dem Auswurf züchten, aber
in jedem solcher Fälle muss unbedingt
auf Tuberkelbazillen gesehen werden,
da sich sehr oft Tuberkulose daraus
entwickelt.
Was die klinischen Erscheinungen
von seiten der Lunge betrifft, so wäre
der Husten hervorzuheben. Dieser ist
oft ausserordentlich quälend, sodass
der Kranke oft }4 bis ^2 Stunde da-
sitzt und hustet. Er nimmt eine
Zwangshaltung ein, damit er nicht zum
Husten gezwungen ist — so quälend
ist der Hustenreiz. Manche werden
von diesem Reiz weniger heimgesucht,
die grosse Mehrzahl aber hat einen äus-
serst intensiven Hustenreiz.
Bezüglich der lokalen Erscheinun-
gen möchte ich bemerken, dass die Per-
kussion oft die wichtigsten Auf-
schlüsse liefert. Bei der Perkussion
findet man recht häufig eine Dämp-
fung. In manchen Fällen aber fehlt bei
der Untersuchung eine Dämpfung voll-
kommen, man findet aber an einer
Stelle der Lunge tympanitischen Per-
kussionsschall. Sowohl die gedämpfte
wie die tympanitisch klingende Stelle
ist äusserst verdächtig auf Sitz des
Abszesses. Eine wiederholte Unter-
suchung ist unbedingt erforderlich, und
da können Sie oft merkwürdigen
Wechsel der Erscheinungen finden, auf
den ich besonderen Wert legen möchte.
Sie untersuchen, Sie finden in der Ge-
gend des Angulus eine Dämpfung, der
Kranke atmet ein paar mal tief ein.
Er hustet nichts aus, und Sie finden an
derselben Stelle den Perkussionsschall
wesentlich voller geworden. Sie war-
ten ein paar Minuten zu, und an der-
selben Stelle ist er wieder höher, oder
Sie perkutieren und finden an einer
anderen Stelle eine Dämpfung. Der
Kranke expektoriert, und an Stelle der
Dämpfung tritt ein tympanitischer
Perkussionsschall ein. Wenn Sie sol-
ches Verhalten einigemale feststellen
können, ist dieses Verhalten für die
Diagnose des Abszesses beinahe aus-
schlaggebend.
Oder eine andere Form der Wechsel-
erscheinung. Sie untersuchen einen
Kranken in der Seitenlage, finden eine
Dämpfung; Sie setzen den Kranken
auf — die Dämpfung verschwindet'.
Tch habe bei meinen Kranken gefun-
den, dass besonders dann ein solcher
266
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
W echsel der Erscheinungen sich ge-
zeigt hat beim tiefen Atmen, wenn
noch Luft in den Lungengeweben über
dem Abszess sich befunden hat. Dann
habe ich gefunden, dass tiefes Inspirie-
ren eine Aufhellung der Dämpfung
herbeigeführt hat und dann oberfläch-
liches Atmen wieder ein Hervortreten
der Dämpfung veranlasst. In mehre-
ren solcher Fälle wurde ein operativer
Eingriff gemacht und war immer von
Erfolg gekrönt.
Findet man metallisch klingenden
Schall, dann wissen Sie, dass sich ein
hohler Raum an dieser Stelle befinden
muss. Es kommt hie und da vor, dass
ein System von kommunizierenden
kleinen Hohlräumen diesen Perkus-
sionschall gibt, das sind aber Raritäten.
Was die Auskulations - Untersuch-
ung anbelangt, so müssen wir dieser
unsere ganz besondere Aufmerksam-
keit widmen. Haben Sie bei der Per-
kussion eine Aenderung des Perkus-
sionschalls an irgend einer Stelle des
Thorax konstatieren können, so muss
gerade diese Stelle wiederholt einer
eingehenden Auskultation unterworfen
werden. Manchmal findet man ein
feines Rasselgeräusch. Dies kann un-
ter Umständen schon die Diagnose er-
lauben, gewöhnlich aber nicht, sondern
erst ein metallisch klingendes Rasseln.
Diese Symptome sind es, welche für
die Diagnose von solchen Prozessen
von ausschlaggebender Bedeutung
sind. Sie erlauben, die Hilfe des Chi-
rurgen in Anspruch zu nehmen. Wenn
Sie solch metallisch kling indes Rasseln
festgestellt haben, auskultieren Sie,
wenn der Kranke hustet. Dann wer-
den Sie vielleicht gelegentlich metal-
lisch klingendes Atmen, beim Spre-
chen des Kranken einen metalli-
schen Beiklang hören, alle die Phäno-
mene, wie wenn man in eine leere
Weinflasche husten würde. Wenn die
metallischen Phänomene bei der Un-
tersuchung festgestellt werden, an der-
selben Stelle, bei der die Perkussion
bereits Veränderungen ergeben, die
Verdacht erregt haben, dass Lungen-
abszess vorliegt, wird man beinahe
sicher sein, dass es sich um einen Ab-
szess handelt, und man wird diejenige
Stelle als die nächste an der Thorax-
wand bezeichnen, wo man die Phäno-
mene am deutlichsten wahrnimmt.
Dabei müssen Sie den ganzen Thorax
gut absuchen. Man bekommt dann die
sonderbarsten Ueberraschungen. Man
sucht z. B. rückwärts, hat dort eine
Dämpfung gefunden, und plötzlich
zeigt sich der Abszess in der Höhle
vorn. Sehr häufig liegen die Abszesse
ziemlich zentral, und Sie haben die
Thoraxwand überall gleich weithin.
Dort wo sie sich durchgearbeitet ha-
ben gegen die Thoraxwand, wird man
die Prozesse am früesten nachweisen
können.
In der Regel genügen diese Er-
scheinungen, um die Diagnose eines
Lungenabszesses zu stellen. Mit einer
L ntersuchung ist es in der Regel nicht
abgetan. Die Lokaldiagnose des Lun-
genabszesses gehört wohl zu den aller-
schwierigsten, die es gibt, und ich
habe mich bei Abszessen manchmal
W ochen lang und länger täglich stun-
denlang geplagt, bis ich die genaue
Lokaldiagnose festgestellt habe. Dies
ist ausserordentlich wichtig, denn der
Chirurg muss wissen, wo er am besten
zu dem Abszess gelangt. Es kann von
der genauen Lokaldiagnose das Leben
des Patienten abhängen — in dem ei-
nen Fall eine leichte Operation infolge
der genauen Lokaldiagnose, im ande-
ren eine der schwierigsten, die es gibt.
Ein weiteres diagnostisches Hilfs-
mittel ist uns aus dem Röntgenverfah-
ren erwachsen. Lampertzin Ham-
burg hat dieses Verfahren besonders
an einem grossen Material in vielleicht
hundert Fällen angewendet. Er hat in
jedem einzelnen Fall den Sitz des Ab-
szesses durch den Röntgenbefund fest-
gestellt und dadurch in vielen Fällen
eine frühe Diagnose ermöglicht, und
man konnte den Abszess in der
Tiefe der Lunge aufsuchen. Die
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
267
Röntgenuntersuchung erfordert aber
eine ungewöhnliche Technik. Nicht
jeder Röntgenologe kann das. Ich habe
wiederholt gesehen, dass die Röntgen-
diagnostik die grössten Schnitzer er-
gibt, und wenn der Chirurg ausschliess-
lich daraufhin operieren würde, könnte
er in eine unangenehme Sackgasse ge-
langen. Der Röntgenbefund muss mit
dem übrigen Befund sich decken und
das ist dann ein weiteres Moment, wel-
ches für den operativen Eingriff
spricht. Ich habe zu verschiedenen
Zeiten viele Abszesse gesehen und in
der Zeit, in der ich die meisten Lungen-
abszesse in meiner Anstalt sah. habe
ich merkwürdigerweise Pech gehabt
und nie einen guten Röntgenographen
gehabt, sodass wir fast immer ohne das
entsprechende Röntgenbild arbeiten
mussten. In sämmtlichen operierten
Fällen habe ich bisher die genaue Lo-
kaldiagnose stellen können und es
konnte bei Eröffnung des Abszesses
auch sofort die Abszesshöhle gefunden
werden.
Wenn man fragt, warum ich die
Probepunktion nicht erwähnt habe —
das ist ja eine solche Kleinigkeit ein
solcher Stich, warum soll man denn
nicht den Abszess auf diese Weise fin-
den? Meine Herren! Ich muss sagen,
ich habe nicht die Courage dazu. Ich
fürchte mich vor einer Infektion der
Pleura. Ich habe ein paarmal die
Punktion auf Wunsch des Chirurgen
gemacht, da er mir versprach, dass er
unmittelbar nachher operieren würde.
Wenn Sie nicht die Sicherheit haben,
dass eventuell unmittelbar nach einer
solchen Probepunktion der chirurgi-
sche Eingriff vorgenommen werden
kann, dann unterlassen Sie lieber die
Probepunktion. Sie ist dann ein sehr
schwerer Eingriff, der die furchtbarsten
Folgeerscheinungen bieten kann. Sie
dürfen nicht vergessen, dass Sie in ei-
nen gangränösen Abszess hineingera-
ten können und, wenn das Unglück es
will, durch die Pleura hindurchgegan-
gen sind, und es kann dann der gangrä-
nöse Abszess zum Teil in die Pleura-
höhle ausrinnen, es kann ein Empyem
die Folge sein, und der ohnehin ge-
schwächte Kranke erträgt das nicht.
Ist die allgemeine Diagnose eines
Abszesses gestellt, so ist es immer not-
wendig, die Lokaldiagnose sobald wie
möglich zu stellen. Der Arzt muss
immer mit der Möglichkeit rechnen,
dass wir bei dem jetzigen Stande der
Chirurgie den Kranken unter Umstän-
den dem Chirurgen überantworten
müssen, um ihm zu retten.
Wann ist nun die Indikation zu ei-
nem Eingriff gegeben ? Da ist es
zweckmässig, zwischen akutem Verlauf
des Abszesses und chronischem Ab-
szess zu unterscheiden. Bei dem aku-
ten Verlauf sind besonders die Ab-
szesse gefährlich, bei denen Gangrän
droht oder dazu getreten ist, also alle
Abszesse mit fötidem Auswurf. Bei
diesen muss man so schnell wie mög-
lich den operativen Eingriff herbeifüh-
ren. In diesen Fällen habe ich ein paar
mal den operativen Eingriff vornehmen
lassen, wenn ich auch noch nicht ganz
sicher war, dass der Abszess an dieser
Stelle gesessen. Bei den akuten Ab-
szessen, bei welchen eine Gangrän
vorhanden, der Auswurf aber nicht
fötid ist, kann man etwas zuwarten, bis
die Lokaldiagnose möglichst genau
gestellt ist und gewisse andere Er-
scheinungen zum operativen Eingriff
nötigen, denn ein guter Teil der Lun-
genabszesse heilt spontan aus, so
schwer und bedrohlich die Krankheit
sonst erscheinen mag. Ich habe in zwei
Jahren 31 Fälle von Lungenabszess und
Lungengangrän gesehen. Von diesen
sind nahezu 20 operiert worden. Aber die
nicht operierten Fälle waren zum gros-
sen Teil spontan ausgeheilt. Wir wer-
den bei dem nicht gangränösen Ab-
szess mindestens acht Tage zuwarten
können, wenn nicht das Fieber und
der Auswurf exzessiv ist. Sie wer-
den in so einem Fall operieren kön-
nen, wenn der Kranke eine Tages-
menge von Yi bis 1 Liter hat und die
268
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
Menge des Auswurfs eher eine Ten-
denz zum Steigen aufweist. Sie wer-
den in einem solchen Fall zur Opera-
tion drängen, wenn Sie konstatieren,
dass die Pulsfrequenz langsam, aber
stetig im Ansteigen ist und der
Schwächezustand beständig zunimmt.
Sie werden sich durch verschiedene
äussere Momente noch weiter bewegen
lassen, wenn Sie z. B. frühzeitig die
genaue Lokaldiagnose stellen können.
Sie werden nicht länger zuwarten als
höchstens drei Wochen. Wenn der
Abszess drei Wochen dauert und Sie
die Lokaldiagnose gemacht haben, soll-
ten sie denselben unbedingt operieren
lassen, wenn nicht die Auswurfmenge
rapide zurückgeht und der Kräftezu-
stand des Kranken sich hebt.
Die Abszesse, die aus Bronchiektasie
hervorgegangen sind, nehmen eine Son-
derstellung ein. Sehr häufig entleeren
sie sich immer wieder in die Bronchi-
ektasie hinein. Sie sind sozusagen
drainiert. Nach allem, was ich gesagt,
würde ich mich schwer entschliessen,
solche Prozesse operativ behandeln zu
lassen. In ein paar Fällen, die ich habe
operieren lassen, bei welchen Bronchi-
ektasie gefunden wurde und Infiltra-
tion benachbarter Gewebe, sind Lun-
genfisteln zurück geblieben, welche
nicht zum Schluss gebracht werden
konnten, und die den Kranken nicht
viel weniger belästigten als der Ab-
szess selbst, und in einigen Fällen wie-
derum ist der Eingriff äusserst folgen-
schwer gewesen und hat den Tod des
Kranken nach sich gezogen. Wenn
überhaupt ein Eingriff bei Bronchiek-
tasie gemacht werden soll, so würde
ich am ehesten noch als Internist vor-
schlagen, es in solchen Fällen mit der
Rippenresektion genug sein zu lassen.
Es gibt aber auch Kontraindikatio-
nen. Wenn Sie Abszess oder Gan-
grän gefunden haben- und haben ir-
gend ein Zeichen, das für Multiplizi-
tät der Erkrankung spricht, dann wer-
den Sie sich sehr überlegen, ob Sie den
Chirurgen zum Eingriff ermuntern
sollen, besonders dann, wenn die Gan-
grän- oder Abszesshöhle vermutlich
in verschiedenen Lungenabschnitten
liegt. Wenn sie in einem Lungenab-
schnitt liegt, kann ja der operative Ein-
griff noch immer günstige Resultate
liefern, wie ein Fall von Lampertz
bekannt ist, bei dem hintereinander
vier Abszesse in demselben Lungenab-
schnitt eröffnet wurden. Wenn aber
dagegen die Erscheinungen daraufhin-
weisen, dass sich rechts und links Gan-
grän befindet, wird man sich sehr
überlegen müssen, einen solchen Kran-
ken einem operativen Eingriff zu unter-
werfen. Natürlich wird es auch vom
Kräftezustand abhängen, ob man einen
solchen Kranken operieren lassen soll
oder nicht. Aber da seien Sie nicht zu
zaghaft. Zweimal hat bei meinen
Kranken der Chirurg absolut nicht ope-
rieren wollen. Ich habe ihn gebeten
und ihm gesagt, der Kranke ist sonst
rettungslos verloren. Er hat operiert
und beide Fälle sind genesen. In bei-
den Fälle hatte es sich um moribunde
Leute gehandelt. Ich möchte raten,
wenn irgend möglich, solche Kranke zu
operieren, auch wenn sie in elendem
Zustande sind.
Dann vergessen Sie nicht, zu unter-
suchen, ob nicht schwere Tuberkulose
den ganzen Prozess kompliziert. Diese
ist wohl eine absolute Kontraindikation.
Ich glaube nicht, dass ein operativer
Eingriff dem Kranken in einem solchen
Falle nützt.
Die Erfolge sind im allgemeinen
heute recht befriedigend. Ich möchte
das aus den Statistiken schliessen, die
veröffentlicht worden, und möchte es
als meinen persönlichen Eindruck hin-
stellen. Ich habe wiederholt Kranke ge-
habt, bei welchen man sich sagen
musste, der Kranke ist verloren, wenn
nicht ein chirurgischer Eingriff vorge-
nommen wird, und diese Kranke sind
genesen.
Die Dauerresultate waren zumeist
äusserst befriedigend. In einem meiner
Fälle von schwerster Gangrän kam
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
269
nach einem Jahr Rezidiv in demselben
Lungenabschnitt. Es wurde wieder
operiert und der Kranke ist dauernd
genesen. Allerdings müssen Sie sich
immer vor Augen halten, dass diese
Eingriffe zu den ausserordentlich
schweren gehören, dass ein sehr gros-
ser Prozentsatz Mortaliät in diesen
Fällen vorkommt. Er schwankt bei
verschiedenen Operateuren, jedenfalls
auch nach der Qualität des Materials,
u. s. w. und nach der Natur des Pro-
zesses. Die akuten Prozesse geben bei
operativen Eingriffen die bessere Pro-
gnose. Bei gangränösen Prozessen
geht man nicht fehl, wenn man sagt,
dass die Hälfte der Fälle durch Opera-
tion geheilt worden sei, die andere
Hälfte trotz des operativen Eingriffs
zu Grunde geht. Ohne operativen Ein-
griff würde die Mortalität wesentlich
grösser sein.
Ich bin zu Ende. Ich hoffe, dass Sie
als Praktiker ein Interesse an dem
jetzigen Stand der Dinge haben dürf-
ten, und ich glaube, es wäre von Nutzen,
wenn auch ein Chirurg zu diesem aus-
serordentlich wichtigen Thema das
Wort ergreifen würde.
Einiges Neue über Herzkrankheiten.*
Von Sanitätsrat Dr. Wachenfeld, Bad Nauheim.
Herr Präsident ! Meine Herren ! Noch
vor nicht allzulanger Zeit wurden als
die bei weitem wichtigsten Herzerkrank-
ungen die Klappenfehler angesehen. Sie
machte man verantwortlich für eine
ganze Reihe von Störungen im Organis-
mus, sie betrachtete man als die Ursache
von Stauungen in anderen wichtigen Or-
ganen. Noch in den 70er Jahren des
vorigen Jahrhunderts war man der An-
sicht, dass Erkrankungen des Herzmus-
kels sehr selten wären. Erst später, be-
sonders seit infolge der grossen Inrlu-
enzaepidemie im Jahr 1889 und in den
folgenden Jahren zahlreiche Todesfälle
an Herzschwäche eintraten, kam man zu
der Ueberzeugung, dass eine gut funk-
tionierende Herzmuskulatur doch wohl
vor allen Dingen notwendig und min-
destens ebenso wichtig, wenn nicht wich-
tiger wäre als guter Klappen schluss.
Genügend geklärt sind freilich die An-
schauungen über die wirkliche Bedeu-
tung der Klappenfehler auch heute noch
nicht. Es liegt das wohl in der Haupt-
*) Vortrag, gehalten in der Deutschen
med. Gesellschaft der Stadt New York am
2. Dezember 1907.
sache daran, dass man sich von den An-
schauungen, die man jahrzehntelang ge-
pflegt hat, nicht so ohne weiteres trennen
kann. Einige von diesen Anschauungen
wurden geradezu als unumstössliche
Dogmen betrachtet, und auf ihnen baute
man weiter auf, trotzdem es manchmal
nicht ganz leicht war, sie mit anderen
absolut sicheren Tatsachen in Einklang
zu bringen. Arbeitshypertrophie und
Dilatation sind die beiden Dogmen, von
denen man glaubte, dass man nicht an
ihnen rütteln dürfe, aber solange man
mit diesen beiden falschen Grössen rech-
net, kann die Rechnung nicht richtig
werden.
Betrachten wir uns zunächst die Ar-
beitshypertrophie der Herzmuskulatur.
Wenn auch die Muskelzellen eines hyper-
trophischen Herzens grösser sind als die
eines normalen, so hat doch meines Wis-
sens kein pathologischer Anatom behaup-
tet, dass die kontraktilen Elemente der
hypertrophischen Muskelzellen stärker,
leistungsfähiger wären, im Gegenteil
sind alle pathologischen Anatomen dar-
über einig, dass das hypertrophische
Herzmuskelgewebe sehr zur Degenera-
tion neisre. Ausserdem steht fest, dass
270
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
mit der Zunahme der Muskelzellen an
Umfang auch das interzelluläre Binde-
gewebe erheblich zunimmt, und schon
aus diesem Grund ist es unmöglich, dass
ein hypertrophischer Herzmuskel mehr
leistet als ein normaler. O r t h hebt in
seinem Lehrbuch der pathologischen
Anatomie hervor, dass die hypertrophi-
sche Herzwand unvollkommen erschlaf-
fe, dass selbst die Wand des rechten
Herzens, die doch verhältnismässig dünn
ist, wenn sie hypertrophisch wird, starr
steht und nicht erschlaffen kann. Nun
ist eine nicht zu bestreitende Tatsache,
dass die Grösse der Kontraktionskraft
eines Muskels abhängt von der Grösse
der Differenz zwischen der grössten Er-
schlaffung und der stärksten Kontrak-
tion. Je geringer die Erschlaffung ist,
um so geringer muss die Kontraktions-
wirkung sein. Infolgedessen ist es ab-
solut unmöglich, dass ein hypertrophi-
scher Muskel mehr Arbeit leistet als
ein normaler, er muss im Gegenteil weni-
ger leisten. Eine Arbeitshypertrophie
gibt es also nicht.
Ich bin weit entfernt davon, zu glau-
ben, dass ich damit etwas vollständig
neues sage. Besonders hat R o m b e r g
schon betont, dass nicht einzusehen sei,
weshalb grössere Anforderungen an die
Herzmuskulatur eine Zunahme des Mus-
kelzellenmaterials zur Folge haben soll-
ten, und, wenn er sich auch nicht ent-
schliessen kann, die Möglichkeit einer
Arbeitshypertrophie absolut zu vernei-
nen, so erscheint sie ihm doch sehr un-
wahrscheinlich. Wie schwer es nun
aber ist, sich von diesem alten Dogma
loszureissen, das kann man bei R o m-
b e r g und ebenso bei anderen Autoren
sehen. Auf der einen Seite gibt man zu,
dass Arbeitshypertrophie etwas unwahr-
scheinliches wäre, und schon auf der
nächsten wird wieder gesagt, dass mit
ihrer Hilfe vorhandene Schwierigkeiten
überwunden würden. Hypertrophie des
Herzmuskelgewebes ist niemals als eine
Vermehrung der Kontraktionskraft an-
zusehen, es handelt sich vielmehr wie bei
jedem hypertrophischen, überernährten
und deshalb schlechter ernährtem Ge-
webe stets um eine krankhafte Stauung
von Zellenmaterial, und zwar in der Re-
gel um eine erhebliche allgemeine Stoff-
wechselstörung, und deshalb findet sich
Herzhypertrophie kaum allein, sondern
fast stets in Verbindung mit mehr oder
weniger schweren Erkrankungen anderer
Organe.
Nicht weniger als das Dogma von der
Arbeitshypertrophie ist das von der Dila-
tation des Herzens geeignet, die klare
Anschauung der Dinge zu trüben.
Der gesammte Blutkreislauf findet in
dem geschlossenen Blutkreisröhrensy-
stem durch die peristaltischen Bewegun-
gen des Herzens und der Gefässwandun-
gen statt. Schematisch aufgefasst liegen
an der einen Seite dieses Kreislaufs die
Kapillargefässe, denen die nötige Mus-
kelkraft zur Fortbewegung des Blutes
fehlt. Um diesen Mangel auszugleichen,
ist an der entgegengesetzten Seite eine
stärkere Entwicklung der Muscularis
eingetreten, die Muscularis der Gefäss-
wand hat sich hier zur stärkeren Herz-
muskelwand entwickelt, durch deren
Kraft die fehlende Kraft der Kapillar-
wände ersetzt wird und die zugleich die
Zirkulation in der Schleife, die das Blut
durch die Lungen führt, bewerkstelligt.
Die dünnwandigen Venen müssen eine
grössere Ausdehnungsfähigkeit besitzen
als die Arterien. Sie müssen eventuell
noch Material, das ihnen durch die Ka-
pillaren aus den Zellen der einzelnen Or-
gane zugeführt wird, aufnehmen. Ihre
Wandungen dürfen deshalb nicht die-
selbe Spannung haben wie die Arterien-
wandungen, denn dadurch würde dem
Eintritt der Stoffe, die durch die Kapil-
laren von den Lymphbahnen aus in die
Blutbahnen eintreten, ein zu grosser Wi-
derstand entgegengesetzt. Wohl des-
halb ist die Muscularis in den Venen
nur schwach entwickelt, und so wird die
Blutsäule in den Venen im wesentlichen
durch die Kraft der Herzkontraktionen
und der peristaltischen Bewegungen der
arteriellen Seite des Blutkreislaufs von
einer Klappe in den Venen zur anderen
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
271
vorwärts geschoben. Der Druck, mit
dem das Blut im rechten Vorhof an-
kommt, ist demnach jedenfalls ein sehr
geringer, wenn auch die Behauptung
von Jakobson, dass der Blutdruck
in den grossen Venen dicht am Herzen
•ein negativer wäre, sicherlich auf einem
Irrtum beruht. Negativ kann der Druck
nicht sein, denn es kann sich in einem
Rohr nur dann ein negativer Druck ent-
wickeln, wenn an irgend einer Stelle des
Rohrs ein luftleerer Raum entsteht. Das
ist im Blutzirkulationsrohr natürlich
ausgeschlossen. Jedenfalls kommt aber
das Blut, wie gesagt, mit sehr geringem
Druck im rechten Vorhof an, mit dem
Rest des Druckes, mit dem es vom Her-
zen und den Arterien durch die Kapil-
laren und Venen vorwärts geschoben ist.
Dieser geringe Druck soll nun angeblich
genügen, um die Herzmuskulatur aus-
einanderzutreiben, dieselbe Herzmusku-
latur, die das Blut unter entsprechend
grösserem Druck in die Aorta presste.
Das ist selbstverständlich absolut un-
möglich. Welche andere Kraft kann
nun aber diese Dehnung der Herzmus-
kulatur, die Herzdilatation hervorrufen ?
Es gibt keine andere Kraft, die das
könnte, und es bleibt also nichts übrig,
als die Möglichkeit der Dilatation zu be-
streiten.
Die Verbreiterung des Herzens, die
man durch Perkussion nachzuweisen
glaubte, ist, soweit es sich nicht um Hy-
pertrophie handelt, nur eine Verlager-
ung des Herzens. Nun kann aber nicht
geleugnet werden, dass wir sehr häufig
auf dem Sektionstisch Herzen sehen,
deren Höhlen uns erweitert erschienen.
Zum Teil ist das eine optische Täusch-
ung. Ein Hohlraum, dessen Wände an-
einanderliegen, kommt uns kleiner vor
als ein gleich grosser, dessen auseinan-
derstehende Wände einen Blick in den
Hohlraum hineingestatten. Ist die Wand
einer Herzhöhle also auch nur massig
hypertrophiert und legt sie sich infolge-
dessen nicht aneinander, so wird uns der
Hohlraum grösser erscheinen. Ausser-
dem aber sind gesunde Herzen sehr ver-
schieden gross. H o f f m a n n und
Krause haben beide eine lange Reihe
von Herzen auf ihre Grösse geprüft und
gefunden, dass es gesunde Herzen gibt,
deren Höhlen mehr als doppelt so gross
sind als die von anderen gesunden Her-
zen. Das Quantum Blut, das ein gesun-
des Herz aufnehmen kann, schwankt
zwischen 160 und 360 ccm. Je schwächer
das Herz ist, d. h. je hochgradiger seine
Muskulatur erkrankt ist, um so geringer
muss natürlich der Druck sein, mit dem
das Blut vorwärts bewegt wird, und
deshalb kann man von einem kranken
Herzen noch viel weniger erwarten, dass
es sich selbst durch das ihm wieder zu-
strömende Blut auseinandersprengt.
Bei der Beurteilung des Mechanismus
der Herzklappenfehler wird aber nun
noch ein weiterer Kardinalfehler ge-
macht. Man stellt sich die W irkung der
Klappenfehler immer so vor, als ob sie
in einem Moment entstanden wären.
Man sagt z. B. von einer Aorteninsuffi-
zienz : Es fliesst durch die schlecht
schliessende Klappe während der Dia-
stole ein Quantum Blut in den Ventrikel
zurück. Die Aufnahmefähigkeit des
Ventrikels für das Vorhofsblut ist da-
durch verringert. Daraus folgt Stauung
im linken Vorhof und weiter im Lun-
genkreislauf.
In Wirklichkeit wird sich die Blutver-
teilung bei der Insuffizienz der Aorta
wohl folgendermassen entwickeln : Bei
Beginn der Entstehung der Insuffizienz
können eventuell einige Tropfen Blut in
den Ventrikel zurücktreten, wenn der
Druck im Ventrikel das gestattet. Bis
zum Schluss der Systole ist der Druck
im Ventrikel zweifellos ein höherer als
im Anfangsteil der Aorta. Nun ist zwei-
erlei nicht zu vergessen :
1. Der Blutstrom ist in ständiger Zir-
kulation in dem geschlossenen Röhren-
system des grossen und kleinen Blut-
kreislaufs, und jeder Tropfen Blut
nimmt Teil an dieser Bewegung. Ein
Quantum Blut, das mit Hilfe der peri-
staltischen Kontraktion der Aorta eine
rückläufige Bewegung durch die schlecht
272
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
schliessende Aortenklappen machen soll,
muss die Kraft der Vorwärtsbewegung,
die nach dem Gesetz der Trägheit auch
für dies kleine Quantum Blut vorhanden
ist, überwinden. Dadurch wird minde-
stens ein wesentlicher Teil der Kraft, die
das Blut in dem Fall rückwärts treiben
sollte, ausgeglichen. Schon aus diesem
Grund allein kann gar keine Rede davon
sein, dass solche Quantitäten Blut durch
die insuffiziente Klappe zurücktreten, die
einen nennenswerten Einfluss auf den
Druck innerhalb des Ventrikels haben
könnten. Bei der nächsten Systole würde
das kleine Quantum Blut, falls ein sol-
ches überhaupt in den Ventrikel zurück-
gelangt, wieder mit in die Aorta ge-
presst, und die Kraft der Systole braucht
dazu nicht nachweislich grösser zu sein
als sonst.
2. Wird wirklich ein kleines Quantum
Blut infolge der Insuffizienz der Aorten-
klappe aufgehalten, geht es nicht mit
derselben Welle, mit der es in die Aorta
eintritt, in die ferner gelegenen Arterien
über, so kommt natürlich bei Vollendung
des Kreislaufs im linken Vorhof genau
so viel weniger an, und wenn wirklich
bei Zunahme der Insuffizienz ein zu-
nächst immer grösseres Quantum Blut
an der Aortenklappe aufgehalten werden
und nicht rechtzeitig in die ferner
gelegenen Arterien gelangen sollte, so
müsste eben immer ein entsprechend ge-
ringeres Quantum am linken Vorhof an-
kommen, d. h. die Zirkulation muss sich
verlangsamen, das Schlagvolumen muss
geringer werden.
Von der Insuffizienz der [Mitralis be-
hauptet man, dass sie Stauung im kleinen
Kreislauf zur Folge habe. Nehmen wir
das als richtig an und nehmen wir fer-
ner an, dass bei einer sehr schlecht
schliessenden Mitralklappe 10 cem Blut
durch sie bei der Systole zurück in den
linken Vorhof gelangen, dort den Zu-
rluss aus den Venae pulmonales hindern,
resp. verringern, infolge dessen Stau-
ung in den Lungengefässen hervorrufen,
die ihrerseits wieder Stauung in der Ar-
teria pulmonalis zur Folge hätten. Es
würden sich also jetzt im kleinen Kreis-
lauf 10 cem Blut mehr als vorher befin-
den und im grossen Kreislauf ebenso-
viel weniger. Bei der nächsten Systole
würde ein weiteres Quantum Blut zu-
rücklaufen, das wieder dem grossen
Kreislauf entzogen würde. In wenigen
Minuten würden sich die Füllungsver-
hältnisse im grossen und kleinen Kreis-
laufe ganz beträchtlich verschieben —
wenn sich die Sache so verhielte. In
Wirklichkeit verhält sie sich aber durch-
aus anders. Bei Beginn der Entstehung
der Insuffizienz kann vielleicht ein ganz
geringes Quantum Blut, einige Tropfen,
in den Vorhof zurückfliessen. Die
Stärke der Kontraktion des Ventrikels
wird dadurch nicht beeinflusst, d. h. das
Restquantum, das am Schluss der Sy-
stole im linken Ventrikel zurückbleibt,
wird nicht grösser und nicht kleiner, als
es vorher war, und es werden deshalb
nur einige Tropfen weniger in die Aorta
abfliessen. Bei der folgenden Ventrikel-
kontraktion wird sich das wiederholen,
es kommt jedesmal ein entsprechend ge-
ringeres Quantum Blut bei Vollendung
des Kreislaufs im linken Vorhof an, und
es bildet sich, ebenso wie bei der Insuffi-
zienz der Aortenklappe, eine Verringer-
ung des Schlagvolumens heraus, die zu
einem vollkommenen Ausgleich der Blut-
fülle im grossen und kleinen Kreislauf
führt. Glücklicherweise verläuft die
Sache so, denn wohin würde es führen,
wenn dauernd bei jeder Systole auch nur
wenige cem dem grossen Kreislauf
entzogen und dem kleinen zugeführt
werden sollten ! Dass daraus in Wirk-
lichkeit ganz unmögliche V erhältnisse
entstehen würden, hat man natürlich
nicht übersehen können, aber statt zu be-
denken, dass sich durch Anpassung des
Schlagvolumens die als Folge der Mi-
tralinsuffizienz theoretisch angenommene
Störung im kleinen Kreislauf ganz von
selbst ausgleichen muss, konstruierte
man die Arbeitshypertrophie des rechten
Ventrikels, die sich zur rechten Zeit ein-
stellen und verhüten soll, dass sich all-
zugrosse Blutmengen im kleinen Kreis-
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
2/3
lauf ansammeln. Es ist richtig, dass bei
Insuffizienz der Mitralis Stauung im
Lungengewebe beobachtet wird, und es
ist richtig, dass dabei auch Hypertrophie
des rechten Ventrikels, wenn auch keine
Arbeitshypertrophie, beobachtet wird,
aber diese Erkrankungen sind nicht die
Folge der Insuffizienz der Mitralis, son-
dern die Folge des abnormen Stoffwech-
sels, der durch die Verlangsamung der
Blutzirkulation im Lungengewebe ent-
standen oder wenigstens begünstigt ist.
,,Ubi inflammatio, ibi affluxus." wurde
uns in der allgemeinen Chirurgie gelehrt,
und was sind Entzündungen anders als
lokale Störungen im Stoffwechsel?
Wie bei den beiden angeführten Klap-
penfehlern so verläuft Entstehung der
Erkrankung und Ausgleich der Blutzir-
kulation natürlich auch bei den übrigen
Insuffizienzen und Stenose. Niemals
trägt Arbeitshypertrophie oder Dilata-
tion zum Ausgleich bei, sondern es han-
delt sich stets nur um eine Verringerung
des Schlagvolumens.
Zu welchen Konsequenzen man kom-
men kann, wenn man zur Erklärung der
verschiedenen Erscheinungen bei Herz-
klappenfehlern mit Dilatation und Ar-
beitshypertrophie rechnet, möchte ich
Ihnen an zwei drastischen Beispielen zei-
gen. Ein hervorragender Forscher auf
dem Gebiet der Herzkrankheiten,
Rosenbach, fand bei seinen Tierex-
perimenten, dass nach Verletzung der
Aortenklappe, also einer künstlich, plötz-
lich hergestellten Insuffizienz, im Arteri-
ensystem weniger Blut und im Lungen-
kreislaufe mehr Blut wäre als normal.
Er nahm irrtümlicherweise an, dass sich
die Blutverteilung bei einer allmählich
entstandenen Aorteninsuffizienz des
menschlichen Herzens auch so verhalten
müsse, und schloss weiter, dass der Ven-
trikel, um die beiden Störungen, Unter-
füllung der Körperarterien und Ueber-
füllung des Lungenkreislaufs, auszuglei-
chen, mehr Blut schöpfen müsse als in
der Norm, dass hier eine einfache Dila-
tation nicht einmal genüge, sondern dass
sich da ein ganz besonderer biologischer
Vorgang abspiele, die Hyperdiastole, eine
aktive Dilatation, bei der die einzelnen
Teile der Ventrikelwand noch etwas
mehr als bei der einfachen passiven Di-
latation auseinanderrücken. Der Ven-
trikel nimmt hierbei, wie es in einem
Referat über diese Rosenbac h'sche
Arbeit heisst, sozusagen einen Anlauf um
das Blut nun mit normaler Geschwindig-
keit in die Aorta zu schicken. Dazu ge-
hört natürlich wieder die Arbeitshyper-
trophie, in diesem Fall des linken Ventri-
kels, die sich merkwürdigerweise sofort
einstellt und diesen etwas verwickelten
biologischen Vorgang zum Abschluss
bringt.
Ein anderes Beispiel, wohin diese Vor-
stellungen führen, ist die Behauptung,
dass bei reiner Mitralstenose der linke
Ventrikel oft kleiner und atrophisch
würde infolge dauernd verringerter Füll-
ung.
Es liesse sich noch eine ganze Reihe
von solchen physikalisch ganz ungeheu-
erlichen Schlussfolgerungen anführen.
Sie sind nur zu verstehen, wenn man an-
nimmt, dass Dilatation und Arbeitshyper-
trophie als unantastbare Dogmen ange-
sehen wurden. Dazu kommt dann aller-
dings immer wieder, dass die ganz all-
mähliche Entstehung der Klappenfehler
ausser Betracht gelassen wurde.
Herzklappenfehler sind stets die Folge
einer infektiösen Erkrankung des Endo-
kardiums. Nehmen während des Ver-
laufs dieser Endokarditis die Wucherun-
gen an den Klappen oder nach Ablauf
der Endokarditis die Schrumpfungen ei-
nen so erheblichen Grad an, dass eine
sehr grosse Erweiterung oder sehr
grosse Verengerung einer Klappe ent-
steht und zum Ausgleich der Blutver-
teilung eine so erhebliche Verlangsam-
ung der Blutzirkulation eintritt, dass das
Schlagvolumen so sehr verringert wer-
den muss, dass eine genügende Sauer-
stoffversorgung des Körpers nicht mög-
lich ist, so muss der Tod eintreten. In
einer bestimmten Zeiteinheit ist zur Er-
haltung des Lebens in den verschiedenen
( )rganen ein bestimmtes Quantum Sau-
2/4
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
erstoff notwendig. Wird das Blut nun
selir langsam vorwärts bewegt, sind die
Blutwellen in den Gefässen so kurz und
so flach, dass eine allzu lange Zeit ver-
geht, bis das kohlensäurereiche venöse
Blut durch die Lungen hindurch passiert
ist und dort wieder genügend Sauerstoff
aufgenommen hat, so können eben die
verschiedenen zum Leben notwendigen
Organe nicht mehr funktionieren.
Herzklappenfehler von geringerer
Ausdehnung, durch die eine solche all-
zugrosse Verlangsamung der Blutzirku-
lation nicht hervorgerufen wird, sind an
und für sich niemals tödlich, verursachen
sogar häufig nicht die geringsten Be-
schwerden. Kommt aber zu einem sol-
chen selbst schon ganz alten vernarbten
Klappenfehler irgend eine andere Er-
krankung hinzu, die ebenfalls eine Ver-
schlechterung der Blutzirkulation zur
Folge hat, so hängt die Grösse der Le-
bensgefahr natürlich davon ab, ob diese
beiden Ursachen der Verringerung des
Schlagvolumens, der Herzklappenfehler
und die neue Erkrankung zusammen,
noch genügende Sauerstoffversorgung
zulassen. Wenn man von einem nicht
kompensierten Herzfehler spricht, so ist
das demnach nicht korrekt. Es handelt
sich bei einer Inkompensation stets um
eine zweite Erkrankung, die mit dem
Klappenfehler an und für sich nichts zu
tun hat. Beide Erkrankungen wirken
nur in gleicher Weise schädigend auf die
Zirkulation ein. Ebensowenig ist selbst-
verständlich der Ausdruck ^kompen-
sierter Klappenfehler'' berechtigt.
Was die Prognose und Therapie be-
trifft, so wird man natürlich nicht erwar-
ten dürfen, dass alte indurierte Wucher-
ungen an den Klappen irgend welche
Veränderungen erleiden. Bei ganz
frischen Wucherungen ist vielleicht eine
Resorption zu erreichen, aber zweifelhaft
bleibt auch das immer. Eine Abnahme
des Geräuschs beweist nicht eine Ab-
nahme des Klappenfehlers, wie wir denn
überhaupt aus der Grösse des Geräuschs
nie einen Schluss auf die Grösse des
Klappenfehlers machen dürfen. Unser
Hauptaugenmerk muss darauf gerichtet
sein, zu verhüten, dass die bei den Klap-
penfehlern nun einmal vorhandene Ver-
schlechterung der Sauerstoffversorgung
des Körpers durch weitere Belastung des
Zirkulationsapparats vermehrt wird. Da
bei einer Endokarditis immer auch eine
Erkrankung des Myokards vorhanden ist
und die Möglichkeit vorliegt dass kleine
latente Erkrankungsherde im Myokard
noch jahrelang zurückbleiben können, so
muss die Funktion der Herzmuskulatur
natürlich in erster Linie überwacht wer-
den. Zur Beseitigung solcher alter Herde
im Myokard gibt es nur eine Möglich-
keit, ein nach dem Fall milde oder kräfti-
gere Anregung des gesammten Stoff-
wechsels, die durch vorsichtige Massage,
durch Diät und durch Bäderbehandlung
erreicht wird. Ich möchte nicht in den
Verdacht kommen, als wollte ich hier pro
domo sprechen, aber andrerseits kann
ich doch auch nicht das, was ich lange
Jahre für gut befunden habe, verleug-
nen, nur das muss ich sagen, dass beson-
ders infolge der grossen Mannigfaltig-
keit seiner Bäderformen allerdings Nau-
heim der geeignetste Platz für derartige
Badekuren ist. Gegen eins möchte ich
aber dabei Verwahrung einlegen, dass
unter Nauheimer - Behandlung die
Schot t'sche Behandlungsmethode ver-
standen wird, wie das hier in Amerika
vielfach irrtümlicherweise geschieht. Ich
möchte nicht, dass die Verantwortung für
das Schot t-treatment Nauheim auf-
gebürdet würde. Schott steht, wie
Sie wissen, auf dem Standpunkt, dass
man durch Gymnastik das Herz kräfti-
gen, dass man eine Arbeitshypertrophie
hervorrufen müsse. Dass es eine Ar-
beitshypertrophie nicht gibt, glaube ich
vorhin gezeigt zu haben. Nun könnte
man aber behaupten, dass eine kräftigere
Entwicklung der gesunden, normalen
Herzmuskulatur, eine Verbesserung der
kontraktilen Elemente durch Gymnastik
zu stände kommen könnte, ebenso wie
durch sie eine Kräftigung der äusseren
Körpermuskeln erzielt wird. Dagegen
ist Folgendes zu sagen : Jedem Men-
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
2/5
sehen ist ein gewisses höchstes Mass der
Entwicklungsfähigkeit seiner Muskula-
tur bei der Geburt zugeteilt. Bis zu die-
ser oberen Grenze der Leistungsfähigkeit
kann sich seine Körpermuskulatur und
auch seine Herzmuskulatur entwickeln.
Die Bedingung zu gesunder Entwicklung
der Muskulatur ist ein normaler Stoff-
wechsel, d. h. normale Zufuhr und Ab-
fuhr von Ernährungsmaterial der Mus-
kelzellen. Keine Zelle im gesunden Or-
ganismus erhält ihr Ernährungsmaterial
auf anderem Wege als durch die
Lymphbahnen. Die wandlosen Lymph-
spalten reichen bis direkt an die einzel-
nen Zellen eines jeden Organs, die Blut-
kapillaren reichen nur bis zu diesen
Lymphspalten. Die Lymphbahnen sind
deshalb, und auch aus anderen Gründen
— aber es würde zu weit führen, wenn
ich heute darauf näher eingehen wollte —
die Lymphbahnen sind also als die ei-
gentlichen Träger des Ernährungsma-
terials anzusehen. Zur Fortbewegung in
dem Drainageröhrensystem der Lymph-
wege dient in der Hauptsache die Mus-
kelbewegung. Deshalb ist aktive Mus-
kelbewegung oder, wo sie nicht möglich
ist, die passive, die Massage für den
Stoffwechsel notwendig. Eine Resorp-
tion des in den Lymphspalten vorwärts
bewegten Nährmaterials kann aber nur
stattfinden, wenn Kontraktion der Mus-
kulatur und Erschlaffung in richtiger
Weise abwechseln. Uebermässige Mus-
kelanstrengung führt zu Lymphstauung.
Ich erinnere an die Lymphstauung in der
Beinmuskulatur nach anstrengenden
Märschen, an die der Armmuskulatur
nach übertriebenen Fechtübungen etc.
Das Herz hat an und für sich soviel Be-
wegung, als ihm die Ernährung seiner
Zellen ermöglicht. LTeberanstrengung
des Herzens — und bei jeder Bewegung
der Körpermuskulatur arbeitet das Herz
schneller und intensiver — muss beim
kranken Herzen natürlich noch mehr als
beim gesunden zu Stauung in seinen
Lymphbahnen führen, dagegen wird der
Stoffwechsel in der kranken Herzmusku-
latur verbessert, wenn man dem Herzen
zwischen den Kontraktionen entsprech-
end lange Ruhepausen verschafft, wenn
man seine Tätigkeit verlangsamt. Des-
halb wirkt Digitalis, deshalb wirkt Bett-
ruhe und deshalb wirken Bäder kräfti-
gend auf das kranke Herz ein, während
es durch Gymnastik unter allen Umstän-
den geschädigt wird.
Ueber die Verwendung der Lur
Von Dr. A
Herr Präsident, meine Herren ! Wie
Linen allen bekannt ist, verdanken wir
die Einführung der Lumbalanästhesie
zwei Männern, Corning und Bier.
Corning gebührt das grosse Ver-
dienst, als erster Lumbalanästhesien aus-
geführt zu haben und zwar mit der In-
dikation, Neuralgien der unteren Ex-
tremitäten etc. zu bekämpfen. Bereits
vor mehr als 20 Jahren begann er mit
*) Vortrag, gehalten in der Deutschen
med. Gesellschaft der Stadt New York am
2. Dezember 1907.
ibalanästhesie in der Chirurgie.*
Lewisohn.
paravertebralen Injektionen, von denen
er annahm, dass sie auf dem Wege des
Venengeflechts das Anästhetikum direkt
an das Rückenmark schaffen würden.
Damals scheute er noch davor zurück,
Kokain intradural einzuspritzen, später
hat er aber dann intravertebral injiziert
und auch schon in einem 1894 erschiene-
nen Werke auf die Bedeutung seiner
Methode für die Chirurgie hingewiesen.
Seine Methode wurde aber, wie das so
oft mit grossen Entdeckungen geschieht,
kaum beachtet, einen Chirurgen, der sie
angewandt hätte, fand er nicht. Die Me-
276
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
thode blieb ohne praktische Bedeutung,
bis A u g u s t B i e r im Jahre 1899, ohne
von den Versuchen C o r n i n g's etwas
zu wissen, die Kokainisierung des Rück-
enmarks in die Chirurgie einführte, z. T.
auf Versuchen an sich seihst und seinen
Mitarbeitern fussend.
Die anfangs herrschende grosse Be-
geisterung legte sich aber bald, als sich
Mitteilungen über schwere Neben- und
Nachwirkungen und zahlreiche Todes-
fälle häuften, und Bier selbst warnte
wiederholt, spez. gegenüber französi-
schen Autoren, die enthusiastisch für die
Methode eintraten, vor ihrer Anwen-
dung. Es spricht für die grosse Objek-
tivität B i e r's, dass er der vorderste
Kämpfer gegen seine Methode war, so-
bald er ihre Gefahren erkannt hatte. Die
Verwendung des Kokains zur Rücken-
marks-Anästhesie hat nur noch histori-
sche Bedeutung und ich kann daher, bei
der Kürze der Zeit, die Symptomatolo-
gie etc. der Rückenmarkskokainisierung
vollständig ausser Acht lassen.
Erst als vor wenigen Jahren neue Ko-
kainpräparate, wie Stovain, Alypin, No-
vokain etc. in den Handel kamen, die be-
deutend ungiftiger als das Kokain sind,
wurde die Lumbalanästhesie wieder auf-
genommen, und trotzdem auch keines
dieser neuen Präparate absolut ungefähr-
lich ist, hat sich das Verfahren jetzt Bür-
gerrecht in der Chirurgie erworben,
übrigens nicht nur in der Chirurgie
und Gynäkologie, sondern auch in aus-
gedehnter Weise in der Geburtshilfe, hier
meist in Kombination mit dem Skopola-
min-Dämmerschlaf. Bei dem Mangel ei-
gener Erfahrung gehe ich auf die ge-
burtshilfliche Anwendung nicht ein; viel-
leicht bietet eine Diskussion dem einen
oder andern Herrn Gelegenheit, uns über
seine Erfahrungen in dieser Hinsicht
Mitteilungen zu machen, gerade auch in
Bezug auf die Frage, wieweit trotz der
bekannten Ungefährlichkeit der Chloro-
formnarkose bei Entbindungen die Lum-
balanästhesie empfehlenswert ist.
Meine Herren! Die Stellung der
Lumbalanästhesie in der Chirurgie ist
noch keineswegs eine gesicherte. Neben
einer grossen Zahl enragierter Anhänger
gibt es viele, die, durch Misserfolge
stutzig gemacht, nichts von der Methode
wissen wollen. Gerade auch hier in New
York scheint in letzter Zeit die Lumbal-
anästhesie wieder weniger verwendet zu
werden. Wie mir scheint, zu Unrecht
Gestatten sie mir daher, auf Grund eige-
ner Erfahrungen an mehreren 100 Fäl-
len, die meist der Heidelberger chirurgi-
schen Klinik entstammen, und unter teil-
weiser Benutzung der Literatur, die ein
Material von ca. 20000 Fällen umfassen
dürfte, wobei spez. auf die kürzlich er-
schienene, sehr gründliche Monographie
Ii. B o s s e's verwiesen sei, Ihnen in
Kürze zu skizzieren, was die Methode
leistet, und, wie ich hoffe, auf diese
Weise der Lumbalanästhesie weitere An-
hänger zu werben.
Die Technik der Lumbalanästhesie,
welche, wie Sie wissen, den Zweck ver-
folgt, das Anästhetikum nach der Cauda
equina hin zu bringen, ist zwar eine äus-
serst einfache, bedarf aber doch einer
gewissen Uebung. Eine grosse Zahl von
sog. Versagern ist entschieden auf man-
gelhafte Technik zu basieren, und die
meisten Autoren berichten über viele
Versager unter ihren ersten 50 — 100
Fällen und nur über vereinzelte in spä-
teren Serien. — Man lässt am besten den
Patienten mit an der einen Seite des
Tisches herunterhängenden Beinen mit
möglichst stark gekrümmten Rücken
sitzen, während der Arzt an der andern
Seite des Tisches steht. Nach gründli-
cher Hautdesinfizierung bestimmt man
sich das Spatium zwischen 3. und 4. Len-
denwirbel, indem man sich eine ideelle
Verbindungslinie zwischen den beiden
Cristae ilei zieht, und führt an deren
Kreuzungspunkt mit der Wirbellinie eine
mit einem Mandrin bewaffnete 10 cm
lange Hohlnadel ein. Kommt man übri-
gens einen Wirbel höher oder tiefer, so ist
das ohne Bedeutung. Man sticht am bes-
ten genau in der Mittellinie ein. Auf diese
Weise gelangt man in die sog. Cysterna
terminalis, einen mit Liquor gefüllten
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
277
kleinen Hohlraum, in dem sich die Nadel
leicht bewegen lässt. Früher pflegte man
seitlich von der Medianlinie einzugehen,
hat das aber aus 2 Gründen auf-
gegeben: 1. weil man dann leichter halb-
seitige Anästhesien bekommt und 2. weil
bei seitlichem Einstich das Anästhetikum
mehr Neigung hat, zwischen den Strän-
gen der Cauda equina liegen zu bleiben,
anstatt sich mit dem Liquor ordentlich
zu vermischen und dann eher schwere
toxische Erscheinungen hervorruft. Eine
Infiltrationsanästhesie der Haut, wie sie
von vielen Seiten geraten wird, ist über-
flüssig und macht mehr Schmerzen, wie
der Einstich selbst. Der Einstich soll
ohne Gewalteinwirkung erfolgen, man
soll leicht in die Rückenmarkshöhle hin-
eingleiten, was bei einiger Uebung un-
schwer gelingt. Stösst man auf einen
Widerstand, so zieht man die Nadel et-
was zurück und schiebt sie dann wieder
vor ; manchmal ist es besser, die Nadel
wieder ganz heraus zu ziehen und von
neuem in der Nähe der ursprünglichen
Einstichstelle wieder einzuführen. Jeden-
falls ist längeres versuchsweises Herum-
stochern in der Tiefe aufs entschieden-
ste zu widerraten. Das sicherste Zeichen,
dass man sich im Wirbelkanal befindet,
ist das Abfliessen von Liquor in leichtem
Strahl oder in rasch aufeinander folgen-
den Tropfen. Man setzt nun die Spritze
an, die 2 ccm fasst und die bereits die ein-
zuspritzende Lösung enthält, saugt,
zwecks Verdünnung des Anästhetikums,
die Spritze mit Liquor voll und injiziert
dann langsam den Inhalt in den Rücken-
markskanal. Nach Herausziehen der
Nadel wird die Einstichöffnung mit ei-
nem Stück Heftpflaster geschützt. Man
bringt nun den Patienten wieder in die
Horizontallage, resp. dreht ihn auf den
Rücken und lässt ihn für 5 Minuten ab-
solut ruhig liegen. Es erscheint nicht
ratsam, wie es oft geschieht, gleich nach
der Injektion mit Vorbereitungen zur
Operation (Desinfektion etc.) zu begin-
nen ; die Injektion ist ja keine indiffe-
rente, und durch abrupte Bewegungen
kann leicht zu viel von dem Mittel den
Rückenmarkskanal hinaufgetrieben wer-
den.
Die Anästhesie, die gewöhnlich im
Zeitraum von einer Viertelstunde kom-
plett ist, setzt zuerst am Damm ein, dann
folgen die Unter-Extremitäten, von den
Füssen anfangend, darauf greift, wenn
man höhere Dosen gibt, die Wirkung auf
das Abdomen über und kann auch den
Thorax erreichen. Wie weit eine solche
Ausdehnung des Wirkungsgebiets be-
rechtigt ist, werden wir später sehen.
Bei richtiger Dosierung werden nur die
schmerzleitenden Fasern ausser Funktion
gesetzt (eigentlich wäre daher Lumbal-
analgesie eine richtigere Bezeichnung),
während Temperatur- und Tastsinn
meist erst bei grösseren Dosen schwin-
den. Ein gewisses Gefühl der Schwere
der affizierten Körperteile und eine Be-
hinderung der Beweglichkeit zeigen sich
oft, eine irgendwie stärkere Herabsetz-
ung der Motilität darf aber nicht ein-
treten. Das Anästhetikum soll eben nur
auf den hinteren sensiblen Teil des durch
das Ligam. denticulatum halbierten
Rückenmarkkanals wirken. • Das Gift
wirkt direkt auf die hintern Nervenwur-
zeln und die, wie bekannt, hier scheiden-
losen Nervenstämme. Gerade weil die
Nervenfasern im Rückenmarkskanal
scheidenlos sind, ist die Wirkung eine so
prompte, gerade deshalb muss man aber
auch mit der Dosierung doppelt vorsich-
tig sein. Eines der ersten Zeichen der
Wirkung des Anästhetikums auf das
Zentralnervensystem ist das Aufhören
der Reflexe ; so sistiert der Patellarreflex
bereits nach 1 — 2 Minuten, Achillesseh-
nen- und Cremasterreflex etwas später.
Eine Aenderung der elektrischen Erreg-
barkeit tritt nicht ein. Die Anästhesie
dauert gewöhnlich ca. l1^ Stunden, sollte
also für jeden operativen Eingriff aus-
reichen. Sollte das einmal ausnahmsweise
nicht der Fall sein, so kann man eventuell
noch Allgemeinnarkose einleiten. Die
Aufhebung der Anästhesie geschieht in
umgekehrter Reihenfolge, sodass also die
278
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
zuerst anästhetisch gewordenen Gebiete,
wie die Analgegend, am längsten anäs-
thetisch bleiben.
Es sind, meine Herren, im wesentli-
chen 4 Anästhetika, die heutzutage zur
Verwendung kommen, das Stovain, Aly-
pin, Novokain und Tropakokain. Keines
dieser Kokainpräparate ist, obgleich sie
sämmtlich viel harmloser sind wie das
Kokain, absolut ungiftig, das Präparat,
das dem Körper stets, ohne Neben- und
Nachwirkungen zu verursachen, injiziert
werden kann, soll eben noch entdeckt
werden. Ich kann mich bei der Kürze
der Zeit auf ein Abwägen dieser Mittel
gegen einander leider nicht einlassen.
Jedes dieser Mittel hat begeisterte Lob-
redner gefunden, die es in langen Serien
benutzten, jedes hat aber auch ihre Geg-
ner. Das Stovain (Dose O.CH — 0,06),
dem wir eigentlich die neue Aera in der
I -umbalänästhesie verdanken, stört leicht
die motorische Funktion. Meiner per-
sönlichen Erfahrung nach ist Novokain
(von dem 0,6 ccm einer 5% Lösung ein-
gespritzt werden) das beste Mittel, doch
inuss ich hier betonen, dass eine grössere
Zahl von Autoren dem Tropakokain den
Vorzug geben. Die persönliche Erfahr-
ung, das Vertrautsein mit den Eigen-
schaften eines bestimmten Mittels, spielt
hier eben, wie auch sonst in der Medi-
zin, eine grosse Rolle. Als Lösungsmit-
tel verwendet man 0,11% Kochsalzlö-
sung, die mit der Cerebrospinalflüssigkeit
isotonisch ist. Sämmtliche dieser Mittel
sind, was sehr wichtig ist, sterilisierbar,
ohne an ihrer Wirkung einzubüssen.
Bei der immerhin keineswegs absolu-
ten Ungiftigkeit aller dieser Mittel hat
es natürlich nicht an Versuchen gefehlt,
mit möglichst kleinen Dosen auszukom-
men, ohne dadurch den Effekt des An-
ästhetikums zu verringern, d. h. man hat
versucht, durch andere Mittel die Wir-
kungsweise zu erhöhen. Es seien hier
vor allem 3 Methoden erwähnt, die
Kopfstauung, die Beckenhochlagerung
und der Suprareninzusatz. Keines die-
ser Mittel erscheint aber wirkungsvoll.
Die Kopfstauung, die durch Anlegen
einer Gummibinde vor der Operation
und Hervorrufen einer Hyperämie im
Gehirn erzeugt wird, soll das rasche Auf-
steigen des Kokainpräparats nach der
Medulla und dem Gehirn verhindern.
Im Verlauf der Operation soll man dann,
durch Lockerung der Binde, eine Ver-
teilung über weitere Bezirke, je nach
Wunsch hervorrufen können. Die Me-
thode hat sich nicht viele Freunde er-
worben und scheint mehr am Studier-
tisch ausgeklügelt als praktisch erfolg-
reich zu sein. Eigene Erfahrungen feh-
len mir.
Die Beckenhochlagerung verhütet,
dass das Anästhetikum in den unteren
Pirtien des Rückenmarkkanals liegen
bleibt, sie treibt es höher aufwärts und
ermöglicht abdominelle Operationen, die
ohne dieses Hilfsmittel nicht ausführbar
sind. Es hat sich daher diese von K a-
d e r eingeführte Methode viele Freunde
erworben. Wie mir scheint, zu L'nrecht,
wenigstens wenn sie nicht in ganz engen
Grenzen gehalten wird. Im Gegenteil,
die ausgedehnte Verwendung der Beck-
enhochlagerung scheint mir einer der
Flauptgründe zu sein, weshalb die Lum-
balanästhesie in letzter Zeit wieder mehr
in Misskredit gekommen ist. Gewiss,
rn?n kann mit dieser Methode die Wir-
kung des Anästhetikums erhöhen, aber
man hat es nicht in der Hand, zu bestim-
men, wie weit das geht. Durch die
Beckenhochlagerung wird das Anästheti-
kum oft sehr rasch hoch hinauf in den
Rückenmarkskanal an lebenswichtige
Zentra (wie z. B. die Medulla) gebracht
und die meisten schweren Kollapse sind,
soweit nicht etwa zu grosse Dosen ver-
antwortlich zu machen sind, dieser Me-
thode zuzuschreiben.
Der durch Braun für die Lokalanäs-
thesie eingeführte Suprareninzusatz
(man kann entweder 2 — 3 Tropfen einer
lproz. Lösung zur Anästhesierungsflüs-
sigkeit hinzusetzen oder auch fertige
Tabletten, wie sie z. B. als Alvpin-Supra-
renintabletten in den Handel gebracht
werden, verwenden) dürfte neueren
Publikationen zufolgre auch nicht ratsam
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
279
erscheinen. Gewiss, man erhöht den lo-
kalen Effekt des Kokainpräparats und
kann daher mit etwas kleineren Dosen
auskommen, aber man bringt anderer-
seits statt eines Giftes deren zwei in
den Rückenmarkskanal, und das ist kei-
nesweges irrelevant. Ausserdem zersetzt
sich das Suprarenin leicht und verursacht
dann die schwersten Nebenwirkungen.
Wenden wir uns nun, meine Herren,
zu den Neben- und Nachwirkungen der
Lumbalanästhesie. Sehr häufig klagen
die Patienten nach der Lumbalanästhesie
über Kopfschmerzen, oft ganz leichter
Art, bisweilen aber auch heftiger Natur,
die manchmal tage-, ja wochenlang an-
halten. Dazu kann sich Uebelkeit, Er-
brechen und Schwindelgefühl gesellen,
neben Kreuzschmerzen und Schlaflosig-
keit. Nicht so ganz selten treten leichte
Kollapse mit profuser Perspiration, flat-
terndem Puls und oberflächlicher At-
mung ein, die, soweit meine persönliche
Erfahrung reicht, immer relativ rasch
vorübergingen. Tu der Literatur finden
sich allerdings auch Fälle, wo diese Kol-
lapse äusserst schwer waren, stunden-
lang anhielten und von denen eine grös-
sere Zahl (bisher sind mehr als 20 Fälle
publiziert) zum Exitus führten. Wie
weit das mit der Technik etc. in den in
der Literatur berichteten Fällen in Zu-
sammenhang zu bringen ist, das zu er-
örtern, würde zu weit führen. Dass oft
sehr leichtsinnig vorgegangen wird, da-
für diene der Beispiel eines Todesfalles,
der auf dem Wege von dem Sprechzim-
mer des Arztes zur Wohnung des Pa-
tienten nach einer Lumbalanästhesie er-
folgte. Medullaranästhesie als ambulan-
tes Rehandlungsmittel, das geht entschie-
den zu weit.
Weiter berichten Autoren über Fieber,
Schüttelfröste, Erregungszustände, Teta-
nie und leider finden sich auch eine grös-
sere Anzahl nicht nur vorübergehender,
sondern auch dauernder Lähmungen
verzeichnet. Wie Ihnen bekannt, sind
eine Reihe Abduzenslähmungen vorge-
kommen, die allerdings meist bald wieder
verschwinden. Warum gerade der Ab-
duzenskern so leicht affiziert wird, ist bis
jetzt unaufgeklärt. Ausserdem sind ein-
und doppelseitige Lähmungen der un-
tern Extremitäten und komplette Blasen-
und Sphinkterlähmung beobachtet wor-
den. Auch Retentio urinae tritt manch-
mal nach der Lumbalanästhesie auf.
Zum Schluss dieser kurzen Uebersicht
sei die Atemlähmung, die bedrohlichste
unter den üblen Folgen erwähnt.
Schwarz konnte, in jedem untersuch-
ten Fall, post injectionem Albuinen und
Zylinder im Urin nachweisen, in man-
chen Fällen mehrere Wochen lang.
Meine Herren ! Das Ihnen eben skiz-
zierte Bild der möglichen Neben- und
Nachwirkungen ist gewiss ein folgen-
schweres und. wenn diese schweren Fol-
geerscheinungen wirklich nicht zu ver-
meiden wären, so würde dass das Todes-
urteil über die Methode sprechen. Aber
die meisten LJnfälle basieren auf zu wei-
ter Indikationsstellung. Eine Methode
kann in einem gewissen Bezirk Vorzügli-
ches leisten, bei zu weiter Ausdehnung
aber grossen Schaden treffen. Die Lum-
balanästhesie ist eine vorzügliche Me-
thode für Operationen am Damm und
den untern Extremitäten, aber nicht für
Bauchoperationen. Letztere verlangen
zu ihrer Ausführbarkeit mit Lumbalan-
ästhesie die Beckenhochlagerung und
diese ist, solange wir kein ungiftigeres
Präparat als die bisherigen kennen, ab-
solut zu verwerfen, falls sie sich nicht
auf einen ganz geringen Grad be-
schränkt. Strumektomien oder Opera-
tionen an den oberen Extremitäten damit
ausführen wollen, heisst von der Me-
thode verlangen, was sie nicht leisten
kann. Beschränkt man das Anwen-
dungsgebiet der Lumbalanästhesie im
wesentlichen auf perineale Prostatekto-
mien (bei denen sie fast als die Methode
der Wahl zu bezeichnen ist), auf Hä-
morrhoiden, Analfissuren, Scheidenplas-
tiken und alle Arten von Operationen an
den untern Extremitäten, so bleibt der
Wirkungskreis noch gross genug, wobei
allerdings zu bemerken ist, dass im obern
Drittel des Oberschenkels die Methode
280
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
manchmal versagt, weil das dieses Ge-
biet versorgende Rückenmarkssegment
öfters nicht von der Anästhesie erreicht
wird.
Was die humane Seite der Frage an-
geht, so wird von den Gegnern der Lum-
balanästhesie oft angeführt, dass sie
schon deswegen nicht mit der Allgemein-
narkose konkurrieren könne, weil der
Patient bei vollem Bewusstsein bleibe
und der psychische Shock einer grossen
Operation ein zu heftiger sei. Ich stehe
nicht an, zuzugeben, dass das in einzel-
nen Fällen zutrifft. Auch ich würde z.
B. nicht einem jungen Individuum unter
Lumbalanästhesie ein Bein absetzen,
wenn nicht klinisch ganz strenge Indika-
tionen dafür bestehen. Auch hysterische
Frauen sind von der Methode auszu-
schliessen. Im allgemeinen verlangen
aber Patienten, die einmal unter Lum-
balanästhesie operiert worden sind, bei
spateren Eingriffen dieselbe Methode.
Wenn man die Aufmerksamkeit des Pa-
tienten von der Operation ablenkt (es
sollte selbstverständlich auch bei der
Lumbalanästhesie stets ein Assistent am
Kopf des Patienten stehen, der, wie bei
der Narkose, sich nur mit dem Allge-
meinzustand des Kranken befasst), so
merken die Kranken eigentlich gar nicht,
was mit ihnen vorgeht. Wider und wie-
der haben wir es erlebt, dass, nachdem
man z. B. Analfissuren oder Hämorrhoi-
den bereits längere Zeit mit dem Paque-
lin bearbeitet hat, die Patienten fragen,
ob man noch nicht mit der Operation an-
finge. Auch einem andern Einwand
möchte ich begegnen, den man speziell
von Operateuren hört, die grundsätzlich
Aethernarkosen machen lassen und die
sagen : Da die Gefahren bei der Aether-
narkose so minimal sind, warum sollen
wir da eine neue Methode versuchen.
Doch werden bei diesem Einwand m. E.
3 Punkte nicht hinreichend gewürdigt :
1) das, selbst wenn nur kurze, stets
höchst unangenehme, mit Erstickungs-
gefühl einhergehende Stadium bis zum
Eintritt der Narkose, das wohl nur der
Arzt voll würdigen kann, der selbst ein-
mal narkotisiert worden ist, dann der nur
zu oft zweimal 24 Stunden anhaltende
Brechreiz und schliesslich die Gefahr der
Pneumonie.
Die Inhalationsnarkose hat eben ihre
grossen Schattenseiten. Auch die Lum-
balanästhesie ist nicht unbedenklich, wie
Sie aus der grossen Reihe der angeführ-
ten Neben- und Nachwirkungen entnom-
men haben, wenn auch, wie gesagt, ein
grosser Teil der berichteten Unfälle auf
fehlerhafte Technik und zu weitgehende
Anwendung zurückzuführen ist. Sie
darf daher auch nur bei strenger Indi-
kationsstellung angewandt werden und
soll nicht etwa, wie es geschehen ist, für
rein diagnostische Zwecke oder Ver-
bandwechsel benutzt werden. Immerhin
ist die Methode, ebenso wie die Lokal-
anästhesie, entschieden berufen, die Zahl
der Allgemeinnarkosen zu verringern.
Nicht hie Allgemeinnarkose, hie Lokal-
resp. Lumbalanästhesie soll es heissen,
sondern man soll bestrebt sein, jeder die-
ser Methoden den richtigen Wirkungs-
kreis anzuweisen. Ich bin überzeugt,
dass dann die Lumbalanästhesie den ihr
zukommenden Platz unter den Narkoti-
sierungsmethoden behaupten wird.
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
Sitzungsberichte
Deutsche Medizinische Gesellschaft der Stadt New York
Sitzung vom 4. November 1907.
Präsident Dr. Carl Beck eröffnet
die Sitzung um 8:15, und die Ver-
sammlung tritt sofort in die Tages-
ordnung ein.
1. Vorstellung von Patienten,
Demonstration von Präparaten, Instru-
menten u. s. w.
Dr. A. V. Moschcowitz stellt
Patienten vor-
Präsident Dr. C a r 1 B e c k stellt
ein Fall von Morbus Basedowii, mit
Röntgenstrahlen behandelt, vor.
Patient, ein 11 jähriger Knabe, in Un-
garn geboren, schlecht genährter Sohn
mässig genährter Eltern, gelangte vor
einem Jahr im St. Mark's Hospital un-
ter meine Beobachtung. Die Anam-
nese ergab eine seit sechs Monaten be-
merkbare langsam fortschreitende
Vergrösserung der Schilddrüse, mit
welcher die Entwickelung von Glotz-
augen, Herzklopfen und Tremor Hand
in Hand gingen. Bei der Krankenvor-
stellung erschien der Exophthalmus
sehr ausgeprägt. Der weiche Kropf
überschritt die Grösse eines Gänseeis,
der Puls betrug durchschnittlich 170,
steigerte sich aber bei der leichtesten
Erregung bis ungefähr 186. Mässiger
Tremor war ebenfalls vorhanden.
Da mir dieser seiner Jugend wegen
besonders interessante Fall zu einem
Versuch mit Röntgenbehandlung ge-
eignet schien, so wurden unter Benüt-
zung meiner Stellrohrblende zuerst
alle zwei, nach zwei Wochen alle drei
Tage je fünf Minuten dauernde Be-
strahlungen vorgenommen, welche
nach fünf weiteren Wochen unterbro-
chen werden mussten, da eine leichte
Dermatitis eintrat. Nach Ablauf der-
selben wurden — ■ zwei Wochen später
— die Betrahlungen wieder in gleicher
Weise aufgenommen, jedoch nur in
einwöchentlichen Intervallen. Nach
viermonatlicher Behandlung waren
Kropf und Tachykardie auf den letzten
Rest geschwunden, nur bestand noch
ein geringgradiger Exophthalmus, wel-
cher sich bei sorgfältiger Inspektion
auch heute noch verrät. Sonst ist
Patient ganz gesund und normal. Es
ist in hohem Grade bemerkenswert,
dass Patient keinerlei andere Behand-
lung als die des Röntgenverfahrens er-
fuhr. Von allgemeinen diätetischen
Massregeln von Bedeutung musste an-
gesichts der Armut der Familie leider
Abstand genommen werden. Leider
hat auch hie, wie bei der Tuberkulo-
senfrage, der schnöde Mammon ein ge-
wichtiges Wort mit zu sprechen. Wir
haben also hier mit einem ganz reinen,
weder durch Arznei noch durch di-
rekte Stoffwechseleinwirkung verdun-
keltes Röntgenresultat zu rechnen. Ich
möchte trotz dieser zauberhaften Wir-
kung nun keineswegs generalisieren.
Wer weiss ob der nächste derartige
Fall keinen Widerstand entgegensetzt.
Vielleicht war es bloss die starke Suk-
kulenz der Gewebe, welche just in die-
sem Fall die Schrumpfiuig begünstigte,
während stärkere Bindegewebsbildung
einen grösseren Widerstand aufweist.
