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Full text of "New Yorker medizinische Monatsschrift"

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https://archive.org/details/newyorkermedizin1919unse 


Offlcial  Organ  of  tte  German  Metel  Societies  of  New  Tort,  Chicaio,  Cleveland  anfl  San  Frau«», 


Rew  Vorker 


IfledizinifdK  monatsfcbrift 


Offizielles  Organ  der  Deutschen  medizinischen  Gesellschaften  der  Städte  new  Vork, 
Chicago,  Gleveland  und  San  Trancisco. 


Redigiert  von  Dr.  A.  Ripperger. 

Office.  50  W.  I30th  Street,  New  York  City,  N.  Y.     Telephone  Call,  2<&0  Hartem.,  ,  . 

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JNcw  Yorker 

JVIedizinische  Monatsschrift 

Offizielles  Organ  der 

Deutzen  medizinifdicn  ßefellfcbaften  der  Städte  Hew  V»rh, 
Chicago,  Ciewiand  und  San  Trancisco. 

Redigiert  von  Dr.  A.  Ripperger. 
Bd.  XIX.  New   York,   1907.  No.  r. 


Originalarbeiten. 


Uebcr  die  Anwendung  löslicher  Quecksilber-Präparate  bei  der  inneren  Be- 
handlung der  Syphi  is.* 

Von  Dr.  Hermann  G.  Klotz,  New  York. 


Mag  man  auch  noch  so  grosse  Vor- 
liebe für  andere  Methoden  der  Quecksil- 
berbehandlung  Syphilitischer  haben,  so 
begegnet  man  in  der  Praxis  immer  einer 
Anzahl  von  Fällen,  in  denen  infolge 
verschiedener  Umstände  die  Einführung 
des  Quecksilbers  durch  den  Mund  und 
den  Verdauungstrakt  die  einzige  an- 
wendbare Methode  bleibt.  Hier  in  den 
Ver.  Staaten  ist  sie  jedenfalls  immer 
noch  die  von  der  grössern  Mehrzahl  der 
Aerzte  bevorzugte  Behandlung.  Sieht 
man  sich  in  der  periodischen  Literatur 
sowie  in  Lehr-  und  Handbüchern  um. 
so  wird  die  Y^erabreichung  in  Pillenform 
beinahe  ausschliesslich  berücksichtigt, 
und  das  gelbe  oder  grüne  Quecksilber jo- 
did,  das  Protojoduret  wird  ganz  allge- 
mein empfohlen,  wenigstens  während  der 
frühen  Stadien  der  Krankheit ;  nur  bei 
späteren  Erscheinungen  wird  von  eini- 
gen Autoren  dem  „mixed  treatment", 
der  Verbindung  des  Sublimats  oder  des 
roten  Quecksilber jodids  mit  Jodkalium 
der  Vorzug  gegeben.  Wahrscheinlich 
legen  sich  nur  wenige  von  den  Aerzten, 
welche  das  Protojoduret  verschreiben,  je 


*)  Vortrag,  gehalten  in  der  Deutschen  Med. 
Gesellschaft  der  Stadt  New  York. 


die  Frage  vor,  warum  sie  gerade  dieses 
Präparat  anwenden ;  bei  vielen  ist  irgend 
ein  Symptom,  oft  nur  der  Verdacht  auf 
Syphilis  unvermeidlich  mit  der  gelben 
Pille  oder  Tablet  verknüpft.  Auch  ver- 
schiedene Verfasser  von  Lehrbüchern, 
wie  G  r  e  eü  e  in  dem  von  Hangs  und 
H  a  r  d  a  w  a  y  herausgegebenen  S  a  u  n- 
d  e  r'schen  Sammelwerke,  geben  keine 
Gründe  für  die  Bevorzugung  dieses  Prä- 
parates an  ;  es  hat  den  Anschein,  als  be- 
dürfe es  angesichts  der  allgemeinen  An- 
wendung hier  zu  Lande  und  namentlich 
auch  in  Frankreich  keiner  Rechtfertig- 
ung. F.  W.  White  in  M  o  r  r  o  w's 
System  (II.  p.  732)  ist  geneigt,  dem  ge- 
ringen Gehalt  an  Jod  einen  wohltätigen 
Einfluss  zuzuschreiben,  aber  in  der 
Hauptsache  glaubt  er  doch,  dass  das  Pro- 
tojoduret aus  dem  praktischen  Grunde 
den  Y7orzug  verdiene,  dass  es  in  der  An- 
wendung von  Seiten  Hunderter  von  Au- 
toren in  zehntausenden  von  Fällen  gute 
Resultate  ergeben  und  so  die  Probe  be- 
standen habe.  K  e. y  es  (in  K  e  y  e  s  und 
C  h  e  t  w  o  o  d.  Venereal  Diseases,  1900) 
gibt  für  seine  als  tonische  bezeichnete 
Behandlungsmethode  dem  Protojoduret 
den  Vorzug  vor  dem  Sublimat,  übrigens 
einem  in  hohem  Grade  tonisch  wirken- 


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New    Yorker    Medizinische  Monatsschrift. 


den  Präparat,  vor  der  blauen  Pillen- 
masse und  dem  Kalomel,  ohne  die 
Brauchbarkeit  dieser  in  Abrede  zu  stel- 
len. Aber  er  sagt,  dass  dieselben  den 
Darmkanal  nicht  in  so  genügender  Weise 
wie  das  Protojoduret  reizen;  das  letztere 
äussert  seine  warnende  Stimme,  dass  man 
die  Maximaldose  im  einzelnen  Falle  er- 
reicht habe,  während  der  Patiönt  noch" 
weit  entfernt  von  der  Salivationsgefahr 
sich  befindet.  K  e  y  e  s  wendet  die  Gar- 
nier-Lamoureux'schen  mit  Zucker  über- 
zogenen Pillen  an,  die  nicht  wie  die  gel- 
ben Pillen  und  Kügelchen  das  chemisch 
reine  gelbe  Protojoduret  enthalten,  son- 
dern gleichmässig  eine  Mischung  von 
gelbem  und  unreinem  grünen  Protojodu- 
ret, Einsprengungen  von  rotem  Queck- 
silber joduret,  kleine  Kugeln  metallischen 
Quecksilbers  und  eine  Spur  freien  Jods. 
Indessen  legt  er  dem  Präparat  keine 
spezifische  Wirkung  bei ;  man  könne  jede 
Verbindung  brauchen,  solange  dieselbe 
nur  in  ganz  kleinen  Dosen  verteilt  werde, 
so  dass  man  dieselben  beliebig  versuchen 
könne.  Er  erwähnt  auch  die  Verabreich- 
ung des  'Sublimats  in  Tinctura  Ferri  ses- 
quichlorati  aufgelöst  als  eine  nützliche 
Verbindung;  die  Dose  für  das  Sublimat 
solle  mit  1/50  bis  1/100  Gran  begonnen 
werden.  R.  W.  Taylor  ( Gen.  Urin 
and  Vener.  Dis.,  1904,  p.  674)  spricht 
sich  zu  Gunsten  des  Protojodurets  aus, 
ohne  Gründe  dafür  anzugeben  ;  allein  er 
zählt  die  Nachteile  anderer  Präparate 
auf,  darunter  die  des  Sublimats,  das  sehr 
häufig  Schmerzen  in  der  Brust  und  in 
den  Eingeweiden  und  Reizung  des  gas- 
tro-intestinalen  Kanals  hervorruft ;  man 
könne  sich  auf  dasselbe  nicht  verlassen, 
denn  in  kleinen  innerlichen  Gaben  habe 
es  nur  sehr  geringe  oder  gar  keine  Wirk- 
ung und  in  grössern  Gaben  sei  es  zu 
reizend.  Taylor  spricht  sich  nicht 
darüber  aus,  ob  sich  dies  auf  die  An- 
wendung in  Form  von  Pillen  oder  in 
Lösung  beziehe.  Weiterhin  aber  (p. 
679)  empfiehlt  er  in  späteren  Stadien  der 
Krankheit  eine  Auflösung  des  Deuto jo- 
duret s    (2 — 4   Gran   mit   J/2  Drachme 


Jodkalium  in  2>l/2  Unzen  Tinct.  Cincho- 
nae  compos.  und  y2  Unze  Wasser)  mit 
dem  ausdrücklichen  Bemerken,  dass  in 
dieser  Form  das  Quecksilber  der  wirk- 
same Teil  ist  und  das  Jod  nur  dazu  dient, 
es  in  Lösung  zu  erhalten.  Dieser  Mixtur 
erteilt  er  das  Lob  ausserordentlicher 
Wirksamkeit,  .sie. werde  in  der  Regel  vom 
Magen  gut  vertragen,  aber  man  müsse 
bei  ihrer  Anwendung  sehr  vorsichtig 
sein. 

Deutsche  Syphilidologen  empfehlen  in 
der  Hauptsache  andere  Methoden  der 
Quecksilberbehandlung  und  schenken 
der  inneren  Anwendung  nur  wenig  Be- 
achtung ;  meistens  aber  werden  auch  in 
erster  Linie  die  Protojoduretpillen  ge- 
nannt, obgleich  Kaposi,  Neumann, 
Lang  und  Z  e  i  s  s  1  das  Sublimat  in 
Lösung  erwähnen,  aber  mit  der  Warn- 
ung, w  ährend  der  Anwendung  den  Darm- 
kanal genau  zu  überwachen.  Mehr  als 
in  irgend  einem  andern  Lande  des  euro- 
päischen Kontinents  hat  die  innerliche 
Behandlung  mit  Quecksilber  in  Frank- 
reich das  Feld  behauptet,  bis  in  neuerer 
Zeit  die  hypodermatischen  oder  intra- 
muskulären Einspritzungen  viele  Anhän- 
ger gefunden  haben.  Es  existierten  da 
eine  Menge  beliebter  Formeln  für  Li- 
queurs,  Syrups,  Pillen  etc.  Mauriac, 
der  jüngst  verstorbene  verdienstvolle 
Syphilidologe,  sieht  in  seinem  Buch 
(Traitement  de  la  Syphilis,  1896,  p.  195) 
das  Sublimat  und  das  Protojoduret  für 
die  am  meisten  benutzten  Präparate  an, 
das  erstere  auf  die  Autorität  von  v. 
S  w  i  e  t  e  n  und  Boerhave  hin,  das 
letztere  verdanke  seine  Popularität  wohl 
am  meisten  der  Empfehlung  R  i  c  o  r  d's. 
Mauriac,  augenscheinlich  vorwiegend 
die  Anwendung  in  Pillenform  im  Auge 
habend,  unterzieht  die  verschiedenartige 
Wirkung  der  beiden  Präparate  einer  ge- 
nauen Prüfung,  ohne  einem  derselben 
absolut  den  Vorzug  zu  geben ;  vielmehr 
empfiehlt  er,  im  einzelnen  Falle  die  Wahl 
entsprechend  den  bestehenden  Verhält- 
nissen anzupassen.  Das  Sublimat,  ein 
scharfes  und  ätzendes  Gift,  äussert  sei- 


New    Yorker    Medizinische  Monatsschrift. 


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nen  Einfluss  mehr  auf  den  Magen  als 
auf  den  Darm.  Gibt  man  dasselbe  in 
entsprechend  kleinen  Dosen,  so  klagen 
manche  Patienten,  namentlich  im  An- 
fang der  Behandlung,  über  kneifende 
krampfartige  Schmerzen  im  Magen, 
leichtes  Brennen  etc.  Diese  mögen  all- 
mählig  verschwinden  oder  anhalten  und 
eine  wirkliche  Gastralgie  zur  Folge  ha- 
ben. Im  allgemeinen  vertragen  Frauen 
das  Sublimat  viel  weniger  gut  als  Män- 
ner. Man  soll  die  Behandlung  nicht  zu 
lange  fortsetzen,  doch  habe  er  Patienten 
4  bis  5  Zentigramm  (2/3  bis  5/6 
Gran)  pro  die  monatelang  ohne  den 
geringsten  Nachteil  nehmen  sehen.  Pil- 
len verursachen  leichter  Störungen  als 
der  Liquor  von  Van  Swieten,  aber 
dieser  sei  manchen  Patienten  wegen  sei- 
nes unangenehmen  Geschmacks  zuwider. 
Dem  könne  man  bis  zu  einem  gewissen 
Grade  abhelfen  dadurch,  dass  man  einer 
genügenden  Menge  Wasser  etwas  Syrup 
oder  aromatische  Substanz  wie  Kognak, 
Rum  oder  Kirschwasser  zusetze.  Allein 
er  fügt  die  sehr  gerechtfertigte  Besorg- 
nis hinzu,  dass  manche  Patienten  sich 
verleiten  lassen  möchten,  mit  dem  Aro- 
matisieren zu  weit  zu  gehen.  Das  Pro- 
tojoduret greift  den  Darm  mehr  an  als 
den  Magen  und  zwar  in  Gestalt  leichter 
Koliken,  einer  leichten  Diarrhoe  nament- 
lich in  den  ersten  3  bis  4  Tagen,  aber  oft 
auch  erst  im  Verlauf  der  Behandlung, 
Gastralgie  oder  Dyspepsie  kommen  sel- 
ten vor,  dagegen  ruft  es  frühzeitig  Gin- 
givitis und  Stomatitis  hervor.  Im  all- 
gemeinen solle  man  daher  das  Sublimat 
geben,  wo  der  Zustand  der  Mundhöhle 
und  des  Darms  berücksichtigt  werden 
muss.  und  das  Protojoduret  den  Dyspep- 
tikern.  Fs  ist  behauptet  worden,  dass 
das  SuHimat  eine  tiefere  und  dauerndere 
Wirkung:  auf  die  Syphilis  zu  entfalten  im 
stände  sei.  und  dass  dasselbe  daher  mehr 
bei  Snätformen.  inveterierten  und  terti- 
ären Svmptornen  zur  Anwendung  kom- 
men solle  und  das  Protojoduret  in  frühe- 
ren Stad'p'r  M  a  u  r  i  a  c  gibt  diese  ge- 
ringere Wirksamkeit  des  Protojodurets 


nicht  zu,  da  man  es  wenn  nötig  in  viel 
grösseren  Dosen  geben  könne,  als  durch- 
schnittlich geschieht.  Im  Betreff  eines 
gewissen  Grades  von  Salivation  wirft  er 
die  Frage  auf,  ob  dieser  nicht  unter  Um- 
ständen nötig  sei.  Wer  sich  von  dem 
fast  vollständigen  Ausbleiben  von  Sto- 
matitis oder  auch  nur  der  leichtesten 
Reizung  des  Zahnfleisches  und  der 
Mundhöhle  während  der  Anwendung  in- 
tramuskulärer Einspritzungen  von  Sali- 
zylquecksilber  und  andern  unlöslichen 
Ouecksilberpräparaten,  oft  auch  des  Ka- 
lomels  überzeugt  hat,  in  Gegenwart  oft 
ganz  auffälliger  therapeutischer  Wirk- 
ung, wird  kaum  geneigt  sein,  die  Saliva- 
tion und  andere  unangenehme  Zugaben 
der  merkuriellen  Behandlung  für  vor- 
teilhaft oder  notwendig  anzusehen. 

Meine  eigene  Erfahrung,  die  sich  über 
etwa  30  Jahre  erstreckt,  stimmt  nicht 
überein  mit  der  allgemeinen  günstigen 
Ansicht  von  der  Wirkung  des  Proto- 
jodurets in  Pillen.  Als  ich  mich  mehr 
speziell  mit  der  Behandlung  der  Syphi- 
lis zu  beschäftigen  anfing,  wandte  ich 
ohne  Vorurteil  ebenfalls  meistens 
dieses  Präparat  an,  nach  den  üblichen 
Regeln,  gewöhnlich  in  Verbindung  mit 
kleinen  Dosen  von  Opium,  in  vollem 
Vertrauen  auf  die  Richtigkeit  der  all- 
gemeinen günstigen  Ansicht  über  die 
Vorzüge  des  Präparats.  Die  Wirk- 
samkeit betreffend,  so  war  kein  Grund 
zur  Unzufriedenheit  vorhanden,  so- 
lange der  Verlauf  der  Krankheit  sich 
innerhalb  der  als  normal  zu  bezeich- 
nenden Grenzen  hielt.  Syphilide  und 
besonders  die  schuppenden  papillären 
Syphilide  der  Hohlhände  und  Fuss- 
sohlen, auch  in  späteren  Stadien,  wur- 
den besonders  günstig  beeinflusst.  Et- 
was weniger  wirksam  erwies  sich  die 
Behandlung  der  Schleimhautaffektio- 
nen des  Mundes  und  Halses.  Andere 
Symptome  dagegen  wie  die  flachen, 
breiten  Papeln,  besserten  sich  nur 
sehr  langsam  und  das  Auftreten  neuer 
Erscheinungen  auf  der  Haut  und  den 
Schleimhäuten  war  nicht  gerade  sei- 


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New    Yorker    Medizinische  Monatsschrift. 


ten ;  spätere  sekundäre  und  tertiäre 
Symptome  wurden  wenig  beeinflusst. 
Abgesehen  von  diesen  unbefriedigen- 
den Resultaten  der  Protojoduretbe- 
handlung  wurden  direkte  Klagen  über 
unangenehme  Nebenerscheinungen 
laut  in  erster  Linie  betreffend  die  Ver- 
dauungsorgane: Kolikschmerzen,  Diar- 
rhoe, nicht  gerade  reichlich,  3  bis  4 
Stuhlgänge  im  Tage,  von  geringer 
Quantität  aber  von  scharfem,  reizen- 
den Charakter,  nicht  selten  auch  Ap- 
petitsverlust und  dyspeptische  Er- 
scheinungen. Weit  unangenehmer  war 
die  Wirkung  auf  das  Zahnfleisch  und 
die  Mundhöhle  im  allgemeinen,  nicht 
gerade  in  Gestalt  schwerer  ulzerieren- 
der  Prozesse  des  Zahnfleisches,  aber 
mehr  weniger  andauernden  Speichel- 
flusses, Schwellung  und  Röte  des 
Zahnfleischrandes  und  der  ganzen 
Schleimhaut  begleitet  von  einem 
scharfen  unangenehmen  Geruch.  Ver- 
suche mit  andern  Präparaten  in  Pil- 
lenform, dem  Sublimat,  dem  Tannat 
und  selbst  mit  dem  Salizylsäuren  Queck- 
silber, ergaben  nicht  viel  bessere  Re- 
sultate, wenn  sie  auch  nicht  von  dem 
bei  dem  Protojoduret  zuweilen  vor- 
kommenden leichten  Jodausschlag  im 
Gesicht  begleitet  waren.  Nach  solcher 
Erfahrung  wandte  ich  mich  der  älteren 
französischen  Methode  der  Sublimat- 
lösungen zu,  nicht  genau  dem  Liquor 
Van  S  w  i  e  t  e  n's,  einer  Lösung  von 
1  Gramm  Sublimat  in  100  Gramm  Al- 
kohol und  900  Wasser,  sondern  Lös- 
ungen verschiedener  Stärke  mit  all- 
mähliger  Vergrösserung  der  Dose.  Was 
Pillen  für  den  Patienten  so  angenehm 
macht,  ist  die  Bequemlichkeit,  mit  der 
sie  dieselben  bei  sich  tragen  können, 
unter  LTmständen  direkt  in  der  Westen- 
tasche. Es  handelt  sich  also  darum, 
einen  Weg  zu  finden,  der  die  Anwen- 
dung der  Lösung  nicht  zu  unbequem 
machen  würde.  Eine  3  Unzen  haltende 
Elasche,  namentlich  flacher  ovaler 
Eorm,  ist  wohl  das  grösste  Gefäss,  das 
man   ohne   Unbequemlichkeit   in  der 


Rock-  oder  W  estentasche  unterbringen 
kann.  Ihr  Inhalt  beträgt  etwa  24 
Theelöffel,  mit  dem  unvermeidlichen 
Verlust  kann  man  sicher  auf  21  Thee- 
löffel, also  3  tägliche  Dosen  von  l 
Theelöffel  für  1  Woche  rechnen.  Weist 
man  nun  den  Patienten  an,  dass  die 
Medizin  7  Tage  ausreichen  muss,  so 
hat  man  eine  fast  ebenso  genaue  Do- 
sierung wie  mit  den  Pillen.  Noch  be- 
quemer ist  es,  wenn  sich  der  Patient 
ein  !/>  Unze  fassendes  Eläschchen  zu- 
legt, dasselbe  jeden  Tag  ^  voll  füllt 
und  so  nur  die  3  Tagesdosen  bei  sich 
zu  tragen  braucht;  etwas  Wasser  zur 
Verdünnung  der  Medizin  findet  er 
leicht ;  übrigens  brauchen  auch  die 
meisten  Patienten  einige  Schlücke 
Wasser.  um  Pillen  hinunter  zu 
schlucken.  Auf  diese  Weise  fing  ich 
an,  das  Sublimat  sowohl  Privatpatien- 
ten wie  auf  meiner  Abteilung  im  Deut- 
schen Dispensarv  zu  verschreiben,  und 
ich  kam  bald  zu  der  Ueberzeugung. 
dass  die  Nachteile  oder  Gefahren  die- 
ser Behandlung  keineswegs  so 
schlimm  oder  häufig  waren,  wie  es  die 
Lehrbücher  behaupteten.  In  manchen 
Fällen  erwies  sich  allerdings  der  Ge- 
schmack in  hohem  Grade  wiederwär- 
tig,  nicht  sowohl  direkt  beim  Einneh- 
men der  Medizin  als  wegen  des  metal- 
lischen Nachgeschmacks  beim  Auf- 
wachen am  Morgen.  Indessen  fehlt 
dieses  auch  bei  andern  Präparaten  und 
auch  bei  Pillen,  keineswegs  gänzlich. 
Bei  längerer  Dauer  der  Behandlung 
mag  allerdings  der  üble  Geschmack  zu- 
weilen so  unangenehm  werden,  dass 
man  wenigstens  vorübergehend  die- 
selbe unterbrechen  muss,  aber  das  ist 
keineswegs  die  Regel.  Viel  weniger 
häufig  und  intensiv  waren  die  Wirkun- 
gen auf  den  Magren ;  Appetitlosigkeit, 
Dyspepsie  oder  Magenschmerzen  wur- 
den nur  selten  beobachtet,  im  Gegen- 
teil machten  eine  Anzahl  Patienten, 
und  zwar  nicht  den  ungebildeten  Klas- 
sen angehörige,  ganz  freiwillig  die  An- 
gabe,   dass    die   Verrichtungen  ihrer 


New    Yorker    Medizinische  Monatsschrift. 


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Verdäuiltlgsorgäne  regelmässiger  und 
naturgemässer  sich  vollzogen  habe  beim 
GebfaUch  der  Sublimatlösung  als  bei 
andern  Präparaten  oder  vorher  ohne 
spezifische  Medizin.  Diese  Wirkung 
dürfte  wohl  den  antiseptischen  Eigen- 
schaften zuzuschreiben  sein.  Klagen 
über  Schmerzen  in  der  Bfttst  erinnere 
ich  mich  nicht  gehört  zu  haben,  da- 
gegen traten  zuweilen  nach  mehr- 
wöchetltlicher  Behandlung  Kopf- 
schmerzen auf,  aber  nicht  gerade  häu- 
figer als  bei  andern  Quecksilbermetho- 
den.  Ein  grosser  Vorteil  war  das  fast 
völlige  Ausbleiben  von  Mundstörun- 
tren.  Diese  ist  wohl  ebenfalls  der  anti- 
septischen  Wirkung  der  Lösung  zuzu- 
schreiben und  erscheint  dieselbe  um 
so  weniger  auffällig,  wenn  man  bedenkt, 
dass  nach  den  Angaben  einiger  neuerer 
Autoren  wie  Borkhardt  (Mön.  f. 
prakt.  Dermatologie,  1885)  und  Lanz 
(  Pathogenese  der  merkuriellen  Stoma- 
titis und  Salivation,  Berlin  1897)  die 
für  gewöhnlich  in  grosser  Zahl  sich  in 
der  Mundhöhle  aufhaltenden  Bakterien 
eine  wichtige  Rolle  spielen  bei  der  Er- 
zeugung der  merkuriellen  Stomatitis. 
Es  ist  vielleicht  nicht  so  allgemein  be- 
kannt, dass  eines  der  besten  lokalen 
Mittel  bei  dieser  Stomatitis  eine  Subli- 
matlösung von  1  :  2 — 3000  Wasser  ist, 
auf  das  ich  vor  einer  Reihe  von  Jahren 
durch  meinen  Freund  Dr.  C.  Schuh- 
ffl  a  c  h  e  r  in  Aachen  aufmerksam  ge- 
macht wurde.  Das  übliche  Ausspülen 
mit  einer  Lösung  von  chlorsaurem 
Kali  war  meist  ausreichend,  die  Mund- 
hohle  gesund  und  rein  zu  erhalten,  ja 
ich  habe  wiederholt  beobachtet,  dass 
durch  vorhergegangene  Quecksilber- 
behandlung anderer  Art  erkranktes 
Zahnfleisch  während  längerer  Subli- 
matbehandlung reine  normale  Beschaf- 
fenheit wieder  erlangte  und  behielt. 
Ein  weiterer  Vorteil  der  Sublimatbe- 
handlung zeigte  sich  in  der  bedeuten- 
den Beeinflussung  der  Symptome  der 
Svphilis  und  augenscheinlich  auch  der 
Krankheit  selbst,  die  jene  der  Proto- 


joduretpillen  bei  weitem  übertraf. 
Diese  zeigte  sich  nicht  nur  in  der 
rascheren  Beseitigung  der  Haut-  oder 
Schleimhaut  Veränderungen,  sondern 
auch  in  der  geringeren  Häufigkeit  von 
Rezidiven  und  in  der  mehr  ausge- 
sprochenen Wirkung  auf  sekundäre 
Spät-  und  sogenannte  tertiäre  Formen. 
Dies  bezieht  sich  ausdrücklich  auf  die 
Sublimatlösung  allein,  nicht  auf  die 
Verbindung  mit  Jodkalium,  dem 
,,mixed  treatment",  dessen  Wirksam- 
keit ja  allgemein  anerkannt  ist.  Ich 
will  nun  nicht  bestimmt  behaupten, 
dass  diese  besseren  Resultate  der  siche- 
ren und  rascheren  Absorption  des 
Quecksilbers  in  der  gelösten  Form  zu- 
zuschreiben seien,  obwohl  ich  im  all- 
gemeinen zu  der  Annahme  neige,  dass 
der  gelöste  Zustand  einer  Medizin  für 
die  Aufnahme  die  günstigsten  Bedin- 
ungen  darbietet.  Allein  wir  haben 
keine  positive  Kenntnis  von  den  che- 
mischen Prozessen,  welche  im  Magen 
und  sonst  im  Organismus  vor  sich 
gehen,  um  die  Assimilation  des  Queck- 
silbers zu  bewerkstelligen.  M  a  u  r  i- 
ac  (1.  c,  p.  207)  gesteht  nach  einer 
Uebersicht  über  die  verschiedenen 
Theorien  von  den  chemischen  Vor- 
gängen im  Magen  und  im  menschli- 
chen Körper  überhaupt  bei  der  Queck- 
silberassimilation ein,  dass  eine  be- 
stimmte Antwort  auf  diese  Frage  bei 
dem  jetzigen  Stande  unserer  Kennt- 
nisse nicht  möglich  sei. 

Im  allgemeinen  habe  ich  keine  be- 
sonders grossen  Gaben  zur  Anwen- 
dung gebracht.  Die  gewöhnliche  Ver- 
ordnung im  Deutschen  Dispensary 
war  15  Zentigramms  in  90  Gramm 
Wasser  (2l/2  Gran  in  3  Unzen).  Ich 
würde  vorgezogen  haben,  100  Gramm 
Wasser  zu  verschreiben,  wenn  nicht 
die  hier  gebräuchlichen  Medizin- 
flaschen auf  LInzen  eingerichtet  und 
für  das  metrische  System  nicht  immer 
passend  wären,  sodass  der  Apotheker 
für  too  Gramm  schon  eine  4  Unzen- 
flasche dispensieren  würde.    Bei  einem 


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New    Yorker    Medizinische  Monatsschrift. 


Rezept  von  15,  20  oder  25  Zenti- 
gramms in  90  oder  100  Gramm  Was- 
ser, oder  2l/2  bis  4  Gran  in  3  Unzen 
würde  die  Einzeldose  0,7,  I,  oder  1,2 
Zentigramm,  oder  l/%  bis  zu  }i  Gran 
pro  dosi,  }i  bis  Ys  Gran  pro  die  be- 
tragen. 

Diese  Dosen  entsprechen  ziemlich 
genau  den  von  M  a  u  r  i  a  c  empfohle- 
nen. In  der  Regel  wurde  die  Medizin 
ohne  weitere  Zusätze  von  Syrup  oder 
aromatischen  Substanzen  verordnet, 
da  in  einer  Lösung  in  destilliertem 
W  asser  kaum  eine  Zersetzung  statt- 
rinden kann,  dagegen  wurden  die  Pa- 
tienten angewiesen,  die  Medizin  einige 
Zeit  nach  den  Mahlzeiten  mit  Wasser 
oder  Milch  verdünnt  einzunehmen. 
Diese  Methode  wurde  durch  eine  Reihe 
von  Jahren  bei  vielen  Patienten  ange- 
wandt und  hat  sich  mir  sehr  gut  be- 
währt, ebenso,  soviel  ich  weiss,  meinen 
damaligen  Kollegen  im  Deutschen  Dis- 
pensary,  Dr.  A.  F.  B  ü  c  h  1  e  r.  S.  P  o  1- 
litzer  und  H.  G  r  a  e  s  e  r.  Schon 
vor  längerer  Zeit  hatte  ich  daher  daran 
gedacht,  die  Aufmerksamkeit  auf  die 
Vorteile  der  löslichen  Präparate  zu  len- 
ken, als  in  1900  in  der  Festschrift  für 
Prof.  Kaposi  (p.  81)  B  r  o  c  q,  der 
bekannte  Pariser  Dermatologe  und 
Syphilidoktge,  eineja  Artikel  veröffent- 
lichte :  Les  doses  fractionees  de  bi- 
chlorure  et  de  bijodure  de  mercure 
dans  le  traitement  de  la  Syphilis.  Da 
B  r  o  c  q's  Ansichten  und  Erfahrungen 
beinahe  ganz  mit  den  meinigen  über- 
einstimmen, namentlich  die  wichtigsten 
Punkte  betreffend,  erscheint  es  ge- 
rechtfertigt, über  seinen  Artikel  in 
Kürze  zu  berichten  und  durch  seine 
Autorität  meine  eigenen  Behauptungen 
zu  bestärken. 

Die  Behandlung  vom  Magen  aus, 
sagt  er,  ist  von  mannigfachen  Unbe- 
quemlichkeiten begleitet,  namentlich 
wenn  die  Quecksilberpräparate  in  Pil- 
lenform gegeben  werden,  und  doch 
muss  man  die  Tatsache  anerkennen, 
dass  die  meisten  Aerzte  auf  Drängen 


der  Patienten  Pillen  verschreiben, 
weil  sie  ein  leicht  zu  verbergendes 
Mittel  haben  wollen.  Indessen  muss 
man  zugeben,  dass  die  Verabfolgung 
in  Pillen  viel  weniger  zuverlässig  ist, 
da  die  völlige  Zerteilung  der  Pille  und 
die  Absorption  ihres  Inhalts  vom  Zu- 
fall abhängig  ist ;  auch  kann  der  aktive 
Bestandteil  der  Pille,  wenn  sie  sich  auf- 
löst, die  Schleimhaut  des  Verdauungs- 
kanals schädigen.  Auf  Grund  dieser 
Unzuverlässigkeit  und  der  Belästigung 
des  Magens  haben  die  Freunde  der  in- 
tramuskulären Injektionen  die  Pillen- 
behandlung angegriffen.  Allein  dit 
Pillen  repräsentieren  nicht  die  ganze 
innere  Behandlung,  und  seit  Men- 
schengedenken hat  man  den  Grundsatz 
anerkannt :  corpora  non  agunt  nisi  so- 
luta. 

B  r  o  c  q  gibt  weiter  an,  dass  er  seit 
r888  von  der  Richtigkeit  dieses  Prin- 
zips überzeugt  und  so  viel  wie  mög- 
lich Versuche  mit  der  Behandlung  per 
os  aber  nur  mit  löslichen  Quecksilber- 
präparaten gemacht  hat,  die  Praxis  der 
älteren  Syphilidologen  wieder  aufneh- 
mend. Die  Verabreichung  geschah 
auf  zweierlei  Weise :  entweder  wurde 
die  ganze  Tagesdose  in  einer  oder  zwei 
grösseren  Gaben  am  Morgen  vor  dem 
Frühstück  oder  vor  den  beiden  Haupt- 
mahlzeiten gegeben.  Dies  ist  die  be- 
quemere Weise,  da  der  Patient  keine 
Medizin  mit  sich  herum  zu  tragen 
braucht,  aber  sie  ist  weniger  wirksam 
und  den  Verdauungskanal  eher  zu  be- 
lästigen geneigt.  Oder  die  Tagesdose 
wird  in  4  bis  6  Einzelgaben  verteilt, 
die  vor  oder  zwischen  den  Mahlzeiten 
in  einer  Tasse  Milch  oder  Vichy  ge- 
nommen werden.  Dieser  Methode  gibt 
er  den  Vorzug  und  erweist  sich  die- 
selbe sehr  wirksam.  B  r  o  c  q  zieht 
dann  einzeln  die  Nachteile  in  Betrach- 
tung. Uebler  Einfluss  auf  den  Magen 
sei  viel  weniger  zu  fürchten,  wenn  die 
Medizin  mit  einer  genügenden  Menge 
Milch  oder  Vichy  genommen  werde 
Er  behauptet  auch,  mit  der  Bemerk- 


New    Yorker    Medizinische  Monatsschrift. 


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ung,  dass  dies  etwas  paradox  erschei- 
nen dürfte,  dass  bei  einigen  Patienten 
w  ahrend  der  Anwendung  die  Funktionen 
der  Verdauungsorgane  besser  vollzo- 
gen wurden,  dass  sie  regelmässigere 
Stuhlentleerung,  in  einzelnen  Fällen 
sogar  Verstopfung,  bekamen.  Wo 
Leihschmerzen  oder  Diarrhoe  auftraten, 
waren  einige  Tropfen  Opiumtinktur 
meist  genügend,  um  Erleichterung  zu 
bringen.  Der  Widerwille  einiger  Pa- 
tienten gegen  die  Medizin  kann  meis- 
tens beseitigt  werden  durch  die  Zu- 
fügung  eines  Riechmittels  wie  Anis 
oder  durch  einen  aromatischen  Syrup, 
in  einigen  Fällen  ist  es  aber  nicht  mög- 
lich, den  Widerwillen  zu  beseitigen ; 
auffälliger  Weise  kommt  dies  weniger 
in  der  Privatpraxis  als  in  den  Hospi- 
tälern vor.  Der  grösste  Uebelstand  ist 
die  Unbequemlichkeit,  da  manche  Pa- 
tienten wirklich  keine  Gelegenheit  bä- 
hen, die  Medizin  mehrmals  am  Tage  zu 
nehmen  wegen  ihrer  Beschäftigung, 
öder  weil  sie  Niemand  wissen  lassen 
dürfen,  dass  sie  überhaupt  Medizin 
einnehmen  ;  andere  vergessen  es.  Er 
gibt  den  Patienten  eine  kleine  gradu- 
ierte Flasche,  in  der  sie  die  ganze  täg- 
liche Dose  mit  irgend  einer  Flüssigkeit 
gemischt  bei  sich  tragen  können.  Auf- 
fällig ist.  dass  B  r  o  c  q  der  Wirkung 
auf  die  Mundhöhle  gar  keine  Erwähn- 
ung tut;  dieses  Stillschweigen  lässt 
sich  vielleicht  dadurch  erklären,  dass  er 
keine  Stomatitis  bei  seinen  Patienten 
beobachtete.  Als  Vorteile  der  Be- 
handlung führt  er  die  Genauigkeit  der 
Dosierung  im  Vergleich  mit  Einrei- 
bungen und  Inhalationen  an,  ferner  die 
geringe  Reizwirkung  auf  den  Verdau- 
ungskanal, die  Tatsache,  dass  der  Pa- 
tient  nicht   so   häufig  zum   Arzt  zu 


gehen  braucht,  das  Vermeiden  von 
Schmerzen  oder  vorübergehender  Ar- 
beitsunfähigkeit, welche  bei  Injektio- 
nen vorkommen  können.  Er  behaup- 
tet, dass  die  therapeutische  Wirksam- 
keit, namentlich  der  häufigen  kleinen 
Dosen,  beinahe  derjenigen  der  Ein- 
spritzungen gleichkomme.  Oft  wur- 
den 19  bis  20  Gramm  von  Van 
S  w  i  e  t  e  n's  Liquor  im  Tage  gegeben, 
und  mit  solchen  Gaben  von  1,5  bis  2 
Zentigrammen  (34  bis  3/3  Gran)  wur- 
den viel  bessere  Resultate  erzielt 
als  mit  3  bis  4  Pillen  ä  1  Zentigramm. 
Die  seltneren  und  grössern  Dosen  wir- 
ken nicht  gleich  günstig.  Während  der 
12  Jahre,  in  denen  Brocq  diese  Me- 
thode ausübt,  kamen  ihm  wenige  Sy- 
philiserscheinungen vor,  die  derselben 
Widerstand  geleistet  hätten  mit  Aus- 
nahme tertiärer,  psoriasisartiger  Syphi- 
lide der  Handteller  und  Fusssohlen 
und  ei-niger  Fälle  der  seltneren  skleroti- 
schen g-ummatösen  Infiltrate  in  der 
Mundhöhle,  besonders  der  Zunge.  Ge- 
gen diese  ausserordentlich  hartnäcki- 
gen Symptome  kommt  keine  Behand- 
lung den  Kalomelinjektionen  gleich. 
Aber  frühzeitige  bösartige  Syphilisfor- 
men, zum  Zerfall  neigende  Gummata, 
Periostitis,  serpiginöse  tertiäre  Ge- 
schwüre weichen  meistens  den  verteil- 
ten Dosen  löslicher  Quecksilberpräpa- 
rate  entweder  allein  oder  in  Verbin- 
dung mit  Jodkalium.  Dennoch  will 
Brocq  diese  Methode  nicht  als  die 
ausschliessliche  Behandlungsweise  für 
Syphilis  hinstellen,  sondern  wendet 
auch  andere  Methoden  wie  Einreibun- 
gen und  Einspritzungen  besonders  in 
der  Hospitalpraxis  an.  Und  darin 
schliesse  ich  mich  ihm  vollständig  an. 
T30  W.  58.  St. 


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New    Yokkek    Medizinische  Monatsschrift. 


Allgemeine  Behandlung  der  Tabes. * 

Von  Dr.  H.  S.  Frenkel-Heiden. 


Tabes  ist  eine  unheilbare  Krankheit, 
unheilbar,  wenn  Sie  den  pathologisch 
anatomischen  Standpunkt  nehmen.  Es 
ist  kein  Fall  bekannt,  in  welchem  je- 
mand, an  dem  während  seines  Lebens 
die  Diagnose  der  Tabes  gemacht  wor- 
den ist,  auch  wenn  es  sich  nur  um  Kar- 
dinal-Symptome, also  nur  um  einen 
leichten  Fall  gehandelt  hat,  —  bei  der 
Autopsie  keine  Degeneration  der  hinteren 
Stränge  gezeigt  hätte.  Aber  wenn  Sie 
sich  andererseits  die  pathologische 
Anatomie  der  Tabes  ins  Gedächtnis  zu- 
rückrufen, so  werden  Sie  begreifen, 
dass  symptomatisch-klinisch  die  Ta- 
bes sich  in  ganz  verschiedenen  Formen 
dem  untersuchenden  Arzte  darbietet. 
Erstens  einmal  kann  der  tabische  Pro- 
zess  an  allen  Stellen  des  Rückenmarks 
einsetzen,  und  es  ist  klar,  dass  es  für 
die  Funktionen  des  Menschen  ganz 
verschiedene  Bedeutungen  hat,  ob  der 
tabische  Prozess  z.  B.  im  unterem  Zer- 
vikal-Mark  oder  in  dem  unteren  Dor- 
sal-Mark  einsetzt.  Er  wird  im  ersten 
Falle  Beschwerden  im  Arm  haben,  in 
seiner  Brust,  Parästhesien,  aber  seine 
Gehbewegung  z.  B.  wird  ganz  intakt 
sein.  Ganz  anders  wird  sich  das  Bild 
darstellen,  wenn  der  tabische  Prozess 
im  unterem  Dorsal-Mark  oder  im  Lum- 
bal-Mark  einsetzt.  Sie  werden  dann 
hauptsächlich  das  Symptom  der  Ataxie 
und  andere  Symptome,  die  mit  den  un- 
teren Extremitäten  und  dem  unteren 
Teil  des  Rumpfes  zusammenhängen, 
zu  Gesicht  bekommen.  Zweitens :  die 
Frage  der  Ausdehnung  des  Prozesses ; 
für  das  klinische  Bild  kommt  es  sehr 
darauf  an,  ob  der  tabische  Prozess  eine 
ganze  Anzahl  von  Segmenten  hinter- 
einander ergreift.  Wieder  anders  wird 
das  Bild  sein,  wenn  der  tabische  Pro- 

*)  Vortrag,  gehalten  in  der  Deutschen  Med. 
Gesellschaft  der  Stadt  New  York  am  3.  Dez. 
1906. 


zess  an  verschiedenen  Stellen  gleichzeitig 
eingreift,  oder,  wie  es  meistens  der  Fall 
ist,  grosse  Stücke  des  Rückenmarks  in- 
takt lässt.  All  dieses  hat  für  das  klini- 
sche Bild  ein  besonderes  Interesse  und 
für  Sie  als  Aerzte  ein  besonderes  In- 
teresse betreffs  der  Frage  der  Prognose, 
wenn  Sie  bei  einem  Kranken,  der  im 
Beginn  zu  Ihnen  kommt,  die  Diagnose 
der  Tabes  dorsalis  stellen,  und  zwar 
in  einer  absolut  sicheren  Weise,  was  heut- 
zutage bei  dem  Stand  unserer  Kennt- 
nisse nicht  nur  möglich,  sondern  eine 
einfache  Sache  ist.  Sie  müssen  sich 
in  Bezug  auf  die  Prognose  ei- 
ner grossen  Reserve  befleissigen.  Sie 
können  absolut  nicht  wissen,  was  aus 
diesem  Menschen  werden  wird  in  zwei 
Jahren,  in  zehn  Jahren,  zwanzig  Jah- 
ren, und  diejenigen  Aerzte,  die  in  ei- 
tern natürlichen  Bedürfnis  nach  Ehr- 
lichkeit und  Aufrichtigkeit  dem  Patien- 
ten eine  üble  Prognose  geben,  wie  das 
verhältnissmässig  häufig  vorzukommen 
pflegt  und  gerade  unter  unseren  besse- 
ren Kollegen,  werden  sich  nicht  nur 
vielfach  irren,  sondern,  durch  diesen 
Irrtum  dem  Kranken  den  grössten 
Schaden  zufügen,  psychisch  und  in  sei- 
nen geschäftlichen  Arrangements.  Die 
Diagnose  der  Tabes  kann  in  Bezug  auf 
die  Prognose  absolut  nichts  aussagen, und 
die  Klinik  zeigt  uns,  dass  die  Bilder  ei- 
nes Menschen  mit  tabischem  Prozess 
oft  so  sehr  unähnlich  sind,  dass  man  oft 
wünschen  möchte,  es  würde  eine  ver- 
schiedene Diagnose  gestellt  werden.  Im 
allgemeinen  können  Sie  sich  vorstellen 
dass  die  klinischen  Bilden  in  einander 
fliessen,  und  jede  Einteilung  ist  ebenso 
künstlich  wie  es  künstlich  wäre,  an  ir- 
gend einer  bestimmten  Stelle  im  Zen- 
tral-Nervensystem  den  tabischen  Pro- 
zess aufhören  zu  lassen  und  an  anderer 
Stelle  ihn  auf  gesundem  Gewebe  wie- 
der entstehen  zu  lassen.  Uebergänge 


New    Yorker    Medizinische  Monatsschrh^- 


9 


sind  pathologisch,  anatomisch  und 
klinisch  vorhanden.  Trotzdem  sind 
doch  die  verschiedenen  Enden  dieser 
in  einander  übergehenden  Linien  so 
verschieden,  dass  wir  berechtigt  sind, 
von  ganz  bestimmt  verschiedenen  klini- 
schen Tabes-Formen  zu  sprechen.  Im 
allgemeinen  bewährt  sich  eine  Einteil- 
ung, wenn  Sie  die  Sache  so  ansehen, 
dass  es  keine  klinischen  Formen  gibt, 
welche  alle  Symptome  in  ungefähr 
gleichem  Masse  ausgebildet  zeigten. 
Also  ein  typisches  Beispiel  ist  ein 
Mann,  der  vor  zehn  Jahren  seine  ersten 
Schmerzen  gehabt  hat,  der  anfängt  mit 
Blasen-Beschwerden  und  Schwierig- 
keiten beim  Gehen,  namentlich  im  Dun- 
keln. Sie  machen  die  Diagnose.  Dann 
vermehren  sich  einzelne  Symptome; 
die  Magenbeschwerden,  die  Blasenbe- 
schwerden werden  grösser,  die  Ataxie 
wird  grösser,  und  im  Laufe  von  fünf, 
sechs  Jahren  ist  der  Mann  bettlägerig 
('der  hat  eine  schwere  Cystitis,  die  ihn 
an  sein  Zimmer  fesselt.  Aber  ich  weiss 
nicht,  ob  diese  Form  die  Mehrzahl  der 
Tabiker  begreift.  Ich  habe  doch  eher 
den  Eindruck,  als  ob  diese  Form,  die 
gewissermassen  alle  wichtigen  Partien 
des  Zentral-Nervensystems  in  schneller 
Reihenfolge  ergreift,  doch  nicht  so  häu- 
fig ist.  Jedenfalls  ist  es  gestattet,  neben 
dieser  allgemeinen  Tabes  andere  For- 
men von  Tabes  festzustellen,  die  man 
wegen  ihrer  Eigentümlichkeit  klinisch 
abzutrennen  berechtigt  ist,  und  die  wir 
vielleicht  mit  dem  Namen  monosymp- 
tomatische Formen  bezeichnen  können. 
Also,  um  an  einem  Beispiel  die  Sache 
klar  zu  machen,  gibt  es  Fälle,  welche 
ihr  ganzes  Leben  lang  nichts  anderes 
zeigen  als  Schmerzen.  Solche  Fälle 
können  10  bis  25  Jahre  nichts  weiter 
zeigen  als  von  Zeit  zu  Zeit  heftige 
Schmerzanfälle,  deren  Intensität  mög- 
licherweise in  umgekehrtem  Verhält- 
nis zu  der  Schwere  des  übrigen  Zu- 
standes  steht.  Bei  grösserer  Erfahrung 
wird  man  finden,  dass  gerade  die  ele- 
mentaren vehementen  Schmerzen,  vor- 
ausgesetzt dass  sie  den  Charakter  der 


echten  tabischen  Schmerzen  haben,  d.  h. 
einen  in  einem  gewissen  Moment  be- 
fallen, dann  eine  Zeit  lang,  vielleicht 
24  Stunden  dauern  und  dann  spurlos 
wieder  verschwinden.  Bei  dieser  spe- 
ziellen Form  von  Schmerzen,  die  sich 
nicht  mit  anderen  Schmerzen  verglei- 
chen lassen,  kann  man  sagen,  dass  diese 
Form  sehr  heftiger  Schmerzen  in  Be- 
zug auf  die  übrigen  Symptome  gün- 
stig ist.  Warum,  wissen  wir  nicht. 
Solche  monosymptomatische  schmerz- 
hafte Tabes-Formen  bedürfen  eigent- 
lich keiner  weiteren  Behandlung  — 
wenn  man  davon  absieht,  dass  es  eine 
besondere  Therapie  geben  könnte,  die 
Tabes  kuriert  —  als  die  der  Schmerzen. 

Eine  andere  monosymptomatische 
Form  ist  die  Tabes,  die  wir  als  atak- 
tische Tabes  bezeichnen  können,  die 
gesunden  Tabiker,  die  absolut  gesund 
sind,  so  lange  Sie  neben  ihnen  sitzen 
und  sich  mit  ihnen  unterhalten,  die 
geistig  wohlauf  sind,  keine  Beschwer- 
den haben,  deren  Krankheit  einfach  in 
der  Ataxie  der  unteren  Extremitäten 
liegt. 

Eine  dritte  Form,  die  klinisch  noch 
nicht  genügend  ausgearbeitet  ist,  die 
aber  jedenfalls  selbstständig  genug  ist, 
um  sie  abtrennen  zu  können,  ist  die 
Form,  bei  der  eine  bestimmte  Verän- 
derung in  den  Muskeln  und  als  Unter- 
abteilung auch  in  den  Knochen  vor- 
handen ist.  Und  diese  erstere  hat  des- 
wegen eine  besondere  Bedeutung,  weil 
sie  oft  kombiniert  ist  mit  Ataxie  und 
weil  man  unter  Umständen  geneigt  ist, 
diese  beiden  zu  verwechseln.  Ich  will 
Ihnen  gleich  sagen,  was  ich  meine.  Es 
gibt  Veränderungen  der  Muskelsub- 
stanz, die  nur  bei  Tabes  in  dieser  Form 
vorkommen,  infolge  dessen  die  Mus- 
keln und  Gelenke  in  der  Weise  sich 
verändern,  dass  das  Gehen  und  das 
Stehen  des  Patienten  wesentlich  gehin- 
dert ist.  Es  kann  vorkommen,  wenn 
Sie  einen  derartigen  Patienten  auf  seine 
Ataxie  untersuchen,  dass  diese  Ataxie 
zu  Ihrem  grossen  Erstaunen  verhält- 
nissmässig  gering  ist.    Nun  wissen  Sie, 


I() 


New    Yorker    Medizinische  Monatsschrift. 


dass  wir  heute  Methoden  haben, 
die  Ataxie  zu  beseitigen.  Solche  Men- 
schen, die  besonders  stark  an  Gehbe- 
schwerden durch  Hypotonie  der  Mus- 
keln leiden,  werden  am  wenigsten  Vor- 
teile haben  von  der  Behandlung  der 
Ataxie,  und  insofern  ist  es  für  Sie  aus- 
serordentlich wichtig,  diese  Form  von 
der  ataktischen  Form  abzutrennen.  Ich 
kann  mich  nicht  auf  Einzelheiten  ein- 
lassen, aber  sie  sind  für  jeden  von 
Ihnen  in  der  Weise  zugänglich,  dass 
Sie  sich  darüber  ein  klare  Bild  machen 
können. 

Sehen  wir  zunächst  einmal  von  die- 
ser gemischten  Form  ab,  so  möchte  ich 
nun  auf  den  strikten  Gegensatz  von 
diesen  Formen  hinweisen,  nämlich  auf 
die  allerschwerste  Erscheinung  der 
Tabes,  bei  denen  der  Kranke  vollkom- 
men den  Eindruck  eines  Schwerkran- 
ken macht,  ganz  abgesehen  von  den 
speziellen  durch  die  Läsion  in  seinem 
Rückenmark  bedingten  Symptome. 
Das  sind  die  Fälle,  die  man  nicht  selten 
zu  Gesicht  bekommt,  die  anfangen  kön- 
nen wie  jeder  andere.  Ein  Mann  hat 
vor  4  bis  5  Wochen  einen  grossen 
Marsch  gemacht  und  findet  sich  heute 
in  dem  Zustande  völliger  Hilflosigkeit, 
schwerer  Ataxie  und  allgemeinen  Be- 
schwerden. Sie  haben  den  Eindruck, 
dass  solche  Fälle,  die  sich  so  schnell 
entwickeln,  eine  sehr  ungünstige  Prog- 
nose geben,  und  es  ist  durchaus  mög- 
lich, dass  ein  solcher  Mann,  der  vor 
vier  Wochen  in  sein  Geschäft  zu  Fuss 
gegangen  ist,  nach  einem  oder  zwei 
Jahren  tot  ist,  ohne  dass  der  Tod  ver- 
ursacht worden  wäre  durch  irgend  wel- 
che besondere  Ursachen,  wie  wir  sie  sonst 
bei  chronischer  Nervenkrankheit  fin- 
den. Nicht  dass  er  notwendigerweise 
an  Cystitis  zu  Grunde  geht  oder  an  einer 
Blutung  oder  an  Dyspepsie,  sondern 
die  Leute  gehen  an  einer  Kumulation 
aller  Symptome,  welche  in  den  Hinter- 
strängen des  Rückenmarks  lokalisiert 
sind,  zu  Grunde.  Es  ist  wichtig,  dass 
Sie  das  wissen,  bevor  wir  auf  unser  ei- 
gentliches Thema,  die  Behandlung  ein- 


gehen. Diese  wird  ganz  wesentlich  da- 
von abhängen,  in  welchem  Zustand 
und  mit  welcher  Form  von  Tabes  Sie  den 
Patienten  finden. 

Selbstverständlich  hat  es  an  Bestre- 
bungen nicht  gefehlt,  den  Prozess 
selbst  zu  beseitigen,  die  Tabes  zu  ku- 
rieren. Diese  Bestrebungen  sind  bis 
jetzt  erfolglos  geblieben,  wenigstens  in 
Bezug  auf  die  grosse  Mehrzahl.  Man 
hat  in  allen  Fällen,  in  denen  eine 
wesentliche  Besserung  des  tabischen 
Prozesses  angenommen  werden  konnte, 
die  Möglichkeit  gehabt,  sie  auf  andere 
Ursachen  zurückzuführen  als  auf  die 
Behandlungsweise,  die  man  mit  dem 
Patienten  vorgenommen.  Bekannt  ist 
Ihnen,  und  es  ist  die  wichtigste,  die  in 
den  letzten  20  Jahren  unsere  Aufmerk- 
samkeit auf  sich  zieht,  die  antisyphili- 
sche  Behandlung  der  Tabes.  Auch  da- 
rin ist  ein  theoretischer  Standpunkt 
eingenommen  worden,  von  der  Er- 
kenntnis ausgehend,  dass  wahrschein- 
lich alle  Tabiker  Syphilis  gehabt  haben, 
und  Männer  wie  Erb  und  Fournier 
empfehlen  sie  jetzt  noch.  Eine  eigene 
Meinung  habe  ich  nicht.  Ich  habe  nie- 
mals Fälle  gesehen,  bei  denen  die  anti- 
syphilitische Behandlung  einen  so  emi- 
nenten Erfolg  gegeben  hat,  dass  man 
ihn  darauf  zurückführen  musste.  An- 
dererseits habe  ich  Fälle  gesehen,  bei 
denen  man  mit  Bestimmtheit  versichert 
hat,  dass  sie  nach  einer  oder  mehreren 
antisyphilitischen  Behandlungen  von  ei- 
ner Anzahl  von  Symptomen  befreit 
worden  sind.  Wer  die  Geschichte  der 
Behandlungsmethoden  kennt  und  sich 
darüber  aufhält,  dass  dieselben  so 
wechseln,  mache  sich  einmal  klar,  wie 
ungeheur  schwer  es  in  jedem  Zweige 
irgend  einer  Wissenschaft  ist,  aus  dem 
post  hoc  auf  das  propter  hoc  zu  schlies- 
sen,  oder  dieses  post  hoc,  ergo  propter 
hoc  auszuschliessen.  Beides  ist  nur  an 
einem  so  kolossalen  Material  mit  einiger 
Evidenz  möglich,  dass  ein  Jahrhundert 
oder  mehr  darüber  vergehen  muss,  be- 
vor wir  Klarheit  darüber  haben.  Prak- 
tisch stellt  sich  aber  die  Sache  jeden 


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r  £ 


Tag  so  dar,  dass  Sie  entscheiden  müs- 
sen, ob  Sie  einem  Patienten  eine  ener- 
gische Schmier-Knr  empfehlen  sollen 
oder  nicht.  Als  Richtschnur  möge 
Ihnen  nicht  dienen  die  Angabe  des  Pa- 
tienten, ob  er  einmal  Syphilis  gehabt 
hat.  Manche  wissen  es,  manche  wissen 
es  nicht.  Eine  grosse  Anzahl  verheim- 
licht es,  namentlich  die,  welche  die  Be- 
handlungsweise  durchgemacht  und  die 
Nutzlosigkeit  derselben  eingesehen 
haben.  Ich  kann  meine  Statistik  all- 
jährlich im  Sinne  der  syphilitischen 
Aetiologie  verbessern,  indem  ich  durch 
Hausärzte,  durch  Brüder  mich  dar- 
über vergewissere,  dass  tatsächlich  in 
einem  Fall,  wo  Lues  geleugnet  wurde, 
diese  doch  vorhanden  war.  Als  Kurio- 
suni möchte  ich  mitteilen,  dass  die 
Aerzte  unter  den  Leugnern  der  Lues 
einen  auffallend  hohen  Prozentsatz  stel- 
len und  zwar  so  sehr,  dass  ich  gewohnt 
bin,  seit  Jahren  meine  Statistik  über  die 
Aerzte  ganz  besonders  von  der  der  an- 
deren Patienten  zu  führen.  Es  ist  das 
ganz  verständlich.  Die  Aerzte  haben 
gar  kein  Interesse  daran,  mir  und  An- 
deren ihre  luetische  Vergangenheit  zu- 
zugeben, sie  haben  alles  versucht,  sie 
würden  es  auch  tun,  wenn  sie  sich  mit 
mir  aussprächen.  Es  ist  mir  das  trotz- 
dem ausserordentlich  auffällig  und  fast 
beunruhigend  für  meine  andere  Statis- 
tik gewesen,  bis  eine  andere  Erfahrung 
mich  auf  den  richtigen  Weg  führte, 
nämlich  die  Erfahrung  der  Psychiater 
mit  der  Paralyse  unter  den  Aerzten ; 
denn  es  ist  bei  einer  Anzahl  von  Aerz- 
ten mit  progressiver  Paralyse  gelungen. 
Lues  nachzuweisen,  trotz  absoluter 
Ableugnung  ihrer  luetischen  Vergan- 
genheit. In  allen  diesen  Fällen  ist  es 
mit  unumstösslicher  Gewissheit  gelun- 
gen, nachzuweisen,  dass  sie  alle  Lues 
gehabt  haben,  davon  gewusst  haben 
und  sieh  regulär  an  Lues  haben  behan- 
deln lassen.  Sie  werden  also  einen  Fall 
darnach  beurteilen,  ob  der  Mann  in 
seinem  Allgemeinbefinden  eine  lueti- 
sche Kur  durchmachen  kann.  Das  ist 
heutzutage  nicht  mehr  ein  gefährliches 


Experiment.  Jeder  Patient  beginnt  die 
antiluetische  Behandlung  erst,  wenn  er 
sich  vom  Zahnarzt  den  Mund  vollstän- 
dig in  Ordnung  hat  bringen  lassen.  Sie 
werden  dann  ferner  erforschen,  ob  der 
Mann  eine  luetische  Behandlung  ge- 
habt hat.  Sie  werden  dieselbe  vorsichtig 
probieren  und  natürlich  unterbrechen, 
sobald  ernste  Zwischenfälle  vorkommen. 

Es  ist  natürlich  leicht,  von  einem  the- 
oretischen Standpunkt  aus  zu  sagen,  die 
Tabes  ist  keine  Lues,  trotzdem  ein  Ta- 
biker  früher  Lues  gehabt  hat,  und  doch 
kommen  Männer  mit  so  grosser  Er- 
fahrung wie  Fournier  und  Erb 
immer  wieder  auf  die  Wohltätigkeit 
eines  solchen  Verfahrens  zurück.  So- 
lange Sie  den  Patienten  unter  ihrer  ei- 
genen Aufsicht  haben  und  die  Sache 
jeden  Moment  unterbrechen  können, 
sollten  Sie  doch  einen  Versuch  damit 
machen.  Ich  glaube  nicht,  dass  Sie  viel 
damit  erzielen.  Ich  glaube  nicht,  dass 
eine  frühzeitige  und  kontinuierliche 
antiluetische  Behandlung  bei  einem 
Menschen,  der  Lues  gehabt  hat,  den 
Ausbruch  der  Tabes  hindern  kann. 
Dazu  habe  ich  ein  paar  zu  frappante 
Beispiele  gesehen,  bei  denen  Leute  un- 
ter Fourniers  Leitung  vom  ersten 
Tag  an  antiluetisch  behandelt  worden 
waren.  Die  Patienten  wurden  ein  Jahr 
lang  sehr  streng  behandelt,  dann  wie- 
der beaufsichtigt  u.  s.  w.  Es  ist  eine 
fortwährende  Kontrolle,  und  trotzdem 
kenne  ich  ein  paar  Fälle,  bei  denen  sich 
die  Tabes  in  genau  der  gleichen  Weise 
entwickelt  hat,  wie  wenn  sie  nicht  be- 
handelt worden  wären. 

Es  kommen  in  zweiter  Reihe  die  Jod- 
Präparate  in  Frage.  Dr.  J  a  c  o  b  y 
sagte  mir,  dass  die  strenge  Jod-Behand- 
lung hier  eine  übliche  ist.  Wir  scheinen 
in  Europa  auch  zu  dieser  Tendenz  zu 
kommen.  Kompetente  Aerzte  finden, 
dass  wir  zu  kleine  Dosen  geben,  aber  es 
scheint,  dass  man  jetzt  doch  dazu  ge- 
kommen ist,  auch  in  Europa  grosse  Do- 
sen Jod  zu  geben.  Sie  werden  gut  tun, 
wenn  Sie  kein  Jodkalium,  sondern  Jod- 
natrium geben.    Die  Franzosen  legen 


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ein  ziemliches  Gewicht  hei  allen  Jod- 
und  Brom-Präparaten  auf  eine  gewisse 
Hygiene  des  Darmes,  dass,  wenn  je- 
mand Jod  nimmt,  er  regelmässigen 
Stuhlgang  hat  u.  s.  \v.  Unter  den  Be- 
handlungsmethoden, die  besonders  Auf- 
sehen erregt  haben,  ist  Ihnen  die 
11  r  o  w  n-S  equar  d'sche  bekannt,  die 
jetzt  aufgegeben  ist.  Aehnlich  ist  es 
mit  der  P  o  e  h  l'schen,  die  jetzt  nicht 
so  sehr  gegen  die  Tabes  selbst  als 
gegen  ein  wichtiges  Symptom,  gegen 
die  Schmerzen  warm  empfohlen  wurde. 
Das  ist  ein  sehr  kostspieliges  Präparat. 
Man  kann  nur  wenigen  Patienten  es 
zumuten,  dasselbe  selbst  zu  bezahlen. 
W  ir  haben  in  einem  Sommer  grosse 
(  >pfer  gebracht,  solchen  Patienten  die 
P  o  e  h  l'schen  Präparate  einzuflössen. 
Der  Erfolg  war  gleich  Null.  Neuer- 
dings ist  von  ziemlich  ernsthafter  Seite 
ein  Präparat  empfohlen  worden  unter 
dem  Namen  Keratin.  Es  wird  von 
Merck  dargestellt.  Es  ist  zu  neu,  als 
dass  ich  selbst  eine  massgebende  Er- 
fahrung mitteilen  könnte.  Es  hat  den 
Vorzug  für  reiche  Patienten,  dass  es 
sehr  teuer  ist,  und  den  Vorzug,  dass  es 
den  Patienten  den  ganzen  Tag  beschäf- 
tigt ;  er  muss  20  bis  30  Pastillen  den 
Tag  nehmen.  Es  wird  ganz  gut  ver- 
tragen. Der  Kollege  scheint  Gutes  da- 
von gesehen  zu  haben.  Das  Keratin- 
Präparat  wird  aus  Hornsubstanz  her- 
gestellt. Möglicherweise  machen  Sie 
einmal  einen  Versuch  an  einem  einzel 
nen  Fall  und  publizieren  denselben. 
Das  wird  Alle,  die  sich  damit  zu  be- 
schäftigen haben,  sehr  interessieren. 

Eine  nicht  symptomatische  Behand- 
lung, die  Tabes  zu  kurieren  Anspruch 
erhebt,  ist  die  Elektrizität  in  allen  ver- 
schiedenen Formen,  und  neuerdings  ist 
sie  in  einer  neuen  Form  aufgetaucht, 
nämlich  in  der  Form  der  haute  fre- 
quence.  Die  Literatur  hat  keinen  Fall 
gezeigt,  in  dem  eine  Verbindung  zwi- 
schen dieser  Behandlung  und  dem  tabi- 
schen  Prozess  notwendiger  Weise  er- 
schlossen werden  konnte.  Die  Klassi- 
ker in  unserer  jetzigen  Tabes-Therapie, 


wie  Er  b,  haben  eine  besondere  Methode. 
Sie  lassen  im  Laufe  des  Jahres  einem 
Tabiker  ein  paarmal  ein  paar  Wochen 
lang  das  Rückenmark  galvanisieren  mit 
dem  aufsteigenden  Strom.  Ich  glaube, 
dass  Erb  noch  jetzt  die  Ueberzeugung 
hat.  damit  einer  grossen  Anzahl  Pa- 
tienten genützt  zu  haben,  und  es  ist 
nicht  meine  Absicht,  diesen  Glauben  er- 
schüttern zu  wollen,  obgleich  ich  nichts 
gesehen  habe,  das  notwendiger  Weise 
auf  Erfolg  schliessen  lassen  muss. 

Wenden  wir  uns  jetzt  zu  der  wich- 
tigsten Frage,  der  symptomatischen 
Behandlung.  Dabei  ist,  wie  schon  ge- 
sagt, erst  die  Form  zu  nennen,  die  wir 
als  Schmerzform  kennen.  Den  Kran- 
ken muss  man  helfen  gegen  ihre 
Schmerzen.  Sie  können  so  kolossale 
sein,  dass  sie  die  Besinnung  des  Patien- 
ten rauben,  dass  sie,  trotzdem  sie  vor- 
übergehend sind,  zu  Selbstmordver- 
suchen geführt  haben  und  den  Arzt 
selbst  in  grösste  Aufregung  versetzen. 
In  neuerer  Zeit  haben  wir  ein  wert- 
volles Mittel  dagegen.  Die  Reihe  der 
künstlichen  aromatischen  Salze  begann 
mit  dem  Kairin.  Nach  dem  Kairin  kam 
das  Antipyrin,  das  ganz  gewiss  nach- 
teilig für  unser  Nervensystem  ist.  Es 
macht  Dyspnoe  und  affiziert  das  Herz. 
Wir  haben  es  für  unseren  Zweck  ganz 
aufgegeben.  Das  Antifebrin  wird  noch 
manchmal  gegeben.  Die  beiden  haupt- 
sächlichsten Mittel,  welche  jetzt  diese 
Domäne  beherrschen,  sind  das  Aspirin 
und  das  Pyramidon,  beides  Kombinatio- 
nen von  Salizyl-Präparaten,  von  verschie- 
denen Fabriken  dargestellt  und  beide 
mit  ziemlich  gleicher  Intensität  em- 
nfohlen.  Strichweise  im  Norden 
Deutschlands  gibt  mancher  Aspirin,  im 
Westen  und  Süden  Pyramidon.  Ich 
erlaube,  dass  Aspirin  manchmal  den 
Magen  afhziert,  und  würde  raten,  einmal 
Pyramidon  zu  versuchen.  Sie  können 
es  in  kleinen  Dosen  von  0,4  gr.  geben, 
zweimal  hintereinander  in  einer  Stunde. 
Wenn  die  Schmerzen  dann  nicht  aufge- 
hört haben,  können  sie  von  der  Wirk- 
samkeit nichts  mehr  erwarten.    Es  ist 


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13 


ein  ungefährliches  Mittel  in  einer  viel 
grösseren  Dosis,  als  angegeben  ist,  ob- 
gleich ich  sagen  muss.  dass,  wenn  Sie 
eine  grössere  Dosis  anwenden,  Sie  dies 
auf  Ihre  eigene  Verantwortung  tun. 
Aber  ich  habe  eine  Erfahrung,  wonach 
ein  Patient  ärgerlich  und  verzweifelt 
eine  ganze  Schachtel  Pyramidon  ge- 
schluckt hat,  vielleicht  zehn  bis  fünf- 
zehn Gramm,  und  er  hat  es  nicht  er- 
brochen. Er  war  beduselt,  seine 
Schmerzen  waren  weg,  und  er  ist  nicht 
daran  gestorben.  Das  scheint  darauf 
hinzuweisen,  dass  Pyramidon  kein  ge- 
fahrliches Mittel  ist.  In  ähnlichem 
Sinn  würde  ich  aus  der  Tatsache 
schliessen,  dass  Leute,  die  an  unerträg- 
licher Parästhesie  des  Rumpfes  leiden, 
Monate  lang  täglich  zwei  bis  drei 
Gramm  Pyramidon  genommen  haben, 
ohne  dass  ich  irgend  welche  nachteilige 
Folgen  für  Herz  oder  Gefäss-System  ge- 
sehen hahe. 

Eine  andere  symptomatische  Be- 
handlung ist  die  der  Hypotonie  bei 
Tabes.  Das  ist  eine  rein  spezialistische 
Sache.  Ich  würde  Ihnen  raten,  diese 
Form  selbst  nie  in  Behandlung  zu  neh- 
men, aber  sie  ist  sehr  besserungsfähig, 
wenn  auch  noch  nicht  ganz  feststeht, 
was  wir  machen  müssen.  Es  ist  die 
Sache  des  neurologischen  Orthopäden, 
welcher  die  Gelenke  in  richtige  Posi- 
tion bringen  muss.  Dann  wird  die 
hypotonische  Störung  besser.  Sie  sind 
aber  auch  anderseits  gezwungen,  den 
Menschen  mit  hypotonischer  Tabes 
entsprechend  behandeln  zu  lassen,  weil 
sonst  unter  Druck  des  Körpers  sich  die 
Hypotonie,  namentlich  der  Kniege- 
lenke, steigert  und  tatsächlich  der  voll- 
kommene Verlust  der  Gehfähigkeit  bei 
einem  solchen  Patienten  eintritt.  Es 
gibt  Fälle,  deren  ganze  Störung  darauf 
beruht,  dass  man  nicht  rechtzeitig 
gegen  diese  Symptome  mit  allen  mög- 
lichen Mitteln  eingeschritten  ist. 

Schliesslich  kommen  wir  auf  die  Frage 
der  Ataxie,  die  Sie  vielleicht  an  dem 
heutigen  Abend  besonders  interessiert, 
und  ich  möchte  doch,  obgleich  wir  hier 


von  allgemeiner  Behandlung  der  ■  Tabes 
sprechen,  einige  Bemerkungen,  zu  dieser 
Methode  machen.  Was  leistet  dieselbe? 
Um  diese  Frage  zu  beantworten,  wollen 
wir  uns  auf  ein  möglich  günstiges  Ni- 
veau stellen  und  können  dann  immer  die 
Kontra-Indikation  leicht  finden.  Also 
am  günstigsten  ist  der  Fall  bei  einem 
Menschen,  der  s.  Z.  die  Entwicklung  der 
Tabes  normaler  Weise  durchgemacht  hat 
und  zu  der  Form  der  „ataktischen"  ge- 
hört, sodass  seine  wesentlichen  Be- 
schwerden in  der  Ataxie  liegen.  Solche 
Fälle  hat  man  häufig  genug.  Das  sind 
die  Leute,  von  denen  ich  vorhin  sprach, 
die  ganz  gesund  sind,  wenn  sie  sitzen.  In 
dieser  Form  dürfen  Sie  an  einem  Erfolg 
einer  rationell  vorgenommenen  Behand- 
lung durch  bestimmte  L'ebungen  gar 
nicht  zweifeln,  und  Sie  dürfen  es  nicht 
als  L  nbescheidenheit  von  mir  ansehen, 
wenn  ich  sage,  dass  heutzutage  der  Arzt 
nicht  das  Recht  hat,  einem  Patienten, 
welcher  an  Ataxie  in  dieser  Form  leidet, 
die  Tatsache  vorzuenthalten,  dass  es  für 
ihn  eine  Besserung  gibt.  Ich  halte  das 
nicht  mehr  mit  dem  Gewissen  verträg- 
lich. Wenn  er  das  nicht  tut,  muss  er  da- 
für besondere  Gründe  haben. 

Die  Länge  der  Dauer  und  die  Schwere 
der  Ataxie  als  solche  hat  nicht  den  ge- 
ringsten Einfluss  auf  die  Besserungs- 
fähigkeit eines  Ataktikers  ;  also  konkret 
ausgedrückt,  ein  Mensch  liegt  seit  10 
Jahren  im  Bett  ohne  die  Möglichkeit,  ei- 
nen Moment  auf  seinen  Füssen  zu 
stehen,  auch  nicht  wenn  er  unterstützt 
ist.  Diese  Tatsachen  haben  nichts  zu  tun 
mit  der  Prognose ;  nicht  ausgeschlossen 
ist,  dass  ein  solcher  Mensch  die  vollkom- 
mene selbstständige  Fähigkeit  des  Gehens 
und  Stehens  findet.  Die  Frage  ist,  wie 
lange  die  Behandlung  dauert.  Das  kann 
im  Minimum  6  Monate  dauern,  im  Maxi- 
mum ein  Jahr  und  noch  länger,  nicht 
länger  als  \l/2  Jahre.  Wenn  Sie  dann 
keinen  vollkommenen  Erfolg  haben,  so 
ist  nichts  weiter  zu  hoffen.  Sie  werden 
sagen,  eine  so  langwierige  Behandlung 
ist  undenkbar.  Allerdings  für  den  prak- 
tischen Arzt.    Sie  ist  nur  möglich  in  be- 


'4 


Nfw    Yorker    Medizinische  Monatsschrift. 


sonderen  Anstalten.  Da  ist  sie  vollstän- 
dig gesichert.  In  Europa  wird  sie  durch 
Krankenkassen  gesichert  werden,  hier 
durch  Wohltätigkeit. 

Jemand,  bei  dem  sich  Tabes  im  Laufe 
von  Wochen,  von  2  Monaten  entwickelt 
hat,  der  ganz  ataktisch  geworden  ist, 
dem  werden  Sie  ja  nicht  raten, Uebungen 
zu  machen,  sondern  Sie  werden  ihn  be- 
handeln wie  einen  chronischen  schweren 
Nervenfall,  mit  Ruhe  u.  s.  w. 

Die  Gefahren  dieser  Behandlungsme- 
thode sind  so  gross  wie  ihre  Vorzüge. 
Ich  kann  im  Einzelnen  nicht  darauf  ein- 
gehen, aber  im  allgemeinen  wird  unge- 
heuer viel  Schaden  damit  angerichtet, 
weil  man  merkwürdiger  Weise  glaubt, 
dass  jeder  sich  diese  Uebung  nach  einem 
besonderen  System  ausdenken  kann,  und 
weil  wir  unter  dem  unglückseligen  Ein- 
fluss  des  gymnastischen  Jahrhunderts 
leben.  Ich  will  sagen,  dass  die  Heilgym- 
nastik nicht  das  geringste  zu  tun  hat  mit 
dieser  Methode,  und  Sie  werden  sich 
diesen  Unterschied  am  besten  klar  ma- 
chen, wenn  Sie  sich  fragen,  ob  Sie,  um 
besonders  gut  Klavier  zu  spielen,  vorher 
eine  halbe  Stunde  mit  den  schwersten 
Hanteln  üben  sollen,  oder,  wenn  Sie  eine 
feine  Stickerei  machen  wollen,  ob  Sie 
vorerst  eine  schwere  Hausarbeit  gemacht 
haben  sollen.  Sie  werden  sagen,  dass 
diese  Arbeit  umgekehrt  gewirkt  haben 
wird.  Also  die  Heilgymnastik  in  ihrer 
Widerstandsbewegung  ist  das  schäd- 
lichste, was  Sie  Ihrem  Patienten  geben 
können,  und  alle  Methoden,  welche  ir- 
gend welchen  Zusammenhang  damit  ha- 
ben, werden  den  Patienten,  statt  ihnen 
zu  nützen,  schaden.  Damit  kommen  wir 
der  Frage  näher,  wie  kann  man  diese 
Methode  lernen.  Es  gibt  Bücher  dar- 
über. Wer  aber  glaubt,  dass  er  aus  dem 
Buch  die  Methode  lernen  kann,  ist  auf 
dem  Holzwege.  Praktische  Ausführun- 
gen, die  mit  technischen  Einzelheiten 
verbunden  sind,  und  das  genaue  Studium 
der  ihm  vorgemachten  und  erklärten 
Tatsachen  können  es  allein  nur  lehren. 

Ich  möchte  Sie  nicht  zu  lange  aufhal-  j 
ten  und  nur  noch  über  die  allgemeine  Be-  1 


handlung  der  Tabes  ein  paar  Worte  sa- 
gen. Die  Mode  hat  in  dieser  Beziehung 
gewechselt.  Zu  Rombergs  Zeiten 
hat  man  die  Leute  in  den  Lehnstuhl  ge- 
legt, Ihnen  gute  Bouillon  gegeben  und 
versucht,  ihnen  die  letzten  Lebenstage  so 
angenehm  wie  möglich  zu  machen. 
Heutzutage  wäre  das  ein  Verbrechen. 
Sie  sind  verpflichtet,  diese  Leute  nicht  als 
verlorene  Posten  anzusehen,  sondern  im 
Gegenteil,  aber  Sie  werden  auch  finden, 
dass.  wenn  die  Patienten  gesehen  haben, 
dass  die  Quacksalberei  nichts  genützt  hat, 
sie  doch  den  Aerzten  treu  bleiben,  und  es 
ist  nicht  selten,  dass  die  Tabiker  kom- 
men und  auch  ihr  Allgemeinbefinden 
kontrollieren  lassen  wollen,  und  da  wer- 
den Sie  sich  als  grundsätzliche  Mass- 
regel vornehmen,  den  Patienten  alles  zu 
verbieten,  was  Uebermüdung  ist.  Jede 
einzelne  Frage  müssen  Sie  vom  Stand- 
punkt der  Ermüdung  beurteilen.  Der 
Patient  fragt,  ob  er  Bäder  nehmen  soll. 
Bei  uns,  wo  die  Bädereinrichtung  nicht  so 
allgemein  verbreitet  ist,  dass  auch  die 
ärmeren  und  Mittelklassen  immer  ein 
Badezimmer  zur  Verfügung  haben,  wer- 
den Sie  nicht  ohne  Weiteres  antworten 
können,  ohne  zu  wissen,  unter  welchen 
Umständen  der  Mann  sein  Bad  zu  neh- 
men hat.  Wenn  der  Mann  vielleicht  von 
seinem  Hause  eine  halbe  Stunde  zu  gehen 
und  wieder  zurückzugehen  hat.  so  müs- 
sen Sie  ihm  das  absolut  verbieten.  Der 
Effekt  des  Bades  wird  niemals  diese  Er- 
müdung aufwiegen.  Das  ist  eine  wich- 
tige Sache  bei  der  Frage  der  Badekuren. 
In  Europa  wie  hier  werden  die  Tabiker 
in  Bäder  geschickt,  obwohl  ich  nicht  ein- 
sehe, was  dies  für  einen  Zweck  hat. 
Ich  habe  den  grössten  Schaden  gesehen, 
wenn  Leute,  die  nach  Nauheim  gingen, 
unter  den  grössten  Schwierigkeiten  zu 
ihrem  Bad  kamen.  Wenn  Sie  Ihre  Pa- 
tienten erh-dten  wollen,  empfehlen  Sie 
ihnen  also  Ruhe. 

Eine  zweite  Frage  betrifft  den  Wein 
und  Tabak.  Gegen  mässigen  Weinge- 
nuss  ist  nichts  zu  sagen.  Tabak  ist  mit 
ziemlicher  Strenge  zu  kontrollieren  ev. 
nicht  ganz  zu  versagen,  aber  es  ist  zwei- 


New    Yorker    Medizinische  Monatsschrift. 


feilos,  dass  er  ungünstig  wirkt.  Wenn 
Sie  es  tun  können,  verbieten  Sie  den  Ta- 
bak vollständig,  sonst  beschränken  Sie 
ihn,  soweit  es  geht. 

Von  allergrösster  Bedeutung  ist  die 
Frage  der  Verdauung.  Ich  glaube,  dass 
eine  Anzahl  von  schweren  Tabikern  an 
einer  ganz  eigentümlichen  Form  von 
Autointoxikation  zu  Grunde  gehen.  Man 
ist  manchmal  ganz  ratlos,  wenn  man 
plötzliche  Verschlechterung  bei  Tabi- 
kern findet,  wozu  keine  Veranlassung  da 
ist.  Man  denkt  sich,  der  tabisohe  Fro- 
zess  ist  weiter  gegangen,  aber  das  äussert 
sich  doch  irgend  wie.  Sie.  .untersuchen 
den  Urin  und  finden  nichts.  Sie  erkundi- 
gen sich  nach  der.  Verdauung  und  hören, 
dass  der  Patient  ir.it  meni  oder  mlnöei 
Hilfe  Stuhlgang  hat.  Sie  werden  sich 
aber  dadurch  nicht  abhalten  lassen  und 
untersuchen  den  Darm  mit  dem  Finger 
und  Sie  finden  manchmal  ein  überrasch- 
endes Resultat.  Der  erschlaffte  Darm 
ist  unter  Umständen  von  dem  untersten 
Abschnitt  so  hoch,  wie  Sie  heraufkommen 
mit  steinharten  Massen  von  altem  Stuhl 
angefüllt,  von  dessen  Existenz  weder  der 
Patient  noch  der  Arzt,  die  Familie  eine 
Ahnung  hat,  da  der  Patient  scheinbar 
natürlichen  Stuhlgang  gehabt  hat,  der 
diese  Massen  passiert  hat.  Nun  begrei- 
fen Sie  diesen  eigentümlichen  Zustand 
von  langsamer  Autointoxikation.  Die 
Massen  sind  so  steinhart,  dass  man  mit- 
unter Schwierigkeit  hat,  sie  zu  zerklop- 
fen. Ich  würde  raten,  in  jedem  Fall,  der 
sich  besonders  stark  verschlechtert  und 
Appetitlosigkeit  zeigt,  regelmässig  den 
Darm  zu  untersuchen.  Sie  werden  dann 
unglaubliche  Quantitäten  von  Kot  auf 
einmal  herausbefördern. 

Ich  kann  nicht  schliessen,  ohne  auf  die 
Fras:e  des  Morphiums,  diese  praktisch 
wichtige  Frage  zu  kommen.  Es  gibt 
Schmerzanfälle,  die  so  kolossal  sind,  dass 
Sie,  da  Sie  dieses  Wundermittel  in  der 
Hand  haben,  oft  in  Versuchung  kommen 
werden,  es  anzuwenden.  Für  Schmerzen 
wende  ich  es  absolut  nie  mehr  an,  nach- 
dem ich  die  Erfahrung  gemacht,  dass  je- 


mand, dem  man  Morphium  gegeben  hat, 
weiss,  das  nichts  anderes  nützt  als  Mor- 
phium. Was  aus  dem  Menschen  wird, 
der  gewohnt  ist,  Morphium  zu  nehmen, 
das  wissen  wir  nicht.  Für  gastrische 
Krisen  ist  das  Morphium  unter  Umstän- 
den nicht  zu  vermeiden.  Es  gibt  gas- 
trische Krisen,  die  den  Patienten  an  den 
Rand  des  Todes  bringen,  und  es  hängt 
nur  von  einer  Morphium-Einspritzung 
ab,  dass  dieser  Mann  morgen  wieder  ge- 
sund ist.  Jedes  Jahr  nehme  ich  mir  vor, 
,  Morphium  nicht  zu  geben,  und  doch  gebe 
ich  unter  Umständen  eine  Einspritzung, 
.aber  mit  der  Vorsichtsmassregel,  weder 
ein  Morphium-Rezept  zu  verschreiben, 
noch  es  dem  Patenten  oder  der  Familie 
uiit/uteven,  -und  in  letzter  Zeit  weiss  es 
nicht  einmal  der  behandelnde  Arzt,  denn 
der  ist  am  allermeisten  versucht,  es  zu 
geben.  Sie  müssen  Mittel  und  Wege 
finden,  sich  mit  dem  Arzt  ins  Vernehmen 
zu  setzen. 

Meine  Herren !  Es  liesse  sich  noch 
sehr  viel  darüber  sagen,  aber  wenn  Sie 
die  ganze  allgemeine  Prognose  der  Tabes 
ansehen  im  Verhältnis  zu  früher,  so  hat 
sie  sich  wesentlich  verbessert,  und  zwar 
hauptsächlich  durch  Einführung  der 
Uebungen.  Wir  wissen,  dass  die  Tabes 
nicht  notwendiger  Weise  ein  progressi- 
ver anatomischer  Prozess  ist.  Man  hat 
das  früher  geglaubt,  weil  die  Ataxie  ein 
progressiver  Prozess  ist.  Wenn  ein 
Mensch  Ataxie  hat  und  tut  dagegen 
nichts,  so  wird  er  immer  ataktischer. 
Die  Folgen  sind  Erschlaffung  der  Funk- 
tion der  Muskulatur,  die  gerade  bei  Ta- 
bes eine  besondere  Neigung  hat,  ihre 
Funktion  einzubüssen.  Sie  können 
sehen,  das  einer  eine  Cystitis  hat,  weil 
die  Bauchmuskulatur  nicht  mitarbeitet, 
da  der  Mann  nicht  geht.  Unter  Umstän- 
den werden  diese  Formen  vollständig  be- 
seitigt oder  gebessert  unter  Einfluss  der 
Uebungs-Therapie.  Ich  habe  in  den  letz- 
ten Jahren  schwere  Cystitiden  selten  ge- 
sehen, und  das  Katheterisieren  ist  für 
mich  eine  seltene  Prozedur  geworden. 


i6 


New    Yorker    Medizinische  Monatsschrift. 


Ein  Fall  von  Empyem  der  Nebenhöhle  der  Nase  kombiniert  mit  Durchbruch 

in  die  Orbita. 

Von  Dr.  John  Guttmax. 


Wiewohl  Erkrankungen  der  Neben- 
höhlen der  Xase  nicht  zu  den  seltenen 
Vorkommnissen  gehören,  so  ist  die 
Diagnostizierung  derselben,  besonders 
der  latenten  chronischen  Formen,  doch 
relativ  selten,  da  die  subjektiven  Symp- 
tome wie  Kopfweh,  SclnvindpläjifäTle 
etc.  so  allgemeiner  XaUIr  'sind,  dass 
deren  Ursache  in  einer/  Erkrankung 
des  Magens,  der  Nieren  oder  des  Ner- 
vensystems gesucht  Averden  kann,  und 
da  andererseits  die  objektiven  Symp- 
tome nur  den  Spezialisten  nach  gründ- 
licher Untersuchung  zur  richtigen  Dia- 
gnose führen.  Diesem  wird  aber  der 
Patient  nur  dann  überwiesen,  wenn  der 
behandelnde  Arzt  eine  jede  Erkrank- 
ung irgend  eines  anderen  Organes, 
welche  möglicherweise  die  Ursache  der 
vorhandenen  Symptome  sein  könnte, 
ausgeschlossen  hat. 

Bei  einer  akuten  Erkrankung  der 
Nebenhöhlen  der  Nase,  oder  wenn 
diese  Erkrankung  kompliziert  ist  mit 
der  Erkrankung  eines  anderen  Orga- 
nes, wie  in  nachstehendem  Falle  mit 
einem  Abszess  in  der  Orbitalhöhle,  ist 
die  richtige  Feststellung  der  richtigen 
Diagnose  bedeutend  erleichtert. 

Die  Krankengeschichte  des  Falles 
ist  in  kurzem  folgende:  Ein  15  Jahre 
altes  Mädchen,  ohne  hereditäre  Belast- 
ung, das  früher  immer  gesund  ge- 
wesen war,  klagte  am  21.  September 
1906  über  Zahnschmerzen.  Irgend  ein 
aus  der  Apotheke  geholtes  Medikament 
stillte  den  Zahnschmerz,  sodass  Pa- 
tientin die  Nacht  hindurch  schlafen 
konnte. 

22.  September.  Der  Zahnschmerz 
kam  am  Morgen  wieder,  zugleich 
stellte  sich  Fieber  mit  starkem  Schüt- 
telfrost ein.  Ein  Arzt,  der  gerufen 
wurde,   glaubte,   die   Schwellung  der 


Wange  einem  Zahngeschwür  zuschrei- 
ben zu  können  und  schnitt  das  Zahn- 
fleisch über  dem  schmerzenden  Zahn 
ein. 

23.  September.  Ein  anderer  Arzt 
Vv'urde  ,  zugezogen,  der  den  kranken 
£ahn  extiahjeren  Hess.  Da  aber  dar- 
nach die  Schwellung  sich  bis  auf  die 
Augenlider  ausbreitete,  wurde  ich  kon- 
sultiert und  fand  folgenden  Zustand  : 
.  .Te.mper^Uir  .103°  F„  Puls  110.  Die 
rech te.W.ange  .wie  auch  das  obere  und 
untere  Lid  derselben  Seite  stark  ge- 
schwollen. Die  Konjunktiva  bulbi 
zeigte  einen  chemotischen  Wulst.  Der 
Bulbus  stark  vorstehend  und  seine  Be- 
weglichkeit sehr  vermindert.  Die 
Haut  in  der  Gegend  des  inneren  Au- 
genwinkels war  rot,  geschwollen  und 
sehr  empfindlich  auf  Druck.  Die  Seh- 
schärfe auf  dem  rechten  Auge  betrug 
r 5/200.  Die  ophthalmoskopische  Un- 
tersuchung zeigte  eine  Hyperämie  des 
Augennerven.  Die  Untersuchung  der 
Nase  ergab  fauligstinkenden  Eiter  im 
mittleren  Nasengang. 

Ich  Hess  die  Patientin  am  darauffol- 
genden Morgen  zu  mir  kommen,  bei 
welcher  Gelegenheit  ich  eine  Probe- 
punktion der  Kieferhöhle  vornahm, 
welche  die  Anwesenheit  von  Eiter  da- 
selbst ergab.  Ich  machte  darauf  eine 
, .radikale"  Antrum-Operation,  indem 
ich  den  grössten  Teil  der  vorderen 
Antrumwand  mit  dem  Meissel  ent- 
fernte, dann  den  Teil  der  innern  Wand, 
der  in  den  mittleren  Nasengang  führte, 
durchbrach  und  so  eine  breite  Kom- 
munikation zwischen  Nase  und  An- 
trum  herstellte. 

Am  folgenden  Tage  entfernte  ich 
das  vordere  Ende  der  mittleren  Mu- 
schel, eröffnete  die  Siebbeinhöhle  und 
entfernte  eine  recht  grosse  Menge  ne- 


New    Yorker    Medizinische  Monatsschrift. 


17 


krotischer  Knochen  und  stinkenden 
Kiters.  Darnach  eröffnete  ich  von  aus- 
sen in  der  Gegend  des  innern  Augen- 
winkels den  (  trbitalabszess.  Die  Oeff- 
nung  in  der  Lamina  papyracea,  die 
schon  vorher  durch  den  Eiterungspro- 
zess  entstanden  war,  wurde  noch  mehr 
erweitert  und  so  eine  weite  Kommuni- 
kation zwischen  dem  Orbitalabszess 
und  der  Siebbeinhöhle  hergestellt. 
Drei  Tage  später  heilte  die  äussere 
Wunde  mit  Hinterlassung  einer  kaum 
sichtbareil  Xarbe  zu.  Nach  fünf  Ta- 
gen sistierte  der  stinkende  eitrige  Aus- 
fluss  aus  der  Nase.  Die  Hyperämie 
des  Sehnerven  verschwand  und  die 
Sehschärfe  ist  jetzt  wieder  normal. 

Der  beschriebene  Fall  ist  von  In- 
teresse wegen  des  sehr  akuten  und 
raschen  Verlaufes  der  Erkrankung, 
welche  nicht  nur  die  Vernichtung  ei- 
nes sehr  wichtigen  Organes.  des  Au- 
ges, bedrohte,  sondern  auch  das  Leben 
der  Patientin,  wenn  nicht  rechtzeitig 
ein  operativer  Eingriff  erfolgt  wäre. 
Der  sehr  virulente  Eiter  hätte  nicht 
allein  den  Augapfel  durchdringen  und 
zerstören  können,  sondern  konnte  auch 
durch  den  optischen  Kanal  oder  durch 
die  Lamina  cribriformis  des  Siebbeins 
in  das  Gehirn  dringen  und  hier  einen 


|  Gehirnabszess  erzeugen.  Der  ganze 
Prozess    machte    einen    sehr  rapiden 

|  Fortschritt.  Von  dem  Beginne  des 
Zahnschmerzes  bis  zur  Schwellung 
der  Augen  waren  kaum  48  Stunden 
verflossen. 

Ich  halte  es  nicht  für  wahrscheinlich, 
dass  die  primäre  Ursache  der  Erkrank- 
ung in  einer  Entzündung  der  Zahn- 
wurzel zu  suchen  ist,  wie  ich  es  in  ei- 
nem  nahezu  identischen  Falle,  den  ich 
in  den  ,, Annais  of  ( )phthalmologv"  im 
Januar  1900  veröffentlicht  habe,  an- 
nahm, und  dass  diese  Entzündung  die 
Kiefer-  und  später  die  Siebbeinhöhle 
affizierte,  um  dann  endlich  in  die  Au- 
genhöhle  durchzubrechen.    Ich  halte 

|  es  vielmehr  für  wahrscheinlicher,  dass 

j  diese  Patienten  an  einem  chronischen 
latenten  Empyem  der  Siebbeinhöhle 
litten,  ohne  merkbare  subjektive  Symp- 
tome, und  dass  dieses  Empyem  sich 
dann  auf  die  Kieferhöhle  ausbreitete. 
Die  Eiterung  in  der  Kieferhöhle  verur- 
sachte eine  Nekrose  der  Zahnwurzel. 
Zugleich  wurde  durch  ein  unbekanntes, 
sehr  giftiges  Agens  diese  latente  Form 
der  Entzündung  in  eine  foudroyante 

I  Form  umgewandelt,  welche  sich  dann 
bis  auf  die  Orbita  erstreckte  und  da- 
selbst einen  Abszess  bildete. 


Barbarismus  in  der  Aerztlichen  Sprache. 

Von  A.  Rose. 


In  La  Semaine  Medicale,  Xo.  52,  1906, 
erschien  ein  Artikel  von  M.  S  a  k  o  r- 
rhaphos,  Professor  der  Medizin  an 
der  Universität  von  Athen,  „Comment 
011  doit  former  les  neologisms  medicaux 
du  (irec".  in  welchem  nicht  nur  alles, 
was  ich  während  der  letzten  dreizehn 
Jahre  üher  diesen  Gegenstand  gesagt, 
festgestellt  wird,  sondern  in  welchem 
auch  viele  treffende  Beispiele  von  un- 
richtigen   medizinischen  Benennungen 


angeführt  werden,  die  ich  selbst  in  zahl- 
reichen Schriften  blossgestellt  habe. 

L  i  t  t  r  e  schrieb  vor  länger  als  einem 
Jahrhundert:  Die  medizinische  Sprache, 
welche  in  ihrer  ersten  Zusammensetzung 
fast  ganz  griechisch  war,  hat  nicht  auf- 
gehört zu  dieser  Quelle  zurückzukehren, 
wenn  die  unvermeidliche  Notwendigkeit 
entsteht,  neue  Benennungen  zu  finden  :  in 
vielen  Fällen  jedoch  sind  die  Nomenkla- 
toren  der  neueren  Zeit   irre  gegangen. 


iS 


New    Yorker    Medizinische  Monatsschrift. 


indem  sie  überflüsige  Worte  schufen  und 
die  Gesetze  der  Analogie  und  der  Ortho- 
graphie missachteten. 

Bekämpfung  dieses  Uebelstandes 
durch  Richtigstellung  ist  unter  allen  Um- 
ständen nützlich,  für  Lehrer  sowohl  als 
für  wissenschaftliches  Denken. 

S  a  k  o  r  r  h  a  p  h  o  s  hat  augenschein- 
lich meine  eigenen  Bemerkungen  nicht 
gelesen,  in  welchen  ich  die  schönen 
Worte  Lavoisiers  über  die  Notwen- 
digkeit einer  richtigen  wissenschaftlichen 
Sprache  anführe. 

Die  landläufige  Entschuldigung  für 
Beibehaltung  von  Barbarismen  in  un- 
serer Nomenklatur  „Usus  est  tyrannus" 
könnte  man  übersetzen  „Darwin  hat 
Recht". 

G.  Tl.  Roger,  den  S  a  k  o  r  r  h  a- 
phos  anführt,  sagt:  „Zahlreiche  tech- 
nische Bezeichnungen  in  der  medizini- 
schen Onomatologie  sind  so  unrichtig 
geformt,  dass  die  Griechen  es  schwierig 
finden  müssen,  den  Ursprung  und  die  Be- 
deutung solcher  griechisch  sein  sollende" 
Bezeichnungen  zu  erkennen. 

Der  ununterbrochene  Fortschritt  in 
der  Medizin,  besonders  seit  Einführung 
der  Bakteriologie,  machte  die  Schaffung 
neuer  Namen  für  neue  Begriffe  zur  Not- 
wendigkeit :  Fi  irscher  und  Entdecker,  in- 
dem sie  neue  Namen  schufen,  nahmen 
keine  Rücksicht  auf  Grammatik,  sie  ver- 
fielen in  die  Gewohnheit,  ein  Lexikon  zu 
konsultieren,  zwei  oder  drei  Worte  zu- 
sammenzufügen, gleichviel  ob  die  Neu- 
bildungen mit  grammatischen  Regeln 
übereinstimmten  oder  den  richtigen  Sinn 
ausdrückten. 

Den  Unregelmässigkeiten  in  der  Bil- 
dung neuer  medizinischer  Benennungen 
war  ein  weites  Feld  gegeben,  weil  die 
Aerzte  der  neueren  Zeit  grammatische 
Studien  mehr  und  mehr  vernachlässigen. 
Während  die  Grammatiker  bisher  sehr 
weniff  getan  —  bei  der  bestehenden  Ani- 
mosität gegen  wissenschaftliche  medizi- 
nische Sprache  —  konnten  die  Nomen- 
klatoren  ihre  Kühnheit  auf  die  äusserste 
Spitz?  treiben,  so  weit,  dass  die  Gefahr 


besteht,  dass  in  nicht  langer  Zeit  die  me- 
dizinische Onomatologie  gänzlich  unver- 
ständlich werden  wird.  Ich  stimme  voll- 
ständig mit  Sakorrhaphos  überein, 
wenn  er  von  der  Feindschaft  der  Aerzte 
spricht,  sobald  man  den  medizinischen 
Jargon  angreift;  jeder  Mann  aber,  der 
treu  den  wissenschaftlichen  Grundsätzen 
ist,  wird  dem  beistimmen,  wenn  er  sagt, 
dass  es  gut  sein  würde,  dem  bestehenden 
Missbrauch  der  Sprache  Halt  zu  gebie- 
ten. Während  die  Medizin  beständig 
fortschreitet,  sind  wir  bedroht,  dass  die- 
ser Sprachenmissbrauch  zu  einem  Chaos 
führt,  welches  das  Studium  der  Medizin 
erschwert  und  zu  einem  undankbaren 
macht. 

Der  Verfasser  illustriert  den  Zustand 
unserer  Onomatologie  durch  einige  Bei- 
spiele. 

Amyotrophia,  Amyatrophia,  diese 
zwei  Synonyme,  von  denen  das  erstere 
gebräuchlicher  ist  als  das  letztere,  sind 
nicht  nach  grammatischenRegeln  kom- 
poniert worden.  Sie  kommen  nicht  von 
uns,  Muskel,  und  trophe,  Ernährung, 
wie  medizinische  Wörterbücher  ange- 
ben, sondern  von  mys  und  atrophia ; 
letzteres  kommt  von  atrophos,  ohne  Er- 
nährung, welches  aus  einem  Privativ 
und  von  trephomai,  sich  ernähren,  ge- 
bildet ist.  Bei  der  Benennung  Amya- 
trophie  sowohl  als  bei  der  Benennung 
Amyotrophie,  in  denen  das  Privativ  aus 
seinem  rechtmässigen  Platz  genommen 
und  vor  das  Präfix  myo  gesetzt  worden, 
figuriert  es,  wie  die  Grammatiker  es  nen- 
nen, als  Hyperlatum,  i.  c.  Inversion ;  die 
griechische  Sprache  aber  gestattet  nicht 
Zusammensetzungen,  welche  gegen  die 
Regeln  der  Sprache  Verstössen  und  un- 
richtig gebildet  sind  wie  zwei  Privative 
in  einem  Wort,  was  eine  Perissologie 
oder  Kontradiktion  bedeuten  würde  — 
zwei  Negative  sind  gleich  einer  Bejah- 
ung —  und  aus  diesem  Grunde  schlägt 
Sakorrhaphos  vor.  anstatt  der  zwei 
unrichtigen  Benennungen  Amyataxie 
und  Amyasthenie  die  Wörter  Myataxie 
und  Myasthenie.  Dies  würde  ausserdem 
mit  dem   Wort   Neurasthenie,  welches 


New    Yorker    Medizinische  Monatsschrift. 


10 


grammatisch  richtig'  gebildet  ist,  über- 
einstimmen. 

Anophthalmie.  Diese  Benennung  wird 
gewöhnlich  .gebraucht,  um  kongenitales 
Fehlen  eines  Auges  zu  bezeichnen.  Im 
Griechischen  jedoch  würde  dieses  Wort 
vollständiges  Fehlen  der  Augen  bedeu- 
ten. Kongenitales  Fehlen  eines  Auges 
heisst  griechisch  Monophthalmie,  von 
monos,  allein,  ophthalmos,  Auge.  Die 
alten  Griechen  nannten  die  Kyklopen 
Monophthalmes  und  nicht  Anophthal- 
mes. 

Abrachia.  Dieses  Wort  ist  schon  von 
mir  selbst  kritisiert  worden.  Die  Ueber- 
setzung  ist  nicht  Fehlen  der  Arme,  son- 
dern Fehlen  von  Felsen  (a- — Privativ, 
brachos  —  Felsen).  Ich  fand  die  Be- 
nennung Abrachionia  (a  —  Privativ, 
und  brachion  ( —  onos.  Arm) .  Sakor- 
rhaphos gibt  Lipobrachionia  (von 
leipo,  abwesend)  in  Analogie  mit  Lipo- 
blepharie,  Lipoglossie,  Lipotrichie,  aber 
er  gebraucht  auch  Abrachionia  und  sagt, 
wir  sollten  kongenitales  Fehlen  von  Arm 
und  Kopf  nicht  Abrachiokephalie  sondern 
Abrachionokephalie  nennen ;  wenn  man 
einwenden  sollte,  dass  das  letztere  Wort 
wegen  seiner  Länge  unbequem  sein 
würde,  so  müsse  vom  etymologischen 
Standpunkt  geltend  gemacht  werden, 
dass  man  nicht,  um  eine  oder  zwei  Syl- 
ben  zu  ersparen,  ein  Wort  verstümmeln 
dürfe  ;  mit  demselben  Grunde  sollten  wir 
nicht  sagen  Brachiotomie  (Felsenschnei- 
den) sondern  Brachionotomie.  Das  hier 
zur  Geltung  kommende  Prinzip  ist :  zu- 
sammengesetzte Wörter  werden  aus  dem 
( renitiv  gebildet,  der  den  Wortstamm 
oder,  nach  grammatischer  Sprache,  das 
Thema  des  Wortes  gibt.  Der  Genitiv 
von  Tenon  ist  Tenontos,  deshalb  darf  es 
nicht  Tenotomie.  sondern  es  muss  Te- 
nontomie  heissen. 

Akromegalie,  Chiromegalie,  Spleno- 
megalie, Diese  Benennungen  sind  ge- 
gen alle  Regeln,  welche  Wortbildung  im 
Griechischen  beherrschen,  gebildet  wor- 
den ;  ich  selbst  habe  diese  Beispiele  schon 
seit  Jahren  in  meinen  Schriften  ange- 
führt und  die  richtigen  Namen  Megala- 


kria,  Megalochiria  etc.  genannt.  S  a- 
korrhaphos  sagt :  Wenn  die  Grie- 
chen eine  Komposition  mit  Hilfe  eines 
Substantivs  und  einem  der  Adjektive  ma- 
kros,  megas,  mikros,  polys  etc.  bilden, 
wird  das  Adjektiv  immer  der  erste  Kom- 
ponent.  In  Uebereinstimmung  mit  dif* 
ser  Regel  bestehen  schon  eine  Anzahl 
von  medizinischen  Namen  wie  Makro- 
kephalie, Makroglossie,  Mikrokephalie, 
Polydaktylie  etc. 

Akinesie.  Ich  hatte  dieses  Wort,  weil 
es  grammatisch  richtig  gebildet  ist,  nicht 
kritisiert ;  Sakorrhaphos  zeigt 
aber,  dass  es  zu  unbestimmt  ist.  Er  sagt, 
Roraberg  hat  diese  Bezeichnung  ils 
Synonym  mit  Paralyse  eingeführt.  Jas 
Wort  besteht  allerdings  im  Griechischen, 
aber  die  Bedeutung  desselben  ist  so  all- 
gemein und  so  verschieden,  dass  es  nicht 
mit  Nutzen  in  der  medizinischen  Ononia- 
tologie  verwendet  werden  kann.  Man 
hat  darunter  verstanden  die  Schwierig- 
keit bei  Atrophie  bestimmter  Muskeln 
gewisse  Bewegungen  auszuführen,  aber 
auch  die  Pause  zwischen  den  Herzpulsa- 
tionen, welche  die  Systole  von  der  Di- 
astole trennt.  Von  diesen  Interpreta- 
tionen ist  die  erstere  unrichtig,  denn 
Schwierigkeit  der  Bewegung  sollte  nicht 
Akinesie,  sondern  Dyskinesie  genannt 
werden,  entsprechend  dem  Wort  Dysar- 
thria  (Partikel  dys  und  Arthron). 
Dyspnoe,  Schwierigkeit  der  Atmung, 
Dyspepsie,  Schwierigkeit  der  Verdau- 
ung. Der  Name  Akinesie,  wenn  über- 
haupt gebraucht,  sollte  nur  für  vollstän- 
dige Bewegungslosigkeit  stehen  bleiben, 
und  dabei  wäre  der  Name  des  Organs 
das  in  Frage  kommt  zu  nennen,  z.  B. 
Akinesie  des  Herzens. 

Nun  kommt  Sakorrhaphos  auf 
eine  Unrichtigkeit  zu  sprechen,  welche 
mir  selbst  während  der  letzten  sieben 
Jahre  viel  zu  schaffen  gemacht  hat.  In 
einer  Vorlesung,  welche  ich  vor  sieben 
Jahren  in  Washington  vor  der  American 
Ga'stro-Enterological  Society  hielt,  legte 
ich  Gewicht  darauf,  dass  das  Wort  Gas-, 
troptosis  ungrammatisch  sei  und  gab  da- 
bei die  Etymologie,  nach  welcher  es  Gas- 


20 


New    Yorker  Medizin- 


ische Monatsschrift. 


troptosie  heissen  müsse.  Trotzdem  dass 
ich  den  unumstösslichen  Beweis  für  die 
Richtigkeit  meiner  Behauptung  gegeben, 
änderten  die  Redakteure  von  Journalen 
die  Schreibweise  Gastroptosia  in  Gas- 
troptO'Sis  nicht  nur  in  meinen  Manu- 
skripten, sondern  auch  in  den  Titeln  mei- 
ner Schriften,  wenn  letztere  zur  Be- 
sprechung kamen.  Die  Etymologie,  die 
ich  gegeben,  stimmt  ganz  genau,  ja  fast 
wörtlich  mit  der  von  Sakorrha- 
phos  gegebenen  überein.  S  ä  k  o  r- 
r  h  a  p  h  o  s  schreibt :  Es  ist  in  der  Tat 
bekannt,  dass  abstrakte  Namen  im 
( griechischen,  welche  in  sis  endigen,  un- 
verändert bleiben,  wenn  sie  in  eine  Zu- 
sammensetzung mit  einer  Präposition 
kommen,  wie  z.  I!.  Stasis,  Anastasis, 
Katastasis,  aber  wenn  diese  abstrakten 
Xamen  mit  sis  in  eine  Zusammensetzung 
mit  einem  Wort  kommen,  das  nicht  eine 
Präposition  ist,  ändern  sie  ihre  Endung 
in  sia,  wie  Stasis,  Astasia  ;  Pepsis,  Dys- 
pepsia.  Ich  erwähnte,  um  den  Unter- 
schied besonders  anschaulich  zu  machen 
Sepsis,  Asepsia,  und  Sepsis,  Antisepsis. 
S  a  k  o  r  r  h  a  pho  s  gibt  folgende  Bei- 
spiele : 

Arthrolysia,  nicht  Arthrolysis. 

( iastroptosia,  nicht  Gastroptosis. 

Xephroptosia,  nicht  Nephroptosis. 

Thyreoptosia,  nicht  Thyreoptosis. 

Häinostasia,  nicht  Hämostasis. 

Hystolysia,  nicht  Hystolysis. 

Wir  haben  übrigens  in  unserer  No- 
menklatur eine  grosse  Anzahl  von  Wör- 
tern dieser  Art,  die  ganz  richtig  gebildet 
sind,  z.  Ii.  Paralysis,  nicht  Paralysia, 
Diagnosis,  nicht  Diagnosia,  Antisepsis, 
nicht  Antisepsia. 

Sakorrhaphos  sagt :  Wir  haben 
sehr  ausführlich  über  zusammengesetzte 
Wörter  mit  den  Endungen  is  und  ia  ge- 
sprochen, um  darzuthun,  dass  eine  grosse 
Anzahl  dieser  Art  bestehen,  welche  un- 
richtig sind  und  welche  leicht  korrigiert 
Werden  könnten. 

Dann  kommt  er  zu  Wörtern,  welche 
nicht  den  Sinn  geben,  den  sie  geben 
sollten. 


Anämia.  Um  Armut  oder  zu  geringe 
Quantität  des  Blutes  zu  bezeichnen, 
sollte  man  den  Xamen  ( )lighämia  (oli- 
gos.  wenig,  und  Häma.  Blut)  wählen. 
Es  scheint  viel  verlangt  zu  sein,  in  diesem 
besondern  Falle  eine  Aenderung  vorzu- 
schlagen, aber  es  ist  am  besten  nicht  zu- 
rückzuhalten, wenn  die  Frage  vorliegt, 
ob  richtige  Ausdrücke,  die  den  richtigen 
Sinn  geben,  eingeführt  werden  sollen, 
oder  ob  die  Pasis  des  medizinischen  Stu- 
diums eine  falsche  bleiben  soll. 

Wir  hören  so  oft,  dass  man  möglichst 
kurze  Wörter  liebt,  und  doch  sagen  wir 
Diplokephalie,  Diplosomie,  anstatt  die 
kürzeren  und  einzig  richtigen  griechi- 
schen Xamen  beizubehalten.  Die  Grie- 
chen nennen  ein  Monstrum  mit  zwei 
Köpfen  dikephal  und  nicht  diplokephal, 
ein  solches  mit  zwei  Körpern  disom,  und 
nicht  diplosom  ;  die  entsprechenden  Sub- 
stantive sind  Dicephalie,  Disomie.  Diese 
Perichtigung  ist  um  so  mehr  geboten,  als 
die  medizinische  Onomatologie  schon 
richtig  gebildete  analoge  Wörter  hat, 
z.  It.  didelph,  dikrot.  didym. 

Athetosis.  Dieses  Wort  kommt  von 
der  schwachen  Wurzel  des  Verbums 
tithemi,  aber  in  Verbindung,  mit  einem 
Privativ  ist  es  in  Athesia  umgewandelt 
worden.  Das  Wort  Athesia,  das  schon 
in  der  klassischen  Eiteratur  vorkommt, 
sollte  jedenfalls  das  barbarische  Athe- 
tosis verdrängen. 

Allochiria,  Allokinesia.  Gm  Dualität, 
ein  Paar,  zu  bezeichnen,  bedienen  sich 
die  Griechen  nicht  des  Adjektivs  allos, 
sondern  wählen  heteros.  Wrir  sollten 
deshalb  in  diesem  Falle  sagen  Hetero- 
chiria,  Heterokinesia.  Heterogenia,  He- 
teromorphia  etc. 

Aktinomykosis.  Diese  unrichtige  Be- 
nennung ist  von  mir  schon  vor  Jahren 
kritisiert  worden.  Der  Genitiv  von 
Mvkes  ist  Myketos,  deshalb  müssen  wir 
sagen  Myketosis  anstatt  Mykosis,  und 
die  betreffende  Krankheit  Aktinomyke- 
tosis  nennen;  aus  demselben  Grunde 
Saccharomyketosis,  Trichomyketosis  etc. 
anstatt  Saccharomykosis,  Trichomykosis. 

Anorchidia.  Ohne  Hoden  sein  heisst 


New    Yorker    Medizinische  Monatsschrift. 


21 


auf  Griechisch  anorchos,  und  der  patho- 
logische Zustand  Anorchia  und  nicht 
Anorchidia. 

Was  S  a  k  a  r  r  Ii  a  p  h  o  s  über  Phobia 
schreibt,  ist  mir  unverständlich,  weil  es 
nicht  mit  dem  übereinstimmt,  was  ich  aus 
der  griechischen  ( biomatologie  gelernt. 
Immerhin  im  Fall  Phobie  nicht  bestimmt 
genug  ist,  kann  man  krankhafte  Furcht 
Phohopalhia  nennen. 

Hyperakouria,  Hypakouria.  Die  Grie- 
chen bezeichnen  feinhörig  mit  euekoos 
von  eu,  gut,  leicht,  und  akoe,  hören: 
hieraus  wird  Euekoia  gebildet.  Hart- 
hörig oder  schwerhörig  heisst  dysekoos, 
daher  sollten  wir  anstatt  FIvperkouria 
und  Hvpakouria  Euekoia  und  Dysekoia 
sagen.  Es  gibt  viele  Analoge  in  der 
medizinischen  Sprache  wie  Eupepsia, 
Dvspepsia,  Eutokia.  Dystokia. 

Pcllakiuria.  D  i  e  U  1  a  f  o  y  hat  dieses 
Wort  eingeführt,  um  häufiges  Urinlassen 
zu  benennen,  nicht  wissend,  dass  die 
( iriechen  niemals  das  Adverb  pollakis  als 
ersten  Komponenten  in  einem  Worte  an- 
wenden. E  a  b  o  u  1  b  e  n  e  hat  Sychnuria 
(von  sychnos,  häufig)  vorgeschlagen. 

Ueber  die  unglückliche  Gewohnheit 
mancher  Autoren,  neue  technische  Na- 
men zu  konstruieren,  indem  sie  einen 
griechischen     und     einen  lateinischen 


Komponenten  verbinden,  sagt  S  a  k  o  r- 
rha  p  h  o  s,  dass  durch  dieselbe  eine  bi- 
zarre Mosaik  entstanden  ist,  welche 
schliesslich  die  medizinische  Sprach? 
unmöglich  machen  wird,  und  dass  dieser 
bedauerliche  Zustand  nur  gehoben  wer- 
den kann,  wenn  man  zur  griechischen 
Sprache  zurückkehrt.  Er  gibt  einige 
Beispiele,  welche  im  Vergleich  zu  denen, 
die  ich  in  vielen  meiner  Schriften  ange- 
führt, sehr  zahm  sind. 

Was  er  vorschlägt,  um  eine  Reform 
der  Onomatologie  zu  erzielen,  die  Er- 
richtung einer  Akademie  ad  hoc.  ist  un- 
praktisch. Ich  selbst  habe  den  Weg  be- 
zeichnet wie  man  ohne  Schwierigkeit 
zum  Ziel  gelangen  kann :  wir  haben  ein- 
fach die  richtigen  wissenschaftlichen 
Namen,  die  uns  die  Professoren  der  Uni- 
versität von  Athen  geben  können,  anzu- 
nehmen. Sobald  diese  Namen  ernsten 
Männern  der  Wissenschaft  bekannt  sind, 
wird  es  keiner  Frage  unterliegen,  dass 
gute  Autoren  sie  auch  einführen  werden. 

Der  Artikel  von  Sakorrhaphos, 
von  dem  ich  hier  einen  Auszug  gegeben, 
zeigt,  was  wir  erreichen  können,  wenn 
wir  uns  bezüglich  der  Ouomatologie- 
frage  mit  unseren  griechischen  Kollegen 
in  Verbindung  setzen. 


Auszüge  aus  der  neuesten  Journalliteratur. 


(  i.  Riebold  (Dresden):  Ueber  die 
Behandlung  akuter  Arthritiden  mit 
intravenösen  Kollargolinjektionen. 

K.  berichtet  über  15  Fälle  verschie- 
dener Gelenkaff'ektionen,  in  denen  im 
Stadtkrankenhaus  Johannstadt  zu 
Dresden  durch  Ki  illargolinjektionen  11 
mal  eine  völlige  Heilung  und  4  mal 
eine  ganz  wesentliche  Besserung  er- 
zielt wurde.  Es  handelte  sich  um  7 
Fälle  von  gonorrhoischen  Arthritiden, 
2  Fälle  von  Polyarthritis  rheumatica 
acuta,  4  Fälle  von  mehr  subakutem  Ge- 
lenkrheumatismus   mit  hartnäckigen 


Gelenkschwellungen  und  2  Fälle  von 
septischen  ( ielenkaff'ektionen.  Diesen 
1;  Fällen  stehen  20  Fälle  gonorrhoi- 
scher, subakuter  rheumatischer  oder 
septischer  Gelenkaffektionen  gegen- 
über, bei  denen  durch  intravenöse  Kol- 
largolinjektionen kein  wesentlicher  Er- 
folg, höchstens  nur  eine  vorübergeh- 
ende Besserung  einzelner  Symptome 
erzielt  wurde.  Jedoch  können  die 
meisten  dieser  Fälle  deshalb  nicht  als 
Misserfolge  gezählt  werden,  weil  bei 
ihnen  die  Kollargolbehandlung  aufge- 
geben wurde,  wenn  nicht  sofort  nach 


New    Yorker    Medizinische  Monatsschrift. 


der  ersten  Injektion  ein  in  die  Augen 
springender  Erfolg  eintrat,  oder  weil 
aus  äusseren  Gründen  nur  eine  Injek- 
tion gemacht  werden  konnte. 

Am  regelmässigsten  wurde  eine  Her- 
abminderung der  Schmerzen  nach  der 
Kollargolinjektion  beobachtet.  Sehr 
häufig  trat  auch  sehr  bald  eine  Bes- 
serung des  Allgemeinbefindens  ein. 
Die  Gelenkschwellungen  wurden  oft 
in  geradezu  eklatanter  Weise  beein- 
flusst,  woran  sich  meistens  eine  Bes- 
serung hinsichtlich  der  Beweglichkeit 
der  affizierten  Gelenke  anschloss.  Sehr 
oft  konnte  auch  eine  ausgesprochen 
antipyretische  Wirkung  des  Kollargols 
beobachtet  werden. 

Was  die  Menge  und  Konzentration 
des  einzuspritzenden  Kollargols  anbe- 
langt, so  kamen  regelmässige  2  prozent. 
Lösungen  zur  Verwendung,  von  wel- 
chen das  erstemal  nur  4 — 8  cem,  die 
folgende  Male  aber  8 — 10  cem  einge- 
spritzt wurden.  Die  Grösse  der  Dosis 
ist  von  verschiedenem  Einfluss  auf  die 
Wirksamkeit.  Die  Häufigkeit  der  In- 
jektionen richtet  sich  nach  dem  gege- 
benen Fall.  Sowie  ein  erkranktes  Ge- 
lenk wieder  anschwillt,  die  Tempera- 
tur  wieder   ansteigt,    die  Schmerzen 


wieder  stärker  werden,  ist  eine  Wieder- 
holung der  Injektion  angezeigt. 

R.  gibt  zum  Schlüsse  der  interessan- 
ten Arbeit  folgendes  zusammenfassen- 
des Urteil  ab:  Bei  der  Behandlung 
der  gonorrhoischen  Gelenkentzündun- 
gen stellt  das  Kollargol  ein  äusserst 
wertvolles,  nur  selten  versagendes, 
fast  spezifisch  wirkendes  Heilmittel 
dar.  das  selbst  in  den  hartnäckigsten 
Fällen  oft  noch  prompt  wirksam  ist. 
I11  frischen  Fällen  von  Polyarthritis 
rheumatica  liegt  wohl  kein  Grund  vor, 
die  wesentlich  einfachere  und  meist 
erfolgreiche  Behandlungsmethode  mit 
Sal  izyl-  oder  Antipyrinpräparaten  auf- 
zugeben. Hingegen  empfiehlt  sich  in 
allen  Fällen,  in  denen  die  Antirheuma- 
tika oder  sonstige  therapeutische 
Massnahmen  versagen,  namentlich  in 
älteren,  subakuten  Fällen,  einen  Ver- 
such mit  Kollargolinjektionen  ,zu  ma- 
chen. Man  erzielt  dabei  nicht  selten 
recht  günstige  Resultate  und  selbst 
völlige  Heilungen.  Auch  für  die  Be- 
handlung der  septischen  Arthritiden 
sind  die  Kollargolinjektionen  sehr  zu 
empfehlen.  (Münchener  med.  Wo- 
chenschr.,  i<jo6,  No.  32.) 


Sitzungsberichte 


Deutsche  Medizinische  Gesellschaft  der  S  adt  New  York. 


Montag,  den  7.  Januar  1907. 

Dr.  J.  A.  Schmitt;  eröffnet  die 
Sitzung  um  8.30. 

Sekretär  Dr.  John  A.  B  e  u  e  r- 
m  a  n  n  verliest  das  Protokoll  der 
vorhergehenden  Sitzung,  welches  ge- 
nehmigt wird. 

Hierauf  tritt  die  Versammlung  in 
die  Tagesordnung  ein : 

Dr.  J  ohn  A.  Schmitt:  Der  Be- 
richt über  die  Tätigkeit  der  Gesell- 
schaft in  den  letzten  zwei  Jahren 
braucht  nur  sehr  kurz  auszufallen,  da 
Sie  ja  die  Begebenheiten,  die  sich  wäh- 
rend dieser  Zeit  in  unserem  Verein  zu- 


getragen, selbst  mit  erlebt  haben.  Ich 
würde  Sie  daher  nur  mit  einer  ermü- 
denden Statistik  unterhalten.  Trotz- 
dem erlaube  ich  mir  einige  Punkte  her- 
vorzuheben. 

Unser  Verein  hat  in  den  letzten  Jah- 
ren, auch  in  den  Jahren  vor  meiner 
Präsidentschaft,  stetig  zugenommen. 
Wir  haben  bald  die  Marke  400  erreicht. 
Es  ist  das  ein  sichtbarer  Beweis  dafür, 
dass  doch  noch  das  Bedürfnis  vorhan- 
den ist,  medizinische  Wissenschaft  in 
deutscher  Sprache  zu  pflegen.  Damit 
soll  aber  nicht  gesagt  sein,  dass  unser 
Verein  eine  Sonderstellung  einnimmt. 


New    Yorker    Medizinische  Monatsschrift. 


23 


Im  Gegenteil,  in  manchen  wichtigen 
Fragen  gehen  wir  Hand  in  Hand  mit 
den  amerikanischen  Gesellschaften. 
Und  es  ist  das  auch  sehr  natürlich 
hierzulande,  wo  aller  möglicher  Ho- 
kuspokus in  gesetzlichem  und  unge- 
setzlichem Wege  gestattet  ist  und  wo 
von  den  Politikern  und  ihren  Hinter- 
männern ab  und  zu  der  Versuch  ge- 
macht wird,  die  geistige  und  morali- 
sche Höhe  des  ärztlichen  Standes  her- 
unterzudrücken. Wir  haben  auch  je- 
derzeit mit  grösster  Bereitwilligkeit 
amerikanische  Kollegen  in  unsere  Ge- 
sellschaft eingeladen  und  ihnen  in  zu- 
vorkommender Weise  die  Erlaubnis 
erteilt,  an  der  Diskussion  in  englischer 
Sprache  teilzunehmen. 

Die  Vorträge,  die  in  unserem  Ver- 
ein gehalten  wurden,  berühren  alle 
Zweige  unserer  Wissenschaft  —  der 
Natur  der  Sache  gemäss  der  ange- 
wandten Medizin.  Die  Themata  aus 
den  Grenzgebieten  der  Medizin  waren 
immer  eine  Anziehung  für  unsere  Ge- 
sellschaft, und  da  habe  ich  die  Erfah- 
rung gemacht,  dass  es  durchaus  nicht 
rätlich  ist,  diese  Symposien  auseinan- 
derzureissen,  dergestalt,  dass  man  den 
Vortrag  an  einem  Abend  hält  und  die 
Diskussion  oder  einen  Teil  derselben 
auf  den  nächstfolgenden  Abend  ver- 
legt. Es  schädigt  das  den  Reiz  und 
die  Einheit  des  Plans  ausserordentlich. 
Man  sollte  unter  allen  Umständen 
einen  vollen  Abend  einem  Thema  wid- 
men. 

Wir  haben  auch  öfters  die  Ehre  ge- 
habt, deutsche  Gelehrte  in  unserer 
Mitte  zu  unterhalten  und  ihren  Vor- 
trägen zu  lauschen.  Es  war  die  Mei- 
nung in  unserem  Verein  immer  geteilt, 
auf  welche  Weise  wir  unsere  deutschen 
Gäste  ehren  sollten,  und  auch  da  habe 
ich  die  Erfahrung  gemacht,  dass  es 
immer  besser  ist,  sich  behufs  eines 
Liebesmahls  für  unsere  Gäste  an  eine 
beschränkte  Gruppe  von  Aerzten  zu 
wenden,  als  an  die  ganze  Gesellschaft 
zu  appellieren.  Es  hat  das  auch  den 
grossen  Vorteil,  dass  die  Kasse  unse- 
res Vereins  in  keiner  Weise  in  An- 
spruch genommen  wird,  da  die  Kosten 
für  die  Unterhaltung  unserer  deut- 
schen Gäste  ausschliesslich  von  den 


einzelnen  Teilnehmern  getragen  wer- 
den. 

Ich  hatte  erwartet,  dass  mit  der  Ein- 
ladung zur  heutigen  Sitzung  auch  ein 
Zirkular  versandt  würde,  das  die  Mit- 
glieder auffordert,  ihr  Scherflein  zu 
dem  Unterstützungsfond  beizutragen. 
Ich  weiss  nicht,  warum  es  unterlassen 
wurde.  Ich  nehme  daher  hier  noch- 
mals Gelegenheit,  Sie  dringend  zu  bit- 
ten, des  Unterstützungsfonds  für  not- 
dürftige Aerzte  zu  gedenken.  Wenn 
Sie  wüssten,  wie  wohltätig  dieser  Un- 
terstützungsfond wirkt,  würden  Sie 
freudigen  Herzens  Ihre  Taschen  öff- 
nen und  Ihren  Teil  dazu  steuern. 
Wenn  jedes  Mitglied  auch  nur  einen 
Dollar  dazu  beiträgt,  ist  dem  Fond  auf 
lange  geholfen.  Ich  nehme  gern  Ver- 
anlassung, hier  dem  Vorsitzenden  die- 
ses Unterstützungs-Fonds,  Herrn  Dr. 
Gleitsmann,  ganz  besonders  für  das 
Interesse  und  die  Opferwilligkeit  zu 
danken,  die  er  jederzeit  in  dieser  Sache 
an  den  Tag  gelegt  hat. 

Es  erübrigt  noch,  den  Beamten  den 
Dank  auszusprechen,  die  mir  während 
meiner  Amtsjahre  treu  zur  Seite  ge- 
standen haben.  Sie  haben  mir  mein 
Amt  leicht  gemacht.  Ueber  den  Vor- 
standssitzungen waltete  immer  der 
Geist  des  Friedens,  der  es  auch  immer 
ermöglichte,  widerstreitende  Ansieb- 
ten gütlich  beizulegen.  Die  Verwal- 
tungsbeamten waren  immer  von  dem 
einzigen  Gedanken  beseelt,  nur  im  In- 
teresse des  Vereins  zu  arbeiten.  Es 
gereicht  mir  zu  ganz  besonderem  Ver- 
gnügen, insbesondere  dem  Schatz- 
meister und  dem  korrespondierenden 
Sekretär  für  ihre  Mühewaltung  mei- 
nen und  der  Gesellschaft  Dank  auszu- 
sprechen. 

Zum  Schluss  komme  ich  meiner  vor- 
nehmsten Pflicht  nach,  unsern  neuen 
Präsidenten,  Herrn  Dr.  Beck,  in  mei- 
nem und  der  Gesellschaft  Namen  z>? 
begrüssen  und  willkommen  zu  heissen. 

Einleitende  Worte  bei  der  Inau«u- 
rationsrede  des  Präsidenten  der  D. 
Med.  Gesellschaft  am  7.  Januar  1907. 
(Der  Vortrag  über  Lungengangraen 
wird  im  demnächst  erscheinenden 
Buch  des  Verfassers  über  chirurgische 
Krankheiten  der  Brust  erscheinen.) 


24 


New    Yorker    Medizinische  Monatsschrift. 


Altherkömmlicher  Tradition  zufolge 
liegt  es  mir  oh,  hei  der  heutigen  fest- 
lichen Gelegenheit  einige  Worte  an 
Sie,  meine  geehrten  Herren  Kollegen, 
zu  richten.  Dieselben  sollen  zunächst 
solche  des  Dankes  dafür  sein,  dass  Sie 
mir  das  grosse  Vertrauen  schenkten, 
mich  zu  Ihrem  Präsidenten  zu  erwäh- 
len. Oh  ich  den  Erfordernissen  dieser 
ehrenvollen  Stellung  in  vollem  .Masse 
gerecht  werden  kann,  ist  mir  vorläufig 
noch  zweifelhaft  ;  jedenfalls  beseelt 
mich  der  beste  Wille  dazu.  Was  je- 
doch das  Können  betrifft,  so  bedarf  ich 
dazu  Ihrer  freundlichen  Beihilfe  und 
Ihrer  Nachsicht. 

Mein  geehrter  Herr  Vorgänger  wird 
mir  dies  einigermassen  erschweren, 
denn,  was  Pflichttreue  und  Aufopfe- 
rung betrifft,  wird  die  Deutsche  Medi- 
zinische Gesellschaft  nie  einen  besse- 
ren Präsidenten  ihr  eigen  nennen  kön- 
nen. 

Bezüglich  des  Themas  meiner  An- 
sprache schwankte  ich  zuerst,  ob  ich 
ihnen  eine  Revue  über  die  Vergangen- 
heit unserer  Gesellschaft  vorführen 
sollte  nach  dem  Rezept  unseres  Kolle- 
gen Dr.  Faustus,  „zu  sehen  wie  vor 
uns  ein  weiser  Mann  gedacht,  um  wie 
wir's  dann  so  herrlich  weil  g  ;bra  :ht." 
Es  liesse  sich  ja  tatsächlich  d  i  i  ine 
Reihe  glorreicher  Momente  anfuhren. 
Dieselben  sind  Ihnen  jedoch  allen  so 
wohl  bekannt,  dass  ich  fürchten 
müsste,  mit  deren  Rekapitulation  Eu- 
len nach  Athen  zu  tragen. 

Ich  entschloss  mich  deshalb,  ein 
wissenschaftliches  Thema  auszuwäh- 
len, einmal  weil  Sie  von  der  Mitbe- 
trachtung eines  gelehrten  Stoffes  mehr 
Nutzen  haben,  als  von  der  Anhörung 
einiger  noch  so  schön  aufpolierten 
Phrasen.  Und  dann  dünkt  es  mir,  dass 
man  überhaupt  den  Interessen  unserer 
Gesellschaft  am  besten  dient,  wenn 
man  der  Wissenschaft  am  meisten  zu 
dienen  strebt. 

Zugleich  wünschte  ich,  dass  Sie  in 
meiner  Anrede  das  Paradigma  erken- 
nen, nach  welchem  ich  den  Charakter' 
unserer  Vorträge  gestaltet  zu  sehen 
wünschte,  in  anderen  Worten,  ich 
mochte,  dass  das  Leitmotiv  derselben 
ein  grenzgebietliches  sei. 


Es  liegt  in  der  Natur  unserer  Ge- 
sellschaft, dass  nur  eine  kleine  Mitglie- 
derzahl ein  grosses  Interesse  an  sol- 
chen wissenschaftlichen  Fragen 
nimmt,  welche  ein  hervorragend  spe- 
zialistisches Gepräge  tragen.  Derlei 
Themata  gehören  vor  ein  ausschliess- 
lich spezialistisches  Forum.  Ein  ge- 
deihliches Interesse  an  unseren  Sitzun- 
gen dürfen  wir  deshalb  am  ehesten  da- 
durch erwarten,  dass  wir  bestimmte 
Vertreter  ihres  Faches  —  und  in  New 
York  giebt  es  ja  zahlreiche  Meister  — 
ersuchen,  ihrem  spezialistischen  Ge- 
dankengang einen  universellen  An- 
strich zu  geben,  so  dass  der  allgemeine 
Arzt  ihren  Ausführungen  sonder  Mühe 
folgen  kann.  Der  Spezialist  soll  sich 
sozusagen,  wie  es  zuweilen  berühmte 
Solisten  thun,  im  Orchester  zum  allge- 
meinen Besten  unterordnen  und  in  den 
Dienst  der  grossen  Symphonie  stellen, 
zu  deren  machtvoller  Polyphonie  er 
zwar  seinen  vollendeten  Teil  beiträgt, 
worin  er  aber  keine  dominierende 
Rolle  spielt.  Und  unsere  unendliche 
Symphonie  heisst  die  grosse  medizini- 
sche Wissenschaft,  innerhalb  deren 
Einfriedigung  wir  uns  alle  als  eben- 
bürtige Kollegen  zusammenfinden.  Ob 
klein  oder  gross,  das  gleiche  ehrliche 
Streben  nach  wissenschaftlicher  Voll- 
kommenheit adelt  jeden. 

Das  Thema  nun,  welches  ich  heute 
streife,  ist  der  Brusthöhle  entnommen, 
einem  Gebiet,  auf  welchem  sich  der 
Interne  ebenso  heimisch  fühlt  als  der 
I  Chirurg,  für  welches  sich  der  allge- 
meine Praktiker  ebenso  interessiert, 
als  der  Pathologe  oder  auch  sogar  der 
Bakteriologe,  denn  wie  könnte  man 
sich  heute  noch  eine  Lungendiagnose 
ohne  Untersuchung  des  Sputums  vor- 
stellen ? 

Präsident   Dr.   Carl   Beck:  Ich 
habe  das  Vergnügen,  Ihnen  Herrn  Dr. 
!  H  o  f  f  n  e  r  vom  Sanatorium  ( dotterbad 
'  bei  Freiburg  vorzustellen  und  heisse 
j  denselben   herzlich   in   unserer  Mitte 
willkommen. 

Dr.  Rudolf  D  en  i  g  verliest  einen 
Vortrag : 

Die  Berücksichtigung  des  Allge- 
meinzustandes bei  der  Ausführung  der 
Staroperation. 


New    Yorker    Medizinische  Monatsschrift. 


25 


Diskussion. 

I  )r.  Leonard  Weber:  Ich 
mochte  die  Frage  berühren,  die  der 
Vortragende  anregte,  die  Ursachen 
des  Todes  eines  Kindes  betreffend,  das 
im  Alter  von  fünf  Monaten  wegen  Ka- 
tarakt operiert  wurde.  Eine  Autopsie 
lag  in  dem  Fall  nicht  vor.  Ich  denke  an 
zwei  Möglichkeiten  :  die  einer  Embo- 
lie  der  Pulmonararterie,  die  allerdings 
selten  die  Ursache  des  tötlichen  Aus- 
gangs ist  nach  operativen  Fingriffen, 
oder  wahrscheinlicher  des  sogenann- 
ten status  lymphaticus,  d.  h.  die  plötz- 
lich eintretende  Ueberschwemmung 
des  Blutes  mit  Lymphzellen.  Eines 
oder  das  andere  mag  in  dem  Fall  vor- 
gelegen haben,  da  in  der  Voruntersuch- 
ung sonst  nichts  gefunden  wurde,  was 
eine  Kontraindikation  in  Bezug  auf  die 
( )peration  abgegeben  hätte. 

Unter  den  Fällen,  die  ich  im  Laufe 
der  Jahre  in  meiner  eigenen  Praxis 
habe  operieren  sehen,  kenne  ich  nur 
zwei  mit  ungünstigem  Ausgang  in 
Bezug  auf  das  Auge  bei  konstitutio- 
nellen Veränderungen.  Der  eine  Fall 
betrifft  einen  Diabetiker,  der  im  65. 
Jahre  auf  einem  Auge  operiert  wurde 
und  dasselbe  verlor.  Der  zweite  Fall 
betrifft  eine  noch  lebende  Patientin 
von  38  Jahren.  Sie  hat  bilateralen  Ka- 
tarakt und  wurde  mehrere  Jahre  von 
mir  und  einem  (  )phthalmologen  beob- 
achtet, sie  drang  zuletzt  auf  <  )pera- 
tion.  Keiner  von  uns  beiden  riet  zu 
Operation,  trotzdem  der  Ophthalmo- 
loge und  ich  zuletzt  unsere  Einwilli- 
gung gaben.  In  dem  Fall  handelte  es 
sich  um  chronischen  Gelenkrheumatis- 
mus, mit  Klappenfehler,  chronisch  in- 
sofern als  die  Anfälle  häufig  vorge- 
kommen sind.  Als  sie  vor  circa  acht 
Jahren  anfing,  den  Urin  untersuchen 
zu  lassen,  war  er  niemals  eiweissfr  i. 
Also  hallen  wir  in  dem  Fall  chronische 
Endokarditis.  Klappenfehler  mit  chro- 
nischer Nephritis.  Das  spezifische  Ge- 
wicht des  Urins  ist  selten  über  10  ge- 
blieben, der  Eiweissgehalt  massig,  aber 
immer  Cylinder  darin  zu  finden.  Inso- 
fern als  Iritis,  die  nach  der  Staropera- 
tion eintrat,  wieder  rückgängig  wurde, 
ist  gar  kein  so  schlechtes  Resultat  zu- 
letzt übrig  geblieben.  Die  Patientin 
ist  imstande,  auf  der  Strasse  und  im 


Hause  ihren  Weg  zu  finden.  Sie  kann 
nicht  lesen  und  dergleichen,  aber  im- 
merhin ist  das  Resultat  nicht  absolut 
ungünstig  gewesen,  soweit  das  Auge 
in  Betracht  kommt. 

Dr.  Frust  Danziger:  Ich 
mochte  fragen,  ob  Eiterung  in  der 
Xase  als  Kontraindikation  anzusehen 
ist,  da  dann  eine  mögliche  Infektion 
durch  den  Tränenkanal  vorliegt. 

Dr.  R.  Den  ig:  In  den  Fällen,  wo 
Dakryocystoblennorhoe  vorhanden  ist, 
ist  unbedingt  anzuraten,  den  Tränen- 
sack zu  entfernen.  Ich  erinnere  mich 
eines  Falles,  wo  der  Patient  sich  nuht 
darauf  einliess.  Das  Auge  wurde  an- 
derweitig operiert  und  ging  an  Infek- 
tion zu  ( rrunde. 

Dr.  Carl  P  f  i  s  t  e  r :  Zu  dem  Tode 
des  Kindes  möchte  ich  bemerken,  dass 
kaum  anzunehmen  ist,  dass  das  Kind 
infolge  der  Xarkose  zu  Grunde  ging. 
Es  wurde  jedenfalls  anfangs  der  8oe- 
Jahre  operiert  und  hatte  Chloroform 
bekommen,  keinen  Aether.  Chloro- 
form wird  aber  von  ganz  kleinen  Kin- 
dern vertragen,  die  wenige  Tage  alt 
sind,  sehr  oft  viel  besser  als  von  Er- 
wachsenen. Also  an  Tod  infolge  von 
Chloroform  am  Tage  nach  der  Opera- 
tion ist  wohl  kaum  zu  denken,  zumal 
in  so  kurzer  Zeit  nicht  Nephritis  ein- 
treten kann,  infolge  von  Chloroform, 
und  so  akut,  wie  es  notwendig  gewe- 
sen wäre,  um  den  Tod  herbeizuführen. 
Aber  dass  das  Kind  vielleicht  an  Hä- 
mophilie zu  Grunde  ging,  ist  absolut 
nicht  ausgeschlossen.  Mir  ist  es  bei 
einer  ganz  unbedeutenden  ( )peration 
passiert,  dass  ich  eine  Blutung  bekom- 
men habe,  die  ganz  kolossal  war  und 
schwer  zu  stillen.  Es  gibt  Fälle,  in 
denen  eine  so  profuse  Nachblutung 
stattfindet,  dass  sie  zum  Tode  führt. 

Dr.  H.  Riedel:  Hatte  das  er- 
wähnte Kind  von  5  Monaten  eine  Atro- 
Pineinträuflung  bekommen?  (Dr.  R. 
Denig:  Es  bekam  2 — 3  Tropfen  einer 
Atropinlösung ;  das  war  alles.)  Dann 
möchte  ich  fragen,  warum  nicht  an  die 
Möglichkeit  gedacht  werden  darf,  dass 
die  Atropineinträuflung  etwas  mit  dem 
plötzlichen  Tode  zu  tun  hatte.  Ich 
hab"  in  meinem  Hospitaldienst  meh- 
rere Fälle  bei  erwachsenen  und  kräfti- 
gen Patienten  zu  sehen  bekommen,  wo 


26 


New    Yorker    Medizinische  Monatsschrift. 


infolge  einfacher  Atropineinträuflung 
plötzlich  akutes  Delirium  mit  Tob- 
suchtsanfällen ausbrach,  das  nur  durch 
zufällige  Ansaugung  eines  Teils  der 
Atropineinträuflung  in  den  Tränenweg 
zu  erklären  war.  Es  wird  allerdings 
schwierig  sein,  bei  einem  Kind  von  5 
Monaten  mit  Sicherheit  eine  Atropin- 
Vergiftung  klinisch  zu  erweisen  öder 
auszuschliessen. 

Dr.  R.  D  e  n  i  g:  An  die  Möglichkeit 
einer  Atropinvergiftung  ist  nicht  za 
denken,  weil  sonst  absolut  kein  Symp- 
tom der  Atropinvergiftung  in  diesem 
Fall  ausgesprochen  war.  Es  wird  aus- 
drücklich erwähnt,  dass  das  Kind  voll- 
ständig munter  nach  der  Operation 
war  und  die  Mutterbrust  nahm.  Das 
spricht  doch  gegen  die  Annahme  einer 
Atropinvergiftung. 

Dr.  D.  Cook:  Wir  wissen  ja  alle, 
welche  homöopathische  Dosen  bei 
Kindern  manchmal  Vergiftung  her- 
vorrufen ;  aber  die  Symptome  sind  ja 
so  leicht  zu  erkennen,  die  Intoxikation, 
die  roten  Backen,  Dilatation  nach  der 
anderen  Seite.  Ich  habe  nie  den  ge- 
ringsten Grad  von  Atropin  und  Bella- 
donnavergiftung gesehen  ohne  rote 
Backen  und  alle  Symptome  einer  In- 
toxikation. 

Dr.  H.  Fischer:  Ich  muss  auch 
sagen,  wie  ich  mit  Dr.  M  o  s  c  h  c  o  w  i  t  z 
über  diesen  Todesfall  sprach,  dass  wir 
zuerst  an  Atropinvergiftung  dachten. 
Nehmen  wir  ganz  kleine  Dosen  Gift 
wie  Kokain,  wie  wir  sie  täglich  gebrau- 
chen, so  lösen  sie  oft  so  schwere  Ver- 
giftungen aus,  dass  man  es  gar  nicht 
für  möglich  halten  sollte.  Ich  habe 
einen  Fall  gehabt,  in  dem  ich  zwecks 
Cystoskopie  eine  lOprozentige  Kokain- 
lösung in  die  Harnröhre  einspritzte 
und  der  Mann  plötzlich  sehr  blass 
wurde  und  kollabierte.  Es  war  eine 
ganz  geringfügige  Dosis  auf  die 
Schleimhaut  gebracht,  die  in  verhält- 
nismässig kurzer  Zeit  genügt  hatte,  so 
schwere  Erscheinungen  auszulösen. 
Der  Mann  hatte  auch  nicht  die  regu- 
lären Kokainvergiftungserscheinungen 
Cyanose,  rapide  Herzaktion  —  er 
wurde  plötzlich  ohnmächtig  und  lag 
iy2  Stunden  da,  nachdem  das  Cysto- 
skop  längst  entfernt  war.  Dass  der 
Zustand   von   der  Untersuchungsme- 


thode kam,  war  ausgeschlossen.  Kin- 
der werden  so  ausserordentlich  leicht 
durch  derartige  Gifte  selbst  in  kleinen 
Dosen  alteriert,  sodass  es  mir  scheint, 
dass  es  sich  in  dem  vorliegenden  Fall 
auch  ohne  typische  Erscheinungen  um 
Atropinvergiftung  gehandelt  hat. 

Dr.  H.  Riedel:  Ich  erinnere  mich 
eines  Vortrags  von  Liebreich  in  Paris, 
in  dem  er  einen  von  ihm  angegebenen 
und  vorgezeigten  Klemm- Apparat  em- 
pfahl, zum  Zwecke,  bei  Atropinein- 
träuflungen  ein  Aufsaugen  durch  den 
Tränenweg  unmöglich  zu  machen. 

Dr.  A.  V.  Moschcowitz:  Ich 
möchte  nur  sagen,  dass  ich  ebenso  wie 
Dr.  Fischer  bei  dem  Vortrag  des  Falls 
auf  die  Idee  gekommen  bin,  dass  es 
sich  um  .Atropinvergiftung  handelt. 
Dr.  Denig  erwähnte  ja  auch,  dass  das 
Kind  3  Tropfen  einer  Atropinlösung 
bekommen  hat.  Es  kommt  aber  da- 
rauf an,  wie  stark  die  Lösung  war. 
Denn  Dr.  Denig  hat  den  Fall  nicht  be- 
obachtet, er  erzählt  nur  das,  was  er  in 
der  Literatur  darüber  gefunden  hat.  In 
der  Beschreibung  des  Falles  war  viel- 
leicht von  Rötung  der  Wangen  nicht 
die  Rede,  aber  man  kann  einen  Fall 
nicht  nach  einem  kurzen  Referat  be- 
urteilen, das  veröffentlicht  wird.  Ich 
habe  selber  auch  den  Eindruck  gewon- 
nen, dass  es  sich  in  dem  Fall  um  Atro- 
pinvergiftung handelt. 

Dr.  Ludwig  Ewald:  Ich 
glaube  nicht,  dass  es  sich  in  die- 
sem Fall  um  Atropinvergiftung  han- 
deln kann.  Ich  hatte  früher  Gele- 
genheit, bei  Geburten  Versuche  mit 
Atropin  zu  machen,  und  ich  muss 
sagen,  dass  die  Erscheinungen  der- 
art frappant  sind,  dass  sie  auch 
dem  oberflächlichen  Beobachter  bei 
leichter  Atropinvergiftung  nicht  ent- 
gehen können.  Die  Symptome  von 
seiten  der  Atmung  und  des  Herzens 
sind  sofort  wahrnehmbar. 

Wenn  die  Ophthalmologen,  wie  Dr. 
Denig  bemerkt  hat,  die  vorgeschrit- 
tene Schwangerschaft  als  Kontraindi- 
kation betrachten,  so  muss  ich  bemer- 
ken, dass  die  Herren  in  der  Vorsicht 
etwas  zu  weit  gehen.  Wir  wissen 
durch  Erfahrung,  dass  selbst  die  gröss- 
ten  Eingriffe  wie  Appendizitis,  selbst 
Operationen  am  Uterus,  bei  weit  vor- 


New    Yorker    Medizinische  Monatsschrift. 


27 


geschrittener  Schwangerschaft  vorge- 
nommen werden  ohne  Nachteil ;  ich 
habe  viele  Fälle  gesehen,  wo  Eingriffe 
an  Ohr  und  Nase,  auch  die  Staropera- 
tion ohne  den  leisesten  Nachteil  ge- 
macht wurden.  Die  Verabreichung  von 
Kokain  ist  ja  hier  gering:  ich  habe  die 
Statistik  danach  durchgesehen  und 
nichts  Gegenteiliges  gefunden.  Ich 
denke,  dass  die  Herren  Ophthalmolo- 
gen ohne  irgend  welches  Bedenken 
verhältnismässig  kleine  Eingriffe  vor- 
nehmen können. 

Dr.  R.  Den  ig:  Ich  möchte  Ihnen 
den  ersten  Fall  ausführlich  mitteilen. 
Das  erste  Kind  war  von  Warlomont 
in  Brüssel  beobachtet  worden,  und  der 
Fall  wurde  in  der  Heidelberger  Gesell- 
schaft i.  J.  1863  diskutiert,  und  Graefe 
selbst  beteiligte  sich  an  der  Diskus- 
sion. Hören  Sie,  was  in  dem  Bericht 
der  Heidelberger  Gesellschaft  steht : 

Der  Patient  Warlomont's  war  ein 
1 1  Monate  alter,  gesunder,  kräftiger 
Junge.  Je  2  Diszissionen  waren  auf 
beiden  Augen  schon  ausgeführt.  Es 
handelte  sich  auf  dem  linken  Auge  um 
die  Entfernung  eines  flottierenden 
Kapselstückchens,  was  mit  Leichtig- 
keit gelingt.  Rechts  dagegen,  wo  das 
Kapselrestchen  fest  anhaftet,  empfand 
der  Operateur  einigen  Widerstand  und 
die  Befreiung  der  Pupille  gelingt  nicht 
ohne  einige,  wenn  auch  nur  unbedeu- 
tende Zerrung  der  Iris.  Während  des 
Tages  trat  mehrmaliges  Erbrechen 
ein,  das  die  ganze  Nacht  über  anhielt. 
Es  ist  eine  Iritis  mit  reichlichen  plasti- 
schen Ausschwitzungen  vorhanden. 
Am  Abend  war  das  Kind  tot. 

Albrecht  v.  Graefe  sprach  sich  bei 
der  Diskussion  für  die  Ansicht  aus, 
dass  hier  ein  unglückliches  Zusam- 
mentreffen verschiedener  und  von  ein- 
ander unabhängiger  Affektionen  anzu- 
nehmen sei. 

Von  Atropin  wird  nichts  erwähnt, 
in  der  Diskussion  auch  nicht. 

Dr.  Max  Töplitz:  Ich  möchte 
ein  Wort  über  die  Narkose  hinzufü- 
gen. Dr.  Pfister  hat  gesagt,  dass  die 
Narkose  durch  Chloroform  bei  kleinen 
Kindern  vollständig  ungefährlich  sei. 
(Dr.  Pfister:  Das  habe  ich  nicht 
gesagt.  Vollständig  ungefährlich  ist 
keine  Narkose.    Ich  habe  nur  gesagt, 


dass  die  Chloroformnarkose  von  klei- 
nen Kindern  merkwürdig  gut  vertra- 
gen wird,  sehr  oft  besser  als  von  Er- 
wachsenen.) Ich  war  unter  dem  Ein- 
drucke, dass  bei  Kindern  reine  Chloro- 
formnarkose gefährlicher  sei  als 
Aether.  Packard  stellt  25  Todesfälle 
nach  Halsoperationen  bei  Kindern  zu- 
sammen, die  durch  Narkose  erfolgt 
sind,  und  er  gibt  an,  dass  von  den  25 
Fällen  24  durch  Chloroform  narkoti- 
siert worden  sind  und  ein  einziger 
durch  Aether.  Ich  habe  immer  ge- 
glaubt, dass  es  besser  sei,  keine  reine 
Chloroformnarkose  bei  Kindern  zu  ge- 
ben. 

Dr.  Ewald  meinte,  wenn  ich  ihn  rich- 
tig verstanden  habe,  dass  bei  Kokain, 
in  kleinen  Dosen  gegeben,  keine  Ver- 
giftungserscheinungen eintreten.  Ich 
gebe  Kokain  in  der  Nase  in  grossen  Do- 
sen, und  zwar  trage  ich  das  Kokain  di- 
rekt in  Substanz,  in  der  Pulverform 
auf.  Solange  das  Kokain  nicht  in  den 
Hals  läuft  und  nicht  absorbiert  wird, 
macht  es  keine  Vergiftungserscheinun- 
gen. Aber  ich  habe  einmal  eine  y2- 
prozentige  Kokainlösung  in  das  Ohr 
eingespritzt  und  eine  gehörige  Reak- 
tion bekommen,  sodass  der  Patient  De- 
menzerscheinungen hatte ;  seitdem 
habe  ich  es  aufgegeben,  subkutane  In- 
jektionen in  die  Nase  oder  andere  Teile 
des  Körpers  selbst  mit  einer  ^prozen- 
tigen  Lösung  zu  machen. 

Dr.  C.  Pfister:  Ich  schweife  viel- 
leicht vom  Thema  ab,  aber  ich  möchte 
zu  den  Bemerkungen  von  Dr.  Töplitz 
über  Narkose  doch  sagen,  ich  halte  die 
Narkose  von  reinem  Chloroform  für 
die  verhältnismässig  ungefährlichste 
von  allen  Narkosen,  vor  allem  bei  Kin- 
dern. Kinder  vertragen  Chloroform 
gut,  und  die  Gefahr  ist  mit  der  beende- 
ten Narkose  vorbei,  während  man  bei 
Aethernarkose  fortwährend  an  Pneu- 
monie denken  muss.  Gerade  diese 
Aetherpneumonie  ist  ungemein  gefähr- 
lich. Ich  habe  Kindern  Chloroform 
gegeben,  die  2  Tage  alt  waren,  und  es 
ist  nichts  passiert,  während  ich  bei 
Aether  oft  schwere  Erscheinungen 
und  Todesfälle  gesehen  habe. 

Dr.  Barkau:  Das  Vertragenwer- 
den von  Chloroform  richtet  sich  nach 
dem  Blutreichtum  des  Gehirns,  und  da 


-'S 


New    Yorker    Medizinische  Monatsschrift. 


der  Blutreichtum  des  Gehirns  bei  Kin- 
dern und  schwangeren  und  niederkom- 
menden Frauen  der  grösste  ist,  so  wird 
auch  von  diesen  Chloroform  ausge- 
zeichnet vertragen.  Sie  finden  einige 
Analoga,  z.  B.  die  Rettung  eines  durch 
Chloroform  asphyktisch  Gewordenen 
dadurch,  dass  man  den  Körper  nach 
unten  stürzt,  wodurch  das  Blut  zum 
Gehirn  kommt  und  das  betr.  Indivi- 
duum gerettet  wird.  Das  wäre  die  se- 
kundäre Erscheinung.  Die  primäre 
Erscheinung  war  die  berühmte  Ratte 
von  Haiedon,  welcher  eine  von  Chlo- 
roform scheinbar  tote  Ratte  nach  un- 
ten hielt,  und  die  Ratte  erhielt  ihr  Le- 
ben wieder.  Ihm  fiel  die  Sache  auf,  er 
machte  weitere  Experimente,  und  da- 
rauf stellte  sich  das  Ergebnis  heraus, 
dass  man  einen  Chloroform-Asphykti- 
schen  in  den  meisten  Fällen  retten 
kann,  wenn  man  den  Körper  nach  un- 
ten hält.  Er  ging  noch  einen  Schritt 
weiter  und  hat  vor  Jahren  angeraten, 
Chloroform  bei  Sonnenstich  zu  ver- 
wenden, weil  bei  Sonnenstich  auch  eine 


Hyperämie  des  Gehirns  vorhanden  ist. 
Er  hat  das  in  einigen  Fällen  angewandt 
und  ausgezeichnete  Erfolge  erzielt, 
aber  das  ist  im  Sande  verlaufen. 

Dr.  E.  Danziger:  Ich  möchte 
auf  eine  Bemerkung  von  Dr.  Ewald 
zurückkommen.  Er  erwähnte,  dass 
man  an  schwangeren  Frauen  sehr  häu- 
fig ungestraft  Operationen  vornehmen 
könnte,  und  erwähnte  u.  a.  die  Nase. 
Es  ist  allbekannt,  dass  zwischen  Ute- 
rus und  Nase  reflektorische  Beziehun- 
gen bestehen.  Während  der  Menstrua- 
tion sind  die  Schleimhäute  in  der  Nase 
geschwollen.  Wie  dem  auch  sei,  ich 
habe  die  persönliche  Erfahrung,  dass 
ich  schon  verschiedene  Male,  nach- 
dem ich  einen  Naseneingriff  gemacht, 
eine  verfrühte  Menstruation  hervorge- 
bracht habe,  und  hüte  mich  selbst  so 
viel  als  möglich,  bei  schwangeren 
Frauen  an  der  Nase  zu  operieren. 

Hierauf  erfolgt  Schluss  und  Ver- 
tagung. 

Dr.  John  A.  B  e  u  e  r  m  a  n  n , 

Prot.  Sek. 


Therapeutische  und  klinische  Notizen. 


—  Hefetherapie  der  Gastroenteritis  im  Kin-  . 
desalter.  Sittler  hat  auf  der  Kinderpoli- 
klinik  Versuche  mit  Hefepräparaten  bei  der 
Gastroenteritis  der  Kinder  gemacht.  An- 
gewandt wurden  Levurinose,  Levure  Adrian 
( beide  in  Pulver  zu  je  i  g)  und  Levu- 
retin  (in  Tabletten  zu  0.5  g).  Letzteres 
Präparat  schien  sich  auch  am  besten  zu  bewäh- 
ren. Die  Dosis  betrug  bei  den  beiden  erstge- 
nannten Präparaten  1 — 2 — 3  g  täglich,  beim 
Levuretin  3 — 4 — 5  g  Tabletten,  je  nach  dem 
Alter  des  Kindes.  Die  Präparate  wurden  fast 
immer  anstandslos  genommen  und  gut  ertra- 
gen. Die  meisten  der  behandelten  Patienten 
befanden  sich  im  ersten  Lebensjahr;  das  jüngst 
behandelte  Kind  war  zwei  Wochen  alt. 

Das  Hefepräparat  wurde  fein  verrührt  in  ab- 
gekühltem gesüsstem  Tee  oder  Zuckerwasser 
gegeben :  daneben  wurde  die  Diät  entsprechend 
geregelt :  Aussetzen  der  Milch  und  an  deren 
Stelle  Tee,  Eiweisszuckerwasser,  eventuell  Kin- 
dermehlabkochungen ;  später  Milchmehlmisch- 
ungen ;  bei  älteren  Kindern  :  Schleimdiät.  Auf- 


fallend war  der  Erfolg  der  Hefetherapie  bei 
den  mit  starker  Fäulnis  des  Darminhaltes  ein- 
hergehenden Enteritiden.  Auch  die  anderen 
Enteritiden  reagierten  meist  gut  auf  Hefe.  Bei 
Gastroenteritis  hörte  das  Brechen  prompt  auf. 
In  den  meisten  Fällen  wurde  Hefe  allein  gege- 
ben ;  in  einigen  Fällen  wurde  vor  der  Hefe 
Kalomel  oder  Purgen  verabreicht,  in  anderen 
gleichzeitig  mit  der  Hefe  Wismut,  Bismutose 
oder  Tannalbin. 

—  Dr.  H.  v.  Sc  h  rütter  berichtete  in  der 
Gesellschaft  für  innere  Medizin  und  Kinder- 
heilkunde in  Wien  über  eine  im  Wege  der  di- 
rekten Bronchoskopie  an  der  Klinik  Hofr. 
Escherichs  ausgeführte  Extraktion  eines 
Fremdkörpers.  Er  fasst  seine  Ausführungen, 
wie  folgt,  zusammen :  Auf  dem  genannten 
Wege  gelang  es  in  diesem  Falle,  durch  äussere 
Umstände  um  einen  Tag  verzögert,  ein  Kno- 
chenstück, das  sich  schliesslich  an  der  Teil- 
ungsstelle des  rechten  Unterlappenbronchus 
verankert  hatte,  im  Wege  der  oberen  Methode, 
ohne  Narkose  und  ohne  Lokalanästhesie  mit 


New    Yorker   Medizinische  Monatsschrift. 


29 


Sicherheit  zu  entfernen.  Der  Fall  erscheint 
noch  durch  das  Alter,  zehnmonatliches  Kind, 
sowie  durch  den  Umstand  bemerkenswert,  dass 
der  eingedrungene  Fremdkörper  eine  auffal- 
lende Grösse  besass.  ( Wiener  med.  Wochen- 
schr.,  1906,  No.  46.) 

—  Behandlung  der  lanzinierendeu  Schmerzen 
bei  Tabes.  Wenn  die  Quecksilberbehandlung 
ohne  Wirkung  geblieben  ist,  verordnet  Prof. 
Raymond  (Paris)  Natrium  nitrosum  0,1, 
Aq.  dest.  10,0.  Man  injiziert  täglich  I  cem 
dieser  Lösung  während  zehn  Tagen.  Darauf 
folgt  eine  zehntägige  Pause  und  dann  eine 
zweite  Injektionskur  von  zehn  Tagen.  Das 
zweite  Mal  wird  aber  eine  doppelt  so  starke 
Lösung  (Natr.  nitros.  0,2,  Aq.  10,0)  injiziert. 
Zweite  Ruheperiode  mit  darauffolgender  drit- 
ter Injektionsperiode  mit  0,03  Natr.  nitros.  pro 
dosi.  Man  fährt  mit  letzterer  Dosis  weiter  fort 
mit  alternierenden  Ruhe-  und  Injektionsperio- 
den. Nach  40 — 50  Injektionen  (früher  nicht) 
tritt  beinahe  regelmässig  eine  Besserung  ein. 
Diese  gefässerweiternde  Behandlung  wird  als 
die  wirksamste  von  Ray  m  ond  warm  em- 
pfohlen. ( Nouveaux  remedes,  No.  6,  Korre- 
spondenzbl.  für  Schweizer  Aerzte.) 

—  Die  zunehmende  Unfähigkeit  der  Frauen 
ihre  Kinder  zu  stillen.  Der  epochemachende 
Vortrag  Bunges  ist  vor  Kurzem  in  fünfter 
Auflage  erschienen.  Als  Bunge  ihn  im 
Jahre  1899  hielt,  waren  es  nicht  mehr  als  300 
Fälle,  auf  die  sich  seine  Schlussfolgerungen 
stützten ;  das  Material  hat  sich  seitdem  ver- 
zehnfacht; es  sind  jetzt  2051  Familien,  auf  die 
sich  die  Untersuchungen  Bunges  beziehen. 
In  der  Vorrede  zur  neuesten  Auflage  wendet 
sich  Bunge    gegen  die  Angriffe,  die  seine 


Arbeit  von  Seiten  einiger  Frauen-  und  Kinder- 
ärzte erfahren  hat.  Bekanntlich  richten  sich 
diese  Angriffe  weit  weniger  gegen  die  von 
Bunge  auf  Grund  seiner  statistischen  Er- 
hebungen festgestellte  Tatsache,  dass  die  Töch- 
ter trunksüchtiger  Väter  die  Fähigkeit,  ihr 
Kind  zu  stillen,  verlieren  und  dass  diese  Fähig- 
keit dann  fast  immer  auch  für  die  kommenden 
Generationen  verloren  bleibt,  sondern  gegen  die 
von  ihm  vertretene  Anschauung,  dass  die  Un- 
fähigkeit der  Frauen,  zu  stillen,  in  rascher  Zu- 
nahme begriffen  sei  und  dadurch  die  Gefahr 
der  Entartung  sich  von  Generation  zu  Genera- 
tion steigert.  In  zahlreichen  Arbeiten  wird  der 
Reweis  zu  erbringen  versucht,  dass  der  Pro- 
zentsatz der  zum  Stillen  unfähigen  Frauen  kei- 
neswegs beunruhigend  gross  sei.  Bunge 
macht  seinen  Gegnern  den  Vorwurf,  ihn  nicht 
genau  gelesen  zu  haben.  Unter  Befähigung 
zum  Stillen  versteht  er  die  Fähigkeit,  wenig- 
stens neun  Monate  u.  zw.  ausreichend,  d.  h. 
so  zu  stillen,  dass  neben  der  Muttermilch  keine 
andere  Nahrung  notwendig  ist.  die  Gegner 
verstehen  aber  absolute  Unfähigkeit  darunter, 
woraus  sich  das  Missverständnis  erklärt. 

Die  neu  zu  der  Statistik  hinzugekommenen 
Fällen  stimmen  in  ihren  Ergebnissen  genau  mit 
den  bereits  früher  veröffentlichten  überein. 
Bunge  gibt  selbst  zu,  dass  seine  Statistik 
noch  viel  umfassender  und  grösser  sein  sollte 
und  fordert  deshalb  alle  Aerzte,  besonders 
jene,  die  an  seinen  Schlussfolgerungen  zwei- 
feln, auf,  daran  mitzuarbeiten,  damit  die  Wahr- 
heit über  diese  so  ausserordentlich  wichtige 
Frage  an  den  Tag  komme.  Die  Fragebogen 
schickt  er  allen  Kollegen  auf  Wunsch  gerne  zu. 


Kleine  Mitteilungen 


—  Die  Deutsche  Medizinische  Gesellschaft 
in  Chicago  erwählte  für  das  laufende  Ge- 
schäftsjahr die  folgenden  Beamten:  Präsi- 
dent, Dr.  Maximilian  Herzog;  Vize- 
präsident, Dr.  Adolf  Decker;  Schrift- 
führer, Dr.  August  Strauch  ;  I.  Bei- 
sitzer und  Schatzmeister,  Dr.  Ernst  Sa  u- 
renhaus  ;  2.  Beisitzer,  Dr.  Gust  a  v 
Schirmer. 

—  Dr.  A.  Rose's  Hcftpüastcrverband.  Dr. 
Groddeck,  Baden-Baden,  schreibt  am  16. 


Januar  1907  über  den  Artikel  Physiologie 
und  Pathologie  der  Bauchmuskeln  in  der 
N.  Y.  Med.  Monatsschrift,  Nov.  1906:  „Ihre 
Sendung  hat  mich  freudig  überrascht  und 
noch  mehr  durch  den  lehrreichen  Inhalt,  den 
Sie  an  die  Erwähnung  meines  Namens  knüp- 
fen. Ich  begrüsse  den  Gebrauch  des  Heft- 
pflasterverbandes mit  besonderer  Freude,  da 
mir  sein  Nutzen  ohne  weiteres  einleuchtet, 
und  hoffe  auf  eine  grosse  Verbreitung  dieser 
Idee.  Speziell  erscheint  es  mir  wichtig,  dass 
die  vielfach  so  verderblich   wirkenden  Leib- 


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New    Yorker    Medizinische  Monatsschrift. 


binden  dadurch  aus  der  Welt  geschafft  wer- 
den. Der  stetige  Druck  des  Verbandes  hat 
ausserordentliche  Vorteile  vor  den  wechseln- 
den des  Gürtels,  abgesehen  von  der  grossen 
Schädigung  der  Rückenmuskulatur  und  der 
Lendennerven  durch  die  Bauchbinden.  Und 
dass  es  auf  diese  Weise  gelingen  muss,  das 
Volumen  des  Bauches  dauernd  zu  verkleinern, 
unterliegt  für  mich  gar  keiner  Frage.  Ich 
glaube  übrigens,  dass  Sie  mit  grossem  Nutzen 
diese  Technik  auch  auf  andere  Gebiete  aus- 
dehnen können,  speziell  den  Hals,  Morbus 
Basedowi,  Kropf,  Migraine  etc.  Die  Volumen- 
verringerung hat  nach  meinen  Erfahrungen 
rasch  eine  Verminderung  der  Stauungen  zur 
Folge." 

Dr.  B.  S  c  h  m  i  t  z,  Bad  Wildungen,  schreibt 
am  15.  Januar  1907:  ,.Es  ist  ein  neuer  Stoff 
und  eine  neue  Bearbeitung  dieses  Feldes. 
Diese  neuen  Gesichtspunkte  müssen  Beach- 
tung und  Anerkennung  finden,  wenn  auch  alles 
Neue  vorerst  mit  Reserve  aufgenommen  wird, 
und  was  sehr  schätzenswert  ist,  es  wird  die 
Praxis  dadurch  gewinnen,  d.  h.  die  mannig- 
fachen Unterleibsleiden  werden  eine  andere 
Auffassung  und  eine  andere  Behandlung  er- 
fahren. Ich  kann  allen  Ausführungen  nur  zu- 
stimmen." 

—  Bakterien  im  Bier.  Von  zwei  Seiten 
wurden  in  jüngster  Zeit  Untersuchungen  über 
den  Bakteriengehalt  des  Flaschenbieres  ver- 
öffentlicht. Dr.  F  u  h  r  m  a  n  n  in  Prag  hat 
die  aus  verschiedenen  Brauereien  und  Bier- 
füllereien  in  Graz  stammenden  Biere  auf  ihren 
Bakteriengehalt  untersucht;  keine  einzige 
keimfreie  Probe  konnte  darunter  gefunden 
werden.  Die  meisten  enthielten  vielmehr  sehr 
zahlreiche  Bakterien,  meist  Kugel-  und  Stäb- 
chenbakterien. So  fanden  sich  z.  B.  in  einer 
Probe  Märzenbier  1.380,00  Mikroben  im  Liter, 
die  14  verschiedene  Arten  von  Bakterien  ent- 
hielten ;  trotz  dieser  gewaltigen  Menge  von 
Keimen  sah  das  Bier  keineswegs  ungeniessbar 
aus,  da  es  nur  ganz  geringfügige  Trübung 
zeigte.  Die  Flasche  hatte  Patentverschluss. 
Ein  anderes,  aus  einer  Flasche  mit  Korkver- 
schluss  stammendes  spiegelhelles  Bier  wies  im- 
mer noch  605.000  Keime  im  Liter  auf.  Ein 


von  der  Brauerei  selbst  auf  Flaschen  gefülltes 
Bockbier  enthielt  560,000  Bakterien,  520,000 
Schimmelpilze  und  über  1  Million  Hefezellen 
im  Liter.  Der  niedrigste  Bakteriengehalt,  der 
festgestellt  werden  konnte,  war  24,000  im  Li- 
ter. Viele  Biere  stehen  dem  Murwasser  im 
Bakteriengehalt  nicht  nach. 

Der  geringe  Alkoholgehalt  von  ca.  4  Prozent 
reicht  durchaus  nicht  hin,  um  das  Bier  steril 
zu  machen,  ja  nicht  einmal  alle  krankheitser- 
regenden Mikroorganismen  werden  dadurch 
getötet.  Sie  werden  wohl  im  Wachstum  be- 
hindert, sobald  sie  aber  auf  günstigen  Nähr- 
boden gelangen,  entwickeln  sie  sich  üppig. 
Vermag  doch  selbst  ein  Alkoholgehalt  von 
Prozent  in  Fleischbrühe  das  Wachstum  des 
Erregers  des  Unterleibstyphus  selbst  nach  29 
ragen  nicht  zu  unterdrücken ;  Micrococcus 
pyogenes  blieb  51  Tage  darin  lebensfähig.  In 
sterilisiertem  Biere  bleiben  alle  diese  Krank- 
heitserreger wochen-,  selbst  monatelang  ent- 
wicklungs-  und  lebensfähig;  daraus  geht  her- 
vor, dass  der  Genuss  infizierten  Bieres  nicht 
als  ungefährlich  bezeichnet  werden  kann. 

Besonders  bedenklich  ist  das  Flaschenbier, 
wenn  die  Flaschen  und  die  beim  Abfüllen  ver- 
wendeten Geräte  nicht  peinlich  gereinigt  und 
in  strömendem  Wasserdampfe  und  kochendem 
Wasser  sterilisiert  werden.  Durch  unreine 
Bierflaschen,  die  ja  durch  so  viele  Hände  und 
in  so  viele  Familien  wandern,  ist  die  Ueber- 
tragung  von  Infektionskrankheiten  sehr  leicht 
denkbar.  Beinahe  unmöglich  ist  die  Sterilisie- 
rung der  Kautschuckdichtung  bei  Patentver- 
schlüssen, die  deshalb  absolut  verwerflich  sind. 

Der  andere  Forscher  ist  der  japanische  Arzt 
Dr.  M  a  t  s  u  h  u  i  t  a.  der  im  getrübten  Biere 
krankmachende  Bakterien  nachwies.  Es  wa- 
ren grosse,  den  Heu-  und  Milzbrandbazillen 
ähnelnde  Bazillen.  Ihre  Giftigkeit  erwies  sich, 
als  sie  Tieren  eingespritzt  wurden.  Mäuse  und 
Meerschweinchen  starben  bei  Einspritzung  un- 
ter die  Haut  nach  18 — 36  Stunden  unter  den 
Erscheinungen  der  Bauchfellentzündung,  des 
Magendarmkatarrhs,  sowie  der  Milz-  und  Le- 
berschwellung. Das  Vorkommen  dieser  Keime 
!  dürfte  nach  Dr.  M  a  t  s  u  h  u  i  t  a  auf  ungenü- 
gende Reinigung  der  Flaschen  zurückzuführen 
sein. 


JVIccUzimscbe  JVlotiatsscbrift 

Offizielles  Organ  der 

Detitfcben  medizinUchen  6efeiir<hafttn  der  Städte  new  V^rfc, 
Chicago,  Cleveland  und  San  Trancisco. 

Redigiert  von  Dr.  A.  Ripperger. 
Bd.  XIX.  New  York,   1907.  No.  2. 

Originalarbeiten. 

Dermatologische  Winke  für  den  praktischen  Arzt.* 

Von  Dr.  Edward  Pisko,  New  York. 


In  der  Januar-Nummer  des  „Post- 
Graduate"  las  ich  über  die  verschie- 
denen Methoden  der  physikalischen 
Untersuchung  des  Kindes,  vom  Stand- 
punkte eines  jeden  einzelnen  Spezia- 
listen aus  betrachtet  und  erläutert  und 
da  dachte  ich,  dass  es  für  den  prakti- 
schen Arzt,  der  sich  doch  zumeist  mit 
Kindern  befasst,  nicht  nur  von  Inter- 
esse wäre,  zu  wissen,  wie  man  die  ein- 
zelnen Organe  des  Kindes  zu  unter- 
suchen hat,  um  durch  klinische  und 
pathologische  Bilder  eine  Diagnose 
machen  zu  können,  sondern  dass  dem 
Praktiker  vielmehr  daran  gelegen  sein 
wird,  einige  Winke  zu  bekommen  in 
Bezug  auf  die  mehr  alltäglichen  Er- 
krankungen der  Haut  des  Kindes,  und 
dies  sei  der  Gegenstand  meiner  heuti- 
gen Vorlesung. 

Mehr  als  irgend  ein  anderes  Organ 
des  menschlichen  Körpers  ist  gerade 
die  Haut  im  Kindesalter  wesentlich 
verschiedener,  viel  zarter  und  ge- 
schmeidiger und  elastischer  und  Er- 
krankungen gegenüber  viel  gutartiger, 
als  im  zunehmenden  Alter,  in  welchem 
wir  einer  steigenden  Malignität  der 
Hautleiden  begegnen.  Da  es  wohl 
kaum  ein  Organ  gibt,  welches  allen 


*)  Vortrag,  gehalten  im  Physicians'  Club. 


möglichen  Schädlichkeiten  von  aussen 
her  so  ausgesetzt  ist  als  gerade  die 
Haut,  so  wird  es  leicht  begreiflich  er- 
scheinen, dass  es  eine  Unmenge  von 
äusseren  Ursachen  gibt,  die  Hautleiden 
erzeugen,  ja  selbst  bei  neugeborenen 
Kindern  sehen  wir  solche  auftreten. 
Bei  der  physiologisch  vorhandenen 
Hyperämie,  dem  regen  Leben,  das  in 
Talg  und  Schweissdrüsen  vor  sich 
geht,  bei  der  starken  Sekretion  und 
Exkretion  kann  es  ja  doch  kaum  be- 
fremden, wenn  besonders  um  den 
Mund  herum  durch  den  Speichel  und 
die  Nahrung,  um  das  Genitale  herum 
durch  den  Urin  und  um  den  After 
herum  durch  die  Faeces  und  in  den 
Hautfalten  durch  das  reichliche  Sebum 
gleich  in  den  ersten  Lebensstunden 
Schaden  angerichtet  wird,  und  dazu 
kommt  noch,  dass  das  so  zarte  Epithel 
durch  das  Plus  und  Minus  in  puncto 
Pflege  und  Reinhaltung  des  Kindes 
verletzt  wird;  ich  spreche  absichtlich 
von  einem  Plus  und  Minus,  denn  sehr 
oft  begegnen  wir  Hautleiden  bei  Kin- 
dern, die  von  einer  allzu  peinlichen 
Reinhaltung  herrühren.  Die  Kinder 
werden  zu  oft  gebadet  und  gewaschen, 
das  Wasser  ist  oft  viel  zu  heiss,  stark 
parfümierte  Seifen  und  Toilettewässer 
werden  benützt,  mit  Alkohol  wird  frot- 


32 


New    Yorker  Medizi 


nische  Monatsschrift. 


tiert  u.  s.  \v.,  ja  dabei  geht  das  zarte 
Epithel  verloren,  die  noch  dünne  Horn- 
schichte löst  sich  ab  und  so  haben  wir 
den  Anfang  eines  keratolytischen  Pro- 
zesses, der  oft  zum  Schrecken  und  Ge- 
spenst aller  Hautkrankheiten  im  Kin- 
desalter wird  - —  das  Ekzem.  In  der- 
selben Weise  entwickelt  sich  aber  auch 
bei  dem  Minus  an  Reinlichkeit  dieser 
Vorgang,  wenn  Exkrete  und  Sekrete, 
selbst  wenn  physiologisch  ganz  nor- 
mal, genügend  Raum  und  Zeit  finden 
—  ich  meine  besonders  Harn  und 
Faeces  —  sich  zu  zersetzen,  sie  bilden 
ja  den  günstigsten  Nährboden  für  die 
in  der  umgebenden  Luft  vorhandenen 
Bakterien  und  Kokken,  und  warum  so 
etwas  zu  jucken  und  das  Kind  instink- 
tiv zu  kratzen  anfängt,  und  nicht  auf- 
hört, bis  es  sich  blutig  gekratzt  hat, 
das  wissen  wir  nicht,  aber  den  ange- 
richteten Schaden  sehen  wir  leider  gar 
zu  oft :  Kratzeffekte,  die  zuerst  ohne 
und  dann  mit  Hinzutreten  des  Staphy- 
lococcus  aureus  und  albus  zu  infizierten 
Wundherden  führen,  besonders  auf  der 
Kopfhaut  und  im  Gesichtchen,  und  da 
gibt  es  im  20.  Jahrhundert  noch  Müt- 
ter, die  abergläubisch  genug  sind,  zu 
verbieten,  dass  die  Nägelchen  abge- 
schnitten werden.  Und  erst  das  in- 
zwischen sekundär  entstandene  Ekzem 
ist  recht  ein  noli  me  tangere, 
es  könnte  sich,  wenn  man  es  vertreibt, 
„nach  innen  schlagen"  und  dann 
Krankheiten  erzeugen ;  die  Ursache  ist 
hier  offenbar  mit  der  Wirkung  ver- 
wechselt und  dies  bringt  uns  auf  die 
sogenannten  inneren  Ursachen  der 
Hautkrankheiten,  der  grösseren  Mehr- 
zahl nach  dem  Verdauungsapparat  ent- 
springend, ferner  Diathese  als  Skro- 
phulose,  Tuberkulose,  Hämophilie  — 
gestörter  Stoffwechsel  ins  Gebiet  der 
Biochemie  und  des  Metabolismus  ge- 
hörend, wonach  sich  hauptsächlich  und 
in  erster  Linie,  wie  ich  dies  vor  zwei 
Jahren  Ihnen  hier  zu  erörtern  die  Ehre 
hatte,  die  Behandlung  zu  richten  hat, 
mit  anderen  WTorten  ausser  lokalen 
Applikationen    ist    eine  methodische 


und  systematische  diätetisch-hygienische 
Allgemeinbehandlung  unerlässlich. 

Beginnen  wir  nun  mit  dem  eben  neu- 
geborenen gesunden  Kinde  und  be- 
trachten uns  die  für  den  praktischen 
Arzt  wichtigen  Hautleiden,  denen  er 
fast  alltäglich  begegnet.  - —  Ich  muss 
vorweg  bemerken,  dass  ich  die  kon- 
genitale Syphilis  nicht  im  Rahmen  die- 
ser Vorlesung  beleuchte,  ebenso  nicht 
die  akuten  Infektions-Krankheiten. 

Zunächst  und  obenan  steht  die  In- 
tertrigo. Die  Kinder  werden  wund  und 
zwar  meist  an  Berührungsflächen,  ins- 
besondere bei  fetten  Kindern  in  den 
Cervikal-,  Axillar-,  Inguinal-,  Genital-, 
Krural-  und  Analfalten,  was  man 
aber  leicht  verhüten  kann,  wenn  man 
prophylaktisch  vorgeht,  solange  noch 
nur  ein  blosses  Erythem  besteht.  Die 
erste  Frage,  die  ausnahmslos  an  uns 
gerichtet  wird,  und  dies  lehrt  mich 
eine  19jährige  Dispensary-Erfahrung, 
selbst  bei  Leuten,  die  nur  ein  einziges 
Mal  im  Jahre  ein  Bad  nehmen,  ob  sie 
es  brauchen  oder  nicht,  ist  die:  „Darf 
ich  das  Kind  baden?"  Was  ich  hier- 
auf zu  erwidern  habe,  bezieht  sich 
mutatis  mutandis  auch  auf  das  ebenso 
oft  auftretende  Ekzem,  die  Impetigo 
contagiosa,  die  Skabies  und  die  ande- 
ren Dermatomykosen,  und  ich  werde 
nach  Besprechung  dieser  Affektionen 
mich  über  das  Baden  äussern.  Pro- 
phylaxe ist  nach  meiner  Ueberzeugung 
nirgends  so  angebracht  und  deren  Aus- 
übung bringt  nirgends  so  viel  Segen  als 
gerade  bei  den  Hautleiden  kleiner 
Kinder. 

Bleiben  wir  bei  dem  Ervtlicm,  der 
Vorstufe  der  Intertrigo :  Von  den 
meisten  Müttern  wird  dies  kaum  be- 
achtet, die  Rötung  wird  dafür  genom- 
men, dass  das  Kind  gesund  ist  und  die 
Nahrung  gut  verträgt,  es  wird  nur 
höchstens  bei  dem  öfteren  Trocken- 
legen reichlicher  Pulver  gestreut. 
Und  nun  erst  bei  einem  kranken  Kinde 
mit  pathologischem  Harn  und  alkali- 
schen Faeces,  bei  oft  10 — 2omaliger 
Entleerung  per  Tag,  bei  Enteritiden, 


New    Yorker    Medizinische  Monatsschrift. 


33 


Cholera  infantum  u.  s.  w.  —  erlaubt 
die  Mutter  dem  Kinde  in  diesen  Se- 
kreten und  Exkreten  zu  liegen,  so  wird 
bald  ein  Mazerationsprozess  eintreten, 
der  oft  zu  ulzerativen  und  gangränö- 
sen Ekzemen  führen  wird,  ebenso  bei 
einem  Plus  in  puncto  zu  heissen  Was- 
ser und  zu  starkes  Abreiben  mit  Seife 
und  zu  starkes  Frottieren  beim  Ab- 
trocknen prädisponiert  die  ja  ohnehin 
schon  stark  lädierte  Haut  zur  Inter- 
trigo mit  nachfolgendem  Ekzem.  Also 
Prophylaxe  Reinigen  mit  einem  mil- 
den Adstringens  und,  wenn  die  Kru- 
sten und  das  zu  reichlich  benützte 
Streupulver  angebacken  sind,  zuerst 
ein  in  Olivenöl  getauchtes  Läppchen 
benützen,  eventuell  mit  Zusatz  von  ein 
bis  zwei  Prozent  Salicyl-  oder  Bor- 
säure, um  so  den  selbst  physiologisch- 
normalen Urin,  die  Faeces,  die  aus  dem 
Munde  kommende  Milch  und  den  Spei- 
chel zu  verhindern,  durch  Zersetzung 
die  Haut  zu  zerstören.  Vor  Angst, 
dass  ein  kalter  Luftzug  den  Ausschlag 
nach  innen  treiben  könnte,  bleiben  die 
Kinder  vier-  und  fünffach  in  Linnen 
und  Wolle  eingepackt,  Ventilation  ist 
erst  recht  verpönt,  und  so  kommen  die 
traurigen  Folgen  und  wir  sehen  ein  in- 
tertriginöses  Ekzem  etabliert. 

Ich  erwähnte  Eingangs,  dass  wir  es  im 
Säuglingsalter  mit  einer  mehr  oder  we- 
niger physiologisch-normalen  Hyperämie 
und  Hypersekretion  der  Drüsen  zu  tun 
haben ;  dem  Produkte  dieser  funktionel- 
len Hypersekretion  der  Talg-Drüsen, 
einer  Ueberproduktion  von  'Sebum  be- 
gegnen wir  fast  alltäglich  auf  dem 
Kopfe  des  Kindes ;  unter  allmählich  sich 
steigender  Rötung,  Entzündung  und  Ex- 
sudation, die  zur  Abhebung  der  obersten 
Epithelschichten  führt,  bekommen  wir 
das  bekannte  Bild  der  Seborrhoe,  nach 
und  nach  backen  die  Produkte  zusam- 
men mit  den  Haaren  zu  einer  Kruste, 
einer  Borke,  der  Prozess  geht  über  die 
Stirne  nach  dem  Gesicht  und  über  die 
Ohren  nach  dem  Nacken,  und  so  hat 
sich  auch  hier  ein  sekundäres  Ekzem 
etabliert,  das  seborrhoische  Ekzem,  und 


da  kommt  wieder  die  Prophylaxis  in 
ihre  Rechte.  Hat  man  es  mit  einer  thö- 
richten  Mutter  zu  tun,  die  diesen  Belag 
vom  Köpfchen  zu  entfernen  aus  Aber- 
glauben sich  weigert,  so  lässt  sich  eben 
nichts  machen  und  das  passiert  in  der 
Praxis  noch  allzuhäufig,  andererseits 
aber  erzielt  man  glänzende  Resultate, 
wenn  man  zunächst  mit  grüner  Seife  den 
Kopf  wäscht,  nachher  die  Krusten  und 
Borken  mit  Oel  entfernt  und  solange 
Exsudation  stattfindet,  milde  Adstrin- 
gentia in  Form  von  Umschlägen  anwen- 
det und  zur  Heilung  eine  Resorzin- 
Schwefelsalbe  mit  oder  ohne  Zusatz  von 
Salizyl,  alle  Applikationen  in  kleinem 
Prozentsatz,  da  ja  die  lädierte  Haut 
schon  genug  gereizt  ist. 

Bleiben  wir  beim  Kopfe,  wo  wir 
noch  anderen  Erkrankungen  sehr 
häufig  begegnen,  als  Follikulitiden  und 
Furunkeln,  die  eine  chirurgische  Be- 
handlung erheischen,  und  einer  an- 
deren Gruppe  von  Krankheiten  para- 
sitären Ursprungs.  Zunächst  die  Pedi- 
culosis capitis,  deren  Behandlung  ein- 
fach ist,  mehrmalige  Einreibung  von 
Olivenöl  und  Petroleum  zu  gleichen  Tei- 
len, 3 — 4  mal  per  Tag,  mit  imper- 
meablem Stoff  bedeckt  lassen,  nach  drei 
bis  vier  Tagen  mit  Essig  und  grüner 
Seife  auswaschen  und  reinigen,  und  für 
die  nächsten  drei  bis  vier  Tage  mit  Del- 
phinium  Tinktur  und  Aether  zu  gleichen 
Teilen  einreiben,  wozu  man  noch  5 — 10 
Prozent  Perubalsam  zusetzen  kann ;  die 
protrahierte  Behandlung  ist  notwendig, 
um  nicht  nur  die  Läuse,  sondern  auch 
die  Nüsse  zu  töten.  Ohne  Behandlung 
infolge  des  anhaltenden  Kratzens  mit 
den  schmutzigen  Fingernägeln  etabliert 
sich  das  Ekzema  e  pediculis. 

Fast  ebenso  häufig  ist  die  Titnea  tonsu- 
rans, ein  äusserst  hartnäckiger  Feind,  her- 
vorgerufen durch  den  Trichophiton-fun- 
gus,  einen  vegetabilischen  Parasiten.  Hat 
man  es  mit  einem  etablierten  Ringwurm 
zu  tun,  so  ist  es  geraten,  die  benachbar- 
ten Partien  durch  Rasieren  vor  dem 
Uebergreifen  zu  schützen  und  die  abge- 
brochenen,   trockenen    Haare    der  er- 


34 


New    Yorker  Medizi 


nische  Monatsschrift. 


krankten  Area  zu  epilieren.  Kommt  es 
zur  Eiterung  innerhalb  der  Haarfollikel, 
dann  müssen  feuchte  Dauerverbände  mit 
Antisepticis  gemacht  werden,  eventuell 
muss  man  manchmal  mit  der  Knopf- 
sonde in  die  Eiterherde  einstechen,  um 
den  Eiter  zu  entleeren,  nachher  Subli- 
mat oder  Naphtol- Alkohol,  5 — 10  Pro- 
zent einpinseln  und  später  Ichthyolsalbe, 
5 — 20  Prozent,  bei  zwei  oder  drei  klei- 
nen Herden  gebrauche  ich  reines  Ich- 
thyol ganz  unverdünnt  und  Forma- 
lin  (40prozent.  Lösung).  —  Als  ein  in 
Folge  der  russischen  und  italienischen 
Einwanderung  häufiges  Leiden  der 
Kopfhaut  wäre  auch  noch  der  Faz'iis 
zu  erwähnen,  der  ebenfalls  durch  einen 
vegetabli  sehen  Parasiten,  Achorion 
Schoenlein,  hervorgerufen  wird ;  hier 
führt  das  Skutulum  zur  Atrophie  mit 
Narbenbildung  ;  therapeutisch  starke  An- 
tiseptika und  Epilation.  Hieran  reihe 
sich  naturgemäss  noch  eine  Erkrankung, 
die  äusserst  häufig  ist  und  leider  auch 
sehr  oft  verkannt  wird :  die  Skabies,  be- 
dingt durch  einen  animalischen  Parasi- 
ten, Acarus  skabiei,  im  Bilde  wenig  ver- 
schieden von  der  des  Erwachsenen,  die- 
selben polymorphen  Eruptionen  an  den 
charakteristischen  Stellen,  anstatt  Schwe- 
fel und  Styrax,  die  schmutzig  und  un- 
angenehm riechen,  benütze  ich  Epikarin 
1 — 5  Prozent ;  Peruol,  ein  Ersatz  für 
Perubalsam,  1 — 2  Prozent,  Eudermol 
1 — 2prozentig,  als  Salbengrundlage 
Lanolin  oder  Resorbin,  zur  Nachbehand- 
lung eine  2 — Sprozentige  Bromokollsalbe. 
Alle  eben  genannten  Erkrankungen  sind 
von  höchster  Wichtigkeit  und  verlangen 
eine  genaue  Kenntnis  und  eine  rigorose 
Behandlung  und  Prophylaxis,  insbeson- 
dere im  schulpflichtigen  Alter  wegen  der 
hohen  Ansteckungsgefahr ;  die  Kinder 
werden  nämlich  heimgeschickt,  eventuell 
aus  der  Schule  ausgeschlossen. 

Als  letzte  in  der  Gruppe  der  Dermatomy- 
kosen reiht  sich  die  Impetigo  contagiosa 
an,  die  gewöhnlich  das  Gesicht  des  Kin- 
des befällt ;  die  Erkrankung  beginnt  mit 
Bläschen  in  den  obersten  Hautschichten, 
die  darunter  liegende  Haut  ist  ganz  nor- 


mal, höchstens  am  Rande  des  Bläschens 
leicht  gerötet ;  das  dauert  zwei  bis  drei 
Tage,  nachher  füllen  sich  diese  Bläschen, 
die  nie  primär  Eiter  enthalten,  und 
trocknen  unter  Zurücklassung  einer 
Kruste  ab,  die  sich  nachher  abstösst.  — 
Heilung  mit  restitutio  ad  integrum.  Die 
Behandlung  ist  sehr  einfach :  Nach  Ent- 
fernung der  Kruste,  denn  in  diesem  Zu- 
stande bekommen  wir  fast  ausnahmslos 
die  Impetigo  contagiosa  zu  sehen,  — 
man  bedient  sich  hierzu  am  besten  eines 
2prozentigen  Salizylöls  —  gebraucht  man 
2 — 5 — lOprozentige  weisse  Praezipitat- 
salbe,  wobei  ich  Lanolin  oder  Resorbin 
als  Salbengrundlage  benütze;  bei  hefti- 
gem Jucken,  beispielsweise  bei  gleichzei- 
tig bestehender  Urtikaria,  benütze  ich 
Resinol  als  Salbengrundlage  und  setze 
1 — 2  Prozent  Menthol  zu.  Ist  die  Haut 
durch  Kratzen  schon  sehr  gereizt  oder 
überhaupt  sehr  empfindlich,  dann  em- 
pfiehlt es  sich  zunächst,  Umschläge  zu 
applizieren,  am  besten  die  Lotio  Kala- 


mine  und  Zink : 

Ac.  carbolic   2.00 

Calaminae  praepar   4.00 

Zinc  oxyd   8.00 

Glycerin    12.00 

Aqu.  calcis   16.00 

Aqu.  ad  120.00 


und  Theer  in  Form  von  Ol.  Rusci 
Vienna-Waldheim. 

Urticaria :  Ich  liess  das  Wort  fallen, 
bleiben  wir  gleich  dabei,  Sie  alle 
kennen  die  Quaddel,  und  wenn  sie 
auch  nicht  ganz  so  wie  nach  Be- 
rührung der  Brennnessel  aussieht,  sie 
juckt  doch  ebenso  entsetzlich  und  quält 
die  Kinder,  im  4.  oder  5.  Lebensmonat 
beginnend,  oft  jahrelang:  hier  haben 
wir  es  positiv,  wie  bei  dem  primären 
Ekzem,  mit  einem  toxischen  Prozess  zu 
tun.  Was  wir  gewöhnlich  zu  Gesichte 
bekommen,  ist  die  Urticaria  papulosa, 
die  Papeln  kommen  und  gehen,  oft  über 
den  ganzen  Körper  verbreitet,  und  dass 
man  da  auf  der  Höhe  der  Effloreszenzen 

—  infolge  des  unausstehlichen  Juckens 
kratzen  sich  die  Kinder  Tag  und  Nacht 

—  keinen  einheitlichen  Charakter  mehr 


New    Yorker   Medizinische  Monatsschrift. 


35 


haben  wird,  ist  ja  klar;  es  kommt  oft 
zur  Bildung  von  Furunkeln,  Abszessen, 
Geschwüren,  grossen  Eiterblasen  (Urti- 
caria bullosa)  und  zu  sekundären  Ekze- 
men. Hier  kommt  das  ätiologische  Mo- 
ment par  excellence  in  Betracht,  und 
darnach  hat  sich  die  Behandlung  in 
erster  Linie  zu  richten,  und  da  kommt 
die  bis  jetzt  noch  ungelöste  Frage  der 
rationellen  Ernährung  des  Kindes  in  den 
Vordergrund.  Da  es  keine  spezifischen 
Mittel  für  die  Heilung  der  Urticaria 
gibt,  muss  man  vor  allem  Darmantisep- 
tika,  z.  B.  Salol,  Kreolin,  Tannin  u.  s.  w., 
gebrauchen,  lokal  Menthol,  Karbol,  Epi- 
karin  und  Bromokoll  von  2 — 10  Prozent, 
in  alkoholischen  Lösungen  und  sonst 
hygienisch-diätetisch. 

Und  nun  zum  Ekzem :  Wollte  ich 
alles  über  Ekzem  Wissenswerte  auch 
nur    flüchtig    erwähnen,    brauchte  ich 


einen  separaten  Abend ;  es  genügt  mir, 
zu  sagen,  dass  das  meiste,  was  ich 
heute  erwähnte,  sich  auf  das  Ekzem 
bezieht.  Vor  allem  halte  ich  daran 
fest,  im  akuten  und  subakuten  Sta- 
dium nur  feuchte  Umschläge  und  erst 
im  chronischen  Stadium  Salben  resp. 
Pasten  und  ganz  besonders  Teer  in 
Form  von  Ol.  Rusci.  Baden  ist  nie  kon- 
traindiziert, es  müsste  denn  sein,  dass 
man  für  einige  Tage  eine  bestimmte  Ab- 
sicht mit  dem  betreffenden  Medikamente 
hat,  wie  beispielsweise  die  Einwirkung 
des  Schwefels  bei  Skabies.  Das  dun- 
kelste Gebiet  bei  den  Hautkrankheiten 
kleiner  Kinder  ist  jedenfalls  die  Aetio- 
logie  des  Ekzems,  welche  ich  in  einer 
späteren  Vorlesung  Ihnen  zu  erörtern 
mir  erlauben  werde. 

616  Madison  Ave. 

The  Sydenham  Bldg. 


Cysticercus. 

Von  Dr.  Reinhard  Rembe. 


Eddie  Behringer,  Niles  Center,  III., 
Waisenknabe,  7  Jahre  alt,  kräftiger 
Junge,  noch  nie  krank,  hatte  nie  ein 
Augenleiden  oder  eine  Verletzung  der- 
selben. 

Am  1.  Oktober  vorigen  Jahres  be- 
merkten die  Pflegeeltern,  dass  das  rechte 
Auge  rot  und  entzündet  war  und  von 
Tag  zu  Tag  sich  wesentlich  verschlim- 
merte. Der  Junge  wurde  dann  von  Dr. 
S  i  n  t  z  e  1  ( Niles  Center)  behandelt ; 
derselbe  liess  Borsäure-Aufschläge  ma- 
chen und  nach  einigen  Tagen  trat  Bes- 
serung der  entzündlichen  Erscheinungen 
ein.  Da  der  behandelnde  Arzt  nicht 
sicher  bez.  der  Diagnose  war,  schickte  er 
mir  den  Fall  zu. 

Patient  kam  am  6.  November  in  meine 
Behandlung.  Die  Untersuchung  ergab 
das  folgende : 

Die  Augenlider  mässig  ödematös,  die 
Lidspalte  verengt,  die  Conjunctiva  bulbi 


oberflächlich  infiziert,  jedoch  im  Limbus 
conjunctivalis  nach  oben  und  unten  mit 
einem  leichten  Gefässkranz  versehen. 
Die  Hornhaut  in  ihrem  ganzen  Umfang 
weniger  glänzend  und  durchsichtig  als 
im  normalen  Zustande ;  die  vordere 
Kammer  etwas  verengt,  der  Humor 
aqueus  nicht  sichtlich  getrübt.  Die  Iris 
scheint  mehr  nach  vorn  gedrängt,  doch 
lässt  sich  dieses  Verhältnis  wegen  des 
grösstenteils  ausgefüllten  Raumes  der 
Kammer  nicht  mit  Genauigkeit  eruieren. 
In  der  Vorderkammer  nämlich  befindet 
sich  unmittelbar  vor  dem  unteren  äusse- 
ren und  inneren  Quadranten  der  Iris  ein 
erbsenförmiger,  weissgraulicher,  blasen- 
förmiger,  durchscheinender  Körper,  der 
den  Raum  zwischen  Hornhaut  und  Re- 
genbogenhaut einnimmt. 

Am  Boden  der  Blase  erblickt  man 
einen  milchweisen,  gekrümmten,  in  einen 
Strang  auslaufenden  Körper,  dessen  An- 


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New    Yorker   Medizinische  Monatsschrift. 


fang  in  der  hinteren  Wand  der  Blase  zu 
finden  ist,  und  dessen  Ende  in  der  Ge- 
gend des  inneren  Quadranten  der  Iris 
sich  verliert.  In  der  ganzen  Blase,  na- 
mentlich aber  in  dem  darin  befindlichen 
Körper,  sieht  man  eine  eigentümliche 
Bewegung,  die  in  einem  Wechsel  zwi- 
schen Zusammenschnüren  und  Auf- 
blähung besteht.  In  dieser  Bewegung 
nimmt  auch  der  erwähnte  weiter  nasal- 
wärts  gelegene  weisse  Strang  insofern 
Anteil,  als  er  bald  sehr  gestreckt  oder 
verkürzt  in  lateraler  Richtung  sich  be- 
wegt. 

Atropinum  sulfuricum  bewerkstelligte 
eine  mässige  Erweiterung  der  Pupille 
nach  oben,  im  unteren  Teil  der  Iris  war 
eine  deutliche  Rigidität  bemerkbar.  Das 
Sehen  war  auf  Fingerzählen  in  3  Meter 
Entfernung  reduziert. 

Die  Erkennung  des  Blasenwurmes  war 
in  diesem  Falle  nichts  weniger  als  kom- 
pliziert. Die  operative  Beseitigung 
wurde  ohne  Schwierigkeit  vollführt ;  es 
schien  mir  ratsam,  mit  der  Lanze  am 
Kornea-Skleralrand  mehr  zentral  als 
peripher  einzugehen  und  sofort,  sozu- 
sagen, die  Cyste  zu  spalten ;  merkwür- 
digerweise aber  glitt  die  Spitze  der  Lanze 
an  der  festen  vorderen  Membran  ab,  ich 
schob  selbige  ohne  Hindernis  bis  zur 
Iris  vor.  Kammerwasser  floss  ab,  und 
nun  ging  ich  mit  geschlossener  Kapsel - 
pinzette  ein,  ergriff  die  Cysticercuswand 
und  beförderte  Blase  und  Inhalt  leicht 
heraus.  Die  Wunde  restituierte  sich 
rasch  und  schloss  vollkommen,  das  Auge 
wurde  stark  atropinisiert,  bandagiert  und 
die  Heilung  ging  glatt  von  statten.  Das 
anfangs  bestehende  weissliche  Exsudat 
hat  sich  vollkommen  resorbiert,  eine  noch 
bestehende  hintere  Synechie  zerriss  je- 
doch nicht,  weder  spontan  noch  auf  Ein- 
träuflung  von  Atropin.  Jede  Spur  von 
Iritis  und  auch  der  Hauch  an  der  Des- 
cemetschen  Membran  sind  verschwun- 
den,. Visus  fast  normal,  56.- 

Wie  der  Cysticercus  seinen  Weg  in 
die  vordere  Kammer,  resp.  in  die  Regen- 
bogenhaut gefunden  hat,  konnte  man 
sich  wohl  in  der  folgenden  Weise  den- 


ken. Die  Pflegeeltern  des  Knaben  sind 
Gemüsegärtner  mit  grossen  Treibhäusern 
und  ziehen  speziell  Radieschen,  gelbe 
Rüben,  Gurken  und  Salate.  Es  ist  eine 
bekannte  Tatsache,  dass  Gemüsegärtner 
mit  Vorliebe  menschliche  Faeces  als 
Dünger  verwenden.  Angenommen,  ein 
Mensch  mit  Bandwurm  würde  selbst  nur 
einmal  den  Abtritt  gebrauchen,  dann 
kann  derselbe  mit  einem  Stuhlgang  30 
bis  60  Millionen  Eier  daselbst  entleeren; 
werden  nun  die  Faeces  auf  dem  Garten- 
land oder  im  Treibhaus  verteilt,  auf  wel- 
chem schon  nach  ein  bis  zwei  Monaten 
junge  Radieschen,  Rüben  etc.  wachsen, 
so  können  leicht  Taenien-Eier  an  den 
Radieschen  oder  Rüben  hängen  bleiben. 
Der  Junge  gibt  auch  zu,  dass  er  mit  Vor- 
liebe fast  täglich  Rüben  aus  der  Erde  ge- 
zogen und  gegessen  habe,  ohne  dieselben 
abzuwaschen,  und  auf  diese  Weise  dürf- 
ten wohl  die  Taenien-Eier  in  den  Magen 
gekommen  sein.  Einmal  da,  löst  sich  die 
Membran  um  den  Embryo  auf  und  der 
Parasit  bohrt  sich  mit  Hilfe  seiner  sechs 
Haken  durch  den  Magen  und  wandert 
so  lange,  bis  er  einen  Widerstand  findet. 
Auf  seinem  Wege  kann  er  nun  ein  Ge- 
fäss  treffen,  wird  in  den  Blutstrom  ge- 
rissen und  auf  diese  Weise  nach  irgend 
einem  Teil  des  menschlichen  Körpers  ge- 
führt. In  unserem  Falle  gelangte  der 
Parasit  in  die  Arteria  ciliaris  und  von 
da  in  die  Iris.  Hierauf  fing  die  initiale 
Invasionsreaktion  an,  welche  sich  in  der 
vorher  beschriebenen  Irititis  charakteri- 
sierte. Der  Parasit  zeigt  eine  Neigung, 
in  der  Richtung  minoris  resistentiae  zu 
wandern,  daher  wurde  die  vordere  Kam- 
mer bevorzugt. 

Die  Reaktion  der  Gewebe  zeigt  sich 
unter  dem  Bilde  der  Entzündung  und 
Proliferenz  von  Bindegewebe;  zu  dieser 
Zeit  entsteht  die  Cyste,  und  damit  hat 
der  Blasenwurm  seine  Reife  gewisser- 
massen  erreicht. 

Derselbe  besteht  nun  aus  einem  etwa 
erbsengrossen  Körper  mit  einem  dünnen 
Halse  und  Kopf  des  zukünftigen  Band- 
wurms. Die  Finne  geht  schliesslich  in 
das  Stadium  der  Indolenz  oder  Verpup- 


New    Yorker    Medizinische  Monatsschrift. 


37 


pung  über  und  richtet  so  unter  gewöhn- 
lichen Umständen  im  menschlichen  Ge- 
webe keinen  Schaden  an,  im  Hirn  und 
Auge  jedoch  tritt  früher  oder  später  das 
Stadium  der  terminalen  Reaktion  auf, 
welche  bei  entsprechendem  Sitze  im 
Auge  zur  totalen  Erblindung  desselben 
führt. 

Als  der  Junge  unter  meine  Beobach- 
tung kam,  hatten  bereits  die  Symptome 
der  initialen  Reaktion  wesentlich  nach- 
gelassen. Der  Kasus  ist  insofern  von 
Bedeutung,  als  er  vielleicht  der  erste 
authentische  Fall  ist,  der  hier  in  Amerika 
beobachtet  wurde.  In  Folge  der  in 
Deutschland  rigiden  Schlachthausinspek- 
tion gehören  Cysten  gegenwärtig  zur 
grössten  Seltenheit. 

Im  Jahre  1830  entdeckte  Dr.  Schott 
in  Frankfurt  als  erster  in  der  vordem 


Kammer  eines  lebenden  Menschen  eine 
lebende  Schweinefinne.  In  Okeris  Isis, 
Band  23,  wird  ferner  bemerkt,  dass  Dr. 
Schott  über  seine  Entdeckung  so  er- 
freut w?ar,  dass  er  den  Blasenwurm  als 
Wappen  in  seinem  Siegelring  trug.  Im 
Jahre  1854  entdeckte  A.  von  Graefe 
den  Cysticercus  in  der  dunkeln  Tiefe 
des  Auges. 

Ich  möchte  diese  Beobachtung  nicht 
schliessen  ohne  zu  erwähnen,  dass  Herr 
Kollege  S  i  n  t  z  e  1  im  vorigen  Jahre  20 
Fälle  von  Bandwurm  in  Behandlung 
hatte,  dass  der  kleine  Patient  nirgendswo 
an  der  Oberfläche  Cystikerken  darbot, 
und  dass  Klagen,  welche  auf  Taenien  zu 
beziehen  waren,  weder  von  demselben 
noch  von  der  Umgebung  angegeben 
werden. 

100  State  Street,  Chicago,  III. 


Geharzter  Wein. 

Von  Dr.  Walther  Nie.  Clemm, 

Sanatorium  für  Verdauungs-  und  Stoffwechselleidende   in   Bollenstedt  a/Harz 
(früher  Spezialarzt  in  Darmstadt). 


In  zahlreichen  Variationen  immer  neu 
auftauchend  bieten  Medizinalweine  doch 
im  Prinzipe  alle  dasselbe :  Es  sind  alko- 
holische Auszüge  aus  Rinden  und  Wur- 
zeln, deren  Alkaloide  und  Glykoside  ent- 
haltend, und  hinterher  mit  Südweinen 
versetzt  zur  Erhöhung  ihrer  Bekömm- 
lichkeit und  zur  Geschmackverbesserung. 
Meist  handelt  es  sich  dabei  um  Auszüge 
der  China-  oder  der  Kondurangorinde, 
häufig  auch  um  solche  der  Rhabarber- 
wurzel. 

Ueber  den  Wert  der  Bitterstoffe  zur 
Anregung  der  Verdauung  hat  das  Licht, 
welches  P  a  w  1  o  w's  Prometheusfackel 
in  die  verschlungenen  Labyrinthwege  der 
Verdauungsarbeit  hineingeworfen  hat, 
ein  anderes,  besseres  Urteil  gezeitigt,  als 
es  vor  diesen  bahnbrechenden  Untersuch- 
ungen darüber  mehr  und  mehr  Geltung 
sich  zu  verschaffen  gedroht  hatte  :  Wäh- 


rend man  den  Amaris  auf  Grund  der  Be- 
obachtung, dass  sie  unmittelbar  die  Ver- 
dauung nicht  anregen,  bereits  jedwede 
Bedeutung  absprechen  wollte,  hat  der 
russische  Forscher  die  Ergebnisse  der 
Empirie  bestätigt,  in  dem  er  erwies,  dass 
die  Bittermittel  den  Appetit  anregen  und 
somit  die  vornehmste  Grundlage  zu  ge- 
besserter Verdauung  schaffen  helfen,  in- 
dem sie  den  ,, Zündsaft"  hervorlocken. 

Ob  wir  hiefür  nun  die  Alkaloide  der 
Chinarinde,  die  Glykoside  und  Harze  der 
Kondurangorinde  oder  andere  in  Alkohol 
lösliche  Harze  etc.  wählen,  das  bleibt  sich 
für  die  Wahl  des  Weines  als  Stomachi- 
kum  ziemlich  gleichgiltig.  Wünschen  wir 
die  Chininwirkung,  so  geben  wir  das  Mit- 
tel besser  und  sicherer  in  bestimmter  Do- 
sierung, ebenso  wie  wir  den  Rhabarber 
als  Abführmittel  nicht  in  der  teuren 
weinigen  Lösung  anwenden  würden  ;  und 


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New    Yorker    Medizinische  Monatsschrift. 


die  Träume,  welche  Friedreich  von  der 
spezifisch  -  antikarzinomatösen  Wirkung 
derKondurango  geträumt  hat,  haben  sich 
längst  als  eitel  Schäume  erwiesen.  Wozu 
also  diese  mühsam  künstlich  hergestell- 
ten weinigen  Spiritusextrakte  als  ein- 
fache Stomachika  wählen,  wenn  wir  ein 
in  rein  natürlicher  Form  sich  darbieten- 
des Ersatzmittel  derselben  uns  weit  billi- 
ger leicht  zu  beschaffen  vermögen  !  ?  Der 
Wein  als  solcher  spielt  eine  nicht  uner- 
hebliche Rolle  dabei :  Als  Magensaf t- 
treiber  ersten  Ranges  unterstützt  er  diese 
Wirkung  der  in  ihm  gelösten  Bitterstoffe 
wesentlich ;  suchen  wir  also  einen  Wein, 
dem  im  Gährprozess  Bitterharze  in  Lös- 
ung zugeflossen  sind  und  der  uns  daher 
—  schon  aus  diesem  Grunde  —  solche 
Kunstweine  zu  ersetzen  vermag :  Und 
der  ist  bereits  gefunden,  uralt  ist  seine 
Geschichte,  wenn  auch  er  in  der  Heil- 
kunde nur  mit  einer  bescheidenen  Rolle 
bisher  hat  Yorlieb  nehmen  müssen. 

Freilich  ist  dieser  Harzwein  nicht  aus 
physiologischen  Ueberlegungen  heraus- 
gewachsen, sondern  dankt  seine  Entsteh- 
ung    rein-ökonomischen     Gründen  in 
grauer  Vorzeit,  und  die  Gewohnheit,  die 
mächtigste  Fessel,  die  den  Menschen  bin- 
det, hat  ihn  bis  heute  eine  bescheidene, 
nur  wenigen  Eingeweihten  bekannte  Ex- 
istenz abseits  von  der  grossen  Strasse, 
auf  der  heute  der  Menschheit  Kulturle- 
ben auf-  und  abflutet,  in  von  der  Klio 
Griffel  geheiligtem  Winkel  fristen  lassen. 
Seine  medizinischen  Eigenschaften  vol- 
lends scheinen  mehr  vom  Weinhändler 
dort   zu   Reklamezwecken   benutzt  als 
ärztlicherseits  einer  Prüfung  unterzogen 
worden  zu  sein.    Wenigstens  war  davon 
bei  uns  in  Deutschland  nichts  bekannt, 
als  ich,  wie  ich  später  schildern  werde,  I 
meine  vom  Zufall  angeregten  Untersuch-  J 
ungen  in  den  Jahren  1902,  1903  und  1904 
darüber  anstellte.   Erst  vor  ganz  Kurzem  : 
erhielt  ich  durch  die  Liebenswürdigkeit 
der  Firma  H.  Chardon   in  Coblenz 
eine  alte  Flaschenetikette  in  die  Hand, 
welche  mir  anzeigt,  dass  man  in  Italien 
wenigstens  den  „Theerwrein,"  vino  catra- 
mato,  eines  A.  Stamatiadis  ärztlich  | 


einzuschätzen  begann,  und  es  ist  da  das 
Urteil  keines  geringeren  als  M  a  n  t  e- 
g  a  z  z  a's  darüber  angeführt.  Doch  auch 
hievon  später.  Ehe  wir  uns  zur  medizi- 
nischen Beurteilung  des  Harzweins  wen- 
den, betrachten  wir  erst  seine  Geschichte, 
die  mit  der  des  Weines  überhaupt  in 
engem  Zusammenhange  steht. 

Der    Grieche    bezeichnete    mit  ^ev 
jedes  berauschende  Getränk,  und  das  be- 
weist ebenso  wie  der  Umstand,  dass  im 
Deutschen  das  gleiche  Wort,  „Meth",  für 
das  aus  vergohrenem  Honigwasser  her- 
gestellte süsse  Dickbier  gebräuchlich  war, 
dass  die  Griechen  einst  Meth  brauten, 
ehe  sie  den  Weinbau  erlernten:  Denn 
Wörterstämme  sind  älter  als  Gebräuche 
und  weisen  in  die  graueste  Vorzeit  der 
Völker  zurück.    Der  Begriff  des  Be- 
rauschenden bleibt  mit  dem  Namen  des 
Methes  verknüpft,  denn  nach  der  Edda 
trinken   die   Menschen   Bier,   das  den 
Asen  als  ,,Bräu"  in  den  Wisenhörnern 
schäumt,  den  Einhörnern  als  „Aul"  oder 
,,Oel"  eingeht,  den  Wanen  „Würznass", 
den  Thorsen  ,, Lautertrank"  ist,  den  blei- 
chen Schatten  aber  in  Hels  Reich  „Meth" 
heisst.    Ich  sehe  darin  die  Bezeichnung 
des  Totentranks  als  des   Trunkes  der 
Vergessenheit  analog  der  „Lethe"  der 
Griechen.    Für  trunkenmachen  sagt  der 
Grieche    neBfoKuv;  mit    uidv  berauschte 
Zeus  seinen  Vater  C  h  r  o  n  o  s,  ehe  er 
ihn  vom  Throne  stürzte,  und  der  Stamm 
im     Namen     des  Göttermundschenks 
Ganymedes  zeigt  uns,  dass  der  Nektar 
der  alten  Olympier  gleich  dem  in  Wal- 
halla's  Hörnern  schäumenden  Bräu  ein 
stark  alkoholisches  Getränk  war,  das 
ursprünglich    nicht    von    der  Traube 
stammte.     Der    Göttervater  Wotan 
allerdings  nährte  sich  nur    von  Wein, 
Vieth  und  Speise  den  niederen  Göttern 
überlassend.    Ein  früher  Hinweis  schon 
auf  die  geistesanregenden  Eigenschaften 
des   Traubensaftes   gegenüber  anderen 
geistabstumpfenden     Getränken ;  denn 
Odin,  der  Gott  der  Raben   und  der 
Runen,  herrscht  über  die  anderen  Götter 
wie  über  die  plumpen  Riesen  durch  sei- 
nes Geistes  Ueberlegenheit. 


New    Yorker    Medizinische  Monatsschrift. 


39 


Wie  nun  der  im  Walde  wild  wachsende 
bittere  Hopfen  dem  Biere*  zugesetzt 
ward,  um  seine  Haltbarkeit  zu  erhöhen, 
so  mag  auch  dem  von  der  gleichfalls  in 
Asiens  Wäldern  wild  wachsenden  Rebe 
stammenden  Wein  ein,  gleichfalls  dem 
Walde  entnommener,  Klärungszusatz  in 
dem  Fichtenharz  von  Alters  her  gemacht 
worden  sein :  Der  Fichten-  (oder  Pi- 
nien-) Zapfen,  welcher  den  Thyrsosstab 
der  Bacchanten  krönte,  spricht  für  eine 
uralte  Beziehung  des  Weingottes  zur 
harzigen  Fichte.  Aber  schon  bei  H  o- 
m  e  r  finden  wir  —  im  geraden  Gegen- 
satze zu  der  Behauptung  auf  dem  er- 
wähnten Teerwein-Etikett  —  keine  An- 
deutung dieses  Brauches  mehr,  er  muss 
also  schon  in  hohem  Altertum  auf  lange 
Zeit  verloren  gegangen  sein  :  Home  r's 
Epitheta  nennen  den  Wein,  „süss,  ijSis,' 
oder  sie  preisen  ihn  als  „honiglich-lieb- 
lich", rtSveiS^s.  oder  auch  sie  rühmen  seine 
„honigliche  Gesinnung"  indem  sie  ihm 
das  lieblich  klingende  Lob  des  „ofcos 
■l]Sv(ppui>"  spenden. 

Erst  bei  Dioskorides  finden  wir 

V,   10  den  ,,olvos  pr)Tlvi)v  TCirvlv-qv  ?xü"/"-  d.  h. 

den  Harz  von  der  Kiefer  oder  Föhre  ent- 
haltenden Traubensaft  erwähnt,  dessen 
V,  35  auch  als  „olvos  ^lyrtvlriis",  als  geharzten 
Weines  gedacht  wird.  V,  34  wird  dann 
erzählt,  dass  zu  des  Dioskorides 
Zeiten  besonders  in  Galatien  solcher 
Harzwein  bereitet  ward.    Es  kann  sich 


*)  Den  Namen  Bier  verdient  der  vergorene 
Gerstensaft  nach  R.  Kobert  „zur  Geschichte 
des  Bieres"  (Dorpat  1896)  erst  in  seiner 
Mischung  mit  dem  bitteren  Hopfen.  Nach 
dieses  Forschers  Mitteilungen  in  der  gedachten 
Arbeit,  der  auch  in  Vorstehendem  manche  Data 
entnommen  sind,  sind  die  Chewsuren,  die 
Hochgebirgsgeorgier,  die  Erfinder  des  gehopf- 
ten  Bieres;  diese  Schweizer  des  Kaukasus 
brauen  auch  heute  noch  ein  heiliges  Bier,  das 
nach  R  a  d  d  e  dem  „Erlanger"  sehr  ähneln  soll 
und  alljährlich  in  dreitägigem  Opferfest  den 
Gläubigen  fliesst.  Auch  die  Osseten,  der  am 
Kaukasus  hausende  Rest  der  Alanen  und 
Goten,  beanspruchen  das  Erfinderrecht  für 
sich ;  ihr  gehopftes  Bier  soll  dem  englischen 
Porter  ähneln. 


da  nur  um  die  kleinasiatische  Landschaft 
dieses  Namens  handeln,  denn  Gallien,  das 
ebenfalls  TaXarla  hiess,  kam  damals,  um 
50  n.  Chr.,  als  weinbauendes  Land  noch 
nicht  in  Betracht  —  die  Chateau  Yquem 
und  die  Volnay  waren  späteren  Zeiten 
vorbehalten.  Uebrigens  nennt  auch  jener 
erwähnte  Stamatiadis  seinen  Wein 
ausdrücklich  „Nebet  (arabisch — Wein) 
della  salute  Asiatico",  und  führt  den  Ur- 
sprung desselben  auf  Kleinasien  zurück. 

Zu  des  P 1  i  n  i  u  s  Zeiten  war  der 
Brauch  der  Weinnarzung  in  Italien  all- 
gemein eingebürgert,  denn  der  Altmeis- 
ter sagt  XIV,  24:  „resina  condire  musta 
vulgare  est  Italiae  provinciisque  finiti- 
mis",  d.  h.  in  Italien  und  den  umliegen- 
den Provinzen  macht  man  die  Trauben- 
presssäfte,  die  Moste,  durch  Harzzusatz 
haltbar ;  und  XIV.  25,  3  fügt  er  weiter 
hinzu,  dass  neben  der  Erhöhung  der  Halt- 
barkeit durch  den  Harzzusatz  auch  auf 
die  Stärke  des  Weins  eingewirkt  zu  wer- 
den pflege. 

Und  C  a  t  o,  der  allen  ausländischen 
und  besonders  hellenischen  Bräuchen  so 
abholde  nüchterne  ernste  C  a  t  o, 
schreibt  vor,  auf  einen  culeus=525  Liter 
Most  3  Pfund  Harz  zuzusetzen ;  das  er- 
gibt im  Vergleich  mit  der  durch  die  auf 
meine  Veranlassung  angestellten  Ver- 
suche ermittelten  Ziffer  für  die  in  Lö- 
sunggehenden Terpene  etc.  die  Hälfte 
des  höchstmöglich  löslichen  Terpentinzu- 
satzes:  Denn  0,75%  Kiefernharz  ver- 
mochte gährender  Rosinensaft  aufzu- 
nehmen ;  offenbar  des  Geschmackes  hal- 
ber riet  also  C  a  t  o  ein  geringeres,  aber 
immer  noch  auf  die  Haltbarkeit  des  Wei- 
nes einwirkendes,  Quantum  Harz  zu 
nehmen. 

P  1  i  n  i  u  s'  Vorschriften  für  die  Resi- 
nierung  des  Weines  erwähnen  drei  ver- 
schiedene Arten  des  Zusatzes  :  Entweder 
wird  ,,flos  resinae",  als  feinstgepulvertes 
trockenes  Harz  genommen,  oder  es  fand 
ein  eigens  dafür  bereitetes,  bei  P  1  i  n  i  u  s 
XIV,  22,  „crapula"  genanntes  Terpentin 
dafür  V erwendung,  oder  drittens  es  ward 
dem  acht  Tage  alten  Wein  Pech  zuge- 
setzt.   Und  dieses,  zu  Pichungen  dien- 


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New    Yorker    Medizinische  Monatsschrift. 


ende,  zähklebrige  Harz  ist  es  wohl  auch, 
das  der  mehr  erwähnte  Stamatiadis 
seinem  „vino  catramato"  (Teerwein) 
zusetzt,  mit  dessen  „Fabrikation"  er  sich 
brüstet.  —  Heute  noch  haben  ausser  den 
Küstenstrichen  Kleinasiens,  wo  der 
„Nanedes"-Teerwein  erzeugt  wird,  ein- 
zelne Provinzen  Griechenlands,  nämlich 
ein  Teil  des  Peloponnesos  und  Mittel- 
griechenlands die  Sitte  der  Weinharzung 
beibehalten,  um  den,  in  der  lingua  franca 
„vino  recinato",  von  den  heutigen  Athe- 
nern „Krasi"  genannten,  Harzwein  her- 
zustellen. 

Ich  vermute,  dass  es  in  erster  Linie  die 
geringe  Haltbarkeit  war,  welche  bei  den 
primitiven  Kelterungs-  und  Kellerungs- 
verfahren und — möglichkeiten  des  Alter- 
tums dem  Weine  bei  Lagerung  in  Am- 
phoren mit  Oelverschluss,  beim  Auf- 
hängen in  Bockshäuten  etc.  die  Existenz 
gefährdete,  und  welche  zum  Aufsuchen 
von  Konservierungsmethoden — auch  auf 
Kosten  des  Geschmackes  —  geführt  hat. 
In  köstlicher  Weise  hat  mit  seinem  un- 
vergleichlichen Frohsinn  bei  so  viel 
gründlichem  Studium  Scheffel  diese 
kläglichen  Kellereien  des  Altertums  in 
seinem  „Gaudeamus"  („das  grosse  Fass 
zu  Heidelberg",  S.  106,  3)  uns  geschil- 
dert, die  freilich  keine  „Rose"  im  Bremer 
Ratskeller  kannten  und  dgl.  Und  dies 
rasche  Verderben  des  Weines  hat  wohl 
die  stammverwandten  Völker  der  Grie- 
chen und  Römer  veranlasst,  auf  die 
längst  in  Vergessenheit  geratene  (s. 
obige  Zitate  aus  Home  r)  Sitte  des 
Harzzusatzes  zum  Moste  zurückzugrei- 
fen und  so  einen  haltbaren  und  bekömm- 
licheren Tischtrunk  zu  erzielen.  Ganz 
sicher  führt  dieser  Brauch  auf  eine  weit 
ältere  Wurzel  zurück  —  das  beweist  wohl 
schon  der  Fichtenzapfen  am  Szepter  des 
Weingottes — ,  als  z.  B.  die  von  den 
Koern  aufgebrachte  Vermischung  des 
süssen  Mostes  mit  Seewasser  (  !)  Auch 
andere  Stämme  hatten  diese  'Sitte  ange- 
nommen nach  ihnen,  und  P  1  i  n  i  u  s  er- 
wähnt XIV,  10,  2  den  Pharineer  als  — 
horrible  dictu  !  —  besonders  gesalzenen 
Wein  !    In  Italien  hat  wiederum  beson- 


ders der  grimme  C  a  t  o  sich  um  die  Ein- 
führung dieser  Kondierungsart  bemüht, 
und  er  scheint  es  auch  gewesen  zu  sein, 
der  die,  nahe  genug  liegende,  Verwend- 
ung von  Kochsalz  anstelle  des  Seewas- 
sers empfahl. 

Sicherlich  haben  Salz  und  Meerwasser, 
besonders  nach  C  a  t  o's  Vorschrift  ange- 
wandt —  wie  sie  gleich  den  meisten  aus 
P  1  i  n  i  u  s  hier  benutzten  Quellenan- 
gaben bei  K.  B.  Hofmann,  Prof.  d. 
med.  Chemie  in  Graz,  in  seiner  Mono- 
graphie „die  Getränke  der  Griechen  und 
Römer  vom  hygienischen  Standpunkte" 
nachgelesen  werden  kann — eine  konser- 
vierende, ja  gewisslich  aber  und  wahr- 
haftig—  auch  wenn  der  Wein  nicht  ver- 
salzen ward,  wie  dies  häufig  vorgekom- 
men zu  sein  scheint, — eine  ganz  ab- 
scheulich schmeckende  Eigenschaft 
auf  ihn  ausgeübt ! 

Eine  andere  Art  der  Weinkondierung 
erhöhte  seinen  Alkoholgehalt  in  bedenk- 
lichem Masse  und  war  daher  schon  aus 
diesem  Grunde  —  abgesehen  von  der 
Bleivergiftungsgefahr,  auf  die  Hof- 
mann hinweist  —  recht  verwerflich  : 
Ich  meine  das  Einkochen  des  Mostes  in 
Bleipfannen  —  wodurch  nach  Hof- 
m  a  n  n's  Untersuchungen  etwa  0,237 
Prozent  Blei  in  Lösung  geht  —  zu  sap£ 
(auf  die  Hälfte)  oder  zu  defrutum  (au; 
ein  Drittel  seines  ursprünglichen  Volu- 
mens), um  nachher  diese  Zusätze  zu  ge- 
ringerem Wein  beizumischen  etc.  —  wenn 
diese  Weinsirupe  nicht  gar  pur  genos- 
sen wurden  !  Ohne  Erhöhung  des  Alko- 
holgehaltes und  ohne  Intoxikationsge- 
fahr bei  nicht  gar  so  abscheulicher  Ge- 
schmacksveränderung, wie  sie  das  See- 
wasser hervorgerufen  haben  muss,  leis- 
tete der  Harzzusatz  den  Alten  raschere 
Klärung  des  Weins  von  seiner  Hefe  und 
längere  Haltbarkeit  desselben.  Alle  an- 
deren Verfahren,  von  denen  einige  im 
Vorstehenden  skizziert  sind  und  deren 
noch  eine  Anzahl  anderer  bestand,  sind 
längst  spurlos  verschwunden,  lediglich 
das  Versetzen  des  Weins  mit  Harz  bei 
der  Gärung  hat  sich  bis  auf  den  heuti- 
gen Tag,  wie  bereits  erwähnt,  in  einigen 


New    Yorker    Medizinische  Monatsschrift. 


4i 


Provinzen  Griechenlands  und  seiner 
früheren  kleinasiatischen  Kolonien  er- 
halten, und  zwar  sollen  es  ganz  bestimmte 
Weinsorten  sein,  die  dazu  Verwendung 
finden.  Freilich  ist  die  alte  P  1  i  n  i  u  s'- 
sche  Vorschrift  dafür  verloren  gegangen, 
es  wird  heute  vielmehr  einfach  das  Harz 
der  Strandkiefer,  wie  es  aus  breiten, 
künstlich  gerissenen  Rindenwunden 
fliesst,  in  Bastkörben  aufgefangen  und 
mit  den  Trauben  eingemaischt. 

Diesem  resinierten  Wein  soll  die  Ei- 
genschaft unbegrenzter  Bekömmlichkeit 
anhaften,  es  soll  ihm  der  durch  unmässi- 
gen  Genuss  verdiente  „Jammer"  nicht 
folgen,  wie  mir  ein  solcher  Kneipheld  ver- 
sichert hat.  Kaum  hat  den  im  Weinge- 
nuss  so  mässigen  Griechen  dieser  Lohn 
des  Lasters  vorgeschwebt,  auch  war  es 
zum  mindesten  kein  klares  Bewusstsein 
seines  therapeutischen  Wertes,  was  sie 
an  dem  Brauch  der  Weinharzung  bis 
heute  festhalten  Hess,  als  dieselbe  den 
Nachbarländern  allmählich  gänzlich  ver- 
loren gegangen  war :  Denn  der  eigen- 
artige Terpentingeschmack  verursacht 
dem  Nichtgriechen  ein  ablehnendes  Na- 
senrümpfen, dem  griechischen  Weinbau- 
ern ist  er  vertraut  und  angenehm. 

Eine  gelegentlich  davon  erhaltene 
Probe  brachte  mich  auf  den  Gedanken, 
in  einem  Falle  von  darniederliegender 
Esslust,  wo  ein  Medizinalwein  mit  Sto- 
machikum  angezeigt  erschien,  dieselbe  zu 
erproben.  Der  günstige  Erfolg  veran- 
lasste die  Fortsetzung  der  Ordination, 
und  bald  spielte  der  Resinatwein  in  mei- 
ner Rezeptur  eine  nicht  unbedeutende 
Rolle:  Vor  allem  fiel  mir  auf,  dass  die 
unangenehme  Nachgährung,  welche  den 
Weingenuss  bei  Gastrektasieen  und 
schwerer  motorischer  Insuffizienz  so 
qualvoll  werden  lässt,  bei  diesem  Harz- 
wein nicht  oder  doch  nur  in  weit  geringe- 
rem Masse  eintrat,  dass  er  sich  sozusagen 
steril  dagegen  verhielt.  Es  lag  nahe  und 
bedurfte  keines  besonderen  Scharfsinnes, 
den  Grund  hiefür  in  dem  Terpentineehalt 
des  Weines,  d.  h.  in  den  alkohollöslichen 
Terpenen  und  anderen  flüchtigen, 
aetherischen    Stoffen    zu    suchen ;  die 


Weinsorte  konnte  von  vorneherein  als  be- 
langlos angesehen  werden. 

Ich  veranlasste  daher,  dass  eine  Reihe 
von  Analysen  des  Resinatweins  angestellt 
wurden,  die  jedoch  zunächst,  der  Flüch- 
tigkeit der  Stoffe  halber,  nach  denen  ge- 
fahndet ward,  unbefriedigende  Resultate 
lieferten.  Erst  als  Gährproben  mit  Rosi- 
nen, reingezüchteten  Weinhefen  aus  dem 
berühmten  Labaratorium  von  Dr.  Popp 
und  Dr.  Becker  in  Frankfurt  a.  M. 
und  Kieferharz  angestellt  wurden,  zeigte 
sich  —  unseren  Erwartungen  entsprech- 
end — ,  dass  der  geharzte  Rosinensaft 
rascher  abklärte  und  nicht  nachtrübte, 
wie  der  ohne  Resinierung  gebliebene  es 
tat.  Andere  Versuche  ermittelten  u.a.  den 
Gehalt  des  Harzweines  an  löslichen  Ter- 
pentinbestandheiten  :  Es  wurde  das  Harz 
in  Stücken  gewogen  vor  dem  Zusatz  und, 
nach  der  Gärung  getrocknet,  der  Ge- 
wichtsverlust bestimmt,  wobei  sich  etwa 
0,75  Prozent  dafür  ergaben. 

Wegen  der  abgekürzten  Gärzeit 
bleibt  solchermassen  bereitetem  Wein  of- 
fenbar ein  höherer  Gehalt  an  Trauben- 
zucker ;  er  bildet  einen  geringeren  Pro- 
zentsatz an  Alkohol  und  enhält  eine 
weniger  grosse  Menge,  durch  die  Nach- 
gärung entstehender,  organischer  Säu- 
ren :  Vorteile,  welche  seine  Bevorzugung 
als  Tischtrank  —  ganz  abgesehen  von 
seiner  medizinischen  Bedeutung  erklär- 
lich machen.  Der  appetitanregenden 
Wirkung  ist  bereits  eingangs  gedacht ; 
es  bedarf  daher  nur  noch  der  Betracht- 
ung des  therapeutischen  Werts  der  wein- 
löslichen Terpentinbestandteile,  d.  h.  der 
zu  0,75  Prozent  etwa  darin  enthaltenen 
aetherischen  Oele  oder  Terpene,  und  es 
zeigt  sich  hiebei  eine  gar  mannigfaltige 
Bedeutung  derselben : 

1)  Sie  üben  nämlich  eine  beträchtliche 
Hemmung  aus  auf  Gär-  und  Fäulnis- 
prozesse ; 

2)  sie  besitzen  eine  deletäre  Wirkung 
auf  Eingeweideparasiten ; 

3)  sie  steigern  den  Blutdruck  durch 
Reizung  des  Gefässnervenzentrums  ; 

4)  sie  regen  die  Diurese  lebhaft  an; 

5)  sie  desinfizieren  den  Harn; 


42 


New   Yorker  Medizi 


nische  Monatsschrift. 


6)  sie  lösen  das  Sekret  erkrankter 
Schleimhäute  in  unvergleichlicherWeise ; 

7)  sie  setzen  die  Darmperistaltik  in 
Tätigkeit  und  bringen  so  den  Gallenfluss 
in  Gang; 

8)  sie  dienen  als  Antineuralgika ; 

9)  sie  bringen  Blutungen  rascher  zum 
Stillstand ; 

10)  sie  werden  endlich  auch  als  Anti- 
dot gegen  Phosphorvergiftung  empfoh- 
len. 

Ad.  1 )  Die  Gärungs-  und  Fäulnis- 
hemmenden Eigenschaften  des  Terpen- 
tins bezw.  der  Terpene  sind  durch  zahl- 
reiche ältere  und  neuere  Untersuchungen 
erwiesen.  Aus  der  Einleitung  erhellt 
das  hohe  Alter  der  Bekanntschaft  des 
Menschengeschlechtes  mit  dieser  Eigen- 
schaft des  Terpentins.  Neuerdings  hat 
dieselbe  Ausdruck  verliehen  bekommen 
in  der  durch  Blond  und  W  a  d  d  y  er- 
folgten Anwendung  des  Terpengemen- 
ges  „Tereben"  als  Antiseptikum  und 
Desinfiziens,  das  nur  zu  einigen  Tropfen 
intern  Verwendung  finden  soll,  mithin 
leichter  durch  Resinatwein  ersetzt  wer- 
den kann. 

Ad.  2)  In  solch'  kleinen  Dosen  wie  in 
der  weinigen  Lösung  ist  von  einem  dele- 
tären  Einfluss  auf  Darmparasiten  aller- 
dings wohl  kaum  die  Rede  ;  aber  ihre  An- 
siedelung im  Darme  wird  vielleicht  da- 
durch erschwert. 

Ad.  3)  H.  K  ö  h  1  e  r  und  R.  K  o  b  e  r  t 
haben  1877  im  Medizin.  Centralbl.  , .Un- 
tersuchungen über  die  physiologische 
Wirkungen  des  sauerstoffhaltigen  Ter- 
pentinöls" veröffentlicht,  worin  sie  nach- 
wiesen, dass  kleine  Mengen  davon  bei 
jeder  Art  der  Anwendung  Reizung  des 
Gefässnervenzentrums  bewirken  und  so- 
mit den  Blutdruck  bei  gesteigerter  peri- 
pherer Zirkulation  steigern  sowie  die 
Sekretion  sämtlicher  Drüsen  anregen. 
Diese  Resultate  wurden  vielfach  be- 
stätigt. 

Ad.  4.)  Kleine  Gaben,  bereits  10 — 30 
Tropfen,  bewirken  bereits  eine  Zunahme 
der  Harnabsonderung. 

Ad.  5)  Bei  Tripper,  Weissfluss  und 


ISlasenkatarrh  wird  Terpentin  intern  zur 
Desinfektion  angewandt,  und  Nichol- 
son hat  es  sogar  gegen  Syphilis  em- 
pfohlen. 

Ad.  6)  Die  Einatmung  von  Terpentin- 
dämpfen bei  veralteten  Erkrankungen 
der  Atmungsorgane,  insonderheit  bei 
putrider  Bronchitis,  Bronchektasie,  Lun- 
gengangrän etc.,  sogar  bei  Diphtheritis. 
ist  —  abgesehen  von  letzterer  Krankheit 
—  wohl  das  einzige  zuverlässige  Hilfs- 
mittel, das  uns  gegen  diese  scheusslichen 
Krankheiten  zur  Verfügung  steht.  Da 
aber  das  Saugen  an  der  „Terpentin- 
pfeife", der  mit  Doppellochstopfen  ver- 
sehenen Flasche,  aus  welcher  der  Kranke 
an  langem  Schlauche  ä  la  Wasserpfeife 
die  von  der  Gegenöffnung  aus  zur  Sät- 
tigung mit  Terpentindämpfen  der 
Flasche  zuströmende  Luft  ansaugt,  recht 
unbequem  und  anstrengend  ist,  und  da 
es  ganz  gleichgiltig  ist,  ob  das  Terpentin 
lokal  oder  vom  Magen  aus  ■ —  wo  es  rasch 
und  ausgiebig  resorbiert  wird  —  durch 
die  Blutbahn  zur  Wirkung  gelangt,  so 
ziehe  ich  entschieden  die  interne  An- 
wendung vor.  So  hat  auch  G  u  e  1  p  k  a 
das  Terpinol,  welches  nach  W  a  1 1  a  c  h's 
Untersuchung  aus  Terpinol  und  den  drei 
Terpenen :  Terpinen,  Terpinolen  und 
Dipenten  besteht,  als  Expektorans  inner- 
lich zu  einigen  Tropfen  pro  dosi  em- 
pfohlen, ebenso  wie  Lepine  Terpinhy- 
drat  zu  geben  riet :  Hier  ersetzt  uns  der 
Harzwein  jede  derartige  Ordination! 

Bei  Magenverschleimung  ist  die  einzig 
vernünftige  Terpentinanwendung  die  per 
os,  und  hier  tritt  auch  die  sekretions- 
und  appetitanregende  Eigenschaft  spe- 
ziell des  Harzweines  in  den  Vorder- 
grund. 

Ad.  7.)  Bei  atonischer  Trägheit  und 
Schlaffheit  des  Magens  sowie  bei  Me- 
teorismus gastro-intestinalis  wirkt  der 
Resinatwein  durch  seinen  Terpentinge- 
halt entleerungsfördernd ;  er  hat  da,  wie 
wir  zu  beobachten  oftmals  Gelegenheit 
hatten,  die  bekannte  Momentwirkung 
eines  Magenschnapses,  ohne  mit  diesem 
den  hohen  Alkoholgehalt  zu  teilen.  Der 
Schutz  gegen   Nachgärung  im  Magen 


New    Yorker    Medizinische  Monatsschrift. 


43 


lässt  ihm  nebenbei  vor  anderen  Weinen 
den  Vorzug  in  solchen  Fällen  geben. 

Die  Anregung  der  Darmperistaltik 
wirkt  stuhlfördernd  und  ebenfalls  gas- 
entleerend und  regt  reflektorisch  die 
Sekretion  der  grossen  Bauchdrüsen  an  ; 
Prevost,  Bin  et  und  Rutherford 
haben  für  das  Oleum  terebinthinae  und 
seine  Derivate  Terpinhydrat  und  Ter- 
pinol  eine  besonders  starke  cholagoge 
Eigenschaft  gefunden,  die  wohl  auf  dem 
Wege  der  reflektorisch  erregten  Peristal- 
tik in  den  ausführenden  Gallenwegen  sich 
erklärt.  Von  Alters  her  ist  ja  auch  diese 
Eigenschaft  des  Terpentins  in  den  D  u- 
rand  e'schen  Tropfen,  der  Lösung  von 
5  Teilen  Terpentinöl  in  dem  vierfachen 
Volumen  Aether,  zu  nutzen  gesucht  wor- 
den. 

Ad.  8)  Sind  zahlreiche  Angaben  über 
antineuralgische  Eigenschaften  des  Ter- 
pentins, insonderheit  bei  Ischias,  ge- 
macht. 

Ad.  9)  Als  Hämostatikum  intern  ist 
Terpentin  vielfach  empfohlen  bei  Metror- 
rhagieen,  bei  Lungenblutungen,  Darm- 
blutungen etc.,  und  nach  F.  Lasse  und 
Walker  soll  es  besonders  nach  Zahn- 
extraktionen blutstillend  wirken.  Bei  be- 
ginnender Lungentuberkulose  rühmte  es 
besonders  G.  See  als  blutstillend. 

Ad.  10)  Köhler  und  Schimpf 
haben  Terpentin  gegen  Phosphorvergift- 
ung gereicht. 

Bei  dieser  Uebersicht  habe  ich  mich 
hauptsächlich  von  der  Zusammenstellung 
leiten  lassen,  die  Vogl-Wien  in  E  u  1  e  n- 
b  u  r  g's  Realencyklopädie  gegeben  hat. 

In  Fällen  der  Kategorieen  1,  3,  4,  5,  6, 
7,9  werden  wir  vom  Resinatwein  zweifel- 
los vielfache  Erfolge  sehen  können  ;  Er- 
krankungen der  Arten  8  und  9  bedürfen 
natürlich  der  Auswahl ;  bei  Lungenblut- 
ungen habe  ich  mehrfach  davon  Ge- 
brauch gemacht. 

Sehen  wir  nun,  was  Herr  A.  S  t  a  m  a- 
t  i  a  d  i  s  auf  seiner  Etikette  hiezu  an  Bei- 
trägen liefert : 

Sui  polmoni,  pleura  e  bronchi  levando 
gli  ingombri  malsani  ed  ascuigrando  le 
ci'-atrici  de  essi  prodotte. 


Sul  fegato  esportando  per  mezzo  degli 
intestini  le  sostanze  impure  esistenti  nel 
sangue  e  producendo  una  bile  sana. 

Sülle  reniajutandole  ademettere  colle 
urine  le  impuritä  che  si  sono  formate 
nella  vesica  ed'anuessi  condotti. 

Sula  cutte  escitandola  a  permettere  che 
mediante  la  tranpiratione  siano  espulse 
dal  corpo  le  sostanze  corottee  mante- 
nendo  condotti  oleosi  e  le  glandole  su- 
darife  in  stato  di  vera  salute. 

Sullo  stomacaintandolo  a  digerire  ed 
impedendo  la  fomazione  di  uno  eccesso 
di  acidi  o  di  alcali  e  cosi  producendo  una 
aziore  armoniosa  fra  lo  stomaco  il  fe- 
gato e  gl'  intestini. 

Also :  Sekretfördernd  und  fortschaf- 
fend aus  den  Luftwegen,  gallentreibend, 
harntreibend  und  blasenreinigend, 
Hautzirkulation  anregend  und  zersetz- 
ungshindernd,  anregend  die  Drüsense- 
kretion, endlich  verdauungsfördernd 
preist  St.  seinen  Teerwein  an  und  diese 
wissenschaftlich  voll  begründeten  Be- 
hauptungen blieben  bei  uns  in  Deutsch- 
land gänzlich  unbeachtet,  sie  verhallten 
ungehört !  Und  dennoch  hat  M  a  n  t  e- 
g  a  z  z  a  bereits  1881  sich  empfehlend 
darüber  angesprochen,  dass  er  „utilissi- 
mo  nei  catarri  bronchiali  e  della  vesica" 
sei  und,  ,,e  molto  digestivo  profuma  le 
urine  et  e  sudorifico"  ! 

Wir  glauben  daher,  den  Gebrauch  ge- 
harzten Weines  als  Appetitmittel,  bei 
Verdauungs-  und  Sekretionsträgheit,  bei 
frischen  und  veralteten  Katarrhen  der 
Luftwege,  bei  Notwendigkeit  der  Erhöh- 
ung von  Blutzirkulation,  Harn  und 
Schweiss,  bei  Blähsucht  und  Cholestasis 
anregen  zu  sollen  neben  den  besproche- 
nen Indikationen  anderer  Art.  Sehr  er- 
wünscht wäre  es.  wenn  in  weinreichen 
Gegenden,  wie  in  manchen  Pfälzer  Lagen 
und  im  Markgräfler  Lande,  sich  Wein- 
bauer dazu  entschlössen,  genügende 
Mengen  solcher  Harzweine  herzustellen  ; 
einstweils  wäre  der  griechische  und  asi- 
atische Resinatwein  heranzuziehen. 

Was  die  Dosierung  anlangt,  so  ergiebt 
sich  nachdem  in  oben  erwähnten  Ver- 
suchen ermittelten  Harzgehalte  von  ca 


44 


New    Yorker    Medizinische  Monatsschrift. 


0,75  Prozent,  dass  anolg  5 — 25  Tropfen 
Terpentinöl  oder  0,2 — 0,5  Prozent  Ter- 
pentinhydrat  etwa  ein  Gläschen  Resinat- 
wein  von  25 — 60  ccm  Inhalt  dreimal  täg- 
lich zu  reichen  wäre.  Besonders  gerne 
lasse  ich  1  Ei  mit  2 — 3  Teelöffeln  Zucker 


und  1  Teelöffel  Puro  zerschlagen  mit 
Resinatwein  angerührt  zweimal  täglich 
Yz  Stunde  vor  der  Mahlzeit  nehmen,  wo- 
durch der  Appetit  sich  hebt  neben  er- 
höhter Nahrungszufuhr. 

Darmstadt,  10.  Dezember  1906. 


Wissenschaft  und  Geschäft.* 

Von  Dr.  Georg  Richter,  St.  Louis. 


Meine  Herren  ! 

Mein  Thema  klingt  etwas  nach 
einem  Feuilleton,  denn  es  behandelt 
nicht,  wie  unter  uns  sonst  gebräuch- 
lich, ein  eigentlich  medizinisches  The- 
ma. Ich  habe  es  deshalb  gewählt,  weil 
ich  trotz  grosser  Bemühungen  keine 
fertig  abgeschlossenen  Untersuchun- 
gen vorzubringen  hatte.  Was  ich  in 
den  letzten  Jahren  gearbeitet  habe, 
kann  ohne  reichere  Kenntnisse  einer 
mir  unzugänglichen  Literatur  nicht 
zum  nötigen  Abschluss  gebracht  wer- 
den. 

Die  Entwickelung  der  Medizin  hat 
in  Folge  der  Unmenge  von  Einzeler- 
fahrungen zu  zahllosen  Spezialitäten 
und  einer  höchst  komplizierten  Tech- 
nik in  jeder  Spezialität  geführt.  Rech- 
net man  dazu  die  Lawinen  wissen- 
schaftlicher Literatur,  mit  denen  wir 
überschüttet  werden,  so  ergibt  sich  von 
selbst,  dass  ein  erfolgreiches  Streben, 
auch  nur  einen  LTeberblick  über  unsere 
Wissenschaft  zu  gewinnen,  dem  Ein- 
zelnen unmöglich  ist.  Und  doch  em- 
pfindet jeder  ehrlich  Arbeitende  das 
Bedürfnis,  diese  Schwierigkeiten  zu 
überwinden. 

Ich  glaube,  einen  Weg  weisen  zu 
können,  der  das  scheinbar  Unmögliche 
wenigstens  teilweise  ermöglicht,  näm- 
lich dem  wissenschaftlichen  Praktiker. 

Der  berühmteste  Arzt  der  Mitte  des 
18.  Jahrhunderts  war  A  1  b.  v  o  n  Hal- 
1  e  r,  Professor  in  Göttingen,  „Professor 


*)  Vortrag  gehalten  im  Verein  Deutscher 
Aerzte,  St.  Louis. 


der  Medizin,  Anatomie,  Botanik  und 
Chirurgie".  Dazu  Bibliothekar,  fleissi- 
ger  Dichter  und  ungemein  fruchtbarer 
Rezensent  der  schönen  Literatur.  In 
der  Politik  spielte  er  ebenfalls  eine 
grosse  Rolle. 

Eine  derartige  Wirksamkeit  können 
wir  uns  heutzutage  kaum  vorstellen, 
besonders  da  es  sich  bei  H  a  1  1  e  r 
nicht  um  einen  „Polyhistor",  sondern 
um  einen  bahnbrechenden  Entdecker 
vieler  physiologischer  und  anderer  Ge- 
setze handelt.  Wir  neigen  uns  zur 
Ansicht,  das  Universalgenie  habe  mit 
Goethe  und  Humboldt  seine 
letzten  Repräsentanten  gehabt. 

Bedenken  wir  nun  den  Lehrplan  der 
Universitäten,  wenigstens  zu  meiner 
Zeit !  (Anfang  der  70er  Jahre.)  So- 
weit ich  mich  erinnere,  waren  vor 
dem  Baccalaureats  -  Examen  obligato- 
risch Vorlesungen  und  Laboratorium 
nicht  nur  der  Chemie,  Physik,  Physio- 
logie, Anatomie,  Botanik,  Zoologie, 
sondern  auch  Logik  und  Psychologie, 
Mineralogie  und  Geologie.  Im  Mine- 
ral-Examen fragte  Prof.  C  r  e  d  n  e  r  : 
„Was  ist  das  für  ein  Mineral,  das  ich 
in  der  Hand  habe?"  —  Darf  ich  es 
genauer  ansehen  ?  —  „Wenn  Sie  es  an- 
sehen, wissen  Sie  doch  nicht,  was  es 
ist!"  — 

Verschiedene  jener  Examensbedin- 
gungen sind  seitdem  aufgegeben  wor- 
den. Die  Erfordernisse  unserer  gegen- 
wärtigen wissenschaftlichen  Bildung 
beziehen  sich  auf  das  Fach  mit  grösse- 
rer Betonung  positiver  Einzelkennt- 
nisse  und   Einübung  von  Methoden, 


New    Yorker   Medizinische  Monatsschrift. 


45 


leider  zum  Nachteil  einer  mehr  allsei- 
tigen Erkenntnis  des  gesammten  na- 
turwissenschaftlichen Gebietes.  Es 
duldet  aber  keinen  Zweifel,  dass  eine 
allgemein  naturwissenschaftliche  Vor- 
bildung für  den  praktischen  Arzt  von 
grösstem  Wert  ist. 

Wir  leben  in  einer  Zeit  der  Speziali- 
sierung. Wir  erschweren  uns  unsere 
Aufgaben  noch  durch  Belastung  des 
Gedächtnisses  mit  unpraktischen  Be- 
zeichnungen. Ich  erinnere  Sie  an  die 
Benennung  vieler  Dinge  nach  ihren 
ersten  Beschreiben!.  Tuba  Falopii, 
Romberg'sches  Symptom,  Koplick- 
sche  Flecken,  Hodgkin's  disease,  etc. 
ad  infinitum.  Im  Gemeinwesen  be- 
zeichnet man  Strassen  mit  Vorliebe 
nach  Zahlen  und  Buchstaben.  Neuer- 
dings werden  die  grossen  Geschäfts- 
häuser mit  eigenem  Namen  bezeichnet, 
sodass  es  immer  schwerer  wird,  sich 
deren  Lage  in  den  bekannten  Strassen 
zu  merken.  Das  ist  gewiss  ein  Rück- 
schritt. 

Der  grosse  Anatom  H  e  n  1  e  war 
zum  Teil  erfolgreich  in  seiner  Reform, 
wenigstens  der  anatomischen  Nomen- 
klatur. Denken  Sie  an  die  zahllosen 
Färbemethoden  in  der  Mikroskopie ! 
Eine  Revision  mit  klarer  Bezeichnung 
des  charakteristischen  würde  eine 
Menge  Gehirnermüdung  ersparen. 
Darin  haben  die  Chemiker  auf  ver- 
schiedenen Kongressen  ganz  erheb- 
liches geleistet.  Es  ist  aber  nicht  al- 
lein diese  methodische  Vereinfachung 
der  Namengebung,  die  anzustreben  ist, 
es  ist  auch  notwendig,  dass  die  dazu 
Berufenen  sich  bemühen,  wie  es 
H  u  m  b  o  1  d  t  getan  hat,  wie  es  Ost- 
wald, Kernst,  A  r  r  h  e  n  i  u  s, 
Hamburger  und  andere  auf  den 
Gebieten  der  Physik  und  Chemie  an- 
bahnen, das  Gleichartige  unter  weite- 
ren, umfassenden  Gesichtspunkten  zu 
vereinigen.  Zu  unserer  Zeit  war  das 
Studium  der  Physik  und  der  Chemie 
schwerer  als  heute,  trotz  der  Unmenge 
von  Einzelforschungen,  die  man  heute 
kennen  muss.  Man  ahnte  wohl  die 
Identität  der  Physik  und  Chemie. 
Man  behauptete  sie  aber  nur  nach  lo- 
gischen Folgerungen.  Heute  wissen 
wir,  dass  es  keine  physikalischen  Pro- 
zesse  gibt,   die   nicht   auch  zugleich 


chemische  wären.  Nur  für  die  Schwer- 
kraft ist  es  noch  nicht  definiert.  Und 
umgekehrt  ist  mit  jeder  „chemischen" 
Veränderung  in  den  Stoffen,  oder  dem 
Stoff,  ein  physikalisches  Geschehen 
verbunden.  (Wenn  die  Könige  bauen, 
haben  die  Kärrner  zu  tun.)  Das  Ver- 
stehen des  inneren  Zusammenhangs 
des  Geschehens  erleichtert  heute  das 
Lernen. 

Nun  handelt  es  sich  für  den  Arzt 
freilich  nicht  allein  um  die  unentbehr- 
liche, breite  und  detaillierte  naturwis- 
senschaftliche Kenntnis.  Die  Tätig- 
keit des  Arztes  bezieht  sich  auf  Men- 
schenleben. Es  handelt  sich  in  jedem 
einzelnen  Fall  um  Probleme,  die  sich 
vielleicht  für  immer  einer  physikalisch- 
chemischen Beurteilung  entziehen  wer- 
den. Der  psychologische  Teil  unserer 
Tätigkeit  bleibt  zunächst  der  absolut 
geheimnisvolle.  Alle  theoretische  und 
technische  Ausbildung  macht  noch 
nicht  den  Arzt,  der  ohne  jene  wieder- 
um seinen  Beruf  nicht  ausüben  kann. 
Wir  belieben  da  von  einer  ärztlichen 
Kunst  zu  sprechen,  eine  ganz  unan- 
gemessene Bezeichnung!  Vielmehr  ist 
es  eine  Gabe  der  durch  objektive  Kri- 
tik begründeten  Analyse  der  Erschei- 
nungen, der  materiellen  wie  der  physi- 
schen, die  den  Arzt  auszeichnen  muss. 
Für  den  aufmerksamen  Beobachter  er- 
gibt sich  dann  das  anzuwendende  Ver- 
fahren. Der  Arzt  sei  ein  beobachten- 
der Kritiker,  ein  schaffender  Künstler 
sei  er  nicht. 

Die  Teilung  der  ärztlichen  Tätigkeit 
in  Spezialitäten  hat  zwei  Haupt- 
gründe :  das  Talent  und  das  Geschäft. 
Die  Fertigkeit,  die  der  Spezialist  durch 
sich  einschränken  auf  seine  begrenz- 
tere  Aufgabe  erhält,  macht  ihn  zum 
vollkommeneren  Praktiker.  Das  Re- 
sultat ist  auch  der  äussere  Erfolg. 
Ihm  fällt  es  daher  auch  leichter,  sich 
mit  den  anderen  Aufgaben  des  Bür- 
gers, des  gebildeten  Mannes,  zu  be- 
fassen. Aber  doch  ist  es  häufiger  der 
allgemeine  Praktiker,  den  man  an  öf- 
fentlichen Aufgaben  beteiligt  findet, 
—  vielleicht,  weil  er  auch  häufiger 
sich  einen  weiteren  Gesichtskreis  be- 
wahrt. 

Neben  den  genannten  Vorteilen  be- 
stehen gewisse  Nachteile  im  Verfolgen 


46 


New    Yorker   Medizinische  Monatsschrift. 


einer  Spezialität.  Dem  Praktiker  sind 
die  Fachkenntnisse  der  Spezialitäten 
fremd.  Aber  das  weiss  er,  deshalb 
zieht  er  den  Spezialisten  nicht  nur 
zu  Rate,  leider  überlässt  er  ihm  den 
Fall  nun  gewöhnlich  ganz  und  gar. 
Er  wird  zum  Clearing  House  für  Spe- 
zialisten. Er  verliert  nicht  nur,  was 
ihm  zukommt,  sondern  auch  den  Ein- 
blick in  die  Wirksamkeit  des  besser 
Unterrichteten.  Ich  möchte  aber  be- 
haupten, dass  viele  Spezialisten  in 
noch  viel  bedenklicherem  Grade  den 
Zusammenhang  mit  der  allgemeinen 
Medizin  verlieren  und  dass  das  allge- 
meine Wissen  darunter  leidet.  Die  spe- 
zialistische Behandlung  sollte  für  ge- 
wöhnlich nicht  unter  Ausschluss  (oft 
freiwillig)  des  sog.  Hausarztes  statt- 
finden. Gemeinschaftliche  Behandlung 
wäre  vorteilhaft  für  alle  Beteiligten. 

Fassen  wir  die  Sachlage  zusammen: 
Die  ärztliche  Wissenschaft  ist  zu  weit- 
schweifig geworden,  als  dass  der 
durchschnittliche  begabte  und  eifrige 
Arzt  imstande  wäre,  das  Gebiet  in  nur 
einigermassen  befriedigendem  Um- 
fang zu  beherrschen.  Die  Notwendig- 
keit der  Spezialisierung  und  die  Nach- 
teile derselben  sind  ohne  weiteres  klar. 

Aber  dasselbe  finden  wir  auf  allen 
Gebieten  des  wirtschaftlichen  Lebens. 
Kein  Uhrmacher  macht  die  ganze  Uhr. 
Wir  haben  überall  die  Erfahrung,  dass 
Arbeitsteilung  allein  uns  fördern  kann. 
Wir  wissen  aber  auch,  dass  der  beste 
Arbeiter  der  ist,  der  gewisse  Kennt- 
nisse in  allem  dem  besitzt,  das  sich  auf 
seine  Arbeit  bezieht,  auch  ausser  sei- 
ner unmittelbaren  Aufgabe.  Unsere 
ärztliche  Erziehung  strebt  eben  dieses 
an,  wie  es  die  Gewerbe-  und  Handels- 
schulen für  ihre  eigenen  Schüler  tun. 
Erst  aus  einer  solchen  Grundlage  ent- 
wickeln sich  Neigung  und  Talent  und 
der  schliessliche  Beruf,  die  Spezialität. 
Aus  demselben  Grunde  verlangt  unser 
alter  Code  of  Ethics,  dass  die  Speziali- 
tät sich  aus  der  allgemeinen  Praxis 
entwickeln  solle. 

Die  Arbeitsteilung  hat  aber  erst 
einen  Sinn,  wenn  sie  auf  dem  Prinzip 
der  Kooperation  beruht.  Beim  Haus- 
bau müssen  sich  Zimmermann,  Stein- 
metz, Tischler,  Schlosser  u.  s.  w.  wohl 
verstehen.    Sie  tun  es  unter  der  Lei- 


tung des  Architekten,  der  selbst  in  sei- 
nen Plänen  die  Ausführbarkeit  durch 
die  Arbeiter  vornehmlich  in  Betracht 
ziehen  muss.  Auf  wissenschaftlichen 
Gebieten  war  sowohl  Kooperation  wie 
Spezialisierung  immer  vorhanden,  ob- 
wohl man  sich  dessen  nicht  immer 
ganz  klar  bewusst  gewesen  ist.  Auch 
wir  sind  Arbeiter,  die  freilich  nicht 
allezeit  in  der  Lage  sind,  Häuser  zu 
bauen.  Unser  Architekt  ist  die  Wis- 
senschaft. Auch  in  geschäftlicher  Hin- 
sicht war  jederzeit  eine  Neigung  vor- 
handen, Trades-Unions  zu  bilden,  eine 
Verständigung  über  gemeinschaftliche 
Arbeitsbeziehungen.  Sie  äusserte  sich 
im  Prinzip  der  „Kollegialität"',  in  der 
Gründung  wissenschaftlicher  Vereini- 
gungen, im  Aufstellen  eines  „Code  of 
Ethics",  in  der  Gründung  von  Lehr- 
anstalten und  Anerkennung  der  Be- 
rechtigung zur  Praxis  nach  festen  Be- 
stimmungen. Am  schwierigsten  war 
die  Normierung  der  finanziellen  Be- 
rechtigung. Noch  heute  ist  das  un- 
bestimmte Gefühl  bemerkbar,  der  Arzt 
sollte,  wie  im  Altertum,  keine  mate- 
rielle Gegenleistung  für  seine  Tätig- 
keit verlangen  dürfen.  Das  Hegt  da- 
ran, dass  eine  Beurteilung  des  Wertes 
einer  ärztlichen  Wirksamkeit  unmög- 
lich ist.  Welchen  Geldwert  besitzt  auf 
der  einen  Seite  das  Denken  und  Raten? 
Welchen  finanziellen  Nachteil  hat  das 
Leiden,  welchen  Geldwert  das  Men- 
schenleben, die  Heilung?  —  Man  hat 
versucht,  für  Klagefälle  zwecks  Ent- 
schädigung bei  Verletzungen  sichere 
Gesichtspunkte  aus  national-ökonomi- 
schen Erwägungen  zu  gewinnen.  Vom 
Säuglingsalter  bis  zur  Arbeitsfähigkeit 
kostet  jedes  Individuum  eine  gewisse 
Summe  Geldes  an  Ernährung,  Klei- 
dung, Unterricht  etc.,  bis  eine  gewisse 
Erwerbsfähigkeit  eintritt.  Die  Er- 
werbsfähigkeit steigt  bis  zu  einem  ge- 
wissen Alter,  um  dann  allmählich 
nachzulassen.  Danach  lässt  sich  aller- 
dings eine  Summe  für  den  Wert  im 
Einzelfalle  berechnen,  unter  Berück- 
sichtigung zahlreicher  Einzelumstän- 
de, die  nicht  erst  erwähnt  zu  werden 
brauchen.  So  gewinnt  man  den  Skla- 
venwert. Nach  solchen  Ueberlegun- 
gen  wurden  in  früheren  Zeiten  die 
Sklaven-Auktionen    abgehalten.  Die 


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47 


statistischen  Berechnungen  sind  eben- 
so herzlos,  wie  der  ehrliche  Arzt  zu- 
zeiten sein  muss.  Aber  selbst  die 
kühlste  Ueberlegung  lehnt  sich  gegen 
einen  solchen  Modus  der  Berechnung 
auf.  Den  ökonomischen  W ert  eines 
Menschenlebens  müssen  wir  zugeben. 
Aber  ist  der  arbeitsunfähige  Greis,  die 
ausgediente  Mutter  wertlos? 

Auf  der  anderen  Seite,  wie  lässt  sich 
die  ärztliche  Wirksamkeit  nach  ihrem 
Geldwert  beurteilen,  wo  wir  alle  zu- 
geben müssen,  dass  sie  sich  in  der 
Regel  nur  auf  Wahrscheinlichkeiten 
gründet?  Hier  versagt  der  Vergleich 
mit  Trades-Unions  vollkommen.  Er 
versagt  auch  bei  jedem  Versuch,  starre 
Regeln  über  Kollegialität  aufzustellen. 
In  der  Tat,  man  kann  in  praxi  das 
alte  Wort  variieren  und  sagen :  Alle  für 
Keinen.  Keiner  für  Alle !  Und  das  ist 
fast  selbstverständlich.  In  Konsulta- 
tionen fügt  sich  der  Eine  oder  Andere 
gewöhnlich  aus  respektvoller  Höflich- 
keit, oft  in  innerem  Grimm.  Ueber  die 
Grundfragen  einigt  man  sich  viel  leich- 
ter als  über  die  Behandlung.  Denn 
hier  trifft,  meist  unbewusst,  jenes 
psychologische  Moment,  ich  möchte  es 
den  ..unbekannten  Faktor"  nennen, 
auf,  das  Heiligtum  des  Arztes.  Man 
akzeptiert  den  Vorschlag  und  freut  sich 
auf  den  Misserfolg.  Aber  man  ist  ge- 
deckt !  Das  ist  freilich  keine  Koope- 
ration im  aufrichtigen  Sinne.  Es  ist 
die  Folge  des  ungenügenden  Systems 
unserer  Praxis.  Der  ärztliche  Verein 
lindert  solche  Uebel,  ohne  sie  ganz  zu 
beseitigen.  Auch  die  Verdienstfragc- 
hat damit  zu  tun.  In  dieser  Beziehung 
ist  der  Spezialist  im  Vorteil.  Bei  ihm 
handelt  es  sich  vorwiegend  um  eine 
technische,  — ■  im  weitesten  Sinn  — , 
Fertigkeit,  die  ebenso  gut  ihren  Preis 
hat,  wie  die  des  Kunsthandwerkers. 

Aber,  wie  gesagt,  danach  lässt  sich 
die  allgemeine  Praxis  nicht  beurteilen, 
ihr  finanzieller  Wert  ist  ganz  unbe- 
stim  mbar. 

Wir  sind  zu  einem  Entgeld  für  un- 
sere ehrliche  Tätigkeit  ganz  gewiss  be- 
rechtigt, unbestritten. 

Für  den  einzelnen  Arzt  liegt  also  die 
Sache  so :  Unter  gegenwärtigen  Um- 
ständen und  Gepflogenheiten  kann  der 
praktische  Arzt  das  ihm  gebührende 


Mass  von  Kenntnissen  nicht  beherr- 
schen. Die  Arbeitsteilung  ist  heute 
unbefriedigend,  die  Remuneration  ist 
ohne  Norm  und  unangemessen.  Eine 
Hauptursache  an  allen  diesen  Uebeln 
glaube  ich  darin  zu  finden,  dass  die 
praktische  Tätigkeit  nicht  mit  der 
Wissenschaft  fortgeschritten  ist,  dass 
wir  die  Erfahrungen  auf  anderen  Er- 
werbsgebieten nicht  benutzen,  dass 
wir  uns,  jeder  für  sich,  de  facto  isolie- 
ren, trotz  aller  „Harmonie". 

Noch  Eines  ist  zu  erwähnen.  Sich 
auf  der  sog.  Höhe  der  Wissenschaft  zu 
erhalten,  nimmt  nicht  nur  viele  Ar- 
beitsstunden, teils  für  Lektüre,  teils 
für  experimentelle  Arbeit,  sondern  ver- 
ursacht auch  immense  Kosten.  Selbst 
eine  mässig  komplette  Ausstattung 
kostet  viele  hunderte  von  Dollars,  un- 
gerechnet das  übliche  Instrumenta- 
rium, das  Mikroskop,  Spekula  etc.  — 
Apparate  für  quantitative  Bestimmun- 
gen, Stickstoffuntersuchungen,  Kryo- 
skopie,  Tonometer,  Röntgenoskopie, 
Endoskop,  Spektroskop,  Polariskop, 
genaue  Blutbestimmungen  u.  s.  w. 
sind  äusserst  kostspielig  und  nur  weni- 
gen erreichbar.  Der  Gebrauch  solcher 
Apparate  und  Instrumente  fordert 
aber  auch  Uebung.  Das  Experimen- 
tieren darf  nicht  willkürlich  unter- 
brochen werden,  soll  nicht  viel  Mühe 
und  Arbeit  verloren  gehen.  Aerzte, 
die  in  der  Lage  sind,  sich  Assistenten 
zu  halten,  sind  wohl  zu  beneiden,  aber 
nicht  die  Assistenten,  wenn  sie  selber 
Aerzte  sind  und  nun  auf  eine  einseitige 
Beschäftigung  angewiesen  werden. 
Andere,  denen  die  Laboratorien  und 
Spezialisten  von  Colleges  ohne  weite- 
res zur  Verfügung  stehen,  können 
wohl  Untersuchungen  in  vollendeter 
Weise  ausgeführt  bekommen,  werden 
sich  aber  wohl  in  der  Regel  nicht  um 
den  Gang  solcher  Untersuchungen 
kümmern.  In  beiden  Fällen  wird  die 
wissenschaftliche  Fortbildung  gefähr- 
det. Alle  anderen  Aerzte  sind  übel 
dran.  Die  privaten  Hilfsmittel  der  am 
günstigsten  situierten  Praktiker  sind 
ihnen  ebenso  wenig  zugänglich  wie  die 
grossen  Laboratorien,  auch  wenn  per- 
sönliche Courtoisie  hier  und  da  hel- 
fend eintreten  sollte.  Im  allgemeinen 
steht  dem  die  engere  Kollegialität  in- 


48 


New    Yorker    Medizinische  Monatsschrift. 


nerhalb  der  einzelnen  Lehranstalten 
im  W ege. 

Die  von  mir  aufgezählten  Nachteile, 
unter  denen  der  weniger  erfolgreiche 
Praktiker  zu  leiden  hat,  bezeugen  zu- 
gleich, dass  nur  in  einem  Utopien  Ab- 
hilfe zu  erwarten  wäre.  Aber  doch 
meine  ich,  vieles  Hesse  sich  wesentlich 
bessern,  wenn  man  die  Erfahrungen 
auf  anderen  Berufsgebieten  benutzen 
wollte. 

Ich  meine  zunächst  das  Prinzip  der 
Kooperation.  In  praktischer  Ausfüh- 
rung stelle  ich  mir  diese  so  vor,  wie  sie 
in  kleinem  Massstabe  schon  in  unse- 
rem Verein  ausgeübt  wird :  der  Aus- 
tausch von  Erfahrungen  und  Meinun- 
gen auf  unserem  Gebiete  zwischen  im 
wesentlichen  gleichwertigen  Berufs- 
genossen. Kooperation  meint  aber 
eigentlich  Geschäfts  -  Teilhaberschaft. 
Eine  solche  ist  nur  in  seltenen  Fällen 
auf  die  Dauer  vorteilhaft.  Besseres 
würde  die  Arbeitsteilung,  aber  nicht 
eigentlich  im  Sinne  der  Spezialitäten 
versprechen.  Ich  stelle  es  mir  in  der 
Weise  vor,  dass  eine  kleine  Anzahl  — 
drei,  vier  oder  sechs  Aerzte  ein 
Uebereinkommen  treffen,  gewisse  Ar- 
beit unter  sich  zu  teilen  und  die  Un- 
kosten pro  rata  zu  tragen.  Eine  solche 
Gruppe  könnte  für  sich  bestimmen, 
dass  der  eine  über  neue  Publikationen 
Bericht  erstattet,  der  andere  physika- 
lisch-chemische Untersuchungen  für 
die  anderen  unternimmt,  ein  dritter 
sich  mit  dem  bakteriologischen  Teil 
befasst,  wieder  ein  anderer  auf  elek- 
trische und  photographische  Arbeiten 
sich  wirft.  Es  müsste  möglichst  ein 
gemeinschaftliches  Laboratorium  ein- 
gerichtet werden,  in  dem  einem  Jeden 
Gelegenheit  gegeben  wird,  sich  mit 
der  Arbeit  vertraut  zu  machen  und 
auf  dem  Laufenden  zu  erhalten.  In 
wöchentlicher  Versammlung  wäre 
dann  ein  Bericht  über  die  Arbeit  zu 
erstatten  und  derselbe  müsste  aufbewahrt 
werden.    Nach  ungefähr  einer  solchen 


Methode  würde  das  Interesse  der  Teil- 
haber an  ihren  Fällen  wachsen.  Sie 
könnten  die  zur  Publikation  des  Wich- 
tigsten nötigen  Daten  bekommen.  Die 
Patienten  würden  bald  bemerken,  wie 
viel  aufmerksamer  sie  behandelt  wer- 
den. Manche  Flüchtigkeit  in  der 
Diagnose  wäre  vermieden.  Die  Be- 
handlung Hesse  sich  fast  mit  derselben 
Sorgfalt  kontrollieren  wie  in  einem 
guten  Hospital.  Es  wäre  zugleich  eine 
kolossale  Ersparnis  an  Zeit  und  Geld 
für  einen  Jeden.  Schliesslich  böte  sich 
Jedem  ein  soviel  grösseres  Kranken- 
und  Untersuchungsmaterial. 

Ich  hoffe,  dass  diese  „Utopie"  we- 
nigstens Ihren  theoretischen  Beifall  er- 
wirbt. Aber  ich  möchte  noch  einen 
Schritt  weiter  gehen.  Mein  Plan  wäre 
doch  nur  ein  zeitweiliges  Auskunfts- 
mittel für  eine  Gruppe  von  Männern, 
die  willens  sind,  zu  ihrem  eigenen 
Besten  gewisse  Opfer  zu  bringen.  Für 
die  grosse  Masse  von  wissenschaftlich 
eifrigen  Aerzten  wäre  damit  nichts 
gewonnen,  sie  würden  eine  solche 
„Clique"  vielleicht  bekämpfen.  In  den 
Postgraduate  Schulen  ist  für  eine  Art 
Notbehelf  in  einer  Richtung  gesorgt. 
Entschieden  besser  wäre  es,  wenn 
ärztliche  und  naturwissenschaftliche 
Laboratorien,  geleitet  von  gut  unter- 
richteten Männern,  gegen  eine  mässige 
Taxe  und  unter  sorgfältig  abgefassten 
Bestimmungen  in  verschiedenen  Stadt- 
teilen, ähnlich  wie  die  öffentlichen 
Zweigbibliotheken,  Allen  zur  V erfü- 
gung  gestellt  würden. 

Jedenfalls  würde  die  Verwirklichung 
der  einen  oder  anderen  Idee  zur  He- 
bung unseres  Standes  und  zur  Förde- 
rung jedes  Einzelnen  viel  beitragen. 
Aus  der  verblödenden  Routine-Praxis 
würde  eine  Erhebung  zum  wissen- 
schaftlichen Niveau  auch  den  verküm- 
merten und  versauerten,  dabei  unge- 
bührlich selbstzufriedenen  Doktoren 
Bluemass  und  Quinine  ermöglicht 
werden. 


New    Yorker    Medizinische  Monatsschrift. 


49 


Sitzungsberichte 


Deutsche  Medizinische  Oesellschaft  der  Stadt  New  York. 


Montag,  den  4.  Februar  1907. 
Präsident  Dr.  Carl  Beck  er- 
öffnet die  Sitzung  und  die  Versamm- 
lung tritt  sofort  in  die  Tagesordnung 
ein. 

D  r.  A.  R  o  s  e  :  Heftpflaster-Verband 
für  Gastroptosie. 

Ehe  ich  Ihnen,  auf  besonderen 
Wunsch  des  vorigen  Präsidenten  und 
der  Deutschen  Medizinischen  Gesell- 
schaft der  Stadt  Xew  York  den  von 
mir  angegebenen  Gastroptosie-Ver- 
band  demonstriere,  bitte  ich  einen  Aus- 
zug aus  zwei  Briefen  verlesen  zu 
dürfen,  in  denen  die  Bedeutung  der 
Methode  hervorgehoben  wird. 

Dr.  Groddeck  von  Baden-Baden 
schreibt  am  16.  Januar  1907  über  den 
Artikel  Physiologie  und  Pathologie  der 
Bauchmuskeln :  „Ihre  Sendung  hat 
mich  freudig  überrascht  und  noch 
mehr  durch  den  lehrreichen  Inhalt,  den 
Sie  an  die  Erwähnung  meines  Namens 
knüpfen.  Ich  begrüsse  den  Gebrauch 
des  Heftpflasterverbandes  mit  beson- 
derer Freude,  da  mir  sein  Nutzen 
ohne  weiteres  einleuchtet,  und  hoffe 
auf  eine  Verbreitung  dieser  Idee.  Spe- 
ziell erscheint  es  mir  richtig,  dass  die 
vielfach  so  verderblich  wirkenden 
Leibbinden  dadurch  aus  der  Welt  ge- 
schafft werden.  Der  stetige  Druck  des 
Verbandes  hat  ausserordentliche  Vor- 
teile vor  den  wechselnden  des  Gür- 
tels, abgesehen  von  der  grossen  Schä- 
digung der  Rückenmuskulatur  und  der 
Lendennerven  durch  alle  Bauchbinden. 
Und  dass  es  auf  diese  Weise  gelingen 
muss,  das  Volumen  des  Bauches 
dauernd  zu  verkleinern,  unterliegt  für 
mich  gar  keiner  Frage.  Ich  glaube 
übrigens,  dass  Sie  mit  grossem  Nutzen 
diese  Technik  auf  andere  Gebiete  aus- 
dehnen können,  speziell  den  Hals,  mor- 
bus Basedowii,  Kropf,  Migraine  etc. 
Die    Volumenverringerung   hat  nach 


meinen  Erfahrungen  rasch  eine  Ver- 
minderung der  Stauungen  zur  Folge." 

Dr.  B.  Sch  m  i  t  z,  Bad  Wildungen, 
schreibt  am  15.  Januar  über  denselben 
Artikel:  „Es  ist  ein  neuer  Stoff  und 
eine  neue  Bearbeitung  dieses  Feldes. 
Diese  neuen  Gesichtspunkte  müssen 
Beachtung  und  Anerkennung  finden, 
wenn  auch  alles  Neue  vorerst  mit  Re- 
serve aufgenommen  wird,  und  was 
sehr  schätzenswert  ist,  es  wird  die 
Praxis  dadurch  gewinnen,  d.  h.  die 
mannigfachen  Unterleibsleiden  werden 
eine  andere  Auffassung  und  Behand- 
lung erfahren.  Ich  kann  allen  Ausfüh- 
rungen nur  zustimmen." 

Demonstration.  —  Der  Verband  ist 
von  mir  und  Anderen  so  vielfach  be- 
schrieben worden,  dass  ich  mich  dar- 
auf beschränken  kann,  Ihnen  einfach 
das  Verfahren  hier  zu  zeigen.  Nur 
möchte  ich  nochmals  betonen,  dass  es 
wichtig  ist,  das  beste  Material  zu  ver- 
wenden :  ein  Zinkoxyd-Gummipflaster 
auf  Moleskin  gestrichen,  das  gut  klebt 
und  die  Haut  nicht  irritiert.  Wenn  das 
beste  Material  gewählt  und  das  Pfla- 
ster gut  angelegt  ist,  kommt  Ekzem 
selten  vor. 

Wie  ich  dies  bei  jeder  Gelegenheit 
hervorgehoben,  bin  ich  Dr.  Einhorn 
zu  Dank  verpflichtet,  weil  er  mich  ein- 
lud, mit  ihm  gemeinschaftlich  experi- 
mentelle Studien  über  Plätscherge- 
räusch anzustellen,  es  war  dies  vor 
vielen  Jahren  in  seiner  Klinik  im  Deut- 
schen Dispensary,  und  das  Resultat 
dieser  Studien  habe  ich  mit  seiner 
Hilfe  veröffentlicht.  Ich  bin  ihm  fer- 
ner zu  Dank  verpflichtet,  weil  er  es 
war,  der  mich  in  die  Post  Graduate 
Medical  School  einführte.  Ich  will  fer- 
ner hinzufügen,  dass  ich  nur  mit  Ach- 
tung von  seinen  Forschungen,  seinen 
Arbeiten,  seinen  Erfolgen  sprechen 
kann  und  ich  glaube,  dass  die  medizini- 


50 


New    Yorker    Medizinische  Monatsschrift. 


sehe  Wissenschaft  von  ihm  gefördert 
worden  ist. 

Dies  als  Einleitung  zu  dem,  was  ich 
im  Interesse  der  Wissenschaft  über 
Dr.  Einhorn  zu  sagen  habe :  Als 
ich,  auf  Tatsachen  gestützt,  eine  ganz 
neue  Bedeutung  des  Plätschergeräu- 
sches erkannt,  die  Dr.  Einhorn  und 
mir  bei  unseren  experimentellen  Stu- 
dien entgangen  war,  und  ich  ferner 
den  besonderen  Verband  zur  Hebung 
der  Atonia  gastrica  ausgedacht  —  es 
war  dies  vor  vielen  Jahren  —  begab 
ich  mich  vor  allem  zu  Dr.  E  i  n- 
h  o  r  n,  um  ihm  meine  Idee  mitzutei- 
len, allein  ich  fand  kein  Gehör,  ich 
wurde  so  entschieden  abgewiesen,  dass 
ich  meine  Beobachtungen  nicht  be- 
schreiben konnte.  Vor  etwa  fünf  Jah- 
ren hielt  ich  in  einer  medizinischen 
Gesellschaft,  in  der  an  jenem  Abend 
Dr.  E  i  n  h  o  r  n  präsidierte,  einen  Vor- 
trag über  Gastroptosia,  in  welchem  ich 
nicht  nur  alle  meine  Grundsätze  be- 
züglich des  Plätschergeräusches  und 
des  Verbandes  auseinandersetzte,  son- 
dern auch  einen  Patienten  demon- 
strierte, der  fünfzehn  Jahre  lang  an 
Hyperchlorhydria  und  Gastroptosie  in 
ausgesprochenster  Weise  gelitten,  der 
von  mehreren  Kollegen  behandelt  wor- 
den und  auch  eine  von  einem  Banda- 
gisten  angefertigte  Leibbinde  getragen 
hatte.  Am  11.  September  1901  legte  ich 
ihm  den  Pflasterverband  an  und  hatte 
die  Genugtuung,  zu  hören,  wie  der 
Patient  sich  enthusiastisch  über  das 
Wohlbehagen  aussprach,  das  er  nach 
Anlegung  des  V erbandes  empfunden.. 
Als  ich  den  Patienten  am  23.  Septem- 
ber sah,  waren  alle  Symptome  der 
Hyperchlorhydria  verschwunden  und 
er  hatte  drei  Pfund  an  Gewicht  gewon- 
nen. Am  11.  Oktober,  nachdem  der 
Verband  vier  Wochen  gelegen,  ent- 
fernte ich  denselben  und  fand  die  Haut 
intakt.  In  diesen  vier  Wochen  hatte 
Pat.  sieben  Pfund  an  Gewicht  zugenom- 
men. Es  ist  wahr,  ich  hatte  ihm  die 
Diät,  die  I  1  1  o  w  a  y  in  einer  klassi- 
schen Arbeit  über  Hyperchlorhydria 
angegeben,  verordnet,  aber  wie  ich 
nun  aus  reichlichen  späteren  Beobach- 
tungen feststellen  kann,  ist  nicht  der 
Diät  allein,  sondern  neben  derselben 
dem  Verband  ein  Hauptanteil  des  Er- 


folges in  solchen  Fällen  von  Hyper- 
chlorhydria zuzuschreiben.  Der  Fall 
und  die  Diskussion  über  denselben  sind 
veröffentlicht  worden.  Einhorn  ver- 
hielt sich  ablehnend.  Er  will  von  Tat- 
sachen, die  für  den  Heftpflastterverband 
sprechen,  nichts  wissen. 

Ich  wartete  ab,  ob  nicht  die  Mittei- 
lungen von  allen  Seiten  über  den  Wert 
der  Methode  ihn  günstiger  stimmen 
möchten,  finde  nun  aber  in  der  neue- 
sten, der  4.  Auflage  seines  Buches  über 
Magenkrankheiten  den  folgenden  Pas- 
sus: "In  such  cases  A.  Rose 's 
method  of  covering  the  abdomen  with 
adhesive  Strips  may  be  employed.  The 
plaster  cannot,  however,  generally  sup- 
plant  a  bandage,  as  the  constant  plas- 
ter Strips  in  contact  with  the  skin  is  a 
source  of  some  discomfort."  Diesen 
Bemerkungen,  die  irreführend  sein 
können,  möchte  ich  entgegentreten. 
Tatsache,  die  wohl  kein  vorurteils- 
freier Kollege  in  Abrede  stellen  kann, 
ist,  dass  der  Heftpflasterverband  nicht 
nur  die  Leibbinde  ersetzt,  sondern  un- 
zählige Vorzüge  derselben  gegenüber 
hat,  dass  auch  seine  Bedeutung  eine 
ganz  besondere  ist,  nämlich  auf  Zirku- 
lation und  Innervation  einzuwirken, 
wie  die  Leibbinde  nicht  in  demselben 
Masse  einwirken  kann. 

Nun  möchte  ich  noch  bitten,  auf 
eine  andere  Stelle  in  E  i  n  h  o  r  n  '  s 
Buch,  die  sich  auf  das  Plätscherge- 
räusch bezieht,  hinweisen  zu  dürfen,  weil 
dies  in  engem  Zusammenhange  mit 
den  Prinzipien  der  Anlegung  des  Ver- 
bandes steht :  "Bouchar  d  made  an 
extensive  study  of  this  splashing  sound 
and  considered  it  a  sign  of  great  diag- 
nostic  value  in  dilatation  of  the 
stomach.  Now-a-days  we  do  not  at- 
tach  so  much  importance  to  the  splash- 
ing sound  per  se." 

Dazu  wünsche  ich  zu  sagen,  dass 
"now-a-days"  das  Plätschergeräusch 
eine  noch  viel  grössere  Rolle  spielt,  als 
je  vorher,  denn  es  ist  die  Manifestation 
von  Erschlaffung  der  Bauchmuskeln; 
welche  Wichtigkeit  die  Erschlaffung 
der  Bauchmuskeln  beansprucht,  habe 
ich  in  meinem  letzten  Vortrag  vor  die- 
ser Gesellschaft  dargetan. 

Dr.  Max  Einhorn:  Ich  habe 
mich  dem  Pflasterverband  gegenüber 


New    Yorker    Medizinische  Monatsschrift. 


5> 


keineswegs  so  feindlich  verhalten.  Ich 
selber  habe  nur  gefunden  und  Herrn 
Dr.  Rose  gesagt,  dass  gute  Binden 
dasselbe  leisten  und  dass  deshalb  ein 
Heftpflasterverband  nicht  obligato- 
risch ist.  In  manchen  Fällen  ist  aller- 
dings ein  Pflasterverband  vorzuziehen, 
nämlich  bei  dünnen  Leuten,  die  keinen 
grossen  Leib  haben  ;  da  kann  man  mit 
der  Binde  nicht  viel  ausrichten.  Das 
habe  ich  auch  in  meinem  Buch  gesagt, 
und  ich  glaube,  dass  ich  mich  Dr. 
Rose  gegenüber  ganz  loyal  verhalten 
habe.  Es  ist  eine  Tatsache,  dass  Pa- 
tienten der  von  mir  gegründeten  Kli- 
nik, die  den  Pflasterverband  hatten, 
öfter  zu  mir  kamen  und  über  Be- 
schwerden klagten,  und  wenn  ich 
ihnen  den  Pflasterverband  abnahm  und 
die  Binde  gab,  fühlten  sie  sich  wohl, 
da  sie  nicht  die  Unbehaglichkeit  des 
Pflasters  hatten.  Wir  müssen  Dr. 
Rose  für  die  Einführung  dieses 
Pflasterverbandes  dankbar  sein,  aber 
ich  möchte  nicht  sagen,  dass  man  ihn 
immer  anlegen  muss;  wo  man  keine 
geeignete  Binde  hat,  ist  er  am  Platze. 

Was  das  Plätschergeräusch  betrifft, 
so  möchte  ich  sagen,  dass  man  es  auch 
bei  Leuten  erzeugen  kann,  die  einen 
ganz  normalen  Magen  und  normale 
Bauchdecken  haben,  wenn  man  nur  die 
Sache  gut  zu  behandeln  versteht.  Wir 
haben  in  der  Klinik  hundert  Leute 
daraufhin  untersucht.  Man  kann, 
wenn  der  Magen  etwas  Flüssigkeit 
enthält,  ein  Klatschgeräusch  erzeugen, 
wenn  man  den  Patienten  überrascht 
und  schnell  auf  die  Bauchdecke 
schlägt.  Gleich  darauf  ziehen  sich  die 
Muskeln  zusammen,  und  da  ist  es 
schwer,  ein  Geräusch  zu  erzeugen,  da 
die  Leute  dann  den  Leib  spannen.  Das 
Plätschergeräusch  an  sich  ist  nicht  von 
grosser  Bedeutung,  aber  wohl  der 
Platz,  an  dem  man  das  Geräusch  er- 
zeugt hat,  über  welche  Fläche  und  wie 
leicht  man  es  erzeugen  kann.  Wenn 
man  einen  Patienten  hat,  bei  dem  man 
das  Plätschergeräusch  über  einen  gros- 
sen Teil  des  Leibes  und  leicht  erzeu- 
gen kann,  so  sieht  man,  dass  der  Ma- 
gen eine  grössere  Ausdehnung  erhalten 
hat  und  dass  die  Bauchdecken  relaxiert 
sind. 

Dr.  Rose  (Schlusswort):  Ich  bin 


Dr.  Einhorn  für  seine  Bemerkun- 
gen dankbar,  indem  ich  es  den  Kol- 
legen nun  überlassen  kann  über  die 
streitigen  Punkte  zu  entscheiden.  Nie- 
mals habe  ich  gesagt,  dass  ich  das 
Plätschergeräusch,  d.  h.  einen  Patien- 
ten einfach  wegen  des  Plätschergeräu- 
sches behandle,  ich  habe  ganz  be- 
stimmt hervorgehoben,  dass,  wenn  bei 
gastrischen,  nervösen  und  gewissen 
Zirkulationsstörungen  zugleich  Gas- 
troptosie  vorliegt,  ich  den  Verband  an- 
lege, und  dass  die  günstigen  Wirkun- 
gen oft  glänzende,  mit  keiner  anderen 
Behandlungsmethode  zu  vergleichende 
sind.  Dr.  Einhorn  hat  nun  zum 
zweiten  Mal  vor  dieser  Gesellschaft 
gesagt,  dass  meine  Patienten  zu  ihm 
kommen,  um  sich  über  meine  Methode 
zu  beklagen.  Gibt  es  wohl  einen  Kol- 
legen unter  uns,  zu  dem  nicht  schon 
Patienten  gekommen  sind,  die  sich  über 
einen  anderen  Kollegen  und  seine  Be- 
handlungsweise  beklagten?  Es  ist  doch 
wohl  ungewöhnlich,  dergleichen  als 
Beweisstück  gegen  eine  Methode  vor 
einer  ernsten  Gesellschaft  vorzubrin- 
gen. Als  ich  meinen  letzten  Vortrag 
vor  dieser  Gesellschaft  hielt,  sprach  ich 
von  einer  Patientin,  die  an  einer  hyper- 
trophischen Lebercirrhose  seit  fünf  Jah- 
ren und  während  der  letzten  18  Monate 
am  Ikterus  und  dabei  seit  längerer  Zeit 
an  Aszites  gelitten.  Sie  war  von  vie- 
len Kollegen  behandelt  worden,  ehe  sie 
in  meine  Klinik  kam.  Der  Anfang  der 
Behandlung  von  mir  bildete  der  Gas- 
troptosieverband,  wie  ich  damals  in 
meinem  Vortrag  erwähnte.  Jetzt  ist 
die  Kranke  schon  seit  etwa  zwei  Mo- 
naten frei  von  Ikterus,  der  Aszites  ist 
schon  längst  verschwunden  und  Leber- 
vergrösserung  und  Verhärtung  sind 
nicht  mehr  zu  erkennen.  Sie  hat  sich 
selbst  erboten,  vor  einer  medizinischen 
Gesellschaft  vorgestellt  zu  werden,  al- 
lein ich  habe  nichts  mehr  zu  demon- 
strieren, ich  muss  mich  auf  die  Kran- 
kengeschichte beschränken,  denn  sie 
ist  allem  Anschein  nach  jetzt  vollstän- 
dig gesund.  Diesen  Fall  erwähne  ich 
hier  nochmals,  weil  es  so  ganz  mit  dem 
übereinstimmt,  was  Groddeck  in 
seinem  Briefe  gesagt  hat. 

Ich  bin  schon  froh,  dass  ich  mich 
endlich  mit  Dr.  Einhorn  habe  aus- 


52 


New    Yorker    Medizinische  Monatsschrift. 


sprechen  können,  und  ich  werde  ihm 
verbunden  sein,  wenn  er  mir  fort  und 
fort  Gelegenheit  geben  will,  zu  bewei- 
sen, dass  der  Heftpflasterverband  eine 
ganz  andere  Bedeutung  hat  als  die  ge- 
wöhnliche Leibbinde. 

Dr.  Friedmann  stellt  einen  drei- 
jährigen Jungen  vor,  bei  dem  wegen 
Ileus  vor  einigen  Wochen  eine  Lapa- 
rotomie vorgenommen  worden  war. 

Sekretär  Dr.  John  A.  Beuer- 
m  a  n  n  verliest  hierauf  das  Protokoll 
der  vorigen  Sitzung,  das  von  der  Ver- 
sammlung genehmigt  wird,  und  teilt 
aus  der  letzten  Sitzung  des  Verwal- 
tungsrats mit,  dass  Herr  Dr.  J.  W. 
Gleitsmann  zum  Vorsitzenden  des 
Aufnahmekomitees  für  das  laufende 
Jahr  ernannt  wurde. 

Präsident  Dr.  Carl  Beck:  Ich 
habe  Ihnen  die  traurige  Mitteilung  zu 
machen,  dass  unser  langjähriges  Mit- 
glied Dr.  A  1  p  h  o  n  s  Müller  vor 
drei  Wochen  gestorben  ist.  Ich  habe 
namens  der  Gesellschaft  ein  Beileids- 
schreiben an  die  Familie  geschickt  und 
ersuche  Sie,  sich  zum  Andenken  des 
Verstorbenen  erheben  zu  wollen. 

Ich  möchte  ferner  bemerken,  dass 
wir  unsere  Sitzungen  zu  spät  anfangen 
und  infolge  dessen  unsere  Arbeiten 
kaum  bewältigen  können.  Die  meisten 
medizinischen  Gesellschaften,  die  hier 
tagen,  beginnen  offiziell  ihre  Sitzungen 
um  8  Uhr.  Ich  glaube  kaum,  dass  wir 
jemals  vor  8.15  ein  Quorum  haben 
werden,  aber  ich  glaube,  dass,  wenn 
wir  den  Anfang  der  Sitzung  auf  8  Uhr 
ankündigten,  wir  pünktlich  um  viertel 
nach  acht  mit  der  Vorstellung  von 
Patienten  beginnen  könnten. 

Es  wird  beschlossen,  in  dem  Pro- 
gramme in  Zukunft  als  den  Anfang  der 
Sitzung  8  Uhr  anzuzeigen. 

Dr.  Fr.  Foerster:  Fall  von 
Schwangerschaft,  kompliziert  durch 
Uterusfibrom,  nebst  Präparat. 

Die  Frage,  wie  man  sich  in  Fällen 
von  Uterusmyomen,  welche  Schwanger- 
schaft komplizieren,  zu  verhalten  habe, 
ist  eine  so  vielseitige,  dass  sie  nicht  in 
wenigen  Worten  abgetan  werden  kann. 
Es  genüge  hier  zu  sagen,  dass  jeder 
Fall  wohl  am  besten  individuell  zu  be- 


handeln ist,  dass  wir  den  Umständen 
gemäss  unser  Vorgehen  einzurichten 
haben. 

In  dem  vorliegenden  Fall  handelt  es 
sich  um  eine  38  Jahre  alte  Frau,  welche 
vor  sieben  Jahren  ein  Kind  gebar.  Die 
Geburt  wurde,  trotzdem  der  Verlauf 
ein  sehr  langsamer  war,  ohne  Kunst- 
hilfe beendigt.  Das  schwächliche  Kind 
starb  kurze  Zeit  nach  der  Geburt.  Die 
Frau  sehnte  sich  nach  Nachkommen- 
schaft. Sie  hatte  nie  Gelegenheit  ge- 
nommen, sich  untersuchen  zu  lassen, 
trotzdem  die  Regeln  während  5 — 6 
Jahre  ziemlich  profus  waren.  Da  die 
Regel  einen  Monat  ausgesetzt  -  hatte, 
konsultierte  sie  ihren  Hausarzt,  wel- 
cher Schwangerschaft  bei  myomatösem 
Uterus  feststellte.  Ich  konnte  den  Be- 
fund nur  bestätigen.  Ein  kleinfaust- 
grosser,  etwas  beweglicher  Myomknoten 
ist  recht  vorn,  oberhalb  des  Os  inter- 
num,  kleinere  Knoten  sind  am  Fundus 
uteri  zu  fühlen.  Die  Situation  wird 
mit  dem  Hausarzt  und  der  intelligenten 
Patientin  besprochen.  Die  Beweglich- 
keit des  Myomknotens,  sein  verhält- 
nissmässig  hoher  Sitz  oberhalb  der 
Cervix  gaben  für  die  Hoffnung  Berech- 
tigung, dass  es  sich  um  ein  subseröses 
Myom  handle,  dass  die  Geburt  dadurch 
nicht  erschwert  werden  würde.  Es 
wird  daher  beschlossen,  in  Anbetracht 
des  Wunsches  der  Patientin  und  der 
übrigen  L'mstände,  die  Schwanger- 
schaft nicht  zu  unterbrechen.  Sollte 
die  Entbindung  nicht  auf  natürliche 
Weise  vor  sich  gehen  oder  sollten  sich 
vorher  drohende  Erscheinungen  ein- 
stellen, beabsichtigte  ich  operativ  ein- 
zugreifen. Während  der  ganzen  Zeit 
der  Schwangerschaft  lagen  die  Ver- 
hältnisse möglichst  günstig,  der 
Myomknoten  stieg  nach  oben,  flachte 
sich  etwas  ab,  so  dass  er  kaum  gefühlt 
werden  konnte. 

Acht  Tage  nach  der  berechneten 
Zeit  verlor  Patientin  ohne  irgend 
welche  Wehen  eine  Menge  Frucht- 
wasser, zuerst  klar,  doch  bald  mit 
Mekonium  versetzt.  Herztöne  waren 
nicht  zu  hören,  bei  der  Untersuchung 
fand  sich  das  Os  externum  etwas  er- 
weitert, während  das  Os  internum 
kaum  die  Fingerspitze  zuliess.  Quer- 
lage des  abgestorbenen  Foetus.  Die 


New    Yorker   Medizinische  Monatsschrift. 


53 


Anwendung  von  Dilatatoren  aller  Art 
und  manuelle  Erweiterung  erzielten 
eine  Eröffnung  des  Os  internum,  genü- 
gend um  den  rechten  Arm  des  Foetus 
zum  Vorfall  zu  bringen,  die  Einfüh- 
rung der  eigenen  Hand  behufs  Wen- 
dung war  unmöglich.  Ich  erkannte 
nun,  dass  Myomknoten  von  dem  dem  Os 
internum  nächstliegenden  Uterusge- 
webe soviel  in  sich  aufgenommen 
hatten,  dass  an  eine  Erweiterung,  ohne 
Ruptur  zu  veranlassen,  nicht  zu  den- 
ken war,  ich  veranlasste  daher  die 
Ueberbringung  der  Patientin  in  das 
Hospital,  wo  ich  den  schwangeren 
myomatösen  Uterus  entfernte.  Ich 
wählte  die  extraperitoneale  Stilver- 
sorgung, da  bei  dem  unterdessen 
jauchig  gewordenen  Ausfluss  nur  so 
eine  reine  Operation  erzielt  werden 
konnte.  Patientin  hat  sich  prompt  er- 
holt, höchste  Temperatur  nach  der  Ope- 
ration 100  F. 

Das  Präparat  zeigt,  dass  das  Gewebe 
um  das  Os  internum  allerdings  durch 


wir  ein  wirklich  gutes  noch  nicht  ge- 
funden haben. 

Von  der  oft  nicht  genügenden  Wirk- 
samkeit beim  Gebrauch  der  jetzigen 
Tonsillotome  zur  Ueberzeugung  ge- 
bracht, habe  ich  zu  einer  Verbesse- 
rung dadurch  beizutragen  versucht, 
dass  ich  an  dem  bekannten  geraden 
Tonsillotom  in  der  Nähe  des  schnei- 
den Teiles  eine  Kurve  habe  anbringen 
lassen,  wodurch  bessere  Resultate  in 
der  fast  gänzlichen,  radikalen  Entfer- 
nung der  Mandel  erzielt  werden. 

Das  Instrument  besteht  aus  drei 
Teilen  :  das  untere  und  das  obere  Blatt 
mit  der  Gabel.  Die  beiden  Blätter  sind 
nahe  des  Ringmessers  fast  zu  einem 
rechten  Winkel  gekrümmt,  Händel 
und  Ringmesser  sind  zu  einander  pa- 
rallel. Durch  diese  Krümmung  ge- 
winnt man  bei  den  grossen  Messern 
einen  Zentimeter  im  Vergleich  zu  den 
gewöhnlichen,  geraden  Tonsillotomen 
(Matthieu  oder  Mackenzie's  Form); 
d.  h.  die  Entfernung  von  der  Gabel  zur 


Myomknoten  eingeschränkt  ist,  dass 
eine  zur  Geburt  genügende  Erweite- 
rung nicht  hätte  bewerkstelligt  werden 
können,  der  ausgetragene  Foetus  war 
jedenfalls,  der  Zersetzung  nach  zu  ur- 
teilen, schon  seit  6 — 8  Tagen  abge- 
storben. 

Dr.    Franz    C.    Ruppert:  Ein 
neues  Tonsillotom ! 

In  der  letzten  Sitzung  der  laryngo- 
logischen  und  rhinologischen  Sektion 
der  Akademie  der  Medizin  stellte  ich 
mein  neues  Tonsillotom  vor  und 
möchte  mir  die  Gelegenheit  nicht  ent- 
gehen lassen,  dasselbe  auch  hier  zu 
tun. 

Ich  bin  zur  Genüge  über  die  grosse 
Anzahl  von  verschiedenen  Instrumen- 
ten zur  Entfernung  der  erkrankten 
oder  vergrösserten  Mandeln  unterrich- 
tet und  es  scheint  mir  die  Tatsache, 
dass  so  viele,  verschiedenartige  Instru- 
mente im  Handel  und  in  Anwendung 
sind,  der  beste  Beweis  zu  sein,  dass 


äusseren  Seite  des  Ringmessers  be- 
trägt einen  Centimeter.  Wenn  also  das 
Messer  über  die  Mandel  eingeführt 
wird,  kommt  es  einen  Centimeter  näher 
der  Rachenwand  zu  liegen  als  das  ge- 
rade. Wird  nun  das  Instrument  noch 
nach  aussen  gedrückt,  so  erfasst  es  die 
ganze  Mandel  bis  zur  Basis ;  ist  das 
Messer  gezogen  und  die  Mandel  ent- 
fernt, dann  ist  der  Raum  zwischen  den 
beiden  Gaumenbögen  ziemlich  gut  aus- 
geräumt. Bei  den  kleinen  Ringmes- 
sern ist  die  Entfernung  eine  geringere. 

So  erscheint  der  Vorzug  des  ge- 
krümmten Tonsillotomes  über  dem  ge- 
raden leicht  erklärlich,  eine  radikale 
Entfernung  der  Mkndel  ist  gesichert. 
Nach  meiner  Ansicht  hat  dieses  Instru- 
ment einen  noch  viel  grösseren  Wert 
für  den  allgemeinen  praktischen  Arzt, 
in  dessen  Interesse  es  liegt,  auch  eine 
erfolgreiche  Tonsillotomie  zu  machen. 

Dieses  Tonsillotom  wurde  für  mich 
von  E.  B.  Meyrowitz  angefertigt, 
und  speziell  Herrn  G  o  1  d  s  t  e  i  n  von 


54 


New    Yorker   Medizinische  Monatsschrift. 


der  Firma  fühle  ich  mich  für  die  aus- 
gezeichnetet  Art  und  Weise,  wie  er 
meine  Idee  ausführen  Hess,  zum  besten 
Dank  verpflichtet. 

Dr.  J.  W.  G  1  e  i  t  s  m  a  n  n  :  Vor 
etwa  sechs  Wochen  besuchte  mich  Dr. 
R  u  p  p  e  r  t  und  legte  mir  die  Idee  des 
Instrumentes  dar,  um  meine  Meinung 
darüber  zu  hören.  Seitdem  ist  das  In- 
strument noch  mehr  vervollkommnet 
und  fertig  gestellt  worden.  Ich  konnte 
Herrn  Dr.  Ruppert  schon  damals, 
als  er  mir  die  Skizze  brachte  und  die 
Konstruktion  des  Instrumentes  ausein- 
andersetzte, zu  der  Ausführung  ermun- 
tern, denn  es  ist  jedenfalls  für  viele 
Fälle  tauglich  und  wird  in  diesen  ge- 
eigneten Fällen  einen  Vorzug  vor  an- 
deren Tonsillotomen  haben.  Ob  man 
mit  diesem  Instrument  Tonsillen  her- 
ausnehmen kann,  die  vollständig  zwi- 
schen den  Gaumenbögen  liegen,  ist 
fraglich,  denn  die  Tonsillen  sind  in  der 
Regel  mit  den  Gaumenbögen  verwach- 
sen. Ich  habe  in  der  letzteren  Zeit 
mehrere  Fälle  zur  Beobachtung  und 
Operation  bekommen,  bei  denen  ich 
das  Instrument  gern  gehabt  hätte; 
aber  in  anderen  Fällen,  wie  bei  einem, 
den  ich  heute  operiert  habe,  wäre  ich 
nicht  imstande  gewesen,  viel  mehr  zu 
entfernen  als  mit  anderen  Tonsilloto- 
men, weil  die  Tonsille  verwachsen  war. 
Jedenfalls  aber  ist  dieses  Instrument 
für  eine  ganze  Reihe  von  Fällen  sehr 
wünschenswert,  weil  man  damit  mehr 
herausnehmen  kann  als  mit  dem  ge- 
raden Tonsillotom. 

Präsident  Dr.  Carl  Beck  teilt 
mit,  dass  die  Herren  Drn.  B.  Oniif 
und  A.  M.  B  a  c  e  v  i  c  z  e  zu  Mitglie- 
dern der  Gesellschaft  gewählt  worden 
sind,  und  schlägt  Dr.  Franz  Leh- 
ma c  h  e  r  von  Newark  vor. 

Symposium  über  Ileus. 

Die  folgenden  Vorträge  wurden  ver- 
lesen : 

Dr.  Max  Einhorn  :  Symptoma- 
logie,  Diagnose  und  medizinische  Be- 
handlung des  Ileus. 

Dr.  J.  Kaufmann:  Wie  lange 
kann  bei  Verdacht  auf  Ileus  mit  der 
Operation  gewartet  werden? 


Dr.  Ch.  Eisberg:  Chirurgische 
Behandlung  des  Ileus.  Wie  können 
unsere  Resultate  gebessert  werden? 

Dr.  F.  M  a  a  s  s  :  Ileus  nach  Laparo- 
tomie.   Diagnose  und  Behandlung. 

Diskussion. 

Dr.  Carl  Pfister:  Das  Thema 
Ileus  ist  ja  durch  die  Vorträge  der 
Herren  beinahe  so  erschöpft  worden, 
dass  eine  Diskussion  kaum  möglich  ist. 
Ich  möchte  nur  ein  paar  Fälle  aus  mei- 
ner eigenen  Erfahrung  hier  erwähnen, 
und  zwar  waren  das  zwei  Fälle,  die  ich 
im  vorigen  Jahre  unter  den  allerun- 
günstigsten  Umständen  und  in  der 
allertraurigsten  Umgebung  operiert 
habe.  Es  handelte  sich  in  beiden  Fäl- 
len um  Obstruktions-Ileus  durch  ein 
falsches  fibrinöses  Ligament,  das  sich 
um  den  Dünndarm  gebildet  hatte.  In 
beiden  Fällen  waren  es  Leute  in  einem 
Tenementhaus,  in  der  Ii.  und  12. 
Strasse,  in  der  traurigsten  Umgebung. 
Die  Patienten  waren  beide  kolossal 
heruntergekommen,  als  ich  sie  sah, 
und  ich  fürchtete  durch  den  Transport 
nach  dem  Hospital  soviel  der  besten 
Zeit  zu  versäumen,  sodass  ich  mich 
entschloss,  sie  selbst  unter  den  primi- 
tiven Verhältnissen  dort  zu  operieren. 
Unter  sehr  wenig  Narkose  gelang  es 
mir,  die  Obstruktion  bald  zu  finden 
und  zu  durchschneiden,  und  die  beiden 
Leute  kamen  davon. 

Im  Anschluss  an  die  Worte  von  Dr. 
Eisberg,  dass  man  bei  der  Auf- 
suchung von  Hindernissen  und  Her- 
vorziehung von  Darmschlingen  vor- 
sichtig sein  soll,  möchte  ich  noch  sa- 
gen, dass  ich  es  von  grosser  Wichtig- 
keit halte,  wenn  man  den  Ileus  ope- 
riert, doch  ja  keinen  zu  kurzen  Ein- 
schnitt zu  machen,  da  die  Diagnose, 
wo  sich  das  Hindernis  befindet,  nicht 
ganz  korrekt  gemacht  werden  kann. 
Der  Patient  stirbt  nicht  daran,  ob  der 
Einschnitt  ein  oder  zwei  Zoll  länger 
ist  oder  nicht.  Man  sichert  sich  ein 
besseres  Feld  zum  Ueberblick  und  zur 
Hervorziehung  der  Darmschlinge  und 
auch  dazu,  die  Darmschlinge  wieder 
zu  reponieren. 

In  einem  anderen  Falle  handelte  es 
sich  um  einen  14jährigen  Knaben,  der 


New    Yorker    Medizinische  Monatsschrift. 


durch  eine  Anhäufung  von  Kirschstei- 
nen —  er  hatte  deren  über  400  im  Ma- 
gen - — ■  eine  vollständige  Darmver- 
stopfung hatte,  einen  Darmverschluss, 
wie  er  mitunter  durch  einen  grossen 
oder  verschiedene  kleine  Gallensteine 
entsteht. 

Auf  einen  anderen  Ileus  möchte  ich 
noch  hinweisen,  der  von  keinem  der 
Herren  erwähnt  ist,  das  ist  die  reduc- 
tion    en    bloc,    wie    sie    nach  einge- 
klemmtem Bruch  vorkommt  und  zwar 
durch  lange  und  nicht  sehr  sauber  aus- 
geführte   Taxis    hervorgerufen  wird. 
Es   kann   kommen,   dass   der  Bruch 
plötzlich    zurückgeht,    die  Einklem- 
mungserscheinungen   scheinbar  geho- 
ben  sind,   der   Darminhalt   aus   dem  , 
Bruchsack   entleert   ist,    und   trotzdem  | 
bestehen    die     Einklemmungserschei-  i 
nungen  fort.    Nach  4 — 5  Stunden  wird 
der  Zustand  schlimmer,  und  man  muss  I 
die  Operation  ausführen,  und   findet  ! 
dann  diese  innere  Einklemmung  des 
Darmes,  die  man  ohne  Zögern  resezie- 
ren muss,  wenn  Gangräne  eingetreten 
ist,  oder,  wie  Dr.   M  a  a  s  s  erwähnt, 
einfach  die  Darmschlinge  nach  aussen 
öffnen  und  am  zweiten  oder  spätestens 
dritten  Tage  Anastomose  machen. 

Ich  möchte  auf  zweierlei  aufmerk- 
sam machen :  auf  die  Narkose,  die  eine 
der  gefährlichsten  Sachen  bei  der  Ope- 
ration ist,  und  vor  allem  darauf,  keinen 
zu  kurzen  Einschnitt  zu  machen,  wenn 
man  nicht  ganz  genau  weiss,  wo  das 
Hindernis  ist. 

Dr.  M.  I.  K  n  a  p  p  :  In  der  letzten 
Zeit  ist  ziemlich  viel  über  Ileus  ge- 
schrieben worden,  sowohl  in  den  deut- 
schen als  auch  in  den  englischen  Jour- 
nalen. Wir  verstehen  unter  Ileus  den 
Verschluss  des  Darmes  und  die  darauf 
folgenden  Erscheinungen.  Wir  haben 
hier  (Erläuterung  durch  Zeichnung  an 
der  Tafel)  den  Dickdarm  —  das  Kolon 
ascendens,  das  Kolon  transversum,  das 
Kolon  descendens  und  das  Kolon  sig- 
moideum  und  dann  das  Rektum.  Sehr 


häufig  kommt  im  Darme  eine  Ueber- 
produktion  von  Gasen  vor,  und  im 
Dickdarm  verursacht  eine  solche  Gas- 
spannung Knickungen  an  diesen  Win- 
keln (Erläuterung  an  der  Zeichnung). 
Sehr  schön  hat  Otto  Reith  das  Zu- 
standekommen dieser  Knickungen  be- 
schrieben (Medizinische  Klinik,  No.  I, 
1906).  Wenn  diese  Knickungen  län- 
gere Zeit  bestehen,  kann  ein  Exsudat 
diese  beiden  Darmschenkel  zusammen- 
löten. Je  stärker  die  Gasspannung, 
desto  spitzer  der  Winkel  des  abge- 
knickten Darmes,  und  so  bildet  sich 
ein  Darmverschluss  mit  allen  dazu  ge- 
hörigen Symptomen.  Hat  sich  ein 
Exsudat  gebildet,  dann  ist  das  Hinder- 
nis am  Darmlumen  permanent.  Solch 
einen  Fall  habe  ich  unlängst  diagnosti- 
ziert und  operieren  lassen ;  die  Diag- 
nose wurde  bestätigt  und  der  Patient 
geheilt.  Solche  Fälle  kommen  ziem- 
lich häufig  vor  und  muss  hier  eine 
Diagnose  gemacht  werden,  da  diese 
Diagnose  nur  eine  Therapie  hat,  die 
Operation.  Mit  internen  Mitteln  kann 
hier  nichts  erzielt  werden.  Bei  post- 
operativem Ileus  habe  ich  Atropin  mit 
ausgezeichnetem  Erfolg  gebraucht. 

Dr.  F  r  i  e  d  m  a  n  n  :  Ich  möchte  in 
Bezug  auf  die  Lokalisation  des  Ileus 
ein  paar  Worte  sagen.  Der  Fall,  den 
ich  vorgestellt  habe,  sowie  einige  an- 
dere Fälle  haben  mich  gelehrt,  dass 
man  in  manchen  Fällen  die  Diagnose 
ziemlich  genau  machen  kann,  wenn 
man  den  Harn  untersucht.  Natürlich 
ist  der  Kalkgehalt  nicht  immer  für  eine 
Lokalisation  des  Prozesses  im  Dünn- 
darm massgebend,  aber  wenn  wir  eine 
lokale  Stagnation  ausschliessen  können 
—  und  die  meisten  atypischen  Fälle 
verlaufen  ohne  Konstipation,  manche 
sogar  mit  Diarrhoe  —  so  denke  ich, 
dass  diesem  Indikan-Fall  mehr  Auf- 
merksamkeit geschenkt  werden  muss. 
Hierauf  tritt  Vertagung  ein. 

Dr.  John  A.  Beuermann, 

Prot. -Sekretär. 


56  New    Yorker    Medizinische  Monatsschrift. 


Kommers  der  Deutschen  Medizinischen  Gesellschaft  von  Chicago. 


Dem  April  v.  J.  abgehaltenen  Kom- 
mers der  deutschen  med.  Gesellschaft 
von  Chicago  lag  die  Absicht  zu 
Grunde,  einen  Anfang  zu  machen,  die  im 
Westen  zerstreuten  akademisch  gebilde- 
ten Männer  zuammeln.  Es  war  nur 
ein  Versuch,  aber  gerade  dieser  mit  den 
einfachsten  Mitteln  angestellte  Versuch 
zeigte,  dass  es  nur  der  Anregung  bedarf, 
einen  Verein  der  alten  deutschen  Stu- 
denten hier  zu  gründen.  Viele  Meilen 
weit  waren  Kollegen  extra  zum  Kom- 
mers hierher  gekommen  und  wer  nicht 
kommen  konnte,  dem  tat  es  leid.  Sie 
gedachten  ihrer  feiernden  Kollegen  in 
Telegrammen  wie  z.  B.  das  aus  Daven- 
port : 

„Weg  mit  den  Grillen  und  Wanzen ! 
Den  Aeskulap's- Jüngern  'nen  Ganzen!" 

Eröffnet  wurde  der  Kommers  mit  fol- 
gender Begrüssung:  „Meine  Herren! 
Das  soeben  gesungene  Lied,  „Vom  hohen 
Olymp  herab  ward  uns  die  Freude",  ist 
ein  alter  Hymnus.  In  der  Tat,  Freude 
und  Fröhlichkeit  sind  eine  Gabe  der 
Götter.  Deshalb  haben  auch  die  Philo- 
sophen Recht,  wenn  sie  behaupten, 
Freude  und  Fröhlichkeit  seien  die 
höchste  Entwicklungsform  des  Herren- 
menschen. Diese  hohe  Stufe  bezweckte 
stets  das  deutsche  Studentenleben,  dem 
alles  Banale  und  Philiströse  verhasst  war. 
Als  einen  Gottesdienst  der  Freude  und 
der  Fröhlichkeit  betrachtet  der  deutsche 
Student  den  Kommers  und  hat  damit  in- 
stinktmässig  eine  Entwicklung  erreicht, 
die  andere  Klassen  nicht  sobald  erreichen 
werden.  Ich  möchte  nun  ein  Bild  aus 
dem  Studentenleben  Ihnen  vorführen. 
Mit  gleichgestimmten  Kommilitonen  zo- 
gen wir  beim  Bummel  hinaus  in  der 
schönen  Maienzeit,  wenn  Drosselschlag 
und  Lerchenlied  uns  zu  Lehrmeistern 
wurden.  Auf  den  Blumenauen  und  im 
Waldesschatten  fühlten  wir  die  Schön- 
heit dieser  Welt  und  begriffen,  dass  wir 
später,  als  führende  Geister,  etwas  von 
Maienluft  und  Frühlingswehen  in  unsern 
Beruf  hineintragen  würden.  Andere  frei  - 
lich, gelehrter  als  wir,  blieben  hinter  den 
Mauern  hocken  und  freuten  sich  nicht 


des  Gesanges  in  den  Lüften  und  fühlten 
nicht  die  üppig  grünende  Natur  um  sich 
herum.  Wie  bald  war  es  mit  ihrer  Ge- 
lehrsamkeit zu  Ende,  wie  wenig  Förde- 
rung hatte  die  Menschheit  von  ihren 
staubigen  Theorien  erfahren!  Fanden 
wir  uns  dann  wieder  auf  unserer  Bude 
in  der  alten  Musenstadt,  die  Brust  ge- 
schwellt von  Freude,  das  Herz  erfüllt 
mit  Fröhlichkeit,  da  ertönte  uns  der 
Glockenklang  der  mitternächt'gen  Stunde 
in  einer  ganz  neuen  wundersamen  Melo- 
dei. Andere,  die  vor  uns  gelebt,  hatten 
dieselben  Empfindungen,  wie  es  ihre  Lie- 
der bezeugen,  die  ihrer  Wahrhaftigkeit 
halber  ihre  Zauberkraft  nie  verlieren 
werden.  Ist's  ein  Wunder  dann,  dass 
der  deutsche  Student  nach  intensiver  und 
instinktiver  Arbeitsleistung  in  übermü- 
tig fröhlicher  Stimmung  die  Stunden 
eines  fröhlichen  Kommerses  feiertü  Ein 
Jeder,  der  nur  einmal  an  einem  solchen 
Göttermahle  der  Freude  und  der  Fröh- 
lichkeit teilgenommen  hat,  wird  es  nie 
vergessen.  Mag  auch  die  rastlose  Frau 
Sorge  im  Laufe  der  Jahre  das  Feuer 
unserer  Begeisterung  nach  Kräften  ein- 
gedämmt haben,  mag  auch  manches  von 
unsern  Luftschlössern  in  Trümmer  zer- 
fallen sein,  die  Glut  der  wahren  Begeiste- 
rung wird  auch  unter  der  dicksten 
Aschenschicht  niemals  verlöschen,  ja  sie 
wird  fortglühen  bis  an  das  Ende  unserer 
Tage.  Deshalb  auf,  Genossen,  auf  zur 
Wallfahrt  nach  dem  Mekka  unserer 
Alma  Mater,  auf  zur  Wallfahrt  nach 
dem  Jungbronnen  unserer  schönen  Stu- 
dentenzeit !  Meine  lieben  Freunde !  Möge 
aus  dieser  Zeit  heute  Abend  jedem  Ein- 
zelnen von  uns  feierlicher  Glockenklang 
erklingen,  feierlich  das  Lied  erklingen 
aus  schöner,  goldener  Jugendzeit.  De- 
nen, die  sich  uns  zugesellt,  zum  Feste  der 
Freude  und  Fröhlichkeit,  unsern  lieben 
Gästen  sei  der  erste  Trunk  geweiht.  Ein 
kräftiger  Salamander  auf  unserer  Gäste 
Wohl  \"  Zur  Ehre  sei's  gasagt :  Keiner 
klappte  nach.  Mit  Enthusiasmus  wur- 
den die  alten  Lieder  gesungen,  bei  denen 
neuern  Datums  ging  es  herzlich  schlecht. 
Wie  immer,  es  zeichnete  sich  Kollega 
Dr.  Adolph  Decker  durch  reiche  dich- 


New    Yorker    Medizinische  Monatsschrift. 


57 


terische  Gaben  aus.  Könnten  wir  dem 
Genius  den  Weg  zeigen,  wir  würden 
Kollega  Decker  ausschliesslich  die  Feder 
allein  in  die  Hand  drücken.  Nur  zwei 
Proben  seiner  Kunst  will  ich  dem  Leser 
hier  vorlegen : 

Ich  weiss  nicht,  was  soll  es  bedeuten, 
Dass  ich  so  traurig  bin? 
Die  Heilkunst  der  neuesten  Zeiten, 
Die  kommt  mir  nicht  aus  dem  Sinn. 
Der  Arzt  kam  sacht  zu  dem  Kranken, 
Mit  dem  Stock  mit  dem  goldenen  Knopf, 
Untersuchte  von  oben  bis  unten 
Und  schüttelte  häufig  den  Kopf. 

Er  zählte,  die  Uhr  in  der  Linken, 
Wie  schnell  der  Puls  sich  bewegt, 
Er  liess  die  Zunge  sich  zeigen 
Und  sah,  wie  sehr  sie  belegt. 
Er  schaute,  hämmerte,  horchte 
Mit  Intelligenz  und  Bedacht, 
Dann  ward  aus  allen  Symptomen 
Die  Diagnose  gemacht. 

Der  Arzt  vom  neuesten  Datum 
Braucht  den  Patienten  nicht, 
Nur  das  Blut,  Se-  und  Exkretionen, 
Was  er  spuckt,  uriniert  und  erbricht. 
In  Retorten  und  Mikroskopen 
Erblickt  er  der  Krankheit  Spur 
Und  bestimmt  im  Laboratorium 
Die  Art  und  Weise  der  Kur. 

Das  ist  die  neue  Methode, 

Wie  man  sie  jetzt  lernet  und  lehrt, 

Auf  die  das  Geschlecht  der  Jungen 

Blindwütigen  Eifers  schwört. 

Ich  glaube,  die  Zeiten  verschlingen 

Noch  manchen  Auswuchs  daran, 

Dann  wird  sie  mehr  Nutzen  noch  bringen 

Als  sie  bisher  es  getan. 

28.  April  1906. 

Auf  des  Olympus  ferner  Höh, 
Im  reichgeschmückten  Saale, 
Sass  Vater  Zeus  zu  später  Stund 
Beim  süssen  Abendmahle. 

Zum  Hermes  sprach  er  dann  das  Wort : 
Jetzt  mach  dich  auf  die  Sohlen, 
Mir  drüben  aus  dem  Office-Schrank 
Mein  Teleskop  zu  holen. 


Ich  muss  im  Aug  von  Zeit  zu  Zeit 
Da  drunten  die  behalten, 
Auf  dass  sie  mir  nicht  allzuviel 
Nach  eignem  Willen  schalten. 

Der  Bote  ging  und  Hera  sprach  : 

Bist  du  doch  ein  alter  Sünder, 

Willst  schaun  nur,  wo  du  finden  kannst 

Die  schönsten  Menschenkinder. 

Zeus  schrie  voll  Aerger :  Quos  ego ! 
Du  bist  'ne  böse  Sieben. 
Verdenkst  mir's,  weil  mein  Pflichtgefühl 
Mich  heisst  die  Menschen  lieben. 

Du  hast  mir's  immer  so  gemacht 
Mit  deinem1  losen  Munde, 
Sei  still,  sonst  schleudr'  ich  dich 
Zu  Hades  tiefstem  Grunde. 

Da  kam  auch  Hermes  schon  herbei : 
Schnell  her  mit  deinem  Rohre ! 
Nun  will  ich  auf  die  Erde  sehn 
Und  durch  verschloss'ne  Tore. 

Und  wie  er  blickt  und  wie  er  lauscht 
Ringsum  durch  alle  Zonen, 
Da  schüttelt  plötzlich  er  den  Kopf : 
Wer  mag  nur  dorten  wohnen? 

Hermes,  schnall  deine  Flügel  an 
Und  flieg  mir  in  die  Ferne, 
Bis  nach  Chicago  flieg  mir  hin 
Und  halt  heim  roten  Sterne. 

Dort  hat  'ne  grosse  Männerschaar 
Mein  Teleskop  gefunden. 
Was  die  da  treiben,  weiss  ich  nicht, 
Geh  du  und  tu's  erkunden. 

Und  Hermes  flog  zum  roten  Stern 
Mit  des  Gedankens  Schnelle 
Und  fand  im  Russ  der  Riesenstadt 
Auch  bald  die  gute  Quelle. 

Und  die  Tarnkappe  auf  dem  Haupt 
Wagt  er  sich  zu  den  Leuten. 
Nicht  lange  währt  es  und  er  weiss. 
Was  alles  soll  bedeuten. 

Flugs  eilt  er  zum  Olymp  zurück 
Mit  schnellen  Flügelschlägen. 
Zeus,  Vater,  ruft  er,  Heureka, 
Ich  will's  zurecht  dir  legen. 


§8 


New   Yorker  Medizi 


nische  Monatsschrift. 


Dort  in  der  Stadt  am  grossen  See, 
Im  roten  Sternensaale, 
Dort  sitzet  eine  Männerschaar 
Bei  Bier  und  kaltem  Mahle. 

Um  zu  erraten,  wer  sie  sind, 

Spitzt  ich  die  beiden  Ohren. 

Sie  sprechen  deutsch,  sie  singen  deutsch, 

's  sind  Aerzte,  's  sind  Doktoren. 

Und  nicht  Chicagoer  allein, 
Auch  fremde  Aerzt'  sind  drunter, 
Von  weither  kamen  sie  des  Wegs 
Und  sind  fidel  und  munter. 

Da  spricht  der  alte  Jupiter, 
Es  klingt  wie  Donnergrollen  : 
Du  wirst  doch  nicht  voll  Uebermut 
Mich  heute  foppen  wollen? 

Mehr  als  dreitausend  lange  Jahr 
Bin  ich  jetzt  schon  am  Leben 
Und  dachte  nie,  dass  solch  ein  Fest 
Es  jemals  könnte  geben. 

Doktoren,  deutsche  noch  dazu, 
Und  sitzen  froh  und  friedlich? 
Und  kneipen  wie  zur  Jugendzeit 
Und  machen  sich's  gemütlich? 

Merkurius,  mit  viel  Verdruss 

Hör  ich  die  falsche  Märe, 

Als  Strafe,  Kerl,  zu  Sherlock  Holmes 

Schick  ich  dich  in  die  Lehre. 

Nun  geh  und  borg  den  Donnerkeil 
Bei  meiner  lieben  Frauen, 
Weil  ich  jetzt  nach  Chicago  will, 
Um  selbst  mich  umzuschauen. 

Frau  Zeus  wollte  nicht,  sie  tat 
Im  Winkel  schmollend  hocken; 
So  macht  sich  ohne  sein  Symbol 
Zeus  auf  die  Göttersocken. 

Auch  Hermes  musste  wieder  mit. 
Zeus  wollt  ihm  demonstrieren, 
Dass  er  sich  schauderhaft  geirrt,  — 
Ihn  ad  absurdum  führen. 

Doch  wie  sie  in  dem  Saale  sind, 
Als  unsichtbare  Geister, 
Erkennt  sein  Unrecht  Jupiter, 
Merkur  wird  aber  dreister. 


„Nicht  Sherlock  Holmes,  nicht  Pinkerton, 

Nicht  alle  Agenturen, 

Die  fänden  so  genau  und  flink 

Wie  ich  die  rechten  Spuren. 

Beim  grossen  Kronos,  du  hast  Recht, 
Sprach  Zeus,  ich  muss  dich  loben ; 
Mein  alterprobtes  Wissen  ist 
Wie  eitel  Spreu  zerstoben. 

Doch  kann  ich  ob  der  Aenderung 
Vor  Freude  mich  nicht  lassen ; 
Was  sollten  deutsche  Aerzte  auch 
Befehden  sich  und  hassen? 

Schau,  Hermes,  wie  sie  lustig  sind 
Bei  ihrem  kalten  Biere, 
Und  blick  ich  vorwärts,  seh  ich  sie 
Noch  sitzen  um  halb  viere. 

Und  ziehn  sie  morgen  wieder  zu 
Den  heimischen  Gestaden 
Und  widmen  ihrem  Werke  sich, 
Im  Schutze  der  Penaten, 

So  hoff  ich,  jeder  denket  froh 

Des  Fests  im  roten  Sterne, 

Und  kommt  zum  zweiten  Festkommers 

Im  nächsten  Jahre  gerne. 


Nachdem  noch  verschiedene  ernste 
Biergerichte  abgehalten  waren,  da  trenn- 
ten wir  uns  mit  der  freudigen  Hoffnung 
auf  den  nächsten  Kommers.  Soll  ich 
mir  ein  Zukunftsbild  machen,  so  sehe  ich 
beim  nächsten  Kommers  den  lateinischen 
Farmer  neben  dem  Universitätspro- 
fessor sitzen,  als  fröhliche  Söhne  einer 
grossen  Mutter — Alma  Mater.  Den- 
jenigen, welche  eine  darartige  Verein- 
igung willkommen  ist,  möchte  ich 
zurufen  :  ,, Hoffe  !  Du  erlebst  es  noch, 
dass  der  Frühling  wiederkehrt."  Ja,  in 
die  Tretmühle  der  beruflichen  Pflichten 
wollen  wir  Ruhestunden  setzen,  fröh- 
liche Stunden,  den  schönsten  Erinner- 
ungen geweiht. 

Dr.  Gustav  Schirmer. 


New    Yorker    Medizinische  Monatsschrift. 


59 


Therapeutische  und  klinische  Notizen. 


—Müller  (Hamburg)  mächt  auf  den  Ge- 
brauch des  Validols  in  der  Gyn.aekologie  auf- 
merksam. Die  Dosis,  welche  man  verwendet, 
schwankt  je  nach  den  Verhältnissen  und  be- 
wegt sich  zwischen  5 — 25  Tropfen  dreimal  am 
Tage.  Die  Wirkung  des  Validols  ist  besonders 
wertvoll  bei  den  verschiedenen  nervösen  Er- 
krankungen der  Frauen  und  man  kann  durch 
dieselbe  in  vielen  Fällen  leicht  und  verhältnis- 
mässig rasch  Besserung  und  Heilung  der  Lei- 
den erzielen,  bei  denen  ohne  Validol  lange 
und  umständliche  Kuren  notwendig  sein  wür- 
den. Das  Validol  wirkt  einerseits  anregend 
auf  die  Herzfunktion  und  andererseits  beruhi- 
gend auf  das  Nervensystem.  Dementsprehend 
hat  man  dasselbe  in  vielen  Fällen  von  Nerven- 
leiden und  nervösen  Herzaffektionen  verwen- 
det und  von  recht  guten  Erfolgen  berichtet. 

Die  Erfahrungen  Müllers  mit  Validol 
stützen  sich  auf  Beobachtungen  bei  nervösen 
Beschwerden  während  und  nach  gynäkolo- 
gischen Erkrankungen  und  er  hat  da  eine 
Reihe  guter  Resultate  erzielt,  welche  ihn  ver- 
anlassen, das  Validol  dauernd  zu  verwenden. 
Man  muss  aber  bei  der  Therapie  mit  Validol 
von  vornherein  bedenken,  dass  eine  günstige 
Wirkung  des  Mittels  nicht  sofort  nach  den 
ersten  Tagen  der  therapeutischen  Verwendung 
eintritt,  sondern,  dass  erst  eine  Zeit  von 
wenigstens  8 — 14  Tagen  verstreicht,  ehe  eine 
sichtbare  Besserung  dauernder  Art  der  ner- 
vösen Leiden  eintritt  und  eintreten  kann. 
Trotzdem  bewirkt  Validol  in  geeigneten  Fäl- 
len auch  momentan  nach  Verabreichung  an  die 
Patienten  eine  Besserung,  namentlich  bei  ner- 
vösen und  hysterischen  Anfällen  mit  Ohn- 
macht und  dergleichen.  Was  aber  die 
chronischen  Nervenleiden,  die  hysterischen 
und  neurasthenischen  Beschwerden  anlangt, 
so  kann  man  nicht  eine  sofortige  Wirkung  er- 
warten. 

Besonders  günstig  hat  sich  das  Validol  in 
einigen  Fällen  von  Migräne  und  neuras- 
thenischen Beschwerden  wie  Kopfschmerz, 
Schwindel,  Unruhe  und  Erregtheit  bewährt, 
die  bei  Frauen  nach  verschiedenen  Leiden 
Endometritis,  Blutverlusten  etc.  zurückgeblie- 
ben waren  oder  gleichzeitig  mit  anderen  Zu- 
ständen ( Dysmenarrhoe)  auftraten. 

In  allen  solchen  Fällen,  wo  es  sich  um 
hochgradige  allgemeine  Nervosität  handelt, 
hat  sich  das  Validol  bestens  bewährt. 


Von  ganz  grosser  Bedeutung  ist  die  Wir- 
kung des  Validols  bei  den  Beschwerden  zur 
Zeit  des  Eintrittes  des  Klimakteriums. 

Neben  diesen  Vorzügen  des  Validols  als 
Nervenberuhigungsmittel,  kommt  es  noch  als 
ein  die  Herzkraft  anregendes  in  Betracht,  denn 
es  wirkt  auf  die  Herztät:gkeit  anregend  und 
ist  dadurch  besonders  wertvoll  bei  akuten 
Herzschwächezuständen,  wie  man  sie  gerade 
recht  oft  in  der  Sprechstunde  des  Chirurgen 
und  Frauenarztes  beobachten  kann.  („Der 
Frauenarzt",  1906,  Nr.  10  u.  Ii.) 

— Zum  Erbrechen  nach  der  Narkose.  Die 
Zahl  der  Mittel  gegen  das  Brechen  ist  eine 
grosse,  ihre  Wirkung  im  grossen  und  ganzen 
eine  unsichere. 

Wanietschek  und  Dr.  H  e  r  z  u  m  ka- 
men auf  das  Alypin  durch  einen  Artikel  von 
T  a  u  s  z  k  in  den  „Therapeutischen  Berichten", 
welcher  das  Alypin  u.  a.  auch  bei  zwei  Fällen 
von  hysterischem  Erbrechen  mit  gutem  Er- 
folge verabreicht  hat.  Sie  benützten  es  in  der- 
selben Weise  wie  T  a  u  s  z  k,  Tropfen  in  50%- 
iger  Lösung.  Der  Erfolg  war  ein  überrasch- 
end guter.  Tatsache  ist,  dass  in  den  letzten 
drei  bis  vier  Monaten,  die  Zeit,  wo  sie  Alypin 
anwenden,  mit  wenigen  zwei  bis  drei  Ausnah- 
men kein  Narkotisierter  erbrach.  Sie  geben, 
sobald  der  Narkotisierte  erwacht,  resp.  zu 
schlucken  vermag,  fünf  bis  sechs  Tropfen 
obiger  Lösung,  bei  Kindern  entsprechend  wen- 
iger. Dies  kupiert  oft  das  Brechen  ein  für 
allemal  oder  man  ist  nach  einer  bis  zwei 
Stunden  genötigt,  jene  Dosis  zu  wiederholen. 
Es  noch  ein  drittes  Mal  oder  gar  viertes  Mal 
geben  zu  müssen,  kamen  sie  e!gentlich  nur  in 
einem  bis  zwei  Fällen  in  die  Lage.  Dabei 
kann  man  das  unbekenklich  tun.  T  a  u  s  z  k 
ging  bis  zu  8  cg  pro  die,  das  sind  32  Tropfen 
der  59f  igen  Lösung  tagsüber  verteilt.  Natür- 
lich kann  man  im  Bedarfsfalle  die  Einzeldosis 
entsprechend  steigern. 

Neuerdings  geben  beide  Autoren  auch  zu 
Beginn  der  Narkose  fünf  bis  sechs  Tropfen 
der  Lösung,  wodurch  natürlich  auch  das  Wür- 
gen und  Brechen  zu  Beginn  der  Narkose  ver- 
mieden wird.  Mit  Rücksicht  auf  die  guten  Er- 
folge, die  sie  mit  dem  Mittel  gemacht  haben, 
unterbreiten  sie  es  den  Fachkollegen  zur  Beur- 
teilung;  dasselbe  iit  einer  Nachprüfung  wert. 
(„Prager  Mediz.  Wochenschr."  1906,  Nr.  50.) 


6o 


New    Yorker    Medizinische  Monatsschrift. 


Kleine  Mitteilungen. 


—  Der  erste  Kongress  der  deutschen  Gesell- 
schaft für  Urologie  wird  vom  2. — 5.  Oktober 
1907  in  Wien  im  Gebäude  der  k.  k.  Gesell- 
schaft der  Aerzte  tagen. 

Als  Hauptthemen  werden  in  Diskussion  ge- 
zogen : 

I.  Diagnostik  und  Therapie  der  Nieren- 
tumoren. Referenten :  Küster-  Mar- 
burg, v.  Eiseisberg  -  Wien. 

II.  Diagnostik  und  Therapie  der  Nephroli- 
thiasis.  Referenten:  Kümmel -Ham- 
burg, Holzknecht,  Kienböck- 
Wien. 

III.  Die  Albuminurie.  Referenten :  v.  N  o  o  r- 
d  e  n  -  Wien,  P  o  s  n  e  r  -  Berlin. 

Anmeldungen  von  Vorträgen  und  Demon- 
strationen haben  mit  einer  kurzen  Inhaltsan- 
gabe versehen  bis  spätestens  15.  Juli  19x17  an 
die  Geschäftsstelle  in  Wien  (Dr.  Kapsam- 
mer, IX.  Maria  Theresienstrasse  3)  stattzu- 
finden. Ebendahin  sind  auch  Anmeldungen  zur 


Diskussion  über  die  genannten  drei  Haupt- 
themen zu  richten. 

Während  des  Kongresses  wird  eine  Aus- 
stellung von  Präparaten,  Instrumentetn  und 
urologischen  Gebrauchsgegenständen  veran- 
staltet, für  welche  die  Anmeldungen  ebenfalls 
bis  spätestens  15.  Juli  an  die  Geschäftsstelle  in 
Wien  zu  erfolgen  haben. 

Nichtmitglieder  wollen  ihre  Teilnahme  an 
dem  Kongresse  an  die  Geschäftsstelle  in  Wien 
melden,  woselbst  auch  der  Teilnehmerbetrag 
von  10  K  zu  erlegen  ist. 

Alle  weiteren  Mitteilungen  über  den  Kon- 
gress, für  welchen  auch  mehrere  Festlichkei- 
ten in  Aussicht  genommen  sind,  werden  nur 
jenen  Nichtmitgliedern  zugestellt,  welche  dies 
ausdrücklich  verlangen  oder  den  Teilnehmer- 
betrag bereits  erlegt  haben. 

Die  Mitglieder  der  Gesellschaft  werden  ge- 
beten, den  von  der  konstituierenden  Versamm- 
lung in  Stuttgart  festgesetzten  Jahresbeitrag 
von  10  M.  an  die  Zahlstelle  in  Breslau  (Dr.  F. 
Löwenhardt,  Karlstrasse  1)  zu  senden. 


Good  Opportunity  for  Physician 

HT  ( J  LET.  Furnished  parlor  floor,  with  labora- 
tory,  bot  and  cold  water,  door  Service  and 
telephone.  Select  location.  Board  if  desired. 
Address  or  call  218  West  I38th  Street,  New 
York.  (  King  model  houses.) 


f^cw  Yorker 

JYIedtzimscbe  ]VIonat88cbnft 

Offizielles  Organ  der 

DeutfcDcn  mcdizinifcbcn  ßefellfcbafttn  der  Städte  new  V»rk. 
Chicago,  Cleveland  und  San  Trancisco. 

Redigiert  von  Dr.  A.  Ripperger. 
Bd.  XIX.  New  York,   1907.     ^  No.  3. 

Originalarbeiten. 

Allgemeine  Peritonitis  infolge  von  Appendizitis  und  ihre  Behandlung.* 

Von  Dr.  A.  P.  Moschcowitz. 


Binnen  kurzer  Zeit  wird  im  „Archiv 
für  klinische  Chirurgie"  eine  längere 
Arbeit  erscheinen,  über  2000  Fälle  von 
Erkrankungen  des  Wurmfortsatzes, 
welche  auf  den  zwei  chirurgischen  Ab- 
teilungen des  Mount  Sinai  Hospitales, 
im  Laufe  der  letzten  acht  Jahre  behan- 
delt wurden.  Für  den  heutigen  Vor- 
trag entnehme  ich  der  erwähnten  Ar- 
beit jene  Gruppe  von  Fällen,  welche 
mit  Peritonitis  kompliziert  waren.  Die 
Fälle  sind  von  den  Herren  Dr.  A.  G. 
Gerster,  Howard  Lilienthal, 
Jos  e.fWiener,  Charles  A.  Eis- 
berg, A.  A.  Berg  und  mir  operiert 
worden,  und  es  bereitet  mir  Vergnü- 
gen, den  erwähnten  Herren  auch  an 
dieser  Stelle  meinen  Dank  für  Ueber- 
lassung  ihres  Materials  abzustatten. 

Die  Ansichten  der  Chirurgen  über 
Peritonitis  im  Verlaufe  von  Appendi- 
zitis gehen  weit  auseinander  und  er- 
klären die  grossen  Unterschiede  der 
Statistiken,  namentlich  in  Hinsicht  der 
Mortalität.  Wir  wollen  Anderen  un- 
sere Klassifikation  nicht  aufdrängen, 
sondern  nur  den  in  dieser  Arbeit  so  oft 
gebrauchten    Ausdruck  „Peritonitis" 

*Vortrag,  gehalten  in  der  Deutschen  med. 
Ges.  der  Stadt  New  York  am  4.  März  1907. 


genau  feststellen  :  denn  nur  so  können 
unsere  Resultate  gewürdigt  werden. 

Die  überall  gebräuchlichen  Bezeich- 
nung „allgemeine"  Peritonitis  ist  kli- 
nisch nicht  gerechtfertigt,  denn  es 
lässt  sich  nur  bei  einer  Autopsie  fest- 
stellen, ob  der  entzündliche  Prozess 
sich  auf  sämmtliche  Abteilungen  der 
Bauchhöhle  erstreckt.  Wir  ziehen  des- 
halb den  Ausdruck  „diffuse"  Peritoni- 
tis vor. 

Damit  unsere  Fälle  richtig  verstan- 
den werden,  will  ich  in  aller  Kürze  die 
Symptomatologie  der  appendikulären 
Peritonitis  beschreiben ;  mit  beson- 
derer Berücksichtigung  der  Differen- 
tialdiagnose gegenüber  anderen  akuten 
Erkrankungen  des  Wurmfortsatzes. 

1.  Die  Kranken  machen  einen  viel 
schwereren  Eindruck. 

2.  Der  Schmerz  wird  im  ganzen 
Bauch  gefühlt,  im  Gegensatz  zu  den 
unkomplizierten  Appendizitiden,  in 
denen  er  lokalisiert  ist. 

3.  Erbrechen  ist  konstanter  und 
widerholt  sich  öfter. 

4.  Obstipation  ist  die  Regel.  Selten 
bestand  Diarrhoe,  namentlich  in  den 
Fällen,  die  mit  Gangrän  des  Coecum 
kompliziert  waren. 


62 


New    Yorker    Medizinische  Monatsschrift. 


5.  Die  Temperatur  hat  nichts  charak- 
teristisches. Der  Puls  ist  meist  fre- 
quent,  120  und  darüber.  Die  Zahl  der 
Respirationen  ist  nicht  erhöht,  ausser 
in  weit  vorgeschrittenen  Fällen. 

6.  Das  Abdomen  ist  stark  aufgetrie- 
ben. 

7.  Sämmtliche  Bauchmuskeln  sind 
gespannt,  nicht  nur  die  der  rechten 
Seite. 

8.  Das  ganze  Abdomen  ist  empfind- 
lich ;  vielleicht  etwas  mehr  auf  der 
rechten  Seite,  was  dann  auf  den 
Wurmfortsatz  als  Ausgangspunkt  der 
Peritonitis  hinweist. 

9.  Ein  nebenbei  bestehender  Ab- 
szess  kann  manchmal  als  Tumor  pal- 
piert  werden ;  meistens  jedoch  ist  dies 
wegen  Spannung  der  Bauchdecken  un- 
möglich. 

10.  Rektale  oder  vaginale  Unter- 
suchung ergeben  Empfindlichkeit  auch 
des  Bekenperitoneums. 

11.  Durch  Perkussion  kann  die  An- 
wesenheit eines  beweglichen  Exsudates 
im  Peritoneum  nachgewiesen  werden. 

Bei  der  Eröffnung  des  Bauchfells 
strömt  sofort  seröse,  seröseitrige  oder 
eitrige  Flüssigkeit  heraus.  Dieselbe 
kommt  aus  allen  Teilen  der  freien 
Bauchhöhle  und  ist  nicht  durch  Ad- 
häsionen abgesackt.  Die  Menge  des 
Exsudates  wechselt  in  weiten  Grenzen. 
Das  Peritoneum  selber  zeigt  verschie- 
denartige Veränderungen,  je  nach  dem 
Charakter  des  Exsudates  und  der  Viru- 
lenz der  Infektion.  Entweder  ist  es 
hochrot  injiziert  oder  mit  Fibrinauf- 
lagerungen bedeckt,  oder  es  hat  nur 
seinen  normalen  Glanz  verloren.  Die 
Darmschlingen  sind  in  der  Regel  stark 
aufgetrieben ;  einzelne  können  leicht 
untereinander  verklebt  sein.  Fälle,  in 
denen  die  obengenannten  V eränderun- 
gen  nur  die  nächste  Umgebung  des 
Wurmfortsatzes  betreffen,  werden  von 
uns  selbstverständlich  nicht  zu  den 
Peritonitiden  gerechnet. 

Unsere  Klassification  der  Peritoniti- 
den, wie  aus  Tabelle  I  zu  ersehen  ist, 


hängt  vom  Charakter  des  Exsudates 
ab ;  wir  unterscheiden  demzufolge  eine 
seröse,  serös-eitrige,  eitrige  und  trock- 


JU3ZOJJ 
JU3ZOJJ 

juazojj 
IHBZ 

}U3ZOJ<J 

uaqjoisao 

uaqjojsag 

IHEZ 
juazojjj 
uaqjojsarj 

JU3ZO-I<J 

g  uaqjo;s39 

00 


8, 


ene  Peritonitis.  An  dieser  Stelle 
möchte  ich  auch  die  Aufmerksamkeit 
auf  eine  Unterart  lenken,  die  bis  jetzt 


New    Yorker    Medizinische  Monatsschrift. 


63 


nur  wenig  beachtet  wurde.  Es  sind  dies 
Fälle  von  milden  Symptomen  ;  die  Em- 
pfindlichkeit ist  gering,  und  die  Rigidität 
ist  wenig  ausgesprochen.  Die  physi- 
kalische Untersuchung  jedoch  ergibt 
die  Anwesenheit  eines  grossen  Exsu- 
dates. Bei  der  Operation  ergiesst  sich 
eine  grosse  Menge  dicken,  rahmigen 
Eiters  aus  der  freien  Bauchhöhle,  nicht 
etwa  aus  einem  Abszesse.  Das  Peri- 
toneum weist  keine  oder  nur  sehr  ge- 
ringe Veränderungen  auf;  seine  Ober- 
fläche ist  glatt,  glänzend  und  nicht  ge- 
rötet ;  hie  und  da  finden  sich  zarte 
Fibrinbeschläge.  Die  Prognose  in  die- 
sen Fällen  ist  meistens  gut.  Obzwar 
wir  sie  hier  durchweg  zu  den  eitrigen 
Peritonitiden  gerechnet  haben,  möch- 
ten wir  für  sie  in  der  Zukunft  den 
Namen  ,,Pyoperitoneum"  vorschlagen. 

Die  trockenen  Peritonitiden  können 
mit  wenigen  Worten  abgefertigt  wer- 
den. Sie  sind  dadurch  gekennzeichnet, 
dass  kein  flüssiges  Exsudat  vorhanden 
ist ;  das  Peritoneum  ist  intensiv  ge- 
rötet und  zeigt  feine  Fibrinauflagerun- 
•gen.  Klinisch  waren  beide  unserer 
Fälle  besonders  schwer. 

Man  hat  die  serösen,  serös-eitrigen 
und  eitrigen  Peritonitiden  vielfach  als 
verschiedene  Stufen  desselben  ent- 
zündlichen Prozesses  hingestellt.  Dass 
dem  nicht  so  ist,  geht  daraus  hervor, 
dass  die  Krankheitsdauer  in  allen  drei 
Formen  nur  wenig  schwankt ;  und  dass 
die  seröse  Form,  ein  vermutlich  frühes 
Stadium  der  Infektion,  sich  ernster  er- 
wies als  die  serös-eitrige.  Es  ist  viel- 
mehr wahrscheinlich,  dass  die  drei 
Formen  der  Ausdruck  der  verschie- 
denen Virulenz  der  infektiösen  Keime 
und  der  verschiedenen  Reaktionsfähig- 
keit der  einzelnen  Patienten  sind. 

Wir  haben  den  Zustand  des  Wurm- 
fortsatzes (ob  gangränös  oder  per- 
foriert oder  beides)  unbeachtet  gelas- 
sen, denn  wir  glauben,  dass  die  Peri- 
tonitis eine  überwältigende  Rolle 
spielt. 

Die  Kombination  mit  Abszessbil- 
dung ist  häufig  genug,  um  eine  eigene 


Rubrik  zu  gerechtfertigen.  Der  Ab- 
szess  muss  jedesmal  extra  drainiert 
werden. 

Die  letzte  Gruppe  appendikulärer 
Abszess  und  diffuse  Peritonitis  ura- 
fasst  die  Fälle,  in  denen  der  Wurmfort- 
satz nicht  entfernt  wurde,  wo  wir  also 
dessen  Zustand  nicht  kennen.  Von  den 
acht  Fällen  dieser  Rubrik  fallen  sieben 
noch  in  das  Jahr  1899,  als  wir  mit  der 
Entfernung  des  Wurmfortsatzes  noch 
nicht  so  dreist  waren  wie  jetzt. 

In  sämmtlichen  Fällen  wurde  im 
pathologischen  Laboratorium  des  Hos- 
pitales  eine  bakteriologische  Unter- 
suchung des  peritonitischen  Exsudates 
gemacht.  Leider  ging  ein  Teil  der  ein- 
schlägigen Berichte  verloren,  sodass 
ich  nur  über  171  Fälle  berichten  kann. 
Es  wurden  gefunden 

Genesen.  Gestorben. 

Bac.  Coli  in  116  Fällen       89  27 

Bac.  Coli  und  Strepto- 
coccus in    14     *«  i0  4 

Streptococcus  in    13     "  g  4 

Friedländer's  Bac.  in...    4     "  4  0 

Pneumccoccus    in   3     "  3  0 

Staphylococcus   albus   in    3     "  2  t 

Streptococcus  u.  Staphy- 
lococcus in   4     "  2  2 

Proteus  vulgaris  in   4     "  2  2 

Proteus  und  Coli  in....     2     "  1  1 

Coli     und  unbekannte 

Bac.   in   2     "•  i,  x 

Bac.  pyoeyaneus  in   2     "  1  1 

Coli,    pyoeyan.,  staphyl., 

strep.  in    2     "  1  1 

Coli  und  Staphyl:  aureus 

in    r     "  1  o 

Strepto  und  Friedlander 

in    1      "  1  o 

Summe   171     "  127  44 

Diese  Tabelle  zeigt,  dass  die  Coli- 
Peritonitis  die  häufigste  ist,  und  daher 
ist  auch  ihre  Mortalität  die  verhältniss- 
mässig  höchste.  Man  glaubt  allgemein, 
dass  die  Streptococcus-Peritonitis  be- 
sonders virulent  sei ;  unsere  Zahlen 
sind  jedoch  zu  klein,  um  diesen  Punkt 
zu  beleuchten. 

Behandlung.  Wann  soll  ein  gegebe- 
ner Fall  von  appendikulärer  Peritonitis 
operiert  werden?  Sofort.  Dies  ist  der 
Standpunkt,  den  wir  im  Laufe  der 
Jahre  erreicht  haben  ;  wir  verweigern 


64 


New   Yorker   Medizinische  Monatsschrift. 


die  Operation  nur  in  moribunden  Fäl- 
len. 

Technik.  Unsere  Technik  war  nicht 
immer  die  gleiche ;  wir  haben  sie 
schrittweise  vervollkommnet. 

Anfänglich  machten  wir  eine  grosse 
Schräginzision  in  der  rechten  Fossa 
iliaca,  parallel  den  Fasern  desObliquus 
externus,  der  internus  und  transversa- 
lis  wurden  quer  zu  ihrer  Faserrichtung 
durchschnitten.  Nach  Eröffnung  der 
Bauchhöhle  war  unser  Hauptbestreben, 
das  erkrankte  Peritoneum  zu  drainie- 
ren.  Wir  legten  zu  diesem  Zweck 
Gazestreifen  nach  allen  Richtungen 
ein  und  machten  Gegeninzisionen  auf 
der  linken  Seite  oder  Lumbalgegend. 
Den  Wurmfortsatz  entfernten  wir  nur, 
wenn  er  leicht  zugänglich  war.  Die  so 
behandelten  Patienten  bedurften  aus- 
giebiger Stimulation.  Die  meisten 
gingen  an  Darmobstruktion  zu 
Grunde,  der  sowohl  dynamisch  als 
auch  mechanisch  bedingt  sein  mochte. 
Einzelne  genasen,  wie  wir  damals  uns 
rühmten,  infolge  unserer  aktiven  Be- 
handlung, wie  wir  jetzt  sagen  möch- 
ten, trotz  derselben. 

Als  weitern  Schritt  fügten  wir  dazu 
ausgiebige  Auswaschung  der  infizier- 
ten Peritonealhöhle.  Durch  eine  grosse 
Inzision  wurden  grosse  Mengen  heis- 
ser  Salzlösung  in  die  Bauchhöhle  und 
über  die  eventrierten  Därme  gegossen, 
und  mit  den  Händen  mit  allen  Ab- 
schnitten in  Berührung  gebracht. 
Darauf  folgte  Tamponade  mit  Gaze- 
streifen und  Drainröhren.  Die  Nach- 
behandlung war  die  gleiche.  Die  Re- 
sultate nicht  besser. 

Späterhin  machten  wir  kleine  In- 
zisionen  und  führten  lange  Glassröhren 
ein,  durch  die  wir  die  Bauchhöhle  irri- 
gierten,  bis  die  rückläufige  Flüssigkeit 
klar  war.  Wir  tamponierten  weniger 
und  gebrauchten  auch  schon  soge- 
nannte Zigaretten-Drains.  (Bekannt- 
lich bestehen  dieselben  aus  dünnen 
Jodoformgazestreifen,  die  mit  Gutta- 
percha umwickelt  sind.)  Die  Resul- 
tate waren  bedeutend  besser,  aber  nie 


so  gut,  wie  von  den  Anhängern  der 
Methode  behauptet  wird. 

Unsere  jetzige  Methode  will  ich  et- 
was ausführlicher  beschreiben.  Da,  wie 
gesagt,  unsere  Fälle  sofort  nach  der 
Aufnahme  operiert  werden,  verlieren 
wir  keine  Zeit  mit  Vorbereitungen. 
Wir  geben  ihnen  blos  ein  Schwamm- 
bad und  Seifenwasser  Klystier.  Als 
Anaestheticum  gebrauchen  wir  Lach- 
gas und  Aether,  ausnahmsweise  ope- 
rieren wir  in  lokaler  Anaesthesie. 

Die  Inzision  ist  gewöhnlich  die 
Kammere  r'sche,  zwei  bis  höchstens 
drei  Zoll  lang.  Nach  Abfliessen  des 
Exsudates  werden  Gazestreifen  einge- 
führt, nur  um  einen  etwa  vorhandenen 
Abszess  nicht  in  die  allgemeine  Bauch- 
höhle bersten  zu  lassen.  Jetzt  wird  der 
Wurmfortsatz  aufgesucht ;  das  Mesen- 
teriolum  wird  abgebunden,  die  Basis 
des  Wurmfortsatzes  wird  mit  einem 
Katgutfaden  abgeschnürt  und  darüber 
mit  dem  Paquelin  das  Organ  abgetra- 
gen und  der  Stumpf  verschorft.  Ein 
etwaiger  Abszess  wird  mit  Gazetup- 
fern ausgewischt.  Ein  dünner  Ziga- 
rette-Drain wird  zum  Appendixstumpf, 
eventuell  auch  in  eine  vorhandene  Ab- 
szesshöhle, geführt.  Die  Becken- 
höhle wird  oberflächlich  ausgetupft 
und  manchmal  ein  zweiter  Zigarette- 
Drain  in  den  Douglas  eingeführt. 
Gespült  wird  prinzipiell  nicht.  Die 
ganze  Wunde  wird  in  Etagen  bis  auf 
den  Drain  geschlossen.  Wir  ge- 
brauchen Katgut  fortlaufend  fürs  Peri- 
toneum, Chromkatgut  für  die  Rektus- 
scheide  und  Seide  für  die  Hautnaht. 

Die  unmittelbare  Nachbehandlung 
gestaltet  sich  wie  folgt.  Das  Kopf- 
ende des  Bettes  wird  um  zwei  bis  drei 
Fuss  erhöht  und  in  dieser,  der  soge- 
nannten F  o  w  1  e  r'schen  Lage,  ver- 
bleibt Patient  die  ersten  vier  oder  fünf 
Tage.  Patient  bekommt  nichts  per  os, 
bis  der  Brechreiz  verschwunden  ist ; 
zur  Stillung  des  Durstes  werden  oft 
wiederholte  kleine  Einläufe  physiologi- 
scher Salzlösung  gegeben,  und  wenn 
der  Allgemeinzustand  des  Patienten  es 


New    Yorker    Medizinische  Monatsschrift. 


65 


erheischt,  werden  auch  subkutane  oder 
intravenöse  Salzinfusionen  gemacht. 

Binnen  einiger  Stunden  nach  der 
Operation  ist  der  erste  Verband  ge- 
wöhnlich durchnässt  und  er  wird 
dann  gewechselt.  Nach  Aufhören  des 
Erbrechens  sind  Eispillen  oder  heisser 
Thee  oder  Kaffe  erlaubt. 

Am  zweiten  Tage  bekommt  Patient 
einen  niedern  Seifenwasser  Einlauf; 
wirkt  das  nicht,  so  wird  ein  hoher  Ein- 
lauf mit  Zugabe  von  Ochsengalle  ge- 
geben; darauf  erfolgt  gewöhnlich 
Stuhl  oder  wenigstens  Beseitigung 
der  Tympanie,  zur  grossen  Erleichter- 
ung des  Patienten.  Am  dritten  Tage 
bekommt  Patient  0,2  Kalomel  in  sechs 
Dosen  und  eine  halbe  Flasche  Mag- 
nesium-Citrat ;  manchmal  muss  auch 
jetzt  noch  mit  einem  Einlauf  nachge- 
holfen werden.  Nachdem  Stuhlgang 
erzielt  ist,  bekommt  Patient  reich- 
lichere Kost. 

■  Am  dritten  Tage  wird  der  bisherige 
trockene  Verband  durch  einen  feuch- 
ten ersetzt.  Am  nächsten  Tage  wird 
der  Zigaretten-Drain  durch  leichten  Zug 
entfernt  und  an  seiner  Stelle  wird  so- 
fort ein  Gummidrain  eingeführt.  Die 
Hautnähte  werden  am  fünften  oder 
sechsten  Tage  herausgenommen.  Der 
Verband  wird  täglich  erneuert  oder, 
wenn  der  Ausfluss  sehr  stark  ist,  auch 
zweimal.  Wenn  das  Sekret  serös  ge- 
worden ist,  wird  der  Gummidrain 
rapide  gekürzt  und  entfernt.  Die 
Wunde  ist  gewöhnlich  in  zwei  bis  drei 
Wochen  geschlossen. 

Bekanntlich  ist  nichts  so  trügerisch 
als  Theorien,  die  sich  nur  auf  Statis- 
tiken stützen.  Durch  Eliminierung  ge- 
wisser Fälle  und  Zusatz  anderer  kön- 
nen Statistiken  so  gedoktort  werden, 
dass  man  damit  irgend  etwas  beweisen 
kann.  So  sind  zum  Beispiel  in  vielen 
Statistiken  Fälle  nicht  mitgerechnet, 
die  •  nach  dem  dritten  Tage  operiert 
worden  sind,  oder  aber  solche,  die  in- 
nerhalb von  zwölf  Stunden  nach  der 
Operation  starben.  Es  wäre  allenfalls 
gerechtfertigt,    die    nicht  operierten 


Fälle  auszuschliessen.  Der  Einfach- 
heit halber  haben  wir  sogar  diese 
Fälle  mitgerechnet.  Unsere  Sterblich- 
keitsziffer ist  daher  möglichst  hoch, 
denn  sie  stellt  sozusagen  eine  Mor 
biditäts-  und  nicht  eine  Operations- 
mortalität dar. 

Unsere  Mortalität,  wie  aus  Tabelle  I 
zu  ersehen  ist,  nimmt  stetig  ab.  Dies 
zeigt  sich  besonders  bei  der  eitrigen 
Peritonitis,  der  häufigsten  und  virulen- 
testen aller  Peritonitiden.  Ihre  Mor- 
talität ist  jetzt  um  75  Prozent  geringer 
als  in  1899.  Sie  ist  immerhin  noch 
sehr  hoch  ;  da  sie  aber,  wie  gesagt,  im 
stetigen  Abnehmen  begriffen  ist,  kön- 
nen wir  hoffen,  dass  eine  spätere  Sta- 
tistik noch  viel  bessere  Resultate  auf- 
weisen wird. 

Die  Verbesserung  unserer  Resultate 
verdanken  wir  folgenden  Umständen : 

1.  Die  Fälle  kommen  früher  zur  Be- 
handlung. 

2.  Wir  gebrauchen  kleinere  In- 
zisionen. 

3.  Wir  haben  die  früher  gebrauchte, 
exzessive  Drainage  aufgegeben. 

4.  Wir  vermeiden  alle  unnötigen  ope- 
rativen Manipulationen,  wie  Eventra- 
tion, Spülungen,  u.  s.  w. 

5.  Wir  führten  die  F  o  w  1  e  r'sche 
Lage  ein. 

Der  Fortschritt  unserer  Behand- 
lungsmethoden lässt  sich  an  dem  steti- 
gen Sinken  unserer  Mortalität  verfol- 
gen, wie  aus  Tabelle  I  zu  ersehen  ist. 
Wir  liessen  uns  dabei  mehr  von  em- 
pirischen als  theoretischen  Grund- 
sätzen leiten.  Vom  theoretischen 
Standpunkt  aus  dürften  manche  un- 
serer Prozeduren  auf  Widerspruch 
stossen.  Wir  haben  alle  bekannten 
Methoden  der  Reihe  nach  versucht, 
und  das,  was  wir  jetzt  üben,  als  das 
beste  erprobt.  Damit  ist  nicht  gesagt, 
dass  wir  unsere  Methoden  zum  Ab- 
schluss  gebracht  haben ;  dieselben 
mögen  sich  von  Jahr  zu  Jahr  ändern 
und,  wie  wir  hoffen,  zur  stetigen  Bes- 
serung unserer  Resultate  führen. 


öö 


New    Yorker    Medizinische  Monatsschrift. 


Mitteilungen  aus  der  neuesten  Journalliteratur. 


B  e  r  t  h  o  1  (1  Goldberg  ( Köln)  :  Be- 
steht ein  Zusammenhang  zwischen 
Prostatitis  und  Prostatahypertrophie? 

Die  Frage  der  Beziehungen  zwischen 
Prostatitis  und  Prostatahypertrophie  hat 
ein  grosses  theoretisches  und  praktisches 
Interesse.  Unter  heiläufig  }4  Tausend 
chronischer  Prostatitiden  hat  G.  einige 
wenige  Male  Drüsen  gefunden,  die  sich 
makroskopisch  und  dem  Gefühl  nach  in 
nichts  von  hypertrophischen  unterschie- 
den, wiewohl  ihre  Träger  30er  bis  40iger 
waren.  Diese  Drüsen  waren  sehr  gross, 
sehr  hart,  und  hatten  durch  ihre  Form 
auch  die  Urethra  prostatica  in  der  bei 
Prostatahypertrophie  bekannten  Weise 
verändert.  Sekret  war  nicht  auszupres- 
sen. Diese  Pat.  litten  jedoch  nicht  an 
den  objektiven  Störungen  der  Harnent- 
leerung, wie  sie  beim  „Prostatiker"  fest- 
gestellt werden  ;  sie  hatten  keine  Retentio 
urinae.  Vielmehr  drückte  eine  hoch- 
gradige Neurasthenie  und  Hypochondrie 
dem  klinischen  Bilde  sein  Gepräge  auf 
mit  besonderer  Lokalisation  im  Bereiche 
der  Urogenitalorgane. 

Eine  andere  Gruppe  von  Pat.  aber 
zeigten  nicht  bloss  die  subjektiven,  son- 
dern alle  objektiven  Störungen  der 
Harnentleerung,  welche  wir  von  dem 
zweiten  und  dritten  Stadium  der  Prosta- 
tahypertrophie  her  kennen,  akute  Reten- 
tio urinae,  chronische  inkomplete  Re- 
tentio urinae,  akute  und  chronische 
sekundäre  Infektion  der  Harnwege,  Dis- 
tension  der  Harnwege  u.  s.  w.  Solcher 
Prostatitiden  hat  G.  bei  Männern  von 
25 — f5  Jahren  im  Laufe  von  15  Jahren 
12  beobachtet,  unter  500  Prostatitiden, 
unter  ca.  4000  an  Harn-  und  Ge- 
schlechtskrankheiten leidenden  männli- 
chen Personen.  Die  Prostata  war  bei 
fünfen  mittelgross,  bei  dreien  mässig 
gross,  bei  vieren  klein ;  sie  war  stets  Sitz 
einer  hochgradigen  diffusen  endoglandu- 
lären  und  interstitiellen  Entzündung. 
Da  die,  meist  bleibende,  Cystoparese  der 
Prostatitis  ihre  Besonderheit  verleiht, 
wie  sie  sich  der  Prostatahypertrophie 
nähert  und  von  der  gewöhnlichen  Pro- 
statitis trennt,  so  hat  G.  vorgeschlagen, 
die  Krankheit  Prostatitis  chronica  cysto- 


paretica  zu  nennen  (vgl.  „Zentralblatt 
für  Harnkrankheiten",  1906,  Oktober.) 

Unter  seinem  50  letzten  Fällen  fand 
G.  Entzündung  in  irgend  einer  Form 
20mal.  Motz  und  Goldschmidt 
haben  bei  Sektionen  in  80  hypertrophi- 
schen Drüsen  9mal  Abszess  und  4mal 
Periprostatitis  purulenta  gefunden,  kli- 
nisch bei  Prostatikern  2mal  einen  Ab- 
szess, 8mal  Eiter  und  Mikroben  im  Pro- 
statasekret. 

Bei  20  Fällen  von  G.  handelt  es  sich 
aber  um  die  verschiedensten  Dinge. 
3mal  ist  auf  die  lange  bestehende  Hy- 
pertrophie durch  Katheterinfektion  eine 
eitrige  Enzündung  aufgepfropft ;  das  ist 
eine  sekundäre,  akzidentelle  Affektion. 
2mal  trifft  eine  gonorrhoische  Prostatitis 
alte  Pat.  mit  alter  Hypertrophie ;  einen 
Einfluss  auf  den  gewöhnlichen  Lauf  der 
Dinge  äussert  diese  Prostatitis  nicht. 
7mal  ist  es  umgekehrt.  Zuerst  besteht 
eine  chronische  Gonorrhöe,  die  nicht 
recht  abheilt.  Ganz  allmählich  im  Laufe 
der  Jahre,  aber  in  unmittelbarem  An- 
schluss  an  die  Gonorrhöe,  ohne  ein 
Zwischenstadium  vollständiger  Be- 
schwerdefreiheit, entwickeln  sich  die 
klinischen  Erscheinungen  des  Prostatis- 
mus ;  schliesslich  findet  man  dieselben 
erklärt  durch  eine,  meist  nicht  sehr  be- 
trächtliche, meist  einseitige  asymmetri- 
sche und  meist  halbharte  Yergrösserung 
in  der  Prostata.  Eine  genaue  Unter- 
suchung dieser  Fälle  aber  lehrt,  dass  sie 
sich  in  nichts  anderem  von  der  oben  ge- 
schilderten „Prostatitis  chronica  cysto- 
paretica"  unterscheiden,  als  dass  sie 
statt  junger  alte  Männer  betroffen  ha- 
ben. Und  da  ja  auch  die  oben  erwähn- 
ten Pat.  ihre  in  vorgeschritteneren  Sta- 
dien unheilbare,  aber  nicht  tödliche 
Krankheit  mit  uns  ins  Alter  herüber- 
nehmen, so  ist  durch  beide  Gruppen  von 
Fällen  der  Beweis  geliefert,  dass  viele 
bisher  der  „weichen  Form"  der  Prostata- 
hypertrophie zugerechneten  Erkrankun- 
gen nichts  weiter  sind  als  Prostatitiden. 
Ihre  Abgrenzung  von  der  Prostatahyper- 
trophie ist  für  Prognose  und  Therapie 
von  grosser  Bedeutung. 

Zwei  Fälle  verhielten  sich  ebenso  wie 
die  vorstehenden  7,  nur  dass  zwischen 


New    Yorker    Medizinische  Monatsschrift. 


67 


dem  Ablauf  der  Gonorrhöe  und  dem  Be- 
ginne der  Harnbeschwerden  ein  viel- 
jähriger freier  Zwischenraum  lag. 

Endlich  bei  5  Prostatikern,  welche  we- 
der jemals  geschlechtskrank  gewesen, 
noch  bis  da  katheterisiert  worden  waren, 
hat  G.  durch  Untersuchung  des  expri- 
mierten  Sekretes,  welches  zum  Teil  mas- 
senhaft Leukozyten  erhielt,  den  Beweis 
der  Existenz  einer  primären  Prostatitis 
geliefert.  Irgendeinen  klinischen  An- 
halt für  einen  ursächlichen  Zusammen- 
hang zwischen  Entzündung  und  Ver- 
grösserung,  die  meist  auch  mit  Ver- 
härtung verknüpft  war,  boten  diese  5 
Fälle  nicht. 

Was  das  Verhältnis  der  Gonorrhöe  zur 
Prostatahypertrophie  in  den  erwähnten 
50  Fällen  angeht,  so  ist  sie  13mal,  d.  i.  in 
J4  der  Fälle,  eruiert  worden.  2mal  ent- 
stand sie,  als  die  Prostatahypertrophie 
längst  da  war,  4mal  war  sie  20 — 50 
Jahre  vor  dem  Beginne  der  Prostatis- 
musbeschwerden dagewesen,  ohne  dass 
irgendein  vermittelndes  Zwischenstadium 
sich  bemerkbar  gemacht  hätte  ;  7mal  end- 
lich ist  ein  Kausalnexus  nicht  abzu- 
streiten; aber  das  sind  eben  jene  chroni- 
schen cystoparetischen  Prostatitiden. 
(Zentralbl.  für  Chirurgie,  1907,  No.  8.) 

A.  Herzfeld  (New  York):  Seltene 
Lokalisation  eines  luetischen  Primär- 
affektes. 

Die  Krangeschichte  des  Patienten  ist 
folgende :  A.  R.,  23  Jahre  alt,  von  Ge- 
burt Franzose,  seit  kurzer  Zeit  in  den 
Vereinigten  Staaten,  von  Beruf  „Artist". 
Patient  gibt  an,  immer  gesund  gewesen 
zu  sein.  Seine  Eltern  leben  und  sind  ge- 
sund. Patient  fühlt  sich  seit  einigen  Ta- 
gen krank.  Er  klagt  über  konstante 
Kopfschmerzen,  die  nachts  sich  derartig 
verschlimmerten,  dass  er  nicht  schlafen 
kann,  Mattigkeit,  Gliederschmerzen,  Ap- 
petitlosigkeit und  Fieber.  Bei  der  Un- 
tersuchung fällt  sofort  der  den  ganzen 
Körper  bedeckende  makulöse  kupferrote 
Ausschlag  auf.  Patient  gibt  an,  densel- 
ben selbst  seit  mehreren  Tagen  bemerkt 
zu  haben.  Da  es  sich  hier  ohne  Zweifel 
um  ein  makulöses  Syphilid  zu  handeln 
schien,  untersuchte  H.  sofort  des  Patien- 
ten Genitalien,  die  gesund  waren,  und 
er  konnte  auch  keine  palpablen  Inguinal- 


drüsen  finden.  H.  konnte  nirgends  am 
Körper  des  Patienten  irgend  eine  ver- 
dächtige Läsion  konstatieren  und  war  be- 
reits im  Begriff,  die  Erkrankung  auf  das 
Konto  der  bei  den  Franzosen  so  belieb- 
ten Diagnose  „Empoisonnement  du 
sang"  zu  setzen,  als  der  Patient  ihn  da- 
rauf aufmerksam  machte,  dass  er  ,,un 
trou  dans  la  bouche"  habe.  Es  handelte 
sich  also  um  eine  typische,  charakteristi- 
sche Initialsklerose.  Ungefähr  \l/2  cm 
hinter  der  oberen  Zahnreihe,  in  der  Mit- 
tellinie, nach  links  sich  ausdehnend,  fast 
kreisund,  von  der  Grösse  eines  ameri- 
kanischen Zehnzentstückes,  sass  am  har- 
ten Gaumen  der  harte  Schanker.  Das 
Geschwür  selbst  war  speckig  belegt,  mit 
deutlich  indurierten  Rändern  und  schien 
dem  Patienten  fast  keine  Beschwerden 
zu  bereiten.  Die  Drüsen  auf  beiden  Sei- 
ten des  Halses  waren  geschwollen,  be- 
sonders links,  und  konnten  deutlich  bis 
zur  Submaxillargegend  verfolgt  werden. 
Andere  Drüsen  konnte  H.  nicht  finden. 
Patient  hatte  z.  Z.  Temperatur  102°  F. 
H.  stellte  nun  die  Diagnose  harter 
Schanker  und  Syphilis,  und  der  Patient 
teilte  ihm  dann  mit,  dass  er  selbst  sich 
solches  schon  gedacht  hätte,  aber  wie  der 
Schanker  auf  diese  seltene  Stelle  gekom- 
men, wollte  er  nicht  erzählen.  Nach 
Einleitung  der  Quecksilberkur  sah  H. 
den  Patienten  nicht  mehr  wieder.  (Der- 
matologisches Zentralbl.,  9.Jhrg.,  No.  5.) 

C.  Boeck  (Christiania)  :   U eher  einige 
Versuche  mit  Sajodin. 

Aus  seinen  Beobachtungen  zieht  B. 
folgende  Schlussfolgerungen : 

Im  Sajodin  besitzen  wir  ein  wirk- 
sames Mittel  gegen  sekundäre  und  ter- 
tiäre Lues,  allerdings  wirkt  das  Mittel 
weniger  intensiv  als  Jodkalium.  Dafür 
wirkt  aber  Sajodin  viel  milder  auf  den 
Organismus  und  hat  nicht  die  Neben- 
wirkungen im  Gefolge,  die  man  fast 
regelmässig  bei  Anwendung  der  Jod- 
kalien  sieht.  Bei  schwächlichen  nervö- 
sen Individuen,  bei  denen  man  nach  Jod- 
kalidarreichung so  oft  schwere  Störun- 
gen des  Allgemeinbefindens  beobachtet, 
dürfte  das  milder  wirkende  Sajodin  ganz 
speziell  indiziert  sein.  Es  scheint  viel- 
leicht auch  geeignet  zu  sein,  die  Toleranz 
für  Jodkalien  vorzubereiten  in  Fällen,  wo 


68 


New    Yorker  Medizi 


nische  Monatsschrift. 


man  diese  energisch  wirkenden  Mittel 
nicht  entbehren  kann.  Sajodin  ist  über- 
all da  vorzuziehen,  wo  eine  plötzliche 
starke  lokale  Reaktion  mit  Gefahren  ver- 
bunden ist,  z.  B.  bei  Larynxaffektionen, 
Cerebrallues  etc.  'Auch  bei  Psychosen 
auf  luetischer  Basis,  wo  bekanntlich  Jod- 
kali  sehr  leicht  Kriesen  hervorruft,  wird 
das  Sajodin  mit  Vorteil  Verwendung 
finden.  Sajodin  ist  als  Pulver  sehr  gut 
einzunehmen.  Höhere  Dosen  als  3  g 
täglich  wurden  nicht  gegeben,  obwohl 
von  anderen  Klinikern  bis  zu  5  g  täg- 
lich oft  schon  verordnet  worden  ist. 
(Pharmacie,  No.  11,  1906,  und  Therap. 
Revue  der  Allg.  Wiener  med.  Ztg.,  1907. 
S.  6.) 

Tansard:  Behandlung  der  chroni-- 
sehen  gonorrhoisclicn  Urethritis  mit 
Kol  largo! . 

Nachdem  der  Ver fasser  früher  bei  der 
Behandlung  akuter  Gonorrhöen  (zwei- 
mal täglich  Urethra-Blasenspülungen 
mit  1  Liter  Kollargollösung  1  :  50)  eine 
starke  gonokokkentötende  Wirkung  und 
eine  absolute  Reizlosigkeit  des  Kollar- 
gols  auf  Urethra  und  Blase  konstatiert 
hatte,  hat  er  es  nun  in  ausgedehntem 
Masse  bei  der  Behandlung  alter  chroni- 
scher Urethritiden  in  vierprozentiger 
Lösung  verwendet.  Von  dieser  Lösung 
instillierte  er  2  ccm.  deren  Wirkung  er 
in  ganz  veralteten  Fällen  mit  tiefen  Lä- 
sionen der  Mukosa  dadurch  zu  verstär- 
ken sucht,  dass  er  nach  vorausgegange- 
ner Benique-Sondenmassage,  Spülung 
und  Instillation  der  Urethra  hinter  der 
Glans  mittels  eines  Fadens  abschnürt, 
was  eine  unter  Umständen  stundenlange 
Einwirkung  des  Kollargols  ermöglicht. 
In  allen  alten  Fällen  verschwinden  die 
Gonokokken  in  weniger  als  30  Instilla- 
tionen. Im  Anfang  der  Behandlung  tritt 
manchmal  eine  nur  kurz  dauernde  Stei- 
gerung des  Ausflusses  auf.  •  Cystitis  be- 
handelte der  Autor  mit  einmal  täglichen 
Instillationen  von  3—4  ccm  der  vierpro- 
zentigen  Lösung  und  heilte  dadurch  fünf 
von  sechs  Fällen  in  weniger  als  acht 
Tagen.  Neben  seiner  deutlichen  Wir- 
kung auf  Gonokokken  hat  das  Kollargol 
dem  Verfasser  Vorzüge  gezeigt,  die  kein 
anderes  Präparat  aufzuweisen  hat:  1. 
absolute  Reizlosigkeit  auf  Urethra  und 


Ulase,  2.  absolute  Schmerzlosigkeit  der 
Behandlung,  3.  Unmöglichgeit,  durch 
Anwendung  zu  starker  Lösungen  Aetz- 
wirkungen  zu  erzeugen,  da  das  Kollargol 
absolut  nicht  ätzt.  (Journal  des  Prati- 
ciens,  1906.) 

Mollereau  (Paris):  Behandlung 
der  Anasar ka  mit  intravenösen  Kol- 
largolinjcktioncn. 

Da  die  von  Dieckerhoff  einge- 
führte und  auch  von  Prof.  Thomas- 
sen  in  Utrecht  (,,Rev.  Gen.  de  Med. 
Vet.",  15.  März  1904)  mit  Erfolg  ange- 
wandte Behandlung  der  Anasarka  durch 
tägliche  intravenöse  Kollargolinjektionen 
in  die  Jugularis  —  je  25  ccm  der  2%igen 
Lösung  —  in  Frankreich  noch  nicht  ge- 
nügend bekannt  ist,  teilt  Verfasser  die 
Geschichte  von  neun  von  ihm  auf  diese 
Weise  behandelten  Fällen  mit.  Mit  Aus- 
nahme eines  Falles,  der  schon  mit  einer 
Temperatur  von  41°  in  Behandlung  kam, 
trat  immer  Heilung  ein  und  zwar  durch- 
schnittlich nach  fünf  Injektionen,  deren 
jede  von  einem  Sinken  der  erhöhten 
Temperatur  begleitet  war.  Bei  Verwen- 
dung nicht  frischer  Kollargollösung  tra- 
ten gelegentlich  vorübergehende  Erreg- 
ungszustände auf ;  auch  schien  in  diesen 
Fällen  die  therapeutische  Wirkung  aus- 
zubleiben. Gleichzeitiger  Gebrauch  von 
Diureticis  empfiehlt  sich.  Wenn  auch 
die  Zahl  der  behandelten  Fälle  nicht  sehr 
bedeutend  ist,  so  sind  die  Resultate  doch 
so  günstig,  dass  sie  zu  weiteren  Ver- 
suchen auffordern.  (Recueil  de  Med. 
Vet.,  1905.  No.  24.) 

S.  Moser  (Weimar)  :  Uebcr  die  Wei- 
terbehandlung von  Fingcrvcrlctrjun- 
gen. 

Autor  empfiehlt  bezüglich  der  Weiter- 
behandlung der  Fingerverletzungen  das 
folgende  Verfahren :  ,,Jede  frische,  ge- 
reinigte und  geglättete  Wunde  wird, 
wenn  es  irgend  angängig  ist,  durch  Naht 
geschlossen,  mit  reinem  Ichthyol  reich- 
lich bestrichen,  mit  Gaze  und  Watte  be- 
deckt und  der  Finger  unter  steifem  Gaze- 
verband völlig  ruhig  gestellt.  Die  an- 
deren Finger  bleiben,  abgesehen  bei 
Sehnennähten  frei,  um  so  den  Verletzten 
die  Möglichkeit  zu  geben,  die  Hand  so 


New    Yorker    Medizinische  Monatsschrift. 


69 


gut  es  geht  zu  gebrauchen.  Ist  die  Naht 
nicht  notwendig,  respektive  nicht  an- 
gängig, nehme  man  zum  Verband  eine 
mindestens  30%ige  Ichthyolsalbe  — 
reichlich  aufgetragen  —  und  verfahre 
weiter  wie  oben  angegeben.  Keine  auf 
diese  Weise  behandelte  Naht  oder 
Wunde  ist  vereitert,  auch  schwere 
Quetschungen  heilten  ohne  Eiterung  an- 
standslos und  sehr  rasch  konnten  die 
Verletzten  ihre  Arbeit  wieder  aufneh- 
men. Handelt  es  sich  um  schon  infizierte 
Wunden,  setze  man  obiger  Ichthyolsalbe 
noch  Argentum  colloidale  5  bis  10% 
hinzu.  Als  Salbengrundlage  benützt 
Moser  gern  Vasenolum  liquidum. 
Gaze  lässt  sich  sehr  gut  mit  diesem  flüs- 


sigen Gemisch  tränken  und  zum  Tampo- 
nieren, respektive  Drainieren  der  In- 
zisionswunden  verwenden.  Das  Bren- 
nen, das  beim  Anbringen  -  von  Ichthyol 
auf  Wunden  entsteht,  ist  ein  rasch  vor- 
übergehendes. Ein'  Weitergehen  der  In- 
fektion hat  M.  bei  diesem  Verfahren  bei 
seinen  immerhin  an  Zahl  nicht  geringen 
Fällen  nie  beobachtet,  wohl  aber  öfters 
einen  überraschend  prompten  Stillstand 
und  baldige  Heilung.  Ein  öfterer  Wech- 
sel des  Verbandes  —  bei  infektiösen 
Wunden  anfangs  täglich  —  ist  aller- 
dings notwending.  •  Diese  Art  der  Be- 
handlung war  eine  viel  zufriedenstellen- 
dere "als  früher  unter  Gebrauch  von 
Jodoform,  Xeroform  u.  dgl." 


Sitzungsberichte 


Deutsche  Medizinische  Gesellschaft  der  Stadt  New  York. 


Extra-Sitzung    Montag,    den    25.  Fe- 
bruar 1907. 

Präsident  Dr.  Carl  Beck  eröffnet 
die  Sitzung  und  ie  Versammlung  tritt 
sofort  in  die  Tagesordnung  ein. 

Dr.  C  h.  Jaeger:  Sechs  Fälle 
von  gonorrhoischen  Exostosen.  (Ge- 
schichte und  Demonstration  durch 
Röntgenbilder.) 

Prof.  Dr.  Th.  Schott  von  Nau- 
heim wird  der  Versammlung  vom 
Präsidenten  vorgestellt  und  hält  einen 
Vortrag  über  Methoden  und  Fort- 
schritte in  der  Behandlung  von  chroni- 
schen Herzkrankheiten. 

Diskussion.  Dr.  Alfred  Meyer: 
Bei  aller  Anerkennung  des  Wertes  der 
Nauheimer  Behandlung  scheint  es 
doch  angebracht,  vor  den  übertriebe- 
nen Anzeigen  des  Erfolges  der  Nau- 
heimer  Bäder  zu  warnen.  Eine  ge- 
wisse Reaktion  gegen  Nauheim  wurde 
durch  die  Veröffentlichungen  von 
Bezley  Thorne  in  England  her- 
vorgerufen, der  über  einige  fabelhafte 
Fälle  von  Herzverkleinerung  infolge 
der  Nauheimer  Behandlung  berichtete. 
Ueber  die  Grösse  des  Herzens,  sei  es 


des  normalen  oder  des  durch  Hyper- 
trophie veränderten  Herzens,  besteht 
jedoch  immer  ein  gewisser  Zweifel, 
Weder  die  Röntgen-Strahlen  noch  das 
Fluoroskop  geben  ein  vollkommenes 
Bild  der  Grösse  des  Herzens,  wir  sind 
vielmehr  gezwungen,  die  Grösse  abzu- 
schätzen. Ich  habe  manche  gute  Ar- 
beit mit  dem  Orthodiagraph  gesehen, 
aber  obwohl  mir  die  Möglichkeit  einer 
genauen  Messung  des  Herzens  in  der 
Zukunft  vorschwebt,  so  glaube  ich 
doch  nicht,  dass  wir  das  Bild  des  Or- 
thodiagraphen  ohne  weiteres  als  voll- 
wertig annehmen  können.  Ich  glaube, 
die  gute  Sache  der  Nauheimbehand- 
lung kann  durch  die  in  anderen  Län- 
dern erschienen  Artikel  nur  geschädigt 
werden. 

Ferner  sollte  Dr.  B  e  n  e  k  e  mehr 
Kredit  gegeben  werden.  Er  war  der 
eigentliche  Vater  der  Nauheimer  Be- 
handlung. Wenn  Dr.  Schott  auch 
wesentlich  zu  dem  Ruhm  dieser  Be- 
handlung beigetragen  hat,  so  scheint 
es  mir  doch,  dass  B  e  n  e  k  e's  Arbeiten 
über  die  Grösse  des  menschlichen  Her- 
zens nicht  genügend  geschätzt  wer- 
,  den.  Ich  weiss,  dass  Schriften  gegen 
ihn   veröffentlicht  worden   sind,  aber 


70 


New    Yorker    Medizinische  Monatsschrift. 


wenn  von  Nauheimer  Behandlung  die 
Rede  ist,  sollte  seiner  immer  in 
freundlicher  Weise  gedacht  werden. 

Prof.  Schott  hat  die  Versehen 
nicht  erwähnt,  die  gelegentlich  bei 
dem  künstlichen  Nauheimer  Bad  ge- 
macht werden.  Dr.  Caraac  berich- 
tete im  „John  Hopkins  Hospital  Bul- 
letin" vor  ungefähr  9  Jahren  über  selt- 
same Vorkommnisse  beim  Gebrauch 
der  künstlichen  Nauheimer  Bäder  im 
Westen.  Als  nämlich  die  Salzsäure  in 
das  Wasser  getan  wurde,  entwickelten 
sich  Dämpfe  von  Chlorgas,  und  der 
Patient  erstickte  beinahe ;  man  hatte 
anstatt  Calcium  Chloride,  wahrschein- 
lich Calcium  Hypochloride  gebraucht. 
Ich  möchte  also  alle  die  warnen,  die 
jene  Veröffentlichung  nicht  gelesen 
haben.  Natürlich  kann  so  etwas  in 
Nauheim  selbst  nicht  vorkommen,  und 
das  ist  vielleicht  Grund  genug,  eine 
Reise  übers  Meer  zu  machen.  Für  die 
Amerikaner  ist  es  trotz  der  Anstreng- 
ung einer  Seereise  von  grossem  Werte, 
wenn  sie  sich  einmal  vollständig  vom 
Geschäft  trennen  und  nach  Deutsch- 
land gehen,  und  wenn  Deutschland 
sich  industriell  so  zu  entwickeln  fort- 
fährt, wie  ich  es  zu  meinem  grossen 
Erstaunen  letzten  Sommer  nach  länge- 
rer Abwesenheit  gesehen  habe  und 
wenn  die  Schornsteine  dort  so  überall 
aus  der  Erde  zu  wachsen  fortfahren 
wie  in  den  letzten  Jahren,  dann  wer- 
den wir  hier  ein 'amerikanisches  Nau- 
heim einrichten  müssen,  und  Dr. 
Schott  wird  uns  deutsche  Patienten 
hierher  schicken  müssen,  wie  wir  sie 
ihm  jetzt  nach  Deutschland  senden. 

Dr.  G.  Mannheimer:  Ich  denke, 
wir  sollten  uns  die  Gelegenheit  nicht  ent- 
gehen lassen,  Fragen  zu  stellen ;  denn 
wir  werden  selten  einen  Gast  unter  uns 
haben,  der  eine  solche  Erfahrung  in 
Herzkrankheiten  besitzt.  So  möchte  ich 
Herrn  Dr.  S  c  h  o  t  t's  Ansicht  hören 
über  den  Gebrauch  von  Alkohol,  Thee 
und  Kaffee  seitens  Herzkranker.  Fer- 
ner über  die  Diät:  Gibt  es  eine  spezielle 
Diät,  die  durch  die  Herzkrankheit  als 
solche  indiziert  ist  ?  Weiterhin  über 
medikamentöse  .  Behandlung,  speziell  die 
Kombination  von  Digitalis  mit  anderen 
Drogen.  F.  A.  Hof  fma  n  n  hat  kürz- 
lich in  einem  Vortrage  die  kranken  Her- 


zen vom  therapeutischen  Standpunkt  in 
3  Gruppen  geteilt :  in  Digitalis-,  Jod- 
und  Kaltwasserherzen.  Was  hält  der 
Herr  Vortragende  von  dieser  Idee  ? 

Prof.  Dr.  Tli.  Schott:  Ich  muss 
sagen,  eine  Klassifikation,  wie  sie  Hof  f- 
mann  gegeben  hat,  ist  uns  anderen 
Deutschen  absolut  unverständlich.  Ich 
glaube  nicht,  dass  überhaupt  eine  der- 
artige Einteilung  gemacht  werden  kann. 
Ich  kann  natürlich  hier  nicht  auf  die 
Sache  näher  eingehen.  Aber  ein  Herz, 
das  nur  auf  ein  Jod-  oder  Digitalis 
oder  irgend  ein  spezifisches  Mittel  ein- 
gehen soll,  das  kennen  wir  nicht,  und 
ich  muss  sagen,  ich  habe  diese  Arbeit 
nicht  einmal,  sondern  dreimal  durchge- 
lesen und  mir  immer  gesagt,  was  hat 
sich  eigentlich  Hoffmann  darunter 
gedacht?.  Eine  Reaktion,  wie  wir  sii 
bei  der  Chemie  in  der  Retorte  haben, 
haben  wir  leider  nicht  auf  das  Herz,  und 
ich  möchte  nur  das  eine  ausführen. 
Wenn  H  o  f  f  m  a  n  n  ein  Herz  ein 
Digitalis  -  Herz  nennt,  so  ist  damit 
nicht  angegeben,  wo  das  Digitalis- 
Herz  eigentlich  zu  suchen  ist.  Das 
eine  Mal  habe  ich  bei  derselben  Kate- 
gorie von  Patienten  gefunden,  dass 
Digitalis  wirkt,  das  andere  Mal  nicht. 
In  Boston  wurde  mir  dieselbe  Frage  vor- 
gelegt. Sie  haben  alle  gehört  und  ge- 
lernt, dass  bei  Myokarditis  die  Digitalis 
entweder  gar  nicht  oder  sehr  unzuläng- 
lich wirkt.  Dem  kann  ich  nicht  beistim- 
men. Ich  habe  Fälle  gesehen,  wo  sie  bei 
vorgeschrittener  Myokarditis,  bei  Fett- 
herz ganz  ausgezeichnet  gewirkt  hat. 
Ich  glaube  nicht,  dass  ich  mich  auf  Bad 
und  Gymnastik  beschränke.  Ich  stehe 
auf  dem  Standpunkt,  jeder  Arzt  soll  dem 
Patient  helfen  so  rasch,  so  gut  er  kann. 
Wenn  ich  ein  Fettherz  mit  Oedem  habe 
und  finde  Embolie,  wie  ich  das  im  vori- 
gen Herbst  erlebt  habe,  so  kann  ich  mich 
nicht  darauf  beschränken,  erst  die  Wirk- 
ung des  Bades  oder  der  Gymnastik  ab- 
zuwarten, und  nun  finde  ich  bei  dersel- 
ben Kategorie,  dass  einmal  Digitalis 
wirkt,  das  andere  Mal  nicht.  Eine  solche 
Klassifikation  halte  ich  für  ein  Phanta- 
siegebilde, sie  existiert  nicht  und  hat  bei 
uns  in  Deutschland  absolut  keinen  An- 
klang gefunden.  Jedenfalls  bin  ich  nicht 
imstande,  dem  beizustimmen,  und  ich 
kann  nach  der  Richtung  dem  Kollegen 


New    Yorker    Medizinische  Monatsschrift. 


7i 


M  annheimer  keine  genaue  Aus- 
kunft geben :  mit  meiner  Beobachtung 
verträgt  sich  die  Klassifikation  nicht. 

Was  den  Alkohol  anbelangt,  so  wissen 
Sie,  dass  in  Deutschland  Alkohol  viel- 
fach missbraucht  worden  ist.  Ich  möchte 
den  Alkohol  als  Stimulans  für  das  Herz 
nicht  entbehren,  natürlich  nur  in  sehr  ge- 
ringer, milder  Dosis.  Ich  kenne  kaum 
ein  besseres  Anregungsmittel  für  ein  ge- 
schwächtes Herz  als  unverfälschten  alten 
Rheinwein.  Da  können  Sie  sehen,  dass 
das  Herz  viel  kräftiger  zu  schlagen  an- 
fängt. Wenn  dieser  nicht  zur  Verfügung 
steht,  gebe  ich  den  Rat,  dem  Patienten  1 
oder  2  Theelöfifel  voll  alten  reinen 
Cognac  zu  geben.  Aber  grössere  Men- 
gen von  Alkohol  darf  man  nicht  geben, 
die  peitschen  das  Herz  unaufhörlich,  und 
dann  können  Sie  leicht  einen  Kollapszu- 
stand darnach  sehen. 

Gegen  den  Alkohol  ist  meiner  Mein- 
ung nach  in  ganz  unangebrachter  Weise 
zu  Felde  gezogen  worden.  Eine  hoch- 
stehende englische  Dame  kam  einst,  da 
ich  bei  einer  Freundin  von  ihr  alten 
Rheinwein  verordnet  hatte,  atemlos  in 
meine  Sprechstunde  und  frug  mich, 
wie  ich  einer  Temperenzlerin  Alko- 
hol verordnen  könne.  Ich  erklärte 
ihr,  dass  ich  das  nach  meinem  Ge- 
wissen für  das  beste  hielt.  Sie  er- 
widerte :  „Warum  haben  Sie  ihr  nicht 
Aether  gegeben?"  Sie  werden  darüber 
lachen.  Aber  grössere  Mengen  Alkohol 
können  nach  zwei  Richtungen  schaden, 
erstens  durch  die  Reizung  und  zweitens 
durch  das  grössere  Quantum,  das  in  den 
Magen  genommen  wird. 

Ueber  die  Diätfrage  habe  ich  vor  3 
Jahren  einen  längeren  Artikel  veröffent- 
licht, und  ich  wüsste  nicht,  wie  ich  in  der 
kurzen  Zeit  von  wenigen  Minuten  ge- 
nauere Angaben  machen  könnte.  Die 
Prinzipien  sind  sehr  einfach.  Jede  starke 
Füllung  des  Magens  ist  zu  vermeiden, 
aus  mechanischen  Gründen  und  Druck- 
steigerungsgründen. Sie  führt  zu  Kom- 
pression der  Lunge  und  führt  dazu,  dass 
das  Zwerchfell  das  Herz  nach  aussen  und 
oben  treibt  und  das  Herz  dadurch  zap- 
pelig wird.  Es  kommt  nach  grossen 
Mahlzeiten  häufig  vor,  dass  dann  durch 
die  starke  Anfüllung  der  intra-abdomi- 
nale  Druck  gesteigert  wird,  und  das 
wirkt  auch  auf  die  Gefässe,  und  das 


Herz  hat  dagegen  zu  kämpfen  und  zap- 
pelt sich  ab. 

Dass  sehr  starke  Gewürze  durch  Nie- 
renreizung schädlich  wirken,  ist  selbst- 
verständlich. Dass  sich  die  kohlensauren 
Getränke  dadurch  verbieten,  dass  sie  Ma- 
gen und  den  ganzen  Leib  aufblähen,  ist 
ebenfalls  einleuchtend.  Schwer  verdau- 
liche Substanzen  wie  frisches  Brot  müs- 
sen vermieden  werden.  Es  lässt  sich  da 
ein  ganzes  Schema  aufstellen,  aber,  wie 
gesagt,  ich  kann  hier  nicht  auf  Einzel- 
heiten eingehen.  Die  Nahrung  sei  eine 
leicht  verdauliche,  grössere  Mengen  sind 
zu  verhüten,  gährende  oder  aufblähende 
Getränke  und  Speisen  sind  zu  vermeiden. 

Vor  ungefähr  25  Jahren  stand  ich  fast 
allein,  als  ich  auf  die  Gefahr  des  Tabaks 
aufmerksam  machte,  und  ich  hatte  einen 
kleinen  wissenschaftlichen  Streit  mit 
einem  französischen  Arzt.  Ich  hatte  bei 
Matrosen  und  Kapitänen  den  Einrluss 
des  Schnupfens  und  Kauens  und  bei  an- 
deren den  Einfluss  des  Rauchens  gesehen 
und  eine  ganze  Anzahl  von  Fällen  be- 
obachtet, in  denen  gar  keine  andere  Ur- 
sache für  das  Zustandekommen  frühzei- 
tiger Arteriosklerose  vorhanden  sein 
konnte  als  unsinniges  Rauchen,  vor  allem 
auch  von  frischen  Zigarren,  gleichgiltig, 
ob  dies  frische  Havanna-  oder  frische 
Pfälzer  Zigarren  waren.  Auf  dem  vor  2 
Jahren  abgehaltenen  Kongress  für  in- 
nere Medizin  war  auch  nicht  ein  einziger, 
der  nicht  auf  die  ausserordentlich  schäd- 
liche Wirkung  des  Rauchens  bezüglich 
des  Entstehens  der  Arteriosklerose  auf- 
merksam gemacht  hat.  Vielleicht  ist 
man  heute  eher  geneigt,  die  Sache  etwas 
zu  übertreiben,  aber  jedenfalls  steht  fest, 
dass  Alkohol,  Nikotin  und  am  meisten 
Lues  hochgradige  und  frühzeitige  Ar- 
teriosklerose verursachen  können. 

Dr.  J.  H  o  f  f  m  a  n  n  :  Jeder  prakti- 
sche Arzt  hat  Fälle  von  Hvperkynesis 
zu  beoabchten,  ich  meine  die  Hvperky- 
nesis der  Neurastheniker.  Es  ist  sehr 
häufig  dass  Neurastheniker  einer  echten 
Herzneurose  unterworfen  sind,  die  sich 
auch  durch  echte  Herzkrämpfe  äussert. 
Sie  haben  Krämpfe  beim  Lesen,  beim 
Aufblicken  an  sehr  hohen  Gebäuden;  sie 
können  am  hellen  Tage  Herzkrämpfe  be- 
kommen, wobei  sie  unter  Auslösung  eines 
Rerlexschreis  nach  dem  Boden  streben, 
um  sich  sofort  wieder  zu  erheben.  Die- 


72 


New    Yorker    Medizinische  Monatsschrift. 


ser  periodische  Krampf  zustand  kann 
rasch  wieder  vorübergehen,  aber  er  kann 
10,  15,  20  und  mehr  Jahre  anhalten. 
•Solche  Neurastheniker  haben  oft  ganz 
eigentümliche  Gefühle,  abgesehen  vom 
Alpdrücken  den  sogenannten  Stimm- 
ritzkrampf, der  sie  aus  dem  Bette 
schreckt  und  am  Boden  einige  Schritte 
krabbeln  lässt,  wonach  sie  sich  wieder 
legen,  als  ob  gar  nichts  passiert  wäre. 
Manchmal  haben  sie  das  sonderbare  Ge- 
fühl, als  ob  sie  jemand  anbläst,  auf  die 
Hand,  das  Gesicht  u.  s.  w.  Oder  wenn 
sie  in  der  Zeitung  lesen,  dass  ein  Luft- 
schiffer 3000  Fuss  über  dem  Boden  am 
Trapez  turnt,  werfen  sie  rasch  die  Zei- 
tung weg  und  schliessen  die  Augen. 
Ebenso  können  sich  Krämpfe  einstellen 
beim  Urinieren  und  oft  sehr  heftige  beim 
Beischlaf ;  ebenso  bei  Anhörung  eines 
Konzerts,  desto  mehr,  je  näher  der  Neu- 
rastheniker der-  Musik  sitzt,  und  beim 
Selbstmusizieren,  besonders  auf  Streich- 
instrumentn.  Das  sogenannte  Ver- 
schlucken ist  eine  häufige  Erscheinung 
und  das  Zucken  oder  Emporwerfen  des 
ganzen  Körpers  vor  dem  Einschlafen. 
Nach  dem  Erwachen  treten  Palpitationen 
auf.  Nach  reichlichen  Mahlzeiten  oder 
Uebernächtigkeit  leiden  derartige 
Kranke  sehr.  Eine  Hyperkynesis  muss 
nicht  notwendigerweise  von  einem  sub- 
jektiven Gefühl  begleitet  sein  und  umge- 
kehrt kann  der  Kranke  eine  Hyperky- 
nesis empfinden,  ohne  dass  eine  ver- 
stärkte Herzaktion  nachweisbar  ist. 
Kurz,  ich  hätte  über  die  Behandlung 
solcher  Neurastheniker  mit  vorwaltender 
Konvulsion  des  Herzens  gern  etwas  ge- 
hört. 

Ich  wollte  noch  hinzufügen,  dass  sol- 
che Kranke  sich  beim  Einschlafen  helfen, 
indem  sie  da,  wo  sie  solche  Konvulsionen 
empfinden  —  der  Ort  wechselt  —  die 
Fingerspitzen,  die  Daumen  oder  sogar 
die  zwei  Fäuste  zwischen  und  gegen  die 
Rippen  pressen.  Oder,  um  das  rasche 
Einschlafen  zu  vermeiden,  lang  wach 
bleiben,  resp.  langsam  einzuschlafen 
suchen. 

Dr.  I.  A  d  1  e  r  :  Es  tut  mir  ausser- 
ordentlich leid,  dass  ich  den  Vortrag 
nicht  hören  konnte.  Ich  war  ausserhalb 
der  Stadt  und  der  Zug  war  verspätet.  Ich 
habe  also  nicht  gehört,  was  Prof. 
Schott  gesagt  hat,  und  kann  deshalb 


an  der  Diskussion  nicht  teilnehmen.  Ich 
kann  nur  meiner  Freude  darüber  Aus- 
druck geben,  dass  wir  endlich  einmal  von 
autoritativer  Seite  etwas  Näheres  und 
Offizielles  über  die  Behandlung  gehört 
haben,  und  begrüsse  es  mit  grosser 
Freude,  dass  wir  einmal  den  Kollegen 
Schott  zu  rein  wissenschaftlichen 
Zwecken,  zur  Erläuterung  und  Aufklär- 
ung der  prakti sehen  Aerzte  über  Nau- 
heimer Verhältnisse  hier  gehabt  haben. 

Dr.  T  h.  Schott  (Schlusswort)  :  Ich 
möchte  Herrn  Dr.  Adler  für  seine 
freundlichen  Worte  danken  und  betonen, 
dass  ich  aus  dem  Grunde  hier  herüber 
gekommen  bin,  weil  ich  zu  meinem  gros- 
sen Schmerz  gesehen  hatte,  dass  die  Be- 
handlungsmethode, mit  der  vor  13  Jahren 
der  erste  Anfang  gemacht  wurde  und  die 
sich  durch  Bezley  T  hörne  eine 
Zeit  lang,  wenn  auch  langsam,  einen 
stetigen  und  richtigen  Weg  gebahnt  hat, 
in  den  letzten  5  Jahren  in  die  Kreise  von 
Masseuren  und  Masseusen,  vielleicht  so- 
gar von  Quacksalbern,  den  sogen.  Osteo- 
pathen  kam,  die  man  in  meinem  Lande 
nicht  kennt.  Ich  bekam  sogar  Bücher 
zugeschickt  und  sah  zu  meinem  Leid- 
wesen, dass  darin  grosse  Abhandlungen 
über  unsere  Methode  waren,  die  ganz 
anders  zur  Anwendung  gebracht  wurde. 
Besonders  sah  ich  die  ganz  unsinnige 
Reklame  von  der  Verwendung  künstli- 
cher Nauheim-Schott'scher  Bäder.  Jeder 
Patient,  der  nicht  nur  nach  Nauheim, 
sondern  auch  nach  Karlsbad,  Marien- 
bad kam,  wenn  er  amerikanischen  Ur- 
sprungs war,  konnte  sicher  sein,  dass 
ihm  auf  irgend  eine  Weise  eine  solche 
Reklameschrift  in  die  Hände  gespielt 
wurde,  und  auf  der  ersten  Seite  stand, 
Schott,  sagt,  man  kann  mit  den  künst- 
lichen Bädern  identische  Resultate  er- 
zielen. Das  hat  dazu  geführt,  dass  das 
Publikum  nicht  mehr  zu  den  Aerzten 
gegangen  ist,  sondern  geglaubt  hat,  dass 
man  nichts  notwendig  habe,  als  einige 
von  diesen  Ingredienzien  ins  Wasser  zu 
werfen,  um  ein  Nauheim-Bad  zu  haben 
und  damit  ein  untrügliches  Mittel  für 
die  Behandlung  von  Herzkrankheiten, 
und  ich  habe  viele  Patienten  gesehen,  die 
in  dem  Glauben  zu  mir  kamen,  ohne  je 
nach  meinen  Vorschriften  behandelt 
worden  zu  sein.  Ich  habe  im  vorigen 
Jahr  zwei  Patienten  von  Baltimore  ge- 


New    Yorker    Medizinische  Monatsschrift. 


73 


habt,  die  hatten  unsere  Herzgymnastik 
von  Masseusen  gemacht  bekommen ;  das 
war  aber  nicht  Gymnastik,  sondern  Ath- 
letik in  höchster  Potenz.  Ich  sagte  mir, 
wenn  das  aufhören  soll,  so  ist  es  meine 
Pflicht,  zu  Ihnen  zu  kommen,  um  Ihnen 
zu  zeigen,  wie  wir  uns  eine  solche  Be- 
handlungsmethode vorstellen,  und  auch 
auf  die  Fehler  aufmerksam  zu  machen, 
die  sich  auf  diese  Weise  eingeschlichen 
haben.  Und  da  komme  ich  noch  auf 
einen  anderen  Punkt,  nämlich  dass  in 
der  letzten  Zeit  leider  Gottes  die  Kontra- 
indikation selbst  von  meiner  Nauheim- 
seite nicht  mehr  so  in  den  Vordergrund 
gestellt  wird,  dass  Fälle,  die  gar  nicht 
mehr  einer  solchen  Behandlungsmethode 
zugänglich  sind,  trotzdem  behandelt 
werden  und  dass  dann  die  Todesfälle 
nach  der  Richtung  nicht  unbedeutend 
sind.  Und  dann  sind  Theorien  aufge- 
stellt worden,  mit  denen  sich  unsere 
Wissenschaft  nicht  befreunden  kann. 
Kurz,  ich  danke  Herrn  Dr.  Adler  da- 
für, dass  er  mich  veranlasst  hat,  meinen 
Standpunkt  hier  zu  erörtern. 

Nun  möchte  ich  einige  Punkte,  die  be- 
rührt worden  sind,  der  Reihe  nach  er- 
wähnen. (Ein  Mitglied:  Wie  steht  es 
mit  Kaffee  und  Thee?)  Was  Kaffee 
und  Thee  anbelangt,  so  gibt  es  ein  abso- 
lutes Verbot  nicht.  Ein  schwacher  Kaf- 
fee oder  Thee  kann  hie  und  da  anregend 
wirken.  Durchschnittlich  suche  ich  bei 
Herzkranken  diese  Dinge  zu  vermeiden, 
denn  hier  kann  sehr  leicht  jede  Anreg- 
ung zu  einer  Aufregung,  jede  Aufregung 
zu  einer  Reizung,  jede  Reizung  zu  einer 
Ueberreizung  führen.  Also,  wenn  eini- 
germassen  möglich,  lasse  ich  meine 
Leute  am  liebsten  Milch  und  Kakao 
trinken.  In  Deutschland  wird  der  soge- 
nannte Malzkaffee  mehr  zur  Gewohn- 
heit, mit  dem  ich  mich  nicht  befreunden 
kann.  Dann  kommt  ein  sehr  leichter 
Thee,  vor  allem  Thee  mit  viel  Milch, 
dann  auch  verdünnter  Kaffee,  aber  ich 
gebe  dem  Thee  den  Vorzug,  wenn 
nicht,  wie  ich  das  bei  Engländern  ge- 
sehen habe,  eine  kolossale  Reizbarkeit 
des  Herzens  bereits  bei  Thee  stattge- 
funden hat  —  dann  kann  sich  allmählich 
eine  Idiosynkrasie  ausgebildet  haben  — 
sodass  verdünnter  Kaffee  viel  leichter 
wirkt  als  Thee. 

Was  Neurasthenia  cardis  anlangt,  so  ' 


habe  ich  bereits  i.  J.  '88  darüber  eine 
Abhandlung  geschrieben.  Das  ist  also 
eine  Herzaffektion,  die  eine  solche 
Summe  von  Bildern  darbietet,  mit  so 
wechselnden  Zuständen,  dass  es  sehr 
schwer  ist,  sie  in  wenigen  Worten  zu 
schildern.  Ich  will  betonen,  dass,  wenn 
man  eine  planmässige  mit  sehr 
schwachen  Widerständen  anfangende 
Gymnastik  anwendet,  man  ausgezeich- 
nete Erfolge  hat,  und  es  wird  Sie  interes- 
sieren, zu  wissen,  dass  mein  Bruder  und 
ich  unsere  Herzgymnastik  ursprünglich 
nicht  bei  Herzkranken  angewendet,  son- 
dern geradezu  neurasthenische  und  hy- 
sterische Kranke  ursprünglich  damit  be- 
handelt haben  mit  ihren  wechselnden 
Zuständen  und  dass  es  auf  diese  Weise 
nicht  zu  schwer  ist,  allmählich  ioni- 
sierende Wirkungen  auf  das  Herz  und 
das  gesammte  Nervensystem  herzustel- 
len. Doch  ist  hier  eine  stetige,  sehr  vor- 
sichtige Kontrolle  notwendig,  denn  sonst 
kann  man  sehr  leicht  die  Zustände  ver- 
stärken statt  sie  zu  beruhigen.  Wenn 
man  aber  vorsichtig  ist  und  grosse  Ruhe- 
pausen macht,  sodass  gar  keine  Ermüd- 
ung und  keine  Reizzustände  stattfinden, 
so  kann  man  eine  ganz  ausgezeichnete 
Beruhigung  hervorrufen.  Was  die  Ba- 
demethode bei  diesen  Leuten  anbelangt, 
so  ist  selbstverständlich  auch  ein  ganz 
vorsichtiges  Vorgehen  notwendig.  Dass 
man  keine  heissen  Bäder  verwenden 
darf,  dass  man  mit  ganz  kalten  Bädern 
vorsichtig  sein  muss,  versteht  sich  von 
selbst.  Das  brauche  ich  nicht  zu  sagen, 
dass  die  psychische  Therapie  bei  solchen 
Leuten  eine  kolossale  Rolle  spielt.  Das 
sind  die  Patienten,  die  dem  Arzt  die 
meiste  Schwierigkeit  machen.  Sie  kom- 
men vormittags  und  nachmittags  in  die 
Sprechstunde,  und  die  Geduld  des  Arz- 
tes muss  diese  Menschen  psychisch  be- 
ruhigen. Ich  werde  ihnen  solche  Men- 
schen vorführen,  wenn  Sie  nach  Nau- 
heim kommen,  und  werde  Ihnen  zeigen, 
wie  es  gelingt,  solche  Patienten  zu  be- 
ruhigen und  ihr  Nervensvstem  zu  kräfti- 
gen. Ein  Freund  von  mir  hat  für  diese 
Zustände  eine  sogen.  Herzstütze  erfun- 
den, die  vorübergehend  gut  wirkt.  Dass 
das  Herz  nicht  eine  ganz  andere  Lage 
annimmt,  halte  ich  für  selbstverständlich. 
Er  hat  sich  darin  getäuscht.  Doch  kann 
vorübergehend  ein  ganz  ausgezeichneter 


74 


New    Yorker    Medizinische  Monatsschrift. 


Erfolg  damit  erzielt  werden.  Aber  es 
gibt  auch  andere  Mittel  genug. 

Nun  komme  ich  auf  die  vom  Kollegen 
Dr.  Alfred  Meyer  erwähnten 
Punkte  zu  sprechen.  Ich  will  da  chrono- 
logisch vorgehen.  Was  die  Perkussion 
des  Herzens  anbelangt,  so  möchte  ich  be- 
tonen, dass  auch  hier  mein  Bruder  mit 
seiner  seitlich  abgedämpften  Perkussion 
in  dieser  Diagnostik  geradezu  bahn- 
brechend gewirkt  hat.  Leider  hat  er  sie 
in  einem  Buch  veröffentlicht,  das  nur 
eine  kleine  Auflage  gehabt  hat,  sodass 
diese  Methode  nicht  bekannt  geworden 
ist.  Aber  ich  habe  sie  hier  vielfach 
demonstriert.  Ich  lege  nicht  den  Haupt- 
wert auf  die  absolute  Grösse  des 
Herzens.  Das  möchte  ich  besonders  be- 
tonen. Denn  es  ist  mit  dem  Ürthodia- 
graphen  wie  mit  dem  Radiogramm  und 
anderen  Mitteln.  Es  ist  absolut  unmöglich, 
die  Grösse  des  Herzens  bis  auf  Zenti- 
meter festzustellen.  Dazu  sind  die  Herz- 
grenzen nicht  scharf  genug.  Wir  haben 
keinen  absoluten  Anhaltspunkt  von  der 
Entfernung  des  Patienten  und  auch  da- 
für nicht,  ob  sich  das  Herz  nicht  nach 
dem  Bad  oder  der  Gymnastik  in  seiner 
Lage  verschiebt  und  nicht  mehr  dieselbe 
Grösse  hat.  Und  so  lege  ich  viel  mehr 
WTert  auf  die  Formveränderung  als  auf 
die  absolute  Grösse.  Was  nun  die  An- 
gaben von  Moritz  anbetrifft,  diese 
minutiösen  Bestimmungen  der  Herz- 
grenze, so  halte  ich  sie  für  absolut  unzu- 
verlässig. Das  bringen  wir  nicht  fertig, 
vor  allem  nicht  in  der  liegenden  Stellung 
des  Patienten.  Da  verschiebt  sich  das 
Herz  nach  allen  Richtungen  und  bewegt 
sich  ganz  un regelmässig.  Dann  wissen 
wir  nie,  in  welcher  Phase  wir  das  Herz 
in  dem  Augenblick  festgehalten  haben. 
Sie  wissen  nie,  ob  Sie  das  Herz  in 
mittlerer  Stellung,  in  systolischer  oder 
diastolischer  Stellung  photographiert 
haben,  und  mit  dem  Durchleuchtungs- 
schirm das  so  genau  festzustellen,  halte 
ich  für  unmöglich. 

Mein  Bruder  und  ich  waren  immer 
diejenigen,  die  Beneke  gegenüber  un- 
sere Dankbarkeit  bezeugt  haben,  denn  er 
war  der  erste,  der  die  Aufmerksamkeit 
auf  die  Sache  gelenkt  hat  und  es  uns  er- 
möglicht hat,  Herzkranke  zu  behandeln. 

Nun  komme  ich  auf  einen  Punkt,  der 
auch  für  mich  sehr  wichtig  ist.  Camac 


war  bei  mir  im  Winter.  Er  war  mir  von 
Osler  geschickt  worden  und  hat  die 
Sache  bei  mir  studiert,  aber  die  Vor- 
sichtsmassregeln, die  ich  ihm  gegeben 
und  hier  geschildert  habe,  ausser  Acht 
gelassen.  Man  muss  sehr  vorsichtig  mit 
der  Salzsäure  sein.  Man  legt  sie  ent- 
weder in  das  Wasser  hinein  oder  giesst 
sie  über  das  Wasser  aus.  Aber  die  Salz- 
säureflasche  muss  erst  untergetaucht 
werden,  so  dass  keine  Salzsäure  in  die 
Luft  entweichen  kann.  Mit  Chlorkal- 
cium  muss  man  sehr  vorsichtig  sein.  Es 
ist  ein  Mittel  von  kolossaler  kaustischer 
Wirkung  auf  die  Haut,  und  infolge  des- 
sen muss  man  mit  einem  solchen  künst- 
lichen Bad  sehr  vorsichtig  sein.  Wenn 
ich  kein  Badesalz  haben  kann,  verwende 
ich  Chlornatrium.  Mein  Bruder  und  ich 
hatten  in  den  ersten  Jahren,  als  wir 
künstliche  Bäder  verwendeten,  ein  Bei- 
spiel, das  zeigt,  wie  vorsichtig  man  mit 
reinem  Chlorkalcium  sein  muss.  Der 
Patient  war  ein  starker,  kräftiger  Bier- 
brauer, der  viel  klüger  sein  wollte  als 
wir.  Er  verwendete  Nauheimer  39*4 — 
40%  Chlorkalcium.  Eines  Tages  fing 
der  Mensch  an,  kolossal  gesteigerte 
Herztätigkeit  zu  bekommen.  Er  kolla- 
bierte binnen  der  nächsten  3 — 4  Wo- 
chen. Am  zweiten  Tage,  als  ich  ihn 
wieder  sah,  nachdem  er  ungefähr  10 — 12 
Bäder  genommen  hatte,  sah  ich,  dass  die 
Haut  in  Fetzen  herunterhing.  Was 
hatte  er  getan  ?  Er  hatte  das  Badewas- 
ser, das  er  heute  benutzt,  sich  morgen 
wärmen  lassen  und  wieder  neue  Mutter- 
lauge genommen.  Im  Laufe  von  2 — 3 
Wochen  war  er  eine  Leiche. 

Dass  jede  Ausspannung  von  geschäft- 
lichen Sorgen,  Familiensorgen,  andere 
Luft  und  Diät  alles  sehr  einschlägige 
Faktoren  sind,  ist  selbstverständlich,  und 
ich  lege  wenig  Wert  darauf,  ob  da  ein 
paar  Fabriken  mehr  oder  weniger  sind. 
Natürlich  darf  die  Luft  nicht  verpestet 
werden.  Wenn  die  Luft  sonst  rein  ist, 
dürfen  Deutschland  und  Amerika  auch 
noch  mehr  Schornsteine  haben,  nur  muss 
der  Patient  in  andere  Luft  gebracht  wer- 
den. Aber  es  kann  nicht  jeder  aus  sei- 
nem Geschäft  und  von  seiner  Familie 
fort  nach  Nauheim  gehen.  Für  solche 
Leute  brauchen  wir  die  künstlichen 
Bäder,  und  deshalb  haben  mein  Bruder 
und  ich  endlich  die  Methode  ausgebildet, 


New    Yorker    Medizinische  Monatsschrift. 


75 


künstliche  Bäder  für  die  Aerzte  zu  ver- 
wenden, deren  Patienten  nicht  fortgehen 
können.  Von  Nauheim  und  der  Bade- 
Direktion  wurden  mir  deshalb  immer 
Vorwürfe  gemacht.  Aber  ich  habe  nie 
gesagt,  dass  ein  künstliches  Bad  absolut 
dieselbe  Wirkung  hat.  Ich  habe  gesagt, 
man  kann  fast  ähnliche  oder  fast  diesel- 
ben Resultate  erzielen,  und  ich  stehe 
heute  noch  auf  dem  Standpunkt.  Ich 
will  Ihnen  zwei  Bilder  geben :  eine 
Kopie  eines  R  a  f  f  a  e  Fschen  Gemäldes 
sieht  wie  ein  R  a  f  f  a  e  l'sches  Gemälde 
aus,  ist  aber  keines  ;  jeder  kann  sich  nicht 
das  Gemälde  anschaffen,  sondern  man- 
cher muss  sich  mit  der  Kopie  begnügen. 
Oder:  es  ist  jemand  stundenlang  in  einer 
grossen  Wüste  herumgelaufen,  und  sein 
Körper  ist  so  ausgetrocknet,  dass  ihm 
die  Zunge  am  Gaumen  hängt ;  er  kommt 
an  ein  Haus,  wo  er  keinen  Kaffee  haben 
kann,  aber  er  wird  zufrieden  sein,  wenn 
er  seinen  Durst  mit  Zichorie  stillen  kann. 

Zuletzt  möchte  ich  betonen,  ich  kann 
nicht  für  alle  Angaben  meiner  Schüler 
verantwortlich  sein.  So  hat  mein  Schü- 
ler Thorne  unsere  Methode  mit  der 
auskultatorischen  Perkussion  verknüpft. 
Ich  selbst  bin  nicht  imstande,  eine  Herz- 
grenze mit  der  auskultatorischen  Perkus- 
sion festzustellen.  Ich  habe  ihn  darüber 
zur  Rede  gestellt,  aber  er  bleibt  auf  sei- 
nem Standpunkt  stehen.  Ich  kann  diese 
Herzgrenze  so  nicht  finden.  Jedoch  hat 
das  mit  der  Methode  als  solcher  gar 
nichts  zu  tun.  Ich  möchte  aber  beson- 
ders Dr.  Meyer  bitten,  das,  was  meine 
Schüler  nach  der  Richtung  verbrochen 
haben,  nicht  auf  mich  übertragen  zu 
wollen. 

Sie  sehen,  ich  bin  skeptisch  genug. 
Ich  möchte  aber  doch  auf  eines  aufmerk- 
sam machen  und  damit  schliessen.  Diese 
Angaben  von  Thorne  haben  zu  gros- 
sem Skeptizismus  geführt,  aber  ich  habe 
das  den  anderen  Schülern  mitgeteilt,  und 
das  hat  allgemeinen  Anklang  gefunden. 
Als  in  London  auf  dem  Kongress  für 
innere  Medizin  eine  Anzahl  meiner 
Schüler  die  Methode  schilderten  und  dis- 
kutierten, stand  selbst  ein  tüchtiger 
Kliniker,  M  a  c  E  w  a  n.  auf  und  behaup- 
tete, dass  die  Perkussion  überhaupt  eine 
trügerische  sei,  dass  es  sich  gar  nicht  um 
Verkleinerung  der  Herzgrenzen  handle, 
sondern  sowohl  durch  das  Bad  wie  die 


( rymnastik  ein  „overlapping  of  the 
heart"  stattfinde.  Ich,  für  meinen  Teil, 
konnte  an  und  für  sich  schon  nicht  be- 
greifen, wie  ein  einfaches  mildes  Solbad 
mit  oder  ohne  Kohlensäure  zu  einem 
Emphysem  führen  soll.  Nun  könnte 
man  sagen,  dass  die  Leute  Chlorsäure 
eingeatmet  haben.  Wie  aber  durch  eine 
ganz  milde  Gymnastik  ein  künstliches 
Emphysem,  ein  „overlapping  of  the 
heart"  stattfinden  soll,  ist  mir  unbegreif- 
lich. Die  Diskussion  wurde  fortgesetzt, 
und  es  tat  mir  leid,  dass  meine  Schüler 
nicht  schlagfertig  genug  waren,  sofort 
die  Antwort  zu  geben.  Wenn  das  rich- 
tig wäre,  dass  das  Herz  sich  nicht  ver- 
kleinert und  dass  ein  künstliches  Em- 
physem stattfindet,  so  hiesse  das  mit  an- 
deren Worten :  Herz,  vergrösserte 
Lunge,  das  ganze  Brustvolumen  ver- 
grössert  (Erläuterung  durch  Zeichnung 
an  der  Tafel),  und  infolgedessen  müsste 
das  Zwerchfell  heruntersteigen.  Infol- 
gedessen würde  die  Herzspitze  nach  un- 
ten gehen.  Nun  findet  aber,  wie  Sie 
sehen,  gerade  das  Lmgekehrte  statt. 
Die  Lungen  werden  nicht  vergrössert, 
das  Herz  aber  verkleinert,  und  Sie  wer- 
den finden,  dass  die  Herzspitze  nach  in- 
nen geht.  Wenn  Sie  aber  umgekehrt 
durch  irgend  welche  Tätigkeit  Dyspnoe 
hervorrufen,  dann  bekommen  Sie  das 
Bild,  das  MacEwan  geschildert  hat, 
dass  die  Herzspitze  nach  aussen  geht. 
Dass  aber  die  Herzspitze  nach  innen  und 
oben  und  das  Diaphragma  nach  oben 
geht,  ist  ein  unumstösslicher  Beweis,  dass 
die  Herzgrenze  kleiner  geworden  ist. 
(Vorzeigen  und  Erläutern  von  verschie- 
denen Radiogrammen. ) 

Präsident  Dr.  Carl  Beck  ( nach- 
dem aus  der  Mitte  der  Versammlung 
der  Antrag  gestellt  und  angenommen 
worden  war,  Herrn  Prof.  Dr.  Schott 
den  Dank  der  Versammlung  auszuspre- 
chen) :  Ich  spreche  Ihnen  den  Dank  der 
Versammlung  aus.  Wir  alle  haben  heute 
Abend  recht  viel  gelernt  und  sind  Ihnen 
zu  ganz  besonderem  Dank  verpflichtet, 
weil  Sie  auf  so  kurze  Notiz  hin  sich  ent- 
schlossen haben,  uns  einen  so  erschöp- 
fenden Vortrag  zu  halten.  Sie  sehen  in 
dem  Umstand,  dass  Sie  in  so  ungünsti- 
ger Zeit  und  dazu  bei  einer  so  spröden 
Gemeinde,  wie  sie  die  New  Yorker  Me- 
dizinische Gesellschaft  darstellt,  ferner 


76 


New    Yorker    Medizinische  Monatsschrift. 


bei  der  Kürze  und  Unvollkommenheit 
unserer  Benachrichtung  eine  so  ausser- 
ordentliche Zuhörerschaft  bekommen 
halien,  den  besten  Beweis,  in  wie  hohem 
Masse  Ihr  Vortrag  gewürdigt  worden 
ist. 

Die  Sitzung  wird  geschlossen  und  ein 
gemütliches  Stündchen  der  informellen 
Unterhaltung  gewidmet. 

Montag,  den  4.  März  1907. 

Präsident  Dr.  Carl  Beck  eröffnet 
die  -Sitzung. 

Sekretär  Dr.  John  A.  B  e  u  e  r- 
m  a  n  n  verliest  das  Protokoll  der 
Sitzung  vom  4.  Februar,  das  von  der 
Versammlung  angenommen  wird,  des- 
gleichen das  Protokoll  der  Extra- 
Sitzung vom  25.  Februar,  welches 
ebenfalls  angenommen  wird. 

Dr.  Georg  Merzbac  h — Berlin 
(vom  Präsidenten  als  lieber  Gast  be- 
grüsst  und  der  Gesellschaft  vorge- 
stellt) spricht  über  drei  von  ihm  im 
letzten  Jahre  beobachtete  Fälle  irr- 
tümlicher Geschlechtsbestimmung  (er- 
reurs  de  sexe).  Ausgehend  von  einem 
Falle  irrtümlicher  Geschlechtsbestim- 
mung in  Phoenix,  Arkansas,  der  den 
zweimal  verheirateten  Sekretär  des  rus- 
sischen Generalkonsuls  in  Chicago  be- 
trifft, der  im  Krankenhause  als  Frau 
erkannt  wurde,  berichtet  der  Vor- 
tragende über  die  drei  Berliner  Fälle. 

Irrtümliche  Geschlechtsbestimmun- 
gen in  Form  von  Pseudohermaphro- 
ditismus  masculinus  und  femininus 
dürften  häufiger  vorkommen  als  ge- 
meinhin angenommen  wird,  zumal  von 
Neugebauer  mehr  denn  1200 
Fälle  dieser  Art  im  „Jahrbuch  für 
sexuelle  Zwischenstufen"  zusammen- 
gestellt hat. 

Echter  Hermaphroditismus,  also 
Vorliegen  männlicher  und  weiblicher 
Keimdrüsen  ist  selten  und  zuerst  als 
Ovotestes  der  Säugetiere  in  der  Zoolo- 
gie beschrieben  worden. 

Während  in  Deutschland  das  alte 
preussische  Landrecht  vom  Jahre  1784 
in  den  §19 — 23  die  Zwitter  rechtlich 
behandelte,  fielen  diese  Bestimmungen 
im  Neuen  Bürgerlichen  Gesetzbuch, 
das  am  1.  Januar  1900  in  Kraft  trat, 
mit  der  Begründung  fort,  dass  Zwitter 


sich  wissenschaftlich  als  unhaltbar  er- 
wiesen hätten. 

Die  Antwort  auf  diese  falsche  Vor- 
aussetzung erteilte  schon  am  24.  No- 
vember 1903  Garrö  in  Königsberg, 
der  einen  Fall  echten  Zwittertunis  bei 
einer  weiblichen  Person  nachwies,  bei 
der  er  in  einer  leistenbruchartigen  Ge- 
schwulst Ovotestis,  Tube  und  Samen- 
strang, kurz  beide  geschlechtliche 
Keimdrüsen  völlig  ausgebildet  vereint 
vorfand.  Ebenso  wurde  mikrosko- 
pisch sowohl  Ovarialstroma  nachge- 
wiesen als  auch  Samenkanälchen,  die 
sich  im  Stadium  der  Ruhe  befanden, 
womit  ihre  Funktionsunfähigkeit  in- 
dess  keinesfalls  nachgewiesen  war. 

Unser  erster  Fall,  dessen  Gutachten 
an  den  Minister  des  Innern  zwecks 
Umänderung  des  Personenstandes  der 
Person  in  toto  zur  Verlesung  gelangte, 
betrifft  eine  21jährige  bisher  als  Aläd- 
chen  lebende  Person,  bei  der  die  Un- 
tersuchung alle  männlichen  primären 
und  sekundären  Geschlechtscharaktere 
zu  Tage  förderte,  neben  einer  Hypos- 
padia  peniscrotalis  und  Lokalisation 
der  Urethra  in  einer  kahnförmigen 
Grube  am  hinteren  Ende  des  geteilten 
Hodenbehälters.  Der  Penis  ist,  wie 
eine  Wachsmoulage  veranschaulicht, 
gut  ausgebildet, die  Hoden  teils  in  einer 
der  grossen  Labien  teils  als  Bauch- 
hoden untastbar.  Ejakulat  enthält 
keine  Spermatozoen.  Patientin  hat 
schon  früher  in  einer  der  normalen 
ähnlichen  Art  mit  Frauen  sexuell  ver- 
kehrt, fühlt  völlig  männlich  und  ge- 
denkt nach  Umänderung  ihrer  Metrik 
eine  Dame  zu  heiraten,  die  sich  zwecks 
Schliessung  dieser  neuen  Ehe  von 
ihrem  ersten  Gatten  scheiden  lässt. 

Der  zweite  Fall  betrifft  eine  jetzt 
40jährige  als  Frau  in  einer  Stellung 
sich  befindende  Person,  bei  der  die 
Verhältnisse  der  Genitalien  ähnlich 
liegen.  Hypospadia  peniscrotalis  mit 
Labial-  oder  Bauchhoden.  Bei  dieser 
Person,  die  ausserordentlich  männlich 
aussieht  und  völlig  männlich  fühlt, 
liessen  sich  lebende  Spermatozoen 
nachweisen.  Diese  Person,  die  unter 
starker  Abneigung  zweimal  mit  Män- 
nern geschlechtlich  verkehrt  hat,  ver- 
kehrt ihrem  Geschlechte  entsprechend 
jetzt  nur  noch  mit  Frauen.    Ihre  Me- 


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77 


trik  will  sie  nicht  ändern,  da  sie  völlig 
mittellos  ist  und  glaubt,  als  Mann 
schwerer  ihr  Fortkommen  zu  finden. 
Der  dritte  Fall  liegt  am  günstigsten. 
Derselbe  betrifft  einen  jetzt  42jähri- 
gen  Herrn,  der  glücklicher  Vater 
einer  gesunden  Tochter  ist.  Bei 
seiner  Geburt  stritten  sich  He- 
bamme und  Vater  wegen  des  Ge- 
schlechts des  Kindes.  Die  Meinung 
der  Hebamme  siegte  wegen  des  vor- 
handenen Spaltes  und  das  Kind  wurde 
als  Mädchen  getauft  und  erzogen.  Als 
weibliche  Person  lebte  sie  25  Jahre,  um 
endlich  an  seine  Mutter  mit  dem 
Wunsche  heranzutreten,  sie  zum 
Manne  avanzieren  zu  lassen.  Kreis- 
arzt Ballichs  in  Altona  stellte  das 
erste  Attest  aus,  dass  die  Person  zwei- 
fellos ein  Mann  sei  und  der  Bremenser 
Senat  beschloss  in  Verlauf  von  weni- 
gen Wochen  die  Umänderung  der  Me- 
trik der  Person. 

Man  sieht  diesem  in  seinem  Fache 
ausserordentlich  geschickten  Hand- 
werker heute  sicher  nicht  an,  dass  er 
25  Jahre  als  Mädchen  gelebt  hat. 

An  diese  Beobachtungen  knüpfen 
sich  folgende  Schlüsse  und  Forder- 
ungen : 

Das  bürgerliche  Gesetzbuch  hat 
Zwitter  als  vorkommende  Abnormi- 
täten unter  seine  Rechtsmöglichkeiten 
einzubeziehen. 

Ist  der  Hebamme  oder  den  Ange- 
hörigen eines  Neugeborenen  ein  Zwei- 
fel entstanden  über  das  Geschlecht  des 
Kindes,  so  ist  ein  ärztliches  Urteil 
über  dessen  Geschlecht  einzuholen. 

Ist  das  Geschlechtes  wegen  der 
Möglichkeit  von  Aenderungen  im  pubi- 
schen oder  postpubischen  Alter  nicht 
sicher  zu  bestimmen,  so  empfiehlt  es 
sich,  das  Kind  als  unbestimmten  Ge- 
schlechtes zu  registrieren  mit  dem 
Hinweis  auf  eine  eventuell  zu  ände- 
rende Metrik. 

Praktisch  empfiehlt  es  sich,  ein  Kind 
als  männlichen  Geschlechtes,  z.  B. 
Paul,  Martin  (Paula,  Marta)  anzu- 
melden, das  es  leichter  ist  als  Mann  er- 
zogen und  für  den  Lebenskampf  aus- 
gerüstet und  dann  Weib  zu  wer- 
den, als  für  ein  weiblich  erzogenes 
Individuum,  vom  Weibe  sozusagen 
zum  Manne  zu  avanzieren. 


Schliesslich  ist  diesen  Personen 
genau  wie  den  Kontrarsexuellen  ge- 
genüber eine  humanere,  verständnis- 
vollere Auffasung  anzustreben,  denn 
beide  Klassen  von  Mitmenschen  sind 
ausser  ihrer  angeborenen  anatomi- 
schen oder  psychischen  Veranlagung 
in  jeder  Hinsicht  vollwertige  Men- 
schen, die  unser  Mitgefühl  und  unser 
Verstehen  verdienen,  nicht  aber  un- 
seren Hohn  und  unsere  Verachtung. 

Diskussion.  Präsident  Dr.  Carl 
Beck:  Da  niemand  das  Wort 
wünscht,  so  erlaube  ich  mir  einige  Be- 
merkungen zu  machen,  obgleich  es 
nicht  gebräuchlich  ist,  dass  der  Präsi- 
dent dies  tut.  Diese  Fälle  von  echtem 
Hermaphroditismus  sind  jedoch  so 
ausserordentlich  selten,  dass  Sie  mir 
wohl  gestatten,  darauf  aufmerksam  zu 
machen,  dass  ich  vor  ungefähr  12  Jah- 
ren einen  derartigen  Fall  im  „Medical 
Record"  beschrieb.  Es  handelte  sich 
um  einen  jungen  Mann,  der  im  St. 
Mark's  Hospital  Aufnahme  gefunden 
hatte,  nachdem  er  vorher  in  einem 
Mädcheninstitut  erzogen  worden  war, 
wo  er  wegen  allzu  intensiver  Annäher- 
ungsversuche plötzlich  entlassen  wurde. 
Ich  entfernte  im  St.  Mark's  Hospital 
seine  kindskopfgrossen  Hoden,  welche 
intraperitoneal  gelagert  und  sarkoma- 
tös entartet  waren.  Zwei  Monate  spä- 
ter erkrankte  er  an  Pneumonie.  Als 
seine  Eltern  telegraphisch  benach- 
richtigt wurden,  dass  ihr  Sohn  krank 
sei,  antworteten  sie  sie  hätten  keinen 
Sohn,  sondern  nur  eine  Tochter.  Pa- 
tient starb.  Bei  der  Autopsie  konnte 
festgestellt  werden,  dass  ein  mässig 
grosser  Penis,  sehr  entwickelte  Va- 
gina, Uterus  und  Rudimente  von  Eier- 
stock vorhanden  waren. 

Dr.  G.  Merzbach  (Schlusswort)  : 
Der  Fall  von  Dr.  Beck  ist  mir  nicht 
unbekannt,  denn  er  ist  von  Neuge- 
b  a  u  e  r  mit  aufgenommen  worden. 
Ich  habe  ihn  nur  nicht  erwähnt,  weil 
ich  nicht  alle  Fälle  erwähnen  konnte. 
Was  die  Diagnose  angeht,  so  kommen 
diese  Fälle  häufig  unter  der  Flagge  der 
Homosexualität  vor,  und  da  ich  unge- 
fähr 2000  homosexuelle  Männer  und 
Frauen  zu  untersuchen  hatte,  ist  es 
nicht  wunderbar,  dass  ich  diese  Fälle 
gesehen  habe.    Im  übrigen  wird  es  Sie 


78 


New    Yorker  Medizi 


nische  Monatsschrift. 


nicht  Wunder  nehmen,  dass  solche 
Personen  sehr  leicht  unter  der  Flagge 
Frauen  gehen  können,  wenn  Sie  selbst 
Homosexuelle  sehen,  die  sonst  als 
Männer  zu  leben  pflegen  und  als 
Frauen  unerkennbar  sind.  Ich  habe 
jüngst  in  Berlin  Gelegenheit  gehabt, 
einen  Offizier  des  Garde  Grenadier 
Regiments  als  Dame  gekleidet  in 
einem  Coupe  der  Stadtbahn  sitzen  zu 
sehen.  Kein  Mensch  würde  ihn  für 
einen  Offizier  gehalten  haben.  Die 
Täuschung  ist  eine  so  ausserordent- 
liche, dass  es  für  Laien  ausserordent- 
lich schwer  ist,  derartige  Persönlich- 
keiten zu  erkennen.  Aber  ein  geübtes 
Auge  erkennt  sie.  Ich  hatte  neulich 
hier  auf  einem  Maskenball  dazu  Ge- 
legenheit. Ich  bin  durch  den  Saal  ge- 
gangen und  war  eine  Stunde  da  und 
habe  drei  homosexuelle  Männer  ge- 
funden, als  Damen  gekleidet,  die  die- 
sem Maskenball  beiwohnten.  Ich 
habe  sie  nicht  angesprochen,  da  für 
mich  die  Diagnose  ganz  sicher  ist. 

Aus  der  Mitte  der  Versammlung 
wird  der  Antrag  gestellt  und  von  der 
Versammlung  angenommen,  Herrn 
Dr.  Merzbach  den  Dank  der  Ge- 
sellschaft auszusprechen.  Dies  ge- 
schieht durch  den  Präsidenten,  Dr. 
Carl  Beck. 

Dr.  H.  J.  B  o  1  d  t :  Wie  lange  ist  ab- 
solute Bettruhe  post  laparotomiam 
nötig? 

Ich  beabsichtige  heute  Abend  haupt- 
sächlich über  die  nötige  Bettruhe  für 
laparotomierte  Patienten  zu  sprechen  ; 
anderweitig  von  mir  gebräuchliche 
Massnahmen  sind  an  anderer  Stelle 
veröffentlicht. 

Meine  Behauptung  geht  dahin,  dass 
es  für  die  Mehrzahl  laparotomierter  Pa- 
tienten vorteilhafter  ist,  die  jetzt  übli- 
che Zeit  der  Bettruhe  ganz  bedeutend 
abzukürzen.  Es  ist  selbstverständlich, 
dass  die  Bauchdeckennaht  exakt  ange- 
legt werden  muss,  und  zwar  die  übli- 
che Etagennaht.  Der  Schnitt  sollte 
genügend  lang  sein,  um  den  patholo- 
gischen Zustand,  den  man  in  Angriff 
nehmen  will,  genau  besichtigen  zu 
können.  Der  Fasssinn  allein,  wie  es 
T  a  i  t  lehrte,  der  kurze  Inzisionen 
machte,    ist    nicht    verlässlich.  Man 


kann  durch  eine  genügend  lange  In- 
zision  viel  schonender  arbeiten  und 
läuft  weniger  Gefahr,  in  Folge  von 
Trauma  durch  eine  zu  kurze  Wunde, 
eine  Bauchdeckeneiterung  zu  verur- 
sachen. 

Bei  Vernähung  der  Fascia  sollte 
diese  überlappt  werden,  um  eine  brei- 
tere Adhäsionsfläche  zu  erzielen  ;  die 
Haut  wird  durch  eine  subkutane  Naht 
geschlossen.  Als  Nähmaterial  wird 
durchweg  Katgut  gebraucht ;  auf  die 
Wunde  wird  ein  schmaler,  sterilei 
Gazeverband  gelegt  und  mit  zwei 
schmalen,  kurzen  Heftpflasterstrei- 
chen in  situ  gehalten,  um  die  Ver- 
schiebung der  Gaze  während  der  An- 
legung des  Schlussverbandes  zu  ver- 
meiden. Zum  Sicherheits-  oder  Schluss- 
verbande  wird  eine  Scultetus-Binde 
verwendet,  die  aus  zuverlässigem 
Zinkoid  -  Pflaster  hergestellt  wird, 
und  zwar  werden  die  breiten  Rollen, 
31  Zentimeter  breit,  und  von  genügen- 
der Länge  angewendet,  um  den  Leib 
so  zu  umspannen,  dass  das  ganze  Ab- 
domen doppelt  vom  Pflaster  bedeckt 
wird.  —  In  der  Mitte  der  unteren  Pflas- 
terseite wird  ein  kleiner  Halbkreis 
herausgeschnitten,  der  den  Zweck  hat, 
die  Verunreinigung  bei  Stuhlentleer- 
ung zu  vermeiden.  Zinkoid  -  Pflaster 
verdient  den  Vorzug,  weil  es  weniger 
irritiert  als  anderes  Pflaster.  Die 
Scultetus-Binde  wird  auf  dem  Fahr- 
tisch bereit  gehalten,  sodass  der  Pa- 
tient nach  Beendigung  der  Operation 
und  Abtrocknung  des  Rückens  so 
darauf  gelegt  wird,  dass  das  Steiss- 
bein  über  den  ausgeschnittenen  Halb- 
kreis zu  liegen  kommt.  Die  Pflaster- 
enden werden  nun  in  vier  gleiche 
Teile  eingeschnitten,  und,  mit  dem  un- 
teren Ende  anfangend,  dieses  bis  zum 
Körper  des  Patienten  eingerissen  und 
dann  fest  über  den  Leib  angelegt ; 
ebenso  wird  mit  dem  entgegengesetz- 
ten Ende  verfahren,  bis  die  vier  En- 
den befestigt  sind.  Der  obere  Streifen 
sollte  nie  zu  fest  angezogen  werden, 
besonders  wenn  derselbe  bis  zum  Epi- 
gastrium  hinauf  reicht.  Bei  mageren 
Patienten  werden  die  Spina;  ilii  etwas 
gepolstert.  Man  hat  nun  auf  dem 
ganzen  Leibe  einen  doppelten  gut 
sitzendes  Pflaste^nanzer.  und  ein  der- 


New    Yurker    Medizinische  Monatsschrift. 


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artiger  Verband  gibt  absolute  Sicher- 
heit gegen  Aufplatzen  der  Wunde 
durch  intraabdominalen  Druck,  wie 
das  ja  doch  sonst  bei  heftigem  Er- 
brechen oder  Husten  vorkommen 
könnte.  Der  Verband  kann  so  lange 
liegen  bleiben,  bis  er  lose  wird,  was 
bei  schwitzenden  Patienten  mitunter 
schon  nach  Verlauf  von  einer  Woche 
passiert ;  gewöhnlich  aber  kann  er  drei 
bis  vier  Wochen  liegen  bleiben.  Sollte 
es  nötig  sein,  den  Verband  vor  der  vier- 
ten Woche  zu  entfernen,  dann  bleibt 
der  Körper  während  eines  Tages  ohne 
Pflasterverband,  und  in  dieser  Zeit 
wird  der  Körper  da,  wo  der  V erband 
gewesen,  öfters  mit  Alkohol  abge- 
waschen und  gepudert ;  am  nächsten 
Tage  wird  ein  ähnliches  Verband  an- 
gelegt. Falls  Anzeichen  von  Bauch- 
deckeneiterung vorhanden  sind,  wird 
der  Verband  selbstverständlich  sofort 
in  der  Mitte  über  der  Gaze  aufge- 
schnitten, und  sollte  sich  die  Vermut- 
ung bestätigen,  wird  die  Wunde  wie 
gewöhnlich  behandelt.  Zur  schnelleren 
Hebung  der  Eiterung  gebrauche  ich 
mit  Vorliebe,  nachdem  die  Wunde  ge- 
reinigt ist,  eine  kräftige  Betupfung 
mit  reiner  Karbolsäure,  die  sofort  wie- 
der mit  reinem  Alkohol  abgewaschen 
wird.  Solange  die  Eiterung  anhält, 
werden  die  Patienten  ruhig  gehalten. 
Die  Patienten  werden  aufgemuntert, 
das  Bett  so  bald  als  möglich  nach  der 
Operation  zu  verlassen.  Die  Zeit- 
dauer der  vollständigen  Bettruhe 
kommt  ganz  auf  den  Zustand  der  Pa- 
tienten an  :  wie  lange  es  dauert,  ehe 
sie  sich  von  der  Narkose  erholt  haben  ; 
ob  sie  vor  dem  operativen  Eingriff 
bettlägerig  waren :  wie  die  Qualität 
und  Zahl  der  Pulsschläge  ist.  u.  s.  w. 
Mitunter  war  es  mir  möglich.  Patien- 
tinnen, welche  am  frühen  Morgen  we- 
gen nicht  komplizierter  Ovarial-Ge- 
schwülste,  einfache  Hysterektomien 
wegen  Myome,  Myomektomien  etc. 
operiert  wurden,  schon  am  späten 
Nachmittag  desselben  Tages  in  einem 
bequemen  Stuhl  sitzen  zu  lassen. 
Während  der  ersten  Tage  muss  man 
ihnen  dabei  behülflich  sein,  aus  dem 
Bette  zu  kommen.  Die  Durchschnitts- 
dauer der  absoluten  Bettruhe  braucht 
nicht  mehr  als  drei  Tage  in  Anspruch 


zu  nehmen.  Alle  Gründe,  welche  für 
die  lange  Bettruhe  gewöhnlich  ange- 
geben werden,  sind  nicht  stichhaltig, 
wenn  man  sie  mit  den  Erfahrungen 
vergleicht,  die  bei  Patienten  gewonnen 
werden,  denen  es  erlaubt  wird,  früh 
aufzustehen.  Sicherlich  ist  es  nicht 
der  im  Becken  vorgenommene  opera- 
tive Eingriff,  der  uns  daran  hindern 
sollte,  eine  Patientin  früh  aufstehen  zu 
lassen,  denn  seit  mehr  als  fünfzehn 
Jahren  erlaube  ich  Patientinnen,  an 
denen  eine  vaginale  Totalextirpation 
gemacht  wurde,  schon  am  nächsten 
Tage  das  Bett  zu  verlassen,  wenn  ich 
das  Scheidengewölbe  abschliessen 
konnte  oder  nur  einen  kleinen  Gaze- 
streifen im  Zentrum  des  sonst  abge- 
schlossenen Scheidengewölbes  in- 
serierte, der  während  der  ersten  24 
Stunden  als  Drainage  dienen  sollte, 
und  habe  ich  nicht  einen  einzigen  Un- 
fall dadurch  zu  verzeichnen  gehabt. 
Nur  einen  stichhaltigen  Grund  konnte 
man  gegen  das  baldige  Aufstehen  an- 
geben, nämlich  die  Gefahr,  dass  die 
Bauchdecken  nicht  genügend  fest  ver- 
wachsen, und  dass  später  eine  Hernia 
eintreten  könnte,  oder  gar,  dass  die 
Bauchwunde  aufplatzen  könnte.  Diese 
Einwände  werden  jedoch  durch  den 
von  mir  beschriebenen  Verband  mit 
Sicherheit  hinfällig,  wenn  das  Pflaster 
fest  bleibt.  Dass  Thrombosen  oder 
Embolien  dabei  mehr  zu  befürchten 
sind  (speziel  bei  Myom-Operationen), 
als  wenn  man  die  Patientinnen  ruhig 
im  Bette  liegen  lässt,  bestreite  ich  auf 
das  entschiedenste.  Wir  wissen  aus 
Erfahrung,  dass  solche  Unglücksfälle 
auch  bei  Bettruhe  vorkommen,  und 
nach  einer  Analyse  der  mir  zu  Gebote 
stehenden  Fälle  sogar  häufiger,  als  bei 
der  von  mir  befürworteten  Behand- 
lungsmethode. (H.  J.  B  o  1  d  t,  The 
Management  of  Laparotomy  Patients 
and  Their  Modified  After-treatment, 
Xew  York  ,,Medical  Journal",  Tanu- 
ary,  1907.) 

Bei  mehr  als  1000  so  behandelten  Pa- 
tientinnen, von  denen  mehr  als  400  von 
mir  persönlich  so  behandelt  wurden, 
sind  nur  zwei  leichte  Venenentzündun- 
gen beobachtet  worden. 

Verhältnissmässig  selten  kommt  es 
mir  jetzt  vor,  dass  ich  meine  Patien 


8o 


New   Yorker   Medizinische  Monatsschrift. 


tinnen  länger  als  drei  Tage  im  Bette 
liegen  lasse,  gewöhnlich  weniger,  aus- 
ser wenn  besondere  Komplikationen 
bei  der  Operation  vorkommen,  wie 
z.  B.  es  vor  kurzem  bei  der  Totalex- 
tirpation  eines  grossen  retroperitoneal 
entwickelten  Myoms  geschah,  dass  der 
Ureter  durchschnitten  wurde,  und  ich 
denselben  in  die  Blase  einpflanzen 
musste  und  folglich  es  für  angebracht 
hielt,  während  der  ersten  vier  Tage 
einen  Dauerkatheter  liegen  zu  lassen ; 
aber  auch  in  diesem  Falle  war  die  Pa- 
tientin vom  fünften  Tage  an  ziemlich 
viel  ausser  Bett.. 

Nach  den  gemachten  Beobachtun- 
gen ist  die  Mehrzahl  der  so  behandel- 
ten Patientinnen  nach  Verlauf  von 
vier  Wochen  nach  der  Operation  in 
solch  körperlichem  Zustand,  dass  sie 
ihre  gewohnte  Tätigkeit  wieder  auf- 
nehmen können.  Bei  einfachen  Laparo- 
tomien, wie  z.  B.  bei  Interval-Appendizi- 
tiden.  nicht  komplizierten  Ovarialzysten 
u.  s.  w.  können  sie  schon  meistens  ihren 
Haushalt  nach  zwei  Wochen  wieder  ver- 
walten. 

Besonders  markant  ist  der  Vorteil 
des  sehr  frühen  Aufstehens  bei  solchen 
Patienten,  an  denen  eine  explorative 
Laparotomie  wegen  einer  bösartigen 
Neubildung  gemacht  wird,  und  man 
dann  findet,  dass  die  Erkrankung 
schon  zu  weit  vorgeschritten  ist,  um 
eine  radikale  Entfernung  vornehmen 
zu  können.  Wenn  solche  Patienten 
im  Bett  gehalten  werden,  kommt  es 
doch  häufig  vor,  dass  sie  bettlägerig 
bleiben  und  sich  überhaupt  nicht  mehr 
erholen ;  lässt  man  sie  dagegen  am 
nächsten  oder  dem  darauf  folgenden 
Tage  aufstehen,  so  werden  sie  in  Folge 
dieses  Eingriffs  nicht  mitgenommen, 
und  der  Krankheitsprozess  nimmt  sei- 
nen gewöhnlichen  Verlauf,  als  ob  sie 
überhaupt  keinen  operativen  Eingriff 
zu  bestehen  gehabt  hätten. 
-  Ich  habe  gefunden,  dass  man  die 
modifizierte  Nachbehandlung  bei  etwa 
85  bis  90  Prozent  der  von  Gynäkolo- 
gen vorgenommenen  Laparotomien 
mit  Vorteil  anwenden  kann.  Das  erste 
Mal  sitzen  die  Patientinnen  nicht 
lange,  etwa  eine  halbe  bis  drei  viertel 
Stunde    Morgens,   und    abermals  am 


Nachmittag,  aber  täglich  wird  die  Zeit 
des  Aufseins  etwas  verlängert. 

Die  Patientinnen  sträuben  sich  et- 
was, die  ersten  paar  Tage  das  Bett  zu 
verlassen,  wohl  weil  sie  von  anderen  ge- 
hört haben,  dass  man  nach  einer  Bauch- 
operation das  Bett  ein  paar  Wochen 
hüten  müsse ;  aber  ein  wenig  Zureden 
hilft,  nur  muss  man  ihnen  behilflich 
sein,  recht  schonend  aufzustehen. 
Man  lässt  sie  die  Arme  um  den  Hals 
der  Wärterin  legen  und  legt  den  einen 
Arm  hinter  ihren  Rücken,  mit  dem  an- 
dern Arm  die  unteren  Extremitäten  er- 
fassend, dreht  man,  indem  man  den 
Körper  aufhebt,  die  Beine  langsam 
herum,  so  dass  sie  am  Bettrande  in 
sitzender  Stellung  anlangen  ;  nun  kann 
man  sie  ganz  ruhig  vom  Bett  herunter 
nehmen,  und  ihnen  erlauben,  ein  paar 
Schritte  zum  Stuhl  zu  gehen,  indem 
man  sie  dabei  unterfasst. 

Es  ist  wunderbar,  den  psysischen 
Zustand  der  so  behandelten  Patientin- 
nen zu  beobachten,  nachdem  zwei 
Wochen  vergangen  sind,  im  Ver- 
gleiche zu  denen,  die  nach  der  gewöhn- 
lichen Methode  im  Bett  gehalten  wer- 
den. Bei  leichten  abdominalen  Ein- 
griffen laufen  solche  Patientinnen 
schon  nach  fünf  bis  sechs  Tagen  um- 
her, als  ob  sie  nicht  operiert  worden 
wären.  Patienten,  bei  welchen  ich  es 
aus  diesem  oder  jenem  Grunde  für 
besser  halte,  sie  im  Bett  zu  halten,  be- 
mühe ich  mich,  zu  bewegen,  leichte 
Uebungen  der  unteren  und  oberen  Ex- 
tremitäten öfters  vorzunehmen. 

Der  Zweck,  den  man  damit  erreicht, 
ist  Erschlaffung  der  Muskulatur  zu 
verhindern  und  eine  bessere  Blutzir- 
kulation zu  erzielen,  was  durch  mäs- 
sige  Bewegung  des  Körpers  geschieht. 
Die  meisten  Patienten,  an  denen  Ope- 
rationen wegen  chirurgischer  Er- 
krankungen vorgenommen  werden, 
bessert  man  nicht  in  ihrer  Gesundheit 
durch  absolute  Bettruhe,  im  Gegen- 
teil, das  Muskelsystem  wird  mehr  oder 
weniger  dadurch  geschwächt,  sie  ver- 
lieren Kräfte,  weil  alle  physiologi- 
schen Funktionen  durch  die  forzierte 
Ruhe  herabgesetzt  werden.  Ich  muss 
gestehen,  dass  ich  den  Eindruck  ge- 
wonnen habe,  dass  öfters  die  Patien- 


New   Yorker   Medizinische  Monatsschrift. 


81 


tinnen,  an  denen  sehr  komplizierte  Ope- 
rationen vorgenommen  wurden,  gerade 
durch  frühzeitige  körperliche  Beweg- 
ung genesen  sind  ;  deshalb  glaube  ich 
auch,  dass  die  Mortaliät  durch  das 
frühe  Aufstehen  verringert  wird.  Dem 
Zufall  ist  die  Genesung  in  solchen  Fäl- 
len sicherlich  nicht  zuzuschreiben,  wie 
dies  von  anderer  Seite  bei  Gelegenheit 
einer  Diskussion  behauptet  wurde ; 
denn  dafür  ist  die  Zahl  der  so  Behan- 
delten zu  gross. 

Auch  einer  Reihe  ausländischer  Kol- 
legen hatte  ich  Gelegenheit,  so  behan- 
delte Patientinnen  zu  demonstrieren, 
so  dass  sie  Gelegenheit  hatten,  weit- 
gehende intraabdominale  Eingriffe  zu 
sehen,  und  am  nächsten  Tage  die  so 
operierten  Patienten  ausserhalb  des 
Bettes  zu  finden,  desgleichen  die  An- 
legung des  von  mir  geschilderten  Ver- 
bandes. Ich  glaube  auch,  dass  es  mir 
gelang,  einigen  Herren  die  von  mir  ge- 
schilderten Vorteile  plausibel  zu  ma- 
chen, wie  ich  aus  einem  Aufsatze  von 
Dr.  Carl  Hartog  „Wann  soll  man 
Coeliotomirte  aufstehen  lassen  ?"  (aus 
der  Frauenklinik  der  Herren  L.  Lan- 
dau und  Th.  La  n  d  a  u  in  Berlin, 
„Berliner  klinische  Wochenschrift", 
1907,  Xr.  1)  ersehe  dem  es  doch  ge- 
lang, seine  Chefs  zu  überreden,  die 
Methode  zu  versuchen,  obgleich  mir 
Herr  Hartog  zur  Zeit  sagte,  dass 
es  seiner  Ansicht  nach  ganz  unmöglich 
sein  werde,  solche  radikale  Abänder- 
ungen in  Deutschland  einzuführen, 
oder  selbst  jemand  dazu  zu  verleiten, 
den  Versuch  zu  machen.  Wenn  Dr. 
Hartog  den  erwähnten  Artikel  mit 
dem  Satze  beginnt  „Dass  in  den  letz- 
ten Jahren  sich  die  Nachbehandlung 
der  Operierten  in  ihrer  (Landau's) 
Klinik  wesentlich  geändert  habe,  so 
kann  dies  nur  seit  vorigem  Jahre  ge- 
schehen sein,  nachdem  ich  Herren  Dr. 
Hartog  bei  seinem  Hiersein  von 
dem  Werte  meiner  Behandlungsweise 
überzeugt  und  alle  seine  Bedenken 
zerstreut  habe.  Handelt  es  sich  doch 
in  diesem  Artikel  hauptsächlich  um 
die  Erfahrungen  über  das  frühzeitige 
Aufstehen  der  Patienten  nach  Lapa- 
rotomien. Das  hat  mich  eine  grosse,  über 
15  Jahre  sich  erstreckende  Erfahrung  ge- 
lehrt.   Es  wird  sogar  die  Darmperi- 


staltik bei  diesen  sowohl  als  bei  den 
abdominal  Operierten  durch  das  Auf- 
sitzen und  die  frühere  körperliche  Be- 
wegung angeregt,  so  dass  Ileus  natur- 
gemäss  nicht  so  leicht  eintreten  kann, 
als  bei  denen,  die  im  Bett  gehalten 
werden. 

Ausser  den  schon  erwähnten  Vor- 
zügen hat  die  Methode  des  frühen 
Aufstehens  noch  andere  Vorteile. 
Blähungen  gehen  eher  ab :  spontane 
Stuhlentleerung  erfolgt  früher ;  Lün- 
gen-  und  Bronchial-Komplikationen 
werden  eher  verhütet,  und  nochmals, 
Zirkulationsstörungen  kommen  nicht 
so  häufig  vor.  Schliesslich,  und  das  ist 
von  sehr  grosser  Bedeutung  für  die 
meisten  Patienten,  können  sie  ihre  ge- 
wohnte Tätigkeit  früher  aufnehmen. 
Aussergewöhnliche  Vorbereitungen  zu 
der  Operation  werden  bei  meinen  Pa- 
tientinnen nicht  vorgenommen,  und 
brauchen  auch  nie  vorgenommen  zu 
werden,  wenn  ein  operativer  Eingriff 
am  Darm  oder  am  Magen  nicht  vorge- 
nommen werden  soll. 

Diskussion.  Dr.  von  Ramdohr: 
Ich  möchte  nur  zu  dem  Vortrag  er- 
wähnen, dass  gewiss  niemand  etwas 
gegen  die  Methode  hat.  Das  lange 
Liegenbleiben  war  gewiss  von  gros- 
sem Uebel,  und  deshalb  ist  ein  Vor- 
gehen gegen  die  lange  Bettlagerung 
der  Laparotomierten  von  allergröss- 
tem  Wert.  Unter  allen  Umständen 
am  ersten  oder  zweiten  Tage  aufzu- 
stehen, ist  natürlich  absolut  zu  verwer- 
fen. Aber  wie  Dr.  B  o  1  d  t  jetzt  die 
Indikation  gestellt  hat,  wenn  jeder  ein- 
zelne Fall  individualisiert  wird,  wenn 
alles  gründlich  und  sorgfältig  durchge- 
führt ist  und  der  Patient  sonst  in 
gutem  Zustand  sich  befindet,  dann  ist 
eine  frühe  Erhebung  vom  Lager  ge- 
wiss am  Platze,  und  ich  schliesse  mich 
den  Ausführungen  Dr.  B  o  1  d  t's  über 
die  neue  Methode  vollständig  an. 

Dr.  Carl  Pfister:  Ich  glaube 
auch,  dass  vor  allem  der  Verschluss 
der  Bauchdecke  sehr  wichtig  ist  und 
die  Art  und  Weise,  wie  sie  verschlos- 
sen wird.  Ich  selbst  tue  es  in  der 
Weise,  dass  ich  die  Fascien  ]/2  Zoll 
übereinander  legen,  mit  unterbrochenen 
Nähten  verschliesse.    Das  Peritoneum 


82 


New    Yorker  Medizi 


nische  Monatsschrift. 


wird  mit  fortlaufender  Naht  vernäht, 
alles  übrige  mit  Knopfnähten.  Bei 
einer  kleinen  Infektion  kann  man  dann 
einen  Stich  herausnehmen,  ohne  die 
ganze  Xaht  zu  zerstören.  Von  grosser 
Wichtigkeit  für  frühes  Aufstehen  ist, 
dass  die  Bauchdecken  fest  und  gut 
unterstützt  sind,  wie  bei  dem  Ver- 
band von  Dr.  B  o  1  d  t.  In  Berlin  ist 
man  auch,  wie  ich  im  vorigen  Sommer 
gesehen  habe,  ganz  davon  abgekom- 
men, die  Leute  so  lange  im  Bett  liegen 
zu  lassen.  Vor  10  Jahren  musste  ein 
Patient  mit  Appendizitis  noch  4 
Wochen  im  Bett  bleiben,  mit  Bruch  6 
Wochen,  bei  Overientumor  ungefähr 
ebenso  lange.  Die  Sache  ist  jetzt  her- 
untergedrückt, und  man  lässt  Patien- 
ten mit  Interval-Appendizitis  nach  14 
Tagen  aufstehen,  und  mit  anderen 
Fällen  ist  es  ebenso.  Allerdings  sagt 
Dührsen  noch  in  seinem  „Hand- 
buch der  Gynaekologie",  indem  er  die 
Vaginalfixation  gegenüber  der  Ven- 
trofixation  empfiehlt,  dass  er  die  Vagi- 
nalfixation deshalb  vorzieht,  weil  bei 
Laparotomie  infolge  zu  frühen  Auf- 
stehens so  leicht  ein  Volvulus  pas- 
sieren kann.  Wir  haben  neulich  hier 
über  Volvulus  gesprochen  und  wissen, 
dass  er  meist  die  Folge  septischer  Vor- 
gänge ist. 

Dr.  Willy  Meyer:  Die  Methode, 
welche  Dr.  B  o  1  d  t  heute  Abend  hier 
vertreten  hat  und  seit  längerer  Zeit  be- 
folgt, hat  jedenfalls  sehr  gute  Seiten. 
Es  ist  das  Bestreben  aller  Chirurgen 
hüben  und  drüben  seit  langer  Zeit,  die 
Bettruhe  ihrer  Patienten  möglichst 
abzukürzen,  und  speziell  bei  Laparoto- 
mie sind  alle  darin  übereingekommen, 
dass  die  Patienten  am  sechsten  oder 
siebenten  Tage  aufstehen.  Ohne 
Frage  ist  die  sorgfältige  Bauchnaht  die 
Hauptsache  bei  jeder  Operation,  und 
es  ist  wünschenswert,  dem  Patienten 
zu  zeigen,  wenn  er  sich  wohl  befindet, 
w  i  e  wohl  er  sich  befindet,  ihm  Mut 
einzuflössen,  und  dazu  ist  frühes  Auf- 
stehen von  grossem  Wert.  Die  Ge- 
fahren, die  unseren  Patienten  bei  La- 
parotomie drohen,  sind  vor  allem,  wie 
der  Vortragende  bemerkt  hat,  Throm- 
bose, Embolie  und  Pneumonie.  Man 
kann  vielerlei  zur  Verhütung  dieser 
Gefahren  anwenden.    Ich  habe  es  seit 


Jahren  so  gehalten,  dass  ich  meine  Pa- 
tienten vom  ersten  Tage  an  Athem- 
übungen  machen  lasse;  sie  müssen  sich 
häufig  links  und  rechts  drehen,  speziell 
das  linke  Bein  in  der  Hüfte  beugen 
und  strecken  und  das  Fussende  des 
Bettes  mässig  erhöht  haben. 

Es  scheint  mir  von  Wichtigkeit, 
keine  feste  Regel  aufzustellen  und 
nicht  etwa  darauf  zu  bestehen,  dass 
der  Patient  nach  12  Stunden  aus  dem 
Bett  genommen  wird,  sondern  zu  indi- 
vidualisieren. Sowie  es  richtig  er- 
scheint, dass  der  Patient  aufstehen 
sollte,  sollte  man  ihn  dazu  ermuntern 
und  bei  guter  Bauchnaht  aus  dem 
Bett  lassen.  Jedenfalls  sehe  ich  in  dem 
Kreuzzug,  den  Dr.  B  o  1  d  t  gegen 
langes  Bettliegen  unternommen  hat, 
viel  Wahres  und  Gutes. 

Dr.  Franz  Torek:  Dr.  B  o  1  d  t 
hat  speziell  über  Laparotomie  im  un- 
teren Teil  des  Abdomens  gesprochen. 
Das  frühe  Aufstehen  bezieht  sich  viel- 
leicht noch  in  höherem  Grade  auf  La- 
parotomie im  oberen  Teil  des  Abdo- 
mens, weil  in  diesem  Teil  der  Druck 
bei  der  sitzenden  oder  stehenden  Stell- 
ung noch  geringer  ist  als  bei  Laparoto- 
mie in  der  unteren  Bauchhälfte.  Mir 
ist  dies  auch  schon  seit  längerer  Zeit 
klar  gewesen,  und  um  dies  zu  zeigen, 
habe  ich  z.  B.  vor  5  oder  6  Jahren  vor 
dieser  Gesellschaft  einmal  einen  Pa- 
tienten vorgestellt,  an  dem  ich  vier 
Tage  vorher  eine  Gastrostomie  ausge- 
führt hatte.  Ich  brachte  ihn  hierher, 
um  zu  zeigen,  dass  der  Patient  nach 
der  Zeit  sogar  imstande  war,  aus  sei- 
nem Hospital  hierher  vor  das  Publi- 
kum gebracht  zu  werden.  In  jenem 
Falle  wurde  ich  dazu  geleitet,  dieses 
Verfahren  zu  befolgen,  weil  sich  am 
nächsten  Tag  eine  ziemlich  starke 
Bronchitis  entwickelte ;  deshalb  habe 
ich  ihn  sogleich  aufsitzen  und  am  zwei- 
ten Tag  nach  der  Operation  ausser 
Bett  bringen  lassen.  Ganz  speziell 
wäre  die  Methode  noch  anzuwenden 
bei  den  Fällen,  in  denen  man  einen 
kleinen  epigastrischen  Schnitt  macht, 
um  sich  über  gewisse  Vorgänge  im 
Leibe  zu  versichern,  eine  exploratori- 
sche  Laparotomie,  um  die  Anwesen- 
heit oder  Abwesenheit  von  Tumoren 
in  der  Magengegend  zu  entdecken. 


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83 


Dr.  J.  A.  Schmitt:  Es  unterliegt 
keinem  Zweifel,  dass  durch  Abkürzung 
der  Bettruhe  nach  Laparotomie  die 
Gefahr  der  Pneumonie  verringert  wird. 
Ein  Risiko  scheint  mir  jedoch  mit  zu 
frühem  Aufstehen  verknüpft  zu  sein, 
nämlich  das  Aufplatzen  der  Bauch- 
wunde. Ein  solches  Bedenken  ist 
durchaus  nicht  unbegründet,  da  trotz 
sorgfältig  angelegter  Etagennaht  auch 
bei  Laparotomierten,  die  im  Bette  ver- 
weilen, die  Bauchwunde  sich  spontan 
öffnen  kann.  Dies  geschieht  nament- 
lich dann,  wenn  den  Bauchwandungen 
durch  Husten,  Brechen,  überhaupt 
durch  Erhöhung  des  intraabdominellen 
Druckes  mehr  zugemutet  wird.  Sicher- 
heitsmassregeln nach  dieser  Richtung 
hin  bestehen  in  durchgreifenden  Silk- 
worm-Nähten  in  Verbindung  mit  der 
Etagennaht  und  vor  allen  Dingen  in 
dem  Querschnitt  über  der  Symphyse. 
Laparotomierte,  die  man  früh  auf- 
stehen lässt,  sollten  gegen  die  Gefahr 
des  Platzens  der  Bauchwunde  beson- 
ders geschützt  werden. 

Dr.  West:  Dr.  B  o  1  d  t  hat  aller- 
dings bei  einer  Anzahl  von  Patienten 
mit  seiner  Methode,  die  Patienten  früh 
ausser  Bett  zu  bringen,  wertvolle  Er- 
fahrungen gemacht.  Aber  es  tut  mir 
leid,  diese  Methode  befolgt  zu  sehen, 
denn  ich  glaube,  sie  wird  die  Leiden 
derer,  die  sich  der  Operation  der  La- 
parotomie unterziehen  müssen,  nur 
vermehren.  Wenn  jemand  krank  ist, 
bringen  wir  ihn  gewöhnlich  zu  Bett, 
und  ich  habe  noch  nie  einen  Patienten 
gesehen,  der  nach  der  Laparotomie 
nicht  sehr  krank  war.  Für  solche  Pa- 
tienten ist  es  am  besten,  sie  10  Tage 
bis  2  Wochen  im  Bett  zu  lassen.  Ich 
kann  keinen  Vorteil  darin  sehen,  diese 
Zeit  von  2  Wochen  zu  kürzen.  Dr. 
B  o  1  d  t  und  andere,  die  seine  Methode 
befolgt  haben,  haben  allerdings  bewie- 
sen, dass  die  Patienten  aufstehen  kön- 
nen, aber  ich  halte  das  nicht  für  gut, 
die  Patienten  sollten  vielmehr  im  Bett 
bleiben.  Wo  es  sich  um  Schliessung 
von  Wunden  handelt,  da  fördert  die 
ruhige  Lage  im  Bett  den  Heilungspro- 
zess  viel  mehr  als  Bewegung. 

Dr.  B.  S.  Talmey:  Ich  kann  mich 
den  Ausführungen  des  Vorredners  nur 
anschliessen.     Ich  kann  die  Vorteile, 


die  Dr.  B  o  1  d  t  geschildert  hat,  nicht 
so  recht  einsehen.  Es  hat  allerdings 
gewisse  Vorteile,  den  Patienten  früher 
aufstehen  zu  lassen,  als  man  es  vor 
Jahren  gewöhnt  war,  aber  ich  glaube, 
dass  man  dieselben  Vorteile  erzielen 
würde,  wenn  man  die  Patienten  nach 
6 — 7  Tagen  aufstehen  Hesse.  Da  wür- 
den sie  auch  Mut  bekommen  und  auch 
vielleicht  früher  ihre  Gesundheit  .wie- 
der erlangen  und  die  Gefahr  nicht  so 
vorhanden  sein,  als  wenn  man  sie,  wie 
Dr.  B  o  1  d  t  will,  am  Nachmittag  auf- 
stehen lässt,  nachdem  sie  am  Morgen 
operiert  worden  sind. 

Dr.  H.  J.  B  o  1  d  t  ( Schlusswort )  :  Ich 
habe  hier  natürlich  einen  grossen  Teil  des 
Vortrags  auslassen  müssen.  Die  Einzel- 
heiten sind  in  einem  englischen  Aufsatz 
im  New  York  Medical  Journal  beschrie- 
ben. Diejenigen  Patienten,  die  ich 
nicht  so  früh  aufstehen  lasse,  ermutige 
ich,  körperliche  Bewegungen  der  obe- 
ren und  unteren  Extremitäten  zu 
machen,  um  eine  bessere  Zirkulation 
hervorzurufen.  Ich  glaube,  dass  wir 
da  ziemlich  übereinstimmen,  dass  eine 
frühe  Beweglichkeit  der  Extremitäten 
von  sehr  grosser  Wichtigkeit  ist,  um 
etwaige  Thrombosen  zu  vermeiden. 

Was  nun  die  Methode  des  frühen 
Aufstehens  betrifft,  so  muss  ich  sagen, 
es  ist  ganz  sonderbar,  dass  manche 
Herren  davon  reden,  ihre  Patienten 
nach  einer  Woche  oder  10  Tagen  auf- 
stehen zu  lassen.  Die  Patienten  wur- 
den von  den  allerersten  Operateuren 
immer  4 — 6  Wochen  ruhig  gehalten. 
Wenn  nun  die  Herren  die  Patienten 
jetzt  schon  nach  einer  Woche  auf- 
stehen lassen,  so  haben  sie  sich  damit 
ganz  bedeutend  der  neuen  Behandlung 
angeschlossen.  Das  ist  nicht  die  alte 
Nachbehandlung.  Jemand,  der  seinen 
Patienten  nach  einer  grösseren  Opera- 
tion innerhalb  2  Wochen  aus  dem  Bett 
lässt,  hat  die  modifizierte  Nachbe- 
handlung angefangen.  Gerade  bei 
grossen  operativen  Eingriffen  wurde 
sehr  selten  davon  Gebrauch  gemacht, 
dass  die  Patienten  frühzeitig  auf- 
stehen. Wo  die  explorative  Laparoto- 
mie im  oberen  Teile  des  Bauches  ge- 
macht wird,  ist  selbstverständlich  der 
intra-abdominale  Druck  nicht  so  stark. 

Von  allergrösster  Wichtigkeit  halte 


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New    Yorker    Medizinische  Monatsschrift. 


ich  es  aber  bei  Laparotomie  wegen 
bösartiger  Neubildungen,  besonders 
wenn  diese  schon  ziemlich  weit  vorge- 
schritten sind,  dass.  solche  Patienten 
rechtzeitig  aus  dem  Bett  kommen. 

Dass  man  individualisieren  muss,  ist 
selbstverständlich.  Ich  habe  stets  in- 
dividualisiert. Nach  leichten  Eingrif- 
fen lasse  ich  die  Patienten  innerhalb  24 
Stunden  aufstehen,  und  sie  befinden 
sich  besser.  Wenn  die  Herren  es  pro- 
bieren und  die  Patienten  beobachten 
wollen,  so  werden  Sie  finden,  sie  laufen 
nach  5 — 6  Tagen  herum,  als  ob  sie  nie 
operiert  worden  wären.  Nach  wenigen 
Tagen  können  sie  ihren  Geschäften  im 
Hause  nachgehen.  Zeigen  Sie  mir  Pa- 
tienten, die  Sie  mehrere  Wochen  im  Bett 
liegen  lassen,  ob  sie  nach  drei  Wochen 
ihrer  Tätigkeit  im  Hause  nachgehen 
können.    Es  ist  unmöglich. 

Dr.  A.  P.  Moschcowitz:  All- 
gemeine Peritonitis  infolge  von  Ap- 
dendizitis  und  ihre  Behandlung.  (Der 
Vortrag  ist  in  dieser  Nummer  als  Origi- 
nalarbeit gedruckt.) 

Diskussion.  Dr.  Will  y  Meyer: 
Jeder  denkende  und  beobachtete  Arzt 
hält  die  Appendizitis  heutzutage  für 
eine  chirurgische  Erkrankung.  Es  ist 
wohl  nicht  zu  viel  behauptet,  wenn 
wir  sagen :  „Bekämen  wir  alle  Patien- 
ten mit  akuter  Appendizitis  innerhalb 
der  ersten  12 — 24  Stunden  zu  Gesicht, 
so  würden  wahrscheinlich  sämmtliche 
durch  Operation  geheilt  werden.  Die 
Schwierigkeit  liegt  darin,  dass,  speziell 
in  der  Hospitalpraxis,  dieses  Mille- 
nium niemals  kommen  wird  und  kom- 
men kann.  Infolge  davon  kommen 
derartige  Patienten  oft  erst  in  späterer 
Stunde,  am  2.,  3.,  4.  oder  5.  Tage, 
unter  chirurgische  Behandlung.  Die- 
jenigen, die  bis  dahin  nicht  gestorben 
sind,  entwickeln  nun  zweierlei:  ent- 
weder gehen  sie  über  —  ich  spreche 
von  Appendizitis  als  solcher  —  in  das 
Intervall  oder  sie  entwickeln  einen 
Abszess,  lokale  oder  diffuse  Peritonitis 
oder  beides  zusammen.  Bezüglich  der 
Behandlung  der  Intervall-Fälle  sind 
sich  alle  Chirurgen  und  die  meisten 
Patienten  einig.  Je  nach  ihrer  Zeit 
werden  sie  entweder  sofort  oder  später 
operiert.    Die  Resultate  sind  natürlich 


immer  gut.  Ueber  die  diffuse  Perito- 
nitis herrscht  auch  allgemeine  Ueber- 
einstimmung  unter  den  Chirurgen. 
Wenn  solche  Patienten  speziell  Rigidi- 
tät der  ganzen  Bauchmuskulatur  zei- 
gen und  Druckempfindlichkeit,  ganz 
abgesehen  von  Puls  und  Temperatur, 
so  steht  die  Diagnose  fest,  und  sie  soll- 
ten sofort  operiert  werden.  Manch- 
mal ist  in  dieser  Beziehung  das  Urteil 
etwas  getrübt  dadurch,  dass  vielleicht 
die  Empfindlichkeit  fehlt,  da  der  Pa- 
tient, ehe  er  in  Behandlung  kam,  mit 
Opiaten  behandelt  wurde.  In  dieser 
Beziehung  ist  ein  Fall  letzthin  für 
mich  sehr  lehrreich  gewesen,  und  ich 
habe  mich  dadurch  täuschen  lassen. 
Der  Fall  kam  am  6.  Tag  der  Krank- 
heit in  meine  Behandlung.  Es  kam 
mir  vor,  als  handele  es  sich  um  einen 
beginnenden  Abszess  "im  Douglas  und 
beschloss  ich,  zu  temporisieren.  Die 
Symptome  waren  dadurch  besonders 
von  Interesse,  dass  bei  dem  Spasmus 
der  Bauchmuskeln  Druckempfindlich- 
keit absolut  fehlte.  Der  Patient  ging 
später  an  allgemeiner  Peritonitis  zu 
Grunde.  Deshalb  möchte  ich  wieder- 
holen :  wenn  das  Abdomen  total  rigid 
ist,  aber  mit  Druckempfindlichkeit, 
nachzuforschen,  ob  solche  Patienten 
mit  Opiaten  behandelt  wurden.  Mus- 
kelspasmus ist  als  klinisches  Symptom 
das  wichtigste ;  an  zweiter  Stelle  folgt 
Druckempfindlichkeit.  Sind  eins  oder 
beide  vorhanden  bei  einschlägiger 
Krankengeschichte,  so  sollte  prompt 
operiert  werden,  abgesehen  von  Puls 
und  Temperatur. 

Die  dritte  Möglichkeit  ist  Bildung 
eines  lokalen  Abszesses  als  Folge  einer 
Appendizitis. 

Wie  soll  man  vorgehen  bei  einem  lo- 
kalen peritonitischen  Abszess?  Das 
ist  heute  durchaus  noch  nicht  vollkom- 
men klar  gestellt.  Der  lokale  Abszess 
wurde  noch  vor  ganz  kurzer  Zeit  von 
der  grossen  Mehrzahl  der  Aerzte  so 
behandelt,  dass  zu  Anfang  der  zweiten 
Woche  meist  der  Eiter  entleert  wurde 
und  der  Patient  der  Genesung  ent- 
gegen ging.  Fast  durchweg  machte 
der  Patient  eine  gute  Rekonvaleszenz 
durch. 

Die  einzige  Frage  ist  die :  wird  er 
in  späterer  Zeit  wieder  einen  Anfall 


New    Yorker   Medizinische  Monatsschrift. 


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bekommen?  Wenn  man  die  Statisti- 
ken durchsieht,  so  sind  es  ausseror- 
dentlich wenige  Fälle,  die  später  wie- 
der zu  leiden  haben.  Natürlich  ist  es 
von  grossem  Vorteil  für  den  Patienten, 
zu  wissen,  dass  sein  Appendix  entfernt 
ist,  und  deshalb  streben  die  Chirurgen, 
in  dieser  intermediären  Zeit  vorwärts 
zu  gehen,  den  Eiter  zu  entleeren  und  den 
Appendix  zugleich  zu  entfernen.  Ich 
hatte  gedacht,  dass  gerade  dieser 
Punkt  heute  Abend  hier  diskutiert,  be- 
tont werden  würde.  Er  interessiert  den 
allgemeinen  Praktiker  sicherlich  weit 
mehr  als  die  Varietäten  rein  chirurgi- 
scher Behandlung  der  allgemeinen 
Peritonitis,  ob  wir  mitten,  links  oder 
rechts  schneiden,  kurz  oder  lang, 
drainieren  oder  nicht  drainieren  etc. 
Nirgends  mehr  sollte,  meine  ich,  mehr 
individualisiert  werden  als  in  der  Be- 
handlung einer  akuten  Appendizitis 
mit  Eiterbildung  im  sogenannten  in- 
termediären Stadium.  Wenn  man  in 
jedem  Fall  es  sich  zum  Ziel  macht,  so- 
wie ein  lokaler  Abszess  entstanden  ist, 
ob  die  Leute  jung  oder  alt  sind,  sofort 
einzugreifen,  so  werden  manche  Men- 
schenleben zu  Grunde  gehen,  die  an- 
derweitig gerettet  werden  könnten. 
Patienten  im  kräftigen  Alter  zwischen 
ca  10 — 15  und  50  sollten  an  irgend  ei- 
nem Tag  des  Anfalls  operiert,  der 
Eiter  entleert  und  der  Appendix  ent- 
fernt werden.  Anders  ist  es  aber  bei 
Kindern  und  bei  alten  Leuten,  da 
muss  man  jeden  einzelnen  Fall  beur- 
teilen, um  das  zu  erreichen,  was  wir 
alle  anstreben,  nämlich  das  Leben  zu 
retten.  Ich  darf  vielleicht  zwei  spe- 
zielle Fälle  in  dieser  Beziehung  an- 
führen. Ich  weiss  von  einem  Fall,  wo 
ein  kleines  Mädchen,  am  5.  Tag  der 
Erkrankung,  weil  Temperatur  und 
Puls  plötzlich  höher  steigen,  von  einem 
tüchtigen  Chirurgen  operiert  wurde. 
Es  deutete  alles  darauf  hin,  dass  ein 
Abszess  da  war,  der  unter  hohem 
Druck  stand.  Es  zeigte  sich  bei  der 
Operation,  dass  das  Peritoneum  als 
solches  vollkommen  frei  war  und  der 
Abszess  retroperitoneal  und  abge- 
schlossen war  bei  Gangrän  des  Appen- 
dix. Das  Kind  ging  zu  Grunde  und 
sein  früher  Heimgang  hat  in  der  Fa- 
milie  für   immerdar   seinen  Schatten 


hinterlassen.  Es  war  später  die  An- 
sicht sämmtlicher  Chirurgen  in  dem 
Fall,  auch  des  erfahrenen  Operateurs, 
dass,  hätte  man  gewartet  und  nicht  so- 
fort in  den  Fall  eingegriffen  und  erst 
am  8.,  9.  oder  10.  Tage  operiert,  das 
Kind  wahrscheinlich  zu  retten  ge- 
wesen wäre. 

Ein  anderer  Fall  betrifft  einen 
Jungen  von  9  Jahren,  dessen  schwere 
Erkrankung  als  akute  Appendizitis 
vom  Arzt  offenbar  nicht  genügend 
früh  erkannt  war.  Er  bekommt  in  der 
Nacht  vom  dritten  zum  vierten  Tag 
Schüttelfrost  und  alle  Zeichen  einer 
lokalen  Perforation,  Empfindlichkeit 
speziell  auf  der  rechten  Seite,  Puls  140. 
Der  Junge  war  zart.  Ich  sah  ihn  um 
Mitternacht,  und  trotzdem  der  Fall 
nahelegte,  prompt  vorzugehen,  ver- 
suchte ich  zu  temporisieren,  weil  ich 
mir  sagte,  wenn  du  diesen  Jungen 
jetzt  sofort  operierst,  geht  er  zu 
Grunde.  Wir  haben  vierzig  Stunden 
temporisiert  und  dann  unter  grösster 
Vorsicht  rechts  operiert.  Wir  sahen  in 
der  Tiefe  des  Abszesses  einen  gangrä- 
nösen Appendix  vor  uns.  Der  Eiter 
wurde  nun  entleert,  ringsum  tampo- 
niert, und  wenige  Tage  später  stiess 
sich  der  Appendix  von  selbst  ab.  Der 
Junge  ist  heute  vollkommen  gesund. 

Ich  habe  jetzt  gerade  eine  Dame  von 
78  Jahren  operiert.  Da  war  ein  an  sei- 
ner Basis  gangränöser  Appendix.  Ich 
habe  den  Eiter  entleert,  die  Adhäsio- 
nen belassen,  den  Appendix  nicht  ent- 
fernt und  drainiert  und  glaube,  auf 
diese  Weise  der  Patientin  das  Leben 
zu  retten. 

Bezüglich  diffuser  Peritonitis  haben 
wir  heute  Abend  gehört,  was  in  einem 
grossen  Hospital  geschehen  kann  und 
geschehen  ist.  Wir  alle  haben  ähn- 
liche Fälle  unter  den  Händen  gehabt 
und  sind  der  Ansicht,  prompt  zu 
operieren.  Auch  ich  mache  in  den 
meisten  Fällen  einen  Seiten-Schnitt. 
Ich  habe  selten  gespült,  ich  tupfe  nur 
aus  und  nähe  die  Bauchwunde  zu  bis 
aufs  unterste  Ende  oder  ganz.  Bei 
grösseren  Ergüssen  sitzt  der  Patient 
auf,  in  der  F  o  w  1  e  r'schen  Lage;  ich 
lege  dabei  häufig  ein  Zigarettendrain 
ein.  Es  ist  noch  nicht  ganz  klar,  ob 
man  in  diesen   Fällen    drainieren  soll 


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New   Yorker   Medizinische  Monatsschrift. 


oder  ganz  zunähen.  Ich  glaube,  nur 
da,  wo  der  Patient  einen  nekrotischen 
Prozess  intraperitoneal  hat  und  behält, 
den  man  oeprativ  nicht  sofort  elimi- 
nieren kann,  ist  es  von  Vorteil  für  den 
Patienten  zu  drainieren.  Sonst  soll 
man  die  ganze  Wunde  schliessen,  das 
Peritoneum,  wenn  nicht  lädiert,  wird 
mit  den  Entzündungserregern  und 
Produkten  schon  fertig.  Zur  Steiger- 
ung der  Leukozytose  glaube  ich  von 
Nuklein  subkutan  günstige  Erfolge  ge- 
sehen zu  haben. 

Ich  möchte  nochmals  sagen,  dass 
man  augenblicklich  speziell  nur  noch 
darüber  diskutiert,  ob  man  den  peri- 
typhlitischen Abszess  zu  irgend  einer 
Zeit  direkt  angreifen  soll  und  den  Ap- 
pendix mit  entfernt  oder  ob  man  ihn 
nach  alter  Methode  in  der  zweiten 
Woche  entleert  und  dann  den  Appen- 
dix sich  selbst  überlässt.  Nochmals 
möchte  ich  betonen,  dass  hier  nichts 
mehr  geraten  ist,  als  nicht  nach  der 
Schablone  zu  arbeiten,  sondern  zu  in- 
dividualisieren, denn  nur  auf  diese 
Weise  kann  es  gelingen,  das  höchste 
Ziel  unserer  Kunst  zu  erreichen  :  mög- 
lichst viele  Leben  zu  retten. 

Dr.  H.  Lilienthal:  Ich  werde 
versuchen,  mich  an  das  Thema  Peri- 
tonitis zu  halten.  Freilich  hat  Dr. 
Moschcowitz  das  Thema  fast 
vollständig  erschöpft,  so  dass  nicht  viel 
zu  sagen  übrig  bleibt,  vielleicht  mit 
Ausnahme  einer  geringen  Differenz  in 
der  Behandlungsmethode.  Auch  bil- 
lige ich  die  Bezeichnung  Pyoperi- 
toneum  ;  damit  verstehen  wir  Fälle,  in 
denen  viel  Eiter  in  der  freien  Bauch- 
höhle vorhanden  ist,  jedoch  mit  nur 
sehr  geringen  Reizerscheinungen. 

Was  die  Art  der  Infektion  im  allge- 
meinen betrifft,  so  hängt  diese  nicht 
nur  von  der  Art,  dem  Namen  oder  der 
Eigenschaft  der  Bakterien  ab,  sondern 
auch  von  der  Empfänglichkeit  des  In- 
dividuums für  das  eigentümliche  Gift, 
das  der  Keim  hervorbringt.  Nicht  nur 
die  Infektion,  sondern  die  Art  und 
Weise,  wie  ein  Individuum  auf  die  In- 
fektion reagiert,  ist  von  grosser  Wich- 
tigkeit, und  sollten  in  der  Prognose 
eines  gegebenen  Falles  berücksichtigt 
werden. 

Was  nun  die  Methode  betrifft,  so 


bin  ich  an  eine  Methode  gewöhnt,  die 
verschieden  ist  in  manchen  unwesent- 
lichen Details  von  der,  die  Dr. 
Moschcowitz  beschrieben  hat. 
Ich  mache  den  Kammerer  -  Schnitt 
nicht  in  allen  Fällen,  ebenso  oft  ver- 
wende ich  einen  Schnitt  durch  den 
Rektus ;  denn  in  einigen  Fällen  musste 
ich  den  Kammererschnitt  erweitern 
und  kam  in  Konflikt  mit  den  unteren 
Kostalnerven.  Seit  ich  die  transrek- 
tale Methode  adoptiert  habe,  habe  ich 
in  keinem  Fall  eine  Hernie  gesehen. 
Ich  lege  keine  Gazepackung  ein,  weil 
ich  glaube,  dass  Gazepackung  das 
Peritoneum  verletzen  und  für  Ent- 
zündung empfänglich  machen  würde. 
Nachdem  das  Abdomen  geöffnet,  ohne 
eine  Packung  einzulegen,  wird  der 
Appendix  gesucht.  Ich  kümmere  mich 
nicht  darum,  ob  ein  Abszess  da  ist 
oder  nicht;  ich  glaube  nicht,  dass  dies 
von  besonderer  Wichtigkeit  ist.  Wenn 
der  Appendix  entfernt  ist,  wird  ein 
Abszess  drainiert  und  der  Rest 
des  Peritoneums  geschlossen.  Keine 
Drainage,  kein  Auswaschen.  Wenn 
die  Abszesshöhle  gross  ist,  gebrauche 
ich  den  Zigarettendrain.  Also  kein 
Auswaschen,  kein  Auswischen,  keine 
temporäre  Packung,  keine  Drainage 
fürs  Peritoneum ;  nur  Abszesshöhlen 
werden  drainiert.  Wenn  es  sich  um 
eine  ungeheure  Ausdehnung  handelt, 
in  einem  sehr  vorgeschrittenen  Fall, 
da  wird  die  Enterotomie  ausgeführt, 
um  den  Patienten  zu  erleichtern,  nicht 
weil  ich  glaube,  dadurch  eine  Obstruk- 
tion überwinden  zu  können. 

Ich  bedauere  sehr,  was  Dr.  Meyer 
betreffs  der  Kinder  gesagt  hat. 
Selbst  da,  wenn  das  Kind  nicht  in 
einem  verzweifelten  Zustand  ist,  sollten 
wir  versuchen,  den  Appendix  heraus 
zu  bekommen.  Ich  habe  Fälle  ge- 
sehen, in  denen  eine  zweite  Operation 
nötig  war.  Ich  stimme  mit  Dr. 
Meyer  überein,  was  alte  Leute  be- 
trifft. Wenn  diese  wiederholte  An- 
fälle bekommen,  so  sind  die  Chancen 
des  Lebens  nicht  dieselben  wie  bei 
Kindern.  Da  können  wir  warten  und 
einfach  den  Abszess  eröffnen. 

Dr.  Franz  Torek:  Wie  wohl 
manchem  von  Ihnen  bekannt  sein 
wird,  habe  ich  denselben  Gegenstand 


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unter  dem  Namen  diffuse  eitrige  Peri- 
tonitis behandelt.  In  betreff  der  In- 
zision  möchte  ich  sagen,  dass  dieselbe 
nach  meiner  Ansicht  an  eine  Stelle  ver- 
legt werden  soll,  von  der  aus  man  den 
Prozess  in  allen  seinen  Teilen  gleich 
gut  erreichen  kann.  Wenn  sich  nun 
der  Eiter  nicht  bis  ganz  nach  links  er- 
streckt, sondern  nur  bis  zum  äusseren 
Rande  des  linken  Rektus,  so  würde  die 
rechte  Rektusinzision  den  Erfordernis- 
sen entsprechen.  Wenn  jedoch  der 
Prozess  sich  bis  ganz  nach  links  hin 
erstreckt,  gibt  die  Inzision  in  der  Mit- 
tellinie den  besten  Zugang.  Von  der 
rechten  Rektusinzision  kann  man  die 
linke  Bauchhälfte,  besonders  das  linke 
Hypochondrium  nur  sehr  unvollkom- 
men reinigen.  Was  die  Grösse  der  In- 
zision anbetrifft,  so  sollte  diese  nach 
meiner  Meinung  gross  genug  sein, 
dass  man  unter  Leitung  des  Auges  ar- 
beiten kann.  Ich  habe  Fälle  gesehen, 
wo  neben  dem  freien  Eiter  noch  ver- 
schiedene grössere  Eiteransammlungen 
hinter  frisch  adhärenten  Darmschlin- 
gen verborgen  waren,  welche  man 
ohne  direkten  Einblick  nicht  entdeckt 
hätte.  Die  Gegner  der  grossen  In- 
zision heben  hervor,  dass  dadurch  der 
Shock  vergrössert  würde.  Ich  habe 
mich  davon  nicht  überzeugen  können. 
Eventration  verursacht  Shock  und 
wird  daher  womöglich  vermieden. 
Wenn  ich  jedoch  in  die  Lage  versetzt 
würde,  entweder  eventrieren  zu  müs- 
sen oder  unvollkommen  zu  reinigen,  so 
würde  ich  ganz  entschieden  even- 
trieren. Ferner  wird  hervorgehoben, 
dass  die  grössere  Inzision  zu  viel  Zeit 
raubt.  Das  ist  auch  nicht  der  Fall. 
Wenn  man  eine  grössere  Inzision  hat, 
so  kann  man  den  wichtigsten  Teil  der 
Operation,  das  Reinigen,  viel  schneller 
fertig  bringen,  als  bei  kleiner  Inzision. 
Ich  habe  Operationen  mit  grozzer  In- 
zision mehrmals  in  20 — 25  Minuten  be- 
endet. 

Was  die  Frage  des  Wischens  oder 
Spülens  anbetrifft,  so  scheint  es  zwei 
Faktionen  zu  geben.  Die  einen  wollen 
immer  gewischt  haben,  die  anderen  im- 
mer gespült.  Meiner  Ansicht  nach  soll 
man  darin  elektiv  vorgehen.  Wenn 
der  Eiter  sich  nur  über  einen  verhält- 
nissmässig  kleinen  Teil  des  Peritone- 


ums verbreitet,  wäre  es  töricht,  durch 
Spülung  denselben  über  die  ganze 
Bauchhöhle  zu  verbreiten.  Wenn  wir 
aber  schon  diffuse  eitrige  Peritonitis 
haben,  ist  die  Spülung  entschieden  das 
schonendere  Verfahren.  Selbst  in  die- 
sen Fällen  jedoch  tupfe  ich  zuerst  vor- 
sichtig das  Gros  des  Eiters  hinweg 
und  lasse  nachher  eine  sorgfältige 
Spülung  folgen.  Das  Wischen  von 
ausgedehnten  Strecken  des  Peritone- 
ums halte  ich  jedoch  für  absolut  falsch, 
denn  dadurch  können,  wie  Dr. 
L  i  1  i  e  n  t  h  a  1  hervorgehoben,  Läsio- 
nen entstehen,  welche  das  Peritoneum 
in  seiner  bakteriziden  Kraft  schädigen. 

Was  die  Drainage  betrifft,  so  mag 
manchem  von  Ihnen  bekannt  sein,  dass 
ich  als  erster  in  dieser  Krankheit  syste- 
matisch die  Drainage  unterlassen  habe 
und  mich  in  allen  Fällen  der  diffusen 
eitrigen  Peritonitis  des  vollständigen 
Verschlusses  der  Bauchwunde  bedient 
habe.  Wenn  die  peritoneale  Höhle  so 
gut  gereinigt  ist,  dass  man  makrosko- 
pisch keinen  Eiter  mehr  findet  und  die 
Spülflüssigkeit  nicht  mehr  trübe  wird, 
dann  ist  das  Peritoneum  imstande, 
auch  noch  der  übrigen  Infektion  Herr 
zu  werden,  vorausgesetzt  dass  es  nicht 
durch  Einführen  fremder  Substanzen, 
wie  z.  B.  Gazedrains,  geschädigt  wor- 
den ist.  Je  ausgiebiger  man  drainiert, 
desto  mehr  wird  das  Peritoneum  ge- 
schädigt und  in  seinem  Kampf  gegen 
Infektion  gestört.  Nach  F  o  w  1  e  r 
wird  nur  das  Becken  drainiert  und 
der  Patient  in  eine  schräg  sitzende 
Lage  gebracht,  mit  der  Idee,  dass  das 
eitrige  Exudat  nach  unten  ablaufen 
soll.  Ich  halte  die  Anhänger  dieser 
Lehre  für  grosse  Optimisten,  denn  es 
handelt  sich  ja  nicht  um  grosse  An- 
sammlungen von  Eiter,  die  durch  ihre 
Schwere  nach  unten  sinken  könnten ; 
denn  wären  uns  diese  bei  der  Opera- 
tion entgangen,  so  waren  sie  gewiss 
abgesackt,  und  können  schon  aus  dem 
Grunde  nicht  nach  unten  flicssen. 
Handelt  es  sich  aber  um  eine  flächen- 
hafte Beschmutzung  mit  Eiter,  so  wird 
dieser  kraft  seiner  Adhäsion  kleben 
bleiben.  Und  ferner  halten  viele  iener 
sehr  schwer  kranken  Patienten  diese 
Lage  überhaupt  nicht  aus.  In  einer 
Anzahl  meiner  Fälle  habe  ich  sogar 


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New    Yorker   Medizinische  Monatsschrift. 


den  Kopf  niedriger  legen  müssen  we- 
gen drohenden  Kollapses.    Die  Fälle, 
die  nach  der  F  o  w  1  e  r'schen  Methode 
geheilt   worden   sind,   verdanken  ge- 
wiss ihre  Rettung  nicht  der  F  o  w  1  e  r' 
sehen    Lage,   sondern   der  Tatsache, 
dass  nur  sehr  wenig  drainiert  worden 
ist   und    daher   das    Peritoneum  nur 
wenig  Schädigung  erlitten  hat.  Wenn 
man   nicht   drainiert,   bekommt  man 
auch  weniger  Adhäsionen,  und  deshalb 
ist  die  Gefahr  des  postoperativen  Ileus 
bedeutend  geringer.    Nach  dieser  Me- 
thode habe  ich  bis  jetzt  23  Fälle  von 
diffuser  eitriger  Peritonitis  behandelt 
und  davon  20  gerettet,  3  sind  gestor- 
ben, aber  einer  davon,  der  in  mori- 
bundem Zustand  kam  und  nie  hätte 
operiert  werden  sollen.    Es  wären  so- 
mit aus  22  Patienten  2  gestorben,  was 
eine    Mortalität    von    9    Prozent  be- 
deutet.   Es  ist  ganz  gewiss,  wie  Dr. 
Moschcowitz    sagt,    nicht  das 
letzte  Wort  gesprochen  über  die  Be- 
handlungsmethode, und  es  wird  wahr- 
scheinlich nie  das  letzte  Wort  gespro- 
chen werden.    So  lange  es  selbständig 
denkende  Aerzte  gibt,  wird    es  ver- 
schiedene  Methoden  der  Behandlung 
geben,    und    wenn  einer  nach  seiner 
Methode  genügend  günstige  Resultate 
erzielt  hat,  so  glaube  ich,  dass  er  auch 
bei  der  Methode  bleiben  soll  und  nicht 
eine  Methode  versuchen,  die  ihm  nicht 
geläufig  ist.    Er  würde  dann  vielleicht 
nicht  so  gute  Resultate  erzielen. 

Dr.  Willy  Meyer:  Ich  möchte 
mich  noch  in  einer  persönlichen  Be- 
merkung richtig  stellen.  Dr.  Lilien- 
thal hat  mich,  glaube  ich,  nicht  rich- 
tig verstanden.  Ich  habe  nicht  ge- 
sagt, dass  ich  bei  Kindern  einen  gan- 
gränösen Appendix  nicht  entferne.  Ich 
habe  gesagt,  dass  man  sich  bei  Kin- 
dern (wie  bei  alten  Leuten),  die 
schwer  krank  und  schwach  sind,  be- 
sondere Mühe  geben  soll,  richtig  zu 
individualisieren  und  nicht  nach  der 
Schablone  zu  arbeiten.  Man  soll  eben 
nicht  in  jedem  Fall  darauf  bestehen, 
wenn  man  in  der  Interimszeit  oder 
auch  noch  etwas  später  zur  Operation 
kommt,  den  Appendix  bei  Eröffnung 
des  Abszesses  mit  zu  entfernen.  Tut 
man  es,  so  wird  man,  glaube  ich,  nicht 
so  viele  Kinder  am  Leben  erhalten,  als 


wenn  man  etwas  konservativer  ver- 
fährt. 

Dr.  A.  V.  M  oschcowitz 
(Schlusswort)  :  Um  an  das  anzu- 
knüpfen, was  Dr.  Meyer  jetzt  er- 
wähnt hat,  so  bin  ich  auch  der  Mein- 
ung, dass  man,  wenn  irgend  möglich, 
den  Appendix  entfernen  sollte.  Ich 
habe  mit  Dr.  L  i  1  i  e  n  t  h  a  1  freund- 
schaftlich über  dieses  Thema  gespro- 
chen. Ich  weiss,  ich  hätte  es  erwähnen 
sollen,  dass  Dr.  L  i  1  i  e  n  t  h  a  1  nicht 
genau  nach  unserer  Methode  arbeitet, 
dass  er  insbesondere  keine  Gazepack- 
ung einlegt.  Wir  haben  diesen  Punkt 
öfters  diskutiert,  aber  wir  haben  es 
beim  Disputieren  lassen  müssen,  denn 
wenigstens  für  den  Augenblick  kann 
ich  mich  nicht  mit  der  Idee  befreun- 
den, dass  es  nicht  schädlich  ist,  den 
Abszess  in  die  freie  Bauchhöhle  zu 
perforieren.  Ich  glaube  wenigstens, 
dass  ein  Abszess  viel  besser  entleert 
werden  kann,  wenn  man  ihn  mit  Gaze- 
packung temporär  abgeschlossen  hat 
und  den  Eiter  ausdrückt. 

Dr.  Tore  k's  Absicht  ist  es,  das 
Peritoneum  zu  reinigen.  Das  kann 
nur  heissen,  mehr  oder  minder  reini- 
gen. Wir  haben  in  unserer  Methode 
gar  nicht  die  Absicht,  das  Peritoneum 
zu  reinigen.  Wir  tupfen  auch  nicht, 
wir  wischen  nicht.  Wir  lassen  den 
Eiter  so  viel  wie  möglich  abfliessen. 
Ein  bis  zwei  Gazetupfer  werden  ober- 
flächlich in  den  Douglas  eingeführt 
und  damit  etwas  von  dem  Eiter  her- 
ausgeholt, mehr,  sozusagen,  zu  diag- 
nostischen Zwecken,  um  zu  sehen,  wie 
viel  Eiter  da  ist. 

Ich  weiss  auch,  dass  Dr.  T  o  r  e  k 
seine  Fälle  von  Peritonitis  absolut 
verschliesst.  Diese  totale  Naht  wird 
auch  von  vielen  anderen  befürwortet. 
Es  ist  eine  Genugtuung,  ein  Sicher- 
heitsventil, mag  das  Drain  noch  so 
klein  sein,  eines  hinein  legen  zu  kön- 
nen. 

Dr.  T  o  r  e  k  hat  auch  erwähnt,  dass 
die  Patienten  oft  die  F  o  w  1  e  r'sche 
Lage  nicht  gut  vertragen.  Er  be- 
fürchtet Gehirnanämie.  Wir  lassen 
aber  die  Patienten  nicht  im  Bett  sitzen. 
Wir  heben  das  ganze  Kopfende  des 
Bettes,  sodass  der  Patient  gewisser- 
massen  im  Bett  steht,  und  wir  finden, 


New    Yorker   Medizinische  Monatsschrift. 


89 


dass  die  Patienten  das  nicht  nur  sehr 
gut  vertragen  können,  sondern  sich  be- 
deutend wohler  fühlen,  als  wenn  sie 
flach  liegen.  Diese  F  o  w  1  e  r'sche 
Lage  benützen  wir  auch  bei  allen  Pa- 
tienten, bei  denen  wir  Pneumonie  be- 
fürchten. 

Präsident  Dr.  Carl  Beck:  Die 
Abstimmung  hat  ergeben,  dass  die 
vorgeschlagenen    Kandidaten    Dr.  R. 


S  t  e  c  h  111  a  n  n  und  Dr.  Fr.  Hein 
aufgenommen  sind.  Ich  erkläre  die- 
selben hiermit  als  Mitglieder  der  Ge- 
sellschaft. 

Es  werden  zur  Mitgliederschaft  vor- 
geschlagen Dr.  Morris  Klein  und 
Dr.  Emil  M  a  n  t  n  e  r,  Xewark. 

Hierauf  Schluss  und  Vertagung. 
D  r.  J.  A.  B  e  u  e  r  m  a  n  n, 

Protokoll  Sekretär. 


Deutsche  Medizinische  Gesellschaft  der  Stadt  Chicago. 


Sitzung  vom  15.  November  1906. 
Vorsitz :    Dr.  Herzog. 

Programm. 

1.  Dr.  A.  Strauch:  Primäre  Sple- 
nomegalie (mit  Krankenvorstellun- 
gen). 

2.  Dr.  Clausius:  Paroxysmale 
Haemoglobinurie  (mit  Krankenvor- 
stellungen). 

3.  Dr.  H.  Schiller:  Hauterkrank- 
ungen während  der  Menstruation. 

4.  Geschäftliches:  Aufnahmsgesuche 
der  Herren  Dr.  Ed.  S  e  u  f  e  r  t,  Dr.  M. 
R  e  i  c  h  m  a  n  n  und  Dr.  R.  Rem  b  e. 

Das  Protokoll  der  vorhergegange- 
nen Sitzung  wird  verlesen  und  ange- 
nommen. 

Diskussion  zu  Dr.  S  t  r  a  u  c  h's  Vor- 
trag: 

Dr.  Herzog:  Wir  nennen  diese 
Erkrankungsform  primäre  Splenome- 
galie, weil  wir  annehmen,  dass  die 
Milz  das  primär-erkrankte  sei,  ohne  je- 
doch die  Ursache  dieser  Milzvergrös- 
serung  vorläufig  zu  kennen. 

Auszuscheiden  sind  manche  Fälle, 
deren  Aetiologie  man  kennen  gelernt 
hat.  Milztumoren  mit  progressiver 
Anämie  werden  häufig  in  den  Tropen 
z.  B.  in  Indien  und  auf  den  Philip- 
pinen-Inseln gefunden.  Für  eine  Reihe 
dieser  Fälle  ist  es  bereits  gelungen,  ei- 
nen Parasiten  als  Urheber  aufzufinden, 
der  vielleicht  in  die  Gruppe  der  Trypa- 
nosomen gehört.  Diese  Befunde 
L  i  c  h  m  a  n's  und  Donova  n's  wur- 
den von  anderen  Autoren  vielfach  be- 
stätigt. Eine  ganze  Anzahl  von  Fällen 
von    Milztumor    mit    Anaemie  wird 


wahrscheinlich  noch  weiterhin  ausge- 
schieden werden,  wenn  sich  der  para- 
sitäre Ursprung  erwiesen  haben  wird. 
In  den  Tropen  gibt  es  aber  viele  Fälle, 
deren  Aetiologie  völlig  unbekannt  ist. 
Herzog,  der  auf  den  Philippinen- 
Inseln  sehr  oft  die  Kombination  von 
grossen  Milztumoren  mit  Lebercir- 
rhose  beobachten  konnte,  untersuchte 
hunderte  von  solchen  Milzen  auf  Para- 
siten, jedoch  mit  negativem  Erfolge. 
Die  Milzvergrösserungen  mit  Anaemie 
auf  den  Philippinen-Inseln  sind  vor- 
läufig nicht  auf  Parasiten  zurückführ- 
bar. 

Bezüglich  der  pathologischen  Anato- 
mie der  primären  Splenomegalie  bemerkt 
Dr.  Herzog,  dass  die  bedeutende  Ver- 
mehrung der  Endothelzellen  in  der  Milz 
sehr  auffallend  sei,  sodass  ursprünglich 
von  den  Franzosen  der  Prozess  als  dif- 
fuse Karzinomatose  aufgefasst  worden 
war.  Der  Haemoglobingehalt  ist  bei  pri- 
märer Splenomegalie  mehr  vermindert 
als  die  Zahl  der  roten  Blutkörperchen. 
Vielleicht  ist  die  enorme  Endothelwu- 
cherung  die  Ursache  der  Anaemie.  Im 
vorliegenden  Falle  ist  die  Aenderung  des 
Blutbildes  im  Sinne  einer  bedeutenden 
Besserung  sehr  interessant :  Dr.  H  e  r- 
zog  würde  daher  vorläufig  zögern,  zu 
operieren.  Die  allgemeine  Auffassung 
bezüglich  der  Therapie  spricht  sich  zu 
Gunsten  der  Operation  aus,  Osler  hin- 
gegen empfiehlt  Arsenik  auf  das  Wärm 
ste. 

Die  von  Dr.  Strauch  erwähnte 
Vermehrung  der  eosinophilen  Zellen 
post  Operationen!  hat  Dr.  H.  selbst  ge- 
sehen, sowohl  an  Menschen  als  auch  bei 
Tieren.     Zum  Studium  der  Frage,  ob 


New    Yorker   Medizinische  Monatsschrift. 


sich  erworbene  Eigenschaften  vererben 
können,  splenektomierte  Dr.  Herzog 
Ratten  in  drei  fortlaufenden  Genera- 
tionen mit  folgender  Ueberlegung : 
Wenn  man  zum  Studium  dieser  Frage, 
wie  es  Weidmann  getan,  Ratten  die 
Schwänze  abschneidet,  so  bleiben  erstere 
biologisch  dieselben  Individuen ;  wenn 
man  den  Tieren  aber  die  Milz  exstirpiert, 
so  repräsentieren  sie,  wie  man  annehmen 
muss,  biologisch  andere  Individuen.  Es 
Hesse  sich  darum  vielleicht  die  Frage 
nach  der  Vererbung  erworbener  Eigen- 
schaften, wie  z.  B.  einer  dauernden  Ver- 
änderung des  Blutes  mit  mehr  Erfolg 
auf  letzterem  Wege  studieren.  Doch 
geben  Dr.  H  e  r  z  o  g's  Experimente 
keine  eindeutigen,  unanfechtbaren  Resul- 
tate. 

Dr.  Carl  Beck  bemerkt  zur  Tech- 
nik der  Splenektomie :  für  die  gewöhn- 
lichen Splenektomien  sind  einfache 
Längsschnitte  sehr  gut.  Bei  sehr  gros- 
sen Milztumoren  jedoch  sind  Lappen- 
schnitte zu  empfehlen,  um  jeden  starken 
Zug  an  der  Milz  und  ein  gewaltsames 
Manipulieren  an  derselben  mit  Hinsicht 
auf  die  zartwandigen  dilatierten  Venen 
vermeiden  zu  können.  Die  Entwicklung 
der  Milz  kann  unter  Umständen  sehr 
schwierig  sein.  Sogar  Durchtrennung 
von  Rippen  war  in  einem  seiner  Fälle 
notwending,  um  die  Milz  aus  der 
Schnittwunde  hervorzubringen.  Die 
Operation  ist  mit  starker  Blutung  ver- 
bunden, der  Shock  ist  oft  ein  tiefer  und 
kann  sich  über  eine  lange  1  Zeit  er- 
strecken, so  dass  sich  die  Patienten  nur 
langsam  von  demselben  erholen.  In 
einem  von  Dr.  C.  Beck  operierten  Falle 
war  noch  nach  24  Stunden  der  Puls 
kaum  fühlbar.  In  einem  seiner  Fälle 
trat  Exitus  letalis  durch  Sepsis  ein ;  in 
einem  anderen  Falle  wurden  Röntgen- 
strahlen therapeutisch  mit  Erfolg  ver- 
wendet. Solange  der  Patient  behandelt 
wurde,  verkleinerte  sich  die  Milz  merk- 
lich :  nach  Unterbrechung  der  Röntgen- 
strahlenbehandlung  wuchs  sie  wieder; 
das  Spiel  wiederholte  sich. 

Dr.  H.  Schiller  hält  die  Fälle  für 
Anaemia  splenica,  da  bei  Bantischer 
Krankheit  bereits  Ascites  und  Ka- 
chexie vorhanden  sein  müsste ;  auch 
das  familiäre  Auftreten  spreche  gegen 
Bantische  Krankheit. 


Dr.  Strauch  (Schlusswort)  hat 
sich  bei  der  Besprechung  der  Differen- 
zieldiagnose  für  Anaemia  splenica  er- 
klärt. Die  Leber  zeigt  ja  trotz  des 
wenigstens  Zl/2  Jahre,  wahrscheinlich 
vier  Jahre  langen  Bestehens  der  Er- 
krankung beim  älteren  Patienten  keine 
klinisch  nachweisbaren  Veränderun- 
gen, keine  funktionelle  Störung  im 
Sinne  einer  alimentären  Glykosurie. 
Kachexie  und  Ascites  tritt  erst  im 
Endstadium  der  Bantischen  Krank- 
heit auf,  die  höchstens  Al/2  Jahre  dau- 
ert ;  andererseits  können  bei  Anaemia 
splenica  die  kachektischen  Erscheinun- 
gen unter  Umständen  früh  auftreten. 
Im  Frühstadium  ist  die  Differenzial- 
diagnose  wohl  meist  unmöglich.  Der 
riesige  Milztumor  bei  dem  älteren  Bru- 
der ist  sehr  gut  beweglich,  wie  sich  die 
Herren  überzeugen  konnten,  sodass 
man  hier  einen  langen  Stiel  und  die 
Abwesenheit  grösserer  Adhäsions- 
bildung, speziell  mit  der  Bauchwand 
vermuten  kann.  Interessant  ist  das  in 
der  Literatur  des  öfteren  beschriebene 
gleichzeitige  Vorkommen  von  ausge- 
sprochener Polycythaemie  mit  Milz- 
tumor. Bezüglich  der  Folgen  nach 
Exstirpation  der  Milz  ist  noch  hinzu- 
fügen, dass  bei  manchen  Thieren,  wie 
Pferd,  Hund,  Frosch,  Neubildungen 
von  milzähnlichem  Gewebe  im  Mesen- 
terium und  Netz  beobachtet  worden 
sind. 

Diskussion  zum  Vortrag  des  Herrn 
Dr.  C  1  a  u  s  i  us  über  Paroxysmale 
Haemoglobinurie. 

Dr.  Schmauch  hat  das  Blut  des 
demonstrierten  Patienten  untersucht 
und  keine  Besonderheit  gefunden  aus- 
ser einer  Verminderung  der  Resistenz- 
fähigkeit der  roten  Blutzellen,  indem 
leicht  Missformen,  z.  B.  Stechapfel- 
formen derselben  entstehen.  Plasmo- 
dien sind  keine  nachweisbar.  Malaria 
haemoglobinurica  ist  auszuschliessen. 
Patient  leidet  nur  in  der  kalten  Wit- 
terung. Die  paroxysmale  Haemoglo- 
binurie ist  eine  Erkältungskrankheit. 
Dass  Kälte  tatsächlich  eine  wichtige 
Rolle  spielt,  ist  nicht  nur  durch  die 
klinische  Beobachtung  schon  lange 
bewiesen,  sondern  auch  durch  die  Tat- 
sache dem  Verständnis  näher  gerückt, 


New    Yorker   Medizinische  Monatsschrift. 


9i 


dass  das  Serum  solcher  Menschen  auf 
jedes  Blut  haemolytisch  wirkt,  falls 
das  erstere  abgekühlt  worden  war. 
Was  aber  das  haemolytisch  Wirkende 
ist,  ist  völlig  unbekannt. 

Dr.  Strauch  empfiehlt  für 
schwere  Fälle  von  paroxysmaler  Hae- 
moglobinurie  den  Aufenthalt  in  einem 
südlicheren  Klima  wenigstens  während 
unserer  Winterszeit. 

Dr.  Schiller  weist  auf  die  Mit- 
teilungen Dr.  B  a  b  e  k's  aus  Rumänien 
hin,  dass  bei  Gelegenheit  einer  Winter- 


epidemie von  Haemoglobinurie  unter 
Rindern  diplokokkenähnliche  Bakterien 
im  Blute  als  mögliche  Erreger  aufge- 
funden worden  seien. 

Dr.  Herzog:  Ich  weiss  nichts  von 
dieser  Entdeckung;  aber  ein  typisches 
Beispiel  von  Rinder-Haemoglobinurie 
ist  das  Texasfieber,  eine  Piroplasmosis, 
bei  welcher  Protozoen  in  den  roten 
Blutkörperchen  gefunden  werden. 

Der  Vortrag  des  Herrn  Dr.  S  c  h  i  1- 
1  e  r  wird  wegen  vorgerückter  Zeit  ver- 
tagt. 


Bankett  der  Deutschen  Medizinischen  Gesellschaft  von  Chicago, 

20.  Oktober  1906. 


Den  Statuten  des  Vereines  entspre- 
chend, den  Beginn  eines  neuen  Vereins- 
jahres in  geselliger  Weise  durch  ein 
Festmahl  zu  feiern,  vereinigten  sich 
zahlreiche  Mitglieder  und  Gäste  im  Ho- 
tel Bismark. 

Der  abtretende  Präsident,  Herr  Dr. 
Gustav  Schir  m  e  r,  verlas  nach  dem 
Essen  seinen  Jahresbericht  und  gab  fol- 
gende Uebersicht  über  die  Leisungen 
und  Schicksale  der  Gesellschaft: 

..Meine  Herren!  Als  abtretender  Vor- 
sitzer Ihrer  Gesellschaft  habe  ich  die 
Verpflichtung,  Ihnen  eine  Uebersicht 
über  die  Leistungen  und  Schicksale  der 
Gesellschaft  im  abgelaufenen  Vereins- 
jahr zu  geben.  Mit  bangen  Sorgen 
übernahm  ich  seiner  Zeit  den  Vorsitz, 
meiner  schwachen  Kraft  bewusst,  die 
den  Erwartungen  des  einzelnen  Mit- 
gliedes gerecht  werden  sollte.  Wie  weit 
mir  das  annähernd  gelungen  ist,  dafür 
sollen  Sie  heute  Abend  Richter  sein.  — 
Unsere  Mitgliederzahl  erreichte  einen 
Höchststand  von  1C4,  von  denen  uns  lei- 
der 2  durch  den  Tod  entrissen  wurden. 
Es  bildeten  sich  zu  keiner  Zeit  befeh- 
dende Parteien  oder  Kliquen.  Jeder  von 
Ihnen  weiss,  dass  die  Bildungshöhe  un- 
serer Mitglieder  eine  ungewöhnlich 
grosse  ist  und  dass  die  Bedingungen  zu 
einer  zielbewussten  harmonischen  Ent- 


wicklung unserer  Tätigkeit  ausserordent- 
lich günstige  waren.  Das  zeigte  sich 
denn  gleich  zu  Anfang  unsers  Vereins- 
jahres, als  wir  am  19.  Oktober  im  Ger- 
mania-Klubhaus unser  Stiftungsfest  und 
Prof.  Dr.  von  Noorden  durch  einen 
glanzvollen  Empfang  feierten.  So  etwas 
wäre  nicht  möglich  gewesen,  wenn  sich 
nicht  unsere  Mitglieder,  alles  kleinliche 
bei  Seite  werfend,  für  eine  höhere  Idee 
begeistert  hätten.  Prof.  v.  X  o  o  r  d  e  n 
konnte  auch  daher  bei  seiner  Reisebe- 
schreibung in  der  „Frankfurter  Zeitung"' 
die  Deutsche  Medizinische  Gesellschaft 
von  Chicago  rühmend  als  hervorragen- 
des geistiges  Zentrum  feiern.  Die 
Summe  von  geistiger  Anregung,  die  v. 
Noorden  uns  durch  seinen  einfachen 
Vortrag  gegeben  hat,  ist  eine  sehr 
grosse.  Ich  selbst  habe  für  das  Schar- 
lachfieber die  Noor  d'schen  Anschau- 
ungen in  der  Praxis  durchgeführt  und 
war  über  die  Resultate  einfach  erstaunt. 
—  Der  grossen  Feier,  welche  die  ameri- 
kanischen Kollegen  am  11.  November  zu 
Ehren  von  Prof.  Dr.  Senn  abhielten, 
wohnten  sehr  viele  unserer  Mitglieder 
bei,  ebenso  der  Abschiedsfeier  von  Dr. 
Dohert  y,  dem  ehrenwerten  Missionär 
friedlicher  Kultur  in  den  Philippinen. 
Exofficio  war  der  Verein  beim  Bankett  zu 
Ehren  des  Barons  Takaki,  Surgeon- 


92 


New    Yorker    Medizinische  Monatsschrift. 


General  of  the  Imperial  Japanese  Navy, 
am  10.  Februar  vertreten  —  die  erste 
öffentliche  Anerkennung  unserer  Gesell- 
schaft. —  Am  28.  April  wurde  der  erste 
Kommers  unter  den  Auspicien  Ihrer  Ge- 
sellschaft abgehalten.  Die  Zeit  war  we- 
gen des  Wohnungswechsels  nicht  gün- 
stig gewählt,  die  Kommers-Idee  fand 
aber  Anklang  und  ein  solcher  Kommers 
sollte  ■ — •  etwas  länger  vorbereitet  —  wie- 
derholt werden. 

Sie  sehen  an  gesellschaftlichen  Unter- 
brechungen hat  es  nicht  gemangelt,  sie 
sollten  stets  benutzt  werden,  unsere  in- 
nere Stärke  auch  nach  aussen  zu  betäti- 
gen. Unsere  wissenschaftliche  Sitzun- 
gen wurden  regelmässig  am  1.  und  3. 
Donnerstag  jeden  Monates  abgehalten, 
nachdem  das  Programm  in  den  vor- 
schriftsmässigen  Vorstandssitzungen  be- 
sprochen worden  war.  Soweit  es  meine 
Kräfte  erlaubten,  suchte  ich  für  Vor- 
träge auch  Kräfte  heranzuziehen,  die 
nur  ungern  sich  bestätigten.  Auf  diese 
Weise  gelang  es,  dass  30%  unserer  Mit- 
glieder an  Vorträgen  sich  beteiligten. 
Erschöpfende  Vorträge  wurden  gehalten 
über :  Ranula,  akute  Pankreatitis,  Hals- 
phlegmone.  Dementia  paralytica,  hy- 
peralgetische  Zonen  bei  Kopfschüssen, 
okulte  Darmblutungen,  chirurgische  Be- 
handlung des  Magengeschwürs,  Geh- 
gipsverband, Lungengangrän  und  über 
spezielle  Kapitel  von  Augen-,  Ohren  und 
Hauterkrankungen.  Neben  der  erschöp- 
fenden Behandlung  genannter  Themata 
beschäftigten  wir  uns  zu  verschiedenen 
Malen  mit  den  für  den  praktischen  Arzt 
zur  Zeit  so  wichtigen  4  Fragen :  Tuber- 
kulose, Kindbettfieber,  B  i  e  r'sche  Stau- 
ung und  der  Giftwirkung  der  Heilsera. 

1.  Tuberkulose.  Wer  von  Ihnen  die 
letzte  Literatur-Uebersicht  der  Tuberku- 
loseforschung in  unserem  Vereinsblatt  ge- 
lesen hat,  muss  zugeben,  dass  mit  fie- 
berhafter Emsigkeit  gearbeitet  wird. 
Nicht  weniger  denn  58  Arbeiten  über 
Tuberkulose  sind  referiert.  Was  die 
Therapie  anbelangt,  so  kommen  nach 
meiner  Anschauung  nur  2  Männer  in 
Betracht :     K  1  e  b  s    und  Behring. 


K  1  e  b  s,  unterstützt  von  nur  wenigen 
Kollegen,  hat  seit  15  Jahren  die  Heil- 
ung der  Tuberkulose  angestrebt  und 
hat  durch  eigene  Mittel  die  kost- 
spieligen Experimente  weitergeführt  — 
v.  Behring  verwandte  darauf  die 
Tantiemen  des  Diph.  Antitoxins  und 
seinen  Nobelpreis  —  das  Alles  war  ver- 
pulvert, und  er  war  noch  nicht  am 
Ziele.  Zur  Zeit  ist  er  durch  die  weise 
Regierung  des  deutschen  Staates  in 
den  Stand  gesetzt,  die  Versuche  in 
grossartiger  Weise  fortzusetzen  und 
die  praktische  Bedeutung  seines  Präpa- 
rates wird  jetzt  probiert.  Nur  As- 
sistenten von  befreundeten  Klinikern 
werden  zum  Vorbereitungskurs  von  3 
Monaten  zugelassen  und  ihre  späteren 
Beobachtungen  werden  monatlich  nur 
von  Behring  kontrolliert.  In  der 
ganzen  Geschichte  der  Medizin  gab  es 
nie  eine  strammere  derartige  Organi- 
sation. Wie  klein  und  zerfahren  da- 
gegen ist  die  Gemeinde  von  Prof.  D. 
G.  K  1  e  b  s  !  Sie  begreifen  jetzt  meine 
bittern  Worte  bei  der  Diskussion  über 
die  Tuberkulose.  Dass  die  Tuberku- 
lose mit  dem  Tc.  von  Ed.  K  1  e  b  s 
heilbar  ist,  habe  ich  des  öftern  ange- 
deutet und  ich  benutze  den  heutigen 
Festabend  dazu,  um  unsern  Stifter 
zu  ehren,  Ihnen  ein  Röntgenbild  zu  zei- 
gen, welches  klipp  und  klar  beweist, 
dass  wir  mit  dem  Tc.  von  K  1  e  b  s 
auch  eine  tuberkulöse  Kaverne  zur 
Schrumpfung  bringen  können. 

2.  B  i  e  r.  Die  ganze  Menge  der 
physiologischen  Fragen,  welche  sich 
bei  der  B  i  e  r'schen  Methode  uns  auf- 
drängten, habe  ich  seiner  Zeit  berührt. 
Mein  Satz,  dass  nur  eine  Klärung  der 
Theorie  die  praktische  Anwendung  der 
B  i  e  r'schen  Methoden  erlaubt,  er- 
scheint mir  mehr  und  mehr  richtig; 
die  schablonenhafte  Anwendung  bringt 
mehr  Schaden  wie  Nutzen.  Diejeni- 
gen Kollegen,  welche  meinem  Rat 
folgten  und  nur  die  dem  Auge  sicht- 
baren Erkrankungen  mit  der  B  i  e  r'- 
schen Methode  behandelten,  sind  mir 
dankbar  und  mit  den  Resultaten  mehr 


New   Yorker   Medizinische  Monatsschrift. 


93 


denn  zufrieden.  Meine  Hypothese 
über  die  katalytische  Wirkung  des  ge- 
stauten Blutes  hat  insofern  eine  glän- 
zende Bestätigung  gefunden,  als  Dr. 
•R  öraer  in  Marburg  aus  dem  Blute 
ein  katalytisches  Präparat  hergestellt, 
das  den  höchsten  katalytischen  Wert 
besitzt.  Benützt  wird  dasselbe  zur 
Herstellung  der  Perhydrasen  -  Milch, 
einer  Milch,  die  keimfrei  sich  für  Wo- 
chen hält.  In  der  Ernährungsfrage  wird 
diese  Milch  eine  grosse  Rolle  spielen. 

3.  Kindbettfieber.  Mit  grösster  Ge- 
nugtuung lauschten  wir  den  Ausführ- 
ungen von  Prof.  Dr.  v.  R  o  s  t  h  o  r  n. 
Wir  sahen,  dass  die  beiden  Herren 
Referenten  in  dieser  Frage,  Dr. 
S  c  h  m  auch  und  Dr.  Decker,  uns 
wahrheitsgetreu  die  wissenschaftliche 
und  praktische  Ausführung  in  der 
Kindbettfrage  dargelegt  hatten.  Die- 
jenigen, welche  durch  dit  Aeusserung 
von  Prof.  R  o  s  t  h  o  r  n  betreffs  der 
Kollargolbehandlung  knieschwach  wur- 
den, möchte  ich  auf  die  vor  einigen 
Tagen  erschienene  Arbeit  aus  der 
1!  u  m  m 'sehen  Klinik  in  Berlin  verwei- 
sen, in  der  Stabsarzt  Dr.  Hochei- 
s  e  n  ein  hohes  Lied  den  intravenösen 
Kollargoleinspritzungen  singt  gegen- 
über dem  A  r  o  n  s  o  n'schen  Serum. 

4.  Giftwirkung  der  Heilsera.  Das 
Referat  von  Strauch  war  höchst 
zeitgemäss.  Die  scheinbar  nur  theo- 
retischen Ueberlegungen  sind  prak- 
tisch ungemein  wichtig,  die  Kenntnis 
der  neu  entstandenen  Namen  ist  für 
den  Leser  einer  medizinischen  Zeitung 
unumgänglich  notwendig.  Betrachten 
wir  unter  diesem  Thema  die  Giftwir- 
kung fremder  Sera  auch  im  Magen,  so 
ergibt  sich  eine  ungemein  grosse  Per- 
spektive zu  neuer  Arbeit  und  neuem 
Können,  besonders  bei  Erkrankung  der 
Kinder. 

Gerade  so  wie  der  Anfang  unseres 
Vereinsjahres,  glanzvoll  und  vielver- 
sprechend war,  ebenso  war  es  auch 
unsere  letzte  Sitzung  am  14.  Juni. 
Prof.  Dr.  v.  Rosthorn  zeigte  in 
vollster  Meislerschaft,  wie  ein  deut- 


scher Professor  sein  Thema  be- 
herrscht, wissenschaftliche  Fragen 
klar  und  scharf  zu  beleuchten  versteht. 
Volle  2y2  Stunden  sprach  derselbe, 
jedes  wichtige  Kapitel  der  Geburts- 
hilfe und  Gynäkologie  berührend.  Mit 
grösster  Genugtuung  können  wir  kon- 
statieren, dass  alle  die  wichtige  Kapi- 
tel der  Wissenschaft  von  uns  schon  be- 
handelt worden  waren,  dass  wir  also 
vollständig  auf  der  Höhe  der  Zeit 
stehen.  Nicht  ohne  Nebenabsicht 
sprach  er  von  der  Verpflichtung  des 
praktischen  Arztes  zur  selbstständigen 
Forschung,  zur  selbstständigen  Be- 
obachtung und  führte  als  Beweis  der 
Hochschätzung  der  Arbeit  auch  des 
praktischen  Arztes  die  Tatsache  an, 
dass  er  in  seinen  Vorlesungen,  die 
Krankheitsschilderung  von  Nögge- 
r  a  t  h  regelmässig  vorlese. 

Sie  sehen  der  Vorstand  Ihrer  Gesell- 
schaft hat  es  nicht  daran  fehlen  lassen, 
dem  praktischen  Arzt  neue  Hilfsquel- 
len des  Erwerbes  zu  zeigen,  und  wenn 
auch  die  strenge  wissenschaftliche 
Behandlung  einer  medizinischen  Frage 
nicht  gleich  in  Dollars  und  Cents  um- 
gesetzt werden  kann,  der  Zuwachs  an 
Energie  und  Schlussvermögen  erhöht 
unsere  Fähigkeit,  leichtere  Probleme 
zweckmässig  zu  lösen,  erhebt  uns  über 
die  Handwerker  und  beglückt  uns  mit 
Selbstbewusstsein  und  Selbstachtung. 

Sie  wissen  gut  genug,  dass  hochbe- 
gabte Mitglieder  unseres  Vereins  uns 
in  ihrer  Kurzsichtigkeit  die  kalte 
Schulter  gezeigt  haben,  weil  wir  hier 
weder  Weihrauch  streuen  noch  unser 
Freund  Decker  ein  bestechlicher 
I .( i1  »eshymnensänger  ist.  Aber  für 
die,  welche  sich  ehrlich  und  redlich 
geplagt  haben,  lohnt  es  sich,  die  Frage 
zu  beantworten :  Wozu  all'  dieser 
Kraftaufwand  und  welches  ist  das  Ziel? 
Mit  der  Beantwortung  dieser  Frage 
kehren  wir  wieder  zurück  zu  dem 
Problem,  das  Dr.  Fischkin  in  un- 
serer ersten  Versammlung  am  2.  No- 
vember behandelt  hat.  In  traurig  düs- 
tern  Farben  hat  er  uns  die  Lebens- 


94 


New    Yorker    Medizinische  Monatsschrift. 


Philosophie  eines  Tolstoi  erklärt, 
die  ganz  und  gar  identisch  ist  mit  der 
eines  Ed.  v.  Hartmann:  Wenn 
Alles  aufhört,  dann  ist  die  Welt  erlöst, 
das  ist  ihr  Ziel  und  je  eher  wir  dieses 
Ende  des  Weltprozesses  kommen  las- 
sen, desto  treuere  Jünger  sind  wir 
eines  T  o  1  s  t  o  i.  Aus  solcher  Lebens 
anschauung  müssen  wir  uns  retten, 
wollen  wir  glückliche  Menschen,  rechte 
Aerzte  sein.  Wo  ist  das  Heilmittel? 
Zu  den  grossen  Männern  müssen  wir 
aufblicken,  deren  Ziele  und  Aufgaben 
einen  neuen  Schwung  in  unsere  Köpfe 
und  Herzen  bringen.  Umlernen  müs- 
sen wir,  wenn  das  Genie  die  überkom- 
mene Geisteswelt  cyklopisch  in  Stücke 
schlug,  und  neue  grössere  Werte,  die 
alten  ersetzen.  Dann  schwingt  unsere 
Seele  mit  der  nit  rastenden  Weltenseele 
in  herzerquickender  Harmonie.  Das 
nenne  ich  Lebensbejahung!  Selbstgeret- 
tet, schwebt  dann  über  uns  der  Genius 


höherer  Kultur,  und  mithelfend  retten 
wir  die  Menschheit  vor  der  Verküm- 
merung, vor  dem  Hinabsinken  in  die 
Gleichheit,  in's  Blöde,  Aermliche  und 
Widerliche,  gewaltigere  Götzen  und 
( iötter  im  Herzen  tragend  als  die 
Masse." 

Die  Klänge  einer  guten  Musik  und 
ein  Kranz  alter  Burschenlicder,  die  wie 
ein  Echo  aus  weiter  Ferne  die  Poesie 
deutscher  Studentenherrlichkeit  wider- 
hallen Hessen,  verknüpfte  die  zahlrei- 
chen, bald  heiter  sprudelnden,  bald 
sanft  erwachend  klingenden  Reden, 
Toaste  und  Gedichte.  Der  Abend  war 
ein  gelungener  und  es  ist  die  alljährige 
Wiederholung  solch'  einer  rein  gesel- 
lig-kollegialen Vereinigung  zur  Pflege 
deutsch-gemütlichen  Wesens  im  Sinne 
aller  Teilnehmer. 

D  r.  A  u  g.  Strauch, 

Schriftführer. 


Therapeutische  und  klinische  Notizen. 


— Coryün,  der  Aethylglykolsäureester  des 
Menthols,  ein  neues  Mentholderivut,  wird  von 
den  Farbenfabriken  vorm.  Friedr.  Bayer  & 
Co.,  Elberfeld,  in  den  Handel  gebracht.  Cory- 
fin stellt  eine  farblose,  ölige,  fast  geruchlose 
Flüssigkeit  dar,  schwer  löslich  in  Wasser, 
leicht  löslich  in  Alkohol,  Aether,  Chloroform. 
Erwärmt  man  Coryfin  mit  Alkalien,  so  wird 
das  Präparat  unter  Abscheidung  von  Menthol 
in  seine  Komponenten  zerlegt.  Coryfin  ist  ein 
ausgezeichnetes  Linderungsmittel  bei  nervösen 
Kopfschmerzen,  Migräne,  auch  Schnupfen  und 
Rachenkatarrhen,  da  an  den  mit  Coryfin  be- 
handelten Stellen  (Stirn-Nasenschleimhaut) 
nach  der  Applikation  durch  Einpinseln,  re^p. 
Einreiben  eine  allmählich  stattfindende  Spal- 
tung des  Coryfins  unter  Abscheidung  von 
Menthol  stattfindet,  wodurch  ein  lange  anhal- 
tendes Gefübl  der  Kühlung  und  Erfrischung 
hervorgerufen  wird,  resp.  eine  Erleichterung 
der  Atmung  bewirkt  wird.  Bei  Rachenkatarrh 
und  Heiserkeit  setzt  man  dem  lauwannen 
Gurgelwasser  einige  Tropfen  Coryfin  zu  oder 
man  lässt  im  Munde  langsam  ein  Stückchen 


Zucker,  mit  drei  bis  vier  Tropfen  Coryfin  be- 
'  träufelt,  zergehen.    Coryfin  kommt  in  Fläsch- 
chen  zu  10  und  25  g  in  den  Handel.    ( Leip- 
ziger med.  Monatsschrift,  1907,  Nr.  3.) 

— Dymal  als  Streupulver  wird  von  Linke 
warm  empfohlen.  Dasselbe  ist  im  wessent- 
lichen  ein  salicylsaures  Didym  und  kommt  als 
sehr  feines,  absolut  geruchloses  Pulver,  dane- 
ben aber  auch  als  Dymal-Lanolinsalbe  in  den 
Händel.  In  Pulverform  dient  es  zunächst  zur 
Behandlung  von  Hyperhidrosis  und  Intertrigo. 
Bei  sekundären  Exkoriationen  und  Rhagaden 
wirkt  es  kühlend  und  austroknend,  vertreibt 
den  penetranten  Geruch,  der  das  ganze  Zim- 
mer verpesten  kann,  mindert  den  Juckreiz,  der 
meist  durch  das  unwillkürliche  Kratzen 
zu  einer  Verewigung  des  Leidens  führt,  und 
bekämpft  die  Entzündung.  Der  Preis  des 
Dymals  ist  ein  sehr  niedriger,  da  es  ein  blosses 
Nebenprodukt  ist,  das  bei  Herstellung  der 
Auer'schen  Glühlichtstrümpfe  abfällt  und 
sonst  weggeworfen  werden  müsste.  (Thera- 
peutische Neuheiten,  Sept.  1006.) 


JSew  Yorker 

JVIecÜzintscbe  JVlcmatsscbrift 

Offizielles  Org-an  der 

Deutzen  medtzinifdicn  öcfciifchaften  der  Städte  new  V«rk, 
Chicago,  Cleveland  und  San  Trancisco. 

Redigiert  von  Dr.  A.  Ripperger. 
Bd.  XIX.  New  York,   1907.  No.  4. 

Originalarbeiten. 


Die  Mandeln  und  ihre  Bedeutung  für  die  Entwicklung  der  Tuberkulose. * 

Von  Dr.  E.  Danziger,  New  York, 

Adj.  Otol.  and  Laryngol.  to  the  Sydenham  Hospital  and  Conntry  Sanitarium  of  the 
Montefiore  Home  in  Bedford,  Otol.  and  Laryngol. 
to  the  German  Dispensary. 


1  )ie  ( räumen  und  Rachenmandeln  sind 
umschriebene  lymphoide  Gewebsmassen, 
die  zum  grössten  Teil  in  einer  bindege- 
webigen Kapsel  enthalten  sind. 

An  ihrer  freien,  bukkalen  Oberfläche 
sind  sie  mit  einem  Säulenepithel  bedeckt, 
welches  in  den  Follikeln,  die  tief  in  das 
Struma  der  Mandeln  hinein  tauchen,  die 
Form  des  I'flasterepithels  annimmt. 

Das  Epithel  zeigt  zahlreiche  Defekte, 
die  nach  S  t  o  e  h  r  physiologisch  und  für 
die  Durchwanderung  von  Lymphozyten 
bestimmt  sind. 

Die  Mandel  selbst  besteht  aus  einem 
Stroma  von  Bindgewebe,  in  dem  die 
Blut-  und  Lymphgefässe  enthalten  sind 
und  in  den  Maschen  des  bindegewebigen 
Netzes  Lymphozyten.1 ) 

In  der  Tiefe  der  Follikeln  sind  Keim- 

*)  Vortrag,  gehalten  in  der  Deutschen  med. 
Gesellschaft  der  Stadt  New  York  am  6.  Mai 
1907. 

'  )  J.  Go  r  d  o  n  Wilson:  Some  Anatomi- 
cal  and  Physiological  Considerations  of  the 
Faucial  Tonsil.  „Journal  of  American  Med. 
Association,"  May  26,  1906. 


Zentren,  wo  wir  Zellen  finden,  die  sich 
mitotischer  Teilung  unterziehen. 