Immerhin ist die Tatsache der Heilung
lehrreich und ermutigend.
Eine Verkleinerung des Kropfes be-
gann erst nach der sechsten Bestrahl-
ung, nach dem Ablauf der Hautreak-
tion aber konnte eine rapide Abnahme
konstatiert werden-
Es ist dies nun der achte Fall, den
ich mittelst des Röntgenverfahrens be-
handelte. Gegenüber wesentlich un-
günstigeren Berichten setzt es mich
einigermassen in Verlegenheit, konsta-
tieren zu dürfen, dass ich in sieben
Fällen Heilung erzielte, während es in
einem Falle nur zu erheblicher Besser-
ung kam, woran übrigens Patient
selbst schuld ist, da die Sitzungen zu
häufig unterbrochen wurden.
In diesem Falle währt die Heilung
bereits drei Jahre.
Wenn ich den Versuch mache, mir
die weniger günstigen Resultate an-
derer vertrauenswerter Beobachter auf
282
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
diesem Gebiete zu erklären, so dünkt
es mir, dass folgende Momente von
hervorragendem Einfluss waren :
1 ) Die durchgängige Auswahl sol-
cher Fälle, welche sich durch Weich-
heit des Schilddrüsengewebes aus-
zeichneten ; 2) die intensivere Wirkung
des Blendenverfahrens; 3) der Um-
stand, dass ich das Röntgenverfahren
nur bei weniger grossen Basedow-
kröpfen verwandte, während ich bei
grösseren Strumen die Exstirpation be-
vorzugte. Wo sich ungleiche Lappen
vorfanden, da exstirpierte ich den grös-
seren und bestrahlte dann den kleine-
ren, welcher in allen meinen so gearte-
ten Fällen schrumpfte. Hierüber habe
ich mich ausführlich in der Berliner
Klinischen Wochenschrift — Ueber die
Kombination von Exzisions- und
Röntgen-Therapie bei Morbus Base-
dowii (1905, No. 20) — geäussert,
ebenso wie über die Fälle, welche unter
schweren Allgemeinerscheinungen ver-
laufen, sodass man nur temporär, ge-
wissermassen als Vorbereitung zur
eventuellen Operation, bestrahlt und
schliesslich im Fall der Inoperabilität,
wobei dem Röntgenverfahren nur eine
palliative Bedeutung zukommt.
Es wäre wünschenswert, dass man
das Verfahren in ausgedehnterem
Masse anwendete, sine ira et studio,
wissenschaftlich neutral, ohne Vorein-
genommenheit, immer auf dem Boden
beobachteter Tatsachen stehend, we-
der hyperenthusiastisch, weil man ge-
rade einen besonders günstigen Fall
sein eigen nennt, noch pessimistisch,
weil man gerade kein Glück hatte. Qui
vivra, verra.
Dr. Carl Pfister demonstriert
Präparate
1) eines Ovarienabszesses.
2) eines primär tuberkulösen Ho-
dens.
Dr. G. Mannheimer demon-
striert einen Sensibilitätsprüfer.
Diskussion. Dr. Onuf: Dr.
Mannheimer hat mir den Apparat
gezeigt, und ich denke, dass er viele
praktische Eigenschaften besitzt. Er-
stens hat man den ganzen Apparat in
einem kleinen Etui beisammen. Will
man eine Temperaturprüfung vorneh-
men, hat man alles gleich bei sich.
Zweitens hat die Hülseneinrichtung
mit Natrium aceticum jedenfalls einen
Vorteil über die Reagenzröhren, weil
die Hitze oder Kälte länger darin
bleibt. Aber wenn man am Anfang
eine bedeutende Hitze im Natrium
aceticum-1 Sehälter hat, so ist die Tem-
peratur am Ende des Versuchs bedeu-
tend gesunken, sodass man nicht wäh-
rend des ganzen Versuchs eine gleich-
massige Temperatur hat. Das ist ein
Nachteil, der sich allerdings bei irgend
einem Apparat einstellen wird, ausser
vielleicht bei einer nach dem Prinzip
der Thermorlaschen konstruierter Ein-
richtung. Jedenfalls ist der Apparat
aber eine praktische Einrichtung.
Der Sekretär, Dr. B e u e r m a n n,
verliest das Protokoll der letzten Sit-
zung.
Präsident Dr. Carl Beck: Ich
habe jetzt die Ehre, Ihnen Herrn Sani-
tätsrat Dr. W achenfeld aus Nau-
heim vorzustellen. Er wird uns das
Vergnügen machen, in der nächsten
Sitzung einen Vortrag zu halten.
Ferner habe ich Ihnen mitzuteilen,
dass sich in New York ein Subkomitee
der Robert Koc h-Stiftung, zumeist
aus deutschen Aerzten und Geschäfts-
leuten bestehend, gebildet hat. Ich
bitte Sie, etwas Interesse an dieser
Stiftung zu nehmen, sodass Amerika
nicht gar zu klein neben den grossen
Beiträgen erscheint, die in Deutschland
gezeichnet sind, wo ein Nichtarzt nicht
weniger als 50,000 M- bewilligte.
Vorträge.
1) Dr. L. Kast: Experimentelles
und Klinisches über vermehrte Magen-
saftbildung.
Diskussion. Dr. M. I. Knapp:
Der Vortrag war ausgezeichnet und
mir nicht unbekannt- Ich habe die Ar-
beiten von Kast früher gelesen. In
meinem am 7. Dezember 1904 in de»
Harlem Medical Association gehalte-
nen Vortrag habe ich behauptet, dass
P a w 1 o w seine Untersuchungen sehr
falsch gedeutet hat. Dieses Experi-
ment von Kast beweist es. Ich weiss
nicht, ob Kollege Kast Alkohol und
Wasser ohne Scheinfütterung gegeben
hat. Wenn er Alkohol und Wasser
ohne Scheinfütterung gegeben, hätte er
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
283
wahrscheinlich dasselbe Resultat er-
zielt, der chemische Reiz der Magen-
schleimhaut ist es, der die Sekretion
bewirkt.
Was die Lage des Patienten anbe-
trifft, so habe ich i. J. 1902 in meiner
Veröffentlichung über Insuffizienz des
Pylorus behauptet, dass bei diesen Fäl-
len die Motilität nicht leidet und ich
habe damals angeraten, den Patienten
in solchen Fällen auf die linke Seite zu
legen, um eben das Entweichen des
Mageninhalts zu verhindern.. Lie La-
gerung auf der rechten Seite verur-
sacht das Hinausgehen des Magenin-
halts in das Duodenum u. s. w. In ei-
nem Artikel im London Lancet vom
10- Juni d. J. hat Moullin genau
dasselbe bewiesen, was ich i. J. 1902
über Insuffizienz des Pylorus veröffent-
licht habe.
2. Symposium über Morbus Base-
dowii.
a) Dr. S. J. Meitzer: Bemerkun-
gen zur Physiologie und allgemeinen
Pathologie des Morbus Basedowii.
b) Dr. J. Kauf m a n n : Der Mor-
bus Basedowii vom Standpunkt des
Internisten.
c) Dr- Hermann Fischer: Die
chirurgische Behandlung des Morbus
Basedowii.
(Die Vorträge sind in der Novem-
bernummer ds. Monatsschr. als Origi-
nalarbeiten erschienen.)
Diskussion. Dr. L. Weber: Ich
habe nur über ca. 20 Fälle von Base-
dow zu verfügen, die ich im Laufe der
Jahre behandelt habe. Unter den 20
Fällen war nur ein männliches Indi-
viduum, die anderen gehörten dem
weiblichen Geschlecht an. Unter den
Frauen war keine unter 20 Jahren, die
meisten 20 — 35 Jahre alt, die Mehrzahl
verheiratet. Leichte und mittelschwere
Fälle sind mir da vorgekommen, wel-
che ich jahrelang beobachtet hatte und
die gut wurden, andere, die sich ver-
liefen, und unter dieser Reihe von Fäl-
len war nur einer, der tödlich verlief.
Es war der schwerste Fall von akuter
Hyperthyreoidie, den ich überhaupt ge-
sehen, bei einem Mädchen von 25 Jah-
ren, das an schweren Intoxikationser-
scheinungen und Anämie starb.
Sie wissen, dass in der Periode vor
M ö b i u s in der 2. Hälfte des vorigen
Jahrhunderts der Basedow symptoma-
tisch behandelt wurde. Ruhe, physika-
lisch-diätetische Heilmethoden wurden
angewendet. Späterhin wurde nach dem
durch seine Strumaoperation so be-
rühmt gewordenen Kocher viel
phosphorsaures Natrium gegeben in
Dosen von 4 Gramm 2 — 3 mal täglich,
galvanische Ströme wurden angewen-
det, und so sah man eine Reihe von
Fällen besser werden und heilen,
durfte dabei aber nicht vergessen, dass
die mittelschweren und leichteren
Fälle auch ohne Behandlung gut ge-
worden sind.
Nun kam Möbius am Ende des
vorigen Jahrhunderts und stellte den
Satz auf, dass die B a s e d o w'sche
Krankheit Hyperthyreoidismus sei.
Dieser Satz von M ö b i u s ist meines
Wissens von der grossen Mehrheit der
Autoren und Aerzte heute angenom-
men. Folglich behandeln wir heute,
wenn wir einen Basedowfall haben,
eine Intoxikationskrankheit schwerer
oder leichter Natur, und daran an-
knüpfend, möchte ich Folgendes mit-
teilen : Ich erwähnte oben den ver-
hältnismässig rasch verlaufenen Fall
eines Mädchens von 25 Jahren ; die
Schwester dieses Mädchens kam i. J.
1901 zu mir, eine Frau von 31 Jahren,
gut entwickelt, Primipara, und präsen-
tierte alle Symptome eines schweren
Basedow, die Kardinalsymptome und
ausserdem ausserordentliches Schwit-
zen, starken Tremor, intensive Röte
und Brennen in der Haut u. s. w., und
es dauerte gar nicht lange, so traten
auch heftige Durchfälle ein, die das
Weib in einem Monat oder so bedeu-
tend von Kräften brachten, auch
Brechen. Zu meinem Erstaunen ver-
grösserten sich Leber und Milz, be-
sonders die Leber. Ein operativer Ein-
griff wurde verweigert. Es waren ja
auch damals die betr. Resultate, wie
sie in den letzten Nummern des Jour-
nals der American Medical Association
von dem jüngeren Kocher veröffent-
licht worden sind, noch nicht bekannt.
So kam ich auf die Idee, der Patientin
kleine Portionen, nicht mehr als ein
Milligramm, Arsenik und ein Milli-
284
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
gramni Sublimat dreimal täglich zu
verabreichen, nachdem alle anderen
Behandlungen, wie die galvanische, die
physikalisch - diätetische Behandlung,
sich als nutzlos erwiesen hatten. Die
Patientin nahm dieses Mittel stetig
etwa 2 — 3 Jahre lang, und unter dieser
Behandlung sind alle Symptome zu-
rückgegangen, und die Frau ist heute
als gesund zu betrachten.
Ich habe noch 3 Fälle leichteren Ka-
libers, welche ich in ähnlicher Weise
mit ähnlichem Erfolge behandelt habe-
ich kann Ihnen keine Theorie geben,
welche genügender Weise erklären
könnte, warum infolge der Darreich-
ung dieser kleinen Dosen von Sublimat
und Arsenik die Symptome sich in der
Weise besserten. Es ist früher nicht
in der Weise angewandt worden, aber
ich kann Ihnen eben ein post hoc, ergo
propter hoc hier mitteilen von einem
schweren Fall und 3 leichteren Fällen,
der so entschieden zu verfolgen war,
dass ich Sie doch bitten möchte, ge-
legentlich diese zwei Mittel, Arsenik
und Sublimat, die antitoxisch wirken
müssen, zu versuchen. Schaden wer-
den sie nicht, wenn ich auch nicht im
stände bin, eine Erklärung für den
trefflichen Erfolg in den paar Fäl-
len anzugeben.
Dr. W i 1 1 y Meyer: Unsere heuti-
gen trefflichen Vorträge decken das
Feld so vollkommen, dass wahrlich für
die Diskussion nicht viel zu sagen
übrig bleibt.
Unvergesslich steht mir in der Erin-
nerung, was ich als Assistent von
Trendelenburg vor 25 Jahren
mit erlebte, als wir eine totale Exstir-
pation der Struma bei einem jungen
Mädchen machten und sich innerhalb
24 Stunden tetanische Anfälle einstell-
ten, die in kurzer Zeit zum Tode führ-
ten. Damals wusste man noch nichts
von dem chirurgischen Fehler, die
Struma ganz zu exstirpieren, noch
nichts von den Parathyreoidkörpern,
noch nicht, wie wir es heute wissen,
dass man den Kretinismus und Ka-
chexie, welche durch Total - Exstir-
pation entsteht, durch Thyreoidea-Füt-
terung ausgleichen kann. Aber dieser
eine Fall ist mir stets im Gedächtnis
geblieben, und mit grösstem Interesse
habe ich die weitere Entwickelung die-
ser Frage verfolgt. Was wir heute ge-
hört haben, sagt uns zur Genüge, wel-
che Klarheit uns gerade hierüber end-
lich aufgegangen ist. Wir wissen, wie
Dr. Meitzer gezeigt hat, dass der
Hyperthyreodismus als richtig aner-
kannt wird, d. h., einfacher ausge-
drückt, die Schilddrüse sondert zu viel
Saft ab ; dieser Saft wird in den Or-
ganismus aufgenommen, und das
macht die Erscheinungen. Die Frage,
warum die Schilddrüse sich vergrös-
sert, warum dies alles auftritt, ist so
schwer zu beantworten, wie so vieles
andere Warum in der Medizin und
Chirurgie. Und doch ist es vielleicht
richtig, dass ursprünglich dieses War-
um im Nervus sympathicus begründet
ist. Nehmen wir immerhin als Haupt-
sache hin, dass wir erkannt haben, dass
der Morbus Basedowii auf einer zu
grossen Menge von Schilddrüsensaft i
beruht, der in unsere Zirkulation auf-
genommen wird und da als Gift wirkt.
Auf dieser Basis hat sich die heutige
Therapie aufgebaut, die erstens chirur-
gisch und zweitens serotherapeutisch
ist. Wir haben von Dr. Fischer ge-
hört, dass vor allen Kocher uns be-
wiesen hat, was man mit der richtigen
chirurgischen Behandlung der Schild-
drüse leisten kann, entweder durch
Unterbindung verschiedener Arterien
oder durch partielle Exstirpation, und
der beste Beweis der Richtigkeit sol-
chen Vorgehens ist, dass, jemehr von
der Schilddrüse entfernt wurde, desto
nachhaltiger die Erfolge sind.
Wer die serotherapeutische Behand-
lung schrittweise verfolgt hat, muss
sagen, es ist wunderbar und nur immer
wieder von Neuem dankbar anzuer-
kennen, was die experimentelle Physi-
ologie und Pathologie heutzutage
leistet.
Speziell war es Lenz, der ganz un-
abhängig und nicht wissend, was an-
dere mit ihrer Hundefütterung und
Serum und Einspritzung getan hatten,
durch Exstirpation der Schilddrüse bei
Ziegen und Verfütterung der Milch
dieser Tiere bei Basedowkranken vor
5 Jahren fertiggebracht hat. Er be-
wies mit absoluter Sicherheit dass,
wenn den Ziegen die Thyroidea exstir-
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
28s
piert wurde — von Nebendrüsen hat
man damals noch nichts gewusst —
aber ich möchte einfügen, dass wir viel
häufiger Tetanie bekommen hätten,
wenn wir nicht, speziell auf K o c h-
e r's Rat, zur Verminderung der Ver-
letzung des Nervus laryng. inf. den
Teil der Schilddrüse hinter welchem
die Nebenschilddrüsen liegen, stehen
gelassen hätten — ich sage, Lenz hat
bewiesen, dass, wenn seinen Ziegen die
Schilddrüse exstirpiert wurde und
wenn er nach 6 Wochen anfing, mit der
Milch die Basedowkranken zu füttern,
diese gesund wurden. Das war der
beste Beweis, dass Gift bei diesen Zie-
gen gebildet wurde, welches das andere
Gift, das durch Basedow entsteht,
paralysiert, und auf diesem Prinzip
basiert die serotherapeutische Behand-
lung. Natürlich ist es schwer für den
Chirurgen, der Basedowkranken zu be-
handeln hat, sich erst eine Ziege zu be-
sorgen und ihre Schilddrüse zu exstir-
pieren und dann 6 Wochen zu warten,
um seine Kranken 4 Wochen lang
mit der Milch zu füttern. In euro-
päischen Universitäts - Städten steht
Assistenz zu Gebote, um das schnell
und richtig zu besorgen. Hier in New
York würde das mit grosser Schwierig-
keit verbunden sein. Deshalb ist es
mit grosser Freude zu begrüssen. dass
Möbius die M e r c k'sche Fabrik da-
zu brachte, sein Serum in den Handel
zu bringen. Ich habe vor einiger Zeit
zwei solcher Patienten behandelt und
habe damals mit dem einfachen M ö-
b i u s'schen Serum gute Erfolge ge-
sehen. Das will nicht viel sagen, zwei
Kranke, aber es kommen so schwere
Patienten in chirurgische Behandlung,
dass hier vor allem auf dem Grenzge-
biete stramm gearbeitet werden muss.
Zuerst gehört der Schwerkranke in die
Hände des Internisten, und wenn er
mit der serotherapeutischen Behand-
lung nicht zum Ziel kommt, in die
Hände der Chirurgen. Basedowkranke
werden heute richtig behandelt durch
Serotherapie oder, wenn diese nicht
zum Ziele führt, durch Operation.
Dr. F. Kammerer: Ich möchte
ganz kurz über meine Erfahrung spre-
chen. Ich habe ein geringes Material,
nur 8 Fälle, und möchte nur auf die
Todesfälle zu sprechen kommen, denn
ich habe leider unter diesen 8 Fällen
4 Todesfälle zu beklagen. Es handelte
sich in dem einen Fall um einen sehr
schweren Basedowkranken, bei dem
ich vor 15 Jahren unter dem Einfluss
der R y d y g i e r'schen Publikation
die Unterbindung aller 4 Schilddrüsen-
arterien vornahm. Bei den anderen 3
Fällen habe ich partielle Exstirpation
gemacht. Alle diese Fälle gingen un-
ter den Erscheinungen einer akuter
Vergiftung in 12 — 15 Stunden zu
Grunde. Den letzten Fall verlor ich
leider erst vor 4 Wochen. - Es han-
delte sich allerdings um einen schwe-
ren Basedow. Die Pulsfrequenz war
bei absoluter Ruhe zirka 110, steigerte
sich bei leichter Erregung jedoch auf
140 — 160. Die Struma selbst war
äusserst gefässreich und änderte häufig
ihr Volumen. Patient war in der Er-
nährung ziemlich heruntergekommen,
hatte jedoch keine Herzhypertrophie.
Er litt an einem Symptom, das Dr.
K a u f m a n n besonders hervorgeho-
ben hat, nämlich an unstillbarer Diar-
rhoe. Ich habe mir lange überlegt, wie
ich bei diesem Patienten vorgehen sollte,
ob ich nur die beiden Thyreoideae einer
Seite unterbinden oder die Hälfte der
Schilddrüse herausnehmen sollte. Ich
entschloss mich zu dem letzteren Ver-
fahren. Die Operation verlief ohne
Zwischenfall und mit massigem Blut-
verlust. Nach der Operation war der
Puls auf 170 gestiegen, der Patient
war zyanotisch. Er erholte sich in 3 —
4 Stunden fast vollkommen. Der Puls
ging auf 150 herunter, die Herztätig-
keit schien den Bedürfnissen zu ent-
sprechen. Die Cyanose war gewichen,
der Patient sah gut aus, hatte nicht
erbrochen und sich vollkommen von
der Narkose erholt. Nach einigen
Stunden traten wieder Erscheinungen
der Herzinsuffizienz auf. Der Puls
ging ziemlich schnell auf 200 hinauf,
Patient wurde wieder zyanotisch und
ging ziemlich plötzlich an Herzläh-
mung zu Grunde. Aehnlich ging es
mir in den beiden übrigen Fällen. Ei-
nen Fall hatte mir Dr. Meitzer vor
8 Jahren zugeschickt, bei dem ich aus-
ser einer halbseitigen Exstirpation
noch eine teilweise Resektion
286
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
des Testierenden Schilddrüsenlappens
machte. Mir scheint eine genügende
Erklärung für diese Todesfälle nach
Basedow-Operation noch zu fehlen.
Leichte Fälle von Basedow zu ope-
rieren, ist nicht schwer. Sie bieten
kaum grössere Schwierigkeiten dar als
andere Schilddrüsenoperationen, im
Gegenteil sind letztere oft technisch
viel schwieriger, wenn es sich etwa um
Verschiebung der Trachea oder retro-
sternale Entwicklung handelt. Auch
ich habe die Fälle gesehen, die Dr.
Meyer erwähnte : totale Exstirpation
der Schilddrüse, die nicht von Tetanie
gefolgt waren. Ich kann mich im Au-
genblick nur an einen derartiger Fall
erinnern, in dem wir Tetanie als Folge
der Totalexstirpation gesehen haben,
gewiss aus demselben Grunde, den Dr.
Meyer hervorhob, dass wir nämlich
nach Unterbindung der Arterien uns
ganz genau an die Schilddrüsenkapsel
gehalten haben und die Epithelkörper
nicht mit exstirpiert haben.
In den letzten Jahren scheint sich
doch Alles mehr zur chirurgischen Be-
handlung des Basedow zu neigen.
Wenn diese Fälle frisch operiert wer-
den und wenn man, worauf Kocher
so oft hingewiesen hat, eher weniger
von der Schilddrüse entfernt und even-
tuell mehrfach operiert, bis das richtige
Quantum der Drüse zurückbleibt, so
werden Todesfälle selten vorkommen.
Bei schweren Fällen würde ich, als
ersten Eingriff, nie mehr etwas an-
deres als die Unterbindung der beiden
Schilddrüsenarterien einer Seite wa-
gen. Es spielt sich bei der Basedow'-
schen Erkrankung ab, was wir bei der
Behandlung der Appendizitis und der
Gallensteine erlebt haben. Die Chirur-
gen und Internisten haben sich geei-
nigt, schwere Komplikationen wie
Peritonitis und Stein-Einklemmung
im Choledochus wo möglich durch
rechtzeitiges Eingreifen zu vermeiden.
Ebenso wünschenswert, glaube ich,
wäre es, Fälle von Basedow, die ohne
Besserung einer interner Therapie un-
terworfen wurden, recht bald einer
chirurgischen Behandlung zu unter-
ziehen.
Dr. A. R i p p e r g e r : Ich möchte
einige Worte betreffs der Therapie der
B a s e d o w'schen Krankheit hinzufü-
gen. Sie haben heute Abend einen Fall
gesehen, der vom Präsidenten unserer
Gesellschaft vorgestellt wurde und der
mit ausgezeichnetem Erfolg mit Rönt-
genstrahlen behandelt worden war. Der
Fall kann als geheilt angesehen wer-
den. Zahlreiche Berichte in der Literatur
über mit Röntgenstrahlen behandelte
Fälle von Basedow lauten fast sämmt-
lich günstig. Ich habe im Lauf dieses
Jahres Gelegenheit gehabt, 3 Fälle von
Basedow mit Röntgenstrahlen zu be-
handeln, und zwar ebenfalls mit sehr
günstigem Erfolg. Ich will diese Fälle
nur ganz kurz hier berühren. Der
erste Fall bot wenig Bemerkenswertes.
Die Symptome waren mässige. Die
Patientin wurde verhältnismässig nur
kurze Zeit hindurch mit Röntgenstrah-
len behandelt und wurde trotzdem be-
deutend gebessert. Sie brach die Be-
handlung ab, da sie auswärts wohnte
und stets eine grosse Entfernung zu-
rückzulegen hatte, um sich bei mir be-
handeln zu lassen. Der zweite Fall
von sehr schwerem Basedow hatte
mässige Struma, starken Exophthal-
mus, hochgradige Tachykardie und
starken Tremor. Die Patientin hatte
sich nie ohne Begleitung auf die
Strasse gewagt. Durch ausgiebige
Röntgenbehandlung wurde sie voll-
kommen geheilt. Der dritte Fall kam
vor 4 Wochen in meine Behandlung.
Ein junges Mädchen, bis vor einem
Jahr vollkommen gesund und ohne
jegliche Erscheinungen von Basedow,
machte einen L nterleibstyphus durch
und direkt im Anschluss daran mach-
ten sich Erscheinungen von Basedow
bemerkbar. Ich erwähne bloss diese
Tatsache und bin entfernt davon, einen
Zusammenhang zwischen Typhus ab-
dominalis und Basedow herauskon-
struieren zu wollen, obwohl man recht
gut an eine toxische Thyreoiditis den-
ken könnte. Das Mädchen bekam
eine kolossale Struma, enormen Ex-
ophthalmus, hochgradige Tachykardie,
Tremor etc. Die Struma rief durch
Druck auf die Trachea eine so hoch-
gradige Dyspnoe hervor, dass die Chi-
rurgen darin eine Indikation für einen
operativen Eingriff gesehen hätten.
Ich unterwarf die Patientin der Rönt-
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
287
genbehandlung, und schon nach eini-
gen Sitzungen machte sich eine ganz
bedeutende Besserung bemerkbar. Die
Dyspnoe hatte abgenommen, die Ta-
chykardie besserte sich, der Kropf
wurde weich und hat jetzt nach einer
nur einmonatlichen Behandlung mit
Röntgenstrahlen um ungefähr die
Hälfte abgenommen. Ferner besserten
sich die Allgemeinerscheinungen, und
mit der W age konnte ich eine bedeu-
tende Gewichtszunahme konstatieren.
Am langsamsten ging der Exophthal-
mus zurück. Auch bei dem ganz ge-
heilten zweiten Fall besteht noch ein
mässiger Grad von Exophthalmus.
Diese drei Fälle und die Berichte in der
Literatur sind so ermutigend für die
Röntgenbehandlung der ß a s e d o w'-
schen Krankheit, dass ich sagen
möchte, dass die Röntgenbehandlung
die einzig indizierte Behandlung der
B a s e d o w'schen Krankheit ist und
dass jeder Basedowkranke vor irgend
einer anderen Behandlung der Rönt-
genbehandlung unterzogen werden
sollte.
Ich möchte noch eine Bemerkung
betreffs der Technik hinzufügen. Der
Herr Präsident hat erwähnt, dass man
eine intensive Strahlenwirkung anwen-
den müsse, und benützt zur Erzielung
einer solchen ein röhrenförmiges Dia-
phragma. Ich kann nicht einsehen,
wie durch das Diaphragma die Strah-
lenwirkung verstärkt werden soll.
Wenn man bei der Radiographie durch
Anwendung eines Diaphragmas ein
besseres und schärferes Bild bekommt,
so rührt das nicht davon her, dass
durch das Diaphragma eine stärkere
Strahlenwirkung hervorgerufen wird,
sondern die Ursache ist die, dass die
Sekundärstrahlen möglichst ausge-
schlossen werden. Im Gegenteil, wenn
man das Diaphragma wegliesse, hätte
man therapeutisch eine viel stärkere
Wirkung als mit dem Diaphragma, da,
wie wir von den Schädigungen durch
Röntgenstrahlen wissen, den Sekun-
därstrahlen eine bedeutende Aktion
zukommt, wenn sie auch bei der Her-
stellung von Skiagrammen störend
wirken.
Ich wende ebenfalls bei der Behand-
hing mit Röntgenstrahlen ein röhren-
förmiges Diaphragma an, aber nur in
der Absicht, die Strahlenwirkung auf
die zu bestrahlende Partie, hier die
Struma, zu beschränken und eine Ein-
wirkung auf andere Körperteile auszu-
schliessen. Ich bin mit dem Präsiden-
ten darin einig, dass man das röhren-
förmige Diaphragma anwenden soll,
aber nicht zur Erhöhung der Strahlen-
wirkung, da ja, wie erwähnt, das Ge-
genteil hiervon beim Gebrauch des Dia-
phragmas stattfindet, sondern einzig
und allein zum Schutze des Patienten.
Dr. MaxTalmey:Dr. Meitzer
hat bei Besprechung der Physiologie
und Pathologie der Schilddrüse des
Kretinismus und Myoedems öfters Er-
wähnung getan. In dieser Beziehung
dürfte es interessant sein, dass ich i. J.
1893 in meiner Dissertation „Ein Fall
von Zwergwuchs mit Beziehungen
zu Akromegalie, Kretinismus und
Myxoedem" auf gewisse Beziehungen
aufmerksam gemacht habe zwischen
Kretinismus, Myxoedem, Zwergwuchs
und Akromegalie. Ich habe damals
die Vermutung ausgesprochen, dass
der gemeinsame ätiologische Faktor
aller dieser Zustände eine Erkrankung
der Schilddrüse sein dürfte. Es han-
delte sich in meinem Fall um ausge-
sprochenen Zwergwuchs und Andeu-
tungen von Myxoedem. Das Interes-
santeste war, dass auch ausgesprochene
Zeichen von Akromegalie vorhanden
waren. Die Spitzen des Körpers waren
vergrössert. Bei diesem Knaben
konnte keine Schilddrüse gefühlt wer-
den, und ich sprach die Vermutung
aus, dass die Erkrankung der Schild-
drüse der gemeinsame ätiologische
Faktor der gesammten Abnormitäten
sein dürfte. Damals hatte ich noch
keine Gelegenheit gehabt, Fälle von
Akromegalie persönlich zu beobach-
ten. Im Jahre 1898 hatte ich Gelegen-
heit, einen solchen Fall im Montefiore
Home zu beobachten. Es konnte in
diesem Fall auch keine Schilddrüse be-
obachtet werden, wenigstens nicht im
Leben. Ich möchte Herrn Dr. Meit-
zer fragen, ob er irgend welche Be-
ziehungen zwischen Zwergwuchs und
Akromegalie, Kretinismus und Myxoe-
dem beobachtet hat, sodass sie alle auf
Erkrankung der Schilddrüse beruhen.
288
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
Dr. Ruppert: Ich möchte vom
Standpunkte des Rhinologen ein paar
Worte sagen. Im allgemeinen geben
die Rhinologen, veranlasst durch Er-
fahrungen mit der Nasenbehandlung
und sonstige Erscheinungen, die auf
eine Beteiligung des Nervus sympathi-
cus zurückzuführen sind ; z. B. der Ex-
ophthalmus, ferner die Veränderungen
an der äusseren Haut und an ihren Ge-
fässen, der E u 1 e n b u r g-K oche r'-
schen Ansicht den Vorzug, welche das
Primäre in einer Erkrankung der Ner-
ven sieht, sei es einer solchen des gan-
zen Systems ähnlich der Neurasthenie
oder in einer krankhaften Veränderung
der Medulla als Vermittlerin der von
anderen Organen, namentlich auch von
dem Uterus und der Nase, herstam-
menden Reize. Vielleicht geht es da-
bei genau so wie bei Epilepsie : die-
selbe ist sicherlich in der Regel keine
Fernwirkung von der Nase aus, aber
in Ausnahmsfällen wird sie durch en-
donasale Behandlung geheilt. Im Ba-
sedow soll sich diese Reizung auf die
Schilddrüse erstrecken und dort eine
vermehrte oder krankhaft veränderte
Absonderung bewirken, und die damit
eng verbundene Kropfbildung wäre
demnach eine Reflexerscheinung, ver-
mittelt durch die Medulla. Und nicht
nur die Fälle, bei denen durch geeig-
nete Behandlung, durch Beseitigung
der nasalen Störung der Symptomen-
komplex der Basedowkrankheit auf-
tritt, sondern auch jene Fälle, bei
denen derselbe durch endonasale Ein-
griffe zum Schwinden gebracht wurde,
sprechen ohne Zweifel dafür, dass ein
kausaler Zusammenhang zwischen
(diesen beiden Erkrankungen) der Er-
krankung der Nase und der B a s e-
d o w'schen Krankheit, bestehen kann.
Da sich die Fälle mehren, in denen die
Basedowerkrankung durch nasale Be-
handlung günstig beeinflusst wird,
dürfte es sich empfehlen, einen Ver-
such der Heilung auf diesem Wege zu
machen, namentlich in denjenigen Fäl-
len, in welchen die nasale Atmung be-
hindert ist oder in denen Niesen oder
dergleichen Reizerscheinungen einen
Zusammenhang der Erkrankung mit
der Nase vermuten lassen. Selbstver-
ständlich muss die Nasenbehandlung
durch den Nasenbefund begründet
werden.
Dr. J. Hoff mann: Ich möchte
noch einige therapeutische Massnah-
men erwähnen, deren Anführung ich
heute Abend vermisste. Das eine ist
ein Präparat von Merck, das vor
nicht langer Zeit in den Handel ge-
bracht wurde, das Antithyreoidin, das
Serum von schilddrüsenlosen Häm-
meln innerlich genommen. Früher
wandte man ein ähnliches Präparat
subkutan an, es hat aber nichts ge-
nützt.
Ferner möchte ich im Zusammen-
hang mit dem von Dr. Ruppert er-
wähnten Fall bemerken, dass M ö-
b i u s einen Fall aus H a c k's Praxis
berichtet, wo Kauterisation der un-
teren Riechmuschel bei einem löjähri-
gen Mädchen zu einer vollständigen
Heilung führte. Dann hat sich M ö-
bius die gepulverte Schilddrüse eines
Kretins kommen lassen und behauptet,
Erfolg gehabt zu haben. Auch Höhen-
luft und Klimawechsel können zur
Heilung führen.
Endlich möchte ich mich an die Chi-
rurgen wenden und fragen, was sie tun
bei Stimmbandlähmung, die bereits
vor der Operation bestand. Es ist be-
kannt, dass die Lähmungen, die nach
der Operation entstehen, leicht heilen,
aber wenn eine solche vor der Opera-
tion bestanden hat, möchte ich wissen,
was man heute tut. Denn nach K o-
cher und Möebius sind derartige
Fälle durchaus zweifelhaft, besonders
bei sehr später Operation.
Dr. Max Töplitz: Ohne Frage
hat das Klima einen Einfluss auf die
Krankheit. Ich weiss zwei Fälle, die
das beweisen. Ein Kollege, der vor 20
Jahren hier in New York gewohnt hat
und mit dem ich zusammen gearbeitet
habe — ■ an meiner Seite während der
Arbeit steigerte sich sein Puls von 72
auf 130 — verhielt sich absolut
schlecht, wenn er in New York lebte.
Er zog nach Rom, Italien, und befindet
sich dort sehr wohl.
Ein anderer Herr, den ich seit 25
Jahren mit Basedowerkrankung kenne,
kam von Europa hierher und befand
sich sehr schlecht in New York. In
diesem schlechten Zustand ging er
^ew Yorker Medizinische Monatsschrift.
289
nach Los Angeles und lebt dort seit
15 Jahren in verhältnismässig gutem*
Zustand. Das Klima hat sicher einen
Einfluss auf das Verhalten dieser
Krankheit.
Dr. S. J. Meitzer (Schlusswort) :
Die Frage des Herrn Dr. T a 1 m e y
möchte ich dahin beantworten, dass in
der Literatur Angaben vorhanden sind
über Beziehungen zwischen Schild-
drüse und Akromegalie, und zwar so-
wohl experimentelle wie kasuistische.
Die Beziehungen zwischen Hypo-
physe und Schilddrüse sollen da eine
Rolle spielen. Ich habe mich aber
darauf beschränkt, hier nur jene Tat-
sachen zu berichten , die, wie ich glaube,
absolut gesichert sind. Ich möchte fer-
ner auch ein Wort über den wissen-
schaftlichen Wert der Antithyreoidin-,
Rodagen- und dergleichen Behandlung
sagen. Die Literatur enthält kasuis-
tische Angaben für und dagegen, mehr
dagegen als dafür. Die meisten be-
kannten Kliniker haben sich ablehnend
ausgesprochen.
Dann möchte ich noch mit einigen
Worten auf die Behandlungsmethode
von Rogers und B cebe eingehen.
Sie spritzen beim Basedow ein Serum
ein, welches von Tieren herrührt,
denen von Basedow-Kröpfen berei-
tetes reines Nukleoproteid eingespritzt
wurde. Ich habe seiner Zeit in Wash-
ington (Mai 1906) in der Diskussion
über Beeb e's Vortrag bereits darauf
hingewiesen, dass B e e b e für sein
Vorgehen durchaus keine wissen-
schaftliche Unterlage besitzt. Auf
Grund seiner ursprünglichen Versuche
mit Organ-Nukleoproteiden müsste er
erwarten, dass solche Einspritzungen
zu Nekrose der Schilddrüse und Tod
des Tieres führen müsste, nicht aber
zur Heilung. Uebrigens sind auch
seine ersten Resultate nachträglich
von P e a r c e bestritten worden. Die
Methode müsste im besten Falle nur
als eine empirische und nicht als eine
wissenschaftliche Errungenschaft an-
gesehen werden.
Therapeutisch scheint aus den ex-
perimentellen Angaben in der Litera-
tur eine Sache fest zu stehen, nämlich
dass nicht bloss für Myxoedem, son-
dern auch für Basedow und Tetanie
eine Fleischnahrung schädlich und
Milchnahrung nützlich ist. Bekannt-
lich wird die B a s e d o w'sche Krank-
heit schon seit vielen Jahren von man-
chen Aerzten mit einer exklusiven
Milchdiät behandelt.
Ich möchte auch mit ein paar Wor-
ten auf die Beobachtungen zurück-
kommen, welche Herr Dr. K a m-
merer erwähnt hat. Der rasche,
tödliche Verlauf mit Fieber und unge-
wöhnlich frequentem Puls ist eine sehr
auffällige Erscheinung. In der Litera-
tur findet sich sehr wenig Diskussion
über die Natur und Ursache dieses
Verlaufes, obschon die Erfahrungen
nicht vereinzelt da stehen. Albert
Kocher hat in seinem jüngst ge-
haltenen Vortrag in Atlantic City die
Bemerkung gemacht, dass die betref-
fenden Zufälle wohl durch Blutresorp-
tion zu Stande kommen. Diese Er-
klärung befriedigt nicht, da doch oft
genug viel Blut resorbiert wird, ohne
dass der ( Organismus mit ähnlichen
Symptomen darauf reagiert. Eine an-
dere Erklärung besagt, dass der akute
Zrstand durch eine Ueberschwem-
cnv.ug des Organismus mit viel Schild-
drüsensaft hervorgerufen wird verur-
sacht durch das viele Manipulieren der
Schilddrüse. Auch diese Erklärung ist
keine recht befriedigende. Ich glaube,
dass das auffällige Phänomen durch
Bedingungen hervorgerufen wird, die
wir jetzt wahrscheinlich noch gar nicht
kennen.
Dr. H e r m a n n Fis che r(Schluss-
wort ) : Ich möchte die Frage von Dr.
H o f f m a n n beantworten : Die
Stimmbänderlähmung, die nach der
Operation entsteht, ist meist die
Schuld, des Chirurgen. Die Heilung
dieser Stimmbänderlähmung ist sehr
selten, während die Heilung der Läh-
mung, die vor der Operation besteht,
lediglich durch Druck verursacht, nach
der ( Operation besser wird.
Die Abstimmung hat die Aufnahme
des Herrn Dr. G e o. F. S l r a u b erge-
ben und erklärt der Präsident densel-
ben als regelrecht erwähltes Mitglied.
Vorschläge zur Mitgliederschaft:
Dr. S i g m u n d Deuts c h und Dr.
Adolph Baron von Dr. H.
| Fischer, Dr. C. F. Laase von Dr.
2QO
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
Theobald, Dr. G 1 o g a n von Dr.
C. Pf ister.
Es werden folgende Nominationen
für Beamten für das Jahr 1908 ge-
macht :
Zum Präsidenten : Dr. Carl Beck.
Zum Vize-Präsidenten : Dr. G.
Manheimer, Dr. C. P f i s t e r.
Zum protokollierenden Sekretär:
Dr. J. A. Beuermann, Dr. J.
Heckmann.
Zum stellvertretenden Protokolllier-
enden Sekretär : Dr. A. Ripperger,
Dr. M. H e i m a n n.
Zum korrespondierenden Sekretär:
•Dr. H. Fischer.
Zum Schatzmeister: Dr. S. Brei-
tenfeld.
Aufnahme - Komitee : Dr. J. W.
Gl ei ts mann, Dr. H. J. B o 1 d t,
Dr. H. G. Krause, Dr. F. T o r e k,
Dr. C. v. Ramdoh r, Dr. L. Ewald,
Dr. J. H o f f m a n n, Dr. W. Meyer
(lehnt ab).
Hierauf Schluss und Vertagung.
Dr. John A. Beuermann,
Prot. Sekretär.
Therapeutische und
— Kollargol bei Gonorrhöe. Gans in
Philadelphia berichtet über 132 Fälle von aku-
ter Gonorrhöe, die er mit Instillationen der
5%igen Kollargollösung behandelt hat. Statt
wässeriger Lösungen verwandte er solche in
Mucilago med. Sassafras, denen er grössere
Reizlosigkeit und intensivere Wirkung zu-
schreibt. Mit dieser Lösung machte er vier-
mal täglich Instillationen und begann damit
schon am ersten Tag der Behandlung, ausser
in Fällen von hochgradigen Entzündungser-
scheinungen mit Blutungen (sog. russischer
Tripper). Die instillierte Flüssigkeit wurde
klinische Notizen.
durch seitliche Kompression der Urethra fünf
Minuten zurückgehalten. Bei dauernder Trü-
bung des Urins, falls diese nicht auf Phos-
phate und Urate zurückzuführen war, ging
Verfasser mit der Konzentration etwas her-
unter. Seine Erfahrungen mit dieser Behand-
lung sind folgende: Subjektive Reizsymptome
wurden nie beobachtet; Epididymitis trat in
keinem einzigen Fall, Urethritis post. sehr
selten auf. Die Majorität der Fälle nahm
einen rascheren Verlauf. (Medical Bulletin,
1907, Nr. 2.)
Kleine Mitteilungen.
— Klinische Gesellschaft des deutschen Ho-
spitals und Dispensarys der Stadt New York.
Zweck dieser Gesellschaft, die am 13. Dezem-
ber in das Leben gerufen wurde, ist die bes-
sere wissenschaftliche Ausnutzung des klini-
schen Materials im Deutschen Hospital und
Dispensary sowie die Wiedererweckung des
Interesses der ehemaligen Graduierten des
Hospitals für diese Anstalt. Ferner sollen da-
durch die wissenschaftlichen Bestrebungen der
jüngeren Aerzte gefördert und engere kol-
legiale Beziehungen zwischen den Aerzten des
Hospitals und des Dispensarys angebahnt wer-
den. Berechtigt zur Mitgliedschaft sind alle
Aerzte des Hospitals und Dispensarys, die
Hausärzte des Hospitals sowie die der Alumni
Association angehörigen früheren Hausärzte.
Die Sitzungen der Gesellschaft finden jeden
zweiten Freitag im Monat, die Monate Juni
bis September ausgenommen, in der Kracko-
wizer Halle des Dispensarys statt. Die klini-
sche Arbeit der Gesellschaft soll hauptsächlich
im Vorstellen und Besprechen klinischer und
pathologischer Fälle sowie in der Bekanntgabe
experimenteller Forschungsresultate bestehen.
Formelle Vorträge sind möglichst zu vermei-
den. Bei den Sitzungen darf sowohl english
wie deutsch gesprochen werden.
)Scw Yorker
JVlecUzimscbe JVIonatsscbnft
Offizielles Org-an der
DetitfdKn medizinifdicti Gefelircbaftett der Städte Tim Vor*,
Chicago, Clewland und San Trancisco.
Redigiert von Dr. A. Ripperger.
Bd. XIX. New York, Januar, 1908. No. 10.
Originalarbeiten.
Ueber Psychotherapie.*
Von Dr. med. B. Onuf (Onufrowicz), New York.
Die Wechselbeziehungen zwischen
Psyche und Körper, die Abhängigkeit
der Integrität der Funktion des einen
von der der anderen und vice versa, ist
eine längst gemachte Erfahrung, deren
Anerkennung sich wohl schon in dem
alten lateinischen Motto „Sit mens sana
in corpore sano" ausdrückte. Trotzdem
fand lange Zeit dieses gegenseitige Ab-
hängigkeitsverhältnis nicht die richtige
Würdigung unter den Aerzten. Zu
grosses Gewicht wurde auf die direkte
chemische Wirkung von Medikamenten
gelegt und es dauerte lange, bis sich die
Ueberzeugung Bahn brach, dass bei vie-
len Kuren, die der Wirkung von Medika-
menten zugeschrieben wurden, psychi-
sche Momente eine viel wichtigere,
wenn nicht ausschliesslich therapeutische
Rolle spielten. Solche psychische Mo-
mente waren: Einwirkung auf die Ge-
mütsstimmung, Beseitigung schädlicher
psychischer Faktoren, die Autorität und
*) Vortrag, gehalten in der Deutschen med.
Gesellschaft der Stadt New York am 2. De-
zember 1907.
andere persönliche Eigenschaften des
Arztes und dergleichen mehr.
Dieselben Betrachtungen, die sich auf
medikamentöse Behandlung beziehen,
gelten auch mit Bezug auf Elektro- und
Hydrotherapie. Wie ja bei mancher
medikamentösen Applikation direkt che-
misch günstige Beeinflussung unzweifel-
haft stattfindet, so haben auch Elektrizi-
tät und Hydrotherapie als solche ihren
Platz in der Behandlung von Krankhei-
ten. Doch wurde die Wirkung dieser
Agentien mancherseits sehr überschätzt.
Die erzielten Erfolge wurden oft bei-
nahe ausschliesslich der Anwendung die-
ser Mittel zugeschrieben. Eine solch
einseitige Deutung erweckte berechtig-
terweise bei nüchtern denkenden Aerz-
ten gerechte Zweifel. So entstand denn
eine starke Reaktion, besonders gegen
Elektrotherapie, die dann vielleicht wie-
der zu weit ging d. h., es wurde dann,
hauptsächlich von Neurologen, vielleicht
dem psychischen Faktor dieser Behand-
lungsweise mit fast vollkommener Ver-
neinung der direkten Wirkung zu grosse
Rechnung geträgen.
292
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
Die erwähnte Reaktion wurde in
hohem Grade befördert durch die Ent-
deckung oder Wiederentdeckung der
Phänomene des Hypnotismus. Die Er-
kennung dieser Phänomene bewirkte ei-
nen bedeutenden Umschwung in der
Auffassungsweise mancher klinischen
Erscheinungen und mancher früher er-
zielten Heilresultate. Vieles Unver-
ständliche wurde jetzt begreiflich. Die
L i e b a u 1 1 — B ernhei m'sche Schule
demonstrierte die Suggestion als den po-
tenten Faktor des Hypnotismus und er-
wies, dass Hypnotismus quasi ein physio-
logisches Phänomen und nicht der Aus-
druck eines krankhaften Zustandes, vor-
züglich der Hysterie sei, wie die Pariser
Schule (Charcot) gelehrt hatte.
Trotzdem wurde aber die Aehnlichkeit
der hypnotischen Erscheinungen mit
denen der Hysterie erkannt, und die Auf-
fassungsweise letzterer Krankheit wurde
dadurch bedeutend gefördert.
Die grossen Hoffnungen, welche auf
die Wirkungen des Hypnotismus als ei-
ner Heilkraft gebaut wurden, haben sich
nur teilweise verwirklicht. Besonders
bei den Psychosen scheiterten Versuche
therapeutischer Beeinflussung daran,
dass solche Kranke fast durchwegs nicht
in den Zustand der Hypnose gebracht
werden konnten. In anderen Fällen
waren die Erfolge oft nur temporär und
die Kranken wurden so sehr von der
Hypnose abhängig, dass sie für jedes
Uebel, das sie befiel, zum Arzt gehen
mussten, um sich dasselbe weghypnotisie-
ren zu lassen. Es machte sich denn bald
das Bedürfnis geltend, die Vorteile, wel-
che die hypnotische Behandlung bot, in
mehr wissenschaftlicher Weise zu ver-
wenden, d. h., auf psychologischer
Grundlage zu arbeiten. In automatischer
Weise alles anzusuggerieren, was .fehlte,
oder wegzusuggerieren, was nicht da sein
sollte, wurde dem wissenschaftlich Den-
kenden bald zuwider. Ein tieferes Ver-
ständnis der psychischen Prozesse schien
für rationelle phychische Beeinflussung
unerlässlich. So begannen denn mehrere
Autoren, vorzüglich aber Breuer und
F r e u d, J a n e t und andere, die psychi-
schen Vorgänge bei bestimmten Psycho-
sen, besonders der Hysterie, einem ein-
gehenden Studium zu unterwerfen, und
Breuer und Freudf) kamen auf
diese Weise auf eine neue Behandlungs-
methode, welche sie die kathartische Me-
thode nannten und in folgender Weise
beschrieben :
,,Das kathartische Verfahren setzte
voraus, dass der Patient hypnotisierbar
sei, und beruhte auf der Erweiterung des
Bewusstseins, die in der Hypnose ein-
tritt. Es setzte sich die Beseitigung der
Krankheitssymptome zum Ziele und er-
reichte dies, indem es den Patienten sich
in den psychischen Zustand zurückver-
setzen liess, in welchem das Symptom
zum ersten Male aufgetreten war. Es
tauchten dann bei dem hypnotisierten
Kranken Erinnerungen, Gedanken und
Impulse auf, die in seinem Bewusstsein
bisher ausgefallen waren, und wenn er
diese seine seelischen Vorgänge unter in-
tensiven Affektäusserungen dem Arzte
mitgeteilt hatte, war das Symptom über-
wunden, die Wiederkehr desselben auf-
gehoben. Diese regelmässig zu wieder-
holende Erfahrung erläuterten die bei-
den Autoren in ihrer gemeinsamen Ar-
beit dahin, dass das Symptom an Stelle
von unterdrückten und nicht zum Be-
wusstsein gelangten psychischen Vor-
gängen stehe, also eine Umwandlung
(.Konversion') der letzteren darstelle.
Die therapeutische Wirksamkeit ihres
Verfahrens erklärten sie sich aus der Ab-
fuhr des bis dahin gleichsam .einge-
klemmten' Affektes, der an den unter-
drückten seelischen Aktionen gehaftet
hatte (.Abreagieren'). Das einfache
Schema des therapeutischen Eingriffs
komplizierte sich aber nahezu alle Male,
indem sich zeigte, dass nicht ein einzel-
ner (.traumatischer') Eindruck, sondern
meist eine schwer zu übersehende Reihe
t) Zitiert von S i g m. Freud: Sammlung
kleiner Schriften zur Neurosenlehre aus den
Jahren 1893 — 1906, pp. 218/219. (Die Freud'-
sche psycho-analytische Methode.)
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
293
von solchen an der Entstehung des
Symptoms beteiligt sei.
Der Hauptcharakter der kathartischen
Methode, der sie in Gegensatz zu allen
anderen Verfahren der Psychotherapie
setzt, liegt also darin, dass bei ihr die
therapeutische Wirkung nicht einem
suggestiven Verbot des Arztes übertra-
gen wird. Sie erwartet vielmehr, dass
die Symptome von selbst verschwinden
werden, wenn es dem Eingriff, der sich
auf gewisse Voraussetzungen über den
psychischen Mechanismus beruft, ge-
lungen ist, seelische Vorgänge zu einem
anderen als dem bisherigen Verlauf zu
bringen, der in die Symptombildung ein-
gemündet hat."
Mit dieser Methode wurde ein bedeu-
tender Schritt vorwärts gewonnen ; der
Hypnotismus fand dadurch eine genug-
tuendere, rationellere Verwertung. Zu
vergessen ist auch nicht, dass das Stu-
dium der Phänomene des Hypnotismus
selbst reichlich zum Verständnis der psy-
chologischen Vorgänge bei der norma-
len sowohl als erkrankten Psyche bei-
trug. Doch stellten sich trotz der ge-
wonnenen Fortschritte der therapeuti-
schen Anwendung der Hypnose wichtige
Gründe entgegen. Viele Aerzte hatten
vor allem einen grossen Widerwillen da-
gegen, sich dadurch blosszustellen, dass
ihnen Versuche, den hypnotischen Schlaf
oder gewisse Suggestionen herbeizufüh-
ren, misslangen. Einem Patienten zu sa-
gen, ,,so, jetzt können Sie den Arm nicht
mehr bewegen, er ist wie festgenagelt",
und ihn dann in kräftiger Weise damit
herumfuchteln zu sehen, ist eine ziemlich
peinliche Situation, und häufige Wieder-
holung solcher Begebenheiten nimmt
dem betreffenden Arzte bald das für er-
folgreiche Durchführung der Hvpnose
unerlässliche Vertrauen und lässt ihn vor
dem Patienten in einem komischen
Lichte erscheinen und bedeutend an sei-
ner Autorität einbüssen. So habe ich
denn manchen Kollegen auf Grund sol-
cher Erfahrung der Hypnose Valet sa-
gen gesehen. Ausserdem fürchten sich
manche Patienten, sich sozusagen dem
Arzt quasi mit Leib und Seele in die
Hand zu geben, ihm eventuell ungewoll-
ter und unbewusster Weise Geheimnisse
anzuvertrauen, die er für sich behalten
möchte, etc. Um letzterem Umstand ab-
zuhelfen, wurde vielerseits die hypnoti-
sche Suggestion durch die Wachsugges-
tion ersetzt.
Mit Recht macht übrigens D u b o i s
auf die Nachteile der therapeutischen
Verwendung selbst der Wachsuggestion
aufmerksam. Er betont, dass die Sug-
gestibilität ein Fehler sei und dass das
Individuum, welches die Integrität seines
gesunden Menschenverstandes erhalten
und sich seine geistige Gesundheit zu-
sichern wolle, jeden Augenblick an seine
Vernunft appellieren und seine Mentali-
tät überwachen müsse. Er werde viel-
leicht dadurch den geringen Vorteil ver-
lieren, eines Tagen durch die Prozedur
der Hypnose geheilt werden zu können,
aber denjenigen gewinnen, seinen natür-
lichen Autosuggestionen zu entwischen.
Bekannt sei aber, dass es besser ist,
Krankheiten vorzubeugen, als sie zu hei-
len.
D u b o i s' Behandlugsmethode, auf
dem ausgesprochenen Grundsatze fus-
send, ist daher vorzüglich eine der mo-
ralischen Erziehung und Ueberredung,
gewissermassen eine moralische Hygiene
und Orthopädie.
Die Zustände, welche dieser Behand-
lung zugänglich sind, sind die Psycho-
neurosen, zu denen ja die Neurasthenie,
Hysterie und verwandte Zustände zäh-
len; unter anderen auch gewisse Depres-
sionszustände. Grosses Gewicht legt
D u b o i s darauf, den Patient schonen-
derweise auf die Natur seines Uebels
aufmerksam zu machen, was mit gros-
sem Takt geschehen muss. Patienten
werden durch die Versicherung, dass
ihre Krankheit auf Einbildung beruht,
sehr verletzt, und füglich so, denn ihr
Leiden ist für sie nicht eingebildet, son-
dern sehr real. Trotzdem sind sie aber
der Einsicht zugänglich, dass die Vor-
stellung einen gewaltigen Einfluss auf
Entwicklung oder Beibehaltung oder
294
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
Vermehrung ihrer Symptome haben
kann, und diese Einsicht hat oft einen
zauberhaft günstigen Einfluss auf den
Verlauf der Krankheit. D u b o i s ver-
nachlässigt aber nicht, auch die Patien-
ten auf die normalen psychologischen
Vorgänge und die Bedingungen, unter
denen diese stattfinden, aufmerksam zu
machen, um ihnen zu zeigen, nach wel-
cher Richtung sie sich verfehlen.
Wir sehen hier also eine vollkommene
Verzichtleistung auf Behandlung durch
Hypnose und Anwendung einer rationel-
len moralischen und psychischen Be-
handlung, basierend auf einem Studium
der Funktionen des Nervensystems im
allgemeinen und deren Beziehung zur
Psyche.
Nur unter Kenntnis dieser Vorgänge
kann eine richtige psychische Hygiene
und Orthopaedie erzielt werden.
Lassen Sie uns hier ein Beispiel wäh-
len, das der habituellen Konstipation.
Wie oft wird dem Neurotiker, der die-
sem Uebel so häufig unterworfen ist, an-
geordnet, sich viel Bewegung zu ver-
schaffen. Sorgfältige Beobachtung lehrt
aber, wie unwirksam oder manchmal ge-
radezu schädlich so eine Vorschrift sein
kann, wenn sie nicht in richtigem Sinne
gefasst ist. Die Bewegung an sich, sei
es Spazierengehen oder Gymnastik oder
Radfahren oder Kegeln etc., ist für die
Reparation der gestörten Darmfunktion,
wie sie sich bei der habituellen Konstipa«
tion vorfindet, durchaus nicht förderlich.
In den Fällen, in denen dieselbe von
Nutzen ist, ist der Nutzen nicht durch
die Bewegung selbst hervorgerufen, son-
dern durch die Relaxation der geistigen
Tätigkeit, die mit der betreffenden Lei-
besübung verbunden ist. Findet diese
psychische Relaxation dabei nicht statt,
so ist alle Bewegung umsonst. Die
Darmfunktion nimmt sozusagen ein be-
stimmtes Quantum Psyche für sich in
Anspruch und muss leiden, wenn sie das-
selbe nicht erhält. Ist die Psyche, zum
Ausschluss alles anderen, von einem ge-
wissen Gedankenkreis eingenommen, so
bleibt gewissermassen für den Darm
nichts mehr davon übrig.
In solchen Fällen kann Bewegung ge-
radezu schädlich sein ; der Patient
braucht dann, im Gegenteil, zeitweise
volle körperliche und psychische Rube.
Eine halbe Stunde auf dem Sofa liegen,
wird ihm viel mehr nützen als ein langer
Spaziergang oder andere Körperübung.
Eine interessante Bestätigung in ge-
wissem Sinne finden obige Ausführun-
gen in den von Dr. Joseph Merz-
bach:!:) angestellten Untersuchungen.
Dieser Autor zog bei 233 Briefträgern,
243 Schutzleuten und 102 Bureaubeam-
ten, also einem Material von Beamten
mit exzessiver, mässiger und geringer
Körperbewegung, Erkundigungen ein
über den Stuhlgang und kam zu folgen-
den, allerdings mit einer gewissen Re-
serve gestellten Schlüssen : „Rube und
gewohnheitsmässige Bewegung, aber
nicht exzessive Bewegung, sind in ihren
funktionellen Resultaten gleichwertig.
Starke Bewegung hat allerdings einen
die Darmfunktion beeinflussenden Fak-
tor, der aber seine Wirkung bei weitem
häufiger in einer hemmenden als anre-
genden Wirkung ausübt. Ruhe wirkt
am allerwenigsten fd. h. im geringsten
Prozentsatze) günstig, aber auch bei
weitem weniger ungünstig als die mäs-
sige und exzessive Bewegung".
Von grosser Wichtigkeit ist auch das
Verhalten beim Stuhlgang selbst. Der
Darm nimmt auch hier behufs richtiger
Funktion einen bestimmten Anteil der
Psyche in Anspruch. Der Stuhlgang ist
aber nur zum geringen Teil ein Willens-
akt, sondern wird zum grösseren Teil
durch die vom Willen nicht beeinfluss-
bare Darmbewegung hervorgerufen.
Pressbewegungen, wenn nicht im richti-
gen Momente erfolgend, sind daher
nicht nur erfolglos, sondern, weil sie ent-
mutigend wirken, geradezu dem Resultat
t) Der Einfluss der Körperbewegung auf die
Darmfunktion. Archiv für Verdauungskrank-
heiten. Bd. XI, Heft 6.
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
295
hinderlich. Die Rolle der Psyche muss
sich dagegen darin äussern, dass man
den Darmreizen sozusagen Gehör
schenkt, indem man denselben nachgibt.
Dies geschieht nun hauptsächlich durch
Relaxation des Sphinkters, welche in sol-
chem Fall stets einen Abgang von Gasen
zur Folge hat und dadurch weitere Be-
wegung der Fökalmasse begünstigt. Auf
diese Weise unterstützt das Bewusstsein
indirekt die peristaltische Bewegung des
Darms, die es direkt nicht beeinflussen
kann. Der Kranke braucht deshalb auch
durchaus nicht entmutigt zu sein, wenn
bloss Gasabgang und keine Defäkation
erfolgt ; denn die Bewegung der Fäkal-
massen ist trotzdem dadurch befördert
worden und beim nächsten Versuch wird
auch der Stuhlgang selbst folgen, beson-
ders wenn der Patient, wie ich meistens
empfehle, zweimal täglich Darmentleer-
ung versucht. Lässt man sich beim
Stuhlgang keine Muse und schenkt den
Darmreizen keine Beachtung, . weil der
Kopf mit anderen Sachen beschäftigt
und man bemüht ist, schnell fertig zu
werden, so fallen in erster Linie die ge-
nannten Darmreize oft aus, oder viel-
mehr, sie werden durch die Ueberwältig-
ung des anderen Bewusstseininhalts
psychisch unterdrückt, und zweitens ist
die Aufmerksamkeit zu sehr abgelenkt,
um richtig darauf zu reagieren, und so
bleibt die Wirkung aus.
Es ist hiemit der Gegenstand der ha-
bituellen Konstipation nicht erschöpft.
Meine Absicht war nur, die Wichtigkeit
des psychischen Faktors bei Behandlung
solcher Zustände zu betonen und zum
Schluss auf die glänzenden Resultate
aufmerksam zu machen, die in vielen
Fällen durch solche rein psychische Be-
handlung zu erzielen sind, wovon D u-
b o i s' Erfahrung besonders beredtes
Zeugnis ablegt.
Wählen wir ein anderes Beispiel, Stö-
rung des Schlafes. Diesem Uebel sind
viele Neurotiker unterworfen, und um es
richtig zu behandeln, ist ein genaues Stu-
dium der Bedingungen erforderlich, die
zur Störung geführt haben, wie auch an-
derseits Kenntnis der Physiologie des
normalen Schlafes. Manche Kranke fin-
den deshalb den Schlaf nicht, weil sie
durchaus schlafen wollen. Da aber der
Schlaf normalerweise kein Willensakt
ist, so erzielen sie damit gerade das Ge-
genteil, d. h., sie finden den Schlaf nicht.
Nur wenigen Leuten ist es, wie Napo-
leon I. möglich, sich zu sagen, ich muss
schlafen, ergo werde ich schlafen. Wie
D u b o i s dies so hübsch ausdrückt und
seinen Patienten als Verhaltungsregel
vorlegt, verhält es sich mit dem Schlafe
wie mit einer Taube. Sie kommt zu ei-
nem, wenn man sich das Ansehen gibt,
sie nicht herbeizulocken. Sie flieht, so-
bald man versucht, sie zu erwischen. So
finden viele Patienten dadurch ihren
Schlaf wieder, dass sie sich mit der Idee
trösten, eventuell ohne Schlaf auszukom-
men.
Beispiele solcher Art Hessen sich in
beliebiger Anzahl beibringen, es würde
aber zu weit führen, sich darüber auszu-
breiten.
Doch möchte ich über eine Erschein-
ung, die bei Neurotikern von besonderer
Wichtigkeit ist, einige Worte sagen ; ich
meine die Ermüdung. Physiologischer-
weise wird es passend sein, in der Er-
müdung quasi 3 Momente oder Stufen
zu unterscheiden, die wohl wahrschein-
lich auch evolutioneil, d. h. vom L a-
marck-Darwi n'schen Standpunkt
begründet sind. Die niedrigste Stufe der
Ermüdung ist wohl die Muskelermü-
dung. Dieselbe findet statt, wenn der
Muskel infolge Stoffverbrauchs einfach
nicht mehr weiter arbeiten kann. Dies
ist ökonomischerweise wohl die ungün-
stigste Form, da nach vollkommener
Energieerschöpfung Restauration der
Funktion lange Zeit in Anspruch nimmt,
und keine Reserveenergie für unvorher-
gesehene Erfordernisse übrig ist. Die
zweite Entwicklungsstufe ist durch das
Zutreten des Ermüdungsgefühles gege-
ben. Dasselbe stellt eine Schutzvorrich-
tung dar, mittelst deren man veranlasst
wird, die Muskelarbeit einzustellen, be-
vor vollkommene Energieerschöpfung
296
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
stattgefunden hat. Es bleibt also noch
ein Reservevorrat von Muskelenergie für
Notfälle übrig und man ist dadurch
gegen Ueberschreitung der Sicherheits-
schwelle der Arbeit geschützt. Die
dritte Instanz stellt das Gefühl der De-
pression dar, welches hochgradige Er-
müdung hervorruft, die düstere, pessi-
mistische Stimmung, die dann eintritt.
Dieselbe repräsentiert eine noch höhere
Stufe des Schutzes, denn während wir
unter gewissen Bedingungen geneigt
sein möchten, die Warnung, die uns das
Ermüdungsgefühl geben sollte, zu ver-
nachlässigen, hindert uns das Unlustge-
fühl, die Depression, welche auf starke
Ermüdung folgt, an dieser Vernachläs-
sigung. Die so hervorgerufene Willens-
hemmung dient uns zur Warnung gegen
übermässige Ausgabe von Energie. Nun
kommt es allerdings oft vor, dass das
Quantitätsverhältnis zwischen diesen 3
Instanzen gestört ist. So ist beim Neu-
rastheniker und anderen Neurotikern das
Ermüdungsgefühl ungewöhnlich stark ;
er wird sehr leicht müde, und die Ermü-
dung führt bei ihm vielleicht ungewöhn-
lich leicht zur Depression. Andererseits
wird von manchem Neurotiker das Er-
müdungsgefühl durch Stimulation, z. B.
Tabak, unterdrückt, und die zum Schutz
vor Ueberarbeitung notwendige Depres-
sion wird dadurch hinangehalten und
durch Verlust dieser Schutzvorrichtung
kommt es dann zu exzessivem, oft irre-
vokablem Kräfteverbrauch.
Andererseits kann bei Leuten, die sich
hauptsächlich intellektuell beschäftigen,
die durch Ermüdung hervorgerufene
psychische Depression sich hypertro-
phisch entwickeln, ganz ausser Propor-
tion mit der wirklichen Ermüdung. Ein
solches Missverhältnis mag wohl die
Grundlage des Pessimismus bilden.
Es ist ferner zu betonen, dass die leicht
ermüdbaren Neurotiker gewöhnlich auch
gemütlich sehr erregbar sind, und da
Emotion einen sehr mächtigen ätiologi-
schen Faktor psychischer Ermüdung dar-
stellt, finden wir bei diesen Patienten oft
einen ausgesprochenen Circulus vitiosus.
Nur unter gebührender Berücksichtig-
ung dieser Faktoren können solche
Kranke, hauptsächlich Neurastheniker,
richtig behandelt werden.
Ich möchte Sie nun auf gewisse
Symptomenkomplexe aufmerksam ma-
chen, bei denen Kenntnis des Zusammen-
hangs gewisser physiologischer Vor-
gänge mit der Psyche ganz besonders
wichtig ist und als Richtschnur für die
Behandlung sich erweist. Manche da-
von hat W. Prince als Associations-
neurosen bezeichnet. Ich gebe Ihnen
hier drei Beispiele und beginne den Be-
richt mit dem folgenden von mir selbst
gesehenen Falle.
Ein junges Mädchen mit ausgespro-
chenen Stigmata der Hysterie hat einen
intensiven Blepharospasmus, extreme
Konvergenz der Augen, Kontraktion
der Pupillen und, wie sich klar ophthal-
moskopisch nachweisen lässe, einen star-
ken Akkomodationskrampf. Diese Symp-
tome einzeln genommen bleiben ganz
unverständlich, zusammengenommen da-
gegen lassen sie sich folgendermassen
erklären. Bei einem hysterischen Mäd-
chen entwickelt sich, auf Grund eines
leichten Refraktionsfehlers (Astigm. und
Myopie), dadurch dass sie Gegenstände,
um sie besser zu sehen, stets näher und
näher bringt, ein habitueller Krampfzu-
stand des Apparates der binokulären
Fixation, Fixation besteht, wie wir wis-
sen, in Konvergenz der Augenachsen,
Akkomodation der Linsen und Kontrak-
tion der Pupillen. Die Kranke hat es
so zur Gewohnheit gemacht, diesen Ap-
parat nur für Nähefixation zu benutzen,
dass sie nicht mehr im stände ist, den-
selben zu erschlaffen ; so spaltet sich
quasi dieser physiologische Apparat von
der Psyche ab und agiert in gewisser
Weise selbstständig. Andererseits ist der
Blepharospasmus sekundär auf dem
Krampf des Apparates der Fixation auf-
gebaut. Er entwickelte sich während ei-
ner temporären Besserung des Fixations-
krampfes. Mit dieser Besserung, d. h.,
mit der Erschlaffung dieses Apparates,
ging eine Erweiterung der Pupille natur-
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
297
gemäss Hand in Hand. Da aber durch
frühere habituelle Verengung der Pupil-
len das Auge nur stets wenig Licht er-
hielt, so wurde durch die nun mit der
Besserung eintretende Erweiterung der
Pupille die Retina lichtscheu und es er-
folgte dann als natürlicher Schutzreflex
ein Zukneifen der Lider, ein ausgespro-
chener Blepharospasmus.
Die Behandlung, die ich in diesem
Falle nicht verfolgen konnte, musste so-
wohl dem Fixationskrampf als dem Ble-
phorospasmus Rechnung tragen. Also
Lähmung der Akkomodation durch
Atropin und Tragen dunkler Gläser zur
Bekämpfung der Lichtscheu ; dann all-
mählige Ersetzung der dunklen Gläser
durch weniger dunkle mit allmähliger
Abnahme der Atropindose, d. h., allmäh-
lige Verminderung der Akkomodations-
lähmung und der Mydriasis. Dabei Er-
klärung des Sachverhaltes der Patientin
gegenüber.
Ein überaus interessanter, hieher ge-
hörender Fall, wurde von J a 11 e t in
klassischer Darstellung vor der Acade-
my of Medicine berichtet. Es handelte
sich gleichfalls um eine ausgesprochene
Hysterie. Dieser Kranken wurden we-
gen gewisser Sehbeschwerden von Prof.
Dufour der eine Nervus opticus
durchschnitten. Trotzdem fuhr die
Kranke fort, Sehstörungen zu haben, die
sie auf das seines Sehnerven beraubte
Auge bezog und die sie für die meiste
Zeit beinahe blind machten, trotzdem das
nicht operierte Auge ganz normal war.
Sorgfältiges Studium überzeugte J a-
n e t, dass die Kranke unter gewissen
Umständen ganz normal, ohne Be-
schwerden sehen konnte, und es zeigte
sich, dass dies jeweilen der Fall war in
Sehakten, die normalerweise nur mit ei-
nem Auge vollzogen werden, also beim
Schauen durch ein Teleskop oder Mi-
kroskop, oder beim Zielen beim Schies-
sen etc. ; dass dagegen beim binokulären
Sehen, das ja beim normalen Menschen
die Norm darstellt, stets jene Störungen
eintrafen, die sie quasi blind machten.
J a n e t schloss daher, dass die
Kranke, trotzdem bei ihr der eine
Sehnerv vollkommen durchschnitten
und atrophiert war, sozusagen nicht
gelernt hatte, nur mit einem Auge
zu sehen, sondern psychisch fort-
fuhr, beide Augen zu gebrauchen, d. h.
sich in irgendwelcher Weise der opti-
schen Zentren beider Augen zu bedienen.
Nachdem diese Ueberzeugung gewonnen
war, war die Behandlung klar vorge-
zeichnet. Die Kranke musste gelehrt
werden, stets monokular zu sehen. Dies
wurde dadurch erreicht, dass vor dem
normalen Auge in einem brillenartigen
Gestell ein einfaches Rohr angebracht
wurde, das quasi die Rolle eines Fern-
rohres übernahm, obwohl es keine Gläser
erhielt. Dies Rohr genügte, sie monoku-
lar und dabei normal sehen zu lassen.
Indem nun das Rohr allmälig kürzer ge-
macht wurde, wurde die Patientin zuletzt
gelehrt, auch ohne Rohr monokular,
d. h., normal zu sehen.
Das richtige Verständnis wurde von
J a n e t erst nach eingehendem Studium
erreicht, und mit Recht musste es ihm
daher komisch erscheinen, als bei seiner
Uebernahme des Falles die Ophthalmo-
logen, die ihn darüber konsultiert hatten,
die Aufforderung an ihn stellten, er möge
die Krankheit wegsuggerieren.