Die  neu  entstandenen  Lymphozyten 
werden  entweder  durch  die  Follikeln  in 
den  Rachen  entleert  oder  wandern  durch 
die  vorher  erwähnten  S  t  o  e,  h  r'schen 
Defekte  in  die  tiefern  Gewebsschichten 
der  Mandeln  und  von  dort  in  die  Lymph- 
gefässe oder  Blutzirkulation.  Wood2) 
hat  in  einer  Reihe  von  Experimenten  die 
Lymphdrainage  der  Mandeln  demon- 
striert, dadurch  dass  er  unter  Druck  Ani- 
linfarben in  das  Mandelgewebe  ein- 
spritzte, und  es  gelang  ihm  auf  diese 
Weise,  die  Vasa  efferentia  zu  injizieren. 
So  fand  er  dann,  dass  die  Gaumenman- 
deln in  die  oberflächlichen  Halsdrüsen 
und  von  dort  in  die  tiefen  vorderen 
Lymphdrüsen  des  Halses,  die  unter  dem 
vorderen  Rande  des  Sternokleidomastoi- 

2)  George  B.  Wood:  The  Lymphatic 
Drainage  of  the  Faucial  Tonsil.  „Am.  Jour. 
of  Med.  Science."  August.  1905.  and  The 
Lymphatic  Drainage  of  the  Pharyngeal  Ton- 
sil, „Am.  Jour.  of  Med.  Science,"  May,  1906. 


o6 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


deus-Muskel  gelegen  sind,  drainieren. 
Die  erste  dieser  Kette  wird,  wenn  sie 
geschwollen  ist  und  von  andern  ge- 
schwollenen Drüsen  vorwärts  gedrängt 
wird,  häufig  mit  der  Submaxillardrüsc 
verwechselt. 

Die  Rachenmandel  clrainiert  in  die 
retropharyngealen  Drüsen  und  von  dort 
in  die  subokzipitalen  und  tiefen  hinteren 
Halsdrüscn  unter  dem  hinteren  Rande 
des  Sternokleidomastoideus. 

Durch  Anastamose  mit  den  retro- 
sternalen, peritrachealen  und  Bronchial- 
drüsen kann  Infektion  direkt  nach  der 
Pleura  und  den  Lungenspitzen  gelan- 
gen.3 )  Die  Rachenmandel  liegt  am  Dache 
des  Pharynx  am  Eingänge  zum  Atmungs- 
traktus  und  inspirierte  Luft  trifft  sie 
direkt.4) 

Die  Gaumenmandeln  liegen  am  Ein- 
gange zum  Verdauungstraktus  zwischen 
den  Gaumenbögen,  die  beim  Schlucken 
die  Mandeln  zusammen  drücken. 

Die  physiologische  Funktion  der  Man- 
deln besteht  in  der  Produktion  von  Lym- 
phozvten.  Goodale6)  von  Boston 
zeigte  in  einer  Serie  von  Versuchen, 
wie  die  Mandeln  auf  die  Einführung  von 
fremden  Substanzen  reagieren.  Er  ap- 
plizierte eine  Karminlösung  auf  eine  An- 
zahl Mandeln,  die  zur  Entfernung  be- 
stimmt waren.  Er  Hess  dann  verschie- 
den lange  Zeitabschnitte  verstreichen, 
bevor  er  dieselben  exstirpierte  und  kam 
zu  folgenden  Schlüssen :  Nach  einer 
kurzen  Zeit  kann  man  Karminpartikel 
in  den  Follikeln  sehen.  Hier  und  da 
findet  man  einen  Leukozvten,  der  Farb- 
stoffteilchen enthält.  Allmählich  dringen 
Karminteilchen  durch  die  physiologi- 
schen Defekte  und  werden  im  subepi- 

3)  Grober:  Tonsillen  als  Eingangspforten 
für  Infektion.    Klinische  Jahrbücher,  1905. 

*)  T.  L.  Goodale:  Ueber  die  Absorption 
von  Fremdkörpern  durch  die  Gaumenmandeln 
mit  Bezug  auf  die  Entstehung  von  infektiösen 
Prozessen. 

")  Dmocho  witz:  Ueber  sekundäre  Er- 
krankungen des  Mundes  und  der  Balgdrüsen 
an  der  Zungenwurzel  bei  Schwindsüchtigen. 
,,Ziegler's  Beiträge,"  Vol.  X. 


!  thelialen  Gewebe  von  Leukozyten  um- 
ringt, deren  Kerne  häufig  in  Teilung 
I  begriffen  sind.  Später  dringt  das  Kar- 
min tiefer  in  das  Stroma  ein  und  kann 
sogar  in  den  Lymphgefässen  gesehen 
werden.  Bakterien  werden  nicht  so 
leicht  absorbiert. 

Tuberkelbazillen  sind  aber  von 
1 )  m  0  c  h  o  w  i  t  z6)  und  W  o  o  d7)  ge- 
sehen worden,  wie  sie  das  Epithelium 
durchdrangen. 

Bakterien  können  in  die  Tonsillen  ein- 
wandern durch  ihre  eigene  Bewegungs- 
fähigkeit oder  dadurch,  dass  sie  in  Kolo- 
nien hineinwachsen. 

Die  Wahrscheinlichkeit,  ob  sie  in  das 
Stroma  eindringen  werden  oder  nicht, 
hängt  erstens  von  ihrer  Zahl,  zwei- 
tens von  ihrer  Virulenz,  drittens  von  der 
individuellen  W'iederstandsfähigkeit  und 
viertens  und  hauptsächlich  von  dem  Zu- 
stand der  Mandel  ab. 

Das  Epithel  scheint  die  Barriere  zu 
sein,  die  das  Lindringen  von  Bakterien 
verhindert.  Ist  diese  zerstört,  dann  steht 
der  Infektion  Thür  und  Thor  offen. 

Es  ist  die  Infektion  mit  der  Tuber- 
kulose, auf  die  ich  in  dieser  Verbindung 
näher  eingeben  will. 

Wir  alle  wissen,  wie  häufig  bei  Kin- 
dern eine  chronische  Schwellung  der 
Lymphdrüsen  stattfindet.  Man  pflegt  in 
diesen  Fällen  von  der  skrofulösen  oder 
lymphatischen  Diathese  zu  sprechen. 
Schlenker8)  und  Krueck- 
m  a  n  n9 )  haben  durch  ausgedehnte  Un- 
tersuchungen nachgewiesen,  dass  ein 
grosser  Prozentsatz  dieser  Drüsen- 
schwellungen auf  tuberkulöse  Prozesse 
zurückzuführen  ist.  Die  Infektion  die- 
ser Drüsen  findet  entweder  durch  eine 


7)  W  o  o  d  :  A  Contribution  to  the  Study  of 
Tuberculosis  of  the  Tonsils.  „Laryngoscope," 
May,  1906. 

8)  Schlenker:  Untersuchungen  über  die 
Entstehung  der  Tuberkulose  der  Halsdrüsen 
besonders  über  die  Beziehung  zur  Tuberkulose 
der  Tonsillen.    „Yirchow's  Archiv,"  Bd.  134. 

°)  Krueckmann:  Ueber  die  Beziehung 
der  Tuberkulose  der  Halsdrüsen  zu  den  Ton- 
sillen.   ..Yirchow's  Archiv."  Bd.  138. 


New  Yurker  Medizinische  Monatsschrift. 


97 


retrograde  Thrombose  der  Lymphge- 
fässe  statt,  die  ihren  Ursprung  in  einer 
Lungentuberkulose  hat,  oder  durch  eine 
Infektion  in  den  Gaumen  oder  Rachen- 
mandeln. Sie  untersuchten  in  Fällen  von 
Adenitis  cervicalis  tuberculosa  die 
Mandeln  histologisch  und  fanden  in  ei- 
ner grossen  Anzahl  derselben  tuberku- 
löse Läsionen.  Sie  fanden  dieselben  Ver- 
änderungen, wie  D  m  o  c  h  o  w  i  t  z  und 
Wood  sie  beschrieben  haben,  nämlich : 
eine  geringe  Anzahl  von  Tuberkelbazil- 
len in  den  Follikeln,  wo  sie  das  Epithel 
durchwandern.  Das  letztere  reisst  sich 
entweder  teilweise  von  dem  unterliegen- 
den Bindegewebe  ab  oder  wird  manch- 
mal im  Ganzen  ausgestossen.  In  den 
subepithelialen  Schichten  findet  man 
Tuberkeln  und  Riesenzellen. 

Was  die  Häufigkeit  tuberkulöser  Läsi- 
onen betrifft,  kommen  verschiedene 
Forscher  zu  verschiedenen  Resultaten  in 
Folge  der  von  ihnen  angewandten  ver- 
schiedenen Untersuchungsmethoden. 

Die  einen  untersuchen  mikroskopisch 
und  sehen  jeden  Fall  als  tuberkulös  an, 
in  dem  sie  Tuberkeln  und  Riesenzellen 
finden,  obgleich  P  i  1  1  i  e  r10)  in  einer 
Serie  von  zehn  Rachenmandeln,  die  Rie- 
senzellen enthielten,  durch  Innokula- 
tion  keine  Tuberkulose  hervorbringen 
konnte. 

Anderseits  ist  die  Tuberkulationsme- 
thode,  d.  h.  die  Einimpfung  von  ver- 
dächtigem Gewebe  in  das  Peritoneum 
des  Versuchstieres  oft  unzuverlässig  aus 
folgenden  Gründen  : 

1.  wegen  der  individuellen  Wieder- 
standsfähigkeit  des  Tieres ; 

2.  wegen  der  Möglichkeit  einer  vor- 
her bestehenden  Tuberkulose.  Man 
muss  daher  immer  eine  Läsion  an  der 
Impfstelle  nachweisen  ; 

3.  wegen  der  Möglichkeit,  dass  Tu- 
berkelbazillen im  Sekret  der  Mandeln 
enthalten    sind,   ohne    tuberkulöse  Er- 


10)  P  i  1 1  i  e  r :  Note  sur  la  presence  de 
cellule  geante  dans  les  vegetations  adenoides 
du  pharynx.  „Bulletin  de  la  Societe  anato- 
mique  de  Paris,  May  25,  1892. 


krankung  dieser  Organe  (Straus  s11)  ; 

4.  wegen  der  Möglichkeit,  dass  das 
Gewebsstück  zufällig  keine  tuberkulöse 
Läsion  enthielt,  obgleich  die  Mandeln  er- 
krankt sind. 

Man  sollte  daher  beide  Methoden 
gleichzeitig  anwenden,  um  zuverlässige 
Resultate  zu  erhalten. 

Wir  müssen  zwei  Formen  der  Man- 
deltuberkulose unterscheiden,  die  akute 
und  chronische. 

Die  akute  Mandeltuberkulose  wird  als 
eine  Teilerscheinung  der  akuten  Miliar- 
tuberkulose gefunden  oder  als  ein  meta- 
statischer Prozess  im  letzten  Stadium  der 
Lungentuberkulose.  Sie  verursacht  dann 
grosse  Gewebszerstörungen  in  der  Form 
von  irregulären  Ulzerationen,  in  dem 
nicht  ulzerierten  Gewebe  sieht  man  die 
gelblichen  Miliarknötchen. 

Im  Gegensatz  zu  dieser  akuten  Form 
verläuft  die  chronische  fast  immer  latent 
und  symptomlos.  Diese  letztere  Er- 
krankung ist  entweder  primär  oder 
sekundär.  In  Fällen  von  Lungentuber- 
kulose wurde  bei  der  Autopsie  Mandel- 
tuberkulose sehr  häufig  gefunden,  ob- 
gleich intra  vitam  kein  einziges  Symptom 
darauf  hindeutete. 

Schlenker,  Schlesinger, 
W  a  1  c  h  a  m,  1 1  o,  Dmochowitz, 
Krueckmann  und  Strassmann 
fanden  in  136  Fällen  von  Lungentuber- 
kulose 94  von  Mandeltuberkulose  oder 
69%. 

Die  Infektion  der  Mandeln  in  den 
sekundären  Fällen  findet  durch  das  Spu- 
tum statt.  Während  des  Hustenaktes 
wird  der  tuberkelbazillenhaltige  Aus- 
wurf auf  die  Oberfläche  der  Mandeln 
aufgelagert,  während  des  Schluckens 
drücken  die  Gaumenbögen  die  Mandeln 
zusammen  und  pressen  das  Sputum  in 
die  Krypten,  von  wo  dann  die  Bazillen 
in  das  Stroma  eindringen.  Dass  die 
sekundäre  Läsion  in  nicht  sehr  bösarti- 


")  Strauss:  Sur  la  presence  du  bacille 
de  la  Tuberculose  dans  les  cavites  nasales  de 
l'liomme.  „Annales  des  maladies  de  l'oreillc 
et  du  larynx,"  1895. 


98 


New  Yorker  Medizi 


nische  Monatsschrift. 


ger  Weise  um  sich  greift  und  grosse  Ge- 
webszerstörungen  hervorruft,  ist  dadurch 
zu  erklären,  dass  der  Körper  durch  die 
schon  bestehende  Lungentuberkulose  ei- 
nen bestimmten  Grad  der  Immunität  er- 
reicht hat.  Bändel  i  e  r12)  und  Gra- 
w  i  t  z  haben  durch  eine  Reihe  von  Be- 
obachtungen gezeigt,  dass  der  Prozent- 
satz von  Mandeltuberkulose  im  Verhält- 
nis zur  Menge  des  Sputums  wächst. 
Was  die  primären  Erkrankungen  der 
Tonsillen  anbetrifft,  so  ist  Lar  m  o- 
yez13)  wohl  der  erste,  der  diese  Form 
der  Tuberkulose  beobachtete. 

Einer  seiner  Patienten  verfiel  nach  der 
operativen  Entfernung  der  Rachenman- 
del rapide  und  entwickelte  Lungentuber- 
kulose. DieserUmstand veranlasste  ihn, 
32  Rachenmandeln  von  scheinbar  nicht 
tuberkulösen  Patienten  zu  untersuchen, 
wobei  er  zweimal  Tuberkulose  dieses  Or- 
gans feststellte  und  zwar  durch  die  Inok- 
kulationsmethode. 

Brindel.  Baup,  Rüg  e,14)  D  i  e  u- 
lafoy,1"')  Gottstein,10)  Pluder 
und  Fischer  bestätigen  seine  Unter- 
suchungen. W  o  o  d  stellt  eine  Tabelle 
aus  der  Literatur  zusammen,  worin  unter 
1671  Fällen  88mal  primäre  Mandeltu- 
berkulose gefunden  wurden  oder  5%. 

Wie  findet  nun  die  Infektion  in  diesen 
primären  Fällen  statt? 

Die  Rachenmandel  liegt  am  Eingange 


12)  Bandelier:  Tonsillen  als  Eingangs- 
pforten der  Tuberkulose.  „Beiträge  zur 
Klinik  der  Tuberkulose."  6.  Band,  r.  Heft. 
1906. 

13)  Larmoyez:  Des  Vegetations  ade- 
noides tuberculeuses.  „Annales  des  maladies 
de  l'oreille  et  du  larynx."    20.  April  1894. 

")  Rüge:  Die  Tuberkulose  der  Tonsillen 
vom  klinischen  Standpunkte.  „Virchow's  Ar- 
chiv," Bd.  144. 

l5)  Dieulafoy:  „Bulletin  de  l'Academie 
de  Medecin."    April  and  May,  1895. 

ls)  Gottstein:  Pharynx  und  Gaumenton- 
sille  als  primäre  Eingangspforte  der  Tuberku- 
lose. „Berl.  klin.  Wochenschrift,"  August  1896. 

17 )  Pluder  und  Fischer:  Ueber  pri- 
märe latente  Tuberkulose  der  Rachenmandel. 
„Fraenkel's  Archiv,"  Vol.  IV. 


des  Atmungstraktes,  und  die  durch  die 
Nase  eingeatmete  Luft  trifft  dieselbe  mit 
ziemlicher  Kraft.  Ist  die  Mandel  nun 
hyperplastisch,  und  sind  ihre  Follikel 
durch  vorhergehende  entzündliche  Zu- 
stände ihres  Epithels  verlustig  gegangen, 
so  kann  man  leicht  sehen,  wie  die  einge- 
atmeten Tuberkelbazillen  den  geeigneten 
Nährboden  für  ihr  Entwicklung  und 
Tätigkeit  finden.  Ist  die  Rachenmandel 
so  stark  vergrössert,  dass  die  Nasenat- 
mung  unmöglich  wird  und  Mundatmung 
eintritt,  so  ist  es  klar,  wie  auf  dieselbe 
Weise  die  Infektion  der  Gaumenmandeln 
möglich  wird.  Am  häufigsten  werden 
die  letzteren  aber  infiziert  durch  tu- 
berkelbazillenhaltige  Nahrungsstoffe. 
( )  r  t  hls )  und  Baum  garten  fütter- 
ten Tiere  mit  tuberkulösem  Gewebe  und 
fanden  nach  kurzer  Zeit  immer  eine  Tu- 
berkulose der  Hals-  und  Bronchialdrü- 
sen, allerdings  auch  später  der  Mesen- 
terialdrüsen,  meistens  ohne  Läsionen  im 
Darme. 

Nachdem  die  Infektion  der  Mandeln 
stattgefunden  hat.  bleibt  dieselbe  lokali- 
siert, und  können  die  Läsionen  vollstän- 
dig verheilen,  oder  die  Infektion  dehnt 
sich  auf  die  Halsdrüsen.  Peritracheal-  und 
Bronchialdrüsen  aus,  um  von  dort  direkt 
in  die  Pleura  zu  gelangen  oder  die  Lun- 
genspitzen in  Mitleidenschaft  zu  ziehen 
durch  den  Zerfall  einer,  benachbarten 
Bronchialdrüse.  Solche  Fälle  sind  von 
Wood  und  Richardson  von  Chi- 
cago beobachtet  worden. 

Andrerseits  kann  die  Infektion  auch 
durch  den  Lymphstrom  direkt  die  Zirku- 
lation erreichen  und  so  eine  Miliartuber- 
kulose verursachen.  Ein  Beobachter 
fand  auch,  dass  die  Rachenmandelinfek- 
tion die  retropharyngealen  Drüsen  an- 
greift, durch  deren  Zerfall  die  Halswir- 
belsäule erkrankte  und  eine  P  o  t  t'sche 
Krankheit  zu  Stande  kam. 

Als  wichtig  ist  zu  betonen,  dass  die 
chronische  Tuberkulose  der  Mandel  la- 
tent verläuft. 

IS)  Orth:  Experimentelle  Untersuchungen 
über  die  Fütterungstuberkulose.  „Virchow's 
Archiv."  76. 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


99 


Wenn  man  daran  denkt,  dass  die  Pro- 
zesse in  der  Tiefe  der  Krypten  oder  in 
dem  subepithelialen  Gewebe  stattfinden, 
kann  man  leicht  sehen,  warum  es  unmög- 
lich ist,  diese  Läsionen  zu  diagnosti- 
zieren. Ich  habe  im  Montefiore  Home 
Sanatorium  hundert  Fälle  von  Lungen- 
tuberkulose klinisch  auf  Tonsillener- 
krankung  untersucht,  und  obgleich  es 
durch  die  vorherbeschriebenen  Unter- 
suchungen feststeht,  dass  ungefähr  69% 
an  Tonsillentuberkulose  leiden,  konnte 
ich  in  keinem  einzigen  eine  andere  klini- 
sche Diagnose  machen  als  hypertrophi- 
sche, atrophische,  katarrhalische  Man- 
deln oder  in  einzelnen  Fällen  gelbliche 
Sekretanhäufungen  in  den  Krypten. 
Denkend  an  die  Schlussfolgerung  Ban- 
d  e  1  i  e  r's  über  die  Zunahme  der  Er- 
krankung mit  der  Menge  des  Sputums, 
liess  ich  die  Patienten  nach  der  Menge 
ihres  Auswurfs  klassifizieren,  konnte 
aber  auch  klinisch  nicht  beobachten,  dass 
die  Mandelerkrankungen  der  Menge  des 
Auswurfs  entsprach. 


Wenn  wir  nun  aber  wissen,  dass  es 
eine  primäre  Mandeltuberkulose  gibt, 
müssen  wir  in  Fällen  von  chronischen 
Halsdrüsenschwellungen  an  die  Möglich- 
keit der  Infektion  durch  die  Tonsillen 
denken  und  dürfen  nicht  glauben,  dass 
mit  der  Entfernung  der  Drüsen  alles  ge- 
tan ist.  Wir  müssen  uns  über  den  Zu- 
stand der  Mandeln  vergewissern  und, 
wenn  sie  irgendwie  erkrankt  sind,  die- 
selben entfernen,  weil  wir  sonst  vielleicht 
die  fons  et  origo  der  Infektion  zurück- 
lassen. 

Die  Entfernung  der  Mandeln  muss  ab- 
solut radikal  sein,  weil  wir  wissen,  dass 
die  Läsionen  in  der  Tiefe  der  Follikeln 
gelegen  sind,  die  sonst  die  Bindegewebs- 
kapsel  erreichen.  Wenn  nach  einer  sol- 
chen Operation  der  Patient  sich  nicht  er- 
holt oder  abnimmt,  muss  man  sofort  die 
hygienisch  diätetische  Behandlung  ein- 
schlagen, um  einer  möglichen  Ausdehn- 
ung der  Tuberkulose  einen  Riegel  vorzu- 
schieben. 

Dr.  E.  Danziger,  6  W.  126.  Str. 


Auszüge  aus  der  neuesten  Journalliteratur. 


Maxjacob  y  (Mannheim)  :  Zur  Be- 
handlung der  Dysmenorrhoe. 

Ueber  die  Behandlungsweise  der 
Dysmenorrhoe  sind  vielfach  wider- 
sprechende Ansichten  geäussert  wor- 
den. Es  beruht  dies  zum  grossen  Teil 
auf  der  Verschiedenartigkeit  der  Aeti- 
ologie  dieser  Affektion.  Es  ist  be- 
kanntlich durchaus  nicht  immer  eine 
rein  mechanische  Behinderung  des  mo- 
natlichen Blutabflusses  oder  sonstige 
pathologisch-anatomische  Veränderun- 
gen an  den  Geschlechtsorganen,  wo- 
durch die  dysmenorrhoischen  Be- 
schwerden hervorgerufen  werden ;  viel- 
mehr macht  schon  Theilhaber 
darauf  aufmerksam,  dass  die  Dys- 
menorrhoe sehr  häufig  eine  idiopathi- 
sche Krankheit  sei,  die  eine  patholo- 
gisch gesteigerte  Sensibilität  der  uteri- 
nen  Nerven  zur  Ursache  hat.  Dass 


diese  Nervenerregbarkeit  meist  einer 
bestehenden  Chlorose  zur  Last  fällt, 
dass  sie  sich  weiterhin  zu  ernsteren 
Störungen  im  Zentralnervensystem,  zu 
funktionellen  Neurosen,  vor  allem 
Hysterie  steigert,  ist  ein  Vorgang,  den 
man  täglich  beobachten  kann. 

Bei  der  Behandlung  der  dysmenor- 
rhoischen Erscheinungen  ist  es  natür- 
lich nötig,  auf  diese  verschiedenen  Ur- 
sachen Rücksicht  zu  nehmen.  Ist  die 
Dysmenorrhoe  lediglich  Folge  eines 
bestehenden  Leidens,  etwa  von  Dislo- 
kation des  Uterus,  von  Stenose  des 
Muttermundes,  von  Entzündungspro- 
zessen des  Uterus  und  seiner  Anhänge, 
von  Polypen  und  Myomen,  so  wird  die 
Beseitigung  des  Grundübels  auch  die 
dysmenorrhoischen  Beschwerden  zum 
Verschwinden  bringen.  Anders  ist  es 
schon,  wenn  man  einer  zurückgeblie- 


100 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


benen  Entwickelung  der  Geschlechts- 
organe begegnet.  In  geeigneten  Fäl- 
len wird  hierbei  zwar  eine  roborierende 
Behandlung  in  Verbindung  mit  Thure- 
Brandt'scher  Massage  fördernd  ein- 
wirken, viele  Fälle  bieten  aber  jeder 
physikalischen  Behandlung  Trotz.  Das 
Gleiche  gilt  auch  von  der  so  häufigen 
eigentlichen  idiopathischen  Dysmenor- 
rhoe ohne  anatomische  Grundlage. 
Von  den  zahlreichen  schmerzlindern- 
den Mitteln,  die  hier  empfohlen  wur- 
den, wird  wohl  am  meisten  die  Kom- 
bination von  Bromkali  mit  Valeriana 
und  Extr.  viburn.  prunifol.  angewandt, 
wenn  auch  der  Nutzen  dieser  Medika- 
tion meist  recht  zweifelhaft  sein 
dürfte. 

J.  lenkt  nun  die  Aufmerksamkeit  auf 
eine  Therapie,  die  ihn  in  einer  grossen 
Anzahl  von  Fällen  noch  nicht  im 
Stiche  gelassen  und  ihm  deshalb  ange- 
sichts der  schwierigen  Behandlung  der 
idiopathischen  Dysmenorrhoe  wohl  zu 
verdienen  scheint,  in  die  weitesten 
Kreise  zu  dringen.  Es  ist  die  Verab- 
reichung relativ  hoher  Dosen  von 
Styptol.  Alle  Autoren  stimmen  darin 
überein,  dass  wir  im  Styptol  ein  wert- 
volles Mittel  zur  Bekämpfung  von  Ge- 
bärmutterblutungen besitzen,  dessen 
Wirkung  auch  dann  meist  noch  ein- 
tritt, wenn  andere  Mittel  versagt  ha- 
ben. J.  fand  diese  Angaben  bestätigt. 
Ebenso  wie  die  meisten  Autoren  zieht 
er  das  Styptol  den  sonst  angewandten 
Ffaemostaticis,  besonders  dem  Extract. 
hydrastis.  canad.,  dem  Stypticin  und 
dem  Sekale  entschieden  vor,  da  die 
Wirkung  dieser  letzten  nicht  nur  un- 
sicher ist,  sondern  speziell  bei  den  Se- 
kalepräparaten  auch  öfters  unange- 
nehme Nebenwirkungen  beobachtet 
werden.  Er  zweifelt  deshalb  nicht, 
dass  das  Styptol  in  Zukunft  die  übri- 
gen uterinen  Haemostatica  immer 
mehr  verdrängen  wird,  denn  es  hat 
ausser  der  besseren  Wirkung  auch  den 
Vorzug  der  Billigkeit.  Was  nun  die 
Wirkungsweise  des  Styptols  betrifft, 
so  haben  sich  damit  ausser  Abel  und 
M  o  h  r,  V  i  e  t  h  (Ludwigshafen),  auch 
C  h  i  a  p  p  e  und  R  a  v  a  n  o  in  der 
Bossi'schen  Klinik  (Genua)  befasst. 
Die  Experimente  derselben  zeigten, 
dass  das  Styptol  keine  Wirkung  auf 


die  Uterusmuskulatur  ausübt,  so  dass 
es  z.  B.  auch  in  der  Schwangerschaft 
gegeben  werden  kann,  ohne  VVehen  zu 
erzeugen,  und  ferner  ging  aus  ihnen 
besonders  eine  deutliche  sedative  Wir- 
kung des  Mittels  hervor.  Mit  grös- 
seren Dosen  beobachtete  man  auch  bei 
Menschen  beruhigende  und  Schlaf 
machende  Wirkung.  Diese  sedative 
Wirkung  scheint  nun  von  grosser  Be- 
deutung bei  der  Verwendung  des 
Styptols  gegen  Dysmenorrhoe  zu  sein. 
Ausserdem  weist  J.  auch  noch  auf 
einen  Versuch  von  M  o  h  r  hin,  der  eine 
direkte  Verminderung  der  Erregbar- 
keit der  uterinen  Nerven  durch  Styptol 
zu  beweisen  scheint.  M  o  h  r  legte  bei 
einem  trächtigen  Kaninchen  den 
Uterus  frei  und  erzeugte  durch  elek- 
trische Reizung  der  Nerven  des  Plexus 
hypogastricus,  die  zum  Ganglion  uteri- 
num  verlaufen,  Kontraktionen  des 
Uterus.  Als  dann  Styptol  injiziert 
worden  war,  wurde  durch  den  gleichen 
Reiz  an  gleicher  Stelle  keine  resp.  nur 
eine  sehr  schwache  Kontraktion  her- 
vorgerufen. Die  Reizempfindlichkeit 
der  uterinen  Nerven  war  also  offenbar 
durch  das  Styptol  herabgesetzt  wor- 
den. Bedenkt  man  nun  weiter,  dass 
die  Dysmenorrhoe  vornehmlich  mit 
einer  hohen  Empfindlichkeit  des  Endo- 
metriums, die  sich  besonders  bei  der 
Berührung  mit  der  Sonde  zeigt,  in  Ver- 
bindung zu  bringen  ist,  so  erklärt  sich 
hiermit  leicht,  dass  ein  Mittel,  welches 
eine  Verminderung  der  Erregbarkeit 
der  diesbezüglichen  Nerven  bewirkt, 
auch  schmerzlindernd  bei  Dysmenoi"- 
rhoe  wirken  muss.  Diese  kombinierte 
sedative  und  hämostatische  Wirkungs- 
weise des  Styptols  verleiht  diesem 
Mittel  besondere  Vorzüge  vor  den  an- 
deren Stypticis,  vornehmlich  den  Prä- 
paraten des  Mutterkorns,  welche  be- 
kanntlich Uteruskontraktionen  erre- 
gen und  die  daher  zur  Behandlung  der 
Dysmenorrhoe  ebenso  wie  bei  Blutun- 
gen in  der  Schwangerschaft  kontrain- 
diziert sind. 

Auch  die  pharmakologische  Zusam- 
mensetzung des  Styptols  ergibt  leicht 
eine  Erklärung  für  seine  Doppelwir- 
kung. Das  Styptol  ist  bekanntlich  das 
neutrale  phtalsaure  Salz  des  Cotarnins. 
Sowohl  beim  Cotarnin    wie    bei  der 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


ror 


Phtalsäure  ist  die  blutstillende  Wir- 
kung nachgewiesen.  Die  sedative 
Wirkung  des  Styptols  wird  verständ- 
lich durch  seine  Darstellung  aus  dem 
(  )piumkaloid  Narkotin.  Man  könnte 
die  Wirkungsweise  des  Styptols  bei 
Menstrualkolik  sehr  wohl  mit  derjeni- 
gen des  Opiums  bei  Darmkolik  ver- 
gleichen. Anfänglich  wurde  das  Styp- 
tol  bekanntlich  lediglich  als  Haemo- 
staticum  in  die  Therapie  eingeführt. 
So  wurde  auch  in  Breslau  an  der  dorti- 
gen gynäkologischen  Abteilung  Styp- 
tol bereits  allgemein  angewandt,  aber 
mir  zur  Bekämpfung  von  Blutungen. 
Erst  die  Versuche  von  Abel  und 
Vieth  veranlassten  J..  Styntol  auch 
als  Sedativum  bei  Dysmennorrhoe  zu 
geben.  J.  hat  nun  seit  geraumer  Zeit 
seine  Aufmerksamkeit  diesem  Gebiete 
besonders  zugewandt  und  verfügt  zur 
Zeit  über  einige  fünfzig  solcher  Fälle. 
Die  Erfahrungen,  die  er  hierbei  mit 
Styptol  machte,  waren  meist  so  über- 
raschend gute,  dass  er  den  Kollegen 
nur  angelegentlichst  empfehlen  kann, 
einen  Versuch  damit  zu  machen.  Um 
den  gewünschten  Erfolg  zu  erzielen, 
ist  aber  durchaus  zu  beachten,  dass 
nicht  zu  kleine  Dosen  verabreicht 
werden.  Die  ungünstigen  Erfahrun- 
gen, die  z.  B.  XV  e  i  s  s  b  a  r  t  mit  Styp- 
tol bei  Dysmenorrhoe  machte,  finden 
ihre  Erklärung  in  der  geringen  Dosis, 
in  der  er  das  Mittel  verordnete.  Er 
selbst  schiebt  den  Misserfolg  auf  den 
Umstand,  dass  es  sich  um  Patientinnen 
handelte,  bei  welchen  der  Schmerzen 
wegen  bereits  eine  Menge  Medika- 
mente zur  Anwendung  gelangt  wären, 
und  die  dadurch  skeptischer  wurden. 
Er  verordnete  pro  die  zirka  4  Tablet- 
ten ä  0,05  g.  Da  von  sämmtlichen 
Autoren  die  geringe  Giftigkeit  des 
Styptols  nachgewiesen  wurde,  so  ist 
es  ganz  unverständlich,  dass  dieses 
Mittel  von  einem  Teil  der  Autoren  in 
so  geringen  Dosen  verordnet  wird.  Ge- 
wiss wird  bei  einfachen  Menorrhagien 
oft  schon  nach  3mal  täglich  1  Tablette 
gute  Wirkung  gesehen,  aber  wenn 
auch  die  styptische  Dosis  so  niedrig 
liegt,  so  liegt  doch  die  sedative  Dosis, 
auf  die  es  bei  Dysmenorrhoe  an- 
kommt, wesentlich  höher.  Dies  liegt 
wohl  daran,  dass  die  sedative  Wirkung 


hauptsächlich  vom  Cotarnin  ausgeht, 
während  die  styptische  auch  von 
Phtalsäure  mit  unterstützt  wird.  Auch 
Chiappe,  Ravano  und  P  a  o- 
1  e  1 1  i  heben  hervor,  dass,  wenn  je- 
mand einmal  von  Styptol  keine  zu- 
friedenstellenden Resultate  bekommt, 
dies  meist  auf  Rechnung  einer  zu  ge- 
ringen Dosis  zu  setzen  ist.  J.  hat  von 
diesem  Mittel,  das  übrigens  in  Form 
von  roten  Tabletten  in  Originalröhr- 
chen  zu  20  Stück  ä  0,05  g  in  den  Han- 
del kommt,  sofort  4  mal  2  Tabletten 
pro  die  gegeben,  in  schweren  Fällen 
von  Dysmenorrhoe  sogar  mit  4  mal  3 
Tabletten  pro  die  begonnen,  ohne 
auch  nur  einmal  eine  nachteilige  Wir- 
kung auf  eines  der  Organe  beobachtet 
zu  haben.  Einmal  begegnete  ihn  eine 
Patientin,  die  Tabletten  nicht  zu 
schlucken  vermochte.  Er  liess  für  sol- 
che Fälle  folgendes  Rezept  anfertigen : 

Rp.    Styptol  pulv   1,0 

Sir.  simpl   50,0 

Aqu.  foenieul   50,0 

M.  D.  S.  3  mal  täglich  2  Teelöffel  am 
besten  mit  etwas  Kognak  zu  nehmen. 
Diese  Ordination  wurde  gut  vertragen 
und  erzielte  die  gewünschte  Wirkung. 

Es  ist  ferner  wichtig,  mit  der  Dar- 
reichung des  Styptols  nicht  erst  bis 
zum  Tage  des  Auftretens  der  dysme- 
norrhoischen  Beschwerden  zu  warten, 
sondern  mit  der  Verabreichung  schon 
2 — 3  Tage  vorher  zu  beginnen.  J.  gibt 
in  der  Regel  3  Tage  vor  dem  Termin 
der  Menses  3  mal  2  Tabletten  und 
steigert  dann  allmählich  die  Dosis  bis 
5  mal  2  Tabletten.  Das  Mittel  wird 
dann  während  der  ganzen  Dauer  der 
Menses  genommen.  Diese  schon  vor- 
zeitig beginnende  Darreichung  des 
Mittels  übt  zu  gleicher  Zeit  auch  einen 
viel  günstigeren  Einfluss  auf  die  Blut- 
ung aus.  Sehr  häufig  sind  die  dysme- 
norrhoischen  Beschwerden  von  lange 
dauernden  und  starken  Menorrhagien 
begleitet.  J.  hat  fast  stets  bei  eben  be- 
schriebener Darreichung  sowohl  die 
Stärke  der  Blutung  vermindern  wie 
ihre  Dauer  verkürzen  können. 

Noch  auf  einen  Punkt  weist  J.  be- 
züglich der  therapeutischen  Anwen- 
dung des  Styptols  hin.  Wie  schon 
früher     hervorgehoben,     stellen  ein 


102 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


grosses  Kontingent  zu  den  mit  dysme- 
norrhoischen  Beschwerden  behafteten 
Personen  die  chlorotischen  Individuen. 
Die  Wirkungsweise  des  Styptols  wird 
nun  wesentlich  unterstützt,  wenn  man 
diesen  Patientinnen  während  der  inter- 
menstruellen Zeit  ein  blutbildendes 
Mittel  verbunden  mit  einer  Milchkur 
verabfolgt.  Es  ist  dabei  nur  zu  beach- 
ten, dass  man  mit  der  Darreichung  der 
blutbildenden  Präparate  vor  Heginn 
der  Menses,  also  vor  Verabfolgung 
des  Styptols  aufhört. 

Zum  Schluss  fasst  J.  seine  Erfah- 
rungen in  folgenden  Sätzen  zusam- 
men : 

Es  ist  zu  unterscheiden  zwischen 
Dysmenorrhoe  als  Symptom  und  Dys- 
menorrhoe als  idiopathische  Krank- 
heit. Gegen  die  idiopathische  Dysme- 
norrhoe besitzen  wir  in  Styptol  ein 
Heilmittel,  welches  nicht  nur  vorüber- 
gehend beruhigend  wirkt,  sondern  die 
Krankheit  meist  dauernd  zu  heilen  im- 
stande ist.  Infolge  seiner  doppelten 
sedativen  und  hämostatischen  Wir- 
kung ist  es  ein  sicheres  Mittel  gegen 
schmerzhafte  und  langdauernde  Men- 
struation. Die  sedative  Wirkung 
bleibt  fast  nie  aus,  wenn  es  in  ge- 
nügend starker  Dosis  verordnet  wird. 
Die  tägliche  Dosis  sei  4 — 5  mal  2  Tab- 
letten ä  0,05  g  oder  3  mal  3  Tabletten. 
Irgend  welche  toxische  Wirkungen 
sind  bei  Gebrauch  des  Styptols  bisher 
überhaupt  noch  nicht  beobachtet  wor- 
den. Mit  der  Darreichung  des  Styptols 
gegen  dysmenorrhoische  Beschwerden 
ist  schon  einige  Tage  vor  Beginn  der 
zu  erwartenden  Menses  anzufangen. 
Bei  gleichzeitig  bestehender  Chlorose 
ist  während  der  intermenstruellen  Zeit 
ein  blutbildendes  Präparat  verbunden 
mit  einer  Milchkur  zu  verordnen.  (Die 
Therapie  der  Gegenwart,  Jhrg.  VIII. 
H.  6.) 

H.  Vieth  und  O.  Ehrraann:  Un- 
tersuchungen und  Beobachtungen 
über  ältere  und  neuere  Balsamica. 

Man  hat  bis  in  die  neueste  Zeit  an- 
genommen, dass  die  reinen  Balsamica, 
z.  B.  das  reine  Sandelöl,  als  solche 
keine  Nebenwirkungen  hervorbringen 
und  diese  nur  von  deren  Verunreinig- 
ungen resp.  Verfälschungen  mit  Zu- 


satzpräparaten hervorgerufen  werden. 
Es  lässt  sich  jedoch  mit  Sicherheit 
nachweisen,  dass  auch  ganz  reine  Prä- 
parate unangenehme  Nebenwirkungen 
hervorrufen  können.  Allerdings  ist 
bei  der  Prüfung  der  Balsamica  zu  be- 
achten, dass  sie  auch  im  echten  und 
unverfälschten  Zustande  nicht  immer 
gleichmässig  beschaffen  sind,  da  sie  in 
dem  Verhältnis  ihrer  natürlichen  Kom- 
ponenten oft  beträchtlich  schwanken. 
Der  Kopaivabalsam  z.  B.  besteht  aus 
Kopaivaölen  und  Kopaivaharzen, 
deren  gegenseitiges  Mengenverhältnis 
aber  nicht  konstant  ist,  sodass  schon 
darin  gewisse  Wirkungsunterschiede 
bedingt  sein  können. 

Es  wurden  untersucht:  Terpentinöl, 
Fichtenharz,  die  Kopaivabalsamarten, 
das  ostindische  und  westindische  San- 
delöl, Zedernöl,  Wacholderbeeröl,  Ku- 
bebenextrakt  und  Kawaharz. 

Die  Prüfungen  und  Versuche  basier- 
ten auf  der  Zerlegung  der  Balsamica 
in  ihre  Komponenten,  wobei  von 
Vieth  vier  verschiedene  Körperklas- 
sen isoliert  wurden,  welche  in  einem 
nahen  genetischen  Zusammenhang 
stehen,  nämlich:  I.  Terpene,  II.  Ter- 
penalkohole,  III.  Harzsäuren,  IV.  Re- 
sene  und  andere  Neutral-Harze  und 
-Ester.  Alle  Balsamica  liefern  bei  der 
Trennung  eine  oder  mehrere  solcher 
Gruppen. 

Mit  den  erhaltenen  Substanzen  wur- 
den nun  bei  den  Tierversuchen  zuerst 
äussere,  lokale  Applikationen  vor  der 
innerlichen  Verabreichung  gemacht, 
zur  genauen  Feststellung,  welche  Kör- 
pergruppen hauptsächlich  die  Reizwir- 
kung auf  die  Oberflächen  lebender  Ge- 
webe ausüben. 

Körperklasse  I :  Terpene,  C10H1B  und 
Sesquiterpene,  Ci5H24,  reine  Kohlen- 
wasserstoffe. Dazu  gehören :  Terpen- 
tinöl, die  Kopaivaöle  aus  den  verschie- 
denen Kopaivabalsamarten,  das  San- 
talen  des  Oleum  santali,  die  Haupt- 
massen des  Zedernöls  und  Wacholder- 
beeröles. Bei  äusserlicher  Anwendung 
sind  alle  diese  Oele  starke  Reizmittel. 
Die  Versuche  wurden  hauptsächlich  an 
Kaninchenohren  gemacht,  die  am  em- 
pfindlichsten reagieren.  Pur  eingerie- 
ben rufen  sie  alsbald  Entzündung, 
manchmal  schon  nach  24  Stunden  Ex- 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


103 


sudation  hervor.  Bei  innerlicher  An- 
wendung treten  ebenfalls  Reizer- 
scheinungen, speziell  der  Nieren  auf. 
Die  Diurese  steigt  schon  nach  kleinen 
Dosen,  bei  gesunden  Menschen  um 
etwa  50  Prozent  nach  Dosen  von  1 — 
2  g.  Bei  fortgesetzter  Darreichung 
geht  diese  Vermehrung  der  Harnse- 
kretion allmählich  zurück. 

Körperklasse  II:  Terpenalkohole. 
Hierhin  gehören  :  das  Santalöl  des  ost- 
indischen Sandelöls,  Amyrol  des  west- 
indischen Sandelöls  und  Credol  des 
Zedernöls.  Bei  ein-  bis  zweimaliger 
Einreibung  der  Sandelöle  (die  haupt- 
sächlich aus  den  Alkoholen  bestehen) 
oder  der  reinen  Terpenalkohole  sieht 
man  noch  keine  Reizwirkung.  Erst  bei 
fortgesetzter  Anwendung  wird  begin- 
nende Reizung  beobachtet.  Nach  in- 
nerlichem Gebrauch  grösserer  Dosen 
bei  Kaninchen  (1  g  pro  Kilo)  sieht 
man  Magendarmstörungen  und  Tem- 
peraturherabsetzung von  38°  auf  36° ; 
speziell  junge  Tiere  gehen  bei  fortge- 
setzten Gaben  meist  ein,  unter  ähnli- 
chen Erscheinungen  wie  nach  Verab- 
reichung der  Terpene.  Diese  Körper 
sind  also  zwar  milder  als  die  reinen 
Terpene  der  Klasse  I,  doch  ist  es  kei- 
neswegs angängig,  sie  als  ganz  reizlos 
zu  bezeichnen,  wie  dies  von  manchen 
neueren  Autoren  geschieht.  Das  zeigt 
auch  die  klinische  Erfahrung. 

Körperklasse  III :  Harzsäuren.  Hier- 
hin gehören :  Fichtenharz  oder  Kolo- 
phonium, die  verschiedenen  Kopaiva- 
harzsäuren,  ferner  wahrscheinlich  Ku- 
bebenharzsäure  und  Kawaharzsäure 
(beide  noch  wenig  untersucht).  Bei 
der  äusseren  Anwendung  zeigen  nun 
die  Substanzen  dieser  Gruppe  zum 
Unterschiede  von  denen  der  vorher- 
gehenden, dass  die  lokale  Reizwirkung 
fehlt.  Dasselbe  ist  auch  nach  innerer 
Anwendung  bei  Pflanzenfressern  (Ka- 
ninchen) der  Fall.  Bei  Fleischfressern 
und  beim  Menschen  aber  tritt  hier  ein 
neuer  Faktor  auf :  im  alkalischen 
Darmsaft  werden  bei  ihnen  die  Harz- 
säuren in  Harzseifen  übergeführt,  und 
diese  rufen  (ähnlich  den  gewöhnlichen 
Seifen)  dann  Durchfall  hervor.  Auch 
Kolophoniumharz  macht  Leibschmer- 
zen und  Durchfall.  Die  Kopaivaharz- 
säuren    machen    sämmlich  Durchfall. 


Auch  Quincke  fand  bei  Menschen 
auf  Gaben  von  2 — 3  g  Leibschmerzen. 
Nierenreizung  wurde  aber  nicht  be- 
obachtet. 

Körperklasse  IV  :  Resene  und  neu- 
trale Ester.  Hier  fehlt  die  Reizwir- 
kung, die  bisher  von  Gruppe  zu  Gruppe 
abnahm,  gänzlich,  auch  die  spezifische 
Darmwirkung  der  Harzsäuren  ist  nicht 
vorhanden.  Tiere  und  Menschen  ver- 
tragen relativ  hohe  Dosen  ohne  Stör- 
ung. Die  Körper  dieser  Klasse  haben 
vor  denen  der  früheren  Gruppen  noch 
den  Vorzug,  dass  sie  meist  nur  einen 
schwachen  Geruch  und  Geschmack  be- 
sitzen und  daher  von  allen  am  besten 
für  interne  Darreichung  geeignet  sind. 

Nach  diesen  Versuchen  lag  der  Ge- 
danke nahe,  durch  Ausschaltung  der 
am  stärksten  reizenden  Körper 
(Gruppe  I),  resp.  durch  chemische 
Umwandlung  der  übrigen  Bestandteile 
in  resenartige  Substanzen  ein  geeig- 
netes Harnbalsamikum  darzustellen, 
welches  die  günstigen  antiblennorrhoi- 
schen  Eigenschaften  besitzt,  gleich- 
zeitig aber  von  den  störenden  Neben- 
wirkungen der  gewöhnlichen  Balsa- 
mica  frei  ist.  Abgesehen  von  dem  Go- 
nosan,  das  lediglich  eine  Mischung  von 
80  Prozent  Oleum  Santali  in  unverän- 
dertem Zustand  mit  20  Prozent  Kawa- 
harz  darstellt,  wurde  schon  früher  ver- 
sucht, aus  Sandelöl  durch  Trennung 
von  Komponenten  die  schädlichen  Ne- 
beneffekte auszuschalten.  Allein  auch 
damit  wurde  kein  wesentlicher  Fort- 
schritt erzielt. 

Ein  anderen  Weg  beschritt  nun 
Vieth,  indem  er  statt  einfacher 
Mischung  oder  Trennung  von  Balsam- 
bestandteilen durch  chemische  Ver- 
bindung neue  Balsamkörper  herstellte, 
welche  derart  beschaffen  waren,  dass 
sie  erst  nach  der  Resorption  im  Or- 
ganismus in  ihre  ursprünglichen  Be- 
standteile gespalten  wurden.  Beim 
Kopaivabalsam  sind  allein  die  Harz- 
säuren der  Veresterung  zugänglich. 
Sie  wurden  mit  verschiedenen  Säuren, 
speziell  mit  Benzoesäure  chemisch  ver- 
bunden, und  so  wurde  eine  neutrale 
Substanz  erhalten,  welche  in  ihren  Ei- 
genschaften den  Resenen  gleicht:  das 
Benzoylkopaivaharz. 

Schon  im  Tierversuch  zeigte  sich  der 


104 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


erwartete  Unterschied,  indem  die  neue 
Substanz  keinerlei  Darmreizung  mehr 
hervorrief.  Während  nach  2  g  Kopai- 
vaharz  Durchfall  eintrat,  wurden  4  g 
Benzoylkopaivaharz  reaktionslos  ver- 
tragen. Auch  bei  Tripperkranken 
wurden  nach  den  den  zahlreichen  Be- 
obachtungen E  h  r  m  a  n  n  s  niemals 
Magendarmreizungen  gesehen,  auch 
bei  grossen  Dosen  nicht  (dreimal  täg- 
lich 2  g).  Dagegen  zeigten  sich  die 
nicht  seltenen  Kopaivaexantheme  wie 
beim  Kopaivaharz  auch  beim  Benzoyl- 
harz.  So  beobachtete  Ehrmann  an 
einem  Eisenbahnbeamten  ein  hoch- 
gradiges Benzoylkopaivaexanthem,  be- 
stehend in  einem  allgemeinen,  roten 
Fleckausschlag  mit  zum  Teil  lividen 
Färbungen,  es  waren  z.  \\.  die  Hand- 
rücken tiefblau  bis  violett  gefärbt.  Der 
Ausschlag  sass  an  Brust,  Gesäss,  Ell- 
bogen, Beinen  und  Händen.  Später 
trat  bei  demselben  Patienten  — ■  nach 
Aussetzen  und  Wiedereinnehmen  des 
Mittels  —  am  Schenkel  ein  leichter 
urtikarieller  Ausschlag  auf.  Aus  die- 
sen pharmokologisch  interessanten  Be- 
obachtungen musste  man  den  Schluss 
ziehen,  dass  die  Umwandlung  des  Ko- 
paivaharzes  in  seine  Benzoylverbin- 
dung  nicht  genügte,  um  die  Exanthem 
hervorrufenden  Prinzipien  ebenso  zu 
eliminieren,  wie  dies  für  die  Magen- 
darmreizungen tatsächlich  erreicht 
war. 

Deshalb  mussten  die  Verf.  trotz  der 
sonst  guten  Eigenschaften  des  neuen 
Präparates  sich  einem  anderen  Balsa- 
mikum  zuwenden,  das  ohnehin  bei  in- 
nerlicher Darreichung  nicht  so  leicht 
Hautreizungen  macht  wie  Kopaiva 
und  seine  Derivate,  und  zwar  dem  ost- 
indischen Sandelöl,  dessen  nicht  sel- 
tene Reizwirkung  auf  das  Magendarm- 
system aber  genügend  bekannt  ist. 

In  dem  Salizylsäureester  des  Sandel- 
öls wurde  ein  Präparat  mit  den  ge- 
wünschten Eigenschaften  gefunden, 
welches  den  Namen  „Santyl"  erhielt: 
Ausser  dem  Salizylester  wurden  auch 
noch  andere  Ester  wie  Santalolum  ben- 
zoicum  und  carbonicum  geprüft,  doch 
verdient  der  erste  den  Vorzug,  weil  er 
im  Organismus  neben  dem  Santalol 
die  bei  Cystitis  recht  wirksame  Sali- 
zylsäure abspaltet.    Santyl  ist  ein  fast 


geruch-  und  geschmackloses  Oel  von 
hellgelber  Farbe,  welches  60  Prozent 
Santalol,  als  Ester  chemisch  an  Salizyl- 
säure gebunden,  enthält.  Es  ist  in  un- 
verändertem Zustande  etwa  so  reizlos 
wie  Olivenöl.  Es  wird  im  Organis- 
mus, nachdem  es  den  Magen,  ohne  ihn 
zu  reizen,  passiert  hat,  allmählich  in 
seine  Komponenten  gespalten.  Durch 
diese  allmähliche  Abspaltung  sind  die 
inneren  Reizeffekte  so  herabgemildert, 
dass  keine  Nierenschmerzen  mehr  auf- 
treten. Auch  die  Exspirationsluft  bleibt 
infolgedessen  frei  von  jenem  unange- 
nehmen Geruch,  der  die  Sandelpatien- 
ten so  oft  kennzeichnet.  Tierversuche 
an  jungen  Kaninchen  zeigten,  dass  das 
Mittel  auch  in  grossen  Dosen  gut  ver- 
tragen wurde,  während  schon  kleinere 
Dosen  reinen  Santalols  denselben  Tie- 
ren die  Fresslust  benahmen.  Die  Aus- 
scheidung mit  dem  Urin  beginnt  bei 
gesunden  Menschen  nach  etwas  einer 
Stunde  und  ist  nach  etwa  24  Stunden 
beendet.  Bei  ihnen  ruft  es  keinerlei 
Beschwerden  hervor.  Die  Tatsache, 
dass  das  Santyl  seines  angenehmen 
Geschmackes  wegen  in  Tropfen  ge- 
nommen werden  kann,  während  alle 
anderen  Sandelpräparate  in  Kapseln 
genommen  werden  müssen,  ist  in  dop- 
pelter Beziehung  ein  Vorteil:  manche 
Patienten  können  keine  Kapseln 
schlucken,  und  die  Resorption  wird 
nicht  durch  die  Gelatinemasse  er- 
schwert. Der  angenehme  Geschmack 
ist  daher  beim  Santyl  ein  nicht  zu  un- 
terschätzender Vorzug. 

Es  wurde  nun  im  Laufe  eines  Jahres 
von  den  Verf.  bei  40  Patienten  mit 
meist  gonorrhoischer  Urethritis  Santyl 
verordnet.  Dabei  ergab  sich,  dass  der 
Magendarmtraktus  in  keiner  Weise 
durch  das  Mittel  affiziert  wurde,  eben- 
so wurde  bisher  in  keinem  einzigen 
Falle  Nierenschmerzen  oder  Albumi- 
nurie beobachtet.  Wenn  auch  das  Ma- 
terial von  40  Fällen  zu  klein  ist,  um 
darüber  ein  definitives  Urteil  abgeben 
zu  können,  so  steht  doch  jetzt  schon 
fest,  dass  durch  die  chemische  Bindung 
des  Santalols  mit  Salizylsäure  auch  die 
Reizwirkung  auf  die  Nieren  im  Ver- 
gleich mit  den  bisherigen  Santalpräpa- 
raten  zum  mindesten  sehr  herabgemil- 
dert ist. 


New  Yorker  Medizini 


SCHE  MONATSSCHRIFT. 


105 


Ueber  die  therapeutischen  Resultate 
der  Santylmedikation  fassen  die  Verf. 
ihr  Urteil  dahin  zusammen,  dass  sie 
vom  Santyl  die  gleiche  Heilwirkung 
gesehen  haben,  die  man  im  allge- 
meinen vom  reinen  Sandelöl  und  sei- 
nen Präparaten,  dem  Gonorol  und  Go- 
nosan,  zu  sehen  gewohnt  ist.  Das 
Brennen  in  der  Harnröhre,  die  Schmer- 
zen bei  der  Miktion,  der  Urindrang 
lassen  in  den  meisten  Fällen  unter  San- 
tylbehandlung  schnell  nach,  die  manch 
mal  auftretenden  schmerzhaften  Erek- 
tionen verschwinden  gewöhnlich,  der 
Ausfluss  wird  geringer  und  der  trübe 
Urin  klärt  sich.  Besonders  bei  Ure- 
thritis posterior,  bei  der  die  Balsamica 
von  alters  her  einen  guten  Ruf  ge- 
niesen, wurde  auch  mit  Santyl  gute 
Wirkung  erzielt.  Freilich  ist  die  meist 
schnell  eintretende  Klärung  des  Urins 
ohne  Lokalbehandlung  öfter  nur  vor- 
übergehend. Die  Verf.  haben  zwar 
einige  Fälle  gesehen,  in  denen  Santyl 
noch  wirksam  war,  nachdem  die  an- 
deren Balsamika  bereits  versagt  hat- 
ten, sie  stehen  aber  auf  dem  Stand- 
punkt, dass  weder  Santyl  noch  irgend 
ein  anderes  Balsamikum  ohne  Lokal- 
behandlung als  eigentliches  Heilmittel 
gegen  den  Tripper  zu  betrachten  sei. 
Auch  die  bei  Urethrocystitis  allgemein 
recht  empfehlenswerte  Kombination 
von  Hexamethylenamin  mit  einem  Bal- 
samicum  versagt  gelegentlich,  während 
oft  die  Lokalbehandlung  (ein  bis  zwei 
Instillationen  in  die  pars  posterior) 
rasch  den  Urin  klärt  (freilich  wird 
auch  hier  gelegentlich  kein  so  rascher 
Erfolg  gesehen).  Auch  bei  Terminal- 
blutungen haben  sie  in  einigen  Fällen 
den  günstigen  Einfluss  des  Santyls 
feststellen   können   und   die  entzünd- 


liche Hyperämie  und  Blutung  rasch 
verschwinden  sehen,  während  in  an- 
deren Fällen  sowohl  Santyl  als  auch 
Gonosan  ohne  Wirkung  blieben  und 
erst  nach  Darreichung  von  Styptolta- 
bletten  (dreimal  zwei  Stück  pro  die) 
die  Blutung  stand. 

Was  nun  die  Herabminderung  der 
Schmerzhaftigkeit  betrifft,  so  haben 
die  Verf.  hier  mit  besonderer  Aufmerk- 
samkeit das  Santyl  mit  dem  <  ronosan 
verglichen,  von  welchem  ja  behauptet 
wird,  dass  es  durch  seinen  Gehalt  an 
Ivawaharz  spezifisch  anästhesierende 
Wirkung  habe.  Es  ist  zwar  allen  Prak- 
tikern bekannt,  dass  auch  reines  San- 
delöl ohne  Kawa  lindernd  auf  die  sub- 
jektiven Beschwerden  bei  Gonorrhoe 
wirkt,  wir  haben  aber  zu  wiederholten 
Malen  bei  starken  Schmerzen  reines 
Kawaextrakt  verabreicht,  ohne  jedoch 
eine  andere  Wirkung  als  vom  gewöhn  - 
lichen Sandelöl  gesehen  zu  haben. 
Lohnstein  meint,  dass  das  Kawa- 
harz  nach  dieser  Richtung  ebenso 
wirksam  sei  wie  Ol.  Santali ;  alle  wei- 
tergehenden Angaben  über  anästhe- 
sierende Wirkungen  der  Kawa  im  Ge- 
gensatz zum  Sandelöl  können  wir  nicht 
bestätigen.  So  sahen  V.  und  E.  auch 
vom  Santyl,  welches  ja  keine  Kawa 
enthält,  gleiche  anästhesierende  Ef- 
fekte wie  vom  Gonosan.  Auch  die 
..unbedingt  anaphrodisische"  Wirkung 
des  Gonosans  konnte  z.  B.  Merz- 
bach nicht  bestätigen,  da  er  in  die 
Lage  kam,  durch  Gonosan  nicht  beein- 
flusste  Erektionen  mit  Narkotizis  zu 
bekämpfen.  Analog  dem  Gonosan  hat 
auch  das  Santyl  bei  den  schmerzhaf- 
ten Erektionen  gelegentlich  versagt. 
(Deutsche  med.  Wochensch.,  1906, 
No.  2.) 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


Sitzungsberichte 


Deutsche  Medizinische  Gesellschaft  der  Stadt  New  York. 


Sitzung  vom  1.  April  1907. 

Präsident  Dr.  Carl  Beck  eröffnet 
die  Sitzung. 

Sekretär  Dr.  John  A.  B  e  u  e  r- 
m  a  n  n  verliest  dass  Protokoll  der 
Sitzung  vom  4.  März,  welches  geneh- 
migt wird. 

Dr.  J.  Wiener  J  r.  berichtet  über 
eine  Anzahl  von  Strumenfällen,  gibt 
deren  Geschichte  und  die  durch  Ope- 
ration erzielten  Erfolge  und  demon- 
striert die  Präparate. 

Dr.  Carl  Pfister:  Fall  von  Ap- 
pendizitis. 

Mittwoch  vor  drei  Wochen  wurde 
ich  gerufen,  um  einen  an  Appendizitis 
erkrankten  Patienten  zu  sehen,  der  da- 
mals bereits  vier  Tage  krank  war.  Der 
Prozess  war  vollständig  im  Abklingen 
und  der  Patient  sollte  im  Intervall 
operiert  werden.  Als  ich  den  Patien- 
ten sah,  hatte  er  normale  Temperatur 
und  guten  normalen  Puls  —  ebenso  am 
Donnerstag.  Es  bestand  auch  keine 
Druckempfindlichkeit.  Sonntag  Abend 
stieg  plötzlich  die  Temperatur  auf 
101°,  Montag  früh  Temperatur  102°, 
Puls  140.  Unter  den  Umständen  hielt 
ich  es  nicht  für  ratsam,  mit  der  Opera- 
tion zu  warten.  Um  3  Uhr  Nachmit- 
tags betrug  die  Temperatur  fast  104°. 
Bei  Oeffnung  der  Bauchhöhle  fand  ich 
absolute  Gangrän.  Es  war  nur  noch 
ein  Rudiment  vom  Appendix  vorhan- 
den. Ganz  in  der  Tiefe  war  ein  Ab- 
szess.  Ich  entleerte  3 — 4  Löffel  übel- 
riechenden Eiters,  tupfte  und  vernähte 
und  legte  ein  kleines  Zigarettendrain 
ein.  Am  Dienstag  Nachmittag  hatte 
der  Mann  schon  Stuhlgang,  noch  102° 
Temperatur  ;  heute  ist  der  Patient  ge- 
nesen. 

Der  Fall  ist  von  Interesse  wegen  des 
eigentümlichen  Verlaufs  vor  der  Ope- 
ration. Man  wird  so  oft  gefragt,  soll 
man  mit  der  Operation  warten  oder 
nicht.  Dieser  Mann  machte  absolut 
keinen  kranken  Eindruck  und  hatte 
keine  Schmerzen,  und  doch  bin  ich 
überzeugt,    wenn    ich    ihn  Dienstag 


Morgen  statt  Montag  Abend  operiert 
hätte,  wäre  er  unrettbar  verloren  ge- 
wesen. 

Diskussion.  Dr.  J.  Wiener:  Man 
muss  dem  Kollegen  Pfister  zu  dem 
brillianten  Resultat  gratulieren. 

Präsident  Dr.  Carl  Beck:  Ich 
habe  den  Patienten  gesehen,  als  Dr. 
Pfister  gerade  die  Bauchhöhle  öff- 
nete. Ich  kann  mich  den  Worten  von 
Dr.  W  i  e  n  er  nur  von  Herzen  an- 
schliessen.  Es  ist  sehr  erfreulich,  dass 
auch  solche  Fälle,  die  im  allgemeinen 
als  rettungslos  angesehen  werden,  doch 
ab  und  zu  durchkommen. 

Präsident  Dr.  Carl  Beck:  Ich  be- 
nütze die  Pause,  um  Ihnen  mitzuteilen, 
dass  Herr  Professor  Friedrich 
Müller  von  München,  einer  unserer 
bedeutendsten  deutschen  Kliniker,  sich 
bereit  erklärt  hat,  uns  einen  Vortrag 
über  die  Beziehungen  der  Affektionen 
der  weiblichen  Geschlechtsorgane  zu 
inneren  Krankheiten  zu  halten.  Leider 
ist  der  genannte  Herr  nicht  imstande, 
zu  unserer  regelmässigen  Sitzung  zu 
kommen,  da  er  am  17.  dieses  Monats 
bereits  zurückreist.  Die  Frage  ent- 
steht nun,  ob  wir  eine  Extra-Sitzung 
für  ihn  abhalten  sollen  oder  nicht.  Wir 
haben  im  vorigen  Monat  bereits  eine 
Extra-Sitzung  gehabt,  und  ich  möchte 
es  daher  nicht  auf  mich  allein  nehmen, 
eine  zweite  Extra-Sitzung  zu  venan- 
stalten,  so  sehr  auch  die  Versuchung 
nahe  liegt.  Ich  brachte  die  Angelegen- 
heit heute  Abend  vor  den  Verwalt- 
ungsrat, und  dieser  hat  einstimmig  be- 
schlossen, Ihnen  zu  empfehlen,  dass 
wir  Herr  Professor  Müller  einladen, 
uns  am  15.  dieses  Monats  einen  Vor- 
trag zu  halten. 

Dr.  Carl  Pfister:  Ich  stelle  den 
Antrag,  unter  allen  Umständen  den 
Vortrag  abhalten  zu  lassen,  denn  wir 
können  es  uns  zur  grossen  Ehre  rech- 
nen, wenn  Prof.  Müller  uns  den 
Vortrag  halten  will.  (Unterstützt.) 

Die  Versammlung  beschliesst  ein- 
stimmig diesem  Antrag  gemäss. 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


107 


Präsident  Dr.  Carl  Beck:  Wir 
haben  ferner  heute  Abend  im  Ver- 
waltungsrat beschlossen,  in  der  näch- 
sten Sitzung  einen  Nachruf  für  den 
hervorragenden  Chirurgen,  Prof.  v  o  n 
B  e  r  g  m  a  n  n,  sprechen  zu  lassen.  Die 
Einzelheiten  darüber  sind  noch  nicht 
bestimmt.  Ich  glaube,  es  ist  unnötig, 
Sie  zu  einem  Antrag  in  dieser  Hinsicht 
zu  veranlassen,  und  fordere  Sie  vor- 
läufig auf.  sich  zum  Andenken  an  den 
Dahingeschiedenen  zu  erheben. 

Die  Versammlung  erhebt  sich. 

Die  Abstimmung  hat  die  Aufnahme 
der  beiden  Kandidaten,  Dr.  Franz 
L  e  h  m  a  c  h  e  r  und  Dr.  Marcus 
F  i  n  k  e  1  s  t  e  i  n,  ergeben,  und  ich  er- 
kläre dieselben  zu  Mitgliedern  der  Ge- 
sellschaft. 

Ferner  liegt  das  Resignationsge- 
such von  Dr.  Klotz  J  r.  vor. 

Dasselbe  wird  mit  Bedauern  ange- 
nommen. 

Präsident  Dr.  Carl  Beck:  Ich 
möchte  hierzu  noch  bemerken,  dass 
diese  Resignation  schon  im  vorigen 
Dezember  eingereicht  wurde  und  dass 
sie  durch  unsere  eigene  Schuld  so 
lange  brach  gelegen  hat,  weil  wir  den 
Versuch  gemacht  haben,  den  Herrn 
umzustimmen.  Herr  Dr.  Keppler 
ist  schwer  erkrankt  und  teilt  mit,  dass 
er  seinen  Vortrag  nicht  halten  kann. 
Da  ich  dies  erst  heute  erfahren  habe, 
war  ich  nicht  in  der  Lage,  einen  Sub- 
stituten zu  rinden. 

Dr.  J.  Wiener  verliest  ein  Vortrag 
über  Prostatahypertrophie  und  ihre 
Behandlung. 

Diskussion.  Dr.  H.  Goldenberg: 
Ich  glaube,  man  kann  getrost  sagen, 
dass  die  Prostatektomie  in  Amerika 
sich  das  Bürgerrecht  erworben  hat. 
Vor  einigen  Jahren  war  das  noch  sehr 
diskutierbar.  Wenn  früher  über  Pro- 
statahypertrophie und  deren  Behand- 
lung diskutiert  wuirde,  so  geschah  die 
Diskussion  nicht  ganz  sine  ira  et  stu- 
dio. Es  gab  gewissermasscn  zwei  oder 
drei  Lager.  Die  einen  wollten  gar 
keine  Operation,  die  anderen  ware  n  für 
B  o  t  t  i  n  i  und  die  dritten  sprachen  da- 
mals noch  sehr  schüchtern  von  Pro- 
statektomie. Ich  glaube,  die  Zeit  ist 
vorüber. 


Ich  stimme  im  grossen  und  ganzen 
mit  Dr.  W  i  e  n  e  r  überein.  Es  handelt 
sich  heute  um  klare  Tatsachen,  die  von 
den  wenigsten  disputiert  werden.  Nur 
in  einigen  wenigen  Punkten  bin  ich 
anderer  Ansicht.  Ich  habe  auch,  in 
gelegentlicher  Privatunterhaltung  mit 
Dr.  W  i  e  11  e  r,  betont,  dass  ich  seine 
Angst  vor  der  Cystoskopie  nicht  teile. 
Ich  halte  die  Cystoskopie,  wenn  ich  die 
suprapubische  Prostatektomie  machen 
will,  vielleicht  manchmal  für  entbehr 
lieh,  aber  nicht  unbedingt  und  jeden- 
falls nicht  für  schädlich.  Ich  habe  es 
mir  zur  Regel  gemacht,  vor  jeder  Ope- 
ration, wenn  die  Cystoskopie  ausführ- 
bar ist,  sie  vorzunehmen,  und  zwar  ist 
das  nicht  ein  theoretisches  Raisonne- 
ment,  sondern  ist  auf  praktische  Er- 
fahrung und  Beobachtung  gestützt, 
und  zur  Erhärtung  will  ich  einen  Fall 
anführen.  Ein  Patient,  der  von  einem 
bekannten  und  tüchtigen  Chirurgen 
prostatektomiert  wurde,  geht  nach 
Hause.  Seine  Beschwerden  sind  noch 
dieselben  wie  vorher.  Ich  sehe  ihn 
ungefähr  zwei  Monate  nachher  und 
finde  durch  Cystoskopie,  dass  der  pro- 
statektomierte  Patient  einen  Stein  in 
der  Blase  hat.  Nach  der  cystoskopi- 
schen  Untersuchung  nehme  ich  die 
Sectio  alta  vor,  in  Beckenhochlager- 
ung, und  finde  zu  meinem  grossen  Er- 
staunen den  Stein  nicht.  Der  Stein 
war  in  der  T  r  e  n  d  e  1  e  n  b  u  r  g'schen 
Lage  in  den  Fundus  der  Blase  ge- 
rutscht und  wäre  mir  entgangen,  eben- 
so wie  dem  Kollegen,  der  die  Prosta- 
tektomie ausgeführt  hatte,  wenn  ich 
nicht  vorher  cystoskopiert  hätte.  Das 
zeigt,  dass  die  Cystoskopie.  die  gar 
kein  Eingriff  ist,  namentlich  wenn 
man  den  Patienten  nachher  operiert, 
doch  eine  Indikation  bei  der  Prostata- 
hypertrophie ist. 

Was  den  Katheter  betrifft,  so  lasse 
ich  mich  von  der  sozialen  Stellung  des 
Patienten  leiten.  Ich  bin  überzeugt, 
dass  jeder  Patient,  der  ein  Katheter- 
leben führen  muss,  besser  prostatekto- 
miert  wird.  Immerhin  gibt  es  Patien- 
ten, die  sich  den  Luxus  des  Katheters 
mit  gründlicher  Asepsis  durch  Arzt 
oder  Diener  leisten  können  und  die  da- 
bei gut  wegkommen.  Ich  habe  der- 
artige Patienten  lange  in  Beobachtung 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


gehabt.  W  enn  dagegen  ein  Handwer- 
ker oder  Arbeiter  ein  Katheterleben 
führen  müsste,  wäre  er  viel  besser 
daran,  wenn  er  sofort  prostatektomiert 
würde. 

Was  die  Bottinische  Operation  be- 
trifft, so  teile  ich  vollständig  die  An- 
sicht von  Dr.  W  i  e  n  e  r. 

Bezüglich  der  Wahl  der  Methode 
möchte  ich  dem,  was  Dr.  Wiener 
angeführt  hat,  hinzufügen,  dass  mich 
bei  der  Wahl  der  (  )peration  —  ich  habe 
sowohl  die  perineale  wie  die  suprapu- 
bische  ausgeführt  —  unter  anderem 
der  Umstand  leitet,  dass  meine  funk- 
tionellen Resultate  bei  der  suprapubi- 
schen  weitaus  bessere  sind.  Das  mag 
individuell  sein.  Ich  will  auf  der  an- 
deren Seite  hinzufügen,  dass  Young 
von  Baltimore,  der  ca.  200  perineale 
Operationen  gemacht  hat,  über  ausge- 
zeichnete funktionelle  Resultate  nach 
seiner  Methode  berichtet. 

Bezüglich  der  zweizeitigen  Opera- 
tion bin  ich  ganz  der  Ansicht  des  Vor- 
tragenden. Ich  habe  es  mir  nament- 
lich seit  etwas  über  einem  Jahre  zur 
Regel  gemacht,  wenn  der  Zustand  des 
Patienten  nicht  sehr  gut  ist,  wenn 
möglich  immer  die  zweizeitige  Opera- 
tion auszuführen  ;  die  erste,  in  lokaler 
Anästhesie,  gelingt  sehr  leicht,  die 
zweite  event.  unter  Lachgas.  Dass 
man  mit  der  Operation  selbst  bei  Pa- 
tienten, die  lange  Jahre  ein  Katheter- 
leben geführt  haben,  noch  gute  Resul- 
tate bekommen  kann,  zeigte  mir  ein 
82jähriger  Patient,  der  18  Jahre  ein 
Katheterleben  führte.  Ich  habe  ihm 
in  zweizeitiger  Operation  von  5 — 6  Wo- 
chen die  Prostata  entfernt.  Er  uriniert 
jetzt  schon  sehr  gut  und  bedarf  des 
Katheters  nicht  mehr. 

Dr.  Carl  Pfister:  Dr.  Wiener 
und  Dr.  Goldenberg  haben  ei- 
gentlich das  Feld  vollständig  er- 
schöpft. Ich  möchte  nur  bemerken: 
fast  alle  Prostatapatienten,  die  ich  ge- 
sehen habe  und  die  nur  für  ganz  kurze 
Zeit  den  Katheter  gebraucht  haben, 
waren  infiziert.  Wenn  die  Leute  noch 
so  vorsichtig  sind,  es  kommt  doch  vor, 
dass  der  Katheter  nicht  richtig  aus- 
kocht oder  mit  schmutzigen  Händen 
angefasst  wird — kurz,  ich  habe  noch 
keinen  Fall  gesehen,  der  nicht  infiziert 


war.  Trotzdem  kommt  es  sehr  oft  vor, 
dass  die  Leute  Jahre  lang  mit  dem  Ka- 
theter auskommen,  denn  vor  10  Jahren 
ist  kaum  eine  Prostatektomie  gemacht 
worden. 

Ich  habe  bis  vor  kurzer  Zeit  absolut 
keine  andere  Prostatektomie  gemacht 
als  die  perineale,  und  zwar  beide,  die 
französische  Boutonniere  und  den  drei- 
eckigen Lappenschnitt,  der  noch  vor- 
zuziehen ist.  Aber  in  der  letzten  Zeit 
habe  ich  auch  die  Blase  eröffnet. 
Meine  Resultate  waren  sehr  gut  darin, 
und  ich  muss  gestehen,  dass  der  drei- 
eckige Lappenschnitt  der  beste  Ein- 
griff ist,  um  die  Prostata  zu  entfernen. 

Ich  habe  die  zweizeitige  ( )peration 
nicht  gemacht,  sondern  nur  an  demsel- 
ben Tag  operiert,  nämlich  deswegen, 
weil  meine  Fälle,  die  ich  operiert  habe 
per  sectionem  altam.  nicht  so  infiziert 
waren  wie  die  von  Dr.  W  i  e  n  e  r  ope- 
rierten. 

Von  der  Bottinischen  Operation  bin 
ich  immer  ein  ausgesprochener  Geg- 
ner  gewesen.  Ich  habe  sie  aus  dem 
Grunde  nicht  für  richtig  gehalten,  weil 
man  schliesslich  etwas  tut,  einen 
Schnitt  macht,  den  man  nicht  sehen, 
den  man  mit  den  Augen  nicht  kontrol- 
lieren kann. 

Dr.  J.  Wiener  (Schlusswort): 
Ich  möchte  nur  eines  Dr.  Golden- 
i)  e  r  g  erwidern,  nämlich  in  Bezug  auf 
die  Cystoskopie.  Ich  hätte  gewiss 
nichts  gegen  die  Cystoskopie,  wenn 
jeder  das  Cystoskop  so  häufig  und  so 
sorgfältig  gebrauchen  würde  wie  Dr. 
Goldenberg,  und  es  wundert  mich 
nicht,  dass  er  keine  schlechten  Resul- 
tate vom  Gebrauch  des  Cystoskops  ge- 
sehen hat.  Aber  ich  habe  bei  anderen 
K<  illegen  .schlechte  Resultate  gesehen, 
und  zwar  am  Anfang  meiner  Tätigkeit 
auf  diesem  Felde.  Und  deshalb  habe 
ich  es  häufig  betont,  dass  die  cystosko- 
pische  Untersuchung  mit  Gefahr  ver- 
bunden ist,  und  ich  glaube,  Dr.  G  o  1- 
d  e  n  b  e  r  g  wird  mit  mir  übereinstim- 
men, dass  der  allgemeine  Gebrauch  des 
Cystoskops  nicht  ohne  Gefahr  bei  die- 
sen Fällen  ist. 

Was  die  besseren  funktionellen  Re- 
sultate vom  hohen  Blasenschnitt  be- 
trifft, so  kann  ich  mit  Dr.  Golden- 
berg übereinstimmen.    Ich  habe  die 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


109 


Literatur  ziemlich  sorgfältig  verfolgt, 
und  danach  sind  die  Resultate  vom 
hohen  Blasenschnitt  besser.  Ich  könnte 
Ihnen  aus  meiner  Praxis  verschiedene 
Fidle  vorlegen,  wo  die  Patienten  nicht 
nur  potent  nach  der  Operation  waren, 
sondern  viel  besser  potent  nachher  als 
vorher.  Ich  möchte  nur  an  einen  Pa- 
tienten erinnern,  der  acht  Wochen 
nach  der  Prostatektomie  einen  voll- 
kommen normalen  Beischlaf  mit  seiner 
Frau  hatte.  Ich  könnte  auf  andere 
Fälle  hinweisen,  wo  die  Patienten  zwei- 
bis  drei  Jahre  keinen  geschlechtlichen 
Umgang  haben  konnten  und  nach 
der  Prostatektomie  ihn  genossen. 
Das  ist  aber  nicht  das  gewöhnliche 
Resultat.  Das  gewöhnliche  Resultat 
ist,  dass  Leute,  die  vorher  potent  wa- 
ren, auch  nachher  potent  sind,  und 
die  vorher  nicht  potent  waren,  auch 
nachher  nicht  potent  werden.  Aber  von 
der  Literatur  kann  ich  konstatieren, 
dass  nach  der  perinealen  Operation 
eine  höhere  Impotenz  vorhanden  ist, 
als  bei  dem  hohen  Blasenschnitt. 

Die  zweizeitige  Operation  ist  noch 
nicht  allgemein  in  Brauch  und  ist  doch 
von  sehr  grossem  Wert.  Ich  könnte 
auf  3 — 4  Fälle  hinweisen,  die  sicher  zu 
Grunde  gegangen  wären,  wenn  wir 
nicht  die  zweizeitige  Operation  ausge- 
führt hätten. 

Vortrag  von  Dr.  A.  Herz  f  e  1  d  über 
vorzeitige  Ablösung  der  normal  sit- 
zenden Placenta. 

Die  Arbeit  erscheint  in  extenso  in 
der  Festschrift  zu  Professor  v  o  n 
W  i  n  c  k  e  Ts  (München)  /Ojährigem 
Geburtstag.  Der  Vortragende  be- 
schreibt im  Anschluss  an  einen  eigenen 
Fall  die  Gefahren,  welche  diese  schwere 
und  gefürchtete  Komplikation  für 
Mutter  und  Kind  im  Gefolge  hat  und 
welch'  grosse  Anforderungen  dieselbe 
an  den  Geburtshelfer  stellt.  Fr  be- 
spricht die  Terminologie  und  die  Ge- 
schichte der  Krankheit,  welche  schon 
im  16.  Jahrhundert  bekannt  war  und 
von  Baudelocque  genau  beschrie- 
ben wurde.  Im  Anschluss  an  250  aus 
der  Literatur  gesammelte  Fälle  be- 
schreibt H.  die  Symptomatologie  und 
die  Differenzialdiagnose,  bei  welcher 
besonders  die  Placenta  praevia,  Rup- 


tura  uteri  und  Perforationsperitonitis 
in  Betracht  kommt. 

Das  sofortige  Grösserwerden  des 
Leibes,  seine  ungewöhnliche  Schmerz- 
haftigkeit  bei  Berührung,  das  schnelle 
Einsetzen  schweren  Kollapses  und  der 
Anämie,  die  Schwierigkeit  in  dem  Pal- 
pieren der  Kindesteile  und  der  kon- 
stante Blutabgang  sprechen  für  die 
vorzeitige  Ablösung  der  normal  sitzen- 
den Placenta.  Diese  schwere  Kompli- 
kation der  Geburt  ist  häufiger,  als  wir 
nach  älteren  Statistiken  denken  sollten, 
viele  der  Fälle  werden  nicht  richtig  be- 
urteilt und  nicht  bekannt. 

Aetiologisch  kommt  zunächst  die 
Nephritis  in  Betracht,  ein  Fünftel  aller 
Fälle  waren  durch  diese  häufige  Kom- 
plikation der  Schwangerschaft  verur- 
sacht. Chantreuil  war  der  erste, 
der  auf  diese  Ursache  der  vorzeitigen 
Ablösung  der  Placenta  aufmerksam 
machte.  Die  vorzeitige  Ablösung  des 
Mutterkuchens  wird  ferner  durch 
Trauma.  Endometritis,  Kürze  der  Na- 
belschnur und  Vergiftung  verursacht. 
Entgegen  der  früheren  Annahme  be- 
weist Ff.,  dass  die  vorzeitige  Ablösung 
die  Primiparae  ebenso  häufig  befällt 
als  die  Multiparae,  und  das  Alter  der 
Frau  hat  keinen  Einfluss  auf  diesen 
Unfall.  Die  Prognose  ist  besser  als 
früher,  doch  immer  noch  sehr  schlecht 
für  das  Kind,  von  248  Frauen  starben 
72  =  29  Prozent,  von  246  starben  204 
=  82.9  Prozent.  In  der  Pathologie 
weist  der  Vortragende  speziell  auf 
die  Arbeiten  von  von  Weiss, 
Schickele,  Gottschalk,  Vei  t 
und  S  e  i  t  z  hin,  welch'  letzterer  in 
einem  Falle  vorzeitiger  Ablösung  der 
normal  sitzenden  Placenta,  trotz  ge- 
nauester Untersuchung  keine  andere 
Veränderungen  an  Uterus  und  Pla- 
centa nachweisen  konnte,  wie  anders 
wir  sie  an  diesen  Organen  am  Ende 
der  normalen  Schwangerschaft  zu  fin- 
den gewohnt  sind,  und  deswegen  führt 
S  e  i  t  z  die  Ablösung  der  normal  sit- 
zenden Placenta  auf  Toxinwirkung 
zurück.  Die  Therapie  hat  sich  im 
Laufe  der  Jahre  in  ihren  Prinzipien 
nicht  geändert,  auch  heute  noch  wie 
damals  ist  die  Beschleunigung  der  Ge- 
burt, die  Entleerung  der  Gebärmutter 
das  einzige  Heilmittel. 


I  IO 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


Eine  einheitliche  Behandlung-  gibt  es 
nicht,  jeder  Fall  muss  für  sich  beurteilt 
werden.  Ist  die  Gebärmutter  noch 
nicht  geöffnet,  kann  je  nach  der  Lage 
des  Falles  die  Tamponade,  Gummibal- 
lons,  das  Bozzi'sche  Dilatatorium,  der 
vaginale  und  der  reguläre  Kaiser- 
schnitt  in  Betracht  kommen.  Vor  der 
vorzeitigen  Blasensprengung  wird  ge- 
warnt. Ist  die  Gebärmutter  bereits  ge- 
öffnet, SO  kommt  die  Zange  resp. 
W  endung  in  Betracht.  Prima  ratio  est 
foetus  extractio. 

Diskussion.  Dr.  Ewald  bemerkt, 
dass  er  in  den  meisten  Fällen  den  vagi- 
nalen Kaiserschnitt  als  das  indiziert:- 
und  ideale  Verfahren  betrachte. 

I  )r.  A.  Herzfeld  (  Schlusswort)  : 
Ich  möchte  zu  dem,  was  Dr.  Ewald 
gesagt,  bemerken,  dass  ich  den  vagi- 
nalen Kaiserschnitt  auch  für  ein  ideales 
Verfahren  halte.  Aber  wenn  man  in 
einem  Tenement-Haus  im  4.  Stock 
operiert,  ganz  allein  ist  und  die  Frau 
im  Sterben  liegt,  da  kann  man  sich 
nicht  mit  dem  vaginalen  Kaiserschnitt 
befassen.  Man  muss  versuchen,  die 
Gebärmutter  so  schnell  wie  möglich  zu 
eröffnen,  was  vielleicht  am  besten 
noch  mit  dem  Bozzi'schen  Instrumente 
geschehen  dürfte. 

Dann  hat  Dr.  Ewald  die  Atonie 
des  Uterus  erwähnt,  und  ich  möchte 
hinzufügen,  dass  die  Atonie  des  Uterus 
22  Prozent  von  allen  Todesfällen  ver- 
ursacht hatte. 

Hierauf  Schluss  der  Sitzung  und 
Vertagung. 

Ausserordentliche-Sitzung  Montag, 
den  15.  April  1907. 

Präsident  Carl  Beck  eröffnet  die 
Sitzung,  indem  er  Herrn  Prof.  Dr. 
Friedrich  Müller  von  der  Uni- 
versität München  der  Versammlung 
vorstellt. 

Tagesordnung. 

Dr.  Max  Einhorn  demonstriert 
ein  Reagenzpapier  zur  Vereinfachung 
der  Blutprobe  bei  Magenkarzinom. 

Prof.  Dr.  Friedrich  Müller 
(  München)  verliest  einen  Vortrag  über 
die  Beziehungen  der  Affektionen  der 
weiblichen  Geschlechtsorgane  zu  in- 
neren Krankheiten. 


Diskussion.  Präsident  Dr.  Carl 
B  eck:  Sie  haben  den  ausserordent- 
lichen Vortrag  eines  ausserordent- 
lichen Klinikers  gehört  und  werden 
sicherlich  einen  unauslöschlichen  Ein- 
druck mit  nach  Haus  nehmen.  Ich 
möchte  fürchten,  dass  die  Vornehm- 
heit des  Vortrags  in  Ihnen  den 
Wunsch  rege  macht,  denselben  durch 
keine  Diskussion  versehrt  zu  sehen, 
damit  Sie  ihn  völlig  unbeeinflusst  nach 
Hause  tragen.  Herr  Prof.  Müller 
hat  aber  in  seiner  geraden  Weise  den 
Wunsch  ausgesprochen,  dass  Sie  seine 
Anführungen  doch  diskutieren,  und  ich 
fordere  Sie  deshalb  auf,  dem  gemäss 
zu  handeln. 

Prof.  Dr.  A.  Jacobi:  Wir  haben 
eben  gehört,  Herr  Prof.  Müller, 
dass  es  Ihr  besonderer  Wunsch  sei, 
den  Vortrag  diskutiert  zu  sehen.  Ich 
würde  sonst  dasselbe  Gefühl  gehabt 
haben,  welches  der  Präsident  eben  aus- 
gesprochen hat.  Mit  Ihrer  Erlaubnis 
aber  will  ich  ein  paar  Bemerkungen 
machen,  da  sie  in  der  Ordnung  zu  sein 
scheinen. 

Zunächst  eine  Bemerkung  über  das 
Verhältnis  des  Darms  zum  Weibe. 
Die  Enteritis  mueosa  seu  membrana- 
cea  kommt  nicht  blos  bei  Weibern  vor. 
aber  ich  habe  sie  nur  bei  neurotischen 
Individuen  beobachtet.  Ich  weiss  mit 
Bestimmtheit,  dass  ich  sechs  Fälle  bei 
Kindern  gesehen  habe ;  davon  zwei  bei 
einem  3  jährigen  Jungen  und  einem 
5 — öjährigen  Mädchen,  ausgesprochene 
Jahre  lang  dauernde  membranöse  En- 
teritis. Die  beiden  Geschwister  kamen 
in  einer  durchweg  neurotischen  Fa- 
milie vor.  Ich  habe  einen  Fall  ge- 
sehen, an  den  ich  mich  deutlich  erin- 
nere, bei  einem  Jungen  von  10 — 11 
Jahren,  den  ich  nicht  lange  beobachtet 
habe  und  von  dem  es  hiess,  dass  er 
seine  charakteristischen  Stühle  neben 
Nervenerscheinungen  hysterischer  Art 
seit  vielen  Jahren  gehabt  hatte.  Dann 
kommt  sie  bei  Männern  vor,  wo  ich  sie 
zweimal  in  der  Privatpraxis  gesehen 
habe,  und  in  der  ,,Medical  History  of 
the  Rebellion",  ich  weiss  nicht,  in  wel- 
chem Bande,  I.  oder  II.,  im  Zusam- 
menhange mit  andern  bei  Soldaten 
vorkommenden  Erkrankungen  der 
Darmschleimhaut      beschrieben.  ,  So 


äew  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


Iii 


kommt  die  Enteritis  membranosa 
also  bei  Männern,  Kindern  und  Wei- 
bern vor,  allerdings  die  bei  weitem 
grösste  Anzahl  von  Fällen  bei  Wei- 
bern. 

Die  Fälle  von  chronischen  Lungen- 
entartungen auf  Grundlage  von  Pneu- 
monie, von  denen  Prof.  M  ü  1.1  er  ge- 
sprochen hat,  sind  meiner  Erfahrung 
nach  nicht  immer  das  Resultat  einer 
genuinen  Pneumonie.  Man  hat  früher 
wohl  die  beiden  als  synonym  bezeich- 
net. Das  anatomische  Resultat  ist 
wenigstens  nicht  immer  dasselbe.  In 
solchen  Fällen  findet  man  Ver- 
schrumpfungen  und  Retraktionen  des 
Lungengewebes.  Das  eigentliche  Lun- 
gengewebe verschwindet,  es  bleibt 
eine  grosse  Masse  von  Bindegewebe 
zurück,  das  allmählich  vernarbt,  sich 
zusammenzieht  und  Gelegenheit  gibt, 
den  Brustkorb  zu  retrahieren,  beson- 
ders in  den  oberen  Partien  und  ganz 
besonders  der  rechten  Lunge.  In  sol- 
chen Fällen  kommt  man  sehr  häufig  in 
die  Gefahr,  eine  chronische  Tuberku- 
lose zu  diagnostizieren.  Man  findet  da 
Abflachung,  sogar  Einfallen  der  Brust- 
wand, vermindertes  oder  bronchiales 
Atmen,  aber  sie  atmen  fast  immer 
ohne  irgend  welche  Rasselgeräusche. 
Das  ist  ein  Vorkommen,  das  meiner 
Erfahrung  nach  nicht  so  selten  ist. 

Was  das  Herz  anbetrifft  und  die  Zir- 
kulation, so  werden  sie  gewiss  in  der 
Weise  gestört,  wie  Prof.  Müller  be- 
schrieben hat.  Die  Angiome  der  ver- 
schiedensten Art  werden  immer  gross 
w  ahrend  einer  Schwangerschaft,  haben 
die  Neigung,  sich  dann  wieder  zu  ver- 
kleinern, aber  die  Gefahr  ist  immer 
da,  dass  mit  jeder  folgenden  Schwan- 
gerschaft das  Angiom  grösser  bleibt. 
Was  das  Herz  anbetrifft  und  die  Ver- 
änderungen und  die  Arhythmie,  die 
man  während  der  Schwangerschaft 
und  kurze  Zeit  nach  dem  Wochenbett 
noch  findet,  so  muss  die  doch  von  den 
Veränderungen  der  Muskulatur  ab- 
hängen. Ich  habe  die  Arhythmie  nicht 
durch  einfachen  Klappenfehler  erklärt, 
sondern  sie  hängt  ab  von  einer  Ver- 
änderung in  der  Muskulatur  des  Her- 
zens selber.  Die  ist  geneigt,  nach  dem 
Wochenbett  allmählich  besser  zu  wer- 
den. 


Dr.  F.  Krug:  Ich  bin  hierher  ge- 
kommen, um  zu  hören,  nicht  um  ge- 
hört zu  werden,  aber  da  es  gewünscht 
wird,  will  ich  gern  ein  paar  Worte 
sagen.  Wollte  ich  auf  jeden  Punkt 
eingehen,  den  der  geehrte  Redner  des 
Abends  berührt  hat,  so  müsste  ich  bei- 
nahe soviel  Zeit  in  Anspruch  nehmen, 
als  bereits  gebraucht  worden  ist.  Ich 
will  daher  nur  sagen,  dass  ich  in  den 
meisten  Punkten  mit  ihm  überein- 
stimme, und  will  nur  wenige  Punkte 
berühren,  in  denen  ich  verschiedener 
Ansicht  bin. 

Prof.  Müll  e  r  hat  gesagt,  dass  das 
artifizielle  Klimakterium,  das  nach  Ex- 
stirpation  der  beiden  Adnexe  erfolgt, 
schlimmer  sei,  wenn  zu  gleicher  Zeit 
auch  der  erkrankte  Uterus  entfernt 
wird  als  das  artifizielle  Klimakterium, 
das  bei  Exstirpation  der  Adnexe  allein 
erfolgt.  Meine  Erfahrung  ist  diame- 
tral entgegen  gesetzt.  Ich  betone,  dass 
ich  hier  nur  die  Fälle  berühre,  in  denen 
die  Adnexa  hoffnungslos  erkrant  sind, 
denn  ich  bin  sehr  konservativ  in 
meinen  Anschauungen.  Müssen  die 
Adnexa  jedoch  entfernt  werden,  so 
habe  ich  gewöhnlich  gefunden,  dass 
das  Leiden  ebenso  im  Uterus  Platz  ge- 
griffen hat,  sogar  meistens,  wie  bei  der 
gonorrhoischen  Infektion,  zuerst,  und 
dass,  wenn  der  zuerst  erkrankte  Uterus 
auch  mit  entfernt  wird,  das  artifizielle 
Klimakterium  leichter  für  die  Frau  ist, 
als  wenn  blos  die  Ovarien  exstirpiert 
worden  sind  und  der  ebenfalls  er- 
krankte Uterus  zurück  gelassen  wird. 
Ich  kann  nicht  mit  dem  Redner  über- 
einstimmen, dass  es  notwendigerweise 
einen  derartig  radikalen  Einfluss  auf 
die  Ambition  der  Frau  haben  soll, 
wenn  sie  kastriert  ist.  Im  Gegenteil, 
ich  habe  in  vielen  Fällen  gefunden,  wo 
z.  B.  eine  jung  verheiratete  Frau  mit 
Gonokokkus  infiziert  worden  war  von 
einem  Manu,  dem  vom  Hausarzt  ver- 
sichert worden  war,  dass  er  vollständig 
geheilt  sei,  und  wo  auf  der  Hochzeits- 
reise die  akute  Infektion  stattfand  und 
schliesslich  nach  langem  chronischen 
Siechtum  die  radikale  Operation  ge- 
macht werden  musste,  —  in  diesen 
Fällen  habe  ich  häufig  gefunden,  nach- 
dem jahrelang  palliative  Mittel  ange- 
wandt worden  waren,  dass  die  Frau 


1 12 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


erst  anfing  zu  leben  und  ihr  Leben  zu 
geniesen,  nachdem  die  Radikalopera- 
tion gemacht  war.  Mit  gehöriger  Be- 
handlung und  diätetischen  Vorschrif- 
ten ist  ausgeschlossen,  dass  sich  die 
Form  der  Frau  so  verändern  sollte, 
dass  sie  notwendig  wie  eine  alte  Frau 
aussieht. 

Kröpfe  finden  wir  hier  in  Amerika 
mit  Ausschluss  der  Eingewanderten 
nur  sehr  selten.  Myome  finden  wir 
sehr  häufig,  das  Myomherz  erst  recht. 
Ich  habe  mich  schon  häufig  bemüht, 
einen  rationellen  Zusammenhang  zwi- 
schen Myomherz  und,  was  ich  dabei 
speziell  erwähnen  möchte,  dem  niedri- 
gen Hämoglobingehalt  des  Blutes  bei 
Myom  zu  finden,  und  auf  der  anderen 
Seite  nach  der  Exstirpation  der  Myome 
zu  finden,  dass,  ohne  viele  Tonika  zu 
geben,  der  Hämoglobingehalt  sowohl 
wie  das  Herz  sich  von  selbst  wieder 
restituiert.  Ich  habe  noch  niemals  eine 
Myomoperation  wegen  schlechten 
Herzens  refüsiert,  dagegen  viele  mit 
ausgezeichneten  Resultaten  operiert, 
die  von  Anderen  refüsiert  waren.  Be- 
sondere Vorsichtsmassregeln  bei  der 
Narkose  habe  ich  gebraucht  und  vor 
allem  versucht,  so  rasch  wie  möglich 
zu  arbeiten,  ohne  grossen  Blutverlust. 
Ich  habe  noch  niemals,  auch  bei  den 
schlimmsten  Myomfällen,  eine  Kontra- 
indikation wegen  des  Herzens  gefun- 
den, und  ich  habe  mich  mehr  und  mehr 
überzeugt,  dass  man  das  Myom  nicht 
zu  einem  Grade  anwachsen  lassen  soll, 
bis  das  ausgesprochene  Myomherz  da 
ist. 

Dr.  J.  Kauf  m  a  n  n  :  Ich  möchte 
zunächst  auf  eine  Krankheit  hinwei- 
sen, die  nicht  so  selten  im  Verlauf  der 
Schwangerschaft  sich  entwickelt,  näm- 
lich das  Magengeschwür.  Ich  habe 
eine  Anzahl  von  Fällen  gesehen,  wo 
sich  bei  bis  dahin  magengesunden 
Frauen  zunächst  während  der  ersten 
Monate  der  Schwangerschaft  ganz  er- 
hebliche Uebersäuerung  des  Magens 
einstellte  mit  all  den  subjektiven  Be- 
schwerden, die  wir  bei  dieser  Störung 
zu  sehen  gewöhnt  sind,  insbesondere 
regelmässiges  Auftreten  sehr  heftiger 
epigastrischer  Schmerzen  nach  den 
Mahlzeiten.  Gewöhnlich  sistieren  diese 
Erscheinungen  nach  Verlauf  der  ersten 


drei  Monate.  In  anderen  Fällen  aber 
entwickelt  sich  der  Zustand  weiter  bis 
zum  vollen  Bild  des  Magengeschwürs 
mit  Bluterbrechen,  das  erst  nachlässt 
mit  Ablauf  der  Schwangerschaft.  Ich 
habe  in  einer  Anzahl  von  Fällen  im  Be- 
ginn der  Schwangerschaft,  wenn  diese 
Beschwerden  sehr  ausgeprägt  waren, 
sie  behandelt,  wie  wir  sie  behandeln  in 
Fällen,  in  denen  keine  Schwanger- 
schaft vorliegt,  und  ich  glaube,  dass 
das  ein  zweckmässiges  Verfahren  ist, 
einmal  mit  Rücksicht  auf  die  Möglich- 
keit der  Entwicklung  des  Magenge- 
schwürs, sodann  zur  Beseitigung  der 
manchmal  sehr  unangenehmen  Be- 
schwerden. 

Ich  möchte  aus  der  Gruppe  von  Er- 
krankungen, die  im  Klimakterium  be- 
obachtet werden,  auf  schwere  motori- 
sche Störungen  des  Magens  hinweisen, 
die  sich  in  gewissen  Fällen  ganz  plötz- 
lich entwickeln  können  und  manchmal 
mit  häufigem  Erbrechen  verknüpft 
sind.  In  mehreren  derartigen  Fällen, 
die  ich  gesehen  habe,  kam  es  zu  Stag- 
nation von  Mageninhalt  und  zur  Ent- 
wicklung des  ganzen  Symptomenkom- 
plexes, den  wir  als  .Magenerweiterung 
zu  bezeichnen  gewohnt  sind,  sodass 
dann  die  Patientinnen  so  herunter 
kommen,  dass  der  Verdacht  einer  ma- 
lignen Neubildung  erweckt  würde. 
Das  gänzliche  Verschwinden  aller  die- 
ser Erscheinungen  mit  dem  Ablauf  des 
Klimakteriums  gab  aber  den  Beweis 
dafür,  dass  das  Klimakterium  die  Ur- 
sache dieser  schweren  motorischen 
Störungen  des  Magens  war. 

Ich  möchte  dann  bestätigen,  was 
Prof.  Müller  bezüglich  der  Häufig- 
keit des  ersten  Gallensteinanfalls  kurz 
nach  einer  Entbindung  gesagt  hat.  Ich 
kann  das  aus  meiner  eignen  Erfahrung 
nur  durchaus  bestätigen. 

W  as  die  Frage  der  Schleimkolik  an- 
betrifft, (1.  h.  der  echten  Schleimkolik, 
die  in  Anfällen  auftritt  mit  heftigen 
Schmerzen  und  dem  Abgang  von  einer 
grossen  Menge  Schleim  und  bei  freien 
Intervallen  mit  gesunden  Darmfunk- 
tionen, so  muss  ich  dem  beistimmen, 
was  Dr.  I  a  c  o  b  i  bereits  erwähnt  hat. 
dass  diese  Fälle  von  echter  Schleimko- 
lik nicht  ausschliesslich  bei  Frauen, 
sondern  auch  bei  Männern,  allerdings 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


nur  bei  Männern  neurotischer  Natur, 
beobachtet  werden.  Bei  Durchsicht 
der  Krankengeschichten  einiger  Fälle, 
welche  ich  als  echte  Schleimkolik  bei 
Männern  in  der  Erinnerung  hatte,  finde 
ich,  dass  alle  diese  Patienten  an  chroni- 
schem Darmkatarrh  litten.  Dieselben 
können  also  nicht  als  Fälle  von  reiner 
Colica  mueosa  geführt  werden,  wenn 
man  die  Colica  mueosa  als  eine  Neu- 
rose ansieht. 

Dr.  Willy  Meyer:  Die  hochin- 
teressanten, von  Herrn  Prof.  Müller 
berührten  Fragen  liegen  meiner  Spe- 
zialität leider  so  fern,  dass  ich  nicht 
viel  zur  Diskussion  beitragen  kann. 
Ich  möchte  nur  kurz  unterschreiben, 
was  Dr.  Kaufmann  eben  erwähnt 
hat.  dass  die  Bemerkung  von  Prof. 
Müller  auch  hier  in  unserem  Lande 
so  häufig  zutrifft,  dass  kurz  nach  der 
Entbindung  ein  oder  gar  der  erste  Gal- 
lensteinanfall  eintritt.  Ich  habe  meh- 
rere solcher  Fälle  zu  beobachten  Ge- 
legenheit gehabt. 

Auf  einen  Punkt  möchte  ich  nur 
noch  eingehen,  das  ist  die  Pyelitis,  das 
Auftreten  und  manchmal  sehr  ernste 
Auftreten  einer  Pyelitis  während  der 
Schwangerschaft,  ein  Zustand,  den 
man  natürlich  nicht  mit  einer  Pyone- 
phrose  verwechseln  darf.  Ich  habe  2 
solcher  Fälle  im  Laufe  der  Jahre  ge- 
sehen, bei  denen  ich  behufs  Operation 
zugezogen  wurde.  Das  heisst,  es  fand 
sich  soviel  Schleim-Eiter  im  LJrin  seit 
längerer  Zeit,  und  es  war  solch  hohes 
Fieber  vorhanden  gewesen,  dass  man 
sich  zur  Operation  entschloss.  Ich 
habe  mich  in  beiden  Fällen  gegen  die 
Operation  gestemmt,  und  zwar  haupt- 
sächlich aus  dem  Grunde,  weil  zufällig 
die  Patientinnen  schon  in  der  Schwan- 
gerschaft ziemlich  weit  vorgeschritten 
waren.  Sie  befanden  sich  beide  im  sie- 
benten Monat,  und  der  Allgemeinzu- 
stand war  nicht  ein  solch  schwerer, 
dass  es  gerechtfertigt  schien,  zu  den 
schon  vorhandenen  LJnbequemlichkei- 
ten  nun  noch  eine  Tnzision  der  Niere 
zu  setzen,  denn  um  diese  konnte  es 
sich  nur  handeln,  um  das  Nieren- 
becken während  des  Restes  der 
Schwangerschaft  abzudrainieren.  Ich 
habe  mich  deshalb  nach  verschiedenen 
Besprechungen  mit  den  die  Fälle  be- 


handelnden Kollegen  gegen  die  Opera- 
tion ausgesprochen.  Wir  kamen  über- 
ein, nachdem  die  Untersuchung  des 
Harns  den  Colon  -  Bazillus  in  nahezu 
Reinkultur  zeigte,  dass  es  sich  um 
einen  ascendierenden  Prozess  handele, 
dass  sich  zur  Ureteritis  eine  Pyelitis 
gesellt  hatte  und  dass  nach  Entleer- , 
ung  des  Uterus  Besserung  zu  erwarten 
war.  Und  so  ist  es  in  beiden  Fällen 
eingetreten.  Ich  habe  später  bei  einer 
der  beiden  Patientinnen  die  Ureteren 
katheterisiert  und  fand  noch  nach 
vielen  Monaten  Zeichen  vorhandener 
Nierenbeckenerkrankung.  Auch  darin 
möchte  ich  Herrn  Prof.  Müller  bei- 
stimmen, dass  solche  Patientinnen  ja 
nicht  als  gesund  angesehen  werden 
sollten,  nach  dem  die  Entbindung  ein- 
getreten, sondern  dass  sie  sorgfältiger 
Weiterbeobachtung  und  Nachbehand- 
lung bedürfen. 

Dr.  H.  J.  B  o  1  d  t :  Ich  will  nur  zwei 
Punkte  berühren.  Der  erste  betrifft 
die  Schleimhautkolik,  worüber  Prof. 
Müller  gesprochen  hat.  Ich  muss 
offen  gestehen,  dass  ich  noch  nicht 
einen  einzigen  Fall  bei  gynäkologi- 
schen Leiden  gesehen  habe,  wo  ich  sa- 
gen könnte,  dass  das  gynäkologische 
Leiden  die  Schleimkolik  verursacht 
hat.  Ich  basiere  meine  Behauptung 
darauf,  dass  in  einer  sehr  grossen  Zahl 
von  gynäkologischen  Patientinnen,  die 
Schleimhautkolik  haben,  sämmtliche 
derartige  Patientinnen  neurotisch  sind, 
und  in  den  Fällen,  wo  der  gynäkologi- 
sche Zustand  post  operationem  oder 
nach  der  Behandlung  vollständig  ge- 
bessert wurde,  die  Schleimhautkoliken 
trotzdem  nicht  aufgehört  haben  und 
ebenfalls  der  neurotische  Zustand  der 
Patientinnen  derselbe  blieb. 

Der  zweite  Punkt,  den  ich  aber  un- 
terstützen möchte,  ist  der  Zusammen- 
hang von  Wurmfortsatz-Erkrankung 
und  Adnex-Erkrankung.  Ich  habe 
jetzt  einige  hundert  Wurmfortsätze 
ganz  genau  pathologisch  untersuchen 
lassen ;  sie  wurden  zur  Zeit  der 
operativen  Eingriffe  bei  Beckenleiden 
entfernt,  und  nur  eine  verhältnismäs- 
sig kleine  Zahl,  zwischen  5  und  8  Pro- 
zent dieser  Wurmfortsätze  wurde  nor- 
mal gefunden  ;  der  grosse  Ri  st  war  er- 
krankt.   Zum  Teil  war  der  entzündete 


H4 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


Zustand  so  bedeutend,  dass  es  wirklich 
erstaunlich  ist,  dass  nicht  schwere 
Symptome  durch  die  Appendizitis  her- 
vorgerufen wurden  —  sodass  ich  davon 
überzeugt  bin,  dass  wir  einen  direkten 
Zusammenhang  zwischen  Adnexent- 
zündungen  und  W'urmfortsatzentzünd 
ungen  haben. 

Dr.  S.  J.  Meitzer:  Das  einzige, 
was  ich  zu  sagen  habe,  ist,  dass  es  fast 
25  Jahre  her  sind,  dass  ich  den  Genuss 
gehabt  habe,  einen  so  zusammenfas- 
senden Vortrag  zu  hören. 

Dr.  Otto  G.  Th.  K  iliani:  Ich 
möchte  auch  mein  Interesse  an  dem 
Vortrag  durch  Teilnahme  an  der  Dis- 
kussion bezeugen,  nur  möchte  ich  sa- 
gen, dass  das  Bild  der  Appendix- 
stumpf-Abszesse, von  dem  Prof.  M  ü  1- 
1  e  r  uns  gesagt  hat,  ..Sie  kennen  alle 
das  Bild",  uns  unbekannt  ist.  Ich 
weiss  nicht,  woher  das  kommt.  Nicht 
bloss  mir  persönlich,  sondern  auch  ei- 
ner Reihe  anderer  Chirurgen  ist  das 
Bild  der  Appendixstumpf  -  Abszesse 
nicht  bekannt.  Liegt  es  daran,  dass 
wir  mehr  schliessen,  nicht  drainieren, 
dass  wir  die  Patienten  nur  kurze  Zeit 
im  Bett  lassen?  Ich  lasse  gewöhnlich 
Intervall-Patienten  nach  4  Tagen  auf- 
stehen. Worüber  die  deutschen  Kol- 
legen in  der  Literatur  berichtet  haben, 
ist  uns  jedenfalls  hier  nicht  bekannt. 

Ein  anderer  Punkt,  auf  den  ich  viel- 
leicht hinweisen  darf,  obwohl  er  sehr 
selten  ist,  ist  der,  dass  auch  die  Neural- 
gien während  der  Schwangerschaft 
ausserordentlich  an  Heftigkeit  zuneh- 
men. Dass  dies  bei  Ischias  der  Fall 
ist,  ist  leicht  erklärlich  ;  dass  aber  auch 
sonstige  Neuralgien  gesteigert  wer- 
den, ist  weniger  leicht  zu  erklären. 

Wenn  ich  noch  einen  Punkt  erwäh- 
nen darf,  so  bezieht  sich  der  nicht  so 
sehr  auf  das,  was  Prof.  Müller,  als 
auf  das,  was  Dr.  Meyer  hervorge- 
hoben hat  über  Schwangerschaftsniere. 
Ich  muss  sagen,  dass  ich  in  den  letzten 
zwei  Fällen,  wo  ich  operiert  habe, 
ebenso  froh  darüber  war,  dass  ich  ope- 
riert habe,  wie  Dr.  Meyer  froh  war, 
dass  er  nicht  operiert  hat.  Die 
Schwangerschaft  ist  dadurch  nicht  un- 
terbrochen worden.  Die  eine  Frau,  die 
schwere  Temperaturen  durchgemacht 
hat,  10-4 — 105°,  wurde  mit  dem  Mor- 


gen, wo  die  Niere  geöffnet  wurde,  bes- 
ser. Das  Fieber  fiel  ab.  Die  Frau 
wurde  gesund,  die  Schwangerschalt 
blieb  fortbestehen.  Das  Kind  wurde 
geboren,  und  in  dem  anderen  Fall  wird 
der  Geburt  entgegengesehen. 

Dr.  C.  A.  von  Ramdohr:  Ich 
habe  dem  Vortrag  auch  mit  viel  Ge- 
nuss zugehört  und  möchte  nur  noch 
auf  einige  wenige  Punkte  aufmerksam 
machen.  Speziell  auf  das  Klimak- 
terium. Ueber  das  künstliche  Klimak- 
terium spricht  jeder  ex  cathedra,  hat 
seine  eigene  Erfahrung.  Das  künst- 
lich Klimakterium  ist  in  manchen  Fäl- 
len durchaus  nicht  von  so  bösartigen 
Folgen,  wie  sie  Prof.  Müller  ge- 
schildert hat.  Selbst  das  natürliche 
Klimakterium  scheint  in  der  Stadt 
New  York  gewöhnlich  ohne  spezielle 
schwere  Symptome  vorbeizugehen. 
Das  künstliche  Klimakterium  scheint 
aber  in  der  Stadt  New  York  von  gar 
keinem  besonderen  Wert  zu  sein.  Die 
Frauenzimmer  lassen  sich  sämmtliche 
Eierstöcke  und  den  L'terus  herausneh- 
men und  fühlen  sich  ganz  wohl.  Sie 
setzen  Fett  da  an,  wo  es  ihnen  am 
meisten  gut  tut,  und  haben  später  noch 
viel  Vergnügen  von  ihrem  Leben. 

Was  die  Pubertätszeit  betrifft,  von 
der  wir  speziell  in  New  York  mehr 
hören  als  sonst  wo,  so  finden  wir  auch 
bei  den  unglücklichen  anämischen 
Mädchen  kaum  irgend  welche  schwere 
Symptome.  Sie  waren  entweder 
schlecht  ernährt  oder  sie  hatten  Eltern, 
die  auf  Ernährung  während  der  Zeit 
wenig  Wert  legten.  Sonst  kommen 
die  Mädchen  hier  ganz  gut  über  die 
Pubertätszeit  fort. 

Was  die  Tuberkulose  anbetrifft,  so 
ist  im  allgemeinen  hier  in  New  York 
der  gynäkologische  Standpunkt :  so- 
lange die  Fortpflanzung  der  Tuberku- 
lose auf  den  Foetus  nicht  erwiesen  ist, 
lässt  man  im  allgemeinen  die  Schwan- 
gerschaft ruhig  durchgehen,  und  der 
allgemeine  Standpunkt  ist,  dass  das 
Kind  ganz  gesund  ist,  und  der  Mutter 
schadet  es  nichts. 

Was  Schwangerschaftsniere  und 
schwere  Nierenerkrankung  betrifft,  so 
hat  das  Prof.  Müller  ausgezeichnet 
festgesetzt.  Das  Resultat  ist,  dass  man 
eine  Frau,  die  eine  schwere  Nierener- 


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krankung  hat,  nicht  absolut  zur  Kin- 
derlosigkeit verdammen  soll,  denn  es 
kann  ganz  gut  gehen,  und  die  ge- 
schwächte Niere,  eine  halbe  oder  vier- 
tel Niere  kann  sich  später  regenerieren, 
und  die  Frau  kann  gesunde  Kinder  ge- 
bären. 

Dr.  Max  Einhorn:  Ich  wollte 
nur  sagen,  dass  ich  mit  Prof.  Müller 
darin  übereinstimme,  dass  nach  Exstir- 
pation  der  Ovarien  entschieden  Fälle 
vorkommen,  die  sehr  schwere  Leiden 
nachher  verursachen.  Kollege  Krug 
hat  das  so  dargestellt,  als  ob  sie  nach- 
her ganz  gesund  sind.  Ich  weiss  nicht, 
das  mag  wohl  in  vielen  Fällen  stim- 
men, aber  ich  habe  eine  grosse  Anzahl 
von  Patientinnen  gesehen,  die  sehr 
schwer  leiden  an  allen  möglichen  Ma- 
generscheinungen und  sonstigen  Neu- 
rosen, die  sehr  schwer  zu  bekämpfen 
sind  und  die  man  auf  das  Fehlen  der 
Drüsen  der  Ovarien  zurückführen 
muss. 

Dr.  B.  S.  T  a  1  m  e  y  :  Ich  möchte 
hinzufügen,  dass  ich  dieselbe  Erfahr- 
ung habe  wie  Dr.  Einhorn,  und 
wenn  Dr.  Krug  und  der  andere  Kol- 
lege gefunden  haben,  dass  Frauen,  die 
kastriert  worden  sind,  so  gesund  sind, 
so  kommt  das  daher,  dass  sie,  nachdem 
man  ihnen  alles  heraus  genommen  hat, 
nicht  mehr  zum  Gynäkologen  wegen 
ihrer  Leiden  gehen,  sondern  zum 
Kliniker. 

Dr.  Gustav  Seeligmann:  Aus 
dieser  Gegend  des  Hauses  sind  schon 
mehrere  Bemerkungen  gemacht  wor- 
den über  die  Frage  der  Pyelitis  bei 
Schwangerschaft,  und  wenn  Sie  mir 
eine  Minute  gestatten  wollen,  so 
möchte  ich  im  Anschluss  an  die  Be- 
merkungen von  Dr.  Meyer  und  Dr. 
K  i  1  i  a  n  i  sagen,  dass  diese  Frage  in 
den  letzten  Jahren  hier  in  Amerika  leb- 
haft studiert  worden  ist.  Wir  haben 
schöne  Arbeiten  darüber,  unter  an- 
deren die  von  C  r  a  g  i  n,  der  sich  hier 
ziemlich  als  erster  mit  der  Frage  be- 
schäftigt hat.  Das  Zusammentreffen 
von  Pyelitis  und  Schwangerschaft  von 
Herr  Prof.  Müller  heute  Abend  so 
konzis  und  so  scharf  beleuchtet  zu 
sehen,  war  eine  wahre  Freude.  Der 
Satz  gegen  Ende  seiner  Ausführungen, 


dass  nämlich  selbst  nach  glücklichem 
Ablauf  der  Gravidität  und  damit 
scheinbarem  Ablauf  der  Pyelitis,  diese 
Frauen  nicht  als  gesund  zu  betrachten 
seien,  sondern  als  krank  und  demge- 
mäss  weiter  beobachtet  werden  sollen, 
ist  gewiss  zu  unterschreiben.  Von 
zwei  ziemlich  schweren  Fällen  meiner 
Beobachtung,  einem  Privat-  und  ei- 
nem Hospitalfall,  die  ich  erwähne,  weil 
beide  seitdem  eine  zweite  Gravidität 
und  Geburt  durchgemacht  haben,  erin- 
nere ich  mich,  ganz  entgegengesetzte 
Resultate  gesehen  zu  haben.  Der  eine 
war  eine  Graviditäts- Pyelitis,  die  von 
3  Aerzten  gesehen  und  nur  symptoma- 
tisch behandelt  wurde.  Trotz  wochen- 
langem Fieber,  Schüttelfrösten  ging  die 
Affektion  nach  der  Geburt  zurück, 
auch  keine  Erscheinungen  nachher  — 
allerdings  auf  Bakteriurie  wurde  nicht 
untersucht  —  und  bei  der  zweiten 
Schwangerschaft  und  Geburt  vor  etwa 
einem  Jahre  keinerlei  Symptome,  wäh- 
rend der  andere  Fall  während  der  an- 
derthalb Jahre,  die  zwischen  der  ersten 
und  zweiten  Geburt  lagen,  Symptome 
hatte  und  dieser  Zustand  sich  während 
der  zweiten  Schwangerschaft  prompt 
wieder  zu  einer  ausgesprochene  Pyeli- 
tis verschlimmerte.  Ich  glaube,  dass 
das  Resultat,  das  die  Chirurgie  bei  die- 
sen bis  jetzt  nicht  operierten  Fällen 
von  Pyelitis  in  der  Schwangerschaft 
erreicht,  eher  ermutigend  ist,  und  dass 
die  Frage  nach  der  Therapie  vielleicht 
jetzt  so  zu  beantworten  ist,  dass  man 
bei  Pyelitis  im  Beginn  der  Schwanger- 
schaft, nach  Entleerung  des  Uterus 
wenn  nötig,  die  Pyelitis  operativ  an- 
greift, bei  Fällen  gegen  Ende  der  Gra- 
vidität dagegen  wenn  möglich  konser- 
vativ verfahrt  und  die  Geburt  ab- 
wartet. 

Was  die  Idee  angeht,  die  Schwere 
des  Uterus  und  den  Druck,  den  er  auf 
die  Ureteren  ausübt,  ätiologisch  mit 
Dilatation  der  Ureteren  und  Pyelitis 
in  Verbindung  zu  bringen,  so  darf  ich 
mir  die  kurze  Bemerkung  erlauben, 
dass  ich  mit  Rücksicht  auf  die  alte 
Theorie  der  Ureterenkompression 
durch  den  Uterus  bei  Eklampsie  in 
zwei  Fällen  von  Section  caesarea,  die 
ich  wegen  Eklampsie  gemacht  habe, 
auf  beide  Ureteren  achtete  und  in  bei- 


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den  Fällen  nicht  imstande  war,  eine 
Dilatation  zu  finden. 

Dr.  J.  G.  W.  Greff:  Ich  möchte 
noch  Nephroptose  und  Enteroptose  als 
schwere  Folgen  der  Schwangerschaft 
erwähnen. 

Dr.  Barkan:  Bei  tuberkulösen 
Ehekandidatinnen,  die  bemittelt  sind, 
könnte  man  auch  den  Ausweg  finden, 
sie  nach  Florida  zu  schicken.  Sie  ge- 
nesen da,  werden  schwanger,  und  alles 
läuft  sehr  schön  ab. 

Ueber  das  Erbrechen  bei  Schwan- 
geren möchte  ich  mir  folgende  Be- 
merkung erlauben  :  Bei  Seekranken  be- 
obachtet man  das  Uebergehen  der 
Krämpfe  des  Magens  auf  ausgiebige 
Uteruskrämpfe.  Mit  anderen  Worten, 
Seekranke  gebären  mit  ausgezeichne- 
ten Wehen.  Sollte  da  nicht  auch  das 
Gegenteil  eintreten,  dass  der  Uterus, 
der  durch  die  Schwangerschaft  ge- 
stemmt und  gekrampft  wird,  auch 
diese  Expansionen  auf  den  Magen 
überträgt  ? 

Prof.  Dr.  Friedrich  Müller 
(Schlusswort)  :  Ich  danke  zunächst 
allen  den  Herren,  die  sich  an  der  Dis- 
kussion beteiligt  und  damit  ihr  In- 
teresse zum  Ausdruck  gebracht  haben. 

Ich  möchte  nur  noch  auf  ein  paar 
Punkte  eingehen,  zunächst  die  Frage 
der  Colica  membranacea.  Es  handelt 
sich  um  eine  Zusammenstellung  auf 
Grund  eigener  Erfahrung,  und  ich 
habe  noch  keinen  Fall  von  wirklicher 
Colica  mucosa  bei  einem  Mann  oder 
einem  Kinde  gesehen.  Es  interessiert 
mich  daher  destomehr,  dass  mitgeteilt 
worden  ist,  dass  diese  Krankheit  auch 
bei  Männern  und  Kindern  vorkommt. 
Ich  glaube  ganz  sicher,  dass  wir  ver- 
schiedene Arten  von  Colica  mucosa  zu 
unterscheiden  haben.  Zunächst  haben 
wie  den  Ausdruck  Colica  membrana- 
cea mit  Vorsicht  zu  gebrauchen.  Es 
sind  keine  Membranen.  Wir  haben  die 
Masse  untersucht  und  gefunden,  dass 
sie  fast  ganz  aus  komprimiertem  Mucin 
besteht.  (Dann  habe  ich  zwei  Fälle 
gesehen,  wo  diese  Massen  sehr  viel 
enthalten  haben,  obwohl  keine  Para- 
siten vorhanden  waren.)  Das  ist  ein 
Verhalten,   welches   wir   bei  Asthma 


finden,  das  ich  auch  z.  Z.  beschrieben 
habe.  Ist  es  nicht  vielleicht  möglich, 
dass  wir  es  mit  adäquaten  Zuständen 
des  Darms  zu  tun  haben,  ähnlich  denen 
bei  den  Bronchien.  Auch  vom  Asthma 
gilt,  dass  es  sich  hauptsächlich  bei  ner- 
vösen Individuen  findet.  Uebrigens 
müssen  wir  uns  hüten,  den  Darmka- 
tarrh mit  Colica  membranacea  oder 
mucosa  zu  verwechseln,  das  sind  ver- 
schiedene Dinge. 

Es  ist  darauf  hingewiesen  worden, 
dass  Herzfehler  sich  während  der 
Schwangerschaft  verschlimmern,  und 
auch  hier  tritt  die  Frage  auf:  soll  man 
den  Mädchen  verbieten  zu  heiraten, 
wenn  sie  einen  Herzfehler  haben? 

In  Betreff  des  artifiziellen  Klimak- 
teriums möchte  ich  wiederum  betonen, 
dass  jeder  seine  eigenen  Beobachtun- 
gen macht.  Ich  war  unglücklich  ge- 
nug, solche  Fälle  zu  sehen,  und  sie 
haben  mir  einen  unauslöschlichen  Ein- 
druck gemacht.  Die  Fälle,  welche 
günstig  ausgefallen  sind,  bekomme  ich 
nicht  zu  sehen. 

Ich  habe  aus  dem,  was  gesagt  wor- 
den ist,  entnehmen  können,  dass  ein 
häufiges  Zusammenkommen  von 
gynäkologischen  Erkrankungen  und 
Schleimhautkolik  oder  Erkrankung 
des  Darms  besteht.  Halten  wir  uns 
an  das  Zusammenkommen  und  lassen 
wir  Theorien  bei  seite. 

Ob  man  Pyelitis  operieren  soll,  dar- 
über möchte  ich  mich  etwas  reserviert 
ausdrücken.  Es  kann  vorkommen, 
dass  alles  glatt  ausgeht.  Aber  ich 
habe  einen  Fall  gesehen,  wo  die  Kom- 
pression der  Ureteren  sehr  bedenklich 
war  und  der  Harn  lange  Zeit  immer 
nach  hinten  abfloss.  Man  hat  die  Niere 
herausnehmen  müssen,  und  die  andere 
Niere  war  nicht  gesund,  und  die  Frau 
war  in  grosse  Gefahr  gekommen.  Sie 
lebt  noch.  Das  Resultat  war  aber 
nicht  sehr  schön. 

Präsident  Dr.  Carl  Beck:  Ich 
glaube,  ich  spreche  in  Ihrer  aller  Sinn, 
wenn  ich  Herrn  Prof.  Müller  un- 
seren allerverbindlichsten  Dank  für 
seinen  geistvollen  und  überzeugenden 
Vortrag  ausspreche.  Er  hat  uns  durch 
seine      meisterhaften  Ausführungen 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


t  f  7 


nicht  nur  einen  genussreichen  Abend 
bereitet,  sondern  auch  mit  seinen 
neuen  Gesichtspunkten  uns  frucht- 
bringende Anregungen  gegeben  und 
überhaupt  einen  so  tiefen  Eindruck  auf 


uns  gemacht,  dass  wir  ihn  schwerlich 
je  vergessen  werden. 
Hierauf  Vertagung. 
Dr.  John  A.  Beuerman  n, 

Prot.  Sekretär. 


Deutsche  Medizinische  Gesellschaft  der  Stadt  Chicago. 


Vereinsjahr  1906-1907. 

1.  (138)  Sitzung  am  4.  Oktober  1906 
im  Hotel  Bismark. 

Das  Protokoll  der  letzten  Sitzung 
des  verflossenen  Sommersemesters 
wird  verlesen  und  angenommen. 

Der  Schatzmeister,  Herr  Dr.  Sau- 
re n  h  a  u  s  berichtet  über  die  Ergeb- 
nisse seiner  Rechnungsführung  wäh- 
rend des  letzten  Vereinsjahres.  Die 
zu  Revisoren  erannten  Herren,  Dr. 
Harms  und  Dr.  Ries,  prüfen  den 
Bericht,  worauf  dem  Herrn  Dr.  S  a  u- 
r  e  n  h  a  u  s  unter  Anerkennung  der 
Musterhaftigkeit  seiner  Buchführung 
und  der  Genauigkeit  des  Aktivsaldos 
der  Dank  des  Vereines  ausgesprochen 
und  Decharge  erteilt  wird. 

In  der  Vorstandswahl  wird  für 
das  beginnende  Vereinsjahr  gewählt: 
Präsident  Herr  Dr.  Herzog,  M. ; 
Vizepräsident,  Herr  Dr.  D  e  c  k  e  r,  A. ; 
1.  Beisitzer  und  Kassier,  Herr  Dr. 
Saurenhaus,  E. ;  2.  Beisitzer,  Herr 
Dr.  Sch  irm  er,  G. ;  Schriftführer. 
Herr  Dr.  Strauch,  A. 

Es  wird  ferner  beschlossen,  das  übli- 
che Festessen  zur  Eröffnung  des  Se- 
mesters am  20.  Oktober  1906  im  Hotel 
Bismark  abzuhalten  ;  es  wird  ein  Ko- 
mitee ernannt,  bestehend  aus  den  Herren 
Dr.  Harms  und  Dr.  Barnard. 

Endlich  wird  das  Austrittsgesuch 
des  Herrn  Dr.  S  c  h  a  1  e  k  verlesen  und 
angenommen.  Herr  Dr.  Schalek 
hat  einen  ehrenvollen  Ruf  als  Profes- 
sor für  Haut-  und  Geschlechtskrank- 
heiten nach  Omaha  bekommen  und 
angenommen.  Die  besten  Wünsche 
der  Anwesenden  begleiten  die  An- 
nahme seines  Gesuches. 

Hierauf  legt  der  abtretende  Schrift- 
führer, Herr  Dr.  T.  H  o  1  i  n  g  e  r,  sein 
Amt  in  die  Hände  des  Nachfolgers 
und  spricht  die  Hoffnung  aus,  dass  die 


Deutsche  Medizinische  Gesellschaft 
von  Chicago  weiter  wachsen  und  ge- 
deihen möge  durch  gute  wissenschaft- 
liche Arbeit  und  sorgfältige  Kritik 
derselben,  zur  höchsten  Genugtuung 
der  Mitglieder  und  zum  Wohle  ihrer 
Patienten. 

Dr.  A.  Strauch, 

Schriftführer. 

II.  (139.)  Sitzung  am  1.  November 
1906. 

Vorsitzender :    Herr  Dr.  Herzog. 
Programm. 

1)  Dr.  Carl  Beck:  Multiple  sep- 
tische Thrombophlebitis  und  deren 
Behandlung  (mit  Krankenvorstell- 
ung). 

2)  Dr.  K  o  1  i  s  c  h  e  r  :  Ueber  Blasen- 
tumoren. 

Das  Protokoll  der  letzten  Sitzung 
wird  gelesen  und  genehmigt. 

Dr.  Carl  Beck  stellt  ein  ca. 
7jähriges  Mädchen  vor,  das  vor  9  Wo- 
chen ein  Trauma  erlitt,  indem  eine 
Wagendeichsel  gegen  die  Brust  stiess. 
Das  Mädchen  leidet  seither  an  Herz- 
klopfen, dem  sich  später  Erstickungs- 
anfälle und  Hüsteln  hinzugesellten. 
Objektiv  finden  sich  starke,  verbreitete 
Herzaktion  und  intensives  Katzen- 
schnurren über  dem  ganzen  Herzen, 
am  stärksten  an  der  Herzbasis.  Das 
Röntgenstrahlenbild  zeigt  einen  Schat- 
ten in  den  obersten  Interkostalräu- 
men, bis  zur  Clavicula  hinaufreichend. 
Das  Fremissement  ist  systolisch  und 
diastolisch ;  in  der  Fossa  jugularis 
deutliche  Pulsation.  Radialispuls  bei- 
derseits gleich.  Keine  Heiserkeit, 
laryngoskopisches  Bild  normal.  Nach 
Gelatinefütterung  trat  eine  leicht  Bes- 
serung in  der  letzten  Zeit  auf.  Dia- 
gnose :  Traumatisches  Aneurysma  des 
Aortenbogens. 


New  Yorker  Medizin 


ische  Monatsschrift. 


Dr.  Lackner  hält  eine  traumati- 
sche Erweiterung  des  linken  Atrium 
Für  wahrscheinlicher. 

Dr.  Doepfner  weist  darauf  hin, 
dass  die  objektiven  und  subjektiven 
Symptome  für  ein  Aneurysma  spre- 
chen. 

Hierauf  hält  Dr.  Carl  Beck  seinen 
Vortrag  über  Venenentzündungen. 

Bei  oberflächlicher  Venenentzünd- 
ung ist  die  Diagnose  leicht,  bei  tiefer 
ist  sie  schwieriger,  manchmal  unmög- 
lich oder  erst  dann  zu  machen,  wenn 
eitriger  Zerfall  mit  Abszessbildung  ein- 
getreten ist.  Dr.  C.  Beck  berichtet 
über  drei  Fälle. 

I.  Fall.  Ein  Mann  erlitt  eine  Ver- 
letzung an  einem  Finger,  worauf 
Lymphangoitis  und  Lymphadenitis 
der  Axilla  auftrat.  Nach  der  Exstirpa- 
tion  der  Drüsengeschwulst  durch  einen 
Arzt  stellte  sich  Schüttelfrost  ein, 
langdauerndes  Fieber  mit  rückläufiger 
Entzündung  des  Armes,  von  der 
Achselhöhle  ausgehend. 

Inzisionen  zeigten  keinen  Eiter,  aber 
eine  gelatinöse  Infiltration  um  die 
Oberarmvenen.  Trotz  lokaler  Heilung 
dauert  das  schwere  Allgemeinbefinden1 
mit  täglichen  Schüttelfrösten  und 
Schweissen  als  pyämische  Manifesta- 
tion an. 

Unter  Schmerzen  im  Unterbauch 
trat  ein  auffallendes  Symptom  auf,  dem 
Dr.  C.  Beck  eine  grosse  semiotische 
Bedeutung  zuschreibt :  Abwechselndes 
An-  und  Abschwellen  eines  Beines  mit 
Druckschmerzhaftigkeit  der  Gegend 
der  Fossa  ovalis.  Bei  der  Inzision 
zeigte  sich  die  Gefässscheide  verdickt, 
die  Vene  solid,  strangartig,  thrombo- 
tisch bis  zur  Vena  iliaca  und  umgeben 
von  plastisch  -  gelatinösem  Exsudat. 
Auch  die  Vene  wurde  inzidiert,  drai- 
niert,  worauf  in  den  nächsten  Tagen 
reichliche  Sekretion  eintrat,  am  vierten 
Tage  erst  von  eitrigem  Charakter. 
Das  Fieber  dauerte  noch  3  Monate 
infolge  Abszessformation  bis  zum  Dia- 
phragma hinauf,  sodass  eine  Kontra- 
inzision  mit  Drainage  zwischen  11.  und 
12.  Rippe  nötig  wurde.  Trotz  sich 
wickelnder  Amyloidose  trat  schliess- 
lich Heilung  ein. 

II.  Fall.  Junger  Mann  erhielt  einen 
Schlag  auf  den  Kopf  mit  Fraktur  des 


Oberkiefers.  Naht  der  Wunde  durch 
einen  Arzt ;  darauf  Fieber,  Benom- 
menheit, Durchfall.  W  i  d  a  l'sche  Re- 
aktion negativ.  Es  traten  bald  Nasen- 
beschwerden auf  und  schliesslich 
wurde  von  Dr.  Josef  Beck  ein  Se- 
quester aus  der  Nasenhöhle  entfernt, 
sowie  massenhafte  Granulationen  aus- 
gelöffelt, die  sich  um  den  Sequester 
gebildet  hatten.  Nach  dieser  Opera- 
ti'in  trat  unter  Fieber  und  Schmerzen 
eine  Entzündung  des  rechten  Armes 
auf,  mit  auffallendem  An-  und  Ab- 
schwellen derselben.  Die  oberflächli- 
chen Venen  des  Armes  und  der  Schul- 
ter waren  entzündet.  Multiple  Inzisio- 
nen mit  Drainage.  Es  bestand  zugleich 
eine  septische  iokale  Hautaffektion. 

III.  Fall.  Thrombophlebitis  (Para- 
nephritis)  zwischen  rechter  Niere  und 
Peritoneum.  Von  anderen  Aerzten 
wurde  an  Appendizitis  und  Gallen- 
steine gedacht.  Bei  der  Laparotomie 
wurde  jedoch  ein  plastisches  Exsudat 
mit  Thrombose  der  Venen  bis  zur  Le- 
ber hinauf  gefunden.  Es  wurden 
Drains  eingelegt,  durch  die  sich  nach 
einigen  Tagen  ein  Abszess  entleerte. 
Unter  beständigen  Fieberbewegungen 
tritt  im  Trigonum  Petiti  Fluktuation 
auf ;  nach  Inzision  und  Entleerung  von 
gangränösen  Massen  erfolgte  Heilung. 

Dr.  Carl  Beck  zieht  drei  wichtige 
Schlüsse  aus  diesen  Fällen : 

1)  Bei  akut  entzündlichen  Venen- 
prozessen soll  eine  Radikaloperation 
mit  Entfernung  des  Gewebes  vermie- 
den werden,  um  nicht  eine  Propagation 
des  Prozesses  zu  befördern.  Einfache 
Inzision  mit  Drainage  muss  genügen. 

2)  Nach  Entfernung  eines  Knochen- 
sequesters sollen  die  Granulationen 
nicht  ausgelöffelt  werden,  die  Ausräu- 
mung von  Thromben  soll  unterlassen 
und  durch  blosse  Drainage  ersetzt  wer- 
den. 

3)  Flüchtige  Oedeme  mögen  für  tiefe 
Thrombophlebitis  pathognomisch  sein. 

Diskussion.  Dr.  Lieberthal, 
der  den  zweiten  Fall  gesehen  hatte, 
teilte  näheres  über  die  am  Arme  lokali- 
sierte Hautaffektion  mit.  Es  handelte 
sich  um  ganz  oberflächlich,  zum  Teil 
blutigen  Inhalt  besitzende  Blasen  von 
der  Grösse  eines  Stecknadelkopfes  bis 
zu  der  eines  Quarters.    Variola  war 


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119 


leicht  auszuschliessen.  Gegen  Pem- 
phigus acutus  sprachen  das  lokalisierte 
Auftreten  und  der  hämorrhagische 
Charakter.  Ueherdies  bestanden  beim 
Patienten  einfache  Hämorrhagien  der 
Haut  auf  Wangen  und  Stirne.  Ge- 
gen Malleus,  woran  anfangs  mit  Rück- 
sicht auf  die  Xasenaffektion  gedacht 
werden  konnte,  sprach  der  negative 
bakteriologische  Befund.  Für  toxi- 
sches Erythem  war  die  Erscheinung 
viel  zu  beschränkt.  Blasen  mit  bluti- 
gem Inhalt  werden  hier  überdies  nicht 
beobachtet.  Es  kann  sich  somit  nur 
um  eine  septische  Hautaffektion  han- 
deln. 

Dr.  Z  i  m  m  e  r  m  a  n  n  fragt,  warum 
Dr.  Beck  die  Vena  femoralis  ange- 
schnitten habe.  Antwort:  Wenn  eine 
eitrige  Schmelzung  vorliegt,  so  er- 
folgt der  Eiterdurchbruch  in  der  Rich- 
tung des  geringsten  Widerstandes. 
Dies  gilt  auch  für  die  Venenentzünd- 
ung; und  tatsächlich  entleerte  sich 
auch  im  ersten  Falle  Eiter  am  vierten 
Tage  durch  die  Drains.  Dr.  Z  i  m- 
m  e  r  m  a  n  n  hingegen  erwidert,  er 
würde  eine  unstillbare  Blutung  durch 
diese-  Vorgehen  befürchten  ;  denn  mit 
dem  Lösen  und  Heraustreten  des 
Thrombus  aus  der  Wunde  könnte  der 
Weg  für  das  Blut  eröffnet  werden. 

Dr.  H  o  1  i  n  g  e  r :  Die  Otologie  hat 
sich  viel  mit  der  Behandlung  der  Sinus- 
thrombose zu  befassen.  Die  Gefahr 
der  Blutung  ist  hier  nicht  sehr  gross, 
da  es  sich  um  kleinere  Venen  handelt 
und  weil  Knochen  die  Venen  ringsum- 
schliessen,  sodass  Druck  zur  erfolg- 
reichen Blutstillung  ausgeübt  werden 
kann. 

Bezüglich  der  Radikalbehandlung 
stehen  sich  zwei  Meinungen  gegen- 
über :  Die  eine  will  sofort  nach  der 
Diagnose  tief  eingehen,  die  Vena 
(jugularis)  unterbinden,  dem  Sinus 
folgen  und  so  die  ganze  Vene  offen- 
legen. Nach  der  anderen  Meinung  soll 
einfach  der  Proc.  mastoideus  eröffnet 
und  dann  abgewartet  werden.  Die 
Statistik  ergibt  auf  der  einen  Seite  63 
Prozent,  auf  der  anderen  65  Prozent 
Heilung,  spricht  also  weder  gegen  das 
eine  noch  gegen  das  andere  Verhalt- 
ungsprinzip. 

Durch  die  radikale  Operation  wird 


aber  das  Leben,  das  durch  die  Krank- 
heit ohnehin  gefährdet  ist,  noch  mehr 
in  Gefahr  gebracht;  hingegen  hat  die 
Idee,  den  Thrombus  soviel  wie  mög- 
lich in  Ruhe  zu  lassen  und  abzuwarten, 
viel  für  sich. 

Dr.  Ochsner:  Das  Prinzin  des 
Dr.  C.  B  e  c  k]  in  Fällen  von  Thrombo- 
phlebitis nicht  viel  zu  tun,  ist  das  be- 
deutsamste Prinzip,  das  er  vorführt. 
Dr.  O  chsner  hat  gegenwärtig  fünf 
schwere  Fälle  von  Thrombophlebitis 
im  Spital.  Vier  Fälle  betreffen  die 
oberen  Extremitäten,  und  wurden  be- 
reits schwer  septisch  ins  Spital  ge- 
bracht. Das  von  Dr.  C.  Beck  hervor- 
gehobene Symptom,  nämlich  das  ab- 
wechselnde An-  und  Abschwellen,  war 
auch  hier  zu  sehen.  Das  Anschwellen 
führt  Dr.  Ochsner  auf  fehlerhafte 
Behandlung  zurück,  wenn  nämlich 
nicht  vollkommene  Ruhe  beobachtet 
wird.  Ruhe  des  Gliedes  ist  am  meisten 
geeignet,  den  septischen  Prozess  sta- 
tionär zu  machen  ;  umgekehrt  kann  das 
septische  Produkt  durch  Bewegungen 
der  Muskeln  weitergedrückt  werden. 
Unzweifelhaft  beruht  der  Fortschritt 
der  Infektion  zum  Teile  auf  dem  Druck 
der  sich  kontrahierenden  Muskeln  auf 
die  Vene.  Wenn  die  Muskeln  ruhig 
gestellt  sind,  genügen  die  übrigen 
Venen,  den  Blutkreis  zu  besorgen. 
Ruhe  ist  das  Wichtigste.  Bei  Eiter- 
formation soll  jedoch  sofort  Inzision 
mit  Drainage  gemacht  werden.  Der 
Verbandwechsel  soll  nicht  zu  oft  und 
nur  mit  Vorsicht  unter  Vermeidung 
von  Druck  und  Bewegung  des  Gliedes 
gemacht  werden. 

Dr.  Doepfner  hat  den  ersten  Fall 
des  Herrn  Dr.  C.  Beck  gesehen. 
Auch  die  Gegend  der  linken  Glutaeal- 
muskeln  war  schmerzhaft  und  in  den 
pyämischen  Prozess  hineinbezogen.  Es 
handelte  sich  bei  diesem  Patienten  um 
eine  nicht  sehr  virulente  Infektion.  In 
der  rechten  Lunge  bestand  kleinblasi- 
ges Rasseln.  Die  Krankheitskeime 
dürften  nach  Passierung  der  Lungen 
auf  dem  Wege  der  Blutbahnen  (Bak- 
teriämie) nach  den  verschiedenen  Kör- 
perstellen verschleppt  worden  sein. 
Das  An-  und  Abschwellen  weist  darauf 
hin,  dass  es  sich  um  bloss  murale 
Thromben  handeln  kann  und  nicht  um 


120 


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totale  —  sodass  eben  noch  ein  Teil 
der  Vene  durchgängig  ist.  Man  soll 
darum  expektativ  sein. 

Dr.  C.  Beck  teilt  im  Schlusswort 
mit,  dass  er  die  tnzision  in  die  Vena 
femoralis  erst  dann  gemacht  habe, 
nachdem  die  Punktion  der  Vene  kein 
Blut  ergeben  hatte. 

Hierauf  hält  Dr.  Kolischer  sei- 
nen Vortrag. 

Diskussion.  1  )r.  Ochsn  e  r  :  Dr. 
Kolischer  hat  das  Thema  sehr 
gründlich  behandelt  und  es  ist  nicht 
viel  hinzuzufügen.  Seine  Thesen  sind 
chirurgisch  richtig;  wir  müssen  diesen 
im  Interesse  der  Patienten  folgen. 
Wir  müssen  zuerst  die  gutartigen  von 
den  bösartigen  Geschwülsten  differen- 
zieren, dann  genau  lokalisieren  und  bei 
der  Operation  die  Blase  möglichst 
schützen,  nicht  zerren,  nicht  so  viel 
wischen,  kurz  so  wenig  als  möglich 
verletzen. 

Im  Schlusswort  betont  Dr.  K  o  1  i- 
scher,  dass  die  Cystoskopie  unter 
den  Aerzten  populär  sein  solle  und 
dass  man  in  die  Urologie  allgemein 
chirurgische  Prinzipien  einführen 
müsse. 

Neue  Mitglieder  sind :  Dr.  Dar- 
ling, 3802  Elbs  Ave. ;  Dr.  L.  A.  M  ü  1- 
1  e  r,  306  East  Division  St. ;  Dr. 
Remb  e,  100  State  St. ;  Dr.  Reic  h- 
m  a  n  n,  405  Schiller  Building;  Dr. 
S  e  u  f  e  r  t,  107  Evergreen  Ave. ;  Dr. 
V  a  h  1  t  e  i  c  h.  1624  Addison  St. ;  Dr. 
Z  i  m  m  e  r  m  a  n  n,  142  Howe  St. 

Sitzung  vom  6.  Dezember  1906. 
Vorsitzender :  Dr.  Herzog. 
Programm. 

1)  Dr.  R.  R  e  m  b  e  :  Cysticercus  cel- 
lulosae der  Iris.  (Der  Vortrag  ist  in 
der  Mainummer  ds.  Jahrgangs  als 
Originalarbeit  erschienen.) 

2)  Dr.  H.  Schill  e  r :  Hauter- 
krankungen während  der  Menstrua- 
tion. 

Diskussion  zu  Dr.  Rembe's  Vor- 
trag. 

Dr.  Abele:  Cysticercus  findet  sich 
häufiger  im  Glaskörper,  wo  er  mittels 
Augenspiegel  gesehen  werden  kann. 
Die  Beobachtung  des  Parasiten  in  der 
Iris  ist  naturgemäss  leichter  als  beim 


Sitze   in   der  Tiefe  des  Auges.  Dr. 
Abele  sah  in  Königsberg,  resp.  in 
Danzig,   drei    Fälle   von  Augencysti- 
I  cercus ;  davon  einen  in  der  vorderen 
:  Augenkammer.  Das  Resultat  der  Ope- 
I  ration  bei  letztgenanntem    Sitze  des 
I  Blasenwurmes     ist     gewöhnlich  ein 
I  gutes,  wie  auch  in  unserem  Falle  ;  aber 
j  nicht  so  gut  beim  Sitz  im  Glaskörper 
und  zwar  wegen  der  Trübungen  und 
entzündlichen  Veränderungen  im  Au- 
geninnern,  hervorgerufen  durch  dieGe- 
genwart  des  Fremdkörpers.  Immerhin 
wird  auch  hier  oft  ein  Sehvermögen 
erzielt,  das  praktisch  verwertbar  ist. 
In  Deutschland  war  der  Augencysti- 
cercus  in  der  Periode  vor  Einführung 
der  Fleischbeschau  viel    häufiger  als 
gegenwärtig.     .Vach    früheren  Zusam- 
menstellungen    kam     ein  Cysticercus 
auf    1000    Augenkranke,  gegenwär- 
tig  aber    (nach   Hirschberg  ein 
Cysticercus  auf  20,000  bis  30,000  Au- 
genkranke als  Erfolg  der  obligatori- 
schen Fleischbeschau. 

Dr.  Sintzal  hatte  in  der  kleinen 
Ortschaft,  wo  unser  Patient  wohnt,  im 
letzten  Jahre  über  20  Fälle  von  Taenia 
solium  gesehen  und  behandelt ;  die 
Häufigkeit  des  Vorkommens  dieses 
Bandwurms  ist  auf  den  dort  üblichen 
(  renuss  von  rohem  Schweineschinken  zu- 
rückzuführen. Bei  einigen  Bandwurm  - 
trägem  hatten  sich  zwei  Taenien  vorge- 
funden. 

Dr.  Strauch:  Der  von  Dr.  R  e  m  b  e 
herangezogene  Erklärungsmodus  der  In- 
fektion unseres  Patienten  durch  Genuss 
von  rohem,  nur  flüchtig  gereinigtem  Ge- 
müsse aus  Feldern,  welche  mit  mensch- 
lichen Exkrementen  gedüngt  waren, 
liegt  im  Bereiche  der  Möglichkeit.  Der 
Import  der  Taenieneier  in  den  mensch- 
lichen Magen  kann  aber  auch  durch 
Selbstinfektion  des  Trägers  stattfinden 
oder  die  Eier  können  von  einem  Indi- 
viduum der  Umgebung  direkt  herrühren. 
Der  Uebertritt  der  Proglottiden  in  den 
Magen  des  Bandwurmwirtes  kann  durch 
antiperistaltische  Bewegungen  des  Dar- 
mes oder  infolge  von  Erbrechen  ge- 
schehen. Bei  geisteskranken  Kopro- 
phagen  oder  bei  Kindern.  welche 
sowohl  die  eigenen  als  auch  ge- 
legentlich fremde  Faekalien  essen, 
kann    das     Schlucken    von  Taenien- 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


121 


eiern,  sogar  von  Proglottiden  stattfinden  ; 
oder  es  können  die  Eier  während  des 
Schlafes  mit  den  beschmutzten  Fingern 
vom  After  nach  dem  Munde  gebracht 
werden.  Ob  unser  Patient  oder  dessen 
nächste  Umgebung  einen  Bandwurm  hat, 
konnte  bisher  aus  äusseren  '  Gründen 
nicht  sichergestellt  werden.  In  vielen 
Fällen,  die  symptomlos  verlaufen,  kann 
nur  die  mikroskopische  Untersuchung 
der  Stühle  auf  Taenieneier  Sicherheit 
geben.  Die  Bandwurmabtreibung  ist  mit 
Rücksicht  auf  die  Gefahr  der  Selbstinfek- 
tion im  Interesse  sowohl  des  Bandwurm- 
trägers als  auch  dessen  Umgebung  indi- 
ziert. Interessant  von  diesem  Gesichts- 
punkte ist  der  Fall  (Karewski),  wo 
ein  jähriger  Säugling  mit  Augencysti- 
cercus  durch  die  Mutter,  die  Bandwurm 
hatte,  infiziert  worden  war.  Gehirn 
und  Muskeln  bilden  die  wichtigsten 
Prädilektionsstellen  für  Cysticercus 
cellulosae ;  selten  ist  das  Unterhaut- 
zellgewebe der  Sitz  des  Parasiten. 

Dr.  Schmauch  hält  im  allgemei- 
nen den  kürzeren  Infektionsweg  vom 
„After  zum  Mund"  für  den  wahrschein- 
licheren. Auf  eine  Anfrage  des  Dr. 
Rembe  teilt  Dr.  Herzog  mit,  dass 
die  Blase  dem  Parasiten  angehört. 
Beim  Ecchinococcus,  —  so  wissen  wir 
—  besteht  die  Wand  der  eigentlichen 
Blase  aus  einer  chitinartigen  Substanz  ; 
nach  aussen  schliesst  sich  die  vom  be- 
nachbarten Parenchym  durch  reak- 
tive Entzündung  gebildete  Bindge- 
webskapsel ;  die  Riesenzellen  werden 
natürlich  ebenfalls  vom  Wirt  geliefert. 

Diskussion  zu  Dr.  S  c  h  i  1  1  e  r's  Vor- 
trag. 

Dr.  Lieberthal:  Während  der 
Menstruation  findet  eine  Umstimmung 
oder  Verstimmung  des  Nervensystems 
und  ceteris  paribus  eine  Beeinflussung 
der  Zirkulation  statt,  die  zuweilen 
auch  an  der  Haut  zum  Ausdruck 
kommt.  In  dreifacher  Weise  werden 
Veränderungen  wahrgenommen:  Ent- 
weder entstehen  dann  Hautaffektionen 
oder  es  werden  bereits  bestehende  in 
progressiver  oder  regressiver  Weise 
verändert.  So  sehen  wir  oft  Akne, 
Ekzem  u.  s.  w.  sich  verschlimmern, 
während  bei  manchem  Pruritus  das 
Jucken  abnimmt  oder  für  die  Zeit  der 
Menstruation    ganz    schwindet.  Da 


nun  die  Erscheinungen  der  neu  ent- 
standenen Hauteruptionen  meist  Cha- 
raktere der  polymorphen  und  toxischen 
Erytheme  tragen,  so  erklärt  sich,  dass 
an  eine  Infektion  oder  Intoxikation  ge- 
dacht wird.  Möglicherweise  sind  man- 
che Eruptionen  Manifestationen  von 
durch  die  Menstruation  ausgelösten 
latenten  Erkrankungen.  Das  Auf- 
treten von  Erysipel  der  Nase  in  einer 
Anzahl  der  Fälle  jedoch  Hesse  sich 
vielleicht  dadurch  erklären,  dass  man- 
che nervöse  Personen,  und  es  sind  ja 
meist  unzweifelhaft  nervös  veranlagte 
Individuen,  bei  denen  Hauterscheinun- 
gen während  der  Menses  auftreten, 
leicht  geneigt  sind,  in  der  Nase  mit 
den  Fingern  zu  bohren,  und  somit  eine 
Infektion  begünstigen.  Erythema 
multiforme  wird  kaum  mit  der  Men- 
struation zurückkehren  ;  wahrschein- 
lich wird  es  dann  nur  stärker.  Aus- 
bruch von  Urticaria  wurde  beim  Plat- 
zen von  Ovarialcysten  wohl  infolge 
der  Absorption  des  Serums  beobachtet. 
Es  soll  mehr  Aufmerksamkeit  der  Be- 
ziehung zwischen  Menstruation  und 
Hauterkrankungen  zugewendet  wer- 
den. 

Dr.  Herzog  kritisiert  die  statisti- 
sche Grundlage  der  Behauptung,  dass 
zwischen  Nasenerysipel  und  Menstru- 
ation eine  Beziehung  bestehen  könne; 
eben  dieselbe  Statistik,  welche  von  Dr. 
Schiller  für  das  Bestehen  einer  sol- 
chen Beziehung  herangezogen  wird, 
kann  zum  Beweise  des  Gegenteiles  be- 
nützt werden.  Statistiken  sind  oft  zu 
subjektiv  gefärbt.  Dr.  H.  kannte  eine 
junge  Dame,  welche  während  jeder 
Menstruation  an  einer  „roten  Nase" 
litt  (Erythem).  Nach  Ergotin  blieb 
diese  Affektion  aus. 

Dr.  Schmauch:  Der  Zusammen- 
hang zwischen  Menstruation  und  Ovu- 
lation ist  durchaus  nicht  sichergestellt; 
wahrscheinlich  haben  dieselben  zeit- 
lich gar  nichts  mit  einander  zu  tun. 
Während  der  Menstruation  vollzieht 
sich  im  Organismus  eine  Art  Wellen- 
bewegung der  Funktion.  Die  Ener- 
gie der  sämmtlichen  Funktionen  der 
Organe  sind  kurz  vor  Beginn  der  Men- 
struation gesteigert,  um  dann  mit  dem 
Beginn  der  Blutung  selbst  rasch  abzu- 
nehmen.    Eine  Art  Wellenbewegung 


122 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


und  Periodizität  wird  aber  auch  beim 
männlichen  Geschlechte  unter  Um- 
ständen beobachtet,  z.  B.  bei  Hämor- 
rhoidariern,  welche  jede  3  bis  4  Wo- 
chen bluten.  Eine  Alteration  des  Blu- 
tes während  der  Menstruation  ist  sehr 
problematisch.  Viele  Frauen  mit  stin- 
kendem Ausfluss  oder  mit  ulzcrieren- 
dem  Uteruskarzinom  zeigen  keine  Ex- 
antheme. Dr.  S  c  h  m  auch  beobach- 
tete einmal  das  Platzen  einer  Ovarial- 
cyste  ohne  nachfolgende  Hauterschein- 
ungen. 

Dr.  Schiller  (Schlusswort)  teilt 
auf  eine  Anfrage  mit,  dass  unter  der 
Bezeichnung  Liehen  menstrualis  Fälle 
beschrieben  sind,  bei  denen  sich  zur 
Zeit  der  Menstruation  papilläre,  lichen- 
artige  Effloreszenzen  über  Rücken, 
Schulter  etc.  verbreitet,  entwickelt 
haben. 

Ein  Zusammenhang  zwischen  Men- 
struation und  dem  im  Vortrag  erwähn- 
ten Nasenerysipel  ist  durch  die  ge- 
nauen Beobachtungen  J  e  r  u  s  a  1  e  m's 
in  Wien,  der  18  hierher  gehörige  Fälle 
beschreibt,  hinreichend  erwiesen. 
Geschäftliches. 

Dr.  Herzog  teilt  den  Wunsch 
mehrerer  Herren  mit,  ein  Bankett  mit 
Damen  zu  veranstalten.  Dr.  S  c  h  i  1- 
1  e  r  stellt  den  bezüglichen  Antrag,  der 
unsterstützt  wird. 

Sitzung  vom  20.  Dezember  1906. 
Vorsitzender :   Dr.  Decker. 

Programm. 
Dr.    Herzog:     Meine  medizini- 
schen Erlebnisse  und  Beobachtungen 
auf  den  Philippinen-Inseln. 

Dr.  Herzog  führt  im  Anschluss 
an  seinen  interessanten,  mit  lebhaften 
Schilderungen  ausgeschmückten  Vor- 
trag in  Beantwortung  einiger  an  ihn 
gerichteten  Fragen  folgendes  aus :  Er 
hat  zu  wiederholten  Malen  sowohl 
primäre  als  auch  sekundäre  Lungen- 
pest gesehen,  eine  Krankheitsform,  die 
nicht  nur  eine  sehr  hohe  Mortalität  be- 
sitzt, sondern  auch  durch  das  reich- 
liche Vorhandensein  von  Pestbazillen 
im  Sputum  eine  grosse  Infektionsge- 
fahr für  die  Umgebung  mit  'sich 
bringen.  Bei  Lungenpest  findet  man 
ausser  subpleuralen  und  anderweitigen 
Hämorrhagien  interlobuläre  Herde  bis 


zur  Grösse  einer  Haselnuss  und  dar- 
über; dieselben  sind  konsolidiert,  grau- 
rötlich-weiss  bis  braunrot  und  umge- 
ben von  intensiv  hyperämischem  Ge- 
webe. Durch  Kontinenz  können  die 
Herde  das  Bild  der  lobären  Konsolida- 
tion zeigen.  Die  primären  Bubonen 
werden  von  den  Bronchiallymphdrü- 
sen gebildet. 

Die  Infektion  mit  Pestbazillen  bei 
der  gewöhnlichen  Form  der  Erkrank- 
ung, nämlich  der  Beulenpest  geschieht 
durch  Hautläsionen ;  die  Propagation 
erfolgt  auf  dem  Wege  der  Lymphbah- 
nen ;  es  schwellen  die  regionären 
Lymphdrüsen,  meist  die  in  inguine 
und  in  axilla  an  und  bilden  den  soge- 
nannten primären  Bubo.  Später  kön- 
nen die  anderen  Lymphdrüsen  ergrif- 
fen werden. 

Der  therapeutische  Wert  der  ver- 
schiedenen Pest-Sera  ist  ein  sehr  frag- 
licher ;  dies  wird  auch  durch  die  Er- 
fahrungen am  Arthur  Road  Hospital 
in  Bombay,  dem  grössten  Pestspital, 
bestätigt,  wo  die  Patienten  mit  graden 
Aufnahmszahlen  mit,  die  mit  ungraden 
Aufnahmszahlen  ohne  Serum  behan- 
delt worden  waren,  ohne  dass  sich  eine 
besondere  Differenz  in  der  Mortaliät 
der  beiden  Gruppen  gezeigt  hatte.  Der 
prophylaktische  Wert  z.  B.  der  Haf- 
k  i  n'schen  Vakzine  wird  zugestanden ; 
die  Präventivwirkung  derselben  er- 
streckt sich  auf  ca.  6  Monate ;  doch  ist 
diese  Art  der  Immunisierung  sehr 
schmerzhaft. 

In  Manila  wurden  3000  Chinesen 
gegen  Pest  immunisiert;  von  diesen 
soll  innerhalb  der  folgenden  zwei 
Jahre  kein  einziger  an  Pest  gestorben 
sein ;  doch  ist  mit  Rücksicht  auf  die 
Unzuverlässigkeit  des  chinesischen 
Materiales  nicht  allzuviel  Wert  auf 
diese  Statistik  zu  legen.  In  Indien 
wurden  gute  Erfahrungen  mit  der  Prä- 
ventivbehandlung  im  grossen  Mass- 
stabe gemacht. 

Dr.  Zeit  macht  die  Mitteilung,  dass 
hier  in  Chicago  Trypanosomiasis  unter 
den  Ratten  vorkomme. 

Mit  Beziehung  auf  Dr.  H  e  r  z  o  g's 
Beschreibung  der  Amoeba  histolytica 
und  Amoeba  coli  sei  zu  bemerken,  dass 
der  morphologische  Unterschied  zwi- 
schen beiden  so  gering  ist,  dass  Dr. 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


123 


Zeit  bei  seinen  Experimenten  den 
biologischen  Beweis  hat  heranziehen 
müssen.  Amoeben  von  Menschen, 
welche  an  Durchfall  litten,  wurden 
Katzen  und  Hunden  ins  Rektum  ge- 
spritzt; die  Tiere  starben  und  zeigten 
bei  der  Sektion  Ulzerationen  und 
stark-hyaline  Amoeben  im  Darme. 
Amoeba  coli  ist  für  Katzen  jedoch 
harmlos. 

Dr.  Herzog:  Das  'Protozoen,  das 
Lösch  zuerst  als  Amoeba  coli  be- 
schrieben hat,  ist  nach  den  Unter- 
suchungen S  c  h  a  u  d  i  n  n's  und  an- 
derer ein  ganz  harmloser,  gelegentli- 
cher Bewohner  des  Darmes.  Die 
Amoeba,  welche  die  Dysenterie  oder 
Tropenruhr  erzeugt,  nämlich  Amoeba 
histolytica,  ist  verschieden  von  der 
erstgenannten.  Dieselbe  bildet  nach 
den  genauen  Untersuchungen  Schau- 
d  i  n  n's  ganz  andere  Sporen  und  zeich- 
net sich  durch  eine  stark-hyaline  Be- 
schaffenheit des  Ektoplasmas  aus.  Da 
jedoch  die  rein  morphologische  Unter- 
scheidung dieser  beiden  Arten,  wie  Dr. 
Zeit  eben  erwähnte,  von  einander  oft 
sehr  schwierig  ist,  so    bediente  sich 


auch  S  c  h  a  u  d  i  n  n  des  Experimentes 
an  Katzen  und  Hunden,  für  welche  nur 
die  Amoeba  histolytica  pathogen  ist. 
Affen  sind  ebenfalls  für  Dysenterie 
empfänglich  und  (  )rang-Utangs  ster- 
ben an  künstlich  erzeugter  Amoeben- 
dysenterie. 

Geschäftliches. 

Herr  Dr.  E  d  w  a  r  d  S  e  u  f  e  r  t,  107 
Evergreen  Ave.,  wird  einstimmig  als 
Mitglied  aufgenommen. 

Dr.  G.  Schirmer  stellt  den  An- 
trag, dass  künftighin  als  Gesuche  zur 
Aufnahme  in  die  Deutsche  Medizini- 
sche Gesellschaft  gedruckte  Formu- 
lare dienen  sollen,  welche  eine  Ru- 
brik für  Alter,  Geburtsort,  Ort  und 
Zeit  der  medizinischen  Studien,  des 
Doktorates  und  des  Staatsexamens 
enthalten.    Antrag  angenommen. 

Es  wird  weiterhin  beschlossen,  ein 
Bankett  mit  Damen  zu  veranstalten. 
Zur  Vorbereitung  und  Leitung  des- 
selben wird  ein  Yergnügungskomitee 
ernannt. 

Dr.  Aug.  Strauch, 

Schriftführer. 


Therapeutische  Notizen. 


—  Validol  bei  Magenleiden.  Nach  einer 
Mitteilung  im  .Journal  des  Praticiens"  hat 
A  m  b  1  a  u  d  während  mehrerer  Jahre  die  Wir- 
kung des  Menthols  hei  Gastralgie  geprüft  und 
zieht  er  dieses  Mittel  dem  Cocain  mit  seiner 
Giftwirkung  vor. 

D  e  j  a  c  e  hat  seit  mehr  als  6  Jahren  das 
Menthol  valerianic,  oder  Validol  mit  Erfolg 
verwendet  und  fand,  dass  dieses  leicht  ver- 
trägliche Anästhetikum  Schmerzen  und  Er- 
brechen lindert,  dabei  ausgesprochen  antisep- 
tisch auf  den  Mageninhalt  wirkt  und  entschie- 
denen Einfluss  auf  den  Blutkreislauf  ausübt. 

Die  Baldriansäure  ergänzt  die  kalmierende 
und  antiseptische  Wirkung  des  Menthols  noch 
durch  ihre  antispasmodischen  Eigenschaften. 

Validol  ist  bei  Dyspepsie  zu  empfehlen,  so- 
fern diese  nicht  durch  ein  organisches  Leiden 
verursacht,  sondern  vorzugsweise  die  Folge 
von  funktionellen  und  sekretorischen  Störun- 
gen darstellt,  mögen  diese  durch  vorüberge- 
hende Intoxikations-  oder  Innervations-Er- 
scheinungen  verursacht  werden.  Bei  Blutar- 
mut,   Bleichsucht.    Neurasthenie,    sowie  bei 


Schwangerschaft  mildert  Validol  den  Magen- 
schmerz und  beseitigt  rasch  die  Uebelkeit. 

Auch  bei  Seekrankheit  hat  sich  Validol  als 
vorzügliches  Mittel  bewährt. 

Validol  kann  man  auch  bei  Kindern  an- 
wenden. 

Verabreicht  wird  es  am  einfachsten  in 
Tropfen  auf  gestossenem  Zucker,  wobei  man 
zweckmässigerweise  etwas  Wasser  nachtrin- 
ken lässt.  Gaben  von  10 — 15  Tropfen  zwei- 
mal pro  die  genügen  häufig,  um  Anfälle  von 
Gastralgie  zu  beseitigen.  (Therap.  Revue  der 
Allgem.  Wiener  med.  Ztg.,  1907,  S.  2r.) 

—  Typliusbeluuidluiig  mit  Pyramidon.  Auf 
Grund  der  in  der  letzten  Zeit  erschienenen, 
günstig  lautenden  Publikationen  von  V  a  1  e  n- 
t  i  n  i,  Sabarthez,  H  ö  d  1  m  o  s  e  r,  K  r  a  ti- 
li a  1  s  u.  a.  über  die  1  yphusbehandlung  mit 
Pyramidon  hat  Robitschek,  während  ei- 
ner Typhusepidemie  in  der  Garnison  in  Her- 
mannstadt, da  die  Bäderbehandlung  mit  grosser 
Schwierigkeit  verbunden  war.  auf  dieses  Mit- 
tel zurückgegriffen. 


124 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


Robitschek  fasst  die  Ergebnisse  dieser 
Behandlung  in  folgendem  zusammen: 

Bei  der  Undurchfülirbarkeit  der  Bäderbe- 
handlung  hat  das  Pyramidon  allein  und  in 
Verbindung  mit  leichten  hydriatischen  Proze- 
duren einen  vollkommenen  Ersatz  für  die  ge- 
bräuchlichste Behandlungsmethode  bei  Typhus 
geboten.  Nur  musste  jedesmal  individuali- 
sierend und  mehr  symptomatisch  bei  der  Dar- 
reichung des  Mittels  vorgegangen  werden. 

Dieses  Medikament  erwies  sich  selbst  bei 
längerem  Gebrauche,  namentlich  in  rechtzeiti- 
ger Verbindung  mit  Stimulantien  und  Herz- 
tonika, als  vollkommen  unschädlich. 

Es  beeinflusste  in  der  vorteilhaftesten 
Weise  das  subjektive  Befinden  der  Kranken 
und  die  verschiedenen  nervösen  Störungen, 
ermöglichte  eine  bessere  Nahrungsaufnahme 
und  bewirkte,  dass  auch  Kranke  mit  vielen 
Komplikationen  sich  rasch  erholten. 

Eine  direkte  Beeinflussung  des  Typhuspro- 
zesses wurde  wohl  nicht  beobachtet ;  indirekt 
becinflusst  Pyramidon  gerade  wie  die  Bäder  - 
beliandlung  den  Verlauf  insoweit  günstig,  als 
es  auch  durch  prompte  und  schnelle  Herab- 
setzung der  abnormen  Temperaturen  die  durch 
dieselben  bedingte  Schädigung  der  parenchy- 
matösen Organe  behindert. 

Dass  sich  das  Pyramidon  auch  in  der  Kin- 
derpraxis bewährt  hat,  kann  aus  den  der  Ar- 
beit Robitschek  beigegebenen  Tempera- 
turkurven ersehen  werden,  von  denen  die  eine 
ein  siebenjähriges  Mädchen  und  die  zweite 
ein  fünfjähriges  Mädchen  betrifft.  Bei  dem 
letzteren  trat  nach  zehn  fieberfreien  Tagen  ein 
Rezidiv  auf,  in  dessen  Verlauf  schon  Gaben 
von  0,05  g  Pyramidon  eine  Herabsetzung  der 
Temperatur  um  mehr  als  3°  C.  herbeiführten; 
bei  dem  ersteren  wurde  von  Anfang  bis  zu 
Ende  ausschliesslich  nur  Pyramidon  angewen- 
det.   (Allgemeine  militärärztliche  Zeitung.) 

—  Ein  neues  Asthmamittel.  Dr.  Z.  Z  e  h- 
den  empfiehlt  ein  alkaloidfreies  Mittel,  das 
imstande  sein  soll,  den  Asthmaanfall  prompt 
zu  kupieren,  nämlich  das  aus  einer  von  der 
„Deutschen  Astlnnakarbon-Gesellschaft  einge- 
führten neuen  Droge  hergestellte  Asthmakar- 


bon. Die  aus  Argentinien  stammende,  bisher 
in  Europa  noch  nicht  verwertete  Punaria  As- 
cochingae  ist  eine  interessante  und  schöne 
Pflanze ;  sie  gebort  zur  Familie  der  Kompo- 
siten, und  zwar  zum  Typus  der  Tribuliflorae. 
Sie  wächst  strauebartig,  die  Blumenkrone  ist 
zweilippig  mit  dreiteiliger  Unter-  und  zwei- 
teiliger Oberlippe,  der  Griffel  ist  unter  den 
Narben  pinselförmig  behaart ;  die  Blätter  sind 
ganzrandig,  linealisch  und  zurückgerollt.  Zu 
Heilzwecken  wird  sowohl  das  Kraut,  als  auch 
die  Wurzel  benutzt.  Wirksam,  aber  gänzlich 
ungiftig  ist  ein  darin  enthaltenes  Glykosid  und 
ein  Harz.  Alkaloide  fehlen  in  der  Pflanze, 
ein  grosser  Vorteil  gegenüber  den  bisherigen 
Räuchermitteln. 

Die  Pflanze  kommt  unter  der  Bezeichnung 
„Asthmakarbon"  in  einer  nach  Namen  und 
Form  geschützten  Aufmachung  in  den  Ver- 
kehr. Kraut  und  Wurzeln  werden  hiezu  aufs 
feinste  pulverisiert,  dann  werden  5  g  zu  einer 
Tablette  komprimiert,  die  ungefähr  die  Grösse 
und  Form  eines  Markstückes  hat.  Die  Tab- 
lette ist  auf  einer  zylindrisch  gestanzten,  fein- 
porösen Holzkohle  befestigt.  Dieses  ganze  als 
„Asthmakarbon"  bezeichnete  Antiasthmatikum 
wird  in  folgender  Weise  angewandt :  Beim 
Beginn  des  Anfalles  wird  die  Kohle  mittels 
eines  Streichholzes  auf  dem  beigegebenen 
Blechuntersatz  zum  Glühen  gebracht.  An  der 
Kohle  entzündet  sich  die  Tablette.  Sobald 
die  charakteristisch  riechenden.  weissen 
Dämpfe  aufsteigen,  wird  das  Asthmakarbon 
in  die  Nähe  des  Kranken  gebracht,  der  die 
Dämpfe  langsam  aus  einiger  Entfernung  ein- 
atmet. Die  Wirkung  macht  sich  dann  in 
eklatanter  Weise  bemerkbar,  dass  nach  an- 
fänglichem leichten  Hustenreiz  die  Atmung 
ruhiger  wird  und  sich  vertieft,  dass  die  asth- 
matischen Beschwerden  aufhören,  und  dass 
der  Kranke  meist  nach  einiger  Zeit  in  ruhigen 
Schlaf  verfällt.  Erwähnenswert  scheint  auch 
die  günstige  Einwirkung  auf  die  Atmungsbe- 
schwerden der  Phthisiker,  namentlich  bei 
starken  nächtlichen  Hustenanfällen,  die  sonst 
stets  mit  erheblichen  asthmatischen  Beschwer- 
den verbunden  waren.  (Med.  Woche.  Nr.  35, 
1906.) 


JVIecUzimscbe  JVIonatsscbnft 

Offizielles  Organ  der 

DeutfdKn  Itledizinifdicn  6ercll[cbaften  der  Städte  n«w  Vwlt, 
Chicago,  Cleveland  und  San  Trancisco. 

Redigiert  von  Dr.  A.  Ripperger. 
Bd.  XIX.  New  York,   August,   1907.  No.  5. 

Originälarbeiten. 

Ucbcr  den  Mund  der  Speiseröhre.* 

Von  Gustav  Killian  in  Freiberg  am  Breisgau. 


Meine  Herren !  Sie  werden  sich 
über  das  eigenartige  Thema  meines 
Vortrages  gewundert  haben.  Hat  denn 
die  Speiseröhre  einen  Mund? 

Es  wird  mir  ein  Vergnügen  machen, 
Ihnen  dies  genauer  auseinander  zu  set- 
zen, nachdem  ich  mich  in  den  letzten 
Monaten  eingehend  mit  dieser  Frage 
beschäftigt  und  eine  grössere  Zahl  spe- 
zieller Beobachtungen  gesammelt 
habe. 

Wenn  wir  mit  dem  Finger  in  den 
Hals  eingehen,  so  erreichen  wir  beim 
Erwachsenen  höchstens  den  Kehlkopf- 
eingang, und  es  ist  kaum  möglich,  sich 
über  die  vorliegende  Frage  zu  orien- 
tieren. Der  Praktiker  weiss  nur,  dass 
das  Einführen  von  Instrumenten  in  die 
Speiseröhre  hinter  dem  Kehlkopf  fast 
immer  gewisse  Schwierigkeiten  macht. 
Es  gehört  Uebung  dazu,  hier  mit  leich- 
ter Hand  vorbei  zu  kommen. 

Wer  sich  von  den  Vorstellungen 
leiten  lässt,  welche  uns  die  Bilder  der 

*)  Vortrag,  gehalten  in  der  Deutschen  med. 
Gesellschaft  der  Stadt  New  York  am  3.  Juni 
1907. 


Anatomen  erwecken  und  die  sich  auf 
Beobachtungen  an  der  Leiche  stützen, 
der  kann  es  nicht  begreifen,  weshalb 
man  so  schwer  hinter  dem  Kehlkopf 
vorbei  in  die  Speiseröhre  gelangt,  denn 
bei  der  Leiche  besteht  hier  gar  kein 
Hindernis  und  die  Anatomen  zeichnen 
den  Weg  hinter  dem  Kehlkopf  vorbei 
so,  wie  sie  es  an  der  Leiche  gesehen 
haben,  weit  offen.  Besseren  Aufschluss 
gibt  hier  die  Untersuchung  mit  dem 
Kehlkopfspiegel.  Betrachten  wir  uns 
ein  Kehlkopfspiegelbild,  so  ist  es  für 
den  Neuling  gar  nicht  leicht,  zu  sagen, 
wo  der  W eg  in  die  Speiseröhre  vorbei 
geht.  Man  bekommt  in  der  Tat  von 
den  Studenten  auch  auf  eine  diesbe- 
zügliche Frage  manchmal  recht  son- 
derbare Antworten.  Dazu  gibt  aller- 
dings bis  zu  einem  gewissen  Grad  die 
Veränderung  der  Lagebeziehungen 
durch  die  Spiegelung  Anlass.  So  sieht 
man  in  diesem  Bild  den  Kehldeckel 
oben,  während  er  in  Wirklichkeit  vorn 
gelegen  ist  und  die  Arvgegend  unten, 
während  sie  in  Wirklichkeit  die  hintere 
Begrenzung  des  Kehlkopfeinganges 
bezeichnet.    Es    kann    danach  nicht 


I2Ö 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


schwer  sein,  den  Weg  in  die  Tiefe  des 
Speisekanals  zu  finden ;  er  muss  in  die- 
sem Bild  hier  unter  der  Hinterwand 
des  Kehlkopfes  gelegen  sein  und  wird, 
wie  Sie  sehen,  durch  eine  einfache 
Linie  zeichnerisch  festgelegt.  Man  er- 
kennt daraus,  dass  beim  Lebenden  der 
Kehlkopf  der  Vorderfläche  der  Wirbel- 
säule anliegt  und  dass  der  Weg  zur 
Speiseröhre  im  Ruhezustand,  h.  h.  so- 
lange nicht  geschluckt  wird,  geschlos- 
sen ist. 

Lässt  man  bei  der  Spiegeluntersuch- 
ung einen  Ton  singen,  so  gibt  sich  der 
weitere  Verlauf  des  Speisewegs  hinter 
dem  Kehlkopf  noch  eine  Strecke  weit 
zu  erkennen.  Die  Aryknorpel  bewegen 
sich  nämlich  bei  der  Phonation  (um  so 
mehr,  je  höher  die  Töne  sind)  etwas 
nach  vorn  und  heben  sich  von  der  hin- 
teren Rachenwand  ab.  So  sieht  man 
noch  eine  Strecke  weiter  in  die  Tiefe, 
eventuell  bis  zum  oberen  Rand  der 
Ringknorpelplatte  und  seitlich  tief  in 
die  Sinus  pyriformes,  bei  dem  einen 
mehr,  bei  dem  andern  weniger. 

Vom  oberen  Rande  der  Ringknorpel- 
platte an  bleibt  der  Weg  fest  geschlos- 
sen. Ich  habe  mir  gewöhnlich  vorge- 
stellt, und  so  wird  es  Ihnen  auch  er- 
gangen sein,  dass  dieser  Verschluss 
durch  die  Art  der  Aufhängung  des 
Larynx  und  seine  Fixation  durch  Mus- 
keln und  Bänder  bedingt  sei,  wobei  die 
Muskeln  sich  vollständig  untätig  ver- 
halten und  sich  im  Ruhezustand  befin- 
den, ähnlich  wie  bei  der  Leiche.  Nun  be- 
steht aber  doch  ein  wesentlicher  Un- 
terschied, auf  den  wir  erst  aufmerksam 
geworden  sind,  als  wir  versuchten,  den 
Kehlkopf  von  der  Wirbelsäule  abzu- 
ziehen. Bei  der  Leiche  ist  das,  wenn 
keine  Muskelstarre  besteht,  leicht  zu 
bewerkstelligen ;  beim  Lebenden  aber 
begegnet  man  einem  bedeutenden 
Widerstand.  Man  braucht  nur  an  ei- 
nem mageren  Hals  den  Versuch  zu 
machen,  den  Kehlkopf  von  vorn  zu 
fassen  und  anzuziehen  oder  von  hinten 
her  mit  beiden  Händen  nach  vorn  zu 
drängen    oder    mit    einer    Zange  zu 


packen,  die  von  vorn  her  hinter  dem 
Ringknorpel  eingreift.  Der  Wider- 
stand ist  enorm.  Die  gesammte  Mus- 
kulatur, welche  mit  dem  Kehlkopf  in 
Beziehung  tritt,  wehrt  sich  energisch 
dagegen,  ohne  dass  der  Wille  beteiligt 
ist.  Es  besteht  also  in  diesem  Gebiet 
ein  Muskeltonus,  der  den  Kehlkopf  in 
seiner  Lage  festhält  und  nur  durch 
zentrale  Impulse  geändert  werden 
kann,  wie  z.  B.  beim  Schlucken,  Er- 
brechen, Singen  und  dergl.  mehr,  wo- 
bei Ortsbewegungen  des  Larynx  ein- 
treten. 

Dass  man  bei  der  Phonation  manch 
mal  noch  tiefer  sehen  kann,  habe  ich 
in  einer  Reihe  von  Fällen  direkt  be- 
obachtet, jedoch  nur  unter  besonderen 
Umständen.  Wenn  man  den  Patienten 
beim  Laryngoskopieren  den  Kopf 
stark  nach  vorn  beugen  lässt  und  von 
unten  nach  oben  in  den  Hals  sehend 
laryngoskopiert,  so  kann  man  manch- 
mal noch  eine  Strecke  der  Schleimhaut 
sehen,  welche  die  Rückenfläche  der 
Ringknorpelplatte  betrifft.  Ja  verein- 
zelt ist  es  mir  sogar  gelungen,  bis 
gegen  die  Mitte  oder  selbst  das  untere 
Drittel  der  Ringknorpelplatte  in  die 
Tiefe  zu  blicken,  wenn  auch  nur  mo- 
mentweise. 

Mit  grosser  Sicherheit  erreicht  man 
dieses  Ziel,  wenn  man  die  v.  Eicken'- 
sche  Hypopharyngoskopie  anwendet. 
Dabei  wird  mit  einer  starken  Kehl- 
kopfsonde (dem  Larynxhebel)  in  den 
kokainisierten  Kehlkopf  eingegangen 
und  das  ganze  Organ  kräftig  nach  vorn 
gezogen.  Man  kann  aber  auch  in  an- 
derer Weise  vorgehen,  indem  man  ein 
passendes  Instrument  hinter  den  La- 
rynx schiebt  und  ihn  direkt  nach  vorn 
zieht. 

Alle  diese  L  ntersuchungen  lehren 
eines :  Der  Pharynx  zieht  hinter  dem 
Kehlkopf  zunächst  in  seiner  ganzen 
Breite  in  die  Tiefe  und  verengt  sich 
konzentrisch  rasch  zu  einer  mittleren 
schmalen  Zone,  welche  im  Bereiche  des 
unteren  Drittels  der  Ringknorpelplatte 
gelegen  ist.    Man  sieht  deutlich,  wie 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


127 


seine  seitlichen  Wände  nach  dieser 
Stelle  konvergieren,  wie  seine  vordere 
Wand  (dargestellt  durch  die  hintere 
Wand  des  Kehlkopfes)  in  grader  Rich- 
tung nach  dieser  Stelle  hinzieht,  aber 
man  kann  auch  etwas  Neues  beobach- 
ten :  Je  mehr  man  den  Kehlkopf  ab- 
zieht, desto  mehr  biegt  die  hintere 
Rachenwand  in  sanftem  Bogen  gegen 
die  genannte  Stelle  nach  vorn  ab.  Hier 
ist  also  ein  energischer  Verschluss  vor- 
handen. 

Es  fragt  sich  vor  allem,  wie  sich  die 
Speiseröhre  von  dieser  Stelle  an,  wel- 
chen wir  als  ihren  Anfang  bezeichnet 
haben,  weiter  nach  abwärts  verhält. 
Wir  müssen  also  jetzt  noch  weiter  in 
die  Tiefe  vorzudringen  suchen.  Ich 
habe  zu  diesem  Zweck  vor  allem  den 
Versuch  gemacht,  durch  einen  wesent- 
lich energischeren  Zug,  als  er  von  oben 
ausgeführt  werden  kann,  den  Larynx 
von  der  Wirbelsäule  abzuziehen.  Dazu 
standen  mir  3  Tracheotomierte  zur 
Verfügung.  Der  subglottische  Raum 
wurde  von  der  Wunde  aus  gut  kokaini- 
siert,  dann  ging  ich  mit  einem  Haken 
nach  oben  zu  ein  und  zog  energisch  am 
Ringknorpel  selber,  während  ich 
gleichzeitig  mit  dem  Spiegel  bei  vorge- 
beugtem Kopf  (um  den  Hals  des  Pa- 
tienten möglichst  zu  erschlaffen)  den 
Hypopharynx  betrachtete.  Ich  stellte 
so  fest,  dass  auch  bei  einer  derartigen 
Kraftentfaltung  der  Anfang  der  Speise- 
röhre —  denn  als  solchen  müssen  wir 
offenbar  diese  Stelle  auffassen  — , nicht 
zum  Klaffen  zu  bringen  ist.  Das  Mün- 
dungsgebiet bleibt  fest  geschlossen 
und  wird  mitsammt  dem  Kehlkopf 
nach  vorn  gezogen.  Die  hintere  Ra- 
chenwand wird  über  dem  Eingang  von 
der  Wirbelsäule  stark  entfernt  und  an- 
gespannt. So  fest  haftet  die  Stelle  des 
Speiseröhreneinganges  am  Kehlkopf, 
dass  sie  sich  eher  mit  dem  Kehlkopf- 
eingang nach  vorn  ziehen  lässt,  als  dass 
sie  sich  öffnet. 

Es  ist  jetzt  klar,  im  Anfangsteil  der 
Speiseröhre    liegen    die  Schleimhaut- 


flächen nicht  einfach  aneinander  wie 
bei  anderen  Hohlorganen,  sondern  sie 
werden  durch  die  tonische  Muskelkon- 
traktion einer  Art  Sphincter  in  festem 
Kontakt  gehalten  —  eine  ringförmig 
angeordnete  Muskulatur  schliesst  dau- 
ernd die  Speiseröhre  ab. 

Aber  noch  mehr!  Diese  Muskulatur 
muss  mit  dem  Ringknorpel  in  fester 
Verbindung  stehen,  sonst  wäre  es  nicht 
möglich,  dass  der  Oesophaguseingang 
beim  Zug  am  Kehlkopf  nach  vorn  die- 
sem folgt.  Die  anatomische  Unter- 
suchung lehrt,  dass  in  der  Tat  derjeni- 
ge Teil  des  Constrictor  inferior,  den 
wir  als  Crico-pharyngeus  bezeichnen, 
die  hier  geforderten  Bedingungen  er- 
füllt. Er  entspringt  an  der  Seite  des 
Ringknorpels  hinter  dem  Crico-thyreo- 
ideus,  zieht  in  Schleifenform  um  den 
Anfangsteil  des  Oesophagus  herum 
und  erreicht  die  andere  Seite  des  Ring- 
knorpels. Der  tonische  Kontraktions- 
zustand dieses  Muskels  erklärt  die  ge- 
nannte Erscheinung. 

Weitere  Aufschlüsse  kann  uns  die 
Oesophagoskopie  verschaffen.  Es  ist 
ein  Leichtes,  mit  einem  Rohr  von  pas- 
sendem Kaliber  hinter  dem  Ringknor- 
pel vorbei  bis  zum  Oesophaguseingang 
vorzudringen  und  dann  das  Rohr  unter 
fortgesetzter  Beobachtung  in  den 
Oesophagus  hinein  zu  schieben.  Wir 
finden  dabei  auf  einer  Strecke  von  eini- 
gen Zentimetern  ein  fest  geschlossenes 
Lumen,  das  sich  vor  dem  Rohr  lang- 
sam entfaltet  (Mundstück  der  Speise- 
röhre), und  kommen  erst  dann  in  den 
klaffenden  Teil  der  Speiseröhre.  Die 
analoge  Beobachtung  lässt  sich  beim 
Herausziehen  des  Rohres  anstellen, 
worauf  schon  v.  Mikulicz  hinge- 
wiesen hat.  Schon  in  seiner  Arbeit 
über  die  Oesophago-  und  Gastroskopie 
im  Jahre  1881  begegnen  wir  der  Be- 
merkung, dass  der  Oesophaguseingang 
durch  den  Constrictor  inferior  ge- 
schlossen gehalten  werde.  Wie  ich  ge- 
zeigt habe,  kommt  nur  der  Ringknor- 
pelanteil dieses  Muskels  in  Betracht, 


128 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


offenbar  beteiligt  sich  aber  auch  die 
Ringmuskulatur  des  Oesophagus  sel- 
ber eine  Strecke  weit. 

Die  Tatsache,  dass  die  Speiseröhre 
nach  unten  von  ihrem  Anfangsgebiet 
bis  zur  Cardia  eine  klaffende  Röhre 
darstellt,  die  mit  Luft  gefüllt  ist,  hat 
v.  Mi  k  u  1  i  c  z  über  allen  Zweifel  erho- 
ben und  auch  auf  physiologischem 
Weg  eingehend  geprüft.  Bei  jeder 
Oesophagoskopie  kann  man  sich  von 
neuem  von  ihrer  Richtigkeit  überzeu- 
gen ;  v.  Mikulicz  zeigte  auch,  dass 
die  Luft  in  der  Speiseröhre  unter  einem 
negativen  Druck  steht.  Ich  dachte 
vorübergehend,  man  könne  mit  diesem 
negativen  Druck  vielleicht  das  Ge- 
schlossensein des  Anfangsstückes  der 
Speiseröhre  erklären  und  habe,  um  mir 
Klarheit  zu  verschaffen,  während  der 
Ausführung  der  unteren  Hypopharyn- 
goskopie  einen  Katheter  in  den  Luft- 
raum der  Speiseröhre  eingeführt.  Das 
Anfangsstück  des  Oesophagus  um- 
schloss  den  Katheter  krampfhaft,  kam 
aber  nicht  weiter  zum  Klaffen. 

Durch  die  Annahme  eines  sphincter- 
artigen  Verschlusses  des  Oesophagus- 
einganges  wird  der  Vergleich  mit  der 
Cardia  des  Magens  angeregt.  Auch 
die  Cardia  ist  durch  tonische  Muskel- 
kontraktion geschlossen.  Ihr  Ver- 
schluss löst  sich  auf  reflektorischem 
Wege  während  des  Schluckens  und 
während  des  Erbrechens.  Wie  verhält 
sich  das  Mundstück  der  Speiseröhre  in 
dieser  Hinsicht?  Ich  kann  hierüber 
eine  Reihe  höchst  interessanter  Be- 
obachtungen anführen,  vor  allen  Din- 
gen den  Fall,  der  meine  Aufmerksam- 
keit auf  diese  Verhältnisse  hinlenkte 
und  den  Karl  v.  Eicken  in  seinem 
Aufsatz  über  die  Hypopharyngoskopie 
bereits  erwähnt  hat.  Es  handelt  sich 
um  eine  Patientin,  welche  während 
der  laryngoskopischen  Lntersuchung 
durch  den  Kitzel  des  Spiegels  zu 
Würgbewegungen  veranlasst  wurde, 
v.  Eicken  beobachtete  dabei,  dass 
man  einen  tiefen  Blick  in  den  Hypo- 
pharynx  gewann  und  dass  sich  manch- 


mal sogar  die  Speiseröhre  selber  weit 
öffnete.  Ihr  gesammtes  Mundstück 
kam  zum  Klaffen.  Ich  hatte  in  einem 
günstigen  Augenblick  sogar  Gelegen- 
heit, etwas  höchst  Eigenartiges  zu 
sehen.  Im  Bereiche  des  unteren  Drit- 
tels der  Ringknorpelplatte  sprang  eine 
dicke  halbmondförmige  Falte  vor,  wel- 
che sich  von  der  hinteren  W  and  des 
Hypopharynx  beiderseits  nach  vorn 
zum  Ringknorpel  hin  erstreckte.  Als 
wir  diese  Erscheinung  noch  weiter  be- 
obachten wollten,  versagte  leider  die 
Patientin,  ,,sie  tat  ihre  Speiseröhre 
nicht  mehr  auf."  Das  Gesehene  be- 
schäftigte mich  sehr.  Ich  erkannte  die 
Wichtigkeit  dieser  Beobachtung  und 
dachte  sofort  an  die  Paralelle  mit  dem 
Bassavant'schen  Wulst,  welcher  sich 
bekanntlich  im  Bereiche  des  oberen 
Endes  des  Constrictor  superior  bildet 
gegenüber  dem  Velum  palatinum, 
wenn  der  Epipharynx  beim  Sprechen 
oder  Schlucken  abgeschlossen  werden 
soll.  Gern  hätte  ich  das  Phänomen 
noch  weiter  studiert,  die  Patientin 
wurde  noch  öfter  bestellt,  aber  sie  tat 
uns  merkwürdiger  Weise  nicht  den 
Gefallen.  ihren  Speisenröhrenmund 
wieder  zu  öffnen.  So  trat  die  ganze 
Frage  in  den  Hintergrund,  bis  dieselbe 
Patientin  im  Anfang  dieses  Jahres  wie- 
der auf  der  Bildfläche  erschien.  Dies- 
mal war  es  ein  Leichtes,  durch  Kitzeln 
mit  dem  Larynxspiegel  Würgbeweg- 
ungen auszulösen,  das  Mundstück  der 
Speiseröhre  zum  Klaffen  zu  bringen 
und  meine  halbmondförmige  Falte, 
die  Lippe  des  Speisenröhrenmundes. 
mit  überzeugender  Klarheit  festzustel- 
len. 

Jetzt  kam  es  darauf  an.  zu  prüfen, 
ob  diese  Lippe  einen  zufälligen  Befund 
darstellte,  eine  Eigentümlichkeit  un- 
serer Patientin  aus  dem  Glottertal,  oder 
ob  es  sich  um  eine  allgemeine  Er- 
scheinung handelte.  Ich  führte  zu  die- 
sem Zweck  bei  einer  Reihe  von  Patien- 
ten die  Hypopharyngoskopie  aus  und 
bemühte  mich.  Würgbewegungen  aus- 
zulösen.   Es  gelang  mir  zwar  nicht  in 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


129 


jedem  Fall,  aber  doch  bei  einer  genü- 
genden Anzahl  dasselbe  zu  erzielen 
wie  bei  der  oben  zitierten  Patientin. 
Das  Mundstück  des  Oesophagus  kam 
im  Moment  des  Würgens  zum  Klaffen 
und  die  halbmondförmige  Lippenfalte 
trat  deutlich  hervor.  Man  konnte  sich 
überzeugen,  dass  es  sich  nicht  um  eine 
reine  Schleimhautfalte  handeln  konnte, 
sondern  offenbar  zugleich  auch  um  ei- 
nen Muskelwulst.  Misserfolge  hatte 
ich,  wenn  die  Würgbewegungen  so 
heftig  eintraten,  dass  keine  reguläre 
Beobachtung  mehr  möglich  war. 
Durch  ausgiebige  Kokainisierung  Hess 
sich  der  ganze  Vorgang  so  mildern, 
dass  noch  ein  positives  Resultat  zu 
Stand  kam.  An  dem  regelmässigen 
Auftreten  der  halbmondförmigen  Lip- 
penfalte des  Oesophagusmundes  beim 
Würgen  ist  also  kaum  mehr  zu  zwei- 
feln. Wir  lernen  aber  auch  zugleich, 
dass  das  Mundstück  der  Speiseröhre 
sich  beim  Würgen  verhält,  wie  die 
Cardia.  Die  Würgbewegung  ist  ja  nur 
ein  Teil  der  Brechbewegung  und  bei 
dieser  kommt  die  Cardia  zum  Klaffen, 
gleichzeitig  mit  dem  Mund  der  Speise- 
röhre. 

Nun  fehlte  mir  noch  die  Beobach- 
tung der  Verhältnisse  beim  Schlucken, 
denn  die  Würgbewegung  ist  ja  eine 
retrograde  Bewegung,  die  Schluckbe- 
wegung dagegen  eine  vorwärtsschrei- 
tende. Die  Ausführung  der  Hypo- 
pharyngoskopie  mit  einem  langen  gra- 
den  Spatel,  den  v.  Eicken  nach  dem 
Muster  des  Amerikaners  H.  P.  M  o- 
s  h  e  r  hatte  anfertigen  lassen,  gab  mir 
Gelegenheit,  meinen  Schleimhautmus- 
kelwulst auch  beim  Schlucken  zu 
sehen,  ebenso  wie  die  Eröffnung  des 
Mundstückes  der  Speiseröhre.  Zwei 
Patienten,  die  ich  in  dieser  Art  prüfte, 
konnten  bequem  an  dem  schmalen 
Spatel  vorbeischlucken.  Dabei  kam 
die  Lippe  des  Oesophagusmundes  zum 
Vorschein  und  der  Mund  selber  klaffte. 

So  unterliegt  es  also  keinem  Zweifel, 
dass  die  Speiseröhre  über  einen  Ver- 
schlussmechanismus   verfügt,  gerade 


so  wie  der  Mageneingang.  Daraus  er- 
gibt sich  die  Aufklärung  einer  ganzen 
Reihe  von  Erscheinungen,  über  die  wir 
uns  früher  nicht  genügend  klar  gewor- 
den sind. 

Es  ist  bekannt,  dass  es  Personen 
gibt,  welche  1  oder  2  mal  ange- 
schlucken  und  danach  grosse  Flüssig- 
keitsmengen ohne  sichtliche  Schluck- 
bewegungen in  den  Magen  hinunter 
giessen  können.  Die  Helden  im  Bier- 
jungentrinken sind  ein  prägnantes  Bei- 
spiel dafür.  Hier  wird  offenbar  durch 
Willensimpuls  der  Tonus  der  Sphinc- 
teren  am  Anfang  und  am  Ende  der 
Speiseröhre  eine  Zeitlang  gehemmt. 

Wir  werden  wohl  nicht  fehlgehen, 
wenn  wir  die  Konstriktionsempfindun- 
gen, Globusgefühle  in  der  Halsgegend 
mit  einem  verstärkten  Kontraktionszu- 
stand des  Speisenröhrenmundes  in  Be- 
ziehung bringen.  Ich  erinnere  an  die 
Empfindung  beim  raschen  Schlucken 
stark  kohlensäurehaltiger  Flüssigkei- 
ten. 

Verätzungsstrikturen  der  Speise- 
röhre findet  man  häufig  gerade  im  Be- 
reiche ihres  Mundes,  weil  die  Säure 
hier  intensiver  eingewirkt  hat.  Wahr- 
scheinlich lässt  der  Oesophagusmund 
die  Säure  nicht  anstandslos  passieren 
und  legt  ihr  durch  Kontraktur  trotz 
der  angesetzten  Schluckbewegung  ein 
gewisses  Hindernis  in  den  Weg. 

Fremdkörper  bleiben  mit  Vorliebe 
im  Bereiche  des  Oesophagusmundes 
stecken.  Die  Berührung  der  Schleim- 
haut mit  der  fremdartigen  Masse  führt 
zu  einer  Kontraktur  des  Sphinkters. 
Ich  erinnere  mich  nachträglich  in  zwei 
Fällen  von  verschluckten  Münzen,  wel- 
che im  Mundstück  des  Oesophagus 
feststeckten,  einen  Kontraktionsring 
über  der  Münze  gesehen  zu  haben, 
welcher  der  Extraktion  gewisse 
Schwierigkeiten  bereitete. 

Ungenügend  gekaute,  noch  grobe 
Bestandteile  enthaltende  Bissen  wirken 
ähnlich  wie  Fremdkörper.  Der  Oeso- 
phagusmund lässt  die  Nahrung  nur  in 
weicher  Form  gern  passieren.  So  ent- 


130 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


steht,  wenn  das  hastige  Schlucken  un- 
genügend gekauter  Nahrung  jahrelang 
betrieben  wurde,  der  bekannte  Zustand 
des  Oesophagospasmus,  den  ich  in 
zahlreichen  Fällen  beobachtet  habe.  Die 
Patienten  geben  dabei  deutlich  an, 
dass  sie  ein  Konstriktionsgefühl  haben 
im  Bereiche  des  Oesophagusmund- 
stückes  und  dass  hier  öfter  die  Speisen 
schwer  durchgehen.  Der  Oesophago- 
spasmus kann  mit  dem  Kardiospasmus 
vergesellschaftet  sein  und  beide  sind 
oft  sekundäre  Neurosen  bei  chronischen 
Erkrankungen  des  Magens.  Bei  der 
Erklärung  der  Dilatation  der  Speise- 
röhre infolge  von  Kardiospasmus  darf 
das  Verhalten  des  Oesophagusmund- 
stückes  nicht  mehr  ausser  Betracht  ge- 
lassen werden,  wenn  die  in  die  Speise- 
röhre gelangte  Nahrung  zwischen  zwei 
Sphincteren  gepresst  wird,  so  lässt 
sich  eine  Dilatation  leichter  verstehen. 

Helles  Licht  bringt  meine  Beobach- 
tung in  die  Frage  der  Entstehung  der 
Pulsionsdivertikel  der  Speiseröhre. 
Wir  wissen  jetzt,  dass  diese  Divertikel 
nicht  mehr  zur  Speiseröhre,  sondern 
zum  Hypopharynx  zu  zählen  sind, 
denn  sie  liegen  regelmässig  über  der 
halbmondförmigen  Lippe  des  Speisen- 
röhrenmundes.  Diese  Lippe  ist  iden- 
tisch mit  dem,  was  ich  früher  als 
Schwelle  des  Divertikels  bezeichnet 
habe.  Präpariert  man  die  Muskulatur 
dieser  Gegend  beim  Divertikel,  so  kann 
man  meine  Behauptung  bestätigen. 
Die  Fasern  des  Crico-pharyngeus 
ziehen  stark  hypertrophiert  durch  die 
Schwelle  des  Divertikels.  Das  Diver- 
tikel erstreckt  sich  nach  hinten,  es  ge- 
hört der  hinteren  Wand  des  Hypo- 
pharynx an.  Es  ist  leicht  verständlich, 
dass  diese  Wand  bei  erhöhten  Druck- 
verhältnissen während  des  Schluckens 
nachgeben  muss,  denn  die  vordere 
wird  von  der  Ringknorpelplatte  gebil- 
det.   Von    einer   kleinen   Bucht  aus, 


welche  über  der  Lippe  des  Speise- 
röhrenmundes entstanden  ist,  kann 
sich  allmählig  sehr  wohl  durch  wei- 
tere Ausbuchtung  ein  grösserer  Sack 
entwickeln.  In  der  Regel  handelt  es 
sich  um  Patienten,  die  schlecht  gekaut 
und  hastig  geschluckt  haben  —  Leute 
in  höherem  Alter.  Diese  Pulsionsdi- 
vertikelbildung  ist  das  Analogon  der 
Dilatation  der  Speiseröhre  nach  Kar- 
diospasmus. Wir  werden  nicht  fehl 
gehen,  wenn  wir  annehmen,  dass  spa- 
stische Vorgänge  am  Oesophagus- 
mund  mit  zur  Divertikelbildung 
helfen. 

Damit  soll  nicht  gesagt  sein,  dass 
diese  mechanische  von  Zenker  in- 
augurierte Theorie  die  Geheimnisse 
der  Pulsionsdivertikelbildung  im  Be- 
reiche des  Hypopharynx  vollständig 
enthüllt.  Bekanntlich  hat  v.  Berg- 
mann immer  noch  für  die  Entstehung 
aus  einer  angeborenen  Anlage  plai- 
diert.  Ich  bin  der  Ansicht,  dass  beide 
Theorien  wahrscheinlich  zu  Recht  be- 
stehen. Mir  scheint  namentlich,  dass 
die  bei  jugendlichen  Individuen  be- 
obachteten Divertikel  mit  engem  Ein- 
gang doch  wohl  kaum  rein  mechani- 
schen Ursprunges  sein  können.  Vor 
kurzem  haben  wir  einen  solchen  Fall 
beobachtet  und  mit  allen  unseren 
Hilfsmitteln  genau  studiert.  Hier 
konnte  man  sich  des  Eindrucks  nicht 
erwehren,  dass  doch  wohl  anfänglich 
eine  Anlage  da  gewesen  sein  muss, 
welche  auf  mechanischem  Wege  zu  ei- 
nem Sack  erweitert  wurde.  Aus  mei- 
nen Untersuchungen  über  die  Bursa 
pharyngea  weiss  ich  noch,  dass  bei  ge- 
wissen Säugetieren  in  der  bewussten 
Gegend  Pharynxdivertikel  regelmässig 
vorkommen.  Warum  sollte  das  nicht 
auch  beim  Menschen  in  allerdings  un- 
gemein seltenen  Fällen  möglich  sein? 
Vielleicht  löst  einmal  der  Zufall  diese 
interessante  Frage. 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


131 


lieber  Wanderniere. 


Von  Geh. -Rat  Prof.  Dr.  Kuester. 


Meine  Herren!  Gestatten  Sie  mir 
zunächst,  meiner  Genugtuung  Aus- 
druck zu  geben,  dass  Ihre  freundliche 
Einladung  mir  Gelegenheit  gibt,  vor 
Ihnen  ein  Thema  zu  erörtern,  mit  dem 
ich  mich  Jahre  meines  Lebens  beschäft- 
igt habe,  die  Nierenchirurgie.  Ich  habe 
aus  diesem  sehr  umfangreichen  Thema 
ein  Kapitel  gewählt,  welches  mir  be- 
sonders zur  Erörterung  geeignet  er- 
scheint, nicht  etwa  aus  dem  Grunde, 
weil  ich  imstande  bin,  wesentlich, 
Neues  zu  bieten,  sondern  weil  inner- 
halb der  elf  Jahren,  seit  meine  Nieren- 
chirurgie erschienen,  eine  Reihe  von 
Arbeiten  gekommen  sind,  welche  neue 
Gesichtspunkte  aufstellen  und  welche 
meine  Ansichten  zum  Teil  bekämpfen. 
Es  ist  mir  eine  besondere  Freude,  diese 
Erörterung  vor  einer  Gesellschaft  zu 
machen,  deren  Mitglieder  zum  grossen 
Teil  in  Europa  nicht  nur  bekannt  sind, 
sondern  deren  Namen  einen  ausseror- 
dentlich guten  Klang  hat. 

Die  Wanderniere  ist  eine  so  ausser- 
ordentlich häufige  Krankheit,  dass  man 
wohl  sagen  kann,  sie  ist  eine  der  Geis- 
sein des  weiblichen  Geschlechts. 
Schon  von  diesem  Gesichtspunkt  aus 
ist  es  wirklich  der  Mühe  wert,  sich  ein- 
gehend mit  der  Sache  zu  beschäftigen. 
Wenn  die  Wege,  welche  für  die  Be- 
handlung der  Wanderniere  eingeschla- 
gen worden  sind,  nicht  immer  dem  ent- 
sprechen, was  ich  wünschen  möchte, 
so  trägt  daran  die  Schuld  ein  Mann, 
der  sehr  grosse  Verdienste  um  die 
Nierenchirurgie  sich  erworben  hat,  ein 
sehr  verdienter  Kollege  und  Freund, 
James  Israel,  der  aber  in  dieser 


*)  Vortrag,  gehalten  in  der  Deutschen  med. 
Gesellschaft  der  Stadt  New  York  am  3.  Juni 
1907. 


Frage  sich  seit  Jahren  durchaus  ab- 
lehnend verhält.  Ich  werde  nachzu- 
weisen versuchen,  mit  welchem  Recht. 

Die  erste  der  Fragen,  in  welcher  eine 
sehr  verschiedene  Anschauung  sich 
geltend  macht,  ist  die  Frage  nach  der 
Entstehung  der  Wanderniere.  Immer 
wieder  taucht  die  Meinung  auf,  dass 
in  sehr  vielen  Fällen  die  Wanderniere 
nur  ein  kongenitales  Leiden  sei. 
Meine  Herren !  Das  ist  weder  patholo- 
gisch-anatomisch noch  klinisch  zu 
rechtfertigen.  Wenn  wir  patholo- 
gisch-anatomisch ein  verlagerte  Niere 
sehen,  welche  auf  kongenitaler  Basis 
beruht,  sehen  wir,  dass  es  nicht  bloss 
die  Ektopie  ist,  welche  das  We- 
sen der  Sache  darstellt,  sondern 
dass  zugleich  eine  ganze  Reihe  von 
anderweitigen  Veränderungen,  Ver- 
kürzung der  Harnleiter  und  derglei- 
chen vorhanden  ist.  Wir  werden  also 
in  einem  Fall,  in  welchem  wir  die  Sek- 
tion zu  machen  Gelegenheit  haben, 
kaum  jemals  irgend  welche  Zweifel 
haben.  Aber  auch  klinisch  ist  die 
Sache  sehr  wohl  zu  unterscheiden. 
Wenn  wir  einen  Tumor  finden,  etwa 
am  Rande  des  Beckens,  den  wir  durch 
anderweitige  Untersuchung  als  eine 
Niere  ansehen  müssen,  ist  es  kaum  ei- 
nem Zweifel  unterlegen,dass  wir  es 
mit  einer  kongenital  verlagerten  Niere, 
nicht  mit  einer  Wanderniere  zu  tun 
haben.  Die  Wanderniere  kann  fest 
werden,  nicht  aber  ist  sie  es  von  vorn- 
herein, und  wir  werden  aus  dem 
Munde  der  Kranken  in  den  meisten 
Fällen  erfahren,  dass  sie  eine  beweg- 
liche Geschwulst  schon  seit  Jahren  im 
Bauch  gefühlt  haben,  bis  unter  gewis- 
sen Erscheinungen  diese  Geschwulst 
fest  wurde.  Das  ist  ein  so  sicherer 
Gang  der  Ereignisse,  dass   wir  auch 


132 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


klinisch  nicht  im  Zweifel  sein  kön- 
nen, was  wir  vor  uns  haben.  Wenn 
wir  so  die  kongenitale  Verlagerung  als 
in  Bezug  stehend  zur  Wanderniere  ab- 
lehnen müssen,  so  fragt  es  sich,  ob  wir 
überhaupt  eine  kongenitale  Wander- 
niere annehmen  können.  Die  Frage 
muss  verneint  werden,  denn  wir  sehen, 
dass  gerade  eine  bestimmte  Anzahl 
von  Frauen,  die  schlanken,  mageren, 
eine  besondere  Prädisposition  für  die 
Entstehung  der  Wanderniere  haben. 
Es  muss  also  etwas  an  dem  Bau  des 
Körpers  sein,  was  den  treibenden  Ein- 
flüssen, die  Wanderniere  hervorrufen, 
freien  Spielraum  gibt,  und  so  dürfen 
wir  annehmen,  dass  zwar  eine  kongeni- 
tale Disposition  vorhanden  ist,  nicht 
aber  eine  kongenitale  Wanderniere. 
Der  Einfluss,  welcher  die  Wanderniere 
bedingt,  ist  ausschliesslich  traumati- 
scher Natur,  und  zwar  in  zwei  grossen 
Gruppen,  entweder  so,  dass  das  Trauma 
ganz  akut  wirkt  oder  dass  eine  oft 
wiederholte  traumatische  Einwirkung 
die  Verbindungen  lockert,  die  die 
Niere  an  ihrem  Platz  festhalten.  Diese 
Verbindungen  sind  nicht  nur  die 
Nierenkapseln,  Fettkapseln,  sondern 
von  der  Nierenkapsel  strahlen  eine 
Anzahl  von  Bindegewebesträngen  aus, 
die  durch  alle  diese  Hüllen  hindurch  in 
Verbindung  dringen  mit  der  Faszie 
der  Muskeln  der  Vorderseite  und  wel- 
che selbst  zwischen  die  Muskelbündel 
sich  hinein  schieben.  Wie  überall,  kann 
auch  unter  solchen  Umständen  etwas 
gelockert  werden,  und  dann  verliert  die 
Niere  ihren  Halt.  Es  ist  aber  ein  Mo- 
ment vorhanden,  welches  für  die  ganze 
Frage  der  traumatischen  Entstehung 
der  Wanderniere  in  erster  Linie  in  Be- 
tracht kommt,  die  Adhäsionsbewegung 
der  elften  und  zwölften,  der  beiden 
freien  Rippen.  Wir  können  uns  nun 
unschwer  davon  überzeugen,  dass  es 
durch  einen  Druck  oder   Schlag  ge- 


lingt, die  Nieren  so  stark  der  Wirbel- 
säule zu  nähern,  dass  dadurch  entwe- 
der die  Niere  eingequetscht  wird  und 
verletzt  werden  kann  oder  dass  sie  in 
ihrem  Lager  gelockert  wird.  Es  haben 
statistische  Erhebungen  festgestellt, 
dass  die  verschiedenen  Erscheinungen, 
die  nach  solchen  Adhäsionsbewegun- 
gen auftreten,  nämlich  die  Zerspreng- 
ung  der  Niere  und  die  Lockerung  der 
Niere,  sich  in  auffälliger  Weise  auf 
beide  Geschlechter  verteilen,  sodass  sie 
in  umgekehrtem  Verhältnis  stehen. 
Sprengung  der  Niere  in  92  Prozent 
beim  Mann,  8  Prozent  beim  Weib, 
während  die  Wanderniere  in  86 — 88 
Prozent  aller  Fälle  beim  Weib  und  12 
— 14  Prozent  beim  Mann  vorkommt. 
Es  geht  daraus  hervor,  dass  die  glei- 
chen Traumen  einwirken  können,  ohne 
doch  die  gleichen  Veränderungen  zu 
erzeugen,  sodass  etwas  im  Bau  des 
Körpers  vorhanden  sein  muss,  was 
diese  Verschiedenheiten  bedingt,  und 
das  ist  in  der  Tat  zu  suchen  in  der  ver- 
hältnismässig kurzer  Taille  des  Weibes, 
dem  Fettpolster  der  Hüfte,  wodurch 
eine  Anzahl  von  Traumen  verhindert 
werden.  Die  Adhäsion  der  11.  und  12. 
Rippe  ist  es  nun.  welche  uns  einzig 
und  allein  das  Verständnis  eröffnet  für 
die  früher  nicht  recht  erkannte  und 
auch  jetzt  noch  vielfach  bekämpfte  An- 
schauung, dass  durch  Muskelzug  eine 
Wanderniere  entstehen  kann,  ebenso- 
wie  dadurch  unzweifelhaft  eine 
Sprengung  der  Niere  entstehen  kann. 
Die  Literatur  weist  eine  Menge  von 
Beispielen  nach,  z.  B.  einen  Fall  von 
einem  Mann,  der  einen  vom  Wagen 
fallenden  Sack  aufzuhalten  sucht, 
plötzlich  heftige  Schmerzen  in  der 
Nierengegend  fühlt,  Urindrang  be- 
kommt und  reines  Blut  durch  den 
Urin  entleert.  In  gleicher  Weise  sehen 
wir,  dass  eine  solche  heftige  Muskel- 
anstrengung,  das  Heben  eines  schwe- 


New    Yorker   Medizinische  Monatsschrift. 


133 


ren  Gegenstandes,  das  Hochlangen 
und  Herunterheben  eines  schweren 
Gegenstandes  bei  dem  Weibe  plötzlich 
eine  Wanderniere  zu  erzeugen  vermag. 
Wir  haben  also  anzunehmen,  dass  un- 
ter solchen  Umständen  eine  Zerreisung 
der  Aufhängebänder  der  Niere  stattfin- 
det und  so  die  Niere  aus  ihrer  Lage 
verschoben  wird. 

Neben  dieser  Form  der  traumati- 
schen Einwirkung  haben  wir  eine 
Reihe  von  anderen  Einwirkungen.  Es 
sind  diese  traumatischen  Einwirkun- 
gen aber  zweifellos  unendlich  häufiger, 
als  man  früher  angenommen  hat.  Je- 
mehr  Wandernieren  ich  gesehen  habe, 
destomehr  bin  ich  zu  der  Ueberzeug- 
ung  gekommen,  dass  akute  Traumen 
ziemlich  häufig  derartige  Einwirkun- 
gen darstellen,  welche  die  Niere  zum 
Lockern  bringen. 

Die  zweite  Gruppe  traumatischer 
Einwirkungen  ist  chronischer  Natur. 
Diese  wirken  langsam  und  allmählich. 
Unter  ihnen  spielt  eine  besondere  Rolle 
das  Schnüren,  aber  das  Schnüren  nicht 
bloss  in  der  Form,  wie  es  in  früherer 
Zeit  beim  Weibe  üblich  war,  dass  mit 
grosser  Gewalt  der  untere  Brustkorb 
zusammengezogen  wird,  sondern  es 
genügt  dazu  schon  das  Zubinden  der 
Röcke.  Wenn  diese  etwas  stark  ange- 
zogen werden,  verursachen  sie  Ein- 
schnürung in  der  Lendengegend,  und 
wenn  dabei  schwere  Arbeit  verrichtet 
wird,  wird  bei  jeder  tiefen  Inspiration 
das  Rockband  tiefer  einsinken  und  bei 
der  konischen  Form  der  Lendengegend 
beim  Weibe  gegen  die  untere  Rippe 
gedrückt  werden.  So  kann  ein  anschein- 
end unbedeutendes  Trauma  doch  ge- 
nügen, um  im  Verlauf  von  Wochen 
oder  Monaten  allmählich  die  Haltebän- 
der so  zu  beeinflussen,  dass  sie  nach- 
geben, und  zwar  geschieht  das  am  häu- 
figsten auf  der  rechten  Seite,  schon 
deshalb   weil   die   rechte   Niere  mit 


ihrem  unteren  Boden  in  die  12.  Rippe 
hinaufreicht  und  deshalb  leicht  nach 
unten  gedrückt  werden  kann.  Ich 
möchte  noch  hinzufügen,  dass  man 
sich  von  der  Einwirkung  der  Schnür- 
vorrichtung nach  den  Versuchen  in  der 
Kieler  Klinik,  die  von  Bartels  und 
seinen  Schülern  gemacht  wurden,  sehr 
gut  überzeugen  kann.  Wenn  man  den 
Leib  einer  Leiche  öffnet  und  mit  einer 
kräftigen  Schnürvorrichtung  den  un- 
teren Teil  des  Thorax  zusammen- 
drückt und  die  Hand  in  die  offene 
Bauchhöhle  einführt,  fühlt  man,  wie 
die  Niere  unter  dem  Druck  etwas  nach 
aufwärts  geht. 

Ich  kann  mich  also  in  Bezug  auf  die 
Aetiologie  dahin  zusammenfassen, 
dass  in  der  Tat  die  kongenitale  Ent- 
stehung der  Wanderniere  abgewiesen 
werden  muss  und  dass  einzig  und  al- 
lein traumatische  Einflüsse  akuter  oder 
chronischer  Natur  die  Wanderniere 
veranlassen. 

Wie  ist  nun  der  Verlauf  eines  sol- 
chen Leidens?  Für  unsere  therapeuti- 
sche Besprechung  werden  wir  in  erster 
Linie  die  Frage  aufstellen  müssen,  ob 
denn  eine  Wanderniere  sich  selbst 
überlassen,  so  schwere  Störungen  her- 
vorruft, dass  wir  mit  einfachen  Mit- 
teln nicht  mehr  auskommen.  Ist  das 
der  Fall  oder  nicht?  Darauf  ist  zu 
antworten  :  Ja.  Es  sind  zwei  Gruppen 
von  Erkrankungen,  die  sich  ziemlich 
regelmässig  oder  zum  grossen  Teil  der 
Wanderniere  anschliessen,  wenn  auch 
erst  nach  Jahren.  Die  eine  Gruppe  be- 
trifft allgemeine  Störungen,  die  andere 
örtliche.  Ich  sehe  von  Dingen  ab,  die 
ja  regelmässig  vorhanden  zu  sein  pfle- 
gen, Störungen  der  Verdauung  und  der- 
gleichen. In  der  Regel  sind  dieselben 
nicht  so  erheblich,  dass  operative  Ein- 
griffe dadurch  herausgefordert  werden, 
aber  eine  andere  Gruppe  von  Erschein- 
ungen ist  von  der  grössten  Wichtig- 


134 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


keit,  das  sind  die  nervös-hysterischen 
Erscheinungen,  die  sich  fast  regelmäs- 
sig an  Wanderniere  anschliessen.  Es 
ist  von  grosser  Wichtigkeit,  zu  zeigen, 
dass  alle  Formen  von  hysterischen  Er- 
scheinungen die  Folgen  einer  Wander- 
niere sein  können,  sowohl  Hyperästhe- 
sie als  Anästhesie.  Wie  schwer  durch 
Hysterie  das  Leben  der  Patientinnen 
beeinträchtigt  wird,  brauche  ich  nicht 
zu  schildern.  Wohl  aber  möchte  ich 
an  die  Tatsache  erinnern,  dass  die 
hysterischen  Erscheinungen,  welche 
auf  irgend  welche  körperliche  Verän- 
derungen zurückgeführt  werden  kön- 
nen, wenn  sie  sehr  lange  bestanden 
haben,  auch  dann  nicht  mehr  rück- 
gängig werden,  wenn  sie  sich  gewis- 
sermassen  von  dem  Mutterboden,  auf 
dem  sie  aufgewachsen  sind,  losgelöst 
haben  und  ganz  selbständig  geworden 
sind.  Das  ist  eine  Tatsache,  die  zu 
kennen  für  die  Behandlung  von  der 
grössten  Wichtigkeit  ist.  Es  liegt  auf 
der  Hand,  dass  wir  von  vornherein  uns 
sagen  müssen,  dass  wir  nicht  alle  Hy- 
sterischen heilen  können. 

Die  andere  Gruppe  der  Erscheinun- 
gen ist  örtlicher  Natur.  Sie  beschränkt 
sich  auf  Veränderungen  in  der  Niere. 
Es  ist  Tatsache,  dass  ein  sehr  grosser 
Teil  der  Sackniere,  wie  ich  sie  genannt 
habe,  zurückgeführt  werden  kann  auf 
Stauung,  hervorgerufen  durch  Wan- 
derniere, und  merkwürdigerweise  ge- 
rade der  Gegner  dieser  Anschauung, 
nämlich  Israel,  welcher  nachgewie- 
sen hat,  dass  in  mindestens  92  Prozent 
aller  Fälle  die  Sackniere  auf  eine  be- 
wegliche gewordene  Niere  zurückge- 
führt werden  kann.  Sie  wissen,  dass  der 
Harnleiter  die  allerverschiedensten 
Stellungen  einnimmt.  Es  kann  zu  ei- 
ner bogenförmigen  Krümmung  kom- 
men, in  den  Fällen  aber,  in  denen  ir- 
gend ein  entzündlicher  Prozess  im  obe- 
ren Teil  des  Harnleiters  stattgefunden 


hat,  kann  es  zu  winkliger  Knickung 
kommen.  Nach  Tierversuchen  ruft 
nun  dies  Stauung  im  Becken  hervor. 
Wir  sehen  daraus  schon,  dass  es  nicht 
in  allen  Fällen  auf  einfache  Stauung 
beschränkt  bleibt,  sondern  nun  noch 
entzündliche  Prozesse  irgend  welcher 
Art  hinzukommen,  in  der  Regel  infolge 
einer  Infektion.  Denn  wie  bei  allen 
Entzündungen  des  Inhalts  von  Hohl- 
räumen spielt  die  Stauung  eine  ganz 
erhebliche  Rolle,  welche  den  einge- 
drungenen Bakterien  Gelegenheit  zu 
ruhiger  Weiterentwickelung  gibt.  So 
auch  hier.  Es  mögen  erst  einfache 
sein,  dann  kommt  es  zu  winkliger 
Knickung,  dann  zu  Pyonephrose,  zur 
Bildung  einer  Sackniere,  wo  dann  der 
Inhalt  eitrig  wird. 

Das  sind  die  beiden  Gruppen  von 
Gefahren,  die  den  Patienten  drohen, 
die  von  Wanderniere  heimgesucht 
werden.  Diese  Gefahren  sind  gross 
genug,  um  Veranlassung  zu  geben, 
dass  man  nicht  mit  gefalteten  Händen 
solchen  Patienten  gegenüber  steht, 
sondern  sobald  die  Diagnose  gestellt 
ist,  seine  Massnahmen  trifft,  ihnen  ent- 
gegen zu  treten. 

Die  Diagnose  ist  leicht  zu  stellen. 
Es  handelt  sich  darum,  solche  Patien- 
ten in  verschiedenen  Stellungen  zu  un- 
tersuchen und  nicht  die  Sache  als  ab- 
geschlossen anzusehen,  wenn  man  bei 
einmaliger  Untersuchung  nichts  ge- 
funden hat.  Zwei  Tage  darauf  findet 
man  vielleicht  deutlich  einen  Tumor, 
der  bei  der  ersten  Berührung  unter  die 
Rippen  schlüpfte. 

Wie  sollen  wir  der  Wanderniere  ent- 
gegentreten? Die  Bemühungen,  wel- 
che man  gemacht  hat,  um  ohne  blutige 
Opfer  zum  Ziele  zu  kommen,  können 
wohl  im  wesentlichen  als  gescheitert 
angesehen  werden.  Es  ist  schon  rich- 
tig, dass  man  bei  nicht  zu  hochgradi- 
gen Fällen  mit  Darreichung  eines  Kor- 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


135 


setts  auskommt.  Ich  habe  eine  An- 
zahl solcher  Fälle  gesehen,  in  denen  in 
der  Tat  alle  Erscheinungen  ver- 
schwanden und  die  Frauen  sich  sehr 
wohl  fühlten.  Bei  diesen  ist  von  Ope- 
ration nicht  die  Rede.  Aber  diese 
Fälle  gehören  zu  den  seltenen  Ausnah- 
men, und  in  der  Mehrzahl  wird  man 
immer  die  Antwort  bekommen,  es  hat 
nichts  geholfen,  ich  fühle  mich  schlech- 
ter als  vorher.  Die  Frauen  haben 
recht.  Wir  sind  also  auf  die  operative 
Behandlung  angewiesen.  Hier  haben 
wir  zunächst  eine  Operation,  die  man 
im  ersten  Enthusiasmus  anwendet,  die 
Nephrektomie.  Dieselbe  könnte  in 
Frage  kommen,  wenn  man  auf  eine  völ- 
lig veränderte,  degenerierte,  kaum  noch 
operationsfähige  Wanderniere  trifft.  In 
allen  übrigen  Fällen  ist  von  einem  so 
radikalen  Verfahren  abzusehen.  Es 
handelt  sich  vielmehr  um  eine  Methode 
der  Nephropexie,  welche  uns  die  Mög- 
lichkeit gibt,  die  Niere  an  ihrer  Stelle 
festzuhalten  —  meine  eigene  Methode, 
die  nun  seit  mehr  als  25  Jahren  ange- 
wendet wird.  Da  jeder  Vater  sein 
Kind  lieb  hat,  so  gestatte  ich  mir, 
Ihnen  meine  Methode  zu  schildern,  da 
ich  sie  für  diejenige  halte,  welche  das 
beste  Resultat  gibt. 

(Erläuterung  der  Methode  durch 
Zeichnung  an  der  Tafel.) 

Das  ist  die  Methode,  wie  ich  sie  in 
den  letzten  zwei  Jahren  regelmässig 
geübt  habe.  Was  erreicht  man  mit 
dieser  Methode?  Zunächst  einmal  ist 
die  Methode  ganz  ungefährlich.  Die 
Statistiken  der  Wanderniere  ergeben, 
dass  ungefähr  2  Prozent  Todesfälle 
vorgekommen  sind,  und  ich  selber 
habe  unter  200  Operationen  4  Todes- 
fälle gehabt,  die  ich  aber  mit  einer 
Ausnahme  unmöglich  auf  die  Opera- 
tion zurückzuführen  kann.  Drei- 
mal ist  es  geschehen,  dass  die  Pa- 
tientinnen 10  oder  12  Tage  nach  der 


Operation  sich  im  Bett  umdrehten, 
aufsetzten  oder  wider  das  Verbot  auf- 
standen, umfielen  und  tot  waren.  Wir 
erleben  solche  Todesfälle  auch  ander- 
weitig. Es  ist  immer  auffällig,  zu 
sehen,  dass  dreimal  unter  200  Fällen 
ein  solcher  Zufall  eingetreten  ist.  Ich 
bin  nicht  im  Stande,  einen  Zusammen- 
hang zwischen  der  Operation  und  die- 
sem Ereignis  zu  konstatieren.  Der  an- 
dere Fall  ist  klar:  der  Patient  starb 
am  2.  oder  3.  Tag  an  Erbrechen,  offen- 
bar hervorgerufen  durch  das  Anziehen 
der  Niere  aus  ihrer  Stellung  bei  im 
übrigen  ziemlich  ausgedehnter  Ne- 
phroptose. Ich  hatte  vor,  den  Leib  zu 
eröffnen  und  die  Verhältnisse  in  Ord- 
nung zu  bringen.  Da  erfolgte  das  Er- 
brechen während  der  Narkose,  noch 
ehe  ich  das  Messer  eingeführt  hatte, 
und  er  ging  daran  zu  Grunde. 

Wie  steht  es  im  übrigen,  was  er- 
reichen wir  durch  die  Operation?  Hier 
komme  ich  nun  auf  die  Einwendungen, 
welche  Israel  meiner  Statistik  ge- 
genüber gemacht  hat.  Er  sagt,  wenn 
ich  im  ganzen  80%  dauernde  Heilung 
ohne  jede  weitere  Störung  gesehen 
habe,  dass  das  kein  so  günstiges  Resul- 
tat sei,  weil  andere  noch  bessere  Ver- 
hältnisse gesehen  haben.  Dabei  macht 
er  selber  die  Bemerkung,  dass  man 
doch  unterscheiden  müsse  zwischen 
Fällen,  welche  unkompliziert  waren, 
und  komplizierten  Fällen.  Wenn  ich 
das  tue,  habe  ich  von  meinen  unkom- 
plizierten Fällen  92  Prozent  dauernde 
Heilung  und  von  den  komplizierten 
Fällen  ungefähr  62  Prozent.  Immerhin 
ist  auch  bei  diesen  komplizierten  Fäl- 
len, bei  denen  also  schon  Störungen  in 
der  Niere  vorhanden  waren,  62  Prozent 
ein  ausserordentliches  gutes  Resultat, 
welches  bei  der  relativen  Ungefährlich- 
keit  der  Operation  es  verlohnt,  dass 
man  die  Operation  macht. 

Ich  glaube,  dass  die  Operation  der 


136 


New    Yorker    Medizinische  Monatsschrift. 


Wanderniere  in  der  Tat  es  verdient, 
mehr  geübt  zu  werden,  als  bisher  der 
Fall  gewesen.  Ich  kann  Ihnen  die  Ver- 
sicherung geben,  dass  ich  selten  dank- 
barere Patientinnen  gesehen  habe  wie 
die,  welche  von  langjähriger  Wander- 
niere befreit  worden  waren.  Sie  schrei- 
ben mir  von  Zeit  zu  Zeit  immer  noch 
einmal,  um  mir  zu  danken,  dass  ich  sie 
von  diesem  abscheulichen  Leiden  be- 
freit habe,  und  die  Fälle,  welche  nicht  so 
günstige  Resultate  ergeben,  gehören  in 
der  Regel  zum  weitaus  grössten  Teile 
in  die  Gruppe  der  komplizierten  Fälle. 


Nun  könnte  man  sagen,  ich  operiere 
fortan  überhaupt  nur  unkomplizierte 
Fälle.  Das  wäre  sehr  grausam,  denn 
viele  komplizierte  Fälle  sind  derart, 
dass  Erscheinungen  vorhanden  sind, 
die  völlig  verschwinden,  wenn  man  die 
Operation  macht.  Ich  möchte  deshalb 
damit  schliessen,  dass  ich  Ihnen  drin- 
gend ans  Herz  lege,  die  Operation  der 
Wanderniere  recht  häufig  zu  üben,  um 
sich  zu  überzeugen,  dass  es  in  der  Tat 
eine  ausserordentlich  segensreiche 
Operation  ist. 


Zur  vorzeitigen  Ablösung  der  normal  sitzenden  Plazenta/1 

Von  Dr.  A.  Herzfeld. 


Die  vorzeitige  Ablösung  der  normal 
sitzenden  Plazenta  während  der 
Schwangerschaft  resp.  Geburt  ist  einer 
der  unglücklichsten  Zufälle,  denen  wir 
in  der  Ausübung  unseres  Berufes  be- 
gegnen. Selbst  wenn  die  Wehen  einer 
normalen  Geburt  bereits  begonnen, 
kann  dieses  Ereignis  plötzlich  ohne 
jedwede  Prodromalerscheinungen  ein- 
setzen und  das  Leben  der  Mutter  und 
des  Kindes  auf  das  höchste  gefährden. 
Nichts  in  der  Geburtshilfe  stellt  an  die 
diagnostische  Fähigkeit,  Geschicklichr 
keit,  Vorsicht  und  rasches  Eingreifen 
des  Geburtshelfers  grössere  Anforder- 
ungen als  die  gefürchtete  und  gefähr- 
liche Blutung,  verursacht  durch  die 
Loslösung  der  Plazenta  von  ihrer  nor- 
malen Haftfläche  im  Uterus  vor  Aus- 
stossung  des  Kindes.  Glücklicherweise 
ist  dieses  Ereignis  selten,  doch  keines- 
wegs so  selten,  wie  uns  die  älteren 
Statistiken  lehren,  denn  mit  dem  Fort- 
schritt unserer  diagnostischen  Ausbil- 
dung  und    Hilfsmittel   werden  diese 


*)  Vortrag,  gehalten  in  der  Deutschen  med. 
Gesellschaft  der  Stadt  New  York  am  i.  April 
1907.    Archiv  für  Gynäkologie,  Band  82. 


Fälle  genauer  beobachtet  und  besser 
beurteilt.  Welche  Schwierigkeiten 
diese  Fälle  uns  in  der  Diagnose  verur- 
sachen können,  lehrt  uns  v.  W  i  n  c- 
kel  (1)  in  seinem  Lehrbuche:  „Der 
Patient  kann  dem  starken  Blutverluste 
erliegen,  noch  ehe  das  Leiden  erkannt 
ist." 

Wie  die  Diagnose  oft  schwierig,  so 
ist  die  Prognose  schlecht  für  Mutter 
und  Kind,  die  Aetiologie  und  die 
1  'athologie  noch  nicht  genügend  ge- 
kannt, die  Therapie  schwierig  und  ihre 
Resultate  unbefriedigend.  Diese  Um- 
stände haben  mich  bewogen,  im  An- 
schlüsse an  einen  eigenen  Fall  eine 
grössere  Anzahl  Fälle  aus  der  Litera- 
tur zusammenzustellen,  denn :  „The 
feeblest  ray  of  light  is  welcome,  when 
shed  upon  obscure  diseases."  (Good- 
ell.) 

Anamnese  und  Krankengeschichte 
meines  Falles  ist  folgende : 

M.  R.,  38  Jahre  alt,  6  para,  von  Ge- 
burt Italienerin,  13  Jahre  in  Amerika. 
Die  Frau  hat  4  normale  Geburten 
durchgemacht  und  eine  Frühgeburt 
bald  nach  ihrer  Verheiratung,  sonst  ist 
sie   stets   gesund   gewesen.  Anfangs 


New    Yorker    Medizinische  Monatsschrift. 


137 


des  7.  Monates  dieser  Schwangerschaft 
bemerkte  sie  Oedem  an  beiden  Unter- 
schenkeln nnd  Füssen.  Sie  hat  diese 
Oedeme  bei  ihrer  dritten  Schwanger- 
schaft bereits  bemerkt.  Während  die- 
ser Schwangerschaft  klagte  sie  zeit- 
weise über  heftige  Schmerzen  in  der 
Lebergegend.  Ikterus  war  nie  vor- 
handen. Dieses  ist  die  ganze  Vorge- 
schichte, die  ich  in  Verbindung  mit 
dem  Falle  erhalten  konnte. 

Am  19.  6.  04  wurde  ich  frühmorgens 
von  einer  italienischen  Hebamme  zu 
der  Patientin  gerufen.  Die  Hebamme 
teilte  mir  mit,  dass,  obwohl  sie  mehrere 
Stunden  gewartet,  sie  keinen  Fort- 
schritt in  der  Geburt  bemerkt  und  kei- 
nen vorliegenden  Teil  fühlen  konnte. 
Die  Frau  hatte  alle  5  Minuten  ziemlich 
heftige  Wehen.  Bei  der  äusseren  Un- 
tersuchung konnte  man  den  Kopf  deut- 
lich links  auf  der  Darmbeinschaufel 
palpieren,  der  Rücken  vorn  und  links, 
die  kleinen  Teile  rechts  und  der  Steiss 
im  Fundus  rechts.  Die  kindlichen 
Herztöne  links  vom  Nabel  deutlich 
und  normal.  Bei  der  inneren  Unter- 
suchung konnte  ich  obigen  Befund  be- 
stätigen, der  Kopf  war  vom  Becken- 
eingang abgewichen,  stand  auf  der  lin- 
ken Darmbeinschaufel,  das  Os  uteri 
war  für  zwei  Finger  durchgängig,  die 
Wasserblase  drängte  sich  dem  unter- 
suchenden Finger  entgegen.  Da  kein 
Grund  für  einen  sofortigen  Eingriff 
vorlag,  so  lagerte  ich  die  Patientin  auf 
ihre  rechte  Seite,  verliess  sie,  um  nach 
einer  halben  Stunde  zurückzukehren. 
Vor  dem  Hause  der  Patientin  stürzte 
mir  eine  Frau  entgegen,  die  mir  zu 
verstehen  gab,  dass  „oben  was 
Schreckliches  sich  ereignet,  die  Frau 
liege  im  Sterben".  Ich  fand  die  Frau 
in  schwerem  Kollaps,  pulslos,  kalt, 
langsam  stöhnende  Respiration,  die 
Augen  halb  geöffnet,  in  kaltem 
Schweiss.  Der  Bauch  war  sehr  auf- 
getrieben, der  Kopf  schien  noch  an 
derselben  Stelle  zu  stehen,  die  Kindes- 
teile undeutlich.  Im  Bette  lagen  zwi- 
schen den  Beinen  der  Frau  mehrere 


Coagula  und  noch  sickerte  Blut  aus 
den  Genitalien  der  Frau.  Die  He- 
bamme teilte  mir  mit,  dass  dieser  Zu- 
stand vor  wenigen  Minuten  plötzlich 
eingetreten  sei,  ohne  dass  sie  die  Frau 
im  geringsten  berührt,  noch  dass  die 
Frau  sich  aufgerichtet.  Ich  konnte 
mir  im  Augenblicke  diesen  plötzlichen 
Wechsel  in  dem  Zustand  der  vor  einer 
halben  Stunde  noch  vollends  gesunden 
Frau  nicht  erklären.  Ich  war  mir  klar, 
dass  die  moribunde  Frau  sofort  ent- 
bunden werden  müsste.  Ich  ging  so- 
fort mit  der  linken  Hand  in  den  Uterus 
ein,  die  Vagina  war  mit  Coagula  ge- 
füllt, die  Cervix  gab  unter  leichtem 
Druck  nach.  Ich  fasste  den  mir  nächst- 
liegenden Fuss  und  machte  die  Wen- 
dung, extrahierte  das  Kind,  ohne  dass 
die  Frau  im  geringsten  reagierte.  Mit 
der  Geburt  des  Kopfes  stürzten  Pla- 
zenta, eine  grosse  Menge  Coagula  und 
flüssiges  Blut  aus  den  Genitalien. 
Jetzt  sah  ich,  was  sich  hier  ereignet 
hatte.  Die  Nabelschnur  war  nicht  um- 
schlungen. Das  Kind  war  frischtot. 
Die  Wendung  und  Extraktion  hatten 
nur  wenige  Minuten  in  Anspruch  ge- 
nommen. Während  die  Hebamme  den 
schlecht  kontrahierten  Uterus  hielt, 
machte  ich  der  Frau  eine  Kochsalzin- 
fusion. Die  Plazenta  habe  ich  nur 
oberflächlich  untersuchen  können,  da 
dieselbe  in  der  Aufregung  weggewor- 
fen wurde,  auffällig  Abnormes  konnte 
ich  an  derselben  nicht  bemerken.  Ich 
gab  der  Frau  Ergotin  und  Stimulan- 
tien,  worauf  sie  sich  allmählich  er- 
holte. Nachblutung  hatte  sie  keine 
und  sie  machte  ein  fieberloses  Wochen- 
bett durch. 

Eine  Untersuchung  ihres  Allgemein- 
zustandes ergab  Folgendes :  Herz  und 
Lungen  gesund..  Der  zweite  Pulmo- 
nalton  verstärkt.  Leber  und  Milz  von 
normaler  Grösse.  An  Magen  und 
Darm  nichts  Abnormes.  Die  Oedeme 
an  Füssen  und  Unterschenkeln  sind 
noch  vorhanden.  Der  Urin  enthielt 
kein  Eiweiss,  noch  andere  pathologi- 
sche Bestandteile. 


138  New  Yorker  Medizin 


Dass  es  sich  in  diesem  Falle  um 
eine  vorzeitige  Ablösung  der  normal 
inserierten  Plazenta  gehandelt  haben 
dürfte,  kann  wohl  für  sicher  angenom- 
men werden.  Keine  Komplikation  der 
Geburt  verursacht  in  solch  kurzer 
Zeit  derartig  schwere  Symptome  des 
Kollapses,  einen  solch  lebensbedrohen- 
den Zustand,  als  der  schwere  Blutver- 
lust des  von  seiner  normalen  Haft- 
fläche im  Uterus  vorzeitig  losgelösten 
Mutterkuchens.  Nach  dem  klinischen 
Bilde  des  Falles  zu  urteilen,  wäre  man 
wohl  zur  Annahme  berechtigt,  dass  es 
sich  in  diesem  Falle  um  eine  sofortige 
totale  Lösung  der  Plazenta  gehandelt 
haben  dürfte,  das  plötzliche  Einsetzen 
des  schweren  Kollapses  und  mit  der 
nur  wenige  Minuten  nach  Einsetzen 
der  akuten  Symptome  vorgenomme- 
nen Extraktion  stürzte  die  total  ge- 
löste Plazenta  mit  dem  Kinde  heraus. 
Adhärente  Coagula  hatte  ich  an  der 
Plazenta  nicht  bemerkt.  Die  Nabel- 
schnur war  von  genügender  Länge. 
Das  frischtote  Kind  hatte  keinerlei 
Verletzungen  und  war  voll  ausgetra- 
gen. 

Von  Interesse  dürfte  noch  in  der 
weiteren  Geschichte  dieser  Frau  sein, 
dass  sie  letztes  Jahr  von  einem  gesun- 
den ausgetragenen  Kinde  entbunden 
wurde.  Die  oben  beschriebenen  Oe- 
deme waren  wieder  vorhanden.  Sie 
klagte  seit  Geburt  ihres  letzten  Kindes 
über  häufige  Anfälle  von  schwerem 
Gelenkrheumatismus.  Der  Urin  ist 
frei  von  Eiweiss,  die  Herztöne  sind 
leise,  doch  rein. 

Geschichtliches. 

Die  „verborgene"  Blutung  in  den 
schwangeren  Uterus  war  schon  im  16. 
Jahrhundert  bekannt,  wie  uns  A.  C. 
Baudelocque  in  seiner  „Anleitung 
zur  Entbindungskunst"  mitteilt.  Gu  i  1- 
1  e  111  e  a  11  (1612)  kennt  die  Blutung 
hinter  die  „afterburthen",  welche  die 
Unterbrechung  der  Schwangerschaft 
im  Gefolge  hat.  Paul  Portal 
(1664)  kennt  ebenfalls   diese  gefahr- 


ische  Monatsschrift. 


volle  Komplikation  der  Geburt. 
Thomas  Ray  na  1  (1634)  beobach- 
tete die  schwere  Blutung  der  vorzeiti- 
gen Ablösung  der  Plazenta  nach  hefti- 
gem Erbrechen,  nach  starken  Abführ- 
mitteln und  nach  Trauma.  C  o  s  m  e 
V.iardel  (1671)  führt  die  Blutungen 
ebenfalls  auf  Trauma  zurück.  Will- 
iam G  i  f  f  a  r  d  (1 734)  spricht  von  ei- 
ner „real"  und  einer  „partial  Separation 
of  the  placenta",  welche  am  häufigsten 
im  Fundus  uteri  zu  suchen  ist,  woher 
auch  die  Blutungen  kommen.  Die  to- 
tal gelöste  Plazenta  kann  auf  das  Os 
internum  herabfallen.  G  i  f  f  a  r  d  dila- 
tiert  sofort  das  Os  uteri  manuell, 
sprengt  die  Blase,  macht  die  innere 
W endung  und  löst  den  Kopf  mit  dem 
Mauriccau'schen  Handgriff.  Fran- 
gois  Mauriceau  beschreibt  aus- 
führlich das  klinische  Bild  der  vorzeiti- 
gen Ablösung  der  normal  inserierten 
Plazenta,  welches  Ereignis  auch  durch 
die  Kürze  der  Nabelschnur  herbeige- 
führt werden  könnte.  Mauriceau 
(1740)  empfiehlt  als  einzige  Behand- 
lung die  sofortige  Entbindung  durch 
manuelle  Dilatation  und  Wendung. 
Auch  La  Motte  (1746)  führt  die 
vorzeitige  Lösung  der  Plazenta  auf 
Trauma  zurück  und  empfiehlt  die  so- 
fortige Entleerung  des  Uterus.  M. 
Puzos  (1759)  beschreibt  6  Fälle  aus 
seiner  Praxis  und  empfiehlt  das  ,,Ac- 
couchement  force".  Andre  L  e  v  r  e  t 
und  William  S  m  e  1  1  i  e  (1766) 
kannten  die  Gefahr  der  „verborgenen 
Blutung"  und  Leroux  (1776)  führt 
die  Tamponade  in  ihre  Therapie  ein. 
Edward  R  i  g  b  y  (1777)  unter- 
scheidet zwischen  „unavoidable"  (Pla- 
centa praevia")  und  „accidental"  (vor- 
zeitiger Ablösung)  hemorrhages.  D  a- 
vid  Spence  (1784)  behauptet,  dass 
die  Lues  ein  wichtiger  ätiologischer 
Faktor  bei  der  vorzeitigen  Ablösung 
der  normal  inserierten  Plazenta  wäre, 
doch  könnte  diese  auch  von  anderen 
krankhaften  Zuständen  der  Gebärmut- 
ter veranlasst  werden.  Auch  Trauma, 
Plethora,  Kürze  der  Nabelschnur  könn- 


New    Yorker   Medizinische  Monatsschrift. 


139 


ten  das  Leiden  herbeiführen  und  die 
schnelle  Entbindung  ist  die  einzige 
Behandlung.  A.  C.  Baudelocque 
(1797)  berichtet  in  seiner  preisgekrön- 
ten Schrift:  „Une  memoire  sur  les 
hemorrhagies  uterines  cachees  sans 
soulement  de  sang  au  dehors,  pendant 
le  travail  de  l'enfantement",  alles,  was 
bis  zu  dieser  Zeit  über  die  vorzeitige 
Ablösung  der  normal  sitzenden  Pla- 
zenta bekannt  war.  Er  beschreibt  drei 
Fälle  aus  seiner  Praxis,  in  welchen  alle 
Kinder  und  eine  Frau  zu  Grunde  gin- 
gen. Baudelocque  empfiehlt  die 
sofortige  manuelle  Dilatation  und 
Wendung,  so  lange  der  Kopf  beweg- 
lich, die  Zange,  wenn  der  Kopf  unbe- 
weglich im  Becken.  Thomas  Den- 
man  (1802)  kennt  die  Gefahren  der 
vorzeitigen  Blasensprengung  und  ver- 
langt in  der  Behandlung  der  vorzeiti- 
gen Ablösung,  „jeden  Fall  für  sich  zu 
beurteilen".  Mdme.  Boivin  (1819) 
und  Mdme.  Lacha  pelle  negieren 
die  Möglichkeit  einer  intrauterinen 
Blutung  während  der  Schwanger- 
schaft. Obwohl  diese  beiden  „weisen 
Frauen"  auf  eine  eigene  Statistik  von 
über  42000  Geburten  zurücksehen 
konnten,  haben  sie  ein  derartiges 
Ereignis  nicht  gesehen.  Mdme.  L  a- 
c  h  a  p  e  1  1  e  behauptet,  dass  die  Theo- 
rie des  ,,lentikulären"  Blutklumpens, 
welcher  sich  hinter  der  Plazenta  bil- 
den sollte  und  hier  von  ihrer  Mitte  aus 
die  Plazenta  allmälig  ablöse,  eine  ,,pure 
Spekulation"  sei.  Mdme.  Boivin 
sagt,  dass  in  den  schwangeren  Uterus 
eine  Blutung  sich  nicht  ereignen 
könnte,  da  derselbe  mit  dem  Eisack 
und  Mutterkuchen  angefüllt  sei.  Eine 
Blutung  in  den  schwangeren  Uterus 
könne  auch  niemals  derartige  Dimen- 
sionen annehmen,  dass  sie  den  Tod  der 
Mutter  verursachen  könnte,  da  die  in- 
nere Blutung  selbst  wie  ein  Tampon 
wirke,  ,.s'il  en  etait  autrement,  il  fau- 
drait  bannir  le  tampon  de  la  therapeu- 
tique  des  hemorrhagies  uterines" 
(1819).  J.  A.  Schmidtmu  eller 
(1800)  hält  die  Blutung  nach  der  „Aus- 


sonderung des  Kindes"  für  die  gefähr- 
lichere, doch  empfiehlt  auch  er  für  die 
Blutung  vor  der  Geburt  die  Beschleu- 
nigung der  Entbindung.  Tanner 
beschreibt  1851  zwei  Fälle.  E.  V. 
Siebold  (1854)  empfiehlt  die 
Sprengung  der  Wasserblase,  desglei- 
chen J.  Braxton  Hicks  (1860), 
der  13  Fälle  aus  der  Literatur  gesam- 
melt. H  u  g  h  L.  H  o  d  g  e  (1864)  hält 
die  ,, okkulte"  Blutung  in  den  schwan- 
geren Uterus  zwar  nicht  für  unmög- 
lich, doch  für  unwahrscheinlich,  indem 
a  priori  der  schwangere  Uterus  ein 
„plenum"  sei,  was  auch  schon  die 
Boivin  früher  behauptet  hatte.  Im 
Jahre  1870  publizierte  W  i  1  1  i  a  m 
G  o  o  d  e  1  1  seine  Statistik  von  106  Fäl  - 
len, eine  Arbeit,  die  allen  späteren  zur 
Richtschnur  gedient. 

Terminologie. 

In  der  englischen  fast  ausschliess- 
lich, häufig  in  der  französischen  Litera- 
tur, sind  die  Fälle  der  vorzeitigen  Ab- 
lösung der  normal  inserierten  Plazenta 
unter  dem  Titel  der  „akzidentellen, 
verborgenen  Blutung  in  den  graviden 
Uterus"  berichtet.  Dieser  Titel  ent- 
spricht nicht  vollständig  den  tatsächli- 
chen Verhältnissen.  Die  Blutung, 
welche  durch  vorzeitige  Ablösung  der 
normal  sitzenden  Plazenta  verursacht 
wird,  ist  nicht  immer  eine  verborgene, 
„concealed,  cachee".  G  o  o  d  e  1  l's 
Statistik,  welche  unter  dem  Titel  „con- 
cealed, accidental  hemorrhage  into  the 
gravid  uterus"  erschien,  enthält  unter 
106  Fällen  27  von  sofortiger  äusserer 
Blutung.  Holmes  (3)  „Ablatio 
Placentae"  nur  45  verborgene  Blutun- 
gen unter  200  Fällen,  in  meiner  Zu- 
sammenstellung von  250  Fällen  sind  52 
„verborgen",  nur  ein  Fünftel  der  Fälle. 
Der  Terminus  „accidental"  wäre  eben- 
falls zu  beanstanden,  mit  demselben 
Rechte  könnte  man  den  „unavoidable 
hemorrhage"  „accidental"  nennen, 
„unavoidable"  (unvermeidlich)  sind  in 
beiden  Fällen  die  Blutungen.  Schlies- 
sen  wir  die  Fälle  von  Ruptur  der  Na- 


140 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


belschnurgefässe  oder  deren  Verzweig- 
ungen und  jene  seltenen  Fälle  von 
Vorfall  der  Plazenta  aus,  so  sind  diese 
Blutungen  ätiologisch  durch  die  vor- 
zeitige Ablösung  der  normal  inserier- 
ten Plazenta  verursacht,  v.  W  e  i  ss(4) 
spricht  von  „Ablatio  placentae  prae- 
matura". 

Symptomatologie. 

Das  klinische  Bild  der  vorzeitigen 
Ablösung  der  normal  sitzenden  Pla- 
zenta wird  von  den  Symptomen  der 
Blutung  beherrscht.  Die  Erscheinun- 
gen, welche  die  Blutung  verursacht, 
korrespondieren  mit  der  Schwere  und 
Heftigkeit,  mit  welcher  dieselbe  ein- 
tritt. Die  sich  vollständig  wohl  fühl- 
ende Frau  wird  plötzlich,  oft  ohne  die 
geringsten  Prodromalerscheinungen, 
von  einer  Ohnmacht  befallen,  entwick- 
elt schnell  die  Symptome  einer  schwe- 
ren Blutung,  Anämie,  Atemnoth, 
rascher,  kleiner,  kaum  fühlbarer  Puls, 
Sinken  der  Körpertemperatur,  Aengst- 
lichkeit,  Ohrensausen,  kalter  Schweiss 
etc.  Von  250  Fällen  hatten  88  sofort 
nach  Einsetzen  der  Ablösung  der  Pla- 
zenta Symptome  schweren  Kollapses. 
Häufiger  entwickeln  sich  die  Symp- 
tome und  Zeichen  des  schweren  Blut- 
verlustes langsam  und  fortschreitend. 
Die  Blutung  ist  zunächst  eine  innere, 
es  sammelt  sich  das  ergossene  Blut 
zwischen  Mutterkuchen  und  Uterus- 
wand und  kann  selbst  hier  genügende 
Dimensionen  annehmen,  den  Tod  der 
Frau  herbeizuführen.  In  den  von  mir 
zusammengestellten  Fällen  fand  ich 
drei  derartige  mit  Sektionsbericht  be- 
schrieben, von  Basset  t,  Davis 
und  D  e  n  h  a  m.  In  dem  von  B  a  s- 
s  e  1 1  berichteten  Falle  zeigte  die  Au- 
topsie, dass  ein  Drittel  der  Plazenta 
gelöst  war  und  hinter  diesem  stark 
komprimierten  losgelösten  Teil  der 
Plazenta  hatten  sich  in  einem  ,,Cul  de 
sac"  genügend  Coagula  angesammelt, 
um  den  Tod  der  Frau  zu  verursachen. 
Die  Eihäute  waren  in  diesen  Fällen 
nicht  von  der   Uteruswand  losgelöst. 


In  den  meisten  Fällen  ist  die  Ablösung 
anfangs  eine  geringe,  die  klinischen 
Symptome  der  inneren  Blutung  nicht 
gefährlich,  doch  das  sich  bildende 
retroplazentare  Hämatom  löst  all- 
mählich eine  grössere  Fläche  los  und 
auf  diese  Weise  kann  es  in  kurzer  Zeit 
zur  totalen  Ablösung  des  Mutterku- 
chens kommen  oder  es  trennt  das  er- 
gossene Blut  nur  einen  Teil  der  Pla- 
zenta los,  drängt  sich  zwischen  Ei- 
häute und  Uteruswand,  wo  es  sich  an- 
sammelt, ohne  dass  aussen  auch  nur 
ein  Tropfen  Blut  sichtbar  wird.  Diese 
sind  die  Fälle  von  sogenannter  innerer 
,,concealed"-Blutung,  welche  am  häu- 
figsten im  Fundus  uteri,  als  dem  ge- 
wöhnlichen Sitz  der  normal  inserierten 
Plazenta,  zu  suchen  ist.  Ich  habe  in 
250  Fällen  52  von  rein  innerer  Blutung 
gefunden,  ungefähr  ein  Fünftel  aller 
Fälle,  G  o  o  d  e  1  1  berichtete  von  73  in 
106  Fällen.  In  der  grösseren  Anzahl 
der  Fälle  drängt  das  ergossene  Blut 
nach  aussen,  überwindet  den  intra- 
uterinen Druck  und  wird  in  den  äus- 
seren Genitalien  sichtbar.  Durch  das 
aussen  abfliessende  Blut  kann  natürli- 
cherweise nicht  auf  die  in  das  Innere 
des  Uterus  ergossene  Blutmenge  ge- 
schlossen werden,  die  Schwere  der  in- 
neren Blutung  kann  nur  durch  ihre 
Wirkung  auf  den  Gesammtorganismus 
beurteilt  werden.  Die  innere  Blutung 
kann  öfters  durch  den  Abgang  von 
Serum  oder  serosanguinolenter  Flüs- 
sigkeit erkannt  werden.  Auf  dieses 
Zeichen  hat  zuerst  der  ältere  Barnes 
aufmerksam  gemacht.  Das  ausge- 
presste  Serum  darf  nicht  mit  Liquor 
amnii  verwechselt  werden.  Dieser  Ab- 
fluss  von  Serum  bei  schwerer  innerer 
Blutung-  wird  in  den  Fällen  von  Hen- 
nig, Meyer,  Odebrecht,  S  i  m- 
m  o  n  s,  W  e  s  t  p  h  a  1  o  n  erwähnt. 
Selten  ist  die  rein  innere  Blutung  in 
jenen  Fällen  vorzeitiger  Ablösung  der 
normal  inserierten  Plazenta,  welche 
sich  während  der  Geburt  ereignen,  da 
die  Wehen  und  das  bereits  geöffnete 
Os  uteri  die  äussere  Blutung  begünsti- 


New    Yorker   Medizinische  Monatsschrift. 


141 


gen.  Von  29  Fällen,  in  welchen  die 
Ablösung  während  der  Geburt  statt- 
fand, waren  3  mit  gänzlich  innerer 
Blutung :  C  o  1  c  1  o  u  g  h,  J  a  r  d  i  n  e, 
S  c  h  u  h  1.  1 11  diesen  Fällen  stand  die 
Wasserblase  bis  zur  Geburt  des  Kin- 
des, ein  Beweis,  dass  die  Wasserblase 
einen  hemmenden  Einfluss  auf  die  in- 
nere Blutung  ausübt.  In  vielen  Fällen 
tritt  die  äussere  Blutung  erst  nach 
Sprengung  der  Blase  ein,  in  anderen 
Fällen  erst  nach  Zurückdrängen  des 
vorliegenden  Teiles,  der  nicht  selten 
die  innere  Blutung  fast  hermetisch  ab- 
schliesst.  Sehr  selten  ist  die  Blutung 
in  den  Fruchtsack,  welche  durch  das 
Einreissen  der  dem  übermässigen 
Druck  ausgesetzten  Eihäute  verursacht 
wird,  derartige  Fälle  wurden  4  be- 
schrieben :  Anderson,  Beck, 
Gottschalk,  S  c  h  u  h  1.  In  den 
von  Anderson  und  Beck  beschrie- 
benen Fällen  fehlt  die  Beschreibung 
des  Präparates.  Unter  normalen  Ver- 
hältnissen verursacht  ein  Bluterguss  in 
den  Uterus  Kontraktionen  (Wehen), 
die  Gebärmutter  sucht  sich  des  Fremd- 
körpers zu  entledigen.  Bei  der  vor- 
zeitigen Ablösung  der  Plazenta  scheint 
dieser  physiologische  Vorgang  nicht 
einzutreffen,  denn  fast  sämmtliche  Be- 
obachter berichten  einstimmig,  dass 
nach  Einsetzen  der  Ablösung  die  be- 
reits bestehenden  Wehen  nachgelassen 
oder  gänzlich  ausgesetzt  hätten,  und 
dass  der  Bluterguss  selbst  keine 
Wehen  ausgelöst.  Dieses  plötzliche 
Aussetzen  der  Wehen  wird  durch  die 
Ueberdehnung  der  Muskelfasern  des 
Uterus  erklärt.  Häufig  setzt  die  vor- 
zeitige Ablösung  mit  einem  heftigen 
Schmerz  ein,  62mal  wurde  dieses  be- 
obachtet. Die  Frauen  beschreiben  die- 
sen Schmerz  verschiedenartig,  „als 
wäre  etwas  gerissen  oder  es  wäre  et- 
was im  Leibe  heruntergefallen 
(dropped)".  Der  Schmerz  wird  am 
häufigsten  in  den  Fundus  verlegt, 
scheinbar  in  die  Gegend  des  normalen 
Sitzes  der  Plazenta.  Bald  nach  Ein- 
setzen der  Ablösung  klagen  die  Pa- 


tienten über  konstante  Schmerzen  im 
Leibe,  der  Uterus  vergrössert  sich  und 
mit  seiner  Vergrösserung  verschlim- 
mern sich  die  Schmerzen,  die  Span- 
nung wird  unerträglich,  die  Frau  hat 
das  Gefühl  des  Auseinanderreissens, 
des  Berstens.  Diesen  Schmerzen  fehlt 
jeder  wehenartige  Charakter,  sie  sind 
konstant,  manchmal  kolikartig  und  ha- 
ben nicht  den  geringsten  Einfluss  auf 
das  Os  uteri.  Eine  weitere  Folge  der 
Blutung  in  den  schwangeren  Uterus 
sind  die  Veränderungen  der  Gebär- 
mutter selbst,  ihre  Form,  Ausdehnung, 
Konsistenz,  ihre  Empfindlichkeit. 
Dieses  plötzliche  Grösserwerden,  diese 
ballonartige  Auftreibung  sind  patho- 
gnomonisch  und  fehlen  selten,  wenn 
nicht  sofort  nach  der  Ablösung  eine 
starke  Blutung  nach  aussen  erfolgt. 
Die  Ausdehnung  im  Längsdurchmes- 
ser kann  derartige  Dimensionen  an- 
nehmen, dass  dieselbe  der  Patientin 
schwere  Atembeschwerden  verur- 
sachen kann  (Beck,  Freuden- 
berg). Dieses  schnelle  Wachstum 
der  Gebärmutter,  das  sich  oft  unter 
den  Augen  des  Beobachters  vollzieht 
und  das  in  keinem  anderen  Zustande 
der  Pathologie  der  Geburt  gesehen 
wird,  sollte  einen  Irrtum  in  der  Dia- 
gnose ausschliessen.  Wird  aber  dieses 
plötzliche  pathologische  Wachstum 
der  Gebärmutter  von  dem  Geburtshel- 
fer nicht  bemerkt,  so  kann  dies  der  An- 
lass  zu  einem  anderen  Irrtum  werden, 
i.  e.  in  der  Bestimmung  des  Schwan- 
gerschaftsmonates, in  welchem  die  be- 
treffende Geburt  sich  befindet.  Be- 
kannt ist  der  Fall  von  Chevalier, 
der  eine  Sectio  caesarea  machte,  um 
einem  3  Monate  alten  Fötus  das  Leben 
zu  retten;  derartig  war  die  Gebärmut- 
ter mit  Blutmassen  angefüllt,  dass 
Chevalier  eine  Geburt  ,.ä  terme" 
erwartete.  J  a  g  g  a  r  d  beschreibt  ei- 
nen Fall,  in  welchem  die  Gebärmutter 
im  7.  Schwangerschaftsmonat  am 
Proc.  xiphoideus  stand,  ,,der  LJterus 
enthielt  3  Liter  Blut  und  Coagula". 
H  e  n  n  i  g   berichtet    einen  ähnlichen 


14-' 


New   Yorker   Medizinische  Monatsschrift. 


Fall.  Diese  Volumenzunahme  des 
Uterus  ändert  auch  seine  Form. 
Hörne  beschreibt  dieselbe  als  ,,ro- 
tund",  Jardine  oval,  Hennig  im 
Sagittaldurchmesser  vergrössert.  In- 
teressant und  von  diagnostischer 
Wichtigkeit  ist  das  Erscheinen  einer 
von  aussen  fühlbaren  Geschwulst  im 
Fundus  uteri,  welche  durch  das  hinter 
der  zentral  gelösten  Plazenta  und 
Uteruswand  angesammelte  Blut  verur- 
sacht wird.  Baudelocque  hat  auf 
diese  „Projektion"  als  diagnostisches 
Zeichen  zuerst  aufmerksam  gemacht. 
In  22  der  von  mir  gesammelten  Fälle 
ist  diese  Geschwulst  bemerkt  und  ge- 
nau beschrieben  worden.  A  t  c  h  i  s  o  n 
beschreibt  dieselbe  als  hart,  wie  ein  Fi- 
broid,  W  arren  spricht  von  einem 
,,bag",  der  die  linke  Fundushälfte 
durch  eine  Furche  in  2  Teile  geteilt, 
sobald  dieser  „bag"  (Sack)  geborsten, 
erfolgte  eine  Blutung  aus  den  äusseren 
Genitalien.  Diese  Geschwulstbildung 
im  Fundus  uteri  wird  am  häufigsten 
bei  der  sogenannten  inneren  Blutung 
beobachtet,  doch  kann  dieselbe  auch 
fortbestehen  (Coagula),  wenn  eine 
äussere  Blutung  eingetreten  ist.  Die 
Empfindung,  welche  uns  die  mit  Blut 
und  Fötus  im  Eisack  angefüllte  Gebär- 
mutter bei  der  Palpation  gibt,  ist  ver- 
schieden beschrieben  worden,  ,,  ge- 
spannt, hart  wie  Holz,  prall  elastisch 
wie  eine  Ovarialcyste,  aufgetrieben  wie 
ein  Ballon,  aufgespritzt"  (Winter). 
Die  Spannung,  welche  bis  zur  Entleer- 
ung des  Uterus  andauert,  bedingt  die 
enorme  Empfindlichkeit  und  Schmerz- 
haftigkeit  des  Organs  bei  der  leisesten 
Berührung.  Diese  Empfindlichkeit  der 
gespannten  Gebärmutter  zeigt  fast 
jede  Patientin,  es  sei  denn,  dass  sie  in 
tiefem  Kollaps  oder  in  vollständiger 
Apathie  sich  befindet,  und  wird  zu- 
rückgeführt auf  die  übermässige  Dehn- 
ung des  den  Uterus  deckenden  Peri- 
toneums, wo  K  o  u  w  e  r  kleine  Zer- 
reissungen  gefunden  hat. 

Eine  ähnliche  Beobachtung  machte 
L  e  L  o  r  i  e  r,  er  fand  das  Peritoneum 


an  einer  Stelle  des  Uterus  1 — 2  cm  ab- 
gehoben und  subperitoneale  Ekchy- 
mosen.  Die  durch  die  Blutung  in  den 
graviden  Uterus  verursachte  übermäs- 
sige Ausdehnung  und  Spannung  ma- 
chen uns  Schwierigkeiten  in  dem  Pal- 
pieren der  Kindesteile.  Fast  sämmt- 
liche  Beobachter  beschreiben  die 
Schwierigkeiten  in  der  genauen  Be- 
stimmung der  Lage  des  Kindes,  die 
sich  oft  nicht  einmal  annähernd  bestim- 
men Hess,  nachdem  die  Blutung  der 
vorzeitigen  Ablösung  der  Plazenta  ein- 
gesetzt hatte.  Diese  Schwierigkeit 
wird  noch  erhöht  durch  das  fast  gleich- 
zeitige Aufhören  der  kindlichen  Herz- 
töne. Ist  die  Blutung  langsam  und 
fortschreitend,  so  fühlt  die  Frau  zeit- 
weise noch  unregelmässige  Bewegun- 
gen des  Kindes,  die  bald  nachlassen 
um  gänzlich  aufzuhören.  Bei  der  in- 
neren Untersuchung  finden  wir  bei  der 
äusseren  Blutung  Coagula  in  der 
Scheide,  und  hat  die  Geburt  bereits  be- 
gonnen, auch  in  der  Portio  und  im  un- 
teren Uterinsegment.  Steht  die  Blase 
noch  bei  eröffneter  Cervix,  so  drängen 
sich  die  Eihäute  dem  untersuchenden 
Finger  entgegen  und  geben  das  Ge- 
fühl der  „Tenseness",  Straffheit,  be- 
sonders bei  schwerer  innerer  Blutung. 
Diese  Beobachtung  machte  zuerst 
Bruntons,  später  beschrieben  Ba- 
ker, Barnes,  Johnson  u.  A.  das- 
selbe diagnostische  Zeichen. 

Von  anderen  Symptomen,  welche  bei 
der  vorzeitigen  Ablösung  der  normal 
sitzenden  Plazenta  beobachtet  wurden, 
möchte  ich  noch  das  unstillbare  Er- 
brechen erwähnen,  Bluterbrechen  be- 
obachtete Gott  schalk,  eine  schwer.? 
Epistaxis  beschrieb  Hirigoyen. 

Diagnose. 

Differenzialdiagnostisch  kommen  bei 
der  vorzeitigen  Ablösung  der  Plazenta 
in  erster  Linie  Placenta  praevia  und 
Ruptura  uteri  in  Betracht.  Bei  der 
Placenta  praevia  finden  wir  bei  der  in- 
1  neren  Untersuchung  den  abnorm  in- 
s  Herten  Mutterkuchen  und  lassen  uns 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


143 


durch  vorliegende  Blutgerinnsel  nicht 
täuschen.  Die  Blutung  bei  Placenta 
praevia  erfolgt  ruckweise,  während  der 
Wehen,  bei  der  vorzeitigen  Ablösung 
des  Mutterkuchens  blutet  es  nach  aus- 
sen auch  in  der  Wehenpause.  Das  so- 
fortige Grösserwerden  des  Leibes, 
seine  ungewöhnliche  Schmerzhaftig- 
keit  bei  Berührung,  das  schnelle  Ein- 
setzen schweren  Kollapses  und  der 
Anämie,  die  Schwierigkeit  in  dem  Pal- 
pieren der  Kindesteile  und  der  kon- 
stante Blutabgang  sprechen  für  die 
vorzeitige  Ablösung  der  normal  in- 
serierten Plazenta. 

Die  Uterusruptur,  für  welche  sich 
fast  immer  eine  Ursache  nachweisen 
lässt,  ereignet  sich  am  häufigsten  wäh- 
rend der  Geburt,  während  starker 
Wehen.  Bei  der  Uterusruptur  tritt  das 
Kind  teilweise  oder  gänzlich  in  die 
Bauchhöhle  und  die  Kindesteile  sind 
unter  den  Bauchdecken  deutlicher  als 
im  Uterus  durchzufühlen,  der  übrige 
Teil  der  Gebärmutter  ist  kontrahiert, 
kleiner  und  der  vorliegende  Teil  ist 
zurückgewichen.  T  a  r  n  i  e  r  erwähnt 
als  diagnostisches  Merkmal  der  Rup- 
tura  uteri  eine  Depression  an  der  rup- 
turierten Stelle,  dieselbe  sei  oft  von 
aussen  sichtbar. 

Extrauterinschwangerschaft  und  Per- 
forationsperitonitis  können  durch  Pal- 
pation und  Perkussion  ausgeschlossen 
werden,  überdies  lässt  sich  ein  freier 
Erguss  in  der  Bauchhöhle  nachweisen. 
O  1  i  v  i  e  r  (30)  öffnete  die  Bauchhöhle 
auf  der  Suche  nach  einer  extrauterinen 
Schwangerschaft,  es  handelte  sich  um 
einen  Fall  vorzeitiger  Ablösung  der 
normal  inserierten  Plazenta. 

Häufigkeit. 

Die  Häufigkeit  der  vorzeitigen  Ab- 
lösung der  normal  inserierten  Plazenta 
ist  schwer  zu  bestimmen,  da  viele  Fälle 
erkannt,  viele  nicht  registriert  werden. 
Beruht  doch  jene  Statistik  der  Rotunda 
Dublin's,  nicht  einen  Fall  in  156,100 
Geburten,  sicherlich  auf  Irrtum,  um  so 
mehr  als  die  heutigen  Statistiken  von 


jener  bedeutenden  Entbindungsanstalt 
ganz  anders  lauten.  Kleine  Ablösun- 
gen vor  der  Geburt  des  Kindes  machen 
oft  keine  oder  wenige  klinische  Symp- 
tome, sind  ohne  nachteilige  Folgen  für 
Mutter  und  Kind,  nur  der  dem  Mutter- 
kuchen noch  anhaftenden  Blutklumpen 
zeugt  davon,  dass  ein  kleiner  Teil  der 
Plazenta  sich  in  utero  vor  der  Geburt 
des  Kindes  losgelöst  hatte.  Diese  klei- 
nen Ablösungen  wurden  schon  von 
Spiegelberg  (51)  beschrieben  und 
Brodhead  fand  in  1000  Geburten 
des  Sloane  Maternity  Hospitals  in  New 
York  7  mal  diese  kleine  ante-partum 
Lösungen,  welche  sich  als  kleine  Blut- 
klumpen in  der  Plazenta  documentier- 
ten,  in  den  Geburtsgeschichten  ver- 
zeichnet. 

FleetwoodChurchill(9)  hat 
163,738  Geburten  aus  verschiedenen 
Quellen  zusammengestellt  und  fand 
unter  diesen  218  Fälle  von  ,,accidental" 
und  261  „unavoidable"  hemorrhage. 
J.  W.  S  m  y  1  y  fand  in  6455  Geburten 
der  Rotunda  in  Dublin  aus  den  Jahren 
1889-1893  im  Ganzen  36  Fälle  vorzeiti- 
ger Ablösung  der  normal  inserierten 
Plazenta,  in  den  ersten  24  Fällen  nur 
9  schwere.  C  o  1  c  1  o  u  g  h's  Statistik 
aus  der  Rotunda  Dublin's  vom  Novem- 
ber 1896  bis  30.  November  1901  um- 
fasst  17,200  mit  83  Fällen  vorzeitiger 
Ablösung. 

Mdme.  Henry  berichtet  von  27 
Fällen  in  20,927  Geburten  der  Mater- 
nite  in  Paris.  G  a  1  a  b  i  n's  Statistik, 
zitiert  von  H  e  1 1  i  e  r  des  Guy  Hospital 
in  London,  umfasst  23,591  Geburten 
mit  31  vorzeitigen  Ablösungen.  Das 
Lying-in  Hospital  (10)  in  New  York 
hatte  in  10,000  Geburten  keinen  Fall. 
Das  Sloane  Maternity  Hospital  in  New 
York  (11)  in  5900  Geburten  57  Fälle. 
R  o  s  s  fand  in  8621  Geburten  des  St. 
Mary 's  Hospital  in  Manchester  34  die- 
ser Fälle.  R  i  h  1  hatte  3  Fälle  in  3024 
Entbindungen  seiner  Privatpraxis.  Im 
Ganzen  259,456  Geburten  mit  489  Fäl- 
len von  vorzeitiger  Ablösung  (0,018 
Prozent).    Die  grosse  Differenz  in  der 


144 


New    Yorker    Medizinische  Monatsschrift. 


Häufigkeit  der  Fälle  in  den  einzelnen 
Statistiken  erklärt  sich  dadurch,  dass 
manche  Geburtshelfer  leichte  Fälle  ig- 
norierten. 

Aetiologie. 

Blutungen  aus  den  weiblichen  Geni- 
talien in  Folge  von  Plazenta-  oder 
Deziduaerkrankung  sind  in  den  ersten 
Schwangerschaftsmonaten  nicht  selten, 
bei  weitem  seltener  sind  dieselben  in 
der  zweiten  Hälfte  der  Schwanger- 
schaft. Nach  Charles  Robi  n's 
(12)  Untersuchungen  soll  die  Plazenta 
im  vierten  Schwangerschaftsmonat  den 
höchsten  Grad  ihrer  Befestigung  an 
der  Uteruswand  erreichen,  nach  dieser 
Zeit  lockert  sich  allmählich  dieser  Halt 
und  zur  Zeit  der  Geburt  soll  nur  eine 
einzige  kräftige  Kontraktion  genügen, 
die  Plazenta  von  ihrer  normalen  Haft- 
fläche  zu  lösen.  Ob  heftige  Kontrak- 
tionen während  der  Schwangerschaft 
oder  vor  Ausstossen  des  Kindes  unter 
normalen  Verhältnissen  bei  gesundem 
Endometrium  und  intaktem  Ei  eine 
vorzeitige  Ablösung  der  normal  in- 
serierten Plazenta  herbeiführen  kön- 
nen, ist  mehr  als  zweifelhaft.  Täglich 
setzt  sich  die  schwangere  Frau  körper- 
lichen Insulten  aus,  welche  häufig 
starke  Uteruskontraktionen  d.  h. 
W ehen  auslösen,  doch  stets  passt  sich 
die  gesunde  Plazenta  der  Verkleiner- 
ung ihrer  Haftfläche  an  und  die 
Schwangerschaft  nimmt  ihren  norma- 
len Verlauf.  Anders  liegen  die  Ver- 
hältnisse, wenn  wir  es  mit  einem 
krankhaften  Mutterkuchen  zu  tun  ha- 
ben, das  kranke  Plazentargewebe  hat 
seine  Kontraktil  ität  eingebüsst,  bei 
Einwirkung  selbst  eines  leichten 
Reizes  oder  Traumas  folgt  die  Plazenta 
nicht  mehr  den  Kontraktionen  des 
Uterus,  sie  wird  brüchig,  es  kommt  zur 
Blutung  und  leicht  löst  sich  dann  der 
Mutterkuchen  los  durch  den  Druck  der 
hinter  seiner  uterinen  Fläche  angesam- 
melten Blutgerinnsel.  Ob  diese  retro- 
plazentare  Blutung  Kontraktionen  aus- 
löst, welche  den  Mutterkuchen  weiter 


von  seiner  Haftfläche  am  Uterus  los- 
trennen, ist  unwahrscheinlich,  indem 
mit  Einsetzen  der  Blutung  in  fast 
sämmtlichen  Fällen  vorzeitiger  Ablös- 
ung der  Plazenta  alle  uterine  Tätigkeit 
sistierte. 

Nicht  in  allen  Fällen  vorzeitiger  Ab- 
lösung der  normal  sitzenden  Plazenta 
ist  diese  krankhaft  gefunden  worden, 
es  gibt  eine  Anzahl  Fälle,  in  welchen 
trotz  sorgfältiger  Untersuchung  eine 
Erkrankung  des  Mutterkuchens  oder 
der  Dezidua  sich  nicht  hat  nachweisen 
lassen  und  deswegen  führt  S  e  i  t  z  (43) 
die  vorzeitige  Ablösung  auf  eine  Tox- 
inwirkung  zurück. 

Eine  häufige  Ursache  der  Plazenta- 
und  Deziduaerkrankung  ist  die  Ne- 
phritis, die,  wie  wir  ja  wissen,  zu  Blut- 
ungen neigt.  Der  Erste,  welcher  auf 
den  Zusammenhang  der  Nephritis  und 
der  vorzeitigen  Ablösung  der  normal 
inserierten  Plazenta  aufmerksam  ge- 
macht, war  Chantreuil  (13),  des- 
sen diesbezügliche  Beobachtung  6 
Jahre  später  von  Winter  (14)  und 
Fehling  (15)  bestätigt  wurden.  In 
der  deutschen  Literatur  werden  W  i  n- 
t  e  r,  in  der  englischen  Weathe  r- 
1  y  (16),  als  die  ersten  bezeichnet,  wel- 
che auf  diesen  Zusammenhang  der  Ne- 
phritis und  der  vorzeitigen  Ablösung 
der  Plazenta  aufmerksam  gemacht 
haben ;  es  sei  mir  deswegen  erlaubt, 
einen  diesbezüglichen  Passus  aus 
C  h  a  n  t  r  e  u  i  Ts  Arbeit  „Hemorrha- 
gies  uterines  et  placentaires  Hees  ä  l'al- 
buminurie",  im  Original  zu  bringen : 
..II  y  a  en  effet  pendant  la  grossesse, 
pendant  le  travail,  pendant  les  suites 
de  couches  des  metrorrhagies,  dont 
l'albuminurie  est  la  cause.  Si  l'epan- 
chement  sanguin  est  abondant,  s'il 
decolle  non  seulement  une  portion  du 
placenta,  mais  les  membranes  elles- 
memes  et  que  la  grossesse  se  trouve 
interrompue."  Wie  häufig  die  Nephri- 
tis die  Ursache  der  vorzeitigen  Ab- 
lösung der  Placenta  ist,  lässt  sich  nur 
schwer  statistisch  nachweisen,  in  vie- 
len Fällen  wird  nicht  an  Nephritis  ge- 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


145 


dacht,  besonders  wenn  ein  Trauma  der 
Ablösung  vorausgegangen.  In  nur  59 
von  250  Fällen  konnte  ich  eine  Urinun- 
tersuchung erwähnt  finden,  von  diesen 
59  litten  48  an  Nephritis,  darunter  6 
mit  Eklampsie,  Primparae  waren  18, 
multiparae  27,  bei  2  Frauen  fehlen  die 
diesbezüglichen  Angaben.  Ueber  die 
Hälfte  dieser  Frauen  befand  sich  im  8. 
und  9.  Schwangerschaftsmonat,  von  45 
Kindern  starben  40. 

Endometritis  ohne  Nephritis  wurde 
in  8  Fällen  gefunden.  No.  137,  161, 
164,  Endometritis  auf  gonorrhoischer 
Basis :  1  Fall.  Morbus  Basedowii 
zweimal,  in  einem  Falle  in  Verbindung 
mit  Albuminurie.  —  Lues  zweimal,  ein 
Fall  mit  Albuminurie.  —  Zwillinge 
dreimal,  zweimal  mit  Hydramnion. 
Auf  Intoxikation  führt  Gueri  n-V  a  1- 
m  a  1  in  einem  seiner  Fälle  die  vor- 
zeitige Ablösung  der  Plazenta  zurück. 
Die  Frau  hatte  während  der  Schwan- 
gerschaft einen  Ikterus,  welcher  auch 
den  Fötus  affiziert  hatte,  der  in  einem 
Zustande  der  „rigidite  cadaverique" 
geboren  wurde  und  dadurch  die  Ge- 
burt sehr  erschwerte.  Dieser  Zustand 
des  Fötus  wurde  auch  von  B  u  d  i  n(29) 
bei  der  vorzeitigen  Ablösung  der  nor- 
mal inserierten  Plazenta  beobachtet. 
Zweimal  ereignete  sich  die  Ablösung 
bei  künstlicher  Frühgeburt. 

Kürze  der  Nabelschnur  wurde  in  9 
Fällen  beobachtet,  mit  einer  Mortalität 
für  die  Mutter  von  22,2  Prozent,  für 
das  Kind  von  50  Prozent.  Hier  scheint 
die  Ablösung  auf  rein  mechanische 
Weise  zu  entstehen.  In  5  von  diesen 
9  Fällen  war  die  Nabelschnur  „abso- 
lut" zu  kurz,  in  4  relativ  (um  den 
Hals  geschlungen),  unter  den  ersteren 
waren  zweimal  Zwillinge.  Mauri- 
ceau  hat  zuerst  auf  die  Kürze  der 
Nabelschnur  als  Ursache  der  vorzeiti- 
gen Ablösung  aufmerksam  gemacht. 

Hämorrhagische  Diathese  wurde  ein 
Mal  beobachtet  von  de  Lee. 

Eine  weitere  Ursache  der  vorzeiti- 
gen Ablösung  der  normal  sitzenden 
Plazenta  ist  das  Trauma,  welches  die 


Uteruswand  direkt  trifft  oder  indirekt 
durch  Erschütterung  des  Körpers  oder 
durch  psychische  Erregung  auf  die- 
selbe einwirkt.  Ich  habe  55  derartige 
Fälle  gefunden,  mehr  als  ein  Fünftel 
särnrntlicher  Fälle,  doch  wird  zweifel- 
los die  traumatische  Entstehung  der 
vorzeitigen  Ablösung  der  Plazenta 
überschätzt,  indem  in  den  meisten  Fäl- 
len traumatischen  Ursprunges  nach 
keiner  weiteren  Ursache  gesucht  wor- 
den ist.  Eine  bereits  erkrankte  Pla- 
zenta kann  leicht  durch  ein  hinzu- 
tretendes Trauma  von  ihrer  Haftfläche 
losgelöst  werden,  doch  dann  war  be- 
reits eine  Vorbedingung  für  die  Ab- 
lösung geschaffen.  Hierher  gehören 
wohl  auch  die  von  Li  von  (17)  und 
Anderson  berichteten  Fälle  unstill- 
baren Erbrechens  und  des  Ptyalismus. 
Zweifellos  kann  das  Trauma  „pure  and 
simple"  eine  Plazentarlösung  veranlas- 
sen, dafür  gibt  es  eine  Reihe  gut  be- 
obachteter Fälle.  F.  v.  Winckel  (1) 
erlebte  einige  Fälle  vorzeitiger  Ablös- 
ung der  Plazenta  durch  Trauma 
stumpfer  Gewalt,  das  direkt  den  Un- 
terleib getroffen.  In  dem  von  E.  G. 
Barnes  berichteten  Falle,  der  zur 
Sektion  kam,  verursachte  das  direkte 
Trauma  (Fall)  auf  der  Bauchwand  und 
der  korrespondierenden  Stelle  am  Fun- 
dus uteri  eine  Ekchymose,  im  Innern 
der  Gebärmutter  war  an  derselben 
Stelle  ein  Lappen  der  Plazenta  losge- 
löst „aus  welchem  die  letale  Blutung 
erfolgte."  Uterus,  Fötus  und  Plazenta 
waren  gesund. 

Die  vorzeitige  Ablösung  der  normal 
sitzenden  Plazenta  trifft  die  Multipara 
häufiger  als  die  Primipara.  Von  204 
Fällen,  in  welchen  ich  eine  diesbezüg- 
liche Bemerkung  finden  konnte  waren: 

1  parae  50 

2  "  18 

3  "  15 
6  "  19 
5     "  7 

Mehr  als  5  Geburten  95 
Dieses   häufigere   Vorkommen  der 
vorzeitigen  Ablösung  der  Plazenta  bei 


146 


New   Yorker   Medizinische  Monatsschrift. 


der  Mehrgebärenden  soll  durch  die 
Schlaffheit  und  Nachgiebigkeit  der 
durch  die  häufigen  Schwangerschaften 
gedehnten  Uterus-  und  Bauchwand  be- 
dingt sein  ;  weiter  wird  auch  die  Häufig- 
keit der  Endometritis  und  Nephritis 
bei  der  Mehrgebärenden  dafür  verant- 
wortlich gemacht.  Der  Unterschied  zu 
Gunsten  der  Erstgebärenden  ist  unbe- 
deutend, wenn  wir  bedenken,  dass  die 
Erstgebärende  von  allen  Geburten  un- 
gefähr ein  Viertel  bis  zu  einem  Drittel 
liefert.  Fast  ein  Viertel,  24,5  Prozent, 
dieser  Fälle  vorzeitiger  Ablösung  der 
normal  inserierten  Plazenta  waren 
Primiparae,  folglich  ist  dieses  Ereignis 
bei  der  Primipara  keineswegs  so  selten, 
als  man  nach  früheren  Statistiken, 
G  o  o  d  e  1 1  12,5  Prozent,  annehmen 
sollte,  die  Primipara  wird  von  diesem 
Unfall  verhältnismässig  ebenso  häufig 
betroffen  als  die  Multipara. 

Wie  bereits  oben  erwähnt  trifft  die 
vorzeitige  Ablösung  die  Frau  am  häu- 
figsten gegen  das  Ende  der  normalen 
Schwangerschaft.  Von  206  Fällen 
ereignete  sich  die  Ablösung 

im  5.  Monat  in    4  Fällen 

"  6.      "  "  10  " 

"  7.      "  "  23  " 

"  8.      "  "  53  " 

«  9       «  "  92 

Während  der  Geburt  "  29  " 

Ueber  die  Hälfte  der  Ablösungen 
ereignete  sich  gegen  das  normale  Ende 
der  Schwangerschaft,  eine  Erschein- 
ung, die  wohl  für  die  Löslichkeit  der 
Plazenta  von  ihrer  Haftfläche  im 
Uterus  zu  dieser  Zeit  sprechen  dürfte ; 
so  kann  die  vorzeitige  Ablösung  noch 
eintreten,  wenn  der  Kopf  bereits  aus 
dem  Uterus  ausgetreten  tief  im  Becken 
steht,  wie  ein  Fall  von  Reynolds 
zeigt. 

Das  Alter  der  Frauen  war  in  167 
Fällen  angegeben : 

Unter  20  Jahren   .    5  Fälle 

Zwischen  20—30  Jahren  60  " 

Zwischen  30-^K)  Jahren  84  " 

Ueber  40  Jahre   18  " 


61  Prozent  der  Frauen  waren  über  30 
Jahre  alt. 

Dieser  scheinbare  Einfluss  des  Al- 
ters der  Frau  auf  die  vorzeitige  Ablös- 
ung der  normal  sitzenden  Plazenta 
kann  von  einer  grossen  Bedeutung 
sein,  wenn  wir  bedenken,  dass  von  50 
Primiparae  nur  8  (16  Prozent)  über  30 
Jahre  waren. 

In  204  Fällen  war  die  Lage  des  Kin- 
des angegeben : 

Schädellagen   183=89,7  Prozent 

Steisslagen    13=  6,3 

Schieflagen    3=  3,4  " 

Gesichtslagen   1=  0,48  " 

Prognose. 

Die  Prognose  der  vorzeitigen  Ablös- 
ung der  normal  sitzenden  Plazenta  hat 
sich  seit  früheren  Statistiken  für  Mut- 
ter und  Kind  gebessert,  von  248 
Frauen  starben  72=29  Prozent. 

Vergleichen  wir  mit  dieser  Good- 
e  1  l's  Statistik :  von  106  Frauen  star- 
ben 54=50,9  Prozent.  Auffallend  gün- 
stig wird  die  Statistik  für  die  Mutter 
in  den  Jahren  1900—1906;  von  73 
Frauen  starben  15=20,5  Prozent. 
Zweifellos  sind  diese  günstigen  Resul- 
tate auf  die  bessere  Diagnostik  und 
Therapie  zurückzuführen. 

Nicht  so  günstig  lauten  die  Resul- 
tate für  die  Kinder : 

Von  246  Kindern  waren  bei  der  Ge- 
burst  204  tot=82,9  Prozent,  42  lebten 
=  17,1  Prozent.  In  den  Jahren  1900— 
1906  starben  von  72  Kindern  57=79,1 
Prozent. 

Vergleichen  wir  mit  dieser  Good- 
e  1  l's  Statistik ;  von  107  Kindern  lebten 
6  bei  der  Geburt=5,6  Prozent,  tot  94,4 
Prozent. 

Von  172  Fällen,  in  welchen  die  Blut- 
ung sofort  oder  bald  nach  Einsetzen 
der  Ablösung  aussen  sichtbar  wurde, 
starben  47=27,3  Prozent.  Von  52  Fäl- 
len von  sogenannter  innerer  Blutung 
starben  21=40,4  Prozent,  die  rein  in- 
nere Blutung  ist  die  gefährlichere.  Die 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


Uz- 


Prognose  für  die  Mutter  in  jenen  Fäl- 
len vorzeitiger  Ablösung  der  normal 
inserierten  Plazenta,  welche  sich  wäh- 
rend der  Geburt  ereignen,  ist  schlech- 
ter als  die  Prognose  im  allgemeinen 
und  schlechter  als  in  den  Fällen  mit 
äusserer  Blutung.  Diese  Beobachtung 
differiert  mit  der  allgemeinen  An- 
nahme, da  die  Verhältnisse  während 
der  Geburt  wegen  der  Eröffnung  des 
Muttermundes  und  der  Wehentätig- 
keit günstiger  liegen. 

Von  29  Fällen  vorzeitiger  Ablösung 
während  der  Geburt 

lebten  20  Frauen  71,4  Prozent 

tot        8      "  28,5 
in  einem  Falle  fehlte  eine  diesbezüg- 
liche Angabe. 

Von  den  Kindern  lebten  11=40,7  Proz. 

tot  16=59,2  " 
in  2  Fällen  fehlt  die  Angabe. 

Zur  Erklärung  der  ungünstigeren 
Prognose  dieser  Fälle  fand  ich,  dass  in 
13  Beobachtungen  die  Plazenta  mit 
Einsetzen  des  Unfalles,  während  der 
normalen  Wehentätigkeit,  sich  total 
gelöst  hatte  und  die  Frau  durch  den 
enormen  Blutverlust  in  kurzer  Zeit  zu 
Grunde  ging.  Für  das  Kind  ist  in  die- 
sen Fällen  die  Prognose  besser,  be- 
dingt durch  die  schnellere  Entbindung. 
Spiegelberg  (S.  423)  sagt,  dass 
nach  totaler  Ablösung  der  Plazenta 
noch  nach  10  Minuten  ein  lebendes 
Kind  geboren  werden  kann. 

Wie  weit  die  partielle  Lösung  der 
Plazenta  das  Leben  des  Kindes  gefähr- 
det, darüber  fand  ich  folgende  Beob- 
achtungen. Suter  berichtet,  dass 
nur  ein  Sechstel  der  Plazentarfläche 
gelöst  war  und  doch  das  Kind  gleich 
abgestorben  ist.  Interessant  ist  die 
Beobachtung  von  Odebrecht.  Hier 
lebte  das  Kind  noch  fünf  Wochen  mit 
einer  zu  zwei  Fünfteln  gelösten  Pla- 
zenta und  in  der  36.  Schwangerschafts- 
woche wurde  ein  gesundes  und  gut 
entwickeltes  Kind  geboren.  Das  los- 
gelöste Stück  der  Plazenta  war  stark 
komprimiert.    Bei     W  i  1  1  i  e  n  lebte 


das  Kind  mit  einer  Plazenta,  welche 
ein  Drittel,  bei  Johnson  und  W  a- 
r  e  n  ein  Viertel  gelöst  war. 

Pathologie. 

Die  pathologischen  Veränderungen 
im  Uterus  und  in  der  Plazenta,  welche 
der  vorzeitigen  Ablösung  der  normal 
sitzenden  Plazenta  vorausgehen  und 
dieselbe  verursachen,  sind  noch  nicht 
genügend  gekannt.  Es  liegen  uns 
zwar  heute  eine  Anzahl  genauer  patho- 
logischer Untersuchungen  vor,  welche 
uns  zu  der  Annahme  berechtigen,  dass 
in  einer  grossen  Anzahl  Fälle  ein  di- 
rekter Zusammenhang  zwischen  der 
vorzeitigen  Plazentarlösung  und  Dezi- 
duaerkrankung  besteht,  doch  gibt  es 
Fälle,  in  welchen  trotz  genauer  Forsch- 
ung ein  solcher  Zusammenhang  nicht 
gefunden  werden  konnte.  Die  einzige 
Erkrankung,  von  der  wir  mit  Sicher- 
heit behaupten  können,  dass  sie  in  der 
Aetiologie  der  Erkrankung  der  Dezi- 
dua und  Plazenta,  folglich  in  der 
Pathologie  der  vorzeitigen  Ablösung 
der  normal  sitzenden  Plazenta  eine  be- 
deutende Rolle  spielt,  ist  die  Nephritis, 
doch  wird  diese,  wie  die  sog.  Schwan- 
gerschaftsniere nur  in  einer  gewissen 
Anzahl  der  Fälle  gefunden.  Schon 
Carl  Rokitansky  ( 18)  beschrieb 
Blutungen  und  Entzündungsprozesse 
mit  Bindegewebswucherungen  in  Pla- 
zenta und  Dezidua,  welche  das  Plazen- 
targewebe  „zertrümmern  bis  zur  Her- 
stellung von  Herden  mit  Loswühlung 
des  Kuchens  vom  Uterus".  Die  Ne- 
phritis verursacht,  wie  dies  v.  Weiss 
zuerst  ausführlich  beschrieben,  exsu- 
dative und  degenerative  Veränderun- 
gen in  der  Dezidua  mit  kleinzelliger 
Infiltration  in  das  Endometrium,  die 
Endometritis  decidualis.  Schick- 
ele  (19)  fand,  dass  die  Degeneration 
der  Deziduazellen  auf  eine  primäre 
Gefässerkrankung  in  Folge  der  Nephri- 
tis zurückzuführen  ist,  welche  durch 
häufige  Blutungen  die  Deziduazellen 
zum  Absterben  bringt  und  auf  diese 
Weise  oder  durch  die  Blutung  selbst 


148 


New    Yorker   Medizinische  Monatsschrift. 


mechanisch  die  Plazenta  von  ihrer 
Haftfläche  an  der  Uteruswand  loslöst. 
S  e  i  t  z  (20)  beschreibt  in  einem  seiner 
Fälle  eine  primäre  Endometritis  deci- 
dualis  mit  Rundzelleninfiltration  in  De- 
cidua  serotina  und  Zotten,  insbeson- 
dere um  die  thrombosierten  Gefässe, 
deren  Lumen  dadurch  verengt  und 
schliesslich  verödet  wird.  Diese  Ge- 
fässerkrankung  und  der  durch  die  Ne- 
phritis erhöhte  Blutdruck  verursachen 
die  Blutung  in  das  Gewebe,  die  Dezi- 
dualzellen degenerieren  und  es  kommt 
zur  Loslösung  der  Plazenta.  S  e  i  t  z 
fand,  wie  schon  vor  ihm  v.  Weiss, 
entzündliche  und  degenerative  Verän- 
derungen in  der  Muscularis  uteri.  Die- 
ser pathologische  Prozess  in  der  Mus- 
cularis uteri  war  in  zwei  Fällen  von  v. 
Weiss  (No.  237-238)  ohne  Nephritis 
vorhanden  und  derart  fortgeschritten, 
dass  der  Uterus  seine  Kontraktions- 
fähigkeit verloren  hatte,  eine  Frau 
durch  Atonia  uteri  sich  verblutete,  die 
andere  noch  durch  supravaginale  Am- 
putation gerettet  werden  konnte. 
Gottschalk  (21)  führt  ebenfalls 
die  vorzeitige  Ablösung  der  normal  sit 
zenden  Plazenta  auf  die  Veränderun- 
gen in  der  Decidua  basalis  zurück, 
deren  im  Blute  zirkulierende  Zerfalls- 
produkte die  Ablösung  der  Plazenta 
sowohl,  als  auch  jene  funktionelle  Stö- 
rung der  Niere,  die  Schwangerschafts- 
niere herbeiführen  könnte,  „beide  sind 
das  Produkt  desselben  pathologischen 
Prozesses".  Dass  die  Nephritis  nicht 
immer  diese  pathologischen  Veränder- 
ungen im  Gefolge  hat,  beweist  ein  wei- 
terer Fall  von  S  e  i  t  z,  der  wie  sein  er- 
ster Fall  sub  partu  an  vorzeitiger  Ab- 
lösung der  Plazenta  in  Eklampsie  mit 
hämorrhagischer  Nephritis  zu  Grunde 
ging.  In  diesem  zweiten  Falle  konnte 
S  e  i  t  z  weder  makroskopisch  noch  mi- 
kroskopisch andere  Veränderungen  an 
Dezidua  und  Nachgeburt  nachweisen, 
wie  wir  dieselben  von  diesen  Geweben 
in  der  letzten  Zeit  normaler  Schwan- 
gerschaft zu  sehen  gewohnt  sind.  Da 
in  diesem  Falle  auch  Mikroben  nicht 


nachzuweisen  waren,  so  glaubt  der 
Autor,  dass  die  oben  beschriebenen 
Veränderungen  in  Dezidua  und  Pla- 
zenta auf  chemisch-toxischem  Wege 
zu  Stande  gekommen  sind,  durch  die 
Toxine  des  Fötus.  Interessant  ist  nun, 
dass  auch  F  e  h  r  i  n  g  (22)  in  zwei 
Fällen  vorzeitiger  Ablösung  der  nor- 
mal inserierten  Plazenta,  von  denen 
der  eine  an  schwerer  Eklampsie  gelit- 
ten, der  andere  an  Oedemen,  keine  wei- 
teren Veränderungen  an  der  Plazenta 
linden  konnte,  anders  wie  wir  dieselben 
an  dieser  bei  vorgeschrittener  Schwan- 
gerschaft oder  zur  Zeit  der  Geburt  des 
Kindes  sehen. 

L  e  L  o  r  i  c  r  fand  in  einem  bei  einer 
Sectio  caesarea  wegen  vorzeitiger  Ab- 
lösung gewonnenen  Stück  Uterusmus- 
kulatur mikroskopisch  zahlreiche 
kleine  Blutextravasate,  welche  auf  der 
Oberfläche  des  Uterus  als  Ekchymosen 
sichtbar  waren,  weiter  nichts  Patholo- 
gisches. Maslowsky  beschreibt 
die  Veränderungen,  die  der  Gonokok- 
kus Neisser  in  der  Dezidua  hervorruft, 
die  Endometritis  decidualis  interstiti- 
alis  gonorrhoica,  welche  die  vorzeitige 
Ablösung  veranlasst  hatte. 

J.  Veit  erklärt  die  vorzeitige  Ab- 
lösung der  normal  sitzenden  Plazenta 
als  eine  Folge  der  Deportation  der 
Chorionzotten.  F.  Scheffer  (23^1 
versuchte  diese  Theorie  experimentell 
nachzuweisen.  Nach  Veit  verstopfen 
die  Chorionzotten  die  Deziduavenen, 
auf  diese  Art  kommt  es  zur  Stauung, 
Ruptur  der  Blutgefässe  und  vorzeiti- 
gen Ablösung  der  Plazenta.  Auch 
Veit  spricht  von  einer  primären  En- 
dometritis, welche  die  Aufnahme  der 
Zotten  in  den  Kreislauf  begünstigt  und 
auf  diese  Weise  die  Schwangerschafts- 
niere verursacht. 

Als  fettig  entartet  wurde  die  Pla- 
zenta in  8  Fällen  beschrieben.  J  a  g- 
gard  fand  in  einem  Falle  Echinokok- 
kus der  Plazenta,  C  o  e  eine  Verkalk- 
ung derselben.  Weisse  Infarkte  wur- 
den in  10  Fällen  beobachtet. 

(Schluss  folgt.) 


New    Yorker   Medizinische  Monatsschrift. 


Referate  und  Kritiken. 


Deutsches  Bäderbuch,  bearbeitet  unter 
Mitwirkung  des  Kaiserlichen  Ge- 
sundheitsamtes von  Dr.  F.  Him- 
stedt u.  a.  a.  CIV  und  536  Seiten 
mit  13  Tafeln  graphischer  Darstel- 
lungen von  Quellenanalysen,  einer 
Uebersichtskarte  und  der  H  e  1  1- 
m  a  n  n'schen  Regenkarte.  In  Ori- 
ginalleinenband 15  Mark.  Verlag 
von  J.  J.  W  e  b  e  r  in  Leipzig  1907. 

Unter  dem  Vorsitz  des  Kaiserlichen 
Gesundheitsamtes  hat  sich  eine  aus 
Gelehrten  und  Fachmännern  gebildete 
Kommission  zusammengefunden,  um 
den  deutschen  Aerzten,  Wissenschaft- 
lern und  Laien  mit  dem  Deutschen 
Bäderbuch  in  unparteischer,  nur  von 
wissenschaftlichen  Gesichtspunkten  ge- 
tragener Arbeit  eine  zuverlässige  Nach- 
schlagequelle über  Deutschlands  Heil- 
quellen, Seebäder  und  Luftkurorte  zu 
erschliessen.  Das  Werk  bildet  ein 
grundlegendes  Lexikon  der  deutschen 
Balneologie.  Es  gibt  in  zuverlässiger 
Weise  Auskunft  über  Lage  und  Klima, 
Heilquellen  und  sonstige  Kurmittel., 
hygienische  und  öffentliche  Einricht- 
ungen und  über  Verkehrsverhältnisse 
von  etwa  490  deutschen  Kurorten.  Um 
einen  Ueberblick  über  die  reichen 
Quellenschätze  im  Deutschen  Reich  zu 
geben,  haben  auch  solche  Mineralquel- 
len Aufnahme  gefunden,  die  nur  zu 
Versandzwecken  dienen  oder  z.  Z. 
überhaupt  nicht  ausgebeutet  werden. 
Rund  650  Quellenanalysen  gestatten 
dem  Arzt  eine  schnelle  und  sichere 
Orientierung  über  den  therapeutischen 
W  ert  der  Mineralquellen.  Ganz  beson- 
deren Wert  gewinnen  die  Analysen  da- 
durch, dass  sie  sämmlicht  in  einheitli- 
cher Form  dargestellt  sind,  wodurch 
eine  unmittelbare  Vergleichung  aller 
deutschen  Mineralquellen  ermöglicht 
wird.  Die  Neuberechnung,  bei  der 
möglichst  auf  die  Originalanalysen  zu- 
rückgegriffen worden  ist,  ist  auf  Grund 
der  neuen  chemischen  Anschauungen 
über  die  Natur  der  Salzlösungen 
(Ionentheorie)  erfolgt;  daneben  sind 
zur  Erleichterung  des  Verständnisses 
die  Analysen  auch  in  der  älteren  Form 
der  Darstellung,  und  zwar  wiederum 
in   einer   für   alle   Mineralquellen  ein- 


heitlichen Weise  wiedergegeben.  Mit 
Sorgfalt  sind  hierbei  alle  Zufälligkei- 
ten und  Fehler  ausgeschlossen  worden, 
die  den  früheren  Analysendarstellungen 
oft  anhafteten  und  bei  den  vielen  ver- 
schiedenen willkürlichen  Berechnungs- 
weisen auch  anhaften  mussten.  13  Ta- 
feln in  Buntdruck  veranschaulichen  die 
Zusammensetzung  jeder  einzelnen 
Quelle  und  erleichtern  damit  die  Ver- 
gleichung der  Quellen  untereinander. 

In  einer  Gesammteinleitung,  verfasst 
von  hervorragenden  Chemikern,  Kli- 
nikern, Pharmakologen,  Geologen,  Me- 
teorologen u.  s.  w.  wird  der  heutige 
wissenschaftliche  Stand  der  Balneolo- 
gie in  eingehender  Weise  erörtert  und 
klargelegt.  Ausserdem  geht  jeder 
Gruppe  der  Mineralquellen,  der  See- 
bäder und  der  klimatischen  Kurorte 
eine  kurze  Einleitung  voraus,  in  denen 
auch  der  praktische  Badearzt  zu  Worte 
kommt.  Eine  geographische  Ueber- 
sichtskarte und  eine  Regenkarte,  auf 
der  die  mittleren  jährlichen  Nieder- 
schlagshöhen veranschaulicht  sind, 
werden  eine  willkommene  Zugabe  die- 
ses Werkes  bilden. 

Bei  der  Sammlung  und  der  kritischen 
Prüfung  des  ungemein  umfangreichen 
Materials  ist  es  infolge  der  Mitarbeit 
des  Kaiserlichen  Gesundheitsamts 
möglich  gewesen,  nicht  nur  die  Quel- 
len- und  Kurverwaltungen,  sondern 
auch  Behörden,  meteorologische  Zen- 
tralinstitute und  zahlreiche  geologische 
Sachverständige  zu  Rate  zu  ziehen,  so- 
dass der  erreichbare  Grad  von  Zuver- 
lässigkeit der  Angaben  gesichert  er- 
scheint. Insbesondere  liegt  hier  zum 
erstenmale  ein  rein  wissenschaftliches 
Bäderbuch  vor,  das  von  Empfehlungen 
und  Anpreisungen  gänzlich  frei  ist. 

Da  die  Mitglieder  der  Kommission 
die  mehrjährige  Arbeit  sämmtlich 
ehrenamtlich  übernommen  haben, 
wurde  es  möglich,  den  Preis  des  Wer- 
kes, besonders  im  Vergleich  zu  ande- 
ren wissenschaftlichen  Büchern  und 
trotz  solider  und  reicher  Ausstattung, 
doch  mässig  zu  gestalten.  Eine  viel- 
fach empfundene  Lücke  wird  durch 
das  „Deutsche  Bäderbuch",  wie  es  in 
ähnlicher  Art  und  in  ähnlichem  Um- 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


fang  noch  kein  anderes  Land  besitzt, 
ausgefüllt  und  Deutschlands  Wissen- 
schaft auch  in  dieser  Richtung  an  die 
führende  Stelle  gesetzt. 

Bäder-Album  der  Königlich  Preussi- 
schen     Domänen-Verwaltung  im 
Auftrage  des  Herrn  Ministers  für 
Landwirtschaft,  Domänen  und  For- 
sten beschrieben  von  Badeinspektor 
Dr.  Stern,  Langenschwalbach. 
Das  im  Auftrage   der  preussischen 
Regierung  herausgegebene  Bäder-Al- 
bum darf  sowohl  was  Inhalt  wie  Aus- 
stattung anbelangt  als  Prachtwerk  be- 
trachtet   werden.     Beschrieben  sind 
die    Bäder    Ems,  Langenschwalbach, 
Schlangenbad,    Weilbach,  Niedersel- 
ters,   Fachingen,    Geilnau,  Nenndorf, 
Rehburg  und  Norderney.    Es  finden 
sich  eingehende  Schilderungen  der  kli- 


matischen Verhältnisse  der  betreffen- 
den Badeorte,  der  zur  Verfügung  steh- 
enden Kurmittel  (Trinkquellen,  In- 
halationseinrichtungen, Bäder,  Einrich- 
tungen für  Hydrotherapie,  Flussbäder, 
Molken-,  Kefir-  und  Milchkur)  sowie 
deren  Wirkungen  und  Indikationen. 
Ferner  sind  in  dem  Buche  genaue  An- 
gaben über  die  wirtschaftlichen  Ver- 
hältnisse, Reisegelegenheiten,  Wohn- 
ungsverhältnisse, Kurtaxen,  Vergnüg- 
ungen, Spaziergänge  und  Ausflüge  etc. 
enthalten.  Kurzum  das  vorliegende 
I  läder-Album  bietet  die  denkbar  best- 
möglichsten Auskünfte  über  die  schon 
längst  weltberühmten  oben  genannten 
Bäder.  Ausgezeichnete  Abbildungen 
und  farbige  Illustrationen  nach  Gemäl- 
den von  Gescheidel,  Günther  und  v. 
Wedel  ergänzen  den  Text. 


Sitzungsberichte 


Deutsche  Medizinische  Gese 

Sitzung  vom  6.  Mai  1907. 

Präsident  Dr.  Carl  Beck  eröffnet 
die  Sitzung  um  halb  9  Uhr. 

Sekretär  Dr.  John  A.  Beuer- 
m  a  n  n  verliest  das  Protokoll  der  regel- 
mässigen Sitzung  vom  1.  April  sowie 
das  der  ausserordentlichen  Sitzung 
vom  15.  April.  Beide  Protokolle  wer- 
den genehmigt. 

Tagesordnung. 

1)  Vorstellung  von  Patienten,  De- 
monstration von  Präparaten,  Instru- 
menten u.  s.  w. 

Dr.  Carl  Beck  (Patientin  vorstel- 
lend) : 

Die  Röntgentherapie  kann  unsere 
erprobte  chirurgische  Dynamik  nur 
ausnahmsweise  ersetzen.  In  den  mei- 
sten Fällen  fällt  ihr  nur  eine  aushilfs- 
weise oder  mitwirkende  Bedeutung  zu. 

Dieselbe  kann  allerdings  von  vitaler 
Wichtigkeit  sein,  im  grossen  und  gan- 
zen aber  ist  ihr  die  moderne  Technik 
der  ausgiebigen  Exstirpation  des  Brut- 
ortes  überlegen.    Je    mehr  malignes 


chaft  der  Stadt  New  York. 

Gewebe  entfernt  wird,  desto  mehr  trei- 
bende Momente  zum  Rezidiv  werden 
eliminiert.  Ferner  sind  die  verbleiben- 
den Deckgewebe  leichter  durchdring- 
bar, sodass  einzelne  erratische  Zellen 
der  postoperativen  Röntgenbehand- 
lung um  so  leichter  erreichbar  sind. 

Also  nicht:  Hie  Skalpell,  hie  Rönt- 
genbehandlung! sondern  Arm  in  Arm 
sollen  die  beiden  Methoden  mit  einan- 
der gehen  und  sich  gegenseitig  er- 
gänzen. Verfolgen  wir  dieses  Prinzip, 
so  können  wir  bei  bösartigen  Neoplas- 
men unsere  Indikationen  viel  weitge- 
hender stellen  als  früher. 

Ich  habe,  seit  ich  die  Freude  hatte, 
Ihnen  vor  genau  sechs  Jahren  den  er- 
sten Fall  eines  mit  Röntgenstrahlen 
behandelten  Sarkoms  vorzustellen,  wie- 
derholt Gelegenheit  gefunden,  Ihnen 
Patienten  vorzuführen  welche  durch 
die  Röntgenbehandlung  geheilt  wur- 
den. Ich  habe  Ihnen  aber  auch  zu- 
gleich von  einer  grösseren  Zahl  malig- 
ner Fälle  berichtet,  welche  durch  diese 
Art  der  Therapie  nicht  im  geringsten 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


151 


beeinnusst  wurden.  Ja,  bei  einigen 
schien  sie  den  Zerstörungsprozess  ge- 
rade zu  beschleunigen.  Bei  dem  ge- 
genwärtigen Stande  unseres  Wissens 
ist  es  unmöglich,  das  Warum  dieses 
ausserordentlichen  Phänomens  zu  be- 
antworten. Die  Verschiedenheit  der 
Wirkung  wird  wohl  zumeist  im  Ver- 
hältnis zu  der  verschiedenartigen  Tex- 
tur der  Geschwulsttypen  stehen.  Das 
Punctum  saliens  ist  uns  aber  noch  ein 
X,  wie  die  Strahlen  selbst.  Das  Wesen 
der  von  mir  befolgten  Methode  fusst 
also  auf  folgenden  Prinzipien: 

1)  Möglichst  ausgedehnte  Exstirpa- 
tion  der  malignen  Neubildung  mit  An- 
strebung der  prima  intentio.  Bei  gros- 
sen Defekten  möglichste  Deckung 
durch  gleichzeitige  sorgfältige  Plastik. 
Nach  Verlauf  einer  Woche  intensive 
Röntgenbestrahlung  in  2tägigen  Inter- 
vallen bis  zur  Reaktion. 

2)  Bei  vorgeschrittenen  Neubildun- 
gen, wie  wir  sie  speziell  öfter  beim 
Karzinom  der  Brust  finden,  ist  der  ge- 
schaffene Defekt  offen  zu  belassen  so 
dass  gleich  nach  der  Operation  täglich 
bestrahlt  werden  kann.  Nach  einer 
Woche  sind  die  Ränder  dann  durch  die 
sekundäre  Naht  (Seide)  zu  vereinigen. 

3)  Im  Anfang  ist  die  Bestrahlung 
stets  in  Verbindung  mit  Diaphragma 
vorzunehmen,  da  die  W  irkung  auf  den 
ursprünglichen  Heerd  viel  intensiver 
ist.  Später  ist  es  vorzuziehen  einen 
möglichst  grossen  Radius  der  Um- 
gebung zu  bestrahlen,  also  ohne  abzu- 
decken. 

Auch  bei  kleinen  Epitheliomen  halte 
ich  die  primäre  Exstirpation  für  das 
geeignetere  Verfahren,  obgleich  ich 
mich  widerholt  überzeugte,  dass  die 
meisten  derselben  auch  durch  einfache 
Bestrahlung  heilten.  Eine  Ausnahme 
mache  ich  nur  bei  solchen  Gebilden 
welche  sich  in  unmittelbarer  Nähe  des 
Auges  befinden,  da  wir  hier  ein  sehr 
viel  besseres  kosmetisches  Resultat 
durch  die  Strahlenbehandlung  allein 
erreichen. 

Die  Reaktion  halte  ich  für  eine  Con- 
ditio sine  qua  non  bei  der  Röntgenbe- 
handlung. Ich  habe  tatsächlich  nie 
eine  Heilung  eines  malignen  Prozesses 
eintreten  sehen,  wo  keine  Reaktion 
vorausgegangen  war.  Dieselbe  scheint 


mir  durchaus  essentiell  für  den  Erfolg 
zu  sein.  Man  muss  diese  Erwägungen 
dem  Kranken  von  vornherein  klar 
machen  und  ihm  vorstellen,  dass  es 
sich  nicht  um  eine  unschuldige  Haut- 
affektion handelt,  welche  man  mit  ho- 
möopathischen Röntgendosen  behan- 
deln darf.  Auf  Spatzen  schiesst  man 
nicht  mit  Kanonenkugeln.  Wo  es  sich 
aber  um  formidable  Feinde  handelt,  da 
sind  auch  eindringliche  Repressalien 
angezeigt.  Beherzigt  der  Patient  diese 
so  überaus  verständliche  Tatsache,  so 
ist  er  weit  entfernt,  den  Operateur  zu 
tadeln,  wenn  die  Haut  zu  jucken  be- 
ginnt und  die  bestrahlte  Zone  sich 
rötet,  er  freut  sich  im  Gegenteil  darauf. 
Hat  man  aber  im  Tone  gottähnlicher 
Infallibilität  dem  Patienten  auf  seine 
Frage,  ob  keine  Verbrennung  zu  fürch- 
ten sei,  hochtrabend  erwidert,  dass  ein 
derartiges  Malheur  ausgeschlossen 
wäre,  so  nimmt  das  Opfer  im  Fall  einer 
Verbrennung  mit  Recht  an,  dass  es  mit 
der  Gottähnlichkeit  nicht  weit  her  sei. 
Mit  dem  einfachen  Zugeständniss  eige- 
ner Unvollkommenheit  sowohl  als  der 
des  Verfahrens  kommt  man  auch  bei 
dieser  Art  Routine  am  weitesten. 

Wie  oben  angedeutet,  sind  es  heute 
gerade  sech  Jahre,  dass  ich  Ihnen  ei- 
nen 36jährigen  Küfer  vorstellte,  des- 
sen Knöchelsarkom  unter  dem  Einfluss 
der  Röntgenbehandlung  geheilt  war. 
Patient  erlag  mehrere  Monate  später 
einer  Metastase  des  Unterleibs  (siehe 
„Münchener  Medizinische  Wochen- 
schrift," No.  32,  1901). 

Ich  darf  Ihnen  auch  wohl  in's  Ge- 
dächtnis zurückrufen,  dass  ich  Ihnen 
vor  fünf  Jahren  die  Gattin  eines  Kol- 
legen vorführte,  welche  ich  wegen  ei- 
nes ausgedehnten  Sarkoms  der  Orbita 
operierte  und  kurz  darauf  mit  Rönt- 
genstrahlen behandelte.  Nach  einer 
intensiven  Reaktion  verschwand  ein 
beginnendes  Rezidiv  und  ist  Pat.  bis 
auf  den  heutigen  Tag  gesund  geblie- 
ben. Nur  verspürt  Pat.  von  Zeit  zu 
Zeit  erhebliches  Spannungsgefühl  in 
den  vernarbten  Bezirken. 

Heute  erlaube  ich  mir,  einen  Fall 
von  Fibrosarkom  des  Fussrückens  vor- 
zustellen, dessen  Heilungsprozess  ei- 
nige höchst  bemerkenswerte  Punkte 
bietet.    Pat.,  ein  16jähriges  Mädchen, 


New  Yorker  Medizi 


nische  Monatsschrift. 


erkrankte  vor  zehn  Monaten  an  einer 
warzenförmigen  Wucherung  der  Haut 
über  dem  rechten  Metatarsophalange- 
algelenk  der  vierten  Zehe.  Nach  einem 
Monat,  als  die  Neubildung  die  Grösse 
eines  Pfennigs  erreicht  hatte,  begann 
die  Oberfläche  zu  ulzerieren.  Gleich- 
zeitig nahm  die  Geschwulst  beständig 
zu,  bis  sie  gegen  Weihnachten  1906  die 
Dimensionen  eines  massig  grossen 
Apfels  erreichte. 

Vor  wenigen  Jahren  würde  ich  ohne 
weiteres  auf  der  Absetzung  der  Glied- 
masse bestanden  haben.  Unter  dem 
neuen  Regime  aber  hielt  ich  einen  Ver- 
such mit  der  Kombinationsmethode 
für  gerechtfertigt.  Ich  exstirpierte 
demgemäss  (St.  Mark's  Hospital)  die 
Geschwulst  weit  im  Gesunden,  sodass 
ein  ansehnlicher  Defekt  zurückblieb, 
den  ich  durch  eine  Plastik  aus  der 
Fussrückenhaut  kaum  zur  Hälfte 
decken  konnte.  Ich  musste  mich  also 
damit  bescheiden,  den  Rest  durch 
Granulation  heilen  zu  lassen.  Die  lo- 
kale Behandlung  bestand  in  der  Appli- 
kation eines  feuchten  Sublimatverban- 
des.   Innerlich  Roncegnowasser. 

Nach  drei  Wochen  begannen  grau- 
gelbe, leicht  blutende  Granulationen 
aufzuschiessen,  deren  üppige  Wucher- 
ung auch  durch  Chlorzink  nicht  hint- 
angehalten werden  konnte,  sodass 
ich  sie  mittelst  scharfen  Löffels  ent- 
fernte. Die  trüben  Aussichten  auf  ein 
baldiges  Rezidiv  Hessen  mich  schon  an 
eine  Amputation  denken,  als  ich  den 
Entschluss  fasste,  den  weiteren  Wund- 
verlauf nicht  erst  abzuwarten,  sondern 
sofort  mit  intensiver  Röntgenbehand- 
lung zu  beginnen.  Es  wurde  nunmehr 
jeden  zweiten  Tag  10  Minuten  lang 
bestrahlt  bis  nach  der  siebten  Sitzung 
ein  Erythem  entstand.  Nunmehr 
wurde  statt  des  bisher  fortgeführten 
Sublimatverbandes  Dermatollanolin 
appliziert.  Die  Heilung  vollzog  sich 
innerhalb  weiterer  drei  Wochen.  Seit 
vier  Monaten  besteht  nun  die  Ver- 
narbung unverändert.  Das  Allgemein- 
befinden der  zuerst  leicht  kachekti- 
schen  Patientin  ist  vortrefflich. 

Die  Untersuchung  des  Tumors 
durch  Herrn  Professor  Buxton  er- 
gab grosse  Spindelzellen  mit  wenig 
Protoplasma  (Kernfasern).  Die  Struk- 


tur der  Neubildung  war  derb.  Sie 
liess  sich  schwer  von  der  Faszie  los- 
schälen. 

Als  wichtigste  Beobachtung  in  die- 
sem Falle  erscheint  mir  die  prompte 
Unterdrückung  der  Wiederkehr  der 
Granulationsmassen,  welche  sich  übri- 
gens ebenfalls  als  sarkomatös  erwie- 
sen, nach  der  Bestrahlung.  Sie  deutet 
an,  dass  man  möglichst  bald  nach  der 
Operation,  namentlich  da,  wo  man 
keine  prima  intentio  erreichen  kann, 
sofort  mit  der  Röntgenbehandlung  be- 
ginnen soll,  anstatt  erst  die  völlige 
Verwachsung  der  Wundränder  abzu- 
warten. 

Eine  höchst  eklatante  Illustration 
der  Nützlichkeit  einer  weitgehenden 
Kombination  liefert  der  Fall  eines 
15jährigen  Mädchens,  welches  vor 
mehr  als  einem  Jahr  an  einer  drüsen- 
artigen Anschwellung  unterhalb  des 
linken  (  )hres  erkrankte,  welches  sich 
allmählig  unter  stellenweisem  Zerfall 
über  Gesicht  und  Hals  verbreitete  und 
schliesslich  das  Ohrläppchen  zerstörte. 
Die  Diagnose  wurde  ursprünglich  auf 
Sarkom  gestellt,  obgleich  die  mikro- 
skopische Untersuchung  kein  klares 
Bild  gab.  Nach  ausgedehnter  Exstir- 
pation  in  einer  Nachbarstadt  trat  bin- 
nen kurzem  ein  Rezidiv  ein.  Nunmehr 
Verdacht  auf  Lues,  obgleich  die  Kran- 
kengeschichte nicht  den  geringsten 
Anhalt  lieferte.  Demgemäss  Jodkali- 
behandlung. Die  Zerstörung  schritt 
aber  unaufhaltsam  fort.  Zwei  Monate 
nach  der  Operation  wurde  mir  die  Be- 
handlung des  Falles  übertragen.  Wie 
es  das  vorliegende,  zu  jener  Zeit  ge- 
nommene Bild  andeutet,  entsprach  die 
Grösse  des  flachen  ulzerierenden  Tu- 
mors der  Hand  eines  Erwachsenen. 
In  seiner  Mitte  befanden  sich  graurote 
sklerotische  Bindegewebsstränge  zwi- 
schen Geschwürskratern,  deren  Basis 
mit  nekrotischen  Fetzen  durchsetzt 
war.  Die  Geschwulstränder  waren 
ödematös.  Das  charakteristische  Bild 
des  Gummas  fehlte.  Die  mikroskopi- 
sche Untersuchung  zeigte  neben  deut- 
lichem Granulationsgewebe  unklare 
Gebilde,  welche  man  bei  oberflächlicher 
Betrachtung  als  kleine  Rundzellen 
hätte  auffassen  können.  Im  ganzen 
also  ein  vorworrenes  Bild.  Trotzdem 


Jew  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


153 


verordnete  ich  nach  dem  alten  löbli- 
chen Grundsatz  Ex  juvantibus  et  no- 
centibus  eine  Jodkalimerknrialkur  und 
begnügte  mich  vorläufig',  soweit  die 
operative  Indikation  in  Frage  kam,  mit 
der  Ausschabung  der  zerfallenen  Ge- 
webe. Zugleich  aber  began  ich  die 
Röntgenbehandlung  mittelst  Dia- 
phragmas. 

Innerhalb  zweier  Monate,  während 
dem  mit  kurzer  Unterbrechung  nach 
mässiger  Reaktion  intensiv  bestrahlt 
wurde,  trat  völlige  Vernarbung  ein. 
Es  war  wunderbar  zu  beobachten,  dass 
während  die  frühere  tadellose  chirur- 
gische Behandlung  in  Verbindung  mit 
der  spezifischen  Therapie  keinen  Er- 
folg aufwies,  ein  sofortiger  Um- 
schwung eintrat,  als  zu  derselben  Be- 
handlungsart die  Röntgenbehandlung 
entscheidend  als  Tertium  hinzutrat. 

Patient  erfreut  sich  heute  der  besten 
Gesundheit.  Die  weitere  Beobachtung 
wird  wohl  mehr  ätiologische  Klarheit 
bringen.  Ich  nehme  an,  dass  es  sich 
um  einen  eigentümlichen  Fall  von 
hereditärer  Lues  handelt  und  dass  die 
spezifische  Wirkung  der  Röntgen- 
strahlen die  sklerotischen  Gewebspar- 
tien  zur  Auflockerung  brachte. 

Ich  möchte  bei  dieser  Gelegenheit 
abermals  betonen,  dass  ich  den  Ge- 
brauch des  Diaphragmas  bei  der  Rönt- 
genbehandlung für  wesentlich  halte, 
wo  immer  eine  intensive  Wirkung  er- 
zielt werden  soll.  In  demselben  Masse, 
wie  wir  zu  diagnostischen  Zwecken 
ein  deutlicheres  Bild  auf  der  Platte  er- 
zielen wenn  wir  die  vagabundierenden 
Strahlen  abhalten,  erhöhen  wir  auch 
die  Energieabgabe  an  die  Gewebe  bei 
der  therapeutischen  Durchstrahlung. 
Dies  gilt  nicht  blos  für  die  Fälle  von 
der  Natur  der  oben  geschilderten,  also 
in  prophylaktischem  Sinne,  sondern 
auch  bei  Rezidiven  oder  bei  inopera- 
blen Neoplasmen.  Sobald  eine  regres- 
sive Metamorphose  bemerkbar  ist,  em- 
pfiehlt es  sich  dann  ein  grösseres  Ter- 
ritorium zu  bestreichen. 

Diskussion.  Dr.  Leonard  W  e- 
ber:  Ich  möchte  Herrn  Dr.  Beck 
fragen,  was  er  über  die  mixed  toxins 
von  Dr.  C  o  1  e  y  erfahren  hat.  Coley 
hatte  sie  eine  Zeit  lang  aufgegeben, 
soll  aber  jetzt  4  Fälle  haben,  die  er  mit 


mixed  toxins  erfolgreich  behandelt 
hat.  Er  hat  dieselben  bereits  vorge- 
stellt oder  wird  sie  nächstens  vor- 
stellen. 

Dr.  Carl  Beck:  Ich  habe  mich 
viel  mit  dieser  Frage  beschäftigt.  Wie- 
derholt hatte  ich  Gelegenheit,  Fälle  zu 
beobachten,  welche  teils  von  mir  teils 
von  Herrn  Kollegen  Coley  behan- 
delt wurden  und  über  die  mir  derselbe 
in  freundlicher  Weise  berichtete.  Lei- 
der ist  bei  keinem  der  betr.  Patienten 
Heilung  eingetreten.  Trotzdem  bin 
ich  überzeugt,  dass  die  Coley 'sehe  Tox- 
inbehandlung  ab  und  zu  erfolgreich 
ist.  Die  Zahl  der  Heilungen  ist  aber 
gering.  Es  scheint,  dass  im  Verein 
mit  der  Röntgenbehandlung  die  Toxin - 
behandlung  sich  etwas  kraftvoller  er- 
weist, So  viel  ich  weiss,  arbeitet  Kol- 
lege Coley  auch  nach  dieser  Rich- 
tung hin.  Trotz  meiner  eigenen  un- 
günstigen Erfahrungen,  würde  ich  es 
doch  immer  wieder  für  meine  Pflicht 
halten,  in  geeigneten  Fällen  die  Toxine 
zu  versuchen.  Wäre  z.  B.  in  meinem 
Falle  keine  Heilung  oder  Besserung 
eingetreten,  so  hätte  ich  sie  ange- 
wandt. 

3)  Abstimmung  über  den  Kandida- 
ten. 

Präsident  Dr.  Carl  Beck  teil  mit, 
dass  die  Abstimmung  die  Aufnahme 
des  Kandidaten  Dr.  John  Alfred 
Heim  ergeben  habe,  und  fährt  fort: 
Ich  habe  Ihnen  noch  die  traurige  Mit- 
teilung zu  machen,  dass  unser  Mit- 
glied Dr.  Leo  Rosenberg  am  20. 
März  gestorben  ist,  und  fordere  Sie 
auf,  sich  zu  seinem  Andenken  zu  er- 
heben. 

Die  Versammlung  erhebt  sich. 
3)  Vorträge. 

a)  Nachruf  über  E.  von  Bergmann. 

1)  Dr.  Carl  Beck:  E.  von  Berg- 
mann als  Mensch. 

2)  Dr.  M.  Reich:  Die  Bedeutung 
E.  von  Bergmann  als  Chirurg. 

b)  Dr.  C.  R.  Keppler:  Massage 
und  Heilgymnastik  in  der  Behandlung 
der  Hemiplegie. 

c)  Dr.  E.  Danziger:  Die  Man- 
deln und  ihre  Bedeutung  für  die  Ent- 
wicklung der  Tuberkulose. 

(Der  Vortrag  ist  in  der  Juli  Num- 


154 


New    Yorker    Medizinische  Monatsschrift. 


mer  ds.  Monatsschrift  als  Originalar- 
beit erschienen.) 

Diskussion.  Dr.  Rotte  nberg: 
Dass  die  Mandeln  eine  primäre  Infek- 
tion für  Tuberkulose  bilden,  ist  so  all- 
gemein bekannt,  dass  jeder  praktische 
Arzt,  wenn  er  eine  einfache  Tonsilitis 
bei  seinem  Patienten  sieht,  sehr  vor- 
sichtig sein  muss,  dass  da  nicht  eine 
andere  Infektion  stattfinde.  Wir  wis- 
sen, dass  in  der  letzten  Zeit  der  Tonsi- 
litis mehr  Bedeutung  beigelegt  wird 
als  in  früheren  Jahren  geschehen  ist. 
Wenigstens  bin  ich  in  meiner  Praxis 
sehr  behutsam,  wenn  ich  auch  einfache 
Tonsilitis  erblicke,  und  ich  erinnere 
mich  lebhaft  des  kleinen  Kindes  eines 
Kollegen,  wo  eine  einfache  Tonsilitis 
stattfand  und  ich  die  Mutter  aufmerk- 
sam machte,  dass  sie  nicht  so  leicht 
darüber  hinweggehen  solle.  Nach  ei- 
nigen Tagen  stellte  sich  eine  Lungen- 
entzündung ein  und  infolge  der  Lun- 
genentzündung ein  Empyem,  welches 
auf  tuberkulöser  Basis  stattfand.  Das 
Kind  wurde  operiert,  das  Empyem 
wurde  bakteriologisch  untersucht,  und 
es  wurden  viele  Tuberkelbazillen  ge- 
funden. Das  Kind  starb  auch  später, 
und  die  Autopsie  hatte  eine  Tuberku- 
lose der  Tonsillen  gezeigt.  Ich  glaube, 
dass  wir  mehr  primäre  Tuberkulose  in 
den  Mandeln  finden,  als  Kollege  D  a  n- 
ziger  erwähnt  hat.  Ich  glaube  ganz 
gewiss,  dass  wir  mehr  als  69  Prozent 
der  Tuberkulose  in  den  Tonsillen  fin- 
den. Immerhin  ist  es  der  Mühe  wert, 
den  Tonsillen  mehr  Aufmerksamkeit 
zu  schenken,  als  man  es  bis  jetzt  ge- 
tan hat. 

Dr.  John  A.  Beu  ermann:  Ich 
habe  beim  Anhören  des  Vortrags  ge- 
dacht, dass  wir  Herrn  Dr.  D  a  n  z  i- 
g  e  r  dafür  dankbar  sein  sollten,  dass 
er  diese  Frage  hier  angeregt  hat.  Wie 
Sie  alle  wissen,  ist  jetzt  die  Tendenz 
in  der  Wissenschaft,  zu  glauben,  dass 
ein  grosser  Teil  der  tuberkulösen  In- 
fektionen nicht  eine  Einatmungsinfek- 
tion, sondern  eine  Fütterungsinfektion 
ist,  und  ich  glaube  gerade,  dass  derar- 
tige Vorträge  dazu  beitragen,  uns  et- 
was Licht  in  die  Sache  zu  bringen. 
Wenn  wir  durch  die  Tonsillen  eine  di- 
rekte Infektion  nachweisen  können,  so 
glaube  ich,  dass  die  Theorie  der  Ein- 


atmung der  Tuberkulose  dadurch  ge- 
stärkt wird.  Meine  Ansicht  war  die, 
dass  die  Theorie  der  Fütterungstuber- 
kulose durch  die  letzten  Untersuchun- 
gen der  europäischen  Aerzte  mehr 
Halt  bekommt,  zwar  nicht  direkt  eine 
Fütterungstuberkulose,  sondern  die 
Tuberkulose,  die  ihre  Infektion  zuerst 
in  der  Nase  zeigt  und  nachher  durch 
die  Säfte  in  den  Magen  eintritt  und 
von  dort  indirekt  die  Infektion  der  At- 
mungswege verursacht. 

Dr.  E.  Danziger  (Schlusswort)  : 
Ich  möchte  zunächst  eine  Aeusserung 
von  Dr.  Rottenberg  berichtigen. 
Er  sagte,  dass  mehr  als  69  Prozent  der 
Mandeln  mit  primärer  Tuberkulose  er- 
krankt wären.  Das  habe  ich  nicht  ge- 
sagt. Man  findet  in  69  Prozent  sekun- 
däre Erkrankung  bei  vorhergehender 
Lungentuberkulose. 

Ich  möchte  noch  besonderes  Ge- 
wicht darauf  legen,  dass  man  bei  Ex- 
stirpation  der  Halsdrüsen,  die  chro- 
nisch infiziert  sind,  doch  sehr  vorsich- 
tig auf  die  Tonsillen  und  Rachenman- 
deln achten  soll,  weil  es  sonst,  wie  es 
so  häufig  passiert,  immer  wieder  vor- 
kommt, dass  andere  Drüsen  wieder  in 
fiziert  werden  und  sekundäre  Opera- 
tionen notwendig  machen.  Wenn  man 
die  tuberkulöse  Mandeln  nicht  ent- 
fernt, lässt  man  die  Ursache  der  In- 
fektion zurück. 

Was  die  Bemerkungen  von  Dr. 
B  e  u  e  r  m  a  n  n  über  Fütterungstuber- 
kulose betrifft,  so  möchte  ich  nochmals 
darauf  hinweisen,  dass  sowohl  die  all- 
gemeine Literatur  wie  meine  eigene 
Meinung  dahin  geht,  dass  in  der 
Nase  und  Rachenmandeln  die  tuber- 
kulöse Infektion  hervorgerufen  wird 
durch  die  Einatmung  von  Tuberkelba- 
zillen, dass  es  aber  bei  den  Gaumen- 
mandeln sich  um  eine  Fütterungstu- 
berkulose handelt.  Man  darf  unter 
Fütterungstuberkulose  nicht  nur  Tu- 
berkulose verstehen,  die  Läsionen  im 
Darm.  Mesenterium  u.  s.  w.  hervor- 
ruft. Der  Verdauungstraktus  fängt 
überhaupt  im  Hals  bei  den  Gaumen- 
mandeln an  :  dort  muss  man  anfangen 
zu  suchen,  und  wenn  dort  Infektionen 
sind,  sind  sie  als  Fütterungsinfek- 
tionen zu  betrachten. 

Präsident    Dr.    Carl    Reck:  Ich 


.■Jew  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


155 


habe  Ihnen  noch  die  angenehme  Mit-  uns  in  der  nächsten  Sitzung  im  Juni 

teilung  zu  machen,  dass  Herr  Profes-  mit  einem  Vortrag  über  Oesophagus- 

sor   K  i  1  1  i  a  n   aus  Freiburg,  der  be-  krankheiten  erfreuen  wird, 

rühmte    Erfinder   der   Bronchoskopie,  Hierauf  tritt  Vertagung  ein. 


Mitteilungen  aus  der  neuesten  Journalliteratur. 


T  h.   Runck:   Bromural,   ein  neues 
Nervinum. 

Die  lange  Reihe  der  Schlafmittel, 
mit  denen  die  neuere  chemische 
Forschung  den  Arzneischatz  im  letz- 
ten Jahrzehnt  beschenkt  hat,  hat  nicht 
vermocht,  die  Bedürfnisse  und  Wün- 
sche der  Aerztekreise  nach  dieser 
Richtung  hin  in  genügendem  Umfange 
zu  befriedigen,  so  anerkennenswerte 
Erfolge  auf  einzelnen  Indikationsge- 
bieten auch  verzeichnet  werden  konn- 
ten. Bald  waren  es  unliebsame  Eigen- 
schaften des  Präparates,  wie  Geruch 
und  Geschmack,  die  dem  Kranken  läs- 
tig waren,  bald  waren  es  unerwünschte 
Nebenwirkungen,  durch  die  zugleich 
der  therapeutische  Erfolg  beeinträch- 
tigt oder  ganz  in  Frage  gestellt  wurde. 
Insbesondere  haben  die  seither  em- 
pfohlenen Schlafmittel  alle,  die  einen 
mehr,  die  anderen  weniger,  den  Nach- 
teil gezeigt,  dass  sie  nicht  frei  sind  von 
narkotischer  Nebenwirkung,  welche 
mit  Erhöhung  oder  Häufung  der  Ein- 
zelgabe noch  deutlicher  zum  Ausdruck 
kommt.  Oft  erzeugen  sie  anstatt 
Schlaf  nur  einen  Zustand  der  Betäu- 
bung und  rauschähnlicher  Benommen- 
heit, welcher  von  unruhigen  Traum- 
bildern und  Vorstellungen  bewegt, 
auch  den  gewünschten  Schlafeffekt, 
das  Gefühl  der  Erquickung  und  Erhol- 
ung, vermissen  lässt ;  an  Stelle  dieses 
Gefühls  tritt  ein  Zustand  der  Einge- 
nommenheit, der  psychischen  Depres- 
sion, welcher  den  ganzen  Tag  hindurch 
nachwirken  und  besonders  häufig  bei 
schwächlichen  und  älteren  Personen 
beobachtet  werden  kann. 

Wie  bei  den  Narkotizis  sehen  wir 
auch  bei  diesen  schon  länger  bekann- 
ten Schlafmitteln  die  Gefahr  der  An- 
gewöhnung gegeben.  Trotz  der  kumu- 
lierenden   Nachwirkungen    reicht  die 


gewöhnliche  Dosis  nicht  mehr  aus  und 
muss  einer  stärkeren  Gabe  weichen. 
Die  toxischen  Nebenwirkungen,  die  zu- 
vor vielleicht  nicht  besonders  fühlbar 
zum  Bewusstsein  kamen,  lassen  sich 
nun  nicht  mehr  verschleiern  und  füh- 
len zu  den  zwar  unerfreulichen  aber 
unausbleiblichen  Folgezuständen. 

Man  schien  die  narkotische  Neben- 
wirkung als  unvermeidlichen  Bestand- 
teil eines  wirksamen  Hypnotikums  mit 
in  den  Kauf  nehmen  zu  müssen  ;  das 
mag  zu  verantworten  und  vielleicht 
nicht  zu  umgehen  sein  für  jene  Fälle, 
welche  mit  Schmerzen,  mit  quälenden, 
den  Schlaf  aufhebenden  Symptomen 
verbunden  sind,  aber  wo  Schmerz- 
symptome nicht  vorhanden  sind,  wo 
nur  reine  nervöse  Unruhe  und  Reiz- 
barkeit das  einzige  Hemmnis  für  den 
Eintritt  eines  ruhigen,  normalen  Schla- 
fes bilden,  wird  man  von  der  Anwen- 
dung betäubender  Mittel  nur  zu  gern 
absehen.  Durch  ihre  auf  toxischer 
Basis  beruhenden  Neben-  und  Nach- 
wirkungen verlieren  daher  diese  Hyp- 
notika  das  Anrecht  und  den  Vorzug, 
als  reine  Nervina,  als  harmlose  und  un- 
gefährliche Schlafmittel  gelten  zu  kön- 
nen. Diese  Lücke  unter  den  Schlaf- 
mitteln scheint  nun  durch  den  von  Dr. 
Saarn  dargestellten  und  unter  dem 
Namen  Bromural  in  den  Handel  ge- 
brachten x — Bromisovalerianylharnstoff 
ausgefüllt  worden  zu  sein. 

R.  trat  den  Versuchen  mit  Bromural 
auf  den  verschiedenen  Indikationsge- 
bieten näher,  nachdem  die  Unschäd- 
lichkeit des  Mittels  durch  vorausge- 
gangene pharmakologische  Prüfung 
dargetan  worden  war  und  er  sich  selbst 
und  Personen,  welche  aus  freien 
Stücken  dem  ungefährlichen  Experi- 
mente sich  unterzogen  hatten.  Ein- 
zelngaben von  0,3  bis  zu  6,0  verab- 
reicht hatte.    Auf  Grund  seiner  Ver- 


156 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


suchsreihen  kommt  R.  zu  folgenden 
Schlussfolgerungen  : 

Die  Bromuralwirkung  ist  nicht  iden- 
tisch mit  der  Wirkung  der  übrigen  zur 
Zeit  bekannten  neueren  Schlafmittel ; 
sie  ist  vielmehr  von  dieser  scharf  abge- 
grenzt durch  das  Fehlen  von  narkoti- 
schen Neben-  und  Nachwirkungen  und 
das  Beschränktsein  auf  Fälle  leichter, 
nervöser  Schlafbehinderung.  Bromural 
erzeugt  in  Dosen  von  0,3—0,6,  (in  den 
meisten  Fällen  0,6=2  Tabletten)  eine 
einschläfernde  und  beruhigende  Wir- 
kung auf  die  Dauer  von  durchschnitt- 
lich 3 — 5  Stunden.  Nach  dieser  Zeit 
erlischt  seine  Wirkung  und  tritt  erst 
wieder  hervor,  wenn  eine  weitere  Do- 
sis gereicht  wird.  Stärkere  Gaben  ha- 
ben keine  stärkere  oder  länger  dau- 
ernde Wirkung.  Der  Bromuralschlaf 
ist  ähnlich  dem  natürlichen  Schlafe, 
insofern  er  frei  ist  von  Traumbildern, 
die  natürliche  Dauer  nicht  über- 
schreitet und  der  Patient  beim  Erwa- 
chen   dieselbe    subjektiv    klare  und 


frische  Empfindung  zeigt.  Dagegen 
sehen  wir  Bromural  vollständig  versa- 
gen, wenn  Schlafwiderstände  mittleren 
oder  schwereren  Grades,  wie  schwere 
Unruhe,  Husten,  Reizerscheinungen, 
Delirien,  Schmerzen,  hohes  Fieber,  In- 
kompensationen  aller  Art,  vorhanden 
sind.  Dafür  ist  es  frei  von  merkbar 
narkotischer  Wirkung.  Andererseits 
geben  wieder  jene  Fälle  zu  denken,  wo 
die  Narkotika  sich  unzulänglich  zeig- 
ten, dagegen  das  harmlosere  Bromural 
seine  Dienste  anbietet  und  hilft.  Seine 
Ungefährlichkeit  und  Bekömmlichkeit 
wird  ihm  eine  ausgedehntere  und  um- 
fassendere Verwendungsmöglichkeit 
sichern,  als  den  übrigen  modernen 
Schlafmitteln,  welche  diesen  Vorzug 
nicht  besitzen.  Man  wird  daher  in  Zu- 
kunft kaum  zu  einem  Narkotikum  grei- 
fen, solange  die  Möglichkeit  gegeben 
ist,  dass  man  das  gleiche  mit  dem 
harmloseren  Bromural  erreichen  kann. 
(Münchencr  med.  Wochenschr.,  1907, 
No.  15.) 


Therapeutische  und  klinische  Notizen. 


—  Uebcv  Sajodin.  Cr  am  er  hat  das  Sajo- 
din  seit  einigen  Monaten  reichlich  verwendet 
und  kann  die  bisherigen  Beobachtungen  nur 
bestätigen.  In  einem  Falle  von  lymphatischer 
Leukämie  bei  einem  i8j  ährigen  Mädchen  mit 
wochcnlangem  hohem  kontinuierlichem  Fieber 
um  390  herum,  ausgebreitetem  Bronchialka- 
tarrh mit  reichlichem,  bräunlichem,  schaumi- 
gem Auswurfe  sind  im  Laufe  der  Zeit  hin- 
tereinander etwa  200  g  (täglich  2 — 3)  ver- 
braucht worden,  ohne  dass  nur  eine  Spur  von 
Jodismus  auftrat.  Dabei  sind  während  der 
Anwendung  des  Sojadins  die  leukämischen 
Erscheinungen  zurückgegangen. 

Ein  anderer  Patient  gebrauchte  seit  Wochen 
täglich  2  g  Sajodin  bei  Leberzirrhose  mit  As- 
cites, der  nach  einer  Kalomelkur  nach  Punk- 


tion nicht  wiedergekehrt  ist,  ohne  eine  Spur 
von  Jodismus. 

Die  Gattin  eines  Arztes  nahm  auf  C  r  a- 
m  e  r's  Rat  seit  4  Wochen  wegen  Schilddrü- 
senschwellung täglich  2  g  Sajodin  ohne  eine 
Spur  von  Jodismus,  bis  auf  kleine  kommende 
und  gehende  Aknepusteln  auf  der  Haut  der 
Brust,  besonders  über  dem  Sternum.  Aehn- 
liche  Fälle  hat  C.  jetzt  eine  ganze  Reihe  er- 
lebt. Aus  ihnen  ergibt  sich,  dass  das  Sajodin 
überaus  gut  und  besser  als  die  früheren  Jod- 
präparate vertragen  wird  und  jedenfalls  kei- 
nerlei Unannehmlichkeiten  im  Gefolge  hat, 
weshalb  eine  sorgsame  Krankenpflege  gerade 
von  ihm  besonderen  Gebrauch  machen  sollte. 
(Zeitschrift  für  Krankenpflege,  Nr.  7,  1906.) 


JVIecüzimscbe  Monatsschrift 

Offizielles  Organ  der 

Deutzen  medizinifdien  Gefclifcbaften  der  Städte  new  Vorn, 
Chicago,  €levcland  und  San  Trancisco. 

Redigiert  von  Dr.  A.  Ripperger. 
Bd.  XIX.  New  York,  September  1907.  No.  6. 

Originalarbeiten. 

lieber  die  Behandlung  der  puerperalen  Mastitis  mit  dem  Hyperämieverfahren.* 

Von  Professor  Dr.  V.  Schmieden. 

(Chirurgische  Universitätsklinik  zu  Berlin). 


Meine  Herren  !  Wenn  ich  heut  Eini- 
ges über  die  B  i  e  r'sche  Hyperämiebe- 
handlung vorzutragen  beabsichtige,  so 
will  ich  mir  erlauben,  ein  einzelnes, 
spezielles  Kapitel  herauszugreifen, 
weil  ich  die  Ueberzeugung  habe,  dass 
in  diesem  Kreise  von  deutschen  Aerz- 
ten  hier  in  New  York  die  grossen  all- 
gemeinen Prinzipien  hinreichend  be- 
kannt sind,  welche  der  B  i  e  r'schen 
Lehre  zu  Grund  liegen.  Ich  möchte 
kurz  über  die  Hyperämiebehandlung 
der  puerperalen  Mastitis  sprechen  und 
zwar  scheint  mir  dieses  Kapitel  des- 
halb besonders  geeignet,  weil  es  ge- 
wissermassen  den  Typus  einer  Hyper- 
ämiebehandlung darzustellen  vermag ; 
ferner,  weil  diese  Behandlung  grosse 
praktische  Bedeutung  hat,  gerade  für 
den  praktischen  Arzt,  und  weil  die 
Durchführung  des  Verfahrens  hierbei 
nicht  schwer  ist,  sodass  der  Anfänger 
unschwer  gerade  hierbei  seine  ersten 
Erfahrungen  sammeln  kann. 

*)  Vortrag,  gehalten  in  der  Deutschen  med. 
Gesellschaft  der  Stadt  New  York  am  3.  Juni 
1907. 


Ich  möchte  zunächst  mit  einigen 
pathologischen  Besprechungen  begin- 
nen :  Bei  einer  frischen  puerperalen 
Mastitis  dringen  Eitererreger,  meist 
Staphylokokken,  in  die  Brustdrüse  ein 
und  breiten  sich  im  wesentlichen  in 
dem  lockeren  interstitiellen  Bindege- 
webe aus,  welches  sich  zwischen  den 
einzelnen  Drüsenläppchen  befindet. 
Diesem  Angriff  giftiger  Feinde  setzt 
der  Körper  schnell  eine  sehr  lebhafte 
Abwehr  entgegen ;  das  Blut  strömt  in 
stark  vermehrter  Menge  dem  geschä- 
digten Bezirke  zu,  es  entsteht  heftige 
schmerzhafte  Rötung  und  Schwellung. 
Diese  Reaktion  des  lebendigen  Kör- 
pers auf  die  eingedrungene  Schädlich- 
keit ist  im  Sinne  Biers  nicht  die 
Krankheit  selbst,  sondern  die  Abwehr 
des  Körpers  gegen  die  Krankheit  und 
somit  der  wesentlichste  Heilfaktor. 
Leider  entsteht  nun  zwischen  dieser 
reaktiven  Entzündung  einerseits  und 
der  Milchbildung  in  der  puerperalen 
Brustdrüse  andererseits  eine  unange- 
nehme Wechselwirkung:  die  entzünd- 
liche Schwellung  verlegt  die  Ausführ- 


New    Yurker   Medizinische  Monatsschrift. 


ungsgänze  und  verhindert  die  Ent- 
leerung des  Drüsensekretes  —  diese 
Milchstauung  wiederum  wird  die  Pro- 
dukte der  Entzündung  mitsammt  den 
Bakterien  durch  die  zunehmende  Ge- 
websspannung  in  immer  tiefere  Ge- 
biete hinein  treiben.  Trotzdem  gelingt 
es  der  heilbringenden  Entzündung  in 
manchen  Fällen,  in  einem  frühen  Sta- 
dium der  Erkrankung  über  die  Bak- 
terien Herr  zu  werden  ;  wir  haben  das 
vor  uns,  was  wir  das  spontane  Aus- 
heilen einer  Mastitis  nennen,  ohne  dass 
Eiterung  eintritt.  Wir  können  diese 
Spontanheilung  durch  einen  einfachen 
Stützverband  und  durch  regelmässige 
Milchentleerung  unterstützen.  In  ei- 
nem zweiten  Stadium  gelingt  dem 
Körper  die  Beseitigung  des  Feindes 
nicht  so  leicht,  wenigstens  nicht  ohne 
Opfer;  sobald  die  Bakteriengifte  be- 
reits die  Nekrose  von  Zellen  oder  <  re- 
weben  herbeigeführt  haben,  bildet  der 
Körper  den  Eiter,  der  die  Aufgabe  hat, 
das  nekrotische  Gewebe  von  dem 
lebendigen  zu  lösen  und  in  Gestalt  ei- 
nes Abszesses,  der  schliesslich  die 
Haut  durchbricht,  alles  Tote  und  Un- 
brauchbare aus  dem  Körper  heraus  zu 
befördern.  Wir  unterstützen  diese 
Entwickelung  des  Leidens  durch  die 
operative  Eröffnung  der  Abszesse.  In 
einer  dritten  Gruppe  von  Fällen  ist  der 
Körper  nicht  im  stände,  den  Feind  in 
der  Brustdrüse  selbst  zu  vernichten ; 
es  entstehen  unter  einem  schweren  all- 
gemeinen Krankheitsbilde  metastati- 
sche Eiterungen  der  regionären 
Lymphdrüsen  oder  gar  entfernter  Kör- 
perorgane. Die  Bakterien  waren  zu 
virulent  oder  die  Reaktionsfähigkeit 
des  Körpers  zu  gering;  das  Leiden 
kann  unter  dem  Bilde  der  Pyämie  zum 
Tode  führen. 

Was  will  nun  eine  Methode  errei- 
chen, welche  im  Sinne  Biers  die  ent- 
zündliche Reaktion  des  Körpers  stei- 
gert? Im  ersten  Stadium  wird  sie  dem 
Körper  helfen,  das  schädliche  Agens 
schneller  und  gründlicher  zu  überwin- 
den, die  Bakterien  zu  töten,  ehe  noch 


eine  Nekrose  stattfindet.  Im  zweiten 
Stadium  wird  sie  im  stände  sein,  die 
Bildung  der  Einschmelzung  zu  be- 
schleunigen und  die  Entfernung  der 
Nekrose  zu  bewirken  ;  sie  wird  ähnlich 
wirken,  wie  ein  heisses  Kataplasma. 
Vor  allem  aber  wird  sie  im  stände 
sein,  die  Grenze  zwischen  dem  ersten 
und  zweiten  Stadium  in  dem  Sinne  zu 
verschieben,  dass  viel  mehr  Fälle  ohne 
Eiterung  heilen  als  sonst.  Endlich 
wird  sie  durch  frühzeitiges  Entfachen 
der  eignen  Kräfte  fies  Körpers  der  Ent- 
stehung des  dritten  Stadiums  vorbeu- 
gen. 

Was  bewirkt  im  Gegensatz  hierzu 
eine  Behandlung,  welche  die  entzünd- 
liche Reaktion  des  Körpers  unter- 
drücken will?  Sie  wird  in  jedem  Sta- 
dium den  Verlauf,  nur  verzögern  und 
damit  den  Körper  der  Einwirkung  der 
Bakterien  preisgeben.  Sie  muss  unbe- 
dingt dazu  führen,  dass  viel  mehr 
Fälle  in  das  zweite,  eitrige  Stadium 
übergehen. 

Wer  sich  diesen  Gedankengang  zu 
eigen  gemacht  hat,  der  wird  es  ver- 
stehen, dass  wir  in  B  i  e  r's  Klinik  nie- 
mals eine  beginnende  Zellgewebsent- 
zündung  z.  B.  eine  beginnende  Masti- 
tis mit  der  Eisblase  behandeln.  Diese 
Behandlung  kann  nach  unserer  festen 
Ueberzeugung  wohl  vorübergehend 
eine  angenehme  Empfindung  bewir- 
ken, etwa  wie  ein  überkaltes  Trink- 
wasser für  den  Fiebernden  wohl  an- 
genehm, aber  durchaus  nicht  nützlich 
ist,  aber  sie  kann  den  Prozess  selbst 
nicht  günstig,  sondern  nur  ungünstig 
beeinflussen  ;  wenn  unter  einer  Eisbe- 
handlung eine  solche  akute  Entzünd- 
ung schwindet,  so  ist  es  nur  so  zu  er- 
klären, dass  der  Körper  nicht  nur  mit 
der  Infektion,  sondern  auch  noch  mit 
der  Eisblase  fertig  geworden  ist. 

Von  den  hyperämisierenden  Me- 
thoden, welche  uns  zur  Steigerung  der 
Entzündungserscheinungen  zur  Ver- 
fügung stehen,  benützen  wir  bei  der 
Mastitis  ausschliesslich  die  Saughy- 
perämie ;    diese    letztere    hat  Prof. 


New    Yorker    Medizinische  Monatsschrift. 


159 


K  1  a  p  ]>  an  unserer  Klinik  besonders 
ausgebildet  und  ihre  Anwendung  bei 
der  Mastitis  empfohlen.  Wir  wenden 
eine  grosse  Saugglocke  an  (Demon- 
stration) und  setzen  diese  über  die 
ganze  Brustdrüse  herüber.  Die  Ränder 
dieser  Glocke  sind  gewölbt,  damit  jeder 
schwerzhafte  Druck  vermieden  wird, 
und  sind  mit  Vaseline  befettet,  damit 
der  Apparat  luftdicht  aufsitzt.  Nun 
wird  die  Luft  in  der  Glocke  mit  einer 
Saugspritze  verdünnt,  die  Brust  zieht 
sich  in  die  Glocke  hinein,  wird  lebhaft 
hyperämisch  und  entleert  unter  der 
Einwirkung  der  Saugkraft  die  in  ihr 
stagnierende  Milch  aus  den  Milch- 
gängen. Diese  Hyperämisierung  ist 
imstande,  die  entzündliche  Rötung, 
welche  bereits  in  der  Brust  vorhanden 
ist,  lebhaft  zu  steigern  und  dadurch 
die  Infektion  in  frischen  Fällen  oftmals 
geradezu  zu  unterdrücken,  sehr  viel 
häufiger,  als  das  ohne  die  Hyperämie- 
behandlung möglich  ist.  Hierfür  las- 
sen sich  klinische  Beweise  erbringen: 
noch  vor  kurzem  wurde  aus  der  Frau- 
enklinik der  Universität  zu  Erlangen 
berichtet,  dass  die  Hyperämiebehand- 
lung der  Mastitis  einen  völligen  Um- 
schwung bedeute :  während  früher  bei 
der  antiphlogistischen  Behandlung 
etwa  33  Prozent  der  Fälle  zur  Eiterung 
kamen,  war  dies  nach  Einführung  der 
Hyperämiebehandlung  nur  noch  in  6 
Prozent  der  Fälle  der  Fall.  Nur  noch 
in  6  Prozent  der  Fälle  musste  die  Be- 
handlung operativ  zu  Ende  geführt 
werden.  Das  bedeutet  wohl  ohne 
Zweifel  einen  ganz  ungeheueren  Fort- 
schritt. Dieses  auffallend  günstige 
Ergebnis  ist  gleichzeitig  dem  Um- 
stände zu  danken,  dass  in  der  Frauen- 
klinik die  Mastitisfälle  ganz  frisch  in 
Behandlung  kommen. 

Es  muss  jedoch  noch  Einiges  über 
die  Technik  der  Behandlung  hinzuge- 
fügt werden  :  Zunächst  muss  man  da- 
rauf achten,  dass  die  ganze  Behand- 
lung völlig  schmerzlos  sei.  Während 
wir  die  Luftverdünnung  in  der  Glocke 
bewirken,   achten   wir   möglichst  auf 


eine  rote  Hyperämie  und  fragen  die 
Patientin  jederzeit,  ob  kein  Schmerz 
entsteht.  Sobald  lebhafter  Schmerz 
vorhanden  ist,  ist  die  Luftverdünnung 
zu  stark.  Wir  legen  die  Saugglocke 
jedesmal  für  5  Minuten  an  und  nehmen 
sie  dann  für  2  bis  3  Minuten  ab,  damit 
in  dieser  kurzen  Pause  die  Hyperämie 
verschwinden  kann.  Im  Ganzen  dau- 
ert die  tägliche  Behandlung  ^4  Stun- 
den. Nicht  immer  gelingt  es,  mit  die- 
sen grossen  Sauggläsern  die  Milch  völ- 
lig zu  entleeren ;  dann  nimmt  man 
kleinere  zu  Hilfe,  die  nur  die  Brust- 
warze umfassen. 

Im  Allgemeinen  pflegt  das  erste 
Symptom  der  Besserung  das  baldige 
Nachlassen  der  Schmerzen  zu  sein.  In 
fieberhaften  Fällen  pflegt  vom  Tage 
der  Behandlung  an  das  Fieber  lang- 
sam zu  verschwinden,  manchmal  eben- 
falls schon  nach  einem  Tage.  Oft  fin- 
den die  Patientinnen  schon  nach  dem 
ersten  Tage  wieder  ruhiger  Schlaf. 

Während  wir  auf  diese  Weise  in 
frischen  Fällen  das  Leiden  im  Keime 
ersticken  können,  kommt  es  in  jedem 
vorgeschrittenen  Fall  zur  Eiterbildung 
in  der  Tiefe.  Die  Hyperämiebehand- 
lung, welche  wir  in  solchen  Fällen  aus- 
führen, ist  genau  die  gleiche  ;  indessen 
wird  sie  mit  stichförmigen  Inzisionen 
der  Abszesse  kombiniert.  Bei  der  Ma- 
stitis gilt  also  dieselbe  Regel,  wie  sie 
für  jede  Hyperämiebehandlung  zu- 
trifft: jeder  Abszess  muss  geöffnet 
werden,  sobald  er  erkannt  ist.  Die  Er- 
fahrung hat  gezeigt,  dass  wir  bei 
gleichzeitiger  Hyperämiebehandlung 
mit  ganz  kleinen  stichförmigen  In- 
zisionen auskommen ;  diese  werden 
unter  Chloräthylspray  ausgeführt  und 
sind  kaum  als  eine  Operation  zu  be- 
zeichnen. Ihr  Zweck  ist  es,  den  Eiter 
vollständig  zu  entleeren,  was  unter  der 
Saugwirkung  sehr  vollständig  und 
schmerzlos  gelingt.  Es  bedarf  noch 
der  Erwähnung,  dass  häufig  bei  der 
starken  entzündlichen  Infiltration  sich 
Abszesse  nicht  ganz  leicht  nachweisen 
lassen.    Gerade  bei  der  Mastitis  tritt 


i6o 


New    Yorker    Medizinische  Monatsschrift. 


das  Symptom  der  Fluktuation  oft  erst 
spät,  kurz  vor  dem  Durchbruch  der 
Abszesse,  auf.  Wir  haben  es  uns  da- 
her zur  Regel  gemacht,  hartnäckige, 
schmerzhafte  Infiltrate  im  akuten  Sta- 
dium der  Erkrankung,  die  nicht  unter 
der  Hyperämiebehandlung  rasch  zu- 
rückgehen, alsbald  mit  Stichinzisionen 
zu  eröffnen.  Die  sofort  angelegte 
Saugglocke  entleert  dann  viel  Blut, 
mit  Eiter  untermischt. 

Nach  der  jedesmaligen  ^stündigen 
Saugbehandlung  legt  man  einen  Sal- 
benverband an  ;  dieser  verhütet  am 
besten  das  zu  frühzeitige  Verkleben 
der  Stichöffnungen.  Die  ganze  Hy- 
perämiebehandlung darf  nicht  zu  früh 
unterbrochen  werden.,  damit  keine 
Rückfälle  eintreten.  Auch  wenn 
Schmerz  und  Eiterung  verschwunden 
sind,  wird  die  Saugglocke  noch  für 
etwa  8  Tage  täglich,  aber  nur  für 
kürzere  Zeit,  angelegt. 

Diese  äusserst  schonende  Behand- 
lung bietet  eine  ganze  Reihe  wesent- 
licher Vorteile.  Der  Heilungsverlauf 
wird  erheblich  abgekürzt  und  ist 
schmerzlos,  indem  die  Operation,  die 
nachfolgende  Tamponade  und  Drai- 
nage völlig  fortfallen  ;  jede  Narkose  ist 
überflüssig;  fast  alle  Patienten  können 
ambulant  behandelt  werden.  Im  Ge- 
gensatz zu  der  Behandlung  mit  grossen 
Schnitten  wird  hier  die  Tätigkeit  der 
Brustdrüse  nur  sehr  viel  seltener  un- 
terbrochen. Sobald  es  die  Schmerzen 
irgend  gestatten,  lässt  man  das  Kind 
ruhig  anlegen,  nur  nicht  in  den  Fällen, 
bei  welchen  die  eiternden  Stichinzisio- 
nen nahe  an  der  Brustwarze  liegen. 
Der  grösste  Vorteil  aber  ist  unbedingt 
darin  zu  erblicken,  dass  die  Form  der 
Brustdrüse  erhalten  bleibt,  während 
diese  durch  die  früheren,  grossen,  radi- 
ären Inzisionen  oft  in  rücksichtsloses- 
ter Weise  zerstört  wurde.  Dies  em- 
pfinden die  Frauen  mit  grösster  Dank- 
barkeit, auch  wissen  die  Frauenärzte 
sehr  wohl,  dass  solche   alten  Opera- 


tionsnarben oftmals  in  einem  späteren 
Wochenbett  die  natürliche  Ernährung 
des  Kindes  verhindern.  Es  bleibt  im 
Gegensatz  hierzu  bei  dem  Hyperämie- 
verfahren Form  und  Funktion  der 
Drüse  erhalten. 

Die  regelmässige  Anwendung  der 
geschilderten  Therapie  in  der  B  i  e  r'- 
schen  Klinik  hat  uns  gezeigt,  dass  die 
Patientinnen  sehr  bald  grosses  Ver- 
trauen zu  dem  schonenden  Verfahren 
gewinnen.  Die  Gewissheit,  dass  nicht 
sofort  eine  schmerzhafte  Operation  be- 
vorsteht, führt  sie  vor  allen  Dingen 
sehr  viel  frühzeitiger  in  die  sachkun- 
dige Behandlung,  in  einem  Stadium,  in 
welchem  die  Hyperämiebehandlung 
noch  sehr  viel  mehr  leisten  kann,  als 
später;  sie  warten  nicht  bis  zum  Aeus- 
sersten.  Sobald  der  Arzt  daher  selbst 
erkannt  hat,  wieviel  er  mit  unserem 
Verfahren  erreichen  kann,  soll  er  auch 
die  Hebammen  dazu  erziehen,  die 
kranken  Frauen  frühzeitig  in  die 
Sprechstunde  zu  schicken,  ehe  die 
beste  Zeit  verloren  ist. 

In  Deutschland  hat  das  Verfahren 
der  Hyperämiebehandlung  akuter  Ent- 
zündungen weit  über  die  Grenzen  von 
B  i  e  r's  Klinik  hinaus  lebhaften  An- 
klang gefunden,  bei  Chirurgen  und  bei 
Gynäkologen.  Auf  dem  Chirurgen- 
Kongress  des  verflossenen  Jahres  in 
Berlin  haben  sich  zahlreiche  Redner  in 
diesem  Sinne  geäussert,  unter  anderen 
auch  Herr  Geheimrat  Küster,  der 
hier  unter  Ihnen  weilt,  und  soeben  vor 
Ihnen  gesprochen  hat.  Ich  selbst  habe 
mich  hier  in  Amerika,  überall,  wo  ich 
nur  hinkam,  davon  überzeugt,  welches 
Interesse  die  neuen  Ideen  erregen,  wel- 
che von  Bier  ausgehen,  und  beson- 
ders hier  in  New  York  ist  es  ja  Herr 
Dr.  W.  Meyer,  der  am  Deutschen 
Hospital  sich  schon  seit  vielen  Jahren 
mit  gutem  Erfolge  der  Hyperämiebe- 
handlung bedient. 

Meine  Herren !  Ich  bin  Ihnen  für 
Ihre  freundliche  Aufmerksamkeit  sehr 


New    Yorker    Medizinische  Monatsschrift. 


161 


dankbar;  ich  schliesse  meine  Ausführ- 
ungen, indem  ich  der  Ueberzeugung 
Ausdruck  gebe,  dass  jeder  Arzt,  der 


einmal  sorgfältig  einige  Mastitisfälle 
mit  dem  neuen  Verfahren  behandelt 
hat,  es  nicht  wieder  verlassen  wird. 


Zur  vorzeitigen  Ablösung  der  normal  sitzenden  Plazenta. 


Von  Dr.  A.  Herzfeld. 


(Schluss.) 


Therapie. 

Die  Behandlung  der  vorzeitigen  Ab- 
lösung der  normal  sitzenden  Plazenta 
hat  sich  im  Laufe  der  vielen  Jahre  seit 
Mauriceau  und  Baudelocque 
in  ihren  Prinzipien  nicht  geändert, 
auch  heute  noch,  wie  damals,  ist  die 
Beschleunigung  der  Geburt,  die  Ent- 
leerung der  Gebärmutter  das  einzige 
Heilmittel. 

Gibt  es  nun  in  der  Behandlung  der 
vorzeitigen  Ablösung  der  normal  in- 
serierten Plazenta  feste  Regeln,  wie 
wir  dieselben  in  der  Behandlung  des 
Abortes  oder  der  Placenta  praevia  ha- 
ben, nach  denen  der  Geburtshelfer  sich 
richten  kann  ?  Auch  die  Zusammen- 
stellung von  diesen  250  Fällen  hat  ge- 
zeigt, dass  es  eine  einheitliche  Behand- 
lung nicht  gibt,  jeder  Fall  muss  für 
sich  beurteilt  werden  und  das  einzige 
Mittel,  der  Blutung  Herr  zu  werden, 
ist  die  schnelle  und  schonende  Ent- 
bindung, nur  sie  allein  kann  das  Leben 
der  Frau  retten.  Die  Aussichten  für 
die  Erhaltung  des  kindlichen  Lebens 
sind  sehr  schlecht,  bald  nach  Einsetzen 
der  schweren  Blutung  geht  das  Kind 
in  bei  weitem  den  meisten  Fällen  an 
Asphyxie  zu  Grunde.  In  den  letzten 
Jahren  hat  sich  auch  für  die  Kinder  die 
Statistik  etwas  gebessert,  was  auf  das 
schnelle  Eingreifen  des  Geburtshel- 
fers, auf  die  Fortschritte  in  der  Thera- 
pie zurückzuführen  ist. 

Die  rein  exspektative  Behandlung 
bei  geringer  oder  mässiger  Blutung, 
solange  das  Leben  der  Mutter  nicht 
bedroht  und  die  Geburt  ihren  norma- 


len Verlauf  nimmt,  ist  für  die  Mutter 
wohl  die  bessere,  doch  schlecht  für  das 
Kind. 

38  Fälle  endeten  spontan : 

Prozent. 
34  Frauen  lebten  =  91 
3  Frauen  tot        =  8,1 
1  fehlt  Angabe, 
31  Kinder  tot        =  81,5 
7  Kinder  lebten  =  18,4 
In  30  Fällen  wurde  bei  vollständig 
erweitertem  Muttermund  die  künstliche 
Blasensprengung  gemacht. 

Prozent. 

Die  Frauen  lebten  sämmtlich  =  100 
10  Kinder  lebten  =  35,7 

18  Kinder  tot  =  64,3 

Bei  2  Kindern  fehlt  Angabe. 

Für  stärkere  lebensbedrohende  Blut- 
ungen ist  schon  von  Leroux  die 
Scheiden-  und  Cervixtamponade  em- 
pfohlen worden. 

Die  Tamponade  als  die  einzige  Be- 
handlung wurde  in  21  Fällen  ange- 
wandt : 

16  Frauen  lebten  =  76,2  Prozent 
5  Frauen  tot        =  23,8 
3  Kinder  lebten  —  14,2 

18  Kinder  tot         =  85,7 

R  i  g  b  y  und  Leroux  waren  die 
ersten  in  der  Anwendung  der  Tampo- 
nade bei  der  Ablösung  der  Plazenta, 
später  empfiehlt  John  Burns  (24) 
diese  Behandlung,  ebenso  tamponiert 
S  p  a  e  t  h  (25)  bis  zur  vollständigen 
Erweiterung  des  Muttermundes. 
Spiegelberg  empfiehlt  die  Tam- 
ponade selbst  bei  frühzeitig  geborste- 
ner   Blase.    Colclough    hatte  21 


l62 


New    Yorker    Medizinische  Monatsschrift. 


schwere  Fälle  vorzeitiger  Ablösung 
mit  Tamponade  behandelt  und  nur  ei- 
nen Todesfall  an  Ruptura  uteri,  Ly  1  e 

(26)  in  15  schweren  Fällen  keinen  To- 
desfall. 

In  dem  Rotunda-Hospital  Dublin's 
ist  die  Tamponade  in  allen  Fällen  vor- 
zeitiger Ablösung  der  Plazenta,  so 
lange  die  Blase  noch  steht,  die  einzige 
Behandlungsmethode.    Nach  Smyly 

(27)  verhindert  die  feste  Tamponade 
der  Vagina  eine  weitere  Blutung,  sie 
wirkt  als  wehenanregendes  Mittel,  sie 
dilatiert  die  Portio,  erhöht  den  intra- 
uterinen Druck  gegen  die  blutende  Ge- 
fässe,  sie  unterstützt  die  überdehnte 
Uterusmuskulatur,  sodass  während 
der  Tamponade  die  Muskelfasern  sich 
„erholen"  und  daurch  die  Nachblutung 
in  der  Rotunda  Dublin's  zur  Seltenheit 
geworden  ist.  Auf  die  Technik  legt 
Smyly  grossen  Wert.  Er  tampo- 
niert mit  sterilisierten,  wallnussgros- 
sen,  mit  einer  leicht  antiseptischen 
Lösung  angefeuchteten  Wattebäusch- 
chen. Die  Packung  wird  mit  Jodo- 
formgaze bedeckt,  durch  eine  Peri- 
nealbandage  in  situ  gehalten  und  diese 
wird  in  einer  fest  angelegten  Abdomi- 
nalbinde befestigt.  Ist  die  Tamponade 
durchgeblutet,  so  wird  dieselbe  erneu- 
ert. Bei  vorzeitigem  Blasensprung 
verwirft  auch  Smyly  die  Tamponade 
und  empfiehlt  das  Accouchement 
force. 

Die  Blasensprengung  war  seit  ihrer 
Einführung  in  die  Therapie  der  vor- 
zeitigen Ablösung  der  normal  sitzen- 
den Plazenta  eine  viel  diskutierte 
Frage.  Zur  Anregung  der  Wehentä- 
tigkeit und  zur  Entlastung  des  über- 
dehnten Uterus  empfiehlt  schon  P  u- 
z  o  s  die  frühe  Blasensprengung, 
,, durch  die  Verminderung  seines  In- 
haltes zieht  sich  der  Uterus  fest  um 
den  Fötus  zusammen,  drängt  ihn 
gegen  das  Os  uteri  und  verkleinert  auf 
diese  Weise  die  blutende  Fläche. 
N  a  e  g  e  1  e,  S  c  a  n  z  o  n  i,  E.  V.  S  i  e- 
bold,  Goodell,  Ahlfeld,  0 1  s- 
hause  n-V  e  i  t  empfehlen  die  frühe 


ßlasensprengung.  W  a  r  r  e  n  und 
G  r  a  e  f  e  weisen  darauf  hin,  dass  nach 
der  Blasensprengung  sofort  die  Wehen 
eingesetzt  haben. 

S  p  a  c  h  t,  Hohl,  Brunton, 
Spiegelberg  warnen  vor  der 
frühen  Blasensprengung,  auch  W  i  n- 
ter,  Königstein,  Barnes,  Heil, 
Guerin  -  Valmal,  Guirauden 
(v.  i.)  raten  davon  ab. 

In  den  Fällen  von  B  a  1  1  a  n  t  y  n  e, 
B  a  r  n  e  s,  v.  G  i  e  s  o  n,  H  e  i  1,  L  o  n  g- 
aker,  Sligh,  Hickenbotham, 
T  a  r  g  e  1 1  sind  bald  nach  der  vor- 
zeitigen Blasensprengung  grössere 
Schwierigkeiten  entstanden.  Lee(28) 
berichtet,  dass  es  in  7  von  39  Fällen, 
trotz  vorzeitiger  Blasensprengung,  in 
den  Uterus  weiter  geblutet  hat.  D  e 
F  o  r  i  n  (39)  fand,  dass  von  34  vor- 
zeitigen Blasensprengungen  21=61,7 
Prozent  der  Frauen  zu  Grunde  gingen. 
Ich  hatte  fast  das  gleiche  Resultat,  von 
26  Fällen  starben  16=61,5  Prozent. 
Eine  genaue  grössere  Statistik  dieser 
Fälle  zusammenzustellen,  ist  schwierig, 
da  in  den  meisten  Fällen  der  Zeitpunkt 
der  Blasensprengung  nicht  angegeben 
wurde. 

Zweifellos  wirkt  die  vorzeitige  Bla- 
sensprengung als  wehenanregendes 
Mittel,  doch  ist  dieselbe  im  allgemei- 
nen nicht  empfehlenswert,  da  ihre  Fol- 
gen für  die  Geburt  selten  günstige 
sind.  Die  Blase  soll  erhalten  werden, 
bis  wir  den  Uterus  entleeren  können, 
bis  wir  die  Geburt  in  der  Hand  haben. 
Kann  man  den  Uterus  nicht  sofort  ent- 
leeren, so  ist  es  unweise,  einen  Teil 
der  im  Uterus  sich  befindlichen  Flüs- 
sigkeit ablaufen  zu  lassen,  da  der  auf 
diese  Weise  verminderte  Gegendruck 
eine  neue  Blutung  in  den  Uterus  zur 
Folge  hat,  welche  das  Leben  der  Mut- 
ter unnötiger  Weise  aufs  Neue  gefähr- 
det. Weiter  wissen  wir,  dass  bei  der 
Nachblutung  oft  nur  ein  einziges  Ko- 
agulum  die  Blutung  aufrecht  erhält 
und  diese  erst  dann  steht,  wenn  der 
Uterus  vollständig  entleert  ist. 


New    Yorker    Medizinische  Monatsschrift. 


163 


Einen  bedeutenden  Fortschritt  in 
der  Beschleunigung  der  Entbindung, 
ohne  die  Frau  allzu  grosser  Gefahr 
auszusetzen,  brachte  das  Dilatatorium 
von  B  o  s  s  i.  Dieses  Instrument  wurde 
im  Ganzen  in  5  Fällen  gebraucht,  in  4 
Fällen  von  J  o  1  ly  und  in  einem  Falle 
von  B  a  1  1  a  n  t  y  n  e.  J  o  1  1  y  erwei- 
terte mit  einer  Modifikation  dieses  In- 
strumentes in  20 — 30  Minuten  die  noch 
erhaltene  Portio  bis  auf  Handteller- 
grösse,  rettete  sämmtliche  Frauen  und 

3  Kinder  durch  die  sofort  angeschlos- 
sene Wendung.  In  einem  Falle  wurde 
der  nachfolgende  Kopf  perforiert.  In 
2  Fällen  hatte  J  o  1 1  y  tiefe  Cervixrisse, 
welche  er  der  ungenügenden  Erweiter- 
ung der  Cervix  zur  Last  legt  und  rät, 
das  Kind  erst  dann  zu  extrahieren, 
nachdem  das  Dilatatorium  ad  maxi- 
mum  aufgedreht  ist.  Ballantyne 
benutzte  das  Bossi'sche  Instrument 
mit  weniger  Glück,  die  Mutter  ging  an 
einer  Nachblutung  zu  Grunde,  das 
Kind  war  vorher  abgestorben. 

Cervixinzisionen  nach  Dührssen 
wurden  in  3  Fällen,  in  welchen  ander- 
weitige geburtshilfliche  Operationen 
nötig  waren,  gemacht.  Der  Gummi- 
ballon als  Erweiterungsmittel  wurde 
vielfach  der  Tamponade  vorgezogen, 
seine  Wirkung  ist  schonend,  aber  lang- 
sam. S  c  h  a  11 1  a  hat  mit  dem  Ballon 
in  20 — 30  Minuten  eine  vollständige 
Erweiterung  der  Portio  erreicht. 
Barn  e's  Bags  wurden  16  mal  ange- 
wandt,  Champetier   de  Ribes 

4  mal,  H  e  g  a  r's  Stifte  3  mal,  G  o  o  d- 
e  1  l's  Dilatator  1  mal,  F  i  e  u  x  zieht 
die  manuelle  aller  instrumentellen  Er- 
weiterung vor. 

„Kristeller"  wurde  4  mal  gemacht: 
3  Frauen  lebten, 
3  Kinder  tot 
Squire  will  durch  allzu  kräftigen 
Kristeller  die  normal  sitzende  Plazenta 
losgelöst  haben. 

Wendungen  wurden  53  gemacht : 
26  Frauen  tot     =  49  Prozent 
46  Kinder  tot     =  87 


Zange  wurde  41  mal  angelegt : 
18  Frauen  lebten  =  40  Prozent 
22  Frauen  tot  — :  53,6  " 

1  Angabe  fehlt. 

34  Kinder  tot      =  89,7  Prozent 
4  Kinder  lebten  =  10,3 

2  fehlt  Angabe. 

Zange  am  nachfolgenden  Kopf  ein- 
mal. 

Die  grosse  Mortalität  der  Zange  und 
Wendung  ist  nicht  zum  wenigsten 
darin  zu  suchen,  dass  die  Indikation 
dieser  Eingriffe  in  vielen  Fällen  nicht 
genau  gestellt  wurde.  Die  hohe  Zange 
wurde  bei  beweglichem  Kopfe  2  mal 
ausgeführt  mit  einer  Mortalität  für  die 
Mutter  von  50  Prozent,  für  die  Kinder 
von  100  Prozent. 

Die  Perforation  wurde  18  mal  ausge- 
führt mit  einer  Mortalität  von  50  Pro- 
zent. Der  nachfolgende  Kopf  wurde 
5  mal  perforiert. 

Porro  4  mal,  B  a  j  o  t,  S  m  y  1  y, 
Store  r,  Targett  mit  keiner  Mor- 
talität für  die  Mutter,  doch  alle  Kinder 
starben. 

Der  vaginale  Kaiserschnitt  1  mal 
von  Ruehl,  No.  182.  Mutter  lebt, 
Kind  todt. 

Sectio  caesarea  4  mal,  2  mal  an  der 
lebenden,  2  mal  an  der  toten  Frau. 
In  dem  Falle  L  e  L  o  r  i  e  r's  löste  sich 
die  Plazenta  während  der  Geburt  am 
normalen  Ende  der  Schwangerschaft. 
Die  sofort  ausgeführte  Sectio  caesarea 
rettete  die  Frau,  das  Kind  war  tot. 

Kouwer  operierte  wegen  einer 
schweren  inneren  Blutung,  die  Frau 
ging  an  einer  Nachblutung  zu  Grunde. 

Unentbunden  starben  14  Frauen.  In 
5  dieser  Fälle  stand  noch  die  Blase,  in 
5  wurde  dieselbe  vorzeitig  gesprengt, 
in  3  Fällen  war  sie  vorzeitig  gesprun- 
gen. Tamponiert  wurden  6  Fälle,  3 
bei  stehender,  3  bei  geborstener  Blase ; 
diese  Fälle  gingen  sämmtlich  an  gros- 
sem Blutverluste  zu  Grunde.  3  der 
unentbundenen  Frauen  litten  an 
Eklampsie.  In  6  Fällen  wurde  bei  der 
Autopsie  die  Plazenta  im  Uterus  total 


164 


New   Yorker   Medizinische  Monatsschrift. 


gelöst,  im  Blute  schwimmend,  ge- 
funden. 

In  33  von  196  Fällen  stürzte  die  Pla- 
zenta mit  Blutmassen  sofort  dem  Kinde 
nach,  in  77  Fällen  kam  sie  spontan 
bald  nach  der  Geburt  des  Kindes,  36 
mal  wurde  Crede  gemacht,  in  50  Fäl- 
len wurde  die  Plazenta  manuell  ent- 
fernt und  in  54  Fällen  waren  keine  An- 
gaben bezüglich  der  Plazenta  gemacht. 
In  36  Fällen  berichtete  der  Autor,  dass 
die  Plazenta  total  gelöst  war,  in  1  Falle 
wurde  die  Plazenta  durch  den  geris- 
senen Uterus  aus  der  Bauchhöhle  ent- 
fernt. Wie  bereits  oben  erwähnt,  ist 
die  losgelöste  Plazenta  in  der  Gebär- 
mutter starkem  Druck  ausgesetzt,  so 
dass  sie  bis  auf  die  Hälfte  ihrer  Dicke 
reduziert  sein  kann.  Dieses  Phäno- 
men wurde  zuerst  von  S  a  e  n  g  e  r  ge- 
nau beschrieben  und  wurde  seither  in 
einer  ganzen  Anzahl  Fälle  beobachtet. 
Baker  (No.  10)  behauptet,  dass  in 
dem  von  ihm  beschriebenen  Falle  die 
Plazenta  das  Dreifache  ihrer  normalen 
Grösse  angenommen  hatte.  Die  Blut- 
menge, welche  bei  der  Geburt  der  los- 
gelösten Plazenta  folgt,  ist  verschie- 
dentlich geschätzt  worden.  So  spricht 
der  jüngere  Barnes  von  4  Pfund,  d  e 
F  o  r  i  n  von  6  Pfund,  J  a  g  g  a  r  d  von 
3  Liter  Blut.  Hier  wird  wohl  die  Auf- 
regung des  Beobachters  bei  der  Ab- 
schätzung der  Quantitäten  assistiert 
haben. 

Nachblutungen  sind  bei  der  vorzeiti- 
gen Ablösung  der  normal  sitzenden 
Plazenta  häufig.  In  22  Fällen  war  die- 
selbe letal,  32,4  Prozent  sämmtlicher 
Todesfälle.  In  mehreren  Fällen  wurde 
der  Uterus  ohne  Erfolg  tamponiert, 
Y  a  r  r  o  s  machte  erfolglos  die  vagi- 
nale Hysterektomie.  Bei  den  günsti- 
gen Resultaten,  welche  ich  bei  schwe- 
ren Nachblutungen  mit  Adrenalin  er- 
zielt habe,  möchte  ich  dasselbe  auch 
hier  empfehlen. 

Was  die  Behandlung  im  allgemeinen 
betrifft,  so  muss  die  Frau  bei  den  gün- 
stigsten Anzeichen  einer  Blutung  so- 
fort zu  Bett  gebracht  werden ;  in  einer 


Anzahl  Fälle  ist  die  schwere  Blutung 
erst  bei  dem  Urinieren,  beim  Stuhl- 
gang oder  im  Bade  eingetreten.  Viel- 
fach wurden  Kochsalzinfusionen  ge- 
macht, Kelly  und  Harrington 
schreiben  die  Rettung  ihrer  Patienten 
der  Kochsalzlösung  zu. 

Ergotin  und  seine  Derivate  sind  viel- 
fach gebraucht  worden,  doch  scheint 
ein  günstiger  Einfluss  des  Ergotins  auf 
die  Blutung  von  keinem  der  Beobach- 
ter besonders  erwähnt  worden  zu  sein, 
Stimulantien  sind  oft  nötig,  am  besten 
hypodermatisch. 

Literatur. 

1.  F.  v.  Win  ekel,  Lehrbuch  der  Geburts- 
hülfe.    Leipzig  1893.    S.  311. 

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3.  R.  Holmes,  Ablatio  placentae.  Am. 
Journ.  of  Obstr.    1901.    Vol.  44,  p.  753. 

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sung der  normal  sitzenden  Plazenta.  Dieses 
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pharm.    Vol  21,  p.  363. 

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des  acouchements.  Paris  1898.  Vol.  3,  p. 
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8.  Spiegelberg,  Lehrbuch  der  Geburts- 
hilfe.   1891.    S.  409. 

9.  Fleetwood  Churchill,  Theory  and 
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p.  450. 

10.  Report  of  the  New  York  Lying-in  Hos- 
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11.  Brodhead,  Medical  Record.  1897. 
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12.  Charles  Robin,  vid.  Tarnier  et 
Chantreuil,  Traites  de  l'art  des  aecouchements. 
Paris  1888.    Vol.   1,  p.  221. 

13.  M.  Chantreuil,  La  France  medicale. 
1879,  u.  305—306. 

14.  J.  Winter,  Zur  Lehre  von  der  vorzeiti- 
gen Plazentarlösung  bei  Nephritis.  Zeitschr. 
f.  Geb.  u.  Gyn.    1885.    Bd.  11.    S.  398. 

15.  Fehling,  Ueber  habituelles  Absterben 
der  Frucht  bei  Nierenkrankheit  der  Mutter. 
Zentralbl.  f.  Gyn.    1885.    Bd.  9.    S.  647. 


New   Yorker   Medizinische  Monatsschrift. 


165 


16.  Weatherly,  British  Medical  Journ. 
1878,  p.  284.  Cit.  v.  Ross,  Scottisch  Med. 
and  Surg.  Journ.    1903.    Vol.  12,  p.  409. 

17.  L  i  v  o  n,  Marseille  medical.    1905,  p.  734- 

18.  Carl  Rokitansky,  Lehrbuch  der 
pathologischen  Anatomie.  1861.  Bd.  3.  S. 
545—546. 

19.  G.  S  c  h  i  c  k  e  1  e,  Die  vorzeitige  Lösung 
der  normal  sitzenden  Plazenta.  Beitr.  z.  Geb. 
u..Gyn.    1904.   Bd.  8.    H.  3.    S.  337. 

20.  Ludwig  S  e  i  t  z,  Zwei  sub  partu  ver- 
storbene Fälle  von  Eklampsie,  mit  vorzeitiger 
Lösung  der  normal  sitzenden  Plazenta.  Mi- 
kroskopische Befunde  an  Plazenta  und  Ei- 
häuten.   Arch.  f.  Gyn.    1903.    Bd.  69.    S.  71. 

21.  Gottschalk,  Zur  Lehre  der  vorzeiti- 
gen Lösung  der  normal  sitzenden  Plazenta. 
Zentralbl.  f.  Gyn.    1897.    No.  25.    S.  819. 


22.  F  e  h  r  i  n  g,  Am.  Journ.  of  Obstr.  1903. 
Vol.  48,  p.  522. 

23.  F.  Schaeffer,  Ueber  die  Aetiologie 
der  vorzeitigen  Lösung  der  Plazenta  bei  nor- 
malem Sitz  in  der  Gravidität.  Zentralbl.  f. 
Gyn.    1903.    S.  447. 

24.  John  B  u  r  n  s,  Principles  of  Midwifery. 
New  York  1810,  p.  170. 

25.  C  h  i  a  r  i,  Braun  und  S  p  a  e  t  h,  Klinik 
der  Geburtshilfe  u.  Gyn.  Erlangen  1855.  S. 
177- 

26.  L  y  1  e,  North  and  Durh.  Med.  Journ. 
1899.  Oktober. 

27.  J.  W.  S  m  y  1  y,  v.  C  o  1  c  1  o  u  g  h,.  Journ. 
of  Obstr.  and  Gyn.  of  the  British  Empire. 
1902.    August,  p.  153. 

28.  Lee,  cit.  v.  Barnes,  Lancet.  1881.  Vol. 
2,  p.  1038. 


Alkohol  und  Tuberkulose* 


Von  Dk.  Holitscher,  Pirkenhammer  bei  Karlsbad. 


Dass  die  zwei  verheerendsten  Volks- 
seuchen der  Gegenwart,  Alkoholismus 
und  Schwindsucht,  in  mannigfaltigster 
Wechselbeziehung  stehen,  ist  eine  all- 
seitig anerkannte  Tatsache ;  niemand 
leugnet  den  grossen  Anteil,  der  dem 
Alkoholmissbrauche  bei  der  Entsteh- 
ung der  Tuberkulose  zufällt,  wenn  die 
Meinungen  auch  über  die  Art  dieses 
Kausalverhältnisses  noch  auseinander- 
gehen. Natürlich  wird  dieser  Zusam- 
menhang von  den  Alkoholgegnern  im 
engeren  Sinne  des  Wortes,  in  erster 
Linie  den  Abstinenten,  besonders  her- 
vorgehoben und  die  Forderung  ge- 
stellt, dass  bei  der  Behandlung  der 
Lungenschwindsucht  alles  vermieden 
werde,  was  einer  Begünstigung  oder 
Wertschätzung  des  Alkoholgenusses 
seitens  der  Patienten  Vorschub  leisten 
könnte,  und  zwar  mit  der  Begründung, 
dass  jede  Empfehlung  der  geistigen 
Getränke  bei  Lungenkranken  doppelt 
gefährlich  sei ;  erstens  durch  den 
Schaden,  den  der  Kranke  selbst  dabei 


*)  Prager  Med.  Wochenschrift.  XXX.,  No. 
11 — 12,  1906. 


nehmen  könne,  zweitens  aber  durch 
den  Einfluss,  den  die  Tatsache,  dass 
ein  chronisch  Kranker  ärztlicherseits 
Alkoholika  verordnet  bekommt,  auf  die 
Umgebung  und  die  Volksmeinung 
überhaupt  ausübt.  Wer  darüber  Er- 
fahrungen gesammelt  hat,  wie  sehr  die 
allgemein  verbreiteten  Vorurteile  über 
die  kräftigenden,  stärkenden  und  näh- 
renden Eigenschaften  der  geistigen  Ge- 
tränke gerade  durch  die  missbräuch- 
liche  Verordnung  durch  Aerzte  erzeugt 
und  gestützt  werden,  wird  diese  Ge- 
fahr keineswegs  gering  schätzen. 

Ganz  Hervorragendes  auf  dem  Ge- 
biete der  ungeheuersten  Ueberschät- 
zung  des  Alkohols  bei  der  Behandlung 
der  Tuberkulose  haben  die  Lungen- 
heilstätten geleistet,  solange  sie  noch 
von  der  Brehme  r-D  e  1 1  w  e  i  1  e  r'- 
schen  Lehre  der  Alkoholbehandlung 
beeinflusst  wurden.  Es  ist  ja  bekannt, 
dass  Kognak  und  schwere  Weine  in 
Görbersdorf  in  Strömen  flössen,  und 
dass  zu  dieser  Zeit  Potatoren  in  den 
Anstalten  grossgezogen  wurden,  geben 
selbst  warme  Alkoholverehrer  zu.  Un- 
ter dem  Einflüsse  der  Antialkoholbe- 


i66 


New    Yorker    Medizinische  Monatsschrift. 


wegung  haben  sich  die  Verhältnisse  ja 
sehr  gebessert;  es  kann  zugegeben 
werden,  dass  solche  Uebertreibungen, 
wie  sie  damals  auf  der  Tagesordnung 
standen,  heute  nicht  mehr  so  häufig 
vorkommen.  Trotzdem  kann  die  Lage 
der  Dinge  die  Alkoholgegner  auch 
heute  noch  nicht  befriedigen,  die  rund 
heraus  erklären,  in  den  Lungenheilan- 
stalten gehöre  der  Alkohol  in  die  An- 
staltsapotheke, nicht  aber  auf  den  Ess- 
tisch, und  die  ihre  Angriffe  immer  wie- 
der gegen  jene  Sanatorien  richten,  in 
denen  — ■  und  das  sind  fast  alle  —  die- 
sem Grundsatze  nicht  entsprochen 
wird. 

Die  Verteidigung  des  Alkoholge- 
brauches in  den  Lungenheilstätten  und 
die  Abwehr  besagter  Angriffe  setzt  sich 
ein  Aufsatz  zum  Ziele,  den  Hofrat 
W  o  1  f  f ,  der  Besitzer  und  ärztliche 
Leiter  der  Privatlungenheilanstalt  in 
Reiboldsgrün  vor  kurzem  veröffentlicht 
hat.*)  W  o  1  f  f  untersucht  die,  wie  er 
erklärt,  literarisch  noch  wenig  bear- 
beitete Frage  nach  den  Beziehungen 
des  Alkohols  zur  Tuberkulose  sowohl 
was  die  ätiologische  Bedeutung  des 
Alkoholismus,  als  auch  was  die  Bedeut- 
ung des  Alkohols  als  Heil-,  Nahrungs- 
und Genussmittel  während  der  Er- 
krankung betrifft,  und  kommt  zu  dem 
Schlüsse,  dass  die  Behauptungen  der 
Abstinenten  unbewiesen,  unwissen- 
schaftlich und  übertrieben,  ihre  Folger- 
ungen ungerechtfertigt  seien.  Wenn 
nun  auch  W  o  1  f  f  meine  Legitimation 
zur  Kritik  kaum  anerkennen  wird,  da 
er  gegen  mich,  ebenso  wie  er  es  gegen 
Liebe  und  L  e  gr  a  i  n  getan  hat,  den 
Einwand  erheben  wird,  dass  ich  als 
Abstinent  befangen  und  voreingenom- 
men bin,  so  betrachte  ich  es  dennoch 
als  meine  Pflicht,  die  Bedenken,  die 
sich  mir  beim  Studium  dieser  Arbeit 
aufgedrängt  haben,  in  strengster  Ob- 
jektivität hier  wiederzugeben. 

*)  „Beiträge  zur  Klinik  der  Tuberkulose". 
Herausgegeben  von  Dr.  L.  Brauer,  Würz- 
burg. Bd.  IV.  H.  3-  S.  239  ff.  Wolff, 
„Alkohol  und  Tuberkulose". 


Die  Rolle,  die  der  Alkohol  bei  der 
Entstehung  der  Schwindsucht  spielt, 
wird  von  Wolff  zwar  anerkannt,  aber 
auf  ein  möglichst  geringes  Mass  herab- 
gedrückt. Er  lässt  eigentlich  nur  den 
sozialen  Einfluss  des  Alkoholismus  bis 
zu  einer  gewissen  Grenze  gelten,  wäh- 
rend er  die  statistischen  und  experi- 
mentellen Beweise  für  den  direkten 
Einfluss  des  Alkoholgenusses  auf  die 
Entstehung  der  Tuberkulose  als  nicht 
genügend  bezeichnet. 

Nun  unterliegt  es  ja  allerdings  gar 
keinem  Zweifel,  dass  der  statistische 
Nachweis  der  ätiologischen  Bedeutung 
eines  —  wenn  auch  noch  so  bedeut- 
samen—  Faktors  bei  einer  Krankheit, 
deren  Entstehungsursachen  so  mannig- 
faltig und  verwickelt  sind,  wie  die 
der  Schwindsucht,  ausserordentlich 
schwierig  ist.  Das  Zusammentreffen 
grossen  Alkoholmissbrauches  mit 
hoher  Schwindsuchtssterblichkeit,  wie 
es  bei  einzelnen  Völkern,  manchen  Be- 
rufskategorien festgestellt  ist,  genügt 
selbstverständlich  noch  nicht,  um  diese 
Bedeutung  zu  erhärten,  da  hier  eine 
Menge  anderer  Umstände  mitschuldig 
sein  können.  Wolff  hat  z.  B.  ganz 
recht,  wenn  er  darauf  hinweist,  dass 
unregelmässiges  Leben,  Mangel  an 
Schlaf  und  Rauchluft  an  der  grossen 
Zahl  der  im  Wirtshausgewerbe  phthis- 
isch Erkrankten  ebenso  schuld  tragen, 
wie  der  Alkoholmissbrauch,  wenn  auch 
seine  Behauptung,  dass  unter  den 
Wirtinnen  Alkoholmissbrauch  selten 
ist,  den  Tatsachen  wohl  kaum  ent- 
spricht. Warum  hat  aber  W  o  1  f  f  un- 
terlassen, die  für  den  Zusammenhang 
zwischen  Trunksucht  und  Tuberkulose 
viel  beweiskräftigere  Tatsache  anzu- 
führen, dass  auch  beim  Brauereibe- 
triebe, bei  dem  die  oben  erwähnten 
Schädlichkeiten  ausser  dem  Alkoholis- 
mus keine  Rolle  spielen,  die  Sterblich- 
keit an  Tuberkulose  eine  sehr  grosse 
ist?  Nach  Guttstadt  betrug  sie  in 
Preussen  während  der  Jahre  1884 — 
1893  479.10  auf  1000  zwischen  24  und 
40  Jahren  Gestorbene,  während  die  be- 


New    Yorker    Medizinische  Monatsschrift. 


167 


treffende  Zahl  in  bezug  auf  die  über- 
haupt gestorbenen  Männer  dieses  Al- 
ters 376.38  ist.  Und  doch  gibt  es  bei 
den  Bierbrauern  weder  Rauchluft, 
noch  Mangel  an  Schlaf,  noch  auch 
schlechte  Ernährung,  wohl  aber  sehr 
verbreiteten  und  sehr  bedeutenden  Al- 
koholmissbrauch, der  hier  ganz  direkt 
als  die  Ursache  bezeichnet  werden 
kann.  Auch  in  England  beträgt  die 
Sterblichkeit  an  Schwindsucht  unter 
den  Bierbrauern  148  gegen  eine  Stand- 
ardsterblichkeit von  100  für  sämmtli- 
che  Gewerbe ;  unter  den  Gasthausbe- 
diensteten steigt  sie  allerdings  auf 
257 !  Nach  Sendtner  starben  in 
München  zwischen  1859—88  28.9  Pro- 
zent der  Brauer  an  Schwindsucht. 
Wenn  diese  Zahlen  gewiss  keinen  ent- 
scheidenden Beweis  zu  liefern  im 
stände  sind,  so  darf  ihre  Bedeutung 
doch  nicht  unterschätzt  werden. 

Die  von  W  o  1  f  f  vermissten  Tierex- 
perimente, die  den  Einfluss  des  Alko- 
hols auf  die  Tuberkulose  beweisen, 
haben  in  jüngster  Zeit  Achard  und 
G  a  i  1  1  a  r  d  angestellt ;  auf  dem  jüng- 
sten, in  Paris  abgehaltenen  Tuberku- 
losekongresse, der  im  übrigen  recht 
drastische  Beweise  dafür  geliefert  hat, 
wie  die  theoretisch  anerkannte  Alko- 
holbekämpfung von  den  Schwind- 
suchtsspezialisten in  praxi  aufgefasst 
wird,  haben  sie  darüber  referiert.  Es 
wurde  Meerschweinchen,  die  mit  Tu- 
berkelbazillen infiziert  worden  waren, 
Alkohol  täglich  subkutan  oder  per  os 
zugeführt  und  ausnahmslos  starben 
die  alkoholisierten  Tiere  weit  früher 
als  die  Kontrolltiere,  und  zwar  die 
erste  Gruppe  (subkutan)  durchschnitt- 
lich nach  63  Tagen,  die  zweite  (per  os) 
nach  76  Tagen,  während  die  Kontroll- 
tiere im  Durchschnitte  174  Tage  leb- 
ten. Dabei  wurde  bezüglich  der  Do- 
sierung des  Alkohols,  ebenso  wie  bei 
den  Experimenten  in  bezug  auf  Milz- 
brand, Streptokokken  u.  s.  w.,  über  die 
L  a  i  t  i  n  en  in  Budapest  referierte, 
darauf  Rücksicht  genommen,  dass  die 
Verhältnisse  den  bei  der  Alkoholthera- 


pie oder  dem  Alkoholmissbrauche  beim 
Menschen  vorkommenden  Mengen 
entsprachen.  Diese  keineswegs  von 
Abstinenten  angestellten  Versuche 
sprechen  eine  ganz  unzweideutige 
Sprache  und  ihnen  gegenüber  einzu- 
wenden, dass  das  Tierexperiment  „in 
diesem  Falle"  sich  schwer  auf  den 
Menschen  übertragen  lässt,  wie  es 
W  o  1  f  f  L  a  i  t  i  n  e  n  und  Abbott 
gegenüber  tut,  ist  ohne  Angabe  von 
ausreichenden  Gründen  ganz  unzuläs- 
sig. 

Es  fehlen  daher  keineswegs  durch- 
aus verlässliche  statistische  und  ex- 
perimentelle Beobachtungen,  die  die 
kausale  Bedeutung  des  Alkoholmiss- 
brauches für  die  Entstehung  der 
Schwindsucht  beweisen.  Die  von 
Wol  f  f  zitierte  Ansicht  Hamme  r's, 
nach  der  durch  Alkoholeinfluss  in  tu- 
berkulösen Organen  Hyperplasie  des 
Bindegewebes  und  damit  Heilungsvor- 
gänge eintreten  können,  wurde  von 
keiner  Seite  bestätigt.  Auch  dem  Be- 
funde H  a  m  m  e  r's,  dass  bei  Alkoholi- 
kerleichen rezente  Tuberkulose  selten 
sei,  stehen  ganz  widersprechende  Be- 
obachtungen anderer  Aerzte  gegen- 
über; so  fand  R.  Weber  unter  29 
Cirrhosesektionen  8mal  tuberkulöse 
Peritonitis  und  lOmal  Phthisis  pulmo- 
num. Das  spricht  nicht  sehr  für 
H  a  m  m  e  r's  Theorie  !  Und  wie  ver- 
trägt sich  diese  Beobachtung  mit 
W  o  1  f  f's  Anschauung,  dass  Alkohol- 
erkrankungen und  Tuberkulose  auffal- 
lend selten  zusammentreffen? 

Die  Verhältniszahlen,  die  W  o  1  f  f 
bezüglich  der  Zahl  der  Alkoholisten 
unter  seinen  Anstaltspatienten  mitteilt, 
sind  ebenfalls  im  Widerspruche  mit 
den  von  anderen  Autoren  veröffentlich- 
ten Ausweisen.  Liebe  fand  in  Los- 
lan  bei  40  Prozent  ausgesprochenen 
Alkoholismus  und  bei  27  Prozent  täg- 
lichen Genuss  grösserer  Mengen  Bier, 
J  a  q  u  e  t  bei  252  Schwindsüchtigen 
der  Pariser  Spitäler  71.4  Prozent,  B  a  r- 
b  i  e  r,  R  e  n  d  u  und  Constan  gar 
88    Prozent    Alkoholisten,     G  r  i  g  o- 


i68 


New   Yorker   Medizinische  Monatsschrift. 


rieff  unter  173  Phthisikern  nur  23 
Nichttrinker.  Wenn  demgegenüber 
unter  den  199  männlichen  Tuberkulö- 
sen des  Arbeiterstandes  in  Reibolds- 
grün  kaum  7  Prozent  Alkoholiker  ge- 
wesen sein  sollen,  so  erweckt  diese 
Zahl  Bedenken  darüber,  wie  in  diesem 
Falle  der  Begriff  „Alkoholmissbrauch" 
aufgefasst  worden  ist,  denn  niemand, 
der  auch  nur  einige  Erfahrungen  ge- 
sammelt hat,  wird  in  Abrede  stellen, 
dass  der  Begriff  des  „massigen  Alko- 
holgenusses" nicht  nur  von  den  Kran- 
ken selbst,  sondern  auch  von  den 
Aerzten  mitunter  ausserordentlich 
weit  ausgedehnt  wird. 

Es  wird  z.  B.  sehr  wenige  Nichtab- 
stinente geben,  die  einen  dem  Mittel- 
stande angehörigen,  durchaus  achtba- 
ren, braven  und  soliden  Familienvater 
und  Beamten  als  „Alkoholiker"  be- 
zeichnen werden,  weil  er  jeden  Abend 
einige  Stunden  im  Wirtshause  geses- 
sen und  6 — 8,  in  Ausnahmsfällen  wohl 
auch  10 — 12  Glas  Bier  getrunken  hat. 
Und  doch  ist  bei  diesem  Manne  seine 
Lebensweise  mit  voller  Bestimmtheit 
als  Ursache  der  Phthise  zu  bezeichnen, 
die  ihn  im  Vorjahre  nach  Reibolds- 
grün  geführt  hat.  Ob  er  dort  zu  den 
„Alkoholikern"  gezählt  wurde,  weiss 
ich  freilich  nicht;  ich  glaube  es  aber 
bezweifeln  zu  dürfen. 

Ich  gebe  aber  zu,  dass  alle  diese  Pro- 
zentberechnungen, ob  sie  nun  für  oder 
gegen  den  Alkohol  sprechen,  beinahe 
ganz  wertlos  sind,  solange  man  nicht 
weiss,  wie  viele  Alkoholiker  es  über- 
haupt gibt;  erst  dann  könnte  man  die 
Berechnung  anstellen,  ob  die  Zahl  der 
an  Phthise  erkrankten  Trinker  grösser 
oder  kleiner  ist,  als  es  dem  V erhält- 
nisse  der  Trinker  zu  der  Gesamtbevöl- 
kerung entsprechen  würde.  Aber  da- 
von kann  ja  noch  auf  lange  hinaus  gar 
keine  Rede  sein ;  wird  doch  gegenwär- 
tig von  der  offiziellen  Statistik  nur  der 
bereits  vollkommen  entartete  Schnaps- 
säufer als  „Alkoholiker"  betrachtet. 
Ganz  anders  steht  es  mit  den  oben 
zitierten  Zahlen  der  Schwindsuchtsto- 


desfälle bei  den  Bierbrauern,  da  sich 
da  tatsächlich  ein  Vergleichsobjekt  in 
der  Gesammtheit  der  Bevölkerung 
findet. 

Was  W  o  1  f  f  über  die  indirekte,  so- 
ziale Bedeutung  des  Alkoholismus  für 
die  Entstehung  der  Phthise  sagt,  ent- 
spricht im  ganzen  unseren  Anschau- 
ungen, wenn  er  es  auch  unterlässt,  die 
Folgerungen  daraus  zu  ziehen  und, 
was  sehr  auffällig,  einen  sehr  wichti- 
gen, ja  wahrscheinlich  wichtigsten 
Faktor  so  gut  wie  gar  nicht  erwähnt, 
nämlich  den  Einfluss  des  Alkoholmiss- 
brauches auf  die  Nachkommenschaft. 
Und  doch  liegt  in  der  Degeneration, 
die  den  Kindern  der  Trinker  als  trau- 
riges Erbteil  zufällt,  unbedingt  eine 
der  wichtigsten  Ursachen  für  den  Man- 
gel an  Widerstandsfähigkeit  gegen  die 
Tuberkulosvergiftung,  und  sie  gibt 
auch  die  Erklärung  für  die  von  W  o  lff 
triumphierend  betonte  Tatsache,  dass 
die  Schwindsucht  unter  den  Frauen 
viel  häufiger  ist,  als  sie  bei  dem  Um- 
stände, dass  die  Trunksucht  unter 
ihnen  selten  ist,  sein  dürfte,  wenn  die 
Abstinenten  recht  hätten.  Ja,  wie 
zahlreich  sind  aber  unter  der  Arbeiter- 
bevölkerung die  Fälle,  in  denen  die 
Töchter  von  Trinkern  entweder  im 
Kindesalter  oder  auch  als  Erwachsene 
an  Tuberkulose  zu  Grunde  gehen !  Zu- 
gegeben, dass  das  keine  „direkte"  Al- 
koholwirkung ist,  sondern  die  anderen 
sozialen  Schädlichkeiten,  Unterernähr- 
ung, Verwahrlosung  u.  s.  w.,  wie  sie 
in  der  Familie  des  Trinkers  unver- 
meidlich sind,  ebenso  viel  schuld  tra- 
gen, wie  die  Keimverderbnis  selbst ; 
aber  es  ist  doch  nur  Sophisma,  dadurch 
den  Alkohol  exkulpieren  zu  wollen. 
Hätte  der  Vater  nicht  getrunken,  dann 
wäre  eben  auch  das  Milieu  ein  anderes 
gewesen.  Der  Ausgangspunkt  bleibt 
der  Alkoholgenuss. 

Ob  gegen  die  Trunksucht,  die  heute 
so  verheerend  wütet  und  die  in 
Deutschland  alljährlich  über  3,000,000,- 
000  und  nicht  wie  W  o  1  f  f  (wohl  ein 
Druckfehler?)     schreibt,  300,000,000 


New    Yorker   Medizinische  Monatsschrift. 


169 


Mark  verschlingt,  Abstinenz  oder  Mäs- 
sigkeit  das  wirksamere  Mittel  ist,  das 
zu  erörtern  ist  hier  nicht  der  Ort.  Die 
Bierbrauer  und  Schnapsbrenner  schei- 
nen die  erstere  mehr  zu  fürchten. 
Denn  während  sie  mit  den  Aussprü- 
chen der  Mässigkeitsvertreter  Reklame 
machen  und  die  F  r  a  e  n  k  e  l'schen 
Gutachten  sogar  in  Schnapsannonzen 
zitiert  haben,  bekämpfen  sie  die  Absti- 
nenz mit  wahrem  Hasse  und  mit  dem 
Aufgebote  aller  ihnen  zur  Verfügung 
stehender  Mittel. 

Wenn  ich  mich  nun  der  in  diesem 
Falle  wichtigeren  und  eigentlich  zur 
Diskussion  stehenden  Frage  zuwende, 
ob  der  Alkohol  bei  Schwindsüchtigen 
verwendet  werden  darf,  so  muss  ich 
vorausschicken,  dass  die  Bemerkung 
W  o  1  f  f's  ,,es  sei  recht  wohl  ein  Ein- 
fluss  des  Alkohols  auf  die  Schwind- 
suchtsentstehung denkbar,  ohne  dass 
dadurch  die  Möglichkeit,  den  Alkohol 
mit  Nutzen  bei  der  Behandlung  Lun- 
genkranker zu  verwenden,  an  sich  aus- 
geschlossen werden  muss,  eine  unbe- 
rechtigte Forderung,  die  vielfach  in 
den  Schriften  der  Alkoholgegner  sich 
findet"  auf  einer  missverständlichen 
Ausdeutung  dessen  beruht,  was  wir 
Alkoholgegner  verlangen.  Es  wird 
keinem  von  uns  einfallen,  die  Ver- 
wendung des  Alkohols  bei  der  Be- 
handlung Lungenkranker — wenn  sich, 
was  noch  zu  besprechen,  Indikationen 
für  sie  finden,  —  deshalb  zu  verwerfen, 
weil  der  Alkohol  ein  Gift  ist,  das  oft 
genug  auch  Schwindsucht  verursacht. 
Wohl  aber  halten  wir  es  für  eine  wohl- 
begründete und  selbstverständliche 
Forderung,  dass  man  dieses  giftige  und 
gefährliche  Heilmittel  nicht  bei  der 
Table  d'höte  serviert,  sondern  gleich 
dem  Morphium  und  der  Belladonna  in 
der  Apotheke  verwahrt,  von  der  es  nur 
gegen  Rezept  abgegeben  werden  darf 
—  natürlich  in  Lungenheilanstalten, 
dem  Patienten  anheimgegeben  wird, 
dann  darf  dagegen  wohl  mit  Fug  und 
Recht  protestiert  werden  ;  wie  dem  ent- 
lassenen Phthisiker  und  seiner  Familie, 


seinem  Umgangskreise  daraus  die  Ge- 
fährlichkeit des  Alkoholes  klar  werden 
soll,  dass  die  gesammte  Einwohner- 
schaft des  Sanatoriums  mittags  und 
abends  Wein  und  Bier  getrunken  hat, 
erscheint  als  unlösbares  Rätsel. 

Gehen  wir  nun  aber  auf  die  Vorteile 
ein,  die  W  o  1  f  f  von  der  Alkoholdar- 
reichung bei  Lungenkranken  erwartet, 
so  finden  wir  bald,  dass  es  damit  recht 
schwach  und  unsicher  steht.  Was 
W  o  1  f  f  über  B  r  e  h  m  e  r's  Theorie 
sagt,  hat  doch  nur  mehr  historischen 
Wert.  Der  Gedanke,  das  Herz  bei 
chronischen  Krankheiten  durch  Alko- 
hol „kräftigen"  zu  wollen  oder  den 
Blutzufluss  zur  Lunge  durch  Alkohol 
zu  steigern,  ist  wohl  für  alle  Zeiten  als 
chimärisch  abgetan.  Auch  was  W  o  1  f  f 
mit  Berufung  auf  H  a  m  m  e  r  und 
Kühn.  Alexander,  J  a  c  o  b  i  und 
Weber  sonst  über  die  Möglichkeit 
der  Tuberkuloseheilung  durch  Alkohol 
sagt,  ist  nichts  wie  Vermutung,  Kon- 
stätierung  von  Möglichkeiten,  für  die 
weder  irgendwelche  experimentelle 
noch  klinische  Beweise  existieren. 
W  o  1  f  f  empfiehlt  selbst  nur  mit  gros- 
ser Vorsicht,  an  die  Versuche  heranzu- 
gehen, die  eine  Wiedereinführung  der 
Alkoholtherapie  bezwecken  sollen.  Ob 
in  den  Anstalten  auftretende  Herz- 
schwäche häufig  oder  selten  dem  Alko- 
holgenusse  zuzuschreiben  ist,  ob  Ma- 
generkrankungen Folge  des  Alkohol- 
genusses oder  verkehrter  diätetischer 
Massregeln  sind,  wird  sich  erst  dann 
mit  Sicherheit  entscheiden  lassen, 
wenn  genügendes  Material  zum  Ver- 
gleiche vorliegt,  d.  h.  bis  in  einer  grös- 
seren Zahl  gut  geleiteter  Lungenheil- 
anstalten der  Alkohol  gänzlich  ausge- 
schaltet sein  wird. 

Und  nun  endlich  die  „symptomati- 
sche" Anwendung  des  Alkohols,  das 
Hintertürchen,  durch  das  der  durch 
das  Fiasko  der  Alkoholtherapie  ent- 
thronte Herrscher  wieder  in  die  Lun- 
genheilstätten eingedrungen  ist  und 
dort  nach  wie  vor  sein  Zepter 
schwingt.    Da  gibt  es  die  verschieden- 


I/O 


New    Yorker  Medizi 


nische  Monatsschrift. 


sten  Symptome,  die  er  „mit  Erfolg" 
bekämpft.  Die  Nachtschweisse,  die 
Unbekömmlichkeit  der  Milch,  das  Fie- 
ber, die  Appetitlosigkeit  und  endlich 
last,  but  not  least,  die  Melancholie. 

Die  Bekämpfung  der  Nachtschweisse 
und  des  Fiebers  können  wir  wohl  aus 
dem  Spiele  lassen ;  die  letztere  ist  ob- 
solet, ich  glaube  nicht,  dass  es  heute 
noch  jemanden  einfällt,  die  Tempera- 
tur durch  Alkohol  herabsetzen  zu  wol- 
len. Und  was  die  Nachtschweisse  be- 
trifft, gegen  die  bei  manchen  Phthisi- 
kern  der  Alkohol  eine  gewisse  Wirk- 
samkeit zu  haben  scheint,  so  ist  nichts 
dagegen  einzuwenden,  wenn  der  Arzt, 
der  dieses  Mittel  nicht  entbehren  zu 
können  glaubt,  dem  Kranken  jeden 
Abend  seine  Dosis  Spiritus  in  irgend 
unverfänglicher  Form  verordnet,  so 
gut  wie  er  es  mit  Morphium  oder  Sul- 
fonal  auch  tut.  Ich  für  meinen  Teil 
habe  mit  kaltem  Salbeiaufguss  immer 
bessere  Resultate  und  dabei  die  Sicher- 
heit gehabt,  ein  unschädliches  Mittel 
zu  verwenden. 

Aber  darauf  legen  ja  auch  die  Ver- 
teidiger des  Alkohols  weniger  Wert, 
die  Hauptsache  ist  und  bleibt  der  Ap- 
petit und  die  Ernährung.  Man  kann 
sagen,  dass  das  der  Angelpunkt  ist,  um 
den  sich  die  ganze  Frage  dreht.  Denn 
nur,  wenn  es  wahr  ist,  dass  der  Alko- 
hol die  Ernährung  des  Phthisikers  er- 
möglicht oder  erleichtert,  dass  er  Ap- 
petit erregt,  seine  Kalorien  wirklich 
dem  sonst  unterernährten  Fiebernden 
zugute  kommen,  lassen  sich  die  ietzt 
noch  in  den  Privatlungenheilstätten 
bestehenden  Gebräuche,  die  sich  in 
nichts  von  den  auch  sonst  herrschen- 
den Trinksitten  unterscheiden,  recht- 
fertigen. 

Die  Frage,  ob  der  Alkohol  Appetit 
macht  oder  nicht,  wird  sich  selbstver- 
ständlich überhaupt  nie  generell  be- 
antworten lassen.  Dass  er  die  Ver- 
dauung nicht  befördert,  steht  fest ;  ich 
verweise  auf  die  Untersuchungen 
B  u  c  h  n  e  r's,  Gluzinsk  i's.  K  r  e  t- 
s  c  h  y's,  besonders  aber  Ernst  Mey- 


e  r's,  die  alle  die  verdauungshemmende 
Wirkung  des  Alkohols,  noch  mehr 
aber  der  gegohrenen  Getränke,  beson- 
ders des  Bieres  hervorheben ;  nur  bei 
reiner  Fettnahrung  hat  Meyer  eine 
Beschleunigung  der  Magenverdauung 
beobachtet.  Als  Stomachikum  darf 
man  den  Alkohol  daher  sicher  nicht 
betrachten  ;  wenn  von  einer  appetitan- 
regenden Wirkung  überhaupt  die  Rede 
sein  kann,  so  ist  sie  eine  psychische; 
durch  seine  betäubende,  narkotisie- 
rende Kraft  werden  unangenehme 
Sensationen.  Widerwille  gegen  die 
Speisen,  trübe  Gedanken  verscheucht ; 
die  Möglichkeit,  dass  der  Kranke  dann 
mehr  isst,  als  er  sonst  gegessen  hätte, 
ist  zuzugeben.  Aber  es  darf  nicht  ver- 
gessen werden,  dass  sich  diese  Wir- 
kung, eben  weil  sie  eine  zentrale, 
psychische  ist,  rasch  abstumpft  und 
dass  dann  mit  der  Menge  gestiegen 
werden  muss,  will  man  den  Effekt  er- 
reichen :  dass  nach  Beendigung  der 
psychischen  Wirkung  die  Reaktion 
eintritt  und  die  Appetitlosigkeit  erst 
recht  gross  wird  und  dass  endlich  ge- 
rade diese  Seite  der  Alkoholwirkung, 
das  Gehirn  willig  für  Nahrungszu- 
fuhr zu  machen,  sehr  rasch  zur  Ge- 
wohnheit und  zum  Bedürfnisse  wird. 
Man  kann  ruhig  behaupten,  dass  fast 
in  allen  Fällen,  in  denen  der  Alkohol- 
genuss  den  Appetit  merklich  hebt,  die 
Appetitlosigkeit  eine  artifizielle,  durch 
oder  bei  gewohnheitsmässigem  Alko- 
holgenuss  entstandene  ist.  Bei  Absti- 
nenten wirkt  der  Alkohol  nicht  appe- 
titerregend, was  man  bei  Kindern 
sehr  gut  beobachten  kann,  die  meist 
schon  nach  kleinen  Mengen  Bier  oder 
Wein  den  Appetit  für  die  nächste 
Mahlzeit  verlieren. 

Und  nun  die  Ernährungsfrage !  Ich 
muss  offen  gestehen,  dass  ich  es  nicht 
begreife,  wie  heutzutage  ein  Arzt  noch 
an  die  Möglichkeit  glauben  kann,  ir- 
gendeinen lebenden  Organismus,  ob 
gesund  oder  krank,  mit  Alkohol  füt- 
tern zu  können.  Dabei  sind  mir  alle 
Experimente,  die  anscheinend  das  Ge- 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


171 


genteil  beweisen,  vollständig  gegen- 
wartig, dabei  erkenne  ich  die  Autori- 
tät Rosemann's  auf  dem  Gebiete 
der  Stoffwechseluntersunchungen  voll- 
ständig an.  Aber  ich  habe  die  feste 
Ueberzeugung,  dass  diese  Frage  durch 
Stoffwechselexperimente  überhaupt 
nicht  entschieden  werden  kann,  dass 
unsere  grobchemischen  Methoden  weit 
entfernt  sind,  uns  einen  Einblick  in  die 
Vorgänge  der  Erneuerung  und  des 
Zerfalls,  des  Auf-  und  Abbaues  un- 
seres Körpers,  der  Zelle,  des  Proto- 
plasmas zu  verschaffen,  dass  wir  nur 
wissen,  was  hineingeschafft  und  her- 
ausbefördert wird,  von  den  Vorgängen, 
die  dazwischen  liegen,  aber  noch  gar 
keine  Vorstellung  haben.  Wie  man 
glauben  kann,  einem  Fiebernden  da- 
durch Vorteil  zu  bringen,  dass  man 
ihm  einen  Stoff  zuführt,  der  im  Körper 
zu  Wasser  und  Kohlensäure  verbrannt 
wird,  zu  diesem  Zwecke  gierig  Sauer- 
stoff an  sich  reisst,  wo  er  ihn  findet, 
das  Protoplasma  der  feinsten  Zellen 
beschädigt  und  dann  durch  Haut. 
Lunge  und  Nieren  wieder  ausgeschie- 
den werden  muss,  also  dem  Organis- 
mus Schaden  und  Arbeit  bringt  und 
sonst  gar  nichts,  ist  mir  ein  Rätsel. 
Ja,  richtig,  die  Wärme,  die  Kalorien ! 
Natürlich,  weil  der  Fiebernde  so  viel 
Wärme  abgibt,  muss  man  ihm  doch 
wieder  Wärme  zuführen,  ist  das  nicht 
klar?  Ist  es  nicht  bei  jedem  Ofen 
auch  so?  Aber  ich  meine,  dass  es  dem 
Körper  nicht  um  Stoffe  zu  tun  ist,  die 
verbrennen,  sondern  um  solche,  die  er 
für  seinen  Aufbau  brauchen  kann,  die 
ihm  wiedersetzen,  was  er  durch  Le- 
bensprozess,  Arbeit  oder  Krankheit 
verloren  hat,  die  er  sich  assimilieren 
kann  und  die  nicht  seine  Bestandteile 
angreifen  und  zerstören.  Schon  hat 
die  als  felsenfest  betrachte  Lehre  vom 
Stickstoffgleichgewicht,  vom  zum  Le- 
ben notwendigen  Eiweissminimum  ei- 
nen bedenklichen  Riss  bekommen  ;  un- 
sere ganze  Ernährungstheorie  wird 
revidiert  werden  und  dann  werden  die 
Kalorien  aufhören,  Protoplasmagiften 


zum  Range  von  Nahrungsmitteln  zu 
verhelfen. 

Der  von  W  o  1  f  f  als  Gewährsmann 
angerufene  Rosemann  sagt :  „Wenn 
somit  auch  der  Alkohol  sicherlich  ein 
Nahrungsstoff  ist  ,so  kann  er  doch  we- 
gen seiner  giftigen  Nebenwirkungen 
für  die  Ernährung  des  Gesunden  prak- 
tisch nicht  in  Betracht  kommen."  Dass 
diese  „giftigen  Nebenwirkungen"  bei 
chronischen  Kranken  und  besonders 
bei  Phthisikern  weniger  ins  Gewicht 
fallen  sollen  als  bei  Gesunden,  ist  ein 
Rätsel,  dessen  Lösung  ich  weder  bei 
W  o  1  f  f  noch  bei  Rosemann  finde. 
Der  Fall  steht  auch  ganz  vereinzelt  da, 
dass  ein  Stoff,  der  seit  Jahrtausend  be- 
kannt und  als  Genussmittel  geschätzt, 
jedoch  niemals  als  Nahrungsmittel 
verwendet  wurde,  weil  der  Volksin- 
stinkt schon  längst  herausgefunden 
hat,  dass  er  keiner  ist,  auf  Grund  von 
Stoffwechselversuchen  als  solcher  er- 
klärt werden  soll.  Vereinzelt?  Doch 
nicht  ganz!  Er  gibt  zwei  Analogien. 
Die  erste  ist  das  Glyzerin.  Auch  auf 
Grund  von  chemischen  Voraussetzun- 
gen und  mit  Rücksicht  auf  den  bedeu- 
tenden Kalorienwert  wurde  in  den  70er 
Jahren  von  L  i  n  d  s  a  y  das  Glyzerin 
zur  Ernährung  kachektischer  Kranken 
benützt ;  er  erzielte  auch  bedeutende 
Gewichtszunahmen.  Ich  frage  W  o  1  f  f, 
warum  man  den  Phthisikern  kein  Gly- 
zerin mehr  gibt,  trotzdem  es  doch  un- 
zweifelhaft im  Körper  verbrannt  wird? 
Der  innere  Grund  ist  der,  dass  Gly- 
zerin für  den  Organismus  giftig  ist  und 
in  grösseren  Mengen  sehr  bedenkliche 
Folgen  zeitigt  —  ganz  wie  der  Alko- 
hol. Der  äussere  aber  der,  dass  die 
Patienten  Glyzerin  nicht  gerne  neh- 
men, nicht  daran  gewöhnt  sind,  es  in 
den  Anstalten  nicht  vermissen  und 
deshalb  ihren  Aufenthalt  dort  verkür- 
zen und  endlich,  dass  man  nicht  viel 
daran  verdient  —  und  dadurch  unter- 
scheidet es  sich  vom  Alkohol. 

Die  zweite  Analogie  ist  das  Opium. 
Die  indischen  Aerzte  behaupten,  dass 
man  die  Kranken  besser  und  leichter 


172 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


ernähren  könne,  wenn  man  ihnen  Opi- 
um zur  Nahrung  zusetze ;  die  Nähr- 
stoffe würden  dann  besser  ausgenützt. 
Ja,  sie  bemühen  sich  sogar,  eine  theo- 
retische Erklärung  für  dieses  Mirakel 
zu  finden.  Aber  die  Erklärung  ist 
ganz  einfach ;  in  Indien  verlangen  die 
Kranken  nach  dem  Opium  so,  wie  in 
Europa  nach  dem  Alkohol.  Und  die 
Aerzte  stehen  da  und  dort  unter  uralter 
Suggestion  und  vermögen  sich  vom 
Banne  des  Vorurteils  nicht  freizu- 
machen. 

Und  wenn  wir  uns  endlich  mit  dem 
praktischen  Versuche,  den  Kranken 
mit  Alkohol  zu  ,, nähren",  etwas  näher 
befassen  —  was  ist  denn  da  gar  so  un- 
ersetzliches ?  50  gr  Alkohol,  d.  i.  ein 
halber  Liter  Wein  oder  beinahe  \l/> 
Liter  Bier,  durchaus  kein  unbedeuten- 
des Quantum,  sind  erst  350  Kalorien, 
also  etwa  so  viel,  wie  200  gr  Rahm  ent- 
halten, eine  verschwindend  kleine 
Menge,  die  jedem  Kranken  mit  Leich- 
tigkeit beizubringen  ist  (nebenbei  be- 
merkt, findet  sich  an  dieser  Stelle  bei 
W  o  1  f  f  [S.  262,  Z.  2]  ein  sinnstören- 
der Druckfehler ;  50  gr  Alkohol  sind 
nicht  gleich  85  gr  Kohlehydraten  und 
37.5  gr  Fett,  sondern  85  gr  Kohlehy- 
draten oder  37.5  gr  Fett). 

Zum  Schlüsse  bleibt  noch  die  Frage 
offen,  ob  der  Alkohol  in  den  Lungen- 
heilanstalten nicht  als  Genussmittel, 
d.  h.  zur  Hebung  der  Stimmung  der 
meist  sorgenvollen  und  melancholi- 
schen Kranken  notwendig  ist.  Die  Be- 
antwortung dieser  Frage  ist  deshalb 
die  wichtigste,  weil  sie  —  im  Sinne 
W  o  1  f  f  s  bejahend  entschieden — allen 
Missbräuchen  Tür  und  Tor  öffnet.  Je 
mehr  Alkohol,  desto  fideler  die  Stim- 
mung; und  da  fidele  Stimmung  dem 
Heilungsprozesse  förderlich,  noch 
mehr  Alkohol.  Auf  Grund  dieser  logi- 
schen Schlussfolgerung  wird  auch 
heute  noch  in  den  Privatlungenheilan- 
stalten  bei  den  gemeinsamen  Tafeln 
mittags  Wein,  abends  Bier  getrunken, 
ganz  so,  wie  in  besseren  Kreisen  sonst 
i  .blich.     ,, Individualisiert"    wird  frei- 


lich, aber  nur  insoferne,  als  Hämoptoi- 
kern  das  Trinken  allerdings  verboten, 
Diabetikern  anstatt  Bier  Wein  verord- 
net, sonst  aber  das  Mittrinken  als 
selbstverständliche  Regel,  das  Nicht- 
mittrinken  ungefähr  ebenso  betrachtet 
wird,  wie  an  der  Table  d'höte  eines 
Rheindampfers;  kein  Mensch  sagt  was, 
Gott  behüte,  aber  —  jeder  fühlt,  dass 
das  nicht  gentleman  like  ist. 

Aber  es  gibt  auch  Anstalten,  in 
denen  mann  es  gerade  heraus  sagt,  in 
denen  schwer  Lungenkranken  erklärt 
wird,  sie  müssten  täglich  so  und  so  viel 
Wein  trinken  und  warum  der  Wein  so 
oft  auf  ihrer  Rechnung  fehle ;  wenn  sie 
nicht  hören  wollten,  werde  man  ihnen 
den  Wein  aus  der  Apotheke  verschrei- 
ben, so  dass  er  doppelt  teuer  sein 
werde. 

In  einer  anderen  Anstalt  wird  beim 
Scheiden  eines  jeden  Patienten  eine 
Sektbowle  aufgesetzt  und  bis  tief  in 
die  Nacht  gezecht ;  in  einer  der  bekann- 
testen Anstalten  kam  es  zur  Gründung 
eines  ,, Sektklubs".  Ein  Patient  einer 
dritten  Anstalt  hatte  für  sich  und  seine 
Leidensgefährten  an  einem  Abende 
eine  Kognakrechnung  von  15  Mk.  Man 
begreift  dann  wohl,  dass  ein  bekannter 
Berliner  Professor  derartige  Anstalten 
als  „Hotels  ersten  Ranges  mit  ärztli- 
cher Bedienung"  charakterisierte.  All 
das  hier  Aufgezählte  rührt  keineswegs 
aus  der  angeblich  schon  längst  über- 
wundenen Periode  der  Brehme  r'- 
schen  Alkoholtherapie,  sondern  aus  der 
jüngsten  Zeit ;  es  lässt  den  von  W  o  1  f  f 
zurückgewiesenen  Ausspruch  L  i  e- 
b  e  s  :  „Je  mehr  der  Arzt  von  der  wirt- 
schaftlichen Verwaltung  abhängt, 
desto  schwerer  wird  er  dem  (recht  ein- 
träglichen) Alkoholkonsume  zu  steu- 
ern vermögen"  als  durchaus  berechtigt 
erscheinen. 

Die  Stimmung  der  Lungenkranken 
(es  ist  doch  übrigens  notorisch,  dass 
gerade  die  Phthisiker  ohnedies  merk- 
würdig leichtlebig,  optimistisch  und 
wohlgelaunt  sind)  durch  Alkohol  he- 
ben zu  wollen,  unterliegt  genau  den- 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


173 


selben  Bedenken,  wie  diese  ja  so  all- 
gemein verbreitete  Sitte,  die  Unlustge- 
füble  zu  betäuben,  überhaupt.  Am 
Morgen  des  nächsten  Tages  erwacht 
der  Kranke  in  doppelt  graner  Gemüts- 
verfassung, die  erst  recht  der  Narkose 
bedarf.  Es  ist  ein  Testimonium  pau- 
pertatis  für  jeden  ärztlichen  Leiter  ei- 
nes Sanatoriums,  wenn  es  ihm  nicht 
gelingt,  durch  andere  Mittel  den  Mut, 
die  Zuversicht,  das  Frohgefühl  seiner 
Pfleglinge  zu  heben.  Ebenso  schlimm 
ist  es  um  die  Qualifikation  des  Arztes 
bestellt,  wenn  er  es  nicht  versteht,  den 
Kranken  zur  Abstinenz  zu  erziehen, 
ohne  ihn  dabei  zum  „Gesundheits- 
fexen", wie  W  o  1  f  f  sagt,  zu  machen. 
Es  muss  dies  mindestens  ebenso  leicht 
möglich  sein,  wie  ihm  das  Rauchen  ab- 
zugewöhnen, an  dem  die  Kranken 
ebenso  fest  zu  hängen  pflegen.  Die 
,, mittlere  Linie  zwischen  Vorsicht  und 
Leichtsinn"  einzuhalten,  ist  für  viele 
Menschen  gerade  beim  Alkoholge 
nusse,  sowie  beim  Gebrauche  jedes 
narkotischen  Giftes  schwierig,  oft  un- 
möglich und  jedenfalls  nur  mit  Auf- 
gebot viel  grösserer  Willensstärke 
durchführbar,  als  die  völlige  Enthalt- 
samkeit. Gerade  die  Lungenheilan- 
stalt ist  der  geeignete  Ort,  um  die 
Kranken  zu  überzeugen,  wie  schön,  an- 
genehm und  freundlich  das  Leben  auch 
ohne  Alkoholgenuss  sein  kann,  wie 
man  ohne  Wein  und  Bier  stark  und 
kräftig  wird,  und  dass  der  Verzicht  auf 
ihn  kein  Opfer,  kein  Verlust,  sondern 
ein  Gewinn,  ein  Vorteil  ist ;  freilich 
muss  der  Arzt,  der  Leiter,  mit  seinem 
Beispiele  vorausgehen  und  freilich 
muss  der  Gewinn  aus  den  geistigen  Ge- 
tränken aus  dem  Etat  der  Anstalt  ge- 
strichen werden. 

Die  von  W  o  1  f  f  vertretene  Mei- 
nung, dass  nur  die  Volksheilstätten  die 
Aufgabe  haben,  hygienisch  zu  er- 
ziehen, mutet  um  so  eigentümlicher  an, 
als  nach  der  Statistik  seiner  eigenen 
Anstalt  die  Zahl  der  Alkoholiker  unter 
den  wohlhabenden  Phthisikern  um  so 
viel  grösser  ist  als  unter  den  lungen- 


kranken Arbeitern.  Die  auch  von 
W  o  1  f  f  nicht  in  Abrede  gestellte  Tat- 
sache, dass  es  in  den  Volksheilstätten 
keinen  regelmässigen  Alkoholgenuss 
gibt,  wirft  ja  überhaupt  seine  ganze 
Beweisführung  über  den  Haufen,  denn 
der  von  ihm  ins  Treffen  geführte  Un- 
terschied im  Krankenmaterial  (in  den 
Volksheilstätten  sind  angeblich  keine 
appetitslosen  Kranken,  bei  denen  die 
Ernährung  Schwierigkeiten  bereiten 
könnte)  wird  kaum  als  hinreichend  an- 
erkannt werden  können.  Wenn  dort 
der  Alkoholgenuss  für  besondere  Ge- 
legenheiten (Festtage)  reserviert  und 
nach  „möglichst  unschädlicher  Form" 
der  Alkoholverabreichung  gesucht 
wird,  so  erscheint  dadurch  die  Ueber- 
flüssigkeit,  ja  Gefährlichkeit  des  Ge- 
nusses für  jeden  objektiven  Beurteiler 
als  vollkommen  bewiesen  und  die  jetzt 
noch  geübte  „Temperenz"  dieser  An- 
stalten als  Ki iiizession  an  die  Wünsche 
der  Kranken,  des  Anstaltspersonales 
und  das  eigene  Alkoholbedürfnis  der 
Anstaltsleiter.*) 

Den  pädagogischen  Grundsatz,  nur 
Erreichbares  zu  erstreben,  vertreten 
die  Abstinenten  und  nicht  die  soge- 
nannten Mässigen,  wie  tausendfältige 
Erfahrung  und  nicht  zum  mindesten 
die  Geschichte  der  Alkoholdarreichung 
in  den  Heilstätten  selbst  beweist.  Eine 
Anstalt  abstinent  zu  führen,  ist  sehr 

*)  In  der  grössten  Lungenheilanstalt  Oester- 
reichs bekommen  die  Patienten  der  II.  Klasse 
mittags  Wasser,  abends  03  Lit?r  Rier :  es  ist 
ihnen  gestattet,  anstatt  dieser  Bierration  eine 
Milchspeise  zu  wählen,  wovan  ca.  15  Prozent 
Gebrauch  inachen.  In  der  I.  Klasse  gibt  es 
mittags  0,3  Liter  Wein.  Dass  diese  minimalen 
Dosen  irgendeine  günstige  Wirkung  auf  Ap- 
petit, Stimmung  oder  sonst  etwas  haben  kön- 
nen, ist  wohl  ausgeschlossen ;  sie  werden  wohl 
auch  fast  nie  schaden,  trotzdem  wäre  es  aus 
pädagogischen  Gründen  besser,  sie  blieben 
weg.  Jedenfalls  aber  beweist  dieser  Usus,  wie 
er  in  Alland  gepflegt  wird,  meines  Erachtens 
unwiderleglich,  dass  in  den  Privatheilanstalten 
mit  Alkohol  Unfug  getrieben  wird;  was  dort 
möglich  ist,  muss  in  —  auch  gehen.  Nebenbei 
bemerkt,  gibt  es  in  Alland  keinen  Kognak  ! 


174 


New  Yokkek  Medizinische  Monatsschrift. 


einfach,  sobald  der  Leiter  auf  den  Al- 
kohol verzichtet  und  seinen  Willen 
durchzusetzen  versteht;  in  den  angeb- 
lich „templerenzlerisch"  geführten 
Heilstätten  kommen  aber  zahlreiche 
Fälle  von  ausgesprochenem  Alkohol- 
missbrauch gar  nicht  selten  vor,  was 
keinen  Sachverständigen  wundern 
wird,  denn  Mässigkeit  ist  zwar  indi- 
viduell sehr  wohl  möglich,  gesellschaft- 
lich aber  auf  lange  Zeit  hinaus  undenk- 
bar. Ich  kann  mir  sehr  gut  eine  Na- 
tion denken,  die  keinen  Alkohol  ge- 
niesst,  aber  ein  Volk,  das  die  Alkohol- 
sitte angenommen  hat,  ohne  dass  ein 
gewisser  Perzentsatz  der  Bevölkerung 
unmässig  ist,  hat  es  nie  gegeben  und 
erscheint  als  eine  Utopie. 

W  o  1  f  f  hat  den  Nachweis,  dass  der 
Alkohol  als  Heil-,  Xahrungs-  und  Ge- 
nussmittel notwendig  oder  auch  nur 
vorteilhaft  sei,  nicht  erbracht ;  noch 
viel  weniger  ist  es  ihm  natürlich  ge- 
lungen, die  heute  in  den  allermeisten 
Privatheilstätten  übliche  Sitte  zu 
rechtfertigen,  die  Anstaltspatienten 
geistige  Getränke  in  sehr  unbestimm- 
ter Dosierung  so  ziemlich  nach  eige- 
nem Gutdünken  und  in  oft  geradezu 
missbräuchlicher  Menge  konsumieren 
zu  lassen.  Wenn  der  Patient  nach 
Hause  kommt  und  berichtet,  dass  im 
Sanatorium  fast  jeder  Kranke  mittags 
eine  Flasche  Wein,  abends  2 — 3  Glas 
Bier  habe  trinken  „dürfen",  von  oben 
angeführten  Exzessen  gar  nicht  zu 
reden,  so  kann  wohl  der  „erzieherische" 


Einfluss  auf  die  weitesten  Kreise  nur 
der  sein,  dass  die  alten  Vorurteile  von 
der  nährenden  und  stärkenden  Kraft 
des  Alkohols,  von  seiner  Unschädlich- 
keit, Nützlichkeit  und  Unentbehrlich- 
keit  erheblich  gefestigt  werden.  Die 
guten  Lehren  und  Warnungen,  die  der 
Pflegling  neben  den  Erfahrungen,  die 
er  in  der  Anstalt  gewonnen  hat,  mit 
auf  den  Weg  bekommt,  werden  da 
wenig  Wert  haben. 

Dass  aber  auch  die  Heilerfolge  der 
Anstalten  bessere  sein  werden,  wenn 
die  Widerstandsfähigkeit  des  Organis- 
mus, die  man  sich  auf  jede  mögliche 
Weise  zu  heben  bemüht,  nicht  durch 
ein  sie  nachgewiesenermassen  herab- 
setzendes Gift  Tag  für  Tag  untergra- 
ben wird,  ist  unsere  feste  Ueberzeug- 
ung.  Vor  wenigen  Jahren  wurden 
jene  mit  Feuer  und  Schwert  verfolgt, 
die  an  der  Berechtigung  der  damals 
noch  zünftlerischen  Alkoholtherapie  ä 
la  Görbersdorf  mit  einem  halben  Liter 
Kognak  pro  die  zu  zweifeln  wagten. 
Heute  wird  die  Unentbehrlichkeit  des 
„mässigen"  Alkoholgenusses  verkün- 
det. Aber  es  ist  gar  nicht  daran  zu 
zweifeln,  dass  auch  diese  —  schon  jetzt 
nicht  mehr  in  LJebereinstimmung  mit 
den  Fortschritten  der  Wissenschaft 
stehende  —  Lehre  bald  zu  den  Toten 
geworfen  werden  und  die  alkoholfrei 
geführte  Lungenheilanstalt  als  einzig 
berechtigt,  wahrhaft  mustergiltige 
und  hygienische,  das  Feld  behaupten 
wird. 


Alkohol  und  Tuberkulose. 

Von  Dr.  Kaeser. 


Nach  dem  gegenwärtigen  Stand  un- 
serer Kenntnisse  handelt  es  sich  bei  der 
Tuberkulose  um  eine  Krankheit,  die 
durch  einen  spezifischen  Keim,  durch 
den    Tuberkelbazillus,  hervorgerufen 


*)  Aus  dem  Ii.  Jahresbericht  der  Tuber- 
kulöse nheilstätte  Heiligensch wendi. 


wird,  vorausgesetzt,  dass  der  Mensch 
oder  überhaupt  das  lebende  WTesen 
auch  erkrankungsfähig  ist  oder  die 
entsprechende  Anlage  besitzt. 

Wir  müssen  annehmen,  dass  der  spezi- 
fische Same  erst  nach  der  Geburt,  aller- 
dings oft  schon  in  der  Kindheit  in  den 
Organismus  eindringt,  gewöhnlich  aber 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


175 


nicht  sofort,  sondern  erst  später  seine 
Zerstörungen  beginnt. 

Erst  dann,  wenn  sich  eine  gewisse 
Schwäche,  eine  gewisse  Widerstandslo- 
sigkeit  ausgebildet  hat,  ist  dies  mög- 
lich. 

Diese  Krankheitsanlage  oder  Konsti- 
tutionsschwäche kann  angeboren  und  er- 
worben sein. 

Angeboren  kann  dieselbe  sein,  wenn 
die  Krankheit  schon  bei  den  Eltern  oder 
Grosseltern  vorgekommen  ist  oder  wenn 
bei  diesen  Krebskrankheiten,  Alkohol- 
und  Bleivergiftungen  etc.  aufgetreten 
sind. 

Erworben  wird  die  Anlage  zur  Tuber- 
kulose durch  verweichlichende  Erzieh- 
ung, Aufenthalt  in  schlechter,  staubiger 
und  rauchiger  Luft,  feuchten,  engen 
Wohnungen,  durch  Ueberanstrengung 
bei  ungenügender  Ernährung,  unregel- 
mässigen Genuss  geistiger  Getränke 
etc. 

Von  diesen  und  andern  Ursachen,  wie 
wir  sie  in  den  letzten  Jahresberichten 
regelmässig  nach  den  Angaben  der 
Kranken  zusammenzustellen  versuchten, 
wollen  wir  etwas  näher  auf  den  Zusam- 
menhang von  Tuberkulose  und  Alkohol 
eintreten. 

Da,  wo  verschiedene  Momente  als  Ur- 
sache einer  Krankheit  in  Betracht  kom- 
men, wie  es  bei  der  Tuberkulose  und  na- 
mentlich bei  der  Lungentuberkulose  ja 
meist  der  Fall,  ist  es  selbstverständlich 
schwierig  anzugeben,  wie  stark  die  ein- 
zelnen beteiligt  sind.  Es  ist  selten  mög- 
lich, die  Prozentzahl  zu  nennen,  wo  der 
Alkohol  als  alleinige,  oder  nur  als  Haupt- 
ursache für  die  Entstehung  der  Tuberku- 
lose in  Betracht  kommt.  Dass  er  aber 
eine  grosse  Rolle  spielt,  wird  heute  von 
keiner  Seite  bestritten.  Der  Gewohn- 
heitstrinker wird  selbst  leicht  tuberku- 
lös, oder  es  sind  seine  Nachkommen  ge- 
genüber der  Krankheit  weniger  wider- 
standsfähig. 

Der  Alkohol  ist  —  und  zwar  auch  in 
verdünnter  Form  —  ein  Protoplasma- 
bebendes  Ei  weiss)  gift.  Tierische  und 
pflanzliche  Keime  entwickeln  sich  auch 


bei  geringem  Alkoholzusatz  lü/00 — 1°/3 
nicht  oder  nur  unvollkommen.  Er  ver- 
ändert die  Tätigkeit  der  lebenden  Zellen 
in  ungünstiger  Weise,  er  lähmt  oder  ver- 
langsamt sie.  Der  Stoffwechsel  ist 
träger. 

Wenn  der  Alkohol  auch  teilweise  ver- 
brennt, —  zum  Teil  wird  der  durch  die 
Lungen  wieder  ausgeatmet  und  schädigt 
diese  dabei,  —  so  kann  er  doch  nach  ge- 
nauen, neuern  Untersuchungen  nicht  als 
Nahrungsmittel  betrachtet  werden ;  er 
kann  nicht  teilnehmen  am  Aufbau  oder 
am  Wiederersatz  verbrauchter  lebender 
Körpersubstanz. 

Gewohnheitsgemässer,  auch  nur  mas- 
siger Gebrauch  schädigt  die  einzelnen 
Zellen  und  Organe  je  nach  ihrer  Wider- 
standsfähigkeit früher  oder  später.  Die 
Verdauungs-  und  Blutbereitungsorgane, 
das  Herz  und  das  Gefässsystem,  das  Ge- 
hirn und  die  Nerven  werden,  wenn  auch 
nur  langsam,  so  doch  sicher  krankhaft 
verändert. 

Die  Schutzstoffe  gegen  Bakterien  und 
Krankheitsgifte  werden  zerstört ;  die  Im- 
munität oder  Resistenzfähigkeit  wird 
nach  den  zahlreichen  Tierversuchen  von 
Prof.  Dr.  Laitinen  u.  a.  auch  durch 
kleine  Dosen  herabgesetzt. 

Das  gleiche  zeigt  sich  auch  beim  Men- 
schen. Individuen,  die  durch  schlechte 
Ernährung  oder  Alkoholgenuss  ge- 
schwächt sind,  erliegen  bei  Epidemien 
am  schnellsten.  Die  Antikörper-  oder 
Gegengiftbildung  ist  bei  Alkoholgenuss 
eine  verminderte. 

Tatsächlich  haben  auch  die  englischen 
Krankenkassen  für  Abstinente  pro  Jahr 
und  Mitglied  nur  4  Krankheitstage,  wäh- 
rend auf  ein  Mitglied  der  Kassen  für 
Mässigtrinkende  13  Krankheitstage  in 
derselben  Zeit  entfallen. 

Deutlich  weisen  auch  die  englischen 
Lebensversicherungsgesellschaften  nach, 
dass  durch  Alkoholgenuss  das  Leben  ver- 
kürzt wird.  Bei  der  Gesellschaft  Sceptre 
Life  sind  in  21  Jahren  bei  den  Mässigen 
80  Prozent  der  erwarteten  Todesfälle 
eingetreten,  bei  den  Abstinenten  aber 
bloss  54,7  Prozent.    Bei  der  Provident 


x  76 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


Institution  betragen  die  analogen  Zahlen 
in  39  Jahren  95,2  Prozent  gegen  71,7 
Prozent  bei  den  Enthaltsamen. 

Die  sehr  mässig  lebenden  Juden  errei- 
chen auch  ein  bedeutend  höheres  Durch- 
schnittsalter als  die  in  denselben  Ver- 
hältnissen lebenden  Christen. 

Bekannt  ist  auch  die  Tatsache,  dass  in 
Basel  —  und  in  andern  Städten  steht  es 
kaum  besser  —  von  den  Männern,  die  im 
40. — 60.  Jahre  sterben,  beinahe  }i  dem 
Alkoholismus  zum  Opfer  fallen. 

Wenn,  wie  schon  oben  bemerkt,  bei 
akuten  Epidemien  Trinker  besonders 
häufig  und  gefährlich  erkranken,  so  ist 
das  bei  der  Tuberkulose,  dieser  chroni- 
schen Epidemie,  nicht  weniger  der  Fall. 
Von  keiner  Seite  wird  ein  ursächlicher 
Zusammenhang  zwischen  Tuberkulose 
und  Alkohol  in  Abrede  gestellt.  Viele 
französische  und  englische  Aerzte  füh- 
ren den  Alkohol  sogar  in  erster  Linie  als 
krankmachend  an.  Sicherlich  begünstigt 
er  das  Auftreten  der  Tuberkulose  ;  er  be- 
reitet der  Krankheit  den  Boden  vor. 

Indianer  und  Neger  sollen  die  Zu- 
nahme der  Tuberkulose  hauptsächlich 
dem  Alkoholgenuss  verdanken.  Die  mäs- 
siglebenden  Chinesen  und  Japaner  an- 
derseits haben  bedeutend  weniger  unter 
der  Tuberkulose  zu  leiden.  Auch  die 
mässig  lebenden  Juden  in  den  schlechte- 
sten Vierteln  von  London  und  New 
York  werden  weniger  von  der  Tuberku- 
lose ergriffen  ;  die  Gesammtbevölkerung 
der  Vereinigten  Staaten  hat  ungefähr  3 
mal  mehr  Tuberkulosesterblichkeit  als 
die  jüdische. 

Bekannt  ist  auch  die  enorme  Tuberku- 
losensterblichkeit der  Kellner  und  Gast- 
wirte. Während  bei  den  erstem  eine 
Reihe  von  ungünstigen  Verhältnissen 
mitspielen,  ist  das  bei  den  letzteren 
weniger  der  Fall. 

Auch  andere  Berufsarten,  deren  Ver- 
treter viel  mit  der  Weinflasche  in  Be- 
rührung kommen,  wie  Metzger,  Kut- 
scher, Musiker  und  Bierbrauer  u.  s.  w. 
bezahlen  der  Tuberkulose  einen  reich- 
lichen Tribut. 

Nach    Dr.    Lavarenne  sterben 


die  reichen  australischen  Farmer,  die 
unter  den  besten  hygienischen  Ver- 
hältnissen leben  aber  etwas  starke 
Trinker  sind,  auffallend  häufig  an  Tu- 
berkulose. 

Aus  einer  Enquete  von  Prof. 
Bunge  geht  mit  Deutlichkeit  hervor, 
dass  die  Erkrankung  an  Tuberkulose 
durch  den  Alkohol  befördert  wird. 
Während  bei  den  nicht  gewohnheits- 
mässigen  Trinkern  die  Tuberkulose  in 
4  Prozent  der  Fälle  vorkommt,  trifft  es 
bei  den  gewohnheitsgemäss  mässig 
Trinkenden  schon  fast  6  Prozent  und 
bei  den  Unmässigen  10 — 14  Prozent. 

Sehr  schwer  ist  es  immer,  von  den 
Patienten  selbst  zuverlässige  Angaben 
über  ihre  eigenen  Trinkgewohnheiten 
zu  erhalten  ;  sie  geben  selten  zu,  ge- 
wohnheitsgemäss getrunken  zu  haben, 
während  sie  in  etwa  20 — 30  Prozent 
den  Vater  als  Trinker  bezeichnen. 

Vielleicht  hängt  aber  doch  mit  den 
Trinkgewohnheiten  der  Männer  die 
auch  von  Philippi  bestätigte  Tat- 
sache zusammen,  dass  bei  ihnen 
Blutungen  häufiger  vorkommen.  Bei 
609  Entlassenen  des  letzten  Jahres  ka- 
men zu  Hause  bei  Männern  90  und  bei 
Frauen  75  Blutungen  vor,  hier  bei 
Männern  11  und  bei  Frauen  9.  Es  ist 
dabei  zu  bedenken,  dass  nur  230  Män- 
nern zur  Entlassung  kamen,  Frauen 
aber  251.  Wir  begegnen  nicht  selten 
den  Angaben,  dass  Blutungen  nach 
Bier-  oder  Weingenuss  aufgetreten 
und  sich  auch  gern  nach  solchen  wit- 
derholen. 

Auch  ist  der  Verlauf  bei  Wirten  und 
bei  andern,  bei  denen  wir  erfahren, 
dass  sie  gewohnheitsgemäss  relativ 
viel  getrunken,  ein  ziemlich  rapider; 
der  verhängnisvolle  Ausgang  lässt  sich 
selten  aufhalten. 

Interessant  ist  auch  die  allgemein 
gemachte  Erfahrung,  dass  die  Frauen 
bessere  Dauererfolge  haben.  Dies  ist 
gewiss  nicht  bloss  darauf  zurückgu- 
führen,  dass  für  die  Männer  der  Kampf 
um's  Dasein  ein  schwerer,  sondern 
dass  die  Lebensweise  der  Männer  na- 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


177 


mentlich  in  Bezug  auf  Alkoholgenuss 
nicht  immer  eine  solide  ist.  Dem  aus 
der  Heilstätte  mit  guten  Vorsätzen 
Zurückgekehrten  tritt  die  Verführung 
in  verschiedener  Gestalt  entgegen  :  ein- 
mal ist  es  ein  Arzt,  der  ein  gutes  Glas 
Wein  gerne  erlaubt,  dann  fällt  auch 
die  Tatsache  schwer  in  die  Wagschale, 
dass  man  im  Spital  und  in  vielen  Sana- 
torien Wein  erlaubt  oder  zur  Hebung 
des  Ernährungszustandes  Bier  verord- 
net. Dass  es  selten  bei  dem  einen  vom 
Arzte  erlaubten  Glase  bleibt,  lehrt  die 
Erfahrung  tausendfach.  So  wird  uns 
denn  nicht  selten  die  betrübende  Nach- 
richt, der  Patient  würde  wohl  auch  am 
Leben  sein,  wenn  er  bald  nach  seiner 
Rückkehr  das  unregelmässige  Wirts- 
hausleben nicht  wieder  angefangen 
hätte. 

Der  Alkoholgenuss  schafft  nicht  nur 
beim  Trinker  selbst  Disposition  oder 
Anlage  zur  Tuberkulose,  sondern  auch 
bei  seinen  Kindern.  Es  ist  bekannt, 
dass  die  Kinder  von  Alkoholikern  sehr 
oft  an  Hirntuberkulose  sterben.  Aus 
der  oben  erwähnten  Enquete  von  Prof. 
Bunge  geht  auch  hervor,  dass  dort, 
wo  der  Vater  nicht  gewohnheitsge- 
mäss  trank,  Tuberkulose  bei  den  Kin- 
dern nur  in  8,7  Prozent  vorkommt, 
dort,  wo  er  gewohnheitsgemäss  mässig 
trinkt,  in  10,7  Prozent  und  dort,  wo  er 
gewohnheitsgemäss  unmässig  trinkt, 
in  16,7  Prozent ;  Kinder  von  eigentli- 
chen Säufern  leiden  in  21,7  Prozent  an 
Tuberkulose. 

Ein  Arzt,  der  mir  im  Berichtsjahr 
ein  14jähriges,  lungenkrankes  Mädchen 
schickte,  schreibt :  Der  Vater  des  Kin- 
des ist  seit  11  Jahren  abstinent.  Die 
Kinder,  die  vor  dieser  Zeit  geboren 
sind,  sind  alle  skrophulös  oder  tuber- 
kulös, die  spätem  dagegen  sind  alle  ge- 
sund. 

Indirekt  wirkt  der  Alkohol  noch  in 
verschiedener  Weise  ungünstig.  Er 
schädigt  den  Organismus  oder  viel- 
mehr den  Stoffwechsel  des  Menschen 
auch  durch  Einatmen  von  verdorbener, 
staubiger   und    rauchiger    Luft  beim 


stundenlangen  Aufenthalt  in  den  Knei- 
pen. Nicht  zu  vergessen  ist  auch  der 
Umstand,  dass  im  Staub  dieser  Lokale 
Tuberkelbazillen  sich  finden  (Mazza). 
Das  ist  auch  leicht  begreiflich,  wenn 
man  weiss,  dass  in  den  Wirtschaften 
auch  Tuberkulöse  verkehren,  ihren 
Auswurf  auf  den  Boden  spucken  und 
denselben  im  schlimmsten  Falle  noch 
austreten,  sodass  er  schneller  eintrock- 
net und  als  Staub  der  Luft  sich  bei- 
mengt. 

Erwähnen  möchte  ich  auch  die  Tat- 
sache, dass  mancher  ehrliche  Bürger 
im  Zustande  der  Trunkenheit  eine  ge- 
setzwidrige Handlung  begeht,  in's  Ge- 
fängnis kommt,  dort  tuberkulös  wird 
und  den  Keim  der  Krankheit  auch  in 
seine  Familie  trägt. 

Wenn  der  Trinker  infolge  seiner  ei- 
genen Widerstandskraft  nicht  tuber- 
kulös wird,  so  leidet  seine  Familie 
doch  erheblich.  Nach  Tausenden  zäh- 
len die  Familien,  die  durch  das  be- 
liebte Schöppeln  des  Vaters  in  Not, 
Sorgen  und  Elend  geraten,  die  infolge- 
dessen schlecht  wohnen  und  sich  nur 
ungenügend  nähren  können  und 
schliesslich  ein  Glied  nach  dem  andern 
der  Tuberkulose  zum  Opfer  fallen. 

Jedes  Jahr  werden  hier  Frauen  und 
Kinder  behandelt,  die  die  Krankheit 
der  Trunksucht  des  Mannes  oder  Va- 
ters verdanken. 

Mit  Recht  meinte  einmal  der  Ver- 
storbene Dr.  Sonderegger:  ,,Die 
Freiheit  eines  schlechten  Hausvaters 
ist  dem  Staate  heilig,  das  Schicksal 
seiner  Familie  aber  ist  ihm  gleichgül- 
tig, bis  sie  physisch  und  moralisch  zu 
Grunde  gerichtet  ist.  Wir  gestatten 
dem  Kneipwirte  und  manchen  klei- 
neren Sündern,  die  öffentliche  Ord- 
nung, das  Familienleben  und  den  Na- 
tionalwohlstand zu  untergraben,  und 
zwingen  den  Staat  und  die  Gemeinden 
zu  unendlichen  Opfern  für  Korrek- 
tionsanstalten des  Leibes  und  der 
Seele ;  aber  eine  Wirtshausbeschränk- 
ung ist  für  uns  undenkbar.  Wir  sehen 
gedankenlos  zu,  wie  die  Ursachen  ent- 


178 


New    Yorker    Medizinische  Monatsschrift. 


stehen  und  wirken ;  geschieht  uns  Un- 
recht, wenn  die  Folgen  uns  zermal- 
men ?" 

Drei  Milliarden  Mark  werden  jähr- 
lich in  Deutschland  für  alkoholische 
Getränke  nutzlos  verausgabt,  in  der 
Schweiz  an  die  400  Millionen  (Mühet) 
und  im  Kanton  Bern  wohl  etwa  60 
Millionen.  Es  gibt  kein  Land,  wenn 
es  noch  so  reich  ist,  das  sich  eine  sol- 
che Ausgabe  auf  die  Dauer  ohne  Scha- 
den gestatten  kann,  ohne  dass  der  Ein- 
zelne, die  Familie  und  der  Staat  dar- 
unter leiden.  Wohlstand,  Gesundheit 
und  Volkskraft  werden  durch  den  Ty- 
rannen Alkohol  unbarmherzig  zerstört. 

Von  dieser  Erkenntnis  geleitet,  ha- 
ben die  Direktionen  der  schweizeri- 
schen Volksheilstätten  den  Genuss  jeg- 
lichen geistigen  Getränkes  untersagt. 

In  der  Heilstätte,  und  das  wird  im- 
mer mehr  betont,  soll  der  Kranke  nicht 
bloss  bazillenfrei,  widerstandsfähiger 
oder  4  oder  5  Kg.  schwerer  werden, 
sondern  er  soll  in  gesundheitlicher  Be- 
ziehung für  sich  und  seine  Angehöri- 
gen etwas  lernen.  Er  soll  in  Zukunft 
alle  Schädlichkeiten  meiden,  und  dazu 
gehört  auch  der  Genuss  des  Alkohols. 
Die  Abstinenz  in  der  Heilstätte  macht 
im  allgemeinen  keine  Schwierigkeiten. 
Die  Kranken  befinden  sich  ohne  Wein 
und  Bier  recht  wohl  und  werden  kräf- 
tig und  leistungsfähig  und  sind  auch 
recht  munter  und  guter  Dinge.  Ich 
habe  nie  die  Wahrnehmung  gemacht, 
dass  sie  bei  der  Abstinenz,  wie  W  o  1  f  f 
meint,  Kopfhänger  und  Hypochonder 
werden.  Dagegen  haben  schon  viele 
Frauen,  wenigstens  die  zu  Hause  oder 
im  Spital  verordnungsgemäss  täglich 
Wein  und  Kognak  geniessen  mussten, 
ihre  Freude  bekundet,  dass  hier  der  Al- 
kohol verboten  ist. 

Nach  eingezogenen  Erkundigungen 
wird  einzig  in  der  Genfer  Heilstätte 
noch  Wein  verabfolgt;  der  jetzige  lei- 
tende Arzt  ist  aber  bestrebt,  denselben 
abzuschaffen.  Das  B  a  s  1  e  r  Sanato- 
rium und  das  Glarner  in  Braun- 
wald gestatten  den  Kranken  2 — 3  mal 


im  Jahre  bei  festlichen  Anlässen  etwas 
Rotwein.  In  Wald  (Zürich),  Leysin 
und  bei  uns  wird  vollständig  abstiniert. 
Der  Alkohol  kommt  nach  Mitteilung 
der  Chef-Aerzte  auch  als  Medikament 
nur  selten  zur  Verwendung  und  dann 
nur  vorübergehend;  als  Fiebermittel 
haben  ihn  die  wenigsten  mit  Erfolg  an- 
gewandt. Bei  uns  wird  der  Alkohol 
seit  4  Jahren  nicht  mehr  gebraucht. 
Gegen  die  Nachtschweisse  habe  ich  bis 
jetzt  selten  ein  Medikament  nötig  ge- 
habt; sie  verschwinden  gewöhnlich  so- 
fort ohne  unser  Zutun,  oder  dann  nach 
Essig-  und  Salzwasserwaschungen. 
Früher  habe  ich  oft  bei  Transport  von 
Schwerkranken  etwas  Kognak  reichen 
lassen  ;  dass  Resultat  war  gewöhnlich 
Uebelkeit  und  Erbrechen ;  jetzt  geht 
dies  bei  etwas  Tee  oder  Tee  mit  Milch 
viel  besser. 

Wenn  W  o  1  f  f  meint,  in  den  Volks-- 
Sanatorien  hätte  man  weniger  Schwer- 
kranke und  könnte  deshalb  den  Alko- 
hol besser  entbehren,  so  stimmt  das 
wenigstens  für  die  schweizerischen 
nicht,  in  diesen  werden  oft  recht 
schwere  Fälle  behandelt. 

Unverständlich  scheint  mir  die  Be- 
hauptung eines  deutschen  Heilstätten- 
arztes, dass  1  Liter  Bier  täglich  not- 
wendig sei ;  ein  anderer  gibt  Bier,  um 
im  Entzug  des  Bieres  ein  wirksames 
Disziplinarmittel  zu  haben. 

Es  wäre  doch  gewiss  seltsam,  wenn 
die  gleiche  Substanz,  die  bei  der  Aeti- 
ologie  der  Tuberkulose  eine  bedeu- 
tende Rolle  spielt,  d.  h.  die  Entstehung 
der  Krankheit  zum  mindesten  begün- 
stigt, bei  vorhandener  Affektion  zur 
Behandlung  notwendig  sein  sollte,  um 
die  Heilung  zu  beschleunigen. 

Das  ist  denn  auch  nicht  der  Fall. 
Erfahrene  Spezialisten,  wie  Turban 
und  eine  Reihe  anderer,  betonen,  dass 
der  Alkohol  nicht  notwendig  sei. 
Wenn  B  r  e  h  m  e  r  früher  für  den  mäs- 
sigen  Genuss  von  ]/$  Liter  Bier  täglich 
eintrat,  so  wollte  er  damit  das  Herz 
kräftigen  und  den  Eiweisszerfall  ver- 
mindern.   Heute  wissen  wir  aber,  dass 


New    Yorker    Medizinische  Monatsschrift. 


179 


durch  längern  chronischen  Genuss  das 
Herz  eher  geschädigt  und  schlaff  und 
der  Blutdruck  herabgesetzt  wird.  Wir 
sehen  bei  Lungenkranken  immer  wie- 
der, dass  trotz  verstärkter  Herzaktion 
die  Pulswelle  eine  kleine  ist. 

Uebrigens  hat  Brehmer  seinen 
Schüler  D  e  t  t  w  e  i  1  e  r  sehr  energisch 
bekämpft,  weil  er  seinen  Patienten 
mehr  Alkohol  und  auch  als  Genussmit- 
tel gewährte.  Er  betont  ausdrücklich, 
dass  der  Alkohol  ein  verderbliches  Ge- 
nussmittel sei.  und  dass  der  stete  Trop- 
fen schliesslich  doch  den  Stein  höhlt. 

Den  Biergenuss  verurteilte  B  r  e  h- 
m  e  r  ganz,  da  derselbe,  auch  mässig 
genossen,  die  Verdauung  verlangsame 
oder  aufhebe.  Der  jetzige  Leiter  der 
B  r  e  h  m  e  r'schen  Anstalt  (Hahn) 
sagt :  ..Jetzt  hat  man  die  schädlichen 
Wirkungen  des  Alkohols  selbst  für  den 
gesunden  Menschen  erkannt,  umso- 
mehr  muss  man  den  geschwächten  tu- 
berkulösen Organismus  davor  schüt- 
zen." 

Und  B  e  s  o  1  d  sagt  in  der  dritten 
Auflage  von  D  e  t  t  w  e  i  1  e  r's  Behand 
lung  der  Lungentuberkulose  in  ge- 
schlossenen Heilstätten :  „Der  Kognak 
als  Heilmittel  hat  Fiasko  gemacht,  er 
schadet  gewöhnlich  mehr  als  er  nützt." 

Hüppe,  der  so  wenig  wie  die  vori- 
gen etwa  zu  den  Abstinenten  gehört, 
sagt :  „Die  meisten  Phthisiker  vertra- 
gen keinen  Alkohol ;  sie  werden  durch 
denselben  in  ihrer  Ernährung  tief  ge- 
schädigt, und  doch  muss  man  sich  zur 
Heilung  in  erster  Linie  an  die  Ernähr- 
ung halten." 

Auch  von  den  verschiedenen  Ver- 
dauungsschnäpsen (Bitter  etc.)  ist 
nachgewiesen,  dass  sie  die  Verdauung 
ungünstig  beeinflussen. 

„Es  ist  eine  verhängnisvolle  Be- 
ruhigung," sagt  M  o  s  s  1  e  r,  „wenn  der 
Arzt  bei  Bewertung  der  Diät  die  Ka- 
lorien des  Alkohols  mit  in  Rechnung 


setzt;  es  ist  nicht  möglich,  eine  Nah- 
rung, die  sonst  für  den  Bedarf  unzu- 
reichend, durch  Zulage  von  noch  so 
grossen  Mengen  Alkohols  zu  einer  aus- 
reichenden zu  machen." 

Es  ist  im  Gegenteil  richtig,  dass  die 
Ausnutzung  der  Nahrungsstoffe  durch 
den  Alkohol  verringert  wird.  Die  Oxi- 
dation,  der  Stoffwechsel  wird  verlang- 
samt, und  das  ist  kein  Vorteil,  sondern 
ein  Nachteil  für  den  Kranken.  L  i  e- 
b  e  rm  e  i  s  t  e  r  befürwortet  gerade 
deshalb  die  Höhe  für  Tuberkulöse,  weil 
dort  der  Stoffumsatz  ein  erhöhter  ist ; 
wenn  er  vermindert  oder  gar  aufgeho- 
ben ist,  sagt  er,  so  gewinnen  die  Bak- 
terien die  Oberhand. 

LJngünstig  ist  für  den  Tuberkulösen 
auch  die  lähmende  Wirkung  der  geisti- 
gen Getränke  auf  das  Gehirn  und  das 
Nervensystem.  Gerade  diese  Wirkung 
kann  dem  Tuberkulösen  verhängnis- 
voll werden.  Wenn  das  Ermüdungs- 
gefühl, dieser  Wächter  und  Warner, 
gelähmt  ist,  so  lässt  er  sich  zu  Ueber- 
anstrengungen  und  Unvorstichtigkei- 
ten  verleiten,  die  sich  oft  schwer 
rächen. 

Was  für  den  Tuberkulösen  in  der 
Heilstätte  gilt,  kommt  für  ihn  zu 
Hause  noch  viel  mehr  in  Betracht. 

Auch  opfert  der  tuberkulöse  Arbei- 
ter eine  nicht  unbeträchtliche  Quote 
seines  Einkommens  dem  Alkohol, 
schädigt  dadurch  seine  Gesundheit, 
verliert  Zeit,  Arbeitslust  und  sein  sauer 
verdientes  Geld ;  er  nährt  sich  und 
seine  Familie  auch  schlechter  und  ist 
gezwungen,  eine  billigere  und  gesund- 
heitswidrige Wohnung  zu  beziehen. 

Das  soziale  Elend  hat  viele  Ursa- 
chen, die  zum  Teil  nur  mit  grossen 
Opfern  zu  verbessern  wären,  den  Al- 
kohol aber  kann  jeder  mit  grossem 
Vorteil  von  heute  auf  morgen  meiden  ; 
es  bedarf  hiefür  nur  Einsicht  und  Wil- 
lenskraft. 


i8o 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


Sitzungsberichte 


Deutsche  Medizinische  Gesellschaft  der  Stadt  New  York. 


Sitzung  vom  3.  Juni  1907. 

Präsident  Dr.  Carl  Beck  eröffnet 
die  Sitzung  gegen  halb  9  Uhr  mit  fol- 
genden Worten :  Meine  Herren  Kol- 
legen! Ich  habe  die  grosse  Freude 
Ihnen  mitzuteilen,  dass  wir  heute 
Abend  drei  ganz  hervorragende  deut- 
sche Gelehrte  unter  uns  haben,  deren 
Namen  uns  ja  schon  seit  vielen  Jahren 
bekannt  sind  :  Herrn  Geheimrat  K  ü  s- 
t  e  r,  dessen  Werke  in  Bezug  auf  die 
chirurgischen  Krankheiten  der  Brust 
und  Krankheiten  der  Niere  in  vielen 
Beziehungen  bahnbrechend  geworden 
sind,  dann  Professor  K  i  1 1  i  a  n,  von 
dem  Sie  wissen,  dass  wir  ihn  den 
Vater  der  Bronchoskopie  nennen  kön- 
nen, dessen  Assistenten  Dr.  K  u  h  1- 
reuter,  ich  zugleich  begrüsse,  und 
wir  haben  ferner  unter  uns  den  Ober- 
arzt Dr.  Schmieden,  den  Vertreter 
des  genialen  Chirurgen  Prof.  Bier. 
Wenn  ich  aber  Herrn  Dr.  Schmie- 
den den  Vertreter  von  Prof.  Bier 
nenne,  so  meine  ich  damit  nicht,  dass 
der  Herr  Oberarzt  nicht  selbst  Eige- 
nes, Hervorragendes  geleistet  habe. 
Ich  bitte  zunächst  Herrn  Geheimrat 
Küster,  das  Wort  zu  ergreifen. 

Die  Versammlung  tritt  hierauf  in 
die  Tagesordnung  ein  : 

1)  Vorträge. 

a)  Geheimrat  Küster:  Ueber 
Wanderniere. 

b)  Prof.  Dr.  Killian:  Ueber  den 
Mund  der  Speiseröhre. 

Präsident  Dr.  Carl  Beck:  Ich 
lasse  nicht  erst  darüber  abstimmen,  ob 
die  Herren,  welche  uns  diese  glänzen- 
den Vorträge  gehalten  haben,  ein  Dan- 
kesvotum verdienen.  Ich  erlaube  mir 
von  vornherein,  dieses  Dankesvotum 
im  Namen  der  Gesellschaft  auszuspre- 
chen. Ich  danke  Ihnen  von  ganzem 
Herzen,  meine  Herren,  dass  Sie  ge- 
kommen sind.  Abgesehen  von  Ihren 
Vorträgen  haben  Sie  uns  schon  durch 
ihre  Anwesenheit  eine  grosse  Freude 
bereitet.  Die  meisten  von  uns  sind  ja 
in  Deutschland  geboren,  viele  von  uns 


haben  in  Deutschland  studiert.  Sie, 
meine  Herren,  so  vornehme  Repräsen- 
tanten der  deutschen  Universitäts- 
lehrerschaft, bringen  zugleich  den  lie- 
ben Erdgeruch  der  alten  Heimat  mit 
sich,  und  schon  deshalb  seien  Sie  ver- 
sichert, dass  Sie  uns  unendlich  sym- 
pathisch sind. 

Dann  haben  Sie  uns  durch  Ihre  Vor- 
träge ausserordentlich  genützt.  Sie, 
Herr  Geheimrat  Küster,  haben  ein 
Thema  behandelt,  welches  uns  durch- 
aus nicht  fremd  ist.  Ich  möchte  fast 
sagen,  dass  viele  von  uns  von  der  Dis- 
kussion dieses  Themas  geradezu  er- 
schöpft sind.  Es  wurde  schon  die 
grösste  Befürchtung  über  eine  längere 
Dauer  der  Diskussion  über  dieses 
Thema  laut.  Sie  haben  es  aber  mit  be- 
wunderungswürdiger Fassung  des  Mo- 
ments verstanden,  uns  einen  ganz 
neuen  Gesichtskreis  zu  eröffnen. 
Ihnen,  Herr  Prof.  Killian,  darf  ich 
auch  nochmals  speziell  danken.  Sie 
haben  ein  dunkles  Gebiet  heute  abend 
für  uns  erhellt.  Sie  haben  schon  vor 
vielen  Jahren,  seit  dem  wir  überhaupt 
Ihren  gefeierten  Namen  kennen,  so  hell 
in  die  dunkle  Gasse  hineingeleuchtet, 
dass  wir  wohl  sagen  können,  dass  Sie 
in  der  ganzen  Welt  dankbare  Patien- 
ten haben,  die  durch  Ihr  Bronchoskop 
gerettet  worden  sind.  Als  Chirurg 
habe  ich  ein  besonderes  Recht,  darauf 
hinzuweisen.  Was  haben  wir  früher 
tun  können,  wenn  ein  Fremdkörper  in 
den  Bronchus  gedrungen  war !  Es  gibt 
Patienten,  die  Monate  lang  einen 
Fremdkörper  hatten,  und  in  wenigen 
Minuten  gelang  es  Prof.  Killian, 
den  Fremdkörper  heraus  zu  befördern. 
Herrn  Oberarzt  Schmieden  schul- 
den wir  ebenfalls  unsern  herzlichen 
Dank  für  die  meisterhafte  Darstellung 
eines  genialen  Verfahrens.  Das  Ver- 
fahren ist  hier  noch  sehr  wenig  be- 
kannt. Unserm  Kollegen  Dr.  Willy 
M  e  v  e  r,  der  ein  enthusiastischer  Ver- 
ehrer des  Verfahrens  ist,  müssen  wir 
Dank  sagen,  dass  er  sich  solche  Mühe 


New    Yorker    Medizinische  Monatsschrift. 


181 


geben  hat,  es  hier  einzuführen.  Ich 
bin  überzeugt,  dass  durch  Ihren  Vor- 
trag der  Erfolg  des  Verfahrens  erst 
recht  gekrönt  werden  wird.  Manche 
fürchten  sich  davor,  das  Verfahren  an- 
zuwenden, ie  Neuheit  des  Verfah- 
rens hat  noch  viele  Feinde,  und  erst 
bei  näherer  Bekanntschaft  ist  es,  dass 
wir  das  angenehm  finden,  was  wir  vor- 
her verabscheut  haben. 

Ich  möchte  Sit  bitten,  meine  Herren 
Kollegen,  heute  Abend  von  einer  Dis- 
kussion Abstand  zu  nehmen,  sodass 
wir  Gelegenheit  haben,  unsere  Gäste 
gebührend  zu  ehren. 

2)  Abstimmung  über  den  Kandi- 
daten. 


Sekretär  Dr.  John  A.  B  e  u  e  r- 
m  a  n  n :  Es  sind  41  Stimmen  für  den 
Kandidaten  Dr.  G.  A.  Fried  m  a  n  n 
abgegeben  worden. 

1  'räsident  Dr.  Carl  Beck:  Ich  er- 
kläre Herrn  Dr.  Friedman  n  als 
Mitglied  der  Deutschen  Medizinischen 
Gesellschaft. 

Sekretär  Dr.  John  A.  B  e  u  e  r- 
mann:  Der  Verwaltungsrat  hat  in 
seiner  letzten  Sitzung  beschlossen, 
Herrn  Prof.  Dr.  R  ö  n  t  g  e  n  als  Ehren- 
mitglied der  Gesellschaft  vorzuschla- 
gen. 

Hierauf  Schluss  und  Vertagung. 


Deutsche  Medizinische  Gesellschaft  der  Stadt  Chicago. 


Sitzung  vom  3.  Januar  1907. 
Vorsiztender :  Dr.  Herzog. 

Programm. 

1)  Dr.  Holinger:  Residuen  im 
Mittelohr. 

2)  Dr.  H.  Schiller:  Behandlung 
des  Puerperalfiebers  mit  Streptokok- 
kenserum. 

3)  Geldbewilligung  für  das  Abonne- 
ment der  ,,New  Yorker  Medizinischen 
Monatsschrift." 

4)  Kandidate :  Dr.  Rerabe,  100 
State  Str.,  und  Dr.  M.  R  e  i  c  h  m  a  n  n, 
Schiller  Building. 

Das  Protokoll  der  letzten  Sitzung 
wird  verlesen  und  nach  einer  kleinen 
Ergänzung  angenommen. 

Diskussion  zu  Dr.  H  o  1  i  n  g  e  r's 
Vortrag. 

Dr.  Josef  Beck:  Ausser  den  im 
interessanten  Vortrag  ausführlich  be- 
handelten Residuen  mögen  noch  fol- 
gende eine  Erwähnung  finden  : 

1)  Residuen  nach  Blutergüssen  im 
Mittelohr  infolge  von  Traumen  oder 
anderen  Gründen,  wie  Anämie,  Leukä- 
mie etc.  Einen  Fall  letzterer  Art  sah 
Dr.  B  e  c  k  :  er  teilt  den  genauen  Trom- 
melfellbefund  mit. 

2)  Osteophytenbildungen  nach  lang 
dauernden  Eiterungen. 


3)  Kalkablagerungen  im  Trommel- 
fell. 

4)  Atrophie  der  ganzen  Schleimhaut 
des  Mittelohres. 

Die  Ursache  der  Trommelfellperfo- 
ration im  Attik  ist  meist  eine  Nekrose 
der  Gehörknöchelchen  und  vielleicht 
nicht  so  sehr  die  von  Dr.  Holinger 
hervorgehobene  langdauernde  starke 
Einziehung  des  Trommelfelles  bei 
chronischem  Tubenverschluss.  Grös- 
sere Perforationen  des  Trommelfelles 
heilen  nur  mit  Narben,  welche  sich  an 
die  Schleimhaut  des  Mittelohres  anle- 
gen und  dadurch  Funktionsstörung  — 
Schwerhörigkeit  —  bedingen  können. 
Kleine  Perforationen  können  allerdings 
mit  einem  funktionell  sehr  guten  Re- 
sultat heilen.  Um  den  Heilungspro- 
zess  zu  befördern,  ist  es  empfehlens- 
wert, die  Perforationsränder  mit  Tri- 
chloressigsäure  zu  verätzen.  Bei  flakzi- 
den  Membranen  kann  eine  Gehörver- 
besserung durch  Belegung  derselben 
mit  Papierchen  oder  durch  Bestreichen 
derselben  mit  Kollodium  mittels  feinen 
Pinsels  (alle  3  bis  4  Wochen)  erzielt 
werden.  Die  Resultate  der  letztge- 
nannten Methode  sind  nach  Dr.  B.'s 
Erfahrungen  besser  oder  zum  min- 
desten ebenso  gut  wie  die  bei  An- 
wendung von  Wattekügelchen. 

Dr.  Holinger  dankt  bestens  für 


182 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschiuft. 


die  Ergänzungen  zu  seinem  Vortrag 
und  entgegnet  folgendes : 

Eine  genuine  Perforation  der 
Shrapnell'schen  Membran  infolge  von 
akuten  oder  chronischen  Mittelohrei- 
terungen ist  kaum  je  zu  sehen;  sie  ist 
vielmehr  auf  den  Verschluss  der  Tuben 
zurückzuführen.  Nekrose  der  Gehör- 
knöchelchen ist  natürgemäss  oft  mit 
der  Perforation  der  Shrapnell'schen 
Membran  verbunden,  doch  fragt  es 
sich,  was  Ursache  und  was  Wirkung 
sei.  Nach  B  e  z  o  1  d's  Auffassung  ist 
die  Perforation  das  Primäre,  die  Ne- 
krose der  Gehörknöchelchen  das  Se- 
kundäre. Es  ist  von  Wichtigkeit,  die 
Patienten  mit  Trommelfellperforation 
auf  die  Gefahr  aufmerksam  zu  machen, 
welche  mit  dem  Eindringen  von  Was- 
ser in  die  Ohren  beim  Waschen  und 
Baden  verknüpft  ist,  da  das  Wasser 
verschiedene  schädliche  Wirkungen 
hervorrufen  kann,  wie  z.  B.  schwere 
Entzündungen,  die,  wie  Erfahrungen 
gezeigt  haben,  binnen  wenigen  Tagen 
tädlich  enden  könne.  Hunderte  von  To- 
desfällen, namentlich  unter  Kindern  — 
ereignen  sich  während  der  Badesaison. 
Wahrscheinlich  steht  eine  Reihe  dieser 
Todesfälle  mit  dem  plötzlichen  Ein- 
dringen von  kaltem  Wasser  beim  Ba- 
den ins  Ohr  im  Zusammenhang,  auch 
wenn  keine  Perforation  des  Trommel- 
felles vorhanden  ist.  Die  Personen 
werden  infolge  des  sensiblen  Reizens 
beim  Eindringen  des  kalten  Wassers 
bewustlos  und  ertrinken.  In  Analogie 
zu  diesen  Ereignissen  steht  das  ge- 
legentlich beobachtete  plötzliche  Zu- 
sammenstürzen, die  Synkope  von  Pa- 
tienten, bei  denen  zu  kaltes  Wasser 
zum  Ohrenausspritzen  verwendet  wor- 
den ist. 

Besonders  Badenden  mit  Trommel- 
fellperforation ist  es  anzuraten,  sich 
die  Ohren  prophylaktisch  mit  ölge- 
tränkten Wattebäuschchen  gut  zu  ver- 
stopfen. Besser  ist  es,  statt  Oel  Lano- 
lin zu  benützen,  da  in  den  im  Ohre  zu- 
rückbleibenden Oelresten  Schimmel- 
pilze wuchern  und  Störungen  hervor- 
rufen können. 

Der  Vortrag  d.  H.  Dr.  Schiller 
wird  wegen  vorgerückter  Zeit  verscho- 
ben. 


Geschäftliches. 

Dr.  Gustav  Schirmer  empfielt 
im  Namen  des  Vorstandes  das  Weiter- 
Abonnement  der  „New  Yorker  Medi- 
zinischen Monatsschrift."  Dr.  Beck 
stellt  den  bezüglichen  Antrag,  der  ein- 
stimmig angenommen  wird. 

Dr.  R.  R  e  m  b  e,  100  State  Str.,  und 
Dr.  Max  Reichmann,  406  Schiller 
Building,  werden  einstimmig  zu  Mit- 
glieder der  Deutschen  Medizinischen 
Gesellschaft  ernannt. 

Dr.  Herzog  reicht  einen  schriftli- 
chen Antrag  als  Zusatz  zu  den  Statu- 
ten mit  folgendem  Wortlaut  ein  : 

Mitglieder,  welche  der  Gesellschaft 
drei-  oder  mehr  Jahre  angehört  haben, 
die  Chicago  dauernd  verlassen,  können 
auf  Empfehlung  des  Vorstandes  unter 
Zustimmung  von  4/5  der  anwesenden 
Mitglieder  zu  auswärtigen  Mitgliedern 
erwählt  werden.  Derartige  auswärtige 
Mitglieder  zahlen  keine  Beiträge.  Die- 
ser Paragraph  soll  rückwirkende  Kraft 
haben. 

Dieser  Antrag  wird  unterstützt ;  die 
Abstimmung  soll  in  der  nächsten  Sit- 
zung vorgenommen  werden. 

Sitzung  vom  17.  Januar  1907. 

Vorsitzender :  Dr.  Herzog. 

Programm. 

1)  Dr.  Josef  Beck:  Bericht  über 
zwei  Fälle  von  Kleinhirnabszess  mit 
Sektionsbefund  des  einen. 

2)  Dr.  H.  Schiller:  Behandlung 
des  Puerperalfiebers  mit  Streptokok- 
kenserum. 

3)  Geschäftliches. 

Dr.  Josef  Beck  berichtet  über 
einen  Fall  von  rechtsseitigem  Klein- 
hirnabszess, der  nach  einer  lange  Jahre 
dauernden  Otorrhoe  infolge  von  eitri- 
ger Otitis  media  mit  Nekrose  im  Mit- 
telohr aufgetreten  war.  Nach  Opera- 
tion trat  Heilung  ein. 

Sodann  demonstriert  Dr.  Josef 
Beck  das  Gehirn  eines  an  Kleinhirn- 
abszess verstorbenen  Mannes,  der  bis 
ganz  kurz  vor  seinem  Tode  keine 
cerebralen  Symptome  geboten  hatte. 
Dieser  Fall  bietet  einen  Beitrag  zum 
Kapitel  „sudden  death."  Der  Patient 
hatte  durch  viele  Jahre  hindurch  eine 
Otorrhoe  und  litt  seit  6  Wochen  an 
Mastoiditis  mit  typischen  Symptomen, 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


183 


die  sich  so  steigerten,  dass  eine  Radi- 
kaloperation nötig  wurde.  Zehn  Tage 
post  operationem  traten  Kopfschmer- 
zen auf  und  Patient  starb  völlig  uner- 
wartet, ohne  irgend  welche  Zeichen 
eines  Hirn-Abszesses  vorher  geboten 
zu  haben.  Erst  die  Sektion  klärte  die 
Todesursache  auf.  Das  Operationsfeld 
hatte  normales  Aussehen.  In  der  lin- 
ken Kleinhirn-Hemisphäre  fand  sich 
ein  Abszess.  Da  vorläufig  noch  keine 
genaueren  Schnitte  des  Gehirnes  ge- 
macht worden  sind,  so  lässt  sich  nur 
die  Vermutung  aufstellen,  dass  viel- 
leicht durch  die  Entleerung  des  Ab- 
szesses in  den  vierten  Ventrikel  hinein 
der  plötzliche,  unerwartete  Tod  herbei- 
geführt worden  ist.  (Druck  auf  das 
Respirationszentrum.) 

In  der  Literatur  finden  sich  mehrere 
solche  Fälle  vor.  Die  Symptome  des 
Kleinhirn-Abszesses  sind  oft  sehr  un- 
bestimmt, die  Diagnose  dann  schwie- 
rig. Bei  gleichzeitigem  Vorhanden- 
sein mehrerer  Symptome,  wie  z.  B. 
Brechen,  Kopfschmerz,  Nystagmus, 
Schwindel  Nackenkontraktur,  Pulsver- 
langsamung  etc.  ist  die  Diagnose 
leicht. 

Dr.  Reichmann  demonstriert 
das  Röntgenbild  des  Kleinhirnes  ei- 
ner Patientin,  die  wegen  Atro 
phia  nervi  optici  und  rechtsseitiger 
Hemiparese  zu  ihm  geschickt  wurde, 
da  die  Differenzialdiagnose  zwischen 
Tumor  und  Abszess  des  Kleinhirns 
klinisch  nicht  gemacht  werden  konnte. 
Die  Röntgenstrahlenuntersuchung  er- 
gab einen  ca.  hühnereigrossen  Klein- 
hirnabszess ;  derselbe  soll  bald  operiert 
werden. 

Dr.  H  o  1  i  n  g  e  r  berichtet  über  ei- 
nen Fall  von  Kleinhirn-Abszess,  der 

unter  unbestimmten  Symptomen  ver- 
lief und  nur  von  Schwindel  und  Hin- 
terhauptkopfschmerz begleitet  war. 
Der  Abszess  wurde  bei  der  Operation 
gefunden  ;  doch  starb  Patient  an  Me- 
ningitis, die  bereits  zur  Zeit  der  Opera- 
tion im  Gange  war. 

Dr.  Welcher  beobachtete  einen 
Fall  von  Kleinhirn-Abszess  bei  einem 
4jährigen  Kinde.  Es  bestand  einsei- 
tige Stauungspapille  ;  sonst  waren  nur 
unbestimmte    Symptome    vorhanden ; 


es  ist  begreiflich,  dass  erst  bei  der  Sek- 
tion die  Diagnose  gemacht  wurde. 

Dr.  Carl  Beck  bestätigt,  dass  in 
dem  von  Josef  Beck  erwähnten 
Falle  von  ,,sudden  death"  erst  unmit- 
telbar vor  dem  Exitus  Symptome  auf- 
getreten seien,  nämlich  plötzlich  ein- 
setzendes tiefes,  sehr  langsames  At- 
men, Cyanose  und  sehr  kleiner  Puls; 
binnen  20  Minuten  war  Patient  eine 
Leiche,  noch  bevor  eine  klinische 
Diagnose  gemacht  werden  konnte. 
Wahrscheinlich  handelte  es  sich  um 
plötzlichen  Durchbruch  in  den  vierten 
Ventrikel. 

Bei  der  Operation  von  Gehirnab- 
sz:  ss  ist  es  von  Wichtigkeit,  durch  ex- 
akte  Tamponade  rings  um  die  Stelle, 
an  welcher  der  Abszess  eröffnet  wer- 
den soll,  die  Umgebung  zu  schützen, 
wie  es  auch  im  Cavum  peritoneale  ge- 
schieht, da  sonst  leicht  eine  Meningitis 
entstehen  kann.  In  der  Tat  genügte  in 
einem  Falle  die  durch  einen  Troikar  er- 
zeugte Punktionswunde,  um  eine  Ver- 
breitung der  Infektion  auf  die  Menin- 
gen mit  Exitus  bewirkt  zu  haben.  Es 
ist  darum  eine  exakte  periphere  Tam- 
ponade zum  Schutze  der  Umgebung 
von  höchster  Wichtigkeit. 

Dr.  Josef  Beck:  Die  Diagnose 
des  Hirnabszesses  stützt  sich  auf  das 
Vorhandensein  einer  erkennbaren  Ur- 
sache, hier  einer  Mittelohreiterung. 
Meist  ist  derTemporosphenoidallappen 
der  Sitz  der  Eiterung.  Bei  linksseiti- 
ger Lokalisation,  nahe  dem  Sprachzen- 
trum sind  natürlich  Sprachstörungen 
zu  erwarten  ;  Stauungspapille  und  mo- 
torische Störungen  sind  bei  entspre- 
chenden Sitze  als  unmittelbare  oder  als 
entfernte  Symptome  aufzufassen.  Her- 
vorgehoben zu  werden  verdient  der 
starke  Perkussionsschmerz  über  dem 
Abszess.  Fieber  muss  keines  be- 
stehen ;  die  Temperatur  mag  sogar  sub- 
normal sein.  Oft  kann  die  Diagnose 
erst  bei  der  Sektion  mit  Sicherheit  ge- 
macht werden. 

Diskussion  zu  Dr.  S  c  h  i  1  1  e  r's  V or- 
trag. 

Dr.  Strauch:  Streptokokken- 
serum wurde  nicht  nur  bei  den  erwähn- 
ten Streptokokken  in  fektionen  des 
Puerperalfiebers,  bei  Erysipel,  Phleg- 
monen und  Septikopyämie  verwendet, 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


sondern  auch  bei  Skarlatina,  welche 
ja  von  einigen  Autoren  mit  einem  ge- 
wissen Grade  von  Wahrscheinlichkeit 
als  eine  primäre  Streptokokkeninfek- 
tion aufgefasst  wird.  Unbestritten  ist 
die  Bedeutung  der  Streptokokken  bei 
den  Komplikationen  des  Scharlachs. 
Die  serotherapeutischen  Versuche  mit 
dem  Aronson'schen  und  Marmorek'- 
schen  Scharlachserum  hatten  im  gros- 
sen und  ganzen  negative  Resultate. 
Erst  die  Einführung  des  Moser'schen 
polyvalenten  Scharlachsenims  scheint 
eine  Wendung  in  der  Therapie  des 
Scharlachs  zu  bezeichnen,  denn  die  Er- 
folge, welche  an  der  Escherich'schen 
Kinderklinik  in  Wien  an  einer  bereits 
200  Fälle  übersteigenden  Reihe  erzielt 
wurden,  lassen  —  nach  dem  Aus- 
spruche Escheric  h's  —  keinen 
Zweifel  übrig,  dass  das  Moser'sche 
Serum  eine  spezifische  Wirkung  be- 
sitzt. Die  Injektion  muss  möglichst 
früh  und  in  grosser  Dosis — 180  bis 
200  Gramm  des  Serums  —  gegeben 
werden. 

Dr.  G  r  e  y  hatte  zü  wiederholten 
malen  bei  den  Sekundärinfektionen 
der  Lungentuberkulose  Streptokok- 
kenserum angewendet.  Möglicher- 
weise wird  dadurch  das  Leben  etwas 
verlängert.  Leider  ist  die  Reaktion  auf 
solche  Injektionen  oft  sehr  heftig  und 
kann  durch  zwei  Wochen  anhalten. 
Dieser  Umstand  macht  sich  bei  den 
ohnehin  schon  geschwächten  Indivi- 
duen, welche  an  vorgeschrittener  Tu- 
berkulose leiden,  sehr  unangenehm  be- 
merkbar. Doch  sind  die  Patienten 
nach  Ablauf  der  Reaktion  besser,  als 
sie  es  vor  den  Injektionen  waren.  Das 
allgemeine  hygienische  Regime  darf 
natürlich  nicht  vernachlässigt  werden. 

Dr.  Harms  hatte  schon  vor  10  Jah- 
ren das  Streptokokkenserum  und  zwar 
im  Früstadium  der  Infektinn  im  Wo- 
chenbett verwendet,  wenn  die  Pulsfre- 
quenz im  Vergleich  zur  Fiebertempe- 
ratur eine  viel  zu  hohe  war.  Viele 
Fälle  zeigten  eine  rasche,  ganz  auffal- 
lende Besserung  des  Befindens,  wes- 
halb das  Streptokokkenserum  (Par  k  e, 
D  a  v  i  s  &  C  o.)  zu  versuch&n  sei. 

Dr.  Emil  Ries:  Es  wurde  Strep- 
tokokkenserum    prophylaktisch  vor 


septischen  Uteruskarzinom  -  Operatio- 
nen empfohlen.  Dr.  Ries  jedoch  ver- 
meidet überhaupt  eine  Operation,  wenn 
bestehendes  Fieber  auf  eine  vorhan- 
dene Infektion  hinweist  und  wartet,  bis 
Bettruhe  etc.  das  Fieber  zum  Schwin- 
den gebracht  hat.  Die  Operation  bei 
Uterus-Karzinom  wird  von  ihm  sehr 
radikal  ausgeführt,  nämlich  möglichst 
weit  entfernt  vom  Karzinomgewebe 
und  dem  Infektionsherd,  so  dass  die 
Gefahr  der  Verschleppung  der  Bak- 
terien dadurch  bedeutend  verringert 
wird.  Dr.  Ries  schneidet,  wenn  mög- 
lich, mehrere  Zoll  weit  entfernt,  vom 
kranken  Gewebe.  Dies  ist  zwar  nach 
vorn  gegen  die  Blase  zu  natürlich  nicht 
möglich,  doch  ist  hier  die  Infektions- 
gefahr dadurch  herabgesetzt,  dass  das 
übrige  Gewebe  des  Operationsfeldes 
bereits  versorgt  ist,  wenn  die  Ablösung 
von  der  Blase  begonnen  wird.  Aucb 
Dr.  Ries  sah  Fälle  von  Uterus-Kar- 
zinom, die  bald  post  operationem  ein 
überaus  schweres  Bild  der  Allgemein- 
erkrankung boten.  Hier  wäre  der  Vor- 
schlag einer  Streptokokken-Serumin- 
jektion zu  erwägen. 

Dr.  Kolischer:  Die  Frage  nach 
der  Wirksamkeit  des  Streptokokken- 
serums im  Puerperalfieber  lässt  sich 
nicht  entscheiden,  solange  man  das 
Urteil  nur  auf  ,, Eindrücke"  basiert; 
umsoweniger,  als  der  Begriff  Puer- 
peralfieber nicht  ein  bestimmter  ist, 
sondern  alle  möglichen  Arten  der  In- 
fektion mit  verschiedenen  Charakteren 
zusammenfasst.  Viele  Infektionen,  die 
heute  sehr  schwer  zu  sein  scheinen 
und  mit  sehr  hoher  Pulsfrequenz  ein- 
hergehen, können  morgen  spontan  ge- 
heilt sein. 

Der  Ausdruck  „Sepsis"  wird  sehr 
missbraucht ;  jedenfalls  müssen  bei 
derselben  Herz  und  Nieren  affiziert 
sein.  Die  Frage  nach  der  Serumwir- 
kung kann  nur  an  der  Hand  eines 
grossen  Materials  geprüft  werden ; 
man  muss  Morbiditäts-  und  Mortali- 
täts-Ziffern für  eine  Reihe  von  Jahren 
ohne  und  mit  Serumbehandlung  unter 
sonst  gleichen  Verhältnissen  zur  Ver- 
fügung haben.  Dr.  Kolischer  übt 
weiterhin  Kritik  an  den  vorhandenen 
Statistiken     der     Serumtherapie  des 


New    Yorker    Medizinische  Monatsschrift. 


185 


Puerperalfiebers.  Man  weiss,  dass  die 
meisten  Puerperalprozesse  spontan 
heilen. 

Dr.  Herzog:  Um  Sepsis  diagnos- 
tizieren zu  können,  muss  man  durch 
das  Kulturverfahren  den  Nachweis  er- 
bringen, dass  sich  im  Blute  des  Patien- 
ten Mikroorganismen  befinden  und 
sich  hier  vermehren.  Schlussfolgerun- 
gen von  Tierexperimenten  bezüglich 
der  Wirkung  der  Sera  auf  den  Men- 
schen müssen  mit  grosser  Vorsicht  ge- 
macht werden.  Ein  Serum  mag  bei 
einer  Tierspezies  kurativ  und  prophy- 
laktisch wirken,  nicht  aber  bei  einer 
anderen  Tierspezies  oder  beim  Men- 
schen. Meerschweinchen  lassen  sich 
gar  nicht,  Affen  etwas  gegen  Beulen- 
pest immunisieren;  eine  Schlussfolger- 
ung vom  Meerschweinchen  auf  den 
Menschen  wäre  aber  grundfalsch. 

Sowohl  aus  dem  Tierversuche  als 
auch  durch  die  klinische  Beobachtun- 
gen am  Menschen  weiss  man,  dass  die 
Serumbehandlung  nicht  immer  indif- 
ferent ist. 

Dr.  Schiller:  Streptokokken- 
serum wurde  bereits  in  vielen  hunder- 
ten  Fällen  von  Uterus  Karzinom  an- 
gewendet, ohne  das  weitere  Schädig- 
ungen ausser  den  bekannten  temporä- 
ren Nebenerscheinungen  wie  Fieber, 
Gelenksschmerzen,  Exantheme,  etc  , 
die  nach  jedem  fremdartigen  Serum 
auftreten  können,  beobachtet  worden 
sind.  Empfohlen  werden  gegenwärtig 
Autoinokulationen  mit  Streptokokken, 
die  aus  dem  Uteruskarzinom  gewon- 
nen werden,  u.  zw.  in  sehr  kleinen, 
steigenden  Dosen.  Bei  Lungentuber- 
kulose mit  Sekundärinfektion  wäre 
Streptokokken-Kakzine  zugleich  mit 
Tbc- Vakzine  zu  versuchen. 

Geschäftliches. 

Der  Antrag  des  Herrn  Dr.  Her- 
zog wird  nach  einer  Debatte  in  fol- 
gender Modifikation  einstimmig  ange- 
nommen. 

Mitglieder  der  Deutschen  Medizini- 
schen Gesellschaft  von  Chicago,  III., 
können  bei  ihrem  Wegzug  von  Chicago 
mit  ihrer  Zustimmung  im  Verzeichnis 
als  auswärtige  Mitglieder  aufgeführt 
werden,  zahlen  als  solche  keine  Bei- 


träge und  erhalten  die  offiziellen  Mit- 
teilungen. 

Dieser  Paragraph  hat  rückwirkende 
Kraft. 

Dr.  V  a  h  1  t  e  i  c  h,  jr.,  wird  einstim- 
mig zum  Mitglied  der  Deutschen  Medi- 
zinischen Gesellschaft  ernannt. 

Dr.  Harms  stellt  den  Antrag,  dass 
die  Gesellschaft  der  freundlichen  Ein- 
ladung des  Herrn  Dr.  Carl  Beck  zu 
einem  klinischen  Demonstrationsabend 
im  North  Chicago  Hospital  folge  leiste. 
Dieser  Antrag  wird  einstimmig  ange- 
nommen. 

Dr.  Herzog  begrüsst  im  Namen 
der  Deutschen  Medizinischen  Gesell- 
schaft Herrn  Dr.  Ries,  der  von  seiner 
Reise  nach  Jamaika  zurückgekehrt. 

D  r.  A.  Strauch, 

Schriftführer. 

Sitzung  vom  31.  Januar  1907  im  North 
Chicago  Hospital. 
Vorsitzender :  Dr.  Herzog. 
Programm. 

Dr.  Carl  Beck:  Fälle  aus  den 
Grenzgebieten  der  Chirurgie  und  inne- 
ren Medizin. 

Dr.  Emil  B  eck:  Sarkoma  des 
Carpus,  Carcinoma  frenuli  linguae. 

Dr.  Josef  Beck:  Nerventrans- 
plantation bei  Fazialislähmung,  Na- 
senexenteration. 

Dr.  Carl  Beck  demonstriert  (I.) 
einen  31jährigen,  sehr  fetten,  bartlosen 
Mann  mit  Hypoplasie  des  äusseren 
Genitales.  Der  Penis  ist  äusserst  klein, 
ebenso  der  linke  Hoden  rechtsseitiger 
Kryptorchismus,  spärliche  Scham- 
haare. Im  rechten  Lappen  der  sonst 
vergrösserten  Schilddrüse  befindet  sich 
ein  harter,  fibröser,  schmerzhafter  Tu- 
mor. Die  Intelligenz  des  Patienten 
ist  gering.  Dr.  C.  B.  weist  auf  das 
Zusammentreffen  dieser  Affektionen 
hin. 

Dr.  Doepfner  teilt  mit,  dass  er 
im  Kanton  Bern  (Schweiz)  zu  wieder- 
holtenmalen  genitalen  Infantilismus 
bei  Myxoedem  gesehen  hat  und  hält  es 
für  wahrscheinlich,  dass  auch  im  vor- 
liegenden Falle  die  Genitalveränderun- 
gen und  die  Beeinträchtigung  der  In- 
telligenz mit  einer  Erkrankung  der 
Schilddrüse  im  Zusammenhang  steht. 


i86 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


II.  Fall:  55jährige  Frau  mit  grossem 
Milztumor  und  Anämie.  Blutbefund: 
40  Prozent  Hämoglobin,  3,496,000  rote, 
3000  weisse  Blutkörperchen.  Poikilo- 
zytose und  Makrozytose.  Es  handelt 
sich  um  eine  Form  der  primären  Sple- 
nomegalie. Die  Röntgenstrahlenbe- 
handlung  scheint  eine  Verkleinerung 
der  Milz  herbeizuführen. 

III.  Fall:  Leontiasis  ossea.  37jährige 
Frau.  Seit  Jahresfrist  eine  allmählig 
zunehmende  Schwellung  des  Oberkie- 
fers, zuerst  rechts,  dann  links  ;  später 
Wucherungen  in  der  Gegend  beider 
Stirnhöcker,  Entwicklung  von  Protu- 
beranzen am  Unterkiefer,  rechts  be- 
deutender als  links,  namentlich  in  der 
Nachbarschaft  des  Unterkieferwinkels. 
Der  Oberkieferalveolarfortsatz  zeigt 
eine  ganz  enorme  Vergrösserung  und 
schmerzlose  Auftreibung  von  knochen- 
harter Konsistenz.  Das  Röntgenstrah- 
lenbild  zeigt  allgemeine  Knochenzu- 
nahme und  .Ausfüllung  des  Antrum 
Highmori.  An  den  Schlüsselbeinen  be- 
stehen kallusähnliche  Hyperostosen. 
Patientin  hat  Trommelschlägelringer, 
die  im  Röntgenstrahlenbild  Hyperosto- 
sen und  Osteoporose  zeigen.  Auch  an 
den  Beinen  sind  ähnliche  Veränderun- 
gen. Patientin  ist  sehr  schwach,  kann 
nicht  gehen,  und  leidet  an  heftigen 
Schmerzen  in  Xerven,  welche  durch 
Knochenkanäle  ziehen,  offenbar  be- 
dingt durch  Kompression.  Es  ist  zu 
erwarten  dass  mit  der  Zeit  die  Orbitae 
durch  Knochenwucherungen  schwin- 
den werden.  In  zwei  von  16  Fällen 
der  Literatur  wurden  Resektionen  vor- 
genommen. Auch  im  vorliegenden 
Fall  ist  Resektion  in  Aussicht  genom- 
men. 

IV.  Fall :  20jähriger  Mann  mit  in- 
operablem Mastdarmkarzinom  von 
auffallend  rapidem  Wachstum. 

V.  Fall :  Demonstration  eines  Präpa- 
rates einer  primären  Tuberkulose  der 
Brustdrüse  einer  22jährigen  Frau.  Die 
Brust  wurde  wie  bei  Karzinom  mit 
Entfernung  der  Lymphdrüsen  ampu- 
tiert. 

Dr.  Emil  Beck  demonstriert  fol- 
gende Fälle : 

I.  Fall:  Eine  Frau,  welche  durch 
viele  Jahre  hindurch  eine  etwas 
schmerzhafte    Geschwulst   am  linken 


Handgelenk  hatte.  Erst  in  der  letzten 
Zeit  geringes  Wachstum  bemerkbar. 
Die  Diagnose  wurde  auf  Tuberkulose 
des  Knochens  gestellt,  da  das  Röntgen- 
strahlenbild beginnende  Knochenzer- 
störungen zeigte.  Röntgenstrahlenbe- 
handlung  war  ohne  Erfolg,  so  dass  vor 
2  Monaten  zur  Operation  geschritten 
werden  musste,  bei  der  sich  einige 
Karpusknochen  erkrankt  erwiesen  und 
entfernt  wurden.  Auch  ein  Teil  des 
Radius  musste  reseziert  werden. 

Die  mikroskopische  Untersuchung 
des  Präparates  wies  Knochensarkom 
nach.  (Im  August  1907  musste  nach 
späterer  mündliche  Mitteilung  wegen 
Rezidive  die  Amputation  in  der  Mitte 
des  Vorderarmes  ausgeführt  werden. 
Der  Schriftführer.) 

II.  Fall:  45jähriger  Mann.  Im  Sep- 
tember 1906  wurde  wegen  Carcinoma 
frenuli  linguae  eine  zweizeitige  Radi- 
kaloperation vorgenommen.  Im  er- 
sten Akt  wurden  beiderseits  die 
Lymphdrüsen  radikal  entfernt,  erst 
später  der  Zungentumor.  Durch  die 
Zweizeitigkeit  soll  eine  Wundinfektion 
mit  Karzinomteilchen  leichter  verhin- 
dert werden.  (Nach  späterer  mündli- 
cher Mitteilung  trat  ein  lokales  Rezi- 
div auf.) 

Dr.  J  osef  Beck:  1.  Fall :  Patien- 
tin im  mittleren  Lebensalter.  Vor  vie- 
len Jahren  erkrankte  dieselbe  an  Oh- 
renfluss  mit  einem  Abszess  im  Pro- 
cessus mastoideus,  der  schliesslich  eine 
Radikaloperation  mit  Entfernung  eines 
Sequesters  aus  dem  Temporalknochen 
und  der  Schnecke  nötig  machte. 
Trotzdem  ist  etwas  Gehör  vorhanden. 
Der  Nervus  facialis  wurde  zerstört. 
Sieben  Monate  später  wurde  der  Ner- 
vus hypoglossus  in  den  Nervus  facialis 
implantiert ;  nach  4  Monaten  bereits 
(post  operationem)  zeigte  sich  die 
Fähigkeit,  mit  dem  Schluckakt  die 
früher  gelähmt  gewesene  Gesichts- 
hälfte zu  kontrahieren.  Gegenwärtig 
ist  auch  der  Augenschluss  beim 
Schluckakt  möglich,  das  Gesicht  ist 
symmetrisch. 

II.  Fall:  Einige  Monate  nach  einem 
Trauma  der  Nase  mit  Fraktur  des 
Oberkieferknochens  wurde  infolge  er- 
heblicher Nasenbeschwerden  die  Den- 
k  e  r'sche  Operation  mit  Ausräumung 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


187 


des  Antrum  Highmori,  mit  Entfernung 
von  Granulationsmassen  und  eines 
Knochensequesters  vorgenommen. 
Eine  W  oche  post  operationem  traten 
Erscheinungen  der  allgemeinen  Sepsis 
mit  entzündlichen  Venenthrombosen 
auf,  welche  mehrfache  Inzisionen  er- 
forderten. Die  Nasenerscheinungen 
verschlimmerten  sich  bald  wieder,  es 
bildeten  sich  abermals  Granulommas- 
sen mit  Beeinträchtigung  des  Gehöres, 
so  dass  schliesslich  vor  kurzem  eine 
Radikaloperation  mit  vollständiger  Ex- 
enteration  der  Nasenhöhle  ausgeführt 
werden  musste.  Es  hatte  sich  offenbar 
um  eine  Fraktur  mit  Infektion  und 
Granulombildung  gehandelt. 

(Einer  späteren  mündlichen  Mitteil- 


ung zufolge  erlag  der  Patient  nach 
mehreren  Wochen  einer  Meningitis.) 

Nach  diesen  Krankenvorstellungen 
erfolgte  die  Demonstration  mehrerer 
zugehöriger  Röntgenstrahlenbilder. 

Dr.  Gustav  Schirmer  feiert  in 
einer  Ansprache  das  Andenken  Dr. 
Semmelweiss  und  widmet  der 
Deutschen  Medizinischen  Gesellschaft 
ein  Bildnis  der  in  Budapest  errichteten 
herrlichen  Statue  dieses  medizinischen 
Pfadfinders  und  Vorkämpfers. 

Dr.  Herzog  nimmt  das  Bild  in 
Obhut  und  dankt  im  Namen  der  Deut- 
schen Medizinischen  Gesellschaft. 

Dr.  Aug.  Strauch, 

Schriftführer. 


Berichtigung  unpassender 

In  der  Sitzung  der  Aerztlichen  Ge- 
sellschaft von  Athen  am  14.  April  1907, 
unter  dem  Präsidium  von  Dr.  M.  G  e- 
roulanoSj  stellte  Dr.  K  a  1  1  i  b  o- 
k  a  s  den  Antrag,  eine  Kommission  von 
Aerzten  einzusetzen  die,  mit  Zuzieh- 
ung eines  Professors  der  Philologie,  es 
unternehmen  sollten,  die  medizinische 
Nomenklatur  zu  regulieren.  Nach 
kurzer  Diskussion  wurde  der  Antrag 
angenommen  und  die  Kommission  er- 
nannt. Dieselbe  ist  aus  folgenden  Mit- 
gliedern zusammen  gesetzt:  G.  Man- 
ginas, Präsident;  A.  Rose  (New 
York) ,  Gabrielidis  ( Konstanti- 
nopel), D.  Demitriadis,  S.  Don- 
tas,  A.  K  a  1  1  i  b  o  k  a  s,  I.  K  a  r  a- 
b  i  a  s,  I.  Kindene  s,  D.  Kokko- 
te s,  G.  Kosmetatos,  A,  Kou  z  e  s, 
K.  L  ampros  (Kairo) ,  K.  Louros, 
M.  Mankakes,  K.  M  e  1  i  s  s  i  o- 
n  o  s,  K.  M  e  r  m  e  n  k  a  s,  T.  M  i  t  a  n  t- 
s  e  s,  A.  M  o  r  e  1  a  s,  I.  B  i  s  t  e  s,  M. 
O  i  k  o  11  o  m  a  k  e  s,  P.  P  a  m  p  o  u- 
k  e  s,  I.  Papatheodorou,  S.  Pa- 
pa s  o  t  e  r  i  o  11,  B.  P  a  t  r  i  k  i  o  u,  N. 
P  e  t  s  a  1  e  s,  M.  S  a  k  o  r  r  h  a  p  h  o  s, 
Th.  S  k  a  s  e  s,  Dem.  Soteriadou, 
B.  T  o  u  p  h  a  x  e  s,  G.  Trochanes, 
A.  T  s  e  1  i  o  s,  I.  Phoustanos,  An, 
Christides  (Konstantinopel)  und 
S.  C  h  o  m  a  t  i  0  n  o  s. 

In  neuerer  Zeit  haben  Aerzte  des 


ärztlicher  Kunstausdrücke. 

westlichen  Europas  und  Amerikas  neue 
Namen  für  die  durch  neue  Forschun- 
gen, Entdeckungen  und  Erfindungen 
geschaffenen  Begriffe  in  die  wissen- 
schaftliche Medizin  eingeführt.  Die 
neuen  Benennungen  sind  meist  der 
griechischen  Sprache  entnommen,  die 
meisten  derselben  aber  unrichtig  ge- 
bildet oder  unrichtig  gewählt.  Aus 
diesem  Grunde  wurde  die  Einsetzung 
einer  Kommission,  wie  diese  der  Aerzt- 
lichen Gesellschaft  von  Athen,  die  un- 
richtigen Benennungen  zu  sammeln 
und  richtige  Definitionen  an  deren 
Stelle  zu  geben,  zur  Notwendigkeit. 
Eine  Zusammenstellung  aller  medizi- 
nischen Namen,  die  endgültig  als  rich- 
tig festgestellt  sind,  wird  in  Zukunft 
der  Verwirrung,  welche  in  der  medizi- 
nischen Onomatologie  bestanden  hat 
und  noch  besteht,  ein  Ziel  setzen. 

Als  Beispiel  wählen  wir  das  Wort 
Phagocyt,  für  welches  von  Manchen 
Phagocytosis,  von  Anderen  Phagocyt- 
tarosis  und  wieder  von  Anderen  Cyt- 
tarophagia  gebraucht  wird. 

Die  Kommission  wird  den  passend- 
sten von  solchen  Namen  auswählen, 
damit  derselbe,  um  Verwirrung  abzu- 
schaffen, in  Zukunft  von  allen  Autoren 
gebraucht  werde,  auch  wird  sich  die 
Kommission  besonders  bemühen,  sol- 
che Benennungen  vorzuschlagen,  die 


i88 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


so  viel  als  möglich  die  mit  demselben 
verbundene  Meinung  klar  ausdrücken. 

Folgendes  ist  der  Wortlaut  eines 
Briefes  der  an  jedes  Mitglied  der  Kom- 
mission geschickt  worden  ist: 

Die  Medizinische  Gesellschaft  von 
Athen. 

(Nummer  des  Protokolls  281.) 
Athen,  den  8./21.  Mai,  1907. 
Geehrter  Herr  Kollege !  Die  Medi- 
zinische Gesellschaft  von  Athen 
wünscht  mit  all  ihren  Kräften  die  Bil- 
dung eines  Systems  klassisch  -  grie- 
chisch-medizinischer Nomenklatur  zu 
fördern.  Dieses  System  soll  den  Män- 
nern der  Wissenschaft,  welche  haupt- 
sächlich die  griechische  Sprache  für 
wissenschaftliche  Benennungen  ge- 
brauchen, dienen.  Es  wurde  ein  Ko- 
mitee unter  dem  Vorsitz  von  Professor 
S.  Mangina  ernannt,  um  klassisch- 


griechische Definitionen  als  Ersatz  für 
neu  in  die  medizinische  Literatur  Grie- 
chenlands und  anderer  Länder  einge- 
führte unregelmässige  Benennungen 
zu  sammeln. 

In  Anbetracht  der  gewichtigen  Ar- 
beiten, die  von  Ihnen  über  diesen  Ge- 
genstand veröffentlicht  worden  sind, 
hat  die  Medizinische  Gesellschaft  von 
Athen  einstimmig  beschlossen,  Sie  zu 
einem  Mitglied  dieses  Komitees  zu  er- 
wählen. 

Indem  wir  Sie  von  dieser  Wahl  in 
Kenntnis  setzen,  bitten  wir  Sie  die- 
selbe anzunehmen  und  dem  Sekretär 
des  Komitees,  Herrn  Dr.  A  r  i  s  t. 
K  o  u  z  e,  43  Boulestrasse,  Ihre  Vor- 
schläge über  den  Gegenstand  einzu- 
reichen. 

Mit  unserer  Aller  Hochachtung, 
der  Präsident  M.  Geroulanos. 

S.  A.  D  o  n  t  a  s,  Sekretär. 


Therapeutische  und 

—  Digalen  und  dessen  Anwendung  in  Form 
von  intravenösen  Injektionen.  Pesci  hebt 
auf  Grund  seiner  Versuche  hervor,  dass  das 
Digalen  gegenüber  ähnlichen  Präparaten 
und  der  Digitalis  selbst  den  Vorteil  bietet, 
dass  es  genau  dosierbar  ist  und  dadurch 
Uebelstände  und  Gefahren  verhütet,  sowie 
die  Wirkung  sichert.  Der  grösste  und  in- 
diskutierbare  Vorzug  des  Digalens  aber  be- 
steht darin,  dass  dieses  Mittel  sich  am 
besten  zu  intravenösen  Injektionen  eignet, 
und  dass  diese  Wahl  der  Einfuhrform  zur 
Notwendigkeit  wird  in  dringenden  Fällen 
und  häufig  bei  Intoleranz  des  Magens  gegen 
die  Digitalis.  —  Durch  die  intravenöse  In- 
jektion ist  die  Wirkung  stets  eine  sichere, 
prompte  und  erfolgreiche,  was  bei  den  un- 
sicheren, oft  toxischen,  galenischen  Präpa- 
raten nicht  der  Fall  ist,  welch'  letzteren 
keine  Wirkung  entfalteten,  wo  das  Digalen 
gleichfalls  versagte.  Für  spezielle  Fälle, 
wo  Schwierigkeiten  für  die  intravenöse  In- 
jektion bestehen,  kann  man  das  Digalen,  ob- 
wohl nicht  mit  so  grossem  Erfolg,  in  Form 
von  intramuskulären  Injektionen  verab- 
reichen. 

Um  eine  tonische  Wirkung  auf  das  Herz 
zu  erreichen,  genügt  es,  2 — 3  ccm.  Digalen 
per  os  täglich  zu  verabreichen ;  man  wird 


klinische  Notizen. 

dann  nach  und  nach  diese  Dosis  vermin- 
dern und  mit  dem  Mittel  am  vierten  bis 
fünften  Tage  aussetzten.  Bei  geschwunde- 
ner Kompensation  in  Fälleil  von  chroni- 
scher Myocarditis,  von  Mitralfehlern  und 
von  plötzlicher  Insuffizienz  des  Herzmus- 
kels wegen  Perikarditis  oder  im  Verlaufe 
von  Infektionskrankheiten  muss  man  das 
Digalen  intravenös  in  Dosen  von  3 — 5  ccm. 
auf  einmal  am  Morgen  injizieren ;  diese 
Dosis  wird  nach  Bedarf  im  Laufe  des  Tages 
wiederholt,  alsdann  progressiv  verringert 
oder  das  Mittel  wird  ganz  ausgesetzt,  je 
nach  dem  Verhalten  des  einzelnen  Falles 
und  je  nach  den  erreichten  Resultaten.  Aus 
den  von  ihm  beobachteten  Fällen  schliesst 
Verfasser,  dass  die  Digitalis  und  noch  mehr 
das  Digalen  ihre  Indikation  bei  den  arteri- 
ellen Herzerkrankungen  (auch  mit  erhöh- 
tem Blutdruck)  finden,  wenn  die  Kompen- 
sationsstörungen mit  einem  deutlichen  Di- 
krotismus  vergesellschaftet  sind. 

Das  Digalen  ist  also  ein  wertvolles  Prä- 
parat, welches  in  vielen  Fällen  der  Digitalis 
vorzuziehen  ist,  und  das  jeder  Arzt  in  Vor- 
rat haben  sollte,  um  es  intra  venam  in  den 
Fällen  zu  verabreichen,  wo  die  Digitalis 
ihre  Wirkung  versagt,  oder  wo  sie  nicht  an- 
gewendet werden  kann.  (Zentralblatt  für 
innere  Medizine,  Nr.  44,  1905.) 


JVlecüzimscbe  JVlonatöscbrift 

Offizielles  Organ  der 

Deutzen  medizinifdKn  ßcfelifcbaften  der  Städte  rtew  V#rR, 
Chicago,  Cleveland  und  San  Trancisco. 

Redigiert  von  Dr.  A.  Ripperger. 
Bd.  XIX.  New  York,  Oktober,  1907.  No.  7. 

Orkjinalärbeiten. 


Moderne  Methoden  in  der  medizinischen  Behandlung  der  Magenkrankheiten. 

Von  Dr.  A.  Rose. 


Eine  rationelle  Therapie  der  Magen- 
krankheiten setzt  eine  präzise  Diagnose 
voraus.  Zur  präzisen  Diagnose  gehört 
auch  bei  Magenkrankheiten  die  Berück- 
sichtigung der  allgemeinen  Verhältnisse, 
des  Zustandes  des  Zirkulationsapparates, 
des  Respirationsapparates  und  des  Ner- 
vensystems. Das  ist  nichts  Neues,  aber 
die  Deutung  gewisser  mechanischer  Ver- 
änderungen, die  die  Ursache  von  motori- 
schen und  sekretorischen  Störungen  der 
Magenfunktion  sein  können,  das  ist  ein 
Fortschritt  der  allerneuesten  Zeit ;  neu 
ist  auch,  dass  man  seit  dem  Bekanntwer- 
den der  P  a  w  1  o  w'schen  Experimente 
grössere  Berücksichtigung  dem  Nerven- 
einfluss  auf  sekretorische  Magenstörun- 
gen zuschreibt. 

Physikalische  und  diätetische  Behand- 
lungsmethoden sind,  wie  in  der  Therapie 
überhaupt,  so  auch  bei  Behandlung  der 
Magen-  und  Darmerkrankungen  in  neue- 
rer Zeit  mehr  und  mehr  zur  Geltung  ge- 
kommen. In  Deutschland  besteht  eine 
Gesellschaft  von  Aerzten,um  die  Interes- 


*)  Nach  einem  Vortrag,  gehalten  vor  der 
Deutschen  medizinischen  Gesellschaft  der 
Stadt  New  York  am  7.  Oktober  1907. 


sen  der  physiko-diätetischen  Therapie  zu 
fördern,  sie  gibt  ein  eigenes  Organ  her- 
aus, von  dem  jetzt  der  neunte  Jahrgang 
erscheint.  Die  bittersten  Feinde  dieser 
Gesellschaft  —  und  jeder  Schritt  in  fort- 
schrittlicher Richtung  in  der  Wissen- 
schaft ist  ein  Kampf  gegen  Misokainie — 
müssen  zugestehen,  dass  die  Erfolge  der 
neuen  physiko  -  diätetischen  Methode 
glänzende  sind.  In  allerjüngster  Zeit  ist 
wieder  eine  Zeitschrift  für  physikalische 
Medizin  gegründet  worden,  deren  Her- 
ausgeber die  bedeutendsten  Kliniken 
Deutschlands  sind.  Vom  13. — 16.  Okto- 
ber tagte  in  Rom  der  Kongress  für  phy- 
sikalische Therapie. 

Physiologisch  -  chemische  Exploration 
durch  Sondierung  des  Magens  und  Un- 
tersuchung des  Mageninhalts  ist  selbst- 
verständlich in  den  meisten  Fällen  uner- 
lässlich,  aber  die  eine  Zeitlang  gegoltene 
Uebertreibung,  dass  keine  Diagnose  und 
keine  rationelle  Therapie  ohne  die  Unter- 
suchung des  Mageninhaltes  möglich,  ist 
überwunden,  und  dasselbe  gilt  von  den 
Magenauswaschungen.  Es  ist  nicht  sehr 
lange  her,  dass  in  allen  denkbaren  Fällen 
von  Magenstörungen  diese  Auswaschun- 
gen vorgenommen  wurden  und  dass  diese 


190 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


Prozedur  für  manche  Aerzte  das  tägli- 
che Brod  bedeutete.  Hier  und  da  trifft 
man  noch  einen  Patienten,  der  sich  rüh- 
men kann,  dass  er  es  verstanden,  seinen 
eigenen  Magen  täglich  auszuwaschen. 
Jetzt  hat  man  die  Indikationen  für  das 
Verfahren  genau  festgestellt,  man  weiss, 
wo  es  angezeigt,  wo  es  überflüssig,  und 
wo  es  schädlich  ist. 


MAGEN  DILATATION. 
Durchleuchtet    mit    Kern  p's  Circumscrib- 
ing  Gastro-Diaphan  und  Fluoreszin  vor  An- 
legung des  R  o  s  e'schen  Verbandes. 

Wie  bei  jeder  Krankheitsfeststellung 
beginnt  die  Untersuchung  mit  der 
Anamnese.  Dieser  folgt  die  Lokalge- 
schichte, und  für  die  Erforschung  der 
letzteren  findet  sich  ein  Schema  in  jedem 
Lehrbuch. 

Nach  der  Anamnese  folgt  die  eigent- 


liche Magenuntersuchung,  beginnend  mit 
der  Inspektion,  die  besonders  Kollege 
Knapp  zu  hoher  Vollendung  ausgebil- 
det hat. 

Dann  folgt  die  Palpation,  um  Schmerz 
und  Druckempfindlichkeit  festzustellen. 
Das  Ende  der  Palpation  bildet  die  Fest- 
stellung, ob  ein  Plätschergeräusch  vor- 
handen, welcher  Art  es  ist,  und  von  wel- 


II. 

MAGEN  DILATATION. 
Derselbe  Kranke.    Durchleuchtung  in  glei- 
cher Weise  nach  Anlegung  des  R  o  s  e'schen 
Verbandes. 

Genaue  Messung  ergibt,  dass  der  Magen  ge- 
hoben und  die  untere  Grenze  desselben  4  Zoll 
höher  ist,  als  ehe  der  Verband  angelegt  war. 
Die  untere  Magengrenze  findet  sich  jetzt  ober- 
halb des  Nabels. 

eher  Bedeutung  es  in  dem  besondern  Fall 
sein  kann. 


New    Yorker   Medizinische  Monatsschrift. 


191 


Mittelst  Perkussion  des  Magens  lassen 
sich  die  Ausdehnung-  und  die  untere 
Grenze  des  Organs  erkennen. 

Schliesslich  kann  der  Perkussion  noch 
die  Auskultation  folgen,  um  die  von 
Meitzer  entdeckten  und  beschriebe- 
nen Geräusche  zu  bestimmen. 

Nach  der  physikalischen  Utersuchung 
folgt  die  physikalisch-chemische  Explo- 
ration des  Mageninhaltes. 

Bei  der  Behandlung  der  Erkrankun- 
gen des  Digestionstraktes  spielt  selbst- 
verständlich die  Diät  die  erste  Rolle ;  bei 
zwei  Erkrankungen,  der  Hyperchlorhy- 
dria  und  der  Achylia  gastrica  ist  man  oft 
einzig  auf  diätetische  Behandlung  ange- 
wiesen, wie  dies  für  die  erstere  I  1 1  o- 
w  a  y  und  für  die  letztere  Einhorn  in 
unübertrefflicher  Weise  angegeben  ha- 
ben. Die  Abhandlung  1 1 1  o  w  a  y's  über 
Hyperchlorhydria  und  ihre  ausschliess- 
liche Behandlung  durch  Diät  gehört  zu 
den  klassischen  Schriften  der  medizini- 
schen Literatur.  Die  Verdienste  E  i  n- 
horn's  um  die  genaue  Kenntnis  und 
rationelle  ausschliesslich  diätetische  Be- 
handlung sind  jedem  Arzt  bekannt. 

Der  Grundsatz  hat  sich  geltend  ge- 
macht, dass  Ersatz  des  fehlenden  Ma- 
gensaftes durch  künstlich  zubereiteten 
nicht  das  wissenschaftliche  Heilmittel 
ist.  Physiko  —diätetische  Behandlung, 
Rechnung  mit  dem  Umstand,  dass  Ma- 
gensaft abwesend  und  bei  Achylia  gas- 
trica bleibend  fehlt,  die  Berücksichtigung 
der  Nervenstörungen  als  Ursache  bei 
Hyperchlorhydria,  dieses  sind  Massnah- 
men, welche  einen  wesentlichen  Fort- 
schritt in  der  medizinischen  Behandlung 
der  Magenkrankheiten  bilden. 

Die  Tatsache,  dass  Hyperchlorhydria 
von  krankhaften  Nervenzuständen  ab- 
hängt, ist  durch  die  Experimente  von 
P  a  w  1  o  w  erwiesen.  Die  ganze  Physio- 
logie der  Verdauung  wird  jetzt  von  den 
Resultaten  dieser  Experimente  be- 
herrscht. Neu  ist  ebenfalls,  wie  schon 
angedeutet,  die  Kenntnis  von  der  Be- 
ziehung mechanischer  Zustände,  Er- 
schlaffung der  Bauchmuskeln,  Atonia 
gastrica,  zur  Magensekretion. 


In  den  Lehrbüchern  der  Anatomie 
lesen  wir  sehr  wenig  über  die  Wirkung 
der  Bauchmuskeln,  es  wird  uns  da  nicht 
gesagt,  dass  sie  die  Bestimmung  haben, 
die  Baucheingeweide  in  der  physiologi- 
schen Lage  zu  erhalten,  auch  nicht,  dass 
sie  die  abdominelle  Innervation  kontrol- 
lieren, die  Flüssigkeitsbewegung  im 
Bauch  beherrschen,  und  zwrar  nicht  nur 
die  Flüssigkeitsbewegung  in  den  Einge- 
weiden, die  Sekretionen,  sondern  auch 
die  Flüssigkeitsbewegung  in  den  Gewe- 
ben. Hierüber,  d.  h.  über  die  Physiolo- 
gie und  Pathologie  der  Bauchmuskeln, 
habe  ich  schon  einen  Vortrag  vor  dieser 
Gesellschaft  gehalten,  auf  den  ich  hin- 
weisen möchte ;  dort  hob  ich  hervor,  dass 
die  Erschlaffung  der  Bauchmuskeln  zu 
Gastroptosia  führt,  dass  diese  wiederum 
die  Ursache  von  Nervenstörungen,  und 
dass  diese  Nervenstörungen  sich  in  gas- 
trischen Sekretionsanomalieen  manifes- 
tieren. Wenn  wir  diese  mechanische 
Ursache  der  Magenaffektionen  nicht  be- 
rücksichtigen, und  vor  allen  Dingen 
diese  Ursachen  beseitigen,  so  ist  die  Be- 
handlung der  Magenkrankheiten  unwis- 
senschaftlich.*) 

Die  Berliner  Koryphäen  unter  dem 
Spezialisten  für  Magenkrankheiten,  wie 
Ewald  und  Boas,  haben  sich  bemüht, 
uns  zu  erklären,  was  unter  dem  Namen 
Atonie  zu  verstehen  ist,  auch  viele  An- 
dere haben  das  Wesen  der  Atonie  zu  er- 
klären versucht,  und  viele  Umschreibun- 
gen des  Wortes  aber  keine  Uebersetzung 
desselben  eingeführt.  Wenn  wir  die 
medizinischen  Lehrbücher,  die  Artikel  in 
den  medizinischen  Zeitschriften  von 
heute  durchlesen,  so  finden  wir,  dass 
über  Atonie  viel  wissenschaftlicher  Un- 

*)  Dr.  K  e  m  p  hat  durch  genaue  Beobachtungen  in 
seiner  Klinik  im  Manhattan  State  Hospital  nachge- 
wiesen, welchen  Einfluss  die  Hebung  der  Atonia  gas- 
trica, d.  h.  die  Stützung  der  erschlafften  Bauchmus- 
keln auf  die  in  solchen  Fällen  vorliegenden  Störungen 
der  Magensekretion  hat.  Von  ihm  vorgenommene 
Durchlt  uchtungen  mittelst  seines  Circumscribing  Gas- 
trodiaphans  und  Benutzung  von  Fluoreszinlösung 
haben  gezeigt,  wie  Gastroptosis  durch  den  Heftpflaster- 
verband reguliert  wird.  Die  Abbildungen  die  ich  hier 
vorzeige  sind  die  eints  herabgesunkenen  und  durch 
den  Verband  gehobenen  Magens.  Hier  ist  die  untere 
Magengrenze  um  vier  Zoll  gehoben. 


102 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


sinn,  wie  es  Kant  genannt  haben 
würde,  geschrieben  worden.  Wer  etwa 
glaubt,  dass  dies  Uebertreibung  ist,  möge 
die  Probe  machen,  einfach  überall,  wo 
von  Magen-  und  Darmatonie  die  Rede 
ist,  das  Wort  Erschlaffung  setzen.  Es 
gibt  Einige,  von  denen  man,  wie  der 
Lacedämonier  von  den  Athenern,  sa- 
gen kann :  sie  wissen,  was  das  Rich- 
tige ist,  aber  sie  tun  es  nicht.  In  einem 
Buche  findet  sich  folgende  Kapitelüber- 
schrift und  folgender  Kapitelanfang: 
„Die  Atonie  und  die  Gastrectasia  (letz- 
teres Wort  ist  barbarisch),  Magener- 
schlaffung, Magenerweiterung.  Die  bei- 
den Begriffe  bezeichnen  die  Störungen 
der  Motilität  des  Magens.  Es  ist  das 
Verdienst  von  E  w  a  1  d  und  Boas, 
diese  Begriffe  genau  präzisiert  zu  haben  ; 
trotzdem  walten  in  der  Praxis  noch  viel- 
fach unklare  Vorstellungen  von  diesen 
an  und  für  sich  einfachen  Verhältnissen 
ab"  —  richtiger  wäre  gewesen  :  Ewald, 
Boas  und  Andere  haben  viel.  Verwir- 
rung geschaffen,  weil  sie  nicht  bei  der 
einzig  richtigen  Uebersetzung  des  Wor- 
tes Atonie,  Erschlaffung,  geblieben  sind. 
Es  ist  gewiss  am  Platz,  bei  dieser  Ge- 
legenheit diese  Tatsachen  festzustellen, 
denn  eine  rationelle  Therapie  der  durch 
Atonie  herbeigeführten  Magenstörungen 
ist  nicht  denkbar,  wenn  man  sich  nicht 
klar  ist,  was  Atonie  bedeutet. 

Vor  einer  medizinischen  Gesellschaft 
bemerkte  ich,  dass  Atonie  und  Dilatation 
identisch  seien ;  ich  hatte  dabei  im  Auge, 
dass  eine  erschlaffte  Muskelfaser  not- 
wendigerweise auch  eine  verlängerte 
Muskelfaser  sein  muss,  aber  einer  un- 
serer bekanntesten  Kollegen,  ein  hoch- 
angesehener Forscher,  bestritt  die  Iden- 
tität von  Atonie  und  Dilatation,  jeden- 
falls weil  er  sich  unter  dem  Namen  Ato- 
nie, wie  dies  Viele  tun,  motorische  In- 
suffizienz vorstellte. 

Moderne  Gastrotherapie  ist  bis  zu  ei- 
nem gewissen  Grade  unwissenschaftlich, 
weil  man  die  Tatsache  der  Beziehungen 
mechanischer  Verhältnisse,  der  Atonia 
gastrica,  zu  Sekretionsstörungen  des  Ma- 
gens nicht  anerkennen  will. 


Etwas  besser  verhalten  sich  die  Dinge 
in  Bezug  auf  die  Anerkennung  des  Zu- 
sammenhangs zwischen  Nervenstörun- 
gen und  Anomalien  der  gastrischen  Se- 
kretion. 

P  a  w  1  o  w  hat  in  seinem  Laborato- 
rium eine  Fabrik,  natürlichen  Magensaft 
herzustellen.  Auf  einem  langen  Tische 
stehen  in  Gestellen  sechs  grosse  Hunde, 
denen  Magenfisteln  angelegt  und  der 
Oesophagus  in  der  Mitte  des  Halses 
durchschnitten  ist.  Die  Hunde  fressen 
begierig  aus  einem  Napf  Fleischstücke, 
die  beständig  aus  dem  Loch  in  der  Spei- 
seröhre in  den  Napf  zurückfallen,  um 
von  neuem  den  Turnus  zu  beginnen. 
Aus  der  Magenfistel  strömen  dabei  reich- 
liche Mengen  eines  stark  sauren,  wasser- 
klaren Magensaftes,  von  dem  ein  solcher 
Hund  im  Laufe  eines  Vormittags  drei- 
viertel bis  einen  Liter  und  mehr  liefert. 
Der  so  gewonnene  Magensaft  wird  spä- 
ter durch  Chamberlain-Filters  getrieben 
und  kommt  als  „natürlicher  Magensaft" 
in  den  Handel.  Wenn  man  bei  einem 
Hunde  mit  grosser  Magenfistel  und 
durchschnittener  Speiseröhre  zunächst 
mechanisch  mit  einem  Glasstab,  einem 
Federkiel  oder  mit  dem  Finger  die  Ma- 
genschleimhaut reizt,  so  erhält  man 
höchstens  ein  wenig  alkalisch  reagieren- 
den Schleim,  so  stark  man  auch  den  Ma- 
gen malträtieren  mag.  Mechanische 
Rekung  des  Magens  erregt  keine  Saft- 
sekretion. Nach  ungefähr  5 — 6  Minu- 
ten, nachdem  der  Hund  gefressen,  be- 
ginnt eine  profuse  Sekretion  eines  was- 
serklaren 0,5 — 0,6%  Salzsäure  enthalten- 
den Magensaftes.  Aber  es  ist  nicht  ein- 
mal nötig,  den  Hund  das  Fleisch  kauen 
zu  lassen,  bereits  ein  Vorhalten  dessel- 
ben oder  das  Zerschneiden  von  Fleisch- 
sücken  am  Nebentisch  genügt,  um  nach 
der  gleichen  Zeit  die  Saftsekretion  her- 
beizuführen. P  a  w  1  o  w  nennt  ihn 
„psychischen  Magensaft"  oder  „Appetit- 
saft". 

Es  hat  sich  herausgestellt,  dass  sowohl 
der  gemischten  Kost,  als  auch  der  Ein- 
zeldarreichung von  Fleisch,  Brot,  Milch 
u.  s.  w.  jedesmal  eine  spezifische  Arbeit 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


193 


der  Magendrüsen  entspricht.  Je  nach 
der  Art  der  Nahrung  ist  Menge,  Fer- 
mentgehalt und  Dauer  der  Sekretion  des 
Magensaftes  eine  verschiedene.  Fast 
das  gleiche  Verhalten  wird  aber  auch 
schon  bei  der  Scheinfütterung  beobach- 
tet, bei  welcher  die  Substanzen  also  gar 
nicht  in  den  Magen  kommen.  Es  waltet 
hier  also  ein  äusserst  komplizierter  Me- 
chanismus, der  eine  nervöse  Verbindung 
zwischen  den  höheren  Sinnesorganen 
und  dem  Magen  darstellen  muss.  Die 
zentrifugale  Leitungsbahn  dieses  Sy- 
stems bildet  der  Nervus  vagus,  nach  des- 
sen Durchschneidung  die  zugeführte 
Saftsekretion  sistiert. 

Einen  besonders  traurigen  Eindruck 


machen  die  Hunde,  denen  man  beide 
Nervi  vagi  durchschnitten  und  bei  denen 
nun  der  psychische  Magensaft  fehlt.  Die 
Hunde  gehen  bald  zu  Grunde,  die  Spei- 
sen faulen  ihnen  im  Magen ;  es  besteht 
Achylia  gastrica  und  Stagnation. 

Moderne  Gastrotherapie,  soweit  Ano- 
malien der  Magensekretion  in  Betracht 
kommen,  beruht  auf  Berücksichtigung 
nervöser  und  mechanischer  Zustände. 

Dies  ist  selbstverständlich  bei  weitem 
nicht  alles,  was  ich  über  moderne  Be- 
handlungsmethoden zu  sagen  habe,  aber 
es  scheint  mir,  dass  das  Angeführte  die 
am  meisten  charakteristischen  Punkte 
des  Fortschrittes  während  dieses  Jahr- 
hunderts umfasst. 


Zur  vorzeitigen  Ablösung  der  normal  sitzenden  Plazenta. 

Von  Dr.  Alfred  Herzfeld,  New  York. 
II. 


Der  Vollständigkeit  halber  veröffent- 
liche ich  nachstehend  die  genaueren 
Quellenangaben  zu  den  sämmtlichen 
von  mir  in  meiner  Arbeit*)  zitierten  und 
benützten  250  Fällen: 

Literatur. 

1.  F.  v.  Winckel.  Lehrbuch  der  Geburts- 
hülfe,  Leipzig,  1893,  p.  311. 

2.  A.  C.  Baiidelocque.  Anleitung  zur  Ent- 
bindungskunst, übersetzt  von  Ph.  F.  Meckel, 
Leipzig,  1791,  zweite  Ausgabe,  1.  Band. 

3.  James  Gaillimeau.  Childbirth  or  the 
Happy  Deliverie  of  Women,  London,  1612. 
Printed  by  Hatfield,  pp.  72,  110,  128. 

4.  Paul  Portal.  Cit.  von  de  Forin.  These 
de  Paris,  1892. 

5.  Thomas  Raynald.  The  Birth  of  Man- 
kinde  Otherwise  Named  the  Woman's  Booke, 
London,  1634,  p.  132. 

6.  Cosme  Viardel.  Observations  sur  la 
pratique  des  accouchemens.  Paris,  1671,  chap. 
16,  p.  130. 

7.  William  Giffard.  Cases  in  Midwifery. 
London,  1734,  pp.  36-38,  199,  202. 

8.  Francois  Mauriceau.  Traites  des  maladies 
des  femmes  grosses.  Paris,  1740,  chap.  21, 
p.  158. 

*)  Siehe  diese  Monatsschrift,  Septembernummer. 


9.  La  Motte.  A  General  Treatise  of  Mid- 
wifery. Trans,  in  English  by  Thomas  Tom- 
kyns,  London,  1746,  p.  264. 