Wäre Janet füher konsultiert wor-
den, so wäre der Kranken die ernste
Operation der Durchschneidung des Seh-
nerven, die ja durchaus keine Besserung
des Leidens erzielte, erspart geblieben.
Ich schliesse hier einen dritten Fall an,,
der von Dr. Mackenzie aus Balti-
more berichtet und von Morton
Prince§) zitiert und als sogenannte
Assoziationsneurose klassifiziert wird.
Der Fall betraf eine Dame, die seit Jah-
ren an heftigen Anfällen von ,,rose cold"
oder Heufieber, begleitet von asthmati-
schen Anfällen, litt. Sehr geringe Ver-
anlassungen, wie z. B. die blosse Anwe-
senheit einer Rose im gleichen Zimmer,
§) Journal of Nervous and Mental Diseases.
(Association Neuroses, etc.) May, 1897, p.
257.
298
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
waren genügend, ausgesprochene An-
fälle dieser Krankheit hervorzurufen.
Dr. M a c k e n z i e, die Natur des
Uebels ahnend, machte nun folgendes
Experiment : Er Hess sich eine ausge-
zeichnet imitierte künstliche Rose herstel-
len. Beim nächsten Besuch der Patien-
tin in seiner Office, nachdem er sich
durch Inspektion der Nasenschleimhaut
überzeugt hatte, dass dieselbe frei von
Koryza war, hielt er plötzlich die bisher
hinter einem Wandschirm versteckte
künstliche Rose vor sie hin. Beinahe so-
fort entwickelte sich ein heftiger Anfall
von Koryza. Ihre Augen füllten sich
mit Thränen, die Konjunktiven injizier-
ten sich, die Puncta lacrymalia begannen
heftig zu jucken, das Gesicht rötete sich,
die Nasenwege wurden obstruiert, die
Stimme wurde heiser und nasal. Hiezu
gesellten sich Niessreiz, tatsächliche Ab-
sonderung von Flüssigkeit aus der Nase,
Gefühl der Beklemmung und leichte Be-
einträchtigung der Atmung. Bei der
Untersuchung zeigten sich die Nasen-
gänge fast vollkommen durch die ge-
schwollenen und geröteten Nasenmu-
scheln verlegt.
Die wahre Natur der Rose wurde spä-
ter der Patientin enthüllt, mit dem Resul-
tat, dass sie bei ihrem nächsten Besuch
das Gesicht in einen Strauss wirklicher
Rosen vergrub, ohne nachteiligen Erfolg.
Dieser Fall ist sehr instruktiv. Es
handelt sich hier um eine Krankheit, die
gewiss jeder für organisch halten würde,
denn alle Anzeichen einer wirklichen ka-
tarrhalischen Erscheinung waren vorhan-
den, und wahrscheinlich war dieselbe ur-
sprünglich durch exogene reizende
Agentien, vielleicht die Pollen einer
Rose, hervorgerufen. Später assozierte
sich aber die Idee der Rose so stark mit
der Aetiologie der Krankheit, dass selbst
der Anblick einer Rose genügend wurde,
das ganze Krankheitsbild zu entfesseln.
Also könnte eine, ursprünglich durch
äusseren Reiz hervorgerufene, Krankheit
nachher durch die psychische Vorstel-
lung ausgelöst werden.
Sie sehen also, meine Herren, in welch
engem Zusammenhang die Psyche selbst
mit organischen Prozessen stehen kann,
und wie wichtig es therapeutisch ist, die-
sen Zusammenhang zu erkennen.
Weiter oben habe ich des sogenannten
kathartischen Verfahrens von Breuer
und Freud Erwähnung getan. Das-
selbe ist jüngstens von Freud zur so-
genannten psychoanalytischen Methode
abgeändert worden. Letztere ist von so
weittragender Bedeutung für die Be-
handlung gewisser Psychoneurosen und
Psychosen, dass eine eingehende Bespre-
chung derselben am Platze ist. Ihre An-
wendung gestaltet sich in folgender
Weise :
Anstatt, wie früher, die Patienten in
Hypnose zu versetzen, beeinflusst er die-
selben im Wachzustande. Er lässt die
Kranken eine bequeme Rückenlage auf
einem Ruhebett einnehmen, während er
selbst, ihrem Anblick entzogen, hinter
ihnen sitzt. Schliessen der Äugen, Be-
rührung der Kranken, alles was an Hyp-
nose mahnen könnte, wird vermieden.
Er lässt sich dann mit den Kranken in
ein Gespräch ein, in welchem die letzteren
die Rolle der Erzähler spielen. „Es wird
ihnen eingeschärft, dass sie beim Erzäh-
len der Krankengeschichte sich in ihren
Mitteilungen gehen lassen, wie man es
etwa in einem Gespräch tut, bei welchem
man aus dem Hundertsten ins Tausend-
ste gerät. Sie müssen alles mitsagen,
was ihnen durch den Kopf geht, auch
wenn sie meinen, es sei unwichtig oder es
gehöre nicht dazu, oder es sei unsinnig.
Mit besonderem Nachdruck aber wird
von ihnen verlangt, dass sie keinen Ge-
danken oder Einfall darum von der Mit-
teilung ausschliessen, weil ihnen diese
Mitteilung beschämend oder peinlich
ist." Freud konstatierte nun bei Neu-
rotikern unter Anwendung dieser Me-
thode regelmässig das Vorhandensein
von Lücken der Erinnerung; und der
Aufforderung, dieselben durch ange-
strengte Arbeit der Aufmerksamkeit aus-
zufüllen, wird ein starker Widerstand ge-
leistet, d. h., die hiezu sich einstellenden
Einfälle werden mit allen Mitteln der
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
299
Kritik zurückgedrängt, bis sie endlich
das direkte Unbehagen verspüren, wenn
die Erinnerung sich wirklich eingestellt
hat.
Freud betrachtet die beseitigten Ein-
fälle als Abkömmlinge der verdrängten
psychischen Gebilde (Gedanken und
Regungen) als Enstellungen derselben
infolge des gegen ihre Reproduktion be-
stehenden Widerstandes. Je grösser der
Widerstand, desto ausgiebiger diese Ent-
stellung.
Die therapeutische Arbeit besteht nun
darin, „von den Einfällen aus zum Ver-
drängten, von den Entstellungen zum
Ensteilten zu gelangen, auf welche
Weise, auch ohne Hypnose, das früher
Unbewusste im Seelenleben dem Be-
wusstsein zugänglich gemacht werden
kann." Zielbestrebung ist, „alle Erin-
nerungslücken auszufüllen, alle rätsel-
haften Effekte des psychischen Lebens
aufzuklären und hiedurch den Fortbe-
stand, ja eine Neubildung des Leidens
unmöglich zu machen." Dies kann aller-
dings in keinem Falle vollkommen er-
reicht werden, jedoch erzielt man in vie-
len Fällen „die praktische Genesung des
Kranken, die Herstellung seiner Leis-
tungs- und Genussfähigkeit."
Zur Erreichung des Zieles ist ein Ver-
ständnis des psychischen Mechanismus,
mittelst dessen sich die Verdrängungen
und Entstellung entwickeln, unvermeid-
lich, und Freud hat durch sorgfältiges
Studium eine besondere Deutungskunst
ausgebildet, deren Grundzüge teilweise
in einer umfangreichen Monographie,
betitelt „Traumdeutung", ausgeführt
sind.
In dieser Deutungskunst liefert der
folgende, von mir gesehene Fall, eine in-
teressante Illustration und zeigt, wie ein-
fach sich in manchen Fällen die Therapie
bei richtigem Verständnis gestalten kann,
wie leicht aber andererseits mangelhaftes
Verständnis die Heilung verzögern oder
vollkommen hintanhalten kann :
Es handelte sich um eine junge Frau,
deren Mann vor sechs Monaten nach
Amerika verreiste und sie mit einer mür-
rischen, wunderlichen alten Mutter zu-
rückliess. Bald nach seiner Abreise, be-
sonders aber in den letzten zwei Mona-
ten, weinte sie viel und war nervös.
Zirka drei Wochen bevor ich die Patien-
tin zum erstenmal sah, reiste sie dem
Manne nach Amerika nach. Auf dem
Schiffe nun wurde ihr Verhalten eigen-
tümlich. In jedem hübschen Manne sah
sie ihren Gatten, änderte aber dann so-
gleich ihre Ansicht, spuckte voll Wider-
willen vor sich hin und sagte, nein, er ist
nicht mein Gatte, ich will meinen wirkli-
chen Gatten. Sie behauptete auch, dass
ein hochwüchsiger Mann sich neben ihr
niedergelegt und verrückt getan hätte.
Bei der Untersuchung, gleich bei ihrer
Ankunft in Amerika, zeigte sie ein
widerstreitendes Verhalten, bald lachend,
bald weinend, in welchem sich aber ein
deutlich erotischer Zug, eine halb verhal-
tene Koketterie geltend machte. Dabei
war sie aber wieder gegen Anfragen
über die Ursache ihres Verhaltens zu-
rückhaltend, ablehnend. Sie äusserte ein-
oder zweimal, sie wäre keine gute Frau.
Oft standen ihre Gemütsäusserungen in
starkem Widerspruche zu ihren Reden.
Man konnte von ihr keine befriedigende
Auskunft über Zeit und Ort, über ihre
neuesten Erlebnisse erhalten ; sie sagte
stets in ablehnender Weise, „ich weiss
nicht", als ob sie nichts drum gebe und
sich nicht bemühen wolle, darüber nach-
zudenken.
Ein hervorstechender Punkt war die
Gleichmütigkeit gegen ihr ca. 3 Monate
altes, an leichtem Durchfall leidendes
Kind, dessen Pflege sie fast ganz der
Mutter überliess.
Sie glaubte jetzt, dass der hochwüch-
sige Mann auf dem Schiffe, von dem sie
früher gesagt hatte, er habe sich neben
sie hingelegt, ein Bruder von ihr sei, von
dem man glaubte, er wäre vor dreizehn
Jahren gestorben. Er gleiche sehr einem
Bilde, das sie von diesem Bruder habe.
Dieser Mann sei sehr nett, sehr nobel und
sehr gut gegen die Kranken auf dem
Schiffe gewesen.
Sie zeigte schon von Anfang an, be-
3oo
New Yorker Medizi
nische Monatsschrift.
sonders aber im weiteren Verlauf, eine
gewisse Angst, die sie oft mit Lachen
und spassenden Bemerkungen maskierte,
die aber stets vorhanden war und zeit-
weise sehr deutlich zum Vorschein kam.
So dachte sie bei einer Gelegenheit, sie
wäre in einem Gefängnis ; sie wisse
nicht, was aus ihr werden solle, sie wisse
nicht, was aus der Mutter und dem Kind
geworden sei (letztere befanden sich im
anliegenden Spital). Sie dachte, ein An-
gestellter wollte sie umbringen, lachend
hinzufügend, er hätte getan, als wollte er
ihr den Kopf abhauen.
Dann wieder glaubte sie, es sei ihr
jemand nach Amerika nachgekommen.
Dieser Jemand war zuerst ein Dr. H.,
den sie vor ihrer Abreise nach Amerika
konsultierte habe und der auf sie böse
sei. weil sie nicht ein zweitesmal zu ihm
gegangen sei. Später kam ihr vor, der
Mann, der als Dr. H. figurierte, wäre
vielleicht gar nicht der Dr. H., sondern
ihr Onkel, welcher die Frau und Kinder
im Stiche gelassen hatte. Er wolle
sie vielleicht vergewaltigen, jedenfalls
fürchte sich sich vor ihm.
Sie machte allerlei Personenverwechs-
lungen. Einen Mann hielt sie für den
Dr. H. ; dann wieder, nachdem er wegge-
gangen war, frug sie, ob er nicht „ihres
Bruders Vater sei". Einen anderen
Mann hielt sie für ihren Verwandten,,
dies damit begründend, dass er ihr das
gesagt habe, während es im Gegenteil sie
selbst war, die das kurz vorher gesagt
hatte.
Psychoanalytische Deutung des Falles.
Abwesenheit des Gatten und der ge-
schlechtlichen Beziehung dienen als Kern
für die Entwicklung einer Psychose mit
erotischem Inhalt und mit einer gewis-
sen Beneblung des Bewusstseins, welches
die durch äussere Sinnesreize empfange-
nen Eindrücke verwischt, das Urteilsver-
mögen schwächt und so den psychoge-
nen Vorstellungen oder Traumphanta-
sien Geltung verschafft und sie als
reell erscheinen lässt. So kommt es zu
allerlei Substitutionen und Personenver-
wechslungen.
Der Anblick schöner Männer erweckt
erotische Gefühle. Gegen das Aufkom-
men dieser protestiert das Gefühl eheli-
cher Treue und der Scham, aber die Un-
möglichkeit sie zu unterdrücken, erweckt
das Bedürfnis, sie quasi zu legitimieren,
indem sie diese Männer oder einen der-
selben für ihren Gatten hält. Das Be-
dürfnis wird in dem Zustand der Be-
neblung des Bewusstsein leicht zum
Glauben. Doch wird dasselbe durch eine
höhere psychische Instanz unterdrückt,
was sich in den unter grosser Abscheu-
bezeugung ausgesprochenen Worten
„nein, er ist nicht mein Mann, ich will
meinen wirklichen Mann" ausdrückt.
Zur Rettung der Situation kommt dann
gewissermassen eine bessere Substitu-
tion zu Hilfe. Der nette, edle, hoch-
wüchsige Mann auf dem Schiffe ist nicht
ihr Gatte, sondern ihr angeblich vor 13
Jahren verstorbener Bruder. Diese Sub-
stitution ist viel besser gerechtfertigt
und rationeller und erlaubt den Aus-
druck von Gefühlen der Zuneigung und
Zärtlichkeit. Das zu Grunde liegende
sexuelle Gefühl findet so einen legitimen,
obwohl nicht genügenden Abfluss.
Die verschiedenen Furchtäusserungen
lassen sich auch am besten auf einer sex-
uellen Basis erklären, nämlich im Gefühl
der (sexuellen) Schuld, welches die quasi
an die illegitime Adresse gerichteten Ge-
fühle, trotz der scheinbar erreichten
Selbsttäuschung, erwecken. Dieses Ge-
fühl des Unrechts äussert sich auch in
ihrer Bemerkung, sie sei keine gute Frau ;
und eine Bestätigung der sexuellen Basis
zeigt sich in der Angst, dass der
schlechte Onkel, der Frau und Kinder
im Stiche liess, gekommen sein möge, um
sie zu vergewaltigen.
Interessant ist die Gruppierung der
Personenverwechslungen um zwei Kern-
punkte, nämlich 1) um den Erotismus,
welch letzterer sich in der Angst sexuel-
ler Verfolgung ausdrückt. Den eroti-
schen Kernpunkt bildet der hochwüch-
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
301
sige Mann, den sie für ihren Bruder
hält. Die anderen verwechselten Per-
sonen sind dann der „Vater ihres Bru-
ders" und der „Bruder ihres Bruders" ;
eigentümliche Ausdrücke, die nur dann
richtige Würdigung finden, wenn man
im Auge behält, dass der Bruder doch
für sie die Rolle des Gatten übernimmt.
Diese Auffassung findet auch daran ihre
Stütze, dass sie diese Verwandtschaften
aus der Aehnlichkeit mit dem hoch-
wüchsigen Manne auf dem Schiffe ab-
leitet.
Die geschlechtliche Verfolgung wird
repräsentiert in dem schlechten Onkel,
der Frau und Kinder im Stiche Hess und
den sie bald in Dr. H., bald in verschie-
denen Leuten ihrer Umgebung zu sehen
glaubt.
Die Richtigkeit der geschilderten Auf-
fassung des Falles findet darin Bestätig-
ung, dass im Verlaufe einiger Besuche
des Gatten das Verhalten der Patientin
sich so besserte, dass eine baldige Ge-
nesung vorauszusehen war.
Es würde Ihre Geduld zu sehr in An-
spruch nehmen, wollte ich alle Zustände
besprechen, die günstig mit der psycho-
analytischen Methode beeinflusst werden
können. Lassen Sie mich nur erwähnen,
dass manche Zwangsvorstellungen und
Phobien, gewisse Hysterien, Angstneuro-
sen und verwandte Zustände erfolgreich
damit behandelt werden können. Aller-
dings sind für Durchführung derselben
gewisse Bedingungen in dem Patienten
erforderlich, wie ein gewisser Grad von
Bildung, Intelligenz und ethischer Ent-
wicklung, die Fähigkeit zu psychischen
Normalzuständen. Die Behandlung
nimmt in manchen Fällen Monate und
selbst Jahre in Anspruch.
Dass die Technik dieser Behandlungs-
weise durchaus keine leichte ist, geht aus
Obigem hervor. Dieselbe setzt bedeu-
tende psychologische, psychiatrische und
neurologische Kenntnis voraus. Unrich-
tige Anwendung kann ebenso unheilvoll
in ihren Folgen sein wie unrichtige An-
wendung der Röntgenstrahlen, obwohl in
anderer Hinsicht. Die Notwendigkeit
der Fachkenntnis gilt auch für die Aus-
wahl der Fälle. Gewisse Krankheiten
des Nervensystems, wie Epilepsie, Cho-
rea, Tabes dorsalis und andere organi-
sche Krankheiten des Rückenmarks und
Gehirns fallen ganz ausserhalb des Be-
reichs dieser Methode. Da dagegen die
Unterscheidung funktioneller Krankhei-
ten, z. B. der Hysterie, von organischen
Krankheiten des Nervensystems oft recht
schwierig ist, zeigt sich die Wichtigkeit
bedeutender Fachkenntnis, da es ja wohl
niemanden einfallen würde, z. B. eine
Hirnsyphilis auf psychoanalytischem
oder überhaupt psycho-therapeutischem
Wege heilen zu wollen.
Der Wirkungskreis der Psychothera-
pie reicht indessen noch weiter, als ich
bisher ausgeführt habe. Sehr interessant
sind die vergleichenden Betrachtungen,
die Dr. Adolph Meyer in dieser Be-
ziehung über die Entstehung der Demen-
tia praecox und andere Psychosen ange-
stellt hat. Sehr füglich vergleicht er ge-
wisse psychiatrische Probleme mit der
Tuberkulosefrage und deutet darauf hin,
dass wie die Tuberkulose jetzt in ihren
Anfängen zu erkennen ist und erfolg-
reich bekämpft wird, es unser Bestreben
sein müsse, Psychosen in ihrer Entwick-
lung, in ihren Anfängen zu studieren.
Auf diese Art werde es vielleicht mög-
lich werden, solche schwere Zustände,
wie die Dementia praecox, durch ent-
sprechende, auf psychologischen Prinzi-
pien aufgebaute Erziehung im Keime
zu ersticken.
Meine Herren, das Thema, welches ich
hier gewählt habe, ist so gross, dass icfi
es unmöglich erschöpfend behandeln
konnte. Ich konnte manchen wichtigen
Punkt nur berühren, und muss Sie um
Nachsicht bitten, trotzdem so viel von
Ihrer Zeit in Anspruch genommen zu
haben. 64 E. 90th St., New York.
302
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
Röntgenographie des Harnapparates.*
Von Dr. Max Reichmann, Chicago.
Gleich nach der Veröffentlichung der
nun historischen drei Mitteilungen
Röntgen's wurde von verschiedenen
Forschern die Durchlässigkeit von Nie-
rensteinen für die Röntgenstrahlen ge-
prüft, und namentlich Kümmel und
Riegel haben Leichenversuche in die-
ser Hinsicht gemacht und ermittelt, dass
in Leichen Oxalate die meisten Strahlen
absorbieren ; ihnen reihen sich die Phos-
phate und Urate an.
In vivo liessen diesbezügliche Unter-
suchungen lange viel zu wünschen übrig.
Man schob die Schuld auf zu grosse
Durchlässigkeit der Steine oder zu ge-
ringe Grösse derselben oder endlich zu
grosse Körperfülle der Patienten.
In Wirklichkeit lag die Schuld der
vielen Miserfolge an der noch wenig aus-
gebildeten Aufnahmetechnik.
Mit der Verbesserung der letzteren,
namentlich mit der Einführung der
Kompressionsblenden durch A 1 b e r s-
Schönberg änderte sich die Sach-
lage mit einem Schlage, sodass Rüm-
pel ( 1903 in seiner Monographie ,,Die
Diagnose der Nierensteine") mit vollem
Rechte folgende Behauptungen aufstellen
konnte :
„Wir haben die LJeberzeugung. dass
jeder Stein, mag er im Nierenbecken, in
den Kelchen oder im Harnleiter stecken,
mag er aus Oxal- oder Harnsäure, aus
phosphorsaurem Kalk oder Cystin be-
stehen, mag er die Grösse einer Erbse
oder die eines korallenartigen Ausgusses
des Nierenbeckens oder der Kelche ha-
ben, mag er endlich von einem schlanken
oder korpulenten Menschen beherbergt
werden, kurz dass jeder Stein auf der
photographischen Platte mittelst Rönt-
genstrahlen dargestellt werden kann un-
*) Nach einem am 21. November 1907 in der
Deutschen Medizinischen Gesellschaft zu Chi-
cago gehaltenen Vortrage.
ter Voraussetzung einer gut durchge-
führten Technik."
Bevor ich auf die seit nun drei Jahren
angewandte und an nahezu 400 Nieren-
untersuchungen von mir erprobte Tech-
nik übergehe, möchte ich einen wichtigen
Umstand hervorheben, nämlich die Vor-
bereitung des Patienten. Da nämlich
Koprolithen und auch weiche Kotballen
häufig Anlass zu groben Täuschungen
geben, ist es absolut notwendig, dass für
eine möglichst gründliche Entleerung
des Darmes Sorge getragen wird. Ich
weise daher die Patienten an, 24 Stunden
nur flüssige Nahrung zu sich zu nehmen
und durch Purgantia und Einläufe für
eine möglichst vollkommene Entleerung
der Därme Sorge zu tragen. Ist das
geschehen, dann wird der Patient ent-
kleidet auf den Untersuchungstisch ge-
legt, so zwar, dass seine Lendengegend
der Tischplatte eng anliegt, w7as man
immer durch Hochlagerung des Ober-
körpers und Beugung der Beine im Knie
erzielen kann, und nun die eigentliche
Untersuchung begonnen. A 1 b e r s-
Schönberg als auch G o c h t geben
in ihren diesbezüglichen Lehrbüchern
noch 1903 an, man solle zunächst ein
LTebersichtsbild vom ganzen Unterleib
machen und dann etwaige verdächtige
Stellen mit der Blende separat unter-
suchen. Seitdem ich mit der Kompres-
sionsblende arbeite, habe ich diese Art
der Untersuchung aufgegeben, erstens
weil man nie kleine und weiche Steine
ohne Blende auf die Platte bringen kann
(durch Leichenversuche erwiesen) und
zweitens sind die grossen Platten sehr
schwer zu handhaben. Ich gehe also so
vor, dass ich zunächst unter eine Niere
zwei auf einander liegende Platten
(Schichtseiten nach oben sehend) unter-
schiebe, das Kompressionsblendenrohr
mit seinem unteren Rand unter den Rip-
penbogen bringe und das Instrument um
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
303
einen Winkel von ca 40° nach den Füs-
sen zu umkippe, so dass ich dann, ohne
auf die Rippen zu drücken, das Rohr
5 — 10 cm tief in den Bauch einpressen
kann. (Das Zwei-Plattensystem hat sich
mir immer trefflich bewährt, erstens habe
ich stets bei etwaigen Plattenfehlern
oder anderen zweifelhaften Schatten
stets ein Vergleichsobjekt bei der Hand,
und zweitens habe ich von jedem Falle
eine Platte zur Verfügung, wenn auch
die andere auf irgend eine Weise abhan-
den gekommen oder zerschlagen worden
ist.)
Nachdem dann die Röntgenröhre auf-
gesetzt und die Platte lege artis beleuch-
tet worden, gehe ich zur Aufnahme des
mittleren Teiles des Ureters über, hier-
auf der Niere und des Harnleiters der
anderen Seite, um endlich mit der Auf-
nahme des Beckenanteiles der Ureteren
und der Blase (auf einer Platte) die Un-
tersuchung abzuschliessen. Auf diese
Weise kann mir absolut kein Konkre-
ment im uropoetischen System entgehen.
Ich habe diese Methode an nun 364
Fällen angewendet, 193 von diesen ge-
statteten eine absolut sichere Röntgen-
diagnose von Nieren- oder Harnleiter-
oder Blasenkonkrementen.
In allen Fällen, die der Operation un-
terworfen wurden, wurde der Stein ge-
funden, ein einziger Fall machte eine
eigentümliche Ausnahme. Er betraf eine
sehr korpulente Frau, die an langan-
dauernder Haematurie und Anfällen von
Nierenkolik litt und bei welcher ein
Röntgennegativ der linken Niere einen
deutlich begrenzten 1 cm hohen zucker-
hutförmigen Schatten auf beiden Platten
ergab. Der hinzugezogene Chirurg, der
nebenbeigesagt sich ziemlich gut auf
das Lesen von Röntgennegativen ver-
steht, zögerte nicht, eine Nephrotomie
vorzunehmen ; dabei wurden einige In-
farkte im Nierenparenchym gefunden,
von einem Steine aber keine Spur. Es
konnte sich, da ein Plattenfehler auszu-
schliessen war, in diesem Falle entweder
um eine verkalkte Drüse oder eine ver-
kalkte Narbe im Parenchym gehandelt
haben, oder die Niere wurde nicht ge-
nügend exploriert.
Von anderen Abnormitäten, die ich
bei meinen Fällen gefunden, will ich er-
wähnen, dass es mir relativ häufig vor-
gekommen ist, dass ich Steine, die in den
Nieren vermutet wurden, im Ureter ge-
funden habe und vice versa, ebenso ver-
füge ich über 2 Fälle, wo Konkremente
in beiden Nieren nachgewiesen wurden,
während die Symptome unilateral waren,
und endlich ist ein Fall zu erwähnen, in
welchem die Symptome auf Steinbildung
in der rechten Niere hinwiesen, während
die Röntgenuntersuchung den Stein in
der linken Niere zeigte.
405 Schiller Building.
Referate und Kritiken.
Sprachliche Einleitung zur 7. Auflage
von Roth's Medizinischem Lexikon.
Die meisten Barbarismen und Neu-
bildungen verdanken den Aerzten des
spätem Mittelalters ihren Ursprung,
Missbildungen sprachlicher Art auch
manchen Spezialisten unserer Zeit, von
denen H y r 1 1 behauptet, dass sie aus-
ser von ihren Erfindern von Niemand
gebraucht würden. Wahr ist, dass mit
der Kenntnis der Gesetze der Sprache
und Wortbildung eine Barbarei, wie sie
A r n o b i u s gemeint (Adversus gentes
lib. I, 59) : „Barbarismis et solecismis
obsitae sunt res vestrae, et vitiorum de-
formitate pollutae", künftig unmöglich
sein wird. Möchte doch dieser unser
schwacher Versuch ein kleines Scherf-
lein hierzu beigebracht haben !
Von den Aerzten neuester Zeit ist be-
sonders kräftig Dr. med. et phil. R.
Kossmann in seinen kritischen Er-
örterungen zur gynäkologischen Nomen-
klatur, Berlin 1896, für die Reinheit und
304
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
Richtigkeit der medizinischen Sprache
eingetreten ; p. VI : „In den letzten
Zeiten hat die zunehmende Wichtigkeit
der internationalen Kongresse uns den
Mangel einer universellen Gelehrtenspra-
che immer lebhafter empfinden lassen
und in den Fachzeitschriften häufen sich
die Klagen darüber, dass wir das La-
teinische allzu voreilig aufgegeben ha-
ben, und die Vorschläge, es wieder zu
einem gemeinsamen Verständigungsmit-
tel zu machen." Dagegen hat Professor
Achilles Rose, Sekretär der Deut-
schen Medizinischen Gesellschaft in New
York, wiederholt das Griechische als all-
gemeine Sprache der Aerzte und Gelehr-
ten überhaupt vorgeschlagen (Die Grie-
chen und ihre Sprache, Leipzig 1899),
eine Frage, die schon 1889 Dr. jur. L.
Kuhlenbeck in einem Sendschreiben
an den geistigen Adel deutscher Nation
behandelt hat (Leipzig, W. Friedrich).
Herr Dr. A. Rose hat uns durch seine
freundlichen Beiträge in den Medical
Notes and Queries, New York, April
1907, seine Greek Terms in Medical Lan-
guage und die Denkschrift über ärztli-
che Kunstsprache, Juli 1907, namhafte
Dienste geleistet. Er schreibt mir fol-
gendes : „Griechisch ist eine alte, logisch
scharf entwickelte und vor allem lebende
und infolgedessen auch weiter entwick-
lungsfähige Sprache ; diese letztere Tat-
sache haben unsere medizinischen No-
menklatoren der Neuzeit nicht berück-
sichtigt, sondern Griechisch als tote
Sprache behandelt, zeitgenössliche wis-
senschaftliche Literatur derselben keines
Blickes gewürdigt, griechische Kollegen
nicht zu Rate gezogen. Neue Worte für
neue Begriffe wurden von ihnen mit
Hilfe des griechischen Schullexikons,
das nur einen Teil der wirklich gespro-
chenen Sprache umfasst, gebildet. Es
wurden Barbarismen in grosser Zahl in
die medizinische Sprache eingeführt und
diese Barbarismen haben viel Verwir-
rung angerichtet. Manche der unwis-
senschaftlichen Neubildungen entspre-
chen nicht den Gesetzen der Orthogra-
phie und Analogie, manchen ursprüng-
lich richtig gewählten Namen ist eine
andere Bedeutung beigelegt worden als
die, welche sie ursprünglich hatten, wie-
der andere sind hybrid-pueril und wieder
andere sind überflüssig. In dieser neuen
Auflage sind unrichtig gebildeten oder
unrichtig gewählten, dem Griechischen
entnommenen Namen richtige, in der
heutigen griechischen Literatur ge-
bräuchliche Benennungen beigefügt wor-
den, und diese Neuerung möge dazu die-
nen, Reform in der ärztlichen Kunst-
sprache anzubehnen." „Jedenfalls," fährt
Kossmann a. a. O. fort, „können wir
für die Bildung unserer pathologischen
und chirurgischen Kunstausdrücke die
griechischen Wortstämme nicht entbeh-
ren. Hat man aber die Feststellung der
griechischen Synonyma für die patholo-
gisch-chirurgischen Bedürfnisse einmal
als notwendig anerkannt, so wird man
sich auch wohl entschliessen, im Interesse
der sprachlichen Richtigkeit und Schön-
heit noch einen kleinen Schritt weiterzu-
gehen und auch für diejenigen hybriden
Termini, bei denen jenes Bedürfnis nicht
gerade vorliegt, reingriechische Syno-
nvma aufzustellen. Mehr und mehr wen-
det sich unser Interesse wieder den zum
Teil sehr wertvollen Schriften der Alten
zu. Demjenigen aber, der sie nicht nur
durchblättert, sondern studiert und lieb-
gewinnt, wird es immer schwerer und
schwerer, neben der klassischen Nomen-
klatur eine pseudoklassische zu ertra-
gen, einen wissenschaftlichen Begriff
mit einem griechisch oder lateinisch klin-
genden Wortungeheuer bezeichnen zu
sollen, während ihm der einfache wirk-
liche griechische Ausdruck dafür bekannt
und geläufig ist."
Wir schliessen mit den Worten des
Meisters der romanischen Sprachforsch-
ung (Dietz, Etvmol. Wörterb., 5.
Aufl., Leipzig 1887, p. VIII) : „Das
Höchste, was der Etymologe erreicht, ist
das Bewusstsein, wissenschaftlich gehan-
delt zu haben."
Als Hilfsmittel für die sprachliche
Einleitung und die Etymologien von
R o t h's Wörterbuch der klin. Termi-
nologie dienten dem Verfasser ausser
den medizinischen Schriftstellern des Al-
tertums (Medicorum graecorum opera
omnia, graece et latine ed. K u e h n,
Lips. 1821-30, 28 vol.) Eclogae physi-
cae ed. J. G. Schneider, Jena 1800,
2 vol. — Physici et medici graeci minores
ed. Ideler, Berol. 1842. 2 vol. die
Glossare zu Hippokrates und Galenos
ed. Klein, Lips. 1865. P o 1 1 ux ono-
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
305
masticon. Hippokrates' Erkennt-
nisse im griechischen Text ausgewählt,
übersetzt und auf die moderne Heil-
kunde bezogen von Theodor Beck,
Jena 1907. H. N. Anke, lexikograph.
Bern, mediz.-philol. Inhaltes (Philol. 32),
die türkische, persische und arabische
Grammatik von Wahr m u n d, die ar-
menische von Huebschmann, die
griech., römische und byzant. Literatur-
geschichte von T e u f f e 1, M u e 1 1 e r-
Heitz, Christ und K r u m b a-
c h e r, Gesch. der Medizin von H i r-
s c h e 1, Sprengel, H a e s e r, Au-
gust Hirsch 1893, die unübertreff-
liche Onomatologia anatomica v. Jps.
Hyrtl (Wien 1880), Eulenbnrg's
Realencvclopaedie der ges. Heilkunde, 3.
Aufl. (Bd. I-XXVI, Berlin und Wien
1894-1901), A. Villaret, Handwör-
terbuch der ges. Medizin (Stuttgart
188, 2. Aufl. 1899, 1900). die griech. und
lat. Grammatiken von G. und L.
Meyer, H a t z i d a k i s, Tluimb,
Kuehner Und Schuchar d t, die
Grundzüge der griech. Etymologie von
G. C u r t i u s, das griech, etymolog.
Wörterbuch von Pape, Prell witz
1902, der deutschen Sprache von
Kluge 1889 und Tetzner, Duden,
Baue r-F r o m a n n 1893, die Lexika
von Y a n i c e k, Zehetmayr, Suhle
um 1 Schneidewin, K u m a n u d e s,
Georges, Woelfelin, Ducange,
Dieffenbach, D i e t z, Koerting,
S a c h s-V i 1-1 a t e, Chambers' Ety-
mological Dictionary of the English Lan-
guage ( London 1884) , Sophokles,
Greek Lexikon of. Byzant. und Rom.
period. und viele Monographien, darun-
ter das dem Studierenden empfehlens-
werte Büchlein von B. Schwalbe,
griech. Elementarbuch, Grundzüge des
Griechischen zur Einführung in die aus
dem Griechischen stammenden Fremd-
wörter (Berlin, Reimer, 1887) und A.
H c m m e. Was muss der Gebildete vom
Griechischen wissen? Leipzig 1900, 2.
Auflage, 1905.
Zum Schlüsse obliegt mir noch die an-
genehme Pflicht, den Herren Dr.
Achilles Rose in New York und
Dr. med. et phil. Basilios Leonar-
dos in Athen meinen verbindlichsten
Dank für ihre wertvollen Ratschläge und
Beiträge auszusprechen.
Dr. Heinrich Zimmerer.
Regensburg, 1908.
Jahresbericht über die Leistungen und
Fortschritte auf dem Gebiete der
Erkrankungen des Urogenitalappa-
rates. Redigiert von Prof. Dr. A.
K o 1 Im a n n und Dr. S. J a c o b y.
II. Jahrgang, Bericht über das Jahr
1906. Verlag von S. Karger, Ber-
lin 1907. 452 S.
Von obigem „Jahresbericht," der,
wie wir früher schon mitgeteilt haben,
sein Entstehen dem leider zu früh ver-
storbenen Max N i t z e verdankt,
liegt nunmehr der 2. Jahrgang vor.
Derselbe ist gegenüber dem ersten
Jahrgang erheblich erweitert, beson-
ders auch dadurch dass Prof. Gmei-
ner in Giessen es übernommen hat,
die auf dem Gebiete der Tiermedizin
in den Jahren 1905 und 1906 erschiene-
nen Publikationen, soweit sie in dem
für den Jahresbericht vorgezeichneten
Rahmen für die Humanmedizin von In-
teresse sind, in einem besonderen Ka-
pitel zu bearbeiten. Neu hinzugekom-
men ist ausserdem ein Abschnitt für
Bücherbesprechungen. Die Anordnung
des Stoffes ist im Grossen und Ganzen
die gleiche geblieben.
Die tierischen Parasiten des Menschen.
Ein Handbuch für Studierende und
Aerzte von Dr. Max Braun.
Mit 325 Abbildungen im Text.
Vierte, vermehrte und verbesserte
Auflage. Mit einem klinisch-thera-
peutischen Anhang bearbeitet von
Prof. Dr. Otto Seifert in
Würzburg. Verlag von Curt Ka-
bitzsch (A. Stuber's Verlag). Würz-
burg 1908. 623 S. Preis 15 Mark.
Die 4. Auflage des Brau n'schen
Handbuches über die tierischen Para-
siten des Menschen hat eine ganz be-
deutende Erweiterung erfahren. 623
Seiten gegenüber 360 Seiten der 3.
Auflage. Fast vollständig umgearbei-
tet wurde der die parasitischen Urtiere
behandelnde Abschnitt, und wurden
hier, wie auch schon bei den früheren
306
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
Annagen, auch die den Menschen nicht
befallenden Arten und Gruppen be-
rücksichtigt. Die Zahl der Abbildun-
gen wurde um über 60 vermehrt, auch
wurden mehrere ältere Abbildungen
durch bessere ersetzt. Als eine vorteil-
hafte Neuerung darf es angesehen wer-
den, dass die Literaturangaben zu ei-
nem besonderen Abschnitt am Schlüsse
des Werkes vereinigt wurden, anstatt
dass sie wie in den früheren Auflagen
in den Text eingeschoben wurden, wo-
durch nunmehr die immerhin nicht ge-
rade vorteilhafte Unterbrechung des
Textes vermieden wurde. Als beson-
ders willkommen dürfte sich auch der
neu hinzugefügte klinisch-therapeuti-
sche Abschnitt erweisen. Wenn wir
zum Schlüsse unserer Besprechung der
3. Auflage sagen konnten, dass das
Brau n'sche Handbuch eine ganz
ausgezeichnete Arbeit sei, so trifft dies
in noch erhöhtem Masse für die vor-
liegende 4. Auflage zu.
Kompendium der ärztlichen Technik
mit besonderer Berücksichtigung
der Therapie von Dr. F. Schil-
ling. II. erweiterte und vermehrte
Auflage. Mit 454 Abbildungen. A.
Stuber's Verlag (C. Kabitzsch).
513 S.
Wir haben es hier mit einem vor-
züglichen Buche zu tun, welches so
recht dem praktischen Bedürfnis des
Arztes angepasst ist. Wie reichhaltig
der Inhalt des Buches ist lässt sich
schon aus den Kapitelüberschriften er-
sehen: Inspektion, Palpation, physika-
lische Diagnostik, chemische Unter-
suchungsmethoden, mikroskopisch-bak
teriologische Diagnostik, Desinfektion
und Sterilisation, Anästhesie und Nar-
kose, Sondierung, Katheterismus, Spie-
geluntersuchung, Punktion und Aspi-
ration, Injektion und Irrigation, In-
sufflation und Transfusion, Mechano-
therapie, Erasion und Kauterisation,
Elektrodiagnostik und Elektrotherapie,
Galvanokaustik und Elektrolyse, re-
spiratorische Therapie, Hydrotherapie,
Photodiagnostik und Phototherapie,
Thermotherapie, Impfung und Inoku-
lation, kleine Chirurgie, Kranken-
pflege. Die einzelnen Abschnitte sind
klar und präzise geschrieben, die zahl-
reich beigegebenen Abbildungen sind
äusserst instruktiv und ergänzen in
trefflicher Weise den Text. Auch in
sonstiger Hinsicht ist die Ausstattung
des Buches eine mustergiltige.
Auszüge aus der neuesten Journalliteratur.
R. Freund: Die Röntgenbehandlung
der Basedow'schen Krankheit.
F. gibt die Krankengeschichten von
5 Fällen von B a s e d o w'scher Krank-
heit, die mit Röntgenstrahlen behan-
delt worden waren und sämtlich einen
deutlichen günstigen Einfluss dieser
Therapie zeigen. In 3 dieser Fälle war
die Heilung nur den Röntgenstrahlen
zuzuschreiben, in einem Falle wurde
zuerst tägliche Galvanisation des Sym-
pathikus angewandt, das Schwinden
aller Basedowsymptome trat jedoch
erst nach Anwendung der Röntgen-
strahlen ein, über den 5. Fall hat sich
F. noch kein abschliessendes Urteil ge-
bildet. Die in diesem letzten Falle
harte Struma schien sich weniger
leicht beeinflussen zu lassen, wenn
auch subjektive Besserung des Allge-
meinbefindens und objektiv Gewichts-
zunahme zu verzeichnen war. Was die
Prognose der verschiedenen Fälle an-
belangt, so scheinen nach F. die wei-
chen, vaskulären, ausdrückbaren Stru-
men sich nach Röntgenbehandlung völ-
lig zurückzubilden, nicht aber die har-
ten Knoten. F. fasst die Ergebnisse
seiner Arbeit zusammen: 1. Die Rönt-
genstrahlen erfüllen bei der Base-
d o w'schen Krankheit die kausale In-
dikation, indem sie die krankhaft
sezernierende Basedowstruma zum
Schwinden bringen. Sie wirken stets
günstig auf das Körpergewicht und auf
die nervösen Erscheinungen, doch auch
die übrigen Symptome können schwin-
den : so Herzgeräusche, Struma und
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
307
Exophthalmus. 2. Die weichen, vas-
kulären, ausdrückbaren Strumen geben
die günstigste Prognose, die Erschein-
ungen bilden sich umso schneller zu-
rück, je jünger sie sind. (Münchener
med. Wochenschr., No. 17, 1907.)
C. Rüdinger: Ueber den Einfluss
der Röntgenstrahlen auf den Ei-
weissumsatz bei der Basedow'schen
Krankheit.
Um den Einfluss der Röntgenstrah-
len auf die Basedo w'sche Krankheit
beurteilen zu können, unternahm R.
Stoffwechselversuche an zwei Base-
dowkranken. . Der Erfolg der Rönt-
genbehandlung äusserte sich im ersten
Falle in einer Besserung des Appetits
und einer Abnahme des Halsumfanges
um 1 cm. Die nervösen Erscheinungen
Hessen eine auffallende Besserung ver-
missen. Exophthalmus und Zittern
blieben ebenfalls gleich. Die Pulsfre-
quenz hielt sich schon vor der Bestrah-
lung unter dem Einfluss von Bettruhe
gewöhnlich unter 90. Die vorgenom-
menen Stoffwechselversuche ergaben
unverkennbar, dass der Einfluss der
Röntgenstrahlen sich hier im Sinne ei-
nes wirklichen Ansatzes von Körper-
substanz äussert. In dem zweiten
Falle zeigte sich der Einfluss der Rönt-
genstrahlen zunächst in einer auffal-
lenden Besserung des Appetits und
Schwinden der subjektiven Erschein-
ungen. Die Kranke wurde guter Dinge,
war schwer im Bett zu halten. Ferner
stellte sich nach der Behandlung eine
Abnahme des Halsumfanges um 2^
cm ein, desgleichen Hessen die Tre-
mores deutlich nach. Schwitzen, Ex-
ophthalmus und Pulsfrequenz blieben
unverändert. Auch dieser Fall seigte
eine sehr bedeutende Stickstoffreten-
tion während der Zeit der Behandlung
mit Röntgenstrahlen. Wenn nun auch
R. zugibt, dass es nicht angeht, aus
diesen zwei Beobachtungen ein ab-
schliessendes Urteil darüber abzuge-
ben, ob die Röntgenbestrahlung in al-
len Fällen von Morbus Basedowii im
Sinne einer Eiweissersparung wirkt,
noch auch darüber, wie eine solche Be-
einflussung zu erklären wäre, so glaubt
er sich doch den Forderungen S t e g-
m a n n's anschliessen.zu sollen, dass in
jedem Falle von Morbus Basedowii
wenigstens eine einmalige versuchs-
weise Bestrahlung der Schilddrüse vor-
genommen werden sollte. (Deutsche
med. Wochenschr., No. 2, 1907.)
F. Nagel Schmidt: Zur Indikation
der Behandlung mit Hochfrequenz-
strömen.
N. erwartet von der von den Fran-
zosen in die Therapie eingeführten Be-
handlung mit Hochfrequenzströmen
neue Erfolge für die Diagnostik und
Therapie. Während er den allgemei-
nen Stoffwechsel- und Blutdrucksver-
änderungen durch die Hochfrequenz-
ströme skeptisch gegenübersteht, eig-
nen sich nach seiner Ansicht für die
Behandlung im Solenoid Insomnie,
psychische Depression, Angina pec-
toris, wobei bei nicht genügender Wir-
kung lokale Applikationen kombiniert
werden können. Gute Erfolge lassen
sich bei Hyperästhesien, Parästhesien,
Neuralgien und insbesondere bei man-
chen juckenden Hauterkrankungen
erzielen, besonders scheinen die lanzi-
nierenden Schmerzen und die Krisen
der Tabiker günstig beeinflusst zu wer-
den. Gute Wirkungen sind in man-
chen Fällen von Impotenz zu erwar-
ten ; ein grosses Gebiet der diagnosti-
schen und therapeutischen Verwertung
eröffnet sich für die Methode der Er-
zeugung von Muskelkontraktionen.
Mag die theoretische Untersuchung
Stoffwechselveränderungen, Blutdruck-
herabsetzung oder sonstige Wirkun-
gen nachweisen oder nicht, für den
Praktiker ist es von grösster Bedeu-
tung, einen therapeutischen Faktor zur
Verfügung zu haben, der seinem Tabi-
ker die lanzinierenden Schmerzen, sei-
nem Pruriginösen den Juckreiz besei-
tigt etc. (Deutsche med. Wonchen-
schr., No. 32, 1907.)
M. Blumberg: Ueber ein diagnos-
tisches Symptom bei Appendizitis.
B. hat seit längerer Zeit bei allen
Fällen, wo eine frische Erkrankung des
Peritoneums oder eine neue Attacke
einer alten Entzündung des Peritone-
ums aus den klinischen Erscheinungen,
resp. aus dem Befunde bei der vorher
vorgenommenen Laparotomie ange-
308
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
nommen werden musste, einen überaus
heftigen Schmerz bei plötzlichem Ab-
heben der palpierenden Hand konsta-
tieren können ; die Patienten verzogen
momentan schmerzhaft das Gesicht.
Sie gaben im frischen Anfall mit Be-
stimmtheit an, dass der Schmerz beim
plötzlichen Abheben der Hand grösser
sei als beim Druck; bei weniger hefti-
gen entzündlichen Erscheinungen am
Peritoneum war der Schmerz beim
plötzlichen Abheben der Hand gleich
gross wie beim Druck, um schliesslich
beim Abheben nur noch andeutungs-
weise bestehen zu bleiben oder ganz zu
verschwinden, während er dann nur
auf Druck vorhanden war. Man hat
also zunächst einen Druck auf die zu
untersuchende Stelle des Abdomens
auszuüben und den Patienten zu fra-
gen, ob es schmerzt, dann nach erhal-
tener Antwort die palpierende Hand
plötzlich abzuheben und nun sich von
dem Patienten sagen zu lassen, ob im
Moment des Abhebens es geschmerzt
habe, resp. welcher Schmerz grösser
gewesen sei.
Da das Symptom peritonealen Ur-
sprungs ist, so ist es nicht nur bei Ap-
pendizitis vorhanden, sondern auch bei
andern Prozessen, die . mit einer Ent-
zündung des Peritoneums einhergehen.
Nach P>. ist das Auftreten des Symp-
toms ein leicht zu erkennendes War-
nungssignal, das besonders dann auf
Gefahr hinweist, wenn das Phänomen
sehr plötzlich und rasch nach Auftreten
der Erkrankung sich zeigt ; sein all-
mähliches Abklingen der Intensität wie
Extensität nach ist ein beruhigendes
Zeichen, dass der peritoneale Prozess
im Rückgang begriffen ist. (Münche-
ner med. Wochenschr., No. 24, 1907.)
Prof. M. Jordan: Die interne Be-
handlung der Appendizitis und die
Indikationen zum chirurgischen
Eingreifen bei derselben.
J. stellt die folgende Thesen auf:
1. Bei jedem, auch dem anscheinend
leichtesten Fall von akuter Appendizi-
tis, ist mit der Notwendigkeit soforti-
ger Operation zu rechnen.
2. Die Hauptaufgabe des praktischen
Arztes ist daher zunächst nicht so sehr
die sogenannte Behandlung des An-
falls, als vielmehr die Feststellung des
Charakters der Entzündung zum
Zweck der dringend nötigen frühen In-
dikationsstellung.
3. Diese wichtigste Entscheidung
basiert auf exakter klinischer Beob-
achtung des Falles ; daher ist jede Ver-
schleierung des Krankheitsbildes be-
denklich, und aus diesem Grunde ist
die systematische Verabreichung des
Opiums, zumal in grossen Dosen, zu
widerraten.
4. Fälle, die sich als leichte charak-
terisieren, können unter steter Beob-
achtung ihres Ablaufes der spontanen
Heilung überlassen werden.
5. Fälle, die sich von Anfang an, oder
am zweiten eventuell noch am dritten
Tage, als dubiöse oder schwere erwei-
sen, sollen sobald als möglich der
Frühoperation unterzogen werden.
6. Die interne Behandlung eines
schweren Anfalls (Appendizitis perfo-
rata) ist ein Hazardspiel, bei dem die
Gewinnchance zwar keine direkt un-
günstige, der Einsatz aber zu kostbar
ist.
7. Nach spontanem Ablauf eines Ap-
pendizitisanfalls rauss die Intervall-
operation in Betracht gezogen werden.
Dieselbe ist indiziert
a) nach einem schweren Anfall, ab-
solut,
b) nach einem leichten Anfall rela-
tiv,
c) nach zwei oder mehr leichten An-
fällen absolut,
d) nach zurückbleibenden chroni-
schen Beschwerden.
8. Bei der rein chronischen Appendi-
zitis ist die Exstirpation des Wurm-
fortsatzes die sicherste und am rasche-
sten zum Ziele führende Heilmethode.
(Deutsche med. Wochenschr., No. 12,
1907.)
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
309
Sitzungsberichte
Deutsche Medizinische Gesellschaft der Stadt New York
Sitzung- vom 2. Dezember 1907.
Präsident Dr. C. Beck eröffnet die
Sitzung.
Der Jahresbericht des Schatzmeis-
ters Dr. S. Breitenfeld, von den
Revisoren Dr. I. M. Rottenberg
und Dr. H. B o e k e r geprüft und rich-
tig befunden, wird auf Antrag mit
Dank angenommen.
Der Präsident erklärt sodann die
Stimmkästen für die Beamtenwahl er-
öffnet und ernennt die Herren Dr.
Lehmacher und Dr. F. R u p p e r t
als Wahlinspektoren.
Auf Antrag wird beschlossen die
Wahl um zehn Uhr zu beschliessen.
Sekretär Dr. John A. B e 11 e r-
m a n n verliest hierauf das Protokoll
der vorigen Sitzung, welches geneh-
migt wird.
Der Präsident widmet sodann dem
verstorbenen Mitglied, Dr. John A.
S c h m i t t, den folgenden Nachruf :
Dr. Carl Beck: Es ist mir die
traurige Pflicht geworden, Ihnen die
Mitteilung von dem Heimgang unseres
lieben Kollegen, Dr. John A.
S c h m i t t, zu machen. Der Uner-
bittliche, von dem es heisst : Nemini
parcetur, rief ihn mitten in seiner Be-
rufstätigkeit ab. Am Dienstag früh
hatte er, ein sonniges Lächeln auf sei-
nem markanten Gesicht, sein Haus,
welches ein so glückliches Familienle-
ben barg, verlassen. Pflichtgetreu, wie
er es sein Leben lang war, war er sei-
ner Devise, des Dienste gleichgestell-
ter Uhr, gefolgt, hatte einem Patien-
ten noch einige freundliche Trost-
worte zugerufen, als er jäh, wie vom
Blitz getroffen, umsank. Fürwahr ein
schöner und beneidenswerter Tod, von
dem es heisst, das die Götter ihn denen
senden welche sie besonders lieb ha-
ben. Für seine unvorbereiteten Lie-
ben aber war es ein unendlich harter
Schlag und nicht zum' mindesten für
die zahlreichen Freunde, welche er un-
ter Hoch und Niedrig besass. Das
zeigte die überaus herzliche Teilnahme,
von welcher auch ganz besonders die
Demonstration bei der würdigen Trau-
erfeier im Hause des Entschlafenen
lautes Zeugnis ablegte. Was kann ich
von ihm noch sagen? Sie Alle haben
ihn ja gekannt, sein hohes wissenschaft-
liches Streben und sein bescheidenes
Wesen gewürdigt, aber noch mehr haben
wir ihn um eine bei ihm besonders aus-
geprägte Eigenschaft bewundert, näm-
lich um seinen Charakter. Da war nichts
unrechtes oder unechtes, alles war aus
einem Guss. Seine Unantastbarkeit in
dieser Beziehung kann uns allen zum
Vorbild dienen. Wer ihn nur oberfläch-
lich kannte, mochte seine Bedeutung
leicht unterschätzen, da ihm alles Glän-
zende und Prunkende zuwider war. Wer
ihn aber näher kannte, wer sich an seine
manchmal rauhe Aussenseite gewöhnt
hatte, der staunte über den Fond von
ärztlichem sowohl wie allgemeinem Wis-
sen, das sich da floskelfrei aus ihm her-
ausentwickelte, und über die neidlose
Güte, welche er wie einen keuschen
Schatz tief im Innersten seines vorneh-
men Herzens bewahrte, gleich als
schämte er sich, dieselbe zu enthüllen.
Er war einer der seltenen Naturen, wel-
che in der Beurteilung ihrer Nebenmen-
schen bis an die äusserste Grenze der
Liberalität herantreten. So trauern wir
mit Recht um des grossen Verlustes wil-
len, den wir erlitten.
Aus den Personalien des Verblichenen
ersehen wir, dass er im Jahre 1852 in
Bensheim im Grossherzogtum Hessen
zur Welt kam, woselbst er das Gymna-
sium absolvierte. Nach vollendetem Stu-
dium auf der Universität Giessen liess er
sich in dem romantischen Städtchen Er-
bach im Odenwald nieder, um dann im
Jahre 1882 nach New York überzusie-
deln, wo er alsbald Mitglied des deut-
schen Dispensary wurde. Als Chef der
gynäkologischen Abteilung bildete er
zwanzig Jahre lang die Hauptzierde des
Institutes, welches ihm unendlich viel
verdankt. An äusseren Ehren hat es ihm
3io
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
nicht gefehlt. Wiederholt war er Präsi-
dent des gesellig-wissenschaftlichen Ver-
eins. Dass unsere Gesellschaft ihm zwei-
mal das Amt des Präsidenten zu ihrem
Segen übertrug, steht Ihnen ja noch
frisch im Gedächtnis, und im Gedächtnis
wollen wir ihn als Muster treuer Pflicht-
erfüllung stets behalten.
Ich fordere Sie auf, sich zum Anden-
ken des Verstorbenen zu erheben.
(Die Versammlung erhebt sich). Zu
meinem grossen Bedauern erfahre ich
soeben, dass wir heute morgen noch
einen anderen Verlust erlitten haben.
Unser ebenfalls sehr geehrter und viel
geschätzter Kollege, Dr. J. P. O b e r n-
d o r f e r, ist heute früh gestorben, und
ich muss Sie bitten, sich zum ehrenden
Andenken auch dieses Verstorbenen zu
erheben. (Geschieht.)
Sekretär Dr. John A. B e u e r-
m a n n verliest eine Zuschrift von
Dr. McDonald, Washington, be-
treffend die Errichtung eines Instituts
für das wissenschaftliche Studium von
Verbrechern u. s. w.
Die Versammlung beschliesst nach
kurzer Debatte, die Zuschrift zur Be-
richterstattung einem Komitee zu
überweisen, und ernennt der Präsident
als solches die Herren Dr. G. W.
Jacoby, H. G. Klotz, J. H.
Boldt, D. Cook und Van G i e-
s o n.
Präsident Dr. Carl Beck: Wie
Sie sich erinnern, hatten wir im vori-
gen Jahr beschlossen, eine Festlichkeit
abzuhalten, aber infolge mehrerer un-
glücklichen Umstände sind wir leider
nicht dazu gekommen. Der Verwal-
tungsrat hat nun den Vorschlag des
vorigen Jahrs aufgegriffen und bereits
alle Vorarbeiten für ein Bankett mit
Damen gemacht, das am 17. Dezem-
ber im Hotel Astor stattfinden soll.
Wir fanden, dass wir das Bankett für
$2.50 die Person geben können. Wir
haben ein Komitee von 25 Mitgliedern
ernannt und aus diesem ein kleines
Exekutivkomitee herausgeschält, näm-
lich ausser dem Präsidenten selbst die
Herren Dr. Mannheimer, Dr.
Fischer, Dr. Breitenfeld und
Dr. Beu ermann. Ich möchte Sie
nun bitten, einen Vorschlag zu ma-
chen, dass das Vorgehen des Verwal-
tungsrats indossiert wird.
Die Versammlung beschliesst auf
Antrag von Dr. Boldt, die Handlung
des Verwaltungsrats gutzuheissen, und
der Präsident fordert die Mitglieder zu
zahlreicher Beteiligung auf.
Vorträge.
a) Sanitätsrat Dr. Wachenfeld
(Nauheim) : Einiges über Behandlung
der Herzkrankheiten.
(Der Vortrag ist in der Dezember-
nummer als Originalarbeit erschienen.)
Diskussion. Da sich niemand zum
Wort meldet, erhält das Schlusswort.
Sanitätsrat Dr. Wachenfeld:
Diese Anschauung, dass es keine Dila-
tation, keine Arbeitshypertrophie gibt,
ist für die meisten Kollegen natürlich
neu. Ich erhalte in den letzten Mona-
ten, nachdem ich die erste Veröffent-
lichung über diese Sache gemacht
hatte, sehr häufig Zuschriften, kurze
Referate und Kritiken, über dieses
Thema, und es wird immer darin ge-
sagt, es sei etwas ganz Ungeheueres,
eine ganz neue Anschauung, in die man
sich noch nicht hineinfinden könne,
aber niemals wird gesagt, wie eine
Dilatation zustande kommen könnte.
Es ist einfach unmöglich. Dass es eine
Arbeitshypertrophie nicht gibt, ist et-
was Altes. Romberg hat das schon
behauptet, und andere Autoren sind
dieser Anschauung mehr oder weniger
beigetreten. Bezüglich der Dilatation
stosse ich auf den meisten Widerstand,
aber ich möchte nur wissen, wie soll
sie zustande kommen? Ein Hohlraum
kann sich nur dann erweitern, wenn
entweder seine Wände auf der Innen-
seite abgenommen werden oder die
Wände auseinander gezogen oder
durch den Druck des Inhalts auseinan-
der gepresst werden. Diese drei Mög-
lichkeiten sind bei dem Herzen unmög-
lich, infolge dessen kann keine Dilata-
tion bestehen. Es ist begreiflich, dass
Sie sich im Moment noch nicht so in
diese Anschauung hineindenken kön-
nen. Mir ist es selbst nicht besser er-
gangen. Das, was ich gesagt, ist nicht
die Ueberlegung einer Stunde oder ei-
nes einzigen Tages, sondern das Re-
sultat langjähriger Beobachtungen und
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
3ii
Ueberlegungen, aber ich bin über-
zeugt, wenn Sie sich das in Ruhe an-
sehen und ausserdem berücksichtigen,
dass der gesammte Stoffwechsel ver-
mittelst der Lymphbahnen vor sich
gehen muss, so müssen Sie dahin kom-
men, dass sich die Sache so verhält,
wie ich vorgetragen habe, und ich
hoffe, es werden keine drei, vier Jahre
vergehen, dann wird man das allge-
mein anerkennen. Ich möchte das im
Interesse der Wissenschaft und der
Kranken wünschen. Man kann sicher
vielen Kranken, wenn man die Sache
in dieser einfachen Weise beurteilt,
besser helfen, als wenn man auf Grund
der so komplizierten bisherigen An-
schauung vorgeht. Niemand wird be-
friedigt von der bisherigen Anschau-
ung. Deshalb hoffe ich, dass diese ein-
fache und meiner Ansicht nach rich-
tige Anschauung sich in kurzer Zeit
geltend machen wird.
Präsident Dr. Carl Beck: Ich
gehe gewiss nicht fehl, wenn ich an-
nehme, dass Sie mich ermächtigen,
Herrn Sanitätsrat Wachenfeld
den Dank der Gesellschaft auszuspre-
chen. (Lebhafte Zustimmung.)
b) Dr. H. Klotz: Wirklicher und
vermeintlicher Haarverlust bei Syphi-
lis.
Der Vortrag ist in der Dezember-
nummer als Originalarbeit erschienen.
Diskussion. Dr. A. Rose: Ich
möchte bloss Herrn Dr. Klotz fra-
gen, ob ein Synonym für Alopecie ge-
bräuchlich ist.
Dr. H. K 1 o t z : Kahlheit oder Kahl-
köpfigkeit.
Dr. A. Rose: Im Griechischen exi-
stiert das Wort Lipotrichia, Haarfeh-
len. Aber abgesehen davon ist das
Wort Alopecie ein richtiges klassisches
Wort.
Dr. H. Klotz (Schlusswort) : Ich
bitte die Herren Kollegen, auf diese
regelmässigen Symptome etwas acht
zu geben.
c) Dr. R. L e w i s o h n : Ueber die
Verwendung der Lumbalanästhesie in
der Chirurgie.
(Der Vortrag ist in der Dezember-
nummer als Originalarbeit erschienen.)
Diskussion: Dr. H. Fischer: Ich
denke, es ist eine sehr dankenswerte
Aufgabe, der sich Herr Dr. Lewi-
s o h n unterzogen hat, das Kapitel der
Lumbalanästhesie, das uns Chirurgen
ganz besonders interessiert, vor die
Versammlung gebracht zu haben. Es
sind, glaube ich, acht Jahre her, dass
Dr. Kammerer hier über Lumbal-
anästhesie gesprochen hat, und zwar
über die alte Methode mit Kokain. Ich
habe damals die Versuche mitgemacht
als Assistent im Deutschen Hospital,
und wir haben dann sehr bald die Me-
thode wegen ihrer schweren und be-
ängstigenden Erscheinungen aufgege-
ben. Jetzt, wo wir andere Anästhetika
haben und die Methode verbessert ist,
kann man wohl sagen, dass diese Lum-
balanästhesie sich eine Stelle in der
Chirurgie gesichert hat. Nur möchte
ich sie etwas einschränken. Meine per-
sönlichen Erfahrungen sind nur gut,
ich habe keine schweren Erscheinun-
gen getroffen, aber die Zahl meiner
Fälle ist noch zu gering, als dass ich
Bestimmtes darüber aussagen möchte.
Wahrscheinlich werden in einer grös-
seren Zahl von Fällen auch unange-
nehme Nebenerscheinungen vorkom-
men. Wirkliche Versager oder schwere
Neben- und Nacherscheinungen habe
ich noch nicht erlebt. Nur in einem
einzigen Falle bei einer eingeklemm-
ten Hernie einer älteren Dame stieg
die Anästhesie in beängstigender
Weise bis zur zweiten Rippe herauf,
ohne Beckenhochlagerung. Ich hatte
damals ein etwas grössere Dosis ge-
nommen. Die Patientin klagte auch
über Uebelsein und erbrach ein paar
mal, aber diese Erscheinungen gingen
sehr schnell vorüber. Wir sind ge-
wohnt, wenn der Patient in der Nar-
kose ist, alle diese Erscheinungen des
Erbrechens, schlechten Atmens u. s. w.
ohne grosse Aufregung hinzunehmen,
denn wir wissen, das passiert konstant,
und wir haben gelernt, Unfälle zu ver-
meiden. Wenn der Patient nicht nar-
kotisiert ist und uns über jedes seiner
Gefühle Mitteilung machen kann, so
macht das einen unangenehmen Ein-
druck auf den Operateur selbst. Ich
erinnere mich, wie ein Kollege, der
wegen Hernie operiert wurde, plötzlich
zu dem Operateur sagte: „Aber um
312
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
Gottes willen, ich habe keinen Puls
mehr."
Nur eine Einschränkung möchte ich
machen : Die Lumbalanästhesie hat
grosse Vorteile, aber ganz strenge In-
dikationen. Meiner Ansicht nach sollte
man alle diejenigen Fälle, die unter
Lokalanästhesie operiert werden kön-
nen, absolut von Lumbalanästhesie
ausscheiden. Die Lumbalanästhesie hat
immer eine Gefahr für den Patienten.
Ich bin nicht Geburtshelfer, aber ich
sollte denken, eine normale Geburt
sollte unter keinen Umständen unter
Lumbalanästhesie gemacht werden,
wie ich gehört habe, dass es versucht
worden ist.
So möchte ich sagen, dass man die
Lumbalanästhesie nur gebrauchen soll,
wo die Inhalationsanästhesie direkt
kontraindiziert ist, bei Diabetikern,
schweren Herzfehlern u. s. w., wo
man aber den Leuten die Operation
nicht mehr verweigern kann.
Dr. A. Stein: Ich möchte mir nur
eine ganz kurze Bemerkung erlauben
über Anwendung der Lumbalanästhe-
sie in der Geburtshilfe. Dr. Fischer
hat sehr richtig bemerkt, dass da die
Anwendung nicht ganz gerechtfertigt
ist, und die Versuche damit haben
auch vollkommen seiner Ansicht recht
gegeben. Nun sind in den letzten zwei
Jahren etwa an der Tübinger wie der
Freiburger Universität eingehende
Versuche mit einer Kombination von
Lumbalanästhesie mit Einspritzungen
von Scopolamin-Morphium gemacht wor-
den, die in der Geburtshilfe ausserordent-
lich gute Resultate gegeben haben. Aus-
gehend von dem Gedanken, dass die
Lumbalanästhesie als solche nicht genü-
gend ist, um die Geburtsschmerzen, die
sich häufig längere Zeit hinziehen, zu be-
kämpfen, hat K r ö n i g Dämmerschlaf
mit Lumbalanästhesie verbunden. Der
Dämmerschlaf besteht darin, dass bei Be-
ginn der richtigen Wehen etwa 0,0003
Scopolamin und 0,01 Morphin injiziert
werden und dass kurze Zeit nachher noch
eine entsprechende Dosis Tropakokain in-
jiziert wird. Diese Dosis kann bedeutend
geringer genommen werden. Dadurch
wird die Gefahr, .die der Lumbalanästhe-
sie anhaftet, bedeutend herabgesetzt.
Man kann nun während des Verlaufs der
Geburt die Injektion ein- oder zweimal
wiederholen und so eine bedeutende
Schmerzlinderung hervorrufen.
Dr. Wachsmann: Ich möchte
nur an den Vortragenden oder die an-
wesenden Chirurgen die Frage stellen,
ob in der Literatur oder sonst etwas
bekannt ist über die Methode, die
Dr. Stein angegeben hat. Nach zwei
Erfahrungen, die ich persönlich hatte,
würde ich mich nicht wundern, wenn
die Chirurgen die Methode niemals
weiter geprüft haben. Es ist reine
Neugier von mir, ob in der Chirurgie
irgend etwas darüber bekannt ist.
Dr. R. L e w i s o h n (Schlusswort) :
Ich habe leider auch keine persönliche
Erfahrung darüber, sondern nur neu-
lich darüber gehört. In der Chirurgie
ist bis jetzt darüber nichts bekannt ge-
worden. Ich habe die betreffende Li-
teratur studiert, aber nichts gefunden.
Ich stimme mit Dr. Fischer voll-
kommen überein, dass man sehr enge
Indikation stellen soll, und bin viel-
leicht noch strenger als er. Ich halte
es schon für unrichtig, Hernien damit
zu operieren. Die Lumbalanästhesie
ist aber eine entschieden hervorra-
gende Methode, wenn man die Indika-
tion richtig stellt.
d) Dr. B. Onuf: Ueber Psycho-
therapie.
(Siehe unter Originalarbeiten in ds.
X ummer.)
Diskussion. Dr. J. Fraenkel:
Ich glaube vor allem, dass man Herrn
Dr. Onuf Dank sagen muss, dass er
das Thema vor uns gebracht hat. Es
scheint in den letzten paar Jahren eine
psychotherapeutische Welle über die
Welt zu ziehen. Es ist unter dem Ein-
rluss der von Dr. Onuf genannten
Herren, unter Führung von Freu d,
Jane t, D ubois und anderen die
Methode wieder belebt worden. Es ist
auch merkwürdig, wenn man von einer
solchen therapeutischen Methode re-
det, kommt einem unwillkürlich ein
historischer Gedanke in den Kopf,
nämlich dass die Psychotherapie, die
Hydro-, Elektro- und vielleicht noch
andere Therapien häufig extra muros
wachsen, eine lange Zeit ausserhalb
der regulären Medizin gedeihen. Da
werden sie sehr populär, und dann
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
3i3
nimmt sich die reguläre Medizin ihrer
an. Die Ursache für diesen histori-
schen Vorgang liegt darin, dass wir ei-
nerseits von der Höhe wissenschaftli-
cher Schulung alles andere, was nicht
in den wissenschaftlichen Kram hin-
einpasst, als nicht existierend ansehen
oder dass wir die nicht rein wissen-
schaftliche Methode analysieren und
verwerfen. Beides ist unrichtig, und
wir begehen damit einen Fehler, denn
in jeder dieser Methoden steckt ein
Kern von Wert. Wenn wir also von
der Psychotherapie als einer für den
praktischen Arzt brauchbaren Methode
reden wollen, so müssen wir vor allem
auseinanderhalten, ob wir die Psycho-
therapie als eine unterstützende oder
als eine ausschliessliche Behandlungs-
methode verwenden wollen.
Als eine unterstützende Behand-
lungsmethode liegt sie wahrscheinlich
in Leib und Blut eines jeden guten
Arztes. Jeder von uns treibt Psycho-
therapie, bewusst oder unbewusst. Als
Spezialbehandlung für gewisse Zu-
stände und gewisse Indikationen hat
sie auch eine Berechtigung, aber, wie
ich glaube, eine sehr begrenzte und
gehört vor das Forum von wissen-
schaftlich und in der Behandlungsme-
thode speziell geschulten Aerzten. In-
tra muros muss man sich ganz klar
werden über die Gruppe von Erkrank-
ungen, die man in das Gebiet hinein-
weist.
Wenn Dr. O n u f in etwas vielleicht
vager Weise die nicht organischen Er-
krankungen genannt hat als besonders
geeignet für die psychische Behandlungs-
methode, so würde das voraussetzen,
dass wir Genese und Pathologie der so-
genannten nicht organischen Erkrank-
ungen ganz genau kennen. Nun wissen
wir von diesen noch viel weniger als
von der Psychotherapie. Wir wissen,
dass ein sehr kleiner Teil von soge-
nannten funktionellen Erkrankungen
wirklich psychogenen Ursprungs sind
und unter ausschliesslich psychischer
Behandlung glänzende Resultate ge-
ben.
Es ist physiologisch bekannt, dass
mit jeder Emotion ein somatischer Ap-
parat parallel entwickelt wird, z. B.
mit den Depressions-Emotionen eine
Tränensekretion, mit Zorn ein Ballen
der Fäuste u. s. w. Wenn nun unter
dem Einfluss irgend eines psychischen
Insultes die diesem psychischen Insult
parallel laufenden somatischen Phäno-
mene ihren Ausdruck nicht erhalten,
dann werden sie sozusagen temporär
gelähmt, und jedesmal wenn derselbe
psychische Gedanke in die Reihe
kommt, werden sie an diesem Teil der
parallelen somatischen Funktionen im-
mer wieder entgleisen, sodass nach ei-
ner gewissen Reihe von Tagen der ur-
sprüngliche Insult verschwunden war
und bloss der somatische Insult da-
steht als eine Störung. Diese Form
der funktionellen Erkrankung ist äus-
serst selten. Wenn ich sagen darf, dass
ich in meiner Erfahrung, die sich auf
16 Jahre ausdehnt, nicht mehr als vier
oder fünf solcher Fälle gesehen habe,
so wird das Ihnen zeigen, wie selten
diese Fälle sind. Diese Fälle sind emi-
nent für die Psychotherapie geeignet.
Die Technik ist äusserst kompliziert.