10.  M.  Puzos.  Traite  des  accouchemens. 
Memoires  sur  les  pertes  de  sang.    Paris,  1759. 

11.  Andre  Levret.  L'art  des  accouchemens. 
Paris,  1766,  p.  357. 

12.  William  Smellie.  A  Treatise  on  the 
Theorie  and  Practice  of  Midwifery.  London, 
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193.  Schuld.  Revue  Medicale  de  l'Est,  1900, 
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New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


197 


212 — 213  Dublin  Jour.  of  Med.  Science, 
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243.  Weathcrly.  British  Med.  Jour.,  1878, 
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246.  Welch.,  Phil.  Med.  Times,  1874,  vol.  4, 
P-  237. 

247 — 249.  Yarro's  Americ.  Jour.  of  Obst., 
vol.  822,  1905  (3  F.). 
250.  Eigener  Fall. 


Beitrag  zur  Alkoholanwendung  bei  der  Pneumonie.* 

Von  Dr.  med.  Fock  in  Hamburg. 


Die  exakte  Indikationsstellung  für 
die  Verordnung  von  Alkohol  leidet, 
wie  überhaupt  die  ganze  Lehre  von 
der  Alkoholwirkung,  noch  an  mancher- 
lei Unklarheit;  die  Anschauungen  der 
Aerztewelt  in  diesem  Punkte  befinden 
sich  in  einer  steten  Umbildung,  wie  ein 
kurzer  Blick  auf  die  Geschichte  der 
Alkoholtherapie  lehrt.  Zeigten  die 
Aerzte  in  den  ersten  Jahrzehnten  des 
verflossenen  Jahrhunderts  so  wenig 
Neigung,  Alkohol  zu  verordnen,  dass 
am  Rhein  noch  1845  ein  Arzt  unter  An- 
klage gesetzt  wurde,  er  habe  durch 
Verordnung  von  Wein  bei  einem  Ty- 
phuskranken dessen  Tod  herbeige- 
führt, so  kam  später  eine  andere  Zeit, 
in  der  immer  mehr,  ja  zuletzt  in  fast 
enthusiastischer  Weise  Alkohol  in 
grossen  und  sehr  grossen  Mengen  bei 


*)  Aus  der  Münchener  medizinischen  Wo- 
chenschrift, No.  44,  1906. 


akuten  und  chronischen  Krankheiten 
verordnet  wurde,  so  dass,  wie  v. 
J  a  k  s  c  h  sich  ausdrückt,  „Hunderte 
von  Menschen  durch  übermässige  Dar- 
reichung von  Weingeist  getötet  wur- 
den". Heute  haben  wohl  die  Meisten 
diesen  extremen  Standpunkt  wieder 
verlassen,  da  diese  Medikation  nicht 
den  gehegten  Erwartungen  bezüglich 
des  Erfolges  entsprach,  und  in  vorsich- 
tiger und  kritischer  Weise  sucht  man 
tatsächliche  Unterlagen  für  das  Ver- 
halten am  Krankenbette  zu  gewinnen. 
Von  einer  einheitlichen  Meinung  kann 
aber  noch  keine  Rede  sein. 

In  dem  Wunsche,  ein  klein  wenig 
zur  Klärung  beizutragen,  und  zwar 
speziell  zunächst  einmal  festzustellen, 
welche  Ansichten  die  hervorragendsten 
Aerzte  z.  Z.  hegen,  wandte  ich  mich 
mit  einem  Fragebogen  betreffs  Alko- 
holanwendung bei  der  Pneumonie  an 
eine  grosse  Zahl  von  Professoren,  in 


New   Yorker   Medizinische  Monatsschrift. 


erster  Linie  die  inneren  Kliniker  und 
andere  Aerzte  in  Deutschland,  Oester- 
reich, Schweiz,  Dänemark,  Schweden 
und  England,  und  es  haben  so  viele 
der  befragten  Herren  die  Güte  gehabt, 
den  Fragebogen  ausgefüllt  zurückzu- 
senden, teilweise  mit  ganz  ausführli- 
chen Berichten,  dass  der  Zweck,  ein 
wohl  einigermassen  zutreffendes  Bild 
der  heute  geltenden  Ansichten  zu  er- 
langen, erreicht  werden  konnte ;  ich 
gebe  mich  der  bescheidenen  Hoffnung 
hin,  dass  die  Vergleichung  der  recht 
verschiedenen  Meinungen  mancherlei 
Anregung  zu  weiteren  Beobachtungen 
geben  wird.  Es  wurde  gerade  die 
Pneumonie  gewählt,  weil  sie  mit  ihrem 
typischen,  im  Vergleiche  zu  andern 
Krankheiten  relativ  einfachen  Bilde  am 
ehesten  geeignet  sein  dürfte,  die  Wir- 
kung des  Alkohols  hervortreten  zu  las- 
sen und  zur  Herausarbeitung  einer 
richtigen  Indikationsstellung  mitzu- 
helfen. 

Die  erste  Frage  lautete:  Wird  Al- 
kohol verordnet  in  jedem  Falle  von 
Pneumonie  oder  nur  in  besonderen 
Fällen?  Nur  einzelne  wenige  Beob- 
achter geben  jedem  Pneumoniker  Al- 
kohol ;  in  einer  Antwort  heisst  es,  dass 
in  der  betreffenden  süddeutschen  Kli- 
nik jeder  Patient  täglich  }4  Liter  leich- 
ten Landwein  erhalte  und  so  eben 
auch  der  Pneumoniker.  Das  Gegen 
teil  davon  bilden  eine  Anzahl  Antwor- 
ten, die  in  keinem  Falle  Alkohol  geben, 
teils  weil  sie  ihn  für  entbehrlich,  teils 
weil  sie  ihn  für  direkt  schädlich  halten. 
Die  weit  überwiegende  Mehrheit  geht 
den  Mittelweg  und  will  nur  in  beson- 
deren Fällen  Alkohol  gegeben  wissen ; 
einige  Male  heisst  es:  „Die  Mehrzahl 
der  Pneumoniker  erhält  Alkohol",  viel 
häufiger  aber:  „Die  meisten  Patienten 
erhalten  keinen  Alkohol".  Gründe  für 
Darreichung  von  Alkohol  sind :  Allge- 
meine Schwäche  (am  häufigsten  er- 
wähnt), Kollaps,  hohes  Fieber,  man- 
gelnde Nahrungsaufnahme,  Alters- 
pneumonie,  Gewöhnung  an  täglichen 
Alkoholgenuss,  umgekehrt  auch  Nicht- 


gewöhnung.  Doch  davon  nachher  Ge- 
naueres. 

Die  zweite  Frage :  In  welcher  Form 
und  in  welcher  Menge  wird  Alkohol 
gegeben?  wird  wie  folgt  beantwortet: 
Champagner,  Portwein,  Tokayer,  Ma- 
laga, Sherry,  Kognak,  Rum,  Rotwein, 
Weisswein,   Schnaps,   Tee   mit  Rum 
und  Kognak,  und  in  vielen  Fällen  Mix- 
turen nach  folgenden  Rezepten :  Rp. 
Kognak,  25 — 50,0  Vitell.  ovi  unius,  Sir. 
simpl.    20,0,    Aqu.    dest.    ad  150,0 
(Stokes'  Mixtur)  oder  Rp.  Extract. 
cortic.   aurant.  0,5,   Sir.   simpl!  30,0, 
Spirit.  20,0,  Aqu.  dest.  ad  200,0  oder 
Rp.  Decoct.  cort.  chinae  15,0:   120  0 
Cognac,  Sir.  aurant.  cortic.  ana  30,0. 
Die  Vorschriften  über  die  Mengen  pro 
dosi  und  pro  die  schwanken  natürlich 
auch  in  diesen  selbstverständlich  ganz 
allgemein   gehaltenen   Angaben  sehr. 
Wir  finden  :  Art  des  alkoholischen  Ge- 
tränkes nach  Geschmack  oder  Gewohn- 
heit des  Patienten ;  Art   und  Menge 
nach  Geschmack  und  Gewohnheit  des 
Patienten  ;   mindestens   die  gewohnte 
tägliche      Menge ;      bei  Deliranten 
Schnaps;   „soviel   als   möglich";  „ad 
libitum"  ;  die  beiden  letzten  Massbe- 
stimmungen nur  je  1  mal ;  mehrfach 
wird  ausdrücklich  betont:  nie  ad  libi- 
tum, und  meistens  sind  genauere  Men- 
gen   angegeben :    von    den  Mixturen 
2   stündlich    1    Esslöffel   voll,  Cham- 
pagner pro  dosi  1  Glas,  pro  die  y2 — 1 
Flasche ;  Portwein  und  Tokaver  A — 6 
mal  1  Esslöffel,  %  bis  }i  Flasche ;  ein- 
mal heisst  es :   Tokayer  oder  Malaga, 
denn  Portwein  ist  ja  stets  verfälscht ; 
Sherry   2 — 3   kleine    Gläser   pro  die, 
Kognak  und  Rum  mehrfach  täglich  1 
Teelöffel  bis  Esslöffel  voll,  pro  die  40 
— 50  g  Kognak,  50,0  Kognak  oder  Rum 
mit  Tee ;  1 — 3  Glas  Grog  von  Kognak, 
%.  Liter  Grog;  1  Ei  mit  Zucker  und 
Kognak;  Schnaps  pro  dosi  10 — 15  ccm, 
150—300,0  pro  die;  Rot-  und  Weiss- 
wein  2  stündlich   1   Esslöffel,      — 2 
Flaschen  in  24  Stunden.    Manche  Au- 
toren betonen,  dass  sie  nur  bis  an  die 
unterste  Grenze  gehen,  andere,  dass 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


199 


man  gern  über  die  obere  Grenze  hin- 
ausgehen könne. 

Die  nächste  Frage :  „Erfordert  die 
Pneumonie  bei  Potatoren  Alkoholdar- 
reichung?", förderte  wieder  Ansichten 
aller  Schattierungen  zutage.  Die  Ma- 
jorität erklärt  es  für  notwendig,  jedem 
an  Lungenentzündung  erkrankten 
Trinker  Alkohol  zu  geben ;  eine  starke 
Minorität  ist  wieder  der  Ansicht,  dass, 
wie  ja  überhaupt  dem  in  ärztliche  Be- 
handlung gelangenden  Potator  jetzt 
wohl  überall  der  Alkohol  sofort  gänz- 
lich entzogen  wird,  dies  auch  dann  zu 
geschehen  habe,  wenn  er  an  Pneumo- 
nie erkrankt  sei.  Die  in  der  Mitte 
Stehenden  führen  an,  dass  nur  bei 
Herzschwäche  und  drohendem  Kollaps 
Alkohol  notwendig  sei  (so  A  u  f- 
recht,  d'E  p  i  n  e,  Ewald,  Gra- 
w  i  t  z,  Schulze,  P  ä  s  s  1  e  r)  oder 
dass  Inanition  (St  ick  er)  oder  das 
Zusammentreffen  von  Delirium  und 
Pneumonie  (D  e  n  e  k  e)  ihn  nötig  er- 
scheinen lasse. 

Am  interessantesten  und  wichtig- 
sten sind  die  beiden  folgenden  Fragen 
mit  ihren  Antworten :  „Welche  Wir- 
kung wird  vom  Alkohol  erwartet  ?" 
und  „Inwieweit  erfüllt  er  diese  Er- 
wartung?", denn  die  prinzipielle  Auf- 
fassung von  der  Art,  wie  der  Alkohol 
in  die  Lebensvorgänge  des  Organis- 
mus eingreift,  findet  hier  ihren  Aus- 
druck. Und  auch  hier  wieder  ein  wei- 
tes Auseinandergehen  der  Ansichten. 
Wenn  wir  zunächst  die  weniger  häufig 
genannten  Indikationen  betrachten,  so 
sehen  wir  da :  Er  wird  gegeben,  weil 
.er  allgemein  beruhigend  wirkt  (D  e- 
n  e  k  e,  Penzoldt,  S  t  i  c  k  e  r) ,  weil 
er  als  Narkotikum  bei  Nichtgewöhnten 
den  Husten  lindert  (G  r  a  m-Kopenha- 
gen),  weil  er  direkt  antitoxisch  wirkt 
(Litt  mann),  weil  er  ein  Genuss- 
und Anregungsmittel  ist  (F  1  e  i  n  e  r), 
weil  er  diaphoretisch  und  diuretisch 
wirkt  (G  r  i  s  s  o  n),  weil  er  den  Absti- 
nenzerscheinungen und  dem  Delirium 
vorbeugt,  weil  er  subjektiv  die  Atem- 
beschwerden lindert ;  einige  Male  wird 


eine  nährende  Wirkung  angegeben. 
Die  allermeisten  jedoch  verordnen  ihn, 
weil  sie  eine  Beeinflussung  von  Herz- 
und  Vasomotoren  erwarten ;  leider 
sind  die  Antworten  in  diesem  Punkte 
in  der  Regel  nur  ganz  kurz,  so  dass 
nicht  daraus  hervorgeht,  in  welcher 
Art  die  „Beeinflussung"  oder  „Anreg- 
ung" oder  „Kräftigung  des  Herzmus- 
kels und  der  Vasomotoren"  gedacht 
ist.  Gelegentlich  heisst  es:  Es  wird 
eine  Gefässerweiterung,  besonders  in 
den  unteren  Extremitäten  erzielt,  oder: 
Eine  allgemeine  Gefässerweiterung, 
die  eine  momentane  Entlastung  des 
Herzens  bedeutet  und  zusammen  mit 
Digitaliswirkung  vorteilhaft  wirkt. 

Wer  den  Alkohol  als  Exzitans  be- 
trachtet, der  wird  dann  jedenfalls  nur 
gelegentlich,  in  besonderen  Fällen  und 
für  ganz  kurze  Zeit  ihn  verordnen, 
denn  Exzitation  bedeutet  nur  temporär 
gesteigerte  Arbeitsleistung,  aber  kei- 
neswegs eine  Stärkung,  eine  Steiger- 
ung der  Leistungsfähigkeit.  Wer  die 
Ansicht  hegt,  der  Alkohol  stärke  den 
Herzmuskel  selbst  oder  die  Herzner- 
ven oder  die  Vasomotoren,  der  wird 
ihn  ausgiebiger  verwenden.  Leider 
haben  aber  die  bisherigen  Forschun- 
gen keinen  sicheren  Anhalt  für  die 
Richtigkeit  der  einen  oder  der  anderen 
Ansicht  ergeben.  Erb  sagt  einmal: 
„Ich  habe  mir  die  Frage  vorgelegt,  ob 
nicht  ein  Teil  dessen,  was  wir  bei 
Schwerkranken  sehen,  die  wir  mit  Al- 
kohol behandeln,  eine  Folge  sehr  gros- 
ser Alkoholdosen  sein  könnte,  ob  nicht 
ein  Teil  des  Kollapses  auf  diesen  Alko- 
holgenuss  zu  schieben  wäre" ;  und 
Rosenfeld  sagt  in  seinem  Buche: 
„Der  Einfluss  des  Alkohols  auf  den 
Organismus,"  Seite  164:  „Wenn  wir 
unter  Analeptikum  ein  Mittel  ver- 
stehen wollen,  welches  die  Zirkulation 
verbessert,  so  können  wir  vom  Alkohol 
nur  sagen,  dass  von  ihm  eine  derartige 
Wirkung  im  mindesten  nicht  erwiesen 
sei ;  denn  weder  steigt  die  Pulszahl 
noch  der  Blutdruck  durch  selbst  grös- 
sere Dosen  von  Alkohol  in  nennens- 


200 


New   Yorker   Medizinische  Monatsschrift. 


werten  Grössen.  Auch  ist  nach  den 
Versuchen  von  K  o  b  e  r  t,  wie  nach 
Pässler,  der  Spiritus  kein  Mittel, 
um  die  kleinen  Gefässe  zu  verengern. 
Soweit  wir  also  im  stände  sind,  objek- 
tiv die  Lage  der  Blutbewegung  im  le- 
benden Menschen  zu  beurteilen  —  es 
fehlt  uns  freilich  noch  das  meiste,  um 
es  wirklich  zu  können  — ,  zeigt  sich  der 
Alkohol  nicht  als  Exzitans  für  die  Zir- 
kulation. 

Die  Indikationen,  denen  der  Alkohol 
zu  genügen  hätte,  sind  zweifacher  Art. 
Einerseits  soll  er  die  vis  a  tergo,  die 
Tätigkeit  des  Herzens  verbessern,  an- 
dererseits für  den  Tonus  der  kleinen 
Gefässe  sorgen.  Die  Störung  der  Zir- 
kulation in  den  Infektionskrankheiten 
kann  auf  beide  Momente  zurückge- 
führt werden :  entweder  ist  die  Leis- 
tung des  Herzens  insuffizient,  wie  bei 
nachweisbaren  und  nicht  nachweisba- 
ren Krankheiten  des  Endo-,  Myo-  und 
Perikardiums,  oder  die  Innervation  der 
kleinen  Gefässe  leidet  unter  der  Beein- 
trächtigung des  Vasomotorenzen- 
trums,  wie  bei  den  Allgemeininfektio 
nen  —  Sepsis,  Pneumokokkensepsis 
(Romberg,  P  ä  s  s  1  e  r).  In  beiden 
Richtungen  hat  sich  der  Alkohol  als 
leistungsunfähig  erwiesen.  Vorläufig 
müssen  wir  es  als  nicht  erwiesen  be- 
trachten, dass  der  Alkohol  ein  Exzi- 
tans sei. 

v.  Jürgensen  sagt  in  seinem 
Lehrbuche :  „Für  den  Gebrauch  des 
Weines  gilt  im  allgemeinen  das  gleiche 
wie  bei  dem  Typhoid.  Man  wird  bei 
Alten  und  Schwachen  gut  tun,  von 
Anfang  an  die  stärksten  Sorten  in 
nicht  zu  kleinen  Mengen  zu  reichen ; 
so  wird  die  Herzschwäche  sicherer 
verhütet.  .  .  .Dazu  ist  zu  bemer- 
ken, dass  der  Wein  die  Herzschwäche 
verhindert  und  dass  die  stärksten 
Spirituosen,  Kognak,  Rum  u.  s.  w.  mit 
heissem  Tee-  oder  Kaffeeaufguss  zu- 
sammen selbst  bei  dem  Schnapssäufer 
noch  sehr  wirksame  Erreger  für  das 
Herz  sind.  .  .  ."  Und  an  der  an- 
gezogenen Stelle  beim  Typhus  will  v. 


Jürgensen  den  Alkohol  gegeben 
wissen:  „1.  Vor  und  nach  jedem  Bade, 
damit  das  Herz,  die  von  ihm  vorüber- 
gehend verlangte  grössere  Kraftsleist- 
ung liefern  kann ;  2.  als  Sparmittel ; 
3.  um  durch  den  Wein  teilweise  den 
Wasserverlust  des  Körpers  zu  erset- 
zen." 

v.  S  t  rü  m  p  e  1  1 :  „Unzweifelhaft 
notwendig  ist  reichliche  Zufuhr  von 
Alkohol  bei  Potatoren,  zumal  bei  be- 
ginnendem oder  bereits  ausgesproche- 
nem Patienten  kleine  Mengen  Wein 
exzitierend  und  anregend  wirken  kön- 
nen, mag  richtig  sein,  obgleich  wir  uns 
von  dem  oft  gerühmten  Einfluss  auf 
die  Herztätigkeit  nie  recht  überzeugen 
konnten.  Grössere  Mengen  .  .  . 
halten  wir  nicht  für  gerechtfertigt." 

Die  nächste  Frage  lautete :  „Würde 
sich  die  erwartete  Wirkung  auch 
durch  andere  therapeutische  Massnah 
inen  erzielen  lassen?"  Aus  den  Ant- 
worten seien  folgende  hervorgehoben : 
Gewiss!  —  Unbedingt!  —  Gewiss,  aber 
da  ich  nie  einen  Schaden  sah,  so  habe 
ich  keinen  Grund  gehabt,  den  Alkohol 
zu  untersagen,  trotzdem  für  die  An- 
stalt ein  grosser  pekuniärer  Vorteil 
vorhanden  wäre.  —  Andere  Mittel  sind 
nicht  so  bequem  in  der  Anwendung. — 
Oft  sind  andere  Mittel  neben  Alkohol 
nötig.  —  Es  werden  stets  andere  Mit- 
tel mit  herangezogen,  die  dem  Patien- 
ten nützen  können.  —  Alkohol  wird 
erst  herangezogen,  wenn  die  anderen 
Mittel  versagen.  —  Wenn  Alkohol 
nicht  mehr  genügt,  werden  andere 
Mittel  angewendet.  —  In  späten  Nacht- 
stunden wird  Kaffee  und  Thee  gege- 
ben, Alkohol  erst  wieder  von  11  Uhr 
vormittags  ab.  —  Kein  Mittel  hebt  die 
Herzkraft  so  schnell,  wie  Alkohol.  — 
Andere  Herztonika,  wie  Kampher, 
Digitalis,  Koffein,  Tee,  Aderlass  und 
Hydrotherapie  können  den  Alkohol 
ganz  oder  teilweise  ersetzen  oder  müs- 
sen neben  ihm  angewendet  werden.  — 
Aderlässe,  die  in  der  Behandlung  der 
Lungenentzündung  in  früheren  Zeiten 
eine  so  grosse  Rolle  spielten  und  in 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


201 


England  scheinbar  auch  heute  noch 
viel  mehr  angewendet  werden  als  bei 
uns,  wurden  nur  dies  eine  Mal  ge- 
nannt. 

Eine  besondere  Erwähnung  verdie- 
nen wohl  die  Berichte  des  seit  1873  be- 
stehenden London  Temperance  Hos- 
pital, welches  seit  einer  Reihe  von 
Jahren  die  besten  Genesungsziffern 
von  allen  Londoner  Krankenhäusern 
hat.  Das  Hospital  nimmt  wahllos  Al- 
koholabstinente und  Nichtabstinente 
auf;  die  Aerzte  sind  gehalten,  je- 
den Fall  von  Alkoholverordnung  mit 
allen  Einzelheiten,  Art,  Dosierung  und 
Dauer  der  Alkoholanwendung  in  ein 
besonders  für  diesen  Zweck  angeleg- 
tes Buch  zu  schreiben.  Die  Jahresbe- 
richte liefern  nun  folgende  Zahlen  : 

1901  :  1299  klinische,  12,846  polikli- 
nische Patienten ;  bei  63  Pneumoni- 
kern 1  mal  Anwendung  von  Alkohol. 

1902:  1471  klinische,  15,349  polikli- 
nische Patienten  ;  im  ganzen  in  5  Fäl- 
len Alkohol ;  98  Pneumonien,  bei  die- 
sen 2  mal  Alkohol. 

1903:  1376  klinische,  14,524  poli- 
klinische Patienten ;  im  ganzen  9  mal 
Alkohol ;  60  Pneumonien  mit  4  mal 
Alkohol. 

1904:  1337  klinische,  15,621  poli- 
klinische Patienten  ;  im  ganzen  6  mal 
Alkohol ;  76  Pneumonien  mit  4  mal 
Alkohol. 

Nebenbei  bemerkt :  Die  Kosten  für 
Alkohol  dürften  in  keinem  Jahre  die 
Summe  von  10  M.  überschreiten ;  in 
den  meisten  deutschen  Kranken- 
häusern sind  sie  recht  erheblich ;  im 
Allgemeinen  Krankenhaus  in  Wien 
betrugen  sie  1897  :  50,000  Kronen  (etwa 
43,000  Mk.),  1902  nur  noch  die  Hälfte; 
in  den  Hamburgischen  Staatskranken- 
häusern 1905:  124,000  M. 

Systematische  Vergleiche  sind  von 
den  Beantwortern  der  Fragebogen 
nicht  angestellt  worden.  Es  berichtet 
Dr.  Hay  (Lancet  1904,  S.  1672)  über 
solche  Vergleiche,  die  eine  um  15  Proz. 
geringere  Sterblichkeit  bei  den  alko- 
holfrei     Behandelten      ergab,  und 


S  m  i  t  h,  der  von  54  Pneumonien  im- 
mer eine  mit,  die  nächste  ohne  Alkohol 
behandelte,  sah,  dass  im  Verlauf  kein 
Unterschied  hervortrat :  nur  war  die 
Rekonvaleszenz  der  alkoholfrei  Behan- 
delten leichter  und  schneller.  Sehr 
viele  der  Aerzte,  welche  stets  alkohol- 
frei behandeln,  behaupten  ebenfalls, 
dass  die  Rekovaleszenz  viel  schneller 
verlaufe,  wenn  der  Kranke  gar  keinen 
Alkohol  erhalten  habe,  doch  beruht 
dies  Urteil  meistens  mehr  auf  allge- 
meinen subjektiven  Eindrücken  als  auf 
systematischen  Vergleichen,  die  z.  B. 
darauf  Bezug  nehmen  könnten,  wie 
lange  Zeit  die  Kassenpatienten  im  gan- 
zen erwerbsunfähig  sind.  Heute  kön- 
nen wir  nur  sagen :  Man  sieht,  dass 
sehr  viele  Patienten  von  einer  Pneu- 
monie genesen,  wenn  sie  während  der 
Krankheit  oder  der  Rekonvaleszenz 
oder  während  beider  Alkohol  erhalten 
haben  und  man  sieht  ebenso  sehr  viele 
genesen,  die  keinerlei  Alkohol  erhalten 
haben.  Der  Alkohol  ist  also  sicher  im 
allgemeinen  überflüssig.  Es  bleiben 
aber  die  beiden  extremen  Ansichten ; 
die  einen  :  der  Alkohol  ist  nicht  bloss 
überflüssig,  sondern  direkt  nachteilig, 
die  anderen :  wenn  er  auch  nicht  unbe- 
dingt notwending  ist,  so  ist  es  doch 
besser,  ihn  anzuwenden.  Den  Streit 
dieser  beiden  Ansichten  sicher  ent- 
scheiden können  wir  heute  noch  nicht ; 
dazu  bedarf  es  einer  grossen  vergleich- 
enden statistischen  Untersuchung  und 
es  läge  da  für  grosse  Krankenhäuser 
ein  dankbares  Gebiet,  die  Lösung  der 
Frace  erheblich  zu  fördern.  Wenn  in 
strenger  Regelmässigkeit  abwechselnd 
der  eine  Fall  mit  Alkohol,  der  andere 
ohne  Alkohol  behandelt  würde  —  na- 
türlich Ausnahmen  zugelassen,  sowie 
das  Wohl  des  Patienten  durch  die  eine 
oder  andere  Massregel  irgendwie  ge- 
fährdet erscheinen  könnte  — ,  so  müsste 
allmählich  eine  Statistik  erwachsen, 
die  durch  das  Gesetz  der  grossen  Zah- 
len Beweiskraft  erhielte ;  Unter- 
schiede, die  verursacht  werden  durch 
die  verschiedene  Virulenz  der  jeweili- 


202 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


gen  Krankheitserreger  —  vergl.  den 
Wechsel,  der  sich  in  dieser  Weise  in 
Tübingen  vollzogen  hat ;  Dissertation 
von  Werfer,  Tübingen  1904  — , 
durch  die  Verschiedenheit  der  Konsti- 
tution, die  verschiedene  Gewöhnung 
an  Alkohol  u.  s.  w.,  würden  bei  einer 
Statistik,  die  über  Tausende  von  ge- 
nau beobachteten  Fällen  verfügte,  kei- 
nen Einfluss  mehr  auf  die  Zuverlässig- 
keit des  Ergebnisses  ausüben.    Bei  ei- 


nem Mittel  aber,  welches  vielseitige 
Verwendung  findet,  wie  der  Alkohol, 
sollte  unsere  Wissenschaft  eilen,  die 
gänzlich  auseinandergehenden  Mein- 
ungen zu  klären. 

Zum  Schlüsse  ist  es  mir  eine  ange- 
nehme Pflicht,  allen  den  Herren,  die 
mich  durch  Ausfüllen  der  Fragebogen 
bei  dieser  Arbeit  unterstützt  haben, 
auch  an  dieser  Stelle  meinen  verbind- 
lichsten Dank  auszusprechen! 


Pyrenol  in  der  Therapie  der  Respirationsorgane.* 

Von  Dr.  med.  P.  Schuette,  Magdeburg. 


Das  Pyrenol,  welches  etwa  seit  vier 
Jahren  in  den  Arzneischatz  der  modernen 
Heilkunde  aufgenommen  worden  ist, 
sollte  wegen  seiner  Vielseitigkeit  an 
wirksamen  Eigenschaften  jedem  Arzt 
bekannt  sein.  Es  gibt  wohl  kaum  ein 
Mittel,  welches  neben  einer  Mannigfal- 
tigkeit und  Promptheit  seiner  Wirkungs- 
weise zugleich  den  Vorzug  des  Fehlens 
jeder  schädlichen  und  gefahrbringenden 
Nebeneigenschaften  in  so  ausgesproche- 
nem Grade  besitzt,  wie  man  dies  von 
„Pyrenol"  behaupten  kann.  Seine  Vor- 
züge werden  uns  voll  und  ganz  verständ- 
lich, wenn  wir  die  Zusammensetzung  des 
Präparates  kennen. 

Das  „Pyrenol"  wird  chemisch  darge- 
stellt durch  Einwirkung  von  Benzoe- 
säurethymylester  auf  Benzoyl-Oxyben- 
zoesäure  und  Neutralisation  durch  Na- 
trium, und  entspricht  folgender  Formel : 


C6  H5 


-O.  C6  H5  C.  O. 
C.  O.  O.  Na. 

'C.  H3 
C3  H7 
O.  CÄ  PL  C.  O. 


Das  „Pvrenol"  bildet  ein  weisses  kry- 
stallinisches,  etwas  hygroskopisches  Pul- 
ver von  aromatischem  Geruch  und  mild- 
süsslichem  Geschmack.    Es  löst  sich  in 


*)  Aus  „Deutsche  med.  Presse,"  1907, 
No.  19. 


etwa  5  Teilen  Wasser  und  10  Teilen  Al- 
kohol. Die  wässrigen  Lösungen  sind  et- 
was getrübt  infolge  des  Gehaltes  an  em- 
pyreumatichen  Stoffen  der  Benzoesäure. 

Das  „Pyrenol"  ist  nicht  nur  ein  ausge- 
zeichnetes Expektorans  und  Sedativum, 
sondern  hat  auch  milde  anti febrile  und 
antirheumatische  Eigenschaften.  Gegen- 
über den  Salizyl-  und  Salizylersatzpräpa- 
raten  hat  es  den  Vorzug,  dass  es  anre- 
gend und  kräftigend  auf  die  Herztätig- 
keit einwirkt,  während  man  bei  den  Sali- 
zyl- und  verwandten  Präparaten  vielfach 
kollabierende  Wirkungen  beobachtete. 
Die  unangenehmen  Nebeneigenschaften 
so  vieler  anderer  ähnlicher  Ingredienzien, 
wie  z.  B.  der  schlechte  Geschmack,  die 
appetitherabsetzenden  Einflüsse,  die 
Reizung  der  Nieren  und  das  Hervor- 
rufen von  gewissen  nervösen  Störungen, 
Ohrensausen,  u.  s.  w.  kommen  beim 
„Pyrenol"  vollständig  in  Fortfall.  Das 
Präparat  ist  leicht  zu  nehmen  und  kann 
jedem  Geschmack  angepasst  werden. 

Das  „Pyrenol"  kann  in  Tablettenform 
und  in  Lösungen  verabreicht  werden.  Bei 
Erwachsenen  wendet  man  am  zweckmäs- 
sigsten  die  Tablettenform  an,  wo  dies 
nicht  angängig  ist,  wie  bei  Kindern  und 
durch  hohes  Fieber  Benommenen,  hält 
man  sich  besser  an  die  Lösungen,  die 
man  in  2  bis  5  prozentiger  Stärke  gibt. 
Der  nicht  unangenehme  aromatische  Ge- 


New  Yorker  Medizini 


sche  Monatsschrift. 


203 


schmack  kann,  je  nach  Wunsch  und  Be- 
dürfnis, durch  Syrup,  Pfeffermünze, 
Himbeersaft,  Milch,  Kaffee,  Selterwas- 
ser u.  s.  w.  korrigiert,  werden. 

Ich  selbst  habe  das  „Pyrenol"  in  einer 
Reihe  von  Fällen  angewendet,  in  denen 
es  sich  vornehmlich  um  Erkrankungen 
der  Respirationsorgane  handelte,  und 
habe  dabei  die  Erfahrungen  gemacht, 
dass  dasselbe  nicht  nur  ein  hervorragen- 
des Spezifikum  gerade  für  derartige 
Fälle  darstellt,  sondern  dass  es  auch  die 
Hebung  des  Allgemeinzustandes  in  so- 
fern befördern  hilft,  als  es  appetitanre- 
gend wirkt,  den  Stoffwechsel  hebt  und 
die  Herztätigkeit  in  günstiger  Weise  be- 
einflusst.  Bei  mit  Fieber  einhergehenden 
Erkrankungen  der  Atmungsorgane  wie 
z.  B.  bei  Pneumonien,  Pleuritiden, 
u.  s.  w.  hat  es  zugleich  einen  hervorra- 
genden antifebrilen  Wert.  Ich  habe  die 
Beobachtung  gemacht,  dass  bei  Tempera- 
turen von  40°  C.  dieselbe  im  Verlauf  von 
einer  Stunde  nach  Einnahme  des  „Pyre- 
nols"  um  1  bis  \l/2°  C.  zurückging  und 
nach  ca.  3  Stunden  nach  dem  Gebrauch 
des  Mittels  wieder  zu  steigen  begann. 
Die  heftigen,  stechenden  Schmerzen  in 
der  affizierten  Brustseite,  mit  denen  die 
Pneumonien  und  Pleuritiden  einherzu- 
gehen pflegen,  erfuhren  durch  die  fort- 
gesetzte Darreichung  des  Pyrenols  eben- 
falls eine  wesentliche  Milderung,  wo- 
durch sich  das  Präparat,  abgesehen  von 
den  hustenstillenden  und  später  im  Sta- 
dium der  Lysis  sich  so  wunderbar  be- 
währenden expektorierenden  Wirkungen, 
auch  als  unfehlbares  Sedativum  zeigte. 

Bei  der  Behandlung  des  Asthmas,  so- 
wohl der  bronchialen  als  auch  der  ner- 
vösen Form,  leistete  es  hervorragende 
Dienste.  Beim  Bronchialasthma  machten 
sich  zunächst  die  expektorierenden  Ei- 
genschaften des  „Pyrenols"  in  äusserst 
günstiger  Weise  bemerkbar,  indem  eine 
leichte  und  reizlose  Lösung  ermöglicht 
wurde.  Die  pfeifenden  und  schnurren- 
den Geräusche,  die  meist  den  dvspnoei- 
schen  Anfällen  vorauszugehen  pflegen, 
traten  immer  mehr  in  den  Hintergrund, 
der  trockene   Husten   verschwand  und 


asthmatische  Anfälle  zeigten  sich  wäh- 
rend der  Zeit  des  Gebrauchs  des  „Pyre- 
nols" nur  äusserst  selten  oder  gar  nicht 
mehr. 

Bei  der  Behandlung  des  nervösen 
Asthmas  mit  „Pyrenol"  traten  mehr  die 
sedativen  Eigenschaften  des  Mittels  in 
den  Vordergrund,  indem  die  auf  nervöse 
Einflüsse  zurückzuführenden  krampfhaf- 
ten Kontraktionen  der  Muskulatur  der 
feineren  Bronchien  und  Lungenbläschen, 
die  doch  den  Charakter  des  nervösen 
Asthmas  bilden,  anfänglich  in  wesentlich 
milderer  Form  auftraten  und  schliesslich 
ganz  nachliessen. 

Die  akuten  Larynx-  und  Bronchialka- 
tarrhe verliefen  unter  der  Anwendung 
des  „Pyrenols"  bei  weitem  rascher  und 
günstiger,  als  ich  dies  bisher  beim  Ge- 
brauch anderer  innerlicher  Mittel  beob- 
achtet hatte.  Hier  erwies  sich  wieder  die 
Vielseitigkeit  des  Präparates,  die  dasselbe 
vor  allen  anderen  für  solche  Fälle  in  Be- 
tracht kommenden  Präparate  voraus  hat, 
als  einzig  dastehend,  indem  die  expek- 
torierenden Wirkungen  durch  die  sedati- 
ven und  antifebrilen  Eigenschaften  des 
Mittels  in  einer  Weise  ergänzt  wurden, 
wie  man  es  auf  einem  anderen  Wege  zu 
erzielen  kaum  im  stände  ist.  Das  wunde, 
schmerzhafte  Gefühl  im  Halse,  sowie 
hinter  dem  Brustbein,  das  von  dem  Kran- 
ken ungemein  lästig  empfunden  wird,  der 
ewig  quälende  Reiz  zum  Husten  und  die 
oft  krampfartigen  Exazerbationen,  in  die 
dieselbe  ausartet,  zeigten  sich  in  wesent- 
lich milderer  und  erträglicher  Form,  so 
dass  die  Kranken  verhältnismässig  leicht 
und  schnell  darüber  hinwegkamen.  Be- 
sonders machten  sich  die  sedativen  Wir- 
kungen während  der  Nacht  vorteilhaft 
bemerkbar,  insofern  als  sie  den  Kranken 
einen  ungestörten,  durch  Hustenanfälle, 
Stick-  und  Beklemmungserscheinungen 
in  keiner  Weise  unterbrochenen  Schlaf 
angedeihen  Hessen. 

Bei  den  chronischen  Bronchialkatar- 
rhen, mit  denen  ja  auch  meist  ein  chroni- 
scher Kehlkopfkatarrh  verbunden  ist, 
selbst  in  veralteten  Fällen,  die  bereits  in 
Emphysem  ausgeartet  sind,  erwies  sich 


204 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


das  „Pyrenol"  als  ein  Erleichterungs- 
und Linderungsmittel,  welches  wie  kein 
zweites  sich  bewährte. 

Bei  Keuchhusten  hatte  ich  nur  in  ei- 
nem Falle  Gelegenheit,  das  Mittel  zu  er- 
proben, und  muss  behaupten,  dass  dieser 
eine  Fall  mir  genügte,  um  das,  was  meine 
Vorgänger  Rühmenswertes  von  der  spe- 
zifischen Wirksamkeit  des  „Pyrenols"  bei 
Pertussis  feststellten,  voll  und  ganz  be- 
stätigen zu  können. 

Ich  wandte  das  „Pyrenol"  in  Tablet- 
tenform und  in  Lösungen  an.  Von  Ta- 
bletten, deren  jede  0,5  g  des  Mittels  ent- 
hält, Hess  ich  Erwachsenen,  je  nach  Be- 
darf und  dem  Charakter  des  einzelnen 
Falles  entsprechend,  3  bis  4  mal  täglich 
1  bis  3  Tabletten  reichen,  bei  Kindern 
dem  Alter  entsprechend  l/\  bis  1  Tablette 
3  bis  4  mal  täglich.  Bei  kleinen  Kindern 
wurde  das  Fragment  der  Tablette  zerrie- 
ben und  in  Zuckerwasser,  Milch,  Fenchel- 
tee oder  Alteesyrup  vermischt  gegeben, 
was  die  Kleinen  sehr  gern  nahmen. 
Lösungen  verordnete  ich  in  4  bis  5  pro- 
zentiger  Stärke  bei  Erwachsenen,  etwa  in 
der  Form : 

Rp.  Pyrenol   8—10,0 

Tinctr.  Aurant   5,0 

Aqu.  destill   200,0 

D.  S.  2  bis  3  stündlich  1  Esslöffel. 
Bei  Kindern  : 

Rp.  Pyrenol  2—3—4,0 

Aqu.  destill   100,0 

Syrup.  Alth   20,0 

oder  Rub.  id. 
D.  S.  2  bis  3  stündlich  y2  bis  1  Teelöffel, 
je  nach  dem  Alter. 
Die  einzelnen  Fälle,  in  denen  ich  „Py- 
renol"  anwandte,   werden  durch  nach- 
stehende Krankengeschichten  illustriert. 

Fall  1  :  Der  Handlungsgehilfe  Willi 
M.  in  M.,  20  J.  alt,  erkrankte  an  kroupö- 
ser  Pneumonie,  die  mit  Schüttelfrost  und 
sehr  hohem  Fieber  (40°  C.)  einsetzte. 
Ich  verordnete  neben  der  erforderlichen 
Bettruhe  fortgesetzte  kalte  Kompressen 
auf  die  erkrankte  Brustseite  und  gleich 
von  Anfang  an  „Pyrenol"  in  5  prozenti- 
ger  Lösung  2  stündlich  1  Esslöffel. 
Schon   eine   Stunde   nach   Beginn  der 


Pyrenoldarreichung  war  das  Fieber  auf 
39°  herabgesunken  und  im  Verlauf  der 
nächsten  Stunde  auf  38,4°  C.  und  be- 
wegte sich  bei  fortgesetztem  (lebrauch 
des  Mittels  bis  zum  Eintritt  der  Krisis 
stets  in  der  Höhe  von  38,3°  bis  39°  C. 
Unter  Schmerzen  und  Hustenreiz  hatte 
der  Kranke  verhältnismässig  wenig  zu 
leiden,  da  die  sedativen  Eigenschaften 
des  „Pyrenols"  ihre  mildernden  Wirkun- 
gen nicht  verfehlten.  Der  Kranke  be- 
fand sich  meist  in  einem  angenehmen 
ruhigen  Sopor,  der  von  Fieberphantasien, 
selbst  des  Nachts  kaum  unterbrochen 
wurde.  Nach  Eintritt  der  Krisis,  die 
etwa  nach  9  Tagen  erfolgte,  erklärte  der 
Kranke,  dass  er  von  seiner  Krankheit 
kaum  etwas  wahrgenommen  hätte.  Im 
weiteren  Verlauf  ging  die  Expektoration 
leicht  und  ohne  Beschwerden  vor  sich, 
und  nach  3  Wochen  seit  Beginn  der 
Krankheit  war  der  Patient  vollständig 
wieder  hergestellt. 

In  einigen  anderen  Fällen  von  Pneu- 
monie, z.  B.  bei  einem  jungen  Mädchen 
von  16  Jahre,  Frl.  R.  in  M.,  bewährte 
sich  das  „Pyrenol"  in  gleich  günstiger 
Weise  sowohl  als  antifebriles,  als  auch 
als  sedatives  und  expektorierendes  In- 
gredient.  Es  würde  zu  weit  führen,  die 
einzelnen  Fälle  zu  detaillieren,  da  der 
Verlauf  derselben  im  allgemeinen  der 
gleiche  war. 

Fall  3 :  Herr  Buchhalter  Sch.  aus  O., 
34  J.  alt,  kam  wegen  Asthmas  in  meine 
Behandlung.  Ich  stellte  einen  chroni- 
schen Larynx-Katarrh  und  Bronchial- 
Katarrh  mit  beginnendem  Emphysem 
fest.  Es  handelte  sich  besonders  um  die 
feineren  Bronchien,  in  denen  der  Katarrh 
sich  festgesetzt  hatte.  Das  Herz  war  ge- 
sund. Patient  wurde  täglich  mehrmals 
durch  asthmatische  Anfälle  belästigt,  die 
während  der  Nacht  mit  besonderer  Hart- 
näckigkeit auftraten  und  einen  gesunden 
und  ruhigen  Schlaf  nur  selten  zuliessen. 
Den  Kehlkopf  behandelte  ich  örtlich  mit 
5  prozentiger  Argentnit. -Lösung  und 
gab  innerlich  „Pyrenol"  in  Tabletten- 
form, 3  mal  täglich  2  Tabletten.  Schon 
in  der  nächsten  Nacht  nach  Beginn  des 


New    Yorker    Medizinische  Monatsschrift. 


205 


Pyrenolgebrauchs  trat  das  Asthma  mit 
geringerer  Heftigkeit  und  nur  in  kurzem 
Anfall  auf,  der  mit  einer  erleichternden 
und  ausgiebigen  Expektoration  endete. 
Während  der  folgenden  Tage  zeigten 
sich  nur  noch  hin  und  wieder  einige 
leichte  Ansätze  von  dyspnoeischen  Er- 
scheinungen, um  sie  dann  für  immer  zu 
verlieren.  Der  früher  quälende  Husten 
war  verschwunden,  da  die  Expektoration 
glatt  und  unbeschwerlich  vor  sich  ging, 
und  Patient  erholte  sich  sichtlich,  da  mit 
einem  gesunden  Schlaf  und  der  Aussicht 
auf  Genesung  auch  das  seelische  Gleich- 
gewicht wiederkehrte.  Eine  kräftige, 
diätvolle  Ernährung  tat  noch  ihr  weiteres, 
um  den  heruntergekommenen  Kräftezu- 
stand  noch  vollends  zu  heben.  Patient 
fühlt  sich  heute  als  gesunder  Mensch  und 
wird  von  Asthma  nicht  mehr  gequält. 
Das  „Pyrenol"  braucht  er  regelmässig 
weiter,  3  mal  täglich  1  Tablette  und  fühlt 
sich  sehr  wohl  dabei,  während  er  früher 
vielfach  Jodkali  regelmässig  anwandte, 
was  ihm  nur  wenig  genützt  hat  und  oben- 
drein noch  schädliche  Nebenwirkungen 
verursachte. 

Fall  4:  Steinbrucharbeiter  O.  aus  N., 
32  J.  alt,  litt  an  Bronchialasthma  und 
wurde  des  Nachts  häufig  von  Erstick- 
ungsanfällen heimgesucht.  Bei  der  Un- 
tersuchung konstatierte  ich  neben  dem 
bronchialen  Grundleiden  zugleich  einen 
chronischen  Kehlkopfkatarrh  mit  Granu- 
lationen an  den  Stimmbändern.  Die  letz- 
teren wurden  abgetragen  und  der  Kehl- 
kopf jeden  zweiten  bis  dritten  Tag  mit 
10  prozentiger  Argentumnitrikumlösung 
touchiert.  Innerlich  bekam  der  Patient 
Pyrenoltabletten  3  mal  täglich  2  Stück. 
Der  Kranke  hatte  schon  nach  einigen  Do- 
sent  des  Mittels  wesentliche  Erleichter- 
ung, indem  der  trockene  Husten  nach- 
liess  und  die  Expektoration  leicht  und 
beschwerdelos  von  statten  ging.  Die 
Asthmaanfälle  schwächten  sich  ab  und 
verloren  sich  nach  einigen  Tagen  ganz, 
so  dass  der  Kranke  einen  ungestörten 
Schlaf  hatte.  Nach  den  letzten  Berichten 
des  Kranken  fühlt  sich  derselbe  unter 
dem  fortgesetzten  Gebrauch  des  „Pyre- 


nols"  sehr  wohl  und  hat  von  asthmati- 
schen Beschwerden  nichts  wieder  ge- 
spürt. 

Fall  5  :  Schuhmacher  Jul.  M.  in  M.,  54 
J.  alt,  war  Emphysematiker  und  hatte 
unter  quälendem  Husten,  Trockenheit  im 
Halse  und  dyspnoeischen  Erscheinungen 
viel  zu  leiden.  Patient  war  früher  immer 
mit  Jodkali  behandelt  worden,  aber  ohne 
wesentlichen  Erfolg.  Ich  wandte  nun 
„Pyrenol"  an  und  gab  3  mal  täglich  2 
Tabletten.  Der  Erfolg  war  geradezu  ein 
überraschender.  Der  Husten  wurde  ge- 
ringer und  verlor  unter  einer  erleichtern- 
den. Expektoration  seinen  trockenen, 
quälenden  Charakter,  die  Atmung  wurde 
leichter  und  freier  und  die  dyspnoei- 
schen Beschwerden  Hessen  wesentlich 
nach.  Patient  braucht  das  Mittel  fortge- 
setzt weiter  und  führt  jetzt  ein  erträgli- 
ches Dasein,  ohne  dass  ihm  der  Weiter- 
gebrauch des  Mittels  irgendwelche  Ne- 
benbeschwerden verursacht. 

Fall  6:  Frau  Anna  B.,  Bahnbeamten- 
gattin in  H.,  37  J.  alt,  litt  an  chron. 
Kehlkopf-  und  Lungenkatarrh  und  wurde 
durch  wundes,  trockenes  Gefühl  im  Halse 
und  fast  anhaltenden  Husten  Tag  und 
Nacht  gequält.  Patientin  war  schon  von 
anderer  Seite  mit  allen  möglichen  Ex- 
pektorantien,  Kreosot,  Morphium  u.  s.  w. 
behandelt  worden,  aber  leider  mit  wenig 
Erfolg.  Als  die  Kranke  zu  mir  in  Be- 
handlung kam,  war  sie  sehr  abgemagert 
und  entkräftet,  was  ja  auch  nicht  zu  ver- 
wundern war,  da  sie  fast  keine  Nacht 
schlief  des  quälenden  Hustens  wegen  und 
auch  nur  wenig  Neigung  zur  Nahrungs- 
aufnahme zeigte. 

Ich  behandelte  den  Kehlkopf  zunächst 
örtlich  mit  5  prozentiger  Argentumnitri- 
kumlösung, wodurch  die  schmerzhaften 
Empfindungen  im  Halse  wesentlich  ge- 
hoben wurden.  Innerlich  gab  ich  „Pyre- 
nol" in  5  prozentiger  Lösung  mit  Althee- 
syrup  vermischt,  2  stündlich  1  Esslöffel, 
und  verordnete  eine  kräftige  und  reich- 
liche Ernährung,  die  infolge  der  appetit- 
anregenden Wirkungen  des  „Pyrenols" 
auch  ermöglicht  wurde.  Im  übrigen 
machten  sich  auch  die  expcktorierenden 


20Ö 


New    Yokkek  Medizi 


nische  Monatsschrift. 


und  sedativen  Eigenschaften  des  „Pvre- 
nols"  in  äusserst  günstiger  Weise  be- 
merkbar. Der  quälende  Husten  nahm 
eine  wesentlich  mildere  Form  an,  wurde 
immer  seltener  und  liess  die  Kranke  ver- 
hältnismässig gut  schlafen,  die  Expekto- 
ration ging  leicht  und  glatt  von  statten 
und  die  Sekretion  wurde  immer  geringer. 
Unter  dem  Nachlassen  dieser  Symptome 
sowie  der  vermehrten  Nahrungsauf- 
nahme, verbunden  mit  einem  gesunden 
Schlaf,  besserte  sich  auch  sehr  bald  der 
Allgemeinzustand  der  Kranken.  Jetzt 
nach  ca.  4  wöchentlicher  Behandlung 
sieht  die  Kranke  sehr  wohl  und  munter 
aus,  hat  wieder  frische  Farben  und  For- 
menfülle bekommen,  hat  nur  selten  noch 
Beschwerden  im  Halse  und  wird  von 
Husten  und  den  früheren  quälenden  Er- 
scheinungen kaum  mehr  belästigt. 

Fall  7 :  Der  Weber  Aug.  K.  in  H.,  54 
J.  alt,  litt  an  Lungenphthise  und  tuber- 
kulösen Geschwüren  im  Kehlkopfe,  wo- 
durch ihm  viele  Schmerzen,  Hustenqual 
und  Atmungsbeschwerden  verursacht 
wurden.  Auch  konnte  der  Kranke  we- 
gen erschwerten  Schlingens  nur  mit 
Mühe  Nahrung  zu  sich  nehmen  und  war 
infolgedessen  sehr  abgemagert  und  ent- 
kräftet, hatte  aber  trotzdem  bis  zum  Ein- 
tritt in  meine  Behandlung  immer  noch 
seine  Arbeit  verrichtet.  Ich  schrieb  ihn 
zunächst  erwerbsunfähig  und  behandelte 
die  tuberkulösen  Geschwüre  örtlich  mit 
Milchsäure,  was  ihm  wesentliche  Erleich- 
terung schaffte.  Innerlich  reichte  ich 
„Pyrenol"  in  Tablettenform,  4  mal  täg- 
lich 2  Stück,  welche  ich  aber,  da  sie  nicht 
geschluckt  werden  konnten,  zerrieben 
und  in  eine  halbe  Tasse  Milch  eingerührt 
geben  liess.  Auch  hier  machten  sich 
neben  den  mild  expektorierenden  Wir- 
kungen des  Präparates  besonders  die 
sedativen  Eigenschaften  desselben  her- 
vorragend bemerkbar.  Der  Kranke  hatte 
weniger  Schmerzen  im  Halse,  konnte 
besser  schlucken  und  wurde  von  Husten 
und  Atembeschwerden  weniger  gequält. 
Mit  der  Besserung  dieser  Symptome 
stellte  sich  auch  der  Appetit  und  ein 
grösseres  Verlangen  nach  Nahrung  wie- 


der ein,  was  die  Körperkräfte  wieder  hob 
und  dem  Kranken  wieder  neuen  Lebens- 
mut und  Hoffnung  auf  Genesung 
brachte.  Wenn  man  auch  nicht  hoffen 
darf,  dass  durch  „Pyrenol"  die  Heilung 
eines  solchen  Zustandes  herbeigeführt 
werden  kann,  so  hat  man  doch  in  diesem 
Präparat  ein  wertvolles  Mittel,  um  die 
Leiden  eines  solchen  Kranken  wesentlich 
zu  erleichtern  und  ihm  das  Dasein  zu  ei- 
nem erträglichen  und  freundlicheren  zu 
gestalten. 

Fall  8:  Der  Schlosser  Hans  Fr.  in  N., 
25  J.  alt,  konsultierte  mich  wegen  eines 
Halsleidens.  Ich  konstatierte  einen  chro- 
nischen Kehlkopfkatarrh  und  chroni- 
schen Katarrh  der  Bronchien.  Patient 
war  vollständig  aphonisch,  klagte  übet 
auffallende  Trockenheit  und  Kratzen  im 
Hals  und  wurde  besonders  von  einem 
trockenen  Husten  arg  geplagt,  der  häufig 
in  asthmatische  Beklemmungen  ausartete. 
Bei  der  Auskultation  wurden  pfeifende 
und  schnurrende  Atmungsgeräusche  ge- 
hört. Emphysem  war  noch  nicht  vor- 
handen, die  Ernährung  gut.  Es  handelte 
sich  also  hier  lediglich  darum,  dem 
Kranken  die  Hals-  und  Brustbeschwer- 
den zu  lindern.  Dies  wurde  mit  dem 
„Pyrenol"  im  vollsten  Masse  erreicht. 
Neben  einer  örtlichen  Behandlung  des 
Kehlkopfes  mit  5  bis  10  prozentiger  Ar- 
gent.  nit. -Lösung  bekam  der  Kranke  3 
mal  täglich  2  Pyrenoltabletten.  Schon 
kurze  Zeit  nach  Beginn  dieser  Behand- 
lung trat  eine  wesentliche  Erleichterung 
bei  dem  Kranken  ein.  Die  Hustenanfälle 
wurden  seltener  und  es  trat  eine  Lösung 
der  zähen  Sekretmassen  ein,  die  leicht 
und  glatt  expektoriert  wurden.  Dadurch 
hörten  auch  die  pfeifenden  Atemge- 
räusche und  die  Beklemmungserschein- 
ungen auf.  Die  Trockenheit  im  Halse 
schwand  und  die  Stimme  wurde  wieder 
klangvoll.  Der  Kranke  ist  jetzt  3  Wo- 
chen in  meiner  Behandlung  und  ist  mit 
den  Resultaten  derselben  sehr  zufrieden. 

Ich  habe  ..Pyrenol"  noch  in  einer  Reihe 
von  ähnlichen  Fällen  angewendet  und  im- 
mer mit  gleich  günstigem  Erfolg.  Die 
expektorierenden.  sedativen  und  zugleich 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


207 


tonisierenden  Eigenschaften  machten 
sich  immer  wieder  mit  gleicher  Prompt- 
heit bemerkbar.  Ein  unverkennbarer 
Vorzug  des  Präparates  ist  entschieden 
auch  der,  dass  man  dasselbe  unbedenk- 
lich längere  Zeit  hintereinander  geben 
kann,  wie  dies  z.  B.  bei  Asthmatikern, 
Emphysematikern  u.  s.  w.  erforderlich 
ist.  Ich  habe  niemals  irgend  welche 
schädlichen  oder  unangenehmen  Folge- 
erscheinungen bei  selbst  sehr  langer  Py- 
renolbehandlung  wahrgenommen.  Im 
Gegenteil  fühlen  sich  die  Behandelten  da- 
bei sehr  wohl,  kommen  über  ihr  Leiden 
leicht  hinweg,  entwickeln  meist  einen 
tüchtigen  Appetit,  erfreuen  sich  eines  ge- 
sunden Schlafes  und  heiteren,  gleichmäs- 
sigen  Temperamentes. 

Bei  Kindern  habe  ich  „Pyrenol"  in 
mehreren  Fällen  von  fieberhafter  Bron- 
chitis angewandt.  Das  Mittel  wurde  von 
den  Kindern  nicht  nur  gern  genommen, 
sondern  hatte  auch  stets  den  gleichen 
Erfolg,  indem  es  nicht  nur  fieberherab- 
setzend  wirkte,  sondern  auch  die  Respi- 
rationsbeschwerden erleichterte,  den 
Husten  mildete  und  für  eine  glatte  Ex- 
pektoration sorgte. 

In  einem  ausgesprochenen  Falle  von 
Keuchhusten,  an  dem  das  4  Monate  alte 


Kind  B.  in  N.  erkrankte,  wendete  ich  das 
„Pyrenol"  mit  äusserst  günstigem  Er- 
folge an.  Die  Anfälle  traten  in  wesent- 
lich milderer  Form  und  in  grösseren  In- 
tervallen auf,  hatten  nicht  das  langanhal-  . 
tende,  krampfhaft-quälende,  sondern  gin- 
gen unter  leichter  und  erleichternder  Ex- 
pektoration vor  sich.  Auch  war  die 
Dauer  des  Verlaufes  eine  bedeutend  kür- 
zere, als  man  es  sonst  bei  Pertussis  zu 
beobachten  pflegt.  Jedenfalls  steht  es 
fest,  dass  wir,  wie  auch  schon  viele 
andere  Autoren  einstimmig  erklärt 
haben,  in  dem  ,, Pyrenol*'  ein  bisher  un- 
erreichtes Spezifikum  für  Keuchhusten 
haben. 

Ich  kann  also  nach  den  Erfahrungen, 
die  ich  mit  dem  „Pyrenol"  gemacht  habe, 
behaupten,  dass  es  gerade  in  der  Thera- 
pie der  Atmungsorgane  ein  wertvolleres 
Mittel,  das  so  viele  wirksame,  die  Funk- 
tionen des  Respirationstraktus  günstig 
beeinflussende  Eigenschaften  in  sich  ver- 
einigt und  nebenbei  noch  die  Fähigkeit 
besitzt,  auch  auf  den  Allgemeinzustand 
kräftigend  und  belebend  einzuwirken, 
nicht  gibt.  Ich  kann  daher  die  Anwend- 
ung des  Präparates  in  analogen  Fällen 
allen  Praxis  ausübenden  Kollegen  nur 
aufs  wärmste  empfehlen. 


Ueber  eine  neue  Verbindung  des  Anästhesins  (Dr.  Ritsert)  zur  subkutanen 
Injektion  „Subcutin"  (Dr.  Ritsert).* 

Von  Dr.  Becker. 


Ueber  das  Anästhesin,  den  in  Wasser 
fast  unlöslichen  Aethylester  der  Para- 
amidobenzoesäure  (Ritsert),  ist  zu- 
erst in  eingehender  Weise  von  v.  Noor- 
d  e  n  ( 1 )  berichtet  worden.  Die  Resul- 
tate der  Behandlung  an  einem  ziemlich 
umfangreichen  Material  vorwiegend  in- 
nerer Erkrankungen  lassen  es  ausser 
Zweifel,  dass  die  lokalanästhetische  Wir- 
kung des  in  Pulver-  oder  Salbenform 


*)  Aus  der  Miinchener  medizinischen  Wo- 
chenschrift. 


oder  in  öliger  Lösung  angewandten  Mit- 
tels als  mindestens  gleichwertig  den 
sonst  üblichen  erkannt  wurde,  häufig  sie 
sogar  an  Intensität  und  Dauer  übertraf. 

Bei  Reizzuständen  der  pharyngealen 
und  laryngealen  Schleimhäute,  des  Ma- 
gen- und  Darmtraktus,  Hämorrhoidal- 
beschwerden,  Hlasenzwang,  juckenden 
und  schmerzenden  Hautaffektionen  war 
es  in  dort  näher  angegebener  Weise  zu 
äusserst  erfolgreicher  Anwendung  ge- 
langt. 

Auch  von  Seiten  der  Nasen-  und  Kehl- 


208 


New    Yorker    Medizinische  Monatsschrift. 


kopfspezialisten  wurde  dem  neuen  Kör- 
per aus  der  Gruppe  der  aromatischen 
Karbonsäureester,  der  ausser  der  anäs- 
thetischen auch  die  Eigenschaft  der  Un- 
.  giftigkeit  hatte,  wie  Koberts  und 
Binz'  (2)  Untersuchungen  zeigten, 
reges  Interesse  entgegengebracht 
(Spiess  (3).  Ausserdem  haben  in 
kurzen  Mitteilungen  Hart  mann  (4) 
und  neuerdings  Kennel  (5)  über  ihre 
Erfahrungen  bei  internen  Erkrankungen, 
oberflächlichen  Schleimhaut-  und  Haut- 
wunden, Verbrennungen  berichtet  und 
Henius  (6)  (v.  Noorden)  in  ei- 
nem Beitrag  zur  Behandlung  des  Ery- 
sipels das  Anästhesin  als  souveränes 
schmerzstillendes  Medikament  schätzen 
gelernt. 

Unsere  Erfahrungen  mit  der  Appli- 
kation als  Streupulver,  zu  10  bis  20  Pro- 
zent mit  Dermatol  gemischt,  bei  Haut- 
verbrennungen II.  Grades  bestätigen  die 
genannten  Mitteilungen.  Wiederholt  ha- 
ben wir  ein  Nachlassen  der  quälenden 
Schmerzen  konstatieren  können ;  die 
Wundheilung  wurde  in  günstigem  Sinne 
beeinflusst  und  selbst  bei  ausgedehnten 
Flächen  traten  bei  fortgesetzter  Anwen- 
dung keine  unangenehmen  Nebenwir- 
kungen auf. 

Die  schmerzlindernde  Wirkung  be- 
ruhte auf  der  Möglichkeit  eines  direkten 
Kontaktes  des  Anästhesins  mit  den  Ner- 
venendigungen des  seines  deckenden 
Epithels  grösstenteils  beraubten  Papillar- 
körpers  der  Haut,  denn  eine  tiefergeh- 
ende Wirkung  bei  übergranulierten 
Hautdefekten,  Ulcus  cruris  etc.,  wodurch 
eine  schmerzlose  Abkratzung,  z.  B.  als 
Vorbereitung  zu  Transplantationen,  er- 
möglicht werden  sollte,  wurde  nicht  er- 
zielt. 

Zu  einem  noch  weitergehenden  Ge- 
brauch als  in  angedeuteter  Weise  ver- 
langte die  Chirurgie  das  Mittel  als  Anäs- 
thetikum  für  subkutane  Injektion.  Be- 
grüsste  man  in  seiner  Ungiftigkeit  doch 
einen  Faktor,  der  ihm  vor  seinem  gros- 
sen Rivalen,  dem  Kokain,  den  Vorzug 
gab.  Indes  bot  die  Schwerlöslichkeit  des 
Anästhesins  im  Wasser  ein  unüberwind- 


liches Hindernis  für  eine  ausgedehntere 
Verwendung  zur  Injektion.  Ritsert 
bemühte  sich  zunächst  in  der  Darstellung 
öliger  Lösungen,  wozu  Mandelöl  und 
eine  Reihe  reizfreier  dünnflüssiger  Oele 
in  Anwendung  kamen,  dem  Wunsche  des 
Chirurgen  näher  zu  kommen. 

Wir  haben  es  versucht  mit  sterilisier- 
ten 2 — 2,5  proz.  Mandelöllösungen  und 
eine  komplette  Anästhesie  erreicht.  Aber 
wie  leicht  ersichtlich,  involviert  der  Ge- 
brauch öliger  Flüssigkeiten  gewisse  Mis- 
stände.  Es  können  nur  weite  Kanülen 
verwendet  werden,  um  ohne  angestreng- 
tes Drücken  den  Spritzenstempel  zu  be- 
wegen. War  es  in  gesundem,  elasti- 
schem Gewebe  mitunter  schwierig,  zu  in- 
jizieren, so  scheiterte  der  Versuch  gänz- 
lich bei  entzündlich  geschwollenem.  Die 
Isolation  kleiner  Geschwülste  aus  dem 
fettig  infiltrierten  Gewebe,  das  Fassen 
der  Gefässe,  Gefahr  des  Abgleitens  der 
Ligaturen,  das  Arbeiten  mit  öligen  Fin- 
gern gaben  Veranlassung,  die  Anwen- 
dung auf  einfache  Inzisionen,  Eröffnung 
von  Abszessen  zu  beschränken.  Abge- 
sehen von  diesen  Nachteilen  hat  die 
ölige  Injektion,  wenn  auch  sehr  selten, 
die  Gefahr  einer  Fettembolie,  wie  u.  a. 
Folowell  (7),  der  mit  öligen  Guaja- 
kollösungen  anästhesierte,  solche  Fälle 
erlebt  hat. 

Es  wurde  nun  in  der  Folgezeit  von 
Ritsert  in  der  Darstellung  des  salz- 
sauren Salzes  des  Anästhesins  eine  Mo- 
difikation von  grösserer  Löslichkeit  in 
Wasser  (1:100)  gefunden  und  Dun- 
bar (8)  (Eylau)  hat  damit  seine 
Versuche  mit  einer  der  Schleich'- 
schen  ähnlichen  Zusammensetzung. 

Anaesthesinum  mur  0,25 

Natr.  chlorat   0,15 

Morph,  mur  0,015 

Aqu.  dest   100 

gemacht.  Die  praktische  Anwendung, 
der  prüfende  Tierexperimente  vorausge- 
gangen sind,  erstreckte  sich  auf  eine 
kleine  Zahl  unbedeutender  chirurgischer 
Eingriffe,  wobei  eine  befriedigende  Wir- 
kung beobachtet  wurde. 

Wir  haben  bei  grösseren  Injektions- 


New   Yorker   Medizinische  Monatsschrift. 


209 


gebieten  indessen  häufig  entzündlichen 
Reiz  in  ausgesprochener  Rötung  und  em- 
pfindlicher Schwellung  gesehen. 

In  der  fortschreitenden  Durchprüfung 
einer  ganzen  Gruppe  von  Salzen  des 
Anästhesins  geläng  es  Ritsert  in  der 
paraphenolsulfosauren  Verbindung  des 
Anästhesins  einen  Körper  zu  finden,  der 
bedeutend  milder,  dessen  Reizwirkung  in 
später  näher  bezeichneter  Konzentration 
verschwindend,  und  dessen  Löslichkeit 
in  Wasser  durch  Einführung  der  Sulfo- 
gruppe  grösser  ist. 

Das  Subcutin  =  paraphenolsulfosaurer 
Paraamidobenzoesäureaethylester 


C6H4= 


NH2— SO3H— C„H4OH 
COOC.IL 


ist  ein  weisses  feinnadelförmiges  kristal- 
linisches Pulver  vom  Schmelzpunkt 
195,6,  löst  sich  in  kaltem  Wasser  zu  1 
Prozent,  bei  Körpertemperatur  zu  2,5 
Prozent. 

Es  erzeugt  in  Substanz  oder  Lösung 
auf  die  Zunge  gebracht  ein  taubes  Ge- 
fühl, ist  in  Lösung  haltbar  und  beständig 
beim  Kochen.  Schon  darin  besteht  ein 
wesentlicher  Vorzug  vor  dem  Kokain, 
das  sich  schlecht  hält  und  beim  Sterili- 
sieren in  Benzoyl  Ecgonin  und  Methyl- 
alkohol zersetzt,  wodurch  Reizung  und 
Verlust  der  Anästhesie  eintritt. 

Durch  Versuche  mit  Typhus-  und 
Cholerakulturen  sind  von  bakteriologi- 
scher Fachseite  dem  Präparat  entwick- 
lungshemmende Eigenschaften  nachge- 
wiesen. 

Das  Salz  ist  ebensowenig  wie  das  An- 
ästhesin  von  schädlichen  Allgemeinwir- 
kungen für  den  Organismus.  Wie  aus 
Fütterungs-  und  Injektionsversuchen 
hervorging,  wurden  Dosen  vertragen,  die 
unter  gewöhnlichen  Verhältnissen  auch 
bei  grösseren  Operationen  nicht  in  An- 
wendung kommen.  Mittelschweren  Hun- 
den wurden  5 — 6  g  per  os  eingegeben 
ohne  Reaktion.  Bei  Kaninchen  von  1200 
bis  1500  g  zeigten  sich  erst  bei  Injektion 
von  2  g  (d.  i.  1,6  g  pro  Kilogramm  Tier) 
in   erwärmter   Lösung  vorübergehende 


Intoxikationserscheinungen,  krampfar- 
tige Streckung  der  Hinterbeine.  Die 
Tiere  kamen  aber  nach  1 — 2  Stunden 
wieder  auf  die  Beine,  waren  munter  und 
zeigten  im  übrigen  keine  abnormen  Ver- 
hältnisse in  der  weiteren  Beobachtung. 

Um  die  anästhetische  Wirkung  zu 
prüfen,  wurden  zunächst  Instillationen 
von  y2 — 1  proz.  Lösungen  ins  Kanin- 
chenauge gemacht.  Wir  haben  von  dem 
nicht  ganz  einwandfreien  Verfahren  des 
Vernähens  der  Lider  nach  Einbringen 
der  Substanz  in  den  Bindehautsack  Ab- 
stand genommen  und  durch  Zuhalten  der 
Lider  den  Kontakt  der  Lösung  mit  der 
Konjunktiva  beliebig  lange  ermöglicht. 
Bei  den  1  proz.  Lösungen  trat  eine  Spur 
von  Reiz  und  eine  flüchtige,  eben  erkenn- 
bare Trübung  der  Kornea  auf,  bei  0,5 
und  0,8  Prozent  nicht  mehr  erkennbar. 
In  allen  Fällen  vollkommene  Anästhesie, 
sodass  man  mit  spitzen  oder  stumpfen 
Nadeln  auf  der  Kornea  ca.  8 — 10  Minu- 
ten, ohne  Lidschlag  auszulösen,  herum- 
fahren konnte.  Ich  möchte  hier  gleich 
bemerken,  dass  man  nicht  unterlassen 
darf,  die  vollständige  Auflösung  des 
Salzes  abzuwarten,  sodass  keine  Kri- 
stalle mehr  im  Wasser  schwimmen,  denn 
der  Kontakt  der  ungelösten  Substanz  mit 
der  Kornea  ruft  Verätzungen  auf  dersel- 
ben hervor. 

Um  zur  subkutanen  Injektion  eine  Lö- 
sung zu  haben,  die  auf  die  Gewebe  we- 
der quellenden,  noch  schrumpfenden 
Einfluss  hat,  wodurch  nach  den  eingeh- 
enden Untersuchungen  von  Braun  (9) 
und  H  e  i  n  z  e  (10)  Reizung  und  Injek- 
tionsschmerz hervorgerufen  wird,  setz- 
ten wir  eine  entsprechende  Menge  Koch- 
salz hinzu. 

Zur  Herstellung  einer  Salzlösung  von 
derselben  osmotischen  Spannung  wie  die 
der  Gewebsflüssigkeit,  welche  nach 
Braun  einer  0,9  proz.  Kochsalzlösung 
entspricht,  bestimmt  man  das  Molekular- 
gewicht des  betreffenden  Salzes,  was  von 
Subcutin  =  339.  Eine  1  proz.  Lösung 
desselben  ist  nun  äquivalent  einer  0,17 
proz.  Kochsalzlösung.  Um  die  Subku- 
tollösung  also  isotonisch  der  Gewebsflüs- 


2IO 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


sigkeit  zu  machen,  müssen  ca.  0,7  Pro- 
zent Kochsalz  hinzugefügt  werden. 

Nachdem  so  eine  Lösung  geschaffen 
war,  bei  deren  Injektion  in  erwärmtem 
Zustand  alle  sonstigen  Reize  auf  die  Ge- 
webe ausgeschlossen  und  lediglich  der 
lähmende  Faktor  durch  unmittelbaren 
Kontakt  mit  den  Nervenendigungen  in 
Wirksamkeit  treten  konnte,  machten  wir 
intrakutane  Quaddelinjektionen  nach 
Schleich  (am  eigenen  Vorderarm 
und  bei  einigen  Wärtern).  Zum  Ver- 
gleich habe  ich  auch  1  proz.  und  0,1 
proz.  Kokain  in  Zusammensetzung  mit 
der  Schleie  h'schen  Lösung  am  an- 
dern Arm  injiziert.  Injektionsschmerz 
war  nicht  vorhanden,  die  Kokainquaddel 
hatte  mit  der  Subcutinquaddel  die  Anäs- 
thesie gemein,  nur  konnte  bei  der  letz- 
teren der  über  den  Quaddelrand  hinaus- 
gehende anästhetische  Hof  („Fernwir- 
kung") nicht  konstatiert  werden,  wie  er 
bei  1  proz.  Kokainlösung  regelmässig 
beobachtet  wird.  Die  Dauer  der  Anäs- 
thesie ist  etwas  länger  als  die  der  0,1 
proz.,  kürzer  als  die  der  1  proz.  Kokain- 
lösung. 

Die  Zurückbildung  der  Quaddeln  er- 
folgte ohne  jede  Reaktion  in  beiden  Fäl- 
len. Wir  wurden  also  darauf  hingeführt, 
dass  das  Subcutin  für  Schleie  h'sche 
Anästhesierung  ein  vollkommenen  und 
ungiftiger  Ersatz  für  Kokain  sein  dürfte. 
Die  Fernwirkung  ist  nicht  so  auffallend 
und  intensiv  wie  bei  Kokain,  indes  ha- 
ben wir  die  Erfahrung  gemacht,  dass  sie 
doch  bis  zu  einem  gewissen  Grad  vorhan- 
den ist.  Legt  man  nämlich  beim  Kanin- 
chen den  Ischiadicus  frei  und  bringt  ei- 
nen mit  isotonischer  Subcutinlösung 
triefend  getränkten  Wattebausch  y2  Mi- 
nute auf  den  Stamm  ohne  Druck,  so  ent- 
steht eine  6 — 10  Minuten  lange  vollkom- 
mene Anästhesie  im  Bein,  sodass  auf 
starke  Reize,  Kneifen  mit  Pinzette  und 
Stechen  keine  Reaktion  eintritt. 

Auf  Grund  dieser  Beobachtungen  war 
die  Voraussetzung  berechtigt,  dass  eine 
regionäre  Anästhesie  im  Sinne  R  e  c  1  u  s' 
und  Oberst's  hervorzurufen  sei.  Wir 
haben  daher  zu  Fingerexartikulationen 


und  ähnlichen  Eingriffen  nach  der 
Obers  t'schen  Methode  verfahren  und 
vollkommene  Anästhesie  erzielt. 

Im  folgenden  soll  eine  kurze  Ueber- 
sicht  der  Operationen  gegeben  werden, 
wobei  wir  das  Subcutol  angewandt  ha- 
ben, zumeist  als  Schleie  h'sche  Infil- 
tration mit  der  Lösung. 

Subcutin   .-   1,0—0,8") 

Natr.  chlorat   0,7 

Aqu.  dest  100,0 

1.  Phlegmone  am  Oberarm.  —  2. 
Phlegmone  am  Fussrücken.  —  3.  Ab- 
szess  tb.  am  Ellenbogen.  —  4. — 5.  Bur- 
sitis  praepat.  purul.  —  6.  Periostitis  am 
Schienbein.  —  7.  Periostitis  am  Unter- 
kiefer. —  8.  Karbunkel  auf  der  Schulter. 

—  9.  Karbunkel  im  Nacken.  —  10.  Ab- 
szess  tb.  am  Rücken.  —  11.  Abszess  tb. 
am  Oberschenkel.  —  12.  Abszess  tb.  an 
der  Kopfhaut.  —  13. — 18.  Abszess  tb. 
am  Hals.  —  19.  Abszess  tb.  am  Vorder- 
arm. —  20.  Abszess  tb.  an  der  Hand.  — 
21.  Abszess  tb.  der  Achseldrüsen.  —  22. 
Fistel  am  Oberschenkel.  —  23.  Infizierte 
Stichwunde  am  Ellenbogen.  —  24. — 25. 
Mastitis.  —  26.  Vereitertes  Hämatom 
um  die  Niere.  —  27.  Vereiterte  Cyste 
am  Hoden. 

1 — 27  :  Inzisionen. 
28. — 31.  Panaritien  an  Fingern:  In- 
zisiön,  2  Nagelextraktionen.  —  32.  Infi- 
zierte Gelenkwunde  am  linken  Kleinfin- 
ger: Resektion.  —  33.  Gelenkverletzung 
am  Mittelfinger :  Resektion  der  Gelenk- 
enden. —  34.  Fingerende-  und  Mittel- 
gliedzerquetschung :  Exartikulation.  ■ — 
35.  Zerquetschung  der  4.  Zehe :  Exarti- 
kulation. —  36.  Zerquetschung  des  End- 
gliedes  des   IV.  Fingers :  Amputation. 

—  37. — 38.  Unguis  incarnat.  der  Gross- 
zehe :  Exstirpation.  —  39.  Durchtren- 
nung der  Sehne  des  Flexor  poll.  long. : 
Sehnennaht.  —  40.  Schnittverletzung 
am  Vorderarm :  Muskelnaht.  —  41.  10 
cm  lange  granulierte  Wunde  am  Unter- 
kiefer: Sekundärnaht.  —  42.  Inzisions- 
wunde  am  Knie :  Sekundärnaht.  —  43. 
Lappenwunde  am  Kopf:  Sekundärnaht. 

—  44.  Ulcera  cruris :  Transplantation 
nach  Krause.  —  45.   Atherom  am 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


211 


Thorax :  Exstirpation.  —  46.  Bursi- 
tis  praepatellaris :  Exstirpation  des 
Schleimbeutels.  —  47.  Phimose :  Ope- 
ration nach  R  o  s  e  r.  —  48.  Varizen  am 
Unterschenkel :  Exstirpation.  —  49.  Va- 
rizen an  beiden  Unterschenkeln :  Un- 
terbindung der  Vena  saphena.  —  50. 
Oesophagusstriktur  (Karzinom):  Gas- 
trostomie. —  51.  Empyem:  Rippenre- 
sektion. 

Die  Anästhesie  war  bei  genügender 
Durchtränkung  des  Gewebes  im  Be- 
reich der  Infiltration  eine  vollkommene. 
Bei  grösseren  und  tieferen  Inzisionen 
scheint  es  vorteilhafter,  2 — 3  Minuten 
mit  dem  Schnitt  zu  warten,  da  die 
Anästhesie  dann  sicherer  eingetreten  ist. 
Transplantationen  grösserer  Hautlap- 
pen von  beiden  Oberschenkeln  nach 
entsprechenden  Hautdekten  an  dem 
Unterschenkel  (bei  Ulcera  crurum) 
nach  Krause  haben,  nebst  vielen  an- 
deren am  selben  Individuum  ausge- 
führten (Kreuzschnitt  bei  Karbunkel 
etc.)  Operationen  Gelegenheit  gegeben, 
vergleichsweise  Kokain  anzuwenden 
und  dabei  die  gleichmässige  anästhesie- 
rende Wirksamkeit  beider  zu  beobach- 
ten. Der  grosse  Vorzug  einer  bezüg- 
lich der  Intoxikation  gefahrlosen  In- 
jektionsflüssigkeit  machte  sich  häufig 
bei  grösseren  Inzisionen  und  länger 
dauernden  Eingriffen,  wo  öfter  nachin- 
jiziert werden  musste,  geltend  ;  kommt 
man  doch  nie  in  Verlegenheit,  nach- 
träglich zur  Narkose  greifen  zu  müs- 
sen, wenn  unvorhergesehene  Kompli- 
kationen eine  weitere  Infiltration  grös- 
serer Gebiete  erheischen. 


Das  Gewebe  antwortete  auf  die  In- 
jektionen in  keinem  Falle  mit  einer 
entzündlichen  Reaktion.  Ab  und  zu 
kam  es  vor,  besonders  wo  mit  Ab- 
schnürung operiert  wurde,  dass  ein 
länger  bestehendes  Oedem  (1 — 2  Tage) 
nachblieb,  das  sich  dann  langsam,  aber 
ohne  maligne  Folgen  resorbierte.  Die 
Heilung  war  in  allen  Fällen,  wo  es  sich 
um  nichtinfektiöse  Prozesse  handelte, 
per  primam  erfolgt. 

Die  genannten  Eigenschaften  lassen 
das  Subcutin  als  ein  Anästhetikum  er- 
scheinen, das  Anspruch  auf  weitgehen- 
dere Verwendung  machen  kann  und 
u.  a.  namentlich  für  Blasenspezialisten 
zur  Cystoskopie  als  Ersatz  des  Ko- 
kains eintreten  könnte,  wo  letzteres 
schon  einige  Male  Ursache  von  Todes- 
fällen war. 

Literatur. 

1.  Berl.  kün.  Wochenschr.,  1902,  No.  17. 

2.  Berl.  klin.  Wochenschr.,  1902,  No.  17. 

3.  Münch,  med.  Wochenschr.,  1002,  No.  39. 

4.  Ther.  d.  Gegenw.,  1902,  H.  10. 

5.  Berl.  klin.  Wochenschr.,  1902,  Ni.  52. 

6.  Ther.  d.  Gegenw.,  1903,  No.  1. 

7.  O'Folowell:  L'anesthesie  locale  par 
le  gaiacol  etc.    These  Paris,  1897. 

8.  Deutsche  med.  Wochenschr.,  1902,  No.  20 
und  22. 

9.  Arch.  f.  klin.  Chir.,  57.  Bd.,  H.  2. 

10.  Experimentelle  Untersuchungen  über  In- 
filtrationsanästhesie etc.  Virchow's  Arch.  f. 
path.  Anat.  u.  Phys.,  153.  Bd.,  1898. 

11.  Die  0,8  proz.  Lösung  ist  in  ihrer  Wirkung 
nahezu  identisch  der  1  proz.,  wir  haben  sie  in 
letzter  Zeit  mehr  verwandt. 


Sitzungsberichte 


Deutsche  Medizinische  Gesellschaft  der  Stadt  Chicago 

Sitzung  vom  14.  Februar  1907. 
Vorsitzender:  Dr.  Herzog. 


Das  Protokoll  der  beiden  letzten 
Sitzungen  wird  verlesen  und  angenom- 
men. 


Programm. 
1)    Dr.    Emil    Ries:    a)  Ueber 
komplizierten  Ileus,    b)  Ueber  Kropf- 
fistel. 

In  der  Diskussion  zum  Vortrag  des 
Herrn  Dr.  Ries  bemerkt  Dr.  D  o  e  pf- 


212 


New   Yorker  Medizi 


nische  Monatsschrift. 


n  e  r,  dass  der  Patient  mit  der  Kropf- 
fistel wahrscheinlich  Abdominaltyphus 
gehabt  habe,  denn  gerade  bei  dieser 
Erkrankung  werden  metastatische 
Entzündungen  der  Thyroidea,  resp. 
einer  Struma  beobachtet  —  die  Thy- 
reoiditis und  Strumitis  typhosa  meta- 
statica.  Die  Halsphlegmone  dürfte 
sich  bei  unserem  Patienten  erst  nach 
dem  Auftreten  der  Schilddrüsenent- 
zündung entwickelt  haben. 

Dr.  Zimmer  m  a  n  n  :  Strumitis 
mit  Fistelbildung  kommt  natürlich 
auch  ohne  Abdominaltyphus  aus  an- 
deren Ursachen  vor ;  wir  haben  keinen 
überzeugenden  Beweis,  dass  die  in 
Frage  stehende  Allgemeinerkrankung 
des  Patienten,  zu  der  die  Schilddrüsen- 
entzündung in  Beziehung  gebracht 
wird,  Typhus  gewesen  sei.  Dr.  Z.  sah 
einen  Fall  von  Strumafistel  resp.  Thy- 
reoideafistel,  die  nach  abwärts  hinter 
das  Sternum  führte.  Wahrscheinlich 
ist  die  Unmöglichkeit  oder  Schwierig- 
keit einer  freien  Eiterabführung  in  sol- 
chen Fällen  die  Ursache  der  Fistelbil- 
dung und  nicht  so  sehr  die  Starrheit 
des  Gewebes,  in  der  die  Fistel  wie  ein- 
gebettet ist. 

Dr.  H  o  1  i  n  g  e  r  :  Luftaspiration  in 
die  Venen  werden  nicht  nur  bei  Ope- 
rationen am  Halse,  wie  z.  B.  bei  Stru- 
maoperationen beobachtet,  sondern 
auch  bei  Operationen  am  Sinus.  So- 
gar beim  Verbandwechsel  kann  post 
Operationen  in  solchen  Fällen  Luft  an- 
gesaugt werden,  wie  ich  es  selbst  bei 
einem  Patienten  beobachten  konnte, 
bei  dem  das  lauthörbare  schlürfende 
Geräusch  der  Luftaspiration  von  Ohn- 
macht gefolgt  war.  Bei  kräftigen 
Menschen  ist  infolge  von  guter  Blut- 
füllung der  Venen  die  Möglichkeit  des 
Lufteintrittes  weniger  zu  befürchten 
als  bei  geschwächten,  anämischen  Per- 
sonen. Sofortige  Tamponade,  noch  be- 
vor es  zur  Wiederholung  von  Atem- 
zügen kommt,  ist  dringend  nötig;  doch 
bringen  nur  grössere  Luftmengen  Ge- 
fahr mit  sich. 

Dr.  Herzog:  Da  die  fragliche  Er- 
krankung, im  Anschluss  an  welche 
sich  die  Strumitis  entwickelt  hatte, 
vor  etwa  drei  Monaten  aufgetreten 
war,  'so  lässt  sich  durch  den  Ausfall 
,der    W  i  d  a  l'schen    Reaktion  heute 


noch  die  Entscheidung  treffen,  ob  es 
sich  um  Abdominaltyphus  gehandelt 
habe  oder  nicht.  Auch  das  bei  der 
Operation  exzidierte  Gewebsstück  der 
Thyreoidea  soll  auf  Typhusbazillen 
untersucht  werden.  (In  der  folgenden 
Sitzung  teilte  Dr.  Herzog  mit,  dass 
die  W  i  d  a  l'sche  Reaktion  positiv 
war.) 

Dr.  Ries  (Schlusswort)  :  Fistelöff- 
nungen liegen  in  der  Tat  gewöhnlich 
über  dem  Jugulum  oder  über  der 
Clavicula  und  es  ist  möglich,  dass  un- 
ter solchen  LJmständen  die  Erschwer- 
ung des  Eiterabflusses  bei  dem  gewun- 
denen Verlauf  der  Fistel  die  Unter- 
haltung der  letzteren  bedinge ;  doch 
spielen  gewiss  auch  die  starren,  fibrö- 
sen Massen  in  der  Umgebung  dersel- 
ben, die  Unmöglichkeit  des  Zusam- 
menfallens des  ausgedehnten  starren 
Gewebsringes  um  die  Fistel  eine  wich- 
tige Rolle  hiebei.  Die  Gefahr  einer 
Luftembolie  während  der  Operation 
an  unserem  Patienten  war  eine  ziem- 
lich grosse  infolge  der  Unmöglichkeit 
des  Kollabierens  der  Wände  der  Vena 
jugularis,  die  von  starrem,  unnachgie- 
bigem Gewebe  umschlossen  war. 

2)  Diskussion  über  Scharlach. 

Dr.  Herzog:  Die  Aetiologie  des 
Scharlachs  ist  gegenwärtig  noch 
vollständig  unaufgeklärt.  Weder  Strep- 
tokokken noch  die  Glas  s'schen 
Diplokokken,  oder  andere  gelegent- 
lich gefundene  Mikroorganismen, 
wie  z.  B.  die  M  a  1  1  o  r  y'schen 
intrazellulären  Protozoen  können 
nach  dem  gegenwärtigen  Stande 
unseres  Wissens  als  sichere  Erreger 
angesprochen  werden.  Die  pathologi- 
sche Anatomie  bietet  nicht  viel  cha- 
rakteristisches. Wir  finden  eine  aus- 
gesprochene Hyperplasie  des  lympha- 
tischen Apparates,  einschliesslich  der 
Lymphknötchen  im  Alimentär-  und 
Respirationstraktus.  Wir  finden  pa- 
renchymatöse Degeneration  mit  trüber 
Schwellung  in  der  Leber,  den  Nieren 
und  gelegentlich  in  der  Milz.  Die 
Haut  zeigt  gelegentlich  subkutane 
Blutungen.  Die  Schleimhäute  des 
Respirationstraktus  sind  stark  konges- 
tioniert,  gelegentlich  finden  sich  Ulze- 
rationen  im  Oesophagus,  Blutungen  in 
der  Darmschleimhaut.    Im  Mittelohr 


New    Yorker    Medizinische  Monatsschrift. 


213 


fand  P  e  a  r  c  e  in  50  Prozent  aller  töt- 
lichen  Fälle  Entzündungen,  Broncho- 
pneumonien in  ca.  33  Prozent  der 
Fälle.  In  der  Niere  findet  sich  mikro- 
skopisch das  von  C  o  u  n  c  i  1  m  a  n  be- 
schriebene Bild  der  akuten  interstitiel- 
len Nephritis  mit  Plasmazellen-Infil- 
trationsherden.  Bei  der  schweren 
postskarlatinösen  Nephritis  findet  man 
die  hyaline  Thrombose  der  Glomeru- 
lusschlingen,  wie  H  e  r  z  o  g  sie  für  die 
Beulenpest  als  sehr  charakteristisch 
beschrieben. 

Dr.  Gustav  Schirm  er  ( Auto- 
referat)  führt  zur  Therapie  des  Schar- 
lachs folgendes  aus :  Solange  als  die 
Mortalität  beim  Scharlach  noch  auf  30 
Prozent  und  darüber  steigen  kann  und 
die  Zahl  der  Nachkrankheiten  nach 
Angabe  der  Spezialisten  eine  sehr  hohe 
ist,  verlohnt  es  sich,  neue  therapeuti- 
sche Vorschläge  zu  machen.  Bei  der 
Unmöglichkeit  einer  kausalen  Thera- 
pie bleibt  nur  übrig,  die  den  Schäd- 
lichkeiten ausgesetzten  Organe  zu 
schützen  und  sie  funktionsfähig  zu  er- 
halten, in  der  Hoffnung,  dass  sie  da- 
durch am  leichtesten  der  Toxine  Herr 
werden. 

Die  entündete  Haut  eignet  sich  sehr 
wenig  zur  Ausscheidung,  gleichgiltig 
ob  kalte  Bäder  oder  heisse  Packungen 
■etc.  gemacht  werden.  Das  viele  Ab- 
waschen halte  ich  für  schädlich  ;  eine 
entzündete  Haut  lässt  man  am  besten 
in  Ruhe  und  reibt  nicht  auf  ihr  herum. 
Die  kleinste  Verwundung  kann  neue 
Infektionswege  eröffnen.  Gegen  das 
lästige  Hautjucken  und  Brennen  wer- 
den kalte,  in  Oel  getränkte  Läppchen 
aufgelegt  oder  nur  Bor-Talkum-Pulver 
aufgestreut. 

Das  Erbrechen  soll  nicht  unter- 
drückt werden,  denn  die  in  den  Magen 
ausgeschiedenen  Toxine  werden  auf 
diese  natürliche  Weise  entfernt.  Aus- 
ser bei  schwerer  Verstopfung  lässt 
man  den  Darm  in  Ruhe,  denn  erstens 
besteht  bei  Scharlach  Neigung  zu  Hä- 
morrhagien  und  zweitens  ist  bei  einer 
Verdünnung  des  Darminhaltes  eine 
stärkere  Resorption  im  Darme  zu  be- 
fürchten. Darmeinläufe  mit  Wasser 
unter  niedrigem  Drucke  befördern  die 
Stuhlentleerung  und  sind,  entspre- 
chend temperiert,  und  häufig  genug  ge- 


macht, wohl  das  beste  Mittel  bei  sehr 
hohem  Fieber  oder  geringer  Diurese. 

Das  wichtigste  Organ  für  die  Aus- 
scheidung der  Toxine  sind  die  Nieren. 
Es  ist  nur  eine  logische  Folgerung, 
wenn  ich  diese,  mit  neuer  Arbeit  über- 
bürdeten Organe  absolut  schone. 
Ohne  jede  Schädigung  des  Organismus 
erreichen  wir  das,  wenn  wir  dem  Pa- 
tienten eine  Nahrung  geben,  die  im 
Körper  selbst  verbrannt  wird  und  für 
die  Nieren  keine  Abbauprodukte  ab- 
gibt. Ein  solches  Nahrungsmittel  ist 
der  Zucker;  für  vier  Tage  gebe  ich  nut 
Zucker  in  irgend  einer  Form  als  Nahr- 
ung, und  Wasser  so  viel,  als  der  Pa- 
tient gutwillig  nehmen  will.  Nach  die- 
ser Zeit  gebe  ich  getrocknete  Früchte, 
wie  Feigen,  Datteln,  Pflaumen,  und 
dann  unter  steter  Kontrolle  des  Urines 
Abkochungen  von  Hülsenfrüchten  mit 
Beigabe  von  Butter ;  Fleisch,  Eier 
und  Milch  werden  für  einige  Zeit  voll- 
ständig vermieden.  Diese  Diät  wird 
am  schwersten  am  zweiten  Tag  em- 
pfunden. Die  schwierigste  und  wich- 
tigste Aufgabe  ist  die  Desinfektion  der 
Mund-  und  Nasenhöhle. 

Beide  werden  in  ^stündigen  Zwi- 
schenräumen mit  Kollargol  in  5%  Lös- 
ung und  Hydrogenium  hyperoxyda- 
tum,  dem  Aqua  Calcis  beigesetzt  wird, 
behandelt.  Gleichgiltig,  wie  es  ge- 
braucht ist,  die  Hauptsache  ist,  dass 
die  zu  desinfizierenden  Teile  mit 
der  Kollargollösung  imprägniert  wer- 
den und  gleich  darauf  mit  Hy- 
drogen.  hyperoxyd.  cum  Aqua  Cal- 
cis in  Berührung  gebracht  werden. 
Die  Eiweisssubstanzen  haben  eine 
grosse  Affinität  zum  Kollargol,  und 
sind  sie  imprägniert,  so  bilden  sie  kata- 
lytische  Depots  zur  Zersetzung  des 
H2Oo.  Ob  wir  dabei  mit  dem  Pinsel 
das  Kollargol  auftragen  oder  mit  dem 
Spray  das  Peroxyd  in  den  Rachen 
spritzen,  das  hängt  viel  vom  Alter  des 
Patienten  und  der  Schwere  des  Falles 
ab.  Bei  ganz  kleinen  Kindern  gebe  ich 
10  Tropfen  Kollargollösung  und  nach 
einer  Minute  20  Tropfen  Wasserstoff- 
superoxydlösung. 

In  die  Nasenhöhle  schütte  ich  zwei 
Tropfen  Kollargollösung  und  8  Trop- 
fen H202  Lösung  mit  einem  Teelöffel 
bei  zurückgebeugten  Kopfe.  Sehr  häu- 


214 


New    Yorker  Meuizi 


nische  Monatsschrift. 


fig  tritt  im  Anfang  der  Krankheit  bei 
dieser  chemischen  Zersetzung  Erbre- 
chen und  Würgen  ein,  bei  dem  grosse 
Schleimmassen  heraus  befördert  wer- 
den. Es  macht  mir  den  Eindruck, 
dass  gerade  solche  Fälle  ausserordent- 
lich rasch  genesen.  Auch  echte  diph- 
therische Beläge  verschwinden  bei 
dieser  Behandlung.  Diese  Wirkung 
ist  eine  umso  mehr  willkommene,  als 
die  Einverleibung  des  Diphtherie-An- 
titoxines  bei  Scharlach  —  d.  h.  dem 
vollständig  entwickelten  —  keine 
gleichgiltige  Sache  ist ;  für  den  Grund 
kann  ich  keine  wissenschaftliche  Be- 
lege beibringen  ;  aber  schon  die  Tat- 
sache, dass  die  Minimaldosis  von 
Diphtherie  -  Antitoxin  bei  Scharlach 
5000  Einheiten  beträgt,  beweist  den 
grossen  Unterschied  gegenüber  der 
einfachen  Diphtherie. 

Die  Zeiträume  der  Desinfektion  wer- 
den von  Tag  zu  Tag  länger,  müssen 
aber  bis  in  die  Zeit  der  vollständigen 
Genesung  fortgesetzt  werden.  Uro- 
tropin  kann  zweckmässiger  Weise  ge- 
geben werden.  Wenn  meine  Methode, 
die  drei  Jahre  alt  ist,  richtig  durchge- 
führt wurde,  so  beobachtete  ich  1. 
Rasches  Verschwinden  der  toxischen 
Symptome,  2.  Schweissbildung  sehr 
frühzeitig,  3.  Spiellust  der  Kinder,  4. 
rasches  Verschwinden  der  schmerz- 
haften Drüsengeschwülste,  5.  ausge- 
zeichnete Diurese  mit  eiweissfreiem 
Urin. 

Dr.  H  o  1  i  n  g  e  r  unterstützt  die 
Therapie  des  Dr.  Gustav  Schir- 
m  e  r,  soweit  Nase  und  Pharynx  in  Be- 
tracht kommen ;  Reinigung  des  Ra- 
chens ist  von  grösster  Wichtigkeit, 
eventuell  Spray. 

Es  gibt  drei  Formen  von  Scharlach- 
otitis,  die  zur  Behandlung  kommen. 

1.)  Die  akute  Form  der  Mittelohr- 
entzündung während  des  Scharlachs ; 
bei  ihr  erfolgt  der  Durchbruch  nach 
aussen  meist  sehr  früh  und  oft  hoch 
am  Trommelfell ;  sie  betrifft  einen 
sonst  meist  schwer  erkrankten  Orga- 
nismus, der  sich  nicht  mehr  wehren 
kann,  weshalb  der  Zerfall,  die  Nekrose 
bei  Scharlachotitis  so  rasch  und  aus- 
gedehnt ist  —  im  höheren  Grade  als 
bei  Otitiden  aus  anderen  Gründen. 
Darum  ist  hier  die  Trommelfellperfo- 


ration so  gross  und  die  Zerstörungen 
im  Warzenfortsatz  so  häufig.  Die  Ab- 
fuhr der  Sekrete  zugleich  mit  der  He- 
bung des  Allgemeinbefindens  ist  von 
höchster  Wichtigkeit. 

2.  )  Chronische  Mittelohrentzündun- 
gen, die  erst  später,  oft  nach  Jahren  in 
Behandlung  kommen.  Hier  findet 
man  starke  Epidermiswucherungen 
und  Cholesteatombildungen,  die  auch 
noch  nach  15  bis  20jährigem  Bestand 
der  Otitis  mitunter  durch  Komplika- 
tionen von  Seiten  des  Sinus  die  opera- 
tive Behandlung  erheischen. 

3.  )  Otitis  interna  (Labyrinthentzün- 
dung) mit  Taubheit.  Die  Statistiken 
der  Taubstummenanstalten  geben  18 
Prozent  Taubstummheit  als  durch 
Scharlach  bedingt  an.  Diese  Otitis  in- 
terna ist  gewöhnlich  hämatogenen  Ur- 
sprunges und  kann  ohne  Mittelohrei- 
terung verlaufen.  Natürlich  bedeutet 
eine  Innerohrerkrankung  eine  Er- 
schwerung des  Krankheitsbildes  des 
Scharlachs. 

Die  Kinder  sind  bewusstlos,  haben 
Kopfschmerzen  und  bieten,  wenn  sie 
aus  der  Umnebelung  erwachen,  Taub- 
heit. Sie  zeigen  ausserdem  Schwindel, 
Unsicherheit  in  allen  Bewegungen, 
Erscheinungen,  welche  für  Monate 
oder  Jahre  andauern  können.  So  sieht 
man  in  den  Taubstummenanstalten 
viele  der  Insassen  mit  breitspurigem 
Gange  gehen.  Die  meisten  Fälle  von 
akuter  Otitis  interna  enden  wohl  letal ; 
man  findet  dann  bei  der  Sektion  die 
Schnecke  mit  Granulationen  ausgefüllt 
oder  im  späteren  Stadium  in  soliden 
Knochen  umgewandelt.  Neuritis  acus- 
tica  kommt  nicht  häufig  bei  Scharlach 
vor. 

Die  weitere  Diskussion  über  Schar- 
lach wird  wegen  vorgerückter  Zeit  ver- 
tagt. 

Dr.  M  a  y  w  i  1 1  demonstriert  ein 
mikroskopisches  Präparat  von  Glass'- 
schen  Körpern  von  einem  seiner 
Scharlachkranken. 

Sitzung  vom  7.  März  1907. 

Vorsitzender :  Dr.  Herzog. 

Programm. 

1)  Fortsetzung  der  Diskussion  über 
Scharlach. 


New    Yorker   Medizinische  Monatsschrift. 


215 


2)  Dr.  A.  Decker:  Zweck  und 
Ziel  der  Deutschen  Medizinischen  Ge- 
sellschaft von  Chicago,  III. 

3)  Kandidaten  :  Dr.  L.  A.  M  ü  1  1  1  e  r, 
306  E.  Division  St. ;  Dr.  Darling, 
3802  Ellive  Ave. 

Das  Protokoll  der  Sitzung  vom  31. 
Januar  wird  verlesen  und  angenom- 
men. 

Dr.  A.  Strauch:  Die  Tatsache, 
dass  zu  den  ersten  Symptomen  des 
Scharlachs  Halsschmerzen  gehören, 
weisst  auf  die  Tonsillen  als  den  pri- 
mären Herd  des  Krankheitserregers 
hin.  Diese  Annahme  wird  durch  den 
Verlauf  des  (extrabukkalen)  Wund- 
scharlachs gestützt.  Erst  von  den  Ton- 
sillen — ■  der  Prädilektionsstelle  —  ge- 
langen die  Erreger  auf  dem  Wege  der 
Lymphbahnen  in  die  regionären 
Lymphdrüsen  und  durch  direkte 
Uebertragung  auf  die  Schleimhäute  des 
Nasenrachenraumes,  der  Nase,  der 
Tuba  Eustachii  und  des  Mittelohres  und 
erzeugen  hier  die  primären  Komplika- 
tionen. In  einem  gewissen  Gegensatz 
stehen  die  toxischen  Symptome,  zu 
denen  das  Erbrechen,  das  Fieber, 
die  bedeutende  Pulsbeschleunigung, 
die  Beteiligung  des  Nervensystems 
und  das  Exanthem  gehören.  Gerade 
diese  toxischen  Symptome  werden 
durch  das  Mose  r'sche  polyvalente 
Streptokokkenserum  auffallend  günstig 
beeinflusst.  Dr.  S.  geht  des  genaueren 
auf  die  Besprechung  der  Symptoma- 
tologie mit  besonderer  Berücksichtig- 
ung der  Frühdiagnose  mit  Gegenüber- 
stellung der  Diphtherie  und  der  ge- 
wöhnlichen Angina  ein,  behandelt  die 
Differenzialdiagnose  zwischen  Schar- 
lach und  Röteln,  Arzneiexanthemen, 
Serumexanthemen,  Erythemen  bei  In- 
fluenza, Typhus  abdom.  und  Kinder- 
pneumonien ;  Erythema  scarlatiforme 
recidivum,  Erythema  infectiosum  (Me- 
galerythema  epidemicum),  Ekzemen 
kleiner  Kinder  etc.  Es  folgen  Bemerk- 
ungen über  die  Leukozyten  bei  Schar- 
lach, über  die  multiple  Lymphadenitis 
(in  axilla,  inguine),  über  Wundschar- 
lach und  septische  Erytheme.  Von 
den  im  akuten  Stadium  sich  vorfinden- 
den Lymphdrüsenschwellungen  ver- 
schieden ist  die  Lymphadenitis  sub- 
maxillaris  postscarlatinosa,  deren  Er- 


kenntnis für  die  Spätdiagnose  wichtig 
sein  kann. 

Die  gegenwärtige  grosse  Scharlach- 
epidemie in  Chicago,  mit  ihren  in  der 
überwiegenden  Mehrzahl  typischen, 
wenn  auch  leichten  Krankheitsformen, 
gab  Gelegenheit  zur  Beobachtung  zahl- 
reicher in  manchen  Punkten  atypischer 
Fälle,  die  jedoch  die  Annahme,  dass  es 
sich  um  Duk  e'sche  Krankheit  han- 
dele, durchaus  nicht  rechtfertigen.  Dr. 
Strauch  sah  verspätetes  Auftreten 
des  Scharlachexanthems  am  3.,  4.  und 
5.  Tag  nach  Einsetzen  der  Initialer- 
scheinungen bei  sicherer  Beobachtung, 
ferner  einigemale  sehr  flüchtige,  lo- 
kalisierte Scharlachexantheme,  das 
Auftreten  von  masernähnlichen  und 
diffusen  Prodromalexanthemen,  eine 
Komplikation  mit  Varizellen,  Herpes 
labialis  neben  Angina  als  seltenes  Ini- 
tialsymptom, wiederholte  Fälle  von 
Scarl.  sine  exanthemate,  rudimentäre 
und  ganz  leichte  Scharlachformen, 
deren  Identität  durch  gleichzeitiges 
Vorkommen  typischer  Scharlachfälle 
in  derselben  Familie  gesichert  ist.  Ge- 
rade diese  leichten,  sowie  die  rudimen- 
tären Fälle  mit  blossen  Scharlachangi- 
nen, die  ohne  Inanspruchnahme  des 
Arztes  verlaufen,  verdienen  eine  grosse 
praktische  Würdigung,  da  die  Patien- 
ten bei  ihrem  „nur  leichten  Unwohl- 
sein" den  Verkehr  mit  der  Aussenwelt 
überhaupt  nicht  unterbrechen  oder  zu 
früh  wieder  aufnehmen,  sei  es  in 
Schule  oder  anderwärts,  und  auf  diese 
Weise  die  Verbreitung  der  Krankheit 
ohne  Zweifel  besorgen.  Das  Nasen- 
rachensekret  Scharlachkranker  und  Re- 
konvaleszenter spielt  bei  der  Krank- 
heitsübertragung eine  gewisse  Rolle, 
wie  experimentell  nachgewiesen  wurde. 
Viele  Kinder  mit  leichtem  Scharlach 
würden  aus  der  Schule  nach  Hause  ge- 
schickt, oft  erst  im  Stadium  beginnen- 
der Schuppung.  Einführung  einer 
gründlichen  Schulinspektion  durch 
Aerzte  ist  daher  ein  dringendes  Gebot. 
Möglicherweise  hängt  die  numerisch 
so  enorme  Ausbreitung  der  gegenwär- 
tigen Scharlachepidemie  zum  Teile  auf 
diese  Weise  direkt  mit  dem  auffallend 
leichten  Genius  epidemicus  zusammen. 

Die  Vermittlung  des  Scharlachs 
durch  Milch  ist  erwiesen  ;  namentlich 


2l6 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


aus  England  rühren  diesbezügliche  Er- 
fahrungen her.  Nicht,  als  ob  Schar- 
lach bei  Kühen  vorkommen  würde; 
vielmehr  handelt  es  sich  um  mechani- 
sche Verunreinigung  der  Milch  beim 
Melken  der  Kühe  und  Hantieren  der 
Milch  durch  scharlachkranke  Bedien- 
stete oder  deren  Angehörige.  Beson- 
ders der  Rahm  soll  gefährlich  sein. 
B  a  g  i  n  s  k  y  stellte  eine  ganze  Reihe 
einwandfreier  Fälle  aus  der  Literatur 
zusammen. 

Bekanntlich  wird  der  gegenwärtige 
Scharlachausbruch  in  Evanston  (Vor- 
stadt von  Chicago)  auf  die  Milchver- 
sorgung aus  Genua  Junction  von  den 
Aerzten  zurückgeführt,  wo  unter  Far- 
mern und  Angestellten  der  Milchwirt- 
schaft Scharlachfälle  konstatiert  wor- 
den waren.  Im  Augenblick  ist  eine 
Kritik  dieser  Annahme  noch  nicht  mög- 
lich. 

Dr.  Strauch  wiederholt  die  er- 
mutigenden Resultate,  die  man  mit 
dem  M  o  s  e  r'schen  Scharlachserum  in 
Wien  und  an  anderen  Orten  erzielt  hat. 

Die  Darstellung  dieses  Serums  be- 
gann man  in  Wien  1900  durch  Immuni- 
sierung von  Pferden  mit  Streptokok- 
kenkulturen, die  aus  dem  Herzblut  von 
vielen  Scharlachleichen  genommen  wa- 
ren. Es  wurden  gewöhnlich  nur  solche 
Kranke  mit  dem  Serum  behandelt,  wel- 
che eine  dubiöse  oder  fast  letale  Prog- 
nose boten,  um,  wie  Moser  sagt,  „die 
Mortalitätsstatistik  ungünstig  zu  be- 
lasten." 

Mit  Dosen  von  180 — 200  Gramm,  am 
ersten  oder  zweiten  Krankheitstag  ge- 
geben, gelang  es,  alle  Kinder  zu  retten. 
Die  Mortaliät  beginnt  erst  bei  Anwen- 
dung des  Serums  am  dritten  Tage  und 
beträgt  hier  14  Prozent,  am  vierten 
Tage  23,08  Prozent,  am  fünften  Tage 
33  Prozent,  am  sechsten  Tage  40  Pro- 
zent. 

Die  Sterblichkeitsziffer,  die  an  der 
E  s  c  h  e  r  i  c  h'schen  Kinderklinik  in 
den  früheren  Jahren  zwischen  12  und 
16  Prozent  geschwankt  hatte,  sank  mit 
der  Einführung  des  Mose  r'schen 
Scharlachserums  auf  8,9  bis  6,7  Prozent 
hinunter,  während  die  der  übrigen  Wie- 
ner Kinderspitäler  mit  13  Prozent  figu- 
riert, obwohl  gerade  die  leichteren 
Fälle  von  der  E  s  c  h  e  r  i  c  h'schen  Kli- 


nik an  die  letzteren  gewiesen  worden 
waren. 

Das  Mose  r'sche  Serum  hat  nach 
den  Erfahrungen  Escheric  h's  einen 
ausgesprochenen  günstigen  Einfluss 
auf  die  sogenannten  toxischen  Symp- 
tome der  Scarlatina,  wie  Temperatur- 
steigerung, abnorm  hohe  Pulsfrequenz, 
Dyspnoe,  Erbrechen,  Exanthem  und 
die  Alterationen  des  Nervensystemes, 
Delirien,  Koma,  Somnolenz,  Jakta- 
tionen. Kinder,  welche  hochgradige 
Intoxikationserscheinungen  geboten 
hatten,  mit  kühlen  Extremitäten, 
cyanotisch'-fleckigem  Exanthem  als 
Ausdruck  des  Kollapses,  zeigten  24 
Stunden  nach  der  Seruminjektion  ein 
völlig  verändertes  Bild  im  Sinne  auf- 
fallender Besserung.  Die  Temperatur 
sinkt,  das  Bewusstsein  kehrt  zurück,  die 
Erscheinungen  der  auf  Intoxikation  be- 
ruhenden Herzschwäche  schwinden, 
das  Exanthem  bleibt  in  seiner  Ent- 
wicklung stehen  oder  verschwindet 
rasch.  Die  Krankheitsdauer  ist  ver- 
kürzt. Die  Injektion  muss  aber  mög- 
lichst frühzeitig  gemacht  werden.  Die 
präventive  Injektion  wurde  in  39  Fäl- 
len gemacht ;  von  diesen  erkrankten 
nur  vier  und  zwar  an  sehr  leichten 
Scharlachformen.  Therapeutisch  wurde 
das  Serum  an  über  200  Fällen  der 
E  s  c  h  e  r  i  c  h'schen  Klinik  erprobt. 

Günstig  äussern  sich  auch  Pospi- 
schill, Schick,  Z  u  p  p  i  n  g  e  r, 
Bokay  und  andere,  während  Heub- 
ner  und  Babinsky  sich  sehr  skep- 
tisch verhalten. 

Man  kann  auf  Grund  der  Literatur 
über  diesen  Gegenstand,  der  erst  un- 
längst von  Dr.  Saltykow  zusam- 
mengestellt wurde,  die  Meinung  aus- 
sprechen, dass  das  Mose  r'sche  Serum 
Beachtung  verdient  und  weiteren  An- 
wendungen und  Untersuchungen  un- 
terworfen werden  soll. 

Im  Interesse  der  Kranken  und  der 
Wissenschaft  sollte  auch  hier  in  Chi- 
cago das  Serum  an  den  Scharlachab- 
teilungen versucht  werden,  und  es  ist 
zu  bedauern,  dass  hier  vorläufig  kein 
Institut  für  die  Darstellung  des  Schar- 
lachserums nach  den  Angaben  M  o- 
s  e  r's  und  P  a  1 1  a  u  f 's  besteht. 

Die  Verwendung  des  Behring'- 
schen     Diphterieserums    bei  reinem 


New    Yorker   Medizinische  Monatsschrift. 


217 


Scharlachdiphtheroid  ist  theoretisch 
und  praktisch  unbegründet.  Natürlich 
hat  es  seinen  Platz  bei  der  Kombina- 
tion von  Scharlach  mit  echter  Diph- 
therie. 

Die  Bezeichnung  „Vierte  Krankheit" 
(fourth  disease)  erscheint  zum  ersten 
mal  1900  in  der  englischen  Literatur 
(,,Lancet").  Die  Krankheit  verhält 
sich  symptomatisch  zum  Scharlach  wie 
die  Röteln  zu  den  Masern,  d.  h.  sie  ist 
dem  mit  milden  allgemeinen  Infek- 
tionserscheinungen einhergehenden  so- 
genannte abortiven  Scharlach  ähnlich. 
Clemens  Dukes  (Arzt  im  Rugby 
Hospital),  nach  welchem  auch  die 
Krankheit  genannt  wird,  fasste  dieselbe 
als  eine  selbstständige  Erkrankung  auf, 
für  welche  der  milde  Verlauf,  der  Man- 
gel an  Komplikationen  und  Nachkrank- 
heiten, das  Schwinden  der  Infektions- 
fähigkeit innerhalb  2  bis  3  Wochen, 
das  Fehlen  der  Himbeerzunge  und  die 
lange  Inkubationsdauer  von  14  bis  15 
Tagen  charakteristisch  ist.  Diese  Er- 
krankung wurde  von  Dukes  zu  wie- 
derholtenmalen  bei  Kindern  gesehen, 
die  echten  Scharlach  oder  Röteln  be- 
reits durchgemacht  hatten. 

Schon  Nil  F  i  1  a  t  o  w  hat  1885  die 
Frage  nach  der  Möglichkeit  der  Exis- 
tenz einer  solchen  selbstständigen  In- 
fektionskrankheit aufgeworfen.  Die 
Frage  ist  jedoch  bis  heute  noch  nicht 
erledigt. 

Dr.  Alex.  Behrendt  wendet  sich 
gegen  den  von  Dr.  G.  Schirmer  ge- 
forderten Ausschluss  der  Milch  von 
der  Ernährung  Scharlachkranker  wäh- 
rend der  ersten  vier  Wochen  der 
Krankheit.  Milch  ist  nicht  nur  ein  aus- 
gezeichnetes Nährmitel,  sondern  auch 
Heilmittel  bei  Nephritis  und  wirkt  als 
vorzügliches  Diuretikum,  kann  also  bei 
Scharlach  durchaus  keine  Belastung 
der  Nieren  bedingen.  Zufuhr  von 
stickstoffhaltiger  Nahrung  ist  für  die 
notwendige  Erhaltung  des  Eiweissbe- 
standes,  der  ohnehin  durch  die  Krank- 
heit bedroht  ist,  dringend  nötig. 

Dr.  G.  Schirmer  wiederholte  zur 
Entgegnung  seine  früher  vorgebrach- 
ten Argumente  für  seine  Ernährungs- 
prinzipien bei  Scharlach  und  weist  auf 
die  damit  erzielten  guten  Resultate  hin, 
insbesondere  auf  die  Tatsache,  dass  die 


Kinder  trotz  der  Milchabstinenz  in  der 
Rekonvaleszenz  ein  gutes  Aussehen 
und  einen  guten  Ernährungszustand 
bieten. 

Dr.  Luckhardt  pflichtet  Dr. 
Strauch  in  der  Annahme  bei,  dass 
es  sich  während  der  gegenwärtigen 
Epidemie  in  Chicago  um  reinen,  wenn 
auch  in  einigen  Fällen  etwas  atypi- 
schen Scharlach  handelt.  Die  Identi- 
tät solcher  atypischer  Fälle  mit  Schar- 
lach wird  durch  das  gleichzeitige  Auf- 
treten typischer  Scharlachfälle  in  ein 
und  derselben  Familie  hinreichend  be- 
wiesen. Dr.  L.  litt  selbst  vor  Jahren 
an  Scharlach,  dessen  Quelle  ein  Pa- 
tient mit  Scarlatina  sine  exanthemate 
war.  Seine  Erfahrungen  während  der 
gegenwärtigen  Epidemie  (seit  Novem- 
ber) erstreckt  sich  auf  80  bis  100  Fälle 
der  eigenen  Praxis.  Die  vom  Depart- 
ment of  Health  ausgegebenen  Zahlen 
der  Scharlacherkrankungsfälle  sind  viel 
zu  klein,  da  mit  Sicherheit  eine  erheb- 
liche Anzahl  von  Erkrankungsfällen 
nicht  angezeigt  wird ;  wird  ja  zuge- 
standenermassen  meist  nur  der  erste 
Scharlachfall  in  einer  Familie  dem  Ge- 
sundheitsamt berichtet,  um  die  Erfor- 
dernisse der  Quarantainevorschriften 
durchzusetzen,  nicht  mehr  aber  die  un- 
mittelbaren folgenden  Fälle  derselben 
Familie.  Dr.  L.  beobachtete  ebenfalls 
zu  wiederholtenmalen  blosse  Anginen 
in  Scharlachfamilien.  Bei  einem  Schar- 
lachkranken sah  Dr.  L.  das  Auftreten 
eines  subkutanen  Abszesses  in  der 
Palma  und  am  Oberschenkel,  in  einem 
anderen  leichten  Scharlachfall  Verei- 
terung von  Lymphdrüsen  in  beiden 
Axillen.  Unter  seinen  Patienten  star- 
ben vier.  Dr.  L.  befürwortet  Milch- 
diät; doch  ist  bei  Niereninsuffizienz  die 
Flüssigkeitszufuhr  im  Sinne  v.  N  o  o  r- 
d  e  n's  zu  beschränken  ;  das  heisst,  die 
übermässige  Flüssigkeitszufuhr  etwa 
in  der  irrigen  Absicht,  die  ,, Nieren 
durchzuspülen"  ist  zu  verwerfen  mit 
Rücksicht  auf  die  dadurch  hervorge- 
rufene funktionelle  Mehrbelastung  von 
Herz  und  Nieren. 

Dr.  M  a  y  w  i  1 1  zitiert  aus  der  Lite- 
ratur eine  Erfahrung,  welche  ein  20- 
jähriges  Ueberdauern  des  Scharlach- 
giftes beweisen  soll.  Er  selbst  beob- 
achtete in  der  jetzigen  Epidemie  einige 


218 


New    Yorker    Medizinische  Monatsschrift. 


Fälle  von  Lymphadenitis  submaxillaris 
postscarlatinosa  und  erwähnt  zwei 
von  ihm  beobachteten  Fälle  von  Ty- 
phus abdominalis  mit  scharlachähnli- 
chem Exanthem. 

Dr.  R  a  d  e  s  i  n  s  k  i's  Beobachtungen 
der  letzten  Jahre  erstrecken  sich  auf 
ca.  300  meist  sporadische  Scharlachfälle 
mit  einer  Mortalität  gleich  Null.  Es 
scheint,  wenn  man  die  Mortalitätsziffern 
aus  Europa  zum  Vergleich  heranzieht, 
hier  in  Amerika  der  Krankheitscharak- 
ter im  allgemeinen  ein  leichterer  zu 
sein. 

Dr.  R.  verhält  sich  in  der  Therapie 
gewöhnlich  expektativ ;  man  macht  die 
Beobachtung,  dass  hier  in  Chicago  von 
sehr  vielen  Aerzten  bei  Scharlachdiph- 
therie das  B  e  h  r  i  n  g'sche  Diphtherie- 
antitoxin verwendet  wird. 

Dr.  Dohr  m  a  n  n  hat  in  der  gegen- 
wärtigen Epidemie  unter  ca.  70  Patien- 
ten keinen  einzigen  verloren. 

Dr.  West  erschulte  bedient 
sich  der  Hydrotherapie  und  kühler 
Wassereinläufe  in  den  Mastdarm  zur 
Bekämpfung  zu  hoher  Temperaturen 
und  befürwortet  die  Milchdiät  und  die 
Verabreichung  von  Schleimsuppen  und 
Fruchtsäften.  Auf  die  Erhaltung  der 
Körperkräfte  ist  besonderes  Gewicht 
zu  legen. 

Dr.  Decker  vermisst  in  den  eben 
vorgebrachten  Behandlungsmethoden 
eine  wirkliche,  überzeugende  Moti- 
vierung. In  leichten  Fällen  von  Schar- 
lach, der  ja  eine  zyklische  Krankheit 
ist,  bedarf  es  keiner  therapeutischen 
Eingriffe,  da  er  spontan  heilt. 

Hierauf  hält  Herr  Dr.  Decker  sei- 
nen, von  ungeteiltem  Beifall  aufgenom- 
menen Vortrag,  der  eine  interessante 
objektive,  juristische  Studie  darstellt. 
Wegen  vorgerückter  Zeit  wird  die  Dis- 
kussion aufgeschoben. 

Herr  Dr.  L.  A.  Müller  und  Herr 
Dr.  Darling  werden  einstimmig  zu 
Mitgliedern  der  Deutschen  Medizini- 
schen Gesellschaft  gewählt. 

Sitzung  vom  21.  März  1907. 
Vorsitzender :  Dr.  Decker  (in  Ab- 
wesenheit des  Präsidenten). 

Programm. 
1  )  Diskussion  über  den  Vortrag  des 
Herrn  Dr.  Decker:  Zweck  und  Ziel 


der  Deutschen  Medizinischen  Gesell- 
schaft von  Chicago. 

2  )  Dr.  A.  H  e  y  m  :  Multiple  Neuritis. 

3 )  1  )r.  R  e  m  b  e  :  Ueber  Nasenblu- 
ten. 

I.  An  der  Diskussion,  die  eine 
sehr  rege  ist  und  das  lebhafte  Interesse 
an  dem  Inhalt  des  Vortrages  beweist, 
nahmen  die  Herren  Dr.  Lieber- 
thal, Dr.  Gustav  S  c  h  i  r  m  e  r,  Dr. 
Riebel,  Dr.  Josef  Beck,  Dr. 
Carl  Beck,  Dr.  H  o  1  i  n  g  e  r  und 
Dr.  S  c  h  m  a  u  c  h  teil. 

Im  Schlusswort  spricht  Dr.  Decker 
seine  Genugtuung  darüber  aus,  dass 
dieses  Thema  mit  Gründlichkeit  und 
Offenheit  diskutiert  und  mit  Interesse 
aufgenommen  worden  war.  Die  Dis- 
kussion soll  nach  einer  Beschlussfas- 
sung nicht  publiziert  werden. 

II.  Diskussion  zu  Dr.  Hey  m's  Vor- 
trag: 

Dr.  Riebel  macht  Mitteilung  von 
einem  Falle  von  Polyneuritis,  eine 
Frau  betreffend,  bei  der  sich  vornehm- 
lich Schmerzen  und  nicht  motorische 
Lähmungen  gezeigt  hatten.  Die  Pa- 
tientin starb. 

Auf  die  Bemerkung  des  Herrn  Dr. 
Decker,  in  der  Abhandlung  über 
Neuritis  im  Nothnage  l'schen  Hand- 
buch heissc  es,  dass  die  Reflexe  ge- 
steigert seien,  erwidert  Dr.  H  e  y  m, 
dass  die  Reflexe  bei  ausgesprochenen 
Neuritiden  fehlen,  dass  sie  höchstens 
im  Anfang  vorhanden  sein  mögen. 
Ausnahmen  kommen  allerdings  vor. 

Dr.  Carl  Beck  fragte  nach  Er- 
fahrungen bezüglich  der  Dauer  einer 
traumatischen  Radialislähmung  und 
der  Abkürzung  derselben  durch  elek- 
trische Behandlung,  da  er  gerade  ge- 
genwärtig einen  Fall  einer  auf  Narkose 
aufgetretenen  Radialislähmung  seit  6 
Wochen  in  seinem  Spitale  ohne  Aen- 
derung  des  Zustandes  in  Behandlung 
habe. 

Dr.  Strauch  (Autoreferat)  teilt 
mit,  dass  er  Gelegenheit  hatte,  zahl- 
reiche Fälle  von  Beriberi  (Neuritis 
multiplex  endemica)  im  Orient  zu 
sehen :  die  ersten  drei  Fälle  bei  der 
Einschiffung  von  600  chinesischen 
Kulis  in  Singapore  für  die  Reise  nach 
Hongkong.  Die  Diagnose  konnte  schon 
aus  der  Entfernung  aus  der  charakteristi- 


New    Yorker    Medizinische  Monatsschrift. 


219 


sehen  Gangstörung  gemacht  werden, 
welche  hesonders  deutlich  heim  Gehen 
üher  die  vom  Quai  auf  das  Schiffsver- 
deck steil  aufsteigende  Brücke  war.  Es 
handelte  sich  in  diesen  Fällen  um  die 
chronische  atrophische  Form  mit  Be- 
teiligung des  Herzens,  die  sich  im 
schnellen,  unregelmässigen,  leicht  er- 
regbaren Puls,  in  Hypertrophie  des 
Herzens  mit  Akzentuation  des  zweiten 
Pulmonaltones  äusserte;  es  bestand 
noch  Atemnot  bei  geringen  körperli- 
chen Anstrengungen.  Abgesehen  von 
abortiven,  rudimentären  Formen  von 
Beriberi  gibt  es  drei  Hauptformen.  Die 
atrophische  Form  mit  progressivem 
[Muskelschwund  besonders  an  den  un- 
teren, oft  aber  auch  an  den  oberen  Ex- 
tremitäten, neuritischen  Ursprunges. 
Folgeerscheinungen  dieser  Paralysen, 
z.  B.  Spitzfuss  und  Kontrakturen  am 
Handgelenk  durch  vornehmliche  Be- 
teiligung der  Extensoren  ähnlich  der 
Bleilähmimg,  Heiserkeit  und  Aphonie 
infolge  Lähmung  der  Kehlkopfmuskeln 
konnte  Dr.  S.  in  einem  Spital  in  Hong- 
kong sehen.  Ebenso  auch  Beispiele 
der  zweiten  Form,  der  oedematösen, 
bei  der  es  namentlich  an  den  Beinen  zu 
oedematösen  Schwellungen  kommt. 
Anästhesie  ist  selten.  Die  dritte  Form 
ist  die  kardiale,  perniziöse,  bei  welcher 
binnen  kurzer  Zeit  analog  wie  bei 
Diphtherie  durch  Herzlähmung  der 
Tod  erfolgen  kann.  Die  Patellarseh- 
nenreflexe  fehlen  in  entwickelten  Fäl- 
len von  Beriberi  vollständig.  Heilung 
ist  möglich,  die  Mortalität  schwankt 
zwischen  3  bis  50  Prozent  in  den  ver- 
schiedenen Epidemien  —  also  inner- 
halb sehr  weiter  Grenzen.  Beriberi  ist 
eine  multiple  Neuritis. 

Dr.  Strauch  berichtet  ferner  über 
einen  Fall  von  viele  Monate  dauernder 
Arsenikneuritis  der  unteren  Extremi- 
täten nach  kleinen  Dosen  von  Fow- 
1  e  r'scher  Lösung. 

Dr.  Heym  antwortet  im  Schluss- 
wort, dass  die  Heilungsdauer  der  trau- 
matischen Neuritis  von  der  Intensität 
des  Traumas  und  dessen  Wirkung  ab- 
hängig ist.  Traumatische  Facialisläh- 
mungen  können  bereits  nach  acht  Ta- 
gen schwinden,  wofern  dieselben  nur 
wenig  ausgesprochen  waren.  Im 
Durchschnitt    nimmt    die  Restitution 


etwa  3  Monate  in  Anspruch,  mitunter 
aber  noch  längere  Zeit,  bis  Jahre  ;  oder 
in  seltenen  Fällen  ist  die  Lähmung  un- 
heilbar. Gewöhnlich  heilen  die  trau- 
matischen Radialislähmungen.  Mit  Be- 
ziehung auf  den  von  Dr.  R  i  e  b  e  1  zi- 
tierten Fall  bemerkt  Dr.  Hey  m,  dass 
die  motorische  Lähmung  nicht  immer 
deutlich  sichtbar  zu  sein  braucht, 
wenn  noch  genügend  andere  motori- 
sche Nervenfasern  funktionsfähig  ge- 
blieben sind ;  doch  würde  man  Entart- 
ungsreaktion nachweisen  können. 

Wichtig  ist  es  zu  beachten,  dass  bei 
Neuritis  alkoholische  Getränke  streng 
zu  vermeiden  sind,  da  Alkohol  ein 
Nervengift  ist. 

Wegen  vorgerückter  Zeit  wird  der 
Vortrag  des  Herrn  Dr.  R  e  m  b  e  ver- 
tagt. 

Sitzung  vom  4.  April  1907. 
Vorsitzender :  Dr.  Herzog. 
Programm. 

1)  Dr.  R  e  m  b  e  :  Ueber  Nasenblu- 
ten. 

2)  Dr.  Z  i  m  m  e  r  m  a  n  n  :  Ueber 
moderne  Wundbehandlung. 

3)  Geschäftliches. 

Dr.  Holinger  eröffnet  die  Dis- 
kussion zu  Dr.  Remb  e's  Vortrag. 

Es  dürfen  von  den  praktischen  Aerz- 
ten  keine  technischen  Erfahrungen  in 
den  verschiedenen,  oft  komplizierten 
Blutstillungs-  und  Untersuchungsme- 
thoden verlangt  werden,  die  er  nicht 
haben  kann.  Einfach  ist  es  aber,  die 
Nasenspitze  aufzuheben,  um  am  vor- 
deren Ende  des  Septums  die  blutende 
Stelle  zu  sehen  und  zu  behandeln.  Dr. 
H.  spricht  sich  ebenfalls  gegen  die 
Verwendung  von  Eisenchloridlösung, 
wenn  auch  mit  einer  Einschränkung, 
aus :  Die  sonst  unerwünschte  ver- 
schonende Wirkung  des  Eisenchlo- 
rides ist  dort  angebracht,  wo  es  sich 
um  die  Behandlung  ektatischer  Venen 
handelt ;  auch  Trichloressigsäure  ist 
hier  verwendbar.  Der  Staub  und 
Schmutz  in  den  Städten  spielt  eine  sehr 
wichtige  ätiologische  Rolle  in  der  Er- 
zeugung des  Nasenblutens,  bedingt 
durch  eine  Rhinitis  anterior,  die  hier  in 
Chicago  namentlich  sozusagen  epide- 
misch ist.    Die  Epidermis  überwuchert 


220 


New   Yorker   Medizinische  Monatsschrift. 


die  Schleimhaut,  eine  Metaplasie  ist 
die  Folge  des  chronischen  Reizes,  der 
mit  beständigem  Bohren  und  Entfer- 
nen der  Krusten  aus  dem  Vestibulum 
verknüpft  ist.  Ein  einfacher  Tampon 
auf  die  blutende  Stelle  hier  appliziert, 
genügt  zur  Blutstillung.  Zur  Verhin- 
derung neuer  Krustenbildungen  dient 
eine  Salbe,  z.  B.  Lanolin  mit  etwas 
gelbem  Quecksilberoxyd  und  einigen 
Tropfen  Perubalsam,  der  den  Zweck 
hat,  die  Salbe  besser  klebend  zu  ma- 
chen. 

Dr.  V  a  h  1 1  e  i  c  h  verwirft  alle  Ei- 
sensalze, inklusiv  das  von  Dr.  Re  m  b  e 
empfohlene  Ferropyrin,  mit  Rücksicht 
auf  die  nekrotisierende,  koagulierende 
Wirkung  derselben  auf  das  Schleim- 
hautepithel. Nach  Abstossung  des 
Schorfes  entsteht  eine  entblösste  Stelle, 
welche  ulzerieren  kann.  Bei  arteriel- 
len Blutungen  wirken  sowohl  Eisen- 
salze als  auch  Wasserstoffsuperoxyd, 
das  von  Dr.  R  e  m  b  e  so  warm  em- 
pfohlen wird,  unsicher,  und  man  kann 
den  Patienten  nicht  mit  ruhigem  Ge- 
wissen fortgehen  lassen.  Sicher  wirkt 
nur  die  Tamponade.  Ausgezeichnet, 
wenn  auch  etwas  kompliziert,  ist  die 
von  F  e  e  r  beschriebene  „schichtweise 
Tamponade"  mittels  schmaler  Lint- 
streifen,  die  mit  Bismut  imprägniert 
sind  ;  das  letztere  verhindert  das  Fau- 
len, sodass  man  diese  Tampons  sechs 
Tage  liegen  lassen  kann. 

Dr.  E.  Ries  bemerkt,  dass  die 
Lehre  von  den  vikariierenden  Nasen- 
blutungen unrichtig  sei ;  er  wenigstens 
habe  trotz  18  bis  20jähriger  gynäko- 
logischer Erfahrung  noch  niemals  ei- 
nen solchen  Fall  gesehen,  auch  nicht 
nach  Entfernung  des  Uterus  mit  Zu- 
rückbleiben der  Ovarien.  Schwellun- 
gen der  Nasenschleimhaut  können  na- 
türlich zur  Zeit  der  Menstruation  ge- 
legentlich Blutungen  hervorrufen,  doch 
sind  diese  unregelmässig,  während  vi- 
kariierendes Nasenbluten  regelmässig 
wiederkehren  müsste. 

Dr.  Carl  Beck:  Die  schichtweise 
Packung  wird  in  den  verschiedensten 
Körperhöhlen  verwendet,  ist  sehr  wir- 
kungsvoll, hat  aber  den  Nachteil,  dass 
die  Entfernung  der  Streifen  manchmal 
sehr  schwierig  ist.  Besser  ist  die  Ver- 
wendung eines  einzigen  langen  Strei- 


fens, der  in  der  Mitte  mit  einem  Faden 
armiert  ist,  längs  des  Fadens  kann  der 
Streifen  leichter  sowohl  eingeführt  als 
auch  herausbefördert  werden.  Der  Fa- 
den hat  einfach  den  Zweck,  eine  Ver- 
wicklung des  Streifens  zu  verhindern. 

Dr.  Zimmermann  weist  auf  die 
grossen  Schwierigkeiten  der  Blutstil- 
lung bei  Haemophilie  hin. 

Dr.  Decker:  Nasenblutungen  sind 
im  allgemeinen  leicht  und  nach  den 
\  erschiedenen,  hier  erwähnten  Metho- 
den zu  stillen;  doch  kommt  es  dem 
praktischen  Arzt  hauptsächlich  um  die 
Anwendung  der  einfachsten  Mittel  an. 
Die  Applikation  von  Gelatine  mittels 
Wasser  habe  ihm  gute  Dienste  geleistet. 

Dr.  C  r  o  f  t  a  n  :  Es  gibt  Nasenblut- 
ungen, die  man  nicht  stillen  soll,  weil 
sie  ähnlich  einer  Venaesektion  erleich- 
ternd wirken  ;  z.  B.  bei  Herzfehlern,  bei 
drohender  Apoplexie.  Die  Möglichkeit 
einer  vikariierenden  Nasenblutung  ist 
doch  nicht  so  absolut  von  der  Hand  zu 
weisen. 

Dass  Wasserstoffsuperoxyd,  das  von 
Dr.  Rerabe  so  warm  empfohlen 
wurde,  ein  ausgezeichnetes  Haemosta- 
tikum  ist,  habe  er  an  sich  selbst  erfah- 
ren, nachdem  die  verschiedensten  Mit- 
tel gegen  eine  acht  Tage  lang  wäh- 
rende arterielle  Blutung  aus  einer 
kleinen  Exulzeration  am  Xasenseptum 
vergeblich  angewendet  worden  waren. 

Dr.  Rerabe  (Schlusswort)  :  Eisen- 
chlorid ist  nachteilig,  wenn  die  Blutung 
nicht  sofort  steht,  da  sich  viele  Koa- 
gula  bilden,  deren  schwierige  Entfern- 
ung wieder  eine  Blutung  anfachen 
kann.  Die  ,, schichtenweise  Tampo- 
nade" hat  den  Nachteil,  dass  sie  zu  um- 
ständlich ist,  von  Seiten  des  Praktikers 
viel  Geschicklichkeit  und  eine  gute  Be- 
leuchtung erfordert.  Die  Anwendung 
des  Wasserstoffperoxydes  hingegen  ist 
höchst  einfach  und  kann  sozusagen  im 
Dunkeln  geschehen. 

Bei  der  Verwendung  von  Gelatine  in 
loco  ist  die  Möglichkeit  einer  Tetanus- 
infektion im  Auge  zu  behalten.  Gela- 
tine wirkt  auch  innerlich  genommen 
und  wäre  neben  Adrenalin  intern  viel- 
leicht bei  Nasenblutungen  Haemophi- 
ler zu  versuchen. 

Hierauf  hält  Dr.  Zimmermann 
seinen  ausführlichen  Vortrag. 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


221 


Dr.  Saurenhaus  eröffnet  die  Dis- 
kussion. 

Seit  20  Jahren  bediene  er  sich  nur 
des  Katguts,  das  zur  Verhinderung  von 
Nekrose  immer  nur  leicht  geknüpft 
werden  soll.  Dieser  technische  Punkt 
ist  sehr  wichtig.  Die  Asepsis  bei  Ope- 
rationen ist  schwierig  zu  beachten, 
wenn  mehrere  Personen  (Assistenten, 
Wärterinnen  etc.)  beteiligt  sind;  je 
grösser  die  Anzahl  der  beteiligten  Hände 
umsogrösser  die  Wahrscheinlichkeit  von 
kleinen  Verstössen  gegen  die  Asepsis 
mit  bisweilen  schweren  Folgen.  Dr. 
S.  konnte  als  unbeteiligter  Zuschauer 
bei  Operationen  fast  immer  derartige 
Fehler  beobachten.  Besonders  nach 
Assistentenwechsel  häufen  sich  die  Un- 
regelmässigkeiten. 

Dr.  Carl  Beck  betont  die  Wich- 
tigkeit der  sich  gleichbleibenden  As- 
sistenz zur  Wahrung  der  Asepsis  und 
die  Notwendigkeit  der  Trennung  der 
„septischen"  von  „aseptischen"  Assis- 
tenten und  Operationslokalen.  Das 
grobe  Operieren  soll  so  viel  wie  mög- 
lich vermieden  werden ;  namentlich 
das  Zerreissen  der  Gewebe  mittels 
Hand  oder  Gazebausch,  da  so  nekroti- 
sche Fetzen  geschaffen  werden,  die  für 
die  primäre  Wundheilung  nicht  gleich- 
giltig  sind.  Auch  eine  exakte  Blutstil- 
lung, Vernähung  eines  nicht  mehr  blu- 
tenden Gewebes  nach  Versorgung  auch 
kleinster  Gefässe  ist  bedeutungsvoll, 
denn  Räume  mit  Blutansammlung  ge- 
ben Keimen  Gelegenheit  zur  Entwick- 
lung. Das  Ligieren  von  grösseren 
Bündeln  muss  soviel  wie  möglich  ver- 
mieden werden,  vielmehr  soll  nur  das 
Gefäss  unterbunden  und  die  Zahl  der 
Nähte  und  Knoten  möglichst  be- 
schränkt werden.  Bei  infektiösen  Ope- 
rationen sind  Gummihandschuhe  zu 
verwenden,  um  die  Hände  vor  Infek- 
tion zu  schützen. 

Dr.  Doepfner  macht  einige  his- 
torische Bemerkungen  und  weist  da- 
rauf hin,  dass  die  offene  Wundbehand- 
lung bereits  vor  der  Antiseptik  ent- 
wickelt war ;  erst  nach  dem  bakteriolo- 
gischen Unwesen  kam  die  vergessene 
offene  Wundbehandlung  wieder  in  den 
Vordergrund.  Wunden  nach  Unfälle 
oder  solche,  die  von  uns  gesetzt  wer- 
den mit  nicht  sicherer  Asepsis,  sollen 


offen  bleiben,  bis  die  Asepsis  evident 
ist,  und  mögen  dann  sekundär  genäht 
werden.  War  die  Wunde  nicht  asep- 
tisch, dann  ist  der  Verlauf  derselben 
bei  der  offenen  Behandlung  leichter  zu 
beherrschen.  Bei  Unfallswunden  und 
unsicheren  chirurgischen  Wunden  soll 
man  ja  nicht  zu  viel  nähen.  Auch  das 
Anlegen  von  zu  kleinen  Schnitten  bei 
Infektionen  ist  ein  falsches  Prinzip. 

Dr.  E.  Ries  kritisiert  die  hier  in 
Amerika  vielfach  geübte  Anwendung 
von  starken  Antiseptizis  bei  Unfalls- 
wunden, besonders  auch  bei  den  leich- 
testen Verletzungen  und  berichtet  ei- 
nen Fall,  wo  durch  den  Gebrauch  von 
starken  Antiseptizis  ausgedehnte  Ent- 
zündungen der  Haut  hervorgerufen 
worden  sind.  Solche  Wunden  werden 
durch  reizende  Mittel  wie  Karbolsäure 
in  der  Heilung  gestört ;  oberflächliche, 
vielleicht  auch  tiefere  Gangrän  (Ne- 
krose) kann  unter  solchen  Umständen 
Platz  greifen.  Bergmann  zeigte, 
dass  akzidentelle  Wunden  bei  einfach 
aseptischer  Behandlung  rascher  heilen 
als  bei  antiseptischer.  Ueber  den  Mi- 
kroorganismen darf  man  nicht  den  Ma- 
kroorganismus  mit  seiner  Wider- 
standskraft vergessen,  für  deren  Mass- 
stab wir  vorläufig  kein  Mittel  besitzen. 
Ob  der  Opsoninindex  hiezu  dienen 
kann,  wird  die  Zukunft  erst  zeigen. 
Herr  Dr.  Z  i  m  m  e  r  m  a  n  n  ist  zu  be- 
glückwünschen zu  der  reichen  Gele- 
genheit, die  sich  ihm  geboten  hatte,  mit 
Chirurgen  vieler  Länder  und  Nationen 
bekannt  zu  werden  ;  darum  freue  uns 
die  Anerkennung,  welche  Dr.  Z  i  m- 
m  e  r  m  a  n  n  den  Amerikanern  zollt, 
umsomehr. 

Dr.  Holinger:  Bei  Ohren-  und 
Nasenwunden  liegen  besondere  Ver- 
hältnisse vor;  jene  sind  stets  septisch. 
Dr.  H.  sieht  vollständig  von  vorberei- 
tenden Desinfizierungen  der  Nase  oder 
des  Rachens  vor  operativen  Eingriffen 
ab ;  trotzdem  kommt  Heilung  bereits 
nach  3  bis  4  Tagen  zu  Wege. 

Dr.  R  i  e  b  e  1 :  Die  Vorbereitung  der 
Haut  vor  Operationen  soll  nach  ein- 
fachen Prinzipien  geschehen  ;  die  Haut 
soll  nicht  durch  die  Anwendung  von 
zu  starken  Antiseptizis  angegriffen 
werden.  Katgut  ist,  da  es  aus  Darm 
fabriziert  wird,  oft  sehr  unrein ;  Naht- 


222 


New    Yorker   Medizinische  Monatsschrift. 


material,  das  aus  dem  Ligamentum 
nuchae  der  Walrosse  verfertigt  wird, 
(S  e  n  n)  verdiene  wegen  seiner  Rein- 
lichkeit und  grösseren  Haltharkeit  den 
Vorzug. 

Dr.  Doepfner  weist  noch  einmal 
darauf  hin,  dass  es  eine  Illusion  ist, 
septische  Wunden  mit  Antiseptizis  zu 
behandeln  ;  letztere  wirken  höchstens 
deodorisierend. 

Dr.  Alfred  Schirmer  spricht 
über  seine  guten  Erfahrungen  mit  Kol- 
largol  bei  der  Behandlung  von  akziden- 
tellen Wunden,  im  speziellen  der  Kopf- 
wunden.   Kollargol  habe  den    Vorzug,  | 


dass  es  bei  starker  antiseptischer  Wir- 
kung keine  Reizung  der  Gewebe  her- 
vorrufe. 

Dr.  Zimmer  m  a  n  n  dankt  im 
Schlusswort  für  die  Ergänzungen  in 
der  Diskussion. 

Geschäftliches:  Es  wird  beschlossen, 
im  Sinne  eines  Antrages  des  Herrn  Dr. 
Ries,  dem  „Vereine  alter  deutschen 
Studenten  in  New  York"  unsere  Sym- 
pathie mit  dessen  Bestrebungen,  liier 
in  Chicago  einen  Zweigverein  zu  be- 
gründen, auszudrücken. 

Dr.  Aug.  Strauch, 

Schriftführer. 


Therapeutische  und  klinische  Notizen. 


—  Die  Prophylaxe  der  venerischen  Krank- 
heiten und  insbesondere  der  Gonorrhoe  ist 
im  Verlaufe  der  letzten  10  Jahre  zu  einem  viel 
und  öffentlich  besprochenen  Thema  geworden. 
Das  Haupt  verdienst  daran  hat  die  „Deutsche 
Gesellschaft  zur  Bekämpfung  der  Geschlechts- 
krankheiten". In  Deutschland  wurde  die 
,,Autoprophylaxe"  in  einer  ganzen  Anzahl  von 
Mitteilungen  besprochen ;  spezielle  Apparate 
zur  Verhütung  der  gonorrhoischen  Infektion 
werden  unter  immer  neuen  Namen  empfohlen  ; 
so  hat  u.  a.  B  1  o  k  u  s  e  w  s  k  i  bereits  im  Jahre 
1899  einen  Taschentropfapparat,  mit  2  proz. 
Protargollösung  gefüllt,  zu  diesem  Zwecke  in 
den  Handel  gebracht  und  einige  Jahre  spate: 
seine  Apparate  „Samariter"  und  „Sanitas" 
konstruiert.  Allein  das  trifft  alles  nur  für 
europäische  Länder  zu ;  hier  in  Amerika 
durfte  von  derartigen  Dingen  beileibe  nicht 
die  Rede  sein,  sonst  hätte  man  sich  ja  dem 
Vorwurfe  ausgesetzt,  durch  diese  prophylak- 
tische Mittel  die  Unmoral  zu  fördern.  Bei 
einer  in  der  Deutschen  medizinischen  Gesell- 
schaft der  Stadt  New  York  im  Jahre  1903 
stattgefundenen  Diskussion  über  die  Abortiv- 
behandlung  der  Gonorrhoe  machte  Dr.  L. 
Weiss  die  Mitteilung,  dass  er,  von  dem  Ge- 
danken ausgehend,  dass  die  Prophylaxe  vor 
die  Abortivbehandlung  zu  setzen  sei,  schon 
früher  einige  dieser  Präservativfläschchen  aus 
Deutschland  herübergebracht  habe,  dass  aber 
einige  amerikanische  Kollegen  augenverdreh- 


end dazu  bemerkten  :  „We  don't  want  German 
morals  here".  Dabei  geht  aber,  wie  Dr. 
Weiss  hinzufügt,  die  Durchseuchung  mit 
venerischen  Krankheiten  flott  weiter,  und. 
würde  die  individuelle  Prophylaxis  häufiger 
geübt,  so  wäre  die  Abortivkur  überflüssig. 
Dies  wäre  nur  möglich,  wenn  augenver- 
dreherischer  Utopismus  sich  weniger  breit 
machen  würde. 

Im  Laufe  der  letzten  Jahre  ist  aber  dennoch 
ein  Umschwung  in  diesen  Anschauungen  hier- 
zulande eingetreten  und  eine  einheimische 
Firma  hat  es  unternommen,  den  bisherigen 
Vorurteilen  zum  Trotz  und  unbeirrt  von  dem 
Gekläffe  der  muckerischen  Meute  einen  den 
in  Deutschland  gebräuchlichen  ähnlichen  Ap- 
parat herzustellen  und  auf  den  Markt  zu 
bringen.  Es  ist  dies  die  „Preventol  Chemical 
Company"  und  das  kleine  Fläschchen,  das  von 
dieser  Gesellschaft  fabriziert  wird,  heisst  „The 
Preventol  Tube".  Der  Inhalt  des  Fläsch- 
chen besteht  aus  einer  2  proz.  Protargolmisch- 
ung  mit  Gelatine,  welcher  noch  einige  Anti- 
septika (Eukalyptol  und  ätherische  Oele)  bei- 
gegeben sind.  Aerzten  gegenüber  ist  es  über- 
flüssig, den  Wert  eines  derartigen  Prophylak- 
tikums  hervorzuheben.  Es  möge  nur  noch 
hinzugefügt  werden,  dass  der  kleine  Apparat 
in  nur  ethischer  Weise  vertrieben  wird,  d.  h. 
die  Firma  wendet  sich  nur  an  die  Aerzte  mit 
demselben  und  inseriert  nicht  in  Tageszeitun- 
gen. 


JVTecUzimscbe  ]VIonat88cbnft 

Offizielles  Organ  der 

Deutzen  mcdizinifcbcti  Gcfell[chaften  der  Städte  Hcw  y»rR, 
Chicago,  €lcveland  und  San  Trancisco. 

Redigiert  von  Dr.  A.  Ripperger. 

Bd.  XIX.  New  York,  November,  1907.  No.  8. 

Originalarbeiten. 


Schilddrüse,  Epithelkörper  und 

Von  S.  J. 

Die  höfliche  Einladung  des  Herrn 
Präsidenten  lautete  :  Ueber  die  Physiolo- 
gie der  B  a  s  e  d  o  w'schen  Krankheit  zu 
sprechen.  Eine  fertige  Physiologie  oder 
auch  Pathotlogie  des  Basedow  gibt  es 
auch  heute  noch  nicht ;  Alles  ist  noch  im 
Gähren,  im  Werden  begriffen.  Ich 
konnte  höchstens  den  gegenwärtigen 
Stand  dieser  Gährprozesse  besprechen 
und  auch  den  zurückgelegten  Weg  kurz 
skizzieren. 

Eine  Physiologie  des  Basedow  meint 
heut  zu  Tage  eine  Physiologie  der 
Schilddrüse.  Ich  sage  „heut  zu  Tage" ; 
denn  die  Erkenntnis  von  der  engen  Be- 
ziehung dieser  Drüse  zu  der  Base- 
d  o  w'schen  Krankheit  ist  nur  kurzen 
Datums.  Es  ist  eine  überraschende,  und 
von  einem  gewissen  Gesichtspunkte  aus 
auch  instruktive,  Tatsache,  dass  für  fast 
ein  halbes  Jahrhundert  gar  nicht  daran 
gedacht  wurde,  in  dem  pathologischen 
Zustande  der  Thyreoidea  die  eigentliche 
Ursache  dieser  Erkrankung  zu  suchen. 
Dabei  stand  der  betreffende  Zeitabschnitt 


*)  Vortrag,  gehalten  in  der  Deutschen 
Medizinischen  Gesellschaft  der  Stadt  New 
York  am  14.  November  1907. 


die  Basedow'sche  Krankheit.* 

Meltzer. 

in  der  medizinischen  Geschichte  doch 
vorwiegend  unter  dem  Zeichen  der  pa- 
thologischen Anatomie,  und  der  patho- 
logische Zustand  der  Schilddrüse  beim 
Basedow  ist  doch  gewiss  eine  grob 
anatomische  Veränderung.  Freilich 
konnte  man  bei  dieser  Krankheit  keine 
besondere  postmortale  pathologische 
Anatomie  konstatieren,  Alles,  was  da 
pathologisch  ist  und  primär  zur  Krank- 
heit gehört,  sieht  schon  der  behandelnde 
Arzt.  Vielleicht  darum  haben  die  patho- 
logischen Anatomen  im  allgemeinen  sich 
um  die  B  a  s  e  d  o  w'sche  Krankheit  nie 
recht  gekümmert ;  das  Forschen  und  Ar- 
gumentieren auf  diesem  Gebiete  wurde 
wesentlich  von  den  Klinikern  fortge- 
führt. Ein  weiterer  Erklärungsgrund 
liegt  vielleicht  in  der  Tatsache,  dass  man 
bald  Fälle  von  Basedow  sah,  bei  denen 
eigentlich  kein  Kropf  konstatiert  wer- 
den konnte,  andererseits  viele  Kropf- 
fälle vorhanden  sind,  die  keine  der  an- 
deren Symptome  der  B  a  s  e  d  ow'schen 
Krankheit  aufweisen. 

Als  Basedow  seine  erste  Darstel- 
lung der  nach  ihm  benannten  Krankheit 
gab,  da  herrschte  in  der  medizinischen 
Literatur  der  verschwommene  Geist  der 


224 


New   Yorker  Medizi 


nische  Monatsschrift. 


Krasenlehre,  welche  von  Rokitansky 
ersonnen  wurde,  um  die  grossen  Lücken 
der  pathologischen  Anatomie  zu  über- 
brücken.  Im  Sinne  dieser  Lehre  nahm 
Basedow  an,  dass  eine  schlechte  Säf- 
temischung  die  in  Rede  stellende  Krank- 
heit verursacht,  Wer  da  will,  der  darf 
behaupten,  dass  diese  Auffassung  nicht 
weit  weg  ist  von  den  gegenwärtigen 
herrschenden  Theorien.  In  der  darauf 
folgenden  Epoche,  als  durch  das  Ein- 
greifen V  i  r  c  h  o  w's  der  Herrschaft  der 
Humoralpathologie  ein  Ende  bereitet 
wurde,  da  entstanden  nacheinander  eine 
ganze  Schar  von  Theorien,  deren 
grösste  Mehrzahl  den  Basedow  in  der 
einen  oder  anderen  Weise  durch  Störun- 
gen im  Nervensystem  entstehen  liesen. 
Der  früher  so  mysteriös  erscheinende 
Sympathikus  und  der  wenig  durchsich- 
tige Begriff  der  Neurosen  spielen  eine 
beträchtliche  Rolle  in  diesen  Theorien. 
Ich  werde  natürlich  auf  eine  Diskussion 
dieser  Theorien  hier  nicht  näher  ein- 
gehen. Aber  ich  will  doch  bemerken, 
dass  manche  dieser  Theorien  gar  nicht 
so  weit  weg  hinter  uns  liegen.  Finden 
wir  doch  noch  in  A  1 1  b  u  t  t's  grossem 
Handbuch  den  Hinweis  auf  die  grosse 
Aehnlichkeit  des  Basedow  mit  Angst - 
zuständen  und  die  bestimmte  Angabe, 
dass  der  pathologische  Zustand  der 
Schilddrüse  nicht  das  primäre  sein  kann. 
Und  es  ist  doch  wohl  noch  in  aller  Ge- 
dächtnis, dass  hüben  und  drüben  zur 
Heilung  des  Basedow  der  Halssympathi- 
kus oder  das  obere  Halsganglion  rezesiert 
wurde.  In  manchen  dieser  Theorien 
freilich  spielte  auch  die  vergrösserte 
Schilddrüse  eine  Rolle  aber  nur  dadurch, 
dass  sie  durch  ihre  Grösse  die  wichtigen 
Halsnerven  drückt  und  so  entweder  Reiz- 
ungs-  oder  Lähmungserscheinungen  oder 
gar  beides  bewirkt.  Von  einer  Beteilig- 
ung dieser  Drüse  am  Krankheitsprozess 
durch  ihre  Tätigkeit  war  nirgends  die 
Rede.  Wusste  doch  niemand  welcher 
Tätigkeit  diese  Drüse  fähig  wäre.  Nun 
darin  kam  wie  mit  einem  Schlage  neues 
Licht.  Die  denkwürdige  kurze  Epoche 
in  den  achtziger  Jahren  des  letzten  Jahr- 


hunderts dürfte  noch  manchem  von 
Ihnen  hier  lebhaft  in  Erinnerung  sein. 

Theodor  Koc  h  e  r  berichtete 
1 8<S3  auf  dem  Chirurgen- Kon^ress  in 
Berlin  über  die  merkwürdigen  Veränder- 
ungen, welche  die  Patienten  darboten,  an 
denen  die  totale  Exstirpation  der  Schild- 
drüse ausgeführt  wurde.  Eine  ähnliche 
Mitteilung  wurde  bald  auch  von  A.  R  e- 
v  c  r  d  i  n  in  Genf  gemacht.  Dann  stellte 
es  sich  bald  heraus,  dass  diese  Veränder- 
ung denjenigen  ähnlich  waren,  welche  ei- 
nige Jahre  vorher  Gull  an  einigen  Pa- 
tienten beobachtet  hatte.  Eine  solche 
Patientin  kam  zur  Autopsie  und  Ord 
konstatierte  den  Mangel  einer  Schild- 
drüse. Nun  hatte  Schiff  bereits  vor- 
her Angaben  über  die  Bedeutung  dieses 
ürganes  für  das  Leben  der  Tiere  ge- 
macht ;  seine  Angaben  sind  aber  unbe- 
achtet geblieben.  Jetzt  nun  wurden  sie 
von  verschiedenen  Seiten  geprüft  und 
allgemein  bestätigt  gefunden.  Die  Schild- 
drüse war  also  ein  lebenwichtiges  Organ 
und  die  am  Tiere  beobachteten  Ausfalls- 
erscheinungen waren  zum  Teil  denen 
ähnlich,  wie  sie  beim  Myxoedem  und  der 
menschlichen  Cachexia  strumipriva  be- 
obachtet wurden.  Schiff  zeigte  auch 
bald,  dass  durch  eine  peritoneale  Implan- 
tation einer  Schilddrüse  die  Ausfallser- 
scheinungen beim  Tiere  zum  Verschwin- 
den gebracht  werden  können.  Diese  Be- 
obachtung führte  bald  durch  einige  Zwi- 
schenstufen zu  der  praktisch  hoch  be- 
deutsamen Entdeckung  von  Murray, 
dass  auch  am  Menschen  durch  Verfütter- 
ung  von  Schilddrüsen  oder  deren  Ex- 
trakte die  Symptome  des  spontanen  und 
des  chirurgischen  Myxoedems  beseitigt 
werden  können.  Anfangs  der  Neunziger 
Jahren  war  nun  das  ganze  neue  Kapitel 
zunächst  abgeschlossen.  Die  Schilddrüse 
hatte  nun  eine  Physiologie,  eine  Patholo- 
gie, und  die  letztere  sogar  auch  schon 
eine  Therapie.  Die  Drüse  versorgt  den 
Körper  mit  einem  lebenswichtigen  Saft, 
bei  dessen  vollständiger  Abwesenheit  jene 
auffälligen  Symptome  entstehen,  wie  man 
sie  nun  in  den  folgenden  fünf  verschie- 
denen Zuständen  kennen  gelernt  hat :  Das 


New    Yorker    Medizinische  Monatsschrift. 


225 


Myxoedem  des  Erwachsenen,  das  infan- 
tile Myxoedem.  der  Kretinismus,  die 
chirurgische  und  die  experimentelle 
Cachexia  strumipriva.  Zn  diesen  For- 
men der  kompletten  Athvreosis  dürfen 
noch  jene  inkompletten  Formen  zugefügt 
werden,  welche  nur  Folgen  einer  Hyp- 
thyreosis  variablen  Grades  sind;  es  sind 
dies  die  mitigierten  Formen,  auf  deren 
Vorkommen  Hertoghe  besonders 
aufmerksam  gemacht  hat,  und  die  For- 
men einseitiger  Symptome,  welche  von 
Kocher  als  thyreoprive  Aequivalente 
bezeichnet  werden. 

Und  nun  kommen  wir  zu  den  Bezieh- 
ungen der  Schilddrüse  zum  Basedow. 
Bald  nach  dem  Bekanntwerden  des  ope- 
rativen Myxoedems  haben  wohl  viele  an 
der  Möglichkeit  einer  solchen  Beziehung 
gedacht.  Es  war  jedoch  Moebius, 
der  bereits  1886  auf  die  wichtige  Tat- 
sache hinwies,  dass  die  meisten  Symp- 
tome der  B  a  s  e  d  o  w'schen  Krankheit 
das  gerade  Gegenteil  von  den  Sympto- 
men darstellen,  die  beim  Myxoedem  vor- 
kommen, und  obenan  steht  der  Gegen- 
satz, hier  das  Fehlen  einer  Schilddrüse, 
dort  das  Vorhandensein  einer  hypertro- 
phischen Drüse.  Moebius  stellte  nun 
die  Hypothese  auf,  dass  die  Erkrankung 
der  Schilddrüse  die  primäre  Ursache  im 
Symptomenkomplex  des  Basedow  sei ; 
der  Ueberschuss  an  Schilddrüsensaft,  der 
Hvperthyreoidismus,  veranlasse  all  diese 
Symptome.  Diese  Hypothese  wurde  an- 
fangs der  Neunziger  Jahre  durch 
zwei  weitere  Tatsachen  gestützt.  Er- 
stens wurde  inzwischen  durch  unlieb- 
same Erfahrungen  festgestellt,  dass 
durch  die  Verabreichung  von  zu 
viel  Schilddrüse  Symptome  entstehen, 
welche  in  vieler  Hinsicht  denen  des  Ba- 
sedow sehr  ähnlich  sind.  Dann  berichte- 
ten mehrere  Chirurgen,  dass  bei  einer 
teilweisen  Entfernung  des  Basedowkrop- 
fes viele  der  Krankheitssymptome  we- 
sentlich zurückgingen.  Die  thyreogene 
Theorie  des  Basedow,  wie  man  jetzt 
die  M  o  e  b  i  11  s'sche  Hypothese  nennt, 
stand  nunmehr  im  Vordergrund  der  Dis- 
kussion. 


In  den  folgenden  Jahren  wurde  viel 
über  die  Funktion  der  Schilddrüse  und 
über  deren  Beziehung  zum  Basedow 
gearbeitet.  Mehr  oder  weniger  wichtige 
Tatsachen  sind  zu  Tage  gefördert  wor- 
den. Manche  Arbeiten  freilich  haben 
nichts  weniger  als  zur  Klärung  der  Pro- 
bleme beigetragen.  An  der  Spitze  der 
neugewonnenen  Erkenntnisse  darf  aber 
ein  Resultat  hingestellt  werden,  das  an 
Wichtigkeit  und  Tragweite  der  Grund- 
erkenntnis von  der  Funktion  der  Schild- 
drüse nicht  nachkommt  und  in  einer  Be- 
ziehung diese  noch  übertrifft,  indem 
nämlich  nicht  nur  eine  neue  Funktion 
eines  Organes  erkannt  wurde,  sondern 
vielmehr  das  Organ  selbst  musste  erst 
entdeckt  werden.  Dabei  wurde  helles 
Licht  auf  manche  Widersprüche  gewor- 
fen, welche  in  der  experimentellen  wie  in 
der  chirurgischen  Beobachtung  über  die 
Exstirpation  der  Schilddrüse  zu  Tage 
traten.  Es  hatte  damit  folgendes  Be- 
wandtnis. Zunächst  haben  die  Chirurgen 
manchmal  ein  auffälliges  Symptom  kon- 
statieren müssen,  das  beim  spontanen 
Myxoedem  nie  gesehen  wurde,  nämlich 
Tetanie.  Dann  hatte  die  Uebereinstim- 
mung  zwischen  den  Beobachtungen  an 
Tieren  und  an  Menschen  viel  zu  wün- 
schen übrig  gelassen.  Das  Eklatanste 
am  Tierexperimente  war  noch  das,  dass 
die  Tiere  eine  totalen  Exstirpation  der 
Schilddrüsen  meistens  nicht  lange  über- 
leben konnten.  Freilich  war  auch  das 
nicht  immer  der  Fall  und  namentlich 
nicht  bei  allen  Tierspezies.  Aber  das 
könnte  man  noch  durch  Vorhandensein 
von  akzessorischen  Schilddrüsen  oder 
durch  das  Zurücklassen  von  Drüsenres- 
ten und  Hypertrophierung  derselben  er- 
klären. Unliebsam  störend  waren  jedoch 
die  Tatsachen,  dass  man  bei  den  Tieren 
fast  nie  Symptome  von  Myxoedem  er- 
zielen konnte,  und  was  man  da  nach  der 
Drüsenexstirpation  sah,  war  wiederum 
hauptsächlich  Tetanie.  Man  versuchte 
den  Widerspruch  durch  die  Verschieden- 
heit der  Nahrung  oder  der  Tierspezies 
u.  s.  w.  zu  erklären.  Befriedigend  waren 
diese  Erklärungen  nicht.    Und  nun  ent- 


226 


New  Yorker  Medizin 


ische  Monatsschrift. 


wickelte  sich  nebenher  eine  neue  Er- 
kenntnis. Sandstroem  hatte  1880 
zum  ersten  Male  die  Existenz  von  ganz 
kleinen  Körperchen  an  der  hinteren 
Fläche  der  Schilddrüse  beschrieben,  wel- 
che er  als  Nebenschilddrüsen  benannte. 
Für  längere  Zeit  wurde  deren  Zugehörig- 
keit zur  Schilddrüse  als  selbstverständ- 
lich angenommen,  und  manche  betrach- 
teten sie  als  embryonales  Schilddrüsen- 
gewebe. G  1  e  y  kam  nun  1891  auf  den 
Gedanken,  dass  die  nach  Entfernung  der 
Schilddrüsen  beobachteten  Tetanien  in 
irgend  einer  Weise  mit  diesen  Neben- 
schilddrüsen zusammenhängen.  Er  ent- 
fernte bei  Kaninchen  die  zwei  freilie- 
genden Nebenschilddrüsen  allein  oder  die 
Schilddrüsen  allein  und  sah  dabei  keine 
üblen  Folgen.  Dagegen  sah  er  Tetanie 
prompt  auftreten,  wenn  er  die  Schilddrü- 
sen und  Nebenschilddrüsen  zusammen 
gleichzeitig  entfernte.  G  1  e  y  nahm  an, 
dass  die  Nebenschilddrüse  kompensato- 
risch für  die  Schilddrüse  eintreten  könne. 
Alfred  Kohn,  der  bekannte  Prager 
Histologe.  hat  aber  durch  gründliche 
Studien  nachgewiesen,  dass  die  soge- 
nannten Nebenschilddrüsen  vollständig 
selbstständige  Organe  sind  und  weder 
histologisch  noch  embryologisch  etwas 
mit  der  Schilddrüse  zu  tun  haben.  Er 
nannte  sie  Epithelkörper.  Kohn  zeigte 
ferner,  dass  beim  Kaninchen  vier  solcher 
Epithelkörper  vorkommen,  von  denen 
zwei  in  der  Schilddrüse  eingebettet  lie- 
gen. G  1  e  y  hatte  darum  gar  keinen  sol- 
chen Versuch  gemacht,  in  welchem  alle 
Parathyreoideae  allein  entfernt  worden 
sind.  Solche  Versuche  haben  bald  Vas- 
sale und  Generali  ausgeführt  und 
haben  in  der  Tat  gefunden,  dass  bei  kom- 
pletter Entfernung  aller  Epithelkörper 
unter  Schonung  der  Thyreoidea  die 
Tiere  unter  reinen  Symptomen  der  Teta- 
nie zu  Grunde  gingen  ;  dagegen  zeigten 
Tiere,  denen  die  Schilddrüse  entfernt 
wurde  unter  Schonung  der  Epithelkörper 
keinerlei  Zeichen  von  Tetanie.  Weitere 
Versuche  von  anderen  Forschern,  na- 
mentlich die  kürzlich  mitgeteilten  Beob- 
achtungen und  Experimente  von  Pen- 


n  e  1  e  s  und  von  E  r  d  h  e  i  m  stellten  die 
Sache  über  allen  Zweifel  fest,  dass  Teta- 
nie eine  nur  den  Epithelkörpern  zuge- 
hörige Ausfallserscheinung  ist,  und  dass 
die  bei  Mensch  und  Tier  vorkommende 
Tetanie  nach  Entfernung  der  Schilddrüse 
durch  eine  unbeabsichtigte  Mitentfern- 
ung der  Epithelkörperchen  zu  stände 
kommen.  Des  weitern  ist  interessant  zu 
bemerken,  dass  bereits  1898  sowohl 
M  o  u  s  s  u  als  L  u  s  e  n  a  durch  intrave- 
nöse Einspritzungen  von  aus  Neben- 
schilddrüsen bereitetes  Extrakt  die  Teta- 
nie beseitigen  konnten.  P>  e  e  b  e  hier  hat 
im  laufenden  Jahre  Lösungen  aus  den 
Xukleoproteiden  dieser  Epithelkörper- 
chen hergestellt ;  er  konnte  damit  bei 
Hunden  die  tetanischen  Anfälle  minde- 
stens temporär  beseitigen ;  und  Hal- 
sted berichtete  kürzlich,  dass  diese  Nu- 
kleoproteine  auch  in  einem  Falle  von 
postoperativer  Tetanie  beim  Menschen 
gute  Dienste  leistete.  In  den  letzten  Ta- 
gen wurde  von  Leise  liner  in  Wien 
berichtet,  dass  es  ihm  gelungen  ist,  die 
Epithelkörperchen  mit  dauernder  Erhalt- 
ung ihrer  Funktionsfähigkeit  zu  trans- 
plantieren.  Damit  ist  der  Weg  ange- 
bahnt, die  parathyreoprive  Tetanie  dau- 
ernd zu  heilen. 

Somit  ist  unser  Wissen  durch  die  ex- 
perimentellen Arbeiten  der  letzten  Jah- 
ren wiederum  um  ein  neues  Kapitel  wun- 
dersam bereichert  worden.  Winzige 
Körperchen,  von  deren  Existenz  noch 
vor  drei  Dezennien  kein  Mensch  eine 
rechte  Ahnung  gehabt  zu  haben  scheint, 
wurden  als  lebenswichtige  Organe  er- 
kannt, deren  Entfernung  Tetanie  und 
Tod  im  Gefolge  hat.  Es  wurde  ferner 
nunmehr  erkannt,  dass  die  widerspre- 
chenden Resultate  der  früheren  Experi- 
mente und  Operationen  ihren  Grund  da- 
rin hatten,  dass  mit  der  Entfernung  der 
Schilddrüse  oft  gleichzeitig  die  Epithel- 
körperchen entfernt  oder  deren  Zirkula- 
tion geschädigt  wurde.  H  a  1  s  t  e  d  und 
Evans  haben  kürzlich  eine  sehr  sorg- 
fältige Studie  über  die  Gefässversorgung 
der  Epithelkörper  beim  Menschen  ver- 
i  öffentlicht.   Aus  dieser  Studie  kann  man 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


227 


ersehen,  wie  ungemein  schwierig  es  ist, 
bei  Kropfoperationen  die  Schädigung 
der  Zirkulation  dieser  Organe  zu  ver- 
meiden. Eine  genaue  Kenntnis  dieser 
Verhältnisse  wird  aber  auch  der  Base- 
dow-Therapie zu  gute  kommen. 

Wir  wollen  an  dieser  Stelle  auch  er- 
wähnen, dass  bei  Fällen  von  Basedow, 
die  zur  Autopsie  kamen,  von  G.  W.  M  c- 
C  a  1 1  u  m  und  anderen  die  Nebenschild- 
drüsen sich  als  normal  erwiesen  haben. 
Die  Epithelkörper  haben  demnach,  für 
gewöhnlich,  an  der  Entstehung  des  Base- 
dow wohl  keinen  wesentlichen  Anteil. 

Eine  weitere  wichtige  Gruppe  von  Tat- 
sachen von  bleibendem  Werte,  welche  die 
Untersuchungen  der  letzten  Jahren  zu 
Tage  gefördert  haben,  betrifft  die  Be- 
ziehung des  Jodes  zur  Schilddrüse  und 
und  deren  wirksames  Produkt.  Ich 
werde  die  bezüglichen  wesentlichen  Tat- 
sachen nur  ganz  kurz  erwähnen.  B  a  u- 
m  a  n  n  fand,  dass  die  normale  Drüse  jod- 
haltig ist.  Die  weiteren  Forschungen  er- 
gaben, dass  der  Jodgehalt  mit  der  Jod- 
aufnahme im  Körper  wächst.  —  Die 
Schilddrüsen  von  Neugeborenen  enthal- 
ten noch  kein  Jod.  —  Auch  die  Schild- 
drüse von  manchen  Tieren,  namentlich 
Raubtieren,  enthalten  kein  Jod.  —  Wird 
ein  Teil  einer  Schilddrüse  entfernt,  so 
wächst  der  Jodgehalt  des  zurückgebliebe- 
nen Teiles.  —  Das  Jod  ist  in  der  Drüse 
an  Globulin  gebunden.  —  Das  Jodothyrin, 
wie  man  die  Jodeiweiss-Verbindung  der 
Schilddrüse  früher  nannte,  ist  bei  Myx- 
oedem  wirksam ;  es  scheint  aber  doch, 
dass  Extrakte  der  ganzen  Drüsensub- 
stanz merklich  besser  wirksam  sind  als 
das  Jodothyrin.  —  Die  jodfreie  Substanz 
ist  nicht  wirksam.  —  Beim  Basedow  ist 
die  Schilddrüse  ärmer  an  Jod. 

Viele  der  beteiligten  Untersucher  sind 
geneigt,  die  Wirksamkeit  der  Drüse  we- 
sentlich der  darin  enthaltenen  Jodver- 
bindung zuzuschreiben.  Doch  ist  zu  be- 
denken, dass  auch  bei  Neugeborenen  und 
bei  Raubtieren  die  Schilddrüse  ein  le- 
benswichtiges Organ  ist.  Es  will  mir 
scheinen,  dass  der  konstatierte  Parallelis- 
mus   zwischen    der    Wirksamkeit  der 


Drüse  und  der  Quantität  des  anwesenden 
Jodes  nicht  zwingend  dafür  spricht,  dass 
die  Jodverbindung  das  wirksame  Prinzip 
ist.  Man  konnte  es  auch  so  deuten,  dass 
je  wirksamer  die  Drüsensubstanz  ist,  um 
so  grösser  ist  ihre  Fähigkeit,  Jod  aufzu- 
nehmen, und  zwar  geschieht  dies  als  eine 
Teilaufgabe  der  Schilddrüsenfunktion, 
den  Körper  von  gewissen  Giftstoffen  zu 
befreien.  Doch  werde  ich  hier  auf  eine 
weitere  Diskussion  dieses  Themas  nicht 
mehr  eingehen. 

Die  Stoffwechseluntersuchungen  haben 
die  Tatsachen  festgestellt,  dass  beim 
Basedow  die  Sauerstoffaufnahme  ver- 
mehrt und  die  Oxydation  verstärkt  ist, 
und  dass  mehr  stickstoffhaltige  Substan- 
zen verbraucht  werden.  Beim  Myxoe- 
dem  dagegen  walten  genau  die  entgegen- 
gesetzten Verhältnisse  ab. 

Aus  den  vielen  histologischen  Unter- 
suchungen ist  hervorzuheben,  dass  weit- 
aus die  meisten  Untersucher  für  den  Ba- 
sedowkropf spezifische  Vorgänge  konsta- 
tieren und  zwar  weist  alles  auf  eine 
Wachstumstätigkeit  hin.  Die  histologi- 
schen Bilder  sind  meistens  denen  ähnlich, 
welche  H  a  1  s  t  e  d  in  dem  zurückbleiben- 
den Teile  der  Drüse  nach  teilweiser  Ex- 
stirpation  beobachtet  und  beschrieben  hat 
und  welche  von  ihm  als  Ausdruck  einer 
kompensatorischen  Hypertrophie  gedeu- 
tet wurden.  Albert  Kocher  hat  sich 
jedoch  in  seinem  Vortrage  in  Atlantic 
City  dahin  ausgesprochen,  dass  diese  Bil- 
der nicht  spezifisch  für  den  Basedow  sind. 

Mit  der  grösseren  Zellwucherung  in- 
nerhalb der  hypertrophierenden  Schild- 
drüse hängt  wohl  auch  die  von  B  e  e  b  e 
gemachte  Beobachtung  zusammen,  dass 
der  Nukleoproteidgehalt  des  Base- 
d  o  w'schen  Kropfes  grösser  ist  als  der 
der  normalen  Schilddrüse. 

Ueber  den  Kolloidgehalt  des  Basedow- 
kropfes sind  die  Angaben  schwankend. 
Im  vorgeschrittenen  Stadium  scheint 
das  Kolloid  entweder  vermindert  oder, 
wenn  vermehrt,  viel  dünnflüssiger  zu 
sein. 

Alle  sind  darin  einig,  dass  die  erkrank- 
ten Stellen  der  Schilddrüse   bei  Base- 


228 


New    Yorker    Medizinische  Monatsschrift. 


dovv  eine  Verstärkung  der  Vaskularisa- 
tion aufweisen,  was  wiederum  auf  eine 
vermehrte  Aktivität  der  Drüse  hinweist. 
—  Nach  den  Angaben  einiger  Beobachter 
bilden  sich  beim  Basedow  lymphoide 
Gewebe  innerhalb  der  Schilddrüse,  es 
schwellen  auch  die  Lymphdrüsen  in  der 
Nachbarschaft  an  und  auch  die  Thymus 
ist  häufig  vergrössert  —  alles  in  allem 
eine  Art  Status  lymphaticus.  Ferner, 
nach  den  Befunden  der  Kocher'schen 
Klinik,  weist  das  Blut  der  Basedowkran- 
ken eine  gewisse  Vermehrung  der  Lym- 
phozyten auf,  was  auf  eine  Intoxikation 
hinweisen  soll ;  mit  der  durch  den  opera- 
tiven Eingriff  bewirkten  Besserung  ver- 
schwindet auch  die  Lymphocytosis. 

Ich  will  hier  die  interessanten  Studien 
von  R  e  i  d  Hunt  erwähnen.  Er  hat 
zunächst  die  Tatsache  gefunden,  dass 
nach  einer  mehrtägigen  Fütterung  von 
Mäusen  mit  minimalen  Dosen  von 
Schilddrüse  die  Tiere  widerstandsfähig 
werden  gegen  eine  hundertfache  Gift- 
dose von  Acetonitril  oder  Methylcyanid. 
Manche  Autoren  wollen  in  dieser  Tat- 
sache einen  Beweis  dafür  erblicken,  dass 
die  Schilddrüse  entgiftungsfähig  ist.  Das 
ist  aber  insofern  nicht  ganz  richtig,  als 
diese  Entgiftung  nur  für  Mäuse  gilt. 
Ratten  und  Meerschweinchen  dagegen 
werden  durch  Schilddrüsenfütterung 
noch  suszeptibler  für  Acetonitrilgift. 
Interessant  aber  ist  die  folgende  Beob- 
achtung. Hunt  hat  diese  entgiftungs- 
fähige Eigenschaft  als  eine  Methode  aus- 
gebildet, um  minimale  Dosen  von  Schild- 
drüsensaft nachzuweisen.  Mit  dieser 
Methode  ist  es  ihm  gelungen,  im  Blute 
einer  an  der  B  a  s  e  d  o  w 'sehen  Krank- 
heit verstorbenen  Frau  die  Anwesenheit 
von  Schilddrüsensaft  nachzuweisen,  wäh- 
rend das  Blut  von  normalen  Personen 
schilddrüsenfrei  war.  Sollte  sich  dieser 
Befund  bei  mehrfacher  Untersuchung  be- 
stätigen, dann  wäre  er  wohl  geeignet,  die 
thvreogene  Theorie  des  Basedow  am 
besten  zu  stützen. 

Und  nun  kommen  wir  dazu,  den  gegen- 
wärtigen Stand  der  Basedow-Theo- 
rien zu  besprechen.    Man  darf  wohl  sa- 


gen, dass  jetzt  Experimentatoren,  Klini- 
ker und  Chirurgen  alle  darin  einig  sind, 
dass  der  wesentliche  Grund  der  Base- 
dow 'sehen  Krankheit  in  den  Veränder- 
ungen der  Schilddrüse  zu  finden  ist. 
Welcher  Art  aber  diese  Veränderungen 
sind,  darüber  gehen  noch  die  Ansichten 
weit  auseinander.  Alan  kann  die  Ansich- 
ten in  drei  grössere  Klassen  einteilen : 
1  )  Die  Theorie  des  Hyperthyreoidismus, 
welche  annimmt,  dass  die  Sekretion  bloss 
vermehrt,  der  Saft  aber  normal  ist.  2) 
Die  Theorie  des  Dysthyreoidismus,  d.  h. 
die  erkrankte  Drüse  liefert  eine  giftigern 
Saft.  3)  Die  Theorie  des  Hypothyreoi- 
dismus,  d.  h.  dass  auch  im  Basedow 
die  Leistungen  der  Schilddrüse  minder- 
wertig ist.  —  M  o  e  b  i  u  s  welcher  zu- 
nächst statuiert,  dass  die  Schilddrüse 
beim  Baseclowkropfe  mehr  sezerniert, 
nimmt  weiter  an,  dass  die  Drüse  erkrankt 
ist  und  einen  giftigern  Stoff  produziert 
— ■  Dysthyreoidismus.  Die  Theorie  des 
Hypothyreoidismus  umfasst  eigentlich 
mehrere  Theorien,  die  sich  einander  recht 
lebhaft  befehden.  Oswald  nimmt  an, 
dass  die  Drüse  beim  Basedow  zwar 
mehr  sezerniert,  aber  einen  minderwerti- 
gen Saft,  die  Krankheit  entsteht  durch 
eine  Insuffizienz  der  Schilddrüse  ;  darum 
das  dünnere  Kolloid  und  die  Verminder- 
urg  des  Jodes.  G  1  e  y  hält  noch  an  sei- 
ner ursprünglichen  Ansicht  fest  von  einer 
gegenseitigen  Beziehung  zwischen  der 
Schilddrüse  und  den  Nebenschilddrüsen, 
und  nimmt  an,  dass  beim  Basedow 
die  Schilddrüse  minderwertig  ist,  was  zu 
einer  kompensierenden  Leistung  der  Ne- 
benschilddrüsen führt,  was  dann  weiter 
zum  ganzen  Basedow  -  Unheil  führt. 
Eine  eigenartige  Vorstellung  entwickelt 
B  1  u  m,  welche  er  durch  viele  experimen- 
telle Untersuchungen  zu  stützen  sucht. 
Das  Blut,  sagt  er,  enthalte  enterogene 
eiweissartige  Gifte,  welche  von  der 
Drüse  angezogen  werden,  wo  sie  durch 
gewisse,  vielleicht  fermentartige  Pro- 
zesse, namentlich  aber  durch  Jodierung 
entgiftet  werden,  worauf  sie  dann  in 
völlig  unschädlichem  Zustande  zur  Zirku- 
lation zurückkehren.    Beim  Basedow 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


229 


entweichen  diese  enterogenen  Produkte 
aus  der  Schilddrüse,  bevor  sie  völlig  ent- 
giftet sind.  Also  auch  nach  B  1  u  m  ist 
die  Schilddrüse  insuffizient ;  er  nimmt 
aber  überhaupt  keine  Sekretion  innerhalb 
der  Schilddrüse  an,  d.  h.  die  Drüse  liefere 
keinen  Saft  an  die  allgemeine  Zirkula- 
tion. 

C  y  o  n  gibt  an,  dass  inorganische  Jod- 
salze auf  den  Zirkulationsapparat  entge- 
gengesetzt wirken  als  die  Jodverbindun- 
gen der  Schilddrüse,  und  meint,  dass  die 
Hauptaufgabe  der  Schilddrüse  darin  be- 
stehe, das  Jod  zu  entgiften.  Auf  seine 
geistreiche  aber  verwickelte  Anschauung 
über  den  dabei  beteiligten  selbstregu- 
lierenden Nervenmechanismus  der 
Schilddrüse  wollen  wir  hier  umsoweni- 
ger  eingehen,  als  manche  seiner  experi- 
mentellen Daten  nicht  bestätigt  werden 
konnten.  Auch  sprechen  die  günstigen 
Resultate  der  Transplantationen  der 
Schilddrüse  gegen  den  wesentlichen  Teil 
seiner  Theorie  des  Nervenmechanismus. 

Die  meisten  Autoren  neigen  sich  jetzt 
zur  Theorie  des  einfachen  Hyperthyreoi- 
dismus,  d.  h.  dass  bei  der  B  a  s  e  d  o  w'- 
schen  Krankheit  die  Schilddrüse  das  Blut 
mit  zu  viel  normalem  Safte  versorgt. 
Gegen  einen  Hypothyreoidismus  in  ir- 
gend welcher  Form  spricht  die  Tatsache, 
dass  beim  Basedow  kein  Symptom 
vorkommt,  das  für  Athyreosis  charak- 
teristisch wäre ;  im  Gegenteil,  weitaus  die 
meisten  Symptome  sind  genau  das  Ge- 
genteil von  denen  des  Myxoedems.  Für 
einen  einfachen  Hyperthyreodismus 
spricht  ferner  die  Tatsache,  dass  man 
durch  reichliche  Einspritzung  von  Ex- 
trakt, erhalten  von  normalen  Schilddrü- 
sen, nahezu  alle  Symptome  des  Base- 
dow künstlich  erzeugen  kann.  Man  hat 
gegen  die  Theorie  des  Hyperthyreoidis- 
mus  eben  das  verwerten  wollen,  dass  man 
durch  solche  Injektionen  nicht  alle 
Symptome,  z.  B.  den  Exophthalmos,  er- 
zeugen könne.  Dagegen  lässt  sich  sagen, 
dass  erstens  es  Edmunds  in  der  Tat 
gelungen  zu  sein  scheint,  beim  Affen 
auch  den  Exophthalmos  zu  erzeugen. 
Ferner  aber,  wenn  es  auch  nicht  gelänge, 


durch  künstliche  Einspritzungen  einen 
kompletten  Basedow  zu  erzeugen,  so  darf 
man  doch  unmöglich  daraus  den  Schluss 
ziehen,  dass  es  auch  dem  natürlichen, 
lebenden  Produkt  im  lebenden  Tiere 
nicht  gelingen  kann,  dies  zu  bewerkstelli- 
gen. Unsere  Extrakte  sind  doch  gründ- 
lich abgetötete  Stoffe  und  unsere  Ein- 
verleibungen sind  doch  nur  ganz  rohe, 
völlig  unzulängliche  Nachahmungen  der 
Methoden,  deren  der  lebende  Organis- 
mus sich  bedient,  seine  Produkte  in  elek- 
tiver  Weise  an  den  richtigen  Ort  zu  brin- 
gen. —  Dann  muss  man  sich  noch  eines 
erinnern.  Die  Schilddrüse  enthält  ge- 
wiss verschiedenartige  Produkte  und,  was 
noch  mehr  ist,  wahrscheinlich  auch  Pro- 
dukte antagonistischen  Charakters,  von 
denen  der  Organismus  je  nach  Bedarf 
einmal  den  einen,  einmal  den  anderen 
Antagonisten  verwendet.  Bei  Verwen- 
dung aber  eines  künstlichen  Extraktes 
erhalten  wir  nur  ein  neutralisiertes  Pro- 
dukt und  nur  einen  Bruchteil  des  natürli- 
chen Saftes  und  können  darum  doch  un- 
möglich erwarten,  damit  ganz  normale 
Resultate  zu  erzielen.  —  Endlich  muss 
auch  hier  schon  gesagt  werden,  dass  zur 
Entstehung  eines  kompletten  Basedow 
noch  andere  Faktoren  als  der  Ueber- 
schuss  an  Drüsensaft  in  Betracht  gezo- 
gen  werden  müssen,  z.  B.  eine  gewisse 
Disposition.  Wir  kommen  später  darauf 
zurück. 

Sehr  wichtig  zu  Gunsten  des  thyreoi- 
dalen  Ursprunges  des  Basedow  spricht 
die  nicht  mehr  zu  bezweifelnde  Tatsache, 
dass  mit  der  chirurgischen  Verkleinerung 
des  Kropfes  die  Symptome  sich  eklatant 
bessern.  Theodor  Kocher,  der 
nicht  nur  einer  der  besten  Chirurgen, 
sondern  auch  einer  der  grössten  Forscher 
unserer  Zeit  ist,  und  der  über  ein  unge- 
wöhnliches Beobachtungsmaterial  ver- 
fügt, hat  sich  in  der  letzten  Zeit  widerholt 
präzise  und  bestimmt  ausgesprochen, 
dass  die  Besserung  genau  in  Proportion 
ist  zu  der  Grösse  des  weggenommenen 
Stückes ;  oder  vielleicht  richtiger,  in  um- 
gekehrter Proportion  zum  zurückbleiben- 
den Stücke.    Je  kleiner  der  Drüsenrest 


230 


New  Yorker  Medizi 


nische  Monatsschrift. 


ist,  um  so  kompletter  ist  die  Besserung 
und  um  so  nachhaltiger  hält  sie  an. 

Einen  guten  Beweis  für  den  Hyper- 
thvreoidismus  könnte,  wie  schon  gesagt, 
der  oben  erwähnte  Befund  von  R  e  i  d 
Hunt  liefern,  wonach  die  Anwesenheit 
von  Schilddrüsensaft  im  Blute  einer  Ba- 
sedowkranken sich  direkt  nachweisen 
liess. 

Wenn  wir  aber  auch  annehmen,  dass 
der  Ueberschuss  von  normalem  Schild- 
drüsensaft die  wesentliche  Ursache  der 
B  a  s  e  d  o  w'schen  Krankheit  ist,  so  brau- 
chen wir  noch  nicht  darauf  zu  bestehen, 
dass  alle  Symptome  der  Krankheit  und 
in  jedem  Krankheitsfall  einzig  und  allein 
dem  überschüssigen  Schilddrüsensaft  zu- 
zuschreiben sind.  Die  unzweifelhaft 
sichere  Beobachtung,  dass  bei  einseitigem 
Kröpfe  oft  ein  Exophthalmos  nur  an  der 
entsprechenden  Seite  sich  befindet,  und 
K  o  c  h  e  r's  Angabe,  dass  er  mehrfach 
nach  einseitiger  Exstirpation  des  Kropfes 
zunächst  ein  Zurückgehen  des  Exoph- 
thalmos auf  derselben  Seite  beobachtet 
habe,  spricht  doch  dafür,  dass  in  man- 
chen Fällen  auch  ein  mechanisches  Mo- 
ment beim  Zustandekommen  des  Ex- 
ophthalmos eine  Rolle  spielt.  Ich  will 
hier  auf  die  vor  ein  paar  Jahren  ge- 
machte Mitteilung  von  M  c  C  a  1 1  u  m 
hinweisen,  wonach  bei  Reizung  des 
Halssympathikus  eine  peristaltische  Kon- 
traktion des  Mülle  r'schen  Muskels  in 
der  Orbita  direkt  beobachtet  werden 
kann.  Ferner  zeigt  doch  das  Vorkom- 
men von  inkompletten  Formen  von  Base- 
dow, oder  von  sogenanntem  Kropfherz, 
oder  von  Pseudo-Basedow  u.  s.  w.,  wie, 


auf  der  einen  Seite,  die  sogenannten 
thyreotoxischen  Faktoren  nicht  immer 
alle  Symptome  des  Basedow  erzeugen, 
und,  wie  auf  der  anderen  Seite,  rein  me- 
chanische Verhältnisse  gewisse  Symp- 
tome dieser  Krankheit  zu  Tage  fördern 
können. 

Dann  darf  man  auch  nicht  ohne  wei- 
teres behaupten,  dass  der  Ueberschuss 
von  Drüsensaft  allein  alles  ist,  was  man 
in  allen  Fällen  für  das  vollkommene  Zu- 
standekommen dieser  Krankheit  braucht. 
Man  kann  sich  wohl  vorstellen,  dass  ge- 
wisse Grade  von  Hyperthyreoidismus 
existieren  können,  ohne  dass  der  Körper 
mit  Basedow-Symptomen  gleich  darauf 
reagiert.  Treten  aber  Zustände  dabei  auf, 
die  das  Nervensystem  erschüttern,  oder 
auch  chronisch  untergraben  oder  treten 
solche  mässige  Grade  von  Hyperthyreoi- 
dismus bei  Menschen  mit  minderwerti- 
gem Nervensystem  auf,  dann  kommt  der 
Basedow  plötzlich  oder  langsam  zum 
Vi  »rschein.  Wir  können  so  das  plötzliche 
Entstehen  von  Basedow  verstehen,  wel- 
cher nach  Schreck  oder  nach  mässigen 
Infektionskrankheiten  einsetzt,  oder  das 
Auftreten  von  Basedow  in  Familien,  die 
mit  anderen  Nervenkrankheiten  behaftet 
sind. 

Ferner  darf  darauf  hingewiesen  wer- 
den, dass  aller  Wahrscheinlichkeit  nach, 
noch  andere  Körperorgane  Funktionen 
besitzen,  die  ähnliche  oder  auch  entgegen- 
gesetzte Wirkungen  ausüben  können  wie 
die  Schilddrüse,  wenn  auch  im  geringem 
Grade.  Aber  auf  diese  wie  auf  noch 
viele  andere  einschlägige  Einzelheiten 
wollen  wir  hier  nicht  mehr  eingehen. 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


231 


Bemerkungen  zum  Morbus  Basedowii. 

Von  Dr.  J.  Kaufmann. 


Bei  einer  kurzen  Besprechung  der 
klinischen  Bilder,  unter  denen  sich  die 
B  a  s  e  d  o  w'sche  Krankheit  präsentiert, 
kann  ich  Abstand  nehmen  von  einer 
Schilderung  der  bekannten  3  Kardinal- 
symptome :  Exophthalmus,  Struma,  Ta- 
chykardie. Wo  diese  Trias  angetroffen 
wird,  ist  die  Diagnose  bald  gestellt,  ins- 
besondere wenn  das  auffälligste  dieser 
Symptome,  der  Exophthalmus  gut  aus- 
gebildet ist  und  sofort  die  Aufmerksam- 
keit auf  das  Bestehen  eines  Basedow 
hinlenkt. 

Der  Exophthalmus  ist  aber  kein  kon- 
stantes Symptom,  er  fehlt  in  einem  Drit- 
tel der  Fälle  gänzlich  und  auch  da,  wo 
er  vorhanden  ist,  ist  er  nicht  immer  so 
stark  entwickelt,  dass  er  ohne  weiteres 
die  Aufmerksamkeit  erweckt. 

Das  konstanteste  und  wichtigste  Symp- 
tom ist  die  Tachykardie,  welche  zum  Un- 
terschied von  anderen  Zuständen  nicht 
anfallsweise  auftritt,  sondern  kontinuier- 
lich und  persistierend  ist. 

Auch  die  vaskuläre  Struma  wird  sel- 
ten vermisst.  Indessen  ist  die  Schild- 
drüse keineswegs  immer  so  stark  ver- 
grössert,  dass  sie  sich  sofort  dem  Beob- 
achter aufdrängt.  Geringere  Grade  der 
Schilddrüsenschwellung  werden  erst  bei 
einer  dahin  gerichteten  Untersuchung 
offenkundig  ,  hier  muss  also  schon  an- 
derweitig der  Verdacht  erweckt  sein, 
dass  es  sich  um  Basedow  handeln  könne. 
Und  bei  diesem  Punkte  möchte  ich 
einen  Augenblick  verweilen. 

Vielfache  Beobachtungen  neuerer  Zeit 
haben  die  Tatsache  klargestellt,  dass  in 
einer  grossen  Anzahl  von  Fällen,  in  wel- 
chen es  sich  unzweifelhaft  um  Hyper- 
thyreodismus  handelt,  die  eben  genannte 
Trias  von  Symptomen  nicht  entwickelt 

*)  Vorgetragen  bei  dem  Symposium  über 
die  Basedow-Krankheit  vor  der  Deutschen 
Med.  Gesellschaft  der  Stadt  New  York  am 
4.  November  1907. 


ist,  wo  vielmehr  mannigfache  andere 
Symptome,  insbesondere  von  Seiten  des 
Nervensystems  in  den  Vordergrund 
treten.  Es  mag  dahingestellt  bleiben, 
ob  es  zweckmässig  ist,  diese  Fälle  als 
atypische  resp.  als  formes  frustes  abzu- 
grenzen. So  viel  ist  jedenfalls  sicher, 
dass  sie  sehr  viel  häufiger  vorkommen, 
als  man  früher  angenommen  hat.  Wei- 
terhin muss  betont  werden,  dass  auch  in 
sogenannten  typischen  Fällen  die  Trias 
manchmal  erst  während  des  späteren 
Verlaufes  zur  Entwicklung  gelangt,  wäh- 
rend in  den  Anfangsstadien  dieser  Fälle 
solch  markante  Symptome  wie  Exopthal- 
mus  und  prominente  Struma  oft  ver- 
misst werden. 

Da  nun  aber  jede  Behandlungsart,  sei 
sie  interner  oder  chirurgische  Natur, 
mehr  Aussicht  auf  Erfolg  verspricht, 
wenn  sie  in  den  Frühstadien  zur  Anwen- 
dung kommt,  so  leuchtet  ohne  weiteres 
ein,  wie  wichtig  es  ist,  nicht  nur  die 
atypischen  Fälle  zu  erkennen,  sondern 
auch  die  typischen  frühzeitig  diagnos- 
tisch festzulegen,  eventuell  schon  bevor 
ein  sichtbarer  Kropf  und  Exophthalmus 
das  Bestehen  eines  Basedow  ohne  wei- 
teres dartun. 

Zustände,  welche  stets  den  Verdacht 
auf  atypische  Formen  resp.  auf  frühere 
Entwicklungsstadien  des  Basedow  er- 
strecken sollten,  sind  namentliche  solche, 
bei  denen  es  zu  schnellem  Kräfteverfall 
und  starker  Gewichtsabnahme  kommt, 
ohne  dass  eine  greifbare  Ursache  für  die 
Inanition  nachweisbar  ist. 

Der  Hyperthyreoidismus  führt  durch 
intensive  Steigerung  der  oxydativen  Pro- 
zesse im  Organismus  zu  schwerer  Stö- 
rung im  Körperhaushalt.  Die  Stoff- 
wechselstörung findet  einen  Ausdruck  in 
der  starken  Zunahme  der  Harnbestand- 
teile, des  Stickstoffs  und  des  Harnstoffs, 
der  Harnsäure,  der  Phosphate,  sie  führt 
zu  Glykosurie  und  manchmal  zur  Albu- 


232 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


minurie,  erzeugt  gelegentlich  leichtes 
Fieber,  ist  aber  vor  allen  Dingen  die 
Ursacbe  einer  oft  trotz  reichlicher  Er- 
nährung sehr  rapid  verlaufenden  Ab- 
magerung. Basedow-Kranke  verlieren 
manchmal  in  kurzer  Zeit  20 — 50  Pfund 
an  Körpergewicht. 

Handelt  es  sich  dabei  um  ältere  Indi- 
viduen, so  wird  leicht  Karzinose  vorge- 
täuscht, besonders  wenn  gleichzeitig  über 
Appetitmangel  oder  gar  Widerwillen 
gegen  Nahrungsaufnahme  geklagt  wird. 

Mir  sind  solche  Fälle  zugeführt  wor- 
den mit  der  Frage,  ob  es  sich  um  Ma- 
genkrebs handle.  Bei  einem  dieser  Pa- 
tienten bestärkte  der  Befund  einer  Achy- 
lia  gastrica  den  Karzinomverdacht.  Wei- 
tere Beobachtung  klärte  die  Situation 
durch  den  Nachweis  sicherer  Zeichen  von 
Hyperthyreoidismus. 

Bei  jungen  Mädchen  geben  leichtere 
Formen  von  Basedow  Anlass  zu  Ver- 
wechslung mit  Chlorose,  um  so  mehr  als 
sowohl  Tachykardie  als  auch  vaskuläre 
Strumen  dem  Krankheitsbild  der  Chlo- 
rose zugerechnet  werden.  Hier  ist  der 
Blutbefund  ausschlaggebend,  der  bei  Ba- 
sedow meist  normalen  oder  selbst  ver- 
mehrten Hämoglobingehalt  zeigt,  jeden- 
falls nicht  ausgesprochene  Hämoglobin- 
verminderung, die  für  die  Chlorose 
charakteristisch  ist. 

Wenn  jugendliche  Basedowkranke 
schnell  an  Gewicht  verlieren,  etwas  Fie- 
ber haben  und  stark  schwitzen,  so  drängt 
sich  zunächst  der  Gedanke  an  Tuberku- 
lose auf. 

Bei  diesen  und  ähnlichen  Zuständen 
allgemeinen  Kräfteverfalls  soll  man  nie 
versäumen,  auf  Basedow  zu  untersuchen. 
Auch  wo  die  Trias  nicht  entwickelt  ist. 
können  sich  mannigfache  Symptome  von 
Hyperthyreoidismus  finden,  von  denen 
einige  konstanter  und  wichtiger  sind  als 
der  Exophthalmus,  insbesondere  der 
charakteristische  Tremor,  der  so  häufig 
angetroffen  wird,  dass  man  ihn  auch  als 
viertes  Kardinalsymptom  bezeichnet  hat. 

Ausser  den  Tremor  finden  sich  andere 
Symptome,  welche  Störungen  im  cere- 
brospinalen  und  im  sympathischen  Ner- 


vensystem anzeigen,  namentlich  grosse 
psychische  Unruhe  und  Scblaflosigkeit, 
leichte  Ermüdung,  Hyperhidrosis  u.  s. 
w.  Dabei  treten  die  Erscheinungen 
seitens  des  Nervensystems  oft  so  sehr 
in  den  Vordergrund,  dass  man  den  Ein- 
druck gewinnt,  es  handle  sich  um  Neu- 
rasthenie und  ähnliche  Krankheitszu- 
stände. 

Von  den  thyreotoxischen  Erscheinun- 
gen am  Zirkulationsapparat  sind  ausser 
der  Tacbykardie  als  Zeichen  der  oft 
enorm  gesteigerten  Herztätigkeit  zu  er- 
wähnen :  Erheblich  gesteigerter  arteriel- 
ler Blutdruck,  starkes  Klopfen  der  Karo- 
tiden und  der  Aorta  abdominalis  und  am 
Herzen  selbst  neben  systolischen  Geräu- 
schen stark  akzentuierte  Herztöne. 
Meist  stellen  sich  erst  später  im  An- 
schluss  an  die  langdauernde  intensive 
Herzarbeit  Zeichen  von  Herzerweiterung 
und  Herzinsuffizienz  mit  Herabsetzung 
des  arteriellen  Blutdrucks  ein,  hauptsäch- 
lich eine  Folge  der  konstanten  Gift  Wir- 
kung, zum  Teil  aber  auch  bedingt  durch 
mechanische  Verhältnisse,  insbesondere 
wenn  substernale  Strumen  die  obere 
Brustapertur  einengen  und  sowohl  den 
venösen  Kreislauf  wie  die  Atmung  be- 
bindern. 

Von  den  Störungen  am  Digestions- 
traktus  bieten  die  Magensymptome  wenig 
charakteristisches,  nur  muss  betont  wer- 
den, dass  in  vielen  Fällen  gänzlicher  Ap- 
petitmangel oder  Geschmacksstörungen, 
häufige  Uebelkeiten  und  Erbrechen  die 
für  diese  Kranken  so  wichtige  Ernähr- 
unsfrage zu  einer  schwierigen  gestalten. 

Grösseres  Interesse  beanspruchen  die 
im  Verlauf  des  Basedow  so  häufigen  An- 
fälle von  Diarrhoen.  Da  profuse  Diar- 
rhoen nicht  selten  das  dominierende 
Symptom  im  Krankheitsbild  des  Base- 
dow darstellen,  so  soll  man  es  sich  zur 
Regel  machen,  bei  allen  Fällen  von  per- 
sistierender Diarrhoe,  besonders  wenn 
deren  Aetiologie  nicht  klarliegt,  auf  Ba- 
sedow zu  fahnden. 

Basedow-Fälle  mit  Diarrhoe  sind  be- 
sonders schwer  der  Behandlung  zugäng- 
lich, weil  die  ohnehin  heruntergekom- 


New    Yorker  Medizini 


sche  Monatsschrift. 


^33 


rhenen  Patienten  durch  die  häufigen  Ent- 
leerungen noch  mehr  geschwächt  werden 
und  ausserdem  die  Ernährung  unter  sol- 
chen Umständen  mit  ganz  besonderen 
Schwierigkeiten  zu  kämpfen  hat. 

Die  Diarrhoen  mögen  ähnlich  der  Hy- 
perhidrosis eine  Folge  vasomotorischer 
Störungen  sein.  Man  kann  sich  aber  auch 
vorstellen  dass  die  beim  Basedow  wirk- 
samen Toxine  in  den  Darm  ausgeschie- 
den werden  und  dann  reizend  auf  den 
Darm  wirken.  Von  diesem  Gesichts- 
punkt ausgehend  habe  ich  in  mehreren 
Fällen  mit  Nutzen  systematisch  Kolon- 
irrigationen angewandt. 

Um  hier  einige  Worte  über  die  Be- 
handlung anzuknüpfen,  so  muss  zunächst 
bemerkt  werden,  dass  das  Urteil  über  die 
direkte  Behandlung  der  exzessiven 
Schilddrüsentätigkeit  mittelst  solcher 
Präparate  wie  das  M  o  e  b  i  u  s'sche  Anti- 
thyreoidin,  Rodagen,  das  Rogers- 
Beeb  e'sche  Serum  u.  a.  recht  ver- 
schieden lautet.  Mitteilungen  über  gute 
Resultate  stehen  andere  gegenüber,  wo- 
nach mit  diesen  Mitteln  wenig  erreicht 
wurde.  Dem  Roger  s-B  e  e  b  e'schen 
Serum  wird  überdies  zum  Vorwurf  ge- 
macht, dass  die  Kranken  durch  die  bei 
Anwendung  dieses  Mittels  auftretenden 
sogenannten  Reaktionen  oft  schwer  ge- 
schädigt werden,  ohne  dass  diese  Schä- 
digung in  allen  Fällen  durch  ein  günsti- 
ges Endresultat  gerechtfertigt  wurde. 
Ich  kann  dies  aus  eigner  Erfahrung  nur 
bestätigen.  Ferner  wird  hervorgehoben, 
dass  in  gebesserten  Fällen  die  Besserung 
möglicherweise  der  stets  gleichzeitig 
angewandten  Allgemeinbehandlung  zu- 
gerechnet werden  sollte.  Indessen, 
wenn  gegenwärtig  ein  sicheres  Urteil 
über  den  Wert  dieser  Mittel  auch  noch 
nicht  gewonnen  ist,  so  ist  es  doch  ratsam, 
einen  Versuch  mit  denselben  zu  machen. 

Medikamentös  sind  neben  sedativen 
Mittel  (Opium,  Brom  etc.)  namentlich 
Arsen  und  Eisen  viel  gebraucht,  sowie 


das  von  Kocher  empfohlene  neutrale 
Natrium  phosphoricum. 

Im  uebrigen  ist  die  Behandlung  all- 
gemeiner Natur :  Körperliche  und  geis- 
tige Ruhe,  zweckmässige  Ernährung 
(Lacto-vegetabilische  Kost  unter  Ein- 
schränkung des  Fleisches),  hydrothera- 
peutische, elektrotherapeutische  und  kli- 
matische Massnahmen  führen  oft  zur 
Besserung  und  in  manchen  Fällen  auch 
zur  Heilung. 

Wenn  unter  derartiger  Behandlung 
Besserung  eintritt,  so  soll  man  bei  der 
jeweiligen  Methode  bleiben  ;  auch  wenn 
Rezidive  erfolgen,  werden  oft  noch  gute 
Endresultate  erzielt. 

Versagen  aber  interne  Behandlungs- 
methoden, dann  soll  man  mit  der  Er- 
wägung der  operativen  Behandlung 
nicht  zu  lange  zögern.  Durch  Entfern- 
ung eines  Teiles  der  Schilddrüse  wird 
die  Menge  des  dem  Körper  zugehenden 
Schilddrüsensekretes  erheblich  einge- 
schränkt und  dadurch,  wie  die  Berichte 
Koche  r's,  H  a  1  s  t  e  d's  und  May  o's 
lehren,  der  Hyperthyreoidismus  besei- 
tigt. Die  Chirurgen  sind  aber  auch  einig 
darüber,  dass  die  Aussichten  am  besten 
sind,  wenn  frühzeitig  operiert  wird,  d.  h. 
insbesondere  ehe  das  Herz  zu  sehr  ge- 
schädigt ist.  Da  die  Berichte  über  gün- 
stige Operationsresultate  sich  mehren, 
so,  glaube  ich,  sind  wir  verpflichtet  bei 
dem  sonst  so  trostlosen  Verlauf  vieler 
Basedow-Fälle  die  chirurgische  Behand- 
lung möglichst  früh  in  Erwägung  zu 
ziehen.  Die  nächste  Zukunft  wird  uns 
Aufschluss  darüber  bringen,  was  die 
chirurgische  Behandlung  leistet  und  un- 
ter welchen  Bedingungen  ihre  Vornahme 
angezeigt  ist.  So  viel  aber  lässt  sich 
jetzt  schon  sagen,  dass  man  sehr  viel 
häufiger  und  sehr  viel  zeitiger  die  par- 
tielle Resektion  der  Schilddrüse  vorneh- 
men wird,  ohne  indessen  auf  die  Ver- 
wendung interner  Behandlungsmethoden 
zu  verzichten. 


234 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


Die  chirurgische  Behandlun 

Von  Dr.  med. 

Herr  Präsident,  meine  Herren !  Die 
interessante  Erkrankung,  deren  Sympto- 
menkomplex wir  unter  dem  Namen  des 
Morbus  Basedowü  oder  „Grave's  Dis- 
ease" zusammenfassen,  hat  besonders  in 
letzter  Zeit  wieder  das  lebhafte  Interesse 
aller  Aerzte  in  Anspruch  genommen. 
Namentlich  in  den  letzten  10  Jahren,  in 
denen  diese  Krankheit  immer  mehr  in 
das  Grenzgebiet  von  innerer  Medizin 
und  Chirurgie  gerückt  ist,  ist  schon  heiss 
zwischen  diesen  beiden  Lagern  um  die 
Berechtigung  der  einen  oder  der  anderen 
Behandlungsmethode  diskutiert  worden. 

Wir  treffen  auch  hier,  wie  so  häufig 
in  der  Medizin  bei  Krankheitsbildern,  die 
noch  nicht  ätiologisch  und  pathologisch- 
anatomisch genügend  geklärt  sind,  auf 
diametral  entgegengesetzte  Ansichten. 
Eule  n  b  u  r  g,  der  über  600  Fälle  be- 
obachtet hat,  verhält  sich  auch  jetzt  noch 
der  chirurgischen  Behandlung  gegen- 
über absolut  ablehnend,  während 
Lemke  so  enthusiastisch  für  die  Ope- 
ration dieser  Krankheit  eintritt,  dass  er 
sich  zu  dem  Ausspruch  verleiten  lässt : 
,,Der  Morbus  Basedowü  gehört  auf  die 
chirurgische  Abteilung."  Wie  lässt  sich 
nun  ein  so  weiter  Abgrund  zwischen  die- 
sen beiden  Ansichten  überbrücken  und 
wie  können  wir  zu  einem  für  den  Pa- 
tienten erspriesslichen  Modus  vivendi 
kommen  ? 

Die  Physiologie  und  Pathologie  der 
Erkrankung  ist  schon  von  anderer  Seite 
eingehend  besprochen,  so  dass  es  sich  für 
mich  lediglich  erübrigt,  nur  diese  Ver- 
hältnisse in  soweit  zu  berühren,  wie  es 
absolut  notwendig  ist. 

Worauf  stützt  sich  der  Gedanke,  einen 
Basedow-Kranken  operativ  von  seinem 
Leiden  zü  befreien ?  Buschan  kommt 
nach  sorgfältigen  Studien  der  bis  1894 


*)  Vortrag,  gehalten  am  4.  November  1907 
in  der  Deutschen  Medizinischen  Gesellschaft 
der  Stadt  New  York. 


g  des  Morbus  Basedowü.* 

H.  Fischer. 

vorhandenen  Literatur  zu  dem  Schluss, 
dass  wir  den  Morbus  Basedowü  als  eine 
Krankheit  aufzufassen  haben,  deren 
Hauptsitz  das  Nervensystem  ist.  In- 
folgedessen ist  er  kein  Befürworter  chir- 
urgischer Eingriffe  bei  diesem  Leiden, 
wenigstens  nicht  in  den  Fällen,  in  wel- 
chen die  B  a  s  e  d  o  w'sche  Krankheit  als 
, .primäres"  Leiden  besteht.  Anders  ver- 
hält er  sich  zu  den  Fällen,  in  denen  zu 
lange  bestehendem  Kropf  die  Basedow- 
Symptomen  hinzutreten.  In  diesen  von 
ihm  „sekundärer  Basedow"  genannten 
Fällen  empfiehlt  er  die  Operation.  An- 
dere Forscher,  besonders  in  neuester 
Zeit  in  Frankreich,  glaubten  die  Er- 
scheinungen der  Krankheit  zum  Hals- 
sympathikus in  Beziehung  bringen  zu 
müssen  und  empfahlen  daher  mehr  oder 
weniger  ausgedehnte  Resektionen  dessel- 
ben. M  o  e  b  i  u  s  kam  durch  seine  Un- 
tersuchungen zu  dem  Schluss,  dass  die 
B  a  s  e  d  o  w'sche  Krankheit  eine  Vergift- 
ung des  Körpers  durch  die  krankhafte 
Tätigkeit  der  Schilddrüse  sei.  Gegen 
die  Nerventheorie  spricht  er  sich  folgen- 
dermassen  aus :  „Eine  blosse  Nervener- 
krankung kann  nach  unseren  bisherigen 
Erfahrungen  nie  und  nimmer  einen 
Kropf  machen,  bei  dem  es  sich  nach  den 
neuesten  Forschungen  um  parenchyma- 
töse Veränderungen  in  der  Drüse,  nicht 
um  vermehrte  Blutfüllung  handelt." 
Diese  Theorie  hat  sich  in  der  neueren  und 
neuesten  Zeit  immer  mehr  Anhänger  er- 
worben und  scheinen  die  Erfolge  der- 
jenigen Chirurgen,  welche  die  Schild- 
drüse zum  Angriffspunkt  ihrer  therapeu- 
tischen Massnahmen  gemacht  haben, 
diese  Ansicht  von  M  o  e  b  i  u  s  zu  stützen. 

Die  Operationsmethoden,  die  zur  Heil- 
ung des  Morbus  Basedowü  angewandt 
sind,  scheiden  sich  den  angeführten  The- 
orien entsprechend  in  zwei  Hauptgrup- 
pen : 

1.  Operationen  am  Halssympathikus. 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


235 


2.  Operationen,  die  die  Schilddrüse 
selbst  in  Angriff  nehmen. 

Die  Bedeutung  des  Nervus  sympathi- 
cus  in  der  Pathologie  der  Basedow'- 
sehen  Krankheit  ist  nach  F  a  b  o  u  1  a  v, 
F  o  n  n  e  s  c  o,  G  a  y  m  e,  B  o  i  s  s  o  n  u. 
a.  eine  vielfache. 

Der  Exophthalmus  beruht  in  einer 
durch  Reizung  des  Halssympathikus  her- 
vorgerufenen energischen  Kontraktion 
des  Muskeltonus,  welcher  den  hinteren 
Pol  des  Bulbus  bekleidet.  Die  vaskuläre 
Struma  ist  hervorgerufen  durch  eine 
übermässige  Dilatation  der  Schilddrüsen- 
gefässe.  Diese  Erweiterung  hat  ihren 
Grund  in  einer  anhaltenden  Reizung  der 
dem  Hals-  und  Brustsympathikus  ent- 
stammenden vasodilatatorischen  Fasern 
(D  a  s  t  r  e  und  Morat).  Die  perma- 
nente Reizung  der  sekretorischen  sympa- 
thischen Fasern  der  Schilddrüse  ist 
verantwortlich  zu  machen  für  die  Hyper- 
aktivität und  Hypersekretion  der  Schild- 
drüse (Fonnesco).  Die  Tachykardie, 
der  Tremor,  das  Hitzegefühl,  die 
Schweisse,  die  gastro-intestinalen  Störun- 
gen, der  nervöse  Aufregungszustand  be- 
ruhen ebenfalls  nach  Fonnesco  auf 
der  Reizung  der  entsprechenden  Fasern 
des  Sympathikus.  Hieraus  hat  man  den 
Schluss  gezogen,  dass  eine  Unterbrechung 
der  Leitung  dieser  sämmtlichen  Fasern 
diese  Reizung  beseitigen  und  zur  Heilung 
des  Leidens  führen  müsse.  Um  dieses 
zu  erreichen,  hat  man  folgende  Opera- 
tionen empfohlen : 

1)  Einfache  Durchtrennung  des  Hals- 
sympathikus, von  E  d  m  u  n  d  s  vorge- 
schlagen, zuerst  ausgeführt  von  Fabo  u- 
1  a  y. 

2)  Ausreissung  des  Halssympathikus 
(Faboulay). 

3)  Dehnung  des  Halssympathikus 
(Faboulay). 

4)  Partielle  Resektion  des  Halssym- 
pathikus nach  Alexander. 

5)  Die  partielle  und  totale  Resektion, 
besonders  ausgearbeitet  von  F  o  li- 
tt e  s  c  o. 

Von  diesen  Methoden  scheint  die  to- 
tale Resektion  die  rationellste  zu  sein. 


Fonnesco  hat  eine  Reihe  Fälle  da- 
mit geheilt,  die  in  extenso  von  Bala- 
c  e  s  c  u  mitgeteilt  sind.  Danach  berech- 
net Balacescu  63,8%  Heilungen, 
18,1%  Besserungen  und  18,1%  Misser- 
folge. Todesfälle  sind  diesen  Autoren 
bei  der  Methode  nicht  vorgekommen. 
Obgleich  dieses  Vorgehen  in  den  Hän- 
den ihrer  Erfinder  zufriedenstellende 
Resultate  gezeitigt  hat,  so  hat  es  doch 
keine  grosse  Anzahl  Anhänger  gefunden. 
Andere  Chirurgen,  die  die  Methode  an- 
gewandt haben,  waren  in  ihren  Erfolgen 
weniger  glücklich.  Kocher  verwirft 
sie.  C  u  r  t  i  s,  der  dieselbe  in  7  Fällen 
angewandt  hat,  berichtet  über  4  Besser- 
ungen, 3  Todesfälle  und  keine  einzige 
vollständige  Heilung. 

Die  Hauptaufmerksamkeit  der  meisten 
Chirurgen  hat  sich  der  Thyroidea  selbst 
zugewandt.  Es  werden  folgende  Metho- 
den empfohlen : 

1)  Die  Exothvreopexie  (Fabou- 
lay). 

2)  Ligatur  einer  oder  mehrere  Arteriae 
thyreoideae. 

3)  Die  partielle  Resektion  der  Schild- 
drüse. 

Die  Exothyreopexie  besteht  in  einer 
Auslösung  der  Struma  aus  ihrem  Bette 
mit  Vorlagerung,  dieselbe  ist  wohl  all- 
gemein wegen  der  grossen  Gefahr  und 
der  Unsicherheit  des  Erfolges  verlassen. 

Von  der  grössten  Bedeutung  für  die 
Behandlung  des  Morb.  Bas.  ist  die  Liga- 
tur der  Gefässe  und  die  partielle  Exstir- 
pation  der  Schilddrüse  geworden.  Chir- 
urgen von  grosser  Erfahrung  auf  diesem 
Gebiete  wie  Kocher,  M  a  y  o  und  an- 
dere bringen  durch  die  grosse  Anzahl 
ihrer  vollständig  und  dauernd  geheilter 
Fälle  so  zwingende  Beweise  für  die 
guten  Erfolge  dieser  Operation,  dass 
heute  kaum  noch  an  die  Berechtigung 
derselben  gezweifelt  werden  kann. 

Die  Methoden,  die  Kocher  em- 
pfiehlt, sind  die  folgenden  : 

1 )  Ligatur  mehrerer  vergrösserter 
Arterienstämme  der  Struma. 

2)  Exzision  halbseitig  vaskulärer 
Strumen. 


236 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


3)  Einseitige  Exzision  mit  Ligatur  ei- 
ner Arterie  der  anderen  Strumahälfte. 

4)  Exzision  von  mehr  als  der  Hälfte 
der  Struma  mit  oder  ohne  Ligatur  eines 
zum  Strumarest  führenden  Arterien- 
stammes. 

A.  Kocher  hat  auf  dem  Kongress 
der  American  Medical  Association  in  die- 
sem Jahre  Bericht  erstattet  über  315 
Operationen,  die  in  seines  Vaters  Klinik 
an  Basedow-Kranken  ausgeführt  wur- 
den. Unter  diesen  Fällen  hatte  er  eine 
Mortalität  von  3,5%.  Nach  den  letzten 
63  Operationen  hat  er  gar  keine  Todes- 
fälle zu  verzeichnen,  jedenfalls  glänzende 
Resultate.  Er  hat  in  keinem  Falle,  der 
operativ  behandelt  wurde,  erlebt,  dass  die 
Krankheit  nicht  günstig  beeinflusst  wor- 
den wäre.  Sämtliche  Fälle  ohne  Auswahl 
zusammengestellt  ergaben  ein  Heilungs- 
resultat von  83%.  73%  Heilung  in  Fäl- 
len von  sogenanntem  ..primären  Base- 
dow." 92%  Heilung  in  Patienten  mit 
bestehender  Struma,  zu  dem  später  Base- 
dow Symptome  hinzugetreten  waren,  so- 
genannter „sekundärer  Basedow"  und 
100%  Heilung  bei  der  vaskulären 
Struma.  C.  H.  M  a  y  o  berichtet  über 
176  Fälle  mit  9  Todesfällen.  In  seinen 
letzten  75  Operationen  hat  er  nur  einen 
Fall  verloren. 

Schulze,  der  die  operativ  behandel- 
ten Basedow-Fälle  aus  der  Riedel'- 
schen  Klinik  zusammengestellt  hat,  be- 
richtet über  50  Fälle.  Den  Standpunkt, 
den  er  in  Bezug  auf  die  Operationsresul- 
tate einnimmt,  formuliert  er  mit  folgenden 
Worten  :  „An  den  Begriff  der  Heilung 
stellen  wir  die  höchsten  Anforderungen : 
die  Kranken  müssen  sich  vollkommen  ge- 
sund und  leistungsfähig  fühlen,  die  ob- 
jektiven und  subjektiven  Krankheits- 
svmptome  müssen  vollkommen  ver- 
schwunden, oder  dürfen  nur  noch  andeu- 
tungsweise vorhanden  sein.  Eine  jahre- 
lange Beobachtung  muss  diesen  Erfolg 
als  dauernd  feststellen.  Von  einer  Bes- 
serung verlangen  wir  eine  wesentliche 
Verminderung  der  objektiven  Krank- 
heitserscheinungen sowie  eine  wesentli- 
che    erhöhte     Erwerbsfähigkeit.  Von 


Misserfolg  reden  wir,  wenn  das  Krank- 
heitsbild im  wesentlichen  unverändert 
fortbesteht."  Danach  berechnet  er  100% 
Heilung  in  leichten  Fällen;  in  mittel- 
schweren Fällen  66%  Heilung,  14% 
Besserungen,  5,7%  Misserfolge  und 
5,7%  Todesfälle ;  in  den  schweren  Fällen 
57%  Heilungen,  7,7%  Besserungen, 
5,7%  Misserfolge  und  28,5%  Todesfälle. 

Die  Erreichung  dieser  Resultate  in  den 
letzten  Jahren  wurde  nur  möglich  da- 
durch, dass  wir  gelernt  haben,  zwei 
schwere  postoperative  Zustände  zu  ver- 
meiden: die  akute  Vergiftung,  den  so- 
genannten Hyperthyreoidismus  und  die 
Tetanie.  Der  erstere  wird  hervorgeru- 
fen durch  Absorption  des  toxischen  Blu- 
tes, besonders  wenn  Drüsengewebe  rese- 
ziert und  verletzt  wird.  Die  letztere  wird 
verursacht  durch  Verletzung  und  Ent- 
fernung der  Glandulae  parathyreoideae 
oder  Epithelkörperchen. 

Wann  sollen  nun  die  Basedowkranken 
operiert  werden  und  soll  jeder  Basedow- 
kranke dem  Chirurgen  überwiesen  wer- 
den ? 

Den  Standpunkt,  den  wohl  jetzt  die 
meisten  Chirurgen  und  eine  grosse  An- 
zahl Internisten  einnehmen,  kann  man 
folgendermassen  formulieren  :  In  leichten 
Fällen  soll  erst  ein  Versuch  mit  innerer 
Behandlung  gemacht  werden.  Wird  Pa- 
tient in  kurzer  Zeit  nicht  gebessert,  so  ist 
chirurgische  Hülfe  in  Anspruch  zu  neh- 
men. Diejenigen  Fälle,  die  mit  starker 
vaskulärer  Struma  einhergehen,  sollten 
immer  sobald  als  möglich  operiert  wer- 
den. In  diesen  Fällen  heilt  nach  K  o- 
c  h  e  r  die  Unterbindung  oder  Exzision 
einer  Hälfte  der  Drüse  in  kurzer  Zeit 
und  definitiv.  In  den  Fällen  von  länge- 
rer Dauer  ist  chirurgische  Behandlung 
anzuraten.  Es  muss  aber  mit  grosser 
Vorsicht  vorgegangen  werden,  da  in  die- 
sen Fällen  immer  schwere  Veränderun- 
gen im  Herzen  vorliegen.  In  diesen  Fäl- 
len sollte  mehrzeitig  operiert  werden. 
Was  die  Frage  des  Anästhetikums  be- 
trifft, so  glaube  ich,  dass  alle  Basedow- 
fälle unter  Lokalanästhesie  zu  operieren 
sind. 


New    Yorker   Medizinische    Monatsschrift.  237 


Ein  neuer  Katheter-  und  Cystoskop-Sterilisator  mit  Verwendung  von 

Autandämpfen.* 

Von  Dr.  Arthur  Weiss, 

Em.   Assistenten  der   Allgem.   Poliklinik  in  Wien. 


Als  vor  mehr  als  Jahresfrist  ein  neues 
Formaldehydpräparat  —  Autan  genannt, 
— •  zu  Raumdesinfektionszwecken  auf 
dem  Markte  erschien,  erregten  sowohl 
die  Einfachheit  der  Anwendungsweise 
desselben  als  auch  der  Umstand  meine 
Aufmerksamkeit,  dass  mit  dem  Formal- 
dehyd auch  gleichzeitig  reichlich  Was- 
serdämpfe entwickelt  werden,  die  die 
Polymerisation  des  Formaldehyds  in  den 
Paraform  verhindern,  in  jenen  weissen, 
kri  stallinischen  Körper,  den  wir  bei  der 
trockenen  Desinfektion  mit  Trioxyme- 
thylen  an  den  Instrumenten  haften  sehen 
und  der,  in  den  Urogenitalapparat  ein- 
geführt, daselbst  starke  Reizerschein- 
ungen hervorruft. 

Alle  diese  Umstände  veranlassten 
mich,  dem  Studium  dieses  Körpers  näher 
zu  treten,  und  so  begann  ich  denn  ge- 
meinsam mit  Dr.  M  autner,  dem  As- 
sistenten der  Allgemeinen  Poliklinik  im 
Laboratorium  des  Professor  M  onti, 
mit  informativen  Raumdesinfektionen 
mittelst  Autan.  Dieselben  führten  erst 
dann  zu  einem  halbwegs  befriedigenden 
Resultate,  als  wir  statt  der  mit  24  Stun- 
den alten  Kulturen  beschickten  Argar- 
platten  zu  ebenso  alten  Bouillonkulturen 
griffen.  Erst  jetzt  vermochten  wir  in 
der  angegebenen  Zeit  von  6  Stunden  ei- 
nen grossen  Teil  der  exponierten  Bak- 
terien zu  töten,  einzelne  jedoch  nur  im 
Wachstum  zu  hemmen.  Von  der  Vor- 
aussetzung ausgehend,  dass  bei  einer 
Ueberdosierung  des  Mittels  auch  resi- 
stentere  Bakterienarten  abgetötet  wer- 
den können,  setzte  ich  die  Versuche  in 
Zylinderglässern  fort,  in  denen  ich  die 
60 — 80  fache  Menge  der  für  die  Raum- 


*)  Vortrag,  gehalten  auf  dem  Kongress  der 
Deutschen  Gesellschaft  für  Urologie  in  Wien, 
5.  Oktober  1907. 


desinfektion  angegebenen  Autandosis 
verwendete.  Die  Ergebnisse  waren 
durchgehend  positive.  Es  gelang  mir, 
mit  Diphtheriebazillen,  Bacillus  pyoeya- 
neus  und  Staphylococcus  pyogenes  au- 
reus infizierte  und  sodann  getrocknete 
Seidenfäden  und  Leinwandfleckchen  zu 
sterilisieren.  Die  Testobjekte  erwiesen 
sich  nach  dreiwöchentlicher  Beobachtung 
als  vollständig  steril. 

Ich  zog  nun  daraus  die  Nutzanwen- 
dung für  die  Urologie. 

Die  Desinfektion  der  Cystoskope,  wie 
sie  von  Casper  angegeben  wird,  dass 
man  die  infizierten  Instrumente  dreimal 
eine  Minute  lange  mit  Seifenspiritus  ab- 
reibt und  in  Tüchern,  resp.  Tupfern,  die 
mit  demselben  Mittel  befeuchtet  sind,  bis 
zum  nächsten  Gebrauche  aufbewahrt, 
hatte  in  mir  stets  das  Gefühl  grosser  Be- 
unruhigung erzeugt. 

Ebenso  bedurfte  die  Desinfektions- 
technik der  UJreterencystoskope  und  Ure- 
terkatheter  einer  den  Anforderungen  der 
Anti-  und  Aseptik  zeitgemässeren  Re- 
form. 

Die  zur  Aufnahme  der  Ureterenkathe- 
ter  und  der  Schiene  bestimmten  Röhren 
wurden  nur  mit  deinfizierenden  Lösun- 
gen durchgespült,  die  Ureterenkatheter 
desgleichen.  Aufbewahrt  wurden  die  so 
gereinigten  Instrumente  in  sterilen  Tü- 
chern, Kassetten  oder  in  Trioxymethy- 
lendämpfen,  die,  zum  grossen  Teile  poly- 
merisiert,  in  Gestalt  des  stark  irritativ 
wirkenden  Paraforms  an  den  Instrumen- 
ten festhalten. 

Meine  Versuche  gingen  nun  dahin, 
dass  ich  Katheter  der  verschiedensten 
Kaliber  bis  zu  Guyon-Ureteren-  und 
Filiform-Kathetern  anfangs  an  der  Aus- 
senfläche,  später  auch  an  der  Innen- 
fläche durch  Durchspritzen  mit  den  ver- 
schiedensten    Bakteriengattungen  infi- 


238 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


zierte  und  den  Autandämpfen  aussetzte. 
Sämmtliche,  selbst  die  filiformsten,  mit 
Reinkulturen  von  Bacterium  coli,  Bacil- 
lus pyocyaneus,  Staphylococcus  pyogenes 
aureus,  Bacillus  anthracis  mit  Sporen, 
Typhusbazillen  und  Tuberkelbazillen  in- 
fizierten Katbeter  wurden  sicher  sterili- 
siert, wodurch  die  von  mancher  Seite 
aufgestellte  Behauptung,  es  könne  kein 
so  starker  Ueberdruck  des  Formalde- 
hvdgases  erreicht  werden,  dass  dieses 
das  Ureterenkatheterlumen  durchdringen 
könne,  widerlegt  wurde.  Die  von  uns 
abgetöteten  Reinkulturen  von  Tuberkel- 
bazillen injizierten  wir  intraperitoneal  ei- 
nem Meerschweinchen,  das  innerhalb  der 
sechswöchentlichen  Beobachtungszeit  um 
50  Gramm  zunahm  und  dessen  Organe 
sich  bei  der  von  Herrn  Dozenten  Ba  r  t  el 
am  W  cichselbau  m'schen  Institute 
vorgenommenen  Sektion  als  normal  er- 
wiesen. Auch  die  von  diesem  Tiere  an- 
gefertigten mikroskopischen  Schnitte  der 
verschiedensten  Organe  zeigten  eine  nor- 
male Struktur,  während  das  Kontrahier 
sowohl  makro-  als  mikroskopisch  das 
Bild  einer  disseminierten  Tuberkulose 
darbot. 

Bei  einem  Versuche  über  die  notwen- 
dige Mindestdauer  der  Exposition  von 
Instrumenten  in  meinem  Apparate  ergab 
sich,  dass  statt  der  früher  vorgeschlage- 
nen sechs  Stunden,*)  jetzt  für  Filiform- 
katheter drei,  für  dickere  Katheter  je- 
doch zwei  Stunden  genügen,  um  völlige 
Keimfreiheit  zu  erzielen. 

Der  von  mir  konstruierte  Apparat  be- 
steht aus  einem  Metallfuss,  in  dessen 
Höhlung  ein  Glasgefäss  eingelassen  ist. 
Auf  diesen  Fuss  ist  ein  oben  mit  einer 
Metallkappe  verschliessbarer,  eine  Filiere 
mit  Kathetern  enthaltende  Glasröhre 
mittelst  hermetischen  Bajonettver- 
schlusses aufsetzbar.  In  dem  Glasge- 
fässe  werden  die  Formaldehyddämpfe 
durch  einfaches  Verrühren  eines  aus  Me- 


*)  Wiener  Med.  Wochenschrift,  No.  24,  1907. 


tallsuperoxyden  und  Paraform  bestehen- 
den Pulvergemenges  mit  einer  abgemes- 
senen Wassermenge  erzeugt.  Es  ent- 
stehen alsbald  dichte,  aus  Formaldehyd- 
gas und  Wasserdämpfen  bestehende 
Wolken,  die  das  Zylinderglas  erfüllen. 

Für  das  Ureterencystoskop  und  die 
Ureterenkatheter  wurde  eine  eigene  Fi- 
liere angegeben,  an  deren  Unterseite  an 
Häckchen  die  in  eine  Schlinge  gelegten 
Ureterenkatheter  hängen.  Letzteres  hat 
den  Zweck,  diese  Katheter  steril,  ohne 
Gefahr  des  Anstreifens  am  oberen,  nicht 
einwandsfrei  sterilen  Zylinderrand  in  der 
Weise  entnehmen  zu  können,  dass  man 
sie  mittelst  Pinzette  in  das  auf  eine 
sterile  Kompresse  gestellte  Zylinderglas 
hinabwirft. 

Sämmtliche  in  meinem  Apparate  des- 
infizierten Instrumente  können  demsel- 
ben nach  der  angegebenen  Zeit  zum  so- 
fortigen Gebrauche  entnommen  werden, 
ohne  dass  sie  irgend  welche  Reizer- 
scheinungen hervorrufen.  Es  ist  dies 
durch  die  Uebersättigung  der  Atmos- 
phäre im  Zylinderglase  mit  Wasser- 
dämpfen bedingt,  die  den  Formaldehyd 
gasförmig  erhalten,  während  das  an  den 
Instrumenten  sich  bildende  Kondens- 
wasser nur  in  minimalen  Spuren  nach- 
weisbare Formaldehyddosen  enthält. 

Wenn  ich  die  Vorzüge  dieses  Appa- 
rates resümierend  hervorhebe,  muss  ich 
sagen : 

1 )  Der  Apparat  kann  durch  jeder- 
mann, selbst  den  ungeschultesten  Men- 
schen bedient  werden. 

2)  Er  sterilisiert  Cystoskop  und  Ka- 
theter in  zwei,  Filiformkatheter  in  drei 
Stunden  einwandsfrei. 

3)  Die  in  dem  Apparate  sterilisierten 
Instrumente  können  sofort  nach  der  an- 
gegebenen Zeit  in  Verwendung  genom- 
men werden,  ohne  die  geringsten  Reiz- 
erscheinungen hervorzurufen. 

4)  Der  Apparat  dient  zur  sterilen  Auf- 
bewahrung daselbst  desinfizierter  Instru- 
mente. 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


239 


OTTOMAR  ROSENBACH: 


Charakterzüge  aus  seinem  Leben. 

Aus  den  Nachrufen  zusammengestellt  von  Dr.  A.  Rose. 


Nichts  ist  lehrreicher  und  nützlicher 
für  unser  ärztliches  Leben  und  Wirken 
als  von  grossen  und  edlen  Männern  un- 
seres Standes  Charakterzüge  kennen  zu 
lernen,  denn  sie  regen  uns  zum  Nach- 
denken an  und  wirken  erhebend  auf  un- 
sere Bildung.  Es  liegt  nahe  einiges 
Schöne  aus  dem  Leben  eines  Mannes  wie 
Rosenbach  hier  zu  geben,  weil  er  zu 
den  besten  und  bedeutendsten  Aerzten 
seiner  Zeit  gehörte. 

Seine  Biographie  habe  ich  im  ,,Medi- 
cal  Brief"  in  der  Aprilnummer  des  Jahres 
1904  veröffentlicht  und  in  der  Mainum- 
mer 1907  desselben  Journals  ihm  einen 
Nachruf  gewidmet ;  heute  gebe  ich  eine 
Auslese  dessen,  was  seine  nächsten 
Freunde  und  Schüler  über  ihn  geschrie- 
ben. 

Das  Ausgezeichnete  dieses  seltenen 
Menschen,  die  zarte  Rücksichtnahme  auf 
seine  Umgebung,  hat  er  noch  über  das 
Grab  kundgegeben.  Er  starb  am  20. 
März,  1907,  und  erst  zwei  Tage  nach 
seinem  Tode  erhielten  die  näheren 
Freunde  diese  Nachricht :  das  war  seine 
ausdrückliche  Bestimmung  gewesen.  Wie 
er  sich  jedes  Geleit  zur  letzten  Ruhe- 
stätte verbeten  hatte,  so  hatte  er  auch  die 
Zeichen  äusserer  Trauer  verboten ;  die 
weiblichen  Angehörigen  seines  Haus- 
halts empfingen  die  teilnehmenden 
Freunde,  die  sich  auf  die  Todesnachricht 
hin  einfanden,  in  hellen  Kleidern. 

Eine  langjährige  ärztliche  Tätigkeit 
hatte  die  Feinheit  und  Intensität  des 
Mitfühlens  vertieft.  Stets  und  für  Alle 
war  er  voll  von  Güte  und  Teilnahme ; 
seinen  Kranken  gegenüber  bewährte  er 
die  grosse  Kunst,  sich  völlig  in  die  Lei- 
denden einzufühlen.  Bei  der  Kranken- 
untersuchung entfaltete  er  eine  Rück- 
sicht, die  äusserst  wohltuend  war. 

Rosenbach  war  in  jeder  Bezieh- 


ung eine  aussergewöhnliche  Persönlich- 
keit. Er  war  ein  Arzt,  wie  es  wenige  ge- 
geben hat.  Seine  Diagnosen  waren  von 
bewundernswerter  Schärfe,  in  seinen 
Prognosen  hat  er  nur  selten  geirrt,  und 
in  der  Therapie  hatte  er  aussergewöhn- 
liche Erfolge  zu  verzeichnen.  Charak- 
teristisch war,  dass  so  viele  Aerzte  sich 
seinen  Rat  erbaten.  Seine  Arbeitslust 
und  Kraft  waren  geradezu  erstaunlich. 
Er  war  ein  selten  scharfer,  origineller 
Denker,  für  den  kein  Autoritätsglaube 
existierte.  Er  nahm  für  sich  das  Recht 
in  Anspruch,  alle  Probleme  selbstständig 
durchzudenken,  und  es  gab  wenige, 
denen  er  dabei  nicht  neue  Seiten  abge- 
wann. Mit  durchdringendem  Verstände 
begabt,  war  er  zugleich  von  einer  sel- 
tenen Herzensgüte  und  Zartheit  der  Em- 
pfindung. Er  übte  zahllose  Wohltaten 
aus,  stets  so,  dass  ein  Dritter  nichts  da- 
von erfuhr,  und  hatte  für  alle  mensch- 
lichen Schwächen  Verständnis.  Sein 
überaus  stark  entwickeltes  Gerechtig- 
keitsgefühl liess  ihn  stets  für  alle  L Unter- 
drückten eintreten. 

In  theoretischen  Ueberzeugungen  war 
er  unerbittlich,  er  liess  sich  durch  den 
Widerstand  fast  aller  seiner  Kollegen 
nicht  irre  machen.  Es  gibt  nun  schon 
unter  den  älteren  praktischen  Aerzten 
viele,  die  aus  langer  Berufsübung  heraus 
zu  den  Anschauungen  Rosenbac  h's 
vorgedrungen  sind,  und  unter  den  jünge- 
ren Aerzten  gibt  es  nun  ebenfalls  viele, 
die  den  Rosenbac  h'schen  Lehren 
mehr  Sympathie  und  Verständnis  ent- 
gegenbringen, als  es  von  Seiten  der  jetzt 
berrschenden  Autoritäten  geschieht.  Auf 
einem  verhältnismässig  kurzen  Lebens- 
gange hat  dieser  bis  zum  letzten  Atem- 
zuge seinen  wissenschaftlichen  Proble- 
men lebende  und  nachdenkende  Geist 
eine  solche  Fülle  von  neuen  und  bedeut- 


2-fO 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


samen  Begriffen  geschaffen  oder  umge- 
prägt, althergebrachte  wiederum  be- 
kämpft, und  schon  fundamentierte  zu  er- 
schüttern gesucht,  lediglich  auf  die  ei- 
gene Kraft  vertrauend,  ohne  Anlehnung 
und  oft  im  Gegensatz  zur  bestehenden 
Richtung,  dass  seine  Spuren  auf  dem 
Wege  der  fortschreitenden  medizinischen 
Wissenschaft  nimmermehr  verwischt 
werden  können.  Unter  seinen  278 
Büchern,  Monographien,  Abhandlungen 
und  Schriften  ist  keine  einzige,  deren  In- 
halt den  Stempel  der  Banalität  trägt, 
oder  unter  der  Engbrüstigkeit  seiner 
nachuntersuchenden  oder  wenigstens 
nachempfindenden  Forschungsweise  lei- 
det. Trotz  der  Fülle  des  Geschriebenen 
war  Rosenbach  immer  neu,  immer 
selbstständig,  immer  geistvoll,  oft  pole- 
misch und  widersprechend,  nicht  selten 
voll  beissenden  Witzes  und  packender 
Ironie,  immer  aber  mit  eiferndem  Ernste 
bereit,  das,  was  ihm  die  Wahrheit  schien, 
auch  gegen  eine  ganze  Welt  zu  verfech- 
ten, unbekümmert  um  eigene  Nachteile, 
den  Blick  vielmehr  kraftvoll  gerichtet 
auf  grosse  allgemeine  Fragen,  nicht  aus- 
schliesslich der  engern  medizinischen 
Wissenschaft,  sondern  auch  der  sozialen 
Fürsorge,  der  ärztlichen  Kollegialität, 
und  selbst  auf  Fragen  der  ferneren  Ge- 
biete der  Naturwissenschaften  und  der 
Psychologie. 

Rosenbach  hatte  die  Neigung,  sich 
mit  theoretischen  Problemen  gedanken- 
reich zu  beschäftigen,  und  diese  seine 
Geistesrichtung  ist  fruchtbar  für  die 
praktische  Medizin  geworden ;  ihr  ver- 
danken wir  seine  Lehren  von  den  funk- 
tionellen Erkrankungen,  von  den  Organ- 
insuffizienzen, von  den  suggestiven  Wir- 
kungen, von  der  psychischen  Behand- 
lung :  Lehren,  für  die  er  einst  nicht  ohne 
Widerstand  eintreten  musste.  obwohl  sie 
heute  zu  Selbstverständlichkeiten  gewor- 
den sind.  Und  seine  noch  nicht  genug 
verstandene  Lehre  von  der  Energetik 
findet  schon  heute  in  der  Biochemie  und 
Biophysik  ihre  materielle  Bestätigung. 

Der  Schüier  seines  Oheims  Traube 
und    Cohnhei  m's.   hat  er  auch  eine 


Fülle  von  exakten  klinischen  und  experi- 
mentellen Arbeiten,  die  ebenfalls  hoch 
bedeutsam  gewesen  sind,  geschaffen. 
Aus  ihrer  Menge  seien  nur  als  Beispiele 
die  Experimente  über  Aortenklappenin- 
suffizienz, die  Lehre  vom  Mechanismus 
der  Stimmbandlähmungen,  die  Behand- 
lung der  Magenerweiterung  herausge- 
griffen. Als  einer  der  Ersten  hat  er  die 
Bedeutung  der  verminderten  Funktions- 
leistung für  den  Betrieb  des  Magenme- 
chanismus erkannt  und  als  erste  reife 
Frucht  dieser  Anschauungen  die  viel  zi- 
tierte Abhandlung  „Mechanismus  und 
Diagnose  der  Mageninsuffizienz"  erschei- 
nen lassen.  Mit  dieser  im  Jahr  1879 
publizierten  Arbeit  ist  Rosenbach 
als  Begründer  der  funktionellen  Diagno- 
stik der  Magenkrankheiten  zu  betrach- 
ten. Seit  dieser  Zeit  ist  die  Bezeichnung 
..motorische  oder  mechanische  Insuffi- 
zienz" als  eine  der  grundlegendsten  Er- 
rungenschaften in  die  Diagnostik  der 
Magenkrankheiten  eingeführt  worden. 
Gerade  diese  Auffassung  von  der  Funk- 
tionsleistung und  Funktionsschädigung 
bildete  für  Rosenbach  der  Aus- 
gangspunkt für  seine  spätem  Studien 
über  Energetik,  die  er  auf  die  Gesammt- 
pathologie  des  Menschen  übertragen  hat. 
Für  mich  waren  seine  Experimente  mit 
Kohlensäure  von  besonderer  Bedeutung ; 
er  hat  hier  Tatsachen  festgestellt,  die  mir 
zur  Grundlage  meiner  Behandlung  von 
Dysenterie  und  Mastdarmfisteln  mit 
Kohlensäure  dienten.  Als  ich  gezeigt 
und  bewiesen,  dass  Mastdarmfisteln  ohne 
Operation  mittelst  Applikation  von  Koh- 
lensäure prompt,  vollständig  und  perma- 
nent geheilt  werden  können,  beglück- 
wünschte er  mich,  diese  Aufgabe  gelöst 
zu  haben.  Seine  Tätigkeit  erstreckte 
sich  so  ziemlich  auf  alle  Einzelgebiete 
der  Medizin,  alle  erfuhren  durch  ihn  Be- 
reicherung und  Fortentwickelung  —  kei- 
nes aber  wohl  in  höherem  Grade,  als  die 
Lehre  von  den  Herzkrankheiten,  die 
durch  die  von  ihm  geschaffene  und  in 
diesem  Sonderfache  zur  Vollendung  er- 
hobene funktionelle  Diagnostik  auf  teil- 
weise neue,  auch    die    Prognostik  und 


New    Yurker   Medizinische  Monatsschrift. 


241 


Therapie  wesentlich  umgestaltende 
Grundlagen  gestellt  wurde.  In  dieser 
Beziehung  werden  seine  „Krankheiten 
des  Herzens  und  ihre  Behandlung"  als 
bahnbrechendes  Werk  angesehen  werden 
dürfen. 

Rosen  b  ach  war  der  geborene  Ex- 
perimentator. Bei  den  Experimenten 
verstand  er  es,  die  Probleme  mit  seltener 
Scharfe  zu  präzisieren  und  alle  Möglich- 
keiten zu  berücksichtigen.  Er  erkannte 
die  grossen  Schwierigkeiten,  die  sich  ei- 
ner einwandfreien  Beantwortung  wissen- 
schaftlicher Fragen  in  den  Weg  stellen, 
besonders  in  Bezug  auf  das  Tierexperi- 
ment, vor  dessen  Ueberschätzurig  er  ein- 
dringlich gewarnt  hat.  Namentlich 
gross  war  er  in  der  kritischen  und  syn- 
thetischen Verwertung  der  gemachten 
Experimente  und  Erfahrungen,  da  seine 
Assoziationsfähigkeit  in  geradezu  stau- 
nenswerter Weise  entwickelt  war.  So 
hat  er  auf  Grund  eines  sorgfältig  selbst 
beobachteten  Falles  und  mit  kritischer 
Verwertung  der  in  der  Literatur  be- 
schriebenen Fälle  das  berühmte  Gesetz 
von  der  verschiedenen  Vulnerabilität  der 
Rekurrenzfasern  aufgestellt,  das,  wie  er 
sogleich  erkannte,  nur  ein  Spezialfall  des 
allgemeinen  Gesetzes  ist,  dass  bei  Affek- 
tionen der  Nervenstämme  oder  der  Zen- 
tralorgane die  Beuger  viel  später  ge- 
lähmt werden  als  die  Strecker. 

Als  eine  seiner  hauptsächlichen  Le- 
bensaufgaben hat  Rosenbach  es  im- 
mer betrachtet,  für  die  Einheitsbestre- 
bungen in  der  Medizin  gegenüber  dem 
überhandnehmenden  Spezialistentum  ein- 
zutreten und  dem  praktischen  Arzte  das 
gesammte  Gebiet  der  Medizin  wieder  zu 
gewinnen.  So  sehr  er  die  experimentelle 
Forschung  hochhielt  und  jedes  ihrer  Er- 
gebnisse als  bedeutsam  für  die  Fortent- 
wickelung der  Wissenschaft  anerkannte, 
erhob  er  doch  immer  wieder  seine 
Stimme  warnend  gegen  die  Lieberschätz- 
ung einer  lediglich  aus  dem  Laborato- 
rium stammenden  Diagnostik  und  Thera- 
pie. 

Im    Kampf    gegen    die  herrschende 


Macht  der  Bakteriologie  ist  er  nicht  ohne 
Erfolg  geblieben,  indem  er  sorgfältig  die 
Abwehrkräfte  des  Organismus  und  die 
Vielartigkeit  seiner  Reaktionen  hervor- 
hob und  die  Uebertreibungen  spezifischer 
Heilverfahren  geisselte. 

Mit  dem  Jahre  1890,  als  Koch  das 
Tuberkulin  empfahl,  begann  der  Kampf 
Rosenbach's  gegen  die  Bakteriolo- 
gie. In  vielen  Punkten  hat  er  schon  jetzt 
Recht  behalten,  in  anderen  wird  ihm  vor- 
aussichtlich die  Zukunft  Recht  geben. 
Seine  gesammelten  diesbezüglichen  Ar- 
beiten hat  er  1903  in  dem  Buche  „Arzt 
contra  Bakteriologie"  veröffentlicht,  das 
wie  eine  Bombe  einschlug.  Rosen- 
bach war  aber  durchaus  kein  Feind  der 
Bakteriologie,  deren  Bedeutung  als  bio- 
logische Wissenschaft  er  im  Gegenteil 
hochschätzte.  Er  bekämpfte  nur  die  An- 
massung  der  „Nichts-als-Bakteriologen", 
gewissermassen  Richter  über  den  Arzt 
am  Krankenbette  zu  sein,  und  die  Schä- 
digung in  sozialer  und  ethischer  Bezieh- 
ung, die  durch  die  übertriebene  Furcht 
vor  Ansteckung  und  rigorosen  Absper- 
rungs-  und  Desinfektionsmassregeln 
erzeugt  werden. 

Rosenbach  hat  zu  Lebenszeiten 
aus  verschiedenen  Gründen  leider  nicht 
die  Anerkennung  gefunden,  die  er  sicher 
verdient  hat.  Der  wesentlichste  ist  wohl 
der,  dass  er  zur  unrechten  Zeit,  zu  früh, 
gelebt  hat,  während  einer  Zeitströmung, 
die  „naturphilosophischen"  Arbeiten  re- 
fraktär gegenüberstand.  Aber  weder 
das  Verschweigen  seiner  Arbeiten,  noch 
<lie  zuweilen  dagegen  unter  der  Maske 
der  Wissenschaftlichkeit  gerichteten  ab- 
sprechenden Urteile  —  für  ernsthafte 
Kritiken  war  er  stets  dankbar  und  hatte 
eine  begründete  Ausstellung  weit  lieber 
als  eine  lobende  Phrase  —  konnten  R  o- 
senbach  von  seinen  Ueberzeugungen 
abbringen  und  ihm  den  Glauben  an  den 
Sieg  seiner  Ideen  rauben. 

Möge  bald  die  Zeit  kommen,  wo  man 
die  Verdienste  dieses  ausserordentlichen 
Mannes  anerkennen  wird. 


242 


New   Yorker   Medizinische  Monatsschrift. 


Referate  und  Kritiken. 


Ernst  Romberg:  Lehrbuch  der 
Krankheiten  des  Herzens  und  der 
Blutgefässe.  Mit  53  Abbildungen. 
Verlag  von  Ferdinand  Enke.  Stutt- 
gart 1906.    548  S.    Preis  13  M. 

Das  vorliegende  Werk  ist  im  wesent- 
lichen eine  Neubearbeitung  des  von  R. 
abgefassten  Abschnittes  über  die  Krank- 
heiten der  Kreislaufsorgane  in  dem  be- 
kannten E  b  s  t  e  i  n-S  c  h  w  a  1  b  e'schen 
Handbuche  der  praktischen  Medizin. 
Lücken  in  der  Behandlung  des  Stoffes, 
die  in  dem  engen  Rahmen  des  Hand 
buches  unvermeidbar  waren,  sind  in  der 
Separatsausgabe  ausgefüllt  worden,  so- 
dass dieselbe  darauf  Anspruch  machen 
kann,  als  eine  nach  jeder  Richtung  hin 
erschöpfende  Darstellung  der  Krankhei- 
ten der  Kreislaufsorgane  angesehen  zu 
werden.  Das  Werk  ist  meisterhaft  ge- 
schrieben, und  wir  können  wohl  sagen, 
dass  uns  bis  jetzt  noch  keine  bessere  Ab- 
handlung über  die  Herz-  und  Blutgefäss- 
erkrankungen  zu  Gesicht  gekommen  ist. 

F.  C  a  1  o  t :  Die  Behandlung  der  an- 
geborenen Hüftgelenksverrenkung. 
Uebersetzt  von  P.  Ewald.  Mit  206 
Abbildungen.  Mit  einem  Vorwort 
von  Prof.  Dr.  Oscar  V  u  1  p  i  u  s. 
Verlag  von  Ferdinand  Enke.  Stutt- 
gart 1906.    283  S. 

Der  Verfasser  des  Werkes  ist  der  auch 
in  Deutschland  wohlbekannte  Kinder- 
chirurg C  a  1  o  t  in  Berck-sur-mer,  der, 
wie  Prof.  V  u  1  p  i  u  s  in  dem  Vorwort 
sagt,  wie  kein  zweiter  kraft  seiner  gros- 
sen Zahl  von  Beobachtungen  und  seiner 


Behandlungsmethode  berufen  ist,  zu  dem 
Kapitel  kongenitale  Hüftgelenksverrenk- 
ung seine  Stimme  zu  erheben  und  über 
seine  technischen  Modifikationen  und 
seine  Erfolge  zu  berichten.  Aufgebaut 
auf  eine  ungewöhnlich  grosse  Erfahrung 
an  einem  reichen  Krankenmaterial  hat 
das  Werk  Vorzüge  mannigfacher  Art 
aufzuweisen.  Es  behandelt  das  Thema 
erschöpfend,  indem  auch  die  kleinsten 
Manipulationen  des  Arztes  von  der  er- 
sten Untersuchung  an  bis  zum  Abschluss 
der  Nachbehandlung  Erwähnung  finden. 
Die  Darstellung  ist,  wie  V  u  1  p  i  u  s  rüh- 
mend hervorhebt,  eine  glänzende,  ausge- 
zeichnet durch  eine  geradezu  plastische 
Klarheit  und  erfrischende  Lebendigkeit. 
Zwar  teilt  V  u  1  p  i  u  s  die  Anschauung 
C  a  1  o  t's  nicht,  wenn  er  die  Behandlung 
der  Hüftgelenksverrenkung  von  jedem 
praktischen  Arzt  durchgeführt  wissen 
will,  da  die  Forderungen,  die  Calot 
selbst  in  seinem  Buche  aufgestellt,  ein 
vielbeschäftigter  praktischer  Arzt  un- 
möglich erfüllen  kann.  Die  Calot'- 
sche  Methode  ist  nicht  neu  im  Ganzen, 
wohl  aber  in  Einzelnheiten.  Die  wach- 
senden Erfolge,  welche  von  ihm  mit  der 
Ausbildung  seiner  Technik  in  engem 
Zusammenhang  gebracht  werden,  schei- 
nen überraschend  günstig  zu  sein.  Die 
Illustrationen  des  Buches,  besonders  aber 
die  beigegebenen  schematischen  Zeich- 
nungen sind  äusserst  instruktiv.  Die 
Uebersetzung  des  französischen  Origi- 
nals durch  P.  Ewald,  erster  Assistent 
der  V  u  1  p  i  u  s'schen  Klinik,  ist  muster- 
giltig  und  wird  dem  Original  in  jeder 
Beziehung  gerecht. 


Dr.  Carl  Beck's  „Surgical  Diseases  of  the  Chest." 


In  der  in  Berlin  erscheinenden  „Deut- 
schen Medizinischen  Presse"  22.  No- 
vember 1907)  finden  wir  nachfolgende 
Bücherbesprechung  (?),  die  besonders 
für  die  in  New  York  wohnenden  Kol- 
legen von  Interesse  sein  dürfte  und  die 
wir  deshalb  hier  unverkürzt  zum  Ab- 
druck bringen : 


„Beck,  Carl  (Professor  of  Surgery 
in  the  New  York  Post-Graduate  Medical 
School  and  Hospital,  Yisiting  Surgeon 
to  the  St.  Mark's  Hospital  and  the  Ger- 
man Policlinic,  Consulting  Surgeon,  etc., 
President  of  the  American  Therapeutic 
Society,  President  of  the  New  York  So- 
ciety   of    Medical    Jurisprudence.  etc.. 


New   Yorker   Medizinische  Monatsschrift. 


243 


etc.),  Surgical  Diseases  of  the  Chest. 
With  16  colored  and  I62  other  illustra- 
tions.  Philadelphia,  1907.  P.  Blakis- 
ton's  Sons  &  Co.  IX,  371  pp.  Preis  5 
Dollars. 

,,Der  von  mir  —  und  von  wem  wohl 
dies-  und  jenseits  des  Ozeans  nicht?  — 
hochverehrte,  geniale  New  Yorker  Chir- 
urg und  Chirurgie-Professor  Carl 
Beck  sandte  mir  das  jüngste  Pro- 
dukt seines  rastlosen,  staunenswerten 
Fleisses  mit  folgendem,  unter  dem  27. 
September  1907  aus  seiner  Villa  Beck 
in  Pelham-New  York  datierten  Schrei- 
ben : 

Lieber  hochverehrter  Herr  Kollege ! 
Erst  jetzt  erfahre  ich,  dass  man  Ihnen 
mein  neuestes  Buch  nicht  zusandte 
und  bat  ich  die  Verlagshandlung  dies 
sofort  nachzuholen.  Nehmen  Sie  es 
gütigst  als  einen  herzlichen  Gruss 
eines  Sie  hochschätzenden  Menschen 
an.  Sie  brauchen  es  ja  Gott  sei  Dank 
nicht  mehr  zu  besprechen.  Seit  ich  in 
meiner  Villa  wohne,  geht  es  mir  viel 
besser,  aber  nächstes  Jahr  komme  ich 
doch  wieder  hinüber.  Dann  werde  ich 
Sie  beizeiten  benachrichtigen.  Herz- 
lichen Gruss.    Ihr  ergebenster 

Carl  Beck. 

„Fast  a  tempo  mit  diesen  Zeilen  traf 
auch  das  Avis  der  Verleger  und  wenige 
Stunden  nach  ihm  das  prächtige  Buch 
selbst  ein.  Obwohl  der  Verf.  (nicht  die 
Herren  Verleger)  mich  von  der  Pflicht 
einer  Anzeige  ausdrücklich  befreit  hat, 
so  kann  ich  es  doch  nicht  über  mich 
bringen,  die  herrliche  Dedikation  anzu- 
nehmen, ohne  ihrer  wenigstens  mit  eini- 
gen Worten  der  Dankbarkeit  zu  geden- 
ken. Ich  gehe  nicht  weiter  auf  den  In- 
halt des  Exzellenz  v.  C  z  e  r  n  y  gewid- 
meten Buches  ein  —  das  ist  Sache  eines 
berufenen,  dem  populärsten  deutsch- 
amerikanischen Chirurgen  Beck  eben- 
bürtigen europäischen  bezw.  deutschen 
Meisters  —  und  bemerke  hierüber  nur 
kurz  unter  Anlehnung  an  die  Vorrede, 
dass  in  den  jüngsten  Jahren  die  ameri- 
kanischen Leistungen  sich  hauptsächlich 


auf  die  Abdominalchirurgie  konzentriert 
haben  und  seit  1896,  dem  Publikations- 
jahre von  P  a  g  e  t's  Werk,  keine  speziell 
die  Brustchirurgie  zusammenfassend  be- 
handelnde Publikation  in  Amerika  er- 
folgt ist,  während  doch  die  Fortschritte 
auch  hierin  Dank  der  Asepsis,  der  Bak- 
teriologie und  der  Röntgendiagnostik 
ausserordentlich  rapide  gewachen  sind. 
—  Nur  soviel  sei  bemerkt :  Wer  den 
amerikanischen  Anteil  an  diesen  Fort- 
schritten und  Leistungen  kennen  lernen 
will,  wer  speziell  B  e  c  k's,  des  wunder- 
bar vielseitigen  und  fast  übermenschlich 
arbeitenden  Mannes,  Verdienste  auch  in 
dieser  Sparte  der  Medizin  und  Chirurgie 
würdigen  will,  wer  endlich  an  der  Pracht 
amerikanischer  Buchausstattung  Auge 
und  Herz  weiden  lassen  und  die  hellste 
Freude  darüber  empfinden  will,  dass  und 
wie  sehr  man  in  Amerika  es  versteht, 
streng  wissenschaftlichen  Büchern  ein 
Gewand  zu  geben,  als  handle  es  sich  etwa 
um  eine  Prachtillustrationsausgabe  von 
D  o  r  e's  Bibel,  G  o  e  t  h  e's  Faust  oder 
einem  sonstigen  klassischen  Werk,  der 
greife  zu  B  e  c  k's  ,Siwgical  Diseases  of 
the  Chest'.  Er  wird  sich  über  dessen 
Aeusseres  und  Inneres  tief  befriedigt 
fühlen  und  dem  Autor  gratulieren  um 
der  Wissenschaft  willen,  der  Wissen- 
schaft um  eines  solchen  Autors  willen.  — 
Ich  habe  Beck,  den  ich  mit  Stolz  hier  — 
salva  venia  —  meinen  Freund  zu  nennen 
mir  anmasse,  geschrieben,  dass  von  dem 
Buch  eine  deutsche  Ausgabe  veranstaltet 
werden  müsste  und  glaube  das  vertreten 
zu  können,  auch  wenn  der  amerikani- 
schen Ausgabe  europäischer  Ruf  sicher 
ist.  Denn  es  gibt  immerhin  leider  noch 
bei  uns  weite  Kreise  von  Aerzten,  denen 
die  englische  Sprache  nicht  so  geläufig 
ist,  dass  sie  im  stände  wären,  Beck's 
Werk  glatt  und  ohne  Schwierigkeiten  zu 
studieren.  Und  dadurch  würde  diesen 
Kreisen  und  der  deutschen  Literatur 
überhaupt  ein  Buch  entgehen,  das  zwei- 
fellos den  Rang  eines  Standard-work  für 
diesen  Sonderzweig  der  Wundheilkunde 
beansprucht.  Pagel. 
Berlin,  den  9.  Oktober  1907." 


244 


New   Yorker   Medizinische  Monatsschrift. 


Auszüge  aus  der  neuesten  Journalliteratur. 


Jervois  Aarons:    M edical  Treat- 
ment  of  Utcrinc  Hemorrhage. 

Bei  Uterusblutungen  kann  allein  die 
Aetiologie  darüber  entscheiden,  ob  ein 
operativer  Eingriff  nötig  ist  oder  ob  ein 
Hämostatikum  zu  verabfolgen  ist.  Oft 
wird  durch  eine  voreilige  Operation 
Schaden  gestiftet,  wo  therapeutische 
Heilung  hätte  bewirkt  werden  können. 
A.  bringt  eine  tabellarische  Zusam- 
menstellung der  von  ihm  behandelten 
Fälle,  darunter  auch  einige,  die  durch 
Operation  geheilt  wurden,  nachdem 
durch  vorherige  Darreichung  eines  Hä- 
mostatikums  günstig  vorgearbeitet  wor- 
den war.  Neu  ist  unter  seinen  Behand- 
lungsmethoden die  Anwendung  von 
Gelatine  gegen  Uterusblutungen.  Im 
übrigen  kamen  zur  Verwendung:  „Hy- 
drastin Compound",  Ergotin,  Adrenalin 
und  Styptol  d.  i.  neutrales  Cotarnin. 
phtalic.  „Hydrastin  Compound"  wurde 
post  partum  und  post  abortum  vorab- 
folgt. Das  darin  enthaltene  Cotarnin. 
hydrochlor.  allein  (Stypticin)  verwendet 
Verf.  nicht,  da  es  vor  „Hydrastin  Com- 
pound" keinen  Vorteil  bietet  und  im  Ge- 
genteil oft  Schwindel  und  Kopfschmer- 
zen verursachen  soll,  was  allerdings  auch 
bei  fortgesetzter  Darreichung  von  ,. Hy- 
drastin Compound"  eintritt,  eben  infolge 
seines  Gehaltes  an  Cotarnin.  hydro- 
chloric.  Ergotin,  innerlich  und  subku- 
tan, leistete  gute  Dienste,  wo  Uteruskon- 
traktionen erwünscht  waren,  also  eben- 
falls bei  den  angeführten  Indikationen. 

Adrenalin  erwies  sich  als  geeignet  zur 
rein  lokalen  Behandlung.  Kalzium- 
laktat und-  chlorid  hat  den  Vorteil,  die 
Koagulabilität  des  Blutes  bedeutend  zu 
erhöhen.  Mittels  Gelatine  durch  Ein- 
führung per  Rektum  konnten  in  3  Fäl- 
len  die  uterinen  Blutungen  zum  Still- 
stand gebracht  werden.  Ausführlicher 
geht  Verfasser  auf  Styptol  ein,  das  er 
viel  und  mit  sehr  gutem  Erfolge  an- 
wandte. Als  besonderes  wesentlich  wird 
die  sedative  und  analgetische  Wirkung 
des  Mittels  neben  der  blutstillenden  er- 
wähnt. Auch  bewirkt  Styptol  keine 
Uteruskontraktionen.  Ungenehme  Fol- 
geerscheinungen wurden  in  keinem  Falle 
beobachtet.   Verfasser  behandelte  erfolg- 


reich Fälle  von  Dysmenorrhoe,  klimak- 
terischen Blutungen,  Blutungen  während 
der  Schwangerschaft,  ferner  inoperables 
Karzinom,  Endometritis  (nach  vorher- 
gegangenem Kurettement),  Salpingitis 
und  Lageveränderungen  des  Uterus. 
Das  Styptol-Knoll  verdient  im  höchsten 
Grade  wegen  seiner  prompten  Wirkung 
die  Beachtung  der  Gynäkologen.  (Brit- 
ish Gvnaecological  Journal,  February, 
1907.) 

G.  S.  Hayn  es:  Beiträge  zur  Verwen- 
dung der  Herztonika. 

Die  galenischen  Digitalis-  und  Stro- 
phantuspräparate  sind  in  ihrem  Wir- 
kungswert meist  sehr  verschieden  und 
unterliegen  einer  fortwährenden  Aen- 
derung.  Es  ist  daher  als  ausserordent- 
licher Fortschritt  anzusehen,  dass  das 
Digitoxin  und  Strophantin  als  einheitli- 
che chemische  Körper  in  den  Handel  ge- 
bracht wurden.  Beim  isolierten,  mit 
Ringer-Lock  e'scher  Flüssigkeit 
durchbluteten  Kaninchenherzen  übt  das 
Strophantin  selbst  in  minimalen  Dosen 
(0,00001  g)  eine  sofortige  kräftige  Wir- 
kung aus.  Bei  intravenöser  Injektion 
wirkt  das  Strophantin  fast  augenblick- 
lich. 

Die  meisten  Herztonika  bewirken  eine 
periphere  Gefässverengerung,  was  bei 
Arterienerkrankungen  und  Blutdruck- 
steigerung im  Auge  zu  behalten  ist.  In 
Fällen,  wo,  wie  z.  B.  bei  Dilatatio  cordis, 
neben  Digitalis  eine  Gefässerweiterung 
erwünscht  ist,  kombiniert  man  dieses  am 
besten  mit  den  Purinderivaten  :  Koffein, 
Theobromin  und  Theophyllin.  Am  bes- 
ten bewährt  sich  das  Diuretin  (Theo- 
bromin. natriorsalicyl.).  Es  bewirkt 
ähnlich  wie  Koffein  eine  Verstärk- 
ung des  Herzspitzensstosses.  Bei  Durch- 
blutung des  isolierten  Kaninchenherzens 
mit  Diuretin  enthaltender  Ringer- 
Lock  e'scher  Flüssigkeit  zeigt  sich  vor 
allem  auch  eine  bedeutende  Erweiterung 
der  Koronargefässe.  Eine  Kombination 
eines  Herztonikums  mit  einem  vasodila- 
tatorisch  wirkenden  Mittel  von  der  Art 
des  Diuretins  bewirkt  eine  Verlangsam- 
ung und  Kräftigung  des  Herzstosses  und 
zugleich  eine  vermehrte  Durchblutung 
der  Arterien.    Die   Vaguswirkung  der 


New    Yorker   Medizinische  Monatsschrift. 


245 


Herztonika  wird  teilweise  durch  die  ex- 
zitomotorische  Wirkung  des  Diuretins 
aufgehoben. 

Diuretin  wirkt  gleichzeitig  als  Herz- 
stimulans. Da  es  nicht  nur  den  Puls 
kräftigt,  sondern  auch  die  Koronalge- 
fässe  erweitert,  ist  es  vor  allem  zur  Kom- 
bination mit  Digitalis  angezeigt,  da  des- 
sen grösster  Nachteil  bei  der  Behandlung 
von  Herzkrankheiten  in  der  Gefässver- 
engerung  beruht.  Ausser  auf  die  Koro- 
nararterien wirkt  das  Diuretin  auch  auf 
die  peripheren  Gefässe  dilatierend  ein ; 
da  jedoch  auch  die  Herzaktion  vermehrt 
ist,  so  sinkt  der  Blutdruck  nicht  unter 
seine  normale  Höhe.  Eine  andere  Wir- 
kung des  Diuretins,  die  erhöhte  Diurese, 
ist  stets  das  sekundäre,  während  die  in- 
tensivere Durchblutung  der  Nieren  das 
primäre  ist.  Auf  keinen  Fall  ist  eine 
spezifische  Einwirkung  des  Diuretins  di- 
rekt auf  das  Nierenepithel  erwiesen. 
Eine  Kombination  von  Diuretin  mit  Di- 
gitalis erscheint  besonders  aussichtsreich 
bei  kardialem  Hydrops,  Herzschwäche 
und  vor  allem  bei  Allgemeinerkrankun- 
gen der  Herzgefässe. 

Die  kumulative  Wirkung  der  Herzto- 
nika macht  sich  besonders  bei  Digitalis 
und  Scilla  bemerkbar,  weniger  bei  Stro- 
phantins, speziell  bei  intravenöser  An- 
wendung des  Strophantins  ist  diese  Wir- 
kung kaum  zu  befürchten.  (Folia  thera- 
peutica,  Oktober,  1907.) 

Professor    Ernst    von  Leyden: 
Uebcr  einige  neuere  ScJilaf mittel. 

Unter  den  neuen  Schlafmitteln,  die 
eine  wirkliche  Bereicherung  des  Arznei- 
schatzes bedeuten,  ist  wohl  zeitlich  als 
erstes  das  Veronal  zu  nennen.  Es  ist  ein 
bitter  schmeckendes,  in  heissem  Wasser 
ziemlich  schwer,  in  kaltem  Wasser  fast 
unlösliches  Pulver,  dagegen  sind  seine 
Alkalisalze  ziemlich  leicht  löslich.  Vom 
chemischen  Standpunkte  ist  es  ein  Harn- 
storTderivat.  Es  kommt  in  einmaligen  Do- 


sen von  0.3 — 1,0  g  zur  Verwendung  ;  von 
einer  Steigerung  der  Dosis  wurde  abge- 
sehen, weil  sich  in  diesen  Fällen  wieder- 
holt unangenehme  Nebenwirkungen  zeig- 
ten, ohne  dass  die  einschläfernde  Wir- 
kung des  Veronals  verstärkt  zu  sein 
schien.  Die  Nebenwirkungen  bestehen 
vor  allem  in  Uebelkeit,  Kopfschmerzen, 
kalten  Extremitäten,  unregelmässigem 
l'uls.  Es  erscheint  dringend  geboten, 
Veronal  nur  in  Lösung  zu  geben,  da  sich 
die  Tabletten  oder  die  Pulver  bei  vielen 
Kranken  im  Darm  nur  schlecht  lösen, 
sodass  der  gewünschte  Schlaf  in  der  fol- 
genden Nacht  nicht  eintritt,  dagegen 
zeigt  sich  dann  am  folgenden  Tage  häufig 
eine  Art  Schlafsucht,  wohl  bedingt  durch 
die  späte  Resorption  des  schwerlöslichen 
Veronals  im  Darm.  Tritt  der  gewünschte 
Schlaf  ein,  so  befindet  sich  der  Patient 
am  folgenden  Tage  vollkommen  munter. 

In  ähnlicher  Weise  wie  das  Veronal 
wirkt  das  Proponal,  welches  keinen  be- 
sonderen Vorzug  vor  dem  Veronal  hat, 
ausser  dass  es  in  kleineren  Dosen  (0,2 — 
0,3  g  pro  die)  gegeben  werden  kann. 

Ein  grosser  Gewinn  für  den  Arznei- 
schatz scheint  das  neue  Schlaf-  und  Be- 
ruhigungsmittel Bromural  zu  sein.  Es 
wird  in  Tabletten  form  (  zu  0,3  g,  2  Stck.) 
vor  dem  Schlafengehen  genommen  und 
wirkt  dann  nach  20 — 25  Minuten  schlaf- 
bringend. Ein  grosser  Vorzug  dieses 
Präparates  besteht  darin,  dass  es  ausge- 
zeichnet vertragen  wird  und  keine  Ne- 
benwirkung zeigt.  Der  durch  Bromural 
hervorgerufene  Schlaf  lässt  keine  Ab- 
weichung von  dem  natürlichen  erkennen.. 

Es  soll  nicht  unerwähnt  bleiben,  dass- 
bei  manchen  Patienten  die  Schlaflosig- 
keit in  einer  geringen  Herzschwäche  be- 
gründet ist .  und  in  diesem  Falle  pflegen 
die  Hypnotika  nur  eine  geringe  Wirkung 
auszuüben ;  man  erzielt  dann  meistens, 
mit  Digitalis  oder  Strophantus  einen 
guten  Erfolg.  (Folia  Therapeutica.  Ok- 
tober, 1907.) 


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New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


Sitzungsberichte 


Deutsche  Medizinische  Gesellschaft  der  Stadt  New  York. 


Sitzung  vom  7.  Oktober  1907. 

Präsident  Dr.  Carl  Beck  eröffnet 
die  Sitzung  um  halb  9  Uhr. 

1.  Vorstellung  von  Patienten,  De- 
monstration von  Präparaten,  Instru- 
menten u.  s.  w. 

a)  Dr.  HermannFischer:  Fall 
von  Spina  bifida  sacralis,  geheilt  durch 
Operation. 

b)  Dr.  G.  Mannheimer:  Demon- 
stration einer  Maske  zur  Hyperämie- 
anwendung bei  Brustkrankheiten. 

Sekretär  Dr.  John  A.  Beuer- 
m  a  n  n  verliest  das  Protokoll  der 
vorigen  Sitzung,  welches  genehmigt 
wird. 

Präsident  Dr.  Carl  Beck:  Ich 
habe  mitzuteilen,  dass  wir  zwei  liebe 
Mitglieder  durch  den  Tod  verloren  ha- 
ben, Dr.  E.  J.  Messemer  und  Dr. 
F.  Norde  mann,  und  ich  bitte  Sie, 
sich  zum  Andenken  an  diese  Mitglie- 
der erheben  zu  wollen.  (Geschieht.) 
Sie  wissen,  meine  Herren,  dass  Dr. 
Norde  mann  sozusagen  der  geistige 
Urheber  der  Deutschen  Medizinischen 
Gesellschaft  in  New  York  war  zu  einer 
Zeit,  als  das  Deutschtum  noch  sehr 
wenig  hervorragende  medizinische 
Männer  aufzuweisen  hatte.  Dr.  N  o  r- 
demann  ist  in  den  letzten  Jahren, 
ich  glaube  wegen  Krankheit,  nur  sel- 
ten zu  uns  gekommen,  er  hat  uns  aber 
immer  mehr  oder  minder  freundlich 
zur  Seite  gestanden.  Ich  selbst  war 
zu  meinem  Bedauern  nur  sehr  ober- 
flächlich mit  ihm  bekannt,  ich  möchte 
daher  Dr.  G  1  e  i  t  s  m  a  n  n,  der  ihn 
näher  kannte,  bitten,  einige  Worte  zu 
sagen.  Ich  möchte  nur  noch  bemer- 
ken, dass  die  meisten  Mitglieder  des 
Verwaltungsrats  bei  seinem  Leichen- 
begängnis zugegen  waren  und  ihn  da- 
durch geehrt  haben. 

Dr.  J.  W.  Gleitsmann:  Ich 
danke  Ihnen,  Herr  Präsident,  dass  Sie 
mir  das  Privilegium  gewährt  haben, 
ein  paar  Worte  über  unsern  verstorbe- 


nen Kollegen  Dr.  Nordemann  an 
die  Gesellschaft  zu  richten.  Die  weni- 
gen Aufzeichnungen,  die  ich  mir  er- 
laube vorzulegen,  sind  teilweise  von 
seinem  Sohn,  unserm  Mitglied  Dr. 
Hermann  Nordemann,  mir  ge- 
geben worden,  anderseits  sind  es  per- 
sönliche Erinnerungen. 

Dr.  Felix  Nordemann  war  am 
16.  März  1829  in  Bern  geboren,  wo- 
selbst er  auch  1853  promovierte. 

Er  kam  nach  New  York  1854  und 
übte  bis  zu  seinem  Tode  allgemeine 
Praxis  aus. 

Seine  Beziehungen  zu  unserer  Ge- 
sellschaft waren  mannigfacher  Art  und 
datieren  bis  zu  deren  Beginn  zurück. 
Obwohl  er  nicht  bei  der  ersten  Zu- 
sammenkunft am  19.  Dezember  1860 
zugegen  war,  trat  er  schon  im  Februar 
1861  der  Gesellschaft  bei  und  ist  einer 
der  Gründer  derselben.  Er  war  einer 
der  5  Mitglieder,  die  1867  den  noch 
jetzt  bestehenden  Charter  herausnah- 
men, war  Präsident  drei  Jahre  lang  von 
1882  bis  1884  und  stellte  sein  eigenes 
Heim  dem  Verein  für  seine  Versamm- 
lungen während  dreier  Jahre  zur  Ver- 
fügung, als  derselbe  durch  den  Ver- 
kauf des  Wallfisches  heimatlos  gewor- 
den war. 

Sein  Hauptverdienst  jedoch  war. 
dass  er  mit  den  sechs  anderen  Kol- 
legen, welche  der  Jahresversammlung 
1884  beiwohnten,  der  zur  Sprache  kom- 
menden Auflösung  des  Vereins  oppo- 
nierte und  mit  Dr.  Carl  H  e  i  t  z- 
m  a  n  n  die  Reorganization  des  Vereins 
energisch  betrieb. 

Wie  sehr  er  an  unserer  Gesellschaft 
hing,  zeigt  der  Artikel,  den  er  1896 
derselben  dedizierte,  und  seine  An- 
hänglichkeit ist  am  besten  in  den  Wor- 
ten ausgedrückt,  die  mir  sein  Sohn  vor 
wenigen  Tagen  zusandte : 

,,Er  betrachtete  die  Deutsche  Medi- 
zinische Gesellschaft  als  sein  Kind,  er 
fühlte  stolz  und  glücklich,  wenn  er  Je- 
mand von  ihr  sprechen,  sie  loben  hörte. 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


247 


Er  verliess  die  Stadt  niemals  der  Er- 
holung halber,  er  war  glücklich  und 
zufrieden." 

Meine  persönlichen  Beziehungen  zu 
dem  Verstorbenen  waren  stets  die 
freundschaftlichsten,  und  sahen  wir 
uns  in  früheren  Jahren  häufig,  als  er 
noch  unsere  Versammlungen  besuchen 
konnte.  Ihm  und  Dr.  Carl  H  e  i  t  z- 
m  a  n  n  habe  ich  es  hauptsächlich  zu 
danken,  dass  ich  Ihnen  1894  über  die 
frühere  Geschichte  der  Gesellschaft  be- 
richten konnte.  Auch  Dr.  Rose 
fühlte  sich  ihm  zu  Dank  verpflichtet, 
als  er  1899  mit  grossem  Fleise  und 
Mühe  die  Daten  der  Aufnahme  sämmt- 
licher  Mitglieder  zusammenstellte. 

Ich  erlaube  mir,  Herr  Präsident,  den 
Antrag  zu  stellen,  uns  nicht  mit  dem 
üblichen  Erheben  von  den  Sitzen  zu 
begnügen,  sondern  den  Sekretär  zu  be- 
auftragen, seinen  Hinterbliebenen  un- 
sere Sympathie  und  auch  den  Dank 
der  Gesellschaft  auszudrücken,  für  die 
er  so  viel  getan  und  der  er  bis  an  sein 
Lebensende  sein  Interesse  bewahrt  hat. 

Die  Versammlung  beschliesst  die- 
sem Antrag  gemäss. 

Präsident  Dr.  Carl  Beck:  Ich 
habe  nun  die  grosse  Ehre  und  das  nicht 
minder  grosse  Vergnügen,  Ihnen  einen 
vornehmen  Vertreter  der  alten  berühm- 
ten Fakultät  Wien  vorzustellen,  Herrn 
Prof.  Dr.  Hermann  Schlesin- 
ger. Ich  heisse  ihn  in  unserer  Mitte 
recht  herzlich  willkommen  und  hoffe, 
dass  sein  Aufenthalt  in  Amerika  nicht 
bloss  für  ihn,  sondern  auch  für  uns 
Frucht  bringen  wird.  Der  Herr  Pro- 
fessor ist  so  gütig  gewesen,  ein  Thema 
zu  wählen,  welches  für  unseren  Verein 
ausserordentlich  passt,  nämlich  den 
Lungenabszess. 

Professor  D.  H.  Schlesinger: 
Lungenabszess  und  Lungengangrän. 
(Der  Vortrag  erscheint  in  ds.  Monats- 
schr.  als  Originalarbeit.) 

Präsident  Dr.  Carl  Beck  spricht 
Herrn  Prof.  Schlesinger  für  sei- 
nen trefflichen  Vortrag  den  herzlich- 
sten Dank  aus,  und  die  Versammlung 
beschliesst,  in  eine  Diskussion  des 
Vortrags  einzutreten. 

Diskussion.  Dr.  Otto  Kiliani: 
Ich  bin  wie  der  Präsident  und  die  Mit- 
glieder der  Gesellschaft  glücklich,  dass 


der  Verfasser  des  Buches  ,, Chirurgi- 
sche Eingriffe  bei  inneren  Erkrankun- 
gen" und  der  Herausgeber  des  Zen- 
tralblatts der  Grenzgebiete  sich  heute 
über  dieses  Thema  uns  gegenüber  aus- 
gelassen hat.  Die  Indikationsstellung 
wird  eigentlich  soviel  besser  von  dem 
heutigen  Internisten  gemacht  von  dem 
Schlage  wie  Prof.  Schlesinger, 
Friedrich  Müller  und  anderer, 
dass  der  Chirurg  wirklich  nicht  so  im 
stände  ist,  ein  so  umfassendes  Bild  zu 
geben,  wie  dies  der  Vortragende  getan. 
Meine  persönlichen  Erfahrungen,  ob- 
wohl ich  mit  einem  grösseren  Material 
arbeite,  sind  recht  gering.  Ich  weiss 
nicht,  ob  andere  Herren  darin  glück- 
licher oder  unglücklicher  waren,  wie 
man  es  auffassen  will. 

Wenn  ich  mir  eine  Bemerkung  er- 
lauben darf,  so  weiss  ich  nicht,  ob 
Herr  Professor  Schlesinger  die 
Sepsis  als  ätiologischen  Faktor  er- 
wähnt hat.  Ich  habe  septische  Lun- 
genabszesse in  einer  Anzahl  von  Fällen 
von  gangränöser  Appendizitis  beobach- 
tet. Gangränöse  Appendizitis  gibt  ein 
so  abgegrenzt  scharfes  klinisches  Bild, 
dass  man  die  Diagnose  schon  vor  der 
Eröffnung  machen  kann  ;  es  scheint,  als 
ob  diese  Neigung  zu  Gangränisierung 
auch  im  anderen  Gewebe  zur  Geltung 
kommt.  Ich  habe  drei  Fälle  von 
gangränösem  Lungenabszess  als  Chir- 
urg gesehen.  Auch  möchte  ich  Prof. 
Schlesinger  danken  für  die  War- 
nung, die  er  dem  praktischen  Arzt  aus- 
gesprochen hat,  die  Punktionsnadel  zu 
gebrauchen.  Ich  hatte  heute  morgen 
das  Vergnügen,  Herrn  Professor 
Schlesinger  im  Deutschen  Hospi- 
tal zu  treffen  und  an  der  Hand  eines 
Falles  von  operiertem  Lungenabszess, 
der  anf  meiner  Abteilung  lag,  ihn  dar- 
über sich  aussprechen  zu  hören.  Ich  halte 
überhaupt  den  Gebrauch  der  Punk- 
tionsnadel, ganz  gleich  zu  welchem 
Zweck,  wenn  sie  nicht  als  Leitführer 
zu  Anfang  einer  Operation  verwendet 
wird,  für  ein  Verbrechen.  Es  ist  wirk- 
lich nur  eine  Befriedigung  der  Neugier 
für  den  Praktiker,  die  Spritze  einzustos- 
sen,  da  er  ja  nicht  in  der  Lage  ist,  den 
Befund  operativ  auszunützen  ;  dagegen 
ist  der  dadurch  verursachte  Schaden 
manchmal  gross.    Die  Warnung  von 


248 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


Prof.  Schlesinger  war  ausseror- 
dentlich angebracht.  Ich  schliesse 
meine  kurzen  Bemerkungen  mit  inni- 
gem Dank  für  Prof.  Schlesinger. 

Dr.  R.  Stein:  Ich  hin  dem  Vor- 
trag des  Prof.  Schlesinger  mit 
grossem  Interesse  gefolgt,  und  es  wird 
mir  nicht  einfallen,  in  irgend  einem 
Punkte  Opposition  zu  machen.  Ich 
möchte  ihn  aber  doch  fragen,  ob  er 
selbst  schlechte  Erfahrungen  mit  der 
Punktionsnadel  beim  Lungenabszess 
gemacht  hat  und  ob  es  ihm  selbst  pas- 
siert ist,  dass  er  die  Pleura  infiziert  hat. 
Ich  weiss  wohl,  dass  F  r  ä  n  k  e  1  sich 
in  seinem  Buch  gegen  die  Punktions- 
nadel ausspricht.  Die  Sache  verhält 
sich  aber  doch  in  der  allgemeinen 
Praxis  ganz  anders.  Haben  wir  z.  B. 
einen  Fall  von  Pneumonie,  und  es  tritt 
dazu  akut  eine  Gangrän,  so  wissen 
wir,  um  was  es  sich  handelt.  Nach  der 
Angabe  der  Autoren  würde  man  da 
nicht  Punktion  anwenden,  da  man  die 
Pleurahöhle  infiziert.  Es  gibt  aber 
eine  ganze  Anzahl  von  Fällen,  ich  habe 
selbst  eine  Anzahl  im  Deutschen  Hos- 
pital gehabt  und  in  der  Privatpraxis 
behandelt,  bei  denen  es  sich  um  einen 
chronischen  Verlauf  handelt.  Es  wer- 
den Patienten  eingeliefert,  meist  ältere 
Leute,  die  schon  Pneumonie,  Influenza 
gehabt  haben,  längere  Zeit  husten, 
denen  in  der  Praxis  nicht  geholfen 
wurde.  Sie  kommen  ins  Hospital,  man 
untersucht  den  Fall  näher,  untersucht 
das  Sputum  und  findet  Eiter,  vielleicht 
auch  elastische  Fasern,  man  kann  dann 
die  bestimmte  Diagnose  des  Falles 
nicht  stellen  —  sie  schwankt  immer 
zwischen  Tuberkulose  und  Abszess. 
Die  Zeichen  sind  dabei  gar  nicht  klar, 
es  kann  sich  um  einen  ganz  kleinen 
Abszess  handeln.  Ich  habe  einen  sol- 
chen Fall  jetzt  im  Deutschen  Hospital. 
Es  handelt  sich  um  eine  Frau,  die 
schon  wochenlang  im  Hospital  war, 
wieder  wegging  und  wieder  kam.  Sie 
spuckte  auch  viel  Eiter  aus.  Wir  such- 
ten nach  Lungenfetzen,  Lungenfasern 
und  fanden  dieselben  nicht.  Die  Frau 
hatte  Fieber,  eine  Geschichte  von 
mehrmonatlicher  Erkrankung.  Ich 
hörte  an  einer  Stelle  an  der  linken  hin- 
teren Lungenpartie  ein  amphorisches 
Atmen  mit  metallischem  Klang,  und  es 


wurde  daraufhin  punkiert.  W  ir  konn- 
ten den  Eiter  nicht  erreichen.  Es 
wurde  dann  auf  dem  Operationstisch 
von  Dr.  T  o  r  e  k  punkiert,  der  wirkli- 
chen Eiter  herauszog  und  im  Anschluss 
an  diese  Exploration  den  Lungenab- 
szess mit  Erfolg  operierte. 

Ich  könnte  noch  zwei  andere  Fälle 
erzählen,  die  genau  ebenso  verliefen. 
Es  handelt  sich  also  um  chronische 
Fälle,  bei  welchen  die  Diagnose 
schlecht  zu  stellen  ist  und  wo  meiner 
Erfahrung  in  einer  kleinen  Anzahl  von 
Fällen  nach  die  Punktion  nichts  scha- 
det ;  allerdings  würde  ich  sie  in  ganz 
akuten  Fällen  von  Gangrän  nicht 
machen. 

Dr.  C.  Bloch:  Im  Hinblick  auf 
Prof.  Schlesinger's  Bemerkung, 
dass  selbst  von  den  operierten  Fällen 
vielleicht  nur  50%  Heilung  ergeben, 
und  dass  es  anderseits  in  sehr  vielen 
Fällen  recht  schwierig  ist,  dem  Ab- 
szess beizukommen,  möchte  ich  einige 
Erfahrungen  erwähnen,  die  ich  mit 
einem  Medikamente  gemacht  habe  und 
die  ganz  überraschend  waren.  Ich 
habe  einmal  einen  Fall  von  Pneumonie 
gehabt,  bei  dem  sich  auf  einmal  zur 
Zeit,  wo  wir  Genesung  hätten  erwarten 
können,  auskultatorische  und  perkutori- 
sche Symptome  einstellten,  die  mich 
auf  die  Idee  brachten,  dass  es  sich  um 
einen  Pfrofen  handle,  der  einen  Bron- 
chialast der  rechten  Lunge  verstopfe. 
Diese  Diagnose  wurde  von  einem  Kon- 
sultanten bestätigt,  und  es  kamen 
Schüttelfröste,  und  dann  begann  auch 
Eiterauswurf  und  es  erschien  eine  be- 
schränkte Dämpfung  im  mittleren 
Lappen  ziemlich  oberflächlich  nahe  der 
Wirbelsäule;  Erscheinungen,  welche 
kaum  eine  andere  Diagnose  möglich 
machen,  als  Abszess.  Da  aber  der  Ab- 
szess von  dem  Pfropfen  herrührte  und 
ich  das  plötzliche  Auftreten  dieser 
Dämpfung  konstatieren  konnte  und 
der  Eiter  immer  reicher  wurde,  so  be- 
schloss  ich  mit  dem  Konsultanten,  lie- 
ber abzuwarten,  ob  der  Abszess  sich 
nicht  entleeren  würde.  Dies  geschah 
auch.  Es  war  drei  Wochen  nach  dem 
Beginn  der  Pneumonie.  In  weiteren 
fünf  Wochen  war  der  Abszess  voll- 
ständig geheilt,  und  der  Kranke,  in 
ausgezeichnetem  Gesundheitszustande, 


jIew  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


249 


wog  ungefähr  30  Pfund  mehr,  als  er 
vor  der  Krankheit  gewogen  hatte. 

Ich  habe  ein  ähnliches  Resultat  nach 
Pneumonie  mit  Empyem  gesehen.  Es 
war  ein  Kind,  und  es  war  akuteste 
Atemnot  vorhanden,  und,  um  den  El- 
tern zu  zeigen,  dass  eine  Operation 
nötig,  nahm  ich  eine  grosse  Spritze 
voll  heraus  ;  dies  half  der  augenblick- 
lichen Atemnot  ein  wenig.  Aber  die 
Eltern  sagten,  der  liebe  Gott  wolle  das 
Kind  sterben  lassen  und  verweigerten 
die  Operation  absolut  trotz  dringender 
Vorstellungen.  Da  gab  ich  dem  Kind 
Kreosot,  und  es  war  in  sechs  Wochen 
vollständig  genesen.  Ich  glaube,  dass 
ich  Kreosot  in  solchen  Fällen,  wenig- 
stens wo  es  nicht  geraten  oder  möglich 
ist,  zu  operieren,  stark  empfehlen  darf. 

Dr.  G.  Mannheimer:  Meine  Er- 
fahrungen beziehen  sich  ausschliess- 
lich auf  den  chronischen  Lungenab- 
szess.  Die  Ausführungen  des  Redners 
haben  mich  daran  erinnert,  wie  schwer 
sich  die  Untersuchung  solcher  Patien- 
ten gestaltet  dadurch,  dass  die  Er- 
scheinungen so  ausserordentlich  wech- 
seln, sowohl  die  Perkussion  wie  die 
Auskultationsbefunde.  Ich  habe  diese 
Veränderlichkeit  der  physikalischen 
Zeichen,  die  durch  den  wechselnden 
Füllungszustand  der  Lungenhöhle  be- 
dingt ist,  an  einer  Anzahl  von  Patien- 
ten im  Bedford  Sanatorium  beobachtet, 
die  als  tuberkulös  dorthin  geschickt 
worden  waren.  Die  Aehnlichkeit  mit 
Tuberkulose  ist  ausgesprochen  genug, 
um  den  Unerfahrenen  zu  täuschen. 
Es  fanden  sich  bei  ihnen  die  Zeichen 
von  Höhlenbildung,  massenhaft  eitri- 
ger oder  sich  in  Schichten  absetzender 
Auswurf,  darin  elastische  Fasern,  aber 
bei  wiederholter  Untersuchung  keine 
Tuberkelbazillen.  Letzterer  Umstand 
erscheint  mir  als  sehr  bedeutungsvoll, 
wird  aber  nicht  genügend  gewürdigt. 
Ich  habe  mehrere  dieser  Patienten, 
meist  junge  Leute  unter  20  Jahren,  aus 
dem  Sanatorium  in  allgemeine  Kran- 
kenhäuser geschickt,  und  ich  weiss  von 
zweien,  dass  sie  plötzlich  an  Herzläh- 
mung gestorben  sind.  Hat  Herr  Prof. 
Schlesinger  ähnliche  Erfahrung 
gemacht  ? 

Eine  weitere  Frage  ist  die :  Finden 
sich  im  Auswurf  nicht    auch  andere 


morphologische  Bestandteile,  die  auf 
Lungenabszess  hindeuten  ?  Gibt  es 
differenzialdiagnostische  Punkte  zwi- 
schen Bronchiektasie  und  Lungenab- 
szess ? 

Was  die  Differenzialdiagnose  zwi- 
schen Lungenabszess  und  abgesack- 
tem Pleuraexsudat  oder  Empyem  be- 
trifft, so  darf  nicht  vergessen  werden, 
dass  beide  Zustände  zusammen  vor- 
kommen können. 

Präsident  Carl  Beck:  Ich  be- 
merke mit  grossem  Bedauern,  dass  Herr 
Prof.  Schlesinger  mit  den  Rönt- 
genstrahlen etwas  langsam  behan- 
delte. Da  nun  keiner  der  Anwesenden 
Herren  Kollegen  ein  gutes  Wort  für 
die  Röntgenstrahlen  einlegte,  so  kann 
ich  das  trotz  meiner  neutralen  Position 
als  Vorsitzender  nicht  schweigend  hin- 
gehen lassen,  denn  Qui  tacet,  consen- 
tire  videtur.  Wie  ich  schon  Anfang 
dieses  Jahres  behauptete,  als  ich  über 
denselben  Gegenstand  vom  chirurgi- 
schen Standpunkte  aus  sprach,  ist  mit 
der  Röntgenmethode  eine  völlig  neue 
Aera  für  die  Lungenchirurgie  an- 
gebrochen, mit  anderen  Worten:  Die 
Chirurgie  hat  einen  Teil  der  diagnosti- 
schen Bedeutung  aus  den  Händen  der 
Internisten  genommen  und  zwar  ver- 
möge ihrer  naturgemäss  grösseren 
Kenntnis  in  der  Röntgentechnik.  Prof. 
Schlesinger  hat  trefflich  hervor- 
gehoben, wie  schwierig  die  Differen- 
zialdiagnose ist  ;  er  trifft  den  Nagel  auf 
den  Kopf,  wenn  er  sagt,  dass  wir  ein- 
mal bei  der  Perkussion  einen  soliden 
Schall  hören  und  dann  wieder  tympa- 
nitischen,  sodass  unser  theoretischer 
Katechismus  in's  Wanken  gerät,  ähn- 
lich ist  es  mit  der  Auskultation.  Vor 
der  Aspirationsspritze  warnt  er  uns. 
Das  ist  in  der  Abdominalchirurgie  ge- 
rechtfertigt, aber  sonst  halte  ich  sie  für 
den  besten  Freund  des  allgemeinen 
Praktikers,  da  sie  bei  obskuren  Fällen 
oft  die  überraschendsten  Aufschlüsse 
gibt.  Beim  Lungenabszess  nützt  die 
Aspiration  nicht,  weshalb  ich  dir  Aspi- 
ration in  solchen  Fällen  verwerfe,  aber 
nicht  aus  Furcht  vor  der  Infektion, 
denn  was  tun  wir  nicht  alle-;  im  medi- 
zinischen Aufklärungsdienst,  das  In- 
fektion hervorbringen  könnte  und  doch 
ohne  Reaktion  verläuft!    Ein  Abszess 


250 


New    Yorker   Medizinische  Monatsschrift. 


der  Lunge  ist  ja  kein  Abszess  der 
Pleura,  keine  gänzlich  mit  Eiter  ge- 
füllte Höhle,  sondern  enthält  nur  zur 
Hälfte  oder  zu  einem  viertel  Eiter  und 
Detritus.  In  früheren  Jahren  wagte 
ich  es  manchesmal  nicht  zu  operieren, 
weil  die  Diagnose  auf  so  schwachen 
Füssen  stand.  Ja,  selbst  bei  gemach- 
ter Diagnose  erschien  es  schwierig,  den 
Abszess  zu  lokalisieren.  Es  tröstete 
mich,  den  Vorzug  zu  haben,  mit  in- 
ternen einigermassen  Autoritäten  zu 
konsultieren,  von  denen  der  eine  auf 
Grund  einer  Schallveränderung  er- 
klärte :  „Hier  ist  der  Abszess,"  der  an- 
dere ,,Dort."  Und  schliesslich  war  er 
weder  hier  noch  dort.  Welch  grosse 
Wohltat  ist  es  nun,  dass  wir  in  un- 
serer Not  nun  mit  einem  Male  das 
Röntgenstrahlenverfahren  besitzen,  auf 
Grund  dessen  wir  mit  absoluter  Sicher- 
heit sagen  können,  hier  liegt  der  Ab- 
szess, hier  schneide  ich  ein,  5  Zoll, 
sagen  wir,  von  der  Wirbelsäule,  zwi- 
schen der  7.  und  8.  Rippe. 

Was  die  sogenannten  Irrtümer  der 
Röntgenmethode  betrifft,  so  kann  ich 
sagen :  Die  Botschaft  hör'  ich  wohl, 
allein  mir  fehlt  der  Glaube.  Es  gibt 
keine  Irrtümer  der  Methode,  sondern 
des  Individuums,  es  gibt  schlechte 
Röntgenbilder,  und  ich  habe  selbst 
viele  hundert  derselben  auf  dem  Ge- 
wissen. Es  ist  mir  aber  nie  eingefallen 
zu  behaupten :  Dies  ist  ein  gutes  Rönt- 
genbild, wenn  es  schlecht  ist.  Wenn 
ich  trotz  wiederholter  Versuche  nicht 
reüssierte,  gestand  ich  einfach  der 
Wahrheit  gemäss :  Mein  Bild  ist  nicht 
zuverlässig,  wir  müssen  uns  nach  an- 
deren Verfahren  umsehen.  Mit  Em- 
phase möchte  ich  die  Bemerkung  von 
Prof.  Schlesinger,  dass  die  Rönt- 
genstrahlen in  Harmonie  mit  den  phy- 
sikalischen Methoden  sein  müssen,  in- 
dossieren. Wer  diese  unsere  Metho- 
den beherrscht,  weiss  sich  sofort  auch 
auf  dem  Röntgenbild  zurecht  zu  rinden. 
Bei  Lungengangrän  sind  Irrtümer 
kaum  denkbar ;  da  haben  wir  es  gros- 
senteils  mit  solidem  Gewebe  zu  tun, 
und  das  solide  Gewebe,  namentlich  das 
nekrotische,  ist  nicht  sehr  durchgängig 
für  Röntgenstrahlen,  präsentiert  sich 
also  sehr  deutlich.  Die  Diagnose  auf 
Gangrän  zu  stellen,  ist  überhaupt  äus- 


serst leicht.  Man  braucht  ja  bloss 
der  Nase  nach  zu  gehen.  Der  Foetor 
ex  ore  bei  Lungengangrän  ist  so  furcht- 
bar, dass  selbst  die  Mutter  ihrem  Sohn 
aus  dem  Wege  geht,  wenn  er  anfängt 
zu  husten.  Aber  mit  der  Diagnose 
Gangrän  allein  ist  es  nicht  getan  ;  an 
der  weit  schwierigeren  Frage :  Wo  soll 
man  einschneiden  und  den  Herd  tref- 
fen, hängt  vielmehr  das  Leben  des  Pa- 
tienten, und  da  man  die  Frage  früher 
nicht  gut  beantworten  konnte,  hat  sich 
der  Chirurg  gefürchtet,  die  Operation 
vorzunehmen.  Erst  allmählich  lernte 
man,  unter  dem  leuchtenden  Schild  der 
Röntgenstrahlen  den  graden  Weg  zu 
gehen.  Ich  möchte  nun  nicht  dahin 
missverstanden  werden,  dass  ich  die 
alten  und  besonders  die  physikalischen 
Methoden  nicht  hochschätze.  Ich  hätte 
mich  aber  gefreut,  wenn  der  Herr  Kol- 
lege den  gleichen  Respekt  vor  der 
Röntgenmethode,  dieser  neuen  verbün- 
deten Kraft,  gezeigt  hätte.  Anschlies- 
send an  meine  kurze  Bemerkung  von 
vorhin  "betreffs  der  Explorationsspritze 
möchte  ich  fragen :  Was  soll  der  Prak- 
tiker im  Hinterwald  machen,  den  es 
Stunden  beschwerlicher  Fahrt  nimmt, 
ehe  er  zum  Kranken  kommt?  Sagen 
wir:  Wenn  er  nach  einer  abgelaufenen 
Pleuropneumonie  an  die  Möglichkeit 
eines  Empyems  denkt,  wie  will  er  des- 
sen Anwesenheit  beweisen?  Doch  nur 
durch  die  Aspirationsspritze.  Wenn  er 
das  nicht  tut  und  sich  zu  dem  un- 
schönen Risiko  längerer  Beobachtung 
bequemt,  wird  der  Kranke  sterben, 
weil  das  Empyem  nicht  früh  genug  er- 
kannt worden  ist.  Denn  die  Spätope- 
ration kann  die  verlorene  Expansion 
der  Lungen  und  die  Toxämie  nicht 
mehr  gut  machen.  Pinselt  man  einen 
Tropfen  Jodtinktur  auf,  so  vermeidet 
man  zunächst,  dass  infiizierende  Mo- 
mente mit  in  die  Pleurahöhle  hin- 
eingetragen werden.  Gelangt  man  in 
gesundes  Lungengewebe,  wird  man  mit 
sterilisierter  Nadel  in  geschützter  Haut 
nie  eine  Infektion  verursachen,  sticht 
man  aber  in  krankes  Gewebe,  so  ope- 
riert man  ja  baldmöglichst  darauf  und 
macht  den  Schaden,  wenn  es  wirklich 
einer  war,  wieder  gut.  Also  dieser 
Einwand  hat  praktisch  keine  grosse 
Bedeutung,  wenn  er  auch  theoretisch 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


-'5> 


gerechtfertigt  ist.  Die  Röntgenstrah- 
len sagen  uns  ferner  nicht  bloss,  wo 
ein  grosser  Abszess  sich  befindet,  son- 
dern auch  kleinere  stellen  sich  auf  dem 
Röntgenbild  dar. 

Ich  möchte  deshalb  die  Kollegen  bit- 
ten und  ihnen  ans  Herz  legen,  in  zwei- 
felhaften Fällen  ein  Röntgenbild  ma- 
chen zu  lassen  und  sich  stets  die  nor- 
male Anatomie  vergleichender  Weise 
zu  vergegenwärtigen.  Dann  werden 
Sie,  wenn  Sie  auf  dem  Boden  der  Tat- 
sachen zu  bleiben  sich  bemühen,  selten 
Irrtümer  machen.  Mir  werden  manch- 
mal Röntgenbilder  zur  Begutachtung 
vorgelegt,  denen  Erklärungen  beilie- 
gen, dass  die  Haare  zu  Berge  stehen. 
Womöglich  tritt  dann  noch,  wie  bei 
den  Harnbeschauern  vergangener 
Jahrhunderte  die  naive  Frage  dazu : 
Was  fehlt  auf  Grund  dieses  Röntgen- 
bildes dem  resp.  Patienten? 

Das  ist  eine  traurige  Poeterei 
wirrer  Köpfe  und  vor  solchen  kühnen 
Schlussfolgerungen  warne  ich  Sie.  An- 
dererseits kann  ich  Sie  versicheren,  dass 
man  sich  auf  ein  gutes  Röntgenbild 
absolut  verlassen  kann.  Und  wenn  es 
sich  um  einen  chirurgischen  Eingriff 
handelt,  so  sollen  ausser  dem  Röntgen- 
verfahren alle  anderen  diagnostischen 
Methoden  sorgfältig  erwogen  und  mit 
dem  Röntgenbild  in  Einklang  gebracht 
werden. 

Prof.  Schlesinger  (Schluss- 
wort) :  Gestatten  Sie  mir,  dass  ich  auf 
die  verschiedenen  Aeusserungen  zu- 
rückkomme, die  im  Laufe  der  Diskus- 
sion gefallen  sind. 

Was  dis  septische  Aetiologie  des 
Lungenabszesses  anbelangt,  so  hatte 
ich  das  zu  erwähnen  vergessen.  Es 
kommt  nicht  selten  vor,  dass  man  im 
Laufe  der  Sepsis  Lungenabszess  auf- 
treten sieht. 

Es  wurde  dann  weiter  die  Anfrage 
gestellt,  ob  nicht  öfter  ein  Abszess  in 
der  Pleurahöhle  vorkomme.  Nach 
dem,  was  ich  gesehen  habe,  möchte  ich 
meinen,  dass  ein  grosser  Teil  der  Lun- 
genabszesse gleicher  Zeit  Pleuraab- 
szesse  sind,  derart  dass  ich  mich  ge- 
wöhnt habe,  von  Pleura-Lungenab- 
szess  zu  sprechen.  Ich  habe  bei  opera- 
tivem Eingriff  oft  gesehen,  dass  ein 
Teil    der    Pleurahöhle  abgeschlossen 


war  durch  Adhäsionen,  dass  ein  Teil 
der  Abszesswand  von  der  Pleura  ge- 
bildet war;  ein  Teil  des  Abszesses  lag 
in  der  Lunge. 

Was  die  Punktion  anbelangt,  so 
wurde  die  Frage  wiederholt  gestreift, 
ob  die  Probepunktion  am  Platze  wäre 
oder  nicht.  Ich  habe  meinen  Stand- 
punkt präzisiert  und  befinde  mich  in 
Gesellschaft  sehr  vieler  Chirurgen, 
welche  einen  solchen  Eingriff  doch 
nicht  für  eine  harmlose  Sache  halten, 
und  ich  habe  selber  nach  einer  solchen 
Operation  ein  Empyem  zu  stände 
kommen  sehen.  Seit  dieser  Zeit  habe 
ich  mich  von  dem  Eindruck  nicht  frei 
machen  können.  Möglich,  dass  ich 
darin  manchmal  etwas  zu  weit  gehe, 
aber  ich  erkläre  ausdrücklich,  dass  ich 
in  jedem  Fall  von  Pleuraempyem  die 
Probepunktion  anwende,  sofort  wenn 
ich  den  Kranken  sehe. 

Plötzlichen  Exitus  bei  Kranken, 
welche  chronischen  Lungenabszess  ha- 
ben, habe  ich  zu  wiederholten  malen 
gesehen.  Einmal  bei  einem  Kranken, 
der  operiert  war  und  aus  dem  Kran- 
kenhaus entlassen  werden  sollte. 
Plötzlich  Hess  das  Herz  nach.  Die 
Autopsie  ergab  schlaffes  Herz. 

Was  die  Differenzialdiagnose  anbe- 
langt, so  sind  Bronchiektasie  und 
chronischer  Lungenabszess  dieselben 
Erscheinungen,  oft  so  vollkommen 
identisch,  dass  man  nur  von  multiplen 
Höhlen  in  einem  Lungenabschnitt  re- 
den kann  und  es  dahin  gestellt  bleiben 
muss,  ob  es  sich  um  chronischen  Ab- 
szess oder  Bronchiektasie  handelt,  be- 
sonders da  häufig  Uebergänge  vorhan- 
den sind.  Sehr  oft  geht  aus  Bronchi- 
ektasie Abszess  hervor,  nicht  selten 
geht  von  dem  Abszess  ein  Prozess  her- 
vor, der  Bronchiektasie  einleitet. 

Was  nun  die  Röntgendiagnostik  an- 
belangt, so  bin  ich  offenbar  von  dem 
Präsidenten  missverstanden  worden. 
Ich  schätze  die  Röntgendiagnostik  aus- 
serordentlich hoch  ein  und  betrachte 
sie  als  ganz  ausserordentlichen  Fort- 
schritt bei  Lungenabszess.  Ich  habe 
nur  häufig  bedauert,  schlechte  Bilder 
für  die  Diagnose  zu  bekommen.  Es 
gibt  Leute,  die  sehr  schlechte  Bilder 
machen,  ich  habe  wiederholt  falsche 
Lokalisation  gesehen.    W  enn  aber  das 


252 


New    Yorkek    Medizinische  Monatsschrift. 


Röntgenbild  ein  gutes  ist,  dann  ist  die 
Unterstützung  der  Diagnose  eine  ganz 
ausserordentliche,  und  wenn  die  ande- 
ren Punkte,  Auskultation  und  Perkus- 
sion, nicht  mit  dem  Bilde  übereinstim- 
men, dann  ist  die  Lokaldiagnose  ir- 
gendwie falsch  —  sie  müssen  sich 
decken. 

Vize-Präsident  Dr.  G.  M  a  n  n  h  e  i- 
m  e  r  übernimmt  den  Vorsitz. 

b)  Dr.  A.  Rose:  Moderne  Metho- 
den der  medizinischen  Behandlung  der 
Magenkrankheiten.  (Der  Vortrag  ist 
in  der  Oktobernummer  ds.  Monatsschr. 
als  Originalarbeit  erschienen.) 

Diskussion.  Dr.  M.  I.  Knapp:  Da 
der  Redner  meinen  Namen  erwähnt 
hat,  so  möchte  ich  ein  paar  Worten 
sagen.  Es  sind  drei  Momente,  über 
die  ich  sprechen  will.  Erstens  einmal 
glaubt  Dr.  Rose,  dass  eine  Magenun- 
tersuchung nicht  immer  notwendig  ist, 
dass  man  eine  Diagnose  ohne  Magen- 
untersuchung machen  kann.  Das  will 
ich  in  Abrede  stellen.  Eine  Magenun- 
tersuchung muss  gemacht  werden, 
wenn  eine  Diagnose  gemacht  werden 
soll,  und  ohne  Diagnose  kann  man 
keine  Magenkrankheit  behandeln.  Wie 
könnte  Dr.  Rose  die  Krankheit  er- 
kennen, welche  er  hier  genannt  hat, 
nämlich  die  Schimmelbildung  im  Ma- 
gen, eine  Krankheit  die  ich  1902  be- 
schrieben habe,  ohne  eine  Magenunter- 
suchung vorzunehmen  ?  Das  geht 
überhaupt  nicht.  Und  wie  leicht  diese 
Krankheit  irgend  ein  anderes  Bild  vor- 
täuschen kann,  habe  ich  z.  B.  in  mei- 
ner Abhandlung  genau  beschrieben. 
Ich  habe  jetzt  drei  Fälle,  die  zu  mir 
wegen  Diabetes  gekommen  sind.  Alle 
Symptome  sind  da,  doch  ist  kein  Dia- 
betes vorhanden.  Es  ist  eben  Schim- 
melbildung im  Magen. 

Nun  will  ich  auf  das  zurückkommen, 
was  Dr.  Rose  sagte,  dass  ich  die  In- 
spektion zur  Vollkommenheit  gebracht 
habe.  Ich  freue  mich,  wenn  Dr.  Rose 
das  anerkennt.  Wenn  ich  hier  sage, 
dass  die  Inspektion  uns  alles  lehren 
kann,  wenn  ich  Ihnen  sage,  dass  ich 
im  Stande  bin,  jedes  einzelne  Organ  im 
Körper  durch  die  Haut  durchzusehen, 
so  glauben  Sie  nicht,  dass  ich  ein  Gott 
bin.  Ich  kann  es  Ihnen  gern  beweisen. 
Ich  zeige  es  Ihnen,  wie    mit  freiem 


Auge  alle  Organe  des  Körpers  zu  sehen 
sind,  und  das  soll  von  Jedem  studiert 
werden.  Ich  bin  gern  bereit,  es  zu  zei- 
gen, so  oft  ich  es  auch  demonstrieren 
soll.  Ich  habe  Tumoren  des  Magens 
gesehen,  die  nicht  grösser  gewesen 
sind  als  etwa  }4  Zoll,  wie  sie  die  La- 
parotomie dann  zeigte;  nicht  einmal  in 
vollständiger  Narkose  konnten  Sie  di- 
agnostiziert werden.  Das  habe  ich 
mehrere  male  getan.  Das  Herz  kann 
mit  vollständigster  Genauigkeit  ge- 
sehen werden.  Heute  hatte  ich  einen 
Fall  in  der  Klinik,  in  dem  ich  einen 
Klappenfehler  genau  sehen  konnte. 
Vorgestern  hatte  ich  einen  Fall,  wo  ich 
genau  eine  Verdichtung  der  Lunge 
habe  sehen  können,  und,  wie  gesagt,  es 
lassen  sich  alle  Organe  sehen,  Herz, 
Leber,  Lunge,  Milz,  Nieren,  alle  Teile 
des  Darms  und  Magens,  und  wenn  es 
mir  gegönnt  ist,  die  Sache  in  diesem 
Verein  zu  zeigen,  so  tue  ich  es  gern, 
wenn  ich  verschont  werde,  die  Patien- 
ten selbst  zu  bringen.  Also,  die  In- 
spektion der  Organe  ist  nichts  über- 
natürliches und  ist  leicht  zu  lernen. 
Es  hat  mich  Jahre  genommen,  dies  zu 
entwickeln,  dennoch  ist  es  sehr  leicht 
zu  lernen.  Ich  will  Ihnen  ein  Beispiel 
geben  von  einer  Konsultation,  bei  der 
ich  nicht  weiter  kam,  als  vor  das  Ende 
des  Bettes  des  Patienten.  Der  Körper 
des  Patienten  war  entblösst,  und  meine 
Diagnose,  die  ich  in  etwa  einer  halben 
Minute  oder  noch  früher  gemacht,  war: 
Herzkrankheit  und  Vergrösserung  der 
Leber.  Das  war  es,  wie  es  auf  andere 
Weise  bestätigt  worden.  Und  das 
kann  nicht  bloss  bei  mageren  Patienten 
gesehen  werden.  So  paradox  es  aber 
scheinen  mag,  wenn  ich  zu  Zwecken 
der  Demonstration  die  Wahl  haben 
sollte  zwischen  fetten  und  mageren 
Patienten,  so  ziehe  ich  die  fetten  Pa- 
tienten vor.  Mit  aller  Schärfe  kann 
alles  gesehen  werden.  Je  schwächer 
die  Beleuchtung,  desto  weiter  muss  der 
Arzt  vom  Patienten  abstehen.  Je 
heller  das  Licht,  desto  näher  muss  er 
zum  Patienten  treten. 

Dr.  H.  I  1 1  o  w  a  y  :  Ich  möchte  ei- 
nige W'orte  zu  dem  bemerken,  was 
Herr  Dr.  Rose  aufgeführt  hat.  dass 
der  Magen  sehr  oft  die  Ursache  von 
nervösen  Störungen  ist,  und  dass  man 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


253 


mit  einer  dem  Fall  angepassten  Diät 
sehr  oft  die  nervösen  Störungen  heilen 
kann.  Ich  kann  mich  eines  Falls  erin- 
neren, wo  eine  Frau,  die  von  hysteri- 
schem Temperament  war,  in  eine  sehr 
schwere  Melancholie  verfiel.  Sie 
wurde  von  einem  Nervenspezialisten 
behandelt,  aber  ohne  Erfolg.  Ich 
wurde  hingerufen,  und  Pat.  reagierte 
auf  einfache  Diät.  So  ist  es  in  vielen 
Fällen.  Das  umgekehrte  kommt  aber 
auch  vor,  dass  eine  nervöse  Störung 
das  Magenleiden  verurascht,  und  da 
muss  man  sein  Augenmerk  in  der  Be- 
handlung auf  das  Nervöse  richten  und 
nicht  auf  den  Magen. 

In  einem  kann  ich  aber  mit  Dr. 
Rose  nicht  übereinstimmen,  dass  eine 
Atonie  und  Dilatation  eine  und  das- 
selbe seien,  denn  nach  meiner  Ansicht 
kann  eine  Atonie  bestehen  und  der 
Magen  doch  nicht  dilatiert  sein.  Dr. 
Rose  hat  ja  selbst  eine  sehr  lehr- 
reiche Arbeit  über  das  Plätscherge- 
räusch mit  einer  Statistik  von  sehr  vie- 
len Fällen,  die  er  damals  beobachtet, 
publiziert,  und  obgleich  man  das  Plät- 
schergeräusch oft  ganz  natürlich  bei 
Dilatation  findet,  so  unterscheidet  es 
sich  doch  insofern  von  dem  ato- 
nischen Plätschergeräusch,  als  dieses 
nicht  so  weit  nach  unten  gefunden  wird 
wie  das  der  Dilation.  Das  kann  man 
sehr  gut  mit  dem  Stethoskop  präzisie- 


ren. Bei  der  Dilatation  ist  der  Magen 
nie  leer.  Ich  glaube,  dass  eine  Dilata- 
tion nur  da  stattfindet,  wo  eine  Ob- 
struktion im  Pylorus  ist,  und  dass  da, 
wo  der  Pylorus  frei  bleibt,  nie  eine 
wirkliche  Dilatation  zustande  kommt. 

Dr.  A.  Rose  (Schlusswort):  Dr. 
K  n  a  p  p  hat  mich  missverstanden. 
(  legen  den  Gebrauch  der  Magensonde 
und  des  mittelst  derselben  gewonnenen 
Mageninhaltes  habe  ich  im  allgemei- 
nen keinen  Einwand  erhoben,  sondern 
nur  behauptet,  dass  die  Anwendung  der 
Sonde  und  die  Untersuchung  des  Ma- 
geninhaltes in  vielen  Fällen  überflüssig 
sind.  Selbstverständlich  kann  man 
Schimmelbildung  im  Magen  nicht  er- 
kennen, ohne  den  Mageninhalt  unter- 
sucht zu  haben. 

Dr.  I  1  1  o  w  a  y  hat  meinen  Vortrag 
nicht  genau  verfolgt.  Atonie  heisst  auf 
deutsch  Erschlaffung  und  nichts  an- 
deres. Erschlaffung  der  Muskelfaser 
ist  selbstverständlich  Verlängerung 
der  Muskelfaser,  und  deshalb  sind  Ato- 
nie und  Dilatation  identisch.  Wenn 
man  freilich  unrichtigerweise  unter 
Atonie  etwas  anderes  als  Erschlaffung 
versteht,  so  entsteht  Verwirrung,  und 
gerade  darüber  habe  ich  ausführlich 
gesprochen. 

Hierauf  tritt  Vertagung  ein. 
D  r.  J  o  h  n  A.  Beuermann, 

Prot.  Sek. 


Deutsche  Medizinische  Ges< 

Sitzung  vom  18.  April  1907. 
Vorsitzender :   Dr.  Herzog. 
Das  Protokoll  der   letzten  Sitzung 
wird  verlesen  und  genehmigt. 

Programm. 

1 )  Dr.  A  1  e  x.  B  e  h  r  e  n  d  t :  Ist  der 
Magensaftschwund  (Achylia  gastrica) 
eine  Neurose  oder  eine  organische 
Magenerkrankung?  (Ein  Beitrag  zur 
Lösung  dieser  Frage,  mit  Krankenvor- 
stellung.) 

2)  Dr.  H  e  y  m  :  Vorstellung  eines 
interessanten  Falles  von  progressiver 
Muskelatrophie. 


schaft  der  Stadt  Chicago. 

Diskussion    zu    Dr.    B  e  h  r  e  n  d  t's 

Vortrag : 

Dr.  C  r  o  f  t  a  11  spricht  zur  Therapie 
und  führt  folgendes  aus : 

Den  Empfehlungen  von  grossen  Ga- 
ben Salzsäure  nach  dem  Essen  ist  bei- 
zustimmen ;  im  allgemeinen  werden 
viel  zu  geringe  Dosen  gegeben  ;  einige 
Tropfen  Salzsäure  —  die  gewöhnliche 
V  erordnungsweise  —  sind  fast  wirk- 
ungslos. Bei  guter  motorischer  Funk- 
tion des  Magens  mit  Achylia  ist  es 
durchaus  nicht  nötig,  HCl  zur  Beför- 
derung der  Mageneiweissverdauung 
zu  verabreichen.     Die  gute  W  irkung 


254 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


der  HCl  bei  Diarrhoea  gastrica  ist  viel- 
leicht durch  die  antifermentative  Ei- 
genschaft der  ersteren  zu  erklären. 
Bei  Appetitlosigkeit  ist  HCl  ein  vor- 
zügliches Stomachikum,  wenn  vor  dem 
Essen  in  kleiner  Dosis  gereicht,  die- 
selbe vermag  so  wahrscheinlich  die 
Salzsäuredrüsen  zu  stimulieren,  wo- 
fern kein  vollständiges  Fehlen  der 
Drüsenfunktion  vorliegt.  Zu  wieder- 
holtenmalen  wurden  Patienten  mit 
Achylia  gastrica  als  karzinomver- 
dächtig operiert;  wenn  in  solchen  Fäl- 
len der  Tumor  nicht  aufgefunden  wer- 
den konnte,  so  wurde  nichtsdesto- 
weniger trotz  guter  motorischer  Funk- 
tion eine  Gastroenterostomie  ausge- 
führt, welche  die  Beschwerden  nur 
noch  mehr  zu  steigern  geeignet  war. 
Bei  der  Regelung  der  Diät  ist  vor 
allem  die  motorische  Leistung  des  Ma- 
gens zu  berücksichtigen,  nicht  so  sehr 
der  Mangel  an  Salzsäure.  Ist  die 
Kraft  schlecht,  besteht  somit  Stagna- 
tion, dann  mögen  Magenauswaschun- 
gen Platz  greifen  und  es  ist  die  Auf- 
nahme von  nur  kleinen  Mengen  von 
Speisen  und  Flüssigkeiten  gestattet. 
Die  Nahrung  soll  gemischt  und  im 
fein  verkleinerten  Zustand  sein. 

Dr.  Carl  Beck  spricht  zu  Gunsten 
der  Probelaparotomie  bei  begründetem 
Verdacht  auf  Karzinoma,  denn  nur 
eine  solche  macht  die  Frühdiagnose 
des  Karzinoms  möglich.  Vor  zwei 
Wochen  hatte  Dr.  B.  eine  Patientin 
operiert,  die  seit  Jahren  an  Achylia 
gastrica  gelitten,  ohne  an  Körperge- 
wicht abgenommen  zu  haben.  Sie 
wurde  von  mehreren  Aerzten  für  ner- 
vös erklärt.  Bei  der  Röntgenunter- 
suchung fand  sich  eine  eigentümliche, 
verdächtige  Form  des  Pylorus.  Bei 
der  Operation  zeigte  sich  ein  sehr  klei- 
nes Karzinom,  das  unmöglich  hätte 
palpiert  werden  können.  Diese  Früh- 
diagnose wurde  nur  durch  die  Opera- 
tion ermöglicht. 

Dr.  R  e  i  c  h  m  a  n  n  :  H  o  1  z  k  n  e  c  h  t 
in  Wien  behauptete  in  einer  früheren 
Publikation,  dass  die  Röntgenstrahlen- 
untersuchung  des  mit  Bismutum  sub- 
nitricum  gefüllten  Magens  eine  früh- 
zeitige Erkennung  des  Karzinomas  er- 
mögliche. Dem  gegenüber  ist  zu  be- 
merken, dass  auch  Bänder    und  Ad- 


häsionen, welche  den  Pylorus  zusam- 
menschnüren, unter  Umständen  die- 
selben Bilder  zeigen.  In  einer  neueren 
Publikation  gesteht  Holzknecht 
ein,  dass  die  Schlussfolgerungen  seiner 
früheren  Untersuchungen  nicht  stich- 
haltig seien.  Viele  Fälle,  welche  von 
ihm  auf  Grund  der  Röntgenstrahlen- 
untersuchung  für  Karzinoma  verdäch- 
tig erklärt  worden  waren,  wiesen  bei 
der  Operation  andere  Magenaffek- 
tionen auf. 

Dr.  Reichmann  gibt  einen  kur- 
zen Bericht  über  seine  eigene  Magen- 
erkrankung, die  seit  4  Monaten  besteht 
und  wegen  des  Mangels  an  Salzsäure 
und  wegen  des  bedeutenden  Verlustes 
an  Körpergewicht  an  Karzinom  den- 
ken Hess,  zumal  letzteres  in  seiner  Fa- 
milie hereditär  ist.  Die  empfohlenen 
grossen  Gaben  von  HCl  riefen  bei  ihm 
heftigen  Durchfall  hervor,  der  erst  mit 
der  Abbrechung  der  Medikation  auf- 
hörte. Gegenwärtig  fühle  er  sich  be- 
deutend besser,  das  Körpergewicht 
habe  wieder  zugenommen. 

Dr.  Behrendt  (Schlusswort) 
führt  das  Auftreten  von  Durchfall  bei 
Dr.  Reich  mann  bei  HCl  Medika- 
tion darauf  zurück,  dass  es  sich  bei  ihm 
nicht  um  Achylia  gastrica,  sondern 
nur  um  Hypocnlorhydria  mit  Pepsin- 
produktion gehandelt  habe.  Die  stop- 
fende Wirkung  der  Salzsäure  bei 
Achylia  ist  bekannt  und  wahrschein- 
lich auf  ihre  desinfizierende  Eigen- 
schaft zurückzuführen.  Salzsäure  vor 
dem  Essen  hat  sich  als  vorzügliches 
Stomachikum  namentlich  bei  Kindern, 
die  an  sonst  unüberwindlichem  Appe- 
titmangel gelitten,  bewährt. 

II.  Dr.  Heym  stellt  einen  Mann 
von  mittleren  Jahren  vor.  der 
zu  wiederholtenmalen  Xerventraumen 
schwerer  Xatur  erlitten  hatte;  einmal 
wurde  er  vom  Blitze  getroffen  und  im 
Jahre  1894  erlitt  er  Sonnenstich.  Die 
gegenwärtige  Erkrankung  begann  im 
Jahre  1896  mit  Schwäche  in  der  rech- 
ten, später  in  der  linken  Hand,  von 
den  distalen  Enden  der  Extremitäten 
proximal  über  Unterarm,  dann  am 
Oberarm  weiterschreitend  und  sich  auf 
die  Schultermuskeln  ausdehnend.  Vor 
drei  Jahren  traten  bulbäre  Erscheinun- 
gen,   namentlich    Sprachstörungen  auf 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


und  vor  einem  Jahr  trat  Schwäche  in 
der  linken  unteren  Extremität  hinzu. 
An  den  kleinen  Handmuskeln  zeigt 
sich  ein  für  die  hochgradige  Kraft- 
losigkeit verhältnismässig  nicht  sehr 
intensiver  Schwund ;  die  Füllung  der 
Hand  ist  nicht  so  schlecht,  als  man  es 
erwarten  würde.  Dagegen  erstreckt 
sich  eine  hochgradige  Atrophie  bis 
vollständiger  Schwund  auf  die  Mus- 
keln des  Unterarmes,  des  Oberarmes 
beiderseits  und  auf  die  Muskeln  der 
Schultern,  spez.  des  Infraspinatus, 
Supraspinatus,  während  der  linke  Del- 
toideus  weniger,  die  Muse,  serrati  ant. 
maj.  gar  nicht  beteiligt  zu  sein 
scheinen.  Es  besteht  infolge  Affektion 
der  Rückenmuskulatur  eine  Verkrüm- 
mung der  Wirbelsäule.  Auffallend 
ist,  dass  trotz  hochgradiger  Atrophie 
nur  wenige  Zeichen  von  Entartungs- 
reaktion vorhanden  sind.  Mit  Rück- 
sicht auf  diesen  Umstand  und  auf  den 
Beginn  der  Erkrankung  an  der  Peri- 
pherie der  oberen  Extremitäten  und 
den  aszendierenden  Charakter  der 
Lähmungen  ist  anzunehmen,  dass  es 
sich  ursprünglich  um  eine  spinale 
progressive  Muskelatrophie  gehandelt 
hat,  zu  welcher  sich  eine  Dystrophia 
musculorum  hinzugesellt  hat.  Mit 
chronischer  Poliomyelitis  hat  der  Fall 
nichts  zu  tun.  Dr.  Hey  m  geht  im 
Anschluss  an  die  interessante  Analyse 
des  Krankheitsbildes  des  genaueren  in 
die  Besprechung  der  Differentialdia- 
gnose zwischen  spinaler  progressiver 
Muskelatrophie,  der  Poliomyelitis 
chronica,  der  verschiedenen  Formen 
der  (myopathischen)  progressiven 
Muskeldystrophie  und  der  neuroti- 
schen Muskeldystrophie  ein. 

In    der    Diskussion    erwähnt  Dr. 


Luckhardt  einen  Fall,  den  er  für 
chronische  Poliomyelitis  hält :  Eine 
35jährige  Frau  erkrankte  plötzlich  un- 
ter Fiebererscheinungen  und  Delirien 
an  vollständiger  Lähmung  aller  Mus- 
keln des  linken  Armes.  Die  Lähmung 
besserte  sich  im  Laufe  der  Zeit  um 
bedeutendes.  Ein  Jahr  später  ent- 
wickelte sich  an  der  rechten  oberen 
Extremität  eine  langsam  progressive 
.Muskellähmung,  die  von  den  kleinen 
Handmuskeln  ihren  Ausgang  nahm 
und  aszendierenden  Charakter  besass. 
Teilweise  Entartungsreaktion.  Nach 
Auffassung  des  Dr.  L.  handelte  es  sich 
anfangs  um  eine  akute  Poliomyelitis 
anterior,  zu  der  sich  die  chronische 
Form  später  hinzugesellte. 

Dr.  H  e  y  m  spricht  seine  Meinung 
bezüglich  des  von  Dr.  L.  berichteten 
Falles  dahin  aus,  dass  es  sich  ursprüng- 
lich zwar  um  Poliomyelitis  anterior 
acuta  gehandelt  habe,  im  Anschluss  an 
welche  jedoch  eine  spinale  progressive 
Muskelatrophie  aufgetreten  sei.  Sol- 
che Fälle  sind  bekannt.  Die  akute  Po- 
liomyelitis spielt  denselben  ätiologi- 
schen Faktor  in  diesen  Fällen,  wie  es 
Traumen  sonst  tun.  Bei  der  progres- 
siven spinalen  Muskelatrophie  findet 
man  die  Ganglienzellen  der  Vorderhör- 
ner  affiziert ;  die  Nervenfasern  und 
Muskeln  entarten  sekundär.  Von  der  neu- 
rotischen Muskelatrophie  liegen  zwei 
Sektionsbefunde  vor;  die  Befunde  erin- 
nern in  manchen  Punkten  an  Tabes  dor- 
salis,  indem  z.  B.  neben  der  Nervende- 
generation Atrophie  der  Hinterstränge 
und  der  Ganglionzellen  vorhanden  ist. 
Bei  Myopathie  können  die  Ganglienzel- 
len sekundär  atrophieren. 

Dr.  A.  Strauch, 

Schriftführer. 


Therapeutische  und  klinische  Notizen. 


—  Ucbcr  Coryfin,  ein  neues  Mittel  bei  ner- 
vösen Kopfschmerzen.  Vor  kurzem  haben  die 
Farbenfabriken  vormals  Fried  r.  Bayer  & 
Co.  in  Elberfeld  unter  dem  Namen  Coryfin 
ein  neues  Mentholpräparat  in  den  Handel  ge- 
bracht, welches  nach  Meinung,  P  o  1 1  a  k  s,  be- 
rufen ist,  im  Arzneischatze  eine  wichtige  Rolle 
zu  spielen.    Die  günstigen  Erfolge,  die  P.  mit 


einzelnen  Präparaten  der  genannten  Firma  in 
seiner  Praxis  erzielt  hat  —  er  fährt  von  den 
neueren  nur  das  ausgezeichnete  Jodpräparat 
„Sajodin"  an  —  veranlassten  ihn,  auch  mit 
dem  Coryfin  einen  Versuch  zu  machen.  Er 
hat  dieses  Mittel  ausschliesslich  bei  Neuras- 
thenikern  verwendet,  die  über  Kopfschmerz 
in  der  Stirngegend  oder  Druckgefühl  daselbst 


256 


New    Yorker    Medizinische  Monatsschrift. 


klagten,  und  zwar  Hess  er  das  Coryfin,  eine 
färb-  und  fast  geruchlose  Flüssigkeit,  mit  ei- 
nem feinen  Pinsel  auf  den  oberen  Teil  der 
Stirne  auftragen,  wobei  man  nur  acht  zu 
geben  hat,  dass  das  Mittel  nicht  zu  nahe  den 
Augen  oder  gar  in  dieselben  gebracht  wird. 
Nach  kurzer  Zeit  stellt  sich  unter  Auftreten 
eines  deutlichen,  aber  ganz  angenehmen  Kälte- 
gefühles ein  Nachlassen  der  Beschwerden 
prompt  ein. 

Eine  ganze  Reihe  der  Patienten  P  o  1 1  a  k  s, 
welche  zumeist  schon  durch  längere  Zeit  in 
seiner  Behandlung  standen  und  alle  möglichen 
Mittel  gegen  ihre  Kopfschmerzen  angewendet 
hatten,  war  mit  dem  Coryfin  sehr  zufrieden, 
so  dass  P.  es  jetzt  in  den  geeigneten  Fällen 
stets  ordiniert  und  auch  den  Kollegen  zur 
Ueberprüfung  empfiehlt.  (Therap.  Revue  der 
Allgem.  Wiener  med.  Zeitung.) 

—  Tuberculosc  et  glande  thyroide.  Morin 
hat  bereits  im  Jahre  1895  auf  das  häufige  Vor- 
kommen von  Atrophie  der  Schilddrüse  bei 
Tuberkulösen  hingewiesen.  Von  348  Phthi- 
sikern,  die  darauf  untersucht  wurden,  zeigten 
ungefähr  25%  diese  Anomalie.  Aus  dem  Vo- 
lumen der  Glandula  thyreoidea  allein  lässt  sich 
allerdings  kein  bindender  Schluss  auf  die  Qua- 
lität und  Quantität  der  Sekretion  der  Drüse 
ziehen,  festzustehen  scheint  dagegen  die  Tat- 
sache, dass  Atrophie  der  Schilddrüse  das 
Fortschreiten  des  tuberkulösen  Prozesses  be- 
schleunigt. Mit  dieser  Anschauung  stimmt  die 
klinische  Erfahrung,  dass  Kranke  mit  nor- 
maler oder  leicht  hypertrophischer  Glandula 
thyreoidea  zu  einer  besseren  Prognose  be- 
rechtigten als  solche,  bei  denen  das  Drüsen- 
volum deutlich  vermindert  ist,  gut  überein. 
Man  hätte  demnach  in  der  Tätigkeit  der  Glan- 
dula thyreoidea  ein  natürliches  Verteidigungs- 
mittel gegen  das  Gift  der  Tuberkelbazillen  zu 
erblicken. 


Da  wir  nun  durch  Ilauman  n's  Untersuch- 
ungen wissen,  dass  die  Kolloidsubstanz,  welche 
die  Glandula  thyreoidea  sezerniert,  Jodothyrin 
enthält  und  wir  auch  sonst  Fingerzeige  dafür 
haben,  dass  man  mit  gewissen  Jodpräparaten 
tuberkulöse  Erkrankungen  günstig  beeinflussen 
kann,  entsteht  die  Frage,  ob  wir  mit  geeig- 
neten Jodmitteln  allein  die  Tuberkulose  zu 
heilen  vermögen.  Wenn  wir  nun  auch  diese 
Frage  nicht  bejahen  können,  so  entfällt  damit 
noch  lange  nicht  die  Bedeutung  der  Jodpräpa- 
rate als  Unterstützungsmittel  der  Therapie  der 
Phthise.  Von  einschneidender  Bedeutung  ist 
die  Wahl  der  richtigen  Jodverbindung.  Metal- 
lisches Jod  und  die  anorganischen  Jodpräpa- 
rate weichen  in  ihrer  Wirkung  beträchtlich  ab 
von  jenen  Jodverbindungen,  die  wir  in  un- 
serer Nahrung  aufnehmen  und  in  der  Kolloid- 
substanz der  Schilddrüse  wiederfinden.  M. 
appliziert  seit  einiger  Zeit  das  Jod  äusserlich 
in  Form  der  Jothionsalbe. 

Jothion  (Dijodhydroxypropan)  enthält  80% 
Jod.  Es  wird  leicht  von  der  Haut  absorbiert 
und  ist  nach  kurzer  Zeit  im  Harn  nachweisbar. 
Es  ruft  weder  Jodismus  noch  Erscheinungen 
von  Intoleranz  hervor.  Eine  zweckmässige 
Verordnung  ist :  Jothion  10.0,  Lanolin  anhy- 
dric.  6.0,  Vaselin  4.0.  Bei  empfindlichen  Pa- 
tienten wird  einmal  täglich  die  eine  Thorax- 
seite, haselnussgross,  eingerieben,  am  nächsten 
Tage  in  gleicher  Weise  die  andere  Seite,  am 
dritten  Tage  die  eine  Hälfte  des  Rückens,  am 
vierten  Tage  die  andere  Hälfte.  Am  fünften 
Tage  wird  wieder  von  vorn  angefangen.  Bei 
diesem  Modus  der  Inunktion  tritt  keine  Haut- 
reizung ein. 

Zur  innerlichen  Darreichung  des  Jods  ist 
das  Sajodin  3 — 4  g  pro  die  zu  empfehlen. 

Die  Patienten  vertragen  diese  Medikation 
ausgezeichnet  und  die  erzielten  Resultate  sind 
sehr  ermutigend.    (La  Presse  medicale.) 


Kleine  Mitteilungen. 


—  Verzogen  :  D  .  R  .  D  e  n  i  g  nach  56  Ost  58.  Strasse. 


]Sew  Yorker 

]Y[ecUzimscbe  ]Vlonatsscbrift 

Offizielles  Organ  der 

DeutfdKn  medizinirdicn  öcfellfcbaften  der  Städte  new  Virk, 
Chicago,  Umland  und  San  Trancisco. 

Redigiert  von  Dr.  A.  Ripperger. 
Bd.  XIX.  New  York,  Dezember,  1907.  No.  9. 

Originalarbeiten. 


Wirklicher  und  vermeintlicher  Haarverlust  bei  Syphilis. 

Von  Dr.  Hermann  G.  Klotz,  New  York. 


Bei  der  Besprechung  der  Störungen 
des  Haarwuchses  bei  Syphilis  lassen  die 
Hand-  und  Lehrbücher  eine  auffallende 
Einmütigkeit  der  Ansichten  erkennen. 
Die  wesentlichen  Punkte  in  ihrer  Dar- 
stellung sind  ungefähr  die  folgenden : 

1.  Haarverlust  oder  Alopecie  ist  eins 
der  frühen  und  der  gewöhnlichsten 
Symptome  der  Syphilis. 

2.  Diese  Alopecie  mag  bedeutende  Un- 
terschiede in  dem  Grade  des  Haarver- 
lustes erkennen  lassen.  Derselbe  mag  so 
gering  sein,  dass  er  bei  gelegentlicher  Be- 
obachtung ganz  übersehen  wird,  und 
kaum  gross  genug,  um  die  Aufmerksam- 
keit des  Kranken  selbst  darauf  zu  len- 
ken, jedoch  mag  derselbe  auch  wieder  so 
bedeutend  sein,  dass  ausgedehntere  Be- 
zirke oder  selbst  der  ganze  sonst  behaarte 
Kopf  vollständig  kahl  werden. 

3.  Der  Haarverlust  besteht  hauptsäch- 
lich in  einem  unregelmässig  über  den 
ganzen  Schädel  verteilten  Dünnerwerden 
des  Haares  und  ist  nicht  wie  bei  den  erb- 


*)  Vortrag,  gehalten  in  der  Deutschen  med. 
Gesellschaft  der  Stadt  New  York  am  2.  De- 
zember 1907. 


liehen  oder  andern  Formen  frühzeitigen 
Haarverlustes  auf  gewisse  Stellen  des 
Kopfes,  wie  den  Scheitel  oder  die  Schlä- 
fen, beschränkt. 

4.  Inder  Regel  verläuft  derselbe  ohne 
mit  blossem  Auge  wahrnehmbare  Verän- 
derungen der  Haut  selbst,  obgleich  ei- 
nige Autoren  Trockenheit  und  leichte 
Abschuppung  erwähnen. 

5.  Dieser  Haarverlust  ist  die  Folge  ei- 
ner durch  die  Durchseuchung  mit  dem 
Gift  der  Syphilis  bedingten  Umstim- 
mung  des  ganzen  Organismus  und  un- 
mittelbar das  Ergebnis  der  mangelhaf- 
ten Ernährung  des  Haares  und  seiner 
Anhänge. 

6.  Der  Haarverlust  mag  sich  auch  auf 
andere  Stellen  des  Körpers  als  den  be- 
haarten Kopf  erstrecken,  so  namentlich 
auf  die  Augenbrauen,  den  Bart  und* 
überhaupt  auf  alle  Körpergegenden,  auf 
denen  für  gewöhnlich  Haarwuchs  ange- 
troffen wird. 

7.  Wenn  der  Patient  nicht  schon  allzu- 
weit in  Jahren  vorgeschritten  ist,  darf 
man  auf  mehr  weniger  vollständigen 
Nachwuchs  des  Haares  rechnen. 

8.  Für  gewöhnlich  wird  der  Haarver- 


258 


New    Yorker   Medizinische  Monatsschrift. 


lust  der  Syphilitischen  innerhalb  der 
ersten  drei  bis  sechs  Monate  nach  der 
Ansteckung  beobachtet,  doch  kann  der- 
selbe zu  irgend  einer  Zeit  im  Verlauf  der 
Krankheit  auftreten. 

9.  Gelegentlich  begegnet  man  anstatt 
des  allgemeinen  Dünnerwerdens  des 
Haares  dem  x\uftreten  von  kleineren,  un- 
regelmässigen, nicht  scharf  begrenzten, 
nicht  absolut  aller  Haare  verlustiger  kah- 
ler Stellen,  die  zuweilen  in  einander  über- 
gehen. Sie  lassen  sich  unschwer  von 
den  scharf  ausgeschnittenen  Herden  der 
Alopecia  areata  unterscheiden  und  geben 
mehr  das  Bild  der  Hundekrätze  oder  von 
Mottenfrass. 

Schon  im  Anfange  meiner  ärztlichen 
Tätigkeit  waren  infolge  einiger  Beob- 
achtungen Zweifel  in  mir  rege  geworden 
betreffs  der  absoluten  Richtigkeit  einiger 
dieser  Lehren.  Deshalb  habe  ich  mich 
bemüht,  in  den  zahlreichen  Fällen  von 
Syphilis,  die  im  Laufe  der  Jahre  unter 
meine  Beobachtung  gekommen  sind,  von 
dem  Zustand  des  Haares  genaue  Kennt- 
nis zu  nehmen.  Infolge  dieser  Untersuch- 
ungen bin  ich  zu  gewissen  Schlüssen  ge- 
kommen, die  einigermassen  in  Wider- 
spruch stehen  mit  den  landläufigen  und 
traditionellen  Lehren. 

Alle  Autoren  sind  sich  darüber  einig, 
dass  in  der  Frühperiode  der  Syphilis  der 
Haarverlust  in  einer  so  wenig  auffallen- 
den Weise  auftreten  kann,  dass  er  sich 
der  Beobachtung  des  Kranken  ganz  ent- 
zieht oder  kaum  dessen  Aufmerksamkeit 
auf  sich  lenkt.  Von  solchen  Zuständen 
als  von  Fällen  syphilitischer  Alopecia  zu 
sprechen  oder  sie  zur  Begründung  der 
Behauptung  zu  benutzen,  dass  Haarver- 
lust ein  beinahe  unausbleibliches  Symp- 
tom der  Syphilis  ist,  dürfte  kaum  ge- 
rechtfertigt erscheinen  angesichts  gewis- 
ser wohl  begründeter  Tatsachen,  und  dem 
vorurteilsfreien  Beobachter  muss  diese 
Ansicht  sinnlos  erscheinen  und  geeignet, 
Irrtum  zu  erregen  und  geradezu  Unheil 
anzustiften.  Man  muss  nur  festhalten,  dass 
bei  jeder  auch  ganz  gesunden  Person 
ein  gewisser  Abgang  von  Haar  fortwäh- 
rend  vorhanden   ist  mit  gelegentlichen 


vorübergehenden  Steigerungen  dieses 
Vorgangs :  altes  Haar  fällt  aus  und 
neues  wächst  von  der  Papille  aus  nach. 
Die  physiologischen  Prozesse  sind  vor- 
züglich von  U  n  n  a  studiert  und  genau 
festgestellt  worden.  Der  Mehrzahl  der 
Menschen  sind  diese  Erscheinungen  un- 
bekannt und,  solange  sie  sich  ungestör- 
ter Gesundheit  erfreuen,  geben  sie  nicht 
im  geringsten  auf  dieselbe  Acht,  da 
sie  sich  gewöhnt  haben,  dieselben  als  ganz 
natürlich  anzusehen.  Sie  werden  aber 
sofort  anfangen,  denselben  die  grösste 
Aufmerksamkeit  zu  schenken,  sobald  sie 
mit  Syphilis  angesteckt  worden  sind  und 
sie  von  der  Wahrscheinlichkeit  eines  ge- 
wissen Haarverlustes  infolge  derselben 
Kenntnis  erhalten  haben,  entweder  durch 
die  Lektüre  von  Konversationslexikas 
oder  medizinischen  Büchern,  oder  durch 
Mitteilungen  von  geschäftigen  Freunden, 
oder  nicht  zum  wenigsten  durch  die  an- 
gelegentlichen Fragen  ihrer  Aerzte,  wel- 
che von  den  herrschenden  Lehren  von 
der  unvermeidlichen  Alopecie  tief  durch- 
drungen sind.  In  der  Tat  werden  die 
Patienten  im  stände  sein,  einige  Haare  im 
Kamm  zu  finden,  und  daraufhin  werden 
sie  sofort  ihrem  Arzt  berichten,  dass  sie 
ihr  Haar  verlieren.  Dieser  wiederum, 
meistens  ohne  viel  weitere  Untersuchung, 
wird  pflichtschuldigst  einen  weiteren 
Fall  von  syphilitischer  Alopecie  ankrei- 
den, anstatt  darin  einen  einfachen  physio- 
logischen Vorgang  zu  erkennen. 

Weiterhin,  obgleich  für  gewöhnlich 
angenommen  wird,  dass  bei  dieser  Form 
von  Haarverlust  makroskopisch  wenig- 
stens keine  Veränderungen  oder  Efflores- 
zenzen  der  Haut  wahrnehmbar  sind,  wird 
von  einigen  Autoren  das  Vorhandensein 
einer  leichten  kleienartigen  Abschuppung 
während  der  Dauer  dieser  Periode  des 
Haarausfalls  erwähnt.  Hier  wiederum 
müssen  wir  nicht  übersehen,  dass  auf  dem 
Kopfe  vieler  Männer  und  Frauen  ein 
massiger  Grad  des  gewöhnlich  als  Pityri- 
asis oder  Seborrhoea  des  Kopfes  beschrie- 
benen Zustande?  vorhanden  ist,  ohne  dass 
derselbe  besondere  Aufmerksamkeit  er- 
regt, selbst  wenn  er  von  einem  massigen 


New    Yorker    Medizinische  Monatsschrift. 


259 


Ausfall  des  Haares  begleitet  wird.  Sol- 
cher „dandruff"  wird  von  Vielen  als  ein 
völlig  natürliches  Vorkommnis  ange- 
sehen, das  weder  besondere  Beachtung 
noch  Behandlung  erfordert.  Sobald  aber 
der  Kranke  gewahr  geworden  ist,  dass  er 
mit  Syphilis  angesteckt  worden  ist,  dann 
taucht  sofort  das  Gespenst  drohender 
Kahlheit  vor  seinen  Gedanken  auf.  Der- 
selbe wird  sofort  feststellen,  dass  beim 
Kämmen  eine  gewisse  Anzahl  Haare  aus- 
kommen und  dies  pflichtschuldigst  dem 
Arzte  melden  ;  dieser,  der  ohnehin  schon 
auf  die  unvermeidliche  syphilitische  Alo- 
pecie  gefahndet  hatte,  wird,  ohne  genau 
den  behaarten  Kopf  zu  untersuchen,  ge- 
treulich die  Erscheinung  des  traditionel- 
len Symptoms  zu  Buche  bringen.  Solche 
Fälle  sind  keineswegs  selten.  Aus  meiner 
eignen  Erfahrung  könnte  ich  eine  An- 
zahl von  Fällen  aufweisen,  in  denen  die 
Ansteckung  mit  Syphilis  die  Veranlass- 
ung gab  zur  Erhaltung  eines  ganz  guten 
Haarbestandes  anstatt  zu  dessen  Verlust, 
indem  nun  die  Kranken  eher  willens  wa- 
ren und  sich  bereit  fanden,  die  üblichen 
nicht  spezifischen,  örtlichen  Heilmittel 
mit  der  gehörigen  Sorgfalt  und  Ausdauer 
anzuwenden,  um  einen  günstigen  Erfolg 
zu  sichern. 

Unter  der  gebräuchlichen  Auslegung 
des  Begriffes  der  syphilitischen  Alopecie 
kann  man  mit  Bestimmtheit  annehmen, 
dass  die  beiden  besprochenen  Klassen 
eine  grosse  Mehrheit  aller  berichteten 
Fälle  ausmachen,  obgleich  sie  in  Wirk- 
lichkeit auch  nicht  den  leisesten  Zusam- 
menhang mit  Syphilis  haben  und  daher 
vollständig  aus  der  Zahl  der  Symptome 
dieser  Krankheit  ausgeschlossen  werden 
sollten.  Es  bleibt  jedoch  eine  mässige 
Anzahl  von  Fällen  übrig,  in  denen  in  der 
Tat  mangelhafte  Ernährung  und  nach- 
träglicher Ausfall  der  Haare  vorkommt, 
zuweilen  allerdings  sich  nur  äussert 
durch  Trockenheit  und  Glanzlosigkeit 
des  Haares,  oder  aber  zu  dem  fast  voll- 
ständigen Verlust  nicht  nur  der  Kopf- 
haare führt,  sondern  auch  der  Haare  an 
allen  andern  Körperteilen,  welche  sonst 
Haarwuchs   aufweisen,  augenscheinlich 


als  eine  Folge  der  allgemeinen  Durch- 
seuchung des  Körpers  mit  dem  Syphilis- 
gift und  als  das  Ergebnis  einer  mangel- 
haften Ernährung  des  Körpers  im  allge- 
meinen. Diese  Wirkung  ist  aber  nicht 
als  eine  spezifische  aufzufassen,  welche 
der  Syphilis  eigentümlich  wäre,  sondern 
sie  ist  mehr  oder  weniger  gewöhnlich  zu 
beobachten  bei  Infektionskrankheiten, 
besonders  bei  denen,  welche  einen  kurzen, 
zyklischen,  von  hohem  Fieber  begleiteten 
Verlauf  haben,  wie  der  Unterleibstyphus, 
Erysipelas,  Septichämie  und  die  akuten 
Exantheme,  mögen  dieselben  eine  Be- 
teiligung des  behaarten  Kopfes  an  den 
begehenden  Hauterscheinungen  aufwei- 
sen oder  nicht.  In  der  Regel  steht  der 
Haarverlust  in  geradem  Verhältnis  zu 
dem  Grade  der  Intoxikation,  wie  dieselbe 
zum  Ausdruck  kommt  in  allgemeinen 
Symptomen,  hauptsächlich  in  dem  An- 
steigen der  Körpertemperatur  oder  der 
Höhe  des  Fiebers.  Mit  Ausnahme  der 
nicht  häufig  beobachteten  kachektischen 
Zustände  der  Spätstadien  der  Syphilis, 
welche  hier  nicht  weiter  berücksichtigt 
zu  werden  brauchen,  tritt  der  Charakter 
der  Infektionskrankheit  bei  der  Syphilis 
am  meisten  hervor  während  der  zweiten 
Inkubationsperiode,  w7elche  dem  Aus- 
bruch der  gewöhnlichen  sekundären 
Haut-  und  Schleimhautsymptome  vor- 
ausgeht. Während  dieser  Periode 
scheint  eine  ganz  bedeutende  Anzahl  der 
Angesteckten  sich  eines  absolut  ungestör- 
ten allgemeinen  Wohlbefindens  zu  er- 
freuen, objektiv  wie  subjektiv:  dies  mag 
die  verhältnissmässig  grosse  Anzahl  von 
Fällen  von  übersehener  oder  nicht  er- 
kannter Syphilis,  namentlich  beim  weib- 
lichen Geschlecht  erklären.  Andere  er- 
fahren eine  mässige  Gewichtsabnahme, 
einen  gewissen  Grad  von  Blutarmut,  aber 
fühlen  keine  grössere  Abnahme  ihrer 
Kräfte,  keine  gedrücktere  Gemütsstim- 
mung, als  sie  unter  vielen  andern  Ver- 
hältnissen auch  erfahren  würden  oder  als 
man  auf  den  psychischen  Einfluss  der 
Ansteckung  zurückführen  könnte.  Eine 
Anzahl  Patienten  jedoch  entwickeln  viel 
ernstere  Symptome,  in  der  Regel  ohne 


2ÖO 


New    Yorker   Medizinische  Monatsschrift. 


eine  augenfällige  oder  direkt  nachweis- 
bare Ursache,  mehr  oder  weniger  starkes 
Kopfweh  und  „rheumatische"  Schmer- 
zen in  andern  Körperteilen  und  den  Glie- 
dern, mit  oder  ohne  Druckempfindlich- 
keit, begleitet  von  Verlust  des  Appetites 
und  des  Schlafes  und  nicht  eben  selten 
von  beträchtlicher  Temperatursteigerung 
und  Nachtschweissen.  Häufig  genug 
folgt  auf  solche  Symptome  ein  mehr  oder 
weniger  bösartiger  Verlauf  der  Sekun- 
därerscheinungen, während  wiederum  in 
anderen  Fällen  der  Verlauf  der  Krank- 
heit auch  nicht  den  geringsten  Unter- 
schied zeigt  von  Fällen  mit  ganz  leich- 
ten Prodromalerscheinungen.  Unter  sol- 
chen Umständen  kann  man  ziemlich  häu- 
fig einen  Verlust  von  Haaren  beobachten, 
gewöhnlich  in  einem  den  allgemeinen  und 
besonders  den  nervösen  Symptomen  ent- 
sprechenden Grade,  das  Auftreten  der 
sekundären  Symptome  begleitend  oder 
demselben  nachfolgend.  Obwohl  sich 
hierbei  in  der  Regel  augenfällige  Ge- 
websveränderungen in  der  Haut,  welche 
den  Haarverlust  erklären  könnten,  nicht 
nachweisen  lassen,  so  können  wir  ihre 
Anwesenheit  nicht  absolut  in  Abrede  stel- 
len. Für  eine  gewisse  Anzahl  von  Fäl- 
len müssen  wir  immerhin  die  Möglich- 
keit in's  Auge  fassen,  dass  hier  ein  nicht 
beobachtetes  Fleckensyphilid  der  Kopf- 
haut diese  frühzeitige  Alopecie  verur- 
sacht habe ;  man  rnuss  zugeben,  dass  sol- 
che fleckige  Ausschläge  doch  wohl  häufi- 
ger vorkommen,  als  sie  bemerkt  und  mit 
Bestimmtheit  erwähnt  werden,  nament- 
lich wenn  sie  als  Teilerscheinung  eines 
sehr  verbreiteten  Ausschlags  vorkom- 
men, ebenso  dass  sie  dann  von  gewissen, 
der  Svphilis  eigentümlichen  Strukturver- 
änderungen begleitet  werden,  eventuell 
auch  von  der  Gegenwart  von  Spirochae- 
ten.  Können  wir  aber  diese  Zustände 
mit  ziemlicher  Sicherheit  ausschliessen, 
so  dürften  die  Strukturveränderungen, 
wenn  solche  überhaupt  vorhanden,  sich 
nicht  unterscheiden  von  denen  in  Zu- 
sammenhang oder  im  Verlauf  von  an- 
deren Infektionskrankheiten  auftreten- 
den.  Der  Haarverlust  steht  dann  in  der- 


selben Beziehung  zur  Syphilis  wie  die 
dem  Typhoid  nachfolgende  Alopecie  zu 
dieser  Krankheit  oder  zu  ihrer  Ursache : 
dem  E  b  e  r  t  h'schen  Bazillus.  Man 
kann  denselben  also  nicht  als  ein  spezi- 
fisches, direkt  von  dem  Syphilisgift  ab- 
hängiges Symptom  ansehen,  sondern 
vielmehr  als  eine  Komplikation,  als  ein 
parasyphilitisches  Phänomen,  wenn  Sie 
wollen,  das  verursacht  wird  durch  Tox- 
ine, von  deren  Natur  wir  zur  Zeit  noch 
wenig  bestimmte  Kenntnis  haben. 

Ausser  dieser  mehr  allgemeinen  Alo- 
pecie wird  von  den  meisten  Autoren  eine 
andere  Form  beschrieben,  bei  welcher 
der  Haarverlust  in  Gestalt  runder  oder 
ovaler,  nicht  scharf  umgrenzter  Flecken 
auftritt,  meist  von  der  Grösse  eines  Fin- 
gernagels. Solche  Flecken  können  ziem- 
lich nahe  beisammen  stehen  in  Gruppen, 
nicht  symmetrisch  angeordnet,  meistens 
mehr  über  den  hintern  und  obern  Teil 
des  Kopfes  verteilt.  Sie  geben  ein  ei- 
gentümliches Aussehen,  das  von  Man- 
chen als  motten-  oder  mäusefrassähn- 
lich,  von  andern  als  räudig  bezeichnet 
wird,  nach  andern  (Jackson)  sieht 
der  Kopf  aus,  als  wenn  das  Haar  ohne 
jede  Sorgfalt  mit  einer  stumpfen 
Scheere  geschnitten  worden  wäre.  Diese 
Stellen  zeigen  eben  nicht  die  scharf  be- 
grenzte, ganz  glatte  Oberfläche  der  Alo- 
pecia areata ;  sie  sind  unregelmässig,  von 
schmutzig  weisslicher  Farbe,  zuweilen 
teilweise  schuppig,  einzelne  lange  Haare 
oder  Gruppen  von  solchen,  gelegentlich 
auch  einige  Haarstümpfe  bleiben  noch 
über  die  Oberfläche  zerstreut  zurück. 
Dieser  Zustand  verursacht  keine  subjek- 
tiven Symptome  wie  Jucken,  aber  durch 
das  auffällige  Aussehen  wird  derselbe  zu 
einer  Quelle  grossen  Verdrusses,  umso- 
mehr  als,  mit  Ausnahme  nur  ganz  ver- 
einzelter Fälle,  diese  Form  des  Haarver- 
lustes für  sich  allein  die  Diagnose  der 
Syphilis  rechtfertigt.  Kahle  Stellen 
treten  hier  und  da  im  behaarten  Teil  des 
Gesichts  auf,  mit  besonderer  Vorliebe 
aber  in  den  Augenbrauen,  entweder  eine 
Lücke  in  dem  Bogen  herstellend,  oder  in 
der  Gestalt  vollständigen  Verlustes  des 


Wew  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


261 


äussern  Teiles  (Fournier).  In  der 
Literatur  findet  man  diese  umschriebene 
Alopecie  gewöhnlich  mit  der  allgemeinen 
Form  identifiziert  und  nur  als  eine  Un- 
terart derselben  beschrieben  ;  es  wird  an- 
genommen, dass  dieselbe  ungefähr  um 
dieselbe  Periode  der  Krankheit  vor- 
komme, d.  h.  drei  bis  sechs  Monate  nach 
der  Ansteckung,  aber  mit  sehr  wenigen 
Ausnahmen  tritt  sie  wirklich  in  einer 
späteren  Periode  der  Krankheit  auf,  ge- 
wöhnlich während  der  zweiten  Hälfte 
des  ersten  Jahres  bis  selbst  dem  Ende 
des  zweiten  Jahres  der  Syphilis.  Ana- 
tomische Veränderungen  in  der  Haut 
selbst,  welche  das  Vorkommen  dieses 
umschriebenen  Haarverlustes  erklären 
könnten,  lassen  sich  in  der  Regel  nicht 
nachweisen.  Wenn  die  allgemeine  Er- 
nährungsstörung für  das  Ausfallen  des 
Haares  verantwortlich  gehalten  werden 
sollte,  so  wäre  es  doch  schwer  zu  er- 
klären, warum  dasselbe  auf  so  bestimmte 
Bezirke  beschränkt  bleiben  sollte.  Das 
fast  ausschliessliche  Auftreten  dieser  un- 
vollkommenen Alopecie  bei  Individuen, 
welche  innerhalb  einer  gewissen  Periode 
der  syphilitischen  Infektion  stehen,  legt 
einen  Zusammenhang  mit  einer  lokalen 
Einwirkung  des  syphilitischen  Giftes 
selbst  mindestens  sehr  nahe,  obwohl  ein 
solcher  zur  Zeit  noch  nicht  hat  nachge- 
wiesen werden  können,  und  rechtfertigt 
es,  dieselbe  als  eine  spezifische  Kund- 
gebung der  späten  sekundären  Periode 
anzusehen.  E.  Hoffmann,  in  dem 
der  Deutschen  Dermatologischen  Gesell- 
schaft in  Bern  1906  gegebenen  Bericht 
über  die  Aetiologie  der  Syphilis  (Ver- 
handlungen, p.  140) ,  spricht  sich  darüber 
also  aus :  „Interessant  wird  es  sein, 
durch  nähere  Untersuchung  zu  erfor- 
schen, ob  nicht  die  so  charakteristische 
Alopecia  specifica  auch  eine  Folge  der 
in  die  Haarwurzel  eindringenden  Spiro- 
chaeten  sein  kann ;  dass  dieser  Haaraus- 
fall, wie  vielfach  angegeben  wird,  durch 
den  Druck  des  Infiltrates,  also  auf  rein 
mechanische  Weise,  zu  stände  kommen 
soll,  will  mir  nicht  recht  einleuchten ;  ich 
glaube,    dass    die    Spirochaeta  pallida 


selbst  ihn  verursacht  (oder  ihre  Gifte) 
und  zwar  entweder  durch  Eindringen  in 
die  Haarpapille  (und  ihre  Gefässwände) 
oder  auch  durch  Einwanderung  in  die 
Haarzwiebel  und  Wurzelscheiden." 

Diese  umschriebene  Alopecie  nimmt 
in  der  Regel  einen  ausserordentlich  lang- 
weiligen und  schleppenden  Verlauf,  der 
sich  über  Monate  und  selbst  Jahre  er- 
strecken mag  und  dadurch  dem  Kranken 
viel  Verdruss  und  Gemütsverstimmung 
verursacht.  Meist  jedoch  tritt  am  Ende 
ein  mehr  weniger  vollständiger  Wieder- 
ersatz des  Haares  ein.  Neuerdings  hat 
L  e  i  n  e  r  ( Arch.  f.  Dermat.  lxxxviii, 
p.  241)  darauf  aufmerksam  gemacht, 
dass  diese  syphilitische  Alopecie  in  der 
gleichen  Form  bei  hereditärer  wie  bei 
akquirierter  Syphilis  vorkommt.  Bei 
beiden  mag  der  Haarverlust  umschrieben 
oder  ausgebreitet  sein ;  bei  der  ererbten 
Syphilis  scheinen  beide  Formen  öfter 
gleichzeitig  aufzutreten,  aber  die  um- 
schriebenen Flecken  erscheinen  gewöhn- 
lich erst  nach  dem  Verschwinden  des 
Ausschlages,  oft  in  einer  viel  späteren 
Periode ;  beide  Formen  haben  keine  Be- 
ziehungen zu  syphilitischen  Effloreszen- 
zen  der  Kopfhaut  und  sind  wahrschein- 
lich die  Folge  von  Ernährungsstörungen. 
Nur  kurze  Erwähnung  beanspruchen  die 
sogenannten  sekundären  Alopecien 
syphilitischen  Ursprungs,  das  heisst 
stellenweiser  Haarverlust  infolge  von 
tuberkulösen  und  gummatösen  Ge- 
schwürsformen oder  auch  von  manchen 
pustulösen  und  papulösen  Ausschlägen. 
Hier  ist  der  Haarverlust  einfach  die 
Folge  der  Zerstörung  der  Haarpapillen 
und  der  ganzen  an  der  Haarproduktion 
beteiligten  Anteile  der  Haut  und  der 
nachfolgenden  Narbenbildung.  Das 
Endprodukt  des  lokalen  syphilitischen 
Prozesses,  das  Narbengewebe,  unter- 
scheidet sich  in  keiner  Weise  von  dem 
durch  Zerstörungsprozesse  anderer  Art 
und  anderen  Ursprungs  hinterlassenen. 
Man  darf  daher  diese  stellenweisen, 
sekundären  Haarverluste  nicht  als  spezi- 
fischer Natur  ansehen. 

Auf    Grund    dieser  Betrachtungen 


2Ö2 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


möchte  ich  nun  meine  Ansichten  über 
syphilitische  Haarverluste  folgendennas- 
sen zusammenfassen : 

1.  Alopecie  oder  Haarverlust  ist  nicht 
ein  gewöhnliches  oder  regelmässiges 
Symptom  der  Frühstadien  der  Syphilis. 

2.  Der  unbedeutende  Ausfall  von  Haa- 
ren, der  bei  ganz  gesunden  Menschen  als 
die  Wirkung  des  physiologischen  Haar- 
wechsels fortwährend  stattfindet,  er- 
streckt sich  natürlich  auch  durch  den 
ganzen  Verlauf  der  Syphilis  und  über 
denselben  hinaus,  und  muss  derselbe  in 
Betracht  gezogen  werden,  ehe  man  einen 
Haarverlust  der  Syphilis  zuschreibt,  der 
so  gering  ist,  dass  er  ganz  übersehen 
oder  von  dem  Kranken  gar  nicht  be- 
rücksichtigt wird. 

3.  Die  gleiche  Regel  muss  auf  die  zahl- 
reichen Fälle  ganz  leichter  Seborrhoe 
der  Kopfhaut  angewendet  werden,  die 
unter  gewöhnlichen  Verhältnissen  gar 
nicht  der  Beachtung  oder  gar  der  Be- 
handlung wert  angesehen  werden  wür- 
den. 

4.  In  einer  gewissen  Anzahl  von  Fäl- 
len mag  die  Syphilis  allerdings  von  ei- 
nem verbreiteten  Haarverlust  begleitet 
werden,  der  mehr  weniger  den  ganzen 
behaarten  Kopf  einnehmen  kann,  sehr 
verschieden  an  Intensität  und  ganz  ähn- 
lich den  bei  anderen  Infektionskrankhei- 
ten, wie  Typhoid.  Erysipelas,  etc.  vor- 
kommenden Alopecien. 

5.  Bei  der  Abwesenheit  irgend  welcher 
nachweisbarer  lokaler  Veränderungen  in 
der  Haut  ist  diese  Alopecie  als  das  Re- 
sultat einer  mangelhaften  Ernährung 
des  Haares,  seiner  Anhänge  und  der 
eranzen  Haut  anzusehen,  als  Teilerschein- 
ung  einer  den  ganzen  Organismus  be- 
treffenden allgemeinen  Umstimmung  in- 
folge der  Syphilisinfektion. 

6.  Dieser  Haarverlust  ist  daher  nicht 
wirklich  ein  Symptom  der  Syphilis,  das 
direkt  durch  das  Gift  hervorgebracht 
wird,  sondern  mehr  eine  Komplikation. 

7.  Diese  Alopecie  hängt  direkt  ab  von 
den  allgemeinen  Symptomen,  welche  die 
zweite  Inkubationsperiode  begleiten,  ist 
meistens  den  letzteren  proportioniert  und 


erscheint  gewöhnlich  einige  Wochen 
nach  dem  Auftreten  dieser  prodromalen 
Symptome,  ähnlich  wie  beim  Typhoid 
und  anderen  Infektionskrankheiten. 

8.  Obgleich  diese  Alopecie  sehr  ausge- 
breitet sein  kann  und  auch  andere  Kör- 
perteile als  den  Kopf  betreffen  mag,  zeigt 
sie  doch  grosse  Neigung  zu  vollständi- 
gem Wiederersatz  des  Haares,  wenn 
nicht  der  Kranke  schon  in  weit  vorge- 
schrittenem Alter  ist  oder  erbliche  Neig- 
ung zu  Kahlheit  besitzt. 

9.  Gelegentlich  begegnet  man  einer 
Alopecie  in  Gestalt  nicht  scharf  begrenz- 
ter, unregelmässiger,  kleinerer,  zuweilen 
zusammenfhessender  kahler  Stellen,  die 
hauptsächlich  über  den  Hinterkopf  und 
die  seitlichen  Partien  verteilt  sind ;  sie 
geben  dem  Haarwuchs  ein  räudiges  oder 
mottenf rassähnliches  Aussehen. 

10.  Diese  Form  der  Alopecie  kommt 
fast  ausschliesslich  bei  Syphilitischen 
vor  und  ist  so  charakteristisch,  dass  sie 
mit  ausserordentlich  seltenen  Ausnah- 
men erlaubt,  bei  dem  damit  befallenen  In- 
dividuum die  Diagnose  ererbter  oder  er- 
worbener Syphilis  zu  stellen. 

11.  Diese  Alopecie  ist  also  ein  charak- 
teristisches Symptom  der  Syphilis  und 
tritt  fast  stets  in  einer  mehr  weniger 
längere  Zeit  von  der  Infektion  entfernten 
Periode  der  Krankheit  auf,  gewöhnlich 
nicht  vor  dem  Ende  des  ersten  Jahres 
und  selbst  bis  zum  Ende  des  zweiten 
Jahres.  Ihr  Verlauf  ist  meist  ein  sehr 
langsamer,  obwohl  meistens  in  Wieder- 
ersatz des  Haares  endend. 

12.  Bei  der  Abwesenheit  aller  nach- 
weisbaren anatomischen  Veränderungen 
der  Haut  selbst,  welche  einen  spezifischen 
lokalen  Prozess  anzeigen,  bleibt  es  vor- 
läufig schwer,  den  Ursprung  dieser 
fleckenweisen  Alopecie  zu  erklären. 

Wenn  es  einer  Entschuldigung  zu  be- 
dürfen schiene,  dafür  dass  ich  diesen  Ge- 
genstand vor  eine  Gesellschaft  vorzugs- 
weise praktischer  Aerzte  gebracht  habe, 
so  möchte  ich  darauf  aufmerksam  ma- 
chen, dass  derselbe  von  recht  grosser 
praktischer  Bedeutung  ist.  Sie  wissen 
wohl  alle,  dass  eine  der  ersten  und  frühe- 


New   Yorker   Medizinische  Monatsschrift. 


sten  Fragen,  welche  der  eben  mit  Syphi- 
lis infizierte  Patient  an  den  Arzt  zu 
richten  pflegt,  diejenige  ist,  ob  er  wohl 
sein  Haar  verlieren  werde,  denn  früh- 
zeitige Kahlheit,  eingesunkene  Nase  und 
andere  Verstümmelungen  des  Gesichts 
sind  die  gewöhnlichen  Schreckbilder  für 
diese  Unglücklichen.  Sie  wissen  auch 
jedenfalls,  wie  sehr  syphilitische  Patien- 
ten geneigt  sind,  jedes  auch  noch  so 
geringe  Symptom  genau  zu  beobachten, 
seine  Wichtigkeit  zu  überschätzen  und 
sich  über  jede  Kleinigkeit  die  grösste 
Sorge  zu  machen.  Wenn  sie  den  ge- 
ringen Haarausfall  infolge  natürlicher 
Vorgänge  oder  in  Begleitung  einer 
leichten  Seborrhoe  entdeckt  haben  und 
man  Ihnen  zu  verstehen  gegeben,  dass 
derselbe  eine  Folge  der  Syphilis  ist,  so 
werden  sie  selbstverständlich  erwarten, 
dass  derselbe  nach  eingetretener  Behand- 
lung, gleich  den  andern  Symptomen, 
verschwinden  wird.  Besteht  aber  unter 
solchen  Umständen  der  Haarausfall  un- 
verändert fort,  so  werden  sie  ganz  lo- 


gischer Weise  zu  dem  Schlüsse  kommen, 
dass  sie  noch  nicht  geheilt  und  nicht  ein- 
mal frei  von  Erscheinungen  der  Krank- 
heit sind,  solange  sie  ihr  Haar  verlieren, 
und  werden  sich  und  den  Arzt  mit  ihrem 
beharrlichen  Verlangen  quälen,  ihren 
Haarausfall  zum  Aufhören  zu  bringen. 
Wollen  Sie  den  Kranken  jetzt  die  un- 
schuldige Natur  dieses  Vorgangs  er- 
klären, so  wird  ihnen  dies  schwerlich 
mehr  Eindruck  machen  als  den  einer 
nachträglich  zu  ihrer  Beruhigung  erfun- 
denen Entschuldigung  und  wird  nicht 
zur  Beseitigung  ihrer  Unzufriedenheit 
beitragen.  Ich  brauche  Ihnen  hier  nicht 
weiter  den  Gemütszustand  solcher  Sy- 
philophoben  zu  schildern  ;  sie  verdienen 
in  hohem  Grade  unsere  Berücksichtig- 
ung und  unsere  Teilnahme.  Es  wäre  da- 
her in  hohem  Grade  wünschenswert,  dass 
die  sogenannte  syphilitische  Alopecie  in 
den  Lehrbüchern  und  beim  Unterricht 
eine  mehr  den  Tatsachen  entsprechende 
Darstellung  finden  möchte. 
130  W.  58th  St. 


Lungenabszess  und  Lungengangrän.* 


Von  Prof.  Dr.  H. 

Ich  danke  vielmals  für  das  liebens- 
würdige Willkommen  und  vor  allem 
dem  Präsidenten  für  die  Gelegenheit, 
in  dieser  illustren  Gesellschaft  spre- 
chen zu  können.  Ich  habe  mich  ge- 
freut, wie  ich  bei  Besteigung  des  Schif- 
fes die  Einladung  fand,  hier  einen  Vor- 
trag zu  halten,  und  dachte,  es  wird 
wohl  nichts  Passenderes  zur  Sprache 
gebracht  werden  können  wie  ein 
Thema,  welches  jetzt  in  gleicher  Weise 
den  Chirurgen  wie  den  Internisten  in- 
teressiert und,  glaube  ich,  wieder  neue 
Fragen  stellt  und  immer  wieder  von 
neuem  diskutiert  werden  muss.    Es  ist 


*)  Vortrag,  gehalten  in  der  Deutschen 
med.  Gesellschaft  der  Stadt  New  York  am 
7.  Oktober  1907.     Stenographischer  Bericht. 


Schlesinger,  Wien. 

kein  Zweifel,  dass  die  Lungenchirurgie 
vor  einer  neuen  Periode  des  Auf- 
schwungs steht,  und  es  kann  dieser 
Periode  nur  förderlich  sein,  wenn 
durch  gegenseitigen  Meinungsaus- 
tausch so  viel  wie  möglich  Erfahrun- 
gen der  Chirurgen  und  Internisten  klar 
gelegt  werden.  Gestatten  Sie,  dass  ich 
als  Internist  in  dieser  Frage  spreche. 

Ich  möchte  vorausschickend  sagen, 
dass,  wenn  ich  über  die  Behandlung  des 
Lungenabszesses  sprechen  will,  ich 
auch  die  Lungengangrän  behandeln 
will.  Nur  in  den  Lehrbüchern  ist  die 
Sonderung  eine  strenge.  In  Natur 
sieht  die  Sache  anders  auch.  Ein  Lun- 
genabszess  wird  häufig  im  Verlauf  der 
Krankheit  gangränös,  und  die  Krank- 
heit kann  als  Gangrän  beginnen  und 


264 


New    Yorker    Medizinische  Monatsschrift. 


in  Lauf  der  Zeit  sich  ein  Abszess  ent- 
wickeln. Die  reinen  Fälle  von  Lun- 
genabszess  und  Lungengangrän  las- 
sen sich  allerdings  in  der  Regel  son- 
dern, aber  ich  möchte  nach  meinen  Er- 
fahrungen sagen,  beinahe  die  Minder- 
heit der  Fälle.  Also  das,  was  ich  vom 
Lungenabszess  sagen  will,  bezieht  sich 
auch  auf  die  Lungengangrän.  Ge- 
statten Sie,  dass  ich  gleich  mitten  in 
die  Sache  gehe. 

Was  die  Aetiologie  anbelangt,  so 
sind  die  Autoren  verschiedener  Mein- 
ung. Die  einen  behaupten,  dass  Pneu- 
monie ein  ätiologisches  Moment  für 
Entstehung  des  Lungenabszesses  wäre. 
Andere  sagen,  es  sei  eins  der  seltensten 
Momente.  Da  spielen  gewiss  im- 
mer besondere  Verhältnisse  mit ;  in 
der  einen  Stadt  können  die  Ver- 
hältnisse anders  liegen  als  in  der 
anderen,  oder  in  einer  und  dersel- 
ben Stadt  wechseln  die  Verhältnisse  zu 
verschiedenen  Zeiten.  Nach  meinen 
Erfahrungen  ist  der  Lungenabszess 
ganz  besonders  häufig  nach  Pneumo- 
nie. Diese  Erfahrungen  beziehen  sich 
auf  Wien.  In  den  letzten  15  Jahren 
haben  wir  beinahe  keinen  reinen  Fall 
von  Pneumonie  gehabt,  sondern  eine 
Infektion  mit  Influenza  gemischt,  und 
dies  ist  die  Ursache,  dass  wir  so  häufig 
nach  Pneumonie  Abszess  auftreten 
sehen. 

Von  anderen  ätiologischen  Momen- 
ten kommen  Fremdkörper  in  Betracht; 
nicht  die  grossen,  welche  sofort  be- 
merkt werden  und  schwere  Erschein- 
ungen hervorrufen,  wenn  sie  in  die 
Luftwege  geraten,  sondern  gerade  die 
kleinen.  Sie  wissen,  wie  häufig  ein 
Fehlschlucken  stattfindet,  an  das  nicht 
mehr  gedacht  wird.  Daraus  dürfte 
sich  erklären,  warum  man  so  häufig 
Abszess  und  Gangrän  bei  Potatoren 
findet  und  bei  geschwächten  Indivi- 
duen, die  an  schweren  Krankheiten  ge- 
litten haben.  Andere  ätiologische  Mo- 
mente wären  die  Tuberkulose,  das 
Trauma.  Dies  spielt  unter  allen  diesen 
Faktoren  wohl  die  geringste  Rolle,  we- 


nigstens soweit  meine  Erfahrung  reicht. 

In  der  grossen  Mehrzahl  der  Fälle  fängt 
die  Sache  mit  Schüttelfrost  an  oder  mit 
Fortdauer  des  Fiebers,  wo  es  sich  um 
Pneumonie  handelt,  und  da  möchte  ich 
auf  eme  praktisch  wichtige  Beobachtung 
aufmerksam  machen.  Sehr  häufig  wer- 
den die  Fälle  von  Lungenabszess  über- 
sehen. Nach  meinen  Erfahrungen,  und 
ich  habe  diese  nicht  nur  in  Wien,  son- 
dern in  verschiedenen  Ländern  ge- 
macht, wird  der  Lungenabszess  sehr 
oft  übersehen,  und  zwar  besonders 
häufig  die  Lungenabszesse,  die  nach 
Pneumonie  entstehen.  Wenn  eine 
Pneumonie  ungewöhnlich  lange  zögert 
mit  ihrer  Krisis,  wenn  am  9.,  10.,  11. 
Tage  das  Fieber  immer  noch  unverän- 
dert heftig  ist,  dann  denken  Sie  an  eine 
Komplikation  mit  Abszess,  selbst  wenn 
eine  Eitergeschwulst  fehlen  sollte. 
Wenn  man  überhaupt  an  die  Möglich- 
keit einer  Komplikation  denkt,  dann 
wird  man  sehr  häufig  die  Eiterung  fin- 
den. In  vielen  Fällen  aber  fängt  der 
Abszess  nicht  mit  Fieber  an,  sondern 
mit  subnormaler  oder  normaler  Tempe- 
ratur, und  ich  muss  sagen,  gut  ein 
drittel  meiner  Fälle  haben  auf  die 
Weise  begonnen,  dass  die  Kranken  erst 
später  gefiebert  haben,  wenn  man  sie 
ordentlich  stimuliert  hatte ;  manche  ha- 
ben erst  nach  der  Operation,  wenn  sie 
sich  besser  gefühlt  haben,  Fieber  be- 
kommen. In  diesen  Fällen  habe  ich 
Fieber  immer  als  Bonum  omen  be- 
trachtet. 

Was  das  Sputum  anbelangt,  so  ist 
es  meist  eiterig.  Ich  habe  wiederholt 
Kranke  gesehen,  bei  welchen  die  Spu- 
tummenge  einen  Liter  und  darüber  pro 
Tag  betragen  hat.  Allerdings  wissen 
wir  nicht,  ob  in  diesen  Fällen  das  Spu- 
tum vom  Abszess  stammt.  Es  ist  eine 
begleitende  Bronchitis  vorhanden,  und 
es  kann  diese  grosse  Menge  Sputum 
zum  grossen  Teil  von  anderen  Partien 
der  Lunge  stammen.  Also  von  einer 
sehr  grossen  Menge  Sputum  kann  man 
nicht  unbedingt  auf  einen  grossen  Ab- 
szess   schliessen.    Die    Menge  kann 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


265 


aber  auch  auffallend  gering  sein.  Ich 
habe  einen  Kranken  gesehen,  bei  dem 
die  Tagesmenge  10 — 15  Gramm  betrug, 
aber  die  anderen  Erscheinungen  waren 
derart,  dass  auf  einen  gangränösen  Ab- 
szess  geschlossen  werden  musste,  den 
ich  auch  eröffnen  Hess.  In  diesem  Fall 
war  die  Sputummenge  ausserordent- 
lich gering. 

Der  Auswurf  ist  sehr  häufig  mit 
Blut  untermengt ;  das  reine  Blut  ist 
sehr  selten,  aber  die  blutigen  Beimeng- 
ungen häufig.  Dass  der  Geruch  oft  un- 
erträglich werden  kann,  ist  allgemein 
bekannt,  aber  nicht  so  allgemein  be- 
kannt, dass  der  Geruch  oft  auf  kurze 
Zeit,  auf  mehrere  Tage  verschwinden 
kann,  um  dann  wieder  mit  grosser  In- 
tensität aufzutreten.  In  diesen  Fällen 
dürfte  es  sich  um  gangränösen  Ab- 
szess  handeln,  da  verliert  das  Sputum 
den  fötiden  Charakter. 

Was  nun  die  Untersuchung  des 
Sputums  anbelangt,  so  möchte  ich  her- 
vorheben, dass  man  bei  jeder  Form  des 
Lungenabszesses,  bei  gangränösem  wie 
bei  nicht  gangränösem  Abszess,  elas- 
tische Fasern  in  grosser  Menge  vorfin- 
den kann.  Sie  werden  bezügliche  An- 
gaben in  den  Lehrbüchern  finden.  Da 
heisst  es :  Lungenabszess  und  Gangrän 
unterscheiden  sich  so,  dass  bei  Gangrän 
Lungenfetzen  ausgeschieden  werden, 
bei  Abszess  elastische  Fasern.  Das  ist 
nicht  ganz  richtig.  Sie  können  bei  gan- 
gtänosem  wie  nicht  gangränösem  Ab- 
szess elastische  Fasern  in  grosser  Zahl 
finden,  Sie  müssen  nicht,  aber  Sie  kön- 
nen. Da  ist  der  Rückschluss  erlaubt, 
dass  es  sich  um  einen  rasch  fortschrei- 
tenden Prozess  handelt. 

Der  bakteriologische  Befund  ergibt 
nie  brauchbare  Resultate.  In  der  Regel 
kann  man  eine  grosse  Zahl  von  Bak- 
terien aus  dem  Auswurf  züchten,  aber 
in  jedem  solcher  Fälle  muss  unbedingt 
auf  Tuberkelbazillen  gesehen  werden, 
da  sich  sehr  oft  Tuberkulose  daraus 
entwickelt. 

Was  die  klinischen  Erscheinungen 
von  seiten  der  Lunge  betrifft,  so  wäre 


der  Husten  hervorzuheben.  Dieser  ist 
oft  ausserordentlich  quälend,  sodass 
der  Kranke  oft  }4  bis  ^2  Stunde  da- 
sitzt und  hustet.  Er  nimmt  eine 
Zwangshaltung  ein,  damit  er  nicht  zum 
Husten  gezwungen  ist  —  so  quälend 
ist  der  Hustenreiz.  Manche  werden 
von  diesem  Reiz  weniger  heimgesucht, 
die  grosse  Mehrzahl  aber  hat  einen  äus- 
serst intensiven  Hustenreiz. 

Bezüglich  der  lokalen  Erscheinun- 
gen möchte  ich  bemerken,  dass  die  Per- 
kussion oft  die  wichtigsten  Auf- 
schlüsse liefert.  Bei  der  Perkussion 
findet  man  recht  häufig  eine  Dämp- 
fung. In  manchen  Fällen  aber  fehlt  bei 
der  Untersuchung  eine  Dämpfung  voll- 
kommen, man  findet  aber  an  einer 
Stelle  der  Lunge  tympanitischen  Per- 
kussionsschall. Sowohl  die  gedämpfte 
wie  die  tympanitisch  klingende  Stelle 
ist  äusserst  verdächtig  auf  Sitz  des 
Abszesses.  Eine  wiederholte  Unter- 
suchung ist  unbedingt  erforderlich,  und 
da  können  Sie  oft  merkwürdigen 
Wechsel  der  Erscheinungen  finden,  auf 
den  ich  besonderen  Wert  legen  möchte. 
Sie  untersuchen,  Sie  finden  in  der  Ge- 
gend des  Angulus  eine  Dämpfung,  der 
Kranke  atmet  ein  paar  mal  tief  ein. 
Er  hustet  nichts  aus,  und  Sie  finden  an 
derselben  Stelle  den  Perkussionsschall 
wesentlich  voller  geworden.  Sie  war- 
ten ein  paar  Minuten  zu,  und  an  der- 
selben Stelle  ist  er  wieder  höher,  oder 
Sie  perkutieren  und  finden  an  einer 
anderen  Stelle  eine  Dämpfung.  Der 
Kranke  expektoriert,  und  an  Stelle  der 
Dämpfung  tritt  ein  tympanitischer 
Perkussionsschall  ein.  Wenn  Sie  sol- 
ches Verhalten  einigemale  feststellen 
können,  ist  dieses  Verhalten  für  die 
Diagnose  des  Abszesses  beinahe  aus- 
schlaggebend. 

Oder  eine  andere  Form  der  Wechsel- 
erscheinung. Sie  untersuchen  einen 
Kranken  in  der  Seitenlage,  finden  eine 
Dämpfung;  Sie  setzen  den  Kranken 
auf  —  die  Dämpfung  verschwindet'. 
Tch  habe  bei  meinen  Kranken  gefun- 
den,  dass  besonders  dann  ein  solcher 


266 


New   Yorker   Medizinische  Monatsschrift. 


W echsel  der  Erscheinungen  sich  ge- 
zeigt hat  beim  tiefen  Atmen,  wenn 
noch  Luft  in  den  Lungengeweben  über 
dem  Abszess  sich  befunden  hat.  Dann 
habe  ich  gefunden,  dass  tiefes  Inspirie- 
ren eine  Aufhellung  der  Dämpfung 
herbeigeführt  hat  und  dann  oberfläch- 
liches Atmen  wieder  ein  Hervortreten 
der  Dämpfung  veranlasst.  In  mehre- 
ren solcher  Fälle  wurde  ein  operativer 
Eingriff  gemacht  und  war  immer  von 
Erfolg  gekrönt. 

Findet  man  metallisch  klingenden 
Schall,  dann  wissen  Sie,  dass  sich  ein 
hohler  Raum  an  dieser  Stelle  befinden 
muss.  Es  kommt  hie  und  da  vor,  dass 
ein  System  von  kommunizierenden 
kleinen  Hohlräumen  diesen  Perkus- 
sionschall gibt,  das  sind  aber  Raritäten. 

Was  die  Auskulations  -  Untersuch- 
ung anbelangt,  so  müssen  wir  dieser 
unsere  ganz  besondere  Aufmerksam- 
keit widmen.  Haben  Sie  bei  der  Per- 
kussion eine  Aenderung  des  Perkus- 
sionschalls an  irgend  einer  Stelle  des 
Thorax  konstatieren  können,  so  muss 
gerade  diese  Stelle  wiederholt  einer 
eingehenden  Auskultation  unterworfen 
werden.  Manchmal  findet  man  ein 
feines  Rasselgeräusch.  Dies  kann  un- 
ter Umständen  schon  die  Diagnose  er- 
lauben, gewöhnlich  aber  nicht,  sondern 
erst  ein  metallisch  klingendes  Rasseln. 
Diese  Symptome  sind  es,  welche  für 
die  Diagnose  von  solchen  Prozessen 
von  ausschlaggebender  Bedeutung 
sind.  Sie  erlauben,  die  Hilfe  des  Chi- 
rurgen in  Anspruch  zu  nehmen.  Wenn 
Sie  solch  metallisch  kling  indes  Rasseln 
festgestellt  haben,  auskultieren  Sie, 
wenn  der  Kranke  hustet.  Dann  wer- 
den Sie  vielleicht  gelegentlich  metal- 
lisch klingendes  Atmen,  beim  Spre- 
chen des  Kranken  einen  metalli- 
schen Beiklang  hören,  alle  die  Phäno- 
mene, wie  wenn  man  in  eine  leere 
Weinflasche  husten  würde.  Wenn  die 
metallischen  Phänomene  bei  der  Un- 
tersuchung festgestellt  werden,  an  der- 
selben Stelle,  bei  der  die  Perkussion 
bereits   Veränderungen    ergeben,  die 


Verdacht  erregt  haben,  dass  Lungen- 
abszess  vorliegt,  wird  man  beinahe 
sicher  sein,  dass  es  sich  um  einen  Ab- 
szess handelt,  und  man  wird  diejenige 
Stelle  als  die  nächste  an  der  Thorax- 
wand bezeichnen,  wo  man  die  Phäno- 
mene am  deutlichsten  wahrnimmt. 
Dabei  müssen  Sie  den  ganzen  Thorax 
gut  absuchen.  Man  bekommt  dann  die 
sonderbarsten  Ueberraschungen.  Man 
sucht  z.  B.  rückwärts,  hat  dort  eine 
Dämpfung  gefunden,  und  plötzlich 
zeigt  sich  der  Abszess  in  der  Höhle 
vorn.  Sehr  häufig  liegen  die  Abszesse 
ziemlich  zentral,  und  Sie  haben  die 
Thoraxwand  überall  gleich  weithin. 
Dort  wo  sie  sich  durchgearbeitet  ha- 
ben gegen  die  Thoraxwand,  wird  man 
die  Prozesse  am  früesten  nachweisen 
können. 

In  der  Regel  genügen  diese  Er- 
scheinungen, um  die  Diagnose  eines 
Lungenabszesses  zu  stellen.  Mit  einer 
L  ntersuchung  ist  es  in  der  Regel  nicht 
abgetan.  Die  Lokaldiagnose  des  Lun- 
genabszesses gehört  wohl  zu  den  aller- 
schwierigsten,  die  es  gibt,  und  ich 
habe  mich  bei  Abszessen  manchmal 
W  ochen  lang  und  länger  täglich  stun- 
denlang geplagt,  bis  ich  die  genaue 
Lokaldiagnose  festgestellt  habe.  Dies 
ist  ausserordentlich  wichtig,  denn  der 
Chirurg  muss  wissen,  wo  er  am  besten 
zu  dem  Abszess  gelangt.  Es  kann  von 
der  genauen  Lokaldiagnose  das  Leben 
des  Patienten  abhängen  —  in  dem  ei- 
nen Fall  eine  leichte  Operation  infolge 
der  genauen  Lokaldiagnose,  im  ande- 
ren eine  der  schwierigsten,  die  es  gibt. 

Ein  weiteres  diagnostisches  Hilfs- 
mittel ist  uns  aus  dem  Röntgenverfah- 
ren erwachsen.  Lampertzin  Ham- 
burg hat  dieses  Verfahren  besonders 
an  einem  grossen  Material  in  vielleicht 
hundert  Fällen  angewendet.  Er  hat  in 
jedem  einzelnen  Fall  den  Sitz  des  Ab- 
szesses durch  den  Röntgenbefund  fest- 
gestellt und  dadurch  in  vielen  Fällen 
eine  frühe  Diagnose  ermöglicht,  und 
man  konnte  den  Abszess  in  der 
Tiefe    der    Lunge    aufsuchen.  Die 


New    Yorker   Medizinische  Monatsschrift. 


267 


Röntgenuntersuchung  erfordert  aber 
eine  ungewöhnliche  Technik.  Nicht 
jeder  Röntgenologe  kann  das.  Ich  habe 
wiederholt  gesehen,  dass  die  Röntgen- 
diagnostik die  grössten  Schnitzer  er- 
gibt, und  wenn  der  Chirurg  ausschliess- 
lich daraufhin  operieren  würde,  könnte 
er  in  eine  unangenehme  Sackgasse  ge- 
langen. Der  Röntgenbefund  muss  mit 
dem  übrigen  Befund  sich  decken  und 
das  ist  dann  ein  weiteres  Moment,  wel- 
ches für  den  operativen  Eingriff 
spricht.  Ich  habe  zu  verschiedenen 
Zeiten  viele  Abszesse  gesehen  und  in 
der  Zeit,  in  der  ich  die  meisten  Lungen- 
abszesse in  meiner  Anstalt  sah.  habe 
ich  merkwürdigerweise  Pech  gehabt 
und  nie  einen  guten  Röntgenographen 
gehabt,  sodass  wir  fast  immer  ohne  das 
entsprechende  Röntgenbild  arbeiten 
mussten.  In  sämmtlichen  operierten 
Fällen  habe  ich  bisher  die  genaue  Lo- 
kaldiagnose stellen  können  und  es 
konnte  bei  Eröffnung  des  Abszesses 
auch  sofort  die  Abszesshöhle  gefunden 
werden. 

Wenn  man  fragt,  warum  ich  die 
Probepunktion  nicht  erwähnt  habe  — 
das  ist  ja  eine  solche  Kleinigkeit  ein 
solcher  Stich,  warum  soll  man  denn 
nicht  den  Abszess  auf  diese  Weise  fin- 
den? Meine  Herren!  Ich  muss  sagen, 
ich  habe  nicht  die  Courage  dazu.  Ich 
fürchte  mich  vor  einer  Infektion  der 
Pleura.  Ich  habe  ein  paarmal  die 
Punktion  auf  Wunsch  des  Chirurgen 
gemacht,  da  er  mir  versprach,  dass  er 
unmittelbar  nachher  operieren  würde. 
Wenn  Sie  nicht  die  Sicherheit  haben, 
dass  eventuell  unmittelbar  nach  einer 
solchen  Probepunktion  der  chirurgi- 
sche Eingriff  vorgenommen  werden 
kann,  dann  unterlassen  Sie  lieber  die 
Probepunktion.  Sie  ist  dann  ein  sehr 
schwerer  Eingriff,  der  die  furchtbarsten 
Folgeerscheinungen  bieten  kann.  Sie 
dürfen  nicht  vergessen,  dass  Sie  in  ei- 
nen gangränösen  Abszess  hineingera- 
ten können  und,  wenn  das  Unglück  es 
will,  durch  die  Pleura  hindurchgegan- 
gen sind,  und  es  kann  dann  der  gangrä- 


nöse Abszess  zum  Teil  in  die  Pleura- 
höhle ausrinnen,  es  kann  ein  Empyem 
die  Folge  sein,  und  der  ohnehin  ge- 
schwächte Kranke  erträgt  das  nicht. 

Ist  die  allgemeine  Diagnose  eines 
Abszesses  gestellt,  so  ist  es  immer  not- 
wendig, die  Lokaldiagnose  sobald  wie 
möglich  zu  stellen.  Der  Arzt  muss 
immer  mit  der  Möglichkeit  rechnen, 
dass  wir  bei  dem  jetzigen  Stande  der 
Chirurgie  den  Kranken  unter  Umstän- 
den dem  Chirurgen  überantworten 
müssen,  um  ihm  zu  retten. 

Wann  ist  nun  die  Indikation  zu  ei- 
nem Eingriff  gegeben  ?  Da  ist  es 
zweckmässig,  zwischen  akutem  Verlauf 
des  Abszesses  und  chronischem  Ab- 
szess zu  unterscheiden.  Bei  dem  aku- 
ten Verlauf  sind  besonders  die  Ab- 
szesse gefährlich,  bei  denen  Gangrän 
droht  oder  dazu  getreten  ist,  also  alle 
Abszesse  mit  fötidem  Auswurf.  Bei 
diesen  muss  man  so  schnell  wie  mög- 
lich den  operativen  Eingriff  herbeifüh- 
ren. In  diesen  Fällen  habe  ich  ein  paar 
mal  den  operativen  Eingriff  vornehmen 
lassen,  wenn  ich  auch  noch  nicht  ganz 
sicher  war,  dass  der  Abszess  an  dieser 
Stelle  gesessen.  Bei  den  akuten  Ab- 
szessen, bei  welchen  eine  Gangrän 
vorhanden,  der  Auswurf  aber  nicht 
fötid  ist,  kann  man  etwas  zuwarten,  bis 
die  Lokaldiagnose  möglichst  genau 
gestellt  ist  und  gewisse  andere  Er- 
scheinungen zum  operativen  Eingriff 
nötigen,  denn  ein  guter  Teil  der  Lun- 
genabszesse heilt  spontan  aus,  so 
schwer  und  bedrohlich  die  Krankheit 
sonst  erscheinen  mag.  Ich  habe  in  zwei 
Jahren  31  Fälle  von  Lungenabszess  und 
Lungengangrän  gesehen.  Von  diesen 
sind  nahezu  20  operiert  worden.  Aber  die 
nicht  operierten  Fälle  waren  zum  gros- 
sen Teil  spontan  ausgeheilt.  Wir  wer- 
den bei  dem  nicht  gangränösen  Ab- 
szess mindestens  acht  Tage  zuwarten 
können,  wenn  nicht  das  Fieber  und 
der  Auswurf  exzessiv  ist.  Sie  wer- 
den in  so  einem  Fall  operieren  kön- 
nen, wenn  der  Kranke  eine  Tages- 
menge von  Yi  bis  1  Liter  hat  und  die 


268 


New   Yorker   Medizinische  Monatsschrift. 


Menge  des  Auswurfs  eher  eine  Ten- 
denz zum  Steigen  aufweist.  Sie  wer- 
den in  einem  solchen  Fall  zur  Opera- 
tion drängen,  wenn  Sie  konstatieren, 
dass  die  Pulsfrequenz  langsam,  aber 
stetig  im  Ansteigen  ist  und  der 
Schwächezustand  beständig  zunimmt. 
Sie  werden  sich  durch  verschiedene 
äussere  Momente  noch  weiter  bewegen 
lassen,  wenn  Sie  z.  B.  frühzeitig  die 
genaue  Lokaldiagnose  stellen  können. 
Sie  werden  nicht  länger  zuwarten  als 
höchstens  drei  Wochen.  Wenn  der 
Abszess  drei  Wochen  dauert  und  Sie 
die  Lokaldiagnose  gemacht  haben,  soll- 
ten sie  denselben  unbedingt  operieren 
lassen,  wenn  nicht  die  Auswurfmenge 
rapide  zurückgeht  und  der  Kräftezu- 
stand  des  Kranken  sich  hebt. 

Die  Abszesse,  die  aus  Bronchiektasie 
hervorgegangen  sind,  nehmen  eine  Son- 
derstellung ein.  Sehr  häufig  entleeren 
sie  sich  immer  wieder  in  die  Bronchi- 
ektasie hinein.  Sie  sind  sozusagen 
drainiert.  Nach  allem,  was  ich  gesagt, 
würde  ich  mich  schwer  entschliessen, 
solche  Prozesse  operativ  behandeln  zu 
lassen.  In  ein  paar  Fällen,  die  ich  habe 
operieren  lassen,  bei  welchen  Bronchi- 
ektasie gefunden  wurde  und  Infiltra- 
tion benachbarter  Gewebe,  sind  Lun- 
genfisteln zurück  geblieben,  welche 
nicht  zum  Schluss  gebracht  werden 
konnten,  und  die  den  Kranken  nicht 
viel  weniger  belästigten  als  der  Ab- 
szess selbst,  und  in  einigen  Fällen  wie- 
derum ist  der  Eingriff  äusserst  folgen- 
schwer gewesen  und  hat  den  Tod  des 
Kranken  nach  sich  gezogen.  Wenn 
überhaupt  ein  Eingriff  bei  Bronchiek- 
tasie gemacht  werden  soll,  so  würde 
ich  am  ehesten  noch  als  Internist  vor- 
schlagen, es  in  solchen  Fällen  mit  der 
Rippenresektion  genug  sein  zu  lassen. 

Es  gibt  aber  auch  Kontraindikatio- 
nen. Wenn  Sie  Abszess  oder  Gan- 
grän gefunden  haben-  und  haben  ir- 
gend ein  Zeichen,  das  für  Multiplizi- 
tät  der  Erkrankung  spricht,  dann  wer- 
den Sie  sich  sehr  überlegen,  ob  Sie  den 
Chirurgen    zum    Eingriff  ermuntern 


sollen,  besonders  dann,  wenn  die  Gan- 
grän- oder  Abszesshöhle  vermutlich 
in  verschiedenen  Lungenabschnitten 
liegt.  Wenn  sie  in  einem  Lungenab- 
schnitt liegt,  kann  ja  der  operative  Ein- 
griff noch  immer  günstige  Resultate 
liefern,  wie  ein  Fall  von  Lampertz 
bekannt  ist,  bei  dem  hintereinander 
vier  Abszesse  in  demselben  Lungenab- 
schnitt eröffnet  wurden.  Wenn  aber 
dagegen  die  Erscheinungen  daraufhin- 
weisen, dass  sich  rechts  und  links  Gan- 
grän befindet,  wird  man  sich  sehr 
überlegen  müssen,  einen  solchen  Kran- 
ken einem  operativen  Eingriff  zu  unter- 
werfen. Natürlich  wird  es  auch  vom 
Kräftezustand  abhängen,  ob  man  einen 
solchen  Kranken  operieren  lassen  soll 
oder  nicht.  Aber  da  seien  Sie  nicht  zu 
zaghaft.  Zweimal  hat  bei  meinen 
Kranken  der  Chirurg  absolut  nicht  ope- 
rieren wollen.  Ich  habe  ihn  gebeten 
und  ihm  gesagt,  der  Kranke  ist  sonst 
rettungslos  verloren.  Er  hat  operiert 
und  beide  Fälle  sind  genesen.  In  bei- 
den Fälle  hatte  es  sich  um  moribunde 
Leute  gehandelt.  Ich  möchte  raten, 
wenn  irgend  möglich,  solche  Kranke  zu 
operieren,  auch  wenn  sie  in  elendem 
Zustande  sind. 

Dann  vergessen  Sie  nicht,  zu  unter- 
suchen, ob  nicht  schwere  Tuberkulose 
den  ganzen  Prozess  kompliziert.  Diese 
ist  wohl  eine  absolute  Kontraindikation. 
Ich  glaube  nicht,  dass  ein  operativer 
Eingriff  dem  Kranken  in  einem  solchen 
Falle  nützt. 

Die  Erfolge  sind  im  allgemeinen 
heute  recht  befriedigend.  Ich  möchte 
das  aus  den  Statistiken  schliessen,  die 
veröffentlicht  worden,  und  möchte  es 
als  meinen  persönlichen  Eindruck  hin- 
stellen. Ich  habe  wiederholt  Kranke  ge- 
habt, bei  welchen  man  sich  sagen 
musste,  der  Kranke  ist  verloren,  wenn 
nicht  ein  chirurgischer  Eingriff  vorge- 
nommen wird,  und  diese  Kranke  sind 
genesen. 

Die  Dauerresultate  waren  zumeist 
äusserst  befriedigend.  In  einem  meiner 
Fälle    von    schwerster    Gangrän  kam 


New    Yorker   Medizinische  Monatsschrift. 


269 


nach  einem  Jahr  Rezidiv  in  demselben 
Lungenabschnitt.  Es  wurde  wieder 
operiert  und  der  Kranke  ist  dauernd 
genesen.  Allerdings  müssen  Sie  sich 
immer  vor  Augen  halten,  dass  diese 
Eingriffe  zu  den  ausserordentlich 
schweren  gehören,  dass  ein  sehr  gros- 
ser Prozentsatz  Mortaliät  in  diesen 
Fällen  vorkommt.  Er  schwankt  bei 
verschiedenen  Operateuren,  jedenfalls 
auch  nach  der  Qualität  des  Materials, 
u.  s.  w.  und  nach  der  Natur  des  Pro- 
zesses. Die  akuten  Prozesse  geben  bei 
operativen  Eingriffen  die  bessere  Pro- 
gnose.   Bei    gangränösen  Prozessen 


geht  man  nicht  fehl,  wenn  man  sagt, 
dass  die  Hälfte  der  Fälle  durch  Opera- 
tion geheilt  worden  sei,  die  andere 
Hälfte  trotz  des  operativen  Eingriffs 
zu  Grunde  geht.  Ohne  operativen  Ein- 
griff würde  die  Mortalität  wesentlich 
grösser  sein. 

Ich  bin  zu  Ende.  Ich  hoffe,  dass  Sie 
als  Praktiker  ein  Interesse  an  dem 
jetzigen  Stand  der  Dinge  haben  dürf- 
ten, und  ich  glaube,  es  wäre  von  Nutzen, 
wenn  auch  ein  Chirurg  zu  diesem  aus- 
serordentlich wichtigen  Thema  das 
Wort  ergreifen  würde. 


Einiges  Neue  über  Herzkrankheiten.* 

Von  Sanitätsrat  Dr.  Wachenfeld,  Bad  Nauheim. 


Herr  Präsident !  Meine  Herren  !  Noch 
vor  nicht  allzulanger  Zeit  wurden  als 
die  bei  weitem  wichtigsten  Herzerkrank- 
ungen die  Klappenfehler  angesehen.  Sie 
machte  man  verantwortlich  für  eine 
ganze  Reihe  von  Störungen  im  Organis- 
mus, sie  betrachtete  man  als  die  Ursache 
von  Stauungen  in  anderen  wichtigen  Or- 
ganen. Noch  in  den  70er  Jahren  des 
vorigen  Jahrhunderts  war  man  der  An- 
sicht, dass  Erkrankungen  des  Herzmus- 
kels sehr  selten  wären.  Erst  später,  be- 
sonders seit  infolge  der  grossen  Inrlu- 
enzaepidemie  im  Jahr  1889  und  in  den 
folgenden  Jahren  zahlreiche  Todesfälle 
an  Herzschwäche  eintraten,  kam  man  zu 
der  Ueberzeugung,  dass  eine  gut  funk- 
tionierende Herzmuskulatur  doch  wohl 
vor  allen  Dingen  notwendig  und  min- 
destens ebenso  wichtig,  wenn  nicht  wich- 
tiger wäre  als  guter  Klappen schluss. 
Genügend  geklärt  sind  freilich  die  An- 
schauungen über  die  wirkliche  Bedeu- 
tung der  Klappenfehler  auch  heute  noch 
nicht.    Es  liegt  das  wohl  in  der  Haupt- 


*)  Vortrag,  gehalten  in  der  Deutschen 
med.  Gesellschaft  der  Stadt  New  York  am 
2.  Dezember  1907. 


sache  daran,  dass  man  sich  von  den  An- 
schauungen, die  man  jahrzehntelang  ge- 
pflegt hat,  nicht  so  ohne  weiteres  trennen 
kann.  Einige  von  diesen  Anschauungen 
wurden  geradezu  als  unumstössliche 
Dogmen  betrachtet,  und  auf  ihnen  baute 
man  weiter  auf,  trotzdem  es  manchmal 
nicht  ganz  leicht  war,  sie  mit  anderen 
absolut  sicheren  Tatsachen  in  Einklang 
zu  bringen.  Arbeitshypertrophie  und 
Dilatation  sind  die  beiden  Dogmen,  von 
denen  man  glaubte,  dass  man  nicht  an 
ihnen  rütteln  dürfe,  aber  solange  man 
mit  diesen  beiden  falschen  Grössen  rech- 
net, kann  die  Rechnung  nicht  richtig 
werden. 

Betrachten  wir  uns  zunächst  die  Ar- 
beitshypertrophie der  Herzmuskulatur. 
Wenn  auch  die  Muskelzellen  eines  hyper- 
trophischen Herzens  grösser  sind  als  die 
eines  normalen,  so  hat  doch  meines  Wis- 
sens kein  pathologischer  Anatom  behaup- 
tet, dass  die  kontraktilen  Elemente  der 
hypertrophischen  Muskelzellen  stärker, 
leistungsfähiger  wären,  im  Gegenteil 
sind  alle  pathologischen  Anatomen  dar- 
über einig,  dass  das  hypertrophische 
Herzmuskelgewebe  sehr  zur  Degenera- 
tion neisre.    Ausserdem  steht  fest,  dass 


270 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


mit  der  Zunahme  der  Muskelzellen  an 
Umfang  auch  das  interzelluläre  Binde- 
gewebe erheblich  zunimmt,  und  schon 
aus  diesem  Grund  ist  es  unmöglich,  dass 
ein  hypertrophischer  Herzmuskel  mehr 
leistet  als  ein  normaler.  O  r  t  h  hebt  in 
seinem  Lehrbuch  der  pathologischen 
Anatomie  hervor,  dass  die  hypertrophi- 
sche Herzwand  unvollkommen  erschlaf- 
fe, dass  selbst  die  Wand  des  rechten 
Herzens,  die  doch  verhältnismässig  dünn 
ist,  wenn  sie  hypertrophisch  wird,  starr 
steht  und  nicht  erschlaffen  kann.  Nun 
ist  eine  nicht  zu  bestreitende  Tatsache, 
dass  die  Grösse  der  Kontraktionskraft 
eines  Muskels  abhängt  von  der  Grösse 
der  Differenz  zwischen  der  grössten  Er- 
schlaffung und  der  stärksten  Kontrak- 
tion. Je  geringer  die  Erschlaffung  ist, 
um  so  geringer  muss  die  Kontraktions- 
wirkung sein.  Infolgedessen  ist  es  ab- 
solut unmöglich,  dass  ein  hypertrophi- 
scher Muskel  mehr  Arbeit  leistet  als 
ein  normaler,  er  muss  im  Gegenteil  weni- 
ger leisten.  Eine  Arbeitshypertrophie 
gibt  es  also  nicht. 

Ich  bin  weit  entfernt  davon,  zu  glau- 
ben, dass  ich  damit  etwas  vollständig 
neues  sage.  Besonders  hat  R  o  m  b  e  r  g 
schon  betont,  dass  nicht  einzusehen  sei, 
weshalb  grössere  Anforderungen  an  die 
Herzmuskulatur  eine  Zunahme  des  Mus- 
kelzellenmaterials zur  Folge  haben  soll- 
ten, und,  wenn  er  sich  auch  nicht  ent- 
schliessen  kann,  die  Möglichkeit  einer 
Arbeitshypertrophie  absolut  zu  vernei- 
nen, so  erscheint  sie  ihm  doch  sehr  un- 
wahrscheinlich. Wie  schwer  es  nun 
aber  ist,  sich  von  diesem  alten  Dogma 
loszureissen,  das  kann  man  bei  R  o  m- 
b  e  r  g  und  ebenso  bei  anderen  Autoren 
sehen.  Auf  der  einen  Seite  gibt  man  zu, 
dass  Arbeitshypertrophie  etwas  unwahr- 
scheinliches wäre,  und  schon  auf  der 
nächsten  wird  wieder  gesagt,  dass  mit 
ihrer  Hilfe  vorhandene  Schwierigkeiten 
überwunden  würden.  Hypertrophie  des 
Herzmuskelgewebes  ist  niemals  als  eine 
Vermehrung  der  Kontraktionskraft  an- 
zusehen, es  handelt  sich  vielmehr  wie  bei 
jedem   hypertrophischen,  überernährten 


und  deshalb  schlechter  ernährtem  Ge- 
webe stets  um  eine  krankhafte  Stauung 
von  Zellenmaterial,  und  zwar  in  der  Re- 
gel um  eine  erhebliche  allgemeine  Stoff- 
wechselstörung, und  deshalb  findet  sich 
Herzhypertrophie  kaum  allein,  sondern 
fast  stets  in  Verbindung  mit  mehr  oder 
weniger  schweren  Erkrankungen  anderer 
Organe. 

Nicht  weniger  als  das  Dogma  von  der 
Arbeitshypertrophie  ist  das  von  der  Dila- 
tation des  Herzens  geeignet,  die  klare 
Anschauung  der  Dinge  zu  trüben. 

Der  gesammte  Blutkreislauf  findet  in 
dem  geschlossenen  Blutkreisröhrensy- 
stem  durch  die  peristaltischen  Bewegun- 
gen des  Herzens  und  der  Gefässwandun- 
gen  statt.  Schematisch  aufgefasst  liegen 
an  der  einen  Seite  dieses  Kreislaufs  die 
Kapillargefässe,  denen  die  nötige  Mus- 
kelkraft zur  Fortbewegung  des  Blutes 
fehlt.  Um  diesen  Mangel  auszugleichen, 
ist  an  der  entgegengesetzten  Seite  eine 
stärkere  Entwicklung  der  Muscularis 
eingetreten,  die  Muscularis  der  Gefäss- 
wand  hat  sich  hier  zur  stärkeren  Herz- 
muskelwand entwickelt,  durch  deren 
Kraft  die  fehlende  Kraft  der  Kapillar- 
wände ersetzt  wird  und  die  zugleich  die 
Zirkulation  in  der  Schleife,  die  das  Blut 
durch  die  Lungen  führt,  bewerkstelligt. 
Die  dünnwandigen  Venen  müssen  eine 
grössere  Ausdehnungsfähigkeit  besitzen 
als  die  Arterien.  Sie  müssen  eventuell 
noch  Material,  das  ihnen  durch  die  Ka- 
pillaren aus  den  Zellen  der  einzelnen  Or- 
gane zugeführt  wird,  aufnehmen.  Ihre 
Wandungen  dürfen  deshalb  nicht  die- 
selbe Spannung  haben  wie  die  Arterien- 
wandungen, denn  dadurch  würde  dem 
Eintritt  der  Stoffe,  die  durch  die  Kapil- 
laren von  den  Lymphbahnen  aus  in  die 
Blutbahnen  eintreten,  ein  zu  grosser  Wi- 
derstand entgegengesetzt.  Wohl  des- 
halb ist  die  Muscularis  in  den  Venen 
nur  schwach  entwickelt,  und  so  wird  die 
Blutsäule  in  den  Venen  im  wesentlichen 
durch  die  Kraft  der  Herzkontraktionen 
und  der  peristaltischen  Bewegungen  der 
arteriellen  Seite  des  Blutkreislaufs  von 
einer  Klappe  in  den  Venen  zur  anderen 


New    Yorker   Medizinische  Monatsschrift. 


271 


vorwärts  geschoben.  Der  Druck,  mit 
dem  das  Blut  im  rechten  Vorhof  an- 
kommt, ist  demnach  jedenfalls  ein  sehr 
geringer,  wenn  auch  die  Behauptung 
von  Jakobson,  dass  der  Blutdruck 
in  den  grossen  Venen  dicht  am  Herzen 
•ein  negativer  wäre,  sicherlich  auf  einem 
Irrtum  beruht.  Negativ  kann  der  Druck 
nicht  sein,  denn  es  kann  sich  in  einem 
Rohr  nur  dann  ein  negativer  Druck  ent- 
wickeln, wenn  an  irgend  einer  Stelle  des 
Rohrs  ein  luftleerer  Raum  entsteht.  Das 
ist  im  Blutzirkulationsrohr  natürlich 
ausgeschlossen.  Jedenfalls  kommt  aber 
das  Blut,  wie  gesagt,  mit  sehr  geringem 
Druck  im  rechten  Vorhof  an,  mit  dem 
Rest  des  Druckes,  mit  dem  es  vom  Her- 
zen und  den  Arterien  durch  die  Kapil- 
laren und  Venen  vorwärts  geschoben  ist. 
Dieser  geringe  Druck  soll  nun  angeblich 
genügen,  um  die  Herzmuskulatur  aus- 
einanderzutreiben, dieselbe  Herzmusku- 
latur, die  das  Blut  unter  entsprechend 
grösserem  Druck  in  die  Aorta  presste. 
Das  ist  selbstverständlich  absolut  un- 
möglich. Welche  andere  Kraft  kann 
nun  aber  diese  Dehnung  der  Herzmus- 
kulatur, die  Herzdilatation  hervorrufen  ? 
Es  gibt  keine  andere  Kraft,  die  das 
könnte,  und  es  bleibt  also  nichts  übrig, 
als  die  Möglichkeit  der  Dilatation  zu  be- 
streiten. 

Die  Verbreiterung  des  Herzens,  die 
man  durch  Perkussion  nachzuweisen 
glaubte,  ist,  soweit  es  sich  nicht  um  Hy- 
pertrophie handelt,  nur  eine  Verlager- 
ung des  Herzens.  Nun  kann  aber  nicht 
geleugnet  werden,  dass  wir  sehr  häufig 
auf  dem  Sektionstisch  Herzen  sehen, 
deren  Höhlen  uns  erweitert  erschienen. 
Zum  Teil  ist  das  eine  optische  Täusch- 
ung. Ein  Hohlraum,  dessen  Wände  an- 
einanderliegen,  kommt  uns  kleiner  vor 
als  ein  gleich  grosser,  dessen  auseinan- 
derstehende Wände  einen  Blick  in  den 
Hohlraum  hineingestatten.  Ist  die  Wand 
einer  Herzhöhle  also  auch  nur  massig 
hypertrophiert  und  legt  sie  sich  infolge- 
dessen nicht  aneinander,  so  wird  uns  der 
Hohlraum  grösser  erscheinen.  Ausser- 
dem aber  sind  gesunde  Herzen  sehr  ver- 


schieden gross.  H  o  f  f  m  a  n  n  und 
Krause  haben  beide  eine  lange  Reihe 
von  Herzen  auf  ihre  Grösse  geprüft  und 
gefunden,  dass  es  gesunde  Herzen  gibt, 
deren  Höhlen  mehr  als  doppelt  so  gross 
sind  als  die  von  anderen  gesunden  Her- 
zen. Das  Quantum  Blut,  das  ein  gesun- 
des Herz  aufnehmen  kann,  schwankt 
zwischen  160  und  360  ccm.  Je  schwächer 
das  Herz  ist,  d.  h.  je  hochgradiger  seine 
Muskulatur  erkrankt  ist,  um  so  geringer 
muss  natürlich  der  Druck  sein,  mit  dem 
das  Blut  vorwärts  bewegt  wird,  und 
deshalb  kann  man  von  einem  kranken 
Herzen  noch  viel  weniger  erwarten,  dass 
es  sich  selbst  durch  das  ihm  wieder  zu- 
strömende Blut  auseinandersprengt. 

Bei  der  Beurteilung  des  Mechanismus 
der  Herzklappenfehler  wird  aber  nun 
noch  ein  weiterer  Kardinalfehler  ge- 
macht. Man  stellt  sich  die  W  irkung  der 
Klappenfehler  immer  so  vor,  als  ob  sie 
in  einem  Moment  entstanden  wären. 
Man  sagt  z.  B.  von  einer  Aorteninsuffi- 
zienz :  Es  fliesst  durch  die  schlecht 
schliessende  Klappe  während  der  Dia- 
stole ein  Quantum  Blut  in  den  Ventrikel 
zurück.  Die  Aufnahmefähigkeit  des 
Ventrikels  für  das  Vorhofsblut  ist  da- 
durch verringert.  Daraus  folgt  Stauung 
im  linken  Vorhof  und  weiter  im  Lun- 
genkreislauf. 

In  Wirklichkeit  wird  sich  die  Blutver- 
teilung bei  der  Insuffizienz  der  Aorta 
wohl  folgendermassen  entwickeln :  Bei 
Beginn  der  Entstehung  der  Insuffizienz 
können  eventuell  einige  Tropfen  Blut  in 
den  Ventrikel  zurücktreten,  wenn  der 
Druck  im  Ventrikel  das  gestattet.  Bis 
zum  Schluss  der  Systole  ist  der  Druck 
im  Ventrikel  zweifellos  ein  höherer  als 
im  Anfangsteil  der  Aorta.  Nun  ist  zwei- 
erlei nicht  zu  vergessen : 

1.  Der  Blutstrom  ist  in  ständiger  Zir- 
kulation in  dem  geschlossenen  Röhren- 
system des  grossen  und  kleinen  Blut- 
kreislaufs, und  jeder  Tropfen  Blut 
nimmt  Teil  an  dieser  Bewegung.  Ein 
Quantum  Blut,  das  mit  Hilfe  der  peri- 
staltischen  Kontraktion  der  Aorta  eine 
rückläufige  Bewegung  durch  die  schlecht 


272 


New    Yorker   Medizinische  Monatsschrift. 


schliessende  Aortenklappen  machen  soll, 
muss  die  Kraft  der  Vorwärtsbewegung, 
die  nach  dem  Gesetz  der  Trägheit  auch 
für  dies  kleine  Quantum  Blut  vorhanden 
ist,  überwinden.  Dadurch  wird  minde- 
stens ein  wesentlicher  Teil  der  Kraft,  die 
das  Blut  in  dem  Fall  rückwärts  treiben 
sollte,  ausgeglichen.  Schon  aus  diesem 
Grund  allein  kann  gar  keine  Rede  davon 
sein,  dass  solche  Quantitäten  Blut  durch 
die  insuffiziente  Klappe  zurücktreten,  die 
einen  nennenswerten  Einfluss  auf  den 
Druck  innerhalb  des  Ventrikels  haben 
könnten.  Bei  der  nächsten  Systole  würde 
das  kleine  Quantum  Blut,  falls  ein  sol- 
ches überhaupt  in  den  Ventrikel  zurück- 
gelangt, wieder  mit  in  die  Aorta  ge- 
presst,  und  die  Kraft  der  Systole  braucht 
dazu  nicht  nachweislich  grösser  zu  sein 
als  sonst. 

2.  Wird  wirklich  ein  kleines  Quantum 
Blut  infolge  der  Insuffizienz  der  Aorten- 
klappe aufgehalten,  geht  es  nicht  mit 
derselben  Welle,  mit  der  es  in  die  Aorta 
eintritt,  in  die  ferner  gelegenen  Arterien 
über,  so  kommt  natürlich  bei  Vollendung 
des  Kreislaufs  im  linken  Vorhof  genau 
so  viel  weniger  an,  und  wenn  wirklich 
bei  Zunahme  der  Insuffizienz  ein  zu- 
nächst immer  grösseres  Quantum  Blut 
an  der  Aortenklappe  aufgehalten  werden 
und  nicht  rechtzeitig  in  die  ferner 
gelegenen  Arterien  gelangen  sollte,  so 
müsste  eben  immer  ein  entsprechend  ge- 
ringeres Quantum  am  linken  Vorhof  an- 
kommen, d.  h.  die  Zirkulation  muss  sich 
verlangsamen,  das  Schlagvolumen  muss 
geringer  werden. 

Von  der  Insuffizienz  der  [Mitralis  be- 
hauptet man,  dass  sie  Stauung  im  kleinen 
Kreislauf  zur  Folge  habe.  Nehmen  wir 
das  als  richtig  an  und  nehmen  wir  fer- 
ner an,  dass  bei  einer  sehr  schlecht 
schliessenden  Mitralklappe  10  cem  Blut 
durch  sie  bei  der  Systole  zurück  in  den 
linken  Vorhof  gelangen,  dort  den  Zu- 
rluss  aus  den  Venae  pulmonales  hindern, 
resp.  verringern,  infolge  dessen  Stau- 
ung in  den  Lungengefässen  hervorrufen, 
die  ihrerseits  wieder  Stauung  in  der  Ar- 
teria pulmonalis  zur  Folge  hätten.  Es 


würden  sich  also  jetzt  im  kleinen  Kreis- 
lauf 10  cem  Blut  mehr  als  vorher  befin- 
den und  im  grossen  Kreislauf  ebenso- 
viel weniger.  Bei  der  nächsten  Systole 
würde  ein  weiteres  Quantum  Blut  zu- 
rücklaufen, das  wieder  dem  grossen 
Kreislauf  entzogen  würde.  In  wenigen 
Minuten  würden  sich  die  Füllungsver- 
hältnisse im  grossen  und  kleinen  Kreis- 
laufe ganz  beträchtlich  verschieben  — 
wenn  sich  die  Sache  so  verhielte.  In 
Wirklichkeit  verhält  sie  sich  aber  durch- 
aus anders.  Bei  Beginn  der  Entstehung 
der  Insuffizienz  kann  vielleicht  ein  ganz 
geringes  Quantum  Blut,  einige  Tropfen, 
in  den  Vorhof  zurückfliessen.  Die 
Stärke  der  Kontraktion  des  Ventrikels 
wird  dadurch  nicht  beeinflusst,  d.  h.  das 
Restquantum,  das  am  Schluss  der  Sy- 
stole im  linken  Ventrikel  zurückbleibt, 
wird  nicht  grösser  und  nicht  kleiner,  als 
es  vorher  war,  und  es  werden  deshalb 
nur  einige  Tropfen  weniger  in  die  Aorta 
abfliessen.  Bei  der  folgenden  Ventrikel- 
kontraktion wird  sich  das  wiederholen, 
es  kommt  jedesmal  ein  entsprechend  ge- 
ringeres Quantum  Blut  bei  Vollendung 
des  Kreislaufs  im  linken  Vorhof  an,  und 
es  bildet  sich,  ebenso  wie  bei  der  Insuffi- 
zienz der  Aortenklappe,  eine  Verringer- 
ung des  Schlagvolumens  heraus,  die  zu 
einem  vollkommenen  Ausgleich  der  Blut- 
fülle im  grossen  und  kleinen  Kreislauf 
führt.  Glücklicherweise  verläuft  die 
Sache  so,  denn  wohin  würde  es  führen, 
wenn  dauernd  bei  jeder  Systole  auch  nur 
wenige  cem  dem  grossen  Kreislauf 
entzogen  und  dem  kleinen  zugeführt 
werden  sollten !  Dass  daraus  in  Wirk- 
lichkeit ganz  unmögliche  V  erhältnisse 
entstehen  würden,  hat  man  natürlich 
nicht  übersehen  können,  aber  statt  zu  be- 
denken, dass  sich  durch  Anpassung  des 
Schlagvolumens  die  als  Folge  der  Mi- 
tralinsuffizienz theoretisch  angenommene 
Störung  im  kleinen  Kreislauf  ganz  von 
selbst  ausgleichen  muss,  konstruierte 
man  die  Arbeitshypertrophie  des  rechten 
Ventrikels,  die  sich  zur  rechten  Zeit  ein- 
stellen und  verhüten  soll,  dass  sich  all- 
zugrosse  Blutmengen  im  kleinen  Kreis- 


New    Yorker    Medizinische  Monatsschrift. 


2/3 


lauf  ansammeln.  Es  ist  richtig,  dass  bei 
Insuffizienz  der  Mitralis  Stauung  im 
Lungengewebe  beobachtet  wird,  und  es 
ist  richtig,  dass  dabei  auch  Hypertrophie 
des  rechten  Ventrikels,  wenn  auch  keine 
Arbeitshypertrophie,  beobachtet  wird, 
aber  diese  Erkrankungen  sind  nicht  die 
Folge  der  Insuffizienz  der  Mitralis,  son- 
dern die  Folge  des  abnormen  Stoffwech- 
sels, der  durch  die  Verlangsamung  der 
Blutzirkulation  im  Lungengewebe  ent- 
standen oder  wenigstens  begünstigt  ist. 
,,Ubi  inflammatio,  ibi  affluxus."  wurde 
uns  in  der  allgemeinen  Chirurgie  gelehrt, 
und  was  sind  Entzündungen  anders  als 
lokale  Störungen  im  Stoffwechsel? 

Wie  bei  den  beiden  angeführten  Klap- 
penfehlern so  verläuft  Entstehung  der 
Erkrankung  und  Ausgleich  der  Blutzir- 
kulation natürlich  auch  bei  den  übrigen 
Insuffizienzen  und  Stenose.  Niemals 
trägt  Arbeitshypertrophie  oder  Dilata- 
tion zum  Ausgleich  bei,  sondern  es  han- 
delt sich  stets  nur  um  eine  Verringerung 
des  Schlagvolumens. 

Zu  welchen  Konsequenzen  man  kom- 
men kann,  wenn  man  zur  Erklärung  der 
verschiedenen  Erscheinungen  bei  Herz- 
klappenfehlern mit  Dilatation  und  Ar- 
beitshypertrophie rechnet,  möchte  ich 
Ihnen  an  zwei  drastischen  Beispielen  zei- 
gen. Ein  hervorragender  Forscher  auf 
dem  Gebiet  der  Herzkrankheiten, 
Rosenbach,  fand  bei  seinen  Tierex- 
perimenten, dass  nach  Verletzung  der 
Aortenklappe,  also  einer  künstlich,  plötz- 
lich hergestellten  Insuffizienz,  im  Arteri- 
ensystem weniger  Blut  und  im  Lungen- 
kreislaufe mehr  Blut  wäre  als  normal. 
Er  nahm  irrtümlicherweise  an,  dass  sich 
die  Blutverteilung  bei  einer  allmählich 
entstandenen  Aorteninsuffizienz  des 
menschlichen  Herzens  auch  so  verhalten 
müsse,  und  schloss  weiter,  dass  der  Ven- 
trikel, um  die  beiden  Störungen,  Unter- 
füllung der  Körperarterien  und  Ueber- 
füllung  des  Lungenkreislaufs,  auszuglei- 
chen, mehr  Blut  schöpfen  müsse  als  in 
der  Norm,  dass  hier  eine  einfache  Dila- 
tation nicht  einmal  genüge,  sondern  dass 
sich  da  ein  ganz  besonderer  biologischer 


Vorgang  abspiele,  die  Hyperdiastole,  eine 
aktive  Dilatation,  bei  der  die  einzelnen 
Teile  der  Ventrikelwand  noch  etwas 
mehr  als  bei  der  einfachen  passiven  Di- 
latation auseinanderrücken.  Der  Ven- 
trikel nimmt  hierbei,  wie  es  in  einem 
Referat  über  diese  Rosenbac  h'sche 
Arbeit  heisst,  sozusagen  einen  Anlauf  um 
das  Blut  nun  mit  normaler  Geschwindig- 
keit in  die  Aorta  zu  schicken.  Dazu  ge- 
hört natürlich  wieder  die  Arbeitshyper- 
trophie, in  diesem  Fall  des  linken  Ventri- 
kels, die  sich  merkwürdigerweise  sofort 
einstellt  und  diesen  etwas  verwickelten 
biologischen  Vorgang  zum  Abschluss 
bringt. 

Ein  anderes  Beispiel,  wohin  diese  Vor- 
stellungen führen,  ist  die  Behauptung, 
dass  bei  reiner  Mitralstenose  der  linke 
Ventrikel  oft  kleiner  und  atrophisch 
würde  infolge  dauernd  verringerter  Füll- 
ung. 

Es  liesse  sich  noch  eine  ganze  Reihe 
von  solchen  physikalisch  ganz  ungeheu- 
erlichen Schlussfolgerungen  anführen. 
Sie  sind  nur  zu  verstehen,  wenn  man  an- 
nimmt, dass  Dilatation  und  Arbeitshyper- 
trophie als  unantastbare  Dogmen  ange- 
sehen wurden.  Dazu  kommt  dann  aller- 
dings immer  wieder,  dass  die  ganz  all- 
mähliche Entstehung  der  Klappenfehler 
ausser  Betracht  gelassen  wurde. 

Herzklappenfehler  sind  stets  die  Folge 
einer  infektiösen  Erkrankung  des  Endo- 
kardiums.  Nehmen  während  des  Ver- 
laufs dieser  Endokarditis  die  Wucherun- 
gen an  den  Klappen  oder  nach  Ablauf 
der  Endokarditis  die  Schrumpfungen  ei- 
nen so  erheblichen  Grad  an,  dass  eine 
sehr  grosse  Erweiterung  oder  sehr 
grosse  Verengerung  einer  Klappe  ent- 
steht und  zum  Ausgleich  der  Blutver- 
teilung eine  so  erhebliche  Verlangsam- 
ung der  Blutzirkulation  eintritt,  dass  das 
Schlagvolumen  so  sehr  verringert  wer- 
den muss,  dass  eine  genügende  Sauer- 
stoffversorgung  des  Körpers  nicht  mög- 
lich ist,  so  muss  der  Tod  eintreten.  In 
einer  bestimmten  Zeiteinheit  ist  zur  Er- 
haltung des  Lebens  in  den  verschiedenen 
( )rganen  ein  bestimmtes  Quantum  Sau- 


2/4 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


erstoff  notwendig.  Wird  das  Blut  nun 
selir  langsam  vorwärts  bewegt,  sind  die 
Blutwellen  in  den  Gefässen  so  kurz  und 
so  flach,  dass  eine  allzu  lange  Zeit  ver- 
geht, bis  das  kohlensäurereiche  venöse 
Blut  durch  die  Lungen  hindurch  passiert 
ist  und  dort  wieder  genügend  Sauerstoff 
aufgenommen  hat,  so  können  eben  die 
verschiedenen  zum  Leben  notwendigen 
Organe  nicht  mehr  funktionieren. 

Herzklappenfehler  von  geringerer 
Ausdehnung,  durch  die  eine  solche  all- 
zugrosse  Verlangsamung  der  Blutzirku- 
lation nicht  hervorgerufen  wird,  sind  an 
und  für  sich  niemals  tödlich,  verursachen 
sogar  häufig  nicht  die  geringsten  Be- 
schwerden. Kommt  aber  zu  einem  sol- 
chen selbst  schon  ganz  alten  vernarbten 
Klappenfehler  irgend  eine  andere  Er- 
krankung hinzu,  die  ebenfalls  eine  Ver- 
schlechterung der  Blutzirkulation  zur 
Folge  hat,  so  hängt  die  Grösse  der  Le- 
bensgefahr natürlich  davon  ab,  ob  diese 
beiden  Ursachen  der  Verringerung  des 
Schlagvolumens,  der  Herzklappenfehler 
und  die  neue  Erkrankung  zusammen, 
noch  genügende  Sauerstoffversorgung 
zulassen.  Wenn  man  von  einem  nicht 
kompensierten  Herzfehler  spricht,  so  ist 
das  demnach  nicht  korrekt.  Es  handelt 
sich  bei  einer  Inkompensation  stets  um 
eine  zweite  Erkrankung,  die  mit  dem 
Klappenfehler  an  und  für  sich  nichts  zu 
tun  hat.  Beide  Erkrankungen  wirken 
nur  in  gleicher  Weise  schädigend  auf  die 
Zirkulation  ein.  Ebensowenig  ist  selbst- 
verständlich der  Ausdruck  ^kompen- 
sierter Klappenfehler''  berechtigt. 

Was  die  Prognose  und  Therapie  be- 
trifft, so  wird  man  natürlich  nicht  erwar- 
ten dürfen,  dass  alte  indurierte  Wucher- 
ungen an  den  Klappen  irgend  welche 
Veränderungen  erleiden.  Bei  ganz 
frischen  Wucherungen  ist  vielleicht  eine 
Resorption  zu  erreichen,  aber  zweifelhaft 
bleibt  auch  das  immer.  Eine  Abnahme 
des  Geräuschs  beweist  nicht  eine  Ab- 
nahme des  Klappenfehlers,  wie  wir  denn 
überhaupt  aus  der  Grösse  des  Geräuschs 
nie  einen  Schluss  auf  die  Grösse  des 
Klappenfehlers  machen  dürfen.  Unser 


Hauptaugenmerk  muss  darauf  gerichtet 
sein,  zu  verhüten,  dass  die  bei  den  Klap- 
penfehlern nun  einmal  vorhandene  Ver- 
schlechterung der  Sauerstoffversorgung 
des  Körpers  durch  weitere  Belastung  des 
Zirkulationsapparats  vermehrt  wird.  Da 
bei  einer  Endokarditis  immer  auch  eine 
Erkrankung  des  Myokards  vorhanden  ist 
und  die  Möglichkeit  vorliegt  dass  kleine 
latente  Erkrankungsherde  im  Myokard 
noch  jahrelang  zurückbleiben  können,  so 
muss  die  Funktion  der  Herzmuskulatur 
natürlich  in  erster  Linie  überwacht  wer- 
den. Zur  Beseitigung  solcher  alter  Herde 
im  Myokard  gibt  es  nur  eine  Möglich- 
keit, ein  nach  dem  Fall  milde  oder  kräfti- 
gere Anregung  des  gesammten  Stoff- 
wechsels, die  durch  vorsichtige  Massage, 
durch  Diät  und  durch  Bäderbehandlung 
erreicht  wird.  Ich  möchte  nicht  in  den 
Verdacht  kommen,  als  wollte  ich  hier  pro 
domo  sprechen,  aber  andrerseits  kann 
ich  doch  auch  nicht  das,  was  ich  lange 
Jahre  für  gut  befunden  habe,  verleug- 
nen, nur  das  muss  ich  sagen,  dass  beson- 
ders infolge  der  grossen  Mannigfaltig- 
keit seiner  Bäderformen  allerdings  Nau- 
heim der  geeignetste  Platz  für  derartige 
Badekuren  ist.  Gegen  eins  möchte  ich 
aber  dabei  Verwahrung  einlegen,  dass 
unter  Nauheimer  -  Behandlung  die 
Schot  t'sche  Behandlungsmethode  ver- 
standen wird,  wie  das  hier  in  Amerika 
vielfach  irrtümlicherweise  geschieht.  Ich 
möchte  nicht,  dass  die  Verantwortung  für 
das  Schot  t-treatment  Nauheim  auf- 
gebürdet würde.  Schott  steht,  wie 
Sie  wissen,  auf  dem  Standpunkt,  dass 
man  durch  Gymnastik  das  Herz  kräfti- 
gen, dass  man  eine  Arbeitshypertrophie 
hervorrufen  müsse.  Dass  es  eine  Ar- 
beitshypertrophie nicht  gibt,  glaube  ich 
vorhin  gezeigt  zu  haben.  Nun  könnte 
man  aber  behaupten,  dass  eine  kräftigere 
Entwicklung  der  gesunden,  normalen 
Herzmuskulatur,  eine  Verbesserung  der 
kontraktilen  Elemente  durch  Gymnastik 
zu  stände  kommen  könnte,  ebenso  wie 
durch  sie  eine  Kräftigung  der  äusseren 
Körpermuskeln  erzielt  wird.  Dagegen 
ist   Folgendes   zu   sagen :   Jedem  Men- 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


2/5 


sehen  ist  ein  gewisses  höchstes  Mass  der 
Entwicklungsfähigkeit  seiner  Muskula- 
tur bei  der  Geburt  zugeteilt.  Bis  zu  die- 
ser oberen  Grenze  der  Leistungsfähigkeit 
kann  sich  seine  Körpermuskulatur  und 
auch  seine  Herzmuskulatur  entwickeln. 
Die  Bedingung  zu  gesunder  Entwicklung 
der  Muskulatur  ist  ein  normaler  Stoff- 
wechsel, d.  h.  normale  Zufuhr  und  Ab- 
fuhr von  Ernährungsmaterial  der  Mus- 
kelzellen. Keine  Zelle  im  gesunden  Or- 
ganismus erhält  ihr  Ernährungsmaterial 
auf  anderem  Wege  als  durch  die 
Lymphbahnen.  Die  wandlosen  Lymph- 
spalten reichen  bis  direkt  an  die  einzel- 
nen Zellen  eines  jeden  Organs,  die  Blut- 
kapillaren reichen  nur  bis  zu  diesen 
Lymphspalten.  Die  Lymphbahnen  sind 
deshalb,  und  auch  aus  anderen  Gründen 
—  aber  es  würde  zu  weit  führen,  wenn 
ich  heute  darauf  näher  eingehen  wollte  — 
die  Lymphbahnen  sind  also  als  die  ei- 
gentlichen Träger  des  Ernährungsma- 
terials anzusehen.  Zur  Fortbewegung  in 
dem  Drainageröhrensystem  der  Lymph- 
wege dient  in  der  Hauptsache  die  Mus- 
kelbewegung. Deshalb  ist  aktive  Mus- 
kelbewegung oder,  wo  sie  nicht  möglich 
ist,  die  passive,  die  Massage  für  den 
Stoffwechsel   notwendig.    Eine  Resorp- 


tion des  in  den  Lymphspalten  vorwärts 
bewegten  Nährmaterials  kann  aber  nur 
stattfinden,  wenn  Kontraktion  der  Mus- 
kulatur und  Erschlaffung  in  richtiger 
Weise  abwechseln.  Uebermässige  Mus- 
kelanstrengung führt  zu  Lymphstauung. 
Ich  erinnere  an  die  Lymphstauung  in  der 
Beinmuskulatur  nach  anstrengenden 
Märschen,  an  die  der  Armmuskulatur 
nach  übertriebenen  Fechtübungen  etc. 
Das  Herz  hat  an  und  für  sich  soviel  Be- 
wegung, als  ihm  die  Ernährung  seiner 
Zellen  ermöglicht.  LTeberanstrengung 
des  Herzens  —  und  bei  jeder  Bewegung 
der  Körpermuskulatur  arbeitet  das  Herz 
schneller  und  intensiver  —  muss  beim 
kranken  Herzen  natürlich  noch  mehr  als 
beim  gesunden  zu  Stauung  in  seinen 
Lymphbahnen  führen,  dagegen  wird  der 
Stoffwechsel  in  der  kranken  Herzmusku- 
latur verbessert,  wenn  man  dem  Herzen 
zwischen  den  Kontraktionen  entsprech- 
end lange  Ruhepausen  verschafft,  wenn 
man  seine  Tätigkeit  verlangsamt.  Des- 
halb wirkt  Digitalis,  deshalb  wirkt  Bett- 
ruhe und  deshalb  wirken  Bäder  kräfti- 
gend auf  das  kranke  Herz  ein,  während 
es  durch  Gymnastik  unter  allen  Umstän- 
den geschädigt  wird. 


Ueber  die  Verwendung  der  Lur 

Von  Dr.  A 

Herr  Präsident,  meine  Herren !  Wie 
Linen  allen  bekannt  ist,  verdanken  wir 
die  Einführung  der  Lumbalanästhesie 
zwei  Männern,  Corning  und  Bier. 
Corning  gebührt  das  grosse  Ver- 
dienst, als  erster  Lumbalanästhesien  aus- 
geführt zu  haben  und  zwar  mit  der  In- 
dikation, Neuralgien  der  unteren  Ex- 
tremitäten etc.  zu  bekämpfen.  Bereits 
vor  mehr  als  20  Jahren  begann  er  mit 

*)  Vortrag,  gehalten  in  der  Deutschen 
med.  Gesellschaft  der  Stadt  New  York  am 
2.  Dezember  1907. 


ibalanästhesie  in  der  Chirurgie.* 

Lewisohn. 

paravertebralen  Injektionen,  von  denen 
er  annahm,  dass  sie  auf  dem  Wege  des 
Venengeflechts  das  Anästhetikum  direkt 
an  das  Rückenmark  schaffen  würden. 
Damals  scheute  er  noch  davor  zurück, 
Kokain  intradural  einzuspritzen,  später 
hat  er  aber  dann  intravertebral  injiziert 
und  auch  schon  in  einem  1894  erschiene- 
nen Werke  auf  die  Bedeutung  seiner 
Methode  für  die  Chirurgie  hingewiesen. 
Seine  Methode  wurde  aber,  wie  das  so 
oft  mit  grossen  Entdeckungen  geschieht, 
kaum  beachtet,  einen  Chirurgen,  der  sie 
angewandt  hätte,  fand  er  nicht.    Die  Me- 


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New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


thode  blieb  ohne  praktische  Bedeutung, 
bis  A  u  g  u  s  t  B  i  e  r  im  Jahre  1899,  ohne 
von  den  Versuchen  C  o  r  n  i  n  g's  etwas 
zu  wissen,  die  Kokainisierung  des  Rück- 
enmarks in  die  Chirurgie  einführte,  z.  T. 
auf  Versuchen  an  sich  seihst  und  seinen 
Mitarbeitern  fussend. 

Die  anfangs  herrschende  grosse  Be- 
geisterung legte  sich  aber  bald,  als  sich 
Mitteilungen  über  schwere  Neben-  und 
Nachwirkungen  und  zahlreiche  Todes- 
fälle häuften,  und  Bier  selbst  warnte 
wiederholt,  spez.  gegenüber  französi- 
schen Autoren,  die  enthusiastisch  für  die 
Methode  eintraten,  vor  ihrer  Anwen- 
dung. Es  spricht  für  die  grosse  Objek- 
tivität B  i  e  r's,  dass  er  der  vorderste 
Kämpfer  gegen  seine  Methode  war,  so- 
bald er  ihre  Gefahren  erkannt  hatte.  Die 
Verwendung  des  Kokains  zur  Rücken- 
marks-Anästhesie hat  nur  noch  histori- 
sche Bedeutung  und  ich  kann  daher,  bei 
der  Kürze  der  Zeit,  die  Symptomatolo- 
gie etc.  der  Rückenmarkskokainisierung 
vollständig  ausser  Acht  lassen. 

Erst  als  vor  wenigen  Jahren  neue  Ko- 
kainpräparate, wie  Stovain,  Alypin,  No- 
vokain  etc.  in  den  Handel  kamen,  die  be- 
deutend ungiftiger  als  das  Kokain  sind, 
wurde  die  Lumbalanästhesie  wieder  auf- 
genommen, und  trotzdem  auch  keines 
dieser  neuen  Präparate  absolut  ungefähr- 
lich ist,  hat  sich  das  Verfahren  jetzt  Bür- 
gerrecht in  der  Chirurgie  erworben, 
übrigens  nicht  nur  in  der  Chirurgie 
und  Gynäkologie,  sondern  auch  in  aus- 
gedehnter Weise  in  der  Geburtshilfe,  hier 
meist  in  Kombination  mit  dem  Skopola- 
min-Dämmerschlaf.  Bei  dem  Mangel  ei- 
gener Erfahrung  gehe  ich  auf  die  ge- 
burtshilfliche Anwendung  nicht  ein;  viel- 
leicht bietet  eine  Diskussion  dem  einen 
oder  andern  Herrn  Gelegenheit,  uns  über 
seine  Erfahrungen  in  dieser  Hinsicht 
Mitteilungen  zu  machen,  gerade  auch  in 
Bezug  auf  die  Frage,  wieweit  trotz  der 
bekannten  Ungefährlichkeit  der  Chloro- 
formnarkose bei  Entbindungen  die  Lum- 
balanästhesie empfehlenswert  ist. 

Meine  Herren!  Die  Stellung  der 
Lumbalanästhesie  in  der  Chirurgie  ist 


noch  keineswegs  eine  gesicherte.  Neben 
einer  grossen  Zahl  enragierter  Anhänger 
gibt  es  viele,  die,  durch  Misserfolge 
stutzig  gemacht,  nichts  von  der  Methode 
wissen  wollen.  Gerade  auch  hier  in  New 
York  scheint  in  letzter  Zeit  die  Lumbal- 
anästhesie wieder  weniger  verwendet  zu 
werden.  Wie  mir  scheint,  zu  Unrecht 
Gestatten  sie  mir  daher,  auf  Grund  eige- 
ner Erfahrungen  an  mehreren  100  Fäl- 
len, die  meist  der  Heidelberger  chirurgi- 
schen Klinik  entstammen,  und  unter  teil- 
weiser Benutzung  der  Literatur,  die  ein 
Material  von  ca.  20000  Fällen  umfassen 
dürfte,  wobei  spez.  auf  die  kürzlich  er- 
schienene, sehr  gründliche  Monographie 
Ii.  B  o  s  s  e's  verwiesen  sei,  Ihnen  in 
Kürze  zu  skizzieren,  was  die  Methode 
leistet,  und,  wie  ich  hoffe,  auf  diese 
Weise  der  Lumbalanästhesie  weitere  An- 
hänger zu  werben. 

Die  Technik  der  Lumbalanästhesie, 
welche,  wie  Sie  wissen,  den  Zweck  ver- 
folgt, das  Anästhetikum  nach  der  Cauda 
equina  hin  zu  bringen,  ist  zwar  eine  äus- 
serst einfache,  bedarf  aber  doch  einer 
gewissen  Uebung.  Eine  grosse  Zahl  von 
sog.  Versagern  ist  entschieden  auf  man- 
gelhafte Technik  zu  basieren,  und  die 
meisten  Autoren  berichten  über  viele 
Versager  unter  ihren  ersten  50 — 100 
Fällen  und  nur  über  vereinzelte  in  spä- 
teren Serien.  —  Man  lässt  am  besten  den 
Patienten  mit  an  der  einen  Seite  des 
Tisches  herunterhängenden  Beinen  mit 
möglichst  stark  gekrümmten  Rücken 
sitzen,  während  der  Arzt  an  der  andern 
Seite  des  Tisches  steht.  Nach  gründli- 
cher Hautdesinfizierung  bestimmt  man 
sich  das  Spatium  zwischen  3.  und  4.  Len- 
denwirbel, indem  man  sich  eine  ideelle 
Verbindungslinie  zwischen  den  beiden 
Cristae  ilei  zieht,  und  führt  an  deren 
Kreuzungspunkt  mit  der  Wirbellinie  eine 
mit  einem  Mandrin  bewaffnete  10  cm 
lange  Hohlnadel  ein.  Kommt  man  übri- 
gens einen  Wirbel  höher  oder  tiefer,  so  ist 
das  ohne  Bedeutung.  Man  sticht  am  bes- 
ten genau  in  der  Mittellinie  ein.  Auf  diese 
Weise  gelangt  man  in  die  sog.  Cysterna 
terminalis,  einen   mit   Liquor  gefüllten 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


277 


kleinen  Hohlraum,  in  dem  sich  die  Nadel 
leicht  bewegen  lässt.  Früher  pflegte  man 
seitlich  von  der  Medianlinie  einzugehen, 
hat  das  aber  aus  2  Gründen  auf- 
gegeben: 1.  weil  man  dann  leichter  halb- 
seitige Anästhesien  bekommt  und  2.  weil 
bei  seitlichem  Einstich  das  Anästhetikum 
mehr  Neigung  hat,  zwischen  den  Strän- 
gen der  Cauda  equina  liegen  zu  bleiben, 
anstatt  sich  mit  dem  Liquor  ordentlich 
zu  vermischen  und  dann  eher  schwere 
toxische  Erscheinungen  hervorruft.  Eine 
Infiltrationsanästhesie  der  Haut,  wie  sie 
von  vielen  Seiten  geraten  wird,  ist  über- 
flüssig und  macht  mehr  Schmerzen,  wie 
der  Einstich  selbst.  Der  Einstich  soll 
ohne  Gewalteinwirkung  erfolgen,  man 
soll  leicht  in  die  Rückenmarkshöhle  hin- 
eingleiten, was  bei  einiger  Uebung  un- 
schwer gelingt.  Stösst  man  auf  einen 
Widerstand,  so  zieht  man  die  Nadel  et- 
was zurück  und  schiebt  sie  dann  wieder 
vor ;  manchmal  ist  es  besser,  die  Nadel 
wieder  ganz  heraus  zu  ziehen  und  von 
neuem  in  der  Nähe  der  ursprünglichen 
Einstichstelle  wieder  einzuführen.  Jeden- 
falls ist  längeres  versuchsweises  Herum- 
stochern in  der  Tiefe  aufs  entschieden- 
ste zu  widerraten.  Das  sicherste  Zeichen, 
dass  man  sich  im  Wirbelkanal  befindet, 
ist  das  Abfliessen  von  Liquor  in  leichtem 
Strahl  oder  in  rasch  aufeinander  folgen- 
den Tropfen.  Man  setzt  nun  die  Spritze 
an,  die  2  ccm  fasst  und  die  bereits  die  ein- 
zuspritzende Lösung  enthält,  saugt, 
zwecks  Verdünnung  des  Anästhetikums, 
die  Spritze  mit  Liquor  voll  und  injiziert 
dann  langsam  den  Inhalt  in  den  Rücken- 
markskanal. Nach  Herausziehen  der 
Nadel  wird  die  Einstichöffnung  mit  ei- 
nem Stück  Heftpflaster  geschützt.  Man 
bringt  nun  den  Patienten  wieder  in  die 
Horizontallage,  resp.  dreht  ihn  auf  den 
Rücken  und  lässt  ihn  für  5  Minuten  ab- 
solut ruhig  liegen.  Es  erscheint  nicht 
ratsam,  wie  es  oft  geschieht,  gleich  nach 
der  Injektion  mit  Vorbereitungen  zur 
Operation  (Desinfektion  etc.)  zu  begin- 
nen ;  die  Injektion  ist  ja  keine  indiffe- 
rente, und  durch   abrupte  Bewegungen 


kann  leicht  zu  viel  von  dem  Mittel  den 
Rückenmarkskanal  hinaufgetrieben  wer- 
den. 

Die  Anästhesie,  die  gewöhnlich  im 
Zeitraum  von  einer  Viertelstunde  kom- 
plett ist,  setzt  zuerst  am  Damm  ein,  dann 
folgen  die  Unter-Extremitäten,  von  den 
Füssen  anfangend,  darauf  greift,  wenn 
man  höhere  Dosen  gibt,  die  Wirkung  auf 
das  Abdomen  über  und  kann  auch  den 
Thorax  erreichen.  Wie  weit  eine  solche 
Ausdehnung  des  Wirkungsgebiets  be- 
rechtigt ist,  werden  wir  später  sehen. 
Bei  richtiger  Dosierung  werden  nur  die 
schmerzleitenden  Fasern  ausser  Funktion 
gesetzt  (eigentlich  wäre  daher  Lumbal- 
analgesie eine  richtigere  Bezeichnung), 
während  Temperatur-  und  Tastsinn 
meist  erst  bei  grösseren  Dosen  schwin- 
den. Ein  gewisses  Gefühl  der  Schwere 
der  affizierten  Körperteile  und  eine  Be- 
hinderung der  Beweglichkeit  zeigen  sich 
oft,  eine  irgendwie  stärkere  Herabsetz- 
ung der  Motilität  darf  aber  nicht  ein- 
treten. Das  Anästhetikum  soll  eben  nur 
auf  den  hinteren  sensiblen  Teil  des  durch 
das  Ligam.  denticulatum  halbierten 
Rückenmarkkanals  wirken.  •  Das  Gift 
wirkt  direkt  auf  die  hintern  Nervenwur- 
zeln und  die,  wie  bekannt,  hier  scheiden- 
losen Nervenstämme.  Gerade  weil  die 
Nervenfasern  im  Rückenmarkskanal 
scheidenlos  sind,  ist  die  Wirkung  eine  so 
prompte,  gerade  deshalb  muss  man  aber 
auch  mit  der  Dosierung  doppelt  vorsich- 
tig sein.  Eines  der  ersten  Zeichen  der 
Wirkung  des  Anästhetikums  auf  das 
Zentralnervensystem  ist  das  Aufhören 
der  Reflexe ;  so  sistiert  der  Patellarreflex 
bereits  nach  1 — 2  Minuten,  Achillesseh- 
nen- und  Cremasterreflex  etwas  später. 
Eine  Aenderung  der  elektrischen  Erreg- 
barkeit tritt  nicht  ein.  Die  Anästhesie 
dauert  gewöhnlich  ca.  l1^  Stunden,  sollte 
also  für  jeden  operativen  Eingriff  aus- 
reichen. Sollte  das  einmal  ausnahmsweise 
nicht  der  Fall  sein,  so  kann  man  eventuell 
noch  Allgemeinnarkose  einleiten.  Die 
Aufhebung  der  Anästhesie  geschieht  in 
umgekehrter  Reihenfolge,  sodass  also  die 


278 


New   Yorker   Medizinische  Monatsschrift. 


zuerst  anästhetisch  gewordenen  Gebiete, 
wie  die  Analgegend,  am  längsten  anäs- 
thetisch bleiben. 

Es  sind,  meine  Herren,  im  wesentli- 
chen 4  Anästhetika,  die  heutzutage  zur 
Verwendung  kommen,  das  Stovain,  Aly- 
pin,  Novokain  und  Tropakokain.  Keines 
dieser  Kokainpräparate  ist,  obgleich  sie 
sämmtlich  viel  harmloser  sind  wie  das 
Kokain,  absolut  ungiftig,  das  Präparat, 
das  dem  Körper  stets,  ohne  Neben-  und 
Nachwirkungen  zu  verursachen,  injiziert 
werden  kann,  soll  eben  noch  entdeckt 
werden.  Ich  kann  mich  bei  der  Kürze 
der  Zeit  auf  ein  Abwägen  dieser  Mittel 
gegen  einander  leider  nicht  einlassen. 
Jedes  dieser  Mittel  hat  begeisterte  Lob- 
redner gefunden,  die  es  in  langen  Serien 
benutzten,  jedes  hat  aber  auch  ihre  Geg- 
ner. Das  Stovain  (Dose  O.CH — 0,06), 
dem  wir  eigentlich  die  neue  Aera  in  der 
I  -umbalänästhesie  verdanken,  stört  leicht 
die  motorische  Funktion.  Meiner  per- 
sönlichen Erfahrung  nach  ist  Novokain 
(von  dem  0,6  ccm  einer  5%  Lösung  ein- 
gespritzt werden)  das  beste  Mittel,  doch 
inuss  ich  hier  betonen,  dass  eine  grössere 
Zahl  von  Autoren  dem  Tropakokain  den 
Vorzug  geben.  Die  persönliche  Erfahr- 
ung, das  Vertrautsein  mit  den  Eigen- 
schaften eines  bestimmten  Mittels,  spielt 
hier  eben,  wie  auch  sonst  in  der  Medi- 
zin, eine  grosse  Rolle.  Als  Lösungsmit- 
tel verwendet  man  0,11%  Kochsalzlö- 
sung, die  mit  der  Cerebrospinalflüssigkeit 
isotonisch  ist.  Sämmtliche  dieser  Mittel 
sind,  was  sehr  wichtig  ist,  sterilisierbar, 
ohne  an  ihrer  Wirkung  einzubüssen. 

Bei  der  immerhin  keineswegs  absolu- 
ten Ungiftigkeit  aller  dieser  Mittel  hat 
es  natürlich  nicht  an  Versuchen  gefehlt, 
mit  möglichst  kleinen  Dosen  auszukom- 
men, ohne  dadurch  den  Effekt  des  An- 
ästhetikums  zu  verringern,  d.  h.  man  hat 
versucht,  durch  andere  Mittel  die  Wir- 
kungsweise zu  erhöhen.  Es  seien  hier 
vor  allem  3  Methoden  erwähnt,  die 
Kopfstauung,  die  Beckenhochlagerung 
und  der  Suprareninzusatz.  Keines  die- 
ser Mittel  erscheint  aber  wirkungsvoll. 
Die  Kopfstauung,  die  durch  Anlegen 


einer  Gummibinde  vor  der  Operation 
und  Hervorrufen  einer  Hyperämie  im 
Gehirn  erzeugt  wird,  soll  das  rasche  Auf- 
steigen des  Kokainpräparats  nach  der 
Medulla  und  dem  Gehirn  verhindern. 
Im  Verlauf  der  Operation  soll  man  dann, 
durch  Lockerung  der  Binde,  eine  Ver- 
teilung über  weitere  Bezirke,  je  nach 
Wunsch  hervorrufen  können.  Die  Me- 
thode hat  sich  nicht  viele  Freunde  er- 
worben und  scheint  mehr  am  Studier- 
tisch ausgeklügelt  als  praktisch  erfolg- 
reich zu  sein.  Eigene  Erfahrungen  feh- 
len mir. 

Die  Beckenhochlagerung  verhütet, 
dass  das  Anästhetikum  in  den  unteren 
Pirtien  des  Rückenmarkkanals  liegen 
bleibt,  sie  treibt  es  höher  aufwärts  und 
ermöglicht  abdominelle  Operationen,  die 
ohne  dieses  Hilfsmittel  nicht  ausführbar 
sind.  Es  hat  sich  daher  diese  von  K  a- 
d  e  r  eingeführte  Methode  viele  Freunde 
erworben.  Wie  mir  scheint,  zu  L'nrecht, 
wenigstens  wenn  sie  nicht  in  ganz  engen 
Grenzen  gehalten  wird.  Im  Gegenteil, 
die  ausgedehnte  Verwendung  der  Beck- 
enhochlagerung scheint  mir  einer  der 
Flauptgründe  zu  sein,  weshalb  die  Lum- 
balanästhesie in  letzter  Zeit  wieder  mehr 
in  Misskredit  gekommen  ist.  Gewiss, 
rn?n  kann  mit  dieser  Methode  die  Wir- 
kung des  Anästhetikums  erhöhen,  aber 
man  hat  es  nicht  in  der  Hand,  zu  bestim- 
men, wie  weit  das  geht.  Durch  die 
Beckenhochlagerung  wird  das  Anästheti- 
kum oft  sehr  rasch  hoch  hinauf  in  den 
Rückenmarkskanal  an  lebenswichtige 
Zentra  (wie  z.  B.  die  Medulla)  gebracht 
und  die  meisten  schweren  Kollapse  sind, 
soweit  nicht  etwa  zu  grosse  Dosen  ver- 
antwortlich zu  machen  sind,  dieser  Me- 
thode zuzuschreiben. 

Der  durch  Braun  für  die  Lokalanäs- 
thesie eingeführte  Suprareninzusatz 
(man  kann  entweder  2 — 3  Tropfen  einer 
lproz.  Lösung  zur  Anästhesierungsflüs- 
sigkeit  hinzusetzen  oder  auch  fertige 
Tabletten,  wie  sie  z.  B.  als  Alvpin-Supra- 
renintabletten  in  den  Handel  gebracht 
werden,  verwenden)  dürfte  neueren 
Publikationen  zufolgre  auch  nicht  ratsam 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


279 


erscheinen.  Gewiss,  man  erhöht  den  lo- 
kalen Effekt  des  Kokainpräparats  und 
kann  daher  mit  etwas  kleineren  Dosen 
auskommen,  aber  man  bringt  anderer- 
seits statt  eines  Giftes  deren  zwei  in 
den  Rückenmarkskanal,  und  das  ist  kei- 
nesweges  irrelevant.  Ausserdem  zersetzt 
sich  das  Suprarenin  leicht  und  verursacht 
dann  die  schwersten  Nebenwirkungen. 

Wenden  wir  uns  nun,  meine  Herren, 
zu  den  Neben-  und  Nachwirkungen  der 
Lumbalanästhesie.  Sehr  häufig  klagen 
die  Patienten  nach  der  Lumbalanästhesie 
über  Kopfschmerzen,  oft  ganz  leichter 
Art,  bisweilen  aber  auch  heftiger  Natur, 
die  manchmal  tage-,  ja  wochenlang  an- 
halten. Dazu  kann  sich  Uebelkeit,  Er- 
brechen und  Schwindelgefühl  gesellen, 
neben  Kreuzschmerzen  und  Schlaflosig- 
keit. Nicht  so  ganz  selten  treten  leichte 
Kollapse  mit  profuser  Perspiration,  flat- 
terndem Puls  und  oberflächlicher  At- 
mung ein,  die,  soweit  meine  persönliche 
Erfahrung  reicht,  immer  relativ  rasch 
vorübergingen.  Tu  der  Literatur  finden 
sich  allerdings  auch  Fälle,  wo  diese  Kol- 
lapse äusserst  schwer  waren,  stunden- 
lang anhielten  und  von  denen  eine  grös- 
sere Zahl  (bisher  sind  mehr  als  20  Fälle 
publiziert)  zum  Exitus  führten.  Wie 
weit  das  mit  der  Technik  etc.  in  den  in 
der  Literatur  berichteten  Fällen  in  Zu- 
sammenhang zu  bringen  ist,  das  zu  er- 
örtern, würde  zu  weit  führen.  Dass  oft 
sehr  leichtsinnig  vorgegangen  wird,  da- 
für diene  der  Beispiel  eines  Todesfalles, 
der  auf  dem  Wege  von  dem  Sprechzim- 
mer des  Arztes  zur  Wohnung  des  Pa- 
tienten nach  einer  Lumbalanästhesie  er- 
folgte. Medullaranästhesie  als  ambulan- 
tes Rehandlungsmittel,  das  geht  entschie- 
den zu  weit. 

Weiter  berichten  Autoren  über  Fieber, 
Schüttelfröste,  Erregungszustände,  Teta- 
nie und  leider  finden  sich  auch  eine  grös- 
sere Anzahl  nicht  nur  vorübergehender, 
sondern  auch  dauernder  Lähmungen 
verzeichnet.  Wie  Ihnen  bekannt,  sind 
eine  Reihe  Abduzenslähmungen  vorge- 
kommen, die  allerdings  meist  bald  wieder 
verschwinden.    Warum  gerade  der  Ab- 


duzenskern  so  leicht  affiziert  wird,  ist  bis 
jetzt  unaufgeklärt.  Ausserdem  sind  ein- 
und  doppelseitige  Lähmungen  der  un- 
tern Extremitäten  und  komplette  Blasen- 
und  Sphinkterlähmung  beobachtet  wor- 
den. Auch  Retentio  urinae  tritt  manch- 
mal nach  der  Lumbalanästhesie  auf. 
Zum  Schluss  dieser  kurzen  Uebersicht 
sei  die  Atemlähmung,  die  bedrohlichste 
unter  den  üblen  Folgen  erwähnt. 
Schwarz  konnte,  in  jedem  untersuch- 
ten Fall,  post  injectionem  Albuinen  und 
Zylinder  im  Urin  nachweisen,  in  man- 
chen Fällen  mehrere  Wochen  lang. 

Meine  Herren  !  Das  Ihnen  eben  skiz- 
zierte Bild  der  möglichen  Neben-  und 
Nachwirkungen  ist  gewiss  ein  folgen- 
schweres und.  wenn  diese  schweren  Fol- 
geerscheinungen wirklich  nicht  zu  ver- 
meiden wären,  so  würde  dass  das  Todes- 
urteil über  die  Methode  sprechen.  Aber 
die  meisten  LJnfälle  basieren  auf  zu  wei- 
ter Indikationsstellung.  Eine  Methode 
kann  in  einem  gewissen  Bezirk  Vorzügli- 
ches leisten,  bei  zu  weiter  Ausdehnung 
aber  grossen  Schaden  treffen.  Die  Lum- 
balanästhesie ist  eine  vorzügliche  Me- 
thode für  Operationen  am  Damm  und 
den  untern  Extremitäten,  aber  nicht  für 
Bauchoperationen.  Letztere  verlangen 
zu  ihrer  Ausführbarkeit  mit  Lumbalan- 
ästhesie die  Beckenhochlagerung  und 
diese  ist,  solange  wir  kein  ungiftigeres 
Präparat  als  die  bisherigen  kennen,  ab- 
solut zu  verwerfen,  falls  sie  sich  nicht 
auf  einen  ganz  geringen  Grad  be- 
schränkt. Strumektomien  oder  Opera- 
tionen an  den  oberen  Extremitäten  damit 
ausführen  wollen,  heisst  von  der  Me- 
thode verlangen,  was  sie  nicht  leisten 
kann.  Beschränkt  man  das  Anwen- 
dungsgebiet der  Lumbalanästhesie  im 
wesentlichen  auf  perineale  Prostatekto- 
mien (bei  denen  sie  fast  als  die  Methode 
der  Wahl  zu  bezeichnen  ist),  auf  Hä- 
morrhoiden, Analfissuren,  Scheidenplas- 
tiken und  alle  Arten  von  Operationen  an 
den  untern  Extremitäten,  so  bleibt  der 
Wirkungskreis  noch  gross  genug,  wobei 
allerdings  zu  bemerken  ist,  dass  im  obern 
Drittel  des  Oberschenkels  die  Methode 


280 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


manchmal  versagt,  weil  das  dieses  Ge- 
biet versorgende  Rückenmarkssegment 
öfters  nicht  von  der  Anästhesie  erreicht 
wird. 

Was  die  humane  Seite  der  Frage  an- 
geht, so  wird  von  den  Gegnern  der  Lum- 
balanästhesie oft  angeführt,  dass  sie 
schon  deswegen  nicht  mit  der  Allgemein- 
narkose konkurrieren  könne,  weil  der 
Patient  bei  vollem  Bewusstsein  bleibe 
und  der  psychische  Shock  einer  grossen 
Operation  ein  zu  heftiger  sei.  Ich  stehe 
nicht  an,  zuzugeben,  dass  das  in  einzel- 
nen Fällen  zutrifft.  Auch  ich  würde  z. 
B.  nicht  einem  jungen  Individuum  unter 
Lumbalanästhesie  ein  Bein  absetzen, 
wenn  nicht  klinisch  ganz  strenge  Indika- 
tionen dafür  bestehen.  Auch  hysterische 
Frauen  sind  von  der  Methode  auszu- 
schliessen.  Im  allgemeinen  verlangen 
aber  Patienten,  die  einmal  unter  Lum- 
balanästhesie operiert  worden  sind,  bei 
spateren  Eingriffen  dieselbe  Methode. 
Wenn  man  die  Aufmerksamkeit  des  Pa- 
tienten von  der  Operation  ablenkt  (es 
sollte  selbstverständlich  auch  bei  der 
Lumbalanästhesie  stets  ein  Assistent  am 
Kopf  des  Patienten  stehen,  der,  wie  bei 
der  Narkose,  sich  nur  mit  dem  Allge- 
meinzustand des  Kranken  befasst),  so 
merken  die  Kranken  eigentlich  gar  nicht, 
was  mit  ihnen  vorgeht.  Wider  und  wie- 
der haben  wir  es  erlebt,  dass,  nachdem 
man  z.  B.  Analfissuren  oder  Hämorrhoi- 
den bereits  längere  Zeit  mit  dem  Paque- 
lin  bearbeitet  hat,  die  Patienten  fragen, 
ob  man  noch  nicht  mit  der  Operation  an- 
finge. Auch  einem  andern  Einwand 
möchte  ich  begegnen,  den  man  speziell 
von  Operateuren  hört,  die  grundsätzlich 


Aethernarkosen  machen  lassen  und  die 
sagen :  Da  die  Gefahren  bei  der  Aether- 
narkose  so  minimal  sind,  warum  sollen 
wir  da  eine  neue  Methode  versuchen. 
Doch  werden  bei  diesem  Einwand  m.  E. 
3  Punkte  nicht  hinreichend  gewürdigt : 
1)  das,  selbst  wenn  nur  kurze,  stets 
höchst  unangenehme,  mit  Erstickungs- 
gefühl einhergehende  Stadium  bis  zum 
Eintritt  der  Narkose,  das  wohl  nur  der 
Arzt  voll  würdigen  kann,  der  selbst  ein- 
mal narkotisiert  worden  ist,  dann  der  nur 
zu  oft  zweimal  24  Stunden  anhaltende 
Brechreiz  und  schliesslich  die  Gefahr  der 
Pneumonie. 

Die  Inhalationsnarkose  hat  eben  ihre 
grossen  Schattenseiten.  Auch  die  Lum- 
balanästhesie ist  nicht  unbedenklich,  wie 
Sie  aus  der  grossen  Reihe  der  angeführ- 
ten Neben-  und  Nachwirkungen  entnom- 
men haben,  wenn  auch,  wie  gesagt,  ein 
grosser  Teil  der  berichteten  Unfälle  auf 
fehlerhafte  Technik  und  zu  weitgehende 
Anwendung  zurückzuführen  ist.  Sie 
darf  daher  auch  nur  bei  strenger  Indi- 
kationsstellung angewandt  werden  und 
soll  nicht  etwa,  wie  es  geschehen  ist,  für 
rein  diagnostische  Zwecke  oder  Ver- 
bandwechsel benutzt  werden.  Immerhin 
ist  die  Methode,  ebenso  wie  die  Lokal- 
anästhesie, entschieden  berufen,  die  Zahl 
der  Allgemeinnarkosen  zu  verringern. 
Nicht  hie  Allgemeinnarkose,  hie  Lokal- 
resp.  Lumbalanästhesie  soll  es  heissen, 
sondern  man  soll  bestrebt  sein,  jeder  die- 
ser Methoden  den  richtigen  Wirkungs- 
kreis anzuweisen.  Ich  bin  überzeugt, 
dass  dann  die  Lumbalanästhesie  den  ihr 
zukommenden  Platz  unter  den  Narkoti- 
sierungsmethoden  behaupten  wird. 


New    Yorker   Medizinische  Monatsschrift. 


Sitzungsberichte 


Deutsche  Medizinische  Gesellschaft  der  Stadt  New  York 


Sitzung  vom  4.  November  1907. 

Präsident  Dr.  Carl  Beck  eröffnet 
die  Sitzung  um  8:15,  und  die  Ver- 
sammlung tritt  sofort  in  die  Tages- 
ordnung ein. 

1.  Vorstellung  von  Patienten, 
Demonstration  von  Präparaten,  Instru- 
menten u.  s.  w. 

Dr.  A.  V.  Moschcowitz  stellt 
Patienten  vor- 
Präsident   Dr.    C  a  r  1  B  e  c  k  stellt 
ein  Fall  von  Morbus  Basedowii,  mit 
Röntgenstrahlen  behandelt,  vor. 

Patient,  ein  11  jähriger  Knabe,  in  Un- 
garn geboren,  schlecht  genährter  Sohn 
mässig  genährter  Eltern,  gelangte  vor 
einem  Jahr  im  St.  Mark's  Hospital  un- 
ter meine  Beobachtung.  Die  Anam- 
nese ergab  eine  seit  sechs  Monaten  be- 
merkbare langsam  fortschreitende 
Vergrösserung  der  Schilddrüse,  mit 
welcher  die  Entwickelung  von  Glotz- 
augen, Herzklopfen  und  Tremor  Hand 
in  Hand  gingen.  Bei  der  Krankenvor- 
stellung erschien  der  Exophthalmus 
sehr  ausgeprägt.  Der  weiche  Kropf 
überschritt  die  Grösse  eines  Gänseeis, 
der  Puls  betrug  durchschnittlich  170, 
steigerte  sich  aber  bei  der  leichtesten 
Erregung  bis  ungefähr  186.  Mässiger 
Tremor  war  ebenfalls  vorhanden. 

Da  mir  dieser  seiner  Jugend  wegen 
besonders  interessante  Fall  zu  einem 
Versuch  mit  Röntgenbehandlung  ge- 
eignet schien,  so  wurden  unter  Benüt- 
zung meiner  Stellrohrblende  zuerst 
alle  zwei,  nach  zwei  Wochen  alle  drei 
Tage  je  fünf  Minuten  dauernde  Be- 
strahlungen vorgenommen,  welche 
nach  fünf  weiteren  Wochen  unterbro- 
chen werden  mussten,  da  eine  leichte 
Dermatitis  eintrat.  Nach  Ablauf  der- 
selben wurden  — ■  zwei  Wochen  später 
—  die  Betrahlungen  wieder  in  gleicher 
Weise  aufgenommen,  jedoch  nur  in 
einwöchentlichen  Intervallen.  Nach 
viermonatlicher  Behandlung  waren 
Kropf  und  Tachykardie  auf  den  letzten 
Rest  geschwunden,  nur  bestand  noch 


ein  geringgradiger  Exophthalmus,  wel- 
cher sich  bei  sorgfältiger  Inspektion 
auch  heute  noch  verrät.  Sonst  ist 
Patient  ganz  gesund  und  normal.  Es 
ist  in  hohem  Grade  bemerkenswert, 
dass  Patient  keinerlei  andere  Behand- 
lung als  die  des  Röntgenverfahrens  er- 
fuhr. Von  allgemeinen  diätetischen 
Massregeln  von  Bedeutung  musste  an- 
gesichts der  Armut  der  Familie  leider 
Abstand  genommen  werden.  Leider 
hat  auch  hie,  wie  bei  der  Tuberkulo- 
senfrage, der  schnöde  Mammon  ein  ge- 
wichtiges Wort  mit  zu  sprechen.  Wir 
haben  also  hier  mit  einem  ganz  reinen, 
weder  durch  Arznei  noch  durch  di- 
rekte Stoffwechseleinwirkung  verdun- 
keltes Röntgenresultat  zu  rechnen.  Ich 
möchte  trotz  dieser  zauberhaften  Wir- 
kung nun  keineswegs  generalisieren. 
Wer  weiss  ob  der  nächste  derartige 
Fall  keinen  Widerstand  entgegensetzt. 
Vielleicht  war  es  bloss  die  starke  Suk- 
kulenz  der  Gewebe,  welche  just  in  die- 
sem Fall  die  Schrumpfiuig  begünstigte, 
während  stärkere  Bindegewebsbildung 
einen  grösseren  Widerstand  aufweist. 
Immerhin  ist  die  Tatsache  der  Heilung 
lehrreich  und  ermutigend. 

Eine  Verkleinerung  des  Kropfes  be- 
gann erst  nach  der  sechsten  Bestrahl- 
ung, nach  dem  Ablauf  der  Hautreak- 
tion aber  konnte  eine  rapide  Abnahme 
konstatiert  werden- 

Es  ist  dies  nun  der  achte  Fall,  den 
ich  mittelst  des  Röntgenverfahrens  be- 
handelte. Gegenüber  wesentlich  un- 
günstigeren Berichten  setzt  es  mich 
einigermassen  in  Verlegenheit,  konsta- 
tieren zu  dürfen,  dass  ich  in  sieben 
Fällen  Heilung  erzielte,  während  es  in 
einem  Falle  nur  zu  erheblicher  Besser- 
ung kam,  woran  übrigens  Patient 
selbst  schuld  ist,  da  die  Sitzungen  zu 
häufig  unterbrochen  wurden. 

In  diesem  Falle  währt  die  Heilung 
bereits  drei  Jahre. 

Wenn  ich  den  Versuch  mache,  mir 
die  weniger  günstigen  Resultate  an- 
derer vertrauenswerter  Beobachter  auf 


282 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


diesem  Gebiete  zu  erklären,  so  dünkt 
es  mir,  dass  folgende  Momente  von 
hervorragendem  Einfluss  waren  : 

1 )  Die  durchgängige  Auswahl  sol- 
cher Fälle,  welche  sich  durch  Weich- 
heit des  Schilddrüsengewebes  aus- 
zeichneten ;  2)  die  intensivere  Wirkung 
des  Blendenverfahrens;  3)  der  Um- 
stand, dass  ich  das  Röntgenverfahren 
nur  bei  weniger  grossen  Basedow- 
kröpfen verwandte,  während  ich  bei 
grösseren  Strumen  die  Exstirpation  be- 
vorzugte. Wo  sich  ungleiche  Lappen 
vorfanden,  da  exstirpierte  ich  den  grös- 
seren und  bestrahlte  dann  den  kleine- 
ren, welcher  in  allen  meinen  so  gearte- 
ten Fällen  schrumpfte.  Hierüber  habe 
ich  mich  ausführlich  in  der  Berliner 
Klinischen  Wochenschrift  —  Ueber  die 
Kombination  von  Exzisions-  und 
Röntgen-Therapie  bei  Morbus  Base- 
dowii  (1905,  No.  20) — geäussert, 
ebenso  wie  über  die  Fälle,  welche  unter 
schweren  Allgemeinerscheinungen  ver- 
laufen, sodass  man  nur  temporär,  ge- 
wissermassen  als  Vorbereitung  zur 
eventuellen  Operation,  bestrahlt  und 
schliesslich  im  Fall  der  Inoperabilität, 
wobei  dem  Röntgenverfahren  nur  eine 
palliative  Bedeutung  zukommt. 

Es  wäre  wünschenswert,  dass  man 
das  Verfahren  in  ausgedehnterem 
Masse  anwendete,  sine  ira  et  studio, 
wissenschaftlich  neutral,  ohne  Vorein- 
genommenheit, immer  auf  dem  Boden 
beobachteter  Tatsachen  stehend,  we- 
der hyperenthusiastisch,  weil  man  ge- 
rade einen  besonders  günstigen  Fall 
sein  eigen  nennt,  noch  pessimistisch, 
weil  man  gerade  kein  Glück  hatte.  Qui 
vivra,  verra. 

Dr.  Carl  Pfister  demonstriert 
Präparate 

1)  eines  Ovarienabszesses. 

2)  eines  primär  tuberkulösen  Ho- 
dens. 

Dr.  G.  Mannheimer  demon- 
striert einen  Sensibilitätsprüfer. 

Diskussion.  Dr.  Onuf:  Dr. 
Mannheimer  hat  mir  den  Apparat 
gezeigt,  und  ich  denke,  dass  er  viele 
praktische  Eigenschaften  besitzt.  Er- 
stens hat  man  den  ganzen  Apparat  in 
einem  kleinen  Etui  beisammen.  Will 
man  eine  Temperaturprüfung  vorneh- 
men, hat  man  alles  gleich    bei  sich. 


Zweitens  hat  die  Hülseneinrichtung 
mit  Natrium  aceticum  jedenfalls  einen 
Vorteil  über  die  Reagenzröhren,  weil 
die  Hitze  oder  Kälte  länger  darin 
bleibt.  Aber  wenn  man  am  Anfang 
eine  bedeutende  Hitze  im  Natrium 
aceticum-1  Sehälter  hat,  so  ist  die  Tem- 
peratur am  Ende  des  Versuchs  bedeu- 
tend gesunken,  sodass  man  nicht  wäh- 
rend des  ganzen  Versuchs  eine  gleich- 
massige  Temperatur  hat.  Das  ist  ein 
Nachteil,  der  sich  allerdings  bei  irgend 
einem  Apparat  einstellen  wird,  ausser 
vielleicht  bei  einer  nach  dem  Prinzip 
der  Thermorlaschen  konstruierter  Ein- 
richtung. Jedenfalls  ist  der  Apparat 
aber  eine  praktische  Einrichtung. 

Der  Sekretär,  Dr.  B  e  u  e  r  m  a  n  n, 
verliest  das  Protokoll  der  letzten  Sit- 
zung. 

Präsident  Dr.  Carl  Beck:  Ich 
habe  jetzt  die  Ehre,  Ihnen  Herrn  Sani- 
tätsrat Dr.  W  achenfeld  aus  Nau- 
heim vorzustellen.  Er  wird  uns  das 
Vergnügen  machen,  in  der  nächsten 
Sitzung  einen  Vortrag  zu  halten. 

Ferner  habe  ich  Ihnen  mitzuteilen, 
dass  sich  in  New  York  ein  Subkomitee 
der  Robert  Koc  h-Stiftung,  zumeist 
aus  deutschen  Aerzten  und  Geschäfts- 
leuten bestehend,  gebildet  hat.  Ich 
bitte  Sie,  etwas  Interesse  an  dieser 
Stiftung  zu  nehmen,  sodass  Amerika 
nicht  gar  zu  klein  neben  den  grossen 
Beiträgen  erscheint,  die  in  Deutschland 
gezeichnet  sind,  wo  ein  Nichtarzt  nicht 
weniger  als  50,000  M-  bewilligte. 

Vorträge. 

1)  Dr.  L.  Kast:  Experimentelles 
und  Klinisches  über  vermehrte  Magen- 
saftbildung. 

Diskussion.  Dr.  M.  I.  Knapp: 
Der  Vortrag  war  ausgezeichnet  und 
mir  nicht  unbekannt-  Ich  habe  die  Ar- 
beiten von  Kast  früher  gelesen.  In 
meinem  am  7.  Dezember  1904  in  de» 
Harlem  Medical  Association  gehalte- 
nen Vortrag  habe  ich  behauptet,  dass 
P  a  w  1  o  w  seine  Untersuchungen  sehr 
falsch  gedeutet  hat.  Dieses  Experi- 
ment von  Kast  beweist  es.  Ich  weiss 
nicht,  ob  Kollege  Kast  Alkohol  und 
Wasser  ohne  Scheinfütterung  gegeben 
hat.  Wenn  er  Alkohol  und  Wasser 
ohne  Scheinfütterung  gegeben,  hätte  er 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


283 


wahrscheinlich  dasselbe  Resultat  er- 
zielt, der  chemische  Reiz  der  Magen- 
schleimhaut ist  es,  der  die  Sekretion 
bewirkt. 

Was  die  Lage  des  Patienten  anbe- 
trifft, so  habe  ich  i.  J.  1902  in  meiner 
Veröffentlichung  über  Insuffizienz  des 
Pylorus  behauptet,  dass  bei  diesen  Fäl- 
len die  Motilität  nicht  leidet  und  ich 
habe  damals  angeraten,  den  Patienten 
in  solchen  Fällen  auf  die  linke  Seite  zu 
legen,  um  eben  das  Entweichen  des 
Mageninhalts  zu  verhindern..  Lie  La- 
gerung auf  der  rechten  Seite  verur- 
sacht das  Hinausgehen  des  Magenin- 
halts in  das  Duodenum  u.  s.  w.  In  ei- 
nem Artikel  im  London  Lancet  vom 
10-  Juni  d.  J.  hat  Moullin  genau 
dasselbe  bewiesen,  was  ich  i.  J.  1902 
über  Insuffizienz  des  Pylorus  veröffent- 
licht habe. 

2.  Symposium  über  Morbus  Base- 
dowii. 

a)  Dr.  S.  J.  Meitzer:  Bemerkun- 
gen zur  Physiologie  und  allgemeinen 
Pathologie  des  Morbus  Basedowii. 

b)  Dr.  J.  Kauf  m  a  n  n :  Der  Mor- 
bus Basedowii  vom  Standpunkt  des 
Internisten. 

c)  Dr-  Hermann  Fischer:  Die 
chirurgische  Behandlung  des  Morbus 
Basedowii. 

(Die  Vorträge  sind  in  der  Novem- 
bernummer ds.  Monatsschr.  als  Origi- 
nalarbeiten erschienen.) 

Diskussion.  Dr.  L.  Weber:  Ich 
habe  nur  über  ca.  20  Fälle  von  Base- 
dow zu  verfügen,  die  ich  im  Laufe  der 
Jahre  behandelt  habe.  Unter  den  20 
Fällen  war  nur  ein  männliches  Indi- 
viduum, die  anderen  gehörten  dem 
weiblichen  Geschlecht  an.  Unter  den 
Frauen  war  keine  unter  20  Jahren,  die 
meisten  20 — 35  Jahre  alt,  die  Mehrzahl 
verheiratet.  Leichte  und  mittelschwere 
Fälle  sind  mir  da  vorgekommen,  wel- 
che ich  jahrelang  beobachtet  hatte  und 
die  gut  wurden,  andere,  die  sich  ver- 
liefen, und  unter  dieser  Reihe  von  Fäl- 
len war  nur  einer,  der  tödlich  verlief. 
Es  war  der  schwerste  Fall  von  akuter 
Hyperthyreoidie,  den  ich  überhaupt  ge- 
sehen, bei  einem  Mädchen  von  25  Jah- 
ren, das  an  schweren  Intoxikationser- 
scheinungen und  Anämie  starb. 


Sie  wissen,  dass  in  der  Periode  vor 
M  ö  b  i  u  s  in  der  2.  Hälfte  des  vorigen 
Jahrhunderts  der  Basedow  symptoma- 
tisch behandelt  wurde.  Ruhe,  physika- 
lisch-diätetische Heilmethoden  wurden 
angewendet.  Späterhin  wurde  nach  dem 
durch  seine  Strumaoperation  so  be- 
rühmt gewordenen  Kocher  viel 
phosphorsaures  Natrium  gegeben  in 
Dosen  von  4  Gramm  2 — 3  mal  täglich, 
galvanische  Ströme  wurden  angewen- 
det, und  so  sah  man  eine  Reihe  von 
Fällen  besser  werden  und  heilen, 
durfte  dabei  aber  nicht  vergessen,  dass 
die  mittelschweren  und  leichteren 
Fälle  auch  ohne  Behandlung  gut  ge- 
worden sind. 

Nun  kam  Möbius  am  Ende  des 
vorigen  Jahrhunderts  und  stellte  den 
Satz  auf,  dass  die  B  a  s  e  d  o  w'sche 
Krankheit  Hyperthyreoidismus  sei. 
Dieser  Satz  von  M  ö  b  i  u  s  ist  meines 
Wissens  von  der  grossen  Mehrheit  der 
Autoren  und  Aerzte  heute  angenom- 
men. Folglich  behandeln  wir  heute, 
wenn  wir  einen  Basedowfall  haben, 
eine  Intoxikationskrankheit  schwerer 
oder  leichter  Natur,  und  daran  an- 
knüpfend, möchte  ich  Folgendes  mit- 
teilen :  Ich  erwähnte  oben  den  ver- 
hältnismässig rasch  verlaufenen  Fall 
eines  Mädchens  von  25  Jahren ;  die 
Schwester  dieses  Mädchens  kam  i.  J. 
1901  zu  mir,  eine  Frau  von  31  Jahren, 
gut  entwickelt,  Primipara,  und  präsen- 
tierte alle  Symptome  eines  schweren 
Basedow,  die  Kardinalsymptome  und 
ausserdem  ausserordentliches  Schwit- 
zen, starken  Tremor,  intensive  Röte 
und  Brennen  in  der  Haut  u.  s.  w.,  und 
es  dauerte  gar  nicht  lange,  so  traten 
auch  heftige  Durchfälle  ein,  die  das 
Weib  in  einem  Monat  oder  so  bedeu- 
tend von  Kräften  brachten,  auch 
Brechen.  Zu  meinem  Erstaunen  ver- 
grösserten  sich  Leber  und  Milz,  be- 
sonders die  Leber.  Ein  operativer  Ein- 
griff wurde  verweigert.  Es  waren  ja 
auch  damals  die  betr.  Resultate,  wie 
sie  in  den  letzten  Nummern  des  Jour- 
nals der  American  Medical  Association 
von  dem  jüngeren  Kocher  veröffent- 
licht worden  sind,  noch  nicht  bekannt. 
So  kam  ich  auf  die  Idee,  der  Patientin 
kleine  Portionen,  nicht  mehr  als  ein 
Milligramm,   Arsenik   und   ein  Milli- 


284 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


gramni  Sublimat  dreimal  täglich  zu 
verabreichen,  nachdem  alle  anderen 
Behandlungen,  wie  die  galvanische,  die 
physikalisch  -  diätetische  Behandlung, 
sich  als  nutzlos  erwiesen  hatten.  Die 
Patientin  nahm  dieses  Mittel  stetig 
etwa  2 — 3  Jahre  lang,  und  unter  dieser 
Behandlung  sind  alle  Symptome  zu- 
rückgegangen, und  die  Frau  ist  heute 
als  gesund  zu  betrachten. 

Ich  habe  noch  3  Fälle  leichteren  Ka- 
libers, welche  ich  in  ähnlicher  Weise 
mit  ähnlichem  Erfolge  behandelt  habe- 
ich kann  Ihnen  keine  Theorie  geben, 
welche  genügender  Weise  erklären 
könnte,  warum  infolge  der  Darreich- 
ung dieser  kleinen  Dosen  von  Sublimat 
und  Arsenik  die  Symptome  sich  in  der 
Weise  besserten.  Es  ist  früher  nicht 
in  der  Weise  angewandt  worden,  aber 
ich  kann  Ihnen  eben  ein  post  hoc,  ergo 
propter  hoc  hier  mitteilen  von  einem 
schweren  Fall  und  3  leichteren  Fällen, 
der  so  entschieden  zu  verfolgen  war, 
dass  ich  Sie  doch  bitten  möchte,  ge- 
legentlich diese  zwei  Mittel,  Arsenik 
und  Sublimat,  die  antitoxisch  wirken 
müssen,  zu  versuchen.  Schaden  wer- 
den sie  nicht,  wenn  ich  auch  nicht  im 
stände  bin,  eine  Erklärung  für  den 
trefflichen  Erfolg  in  den  paar  Fäl- 
len anzugeben. 

Dr.  W  i  1  1  y  Meyer:  Unsere  heuti- 
gen trefflichen  Vorträge  decken  das 
Feld  so  vollkommen,  dass  wahrlich  für 
die  Diskussion  nicht  viel  zu  sagen 
übrig  bleibt. 

Unvergesslich  steht  mir  in  der  Erin- 
nerung, was  ich  als  Assistent  von 
Trendelenburg  vor  25  Jahren 
mit  erlebte,  als  wir  eine  totale  Exstir- 
pation  der  Struma  bei  einem  jungen 
Mädchen  machten  und  sich  innerhalb 
24  Stunden  tetanische  Anfälle  einstell- 
ten, die  in  kurzer  Zeit  zum  Tode  führ- 
ten. Damals  wusste  man  noch  nichts 
von  dem  chirurgischen  Fehler,  die 
Struma  ganz  zu  exstirpieren,  noch 
nichts  von  den  Parathyreoidkörpern, 
noch  nicht,  wie  wir  es  heute  wissen, 
dass  man  den  Kretinismus  und  Ka- 
chexie, welche  durch  Total  -  Exstir- 
pation  entsteht,  durch  Thyreoidea-Füt- 
terung  ausgleichen  kann.  Aber  dieser 
eine  Fall  ist  mir  stets  im  Gedächtnis 
geblieben,  und  mit  grösstem  Interesse 


habe  ich  die  weitere  Entwickelung  die- 
ser Frage  verfolgt.  Was  wir  heute  ge- 
hört haben,  sagt  uns  zur  Genüge,  wel- 
che Klarheit  uns  gerade  hierüber  end- 
lich aufgegangen  ist.  Wir  wissen,  wie 
Dr.  Meitzer  gezeigt  hat,  dass  der 
Hyperthyreodismus  als  richtig  aner- 
kannt wird,  d.  h.,  einfacher  ausge- 
drückt, die  Schilddrüse  sondert  zu  viel 
Saft  ab ;  dieser  Saft  wird  in  den  Or- 
ganismus aufgenommen,  und  das 
macht  die  Erscheinungen.  Die  Frage, 
warum  die  Schilddrüse  sich  vergrös- 
sert,  warum  dies  alles  auftritt,  ist  so 
schwer  zu  beantworten,  wie  so  vieles 
andere  Warum  in  der  Medizin  und 
Chirurgie.  Und  doch  ist  es  vielleicht 
richtig,  dass  ursprünglich  dieses  War- 
um im  Nervus  sympathicus  begründet 
ist.  Nehmen  wir  immerhin  als  Haupt- 
sache hin,  dass  wir  erkannt  haben,  dass 
der  Morbus  Basedowii  auf  einer  zu 
grossen  Menge  von  Schilddrüsensaft  i 
beruht,  der  in  unsere  Zirkulation  auf- 
genommen wird  und  da  als  Gift  wirkt. 
Auf  dieser  Basis  hat  sich  die  heutige 
Therapie  aufgebaut,  die  erstens  chirur- 
gisch und  zweitens  serotherapeutisch 
ist.  Wir  haben  von  Dr.  Fischer  ge- 
hört, dass  vor  allen  Kocher  uns  be- 
wiesen hat,  was  man  mit  der  richtigen 
chirurgischen  Behandlung  der  Schild- 
drüse leisten  kann,  entweder  durch 
Unterbindung  verschiedener  Arterien 
oder  durch  partielle  Exstirpation,  und 
der  beste  Beweis  der  Richtigkeit  sol- 
chen Vorgehens  ist,  dass,  jemehr  von 
der  Schilddrüse  entfernt  wurde,  desto 
nachhaltiger  die  Erfolge  sind. 

Wer  die  serotherapeutische  Behand- 
lung schrittweise  verfolgt  hat,  muss 
sagen,  es  ist  wunderbar  und  nur  immer 
wieder  von  Neuem  dankbar  anzuer- 
kennen, was  die  experimentelle  Physi- 
ologie und  Pathologie  heutzutage 
leistet. 

Speziell  war  es  Lenz,  der  ganz  un- 
abhängig und  nicht  wissend,  was  an- 
dere mit  ihrer  Hundefütterung  und 
Serum  und  Einspritzung  getan  hatten, 
durch  Exstirpation  der  Schilddrüse  bei 
Ziegen  und  Verfütterung  der  Milch 
dieser  Tiere  bei  Basedowkranken  vor 
5  Jahren  fertiggebracht  hat.  Er  be- 
wies mit  absoluter  Sicherheit  dass, 
wenn  den  Ziegen  die  Thyroidea  exstir- 


New    Yorker    Medizinische  Monatsschrift. 


28s 


piert  wurde  —  von  Nebendrüsen  hat 
man  damals  noch  nichts  gewusst  — 
aber  ich  möchte  einfügen,  dass  wir  viel 
häufiger  Tetanie  bekommen  hätten, 
wenn  wir  nicht,  speziell  auf  K  o  c  h- 
e  r's  Rat,  zur  Verminderung  der  Ver- 
letzung des  Nervus  laryng.  inf.  den 
Teil  der  Schilddrüse  hinter  welchem 
die  Nebenschilddrüsen  liegen,  stehen 
gelassen  hätten  —  ich  sage,  Lenz  hat 
bewiesen,  dass,  wenn  seinen  Ziegen  die 
Schilddrüse  exstirpiert  wurde  und 
wenn  er  nach  6  Wochen  anfing,  mit  der 
Milch  die  Basedowkranken  zu  füttern, 
diese  gesund  wurden.  Das  war  der 
beste  Beweis,  dass  Gift  bei  diesen  Zie- 
gen gebildet  wurde,  welches  das  andere 
Gift,  das  durch  Basedow  entsteht, 
paralysiert,  und  auf  diesem  Prinzip 
basiert  die  serotherapeutische  Behand- 
lung. Natürlich  ist  es  schwer  für  den 
Chirurgen,  der  Basedowkranken  zu  be- 
handeln hat,  sich  erst  eine  Ziege  zu  be- 
sorgen und  ihre  Schilddrüse  zu  exstir- 
pieren  und  dann  6  Wochen  zu  warten, 
um  seine  Kranken  4  Wochen  lang 
mit  der  Milch  zu  füttern.  In  euro- 
päischen Universitäts  -  Städten  steht 
Assistenz  zu  Gebote,  um  das  schnell 
und  richtig  zu  besorgen.  Hier  in  New 
York  würde  das  mit  grosser  Schwierig- 
keit verbunden  sein.  Deshalb  ist  es 
mit  grosser  Freude  zu  begrüssen.  dass 
Möbius  die  M  e  r  c  k'sche  Fabrik  da- 
zu brachte,  sein  Serum  in  den  Handel 
zu  bringen.  Ich  habe  vor  einiger  Zeit 
zwei  solcher  Patienten  behandelt  und 
habe  damals  mit  dem  einfachen  M  ö- 
b  i  u  s'schen  Serum  gute  Erfolge  ge- 
sehen. Das  will  nicht  viel  sagen,  zwei 
Kranke,  aber  es  kommen  so  schwere 
Patienten  in  chirurgische  Behandlung, 
dass  hier  vor  allem  auf  dem  Grenzge- 
biete stramm  gearbeitet  werden  muss. 
Zuerst  gehört  der  Schwerkranke  in  die 
Hände  des  Internisten,  und  wenn  er 
mit  der  serotherapeutischen  Behand- 
lung nicht  zum  Ziel  kommt,  in  die 
Hände  der  Chirurgen.  Basedowkranke 
werden  heute  richtig  behandelt  durch 
Serotherapie  oder,  wenn  diese  nicht 
zum  Ziele  führt,  durch  Operation. 

Dr.  F.  Kammerer:  Ich  möchte 
ganz  kurz  über  meine  Erfahrung  spre- 
chen. Ich  habe  ein  geringes  Material, 
nur  8  Fälle,  und  möchte  nur  auf  die 


Todesfälle  zu  sprechen  kommen,  denn 
ich  habe  leider  unter  diesen  8  Fällen 
4  Todesfälle  zu  beklagen.  Es  handelte 
sich  in  dem  einen  Fall  um  einen  sehr 
schweren  Basedowkranken,  bei  dem 
ich  vor  15  Jahren  unter  dem  Einfluss 
der  R  y  d  y  g  i  e  r'schen  Publikation 
die  Unterbindung  aller  4  Schilddrüsen- 
arterien vornahm.  Bei  den  anderen  3 
Fällen  habe  ich  partielle  Exstirpation 
gemacht.  Alle  diese  Fälle  gingen  un- 
ter den  Erscheinungen  einer  akuter 
Vergiftung  in  12 — 15  Stunden  zu 
Grunde.  Den  letzten  Fall  verlor  ich 
leider  erst  vor  4  Wochen.  -  Es  han- 
delte sich  allerdings  um  einen  schwe- 
ren Basedow.  Die  Pulsfrequenz  war 
bei  absoluter  Ruhe  zirka  110,  steigerte 
sich  bei  leichter  Erregung  jedoch  auf 
140 — 160.  Die  Struma  selbst  war 
äusserst  gefässreich  und  änderte  häufig 
ihr  Volumen.  Patient  war  in  der  Er- 
nährung ziemlich  heruntergekommen, 
hatte  jedoch  keine  Herzhypertrophie. 
Er  litt  an  einem  Symptom,  das  Dr. 
K  a  u  f  m  a  n  n  besonders  hervorgeho- 
ben hat,  nämlich  an  unstillbarer  Diar- 
rhoe. Ich  habe  mir  lange  überlegt,  wie 
ich  bei  diesem  Patienten  vorgehen  sollte, 
ob  ich  nur  die  beiden  Thyreoideae  einer 
Seite  unterbinden  oder  die  Hälfte  der 
Schilddrüse  herausnehmen  sollte.  Ich 
entschloss  mich  zu  dem  letzteren  Ver- 
fahren. Die  Operation  verlief  ohne 
Zwischenfall  und  mit  massigem  Blut- 
verlust. Nach  der  Operation  war  der 
Puls  auf  170  gestiegen,  der  Patient 
war  zyanotisch.  Er  erholte  sich  in  3 — 
4  Stunden  fast  vollkommen.  Der  Puls 
ging  auf  150  herunter,  die  Herztätig- 
keit schien  den  Bedürfnissen  zu  ent- 
sprechen. Die  Cyanose  war  gewichen, 
der  Patient  sah  gut  aus,  hatte  nicht 
erbrochen  und  sich  vollkommen  von 
der  Narkose  erholt.  Nach  einigen 
Stunden  traten  wieder  Erscheinungen 
der  Herzinsuffizienz  auf.  Der  Puls 
ging  ziemlich  schnell  auf  200  hinauf, 
Patient  wurde  wieder  zyanotisch  und 
ging  ziemlich  plötzlich  an  Herzläh- 
mung zu  Grunde.  Aehnlich  ging  es 
mir  in  den  beiden  übrigen  Fällen.  Ei- 
nen Fall  hatte  mir  Dr.  Meitzer  vor 
8  Jahren  zugeschickt,  bei  dem  ich  aus- 
ser einer  halbseitigen  Exstirpation 
noch       eine       teilweise  Resektion 


286 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


des  Testierenden  Schilddrüsenlappens 
machte.  Mir  scheint  eine  genügende 
Erklärung  für  diese  Todesfälle  nach 
Basedow-Operation  noch  zu  fehlen. 

Leichte  Fälle  von  Basedow  zu  ope- 
rieren, ist  nicht  schwer.  Sie  bieten 
kaum  grössere  Schwierigkeiten  dar  als 
andere  Schilddrüsenoperationen,  im 
Gegenteil  sind  letztere  oft  technisch 
viel  schwieriger,  wenn  es  sich  etwa  um 
Verschiebung  der  Trachea  oder  retro- 
sternale Entwicklung  handelt.  Auch 
ich  habe  die  Fälle  gesehen,  die  Dr. 
Meyer  erwähnte :  totale  Exstirpation 
der  Schilddrüse,  die  nicht  von  Tetanie 
gefolgt  waren.  Ich  kann  mich  im  Au- 
genblick nur  an  einen  derartiger  Fall 
erinnern,  in  dem  wir  Tetanie  als  Folge 
der  Totalexstirpation  gesehen  haben, 
gewiss  aus  demselben  Grunde,  den  Dr. 
Meyer  hervorhob,  dass  wir  nämlich 
nach  Unterbindung  der  Arterien  uns 
ganz  genau  an  die  Schilddrüsenkapsel 
gehalten  haben  und  die  Epithelkörper 
nicht  mit  exstirpiert  haben. 

In  den  letzten  Jahren  scheint  sich 
doch  Alles  mehr  zur  chirurgischen  Be- 
handlung des  Basedow  zu  neigen. 
Wenn  diese  Fälle  frisch  operiert  wer- 
den und  wenn  man,  worauf  Kocher 
so  oft  hingewiesen  hat,  eher  weniger 
von  der  Schilddrüse  entfernt  und  even- 
tuell mehrfach  operiert,  bis  das  richtige 
Quantum  der  Drüse  zurückbleibt,  so 
werden  Todesfälle  selten  vorkommen. 
Bei  schweren  Fällen  würde  ich,  als 
ersten  Eingriff,  nie  mehr  etwas  an- 
deres als  die  Unterbindung  der  beiden 
Schilddrüsenarterien  einer  Seite  wa- 
gen. Es  spielt  sich  bei  der  Basedow'- 
schen  Erkrankung  ab,  was  wir  bei  der 
Behandlung  der  Appendizitis  und  der 
Gallensteine  erlebt  haben.  Die  Chirur- 
gen und  Internisten  haben  sich  geei- 
nigt, schwere  Komplikationen  wie 
Peritonitis  und  Stein-Einklemmung 
im  Choledochus  wo  möglich  durch 
rechtzeitiges  Eingreifen  zu  vermeiden. 
Ebenso  wünschenswert,  glaube  ich, 
wäre  es,  Fälle  von  Basedow,  die  ohne 
Besserung  einer  interner  Therapie  un- 
terworfen wurden,  recht  bald  einer 
chirurgischen  Behandlung  zu  unter- 
ziehen. 

Dr.  A.  R  i  p  p  e  r  g  e  r  :  Ich  möchte 
einige  Worte  betreffs  der  Therapie  der 


B  a  s  e  d  o  w'schen  Krankheit  hinzufü- 
gen. Sie  haben  heute  Abend  einen  Fall 
gesehen,  der  vom  Präsidenten  unserer 
Gesellschaft  vorgestellt  wurde  und  der 
mit  ausgezeichnetem  Erfolg  mit  Rönt- 
genstrahlen behandelt  worden  war.  Der 
Fall  kann  als  geheilt  angesehen  wer- 
den. Zahlreiche  Berichte  in  der  Literatur 
über  mit  Röntgenstrahlen  behandelte 
Fälle  von  Basedow  lauten  fast  sämmt- 
lich  günstig.  Ich  habe  im  Lauf  dieses 
Jahres  Gelegenheit  gehabt,  3  Fälle  von 
Basedow  mit  Röntgenstrahlen  zu  be- 
handeln, und  zwar  ebenfalls  mit  sehr 
günstigem  Erfolg.  Ich  will  diese  Fälle 
nur  ganz  kurz  hier  berühren.  Der 
erste  Fall  bot  wenig  Bemerkenswertes. 
Die  Symptome  waren  mässige.  Die 
Patientin  wurde  verhältnismässig  nur 
kurze  Zeit  hindurch  mit  Röntgenstrah- 
len behandelt  und  wurde  trotzdem  be- 
deutend gebessert.  Sie  brach  die  Be- 
handlung ab,  da  sie  auswärts  wohnte 
und  stets  eine  grosse  Entfernung  zu- 
rückzulegen hatte,  um  sich  bei  mir  be- 
handeln zu  lassen.  Der  zweite  Fall 
von  sehr  schwerem  Basedow  hatte 
mässige  Struma,  starken  Exophthal- 
mus, hochgradige  Tachykardie  und 
starken  Tremor.  Die  Patientin  hatte 
sich  nie  ohne  Begleitung  auf  die 
Strasse  gewagt.  Durch  ausgiebige 
Röntgenbehandlung  wurde  sie  voll- 
kommen geheilt.  Der  dritte  Fall  kam 
vor  4  Wochen  in  meine  Behandlung. 
Ein  junges  Mädchen,  bis  vor  einem 
Jahr  vollkommen  gesund  und  ohne 
jegliche  Erscheinungen  von  Basedow, 
machte  einen  L  nterleibstyphus  durch 
und  direkt  im  Anschluss  daran  mach- 
ten sich  Erscheinungen  von  Basedow 
bemerkbar.  Ich  erwähne  bloss  diese 
Tatsache  und  bin  entfernt  davon,  einen 
Zusammenhang  zwischen  Typhus  ab- 
dominalis und  Basedow  herauskon- 
struieren zu  wollen,  obwohl  man  recht 
gut  an  eine  toxische  Thyreoiditis  den- 
ken könnte.  Das  Mädchen  bekam 
eine  kolossale  Struma,  enormen  Ex- 
ophthalmus, hochgradige  Tachykardie, 
Tremor  etc.  Die  Struma  rief  durch 
Druck  auf  die  Trachea  eine  so  hoch- 
gradige Dyspnoe  hervor,  dass  die  Chi- 
rurgen darin  eine  Indikation  für  einen 
operativen  Eingriff  gesehen  hätten. 
Ich  unterwarf  die  Patientin  der  Rönt- 


New    Yorker   Medizinische  Monatsschrift. 


287 


genbehandlung,  und  schon  nach  eini- 
gen Sitzungen  machte  sich  eine  ganz 
bedeutende  Besserung  bemerkbar.  Die 
Dyspnoe  hatte  abgenommen,  die  Ta- 
chykardie besserte  sich,  der  Kropf 
wurde  weich  und  hat  jetzt  nach  einer 
nur  einmonatlichen  Behandlung  mit 
Röntgenstrahlen  um  ungefähr  die 
Hälfte  abgenommen.  Ferner  besserten 
sich  die  Allgemeinerscheinungen,  und 
mit  der  W  age  konnte  ich  eine  bedeu- 
tende Gewichtszunahme  konstatieren. 
Am  langsamsten  ging  der  Exophthal- 
mus zurück.  Auch  bei  dem  ganz  ge- 
heilten zweiten  Fall  besteht  noch  ein 
mässiger  Grad  von  Exophthalmus. 
Diese  drei  Fälle  und  die  Berichte  in  der 
Literatur  sind  so  ermutigend  für  die 
Röntgenbehandlung  der  ß  a  s  e  d  o  w'- 
schen  Krankheit,  dass  ich  sagen 
möchte,  dass  die  Röntgenbehandlung 
die  einzig  indizierte  Behandlung  der 
B  a  s  e  d  o  w'schen  Krankheit  ist  und 
dass  jeder  Basedowkranke  vor  irgend 
einer  anderen  Behandlung  der  Rönt- 
genbehandlung unterzogen  werden 
sollte. 

Ich  möchte  noch  eine  Bemerkung 
betreffs  der  Technik  hinzufügen.  Der 
Herr  Präsident  hat  erwähnt,  dass  man 
eine  intensive  Strahlenwirkung  anwen- 
den müsse,  und  benützt  zur  Erzielung 
einer  solchen  ein  röhrenförmiges  Dia- 
phragma. Ich  kann  nicht  einsehen, 
wie  durch  das  Diaphragma  die  Strah- 
lenwirkung verstärkt  werden  soll. 
Wenn  man  bei  der  Radiographie  durch 
Anwendung  eines  Diaphragmas  ein 
besseres  und  schärferes  Bild  bekommt, 
so  rührt  das  nicht  davon  her,  dass 
durch  das  Diaphragma  eine  stärkere 
Strahlenwirkung  hervorgerufen  wird, 
sondern  die  Ursache  ist  die,  dass  die 
Sekundärstrahlen  möglichst  ausge- 
schlossen werden.  Im  Gegenteil,  wenn 
man  das  Diaphragma  wegliesse,  hätte 
man  therapeutisch  eine  viel  stärkere 
Wirkung  als  mit  dem  Diaphragma,  da, 
wie  wir  von  den  Schädigungen  durch 
Röntgenstrahlen  wissen,  den  Sekun- 
därstrahlen eine  bedeutende  Aktion 
zukommt,  wenn  sie  auch  bei  der  Her- 
stellung von  Skiagrammen  störend 
wirken. 

Ich  wende  ebenfalls  bei  der  Behand- 
hing mit  Röntgenstrahlen  ein  röhren- 


förmiges Diaphragma  an,  aber  nur  in 
der  Absicht,  die  Strahlenwirkung  auf 
die  zu  bestrahlende  Partie,  hier  die 
Struma,  zu  beschränken  und  eine  Ein- 
wirkung auf  andere  Körperteile  auszu- 
schliessen.  Ich  bin  mit  dem  Präsiden- 
ten darin  einig,  dass  man  das  röhren- 
förmige Diaphragma  anwenden  soll, 
aber  nicht  zur  Erhöhung  der  Strahlen- 
wirkung, da  ja,  wie  erwähnt,  das  Ge- 
genteil hiervon  beim  Gebrauch  des  Dia- 
phragmas stattfindet,  sondern  einzig 
und  allein  zum  Schutze  des  Patienten. 

Dr.  MaxTalmey:Dr.  Meitzer 
hat  bei  Besprechung  der  Physiologie 
und  Pathologie  der  Schilddrüse  des 
Kretinismus  und  Myoedems  öfters  Er- 
wähnung getan.  In  dieser  Beziehung 
dürfte  es  interessant  sein,  dass  ich  i.  J. 
1893  in  meiner  Dissertation  „Ein  Fall 
von  Zwergwuchs  mit  Beziehungen 
zu  Akromegalie,  Kretinismus  und 
Myxoedem"  auf  gewisse  Beziehungen 
aufmerksam  gemacht  habe  zwischen 
Kretinismus,  Myxoedem,  Zwergwuchs 
und  Akromegalie.  Ich  habe  damals 
die  Vermutung  ausgesprochen,  dass 
der  gemeinsame  ätiologische  Faktor 
aller  dieser  Zustände  eine  Erkrankung 
der  Schilddrüse  sein  dürfte.  Es  han- 
delte sich  in  meinem  Fall  um  ausge- 
sprochenen Zwergwuchs  und  Andeu- 
tungen von  Myxoedem.  Das  Interes- 
santeste war,  dass  auch  ausgesprochene 
Zeichen  von  Akromegalie  vorhanden 
waren.  Die  Spitzen  des  Körpers  waren 
vergrössert.  Bei  diesem  Knaben 
konnte  keine  Schilddrüse  gefühlt  wer- 
den, und  ich  sprach  die  Vermutung 
aus,  dass  die  Erkrankung  der  Schild- 
drüse der  gemeinsame  ätiologische 
Faktor  der  gesammten  Abnormitäten 
sein  dürfte.  Damals  hatte  ich  noch 
keine  Gelegenheit  gehabt,  Fälle  von 
Akromegalie  persönlich  zu  beobach- 
ten. Im  Jahre  1898  hatte  ich  Gelegen- 
heit, einen  solchen  Fall  im  Montefiore 
Home  zu  beobachten.  Es  konnte  in 
diesem  Fall  auch  keine  Schilddrüse  be- 
obachtet werden,  wenigstens  nicht  im 
Leben.  Ich  möchte  Herrn  Dr.  Meit- 
zer fragen,  ob  er  irgend  welche  Be- 
ziehungen zwischen  Zwergwuchs  und 
Akromegalie,  Kretinismus  und  Myxoe- 
dem beobachtet  hat,  sodass  sie  alle  auf 
Erkrankung  der  Schilddrüse  beruhen. 


288 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


Dr.  Ruppert:  Ich  möchte  vom 
Standpunkte  des  Rhinologen  ein  paar 
Worte  sagen.  Im  allgemeinen  geben 
die  Rhinologen,  veranlasst  durch  Er- 
fahrungen mit  der  Nasenbehandlung 
und  sonstige  Erscheinungen,  die  auf 
eine  Beteiligung  des  Nervus  sympathi- 
cus  zurückzuführen  sind  ;  z.  B.  der  Ex- 
ophthalmus, ferner  die  Veränderungen 
an  der  äusseren  Haut  und  an  ihren  Ge- 
fässen,  der  E  u  1  e  n  b  u  r  g-K  oche  r'- 
schen  Ansicht  den  Vorzug,  welche  das 
Primäre  in  einer  Erkrankung  der  Ner- 
ven sieht,  sei  es  einer  solchen  des  gan- 
zen Systems  ähnlich  der  Neurasthenie 
oder  in  einer  krankhaften  Veränderung 
der  Medulla  als  Vermittlerin  der  von 
anderen  Organen,  namentlich  auch  von 
dem  Uterus  und  der  Nase,  herstam- 
menden Reize.  Vielleicht  geht  es  da- 
bei genau  so  wie  bei  Epilepsie :  die- 
selbe ist  sicherlich  in  der  Regel  keine 
Fernwirkung  von  der  Nase  aus,  aber 
in  Ausnahmsfällen  wird  sie  durch  en- 
donasale  Behandlung  geheilt.  Im  Ba- 
sedow soll  sich  diese  Reizung  auf  die 
Schilddrüse  erstrecken  und  dort  eine 
vermehrte  oder  krankhaft  veränderte 
Absonderung  bewirken,  und  die  damit 
eng  verbundene  Kropfbildung  wäre 
demnach  eine  Reflexerscheinung,  ver- 
mittelt durch  die  Medulla.  Und  nicht 
nur  die  Fälle,  bei  denen  durch  geeig- 
nete Behandlung,  durch  Beseitigung 
der  nasalen  Störung  der  Symptomen- 
komplex der  Basedowkrankheit  auf- 
tritt, sondern  auch  jene  Fälle,  bei 
denen  derselbe  durch  endonasale  Ein- 
griffe zum  Schwinden  gebracht  wurde, 
sprechen  ohne  Zweifel  dafür,  dass  ein 
kausaler  Zusammenhang  zwischen 
(diesen  beiden  Erkrankungen)  der  Er- 
krankung der  Nase  und  der  B  a  s  e- 
d  o  w'schen  Krankheit,  bestehen  kann. 
Da  sich  die  Fälle  mehren,  in  denen  die 
Basedowerkrankung  durch  nasale  Be- 
handlung günstig  beeinflusst  wird, 
dürfte  es  sich  empfehlen,  einen  Ver- 
such der  Heilung  auf  diesem  Wege  zu 
machen,  namentlich  in  denjenigen  Fäl- 
len, in  welchen  die  nasale  Atmung  be- 
hindert ist  oder  in  denen  Niesen  oder 
dergleichen  Reizerscheinungen  einen 
Zusammenhang  der  Erkrankung  mit 
der  Nase  vermuten  lassen.  Selbstver- 
ständlich   muss  die  Nasenbehandlung 


durch  den  Nasenbefund  begründet 
werden. 

Dr.  J.  Hoff  mann:  Ich  möchte 
noch  einige  therapeutische  Massnah- 
men erwähnen,  deren  Anführung  ich 
heute  Abend  vermisste.  Das  eine  ist 
ein  Präparat  von  Merck,  das  vor 
nicht  langer  Zeit  in  den  Handel  ge- 
bracht wurde,  das  Antithyreoidin,  das 
Serum  von  schilddrüsenlosen  Häm- 
meln  innerlich  genommen.  Früher 
wandte  man  ein  ähnliches  Präparat 
subkutan  an,  es  hat  aber  nichts  ge- 
nützt. 

Ferner  möchte  ich  im  Zusammen- 
hang mit  dem  von  Dr.  Ruppert  er- 
wähnten Fall  bemerken,  dass  M  ö- 
b  i  u  s  einen  Fall  aus  H  a  c  k's  Praxis 
berichtet,  wo  Kauterisation  der  un- 
teren Riechmuschel  bei  einem  löjähri- 
gen  Mädchen  zu  einer  vollständigen 
Heilung  führte.  Dann  hat  sich  M  ö- 
bius  die  gepulverte  Schilddrüse  eines 
Kretins  kommen  lassen  und  behauptet, 
Erfolg  gehabt  zu  haben.  Auch  Höhen- 
luft und  Klimawechsel  können  zur 
Heilung  führen. 

Endlich  möchte  ich  mich  an  die  Chi- 
rurgen wenden  und  fragen,  was  sie  tun 
bei  Stimmbandlähmung,  die  bereits 
vor  der  Operation  bestand.  Es  ist  be- 
kannt, dass  die  Lähmungen,  die  nach 
der  Operation  entstehen,  leicht  heilen, 
aber  wenn  eine  solche  vor  der  Opera- 
tion bestanden  hat,  möchte  ich  wissen, 
was  man  heute  tut.  Denn  nach  K  o- 
cher  und  Möebius  sind  derartige 
Fälle  durchaus  zweifelhaft,  besonders 
bei  sehr  später  Operation. 

Dr.  Max  Töplitz:  Ohne  Frage 
hat  das  Klima  einen  Einfluss  auf  die 
Krankheit.  Ich  weiss  zwei  Fälle,  die 
das  beweisen.  Ein  Kollege,  der  vor  20 
Jahren  hier  in  New  York  gewohnt  hat 
und  mit  dem  ich  zusammen  gearbeitet 
habe  — ■  an  meiner  Seite  während  der 
Arbeit  steigerte  sich  sein  Puls  von  72 
auf  130  —  verhielt  sich  absolut 
schlecht,  wenn  er  in  New  York  lebte. 
Er  zog  nach  Rom,  Italien,  und  befindet 
sich  dort  sehr  wohl. 

Ein  anderer  Herr,  den  ich  seit  25 
Jahren  mit  Basedowerkrankung  kenne, 
kam  von  Europa  hierher  und  befand 
sich  sehr  schlecht  in  New  York.  In 
diesem    schlechten    Zustand    ging  er 


^ew  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


289 


nach  Los  Angeles  und  lebt  dort  seit 
15  Jahren  in  verhältnismässig  gutem* 
Zustand.  Das  Klima  hat  sicher  einen 
Einfluss  auf  das  Verhalten  dieser 
Krankheit. 

Dr.  S.  J.  Meitzer  (Schlusswort)  : 
Die  Frage  des  Herrn  Dr.  T  a  1  m  e  y 
möchte  ich  dahin  beantworten,  dass  in 
der  Literatur  Angaben  vorhanden  sind 
über  Beziehungen  zwischen  Schild- 
drüse und  Akromegalie,  und  zwar  so- 
wohl experimentelle  wie  kasuistische. 
Die  Beziehungen  zwischen  Hypo- 
physe und  Schilddrüse  sollen  da  eine 
Rolle  spielen.  Ich  habe  mich  aber 
darauf  beschränkt,  hier  nur  jene  Tat- 
sachen zu  berichten , die, wie  ich  glaube, 
absolut  gesichert  sind.  Ich  möchte  fer- 
ner auch  ein  Wort  über  den  wissen- 
schaftlichen Wert  der  Antithyreoidin-, 
Rodagen-  und  dergleichen  Behandlung 
sagen.  Die  Literatur  enthält  kasuis- 
tische Angaben  für  und  dagegen,  mehr 
dagegen  als  dafür.  Die  meisten  be- 
kannten Kliniker  haben  sich  ablehnend 
ausgesprochen. 

Dann  möchte  ich  noch  mit  einigen 
Worten  auf  die  Behandlungsmethode 
von  Rogers  und  B  cebe  eingehen. 
Sie  spritzen  beim  Basedow  ein  Serum 
ein,  welches  von  Tieren  herrührt, 
denen  von  Basedow-Kröpfen  berei- 
tetes reines  Nukleoproteid  eingespritzt 
wurde.  Ich  habe  seiner  Zeit  in  Wash- 
ington (Mai  1906)  in  der  Diskussion 
über  Beeb  e's  Vortrag  bereits  darauf 
hingewiesen,  dass  B  e  e  b  e  für  sein 
Vorgehen  durchaus  keine  wissen- 
schaftliche Unterlage  besitzt.  Auf 
Grund  seiner  ursprünglichen  Versuche 
mit  Organ-Nukleoproteiden  müsste  er 
erwarten,  dass  solche  Einspritzungen 
zu  Nekrose  der  Schilddrüse  und  Tod 
des  Tieres  führen  müsste,  nicht  aber 
zur  Heilung.  Uebrigens  sind  auch 
seine  ersten  Resultate  nachträglich 
von  P  e  a  r  c  e  bestritten  worden.  Die 
Methode  müsste  im  besten  Falle  nur 
als  eine  empirische  und  nicht  als  eine 
wissenschaftliche  Errungenschaft  an- 
gesehen werden. 

Therapeutisch  scheint  aus  den  ex- 
perimentellen Angaben  in  der  Litera- 
tur eine  Sache  fest  zu  stehen,  nämlich 
dass  nicht  bloss  für  Myxoedem,  son- 
dern auch  für  Basedow  und  Tetanie 


eine  Fleischnahrung  schädlich  und 
Milchnahrung  nützlich  ist.  Bekannt- 
lich wird  die  B  a  s  e  d  o  w'sche  Krank- 
heit schon  seit  vielen  Jahren  von  man- 
chen Aerzten  mit  einer  exklusiven 
Milchdiät  behandelt. 

Ich  möchte  auch  mit  ein  paar  Wor- 
ten auf  die  Beobachtungen  zurück- 
kommen, welche  Herr  Dr.  K  a  m- 
merer  erwähnt  hat.  Der  rasche, 
tödliche  Verlauf  mit  Fieber  und  unge- 
wöhnlich frequentem  Puls  ist  eine  sehr 
auffällige  Erscheinung.  In  der  Litera- 
tur findet  sich  sehr  wenig  Diskussion 
über  die  Natur  und  Ursache  dieses 
Verlaufes,  obschon  die  Erfahrungen 
nicht  vereinzelt  da  stehen.  Albert 
Kocher  hat  in  seinem  jüngst  ge- 
haltenen Vortrag  in  Atlantic  City  die 
Bemerkung  gemacht,  dass  die  betref- 
fenden Zufälle  wohl  durch  Blutresorp- 
tion zu  Stande  kommen.  Diese  Er- 
klärung befriedigt  nicht,  da  doch  oft 
genug  viel  Blut  resorbiert  wird,  ohne 
dass  der  (  Organismus  mit  ähnlichen 
Symptomen  darauf  reagiert.  Eine  an- 
dere Erklärung  besagt,  dass  der  akute 
Zrstand  durch  eine  Ueberschwem- 
cnv.ug  des  Organismus  mit  viel  Schild- 
drüsensaft hervorgerufen  wird  verur- 
sacht durch  das  viele  Manipulieren  der 
Schilddrüse.  Auch  diese  Erklärung  ist 
keine  recht  befriedigende.  Ich  glaube, 
dass  das  auffällige  Phänomen  durch 
Bedingungen  hervorgerufen  wird,  die 
wir  jetzt  wahrscheinlich  noch  gar  nicht 
kennen. 

Dr.  H  e  r  m  a  n  n  Fis  che  r(Schluss- 
wort )  :  Ich  möchte  die  Frage  von  Dr. 
H  o  f  f  m  a  n  n  beantworten :  Die 
Stimmbänderlähmung,  die  nach  der 
Operation  entsteht,  ist  meist  die 
Schuld,  des  Chirurgen.  Die  Heilung 
dieser  Stimmbänderlähmung  ist  sehr 
selten,  während  die  Heilung  der  Läh- 
mung, die  vor  der  Operation  besteht, 
lediglich  durch  Druck  verursacht,  nach 
der  (  Operation  besser  wird. 

Die  Abstimmung  hat  die  Aufnahme 
des  Herrn  Dr.  G  e  o.  F.  S  l  r  a  u  b  erge- 
ben und  erklärt  der  Präsident  densel- 
ben als  regelrecht  erwähltes  Mitglied. 

Vorschläge  zur  Mitgliederschaft: 
Dr.  S  i  g  m  u  n  d  Deuts  c  h  und  Dr. 
Adolph  Baron  von  Dr.  H. 
|  Fischer,  Dr.  C.  F.  Laase  von  Dr. 


2QO 


New   Yorker   Medizinische  Monatsschrift. 


Theobald,  Dr.  G  1  o  g  a  n  von  Dr. 
C.  Pf  ister. 

Es  werden  folgende  Nominationen 
für  Beamten  für  das  Jahr  1908  ge- 
macht : 

Zum  Präsidenten :  Dr.  Carl  Beck. 

Zum  Vize-Präsidenten :  Dr.  G. 
Manheimer,  Dr.  C.  P  f  i  s  t  e  r. 

Zum  protokollierenden  Sekretär: 
Dr.  J.  A.  Beuermann,  Dr.  J. 
Heckmann. 

Zum  stellvertretenden  Protokolllier- 
enden  Sekretär :  Dr.  A.  Ripperger, 
Dr.  M.  H  e  i  m  a  n  n. 


Zum  korrespondierenden  Sekretär: 
•Dr.  H.  Fischer. 

Zum  Schatzmeister:  Dr.  S.  Brei- 
tenfeld. 

Aufnahme  -  Komitee :  Dr.  J.  W. 
Gl  ei  ts  mann,  Dr.  H.  J.  B  o  1  d  t, 
Dr.  H.  G.  Krause,  Dr.  F.  T  o  r  e  k, 
Dr.  C.  v.  Ramdoh  r,  Dr.  L.  Ewald, 
Dr.  J.  H  o  f  f  m  a  n  n,  Dr.  W.  Meyer 
(lehnt  ab). 

Hierauf  Schluss  und  Vertagung. 

Dr.  John  A.  Beuermann, 

Prot.  Sekretär. 


Therapeutische  und 

—  Kollargol  bei  Gonorrhöe.  Gans  in 
Philadelphia  berichtet  über  132  Fälle  von  aku- 
ter Gonorrhöe,  die  er  mit  Instillationen  der 
5%igen  Kollargollösung  behandelt  hat.  Statt 
wässeriger  Lösungen  verwandte  er  solche  in 
Mucilago  med.  Sassafras,  denen  er  grössere 
Reizlosigkeit  und  intensivere  Wirkung  zu- 
schreibt. Mit  dieser  Lösung  machte  er  vier- 
mal täglich  Instillationen  und  begann  damit 
schon  am  ersten  Tag  der  Behandlung,  ausser 
in  Fällen  von  hochgradigen  Entzündungser- 
scheinungen mit  Blutungen  (sog.  russischer 
Tripper).    Die  instillierte  Flüssigkeit  wurde 


klinische  Notizen. 

durch  seitliche  Kompression  der  Urethra  fünf 
Minuten  zurückgehalten.  Bei  dauernder  Trü- 
bung des  Urins,  falls  diese  nicht  auf  Phos- 
phate und  Urate  zurückzuführen  war,  ging 
Verfasser  mit  der  Konzentration  etwas  her- 
unter. Seine  Erfahrungen  mit  dieser  Behand- 
lung sind  folgende:  Subjektive  Reizsymptome 
wurden  nie  beobachtet;  Epididymitis  trat  in 
keinem  einzigen  Fall,  Urethritis  post.  sehr 
selten  auf.  Die  Majorität  der  Fälle  nahm 
einen  rascheren  Verlauf.  (Medical  Bulletin, 
1907,  Nr.  2.) 


Kleine  Mitteilungen. 


—  Klinische  Gesellschaft  des  deutschen  Ho- 
spitals und  Dispensarys  der  Stadt  New  York. 
Zweck  dieser  Gesellschaft,  die  am  13.  Dezem- 
ber in  das  Leben  gerufen  wurde,  ist  die  bes- 
sere wissenschaftliche  Ausnutzung  des  klini- 
schen Materials  im  Deutschen  Hospital  und 
Dispensary  sowie  die  Wiedererweckung  des 
Interesses  der  ehemaligen  Graduierten  des 
Hospitals  für  diese  Anstalt.  Ferner  sollen  da- 
durch die  wissenschaftlichen  Bestrebungen  der 
jüngeren  Aerzte  gefördert  und  engere  kol- 
legiale Beziehungen  zwischen  den  Aerzten  des 
Hospitals  und  des  Dispensarys  angebahnt  wer- 
den.   Berechtigt  zur  Mitgliedschaft  sind  alle 


Aerzte  des  Hospitals  und  Dispensarys,  die 
Hausärzte  des  Hospitals  sowie  die  der  Alumni 
Association  angehörigen  früheren  Hausärzte. 
Die  Sitzungen  der  Gesellschaft  finden  jeden 
zweiten  Freitag  im  Monat,  die  Monate  Juni 
bis  September  ausgenommen,  in  der  Kracko- 
wizer  Halle  des  Dispensarys  statt.  Die  klini- 
sche Arbeit  der  Gesellschaft  soll  hauptsächlich 
im  Vorstellen  und  Besprechen  klinischer  und 
pathologischer  Fälle  sowie  in  der  Bekanntgabe 
experimenteller  Forschungsresultate  bestehen. 
Formelle  Vorträge  sind  möglichst  zu  vermei- 
den. Bei  den  Sitzungen  darf  sowohl  english 
wie  deutsch  gesprochen  werden. 


)Scw  Yorker 

JVlecUzimscbe  JVIonatsscbnft 

Offizielles  Org-an  der 

DetitfdKn  medizinifdicti  Gefelircbaftett  der  Städte  Tim  Vor*, 
Chicago,  Clewland  und  San  Trancisco. 

Redigiert  von  Dr.  A.  Ripperger. 
Bd.  XIX.  New  York,  Januar,  1908.  No.  10. 

Originalarbeiten. 


Ueber  Psychotherapie.* 

Von  Dr.  med.  B.  Onuf  (Onufrowicz),  New  York. 


Die  Wechselbeziehungen  zwischen 
Psyche  und  Körper,  die  Abhängigkeit 
der  Integrität  der  Funktion  des  einen 
von  der  der  anderen  und  vice  versa,  ist 
eine  längst  gemachte  Erfahrung,  deren 
Anerkennung  sich  wohl  schon  in  dem 
alten  lateinischen  Motto  „Sit  mens  sana 
in  corpore  sano"  ausdrückte.  Trotzdem 
fand  lange  Zeit  dieses  gegenseitige  Ab- 
hängigkeitsverhältnis nicht  die  richtige 
Würdigung  unter  den  Aerzten.  Zu 
grosses  Gewicht  wurde  auf  die  direkte 
chemische  Wirkung  von  Medikamenten 
gelegt  und  es  dauerte  lange,  bis  sich  die 
Ueberzeugung  Bahn  brach,  dass  bei  vie- 
len Kuren,  die  der  Wirkung  von  Medika- 
menten zugeschrieben  wurden,  psychi- 
sche Momente  eine  viel  wichtigere, 
wenn  nicht  ausschliesslich  therapeutische 
Rolle  spielten.  Solche  psychische  Mo- 
mente waren:  Einwirkung  auf  die  Ge- 
mütsstimmung, Beseitigung  schädlicher 
psychischer  Faktoren,  die  Autorität  und 


*)  Vortrag,  gehalten  in  der  Deutschen  med. 
Gesellschaft  der  Stadt  New  York  am  2.  De- 
zember 1907. 


andere  persönliche  Eigenschaften  des 
Arztes  und  dergleichen  mehr. 

Dieselben  Betrachtungen,  die  sich  auf 
medikamentöse  Behandlung  beziehen, 
gelten  auch  mit  Bezug  auf  Elektro-  und 
Hydrotherapie.  Wie  ja  bei  mancher 
medikamentösen  Applikation  direkt  che- 
misch günstige  Beeinflussung  unzweifel- 
haft stattfindet,  so  haben  auch  Elektrizi- 
tät und  Hydrotherapie  als  solche  ihren 
Platz  in  der  Behandlung  von  Krankhei- 
ten. Doch  wurde  die  Wirkung  dieser 
Agentien  mancherseits  sehr  überschätzt. 
Die  erzielten  Erfolge  wurden  oft  bei- 
nahe ausschliesslich  der  Anwendung  die- 
ser Mittel  zugeschrieben.  Eine  solch 
einseitige  Deutung  erweckte  berechtig- 
terweise bei  nüchtern  denkenden  Aerz- 
ten gerechte  Zweifel.  So  entstand  denn 
eine  starke  Reaktion,  besonders  gegen 
Elektrotherapie,  die  dann  vielleicht  wie- 
der zu  weit  ging  d.  h.,  es  wurde  dann, 
hauptsächlich  von  Neurologen,  vielleicht 
dem  psychischen  Faktor  dieser  Behand- 
lungsweise  mit  fast  vollkommener  Ver- 
neinung der  direkten  Wirkung  zu  grosse 
Rechnung  geträgen. 


292 


New    Yorker   Medizinische  Monatsschrift. 


Die  erwähnte  Reaktion  wurde  in 
hohem  Grade  befördert  durch  die  Ent- 
deckung oder  Wiederentdeckung  der 
Phänomene  des  Hypnotismus.  Die  Er- 
kennung dieser  Phänomene  bewirkte  ei- 
nen bedeutenden  Umschwung  in  der 
Auffassungsweise  mancher  klinischen 
Erscheinungen  und  mancher  früher  er- 
zielten Heilresultate.  Vieles  Unver- 
ständliche wurde  jetzt  begreiflich.  Die 
L  i  e  b  a  u  1 1 — B  ernhei  m'sche  Schule 
demonstrierte  die  Suggestion  als  den  po- 
tenten Faktor  des  Hypnotismus  und  er- 
wies, dass  Hypnotismus  quasi  ein  physio- 
logisches Phänomen  und  nicht  der  Aus- 
druck eines  krankhaften  Zustandes,  vor- 
züglich der  Hysterie  sei,  wie  die  Pariser 
Schule  (Charcot)  gelehrt  hatte. 
Trotzdem  wurde  aber  die  Aehnlichkeit 
der  hypnotischen  Erscheinungen  mit 
denen  der  Hysterie  erkannt,  und  die  Auf- 
fassungsweise letzterer  Krankheit  wurde 
dadurch  bedeutend  gefördert. 

Die  grossen  Hoffnungen,  welche  auf 
die  Wirkungen  des  Hypnotismus  als  ei- 
ner Heilkraft  gebaut  wurden,  haben  sich 
nur  teilweise  verwirklicht.  Besonders 
bei  den  Psychosen  scheiterten  Versuche 
therapeutischer  Beeinflussung  daran, 
dass  solche  Kranke  fast  durchwegs  nicht 
in  den  Zustand  der  Hypnose  gebracht 
werden  konnten.  In  anderen  Fällen 
waren  die  Erfolge  oft  nur  temporär  und 
die  Kranken  wurden  so  sehr  von  der 
Hypnose  abhängig,  dass  sie  für  jedes 
Uebel,  das  sie  befiel,  zum  Arzt  gehen 
mussten,  um  sich  dasselbe  weghypnotisie- 
ren zu  lassen.  Es  machte  sich  denn  bald 
das  Bedürfnis  geltend,  die  Vorteile,  wel- 
che die  hypnotische  Behandlung  bot,  in 
mehr  wissenschaftlicher  Weise  zu  ver- 
wenden, d.  h.,  auf  psychologischer 
Grundlage  zu  arbeiten.  In  automatischer 
Weise  alles  anzusuggerieren,  was  .fehlte, 
oder  wegzusuggerieren,  was  nicht  da  sein 
sollte,  wurde  dem  wissenschaftlich  Den- 
kenden bald  zuwider.  Ein  tieferes  Ver- 
ständnis der  psychischen  Prozesse  schien 
für  rationelle  phychische  Beeinflussung 
unerlässlich.  So  begannen  denn  mehrere 
Autoren,  vorzüglich  aber  Breuer  und 


F  r  e  u  d,  J  a  n  e  t  und  andere,  die  psychi- 
schen Vorgänge  bei  bestimmten  Psycho- 
sen, besonders  der  Hysterie,  einem  ein- 
gehenden Studium  zu  unterwerfen,  und 
Breuer  und  Freudf)  kamen  auf 
diese  Weise  auf  eine  neue  Behandlungs- 
methode, welche  sie  die  kathartische  Me- 
thode nannten  und  in  folgender  Weise 
beschrieben : 

,,Das  kathartische  Verfahren  setzte 
voraus,  dass  der  Patient  hypnotisierbar 
sei,  und  beruhte  auf  der  Erweiterung  des 
Bewusstseins,  die  in  der  Hypnose  ein- 
tritt. Es  setzte  sich  die  Beseitigung  der 
Krankheitssymptome  zum  Ziele  und  er- 
reichte dies,  indem  es  den  Patienten  sich 
in  den  psychischen  Zustand  zurückver- 
setzen liess,  in  welchem  das  Symptom 
zum  ersten  Male  aufgetreten  war.  Es 
tauchten  dann  bei  dem  hypnotisierten 
Kranken  Erinnerungen,  Gedanken  und 
Impulse  auf,  die  in  seinem  Bewusstsein 
bisher  ausgefallen  waren,  und  wenn  er 
diese  seine  seelischen  Vorgänge  unter  in- 
tensiven Affektäusserungen  dem  Arzte 
mitgeteilt  hatte,  war  das  Symptom  über- 
wunden, die  Wiederkehr  desselben  auf- 
gehoben. Diese  regelmässig  zu  wieder- 
holende Erfahrung  erläuterten  die  bei- 
den Autoren  in  ihrer  gemeinsamen  Ar- 
beit dahin,  dass  das  Symptom  an  Stelle 
von  unterdrückten  und  nicht  zum  Be- 
wusstsein gelangten  psychischen  Vor- 
gängen stehe,  also  eine  Umwandlung 
(.Konversion')  der  letzteren  darstelle. 
Die  therapeutische  Wirksamkeit  ihres 
Verfahrens  erklärten  sie  sich  aus  der  Ab- 
fuhr des  bis  dahin  gleichsam  .einge- 
klemmten' Affektes,  der  an  den  unter- 
drückten seelischen  Aktionen  gehaftet 
hatte  (.Abreagieren').  Das  einfache 
Schema  des  therapeutischen  Eingriffs 
komplizierte  sich  aber  nahezu  alle  Male, 
indem  sich  zeigte,  dass  nicht  ein  einzel- 
ner (.traumatischer')  Eindruck,  sondern 
meist  eine  schwer  zu  übersehende  Reihe 


t)  Zitiert  von  S  i  g  m.  Freud:  Sammlung 
kleiner  Schriften  zur  Neurosenlehre  aus  den 
Jahren  1893 — 1906,  pp.  218/219.  (Die  Freud'- 
sche  psycho-analytische  Methode.) 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


293 


von  solchen  an  der  Entstehung  des 
Symptoms  beteiligt  sei. 

Der  Hauptcharakter  der  kathartischen 
Methode,  der  sie  in  Gegensatz  zu  allen 
anderen  Verfahren  der  Psychotherapie 
setzt,  liegt  also  darin,  dass  bei  ihr  die 
therapeutische  Wirkung  nicht  einem 
suggestiven  Verbot  des  Arztes  übertra- 
gen wird.  Sie  erwartet  vielmehr,  dass 
die  Symptome  von  selbst  verschwinden 
werden,  wenn  es  dem  Eingriff,  der  sich 
auf  gewisse  Voraussetzungen  über  den 
psychischen  Mechanismus  beruft,  ge- 
lungen ist,  seelische  Vorgänge  zu  einem 
anderen  als  dem  bisherigen  Verlauf  zu 
bringen,  der  in  die  Symptombildung  ein- 
gemündet hat." 