Sie setzt eine ganz genaue psychologi-
sche Kenntnis und viele andere Mo-
mente voraus und fordert eine gewisse
Zeit. Als Hauptpunkt dessen, was ich
bis jetzt gesagt, greife ich heraus, dass
diejenigen Formen, die das Resultat
psychischer Insulte sind, sich für die
exklusive Psychotherapie eignen.
Dr. A. Hoch: Ich bin den Ausführ-
ungen des Kollegen Onuf mit gros-
sem Interesse gefolgt. Hauptsächlich
hat mich interessiert, was er speziell
über die Psychosen gesagt hat. In An-
betracht der vorgerückten Zeit möchte
ich nur wenige Worte noch hinzufü-
gen. Wenn wir die Lehrbücher der
Psychiatrie durchblättern, so muss es
uns sehr sonderbar vorkommen, dass
die geistige Ursache der Psychosen
ziemlich kümmerlich behandelt wird.
Es ist meiner Ansicht nach sehr
wichtig, dass wir uns in der Psychia-
trie sagen, dass gewisse psychiatrische
Symptome und sicherlich wirkliche
Psychosen dadurch hervorgebracht
werden, dass innere und äussere Kon-
flikte, die die Persönlichkeit betreffen,
überhaupt unrichtig verarbeitet wer-
den, Die normalen Persönlichkeiten
haben auch Konflikte, aber wir werden
mit den Konflikten fertig, wir haben
314
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
alle möglichen Gegengewichte, ein nor-
males Interesse am Realen, wir spre-
chen uns aus, haben eine gewisse
Agressivität dem Leben gegenüber,
kurzum, wir haben alle möglichen ge-
sunden geistigen Gewohnheiten, die
uns davon abhalten, unsere Konflikte,
innere und äussere, falsch zu verarbei-
ten und auf diese Weise zu entgleisen.
Wie diese falsche Verarbeitung vor
sich geht, hat Kollege O n u f gezeigt,
und was er in seinem letzten Fall ge-
zeigt, zeigen auch die Ausführungen
von anderen Aerzten, die sich über dieses
Thema ausgelassen haben. Es ent-
stehen dann Krankheitsbilder, die ent-
weder ziemlich einfach sind oder alle
möglichen Wahnideen, Halluzinatio-
nen, sonderbare Handlungen zeigen,
die wir absolut nicht verstehen kön-
nen, wenn wir diese Symptome als
Hirnsymptome auffassen, wie es im-
mer noch geschieht, sondern die wir
nur dann verstehen, wenn wir sie auf-
fassen, wie ich gezeigt habe.
Wenn wir diese Ausführungen als
richtig annehmen, so sind der Therapie
die Wege vorgeschrieben, und ich
stimme dem Kollegen O n u f bei, dass
man mit einer richtigen Psychothera-
pie, die sich auf die Analyse des Falles
stützt, jedenfalls auch bei Psychosen
viel tun kann. Es würde zu weit füh-
ren, Ihnen Fälle vorzuführen, denn sol-
che Fälle können nicht überzeugen,
wenn sie nicht im Detail gegeben wer-
den, aber ich kann nur sagen, dass
auch bei schweren Psychosen eine sol-
che Analyse, die allerdings ausseror-
dentlich zeitraubend ist, doch wichtige
Winke für die Behandlung gibt, und
dass diese Behandlung tatsächlich Er-
folg hat, wenigstens bis zu einem ge-
wissen Grade und in besonderen Fäl-
len. Es müssen natürlich Fälle sein,
die am Anfang der Krankheit zur Be-
handlung kommen, und Fälle von be-
stimmten Persönlichkeiten, an die man
herankommen kann. Ich habe da die
Erfahrung gehabt, dass man tatsäch-
lich Erregungszustände, Halluzina-
tionen, Wahnideen zum Verschwinden
bringt, wenn man sich auf eine genaue
Analyse stützt. Ich will nicht behaup-
ten, dass man solche Fälle heilen kann,
ich glaube aber, dass es sehr wichtig
ist, in Fällen, denen gegenüber wir ge-
wöhnlich hilflos dastehen, diese Ana-
lyse zu machen und die Therapie ein-
zuhalten.
Ich stimme also dem Kollegen
O n u f bei und möchte als Psychiater
noch besonders Gewicht darauf legen,
dass tatsächlich die Psychiatrie fähig
ist, etwas zu leisten, auch in paranoia-
tischen Zuständen und sogar in Fällen
von Dementia. Uebrigens sind auch
die Analysen von ausserordentlich
grossem theoretischem Interesse, nicht
nur dadurch, dass sie uns die Psycho-
pathologie entwickeln helfen, sondern
auch dahin wirken, dass wir eine
klarere Psychiatrie dadurch entwick-
eln, und ich glaube auch, dass wir da-
durch für die Prophylaxe ganz ent-
schieden sehr wichtige Winke werden
erhalten können.
Dr. A. W. Script ure: Ich habe
in Deutschland und der Schweiz oft
solche Behandlung gesehen. Dr.
O n u f hat von dem Verdruss des Arz-
tes gesprochen, wenn er sein Ziel nicht
erreicht. Es ist wahr, es gibt viele
Leute, die nicht in den Zustand der
Hypnose gebracht werden können,
aber das ist auch in neun von zehn Fäl-
len nicht nötig. Ein oberflächlicher
Zustand ist genügend, der darin be-
steht, dass der Patient fixiert und all-
mählich in eine Art Schlummer ge-
bracht wird. Die Behandlung besteht
in denselben Worten für dieselben
Suggestionen. Es werden keine Fra-
gen an den Patienten gerichtet. Diese
Behandlung ist leicht anzuwenden in
Fällen von Schlaflosigkeit, Niederge-
schlagenheit, Angst, Erregbarkeit und
allerhand geistigen Störungen, die
durch geschäftliche und Familiensor-
gen entstehen. Manch ein Patient
kommt nicht der ärztlichen Behand-
lung wegen, sondern sucht nur etwas
Beruhigung, und in solchen Fällen hat
ein halbhypnotischer Schlaf, verbunden
mit einer in freundlichen Worten ge-
gebenen Suggestion, meist guten Er-
folg.
Die Technik ist nicht schwierig.
(Redner demonstriert die Methoden
verschiedener Autoritäten.) Diese Me-
thoden sind alle so einfach und von so
auffallender Wirkung, dass ich sie dem
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
3i5
allgemeinen Praktiker gar nicht genug
empfehlen kann.
Dr. B. Sachs: Ich ergreife nicht
ungern das Wort in der Frage, die
schon neulich in Boston zu einem hef-
tigen gegenseitigen Meinungsaus-
tausch geführt hat. Ich glaube aber,
es ist Pflicht, dass man doch die Sache
gerade vor diesem Publikum etwas an-
ders deutet als sie bisher gedeutet wor-
den ist. Obwohl ich im ganzen im Ein-
klang mit Dr. F r a e n k e 1 und Dr.
O n u f stehe, ist es nötig, dass der
Neurologe und Psychiater die Sache
in etwas anderem Licht dem allge-
meinen medizinischen Publikum vor-
trage.
Die Psychotherapie macht heutzu-
tage ungeheuer viel von sich reden. Im
Grunde genommen ist das meiste da-
von alt, und was neu daran ist, ist noch
nicht sicher gestellt, also muss man
die Sache überhaupt mit grosser Vor-
sicht aufnehmen. Ich erkenne ganz
gern an, dass die Arbeiten von Freud,
J a n e t, Jung, D u b o i s u. a. einen
gewissen Wert haben, aber einen Wert,
der ausserordentlich beschränkt ist.
Nun ist vor allem zu betonen, dass die
neue Psychotherapie sich nur auf we-
nige Krankheitszustände anwenden
lässt, wenn man von einer Psychothe-
rapie überhaupt reden will. Bei all die-
sen Geschichten ist doch wenig davon
die Rede, sondern vorläufig nur von
Psychodiagnostik, und Psychodiagno-
stik heisst meist nur genauer Eingehen
auf jeden einzelnen Fall in vernünfti-
ger Weise. Die Psychotherapie ist
vielleicht eine rationelle Verwendung
von dem, was man in dem einzelnen
Fall herausgebracht hat, und man
kann aus dem Beispiel, das Dr. Onuf
erwähnt hat, sehen, dass man, wenn es
zur Therapie kommt, ganz andere Mit-
tel anwendet. In dem einen Fall hat
man den Zusammenhang zwischen
Konvergenzstörung und verschiedenen
Vorgängen, die vorhergegangen sind,
hergestellt und sinnig ausgedacht, aber
die Kur bestand in Anwendung von
Gläsern und anderen Mitteln. Man hat
Psychodiagnostik vernünftig ange-
wandt und dann die richtigen Mittel
ausgefunden. Man soll sich überhaupt
nicht denken, dass wir hier auf etwas
ganz Neues gestossen sind, was die
therapeutischen Mittel anbelangt. Auch
in früheren Jahren hat man Psycho-
diagnostik getrieben. Jeder einzelne
von uns hat auf jede Weise versucht,
den einzelnen Fall zu deuten. Aller-
dings habe ich nicht nur auf sexuelle
Erfahrungen gefahndet. Ich habe
schon manchmal stundenlang mich mit
einem Kranken, der Verfolgungswahn-
ideen hatte, unterhalten und versucht,
auf ihn Eindruck zu machen und ihn
aus seinen Ideen herauszureden. Es
ist mir aber nicht eingefallen, diese
Methode als Psychotherapie zu be-
zeichnen, obwohl sie viel höher steht
als was heutzutage als Psychotherapie
angegeben wird. Ich will dadurch die
Psychotherapie nicht degradieren, son-
dern nur beweisen, dass es sich gar
nicht um neue Ideen handelt, sondern
nur um ein Ausarbeiten von Methoden,
die ganz bekannt waren. Ausserdem
muss man eins betonen, dass diese
ganze Psychodiagnostik und Psycho-
therapie sich nur auf solche Zustände
anwenden lässt, die psychogen sind
oder psychogen mit ganz gewissen, be-
stimmten somatischen Veränderungen,
also wenn wir sie auf Neurasthenie,
auf Hysterie, auf leichte Psychosen be-
ziehen, ist die Wirkungskraft dieser
Therapie erschöpft. Bei Paranoia oder
Dementia praecox z. B. möchte ich be-
zweifeln, ob mit den jetzigen therapeu-
tischen Mitteln etwas erreicht wird.
Ich möchte nur noch das eine be-
tonen, dass sich die allgemeinen Prak-
tiker nicht von Dr. Scripture ver-
leiten lassen, hypnotische Versuche
anzustellen, denn es gibt nichts Gefähr-
licheres, wenn man das soziale Wohl
in Betracht zieht, als dass ein Mensch,
der sich nicht absolut auf hypnotische
Methoden versteht, den Willenszu-
stand oder das Benehmen eines ande-
ren Menschen zu beeinflussen versucht.
Vor zehn, zwölf Jahren hat man die
Hypnose begeistert angewandt, und ich
selbst habe viel damit getrieben, aber
wir haben uns schon längst davon ab-
gewandt, denn wir haben viel Ern-
steres vor, als uns mit diesen Dingen,
die meist Spielereien sind, abzugeben,
und derjenige, welcher sich immer das
Vorbild eines ehrlichen Arztes vorhält,
3i6
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
wird sich schwer mit Hypnotismus zu-
frieden geben, vor allem der, der nicht
darin geschult ist, wenn er auch einen
schönen Apparat vor sich sieht, soll
sich nicht dazu verleiten lassen, in ir-
gend einem Falle Hypnose anzuwen-
den, wenn er nicht sicher weiss, was er
damit bezwecken will.
Dr. G e o. W. Jacob y: Wenn es
auch schon sehr spät ist, möchte ich
doch dem, was Dr. Sachs gesagt hat,
meine unbedingte Zustimmung aus-
sprechen, denn wir habe alle die Lehre
von der Hypnose durchgemacht, und,
wie namhafte Autoren gesagt haben,
jeder muss diese Lehre durchmachen,
geradeso wie man die Masern durch-
macht. Je jünger der Mann ist, desto
stärker die Infektion. Wir haben sie
durchgemacht und haben sie abgelehnt.
Wir wissen, dass es sich zuerst in der
historischen Entwickelung um eine
rein physikalische Sache handelt, dann
um die Einführung der Suggestions-
therapie, und jetzt kommt hinzu — wir
haben eigentlich nichts anderes, der
Standpunkt ist nur etwas verlegt ■ —
eine andere Theorie, die Assoziations-
und die analytische Theorie. Dass an
dieser ganzen analytischen Methode et-
was Wissenschaftliches ist, muss man
ihr lassen. Wir ziehen auch dadurch
den ganzen Hypnotismus aus dem
Fach der Scharlatanerie, in welches er
hineingeleitet worden ist, und benützen
die Hypnose hier als diagnostisches
Mittel in einer wissenschaftlichen Art
und Weise. Dass wir aber mehr be-
zwecken und mehr lernen als durch die
Suggestionstherapie, glaube ich nicht.
Es ist kaum nötig, darauf hinzuweisen,
dass es eine wirkliche Psychotherapie
an und für sich nicht gibt. Es gibt
Psychotherapie in Verbindung mit an-
deren Behandlungsmethoden. Wie der
Geist auf den Körper wirkt, so wirkt
wiederum der Körper auf den Geist,
und nur derjenige wird ein wirklicher
Therapeut sein, der seine Psychothera-
pie in Verbindung mit seiner allge-
meinen körperlichen Therapie anwen-
det.
Dr. B. Onuf (Schlusswort) : Ich
werde mich kurz fassen. Ich möchte
Herrn Dr. Fr a e n k e 1 antworten, dass
ich die Beschränkungen des Wirkungs-
kreises vollkommen einsehe, das heisst,
obwohl ich nicht denke, dass die Be-
schränkung ganz so gross ist wie Dr.
F r a e n k e 1 sie darstellt. Seinen Ein-
wand, dass ich die Indikation zu vage
stelle, muss ich dahin beantworten, dass
vorläufig nicht vorauszusehen ist, wie
weit sich der Wirkungskreis eben aus-
dehnen wird. Ich glaube, dass die Be-
merkungen, die Dr. Hoch gemacht
hat, ganz bedeutende Möglichkeiten
sehen lassen, dass absolut bis jetzt
noch nicht zu sagen ist, wie gross die
Beschränkung sein wird, wie weit die
Wirksamkeit der Methode sich ausdeh-
nen lassen möge.
Auf die Bemerkung, dass wir Alle
die Psychotherapie als Nebenbehand-
lung benützen, möchte ich erwiedern,
dass von den Aerzten so häufig der
Fehler gemacht wird, den Patienten et-
was zu geben und ihm nichts dabei zu
sagen. Wenn dem Patienten klar ge-
macht wird, dass er keine Medizin
braucht, wäre in manchen Fällen viel
gewonnen. Ich erinnere mich des Fal-
les eines Neurasthenikers, der sich leicht
überreden Hess, dass Medizin ihm von
wenig Nutzen sei, der sich aber nicht
entschliessen konnte, eine ihm ver-
schriebene Schlafmedizin aufzugeben,
denn dieselbe hatte eine so zauberhafte
Wirkung, dass er zwei Minuten nach
Einnehmen derselben schon einschlafe.
Es ist wichtig, einem solchen Patienten
die Ueberzeugung beizubringen, dass
unmöglich die Medizin als solche in
zwei Minuten Schlaf hervorrufe, und
ihm auf der Basis solcher Erscheinung
zu erklären, wie das nicht dem
Medikament, sondern der psychischen
Einwirkung zuzuschreiben ist.
Ich stimme mit den anderen Herren
überein. Dr. Scripture's Bemerk-
ungen waren sehr interessant, doch
muss ich auch sagen, dass der hypnoti-
schen Behandlung im allgemeinen be-
deutende Gründe entgegenstehen.
Trotzdem werden sich Fälle finden, wo
wir dazu unsere Zuflucht nehmen müs-
sen, wo die psychoanalytische Methode
nicht wirksam genug sein wird. Ich
denke aber, wie die anderen Herren,
dass diese Methode mit grosser Vor-
sicht gebraucht werden sollte.
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
Laut Bericht der Wahlinspektoren
sind für das nächste Jahr erwählt :
Präsident : Dr. Carl Beck.
Vize-Präsident : Dr. G. M a n n h e i-
m e r.
Protokollierender Sekretär : Dr. J.
Heckmann.
Stellvertretender protokollierender
Sekretär : Dr. M. H e i m a n n.
Korrespondierender Sekretär : Dr. H.
Fischer.
Schatzmeister : Dr. S. Breiten-
feld.
Aufnahme - Komitee : Dr. J. W.
Gleitsmann,Dr. H. J.Bol d t, Dr.
H. G. Krause, Dr. F. Torek, Dr.
L. Ewald.
Zur Mitgliedschaft vorgeschlagen:
Dr. Oswald Joerg von Dr. H. G.
K 1 o t z, Dr. F. F. R. B e r 1 i n von Dr.
H. B o e k e r.
Hierauf Schluss und Vertagung.
Dr. John A. Beuermann,
Prot. Sekretär.
Deutsche Medizinische Ges<
Sitzung vom 2. Mai 1907.*
Vorsitzender : Dr. Herzog.
Programm.
1) Dr. Emil Beck: Aneurysma
der Arteria poplitea.
2) Dr. Saurenhaus: Interes-
sante Fälle aus der Geburtshilfe.
Das Protokoll der letzten Sitzung wird
verlesen und angenommen.
Dr. E. Beck stellt einen im mittleren
Lebensalter stehenden Mann vor, der
seit drei Monaten über Müdigkeit und
Schmerzen in einem Beine klagt und das
Entstehen einer etwas schmerzhaften
Schwellung in der Kniekehle beobachtet.
An der genannten Stelle befindet sich ein
ca hühnereigrosses Aneurysma, dessen
Umfang durch das Röntgenogramm ge-
nauer demonstriert wird. Patient hatte
Lues. Ein Trauma fand nicht statt.
Durch einen Gummistrumpf wurden die
Schmerzen und die Müdigkeit gemildert,
doch traten infolge der Kompression
durch den Strumpf Zirkulationsstörun-
gen des Fusses (Cyanose, Schmerzen)
auf. Nach Ansicht Dr. B.'s dürfte im
Laufe der Zeit eine operative Behand-
lung des Aneurysmas notwendig werden.
Dr. Beck bespricht des genaueren die
Operationsmethode der
1) Endoneurysmarrhaphie, Verschluss
der Arterie mit Obliteration des Ge-
*) Bei der Redaktion eingegangen am
13. d. M.
schaft der Stadt Chicago.
fässes und Sackes nach Naht des letz-
teren ;
2) der restaurativen Endoneurysmar-
rhaphie für Fälle, wo von der Arterie
nur eine Oeffnung in das Aneurysma
geht;
3) die rekonstruktive Methode, durch
welche der Kanal verkleinert wird.
Diskussion. Dr. Alfred S c h i r-
m e r erinnert an einen von ihm vor meh-
reren Jahren in der Gesellschaft vorge-
stellten Patienten von etwa dreissig Jah-
ren — Potator und Luetiker — der ein
Aneurysma der Arteria poplitea an
beiden Beinen hatte ; das eine Aneury-
sma war grösser, das andere kleiner als
das heute demonstrierte. Wiederholte
energische antiluetische Kuren in Ver-
bindung mit Anwendung des Tourni-
quets brachten temporäre Besserungen
herbei. Patient starb schliesslich einige
Jahre später an einer Rückenmarkser-
krankung. Interessant ist, dass auch
dessen Mutter an einem grossen Aneu-
rysma gelitten hatte.
Dr. Doepfner empfiehlt für den
vorgestellten Fall die Ligatur der Ar-
terie oberhalb und unterhalb des Sackes
mit Exstirpation des letzteren.
Dr. Zimmerma n n : Die Gefäss-
chirurgie ist in eine neue Epoche einge-
treten; die Lehrstätte der Physiologie der
früheren Zeiten sind sozusagen auf den
Kopf gestellt, seit Garrell durch die
Erfahrungen der Gefässchirurgic gezeigt
hat, dass man Blutgefässe unbestraft
3i8
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
trennen, vereinigen und Stücke anderer
Gefässe transplantieren kann. Die Ge-
fässnaht kann ohne Schädigung der
Durchlässigkeit des Rohres und der Er-
nährung der betreffenden Extremität ge-
macht werden. - Diesbezüglich am 'wei-
testen gehen die Versuche der Trans-
plantation von Nieren eines Tieres in
ein anderes mit Gefässvereinigung ; die
Nieren funktionieren sofort und heilen
schliesslich ein. Die alte Lehre, dass
Verletzung der Intima Koagulation her-
vorbringen müsse, besteht nicht mehr.
Auf Grund dieser Versuche wurde in
den letzten Jahren viel Versprechendes
für die chirurgische Behandlung der
Aneurysmen gewonnen, namentlich für
die Exstirpation des Sackes und Naht
von Gefässen. Gefässnähte bei kleine-
ren Verletzungen sind schon früher ge-
macht worden ; auch Herzwandnähte
waren erfolgreich und trotz Verletzun-
gen des Endokardiums bildeten sich
keine Blutkoagula. Dr. Zimmer-
mann legte in einem Falle einer kleinen
Verletzung der Arteria femoralis eine
Katgutnaht an, die gut hielt und Heilung
ohne Nachblutung herbeiführte : ein
Aneurysma trat nachher nicht auf. Bei
sackförmigen Aneurysmen würde er
nicht sofort ligieren und exstirpieren,
sondern das Gefäss nach der Entfernung
des Sackes nähen, bei fusiformem
Aneurysma ligieren und exstirpieren.
Vielleicht Hesse sich die Idee der Ge-
fässtransplantation in solchen Fällen mit
Erfolg anwenden. Beim Menschen lie-
gen vorläufig keine diesbezüglichen Ver-
suche vor.
Dr. Carl Beck hat einige Fälle von
Aneurysma chirurgisch behandelt. In
einem Falle von Aneurysma der Art.
anonyma bediente er sich der elektri-
schen Behandlung mit einem insofern
guten Resultat, als ausgiebige Koagula-
tion im Sacke aufgetreten und ein nur
sehr kleines Lumen übrig geblieben war ;
auch klinisch war Besserung eingetreten.
Patientin starb später ; bei der Sektion
ergab sich die erwähnte Verengerung
des Lumens des Aneurysmas.
Auffallend war der Shock beim Ein-
führen der elektrischen Nadel noch vor
dem Eintreten des elektrischen Stromes.
Bei Aneurysma fusiforme wäre es viel-
leicht empfehlenswert, ein Stück zu exzi-
dieren und den Rest zu vernähen, sodass
das Lumen verkleinert ist. Im allgemei-
nen ist die Radikaloperation (vollstän-
dige Exstirpation) das beste Verfahren.
G a r r e 1 1 hat ausgezeichnete Resul-
tate mit der Gefässnaht erzielt ; unerläs-
sig ist eine exakte Technik und die
Verwendung feinsten Nahtmaterials, wie
Frauenhaares oder feinster Seide. Nicht
nur Nieren, sondern auch Schilddrüsen
wurden mittels Gefässnaht mit Erfolg
transplantiert. Gegenwärtig werden Ver-
suche von Gefässeinpflanzung mit Lap-
pen angestellt ; es wurden sogar erfolg-
reiche Einpflanzungen der Karotis in die
Vena jugularis vorgenommen und da-
durch der Kreislauf des Blutes im Ge-
hirn umgekehrt. Von diesen Erfahrun-
gen hatte Dr. Carl Beck kürzlich An-
wendung gemacht. Ein Mann erlitt
durch einen Unfall mehrere Verletzun-
gen des rechten Beines schwerster Art
mit pulpöser Gewebszertrümmerung
oberhalb der Malleolen. Den folgenden
Tag stellten sich Erscheinungen begin-
nender Gangrän unterhalb der Verletz-
ung ein : Kälte, Unempfmdlichkeit der
Zehen bei fehlendem Puls. Die Arteria
tibialis antica pulsierte nur oberhalb der
Verletzungsstelle. Diese Arteria wurde
mittels Endanastomosenbildung mit ei-
ner kleinen, in den Gewebstrümmern in-
takt gebliebenen Vene vereinigt. Der
Fuss ist wieder warm geworden, das Ge-
fühl hat sich wiederhergestellt. Dr.
Beck nimmt an, dass die übrigen Ge-
fässe in der pulpösen Gewebsmasse mit
Sicherheit zerrissen waren. Tierver-
suche ergaben, dass sich nach einer der-
artigen Umkehrung des Blutkreislaufes
mit der Zeit die Verhältnisse so gestal-
ten, als ob keine Ueberpflanzung statt-
gefunden hätte. Dr. C. Beck hatte
schon früher laterale Naht angeschnitte-
ner Venen oder „End zu End"-Vereinig-
ungen gemacht. Gelatineinjektionen er-
wiesen sich ihm bei Aneurysma als wir-
kungslos.
Dr. A. Schirmer hat in einem Fall
von Aneurysma Gelatine ebenfalls ohne
Erfolg angewandt.
Dr. E m i 1 B e c k ist der Ansicht, dass
die einfache Exstirpation des Sackes mit
Ligatur ohne Herstellung einer Anasto-
mose des Arterienrohres genügend sei,
da Gangrän des Beines kaum zu befürch-
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
319
ten sei. In Fällen, wo sich bei der Ex-
stirpation Schwierigkeiten infolge Ver-
wachsungen mit Vene und Nerv oder
durch das Vorhandensein zahlreicher
kleinerer Arterien ergeben, ist es ange-
zeigt, die Geschwulst nach Eröffnung
und Ausräumung zu vernähen.
Dr. Doepfner rät, die Möglich-
keit einer Gangrän nach der Totalex-
stirpation im Auge zu behalten, da Fälle
dieser Komplikation vielfach beobachtet
worden sind. Da unser Patient keine
Nervendruckerscheinungen zeigt, so
dürfte die Ablösung des Aneurysma-
sackes vom Nerven nicht schwierig sein.
Bei einer Resektion des Kniegelenkes
ereignete es sich, dass ein Arzt die Ar-
teria poplitea durchschnitt. Die Ar-
teriennaht ergab einen vollkommenen
Erfolg.
Der Vortrag des Herrn Dr. Sauren-
h a u s wird verschoben.
Dr. Herzog teilt mit, dass zu Ehren
des Herrn Professor Hess aus
Würzburg, der in Chicago kurze
Zeit geweilt, um sich von hier nach
Atlantic City zu begeben und einen Vor-
trag in der Ophthalmologie Sektion zu
halten, vom Vorstand der Deutschen
Medizinischen Gesellschaft eine Rund-
fahrt in Chicago und ein Festessen im
Germania Klub veranstaltet wurde.
Dr. H o 1 i n g e r teilt mit, dass Herr
Prof. K i 1 1 i a n in nächster Zeit in Chi-
cago eintreffen werde. Es sollen Vor-
bereitungen gemacht werden, ihn zu
ehren. Dr. H o 1 i n g e r und Dr. Josef
Beck werden zum Komitee für das Ar-
rangement eines Festessens gewählt.
Dr. Doepfner gibt Mitteilung von
der Gründung der Fenge r-Memorial
Association, die den Zweck hat, Gelder
zu sammeln, um aus den Zinsen Medi-
zinern, die sich mit Originalarbeiten be-
schäftigen, zu unterstützen.
Die Deutsche Medizinische Gesell-
schaft möge dieser Gesellschaft korpora-
tiv beitreten.
Am 13. Mai 1907 fand im Hotel Bis-
mark ein Festessen mit nachfolgender
ausserordentlichen Sitzung zu Ehren
des Herrn Prof. K i 1 1 i a n von Frei-
burg statt.
Herr Prof. K i 1 1 i a n hielt einen Vor-
trag über Nasennebenhöhlenerkrank-
ungen und deren Behandlung.
Sitzung vom 16. Mai 1907.
Vorsitzender: Dr. Herzog.
1) Dr. Sau renhaus: Interes-
sante Fälle aus der Geburtshilfe.
2) Dr. Zimmermann: Seltenere
Erkrankungen des Meckel'schen Di-
vertikels.
Dr. Herzog eröffnet die Sitzung
mit der Begrüssung des Herrn Prof.
Küster aus Marburg als Gast.
Hierauf berichtet Dr. Sauren-
haus über folgende Fälle :
1) 29jährige Primipara. Vorzeitiger
Blasensprung. Nach 24stündiger Ge-
burtstätigkeit musste Zange angelegt
werden. Das Geburtshindernis war
durch eine Ankylose des stark vor-
springenden Steissbeines, als Folge ei-
ner früher erlittenen Fraktur dessel-
ben, bedingt.
2) 35jährige Mehrgebärende ; 4 bis
5 Stunden in Geburtstätigkeit. Als
Dr. Sau renhaus anlangte, wurde
gerade Dammschutz ausgeführt. (Dr.
Gilbert.) In der Vulva war Hin-
terhaupt mit Kopfgeschwulst, im After
der Frau die Schulter und ein Teil des
Armes des Kindes sichtbar. Während
einer sehr kräftigen Wehe konnte das
Kind nicht mehr zurückgehalten wer-
den und wurde per rectum bei fast in-
taktem Perineum geboren ; auch die
Plazenta wurde durch das Rektum ge-
boren. Vor 15 Jahren wurde an der
Frau Perineorrhaphie gemacht ; wahr-
scheinlich war an der Operationsstelle
eine Verdünnung des Septums, sodass
dasselbe bei der Geburt hier perforiert
wurde. Der Riss wurde nicht genäht,
da Patientin die Zustimmung verwei-
gerte. Trotzdem Spontanheilung ohne
Recto-vaginalfistel bei normalem Wo-
chenbettverlauf.
3) 24jährige II. Gebärende. Vor 3
Jahren Kaiserschnitt mit totem Kind
und gutem Wochenbettverlauf. Die
Frau erscheint bei Dr. S., da sie ein
lebendes Kind wünscht, das jedoch
nach dem Ausspruch anderer Aerzte
nur durch Kaiserschnitt gewonnen
werden könne. Beckenmasse : Sp. 25,
Cr. 2Sy2, Tr. 31, Conj. ext. 20 cm, C. D.
nicht sehr verringert. Dr. Sauren-
haus verweigert die Sectio caesarea.
Drei Wochen später war der Kindes-
320
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
köpf etwas ins Becken eingetreten. Es
erfolgte schliesslich Spontangeburt ei-
nes 7y2 Pfund schweren Kindes. Die
Geburt war sehr leicht. Es ist rätsel-
haft, warum das erstemal der Kaiser-
schnitt vorgenommen wurde.
Dr. Ries demonstriert das rese-
zierte Stück eines Magens von einem
43jährigen Manne, der am 6. April
1906 operiert worden war. Er hatte
damals seit längerer Zeit an Magen-
beschwerden gelitten. Beträchtliche
Abmagerung, Schmerzen, Erbrechen,
Hacmatemesis, die Pylorusgegend an-
dauernd schmerzhaft, Mangel an Salz-
säure. Kachexie, keine Drüsenschwel-
lungen. Es wurde die Diagnose auf
Karzinom gestellt. Ein Tumor konnte
damals jedoch nicht palpiert werden.
Bei der Operation fand sich ein be-
trächtlicher Tumor in der Pylorusge-
gend, verwachsen mit dem grossen
Netze. Im letzteren mehrere grosse
Lymphdrüsen. Es wurde alles Krank-
hafte durch ausgiebige Resektion des
Magens entfernt, da schwerwiegender
Verdacht auf Karzinom bestand. Es
folgte glatte Genesung. Patient ist
heute gesund. Die vergrösserten
Lymphdrüsen im Netze zeigten unter
dem Mikroskop keine Karzinomele-
mente, sondern nur Entzündung und
Hypertrophie. Der Rand des harten
Tumors zeigte ebenfalls nur entzünd-
liche Infiltration, nirgends aber Karzi-
nom. An der Innenseite des Tumors
befand sich ein hakenförmiges, tiefes
kallöses Geschwür. Bei genauerer Un-
tersuchung des Magens wurde der
Kern einer Pflaume gefunden, die Pa-
tient mehrere Monate zuvor genossen
hatte. Wahrscheinlich war der Pflau-
menkern im Grunde des Geschwürs
eingebettet.
Dieser Fall zeigt, wie auch bei der
Operation die Entscheidung, ob Kar-
zinom oder kallöses Geschwür, schwie-
rig, ja unmöglich sein kann. Selbst die
mikroskopische Untersuchung wäh-
rend der Operation ist nicht immer
sicher, da man mitunter sehr viele
Schnitte machen muss, ehe man Kar-
zinompartien antrifft.
Diskussion. Herr Prof. Küster
spricht über einen von ihm veröffent-
lichten Fall von Ulcus ventriculi, das
nach seiner Methode mit weiter Eröff-
nung des Magens zur Uebersicht der
ganzen Innenfläche des letzteren ope-
riert worden war. Es wurde ein Ge-
schwür mit tiefem Rande vorgefunden ;
im Grunde desselben lag der inkrus-
tierte Kern einer Pflaume, die Patient
ein Jahr vorher genossen hatte. Es
trat Heilung ein. Herr Prof. Küster
betont die Notwendigkeit einer breiten
Eröffnung des Magens zum Auffinden
solcher Fremdkörper.
Hierauf hält Dr. Zimmermann
seinen Vortrag, in welchem er haupt-
sächlich über die primären Entzündun-
gen des M e c k e l'schen Divertikels
spricht, die manche Analogien mit der
Appendizitis bietet. So z. B. war es
in einem Falle, einen 15jährigen Jun-
gen betreffend, der an allgemeiner Peri-
tonitis litt, klinisch nicht sicherzustel-
len, ob die Bauchfellentzündung ihren
Ausgang von dem entzündeten Blind-
darm oder einem anderen Darmab-
schnitt genommen hatte. Bei der Ope-
ration wurde ein gangränöses Meck-
e l'sches Divertikel vorgefunden, das
in mancher Hinsicht dem Bilde einer
gangränösen Appendizitis geglichen.
Divertikel und Appendix sind einander
anatomisch ähnlich, doch ist das er-
stere meist kürzer, breiter, voluminöser
und hat einen weiteren Ausgang an
der Mündung in den Dünndarm : aus-
serdem ist es stets frei in der Bauch-
höhle, weshalb eine Entzündung des-
selben schneller zur Peritonitis führt
und viel gefährlicher ist ; die Prognose
ist hier viel ernster als bei Appendizi-
tis, die Operation weniger erfolgreich.
Klinisch sind beide Affektionen einan-
der sehr ähnlich ; bei beiden gibt es
Rezidiven und chronischer Verlauf.
Diskussion. Dr. A. Ochsner: Die
Diagnose des Divertikels mit seinen
Erkrankungsformen ist sehr interes-
sant. Man findet in fast allen Fällen
der Literatur, dass die Diagnose eine
Zufallsdiagnose war. In Fällen von
Ileus denkt Dr. O c h s n e r stets an
die Möglichkeit eines Divertikels, wes-
halb er einigemale die richtige Dia-
gnose gestellt hat, aber nicht primär.
Divertikel werden bei Laparotomien
oft vorgefunden. Nur wenn eine Na-
belfistel vorhanden ist, ist die Erken-
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
321
nung leicht. In einem Typhusfall
wurde die Diagnose Perforationsperi-
tonitis gestellt. Bei der Operation
wurde jedoch ein Divertikel mit Darm-
verschlingung vorgefunden. Durch
diese Fehldiagnose wurde das Leben
des Patienten gerettet. Bei einem an-
deren Kranken wurde die Diagnose
eingeklemmte Hernie gestellt. Bei der
Operation fand sich ein im Bruchsack
eingeklemmtes, gangränöses, 5 cm
langes Divertikel, das von einer Fisch-
gräte perforiert war. In einem dritten
Falle wurde im Bruchsack ein M eck-
e l'sches Divertikel vorgefunden.
Dr. Z i m m e r m a n n wiederholt im
Schlusswort, dass er nicht über me-
chanischen, durch ein Divertikel be-
dingten Ileus habe sprechen wollen ; er
wollte hauptsächlich betonen, dass es
eine primäre Entzündung der Diverti-
kelwände gibt, ohne Abschlissung,
ohne Strangulation, ohne mechanische
Ursachen, nur auf Grund von Verhält-
nissen, wie sie auch beim Appendix
vorliegen, wiewohl die Entstehung der
Entzündung von manchen Chirurgen
in mechanischer Weise erklärt wird,
indem nämlich angenommen wird, dass
zuerst ein Abschluss des Appendix von
innen durch katarrhalische Entzün-
dung der Schleimhaut platzgreife, und
dass dieser Abschluss dann die Ent-
zündung des Gesammtorganes zur
Folge habe.
Herr Prof. Küster ergreift das
Wort und dankt zunächst für die
freundliche Einladung der Deutschen
Medizinischen Gesellschaft und hält
sodann einen ausführlichen, hoch in-
teressanten und mit grossem Danke
von Seiten der Versammlung aufge-
nommenen Vortrag über Haemophilie
der Niere (chronische fleckweise Ne-
phritis, Glomerulonephritis, angioneu-
rotische Form der Nierenerkrankung,
Nierenneuralgie).
Dr. Herzog gibt im Namen der
Gesellschaft dem Gefühl der Genugtu-
ung und Freude warmen Ausdruck,
einen hervorragenden Vertreter der
deutschen Wissenschaft als Gast zu
sehen, dessen Gegenwart einen grossen
Gewinn bedeutet, da von solchen Män-
nern eine intensive wissenschaftliche
Anregung für die hiesige Aerzteschaft
ausgeht. Wir bedürfen der Anregung
durch Männer, die sich voll und ganz
dem Kreise ihres Faches, der For-
schung widmen können.
Nach der wissenschaftlichen Sitzung
findet ein Kommers zu Ehren des
Herrn Prof. Küster statt.
Sitzung vom 6. Juni 1907.
Vorsitzender : Dr. Herzog.
1) Dr. A. C. Cr oft an: Einige Er-
fahrungen mit der sogenannten Hafer-
kur in Diabetes mellitus.
2) Dr. M. Herzog: Ueber Opso-
nine und Vakzinebehandlung.
Diskussion zu Dr. C r o f t a n's Vor-
trag.
Dr. Herzog hat sich seit Jahren
mit dem Studium der amylolytischen
Fermente beschäftigt. Ptyalin und das
amylolytische Enzym der Pankreas-
drüse wandeln Stärke in Maltose um,
während diese wieder durch die vom
Dünndarm gelieferte Glukase in Glu-
kose oder Dextrose verwandelt wird.
Die schliessliche Spaltung von Glu-
kose erfolgt durch ein vom Pankreas
durch innere Sekretion (L an ger-
bt a n s'sche Inseln) bis jetzt unbekann-
tes Ferment. H. hat nach dem V or-
gange von Minkowski bei Hunden
schweren, tödlich verlaufenden Dia-
betes durch totale Pankreasexstirpa-
tion erzeugt. H. glaubt, dass die Um-
wandlung von Glukose im tierischen
Körper derart erfolgt, dass das Pan-
kreas ein der Hefezymase ähnliches
Enzym liefert und dass im tierischen
Körper die Glukose in Alkohol und
C02 gespalten und der gebildete Al-
kohol sofort in statu nascendi zu H20
und CO, oxydiert wird. Herzog hat
versucht, seine Hypothese experimen-
tell zu beweisen und er hat vor mehre-
ren Jahren ausführlich im H o f m e i-
s t e r'schen Archiv für Physiologische
und Pathologische Chemie über seine
Versuche berichtet. Es gelang ihm,
mit unter hohem Druck ausgepressten
Pankreassaft in starken Zuckerlösun-
gen Spuren von Alkohol zu bilden.
Die gute Wirkung des Salizyls und sei-
ner Derivate, wie Aspirin, etc. bei Dia-
betes, hat man sich vielleicht derart
vorzustellen, dass bei Gegenwart der-
322
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
selben das amylolytische Ferment in
seiner Wirkung gehemmt wird; so bil-
det sich weniger Zucker.
Es wird darum die Stärke bei Sali-
zylverabreichung weniger verdaut.
Dr. Decker verliest einen 1905 er-
schienenen Aufsatz, in welchem N a u-
n y n zur Behandlung des Diabetes mit
Milch, Kartoffeln oder Hafer Stellung
nimmt. Keine dieser genannten Be-
handlungs- resp. Ernährungsmethoden
sind stichhaltig. Die gelegentlichen
Erfolge solcher Kuren werden durch
die psychischen und hygienischen Ein-
flüsse hiebei erreicht; überdies handelt
es sich bei denselben um eine ener-
gische Eiweissentziehung und Unter-
ernährung. Die letztere allein ist ein
Mittel, die Toleranz für Kohlehydrate
zu steigern. Bei Kartoffel- und Hafer-
diät geht ein beträchtlicher Teil der
Stärke durch Gährung im Darme ver-
loren.
Dr. C r o f t a n : Das psychische Mo-
ment hat mit dem Erfolg gewiss etwas
zu tun ; für viele Fälle hingegen kann
die Erklärung des Erfolges nicht auf
der Basis der Unterernährung beruhen,
da ja die Patienten an Körpergewicht
zunehmen. Die von Dr. Herzog
gegebene Erklärung der Wirkung der
Salizylsäure dürfte richtig sein. Mög-
licherweise wird auch die Umwand-
lung des Glykogen in Dextrose durch
Salizylsäure gehemmt. Im Blute ent-
steht aus dem Zucker nicht nur Alko-
hol und Kohlensäure, sondern auch
Milchsäure.
Ad. II. Dr. Herzog hält seinen
Vortrag über Opsonine und Vakzine-
behandlung, worauf Frau Dr. P a p o t,
vom Michael Reese Hospital, die Tech-
nik der Opsoninbestimmung demon-
striert.
Diskussion. Auf eine Frage des Dr.
Croftan teilt Herzog mit, dass
er K o c h's neues Tuberkulin für die
Behandlung der Tuberkulose benütze.
Dasselbe kommt in Fläschchen von 1
ccm mit 5 Milligramm Substanz in den
Handel. Dr. H. verdünnt diese Stamm-
lösung von 1 ccm mit 49 ccm Koch-
salzlösung, die Yi Prozent Lysol ent-
hält (Verdünnung No. 1) und dann
wiederum 1 ccm von Verdünnung No.
1 mit 49 ccm Kochsalz-Lysollösung,
sodass 1 ccm der Verdünnung Xo. 2
1/500 mg Tuberkelbazillensubstanz
enthält. Davon werden 8 Tropfen mit
1/1000 mg Tuberb. pro dosi injiziert.
Dr. Ries berichtet über einen Fall
von Nieren- und Ureterentuberkulose
mit Exstirpation der Niere. Es ent-
wickelte sich eine Fistel, die für lange
Zeit bestand und sich nicht schliessen
wollte, bis Tuberkulinbehandlung be-
gonnen wurde. Nach dreimonatlicher
Anwendung des Tuberkulins war die
Fistel vollkommen verheilt.
In einem zweiten Falle wurde ein
tuberkulöses Geschwür des Rektums
exstirpiert, wonach sich eine Fistel tu-
berkulöser Natur entwickelte ; schliess-
lich begann Patient zu husten und zu fie-
bern und im Sputum wurden Tuber-
kelbazillen nachweisbar.
Dr. Herzog begann die Behand-
lung mit Tuberkulosevakzine. Nach
bereits 3 Wochen war eine bedeutende
Besserung der Fistel wahrnehmbar,
jedoch keine Beeinflussung des Lun-
genbefundes.
Dr. G. Schmauch dankt für die
Erklärungen und Demonstrationen der
Technik der Vakzinebehandlung. Auch
er sah" in einem Falle von Acne vul-
garis eine bedeutende Besserung nach
3 bis 4 Vakzineinjektionen auftreten.
In einem Falle von tuberkulösem
Lymphdrüsenabszess, der anderen Be-
handlungsmethoden, die durch längere
Zeit durchgeführt worden waren, ge-
trotzt, schwand derselbe vollständig
eine Woche nach Einführung der Vak-
zinebehandlung. Dr. Schmauch
kritisiert den Terminus Vakzine als
eine unrichtige Bezeichnung, da es sich
um Präparate aus abgetöteten Mikro-
organismen handelt. Dr. Herzog
stimmt diesem Einwände bei, doch
möge dieser Terminus vorläufig beibe-
halten werden, da er sich in der Litera-
tur eingebürgert hat. Die beständige
Kontrolle der Wirkung der Vakzinebe-
handlung durch die Bestimmung des
Opsoninindex ist unumgänglich not-
wendig, da sonst die Methode leicht in
Misskredit kommen könnte. Erforder-
lich ist ein langsames Vorgehen mit
der Dosierung. Die Vakzinebehand-
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
323
hing scheint am besten bei unkompli-
zierter Tuberkulose, bei Streptokok-
ken- und Staphylokokkeninfektion, hin-
gegen bei Pneumokokkeninfektion gar
nicht zu wirken.
Dr. Doepfner empfiehlt der Ge-
sellschaft den korporativen Beitritt
zur Fenger Memorial Association mit
einem Beitrag von 50 Dollars, zahlbar
bis zum 1. Dezember 1907.
Der diesbezügliche Antrag wird von
Dr. H o 1 i n g e r gestellt und von der
"Versammlung einstimmig angenom-
men.
Dr. A. Strauch,
Schriftführer.
Kleine Mitteilungen.
— Neu erscheinen im Verlage von S. Kar-
ger in Berlin „Beiträge zur Anatomie, Phy-
siologie, Pathologie und Therapie des Ohres,
der Nase und des Kehlkopfes" , herausgegeben
von Professor Dr. A. Passow und Profes-
sor Dr. K. L. Schaefer. Diese „Beiträge"
haben nicht die Grundtendenz, eine neue Zeit-
schrift für Otologie, Rhinologie und Laryn-
gologie zu schaffen von jener Form, wie sie
gegenwärtig schon in grösserer Zahl den Be-
dürfnissen der Spezialisten entsprechend vor-
handen sind. Es ist vielmehr beabsichtigt,
nicht nur Arbeiten aus den spezialistischen
Kreisen zu bieten, sondern möglichst viele aus
dem Gebiete der Physiologie und Physik, der
normalen, pathologischen und entwicklungsge-
schichtlichen Anatomie, der Neurologie und
inneren Medizin, der Ophthalmologie, kurz
aller jener Wissenschaften, mit deren Fort-
schritten der Ohren-, Nasen- und Halsarzt
unbedingt auf dem Laufenden bleiben muss,
sofern er fruchtbringend wissenschaftlich ar-
beiten will. Es soll auch den Vertretern jener
erwähnten Wissenschaften durch die „Bei-
träge" Gelegenheit gegeben werden, sich dem
Studium der in Frage kommenden Organe im
Interesse der wechselseitigen Berührungs-
punkte mit mehr Erfolg widmen zu können
als bisher.
Neben den Originalarbeiten soll in Form
von Sammelreferaten eine übersichtliche Zu-
sammenfassung einzelner wichtiger Gebiete ge-
geben werden. Die Sammelreferate sollen be-
sonders alle Fragen von aktuellem Interesse
oder erhöhter Bedeutung umfassen, und zwar
aus der Fachliteratur sowohl wie aus den ver-
schiedensten Gebieten der Gesamtmedizin, so-
weit sie mit der Oto-Rhino-Laryngologie in
Beziehung stehen.
Um den Lesern die Ergebnisse, welche in
Gesellschaften oder Kongressen vorgetragen
werden, vorzuführen, werden die Herausgeber
von Zeit zu Zeit auch über diese berichten, so-
weit die Original-Verhandlungen nicht zur
Publikation anvertraut werden. Bücher und
Monographien werden zur Besprechung kom-
men, Tagesnotizen und Personalien den
Schluss bilden.
Die „Beiträge" erscheinen in zwanglosen
Heften von etwa 5 Bogen, 6 Hefte bilden ei-
nen Band. Der Preis des Bandes beträgt
M. 20, — im Inlande, M. 22, — für das ge-
samte Ausland ; einzelne Hefte werden nur,
soweit der hierzu bestimmte Vorrat reicht,
und zu ihrem Umfang entsprechend erhöhten
Preisen abgegeben.
Die ersten Hefte werden u. a. enthalten:
Ueber den Verschluss der Knochenwunden
nach Antrumoperation. Von A. Passow.
Tabellen der Schallgeschwindigkeit und Ton-
wellenlängen in der Luft bei verschiedenen
Temperaturen. Von K. L. Schaefer. Zur
Pathologie der Labyrinthentzündungen. Von
Oberarzt Dr. Lange. (Hierzu 8 Tafeln.)
Der Nasenrachenraum bei Transsudat, akuter
und chronischer Mittelohreiterung auf Grund
von hundert postrhinoskopisch untersuchten
Fällen. Von Dr. med. Max Mann in Dres-
den. Zur Lehre von der Schallokalisation von
Ass.-Arzt M ü n n i c h. Ueber die physiolo-
gische obere Tongrenze. Von Priv.-Doz. Dr.
H e g e n e r. Ueber Stellung und Bewegung
des Kehlkopfes bei normalen und pathologi-
schen Sprachvorgängen. Von Priv.-Doz. Dr.
H. Gutzmann. Die obere Hörgrenze und
ihre exakte Bestimmung. Von Prof. F. A.
Schulze in Marburg. Uebersicht über die
Fortschritte auf dem Gebiet der vergleichen-
den Anatomie des Mittelohrs. Von Dr.
Herrn. Beyer in Berlin.
— Komitee für die Begründung einer Robert
Koch-Stifung zur Bekämpfung der Tuberku-
324
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
lose. Unter dem Vorsitz des Staatsministers
Dr. von S t u d t hat sich ein Komitee gebildet,
das einen Aufruf für die Begründung einer
„Robert Koch-Stiftung zur Bekämpfung der
Tuberkulose" erlässt. Die Stiftung, die aus
Anlass des 25jährigen Gedenktages der R o-
b e r t K o c h'schen Entdeckung des Tuberkel-
bazillus errichtet und somit der Erinnerung
an die grundlegende Beobachtung für die Er-
forschung der gesamten menschlichen Infek-
tionskrankheiten gewidmet wird, stellt sich ab-
gesehen von der Ehrung des genialen For-
schers die Aufgabe, wissenschaftliche Arbeiten
und damit auch praktische Bestrebungen zur
Bekämpfung der Tuberkulose aus ihren Mit-
teln zu unterstützen. Bei der grossen Zahl
von Opfern, die die Tuberkulose noch immer
fordert (in Deutschland allein im Jahre 1905
rund 122,000), muss ein solches Werk als
höchst wertvoll anerkannt werden, und eine
reichliche Beisteuer zur Stiftung von jeder-
mann aus dem Volke ist auf das lebhafteste
zu wünschen. Dem Komitee gehören u. a.
Graf von Posadowsk y- W e h n e r, Mi-
nisterialdirektor A 1 1 h o f f, der Präsident des
Kaiserl. Gesundheitsamts, der Generalstabarzt
der Armee, der Vize-Oberzeremonienmeister
des Kaisers Kammerherr v. d. Knesebeck,
I. Leibarzt des Kaisers Generaloberarzt Dr.
1 1 b e r g, der bayrische Gesandte in Berlin,
die Minister des Innern aus Sachsen, Würt-
temberg, Baden, Hessen, ferner Oberpräsiden-
ten, Oberbürgermeister, hervorragende Aerzte,
Industrielle etc. aus allen Teilen des Reichs an.
Beiträge werden an das Bankhaus S.
Bleichröder, Berlin, Behrenstrasse 63, er-
beten. Nähere Auskunft erteilt der Schrift-
führer des Komitees, Professor Dr. J.
Schwalbe, Herausgeber der Deutschen
Medizinischen Wochenschrift, Berlin, W. 35.
— Internationaler Tuberkulosekongress. Das
Exekutivkomitee des Staates New York für
den Internationalen Tuberkulosekongress hielt
am 11. d. M. eine Sitzung in der Academy of
Medicine ab. Auf der Tagesordnung stand
Ergänzung des Komitees sowie Beratung über
die beste Art und Weise, für den Kongress im
Staate New York Propaganda zu machen.
Zur Zeit setzt sich das Komitee zusammen,
wie folgt :
Dr. Alfred Meyer, New York City,
Vorsitzender.
Dr. H. D. Pease, Albany, Schriftführer.
Dr. Thomas Darlington, New York
City.
Homer Folks, New York City.
Robert W. Hebbar d, New York City.
Dr. Veranus A. Moore, Ithaca.
Dr. J. H. P r y o r, Buffalo.
— Eine literarische Leistung von Dr. Mag-
nus Hirschfeld. In der letzten Nummer der
Gazette medicale de Paris findet sich eine
kurze Besprechung eines Buches, „Le troisieme
sexe: les Homosexuels de Berlin" von Dr.
Magnus Hirschfeld in Berlin. Am
Schlüsse dieser Besprechung heisst es : „Der
Verfasser weist durch Tatsachen und Einzeln-
heiten nach, dass das Laster der Päderastie
keineswegs auf die höheren Kreise Deutsch-
lands beschränkt ist, sondern im Gegenteil alle
Gesellschaftsklassen durchseucht hat, dass da-
her das blonde und tugendhafte Germanien
eher alles andere als besser als das alte Babylon
ist." Nun die Herren in dem „Seine-Babylon"
Paris können sich beruhigen; es gibt bei ihnen
mindestens ebensoviele „Tütüs", wenn nicht
mehr, wie auf der anderen Seite des Rheins.
Was den Herrn Dr. Hirschfeld anbetrifft,
so wird wohl jedermann, der die beiden Har-
den-Prozesse verfolgt hat, noch in Erinnerung
sein, wie dieser Sachverständige sich dabei auf
unsterbliche Weise blamiert hat. Wenn er bei
der ersten Verhandlung von einem unbewuss-
ten homosexuellen Empfinden sprach, von einer
von der Norm abweichenden Männer-Freund-
schaft, die aber den Charakter reiner Freund-
schaft nicht verliert, von einer Homosexualität,
die sich aber nicht homosexuell betätigt, und
schliesslich sogar von einem anormalen Nor-
mal-Empfinden, so brachte der zweite Prozess
gänzlich veränderte Anschauungen bei ihm
zu Tage. Welche zweifelhafte Rolle Dr.
Hirschfeld inzwischen bei dem Prozesse
gegen Adolf Brand gespielt hat, ist be-
kannt. Welche Beweggründe ihn bewogen
haben mögen, in Paris ein Buch über die sexu-
ellen Laster in Berlin zu publizieren, lässt sich
ja vermuten, dieselben gereichen dem Verfas-
ser sicherlich nicht zur Ehre. Herr Dr.
Hirschfeld hat wohl auch noch nie etwas
von dem sonst wohlbekannten Sprüchwort von
dem Vogel, der sein eigenes Nest beschmutzt,
gehört.
Medizinische ]Vlonat8scbrift
Offizielles Organ der
Deutzen medizinifchen Gcfcllfdiaften der Städte new y»rk.
Chicago, Cleveland und San Trancisco.
Redigiert von Dr. A. Ripperger.
Bd. XIX. New York, Februar, 1908. No. ir.
Originalarbeiten.
Inhal dtions
Von Dr. F.
Der Inhalations-Therapie konnten
bis vor kurzer Zeit die ärztlichen
Kreise keine allzugrosse Sympathie ab-
gewinnen. Mehr von den Kranken als
von den Aerzten bevorzugt, wurde sie
meistens in klimatischen Kurorten ge-
übt. Das Misstrauen der Aerztekreise
fand eine gewisse Berechtigung darin,
dass die Mehrzahl der Inhalatorien un-
ter Aufsicht von Personen standen, die
keine ärztliche Ausbildung hatten, und
infolgedessen weder klinische Beob-
achtungen noch genaue Indikationen
gestellt werden konnten. Ist doch die
Inhalationskur nur unter Aufsicht des
Arztes zu gebrauchen, da jeder Patient
nicht bloss das passende Mittel, son-
dern auch beim Gebrauch des Inhala-
tors die richtige Temperatur des
Spray's vom Arzte vorgeschrieben ha-
ben muss. Und da einerseits dieser
nicht allwissend ist, anderseits nicht
jeder Kranke gleichmässig reagiert, so
*) Vortrag, gehalten in der Deutschen med.
Gesellschaft der Stadt New York am 6. Januar
1908.
Therapie.*
C. RUPPERT.
hat eine ständige Kontrolle stattzufin-
den — genau so, wie wenn der Patient
mit Medizinen behandelt wird. Fer-
nerhin waren die bis zur letzten Zeit
gebrauchten Inhalationsapparate zu
unvollkommen, um eine vernunftmäs-
sige Behandlung fordern zu können.
Die Temperatur des Sprays konnte nur
ungenau reguliert werden, sodass die
Hitze den empfindlichen Schleimhäu-
ten direkt schadete, schwerflüchtige
heilkräftige Medikamente konnten
nicht in gasförmigen Zustand gebracht
werden ; reichliche und feine Zerstäu-
bung war ungenügend, um in die tief-
ern Teile der Luftröhre einzudringen.
Vor allem aber war die Menge der ein-
geatmeten Heilmittel viel zu gering,
um eine nennenswerte Wirkung aus-
üben zu können.
Erst seit einigen Jahren ist nun das
Interesse an der Inhalations-Behand-
lung erkrankter Atmungsorgane wie-
der allgemein erwacht und in Europa
sogar ein aussergewöhnlich reges ge-
worden, ohne in diesem Lande bis jetzt
eine nennenswerte Beachtung gefun-
326
New Yorker Medizin
ische Monatsschrift.
den zu haben. Wenngleich auch das
Verschreiben des ,,Rezeptes zum Ein-
nehmen" für den Arzt recht bequem
ist, das Misstrauen des Kranken der
Medizin gegenüber ist gewissermassen
berechtigt, die Wirkung des Medika-
ments in manchen Fällen oft recht
zweifelhaft und die Abneigung gegen
das Einnehmen selbst ein so bekann-
tes, dass wir gut daran tun, das Rezep-
tieren einzuschränken in denjenigen
Fällen, wo derselbe Zweck angeneh-
mer, schneller und gründlicher erreicht
wird durch eine zweckmässig gehand-
habte Inhalationsbehandlung, welche,
da sie eine lokale Behandlung ist, un-
streitig erheblich wirksamer wirkt und
ausserdem mit weit geringeren unan-
genehmen oder gefährlichen Nebenwir-
kungen für den Gesamtorganismus
verbunden ist, als es bei der bis zur
Zeit noch üblichen Allgemeinbehand-
lung der Fall ist.
Unter Inhalations-Therapie versteht
man die Anwendung von Arzneimit-
teln in Form von zerstäubten Lösun-
gen, trockenen, staubförmigen Kör-
pern, den Pulvern, Gasen oder Dämp-
fen zu Heilzwecken. Heilend wir-
kende Stoffe sollen auf dem Wege der
Atmung in die Respirationsorgane
durch Inhalationen eingebracht wer-
den. Schon Hippokrates hat
Räucherungen zu Heilzwecken ver-
wendet, speziell bei Lungenerkrankun-
gen. Im 9. und dann erst 17. Jahrhun-
dert sind Rhazes und Bennet für
Räucherungen und Inhalationen einge-
treten. Als der eigentliche Erfinder
der Inhalations-Methode, abgesehen
von wenigen ähnlichen Versuchen,
dürfte H i r z e 1 1829 gelten, der Meer-
wasser durch einen Springbrunnen zer-
stäuben und diese Luft von Lungen-
kranken, namentlich Schwindsüchti-
gen, einatmen Hess. Erst neuere Fort-
schritte auf dem Gebiete der Chemie
haben der Inhalations-Therapie neue
Bahnen geöffnet und bildeten die An-
regung zu einem bisher ganz unge-
wohnten Aufschwung dieser Behand-
lungsweise. 1858 durch S a 1 e s-G i-
rons erfuhr diese Methode eine wei-
tere Vervollkommung dadurch, dass er
einen Zerstäubungsapparat konstru-
ierte, um Arzneiflüssigkeit zerstäuben
zu können. Seitdem nun wurden eine
Anzahl von Apparaten konstruiert, em-
pfohlen und auch angewandt. Doch
wurden mit der Zeit, nachdem speziell
die Verwendung zerstäubter Arznei-
flüssigkeit für Inhalationszwecke allge-
meine Aufnahme gefunden, Zweifel an
der Zweckmässigkeit dieser Methode
laut. Fourier und P i e t r a-S a n-
t r a bestritten energisch auf Grund ex-
perimenteller Untersuchungen und
theoretischer Erwägungen die Mög-
lichkeit des Eindringens des inhalierten
Flüssigkeitsstaubes in die mittleren
und tieferen Luftwege. Immer wie-
derum wiederholten sich mit Berech-
tigung infolge der mangelhaft konstru-
ierten Apparate diese Einwendungen,
bis gerade in den letzten Jahren es
B u 1 1 i n g, Was m uth und H e-
ry ng gelungen ist, sehr viel intensi-
ver arbeitende Zerstäubungsapparate
anzufertigen, die alle Zweifel behoben.
Die Pariser Akademie der Medizin ent-
schied sich nach eingehenden Unter-
suchungsmethoden dahin, dass mit die-
sen neuesten Apparaten eingeatmete
zerstäubte Flüssigkeit ohne besondere
Schwierigkeit wirklich bis in die tief-
sten Abschnitte des Atmungsapparates
einzudringen vermag. Die zahlreichen
Diskussionen über diesen Vorgang
möchte ich hier übergehen und als Re-
sultat dieser Streitfrage den Entscheid
der Pariser Akademie hinstellen, wel-
cher jetzt auch allgemein angenom-
men ist.
Es war eine natürliche Folge dieser
epochemachenden Erfindung in den
neuesten Zerstäubungsapparaten als
den vollkommensten Typen, dass in
den europäischen Ländern zahlreiche
Inhalatorien nach dem neuen System
eingerichtet wurden und jetzt riesig
frequentiert werden. Die Heilerfolge,
die man daselbst erzielt hat, sind so
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
327
glänzend, dass selbst die Arbeiter-
krankenkassen sich eigene Inhalato-
rien bauen, um ihren Arbeitern auch
die Wohltat dieser Behandlungsweise
zu niedrigen Preisen angedeihen lassen
zu können. So darf es uns auch nicht
wundern, wenn wir vor einigen Wochen
in den Zeitungen lasen, dass der Keiser
von Oesterreich bei der sich zugezo-
genen Erkältung von einem Stabe der
angesehensten Aerzte Inhalationsbe-
handlung in Form von Zerstäubung
erhielt.
Ich werde wohl in Kürze auf die ver-
schiedenen Formen der Inhalationen
eingehen müssen, um der allgemein
verbreiteten, doch irrigen Ansicht, dass
Inhalationsapparate und Zerstäubungs-
apparate geradezu gleichbedeutend
seien und dass Inhalationen nur durch
Zerstäubungsapparate gemacht wer-
den können, entgegenzutreten, trotz-
dem sich die Anwendung in der Form
von zerstäubter, warmer Flüssigkeit
am besten eingebürgert hat und in den
neuesten Apparaten, als Einzel- und
Gesellschaftsinhalationen, sich einer
besonderen Beliebtheit beim Arzte wie
Kranken erfreut.
I. Pulver : Die Inhalation von trocke-
nen, pulverförmigen Arzneimitteln ist
technisch leicht ausführbar. Die An-
wendung der wenigen Apparate, die da-
zu konstruiert wurden, stösst bei den
meisten Kranken auf grossen Wider-
stand, wenn speziell durch tiefe Inspira-
tion das Mittel bis in die Bronchien hin-
eingelangen soll. Der sofort auftre-
tende, quälende Husten nach der ersten
Einatmung solchen Staubes erregt einen
unbezwingbaren Widerwillen gegen eine
zweite Inspiration. Der in den Lungen
von Kohlenarbeitern gefundene Kohlen-
staub ist übrigens der beste Beweis für
das Eindringen feiner Partikelchen bis in
die Lungenalveolen, was durch Unter-
suchung über Staubinhalationskrankhei-
ten ja längst unwiderleglich festgestellt
ist. Einen völligen Ersatz für diese In-
halation haben wir in den durch den
Arzt mittels eines Pulverbläsers vorzu-
nehmenden Einblasungen. Ich möchte
bemerken, dass Insufflation nicht in das
Gebiet der Inhalations-Therapie gehört ;
denn bei dieser bewirkt der Einatmungs-
strom das Hineinbefördern der fein ver-
teilten Arznei.
II. Dämpfe: Gewisse Arzneimittel,
wie ätherische Oele, dringen in ver-
dämpf tem Zustand, also in einem durch-
aus luftähnlichen Aggregatzustand ge-
bracht, in die Lungen ein. Die Jeder-
mann bekannte Allgemeinwirkung bei
der Einatmung von Chloroform, Aether,
Amylnitrit u. s. w. lehren, dass Arznei-
dämpfe in Wirklichkeit ohne jede
Schwierigkeit mit der Inhalationsluft bis
in die tiefsten Abschnitte des Atmungs-
apparates einzudringen vermögen. Am
bekanntesten ist der mit heissem Wasser
gefüllte Topf, dem ein Medikament bei-
gefügt wird, und die sich nun kräftig
entwickelnden Dämpfe werden durch ei-
nen über den Topf gestülpten Trichter
gesammelt und eingeatmet. So einfach
diese Art ist, die ausströmende Hitze
wirkt schädlich auf die empfindlichen
Schleimhäute ; abgesehen von dem Wi-
derwillen des Kranken, sich den Mund
zu verbrennen, wird er nur in gewisser
Entfernung einatmen, wodurch natürlich
die Fleilkraft durch Zufluss der atmo-
sphärischen Luft ganz bedeutend herab-
gesetzt wird. Um solche Inhalationen
ergiebiger und konstanter zu bewerkstel-
ligen, haben Scheibe, Sänger und
Hering Thermoakkumulatoren, ge-
eignete Apparate konstruiert, welche den
Vorzug besitzen, ätherische Oele mit
Wasserdampf gemischt zur Einatmung
zu bringen, sodass durch die feine Ver-
teilung, die mässig warme Temperatur
und die durch den Wasserdampf gemil-
derte Konzentration das Mittel keinen
Reiz auf die Schleimhäute ausübt und
infolgedessen ein tiefes Eindringen bis
in die feinsten Luftwege ermöglicht.
III. Gase : Die Inhalation von Gasen
zu therapeutischen Zwecken findet in den
328
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
Respirationsorganen keine Schwierig-
keiten, solange sie nicht irrespirabel
sind d. h. die Schleimhäute, vor allem
den Larynx und die Bronchien derart
reizen, dass jede Atmung durch reflek-
torischen Schluss des Kehlkopfs unter-
brochen wird. Doch haben die Inhala-
tionen der eigentlichen Gase, wie Stick-
stoff, Kohlensäure, Schwefelwasserstoff,
Blausäure, Sauerstoff, Ozon wenig Ver-
breitung bei der Behandlung von Er-
krankungen der Luftwege gefunden, und
die daran geknüpften Erwartungen ha-
ben sich in der Praxis nicht als begrün-
det erwiesen. Die hier ziemlich bekann-
ten Sauerstoffinhalationen haben für die
Inhalations-Therapie, soweit sie Lokal-
therapie ist, kein Interesse.
IV. Zerstäubte Flüssigkeiten. In einer
mit zerstäubten Wasserteilchen angefüll-
ten Atmosphäre atmen wir ruhig, auch
wenn ein irrespirables Gas in kleinen
Quantitäten derselben beigemischt ist.
Da diese Behandlungsmethode, wie
schon erwähnt, allgemeine Verbreitung
gefunden, werde ich darauf etwas näher
eingehen. Wenn eine Flüssigkeit in den
Zustand des Zerstäubtseins versetzt, in
eine Anzahl kleinster Tröpfchen aufge-
löst wird, erhält sie die Fähigkeit, eine
gewisse Zeit in der Luft sich schwebend
zu erhalten und kann infolgedessen ge-
mischt mit der atmosphärischen Luft in
die Luftwege eindringen. Der noch
heute nicht unbeliebte Aufenthalt des
Kranken am Meeresstrande bildet die
ursprünglichste Art der Darstellung der
Inhalation zerstäubter Flüssigkeit. Spä-
terhin wurden Apparate zur künstlichen
Darstellung feuchten S taubes konstru-
iert ; doch konnten bei der ebenerwähn-
ten Methode Temperatur, Druck und
Konzentrationsgehalt der Flüssigkeit
keine Beachtung finden. Nach den bis-
her empfohlenen Inhalationszwecken die-
nenden Zerstäubungsapparaten lassen
sich nach ihren Erfindern 3 Systeme un-
terscheiden.
1) Nach Sales-Girons 1858, des-
sen Apparat mit Hilfe einer Druckluft-
pumpe einen feinen Wasserstrahl gegen
eine feste Wand schleuderte. An dieser
wurde der Strahl zerstäubt. Kaum noch
in Gebrauch.
2) Bei den nach M a 1 1 h i e u konstru-
ierten Apparaten erfolgt die Zerstäubung
in der Weise, dass die verdichtete Luft
zugleich mit der Flüssigkeit aus einer
feinen Röhre heraustritt. Die hier be-
kannten Atomizer für die Nase und die
Besprengungsapparate mit wohlriechen-
der Flüssigkeit für Kleider und Gesicht
sind nach diesem Prinzip gemacht.
3) Das B e r g s o n- Prinzip findet in
den bekannten modifizierten Siegle'-
schen Apparat Anwendung, nämlich dass
sich zwei spitz zulaufende Glasröhren
unter einem rechten Winkel treffen, wo-
bei die durch Wasserdampf ersetzte,
komprimierte Luft aus der einen Röhre
die Inhalationsflüssigkeit aus der ande-
ren Röhre emporsaugt und in kleinste
Tröpfchen zerreist.
Bekanntlich gibt es nun eine grosse
Anzahl von verschieden aussehenden und
benannten, für therapeutische Zwecke
brauchbaren Apparaten für Zerstäubung
der Inhalationsflüssigkeit. Aber es han-
delt sich soweit das Prinzip der Zer-
stäubung in Frage kommt, ausschliess-
lich um Modifikationen und Verbesser-
ungen der genannten 3 Systeme: Sales-
Girons, Matthieu und Berg-
s o n. Die Triebkraft bildet entweder
komprimierte Luft, welche auch erwärmt
werden kann, oder strömender Wasser-
dampf. Darnach unterscheiden wir wie-
der drei Gruppen : Apparate für kühle,
warme und heisse Inhalationen. Einzel-
und Gesellschaftsinhalationen. Die neue-
sten und modernsten Apparate von
Was m u t h , B u 1 1 i n g und H e r y n g
als grosse Zerstäuber sind die vollkom-
mensten Typen von Apparaten für Ge-
sellschaftsinhalationen. Sie vermögen die
Zerstäubung von ausserordentlicher
Feinheit zu bewirken ; die Tröpfchen,
welche erzeugt werden, sind so klein und
kleiner wie die Lungenalveolen, kleiner
wie die roten Blutkörperchen. Die Flüs-
sigkeitsbläschen haben einen Durchm.es-
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
329
ser von 0.0006—0.0012 mm; der dadurch
gebildete Nebel dringt bis in die feinsten
Bronchien und Bronchiolen ein. Durch
ein rechnerisch und experimentell genau
festgestelltes bestimmtes Verhältnis zwi-
schen den aus den Röhren hervordrin-
genden Flüssigkeitsmengen wird eine
vollständige Verdunstung der Tröpfchen
verhindert. Auch kleine, sehr vollkom-
mene Apparate, speziell für Nasen- und
Halserkrankungen wurden von B u 1 1-
i n g und Was m u t h konstruiert. Ich
möchte auf die Beschreibung dieser
neuesten Einzel-Apparate hier nicht ein-
gehen ; der Zweck und das Resultat sind
stets die gleichen geblieben, wenn gleich
zu erwähnen ist, dass die B u 1 1 i n g'-
schen Apparate, „Guttafer" und , .Ther-
mo- Variatoren," wie er sie genannt, in
Europa die populärsten geworden sind.
Die nötigen anatomischen und physio-
logischen Bemerkungen zur Inhalations-
Therapie, die Technik bei der Inhalation,
die Pharmacopaea inhalatoria, die sich
ausgebildet hat, werde ich übergehen.
Praktisch wichtiger und von grösserem
Interesse ist die Indikationsstellung bei
der Inhalationsbehandlung. Eine sche-
matische Namensaufstellung aller akuten
und chronischen Erkrankungen der
Nase, des Pharynx, Larynx, der Lunge,
wie sie sich mehr oder minder für er-
folgreiche Behandlung eignen, dürfte die
ganze Behandlungsweise mehr in Miss-
kredit bringen, als sie unter den Aerzten
beliebt machen. Eine genaue Spezifizier-
ung der Erkrankungen ist nötig. Allge-
mein möchte ich sagen, dass die Inhala-
tions-Therapie bei Nasen und Halser-
krankungen da aufhört, wo sie das Ge-
biet der Chirurgie betritt. Daselbst aber
ist sie ein nicht zu unterschätzendes, un-
terstützendes Moment zur Ausheilung
der gesetzten Wunde, wie die Sekretion
zu verflüssigen, die Tätigkeit der Drüsen
anzuregen und dadurch eine schnelle
Heilung zu erzielen. Es gehören also
Fälle wie adenoide Vegetationen, Rhini-
tis chronica hypertrophicans mit Poly-
penbildung nicht in dieses Gebiet, viel-
leicht nur dann, wenn es sich um opera-
tionsscheue Kranke handelt, die momen-
tane Linderung suchen. Wie sich die
heute gebräuchlichen Medikamente ge-
gen die Symptome richten, so ist auch
die Inhalations-Therapie in ganz beson-
derer Weise eine symptomatische Thera-
pie, die aber zugleich äusserst wohltuend
wirkt. Und da wir bei den verschiede-
nen Erkrankungen nicht immer ein spe-
zifisches Heilmittel haben, so handelt es
sich doch darum, auf welche Weise wir
bei der Bekämpfung einer Krankheit
eine schnellere und nachhaltigere und
auch für den Patienten angenehmere
Wirkung erzielen und so schliesslich die
Möglichkeit geben, durch Beseitigung
des auf die Schleimhaut höchst schädli-
chen Reiz ausübenden Sekretes dieselbe
durch die Heilkraft der Natur wieder in
einen normalen Zustand zu bringen. Und
diese Wirkung wird schneller und
gründlicher durch die Inhalations-Me-
thode erreicht. Darauf beruht ja gerade
der Vorteil dieser Behandlungsweise, wie
das in der letzten Zeit nachgewiesen wor-
den ist, dass die eingeführten Medika-
mente durch die Mucosa der oberen
Luftwege schnell resorbiert und unzer-
setzt in die Blutbahn gelangen, während
sie per os gereicht im Magen unter dem
Einfluss verschiedener Fermente und der
Magensäure Zersetzungsprozessen unter-
worfen sind. Die ausserordentliche Re-
sorptionsfähigkeit der Lunge erleichtert
die Aufsaugung der warmen, fein sus-
pendierten, medikamentierten Teile, wel-
che andauernd die Oberfläche der Luft-
wege berieseln, teils kräftig an die Mu-
cosa anprallen und hiedurch den zähen
Schleim verflüssigen, die Expektoration
anregen und erleichtern ; Reizzustände
werden gemildert, Hyperämien ausge-
glichen und die entzündliche Spannung
der Mucosa vermindert. Daraus ergibt
sich, dass diese Behandlungsweise ganz
besonders indiziert ist bei Erkrankungen
der Atmungsorgane, wo es sich darum
handelt, die zähe Sekretion zu lösen, den
trockenen Katarrh zu lockern, die sekre-
torische Tätigkeit der Drüsen anzuregen,
den trockenen, quälenden Husten zu
330
New Yorker Medizin
ische Monatsschrift.
lösen, bei tiefen Rachen- und Kehlkopf-
prozessen die Beschwerden erträglicher
zu machen. So sind ausgezeichnete Er-
folge erzielt worden bei allen akuten Ka-
tarrhen der Atmungswege, wie beim aku-
ten Schnupfen und dem akuten Erkält-
ungskatarrh des Kehlkopfes und nament-
lich der Bronchien. Die Wirkung ist
eine ebenso prompte wie nachhaltige, wie
es das Einnehmerezept nicht aufweisen
kann. Auf das Allgemeinbefinden und
sogar auf vorhandenes leichtes Fieber
übt sie einen heilsamen Einfluss aus.
Der Niesreiz und Kopfschmerz schwin-
det, ebenso der quälende Husten bei aku-
ter Tracheo-Bronchitis, das Gefühl des
Wundseins unter dem Brustbein in kür-
zester Zeit.
Von den chronischen Erkrankungen
eignet sich vor allem die Pharyngitis und
Laryngitis sicca, die Rhinitis atrophicans.
Der Schleim, der bei diesen Erkrankun-
gen nur spärlich und langsam abgeson-
dert wird und daher zu Krusten leicht
eintrocknet, verflüssigt sich bald ; das Ge-
fühl der Trockenheit in Nase und Hals,
Kratzen und Kitzeln im Kehlkopf und
die Neigung zu räuspern und husten
schwindet wesentlich schneller, und eine
nachhaltigere Abnahme dieser Krank-
heitserscheinungen als bei der üblichen
Behandlungsmethode tritt ein. Bei Bron-
chitis foetida, wo das Sekret der Schleim-
haut in faulige Zersetzung übergeht, übt
sie eine geradezu spezifische Wirkung
aus, dann aber auch, wenn es sich han-
delt, bei starker Sekretion die Abson-
derung zu beschränken, je nachdem man
dazu geeignete Arzneimittel hinzufügt.
So sind am meisten befriedigend die vor-
züglichen Heilwirkungen beim chroni-
schen Bronchialkatarrh mit reichlich,
gutflüssigem Sekret. Und die Wirkung
in dem sehr schnellen Nachlassen bez.
Verschwinden des Hustens ist keine
bloss vorübergehende, wie wir es bei
Anwendung narkotischer Mittel stets ha-
ben, sondern in der Regel eine dauernde.
Das auf der Schleimhaut liegende Sekret,
die Hauptursache des Hustens, wird
durch die Einatmung gelöst und die ab-
norme Reizempfindlichkeit der Respira-
tionsschleimhaut herabgesetzt.
Was die Inhalations-Therapie bei der
Lungenschwindsucht anlangt, hatte
S a e n g e r bei dem im Gefolge der
Lungenschwindsucht stets vorhandenen,
meist sehr intensiven Bronchialkatarrh
ebenso gute, zum Teil noch bessere Er-
folge, insofern durch das Schwinden des
Bronchialkatarrhs in einer Anzahl von
keineswegs leichten Fällen der tuberku-
löse Erkrankungsprozess einen unerwar-
tet günstigen Verlauf nahm. H e r y n g
schreibt folgendes : „Trotz aller Aner-
kennung für den Nutzen und die Erfolge
der hygienisch-diätetischen Methode und
der Erfolge der Behandlung in Sanato-
rien und klimatischen Kurorten,- dürfen
wir auf die lokale Therapie der Lungen-
erkrankung nicht verzichten. Solange
wir keine Spezifica gegen die Tuberku-
lose besitzen und die Aussichten solche
zu finden, wenig versprechend sind, ist
es unsere Pflicht, in den Anfangsstadien
der Lungentuberkulose nach Behand-
lungsmethoden zu suchen, welche dem
kranken O'rgan das ihm am meisten zu-
kommende, das heisst mit der Luft ein-
geführte antiseptisch und nicht reizend
wirkende Medikament in genügender
Menge und in längerer Zeitdauer zufüh-
ren. Meine bisherigen, auf diesem Felde
seit 2 Jahren gesammelten, klinischen
Beobachtungen haben mich von der gün-
stigen Wirkung dieser Methode so weit
überzeugt, dass ich mir erlaube, dieselbe
zur weiteren Erprobung zu empfehlen.
Zum Schlüsse, meine Herren, möchte
ich Sie bitten, sich selbst zu überzeugen
von der heilbringenden Wirkung der mo-
dernen Inhalations-Therapie jn den er-
wähnten bestimmten Fällen und durch
Ihr bleibendes Interesse daran zum Auf-
bau selbst beizutragen durch eigene, un-
abhängige, eingehende Prüfungen, Be-
obachtungen und Untersuchungen, um
die erstaunliche Meinungsänderung ver-
stehen zu lernen, die gerade in den letz-
ten zwei Jahren in der Behandlung ka-
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
33i
tarrhalischer Zustände der Atmungsor-
gane die Aerzte sowohl wie das Publi-
kum ergriffen hat. Das bis Dato einzige
Inhalatorium, das in diesem Lande mit
den neuesten Apparaten eingerichtet exi-
stiert, befindet sich in 137 West 122.
Strasse, und ich stelle es Ihnen gerne zur
Verfügung.
Zwei Fälle von extr«
Von Dr. Edward
Fall I. Martin W. W. kam am 26.
Dezember v. J. mit folgender Kran-
kengeschichte : Vor mehr als drei Mo-
naten merkte ich, dass etwas aus mei-
nem Rektum herauswuchs, die Um-
gebung desselben, der After und
die umliegenden Teile waren sehr
schmerzhaft, insbesondere beim Stuhl-
gang. Vor etwa zwei Monaten be-
merkte ich, dass meine Lippen auf-
sprangen, sehr hart wurden und die
Zunge sehr schmerzte, besonders nach
Mahlzeiten. Vor zwei Wochen bekam
ich Halsschmerzen und ein Geschwür
auf der Zunge.
Patient, der aus Oesterreich stammt,
im 17. Lebensjahre ist, gesund ausseh-
end und von gesunden Eltern, wurde
mit einem Rektalspekulum untersucht,
es fand sich in der Höhe von \l/2 Zoll
ein Geschwür mit harten Rändern,
ganz charakteristisch für die Initial-
sklerose, die Analgegend war dicht be-
setzt mit feuchten Papeln, Stecknadel-
kopf- bis erbsengross bis zur Höhe des
Tuber ossis ischii. An der Zunge fan-
den sich zahlreiche Schleimhautpapeln,
insbesondere die oben von dem Patien-
ten erwähnte — einen halben Zoll lang
und ein viertel Zoll breit, ebenso am
weichen Gaumen und an der hinteren
Pharynxwand, ausgesprochene Gingi-
vitis und sämtliche Lymphdrüsen stark
vergrössert.
Auf Befragen leugnete Patient über
eine Woche, etwas von einer Infektion
zu wissen, gab jedoch am Ende der
*) Vorgestellt in der Dezember- Sitzung der
Manhattan Dermatological Society.
igenitalen Schankern.*
Pisko, New York
zweiten Woche unserer Bekanntschaft
zu, dass er seit Juni v. J. Sodomie
treibe (passive Päderastie) und auch
wiederholt per os.
Fall II. Am 28. Dezember v. J., also
nur zwei Tage später, stellte sich ein
anderer Patient ein, Henry H., 16 Jahre
alt, hier geboren, von kachektischem
Aussehen, klagte genau dasselbe,
Schmerzen und Wundgefühl beim
Stuhlgang und über Geschwüre in der
Aftergegend.
Patient wurde ebenfalls per rectum
untersucht, zwei Zoll hoch fand sich
die Initialsklerose. Alopecia auf dem
Kopfe, in den Achseln und in der
Schamgegend. Die Tonsillen waren
kraterförmig ausgehöhlt, mit einem
speckigen Belag bedeckt,' sämtliche
Lymphdrüsen stark vergrössert, insbe-
sondere die Epitrochleardrüsen am
rechten Arm zur Grösse einer Hasel-
nuss. An der Glans penis waren zwei
grosse Papeln, von denen Patient be-
hauptete, dass sie sich erst seit 3 Ta-
gen zeigten. Die Analgegend ist mit
grösseren und kleineren Papeln besät.
Patient leugnet beharrlich jede Mit-
wissenschaft an einer Infektion und
trotz wiederholter Vorstellungen bleibt
er bei der Behauptung, dass er letzten
Herbst — er war mit einem Zirkus auf
der Reise — den Abort nach einem
Manne benützte, von dem man wusste,
dass er eine „Geschlechtskrankheit"
habe. Der Junge ist intelligent, macht
einen guten Eindruck und, wenn man
ihm Glauben schenken darf, ist dies
wirklich einer der seltenen Fälle von
Syphilis insontium.
332
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
Beide Fälle werden mit HgCl2 be-
handelt, vertragen die Einspritzungen
sehr gut und zeigen nach sechswöch-
entlicher Behandlung keine Sympto-
me mehr ; die Läsionen an der Zunge
(Fall I) sind geheilt, die Tonsillen (in
Fall II) haben normales Aussehen.
Beide Patienten befinden sich sehr
wohl und zeigen nur noch einige ganz
kleine feuchte Papeln um den After,
die eben langsamer heilen, weil die
Faeces die Gegend feucht halten und
ich keinerlei Lokalbehandlung einge-
leitet habe.
Sydenham Building, 616 Madison
Avenue.
Bromural in seiner Anwendung zur Bekämpfung der Seekrankheit.
Von Dr. Eugen Perrenon,
Schiffsarzt beim Norddeutschen Lloyd, Oberassistenzarzt d. R. der Kaiserlich Deutschen
Marine &c.
Mit dem Monobromisovalerianyl-
harnstoff, unter dem Namen „Bromu-
ral" von Knoll & Co. in den Handel
gebracht, hat der Arzneischatz ein
Nervenberuhigungs- und Schlafmittel
gewonnen, das in der Praxis vielfach
erprobt ist.
Krieger und v. d. Velde n, v.
L e y d e n, Erb, G o 1 1 1 i e b u. a. be-
richten über Bromural als ein Sedati-
vum und Einschläferungsmittel, das
prompt wirkt, als relativ harmlos be-
zeichnet werden kann und frei von
Nebenwirkungen zu sein scheint. Der
durch Bromural hervorgerufene Schlaf
zeigt keine Abweichung gegen den na-
türlichen Schlaf, auch fühlen sich die
Patienten nach dem Erwachen frisch
und erquickt, ohne Benommenheit und
Depression. Durch diese Vorteile un-
terscheidet sich Bromural deutlich von
den bisher bekannten Mitteln mit nar-
kotischer Wirkung, und es wird seine
Anwendung in allen Fällen von leich-
ter, nervöser Schlaflosigkeit empfohlen,
besonders bevor die stark-wirken-
den Hypnotika zur Anwendung gelan-
gen. Die Wirkung des Bromurals
klingt nämlich schon innerhalb 5 Stun-
den ab, das Präparat dient daher nur
dazu, den natürlichen Schlaf einzulei-
ten, und so erklärt sich das Fehlen der
unangenehmen Nebenwirkungen am
nächsten Morgen beim Erwachen.
Bromural muss als ein weniger kräfti-
ges Mittel bezeichnet werden, da es,
wie gesagt, nur in Fällen leichter, ner-
vöser Schlafbehinderung und als Seda-
tivum wirksam ist, dagegen in schwe-
ren Fällen von Schlaflosigkeit versagt.
Es lag nun nahe, dieses Mittel schon
wegen seiner Zusammensetzung mit
der Valeriansäuregruppe auch auf See-
reisen unter den damit verbundenen
bekannten schwierigen Verhältnissen
anzuwenden. Ich habe dies auch wäh-
rend verschiedener Seereisen mit zum
Teil sehr stürmischem Wetter getan
und in einer Reihe von Fällen die
besten Erfolge gesehen. Dabei trat
nun nicht nur die ausgezeichnete
Schlafwirkung zu Tage, sondern ich
hatte auch Gelegenheit, besonders bei
nervösen, überarbeiteten Personen eine
solch günstige Wirkung bezüglich des
Auftretens der Seekrankheit zu kon-
statieren, dass ich in meiner Tätigkeit
als Schiffsarzt mich sehr bald ent-
schloss, Bromural speziell in dieser
Hinsicht zu gebrauchen.
Meine Erfahrungen haben ergeben,
dass die günstigsten Erfolge zu ver-
zeichnen waren, wenn Bromural pro-
phylaktisch sogleich nach Beginn der
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
333
Reise angewendet wurde. Ich begann
also bei offenkundig zur Seekrankheit
neigenden Reisenden damit, dass ich
sogleich vor der ersten grösseren Mahl-
zeit Dosen von 0,3 g— 0,6 g je nach
der Konstitution gab. Dieselbe Dosis
wurde am ersten Abend vor dem Schlaf-
gehen wiederholt, und diese Behand-
lung am zweiten und nötigenfalls auch
am dritten Tage fortgesetzt.
Es offenbarte sich dabei nach den
Angaben der betreffenden Personen,
welche grosse Annehmlichkeit es für
sie war, sogleich in der ersten Nacht
ruhig und ausgiebig zu schlafen. Als-
dann stellte sich auch am Morgen dar-
auf der gewünschte Appetit ein.
Wurde dieses Verfahren in der ange-
gebenen Weise von Anfang an durch-
geführt, so blieb in vielen Fällen jegli-
cher Brechreiz aus.
Bei Kopfschmerzen war die Wir-
kung mitunter eine frappante, es trat
gewöhnlich auch nach Dosen von 0,6g
— 0,9 g ein wohltuender ruhiger Schlaf
ein und nachher lebhafter Appetit.
Begann die Anwendung erst einige
Tage nach Abfahrt, also nachdem sich
die Symptome der Seekrankheit schon
geltend gemacht hatten, so mussten
naturgemäss grössere Dosen während
längerer Zeiträume gegeben werden, es
gelang jedoch auch hier, in Verbindung
mit geeigneter Diät etc. die Beschwer-
den wenigstens bedeutend zu mildern,
beziehungsweise abzukürzen.
Den sichersten Erfolg verspricht
aber, wie erwähnt, eine möglichst früh-
zeitige Anwendung.
Wenn ich meine Erfahrungen zu-
sammenfassen darf, so glaube ich, dass
im Bromural ein Mittel vorliegt, dass
eine Empfehlung zur Anwendung un-
ter den entsprechenden Verhältnissen
sehr wohl verdient.
Auszüge aus der neuesten Journalliteratur.
A. L ü b b e r t : Eine neue Methode
der Behandlung mit Hyperämie.
Das Heilprinzip, welches in der Er-
regung von Hyperämie liegt, ist von
alters her in der Form von Priessnitz-
verbänden, Schlamm- und Moorbädern,
Breiumschlägen, Duschen, Vesikan-
tien u. a. m. in ausgiebigster Weise
zur Anwendung gebracht worden.
Lübbert in Hamburg kam zufällig
in den Besitz des amerikanischen Prä-
parates „Antiphlogistine" und war in
der Lage, dasselbe an mehr wie hun-
dert Fällen, wie er sagt, erfolgreich an-
zuwenden L. berichtet eingehend
über seine Erfahrungen in dieser Hin-
sicht.
Das Antiphlogistine hat das Aus-
sehen und die Konsistenz eines dünnen
Glaserkittes. Seine Grundsubstanz
bildet ein natürlich vorkommendes
Aluminum-Magnesiumsilikat, welches
auf das feinste pulverisiert und bei
sehr hoher Temperatur getrocknet
wird. Sobald durch diesen Erhitzungs-
prozess Wasserfreiheit erzielt ist, wer-
den etwa 50 Proz. Glyzerin eingear-
beitet und neben etwas Bor- und Sali-
zylsäure sowie einer Spur reinen Jodes
eine gewisse Menge Ol. Menthae
piperitae, Ol. Gaultheriae und Ol.
Eucalypti hinzugesetzt. Durch innige
Mischung aller Ingredientien erhält
man eine angenehm aromatisch riech-
ende, durchaus homogene Paste, wel-
che, ohne zu fliessen, sich sehr leicht
ausstreichen lässt und an der Unter-
lage auf das vollkommenste ange-
schmiegt haften bleibt.
Die Anwendung soll derart ge-
schehen, dass man das Präparat durch
Einstellen des Behälters in heisses
Wasser anwärmt und die durchge-
rührte Masse, so heiss es nur immer
vertragen wird, mit einem Spatel auf
die zu behandelnde Stelle aufbringt.
Alle Körperteile, ohne Ausnahme ir-
gend einer Oertlichkeit, können be-
deckt werden. Auch bezüglich der
Ausdehnung der zu behandelnden
334
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
Oberfläche braucht man sich keinerlei
Beschränkung aufzulegen, denn der
tatsächlich erfolgende absolute Luft-
abschluss ist ja von ganz anderer Be-
deutung und anderen Folgen als der,
den man durch Firnisüberzüge und an-
dere, die Hauttätigkeit unterdrückende
bzw. schädigende Bedeckungen er-
reicht. Ebensowenig spielt die Be-
schaffenheit der betreffenden Partie
eine Rolle. Auf entzündliche Infil-
trationen aller Grade oder auf Wund-
flächen, wie sie sich beim Ulcus cruris
finden, kann man das Präparat ebenso
aufbringen wie auf die intakte Haut.
Nur die Temperatur der Masse wird
man entsprechend modifizieren. Die
Dicke der aufzutragenden Schicht
lernt man sehr bald variieren, je nach
der Zeit, die man wirken will, und dem
Ort der Applikation. Sobald die Paste
ausgestrichen ist, bedeckt man sie mit
einer dünnen Lage hydrophiler Watte,
die man mit einer Binde fixiert. Diese
Binde kann man übrigens unter Um-
ständen sparen, da sich die Paste der
Körperoberfläche eng anschmiegt und
andererseits auch die bedeckende Wat-
teschicht festhält. Schliesslich legt
man in anderen Fällen über die Watte
eine einfache Lage Mull und befestigt
das Ganze durch einige Streifen Leu-
koplast. So kann man z. B. eine ganze
Thoraxhälfte bedecken, ohne die ge-
sunde Seite durch Bindentouren zu ge-
nieren.
Will man die Paste aus irgend einem
Grunde vorzeitig entfernen, so braucht
man nur Wasser unter den Verband
zu bringen, um eine sofortige prompte
Lösung der haftenden Paste zu erzie-
len. Welche Wirkung ein Antiphlo-
gistine-Verband haben muss, liegt klar
zutage, wenn man die chemische Zu-
sammensetzung und die Anwendungs-
art kennen gelernt hat. Die Vermut-
ung, dass die Masse aseptisch, keim-
frei sein wird, bestätigt eine diesbe-
zügliche bakteriologische Untersuch-
ung sofort. Als Haupteigenschaft
aber ist die starke Hygroskopizität und
das Fettlösungsvermögen charakteris-
tisch. Die Kraft, Wasser anzuziehen,
macht sich schon bemerkbar, wenn
man das Präparat offen an der Luft
stehen lässt. Es nimmt dann die Luft-
feuchtigkeit auf und verliert als Aus-
druck für die stattgehabte Wasserin-
korporation seine Geschmeidigkeit,
während es mehr oder weniger bröck-
lich wird.
Es ist interessant, zuerst einmal
die Wirkung auf einer intakten
Hautstelle zu beobachten. Sobald die
warme, die Luft auf das vollkommen-
ste abschliessende Masse aufgestrichen
ist, empfindet man eine prickelnde
Wärme. Einige Patienten sagten, sie
hätten das Gefühl, als ob das Glied,
Arm oder Bein, an der vom Verband
bedeckten Stelle anschwelle, ohne dass
sich jedoch irgend ein Gefühl von
Spannung bemerkbar mache, im Ge-
genteil sei eine Erleichterung zu spü-
ren, wie sie sich als Folge gesteigerten
Stoffwechsels darstelle Dieses Gefühl
bleibt dauernd bestehen, solange der
Verband hält. Nach ein bis zwei Ta-
gen, manchmal früher oder später,
lockert sich die Paste von ihrer Unter-
lage, fängt an, sich von den Rändern
her aufzurollen, und lässt sich dann
ohne weiteres mit der Watte als zu-
sammenhängende Schicht abheben.
Haare am Möns Veneris, der Achsel-
höhle oder auch am Kopf ziehen sich
hierbei glatt, ohne auch das leiseste
Zerren aus dem Verband, weil die
Paste durch Wasseraufnahme ihre
Klebrigkeit verloren hat und bröcklig
geworden ist. Der Verband hat seiner
Dicke entsprechend seine Schuldigkeit
getan und löst sich infolgedessen von
selbst. Hält man jetzt den Verband
in der Hand, so fällt zunächst auf, dass
er sehr viel schwerer geworden ist, und
als Ausdruck für die reichliche Was-
seraufnahme konstatiert man, dass so-
gar die Watte dicht geworden ist und
sich klamm, manchmal direkt nass an-
fühlt. Man kann hier geradezu ge-
wichtsanalytisch feststellen, wieviel
Wasser etwa die Haut an der bedeck-
ten Stelle abgegeben hat. Wie inten-
siv die Wirkung des Verbandes sein
kann, das sah L. bei einem an Morbus
Brightii leidenden Patienten, dessen
beide Unterschenkel und Füsse ein
ganz hochgradiges Oedem zeigten,
man kann sagen zu unförmigen Mas-
sen geschwollen waren. L. Hess den
Patienten zu Bett legen und machte
.■Iew Yorker Medizinische Monatsschrift.
335
um die rechte untere Extremität einen
Antiphlogistine- Verband, während die
linke freigelassen und nur gleich hoch
gelagert wurde. Nach 24 Stunden war
die behandelte Seite vollkommen nor-
mal, die Knöchel zeigten ihre scharfen
Konturen, am Fussrücken markierten
sich die Sehnen, und nirgends liess der
Fingerdruck auch nur eine Spur von
Oedem erkennen. Die linke unbehan-
delte Extremität dagegen hatte sich in
keiner Weise verändert, sie zeigte die-
selbe ungeheuere Schwellung wie 24
Stunden zuvor.
Die von L. behandelten Fälle lassen
sich in zwei Gruppen teilen. Bei der
ersten wurden die Fälle registriert, in
denen die Haut intakt war und es sich
darum handelte, die tiefer gelegenen
Teile zu beeinflussen. Hier verwandte
L. das Antiphlogistine mit Erfolg bei
Ischias, Rheumatismus articulorum
acutus, Distorsio manus, Tendovagini-
tis crepitans, Otitis media mit
Schmerzhaftigkeit des Processus ma-
stoideus, bei Parulis, Tonsilitis und
Anginen, Orchitis traumatica, Periosti-
tis acuta, Parametritis.
Bei der zweiten Gruppe war die Haut
entweder der direkt erkrankte Teil,
oder der Prozess hatte dieselbe doch
in Mitleidenschaft gezogen. Bei die-
sen Patienten handelte es sich um :
Eczema capitis et faciei, Erysipelas
nasi, Furunkulose, Panaritien, Phleg-
monen, Verbrennungen, Unterschen-
kelgeschwüre, Periproctitis, Mastitis.
Wie schon bei Gruppe I bei den
Fällen von Otitis bzw. Parulis der Ver-
band durch seine leichte Applikation
und Adaption imponierte, so wurde es
jetzt auch bei den Fällen von Gesichts-
erysipel und Periproktitis bemerkt,
dass sich der Verband ausgezeichnet
anlegen lässt, ohne den Kopf bzw. das
Becken in umfangreiche Bindentouren
zu wickeln.
Der therapeutische Effekt aber
sprach sich bei allen entzündlichen
Prozessen, Furunkeln und Phlegmo-
nen vor allem darin aus, dass der Pro-
zess, wenn es überhaupt zur Eiterbil-
dung kam, sich sehr schnell demar-
kierte. Bei einem Nackenkarbunkel,
bei dem am ersten Tage der ganze
Nacken bis an die Ohren und bis zwi-
schen die Schulterblätter intensiv ge-
rötet und geschwollen war, ging unter
dem Einfluss des ersten Antiphlogis-
tineverbandes Rötung und infiltrierte
Schwellung in 24 Stunden vollkommen
zurück bis auf eine fünfmarkstück-
grosse Stelle, den Sitz des Karkunkels
in der Gegend des 4. bis 7. Halswirbels.
Am folgenden Tage hatten sich drei
grosse Pfropfe abgestorbenen Zellge-
webes demarkiert. Als dann der dritte
Verband abgenommen wurde, zeigte
sich bereits eine gut granulierende
Wundfläche. Der Eiter aber sowie die
ganzen zerfallenen Gewebsmassen Sas-
sen im Verband. Bei der Behandlung
der Unterschenkelgeschwüre schliess-
lich war das schnelle Verschwinden
des Oedems, welches oft über die
ganze untere Extremität ausgebreitet
war, zu verzeichnen, ebenso wie die
schnelle Reinigung der Geschwürs-
flächen.
Die soeben aufgeführten und eine
grosse Reihe weiterer Fälle, über wel-
che dem Verf. deutsche Aerzte Mit-
teilung zugehen Hessen, bestätigen die
guten Erfahrungen, die man im Aus-
land, in Amerika und England vor al-
lem, mit dem Antiphlogistine gemacht
hat, sodass sich L. entscnliessen
konnte, das Präparat auch weiteren
Kreisen heimischer Kollegen zu emp-
fehlen. Nachdem er selbst mehr als
hundert Fälle erfolgreich behandelt
hat, glaubt er diese Empfehlung mit
bestem Gewissen hinausschicken zu
können. (Therap. Monatshefte, No-
vember 1907.)
L. Bin m : lieber den Wert der Oph-
thalmoreaktion für die Diagnose
der Tuberkulose.
Seitdem Calmette im Anschluss
an die Beobachtung W o 1 f f - E i s-
n e r's, dass Einträufelung einer lOproz.
Tuberkulinlösung in den Konjunkti-
valsack tuberkulöser Tiere eine heftige
lokale Reaktion hervorruft, die Ver-
wendung einer lproz. Lösung von
Alttuberkulin zur Diagnose der
menschlichen Tuberkulose empfohlen
hat, haben sich zahlreiche Arbeiten,
deren Anzahl sich täglich mehrt, mit
dieser „Ophthalmoreaktion" beschäf-
tigt. Ueber die auf der Strassburger
336
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
medizinischen Klinik in dieser Hin-
sicht vorgenommenen Untersuchungen
berichtet B 1 u m. Benutzt wurde zu
Beginn die nach C a 1 m e 1 1 e's Vor-
schrift bereitete lproz. wässerige Lö-
sung des mit Alkohol gefällten Alttu-
berkulins ; später wurde eine 2proz.
Verdünnung des käuflichen Alttuber-
kulins (Höchst) verwandt. Von die-
ser Verdünnung wurde ein Tropfen
in den unteren Konjunktivalsack ge-
bracht, wobei zu vermeiden ist, dass
der Tropfen wieder herausgeschleudert
wird. Die erste an den Augen nach
der Einträufelung auftretende Er-
scheinung ist eine Pupillenerweiter-
ung, die schon nach — \]/2 Stunden
deutlich wird ; dieselbe kann so stark
werden, dass die Pupille maximal dila-
tiert ist und auf Lichteinfall nicht mehr
reagiert. Das zeitliche Auftreten der
Reaktion ist recht verschieden : die
frühesten Erscheinungen können sich
nach 3 — 4 Stunden geltend machen,
doch gelangen ,, Spätreaktionen" erst
nach 15 — 20 Stunden zum Vorschein,
manchmal erst nach 24 Stunden. Man
hat drei verschiedene Grade der Stärke
der Reaktion zu unterscheiden : der
leichteste, bei dem die Karunkel ge-
schwollen und gerötet, die Conjunctiva
bulbi nur wenig gerötet ist ; eine zweite
Form mit starker Rötung der Karun-
kel und Tränenfluss und eine dritte mit
starker Rötung, eitriger Sekretion, bei
der sich die Erscheinungen bis zu Lid-
ödem, Ekchymosen, -starker Licht-
scheu steigern können. Neben diesen
positiven Fällen, in denen die Ent-
scheidung leicht ist, begegnet man
auch solchen, in denen man über das
Resultat im Zweifel bleibt.
Die Probe wurde auf der Strassbur-
ger Klinik an 250 Patienten ange-
wandt. Bei 219 der Tuberkulose nicht
Verdächtigen war das Resultat 31 mal
positiv, 188 mal negativ ; das Resultat
konnte in 7 Fällen durch die Autopsie
bestätigt werden. Bei 5 der Tuberku-
lose sehr verdächtigen Fällen fiel die
Probe 3 mal positiv, 2 mal negativ aus.
Bei 26 Fällen von sicherer Tuberkulose
war die Reaktion 21 mal positiv, 5 mal
negativ ; Kontrolle durch Autopsie in 4
Fällen. Ferner geht aus den Beob-
achtungen hervor, dass Fehlen einer
Reaktion nicht gegen das Vorhanden-
sein einer Tuberkulose spricht, des
weiteren, dass zwischen Schwere der
Erkrankung und Stärke der Reaktion
kein Parallelismus besteht. Weiterhin
muss man sich bei der Anstellung der
Probe darüber klar sein, dass die Re-
aktion zwar die Anwesenheit einer tu-
berkulösen Erkrankung anzeigt, dass
damit aber noch nicht bewiesen ist,
dass gerade eine bestimmte, derzeit
das Interesse auf sich ziehende Krank-
heit tuberkulöser Natur sei. (Mün-
chener med. Wochenschr., No. 2, 1908.)
G. Schröder und K. Kaufmann:
Ueber den Wert der Ophthalmore-
aktion bei Tuberkulosen als dia-
gnostisches Hilfsmittel.
Die Verfasser kommen auf Grund
ihres Materials zu folgenden Schluss-
folgerungen : Haben wir Kranke vor
uns, bei denen die Erscheinungen und
der lokale Befund über den Lungen
eine aktive, beginnende Tuberkulose
vermuten lassen, so ist die Instillation
eines Tropfens einer y2 — lproz. Lö-
sung von Koc h's Alttuberkulin (der
Glyceringehalt oder Verunreinigungen
sind nicht zu fürchten ; man kocht die
Solution) in den Konjunktivalsack ei-
nes Auges geboten, welche man in
3 — 4 tägigen Zwischenräumen bei ne-
gativem Ausfall eventuell unter Mit-
benützung des anderen Auges zweimal
wiederholt. Tritt keine Reaktion, kein
Ueberempfindlichkeitsphänomen ein,
kann man mit ziemlicher Sicherheit
eine aktive Tuberkulose ausschliessen.
Die Probe ist also in solchen Fällen
ein diagnostisches Hilfsmittel von
Wert. (Ibidem.)
A. W o 1 f f-E i s n e r : Ueber Ophthal-
moreaktion (richtiger Konjunkti-
vaireaktion).
Wolf f-E i s n e r, der Entdecker
der Reaktion, bittet an Stelle des Aus-
drucks „Ophthalmoreaktion" den Na-
men ,, Konjunktivaireaktion" zu benut-
zen, da die erstere Bezeichnung un-
richtig und irreführend sei. W.
schliesst sich der Anschauung von
Mainini, dass die kutane Reak-
tion latente Herde anzeigt, die bei der
Konjunktivaireaktion erst bei Wieder-
holung erkennbar werden, an. An zu
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
337
starken Reaktionen ist die Anwendung
des Höchster Tuberkulintestes schuld ;
bei diesem warnt W. dringend, mit
stärkeren Lösungen als höchstens 1
Proz. zu arbeiten. Die starken Lösun-
gen sind geeignet, die Konjunktivaire-
aktion unverdient in Misskredit zu
bringen. Das neue Höchster Präparat
fällt die wirksame Substanz durch Al-
kohol aus und berechnet dann den
Titer der Lösung nach dem Gewicht
der gefällten Substanz, nicht nach dem
ursprünglichen Tuberkulin volumen.
Die Lösung ist mindestens 10 mal zu
stark. Man verwende daher eine
lproz. Lösung von Alttuberkulin Koch
in physiologischer steriler Kochsalz-
lösung, man wird dabei gut fahren und
unangenehme Erfahrungen und Geld
sparen. (Ibidem.)
G. Treupel: Kurze Bemerkung zur
„Ophthalmoreaktion bei Tuberku-
lose."
Das kürzlich von den Höchster Farb-
werken hergestellte lproz. Tuberku-
losediagnostikum, das nach den Anga-
ben C a 1 m e 1 1 e's aus der Tuberkulin-
trockensubstanz gewonnen wird, hat
bei den von T. vorgenommenen Ver-
suchen so intensive, mit Chemosis ein-
hergehende Reaktionen an dem Auge,
die gelegentlich mit Allgemeiner-
scheinungen verbunden waren, hervor-
gerufen, dass T. dringend zur Vorsicht
bei der Anwendung dieses Diagnosti-
kums raten möchte. Es ist dieses
lproz. Tuberkulose-Diagnostikum er-
heblich toxischer, als die aus dem Alt-
tuberkulin gewonnene Verdünnung
und kann daher mit dieser nicht ver-
glichen werden. Auch das auf Veran-
lassung von T. aus der Trockensub-
stanz in Höchst hergestellte J^jproz.
Tuberkulose-Diagnostikum gibt noch
sehr intensive Reaktionen, die auch
lange anhalten. T. möchte daher raten,
vorläufig bei der Anstellung der Oph-
thalmoreaktion die aus dem Alttuber-
kulin selbst hergestellte lproz. Ver-
dünnung zu benutzen. (Ibidem.)
H. Kolaczek und E. Müller:
Ueber ein einfaches Hilfsmittel zur
Unterscheidung tuberkulöser und
andersartiger Eiterungen.
Müller hatte bereits früher ge-
meinsam mit G. Joch mann ein ein-
faches Verfahren beschrieben zum
Nachweis proteolytischer Fermentwir-
kungen. Die Technik ist folgende:
Bei der Untersuchung von Eiterproben
bringt man mit Hilfe einer Platinöse/
eines Glasstabes oder einer Pipette
kleine Tröpfchen des zu prüfenden Ma-
terials auf die glatte Oberfläche einer
sog. Löfflerplatte, d. h. einer Petri-
schale, die eine ziemlich dicke Schicht
erstarrten Blutserums, z. B. von Rind
oder Hammel enthält. Wird dann die
so beschickte Löfflerplatte für längere
Zeit — am besten 24 Stunden — in ei-
nen auf 50 — 55° eingestellten Brut-
schrank gebracht, so zeigt sich auf dem
Nährboden an Stelle jeden einzelnen
Eitertröpfchens eine nach und nach
sich vergrössernde dellen- oder mul-
denförmige Einsenkung dann, wenn
der Eiter ein wirksames Ferment ent-
hielt, das erstarrtes Blutserum verdaut.
Fehlt ein solcher Fermentgehalt, so
bleibt jede Dellen- oder Muldenbildung
aus ; die Eitertröpfchen trocknen dann
einfach auf der unveränderten Ober-
fläche der Löfflerplatte ein.
Kolaczek und Müller haben
nun das Verhalten tuberkulösen Eiters
verschiedener Herkunft zum Gegen-
stand neuer Untersuchungen in dieser
Hinsicht gemacht und zwar an der
Hand eines grossen Materials. Aus
diesen Versuchen nun lassen sich die
folgenden diagnostischen Schlüsse
ziehen :
1. Bei der Prüfung von Eiterproben
auf proteolytische Fermente mit Hilfe
des Mülle r-Jo c h m a n n'schen Ver-
fahrens schliesst eine fehlende Ver-
dauung des erstarrten Blutserums das
Vorhandensein eines akut-entzündli-
chen und durch die gewöhnlichen Ei-
tererreger hervorgerufenen Prozesses
aus ; sie spricht vielmehr mit Sicher-
heit für eine tuberkulöse Erkrankung,
die selbst im Falle einer auffällig
schwachen Fermentwirkung wahr-
scheinlich ist.
2. Eine ausgiebige, rasche Verdau-
ung des ersteren Blutserums spricht
anderseits für den akut-entzündlichen
Charakter der Eiterung; ein tuberku-
löser Prozess ist aber auch bei stark
positivem Ausfall der Fermentreaktion
.338
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
keineswegs völlig ausgeschlossen,
wenn derselbe vorher, vor allem mit
Jodoformglyzerin, behandelt ist oder
mit einer Mischinfektion einhergeht,
wie bei Fistelbildungen und tuberku-
lösen Erkrankungen der Halslymph-
drüsen.
Es stellt also bei genauer Beobach-
tung dieser Regeln und richtiger Tech-
nik die Prüfung des Eiters mit Hilfe
der Löfflerplatte bei 50 — 55° eine aus-
serordentlich einfache und hinreichend
sichere Methode dar zur raschen Un-
terscheidung zwischen tuberkulösen
und andersartigen Eiterungen. (Deut-
sche med. Wochenschr., No. 7, 1907.)
E. Müller: Das Millon'sche Re-
agens — ein weiteres Hilfsmittel
zur raschen Unterscheidung von
tuberkulösen und andersartigen Ei-
terungen.
Da die oben beschriebene Ferment-
reaktion einen Brutschrank sowie
Blutserum — ■ bzw. Aszitesplatten er-
fordert, so bleibt die Anstellung der-
selben im wesentlichen auf Kliniken
und Krankenhäuser beschränkt. Der
Praktiker braucht jedoch eine Me-
thode, die bei möglichster Zuverlässig-
keit und Raschheit des Ergebnisses mit
ganz einfachen und auch billigen Hilfs-
mitteln technisch leicht ausführbar ist.
Für diesen Zweck ist nach M. das Mil-
lon'sche Reagens geeignet. Die tech-
nischen Einzelnheiten sind die folgen-
den :
Ganz kleine, mässig tiefe Porzellan-
gefässe werden fast bis zum Rande
mit Millon'scher Quecksilberlösung ge-
füllt. Am zweckmässigsten sind Por-
zellanplatten mit einer Reihe von ein-
gepressten Vertiefungen, wie sie zum
Färben von Serienschnitten benutzt
werden. Wenn man nun je eine Eiter-
probe von einer rein-tuberkulösen und
von einer durch die üblichen Eiterer-
reger hervorgerufenen Erkrankung in
Reagenzgläsern gesammelt hat und da-
von 1 — 2 Tropfen zentral in die ver-
schiedenen mit Millon'scher Quecksil-
berlösung gefüllten Vertiefungen flies-
sen lässt, so beobachtet man sofort ei-
nen auffallenden Unterschied. Die
dem Kokkeneiter entstammenden
Tropfen bilden in der Flüssigkeit eine
zerfliessliche Scheibe, diejenigen tuber-
kulöser Herkunft aber ein festes Häut-
chen. Versucht man die erstere mit
einer Platinöse emporzuheben oder
unterzutauchen, so zerfällt sie leicht in
einzelne Trümmer. Andererseits hat
das Häutchen eine ausserordentlich
feste Konsistenz, sodass es mühelos im
ganzen aus der Flüssigkeit herauszu-
nehmen ist. Ausserdem nimmt der
fest gerinnende Eitertropfen von rein
tuberkulösen Prozessen beim Unter-
tauchen in dem Millon'schen Reagens
gern eine erbsen- bzw. bohnenförmige
Gestalt an. Einige Minuten später
(längstens nach Yi Stunde) zeigt sich
ein weiterer sinnfälliger Unterschied:
im schroffen Gegensatz zum tuberku-
lösen, wo die Flüssigkeit ungefärbt
bleibt, färbt sich beim Kokkeneiter das
Millon'sche Reagens lebhaft rot — ein
Farbenton, der nach einiger Zeit in
Gelb übergeht. Die in der Flüssigkeit
schwimmenden Tropfen röten sich da-
gegen bei beiden Eiterarten.
Durch Kontrolluntersuchungen mit
der Fermentreaktion lässt sich feststel-
len, dass die Ergebnisse dieses „che-
misch-physikalischen Verfahrens" mit
denjenigen der biologischen Prüfung
auf den Gehalt an proteolytischen Fer-
menten durchaus übereinstimmen. Für
die diagnostische Bewertung der Re-
sultate gelten daher dieselben Regeln
wie bei der Fermentreaktion. (Zen-
tralblatt für innere Medizin, No. 12,
1907.)
W. G o e b e 1 : Erfahrungen mit der
v. Pirquet'schen kutanen Tuberku-
linreaktion.
Pirquet impfte K o c h's Alttu-
berkulin nach Art der Vakzination in
die Haut tuberkulöser Kinder und
konnte nach 24 bis 48 Stunden eine als
spezifisch anzusehende und damit dia-
gnostisch verwertbare Reaktion fest-
stellen, die bei nicht tuberkulösen, in
der gleichen Weise behandelten Kin-
dern ausblieb, v. Pirquet bezeich-
net die Aenderung der Reaktionsfähig-
keit, die der Organismus dadurch er-
fährt, dass er eine Infektion durch-
macht, als Allergie. Als ihre Träger
sind antikörperartige Reaktionspro-
I dukte anzusehen, die durch Einwir-
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
339
kung des Infektionserregers ihre Spe-
zifität erlangt haben. Beim Zusam-
mentreffen des Infektionserregers oder
eines Extraktes von Infektionserregern
mit spezifischen Antikörpern im Or-
ganismus entstehen giftige Substan-
zen, als deren Wirkung eine lokale ent-
zündliche Reaktion zu betrachten ist.
v. Pirquet schränkt die Verwend-
barkeit der Methode auf Kinder im
Säuglingsalter und in den ersten Le-
bensjahren ein. Bei Kindern weist
nach v. Pirquet der positive Aus-
fall der Reaktion mit Sicherheit auf
tuberkulöse Veränderungen hin, wäh-
rend bei Erwachsenen ein Ausbleiben
der Reaktion auf Tuberkulosefreiheit
schliessen lässt. Bei tuberkulösen Kin-
dern hatte v. Pirquet nur bei Me-
ningitis tuberculosa und bei Miliartu-
berkulose im Endstadium die Reaktion
vermisst, die sich im Uebrigen bei
Knochentuberkulose und Skrofulöse
am deutlichsten zeigte. Er glaubt, des
weitern den Satz aufstellen zu können,
dass die Reaktion um so schärfer auf-
trete, je jünger der Organismus sei.
G. hat nun die Methode nachgeprüft
und wahllos 220 Personen geimpft, 170
Erwachsene und 50 Kinder. Von den
220 Geimpften, die sich aus klinisch
Tuberkulösen, Tuberkulose verdächti-
gen und Tuberkulosefreien zusammen-
setzen, zeigten 127 eine unzweifelhaft
positive Reaktion, 93 eine solche, die
G. als negativ bezeichnen muss. Von
17 an Knochen- und Drüsentuberku-
lose leidenden Kindern reagierten alle
mit einer Ausnahme positiv ; unter 54
Erwachsenen, die vorwiegend an Ge-
lenk-, Knochen- und Drüsentuberku-
lose litten, zeigten 53 einen durchaus
positiven Ausfall der Probe. Der Wert
der v. P i r q u e t'schen Methode wird
dadurch beeinträchtigt, dass auch kli-
nisch tuberkulosefreie Erwachsene die
positive Reaktion fast ausnahmslos
geben sollen. Nach den Untersuchun-
gen von G. trifft dies jedoch keines-
wegs für alle Fälle zu. Denn von 85
Kranken, die meist dem arbeitsfähigen
Alter angehörten und klinisch absolut
tuberkulosefrei waren, zeigten 55 die
P i r q u e t'sche Reaktion nicht.
Nach G. besitzen wir in der P i r-
q u e t'schen Impfung und in der Oph-
thalmoreaktion für eine frühzeitige
Tuberkulosediagnostik wertvolle Hilfs-
mittel, deren Wert im Einzelfalle die
persönliche Erfahrung und die kriti-
sche Beurteilung der übrigen Symp-
tome bestimmen wird. Im Kindesal-
ter (zwischen 1 — 12 Jahren) hält G.
den positiven Ausfall der Reaktion für
nahezu beweisend ; auch bei Erwachse-
nen gestattet der positive Ausfall einen
vorsichtigen Schluss. Bei dem negati-
ven Ausfall der eventuell wiederholten
Impfung kann beim Erwachsenen mit
aller Wahrscheinlichkeit auf Tuberku-
losefreiheit geschlossen werden. (Mün-
chener med. Wochenschr., No. 4, 1908.)
F. Schlesinger: Die allergische
Reaktion als Hilfsmittel zur Dia-
gnose der Tuberkulose im Kindes-
alter.
S c h. berichtet über die Erfahrungen
mit der v. Pirque t'schen Reaktion
an der Kinderklinik im Kaiser Franz
Josef-Kinderspital zu Prag. Das Ma-
terial, an dem die kutanen Tuberkulin-
impfungen vorgenommen wurden, um-
fasst 222 Kinder bis zu 14 Jahren.
S c h. vergleicht die Allergieprobe mit
der probatorischen Tuberkulininjek-
tion. Der Vergleich fällt in jeder Be-
ziehung zu Gunsten der Allergieprobe
aus. Sie ist einfacher vorzunehmen,
erfordert nicht die komplizierte Her-
stellung der hohen Verdünnungen, er-
spart die häufigen Temperaturmessun-
gen und hat als Indikator nur eine ku-
tane, leicht zu beobachtende Erschein-
ung statt der nicht immer gleichgilti-
gen Temperaturerhöhung. Als gröss-
ter Vorteil wäre zu betonen, dass das
Verfahren S c h. niemals irgendwelche
Schädigungen gezeigt hat, während
dies den Tuberkulininjektionen doch
öfters vorgeworfen wurde. Den einen
grossen Nachteil teilt das Verfahren
mit den probatorischen Injektionen:
Es gestattet keine topische Diagnose,
es sagt uns nichts über den Sitz, den
Grad und die Art der Erkrankung; es
sagt uns nur, dass irgendwo im Or-
ganismus eine tuberkulöse Infektion
stattgefunden hat. Und darum leistet
es zuviel, da es, wie es scheint, auch
alle latenten inaktiven Herde angibt
und Personen als krank erscheinen
340
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
lässt, die gesund oder wenigstens nicht
tuberkulös sind. (Prager med. Wo-
chenschr., No. 4, 1908.)
Schmidt: Untersuchungen über die
Ophthalmoreaktion der Tuberku-
lose.
Auch S c h. macht darauf aufmerk-
sam, dass das lproz. Höchster Trock-
entuberkulin zu starke Reaktionen
gibt. Auf eine diesbezügliche Anfrage
bei den Höchster Farbwerken kam die
Antwort, dass für die Anstellung der
Ophthalmoreaktion eine 0, lproz. Lö-
sung des Höchster Präparates anzu-
wenden sei. (Münchener med. Wo-
chenschr., No. 2, 1908.)
R. Freund: Ueber Placenta praevia.
Eine Dreiteilung des Uterus ist ana-
tomisch gerechtfertigt und zum Ver-
ständnis physiologischer und patholo-
gischer Vorgänge bei der Geburt, spe-
ziell der Placenta praevia notwendig.
Die Ueberdachung des inneren Mut-
termundes durch Zottengewebe ist der
Genese nach einwandfrei noch nicht
klargestellt. Von den drei Möglich-
keiten — Verschmelzung der Schleim-
haut am Os internum als Basis zur
Einidation ; Umwucherung des Cervi-
kalkanals durch die Zotten mit oder
ohne Zuhilfenahme eines Teiles ,von
Reflexaplazenta ; schliesslich letztere
allein — haben die beiden letztgenann-
ten Theorien das meiste für sich. Die
Blutung bei Placenta praevia rührt zu
einem grossen Teil aus Zerreissungen
der den vorliegenden Plazentarlappen
überziehenden Decidua infolge Eröff-
nens der intervillösen Räume her. Die
Bezeichnungen „unteres Uterinseg-
ment", „Placenta praevia marginalis",
„partialis" und „totalis" brauchen nicht
durch neue im Sinne A s c h o f f 's er-
setzt zu werden. Die sicher beobach-
tete „Placenta praevia cervicalis"
nimmt eine Ausnahmestellung ein.
Als Therapie bei Placenta praevia
sind folgende Massnahmen zu empfeh-
len :
Bei mässigen Schwangerschaftsblut-
ungen : Bettruhe und strenge, mög-
lichst klinische Beobachtung. Schei-
dentamponade ist tunlichst zu vermei-
den und nur als Notbehelf zu betrach-
ten für den Transport einer Blutenden
in eine Anstalt.
In seltenen Fällen abundanter Blut-
ung bei geschlossener Cervix: Feste
Tamponade der ganzen Scheide mit
steriler, feuchter Gaze nach den Vor-
schriften von F r i t s c h auf wenige
Stunden.
Da bei stärkerer Blutung aber so gut
wie immer die Cervix passierbar ist:
Keine Tamponade, sondern Blasen-
sprengung und Abwarten bei leicht er-
reichbarer Fruchtblase ; bei nicht er-
reichbarer Fruchtblase, lebensfähigem
Kinde und gutem Zustande der Mut-
ter: Metreuryse mit dem Ballon von
Champetier de Ribes. Nach
völliger Erweiterung des Muttermun-
des entweder Abwarten der spontanen
Geburt oder Wendung je nach Kindes-
lage, Wehentätigkeit und etwaiger er-
neuter Blutung.
Bei Erfolglosigkeit der Metreuryse,
die im allgemeinen nicht länger als
vier Stunden belassen werden soll, fer-
ner bei unreifen Kindern, sowie
schliesslich in allen Fällen, in denen
es sich um bedrohliche Zustände der
Mütter handelt : Wendung nach B.
H i c k s und danach Abwarten. Bei
Blutung trotz herabgeschlagenen Bei-
nes : Extension durch mässigen, per-
manenten Zug, der bei Einsetzen der
Wehen und Durchschneiden des
Steisses sofort aufzuhören hat. Ex-
traktion nur bei völlig erweitertem
Muttermunde. Erscheint der Mutter-
mund für die Kopfentwicklung doch
noch zu eng: Vorsicht und Anwen-
dung des Handgriffes, der dem Kinde
Luft zuführt und gleichzeitig den Mut-
termundsaum langsam dehnt und ihn
über das Gesicht streifen soll.
Die Hysterotomia kommt nur für die
Klinik, in erster Linie als prophylakti-
sche Operation in Frage. (Deutsche
med. Wochenschr., No. 4, 1908.)
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
34 i
Referate und Kritiken.
Die Krankheiten des Ohres und deren
Behandlung. Von Prof. Dr. A r-
thur Hartman n. Achte ver-
besserte und vermehrte Auflage.
Mit 74 Abbildungen. Verlag von
Fischer's medizin. Buchhandlung
H. Kornfeld. Berlin, 1908. 321 S.
Preis 7.50 M.
Von dem Hartman n'schen Hand-
buch der Krankheiten des Ohres liegt
nunmehr die 8." Auflage vor. Dieselbe
trägt den Fortschritten auf diesem Ge-
biete in jeder Weise Rechnung und
wurde dementsprechend wiederum
eine grose Anzahl von Umarbeitungen
und Ergänzungen vorgenommen unter
Beibehaltung der knappen Form der
Darstellung. Von neuen Behandlungs-
methoden wird die Behandlung der
Mittelohreiterung mit Perborat, zur
Einübung der laryngo-rhinoskopischen
Untersuchungen und operativen Ein-
griffe ein zweckmässiges Phantom em-
pfohlen. Eine aseptische Spritze, eine
Zange zur Entfernung adenoider Wu-
cherungen dürfte sich zur allgemeinen
Verwendung eignen. Im Kapitel der
Erkrankungen des nervösen Apparates
wurde die Bedeutung des Schwindels
und des Nystagmus nach B ä r ä n y
eingehend erörtert. Es unterliegt kei-
nem Zweifel, dass auch die vorliegende
Neuauflage die gleiche günstige Auf-
nahme finden wird, wie sie den frühe-
ren Auflagen beschieden war.
Die Geburtsleitung bei engem Becken.
Von Oskar Bürger. Mit ei-
nem Vorwort von F r i e d r.
S c h a u t a. Mit 6 Tabellen und 7
Kurventafeln im Text. Verlag von
Josef Safar. Wien 1908. 195 S.
Preis 5 M.
Das vorliegende Buch bildet eine in
jeder Beziehung wertvolle Arbeit, da
in derselben das niedergelegt wurde,
was eine eingehende Sichtung und
Prüfung des Materials der Schaut a'-
sehen Klinik hinsichtlich der besten
Therapie bei engem Becken seit dem
Jahre 1891 ergeben hat. Wie Scha u-
t a in dem Vorwort angibt, war es für
ihn von dem grössten Interesse, zu
sehen, inwieweit die nun schon 16
Jahre zurückreichenden therapeuti-
schen Massnahmen seiner Klinik bei
engem Becken mit den neuesten mo-
dernsten Grundsätzen übereinstimmen.
Und da ergab sich die interessante
Tatsache, dass im ganzen und grossen
auf der Schaut a'schen Klinik be-
reits seit jeher jene Grundsätze zur
Durchführung gekommen sind, welche
heute als diejenigen der Zukunft hinge-
stellt werden.
Aus dem Schaut a'schen Material
lassen sich nun bezüglich der Geburts-
leitung bei engem Becken die folgen-
den Schlüsse ziehen : Die prophylakti-
schen Massnahmen, Wendung und
künstliche Frühgeburt, konnten in Be-
zug auf die Erfolge der Kinder durch-
aus nicht befriedigen. Bei einer müt-
terlichen Mortalität von 1.5% und ei-
ner Morbidität von 10.8% fallen dem
prophylaktischen Verfahren 27.8%
aller Kinder zum Opfer. Auch die
hohe Zange enttäuscht in ihren Resul-
taten für die Kinder. Selbst mit der
Berücksichtigung der Einschränkung,
dass es bei ihrer Ausführung stets nur
als ein Versuch aufgefasst werden soll,
das kindliche Leben zu retten, ein Ver-
such, der fast in jedem zweiten Falle
misslingt, muss man die Gefahren,
welche daraus für die Mutter erwach-
sen und - die sich in einer Mortalität
von 1.39%, in einer Morbidität von
8.1% wiederspiegeln, als zu hoch be-
zeichnen, als dass man diesem Verfah-
ren besonders sympathisch gegenüber-
stehen könnte.
Was die Prognose des relativen Kai-
serschnittes anbelangt, so lässt sich
folgendes sagen : die Gesamtmortalität
des Kaiserschnittes wegen relativer
Beckenenge mit 3.4% ist allerdings
noch immer grösser als die der andern
Entbindungsverfahren und B. glaubt
nicht, dass sich diese Zahl um ein Be-
deutendes wird herabsetzen lassen.
Auch die Morbidität von 17.2% ist
relativ nicht gering. Hingegen ist die
Kindersterblichkeit, welche mit 1.7%
sogar hinter der Spontangeburten zu-
342
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
rückbleibt, eine so geringe, dass sie mit
keinem anderen Entbindungsverfahren
erreicht werden kann. B. bezeichnet
daher den Kaiserschnitt als das für das
Kind idealste Entbindungsverfahren.
Eine Einschränkung erfährt der Kai-
serschnitt dadurch, dass man in der
subkutanen Hebosteotomie ein Ver-
fahren kennen gelernt hat, welches, mit
geringeren Gefahren für die Mutter
verbunden, sich in Bezug auf die Kin-
dermortalität nicht um vieles schlech-
ter stellt als der Kaiserschnitt selbst.
Auf der Schaut a'schen Klinik war
bei 30 derartigen Operationen kein To-
desfall zu verzeichnen. Ungünstiger
für die Hebosteotomie liegen heute
noch die Morbiditätsverhältnisse. B.
erklärt die Hebosteotomie für eine
Massnahme, welche in bestimmten
Fällen geeignet und berechtigt er-
scheint, auch für die prophylaktischen
Operationen einzutreten. Die Hebo-
steotomie erfährt schliesslich auch da-
durch eine Erweiterung, dass sie in den
meisten jenen Fällen, in welchen die
Ausführung eines Kaiserschnittes we-
gen allzu grosser Gefahr für das müt-
terliche Leben oder infolge Ablehnung
von Seiten der Frau nicht möglich er-
scheint und in welchen der Geburts-
helfer im Momente, wo die dringend-
ste Indikation zur Entbindung eintritt,
sich zur Vernichtung des kindlichen
Lebens zu Gunsten der Mutter ent-
schliessen musste, unserm Handeln
einen vollen Erfolg verspricht und
durch die Rettung der grössten Mehr-
zahl dieser sonst sicher verlorenen
kindlichen Leben zur Aufbesserung
der Resultate in dieser Beziehung aus-
serordentlich vieles zu leisten er-
scheint.
Perforationen des lebenden Kindes
wurden 76 vorgenommen : darunter
sind bestimmt 45 Fälle, in welchen die
Kraniotomie des lebenden Kindes
durch die Einschaltung der Heboste-
otomie hätte vermieden werden kön-
nen.
Die Prinzipien, die sich aus Vor-
stehendem für die Geburtsleitung bei
engem Becken für die Zukunft ablei-
ten, wären demnach die folgenden : Als
oberster Grundsatz muss an dem ex-
spektativen Charakter der Geburtslei-
tung festgehalten werden ; ferner muss
man in dem Bestreben, womöglich ei-
nen spotanen Verlauf der Geburt auch
bei höheren Graden von Beckenveren-
gerung zu erzielen, noch weiter gehen
als bisher. Es müssen daher diejeni-
gen Eingriffe, welche mit einem Ab-
warten nicht rechnen können, die
künstliche Frühgeburt und die prophy-
laktische Wendung, in noch höhererh
Masse für die Zukunft ausgeschaltet
werden als bisher. Auf die Anwendung
des hohen Forceps soll auch in der Fol-
gezeit nicht vollständig verzichtet wer-
den, nur muss man sich bei der Vor-
nahme dieser Operation stets bewusst
sein, dass die Aussichten zur Erhalt-
ung des kindlichen Lebens dabei keine
besonders günstigen sind, und deshalb
kann man auch die Indikation zum
hohen Forzeps von seiten des Kindes
allein nicht mehr gelten lassen. Das
Indikationsgebiet der relativen Sectio
caesarea wird in der Folgezeit eben-
falls dadurch eine Einschränkung er-
fahren, dass in den Fällen von 7 bis 8
cm C. v. die subkutane Hebosteotomie
in Frage kommen wird. Eine völlige
Ausschaltung der Kraniotomie am le-
benden Kinde wird man auch in der
Folgezeit nicht zur Durchführung
bringen können, wenn auch B. hofft,
dem von P i n a r d aufgestellten idea-
len Grundsatz, kein lebendes Kind im
Mutterleibe zu töten, wenigstens recht
nahe zu kommen.
Verhandlungen der Deutschen Laryn-
gologischen Gesellschaft auf der II.
Versammlung zu Dresden, vom 15.
— 18. September 1907. Herausge-
geben im Auftrage des Vorstan-
des vom Schriftführer Dr. med.
Georg Ave Iii s-Frankfurt a.
M. Mit einem Titelbild und 2 Ab-
bildungen im Text. Verlag von
Curt Kabitzsch. Würzburg 1908.
Der vorliegende Bericht legt bered-
tes Zeugnis von der überaus frucht-
bringenden Arbeit der 2. Versammlung
der Deutschen Laryngologischen Ge-
sellschaft ab. Wenn es aus begreifli-
chen Gründen auch nicht angängig ist,
hier auf die sämtlichen in dem Be-
richte veröffentlichten Vorträge näher
I einzugehen, so mögen doch einige
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
343
Punkte Erwähnung finden, die zu-
gleich auch für den praktischen Arzt
von Interesse sein dürften. Hier
kommt zunächst in Betracht der Vor-
trag von Saenger in Magdeburg:
Zur Asthmatherapie. Saenger hat
bereits im Jahre 1904 eine Asthma-
therapie empfohlen, durch welche an-
gestrebt wird, dass einerseits eine För-
derung der Ausatmung und anderer-
seits eine Herabsetzung des subjekti-
ven Luftbedürfnisses zu erzielen ver-
sucht wird. Die Eigenart der Methode
S a e n g e r's besteht darin, dass die
Kranken bei verengter Stimmritze
oder bei verengter Mundspalte ausat-
men, indem sie veranlasst werden, zu
zählen, zu singen, zu pfeifen oder zu
blasen. Der Zweck dieser Massnahme
besteht nun darin, dass eine Kompres-
sion der sehr dünnwandigen kleinsten
Bronchien 'infolge stärkerer Volumver-
minderung des Brustkorbes bei der
Ausatmung vermieden wird. Es ist
eben besser, dass nur wenig Luft aus-
geatmet, als dass bei starker Anstreng-
ung gar keine Luft herausbefördert
wird. Saenger hält es für sicher,
dass man auf diesem Wege die Neig-
ung zu Asthmaanfällen auch in beson-
ders schweren und veralteten Fällen
herabsetzen und schliesslich zum Ver-
schwinden zu bringen vermag.
Nach Haje k- Wien ist die radikale
Operation der Stirnhöhle ein wahrer
Segen für die schweren Fälle und kann
nicht entbehrt werden ; er ist jedoch
gegen ihre frühzeitige Anwendung bei
unkomplizierten Stirnhöhlenaffektion-
en, weil er das Schreckgespenst der
zerebralen Komplikation für übertrie-
ben hält. Die radikale Operation ist
kein harmloser Eingriff. Es sind
mehrere unkomplizierte Fälle nach der
Operation gestorben.
A 1 b r e c h t-Berlin spricht über die
Bedeutung der Röntgenographie für
die Diagnose der Nebenhöhlenerkrank-
ungen. Er sieht in der Skiagraphie
eine wichtige Methode für diese Er-
krankungen. Besonders für die vor-
deren Siebbeinzellen möchte er das
Röntgenogramm als absolut zuverläs-
sig erklären. Bei der Stirnhöhle zeich-
net das Skiagramm den Katarrh nicht.
Das Empyem gibt sich stets als Ver-
schleierung bez. Verdunklung kund,
doch kann eine solche Verdunklung
auch durch andere Momente hervorge-
rufen werden, wodurch dann eine Er-
krankung der Stirnhöhle vorgetäuscht
wird. A. glaubt daher aus dem Rönt-
genbild allein eine sichere Diagnose
nicht stellen zu können, er sieht jedoch
in der Skiagraphie für die Diagnose
des Stirnhöhlenempyems mit einen
wichtigen diagnostischen Faktor,
wenn auch andere Symptome für ein
Empyem sprechen. Die Veränderun-
gen der Kieferhöhle zeichnen sich in
der Regel deutlich auf der Platte, doch
hält A. das Röntgenogramm für die
Diagnose der Kieferhöhlenempyeme
praktisch für weniger bedeutungsvoll,
da wir für diese Diagnose schon sonst
zuverlässige Methoden besitzen. Wich-
tiger ist das Skiagramm für die Dia-
gnose der Kieferhöhlentumoren, spezi-
ell deren Operabilität. Für die Dia-
gnose der Erkrankung der hinteren
Siebbeinzellen und des Keilbeins ist
das Röntgenogramm nur ausnahms-
weise verwertbar. Die Hauptschuld
an einer Verschleierung einer Höhle
trägt in der Mehrzahl der Fälle der Ei-
ter, bei langdauernden Empyemen mit
reichlicher Granulationsbildung und
Infiltration der Schleimhaut wird die
Verdunklung in erster Linie durch die
Veränderungen der Mucosa bedingt.
Schere r-Bromberg berichtete über
einen Fall, in welchem zweifellos ein
unmittelbarer Zusammenhang zwi-
schen Magenleiden und Naseneiterung
bestand, in welchem nämlich freie
Salzsäure im Magensafte vollständig
fehlte, aber nach einiger Zeit wieder-
kehrte, nachdem regelmässige Aus-
spülungen der erkrankten Kieferhöhle
vorgenommen worden waren. Es
wurde versäumt, die Reaktion des Kie-
ferhöhleneiters zu prüfen, sodass S c h.
nur mit der Möglichkeit rechnen kann,
dass derselbe alkalisch reagierte und
dann durch das verschluckte Sekret
die Salzsäure des Magens neutralisiert
wurde.
P. Heyma n n - Berlin berichtet
über seine Erfahrungen mit Schilddrü-
senpräparaten beim Heufieber. Er hat
im ganzen 56 Fälle gesehen : von 5 der-
selben konnte H. keinen Bericht be-
344
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
kommen. Von den verbleibenden 51
Fällen haben 9 Patienten negativen Er-
folg angegeben, bei einem Patienten
gelang es, die Verschlimmerung
durch den Gebrauch von Graminol zu
beheben. Es verbleiben 42 Patienten,
welche über eine mehr oder weniger
erhebliche Besserung berichtet haben ;
14 derselben haben gar keine Anfälle
gehabt, die übrigen 28 Fälle ergaben
mehr oder minder erhebliche Besser-
ung. Verwendet wurden Jodothyrin,
Thyreoidin, Thyreoid und ähnliche an-
dere Präparate ; ein wesentlicher Un-
terschied konnte nicht konstatiert wer-
den. Antithyreoidin (Möbius) hat
H. bei zwei Fälle verwendet; in einem
Falle mit völligem Erfolg, in dem zwei-
ten konnte nur eine geringe Besserung
erzielt werden. H o f f m a n n-Mün-
chen stellt das Heufieber in Parallele
zu dem Morbus Basedowii und em-
pfiehlt auf Grund günstiger therapeuti-
scher Erfahrungen : 14 Tage vor Be-
ginn der Grasblüte dreimal täglich 25
Tropfen Extr. fluid. Hydrast. canad.
(eventuell aa mit Extr. fluid Secal.
cornut.). Treten trotzdem Heufieber-
erscheinungen ein, so wäre die Dosis
zu verdoppeln und die Stauungsbinde
um den Hals zu legen. Während der
Blütezeit ist der prophylaktische
Gebrauch eines Suprarenin-Kokain-
Schnupfpulvers angezeigt.
Verhandlungen des Vereins Süddeut-
scher Laryngologen. 1907. Her-
ausgegeben vom Schriftführer Dr.
med. Felix Blumenfeld-
Wiesbaden. Verlag von Curt Ko-
bitzsch. Würzburg 1907.
Aus der Reihe der trefflichen Vor-
träge seien als von besonderem In-
teresse die folgenden hervorgehaben :
A v e 1 1 i s, Ueber Kehlkopfluftsäcke
beim Menschen (Laryngocele). —
Vohsen, Wert der Durchleuchtung
bei Erkrankungen der Stirnhöhle.
Nach V. ist die Durchleuchtung nach
seiner Methode bei latenten Erkrank-
ungen der Stirnhöhlen eines der wich-
tigsten diagnostischen Hilfsmittel. Sie
kann von der M ey e r'schen Modifika-
tion unterstützt, von der Röntgen-
durchstrahlung in sagittaler Richtung
ersetzt werden. Letztere zeigt aber
bis jetzt keine Ueberlegenheit gegen-
über der Methode von V. ; wohl fixiert
sie im Radiogramm dauernd den Ein-
druck, dagegen entfallen bei ihr die
wichtigen Symptome der Septum-
durchleuchtung. Die Durchleuchtung
ist ein unentbehrlicher Bestandteil je-
der rhinoskopischen Untersuchung, da
sie allein uns Aufschluss geben kann
über das Bestehen und die Ausdeh-
nung einer Stirnhöhle und wichtige
Schlüsse gestattet über den Zustand
der Kiefer- und Stirnhöhlen. — Den-
ker, Weitere Erfahrungen über die
Radikaloperation des chronischen Kie-
ferhöhlenempyems. — v. Eicken teilt
einen Fall mit, der zeigt, dass 1.
Fremdkörper der Trachea und der
Bronchien sehr schnell zu schwerem
interstitiellem Emphysem der Lunge,
des Mediastinums und der Brusthaut
führen können; 2. selbst anscheinend
völlig obturierende Fremdkörper in ei-
ner emphysematös geblähten Lunge
keine charakteristischen physikali-
schen Erscheinungen hervorzurufen
brauchen ; 3. wir unter keinen Um-
ständen annehmen dürfen, dass ein
Fremdkörper im Bronchialbaum nicht
vorhanden ist, wenn wir nicht den
rechten und den linken Bronchus und
alle grösseren Verzweigungen inspi-
ziert haben. — Kander berichtet
über einen Fall, wo ausgehend von ei-
nem Empyem der linken Keilbeinhöhle
eine Infektion der Meningen, eine ei-
trige Meningitis entstanden ist. Sie
wurde direkt nachgewiesen durch das
positive Ergebnis der Lumbalpunk-
tion. Es fand sich als Ausdruck der
Meningitis im Krankheitsbild ausge-
sprochene Nackenstarre, rasender
Kopfschmerz, Muskelhyperästhesie,
Bewusstseinsstörungen, Lähmungszu-
stände bald des rechten, bald des lin-
ken Facialis, Erbrechen, Pupillendif-
ferenz, ophthalmoskopisch Neuritis op-
tica und schliesslich Fieber mit unre-
gclmässigem Verlauf. Mit der Besei-
tigung des Empyems der Keilbein-
höhle verschwanden sämtliche Er-
scheinungen. Die Infektion von der
Keilbeinhöhle aus ist vermutlich auf
hämatogenem Wege erfolgt. — Dun-
ges, Zur Theorie des Asthmas.
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
345
Therapeutische Technik für die ärztli-
che Praxis. Ein Handbuch für
Aerzte und Studierende. Heraus-
gegeben von Prof. Dr. Julius
Schwalbe. Zweiter Halbband.
Mit 169 Abbildungen. Verlag von
Georg Thieme. Leipzig 1907.
Von dem Schwalb e'schen Hand-
buch der therapeutischen Technik,
über dessen Erscheinen wir bereits
früher berichtet haben, liegt der 2.