Mit  dieser  Methode  wurde  ein  bedeu- 
tender Schritt  vorwärts  gewonnen ;  der 
Hypnotismus  fand  dadurch  eine  genug- 
tuendere,  rationellere  Verwertung.  Zu 
vergessen  ist  auch  nicht,  dass  das  Stu- 
dium der  Phänomene  des  Hypnotismus 
selbst  reichlich  zum  Verständnis  der  psy- 
chologischen Vorgänge  bei  der  norma- 
len sowohl  als  erkrankten  Psyche  bei- 
trug. Doch  stellten  sich  trotz  der  ge- 
wonnenen Fortschritte  der  therapeuti- 
schen Anwendung  der  Hypnose  wichtige 
Gründe  entgegen.  Viele  Aerzte  hatten 
vor  allem  einen  grossen  Widerwillen  da- 
gegen, sich  dadurch  blosszustellen,  dass 
ihnen  Versuche,  den  hypnotischen  Schlaf 
oder  gewisse  Suggestionen  herbeizufüh- 
ren, misslangen.  Einem  Patienten  zu  sa- 
gen, ,,so,  jetzt  können  Sie  den  Arm  nicht 
mehr  bewegen,  er  ist  wie  festgenagelt", 
und  ihn  dann  in  kräftiger  Weise  damit 
herumfuchteln  zu  sehen,  ist  eine  ziemlich 
peinliche  Situation,  und  häufige  Wieder- 
holung solcher  Begebenheiten  nimmt 
dem  betreffenden  Arzte  bald  das  für  er- 
folgreiche Durchführung  der  Hvpnose 
unerlässliche  Vertrauen  und  lässt  ihn  vor 
dem  Patienten  in  einem  komischen 
Lichte  erscheinen  und  bedeutend  an  sei- 
ner Autorität  einbüssen.  So  habe  ich 
denn  manchen  Kollegen  auf  Grund  sol- 
cher Erfahrung  der  Hypnose  Valet  sa- 
gen gesehen.  Ausserdem  fürchten  sich 
manche  Patienten,  sich   sozusagen  dem 


Arzt  quasi  mit  Leib  und  Seele  in  die 
Hand  zu  geben,  ihm  eventuell  ungewoll- 
ter und  unbewusster  Weise  Geheimnisse 
anzuvertrauen,  die  er  für  sich  behalten 
möchte,  etc.  Um  letzterem  Umstand  ab- 
zuhelfen, wurde  vielerseits  die  hypnoti- 
sche Suggestion  durch  die  Wachsugges- 
tion ersetzt. 

Mit  Recht  macht  übrigens  D  u  b  o  i  s 
auf  die  Nachteile  der  therapeutischen 
Verwendung  selbst  der  Wachsuggestion 
aufmerksam.  Er  betont,  dass  die  Sug- 
gestibilität  ein  Fehler  sei  und  dass  das 
Individuum,  welches  die  Integrität  seines 
gesunden  Menschenverstandes  erhalten 
und  sich  seine  geistige  Gesundheit  zu- 
sichern wolle,  jeden  Augenblick  an  seine 
Vernunft  appellieren  und  seine  Mentali- 
tät überwachen  müsse.  Er  werde  viel- 
leicht dadurch  den  geringen  Vorteil  ver- 
lieren, eines  Tagen  durch  die  Prozedur 
der  Hypnose  geheilt  werden  zu  können, 
aber  denjenigen  gewinnen,  seinen  natür- 
lichen Autosuggestionen  zu  entwischen. 
Bekannt  sei  aber,  dass  es  besser  ist, 
Krankheiten  vorzubeugen,  als  sie  zu  hei- 
len. 

D  u  b  o  i  s'  Behandlugsmethode,  auf 
dem  ausgesprochenen  Grundsatze  fus- 
send,  ist  daher  vorzüglich  eine  der  mo- 
ralischen Erziehung  und  Ueberredung, 
gewissermassen  eine  moralische  Hygiene 
und  Orthopädie. 

Die  Zustände,  welche  dieser  Behand- 
lung zugänglich  sind,  sind  die  Psycho- 
neurosen,  zu  denen  ja  die  Neurasthenie, 
Hysterie  und  verwandte  Zustände  zäh- 
len; unter  anderen  auch  gewisse  Depres- 
sionszustände.  Grosses  Gewicht  legt 
D  u  b  o  i  s  darauf,  den  Patient  schonen- 
derweise auf  die  Natur  seines  Uebels 
aufmerksam  zu  machen,  was  mit  gros- 
sem Takt  geschehen  muss.  Patienten 
werden  durch  die  Versicherung,  dass 
ihre  Krankheit  auf  Einbildung  beruht, 
sehr  verletzt,  und  füglich  so,  denn  ihr 
Leiden  ist  für  sie  nicht  eingebildet,  son- 
dern sehr  real.  Trotzdem  sind  sie  aber 
der  Einsicht  zugänglich,  dass  die  Vor- 
stellung einen  gewaltigen  Einfluss  auf 
Entwicklung    oder    Beibehaltung  oder 


294 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


Vermehrung  ihrer  Symptome  haben 
kann,  und  diese  Einsicht  hat  oft  einen 
zauberhaft  günstigen  Einfluss  auf  den 
Verlauf  der  Krankheit.  D  u  b  o  i  s  ver- 
nachlässigt aber  nicht,  auch  die  Patien- 
ten auf  die  normalen  psychologischen 
Vorgänge  und  die  Bedingungen,  unter 
denen  diese  stattfinden,  aufmerksam  zu 
machen,  um  ihnen  zu  zeigen,  nach  wel- 
cher Richtung  sie  sich  verfehlen. 

Wir  sehen  hier  also  eine  vollkommene 
Verzichtleistung  auf  Behandlung  durch 
Hypnose  und  Anwendung  einer  rationel- 
len moralischen  und  psychischen  Be- 
handlung, basierend  auf  einem  Studium 
der  Funktionen  des  Nervensystems  im 
allgemeinen  und  deren  Beziehung  zur 
Psyche. 

Nur  unter  Kenntnis  dieser  Vorgänge 
kann  eine  richtige  psychische  Hygiene 
und  Orthopaedie  erzielt  werden. 

Lassen  Sie  uns  hier  ein  Beispiel  wäh- 
len, das  der  habituellen  Konstipation. 
Wie  oft  wird  dem  Neurotiker,  der  die- 
sem Uebel  so  häufig  unterworfen  ist,  an- 
geordnet, sich  viel  Bewegung  zu  ver- 
schaffen. Sorgfältige  Beobachtung  lehrt 
aber,  wie  unwirksam  oder  manchmal  ge- 
radezu schädlich  so  eine  Vorschrift  sein 
kann,  wenn  sie  nicht  in  richtigem  Sinne 
gefasst  ist.  Die  Bewegung  an  sich,  sei 
es  Spazierengehen  oder  Gymnastik  oder 
Radfahren  oder  Kegeln  etc.,  ist  für  die 
Reparation  der  gestörten  Darmfunktion, 
wie  sie  sich  bei  der  habituellen  Konstipa« 
tion  vorfindet,  durchaus  nicht  förderlich. 
In  den  Fällen,  in  denen  dieselbe  von 
Nutzen  ist,  ist  der  Nutzen  nicht  durch 
die  Bewegung  selbst  hervorgerufen,  son- 
dern durch  die  Relaxation  der  geistigen 
Tätigkeit,  die  mit  der  betreffenden  Lei- 
besübung verbunden  ist.  Findet  diese 
psychische  Relaxation  dabei  nicht  statt, 
so  ist  alle  Bewegung  umsonst.  Die 
Darmfunktion  nimmt  sozusagen  ein  be- 
stimmtes Quantum  Psyche  für  sich  in 
Anspruch  und  muss  leiden,  wenn  sie  das- 
selbe nicht  erhält.  Ist  die  Psyche,  zum 
Ausschluss  alles  anderen,  von  einem  ge- 
wissen Gedankenkreis  eingenommen,  so 


bleibt  gewissermassen  für  den  Darm 
nichts  mehr  davon  übrig. 

In  solchen  Fällen  kann  Bewegung  ge- 
radezu schädlich  sein ;  der  Patient 
braucht  dann,  im  Gegenteil,  zeitweise 
volle  körperliche  und  psychische  Rube. 
Eine  halbe  Stunde  auf  dem  Sofa  liegen, 
wird  ihm  viel  mehr  nützen  als  ein  langer 
Spaziergang  oder  andere  Körperübung. 

Eine  interessante  Bestätigung  in  ge- 
wissem Sinne  finden  obige  Ausführun- 
gen in  den  von  Dr.  Joseph  Merz- 
bach:!:) angestellten  Untersuchungen. 
Dieser  Autor  zog  bei  233  Briefträgern, 
243  Schutzleuten  und  102  Bureaubeam- 
ten, also  einem  Material  von  Beamten 
mit  exzessiver,  mässiger  und  geringer 
Körperbewegung,  Erkundigungen  ein 
über  den  Stuhlgang  und  kam  zu  folgen- 
den, allerdings  mit  einer  gewissen  Re- 
serve gestellten  Schlüssen :  „Rube  und 
gewohnheitsmässige  Bewegung,  aber 
nicht  exzessive  Bewegung,  sind  in  ihren 
funktionellen  Resultaten  gleichwertig. 
Starke  Bewegung  hat  allerdings  einen 
die  Darmfunktion  beeinflussenden  Fak- 
tor, der  aber  seine  Wirkung  bei  weitem 
häufiger  in  einer  hemmenden  als  anre- 
genden Wirkung  ausübt.  Ruhe  wirkt 
am  allerwenigsten  fd.  h.  im  geringsten 
Prozentsatze)  günstig,  aber  auch  bei 
weitem  weniger  ungünstig  als  die  mäs- 
sige  und  exzessive  Bewegung". 

Von  grosser  Wichtigkeit  ist  auch  das 
Verhalten  beim  Stuhlgang  selbst.  Der 
Darm  nimmt  auch  hier  behufs  richtiger 
Funktion  einen  bestimmten  Anteil  der 
Psyche  in  Anspruch.  Der  Stuhlgang  ist 
aber  nur  zum  geringen  Teil  ein  Willens- 
akt, sondern  wird  zum  grösseren  Teil 
durch  die  vom  Willen  nicht  beeinfluss- 
bare Darmbewegung  hervorgerufen. 
Pressbewegungen,  wenn  nicht  im  richti- 
gen Momente  erfolgend,  sind  daher 
nicht  nur  erfolglos,  sondern,  weil  sie  ent- 
mutigend wirken,  geradezu  dem  Resultat 


t)  Der  Einfluss  der  Körperbewegung  auf  die 
Darmfunktion.  Archiv  für  Verdauungskrank- 
heiten.   Bd.  XI,  Heft  6. 


New    Yorker   Medizinische  Monatsschrift. 


295 


hinderlich.  Die  Rolle  der  Psyche  muss 
sich  dagegen  darin  äussern,  dass  man 
den  Darmreizen  sozusagen  Gehör 
schenkt,  indem  man  denselben  nachgibt. 
Dies  geschieht  nun  hauptsächlich  durch 
Relaxation  des  Sphinkters,  welche  in  sol- 
chem Fall  stets  einen  Abgang  von  Gasen 
zur  Folge  hat  und  dadurch  weitere  Be- 
wegung der  Fökalmasse  begünstigt.  Auf 
diese  Weise  unterstützt  das  Bewusstsein 
indirekt  die  peristaltische  Bewegung  des 
Darms,  die  es  direkt  nicht  beeinflussen 
kann.  Der  Kranke  braucht  deshalb  auch 
durchaus  nicht  entmutigt  zu  sein,  wenn 
bloss  Gasabgang  und  keine  Defäkation 
erfolgt ;  denn  die  Bewegung  der  Fäkal- 
massen ist  trotzdem  dadurch  befördert 
worden  und  beim  nächsten  Versuch  wird 
auch  der  Stuhlgang  selbst  folgen,  beson- 
ders wenn  der  Patient,  wie  ich  meistens 
empfehle,  zweimal  täglich  Darmentleer- 
ung versucht.  Lässt  man  sich  beim 
Stuhlgang  keine  Muse  und  schenkt  den 
Darmreizen  keine  Beachtung, .  weil  der 
Kopf  mit  anderen  Sachen  beschäftigt 
und  man  bemüht  ist,  schnell  fertig  zu 
werden,  so  fallen  in  erster  Linie  die  ge- 
nannten Darmreize  oft  aus,  oder  viel- 
mehr, sie  werden  durch  die  Ueberwältig- 
ung  des  anderen  Bewusstseininhalts 
psychisch  unterdrückt,  und  zweitens  ist 
die  Aufmerksamkeit  zu  sehr  abgelenkt, 
um  richtig  darauf  zu  reagieren,  und  so 
bleibt  die  Wirkung  aus. 

Es  ist  hiemit  der  Gegenstand  der  ha- 
bituellen Konstipation  nicht  erschöpft. 
Meine  Absicht  war  nur,  die  Wichtigkeit 
des  psychischen  Faktors  bei  Behandlung 
solcher  Zustände  zu  betonen  und  zum 
Schluss  auf  die  glänzenden  Resultate 
aufmerksam  zu  machen,  die  in  vielen 
Fällen  durch  solche  rein  psychische  Be- 
handlung zu  erzielen  sind,  wovon  D  u- 
b  o  i  s'  Erfahrung  besonders  beredtes 
Zeugnis  ablegt. 

Wählen  wir  ein  anderes  Beispiel,  Stö- 
rung des  Schlafes.  Diesem  Uebel  sind 
viele  Neurotiker  unterworfen,  und  um  es 
richtig  zu  behandeln,  ist  ein  genaues  Stu- 
dium der  Bedingungen  erforderlich,  die 
zur  Störung  geführt  haben,  wie  auch  an- 


derseits Kenntnis  der  Physiologie  des 
normalen  Schlafes.  Manche  Kranke  fin- 
den deshalb  den  Schlaf  nicht,  weil  sie 
durchaus  schlafen  wollen.  Da  aber  der 
Schlaf  normalerweise  kein  Willensakt 
ist,  so  erzielen  sie  damit  gerade  das  Ge- 
genteil, d.  h.,  sie  finden  den  Schlaf  nicht. 
Nur  wenigen  Leuten  ist  es,  wie  Napo- 
leon I.  möglich,  sich  zu  sagen,  ich  muss 
schlafen,  ergo  werde  ich  schlafen.  Wie 
D  u  b  o  i  s  dies  so  hübsch  ausdrückt  und 
seinen  Patienten  als  Verhaltungsregel 
vorlegt,  verhält  es  sich  mit  dem  Schlafe 
wie  mit  einer  Taube.  Sie  kommt  zu  ei- 
nem, wenn  man  sich  das  Ansehen  gibt, 
sie  nicht  herbeizulocken.  Sie  flieht,  so- 
bald man  versucht,  sie  zu  erwischen.  So 
finden  viele  Patienten  dadurch  ihren 
Schlaf  wieder,  dass  sie  sich  mit  der  Idee 
trösten,  eventuell  ohne  Schlaf  auszukom- 
men. 

Beispiele  solcher  Art  Hessen  sich  in 
beliebiger  Anzahl  beibringen,  es  würde 
aber  zu  weit  führen,  sich  darüber  auszu- 
breiten. 

Doch  möchte  ich  über  eine  Erschein- 
ung, die  bei  Neurotikern  von  besonderer 
Wichtigkeit  ist,  einige  Worte  sagen ;  ich 
meine  die  Ermüdung.  Physiologischer- 
weise wird  es  passend  sein,  in  der  Er- 
müdung quasi  3  Momente  oder  Stufen 
zu  unterscheiden,  die  wohl  wahrschein- 
lich auch  evolutioneil,  d.  h.  vom  L  a- 
marck-Darwi  n'schen  Standpunkt 
begründet  sind.  Die  niedrigste  Stufe  der 
Ermüdung  ist  wohl  die  Muskelermü- 
dung. Dieselbe  findet  statt,  wenn  der 
Muskel  infolge  Stoffverbrauchs  einfach 
nicht  mehr  weiter  arbeiten  kann.  Dies 
ist  ökonomischerweise  wohl  die  ungün- 
stigste Form,  da  nach  vollkommener 
Energieerschöpfung  Restauration  der 
Funktion  lange  Zeit  in  Anspruch  nimmt, 
und  keine  Reserveenergie  für  unvorher- 
gesehene Erfordernisse  übrig  ist.  Die 
zweite  Entwicklungsstufe  ist  durch  das 
Zutreten  des  Ermüdungsgefühles  gege- 
ben. Dasselbe  stellt  eine  Schutzvorrich- 
tung dar,  mittelst  deren  man  veranlasst 
wird,  die  Muskelarbeit  einzustellen,  be- 
vor   vollkommene  Energieerschöpfung 


296 


New    Yorker   Medizinische  Monatsschrift. 


stattgefunden  hat.  Es  bleibt  also  noch 
ein  Reservevorrat  von  Muskelenergie  für 
Notfälle  übrig  und  man  ist  dadurch 
gegen  Ueberschreitung  der  Sicherheits- 
schwelle der  Arbeit  geschützt.  Die 
dritte  Instanz  stellt  das  Gefühl  der  De- 
pression dar,  welches  hochgradige  Er- 
müdung hervorruft,  die  düstere,  pessi- 
mistische Stimmung,  die  dann  eintritt. 
Dieselbe  repräsentiert  eine  noch  höhere 
Stufe  des  Schutzes,  denn  während  wir 
unter  gewissen  Bedingungen  geneigt 
sein  möchten,  die  Warnung,  die  uns  das 
Ermüdungsgefühl  geben  sollte,  zu  ver- 
nachlässigen, hindert  uns  das  Unlustge- 
fühl,  die  Depression,  welche  auf  starke 
Ermüdung  folgt,  an  dieser  Vernachläs- 
sigung. Die  so  hervorgerufene  Willens- 
hemmung dient  uns  zur  Warnung  gegen 
übermässige  Ausgabe  von  Energie.  Nun 
kommt  es  allerdings  oft  vor,  dass  das 
Quantitätsverhältnis  zwischen  diesen  3 
Instanzen  gestört  ist.  So  ist  beim  Neu- 
rastheniker  und  anderen  Neurotikern  das 
Ermüdungsgefühl  ungewöhnlich  stark ; 
er  wird  sehr  leicht  müde,  und  die  Ermü- 
dung führt  bei  ihm  vielleicht  ungewöhn- 
lich leicht  zur  Depression.  Andererseits 
wird  von  manchem  Neurotiker  das  Er- 
müdungsgefühl durch  Stimulation,  z.  B. 
Tabak,  unterdrückt,  und  die  zum  Schutz 
vor  Ueberarbeitung  notwendige  Depres- 
sion wird  dadurch  hinangehalten  und 
durch  Verlust  dieser  Schutzvorrichtung 
kommt  es  dann  zu  exzessivem,  oft  irre- 
vokablem  Kräfteverbrauch. 

Andererseits  kann  bei  Leuten,  die  sich 
hauptsächlich  intellektuell  beschäftigen, 
die  durch  Ermüdung  hervorgerufene 
psychische  Depression  sich  hypertro- 
phisch entwickeln,  ganz  ausser  Propor- 
tion mit  der  wirklichen  Ermüdung.  Ein 
solches  Missverhältnis  mag  wohl  die 
Grundlage  des  Pessimismus  bilden. 

Es  ist  ferner  zu  betonen,  dass  die  leicht 
ermüdbaren  Neurotiker  gewöhnlich  auch 
gemütlich  sehr  erregbar  sind,  und  da 
Emotion  einen  sehr  mächtigen  ätiologi- 
schen Faktor  psychischer  Ermüdung  dar- 
stellt, finden  wir  bei  diesen  Patienten  oft 
einen  ausgesprochenen  Circulus  vitiosus. 


Nur  unter  gebührender  Berücksichtig- 
ung dieser  Faktoren  können  solche 
Kranke,  hauptsächlich  Neurastheniker, 
richtig  behandelt  werden. 

Ich  möchte  Sie  nun  auf  gewisse 
Symptomenkomplexe  aufmerksam  ma- 
chen, bei  denen  Kenntnis  des  Zusammen- 
hangs gewisser  physiologischer  Vor- 
gänge mit  der  Psyche  ganz  besonders 
wichtig  ist  und  als  Richtschnur  für  die 
Behandlung  sich  erweist.  Manche  da- 
von hat  W.  Prince  als  Associations- 
neurosen  bezeichnet.  Ich  gebe  Ihnen 
hier  drei  Beispiele  und  beginne  den  Be- 
richt mit  dem  folgenden  von  mir  selbst 
gesehenen  Falle. 

Ein  junges  Mädchen  mit  ausgespro- 
chenen Stigmata  der  Hysterie  hat  einen 
intensiven  Blepharospasmus,  extreme 
Konvergenz  der  Augen,  Kontraktion 
der  Pupillen  und,  wie  sich  klar  ophthal- 
moskopisch nachweisen  lässe,  einen  star- 
ken Akkomodationskrampf.  Diese  Symp- 
tome einzeln  genommen  bleiben  ganz 
unverständlich,  zusammengenommen  da- 
gegen lassen  sie  sich  folgendermassen 
erklären.  Bei  einem  hysterischen  Mäd- 
chen entwickelt  sich,  auf  Grund  eines 
leichten  Refraktionsfehlers  (Astigm.  und 
Myopie),  dadurch  dass  sie  Gegenstände, 
um  sie  besser  zu  sehen,  stets  näher  und 
näher  bringt,  ein  habitueller  Krampfzu- 
stand des  Apparates  der  binokulären 
Fixation,  Fixation  besteht,  wie  wir  wis- 
sen, in  Konvergenz  der  Augenachsen, 
Akkomodation  der  Linsen  und  Kontrak- 
tion der  Pupillen.  Die  Kranke  hat  es 
so  zur  Gewohnheit  gemacht,  diesen  Ap- 
parat nur  für  Nähefixation  zu  benutzen, 
dass  sie  nicht  mehr  im  stände  ist,  den- 
selben zu  erschlaffen ;  so  spaltet  sich 
quasi  dieser  physiologische  Apparat  von 
der  Psyche  ab  und  agiert  in  gewisser 
Weise  selbstständig.  Andererseits  ist  der 
Blepharospasmus  sekundär  auf  dem 
Krampf  des  Apparates  der  Fixation  auf- 
gebaut. Er  entwickelte  sich  während  ei- 
ner temporären  Besserung  des  Fixations- 
krampfes.  Mit  dieser  Besserung,  d.  h., 
mit  der  Erschlaffung  dieses  Apparates, 
ging  eine  Erweiterung  der  Pupille  natur- 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


297 


gemäss  Hand  in  Hand.  Da  aber  durch 
frühere  habituelle  Verengung  der  Pupil- 
len das  Auge  nur  stets  wenig  Licht  er- 
hielt, so  wurde  durch  die  nun  mit  der 
Besserung  eintretende  Erweiterung  der 
Pupille  die  Retina  lichtscheu  und  es  er- 
folgte dann  als  natürlicher  Schutzreflex 
ein  Zukneifen  der  Lider,  ein  ausgespro- 
chener Blepharospasmus. 

Die  Behandlung,  die  ich  in  diesem 
Falle  nicht  verfolgen  konnte,  musste  so- 
wohl dem  Fixationskrampf  als  dem  Ble- 
phorospasmus  Rechnung  tragen.  Also 
Lähmung  der  Akkomodation  durch 
Atropin  und  Tragen  dunkler  Gläser  zur 
Bekämpfung  der  Lichtscheu ;  dann  all- 
mählige  Ersetzung  der  dunklen  Gläser 
durch  weniger  dunkle  mit  allmähliger 
Abnahme  der  Atropindose,  d.  h.,  allmäh- 
lige  Verminderung  der  Akkomodations- 
lähmung und  der  Mydriasis.  Dabei  Er- 
klärung des  Sachverhaltes  der  Patientin 
gegenüber. 

Ein  überaus  interessanter,  hieher  ge- 
hörender Fall,  wurde  von  J  a  11  e  t  in 
klassischer  Darstellung  vor  der  Acade- 
my  of  Medicine  berichtet.  Es  handelte 
sich  gleichfalls  um  eine  ausgesprochene 
Hysterie.  Dieser  Kranken  wurden  we- 
gen gewisser  Sehbeschwerden  von  Prof. 
Dufour  der  eine  Nervus  opticus 
durchschnitten.  Trotzdem  fuhr  die 
Kranke  fort,  Sehstörungen  zu  haben,  die 
sie  auf  das  seines  Sehnerven  beraubte 
Auge  bezog  und  die  sie  für  die  meiste 
Zeit  beinahe  blind  machten,  trotzdem  das 
nicht  operierte  Auge  ganz  normal  war. 

Sorgfältiges  Studium  überzeugte  J  a- 
n  e  t,  dass  die  Kranke  unter  gewissen 
Umständen  ganz  normal,  ohne  Be- 
schwerden sehen  konnte,  und  es  zeigte 
sich,  dass  dies  jeweilen  der  Fall  war  in 
Sehakten,  die  normalerweise  nur  mit  ei- 
nem Auge  vollzogen  werden,  also  beim 
Schauen  durch  ein  Teleskop  oder  Mi- 
kroskop, oder  beim  Zielen  beim  Schies- 
sen etc. ;  dass  dagegen  beim  binokulären 
Sehen,  das  ja  beim  normalen  Menschen 
die  Norm  darstellt,  stets  jene  Störungen 
eintrafen,  die  sie  quasi  blind  machten. 
J  a  n  e  t     schloss     daher,     dass  die 


Kranke,  trotzdem  bei  ihr  der  eine 
Sehnerv  vollkommen  durchschnitten 
und  atrophiert  war,  sozusagen  nicht 
gelernt  hatte,  nur  mit  einem  Auge 
zu  sehen,  sondern  psychisch  fort- 
fuhr, beide  Augen  zu  gebrauchen,  d.  h. 
sich  in  irgendwelcher  Weise  der  opti- 
schen Zentren  beider  Augen  zu  bedienen. 
Nachdem  diese  Ueberzeugung  gewonnen 
war,  war  die  Behandlung  klar  vorge- 
zeichnet. Die  Kranke  musste  gelehrt 
werden,  stets  monokular  zu  sehen.  Dies 
wurde  dadurch  erreicht,  dass  vor  dem 
normalen  Auge  in  einem  brillenartigen 
Gestell  ein  einfaches  Rohr  angebracht 
wurde,  das  quasi  die  Rolle  eines  Fern- 
rohres übernahm,  obwohl  es  keine  Gläser 
erhielt.  Dies  Rohr  genügte,  sie  monoku- 
lar und  dabei  normal  sehen  zu  lassen. 
Indem  nun  das  Rohr  allmälig  kürzer  ge- 
macht wurde,  wurde  die  Patientin  zuletzt 
gelehrt,  auch  ohne  Rohr  monokular, 
d.  h.,  normal  zu  sehen. 

Das  richtige  Verständnis  wurde  von 
J  a  n  e  t  erst  nach  eingehendem  Studium 
erreicht,  und  mit  Recht  musste  es  ihm 
daher  komisch  erscheinen,  als  bei  seiner 
Uebernahme  des  Falles  die  Ophthalmo- 
logen, die  ihn  darüber  konsultiert  hatten, 
die  Aufforderung  an  ihn  stellten,  er  möge 
die  Krankheit  wegsuggerieren. 

Wäre  Janet  füher  konsultiert  wor- 
den, so  wäre  der  Kranken  die  ernste 
Operation  der  Durchschneidung  des  Seh- 
nerven, die  ja  durchaus  keine  Besserung 
des  Leidens  erzielte,  erspart  geblieben. 

Ich  schliesse  hier  einen  dritten  Fall  an,, 
der  von  Dr.  Mackenzie  aus  Balti- 
more berichtet  und  von  Morton 
Prince§)  zitiert  und  als  sogenannte 
Assoziationsneurose  klassifiziert  wird. 
Der  Fall  betraf  eine  Dame,  die  seit  Jah- 
ren an  heftigen  Anfällen  von  ,,rose  cold" 
oder  Heufieber,  begleitet  von  asthmati- 
schen Anfällen,  litt.  Sehr  geringe  Ver- 
anlassungen, wie  z.  B.  die  blosse  Anwe- 
senheit einer  Rose  im  gleichen  Zimmer, 


§)  Journal  of  Nervous  and  Mental  Diseases. 
(Association  Neuroses,  etc.)  May,  1897,  p. 
257. 


298 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


waren  genügend,  ausgesprochene  An- 
fälle dieser  Krankheit  hervorzurufen. 
Dr.  M  a  c  k  e  n  z  i  e,  die  Natur  des 
Uebels  ahnend,  machte  nun  folgendes 
Experiment :  Er  Hess  sich  eine  ausge- 
zeichnet imitierte  künstliche  Rose  herstel- 
len. Beim  nächsten  Besuch  der  Patien- 
tin in  seiner  Office,  nachdem  er  sich 
durch  Inspektion  der  Nasenschleimhaut 
überzeugt  hatte,  dass  dieselbe  frei  von 
Koryza  war,  hielt  er  plötzlich  die  bisher 
hinter  einem  Wandschirm  versteckte 
künstliche  Rose  vor  sie  hin.  Beinahe  so- 
fort entwickelte  sich  ein  heftiger  Anfall 
von  Koryza.  Ihre  Augen  füllten  sich 
mit  Thränen,  die  Konjunktiven  injizier- 
ten sich,  die  Puncta  lacrymalia  begannen 
heftig  zu  jucken,  das  Gesicht  rötete  sich, 
die  Nasenwege  wurden  obstruiert,  die 
Stimme  wurde  heiser  und  nasal.  Hiezu 
gesellten  sich  Niessreiz,  tatsächliche  Ab- 
sonderung von  Flüssigkeit  aus  der  Nase, 
Gefühl  der  Beklemmung  und  leichte  Be- 
einträchtigung der  Atmung.  Bei  der 
Untersuchung  zeigten  sich  die  Nasen- 
gänge fast  vollkommen  durch  die  ge- 
schwollenen und  geröteten  Nasenmu- 
scheln verlegt. 

Die  wahre  Natur  der  Rose  wurde  spä- 
ter der  Patientin  enthüllt,  mit  dem  Resul- 
tat, dass  sie  bei  ihrem  nächsten  Besuch 
das  Gesicht  in  einen  Strauss  wirklicher 
Rosen  vergrub,  ohne  nachteiligen  Erfolg. 

Dieser  Fall  ist  sehr  instruktiv.  Es 
handelt  sich  hier  um  eine  Krankheit,  die 
gewiss  jeder  für  organisch  halten  würde, 
denn  alle  Anzeichen  einer  wirklichen  ka- 
tarrhalischen Erscheinung  waren  vorhan- 
den, und  wahrscheinlich  war  dieselbe  ur- 
sprünglich durch  exogene  reizende 
Agentien,  vielleicht  die  Pollen  einer 
Rose,  hervorgerufen.  Später  assozierte 
sich  aber  die  Idee  der  Rose  so  stark  mit 
der  Aetiologie  der  Krankheit,  dass  selbst 
der  Anblick  einer  Rose  genügend  wurde, 
das  ganze  Krankheitsbild  zu  entfesseln. 
Also  könnte  eine,  ursprünglich  durch 
äusseren  Reiz  hervorgerufene,  Krankheit 
nachher  durch  die  psychische  Vorstel- 
lung ausgelöst  werden. 

Sie  sehen  also,  meine  Herren,  in  welch 


engem  Zusammenhang  die  Psyche  selbst 
mit  organischen  Prozessen  stehen  kann, 
und  wie  wichtig  es  therapeutisch  ist,  die- 
sen Zusammenhang  zu  erkennen. 

Weiter  oben  habe  ich  des  sogenannten 
kathartischen  Verfahrens  von  Breuer 
und  Freud  Erwähnung  getan.  Das- 
selbe ist  jüngstens  von  Freud  zur  so- 
genannten psychoanalytischen  Methode 
abgeändert  worden.  Letztere  ist  von  so 
weittragender  Bedeutung  für  die  Be- 
handlung gewisser  Psychoneurosen  und 
Psychosen,  dass  eine  eingehende  Bespre- 
chung derselben  am  Platze  ist.  Ihre  An- 
wendung gestaltet  sich  in  folgender 
Weise : 

Anstatt,  wie  früher,  die  Patienten  in 
Hypnose  zu  versetzen,  beeinflusst  er  die- 
selben im  Wachzustande.  Er  lässt  die 
Kranken  eine  bequeme  Rückenlage  auf 
einem  Ruhebett  einnehmen,  während  er 
selbst,  ihrem  Anblick  entzogen,  hinter 
ihnen  sitzt.  Schliessen  der  Äugen,  Be- 
rührung der  Kranken,  alles  was  an  Hyp- 
nose mahnen  könnte,  wird  vermieden. 
Er  lässt  sich  dann  mit  den  Kranken  in 
ein  Gespräch  ein,  in  welchem  die  letzteren 
die  Rolle  der  Erzähler  spielen.  „Es  wird 
ihnen  eingeschärft,  dass  sie  beim  Erzäh- 
len der  Krankengeschichte  sich  in  ihren 
Mitteilungen  gehen  lassen,  wie  man  es 
etwa  in  einem  Gespräch  tut,  bei  welchem 
man  aus  dem  Hundertsten  ins  Tausend- 
ste gerät.  Sie  müssen  alles  mitsagen, 
was  ihnen  durch  den  Kopf  geht,  auch 
wenn  sie  meinen,  es  sei  unwichtig  oder  es 
gehöre  nicht  dazu,  oder  es  sei  unsinnig. 
Mit  besonderem  Nachdruck  aber  wird 
von  ihnen  verlangt,  dass  sie  keinen  Ge- 
danken oder  Einfall  darum  von  der  Mit- 
teilung ausschliessen,  weil  ihnen  diese 
Mitteilung  beschämend  oder  peinlich 
ist."  Freud  konstatierte  nun  bei  Neu- 
rotikern  unter  Anwendung  dieser  Me- 
thode regelmässig  das  Vorhandensein 
von  Lücken  der  Erinnerung;  und  der 
Aufforderung,  dieselben  durch  ange- 
strengte Arbeit  der  Aufmerksamkeit  aus- 
zufüllen, wird  ein  starker  Widerstand  ge- 
leistet, d.  h.,  die  hiezu  sich  einstellenden 
Einfälle  werden  mit  allen  Mitteln  der 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


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Kritik  zurückgedrängt,  bis  sie  endlich 
das  direkte  Unbehagen  verspüren,  wenn 
die  Erinnerung  sich  wirklich  eingestellt 
hat. 

Freud  betrachtet  die  beseitigten  Ein- 
fälle als  Abkömmlinge  der  verdrängten 
psychischen  Gebilde  (Gedanken  und 
Regungen)  als  Enstellungen  derselben 
infolge  des  gegen  ihre  Reproduktion  be- 
stehenden Widerstandes.  Je  grösser  der 
Widerstand,  desto  ausgiebiger  diese  Ent- 
stellung. 

Die  therapeutische  Arbeit  besteht  nun 
darin,  „von  den  Einfällen  aus  zum  Ver- 
drängten, von  den  Entstellungen  zum 
Ensteilten  zu  gelangen,  auf  welche 
Weise,  auch  ohne  Hypnose,  das  früher 
Unbewusste  im  Seelenleben  dem  Be- 
wusstsein  zugänglich  gemacht  werden 
kann."  Zielbestrebung  ist,  „alle  Erin- 
nerungslücken auszufüllen,  alle  rätsel- 
haften Effekte  des  psychischen  Lebens 
aufzuklären  und  hiedurch  den  Fortbe- 
stand, ja  eine  Neubildung  des  Leidens 
unmöglich  zu  machen."  Dies  kann  aller- 
dings in  keinem  Falle  vollkommen  er- 
reicht werden,  jedoch  erzielt  man  in  vie- 
len Fällen  „die  praktische  Genesung  des 
Kranken,  die  Herstellung  seiner  Leis- 
tungs-  und  Genussfähigkeit." 

Zur  Erreichung  des  Zieles  ist  ein  Ver- 
ständnis des  psychischen  Mechanismus, 
mittelst  dessen  sich  die  Verdrängungen 
und  Entstellung  entwickeln,  unvermeid- 
lich, und  Freud  hat  durch  sorgfältiges 
Studium  eine  besondere  Deutungskunst 
ausgebildet,  deren  Grundzüge  teilweise 
in  einer  umfangreichen  Monographie, 
betitelt  „Traumdeutung",  ausgeführt 
sind. 

In  dieser  Deutungskunst  liefert  der 
folgende,  von  mir  gesehene  Fall,  eine  in- 
teressante Illustration  und  zeigt,  wie  ein- 
fach sich  in  manchen  Fällen  die  Therapie 
bei  richtigem  Verständnis  gestalten  kann, 
wie  leicht  aber  andererseits  mangelhaftes 
Verständnis  die  Heilung  verzögern  oder 
vollkommen  hintanhalten  kann : 

Es  handelte  sich  um  eine  junge  Frau, 
deren  Mann  vor  sechs  Monaten  nach 
Amerika  verreiste  und  sie  mit  einer  mür- 


rischen, wunderlichen  alten  Mutter  zu- 
rückliess.  Bald  nach  seiner  Abreise,  be- 
sonders aber  in  den  letzten  zwei  Mona- 
ten, weinte  sie  viel  und  war  nervös. 
Zirka  drei  Wochen  bevor  ich  die  Patien- 
tin zum  erstenmal  sah,  reiste  sie  dem 
Manne  nach  Amerika  nach.  Auf  dem 
Schiffe  nun  wurde  ihr  Verhalten  eigen- 
tümlich. In  jedem  hübschen  Manne  sah 
sie  ihren  Gatten,  änderte  aber  dann  so- 
gleich ihre  Ansicht,  spuckte  voll  Wider- 
willen vor  sich  hin  und  sagte,  nein,  er  ist 
nicht  mein  Gatte,  ich  will  meinen  wirkli- 
chen Gatten.  Sie  behauptete  auch,  dass 
ein  hochwüchsiger  Mann  sich  neben  ihr 
niedergelegt  und  verrückt  getan  hätte. 

Bei  der  Untersuchung,  gleich  bei  ihrer 
Ankunft  in  Amerika,  zeigte  sie  ein 
widerstreitendes  Verhalten,  bald  lachend, 
bald  weinend,  in  welchem  sich  aber  ein 
deutlich  erotischer  Zug,  eine  halb  verhal- 
tene Koketterie  geltend  machte.  Dabei 
war  sie  aber  wieder  gegen  Anfragen 
über  die  Ursache  ihres  Verhaltens  zu- 
rückhaltend, ablehnend.  Sie  äusserte  ein- 
oder  zweimal,  sie  wäre  keine  gute  Frau. 
Oft  standen  ihre  Gemütsäusserungen  in 
starkem  Widerspruche  zu  ihren  Reden. 
Man  konnte  von  ihr  keine  befriedigende 
Auskunft  über  Zeit  und  Ort,  über  ihre 
neuesten  Erlebnisse  erhalten ;  sie  sagte 
stets  in  ablehnender  Weise,  „ich  weiss 
nicht",  als  ob  sie  nichts  drum  gebe  und 
sich  nicht  bemühen  wolle,  darüber  nach- 
zudenken. 

Ein  hervorstechender  Punkt  war  die 
Gleichmütigkeit  gegen  ihr  ca.  3  Monate 
altes,  an  leichtem  Durchfall  leidendes 
Kind,  dessen  Pflege  sie  fast  ganz  der 
Mutter  überliess. 

Sie  glaubte  jetzt,  dass  der  hochwüch- 
sige Mann  auf  dem  Schiffe,  von  dem  sie 
früher  gesagt  hatte,  er  habe  sich  neben 
sie  hingelegt,  ein  Bruder  von  ihr  sei,  von 
dem  man  glaubte,  er  wäre  vor  dreizehn 
Jahren  gestorben.  Er  gleiche  sehr  einem 
Bilde,  das  sie  von  diesem  Bruder  habe. 
Dieser  Mann  sei  sehr  nett,  sehr  nobel  und 
sehr  gut  gegen  die  Kranken  auf  dem 
Schiffe  gewesen. 

Sie  zeigte  schon  von  Anfang  an,  be- 


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New   Yorker  Medizi 


nische  Monatsschrift. 


sonders  aber  im  weiteren  Verlauf,  eine 
gewisse  Angst,  die  sie  oft  mit  Lachen 
und  spassenden  Bemerkungen  maskierte, 
die  aber  stets  vorhanden  war  und  zeit- 
weise sehr  deutlich  zum  Vorschein  kam. 
So  dachte  sie  bei  einer  Gelegenheit,  sie 
wäre  in  einem  Gefängnis ;  sie  wisse 
nicht,  was  aus  ihr  werden  solle,  sie  wisse 
nicht,  was  aus  der  Mutter  und  dem  Kind 
geworden  sei  (letztere  befanden  sich  im 
anliegenden  Spital).  Sie  dachte,  ein  An- 
gestellter wollte  sie  umbringen,  lachend 
hinzufügend,  er  hätte  getan,  als  wollte  er 
ihr  den  Kopf  abhauen. 

Dann  wieder  glaubte  sie,  es  sei  ihr 
jemand  nach  Amerika  nachgekommen. 
Dieser  Jemand  war  zuerst  ein  Dr.  H., 
den  sie  vor  ihrer  Abreise  nach  Amerika 
konsultierte  habe  und  der  auf  sie  böse 
sei.  weil  sie  nicht  ein  zweitesmal  zu  ihm 
gegangen  sei.  Später  kam  ihr  vor,  der 
Mann,  der  als  Dr.  H.  figurierte,  wäre 
vielleicht  gar  nicht  der  Dr.  H.,  sondern 
ihr  Onkel,  welcher  die  Frau  und  Kinder 
im  Stiche  gelassen  hatte.  Er  wolle 
sie  vielleicht  vergewaltigen,  jedenfalls 
fürchte  sich  sich  vor  ihm. 

Sie  machte  allerlei  Personenverwechs- 
lungen. Einen  Mann  hielt  sie  für  den 
Dr.  H. ;  dann  wieder,  nachdem  er  wegge- 
gangen war,  frug  sie,  ob  er  nicht  „ihres 
Bruders  Vater  sei".  Einen  anderen 
Mann  hielt  sie  für  ihren  Verwandten,, 
dies  damit  begründend,  dass  er  ihr  das 
gesagt  habe,  während  es  im  Gegenteil  sie 
selbst  war,  die  das  kurz  vorher  gesagt 
hatte. 

Psychoanalytische  Deutung  des  Falles. 

Abwesenheit  des  Gatten  und  der  ge- 
schlechtlichen Beziehung  dienen  als  Kern 
für  die  Entwicklung  einer  Psychose  mit 
erotischem  Inhalt  und  mit  einer  gewis- 
sen Beneblung  des  Bewusstseins,  welches 
die  durch  äussere  Sinnesreize  empfange- 
nen Eindrücke  verwischt,  das  Urteilsver- 
mögen schwächt  und  so  den  psychoge- 
nen Vorstellungen  oder  Traumphanta- 
sien Geltung  verschafft  und  sie  als 
reell  erscheinen  lässt.    So  kommt  es  zu 


allerlei  Substitutionen  und  Personenver- 
wechslungen. 

Der  Anblick  schöner  Männer  erweckt 
erotische  Gefühle.  Gegen  das  Aufkom- 
men dieser  protestiert  das  Gefühl  eheli- 
cher Treue  und  der  Scham,  aber  die  Un- 
möglichkeit sie  zu  unterdrücken,  erweckt 
das  Bedürfnis,  sie  quasi  zu  legitimieren, 
indem  sie  diese  Männer  oder  einen  der- 
selben für  ihren  Gatten  hält.  Das  Be- 
dürfnis wird  in  dem  Zustand  der  Be- 
neblung des  Bewusstsein  leicht  zum 
Glauben.  Doch  wird  dasselbe  durch  eine 
höhere  psychische  Instanz  unterdrückt, 
was  sich  in  den  unter  grosser  Abscheu- 
bezeugung ausgesprochenen  Worten 
„nein,  er  ist  nicht  mein  Mann,  ich  will 
meinen  wirklichen  Mann"  ausdrückt. 
Zur  Rettung  der  Situation  kommt  dann 
gewissermassen  eine  bessere  Substitu- 
tion zu  Hilfe.  Der  nette,  edle,  hoch- 
wüchsige Mann  auf  dem  Schiffe  ist  nicht 
ihr  Gatte,  sondern  ihr  angeblich  vor  13 
Jahren  verstorbener  Bruder.  Diese  Sub- 
stitution ist  viel  besser  gerechtfertigt 
und  rationeller  und  erlaubt  den  Aus- 
druck von  Gefühlen  der  Zuneigung  und 
Zärtlichkeit.  Das  zu  Grunde  liegende 
sexuelle  Gefühl  findet  so  einen  legitimen, 
obwohl  nicht  genügenden  Abfluss. 

Die  verschiedenen  Furchtäusserungen 
lassen  sich  auch  am  besten  auf  einer  sex- 
uellen Basis  erklären,  nämlich  im  Gefühl 
der  (sexuellen)  Schuld,  welches  die  quasi 
an  die  illegitime  Adresse  gerichteten  Ge- 
fühle, trotz  der  scheinbar  erreichten 
Selbsttäuschung,  erwecken.  Dieses  Ge- 
fühl des  Unrechts  äussert  sich  auch  in 
ihrer  Bemerkung,  sie  sei  keine  gute  Frau  ; 
und  eine  Bestätigung  der  sexuellen  Basis 
zeigt  sich  in  der  Angst,  dass  der 
schlechte  Onkel,  der  Frau  und  Kinder 
im  Stiche  liess,  gekommen  sein  möge,  um 
sie  zu  vergewaltigen. 

Interessant  ist  die  Gruppierung  der 
Personenverwechslungen  um  zwei  Kern- 
punkte, nämlich  1)  um  den  Erotismus, 
welch  letzterer  sich  in  der  Angst  sexuel- 
ler Verfolgung  ausdrückt.  Den  eroti- 
schen Kernpunkt  bildet  der  hochwüch- 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


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sige  Mann,  den  sie  für  ihren  Bruder 
hält.  Die  anderen  verwechselten  Per- 
sonen sind  dann  der  „Vater  ihres  Bru- 
ders" und  der  „Bruder  ihres  Bruders"  ; 
eigentümliche  Ausdrücke,  die  nur  dann 
richtige  Würdigung  finden,  wenn  man 
im  Auge  behält,  dass  der  Bruder  doch 
für  sie  die  Rolle  des  Gatten  übernimmt. 
Diese  Auffassung  findet  auch  daran  ihre 
Stütze,  dass  sie  diese  Verwandtschaften 
aus  der  Aehnlichkeit  mit  dem  hoch- 
wüchsigen Manne  auf  dem  Schiffe  ab- 
leitet. 

Die  geschlechtliche  Verfolgung  wird 
repräsentiert  in  dem  schlechten  Onkel, 
der  Frau  und  Kinder  im  Stiche  Hess  und 
den  sie  bald  in  Dr.  H.,  bald  in  verschie- 
denen Leuten  ihrer  Umgebung  zu  sehen 
glaubt. 

Die  Richtigkeit  der  geschilderten  Auf- 
fassung des  Falles  findet  darin  Bestätig- 
ung, dass  im  Verlaufe  einiger  Besuche 
des  Gatten  das  Verhalten  der  Patientin 
sich  so  besserte,  dass  eine  baldige  Ge- 
nesung vorauszusehen  war. 

Es  würde  Ihre  Geduld  zu  sehr  in  An- 
spruch nehmen,  wollte  ich  alle  Zustände 
besprechen,  die  günstig  mit  der  psycho- 
analytischen Methode  beeinflusst  werden 
können.  Lassen  Sie  mich  nur  erwähnen, 
dass  manche  Zwangsvorstellungen  und 
Phobien,  gewisse  Hysterien,  Angstneuro- 
sen und  verwandte  Zustände  erfolgreich 
damit  behandelt  werden  können.  Aller- 
dings sind  für  Durchführung  derselben 
gewisse  Bedingungen  in  dem  Patienten 
erforderlich,  wie  ein  gewisser  Grad  von 
Bildung,  Intelligenz  und  ethischer  Ent- 
wicklung, die  Fähigkeit  zu  psychischen 
Normalzuständen.  Die  Behandlung 
nimmt  in  manchen  Fällen  Monate  und 
selbst  Jahre  in  Anspruch. 

Dass  die  Technik  dieser  Behandlungs- 
weise  durchaus  keine  leichte  ist,  geht  aus 
Obigem  hervor.  Dieselbe  setzt  bedeu- 
tende psychologische,  psychiatrische  und 
neurologische  Kenntnis  voraus.  Unrich- 
tige Anwendung  kann  ebenso  unheilvoll 


in  ihren  Folgen  sein  wie  unrichtige  An- 
wendung der  Röntgenstrahlen,  obwohl  in 
anderer  Hinsicht.  Die  Notwendigkeit 
der  Fachkenntnis  gilt  auch  für  die  Aus- 
wahl der  Fälle.  Gewisse  Krankheiten 
des  Nervensystems,  wie  Epilepsie,  Cho- 
rea, Tabes  dorsalis  und  andere  organi- 
sche Krankheiten  des  Rückenmarks  und 
Gehirns  fallen  ganz  ausserhalb  des  Be- 
reichs dieser  Methode.  Da  dagegen  die 
Unterscheidung  funktioneller  Krankhei- 
ten, z.  B.  der  Hysterie,  von  organischen 
Krankheiten  des  Nervensystems  oft  recht 
schwierig  ist,  zeigt  sich  die  Wichtigkeit 
bedeutender  Fachkenntnis,  da  es  ja  wohl 
niemanden  einfallen  würde,  z.  B.  eine 
Hirnsyphilis  auf  psychoanalytischem 
oder  überhaupt  psycho-therapeutischem 
Wege  heilen  zu  wollen. 

Der  Wirkungskreis  der  Psychothera- 
pie reicht  indessen  noch  weiter,  als  ich 
bisher  ausgeführt  habe.  Sehr  interessant 
sind  die  vergleichenden  Betrachtungen, 
die  Dr.  Adolph  Meyer  in  dieser  Be- 
ziehung über  die  Entstehung  der  Demen- 
tia praecox  und  andere  Psychosen  ange- 
stellt hat.  Sehr  füglich  vergleicht  er  ge- 
wisse psychiatrische  Probleme  mit  der 
Tuberkulosefrage  und  deutet  darauf  hin, 
dass  wie  die  Tuberkulose  jetzt  in  ihren 
Anfängen  zu  erkennen  ist  und  erfolg- 
reich bekämpft  wird,  es  unser  Bestreben 
sein  müsse,  Psychosen  in  ihrer  Entwick- 
lung, in  ihren  Anfängen  zu  studieren. 
Auf  diese  Art  werde  es  vielleicht  mög- 
lich werden,  solche  schwere  Zustände, 
wie  die  Dementia  praecox,  durch  ent- 
sprechende, auf  psychologischen  Prinzi- 
pien aufgebaute  Erziehung  im  Keime 
zu  ersticken. 

Meine  Herren,  das  Thema,  welches  ich 
hier  gewählt  habe,  ist  so  gross,  dass  icfi 
es  unmöglich  erschöpfend  behandeln 
konnte.  Ich  konnte  manchen  wichtigen 
Punkt  nur  berühren,  und  muss  Sie  um 
Nachsicht  bitten,  trotzdem  so  viel  von 
Ihrer  Zeit  in  Anspruch  genommen  zu 
haben.  64  E.  90th  St.,  New  York. 


302 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


Röntgenographie  des  Harnapparates.* 

Von  Dr.  Max  Reichmann,  Chicago. 


Gleich  nach  der  Veröffentlichung  der 
nun  historischen  drei  Mitteilungen 
Röntgen's  wurde  von  verschiedenen 
Forschern  die  Durchlässigkeit  von  Nie- 
rensteinen für  die  Röntgenstrahlen  ge- 
prüft, und  namentlich  Kümmel  und 
Riegel  haben  Leichenversuche  in  die- 
ser Hinsicht  gemacht  und  ermittelt,  dass 
in  Leichen  Oxalate  die  meisten  Strahlen 
absorbieren ;  ihnen  reihen  sich  die  Phos- 
phate und  Urate  an. 

In  vivo  liessen  diesbezügliche  Unter- 
suchungen lange  viel  zu  wünschen  übrig. 
Man  schob  die  Schuld  auf  zu  grosse 
Durchlässigkeit  der  Steine  oder  zu  ge- 
ringe Grösse  derselben  oder  endlich  zu 
grosse  Körperfülle  der  Patienten. 

In  Wirklichkeit  lag  die  Schuld  der 
vielen  Miserfolge  an  der  noch  wenig  aus- 
gebildeten Aufnahmetechnik. 

Mit  der  Verbesserung  der  letzteren, 
namentlich  mit  der  Einführung  der 
Kompressionsblenden  durch  A  1  b  e  r  s- 
Schönberg  änderte  sich  die  Sach- 
lage mit  einem  Schlage,  sodass  Rüm- 
pel ( 1903  in  seiner  Monographie  ,,Die 
Diagnose  der  Nierensteine")  mit  vollem 
Rechte  folgende  Behauptungen  aufstellen 
konnte : 

„Wir  haben  die  LJeberzeugung.  dass 
jeder  Stein,  mag  er  im  Nierenbecken,  in 
den  Kelchen  oder  im  Harnleiter  stecken, 
mag  er  aus  Oxal-  oder  Harnsäure,  aus 
phosphorsaurem  Kalk  oder  Cystin  be- 
stehen, mag  er  die  Grösse  einer  Erbse 
oder  die  eines  korallenartigen  Ausgusses 
des  Nierenbeckens  oder  der  Kelche  ha- 
ben, mag  er  endlich  von  einem  schlanken 
oder  korpulenten  Menschen  beherbergt 
werden,  kurz  dass  jeder  Stein  auf  der 
photographischen  Platte  mittelst  Rönt- 
genstrahlen dargestellt  werden  kann  un- 


*)  Nach  einem  am  21.  November  1907  in  der 
Deutschen  Medizinischen  Gesellschaft  zu  Chi- 
cago gehaltenen  Vortrage. 


ter  Voraussetzung  einer  gut  durchge- 
führten Technik." 

Bevor  ich  auf  die  seit  nun  drei  Jahren 
angewandte  und  an  nahezu  400  Nieren- 
untersuchungen von  mir  erprobte  Tech- 
nik übergehe,  möchte  ich  einen  wichtigen 
Umstand  hervorheben,  nämlich  die  Vor- 
bereitung des  Patienten.  Da  nämlich 
Koprolithen  und  auch  weiche  Kotballen 
häufig  Anlass  zu  groben  Täuschungen 
geben,  ist  es  absolut  notwendig,  dass  für 
eine  möglichst  gründliche  Entleerung 
des  Darmes  Sorge  getragen  wird.  Ich 
weise  daher  die  Patienten  an,  24  Stunden 
nur  flüssige  Nahrung  zu  sich  zu  nehmen 
und  durch  Purgantia  und  Einläufe  für 
eine  möglichst  vollkommene  Entleerung 
der  Därme  Sorge  zu  tragen.  Ist  das 
geschehen,  dann  wird  der  Patient  ent- 
kleidet auf  den  Untersuchungstisch  ge- 
legt, so  zwar,  dass  seine  Lendengegend 
der  Tischplatte  eng  anliegt,  w7as  man 
immer  durch  Hochlagerung  des  Ober- 
körpers und  Beugung  der  Beine  im  Knie 
erzielen  kann,  und  nun  die  eigentliche 
Untersuchung  begonnen.  A  1  b  e  r  s- 
Schönberg  als  auch  G  o  c  h  t  geben 
in  ihren  diesbezüglichen  Lehrbüchern 
noch  1903  an,  man  solle  zunächst  ein 
LTebersichtsbild  vom  ganzen  Unterleib 
machen  und  dann  etwaige  verdächtige 
Stellen  mit  der  Blende  separat  unter- 
suchen. Seitdem  ich  mit  der  Kompres- 
sionsblende arbeite,  habe  ich  diese  Art 
der  Untersuchung  aufgegeben,  erstens 
weil  man  nie  kleine  und  weiche  Steine 
ohne  Blende  auf  die  Platte  bringen  kann 
(durch  Leichenversuche  erwiesen)  und 
zweitens  sind  die  grossen  Platten  sehr 
schwer  zu  handhaben.  Ich  gehe  also  so 
vor,  dass  ich  zunächst  unter  eine  Niere 
zwei  auf  einander  liegende  Platten 
(Schichtseiten  nach  oben  sehend)  unter- 
schiebe, das  Kompressionsblendenrohr 
mit  seinem  unteren  Rand  unter  den  Rip- 
penbogen bringe  und  das  Instrument  um 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


303 


einen  Winkel  von  ca  40°  nach  den  Füs- 
sen zu  umkippe,  so  dass  ich  dann,  ohne 
auf  die  Rippen  zu  drücken,  das  Rohr 
5 — 10  cm  tief  in  den  Bauch  einpressen 
kann.  (Das  Zwei-Plattensystem  hat  sich 
mir  immer  trefflich  bewährt,  erstens  habe 
ich  stets  bei  etwaigen  Plattenfehlern 
oder  anderen  zweifelhaften  Schatten 
stets  ein  Vergleichsobjekt  bei  der  Hand, 
und  zweitens  habe  ich  von  jedem  Falle 
eine  Platte  zur  Verfügung,  wenn  auch 
die  andere  auf  irgend  eine  Weise  abhan- 
den gekommen  oder  zerschlagen  worden 
ist.) 

Nachdem  dann  die  Röntgenröhre  auf- 
gesetzt und  die  Platte  lege  artis  beleuch- 
tet worden,  gehe  ich  zur  Aufnahme  des 
mittleren  Teiles  des  Ureters  über,  hier- 
auf der  Niere  und  des  Harnleiters  der 
anderen  Seite,  um  endlich  mit  der  Auf- 
nahme des  Beckenanteiles  der  Ureteren 
und  der  Blase  (auf  einer  Platte)  die  Un- 
tersuchung abzuschliessen.  Auf  diese 
Weise  kann  mir  absolut  kein  Konkre- 
ment im  uropoetischen  System  entgehen. 
Ich  habe  diese  Methode  an  nun  364 
Fällen  angewendet,  193  von  diesen  ge- 
statteten eine  absolut  sichere  Röntgen- 
diagnose  von  Nieren-  oder  Harnleiter- 
oder Blasenkonkrementen. 

In  allen  Fällen,  die  der  Operation  un- 
terworfen wurden,  wurde  der  Stein  ge- 
funden, ein  einziger  Fall  machte  eine 
eigentümliche  Ausnahme.   Er  betraf  eine 


sehr  korpulente  Frau,  die  an  langan- 
dauernder Haematurie  und  Anfällen  von 
Nierenkolik  litt  und  bei  welcher  ein 
Röntgennegativ  der  linken  Niere  einen 
deutlich  begrenzten  1  cm  hohen  zucker- 
hutförmigen  Schatten  auf  beiden  Platten 
ergab.  Der  hinzugezogene  Chirurg,  der 
nebenbeigesagt  sich  ziemlich  gut  auf 
das  Lesen  von  Röntgennegativen  ver- 
steht, zögerte  nicht,  eine  Nephrotomie 
vorzunehmen ;  dabei  wurden  einige  In- 
farkte im  Nierenparenchym  gefunden, 
von  einem  Steine  aber  keine  Spur.  Es 
konnte  sich,  da  ein  Plattenfehler  auszu- 
schliessen  war,  in  diesem  Falle  entweder 
um  eine  verkalkte  Drüse  oder  eine  ver- 
kalkte Narbe  im  Parenchym  gehandelt 
haben,  oder  die  Niere  wurde  nicht  ge- 
nügend exploriert. 

Von  anderen  Abnormitäten,  die  ich 
bei  meinen  Fällen  gefunden,  will  ich  er- 
wähnen, dass  es  mir  relativ  häufig  vor- 
gekommen ist,  dass  ich  Steine,  die  in  den 
Nieren  vermutet  wurden,  im  Ureter  ge- 
funden habe  und  vice  versa,  ebenso  ver- 
füge ich  über  2  Fälle,  wo  Konkremente 
in  beiden  Nieren  nachgewiesen  wurden, 
während  die  Symptome  unilateral  waren, 
und  endlich  ist  ein  Fall  zu  erwähnen,  in 
welchem  die  Symptome  auf  Steinbildung 
in  der  rechten  Niere  hinwiesen,  während 
die  Röntgenuntersuchung  den  Stein  in 
der  linken  Niere  zeigte. 

405  Schiller  Building. 


Referate  und  Kritiken. 


Sprachliche  Einleitung  zur  7.  Auflage 
von  Roth's  Medizinischem  Lexikon. 

Die  meisten  Barbarismen  und  Neu- 
bildungen verdanken  den  Aerzten  des 
spätem  Mittelalters  ihren  Ursprung, 
Missbildungen  sprachlicher  Art  auch 
manchen  Spezialisten  unserer  Zeit,  von 
denen  H  y  r  1 1  behauptet,  dass  sie  aus- 
ser von  ihren  Erfindern  von  Niemand 
gebraucht  würden.  Wahr  ist,  dass  mit 
der  Kenntnis  der  Gesetze  der  Sprache 
und  Wortbildung  eine  Barbarei,  wie  sie 


A  r  n  o  b  i  u  s  gemeint  (Adversus  gentes 
lib.  I,  59)  :  „Barbarismis  et  solecismis 
obsitae  sunt  res  vestrae,  et  vitiorum  de- 
formitate  pollutae",  künftig  unmöglich 
sein  wird.  Möchte  doch  dieser  unser 
schwacher  Versuch  ein  kleines  Scherf- 
lein hierzu  beigebracht  haben ! 

Von  den  Aerzten  neuester  Zeit  ist  be- 
sonders kräftig  Dr.  med.  et  phil.  R. 
Kossmann  in  seinen  kritischen  Er- 
örterungen zur  gynäkologischen  Nomen- 
klatur, Berlin  1896,  für  die  Reinheit  und 


304 


New   Yorker   Medizinische  Monatsschrift. 


Richtigkeit  der  medizinischen  Sprache 
eingetreten  ;  p.  VI :  „In  den  letzten 
Zeiten  hat  die  zunehmende  Wichtigkeit 
der  internationalen  Kongresse  uns  den 
Mangel  einer  universellen  Gelehrtenspra- 
che immer  lebhafter  empfinden  lassen 
und  in  den  Fachzeitschriften  häufen  sich 
die  Klagen  darüber,  dass  wir  das  La- 
teinische allzu  voreilig  aufgegeben  ha- 
ben, und  die  Vorschläge,  es  wieder  zu 
einem  gemeinsamen  Verständigungsmit- 
tel zu  machen."  Dagegen  hat  Professor 
Achilles  Rose,  Sekretär  der  Deut- 
schen Medizinischen  Gesellschaft  in  New 
York,  wiederholt  das  Griechische  als  all- 
gemeine Sprache  der  Aerzte  und  Gelehr- 
ten überhaupt  vorgeschlagen  (Die  Grie- 
chen und  ihre  Sprache,  Leipzig  1899), 
eine  Frage,  die  schon  1889  Dr.  jur.  L. 
Kuhlenbeck  in  einem  Sendschreiben 
an  den  geistigen  Adel  deutscher  Nation 
behandelt  hat  (Leipzig,  W.  Friedrich). 
Herr  Dr.  A.  Rose  hat  uns  durch  seine 
freundlichen  Beiträge  in  den  Medical 
Notes  and  Queries,  New  York,  April 
1907,  seine  Greek  Terms  in  Medical  Lan- 
guage  und  die  Denkschrift  über  ärztli- 
che Kunstsprache,  Juli  1907,  namhafte 
Dienste  geleistet.  Er  schreibt  mir  fol- 
gendes :  „Griechisch  ist  eine  alte,  logisch 
scharf  entwickelte  und  vor  allem  lebende 
und  infolgedessen  auch  weiter  entwick- 
lungsfähige Sprache ;  diese  letztere  Tat- 
sache haben  unsere  medizinischen  No- 
menklatoren  der  Neuzeit  nicht  berück- 
sichtigt, sondern  Griechisch  als  tote 
Sprache  behandelt,  zeitgenössliche  wis- 
senschaftliche Literatur  derselben  keines 
Blickes  gewürdigt,  griechische  Kollegen 
nicht  zu  Rate  gezogen.  Neue  Worte  für 
neue  Begriffe  wurden  von  ihnen  mit 
Hilfe  des  griechischen  Schullexikons, 
das  nur  einen  Teil  der  wirklich  gespro- 
chenen Sprache  umfasst,  gebildet.  Es 
wurden  Barbarismen  in  grosser  Zahl  in 
die  medizinische  Sprache  eingeführt  und 
diese  Barbarismen  haben  viel  Verwir- 
rung angerichtet.  Manche  der  unwis- 
senschaftlichen Neubildungen  entspre- 
chen nicht  den  Gesetzen  der  Orthogra- 
phie und  Analogie,  manchen  ursprüng- 
lich richtig  gewählten  Namen  ist  eine 
andere  Bedeutung  beigelegt  worden  als 
die,  welche  sie  ursprünglich  hatten,  wie- 
der andere  sind  hybrid-pueril  und  wieder 
andere  sind  überflüssig.    In  dieser  neuen 


Auflage  sind  unrichtig  gebildeten  oder 
unrichtig  gewählten,  dem  Griechischen 
entnommenen  Namen  richtige,  in  der 
heutigen  griechischen  Literatur  ge- 
bräuchliche Benennungen  beigefügt  wor- 
den, und  diese  Neuerung  möge  dazu  die- 
nen, Reform  in  der  ärztlichen  Kunst- 
sprache anzubehnen."  „Jedenfalls,"  fährt 
Kossmann  a.  a.  O.  fort,  „können  wir 
für  die  Bildung  unserer  pathologischen 
und  chirurgischen  Kunstausdrücke  die 
griechischen  Wortstämme  nicht  entbeh- 
ren. Hat  man  aber  die  Feststellung  der 
griechischen  Synonyma  für  die  patholo- 
gisch-chirurgischen Bedürfnisse  einmal 
als  notwendig  anerkannt,  so  wird  man 
sich  auch  wohl  entschliessen,  im  Interesse 
der  sprachlichen  Richtigkeit  und  Schön- 
heit noch  einen  kleinen  Schritt  weiterzu- 
gehen und  auch  für  diejenigen  hybriden 
Termini,  bei  denen  jenes  Bedürfnis  nicht 
gerade  vorliegt,  reingriechische  Syno- 
nvma  aufzustellen.  Mehr  und  mehr  wen- 
det sich  unser  Interesse  wieder  den  zum 
Teil  sehr  wertvollen  Schriften  der  Alten 
zu.  Demjenigen  aber,  der  sie  nicht  nur 
durchblättert,  sondern  studiert  und  lieb- 
gewinnt, wird  es  immer  schwerer  und 
schwerer,  neben  der  klassischen  Nomen- 
klatur eine  pseudoklassische  zu  ertra- 
gen, einen  wissenschaftlichen  Begriff 
mit  einem  griechisch  oder  lateinisch  klin- 
genden Wortungeheuer  bezeichnen  zu 
sollen,  während  ihm  der  einfache  wirk- 
liche griechische  Ausdruck  dafür  bekannt 
und  geläufig  ist." 

Wir  schliessen  mit  den  Worten  des 
Meisters  der  romanischen  Sprachforsch- 
ung (Dietz,  Etvmol.  Wörterb.,  5. 
Aufl.,  Leipzig  1887,  p.  VIII)  :  „Das 
Höchste,  was  der  Etymologe  erreicht,  ist 
das  Bewusstsein,  wissenschaftlich  gehan- 
delt zu  haben." 

Als  Hilfsmittel  für  die  sprachliche 
Einleitung  und  die  Etymologien  von 
R  o  t  h's  Wörterbuch  der  klin.  Termi- 
nologie dienten  dem  Verfasser  ausser 
den  medizinischen  Schriftstellern  des  Al- 
tertums (Medicorum  graecorum  opera 
omnia,  graece  et  latine  ed.  K  u  e  h  n, 
Lips.  1821-30,  28  vol.)  Eclogae  physi- 
cae  ed.  J.  G.  Schneider,  Jena  1800, 
2  vol.  —  Physici  et  medici  graeci  minores 
ed.  Ideler,  Berol.  1842.  2  vol.  die 
Glossare  zu  Hippokrates  und  Galenos 
ed.  Klein,  Lips.  1865.     P  o  1 1  ux  ono- 


New   Yorker   Medizinische  Monatsschrift. 


305 


masticon.  Hippokrates'  Erkennt- 
nisse im  griechischen  Text  ausgewählt, 
übersetzt  und  auf  die  moderne  Heil- 
kunde bezogen  von  Theodor  Beck, 
Jena  1907.  H.  N.  Anke,  lexikograph. 
Bern,  mediz.-philol.  Inhaltes  (Philol.  32), 
die  türkische,  persische  und  arabische 
Grammatik  von  Wahr  m  u  n  d,  die  ar- 
menische von  Huebschmann,  die 
griech.,  römische  und  byzant.  Literatur- 
geschichte von  T  e  u  f  f  e  1,  M  u  e  1  1  e  r- 
Heitz,  Christ  und  K  r  u  m  b  a- 
c  h  e  r,  Gesch.  der  Medizin  von  H  i  r- 
s c  h  e  1,  Sprengel,  H  a  e  s  e  r,  Au- 
gust Hirsch  1893,  die  unübertreff- 
liche Onomatologia  anatomica  v.  Jps. 
Hyrtl  (Wien  1880),  Eulenbnrg's 
Realencvclopaedie  der  ges.  Heilkunde,  3. 
Aufl.  (Bd.  I-XXVI,  Berlin  und  Wien 
1894-1901),  A.  Villaret,  Handwör- 
terbuch der  ges.  Medizin  (Stuttgart 
188,  2.  Aufl.  1899,  1900).  die  griech.  und 
lat.  Grammatiken  von  G.  und  L. 
Meyer,  H  a  t  z  i  d  a  k  i  s,  Tluimb, 
Kuehner  Und  Schuchar  d  t,  die 
Grundzüge  der  griech.  Etymologie  von 
G.  C  u  r  t  i  u  s,  das  griech,  etymolog. 
Wörterbuch  von  Pape,  Prell  witz 
1902,  der  deutschen  Sprache  von 
Kluge  1889  und  Tetzner,  Duden, 
Baue  r-F  r  o  m  a  n  n  1893,  die  Lexika 
von  Y  a  n  i  c  e  k,  Zehetmayr,  Suhle 
um  1  Schneidewin,  K  u  m  a  n  u  d  e  s, 
Georges,  Woelfelin,  Ducange, 
Dieffenbach,  D  i  e  t  z,  Koerting, 
S  a  c  h  s-V  i  1-1  a  t  e,  Chambers'  Ety- 
mological  Dictionary  of  the  English  Lan- 
guage  ( London  1884) ,  Sophokles, 
Greek  Lexikon  of.  Byzant.  und  Rom. 
period.  und  viele  Monographien,  darun- 
ter das  dem  Studierenden  empfehlens- 
werte Büchlein  von  B.  Schwalbe, 
griech.  Elementarbuch,  Grundzüge  des 
Griechischen  zur  Einführung  in  die  aus 
dem  Griechischen  stammenden  Fremd- 
wörter (Berlin,  Reimer,  1887)  und  A. 
H  c  m  m  e.  Was  muss  der  Gebildete  vom 
Griechischen  wissen?  Leipzig  1900,  2. 
Auflage,  1905. 

Zum  Schlüsse  obliegt  mir  noch  die  an- 
genehme Pflicht,  den  Herren  Dr. 
Achilles  Rose  in  New  York  und 
Dr.  med.  et  phil.  Basilios  Leonar- 
dos in  Athen   meinen  verbindlichsten 


Dank  für  ihre  wertvollen  Ratschläge  und 
Beiträge  auszusprechen. 

Dr.  Heinrich  Zimmerer. 
Regensburg,  1908. 


Jahresbericht  über  die  Leistungen  und 
Fortschritte  auf  dem  Gebiete  der 
Erkrankungen  des  Urogenitalappa- 
rates. Redigiert  von  Prof.  Dr.  A. 
K  o  1  Im  a  n  n  und  Dr.  S.  J  a  c  o  b  y. 
II.  Jahrgang,  Bericht  über  das  Jahr 
1906.  Verlag  von  S.  Karger,  Ber- 
lin 1907.    452  S. 

Von  obigem  „Jahresbericht,"  der, 
wie  wir  früher  schon  mitgeteilt  haben, 
sein  Entstehen  dem  leider  zu  früh  ver- 
storbenen Max  N  i  t  z  e  verdankt, 
liegt  nunmehr  der  2.  Jahrgang  vor. 
Derselbe  ist  gegenüber  dem  ersten 
Jahrgang  erheblich  erweitert,  beson- 
ders auch  dadurch  dass  Prof.  Gmei- 
ner in  Giessen  es  übernommen  hat, 
die  auf  dem  Gebiete  der  Tiermedizin 
in  den  Jahren  1905  und  1906  erschiene- 
nen Publikationen,  soweit  sie  in  dem 
für  den  Jahresbericht  vorgezeichneten 
Rahmen  für  die  Humanmedizin  von  In- 
teresse sind,  in  einem  besonderen  Ka- 
pitel zu  bearbeiten.  Neu  hinzugekom- 
men ist  ausserdem  ein  Abschnitt  für 
Bücherbesprechungen.  Die  Anordnung 
des  Stoffes  ist  im  Grossen  und  Ganzen 
die  gleiche  geblieben. 

Die  tierischen  Parasiten  des  Menschen. 

Ein  Handbuch  für  Studierende  und 
Aerzte  von  Dr.  Max  Braun. 
Mit  325  Abbildungen  im  Text. 
Vierte,  vermehrte  und  verbesserte 
Auflage.  Mit  einem  klinisch-thera- 
peutischen Anhang  bearbeitet  von 
Prof.  Dr.  Otto  Seifert  in 
Würzburg.  Verlag  von  Curt  Ka- 
bitzsch  (A.  Stuber's  Verlag).  Würz- 
burg 1908.    623  S.    Preis  15  Mark. 

Die  4.  Auflage  des  Brau  n'schen 
Handbuches  über  die  tierischen  Para- 
siten des  Menschen  hat  eine  ganz  be- 
deutende Erweiterung  erfahren.  623 
Seiten  gegenüber  360  Seiten  der  3. 
Auflage.  Fast  vollständig  umgearbei- 
tet wurde  der  die  parasitischen  Urtiere 
behandelnde  Abschnitt,  und  wurden 
hier,  wie  auch  schon  bei  den  früheren 


306 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


Annagen,  auch  die  den  Menschen  nicht 
befallenden  Arten  und  Gruppen  be- 
rücksichtigt. Die  Zahl  der  Abbildun- 
gen wurde  um  über  60  vermehrt,  auch 
wurden  mehrere  ältere  Abbildungen 
durch  bessere  ersetzt.  Als  eine  vorteil- 
hafte Neuerung  darf  es  angesehen  wer- 
den, dass  die  Literaturangaben  zu  ei- 
nem besonderen  Abschnitt  am  Schlüsse 
des  Werkes  vereinigt  wurden,  anstatt 
dass  sie  wie  in  den  früheren  Auflagen 
in  den  Text  eingeschoben  wurden,  wo- 
durch nunmehr  die  immerhin  nicht  ge- 
rade vorteilhafte  Unterbrechung  des 
Textes  vermieden  wurde.  Als  beson- 
ders willkommen  dürfte  sich  auch  der 
neu  hinzugefügte  klinisch-therapeuti- 
sche Abschnitt  erweisen.  Wenn  wir 
zum  Schlüsse  unserer  Besprechung  der 
3.  Auflage  sagen  konnten,  dass  das 
Brau  n'sche  Handbuch  eine  ganz 
ausgezeichnete  Arbeit  sei,  so  trifft  dies 
in  noch  erhöhtem  Masse  für  die  vor- 
liegende 4.  Auflage  zu. 

Kompendium  der  ärztlichen  Technik 
mit  besonderer  Berücksichtigung 
der  Therapie  von  Dr.  F.  Schil- 
ling. II.  erweiterte  und  vermehrte 
Auflage.    Mit  454  Abbildungen.  A. 


Stuber's  Verlag  (C.  Kabitzsch). 
513  S. 

Wir  haben  es  hier  mit  einem  vor- 
züglichen Buche  zu  tun,  welches  so 
recht  dem  praktischen  Bedürfnis  des 
Arztes  angepasst  ist.  Wie  reichhaltig 
der  Inhalt  des  Buches  ist  lässt  sich 
schon  aus  den  Kapitelüberschriften  er- 
sehen:  Inspektion,  Palpation,  physika- 
lische Diagnostik,  chemische  Unter- 
suchungsmethoden, mikroskopisch-bak 
teriologische  Diagnostik,  Desinfektion 
und  Sterilisation,  Anästhesie  und  Nar- 
kose, Sondierung,  Katheterismus,  Spie- 
geluntersuchung, Punktion  und  Aspi- 
ration, Injektion  und  Irrigation,  In- 
sufflation  und  Transfusion,  Mechano- 
therapie,  Erasion  und  Kauterisation, 
Elektrodiagnostik  und  Elektrotherapie, 
Galvanokaustik  und  Elektrolyse,  re- 
spiratorische Therapie,  Hydrotherapie, 
Photodiagnostik  und  Phototherapie, 
Thermotherapie,  Impfung  und  Inoku- 
lation, kleine  Chirurgie,  Kranken- 
pflege. Die  einzelnen  Abschnitte  sind 
klar  und  präzise  geschrieben,  die  zahl- 
reich beigegebenen  Abbildungen  sind 
äusserst  instruktiv  und  ergänzen  in 
trefflicher  Weise  den  Text.  Auch  in 
sonstiger  Hinsicht  ist  die  Ausstattung 
des  Buches  eine  mustergiltige. 


Auszüge  aus  der  neuesten  Journalliteratur. 


R.  Freund:  Die  Röntgenbehandlung 
der  Basedow'schen  Krankheit. 

F.  gibt  die  Krankengeschichten  von 
5  Fällen  von  B  a  s  e  d  o  w'scher  Krank- 
heit, die  mit  Röntgenstrahlen  behan- 
delt worden  waren  und  sämtlich  einen 
deutlichen  günstigen  Einfluss  dieser 
Therapie  zeigen.  In  3  dieser  Fälle  war 
die  Heilung  nur  den  Röntgenstrahlen 
zuzuschreiben,  in  einem  Falle  wurde 
zuerst  tägliche  Galvanisation  des  Sym- 
pathikus angewandt,  das  Schwinden 
aller  Basedowsymptome  trat  jedoch 
erst  nach  Anwendung  der  Röntgen- 
strahlen ein,  über  den  5.  Fall  hat  sich 
F.  noch  kein  abschliessendes  Urteil  ge- 
bildet. Die  in  diesem  letzten  Falle 
harte  Struma  schien  sich  weniger 
leicht   beeinflussen    zu   lassen,  wenn 


auch  subjektive  Besserung  des  Allge- 
meinbefindens und  objektiv  Gewichts- 
zunahme zu  verzeichnen  war.  Was  die 
Prognose  der  verschiedenen  Fälle  an- 
belangt, so  scheinen  nach  F.  die  wei- 
chen, vaskulären,  ausdrückbaren  Stru- 
men sich  nach  Röntgenbehandlung  völ- 
lig zurückzubilden,  nicht  aber  die  har- 
ten Knoten.  F.  fasst  die  Ergebnisse 
seiner  Arbeit  zusammen:  1.  Die  Rönt- 
genstrahlen erfüllen  bei  der  Base- 
d  o  w'schen  Krankheit  die  kausale  In- 
dikation, indem  sie  die  krankhaft 
sezernierende  Basedowstruma  zum 
Schwinden  bringen.  Sie  wirken  stets 
günstig  auf  das  Körpergewicht  und  auf 
die  nervösen  Erscheinungen,  doch  auch 
die  übrigen  Symptome  können  schwin- 
den :  so  Herzgeräusche,   Struma  und 


New    Yorker   Medizinische  Monatsschrift. 


307 


Exophthalmus.  2.  Die  weichen,  vas- 
kulären, ausdrückbaren  Strumen  geben 
die  günstigste  Prognose,  die  Erschein- 
ungen bilden  sich  umso  schneller  zu- 
rück, je  jünger  sie  sind.  (Münchener 
med.  Wochenschr.,  No.  17,  1907.) 

C.  Rüdinger:  Ueber  den  Einfluss 
der  Röntgenstrahlen  auf  den  Ei- 
weissumsatz  bei  der  Basedow'schen 
Krankheit. 

Um  den  Einfluss  der  Röntgenstrah- 
len auf  die  Basedo w'sche  Krankheit 
beurteilen  zu  können,  unternahm  R. 
Stoffwechselversuche  an  zwei  Base- 
dowkranken. .  Der  Erfolg  der  Rönt- 
genbehandlung äusserte  sich  im  ersten 
Falle  in  einer  Besserung  des  Appetits 
und  einer  Abnahme  des  Halsumfanges 
um  1  cm.  Die  nervösen  Erscheinungen 
Hessen  eine  auffallende  Besserung  ver- 
missen. Exophthalmus  und  Zittern 
blieben  ebenfalls  gleich.  Die  Pulsfre- 
quenz hielt  sich  schon  vor  der  Bestrah- 
lung unter  dem  Einfluss  von  Bettruhe 
gewöhnlich  unter  90.  Die  vorgenom- 
menen Stoffwechselversuche  ergaben 
unverkennbar,  dass  der  Einfluss  der 
Röntgenstrahlen  sich  hier  im  Sinne  ei- 
nes wirklichen  Ansatzes  von  Körper- 
substanz äussert.  In  dem  zweiten 
Falle  zeigte  sich  der  Einfluss  der  Rönt- 
genstrahlen zunächst  in  einer  auffal- 
lenden Besserung  des  Appetits  und 
Schwinden  der  subjektiven  Erschein- 
ungen. Die  Kranke  wurde  guter  Dinge, 
war  schwer  im  Bett  zu  halten.  Ferner 
stellte  sich  nach  der  Behandlung  eine 
Abnahme  des  Halsumfanges  um  2^ 
cm  ein,  desgleichen  Hessen  die  Tre- 
mores deutlich  nach.  Schwitzen,  Ex- 
ophthalmus und  Pulsfrequenz  blieben 
unverändert.  Auch  dieser  Fall  seigte 
eine  sehr  bedeutende  Stickstoffreten- 
tion  während  der  Zeit  der  Behandlung 
mit  Röntgenstrahlen.  Wenn  nun  auch 
R.  zugibt,  dass  es  nicht  angeht,  aus 
diesen  zwei  Beobachtungen  ein  ab- 
schliessendes Urteil  darüber  abzuge- 
ben, ob  die  Röntgenbestrahlung  in  al- 
len Fällen  von  Morbus  Basedowii  im 
Sinne  einer  Eiweissersparung  wirkt, 
noch  auch  darüber,  wie  eine  solche  Be- 
einflussung zu  erklären  wäre,  so  glaubt 
er  sich  doch  den  Forderungen  S  t  e  g- 
m  a  n  n's  anschliessen.zu  sollen,  dass  in 


jedem  Falle  von  Morbus  Basedowii 
wenigstens  eine  einmalige  versuchs- 
weise Bestrahlung  der  Schilddrüse  vor- 
genommen werden  sollte.  (Deutsche 
med.  Wochenschr.,  No.  2,  1907.) 

F.  Nagel  Schmidt:  Zur  Indikation 
der  Behandlung  mit  Hochfrequenz- 
strömen. 

N.  erwartet  von  der  von  den  Fran- 
zosen in  die  Therapie  eingeführten  Be- 
handlung mit  Hochfrequenzströmen 
neue  Erfolge  für  die  Diagnostik  und 
Therapie.  Während  er  den  allgemei- 
nen Stoffwechsel-  und  Blutdrucksver- 
änderungen durch  die  Hochfrequenz- 
ströme skeptisch  gegenübersteht,  eig- 
nen sich  nach  seiner  Ansicht  für  die 
Behandlung  im  Solenoid  Insomnie, 
psychische  Depression,  Angina  pec- 
toris, wobei  bei  nicht  genügender  Wir- 
kung lokale  Applikationen  kombiniert 
werden  können.  Gute  Erfolge  lassen 
sich  bei  Hyperästhesien,  Parästhesien, 
Neuralgien  und  insbesondere  bei  man- 
chen juckenden  Hauterkrankungen 
erzielen,  besonders  scheinen  die  lanzi- 
nierenden  Schmerzen  und  die  Krisen 
der  Tabiker  günstig  beeinflusst  zu  wer- 
den. Gute  Wirkungen  sind  in  man- 
chen Fällen  von  Impotenz  zu  erwar- 
ten ;  ein  grosses  Gebiet  der  diagnosti- 
schen und  therapeutischen  Verwertung 
eröffnet  sich  für  die  Methode  der  Er- 
zeugung von  Muskelkontraktionen. 
Mag  die  theoretische  Untersuchung 
Stoffwechselveränderungen,  Blutdruck- 
herabsetzung oder  sonstige  Wirkun- 
gen nachweisen  oder  nicht,  für  den 
Praktiker  ist  es  von  grösster  Bedeu- 
tung, einen  therapeutischen  Faktor  zur 
Verfügung  zu  haben,  der  seinem  Tabi- 
ker die  lanzinierenden  Schmerzen,  sei- 
nem Pruriginösen  den  Juckreiz  besei- 
tigt etc.  (Deutsche  med.  Wonchen- 
schr.,  No.  32,  1907.) 

M.  Blumberg:  Ueber  ein  diagnos- 
tisches Symptom  bei  Appendizitis. 

B.  hat  seit  längerer  Zeit  bei  allen 
Fällen,  wo  eine  frische  Erkrankung  des 
Peritoneums  oder  eine  neue  Attacke 
einer  alten  Entzündung  des  Peritone- 
ums aus  den  klinischen  Erscheinungen, 
resp.  aus  dem  Befunde  bei  der  vorher 
vorgenommenen    Laparotomie  ange- 


308 


New    Yorker   Medizinische  Monatsschrift. 


nommen  werden  musste,  einen  überaus 
heftigen  Schmerz  bei  plötzlichem  Ab- 
heben der  palpierenden  Hand  konsta- 
tieren können  ;  die  Patienten  verzogen 
momentan  schmerzhaft  das  Gesicht. 
Sie  gaben  im  frischen  Anfall  mit  Be- 
stimmtheit an,  dass  der  Schmerz  beim 
plötzlichen  Abheben  der  Hand  grösser 
sei  als  beim  Druck;  bei  weniger  hefti- 
gen entzündlichen  Erscheinungen  am 
Peritoneum  war  der  Schmerz  beim 
plötzlichen  Abheben  der  Hand  gleich 
gross  wie  beim  Druck,  um  schliesslich 
beim  Abheben  nur  noch  andeutungs- 
weise bestehen  zu  bleiben  oder  ganz  zu 
verschwinden,  während  er  dann  nur 
auf  Druck  vorhanden  war.  Man  hat 
also  zunächst  einen  Druck  auf  die  zu 
untersuchende  Stelle  des  Abdomens 
auszuüben  und  den  Patienten  zu  fra- 
gen, ob  es  schmerzt,  dann  nach  erhal- 
tener Antwort  die  palpierende  Hand 
plötzlich  abzuheben  und  nun  sich  von 
dem  Patienten  sagen  zu  lassen,  ob  im 
Moment  des  Abhebens  es  geschmerzt 
habe,  resp.  welcher  Schmerz  grösser 
gewesen  sei. 

Da  das  Symptom  peritonealen  Ur- 
sprungs ist,  so  ist  es  nicht  nur  bei  Ap- 
pendizitis vorhanden,  sondern  auch  bei 
andern  Prozessen,  die .  mit  einer  Ent- 
zündung des  Peritoneums  einhergehen. 
Nach  P>.  ist  das  Auftreten  des  Symp- 
toms ein  leicht  zu  erkennendes  War- 
nungssignal, das  besonders  dann  auf 
Gefahr  hinweist,  wenn  das  Phänomen 
sehr  plötzlich  und  rasch  nach  Auftreten 
der  Erkrankung  sich  zeigt ;  sein  all- 
mähliches Abklingen  der  Intensität  wie 
Extensität  nach  ist  ein  beruhigendes 
Zeichen,  dass  der  peritoneale  Prozess 
im  Rückgang  begriffen  ist.  (Münche- 
ner med.  Wochenschr.,  No.  24,  1907.) 

Prof.  M.  Jordan:  Die  interne  Be- 
handlung der  Appendizitis  und  die 
Indikationen  zum  chirurgischen 
Eingreifen  bei  derselben. 

J.  stellt  die  folgende  Thesen  auf: 
1.  Bei  jedem,  auch  dem  anscheinend 
leichtesten  Fall  von  akuter  Appendizi- 


tis, ist  mit  der  Notwendigkeit  soforti- 
ger Operation  zu  rechnen. 

2.  Die  Hauptaufgabe  des  praktischen 
Arztes  ist  daher  zunächst  nicht  so  sehr 
die  sogenannte  Behandlung  des  An- 
falls, als  vielmehr  die  Feststellung  des 
Charakters  der  Entzündung  zum 
Zweck  der  dringend  nötigen  frühen  In- 
dikationsstellung. 

3.  Diese  wichtigste  Entscheidung 
basiert  auf  exakter  klinischer  Beob- 
achtung des  Falles ;  daher  ist  jede  Ver- 
schleierung des  Krankheitsbildes  be- 
denklich, und  aus  diesem  Grunde  ist 
die  systematische  Verabreichung  des 
Opiums,  zumal  in  grossen  Dosen,  zu 
widerraten. 

4.  Fälle,  die  sich  als  leichte  charak- 
terisieren, können  unter  steter  Beob- 
achtung ihres  Ablaufes  der  spontanen 
Heilung  überlassen  werden. 

5.  Fälle,  die  sich  von  Anfang  an,  oder 
am  zweiten  eventuell  noch  am  dritten 
Tage,  als  dubiöse  oder  schwere  erwei- 
sen, sollen  sobald  als  möglich  der 
Frühoperation  unterzogen  werden. 

6.  Die  interne  Behandlung  eines 
schweren  Anfalls  (Appendizitis  perfo- 
rata)  ist  ein  Hazardspiel,  bei  dem  die 
Gewinnchance  zwar  keine  direkt  un- 
günstige, der  Einsatz  aber  zu  kostbar 
ist. 

7.  Nach  spontanem  Ablauf  eines  Ap- 
pendizitisanfalls  rauss  die  Intervall- 
operation in  Betracht  gezogen  werden. 
Dieselbe  ist  indiziert 

a)  nach  einem  schweren  Anfall,  ab- 
solut, 

b)  nach  einem  leichten  Anfall  rela- 
tiv, 

c)  nach  zwei  oder  mehr  leichten  An- 
fällen absolut, 

d)  nach  zurückbleibenden  chroni- 
schen Beschwerden. 

8.  Bei  der  rein  chronischen  Appendi- 
zitis ist  die  Exstirpation  des  Wurm- 
fortsatzes die  sicherste  und  am  rasche- 
sten zum  Ziele  führende  Heilmethode. 
(Deutsche  med.  Wochenschr.,  No.  12, 
1907.) 


New    Yorker    Medizinische  Monatsschrift. 


309 


Sitzungsberichte 


Deutsche  Medizinische  Gesellschaft  der  Stadt  New  York 


Sitzung-  vom  2.  Dezember  1907. 

Präsident  Dr.  C.  Beck  eröffnet  die 
Sitzung. 

Der  Jahresbericht  des  Schatzmeis- 
ters Dr.  S.  Breitenfeld,  von  den 
Revisoren  Dr.  I.  M.  Rottenberg 
und  Dr.  H.  B  o  e  k  e  r  geprüft  und  rich- 
tig befunden,  wird  auf  Antrag  mit 
Dank  angenommen. 

Der  Präsident  erklärt  sodann  die 
Stimmkästen  für  die  Beamtenwahl  er- 
öffnet und  ernennt  die  Herren  Dr. 
Lehmacher  und  Dr.  F.  R  u  p  p  e  r  t 
als  Wahlinspektoren. 

Auf  Antrag  wird  beschlossen  die 
Wahl  um  zehn  Uhr  zu  beschliessen. 

Sekretär  Dr.  John  A.  B  e  11  e  r- 
m  a  n  n  verliest  hierauf  das  Protokoll 
der  vorigen  Sitzung,  welches  geneh- 
migt wird. 

Der  Präsident  widmet  sodann  dem 
verstorbenen  Mitglied,  Dr.  John  A. 
S  c  h  m  i  t  t,  den  folgenden  Nachruf : 

Dr.  Carl  Beck:  Es  ist  mir  die 
traurige  Pflicht  geworden,  Ihnen  die 
Mitteilung  von  dem  Heimgang  unseres 
lieben  Kollegen,  Dr.  John  A. 
S  c  h  m  i  t  t,  zu  machen.  Der  Uner- 
bittliche, von  dem  es  heisst :  Nemini 
parcetur,  rief  ihn  mitten  in  seiner  Be- 
rufstätigkeit ab.  Am  Dienstag  früh 
hatte  er,  ein  sonniges  Lächeln  auf  sei- 
nem markanten  Gesicht,  sein  Haus, 
welches  ein  so  glückliches  Familienle- 
ben barg,  verlassen.  Pflichtgetreu,  wie 
er  es  sein  Leben  lang  war,  war  er  sei- 
ner Devise,  des  Dienste  gleichgestell- 
ter Uhr,  gefolgt,  hatte  einem  Patien- 
ten noch  einige  freundliche  Trost- 
worte zugerufen,  als  er  jäh,  wie  vom 
Blitz  getroffen,  umsank.  Fürwahr  ein 
schöner  und  beneidenswerter  Tod,  von 
dem  es  heisst,  das  die  Götter  ihn  denen 
senden  welche  sie  besonders  lieb  ha- 
ben. Für  seine  unvorbereiteten  Lie- 
ben aber  war  es  ein  unendlich  harter 
Schlag  und  nicht  zum'  mindesten  für 
die  zahlreichen  Freunde,  welche  er  un- 
ter  Hoch   und  Niedrig  besass.  Das 


zeigte  die  überaus  herzliche  Teilnahme, 
von  welcher  auch  ganz  besonders  die 
Demonstration  bei  der  würdigen  Trau- 
erfeier im  Hause  des  Entschlafenen 
lautes  Zeugnis  ablegte.  Was  kann  ich 
von  ihm  noch  sagen?  Sie  Alle  haben 
ihn  ja  gekannt,  sein  hohes  wissenschaft- 
liches Streben  und  sein  bescheidenes 
Wesen  gewürdigt,  aber  noch  mehr  haben 
wir  ihn  um  eine  bei  ihm  besonders  aus- 
geprägte Eigenschaft  bewundert,  näm- 
lich um  seinen  Charakter.  Da  war  nichts 
unrechtes  oder  unechtes,  alles  war  aus 
einem  Guss.  Seine  Unantastbarkeit  in 
dieser  Beziehung  kann  uns  allen  zum 
Vorbild  dienen.  Wer  ihn  nur  oberfläch- 
lich kannte,  mochte  seine  Bedeutung 
leicht  unterschätzen,  da  ihm  alles  Glän- 
zende und  Prunkende  zuwider  war.  Wer 
ihn  aber  näher  kannte,  wer  sich  an  seine 
manchmal  rauhe  Aussenseite  gewöhnt 
hatte,  der  staunte  über  den  Fond  von 
ärztlichem  sowohl  wie  allgemeinem  Wis- 
sen, das  sich  da  floskelfrei  aus  ihm  her- 
ausentwickelte, und  über  die  neidlose 
Güte,  welche  er  wie  einen  keuschen 
Schatz  tief  im  Innersten  seines  vorneh- 
men Herzens  bewahrte,  gleich  als 
schämte  er  sich,  dieselbe  zu  enthüllen. 
Er  war  einer  der  seltenen  Naturen,  wel- 
che in  der  Beurteilung  ihrer  Nebenmen- 
schen bis  an  die  äusserste  Grenze  der 
Liberalität  herantreten.  So  trauern  wir 
mit  Recht  um  des  grossen  Verlustes  wil- 
len, den  wir  erlitten. 

Aus  den  Personalien  des  Verblichenen 
ersehen  wir,  dass  er  im  Jahre  1852  in 
Bensheim  im  Grossherzogtum  Hessen 
zur  Welt  kam,  woselbst  er  das  Gymna- 
sium absolvierte.  Nach  vollendetem  Stu- 
dium auf  der  Universität  Giessen  liess  er 
sich  in  dem  romantischen  Städtchen  Er- 
bach im  Odenwald  nieder,  um  dann  im 
Jahre  1882  nach  New  York  überzusie- 
deln, wo  er  alsbald  Mitglied  des  deut- 
schen Dispensary  wurde.  Als  Chef  der 
gynäkologischen  Abteilung  bildete  er 
zwanzig  Jahre  lang  die  Hauptzierde  des 
Institutes,  welches  ihm  unendlich  viel 
verdankt.   An  äusseren  Ehren  hat  es  ihm 


3io 


New   Yorker   Medizinische  Monatsschrift. 


nicht  gefehlt.  Wiederholt  war  er  Präsi- 
dent des  gesellig-wissenschaftlichen  Ver- 
eins. Dass  unsere  Gesellschaft  ihm  zwei- 
mal das  Amt  des  Präsidenten  zu  ihrem 
Segen  übertrug,  steht  Ihnen  ja  noch 
frisch  im  Gedächtnis,  und  im  Gedächtnis 
wollen  wir  ihn  als  Muster  treuer  Pflicht- 
erfüllung stets  behalten. 

Ich  fordere  Sie  auf,  sich  zum  Anden- 
ken des  Verstorbenen  zu  erheben. 
(Die  Versammlung  erhebt  sich).  Zu 
meinem  grossen  Bedauern  erfahre  ich 
soeben,  dass  wir  heute  morgen  noch 
einen  anderen  Verlust  erlitten  haben. 
Unser  ebenfalls  sehr  geehrter  und  viel 
geschätzter  Kollege,  Dr.  J.  P.  O  b  e  r  n- 
d  o  r  f  e  r,  ist  heute  früh  gestorben,  und 
ich  muss  Sie  bitten,  sich  zum  ehrenden 
Andenken  auch  dieses  Verstorbenen  zu 
erheben.  (Geschieht.) 

Sekretär  Dr.  John  A.  B  e  u  e  r- 
m  a  n  n  verliest  eine  Zuschrift  von 
Dr.  McDonald,  Washington,  be- 
treffend die  Errichtung  eines  Instituts 
für  das  wissenschaftliche  Studium  von 
Verbrechern  u.  s.  w. 

Die  Versammlung  beschliesst  nach 
kurzer  Debatte,  die  Zuschrift  zur  Be- 
richterstattung einem  Komitee  zu 
überweisen,  und  ernennt  der  Präsident 
als  solches  die  Herren  Dr.  G.  W. 
Jacoby,  H.  G.  Klotz,  J.  H. 
Boldt,  D.  Cook  und  Van  G  i  e- 
s  o  n. 

Präsident  Dr.  Carl  Beck:  Wie 
Sie  sich  erinnern,  hatten  wir  im  vori- 
gen Jahr  beschlossen,  eine  Festlichkeit 
abzuhalten,  aber  infolge  mehrerer  un- 
glücklichen Umstände  sind  wir  leider 
nicht  dazu  gekommen.  Der  Verwal- 
tungsrat hat  nun  den  Vorschlag  des 
vorigen  Jahrs  aufgegriffen  und  bereits 
alle  Vorarbeiten  für  ein  Bankett  mit 
Damen  gemacht,  das  am  17.  Dezem- 
ber im  Hotel  Astor  stattfinden  soll. 
Wir  fanden,  dass  wir  das  Bankett  für 
$2.50  die  Person  geben  können.  Wir 
haben  ein  Komitee  von  25  Mitgliedern 
ernannt  und  aus  diesem  ein  kleines 
Exekutivkomitee  herausgeschält,  näm- 
lich ausser  dem  Präsidenten  selbst  die 
Herren  Dr.  Mannheimer,  Dr. 
Fischer,  Dr.  Breitenfeld  und 
Dr.  Beu  ermann.  Ich  möchte  Sie 
nun  bitten,  einen  Vorschlag   zu  ma- 


chen, dass  das  Vorgehen  des  Verwal- 
tungsrats indossiert  wird. 

Die  Versammlung  beschliesst  auf 
Antrag  von  Dr.  Boldt,  die  Handlung 
des  Verwaltungsrats  gutzuheissen,  und 
der  Präsident  fordert  die  Mitglieder  zu 
zahlreicher  Beteiligung  auf. 

Vorträge. 

a)  Sanitätsrat  Dr.  Wachenfeld 
(Nauheim)  :  Einiges  über  Behandlung 
der  Herzkrankheiten. 

(Der  Vortrag  ist  in  der  Dezember- 
nummer als  Originalarbeit  erschienen.) 

Diskussion.  Da  sich  niemand  zum 
Wort  meldet,  erhält  das  Schlusswort. 

Sanitätsrat  Dr.  Wachenfeld: 
Diese  Anschauung,  dass  es  keine  Dila- 
tation, keine  Arbeitshypertrophie  gibt, 
ist  für  die  meisten  Kollegen  natürlich 
neu.  Ich  erhalte  in  den  letzten  Mona- 
ten, nachdem  ich  die  erste  Veröffent- 
lichung über  diese  Sache  gemacht 
hatte,  sehr  häufig  Zuschriften,  kurze 
Referate  und  Kritiken,  über  dieses 
Thema,  und  es  wird  immer  darin  ge- 
sagt, es  sei  etwas  ganz  Ungeheueres, 
eine  ganz  neue  Anschauung,  in  die  man 
sich  noch  nicht  hineinfinden  könne, 
aber  niemals  wird  gesagt,  wie  eine 
Dilatation  zustande  kommen  könnte. 
Es  ist  einfach  unmöglich.  Dass  es  eine 
Arbeitshypertrophie  nicht  gibt,  ist  et- 
was Altes.  Romberg  hat  das  schon 
behauptet,  und  andere  Autoren  sind 
dieser  Anschauung  mehr  oder  weniger 
beigetreten.  Bezüglich  der  Dilatation 
stosse  ich  auf  den  meisten  Widerstand, 
aber  ich  möchte  nur  wissen,  wie  soll 
sie  zustande  kommen?  Ein  Hohlraum 
kann  sich  nur  dann  erweitern,  wenn 
entweder  seine  Wände  auf  der  Innen- 
seite abgenommen  werden  oder  die 
Wände  auseinander  gezogen  oder 
durch  den  Druck  des  Inhalts  auseinan- 
der gepresst  werden.  Diese  drei  Mög- 
lichkeiten sind  bei  dem  Herzen  unmög- 
lich, infolge  dessen  kann  keine  Dilata- 
tion bestehen.  Es  ist  begreiflich,  dass 
Sie  sich  im  Moment  noch  nicht  so  in 
diese  Anschauung  hineindenken  kön- 
nen. Mir  ist  es  selbst  nicht  besser  er- 
gangen. Das,  was  ich  gesagt,  ist  nicht 
die  Ueberlegung  einer  Stunde  oder  ei- 
nes einzigen  Tages,  sondern  das  Re- 
sultat langjähriger  Beobachtungen  und 


New    Yorker   Medizinische  Monatsschrift. 


3ii 


Ueberlegungen,  aber  ich  bin  über- 
zeugt, wenn  Sie  sich  das  in  Ruhe  an- 
sehen und  ausserdem  berücksichtigen, 
dass  der  gesammte  Stoffwechsel  ver- 
mittelst der  Lymphbahnen  vor  sich 
gehen  muss,  so  müssen  Sie  dahin  kom- 
men, dass  sich  die  Sache  so  verhält, 
wie  ich  vorgetragen  habe,  und  ich 
hoffe,  es  werden  keine  drei,  vier  Jahre 
vergehen,  dann  wird  man  das  allge- 
mein anerkennen.  Ich  möchte  das  im 
Interesse  der  Wissenschaft  und  der 
Kranken  wünschen.  Man  kann  sicher 
vielen  Kranken,  wenn  man  die  Sache 
in  dieser  einfachen  Weise  beurteilt, 
besser  helfen,  als  wenn  man  auf  Grund 
der  so  komplizierten  bisherigen  An- 
schauung vorgeht.  Niemand  wird  be- 
friedigt von  der  bisherigen  Anschau- 
ung. Deshalb  hoffe  ich,  dass  diese  ein- 
fache und  meiner  Ansicht  nach  rich- 
tige Anschauung  sich  in  kurzer  Zeit 
geltend  machen  wird. 

Präsident  Dr.  Carl  Beck:  Ich 
gehe  gewiss  nicht  fehl,  wenn  ich  an- 
nehme, dass  Sie  mich  ermächtigen, 
Herrn  Sanitätsrat  Wachenfeld 
den  Dank  der  Gesellschaft  auszuspre- 
chen.   (Lebhafte  Zustimmung.) 

b)  Dr.  H.  Klotz:  Wirklicher  und 
vermeintlicher  Haarverlust  bei  Syphi- 
lis. 

Der  Vortrag  ist  in  der  Dezember- 
nummer als  Originalarbeit  erschienen. 

Diskussion.  Dr.  A.  Rose:  Ich 
möchte  bloss  Herrn  Dr.  Klotz  fra- 
gen, ob  ein  Synonym  für  Alopecie  ge- 
bräuchlich ist. 

Dr.  H.  K  1  o  t  z :  Kahlheit  oder  Kahl- 
köpfigkeit. 

Dr.  A.  Rose:  Im  Griechischen  exi- 
stiert das  Wort  Lipotrichia,  Haarfeh- 
len. Aber  abgesehen  davon  ist  das 
Wort  Alopecie  ein  richtiges  klassisches 
Wort. 

Dr.  H.  Klotz  (Schlusswort)  :  Ich 
bitte  die  Herren  Kollegen,  auf  diese 
regelmässigen  Symptome  etwas  acht 
zu  geben. 

c)  Dr.  R.  L  e  w  i  s  o  h  n  :  Ueber  die 
Verwendung  der  Lumbalanästhesie  in 
der  Chirurgie. 

(Der  Vortrag  ist  in  der  Dezember- 
nummer als  Originalarbeit  erschienen.) 
Diskussion:    Dr.  H.  Fischer:  Ich 


denke,  es  ist  eine  sehr  dankenswerte 
Aufgabe,  der  sich  Herr  Dr.  Lewi- 
s  o  h  n  unterzogen  hat,  das  Kapitel  der 
Lumbalanästhesie,  das  uns  Chirurgen 
ganz  besonders  interessiert,  vor  die 
Versammlung  gebracht  zu  haben.  Es 
sind,  glaube  ich,  acht  Jahre  her,  dass 
Dr.  Kammerer  hier  über  Lumbal- 
anästhesie gesprochen  hat,  und  zwar 
über  die  alte  Methode  mit  Kokain.  Ich 
habe  damals  die  Versuche  mitgemacht 
als  Assistent  im  Deutschen  Hospital, 
und  wir  haben  dann  sehr  bald  die  Me- 
thode wegen  ihrer  schweren  und  be- 
ängstigenden Erscheinungen  aufgege- 
ben. Jetzt,  wo  wir  andere  Anästhetika 
haben  und  die  Methode  verbessert  ist, 
kann  man  wohl  sagen,  dass  diese  Lum- 
balanästhesie sich  eine  Stelle  in  der 
Chirurgie  gesichert  hat.  Nur  möchte 
ich  sie  etwas  einschränken.  Meine  per- 
sönlichen Erfahrungen  sind  nur  gut, 
ich  habe  keine  schweren  Erscheinun- 
gen getroffen,  aber  die  Zahl  meiner 
Fälle  ist  noch  zu  gering,  als  dass  ich 
Bestimmtes  darüber  aussagen  möchte. 
Wahrscheinlich  werden  in  einer  grös- 
seren Zahl  von  Fällen  auch  unange- 
nehme Nebenerscheinungen  vorkom- 
men. Wirkliche  Versager  oder  schwere 
Neben-  und  Nacherscheinungen  habe 
ich  noch  nicht  erlebt.  Nur  in  einem 
einzigen  Falle  bei  einer  eingeklemm- 
ten Hernie  einer  älteren  Dame  stieg 
die  Anästhesie  in  beängstigender 
Weise  bis  zur  zweiten  Rippe  herauf, 
ohne  Beckenhochlagerung.  Ich  hatte 
damals  ein  etwas  grössere  Dosis  ge- 
nommen. Die  Patientin  klagte  auch 
über  Uebelsein  und  erbrach  ein  paar 
mal,  aber  diese  Erscheinungen  gingen 
sehr  schnell  vorüber.  Wir  sind  ge- 
wohnt, wenn  der  Patient  in  der  Nar- 
kose ist,  alle  diese  Erscheinungen  des 
Erbrechens,  schlechten  Atmens  u.  s.  w. 
ohne  grosse  Aufregung  hinzunehmen, 
denn  wir  wissen,  das  passiert  konstant, 
und  wir  haben  gelernt,  Unfälle  zu  ver- 
meiden. Wenn  der  Patient  nicht  nar- 
kotisiert ist  und  uns  über  jedes  seiner 
Gefühle  Mitteilung  machen  kann,  so 
macht  das  einen  unangenehmen  Ein- 
druck auf  den  Operateur  selbst.  Ich 
erinnere  mich,  wie  ein  Kollege,  der 
wegen  Hernie  operiert  wurde,  plötzlich 
zu  dem  Operateur  sagte:   „Aber  um 


312 


New   Yorker   Medizinische  Monatsschrift. 


Gottes  willen,  ich  habe  keinen  Puls 
mehr." 

Nur  eine  Einschränkung  möchte  ich 
machen :  Die  Lumbalanästhesie  hat 
grosse  Vorteile,  aber  ganz  strenge  In- 
dikationen. Meiner  Ansicht  nach  sollte 
man  alle  diejenigen  Fälle,  die  unter 
Lokalanästhesie  operiert  werden  kön- 
nen, absolut  von  Lumbalanästhesie 
ausscheiden.  Die  Lumbalanästhesie  hat 
immer  eine  Gefahr  für  den  Patienten. 
Ich  bin  nicht  Geburtshelfer,  aber  ich 
sollte  denken,  eine  normale  Geburt 
sollte  unter  keinen  Umständen  unter 
Lumbalanästhesie  gemacht  werden, 
wie  ich  gehört  habe,  dass  es  versucht 
worden  ist. 

So  möchte  ich  sagen,  dass  man  die 
Lumbalanästhesie  nur  gebrauchen  soll, 
wo  die  Inhalationsanästhesie  direkt 
kontraindiziert  ist,  bei  Diabetikern, 
schweren  Herzfehlern  u.  s.  w.,  wo 
man  aber  den  Leuten  die  Operation 
nicht  mehr  verweigern  kann. 

Dr.  A.  Stein:  Ich  möchte  mir  nur 
eine  ganz  kurze  Bemerkung  erlauben 
über  Anwendung  der  Lumbalanästhe- 
sie in  der  Geburtshilfe.  Dr.  Fischer 
hat  sehr  richtig  bemerkt,  dass  da  die 
Anwendung  nicht  ganz  gerechtfertigt 
ist,  und  die  Versuche  damit  haben 
auch  vollkommen  seiner  Ansicht  recht 
gegeben.  Nun  sind  in  den  letzten  zwei 
Jahren  etwa  an  der  Tübinger  wie  der 
Freiburger  Universität  eingehende 
Versuche  mit  einer  Kombination  von 
Lumbalanästhesie  mit  Einspritzungen 
von  Scopolamin-Morphium  gemacht  wor- 
den, die  in  der  Geburtshilfe  ausserordent- 
lich gute  Resultate  gegeben  haben.  Aus- 
gehend von  dem  Gedanken,  dass  die 
Lumbalanästhesie  als  solche  nicht  genü- 
gend ist,  um  die  Geburtsschmerzen,  die 
sich  häufig  längere  Zeit  hinziehen,  zu  be- 
kämpfen, hat  K  r  ö  n  i  g  Dämmerschlaf 
mit  Lumbalanästhesie  verbunden.  Der 
Dämmerschlaf  besteht  darin,  dass  bei  Be- 
ginn der  richtigen  Wehen  etwa  0,0003 
Scopolamin  und  0,01  Morphin  injiziert 
werden  und  dass  kurze  Zeit  nachher  noch 
eine  entsprechende  Dosis  Tropakokain  in- 
jiziert wird.  Diese  Dosis  kann  bedeutend 
geringer  genommen  werden.  Dadurch 
wird  die  Gefahr,  .die  der  Lumbalanästhe- 
sie anhaftet,  bedeutend  herabgesetzt. 
Man  kann  nun  während  des  Verlaufs  der 


Geburt  die  Injektion  ein-  oder  zweimal 
wiederholen  und  so  eine  bedeutende 
Schmerzlinderung  hervorrufen. 

Dr.  Wachsmann:  Ich  möchte 
nur  an  den  Vortragenden  oder  die  an- 
wesenden Chirurgen  die  Frage  stellen, 
ob  in  der  Literatur  oder  sonst  etwas 
bekannt  ist  über  die  Methode,  die 
Dr.  Stein  angegeben  hat.  Nach  zwei 
Erfahrungen,  die  ich  persönlich  hatte, 
würde  ich  mich  nicht  wundern,  wenn 
die  Chirurgen  die  Methode  niemals 
weiter  geprüft  haben.  Es  ist  reine 
Neugier  von  mir,  ob  in  der  Chirurgie 
irgend  etwas  darüber  bekannt  ist. 

Dr.  R.  L  e  w  i  s  o  h  n  (Schlusswort) : 
Ich  habe  leider  auch  keine  persönliche 
Erfahrung  darüber,  sondern  nur  neu- 
lich darüber  gehört.  In  der  Chirurgie 
ist  bis  jetzt  darüber  nichts  bekannt  ge- 
worden. Ich  habe  die  betreffende  Li- 
teratur studiert,  aber  nichts  gefunden. 

Ich  stimme  mit  Dr.  Fischer  voll- 
kommen überein,  dass  man  sehr  enge 
Indikation  stellen  soll,  und  bin  viel- 
leicht noch  strenger  als  er.  Ich  halte 
es  schon  für  unrichtig,  Hernien  damit 
zu  operieren.  Die  Lumbalanästhesie 
ist  aber  eine  entschieden  hervorra- 
gende Methode,  wenn  man  die  Indika- 
tion richtig  stellt. 

d)  Dr.  B.  Onuf:  Ueber  Psycho- 
therapie. 

(Siehe  unter  Originalarbeiten  in  ds. 
X  ummer.) 

Diskussion.  Dr.  J.  Fraenkel: 
Ich  glaube  vor  allem,  dass  man  Herrn 
Dr.  Onuf  Dank  sagen  muss,  dass  er 
das  Thema  vor  uns  gebracht  hat.  Es 
scheint  in  den  letzten  paar  Jahren  eine 
psychotherapeutische  Welle  über  die 
Welt  zu  ziehen.  Es  ist  unter  dem  Ein- 
rluss  der  von  Dr.  Onuf  genannten 
Herren,  unter  Führung  von  Freu  d, 
Jane  t,  D  ubois  und  anderen  die 
Methode  wieder  belebt  worden.  Es  ist 
auch  merkwürdig,  wenn  man  von  einer 
solchen  therapeutischen  Methode  re- 
det, kommt  einem  unwillkürlich  ein 
historischer  Gedanke  in  den  Kopf, 
nämlich  dass  die  Psychotherapie,  die 
Hydro-,  Elektro-  und  vielleicht  noch 
andere  Therapien  häufig  extra  muros 
wachsen,  eine  lange  Zeit  ausserhalb 
der  regulären  Medizin  gedeihen.  Da 
werden  sie  sehr  populär,    und  dann 


New   Yorker   Medizinische  Monatsschrift. 


3i3 


nimmt  sich  die  reguläre  Medizin  ihrer 
an.  Die  Ursache  für  diesen  histori- 
schen Vorgang  liegt  darin,  dass  wir  ei- 
nerseits von  der  Höhe  wissenschaftli- 
cher Schulung  alles  andere,  was  nicht 
in  den  wissenschaftlichen  Kram  hin- 
einpasst,  als  nicht  existierend  ansehen 
oder  dass  wir  die  nicht  rein  wissen- 
schaftliche Methode  analysieren  und 
verwerfen.  Beides  ist  unrichtig,  und 
wir  begehen  damit  einen  Fehler,  denn 
in  jeder  dieser  Methoden  steckt  ein 
Kern  von  Wert.  Wenn  wir  also  von 
der  Psychotherapie  als  einer  für  den 
praktischen  Arzt  brauchbaren  Methode 
reden  wollen,  so  müssen  wir  vor  allem 
auseinanderhalten,  ob  wir  die  Psycho- 
therapie als  eine  unterstützende  oder 
als  eine  ausschliessliche  Behandlungs- 
methode verwenden  wollen. 

Als  eine  unterstützende  Behand- 
lungsmethode liegt  sie  wahrscheinlich 
in  Leib  und  Blut  eines  jeden  guten 
Arztes.  Jeder  von  uns  treibt  Psycho- 
therapie, bewusst  oder  unbewusst.  Als 
Spezialbehandlung  für  gewisse  Zu- 
stände und  gewisse  Indikationen  hat 
sie  auch  eine  Berechtigung,  aber,  wie 
ich  glaube,  eine  sehr  begrenzte  und 
gehört  vor  das  Forum  von  wissen- 
schaftlich und  in  der  Behandlungsme- 
thode speziell  geschulten  Aerzten.  In- 
tra  muros  muss  man  sich  ganz  klar 
werden  über  die  Gruppe  von  Erkrank- 
ungen, die  man  in  das  Gebiet  hinein- 
weist. 

Wenn  Dr.  O  n  u  f  in  etwas  vielleicht 
vager  Weise  die  nicht  organischen  Er- 
krankungen genannt  hat  als  besonders 
geeignet  für  die  psychische  Behandlungs- 
methode, so  würde  das  voraussetzen, 
dass  wir  Genese  und  Pathologie  der  so- 
genannten nicht  organischen  Erkrank- 
ungen ganz  genau  kennen.  Nun  wissen 
wir  von  diesen  noch  viel  weniger  als 
von  der  Psychotherapie.  Wir  wissen, 
dass  ein  sehr  kleiner  Teil  von  soge- 
nannten funktionellen  Erkrankungen 
wirklich  psychogenen  Ursprungs  sind 
und  unter  ausschliesslich  psychischer 
Behandlung  glänzende  Resultate  ge- 
ben. 

Es  ist  physiologisch  bekannt,  dass 
mit  jeder  Emotion  ein  somatischer  Ap- 
parat parallel  entwickelt  wird,  z.  B. 
mit  den  Depressions-Emotionen  eine 


Tränensekretion,  mit  Zorn  ein  Ballen 
der  Fäuste  u.  s.  w.  Wenn  nun  unter 
dem  Einfluss  irgend  eines  psychischen 
Insultes  die  diesem  psychischen  Insult 
parallel  laufenden  somatischen  Phäno- 
mene ihren  Ausdruck  nicht  erhalten, 
dann  werden  sie  sozusagen  temporär 
gelähmt,  und  jedesmal  wenn  derselbe 
psychische  Gedanke  in  die  Reihe 
kommt,  werden  sie  an  diesem  Teil  der 
parallelen  somatischen  Funktionen  im- 
mer wieder  entgleisen,  sodass  nach  ei- 
ner gewissen  Reihe  von  Tagen  der  ur- 
sprüngliche Insult  verschwunden  war 
und  bloss  der  somatische  Insult  da- 
steht als  eine  Störung.  Diese  Form 
der  funktionellen  Erkrankung  ist  äus- 
serst selten.  Wenn  ich  sagen  darf,  dass 
ich  in  meiner  Erfahrung,  die  sich  auf 
16  Jahre  ausdehnt,  nicht  mehr  als  vier 
oder  fünf  solcher  Fälle  gesehen  habe, 
so  wird  das  Ihnen  zeigen,  wie  selten 
diese  Fälle  sind.  Diese  Fälle  sind  emi- 
nent für  die  Psychotherapie  geeignet. 
Die  Technik  ist  äusserst  kompliziert. 
Sie  setzt  eine  ganz  genaue  psychologi- 
sche Kenntnis  und  viele  andere  Mo- 
mente voraus  und  fordert  eine  gewisse 
Zeit.  Als  Hauptpunkt  dessen,  was  ich 
bis  jetzt  gesagt,  greife  ich  heraus,  dass 
diejenigen  Formen,  die  das  Resultat 
psychischer  Insulte  sind,  sich  für  die 
exklusive  Psychotherapie  eignen. 

Dr.  A.  Hoch:  Ich  bin  den  Ausführ- 
ungen des  Kollegen  Onuf  mit  gros- 
sem Interesse  gefolgt.  Hauptsächlich 
hat  mich  interessiert,  was  er  speziell 
über  die  Psychosen  gesagt  hat.  In  An- 
betracht der  vorgerückten  Zeit  möchte 
ich  nur  wenige  Worte  noch  hinzufü- 
gen. Wenn  wir  die  Lehrbücher  der 
Psychiatrie  durchblättern,  so  muss  es 
uns  sehr  sonderbar  vorkommen,  dass 
die  geistige  Ursache  der  Psychosen 
ziemlich  kümmerlich  behandelt  wird. 
Es  ist  meiner  Ansicht  nach  sehr 
wichtig,  dass  wir  uns  in  der  Psychia- 
trie sagen,  dass  gewisse  psychiatrische 
Symptome  und  sicherlich  wirkliche 
Psychosen  dadurch  hervorgebracht 
werden,  dass  innere  und  äussere  Kon- 
flikte, die  die  Persönlichkeit  betreffen, 
überhaupt  unrichtig  verarbeitet  wer- 
den, Die  normalen  Persönlichkeiten 
haben  auch  Konflikte,  aber  wir  werden 
mit  den  Konflikten  fertig,  wir  haben 


314 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


alle  möglichen  Gegengewichte,  ein  nor- 
males Interesse  am  Realen,  wir  spre- 
chen uns  aus,  haben  eine  gewisse 
Agressivität  dem  Leben  gegenüber, 
kurzum,  wir  haben  alle  möglichen  ge- 
sunden geistigen  Gewohnheiten,  die 
uns  davon  abhalten,  unsere  Konflikte, 
innere  und  äussere,  falsch  zu  verarbei- 
ten und  auf  diese  Weise  zu  entgleisen. 
Wie  diese  falsche  Verarbeitung  vor 
sich  geht,  hat  Kollege  O  n  u  f  gezeigt, 
und  was  er  in  seinem  letzten  Fall  ge- 
zeigt, zeigen  auch  die  Ausführungen 
von  anderen  Aerzten,  die  sich  über  dieses 
Thema  ausgelassen  haben.  Es  ent- 
stehen dann  Krankheitsbilder,  die  ent- 
weder ziemlich  einfach  sind  oder  alle 
möglichen  Wahnideen,  Halluzinatio- 
nen, sonderbare  Handlungen  zeigen, 
die  wir  absolut  nicht  verstehen  kön- 
nen, wenn  wir  diese  Symptome  als 
Hirnsymptome  auffassen,  wie  es  im- 
mer noch  geschieht,  sondern  die  wir 
nur  dann  verstehen,  wenn  wir  sie  auf- 
fassen, wie  ich  gezeigt  habe. 

Wenn  wir  diese  Ausführungen  als 
richtig  annehmen,  so  sind  der  Therapie 
die  Wege  vorgeschrieben,  und  ich 
stimme  dem  Kollegen  O  n  u  f  bei,  dass 
man  mit  einer  richtigen  Psychothera- 
pie, die  sich  auf  die  Analyse  des  Falles 
stützt,  jedenfalls  auch  bei  Psychosen 
viel  tun  kann.  Es  würde  zu  weit  füh- 
ren, Ihnen  Fälle  vorzuführen,  denn  sol- 
che Fälle  können  nicht  überzeugen, 
wenn  sie  nicht  im  Detail  gegeben  wer- 
den, aber  ich  kann  nur  sagen,  dass 
auch  bei  schweren  Psychosen  eine  sol- 
che Analyse,  die  allerdings  ausseror- 
dentlich zeitraubend  ist,  doch  wichtige 
Winke  für  die  Behandlung  gibt,  und 
dass  diese  Behandlung  tatsächlich  Er- 
folg hat,  wenigstens  bis  zu  einem  ge- 
wissen Grade  und  in  besonderen  Fäl- 
len. Es  müssen  natürlich  Fälle  sein, 
die  am  Anfang  der  Krankheit  zur  Be- 
handlung kommen,  und  Fälle  von  be- 
stimmten Persönlichkeiten,  an  die  man 
herankommen  kann.  Ich  habe  da  die 
Erfahrung  gehabt,  dass  man  tatsäch- 
lich Erregungszustände,  Halluzina- 
tionen, Wahnideen  zum  Verschwinden 
bringt,  wenn  man  sich  auf  eine  genaue 
Analyse  stützt.  Ich  will  nicht  behaup- 
ten, dass  man  solche  Fälle  heilen  kann, 
ich  glaube  aber,  dass  es  sehr  wichtig 


ist,  in  Fällen,  denen  gegenüber  wir  ge- 
wöhnlich hilflos  dastehen,  diese  Ana- 
lyse zu  machen  und  die  Therapie  ein- 
zuhalten. 

Ich  stimme  also  dem  Kollegen 
O  n  u  f  bei  und  möchte  als  Psychiater 
noch  besonders  Gewicht  darauf  legen, 
dass  tatsächlich  die  Psychiatrie  fähig 
ist,  etwas  zu  leisten,  auch  in  paranoia- 
tischen Zuständen  und  sogar  in  Fällen 
von  Dementia.  Uebrigens  sind  auch 
die  Analysen  von  ausserordentlich 
grossem  theoretischem  Interesse,  nicht 
nur  dadurch,  dass  sie  uns  die  Psycho- 
pathologie entwickeln  helfen,  sondern 
auch  dahin  wirken,  dass  wir  eine 
klarere  Psychiatrie  dadurch  entwick- 
eln, und  ich  glaube  auch,  dass  wir  da- 
durch für  die  Prophylaxe  ganz  ent- 
schieden sehr  wichtige  Winke  werden 
erhalten  können. 

Dr.  A.  W.  Script ure:  Ich  habe 
in  Deutschland  und  der  Schweiz  oft 
solche  Behandlung  gesehen.  Dr. 
O  n  u  f  hat  von  dem  Verdruss  des  Arz- 
tes gesprochen,  wenn  er  sein  Ziel  nicht 
erreicht.  Es  ist  wahr,  es  gibt  viele 
Leute,  die  nicht  in  den  Zustand  der 
Hypnose  gebracht  werden  können, 
aber  das  ist  auch  in  neun  von  zehn  Fäl- 
len nicht  nötig.  Ein  oberflächlicher 
Zustand  ist  genügend,  der  darin  be- 
steht, dass  der  Patient  fixiert  und  all- 
mählich in  eine  Art  Schlummer  ge- 
bracht wird.  Die  Behandlung  besteht 
in  denselben  Worten  für  dieselben 
Suggestionen.  Es  werden  keine  Fra- 
gen an  den  Patienten  gerichtet.  Diese 
Behandlung  ist  leicht  anzuwenden  in 
Fällen  von  Schlaflosigkeit,  Niederge- 
schlagenheit, Angst,  Erregbarkeit  und 
allerhand  geistigen  Störungen,  die 
durch  geschäftliche  und  Familiensor- 
gen entstehen.  Manch  ein  Patient 
kommt  nicht  der  ärztlichen  Behand- 
lung wegen,  sondern  sucht  nur  etwas 
Beruhigung,  und  in  solchen  Fällen  hat 
ein  halbhypnotischer  Schlaf,  verbunden 
mit  einer  in  freundlichen  Worten  ge- 
gebenen Suggestion,  meist  guten  Er- 
folg. 

Die  Technik  ist  nicht  schwierig. 
(Redner  demonstriert  die  Methoden 
verschiedener  Autoritäten.)  Diese  Me- 
thoden sind  alle  so  einfach  und  von  so 
auffallender  Wirkung,  dass  ich  sie  dem 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


3i5 


allgemeinen  Praktiker  gar  nicht  genug 
empfehlen  kann. 

Dr.  B.  Sachs:  Ich  ergreife  nicht 
ungern  das  Wort  in  der  Frage,  die 
schon  neulich  in  Boston  zu  einem  hef- 
tigen gegenseitigen  Meinungsaus- 
tausch geführt  hat.  Ich  glaube  aber, 
es  ist  Pflicht,  dass  man  doch  die  Sache 
gerade  vor  diesem  Publikum  etwas  an- 
ders deutet  als  sie  bisher  gedeutet  wor- 
den ist.  Obwohl  ich  im  ganzen  im  Ein- 
klang mit  Dr.  F  r  a  e  n  k  e  1  und  Dr. 
O  n  u  f  stehe,  ist  es  nötig,  dass  der 
Neurologe  und  Psychiater  die  Sache 
in  etwas  anderem  Licht  dem  allge- 
meinen medizinischen  Publikum  vor- 
trage. 

Die  Psychotherapie  macht  heutzu- 
tage ungeheuer  viel  von  sich  reden.  Im 
Grunde  genommen  ist  das  meiste  da- 
von alt,  und  was  neu  daran  ist,  ist  noch 
nicht  sicher  gestellt,  also  muss  man 
die  Sache  überhaupt  mit  grosser  Vor- 
sicht aufnehmen.  Ich  erkenne  ganz 
gern  an,  dass  die  Arbeiten  von  Freud, 
J  a  n  e  t,  Jung,  D  u  b  o  i  s  u.  a.  einen 
gewissen  Wert  haben,  aber  einen  Wert, 
der  ausserordentlich  beschränkt  ist. 
Nun  ist  vor  allem  zu  betonen,  dass  die 
neue  Psychotherapie  sich  nur  auf  we- 
nige Krankheitszustände  anwenden 
lässt,  wenn  man  von  einer  Psychothe- 
rapie überhaupt  reden  will.  Bei  all  die- 
sen Geschichten  ist  doch  wenig  davon 
die  Rede,  sondern  vorläufig  nur  von 
Psychodiagnostik,  und  Psychodiagno- 
stik  heisst  meist  nur  genauer  Eingehen 
auf  jeden  einzelnen  Fall  in  vernünfti- 
ger Weise.  Die  Psychotherapie  ist 
vielleicht  eine  rationelle  Verwendung 
von  dem,  was  man  in  dem  einzelnen 
Fall  herausgebracht  hat,  und  man 
kann  aus  dem  Beispiel,  das  Dr.  Onuf 
erwähnt  hat,  sehen,  dass  man,  wenn  es 
zur  Therapie  kommt,  ganz  andere  Mit- 
tel anwendet.  In  dem  einen  Fall  hat 
man  den  Zusammenhang  zwischen 
Konvergenzstörung  und  verschiedenen 
Vorgängen,  die  vorhergegangen  sind, 
hergestellt  und  sinnig  ausgedacht,  aber 
die  Kur  bestand  in  Anwendung  von 
Gläsern  und  anderen  Mitteln.  Man  hat 
Psychodiagnostik  vernünftig  ange- 
wandt und  dann  die  richtigen  Mittel 
ausgefunden.  Man  soll  sich  überhaupt 
nicht  denken,  dass  wir  hier  auf  etwas 


ganz  Neues  gestossen  sind,  was  die 
therapeutischen  Mittel  anbelangt.  Auch 
in  früheren  Jahren  hat  man  Psycho- 
diagnostik getrieben.  Jeder  einzelne 
von  uns  hat  auf  jede  Weise  versucht, 
den  einzelnen  Fall  zu  deuten.  Aller- 
dings habe  ich  nicht  nur  auf  sexuelle 
Erfahrungen  gefahndet.  Ich  habe 
schon  manchmal  stundenlang  mich  mit 
einem  Kranken,  der  Verfolgungswahn- 
ideen hatte,  unterhalten  und  versucht, 
auf  ihn  Eindruck  zu  machen  und  ihn 
aus  seinen  Ideen  herauszureden.  Es 
ist  mir  aber  nicht  eingefallen,  diese 
Methode  als  Psychotherapie  zu  be- 
zeichnen, obwohl  sie  viel  höher  steht 
als  was  heutzutage  als  Psychotherapie 
angegeben  wird.  Ich  will  dadurch  die 
Psychotherapie  nicht  degradieren,  son- 
dern nur  beweisen,  dass  es  sich  gar 
nicht  um  neue  Ideen  handelt,  sondern 
nur  um  ein  Ausarbeiten  von  Methoden, 
die  ganz  bekannt  waren.  Ausserdem 
muss  man  eins  betonen,  dass  diese 
ganze  Psychodiagnostik  und  Psycho- 
therapie sich  nur  auf  solche  Zustände 
anwenden  lässt,  die  psychogen  sind 
oder  psychogen  mit  ganz  gewissen,  be- 
stimmten somatischen  Veränderungen, 
also  wenn  wir  sie  auf  Neurasthenie, 
auf  Hysterie,  auf  leichte  Psychosen  be- 
ziehen, ist  die  Wirkungskraft  dieser 
Therapie  erschöpft.  Bei  Paranoia  oder 
Dementia  praecox  z.  B.  möchte  ich  be- 
zweifeln, ob  mit  den  jetzigen  therapeu- 
tischen Mitteln  etwas  erreicht  wird. 

Ich  möchte  nur  noch  das  eine  be- 
tonen, dass  sich  die  allgemeinen  Prak- 
tiker nicht  von  Dr.  Scripture  ver- 
leiten lassen,  hypnotische  Versuche 
anzustellen,  denn  es  gibt  nichts  Gefähr- 
licheres, wenn  man  das  soziale  Wohl 
in  Betracht  zieht,  als  dass  ein  Mensch, 
der  sich  nicht  absolut  auf  hypnotische 
Methoden  versteht,  den  Willenszu- 
stand oder  das  Benehmen  eines  ande- 
ren Menschen  zu  beeinflussen  versucht. 
Vor  zehn,  zwölf  Jahren  hat  man  die 
Hypnose  begeistert  angewandt,  und  ich 
selbst  habe  viel  damit  getrieben,  aber 
wir  haben  uns  schon  längst  davon  ab- 
gewandt, denn  wir  haben  viel  Ern- 
steres vor,  als  uns  mit  diesen  Dingen, 
die  meist  Spielereien  sind,  abzugeben, 
und  derjenige,  welcher  sich  immer  das 
Vorbild  eines  ehrlichen  Arztes  vorhält, 


3i6 


New   Yorker   Medizinische  Monatsschrift. 


wird  sich  schwer  mit  Hypnotismus  zu- 
frieden geben,  vor  allem  der,  der  nicht 
darin  geschult  ist,  wenn  er  auch  einen 
schönen  Apparat  vor  sich  sieht,  soll 
sich  nicht  dazu  verleiten  lassen,  in  ir- 
gend einem  Falle  Hypnose  anzuwen- 
den, wenn  er  nicht  sicher  weiss,  was  er 
damit  bezwecken  will. 

Dr.  G  e  o.  W.  Jacob  y:  Wenn  es 
auch  schon  sehr  spät  ist,  möchte  ich 
doch  dem,  was  Dr.  Sachs  gesagt  hat, 
meine  unbedingte  Zustimmung  aus- 
sprechen, denn  wir  habe  alle  die  Lehre 
von  der  Hypnose  durchgemacht,  und, 
wie  namhafte  Autoren  gesagt  haben, 
jeder  muss  diese  Lehre  durchmachen, 
geradeso  wie  man  die  Masern  durch- 
macht. Je  jünger  der  Mann  ist,  desto 
stärker  die  Infektion.  Wir  haben  sie 
durchgemacht  und  haben  sie  abgelehnt. 
Wir  wissen,  dass  es  sich  zuerst  in  der 
historischen  Entwickelung  um  eine 
rein  physikalische  Sache  handelt,  dann 
um  die  Einführung  der  Suggestions- 
therapie, und  jetzt  kommt  hinzu  —  wir 
haben  eigentlich  nichts  anderes,  der 
Standpunkt  ist  nur  etwas  verlegt  ■ — 
eine  andere  Theorie,  die  Assoziations- 
und die  analytische  Theorie.  Dass  an 
dieser  ganzen  analytischen  Methode  et- 
was Wissenschaftliches  ist,  muss  man 
ihr  lassen.  Wir  ziehen  auch  dadurch 
den  ganzen  Hypnotismus  aus  dem 
Fach  der  Scharlatanerie,  in  welches  er 
hineingeleitet  worden  ist,  und  benützen 
die  Hypnose  hier  als  diagnostisches 
Mittel  in  einer  wissenschaftlichen  Art 
und  Weise.  Dass  wir  aber  mehr  be- 
zwecken und  mehr  lernen  als  durch  die 
Suggestionstherapie,  glaube  ich  nicht. 
Es  ist  kaum  nötig,  darauf  hinzuweisen, 
dass  es  eine  wirkliche  Psychotherapie 
an  und  für  sich  nicht  gibt.  Es  gibt 
Psychotherapie  in  Verbindung  mit  an- 
deren Behandlungsmethoden.  Wie  der 
Geist  auf  den  Körper  wirkt,  so  wirkt 
wiederum  der  Körper  auf  den  Geist, 
und  nur  derjenige  wird  ein  wirklicher 
Therapeut  sein,  der  seine  Psychothera- 
pie in  Verbindung  mit  seiner  allge- 
meinen körperlichen  Therapie  anwen- 
det. 

Dr.  B.  Onuf  (Schlusswort)  :  Ich 
werde  mich  kurz  fassen.  Ich  möchte 
Herrn  Dr.  Fr  a  e  n  k  e  1  antworten,  dass 
ich  die  Beschränkungen  des  Wirkungs- 


kreises vollkommen  einsehe,  das  heisst, 
obwohl  ich  nicht  denke,  dass  die  Be- 
schränkung ganz  so  gross  ist  wie  Dr. 
F  r  a  e  n  k  e  1  sie  darstellt.  Seinen  Ein- 
wand, dass  ich  die  Indikation  zu  vage 
stelle,  muss  ich  dahin  beantworten,  dass 
vorläufig  nicht  vorauszusehen  ist,  wie 
weit  sich  der  Wirkungskreis  eben  aus- 
dehnen wird.  Ich  glaube,  dass  die  Be- 
merkungen, die  Dr.  Hoch  gemacht 
hat,  ganz  bedeutende  Möglichkeiten 
sehen  lassen,  dass  absolut  bis  jetzt 
noch  nicht  zu  sagen  ist,  wie  gross  die 
Beschränkung  sein  wird,  wie  weit  die 
Wirksamkeit  der  Methode  sich  ausdeh- 
nen lassen  möge. 

Auf  die  Bemerkung,  dass  wir  Alle 
die  Psychotherapie  als  Nebenbehand- 
lung benützen,  möchte  ich  erwiedern, 
dass  von  den  Aerzten  so  häufig  der 
Fehler  gemacht  wird,  den  Patienten  et- 
was zu  geben  und  ihm  nichts  dabei  zu 
sagen.  Wenn  dem  Patienten  klar  ge- 
macht wird,  dass  er  keine  Medizin 
braucht,  wäre  in  manchen  Fällen  viel 
gewonnen.  Ich  erinnere  mich  des  Fal- 
les eines  Neurasthenikers,  der  sich  leicht 
überreden  Hess,  dass  Medizin  ihm  von 
wenig  Nutzen  sei,  der  sich  aber  nicht 
entschliessen  konnte,  eine  ihm  ver- 
schriebene Schlafmedizin  aufzugeben, 
denn  dieselbe  hatte  eine  so  zauberhafte 
Wirkung,  dass  er  zwei  Minuten  nach 
Einnehmen  derselben  schon  einschlafe. 
Es  ist  wichtig,  einem  solchen  Patienten 
die  Ueberzeugung  beizubringen,  dass 
unmöglich  die  Medizin  als  solche  in 
zwei  Minuten  Schlaf  hervorrufe,  und 
ihm  auf  der  Basis  solcher  Erscheinung 
zu  erklären,  wie  das  nicht  dem 
Medikament,  sondern  der  psychischen 
Einwirkung  zuzuschreiben  ist. 

Ich  stimme  mit  den  anderen  Herren 
überein.  Dr.  Scripture's  Bemerk- 
ungen waren  sehr  interessant,  doch 
muss  ich  auch  sagen,  dass  der  hypnoti- 
schen Behandlung  im  allgemeinen  be- 
deutende Gründe  entgegenstehen. 
Trotzdem  werden  sich  Fälle  finden,  wo 
wir  dazu  unsere  Zuflucht  nehmen  müs- 
sen, wo  die  psychoanalytische  Methode 
nicht  wirksam  genug  sein  wird.  Ich 
denke  aber,  wie  die  anderen  Herren, 
dass  diese  Methode  mit  grosser  Vor- 
sicht gebraucht  werden  sollte. 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


Laut  Bericht  der  Wahlinspektoren 
sind  für  das  nächste  Jahr  erwählt : 

Präsident :  Dr.  Carl  Beck. 

Vize-Präsident :  Dr.  G.  M  a  n  n  h  e  i- 
m  e  r. 

Protokollierender  Sekretär :  Dr.  J. 
Heckmann. 

Stellvertretender  protokollierender 
Sekretär  :  Dr.  M.  H  e  i  m  a  n  n. 

Korrespondierender  Sekretär :  Dr.  H. 
Fischer. 

Schatzmeister :  Dr.  S.  Breiten- 
feld. 


Aufnahme  -  Komitee :  Dr.  J.  W. 
Gleitsmann,Dr.  H.  J.Bol  d  t,  Dr. 
H.  G.  Krause,  Dr.  F.  Torek,  Dr. 
L.  Ewald. 

Zur  Mitgliedschaft  vorgeschlagen: 
Dr.  Oswald  Joerg  von  Dr.  H.  G. 
K  1  o  t  z,  Dr.  F.  F.  R.  B  e  r  1  i  n  von  Dr. 
H.  B  o  e  k  e  r. 

Hierauf  Schluss  und  Vertagung. 

Dr.  John  A.  Beuermann, 

Prot.  Sekretär. 


Deutsche  Medizinische  Ges< 

Sitzung  vom  2.  Mai  1907.* 
Vorsitzender :  Dr.  Herzog. 
Programm. 

1)  Dr.  Emil  Beck:  Aneurysma 
der  Arteria  poplitea. 

2)  Dr.  Saurenhaus:  Interes- 
sante Fälle  aus  der  Geburtshilfe. 

Das  Protokoll  der  letzten  Sitzung  wird 
verlesen  und  angenommen. 

Dr.  E.  Beck  stellt  einen  im  mittleren 
Lebensalter  stehenden  Mann  vor,  der 
seit  drei  Monaten  über  Müdigkeit  und 
Schmerzen  in  einem  Beine  klagt  und  das 
Entstehen  einer  etwas  schmerzhaften 
Schwellung  in  der  Kniekehle  beobachtet. 
An  der  genannten  Stelle  befindet  sich  ein 
ca  hühnereigrosses  Aneurysma,  dessen 
Umfang  durch  das  Röntgenogramm  ge- 
nauer demonstriert  wird.  Patient  hatte 
Lues.  Ein  Trauma  fand  nicht  statt. 
Durch  einen  Gummistrumpf  wurden  die 
Schmerzen  und  die  Müdigkeit  gemildert, 
doch  traten  infolge  der  Kompression 
durch  den  Strumpf  Zirkulationsstörun- 
gen des  Fusses  (Cyanose,  Schmerzen) 
auf.  Nach  Ansicht  Dr.  B.'s  dürfte  im 
Laufe  der  Zeit  eine  operative  Behand- 
lung des  Aneurysmas  notwendig  werden. 

Dr.  Beck  bespricht  des  genaueren  die 
Operationsmethode  der 

1)  Endoneurysmarrhaphie,  Verschluss 
der  Arterie  mit    Obliteration    des  Ge- 


*)  Bei  der  Redaktion  eingegangen  am 
13.  d.  M. 


schaft  der  Stadt  Chicago. 

fässes  und  Sackes  nach  Naht  des  letz- 
teren ; 

2)  der  restaurativen  Endoneurysmar- 
rhaphie  für  Fälle,  wo  von  der  Arterie 
nur  eine  Oeffnung  in  das  Aneurysma 
geht; 

3)  die  rekonstruktive  Methode,  durch 
welche  der  Kanal  verkleinert  wird. 

Diskussion.  Dr.  Alfred  S  c  h  i  r- 
m  e  r  erinnert  an  einen  von  ihm  vor  meh- 
reren Jahren  in  der  Gesellschaft  vorge- 
stellten Patienten  von  etwa  dreissig  Jah- 
ren —  Potator  und  Luetiker  —  der  ein 
Aneurysma  der  Arteria  poplitea  an 
beiden  Beinen  hatte ;  das  eine  Aneury- 
sma war  grösser,  das  andere  kleiner  als 
das  heute  demonstrierte.  Wiederholte 
energische  antiluetische  Kuren  in  Ver- 
bindung mit  Anwendung  des  Tourni- 
quets  brachten  temporäre  Besserungen 
herbei.  Patient  starb  schliesslich  einige 
Jahre  später  an  einer  Rückenmarkser- 
krankung. Interessant  ist,  dass  auch 
dessen  Mutter  an  einem  grossen  Aneu- 
rysma gelitten  hatte. 

Dr.  Doepfner  empfiehlt  für  den 
vorgestellten  Fall  die  Ligatur  der  Ar- 
terie oberhalb  und  unterhalb  des  Sackes 
mit  Exstirpation  des  letzteren. 

Dr.  Zimmerma  n  n :  Die  Gefäss- 
chirurgie  ist  in  eine  neue  Epoche  einge- 
treten;  die  Lehrstätte  der  Physiologie  der 
früheren  Zeiten  sind  sozusagen  auf  den 
Kopf  gestellt,  seit  Garrell  durch  die 
Erfahrungen  der  Gefässchirurgic  gezeigt 
hat,  dass  man    Blutgefässe  unbestraft 


3i8 


New    Yorker   Medizinische  Monatsschrift. 


trennen,  vereinigen  und  Stücke  anderer 
Gefässe  transplantieren  kann.  Die  Ge- 
fässnaht  kann  ohne  Schädigung  der 
Durchlässigkeit  des  Rohres  und  der  Er- 
nährung der  betreffenden  Extremität  ge- 
macht werden.  -  Diesbezüglich  am  'wei- 
testen gehen  die  Versuche  der  Trans- 
plantation von  Nieren  eines  Tieres  in 
ein  anderes  mit  Gefässvereinigung ;  die 
Nieren  funktionieren  sofort  und  heilen 
schliesslich  ein.  Die  alte  Lehre,  dass 
Verletzung  der  Intima  Koagulation  her- 
vorbringen müsse,  besteht  nicht  mehr. 
Auf  Grund  dieser  Versuche  wurde  in 
den  letzten  Jahren  viel  Versprechendes 
für  die  chirurgische  Behandlung  der 
Aneurysmen  gewonnen,  namentlich  für 
die  Exstirpation  des  Sackes  und  Naht 
von  Gefässen.  Gefässnähte  bei  kleine- 
ren Verletzungen  sind  schon  früher  ge- 
macht worden ;  auch  Herzwandnähte 
waren  erfolgreich  und  trotz  Verletzun- 
gen des  Endokardiums  bildeten  sich 
keine  Blutkoagula.  Dr.  Zimmer- 
mann legte  in  einem  Falle  einer  kleinen 
Verletzung  der  Arteria  femoralis  eine 
Katgutnaht  an,  die  gut  hielt  und  Heilung 
ohne  Nachblutung  herbeiführte :  ein 
Aneurysma  trat  nachher  nicht  auf.  Bei 
sackförmigen  Aneurysmen  würde  er 
nicht  sofort  ligieren  und  exstirpieren, 
sondern  das  Gefäss  nach  der  Entfernung 
des  Sackes  nähen,  bei  fusiformem 
Aneurysma  ligieren  und  exstirpieren. 
Vielleicht  Hesse  sich  die  Idee  der  Ge- 
fässtransplantation  in  solchen  Fällen  mit 
Erfolg  anwenden.  Beim  Menschen  lie- 
gen vorläufig  keine  diesbezüglichen  Ver- 
suche vor. 

Dr.  Carl  Beck  hat  einige  Fälle  von 
Aneurysma  chirurgisch  behandelt.  In 
einem  Falle  von  Aneurysma  der  Art. 
anonyma  bediente  er  sich  der  elektri- 
schen Behandlung  mit  einem  insofern 
guten  Resultat,  als  ausgiebige  Koagula- 
tion im  Sacke  aufgetreten  und  ein  nur 
sehr  kleines  Lumen  übrig  geblieben  war ; 
auch  klinisch  war  Besserung  eingetreten. 
Patientin  starb  später ;  bei  der  Sektion 
ergab  sich  die  erwähnte  Verengerung 
des  Lumens  des  Aneurysmas. 

Auffallend  war  der  Shock  beim  Ein- 
führen der  elektrischen  Nadel  noch  vor 
dem  Eintreten  des  elektrischen  Stromes. 
Bei  Aneurysma  fusiforme  wäre  es  viel- 
leicht empfehlenswert,  ein  Stück  zu  exzi- 


dieren  und  den  Rest  zu  vernähen,  sodass 
das  Lumen  verkleinert  ist.  Im  allgemei- 
nen ist  die  Radikaloperation  (vollstän- 
dige Exstirpation)  das  beste  Verfahren. 

G  a  r  r  e  1 1  hat  ausgezeichnete  Resul- 
tate mit  der  Gefässnaht  erzielt ;  unerläs- 
sig  ist  eine  exakte  Technik  und  die 
Verwendung  feinsten  Nahtmaterials,  wie 
Frauenhaares  oder  feinster  Seide.  Nicht 
nur  Nieren,  sondern  auch  Schilddrüsen 
wurden  mittels  Gefässnaht  mit  Erfolg 
transplantiert.  Gegenwärtig  werden  Ver- 
suche von  Gefässeinpflanzung  mit  Lap- 
pen angestellt ;  es  wurden  sogar  erfolg- 
reiche Einpflanzungen  der  Karotis  in  die 
Vena  jugularis  vorgenommen  und  da- 
durch der  Kreislauf  des  Blutes  im  Ge- 
hirn umgekehrt.  Von  diesen  Erfahrun- 
gen hatte  Dr.  Carl  Beck  kürzlich  An- 
wendung gemacht.  Ein  Mann  erlitt 
durch  einen  Unfall  mehrere  Verletzun- 
gen des  rechten  Beines  schwerster  Art 
mit  pulpöser  Gewebszertrümmerung 
oberhalb  der  Malleolen.  Den  folgenden 
Tag  stellten  sich  Erscheinungen  begin- 
nender Gangrän  unterhalb  der  Verletz- 
ung ein :  Kälte,  Unempfmdlichkeit  der 
Zehen  bei  fehlendem  Puls.  Die  Arteria 
tibialis  antica  pulsierte  nur  oberhalb  der 
Verletzungsstelle.  Diese  Arteria  wurde 
mittels  Endanastomosenbildung  mit  ei- 
ner kleinen,  in  den  Gewebstrümmern  in- 
takt gebliebenen  Vene  vereinigt.  Der 
Fuss  ist  wieder  warm  geworden,  das  Ge- 
fühl hat  sich  wiederhergestellt.  Dr. 
Beck  nimmt  an,  dass  die  übrigen  Ge- 
fässe in  der  pulpösen  Gewebsmasse  mit 
Sicherheit  zerrissen  waren.  Tierver- 
suche ergaben,  dass  sich  nach  einer  der- 
artigen Umkehrung  des  Blutkreislaufes 
mit  der  Zeit  die  Verhältnisse  so  gestal- 
ten, als  ob  keine  Ueberpflanzung  statt- 
gefunden hätte.  Dr.  C.  Beck  hatte 
schon  früher  laterale  Naht  angeschnitte- 
ner Venen  oder  „End  zu  End"-Vereinig- 
ungen  gemacht.  Gelatineinjektionen  er- 
wiesen sich  ihm  bei  Aneurysma  als  wir- 
kungslos. 

Dr.  A.  Schirmer  hat  in  einem  Fall 
von  Aneurysma  Gelatine  ebenfalls  ohne 
Erfolg  angewandt. 

Dr.  E  m  i  1  B  e  c  k  ist  der  Ansicht,  dass 
die  einfache  Exstirpation  des  Sackes  mit 
Ligatur  ohne  Herstellung  einer  Anasto- 
mose des  Arterienrohres  genügend  sei, 
da  Gangrän  des  Beines  kaum  zu  befürch- 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


319 


ten  sei.  In  Fällen,  wo  sich  bei  der  Ex- 
stirpation  Schwierigkeiten  infolge  Ver- 
wachsungen mit  Vene  und  Nerv  oder 
durch  das  Vorhandensein  zahlreicher 
kleinerer  Arterien  ergeben,  ist  es  ange- 
zeigt, die  Geschwulst  nach  Eröffnung 
und  Ausräumung  zu  vernähen. 

Dr.  Doepfner  rät,  die  Möglich- 
keit einer  Gangrän  nach  der  Totalex- 
stirpation  im  Auge  zu  behalten,  da  Fälle 
dieser  Komplikation  vielfach  beobachtet 
worden  sind.  Da  unser  Patient  keine 
Nervendruckerscheinungen  zeigt,  so 
dürfte  die  Ablösung  des  Aneurysma- 
sackes  vom  Nerven  nicht  schwierig  sein. 
Bei  einer  Resektion  des  Kniegelenkes 
ereignete  es  sich,  dass  ein  Arzt  die  Ar- 
teria poplitea  durchschnitt.  Die  Ar- 
teriennaht ergab  einen  vollkommenen 
Erfolg. 

Der  Vortrag  des  Herrn  Dr.  Sauren- 
h  a  u  s  wird  verschoben. 

Dr.  Herzog  teilt  mit,  dass  zu  Ehren 
des  Herrn  Professor  Hess  aus 
Würzburg,  der  in  Chicago  kurze 
Zeit  geweilt,  um  sich  von  hier  nach 
Atlantic  City  zu  begeben  und  einen  Vor- 
trag in  der  Ophthalmologie  Sektion  zu 
halten,  vom  Vorstand  der  Deutschen 
Medizinischen  Gesellschaft  eine  Rund- 
fahrt in  Chicago  und  ein  Festessen  im 
Germania  Klub  veranstaltet  wurde. 

Dr.  H  o  1  i  n  g  e  r  teilt  mit,  dass  Herr 
Prof.  K  i  1 1  i  a  n  in  nächster  Zeit  in  Chi- 
cago eintreffen  werde.  Es  sollen  Vor- 
bereitungen gemacht  werden,  ihn  zu 
ehren.  Dr.  H  o  1  i  n  g  e  r  und  Dr.  Josef 
Beck  werden  zum  Komitee  für  das  Ar- 
rangement eines  Festessens  gewählt. 

Dr.  Doepfner  gibt  Mitteilung  von 
der  Gründung  der  Fenge  r-Memorial 
Association,  die  den  Zweck  hat,  Gelder 
zu  sammeln,  um  aus  den  Zinsen  Medi- 
zinern, die  sich  mit  Originalarbeiten  be- 
schäftigen, zu  unterstützen. 

Die  Deutsche  Medizinische  Gesell- 
schaft möge  dieser  Gesellschaft  korpora- 
tiv beitreten. 

Am  13.  Mai  1907  fand  im  Hotel  Bis- 
mark ein  Festessen  mit  nachfolgender 
ausserordentlichen  Sitzung  zu  Ehren 
des  Herrn  Prof.  K  i  1 1  i  a  n  von  Frei- 
burg statt. 

Herr  Prof.  K  i  1 1  i  a  n  hielt  einen  Vor- 
trag über  Nasennebenhöhlenerkrank- 
ungen und  deren  Behandlung. 


Sitzung  vom  16.  Mai  1907. 
Vorsitzender:  Dr.  Herzog. 

1)  Dr.  Sau  renhaus:  Interes- 
sante Fälle  aus  der  Geburtshilfe. 

2)  Dr.  Zimmermann:  Seltenere 
Erkrankungen  des  Meckel'schen  Di- 
vertikels. 

Dr.  Herzog  eröffnet  die  Sitzung 
mit  der  Begrüssung  des  Herrn  Prof. 
Küster  aus  Marburg  als  Gast. 

Hierauf  berichtet  Dr.  Sauren- 
haus  über  folgende  Fälle : 

1)  29jährige  Primipara.  Vorzeitiger 
Blasensprung.  Nach  24stündiger  Ge- 
burtstätigkeit musste  Zange  angelegt 
werden.  Das  Geburtshindernis  war 
durch  eine  Ankylose  des  stark  vor- 
springenden Steissbeines,  als  Folge  ei- 
ner früher  erlittenen  Fraktur  dessel- 
ben, bedingt. 

2)  35jährige  Mehrgebärende ;  4  bis 
5  Stunden  in  Geburtstätigkeit.  Als 
Dr.  Sau  renhaus  anlangte,  wurde 
gerade  Dammschutz  ausgeführt.  (Dr. 
Gilbert.)  In  der  Vulva  war  Hin- 
terhaupt mit  Kopfgeschwulst,  im  After 
der  Frau  die  Schulter  und  ein  Teil  des 
Armes  des  Kindes  sichtbar.  Während 
einer  sehr  kräftigen  Wehe  konnte  das 
Kind  nicht  mehr  zurückgehalten  wer- 
den und  wurde  per  rectum  bei  fast  in- 
taktem Perineum  geboren ;  auch  die 
Plazenta  wurde  durch  das  Rektum  ge- 
boren. Vor  15  Jahren  wurde  an  der 
Frau  Perineorrhaphie  gemacht ;  wahr- 
scheinlich war  an  der  Operationsstelle 
eine  Verdünnung  des  Septums,  sodass 
dasselbe  bei  der  Geburt  hier  perforiert 
wurde.  Der  Riss  wurde  nicht  genäht, 
da  Patientin  die  Zustimmung  verwei- 
gerte. Trotzdem  Spontanheilung  ohne 
Recto-vaginalfistel  bei  normalem  Wo- 
chenbettverlauf. 

3)  24jährige  II.  Gebärende.  Vor  3 
Jahren  Kaiserschnitt  mit  totem  Kind 
und  gutem  Wochenbettverlauf.  Die 
Frau  erscheint  bei  Dr.  S.,  da  sie  ein 
lebendes  Kind  wünscht,  das  jedoch 
nach  dem  Ausspruch  anderer  Aerzte 
nur  durch  Kaiserschnitt  gewonnen 
werden  könne.  Beckenmasse :  Sp.  25, 
Cr.  2Sy2,  Tr.  31,  Conj.  ext.  20  cm,  C.  D. 
nicht  sehr  verringert.  Dr.  Sauren- 
haus  verweigert  die  Sectio  caesarea. 
Drei  Wochen  später  war  der  Kindes- 


320 


New   Yorker   Medizinische  Monatsschrift. 


köpf  etwas  ins  Becken  eingetreten.  Es 
erfolgte  schliesslich  Spontangeburt  ei- 
nes 7y2  Pfund  schweren  Kindes.  Die 
Geburt  war  sehr  leicht.  Es  ist  rätsel- 
haft, warum  das  erstemal  der  Kaiser- 
schnitt vorgenommen  wurde. 

Dr.  Ries  demonstriert  das  rese- 
zierte Stück  eines  Magens  von  einem 
43jährigen  Manne,  der  am  6.  April 
1906  operiert  worden  war.  Er  hatte 
damals  seit  längerer  Zeit  an  Magen- 
beschwerden gelitten.  Beträchtliche 
Abmagerung,  Schmerzen,  Erbrechen, 
Hacmatemesis,  die  Pylorusgegend  an- 
dauernd schmerzhaft,  Mangel  an  Salz- 
säure. Kachexie,  keine  Drüsenschwel- 
lungen. Es  wurde  die  Diagnose  auf 
Karzinom  gestellt.  Ein  Tumor  konnte 
damals  jedoch  nicht  palpiert  werden. 

Bei  der  Operation  fand  sich  ein  be- 
trächtlicher Tumor  in  der  Pylorusge- 
gend, verwachsen  mit  dem  grossen 
Netze.  Im  letzteren  mehrere  grosse 
Lymphdrüsen.  Es  wurde  alles  Krank- 
hafte durch  ausgiebige  Resektion  des 
Magens  entfernt,  da  schwerwiegender 
Verdacht  auf  Karzinom  bestand.  Es 
folgte  glatte  Genesung.  Patient  ist 
heute  gesund.  Die  vergrösserten 
Lymphdrüsen  im  Netze  zeigten  unter 
dem  Mikroskop  keine  Karzinomele- 
mente, sondern  nur  Entzündung  und 
Hypertrophie.  Der  Rand  des  harten 
Tumors  zeigte  ebenfalls  nur  entzünd- 
liche Infiltration,  nirgends  aber  Karzi- 
nom. An  der  Innenseite  des  Tumors 
befand  sich  ein  hakenförmiges,  tiefes 
kallöses  Geschwür.  Bei  genauerer  Un- 
tersuchung des  Magens  wurde  der 
Kern  einer  Pflaume  gefunden,  die  Pa- 
tient mehrere  Monate  zuvor  genossen 
hatte.  Wahrscheinlich  war  der  Pflau- 
menkern im  Grunde  des  Geschwürs 
eingebettet. 

Dieser  Fall  zeigt,  wie  auch  bei  der 
Operation  die  Entscheidung,  ob  Kar- 
zinom oder  kallöses  Geschwür,  schwie- 
rig, ja  unmöglich  sein  kann.  Selbst  die 
mikroskopische  Untersuchung  wäh- 
rend der  Operation  ist  nicht  immer 
sicher,  da  man  mitunter  sehr  viele 
Schnitte  machen  muss,  ehe  man  Kar- 
zinompartien antrifft. 

Diskussion.  Herr  Prof.  Küster 
spricht  über  einen  von  ihm  veröffent- 
lichten Fall  von  Ulcus  ventriculi,  das 


nach  seiner  Methode  mit  weiter  Eröff- 
nung des  Magens  zur  Uebersicht  der 
ganzen  Innenfläche  des  letzteren  ope- 
riert worden  war.  Es  wurde  ein  Ge- 
schwür mit  tiefem  Rande  vorgefunden  ; 
im  Grunde  desselben  lag  der  inkrus- 
tierte Kern  einer  Pflaume,  die  Patient 
ein  Jahr  vorher  genossen  hatte.  Es 
trat  Heilung  ein.  Herr  Prof.  Küster 
betont  die  Notwendigkeit  einer  breiten 
Eröffnung  des  Magens  zum  Auffinden 
solcher  Fremdkörper. 

Hierauf  hält  Dr.  Zimmermann 
seinen  Vortrag,  in  welchem  er  haupt- 
sächlich über  die  primären  Entzündun- 
gen des  M  e  c  k  e  l'schen  Divertikels 
spricht,  die  manche  Analogien  mit  der 
Appendizitis  bietet.  So  z.  B.  war  es 
in  einem  Falle,  einen  15jährigen  Jun- 
gen betreffend,  der  an  allgemeiner  Peri- 
tonitis litt,  klinisch  nicht  sicherzustel- 
len, ob  die  Bauchfellentzündung  ihren 
Ausgang  von  dem  entzündeten  Blind- 
darm oder  einem  anderen  Darmab- 
schnitt genommen  hatte.  Bei  der  Ope- 
ration wurde  ein  gangränöses  Meck- 
e  l'sches  Divertikel  vorgefunden,  das 
in  mancher  Hinsicht  dem  Bilde  einer 
gangränösen  Appendizitis  geglichen. 
Divertikel  und  Appendix  sind  einander 
anatomisch  ähnlich,  doch  ist  das  er- 
stere  meist  kürzer,  breiter,  voluminöser 
und  hat  einen  weiteren  Ausgang  an 
der  Mündung  in  den  Dünndarm  :  aus- 
serdem ist  es  stets  frei  in  der  Bauch- 
höhle, weshalb  eine  Entzündung  des- 
selben schneller  zur  Peritonitis  führt 
und  viel  gefährlicher  ist ;  die  Prognose 
ist  hier  viel  ernster  als  bei  Appendizi- 
tis, die  Operation  weniger  erfolgreich. 
Klinisch  sind  beide  Affektionen  einan- 
der sehr  ähnlich ;  bei  beiden  gibt  es 
Rezidiven  und  chronischer  Verlauf. 

Diskussion.  Dr.  A.  Ochsner:  Die 
Diagnose  des  Divertikels  mit  seinen 
Erkrankungsformen  ist  sehr  interes- 
sant. Man  findet  in  fast  allen  Fällen 
der  Literatur,  dass  die  Diagnose  eine 
Zufallsdiagnose  war.  In  Fällen  von 
Ileus  denkt  Dr.  O  c  h  s  n  e  r  stets  an 
die  Möglichkeit  eines  Divertikels,  wes- 
halb er  einigemale  die  richtige  Dia- 
gnose gestellt  hat,  aber  nicht  primär. 
Divertikel  werden  bei  Laparotomien 
oft  vorgefunden.  Nur  wenn  eine  Na- 
belfistel vorhanden  ist,  ist  die  Erken- 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


321 


nung  leicht.  In  einem  Typhusfall 
wurde  die  Diagnose  Perforationsperi- 
tonitis  gestellt.  Bei  der  Operation 
wurde  jedoch  ein  Divertikel  mit  Darm- 
verschlingung vorgefunden.  Durch 
diese  Fehldiagnose  wurde  das  Leben 
des  Patienten  gerettet.  Bei  einem  an- 
deren Kranken  wurde  die  Diagnose 
eingeklemmte  Hernie  gestellt.  Bei  der 
Operation  fand  sich  ein  im  Bruchsack 
eingeklemmtes,  gangränöses,  5  cm 
langes  Divertikel,  das  von  einer  Fisch- 
gräte perforiert  war.  In  einem  dritten 
Falle  wurde  im  Bruchsack  ein  M  eck- 
e  l'sches  Divertikel  vorgefunden. 

Dr.  Z  i  m  m  e  r  m  a  n  n  wiederholt  im 
Schlusswort,  dass  er  nicht  über  me- 
chanischen, durch  ein  Divertikel  be- 
dingten Ileus  habe  sprechen  wollen  ;  er 
wollte  hauptsächlich  betonen,  dass  es 
eine  primäre  Entzündung  der  Diverti- 
kelwände  gibt,  ohne  Abschlissung, 
ohne  Strangulation,  ohne  mechanische 
Ursachen,  nur  auf  Grund  von  Verhält- 
nissen, wie  sie  auch  beim  Appendix 
vorliegen,  wiewohl  die  Entstehung  der 
Entzündung  von  manchen  Chirurgen 
in  mechanischer  Weise  erklärt  wird, 
indem  nämlich  angenommen  wird,  dass 
zuerst  ein  Abschluss  des  Appendix  von 
innen  durch  katarrhalische  Entzün- 
dung der  Schleimhaut  platzgreife,  und 
dass  dieser  Abschluss  dann  die  Ent- 
zündung des  Gesammtorganes  zur 
Folge  habe. 

Herr  Prof.  Küster  ergreift  das 
Wort  und  dankt  zunächst  für  die 
freundliche  Einladung  der  Deutschen 
Medizinischen  Gesellschaft  und  hält 
sodann  einen  ausführlichen,  hoch  in- 
teressanten und  mit  grossem  Danke 
von  Seiten  der  Versammlung  aufge- 
nommenen Vortrag  über  Haemophilie 
der  Niere  (chronische  fleckweise  Ne- 
phritis, Glomerulonephritis,  angioneu- 
rotische  Form  der  Nierenerkrankung, 
Nierenneuralgie). 

Dr.  Herzog  gibt  im  Namen  der 
Gesellschaft  dem  Gefühl  der  Genugtu- 
ung und  Freude  warmen  Ausdruck, 
einen  hervorragenden  Vertreter  der 
deutschen  Wissenschaft  als  Gast  zu 
sehen,  dessen  Gegenwart  einen  grossen 
Gewinn  bedeutet,  da  von  solchen  Män- 
nern eine  intensive  wissenschaftliche 
Anregung  für  die  hiesige  Aerzteschaft 


ausgeht.  Wir  bedürfen  der  Anregung 
durch  Männer,  die  sich  voll  und  ganz 
dem  Kreise  ihres  Faches,  der  For- 
schung widmen  können. 

Nach  der  wissenschaftlichen  Sitzung 
findet  ein  Kommers  zu  Ehren  des 
Herrn  Prof.  Küster  statt. 

Sitzung  vom  6.  Juni  1907. 
Vorsitzender :   Dr.  Herzog. 

1)  Dr.  A.  C.  Cr  oft an:  Einige  Er- 
fahrungen mit  der  sogenannten  Hafer- 
kur in  Diabetes  mellitus. 

2)  Dr.  M.  Herzog:  Ueber  Opso- 
nine und  Vakzinebehandlung. 

Diskussion  zu  Dr.  C  r  o  f  t  a  n's  Vor- 
trag. 

Dr.  Herzog  hat  sich  seit  Jahren 
mit  dem  Studium  der  amylolytischen 
Fermente  beschäftigt.  Ptyalin  und  das 
amylolytische  Enzym  der  Pankreas- 
drüse wandeln  Stärke  in  Maltose  um, 
während  diese  wieder  durch  die  vom 
Dünndarm  gelieferte  Glukase  in  Glu- 
kose oder  Dextrose  verwandelt  wird. 
Die  schliessliche  Spaltung  von  Glu- 
kose erfolgt  durch  ein  vom  Pankreas 
durch  innere  Sekretion  (L  an  ger- 
bt a  n  s'sche  Inseln)  bis  jetzt  unbekann- 
tes Ferment.  H.  hat  nach  dem  V or- 
gange  von  Minkowski  bei  Hunden 
schweren,  tödlich  verlaufenden  Dia- 
betes durch  totale  Pankreasexstirpa- 
tion  erzeugt.  H.  glaubt,  dass  die  Um- 
wandlung von  Glukose  im  tierischen 
Körper  derart  erfolgt,  dass  das  Pan- 
kreas ein  der  Hefezymase  ähnliches 
Enzym  liefert  und  dass  im  tierischen 
Körper  die  Glukose  in  Alkohol  und 
C02  gespalten  und  der  gebildete  Al- 
kohol sofort  in  statu  nascendi  zu  H20 
und  CO,  oxydiert  wird.  Herzog  hat 
versucht,  seine  Hypothese  experimen- 
tell zu  beweisen  und  er  hat  vor  mehre- 
ren Jahren  ausführlich  im  H  o  f  m  e  i- 
s  t  e  r'schen  Archiv  für  Physiologische 
und  Pathologische  Chemie  über  seine 
Versuche  berichtet.  Es  gelang  ihm, 
mit  unter  hohem  Druck  ausgepressten 
Pankreassaft  in  starken  Zuckerlösun- 
gen Spuren  von  Alkohol  zu  bilden. 
Die  gute  Wirkung  des  Salizyls  und  sei- 
ner Derivate,  wie  Aspirin,  etc.  bei  Dia- 
betes, hat  man  sich  vielleicht  derart 
vorzustellen,  dass  bei  Gegenwart  der- 


322 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


selben  das  amylolytische  Ferment  in 
seiner  Wirkung  gehemmt  wird;  so  bil- 
det sich  weniger  Zucker. 

Es  wird  darum  die  Stärke  bei  Sali- 
zylverabreichung  weniger  verdaut. 

Dr.  Decker  verliest  einen  1905  er- 
schienenen Aufsatz,  in  welchem  N  a  u- 
n  y  n  zur  Behandlung  des  Diabetes  mit 
Milch,  Kartoffeln  oder  Hafer  Stellung 
nimmt.  Keine  dieser  genannten  Be- 
handlungs-  resp.  Ernährungsmethoden 
sind  stichhaltig.  Die  gelegentlichen 
Erfolge  solcher  Kuren  werden  durch 
die  psychischen  und  hygienischen  Ein- 
flüsse hiebei  erreicht;  überdies  handelt 
es  sich  bei  denselben  um  eine  ener- 
gische Eiweissentziehung  und  Unter- 
ernährung. Die  letztere  allein  ist  ein 
Mittel,  die  Toleranz  für  Kohlehydrate 
zu  steigern.  Bei  Kartoffel-  und  Hafer- 
diät geht  ein  beträchtlicher  Teil  der 
Stärke  durch  Gährung  im  Darme  ver- 
loren. 

Dr.  C  r  o  f  t  a  n  :  Das  psychische  Mo- 
ment hat  mit  dem  Erfolg  gewiss  etwas 
zu  tun ;  für  viele  Fälle  hingegen  kann 
die  Erklärung  des  Erfolges  nicht  auf 
der  Basis  der  Unterernährung  beruhen, 
da  ja  die  Patienten  an  Körpergewicht 
zunehmen.  Die  von  Dr.  Herzog 
gegebene  Erklärung  der  Wirkung  der 
Salizylsäure  dürfte  richtig  sein.  Mög- 
licherweise wird  auch  die  Umwand- 
lung des  Glykogen  in  Dextrose  durch 
Salizylsäure  gehemmt.  Im  Blute  ent- 
steht aus  dem  Zucker  nicht  nur  Alko- 
hol und  Kohlensäure,  sondern  auch 
Milchsäure. 

Ad.  II.  Dr.  Herzog  hält  seinen 
Vortrag  über  Opsonine  und  Vakzine- 
behandlung, worauf  Frau  Dr.  P  a  p  o  t, 
vom  Michael  Reese  Hospital,  die  Tech- 
nik der  Opsoninbestimmung  demon- 
striert. 

Diskussion.  Auf  eine  Frage  des  Dr. 
Croftan  teilt  Herzog  mit,  dass 
er  K  o  c  h's  neues  Tuberkulin  für  die 
Behandlung  der  Tuberkulose  benütze. 
Dasselbe  kommt  in  Fläschchen  von  1 
ccm  mit  5  Milligramm  Substanz  in  den 
Handel.  Dr.  H.  verdünnt  diese  Stamm- 
lösung von  1  ccm  mit  49  ccm  Koch- 
salzlösung, die  Yi  Prozent  Lysol  ent- 
hält (Verdünnung  No.  1)  und  dann 
wiederum  1  ccm  von  Verdünnung  No. 


1  mit  49  ccm  Kochsalz-Lysollösung, 
sodass  1  ccm  der  Verdünnung  Xo.  2 
1/500  mg  Tuberkelbazillensubstanz 
enthält.  Davon  werden  8  Tropfen  mit 
1/1000  mg  Tuberb.  pro  dosi  injiziert. 

Dr.  Ries  berichtet  über  einen  Fall 
von  Nieren-  und  Ureterentuberkulose 
mit  Exstirpation  der  Niere.  Es  ent- 
wickelte sich  eine  Fistel,  die  für  lange 
Zeit  bestand  und  sich  nicht  schliessen 
wollte,  bis  Tuberkulinbehandlung  be- 
gonnen wurde.  Nach  dreimonatlicher 
Anwendung  des  Tuberkulins  war  die 
Fistel  vollkommen  verheilt. 

In  einem  zweiten  Falle  wurde  ein 
tuberkulöses  Geschwür  des  Rektums 
exstirpiert,  wonach  sich  eine  Fistel  tu- 
berkulöser Natur  entwickelte  ;  schliess- 
lich begann  Patient  zu  husten  und  zu  fie- 
bern und  im  Sputum  wurden  Tuber- 
kelbazillen nachweisbar. 

Dr.  Herzog  begann  die  Behand- 
lung mit  Tuberkulosevakzine.  Nach 
bereits  3  Wochen  war  eine  bedeutende 
Besserung  der  Fistel  wahrnehmbar, 
jedoch  keine  Beeinflussung  des  Lun- 
genbefundes. 

Dr.  G.  Schmauch  dankt  für  die 
Erklärungen  und  Demonstrationen  der 
Technik  der  Vakzinebehandlung.  Auch 
er  sah"  in  einem  Falle  von  Acne  vul- 
garis eine  bedeutende  Besserung  nach 
3  bis  4  Vakzineinjektionen  auftreten. 
In  einem  Falle  von  tuberkulösem 
Lymphdrüsenabszess,  der  anderen  Be- 
handlungsmethoden, die  durch  längere 
Zeit  durchgeführt  worden  waren,  ge- 
trotzt, schwand  derselbe  vollständig 
eine  Woche  nach  Einführung  der  Vak- 
zinebehandlung. Dr.  Schmauch 
kritisiert  den  Terminus  Vakzine  als 
eine  unrichtige  Bezeichnung,  da  es  sich 
um  Präparate  aus  abgetöteten  Mikro- 
organismen handelt.  Dr.  Herzog 
stimmt  diesem  Einwände  bei,  doch 
möge  dieser  Terminus  vorläufig  beibe- 
halten werden,  da  er  sich  in  der  Litera- 
tur eingebürgert  hat.  Die  beständige 
Kontrolle  der  Wirkung  der  Vakzinebe- 
handlung durch  die  Bestimmung  des 
Opsoninindex  ist  unumgänglich  not- 
wendig, da  sonst  die  Methode  leicht  in 
Misskredit  kommen  könnte.  Erforder- 
lich ist  ein  langsames  Vorgehen  mit 
der  Dosierung.    Die  Vakzinebehand- 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


323 


hing  scheint  am  besten  bei  unkompli- 
zierter Tuberkulose,  bei  Streptokok- 
ken- und  Staphylokokkeninfektion,  hin- 
gegen bei  Pneumokokkeninfektion  gar 
nicht  zu  wirken. 

Dr.  Doepfner  empfiehlt  der  Ge- 
sellschaft den  korporativen  Beitritt 
zur  Fenger  Memorial  Association  mit 


einem  Beitrag  von  50  Dollars,  zahlbar 
bis  zum  1.  Dezember  1907. 

Der  diesbezügliche  Antrag  wird  von 
Dr.  H  o  1  i  n  g  e  r  gestellt  und  von  der 
"Versammlung  einstimmig  angenom- 
men. 

Dr.  A.  Strauch, 

Schriftführer. 


Kleine  Mitteilungen. 


—  Neu  erscheinen  im  Verlage  von  S.  Kar- 
ger in  Berlin  „Beiträge  zur  Anatomie,  Phy- 
siologie, Pathologie  und  Therapie  des  Ohres, 
der  Nase  und  des  Kehlkopfes" ,  herausgegeben 
von  Professor  Dr.  A.  Passow  und  Profes- 
sor Dr.  K.  L.  Schaefer.  Diese  „Beiträge" 
haben  nicht  die  Grundtendenz,  eine  neue  Zeit- 
schrift für  Otologie,  Rhinologie  und  Laryn- 
gologie  zu  schaffen  von  jener  Form,  wie  sie 
gegenwärtig  schon  in  grösserer  Zahl  den  Be- 
dürfnissen der  Spezialisten  entsprechend  vor- 
handen sind.  Es  ist  vielmehr  beabsichtigt, 
nicht  nur  Arbeiten  aus  den  spezialistischen 
Kreisen  zu  bieten,  sondern  möglichst  viele  aus 
dem  Gebiete  der  Physiologie  und  Physik,  der 
normalen,  pathologischen  und  entwicklungsge- 
schichtlichen Anatomie,  der  Neurologie  und 
inneren  Medizin,  der  Ophthalmologie,  kurz 
aller  jener  Wissenschaften,  mit  deren  Fort- 
schritten der  Ohren-,  Nasen-  und  Halsarzt 
unbedingt  auf  dem  Laufenden  bleiben  muss, 
sofern  er  fruchtbringend  wissenschaftlich  ar- 
beiten will.  Es  soll  auch  den  Vertretern  jener 
erwähnten  Wissenschaften  durch  die  „Bei- 
träge" Gelegenheit  gegeben  werden,  sich  dem 
Studium  der  in  Frage  kommenden  Organe  im 
Interesse  der  wechselseitigen  Berührungs- 
punkte mit  mehr  Erfolg  widmen  zu  können 
als  bisher. 

Neben  den  Originalarbeiten  soll  in  Form 
von  Sammelreferaten  eine  übersichtliche  Zu- 
sammenfassung einzelner  wichtiger  Gebiete  ge- 
geben werden.  Die  Sammelreferate  sollen  be- 
sonders alle  Fragen  von  aktuellem  Interesse 
oder  erhöhter  Bedeutung  umfassen,  und  zwar 
aus  der  Fachliteratur  sowohl  wie  aus  den  ver- 
schiedensten Gebieten  der  Gesamtmedizin,  so- 
weit sie  mit  der  Oto-Rhino-Laryngologie  in 
Beziehung  stehen. 

Um  den  Lesern  die  Ergebnisse,  welche  in 
Gesellschaften   oder  Kongressen  vorgetragen 


werden,  vorzuführen,  werden  die  Herausgeber 
von  Zeit  zu  Zeit  auch  über  diese  berichten,  so- 
weit die  Original-Verhandlungen  nicht  zur 
Publikation  anvertraut  werden.  Bücher  und 
Monographien  werden  zur  Besprechung  kom- 
men, Tagesnotizen  und  Personalien  den 
Schluss  bilden. 

Die  „Beiträge"  erscheinen  in  zwanglosen 
Heften  von  etwa  5  Bogen,  6  Hefte  bilden  ei- 
nen Band.  Der  Preis  des  Bandes  beträgt 
M.  20,  —  im  Inlande,  M.  22,  —  für  das  ge- 
samte Ausland ;  einzelne  Hefte  werden  nur, 
soweit  der  hierzu  bestimmte  Vorrat  reicht, 
und  zu  ihrem  Umfang  entsprechend  erhöhten 
Preisen  abgegeben. 

Die  ersten  Hefte  werden  u.  a.  enthalten: 
Ueber  den  Verschluss  der  Knochenwunden 
nach  Antrumoperation.  Von  A.  Passow. 
Tabellen  der  Schallgeschwindigkeit  und  Ton- 
wellenlängen in  der  Luft  bei  verschiedenen 
Temperaturen.  Von  K.  L.  Schaefer.  Zur 
Pathologie  der  Labyrinthentzündungen.  Von 
Oberarzt  Dr.  Lange.  (Hierzu  8  Tafeln.) 
Der  Nasenrachenraum  bei  Transsudat,  akuter 
und  chronischer  Mittelohreiterung  auf  Grund 
von  hundert  postrhinoskopisch  untersuchten 
Fällen.  Von  Dr.  med.  Max  Mann  in  Dres- 
den. Zur  Lehre  von  der  Schallokalisation  von 
Ass.-Arzt  M  ü  n  n  i  c  h.  Ueber  die  physiolo- 
gische obere  Tongrenze.  Von  Priv.-Doz.  Dr. 
H  e  g  e  n  e  r.  Ueber  Stellung  und  Bewegung 
des  Kehlkopfes  bei  normalen  und  pathologi- 
schen Sprachvorgängen.  Von  Priv.-Doz.  Dr. 
H.  Gutzmann.  Die  obere  Hörgrenze  und 
ihre  exakte  Bestimmung.  Von  Prof.  F.  A. 
Schulze  in  Marburg.  Uebersicht  über  die 
Fortschritte  auf  dem  Gebiet  der  vergleichen- 
den Anatomie  des  Mittelohrs.  Von  Dr. 
Herrn.  Beyer  in  Berlin. 

—  Komitee  für  die  Begründung  einer  Robert 
Koch-Stifung  zur  Bekämpfung  der  Tuberku- 


324 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


lose.  Unter  dem  Vorsitz  des  Staatsministers 
Dr.  von  S  t  u  d  t  hat  sich  ein  Komitee  gebildet, 
das  einen  Aufruf  für  die  Begründung  einer 
„Robert  Koch-Stiftung  zur  Bekämpfung  der 
Tuberkulose"  erlässt.  Die  Stiftung,  die  aus 
Anlass  des  25jährigen  Gedenktages  der  R  o- 
b  e  r  t  K  o  c  h'schen  Entdeckung  des  Tuberkel- 
bazillus errichtet  und  somit  der  Erinnerung 
an  die  grundlegende  Beobachtung  für  die  Er- 
forschung der  gesamten  menschlichen  Infek- 
tionskrankheiten gewidmet  wird,  stellt  sich  ab- 
gesehen von  der  Ehrung  des  genialen  For- 
schers die  Aufgabe,  wissenschaftliche  Arbeiten 
und  damit  auch  praktische  Bestrebungen  zur 
Bekämpfung  der  Tuberkulose  aus  ihren  Mit- 
teln zu  unterstützen.  Bei  der  grossen  Zahl 
von  Opfern,  die  die  Tuberkulose  noch  immer 
fordert  (in  Deutschland  allein  im  Jahre  1905 
rund  122,000),  muss  ein  solches  Werk  als 
höchst  wertvoll  anerkannt  werden,  und  eine 
reichliche  Beisteuer  zur  Stiftung  von  jeder- 
mann aus  dem  Volke  ist  auf  das  lebhafteste 
zu  wünschen.  Dem  Komitee  gehören  u.  a. 
Graf  von  Posadowsk  y- W  e  h  n  e  r,  Mi- 
nisterialdirektor A  1 1  h  o  f  f,  der  Präsident  des 
Kaiserl.  Gesundheitsamts,  der  Generalstabarzt 
der  Armee,  der  Vize-Oberzeremonienmeister 
des  Kaisers  Kammerherr  v.  d.  Knesebeck, 
I.  Leibarzt  des  Kaisers  Generaloberarzt  Dr. 
1 1  b  e  r  g,  der  bayrische  Gesandte  in  Berlin, 
die  Minister  des  Innern  aus  Sachsen,  Würt- 
temberg, Baden,  Hessen,  ferner  Oberpräsiden- 
ten, Oberbürgermeister,  hervorragende  Aerzte, 
Industrielle  etc.  aus  allen  Teilen  des  Reichs  an. 
Beiträge  werden  an  das  Bankhaus  S. 
Bleichröder,  Berlin,  Behrenstrasse  63,  er- 
beten. Nähere  Auskunft  erteilt  der  Schrift- 
führer des  Komitees,  Professor  Dr.  J. 
Schwalbe,  Herausgeber  der  Deutschen 
Medizinischen  Wochenschrift,  Berlin,  W.  35. 

—  Internationaler  Tuberkulosekongress.  Das 
Exekutivkomitee  des  Staates  New  York  für 
den  Internationalen  Tuberkulosekongress  hielt 
am  11.  d.  M.  eine  Sitzung  in  der  Academy  of 
Medicine  ab.  Auf  der  Tagesordnung  stand 
Ergänzung  des  Komitees  sowie  Beratung  über 
die  beste  Art  und  Weise,  für  den  Kongress  im 
Staate  New  York  Propaganda  zu  machen. 

Zur  Zeit  setzt  sich  das  Komitee  zusammen, 
wie  folgt : 

Dr.  Alfred  Meyer,  New  York  City, 
Vorsitzender. 


Dr.  H.  D.  Pease,  Albany,  Schriftführer. 
Dr.  Thomas  Darlington,  New  York 
City. 

Homer  Folks,  New  York  City. 
Robert  W.  Hebbar d,  New  York  City. 
Dr.  Veranus  A.  Moore,  Ithaca. 
Dr.  J.  H.  P  r  y  o  r,  Buffalo. 

—  Eine  literarische  Leistung  von  Dr.  Mag- 
nus Hirschfeld.  In  der  letzten  Nummer  der 
Gazette  medicale  de  Paris  findet  sich  eine 
kurze  Besprechung  eines  Buches,  „Le  troisieme 
sexe:  les  Homosexuels  de  Berlin"  von  Dr. 
Magnus  Hirschfeld  in  Berlin.  Am 
Schlüsse  dieser  Besprechung  heisst  es :  „Der 
Verfasser  weist  durch  Tatsachen  und  Einzeln- 
heiten nach,  dass  das  Laster  der  Päderastie 
keineswegs  auf  die  höheren  Kreise  Deutsch- 
lands beschränkt  ist,  sondern  im  Gegenteil  alle 
Gesellschaftsklassen  durchseucht  hat,  dass  da- 
her das  blonde  und  tugendhafte  Germanien 
eher  alles  andere  als  besser  als  das  alte  Babylon 
ist."  Nun  die  Herren  in  dem  „Seine-Babylon" 
Paris  können  sich  beruhigen;  es  gibt  bei  ihnen 
mindestens  ebensoviele  „Tütüs",  wenn  nicht 
mehr,  wie  auf  der  anderen  Seite  des  Rheins. 
Was  den  Herrn  Dr.  Hirschfeld  anbetrifft, 
so  wird  wohl  jedermann,  der  die  beiden  Har- 
den-Prozesse  verfolgt  hat,  noch  in  Erinnerung 
sein,  wie  dieser  Sachverständige  sich  dabei  auf 
unsterbliche  Weise  blamiert  hat.  Wenn  er  bei 
der  ersten  Verhandlung  von  einem  unbewuss- 
ten  homosexuellen  Empfinden  sprach,  von  einer 
von  der  Norm  abweichenden  Männer-Freund- 
schaft, die  aber  den  Charakter  reiner  Freund- 
schaft nicht  verliert,  von  einer  Homosexualität, 
die  sich  aber  nicht  homosexuell  betätigt,  und 
schliesslich  sogar  von  einem  anormalen  Nor- 
mal-Empfinden, so  brachte  der  zweite  Prozess 
gänzlich  veränderte  Anschauungen  bei  ihm 
zu  Tage.  Welche  zweifelhafte  Rolle  Dr. 
Hirschfeld  inzwischen  bei  dem  Prozesse 
gegen  Adolf  Brand  gespielt  hat,  ist  be- 
kannt. Welche  Beweggründe  ihn  bewogen 
haben  mögen,  in  Paris  ein  Buch  über  die  sexu- 
ellen Laster  in  Berlin  zu  publizieren,  lässt  sich 
ja  vermuten,  dieselben  gereichen  dem  Verfas- 
ser sicherlich  nicht  zur  Ehre.  Herr  Dr. 
Hirschfeld  hat  wohl  auch  noch  nie  etwas 
von  dem  sonst  wohlbekannten  Sprüchwort  von 
dem  Vogel,  der  sein  eigenes  Nest  beschmutzt, 
gehört. 


Medizinische  ]Vlonat8scbrift 

Offizielles  Organ  der 

Deutzen  medizinifchen  Gcfcllfdiaften  der  Städte  new  y»rk. 
Chicago,  Cleveland  und  San  Trancisco. 

Redigiert  von  Dr.  A.  Ripperger. 
Bd.  XIX.  New  York,  Februar,  1908.  No.  ir. 


Originalarbeiten. 


Inhal  dtions 

Von  Dr.  F. 

Der  Inhalations-Therapie  konnten 
bis  vor  kurzer  Zeit  die  ärztlichen 
Kreise  keine  allzugrosse  Sympathie  ab- 
gewinnen. Mehr  von  den  Kranken  als 
von  den  Aerzten  bevorzugt,  wurde  sie 
meistens  in  klimatischen  Kurorten  ge- 
übt. Das  Misstrauen  der  Aerztekreise 
fand  eine  gewisse  Berechtigung  darin, 
dass  die  Mehrzahl  der  Inhalatorien  un- 
ter Aufsicht  von  Personen  standen,  die 
keine  ärztliche  Ausbildung  hatten,  und 
infolgedessen  weder  klinische  Beob- 
achtungen noch  genaue  Indikationen 
gestellt  werden  konnten.  Ist  doch  die 
Inhalationskur  nur  unter  Aufsicht  des 
Arztes  zu  gebrauchen,  da  jeder  Patient 
nicht  bloss  das  passende  Mittel,  son- 
dern auch  beim  Gebrauch  des  Inhala- 
tors die  richtige  Temperatur  des 
Spray's  vom  Arzte  vorgeschrieben  ha- 
ben muss.  Und  da  einerseits  dieser 
nicht  allwissend  ist,  anderseits  nicht 
jeder  Kranke  gleichmässig  reagiert,  so 


*)  Vortrag,  gehalten  in  der  Deutschen  med. 
Gesellschaft  der  Stadt  New  York  am  6.  Januar 
1908. 


Therapie.* 

C.  RUPPERT. 

hat  eine  ständige  Kontrolle  stattzufin- 
den —  genau  so,  wie  wenn  der  Patient 
mit  Medizinen  behandelt  wird.  Fer- 
nerhin waren  die  bis  zur  letzten  Zeit 
gebrauchten  Inhalationsapparate  zu 
unvollkommen,  um  eine  vernunftmäs- 
sige  Behandlung  fordern  zu  können. 
Die  Temperatur  des  Sprays  konnte  nur 
ungenau  reguliert  werden,  sodass  die 
Hitze  den  empfindlichen  Schleimhäu- 
ten direkt  schadete,  schwerflüchtige 
heilkräftige  Medikamente  konnten 
nicht  in  gasförmigen  Zustand  gebracht 
werden ;  reichliche  und  feine  Zerstäu- 
bung war  ungenügend,  um  in  die  tief- 
ern Teile  der  Luftröhre  einzudringen. 
Vor  allem  aber  war  die  Menge  der  ein- 
geatmeten Heilmittel  viel  zu  gering, 
um  eine  nennenswerte  Wirkung  aus- 
üben zu  können. 

Erst  seit  einigen  Jahren  ist  nun  das 
Interesse  an  der  Inhalations-Behand- 
lung erkrankter  Atmungsorgane  wie- 
der allgemein  erwacht  und  in  Europa 
sogar  ein  aussergewöhnlich  reges  ge- 
worden, ohne  in  diesem  Lande  bis  jetzt 
eine  nennenswerte  Beachtung  gefun- 


326 


New  Yorker  Medizin 


ische  Monatsschrift. 


den  zu  haben.  Wenngleich  auch  das 
Verschreiben  des  ,,Rezeptes  zum  Ein- 
nehmen" für  den  Arzt  recht  bequem 
ist,  das  Misstrauen  des  Kranken  der 
Medizin  gegenüber  ist  gewissermassen 
berechtigt,  die  Wirkung  des  Medika- 
ments in  manchen  Fällen  oft  recht 
zweifelhaft  und  die  Abneigung  gegen 
das  Einnehmen  selbst  ein  so  bekann- 
tes, dass  wir  gut  daran  tun,  das  Rezep- 
tieren  einzuschränken  in  denjenigen 
Fällen,  wo  derselbe  Zweck  angeneh- 
mer, schneller  und  gründlicher  erreicht 
wird  durch  eine  zweckmässig  gehand- 
habte Inhalationsbehandlung,  welche, 
da  sie  eine  lokale  Behandlung  ist,  un- 
streitig erheblich  wirksamer  wirkt  und 
ausserdem  mit  weit  geringeren  unan- 
genehmen oder  gefährlichen  Nebenwir- 
kungen für  den  Gesamtorganismus 
verbunden  ist,  als  es  bei  der  bis  zur 
Zeit  noch  üblichen  Allgemeinbehand- 
lung der  Fall  ist. 

Unter  Inhalations-Therapie  versteht 
man  die  Anwendung  von  Arzneimit- 
teln in  Form  von  zerstäubten  Lösun- 
gen, trockenen,  staubförmigen  Kör- 
pern, den  Pulvern,  Gasen  oder  Dämp- 
fen zu  Heilzwecken.  Heilend  wir- 
kende Stoffe  sollen  auf  dem  Wege  der 
Atmung  in  die  Respirationsorgane 
durch  Inhalationen  eingebracht  wer- 
den. Schon  Hippokrates  hat 
Räucherungen  zu  Heilzwecken  ver- 
wendet, speziell  bei  Lungenerkrankun- 
gen. Im  9.  und  dann  erst  17.  Jahrhun- 
dert sind  Rhazes  und  Bennet  für 
Räucherungen  und  Inhalationen  einge- 
treten. Als  der  eigentliche  Erfinder 
der  Inhalations-Methode,  abgesehen 
von  wenigen  ähnlichen  Versuchen, 
dürfte  H  i  r  z  e  1  1829  gelten,  der  Meer- 
wasser durch  einen  Springbrunnen  zer- 
stäuben und  diese  Luft  von  Lungen- 
kranken, namentlich  Schwindsüchti- 
gen, einatmen  Hess.  Erst  neuere  Fort- 
schritte auf  dem  Gebiete  der  Chemie 
haben  der  Inhalations-Therapie  neue 
Bahnen  geöffnet  und  bildeten  die  An- 
regung zu  einem  bisher  ganz  unge- 
wohnten Aufschwung  dieser  Behand- 


lungsweise.  1858  durch  S  a  1  e  s-G  i- 
rons  erfuhr  diese  Methode  eine  wei- 
tere Vervollkommung  dadurch,  dass  er 
einen  Zerstäubungsapparat  konstru- 
ierte, um  Arzneiflüssigkeit  zerstäuben 
zu  können.  Seitdem  nun  wurden  eine 
Anzahl  von  Apparaten  konstruiert,  em- 
pfohlen und  auch  angewandt.  Doch 
wurden  mit  der  Zeit,  nachdem  speziell 
die  Verwendung  zerstäubter  Arznei- 
flüssigkeit für  Inhalationszwecke  allge- 
meine Aufnahme  gefunden,  Zweifel  an 
der  Zweckmässigkeit  dieser  Methode 
laut.  Fourier  und  P  i  e  t  r  a-S  a  n- 
t  r  a  bestritten  energisch  auf  Grund  ex- 
perimenteller Untersuchungen  und 
theoretischer  Erwägungen  die  Mög- 
lichkeit des  Eindringens  des  inhalierten 
Flüssigkeitsstaubes  in  die  mittleren 
und  tieferen  Luftwege.  Immer  wie- 
derum wiederholten  sich  mit  Berech- 
tigung infolge  der  mangelhaft  konstru- 
ierten Apparate  diese  Einwendungen, 
bis  gerade  in  den  letzten  Jahren  es 
B  u  1 1  i  n  g,  Was  m  uth  und  H  e- 
ry  ng  gelungen  ist,  sehr  viel  intensi- 
ver arbeitende  Zerstäubungsapparate 
anzufertigen,  die  alle  Zweifel  behoben. 
Die  Pariser  Akademie  der  Medizin  ent- 
schied sich  nach  eingehenden  Unter- 
suchungsmethoden dahin,  dass  mit  die- 
sen neuesten  Apparaten  eingeatmete 
zerstäubte  Flüssigkeit  ohne  besondere 
Schwierigkeit  wirklich  bis  in  die  tief- 
sten Abschnitte  des  Atmungsapparates 
einzudringen  vermag.  Die  zahlreichen 
Diskussionen  über  diesen  Vorgang 
möchte  ich  hier  übergehen  und  als  Re- 
sultat dieser  Streitfrage  den  Entscheid 
der  Pariser  Akademie  hinstellen,  wel- 
cher jetzt  auch  allgemein  angenom- 
men ist. 

Es  war  eine  natürliche  Folge  dieser 
epochemachenden  Erfindung  in  den 
neuesten  Zerstäubungsapparaten  als 
den  vollkommensten  Typen,  dass  in 
den  europäischen  Ländern  zahlreiche 
Inhalatorien  nach  dem  neuen  System 
eingerichtet  wurden  und  jetzt  riesig 
frequentiert  werden.  Die  Heilerfolge, 
die  man  daselbst  erzielt  hat,  sind  so 


New    Yorker    Medizinische  Monatsschrift. 


327 


glänzend,  dass  selbst  die  Arbeiter- 
krankenkassen sich  eigene  Inhalato- 
rien bauen,  um  ihren  Arbeitern  auch 
die  Wohltat  dieser  Behandlungsweise 
zu  niedrigen  Preisen  angedeihen  lassen 
zu  können.  So  darf  es  uns  auch  nicht 
wundern,  wenn  wir  vor  einigen  Wochen 
in  den  Zeitungen  lasen,  dass  der  Keiser 
von  Oesterreich  bei  der  sich  zugezo- 
genen Erkältung  von  einem  Stabe  der 
angesehensten  Aerzte  Inhalationsbe- 
handlung in  Form  von  Zerstäubung 
erhielt. 

Ich  werde  wohl  in  Kürze  auf  die  ver- 
schiedenen Formen  der  Inhalationen 
eingehen  müssen,  um  der  allgemein 
verbreiteten,  doch  irrigen  Ansicht,  dass 
Inhalationsapparate  und  Zerstäubungs- 
apparate geradezu  gleichbedeutend 
seien  und  dass  Inhalationen  nur  durch 
Zerstäubungsapparate  gemacht  wer- 
den können,  entgegenzutreten,  trotz- 
dem sich  die  Anwendung  in  der  Form 
von  zerstäubter,  warmer  Flüssigkeit 
am  besten  eingebürgert  hat  und  in  den 
neuesten  Apparaten,  als  Einzel-  und 
Gesellschaftsinhalationen,  sich  einer 
besonderen  Beliebtheit  beim  Arzte  wie 
Kranken  erfreut. 

I.  Pulver :  Die  Inhalation  von  trocke- 
nen, pulverförmigen  Arzneimitteln  ist 
technisch  leicht  ausführbar.  Die  An- 
wendung der  wenigen  Apparate,  die  da- 
zu konstruiert  wurden,  stösst  bei  den 
meisten  Kranken  auf  grossen  Wider- 
stand, wenn  speziell  durch  tiefe  Inspira- 
tion das  Mittel  bis  in  die  Bronchien  hin- 
eingelangen soll.  Der  sofort  auftre- 
tende, quälende  Husten  nach  der  ersten 
Einatmung  solchen  Staubes  erregt  einen 
unbezwingbaren  Widerwillen  gegen  eine 
zweite  Inspiration.  Der  in  den  Lungen 
von  Kohlenarbeitern  gefundene  Kohlen- 
staub ist  übrigens  der  beste  Beweis  für 
das  Eindringen  feiner  Partikelchen  bis  in 
die  Lungenalveolen,  was  durch  Unter- 
suchung über  Staubinhalationskrankhei- 
ten  ja  längst  unwiderleglich  festgestellt 
ist.  Einen  völligen  Ersatz  für  diese  In- 
halation haben  wir  in  den  durch  den 


Arzt  mittels  eines  Pulverbläsers  vorzu- 
nehmenden Einblasungen.  Ich  möchte 
bemerken,  dass  Insufflation  nicht  in  das 
Gebiet  der  Inhalations-Therapie  gehört ; 
denn  bei  dieser  bewirkt  der  Einatmungs- 
strom das  Hineinbefördern  der  fein  ver- 
teilten Arznei. 

II.  Dämpfe:  Gewisse  Arzneimittel, 
wie  ätherische  Oele,  dringen  in  ver- 
dämpf tem  Zustand,  also  in  einem  durch- 
aus luftähnlichen  Aggregatzustand  ge- 
bracht, in  die  Lungen  ein.  Die  Jeder- 
mann bekannte  Allgemeinwirkung  bei 
der  Einatmung  von  Chloroform,  Aether, 
Amylnitrit  u.  s.  w.  lehren,  dass  Arznei- 
dämpfe in  Wirklichkeit  ohne  jede 
Schwierigkeit  mit  der  Inhalationsluft  bis 
in  die  tiefsten  Abschnitte  des  Atmungs- 
apparates einzudringen  vermögen.  Am 
bekanntesten  ist  der  mit  heissem  Wasser 
gefüllte  Topf,  dem  ein  Medikament  bei- 
gefügt wird,  und  die  sich  nun  kräftig 
entwickelnden  Dämpfe  werden  durch  ei- 
nen über  den  Topf  gestülpten  Trichter 
gesammelt  und  eingeatmet.  So  einfach 
diese  Art  ist,  die  ausströmende  Hitze 
wirkt  schädlich  auf  die  empfindlichen 
Schleimhäute ;  abgesehen  von  dem  Wi- 
derwillen des  Kranken,  sich  den  Mund 
zu  verbrennen,  wird  er  nur  in  gewisser 
Entfernung  einatmen,  wodurch  natürlich 
die  Fleilkraft  durch  Zufluss  der  atmo- 
sphärischen Luft  ganz  bedeutend  herab- 
gesetzt wird.  Um  solche  Inhalationen 
ergiebiger  und  konstanter  zu  bewerkstel- 
ligen, haben  Scheibe,  Sänger  und 
Hering  Thermoakkumulatoren,  ge- 
eignete Apparate  konstruiert,  welche  den 
Vorzug  besitzen,  ätherische  Oele  mit 
Wasserdampf  gemischt  zur  Einatmung 
zu  bringen,  sodass  durch  die  feine  Ver- 
teilung, die  mässig  warme  Temperatur 
und  die  durch  den  Wasserdampf  gemil- 
derte Konzentration  das  Mittel  keinen 
Reiz  auf  die  Schleimhäute  ausübt  und 
infolgedessen  ein  tiefes  Eindringen  bis 
in  die  feinsten  Luftwege  ermöglicht. 

III.  Gase :  Die  Inhalation  von  Gasen 
zu  therapeutischen  Zwecken  findet  in  den 


328 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


Respirationsorganen  keine  Schwierig- 
keiten, solange  sie  nicht  irrespirabel 
sind  d.  h.  die  Schleimhäute,  vor  allem 
den  Larynx  und  die  Bronchien  derart 
reizen,  dass  jede  Atmung  durch  reflek- 
torischen Schluss  des  Kehlkopfs  unter- 
brochen wird.  Doch  haben  die  Inhala- 
tionen der  eigentlichen  Gase,  wie  Stick- 
stoff, Kohlensäure,  Schwefelwasserstoff, 
Blausäure,  Sauerstoff,  Ozon  wenig  Ver- 
breitung bei  der  Behandlung  von  Er- 
krankungen der  Luftwege  gefunden,  und 
die  daran  geknüpften  Erwartungen  ha- 
ben sich  in  der  Praxis  nicht  als  begrün- 
det erwiesen.  Die  hier  ziemlich  bekann- 
ten Sauerstoffinhalationen  haben  für  die 
Inhalations-Therapie,  soweit  sie  Lokal- 
therapie ist,  kein  Interesse. 

IV.  Zerstäubte  Flüssigkeiten.  In  einer 
mit  zerstäubten  Wasserteilchen  angefüll- 
ten Atmosphäre  atmen  wir  ruhig,  auch 
wenn  ein  irrespirables  Gas  in  kleinen 
Quantitäten  derselben  beigemischt  ist. 
Da  diese  Behandlungsmethode,  wie 
schon  erwähnt,  allgemeine  Verbreitung 
gefunden,  werde  ich  darauf  etwas  näher 
eingehen.  Wenn  eine  Flüssigkeit  in  den 
Zustand  des  Zerstäubtseins  versetzt,  in 
eine  Anzahl  kleinster  Tröpfchen  aufge- 
löst wird,  erhält  sie  die  Fähigkeit,  eine 
gewisse  Zeit  in  der  Luft  sich  schwebend 
zu  erhalten  und  kann  infolgedessen  ge- 
mischt mit  der  atmosphärischen  Luft  in 
die  Luftwege  eindringen.  Der  noch 
heute  nicht  unbeliebte  Aufenthalt  des 
Kranken  am  Meeresstrande  bildet  die 
ursprünglichste  Art  der  Darstellung  der 
Inhalation  zerstäubter  Flüssigkeit.  Spä- 
terhin wurden  Apparate  zur  künstlichen 
Darstellung  feuchten  S taubes  konstru- 
iert ;  doch  konnten  bei  der  ebenerwähn- 
ten Methode  Temperatur,  Druck  und 
Konzentrationsgehalt  der  Flüssigkeit 
keine  Beachtung  finden.  Nach  den  bis- 
her empfohlenen  Inhalationszwecken  die- 
nenden Zerstäubungsapparaten  lassen 
sich  nach  ihren  Erfindern  3  Systeme  un- 
terscheiden. 

1)  Nach  Sales-Girons  1858,  des- 
sen Apparat  mit  Hilfe  einer  Druckluft- 


pumpe einen  feinen  Wasserstrahl  gegen 
eine  feste  Wand  schleuderte.  An  dieser 
wurde  der  Strahl  zerstäubt.  Kaum  noch 
in  Gebrauch. 

2)  Bei  den  nach  M  a  1 1  h  i  e  u  konstru- 
ierten Apparaten  erfolgt  die  Zerstäubung 
in  der  Weise,  dass  die  verdichtete  Luft 
zugleich  mit  der  Flüssigkeit  aus  einer 
feinen  Röhre  heraustritt.  Die  hier  be- 
kannten Atomizer  für  die  Nase  und  die 
Besprengungsapparate  mit  wohlriechen- 
der Flüssigkeit  für  Kleider  und  Gesicht 
sind  nach  diesem  Prinzip  gemacht. 

3)  Das  B  e  r  g  s  o  n- Prinzip  findet  in 
den  bekannten  modifizierten  Siegle'- 
schen  Apparat  Anwendung,  nämlich  dass 
sich  zwei  spitz  zulaufende  Glasröhren 
unter  einem  rechten  Winkel  treffen,  wo- 
bei die  durch  Wasserdampf  ersetzte, 
komprimierte  Luft  aus  der  einen  Röhre 
die  Inhalationsflüssigkeit  aus  der  ande- 
ren Röhre  emporsaugt  und  in  kleinste 
Tröpfchen  zerreist. 

Bekanntlich  gibt  es  nun  eine  grosse 
Anzahl  von  verschieden  aussehenden  und 
benannten,  für  therapeutische  Zwecke 
brauchbaren  Apparaten  für  Zerstäubung 
der  Inhalationsflüssigkeit.  Aber  es  han- 
delt sich  soweit  das  Prinzip  der  Zer- 
stäubung in  Frage  kommt,  ausschliess- 
lich um  Modifikationen  und  Verbesser- 
ungen der  genannten  3  Systeme:  Sales- 
Girons,  Matthieu  und  Berg- 
s  o  n.  Die  Triebkraft  bildet  entweder 
komprimierte  Luft,  welche  auch  erwärmt 
werden  kann,  oder  strömender  Wasser- 
dampf. Darnach  unterscheiden  wir  wie- 
der drei  Gruppen :  Apparate  für  kühle, 
warme  und  heisse  Inhalationen.  Einzel- 
und  Gesellschaftsinhalationen.  Die  neue- 
sten und  modernsten  Apparate  von 
Was  m  u  t  h  ,  B  u  1 1  i  n  g  und  H  e  r  y  n  g 
als  grosse  Zerstäuber  sind  die  vollkom- 
mensten Typen  von  Apparaten  für  Ge- 
sellschaftsinhalationen. Sie  vermögen  die 
Zerstäubung  von  ausserordentlicher 
Feinheit  zu  bewirken ;  die  Tröpfchen, 
welche  erzeugt  werden,  sind  so  klein  und 
kleiner  wie  die  Lungenalveolen,  kleiner 
wie  die  roten  Blutkörperchen.  Die  Flüs- 
sigkeitsbläschen haben  einen  Durchm.es- 


New    Yorker   Medizinische  Monatsschrift. 


329 


ser  von  0.0006—0.0012  mm;  der  dadurch 
gebildete  Nebel  dringt  bis  in  die  feinsten 
Bronchien  und  Bronchiolen  ein.  Durch 
ein  rechnerisch  und  experimentell  genau 
festgestelltes  bestimmtes  Verhältnis  zwi- 
schen den  aus  den  Röhren  hervordrin- 
genden Flüssigkeitsmengen  wird  eine 
vollständige  Verdunstung  der  Tröpfchen 
verhindert.  Auch  kleine,  sehr  vollkom- 
mene Apparate,  speziell  für  Nasen-  und 
Halserkrankungen  wurden  von  B  u  1 1- 
i  n  g  und  Was  m  u  t  h  konstruiert.  Ich 
möchte  auf  die  Beschreibung  dieser 
neuesten  Einzel-Apparate  hier  nicht  ein- 
gehen ;  der  Zweck  und  das  Resultat  sind 
stets  die  gleichen  geblieben,  wenn  gleich 
zu  erwähnen  ist,  dass  die  B  u  1 1  i  n  g'- 
schen  Apparate,  „Guttafer"  und  , .Ther- 
mo- Variatoren,"  wie  er  sie  genannt,  in 
Europa  die  populärsten  geworden  sind. 

Die  nötigen  anatomischen  und  physio- 
logischen Bemerkungen  zur  Inhalations- 
Therapie,  die  Technik  bei  der  Inhalation, 
die  Pharmacopaea  inhalatoria,  die  sich 
ausgebildet  hat,  werde  ich  übergehen. 
Praktisch  wichtiger  und  von  grösserem 
Interesse  ist  die  Indikationsstellung  bei 
der  Inhalationsbehandlung.  Eine  sche- 
matische Namensaufstellung  aller  akuten 
und  chronischen  Erkrankungen  der 
Nase,  des  Pharynx,  Larynx,  der  Lunge, 
wie  sie  sich  mehr  oder  minder  für  er- 
folgreiche Behandlung  eignen,  dürfte  die 
ganze  Behandlungsweise  mehr  in  Miss- 
kredit bringen,  als  sie  unter  den  Aerzten 
beliebt  machen.  Eine  genaue  Spezifizier- 
ung der  Erkrankungen  ist  nötig.  Allge- 
mein möchte  ich  sagen,  dass  die  Inhala- 
tions-Therapie bei  Nasen  und  Halser- 
krankungen da  aufhört,  wo  sie  das  Ge- 
biet der  Chirurgie  betritt.  Daselbst  aber 
ist  sie  ein  nicht  zu  unterschätzendes,  un- 
terstützendes Moment  zur  Ausheilung 
der  gesetzten  Wunde,  wie  die  Sekretion 
zu  verflüssigen,  die  Tätigkeit  der  Drüsen 
anzuregen  und  dadurch  eine  schnelle 
Heilung  zu  erzielen.  Es  gehören  also 
Fälle  wie  adenoide  Vegetationen,  Rhini- 
tis chronica  hypertrophicans  mit  Poly- 
penbildung nicht  in  dieses  Gebiet,  viel- 
leicht nur  dann,  wenn  es  sich  um  opera- 


tionsscheue Kranke  handelt,  die  momen- 
tane Linderung  suchen.  Wie  sich  die 
heute  gebräuchlichen  Medikamente  ge- 
gen die  Symptome  richten,  so  ist  auch 
die  Inhalations-Therapie  in  ganz  beson- 
derer Weise  eine  symptomatische  Thera- 
pie, die  aber  zugleich  äusserst  wohltuend 
wirkt.  Und  da  wir  bei  den  verschiede- 
nen Erkrankungen  nicht  immer  ein  spe- 
zifisches Heilmittel  haben,  so  handelt  es 
sich  doch  darum,  auf  welche  Weise  wir 
bei  der  Bekämpfung  einer  Krankheit 
eine  schnellere  und  nachhaltigere  und 
auch  für  den  Patienten  angenehmere 
Wirkung  erzielen  und  so  schliesslich  die 
Möglichkeit  geben,  durch  Beseitigung 
des  auf  die  Schleimhaut  höchst  schädli- 
chen Reiz  ausübenden  Sekretes  dieselbe 
durch  die  Heilkraft  der  Natur  wieder  in 
einen  normalen  Zustand  zu  bringen.  Und 
diese  Wirkung  wird  schneller  und 
gründlicher  durch  die  Inhalations-Me- 
thode erreicht.  Darauf  beruht  ja  gerade 
der  Vorteil  dieser  Behandlungsweise,  wie 
das  in  der  letzten  Zeit  nachgewiesen  wor- 
den ist,  dass  die  eingeführten  Medika- 
mente durch  die  Mucosa  der  oberen 
Luftwege  schnell  resorbiert  und  unzer- 
setzt  in  die  Blutbahn  gelangen,  während 
sie  per  os  gereicht  im  Magen  unter  dem 
Einfluss  verschiedener  Fermente  und  der 
Magensäure  Zersetzungsprozessen  unter- 
worfen sind.  Die  ausserordentliche  Re- 
sorptionsfähigkeit der  Lunge  erleichtert 
die  Aufsaugung  der  warmen,  fein  sus- 
pendierten, medikamentierten  Teile,  wel- 
che andauernd  die  Oberfläche  der  Luft- 
wege berieseln,  teils  kräftig  an  die  Mu- 
cosa anprallen  und  hiedurch  den  zähen 
Schleim  verflüssigen,  die  Expektoration 
anregen  und  erleichtern ;  Reizzustände 
werden  gemildert,  Hyperämien  ausge- 
glichen und  die  entzündliche  Spannung 
der  Mucosa  vermindert.  Daraus  ergibt 
sich,  dass  diese  Behandlungsweise  ganz 
besonders  indiziert  ist  bei  Erkrankungen 
der  Atmungsorgane,  wo  es  sich  darum 
handelt,  die  zähe  Sekretion  zu  lösen,  den 
trockenen  Katarrh  zu  lockern,  die  sekre- 
torische Tätigkeit  der  Drüsen  anzuregen, 
den   trockenen,    quälenden    Husten  zu 


330 


New  Yorker  Medizin 


ische  Monatsschrift. 


lösen,  bei  tiefen  Rachen-  und  Kehlkopf- 
prozessen die  Beschwerden  erträglicher 
zu  machen.  So  sind  ausgezeichnete  Er- 
folge erzielt  worden  bei  allen  akuten  Ka- 
tarrhen der  Atmungswege,  wie  beim  aku- 
ten Schnupfen  und  dem  akuten  Erkält- 
ungskatarrh des  Kehlkopfes  und  nament- 
lich der  Bronchien.  Die  Wirkung  ist 
eine  ebenso  prompte  wie  nachhaltige,  wie 
es  das  Einnehmerezept  nicht  aufweisen 
kann.  Auf  das  Allgemeinbefinden  und 
sogar  auf  vorhandenes  leichtes  Fieber 
übt  sie  einen  heilsamen  Einfluss  aus. 
Der  Niesreiz  und  Kopfschmerz  schwin- 
det, ebenso  der  quälende  Husten  bei  aku- 
ter Tracheo-Bronchitis,  das  Gefühl  des 
Wundseins  unter  dem  Brustbein  in  kür- 
zester Zeit. 

Von  den  chronischen  Erkrankungen 
eignet  sich  vor  allem  die  Pharyngitis  und 
Laryngitis  sicca,  die  Rhinitis  atrophicans. 
Der  Schleim,  der  bei  diesen  Erkrankun- 
gen nur  spärlich  und  langsam  abgeson- 
dert wird  und  daher  zu  Krusten  leicht 
eintrocknet,  verflüssigt  sich  bald ;  das  Ge- 
fühl der  Trockenheit  in  Nase  und  Hals, 
Kratzen  und  Kitzeln  im  Kehlkopf  und 
die  Neigung  zu  räuspern  und  husten 
schwindet  wesentlich  schneller,  und  eine 
nachhaltigere  Abnahme  dieser  Krank- 
heitserscheinungen als  bei  der  üblichen 
Behandlungsmethode  tritt  ein.  Bei  Bron- 
chitis foetida,  wo  das  Sekret  der  Schleim- 
haut in  faulige  Zersetzung  übergeht,  übt 
sie  eine  geradezu  spezifische  Wirkung 
aus,  dann  aber  auch,  wenn  es  sich  han- 
delt, bei  starker  Sekretion  die  Abson- 
derung zu  beschränken,  je  nachdem  man 
dazu  geeignete  Arzneimittel  hinzufügt. 
So  sind  am  meisten  befriedigend  die  vor- 
züglichen Heilwirkungen  beim  chroni- 
schen Bronchialkatarrh  mit  reichlich, 
gutflüssigem  Sekret.  Und  die  Wirkung 
in  dem  sehr  schnellen  Nachlassen  bez. 
Verschwinden  des  Hustens  ist  keine 
bloss  vorübergehende,  wie  wir  es  bei 
Anwendung  narkotischer  Mittel  stets  ha- 
ben, sondern  in  der  Regel  eine  dauernde. 
Das  auf  der  Schleimhaut  liegende  Sekret, 
die    Hauptursache  des   Hustens,  wird 


durch  die  Einatmung  gelöst  und  die  ab- 
norme Reizempfindlichkeit  der  Respira- 
tionsschleimhaut herabgesetzt. 

Was  die  Inhalations-Therapie  bei  der 
Lungenschwindsucht  anlangt,  hatte 
S  a  e  n  g  e  r  bei  dem  im  Gefolge  der 
Lungenschwindsucht  stets  vorhandenen, 
meist  sehr  intensiven  Bronchialkatarrh 
ebenso  gute,  zum  Teil  noch  bessere  Er- 
folge, insofern  durch  das  Schwinden  des 
Bronchialkatarrhs  in  einer  Anzahl  von 
keineswegs  leichten  Fällen  der  tuberku- 
löse Erkrankungsprozess  einen  unerwar- 
tet günstigen  Verlauf  nahm.  H  e  r  y  n  g 
schreibt  folgendes :  „Trotz  aller  Aner- 
kennung für  den  Nutzen  und  die  Erfolge 
der  hygienisch-diätetischen  Methode  und 
der  Erfolge  der  Behandlung  in  Sanato- 
rien und  klimatischen  Kurorten,-  dürfen 
wir  auf  die  lokale  Therapie  der  Lungen- 
erkrankung nicht  verzichten.  Solange 
wir  keine  Spezifica  gegen  die  Tuberku- 
lose besitzen  und  die  Aussichten  solche 
zu  finden,  wenig  versprechend  sind,  ist 
es  unsere  Pflicht,  in  den  Anfangsstadien 
der  Lungentuberkulose  nach  Behand- 
lungsmethoden zu  suchen,  welche  dem 
kranken  O'rgan  das  ihm  am  meisten  zu- 
kommende, das  heisst  mit  der  Luft  ein- 
geführte antiseptisch  und  nicht  reizend 
wirkende  Medikament  in  genügender 
Menge  und  in  längerer  Zeitdauer  zufüh- 
ren. Meine  bisherigen,  auf  diesem  Felde 
seit  2  Jahren  gesammelten,  klinischen 
Beobachtungen  haben  mich  von  der  gün- 
stigen Wirkung  dieser  Methode  so  weit 
überzeugt,  dass  ich  mir  erlaube,  dieselbe 
zur  weiteren  Erprobung  zu  empfehlen. 

Zum  Schlüsse,  meine  Herren,  möchte 
ich  Sie  bitten,  sich  selbst  zu  überzeugen 
von  der  heilbringenden  Wirkung  der  mo- 
dernen Inhalations-Therapie  jn  den  er- 
wähnten bestimmten  Fällen  und  durch 
Ihr  bleibendes  Interesse  daran  zum  Auf- 
bau selbst  beizutragen  durch  eigene,  un- 
abhängige, eingehende  Prüfungen,  Be- 
obachtungen und  Untersuchungen,  um 
die  erstaunliche  Meinungsänderung  ver- 
stehen zu  lernen,  die  gerade  in  den  letz- 
ten zwei  Jahren  in  der  Behandlung  ka- 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


33i 


tarrhalischer  Zustände  der  Atmungsor- 
gane die  Aerzte  sowohl  wie  das  Publi- 
kum ergriffen  hat.  Das  bis  Dato  einzige 
Inhalatorium,  das  in  diesem  Lande  mit 


den  neuesten  Apparaten  eingerichtet  exi- 
stiert, befindet  sich  in  137  West  122. 
Strasse,  und  ich  stelle  es  Ihnen  gerne  zur 
Verfügung. 


Zwei  Fälle  von  extr« 

Von  Dr.  Edward 

Fall  I.  Martin  W.  W.  kam  am  26. 
Dezember  v.  J.  mit  folgender  Kran- 
kengeschichte :  Vor  mehr  als  drei  Mo- 
naten merkte  ich,  dass  etwas  aus  mei- 
nem Rektum  herauswuchs,  die  Um- 
gebung desselben,  der  After  und 
die  umliegenden  Teile  waren  sehr 
schmerzhaft,  insbesondere  beim  Stuhl- 
gang. Vor  etwa  zwei  Monaten  be- 
merkte ich,  dass  meine  Lippen  auf- 
sprangen, sehr  hart  wurden  und  die 
Zunge  sehr  schmerzte,  besonders  nach 
Mahlzeiten.  Vor  zwei  Wochen  bekam 
ich  Halsschmerzen  und  ein  Geschwür 
auf  der  Zunge. 

Patient,  der  aus  Oesterreich  stammt, 
im  17.  Lebensjahre  ist,  gesund  ausseh- 
end und  von  gesunden  Eltern,  wurde 
mit  einem  Rektalspekulum  untersucht, 
es  fand  sich  in  der  Höhe  von  \l/2  Zoll 
ein  Geschwür  mit  harten  Rändern, 
ganz  charakteristisch  für  die  Initial- 
sklerose, die  Analgegend  war  dicht  be- 
setzt mit  feuchten  Papeln,  Stecknadel- 
kopf- bis  erbsengross  bis  zur  Höhe  des 
Tuber  ossis  ischii.  An  der  Zunge  fan- 
den sich  zahlreiche  Schleimhautpapeln, 
insbesondere  die  oben  von  dem  Patien- 
ten erwähnte  —  einen  halben  Zoll  lang 
und  ein  viertel  Zoll  breit,  ebenso  am 
weichen  Gaumen  und  an  der  hinteren 
Pharynxwand,  ausgesprochene  Gingi- 
vitis und  sämtliche  Lymphdrüsen  stark 
vergrössert. 

Auf  Befragen  leugnete  Patient  über 
eine  Woche,  etwas  von  einer  Infektion 
zu  wissen,  gab  jedoch  am  Ende  der 


*)  Vorgestellt  in  der  Dezember- Sitzung  der 
Manhattan  Dermatological  Society. 


igenitalen  Schankern.* 

Pisko,  New  York 

zweiten  Woche  unserer  Bekanntschaft 
zu,  dass  er  seit  Juni  v.  J.  Sodomie 
treibe  (passive  Päderastie)  und  auch 
wiederholt  per  os. 

Fall  II.  Am  28.  Dezember  v.  J.,  also 
nur  zwei  Tage  später,  stellte  sich  ein 
anderer  Patient  ein,  Henry  H.,  16  Jahre 
alt,  hier  geboren,  von  kachektischem 
Aussehen,  klagte  genau  dasselbe, 
Schmerzen  und  Wundgefühl  beim 
Stuhlgang  und  über  Geschwüre  in  der 
Aftergegend. 

Patient  wurde  ebenfalls  per  rectum 
untersucht,  zwei  Zoll  hoch  fand  sich 
die  Initialsklerose.  Alopecia  auf  dem 
Kopfe,  in  den  Achseln  und  in  der 
Schamgegend.  Die  Tonsillen  waren 
kraterförmig  ausgehöhlt,  mit  einem 
speckigen  Belag  bedeckt,'  sämtliche 
Lymphdrüsen  stark  vergrössert,  insbe- 
sondere die  Epitrochleardrüsen  am 
rechten  Arm  zur  Grösse  einer  Hasel- 
nuss.  An  der  Glans  penis  waren  zwei 
grosse  Papeln,  von  denen  Patient  be- 
hauptete, dass  sie  sich  erst  seit  3  Ta- 
gen zeigten.  Die  Analgegend  ist  mit 
grösseren  und  kleineren  Papeln  besät. 
Patient  leugnet  beharrlich  jede  Mit- 
wissenschaft an  einer  Infektion  und 
trotz  wiederholter  Vorstellungen  bleibt 
er  bei  der  Behauptung,  dass  er  letzten 
Herbst  —  er  war  mit  einem  Zirkus  auf 
der  Reise  —  den  Abort  nach  einem 
Manne  benützte,  von  dem  man  wusste, 
dass  er  eine  „Geschlechtskrankheit" 
habe.  Der  Junge  ist  intelligent,  macht 
einen  guten  Eindruck  und,  wenn  man 
ihm  Glauben  schenken  darf,  ist  dies 
wirklich  einer  der  seltenen  Fälle  von 
Syphilis  insontium. 


332 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


Beide  Fälle  werden  mit  HgCl2  be- 
handelt, vertragen  die  Einspritzungen 
sehr  gut  und  zeigen  nach  sechswöch- 
entlicher Behandlung  keine  Sympto- 
me mehr ;  die  Läsionen  an  der  Zunge 
(Fall  I)  sind  geheilt,  die  Tonsillen  (in 
Fall  II)  haben  normales  Aussehen. 
Beide    Patienten    befinden   sich  sehr 


wohl  und  zeigen  nur  noch  einige  ganz 
kleine  feuchte  Papeln  um  den  After, 
die  eben  langsamer  heilen,  weil  die 
Faeces  die  Gegend  feucht  halten  und 
ich  keinerlei  Lokalbehandlung  einge- 
leitet habe. 

Sydenham  Building,  616  Madison 
Avenue. 


Bromural  in  seiner  Anwendung  zur  Bekämpfung  der  Seekrankheit. 

Von  Dr.  Eugen  Perrenon, 

Schiffsarzt  beim  Norddeutschen  Lloyd,  Oberassistenzarzt  d.  R.  der  Kaiserlich  Deutschen 

Marine  &c. 


Mit  dem  Monobromisovalerianyl- 
harnstoff,  unter  dem  Namen  „Bromu- 
ral" von  Knoll  &  Co.  in  den  Handel 
gebracht,  hat  der  Arzneischatz  ein 
Nervenberuhigungs-  und  Schlafmittel 
gewonnen,  das  in  der  Praxis  vielfach 
erprobt  ist. 

Krieger  und  v.  d.  Velde  n,  v. 
L  e  y  d  e  n,  Erb,  G  o  1 1 1  i  e  b  u.  a.  be- 
richten über  Bromural  als  ein  Sedati- 
vum und  Einschläferungsmittel,  das 
prompt  wirkt,  als  relativ  harmlos  be- 
zeichnet werden  kann  und  frei  von 
Nebenwirkungen  zu  sein  scheint.  Der 
durch  Bromural  hervorgerufene  Schlaf 
zeigt  keine  Abweichung  gegen  den  na- 
türlichen Schlaf,  auch  fühlen  sich  die 
Patienten  nach  dem  Erwachen  frisch 
und  erquickt,  ohne  Benommenheit  und 
Depression.  Durch  diese  Vorteile  un- 
terscheidet sich  Bromural  deutlich  von 
den  bisher  bekannten  Mitteln  mit  nar- 
kotischer Wirkung,  und  es  wird  seine 
Anwendung  in  allen  Fällen  von  leich- 
ter, nervöser  Schlaflosigkeit  empfohlen, 
besonders  bevor  die  stark-wirken- 
den  Hypnotika  zur  Anwendung  gelan- 
gen. Die  Wirkung  des  Bromurals 
klingt  nämlich  schon  innerhalb  5  Stun- 
den ab,  das  Präparat  dient  daher  nur 
dazu,  den  natürlichen  Schlaf  einzulei- 
ten, und  so  erklärt  sich  das  Fehlen  der 


unangenehmen  Nebenwirkungen  am 
nächsten  Morgen  beim  Erwachen. 
Bromural  muss  als  ein  weniger  kräfti- 
ges Mittel  bezeichnet  werden,  da  es, 
wie  gesagt,  nur  in  Fällen  leichter,  ner- 
vöser Schlafbehinderung  und  als  Seda- 
tivum wirksam  ist,  dagegen  in  schwe- 
ren Fällen  von  Schlaflosigkeit  versagt. 

Es  lag  nun  nahe,  dieses  Mittel  schon 
wegen  seiner  Zusammensetzung  mit 
der  Valeriansäuregruppe  auch  auf  See- 
reisen unter  den  damit  verbundenen 
bekannten  schwierigen  Verhältnissen 
anzuwenden.  Ich  habe  dies  auch  wäh- 
rend verschiedener  Seereisen  mit  zum 
Teil  sehr  stürmischem  Wetter  getan 
und  in  einer  Reihe  von  Fällen  die 
besten  Erfolge  gesehen.  Dabei  trat 
nun  nicht  nur  die  ausgezeichnete 
Schlafwirkung  zu  Tage,  sondern  ich 
hatte  auch  Gelegenheit,  besonders  bei 
nervösen,  überarbeiteten  Personen  eine 
solch  günstige  Wirkung  bezüglich  des 
Auftretens  der  Seekrankheit  zu  kon- 
statieren, dass  ich  in  meiner  Tätigkeit 
als  Schiffsarzt  mich  sehr  bald  ent- 
schloss,  Bromural  speziell  in  dieser 
Hinsicht  zu  gebrauchen. 

Meine  Erfahrungen  haben  ergeben, 
dass  die  günstigsten  Erfolge  zu  ver- 
zeichnen waren,  wenn  Bromural  pro- 
phylaktisch sogleich  nach  Beginn  der 


New   Yorker   Medizinische  Monatsschrift. 


333 


Reise  angewendet  wurde.  Ich  begann 
also  bei  offenkundig  zur  Seekrankheit 
neigenden  Reisenden  damit,  dass  ich 
sogleich  vor  der  ersten  grösseren  Mahl- 
zeit Dosen  von  0,3  g— 0,6  g  je  nach 
der  Konstitution  gab.  Dieselbe  Dosis 
wurde  am  ersten  Abend  vor  dem  Schlaf- 
gehen wiederholt,  und  diese  Behand- 
lung am  zweiten  und  nötigenfalls  auch 
am  dritten  Tage  fortgesetzt. 

Es  offenbarte  sich  dabei  nach  den 
Angaben  der  betreffenden  Personen, 
welche  grosse  Annehmlichkeit  es  für 
sie  war,  sogleich  in  der  ersten  Nacht 
ruhig  und  ausgiebig  zu  schlafen.  Als- 
dann stellte  sich  auch  am  Morgen  dar- 
auf der  gewünschte  Appetit  ein. 
Wurde  dieses  Verfahren  in  der  ange- 
gebenen Weise  von  Anfang  an  durch- 
geführt, so  blieb  in  vielen  Fällen  jegli- 
cher Brechreiz  aus. 

Bei  Kopfschmerzen  war  die  Wir- 
kung mitunter  eine  frappante,  es  trat 


gewöhnlich  auch  nach  Dosen  von  0,6g 
— 0,9  g  ein  wohltuender  ruhiger  Schlaf 
ein  und  nachher  lebhafter  Appetit. 

Begann  die  Anwendung  erst  einige 
Tage  nach  Abfahrt,  also  nachdem  sich 
die  Symptome  der  Seekrankheit  schon 
geltend  gemacht  hatten,  so  mussten 
naturgemäss  grössere  Dosen  während 
längerer  Zeiträume  gegeben  werden,  es 
gelang  jedoch  auch  hier,  in  Verbindung 
mit  geeigneter  Diät  etc.  die  Beschwer- 
den wenigstens  bedeutend  zu  mildern, 
beziehungsweise  abzukürzen. 

Den  sichersten  Erfolg  verspricht 
aber,  wie  erwähnt,  eine  möglichst  früh- 
zeitige Anwendung. 

Wenn  ich  meine  Erfahrungen  zu- 
sammenfassen darf,  so  glaube  ich,  dass 
im  Bromural  ein  Mittel  vorliegt,  dass 
eine  Empfehlung  zur  Anwendung  un- 
ter den  entsprechenden  Verhältnissen 
sehr  wohl  verdient. 


Auszüge  aus  der  neuesten  Journalliteratur. 


A.  L  ü  b  b  e  r  t :    Eine  neue  Methode 
der  Behandlung  mit  Hyperämie. 

Das  Heilprinzip,  welches  in  der  Er- 
regung von  Hyperämie  liegt,  ist  von 
alters  her  in  der  Form  von  Priessnitz- 
verbänden,  Schlamm-  und  Moorbädern, 
Breiumschlägen,  Duschen,  Vesikan- 
tien  u.  a.  m.  in  ausgiebigster  Weise 
zur  Anwendung  gebracht  worden. 
Lübbert  in  Hamburg  kam  zufällig 
in  den  Besitz  des  amerikanischen  Prä- 
parates „Antiphlogistine"  und  war  in 
der  Lage,  dasselbe  an  mehr  wie  hun- 
dert Fällen,  wie  er  sagt,  erfolgreich  an- 
zuwenden L.  berichtet  eingehend 
über  seine  Erfahrungen  in  dieser  Hin- 
sicht. 

Das  Antiphlogistine  hat  das  Aus- 
sehen und  die  Konsistenz  eines  dünnen 
Glaserkittes.  Seine  Grundsubstanz 
bildet  ein  natürlich  vorkommendes 
Aluminum-Magnesiumsilikat,  welches 
auf  das  feinste  pulverisiert  und  bei 
sehr  hoher  Temperatur  getrocknet 
wird.  Sobald  durch  diesen  Erhitzungs- 


prozess  Wasserfreiheit  erzielt  ist,  wer- 
den etwa  50  Proz.  Glyzerin  eingear- 
beitet und  neben  etwas  Bor-  und  Sali- 
zylsäure sowie  einer  Spur  reinen  Jodes 
eine  gewisse  Menge  Ol.  Menthae 
piperitae,  Ol.  Gaultheriae  und  Ol. 
Eucalypti  hinzugesetzt.  Durch  innige 
Mischung  aller  Ingredientien  erhält 
man  eine  angenehm  aromatisch  riech- 
ende, durchaus  homogene  Paste,  wel- 
che, ohne  zu  fliessen,  sich  sehr  leicht 
ausstreichen  lässt  und  an  der  Unter- 
lage auf  das  vollkommenste  ange- 
schmiegt haften  bleibt. 

Die  Anwendung  soll  derart  ge- 
schehen, dass  man  das  Präparat  durch 
Einstellen  des  Behälters  in  heisses 
Wasser  anwärmt  und  die  durchge- 
rührte Masse,  so  heiss  es  nur  immer 
vertragen  wird,  mit  einem  Spatel  auf 
die  zu  behandelnde  Stelle  aufbringt. 
Alle  Körperteile,  ohne  Ausnahme  ir- 
gend einer  Oertlichkeit,  können  be- 
deckt werden.  Auch  bezüglich  der 
Ausdehnung    der    zu  behandelnden 


334 


New   Yorker   Medizinische  Monatsschrift. 


Oberfläche  braucht  man  sich  keinerlei 
Beschränkung  aufzulegen,  denn  der 
tatsächlich  erfolgende  absolute  Luft- 
abschluss  ist  ja  von  ganz  anderer  Be- 
deutung und  anderen  Folgen  als  der, 
den  man  durch  Firnisüberzüge  und  an- 
dere, die  Hauttätigkeit  unterdrückende 
bzw.  schädigende  Bedeckungen  er- 
reicht. Ebensowenig  spielt  die  Be- 
schaffenheit der  betreffenden  Partie 
eine  Rolle.  Auf  entzündliche  Infil- 
trationen aller  Grade  oder  auf  Wund- 
flächen, wie  sie  sich  beim  Ulcus  cruris 
finden,  kann  man  das  Präparat  ebenso 
aufbringen  wie  auf  die  intakte  Haut. 
Nur  die  Temperatur  der  Masse  wird 
man  entsprechend  modifizieren.  Die 
Dicke  der  aufzutragenden  Schicht 
lernt  man  sehr  bald  variieren,  je  nach 
der  Zeit,  die  man  wirken  will,  und  dem 
Ort  der  Applikation.  Sobald  die  Paste 
ausgestrichen  ist,  bedeckt  man  sie  mit 
einer  dünnen  Lage  hydrophiler  Watte, 
die  man  mit  einer  Binde  fixiert.  Diese 
Binde  kann  man  übrigens  unter  Um- 
ständen sparen,  da  sich  die  Paste  der 
Körperoberfläche  eng  anschmiegt  und 
andererseits  auch  die  bedeckende  Wat- 
teschicht festhält.  Schliesslich  legt 
man  in  anderen  Fällen  über  die  Watte 
eine  einfache  Lage  Mull  und  befestigt 
das  Ganze  durch  einige  Streifen  Leu- 
koplast. So  kann  man  z.  B.  eine  ganze 
Thoraxhälfte  bedecken,  ohne  die  ge- 
sunde Seite  durch  Bindentouren  zu  ge- 
nieren. 

Will  man  die  Paste  aus  irgend  einem 
Grunde  vorzeitig  entfernen,  so  braucht 
man  nur  Wasser  unter  den  Verband 
zu  bringen,  um  eine  sofortige  prompte 
Lösung  der  haftenden  Paste  zu  erzie- 
len. Welche  Wirkung  ein  Antiphlo- 
gistine-Verband  haben  muss,  liegt  klar 
zutage,  wenn  man  die  chemische  Zu- 
sammensetzung und  die  Anwendungs- 
art kennen  gelernt  hat.  Die  Vermut- 
ung, dass  die  Masse  aseptisch,  keim- 
frei sein  wird,  bestätigt  eine  diesbe- 
zügliche bakteriologische  Untersuch- 
ung sofort.  Als  Haupteigenschaft 
aber  ist  die  starke  Hygroskopizität  und 
das  Fettlösungsvermögen  charakteris- 
tisch. Die  Kraft,  Wasser  anzuziehen, 
macht  sich  schon  bemerkbar,  wenn 
man  das  Präparat  offen  an  der  Luft 
stehen  lässt.    Es  nimmt  dann  die  Luft- 


feuchtigkeit auf  und  verliert  als  Aus- 
druck für  die  stattgehabte  Wasserin- 
korporation seine  Geschmeidigkeit, 
während  es  mehr  oder  weniger  bröck- 
lich  wird. 

Es  ist  interessant,  zuerst  einmal 
die  Wirkung  auf  einer  intakten 
Hautstelle  zu  beobachten.  Sobald  die 
warme,  die  Luft  auf  das  vollkommen- 
ste abschliessende  Masse  aufgestrichen 
ist,  empfindet  man  eine  prickelnde 
Wärme.  Einige  Patienten  sagten,  sie 
hätten  das  Gefühl,  als  ob  das  Glied, 
Arm  oder  Bein,  an  der  vom  Verband 
bedeckten  Stelle  anschwelle,  ohne  dass 
sich  jedoch  irgend  ein  Gefühl  von 
Spannung  bemerkbar  mache,  im  Ge- 
genteil sei  eine  Erleichterung  zu  spü- 
ren, wie  sie  sich  als  Folge  gesteigerten 
Stoffwechsels  darstelle  Dieses  Gefühl 
bleibt  dauernd  bestehen,  solange  der 
Verband  hält.  Nach  ein  bis  zwei  Ta- 
gen, manchmal  früher  oder  später, 
lockert  sich  die  Paste  von  ihrer  Unter- 
lage, fängt  an,  sich  von  den  Rändern 
her  aufzurollen,  und  lässt  sich  dann 
ohne  weiteres  mit  der  Watte  als  zu- 
sammenhängende Schicht  abheben. 
Haare  am  Möns  Veneris,  der  Achsel- 
höhle oder  auch  am  Kopf  ziehen  sich 
hierbei  glatt,  ohne  auch  das  leiseste 
Zerren  aus  dem  Verband,  weil  die 
Paste  durch  Wasseraufnahme  ihre 
Klebrigkeit  verloren  hat  und  bröcklig 
geworden  ist.  Der  Verband  hat  seiner 
Dicke  entsprechend  seine  Schuldigkeit 
getan  und  löst  sich  infolgedessen  von 
selbst.  Hält  man  jetzt  den  Verband 
in  der  Hand,  so  fällt  zunächst  auf,  dass 
er  sehr  viel  schwerer  geworden  ist,  und 
als  Ausdruck  für  die  reichliche  Was- 
seraufnahme konstatiert  man,  dass  so- 
gar die  Watte  dicht  geworden  ist  und 
sich  klamm,  manchmal  direkt  nass  an- 
fühlt. Man  kann  hier  geradezu  ge- 
wichtsanalytisch feststellen,  wieviel 
Wasser  etwa  die  Haut  an  der  bedeck- 
ten Stelle  abgegeben  hat.  Wie  inten- 
siv die  Wirkung  des  Verbandes  sein 
kann,  das  sah  L.  bei  einem  an  Morbus 
Brightii  leidenden  Patienten,  dessen 
beide  Unterschenkel  und  Füsse  ein 
ganz  hochgradiges  Oedem  zeigten, 
man  kann  sagen  zu  unförmigen  Mas- 
sen geschwollen  waren.  L.  Hess  den 
Patienten  zu  Bett  legen  und  machte 


.■Iew  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


335 


um  die  rechte  untere  Extremität  einen 
Antiphlogistine- Verband,  während  die 
linke  freigelassen  und  nur  gleich  hoch 
gelagert  wurde.  Nach  24  Stunden  war 
die  behandelte  Seite  vollkommen  nor- 
mal, die  Knöchel  zeigten  ihre  scharfen 
Konturen,  am  Fussrücken  markierten 
sich  die  Sehnen,  und  nirgends  liess  der 
Fingerdruck  auch  nur  eine  Spur  von 
Oedem  erkennen.  Die  linke  unbehan- 
delte Extremität  dagegen  hatte  sich  in 
keiner  Weise  verändert,  sie  zeigte  die- 
selbe ungeheuere  Schwellung  wie  24 
Stunden  zuvor. 

Die  von  L.  behandelten  Fälle  lassen 
sich  in  zwei  Gruppen  teilen.  Bei  der 
ersten  wurden  die  Fälle  registriert,  in 
denen  die  Haut  intakt  war  und  es  sich 
darum  handelte,  die  tiefer  gelegenen 
Teile  zu  beeinflussen.  Hier  verwandte 
L.  das  Antiphlogistine  mit  Erfolg  bei 
Ischias,  Rheumatismus  articulorum 
acutus,  Distorsio  manus,  Tendovagini- 
tis  crepitans,  Otitis  media  mit 
Schmerzhaftigkeit  des  Processus  ma- 
stoideus,  bei  Parulis,  Tonsilitis  und 
Anginen,  Orchitis  traumatica,  Periosti- 
tis acuta,  Parametritis. 

Bei  der  zweiten  Gruppe  war  die  Haut 
entweder  der  direkt  erkrankte  Teil, 
oder  der  Prozess  hatte  dieselbe  doch 
in  Mitleidenschaft  gezogen.  Bei  die- 
sen Patienten  handelte  es  sich  um : 
Eczema  capitis  et  faciei,  Erysipelas 
nasi,  Furunkulose,  Panaritien,  Phleg- 
monen, Verbrennungen,  Unterschen- 
kelgeschwüre, Periproctitis,  Mastitis. 

Wie  schon  bei  Gruppe  I  bei  den 
Fällen  von  Otitis  bzw.  Parulis  der  Ver- 
band durch  seine  leichte  Applikation 
und  Adaption  imponierte,  so  wurde  es 
jetzt  auch  bei  den  Fällen  von  Gesichts- 
erysipel  und  Periproktitis  bemerkt, 
dass  sich  der  Verband  ausgezeichnet 
anlegen  lässt,  ohne  den  Kopf  bzw.  das 
Becken  in  umfangreiche  Bindentouren 
zu  wickeln. 

Der  therapeutische  Effekt  aber 
sprach  sich  bei  allen  entzündlichen 
Prozessen,  Furunkeln  und  Phlegmo- 
nen vor  allem  darin  aus,  dass  der  Pro- 
zess, wenn  es  überhaupt  zur  Eiterbil- 
dung kam,  sich  sehr  schnell  demar- 
kierte. Bei  einem  Nackenkarbunkel, 
bei  dem  am  ersten  Tage  der  ganze 
Nacken  bis  an  die  Ohren  und  bis  zwi- 


schen die  Schulterblätter  intensiv  ge- 
rötet und  geschwollen  war,  ging  unter 
dem  Einfluss  des  ersten  Antiphlogis- 
tineverbandes  Rötung  und  infiltrierte 
Schwellung  in  24  Stunden  vollkommen 
zurück  bis  auf  eine  fünfmarkstück- 
grosse  Stelle,  den  Sitz  des  Karkunkels 
in  der  Gegend  des  4.  bis  7.  Halswirbels. 
Am  folgenden  Tage  hatten  sich  drei 
grosse  Pfropfe  abgestorbenen  Zellge- 
webes demarkiert.  Als  dann  der  dritte 
Verband  abgenommen  wurde,  zeigte 
sich  bereits  eine  gut  granulierende 
Wundfläche.  Der  Eiter  aber  sowie  die 
ganzen  zerfallenen  Gewebsmassen  Sas- 
sen im  Verband.  Bei  der  Behandlung 
der  Unterschenkelgeschwüre  schliess- 
lich war  das  schnelle  Verschwinden 
des  Oedems,  welches  oft  über  die 
ganze  untere  Extremität  ausgebreitet 
war,  zu  verzeichnen,  ebenso  wie  die 
schnelle  Reinigung  der  Geschwürs- 
flächen. 

Die  soeben  aufgeführten  und  eine 
grosse  Reihe  weiterer  Fälle,  über  wel- 
che dem  Verf.  deutsche  Aerzte  Mit- 
teilung zugehen  Hessen,  bestätigen  die 
guten  Erfahrungen,  die  man  im  Aus- 
land, in  Amerika  und  England  vor  al- 
lem, mit  dem  Antiphlogistine  gemacht 
hat,  sodass  sich  L.  entscnliessen 
konnte,  das  Präparat  auch  weiteren 
Kreisen  heimischer  Kollegen  zu  emp- 
fehlen. Nachdem  er  selbst  mehr  als 
hundert  Fälle  erfolgreich  behandelt 
hat,  glaubt  er  diese  Empfehlung  mit 
bestem  Gewissen  hinausschicken  zu 
können.  (Therap.  Monatshefte,  No- 
vember 1907.) 

L.  Bin  m :  lieber  den  Wert  der  Oph- 
thalmoreaktion für  die  Diagnose 
der  Tuberkulose. 

Seitdem  Calmette  im  Anschluss 
an  die  Beobachtung  W  o  1  f  f  -  E  i  s- 
n  e  r's,  dass  Einträufelung  einer  lOproz. 
Tuberkulinlösung  in  den  Konjunkti- 
valsack  tuberkulöser  Tiere  eine  heftige 
lokale  Reaktion  hervorruft,  die  Ver- 
wendung einer  lproz.  Lösung  von 
Alttuberkulin  zur  Diagnose  der 
menschlichen  Tuberkulose  empfohlen 
hat,  haben  sich  zahlreiche  Arbeiten, 
deren  Anzahl  sich  täglich  mehrt,  mit 
dieser  „Ophthalmoreaktion"  beschäf- 
tigt.   Ueber  die  auf  der  Strassburger 


336 


New   Yorker   Medizinische  Monatsschrift. 


medizinischen  Klinik  in  dieser  Hin- 
sicht vorgenommenen  Untersuchungen 
berichtet  B  1  u  m.  Benutzt  wurde  zu 
Beginn  die  nach  C  a  1  m  e  1 1  e's  Vor- 
schrift bereitete  lproz.  wässerige  Lö- 
sung des  mit  Alkohol  gefällten  Alttu- 
berkulins ;  später  wurde  eine  2proz. 
Verdünnung  des  käuflichen  Alttuber- 
kulins  (Höchst)  verwandt.  Von  die- 
ser Verdünnung  wurde  ein  Tropfen 
in  den  unteren  Konjunktivalsack  ge- 
bracht, wobei  zu  vermeiden  ist,  dass 
der  Tropfen  wieder  herausgeschleudert 
wird.  Die  erste  an  den  Augen  nach 
der  Einträufelung  auftretende  Er- 
scheinung ist  eine  Pupillenerweiter- 
ung, die  schon  nach  — \]/2  Stunden 
deutlich  wird  ;  dieselbe  kann  so  stark 
werden,  dass  die  Pupille  maximal  dila- 
tiert  ist  und  auf  Lichteinfall  nicht  mehr 
reagiert.  Das  zeitliche  Auftreten  der 
Reaktion  ist  recht  verschieden :  die 
frühesten  Erscheinungen  können  sich 
nach  3 — 4  Stunden  geltend  machen, 
doch  gelangen  ,, Spätreaktionen"  erst 
nach  15 — 20  Stunden  zum  Vorschein, 
manchmal  erst  nach  24  Stunden.  Man 
hat  drei  verschiedene  Grade  der  Stärke 
der  Reaktion  zu  unterscheiden :  der 
leichteste,  bei  dem  die  Karunkel  ge- 
schwollen und  gerötet,  die  Conjunctiva 
bulbi  nur  wenig  gerötet  ist ;  eine  zweite 
Form  mit  starker  Rötung  der  Karun- 
kel und  Tränenfluss  und  eine  dritte  mit 
starker  Rötung,  eitriger  Sekretion,  bei 
der  sich  die  Erscheinungen  bis  zu  Lid- 
ödem, Ekchymosen,  -starker  Licht- 
scheu steigern  können.  Neben  diesen 
positiven  Fällen,  in  denen  die  Ent- 
scheidung leicht  ist,  begegnet  man 
auch  solchen,  in  denen  man  über  das 
Resultat  im  Zweifel  bleibt. 

Die  Probe  wurde  auf  der  Strassbur- 
ger  Klinik  an  250  Patienten  ange- 
wandt. Bei  219  der  Tuberkulose  nicht 
Verdächtigen  war  das  Resultat  31  mal 
positiv,  188  mal  negativ ;  das  Resultat 
konnte  in  7  Fällen  durch  die  Autopsie 
bestätigt  werden.  Bei  5  der  Tuberku- 
lose sehr  verdächtigen  Fällen  fiel  die 
Probe  3  mal  positiv,  2  mal  negativ  aus. 
Bei  26  Fällen  von  sicherer  Tuberkulose 
war  die  Reaktion  21  mal  positiv,  5  mal 
negativ ;  Kontrolle  durch  Autopsie  in  4 
Fällen.  Ferner  geht  aus  den  Beob- 
achtungen hervor,  dass  Fehlen  einer 


Reaktion  nicht  gegen  das  Vorhanden- 
sein einer  Tuberkulose  spricht,  des 
weiteren,  dass  zwischen  Schwere  der 
Erkrankung  und  Stärke  der  Reaktion 
kein  Parallelismus  besteht.  Weiterhin 
muss  man  sich  bei  der  Anstellung  der 
Probe  darüber  klar  sein,  dass  die  Re- 
aktion zwar  die  Anwesenheit  einer  tu- 
berkulösen Erkrankung  anzeigt,  dass 
damit  aber  noch  nicht  bewiesen  ist, 
dass  gerade  eine  bestimmte,  derzeit 
das  Interesse  auf  sich  ziehende  Krank- 
heit tuberkulöser  Natur  sei.  (Mün- 
chener med.  Wochenschr.,  No.  2,  1908.) 

G.  Schröder  und  K.  Kaufmann: 
Ueber  den  Wert  der  Ophthalmore- 
aktion bei  Tuberkulosen  als  dia- 
gnostisches Hilfsmittel. 

Die  Verfasser  kommen  auf  Grund 
ihres  Materials  zu  folgenden  Schluss- 
folgerungen :  Haben  wir  Kranke  vor 
uns,  bei  denen  die  Erscheinungen  und 
der  lokale  Befund  über  den  Lungen 
eine  aktive,  beginnende  Tuberkulose 
vermuten  lassen,  so  ist  die  Instillation 
eines  Tropfens  einer  y2 — lproz.  Lö- 
sung von  Koc  h's  Alttuberkulin  (der 
Glyceringehalt  oder  Verunreinigungen 
sind  nicht  zu  fürchten ;  man  kocht  die 
Solution)  in  den  Konjunktivalsack  ei- 
nes Auges  geboten,  welche  man  in 
3 — 4  tägigen  Zwischenräumen  bei  ne- 
gativem Ausfall  eventuell  unter  Mit- 
benützung des  anderen  Auges  zweimal 
wiederholt.  Tritt  keine  Reaktion,  kein 
Ueberempfindlichkeitsphänomen  ein, 
kann  man  mit  ziemlicher  Sicherheit 
eine  aktive  Tuberkulose  ausschliessen. 
Die  Probe  ist  also  in  solchen  Fällen 
ein  diagnostisches  Hilfsmittel  von 
Wert.  (Ibidem.) 

A.  W  o  1  f  f-E  i  s  n  e  r  :  Ueber  Ophthal- 
moreaktion (richtiger  Konjunkti- 
vaireaktion). 

Wolf  f-E  i  s  n  e  r,  der  Entdecker 
der  Reaktion,  bittet  an  Stelle  des  Aus- 
drucks „Ophthalmoreaktion"  den  Na- 
men ,, Konjunktivaireaktion"  zu  benut- 
zen, da  die  erstere  Bezeichnung  un- 
richtig und  irreführend  sei.  W. 
schliesst  sich  der  Anschauung  von 
Mainini,  dass  die  kutane  Reak- 
tion latente  Herde  anzeigt,  die  bei  der 
Konjunktivaireaktion  erst  bei  Wieder- 
holung erkennbar  werden,  an.    An  zu 


New   Yorker   Medizinische  Monatsschrift. 


337 


starken  Reaktionen  ist  die  Anwendung 
des  Höchster  Tuberkulintestes  schuld ; 
bei  diesem  warnt  W.  dringend,  mit 
stärkeren  Lösungen  als  höchstens  1 
Proz.  zu  arbeiten.  Die  starken  Lösun- 
gen sind  geeignet,  die  Konjunktivaire- 
aktion unverdient  in  Misskredit  zu 
bringen.  Das  neue  Höchster  Präparat 
fällt  die  wirksame  Substanz  durch  Al- 
kohol aus  und  berechnet  dann  den 
Titer  der  Lösung  nach  dem  Gewicht 
der  gefällten  Substanz,  nicht  nach  dem 
ursprünglichen  Tuberkulin  volumen. 
Die  Lösung  ist  mindestens  10  mal  zu 
stark.  Man  verwende  daher  eine 
lproz.  Lösung  von  Alttuberkulin  Koch 
in  physiologischer  steriler  Kochsalz- 
lösung, man  wird  dabei  gut  fahren  und 
unangenehme  Erfahrungen  und  Geld 
sparen.  (Ibidem.) 

G.  Treupel:  Kurze  Bemerkung  zur 
„Ophthalmoreaktion  bei  Tuberku- 
lose." 

Das  kürzlich  von  den  Höchster  Farb- 
werken hergestellte  lproz.  Tuberku- 
losediagnostikum,  das  nach  den  Anga- 
ben C  a  1  m  e  1 1  e's  aus  der  Tuberkulin- 
trockensubstanz  gewonnen  wird,  hat 
bei  den  von  T.  vorgenommenen  Ver- 
suchen so  intensive,  mit  Chemosis  ein- 
hergehende Reaktionen  an  dem  Auge, 
die  gelegentlich  mit  Allgemeiner- 
scheinungen verbunden  waren,  hervor- 
gerufen, dass  T.  dringend  zur  Vorsicht 
bei  der  Anwendung  dieses  Diagnosti- 
kums  raten  möchte.  Es  ist  dieses 
lproz.  Tuberkulose-Diagnostikum  er- 
heblich toxischer,  als  die  aus  dem  Alt- 
tuberkulin gewonnene  Verdünnung 
und  kann  daher  mit  dieser  nicht  ver- 
glichen werden.  Auch  das  auf  Veran- 
lassung von  T.  aus  der  Trockensub- 
stanz in  Höchst  hergestellte  J^jproz. 
Tuberkulose-Diagnostikum  gibt  noch 
sehr  intensive  Reaktionen,  die  auch 
lange  anhalten.  T.  möchte  daher  raten, 
vorläufig  bei  der  Anstellung  der  Oph- 
thalmoreaktion die  aus  dem  Alttuber- 
kulin selbst  hergestellte  lproz.  Ver- 
dünnung zu  benutzen.  (Ibidem.) 

H.  Kolaczek  und  E.  Müller: 
Ueber  ein  einfaches  Hilfsmittel  zur 
Unterscheidung  tuberkulöser  und 
andersartiger  Eiterungen. 

Müller  hatte  bereits   früher  ge- 


meinsam mit  G.  Joch  mann  ein  ein- 
faches Verfahren  beschrieben  zum 
Nachweis  proteolytischer  Fermentwir- 
kungen. Die  Technik  ist  folgende: 
Bei  der  Untersuchung  von  Eiterproben 
bringt  man  mit  Hilfe  einer  Platinöse/ 
eines  Glasstabes  oder  einer  Pipette 
kleine  Tröpfchen  des  zu  prüfenden  Ma- 
terials auf  die  glatte  Oberfläche  einer 
sog.  Löfflerplatte,  d.  h.  einer  Petri- 
schale, die  eine  ziemlich  dicke  Schicht 
erstarrten  Blutserums,  z.  B.  von  Rind 
oder  Hammel  enthält.  Wird  dann  die 
so  beschickte  Löfflerplatte  für  längere 
Zeit  —  am  besten  24  Stunden  —  in  ei- 
nen auf  50 — 55°  eingestellten  Brut- 
schrank gebracht,  so  zeigt  sich  auf  dem 
Nährboden  an  Stelle  jeden  einzelnen 
Eitertröpfchens  eine  nach  und  nach 
sich  vergrössernde  dellen-  oder  mul- 
denförmige Einsenkung  dann,  wenn 
der  Eiter  ein  wirksames  Ferment  ent- 
hielt, das  erstarrtes  Blutserum  verdaut. 
Fehlt  ein  solcher  Fermentgehalt,  so 
bleibt  jede  Dellen-  oder  Muldenbildung 
aus ;  die  Eitertröpfchen  trocknen  dann 
einfach  auf  der  unveränderten  Ober- 
fläche der  Löfflerplatte  ein. 

Kolaczek  und  Müller  haben 
nun  das  Verhalten  tuberkulösen  Eiters 
verschiedener  Herkunft  zum  Gegen- 
stand neuer  Untersuchungen  in  dieser 
Hinsicht  gemacht  und  zwar  an  der 
Hand  eines  grossen  Materials.  Aus 
diesen  Versuchen  nun  lassen  sich  die 
folgenden  diagnostischen  Schlüsse 
ziehen  : 

1.  Bei  der  Prüfung  von  Eiterproben 
auf  proteolytische  Fermente  mit  Hilfe 
des  Mülle  r-Jo  c  h  m  a  n  n'schen  Ver- 
fahrens schliesst  eine  fehlende  Ver- 
dauung des  erstarrten  Blutserums  das 
Vorhandensein  eines  akut-entzündli- 
chen und  durch  die  gewöhnlichen  Ei- 
tererreger hervorgerufenen  Prozesses 
aus ;  sie  spricht  vielmehr  mit  Sicher- 
heit für  eine  tuberkulöse  Erkrankung, 
die  selbst  im  Falle  einer  auffällig 
schwachen  Fermentwirkung  wahr- 
scheinlich ist. 

2.  Eine  ausgiebige,  rasche  Verdau- 
ung des  ersteren  Blutserums  spricht 
anderseits  für  den  akut-entzündlichen 
Charakter  der  Eiterung;  ein  tuberku- 
löser Prozess  ist  aber  auch  bei  stark 
positivem  Ausfall  der  Fermentreaktion 


.338 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


keineswegs  völlig  ausgeschlossen, 
wenn  derselbe  vorher,  vor  allem  mit 
Jodoformglyzerin,  behandelt  ist  oder 
mit  einer  Mischinfektion  einhergeht, 
wie  bei  Fistelbildungen  und  tuberku- 
lösen Erkrankungen  der  Halslymph- 
drüsen. 

Es  stellt  also  bei  genauer  Beobach- 
tung dieser  Regeln  und  richtiger  Tech- 
nik die  Prüfung  des  Eiters  mit  Hilfe 
der  Löfflerplatte  bei  50 — 55°  eine  aus- 
serordentlich einfache  und  hinreichend 
sichere  Methode  dar  zur  raschen  Un- 
terscheidung zwischen  tuberkulösen 
und  andersartigen  Eiterungen.  (Deut- 
sche med.  Wochenschr.,  No.  7,  1907.) 

E.  Müller:  Das  Millon'sche  Re- 
agens —  ein  weiteres  Hilfsmittel 
zur  raschen  Unterscheidung  von 
tuberkulösen  und  andersartigen  Ei- 
terungen. 

Da  die  oben  beschriebene  Ferment- 
reaktion einen  Brutschrank  sowie 
Blutserum  — ■  bzw.  Aszitesplatten  er- 
fordert, so  bleibt  die  Anstellung  der- 
selben im  wesentlichen  auf  Kliniken 
und  Krankenhäuser  beschränkt.  Der 
Praktiker  braucht  jedoch  eine  Me- 
thode, die  bei  möglichster  Zuverlässig- 
keit und  Raschheit  des  Ergebnisses  mit 
ganz  einfachen  und  auch  billigen  Hilfs- 
mitteln technisch  leicht  ausführbar  ist. 
Für  diesen  Zweck  ist  nach  M.  das  Mil- 
lon'sche Reagens  geeignet.  Die  tech- 
nischen Einzelnheiten  sind  die  folgen- 
den : 

Ganz  kleine,  mässig  tiefe  Porzellan- 
gefässe  werden  fast  bis  zum  Rande 
mit  Millon'scher  Quecksilberlösung  ge- 
füllt. Am  zweckmässigsten  sind  Por- 
zellanplatten mit  einer  Reihe  von  ein- 
gepressten  Vertiefungen,  wie  sie  zum 
Färben  von  Serienschnitten  benutzt 
werden.  Wenn  man  nun  je  eine  Eiter- 
probe von  einer  rein-tuberkulösen  und 
von  einer  durch  die  üblichen  Eiterer- 
reger hervorgerufenen  Erkrankung  in 
Reagenzgläsern  gesammelt  hat  und  da- 
von 1 — 2  Tropfen  zentral  in  die  ver- 
schiedenen mit  Millon'scher  Quecksil- 
berlösung gefüllten  Vertiefungen  flies- 
sen  lässt,  so  beobachtet  man  sofort  ei- 
nen auffallenden  Unterschied.  Die 
dem  Kokkeneiter  entstammenden 
Tropfen  bilden  in  der  Flüssigkeit  eine 


zerfliessliche  Scheibe,  diejenigen  tuber- 
kulöser Herkunft  aber  ein  festes  Häut- 
chen. Versucht  man  die  erstere  mit 
einer  Platinöse  emporzuheben  oder 
unterzutauchen,  so  zerfällt  sie  leicht  in 
einzelne  Trümmer.  Andererseits  hat 
das  Häutchen  eine  ausserordentlich 
feste  Konsistenz,  sodass  es  mühelos  im 
ganzen  aus  der  Flüssigkeit  herauszu- 
nehmen ist.  Ausserdem  nimmt  der 
fest  gerinnende  Eitertropfen  von  rein 
tuberkulösen  Prozessen  beim  Unter- 
tauchen in  dem  Millon'schen  Reagens 
gern  eine  erbsen-  bzw.  bohnenförmige 
Gestalt  an.  Einige  Minuten  später 
(längstens  nach  Yi  Stunde)  zeigt  sich 
ein  weiterer  sinnfälliger  Unterschied: 
im  schroffen  Gegensatz  zum  tuberku- 
lösen, wo  die  Flüssigkeit  ungefärbt 
bleibt,  färbt  sich  beim  Kokkeneiter  das 
Millon'sche  Reagens  lebhaft  rot  —  ein 
Farbenton,  der  nach  einiger  Zeit  in 
Gelb  übergeht.  Die  in  der  Flüssigkeit 
schwimmenden  Tropfen  röten  sich  da- 
gegen bei  beiden  Eiterarten. 

Durch  Kontrolluntersuchungen  mit 
der  Fermentreaktion  lässt  sich  feststel- 
len, dass  die  Ergebnisse  dieses  „che- 
misch-physikalischen Verfahrens"  mit 
denjenigen  der  biologischen  Prüfung 
auf  den  Gehalt  an  proteolytischen  Fer- 
menten durchaus  übereinstimmen.  Für 
die  diagnostische  Bewertung  der  Re- 
sultate gelten  daher  dieselben  Regeln 
wie  bei  der  Fermentreaktion.  (Zen- 
tralblatt für  innere  Medizin,  No.  12, 
1907.) 

W.  G  o  e  b  e  1 :  Erfahrungen  mit  der 
v.  Pirquet'schen  kutanen  Tuberku- 
linreaktion. 

Pirquet  impfte  K  o  c  h's  Alttu- 
berkulin  nach  Art  der  Vakzination  in 
die  Haut  tuberkulöser  Kinder  und 
konnte  nach  24  bis  48  Stunden  eine  als 
spezifisch  anzusehende  und  damit  dia- 
gnostisch verwertbare  Reaktion  fest- 
stellen, die  bei  nicht  tuberkulösen,  in 
der  gleichen  Weise  behandelten  Kin- 
dern ausblieb,  v.  Pirquet  bezeich- 
net die  Aenderung  der  Reaktionsfähig- 
keit, die  der  Organismus  dadurch  er- 
fährt, dass  er  eine  Infektion  durch- 
macht, als  Allergie.  Als  ihre  Träger 
sind  antikörperartige  Reaktionspro- 
I  dukte  anzusehen,  die    durch  Einwir- 


New    Yorker   Medizinische  Monatsschrift. 


339 


kung  des  Infektionserregers  ihre  Spe- 
zifität erlangt  haben.  Beim  Zusam- 
mentreffen des  Infektionserregers  oder 
eines  Extraktes  von  Infektionserregern 
mit  spezifischen  Antikörpern  im  Or- 
ganismus entstehen  giftige  Substan- 
zen, als  deren  Wirkung  eine  lokale  ent- 
zündliche Reaktion  zu  betrachten  ist. 
v.  Pirquet  schränkt  die  Verwend- 
barkeit der  Methode  auf  Kinder  im 
Säuglingsalter  und  in  den  ersten  Le- 
bensjahren ein.  Bei  Kindern  weist 
nach  v.  Pirquet  der  positive  Aus- 
fall der  Reaktion  mit  Sicherheit  auf 
tuberkulöse  Veränderungen  hin,  wäh- 
rend bei  Erwachsenen  ein  Ausbleiben 
der  Reaktion  auf  Tuberkulosefreiheit 
schliessen  lässt.  Bei  tuberkulösen  Kin- 
dern hatte  v.  Pirquet  nur  bei  Me- 
ningitis tuberculosa  und  bei  Miliartu- 
berkulose im  Endstadium  die  Reaktion 
vermisst,  die  sich  im  Uebrigen  bei 
Knochentuberkulose  und  Skrofulöse 
am  deutlichsten  zeigte.  Er  glaubt,  des 
weitern  den  Satz  aufstellen  zu  können, 
dass  die  Reaktion  um  so  schärfer  auf- 
trete, je  jünger  der  Organismus  sei. 

G.  hat  nun  die  Methode  nachgeprüft 
und  wahllos  220  Personen  geimpft,  170 
Erwachsene  und  50  Kinder.  Von  den 
220  Geimpften,  die  sich  aus  klinisch 
Tuberkulösen,  Tuberkulose  verdächti- 
gen und  Tuberkulosefreien  zusammen- 
setzen, zeigten  127  eine  unzweifelhaft 
positive  Reaktion,  93  eine  solche,  die 
G.  als  negativ  bezeichnen  muss.  Von 
17  an  Knochen-  und  Drüsentuberku- 
lose leidenden  Kindern  reagierten  alle 
mit  einer  Ausnahme  positiv ;  unter  54 
Erwachsenen,  die  vorwiegend  an  Ge- 
lenk-, Knochen-  und  Drüsentuberku- 
lose litten,  zeigten  53  einen  durchaus 
positiven  Ausfall  der  Probe.  Der  Wert 
der  v.  P  i  r  q  u  e  t'schen  Methode  wird 
dadurch  beeinträchtigt,  dass  auch  kli- 
nisch tuberkulosefreie  Erwachsene  die 
positive  Reaktion  fast  ausnahmslos 
geben  sollen.  Nach  den  Untersuchun- 
gen von  G.  trifft  dies  jedoch  keines- 
wegs für  alle  Fälle  zu.  Denn  von  85 
Kranken,  die  meist  dem  arbeitsfähigen 
Alter  angehörten  und  klinisch  absolut 
tuberkulosefrei  waren,  zeigten  55  die 
P  i  r  q  u  e  t'sche  Reaktion  nicht. 

Nach  G.  besitzen  wir  in  der  P  i  r- 
q  u  e  t'schen  Impfung  und  in  der  Oph- 


thalmoreaktion für  eine  frühzeitige 
Tuberkulosediagnostik  wertvolle  Hilfs- 
mittel, deren  Wert  im  Einzelfalle  die 
persönliche  Erfahrung  und  die  kriti- 
sche Beurteilung  der  übrigen  Symp- 
tome bestimmen  wird.  Im  Kindesal- 
ter (zwischen  1 — 12  Jahren)  hält  G. 
den  positiven  Ausfall  der  Reaktion  für 
nahezu  beweisend ;  auch  bei  Erwachse- 
nen gestattet  der  positive  Ausfall  einen 
vorsichtigen  Schluss.  Bei  dem  negati- 
ven Ausfall  der  eventuell  wiederholten 
Impfung  kann  beim  Erwachsenen  mit 
aller  Wahrscheinlichkeit  auf  Tuberku- 
losefreiheit geschlossen  werden.  (Mün- 
chener med.  Wochenschr.,  No.  4,  1908.) 

F.  Schlesinger:  Die  allergische 
Reaktion  als  Hilfsmittel  zur  Dia- 
gnose der  Tuberkulose  im  Kindes- 
alter. 

S  c  h.  berichtet  über  die  Erfahrungen 
mit  der  v.  Pirque  t'schen  Reaktion 
an  der  Kinderklinik  im  Kaiser  Franz 
Josef-Kinderspital  zu  Prag.  Das  Ma- 
terial, an  dem  die  kutanen  Tuberkulin- 
impfungen  vorgenommen  wurden,  um- 
fasst  222  Kinder  bis  zu  14  Jahren. 
S  c  h.  vergleicht  die  Allergieprobe  mit 
der  probatorischen  Tuberkulininjek- 
tion.  Der  Vergleich  fällt  in  jeder  Be- 
ziehung zu  Gunsten  der  Allergieprobe 
aus.  Sie  ist  einfacher  vorzunehmen, 
erfordert  nicht  die  komplizierte  Her- 
stellung der  hohen  Verdünnungen,  er- 
spart die  häufigen  Temperaturmessun- 
gen und  hat  als  Indikator  nur  eine  ku- 
tane, leicht  zu  beobachtende  Erschein- 
ung statt  der  nicht  immer  gleichgilti- 
gen  Temperaturerhöhung.  Als  gröss- 
ter  Vorteil  wäre  zu  betonen,  dass  das 
Verfahren  S  c  h.  niemals  irgendwelche 
Schädigungen  gezeigt  hat,  während 
dies  den  Tuberkulininjektionen  doch 
öfters  vorgeworfen  wurde.  Den  einen 
grossen  Nachteil  teilt  das  Verfahren 
mit  den  probatorischen  Injektionen: 
Es  gestattet  keine  topische  Diagnose, 
es  sagt  uns  nichts  über  den  Sitz,  den 
Grad  und  die  Art  der  Erkrankung;  es 
sagt  uns  nur,  dass  irgendwo  im  Or- 
ganismus eine  tuberkulöse  Infektion 
stattgefunden  hat.  Und  darum  leistet 
es  zuviel,  da  es,  wie  es  scheint,  auch 
alle  latenten  inaktiven  Herde  angibt 
und    Personen   als   krank  erscheinen 


340 


New   Yorker   Medizinische  Monatsschrift. 


lässt,  die  gesund  oder  wenigstens  nicht 
tuberkulös  sind.  (Prager  med.  Wo- 
chenschr.,  No.  4,  1908.) 

Schmidt:  Untersuchungen  über  die 
Ophthalmoreaktion  der  Tuberku- 
lose. 