Halbband vor, der sich ebenbürtig an
den ersten anschliesst. Während der
erste Halbband, das letzte Kapitel aus-
genommen, der allgemeinen therapeu-
tischen Technik gewidmet war, be-
schäftigt sich der vorliegende Teil mit
der speziellen Technik der Behandlung
der einzelnen Organe. Hier findet der
Arzt alles, was für ihn in der täglichen
Praxis in Betracht kommt, in lücken-
loser Weise aufgeführt und erläutert;
auch der scheinbar einfachste Hand-
griff ist beschrieben und illustriert.
Ueberall wird die Einübung der Tech-
nik, die Vermeidung ihrer Fehler oder
Gefahren genau geschildert ; wo es an-
gezeigt ist, sind die Indikationen oder
Kontraindikationen zu dem Eingriff
auseinandergesetzt, es wird die Prog-
nose der Methode angegeben, es wer-
den die verschiedenen Wege gezeigt,
auf welchen ein und dasselbe Resultat
erzielt werden kann. Wenn wir zum
Schlüsse ein zusammenfassendes Ur-
teil über das stattliche Werk abgeben
wollen, so können wir nur wiederholen,
was wir bei der Besprechung des er-
sten Halbbandes gesagt haben, näm-
lich dass es sich hier um ein ganz aus-
gezeichnetes Buch handelt, das nicht
warm genug empfohlen werden kann.
Die Röntgentechnik. Ein Hilfsbuch
für Aerzte von Dr. med. F. D a-
vidsohn in Berlin. Mit 13 Ab-
bildungen im Text und 12 Tafeln.
Verlag von S. Karger. Berlin 1908.
78 S. Preis M. 6.
Das Werkchen enthält so ungefähr
alles, was für den Arzt, der sich über
das Wesen der Röntgenstrahlen und
die Technik des Röntgenverfahrens in-
formieren will, wissenswert ist. Es
wäre ja überaus wünschenswert, dass
jeder Arzt, auch wenn er sich nicht
selbst mit den Röntgenstrahlen be-
schäftigt, wenigstens einigermassen ei-
nen Begriff von dem Röntgenverfah-
ren besässe, was leider bis jetzt noch
nicht der Fall ist. Vielleicht trägt das
vorliegende Werkchen dazu bei, in die-
ser Hinsicht die so wünschenswerte
Besserung zu schaffen. Die beigege-
benen Tafeln sind im ganzen gut, doch
hätte an Stelle von Tafel VI (Fuss-
wurzelknochen, Seitenansicht) leicht
eine bessere gesetzt werden können.
Wenn der Verf. in der Einleitung an-
gibt, dass mit Rücksicht auf das Re-
produktionsverfahren die Darstellun-
gen von Schädel und Wirbelsäule reine
Skelettaufnamen sind, so hat er bei
dieser Aufzählung die das Hüftgelenk
zur Darstellung bringende Tafel über-
sehen, da dieselbe ganz offenbar ihre
Herstellung ebenfalls nur einer Ske-
lettaufnahme verdankt.
Einführung in die organische Chemie.
Von Prof. Dr. O. D i e 1 s. Mit 34
in den Text gedruckten Abbildun-
gen. Verlag von J. J. Weber in
Leipzig 1907. 315 S.
Die Wichtigkeit der Chemie und
insbesondere der organischen Chemie
für den Mediziner braucht wohl nicht
besonders hervorgehoben zu werden.
Für den Mediziner, der sich in grossen
Zügen über die organische Chemie ori-
entieren will, ist das Diel s'sche
Werk das geeignete Buch, besonders
auch deshalb, weil der Verf. den-
Hauptwert auf eine dem Verständnis
möglichst entgegenkommende Darstel-
lung gelegt, dabei aber durchwegs eine
streng wissenschaftliche Gruppierung
innegehalten und eine gleichmässige
Behandlung des ganzen Stoffes ange-
strebt hat. Dem Charakter des Buches
als „Einführung" gemäss hat D. auf
eine allzu detaillierte Beschreibung
einzelner Verbindungen verzichtet, da-
für aber die charakteristischen Eigen-
schaften der verschiedenen homologen
Reihen und Gruppen, ihre wechselsei-
tigen Uebergänge und Beziehungen
ausführlich behandelt. Die Anlage des
Buches lässt es daher ganz besonders
für Aerzte und Studierende der Medi-
zin empfehlenswert erscheinen.
346
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
Sitzungsberichte
Deutsche Medizinische Gesellschaft der Stadt New York
Sitzung vom 6. Januar 1908.
Vize-Präsident Dr. G. Mannhei-
mer eröffnet in Abwesenheit des Präsi-
denten die Sitzung um 8 :45.
Sekretär Dr. J. Heckman n verliest
das Protokoll der vorigen Sitzung, wel-
ches genehmigt wird.
Vize-Präsident Dr. G. Mannhei-
mer: Unsere Gesellschaft hat wieder-
um einen Verlust zu beklagen. Herr Dr.
Schapringer ist uns in demselben
Monat wie die Herren John Schmitt
und Oberndorfer, deren in der letz-
ten Sitzung gedacht wurde, durch den
Tod entrissen worden. Sie alle kannten
ihn. Er war ein eifriges Mitglied un-
serer Gesellschaft, der er 22 Jahre an-
gehörte. Er war ein tüchtiger Ophthal-
mologe und ein geschätzter, lieber Kol-
lege. Zu Ehren seines Andenkens er-
suche ich Sie, sich von Ihren Sitzen zu
erheben.
Die Versammlung erhebt sich.
Der korrespondierende Sekretär ver-
liest ein Dankschreiben von Frau und
Fräulein S c h m i 1 1, Gemahlin und
Tochter unseres verstorbenen Präsiden-
ten Dr. John A. Schmitt für das
Beileid und die Blumenspende seitens
der Gesellschaft.
Wissenschaftlicher Teil.
a) Dr. A. Stein: Ueber die opera-
tiven Bestrebungen in der modernen
Geburtshilfe.
Diskussion. Dr. G. Seeligmann:
Ich erlaube mir, Herrn Dr. Stein zu
beglückwünschen wegen der konzisen,
klaren und erschöpfenden Art, mit der
das Thema vorgetragen worden ist, das
sicher alle Anwesenden interessiert
hat. Es ist vor einer Gesellschaft, zu-
sammengesetzt aus Spezialisten aller
Art, und vor allen Dingen vor allge-
meinen Aerzten nicht angebracht, zu
sehr ins Detail einzugehen, und Dr.
Stein hat in anzuerkennender Weise
die gefährliche Klippe umschifft, durch
zu viele Einzelheiten ermüdend zu
wirken.
Ich möchte mir nur eine Bemerkung
zu dem Vortrag gestatten, und zwar be-
treffs der Pubiotomie. Es war da ein
leiser Vorwurf zu hören über die Rück-
ständigkeit der amerikanischen Geburts-
hilfe in Bezug auf diese neue Operation.
Vor kurzem ist von Herrn Fry in
Washington eine Zusammenstellung ge-
macht worden über diejenigen Pubioto-
mien, die in Amerika soweit vollzogen
wurden, und ich bin da auch zitiert wor-
den als einer von denen, die sich der
Frage gegenüber eher konservativ ver-
halten haben. Ich gebe zu, dass meine
Berechtigung, überhaupt eine Meinung
in dieser Frage auszusprechen, insofern
vielleicht nicht ganz klar ist, als meine
Erfahrung nur eine geringe ist. Ich
habe allerdings nur zwei Fälle selbst ge-
sehen, will aber betonen, dass der eine
ein solcher war, dass er mir sehr ernste
Bedenken über die angebliche Leichtig-
keit, nicht etwa der operativen Technik,
denn die ist leicht, sondern des Verlaufs
eingeflösst hat. Dieser Fall sowie das,
was mir andere hiesige erfahrene Ope-
rateure, z. B. C r a g i n, gesagt haben,
zusammen mit dem sorgfältigen Stu-
dium der Literatur haben allerdings in
mir eine gewisse Opposition hervorge-
rufen gegen die, wie ich glaube, über-
mässig enthusiastische Haltung, die eine
Anzahl, besonders deutscher Operateure
in dieser Frage angenommen haben. Ich
denke da vor allem an die B u m m'sche
Klinik.
Und wenn drüben sogar prokla-
miert wird, dass die Pubiotomie All-
gemeingut der praktischen Aerzte zu
werden berufen sei, so stimme ich über-
ein mit dem Herrn Vortragenden, wel-
cher dazu schon bemerkt hat, dass er der
Ansicht sei, dass diese Operation heute
für den praktischen Arzt doch wohl nicht
geeignet sei. Vielleicht wird das später
anders ; aber einstweilen haben wir, die
wir Pubiotomien gesehen haben, den Ein-
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
347
druck, dass diese Operation besser der
Klinik überwiesen bleibt.
Ich erspare es mir und Ihnen, in De-
tails einzugehen, aber ich will, obwohl
ich mich selbst dabei widerlege, nicht
verheimlichen, dass einer meiner Assis-
tenten vor kurzem in einem Tenement
Haus ohne genügende Assistenz eine
doppelseitige Pubiotomie vollzogen hat.
Die Frau hatte ein glatt rhachitisches
Becken, Conj. vera 7 cm, sodass bei der
vorhergegangenen Geburt in Deutsch-
land eine Symphyseotomie gemacht wor-
den war. Es war ein sehr dicker Callus,
der Symphyse entsprechend, entstanden.
Der Herr legte die Achsenzugzange an,
machte dann, als er den Kopf nicht in's
Becken bringen konnte, erst auf der ei-
nen Seite und dann auf der anderen die
Pubiotomie ; die Zange hatte er liegen
lassen und neue erfolglose Traktionsver-
suche gemacht nach der Pubiotomie auf
der ersten Seite. Der Erfolg war ein
lebendes Kind und eine lebende Mutter.
Das Kind wog allerdings nur etwas über
6 Pfund. Das war ein glücklicher Fall,
aber demselben Herrn könnten sich bei
erneuten Versuchen in dieser Richtung
doch ernste Schwierigkeiten darbieten,
besonders wenn das Missverhältnis
zwischen Kopf und Becken grösser ist,
als in diesem Fall.
Dr. Alfred A. Herzfeld: Ich
möchte den Kollegen fragen, was er zu
tun gedenkt, wenn er von der He-
bamme nach einem Tenementhaus ge-
rufen wird und es handelt sich um eine
vorzeitige Ablösung der Plazenta bei
vollständig geschlossenem Mutter-
mund, ob er dann dennoch die D' ü h r s-
s e n'sche Operation machen will oder
aber ob er dann doch das Boss i'sche
Instrument gebrauchen will. Das In-
strument ist ein gutes ; das beweist die
Arbeit von J o 1 1 y, der an der O 1 s'-
hause n'schen Klinik in Berlin, wo
alle Fazilitäten für einen vaginalen
Kaiserschnitt vorhanden waren, mit
Bossi nur zwei Kinder verlor und
sämtliche Mütter rettete.
Die Schuld an dem Tode der Kinder,
sagt J o 1 1 y, war die, dass er das In-
strument nicht genügend aufgedreht
hatte. Die Läsionen, die verursacht
wurden, waren Cervixrisse, die voll-
ständig bei der Vernähung verheilt
sind. Ich bin fest überzeugt, dass das
Boss i'sche Instrument nicht so von der
Hand zu weisen ist und dass es ein
sehr wertvolles Instrument ist in den
richtigen Händen, wenn es sich bei
vollständig oder teilweise geschlosse-
nem Muttermund um Beschleunigung
der Geburt handelt.
Dr. Ludwig Ewald: Ich habe
den ersten Teil des Vortrags nicht ge-
hört, sondern kam leider erst, als Dr.
Stein das Instrument B o s s i's behan-
delte ; hier muss ich mich der Ansicht
von Dr. H e r z f e 1 d anschliessen, dass
das Instrument B o s s i's doch nicht so
von der Hand zu weisen ist. Ich habe
es sechsmal mit glänzendem Erfolg
gebraucht, und es sind Fälle darunter,
die ohne Bossi die grössten Schwie-
rigkeiten bereitet hätten. Ich bin kein
Freund der grossen Inzisionen wegen
der Gefahr der Infektion und wegen
der Blutungen. Ich hatte zweimal Ge-
legenheit zu sehen, dass bei tiefen In-
zisionen schleunigst die Zange ange-
legt werden musste, um die Patientin
vor Verblutung zu retten. Grössere
Einrisse bei Bossi habe ich in meinen
sechs Fällen nicht gesehen. Wie Dr.
H e rz f e 1 d richtig bemerkt hat, ge-
hört eine geschulte, feinfühlende Hand
dazu. Merkt man, dass die Sache
durchgeht, dann weg mit Bossi.
W as den vaginalen Kaiserschnitt an-
geht, so bin ich aus eigenen Erfahrun-
gen im stände, hier einige Bemerkun-
gen zu machen. Ich habe elf Fälle
von vaginalem Kaiserschnitt entbun-
den und gehe nicht zu weit, wenn ich
sage, dass der vaginale Kaiserschnitt
eine der grössten Errungenschaften
der modernen Geburtshilfe ist. Leicht
ist die Ausführung bestimmt nicht; es
ist eine sehr blutige Operation. Ich
habe andere in der Ausführung erfah-
rene Kollegen gefragt, und man ge-
stand mir zu, dass sie die gefährlich-
sten Blutungen gesehen haben. Ich
würde auch nicht raten, die Operation
in einem Privathaus auszuführen. Ich
habe alle Fälle in der Klinik gemacht
und bin auf Schwierigkeiten gestossen,
die mich sehr dankbar fühlen machten,
dass ich die Klinik gewählt hatte.
Die Operation hat besonders den
Vorzug, dass man bei ganz unvorbe-
348
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
reiteter Gebärmutter ohne jede Erwei-
terung dieselbe schnell entleeren kann,
was bei Fällen von Eklampsie von
grösster Wichtigkeit ist. Es ist sicher
eine Operation, die bleiben wird, mit
der Einschränkung, dass sie gegenwär-
tig noch nicht im Privathaus zu em-
pfehlen ist und nicht von Händen aus-
geführt wird, die in vaginaler Opera-
tion nicht absolut erfahren sind. Wenn
ich zwischen zwei Operationen für den
praktischen Arzt zu wählen hätte,
würde ich viel eher B o s s i wählen, so-
weit er angewandt werden kann. Es
ist eine schonendere Operation und
verlangt nicht längere Vorbereitung.
Es würde zu weit führen, von wei-
teren Operationen, besonders vom
Kaiserschnitt zu reden. Ich möchte
nur auf eine Angabe von Frank hin-
weisen, der den Kaiserschnitt em-
pfiehlt mit folgender Modifikation.
Frank macht einen Querschnitt über
der Symphyse, eröffnet nicht das Peri-
toneum, sodass ein Eindringen von
Flüssigkeit nach der Bauchhöhle un-
möglich ist, und eröffnet ebenfalls quer
den Uterus unterhalb des eigentlichen
Hohlmuskels. Dadurch ist es mög-
lich, Fälle von leichter, vielleicht auch
schwererer Infektion zu operieren, die
bis jetzt dem Kaiserschnitt nicht zu-
gänglich waren. Frank hat eine
[Menge von Fällen mit sicherer Infek-
tion operiert, und zwar ohne einen To-
desfall.
\Venn_wir diese Fortschritte der Ge-
burtshilfe betrachten, so möchte ich
doch noch eine Frage erörtern : Sind
wir überhaupt zu einem solchen Vor-
gehen in der Geburtshilfe berechtigt?
Die Berechtigung wird sich durch die
Zahl der toten Kinder und Mütter be-
stimmen lassen. Es ist keine Frage,
dass wir durch B o s s i, Pubiotomie,
vaginalen Kaiserschnitt eine grössere
Anzahl von Kindern retten können.
Wenn wir aber berücksichtigen, dass
viele dieser geretteten Kinder frühzei-
tig geboren sind und 30 Prozent dieser
Kinder im ersten Lebensjahr zu
Grunde gehen, so ist am Ende das Re-
sultat auch nicht so glänzend.
Die zweite Frage : Sind wir berech-
tigt durch das Resultat mit Hinsicht
auf das Leben und die Gesundheit der
Mütter? Hofmeier hat 27 Fälle
angeführt, die durch Pubiotomie, Kai-
serschnitt u. s. w. operiert wurden, und
von 27 hat er 3 verloren, also ein sehr
betrübendes Resultat ; von der grös-
seren Morbidität will ich gar nicht re-
den. Ich glaube auf Grund solcher
Zahlen einstweilen warnen zu müssen :
in der gesamten Medizin und so auch
in der Geburtshilfe soll man nur das
tun, was Nutzen bringt, nicht Schaden
stiftet.
Dr. C. A. vonRaradohr: Es tut
mir ungeheuer leid, den interessanten
Vortrag nicht von Anfang an gehört
zu haben, aber was ich davon gehört
habe und was ich von den Herren in
der Diskussion gelernt habe, ist abso-
lut meine Meinung, dass nämlich zu
allererst eine Differenz gezogen wer-
den muss zwischen Arbeiten in der
Klinik und Arbeiten im Tenementhaus
oder irgend einem anderen Privathaus,
mit Assistenz oder ohne Assistenz, mit
Instrumenten oder ohne Instrumente
u. s. w. Den Statistiken traue ich sehr
wenig. Wenn eine neue Operation
oder Methode in einer Klinik entdeckt
und geübt wird, so werden der Pro-
fessor und seine Assistenten bessere
Resultate erzielen als anderswo. Viele
L'nfälle, die in der Klinik passieren,
werden manchmal nicht gebucht, z. B.
Arm- und Schlüsselbeinbrüche, von
welchem Faktum ich mich selbst in
einem berühmten Gebärhause über-
zeugt habe. Ich möchte darauf zu-
rückkommen, dass die konservative
Geburtshilfe sich noch nicht überlebt
hat. Die heutige chirurgische Ge-
burtshilfe, von Experten geübt, hat na-
türlich auch ihr Feld, aber das fort-
währende Loben und Empfehlen, z. B.
des berühmten und so leicht auszu-
führenden vaginalen Kaiserschnittes mit
seinen guten Erfolgen verleitet den all-
gemeinen Praktiker, die Sache doch
auch einmal zu probieren, manchmal
ohne genügende Technik und ohne ge-
nügende Assistenz, deshalb ist es noch
eine grosse Frage, ob durch solche
Mittel der Frau und dem Kind genützt
wird oder nicht.
Ad vocem vaginaler Kaiserschnitt, so
operierte Dührssen, dieser Experte,
der Erfinder dieser Operation, in mei-
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
349
ner Klinik während seiner Anwesen-
heit in New York wegen Eklampsie.
Es nahm dieser Autorität beinahe zwei
Stunden, und wäre die Patientin in an-
deren Händen wahrscheinlich nicht
mit dem Leben davon gekommen. Ich
möchte nicht behaupten, dass der vagi-
nale Kaiserschnitt so leicht wäre, wie
er oft hingestellt wurde, und ich
möchte vor dem Glauben an die Leich-
tigkeit der Operation unter allen Um-
ständen warnen.
Die grosse Kunst des modernen Ge-
burtshelfers ist die, die richtige Indi-
kation zu stellen. Es kann z. B. bei
gewissen Fällen einer von 3 — 5 Ein-
griffen gewählt werden und kommt es
hier nun auf grosse Erfahrung und
ganz gründliche Untersuchung und Be-
obachtung aller Nebenumstände Primi-
para oder Multipara, Herztätigkeit, ir-
gendwelche Begleitungs - Krankheiten
etc., etc. an. So können wir zu dem vom
Geburtshelfer erwarteten Erfolge ge-
langen, ein lebendes und lebensfähiges
Kind von einer lebenden und später ge-
sunden Mutter zu Tage zu fördern. Die
Operationen an und für sich zur richtigen
Zeit gemacht sind dann auch in den
Händen des allgemeinen Praktikers
leicht. Es ist jetzt ohne allen Zweifel
die Zeit der chirurgischen Geburtshilfe
im Zenith. Es wird mehr operiert und
operieren gelehrt als früher, und die
Versuchung liegt immer vor, eine Ge-
burt aus Bequemlichkeits- oder anderen
Gründen zu früh zu beenden. Ich
möchte zum Schluss nochmal davor
warnen, zu viel zu operieren; man
muss strikte Indikation stellen und
Klinik und Privathaus und Experten
und allgemeine Praktiker auseinander-
halten.
Dr. A. Stein (Schlusswort) : Ich
möchte nur ein paar Worte zu den in-
teressanten Ausführungen der Vorred-
ner bemerken und Herrn Dr. S e e 1 i g-
m a n n erwidern, dass im ganzen bis
jetzt in Amerika etwa 22 Fälle von
Pubiotomie ausgeführt worden sind,
von denen allein 8 auf das Konto von
Whitridge Williams kommen.
Es war mir interessant, gerade in der
eben erschienenen zweiten Auflage sei-
ner „Obstetrics" zu sehen, wie auch er
auf dem Standpunkt steht, dass man
die Operation unbedingt in der Klinik
ausführen müsse. Von der doppelsei-
tigen Durchsägung des os pubis
möchte ich noch sagen, dass dahinge-
hende Versuche im letzten Jahr von
S t o e c k e 1 gemacht worden sind ; ein
definitives Resultat ist aber bis jetzt
noch nicht erzielt.
Was die Frage von Dr. H e r z f e 1 d
betrifft, was bei vorzeitiger Ablösung
der Plazenta mit starker Blutung ge-
schehen soll, so glaube ich, dass man
da viel schneller durch rasche Opera-
tion zum Ziele kommt als mit lang-
samer Dilatation. Vor allen Dingen
glaube ich, dass so die Blutung ge-
ringer sein wird.
Herrn Dr. Ewald möchte ich er-
widern, dass ich nicht mit ihm über-
einstimme, wenn er sagt, dass man das
Entstehen der Risse während der Dila-
tation merken kann. Es sind Fälle be-
schrieben, in denen erst nach beende-
ter Dilatation festgestellt wurde, wie
hoch und tief die Risse gegangen sind,
die selbst erfahrensten Operateuren
während der Dilatation völlig entgan-
gen waren.
Ich stimme aber mit Dr. Ewald
vollkommen darin überein, dass, wenn
es irgend angängig ist, Fälle von vagi-
nalem Kaiserschnitt in der Klinik mit
geschulter Assistenz ausgeführt wer-
den sollen. Aber es gibt doch Fälle,
wo dies unmöglich ist. Besonders
Aerzte, die in Vororten oder auf dem
Lande praktizieren, kommen häufig in
solche Lagen. Dr. R ü h 1, ein prakti-
scher Arzt, hat, glaube ich, 12 Fälle
von vaginalem Kaiserschnitt ohne As-
sistenz ausgeführt und alle mit günsti-
gem Erfolg.
Den letzten Bemerkungen von Dr. v.
R a m d o h r stimme ich vollständig
zu. Gerade in den letzten Tagen ist
ein Buch herausgekommen von Feh-
ling, „Die operative Geburtshilfe in
Praxis und Klinik." Auch er sucht zu
scheiden zwischen Praxis und Klinik
und weist die schwierigen Fälle durch-
aus der Klinik zu. Unsere erste Pflicht
sei, Mutter sowohl wie Kind zu scho-
nen, deshalb muss man, wenn es nicht
anders geht, die schwierigen Fälle der
Klinik überweisen.
35Q
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
a) Dr. F. C. Ruppert: Ueber In-
halations-Therapie.
(Der Vortrag ist in dr. Nummer als
Originalarbeit publiziert.)
Diskussion. Dr. Otto Glogau:
Dr. Ruppert hat die Bemerkung ge-
macht, dass in Europa der Inhalations-
Therapie eine grössere Aufmerksam-
keit geschenkt wird als in Amerika.
Ich kann dies aus eigener Erfahrung be-
stätigen. Wie weit diese Aufmerksam-
keit gebt, ist daraus ersichtlich, dass
selbst in Militär-Spitälern Inhalations-
Apparate eingeführt sind, und ein gros-
ser Teil der Erfahrung, die ich auf die-
sem Gebiete gesammelt habe, stammt
aus dem K. u. K. Garnisonsspitale No.
2 in Wien, wo ich auf der Kehlkopf-
abteilung des Stabsarztes und Dozenten
Dr. Johann Fein den Wert der In-
halations-Therapie zu ermessen reich-
lich Gelegenheit hatte.
Dr. Ruppert hob es als einen
Vorteil dieser Methode hervor, dass
sie auch jene Patienten, die gegen das
Einnehmen von Medikamenten sind,
für sich gewinnen werde. Indess, auch
hier werden ja Medikamente in den
Körper aufgenommen, und das Publi-
kum weiss das sehr wohl. Medika-
ment bleibt Medikament, ob es von der
Lunge oder vom Magen-Darmkanal
aus resorbiert wird. Auf diese Weise
glaube ich nicht, dass es möglich sein
wird, für die Inhalations-Therapie Pro-
paganda zu machen.
Ich will noch auf eine Tatsache hin-
weisen, die Kollege Ruppert nicht
erwähnt hat, die aber grundlegend ist
für die Art und Weise, wie überhaupt
die Inhalations-Therapie wirken kann.
Vor zwei Jahren erschien ein französi-
sches Buch, das sehr wenig Aufsehen
gemacht hat, — weil die Nachprüfung
der dort gegebenen Tatsachen unter-
blieb : „L'injection tracheale simpli-
fiee," par le Dr. Henri Mendel.
Das Grundmotiv dieses Buches ist sehr
einfach und deshalb wichtig für den
praktischen Arzt. Es besteht darin,
dass bloss die Zunge herausgezogen
werden muss, um die Arytänoidknorpel
und mit ihnen die hintere Kehlkopf-
wand ganz fest an die Pharynxwand
anzudrängen. So ist es möglich, dass
Einspritzungen irgendwelcher Art an
die Pharynxwand gebracht von selbst
in den Kehlkopf und von da bis in die
tiefsten Bronchien hineingelangen,
was bei der Inhalations-Therapie nie
der Fall ist. Auf diese Weise — dies
sei nebenbei bemerkt — kann der prak-
tische Arzt ohne Kehlkopfspiegel In-
jektionen auf die Stimmbänder und
noch auf die tieferen Luftwege zu
stände bringen.
Die Inhalations-Therapie besteht
nach Dr. Ruppert darin, hauptsäch-
lich ätherische Oele in die tieferen
Luftwege zu bringen. Ich stehe auf
dem alten, experimentell nachgewiese-
nen Standpunkt, dass diese Medika-
mente durch Inhalations-Therapie al-
lein nicht in die tieferen Luftwege, son-
dern nur bis zur Bifurkation gelangen.
Denn die meisten Apparate sind so ein-
gerichtet, dass der Strom in gerader
Richtung an die Pharynxwand kommt.
Die einzige Möglichkeit, die existiert,
dass er die tieferen Luftwege erreicht,
ist die oben erwähnte : bei herausgezo-
gener Zunge, durch Anpressen der
Arytänoidknorpel an die Pharyxn-
wand, den medikamentösen Dampf
zum Hinabträufeln in die tieferen Luft-
wege zu zwingen. Es ist also nicht
das Verdienst der Inhalation, dass die
Dämpfe der ätherischen Oele und an-
derer medikamentösen Bestandteile in
die tieferen Luftwege gelangen, son-
dern mehr der „Injection tracheale
simplifiee."
Ich stimme mit Kollege Ruppert
darin überein, die Indikationsstellung
auf Erkrankungen zu beschränken, die
nicht in das Gebiet der Chirurgie ge-
hören. Von mancher Seite wurde be-
hauptet, man könne Polypen, adenoide
Wucherungen, Hypertrophien der
Muscheln, sogar Eiterungen der Si-
nus durch die Inhalations-Therapie be-
seitigen, das ist geradezu lächerlich.
Die durch die Inhalations-Therapie
bei trockenen und sekretorischen Ka-
tarrhen erzielten Erfolge sind äusserst
günstige. Ich habe gerade in dem er-
wähnten Garnisons - Spitale sehr gute
Resultate auf diesem Gebiete gesehen,
namentlich bei akuter und chronischer
Laryngitis, wo nach kurzer Mentholöl-
inhalation — stets bei weit herausge-
streckter Zunge — der inflammatori-
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
35i
sehe Zustand sich zusehends besserte.
Bei Rhinitis atrophicans möchte ich von
der Inhalations-Therapie abraten, da
dieser Prozess fast ausschliesslich
durch die mechanischen Verhältnisse
als Krankheit aufzufassen ist. Es ist
ein Plus an Raum, um dass es sich
handelt, und ich glaube, dass die
jetzige Therapie der Paraffininjektion
hier weit eher am Platze ist. Wenig-
stens sprechen die Resultate der Paraf-
fininjektionen, die ich auf der Abteil-
ung des Dozenten Dr. H a j e k in
Wien zu sehen Gelegenheit hatte, sehr
für diese Methode.
Im übrigen ist meiner Ansicht nach
bei der Inhalations-Therapie haupt-
sächlich das warme Wasser das Wir-
kende, ähnlich wie beim medikamentö-
sen Bade und Thee. Das inhalierte
Wasser löst den Schleim und regelt die
Zirkulation, die Medikamente, in er-
ster Reihe das Menthol, heilen durch
Suggestion !
Zum Schluss möchte ich die Kolle-
gen auffordern, sich das Inhalatorium
des Kollegen R 11 p p e r t anzusehen,
das in New York wohl einzig dasteht.
Auch in Europa hat kein Privatarzt
ein solches aufzuweisen, da die bedeu-
tenderen Inhalatorien dort in Händen
von Sanatorien und nicht von Privat-
ärzten sind.
Dr. W. F r e u d e n t h a l : Wir müs-
sen, wie auch der Vortragende getan
hat, bei Inhalations-Therapie nicht von
Spray-Apparaten sprechen ; dabei in-
haliert man ja nicht, sondern wir mei-
nen einfach durch Dampf getriebene
Apparate. Da müssen wir unterschei-
den die Therapie bei Erkrankungen der
oberen Luftwege von der der mittle-
ren und unteren Luftwege. Bei den
ersteren stimme ich mit dem Vorred-
ner überein, dass es einfach die Feuch-
tigkeit ist, die das Wirksame ist, und
darum eben möchte ich sie im Gegen-
satz zu dem Kollegen besonders an-
gewendet wissen bei trockener und
atrophischer Rhinitis. Da brauchen
wir Feuchtigkeit, viel Feuchtigkeit,
was ja ganz im Einklang mit meinen
vielleicht manchen Herren bekannten
Ideen von der Entstehung der trocke-
nen und atrophischen Rhinitis steht.
Aus diesem Grunde bin ich jetzt und
war es auch schon, als Moure aus
Bordeaux zum ersten Mal in Madrid
seine Resultate angab, gegen die In-
jektionen von Paraffin. Ich habe ei-
nige Versuche mit denselben gemacht,
und meine Resultate waren ganz unbe-
friedigende. Bei der atrophischen
Rhinitis sind wir in Bezug auf die The-
rapie eben heute noch so hilflos wie
vor Jahren.
Bei der Therapie der Larynx- und
Pharynxerkrankungen könnte man
vielleicht einigen Erfolge sehen, aber
wir müssen dabei auch nicht nach den
Erfolgen bei kräftigen jungen Leuten
urteilen, die wir beim Militär treffen.
Diese Fälle, die meist durch refrigera-
torische Einflüsse entstanden sind,
akute Laryngitis und Bronchitis heilen
auch ohne Inhalations-Therapie von
selbst ; bei chronischen Fällen dürfte
man wohl durch geeignete Inhalatio-
nen etwas weniges erreichen.
Was die Therapie bei den tieferen
Lungenabschnitten betrifft, so wissen
besonders die älteren von Ihnen, wie
eifrig wir alle diese Therapie betrieben
haben, kurz nachdem Koch seinen
Tuberkelbazillus entdeckt hatte. Jeder
Arzt versuchte durch Inhalationen
dem Bazillus aufs Fell zu rücken. Wir
haben das sehr bald aufgegeben und
wissen ausserdem heute, dass eine ko-
lossale Menge Flüssigkeit notwendig
ist, um die grosse Fläche der Schleim-
haut, die sich darbietet, einigermassen
zu erreichen. Durch Inhalationen, wie
sie heute geübt werden, werden wir
das nie erreichen. Ich möchte darum
aber nicht eine Lanze gegen die Thera-
pie brechen. Ich habe einen B u l l-
i n g'schen Apparat seit sechs Jahren
bei mir im Haus. Ich benütze ihn und
er erleichtert hie und da die Patienten.
Wenn wir aber einer Krankheit wie
der Lungen-Tuberkulose auf den Leib
rücken wollen, dann müssen -wir die
Medikamente ganz anders an die Stelle
bringen, als wir es jetzt tun. Ich bin
augenblicklich mit Experimenten in
dieser Frage beschäftigt, die aber noch
nicht spruchreif sind.
Dr. Heinrich W o l f : Ich hatte
in meiner Wasserheilanstalt eiqe sehr
nervöse Dame, die eine akute trockene
Tracheitis bekam. Der ohnehin
352
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
schlechte Schlaf wurde dadurch noch
verschlechtert, und die Dame kam her-
unter. Da mir nichts anderes zur Ver-
fügung stand, versuchte ich eine In-
halation einer Alypinlösung 10 :200
Die Inhalation wurde solange fortge-
setzt, his das Gefühl der Stumpfheit
entstanden war. Die im Munde sich
ansammelnde Flüssigkeit wurde aus-
gespuckt. Diese Inhalation wurde am
Abend gemacht. Die Kranke schlief
die ganze Nacht und nach einer noch-
maligen Inhalation war die Tracheitis
verschwunden. Seither habe ich dieses
Verfahren noch zweimal mit gleichem
Erfolg angewendet. Die Wirksamkeit
beruht offenbar auch auf der bekannten
günstigen W irkung der Anästhetika
bei örtlichen Entzündungen (Schley).
Bei Bronchitiden mit starkem Exsu-
dat halte ich das Verfahren nicht für
angezeigt. Dagegen ist es von gros-
sem Vorteil bei akuten, schmerzhaften
Larvngitiden.
Vize-Präsident Dr. G. M a n n h e i-
mer: Ich stehe noch unter dem Ein-
druck dessen, was ich als Student er-
lernt habe, dass alle Inhalationsmittel
nicht in die kranken Teile eindringen.
Dies bezieht sich besonders auf die In-
filtrate bei Lungentuberkulose und an-
deren chronischen Lungenerkrankun-
gen. Schreiber in Königsberg hat
das in einer ausgezeichneten Arbeit
nachgewiesen. Ich weiss nicht, wie
der Standpunkt heute ist. Das schliesst
nicht aus, dass Inhalationsmittel trotz-
dem von Nutzen sind, selbst bei Affek-
tionen des Lungengewebes
Dr. F. Ruppert (Schlusswort):
Ich habe nichts hinzufügen und danke
den Herren für die freundliche Diskus-
sion. Meine eigenen Erfahrungen be-
schränken sich bis Dato nur auf Er-
krankungen der Nase und des Halses
und wenige Fällen von akuter Tra-
cheo-Bronchitis.
Geschäftliches.
Vize-Präsident Dr. G. Mannhei-
mer: Die Abstimmung hat ergeben,
dass sämtliche Kandidaten einstimmig
erwählt sind. Ich glaube, die Gesell-
schaft kann sich glücklich schätzen,
unter ihre Ehren-Mitglieder einen so
ausgezeichneten Forscher und Gelehr-
ten zu zählen wie Prof. Röntgen,
der obzwar nicht Mediziner, doch
durch seine monumentale Entdeckung
soviel zur Förderung unserer Wissen-
schaft beigetragen hat in Diagnose
und Therapie.
Herr Dr. Pollitzer zeigt in ei-
nem Schreiben an Dr. Fischer seine
Resignation an.
Auf Antrag aus der Mitte der Ver-
sammlung wird die Resignation ange-
nommen.
Zu aktivem Mitglied der Gesellschaft
ist vorgeschlagen : Dr. Henry F.
W o 1 f f durch Dr. Hermann Boe-
k e r.
Dr. G e o. W. Jacob y berichtet
namens des in der vorigen Sitzung er-
nannten Komitees, wie folgt:
Bericht des zur Beratung einer Mit-
teilung des Herrn Arthur McDonald
ernannten Komitees:
Der genannte Herr Arthur Mc-
Donald, der augenscheinlich nicht
Arzt ist, über dessen sonstige wissen-
schaftliche oder soziale Stellung uns
aber nichts bekannt ist, ersucht die
Deutsche Medizinische Gesellschaft,
zu beschliessen, dass dieselbe sowohl
die Einrichtung von besonderen Labo-
ratorien seitens der Staats-, Bundes-
oder Stadtregierung, als auch private
Stiftungen für wünschenswert hält zu
dem Zwecke des wissenschaftlichen
Studiums der kriminellen, armen und
minderbegabten Klassen, in der Ab-
sicht, soziale Uebelstände durch die
Untersuchung ihrer LTsachen zu ver-
ringern.
Ferner: dass eine Abschrift eines
solchen Beschlusses an unsere Vertre-
ter im Gesetzgebenden Körper unseres
Staates wie im folgenden Kongress ge-
schickt werden solle.
Ihr Komitee ist nach näherer Kennt-
nisnahme der vorgelegten Papiere und
nach längerer Beratung derselben, der
Ansicht, einerseits, dass das weite Ge-
biet, welches dieser Plan umfasst, bis-
her keineswegs ungebaut geblieben,
sondern dass auf demselben durch eine
recht grosse Anzahl von ernsten und
begabten Forschern, teils in privaten
teils in schon bestehenden öffentlichen
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
353
Anstalten, mit gutem Erfolg gearbeitet
worden ist und zum Teil mit grossem
Enthusiasmus noch gearbeitet wird,
dass man daher auch in der Zukunft
diesen Arbeitskräften vertrauensvoll
das Feld überlassen könne, in der
sicheren Erwartung befriedigender Re-
sultate; andererseits glaubt Ihr Komi-
tee, dass die Zentralisation solcher
Forschungen auf so weiten und ver-
schiedenen Gebieten in einem Labora-
torium sehr zahlreichen und bedeuten-
den Schwierigkeiten begegnen werde
und daher weder vom theoretischen,
noch namentlich vom praktischen
Standpunkte aus empfehlenswert er-
scheine.
Unter diesen Umständen empfiehlt
Ihr Komitee der Gesellschaft von der
Fassung eines derartigen Beschlusses
abzusehen, beziehentlich die Angele-
genheit auf den Tisch zu legen.
New York, den 2. January 1908.
Auf Antrag von Dr. L e o n h. We-
ber beschliesst die Versammlung den
Bericht anzunehmen.
Dr. Jakob Heckmann,
Prot. Sekretär.
Deutsche Medizinische Gesellschaft der Stadt Chicago.
Sitzung vom 20. Juni 1907.*
Vorsitzender : Dr. Herzog.
Programm.
1) Dr. Lieberthal: Ueber die
neueren Neisser'schen Syphilisforsch-
ungen. (Referat.)
2) Dr. G. Schmauch: Anatomie
und physiologische Betrachtungen
über die Einsiedlung des Eies ausser-
halb der Gebärmutter, an der Hand ei-
nes Falles von Schwangerschaft im
Eierstock, einer sogenannten intraliga-
mentären Schwangerschaft und eines
Falles von Einbettung des Eies in
Tube, Corpus luteum und uterinem
Peritoneum.
Der Vorsitzende stellt Herr Dr.
G e r a r d aus Würzburg als Gast vor
und begrüsst ihn im Namen der Ge-
sellschaft.
Dr. Carl Beck demonstriert das
Präparat einer grossen Ovarialcyste
einer 16jährigen Patientin, die heute
operiert worden ist. Seit 6 Monaten
datierte eine rasche Zunahme des Ab-
domens, das schliesslich durch seine
Grösse und Form an eine 8 bis 9 mo-
natliche Schwangerschaft erinnerte.
Der obere Teil des Tumors war hart,
der untere zeigte Fluktuation, die
ganze Geschwulst zeigte mitgeteilte
*) Bei der Redaktion eingegangen am 27.
Januar d. J.
Pulsation. Der Uterus war klein, re-
troflektiert. Die Cyste war mit kol-
loidem Inhalt erfüllt und im oberen
Anteil wabenartig. Mikroskopisch
lässt sich fast durchwegs nur Bindege-
webe mit sehr wenig Epithel nachwei-
sen. Heutzutage sind so mächtige
Cysten eine Seltenheit, weil dieselben
bereits früher operiert werden.
Die Diskussion zum Vortrag des
Herrn Dr. Lieberthal eröffnet.
Dr. Herzog: Die Syphilisforsch-
ung hat zu Tage gefördert, dass in
der Mehrzahl der Fälle im primären
und sekundären Stadium, selten aber
im tertiären die Spirochaeten gefunden
werden. Dr. H. selbst hatte in 33 Fäl-
len von Lues, weichem Schanker und
einigen Hauterkrankungen auf Spiro-
chaeta pallida untersucht und in kei-
nem der nicht luetischen Fälle Spiro-
chaeten gefunden, wohl aber in 18 unter
23 Fällen von Syphilis und zwar in
mehreren Primäraffekten, Papeln am
Anus und an den Brustwarzen etc. In
den fünf negativen Luesfällen konnte
er aus Zeitmangel die Untersuchungen
nicht lange genug fortsetzen. Dr.
Herzog demonstriert einige seiner
mikroskopischen Präparate von Spiro-
chaeta pallida. Die Beschreibungen,
welche Hofmann und Schau-
d i n n von der Spiroch. pall. geben,
nämlich die Erwähnung von 16 bis 20
Windungen, die Rosafärbung etc.,
354
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
treffen nicht in allen Fällen zu ; viel-
mehr können die Spirochaeten mitun-
ter ein von der Beschreibung verschie-
denes morphologisches Verhalten zei-
gen. Dr. H. hält es für wahrschein-
lich, dass die Spiroschaeten nicht zu
den Protozoen, sondern zu den Spiril-
lenbakterien gehören. Im Sputum ei-
nes Patienten, der an einer Lungenaf-
fektion litt, fand Dr. H. Spirochaeten,
welche denen bei Lues ähnlich sahen.
Die von Dr. Lieberthal vorge-
brachte Komplimentablenkung in der
Serodiagnostik der Lues findet nicht
immer statt ; überdies ist diese Me-
thode sehr schwierig. Darum bleibt
vorläufig die klinische Beobachtung
das wichtigste Mittel der Diagnostik.
Dr. Carl Beck macht Mitteilun-
gen über das Resultat der Krebsforsch-
ungen K e 1 1 i n g s, der eine Serodia-
gnostik des Krebses ausgearbeitet hat.
K. hat in zahlreichen latenten Fällen
auf Grund der Serumreaktion die Dia-
gnose auf Krebs gestellt ; eine Anzahl
dieser Fälle wurde mit Erfolg operiert.
Interessant ist, dass mit Rezidivieren
der Krebskrankheit die gleiche Reak-
tion von neuem erscheint.
Hierauf hält Dr. Sch m auch sei-
nen Vortrag.
In der Diskussion führt Dr. Her-
zog folgendes aus:
Er hat mehr als 50 Fälle von Tubar-
schwangerschaft histologisch unter-
sucht und über die Untersuchungen
von 40 Fällen vor mehreren Jahren
eine Arbeit im Journal of Obstetrics
and Gynecology veröffentlicht. Der
jüngste von ihm untersuchte Fall von
Tubarschwangerschaft war 2 — 3 Wo-
chen alt. Eierstocksschwangerschaft
hat er nie gesehen. In vorgeschritte-
nen Fällen ist es sehr schwer zu ent-
scheiden, ob primäre Eierstockschwan-
gerschaft vorliegt oder nicht. Es kann
ja nach Tubenabort eine sekundäre An-
siedelung des Eies am Eierstock oder
am allgemeinen Peritoneum stattfin-
den. Dr. H. spricht über Trophoblast-
wucherungen in der Tube und bezwei-
felt, dass die von Dr. Schmauch
vorgelegten Photomikrographien wirk-
lich Trophoblastwucherungen im
Sinne eines noch nicht differenzierten
Trophoblastes zeigen.
Im Anschlüsse an dieses Thema de-
monstriert Dr. Herzog eine Anzahl
Photomikrographien und macht Mit-
teilung über ein menschliches Ei in
situ, das in Grösse und Entwickelung
beinahe identisch mit dem bekannten
Peter s'schen Ei ist. Das Ei erhielt
Dr. Herzog bei der Sektion der
Leiche einer in Manila, P. L, durch
einen Unfall ganz plötzlich gestorbe-
nen, ganz gesunden Eingeborenen. Es
fand sich ein frisches, aber schon zu-
heilendes Corpus luteum am einen
Eierstock und in der Nähe des Tuben-
einganges derselben Seite, in einem
leicht vergrösserten Uterus ein kleiner
hämorrhagischer Fleck. Derselbe
wurde ausgeschnitten, in Z e n k e r'-
scher Lösung fixiert und das Gewebe
später in Serienschnitte zerlegt. Die
Untersuchung demonstrierte ein Ei-
chen etwa von derselben Grösse wie
das Peter s'sche. Eine mächtige Tro-
phoblastwucherung mit mütterlichen
Blutlakunen, gleichfalls ganz wie beim
Peter s'schen Ei. Dagegen fehlte der
Gewebspilz, der das Peter s'sche Ei
überdeckte. Das von Herzog ge-
fundene Ei scheint sich flach-schräg in
die Mucosa eingefressen zu haben, es
lässt sich der Einfressungskanal noch
nachweisen. Es ist das Ei vom Cavum
uteri durch eine ganz dünne, teilweise
unvollständige Capsularis getrennt.
Die von Peters beschriebenen Ver-
änderungen an mütterlichen Blutkör-
perchen und eine eventuelle Teilnahme
mütterlicher Blutkörperchen an der
Bildung des fötalen Syncytium finden
sich im H e r z o g'schen, ganz norma-
len Präparate nicht. Der im Ei vor-
handene Embryo ist vorzüglich er-
halten. Der Embryonalschild stellt
ein bootförmiges Gebilde dar, Amnion-
höhle sehr klein, Dottersack grösser,
wie das eigentliche . Embryonalschild.
Blutgefässe finden sich weder im Embryo
noch im Trophoblasten, dagegen fin-
den sich da, wo Allantois und Dotter-
sack aus dem Embryonalschild ent-
springen, Ringe und Bänder von Meso-
dermzellen, welche zweiffellos die erste
Anlage der Dottersackblutgefässe dar-
stellen. Die Keimscheibe befindet sich
in sogenannter Blattumkehr, das Prä-
parat beweist also, dass dieser bei den
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
355
Nagern allgemein bekannte Vorgang
auch bei den Primaten stattfindet. Die
Gesamtlänge des Keimschildes ist
154 Mikra; einschliesslich des Dotter-
sackes 300 — 400 Mikra. Der menschli-
che Embryo ist mithin bei weitem das
jüngste und kleinste bisher beschrie-
bene. Der Embryo im Peter s'schen
Ei, sagt Herzog, sei derart schlecht
erhalten, dass er für die menschliche
Embryologie nicht zu verwerten war,
da selbst eine so grosse Autorität wie
Graf S p e e nichts Rechtes damit hat
anfangen können. Zum Schlüsse be-
tont Herzog, dass die Trophoblast-
wucherungen den Pathologen ausser-
ordentlich an die Wucherung eines
malignen Tumors erinnern, wie an-
dererseits die Reaktion des mütterli-
chen Gewebes vielfach an die Verän-
derungen bei hämorrhagischer Ent-
zündung errinert.
(Seit dieser ersten, von Dr. Her-
zog vor der Deutschen Medizinischen
Gesellschaft gemachten Mitteilung hat
er über dieses Ei einen Vortrag mit
Demonstrationen vor der Sektion für
Embryologie des 7. Internationalen
Kongresses für Zoologie, Boston,
Mass., 19.— 25. August 1907 gehalten.)
Dr. G e o. Schmauch führt aus :
Wenn das befruchtete Ei sich in dem
mütterlichen Boden festgesetzt hat, so
findet man um die ersten Zottenan-
hänge herum grosse Zellmassen, be-
stehend aus Zellen, die sich noch nicht
in Langhanszellen und Syncytium dif-
ferenziert haben. All diese Zellen be-
zeichne ich als Trophoblast (Tropho-
derm, Hubrecht) und befinde mich
da im Einklang mit andern Autoren.
Auf der Photographie (frühe Tuben-
schwangerschaft) sehen Sie, wie diese
Zellen in das mütterliche Gewebe, hier
Tubenwand, einbrechen. Die vorherr-
schende Zellform ist die Spindelzelle,
doch sehen Sie auch plasmodiale Zel-
len. Das Bild allein genügt, um das
Fremdartige dieser Zellen zu demon-
strieren. Sie heben sich deutlich von
dem umgehenden Gewebe ab, das alle
Stadien der Degeneration, Kern-
schwund, Auflockerung der Muskel-
und Bindgewebsfasern, sowie seröse
Durchtränkung aufweist. In diesem
degenerierten Gewebe erkennen Sie
weiterhin grössere undeutlich gefärbte
Zellen, deren Natur noch umstritten
ist. Ich fasse dieselben mit M i n o t
als hyperplastische degenerierte Tro-
phoblastzellen auf. Das Auffallendste
an dem Bilde ist also der Gegensatz
zwischen dem zellkräftigen, üppig
wuchernden fötalen Gewebe und dem
nekrotischen mütterlichen Gewebe, das
unter dem Einfluss des vordringenden
Trophoblasts abstirbt. Es gibt wohl
in der ganzen Pathologie kein schöne-
res Beispiel für eine maligne Gewebs-
wucherungs, wie es diese Tubenschwan-
gerschaft aufweist. Die bösartigste
Geschwulst zeigt in ihrer Umgebung
keinen so ausgesprochenen malignen
Charakter, wie diese frühe Schwanger-
schaft. Es war eigentlich meine Ab-
sicht, dieses Phänomen auch an der
Hand der beiden anderen Fälle zu de-
monstrieren.
Ich habe schon in früheren Arbeiten
das befruchtete Ei mit einem Parasi-
ten verglichen. Die Schwangerschaft
ist eine Art Parasitismus, der mit der
Ausstossung des Kindes normaliter
sein Ende findet, die Geburt also eine
Art befreiender Art. Dass dies nicht
immer der Fall ist, dass fötale Zellen,
Reste des Schwangerschaftsproduktes,
unter Umständen weiterfortwuchern
können, dass aus dem harmlosen Para-
sitismus eine maligne Wucherung wer-
den kann, ist Ihnen ja aus der Chorio-
epitheliomlehre bekannt. Hofbauer
hat jüngst die Schwangerschaft eine
Symbiose genannt.
Dass das Ei sich nicht auf einem
Epithellager festsetzen kann, ist uns
seit längerer Zeit bekannt. Ein Stro-
ma, sei es dass der uterinen Schleim-
haut oder das der Tube oder Ovarium
oder Peritoneum, ist hierzu absolut
notwendig. Das Epithel muss erst ge-
schwunden sein, bevor eine „Einbet-
tung" eintreten kann. Ob das Ei je-
desmal in eine Vertiefung der uterinen
Schleimhaut einsinkt, oder ob es sich
in jedem Falle durch eigne Kraft ein-
bohrt, einfrisst, ist eigentlich mehr ne-
bensächlich. Aeltere Stadien beweisen
direkt den zerstörenden Einfluss des
befruchteten Ei's auf mütterliches Ge-
webe.
Damit sind wir nun an der Grenze
356
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
dessen angelangt, was uns die Histolo-
gie erschliessen kann. Eine weitere
Aufklärung war nur von chemischen
Untersuchungen zu erwarten und diese
durchgeführt zu haben, ist ein grosses
Verdienst Hof baue r's.
Ein regelmässiger Befund in der Um-
gebung junger Eier sind Blutergüsse.
Die alte Lehre ging dahin, dass Zotten
in die mütterlichen Blutlakunen hin-
einhängen und sich auf diese Weise
alles, was zur Ernährung des Eötus
notwendig war, heraussuchen konnten.
Um das wie, kümmerte sich kein
Mensch. Dass Eisen nicht diffundie-
ren kann, dass Eisen nicht frei im Blut-
plasma vorhanden war, über solche
Tatsachen setzte man sich einfach hin-
weg. Die histologischen Details an
jungen Menschen- und Tiereiern schei-
nen viel interessanter. Wir wissen
jetzt, dass dieser ganze Ernährungs-
prozess des Fötus ein viel komplizier-
terer ist ; dass die Plazenta in der Tat
ein Assimilationsorgan für den Fötus
ist (Hofbauer). Das bei dem Blut-
erguss freiwerdende Hämoglobin ist
anscheinend ein sehr wichtiger Fak-
tor. Denken Sie nur an die katalyti-
sche Wirkung des Hämoglobins, wie
sie uns hier vor einigen Monaten an
einfachem Zucker demonstriert wurde.
Das wachsende Ei übt mittels seines
Zottenepithels eine gleiche hämolyti-
sche Wirkung aus wie ein Karzinom.
In Einklang hiermit steht die nachge-
wiesene Abnahme der roten Blutkör-
perchen in der Schwangerschaft. Ei-
weiss und Fett spaltende Fermente
sind absolut nötig für die Entwicklung
des Kindes, und diese Fermente finden
sich in dem Epithelbesatz der Zotten.
Ferment und Katalyse sind ja, wie die
moderne Chemie annimmt, engver-
wandte Prozesse, vielleicht sogar iden-
tisch.
Die Resultate der chemischen Un-
tersuchungen bekräftigen also den his-
tologisch schon länger erwiesenen de-
struktiven Charakter des befruchteten
Eis, mehr, sie machen uns denselben
viel verständlicher.
Schluss des Vereinsjahres.
Dr. A. Strauch,
Schriftführer.
Korrespondenz.
„SYMPOSIUM."
Redaktion der „New Yorker Medizini-
schen Monatsschrift."
Herr Redakteur :
In der Dezembernummer Ihrer ge-
schätzten Zeitschrift wird von einem
Symposium über Morbus Basedowii,
das in der Deutschen Medizinischen
Gesellschaft der Stadt New York am 4.
November 1907 stattgehabt, berichtet.
Auf dem Programm der Gesellschaft
heisst es ,,N ach der Versammlung ge-
sellige Zusammenkunft im Bankett-
saale der Academy." Da dabei Bier
getrunken wird, so ist dies ein Sympo-
sium nach der Versammlung.
An dem Abend, als ich meinen Vor-
trag über neue Methoden in der medi-
zinischen Behandlung der Magen-
krankheiten hielt,, begab sich zwar
recht demonstrativ eine grosse Anzahl
der Anwesenden schon während der
Versammlung zum Symposium in den
Bankettsaal, allein das war ein Sympo-
sium, das in keinem direkten Zusam-
menhang mit dem Vortrag stand.
Am 4. November nun fand das Sym-
posium, wie gesetzlich angeordnet,
erst nach der Versammlung statt ;
während des Vortrags, in demselben
Zimmer, in welchem der Vortrag ge-
halten wurde, gab es nichts zu trinken.
Symposium ist ein Bankett, ein Fest,
bei dem getrunken wird.
Ein Symposium ohne Trinken ist
lucus a non lucendo. Ich weiss sehr
wohl, dass im Englischen, in dem man
auch unter Dilatio räumliche Erweiter-
ung und unter Sykophant einen
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
357
Schmeichler versteht, in neuester Zeit
unter Symposium eine Zusammenreih-
ung von Vorträgen oder .Meinungs-
tausch über einen Gegenstand verstan-
den wird, allein das ist widersin-
nig. Wehster gibt übrigens noch
die richtige Definition: Symposium —
A drinking together, a merry feast.
Wenn wir in unserer Deutschen Ge-
sellschaft die amerikanische Auslegung
von Symposium einführen, so kann
das doch keinen andern Zweck haben,
<ils die Darwinsche Theorie zu il-
lustrieren. A. Rose.
Therapeutische und
— [Jeher die Wirkung des Digalens.
C s u r g 6 hat das Digalen bei verschiedenen
Klappenfehlern, bei Lungenentzündung, Ar-
teriosklerose, akuten Perikarditiden versucht.
Die Digalentherapie bestand in der Regel
darin, dass nach i — 2tägiger Beobachtung un-
ter Bettruhe täglich dreimal 15 Tropfen- intern
gegeben wurden, ohne Adjuvantien; nur bei
Lungenkatarrhen mit reichlicher Sekretion
wurde separat Ipekakuanha verabreicht ; in
einem Falle wurde das Digalen in die Vene
injiziert.
Alle Patienten haben das Digalen gern ge-
nommen, es wurden keine Klagen gegen sei-
nen Geschmack geäussert. In einem Fall hör-
ten die Magenbeschwerden des Strophantus
nehmenden Kranken nach Digalenverabreich-
ung auf. Ein Patient hat die Wirkung des
Digalens auf die Tachykardie als grossartig
bezeichnet ; er fand, dass nach Einnehmen
schon in % Stunde sowohl die Beklemmung
wie das Herzklopfen aufhört und sich guter
Schlaf einstellt. Bei einem Arteriosklerotiker
verschwand das Schwindelgefühl und trat
guter Appetit ein am vierten Tage.
Diesen subjektiven Symptomen entsprach
auch immer der objektive Befund, indem
schon nach (5 — 8 Stunden der Puls gewöhnlich
kräftiger, am nächsten Tage weniger frequent,
rhythmisch, endlich an den folgenden Tagen
ziemlich normal wurde ; man konnte sogar bei
einigen Kranken ein Sinken auf 50 — 55 per
Minute konstatieren.
Die Herztätigkeit ist ebenfalls kräftiger, die
Systolen seltener und ausgiebiger. Als Folge
steigt die tägliche Urinmenge von 2 — 3 — 400
auf 6 — 7 — 800, erreicht bald die normale
Menge, ja sogar mehr, bis zu 3000—4000.
Bei kroupöser Lungenentzündung hatte Cs.
statt Digitaliskur Digalen gegeben. Bisher
wurde in 10 Fällen das Digalen (dreimal täg-
lich 15 Tropfen) mit Ipekakuanha gereicht.
I>ei allen Kranken war der Puls gross, voll,
klinische Notizen.
rhythmisch, Frequenz dem Fieber entspre-
chend. Bei einem Kranken, der auch Kreoso-
tal gegen seine protrahierte Pneumonie bekam,
mussten beide Mittel wegen Magenbeschwer-
den und Appetitslosigkeit weggelassen werden.
Sämtliche Fälle verliefen mit Heilung.
Das Digalen hat sowohl bei verschiedenen
Herzleiden wie auch bei Pneumonie den Er-
wartungen entsprochen. (Med. Klinik.)
— Ueber einige neuere Schlafmittel. An
der Klinik von Leydens (Berlin) wurden
Veronal, Proponal und Bromural geprüft. Bei
allen drei Mitteln wurde ein promptes Ein-
treten der Schlafwirkung konstatiert. Der so
erzeugte Schlaf Hess keine Abweichung von
dem natürlichen erkennen.
Von grösster Wichtigkeit ist es, das Veronal
stets in gelöstem Zustande zu verabreichen, da
es andernfalls wegen seiner Schwerlöslichkeit
leicht kumulativ wirkt. In der Dosierung
gehe man nicht über 1,0 g hinuas, weil sonst
häufig Nebenwirkungen (Uebelkeit, kalte Ex-
tremitäten, unregelmässiger Puls) auftreten.
Proponal ist sowohl in seinem chemischen
Aufbau wie auch in seiner therapeutischen
Wirksamkeit dem Veronal sehr ähnlich; es
wird in kleineren Dosen verwendet.
Recht aussichtlich scheint das Bromural zu
sein. Zu 0,6 g (2 Tabletten zu 3,3 g) vor
dem Schlafengehen genommen, leitet es schon
nach 25 — 30 Minuten einen erquickenden
Schlaf ein. Nebenwirkungen wurden nicht
beobachtet. Das Mittel wird ausgezeichnet
vertragen.
Andererseits darf nicht unerwähnt bleiben,
dass bei manchen Patienten die Schlaflosig-
keit auf einer geringen Herzschwäche beruht.
In diesem Falle pflegen die Hypnotica nur
eine geringe Wirkung auszuüben, man erzielte
dann meistens mit Digitalis oder Strophantus
gute Resultate. (Folia therapeutica, Oktober
■907.)
35»
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
— Ueber Novaspirin. S e i f e r t's (Wurz-
burg) eigene Beobachtungen mit Novaspirin,
die er seit vier Monaten an verschiedenen
Krankheitsformen angestellt hat, weichen nur
wenig von denen W i 1 1 h a u e r's und L i e b-
m a n n's ab. Vor allem muss er feststellen,
dass Novaspirin ein ganz ausgezeichnetes Mit-
tel gegen die Influenza darstellt, indem es
nicht nur antipyretisch, sondern auch eminent
schmerzstillend wirkt, speziell gegen die so
ausserordentlich lästigen Muskel- und Kopf-
schmerzen, unter denen die frisch erkrankten
Fälle so sehr zu leiden haben. Aber auch die
in einzelnen Fällen von Influenza noch lange
Zeit nach Ablauf der akuten Erscheinungen
andauernden Koufschmerzen werden durch
Novaspirin sehr günstig beeinflusst. Die
schweisstreibende Wirkung ist eine sehr viel
geringere als beim Aspirin. Die antineural-
gische Wirkung des Novaspirins bewährte sich
in drei Fällen von Ischias, bei welchen kein
anderes Antineuralgikum etwas geleistet hatte,
in ganz vorzüglicher Weise.
Irgendwelche unangenehme Nebenerschei-
nungen, wie Exantheme, kamen nicht zur Be-
obachtung. Ein weiteres Feld für die An-
wendung des Novaspirins scheinen die jucken-
den Dermatosen zu sein, doch ist die Zahl der
Beobachtungen S e i f e r t's noch zu gering,
um ein endgiltiges Urteil über die juckreiz-
mildernde Wirkung des Novaspirins zu geben.
Seifert sah in drei Fällen von Urticaria
acuta, in einem Falle von Urticaria chronica
und in vier Fällen von Liehen ruber planus,
in einem Falle von Pruritus senilis eine auf-
fällige juckreizmildernde Wirkung, und in ei-
nem Falle von Erythema exsudativum multi-
forme gingen die Erscheinungen an den Fin-
gern, Händen und im Gesicht auffallend rasch
zurück, sodass Novaspirin zu weiteren Ver-
suchen in der Dermatotherapie aufmuntern
konnte. (Wiener klinische Rundschau, No.
2$ 1907.)
— Behandlung der Pneumonie mit Kreoso-
tal. Gonzalez del Valle hat eine grös-
sere Anzahl Fälle von Lobulärpneumonie mit
Kreosotal behandelt und schildert davon drei
in eingehender Weise, da ihm deren Verlauf
wegen der Schwere der ursprünglichen Er-
krankung und des raschen Eintritts der Bes-
serung nach Kreosotalgebrauch von beson
derer Beweiskraft zu sein scheint. Er gab
durchschnittlich 8 — 10 g pro die und beobach-
tete regelmässig LTebergang zur Heilung in
den ersten acht Tagen des Krankseins.
Kleine M
— Der /. Kongress der deutschen Röntgen-
gesellschaft wird unter dem Vorsitz von H.
Goch t-H alle a. S. am 26. April d. J. im
Langenbeckehaus in Berlin stattfinden. Allge-
meines Thema : Der Wert der Röntgenunter-
suchungen für die Frühdiagnose der Lungen-
tuberkulose. (Referenten: Rieder-Mün-
chen und Krause-Jena.) Mit dem Kon-
gress wird eine Röhrenausstellung vorwiegend
historischen Charakters verbunden sein. An-
meldungen für Vorträge, Demonstrationen
u. s. w. sind an den Schriftführer der Gesell-
schaft, Herrn Dr. I m mclraann, L ü t z o w-
strasse 72. Berlin W. 35, zu richten.
— Der /. Internationale Laryngo-Rhinolo-
genkongress, mit welchem eine Türe k-Ge-
denkfeier und eine laryngo-rhinologische Aus-
stellung verbunden sein wird, wird vom 21. —
25. April 1908 in Wien stattfinden. Referate
haben übernommen : Sir Felix Semon-
London, B. Franke 1-Berlin, Bürge r-Am-
teilungen.
sterdam, O n o d i-Budapest. J u r a s z-Heidel-
berg und G 1 e itsman n-New York, der
letztere über die Behandlung der Tuberkulose
der oberen Luftwege. Ausserdem sind bereits
eine grosse .Anzahl von Sondervorträgen an-
gemeldet.
— Die Herausgabe der von Prof. Lassar
begründeten Dermatologischen Zeitschrift ha-
ben mit Unterstützung hervorragender Fach-
genossen im In- und Auslande nach dessen
Tode die Herren A. B 1 a s c h k o-Berlin, K.
Herxheime r- Frankfurt, E. H o f f m a n n-
Berlin, V. Klingmüller-Kiel, M. Wol-
ter s-Rostock übernommen. Die Zeitschrift
soll auf eine breitere wissenschaftliche Basis
gestellt, der Referatenteil erweitert, Korre-
spondenzen aus dem Ausland, Sammelreferate
über aktuelle Fragen neu hinzugenommen wer-
den. Die Redaktion leitet Prof. Dr. E. Hof f-
m a n n, Berlin. N. W. Schiffbauerdamm 29,
an den alle Zuschriften u. s. w. zu richten sind.
JSew Yorker
JNledizimscbe JVlonatsscbrift
Offizielles Organ der
Deutrehen IUedizinifchcn ßefelircharten der Städte Rew V«rR(
Chicago, Cleveland und San Trancisco.
Redigiert von Dr. A. Ripperger.
Bd. XIX. New York, März, 1908. No. 12.
Originalarbeiten.
Das psychiatrische Sachverständigen-Gutachten im Strafprozess — Unzuläng-
lichkeiten und Abhilfe.
Von Dr. George W. Jacoby.
Hier zu Lande hat jeder wichtige Kri-
minalprozes-s, in welchem es sich für die
Verteidigung um angebliche Geistes-
krankheit des Angeklagten handelt, eine
Diskussion zur Folge, die sich lediglich
um psychiatrische Sachverständige und
deren Aussage vor Gericht dreht. Hier-
an beteiligen sich beide Professionen, die
des Rechts und die der Medizin. Der
Advokat betrachtet die medizinische
Aussage als eine unbefriedigende und
schreibt diese Unzulänglichkeit der In-
exaktheit des medizinischen Wissens zu,
oder was noch mehr zu bedauern ist,
sucht die Erklärung in Umständen, die
eine weit beschämendere Kritik in sich
führen ; der Mediziner gibt die unbe-
friedigende Stellung der Experten und
der Expertise zu, sucht die Erklärung
aber in Defekten der Gesetze oder in der
Art ihrer Anwendung, und verurteilt da-
mit die ganze Handhabung des Prozess-
materials. So viel steht fest, dass unsere
Richter und unsere Geschworenen dieser
Expertenaussage nicht mit jenem Wohl-
wollen gegenüber stehen, wie es in an-
deren Ländern der Fall ist; uns Psychia-
tern und Neurologen liegt es daher nahe,
da wir es sind, von welchen in diesen
Fällen Aufklärung und Erläuterung ver-
langt werden, zu untersuchen, ob die
Schuld ganz und gar oder nur zum Teil
von uns selbst getragen werden muss,
und zu überlegen, ob dem Zustand, der
für uns Alle unerträglich geworden ist,
nicht abgeholfen werden kann.
Es ist ein Sprichwort, dass jedes Volk
die Regierung hat, die es verdient ; bei
freien Völkern, wie das unsrige eins ist,
kann man mit noch grösserem Rechte
sagen: ein jedes Volk hat die Regierung,
die es will. Dieses gilt nicht nur von
der Regierung im grossen und ganzen,
sondern er gilt auch von jedem einzelnen
Glied unseres Gemeinwesens, von jeder
Einrichtung unseres Rechtslebens, von
jedem einzelnen Gesetz, gleichviel, ob
dieses von fundamentalem Charakter
und einschneidender Tragweite ist, oder
unscheinlich in seiner Wirkung und un-
bedeutend in seinen Folgen.
Wenn wir die Gesetze, die wir haben,
36o
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
wollen, so müssen wir auch die notwen-
digen Folgen dieser Gesetze wollen.
Denn die Gesetze sind eben da, um unser
äusseres Leben zu regeln. Missfallen
uns die Erscheinungen, die unter der
Herrschaft unserer Gesetze zu Tage tre-
ten, so folgt daraus, dass die Gesetze
nicht mehr ganz im Einklänge mit un-
serem Willen sich befinden.
Man entschliesst sich oft nicht leicht,
Gesetze, mit denen wir gross geworden
sind, zu ändern. Die Auffassungen über
das, was recht und gut ist, entwickeln sich
im Laufe der Zeiten mit den Fortscbrit-
ten in Daseinsbedingungen, sie verschie-
ben sich mit den wechselnden Gesell-
schafts- und Kulturverhältnissen, wäh-
rend die Gesetze selbst nicht oder nicht
entsprechend sich geändert haben. So
kann es dann geschehen, dass allmählig
und unmerklich ein Unterschied zwi-
schen dem Rechtsbegriff und dem Rechte
selbst sich herausbildet, eine Gegenüber-
stellung, die dann in einem gegebenen
Augenblick, bei einer besonderen Gele-
genheit plötzlich als schneidender Miss-
klang empfunden wird. Dann mag uns
ein Gesetz, welches ehemals seine Auf-
gabe annähernd vollkommen erfüllte,
nicht aber mit den Zeiten noch mit uns
Schritt gehalten hat, als ein höchst frag-
würdiges Gebilde erscheinen.
Andererseits sind nicht immer die un-
befriedigenden Erscheinungen, die unter
der Herrschaft eines Gesetzes zu Tage
treten, wesentlich oder gar ausschliess-
lich auf Unzulänglichkeiten dieses Ge-
setzes zurückzuführen. Oftmals liegt
die LTrsache zur Unzufriedenheit in den
Menschen, die das Gesetz anwenden, in
uns selbst. Wenn die Menschen selbst
billig und gerecht sind, wenn sie die Ge-
setze mit massvoller Weisheit handha-
ben, anstatt sich einen Götzen aus dem
Buchstaben anzufertigen, dann kann
auch schliesslich unter veraltetem Ge-
setz sich das Dasein erspriesslich ge-
stalten und gedeihen.
Wenn aber, wie es unlängst in einem
sensationellen Mordprozess der Fall war,
die Anwendung unseres Gesetzes Aus-
wüchse zeitigt, die sich schmerzerzeu-
gend auf unser aller Bewusstsein drän-
gen, dann wird es zur Pflicht, uns die
Gewissensfrage vorzulegen : fallen diese
Auswüchse unserem Rechtssystem zur
Last, oder tragen wir selbst daran
Schuld durch die Art und Weise, wie
wir die Gesetze, die wir besitzen, hand-
haben.
Ist unser geltendes Recht, als solches,
die wesentliche Ursache jener Erschein
ungen, oder wäre es möglich gewesen,
auf eben diesem Boden mit den gleichen
uns zu Gebote stehenden Mitteln ein
harmonischeres Gebilde zu schaffen, die
Ausrufe gegen die medizinische Exper-
tise und damit gegen unsere Gerichts-
höfe, gegen die Gesetze, die sie regieren
und die Methoden ihrer Anwendung zu
vermeiden ? Ob oder nicht dieses in dem
hier angedeuteten gegebenen Falle hätte
geschehen können, halte ich mich nicht
für kompetent zu entscheiden, aber so
viel steht fest, dass unsere Methoden der
gerichtlichen Prozessführung in derarti-
gen Fällen ernsthafter Prüfung bedürfen,
um zu ermitteln, ob dieses Rechtssystem
in der Tat heute noch dem entspricht,
was wir als Bürger zu wollen berechtigt
und verpflichtet sind. Ich persönlich bin
der Meinung, und hierin stehe ich durch-
aus nicht vereinzelt, dass wir heute nicht
mehr von diesen Gesetzen dasjenige be-
kommen, was wir haben sollten und was
wir wollen !
Der jetzige Vortrag soll daher als ein
Scherflein dienen, um in groben Umris-
sen darzulegen, worin, nach meiner Auf-
fassung, die Fehler zu suchen sind, und
in der Hoffnung, dass soviele Stimmen
sich der meinen anschliessen werden,
dass schliesslich eine zufriedenstellende
Aenderung durch den Druck öffentlicher
Meinung bezweckt werden wird. Der
Kernpunkt, worin meiner Meinung nach
eine Aenderung einzutreten hätte, ist
das Sachverständigengutachten vor Ge-
richt.
Das Ziel jedes Strafverfahrens geht
auf die Beantwortung der Frage, ob der
Angeklagte schuldig ist. Besteht irgend
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
361
ein vernünftiger Zweifel an der Schuld,
so lautet der Spruch auf nichtschuldig.
Durch diesen Spruch der Nichtschuld
soll nicht ohne weiteres gesagt werden,
dass der Angeklagte in Wahrheit nicht
- schuldig ist, sondern unter Umständen
nur soviel, dass er der Schuld nicht über -
führt ist. Für das praktische Leben und
besonders für das Recht ist er dann dem
Unschuldigen gleich zu achten. Dies
verlangt die Gerechtigkeit und vor allem
die Billigkeit und die Menschlichkeit ;
aber wir sehen, dass es mit dem Wesen
des Strafprozesses, auch bei seiner ideal-
sten Auffassung, praktisch sehr wohl
vereinbar ist, dass jemand, der wirklich
schuldig ist, wegen mangelnder Beweise
freigesprochen wird. Insofern ist also
die Aufgabe des Strafprozesses keines-
wegs schlechthin die Feststellung der
Wahrheit. Umgekehrt soll der Spruch
auf Schuldig nur dann ergehen, wenn
der Angeklagte in Wahrheit schuldig
ist. Irren ist menschlich, aber mit aller
Macht sollte angestrebt werden, dass ein
Schuldspruch nur den wahrhaft Schuldi-
gen treffe. Insofern also deckt sich die
Aufgabe des Strafprozesses schlechthin
mit der Aufgabe, die Wahrheit zu ermit-
teln. Da man aber im Voraus nicht wis-
sen kann, ob ein Prozess mit schuldig
oder nichtschuldig endigen wird, so muss
in jedem einzelnen Fall von Anfang bis
zu Ende als oberstes herrschen das Ge-
bot : Erforschung der Wahrheit !
Die Wahrheit zu finden, ist Sache der
Geschworenen ; den Weg ihnen zu wei-
sen, ist Sache des Gerichts. Aus dem
Wiederstreit der Anklage und der Ver-
teidigung soll die Wahrheit entwickelt
werden ; die Mittel der Erforschung der
Wahrheit sind die Beweismittel : Augen-
schein, Zeugen und Sachverständige.
Zeugen und Sachverständige sollen in
gleicher Weise der Ermittlung der
Wahrheit dienen, jene durch wahrhafte
Aussage über das, was sie gesehen, ge-
hört oder sonst wahrgenommen haben,
diese durch ihr nach bestem Wissen und
Kennen abzugebendes Urteil ; beide,
gleichviel sie auch nach Genauigkeit und
Wahrheit streben mögen, sind dem Irr-
tum unterworfen, beide unterliegen allen
Einflüssen menschlicher Schwächen, und
die Anforderungen, die jeder Mensch an
sich selbst stellt, die Kritik der eigenen
Pflicht sind derartig verschieden, dass es
hierfür überhaupt keinen allgemeinen
Massstab geben kann. Es wäre ja ein
ausserordentlicher Vorteil, könnte man
die Zeugen nach einem gewissen Mass,
d. h. nach Fähigkeit oder nach Wahr-
heitsliebe auswählen, aber dieses kann
gewöhnlich nicht geschehen, und wir
müssen sie eben nehmen, wie wir sie fin-
den. Anders steht es aber mit den Sach-
verständigen — diese kann man wählen ;
in der Tat findet auch schon heute eine
Auswahl der Sachverständigen statt —
aber in ganz anderer Art, als ich es ge-
schehen sehen möchte. Während es
schon in gewissem Sinne schief ist, von
Zeugen für die Anklage und von Zeugen
für die Verteidigung zu reden, da ja alle
Zeugen ohne Unterschied Zeugen der
Wahrheit, wie immer sie auch beschaffen
sei, sind und daher unbeeinflusst sein
sollten, ob ihre Aussage einen Einfluss
nach der einen Richtung oder nach der
anderen auszuüben vermag, so ist es mir
immer als ein Unding erschienen, von
Sachverständigen für die Anklage und
von Sachverständigen für die Verteidig-
ung zu sprechen.
Der Sachverständige ist gewissermas-
sen Gehilfe des Gerichts oder der Ge-
schworenen. Gewiss, der Zeuge ist es
auch oder soll es sein ; aber der Sach-
verständige ist es in besonderem Sinne.
Wo es sich um die Beurteilung von
Dingen handelt, wofür die Fähigkeiten
der Urteilsfinder nicht ausreichen, weil
ihnen die dazu nötigen Spezialkenntnisse
fehlen, bedarf es der Sachverständigen ;
für die Beurteilung aller anderen Din-
gen hingegen werden die Geschworenen
ohne fremde Hilfe sich zurechtfinden
und ohne Hilfe des Sachverständigen
ihre Aufgabe lösen können.
Der Sachverständige, dessen Tätigkeit
ebenfalls in einem Urteil gipfelt, soll also
so nahe als möglich an das Amt eines
3Ö2
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
Geschworenen heranreichen und soweit
als möglich von der Anklage oder Ver-
teidigung sich entfernen.
Wenn wir nun, wie gesagt, den Sach-
verständigen auswählen können, im Ge-
gensatz zu den allgemeinen Zeugen, die
man eben nehmen muss, wie sie gerade
sind, mit allen ihren Gebrechen des
Geistes und Charakters, so muss man
dies umsomehr tun, als es das Urteil des
Sachverständigen ist, das für den Spruch
der Geschworenen zuweilen den Aus-
schlag gibt, oft aber wenigstens eine
materielle Grundlage bildet.
Ganz besonders trifft dieses zu, wenn
in einem Strafverfahren es sich um die
angebliche Geistesstörung des Angeklag-
ten handelt ; hier handelt es sich weit
mehr als anderswo um eine Ansicht, um
ein Dafürhalten, dessen Wert doch zum
grössten Teil abhängig sein muss von
den Eigenschaften des Begutachters.
Es ist wahr, auch schon heute findet
eine Auswahl der Sachverständigen
statt, und zwar derart, dass die Anklage
und die Verteidigung eine direkte Wett-
eiferung eingehen, um die ihnen pas-
sendsten Irrenärzte zu nehmen und ihre
Gutachten für sich zu sichern. Selbst-
verständlich gegen Honorare, die oft
nicht klein sind. Gegen diese Honorar-
zahlung an sich lässt sich nichts einwen-
den, denn es gebührt dem Arzte sicher-
lich eine materielle Entschädigung für
seine Zeit, seine Mühe und sein Wissen.
Jedoch ist es naheliegend, dass die Un-
parteilichkeit des Gutachtens durchaus
nicht beeinträchtigt würde, wenn die
Honorarzahlung seitens der Parteien,
wegfiele.
Mithin hätten wir Sachverständige für
die Anklage einerseits und Sachver-
ständige für die Verteidigung anderer-
seits. Dieses Recht, beliebig viele Sach-
verständige anzunehmen und zu honorie-
ren, soll meines Erachtens, allerdings mit
gewissen Vorbehalt, auch künftig unbe-
nommen bleiben. Jedoch kann ich hier-
mit allein mich nicht für befriedigt er-
klären. Denn es geschieht hier des
Guten einerseits zu viel, andererseits zu
wenig.
Weniger Sachverständige würden es
in vielen Fällen auch tun. Die Urteils-
finder werden durch die Masse des Ge-
botenen, durch die Ueberfülle derer, die
ihnen den Weg ,,zur Erkenntnis der
Wahrheit" weisen, erdrückt, und aus
Verzweifelung verwerfen sie die ganze
Expertise und verlassen sich auf ihre
eigene Art, die Menschen und Dinge zu
beurteilen.
Andererseits, sage ich, bietet der be-
stehende Zustand des Guten zu wenig.
Die Auswahl ist mir für die Zwecke des
Strafverfahrens, die Ermittlung der
Wahrheit, in gewisser Hinsicht nicht
streng genug. Der Wettbewerb der Par-
teien um die Sicherung der Sachverstän-
digen verbürgt allerdings das, dass die
„berühmtesten" Spezialisten in dem Pro-
zess als personae dramatis auf der Szene
erscheinen ; aber er verbürgt keineswegs,
dass auch die tüchtigsten zu dieser Aus-
zeichnung gelangen ; und wenn ich hier
von Tüchtigkeit spreche, so beziehe ich
mich nicht nur auf wissenschaftliche
Ausbildung, sondern auch auf jene Cha-
rakterstärke, die es dem Besitzer ermög-
licht, furchtlos und durch irgend welche
Lockungen des Ehrgeizes unbeirrt seinen
geraden Weg zu verfolgen.
Man täusche sich darüber nicht, be-
sonders in der Grossstadt hängt die Be-
rühmtheit eines Spezialisten nur zu oft
mit zufälligen, vom inneren Wert unab-
hängigen Aeusserlichkeiten zusammen,
und beruht auf Verhältnissen der soge-
nannten Gesellschaft, die ihrerseits über-
wiegend auf einem Geldboden aufgebaut
ist.
Was soll nun unter solchen Verhält-
nissen erwartet werden, wenn der Ange-
klagte arm ist? Werden sich dann auch
für ihn die Berühmtheiten finden? Und
doch sollten auf dem Gebiete der Justiz
die Chancen der Parteien nicht vom Geld
abhängen, und gewiss unter allen Um-
ständen auf dem Gebiete der Straf] ustiz
die Chancen der Verteidigung durch die
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
3°3
Armut des Angeklagten nicht beein-
trächtigt sein.
Diese Ursache allein sollte zur Genüge
erklären, weshalb die höchsten medizini-
schen Autoritäten ein Aufgeben der
jetzigen freiwilligen Experten verlangen.
Wir sollten als ständige Einrichtung Ge-
richtsärzte haben. Ich denke sie mir
etwa folgendermassen — indem ich vor-
ausschicke, dass sich das Institut der Ge-
richtsärzte, das ich hier für psychopatho-
logische Zwecke bespreche, ebenso auch
für alle anderen Zweige der gerichtlichen
Medizin entsprechend ausgestalten lässt.
Es sind öffentliche Beamte, nicht etwa
Stadt- oder Bezirks- sondern Staatsbe-
amte, sodass sie möglichst unabhängig
von lokalen Einflüssen seien.
Für die Ernennung zum Gerichtsarzt
ist ausschlaggebend lediglich die Tüch-
tigkeit für den besonderen Beruf. Unter
keinen Umständen dürfen politische
Rücksichten irgend welcher Art mitspie-
len. Durch Gesetz mag diese Ausschal-
tung politischer Momente als unerläss-
lich aufgestellt werden. Das Wichtigste
aber ist, dass man es dann auch ehrlich
ausführe. Wir müssen uns eben dazu
aufschwingen, einzusehen, dass es ge-
wisse Dinge gibt, die so hoch stehen,
dass sie von der ,, Politik" unerreichbar
sein sollten, und hierzu in erster Einie
würde gehören die Auswahl der Aerzte,
die so häufig berufen werden, durch ihr
Gutachten einen schwerwiegenden Ein-
fluss auf die Ehre und das Leben ihrer
Mitbürger auszuüben.
Diese Auswahl soll nicht etwa aus den
Reihen der Aerzte schlechtweg erfolgen,
sondern sollen gewisse besondere Eigen-
schaften gesetzlich gefordert werden.
Erstens sollte eine gewisse Altersgrenze,
vor welcher die notwendige Lebens- und
Berufserfahrung kaum denkbar ist, er-
forderlich sein ; dann sollte auch eine
Spezialvor- und Ausbildung verlangt
werden. Diese Ausbildung zum Berufe
des Gerichtsarztes muss auf der Uni-
versität mit dem Studium der gerichtli-
chen Medizin, insbesondere auch der ge-
richtlichen Psychopathologie anfangen;
hierauf sollten klinische psychiatrische
Arbeiten an einer psychiatrischen Uni-
versitätsklinik oder Staatsirrenanstalt
folgen, und schliesslich als Beweis der
angeeigneten Fähigkeiten eine Spezial-
prüfung vor der Staatsbehörde abgelegt
werden. Die Erteilung eines Spezialti-
tels, d. h. die Ernennung zum „Gerichts-
arzt" durch diese Staatsbehörde, würde
unsere Colleges dazu zwingen, den not-
wendigen Unterricht in ihren Studien-
plan einzuführen.
Diese Bestellung als Gerichtsarzt
würde dann nach Bestehen des gerichts-
ärztlichen Examens vom Staate gemacht
werden, und zwar auf Lebenszeit. Der
Gerichtsarzt ist auf Auffordern ver-
pflichtet, schriftlich und in der Verhand-
lung vor den Geschworenen mündlich
ein Gutachten zu erstatten, jedoch nur
auf Anforderung des Gerichts. Für die
Abfassung des Gutachtens darf der
Sachverständige von Niemandem In-
struktionen annehmen und Niemand darf
ihm solche geben ; er ist nur seinem Ge-
wissen verantwortlich. Nicht gehindert
ist er, auch auf privates Ansuchen tätig
zu sein, aber für gerichtliche Zwecke soll
er Gutachten nur im Auftrage des Ge-
richts abgeben. Der Gerichtsarzt soll
also ebenso wenig ein Organ sein, dessen
sich die Verteidigung nach Belieben be-
dienen kann, wie eine Kreatur des Staats-
anwaltes. Dies ist der einzige Weg, seine
absolute Unparteilichkeit und das ihm
gebührende Ansehen zu wahren. Für
jede Tätigkeit, die der Gerichtsarzt auf
gerichtliche Aufforderung leistet, erhält
er bestimmte Gebühren, die nach der
Schwierigkeit des einzelnen Falles oder
des Zeitaufwandes berechnet werden sol-
len. Ausserden^ steht es ihm frei, ein
Lehramt zu bekleiden und die ärztliche
Praxis gleich jedem anderen Arzte aus-
zuüben.
Auf diese oder ähnliche Weise werden
wir einen Stamm von Nerven- und
psychiatrischen Experten heranziehen,
die es im strengsten Sinne des Wortes
wirklich sind.
Die Regulierung und Ueberwachung
364
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
dieses Institutes der Gerichtsärzte würde
meiner Ansicht nach in erster Linie dem
Staate zukommen. Was immer die
Oberaufsicht sein möge, so sollte der
überwachenden Behörde vom Gesetz ge-
nügend Macht verliehen werden, um
ihrer Tätigkeit eine lebenskräftige zu
machen.
So viel über die Gerichtsärzte als sol-
che. Aus ihrer Zahl also soll das Ge-
richt die Sachverständigen auf Antrag
oder aus eigenem Antriebe im einzelnen
Falle wählen und anstellen ; nicht ausge-
schlossen ist selbstverständlich, dass aus
besonderen Gründen das Gericht irgend-
welche andere Aerzte als Sachverständige
ernenne. Erfahrene und fähige Richter
sind in jedem Einzelfall kompetent, zu
beurteilen, ob das Gericht zur eigenen
Auskunft oder zur Aufklärung der Ge-
schworenen der Aussage von Experten
bedarf, und ebenfalls zu bestimmen, wer
für diese Expertise aufgefordert werden
soll.
Dem Sachverständigen sollte das Ma-
terial, das irgendwie für ein sachge-
mässes Gutachten auch nur entfernt von
Wert sein kann, vollständig vorgelegt
werden. Nur aus der Gesamtheit des
Falles kann er sich ein Urteil bilden. Ge-
rade in Fragen über den Geisteszustand
eines Menschen können Umstände, die
einem Xichtmediziner geringfügig schei-
nen, von grösster Bedeutung sein. Be-
sonders bedauernswert wäre ein sich
Wehren seitens des Staatsanwaltes ge-
gen die Produzierung von Beweisma-
terial, z. B. Erzählungen, die der Ange-
klagte Dritten gegenüber gemacht hat,
auch da, wo er das Recht sich zu wehren
hat, einfach weil er vermutet oder fürch-
tet, dass dieser Beweis der Anklage scha-
den könnte. Es ist ja wahr, dass An-
klage und Verteidigung sich gegenüber
stehen, und dass eine jede Partei mit
aller Kraft ihr eigenes Ziel verfolgen soll
und darf ; aber allzu einseitig darf das
jedenfalls von Seite der Anklagebehörde
nicht geschehen. Denn das Ziel der An-
klage soll nicht die Verurteilung, son-
dern das Erforschen der Wahrheit, die
Klärung der Schuldfrage sein.
Ich bin diher der Meinung, dass es
Pflicht des öffentlichen Anklägers sein
sollte, alle und einzelne Umstände, die
für die Frage des Geisteszustandes eines
Menschen irgend wie in Betracht kom-
men können, ohne Rücksicht darauf, ob
sie der Anklage oder der Verteidigung
zu dienen scheinen, ans Licht bringen
zu lassen oder selbst ans Licht zu ziehen.
Lud weiter, es soll dem Gericht gestattet
sein, wenn aus einem oder dem anderen
Grunde die Parteien nach dieser Rich-
tung hin versagen, selbst darauf hinzu-
wirken, dass diejenigen Umstände, die
anscheinend unterdrückt worden sind,
ans Tageslicht befördert werden.
Für die Beurteilung des Geisteszu-
standes eines Menschen können alle seine
Handlungen und Unterlassungen, sein
Benehmen, seine Lebensweise, was er ge-
sagt und was er nicht gesagt hat, von
Belang sein. Der Mensch ist eine Ein-
heit. Unsere Beurteilung des einzelnen
Menschen wird abhängen von seiner
Entwicklung bis zum Augenblicke der
Tat, die zur Aburteilung steht, sein Ich
während der Tat und unmittelbar nach
der Tat, und auch von seinem Leben im
späteren Verlauf und von seinem Be-
nehmen während der Untersuchung.
Denn dies alles gehört zu ihm ; alles dient
zur Erkenntnis seines Wesens. Die
Tat ist ein Erzeugnis seines Ichs. Xach
der Tat verliert dieses Ich seine Einheit
nicht. Der Mensch nach der Tat ist
kein anderer als der Mensch vor der Tat.
Der Tat eine solche Bedeutung beizule-
gen, dass man etwa sagen wollte : Alles
was vor, während und unmittelbar nach
der Tat von ihm gesagt, getan worden
ist, u. s. w. soll zum Beweise zugelassen
werden, alles aber was nachher geschah
ist nach Möglichkeit auszuschalten —
wäre eine willkürliche, eine unwissen-
schaftliche und eine unmedizinische Auf-
fassung.
Die medizinische Wissenschaft kann
in einem Gerichtssaal keine andere sein,
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
365
als sie es im Krankenzimmer ist, und da-
her muss das Gesetz sich den Lehren der
Wissenschaft anpassen. Wenn nun der
Angeklagte sich im Gefängnis mit den
Aerzten mehrfach unterhalten hat, so
können alle diese Unterhaltungen von
Belang sein, und es wäre nicht richtig
z. B., die drei ersten Unterhaltungen zur
Evidenz zuzulassen und die folgenden
nicht ; man wird nun einwenden : der
Angeklagte, der ja weiss, um was es sich
handelt, verstellt sich, simuliert, lügt,
u. s. w., um den Beobachter zu seinen
Gunsten zu beeinflussen und irrezufüh-
ren. Das mag alles so sein, aber alles
ohne Ausnahme, auch die Tatsache der
Simulation, wenn sie wirklich existiert,
dient eben nur zur Erforschung des We-
sens, des Geisteszustandes des Angeklag-
ten.
Wissenschaftlich ist kein Grund vor-
handen, warum nicht uneingeschränkt
das gesamte Leben des Angeklagten nach
der Tat zur Evidenz zugelassen werden
sollte. Wie der Arzt dieses zu tun hat,
um sich ein sachgemässes Urteil zu bil-
den, so sollte es dem Geschworenen er-
laubt sein, zu tun, um zu einem relevan-
ten Wahrspruch zu gelangen. Je voll-
ständiger das. Bild vom Angeklagten ist,
das den Aerzten vorgelegt werden kann,
desto besser ist es für die Erfüllung der
Aufgabe, und die Gerichtsverhandlungen
sollten also derart sein, dass dieses Ziel
so weit als möglich verwirklicht wird.
Der Grundsatz des Parteibetriebes, des
Parteiprozesses steht nicht so hoch, dass
nicht im Interesse der Wahrheit dem Ge-
richt selbst die Befugnis eingeräumt
werden könnte, selbst einzugreifen.
Wenn nun der Sachverständige eine
möglichst genaue Kenntnis des ganzen
Prozessmaterials haben sollte, um sein
Gutachten möglichst sachgemäss abgeben
zu können, so sollte er auch dieses Gut-
achten als ein Ganzes abgeben dürfen.
Das Gutachten ist eine wissenschaftliche
Leistung, ein Urteil beruhend auf so und
so vielen Schlüssen und so und so vielen
Umständen und Einzelheiten aller Art.
Die grössten wissenschaftlichen Anfor-
derungen dürfen an den Gutachter ge-
stellt werden, aber es dürfen ihm auch
keine Hindernisse bei dem Hervorbrin-
gen seiner Arbeit in den Weg gelegt wer-
den. Vor allem verlange ich, dass ihm
gestattet wird, sein Gutachten ruhig und
in Zusammenhang vorzutragen. Jeder
Gelehrte oder Künstler oder Techniker,
auf welchem Gebiet es auch sei, würde,
wenn man über irgend eine verwickelte
oder schwierige Sache seine Ansicht
hören wollte, es als selbstverständlich be-
trachten, dass ihm erlaubt sei, seine Mei-
nung nach seiner Art darzulegen, so wie
er es am besten seinen Zuhörern klai
machen kann, und dass man ihm unun-
terbrochen Gehör schenke, oder wenn
man ihm diese Rücksicht nicht erweisen
wollte, würde er die ihm zugedachte
Ehre höflichst ablehnen. Denn dieses
schuldet er der Eigenart und Gründlich-
keit der Wissenschaft. Warum soll denn
der Psychiater nach dieser Hinsicht in
einem Gerichtssaal anders behandelt wer-
den, als jeder andere Gutachter ausser-
halb des Gerichtssaales ; und dass er so
behandelt wird, kann keiner wiederlegen.
Oefters werden von ihm wahre Seil-
tänzerkunststücke verlangt. Keine drei
Worte lässt man ihn sprechen, ohne
dass er von irgend einer Seite unterbro-
chen wird, und die Fragen werden ihm
alle stückweise vorgelegt. Auf diese
Weise kann doch nichts vernünftiges
herauskommen. Wäre es nicht eine be-
sondere Bürgerpflicht, in einem Straf-
prozess mit Gutachten zu dienen, würde
sich wohl kein ernsthafter Psychiater
finden, der bereit wäre, ein solches „Hin-
dernisrennen" mitzumachen. Und was
kommt schliesslich im praktischen Er-
folge dabei heraus? Der Sachverständige
sagt schliesslich alles, was er sagen will
oder sagen darf, blos stückweise, mit
unendlichen Unterbrechungen und Ab-
schweifungen, und öfters unter persön-
lichen Erörterungen unliebsamster Art.
Gewonnen ist also lediglich das, dass er
seine Sachen nicht auf die richtige Weise
vortragen kann, und dass die Geschwore-
nen die grösste Mühe haben, aus diesem
366
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
„alten Eisen" sich etwas brauchbares zu-
sammenzuschmieden. Auf diese Art
kann man die einfachste Sache auf un-
verantwortliche Weise komplizieren. An-
statt der Wahrheit zu dienen, streuen
wir uns und anderen Sand in den Augen.
Ich kann keinen Grund finden, wes-
halb der Sachverständige, nachdem er
beeidigt worden ist und seine Persona-
lien abgegeben hat, nicht aufgefordert
werden soll, seine Meinung über den Fall
im Zusammenhange darzulegen. Er hat
doch der ganzen Verhandlung vor den
Geschworenen beigewohnt, weiss also
ganz genau, um was es sich handelt ; er
kann auch deshalb von selbst, ohne äus-
sere Hilfe das richtigste Bild entwerfen.
Sind besondere Punkte vorhanden, deren
Verständnis man von einem Nicht-Juri-
sten nicht verlangen kann, so steht nichts
im W ege, ihn hierüber mit ein paar Wor-
ten aufzuklären. Wir wollen die Wahr-
heit, wir fragen ihn offen und ehrlich, wir
setzen ihm offen und ehrlich die beson-
deren juristischen Schwierigkeiten aus-
einander, und so kann er und wird er
ebenso offen und ehrlich antworten.
Nachdem der Sachverständige seinen
Vortrag im Zusammenhang beendigt hat,
wird es wohl für die Verteidigung, für die
Anklage und vielleicht auch für Gericht
und Geschworene, von ihrem Stand-
punkte aus, noch irgend etwas geben,
was der Ergänzung, der Erklärung oder
Richtigstellung bedarf. Nun soll jeder
die Fragen stellen, die er beantwortet
haben möchte. Was für Gericht und Ge-
schworene selbstverständlich ist, gilt
auch hier für die Anklage und für die
Verteidigung — dass man die Fragen
einfach und ehrlich, lediglich zum
Zwecke der besseren Erforschung der
Wahrheit stelle und auf Hintergedan-
ken und Nebenzwecke, technische Spitz-
findigkeiten, um den Sachverständigen
irrezuführen, verzichte. Man soll den
Sachverständigen nicht dazu benutzen
wollen, um aus schwarz weiss, aus
der schlechtesten Seite die bessere und
umgekehrt zu machen. Fragen über
- Geisteskrankheiten, besonders wenn es
sich um Grenzgebietszustände handelt,
sind an sich schon schwierig genug; es ist
durchaus unnötig, dass sie noch weiter
künstlich verwirrt und verdunkelt wer-
den.
Insbesondere glaube ich, dass die
hypothetische Form der Fragen im all-
gemeinen unnötig ist. Aus einem richti-
gen Gutachten geht klar hervor, auf
welche behauptete Tatsachen oder Um-
stände es aufgebaut ist. Die Feststellung
der Tatsachen oder Umstände ist Sache
der Geschworenen und ist eine Folger-
ung ihres Wahrspruches. Das Sachver-
ständigengutachten geht dem Wahr-
spruch, der Feststellung der Tatsachen
voraus. Insofern ist das Gutachten
selbstverständlich nur hypothetisch. Wo
ein Missverständnis möglich wäre, mag
der hypothetische Charakter auch in der
Sprachform des Gutachtens zum Aus-
druck kommen; aber das ganze Gutach-
ten direkt an eine hypothetische Frage
zu knüpfen, trägt durchaus nicht zur
Klärung bei. Keineswegs sollte che
Frage eine monströse Form einnehmen.
Nun komme ich auf einen weiteren
Punkt des Gutachtens. Es soll nicht
blos im Zusammenhang gegeben werden,
sondern auch in gemeinverständlicher
Sprache. Technische Ausdrücke, wie sie
im professionellen Verkehr unter Aerz-
ten gebräuchlich, aber für einen Nicht-
mediziner unverständlich sind, soll der
Psychiater im Gerichtssaal vermeiden.
Er soll, was er zu sagen hat, soweit als
möglich in einfache Sprache kleiden, und
wo dies nicht möglich ist, soll er die Aus-
drücke unaufgefordert erklären.
Je höher der Psychiater im Fach und
Allgemeinbildung steht, um so leichter
wird es ihm sein, in einfacher Sprache
seine Gedanken zu entwickeln, sodass
ein jeder mit einem gewissen Mass von
Kenntnissen und Inteligenz ihm fo'gen
und ihn verstehen kann. Einen ganz ei-
gentümlichen Eindruck macht es ge-
wiss, wenn ohne Grund schwierige
griechische Ausdrücke benutzt werden,
worüber sich dann Fragen und Antwor-
ten entspinnen, wie in einer Schulstube.
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
367
Eben wieder ein neues Mitttel zur Ab-
lenkung, zur Verwirrung! Scbeinbar
eins zur Aufklärung.
Zu einem richtigen Gutachten gehört
ferner, dass sich der Sachverständige auf
solche psvchopathologische Ausführun-
gen, wie sie sie der in Verhandlung steh-
ende Fall erfordert, beschränkt, und
hierbei das wesentliche scharf hervor-
treten lässt. Jedoch wie oft erleben wir,
dass ein Sachverständiger beinahe das
ganze Gebiet der Geisteskranken durch-
nimmt und alle möglichen und unmög-
lichen bezüglichen Krankheiten als Be-
lege heranzieht. Das darf nicht sein.
Und eben dies wird vermieden, wenn ge-
mäss der oben gestellten Forderungen
der psychiatrische Sachverständige wirk-
lich als Mann der Wissenschaft behan-
delt wird und ihm erlaubt sei, seine Auf-
gabe zusammenhängend und ohne Unter-
brechung zu lösen. Dann kann er und
wird er von selbst sich an die Sache
halten und sich bemühen, die Geschwore-
nen in einfacher, ungekünstelter Weise
zu belehren, anstatt sie durch sophisti-
sches Feuerwerk zu blenden.
Das Ideale im Sachverständigen-Gut-
achten wäre noch annäherender erreicht,
wenn man den Experten in einem mög-
lichst frühem Stadium des Prozesses ei-
nen möglichst genauen Einblick in die
Gesamtheit und Einzelnheiten des Falles
gewährt ; d. h. dass er nicht erst in der
Hauptverhandlung oder kurz vorher
herangezogen wird. Die Verhandlung
vor den Geschworenen ist gewiss die
Hauptsache, aber kein Advokat, ob für
die Anklage oder für die Verteidigung,
und kein Gericht würde damit zufrieden
sein, erst bei Beginn der Verhandlung
vor den Geschworenen sich mit dem Fall
zu befassen. Je früher der Sachver-
ständige an einen Fall herantritt, umso
tiefer wird sein Verständnis dafür sein,
und je eher wird er seiner Aufgabe
wirklich gewachsen. Deshalb sollte in
jedem Fall, wo es sich um vermutete
Geisteskrankheit handelt, der Experte
von Anfang an in Tätigkeit treten. Die
Zeit, die er dem Vorstudium der Akten
widmet, die Mühe, die er sich in der
Zelle des Angeklagten unterzieht, wer-
den von so grossem Nutzen sein, dass
wenn er so ausgerüstet der Hauptver-
handlung beiwohnt, er in kurzem Vor-
trag das höchste leisten wird, was man
überhaupt von einem ärztlichen Sach-
verständigen erwarten kann. In allen
Fällen, wo Geisteskrankheit des Ange-
klagten nicht nur zur Zeit des Vorfalles
selbst, sondern gerade auch zur Zeit der
Begehung der Tat in Frage kommt,
wäre es von grosser Bedeutung, ihn nicht
nur zur Untersuchung einer Kommis-
sion zu unterweisen, sondern ihn im In-
teresse der persönlichen Freiheit und der
Beschleunigung des Verfahrens, auf be-
schränkte Zeit zur Beobachtung in ein
Irrenhaus einzuweisen. In glatten Fäl-
len ist das nicht nötig, in zweifelhaften
aber von unschätzbarem Wert. Denn
das wissenschaftlich ausgerüstete und
ärztlich geleitete Irrenhaus ist der ein-
zig richtige Platz für eine derartige
Beobachtung. Dass hierfür nur eine
Staatsanstalt in Frage kommt, geht aus
der Natur des Verfahrens hervor. Die
Dauer der Internierung wäre vom Ge-
richt zu bestimmen, jedoch sollte vom
Gesetz ein Höchstmass bestimmt werden,
über welches der Richter nicht hinaus
gehen dürfte. Meiner Meinung nach
sollten etwa sechs Wochen auch für die
schwierigsten Fälle genügen. Ja es ist
für mich sogar eine Frage, ob diese
Ueberweisung nicht auch schon vor dem
Spruch der Grossgeschworenen (Tndict-
ment by the Grand Jury), also ehe die
förmliche Anklage erfolgt ist, zulässig
sein sollte.
Die Ergebnisse der Beobachtung wür-
den zuweilen derartig sein, dass die
„Grand Jury" von einem „Indictment"
Abstand nehmen würde. Dann könnte
dem Patienten die geistige Folter der
Verhandlung vor den Geschworenen er-
spart, seine Behandlung frühzeitiger be-
gonnen, seine bürgerliche Existenz eher
geschont, seine Familie vor unsäglichem
Leid bewahrt und, „last but not least",
auch die Masse der sensationslüsternen
368
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
Glieder der Gesellschaft um ein Opfer
ihrer unedlen Neugier betrogen werden.
Ich habe schon gesagt, was mir ei-
gentlich als selbstverständliche Wahr-
heit erscheint, dass eine Ueberfülle von
Sachverständigen der Sache schädlich
sei. Von dem Augenblicke an, in dem das
Volk zu den Sachverständigen und zu
der Art ihrer Tätigkeit in Strafverfah-
ren wirkliches Vertrauen gefasst hat
und sich gewohnt haben wird, in den
Sachverständigen einen Führer zut
Wahrheit zu sehen, dann wird auch das
Bestreben der Parteien, möglichst viele
Sachverständige zuzuziehen, von selbst
aufhören. Man wird mehr Gewicht auf
die Eigenschaften der Sachverständigen
als auf die Zahl derselben legen.
Das Gesetz gibt heute schon dem Ge-
richte die Möglichkeit, überflüssige Be-
weismittel zurückzuweisen. Wenn das
Expertenwesen so, wie ich es dargestellt
habe, eingeführt und gehandhabt werden
wird, wird der Richter noch weniger als
heute zu fürchten haben, dass wegen ei-
ner Zurückweisung überflüssiger Sach-
verständiger das Verfahren erfolgreich
angefochten werden könnte. Und was
ich hier über Zurückweisung überflüssi-
ger Sachverständiger gesagt habe, gilt
auch für die Zurückweisung überflüssi-
ger Fragen an die Sachverständigen.
Wenn der Sachverständige sein Gutach-
ten zusammenhängend und erschöpfend
gegeben und es durch Antworten auf
die Fragen der Parteien, des Richters
und der Geschworenen ergänzt hat,
kann er mit klarem Gewissen ablehnen,
sich auf eine Beantwortung weiterer
Fragen einzulassen ; der Richter wird
ihn sicherlich hierin unterstützen, damit
die V erhandlung nicht in eine Farce aus-
arte. Aber wie gesagt, ich bin der
festen Ueberzeugung, dass es keiner Par-
tei, die etwas auf sich hält, mehr ein-
fallen wird, ein Gutachten, welches
allen Umständen des Falles gerecht
geworden ist, durch unnötige Fragereien
entstellen zu wollen. Fern sei es mir,
das Fragerecht und die Fragepflicht der
Parteien unziemlich einschränken zu
wollen ; ich wünsche nur, dass der Miss-
brauch entschieden bekämpft werde, be-
kämpft nicht nur vom Gericht, in jedem
gegebenen Falle, sondern auch grund-
sätzlich durch die Meinung des Volkes.
Es geht vor allem auch aus dem Gesetz
klar hervor, dass die Zurückweisung von
wirklich unwesentlichen Fragen keines-
wegs als Anfechtungsgrund des Ver-
fahrens in Betracht kommt. In dieser
Hinsicht bedarf es der Aenderung des
bestehenden Rechtes in keiner Weise.
Es handelt sich nur um die Handhabung
des Rechtes.
Dagegen würde ich auf folgende Neu-
erung Wert legen. In jedem Stadium
des Strafverfahrens soll das Gericht, auf
Antrag oder aus eigenem Antrieb, einen
oder mehrere Sachverständige ernennen
dürfen. In diesem Falle wird die An-
klagebehörde, wenn sie ihre Aufgabe
eben in der Erforschung der Wahrheit
erblickt, verhältnismässig selten sich ver-
anlasst sehen, auch ihrerseits Sachver-
ständige zu berufen. Auch die Ver-
teidigung wird sich in den meisten Fäl-
len im Vertrauen auf die Person, die.
Tüchtigkeit und die Zuverlässigkeit der
Sachverständigen, mit dem vom Gericht
aufgestellten einverstanden sein, da sie
ihre Interessen auf diese Weise voll ge-
wahrt sieht. Ich verhehle mir nicht, dass
dieser Vorschlag anfangs auf starken
Wiederspruch stossen wird. Dieser
Wiederspruch ist schon durch einen
Richter vom Staate New York in fol-
genden Worten zum Ausdruck gekom-
men. „Dieser Plan der offiziellen Zeu-
gen steht allen Auffassungen amerikani-
scher und englischer Jurisprudenz
schroff gegenüber. Es wäre eine Ab-
zweigung nach einer anderen Richtung,
die dem Geiste unserer freien Institu-
tionen vollständig fremd ist. Es mag
sich hier um eine Verbesserung handeln,
aber es handelt sich auch um eine radi-
kale Aenderung und dieses sollte in Be-
tracht gezogen werden, ehe wir uns über
die Lösung des Problems einigen kön-
nen".
Aber der Vorschlag soll eben dazu
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
369
dienen, die Sachverständigen in jeder
Hinsicht über die Parteien zu heben. Er
hängt innig zusammen mit der hohen
Auffassung, die wir alle von den Pflich-
ten des Sachverständigen haben und die
wir ins praktische Leben eingeführt und
verwirklicht sehen möchten, selbst auch
dann, wenn „die Auffassungen amerika-
nischer und englischer Jurisprudenz"
sich dem Fortschritte der Zeit anpassen
müssen.
Sobald die Sachverständigen an sich
selbst so hohe Anforderungen stellen,
und das Volk sich gewöhnt hat in Sach-
verständigen wirklich den wissenschaft-
lichen Experten anstatt des medizini-
schen Anwaltes für Anklage oder Ver-
teidigung zu sehen, wird jener Vorschlag
den Anschein des Bedenklichen ver-
lieren, und dann wird, hoffe ich, die Auf-
stellung der Experten durch das Gericht
die Regel werden. Ein nicht gering an-
zuschlagender Vorteil würde sich hier-
bei ausserdem ohne weiteres ergeben :
auch in einem Verfahren gegen wenig
bemittelte oder die allerärmsten Men-
schen würden die tüchtigsten Sachver-
ständigen mitwirken.
Noch möchte ich eine Abänderung un-
seres bestehenden Strafrechtes befürwor-
ten, weil dieses, wie es jetzt besteht auf
unser Sachverständigenwesen in schäd-
licher Weise rückwirkt. Ich meine eine
Aenderung des überkommenen, heute
noch bei uns bestehenden alten engli-
schen Rechtes, die einzelne Staaten der
Union, insbesondere einzelne New Eng-
land Staaten längst vollzogen haben. Ich
denke hkr an das „right and wrong test"
der Geisteskrankheit.
Wie bekannt, verlangt unser Straf-
recht zur Unzurechnungsfähigkeit des
Angeklagten eine derartige krankhafte
Störung der Vernunft, dass der Ange-
klagte infolge der Störung zur Zeit der
Begehung der Tat die Natur und Ei-
genschaft der Tat nicht kannte oder
nicht wusste, dass die Tat Unrecht war.
Hiernach reichen alle anderen Zustände
geistiger Störung zur Unzurechnungs-
fähigkeit nicht hin. Dies ist aber ein-
seitig und wird den Erfordernissen der
Wissenschaft, den Erfordernissen der
Medizin in keiner Weise gerecht. Man
wird kaum ein Lehrbuch der Geistes-
krankheiten rinden, in welchem nicht als
eine feststehende und klare Tatsache aus-
gesprochen wäre, dass es eine Anzahl
von Geistesstörungen gibt, wo der Intel-
lekt nicht derartig beeinflusst ist, dass
der Kranke die Natur und Eigenschaft
seiner Handlungen nicht kennt oder
nicht wüsste, was Recht und Unrecht ist,
wo er aber trotzdem in Kenntnis der
Natur seiner Handlung oder des Un-
rechtes der Tat — ■ wegen krankhafter
Veränderung des Willens oder des Ge-
mütes — ausser stände ist, seine Hand-
lungen den Geboten des Intellektes un-
terzuordnen ; mit anderen Worten, dass
nicht die Kenntnis des Wesens der Tat
oder des Rechts oder Unrechts — in Hin-
sicht auf die konkrete Tat — , dass nicht
der Intellekt es ist, worauf es entscheid-
end ankommt, sondern vielmehr die
Frage, ob der Mensch infolge krank-
hafter Störung in der Freiheit des Wil-
lens beeinträchtigt war. Die meisten Na-
tionen haben seit langem ihre Strafge-
setzgebung gemäss diesen Ergebnissen
medizinischen Wissens abgeändert, nur
England nicht und einzelne Staaten eng-
lischen Rechtes. Unser New Yorker
Strafrecht hat in dieser Hinsicht bis
heute, im Gegensatz zu allen wissen-
schaftlichen Fortschritten, an diese Be-
sonderheit des englischen Rechtes fest-
gehalten — • hat also heute noch veralte-
tes englisches Recht.
Jeder Kenner der Geisteskrankheiten
weiss, dass dieser Zustand besteht. Was
folgt nun daraus für unser Strafver-
fahren ? Wenn der Angeklagte bei Be-
gehung der Tat im Intellekt derart ge-
stört war, dass er die Natur seiner
Handlung oder Recht und Unrecht in
Hinsicht auf die Tat nicht zu erkennen
vermochte, dann natürlich ergiebt sich
für den Sachverständigen keine Schwie-
rigkeit. Er gibt einfach sein Gutachten
dahin ab, dass der Angeklagte infolge
seiner Krankheit die Natur seiner Hand-
370
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
lung oder Recht und Unrecht zu unter-
scheiden ausser stände war.
Wie aber in den übrigen Fällen, in
welchen er die Natur seiner Handlungen
zu erkennen und Recht und Unrecht zu
unterscheiden im stände ist, aber trotz-
dem infolge seiner Krankheit der Wil-
lensfreiheit beraubt, gehindert war, ent-
sprechend zu handeln? Hier also muss
der gewissenhafte Sachverständige sein
Gutachten dahin abgeben, dass der An-
geklagte, der unter dem Einflüsse eines
gestörten Geistes seiner freien Selbstbe-
stimmung beraubt war, im Sinne des Ge-
setzes nicht geisteskrank war. Für den
ehrlichen Mann der Wissenschaft eine
Lage, wie man sie sich nicht verzweifel-
ter denken kann. Da mag dann für
manchen die Versuchung stark sein, mit-
telst aller möglichen Ausführungen und
Abschweifungen die Gerechtigkeit vor
der Härte des Gesetzes zu retten.
Schliesslich möchte ich noch sagen,
dass meine Ausführungen über das
Sachverständigenwesen in Strafsachen
keineswegs ein etwa zweifelhaftes oder
gar gefährliches Experiment in unsere
Rechtspflege einzuführen suchen. Die
Neuerungen, deren Einführung ich zu
befürworten mir erlaubt habe, sind im
wesentlichen die, wie sie anderwärts, s:j
insbesonders in Deutschland, längst
schon bestehen, der allgemeinen Volks-
überzeugung entsprechen und sich be-
währt haben. In unseren Strafprozess
lassen sie sich, meine ich, organisch ohne
Schwierigkeiten und ohne Gewalt einver-
leiben. Die Befugnisse des Richters
werden allerdings etwas erweitert, aber
der beherrschende Grundsatz unserer Ge-
richtshöfe, dass der Prozessbetrieb den
Parteien zukommt, während nur die
Oberleitung beim Gericht ruht, würde
nur unwesentlich beeinträchtigt werden ;
auch kann ich nicht einsehen, dass jenes
,,noli nie tangere" der Advokaten, das
Wesen des Beweisrechtes (law of evi-
dence) auf irgend eine Weise hierdurch
beeinflusst wird.
Wie lange müssen Patienten post laparotomiam das Bett hüten ?*
Von H. J. Boldt, New York.
Meine Herren ! Wenn ich für eine
krasse Umwälzung in der Nachbehand-
lung von laparotomierten Patienten das
Wort ergreife, bin ich mir wohl bewusst,
dass ich als Lehrer an einer medizini-
schen Fakultät eine grössere Verant-
wortung damit verbinde, als es unter an-
deren Umständen vielleicht der Fall sein
würde. Es ist bekannt, dass neue Leh-
ren, die vollständig von den altherge-
brachten abweichen, nicht unangefoch-
ten bleiben, und dass es mitunter lange
Zeit dauert, bevor sie Wurzel fassen und
als richtig anerkannt werden. Beispiele
sind dafür massenhaft vorhanden. Als
ich mit dieser, bald zu schildernden Um-
*) Vortrag, gehalten im Deutschen medizini-
schen Verein der Stadt New York.
wälzung auf meinen Abteilungen in den
Post Graduate, St. Mark's und St. Vin-
cent's Hospitälern anfing, schüttelte man
den Kopf und sagte, dass ich das Todes-
urteil für die betreffenden Patientinnen
durch mein verstandswidriges Verfahren
wohl öfters werde unterzeichnen müs-
sen. Die Probezeit, das Experimentie-
ren ist jedoch für mich vorüber und zu
Gunsten der radikalen Umwälzung aus-
gefallen. Als ich zuerst öffentlich mit
der modifizierten Nachbehandlung vor
der Southern Surgical und Gynecologi-
cal Society im Jahre 1904 auftrat, konnte
ich allerdings noch nichts Positives be-
richten, da die Anzahl der so behandel-
ten sich nur auf etliche fünfzig Fälle be-
lief ; es hat jedoch den Vorteil gehabt,
dass sich eine nicht unbedeutende Anzahl
New Yorker Medizin
ische Monatsschrift.
3/1
Kollegen dazu bequemte, die Modifika-
tion in einem gewissen Masse zu ver-
suchen, und die Urteile sind ohne Aus-
nahme günstig. Ich beabsichtige heute
Abend hauptsächlich über die nötige
Bettruhe für laparotomierte Patienten zu
sprechen ; anderweitig von mir gebräuch-
liche Massnahmen sind an anderer Stelle
veröffentlicht.
Meine Behauptung geht dahin, dass es
für die Mehrzahl laparotomierter Patien-
ten vorteilhafter ist, die jetzt übliche Zeit
der Bettruhe ganz bedeutend abzukür-
zen. Es ist selbstverständlich, dass die
Bauchdeckennaht exakt angelegt werden
muss, und zwar die übliche Etagennaht.
Der Schnitt sollte genügend lang sein,
um den pathologischen Zustand, den
man in Angriff nehmen will, genau be-
sichtigen zu können. Der Tastsinn al-
lein, wie es T a i t lehrte, der kurze In-
zisionen macht, ist nicht verlässlich ; man
kann durch eine genügend lange Inzision
viel schonender arbeiten und läuft weni-
ger Gefahr, infolge von Trauma durch
eine zu kurze Wunde eine Bauchdecken-
eiterung zu verursachen. Die Inzision
sollte seitlich zur Linea alba angelegt
werden, sodass man stumpf durch den
Bauch des betreffenden Musculus rectus
abdominis eingehen kann. Bei Vernäh-
ung der Fascie sollte diese überlappt
werden, um eine breitere Adhäsions-
fläche zu erzielen ; die Haut wird durch
eine subkutane Naht geschlossen. Als
Nähmaterial wird durchweg Katgut ge-
braucht. Auf die Wunde wird ein
schmaler, steriler Gazeverband gelegt
und mit zwei schmalen, kurzen Heft-
pflasterstreifen in situ gehalten, um die
Verschiebung der Gaze während der An-
legung des Schlussverbandes zu vermei-
den. Zum Sicherheits- oder Schlussver-
band wird eine Skultetusbinde verwen-
det, die aus Zinkoxydpflaster hergestellt
wird, und zwar werden die breiten Rol-
len, 31 Centimeter breit und von genü-
gender Länge, angewendet, um den Leib
so zu umspannen, dass das ganze Abdo-
men doppelt vom Pflaster bedeckt wird.
In der Mitte der unteren Pflasterseite
wird ein kleiner Halbkreis herausge-
schnitten, der den Zweck hat, die Verun-
reinigung bei Stuhlentleerung zu ver-
meiden. Zinkoxydpflaster verdient den
Vorzug, weil es weniger irritiert als an-
deres Pflaster. Die Skultetusbinde wird
auf dem Fahrtisch bereit gehalten, so-
dass der Patient, nach Beendigung der
Operation und Abtrocknung des Rück-
ens, so darauf gelegt wird, dass das
Steissbein über den ausgeschnittenen
Halbkreis zu liegen kommt. Die Pflas-
terenden werden nun in vier gleiche
Teile eingeschnitten, und mit dem un-
teren Ende anfangend, dieses bis zum
Körper des Patienten eingerissen und
dann fest über den Leib angelegt ; eben-
so wird mit dem entgegengesetzten Ende
verfahren, bis die vier Enden befestigt
sind. Der obere Streifen sollte nie zu
fest angezogen werden, besonders wenn
derselbe bis zum Epigastrium hinauf
reicht.
Bei mageren Patienten werden die
Spinae ilii etwas gepolstert. Man hat
nun auf dem ganzen Leibe einen doppel-
ten gut sitzenden Pflasterpanzer, und ein
derartiger V erband gibt absolute Sicher-
heit gegen Aufplatzen der Wunde durch
intraabdominalen Druck, wie das ja
doch sonst bei heftigem Erbrechen oder
Husten vorkommen könnte. Der Ver-
band kann solange liegen bleiben, bis
er lose wird, was bei schwitzenden Pa-
tienten mitunter schon nach Verlauf von
einer W'oche passiert ; gewöhnlich aber
kann er drei bis vier Wochen liegen blei-
ben. Sollte es nötig sein, den Verband
vor der vierten Woche zu entfernen,
dann bleibt der Körper während eines
Tages ohne Pflasterverband, und in die-
ser Zeit wird der Körper, da wo der Ver-
band gewesen, öfters mit Alkohol abge-
waschen und gepudert ; am nächsten
Tage wird ein ähnlicher Verband ange-
legt. Falls Anzeichen von BauchdccK-n-
eiterung vorhanden sind, wird der Ver-
band selbstverständlich sofort in der
Mitte, über der Gaze aufgeschnitten, und
sollte sich die Vermutung bestätigen,
wird die Wunde wie gewöhnlich behän-
2,72
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
delt. Zur schnelleren Heilung- der Ei-
terung gebrauche ich mit Vorliebe, nach-
dem die Wunde gereinigt ist, eine kräf-
tige Betupfung mit reiner Karbolsäure,
die sofort wieder mit reinem Alkohol ab-
gewaschen wird. So lange die Eiterung
anhält, werden die Patienten ruhig ge-
halten. Was Nahrung anbetrifft, wird
den Patienten nach der Operation die-
selbe Diät erlaubt, wie sie es vor der
Operation gewohnt waren, sobald sie die
Folgen der Narkose überstanden haben,
nota bene, wenn keine Kontraindika-
tionen dafür vorhanden sind: dieser Usus
besteht für mich seit dem Jahre 1887.
Die Patienten werden aufgemuntert, das
Bett sobald als möglich nach der Opera-
tion zu verlassen.
Die Zeitdauer der vollständigen Bett-
ruhe kommt ganz auf den Zustand der
Patienten an, wie lange es dauert, ehe sie
sich von der Narkose erholt haben ; ob
sie vor dem operativen Eingriff bett-
lägerig waren ; wie die Qualität und Zahl
der Pulsschläge ist, u. s. w. Mitunter
war es mir möglich, Patientinnen, welche
am frühen Morgen wegen nicht kom-
plizierter Ovarial-Geschwülste, Myome
etc. operiert wurden, schon am spä-
ten Nachmittag desselben Tages in
einem bequemen Stuhl sitzen zu las-
sen. Während der ersten Tage muss
man ihnen dabei behülflich sein, aus dem
Bett zu kommen. Die Durchschnitts-
dauer der absoluten Bettruhe braucht
nicht mehr als drei Tage in Anspruch
zu nehmen. Alle Gründe, welche für die
lange Bettruhe gewöhnlich angegeben
werden, sind nicht stichhaltig, wenn man
sie mit den Erfahrungen vergleicht, die
bei Patienten gewonnen werden, denen
es erlaubt wird, früh aufzustehen. Si-
cherlich ist es nicht der im Becken vor-
genommene operative Eingriff, der uns
daran hindern sollte, eine Patientin früh
aufstehen zu lassen, denn seit mehr als
fünfzehn Jahren erlaube ich Patientin-
nen, an denen eine vaginale Totalextirpa-
tion gemacht wurde, schon am nächsten
Tage das Bett zu verlassen, wenn ich das
Scheidengewölbe abschliessen konnte,
oder nur einen kleinen Gazestreifen im
Zentrum des sonst abgeschlossenen
Scheidengewölbes inserierte, der wäh-
rend der ersten 24 Stunden als Drainage
dienen sollte, und habe ich nicht einen
einzigen Unfall dadurch zu verzeichnen
gehabt. Nur einen stichhaltigen Grund
konnte man gegen das baldige Aufstehen
angeben, nämlich die Gefahr, dass die
Bauchdecken nicht genügend fest ver-
wachsen, und dass später eine Hernie
eintreten könnte, oder gar, dass die
Bauchwunde aufplatzen könnte; diese
Einwände werden jedoch durch den von
mir beschriebenen Verband mit Sicher-
heit hinfällig. Dass Thrombosen oder
Embolien dabei mehr zu befürchten sind
(speziell bei Myomoperationen) als
wenn man die Patientinnen ruhig im
Bett liegen lässt, bestreite ich auf das
entschiedenste. Wir wissen aus Erfah-
rung, dass solche Unglücksfälle auch bei
Bettruhe vorkommen, und nach einer
Analyse der mir zu Gebote stehenden
Fälle sogar häufiger, als bei der von mir
befürworteten Behandlungsmethode (H.
J. B o 1 d t, The Management of Lapa-
rotomy Patients and Their Modified
After Treatment, New York Medical
Journal, Tanuary, 1907).
Bei mehr als 1000 so behandelten Pa-
tientinnen, von denen mehr als 400 von
mir persönlich so behandelt wurden, sind
nur zwei leichte Venenentzündungen be-
obachtet worden ; der eine Fall von Dr.
Ries und ein Fall in meiner Praxis.
Im R i e s'schen Fall waren jedoch
Krampfadern der Beine und Arterio-
sklerose bei der sechsundsechzigjähri-
gen, an Corpus-Carcinom leidenden Pa-
tientin vorhanden. ■ Mein Fall betraf
eine sechzehnjährige Patientin, bei der
ich ein Ovarialkystom entfernt hatte.
Die Patientin war schon nach 14 Stun-
den post Operationen! im Lehnstuhl und
später nach Belieben ausser Bett. Erst
wenige Tage, nachdem sie in die Som-
merfrische gegangen und sich etwas
stark beim Sport angestrengt hatte, zeig-
ten sich die Anzeichen einer ganz leich-
ten Entzündung der Vena saphena ex-
New Yorker Medizin
ische Monatsschrift.
373
terna, die beinahe zwei Wochen brauch-
ten, ehe sie ganz schwanden. Sonst ist
unter der gesamten Anzahl so behandel-
ter Patientinnen kein einziges Beispiel
eines unangenehmen Unfalles vorhanden,
den man der Behandlungsmethode zur
Last legen könnte. Die Herren W i 1 1-
i a m J. und Charles H. M a y o be-
richteten mir, dass ihre Patienten, bei
denen sie z. B. im Intervall wegen Ap-
pendizitis operiert hatten, schon innerhalb
einer Woche aufstehen konnten, und dass
sie das Vorkommen einer Phlebitis viel
seltener beobachteten, als früher, da sie
noch solche Patienten die übliche Zeit
der Bettruhe pflegen Hessen. Einige an-
dere Kollegen berichten ebenfalls, dass
sie ihre Patienten, an denen einfache La-
parotomien gemacht wurden, schon ei-
nige Tage nach der Operation aufstehen
Hessen, und dadurch der allgemeine Zu-
stand der Patienten ein besserer gewor-
den wäre. Ich glaube, dass man die
Vorteile dieser Behandlung erst bei wirk-
lich komplizierten Laparotomien würdi-
gen wird, z. B. bei schwierigen abdomi-
nalen Totalextirpationen. Verhältnis-
mässig selten kommt es mir jetzt vor,
dass ich meine Patientinnen länger als
drei Tage im Bett liegen lasse, gewöhn-
lich weniger, ausser wenn besondere
Komplikationen bei der Operation vor-
kommen, wie z. B. es vor kurzem bei der
Totalextirpation eines grossen retroperi-
toneal entwickelten Myoms geschah, dass
der Ureter durchschnitten wurde, und
ich denselben in die Blase einpflanzen
musste. und folglich es für angebracht
hielt, während der ersten vier Tage ei-
nen Dauerkatheter liegen zu lassen ; aber
auch in diesem Fall war die Patientin
vom fünften Tage an ziemlich viel ausser
Bett. Nach den von mir gemachten Be-
obachtungen ist auch diese Behandlung
bei operativen Eingriffen, die am Darm
gemacht werden, angebracht. Es ist für
die Patienten viel vorteilhafter, dass man
sie gleich während der ersten zwei bis
drei Wochen am Tage soviel als mög-
lich ausser Bett und nur hin und wie-
der in oder auf dem Bett ruhen lässt, als
dass man sie zwei bis drei Wochen oder
länger still im Bett hält und sie erst
dann aufsitzen zu lassen beginnt. Nach
den gemachten Beobachtungen ist die
Mehrzahl der so behandelten Patientin-
nen nach Verlauf von vier Wochen nach
der Operation in solch körperlichem Zu-
stande, dass sie ihre gewohnte Tätigkeit
wieder aufnehmen konnten. Bei ein-
fachen Laparotomien, wie z. B. bei In-
tervall-Appendizitiden, nicht komplizier-
ten Ovarialcysten u. s. w. können sie
schon meistens ihren Haushalt nach zwei
Wochen wieder verwalten. Besonders
markant ist der Vorteil des sehr frühen
Aufstehens bei solchen Patienten, an
denen eine explorative Laparotomie we-
gen einer bösartigen Neubildung ge-
macht wird, und man dann findet, dass
die Erkrankung schon zu weit vorge-
schritten ist, um eine radikale Entfern-
ung vornehmen zu können. Wenn sol-
che Patienten im Bett gehalten werden,
kommt es doch häufig vor, dass sie bett-
lägerig bleiben und sich überhaupt nicht
mehr erholen ; lässt man sie dagegen am
nächsten oder dem darauf folgenden
Tage aufstehen, so werden sie infolge
dieses Eingriffs nicht mitgenommen, und
der Krankheitsprozess nimmt seinen ge-
wöhnlichen Verlauf, als ob sie überhaupt
keinen operativen Eingriff zu bestehen
gehabt hätten.
Als Beispiel mag folgender Fali
dienen. Eine neunundvierzigjährige
kachektisch aussehende Person mit
so stark aufgetriebenem Leibe, dass
verschiedene Aerzte die Diagnose
auf ein grosses Ovarialkystom stellten,
wurde auf meine Abteilung im St. Vin-
cent's Hospital aufgenommen. Im Becken
befand sich eine harte Geschwulst, auf
deren Oberfläche, durch das hintere
Scheidengewölbe gefühlt, verschiedene
Knötchen waren, resp. von Hirschkorn-
bis zu Erbsengrösse. Der Uterus und
seine Anhänge konnten nicht palpiert
werden, weil zu viel Ascites vorhanden
war. Die Wahrscheinlichkeits-Diagnose
lautete auf eine im Becken sich befin-
dende maligne Neubildung, jedoch
374
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
konnte das Vorhandensein einer tuber-
kulösen Peritonitis nicht mit Bestimmt-
heit ausgeschlossen werden. Am 3.
Dezember wurde die Probe-Laparato-
mie gemacht, und die Krebsdia-
gnose mit Gewissheit bestätigt. Es war
bei diesem Befund nicht einmal ratsam,
den Ausgang der Karzinomatose ver-
suchsweise festzustellen ; es wurde ein
dünnes Zigarettendrain (ein mit ganz
dünnem Gummistoff (rubber tissue)
umwickelter, dünner Jodoformdocht)
im unteren Wundwinkel eingelegt, um
dem Ascites auf einige Tage Abfluss zu
verschaffen. Der Bauch wurde wie
üblich vernäht, und die geschilderte
Binde direkt oberhalb des Drains ange-
legt. Am nächsten Tage konnte die Pa-
tientin zwar wegen häufigen Erbrechens
noch nicht aufstehen, aber am darauf
folgenden. Am dritten Tage lief sie
lange Strecken im Korridor der Anstalt
gut umher, was sie vor der Operation
nicht zu tun vermochte, und auch das
Aussehen der Frau war ein besseres ;
da keine Absonderung stattfand,
wurde das Drain am vierten Tage ent-
fernt ; am fünften Tage verliess sie die
Anstalt, im Glauben, nach ihrem eigenen
Befinden zu urteilen, dass sie nun auf
dem Wege sei, ihre Gesundheit wieder
zu erlangen. Ihr Hausarzt berichtete
mir, dass dieses bessere Befinden noch
zwei Wrochen anhielt.
Ich habe gefunden, dass man die
modifizierte Nachbehandlung bei etwa
85 bis 90 Prozent der von Gynä-
kologen vorgenommenen Laparoto-
mien mit Vorteil anwenden kann.
Das erste Mal sitzen die Patientinnen
nicht lange, etwa eine halbe bis drei vier-
tel Stunde Morgens und abermals am
Nachmittag, aber täglich wird die Zeit
des Aufseins etwas verlängert. Ferner
sträuben sie sich etwas, die ersten paar
Tage das Bett zu verlassen, wohl, weil
sie von andern gehört haben, dass man
nach einer Bauchoperation das Bett ein
paar Wochen hüten müsse, aber ein we-
nig Zureden hilft, nur muss man ihnen
behülflich sein, recht schonend aufzu-
stehen. Man lässt sie die Arme um den
Hals der Wärterin legen und legt den
einen Arm hinter ihren Rücken ; mit
dem anderen Arm die unteren Extremi-
töten erfassend, dreht man, i idem man
den Körper aufhebt, die BeLj langsam
herum, sodass sie am Bettrande in sit-
zender Stellung anlangen ; nun kann
man sie ganz ruhig vom Bett herunter
nehmen und ihnen erlauben, ein paar
Schritte zum Stuhl zu gehen, indem man
sie dabei unterfasst. Bis ich meinem
Warterpersonal das Aufsetzen gelehrt
hatte, besorgte ich dies selbst und tue
es auch jetzt noch bisweilen, denn man
kann nicht schonend genug hierbei vor-
gehen. Es ist wunderbar, den physischen
Zustand der genannten Patientinnen zu
beobachten, nachdem zwei Wochen ver-
gangen sind, im Vergleich zu denen, die
nach der gewöhnlichen Methode im Bett
gehalten werden. Bei leichten abdomi-
nalen Eingriffen laufen solche Patientin-
nen schon nach fünf bis sechs Tagen um-
her, als ob sie nicht operiert worden
wären. Patienten, bei welchen ich es
aus diesem oder jenem Grunde für besser
halte, sie im Bett zu halten, bemühe ich
mich, zu bewegen, leichte Uebungen der
unteren und oberen Extremitäten öfters
vorzunehmen. Der Zweck, den man da-
mit erreicht, ist, Erschlaffung der Mus-
kulatur zu verhindern und eine bessere
Blutzirkulation zu erzielen, was durch
mässige Bewegung des Körpers ge-
schieht.
Die meisten Patienten, an denen Ope-
rationen wegen chirurgischer Erkrank-
ungen vorgenommen werden, bessert
iran nicht in ihrer Gesundheit durch ab-
solute Bettruhe, im Gegenteil, das Mus-
kelsystem wird mehr oder weniger da-
durch geschwächt, sie verlieren Kräfte,
weil alle physiologischen Funktionen
durch die forzierte Ruhe herabgesetzt
werden. Ich muss gestehen, dass ich
den Eindruck gewonnen habe, dass
öfters die Patientinnen, an denen sehr
komplizierte Operationen vorgenommen
wurden, gerade durch frühzeitige kör-
perliche Bewegung genesen sind : des-
New Yorker Medizin
ische Monatsschrift.
375
halb glaube ich auch, dass die Mortalität
durch das frühe Aufstehen verringert
wird. Dem Zufall ist die Genesung in
solchen Fällen sicherlich nicht zuzu-
schreiben, ie dies von anderer Seite bei
Gelegenheit einer Diskussion behauptet
wurde ; denn dafür ist die Zahl der so
Behandelten zu gross. Auch der medi-
zinisch-juristischen Frage habe ich volle
Würdigung getragen, falls bei einem
früh aus dem Bette gelassenen Patienten
Thrombose oder Embolie auftreten
sollte. Wie schon bemerkt, kommen
derartige Unglücksfälle auch während
der Bettruhe vor, oder später, wenn die
Patienten nach zwei bis drei wöchentli-
chem Bettlager aufstehen. Ich wieder-
hole also, dass die Gefahr dafür bei Pa-
tienten, die von Anfang an mehr körper-
liche Bewegung hatten, nicht so gross
ist. Das haben meine und die Erfahrun-
gen anderer Kollegen gelehrt, welche
sich dieser Behandlung in mehr oder
weniger ausgedehntem Masse bedienen.
Ries bedient sich keiner Leibbinde
nach Laparotomien; trotzdem hat er nur
eine Hernie bei einer infizierten Wunde
zu verzeichnen. Ich bin jedoch zu zag-
haft, um das zu riskieren, und betrachte
die Immobilisierung des Leibes als einen
nötigen Schutz gegen solches Vorkom-
men und bestehe darauf, dass die Binde
drei bis vier Wochen getragen werden
muss, wenn sie auch im Anfange mei-
stens recht unbequem für die Patientin
ist. Sollte die Beklemmung in der
Magengegend zu grosse Beschwerden
verursachen, schneidet man den ober-
sten Pflasterstreifen an der Seite etwas
ein ; nach einigen Tagen aber gewöh-
nen die Patienten sich meist an diese
Unbequemlichkeit.
Obgleich ich nicht selten die Gele-
genheit wahrnehme, das Frühaufstehen
nach Laparotomien zu befürworten
und die Vorteile dieses Vorgehens an-
zugeben, insbesondere bei Diskus-
sionen und Ansprachen über Thema-
ta, bei denen es sich einflechten Hess,
hat die Behandlungsmethode bis jetzt
noch nicht viel Nachahmung gefunden.
Auch einer Reihe ausländischer Kollegen
konnte ich so behandelte Patientinnen de-
monstrieren, sodass sie Gelegenheit hat-
ten, weitgehende intraabdominale Ein-
griffe zu sehen und am nächsten Ta^e
die so operierten Patienten ausserhalb
des Bettes zu finden, desgleichen clie An-
legung des von mir geschilderten Ver-
bandes.
Ich glaube auch, dass es mir gelang,
einigen Herren die von mir geschilder-
ten Vorteile plausibel zu machen, wie i :h
aus einem Aufsatze von Dr. C a r 1 H a r-
tog, ,,Wann soll man Coeliotomierte auf-
stehen lassen?" aus der Frauenklinik der
Herren L. Landa u und T h. La n-
dau in Berlin, (Berliner klinische Wo-
chenschrift, 1907, No. 1) ersehe, dem
es doch gelang, seine Chefs zu überre-
den, die Methode zu versuchen, obgleich
mir Herr H a r t o g zur Zeit sagte, dass
es seiner Ansicht nach ganz unmöglich
sein werde, solche radikale Abänderung
in Deutschland einzuführen oder selbst
jemand dazu zu verleiten, den Versuch
y.u machen.
Wenn Dr. H a r t o g den erwähnten
Artikel mit dem Satze beginnt, ..dass in
den letzten Jahren sich die Nachbehand-
lung der Operierten in ihrer (L a n-
dau's) Klinik wesentlich geändert habe,
so kann dies nur seit dem vorigen Jahre
geschehen sein, nachdem ich Herrn Dr.
H a r t o g bei seinem Hiersein von dem
Werte meiner Behandlungsweise über-
zeugt und alle seine Bedenken zerstreut
habe. Handelt es sich doch in diesem
Artikel hauptsächlich um die Erfahrun-
gen über das frühzeitige Aufstehen der
Patienten nach Laparotomien. Die vagi-
nalen Coeliötomien möchte ich aber in
der H a r t o g'schen Tabelle ganz aus-
schliessen, erstens, weil kein anatomi-
scher Grund vorhanden ist, dass man bei
vaginal Hysterektomierten, wenn das
Scheidengewölbe abgeschlossen ist oder
auch selbst ein- Drain im Zentrum des
ziemlich abgeschlossenen Scheidenge-
wölbe inseriert wurde, irgend eine Kom-
plikation durch das frühe Aufstehen zu
befürchten ist ; das hat mich eine grosse,
376
New Yorker Medizin-
ische Monatsschrift.
über 15 Jahre sich erstreckende Erfah-
rung gelehrt. Es wird sogar die Darm-
peristaltik bei diesen sowohl als bei den
abdominal Operierten durch das Aufsit-
zen und die frühere körperliche Beweg-
ung angeregt, sodass Ileus naturgemäss
nicht so leicht eintreten kann, als bei
denen, die im Bett gehalten werden.
Zwei der Beachtung werte Fälle von va-
ginalen Totalextirpationen, die bis jetzt
noch keiner Erwähnung von mir unter-
zogen wurden, möchte ich bei dieser Ge-
legenheit anführen.
Vor etwa 16 Jahren machte ich die
besagte Operation im St. Mark's Hospi-
tal wegen Karzinoms. Die Frau erfuhr
zwei Tage nach der Operation, dass ihr
Kind schwer erkrankt sei, und am Mor-
gen des dritten Tages schlich sie sich
heimlich aus der Anstalt, und da die
arme Frau vollständig mittellos war,
legte sie die Strecke nach ihrer Woh-
nung in Elizabeth, N. J. zu Fuss zu-
rück. Sie stellte sich etwa zwei Wochen
später in der Poliklinik vor ; sie hatte,
trotz der unmenschlichen Strapaze, einer
Fusstour von etwa 14 Meilen, keinen
Schaden erlitten. Seit jener Zeit erlaube
ich solchen Patientinnen, sobald sie sich
von der Narkose erholt haben, und we-
der Klemmen noch Scheidendammschnitt
gebraucht wurden, ohne weiteres das
Bett zu verlassen, und sie wie nicht Ope-
rierte zu behandeln, wenn keine beson-
deren Anzeichen dagegen vorhanden
sind.
Der zweite in dieser Hinsicht interes-
sante Fall betraf eine ihrer Angabe ge-
mäss etliche 30 Jahre alte irländische
Köchin ; sie machte zwar den Eindruck
einer hoch in den 40er Jahren stehenden
Person. (Diese Klasse Leute wissen
meistens nicht, wie alt sie sind.) Sie
gab an, dass sie eine Virgo sei. Nach
einer aussergewöhnlich schweren körper-
lichen Anstrengung, will sie das Auftre-
ten des damals bestehenden Leidens be-
merkt haben. Der Status war : ein voll-
ständiger Prolapsus des stark vergrös-
serten Uterus und der Scheide. Indem
es der Person unmöglich war, länger
ihrer Beschäftigung als Köchin in einem
grossen Gasthause mit einem vollständi-
gen Vorfall der Organe nachzugehen,
und da sie auf das bestimmteste die
Wahrscheinlichkeit einer Verheiratung,
eines gewesenen oder eines später vor-
kommenden Koitus ablehnte, entschloss
ich mich, da meine Erfahrungen mit
plastischen Operationen bei vollständi-
gem Prolapsus keine günstige sind, und
ferner, um der Person mit Sicherheit
Heilung zu verschaffen, ohne sich später
eines nochmaligen operativen Eingriffes
unterziehen zu müssen, eine vollständige
Extirpation des Uterus und der ganzen
Scheide bis zur Vulva. Die Operation
wurde im St. Vincent's Hospital des
Morgens vorgenommen, und am Nach-
mittage desselben Tages lief die Frau
lustig und vergnügt umher, und war
auch nicht mehr dazu zu bewegen, zu
ruhen. Vom dritten Tage an, nachdem
sie die Anstalt verlassen, nahm sie ihre
gewohnte Beschäftigung wieder auf und
verrichtete ohne Unbehagen alle damit
verknüpften körperlichen Anstrengun-
gen.
Zum Schluss möchte ich nochmals da-
zu auffordern, dass man wenigstens der
von mir geschilderten Nachbehandlung,
frühe körperliche Bewegung und keine
Restriktion in der Diät, ausser dass
Gründe dagegen sind, zur Anwendung
bringen möge, um sich selbst ein unpar-
teiisches Urteil zu bilden. Endlich bin
ich der Meinung, dass diese Behandlung,
nachdem ich über eine Zahl von mehr
als 1000 so behandelter Fälle verfüge,
ohne dass auch nur ein einziger der Me-
thode zur Last fallender Unfall einge-
troffen ist, der Prüfung wert ist, selbst
wenn sie auch den meisten nicht gleich
einleuchtend ist, ja ihnen sogar brutal
und unvernünftig vorkommen mag. Aus-
ser den schon erwähnten Vorzügen har
die Methode des frühen Aufstehens noch
andere Vorteile ; Blähungen gehen eher
ab; spontane Stuhlentleerung erfolgt
früher ; Lungen- und Bronchialkompli-
kationen werden eher verhütet, und
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
377
nochmals, Zirkulationsstörungen kommen
nicht so häufig vor. Schliesslich, und
das ist von sehr grosser Bedeutung für
die meisten Patienten, können sie ihre
gewohnte Tätigkeit früher aufnehmen.
Aussergewöhnliche Vorbereitungen zu
der Operation werden bei meinen Patien-
tinnen nicht vorgenommen und brauchen
auch nie vorgenommen zu werden, wenn
ein operativer Eingriff am Darm oder
am Magen nicht vorgenommen werden
soll.
Cotarninum phtalicum (Styptol), ein empfehlenswertes uterines Hämostatikum
und Sedativum.
Von Dr. Otto Maier, New York.
Nachdem in der letzten Zeit in der
Fachpresse der Anwendung des Cotar-
ninphtalats bei solchen uterinen Blutun-
gen, welche eine medizinale Behandlung
rechtfertigen, von massgebenden Auto-
ren (H a n d f i e 1 d-J ones1, Jervois
Aarons2, Cuthbert Lockyer3-
London, von Ramdoh r4-New York,
und anderen) das Wort geredet wurde,
glaube ich, dass einige Bemerkungen
über dieses neue Präparat bei Lesern
dieses Blattes von Interesse sein werden.
Ich habe bereits an anderer Stelle kurz
über denselben Gegenstand berichtet und
folge mit Veröffentlichung dieser Ab-
handlung einer Aufforderung des Edi-
tors dieser Zeitschrift, auch für die New
Yorker Medizinische Monatsschrift ei-
nen Beitrag zu liefern.
Ich wurde aufmerksam auf das neue
Hämostatikum im Jahre 1905 und habe
es nach den Berichten, welche von
Abel5 veröffentlicht wurden, in geeig-
neten Fällen mit bestem Erfolg verord-
net. Das neutrale phtalsaure Salz des
Cotarnins wurde von Vieth dargestellt
und in die Therapie eingeführt. Das
Cotarnin ist eine Base, die von Woeh-
1 e r'; durch Oxydation des Opiumalka-
loids Narkotin mit Braunstein und
Schwefelsäure dargestellt wurde nach
der Gleichung:
C22H28NOT + H20 + O = C10H10O, +
Narcotin Opianic Acid
C,,H15N04,
Cotarnin
und die chemisch dem Hydrastinin nahe
verwandt ist. Die hämostatischen Ei-
genschaften des Cotarnins sind wohlbe-
kannt und in dem von vielen Seiten em-
pfohlenen Cotarnin. hydrochlor. ausgie-
big geprüft. Den Grund für die Ein-
führung des phtalsauren Cotarnins bildet
die Beobachtung V i e t h's und anderer,
dass auch die Phtalsäure an und für sich
ein wirksames Hämostatikum ist. Co-
tarninphtalat (bekannt unter dem Namen
Styptol) vereinigt somit die blutstillende
Wirkung zweier Präparate und wird all-
gemein als das zuverlässigste Hämostati-
kum aus der Cotarnin-Gruppe ange-
sehen. Cotarninphtalat ist ein gelbes
kristallinisches Pulver, das ca. 75% Co-
tarnin und 25% Phtalsäure enthält. Es
ist in Wasser leicht löslich ; die wäs-
serige Lösung zeigt eine schwach al-
kalische Reaktion. Es hat einen Schmelz-
punkt von 113° C. und ist nach der For-
mel (C12H14N03), CsHti04 zusammen-
gesetzt.
Die physiologische Wirkungsweise des
Präparates auf den Uterus wurde von
verschiedenen Forschern studiert, so von
Y i e t h, Mohr7, Abel in Berlin und
C h i a p p e und Ravano8 in Genua.
Die Erklärungen, die Y i e t h für das
Zustandekommen der Styptolwirkung
gibt, sind von L o c k y e r in einer in-
teressanten Arbeit berichtet worden.
Vieth ist der Ansicht, dass die blut-
stillende Wirkung des phtalsauren Cotar-
nins nicht auf zentraler Ursache zu be-
378
New Yorker Medizin
ische Monatsschrift.
ruhen scheint, da eine Blutdrucksteiger-
ung nicht beobachtet wurde. Auf Grund
der Tatsache, dass Cotarninphtalat bei
äusserer Anwendung blutstillend durch
lokale Gefässkontraktion wirkt, glaubt
Vieth vielmehr, dass blutstillende Wir-
kung auf den Uterus auch bei innerlicher
Darreichung lokal zu stände kommt,
wobei er sich von folgenden Ueberleg-
ungen leiten lässt. Wie nachgewiesen
wurde, sind die in den Gefässwänden
selbst gelegenen autonomen vasomotori-
schen Plexus verschieden .empfindlich.
Cotarninphtalat, das nach der Resorption
durch das Blut in allen Gefässgebieten
zirkuliert, scheint nun die Eigenschaft
zu haben, nur die Urogenitalgefässe i
durch Erregung ihrer lokalen Plexus zu
kontrahieren, während wie V i e t h
glaubt, die übrigen Gefässe unbeeinflusst
bleiben, sodass eine allgemeine Blut-
drucksteigerung nicht stattfinden kann.
Damit stimmt die Erfahrung überein,
dass Cotarninphtalat nur bei Uterusblu-
tungen prompt wirkt, hingegen z. B.
beim Magen oder Lungenblutungen ohne
Einfluss ist. An dieser lokalen blutstil-
lenden Wirkung auf den Uterus beteiligt
sich sowohl das Cotarnin als die Phthal-
säure, da auch letztere bei lokaler An-
wendung in Form von Salzen blutstil-
lend wirkt.
Die sedative Wirkung des Mittels wird
sowohl als eine allgemeine als eine spe-
ziell auf den Uterus gerichtete beschrie-
ben. Die allgemeine Wirkung äussert sich
beim Tierversuch in Müdigkeit und
leichten Koordinationsstörungen : auch
beim Menschen verursachen grössere
Dosen Schläfrigkeit. Die auf den Uterus
gerichtete sedative Wirkung hat Mohr
experimentell untersucht. Bei schwan-
geren Kaninchen, welche in Urethan-
Xarkose im warmen Kochsalzbade lapa-
rotomiert waren, konnten zunächst durch
faradische Reizung des Plexus hypogas-
tricus Uteruskontraktionen erzeugt wer-
den. Wurde nun eine Injektion von 0,3
Styptol in 2 ccm Wasser in die Vena
crrrMis ""ep-'Pcht. so wren bei nachfol-
gender faradischer Reisung die Uterus-
kontraktionen deutlich schwächer. Man
darf daraus schliessen, dass der Uterus
durch die Wirkung des Styptols gegen
Reizung weniger empfindlich geworden
war. Diese Herabsetzung der Reizem-
pfindlichkeit der uterinen Nerven spielt
wahrscheinlich bei der Anwendung des
Präparats, besonders bei Dysmenorrhoe,
eine grosse Rolle. Sie ist umso wichti-
ger als von keinem der früher ange-
wandten Haemostatica eine derartige se-
dative Wirkung bekannt ist. Der ange-
gebene Versuch zeigt ferner, dass Cotar-
ninphtalat im Gegensatz zu Ergot keine
Uteruskontraktionen hervorruft, dass es
also unbeschadet auch während der
Schwangerschaft gegeben werden kann.
Toxische Wirkungen treten erst bei
Anwendung von sehr grossen Dosen ein.
Die rötliche Dosis liegt etwa bei 0,5
Gramm pro Kilo Tier ; der Tod tritt
nach vorübergehender kurzer Erregung
durch Respirationsstillstand und allge-
meine Lähmung ein. Das Herz ist dis
ultimum moriens. Bei kleineren Dosen
tritt die sedative und schlafmachende
Wirkung deutlich hervor. Mohr hat
auch geprüft, ob Styptol ähnlich wie Er-
got Gangrän herrufen könne, indem
nach dem Vorgang von K o b e r t einem
Hahn 7 Wochen lang täglich 0,5 bis 1,0
Gramm Styptol gefüttert wurden. Es
konnte keinerlei Wirkung auf den Kamm
des Tieres beobachtet werden, wie dies
bei Ergot der Fall ist. Das Styptol muss
also als ein unschädliches Präparat be-
zeichnet werden. Bei der ausgedehnten
therapeutischen Anwendung, die das
Präparat nach den vorliegenden klini-
schen Berichten am Menschen in den
letzten Jahren erfahren hat, ist meines
Wissens niemals über Nebenwirkungen
berichtet worden ; auch wird der Magen
nicht beeinflusst.
Vieth schliesst aus obigen Ver-
suchen, dass Cotarninphtalat vor allem
auf den Uterus bezw. die LTrogenital-
sphäre wirkt, und dass, wie auch Abel
betont, insbesondere keine Wirkung auf
das Herz stattfindet. Wenn V i e t h's
Erklärungen zutreffend sind, gehört
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
379
dieses Präparat daher zu den wenigen in
der Medizin bekannten Mitteln, welche
eine spezifische selektive Wirkung auf
ein bestimmtes Organ (den Uterus) äus-
sern und entspricht dadurch auch den
Forderungen, welche die moderne Phar-
makologie mit Recht an neue Heilmittel
stellt.
Styptol wurde zuerst in der A b e 1'-
schen Frauenklinik Berlin von K a t z°
einer eingehenden klinischen Prüfung
unterzogen. K a t z hat Dosen von 3 —
5 mal täglich 0,05 grain) in über-
zuckerten Tabletten verabreicht und fol-
gende Indikationen aufgestellt :
1. Schwere menstruelle Blutungen bei
Virgines und Xulliparen ohne patholo-
gisch-anatomisches Substrat.
2. Rein klimakterische Blutungen.
3. Blutungen in der Schwangerschaft.
4. Myomblutungen.
5. Sekundäre Blutungen infolge Er-
krankungen der Adnexe oder des Beck-
enbindegewebes. (Hier wird man am
ehesten Misserfolge haben, denn bei der-
artigen Erkrankungen bleibt eben oft nur
die operative Beseitigung der Ursache
übrig.)
6. Blutungen infolge inoperablen Kar-
zinoms, bei welchen auch die lokale An-
wendung des Mittels in Anwendung zu
ziehen ist.
7. Dysmenorrhoe.
E 1 i s c.h e ri0 empfiehlt, Styptol auch
während der intramenstruellen Zeit zu
geben in Dosen von dreimal täglich einer
Tablette, wodurch ein zu frühzeitiges
Eintreffen des Menses verhütet wird.
Frendenberg11 ist der Ansicht,
dass die Wirkungsweise des Styptols von
Ergot gänzlich verschieden sei und wohl
mehr durch „reizmildernde Nervenwir-
kung" zu stände kommt. Im Zusam-
menhang hiermit scheine dem Styptol
auch eine entzündungswidrige Kraft inne
zu wohnen. Er empfiehlt es daher in
allen Fällen, in denen ein Reizzustand
der Gebärmutterschleimhaut die Blutung
verursachte, einerlei ob dieser Reiz ein
indirekter oder direkter war.
T o f f1- weist darauf hin, dass Ergotin
und Sekalepulver häufig wirkungslos
bleiben, wo Styptol eine gut hämostati-
sche Wirkung entfaltet.
Abel berichtet in der eingangs be-
reits erwähnten Arbeit über seine Er-
fahrungen in mehr als 300 Fällen und
fasst sein Urteil dahin zusammen, dass
im Styptol ein Hämostatikum gewonnen
sei, welches bei richtiger Indikations-
stellung und richtiger Dosierung die bis-
herigen uterinen Hämostatika über-
treffe ; besonders wertvoll sei seine ent-
schieden sedative Wirkung.
Jacob y13 empfiehlt auf Grund die-
ser sedativen Eigenschaft Styptol bei
dysmenorrhoischen Beschwerden in Do-
sen von viermal täglich 2 Tabletten, in
schweren Fällen bis zu 12 Tabletten täg-
lig. Nach seinen Erfahrungen bleibt die
sedative Wirkung nie aus, wenn Styptol
in genügend starken Dosen gegeben
wird. Wo die Anwendung der Tablet-
ten nicht geeignet erschien, verordnete
T a c o b y
Rp. Styptol. pulv 1,0
Sir. simpl 50,0
Aq. foenicul 50,0
Mds. 3 mal tägl. 2 Teelöffel am besten
mit etwas Kognak.
Auch H a n d f i e 1 d-J o n e s gibt 0,15
— 0,2 dreimal täglich nach der Mahlzeit
und betont, dass in vielen Fällen noch
grössere Dosen vertragen werden, ohne
jede Störung des Organismus.
L o c k y e r, dessen Arbeit ich in obi-
gen Ausführungen z. T. gefolgt bin, hat
sich nach ausgedehnter Anwendung von
der ausgezeichneten styptischen und se-
dativen Wirkung des Styptol fest über-
zeugt. Nebenwirkungen wurden von
ihm nicht beobachtet, es sei denn, dass
Styptol vielleicht eine Angewöhnung
hervorruft. Die Patienten verlangten
die „roten Tabletten" nämlich immer
wieder, wenn deren Gebrauch aus irgend
einem Grunde sistiert worden war.
Lockrer schreibt diese Angewöhn-
ung, wenn eine solche tatsächlich eintritt,
dem sedativen Einfluss des Styptols zu.
38o
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
L o c k y e r beschreibt eingehen die fol-
genden Fälle :
Von neun Fällen von Dysmenorrhoe
wurden sieben von ihren menstruellen
und ovarialen Schmerzen befreit, zwei
nicht. Einer der Misserfolge betraf ei-
nen infantilen Uterus, der andere eine
Dysmenorrhoea membranacea.
In sieben Fällen von Neubildungen
wurden zwei Misserfolge beobachtet. In
dem einen war das Fibroid in sarkoma-
töser Umwandlung begriffen, in dem an-
deren verhinderte die schwere Herzaf-
fektion den Erfolg.
Acht Fälle von Adnex-Erkrankungen
zeigen, dass in den frühen und milderen
Stadien der tubalen und ovarialen Ent-
zündung Styptol eine günstige Wirkung
in der Bekämpfung der sekundären Me-
norrhagien ausübt. Dies beruht zweifel-
los darauf, dass solche Läsionen stets mit
präexistenter Endometritis verbunden
sind, und ist es die letztere, welche von
dem Hämostatikum günstig beeinrlusst
wird. Es ist selbstverständlich, dass bei
groben Veränderungen, wie z. B. Pyo-
salpinx und Ovarialabszess, Styptol nicht
indiziert ist und nichts ausser operati-
vem Vorgehen von irgend einem Werte
ist.
Nach Lockrer ist Styptol beson-
ders bei entzündlichen und kongestiven
Veränderungen des Uterus wertvoll, und
obwohl er nur 7 Fälle zitiert, ist dies
dennoch die Krankheitsgruppe, wo er
das Präparat am meisten verwendet. Es
hat sich auch bei der Menorrhagie jun-
ger Mädchen ohne nachweisbare Abnor-
mität bewährt und auch bei drohendem
Abortus der ersten Monate, vor der Dila-
tation des Os uteri.
Ich kann auf Grund meiner eigenen
Erfahrungen die zahlreichen Berichte
über die günstige Wirkung des Cotar-
ninphtalats nur bestätigen. Es hat mir
in einigen zwanzig Fällen von starken
menstruellen Blutungen verbunden mit
Dysmenorrhoe sowie bei klimakterischen
Blutungen ohne Neubildung und beson-
ders bei Blutungen in der Schwanger-
schaft die besten Dienste geleistet. Ich
verschreibe in der Regel eine Tablette
(}i grain) Cotarninphtalat (Styptol)
drei bis viermal täglich, verwende aber
in schweren Fällen 5 bis 6 Tabletten
oder mehr pro die. Ich möchte davon
absehen, hier eine Reihe beschreibender
Fälle anzugliedern, da vorstehende Ab-
handlung über die Anwendungsweise
dieses neuen Mittels hinreichend Auf-
schluss geben dürfte.
Literatur :
1. H a n d f i e 1 d-J o n e s, Folia therapeuti-
ca, Januar 1907.
2. A a r o n s, London and British Gyne-
cology, Februar 1907.
3. Lockyer, Folia therapeutica, Juli 1907.
4. von Ramdohr, New York Medical
Journal, 9. März 1907.
5. Abel, Berliner klinische Wochenschrift,
1905, No. 34.
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Pharmacie, Bd. 50, No. 1.
7. M o h r, Therapie der Gegenwart. 1905,
No. 8.
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ana di Ginecologiea, 1904, No. 2.
9. K a t z, Therapeutische Monatshefte, Juni
1903.
10. E 1 i s c h e r, Wiener medizinische Wo-
chenschrift, 1904.
11. Freudenberg, Der Frauenarzt, März
1904.
12. T o f f, Deutsche medizinische Wochen-
schrift, 1904, No. 24.
13. Jacoby, Therapie der Gegenwart, Juni
1906.
New Yorker Medizinische Monatsschrift. 381
Mitteilungen aus der neuesten Journalliteratur.
Fornet: Ueber moderne Serodia-
gnostik, mit besonderer Berücksich-
tigung der Präzipitine und Opso-
nine.
Bekanntlich reagiert der Organismus
auf das Eindringen von pathogenen
Keimen mit charakteristischen Verän-
derungen, welche als Immunitätsreak-
tionen bezeichnet werden und sich in
neu auftretenden Eigenschaften des
Blutserums wiederspiegeln. Diese er-
worbenen Fähigkeiten des Serums
werden besonders hypothetischen Kör-
pern, den sogenannten Immunkörpern
zugeschrieben, welche man je nach
ihrer Wirkungsweise Bakteriolysine,
Agglutinine, Präzipitine oder Opso-
nine genannt hat. Während die Bak-
teriolyse bei der Diagnose am Kran-
kenbett kaum eine Rolle spielt, hat
sich die Agglutination besonders beim
Abdominaltyphus Bürgerrecht erwor-
ben. Im Gegensatz zu ihr hat bis jetzt
die Präzipitation nur wenig Anwen-
dung für klinische Zwecke gefunden.
Es erklärt sich dies daraus, dass die
Präzipitine fast immer gleichzeitig mit
den Agglutininen auftreten, dabei aber
schwerer nachweisbar sind als diese,
da man zur Präzipitation stärkerer Se-
rumkonzentrationen und absolut klarer
Sera bedarf, beides Forderungen, wel-
che sich in der Praxis nicht immer er-
füllen lassen. Und doch hat die Präzi-
pitation vor der Agglutination den un-
leugbaren Vorteil voraus, dass sie der
Bakterien selbst entraten kann. Sie ist
also auch anwendbar, da wo es sich um
nicht agglutinable Bakterien handelt
oder wo die Kultur des betreffenden
Mikroorganismus noch fehlt.
Wie bekannt, spielt nach Metsch-
n i k o f f die Phagozytose eine bedeu-
tende Rolle unter den Abwehrmass-
regeln des infizierten Organismus.
W r i g h t und Douglas gelang es,
zu zeigen, dass der phagozytosebeför-
dernde Einfluss des Serums sich nicht
auf die Leukozyten, sondern auf die
Bakterien erstreckt. Sie stellten fest,
dass schon normales Serum phagozy-
tosebefördernd wirkt, dass aber diese
Eigenschaft durch Impfung mit dem
betreffenden Mikroorganismus wesent-
lich gesteigert wird. Sie schrieben
diese Fähigkeit des Serums neuen Kör-
pern zu, welche sie als Opsonine be-
zeichneten, abgeleitet von dem griechi-
schen Wort Opsoneo, die Mahlzeit
vorbereiten. Die diagnostische Ver-
wertbarkeit der Opsonine besteht
darin, dass man das Serum des zu un-
tersuchenden Patienten kurze Zeit auf
ein Gemisch von Leukozyten und Bak-
terien einwirken lässt, gefärbte Aus-
strichpräparate von dieser Mischung
anfertigt und feststellt, wie viele Bak-
terien durchschnittlich jeder Leukozyt
aufgenommen hat. In einem zweiten
Präparat ersetzt man das Patienten-
serum durch normales Menschenserum
und stellt ebenfalls die Durchschnitts-
zahl der pro Leukozyt aufgenommenen
Bakterien fest. Dividiert man jetzt die
erste Zahl durch die zweite, so erhält
man den opsonischen Index. War
z. B. die erste Durchschnittszahl x, die
zweite 2x, so erhält man x/2x, also ei-
nen opsonischen Index von Yi oder 0,5.
Der opsonische Index des normalen
Menschen ist 1,0 und schwankt nur in
engen Grenzen, nämlich zwischen 0,8
und 1,2. Bei Tuberkulösen ist der op-
sonische Index entweder erniedrigt,
oder erhöht oder, was verhältnismässig
oft der Fall ist, er schwankt zwischen
beiden Extremen hin und her, weswe-
gen eine wiederholte Untersuchung be-
sonders wichtig ist. Ein dauernd nie-
driger Index spricht nach W r i g h t
für eine Disposition oder für eine lo-
kal gebliebene Infektion : dauernd er-
höhter Index für eine glücklich über-
wundene Infektion. Abwechselnd nie-
driger und hoher Index zeigt eine be-
stehende Allgemeininfektion an, wobei
sich jedoch die Höhe des opsonischen
Index prognostisch nur mit Vorsicht
verwerten lässt. (Münchener med.
Wochenschr., No. 4, 1908.)
382
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
Sitzungsberichte
Deutsche Medizinische Gesellschaft der Stadt New York
Sitzung vom 3. Februar 1908.
Präsident Dr. Carl Beck eröffnet
die Versammlung nach halb 9 Uhr und
stellt demnächst Herrn Dr. W a 1 d-
s t r ö m, Assistent der B e r g'schen
Klinik in Stockholm, vor und heisst
denselben als Gast der Gesellschaft
willkommen.
Die Versammlung tritt hierauf in
die Tagesordnung ein :
1. Vorstellung von Patienten, De-
monstration von Präparaten, Instru-
menten etc.
a) Dr. F. \Y i e n e r jr. : Fremdkör-
per der Speiseröhre, welcher durch
Operation entfernt wurde.
Patient hatte ein unregelmässig-
dreieckiges Stück der Platte seines
künstlichen Gebisses verschluckt.
Wiederholte Oesophagoskopie zeigte
nichts, was der Vortragende sich da-
durch erklärt, dass die Farbe des
Stückchens der der Schleimhaut ziem-
lich ähnlich war. Ein zweites Rönt-
genbild lokalisierte den Fremdkörper
etwas oberhalb des Sternums und die
Oesophagotomie förderte ihn zu Tage.
Oesophagus wurde durch die Naht ge-
schlossen und Patient nach 2 Wochen
geheilt entlassen.
Diskussion. Dr. Sara W e 1 t-K a-
k e 1 s : Ich möchte im Anschluss an
den interessanten Fall, den Dr. W i e-
n e r berichtet hat, über ein kleines
Kind, etwas über 1 Jahr alt, berichten,
das einen Penny verschluckt hatte.
Die Mutter war nicht ganz sicher dar-
über. Jedenfalls stellte sich darnach
Erbrechen der grösseren Menge der
Milch ein, die das Kind zu sich nahm.
Etwas musste in den Magen gelangt
sein. Als ich das Kind sah, erbrach es
den grössten Teil Milch und Wasser
und schien auch an Schmerzen zu lei-
den. Wir liessen die Röntgenstrahlen
anwenden, und die zeigten sehr deut-
lich den Penny in der Speiseröhre. Am
nächsten Tage wurde unter leichter
Chloroform-Narkose der Penny mit
dem Graefe'schen Münzenfänger
herausgeholt. Die Operation dauerte
zwei oder drei Minuten. Das Kind
machte eine absolut gute Heilung
durch. Der G r a e f e'sche Münzen-
fänger ist für solche Zwecke sehr ge-
eignet. Ein anderes Instrument soll in
der Weise wirken, dass der Fremdkör-
per auf der Innenseite des Schirms auf-
gefangen und herausgebracht wird
(Demonstration). Glücklicherweise ge-
schehen diese Zufälle sehr selten.
Meistens werden verschluckte Münzen
per vias naturales aus dem Körper ge-
schafft.
Dr. A. Reich: Ich möchte über einen
Fall berichten, den ich vor einigen Jah-
ren gesehen habe. Ein kleiner Patient
hatte beim Spiel einen Würfel ver-
schluckt. Das Kind war ungefähr drei
Jahre alt. Ich hatte Herrn Dr. S.
ersucht, das Kind in Behandlung zu
nehmen, weil ich in dieser Sache nicht
völlig bewandert war. Dr. S. sagte
mir, er habe den Würfel mit dem Fin-
ger erreichen können und nach dem
Magen hmuntergestossen. Auf mein
Ersuchen hat er ein Gummibougie
nach dem Magen zu eingeführt und ver-
sichert, dass der Oesophagus vollstän-
dig leer war. Am nächsten Morgen ist
dann das Kind gestorben. Wir haben
die Autopsie machen lassen und gefun-
den dass gerade dort, wo der Würfel
gelegen, sich ein kleines Ulcus gebildet
hatte und dass er nicht durch ein In-
strument von oben hätte hinausbeför-
dert werden können, sondern dass eine
Oesophagotomie hätte gemacht werr
den sollen, um das Leben des Kindes
zu retten.
Dr. F. K a m m e r e r : Die beiden
Fälle sind sehr lehrreich und beweisen
eine bekannte Tatsache. Bei runden
Körpern soll man immer den Versuch
mit dem Münzenfänger machen. Das
ist sehr einfach. Aber bei spitzen
Fremdkörpern, die sich wo möglich in
die Schleimhaut eingebohrt haben, ist
dieser Versuch nicht indiziert, da er,
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
383
wie Dr. Wiener gesagt hat, gefähr-
lich ist. Wenn Dr. Wiener, den
Versuch mit dem Instrument gemacht
hätte, würde er vielleicht grosse
Schwierigkeiten gehabt haben, das In-
strument neben dem Fremdkörper wie-
der zurückzuziehen. In solchen Fällen
ist die Oesophagotomie eher am Platze,
b ) Dr. A. R e i c h :
1. Intra- und extrauterine Schwan-
gerschaft, Fibrom der hinteren Uterus-
wand.
Patientin 36 Jahre alt, 3 Monate ver-
heiratet.
Erste Menstruation mit dem 14ten
Jahr regelmässig von 4-tägiger Dauer.
Seit einem Jahr klagt sie über
Schmerzen im Unterleib und After, so-
wie auch über Stuhlbeschwerden. Zur
selben Zeit verlängerte sich auch die
Menstruationszeit auf 8 Tage und wurde
profus.
Letzte Regel am 10. Oktober 1907.
Am 8. November kam sie zu mir und
klagte über Schwangerschafts-Symp-
tome.
Am 14. fing sie an zu bluten und
stiess nach einigen Wehen ein Ei aus,
das der 5. — 6. Woche entsprach.
Die Wehen und Blutungen liessen
nicht nach und da es sich um ein Fi-
broid handelte, wurde ein Laparotomie
gemacht und hier die extrauterine
Schwangerschaft getroffen.
Der Uterus wird supravaginal abge-
tragen, das rechte Ovarium und Tube
ungestört zurückgelassen.
2. Vaginales Fibrom.
Die Patientin ist 23 Jahre alt. Ihre
Menstruation begann mit dem 13.
Jahre und war stets schmerzhaft, von
3 tägiger Dauer. Seit 3 Monaten ist sie
verheiratet und klagt über Schwierig-
keiten beim geschlechtlichen Verkehr,
weitere Klagen hat sie nicht.
Die äusseren Genitalien sind normal
bis auf die linke grosse Schamlippe,
die etwas vorgewölbt ist. Die Haut ist
normal beweglich. Der Scheidenein-
gang ist durch eine Geschwulst ver-
legt, hier ist die Schleimhaut bläulich
verfärbt, aber sonst normal. Kein Aus-
fluss.
Bei der innern Untersuchung fühlen
wir eine nicht sehr harte Geschwulst,
die die linke Wand der Scheide aus-
füllt und von der Urethra bis zum Rek-
tum reicht und nach innen 10 cm weit
verfolgt werden kann.
Die Portio ist knapp zu erreichen,
ist mit der Geschwulst nicht in Ver-
bindung. Der Uterus ist klein.
Die Operation war sehr einfach, ein
6 cm langer Schnitt beginnend 2 cm
unterhalb der Urethra spaltet die
Scheidenschleimhaut bis auf die Kap-
sel der Geschwulst. Die Geschwulst
wird mit einer M u z e u x-Zange ange-
hackt und aus einer Umhüllung mittelst
des Skalpellgriffes und einiger Scheren-
schläge ausgeschält. Es blutet wenig.
Die so entstandene Höhle wurde leicht
tamponiert und der Schnitt bis
auf eine kleine Oeffnung für die
Drainage mit Knopfnähten geschlos-
sen. Jetzt kann man leicht noch ein
4 cm langes Stück gesunder Vaginal-
schleimhaut von dem oberen Wund-
rande bis zur Portio fühlen, folglich
war die Geschwulst ausschliesslich von
der Scheidenmuskulatur ausgegangen.
Der Cervix wird dilatiert und der
Uterus ausgekratzt.
Die Gaze wird nach 4 Tagen ent-
fernt, die Patientin verlässt das Spital
nach 10 Tagen, die Drainageöffnung
schliesst sich nach 3 Wochen. Die Pa-
tientin ist jetzt seit 5 Monaten schwan -
ger.
Die Fälle von vaginalem Fibrom
sind selten. S m i t h kollektierte bis
1902 101 Fälle. Seitdem sind noch 8
neue Fälle in der Literatur zu finden.
Charakteristische Symptome haben
diese Geschwülste nicht, bis sie eben
durch ihre Grösse oder Ulzeration sich
kundgeben. Eigentümlich erscheint
auch die Tatsache, dass das Vaginal-
Fibrom bei Negern nicht beschrieben
worden ist.
Die Geschwulst selbst besteht aus ei-
nen reinem Fibrom umgeben von einer
Kapsel und war im frischen Zustande
14 cm lang, 7y2 cm im Durchmesser
und wog 530 g. Die mikroskopi-
sche Untersuchung ergab den bekann-
ten Befund von Fibrom mit einigen
eingelagerten Muskelzellem
Präsident Dr. Carl Beck: Ehe
wir weiter gehen, habe ich eine Frage
an Sie zu richten. In der letzten Sit-
zung wurde dem Verwaltungsrat auf-
384
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
gegeben, ein Komitee zu ernennen,
welches sich mit dem Redakteur der
New Yorker Medizinischen Monats-
schrift in Verbindung setzen und ver-
suchen sollte, einen Kontrakt mit ihm
abzuschliessen. Der Verwaltungsrat
hat sich dieser Aufgabe unterzogen
und im ganzen drei Sitzungen abgehal-
ten. Sie können hieraus entnehmen,
mit welchem Nachdruck der Verwal-
tungsrat und das von ihm ernannte
engere Komitee sich mit der Sache be-
schäftigte, und ich kann Ihnen zu mei-
ner grossen Freude mitteilen, dass das
Komitee mit Herrn Dr. Ripperger
zu einer vollständigen Einigung ge-
kommen ist. Es werden Ihnen Vor-
schläge vorgelegt werden, welche Ihrer
Annahme harren. Die Frage ist nur,
ob wir die Angelegenheit jetzt vorneh-
men wollen oder nach den Vorträgen.
Es ist nämlich eine Komplikation ein-
getreten. Einmal kann der Schatz-
meister, Herr Dr. Breiten fei d, der
wichtige Mitteilungen zu machen hat,
nicht länger hier bleiben, und dann ist
Herr Dr. Ripperger verhindert zu
erscheinen, da er plötzlich einen Ver-
lust in seiner Familie zu beklagen hat.
wie ich mit grossem Bedauern kon-
statieren muss. Ich kann Sie aber ver-
sichern, dass Dr. Ripperger mit
den genannten Vorschlägen im Prinzip
einverstanden ist. Ob unter diesen
Umständen die Sache durch die Ab-
wesenheit von Herrn Dr. Ripper-
ger wesentlich beeinträchtigt wird, ist
Ihnen überlassen. Herr Dr. B r e i-
t e n f e 1 d hat Ihnen die Mitteilung zu
machen, dass die Gesellschaft als sol-
che absolut augenblicklich ausser
stände ist, eine Geldsubvention zu ge-
währen.
Dr. S. Breitenfeld: Ich kann
das nur vollauf bestätigen. Wir sind
nicht gar so schlimm daran, aber wir
nehmen gerade soviel ein als wir aus-
geben, und wenn wir irgend einen Be-
trag mehr ausgeben, arbeiten wir mit
einem Defizit. Wiewohl ich nicht der
Ansicht bin, dass wir gerade sparen
müssen, so dürfen wir, glaube ich. doch
nicht mehr ausgeben als einnehmen.
Präsident Dr. Carl Beck: Es war
mir darum zu tun, dass wir diese wich-
tige Bestätigung aus dem Munde des
Schatzmeisters hörten. Wir haben da-
her auf andere Weise versucht, dem
Redakteur zu helfen, da wir der An-
sicht waren, während der Redakteur
grosse Pflichten gegen uns hat, solange
er sich Redakteur des Organs der
Deutschen Medizinischen Gesellschaft
von New York nennt, dass auch wir
gleiche Pflichten gegen ihn haben, und
es musste also ein Modus dafür gefun-
den werden, wie er Mittel erwirbt, die
Zeitschrift auf einen höheren Stand-
punkt zu bringen. Wir haben mit sei-
ner Uebereinstimmung ein Mittel ge-
funden, diese Unterstützung auf indi-
rektem Wege zu gewähren, da wir
nicht im stände sind, es dieses Jahr
direkt zu tun. Darüber kann heute
abend debattiert werden, aber Sie kön-
nen die Sache auch auf die nächste Sit-
zung verschieben. Ich stelle Ihnen
also anheim, ob Sie die Sache heute
debattieren wollen, und zwar entweder
gleich oder nach den Vorträgen, oder
ob Sie die Angelegenheit verschieben
wollen.
Dr. L. Weber: Ich denke, dass
wir in Abwesenheit von Dr. Ripper-
ger nicht zu einem Abschluss in der
Sache kommen können. Dr. Ripper-
ger sollte anwesend sein. Ich schlage
daher vor, die Verhandlungen betref-
fend die Deutsche medizinische Monats-
schrift bis zur nächsten Sitzung zu ver-
schieben.
Dr. H. G. Klotz: Ich unterstütze
den Vorschlag und möchte empfehlen,
dass es auf der Einladung zur nächsten
Sitzung vermerkt werde, sodass die-
jenigen, die sich für die Angelegenheit
interessieren, hier sein können.
Präsident Dr. CarlBeck:Es wird
durchaus immateriell sein, was wir tun,
da Dr. Ripperger. wie ich schon
vorhin sagte, mit allem, was das Ko-
mitee vorgeschlagen hat, einverstanden
ist. Aber ich glaube, dass es opportun
ist, dass Sie die Sache in seiner Gegen-
wart und in Anwesenheit mehrerer an-
deren Herren besprechen wollen, die
bereits nach Hause gegangen sind.
Dr. G. Mannheimer: Ich glaube
auch, dass wir die Sache verschieben
sollten, weil ich speziell eine persönli-
che Bemerkung zurückweisen möchte,
und Dr. Ripperger sollte zugegen
New Yorker Medizini
sche Monatsschrift.
385
sein, wenn das geschieht.
In der nunmehr folgenden Abstim-
mung beschliesst die Versammlung,
die Angelegenheit auf die nächste Sit-
zung zu verschieben.
3. Vorträge.
a) Dr. Carl Beck: Den Manen
von Nicholas Senn.
Sei den letzten zwei Monaten hat
der Tod eine unheimliche Ernte unter
den hervorragenden Männern unserer
Wissenschaft gehalten, bei keinem
aber hat uns der Verlust so nahe und
so tief berührt, wie bei unserem Ehren-
mitglied, dem grössten Chirurgen un-
seres Adoptivvaterlandes. Denn zu
ihm blickten wir empor als zu einem
Gottbegnadigten, von dessen Glorien-
schein ein goldener Strahl auf jeden
von uns fiel, hatte doch sein Genius
amerikanischer Wissenschaft in der
ganzen Welt Achtung geboten. Ihn
zu kennen genügte allein schon, um in
allen Kliniken der zivilisierten Welt
mit Respekt empfangen zu werden.
Wenn wir tiefergriffen um ihn trau-
ern, so haben wir der Gründe dazu eine
grosse Zahl. Sein Lebenslauf ist auch
im Lande der unbegrenzten Möglich-
keiten ein wunderbarer zu nennen.
Von einfachen Eltern geboren, trug
ihn sein rastloser Geist aus dem klei-
nen Horizont des Landarztes in Wis-
consin zu den ruhmvollsten Höhen
der Wissenschaft.
Am 31. Oktober 1844 in Buchs, einer
kleinen Stadt im Kanton St. Gallen,
geboren, wanderte er als Knabe von 8
Jahren nach den Vereinigten Staaten
aus. Seine Eltern wurden zunächst in
Ashford (Fond du Lac County) in
Wisconsin ansässig. Nachdem er im
Jahre 1864 die Hochschule von Fond
du Lac summa cum laude absolviert
hatte, begann er zunächst seinen Le-
bensunterhalt als Lehrer zu verdienen
und ersparte sich in beispielloser
Selbstverleugnung so viel, dass er
schon im Jahre darauf unter den Auspi-
zien seines Freundes Dr. F. M unk
das Studium der Medizin auf dem Chi-
cago Medical College beginnen konnte.
Dort erwarb er sich die Venia practi-
candi nach weiteren drei Jahren, wo-
rauf er sich in Ashford niederliess.
Fünf Jahre später siedelte er nach der
Hochburg des deutschen Nordwestens,
dem kunstliebenden Milwaukee, wo er
alsbald dem Aerztekollegium des städ-
tischen Hospitals zugesellt wurde. Je
mehr er gewürdigt wurde, desto ge-
ringer erschien dem bescheidenen
Manne sein eignes Wissen, und im
Jahre 1877 bezog er die Universität
München, wo ihn namentlich der un-
vergessliche N u s s b a u m an sich fes-
selte. Schon im Jahre 1878 bestand
er das Doktorexamen in München,
worauf er in dem Cook County Hospi-
tal in Chicago noch weitere 18 Monate
als Assistent diente, um sich in der
Chirurgie weiter zu vervollkommnen.
Nach Milwaukee zurückgekehrt, nahm
er seine chirurgischen Studien in
grossartigem Masse wieder auf. Kein
Tag verging, an dem er nicht trotz
seiner enormen Privatpraxis Zeit fand,
experimentelle Beiträge zu liefern.
Seine Einkünfte verwendete er zum
Ankauf von Ländereien, auf welchen
er hunderte von Versuchstieren hielt.
Seine wertvollen Beobachtungen sind
in einem epochemachenden Werk,
„Experimental Surgery," niedergelegt.
Im Jahre 1884 wurde er als ordentli-
cher Professor der Chirurgie an das
College of Physicians and Surgeons in
Chicago berufen, eine Stellung, welche
er mehrere Jahre noch von Alilwaukee
aus versah, bis er seinen permanenten
Wohnsitz in Chicago aufschlug. We-
nige Jahre später übernahm er die
Professur am Rush Medical College,
welches sich später infolge seiner
selbstlosen Bemühungen mit der Uni-
versität von Chicago affilierte. Hier
und am St. Joseph's- und dem Presby-
terian Hospital wirkte er begeisternd
auf die akademische Jugend, bis ihn
am 2. Januar dieses Jahres eine tücki-
sche Erkrankung des Herzens, welche
er sich durch die Strapazen seiner letz-
ten Reise in die Kordilleren zuzog, ab-
rief.
Mit ihm ist ein Arzt dahingegangen,
welcher in seiner besonderen Art ein-
zig war. Er dürfte in bezug auf Kom-
bination von genialer Intuition mit
geradezu phänomenaler Arbeitskraft
kaum seines gleichen finden. Wir be-
sitzen von ihm über 300 Monogra-
phien, darunter 10 Lehrbücher, von
386
New Yorker Medizin
ische Monatsschrift.
denen das über Tuberkulose der Kno-
chen und Gelenke sowohl als die chi-
rurgische Behandlung der Tumoren
zu den klassischen gehören. Keiner
dürfte ein Sen n'sches Buch aufschla-
gen, ohne daraus Belehrung und origi-
nelle Anregung zu schöpfen. Sein wis-
senschaftliches Interesse und seine
stete Bereitwilligkeit, zu lernen, Hess
ihn grosse Reisen machen, deren
Frucht er in mehreren Bändern nie-
derlegte. Was immer S e n n schrieb,
trug den Stempel der Gediegenheit,
war es Beschreibung einer Operations-
methode, einer Zelle, einer fremden
Klinik, eines Gebirgszuges oder eines
Menschen, alles war scharf beobachtet
und mit nicht zu verkennenden Stri-
chen gezeichnet. Dabei war sein Stil
vornehm, wie er selbst. Nie kam ein
triviales Wort über seine Lippen, er
lächelte aber immer gutmütig, wenn
andere sich Scherze erlaubten. So be-
einflusste er nicht bloss durch das ge-
sprochene Wort die Kollegen, welche
ihm viele Meilen weit her in seine bis
zu äusserster Fassungskraft gefüllte
Klinik zuströmten, sondern auch durch
sein Beispiel sorgfältiger Beobachtung,
die in die trefflichste Form gekleidet
war. Die Vorlesungen, welche er in
der ersten Hälfte der achtziger Jahre
über Infektion und Wundbehandlung
hielt, waren eine Pioniertat von uner-
messlichem Wert, wenn man bedenkt,
wie gross im Wilden Westen damals
noch die V erachtung des neuen We-
sens in der Chirurgie. Denn durch
Sen n's veredelnden Einfluss wurde in
erster Linie die im alten Schlendrian
fortwirtschaftende Chirurgie bekehrt
und somit tausend anderen lebensret-
tende Belehrung gebracht.
Sen n's Untersuchungen über Darm-
operationen gaben in der ganzen Welt
den Anstoss zum weiteren Aufbau die-
ser glänzendsten Domäne der heutigen
Chirurgie, in welcher Amerika ganz
gewiss nicht mehr an zweiter Stelle
steht. Die praktischen Ergebnisse sei-
ner Darmexperimente resultierten in
der Konstruktion von dekalzinierten
Knochenplatten zur Vereinfachung der
Darmnaht und in der Einführung des
Wasserstoffsuperoxyds bei Darmver-
letzungen zum Zwecke der Lokali-
sierung. Die Prüfung der Pankreas-
verletzungen Hess ihn zuerst an die
chirurgische Behandlung derselben
denken. Auch die Knochenchirurgie
dankt ihm wertvolle praktische Winke,
es möge nur an seine Naht beim Bruch
des Schenkelhalses erinrfert sein. Fra-
gen der Armeechirurgie nahmen eben-
falls sein Interesse in hohem Grade in
Anspruch, er war darin der amerikani-
sche Esmarch. Dies wurde im
spanisch-amerikanischen Kriege da-
durch anerkannt, dass man ihn dem
Generalstabsarzt der Armee zur Seite
stellte. Ohne seinen Einfluss wären
noch viel grössere Katastrophen ein-
getreten, als sie infolge des damaligen
Systems leider zu verzeichnen sind.
An Ehren und Auszeichnungen hat
es ihm weder hier noch in Europa ge-
fehlt. Sein Name war in allen Erde-
teilen wohlbekannt. Seine Patienten
verehrten ihn wie einen Abgott und
seine Studenten kannten in ihrer Be-
geisterung für ihn keine Grenzen. Sein
Familienleben war ungetrübt. Seine
hochgebildete Frau, die ihn nunmehr
so tief betrauert, schenkte ihm zwei
Söhne, welche sich beide in Chicago
einen chirurgischen Namen erworben
haben. Der oberste Grundzug seines
seltenen Charakters war das Gefühl
der Pflicht. Schonung seiner Person
kannte er nicht. Seine Bescheidenheit
war sprüchwörtlich. Wenn er zu uns
nach New York kam und sich mit dem
Geringsten leutselig unterhielt, hörte
man beim Abschied oft die Frage:
„Wie, dieser einfache Mann soll der
grosse Senn gewesen sein?" Nichts
konnte ihn mehr freuen, als anderen
gefällig zu sein. , Seine Generosität
kannte keine Grenzen. Wie unerhört
war die Munifizenz, den Hospitälern,
welche ihm doch so sehr verpflichtet
waren, mehr als die Hälfte seines Ver-
mögens bei Lebzeiten zuzuwenden !
Senn war ein amerikanischer Pa-
triot. Aber sein Herz schlug doch für
die deutsche Wissenschaft und die
deutschen Gelehrten. Wenn er ins
Plaudern kam, dann wurde er bei sei-
nen deutschen Erinnerungen oft auf-
fallend weich gestimmt. Er sprach
immer wohlmeinend von delinquenten
Kollegen. In dem kindlichen Herzen
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
387
des sonst so energischen Mannes fand
sich kein Raum für kleinliche Erwäg-
ungen. Er liess sich lieber betrügen,
als dass er der Stimme des Misstrau-
ens Gehör schenkte. In seinem Kreis
war auch der Profane gezwungen, we-
nigstens auf einen Augenblick bessere
Gefühle zu hegen. Er ist heimgegan-
gen, aber er hinterliess ein grosses
Vermächtnis. Sein Name wird in der
Geschichte der Medizin unvergessen
bleiben.
Meine Herren, ich fordere Sie auf,
sich zur Ehrung seines Andenkens zu
erheben. (Geschieht.) Ich danke Ihnen.
Vorträge.
Dr. H. Wolf: Die Lehre von
der Vasomotoren Lähmung als Grund-
lage der Hydrotherapie der Infektions-
krankheiten.
(Der Vortrag wird in der Monats-
schrift als Originalarbeit publiziert wer-
den.)
Diskussion. Dr. S. B a r u c h : Dem
Kliniker darf es eine grosse Genugtu-
ung sein, die Ideen, die er seit Jahren
als Rationale und Basis seines thera-
peutischen Handelns benützt hat, von
einem so tüchtigen und in der mo-
dernen Literatur bewandten Kollegen
vertreten zu hören. Dass ich den
Hauptpunkten des soeben gelieferten
Vortrags beistimme, ergeht aus dem
Faktum, dass ich seit dem Erscheinen
meines ersten Buches den unzweifel-
haften Einfluss des von H u t c h i n-
s o n sogenannten Hautherzens betont
habe. Wie jede klinische Wahrheit,
ist auch diese von neuen Forschern be-
stätigt worden. Es ist treffend, dass
Sie, meine Herren, eine solch klare
und lehrreiche Darstellung der wahren
Basis der Kaltwasserbehandlung ge-
hört haben, die einigen hoffentlich als
Beweis ihrer Wirksamkeit und an-
deren zur Beseitigung falscher Ideen
und Vorurteile dienen wird. Ich kann
dem werten Kollegen nicht ganz in der
Erklärung seiner Theorie der Kapil-
larenkontraktion durch die Hautmus-
keln beistimmen, wenn er behauptet,
dass diese Zusammenziehung der Ge-
fässe auf reflektorischem Wege durch
das Vasomotorenzentrum, welches
durch den Kältereiz erregt werden
soll, von statten geht. Der primäre
Effekt ist eine Kontraktion der Haut-
muskeln durch die Kälte. Diese erhöht
den ,, Tonus" in der Peripherie, welcher
durch die in dem Blute zirkulierenden
Toxine herabgesetzt worden ist. und
unterstützt auf diese Weise die Vasomo-
torenzentren (die kleinen und grossen)
mit Kraft. Meine Erklärung der Wir-
kung des kalten Bades ist folgende :
Es ist physiologisches Gesetz, dass
Kälte die glatte Muskulatur kontra-
hiert. Die Muskulatur der Haut wird
also zusammengezogen ; die Haut wird
gerunzelt (Gänsehaut). Die Hautka-
pillaren werden auf dieser Weise zu-
sammengezogen, denn sie besitzen
keine Muskulatur. Die Haut wird
blass und anämisch, wird aber durch
die Friktion mässig erwärmt. Die
Kontraktion der Muskulatur wird teil-
weise beseitigt. In demselben Mo-
ment werden die kleinen und grossen
Vasomotorenzentern durch den sen-
sorischen thermischen Reiz erregt —
erfrischt — und sie antworten durch
eine Erhöhung der Herzkraft und der
Spannung; das Blut wird mit vermehr-
ter Kraft in das ganze Gefässgebiet
getrieben, sodass die früher anämisier-
ten Kapillaren bald von arteriellem Blut
strotzen, wie Bier in seinen Experi-
menten bewiesen hat. Der mechani-
sche Reiz — die Friktion — erwärmt
die kalte Haut; die Ueberfüllung mit
arteriellem Blut erhöht die Tempera-
tur derselben und die abnorme Kon-
traktion der Hautmuskulatur lässt
nach und kehrt zu ihrem normalen Tonus
zurück ; gerade das entgegengesetzte, das
nach einem warmen Bad geschieht.
Die Resistenz der Hautmuskulatur ge-
gen die durch das stark zuströmende
Blut wieder dilatierten Kapillaren
bietet dem Herzen den nötigen Wider-
stand, der in einem normalen Zustand
des Vasomotorensystems besteht. Auf
diese Weise wird die Herzschwäche
und die sie begründende Erschlaffung
der peripheren Gefässe beseitigt, wie
es von keinem Medikament geschehen
kann. Auf diese Weise ist die toni-
sche Hyperämie der "Haut nach kalten
Bädern zu erklären. Ohne die direkte
Zusammenziehung der Hautmuskeln
und ihre später der Vasomotorener-
regung und Friktion folgenden Er-
388
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
wärmung würde die Herstellung ei-
nes verbesserten Zirkulationzustandes
scheitern. Ohne Friktion bleibt die
Hautmuskulatur starr und die Kapil-
laren füllen sich nicht, obgleich auch
die Vasomotoren erregt worden sind ;
das ist klinische Tatsache, denn der
Patient kollabiert, wenn er im kalten
Bade nicht gerieben wird. Die Frik-
tion bleibt deshalb das Hauptelement
des kalten Bades. Eines der wichtig-
sten Regeln der Hydrotherapie ist,
dass kaltes Wasser nie ohne Friktion
angewendet werden darf. Dass die
regelrechte Kaltwasserbehandlung des
Fiebers, wie sie B r a n d befürwortet,
nicht Gemeingut der Aerzte geworden
ist, erhellt aus einer in der „Deutschen
Klinik" im letzten Sommer erschie-
nenen Umfrage über die Behandlung
des Abdominaltyphus. Und dass die
Vernachlässigung der einfachsten
Grundsätze der Hydrotherapie daran
schuld ist, erhellt aus den Schriften
und Diskussionen der berühmtesten
Aerzte Deutschlands — vide Cursch-
m a n n in Nothnage Ys Cyclopae-
die, Artikel Typhus !
So lange wie Brand lebte und für
die präzise Technik seines Bades
kämpfte, ging die Mortalität des Ab-
dominaltyphus hinunter, wie aus den
Berichten der Militärbehörden bewie-
sen wurde. Die B r a n d'sche Methode,
die ganz auf eine Erhöhung des peri-
pheren Blutlaufs gestützt ist, wurde
aber nicht von deutschen Professoren
in Zivilhospitälern erprobt und fiel des-
halb ausser Gebrauch. In unserem
Lande ist es anders gegangen. Seit-
dem ich die Ehre hatte, die B r a n d'-
sche Methode in 1889 hier einzuführen
(ich spreche nicht von der Kaltwasser-
behandlung, sondern von der Methode
Brand) haben klinische Lehrer wie
F 1 i n t, Alfred L o o m i s, Dela-
f i e 1 d, Peabody, Osler, Bull
und andere die Technik und das Ra-
tionelle dieser Prozedur geprüft und
verbreitet. Die Antworten auf die
oben erwähnte „Umfrage" erwähnten
kalte Bäder mit Indifferenz oder Spott.
Im Gegenteil hat eine von mir vor eini-
gen Wochen angestellte Umfrage er-
wiesen, dass O s 1 e r's Nachfolger im
Johns Hopkins Hospital, Professor Bar-
k e r in Philadelphia, die Professoren
Wilson, Tyson und M u s s e r in
New York, der soeben hingeschiedene
Loomis und die Professoren
Thompson und James dieses Bad
als die beste Behandlung des Abdomi-
naltyphus betrachten.
In seinem in 1903 erschienenem
Werke, „Practice of Medicine," betont
Gilman Thompson die Tatsache,
dass die Mortalität in den New Yorker
Hospitälern durch die Einführung des
regelrechten Brau d'schen Bades um
die Hälfte reduziert worden ist.
In der Technik des kalten Bades
spielt der Zustand des Vasomotoren-
systems eine grosse Rolle. Deshalb ist
der Vortrag, den Sie, meine Herren,
soeben gehört haben, nicht bloss von
akademischem Wert. Wie kalt das
Wasser sein soll, wie lange das Bad
dauern soll und wie oft es gegeben
werden soll, hängt ganz von der In-
tegrität des V asomotorensystems ab.
Im ersten Stadium zum Beispiel eines
Typhus, ehe das Nervensystem die Re-
flexaktion betäubt oder abgeschwächt
ist, darf und soll das Bad 70 bis 65° F.
sein ; hier ist die strikte B r a n d-Me-
thode anzuwenden ; in der zweiten
oder dritten Woche sind die Reflexe
oft so deprimiert, dass kürzere Bäder
und häufigere angewandt werden müs-
sen.
Derjenige Arzt, der die Prinzipien
der Hydrotherapie beherrscht und des
wichtigen Anteils des Vasomotorensy-
stems in der Therapie der Infektions-
krankheiten bewusst ist, wird die
meisten Leben retten.
Dr. H. Wolf (Schlusswort): Ich
habe auf die Worte des Dr. B a r u c h
zu erwiedern, dass es noch nicht sicher
erwiesen ist, ob der Einfluss der Kälte-
reize auf die glatten Muskelfasern
mittelbar oder unmittelbar ist.
Schulz hat nachgewiesen, dass die
Wirkung ausblieb, wenn er den Mus-
kel mit Kokain benetzte.
Was nun die Friktion anbetrifft, so
muss ich die Notwendigkeit derselben
bei kalten Bädern nochmals mit B a-
ruch betonen ; kein kaltes Bad ohne
mechanische Einwirkung. Ob diese
in einer Reibung oder in dem Druck
(Dusche) besteht, ist gleichgiltig.
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
389
c) Dr. A. H e r z f e 1 d : Zur Behand-
lung der Migräne.
(Wird als Originalartikel in der Mo-
natsschrift veröffentlicht werden.)
Diskussion. Dr. Jos. Fraenkel:
Ich kann nur unterschreiben, dass
man individualisieren muss, und
dass die Migräne keine Erkrankung
sui generis ist, keine Erkrankung, die
eine definitive pathologische Anatomie
hat, denn das ist es wohl, was wir bis
jetzt Morbus sui generis nennen, und
dass wir eingestehen, dass wir weder
eine genaue Pathogenese noch eine ge-
naue Pathopbysiologie oder pathologi-
sche Anatomie der Migräne haben.
Nichtsdestoweniger möchte ich die
Ausführungen von Dr. H. Herzfeld
etwas wärmer befürworten, und zwar aus
folgenden Gründen : Wir geben zu, dass
es für die Majorität der Migränefälle
keine definitive pathologische Basis
und demnach auch keine definitive
allgemeine giltige in jedem Falle anzu-
wendende Therapie gibt, aber wenn
wir doch an der Hand aller früheren
Erfahrungen und unserer eigenen Er-
fahrungen uns ein Bild von der Häu-
figkeit und den häufigen Formen der
Migräne entwerfen, so kommen wir
zu folgendem praktischen Resultat:
Wenn wir unter Migräne folgenden
Symptomenkomplex verstehen : einen
auf hereditärer Basis sich entwickeln-
den, in gewissen bestimmten Perioden
wiederkehrenden Symptomenkomplex,
der sich zusammensetzt aus den Phä-
nomenen, wie sie Dr. H e r z f e 1 d be-
schrieben hat, aus gastrointestinalen,
vasomotorischen und cerebrospinalen
Symptomen, so kann man das eine Mi-
gräne nennen. Nun wenn wir diese
Definition auf unsere praktische Er-
fahrung anwenden, so würde ich sagen,
dass das die Majorität der Fälle von
einseitigem Kopfschmerz deckt, die
uns in der Klinik und Praxis begegnen.
Die sehr viel selteneren Fälle, die erwähnt
wurden, sind eine sehr rare Form der
Erkrankung, und es ist sehr fraglich, ob
sie überhaupt derjenigen Migräne zuzu-
rechnen sind, die Dr. H e r z f e 1 d heute
hat zur Diskussion bringen wollen. Ich
muss sagen, dass ich selbst in einer Reihe
von Jahren kaum mehr als zwei Fälle
von Migraine ophthalmoplegique ge-
sehen habe. Wo wir die Fälle von
Migraine ophthalmoplegique hinsetzen,
ist für den Moment unentschieden.
Die Entscheidung des pathogeneti-
schen Verhältnisses der gastrointesti-
nalen zu den cephalen Symptomen ist
selbstverständlich äussert schwer. Es
kann kein Mensch sagen, ob die gastro-
intestinalen Symptome das primäre
und die cephalen das sekundäre sind
oder umgekehrt. Meine eigene Erfah-
rung steht unter dem Einfluss der Auf-
fassung, wie sie Dr. H e r z f e 1 d vor-
getragen. Dass die meisten Formen
der reinen Migräne und der analogen
Formen von Nervenaffektion hervor-
ragend von irgend einer gastrointesti-
nalen oder ,,Stoffwechsel"-Ursache be-
dingt sind, ist mir zur Ueberzeugung
geworden. Ich habe die Sache seit
drei, vier Jahren genauer verfolgt, und
jeder einzelne meiner Migränefälle
wird daraufhin gründlich geprüft. Ich
will das an ein paar Beispielen erläu-
tern. Ich habe gegenwärtig unter Be-
handlung zwei Fälle, einen Zahnart
und einen Bruder des Herrn. Der
Zahnarzt hat, was man typische An-
fälle von Migräne nennt. Alle 3, 4, 6
Wochen bekommt dieser Herr einen
Anfall, der manchmal mit einer opti-
schen Aura einherläuft, manchmal mit
Erbrechen oder ohne dasselbe. Bei
diesem Herrn fand sich regelmässig
einige Tage vor dem Anfall eine mäch-
tige Anhäufung von Indikan im Harne,
sodass mein Laboratoriums- Assistent
mir im vorhinein sagte, was vorgeht.
Gleichzeitig war damit ein mächtiger
Krampf im ganzen Dickdarm assoziert,
der sich dann in der Form des Stuhles
zeigt. Unter solchen Umständen löst
sich der Anfall aus. Eine auf diese
Verhältnisse gerichtete Therapie hat
den Herrn die letzten drei Jahre mi-
gränefrei gehalten. Der Bruder dieses
Herrn leidet an Anfällen, die ins Gebiet
des Petit mal gehören. Der Befund im
Darm ist analog dem bei seinem Bruder,
und die in derselben Weise eingeleitete
Therapie hat eine ganz unstreitige Bes-
serung im Zustande des Patienten be-
wirkt.
Davon unterscheidet sich klinisch
eine andere Klasse von Fällen. Da ist
ein Vater und zwei seiner Söhne, die
390
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
alle drei Migräneanfälle haben, ein
Herr, 40 Jahre alt, und ein Junge von
10 und einer von 17 Jahren. In diesen
drei Fällen konnte dieselbe Therapie
gar keinen Erfolg zeigen, und die ganz
genaue Untersuchung des Stuhls hat
gar keine Anhaltspunkte ergeben. Das
ist ein Typus, der sich jedenfalls von
der Migräne ablöst und pathologisch
nicht erkennbar ist. Ebenso - ist der,
welcher Störungen wie vorübergehend
leichte Hämoplegien oder Augenmus-
kelstörungen hat, praktisch nicht zu
berücksichtigen bei der Pathogenese
der gewöhnlichen, praktisch häufigen
Migräne. Ich glaube mit der Bemer-
kung schliessen zu können, dass für die
häufigen Formen, die wir in der Praxis
sehen, die von Dr. H e r z f e 1 d skiz-
zierte Auffassung wohl gegenwärtig
vom praktischen Standpunkt aus die
richtigste ist.
Dr. G. M annheimer: Ich glaube,
dass zum Zustandekommen der Mi-
gräne zwei Dinge gehören, eine Prädis-
position und auslösende Momente. Die
Migräne ist ja häufig, wie Dr. F r a e n-
k e 1 sagt, Familienkrankheit. Eine
sehr häufige Prädisposition ist die
gichtische.
Trousseau erwähnt mehrere
charakteristische Beispiele, wro bei
demselben Menschen in der Jugend
Migränanfälle bestanden, die späterhin
von Gichtanfällen abgelöst wurden;
oder wo Asthma und Migräne, Haut-
ausschläge und Gichtanfälle abwechsel-
ten. Auslösende Momente können bei
Leuten, die zu Migräne prädisponiert
sind, Verdauungsstörungen sein, Auf-
regungen, Ueberanstrengungen oder
irgend ein anderes Moment. Wenn
aber Dr. H e r z f e 1 d auf Magenatonie
ein so grosses Gewicht legt, so wird es
sich doch empfehlen, für die betreffen-
den Fälle etwas genauere Angaben zu
machen. Besteht denn wirklich Ato-
nie? Ich verstehe unter Atonie mo-
torische Insuffizienz des Magens.
Wenn man bei einem Migränefall ver-
mutet, dass motorische Störungen das
auslösende Moment sind, so muss man
der Sache auf den Grund gehen. Man
untersucht den Chemismus und die
Motilität des Magens. Daraus wird
sich etwas Bestimmtes für die Behand-
lung ableiten lassen.
Den Autointoxikationen vom Darm-
kanal aus legt man heutzutage alle
möglichen Zustände zur Last. Man
spricht von Toxinen, die im Darm er-
zeugt werden und bei mangelhafter
Xieren- und Lebertätigkeit in den
Kreislauf übergehen. Ich habe die
Frage in der letzten Zeit genau stu-
diert und habe mich überzeugt, dass
sehr wenig Tatsächliches, Greifbares
dahinter ist. Ob im Urin etwas mehr
Indikan oder Phenol ist, das macht
nicht viel aus. Es handelt sich ja auch
nicht bloss um die Untersuchung des
Urins sondern auch des Kotes und des
Lungengaswechsels. Eine Lntersuch-
ung des Urins auf Indikan und Azeton
etc. ist doch noch keine Stoff wecnsel-
untersuchung. Wir Praktiker können
diese Untersuchungen nicht machen,
aber viele Forscher haben das oft ge-
nug getan, und aus deren Ergebnissen
schliesse ich, dass von der sogenann-
ten Autointoxikation wenig sicheres
übrig bleibt.
Dr. H e r z f e 1 d hat kalte Bäder ge-
folgt von kalten Abreibungen für die
Behandlung empfohlen. Das ist eine
etwas vage Vorschrift und ich zweifle
nicht, er wird seinen Patienten etwas
genauere Direktionen geben. Jeden-
falls ist die Hydrotherapie eines der
mächtigsten Mittel, um die Diathese,
die der Migräne zu Grunde liegt, im
Intervall zu bekämpfen. Ich habe seit
einigen Jahren Migräne-Patienten im
Intervall Natrium salicylicum mit Xa-
triumbromat, eine Dosis abends vor
dem Schlafengehen, gegeben, und zwar
mit Erfolg, da wo die Ursache der Mi-
gräne nicht zu ergründen war. S e-
gu i n hat die Behandlung mit Canna-
bis Indica für das Intervall sehr warm
empfohlen.
Dr. A. Herzfeld (Schlusswort):
Ich habe gleich im Anfang meines
Vortrages die Bemerkung gemacht,
dass ich in allen Fällen der Migräne
diese Behandlungsmethode angewandt,
in den meisten Fällen mit gutem Er-
folg. Dass die Migräne nur ein Symp-
tomenkomplex ist und kein morbus
sui generis, habe ich ebenfalls er-
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
39i
wähnt, desgleichen, dass eine neuro-
pathische Veranlagung nötig ist und
häufig der auslösende Reiz vom Ma-
gendarmkanal ausgeht. Weiter habe
ich nichts zu sagen.
Präsident Dr. Carl Beck: Ich
habe Ihnen noch eine wichtige Mitteil-
ung zu machen. Ende nächsten Mo-
nats wird kein geringerer als Prof.
Robert Koch nach New York
kommen. Es ist doch selbstverständ-
lich, dass vor allen Dingen die Deut-
sche Medizinische Gesellschaft daran
ein Interesse nimmt. Ich glaube, Sie
werden alle mit mir darin eins sein,
dass die starke Indikation vorliegt,
von der Anwesenheit Robert
Kochs Notiz zu nehmen. Wir haben
ihn oft genug in unseren Versammlun-
gen erwähnt. Ich möchte Sie bitten,
Vorschläge zu machen, welche dahin
gehen, wie man ihn feiern kann, ob
durch ein Bankett oder etwas derarti-
ges.
Nach kurzer Debatte beschliesst die
Versammlung, dem Verwaltungsrat
Vollmacht zu geben, eine Robert
K o c h-Feier einzuleiten.
Präsident Dr. CarlBeck: Im An-
schluss an die Zeitschriftenangelegen-
heit möchte ich noch um Ihre Instruk-
tion bitten. Nach unserer Geschäfts-
ordnung sollten derartige Fragen am
Schluss der Vorträge behandelt wer-
den. Aber Sie sehen, wie es geht.
Wenn es 10 Uhr geschlagen hat, d?na
gehen die meisten Kollegen fort. Da
Sie nun beschlossen haben, dass die
Angelegenheit lh.der nächsten Srföuhg.
vorkommt, so sind wir eventuell in
prekärer Lage. Instruieren Sie mich
deshalb gefälligst, welcher Platz dieser
Diskussion angewiesen werden soll.
Nach der Vorstellung von Patienten
etwa, oder wollen Sie eine bestimmte
Zeit festsetzen, sodass wir nicht wie-
der gehindert sind dadurch, dass der
eine oder andere noch nicht da ist oder
nicht länger bleiben kann.
Dr. Carl Pfister: Da die Sache
bekannt gemacht wird, so wird wohl
jeder, der ein Interesse daran hat, hier
bleiben ; aber ich glaube, wir müssen
uns strikt an die Geschäftsordnung
halten, die vorschreibt, dass derartige
Sachen nach dem Vortrag behandelt
werden.
Präsident Dr. CarlBeck: Wir ha-
ben in der nächsten Sitzung vier Vor-
träge ; es wird also sehr spät werden.
Dr. G. M ann heimer: Dr. Pfis-
ter bemerkt ganz richtig, dass die Ge-
schäftsordnung vorschreibt, dass spe-
ziell geschäftliche Angelegenheiten
nach der wissenschaftlichen Diskus-
sion folgen sollen. Das wird aber nicht
gehen, wenn vier Vorträge gehalten
werden. Ich stelle daher den Antrag,
dass nur zwei Vorträge auf das Pro-
gramm kommen und zum Schluss die
I '.esprechung des Verhältnisses der Ge-
sellschaft zur Monatsschrift auf Grund
des Komiteeberichts.
Die Versammlung beschliesst die-
sem Antrag gemäss.
Präsident Dr. Carl Beck: Herr
Dr. Tombo hat gebeten, seinen Ge-
halt als Stenograph zu erhöhen. Er
hat sehr grosse Arbeit. Der Verwal-
tur.gsrat ist dafür, dass diese Frage in
Verbindung mit der Frage der Unter-
1 Stützung der Monatsschrift behandelt
wird.
Aaf Antrag aus der Mitte der Ver-
I Sammlung erklärt sich diese mit dem
Vorschlag des Verwaltungsrats einver-
standen.
Hierauf tritt Vertagung ein.
Schluss der Sitzung um 10:15 Uhr.
Dr. J. Heckmann,
Prot. Sekretär.
Therapeutische und klinische Notizen.
— ■ Trockcnbchandlung der Gonorrhöe. Zum
Einhlasen von Pulvern in die Urethra bedient
sich Zeuner in Berlin eines von W i n d-
1 e r, Berlin N., Friedriclistr. No. 133 a, herge-
stellten, Pulveral genannten Pulverbliisers.
Nachdem durch Urinieren die Schleimhaut
von Sekret gereinigt, das Orificium gut abge-
trocknet worden ist, wird die zur Aufnahme
des Pulvers bestimmte Schaufel gestrichen
voll beladen, das Glasrohr in das sich an-
schliessende Hartgummirohr fest eingescho-
ben, die Ansatzspitze in das Orificium einge-
392
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
führt und durch viermaliges kräftiges Aus-
drücken des Gummiballons die ganze Pulver-
menge eingeblasen. Die eingetriebene Luft
entweicht bald wieder. Dass das auf diese
Weise eingeblasene Xeroform bis in die
Pars bulbosa in bester Verteilung und in reich-
licher Menge gelangt, konnte auch Professor
P o s n e r, dem Verfasser sein Verfahren
demonstrierte, mittels Endoskops konstatieren.
Das vom Verfasser bevorzugte Xeroform, das
austrocknend, schmerzstillend, reizlos und
keratoplastisch wirkt, haftet gut an der
Schleimhaut, reduziert die Eiterproduktion
schnell und kann durch Förderung der Ueber-
häutung ohne Narbenbildung Strikturen ver-
hindern. Die durch die Lufteinblasung ver-
ursachte Dehnung der Urethra kann das bei
narbiger Verengerung schwierige Durchführen
von Sonden und die Urinentleerung ohne Ka-
theter erleichtern. Die neue Behandlungsme-
thode verdient gewiss Beachtung. Die Pul-
verbehandlung ist auch bei Frauen durchführ-
bar. (Berliner klinische Wochenschrift, No.
2S> 1907- )
Kleine Mitteilungen.
— Geheimrat Carl v. Voit ist am 31.
Januar gestorben. Der Gelehrte hatte noch
nach Ablauf der Weihnachtsferien seine Vor-
lesungen wieder aufgenommen. Doch machten
sich schon bald darauf Krankheitserscheinun-
gen geltend, die ihn zum Entschluss brachten,
um die Enthebung von seinem Lehramt nach-
zusuchen. Von da an machte der Verfall
rasche Fortschritte. Die Sektion ergab als
Todesursache Miliartuberkulose. Der Tod
Voit's trifft die Universität München, mit
der er 45 Jahre hindurch aufs engste verbun-
den war, schwer. Nicht nur weil sie ihren be-
rühmtesten Forscher und Lehrer mit ihm ver-
liert, sondern auch weil Voit's Persönlichkeit
mit ihrer Verkörperung aller guten Charakter-
eigenschaften, ihrer Erfahrung, i Pflichttreue,
Rechtlichkeit im Rate des Senats und der Fa-
kultät schlechthin unersetzlich ist. Die Mün-
chener Aerzte sind zum. grösste-i Teil' Vi) i t/9
Schüler. Sie bewahren ihm ein* dankbares und
unauslöschliches Andenken. (Münchener med.
Wochenschr.)
— Erschliessung einer neuen Thcrma quelle
in Karlsbad. Anlässlich der Sanierungsarbei-
ten im Quellengebiete in Karlsbad wurde bei
Neufassung des Mühlbrunnens eine Therme
von besonders hoher Temperatur und grosser
Ergiebigkeit erschlossen. Dieselbe dürfte die
gleiche sein, welche schon gegenwärtig den
Mühlbrunnen speist. Die Temperatur der
Quelle beträgt 500. Ob bei Au rindung der
Quelle nicht etwa der unterirdisch Zuleitungs-
weg einer schon lang erschlossenen Quelle an-
gefahren wurde, muss abgewa. 'et werden.
Ein abschliessendes Urteil wird trst möglich
sein, wenn die neu erschlossene Quelle ge-
tl'ume. Zeit hindurch in bezug auf Ergiebig-
keit,' Steighöhe und Temperatur konstant
bleibt und dfe übVigen Quellen unberührt lässt.
< Allgemeine Wiener Cied. Zeitung.)
— Der 37. Kongrcss der Deutschen Gesell-
schaft für^ Chirurgie rindet vom 21. bis 24.
Apr>i!, der / Kongress der Deutschen Gesell-
schaft für orthopädische Chirurgie am 25.
April d. J. im Langenbeckhause in Berlin statt.