Auch  S  c  h.  macht  darauf  aufmerk- 
sam, dass  das  lproz.  Höchster  Trock- 
entuberkulin  zu  starke  Reaktionen 
gibt.  Auf  eine  diesbezügliche  Anfrage 
bei  den  Höchster  Farbwerken  kam  die 
Antwort,  dass  für  die  Anstellung  der 
Ophthalmoreaktion  eine  0, lproz.  Lö- 
sung des  Höchster  Präparates  anzu- 
wenden sei.  (Münchener  med.  Wo- 
chenschr.,  No.  2,  1908.) 

R.  Freund:  Ueber  Placenta  praevia. 

Eine  Dreiteilung  des  Uterus  ist  ana- 
tomisch gerechtfertigt  und  zum  Ver- 
ständnis physiologischer  und  patholo- 
gischer Vorgänge  bei  der  Geburt,  spe- 
ziell der  Placenta  praevia  notwendig. 
Die  Ueberdachung  des  inneren  Mut- 
termundes durch  Zottengewebe  ist  der 
Genese  nach  einwandfrei  noch  nicht 
klargestellt.  Von  den  drei  Möglich- 
keiten —  Verschmelzung  der  Schleim- 
haut am  Os  internum  als  Basis  zur 
Einidation ;  Umwucherung  des  Cervi- 
kalkanals  durch  die  Zotten  mit  oder 
ohne  Zuhilfenahme  eines  Teiles  ,von 
Reflexaplazenta ;  schliesslich  letztere 
allein  —  haben  die  beiden  letztgenann- 
ten Theorien  das  meiste  für  sich.  Die 
Blutung  bei  Placenta  praevia  rührt  zu 
einem  grossen  Teil  aus  Zerreissungen 
der  den  vorliegenden  Plazentarlappen 
überziehenden  Decidua  infolge  Eröff- 
nens der  intervillösen  Räume  her.  Die 
Bezeichnungen  „unteres  Uterinseg- 
ment", „Placenta  praevia  marginalis", 
„partialis"  und  „totalis"  brauchen  nicht 
durch  neue  im  Sinne  A  s  c  h  o  f  f 's  er- 
setzt zu  werden.  Die  sicher  beobach- 
tete „Placenta  praevia  cervicalis" 
nimmt  eine  Ausnahmestellung  ein. 

Als  Therapie  bei  Placenta  praevia 
sind  folgende  Massnahmen  zu  empfeh- 
len : 

Bei  mässigen  Schwangerschaftsblut- 


ungen :  Bettruhe  und  strenge,  mög- 
lichst klinische  Beobachtung.  Schei- 
dentamponade  ist  tunlichst  zu  vermei- 
den und  nur  als  Notbehelf  zu  betrach- 
ten für  den  Transport  einer  Blutenden 
in  eine  Anstalt. 

In  seltenen  Fällen  abundanter  Blut- 
ung bei  geschlossener  Cervix:  Feste 
Tamponade  der  ganzen  Scheide  mit 
steriler,  feuchter  Gaze  nach  den  Vor- 
schriften von  F  r  i  t  s  c  h  auf  wenige 
Stunden. 

Da  bei  stärkerer  Blutung  aber  so  gut 
wie  immer  die  Cervix  passierbar  ist: 
Keine  Tamponade,  sondern  Blasen- 
sprengung und  Abwarten  bei  leicht  er- 
reichbarer Fruchtblase ;  bei  nicht  er- 
reichbarer Fruchtblase,  lebensfähigem 
Kinde  und  gutem  Zustande  der  Mut- 
ter: Metreuryse  mit  dem  Ballon  von 
Champetier  de  Ribes.  Nach 
völliger  Erweiterung  des  Muttermun- 
des entweder  Abwarten  der  spontanen 
Geburt  oder  Wendung  je  nach  Kindes- 
lage, Wehentätigkeit  und  etwaiger  er- 
neuter Blutung. 

Bei  Erfolglosigkeit  der  Metreuryse, 
die  im  allgemeinen  nicht  länger  als 
vier  Stunden  belassen  werden  soll,  fer- 
ner bei  unreifen  Kindern,  sowie 
schliesslich  in  allen  Fällen,  in  denen 
es  sich  um  bedrohliche  Zustände  der 
Mütter  handelt :  Wendung  nach  B. 
H  i  c  k  s  und  danach  Abwarten.  Bei 
Blutung  trotz  herabgeschlagenen  Bei- 
nes :  Extension  durch  mässigen,  per- 
manenten Zug,  der  bei  Einsetzen  der 
Wehen  und  Durchschneiden  des 
Steisses  sofort  aufzuhören  hat.  Ex- 
traktion nur  bei  völlig  erweitertem 
Muttermunde.  Erscheint  der  Mutter- 
mund für  die  Kopfentwicklung  doch 
noch  zu  eng:  Vorsicht  und  Anwen- 
dung des  Handgriffes,  der  dem  Kinde 
Luft  zuführt  und  gleichzeitig  den  Mut- 
termundsaum langsam  dehnt  und  ihn 
über  das  Gesicht  streifen  soll. 

Die  Hysterotomia  kommt  nur  für  die 
Klinik,  in  erster  Linie  als  prophylakti- 
sche Operation  in  Frage.  (Deutsche 
med.  Wochenschr.,  No.  4,  1908.) 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


34  i 


Referate  und  Kritiken. 


Die  Krankheiten  des  Ohres  und  deren 
Behandlung.  Von  Prof.  Dr.  A  r- 
thur  Hartman  n.  Achte  ver- 
besserte und  vermehrte  Auflage. 
Mit  74  Abbildungen.  Verlag  von 
Fischer's  medizin.  Buchhandlung 
H.  Kornfeld.  Berlin,  1908.  321  S. 
Preis  7.50  M. 

Von  dem  Hartman  n'schen  Hand- 
buch der  Krankheiten  des  Ohres  liegt 
nunmehr  die  8."  Auflage  vor.  Dieselbe 
trägt  den  Fortschritten  auf  diesem  Ge- 
biete in  jeder  Weise  Rechnung  und 
wurde  dementsprechend  wiederum 
eine  grose  Anzahl  von  Umarbeitungen 
und  Ergänzungen  vorgenommen  unter 
Beibehaltung  der  knappen  Form  der 
Darstellung.  Von  neuen  Behandlungs- 
methoden wird  die  Behandlung  der 
Mittelohreiterung  mit  Perborat,  zur 
Einübung  der  laryngo-rhinoskopischen 
Untersuchungen  und  operativen  Ein- 
griffe ein  zweckmässiges  Phantom  em- 
pfohlen. Eine  aseptische  Spritze,  eine 
Zange  zur  Entfernung  adenoider  Wu- 
cherungen dürfte  sich  zur  allgemeinen 
Verwendung  eignen.  Im  Kapitel  der 
Erkrankungen  des  nervösen  Apparates 
wurde  die  Bedeutung  des  Schwindels 
und  des  Nystagmus  nach  B  ä  r  ä  n  y 
eingehend  erörtert.  Es  unterliegt  kei- 
nem Zweifel,  dass  auch  die  vorliegende 
Neuauflage  die  gleiche  günstige  Auf- 
nahme finden  wird,  wie  sie  den  frühe- 
ren Auflagen  beschieden  war. 

Die  Geburtsleitung  bei  engem  Becken. 

Von  Oskar  Bürger.  Mit  ei- 
nem Vorwort  von  F  r  i  e  d  r. 
S  c  h  a  u  t  a.  Mit  6  Tabellen  und  7 
Kurventafeln  im  Text.  Verlag  von 
Josef  Safar.  Wien  1908.  195  S. 
Preis  5  M. 

Das  vorliegende  Buch  bildet  eine  in 
jeder  Beziehung  wertvolle  Arbeit,  da 
in  derselben  das  niedergelegt  wurde, 
was  eine  eingehende  Sichtung  und 
Prüfung  des  Materials  der  Schaut  a'- 
sehen  Klinik  hinsichtlich  der  besten 
Therapie  bei  engem  Becken  seit  dem 
Jahre  1891  ergeben  hat.  Wie  Scha  u- 
t  a  in  dem  Vorwort  angibt,  war  es  für 


ihn  von  dem  grössten  Interesse,  zu 
sehen,  inwieweit  die  nun  schon  16 
Jahre  zurückreichenden  therapeuti- 
schen Massnahmen  seiner  Klinik  bei 
engem  Becken  mit  den  neuesten  mo- 
dernsten Grundsätzen  übereinstimmen. 
Und  da  ergab  sich  die  interessante 
Tatsache,  dass  im  ganzen  und  grossen 
auf  der  Schaut  a'schen  Klinik  be- 
reits seit  jeher  jene  Grundsätze  zur 
Durchführung  gekommen  sind,  welche 
heute  als  diejenigen  der  Zukunft  hinge- 
stellt werden. 

Aus  dem  Schaut  a'schen  Material 
lassen  sich  nun  bezüglich  der  Geburts- 
leitung bei  engem  Becken  die  folgen- 
den Schlüsse  ziehen  :  Die  prophylakti- 
schen Massnahmen,  Wendung  und 
künstliche  Frühgeburt,  konnten  in  Be- 
zug auf  die  Erfolge  der  Kinder  durch- 
aus nicht  befriedigen.  Bei  einer  müt- 
terlichen Mortalität  von  1.5%  und  ei- 
ner Morbidität  von  10.8%  fallen  dem 
prophylaktischen  Verfahren  27.8% 
aller  Kinder  zum  Opfer.  Auch  die 
hohe  Zange  enttäuscht  in  ihren  Resul- 
taten für  die  Kinder.  Selbst  mit  der 
Berücksichtigung  der  Einschränkung, 
dass  es  bei  ihrer  Ausführung  stets  nur 
als  ein  Versuch  aufgefasst  werden  soll, 
das  kindliche  Leben  zu  retten,  ein  Ver- 
such, der  fast  in  jedem  zweiten  Falle 
misslingt,  muss  man  die  Gefahren, 
welche  daraus  für  die  Mutter  erwach- 
sen und  -  die  sich  in  einer  Mortalität 
von  1.39%,  in  einer  Morbidität  von 
8.1%  wiederspiegeln,  als  zu  hoch  be- 
zeichnen, als  dass  man  diesem  Verfah- 
ren besonders  sympathisch  gegenüber- 
stehen könnte. 

Was  die  Prognose  des  relativen  Kai- 
serschnittes anbelangt,  so  lässt  sich 
folgendes  sagen  :  die  Gesamtmortalität 
des  Kaiserschnittes  wegen  relativer 
Beckenenge  mit  3.4%  ist  allerdings 
noch  immer  grösser  als  die  der  andern 
Entbindungsverfahren  und  B.  glaubt 
nicht,  dass  sich  diese  Zahl  um  ein  Be- 
deutendes wird  herabsetzen  lassen. 
Auch  die  Morbidität  von  17.2%  ist 
relativ  nicht  gering.  Hingegen  ist  die 
Kindersterblichkeit,  welche  mit  1.7% 
sogar  hinter  der   Spontangeburten  zu- 


342 


New    Yorker    Medizinische  Monatsschrift. 


rückbleibt,  eine  so  geringe,  dass  sie  mit 
keinem  anderen  Entbindungsverfahren 
erreicht  werden  kann.  B.  bezeichnet 
daher  den  Kaiserschnitt  als  das  für  das 
Kind  idealste  Entbindungsverfahren. 

Eine  Einschränkung  erfährt  der  Kai- 
serschnitt dadurch,  dass  man  in  der 
subkutanen  Hebosteotomie  ein  Ver- 
fahren kennen  gelernt  hat,  welches,  mit 
geringeren  Gefahren  für  die  Mutter 
verbunden,  sich  in  Bezug  auf  die  Kin- 
dermortalität nicht  um  vieles  schlech- 
ter stellt  als  der  Kaiserschnitt  selbst. 
Auf  der  Schaut  a'schen  Klinik  war 
bei  30  derartigen  Operationen  kein  To- 
desfall zu  verzeichnen.  Ungünstiger 
für  die  Hebosteotomie  liegen  heute 
noch  die  Morbiditätsverhältnisse.  B. 
erklärt  die  Hebosteotomie  für  eine 
Massnahme,  welche  in  bestimmten 
Fällen  geeignet  und  berechtigt  er- 
scheint, auch  für  die  prophylaktischen 
Operationen  einzutreten.  Die  Hebo- 
steotomie erfährt  schliesslich  auch  da- 
durch eine  Erweiterung,  dass  sie  in  den 
meisten  jenen  Fällen,  in  welchen  die 
Ausführung  eines  Kaiserschnittes  we- 
gen allzu  grosser  Gefahr  für  das  müt- 
terliche Leben  oder  infolge  Ablehnung 
von  Seiten  der  Frau  nicht  möglich  er- 
scheint und  in  welchen  der  Geburts- 
helfer im  Momente,  wo  die  dringend- 
ste Indikation  zur  Entbindung  eintritt, 
sich  zur  Vernichtung  des  kindlichen 
Lebens  zu  Gunsten  der  Mutter  ent- 
schliessen  musste,  unserm  Handeln 
einen  vollen  Erfolg  verspricht  und 
durch  die  Rettung  der  grössten  Mehr- 
zahl dieser  sonst  sicher  verlorenen 
kindlichen  Leben  zur  Aufbesserung 
der  Resultate  in  dieser  Beziehung  aus- 
serordentlich vieles  zu  leisten  er- 
scheint. 

Perforationen  des  lebenden  Kindes 
wurden  76  vorgenommen :  darunter 
sind  bestimmt  45  Fälle,  in  welchen  die 
Kraniotomie  des  lebenden  Kindes 
durch  die  Einschaltung  der  Heboste- 
otomie hätte  vermieden  werden  kön- 
nen. 

Die  Prinzipien,  die  sich  aus  Vor- 
stehendem für  die  Geburtsleitung  bei 
engem  Becken  für  die  Zukunft  ablei- 
ten, wären  demnach  die  folgenden :  Als 
oberster  Grundsatz  muss  an  dem  ex- 
spektativen  Charakter  der  Geburtslei- 


tung festgehalten  werden ;  ferner  muss 
man  in  dem  Bestreben,  womöglich  ei- 
nen spotanen  Verlauf  der  Geburt  auch 
bei  höheren  Graden  von  Beckenveren- 
gerung zu  erzielen,  noch  weiter  gehen 
als  bisher.  Es  müssen  daher  diejeni- 
gen Eingriffe,  welche  mit  einem  Ab- 
warten nicht  rechnen  können,  die 
künstliche  Frühgeburt  und  die  prophy- 
laktische Wendung,  in  noch  höhererh 
Masse  für  die  Zukunft  ausgeschaltet 
werden  als  bisher.  Auf  die  Anwendung 
des  hohen  Forceps  soll  auch  in  der  Fol- 
gezeit nicht  vollständig  verzichtet  wer- 
den, nur  muss  man  sich  bei  der  Vor- 
nahme dieser  Operation  stets  bewusst 
sein,  dass  die  Aussichten  zur  Erhalt- 
ung des  kindlichen  Lebens  dabei  keine 
besonders  günstigen  sind,  und  deshalb 
kann  man  auch  die  Indikation  zum 
hohen  Forzeps  von  seiten  des  Kindes 
allein  nicht  mehr  gelten  lassen.  Das 
Indikationsgebiet  der  relativen  Sectio 
caesarea  wird  in  der  Folgezeit  eben- 
falls dadurch  eine  Einschränkung  er- 
fahren, dass  in  den  Fällen  von  7  bis  8 
cm  C.  v.  die  subkutane  Hebosteotomie 
in  Frage  kommen  wird.  Eine  völlige 
Ausschaltung  der  Kraniotomie  am  le- 
benden Kinde  wird  man  auch  in  der 
Folgezeit  nicht  zur  Durchführung 
bringen  können,  wenn  auch  B.  hofft, 
dem  von  P  i  n  a  r  d  aufgestellten  idea- 
len Grundsatz,  kein  lebendes  Kind  im 
Mutterleibe  zu  töten,  wenigstens  recht 
nahe  zu  kommen. 

Verhandlungen  der  Deutschen  Laryn- 
gologischen  Gesellschaft  auf  der  II. 
Versammlung  zu  Dresden,  vom  15. 
— 18.  September  1907.  Herausge- 
geben im  Auftrage  des  Vorstan- 
des  vom    Schriftführer    Dr.  med. 
Georg    Ave  Iii  s-Frankfurt  a. 
M.    Mit  einem  Titelbild  und  2  Ab- 
bildungen  im   Text.    Verlag  von 
Curt  Kabitzsch.    Würzburg  1908. 
Der  vorliegende  Bericht  legt  bered- 
tes Zeugnis  von  der   überaus  frucht- 
bringenden Arbeit  der  2.  Versammlung 
der  Deutschen  Laryngologischen  Ge- 
sellschaft ab.    Wenn  es  aus  begreifli- 
chen Gründen  auch  nicht  angängig  ist, 
hier  auf  die  sämtlichen  in    dem  Be- 
richte veröffentlichten  Vorträge  näher 
I  einzugehen,    so    mögen    doch  einige 


New    Yorker   Medizinische  Monatsschrift. 


343 


Punkte  Erwähnung  finden,  die  zu- 
gleich auch  für  den  praktischen  Arzt 
von  Interesse  sein  dürften.  Hier 
kommt  zunächst  in  Betracht  der  Vor- 
trag von  Saenger  in  Magdeburg: 
Zur  Asthmatherapie.  Saenger  hat 
bereits  im  Jahre  1904  eine  Asthma- 
therapie empfohlen,  durch  welche  an- 
gestrebt wird,  dass  einerseits  eine  För- 
derung der  Ausatmung  und  anderer- 
seits eine  Herabsetzung  des  subjekti- 
ven Luftbedürfnisses  zu  erzielen  ver- 
sucht wird.  Die  Eigenart  der  Methode 
S  a  e  n  g  e  r's  besteht  darin,  dass  die 
Kranken  bei  verengter  Stimmritze 
oder  bei  verengter  Mundspalte  ausat- 
men, indem  sie  veranlasst  werden,  zu 
zählen,  zu  singen,  zu  pfeifen  oder  zu 
blasen.  Der  Zweck  dieser  Massnahme 
besteht  nun  darin,  dass  eine  Kompres- 
sion der  sehr  dünnwandigen  kleinsten 
Bronchien 'infolge  stärkerer  Volumver- 
minderung des  Brustkorbes  bei  der 
Ausatmung  vermieden  wird.  Es  ist 
eben  besser,  dass  nur  wenig  Luft  aus- 
geatmet, als  dass  bei  starker  Anstreng- 
ung gar  keine  Luft  herausbefördert 
wird.  Saenger  hält  es  für  sicher, 
dass  man  auf  diesem  Wege  die  Neig- 
ung zu  Asthmaanfällen  auch  in  beson- 
ders schweren  und  veralteten  Fällen 
herabsetzen  und  schliesslich  zum  Ver- 
schwinden zu  bringen  vermag. 

Nach  Haje  k- Wien  ist  die  radikale 
Operation  der  Stirnhöhle  ein  wahrer 
Segen  für  die  schweren  Fälle  und  kann 
nicht  entbehrt  werden ;  er  ist  jedoch 
gegen  ihre  frühzeitige  Anwendung  bei 
unkomplizierten  Stirnhöhlenaffektion- 
en,  weil  er  das  Schreckgespenst  der 
zerebralen  Komplikation  für  übertrie- 
ben hält.  Die  radikale  Operation  ist 
kein  harmloser  Eingriff.  Es  sind 
mehrere  unkomplizierte  Fälle  nach  der 
Operation  gestorben. 

A  1  b  r  e  c  h  t-Berlin  spricht  über  die 
Bedeutung  der  Röntgenographie  für 
die  Diagnose  der  Nebenhöhlenerkrank- 
ungen. Er  sieht  in  der  Skiagraphie 
eine  wichtige  Methode  für  diese  Er- 
krankungen. Besonders  für  die  vor- 
deren Siebbeinzellen  möchte  er  das 
Röntgenogramm  als  absolut  zuverläs- 
sig erklären.  Bei  der  Stirnhöhle  zeich- 
net das  Skiagramm  den  Katarrh  nicht. 
Das  Empyem  gibt  sich  stets  als  Ver- 


schleierung bez.  Verdunklung  kund, 
doch  kann  eine  solche  Verdunklung 
auch  durch  andere  Momente  hervorge- 
rufen werden,  wodurch  dann  eine  Er- 
krankung der  Stirnhöhle  vorgetäuscht 
wird.  A.  glaubt  daher  aus  dem  Rönt- 
genbild allein  eine  sichere  Diagnose 
nicht  stellen  zu  können,  er  sieht  jedoch 
in  der  Skiagraphie  für  die  Diagnose 
des  Stirnhöhlenempyems  mit  einen 
wichtigen  diagnostischen  Faktor, 
wenn  auch  andere  Symptome  für  ein 
Empyem  sprechen.  Die  Veränderun- 
gen der  Kieferhöhle  zeichnen  sich  in 
der  Regel  deutlich  auf  der  Platte,  doch 
hält  A.  das  Röntgenogramm  für  die 
Diagnose  der  Kieferhöhlenempyeme 
praktisch  für  weniger  bedeutungsvoll, 
da  wir  für  diese  Diagnose  schon  sonst 
zuverlässige  Methoden  besitzen.  Wich- 
tiger ist  das  Skiagramm  für  die  Dia- 
gnose der  Kieferhöhlentumoren,  spezi- 
ell deren  Operabilität.  Für  die  Dia- 
gnose der  Erkrankung  der  hinteren 
Siebbeinzellen  und  des  Keilbeins  ist 
das  Röntgenogramm  nur  ausnahms- 
weise verwertbar.  Die  Hauptschuld 
an  einer  Verschleierung  einer  Höhle 
trägt  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  der  Ei- 
ter, bei  langdauernden  Empyemen  mit 
reichlicher  Granulationsbildung  und 
Infiltration  der  Schleimhaut  wird  die 
Verdunklung  in  erster  Linie  durch  die 
Veränderungen  der  Mucosa  bedingt. 

Schere  r-Bromberg  berichtete  über 
einen  Fall,  in  welchem  zweifellos  ein 
unmittelbarer  Zusammenhang  zwi- 
schen Magenleiden  und  Naseneiterung 
bestand,  in  welchem  nämlich  freie 
Salzsäure  im  Magensafte  vollständig 
fehlte,  aber  nach  einiger  Zeit  wieder- 
kehrte, nachdem  regelmässige  Aus- 
spülungen der  erkrankten  Kieferhöhle 
vorgenommen  worden  waren.  Es 
wurde  versäumt,  die  Reaktion  des  Kie- 
ferhöhleneiters zu  prüfen,  sodass  S  c  h. 
nur  mit  der  Möglichkeit  rechnen  kann, 
dass  derselbe  alkalisch  reagierte  und 
dann  durch  das  verschluckte  Sekret 
die  Salzsäure  des  Magens  neutralisiert 
wurde. 

P.  Heyma  n  n  -  Berlin  berichtet 
über  seine  Erfahrungen  mit  Schilddrü- 
senpräparaten beim  Heufieber.  Er  hat 
im  ganzen  56  Fälle  gesehen :  von  5  der- 
selben konnte  H.  keinen  Bericht  be- 


344 


New   Yorker   Medizinische  Monatsschrift. 


kommen.  Von  den  verbleibenden  51 
Fällen  haben  9  Patienten  negativen  Er- 
folg angegeben,  bei  einem  Patienten 
gelang  es,  die  Verschlimmerung 
durch  den  Gebrauch  von  Graminol  zu 
beheben.  Es  verbleiben  42  Patienten, 
welche  über  eine  mehr  oder  weniger 
erhebliche  Besserung  berichtet  haben ; 
14  derselben  haben  gar  keine  Anfälle 
gehabt,  die  übrigen  28  Fälle  ergaben 
mehr  oder  minder  erhebliche  Besser- 
ung. Verwendet  wurden  Jodothyrin, 
Thyreoidin,  Thyreoid  und  ähnliche  an- 
dere Präparate ;  ein  wesentlicher  Un- 
terschied konnte  nicht  konstatiert  wer- 
den. Antithyreoidin  (Möbius)  hat 
H.  bei  zwei  Fälle  verwendet;  in  einem 
Falle  mit  völligem  Erfolg,  in  dem  zwei- 
ten konnte  nur  eine  geringe  Besserung 
erzielt  werden.  H  o  f  f  m  a  n  n-Mün- 
chen  stellt  das  Heufieber  in  Parallele 
zu  dem  Morbus  Basedowii  und  em- 
pfiehlt auf  Grund  günstiger  therapeuti- 
scher Erfahrungen :  14  Tage  vor  Be- 
ginn der  Grasblüte  dreimal  täglich  25 
Tropfen  Extr.  fluid.  Hydrast.  canad. 
(eventuell  aa  mit  Extr.  fluid  Secal. 
cornut.).  Treten  trotzdem  Heufieber- 
erscheinungen ein,  so  wäre  die  Dosis 
zu  verdoppeln  und  die  Stauungsbinde 
um  den  Hals  zu  legen.  Während  der 
Blütezeit  ist  der  prophylaktische 
Gebrauch  eines  Suprarenin-Kokain- 
Schnupfpulvers  angezeigt. 

Verhandlungen  des  Vereins  Süddeut- 
scher Laryngologen.  1907.  Her- 
ausgegeben vom  Schriftführer  Dr. 
med.  Felix  Blumenfeld- 
Wiesbaden.  Verlag  von  Curt  Ko- 
bitzsch.   Würzburg  1907. 

Aus  der  Reihe  der  trefflichen  Vor- 
träge seien  als  von  besonderem  In- 
teresse die  folgenden  hervorgehaben : 
A  v  e  1 1  i  s,  Ueber  Kehlkopfluftsäcke 
beim  Menschen  (Laryngocele). — 
Vohsen,  Wert  der  Durchleuchtung 
bei  Erkrankungen  der  Stirnhöhle. 
Nach  V.  ist  die  Durchleuchtung  nach 
seiner  Methode  bei  latenten  Erkrank- 
ungen der  Stirnhöhlen  eines  der  wich- 
tigsten diagnostischen  Hilfsmittel.  Sie 
kann  von  der  M  ey  e  r'schen  Modifika- 
tion unterstützt,  von  der  Röntgen- 
durchstrahlung  in  sagittaler  Richtung 


ersetzt  werden.  Letztere  zeigt  aber 
bis  jetzt  keine  Ueberlegenheit  gegen- 
über der  Methode  von  V. ;  wohl  fixiert 
sie  im  Radiogramm  dauernd  den  Ein- 
druck, dagegen  entfallen  bei  ihr  die 
wichtigen  Symptome  der  Septum- 
durchleuchtung.  Die  Durchleuchtung 
ist  ein  unentbehrlicher  Bestandteil  je- 
der rhinoskopischen  Untersuchung,  da 
sie  allein  uns  Aufschluss  geben  kann 
über  das  Bestehen  und  die  Ausdeh- 
nung einer  Stirnhöhle  und  wichtige 
Schlüsse  gestattet  über  den  Zustand 
der  Kiefer-  und  Stirnhöhlen.  —  Den- 
ker, Weitere  Erfahrungen  über  die 
Radikaloperation  des  chronischen  Kie- 
ferhöhlenempyems. —  v.  Eicken  teilt 
einen  Fall  mit,  der  zeigt,  dass  1. 
Fremdkörper  der  Trachea  und  der 
Bronchien  sehr  schnell  zu  schwerem 
interstitiellem  Emphysem  der  Lunge, 
des  Mediastinums  und  der  Brusthaut 
führen  können;  2.  selbst  anscheinend 
völlig  obturierende  Fremdkörper  in  ei- 
ner emphysematös  geblähten  Lunge 
keine  charakteristischen  physikali- 
schen Erscheinungen  hervorzurufen 
brauchen ;  3.  wir  unter  keinen  Um- 
ständen annehmen  dürfen,  dass  ein 
Fremdkörper  im  Bronchialbaum  nicht 
vorhanden  ist,  wenn  wir  nicht  den 
rechten  und  den  linken  Bronchus  und 
alle  grösseren  Verzweigungen  inspi- 
ziert haben.  —  Kander  berichtet 
über  einen  Fall,  wo  ausgehend  von  ei- 
nem Empyem  der  linken  Keilbeinhöhle 
eine  Infektion  der  Meningen,  eine  ei- 
trige Meningitis  entstanden  ist.  Sie 
wurde  direkt  nachgewiesen  durch  das 
positive  Ergebnis  der  Lumbalpunk- 
tion. Es  fand  sich  als  Ausdruck  der 
Meningitis  im  Krankheitsbild  ausge- 
sprochene Nackenstarre,  rasender 
Kopfschmerz,  Muskelhyperästhesie, 
Bewusstseinsstörungen,  Lähmungszu- 
stände  bald  des  rechten,  bald  des  lin- 
ken Facialis,  Erbrechen,  Pupillendif- 
ferenz, ophthalmoskopisch  Neuritis  op- 
tica und  schliesslich  Fieber  mit  unre- 
gclmässigem  Verlauf.  Mit  der  Besei- 
tigung des  Empyems  der  Keilbein- 
höhle verschwanden  sämtliche  Er- 
scheinungen. Die  Infektion  von  der 
Keilbeinhöhle  aus  ist  vermutlich  auf 
hämatogenem  Wege  erfolgt.  —  Dun- 
ges, Zur  Theorie  des  Asthmas. 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


345 


Therapeutische  Technik  für  die  ärztli- 
che Praxis.  Ein  Handbuch  für 
Aerzte  und  Studierende.  Heraus- 
gegeben von  Prof.  Dr.  Julius 
Schwalbe.  Zweiter  Halbband. 
Mit  169  Abbildungen.  Verlag  von 
Georg  Thieme.    Leipzig  1907. 

Von  dem  Schwalb  e'schen  Hand- 
buch der  therapeutischen  Technik, 
über  dessen  Erscheinen  wir  bereits 
früher  berichtet  haben,  liegt  der  2. 
Halbband  vor,  der  sich  ebenbürtig  an 
den  ersten  anschliesst.  Während  der 
erste  Halbband,  das  letzte  Kapitel  aus- 
genommen, der  allgemeinen  therapeu- 
tischen Technik  gewidmet  war,  be- 
schäftigt sich  der  vorliegende  Teil  mit 
der  speziellen  Technik  der  Behandlung 
der  einzelnen  Organe.  Hier  findet  der 
Arzt  alles,  was  für  ihn  in  der  täglichen 
Praxis  in  Betracht  kommt,  in  lücken- 
loser Weise  aufgeführt  und  erläutert; 
auch  der  scheinbar  einfachste  Hand- 
griff ist  beschrieben  und  illustriert. 
Ueberall  wird  die  Einübung  der  Tech- 
nik, die  Vermeidung  ihrer  Fehler  oder 
Gefahren  genau  geschildert ;  wo  es  an- 
gezeigt ist,  sind  die  Indikationen  oder 
Kontraindikationen  zu  dem  Eingriff 
auseinandergesetzt,  es  wird  die  Prog- 
nose der  Methode  angegeben,  es  wer- 
den die  verschiedenen  Wege  gezeigt, 
auf  welchen  ein  und  dasselbe  Resultat 
erzielt  werden  kann.  Wenn  wir  zum 
Schlüsse  ein  zusammenfassendes  Ur- 
teil über  das  stattliche  Werk  abgeben 
wollen,  so  können  wir  nur  wiederholen, 
was  wir  bei  der  Besprechung  des  er- 
sten Halbbandes  gesagt  haben,  näm- 
lich dass  es  sich  hier  um  ein  ganz  aus- 
gezeichnetes Buch  handelt,  das  nicht 
warm  genug  empfohlen  werden  kann. 

Die  Röntgentechnik.  Ein  Hilfsbuch 
für  Aerzte  von  Dr.  med.  F.  D  a- 
vidsohn  in  Berlin.  Mit  13  Ab- 
bildungen im  Text  und  12  Tafeln. 
Verlag  von  S.  Karger.  Berlin  1908. 
78  S.   Preis  M.  6. 

Das  Werkchen  enthält  so  ungefähr 
alles,  was  für  den  Arzt,  der  sich  über 
das  Wesen  der  Röntgenstrahlen  und 
die  Technik  des  Röntgenverfahrens  in- 
formieren will,  wissenswert  ist.  Es 
wäre  ja  überaus  wünschenswert,  dass 


jeder  Arzt,  auch  wenn  er  sich  nicht 
selbst  mit  den  Röntgenstrahlen  be- 
schäftigt, wenigstens  einigermassen  ei- 
nen Begriff  von  dem  Röntgenverfah- 
ren besässe,  was  leider  bis  jetzt  noch 
nicht  der  Fall  ist.  Vielleicht  trägt  das 
vorliegende  Werkchen  dazu  bei,  in  die- 
ser Hinsicht  die  so  wünschenswerte 
Besserung  zu  schaffen.  Die  beigege- 
benen Tafeln  sind  im  ganzen  gut,  doch 
hätte  an  Stelle  von  Tafel  VI  (Fuss- 
wurzelknochen, Seitenansicht)  leicht 
eine  bessere  gesetzt  werden  können. 
Wenn  der  Verf.  in  der  Einleitung  an- 
gibt, dass  mit  Rücksicht  auf  das  Re- 
produktionsverfahren  die  Darstellun- 
gen von  Schädel  und  Wirbelsäule  reine 
Skelettaufnamen  sind,  so  hat  er  bei 
dieser  Aufzählung  die  das  Hüftgelenk 
zur  Darstellung  bringende  Tafel  über- 
sehen, da  dieselbe  ganz  offenbar  ihre 
Herstellung  ebenfalls  nur  einer  Ske- 
lettaufnahme verdankt. 

Einführung  in  die  organische  Chemie. 

Von  Prof.  Dr.  O.  D  i  e  1  s.  Mit  34 
in  den  Text  gedruckten  Abbildun- 
gen. Verlag  von  J.  J.  Weber  in 
Leipzig  1907.    315  S. 

Die  Wichtigkeit  der  Chemie  und 
insbesondere  der  organischen  Chemie 
für  den  Mediziner  braucht  wohl  nicht 
besonders  hervorgehoben  zu  werden. 
Für  den  Mediziner,  der  sich  in  grossen 
Zügen  über  die  organische  Chemie  ori- 
entieren will,  ist  das  Diel  s'sche 
Werk  das  geeignete  Buch,  besonders 
auch  deshalb,  weil  der  Verf.  den- 
Hauptwert  auf  eine  dem  Verständnis 
möglichst  entgegenkommende  Darstel- 
lung gelegt,  dabei  aber  durchwegs  eine 
streng  wissenschaftliche  Gruppierung 
innegehalten  und  eine  gleichmässige 
Behandlung  des  ganzen  Stoffes  ange- 
strebt hat.  Dem  Charakter  des  Buches 
als  „Einführung"  gemäss  hat  D.  auf 
eine  allzu  detaillierte  Beschreibung 
einzelner  Verbindungen  verzichtet,  da- 
für aber  die  charakteristischen  Eigen- 
schaften der  verschiedenen  homologen 
Reihen  und  Gruppen,  ihre  wechselsei- 
tigen Uebergänge  und  Beziehungen 
ausführlich  behandelt.  Die  Anlage  des 
Buches  lässt  es  daher  ganz  besonders 
für  Aerzte  und  Studierende  der  Medi- 
zin empfehlenswert  erscheinen. 


346 


New   Yorker   Medizinische  Monatsschrift. 


Sitzungsberichte 


Deutsche  Medizinische  Gesellschaft  der  Stadt  New  York 


Sitzung  vom  6.  Januar  1908. 

Vize-Präsident  Dr.  G.  Mannhei- 
mer eröffnet  in  Abwesenheit  des  Präsi- 
denten die  Sitzung  um  8  :45. 

Sekretär  Dr.  J.  Heckman  n  verliest 
das  Protokoll  der  vorigen  Sitzung,  wel- 
ches genehmigt  wird. 

Vize-Präsident  Dr.  G.  Mannhei- 
mer: Unsere  Gesellschaft  hat  wieder- 
um einen  Verlust  zu  beklagen.  Herr  Dr. 
Schapringer  ist  uns  in  demselben 
Monat  wie  die  Herren  John  Schmitt 
und  Oberndorfer,  deren  in  der  letz- 
ten Sitzung  gedacht  wurde,  durch  den 
Tod  entrissen  worden.  Sie  alle  kannten 
ihn.  Er  war  ein  eifriges  Mitglied  un- 
serer Gesellschaft,  der  er  22  Jahre  an- 
gehörte. Er  war  ein  tüchtiger  Ophthal- 
mologe und  ein  geschätzter,  lieber  Kol- 
lege. Zu  Ehren  seines  Andenkens  er- 
suche ich  Sie,  sich  von  Ihren  Sitzen  zu 
erheben. 

Die  Versammlung  erhebt  sich. 

Der  korrespondierende  Sekretär  ver- 
liest ein  Dankschreiben  von  Frau  und 
Fräulein  S  c  h  m  i  1 1,  Gemahlin  und 
Tochter  unseres  verstorbenen  Präsiden- 
ten Dr.  John  A.  Schmitt  für  das 
Beileid  und  die  Blumenspende  seitens 
der  Gesellschaft. 

Wissenschaftlicher  Teil. 

a)  Dr.  A.  Stein:  Ueber  die  opera- 
tiven Bestrebungen  in  der  modernen 
Geburtshilfe. 

Diskussion.  Dr.  G.  Seeligmann: 
Ich  erlaube  mir,  Herrn  Dr.  Stein  zu 
beglückwünschen  wegen  der  konzisen, 
klaren  und  erschöpfenden  Art,  mit  der 
das  Thema  vorgetragen  worden  ist,  das 
sicher  alle  Anwesenden  interessiert 
hat.  Es  ist  vor  einer  Gesellschaft,  zu- 
sammengesetzt aus  Spezialisten  aller 
Art,  und  vor  allen  Dingen  vor  allge- 
meinen Aerzten  nicht  angebracht,  zu 
sehr  ins  Detail  einzugehen,  und  Dr. 
Stein  hat  in  anzuerkennender  Weise 
die  gefährliche  Klippe  umschifft,  durch 


zu  viele  Einzelheiten  ermüdend  zu 
wirken. 

Ich  möchte  mir  nur  eine  Bemerkung 
zu  dem  Vortrag  gestatten,  und  zwar  be- 
treffs der  Pubiotomie.  Es  war  da  ein 
leiser  Vorwurf  zu  hören  über  die  Rück- 
ständigkeit der  amerikanischen  Geburts- 
hilfe in  Bezug  auf  diese  neue  Operation. 
Vor  kurzem  ist  von  Herrn  Fry  in 
Washington  eine  Zusammenstellung  ge- 
macht worden  über  diejenigen  Pubioto- 
mien,  die  in  Amerika  soweit  vollzogen 
wurden,  und  ich  bin  da  auch  zitiert  wor- 
den als  einer  von  denen,  die  sich  der 
Frage  gegenüber  eher  konservativ  ver- 
halten haben.  Ich  gebe  zu,  dass  meine 
Berechtigung,  überhaupt  eine  Meinung 
in  dieser  Frage  auszusprechen,  insofern 
vielleicht  nicht  ganz  klar  ist,  als  meine 
Erfahrung  nur  eine  geringe  ist.  Ich 
habe  allerdings  nur  zwei  Fälle  selbst  ge- 
sehen, will  aber  betonen,  dass  der  eine 
ein  solcher  war,  dass  er  mir  sehr  ernste 
Bedenken  über  die  angebliche  Leichtig- 
keit,  nicht  etwa  der  operativen  Technik, 
denn  die  ist  leicht,  sondern  des  Verlaufs 
eingeflösst  hat.  Dieser  Fall  sowie  das, 
was  mir  andere  hiesige  erfahrene  Ope- 
rateure, z.  B.  C  r  a  g  i  n,  gesagt  haben, 
zusammen  mit  dem  sorgfältigen  Stu- 
dium der  Literatur  haben  allerdings  in 
mir  eine  gewisse  Opposition  hervorge- 
rufen gegen  die,  wie  ich  glaube,  über- 
mässig enthusiastische  Haltung,  die  eine 
Anzahl,  besonders  deutscher  Operateure 
in  dieser  Frage  angenommen  haben.  Ich 
denke  da  vor  allem  an  die  B  u  m  m'sche 
Klinik. 

Und  wenn  drüben  sogar  prokla- 
miert wird,  dass  die  Pubiotomie  All- 
gemeingut der  praktischen  Aerzte  zu 
werden  berufen  sei,  so  stimme  ich  über- 
ein mit  dem  Herrn  Vortragenden,  wel- 
cher dazu  schon  bemerkt  hat,  dass  er  der 
Ansicht  sei,  dass  diese  Operation  heute 
für  den  praktischen  Arzt  doch  wohl  nicht 
geeignet  sei.  Vielleicht  wird  das  später 
anders ;  aber  einstweilen  haben  wir,  die 
wir  Pubiotomien  gesehen  haben,  den  Ein- 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


347 


druck,  dass  diese  Operation  besser  der 
Klinik  überwiesen  bleibt. 

Ich  erspare  es  mir  und  Ihnen,  in  De- 
tails einzugehen,  aber  ich  will,  obwohl 
ich  mich  selbst  dabei  widerlege,  nicht 
verheimlichen,  dass  einer  meiner  Assis- 
tenten vor  kurzem  in  einem  Tenement 
Haus  ohne  genügende  Assistenz  eine 
doppelseitige  Pubiotomie  vollzogen  hat. 
Die  Frau  hatte  ein  glatt  rhachitisches 
Becken,  Conj.  vera  7  cm,  sodass  bei  der 
vorhergegangenen  Geburt  in  Deutsch- 
land eine  Symphyseotomie  gemacht  wor- 
den war.  Es  war  ein  sehr  dicker  Callus, 
der  Symphyse  entsprechend,  entstanden. 
Der  Herr  legte  die  Achsenzugzange  an, 
machte  dann,  als  er  den  Kopf  nicht  in's 
Becken  bringen  konnte,  erst  auf  der  ei- 
nen Seite  und  dann  auf  der  anderen  die 
Pubiotomie ;  die  Zange  hatte  er  liegen 
lassen  und  neue  erfolglose  Traktionsver- 
suche gemacht  nach  der  Pubiotomie  auf 
der  ersten  Seite.  Der  Erfolg  war  ein 
lebendes  Kind  und  eine  lebende  Mutter. 
Das  Kind  wog  allerdings  nur  etwas  über 
6  Pfund.  Das  war  ein  glücklicher  Fall, 
aber  demselben  Herrn  könnten  sich  bei 
erneuten  Versuchen  in  dieser  Richtung 
doch  ernste  Schwierigkeiten  darbieten, 
besonders  wenn  das  Missverhältnis 
zwischen  Kopf  und  Becken  grösser  ist, 
als  in  diesem  Fall. 

Dr.  Alfred  A.  Herzfeld:  Ich 
möchte  den  Kollegen  fragen,  was  er  zu 
tun  gedenkt,  wenn  er  von  der  He- 
bamme nach  einem  Tenementhaus  ge- 
rufen wird  und  es  handelt  sich  um  eine 
vorzeitige  Ablösung  der  Plazenta  bei 
vollständig  geschlossenem  Mutter- 
mund, ob  er  dann  dennoch  die  D'  ü  h  r  s- 
s  e  n'sche  Operation  machen  will  oder 
aber  ob  er  dann  doch  das  Boss  i'sche 
Instrument  gebrauchen  will.  Das  In- 
strument ist  ein  gutes ;  das  beweist  die 
Arbeit  von  J  o  1 1  y,  der  an  der  O  1  s'- 
hause  n'schen  Klinik  in  Berlin,  wo 
alle  Fazilitäten  für  einen  vaginalen 
Kaiserschnitt  vorhanden  waren,  mit 
Bossi  nur  zwei  Kinder  verlor  und 
sämtliche  Mütter  rettete. 

Die  Schuld  an  dem  Tode  der  Kinder, 
sagt  J  o  1  1  y,  war  die,  dass  er  das  In- 
strument nicht  genügend  aufgedreht 
hatte.  Die  Läsionen,  die  verursacht 
wurden,  waren  Cervixrisse,  die  voll- 
ständig bei   der   Vernähung  verheilt 


sind.  Ich  bin  fest  überzeugt,  dass  das 
Boss  i'sche  Instrument  nicht  so  von  der 
Hand  zu  weisen  ist  und  dass  es  ein 
sehr  wertvolles  Instrument  ist  in  den 
richtigen  Händen,  wenn  es  sich  bei 
vollständig  oder  teilweise  geschlosse- 
nem Muttermund  um  Beschleunigung 
der  Geburt  handelt. 

Dr.  Ludwig  Ewald:  Ich  habe 
den  ersten  Teil  des  Vortrags  nicht  ge- 
hört, sondern  kam  leider  erst,  als  Dr. 
Stein  das  Instrument  B  o  s  s  i's  behan- 
delte ;  hier  muss  ich  mich  der  Ansicht 
von  Dr.  H  e  r  z  f  e  1  d  anschliessen,  dass 
das  Instrument  B  o  s  s  i's  doch  nicht  so 
von  der  Hand  zu  weisen  ist.  Ich  habe 
es  sechsmal  mit  glänzendem  Erfolg 
gebraucht,  und  es  sind  Fälle  darunter, 
die  ohne  Bossi  die  grössten  Schwie- 
rigkeiten bereitet  hätten.  Ich  bin  kein 
Freund  der  grossen  Inzisionen  wegen 
der  Gefahr  der  Infektion  und  wegen 
der  Blutungen.  Ich  hatte  zweimal  Ge- 
legenheit zu  sehen,  dass  bei  tiefen  In- 
zisionen schleunigst  die  Zange  ange- 
legt werden  musste,  um  die  Patientin 
vor  Verblutung  zu  retten.  Grössere 
Einrisse  bei  Bossi  habe  ich  in  meinen 
sechs  Fällen  nicht  gesehen.  Wie  Dr. 
H  e  rz  f  e  1  d  richtig  bemerkt  hat,  ge- 
hört eine  geschulte,  feinfühlende  Hand 
dazu.  Merkt  man,  dass  die  Sache 
durchgeht,  dann  weg  mit  Bossi. 

W as  den  vaginalen  Kaiserschnitt  an- 
geht, so  bin  ich  aus  eigenen  Erfahrun- 
gen im  stände,  hier  einige  Bemerkun- 
gen zu  machen.  Ich  habe  elf  Fälle 
von  vaginalem  Kaiserschnitt  entbun- 
den und  gehe  nicht  zu  weit,  wenn  ich 
sage,  dass  der  vaginale  Kaiserschnitt 
eine  der  grössten  Errungenschaften 
der  modernen  Geburtshilfe  ist.  Leicht 
ist  die  Ausführung  bestimmt  nicht;  es 
ist  eine  sehr  blutige  Operation.  Ich 
habe  andere  in  der  Ausführung  erfah- 
rene Kollegen  gefragt,  und  man  ge- 
stand mir  zu,  dass  sie  die  gefährlich- 
sten Blutungen  gesehen  haben.  Ich 
würde  auch  nicht  raten,  die  Operation 
in  einem  Privathaus  auszuführen.  Ich 
habe  alle  Fälle  in  der  Klinik  gemacht 
und  bin  auf  Schwierigkeiten  gestossen, 
die  mich  sehr  dankbar  fühlen  machten, 
dass  ich  die  Klinik  gewählt  hatte. 

Die  Operation  hat  besonders  den 
Vorzug,  dass  man  bei  ganz  unvorbe- 


348 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


reiteter  Gebärmutter  ohne  jede  Erwei- 
terung dieselbe  schnell  entleeren  kann, 
was  bei  Fällen  von  Eklampsie  von 
grösster  Wichtigkeit  ist.  Es  ist  sicher 
eine  Operation,  die  bleiben  wird,  mit 
der  Einschränkung,  dass  sie  gegenwär- 
tig noch  nicht  im  Privathaus  zu  em- 
pfehlen ist  und  nicht  von  Händen  aus- 
geführt wird,  die  in  vaginaler  Opera- 
tion nicht  absolut  erfahren  sind.  Wenn 
ich  zwischen  zwei  Operationen  für  den 
praktischen  Arzt  zu  wählen  hätte, 
würde  ich  viel  eher  B  o  s  s  i  wählen,  so- 
weit er  angewandt  werden  kann.  Es 
ist  eine  schonendere  Operation  und 
verlangt  nicht  längere  Vorbereitung. 

Es  würde  zu  weit  führen,  von  wei- 
teren Operationen,  besonders  vom 
Kaiserschnitt  zu  reden.  Ich  möchte 
nur  auf  eine  Angabe  von  Frank  hin- 
weisen, der  den  Kaiserschnitt  em- 
pfiehlt mit  folgender  Modifikation. 
Frank  macht  einen  Querschnitt  über 
der  Symphyse,  eröffnet  nicht  das  Peri- 
toneum, sodass  ein  Eindringen  von 
Flüssigkeit  nach  der  Bauchhöhle  un- 
möglich ist,  und  eröffnet  ebenfalls  quer 
den  Uterus  unterhalb  des  eigentlichen 
Hohlmuskels.  Dadurch  ist  es  mög- 
lich, Fälle  von  leichter,  vielleicht  auch 
schwererer  Infektion  zu  operieren,  die 
bis  jetzt  dem  Kaiserschnitt  nicht  zu- 
gänglich waren.  Frank  hat  eine 
[Menge  von  Fällen  mit  sicherer  Infek- 
tion operiert,  und  zwar  ohne  einen  To- 
desfall. 

\Venn_wir  diese  Fortschritte  der  Ge- 
burtshilfe betrachten,  so  möchte  ich 
doch  noch  eine  Frage  erörtern :  Sind 
wir  überhaupt  zu  einem  solchen  Vor- 
gehen in  der  Geburtshilfe  berechtigt? 
Die  Berechtigung  wird  sich  durch  die 
Zahl  der  toten  Kinder  und  Mütter  be- 
stimmen lassen.  Es  ist  keine  Frage, 
dass  wir  durch  B  o  s  s  i,  Pubiotomie, 
vaginalen  Kaiserschnitt  eine  grössere 
Anzahl  von  Kindern  retten  können. 
Wenn  wir  aber  berücksichtigen,  dass 
viele  dieser  geretteten  Kinder  frühzei- 
tig geboren  sind  und  30  Prozent  dieser 
Kinder  im  ersten  Lebensjahr  zu 
Grunde  gehen,  so  ist  am  Ende  das  Re- 
sultat auch  nicht  so  glänzend. 

Die  zweite  Frage :  Sind  wir  berech- 
tigt durch  das  Resultat  mit  Hinsicht 
auf  das  Leben  und  die  Gesundheit  der 


Mütter?  Hofmeier  hat  27  Fälle 
angeführt,  die  durch  Pubiotomie,  Kai- 
serschnitt u.  s.  w.  operiert  wurden,  und 
von  27  hat  er  3  verloren,  also  ein  sehr 
betrübendes  Resultat ;  von  der  grös- 
seren Morbidität  will  ich  gar  nicht  re- 
den. Ich  glaube  auf  Grund  solcher 
Zahlen  einstweilen  warnen  zu  müssen : 
in  der  gesamten  Medizin  und  so  auch 
in  der  Geburtshilfe  soll  man  nur  das 
tun,  was  Nutzen  bringt,  nicht  Schaden 
stiftet. 

Dr.  C.  A.  vonRaradohr:  Es  tut 
mir  ungeheuer  leid,  den  interessanten 
Vortrag  nicht  von  Anfang  an  gehört 
zu  haben,  aber  was  ich  davon  gehört 
habe  und  was  ich  von  den  Herren  in 
der  Diskussion  gelernt  habe,  ist  abso- 
lut meine  Meinung,  dass  nämlich  zu 
allererst  eine  Differenz  gezogen  wer- 
den muss  zwischen  Arbeiten  in  der 
Klinik  und  Arbeiten  im  Tenementhaus 
oder  irgend  einem  anderen  Privathaus, 
mit  Assistenz  oder  ohne  Assistenz,  mit 
Instrumenten  oder  ohne  Instrumente 
u.  s.  w.  Den  Statistiken  traue  ich  sehr 
wenig.  Wenn  eine  neue  Operation 
oder  Methode  in  einer  Klinik  entdeckt 
und  geübt  wird,  so  werden  der  Pro- 
fessor und  seine  Assistenten  bessere 
Resultate  erzielen  als  anderswo.  Viele 
L'nfälle,  die  in  der  Klinik  passieren, 
werden  manchmal  nicht  gebucht,  z.  B. 
Arm-  und  Schlüsselbeinbrüche,  von 
welchem  Faktum  ich  mich  selbst  in 
einem  berühmten  Gebärhause  über- 
zeugt habe.  Ich  möchte  darauf  zu- 
rückkommen, dass  die  konservative 
Geburtshilfe  sich  noch  nicht  überlebt 
hat.  Die  heutige  chirurgische  Ge- 
burtshilfe, von  Experten  geübt,  hat  na- 
türlich auch  ihr  Feld,  aber  das  fort- 
währende Loben  und  Empfehlen,  z.  B. 
des  berühmten  und  so  leicht  auszu- 
führenden vaginalen  Kaiserschnittes  mit 
seinen  guten  Erfolgen  verleitet  den  all- 
gemeinen Praktiker,  die  Sache  doch 
auch  einmal  zu  probieren,  manchmal 
ohne  genügende  Technik  und  ohne  ge- 
nügende Assistenz,  deshalb  ist  es  noch 
eine  grosse  Frage,  ob  durch  solche 
Mittel  der  Frau  und  dem  Kind  genützt 
wird  oder  nicht. 

Ad  vocem  vaginaler  Kaiserschnitt,  so 
operierte  Dührssen,  dieser  Experte, 
der  Erfinder  dieser  Operation,  in  mei- 


New   Yorker   Medizinische  Monatsschrift. 


349 


ner  Klinik  während  seiner  Anwesen- 
heit in  New  York  wegen  Eklampsie. 
Es  nahm  dieser  Autorität  beinahe  zwei 
Stunden,  und  wäre  die  Patientin  in  an- 
deren Händen  wahrscheinlich  nicht 
mit  dem  Leben  davon  gekommen.  Ich 
möchte  nicht  behaupten,  dass  der  vagi- 
nale Kaiserschnitt  so  leicht  wäre,  wie 
er  oft  hingestellt  wurde,  und  ich 
möchte  vor  dem  Glauben  an  die  Leich- 
tigkeit der  Operation  unter  allen  Um- 
ständen warnen. 

Die  grosse  Kunst  des  modernen  Ge- 
burtshelfers ist  die,  die  richtige  Indi- 
kation zu  stellen.  Es  kann  z.  B.  bei 
gewissen  Fällen  einer  von  3 — 5  Ein- 
griffen gewählt  werden  und  kommt  es 
hier  nun  auf  grosse  Erfahrung  und 
ganz  gründliche  Untersuchung  und  Be- 
obachtung aller  Nebenumstände  Primi- 
para oder  Multipara,  Herztätigkeit,  ir- 
gendwelche Begleitungs  -  Krankheiten 
etc.,  etc.  an.  So  können  wir  zu  dem  vom 
Geburtshelfer  erwarteten  Erfolge  ge- 
langen, ein  lebendes  und  lebensfähiges 
Kind  von  einer  lebenden  und  später  ge- 
sunden Mutter  zu  Tage  zu  fördern.  Die 
Operationen  an  und  für  sich  zur  richtigen 
Zeit  gemacht  sind  dann  auch  in  den 
Händen  des  allgemeinen  Praktikers 
leicht.  Es  ist  jetzt  ohne  allen  Zweifel 
die  Zeit  der  chirurgischen  Geburtshilfe 
im  Zenith.  Es  wird  mehr  operiert  und 
operieren  gelehrt  als  früher,  und  die 
Versuchung  liegt  immer  vor,  eine  Ge- 
burt aus  Bequemlichkeits-  oder  anderen 
Gründen  zu  früh  zu  beenden.  Ich 
möchte  zum  Schluss  nochmal  davor 
warnen,  zu  viel  zu  operieren;  man 
muss  strikte  Indikation  stellen  und 
Klinik  und  Privathaus  und  Experten 
und  allgemeine  Praktiker  auseinander- 
halten. 

Dr.  A.  Stein  (Schlusswort)  :  Ich 
möchte  nur  ein  paar  Worte  zu  den  in- 
teressanten Ausführungen  der  Vorred- 
ner bemerken  und  Herrn  Dr.  S  e  e  1  i  g- 
m  a  n  n  erwidern,  dass  im  ganzen  bis 
jetzt  in  Amerika  etwa  22  Fälle  von 
Pubiotomie  ausgeführt  worden  sind, 
von  denen  allein  8  auf  das  Konto  von 
Whitridge  Williams  kommen. 
Es  war  mir  interessant,  gerade  in  der 
eben  erschienenen  zweiten  Auflage  sei- 
ner „Obstetrics"  zu  sehen,  wie  auch  er 
auf  dem  Standpunkt  steht,  dass  man 


die  Operation  unbedingt  in  der  Klinik 
ausführen  müsse.  Von  der  doppelsei- 
tigen Durchsägung  des  os  pubis 
möchte  ich  noch  sagen,  dass  dahinge- 
hende Versuche  im  letzten  Jahr  von 
S  t  o  e  c  k  e  1  gemacht  worden  sind  ;  ein 
definitives  Resultat  ist  aber  bis  jetzt 
noch  nicht  erzielt. 

Was  die  Frage  von  Dr.  H  e  r  z  f  e  1  d 
betrifft,  was  bei  vorzeitiger  Ablösung 
der  Plazenta  mit  starker  Blutung  ge- 
schehen soll,  so  glaube  ich,  dass  man 
da  viel  schneller  durch  rasche  Opera- 
tion zum  Ziele  kommt  als  mit  lang- 
samer Dilatation.  Vor  allen  Dingen 
glaube  ich,  dass  so  die  Blutung  ge- 
ringer sein  wird. 

Herrn  Dr.  Ewald  möchte  ich  er- 
widern, dass  ich  nicht  mit  ihm  über- 
einstimme, wenn  er  sagt,  dass  man  das 
Entstehen  der  Risse  während  der  Dila- 
tation merken  kann.  Es  sind  Fälle  be- 
schrieben, in  denen  erst  nach  beende- 
ter Dilatation  festgestellt  wurde,  wie 
hoch  und  tief  die  Risse  gegangen  sind, 
die  selbst  erfahrensten  Operateuren 
während  der  Dilatation  völlig  entgan- 
gen waren. 

Ich  stimme  aber  mit  Dr.  Ewald 
vollkommen  darin  überein,  dass,  wenn 
es  irgend  angängig  ist,  Fälle  von  vagi- 
nalem Kaiserschnitt  in  der  Klinik  mit 
geschulter  Assistenz  ausgeführt  wer- 
den sollen.  Aber  es  gibt  doch  Fälle, 
wo  dies  unmöglich  ist.  Besonders 
Aerzte,  die  in  Vororten  oder  auf  dem 
Lande  praktizieren,  kommen  häufig  in 
solche  Lagen.  Dr.  R  ü  h  1,  ein  prakti- 
scher Arzt,  hat,  glaube  ich,  12  Fälle 
von  vaginalem  Kaiserschnitt  ohne  As- 
sistenz ausgeführt  und  alle  mit  günsti- 
gem Erfolg. 

Den  letzten  Bemerkungen  von  Dr.  v. 
R  a  m  d  o  h  r  stimme  ich  vollständig 
zu.  Gerade  in  den  letzten  Tagen  ist 
ein  Buch  herausgekommen  von  Feh- 
ling, „Die  operative  Geburtshilfe  in 
Praxis  und  Klinik."  Auch  er  sucht  zu 
scheiden  zwischen  Praxis  und  Klinik 
und  weist  die  schwierigen  Fälle  durch- 
aus der  Klinik  zu.  Unsere  erste  Pflicht 
sei,  Mutter  sowohl  wie  Kind  zu  scho- 
nen, deshalb  muss  man,  wenn  es  nicht 
anders  geht,  die  schwierigen  Fälle  der 
Klinik  überweisen. 


35Q 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


a)  Dr.  F.  C.  Ruppert:  Ueber  In- 
halations-Therapie. 

(Der  Vortrag  ist  in  dr.  Nummer  als 
Originalarbeit  publiziert.) 

Diskussion.  Dr.  Otto  Glogau: 
Dr.  Ruppert  hat  die  Bemerkung  ge- 
macht, dass  in  Europa  der  Inhalations- 
Therapie  eine  grössere  Aufmerksam- 
keit geschenkt  wird  als  in  Amerika. 
Ich  kann  dies  aus  eigener  Erfahrung  be- 
stätigen. Wie  weit  diese  Aufmerksam- 
keit gebt,  ist  daraus  ersichtlich,  dass 
selbst  in  Militär-Spitälern  Inhalations- 
Apparate  eingeführt  sind,  und  ein  gros- 
ser Teil  der  Erfahrung,  die  ich  auf  die- 
sem Gebiete  gesammelt  habe,  stammt 
aus  dem  K.  u.  K.  Garnisonsspitale  No. 
2  in  Wien,  wo  ich  auf  der  Kehlkopf- 
abteilung des  Stabsarztes  und  Dozenten 
Dr.  Johann  Fein  den  Wert  der  In- 
halations-Therapie zu  ermessen  reich- 
lich Gelegenheit  hatte. 

Dr.  Ruppert  hob  es  als  einen 
Vorteil  dieser  Methode  hervor,  dass 
sie  auch  jene  Patienten,  die  gegen  das 
Einnehmen  von  Medikamenten  sind, 
für  sich  gewinnen  werde.  Indess,  auch 
hier  werden  ja  Medikamente  in  den 
Körper  aufgenommen,  und  das  Publi- 
kum weiss  das  sehr  wohl.  Medika- 
ment bleibt  Medikament,  ob  es  von  der 
Lunge  oder  vom  Magen-Darmkanal 
aus  resorbiert  wird.  Auf  diese  Weise 
glaube  ich  nicht,  dass  es  möglich  sein 
wird,  für  die  Inhalations-Therapie  Pro- 
paganda zu  machen. 

Ich  will  noch  auf  eine  Tatsache  hin- 
weisen, die  Kollege  Ruppert  nicht 
erwähnt  hat,  die  aber  grundlegend  ist 
für  die  Art  und  Weise,  wie  überhaupt 
die  Inhalations-Therapie  wirken  kann. 
Vor  zwei  Jahren  erschien  ein  französi- 
sches Buch,  das  sehr  wenig  Aufsehen 
gemacht  hat, —  weil  die  Nachprüfung 
der  dort  gegebenen  Tatsachen  unter- 
blieb :  „L'injection  tracheale  simpli- 
fiee,"  par  le  Dr.  Henri  Mendel. 
Das  Grundmotiv  dieses  Buches  ist  sehr 
einfach  und  deshalb  wichtig  für  den 
praktischen  Arzt.  Es  besteht  darin, 
dass  bloss  die  Zunge  herausgezogen 
werden  muss,  um  die  Arytänoidknorpel 
und  mit  ihnen  die  hintere  Kehlkopf- 
wand ganz  fest  an  die  Pharynxwand 
anzudrängen.  So  ist  es  möglich,  dass 
Einspritzungen  irgendwelcher  Art  an 


die  Pharynxwand  gebracht  von  selbst 
in  den  Kehlkopf  und  von  da  bis  in  die 
tiefsten  Bronchien  hineingelangen, 
was  bei  der  Inhalations-Therapie  nie 
der  Fall  ist.  Auf  diese  Weise  —  dies 
sei  nebenbei  bemerkt  —  kann  der  prak- 
tische Arzt  ohne  Kehlkopfspiegel  In- 
jektionen auf  die  Stimmbänder  und 
noch  auf  die  tieferen  Luftwege  zu 
stände  bringen. 

Die  Inhalations-Therapie  besteht 
nach  Dr.  Ruppert  darin,  hauptsäch- 
lich ätherische  Oele  in  die  tieferen 
Luftwege  zu  bringen.  Ich  stehe  auf 
dem  alten,  experimentell  nachgewiese- 
nen Standpunkt,  dass  diese  Medika- 
mente durch  Inhalations-Therapie  al- 
lein nicht  in  die  tieferen  Luftwege,  son- 
dern nur  bis  zur  Bifurkation  gelangen. 
Denn  die  meisten  Apparate  sind  so  ein- 
gerichtet, dass  der  Strom  in  gerader 
Richtung  an  die  Pharynxwand  kommt. 
Die  einzige  Möglichkeit,  die  existiert, 
dass  er  die  tieferen  Luftwege  erreicht, 
ist  die  oben  erwähnte :  bei  herausgezo- 
gener Zunge,  durch  Anpressen  der 
Arytänoidknorpel  an  die  Pharyxn- 
wand,  den  medikamentösen  Dampf 
zum  Hinabträufeln  in  die  tieferen  Luft- 
wege zu  zwingen.  Es  ist  also  nicht 
das  Verdienst  der  Inhalation,  dass  die 
Dämpfe  der  ätherischen  Oele  und  an- 
derer medikamentösen  Bestandteile  in 
die  tieferen  Luftwege  gelangen,  son- 
dern mehr  der  „Injection  tracheale 
simplifiee." 

Ich  stimme  mit  Kollege  Ruppert 
darin  überein,  die  Indikationsstellung 
auf  Erkrankungen  zu  beschränken,  die 
nicht  in  das  Gebiet  der  Chirurgie  ge- 
hören. Von  mancher  Seite  wurde  be- 
hauptet, man  könne  Polypen,  adenoide 
Wucherungen,  Hypertrophien  der 
Muscheln,  sogar  Eiterungen  der  Si- 
nus durch  die  Inhalations-Therapie  be- 
seitigen, das  ist  geradezu  lächerlich. 

Die  durch  die  Inhalations-Therapie 
bei  trockenen  und  sekretorischen  Ka- 
tarrhen erzielten  Erfolge  sind  äusserst 
günstige.  Ich  habe  gerade  in  dem  er- 
wähnten Garnisons  -  Spitale  sehr  gute 
Resultate  auf  diesem  Gebiete  gesehen, 
namentlich  bei  akuter  und  chronischer 
Laryngitis,  wo  nach  kurzer  Mentholöl- 
inhalation  —  stets  bei  weit  herausge- 
streckter   Zunge  —  der  inflammatori- 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


35i 


sehe  Zustand  sich  zusehends  besserte. 
Bei  Rhinitis  atrophicans  möchte  ich  von 
der  Inhalations-Therapie  abraten,  da 
dieser  Prozess  fast  ausschliesslich 
durch  die  mechanischen  Verhältnisse 
als  Krankheit  aufzufassen  ist.  Es  ist 
ein  Plus  an  Raum,  um  dass  es  sich 
handelt,  und  ich  glaube,  dass  die 
jetzige  Therapie  der  Paraffininjektion 
hier  weit  eher  am  Platze  ist.  Wenig- 
stens sprechen  die  Resultate  der  Paraf- 
fininjektionen, die  ich  auf  der  Abteil- 
ung des  Dozenten  Dr.  H  a  j  e  k  in 
Wien  zu  sehen  Gelegenheit  hatte,  sehr 
für  diese  Methode. 

Im  übrigen  ist  meiner  Ansicht  nach 
bei  der  Inhalations-Therapie  haupt- 
sächlich das  warme  Wasser  das  Wir- 
kende, ähnlich  wie  beim  medikamentö- 
sen Bade  und  Thee.  Das  inhalierte 
Wasser  löst  den  Schleim  und  regelt  die 
Zirkulation,  die  Medikamente,  in  er- 
ster Reihe  das  Menthol,  heilen  durch 
Suggestion ! 

Zum  Schluss  möchte  ich  die  Kolle- 
gen auffordern,  sich  das  Inhalatorium 
des  Kollegen  R  11  p  p  e  r  t  anzusehen, 
das  in  New  York  wohl  einzig  dasteht. 
Auch  in  Europa  hat  kein  Privatarzt 
ein  solches  aufzuweisen,  da  die  bedeu- 
tenderen Inhalatorien  dort  in  Händen 
von  Sanatorien  und  nicht  von  Privat- 
ärzten sind. 

Dr.  W.  F  r  e  u  d  e  n  t  h  a  l :  Wir  müs- 
sen, wie  auch  der  Vortragende  getan 
hat,  bei  Inhalations-Therapie  nicht  von 
Spray-Apparaten  sprechen ;  dabei  in- 
haliert man  ja  nicht,  sondern  wir  mei- 
nen einfach  durch  Dampf  getriebene 
Apparate.  Da  müssen  wir  unterschei- 
den die  Therapie  bei  Erkrankungen  der 
oberen  Luftwege  von  der  der  mittle- 
ren und  unteren  Luftwege.  Bei  den 
ersteren  stimme  ich  mit  dem  Vorred- 
ner überein,  dass  es  einfach  die  Feuch- 
tigkeit ist,  die  das  Wirksame  ist,  und 
darum  eben  möchte  ich  sie  im  Gegen- 
satz zu  dem  Kollegen  besonders  an- 
gewendet wissen  bei  trockener  und 
atrophischer  Rhinitis.  Da  brauchen 
wir  Feuchtigkeit,  viel  Feuchtigkeit, 
was  ja  ganz  im  Einklang  mit  meinen 
vielleicht  manchen  Herren  bekannten 
Ideen  von  der  Entstehung  der  trocke- 
nen und  atrophischen  Rhinitis  steht. 
Aus  diesem  Grunde  bin  ich  jetzt  und 


war  es  auch  schon,  als  Moure  aus 
Bordeaux  zum  ersten  Mal  in  Madrid 
seine  Resultate  angab,  gegen  die  In- 
jektionen von  Paraffin.  Ich  habe  ei- 
nige Versuche  mit  denselben  gemacht, 
und  meine  Resultate  waren  ganz  unbe- 
friedigende. Bei  der  atrophischen 
Rhinitis  sind  wir  in  Bezug  auf  die  The- 
rapie eben  heute  noch  so  hilflos  wie 
vor  Jahren. 

Bei  der  Therapie  der  Larynx-  und 
Pharynxerkrankungen  könnte  man 
vielleicht  einigen  Erfolge  sehen,  aber 
wir  müssen  dabei  auch  nicht  nach  den 
Erfolgen  bei  kräftigen  jungen  Leuten 
urteilen,  die  wir  beim  Militär  treffen. 
Diese  Fälle,  die  meist  durch  refrigera- 
torische  Einflüsse  entstanden  sind, 
akute  Laryngitis  und  Bronchitis  heilen 
auch  ohne  Inhalations-Therapie  von 
selbst ;  bei  chronischen  Fällen  dürfte 
man  wohl  durch  geeignete  Inhalatio- 
nen etwas  weniges  erreichen. 

Was  die  Therapie  bei  den  tieferen 
Lungenabschnitten  betrifft,  so  wissen 
besonders  die  älteren  von  Ihnen,  wie 
eifrig  wir  alle  diese  Therapie  betrieben 
haben,  kurz  nachdem  Koch  seinen 
Tuberkelbazillus  entdeckt  hatte.  Jeder 
Arzt  versuchte  durch  Inhalationen 
dem  Bazillus  aufs  Fell  zu  rücken.  Wir 
haben  das  sehr  bald  aufgegeben  und 
wissen  ausserdem  heute,  dass  eine  ko- 
lossale Menge  Flüssigkeit  notwendig 
ist,  um  die  grosse  Fläche  der  Schleim- 
haut, die  sich  darbietet,  einigermassen 
zu  erreichen.  Durch  Inhalationen,  wie 
sie  heute  geübt  werden,  werden  wir 
das  nie  erreichen.  Ich  möchte  darum 
aber  nicht  eine  Lanze  gegen  die  Thera- 
pie brechen.  Ich  habe  einen  B  u  l  l- 
i  n  g'schen  Apparat  seit  sechs  Jahren 
bei  mir  im  Haus.  Ich  benütze  ihn  und 
er  erleichtert  hie  und  da  die  Patienten. 
Wenn  wir  aber  einer  Krankheit  wie 
der  Lungen-Tuberkulose  auf  den  Leib 
rücken  wollen,  dann  müssen  -wir  die 
Medikamente  ganz  anders  an  die  Stelle 
bringen,  als  wir  es  jetzt  tun.  Ich  bin 
augenblicklich  mit  Experimenten  in 
dieser  Frage  beschäftigt,  die  aber  noch 
nicht  spruchreif  sind. 

Dr.  Heinrich  W  o  l  f :  Ich  hatte 
in  meiner  Wasserheilanstalt  eiqe  sehr 
nervöse  Dame,  die  eine  akute  trockene 
Tracheitis      bekam.      Der  ohnehin 


352 


New    Yorker   Medizinische  Monatsschrift. 


schlechte  Schlaf  wurde  dadurch  noch 
verschlechtert,  und  die  Dame  kam  her- 
unter. Da  mir  nichts  anderes  zur  Ver- 
fügung stand,  versuchte  ich  eine  In- 
halation einer  Alypinlösung  10 :200 
Die  Inhalation  wurde  solange  fortge- 
setzt, his  das  Gefühl  der  Stumpfheit 
entstanden  war.  Die  im  Munde  sich 
ansammelnde  Flüssigkeit  wurde  aus- 
gespuckt. Diese  Inhalation  wurde  am 
Abend  gemacht.  Die  Kranke  schlief 
die  ganze  Nacht  und  nach  einer  noch- 
maligen Inhalation  war  die  Tracheitis 
verschwunden.  Seither  habe  ich  dieses 
Verfahren  noch  zweimal  mit  gleichem 
Erfolg  angewendet.  Die  Wirksamkeit 
beruht  offenbar  auch  auf  der  bekannten 
günstigen  W  irkung  der  Anästhetika 
bei  örtlichen  Entzündungen  (Schley). 

Bei  Bronchitiden  mit  starkem  Exsu- 
dat halte  ich  das  Verfahren  nicht  für 
angezeigt.  Dagegen  ist  es  von  gros- 
sem Vorteil  bei  akuten,  schmerzhaften 
Larvngitiden. 

Vize-Präsident  Dr.  G.  M  a  n  n  h  e  i- 
mer:  Ich  stehe  noch  unter  dem  Ein- 
druck dessen,  was  ich  als  Student  er- 
lernt habe,  dass  alle  Inhalationsmittel 
nicht  in  die  kranken  Teile  eindringen. 
Dies  bezieht  sich  besonders  auf  die  In- 
filtrate bei  Lungentuberkulose  und  an- 
deren chronischen  Lungenerkrankun- 
gen. Schreiber  in  Königsberg  hat 
das  in  einer  ausgezeichneten  Arbeit 
nachgewiesen.  Ich  weiss  nicht,  wie 
der  Standpunkt  heute  ist.  Das  schliesst 
nicht  aus,  dass  Inhalationsmittel  trotz- 
dem von  Nutzen  sind,  selbst  bei  Affek- 
tionen des  Lungengewebes 

Dr.  F.  Ruppert  (Schlusswort): 
Ich  habe  nichts  hinzufügen  und  danke 
den  Herren  für  die  freundliche  Diskus- 
sion. Meine  eigenen  Erfahrungen  be- 
schränken sich  bis  Dato  nur  auf  Er- 
krankungen der  Nase  und  des  Halses 
und  wenige  Fällen  von  akuter  Tra- 
cheo-Bronchitis. 

Geschäftliches. 

Vize-Präsident  Dr.  G.  Mannhei- 
mer: Die  Abstimmung  hat  ergeben, 
dass  sämtliche  Kandidaten  einstimmig 
erwählt  sind.  Ich  glaube,  die  Gesell- 
schaft kann  sich  glücklich  schätzen, 
unter  ihre  Ehren-Mitglieder  einen  so 
ausgezeichneten  Forscher  und  Gelehr- 


ten zu  zählen  wie  Prof.  Röntgen, 
der  obzwar  nicht  Mediziner,  doch 
durch  seine  monumentale  Entdeckung 
soviel  zur  Förderung  unserer  Wissen- 
schaft beigetragen  hat  in  Diagnose 
und  Therapie. 

Herr  Dr.  Pollitzer  zeigt  in  ei- 
nem Schreiben  an  Dr.  Fischer  seine 
Resignation  an. 

Auf  Antrag  aus  der  Mitte  der  Ver- 
sammlung wird  die  Resignation  ange- 
nommen. 

Zu  aktivem  Mitglied  der  Gesellschaft 
ist  vorgeschlagen :  Dr.  Henry  F. 
W  o  1  f  f  durch  Dr.  Hermann  Boe- 
k  e  r. 

Dr.  G  e  o.  W.  Jacob  y  berichtet 
namens  des  in  der  vorigen  Sitzung  er- 
nannten Komitees,  wie  folgt: 

Bericht  des  zur  Beratung  einer  Mit- 
teilung des  Herrn  Arthur  McDonald 
ernannten  Komitees: 

Der  genannte  Herr  Arthur  Mc- 
Donald, der  augenscheinlich  nicht 
Arzt  ist,  über  dessen  sonstige  wissen- 
schaftliche oder  soziale  Stellung  uns 
aber  nichts  bekannt  ist,  ersucht  die 
Deutsche  Medizinische  Gesellschaft, 
zu  beschliessen,  dass  dieselbe  sowohl 
die  Einrichtung  von  besonderen  Labo- 
ratorien seitens  der  Staats-,  Bundes- 
oder Stadtregierung,  als  auch  private 
Stiftungen  für  wünschenswert  hält  zu 
dem  Zwecke  des  wissenschaftlichen 
Studiums  der  kriminellen,  armen  und 
minderbegabten  Klassen,  in  der  Ab- 
sicht, soziale  Uebelstände  durch  die 
Untersuchung  ihrer  LTsachen  zu  ver- 
ringern. 

Ferner:  dass  eine  Abschrift  eines 
solchen  Beschlusses  an  unsere  Vertre- 
ter im  Gesetzgebenden  Körper  unseres 
Staates  wie  im  folgenden  Kongress  ge- 
schickt werden  solle. 

Ihr  Komitee  ist  nach  näherer  Kennt- 
nisnahme der  vorgelegten  Papiere  und 
nach  längerer  Beratung  derselben,  der 
Ansicht,  einerseits,  dass  das  weite  Ge- 
biet, welches  dieser  Plan  umfasst,  bis- 
her keineswegs  ungebaut  geblieben, 
sondern  dass  auf  demselben  durch  eine 
recht  grosse  Anzahl  von  ernsten  und 
begabten  Forschern,  teils  in  privaten 
teils  in  schon  bestehenden  öffentlichen 


New   Yorker   Medizinische  Monatsschrift. 


353 


Anstalten,  mit  gutem  Erfolg  gearbeitet 
worden  ist  und  zum  Teil  mit  grossem 
Enthusiasmus  noch  gearbeitet  wird, 
dass  man  daher  auch  in  der  Zukunft 
diesen  Arbeitskräften  vertrauensvoll 
das  Feld  überlassen  könne,  in  der 
sicheren  Erwartung  befriedigender  Re- 
sultate; andererseits  glaubt  Ihr  Komi- 
tee, dass  die  Zentralisation  solcher 
Forschungen  auf  so  weiten  und  ver- 
schiedenen Gebieten  in  einem  Labora- 
torium sehr  zahlreichen  und  bedeuten- 
den Schwierigkeiten  begegnen  werde 
und  daher  weder   vom  theoretischen, 


noch  namentlich  vom  praktischen 
Standpunkte  aus  empfehlenswert  er- 
scheine. 

Unter  diesen  Umständen  empfiehlt 
Ihr  Komitee  der  Gesellschaft  von  der 
Fassung  eines  derartigen  Beschlusses 
abzusehen,  beziehentlich  die  Angele- 
genheit auf  den  Tisch  zu  legen. 

New  York,  den  2.  January  1908. 

Auf  Antrag  von  Dr.  L  e  o  n  h.  We- 
ber beschliesst  die  Versammlung  den 
Bericht  anzunehmen. 

Dr.  Jakob  Heckmann, 

Prot.  Sekretär. 


Deutsche  Medizinische  Gesellschaft  der  Stadt  Chicago. 


Sitzung  vom  20.  Juni  1907.* 
Vorsitzender :   Dr.  Herzog. 
Programm. 

1)  Dr.  Lieberthal:  Ueber  die 
neueren  Neisser'schen  Syphilisforsch- 
ungen. (Referat.) 

2)  Dr.  G.  Schmauch:  Anatomie 
und  physiologische  Betrachtungen 
über  die  Einsiedlung  des  Eies  ausser- 
halb der  Gebärmutter,  an  der  Hand  ei- 
nes Falles  von  Schwangerschaft  im 
Eierstock,  einer  sogenannten  intraliga- 
mentären  Schwangerschaft  und  eines 
Falles  von  Einbettung  des  Eies  in 
Tube,  Corpus  luteum  und  uterinem 
Peritoneum. 

Der  Vorsitzende  stellt  Herr  Dr. 
G  e  r  a  r  d  aus  Würzburg  als  Gast  vor 
und  begrüsst  ihn  im  Namen  der  Ge- 
sellschaft. 

Dr.  Carl  Beck  demonstriert  das 
Präparat  einer  grossen  Ovarialcyste 
einer  16jährigen  Patientin,  die  heute 
operiert  worden  ist.  Seit  6  Monaten 
datierte  eine  rasche  Zunahme  des  Ab- 
domens, das  schliesslich  durch  seine 
Grösse  und  Form  an  eine  8  bis  9  mo- 
natliche Schwangerschaft  erinnerte. 
Der  obere  Teil  des  Tumors  war  hart, 
der  untere  zeigte  Fluktuation,  die 
ganze    Geschwulst   zeigte  mitgeteilte 

*)  Bei  der  Redaktion  eingegangen  am  27. 
Januar  d.  J. 


Pulsation.  Der  Uterus  war  klein,  re- 
troflektiert.  Die  Cyste  war  mit  kol- 
loidem Inhalt  erfüllt  und  im  oberen 
Anteil  wabenartig.  Mikroskopisch 
lässt  sich  fast  durchwegs  nur  Bindege- 
webe mit  sehr  wenig  Epithel  nachwei- 
sen. Heutzutage  sind  so  mächtige 
Cysten  eine  Seltenheit,  weil  dieselben 
bereits  früher  operiert  werden. 

Die  Diskussion  zum  Vortrag  des 
Herrn  Dr.  Lieberthal  eröffnet. 

Dr.  Herzog:  Die  Syphilisforsch- 
ung hat  zu  Tage  gefördert,  dass  in 
der  Mehrzahl  der  Fälle  im  primären 
und  sekundären  Stadium,  selten  aber 
im  tertiären  die  Spirochaeten  gefunden 
werden.  Dr.  H.  selbst  hatte  in  33  Fäl- 
len von  Lues,  weichem  Schanker  und 
einigen  Hauterkrankungen  auf  Spiro- 
chaeta  pallida  untersucht  und  in  kei- 
nem der  nicht  luetischen  Fälle  Spiro- 
chaeten gefunden,  wohl  aber  in  18  unter 
23  Fällen  von  Syphilis  und  zwar  in 
mehreren  Primäraffekten,  Papeln  am 
Anus  und  an  den  Brustwarzen  etc.  In 
den  fünf  negativen  Luesfällen  konnte 
er  aus  Zeitmangel  die  Untersuchungen 
nicht  lange  genug  fortsetzen.  Dr. 
Herzog  demonstriert  einige  seiner 
mikroskopischen  Präparate  von  Spiro- 
chaeta  pallida.  Die  Beschreibungen, 
welche  Hofmann  und  Schau- 
d  i  n  n  von  der  Spiroch.  pall.  geben, 
nämlich  die  Erwähnung  von  16  bis  20 
Windungen,     die     Rosafärbung  etc., 


354 


New    Yorker    Medizinische  Monatsschrift. 


treffen  nicht  in  allen  Fällen  zu ;  viel- 
mehr können  die  Spirochaeten  mitun- 
ter ein  von  der  Beschreibung  verschie- 
denes morphologisches  Verhalten  zei- 
gen. Dr.  H.  hält  es  für  wahrschein- 
lich, dass  die  Spiroschaeten  nicht  zu 
den  Protozoen,  sondern  zu  den  Spiril- 
lenbakterien gehören.  Im  Sputum  ei- 
nes Patienten,  der  an  einer  Lungenaf- 
fektion  litt,  fand  Dr.  H.  Spirochaeten, 
welche  denen  bei  Lues  ähnlich  sahen. 
Die  von  Dr.  Lieberthal  vorge- 
brachte Komplimentablenkung  in  der 
Serodiagnostik  der  Lues  findet  nicht 
immer  statt ;  überdies  ist  diese  Me- 
thode sehr  schwierig.  Darum  bleibt 
vorläufig  die  klinische  Beobachtung 
das  wichtigste  Mittel  der  Diagnostik. 

Dr.  Carl  Beck  macht  Mitteilun- 
gen über  das  Resultat  der  Krebsforsch- 
ungen K  e  1  1  i  n  g  s,  der  eine  Serodia- 
gnostik des  Krebses  ausgearbeitet  hat. 
K.  hat  in  zahlreichen  latenten  Fällen 
auf  Grund  der  Serumreaktion  die  Dia- 
gnose auf  Krebs  gestellt ;  eine  Anzahl 
dieser  Fälle  wurde  mit  Erfolg  operiert. 
Interessant  ist,  dass  mit  Rezidivieren 
der  Krebskrankheit  die  gleiche  Reak- 
tion von  neuem  erscheint. 

Hierauf  hält  Dr.  Sch  m  auch  sei- 
nen Vortrag. 

In  der  Diskussion  führt  Dr.  Her- 
zog folgendes  aus: 

Er  hat  mehr  als  50  Fälle  von  Tubar- 
schwangerschaft  histologisch  unter- 
sucht und  über  die  Untersuchungen 
von  40  Fällen  vor  mehreren  Jahren 
eine  Arbeit  im  Journal  of  Obstetrics 
and  Gynecology  veröffentlicht.  Der 
jüngste  von  ihm  untersuchte  Fall  von 
Tubarschwangerschaft  war  2 — 3  Wo- 
chen alt.  Eierstocksschwangerschaft 
hat  er  nie  gesehen.  In  vorgeschritte- 
nen Fällen  ist  es  sehr  schwer  zu  ent- 
scheiden, ob  primäre  Eierstockschwan- 
gerschaft vorliegt  oder  nicht.  Es  kann 
ja  nach  Tubenabort  eine  sekundäre  An- 
siedelung des  Eies  am  Eierstock  oder 
am  allgemeinen  Peritoneum  stattfin- 
den. Dr.  H.  spricht  über  Trophoblast- 
wucherungen  in  der  Tube  und  bezwei- 
felt, dass  die  von  Dr.  Schmauch 
vorgelegten  Photomikrographien  wirk- 
lich Trophoblastwucherungen  im 
Sinne  eines  noch  nicht  differenzierten 
Trophoblastes  zeigen. 


Im  Anschlüsse  an  dieses  Thema  de- 
monstriert Dr.  Herzog  eine  Anzahl 
Photomikrographien  und  macht  Mit- 
teilung über  ein  menschliches  Ei  in 
situ,  das  in  Grösse  und  Entwickelung 
beinahe  identisch  mit  dem  bekannten 
Peter  s'schen  Ei  ist.  Das  Ei  erhielt 
Dr.  Herzog  bei  der  Sektion  der 
Leiche  einer  in  Manila,  P.  L,  durch 
einen  Unfall  ganz  plötzlich  gestorbe- 
nen, ganz  gesunden  Eingeborenen.  Es 
fand  sich  ein  frisches,  aber  schon  zu- 
heilendes Corpus  luteum  am  einen 
Eierstock  und  in  der  Nähe  des  Tuben- 
einganges derselben  Seite,  in  einem 
leicht  vergrösserten  Uterus  ein  kleiner 
hämorrhagischer  Fleck.  Derselbe 
wurde  ausgeschnitten,  in  Z  e  n  k  e  r'- 
scher  Lösung  fixiert  und  das  Gewebe 
später  in  Serienschnitte  zerlegt.  Die 
Untersuchung  demonstrierte  ein  Ei- 
chen etwa  von  derselben  Grösse  wie 
das  Peter  s'sche.  Eine  mächtige  Tro- 
phoblastwucherung  mit  mütterlichen 
Blutlakunen,  gleichfalls  ganz  wie  beim 
Peter  s'schen  Ei.  Dagegen  fehlte  der 
Gewebspilz,  der  das  Peter  s'sche  Ei 
überdeckte.  Das  von  Herzog  ge- 
fundene Ei  scheint  sich  flach-schräg  in 
die  Mucosa  eingefressen  zu  haben,  es 
lässt  sich  der  Einfressungskanal  noch 
nachweisen.  Es  ist  das  Ei  vom  Cavum 
uteri  durch  eine  ganz  dünne,  teilweise 
unvollständige  Capsularis  getrennt. 
Die  von  Peters  beschriebenen  Ver- 
änderungen an  mütterlichen  Blutkör- 
perchen und  eine  eventuelle  Teilnahme 
mütterlicher  Blutkörperchen  an  der 
Bildung  des  fötalen  Syncytium  finden 
sich  im  H  e  r  z  o  g'schen,  ganz  norma- 
len Präparate  nicht.  Der  im  Ei  vor- 
handene Embryo  ist  vorzüglich  er- 
halten. Der  Embryonalschild  stellt 
ein  bootförmiges  Gebilde  dar,  Amnion- 
höhle  sehr  klein,  Dottersack  grösser, 
wie  das  eigentliche  .  Embryonalschild. 
Blutgefässe  finden  sich  weder  im  Embryo 
noch  im  Trophoblasten,  dagegen  fin- 
den sich  da,  wo  Allantois  und  Dotter- 
sack aus  dem  Embryonalschild  ent- 
springen, Ringe  und  Bänder  von  Meso- 
dermzellen,  welche  zweiffellos  die  erste 
Anlage  der  Dottersackblutgefässe  dar- 
stellen. Die  Keimscheibe  befindet  sich 
in  sogenannter  Blattumkehr,  das  Prä- 
parat beweist  also,  dass  dieser  bei  den 


New    Yorker    Medizinische  Monatsschrift. 


355 


Nagern  allgemein  bekannte  Vorgang 
auch  bei  den  Primaten  stattfindet.  Die 
Gesamtlänge  des  Keimschildes  ist 
154  Mikra;  einschliesslich  des  Dotter- 
sackes 300 — 400  Mikra.  Der  menschli- 
che Embryo  ist  mithin  bei  weitem  das 
jüngste  und  kleinste  bisher  beschrie- 
bene. Der  Embryo  im  Peter  s'schen 
Ei,  sagt  Herzog,  sei  derart  schlecht 
erhalten,  dass  er  für  die  menschliche 
Embryologie  nicht  zu  verwerten  war, 
da  selbst  eine  so  grosse  Autorität  wie 
Graf  S  p  e  e  nichts  Rechtes  damit  hat 
anfangen  können.  Zum  Schlüsse  be- 
tont Herzog,  dass  die  Trophoblast- 
wucherungen  den  Pathologen  ausser- 
ordentlich an  die  Wucherung  eines 
malignen  Tumors  erinnern,  wie  an- 
dererseits die  Reaktion  des  mütterli- 
chen Gewebes  vielfach  an  die  Verän- 
derungen bei  hämorrhagischer  Ent- 
zündung errinert. 

(Seit  dieser  ersten,  von  Dr.  Her- 
zog vor  der  Deutschen  Medizinischen 
Gesellschaft  gemachten  Mitteilung  hat 
er  über  dieses  Ei  einen  Vortrag  mit 
Demonstrationen  vor  der  Sektion  für 
Embryologie  des  7.  Internationalen 
Kongresses  für  Zoologie,  Boston, 
Mass.,  19.— 25.  August  1907  gehalten.) 

Dr.  G  e  o.  Schmauch  führt  aus  : 
Wenn  das  befruchtete  Ei  sich  in  dem 
mütterlichen  Boden  festgesetzt  hat,  so 
findet  man  um  die  ersten  Zottenan- 
hänge herum  grosse  Zellmassen,  be- 
stehend aus  Zellen,  die  sich  noch  nicht 
in  Langhanszellen  und  Syncytium  dif- 
ferenziert haben.  All  diese  Zellen  be- 
zeichne ich  als  Trophoblast  (Tropho- 
derm,  Hubrecht)  und  befinde  mich 
da  im  Einklang  mit  andern  Autoren. 
Auf  der  Photographie  (frühe  Tuben- 
schwangerschaft) sehen  Sie,  wie  diese 
Zellen  in  das  mütterliche  Gewebe,  hier 
Tubenwand,  einbrechen.  Die  vorherr- 
schende Zellform  ist  die  Spindelzelle, 
doch  sehen  Sie  auch  plasmodiale  Zel- 
len. Das  Bild  allein  genügt,  um  das 
Fremdartige  dieser  Zellen  zu  demon- 
strieren. Sie  heben  sich  deutlich  von 
dem  umgehenden  Gewebe  ab,  das  alle 
Stadien  der  Degeneration,  Kern- 
schwund, Auflockerung  der  Muskel- 
und  Bindgewebsfasern,  sowie  seröse 
Durchtränkung  aufweist.  In  diesem 
degenerierten    Gewebe   erkennen  Sie 


weiterhin  grössere  undeutlich  gefärbte 
Zellen,  deren  Natur  noch  umstritten 
ist.  Ich  fasse  dieselben  mit  M  i  n  o  t 
als  hyperplastische  degenerierte  Tro- 
phoblastzellen  auf.  Das  Auffallendste 
an  dem  Bilde  ist  also  der  Gegensatz 
zwischen  dem  zellkräftigen,  üppig 
wuchernden  fötalen  Gewebe  und  dem 
nekrotischen  mütterlichen  Gewebe,  das 
unter  dem  Einfluss  des  vordringenden 
Trophoblasts  abstirbt.  Es  gibt  wohl 
in  der  ganzen  Pathologie  kein  schöne- 
res Beispiel  für  eine  maligne  Gewebs- 
wucherungs,  wie  es  diese  Tubenschwan- 
gerschaft aufweist.  Die  bösartigste 
Geschwulst  zeigt  in  ihrer  Umgebung 
keinen  so  ausgesprochenen  malignen 
Charakter,  wie  diese  frühe  Schwanger- 
schaft. Es  war  eigentlich  meine  Ab- 
sicht, dieses  Phänomen  auch  an  der 
Hand  der  beiden  anderen  Fälle  zu  de- 
monstrieren. 

Ich  habe  schon  in  früheren  Arbeiten 
das  befruchtete  Ei  mit  einem  Parasi- 
ten verglichen.  Die  Schwangerschaft 
ist  eine  Art  Parasitismus,  der  mit  der 
Ausstossung  des  Kindes  normaliter 
sein  Ende  findet,  die  Geburt  also  eine 
Art  befreiender  Art.  Dass  dies  nicht 
immer  der  Fall  ist,  dass  fötale  Zellen, 
Reste  des  Schwangerschaftsproduktes, 
unter  Umständen  weiterfortwuchern 
können,  dass  aus  dem  harmlosen  Para- 
sitismus eine  maligne  Wucherung  wer- 
den kann,  ist  Ihnen  ja  aus  der  Chorio- 
epitheliomlehre  bekannt.  Hofbauer 
hat  jüngst  die  Schwangerschaft  eine 
Symbiose  genannt. 

Dass  das  Ei  sich  nicht  auf  einem 
Epithellager  festsetzen  kann,  ist  uns 
seit  längerer  Zeit  bekannt.  Ein  Stro- 
ma,  sei  es  dass  der  uterinen  Schleim- 
haut oder  das  der  Tube  oder  Ovarium 
oder  Peritoneum,  ist  hierzu  absolut 
notwendig.  Das  Epithel  muss  erst  ge- 
schwunden sein,  bevor  eine  „Einbet- 
tung" eintreten  kann.  Ob  das  Ei  je- 
desmal in  eine  Vertiefung  der  uterinen 
Schleimhaut  einsinkt,  oder  ob  es  sich 
in  jedem  Falle  durch  eigne  Kraft  ein- 
bohrt, einfrisst,  ist  eigentlich  mehr  ne- 
bensächlich. Aeltere  Stadien  beweisen 
direkt  den  zerstörenden  Einfluss  des 
befruchteten  Ei's  auf  mütterliches  Ge- 
webe. 

Damit  sind  wir  nun  an  der  Grenze 


356 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


dessen  angelangt,  was  uns  die  Histolo- 
gie erschliessen  kann.  Eine  weitere 
Aufklärung  war  nur  von  chemischen 
Untersuchungen  zu  erwarten  und  diese 
durchgeführt  zu  haben,  ist  ein  grosses 
Verdienst  Hof  baue  r's. 

Ein  regelmässiger  Befund  in  der  Um- 
gebung junger  Eier  sind  Blutergüsse. 
Die  alte  Lehre  ging  dahin,  dass  Zotten 
in  die  mütterlichen  Blutlakunen  hin- 
einhängen und  sich  auf  diese  Weise 
alles,  was  zur  Ernährung  des  Eötus 
notwendig  war,  heraussuchen  konnten. 
Um  das  wie,  kümmerte  sich  kein 
Mensch.  Dass  Eisen  nicht  diffundie- 
ren kann,  dass  Eisen  nicht  frei  im  Blut- 
plasma vorhanden  war,  über  solche 
Tatsachen  setzte  man  sich  einfach  hin- 
weg. Die  histologischen  Details  an 
jungen  Menschen-  und  Tiereiern  schei- 
nen viel  interessanter.  Wir  wissen 
jetzt,  dass  dieser  ganze  Ernährungs- 
prozess  des  Fötus  ein  viel  komplizier- 
terer ist ;  dass  die  Plazenta  in  der  Tat 
ein  Assimilationsorgan  für  den  Fötus 
ist  (Hofbauer).  Das  bei  dem  Blut- 
erguss  freiwerdende  Hämoglobin  ist 
anscheinend    ein    sehr    wichtiger  Fak- 


tor. Denken  Sie  nur  an  die  katalyti- 
sche  Wirkung  des  Hämoglobins,  wie 
sie  uns  hier  vor  einigen  Monaten  an 
einfachem  Zucker  demonstriert  wurde. 
Das  wachsende  Ei  übt  mittels  seines 
Zottenepithels  eine  gleiche  hämolyti- 
sche Wirkung  aus  wie  ein  Karzinom. 
In  Einklang  hiermit  steht  die  nachge- 
wiesene Abnahme  der  roten  Blutkör- 
perchen in  der  Schwangerschaft.  Ei- 
weiss  und  Fett  spaltende  Fermente 
sind  absolut  nötig  für  die  Entwicklung 
des  Kindes,  und  diese  Fermente  finden 
sich  in  dem  Epithelbesatz  der  Zotten. 
Ferment  und  Katalyse  sind  ja,  wie  die 
moderne  Chemie  annimmt,  engver- 
wandte Prozesse,  vielleicht  sogar  iden- 
tisch. 

Die  Resultate  der  chemischen  Un- 
tersuchungen bekräftigen  also  den  his- 
tologisch schon  länger  erwiesenen  de- 
struktiven Charakter  des  befruchteten 
Eis,  mehr,  sie  machen  uns  denselben 
viel  verständlicher. 

Schluss  des  Vereinsjahres. 

Dr.  A.  Strauch, 

Schriftführer. 


Korrespondenz. 

„SYMPOSIUM." 


Redaktion  der  „New  Yorker  Medizini- 
schen Monatsschrift." 
Herr  Redakteur : 

In  der  Dezembernummer  Ihrer  ge- 
schätzten Zeitschrift  wird  von  einem 
Symposium  über  Morbus  Basedowii, 
das  in  der  Deutschen  Medizinischen 
Gesellschaft  der  Stadt  New  York  am  4. 
November  1907  stattgehabt,  berichtet. 
Auf  dem  Programm  der  Gesellschaft 
heisst  es  ,,N  ach  der  Versammlung  ge- 
sellige Zusammenkunft  im  Bankett- 
saale der  Academy."  Da  dabei  Bier 
getrunken  wird,  so  ist  dies  ein  Sympo- 
sium nach  der  Versammlung. 

An  dem  Abend,  als  ich  meinen  Vor- 
trag über  neue  Methoden  in  der  medi- 
zinischen Behandlung  der  Magen- 
krankheiten   hielt,,  begab    sich  zwar 


recht  demonstrativ  eine  grosse  Anzahl 
der  Anwesenden  schon  während  der 
Versammlung  zum  Symposium  in  den 
Bankettsaal,  allein  das  war  ein  Sympo- 
sium, das  in  keinem  direkten  Zusam- 
menhang mit  dem  Vortrag  stand. 

Am  4.  November  nun  fand  das  Sym- 
posium, wie  gesetzlich  angeordnet, 
erst  nach  der  Versammlung  statt ; 
während  des  Vortrags,  in  demselben 
Zimmer,  in  welchem  der  Vortrag  ge- 
halten wurde,  gab  es  nichts  zu  trinken. 

Symposium  ist  ein  Bankett,  ein  Fest, 
bei  dem  getrunken  wird. 

Ein  Symposium  ohne  Trinken  ist 
lucus  a  non  lucendo.  Ich  weiss  sehr 
wohl,  dass  im  Englischen,  in  dem  man 
auch  unter  Dilatio  räumliche  Erweiter- 
ung    und     unter     Sykophant  einen 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


357 


Schmeichler  versteht,  in  neuester  Zeit 
unter  Symposium  eine  Zusammenreih- 
ung  von  Vorträgen  oder  .Meinungs- 
tausch über  einen  Gegenstand  verstan- 
den wird,  allein  das  ist  widersin- 
nig. Wehster  gibt  übrigens  noch 
die  richtige  Definition:   Symposium — 


A  drinking  together,  a  merry  feast. 
Wenn  wir  in  unserer  Deutschen  Ge- 
sellschaft die  amerikanische  Auslegung 
von  Symposium  einführen,  so  kann 
das  doch  keinen  andern  Zweck  haben, 
<ils  die  Darwinsche  Theorie  zu  il- 
lustrieren. A.  Rose. 


Therapeutische  und 

—  [Jeher  die  Wirkung  des  Digalens. 
C  s  u  r  g  6  hat  das  Digalen  bei  verschiedenen 
Klappenfehlern,  bei  Lungenentzündung,  Ar- 
teriosklerose, akuten  Perikarditiden  versucht. 

Die  Digalentherapie  bestand  in  der  Regel 
darin,  dass  nach  i — 2tägiger  Beobachtung  un- 
ter Bettruhe  täglich  dreimal  15  Tropfen-  intern 
gegeben  wurden,  ohne  Adjuvantien;  nur  bei 
Lungenkatarrhen  mit  reichlicher  Sekretion 
wurde  separat  Ipekakuanha  verabreicht ;  in 
einem  Falle  wurde  das  Digalen  in  die  Vene 
injiziert. 

Alle  Patienten  haben  das  Digalen  gern  ge- 
nommen, es  wurden  keine  Klagen  gegen  sei- 
nen Geschmack  geäussert.  In  einem  Fall  hör- 
ten die  Magenbeschwerden  des  Strophantus 
nehmenden  Kranken  nach  Digalenverabreich- 
ung  auf.  Ein  Patient  hat  die  Wirkung  des 
Digalens  auf  die  Tachykardie  als  grossartig 
bezeichnet ;  er  fand,  dass  nach  Einnehmen 
schon  in  %  Stunde  sowohl  die  Beklemmung 
wie  das  Herzklopfen  aufhört  und  sich  guter 
Schlaf  einstellt.  Bei  einem  Arteriosklerotiker 
verschwand  das  Schwindelgefühl  und  trat 
guter  Appetit  ein  am  vierten  Tage. 

Diesen  subjektiven  Symptomen  entsprach 
auch  immer  der  objektive  Befund,  indem 
schon  nach  (5 — 8  Stunden  der  Puls  gewöhnlich 
kräftiger,  am  nächsten  Tage  weniger  frequent, 
rhythmisch,  endlich  an  den  folgenden  Tagen 
ziemlich  normal  wurde ;  man  konnte  sogar  bei 
einigen  Kranken  ein  Sinken  auf  50 — 55  per 
Minute  konstatieren. 

Die  Herztätigkeit  ist  ebenfalls  kräftiger,  die 
Systolen  seltener  und  ausgiebiger.  Als  Folge 
steigt  die  tägliche  Urinmenge  von  2 — 3 — 400 
auf  6 — 7 — 800,  erreicht  bald  die  normale 
Menge,  ja  sogar  mehr,  bis  zu  3000—4000. 

Bei  kroupöser  Lungenentzündung  hatte  Cs. 
statt  Digitaliskur  Digalen  gegeben.  Bisher 
wurde  in  10  Fällen  das  Digalen  (dreimal  täg- 
lich 15  Tropfen)  mit  Ipekakuanha  gereicht. 
I>ei  allen  Kranken  war  der  Puls  gross,  voll, 


klinische  Notizen. 

rhythmisch,  Frequenz  dem  Fieber  entspre- 
chend. Bei  einem  Kranken,  der  auch  Kreoso- 
tal  gegen  seine  protrahierte  Pneumonie  bekam, 
mussten  beide  Mittel  wegen  Magenbeschwer- 
den und  Appetitslosigkeit  weggelassen  werden. 
Sämtliche  Fälle  verliefen  mit  Heilung. 

Das  Digalen  hat  sowohl  bei  verschiedenen 
Herzleiden  wie  auch  bei  Pneumonie  den  Er- 
wartungen entsprochen.    (Med.  Klinik.) 

—  Ueber  einige  neuere  Schlafmittel.  An 
der  Klinik  von  Leydens  (Berlin)  wurden 
Veronal,  Proponal  und  Bromural  geprüft.  Bei 
allen  drei  Mitteln  wurde  ein  promptes  Ein- 
treten der  Schlafwirkung  konstatiert.  Der  so 
erzeugte  Schlaf  Hess  keine  Abweichung  von 
dem  natürlichen  erkennen. 

Von  grösster  Wichtigkeit  ist  es,  das  Veronal 
stets  in  gelöstem  Zustande  zu  verabreichen,  da 
es  andernfalls  wegen  seiner  Schwerlöslichkeit 
leicht  kumulativ  wirkt.  In  der  Dosierung 
gehe  man  nicht  über  1,0  g  hinuas,  weil  sonst 
häufig  Nebenwirkungen  (Uebelkeit,  kalte  Ex- 
tremitäten, unregelmässiger  Puls)  auftreten. 

Proponal  ist  sowohl  in  seinem  chemischen 
Aufbau  wie  auch  in  seiner  therapeutischen 
Wirksamkeit  dem  Veronal  sehr  ähnlich;  es 
wird  in  kleineren  Dosen  verwendet. 

Recht  aussichtlich  scheint  das  Bromural  zu 
sein.  Zu  0,6  g  (2  Tabletten  zu  3,3  g)  vor 
dem  Schlafengehen  genommen,  leitet  es  schon 
nach  25 — 30  Minuten  einen  erquickenden 
Schlaf  ein.  Nebenwirkungen  wurden  nicht 
beobachtet.  Das  Mittel  wird  ausgezeichnet 
vertragen. 

Andererseits  darf  nicht  unerwähnt  bleiben, 
dass  bei  manchen  Patienten  die  Schlaflosig- 
keit auf  einer  geringen  Herzschwäche  beruht. 
In  diesem  Falle  pflegen  die  Hypnotica  nur 
eine  geringe  Wirkung  auszuüben,  man  erzielte 
dann  meistens  mit  Digitalis  oder  Strophantus 
gute  Resultate.  (Folia  therapeutica,  Oktober 
■907.) 


35» 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


—  Ueber  Novaspirin.  S  e  i  f  e  r  t's  (Wurz- 
burg) eigene  Beobachtungen  mit  Novaspirin, 
die  er  seit  vier  Monaten  an  verschiedenen 
Krankheitsformen  angestellt  hat,  weichen  nur 
wenig  von  denen  W  i  1 1  h  a  u  e  r's  und  L  i  e  b- 
m  a  n  n's  ab.  Vor  allem  muss  er  feststellen, 
dass  Novaspirin  ein  ganz  ausgezeichnetes  Mit- 
tel gegen  die  Influenza  darstellt,  indem  es 
nicht  nur  antipyretisch,  sondern  auch  eminent 
schmerzstillend  wirkt,  speziell  gegen  die  so 
ausserordentlich  lästigen  Muskel-  und  Kopf- 
schmerzen, unter  denen  die  frisch  erkrankten 
Fälle  so  sehr  zu  leiden  haben.  Aber  auch  die 
in  einzelnen  Fällen  von  Influenza  noch  lange 
Zeit  nach  Ablauf  der  akuten  Erscheinungen 
andauernden  Koufschmerzen  werden  durch 
Novaspirin  sehr  günstig  beeinflusst.  Die 
schweisstreibende  Wirkung  ist  eine  sehr  viel 
geringere  als  beim  Aspirin.  Die  antineural- 
gische Wirkung  des  Novaspirins  bewährte  sich 
in  drei  Fällen  von  Ischias,  bei  welchen  kein 
anderes  Antineuralgikum  etwas  geleistet  hatte, 
in  ganz  vorzüglicher  Weise. 

Irgendwelche  unangenehme  Nebenerschei- 
nungen, wie  Exantheme,  kamen  nicht  zur  Be- 
obachtung. Ein  weiteres  Feld  für  die  An- 
wendung des  Novaspirins  scheinen  die  jucken- 
den Dermatosen  zu  sein,  doch  ist  die  Zahl  der 


Beobachtungen  S  e  i  f  e  r  t's  noch  zu  gering, 
um  ein  endgiltiges  Urteil  über  die  juckreiz- 
mildernde Wirkung  des  Novaspirins  zu  geben. 
Seifert  sah  in  drei  Fällen  von  Urticaria 
acuta,  in  einem  Falle  von  Urticaria  chronica 
und  in  vier  Fällen  von  Liehen  ruber  planus, 
in  einem  Falle  von  Pruritus  senilis  eine  auf- 
fällige juckreizmildernde  Wirkung,  und  in  ei- 
nem Falle  von  Erythema  exsudativum  multi- 
forme gingen  die  Erscheinungen  an  den  Fin- 
gern, Händen  und  im  Gesicht  auffallend  rasch 
zurück,  sodass  Novaspirin  zu  weiteren  Ver- 
suchen in  der  Dermatotherapie  aufmuntern 
konnte.  (Wiener  klinische  Rundschau,  No. 
2$  1907.) 

—  Behandlung  der  Pneumonie  mit  Kreoso- 
tal.  Gonzalez  del  Valle  hat  eine  grös- 
sere Anzahl  Fälle  von  Lobulärpneumonie  mit 
Kreosotal  behandelt  und  schildert  davon  drei 
in  eingehender  Weise,  da  ihm  deren  Verlauf 
wegen  der  Schwere  der  ursprünglichen  Er- 
krankung und  des  raschen  Eintritts  der  Bes- 
serung nach  Kreosotalgebrauch  von  beson 
derer  Beweiskraft  zu  sein  scheint.  Er  gab 
durchschnittlich  8 — 10  g  pro  die  und  beobach- 
tete regelmässig  LTebergang  zur  Heilung  in 
den  ersten  acht  Tagen  des  Krankseins. 


Kleine  M 

—  Der  /.  Kongress  der  deutschen  Röntgen- 
gesellschaft  wird  unter  dem  Vorsitz  von  H. 
Goch  t-H  alle  a.  S.  am  26.  April  d.  J.  im 
Langenbeckehaus  in  Berlin  stattfinden.  Allge- 
meines Thema :  Der  Wert  der  Röntgenunter- 
suchungen für  die  Frühdiagnose  der  Lungen- 
tuberkulose. (Referenten:  Rieder-Mün- 
chen  und  Krause-Jena.)  Mit  dem  Kon- 
gress wird  eine  Röhrenausstellung  vorwiegend 
historischen  Charakters  verbunden  sein.  An- 
meldungen für  Vorträge,  Demonstrationen 
u.  s.  w.  sind  an  den  Schriftführer  der  Gesell- 
schaft, Herrn  Dr.  I  m  mclraann,  L  ü  t  z  o  w- 
strasse  72.  Berlin  W.  35,  zu  richten. 

—  Der  /.  Internationale  Laryngo-Rhinolo- 
genkongress,  mit  welchem  eine  Türe  k-Ge- 
denkfeier  und  eine  laryngo-rhinologische  Aus- 
stellung verbunden  sein  wird,  wird  vom  21. — 
25.  April  1908  in  Wien  stattfinden.  Referate 
haben  übernommen :  Sir  Felix  Semon- 
London,  B.  Franke  1-Berlin,  Bürge  r-Am- 


teilungen. 

sterdam,  O  n  o  d  i-Budapest.  J  u  r  a  s  z-Heidel- 
berg  und  G 1  e  itsman  n-New  York,  der 
letztere  über  die  Behandlung  der  Tuberkulose 
der  oberen  Luftwege.  Ausserdem  sind  bereits 
eine  grosse  .Anzahl  von  Sondervorträgen  an- 
gemeldet. 

—  Die  Herausgabe  der  von  Prof.  Lassar 
begründeten  Dermatologischen  Zeitschrift  ha- 
ben mit  Unterstützung  hervorragender  Fach- 
genossen im  In-  und  Auslande  nach  dessen 
Tode  die  Herren  A.  B  1  a  s  c  h  k  o-Berlin,  K. 
Herxheime  r- Frankfurt,  E.  H  o  f  f  m  a  n  n- 
Berlin,  V.  Klingmüller-Kiel,  M.  Wol- 
ter s-Rostock  übernommen.  Die  Zeitschrift 
soll  auf  eine  breitere  wissenschaftliche  Basis 
gestellt,  der  Referatenteil  erweitert,  Korre- 
spondenzen aus  dem  Ausland,  Sammelreferate 
über  aktuelle  Fragen  neu  hinzugenommen  wer- 
den. Die  Redaktion  leitet  Prof.  Dr.  E.  Hof  f- 
m  a  n  n,  Berlin.  N.  W.  Schiffbauerdamm  29, 
an  den  alle  Zuschriften  u.  s.  w.  zu  richten  sind. 


JSew  Yorker 

JNledizimscbe  JVlonatsscbrift 

Offizielles  Organ  der 

Deutrehen  IUedizinifchcn  ßefelircharten  der  Städte  Rew  V«rR( 
Chicago,  Cleveland  und  San  Trancisco. 

Redigiert  von  Dr.  A.  Ripperger. 
Bd.  XIX.  New  York,  März,   1908.  No.  12. 


Originalarbeiten. 


Das  psychiatrische  Sachverständigen-Gutachten  im  Strafprozess  —  Unzuläng- 
lichkeiten und  Abhilfe. 

Von  Dr.  George  W.  Jacoby. 


Hier  zu  Lande  hat  jeder  wichtige  Kri- 
minalprozes-s,  in  welchem  es  sich  für  die 
Verteidigung  um  angebliche  Geistes- 
krankheit des  Angeklagten  handelt,  eine 
Diskussion  zur  Folge,  die  sich  lediglich 
um  psychiatrische  Sachverständige  und 
deren  Aussage  vor  Gericht  dreht.  Hier- 
an beteiligen  sich  beide  Professionen,  die 
des  Rechts  und  die  der  Medizin.  Der 
Advokat  betrachtet  die  medizinische 
Aussage  als  eine  unbefriedigende  und 
schreibt  diese  Unzulänglichkeit  der  In- 
exaktheit  des  medizinischen  Wissens  zu, 
oder  was  noch  mehr  zu  bedauern  ist, 
sucht  die  Erklärung  in  Umständen,  die 
eine  weit  beschämendere  Kritik  in  sich 
führen ;  der  Mediziner  gibt  die  unbe- 
friedigende Stellung  der  Experten  und 
der  Expertise  zu,  sucht  die  Erklärung 
aber  in  Defekten  der  Gesetze  oder  in  der 
Art  ihrer  Anwendung,  und  verurteilt  da- 
mit die  ganze  Handhabung  des  Prozess- 
materials. So  viel  steht  fest,  dass  unsere 
Richter  und  unsere  Geschworenen  dieser 
Expertenaussage  nicht  mit  jenem  Wohl- 
wollen gegenüber  stehen,  wie  es  in  an- 


deren Ländern  der  Fall  ist;  uns  Psychia- 
tern und  Neurologen  liegt  es  daher  nahe, 
da  wir  es  sind,  von  welchen  in  diesen 
Fällen  Aufklärung  und  Erläuterung  ver- 
langt werden,  zu  untersuchen,  ob  die 
Schuld  ganz  und  gar  oder  nur  zum  Teil 
von  uns  selbst  getragen  werden  muss, 
und  zu  überlegen,  ob  dem  Zustand,  der 
für  uns  Alle  unerträglich  geworden  ist, 
nicht  abgeholfen  werden  kann. 

Es  ist  ein  Sprichwort,  dass  jedes  Volk 
die  Regierung  hat,  die  es  verdient ;  bei 
freien  Völkern,  wie  das  unsrige  eins  ist, 
kann  man  mit  noch  grösserem  Rechte 
sagen:  ein  jedes  Volk  hat  die  Regierung, 
die  es  will.  Dieses  gilt  nicht  nur  von 
der  Regierung  im  grossen  und  ganzen, 
sondern  er  gilt  auch  von  jedem  einzelnen 
Glied  unseres  Gemeinwesens,  von  jeder 
Einrichtung  unseres  Rechtslebens,  von 
jedem  einzelnen  Gesetz,  gleichviel,  ob 
dieses  von  fundamentalem  Charakter 
und  einschneidender  Tragweite  ist,  oder 
unscheinlich  in  seiner  Wirkung  und  un- 
bedeutend in  seinen  Folgen. 

Wenn  wir  die  Gesetze,  die  wir  haben, 


36o 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


wollen,  so  müssen  wir  auch  die  notwen- 
digen Folgen  dieser  Gesetze  wollen. 
Denn  die  Gesetze  sind  eben  da,  um  unser 
äusseres  Leben  zu  regeln.  Missfallen 
uns  die  Erscheinungen,  die  unter  der 
Herrschaft  unserer  Gesetze  zu  Tage  tre- 
ten, so  folgt  daraus,  dass  die  Gesetze 
nicht  mehr  ganz  im  Einklänge  mit  un- 
serem Willen  sich  befinden. 

Man  entschliesst  sich  oft  nicht  leicht, 
Gesetze,  mit  denen  wir  gross  geworden 
sind,  zu  ändern.  Die  Auffassungen  über 
das,  was  recht  und  gut  ist,  entwickeln  sich 
im  Laufe  der  Zeiten  mit  den  Fortscbrit- 
ten in  Daseinsbedingungen,  sie  verschie- 
ben sich  mit  den  wechselnden  Gesell- 
schafts- und  Kulturverhältnissen,  wäh- 
rend die  Gesetze  selbst  nicht  oder  nicht 
entsprechend  sich  geändert  haben.  So 
kann  es  dann  geschehen,  dass  allmählig 
und  unmerklich  ein  Unterschied  zwi- 
schen dem  Rechtsbegriff  und  dem  Rechte 
selbst  sich  herausbildet,  eine  Gegenüber- 
stellung, die  dann  in  einem  gegebenen 
Augenblick,  bei  einer  besonderen  Gele- 
genheit plötzlich  als  schneidender  Miss- 
klang empfunden  wird.  Dann  mag  uns 
ein  Gesetz,  welches  ehemals  seine  Auf- 
gabe annähernd  vollkommen  erfüllte, 
nicht  aber  mit  den  Zeiten  noch  mit  uns 
Schritt  gehalten  hat,  als  ein  höchst  frag- 
würdiges Gebilde  erscheinen. 

Andererseits  sind  nicht  immer  die  un- 
befriedigenden Erscheinungen,  die  unter 
der  Herrschaft  eines  Gesetzes  zu  Tage 
treten,  wesentlich  oder  gar  ausschliess- 
lich auf  Unzulänglichkeiten  dieses  Ge- 
setzes zurückzuführen.  Oftmals  liegt 
die  LTrsache  zur  Unzufriedenheit  in  den 
Menschen,  die  das  Gesetz  anwenden,  in 
uns  selbst.  Wenn  die  Menschen  selbst 
billig  und  gerecht  sind,  wenn  sie  die  Ge- 
setze mit  massvoller  Weisheit  handha- 
ben, anstatt  sich  einen  Götzen  aus  dem 
Buchstaben  anzufertigen,  dann  kann 
auch  schliesslich  unter  veraltetem  Ge- 
setz sich  das  Dasein  erspriesslich  ge- 
stalten und  gedeihen. 

Wenn  aber,  wie  es  unlängst  in  einem 
sensationellen  Mordprozess  der  Fall  war, 
die  Anwendung  unseres  Gesetzes  Aus- 


wüchse zeitigt,  die  sich  schmerzerzeu- 
gend auf  unser  aller  Bewusstsein  drän- 
gen, dann  wird  es  zur  Pflicht,  uns  die 
Gewissensfrage  vorzulegen  :  fallen  diese 
Auswüchse  unserem  Rechtssystem  zur 
Last,  oder  tragen  wir  selbst  daran 
Schuld  durch  die  Art  und  Weise,  wie 
wir  die  Gesetze,  die  wir  besitzen,  hand- 
haben. 

Ist  unser  geltendes  Recht,  als  solches, 
die  wesentliche  Ursache  jener  Erschein 
ungen,  oder  wäre  es  möglich  gewesen, 
auf  eben  diesem  Boden  mit  den  gleichen 
uns  zu  Gebote  stehenden  Mitteln  ein 
harmonischeres  Gebilde  zu  schaffen,  die 
Ausrufe  gegen  die  medizinische  Exper- 
tise und  damit  gegen  unsere  Gerichts- 
höfe, gegen  die  Gesetze,  die  sie  regieren 
und  die  Methoden  ihrer  Anwendung  zu 
vermeiden  ?  Ob  oder  nicht  dieses  in  dem 
hier  angedeuteten  gegebenen  Falle  hätte 
geschehen  können,  halte  ich  mich  nicht 
für  kompetent  zu  entscheiden,  aber  so 
viel  steht  fest,  dass  unsere  Methoden  der 
gerichtlichen  Prozessführung  in  derarti- 
gen Fällen  ernsthafter  Prüfung  bedürfen, 
um  zu  ermitteln,  ob  dieses  Rechtssystem 
in  der  Tat  heute  noch  dem  entspricht, 
was  wir  als  Bürger  zu  wollen  berechtigt 
und  verpflichtet  sind.  Ich  persönlich  bin 
der  Meinung,  und  hierin  stehe  ich  durch- 
aus nicht  vereinzelt,  dass  wir  heute  nicht 
mehr  von  diesen  Gesetzen  dasjenige  be- 
kommen, was  wir  haben  sollten  und  was 
wir  wollen ! 

Der  jetzige  Vortrag  soll  daher  als  ein 
Scherflein  dienen,  um  in  groben  Umris- 
sen darzulegen,  worin,  nach  meiner  Auf- 
fassung, die  Fehler  zu  suchen  sind,  und 
in  der  Hoffnung,  dass  soviele  Stimmen 
sich  der  meinen  anschliessen  werden, 
dass  schliesslich  eine  zufriedenstellende 
Aenderung  durch  den  Druck  öffentlicher 
Meinung  bezweckt  werden  wird.  Der 
Kernpunkt,  worin  meiner  Meinung  nach 
eine  Aenderung  einzutreten  hätte,  ist 
das  Sachverständigengutachten  vor  Ge- 
richt. 

Das  Ziel  jedes  Strafverfahrens  geht 
auf  die  Beantwortung  der  Frage,  ob  der 
Angeklagte  schuldig  ist.    Besteht  irgend 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


361 


ein  vernünftiger  Zweifel  an  der  Schuld, 
so  lautet  der  Spruch  auf  nichtschuldig. 
Durch  diesen  Spruch  der  Nichtschuld 
soll  nicht  ohne  weiteres  gesagt  werden, 
dass  der  Angeklagte  in  Wahrheit  nicht 
-  schuldig  ist,  sondern  unter  Umständen 
nur  soviel,  dass  er  der  Schuld  nicht  über  - 
führt ist.  Für  das  praktische  Leben  und 
besonders  für  das  Recht  ist  er  dann  dem 
Unschuldigen  gleich  zu  achten.  Dies 
verlangt  die  Gerechtigkeit  und  vor  allem 
die  Billigkeit  und  die  Menschlichkeit ; 
aber  wir  sehen,  dass  es  mit  dem  Wesen 
des  Strafprozesses,  auch  bei  seiner  ideal- 
sten Auffassung,  praktisch  sehr  wohl 
vereinbar  ist,  dass  jemand,  der  wirklich 
schuldig  ist,  wegen  mangelnder  Beweise 
freigesprochen  wird.  Insofern  ist  also 
die  Aufgabe  des  Strafprozesses  keines- 
wegs schlechthin  die  Feststellung  der 
Wahrheit.  Umgekehrt  soll  der  Spruch 
auf  Schuldig  nur  dann  ergehen,  wenn 
der  Angeklagte  in  Wahrheit  schuldig 
ist.  Irren  ist  menschlich,  aber  mit  aller 
Macht  sollte  angestrebt  werden,  dass  ein 
Schuldspruch  nur  den  wahrhaft  Schuldi- 
gen treffe.  Insofern  also  deckt  sich  die 
Aufgabe  des  Strafprozesses  schlechthin 
mit  der  Aufgabe,  die  Wahrheit  zu  ermit- 
teln. Da  man  aber  im  Voraus  nicht  wis- 
sen kann,  ob  ein  Prozess  mit  schuldig 
oder  nichtschuldig  endigen  wird,  so  muss 
in  jedem  einzelnen  Fall  von  Anfang  bis 
zu  Ende  als  oberstes  herrschen  das  Ge- 
bot :  Erforschung  der  Wahrheit ! 

Die  Wahrheit  zu  finden,  ist  Sache  der 
Geschworenen  ;  den  Weg  ihnen  zu  wei- 
sen, ist  Sache  des  Gerichts.  Aus  dem 
Wiederstreit  der  Anklage  und  der  Ver- 
teidigung soll  die  Wahrheit  entwickelt 
werden ;  die  Mittel  der  Erforschung  der 
Wahrheit  sind  die  Beweismittel :  Augen- 
schein, Zeugen  und  Sachverständige. 
Zeugen  und  Sachverständige  sollen  in 
gleicher  Weise  der  Ermittlung  der 
Wahrheit  dienen,  jene  durch  wahrhafte 
Aussage  über  das,  was  sie  gesehen,  ge- 
hört oder  sonst  wahrgenommen  haben, 
diese  durch  ihr  nach  bestem  Wissen  und 
Kennen  abzugebendes  Urteil ;  beide, 
gleichviel  sie  auch  nach  Genauigkeit  und 


Wahrheit  streben  mögen,  sind  dem  Irr- 
tum unterworfen,  beide  unterliegen  allen 
Einflüssen  menschlicher  Schwächen,  und 
die  Anforderungen,  die  jeder  Mensch  an 
sich  selbst  stellt,  die  Kritik  der  eigenen 
Pflicht  sind  derartig  verschieden,  dass  es 
hierfür  überhaupt  keinen  allgemeinen 
Massstab  geben  kann.  Es  wäre  ja  ein 
ausserordentlicher  Vorteil,  könnte  man 
die  Zeugen  nach  einem  gewissen  Mass, 
d.  h.  nach  Fähigkeit  oder  nach  Wahr- 
heitsliebe auswählen,  aber  dieses  kann 
gewöhnlich  nicht  geschehen,  und  wir 
müssen  sie  eben  nehmen,  wie  wir  sie  fin- 
den. Anders  steht  es  aber  mit  den  Sach- 
verständigen —  diese  kann  man  wählen  ; 
in  der  Tat  findet  auch  schon  heute  eine 
Auswahl  der  Sachverständigen  statt  — 
aber  in  ganz  anderer  Art,  als  ich  es  ge- 
schehen sehen  möchte.  Während  es 
schon  in  gewissem  Sinne  schief  ist,  von 
Zeugen  für  die  Anklage  und  von  Zeugen 
für  die  Verteidigung  zu  reden,  da  ja  alle 
Zeugen  ohne  Unterschied  Zeugen  der 
Wahrheit,  wie  immer  sie  auch  beschaffen 
sei,  sind  und  daher  unbeeinflusst  sein 
sollten,  ob  ihre  Aussage  einen  Einfluss 
nach  der  einen  Richtung  oder  nach  der 
anderen  auszuüben  vermag,  so  ist  es  mir 
immer  als  ein  Unding  erschienen,  von 
Sachverständigen  für  die  Anklage  und 
von  Sachverständigen  für  die  Verteidig- 
ung zu  sprechen. 

Der  Sachverständige  ist  gewissermas- 
sen  Gehilfe  des  Gerichts  oder  der  Ge- 
schworenen. Gewiss,  der  Zeuge  ist  es 
auch  oder  soll  es  sein ;  aber  der  Sach- 
verständige ist  es  in  besonderem  Sinne. 

Wo  es  sich  um  die  Beurteilung  von 
Dingen  handelt,  wofür  die  Fähigkeiten 
der  Urteilsfinder  nicht  ausreichen,  weil 
ihnen  die  dazu  nötigen  Spezialkenntnisse 
fehlen,  bedarf  es  der  Sachverständigen ; 
für  die  Beurteilung  aller  anderen  Din- 
gen hingegen  werden  die  Geschworenen 
ohne  fremde  Hilfe  sich  zurechtfinden 
und  ohne  Hilfe  des  Sachverständigen 
ihre  Aufgabe  lösen  können. 

Der  Sachverständige,  dessen  Tätigkeit 
ebenfalls  in  einem  Urteil  gipfelt,  soll  also 
so  nahe  als  möglich  an  das  Amt  eines 


3Ö2 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


Geschworenen  heranreichen  und  soweit 
als  möglich  von  der  Anklage  oder  Ver- 
teidigung sich  entfernen. 

Wenn  wir  nun,  wie  gesagt,  den  Sach- 
verständigen auswählen  können,  im  Ge- 
gensatz zu  den  allgemeinen  Zeugen,  die 
man  eben  nehmen  muss,  wie  sie  gerade 
sind,  mit  allen  ihren  Gebrechen  des 
Geistes  und  Charakters,  so  muss  man 
dies  umsomehr  tun,  als  es  das  Urteil  des 
Sachverständigen  ist,  das  für  den  Spruch 
der  Geschworenen  zuweilen  den  Aus- 
schlag gibt,  oft  aber  wenigstens  eine 
materielle  Grundlage  bildet. 

Ganz  besonders  trifft  dieses  zu,  wenn 
in  einem  Strafverfahren  es  sich  um  die 
angebliche  Geistesstörung  des  Angeklag- 
ten handelt ;  hier  handelt  es  sich  weit 
mehr  als  anderswo  um  eine  Ansicht,  um 
ein  Dafürhalten,  dessen  Wert  doch  zum 
grössten  Teil  abhängig  sein  muss  von 
den  Eigenschaften  des  Begutachters. 

Es  ist  wahr,  auch  schon  heute  findet 
eine  Auswahl  der  Sachverständigen 
statt,  und  zwar  derart,  dass  die  Anklage 
und  die  Verteidigung  eine  direkte  Wett- 
eiferung eingehen,  um  die  ihnen  pas- 
sendsten Irrenärzte  zu  nehmen  und  ihre 
Gutachten  für  sich  zu  sichern.  Selbst- 
verständlich gegen  Honorare,  die  oft 
nicht  klein  sind.  Gegen  diese  Honorar- 
zahlung an  sich  lässt  sich  nichts  einwen- 
den, denn  es  gebührt  dem  Arzte  sicher- 
lich eine  materielle  Entschädigung  für 
seine  Zeit,  seine  Mühe  und  sein  Wissen. 
Jedoch  ist  es  naheliegend,  dass  die  Un- 
parteilichkeit des  Gutachtens  durchaus 
nicht  beeinträchtigt  würde,  wenn  die 
Honorarzahlung  seitens  der  Parteien, 
wegfiele. 

Mithin  hätten  wir  Sachverständige  für 
die  Anklage  einerseits  und  Sachver- 
ständige für  die  Verteidigung  anderer- 
seits. Dieses  Recht,  beliebig  viele  Sach- 
verständige anzunehmen  und  zu  honorie- 
ren, soll  meines  Erachtens,  allerdings  mit 
gewissen  Vorbehalt,  auch  künftig  unbe- 
nommen bleiben.  Jedoch  kann  ich  hier- 
mit allein  mich  nicht  für  befriedigt  er- 
klären.   Denn    es   geschieht   hier  des 


Guten  einerseits  zu  viel,  andererseits  zu 
wenig. 

Weniger  Sachverständige  würden  es 
in  vielen  Fällen  auch  tun.  Die  Urteils- 
finder werden  durch  die  Masse  des  Ge- 
botenen, durch  die  Ueberfülle  derer,  die 
ihnen  den  Weg  ,,zur  Erkenntnis  der 
Wahrheit"  weisen,  erdrückt,  und  aus 
Verzweifelung  verwerfen  sie  die  ganze 
Expertise  und  verlassen  sich  auf  ihre 
eigene  Art,  die  Menschen  und  Dinge  zu 
beurteilen. 

Andererseits,  sage  ich,  bietet  der  be- 
stehende Zustand  des  Guten  zu  wenig. 
Die  Auswahl  ist  mir  für  die  Zwecke  des 
Strafverfahrens,  die  Ermittlung  der 
Wahrheit,  in  gewisser  Hinsicht  nicht 
streng  genug.  Der  Wettbewerb  der  Par- 
teien um  die  Sicherung  der  Sachverstän- 
digen verbürgt  allerdings  das,  dass  die 
„berühmtesten"  Spezialisten  in  dem  Pro- 
zess  als  personae  dramatis  auf  der  Szene 
erscheinen ;  aber  er  verbürgt  keineswegs, 
dass  auch  die  tüchtigsten  zu  dieser  Aus- 
zeichnung gelangen  ;  und  wenn  ich  hier 
von  Tüchtigkeit  spreche,  so  beziehe  ich 
mich  nicht  nur  auf  wissenschaftliche 
Ausbildung,  sondern  auch  auf  jene  Cha- 
rakterstärke, die  es  dem  Besitzer  ermög- 
licht, furchtlos  und  durch  irgend  welche 
Lockungen  des  Ehrgeizes  unbeirrt  seinen 
geraden  Weg  zu  verfolgen. 

Man  täusche  sich  darüber  nicht,  be- 
sonders in  der  Grossstadt  hängt  die  Be- 
rühmtheit eines  Spezialisten  nur  zu  oft 
mit  zufälligen,  vom  inneren  Wert  unab- 
hängigen Aeusserlichkeiten  zusammen, 
und  beruht  auf  Verhältnissen  der  soge- 
nannten Gesellschaft,  die  ihrerseits  über- 
wiegend auf  einem  Geldboden  aufgebaut 
ist. 

Was  soll  nun  unter  solchen  Verhält- 
nissen erwartet  werden,  wenn  der  Ange- 
klagte arm  ist?  Werden  sich  dann  auch 
für  ihn  die  Berühmtheiten  finden?  Und 
doch  sollten  auf  dem  Gebiete  der  Justiz 
die  Chancen  der  Parteien  nicht  vom  Geld 
abhängen,  und  gewiss  unter  allen  Um- 
ständen auf  dem  Gebiete  der  Straf] ustiz 
die  Chancen  der  Verteidigung  durch  die 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


3°3 


Armut  des  Angeklagten  nicht  beein- 
trächtigt sein. 

Diese  Ursache  allein  sollte  zur  Genüge 
erklären,  weshalb  die  höchsten  medizini- 
schen Autoritäten  ein  Aufgeben  der 
jetzigen  freiwilligen  Experten  verlangen. 
Wir  sollten  als  ständige  Einrichtung  Ge- 
richtsärzte haben.  Ich  denke  sie  mir 
etwa  folgendermassen  —  indem  ich  vor- 
ausschicke, dass  sich  das  Institut  der  Ge- 
richtsärzte, das  ich  hier  für  psychopatho- 
logische  Zwecke  bespreche,  ebenso  auch 
für  alle  anderen  Zweige  der  gerichtlichen 
Medizin  entsprechend  ausgestalten  lässt. 

Es  sind  öffentliche  Beamte,  nicht  etwa 
Stadt-  oder  Bezirks-  sondern  Staatsbe- 
amte, sodass  sie  möglichst  unabhängig 
von  lokalen  Einflüssen  seien. 

Für  die  Ernennung  zum  Gerichtsarzt 
ist  ausschlaggebend  lediglich  die  Tüch- 
tigkeit für  den  besonderen  Beruf.  Unter 
keinen  Umständen  dürfen  politische 
Rücksichten  irgend  welcher  Art  mitspie- 
len. Durch  Gesetz  mag  diese  Ausschal- 
tung politischer  Momente  als  unerläss- 
lich  aufgestellt  werden.  Das  Wichtigste 
aber  ist,  dass  man  es  dann  auch  ehrlich 
ausführe.  Wir  müssen  uns  eben  dazu 
aufschwingen,  einzusehen,  dass  es  ge- 
wisse Dinge  gibt,  die  so  hoch  stehen, 
dass  sie  von  der  ,, Politik"  unerreichbar 
sein  sollten,  und  hierzu  in  erster  Einie 
würde  gehören  die  Auswahl  der  Aerzte, 
die  so  häufig  berufen  werden,  durch  ihr 
Gutachten  einen  schwerwiegenden  Ein- 
fluss  auf  die  Ehre  und  das  Leben  ihrer 
Mitbürger  auszuüben. 

Diese  Auswahl  soll  nicht  etwa  aus  den 
Reihen  der  Aerzte  schlechtweg  erfolgen, 
sondern  sollen  gewisse  besondere  Eigen- 
schaften gesetzlich  gefordert  werden. 
Erstens  sollte  eine  gewisse  Altersgrenze, 
vor  welcher  die  notwendige  Lebens-  und 
Berufserfahrung  kaum  denkbar  ist,  er- 
forderlich sein ;  dann  sollte  auch  eine 
Spezialvor-  und  Ausbildung  verlangt 
werden.  Diese  Ausbildung  zum  Berufe 
des  Gerichtsarztes  muss  auf  der  Uni- 
versität mit  dem  Studium  der  gerichtli- 
chen Medizin,  insbesondere  auch  der  ge- 
richtlichen Psychopathologie  anfangen; 


hierauf  sollten  klinische  psychiatrische 
Arbeiten  an  einer  psychiatrischen  Uni- 
versitätsklinik oder  Staatsirrenanstalt 
folgen,  und  schliesslich  als  Beweis  der 
angeeigneten  Fähigkeiten  eine  Spezial- 
prüfung  vor  der  Staatsbehörde  abgelegt 
werden.  Die  Erteilung  eines  Spezialti- 
tels,  d.  h.  die  Ernennung  zum  „Gerichts- 
arzt" durch  diese  Staatsbehörde,  würde 
unsere  Colleges  dazu  zwingen,  den  not- 
wendigen Unterricht  in  ihren  Studien- 
plan einzuführen. 

Diese  Bestellung  als  Gerichtsarzt 
würde  dann  nach  Bestehen  des  gerichts- 
ärztlichen Examens  vom  Staate  gemacht 
werden,  und  zwar  auf  Lebenszeit.  Der 
Gerichtsarzt  ist  auf  Auffordern  ver- 
pflichtet, schriftlich  und  in  der  Verhand- 
lung vor  den  Geschworenen  mündlich 
ein  Gutachten  zu  erstatten,  jedoch  nur 
auf  Anforderung  des  Gerichts.  Für  die 
Abfassung  des  Gutachtens  darf  der 
Sachverständige  von  Niemandem  In- 
struktionen annehmen  und  Niemand  darf 
ihm  solche  geben ;  er  ist  nur  seinem  Ge- 
wissen verantwortlich.  Nicht  gehindert 
ist  er,  auch  auf  privates  Ansuchen  tätig 
zu  sein,  aber  für  gerichtliche  Zwecke  soll 
er  Gutachten  nur  im  Auftrage  des  Ge- 
richts abgeben.  Der  Gerichtsarzt  soll 
also  ebenso  wenig  ein  Organ  sein,  dessen 
sich  die  Verteidigung  nach  Belieben  be- 
dienen kann,  wie  eine  Kreatur  des  Staats- 
anwaltes. Dies  ist  der  einzige  Weg,  seine 
absolute  Unparteilichkeit  und  das  ihm 
gebührende  Ansehen  zu  wahren.  Für 
jede  Tätigkeit,  die  der  Gerichtsarzt  auf 
gerichtliche  Aufforderung  leistet,  erhält 
er  bestimmte  Gebühren,  die  nach  der 
Schwierigkeit  des  einzelnen  Falles  oder 
des  Zeitaufwandes  berechnet  werden  sol- 
len. Ausserden^  steht  es  ihm  frei,  ein 
Lehramt  zu  bekleiden  und  die  ärztliche 
Praxis  gleich  jedem  anderen  Arzte  aus- 
zuüben. 

Auf  diese  oder  ähnliche  Weise  werden 
wir  einen  Stamm  von  Nerven-  und 
psychiatrischen  Experten  heranziehen, 
die  es  im  strengsten  Sinne  des  Wortes 
wirklich  sind. 

Die  Regulierung  und  Ueberwachung 


364 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


dieses  Institutes  der  Gerichtsärzte  würde 
meiner  Ansicht  nach  in  erster  Linie  dem 
Staate  zukommen.  Was  immer  die 
Oberaufsicht  sein  möge,  so  sollte  der 
überwachenden  Behörde  vom  Gesetz  ge- 
nügend Macht  verliehen  werden,  um 
ihrer  Tätigkeit  eine  lebenskräftige  zu 
machen. 

So  viel  über  die  Gerichtsärzte  als  sol- 
che. Aus  ihrer  Zahl  also  soll  das  Ge- 
richt die  Sachverständigen  auf  Antrag 
oder  aus  eigenem  Antriebe  im  einzelnen 
Falle  wählen  und  anstellen ;  nicht  ausge- 
schlossen ist  selbstverständlich,  dass  aus 
besonderen  Gründen  das  Gericht  irgend- 
welche andere  Aerzte  als  Sachverständige 
ernenne.  Erfahrene  und  fähige  Richter 
sind  in  jedem  Einzelfall  kompetent,  zu 
beurteilen,  ob  das  Gericht  zur  eigenen 
Auskunft  oder  zur  Aufklärung  der  Ge- 
schworenen der  Aussage  von  Experten 
bedarf,  und  ebenfalls  zu  bestimmen,  wer 
für  diese  Expertise  aufgefordert  werden 
soll. 

Dem  Sachverständigen  sollte  das  Ma- 
terial, das  irgendwie  für  ein  sachge- 
mässes  Gutachten  auch  nur  entfernt  von 
Wert  sein  kann,  vollständig  vorgelegt 
werden.  Nur  aus  der  Gesamtheit  des 
Falles  kann  er  sich  ein  Urteil  bilden.  Ge- 
rade in  Fragen  über  den  Geisteszustand 
eines  Menschen  können  Umstände,  die 
einem  Xichtmediziner  geringfügig  schei- 
nen, von  grösster  Bedeutung  sein.  Be- 
sonders bedauernswert  wäre  ein  sich 
Wehren  seitens  des  Staatsanwaltes  ge- 
gen die  Produzierung  von  Beweisma- 
terial, z.  B.  Erzählungen,  die  der  Ange- 
klagte Dritten  gegenüber  gemacht  hat, 
auch  da,  wo  er  das  Recht  sich  zu  wehren 
hat,  einfach  weil  er  vermutet  oder  fürch- 
tet, dass  dieser  Beweis  der  Anklage  scha- 
den könnte.  Es  ist  ja  wahr,  dass  An- 
klage und  Verteidigung  sich  gegenüber 
stehen,  und  dass  eine  jede  Partei  mit 
aller  Kraft  ihr  eigenes  Ziel  verfolgen  soll 
und  darf ;  aber  allzu  einseitig  darf  das 
jedenfalls  von  Seite  der  Anklagebehörde 
nicht  geschehen.  Denn  das  Ziel  der  An- 
klage soll  nicht  die  Verurteilung,  son- 


dern das  Erforschen  der  Wahrheit,  die 
Klärung  der  Schuldfrage  sein. 

Ich  bin  diher  der  Meinung,  dass  es 
Pflicht  des  öffentlichen  Anklägers  sein 
sollte,  alle  und  einzelne  Umstände,  die 
für  die  Frage  des  Geisteszustandes  eines 
Menschen  irgend  wie  in  Betracht  kom- 
men können,  ohne  Rücksicht  darauf,  ob 
sie  der  Anklage  oder  der  Verteidigung 
zu  dienen  scheinen,  ans  Licht  bringen 
zu  lassen  oder  selbst  ans  Licht  zu  ziehen. 
Lud  weiter,  es  soll  dem  Gericht  gestattet 
sein,  wenn  aus  einem  oder  dem  anderen 
Grunde  die  Parteien  nach  dieser  Rich- 
tung hin  versagen,  selbst  darauf  hinzu- 
wirken, dass  diejenigen  Umstände,  die 
anscheinend  unterdrückt  worden  sind, 
ans  Tageslicht  befördert  werden. 

Für  die  Beurteilung  des  Geisteszu- 
standes eines  Menschen  können  alle  seine 
Handlungen  und  Unterlassungen,  sein 
Benehmen,  seine  Lebensweise,  was  er  ge- 
sagt und  was  er  nicht  gesagt  hat,  von 
Belang  sein.  Der  Mensch  ist  eine  Ein- 
heit. Unsere  Beurteilung  des  einzelnen 
Menschen  wird  abhängen  von  seiner 
Entwicklung  bis  zum  Augenblicke  der 
Tat,  die  zur  Aburteilung  steht,  sein  Ich 
während  der  Tat  und  unmittelbar  nach 
der  Tat,  und  auch  von  seinem  Leben  im 
späteren  Verlauf  und  von  seinem  Be- 
nehmen während  der  Untersuchung. 
Denn  dies  alles  gehört  zu  ihm ;  alles  dient 
zur  Erkenntnis  seines  Wesens.  Die 
Tat  ist  ein  Erzeugnis  seines  Ichs.  Xach 
der  Tat  verliert  dieses  Ich  seine  Einheit 
nicht.  Der  Mensch  nach  der  Tat  ist 
kein  anderer  als  der  Mensch  vor  der  Tat. 
Der  Tat  eine  solche  Bedeutung  beizule- 
gen, dass  man  etwa  sagen  wollte :  Alles 
was  vor,  während  und  unmittelbar  nach 
der  Tat  von  ihm  gesagt,  getan  worden 
ist,  u.  s.  w.  soll  zum  Beweise  zugelassen 
werden,  alles  aber  was  nachher  geschah 
ist  nach  Möglichkeit  auszuschalten  — 
wäre  eine  willkürliche,  eine  unwissen- 
schaftliche und  eine  unmedizinische  Auf- 
fassung. 

Die  medizinische  Wissenschaft  kann 
in  einem  Gerichtssaal  keine  andere  sein, 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


365 


als  sie  es  im  Krankenzimmer  ist,  und  da- 
her muss  das  Gesetz  sich  den  Lehren  der 
Wissenschaft  anpassen.  Wenn  nun  der 
Angeklagte  sich  im  Gefängnis  mit  den 
Aerzten  mehrfach  unterhalten  hat,  so 
können  alle  diese  Unterhaltungen  von 
Belang  sein,  und  es  wäre  nicht  richtig 
z.  B.,  die  drei  ersten  Unterhaltungen  zur 
Evidenz  zuzulassen  und  die  folgenden 
nicht ;  man  wird  nun  einwenden :  der 
Angeklagte,  der  ja  weiss,  um  was  es  sich 
handelt,  verstellt  sich,  simuliert,  lügt, 
u.  s.  w.,  um  den  Beobachter  zu  seinen 
Gunsten  zu  beeinflussen  und  irrezufüh- 
ren. Das  mag  alles  so  sein,  aber  alles 
ohne  Ausnahme,  auch  die  Tatsache  der 
Simulation,  wenn  sie  wirklich  existiert, 
dient  eben  nur  zur  Erforschung  des  We- 
sens, des  Geisteszustandes  des  Angeklag- 
ten. 

Wissenschaftlich  ist  kein  Grund  vor- 
handen, warum  nicht  uneingeschränkt 
das  gesamte  Leben  des  Angeklagten  nach 
der  Tat  zur  Evidenz  zugelassen  werden 
sollte.  Wie  der  Arzt  dieses  zu  tun  hat, 
um  sich  ein  sachgemässes  Urteil  zu  bil- 
den, so  sollte  es  dem  Geschworenen  er- 
laubt sein,  zu  tun,  um  zu  einem  relevan- 
ten Wahrspruch  zu  gelangen.  Je  voll- 
ständiger das.  Bild  vom  Angeklagten  ist, 
das  den  Aerzten  vorgelegt  werden  kann, 
desto  besser  ist  es  für  die  Erfüllung  der 
Aufgabe,  und  die  Gerichtsverhandlungen 
sollten  also  derart  sein,  dass  dieses  Ziel 
so  weit  als  möglich  verwirklicht  wird. 
Der  Grundsatz  des  Parteibetriebes,  des 
Parteiprozesses  steht  nicht  so  hoch,  dass 
nicht  im  Interesse  der  Wahrheit  dem  Ge- 
richt selbst  die  Befugnis  eingeräumt 
werden  könnte,  selbst  einzugreifen. 

Wenn  nun  der  Sachverständige  eine 
möglichst  genaue  Kenntnis  des  ganzen 
Prozessmaterials  haben  sollte,  um  sein 
Gutachten  möglichst  sachgemäss  abgeben 
zu  können,  so  sollte  er  auch  dieses  Gut- 
achten als  ein  Ganzes  abgeben  dürfen. 
Das  Gutachten  ist  eine  wissenschaftliche 
Leistung,  ein  Urteil  beruhend  auf  so  und 
so  vielen  Schlüssen  und  so  und  so  vielen 
Umständen  und  Einzelheiten  aller  Art. 
Die  grössten  wissenschaftlichen  Anfor- 


derungen dürfen  an  den  Gutachter  ge- 
stellt werden,  aber  es  dürfen  ihm  auch 
keine  Hindernisse  bei  dem  Hervorbrin- 
gen seiner  Arbeit  in  den  Weg  gelegt  wer- 
den. Vor  allem  verlange  ich,  dass  ihm 
gestattet  wird,  sein  Gutachten  ruhig  und 
in  Zusammenhang  vorzutragen.  Jeder 
Gelehrte  oder  Künstler  oder  Techniker, 
auf  welchem  Gebiet  es  auch  sei,  würde, 
wenn  man  über  irgend  eine  verwickelte 
oder  schwierige  Sache  seine  Ansicht 
hören  wollte,  es  als  selbstverständlich  be- 
trachten, dass  ihm  erlaubt  sei,  seine  Mei- 
nung nach  seiner  Art  darzulegen,  so  wie 
er  es  am  besten  seinen  Zuhörern  klai 
machen  kann,  und  dass  man  ihm  unun- 
terbrochen Gehör  schenke,  oder  wenn 
man  ihm  diese  Rücksicht  nicht  erweisen 
wollte,  würde  er  die  ihm  zugedachte 
Ehre  höflichst  ablehnen.  Denn  dieses 
schuldet  er  der  Eigenart  und  Gründlich- 
keit der  Wissenschaft.  Warum  soll  denn 
der  Psychiater  nach  dieser  Hinsicht  in 
einem  Gerichtssaal  anders  behandelt  wer- 
den, als  jeder  andere  Gutachter  ausser- 
halb des  Gerichtssaales  ;  und  dass  er  so 
behandelt  wird,  kann  keiner  wiederlegen. 

Oefters  werden  von  ihm  wahre  Seil- 
tänzerkunststücke verlangt.  Keine  drei 
Worte  lässt  man  ihn  sprechen,  ohne 
dass  er  von  irgend  einer  Seite  unterbro- 
chen wird,  und  die  Fragen  werden  ihm 
alle  stückweise  vorgelegt.  Auf  diese 
Weise  kann  doch  nichts  vernünftiges 
herauskommen.  Wäre  es  nicht  eine  be- 
sondere Bürgerpflicht,  in  einem  Straf- 
prozess  mit  Gutachten  zu  dienen,  würde 
sich  wohl  kein  ernsthafter  Psychiater 
finden,  der  bereit  wäre,  ein  solches  „Hin- 
dernisrennen" mitzumachen.  Und  was 
kommt  schliesslich  im  praktischen  Er- 
folge dabei  heraus?  Der  Sachverständige 
sagt  schliesslich  alles,  was  er  sagen  will 
oder  sagen  darf,  blos  stückweise,  mit 
unendlichen  Unterbrechungen  und  Ab- 
schweifungen, und  öfters  unter  persön- 
lichen Erörterungen  unliebsamster  Art. 
Gewonnen  ist  also  lediglich  das,  dass  er 
seine  Sachen  nicht  auf  die  richtige  Weise 
vortragen  kann,  und  dass  die  Geschwore- 
nen die  grösste  Mühe  haben,  aus  diesem 


366 


New   Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


„alten  Eisen"  sich  etwas  brauchbares  zu- 
sammenzuschmieden. Auf  diese  Art 
kann  man  die  einfachste  Sache  auf  un- 
verantwortliche Weise  komplizieren.  An- 
statt der  Wahrheit  zu  dienen,  streuen 
wir  uns  und  anderen  Sand  in  den  Augen. 
Ich  kann  keinen  Grund  finden,  wes- 
halb der  Sachverständige,  nachdem  er 
beeidigt  worden  ist  und  seine  Persona- 
lien abgegeben  hat,  nicht  aufgefordert 
werden  soll,  seine  Meinung  über  den  Fall 
im  Zusammenhange  darzulegen.  Er  hat 
doch  der  ganzen  Verhandlung  vor  den 
Geschworenen  beigewohnt,  weiss  also 
ganz  genau,  um  was  es  sich  handelt ;  er 
kann  auch  deshalb  von  selbst,  ohne  äus- 
sere Hilfe  das  richtigste  Bild  entwerfen. 
Sind  besondere  Punkte  vorhanden,  deren 
Verständnis  man  von  einem  Nicht-Juri- 
sten nicht  verlangen  kann,  so  steht  nichts 
im  W ege,  ihn  hierüber  mit  ein  paar  Wor- 
ten aufzuklären.  Wir  wollen  die  Wahr- 
heit, wir  fragen  ihn  offen  und  ehrlich,  wir 
setzen  ihm  offen  und  ehrlich  die  beson- 
deren juristischen  Schwierigkeiten  aus- 
einander, und  so  kann  er  und  wird  er 
ebenso  offen  und  ehrlich  antworten. 

Nachdem  der  Sachverständige  seinen 
Vortrag  im  Zusammenhang  beendigt  hat, 
wird  es  wohl  für  die  Verteidigung,  für  die 
Anklage  und  vielleicht  auch  für  Gericht 
und  Geschworene,  von  ihrem  Stand- 
punkte aus,  noch  irgend  etwas  geben, 
was  der  Ergänzung,  der  Erklärung  oder 
Richtigstellung  bedarf.  Nun  soll  jeder 
die  Fragen  stellen,  die  er  beantwortet 
haben  möchte.  Was  für  Gericht  und  Ge- 
schworene selbstverständlich  ist,  gilt 
auch  hier  für  die  Anklage  und  für  die 
Verteidigung  —  dass  man  die  Fragen 
einfach  und  ehrlich,  lediglich  zum 
Zwecke  der  besseren  Erforschung  der 
Wahrheit  stelle  und  auf  Hintergedan- 
ken und  Nebenzwecke,  technische  Spitz- 
findigkeiten, um  den  Sachverständigen 
irrezuführen,  verzichte.  Man  soll  den 
Sachverständigen  nicht  dazu  benutzen 
wollen,  um  aus  schwarz  weiss,  aus 
der  schlechtesten  Seite  die  bessere  und 
umgekehrt  zu  machen.  Fragen  über 
-  Geisteskrankheiten,  besonders  wenn  es 


sich  um  Grenzgebietszustände  handelt, 
sind  an  sich  schon  schwierig  genug;  es  ist 
durchaus  unnötig,  dass  sie  noch  weiter 
künstlich  verwirrt  und  verdunkelt  wer- 
den. 

Insbesondere  glaube  ich,  dass  die 
hypothetische  Form  der  Fragen  im  all- 
gemeinen unnötig  ist.  Aus  einem  richti- 
gen Gutachten  geht  klar  hervor,  auf 
welche  behauptete  Tatsachen  oder  Um- 
stände es  aufgebaut  ist.  Die  Feststellung 
der  Tatsachen  oder  Umstände  ist  Sache 
der  Geschworenen  und  ist  eine  Folger- 
ung ihres  Wahrspruches.  Das  Sachver- 
ständigengutachten geht  dem  Wahr- 
spruch, der  Feststellung  der  Tatsachen 
voraus.  Insofern  ist  das  Gutachten 
selbstverständlich  nur  hypothetisch.  Wo 
ein  Missverständnis  möglich  wäre,  mag 
der  hypothetische  Charakter  auch  in  der 
Sprachform  des  Gutachtens  zum  Aus- 
druck kommen;  aber  das  ganze  Gutach- 
ten direkt  an  eine  hypothetische  Frage 
zu  knüpfen,  trägt  durchaus  nicht  zur 
Klärung  bei.  Keineswegs  sollte  che 
Frage  eine  monströse  Form  einnehmen. 

Nun  komme  ich  auf  einen  weiteren 
Punkt  des  Gutachtens.  Es  soll  nicht 
blos  im  Zusammenhang  gegeben  werden, 
sondern  auch  in  gemeinverständlicher 
Sprache.  Technische  Ausdrücke,  wie  sie 
im  professionellen  Verkehr  unter  Aerz- 
ten  gebräuchlich,  aber  für  einen  Nicht- 
mediziner  unverständlich  sind,  soll  der 
Psychiater  im  Gerichtssaal  vermeiden. 
Er  soll,  was  er  zu  sagen  hat,  soweit  als 
möglich  in  einfache  Sprache  kleiden,  und 
wo  dies  nicht  möglich  ist,  soll  er  die  Aus- 
drücke unaufgefordert  erklären. 

Je  höher  der  Psychiater  im  Fach  und 
Allgemeinbildung  steht,  um  so  leichter 
wird  es  ihm  sein,  in  einfacher  Sprache 
seine  Gedanken  zu  entwickeln,  sodass 
ein  jeder  mit  einem  gewissen  Mass  von 
Kenntnissen  und  Inteligenz  ihm  fo'gen 
und  ihn  verstehen  kann.  Einen  ganz  ei- 
gentümlichen Eindruck  macht  es  ge- 
wiss, wenn  ohne  Grund  schwierige 
griechische  Ausdrücke  benutzt  werden, 
worüber  sich  dann  Fragen  und  Antwor- 
ten entspinnen,  wie  in  einer  Schulstube. 


New   Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


367 


Eben  wieder  ein  neues  Mitttel  zur  Ab- 
lenkung, zur  Verwirrung!  Scbeinbar 
eins  zur  Aufklärung. 

Zu  einem  richtigen  Gutachten  gehört 
ferner,  dass  sich  der  Sachverständige  auf 
solche  psvchopathologische  Ausführun- 
gen, wie  sie  sie  der  in  Verhandlung  steh- 
ende Fall  erfordert,  beschränkt,  und 
hierbei  das  wesentliche  scharf  hervor- 
treten lässt.  Jedoch  wie  oft  erleben  wir, 
dass  ein  Sachverständiger  beinahe  das 
ganze  Gebiet  der  Geisteskranken  durch- 
nimmt und  alle  möglichen  und  unmög- 
lichen bezüglichen  Krankheiten  als  Be- 
lege heranzieht.  Das  darf  nicht  sein. 
Und  eben  dies  wird  vermieden,  wenn  ge- 
mäss der  oben  gestellten  Forderungen 
der  psychiatrische  Sachverständige  wirk- 
lich als  Mann  der  Wissenschaft  behan- 
delt wird  und  ihm  erlaubt  sei,  seine  Auf- 
gabe zusammenhängend  und  ohne  Unter- 
brechung zu  lösen.  Dann  kann  er  und 
wird  er  von  selbst  sich  an  die  Sache 
halten  und  sich  bemühen,  die  Geschwore- 
nen in  einfacher,  ungekünstelter  Weise 
zu  belehren,  anstatt  sie  durch  sophisti- 
sches Feuerwerk  zu  blenden. 

Das  Ideale  im  Sachverständigen-Gut- 
achten wäre  noch  annäherender  erreicht, 
wenn  man  den  Experten  in  einem  mög- 
lichst frühem  Stadium  des  Prozesses  ei- 
nen möglichst  genauen  Einblick  in  die 
Gesamtheit  und  Einzelnheiten  des  Falles 
gewährt ;  d.  h.  dass  er  nicht  erst  in  der 
Hauptverhandlung  oder  kurz  vorher 
herangezogen  wird.  Die  Verhandlung 
vor  den  Geschworenen  ist  gewiss  die 
Hauptsache,  aber  kein  Advokat,  ob  für 
die  Anklage  oder  für  die  Verteidigung, 
und  kein  Gericht  würde  damit  zufrieden 
sein,  erst  bei  Beginn  der  Verhandlung 
vor  den  Geschworenen  sich  mit  dem  Fall 
zu  befassen.  Je  früher  der  Sachver- 
ständige an  einen  Fall  herantritt,  umso 
tiefer  wird  sein  Verständnis  dafür  sein, 
und  je  eher  wird  er  seiner  Aufgabe 
wirklich  gewachsen.  Deshalb  sollte  in 
jedem  Fall,  wo  es  sich  um  vermutete 
Geisteskrankheit  handelt,  der  Experte 
von  Anfang  an  in  Tätigkeit  treten.  Die 
Zeit,  die  er  dem  Vorstudium  der  Akten 


widmet,  die  Mühe,  die  er  sich  in  der 
Zelle  des  Angeklagten  unterzieht,  wer- 
den von  so  grossem  Nutzen  sein,  dass 
wenn  er  so  ausgerüstet  der  Hauptver- 
handlung beiwohnt,  er  in  kurzem  Vor- 
trag das  höchste  leisten  wird,  was  man 
überhaupt  von  einem  ärztlichen  Sach- 
verständigen erwarten  kann.  In  allen 
Fällen,  wo  Geisteskrankheit  des  Ange- 
klagten nicht  nur  zur  Zeit  des  Vorfalles 
selbst,  sondern  gerade  auch  zur  Zeit  der 
Begehung  der  Tat  in  Frage  kommt, 
wäre  es  von  grosser  Bedeutung,  ihn  nicht 
nur  zur  Untersuchung  einer  Kommis- 
sion zu  unterweisen,  sondern  ihn  im  In- 
teresse der  persönlichen  Freiheit  und  der 
Beschleunigung  des  Verfahrens,  auf  be- 
schränkte Zeit  zur  Beobachtung  in  ein 
Irrenhaus  einzuweisen.  In  glatten  Fäl- 
len ist  das  nicht  nötig,  in  zweifelhaften 
aber  von  unschätzbarem  Wert.  Denn 
das  wissenschaftlich  ausgerüstete  und 
ärztlich  geleitete  Irrenhaus  ist  der  ein- 
zig richtige  Platz  für  eine  derartige 
Beobachtung.  Dass  hierfür  nur  eine 
Staatsanstalt  in  Frage  kommt,  geht  aus 
der  Natur  des  Verfahrens  hervor.  Die 
Dauer  der  Internierung  wäre  vom  Ge- 
richt zu  bestimmen,  jedoch  sollte  vom 
Gesetz  ein  Höchstmass  bestimmt  werden, 
über  welches  der  Richter  nicht  hinaus 
gehen  dürfte.  Meiner  Meinung  nach 
sollten  etwa  sechs  Wochen  auch  für  die 
schwierigsten  Fälle  genügen.  Ja  es  ist 
für  mich  sogar  eine  Frage,  ob  diese 
Ueberweisung  nicht  auch  schon  vor  dem 
Spruch  der  Grossgeschworenen  (Tndict- 
ment  by  the  Grand  Jury),  also  ehe  die 
förmliche  Anklage  erfolgt  ist,  zulässig 
sein  sollte. 

Die  Ergebnisse  der  Beobachtung  wür- 
den zuweilen  derartig  sein,  dass  die 
„Grand  Jury"  von  einem  „Indictment" 
Abstand  nehmen  würde.  Dann  könnte 
dem  Patienten  die  geistige  Folter  der 
Verhandlung  vor  den  Geschworenen  er- 
spart, seine  Behandlung  frühzeitiger  be- 
gonnen, seine  bürgerliche  Existenz  eher 
geschont,  seine  Familie  vor  unsäglichem 
Leid  bewahrt  und,  „last  but  not  least", 
auch  die  Masse  der  sensationslüsternen 


368 


New    Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


Glieder  der  Gesellschaft  um  ein  Opfer 
ihrer  unedlen  Neugier  betrogen  werden. 

Ich  habe  schon  gesagt,  was  mir  ei- 
gentlich als  selbstverständliche  Wahr- 
heit erscheint,  dass  eine  Ueberfülle  von 
Sachverständigen  der  Sache  schädlich 
sei.  Von  dem  Augenblicke  an,  in  dem  das 
Volk  zu  den  Sachverständigen  und  zu 
der  Art  ihrer  Tätigkeit  in  Strafverfah- 
ren wirkliches  Vertrauen  gefasst  hat 
und  sich  gewohnt  haben  wird,  in  den 
Sachverständigen  einen  Führer  zut 
Wahrheit  zu  sehen,  dann  wird  auch  das 
Bestreben  der  Parteien,  möglichst  viele 
Sachverständige  zuzuziehen,  von  selbst 
aufhören.  Man  wird  mehr  Gewicht  auf 
die  Eigenschaften  der  Sachverständigen 
als  auf  die  Zahl  derselben  legen. 

Das  Gesetz  gibt  heute  schon  dem  Ge- 
richte die  Möglichkeit,  überflüssige  Be- 
weismittel zurückzuweisen.  Wenn  das 
Expertenwesen  so,  wie  ich  es  dargestellt 
habe,  eingeführt  und  gehandhabt  werden 
wird,  wird  der  Richter  noch  weniger  als 
heute  zu  fürchten  haben,  dass  wegen  ei- 
ner Zurückweisung  überflüssiger  Sach- 
verständiger das  Verfahren  erfolgreich 
angefochten  werden  könnte.  Und  was 
ich  hier  über  Zurückweisung  überflüssi- 
ger Sachverständiger  gesagt  habe,  gilt 
auch  für  die  Zurückweisung  überflüssi- 
ger Fragen  an  die  Sachverständigen. 
Wenn  der  Sachverständige  sein  Gutach- 
ten zusammenhängend  und  erschöpfend 
gegeben  und  es  durch  Antworten  auf 
die  Fragen  der  Parteien,  des  Richters 
und  der  Geschworenen  ergänzt  hat, 
kann  er  mit  klarem  Gewissen  ablehnen, 
sich  auf  eine  Beantwortung  weiterer 
Fragen  einzulassen ;  der  Richter  wird 
ihn  sicherlich  hierin  unterstützen,  damit 
die  V erhandlung  nicht  in  eine  Farce  aus- 
arte. Aber  wie  gesagt,  ich  bin  der 
festen  Ueberzeugung,  dass  es  keiner  Par- 
tei, die  etwas  auf  sich  hält,  mehr  ein- 
fallen wird,  ein  Gutachten,  welches 
allen  Umständen  des  Falles  gerecht 
geworden  ist,  durch  unnötige  Fragereien 
entstellen  zu  wollen.  Fern  sei  es  mir, 
das  Fragerecht  und  die  Fragepflicht  der 
Parteien    unziemlich    einschränken  zu 


wollen ;  ich  wünsche  nur,  dass  der  Miss- 
brauch entschieden  bekämpft  werde,  be- 
kämpft nicht  nur  vom  Gericht,  in  jedem 
gegebenen  Falle,  sondern  auch  grund- 
sätzlich durch  die  Meinung  des  Volkes. 
Es  geht  vor  allem  auch  aus  dem  Gesetz 
klar  hervor,  dass  die  Zurückweisung  von 
wirklich  unwesentlichen  Fragen  keines- 
wegs als  Anfechtungsgrund  des  Ver- 
fahrens in  Betracht  kommt.  In  dieser 
Hinsicht  bedarf  es  der  Aenderung  des 
bestehenden  Rechtes  in  keiner  Weise. 
Es  handelt  sich  nur  um  die  Handhabung 
des  Rechtes. 

Dagegen  würde  ich  auf  folgende  Neu- 
erung Wert  legen.  In  jedem  Stadium 
des  Strafverfahrens  soll  das  Gericht,  auf 
Antrag  oder  aus  eigenem  Antrieb,  einen 
oder  mehrere  Sachverständige  ernennen 
dürfen.  In  diesem  Falle  wird  die  An- 
klagebehörde, wenn  sie  ihre  Aufgabe 
eben  in  der  Erforschung  der  Wahrheit 
erblickt,  verhältnismässig  selten  sich  ver- 
anlasst sehen,  auch  ihrerseits  Sachver- 
ständige zu  berufen.  Auch  die  Ver- 
teidigung wird  sich  in  den  meisten  Fäl- 
len im  Vertrauen  auf  die  Person,  die. 
Tüchtigkeit  und  die  Zuverlässigkeit  der 
Sachverständigen,  mit  dem  vom  Gericht 
aufgestellten  einverstanden  sein,  da  sie 
ihre  Interessen  auf  diese  Weise  voll  ge- 
wahrt sieht.  Ich  verhehle  mir  nicht,  dass 
dieser  Vorschlag  anfangs  auf  starken 
Wiederspruch  stossen  wird.  Dieser 
Wiederspruch  ist  schon  durch  einen 
Richter  vom  Staate  New  York  in  fol- 
genden Worten  zum  Ausdruck  gekom- 
men. „Dieser  Plan  der  offiziellen  Zeu- 
gen steht  allen  Auffassungen  amerikani- 
scher und  englischer  Jurisprudenz 
schroff  gegenüber.  Es  wäre  eine  Ab- 
zweigung nach  einer  anderen  Richtung, 
die  dem  Geiste  unserer  freien  Institu- 
tionen vollständig  fremd  ist.  Es  mag 
sich  hier  um  eine  Verbesserung  handeln, 
aber  es  handelt  sich  auch  um  eine  radi- 
kale Aenderung  und  dieses  sollte  in  Be- 
tracht gezogen  werden,  ehe  wir  uns  über 
die  Lösung  des  Problems  einigen  kön- 
nen". 

Aber  der  Vorschlag  soll  eben  dazu 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


369 


dienen,  die  Sachverständigen  in  jeder 
Hinsicht  über  die  Parteien  zu  heben.  Er 
hängt  innig  zusammen  mit  der  hohen 
Auffassung,  die  wir  alle  von  den  Pflich- 
ten des  Sachverständigen  haben  und  die 
wir  ins  praktische  Leben  eingeführt  und 
verwirklicht  sehen  möchten,  selbst  auch 
dann,  wenn  „die  Auffassungen  amerika- 
nischer und  englischer  Jurisprudenz" 
sich  dem  Fortschritte  der  Zeit  anpassen 
müssen. 

Sobald  die  Sachverständigen  an  sich 
selbst  so  hohe  Anforderungen  stellen, 
und  das  Volk  sich  gewöhnt  hat  in  Sach- 
verständigen wirklich  den  wissenschaft- 
lichen Experten  anstatt  des  medizini- 
schen Anwaltes  für  Anklage  oder  Ver- 
teidigung zu  sehen,  wird  jener  Vorschlag 
den  Anschein  des  Bedenklichen  ver- 
lieren, und  dann  wird,  hoffe  ich,  die  Auf- 
stellung der  Experten  durch  das  Gericht 
die  Regel  werden.  Ein  nicht  gering  an- 
zuschlagender Vorteil  würde  sich  hier- 
bei ausserdem  ohne  weiteres  ergeben : 
auch  in  einem  Verfahren  gegen  wenig 
bemittelte  oder  die  allerärmsten  Men- 
schen würden  die  tüchtigsten  Sachver- 
ständigen mitwirken. 

Noch  möchte  ich  eine  Abänderung  un- 
seres bestehenden  Strafrechtes  befürwor- 
ten, weil  dieses,  wie  es  jetzt  besteht  auf 
unser  Sachverständigenwesen  in  schäd- 
licher Weise  rückwirkt.  Ich  meine  eine 
Aenderung  des  überkommenen,  heute 
noch  bei  uns  bestehenden  alten  engli- 
schen Rechtes,  die  einzelne  Staaten  der 
Union,  insbesondere  einzelne  New  Eng- 
land Staaten  längst  vollzogen  haben.  Ich 
denke  hkr  an  das  „right  and  wrong  test" 
der  Geisteskrankheit. 

Wie  bekannt,  verlangt  unser  Straf- 
recht zur  Unzurechnungsfähigkeit  des 
Angeklagten  eine  derartige  krankhafte 
Störung  der  Vernunft,  dass  der  Ange- 
klagte infolge  der  Störung  zur  Zeit  der 
Begehung  der  Tat  die  Natur  und  Ei- 
genschaft der  Tat  nicht  kannte  oder 
nicht  wusste,  dass  die  Tat  Unrecht  war. 
Hiernach  reichen  alle  anderen  Zustände 
geistiger  Störung  zur  Unzurechnungs- 
fähigkeit nicht  hin.    Dies  ist  aber  ein- 


seitig und  wird  den  Erfordernissen  der 
Wissenschaft,  den  Erfordernissen  der 
Medizin  in  keiner  Weise  gerecht.  Man 
wird  kaum  ein  Lehrbuch  der  Geistes- 
krankheiten rinden,  in  welchem  nicht  als 
eine  feststehende  und  klare  Tatsache  aus- 
gesprochen wäre,  dass  es  eine  Anzahl 
von  Geistesstörungen  gibt,  wo  der  Intel- 
lekt nicht  derartig  beeinflusst  ist,  dass 
der  Kranke  die  Natur  und  Eigenschaft 
seiner  Handlungen  nicht  kennt  oder 
nicht  wüsste,  was  Recht  und  Unrecht  ist, 
wo  er  aber  trotzdem  in  Kenntnis  der 
Natur  seiner  Handlung  oder  des  Un- 
rechtes der  Tat  — ■  wegen  krankhafter 
Veränderung  des  Willens  oder  des  Ge- 
mütes —  ausser  stände  ist,  seine  Hand- 
lungen den  Geboten  des  Intellektes  un- 
terzuordnen ;  mit  anderen  Worten,  dass 
nicht  die  Kenntnis  des  Wesens  der  Tat 
oder  des  Rechts  oder  Unrechts  —  in  Hin- 
sicht auf  die  konkrete  Tat  — ,  dass  nicht 
der  Intellekt  es  ist,  worauf  es  entscheid- 
end ankommt,  sondern  vielmehr  die 
Frage,  ob  der  Mensch  infolge  krank- 
hafter Störung  in  der  Freiheit  des  Wil- 
lens beeinträchtigt  war.  Die  meisten  Na- 
tionen haben  seit  langem  ihre  Strafge- 
setzgebung gemäss  diesen  Ergebnissen 
medizinischen  Wissens  abgeändert,  nur 
England  nicht  und  einzelne  Staaten  eng- 
lischen Rechtes.  Unser  New  Yorker 
Strafrecht  hat  in  dieser  Hinsicht  bis 
heute,  im  Gegensatz  zu  allen  wissen- 
schaftlichen Fortschritten,  an  diese  Be- 
sonderheit des  englischen  Rechtes  fest- 
gehalten — •  hat  also  heute  noch  veralte- 
tes englisches  Recht. 

Jeder  Kenner  der  Geisteskrankheiten 
weiss,  dass  dieser  Zustand  besteht.  Was 
folgt  nun  daraus  für  unser  Strafver- 
fahren ?  Wenn  der  Angeklagte  bei  Be- 
gehung der  Tat  im  Intellekt  derart  ge- 
stört war,  dass  er  die  Natur  seiner 
Handlung  oder  Recht  und  Unrecht  in 
Hinsicht  auf  die  Tat  nicht  zu  erkennen 
vermochte,  dann  natürlich  ergiebt  sich 
für  den  Sachverständigen  keine  Schwie- 
rigkeit. Er  gibt  einfach  sein  Gutachten 
dahin  ab,  dass  der  Angeklagte  infolge 
seiner  Krankheit  die  Natur  seiner  Hand- 


370 


New   Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


lung  oder  Recht  und  Unrecht  zu  unter- 
scheiden ausser  stände  war. 

Wie  aber  in  den  übrigen  Fällen,  in 
welchen  er  die  Natur  seiner  Handlungen 
zu  erkennen  und  Recht  und  Unrecht  zu 
unterscheiden  im  stände  ist,  aber  trotz- 
dem infolge  seiner  Krankheit  der  Wil- 
lensfreiheit beraubt,  gehindert  war,  ent- 
sprechend zu  handeln?  Hier  also  muss 
der  gewissenhafte  Sachverständige  sein 
Gutachten  dahin  abgeben,  dass  der  An- 
geklagte, der  unter  dem  Einflüsse  eines 
gestörten  Geistes  seiner  freien  Selbstbe- 
stimmung beraubt  war,  im  Sinne  des  Ge- 
setzes nicht  geisteskrank  war.  Für  den 
ehrlichen  Mann  der  Wissenschaft  eine 
Lage,  wie  man  sie  sich  nicht  verzweifel- 
ter denken  kann.  Da  mag  dann  für 
manchen  die  Versuchung  stark  sein,  mit- 
telst aller  möglichen  Ausführungen  und 
Abschweifungen  die  Gerechtigkeit  vor 
der  Härte  des  Gesetzes  zu  retten. 

Schliesslich  möchte  ich  noch  sagen, 
dass  meine  Ausführungen  über  das 
Sachverständigenwesen   in  Strafsachen 


keineswegs  ein  etwa  zweifelhaftes  oder 
gar  gefährliches  Experiment  in  unsere 
Rechtspflege  einzuführen  suchen.  Die 
Neuerungen,  deren  Einführung  ich  zu 
befürworten  mir  erlaubt  habe,  sind  im 
wesentlichen  die,  wie  sie  anderwärts,  s:j 
insbesonders  in  Deutschland,  längst 
schon  bestehen,  der  allgemeinen  Volks- 
überzeugung entsprechen  und  sich  be- 
währt haben.  In  unseren  Strafprozess 
lassen  sie  sich,  meine  ich,  organisch  ohne 
Schwierigkeiten  und  ohne  Gewalt  einver- 
leiben. Die  Befugnisse  des  Richters 
werden  allerdings  etwas  erweitert,  aber 
der  beherrschende  Grundsatz  unserer  Ge- 
richtshöfe, dass  der  Prozessbetrieb  den 
Parteien  zukommt,  während  nur  die 
Oberleitung  beim  Gericht  ruht,  würde 
nur  unwesentlich  beeinträchtigt  werden ; 
auch  kann  ich  nicht  einsehen,  dass  jenes 
,,noli  nie  tangere"  der  Advokaten,  das 
Wesen  des  Beweisrechtes  (law  of  evi- 
dence)  auf  irgend  eine  Weise  hierdurch 
beeinflusst  wird. 


Wie  lange  müssen  Patienten  post  laparotomiam  das  Bett  hüten  ?* 

Von  H.  J.  Boldt,  New  York. 


Meine  Herren !  Wenn  ich  für  eine 
krasse  Umwälzung  in  der  Nachbehand- 
lung von  laparotomierten  Patienten  das 
Wort  ergreife,  bin  ich  mir  wohl  bewusst, 
dass  ich  als  Lehrer  an  einer  medizini- 
schen Fakultät  eine  grössere  Verant- 
wortung damit  verbinde,  als  es  unter  an- 
deren Umständen  vielleicht  der  Fall  sein 
würde.  Es  ist  bekannt,  dass  neue  Leh- 
ren, die  vollständig  von  den  altherge- 
brachten abweichen,  nicht  unangefoch- 
ten bleiben,  und  dass  es  mitunter  lange 
Zeit  dauert,  bevor  sie  Wurzel  fassen  und 
als  richtig  anerkannt  werden.  Beispiele 
sind  dafür  massenhaft  vorhanden.  Als 
ich  mit  dieser,  bald  zu  schildernden  Um- 


*)  Vortrag,  gehalten  im  Deutschen  medizini- 
schen Verein  der  Stadt  New  York. 


wälzung  auf  meinen  Abteilungen  in  den 
Post  Graduate,  St.  Mark's  und  St.  Vin- 
cent's  Hospitälern  anfing,  schüttelte  man 
den  Kopf  und  sagte,  dass  ich  das  Todes- 
urteil für  die  betreffenden  Patientinnen 
durch  mein  verstandswidriges  Verfahren 
wohl  öfters  werde  unterzeichnen  müs- 
sen. Die  Probezeit,  das  Experimentie- 
ren ist  jedoch  für  mich  vorüber  und  zu 
Gunsten  der  radikalen  Umwälzung  aus- 
gefallen. Als  ich  zuerst  öffentlich  mit 
der  modifizierten  Nachbehandlung  vor 
der  Southern  Surgical  und  Gynecologi- 
cal  Society  im  Jahre  1904  auftrat,  konnte 
ich  allerdings  noch  nichts  Positives  be- 
richten, da  die  Anzahl  der  so  behandel- 
ten sich  nur  auf  etliche  fünfzig  Fälle  be- 
lief ;  es  hat  jedoch  den  Vorteil  gehabt, 
dass  sich  eine  nicht  unbedeutende  Anzahl 


New  Yorker  Medizin 


ische  Monatsschrift. 


3/1 


Kollegen  dazu  bequemte,  die  Modifika- 
tion in  einem  gewissen  Masse  zu  ver- 
suchen, und  die  Urteile  sind  ohne  Aus- 
nahme günstig.  Ich  beabsichtige  heute 
Abend  hauptsächlich  über  die  nötige 
Bettruhe  für  laparotomierte  Patienten  zu 
sprechen  ;  anderweitig  von  mir  gebräuch- 
liche Massnahmen  sind  an  anderer  Stelle 
veröffentlicht. 

Meine  Behauptung  geht  dahin,  dass  es 
für  die  Mehrzahl  laparotomierter  Patien- 
ten vorteilhafter  ist,  die  jetzt  übliche  Zeit 
der  Bettruhe  ganz  bedeutend  abzukür- 
zen. Es  ist  selbstverständlich,  dass  die 
Bauchdeckennaht  exakt  angelegt  werden 
muss,  und  zwar  die  übliche  Etagennaht. 
Der  Schnitt  sollte  genügend  lang  sein, 
um  den  pathologischen  Zustand,  den 
man  in  Angriff  nehmen  will,  genau  be- 
sichtigen zu  können.  Der  Tastsinn  al- 
lein, wie  es  T  a  i  t  lehrte,  der  kurze  In- 
zisionen  macht,  ist  nicht  verlässlich  ;  man 
kann  durch  eine  genügend  lange  Inzision 
viel  schonender  arbeiten  und  läuft  weni- 
ger Gefahr,  infolge  von  Trauma  durch 
eine  zu  kurze  Wunde  eine  Bauchdecken- 
eiterung zu  verursachen.  Die  Inzision 
sollte  seitlich  zur  Linea  alba  angelegt 
werden,  sodass  man  stumpf  durch  den 
Bauch  des  betreffenden  Musculus  rectus 
abdominis  eingehen  kann.  Bei  Vernäh- 
ung der  Fascie  sollte  diese  überlappt 
werden,  um  eine  breitere  Adhäsions- 
fläche  zu  erzielen  ;  die  Haut  wird  durch 
eine  subkutane  Naht  geschlossen.  Als 
Nähmaterial  wird  durchweg  Katgut  ge- 
braucht. Auf  die  Wunde  wird  ein 
schmaler,  steriler  Gazeverband  gelegt 
und  mit  zwei  schmalen,  kurzen  Heft- 
pflasterstreifen in  situ  gehalten,  um  die 
Verschiebung  der  Gaze  während  der  An- 
legung des  Schlussverbandes  zu  vermei- 
den. Zum  Sicherheits-  oder  Schlussver- 
band wird  eine  Skultetusbinde  verwen- 
det, die  aus  Zinkoxydpflaster  hergestellt 
wird,  und  zwar  werden  die  breiten  Rol- 
len, 31  Centimeter  breit  und  von  genü- 
gender Länge,  angewendet,  um  den  Leib 
so  zu  umspannen,  dass  das  ganze  Abdo- 
men doppelt  vom  Pflaster  bedeckt  wird. 
In  der  Mitte  der  unteren  Pflasterseite 


wird  ein  kleiner  Halbkreis  herausge- 
schnitten, der  den  Zweck  hat,  die  Verun- 
reinigung bei  Stuhlentleerung  zu  ver- 
meiden. Zinkoxydpflaster  verdient  den 
Vorzug,  weil  es  weniger  irritiert  als  an- 
deres Pflaster.  Die  Skultetusbinde  wird 
auf  dem  Fahrtisch  bereit  gehalten,  so- 
dass der  Patient,  nach  Beendigung  der 
Operation  und  Abtrocknung  des  Rück- 
ens, so  darauf  gelegt  wird,  dass  das 
Steissbein  über  den  ausgeschnittenen 
Halbkreis  zu  liegen  kommt.  Die  Pflas- 
terenden werden  nun  in  vier  gleiche 
Teile  eingeschnitten,  und  mit  dem  un- 
teren Ende  anfangend,  dieses  bis  zum 
Körper  des  Patienten  eingerissen  und 
dann  fest  über  den  Leib  angelegt ;  eben- 
so wird  mit  dem  entgegengesetzten  Ende 
verfahren,  bis  die  vier  Enden  befestigt 
sind.  Der  obere  Streifen  sollte  nie  zu 
fest  angezogen  werden,  besonders  wenn 
derselbe  bis  zum  Epigastrium  hinauf 
reicht. 

Bei  mageren  Patienten  werden  die 
Spinae  ilii  etwas  gepolstert.  Man  hat 
nun  auf  dem  ganzen  Leibe  einen  doppel- 
ten gut  sitzenden  Pflasterpanzer,  und  ein 
derartiger  V erband  gibt  absolute  Sicher- 
heit gegen  Aufplatzen  der  Wunde  durch 
intraabdominalen  Druck,  wie  das  ja 
doch  sonst  bei  heftigem  Erbrechen  oder 
Husten  vorkommen  könnte.  Der  Ver- 
band kann  solange  liegen  bleiben,  bis 
er  lose  wird,  was  bei  schwitzenden  Pa- 
tienten mitunter  schon  nach  Verlauf  von 
einer  W'oche  passiert ;  gewöhnlich  aber 
kann  er  drei  bis  vier  Wochen  liegen  blei- 
ben. Sollte  es  nötig  sein,  den  Verband 
vor  der  vierten  Woche  zu  entfernen, 
dann  bleibt  der  Körper  während  eines 
Tages  ohne  Pflasterverband,  und  in  die- 
ser Zeit  wird  der  Körper,  da  wo  der  Ver- 
band gewesen,  öfters  mit  Alkohol  abge- 
waschen und  gepudert ;  am  nächsten 
Tage  wird  ein  ähnlicher  Verband  ange- 
legt. Falls  Anzeichen  von  BauchdccK-n- 
eiterung  vorhanden  sind,  wird  der  Ver- 
band selbstverständlich  sofort  in  der 
Mitte,  über  der  Gaze  aufgeschnitten,  und 
sollte  sich  die  Vermutung  bestätigen, 
wird  die  Wunde  wie  gewöhnlich  behän- 


2,72 


New   Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


delt.  Zur  schnelleren  Heilung-  der  Ei- 
terung gebrauche  ich  mit  Vorliebe,  nach- 
dem die  Wunde  gereinigt  ist,  eine  kräf- 
tige Betupfung  mit  reiner  Karbolsäure, 
die  sofort  wieder  mit  reinem  Alkohol  ab- 
gewaschen wird.  So  lange  die  Eiterung 
anhält,  werden  die  Patienten  ruhig  ge- 
halten. Was  Nahrung  anbetrifft,  wird 
den  Patienten  nach  der  Operation  die- 
selbe Diät  erlaubt,  wie  sie  es  vor  der 
Operation  gewohnt  waren,  sobald  sie  die 
Folgen  der  Narkose  überstanden  haben, 
nota  bene,  wenn  keine  Kontraindika- 
tionen dafür  vorhanden  sind:  dieser  Usus 
besteht  für  mich  seit  dem  Jahre  1887. 
Die  Patienten  werden  aufgemuntert,  das 
Bett  sobald  als  möglich  nach  der  Opera- 
tion zu  verlassen. 

Die  Zeitdauer  der  vollständigen  Bett- 
ruhe kommt  ganz  auf  den  Zustand  der 
Patienten  an,  wie  lange  es  dauert,  ehe  sie 
sich  von  der  Narkose  erholt  haben  ;  ob 
sie  vor  dem  operativen  Eingriff  bett- 
lägerig waren ;  wie  die  Qualität  und  Zahl 
der  Pulsschläge  ist,  u.  s.  w.  Mitunter 
war  es  mir  möglich,  Patientinnen,  welche 
am  frühen  Morgen  wegen  nicht  kom- 
plizierter Ovarial-Geschwülste,  Myome 
etc.  operiert  wurden,  schon  am  spä- 
ten Nachmittag  desselben  Tages  in 
einem  bequemen  Stuhl  sitzen  zu  las- 
sen. Während  der  ersten  Tage  muss 
man  ihnen  dabei  behülflich  sein,  aus  dem 
Bett  zu  kommen.  Die  Durchschnitts- 
dauer der  absoluten  Bettruhe  braucht 
nicht  mehr  als  drei  Tage  in  Anspruch 
zu  nehmen.  Alle  Gründe,  welche  für  die 
lange  Bettruhe  gewöhnlich  angegeben 
werden,  sind  nicht  stichhaltig,  wenn  man 
sie  mit  den  Erfahrungen  vergleicht,  die 
bei  Patienten  gewonnen  werden,  denen 
es  erlaubt  wird,  früh  aufzustehen.  Si- 
cherlich ist  es  nicht  der  im  Becken  vor- 
genommene operative  Eingriff,  der  uns 
daran  hindern  sollte,  eine  Patientin  früh 
aufstehen  zu  lassen,  denn  seit  mehr  als 
fünfzehn  Jahren  erlaube  ich  Patientin- 
nen, an  denen  eine  vaginale  Totalextirpa- 
tion  gemacht  wurde,  schon  am  nächsten 
Tage  das  Bett  zu  verlassen,  wenn  ich  das 
Scheidengewölbe    abschliessen  konnte, 


oder  nur  einen  kleinen  Gazestreifen  im 
Zentrum  des  sonst  abgeschlossenen 
Scheidengewölbes  inserierte,  der  wäh- 
rend der  ersten  24  Stunden  als  Drainage 
dienen  sollte,  und  habe  ich  nicht  einen 
einzigen  Unfall  dadurch  zu  verzeichnen 
gehabt.  Nur  einen  stichhaltigen  Grund 
konnte  man  gegen  das  baldige  Aufstehen 
angeben,  nämlich  die  Gefahr,  dass  die 
Bauchdecken  nicht  genügend  fest  ver- 
wachsen, und  dass  später  eine  Hernie 
eintreten  könnte,  oder  gar,  dass  die 
Bauchwunde  aufplatzen  könnte;  diese 
Einwände  werden  jedoch  durch  den  von 
mir  beschriebenen  Verband  mit  Sicher- 
heit hinfällig.  Dass  Thrombosen  oder 
Embolien  dabei  mehr  zu  befürchten  sind 
(speziell  bei  Myomoperationen)  als 
wenn  man  die  Patientinnen  ruhig  im 
Bett  liegen  lässt,  bestreite  ich  auf  das 
entschiedenste.  Wir  wissen  aus  Erfah- 
rung, dass  solche  Unglücksfälle  auch  bei 
Bettruhe  vorkommen,  und  nach  einer 
Analyse  der  mir  zu  Gebote  stehenden 
Fälle  sogar  häufiger,  als  bei  der  von  mir 
befürworteten  Behandlungsmethode  (H. 
J.  B  o  1  d  t,  The  Management  of  Lapa- 
rotomy  Patients  and  Their  Modified 
After  Treatment,  New  York  Medical 
Journal,  Tanuary,  1907). 

Bei  mehr  als  1000  so  behandelten  Pa- 
tientinnen, von  denen  mehr  als  400  von 
mir  persönlich  so  behandelt  wurden,  sind 
nur  zwei  leichte  Venenentzündungen  be- 
obachtet worden  ;  der  eine  Fall  von  Dr. 
Ries  und  ein  Fall  in  meiner  Praxis. 
Im  R  i  e  s'schen  Fall  waren  jedoch 
Krampfadern  der  Beine  und  Arterio- 
sklerose bei  der  sechsundsechzigjähri- 
gen, an  Corpus-Carcinom  leidenden  Pa- 
tientin vorhanden.  ■  Mein  Fall  betraf 
eine  sechzehnjährige  Patientin,  bei  der 
ich  ein  Ovarialkystom  entfernt  hatte. 
Die  Patientin  war  schon  nach  14  Stun- 
den post  Operationen!  im  Lehnstuhl  und 
später  nach  Belieben  ausser  Bett.  Erst 
wenige  Tage,  nachdem  sie  in  die  Som- 
merfrische gegangen  und  sich  etwas 
stark  beim  Sport  angestrengt  hatte,  zeig- 
ten sich  die  Anzeichen  einer  ganz  leich- 
ten Entzündung  der  Vena  saphena  ex- 


New   Yorker  Medizin 


ische  Monatsschrift. 


373 


terna,  die  beinahe  zwei  Wochen  brauch- 
ten, ehe  sie  ganz  schwanden.    Sonst  ist 
unter  der  gesamten  Anzahl  so  behandel- 
ter Patientinnen  kein   einziges  Beispiel 
eines  unangenehmen  Unfalles  vorhanden, 
den  man  der   Behandlungsmethode  zur 
Last  legen  könnte.    Die  Herren  W  i  1 1- 
i  a  m  J.  und  Charles  H.  M  a  y  o  be- 
richteten mir,  dass  ihre  Patienten,  bei 
denen  sie  z.  B.  im  Intervall  wegen  Ap- 
pendizitis operiert  hatten, schon  innerhalb 
einer  Woche  aufstehen  konnten,  und  dass 
sie  das  Vorkommen  einer  Phlebitis  viel 
seltener  beobachteten,  als  früher,  da  sie 
noch  solche  Patienten  die  übliche  Zeit 
der  Bettruhe  pflegen  Hessen.    Einige  an- 
dere Kollegen  berichten  ebenfalls,  dass 
sie  ihre  Patienten,  an  denen  einfache  La- 
parotomien gemacht  wurden,  schon  ei- 
nige Tage  nach  der  Operation  aufstehen 
Hessen,  und  dadurch  der  allgemeine  Zu- 
stand der  Patienten  ein  besserer  gewor- 
den wäre.    Ich  glaube,  dass   man  die 
Vorteile  dieser  Behandlung  erst  bei  wirk- 
lich komplizierten  Laparotomien  würdi- 
gen wird,  z.  B.  bei  schwierigen  abdomi- 
nalen   Totalextirpationen.  Verhältnis- 
mässig selten  kommt  es  mir  jetzt  vor, 
dass  ich  meine  Patientinnen  länger  als 
drei  Tage  im  Bett  liegen  lasse,  gewöhn- 
lich   weniger,    ausser  wenn  besondere 
Komplikationen  bei  der  Operation  vor- 
kommen, wie  z.  B.  es  vor  kurzem  bei  der 
Totalextirpation  eines  grossen  retroperi- 
toneal  entwickelten  Myoms  geschah,  dass 
der  Ureter  durchschnitten  wurde,  und 
ich  denselben  in  die  Blase  einpflanzen 
musste.  und  folglich  es  für  angebracht 
hielt,  während  der  ersten  vier  Tage  ei- 
nen Dauerkatheter  liegen  zu  lassen  ;  aber 
auch  in  diesem  Fall  war  die  Patientin 
vom  fünften  Tage  an  ziemlich  viel  ausser 
Bett.    Nach  den  von  mir  gemachten  Be- 
obachtungen ist  auch  diese  Behandlung 
bei  operativen  Eingriffen,  die  am  Darm 
gemacht  werden,  angebracht.    Es  ist  für 
die  Patienten  viel  vorteilhafter,  dass  man 
sie  gleich  während  der  ersten  zwei  bis 
drei  Wochen  am  Tage  soviel  als  mög- 
lich ausser  Bett   und  nur  hin  und  wie- 
der in  oder  auf  dem  Bett  ruhen  lässt,  als 


dass  man  sie  zwei  bis  drei  Wochen  oder 
länger  still  im  Bett  hält  und  sie  erst 
dann  aufsitzen  zu  lassen  beginnt.  Nach 
den  gemachten  Beobachtungen  ist  die 
Mehrzahl  der  so  behandelten  Patientin- 
nen nach  Verlauf  von  vier  Wochen  nach 
der  Operation  in  solch  körperlichem  Zu- 
stande, dass  sie  ihre  gewohnte  Tätigkeit 
wieder  aufnehmen  konnten.  Bei  ein- 
fachen Laparotomien,  wie  z.  B.  bei  In- 
tervall-Appendizitiden,  nicht  komplizier- 
ten Ovarialcysten  u.  s.  w.  können  sie 
schon  meistens  ihren  Haushalt  nach  zwei 
Wochen  wieder  verwalten.  Besonders 
markant  ist  der  Vorteil  des  sehr  frühen 
Aufstehens  bei  solchen  Patienten,  an 
denen  eine  explorative  Laparotomie  we- 
gen einer  bösartigen  Neubildung  ge- 
macht wird,  und  man  dann  findet,  dass 
die  Erkrankung  schon  zu  weit  vorge- 
schritten ist,  um  eine  radikale  Entfern- 
ung vornehmen  zu  können.  Wenn  sol- 
che Patienten  im  Bett  gehalten  werden, 
kommt  es  doch  häufig  vor,  dass  sie  bett- 
lägerig bleiben  und  sich  überhaupt  nicht 
mehr  erholen ;  lässt  man  sie  dagegen  am 
nächsten  oder  dem  darauf  folgenden 
Tage  aufstehen,  so  werden  sie  infolge 
dieses  Eingriffs  nicht  mitgenommen,  und 
der  Krankheitsprozess  nimmt  seinen  ge- 
wöhnlichen Verlauf,  als  ob  sie  überhaupt 
keinen  operativen  Eingriff  zu  bestehen 
gehabt  hätten. 

Als  Beispiel  mag  folgender  Fali 
dienen.  Eine  neunundvierzigjährige 
kachektisch  aussehende  Person  mit 
so  stark  aufgetriebenem  Leibe,  dass 
verschiedene  Aerzte  die  Diagnose 
auf  ein  grosses  Ovarialkystom  stellten, 
wurde  auf  meine  Abteilung  im  St.  Vin- 
cent's  Hospital  aufgenommen.  Im  Becken 
befand  sich  eine  harte  Geschwulst,  auf 
deren  Oberfläche,  durch  das  hintere 
Scheidengewölbe  gefühlt,  verschiedene 
Knötchen  waren,  resp.  von  Hirschkorn- 
bis  zu  Erbsengrösse.  Der  Uterus  und 
seine  Anhänge  konnten  nicht  palpiert 
werden,  weil  zu  viel  Ascites  vorhanden 
war.  Die  Wahrscheinlichkeits-Diagnose 
lautete  auf  eine  im  Becken  sich  befin- 
dende    maligne     Neubildung,  jedoch 


374 


New   Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


konnte  das  Vorhandensein  einer  tuber- 
kulösen Peritonitis  nicht  mit  Bestimmt- 
heit ausgeschlossen  werden.  Am  3. 
Dezember  wurde  die  Probe-Laparato- 
mie  gemacht,  und  die  Krebsdia- 
gnose mit  Gewissheit  bestätigt.  Es  war 
bei  diesem  Befund  nicht  einmal  ratsam, 
den  Ausgang  der  Karzinomatose  ver- 
suchsweise festzustellen ;  es  wurde  ein 
dünnes  Zigarettendrain  (ein  mit  ganz 
dünnem  Gummistoff  (rubber  tissue) 
umwickelter,  dünner  Jodoformdocht) 
im  unteren  Wundwinkel  eingelegt,  um 
dem  Ascites  auf  einige  Tage  Abfluss  zu 
verschaffen.  Der  Bauch  wurde  wie 
üblich  vernäht,  und  die  geschilderte 
Binde  direkt  oberhalb  des  Drains  ange- 
legt. Am  nächsten  Tage  konnte  die  Pa- 
tientin zwar  wegen  häufigen  Erbrechens 
noch  nicht  aufstehen,  aber  am  darauf 
folgenden.  Am  dritten  Tage  lief  sie 
lange  Strecken  im  Korridor  der  Anstalt 
gut  umher,  was  sie  vor  der  Operation 
nicht  zu  tun  vermochte,  und  auch  das 
Aussehen  der  Frau  war  ein  besseres ; 
da  keine  Absonderung  stattfand, 
wurde  das  Drain  am  vierten  Tage  ent- 
fernt ;  am  fünften  Tage  verliess  sie  die 
Anstalt,  im  Glauben,  nach  ihrem  eigenen 
Befinden  zu  urteilen,  dass  sie  nun  auf 
dem  Wege  sei,  ihre  Gesundheit  wieder 
zu  erlangen.  Ihr  Hausarzt  berichtete 
mir,  dass  dieses  bessere  Befinden  noch 
zwei  Wrochen  anhielt. 

Ich  habe  gefunden,  dass  man  die 
modifizierte  Nachbehandlung  bei  etwa 
85  bis  90  Prozent  der  von  Gynä- 
kologen vorgenommenen  Laparoto- 
mien mit  Vorteil  anwenden  kann. 
Das  erste  Mal  sitzen  die  Patientinnen 
nicht  lange,  etwa  eine  halbe  bis  drei  vier- 
tel Stunde  Morgens  und  abermals  am 
Nachmittag,  aber  täglich  wird  die  Zeit 
des  Aufseins  etwas  verlängert.  Ferner 
sträuben  sie  sich  etwas,  die  ersten  paar 
Tage  das  Bett  zu  verlassen,  wohl,  weil 
sie  von  andern  gehört  haben,  dass  man 
nach  einer  Bauchoperation  das  Bett  ein 
paar  Wochen  hüten  müsse,  aber  ein  we- 
nig Zureden  hilft,  nur  muss  man  ihnen 
behülflich  sein,  recht    schonend  aufzu- 


stehen. Man  lässt  sie  die  Arme  um  den 
Hals  der  Wärterin  legen  und  legt  den 
einen  Arm  hinter  ihren  Rücken ;  mit 
dem  anderen  Arm  die  unteren  Extremi- 
töten  erfassend,  dreht  man,  i  idem  man 
den  Körper  aufhebt,  die  BeLj  langsam 
herum,  sodass  sie  am  Bettrande  in  sit- 
zender Stellung  anlangen ;  nun  kann 
man  sie  ganz  ruhig  vom  Bett  herunter 
nehmen  und  ihnen  erlauben,  ein  paar 
Schritte  zum  Stuhl  zu  gehen,  indem  man 
sie  dabei  unterfasst.  Bis  ich  meinem 
Warterpersonal  das  Aufsetzen  gelehrt 
hatte,  besorgte  ich  dies  selbst  und  tue 
es  auch  jetzt  noch  bisweilen,  denn  man 
kann  nicht  schonend  genug  hierbei  vor- 
gehen. Es  ist  wunderbar,  den  physischen 
Zustand  der  genannten  Patientinnen  zu 
beobachten,  nachdem  zwei  Wochen  ver- 
gangen sind,  im  Vergleich  zu  denen,  die 
nach  der  gewöhnlichen  Methode  im  Bett 
gehalten  werden.  Bei  leichten  abdomi- 
nalen Eingriffen  laufen  solche  Patientin- 
nen schon  nach  fünf  bis  sechs  Tagen  um- 
her, als  ob  sie  nicht  operiert  worden 
wären.  Patienten,  bei  welchen  ich  es 
aus  diesem  oder  jenem  Grunde  für  besser 
halte,  sie  im  Bett  zu  halten,  bemühe  ich 
mich,  zu  bewegen,  leichte  Uebungen  der 
unteren  und  oberen  Extremitäten  öfters 
vorzunehmen.  Der  Zweck,  den  man  da- 
mit erreicht,  ist,  Erschlaffung  der  Mus- 
kulatur zu  verhindern  und  eine  bessere 
Blutzirkulation  zu  erzielen,  was  durch 
mässige  Bewegung  des  Körpers  ge- 
schieht. 

Die  meisten  Patienten,  an  denen  Ope- 
rationen wegen  chirurgischer  Erkrank- 
ungen vorgenommen  werden,  bessert 
iran  nicht  in  ihrer  Gesundheit  durch  ab- 
solute Bettruhe,  im  Gegenteil,  das  Mus- 
kelsystem wird  mehr  oder  weniger  da- 
durch geschwächt,  sie  verlieren  Kräfte, 
weil  alle  physiologischen  Funktionen 
durch  die  forzierte  Ruhe  herabgesetzt 
werden.  Ich  muss  gestehen,  dass  ich 
den  Eindruck  gewonnen  habe,  dass 
öfters  die  Patientinnen,  an  denen  sehr 
komplizierte  Operationen  vorgenommen 
wurden,  gerade  durch  frühzeitige  kör- 
perliche Bewegung  genesen  sind :  des- 


New  Yorker  Medizin 


ische  Monatsschrift. 


375 


halb  glaube  ich  auch,  dass  die  Mortalität 
durch  das  frühe  Aufstehen  verringert 
wird.  Dem  Zufall  ist  die  Genesung  in 
solchen  Fällen  sicherlich  nicht  zuzu- 
schreiben, ie  dies  von  anderer  Seite  bei 
Gelegenheit  einer  Diskussion  behauptet 
wurde ;  denn  dafür  ist  die  Zahl  der  so 
Behandelten  zu  gross.  Auch  der  medi- 
zinisch-juristischen Frage  habe  ich  volle 
Würdigung  getragen,  falls  bei  einem 
früh  aus  dem  Bette  gelassenen  Patienten 
Thrombose  oder  Embolie  auftreten 
sollte.  Wie  schon  bemerkt,  kommen 
derartige  Unglücksfälle  auch  während 
der  Bettruhe  vor,  oder  später,  wenn  die 
Patienten  nach  zwei  bis  drei  wöchentli- 
chem Bettlager  aufstehen.  Ich  wieder- 
hole also,  dass  die  Gefahr  dafür  bei  Pa- 
tienten, die  von  Anfang  an  mehr  körper- 
liche Bewegung  hatten,  nicht  so  gross 
ist.  Das  haben  meine  und  die  Erfahrun- 
gen anderer  Kollegen  gelehrt,  welche 
sich  dieser  Behandlung  in  mehr  oder 
weniger  ausgedehntem  Masse  bedienen. 

Ries  bedient  sich  keiner  Leibbinde 
nach  Laparotomien;  trotzdem  hat  er  nur 
eine  Hernie  bei  einer  infizierten  Wunde 
zu  verzeichnen.  Ich  bin  jedoch  zu  zag- 
haft, um  das  zu  riskieren,  und  betrachte 
die  Immobilisierung  des  Leibes  als  einen 
nötigen  Schutz  gegen  solches  Vorkom- 
men und  bestehe  darauf,  dass  die  Binde 
drei  bis  vier  Wochen  getragen  werden 
muss,  wenn  sie  auch  im  Anfange  mei- 
stens recht  unbequem  für  die  Patientin 
ist.  Sollte  die  Beklemmung  in  der 
Magengegend  zu  grosse  Beschwerden 
verursachen,  schneidet  man  den  ober- 
sten Pflasterstreifen  an  der  Seite  etwas 
ein  ;  nach  einigen  Tagen  aber  gewöh- 
nen die  Patienten  sich  meist  an  diese 
Unbequemlichkeit. 

Obgleich  ich  nicht  selten  die  Gele- 
genheit wahrnehme,  das  Frühaufstehen 
nach  Laparotomien  zu  befürworten 
und  die  Vorteile  dieses  Vorgehens  an- 
zugeben, insbesondere  bei  Diskus- 
sionen und  Ansprachen  über  Thema- 
ta, bei  denen  es  sich  einflechten  Hess, 
hat  die  Behandlungsmethode  bis  jetzt 
noch  nicht  viel  Nachahmung  gefunden. 


Auch  einer  Reihe  ausländischer  Kollegen 
konnte  ich  so  behandelte  Patientinnen  de- 
monstrieren, sodass  sie  Gelegenheit  hat- 
ten, weitgehende  intraabdominale  Ein- 
griffe zu  sehen  und  am  nächsten  Ta^e 
die  so  operierten  Patienten  ausserhalb 
des  Bettes  zu  finden,  desgleichen  clie  An- 
legung des  von  mir  geschilderten  Ver- 
bandes. 

Ich  glaube  auch,  dass  es  mir  gelang, 
einigen  Herren  die  von  mir  geschilder- 
ten Vorteile  plausibel  zu  machen,  wie  i  :h 
aus  einem  Aufsatze  von  Dr.  C  a  r  1  H  a  r- 
tog,  ,,Wann  soll  man  Coeliotomierte  auf- 
stehen lassen?"  aus  der  Frauenklinik  der 
Herren  L.  Landa  u  und  T  h.  La  n- 
dau  in  Berlin,  (Berliner  klinische  Wo- 
chenschrift, 1907,  No.  1)  ersehe,  dem 
es  doch  gelang,  seine  Chefs  zu  überre- 
den, die  Methode  zu  versuchen,  obgleich 
mir  Herr  H  a  r  t  o  g  zur  Zeit  sagte,  dass 
es  seiner  Ansicht  nach  ganz  unmöglich 
sein  werde,  solche  radikale  Abänderung 
in  Deutschland  einzuführen  oder  selbst 
jemand  dazu  zu  verleiten,  den  Versuch 
y.u  machen. 

Wenn  Dr.  H  a  r  t  o  g  den  erwähnten 
Artikel  mit  dem  Satze  beginnt,  ..dass  in 
den  letzten  Jahren  sich  die  Nachbehand- 
lung der  Operierten  in  ihrer  (L  a  n- 
dau's)  Klinik  wesentlich  geändert  habe, 
so  kann  dies  nur  seit  dem  vorigen  Jahre 
geschehen  sein,  nachdem  ich  Herrn  Dr. 
H  a  r  t  o  g  bei  seinem  Hiersein  von  dem 
Werte  meiner  Behandlungsweise  über- 
zeugt und  alle  seine  Bedenken  zerstreut 
habe.  Handelt  es  sich  doch  in  diesem 
Artikel  hauptsächlich  um  die  Erfahrun- 
gen über  das  frühzeitige  Aufstehen  der 
Patienten  nach  Laparotomien.  Die  vagi- 
nalen Coeliötomien  möchte  ich  aber  in 
der  H  a  r  t  o  g'schen  Tabelle  ganz  aus- 
schliessen,  erstens,  weil  kein  anatomi- 
scher Grund  vorhanden  ist,  dass  man  bei 
vaginal  Hysterektomierten,  wenn  das 
Scheidengewölbe  abgeschlossen  ist  oder 
auch  selbst  ein- Drain  im  Zentrum  des 
ziemlich  abgeschlossenen  Scheidenge- 
wölbe inseriert  wurde,  irgend  eine  Kom- 
plikation durch  das  frühe  Aufstehen  zu 
befürchten  ist ;  das  hat  mich  eine  grosse, 


376 


New   Yorker  Medizin- 


ische Monatsschrift. 


über  15  Jahre  sich  erstreckende  Erfah- 
rung gelehrt.  Es  wird  sogar  die  Darm- 
peristaltik bei  diesen  sowohl  als  bei  den 
abdominal  Operierten  durch  das  Aufsit- 
zen und  die  frühere  körperliche  Beweg- 
ung angeregt,  sodass  Ileus  naturgemäss 
nicht  so  leicht  eintreten  kann,  als  bei 
denen,  die  im  Bett  gehalten  werden. 
Zwei  der  Beachtung  werte  Fälle  von  va- 
ginalen Totalextirpationen,  die  bis  jetzt 
noch  keiner  Erwähnung  von  mir  unter- 
zogen wurden,  möchte  ich  bei  dieser  Ge- 
legenheit anführen. 

Vor  etwa  16  Jahren  machte  ich  die 
besagte  Operation  im  St.  Mark's  Hospi- 
tal wegen  Karzinoms.  Die  Frau  erfuhr 
zwei  Tage  nach  der  Operation,  dass  ihr 
Kind  schwer  erkrankt  sei,  und  am  Mor- 
gen des  dritten  Tages  schlich  sie  sich 
heimlich  aus  der  Anstalt,  und  da  die 
arme  Frau  vollständig  mittellos  war, 
legte  sie  die  Strecke  nach  ihrer  Woh- 
nung in  Elizabeth,  N.  J.  zu  Fuss  zu- 
rück. Sie  stellte  sich  etwa  zwei  Wochen 
später  in  der  Poliklinik  vor ;  sie  hatte, 
trotz  der  unmenschlichen  Strapaze,  einer 
Fusstour  von  etwa  14  Meilen,  keinen 
Schaden  erlitten.  Seit  jener  Zeit  erlaube 
ich  solchen  Patientinnen,  sobald  sie  sich 
von  der  Narkose  erholt  haben,  und  we- 
der Klemmen  noch  Scheidendammschnitt 
gebraucht  wurden,  ohne  weiteres  das 
Bett  zu  verlassen,  und  sie  wie  nicht  Ope- 
rierte zu  behandeln,  wenn  keine  beson- 
deren Anzeichen  dagegen  vorhanden 
sind. 

Der  zweite  in  dieser  Hinsicht  interes- 
sante Fall  betraf  eine  ihrer  Angabe  ge- 
mäss etliche  30  Jahre  alte  irländische 
Köchin  ;  sie  machte  zwar  den  Eindruck 
einer  hoch  in  den  40er  Jahren  stehenden 
Person.  (Diese  Klasse  Leute  wissen 
meistens  nicht,  wie  alt  sie  sind.)  Sie 
gab  an,  dass  sie  eine  Virgo  sei.  Nach 
einer  aussergewöhnlich  schweren  körper- 
lichen Anstrengung,  will  sie  das  Auftre- 
ten des  damals  bestehenden  Leidens  be- 
merkt haben.  Der  Status  war  :  ein  voll- 
ständiger Prolapsus  des  stark  vergrös- 
serten  Uterus  und  der  Scheide.  Indem 
es  der  Person  unmöglich    war,  länger 


ihrer  Beschäftigung  als  Köchin  in  einem 
grossen  Gasthause  mit  einem  vollständi- 
gen Vorfall  der  Organe  nachzugehen, 
und  da  sie  auf  das  bestimmteste  die 
Wahrscheinlichkeit  einer  Verheiratung, 
eines  gewesenen  oder  eines  später  vor- 
kommenden Koitus  ablehnte,  entschloss 
ich  mich,  da  meine  Erfahrungen  mit 
plastischen  Operationen  bei  vollständi- 
gem Prolapsus  keine  günstige  sind,  und 
ferner,  um  der  Person  mit  Sicherheit 
Heilung  zu  verschaffen,  ohne  sich  später 
eines  nochmaligen  operativen  Eingriffes 
unterziehen  zu  müssen,  eine  vollständige 
Extirpation  des  Uterus  und  der  ganzen 
Scheide  bis  zur  Vulva.  Die  Operation 
wurde  im  St.  Vincent's  Hospital  des 
Morgens  vorgenommen,  und  am  Nach- 
mittage desselben  Tages  lief  die  Frau 
lustig  und  vergnügt  umher,  und  war 
auch  nicht  mehr  dazu  zu  bewegen,  zu 
ruhen.  Vom  dritten  Tage  an,  nachdem 
sie  die  Anstalt  verlassen,  nahm  sie  ihre 
gewohnte  Beschäftigung  wieder  auf  und 
verrichtete  ohne  Unbehagen  alle  damit 
verknüpften  körperlichen  Anstrengun- 
gen. 

Zum  Schluss  möchte  ich  nochmals  da- 
zu auffordern,  dass  man  wenigstens  der 
von  mir  geschilderten  Nachbehandlung, 
frühe  körperliche  Bewegung  und  keine 
Restriktion  in  der  Diät,  ausser  dass 
Gründe  dagegen  sind,  zur  Anwendung 
bringen  möge,  um  sich  selbst  ein  unpar- 
teiisches Urteil  zu  bilden.  Endlich  bin 
ich  der  Meinung,  dass  diese  Behandlung, 
nachdem  ich  über  eine  Zahl  von  mehr 
als  1000  so  behandelter  Fälle  verfüge, 
ohne  dass  auch  nur  ein  einziger  der  Me- 
thode zur  Last  fallender  Unfall  einge- 
troffen ist,  der  Prüfung  wert  ist,  selbst 
wenn  sie  auch  den  meisten  nicht  gleich 
einleuchtend  ist,  ja  ihnen  sogar  brutal 
und  unvernünftig  vorkommen  mag.  Aus- 
ser den  schon  erwähnten  Vorzügen  har 
die  Methode  des  frühen  Aufstehens  noch 
andere  Vorteile ;  Blähungen  gehen  eher 
ab;  spontane  Stuhlentleerung  erfolgt 
früher ;  Lungen-  und  Bronchialkompli- 
kationen   werden    eher    verhütet,  und 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


377 


nochmals,  Zirkulationsstörungen  kommen 
nicht  so  häufig  vor.  Schliesslich,  und 
das  ist  von  sehr  grosser  Bedeutung  für 
die  meisten  Patienten,  können  sie  ihre 
gewohnte  Tätigkeit  früher  aufnehmen. 
Aussergewöhnliche    Vorbereitungen  zu 


der  Operation  werden  bei  meinen  Patien- 
tinnen nicht  vorgenommen  und  brauchen 
auch  nie  vorgenommen  zu  werden,  wenn 
ein  operativer  Eingriff  am  Darm  oder 
am  Magen  nicht  vorgenommen  werden 
soll. 


Cotarninum  phtalicum  (Styptol),  ein  empfehlenswertes  uterines  Hämostatikum 

und  Sedativum. 

Von  Dr.  Otto  Maier,  New  York. 


Nachdem  in  der  letzten  Zeit  in  der 
Fachpresse  der  Anwendung  des  Cotar- 
ninphtalats  bei  solchen  uterinen  Blutun- 
gen, welche  eine  medizinale  Behandlung 
rechtfertigen,  von  massgebenden  Auto- 
ren (H  a  n  d  f  i  e  1  d-J  ones1,  Jervois 
Aarons2,  Cuthbert  Lockyer3- 
London,  von  Ramdoh  r4-New  York, 
und  anderen)  das  Wort  geredet  wurde, 
glaube  ich,  dass  einige  Bemerkungen 
über  dieses  neue  Präparat  bei  Lesern 
dieses  Blattes  von  Interesse  sein  werden. 
Ich  habe  bereits  an  anderer  Stelle  kurz 
über  denselben  Gegenstand  berichtet  und 
folge  mit  Veröffentlichung  dieser  Ab- 
handlung einer  Aufforderung  des  Edi- 
tors dieser  Zeitschrift,  auch  für  die  New 
Yorker  Medizinische  Monatsschrift  ei- 
nen Beitrag  zu  liefern. 

Ich  wurde  aufmerksam  auf  das  neue 
Hämostatikum  im  Jahre  1905  und  habe 
es  nach  den  Berichten,  welche  von 
Abel5  veröffentlicht  wurden,  in  geeig- 
neten Fällen  mit  bestem  Erfolg  verord- 
net. Das  neutrale  phtalsaure  Salz  des 
Cotarnins  wurde  von  Vieth  dargestellt 
und  in  die  Therapie  eingeführt.  Das 
Cotarnin  ist  eine  Base,  die  von  Woeh- 
1  e  r';  durch  Oxydation  des  Opiumalka- 
loids  Narkotin  mit  Braunstein  und 
Schwefelsäure  dargestellt  wurde  nach 
der  Gleichung: 

C22H28NOT  +  H20  +  O  =  C10H10O,  + 
Narcotin  Opianic  Acid 

C,,H15N04, 
Cotarnin 


und  die  chemisch  dem  Hydrastinin  nahe 
verwandt  ist.  Die  hämostatischen  Ei- 
genschaften des  Cotarnins  sind  wohlbe- 
kannt und  in  dem  von  vielen  Seiten  em- 
pfohlenen Cotarnin.  hydrochlor.  ausgie- 
big geprüft.  Den  Grund  für  die  Ein- 
führung des  phtalsauren  Cotarnins  bildet 
die  Beobachtung  V  i  e  t  h's  und  anderer, 
dass  auch  die  Phtalsäure  an  und  für  sich 
ein  wirksames  Hämostatikum  ist.  Co- 
tarninphtalat  (bekannt  unter  dem  Namen 
Styptol)  vereinigt  somit  die  blutstillende 
Wirkung  zweier  Präparate  und  wird  all- 
gemein als  das  zuverlässigste  Hämostati- 
kum aus  der  Cotarnin-Gruppe  ange- 
sehen. Cotarninphtalat  ist  ein  gelbes 
kristallinisches  Pulver,  das  ca.  75%  Co- 
tarnin und  25%  Phtalsäure  enthält.  Es 
ist  in  Wasser  leicht  löslich ;  die  wäs- 
serige Lösung  zeigt  eine  schwach  al- 
kalische Reaktion.  Es  hat  einen  Schmelz- 
punkt von  113°  C.  und  ist  nach  der  For- 
mel (C12H14N03),  CsHti04  zusammen- 
gesetzt. 

Die  physiologische  Wirkungsweise  des 
Präparates  auf  den  Uterus  wurde  von 
verschiedenen  Forschern  studiert,  so  von 
Y  i  e  t  h,  Mohr7,  Abel  in  Berlin  und 
C  h  i  a  p  p  e  und  Ravano8  in  Genua. 
Die  Erklärungen,  die  Y  i  e  t  h  für  das 
Zustandekommen  der  Styptolwirkung 
gibt,  sind  von  L  o  c  k  y  e  r  in  einer  in- 
teressanten Arbeit  berichtet  worden. 
Vieth  ist  der  Ansicht,  dass  die  blut- 
stillende Wirkung  des  phtalsauren  Cotar- 
nins nicht  auf  zentraler  Ursache  zu  be- 


378 


New  Yorker  Medizin 


ische  Monatsschrift. 


ruhen  scheint,  da  eine  Blutdrucksteiger- 
ung nicht  beobachtet  wurde.  Auf  Grund 
der  Tatsache,  dass  Cotarninphtalat  bei 
äusserer  Anwendung  blutstillend  durch 
lokale  Gefässkontraktion  wirkt,  glaubt 
Vieth  vielmehr,  dass  blutstillende  Wir- 
kung auf  den  Uterus  auch  bei  innerlicher 
Darreichung  lokal  zu  stände  kommt, 
wobei  er  sich  von  folgenden  Ueberleg- 
ungen  leiten  lässt.  Wie  nachgewiesen 
wurde,  sind  die  in  den  Gefässwänden 
selbst  gelegenen  autonomen  vasomotori- 
schen Plexus  verschieden  .empfindlich. 
Cotarninphtalat,  das  nach  der  Resorption 
durch  das  Blut  in  allen  Gefässgebieten 
zirkuliert,  scheint  nun  die  Eigenschaft 
zu  haben,  nur  die  Urogenitalgefässe  i 
durch  Erregung  ihrer  lokalen  Plexus  zu 
kontrahieren,  während  wie  V  i  e  t  h 
glaubt,  die  übrigen  Gefässe  unbeeinflusst 
bleiben,  sodass  eine  allgemeine  Blut- 
drucksteigerung nicht  stattfinden  kann. 
Damit  stimmt  die  Erfahrung  überein, 
dass  Cotarninphtalat  nur  bei  Uterusblu- 
tungen prompt  wirkt,  hingegen  z.  B. 
beim  Magen  oder  Lungenblutungen  ohne 
Einfluss  ist.  An  dieser  lokalen  blutstil- 
lenden Wirkung  auf  den  Uterus  beteiligt 
sich  sowohl  das  Cotarnin  als  die  Phthal- 
säure, da  auch  letztere  bei  lokaler  An- 
wendung in  Form  von  Salzen  blutstil- 
lend wirkt. 

Die  sedative  Wirkung  des  Mittels  wird 
sowohl  als  eine  allgemeine  als  eine  spe- 
ziell auf  den  Uterus  gerichtete  beschrie- 
ben. Die  allgemeine  Wirkung  äussert  sich 
beim  Tierversuch  in  Müdigkeit  und 
leichten  Koordinationsstörungen :  auch 
beim  Menschen  verursachen  grössere 
Dosen  Schläfrigkeit.  Die  auf  den  Uterus 
gerichtete  sedative  Wirkung  hat  Mohr 
experimentell  untersucht.  Bei  schwan- 
geren Kaninchen,  welche  in  Urethan- 
Xarkose  im  warmen  Kochsalzbade  lapa- 
rotomiert  waren,  konnten  zunächst  durch 
faradische  Reizung  des  Plexus  hypogas- 
tricus  Uteruskontraktionen  erzeugt  wer- 
den. Wurde  nun  eine  Injektion  von  0,3 
Styptol  in  2  ccm  Wasser  in  die  Vena 
crrrMis  ""ep-'Pcht.  so  wren  bei  nachfol- 
gender faradischer  Reisung  die  Uterus- 


kontraktionen deutlich  schwächer.  Man 
darf  daraus  schliessen,  dass  der  Uterus 
durch  die  Wirkung  des  Styptols  gegen 
Reizung  weniger  empfindlich  geworden 
war.  Diese  Herabsetzung  der  Reizem- 
pfindlichkeit der  uterinen  Nerven  spielt 
wahrscheinlich  bei  der  Anwendung  des 
Präparats,  besonders  bei  Dysmenorrhoe, 
eine  grosse  Rolle.  Sie  ist  umso  wichti- 
ger als  von  keinem  der  früher  ange- 
wandten Haemostatica  eine  derartige  se- 
dative Wirkung  bekannt  ist.  Der  ange- 
gebene Versuch  zeigt  ferner,  dass  Cotar- 
ninphtalat im  Gegensatz  zu  Ergot  keine 
Uteruskontraktionen  hervorruft,  dass  es 
also  unbeschadet  auch  während  der 
Schwangerschaft  gegeben  werden  kann. 

Toxische  Wirkungen  treten  erst  bei 
Anwendung  von  sehr  grossen  Dosen  ein. 
Die  rötliche  Dosis  liegt  etwa  bei  0,5 
Gramm  pro  Kilo  Tier ;  der  Tod  tritt 
nach  vorübergehender  kurzer  Erregung 
durch  Respirationsstillstand  und  allge- 
meine Lähmung  ein.  Das  Herz  ist  dis 
ultimum  moriens.  Bei  kleineren  Dosen 
tritt  die  sedative  und  schlafmachende 
Wirkung  deutlich  hervor.  Mohr  hat 
auch  geprüft,  ob  Styptol  ähnlich  wie  Er- 
got Gangrän  herrufen  könne,  indem 
nach  dem  Vorgang  von  K  o  b  e  r  t  einem 
Hahn  7  Wochen  lang  täglich  0,5  bis  1,0 
Gramm  Styptol  gefüttert  wurden.  Es 
konnte  keinerlei  Wirkung  auf  den  Kamm 
des  Tieres  beobachtet  werden,  wie  dies 
bei  Ergot  der  Fall  ist.  Das  Styptol  muss 
also  als  ein  unschädliches  Präparat  be- 
zeichnet werden.  Bei  der  ausgedehnten 
therapeutischen  Anwendung,  die  das 
Präparat  nach  den  vorliegenden  klini- 
schen Berichten  am  Menschen  in  den 
letzten  Jahren  erfahren  hat,  ist  meines 
Wissens  niemals  über  Nebenwirkungen 
berichtet  worden ;  auch  wird  der  Magen 
nicht  beeinflusst. 

Vieth  schliesst  aus  obigen  Ver- 
suchen, dass  Cotarninphtalat  vor  allem 
auf  den  Uterus  bezw.  die  LTrogenital- 
sphäre  wirkt,  und  dass,  wie  auch  Abel 
betont,  insbesondere  keine  Wirkung  auf 
das  Herz  stattfindet.  Wenn  V  i  e  t  h's 
Erklärungen    zutreffend    sind,  gehört 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


379 


dieses  Präparat  daher  zu  den  wenigen  in 
der  Medizin  bekannten  Mitteln,  welche 
eine  spezifische  selektive  Wirkung  auf 
ein  bestimmtes  Organ  (den  Uterus)  äus- 
sern und  entspricht  dadurch  auch  den 
Forderungen,  welche  die  moderne  Phar- 
makologie mit  Recht  an  neue  Heilmittel 
stellt. 

Styptol  wurde  zuerst  in  der  A  b  e  1'- 
schen  Frauenklinik  Berlin  von  K  a  t  z° 
einer  eingehenden  klinischen  Prüfung 
unterzogen.  K  a  t  z  hat  Dosen  von  3 — 
5  mal  täglich  0,05  grain)  in  über- 
zuckerten Tabletten  verabreicht  und  fol- 
gende Indikationen  aufgestellt : 

1.  Schwere  menstruelle  Blutungen  bei 
Virgines  und  Xulliparen  ohne  patholo- 
gisch-anatomisches Substrat. 

2.  Rein  klimakterische  Blutungen. 

3.  Blutungen  in  der  Schwangerschaft. 

4.  Myomblutungen. 

5.  Sekundäre  Blutungen  infolge  Er- 
krankungen der  Adnexe  oder  des  Beck- 
enbindegewebes. (Hier  wird  man  am 
ehesten  Misserfolge  haben,  denn  bei  der- 
artigen Erkrankungen  bleibt  eben  oft  nur 
die  operative  Beseitigung  der  Ursache 
übrig.) 

6.  Blutungen  infolge  inoperablen  Kar- 
zinoms, bei  welchen  auch  die  lokale  An- 
wendung des  Mittels  in  Anwendung  zu 
ziehen  ist. 

7.  Dysmenorrhoe. 

E 1  i  s  c.h  e  ri0  empfiehlt,  Styptol  auch 
während  der  intramenstruellen  Zeit  zu 
geben  in  Dosen  von  dreimal  täglich  einer 
Tablette,  wodurch  ein  zu  frühzeitiges 
Eintreffen  des  Menses  verhütet  wird. 

Frendenberg11  ist  der  Ansicht, 
dass  die  Wirkungsweise  des  Styptols  von 
Ergot  gänzlich  verschieden  sei  und  wohl 
mehr  durch  „reizmildernde  Nervenwir- 
kung" zu  stände  kommt.  Im  Zusam- 
menhang hiermit  scheine  dem  Styptol 
auch  eine  entzündungswidrige  Kraft  inne 
zu  wohnen.  Er  empfiehlt  es  daher  in 
allen  Fällen,  in  denen  ein  Reizzustand 
der  Gebärmutterschleimhaut  die  Blutung 
verursachte,  einerlei  ob  dieser  Reiz  ein 
indirekter  oder  direkter  war. 


T  o  f  f1-  weist  darauf  hin,  dass  Ergotin 
und  Sekalepulver  häufig  wirkungslos 
bleiben,  wo  Styptol  eine  gut  hämostati- 
sche  Wirkung  entfaltet. 

Abel  berichtet  in  der  eingangs  be- 
reits erwähnten  Arbeit  über  seine  Er- 
fahrungen in  mehr  als  300  Fällen  und 
fasst  sein  Urteil  dahin  zusammen,  dass 
im  Styptol  ein  Hämostatikum  gewonnen 
sei,  welches  bei  richtiger  Indikations- 
stellung und  richtiger  Dosierung  die  bis- 
herigen uterinen  Hämostatika  über- 
treffe ;  besonders  wertvoll  sei  seine  ent- 
schieden sedative  Wirkung. 

Jacob  y13  empfiehlt  auf  Grund  die- 
ser sedativen  Eigenschaft  Styptol  bei 
dysmenorrhoischen  Beschwerden  in  Do- 
sen von  viermal  täglich  2  Tabletten,  in 
schweren  Fällen  bis  zu  12  Tabletten  täg- 
lig.  Nach  seinen  Erfahrungen  bleibt  die 
sedative  Wirkung  nie  aus,  wenn  Styptol 
in  genügend  starken  Dosen  gegeben 
wird.  Wo  die  Anwendung  der  Tablet- 
ten nicht  geeignet  erschien,  verordnete 
T  a  c  o  b  y 

Rp.  Styptol.  pulv   1,0 

Sir.  simpl   50,0 

Aq.  foenicul   50,0 

Mds.  3  mal  tägl.  2  Teelöffel  am  besten 
mit  etwas  Kognak. 

Auch  H  a  n  d  f  i  e  1  d-J  o  n  e  s  gibt  0,15 
— 0,2  dreimal  täglich  nach  der  Mahlzeit 
und  betont,  dass  in  vielen  Fällen  noch 
grössere  Dosen  vertragen  werden,  ohne 
jede  Störung  des  Organismus. 

L  o  c  k  y  e  r,  dessen  Arbeit  ich  in  obi- 
gen Ausführungen  z.  T.  gefolgt  bin,  hat 
sich  nach  ausgedehnter  Anwendung  von 
der  ausgezeichneten  styptischen  und  se- 
dativen Wirkung  des  Styptol  fest  über- 
zeugt. Nebenwirkungen  wurden  von 
ihm  nicht  beobachtet,  es  sei  denn,  dass 
Styptol  vielleicht  eine  Angewöhnung 
hervorruft.  Die  Patienten  verlangten 
die  „roten  Tabletten"  nämlich  immer 
wieder,  wenn  deren  Gebrauch  aus  irgend 
einem  Grunde  sistiert  worden  war. 
Lockrer  schreibt  diese  Angewöhn- 
ung, wenn  eine  solche  tatsächlich  eintritt, 
dem  sedativen  Einfluss  des  Styptols  zu. 


38o 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


L  o  c  k  y  e  r  beschreibt  eingehen  die  fol- 
genden Fälle : 

Von  neun  Fällen  von  Dysmenorrhoe 
wurden  sieben  von  ihren  menstruellen 
und  ovarialen  Schmerzen  befreit,  zwei 
nicht.  Einer  der  Misserfolge  betraf  ei- 
nen infantilen  Uterus,  der  andere  eine 
Dysmenorrhoea  membranacea. 

In  sieben  Fällen  von  Neubildungen 
wurden  zwei  Misserfolge  beobachtet.  In 
dem  einen  war  das  Fibroid  in  sarkoma- 
töser Umwandlung  begriffen,  in  dem  an- 
deren verhinderte  die  schwere  Herzaf- 
fektion den  Erfolg. 

Acht  Fälle  von  Adnex-Erkrankungen 
zeigen,  dass  in  den  frühen  und  milderen 
Stadien  der  tubalen  und  ovarialen  Ent- 
zündung Styptol  eine  günstige  Wirkung 
in  der  Bekämpfung  der  sekundären  Me- 
norrhagien ausübt.  Dies  beruht  zweifel- 
los darauf,  dass  solche  Läsionen  stets  mit 
präexistenter  Endometritis  verbunden 
sind,  und  ist  es  die  letztere,  welche  von 
dem  Hämostatikum  günstig  beeinrlusst 
wird.  Es  ist  selbstverständlich,  dass  bei 
groben  Veränderungen,  wie  z.  B.  Pyo- 
salpinx  und  Ovarialabszess,  Styptol  nicht 
indiziert  ist  und  nichts  ausser  operati- 
vem Vorgehen  von  irgend  einem  Werte 
ist. 

Nach  Lockrer  ist  Styptol  beson- 
ders bei  entzündlichen  und  kongestiven 
Veränderungen  des  Uterus  wertvoll,  und 
obwohl  er  nur  7  Fälle  zitiert,  ist  dies 
dennoch  die  Krankheitsgruppe,  wo  er 
das  Präparat  am  meisten  verwendet.  Es 
hat  sich  auch  bei  der  Menorrhagie  jun- 
ger Mädchen  ohne  nachweisbare  Abnor- 
mität bewährt  und  auch  bei  drohendem 
Abortus  der  ersten  Monate,  vor  der  Dila- 
tation des  Os  uteri. 

Ich  kann  auf  Grund  meiner  eigenen 
Erfahrungen   die   zahlreichen  Berichte 


über  die  günstige  Wirkung  des  Cotar- 
ninphtalats  nur  bestätigen.  Es  hat  mir 
in  einigen  zwanzig  Fällen  von  starken 
menstruellen  Blutungen  verbunden  mit 
Dysmenorrhoe  sowie  bei  klimakterischen 
Blutungen  ohne  Neubildung  und  beson- 
ders bei  Blutungen  in  der  Schwanger- 
schaft die  besten  Dienste  geleistet.  Ich 
verschreibe  in  der  Regel  eine  Tablette 
(}i  grain)  Cotarninphtalat  (Styptol) 
drei  bis  viermal  täglich,  verwende  aber 
in  schweren  Fällen  5  bis  6  Tabletten 
oder  mehr  pro  die.  Ich  möchte  davon 
absehen,  hier  eine  Reihe  beschreibender 
Fälle  anzugliedern,  da  vorstehende  Ab- 
handlung über  die  Anwendungsweise 
dieses  neuen  Mittels  hinreichend  Auf- 
schluss  geben  dürfte. 

Literatur : 

1.  H  a  n  d  f  i  e  1  d-J  o  n  e  s,  Folia  therapeuti- 
ca,  Januar  1907. 

2.  A  a  r  o  n  s,  London  and  British  Gyne- 
cology,  Februar  1907. 

3.  Lockyer,  Folia  therapeutica,  Juli  1907. 

4.  von  Ramdohr,  New  York  Medical 
Journal,  9.  März  1907. 

5.  Abel,  Berliner  klinische  Wochenschrift, 
1905,  No.  34. 

6.  W  o  e  h  1  e  r,  Annalen  der  Chemie  und 
Pharmacie,  Bd.  50,  No.  1. 

7.  M  o  h  r,  Therapie  der  Gegenwart.  1905, 
No.  8. 

8.  Chiappe  und  Ravano,  Archivio  itali- 
ana  di  Ginecologiea,  1904,  No.  2. 

9.  K  a  t  z,  Therapeutische  Monatshefte,  Juni 
1903. 

10.  E  1  i  s  c  h  e  r,  Wiener  medizinische  Wo- 
chenschrift, 1904. 

11.  Freudenberg,  Der  Frauenarzt,  März 
1904. 

12.  T  o  f  f,  Deutsche  medizinische  Wochen- 
schrift, 1904,  No.  24. 

13.  Jacoby,  Therapie  der  Gegenwart,  Juni 
1906. 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift.  381 


Mitteilungen  aus  der  neuesten  Journalliteratur. 


Fornet:  Ueber  moderne  Serodia- 
gnostik, mit  besonderer  Berücksich- 
tigung der  Präzipitine  und  Opso- 
nine. 

Bekanntlich  reagiert  der  Organismus 
auf  das  Eindringen  von  pathogenen 
Keimen  mit  charakteristischen  Verän- 
derungen, welche  als  Immunitätsreak- 
tionen bezeichnet  werden  und  sich  in 
neu  auftretenden  Eigenschaften  des 
Blutserums  wiederspiegeln.  Diese  er- 
worbenen Fähigkeiten  des  Serums 
werden  besonders  hypothetischen  Kör- 
pern, den  sogenannten  Immunkörpern 
zugeschrieben,  welche  man  je  nach 
ihrer  Wirkungsweise  Bakteriolysine, 
Agglutinine,  Präzipitine  oder  Opso- 
nine genannt  hat.  Während  die  Bak- 
teriolyse  bei  der  Diagnose  am  Kran- 
kenbett kaum  eine  Rolle  spielt,  hat 
sich  die  Agglutination  besonders  beim 
Abdominaltyphus  Bürgerrecht  erwor- 
ben. Im  Gegensatz  zu  ihr  hat  bis  jetzt 
die  Präzipitation  nur  wenig  Anwen- 
dung für  klinische  Zwecke  gefunden. 
Es  erklärt  sich  dies  daraus,  dass  die 
Präzipitine  fast  immer  gleichzeitig  mit 
den  Agglutininen  auftreten,  dabei  aber 
schwerer  nachweisbar  sind  als  diese, 
da  man  zur  Präzipitation  stärkerer  Se- 
rumkonzentrationen und  absolut  klarer 
Sera  bedarf,  beides  Forderungen,  wel- 
che sich  in  der  Praxis  nicht  immer  er- 
füllen lassen.  Und  doch  hat  die  Präzi- 
pitation vor  der  Agglutination  den  un- 
leugbaren Vorteil  voraus,  dass  sie  der 
Bakterien  selbst  entraten  kann.  Sie  ist 
also  auch  anwendbar,  da  wo  es  sich  um 
nicht  agglutinable  Bakterien  handelt 
oder  wo  die  Kultur  des  betreffenden 
Mikroorganismus  noch  fehlt. 

Wie  bekannt,  spielt  nach  Metsch- 
n  i  k  o  f  f  die  Phagozytose  eine  bedeu- 
tende Rolle  unter  den  Abwehrmass- 
regeln des  infizierten  Organismus. 
W  r  i  g  h  t  und  Douglas  gelang  es, 
zu  zeigen,  dass  der  phagozytosebeför- 
dernde  Einfluss  des  Serums  sich  nicht 
auf  die  Leukozyten,  sondern  auf  die 
Bakterien  erstreckt.    Sie  stellten  fest, 


dass  schon  normales  Serum  phagozy- 
tosebefördernd  wirkt,  dass  aber  diese 
Eigenschaft  durch  Impfung  mit  dem 
betreffenden  Mikroorganismus  wesent- 
lich gesteigert  wird.  Sie  schrieben 
diese  Fähigkeit  des  Serums  neuen  Kör- 
pern zu,  welche  sie  als  Opsonine  be- 
zeichneten, abgeleitet  von  dem  griechi- 
schen Wort  Opsoneo,  die  Mahlzeit 
vorbereiten.  Die  diagnostische  Ver- 
wertbarkeit der  Opsonine  besteht 
darin,  dass  man  das  Serum  des  zu  un- 
tersuchenden Patienten  kurze  Zeit  auf 
ein  Gemisch  von  Leukozyten  und  Bak- 
terien einwirken  lässt,  gefärbte  Aus- 
strichpräparate von  dieser  Mischung 
anfertigt  und  feststellt,  wie  viele  Bak- 
terien durchschnittlich  jeder  Leukozyt 
aufgenommen  hat.  In  einem  zweiten 
Präparat  ersetzt  man  das  Patienten- 
serum durch  normales  Menschenserum 
und  stellt  ebenfalls  die  Durchschnitts- 
zahl der  pro  Leukozyt  aufgenommenen 
Bakterien  fest.  Dividiert  man  jetzt  die 
erste  Zahl  durch  die  zweite,  so  erhält 
man  den  opsonischen  Index.  War 
z.  B.  die  erste  Durchschnittszahl  x,  die 
zweite  2x,  so  erhält  man  x/2x,  also  ei- 
nen opsonischen  Index  von  Yi  oder  0,5. 
Der  opsonische  Index  des  normalen 
Menschen  ist  1,0  und  schwankt  nur  in 
engen  Grenzen,  nämlich  zwischen  0,8 
und  1,2.  Bei  Tuberkulösen  ist  der  op- 
sonische Index  entweder  erniedrigt, 
oder  erhöht  oder,  was  verhältnismässig 
oft  der  Fall  ist,  er  schwankt  zwischen 
beiden  Extremen  hin  und  her,  weswe- 
gen eine  wiederholte  Untersuchung  be- 
sonders wichtig  ist.  Ein  dauernd  nie- 
driger Index  spricht  nach  W  r  i  g  h  t 
für  eine  Disposition  oder  für  eine  lo- 
kal gebliebene  Infektion :  dauernd  er- 
höhter Index  für  eine  glücklich  über- 
wundene Infektion.  Abwechselnd  nie- 
driger und  hoher  Index  zeigt  eine  be- 
stehende Allgemeininfektion  an,  wobei 
sich  jedoch  die  Höhe  des  opsonischen 
Index  prognostisch  nur  mit  Vorsicht 
verwerten  lässt.  (Münchener  med. 
Wochenschr.,  No.  4,  1908.) 


382 


New   Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


Sitzungsberichte 


Deutsche  Medizinische  Gesellschaft  der  Stadt  New  York 


Sitzung  vom  3.  Februar  1908. 

Präsident  Dr.  Carl  Beck  eröffnet 
die  Versammlung  nach  halb  9  Uhr  und 
stellt  demnächst  Herrn  Dr.  W  a  1  d- 
s  t  r  ö  m,  Assistent  der  B  e  r  g'schen 
Klinik  in  Stockholm,  vor  und  heisst 
denselben  als  Gast  der  Gesellschaft 
willkommen. 

Die  Versammlung  tritt  hierauf  in 
die  Tagesordnung  ein : 

1.  Vorstellung  von  Patienten,  De- 
monstration von  Präparaten,  Instru- 
menten etc. 

a)  Dr.  F.  \Y  i  e  n  e  r  jr. :  Fremdkör- 
per der  Speiseröhre,  welcher  durch 
Operation  entfernt  wurde. 

Patient  hatte  ein  unregelmässig- 
dreieckiges  Stück  der  Platte  seines 
künstlichen  Gebisses  verschluckt. 
Wiederholte  Oesophagoskopie  zeigte 
nichts,  was  der  Vortragende  sich  da- 
durch erklärt,  dass  die  Farbe  des 
Stückchens  der  der  Schleimhaut  ziem- 
lich ähnlich  war.  Ein  zweites  Rönt- 
genbild lokalisierte  den  Fremdkörper 
etwas  oberhalb  des  Sternums  und  die 
Oesophagotomie  förderte  ihn  zu  Tage. 
Oesophagus  wurde  durch  die  Naht  ge- 
schlossen und  Patient  nach  2  Wochen 
geheilt  entlassen. 

Diskussion.  Dr.  Sara  W  e  1  t-K  a- 
k  e  1  s  :  Ich  möchte  im  Anschluss  an 
den  interessanten  Fall,  den  Dr.  W  i  e- 
n  e  r  berichtet  hat,  über  ein  kleines 
Kind,  etwas  über  1  Jahr  alt,  berichten, 
das  einen  Penny  verschluckt  hatte. 
Die  Mutter  war  nicht  ganz  sicher  dar- 
über. Jedenfalls  stellte  sich  darnach 
Erbrechen  der  grösseren  Menge  der 
Milch  ein,  die  das  Kind  zu  sich  nahm. 
Etwas  musste  in  den  Magen  gelangt 
sein.  Als  ich  das  Kind  sah,  erbrach  es 
den  grössten  Teil  Milch  und  Wasser 
und  schien  auch  an  Schmerzen  zu  lei- 
den. Wir  liessen  die  Röntgenstrahlen 
anwenden,  und  die  zeigten  sehr  deut- 
lich den  Penny  in  der  Speiseröhre.  Am 
nächsten  Tage  wurde  unter  leichter 
Chloroform-Narkose   der   Penny  mit 


dem  Graefe'schen  Münzenfänger 
herausgeholt.  Die  Operation  dauerte 
zwei  oder  drei  Minuten.  Das  Kind 
machte  eine  absolut  gute  Heilung 
durch.  Der  G  r  a  e  f  e'sche  Münzen- 
fänger ist  für  solche  Zwecke  sehr  ge- 
eignet. Ein  anderes  Instrument  soll  in 
der  Weise  wirken,  dass  der  Fremdkör- 
per auf  der  Innenseite  des  Schirms  auf- 
gefangen und  herausgebracht  wird 
(Demonstration).  Glücklicherweise  ge- 
schehen diese  Zufälle  sehr  selten. 
Meistens  werden  verschluckte  Münzen 
per  vias  naturales  aus  dem  Körper  ge- 
schafft. 

Dr.  A.  Reich:  Ich  möchte  über  einen 
Fall  berichten,  den  ich  vor  einigen  Jah- 
ren gesehen  habe.  Ein  kleiner  Patient 
hatte  beim  Spiel  einen  Würfel  ver- 
schluckt. Das  Kind  war  ungefähr  drei 
Jahre  alt.  Ich  hatte  Herrn  Dr.  S. 
ersucht,  das  Kind  in  Behandlung  zu 
nehmen,  weil  ich  in  dieser  Sache  nicht 
völlig  bewandert  war.  Dr.  S.  sagte 
mir,  er  habe  den  Würfel  mit  dem  Fin- 
ger erreichen  können  und  nach  dem 
Magen  hmuntergestossen.  Auf  mein 
Ersuchen  hat  er  ein  Gummibougie 
nach  dem  Magen  zu  eingeführt  und  ver- 
sichert, dass  der  Oesophagus  vollstän- 
dig leer  war.  Am  nächsten  Morgen  ist 
dann  das  Kind  gestorben.  Wir  haben 
die  Autopsie  machen  lassen  und  gefun- 
den dass  gerade  dort,  wo  der  Würfel 
gelegen,  sich  ein  kleines  Ulcus  gebildet 
hatte  und  dass  er  nicht  durch  ein  In- 
strument von  oben  hätte  hinausbeför- 
dert werden  können,  sondern  dass  eine 
Oesophagotomie  hätte  gemacht  werr 
den  sollen,  um  das  Leben  des  Kindes 
zu  retten. 

Dr.  F.  K  a  m  m  e  r  e  r  :  Die  beiden 
Fälle  sind  sehr  lehrreich  und  beweisen 
eine  bekannte  Tatsache.  Bei  runden 
Körpern  soll  man  immer  den  Versuch 
mit  dem  Münzenfänger  machen.  Das 
ist  sehr  einfach.  Aber  bei  spitzen 
Fremdkörpern,  die  sich  wo  möglich  in 
die  Schleimhaut  eingebohrt  haben,  ist 
dieser  Versuch  nicht  indiziert,  da  er, 


New   Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


383 


wie  Dr.  Wiener  gesagt  hat,  gefähr- 
lich ist.  Wenn  Dr.  Wiener,  den 
Versuch  mit  dem  Instrument  gemacht 
hätte,  würde  er  vielleicht  grosse 
Schwierigkeiten  gehabt  haben,  das  In- 
strument neben  dem  Fremdkörper  wie- 
der zurückzuziehen.  In  solchen  Fällen 
ist  die  Oesophagotomie  eher  am  Platze, 
b  )  Dr.  A.  R  e  i  c  h  : 

1.  Intra-  und  extrauterine  Schwan- 
gerschaft, Fibrom  der  hinteren  Uterus- 
wand. 

Patientin  36  Jahre  alt,  3  Monate  ver- 
heiratet. 

Erste  Menstruation  mit  dem  14ten 
Jahr  regelmässig  von  4-tägiger  Dauer. 

Seit  einem  Jahr  klagt  sie  über 
Schmerzen  im  Unterleib  und  After,  so- 
wie auch  über  Stuhlbeschwerden.  Zur 
selben  Zeit  verlängerte  sich  auch  die 
Menstruationszeit  auf  8  Tage  und  wurde 
profus. 

Letzte  Regel  am  10.  Oktober  1907. 
Am  8.  November  kam  sie  zu  mir  und 
klagte  über  Schwangerschafts-Symp- 
tome. 

Am  14.  fing  sie  an  zu  bluten  und 
stiess  nach  einigen  Wehen  ein  Ei  aus, 
das  der  5. — 6.  Woche  entsprach. 

Die  Wehen  und  Blutungen  liessen 
nicht  nach  und  da  es  sich  um  ein  Fi- 
broid  handelte,  wurde  ein  Laparotomie 
gemacht  und  hier  die  extrauterine 
Schwangerschaft  getroffen. 

Der  Uterus  wird  supravaginal  abge- 
tragen, das  rechte  Ovarium  und  Tube 
ungestört  zurückgelassen. 

2.  Vaginales  Fibrom. 

Die  Patientin  ist  23  Jahre  alt.  Ihre 
Menstruation  begann  mit  dem  13. 
Jahre  und  war  stets  schmerzhaft,  von 
3  tägiger  Dauer.  Seit  3  Monaten  ist  sie 
verheiratet  und  klagt  über  Schwierig- 
keiten beim  geschlechtlichen  Verkehr, 
weitere  Klagen  hat  sie  nicht. 

Die  äusseren  Genitalien  sind  normal 
bis  auf  die  linke  grosse  Schamlippe, 
die  etwas  vorgewölbt  ist.  Die  Haut  ist 
normal  beweglich.  Der  Scheidenein- 
gang ist  durch  eine  Geschwulst  ver- 
legt, hier  ist  die  Schleimhaut  bläulich 
verfärbt,  aber  sonst  normal.  Kein  Aus- 
fluss. 

Bei  der  innern  Untersuchung  fühlen 
wir  eine  nicht  sehr  harte  Geschwulst, 
die  die  linke  Wand  der  Scheide  aus- 


füllt und  von  der  Urethra  bis  zum  Rek- 
tum reicht  und  nach  innen  10  cm  weit 
verfolgt  werden  kann. 

Die  Portio  ist  knapp  zu  erreichen, 
ist  mit  der  Geschwulst  nicht  in  Ver- 
bindung.   Der  Uterus  ist  klein. 

Die  Operation  war  sehr  einfach,  ein 
6  cm  langer  Schnitt  beginnend  2  cm 
unterhalb  der  Urethra  spaltet  die 
Scheidenschleimhaut  bis  auf  die  Kap- 
sel der  Geschwulst.  Die  Geschwulst 
wird  mit  einer  M  u  z  e  u  x-Zange  ange- 
hackt und  aus  einer  Umhüllung  mittelst 
des  Skalpellgriffes  und  einiger  Scheren- 
schläge ausgeschält.  Es  blutet  wenig. 
Die  so  entstandene  Höhle  wurde  leicht 
tamponiert  und  der  Schnitt  bis 
auf  eine  kleine  Oeffnung  für  die 
Drainage  mit  Knopfnähten  geschlos- 
sen. Jetzt  kann  man  leicht  noch  ein 
4  cm  langes  Stück  gesunder  Vaginal- 
schleimhaut von  dem  oberen  Wund- 
rande bis  zur  Portio  fühlen,  folglich 
war  die  Geschwulst  ausschliesslich  von 
der  Scheidenmuskulatur  ausgegangen. 
Der  Cervix  wird  dilatiert  und  der 
Uterus  ausgekratzt. 

Die  Gaze  wird  nach  4  Tagen  ent- 
fernt, die  Patientin  verlässt  das  Spital 
nach  10  Tagen,  die  Drainageöffnung 
schliesst  sich  nach  3  Wochen.  Die  Pa- 
tientin ist  jetzt  seit  5  Monaten  schwan  - 
ger. 

Die  Fälle  von  vaginalem  Fibrom 
sind  selten.  S  m  i  t  h  kollektierte  bis 
1902  101  Fälle.  Seitdem  sind  noch  8 
neue  Fälle  in  der  Literatur  zu  finden. 

Charakteristische  Symptome  haben 
diese  Geschwülste  nicht,  bis  sie  eben 
durch  ihre  Grösse  oder  Ulzeration  sich 
kundgeben.  Eigentümlich  erscheint 
auch  die  Tatsache,  dass  das  Vaginal- 
Fibrom  bei  Negern  nicht  beschrieben 
worden  ist. 

Die  Geschwulst  selbst  besteht  aus  ei- 
nen reinem  Fibrom  umgeben  von  einer 
Kapsel  und  war  im  frischen  Zustande 
14  cm  lang,  7y2  cm  im  Durchmesser 
und  wog  530  g.  Die  mikroskopi- 
sche Untersuchung  ergab  den  bekann- 
ten Befund  von  Fibrom  mit  einigen 
eingelagerten  Muskelzellem 

Präsident  Dr.  Carl  Beck:  Ehe 
wir  weiter  gehen,  habe  ich  eine  Frage 
an  Sie  zu  richten.  In  der  letzten  Sit- 
zung wurde  dem  Verwaltungsrat  auf- 


384 


New   Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


gegeben,  ein  Komitee  zu  ernennen, 
welches  sich  mit  dem  Redakteur  der 
New  Yorker  Medizinischen  Monats- 
schrift in  Verbindung  setzen  und  ver- 
suchen sollte,  einen  Kontrakt  mit  ihm 
abzuschliessen.  Der  Verwaltungsrat 
hat  sich  dieser  Aufgabe  unterzogen 
und  im  ganzen  drei  Sitzungen  abgehal- 
ten. Sie  können  hieraus  entnehmen, 
mit  welchem  Nachdruck  der  Verwal- 
tungsrat und  das  von  ihm  ernannte 
engere  Komitee  sich  mit  der  Sache  be- 
schäftigte, und  ich  kann  Ihnen  zu  mei- 
ner grossen  Freude  mitteilen,  dass  das 
Komitee  mit  Herrn  Dr.  Ripperger 
zu  einer  vollständigen  Einigung  ge- 
kommen ist.  Es  werden  Ihnen  Vor- 
schläge vorgelegt  werden,  welche  Ihrer 
Annahme  harren.  Die  Frage  ist  nur, 
ob  wir  die  Angelegenheit  jetzt  vorneh- 
men wollen  oder  nach  den  Vorträgen. 
Es  ist  nämlich  eine  Komplikation  ein- 
getreten. Einmal  kann  der  Schatz- 
meister, Herr  Dr.  Breiten  fei  d,  der 
wichtige  Mitteilungen  zu  machen  hat, 
nicht  länger  hier  bleiben,  und  dann  ist 
Herr  Dr.  Ripperger  verhindert  zu 
erscheinen,  da  er  plötzlich  einen  Ver- 
lust in  seiner  Familie  zu  beklagen  hat. 
wie  ich  mit  grossem  Bedauern  kon- 
statieren muss.  Ich  kann  Sie  aber  ver- 
sichern, dass  Dr.  Ripperger  mit 
den  genannten  Vorschlägen  im  Prinzip 
einverstanden  ist.  Ob  unter  diesen 
Umständen  die  Sache  durch  die  Ab- 
wesenheit von  Herrn  Dr.  Ripper- 
ger wesentlich  beeinträchtigt  wird,  ist 
Ihnen  überlassen.  Herr  Dr.  B  r  e  i- 
t  e  n  f  e  1  d  hat  Ihnen  die  Mitteilung  zu 
machen,  dass  die  Gesellschaft  als  sol- 
che absolut  augenblicklich  ausser 
stände  ist,  eine  Geldsubvention  zu  ge- 
währen. 

Dr.  S.  Breitenfeld:  Ich  kann 
das  nur  vollauf  bestätigen.  Wir  sind 
nicht  gar  so  schlimm  daran,  aber  wir 
nehmen  gerade  soviel  ein  als  wir  aus- 
geben, und  wenn  wir  irgend  einen  Be- 
trag mehr  ausgeben,  arbeiten  wir  mit 
einem  Defizit.  Wiewohl  ich  nicht  der 
Ansicht  bin,  dass  wir  gerade  sparen 
müssen,  so  dürfen  wir,  glaube  ich.  doch 
nicht  mehr  ausgeben  als  einnehmen. 

Präsident  Dr.  Carl  Beck:  Es  war 
mir  darum  zu  tun,  dass  wir  diese  wich- 
tige Bestätigung  aus  dem  Munde  des 


Schatzmeisters  hörten.  Wir  haben  da- 
her auf  andere  Weise  versucht,  dem 
Redakteur  zu  helfen,  da  wir  der  An- 
sicht waren,  während  der  Redakteur 
grosse  Pflichten  gegen  uns  hat,  solange 
er  sich  Redakteur  des  Organs  der 
Deutschen  Medizinischen  Gesellschaft 
von  New  York  nennt,  dass  auch  wir 
gleiche  Pflichten  gegen  ihn  haben,  und 
es  musste  also  ein  Modus  dafür  gefun- 
den werden,  wie  er  Mittel  erwirbt,  die 
Zeitschrift  auf  einen  höheren  Stand- 
punkt zu  bringen.  Wir  haben  mit  sei- 
ner Uebereinstimmung  ein  Mittel  ge- 
funden, diese  Unterstützung  auf  indi- 
rektem Wege  zu  gewähren,  da  wir 
nicht  im  stände  sind,  es  dieses  Jahr 
direkt  zu  tun.  Darüber  kann  heute 
abend  debattiert  werden,  aber  Sie  kön- 
nen die  Sache  auch  auf  die  nächste  Sit- 
zung verschieben.  Ich  stelle  Ihnen 
also  anheim,  ob  Sie  die  Sache  heute 
debattieren  wollen,  und  zwar  entweder 
gleich  oder  nach  den  Vorträgen,  oder 
ob  Sie  die  Angelegenheit  verschieben 
wollen. 

Dr.  L.  Weber:  Ich  denke,  dass 
wir  in  Abwesenheit  von  Dr.  Ripper- 
ger nicht  zu  einem  Abschluss  in  der 
Sache  kommen  können.  Dr.  Ripper- 
ger sollte  anwesend  sein.  Ich  schlage 
daher  vor,  die  Verhandlungen  betref- 
fend die  Deutsche  medizinische  Monats- 
schrift bis  zur  nächsten  Sitzung  zu  ver- 
schieben. 

Dr.  H.  G.  Klotz:  Ich  unterstütze 
den  Vorschlag  und  möchte  empfehlen, 
dass  es  auf  der  Einladung  zur  nächsten 
Sitzung  vermerkt  werde,  sodass  die- 
jenigen, die  sich  für  die  Angelegenheit 
interessieren,  hier  sein  können. 

Präsident  Dr.  CarlBeck:Es  wird 
durchaus  immateriell  sein,  was  wir  tun, 
da  Dr.  Ripperger.  wie  ich  schon 
vorhin  sagte,  mit  allem,  was  das  Ko- 
mitee vorgeschlagen  hat,  einverstanden 
ist.  Aber  ich  glaube,  dass  es  opportun 
ist,  dass  Sie  die  Sache  in  seiner  Gegen- 
wart und  in  Anwesenheit  mehrerer  an- 
deren Herren  besprechen  wollen,  die 
bereits  nach  Hause  gegangen  sind. 

Dr.  G.  Mannheimer:  Ich  glaube 
auch,  dass  wir  die  Sache  verschieben 
sollten,  weil  ich  speziell  eine  persönli- 
che Bemerkung  zurückweisen  möchte, 
und  Dr.  Ripperger  sollte  zugegen 


New  Yorker  Medizini 


sche  Monatsschrift. 


385 


sein,  wenn  das  geschieht. 

In  der  nunmehr  folgenden  Abstim- 
mung beschliesst  die  Versammlung, 
die  Angelegenheit  auf  die  nächste  Sit- 
zung zu  verschieben. 

3.  Vorträge. 

a)  Dr.  Carl  Beck:  Den  Manen 
von  Nicholas  Senn. 

Sei  den  letzten  zwei  Monaten  hat 
der  Tod  eine  unheimliche  Ernte  unter 
den  hervorragenden  Männern  unserer 
Wissenschaft  gehalten,  bei  keinem 
aber  hat  uns  der  Verlust  so  nahe  und 
so  tief  berührt,  wie  bei  unserem  Ehren- 
mitglied, dem  grössten  Chirurgen  un- 
seres Adoptivvaterlandes.  Denn  zu 
ihm  blickten  wir  empor  als  zu  einem 
Gottbegnadigten,  von  dessen  Glorien- 
schein ein  goldener  Strahl  auf  jeden 
von  uns  fiel,  hatte  doch  sein  Genius 
amerikanischer  Wissenschaft  in  der 
ganzen  Welt  Achtung  geboten.  Ihn 
zu  kennen  genügte  allein  schon,  um  in 
allen  Kliniken  der  zivilisierten  Welt 
mit  Respekt  empfangen  zu  werden. 

Wenn  wir  tiefergriffen  um  ihn  trau- 
ern, so  haben  wir  der  Gründe  dazu  eine 
grosse  Zahl.  Sein  Lebenslauf  ist  auch 
im  Lande  der  unbegrenzten  Möglich- 
keiten ein  wunderbarer  zu  nennen. 
Von  einfachen  Eltern  geboren,  trug 
ihn  sein  rastloser  Geist  aus  dem  klei- 
nen Horizont  des  Landarztes  in  Wis- 
consin zu  den  ruhmvollsten  Höhen 
der  Wissenschaft. 

Am  31.  Oktober  1844  in  Buchs,  einer 
kleinen  Stadt  im  Kanton  St.  Gallen, 
geboren,  wanderte  er  als  Knabe  von  8 
Jahren  nach  den  Vereinigten  Staaten 
aus.  Seine  Eltern  wurden  zunächst  in 
Ashford  (Fond  du  Lac  County)  in 
Wisconsin  ansässig.  Nachdem  er  im 
Jahre  1864  die  Hochschule  von  Fond 
du  Lac  summa  cum  laude  absolviert 
hatte,  begann  er  zunächst  seinen  Le- 
bensunterhalt als  Lehrer  zu  verdienen 
und  ersparte  sich  in  beispielloser 
Selbstverleugnung  so  viel,  dass  er 
schon  im  Jahre  darauf  unter  den  Auspi- 
zien seines  Freundes  Dr.  F.  M  unk 
das  Studium  der  Medizin  auf  dem  Chi- 
cago Medical  College  beginnen  konnte. 
Dort  erwarb  er  sich  die  Venia  practi- 
candi  nach  weiteren  drei  Jahren,  wo- 
rauf er  sich  in  Ashford  niederliess. 
Fünf  Jahre  später  siedelte  er  nach  der 


Hochburg  des  deutschen  Nordwestens, 
dem  kunstliebenden  Milwaukee,  wo  er 
alsbald  dem  Aerztekollegium  des  städ- 
tischen Hospitals  zugesellt  wurde.  Je 
mehr  er  gewürdigt  wurde,  desto  ge- 
ringer erschien  dem  bescheidenen 
Manne  sein  eignes  Wissen,  und  im 
Jahre  1877  bezog  er  die  Universität 
München,  wo  ihn  namentlich  der  un- 
vergessliche  N  u  s  s  b  a  u  m  an  sich  fes- 
selte. Schon  im  Jahre  1878  bestand 
er  das  Doktorexamen  in  München, 
worauf  er  in  dem  Cook  County  Hospi- 
tal in  Chicago  noch  weitere  18  Monate 
als  Assistent  diente,  um  sich  in  der 
Chirurgie  weiter  zu  vervollkommnen. 
Nach  Milwaukee  zurückgekehrt,  nahm 
er  seine  chirurgischen  Studien  in 
grossartigem  Masse  wieder  auf.  Kein 
Tag  verging,  an  dem  er  nicht  trotz 
seiner  enormen  Privatpraxis  Zeit  fand, 
experimentelle  Beiträge  zu  liefern. 
Seine  Einkünfte  verwendete  er  zum 
Ankauf  von  Ländereien,  auf  welchen 
er  hunderte  von  Versuchstieren  hielt. 
Seine  wertvollen  Beobachtungen  sind 
in  einem  epochemachenden  Werk, 
„Experimental  Surgery,"  niedergelegt. 
Im  Jahre  1884  wurde  er  als  ordentli- 
cher Professor  der  Chirurgie  an  das 
College  of  Physicians  and  Surgeons  in 
Chicago  berufen,  eine  Stellung,  welche 
er  mehrere  Jahre  noch  von  Alilwaukee 
aus  versah,  bis  er  seinen  permanenten 
Wohnsitz  in  Chicago  aufschlug.  We- 
nige Jahre  später  übernahm  er  die 
Professur  am  Rush  Medical  College, 
welches  sich  später  infolge  seiner 
selbstlosen  Bemühungen  mit  der  Uni- 
versität von  Chicago  affilierte.  Hier 
und  am  St.  Joseph's-  und  dem  Presby- 
terian  Hospital  wirkte  er  begeisternd 
auf  die  akademische  Jugend,  bis  ihn 
am  2.  Januar  dieses  Jahres  eine  tücki- 
sche Erkrankung  des  Herzens,  welche 
er  sich  durch  die  Strapazen  seiner  letz- 
ten Reise  in  die  Kordilleren  zuzog,  ab- 
rief. 

Mit  ihm  ist  ein  Arzt  dahingegangen, 
welcher  in  seiner  besonderen  Art  ein- 
zig war.  Er  dürfte  in  bezug  auf  Kom- 
bination von  genialer  Intuition  mit 
geradezu  phänomenaler  Arbeitskraft 
kaum  seines  gleichen  finden.  Wir  be- 
sitzen von  ihm  über  300  Monogra- 
phien,   darunter    10    Lehrbücher,  von 


386 


New   Yorker  Medizin 


ische  Monatsschrift. 


denen  das  über  Tuberkulose  der  Kno- 
chen und  Gelenke  sowohl  als  die  chi- 
rurgische Behandlung  der  Tumoren 
zu  den  klassischen  gehören.  Keiner 
dürfte  ein  Sen  n'sches  Buch  aufschla- 
gen, ohne  daraus  Belehrung  und  origi- 
nelle Anregung  zu  schöpfen.  Sein  wis- 
senschaftliches Interesse  und  seine 
stete  Bereitwilligkeit,  zu  lernen,  Hess 
ihn  grosse  Reisen  machen,  deren 
Frucht  er  in  mehreren  Bändern  nie- 
derlegte. Was  immer  S  e  n  n  schrieb, 
trug  den  Stempel  der  Gediegenheit, 
war  es  Beschreibung  einer  Operations- 
methode, einer  Zelle,  einer  fremden 
Klinik,  eines  Gebirgszuges  oder  eines 
Menschen,  alles  war  scharf  beobachtet 
und  mit  nicht  zu  verkennenden  Stri- 
chen gezeichnet.  Dabei  war  sein  Stil 
vornehm,  wie  er  selbst.  Nie  kam  ein 
triviales  Wort  über  seine  Lippen,  er 
lächelte  aber  immer  gutmütig,  wenn 
andere  sich  Scherze  erlaubten.  So  be- 
einflusste  er  nicht  bloss  durch  das  ge- 
sprochene Wort  die  Kollegen,  welche 
ihm  viele  Meilen  weit  her  in  seine  bis 
zu  äusserster  Fassungskraft  gefüllte 
Klinik  zuströmten,  sondern  auch  durch 
sein  Beispiel  sorgfältiger  Beobachtung, 
die  in  die  trefflichste  Form  gekleidet 
war.  Die  Vorlesungen,  welche  er  in 
der  ersten  Hälfte  der  achtziger  Jahre 
über  Infektion  und  Wundbehandlung 
hielt,  waren  eine  Pioniertat  von  uner- 
messlichem  Wert,  wenn  man  bedenkt, 
wie  gross  im  Wilden  Westen  damals 
noch  die  V erachtung  des  neuen  We- 
sens in  der  Chirurgie.  Denn  durch 
Sen  n's  veredelnden  Einfluss  wurde  in 
erster  Linie  die  im  alten  Schlendrian 
fortwirtschaftende  Chirurgie  bekehrt 
und  somit  tausend  anderen  lebensret- 
tende Belehrung  gebracht. 

Sen  n's  Untersuchungen  über  Darm- 
operationen gaben  in  der  ganzen  Welt 
den  Anstoss  zum  weiteren  Aufbau  die- 
ser glänzendsten  Domäne  der  heutigen 
Chirurgie,  in  welcher  Amerika  ganz 
gewiss  nicht  mehr  an  zweiter  Stelle 
steht.  Die  praktischen  Ergebnisse  sei- 
ner Darmexperimente  resultierten  in 
der  Konstruktion  von  dekalzinierten 
Knochenplatten  zur  Vereinfachung  der 
Darmnaht  und  in  der  Einführung  des 
Wasserstoffsuperoxyds  bei  Darmver- 
letzungen    zum    Zwecke   der  Lokali- 


sierung. Die  Prüfung  der  Pankreas- 
verletzungen  Hess  ihn  zuerst  an  die 
chirurgische  Behandlung  derselben 
denken.  Auch  die  Knochenchirurgie 
dankt  ihm  wertvolle  praktische  Winke, 
es  möge  nur  an  seine  Naht  beim  Bruch 
des  Schenkelhalses  erinrfert  sein.  Fra- 
gen der  Armeechirurgie  nahmen  eben- 
falls sein  Interesse  in  hohem  Grade  in 
Anspruch,  er  war  darin  der  amerikani- 
sche Esmarch.  Dies  wurde  im 
spanisch-amerikanischen  Kriege  da- 
durch anerkannt,  dass  man  ihn  dem 
Generalstabsarzt  der  Armee  zur  Seite 
stellte.  Ohne  seinen  Einfluss  wären 
noch  viel  grössere  Katastrophen  ein- 
getreten, als  sie  infolge  des  damaligen 
Systems  leider  zu  verzeichnen  sind. 

An  Ehren  und  Auszeichnungen  hat 
es  ihm  weder  hier  noch  in  Europa  ge- 
fehlt. Sein  Name  war  in  allen  Erde- 
teilen wohlbekannt.  Seine  Patienten 
verehrten  ihn  wie  einen  Abgott  und 
seine  Studenten  kannten  in  ihrer  Be- 
geisterung für  ihn  keine  Grenzen.  Sein 
Familienleben  war  ungetrübt.  Seine 
hochgebildete  Frau,  die  ihn  nunmehr 
so  tief  betrauert,  schenkte  ihm  zwei 
Söhne,  welche  sich  beide  in  Chicago 
einen  chirurgischen  Namen  erworben 
haben.  Der  oberste  Grundzug  seines 
seltenen  Charakters  war  das  Gefühl 
der  Pflicht.  Schonung  seiner  Person 
kannte  er  nicht.  Seine  Bescheidenheit 
war  sprüchwörtlich.  Wenn  er  zu  uns 
nach  New  York  kam  und  sich  mit  dem 
Geringsten  leutselig  unterhielt,  hörte 
man  beim  Abschied  oft  die  Frage: 
„Wie,  dieser  einfache  Mann  soll  der 
grosse  Senn  gewesen  sein?"  Nichts 
konnte  ihn  mehr  freuen,  als  anderen 
gefällig  zu  sein. ,  Seine  Generosität 
kannte  keine  Grenzen.  Wie  unerhört 
war  die  Munifizenz,  den  Hospitälern, 
welche  ihm  doch  so  sehr  verpflichtet 
waren,  mehr  als  die  Hälfte  seines  Ver- 
mögens bei  Lebzeiten  zuzuwenden ! 

Senn  war  ein  amerikanischer  Pa- 
triot. Aber  sein  Herz  schlug  doch  für 
die  deutsche  Wissenschaft  und  die 
deutschen  Gelehrten.  Wenn  er  ins 
Plaudern  kam,  dann  wurde  er  bei  sei- 
nen deutschen  Erinnerungen  oft  auf- 
fallend weich  gestimmt.  Er  sprach 
immer  wohlmeinend  von  delinquenten 
Kollegen.    In  dem  kindlichen  Herzen 


New   Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


387 


des  sonst  so  energischen  Mannes  fand 
sich  kein  Raum  für  kleinliche  Erwäg- 
ungen. Er  liess  sich  lieber  betrügen, 
als  dass  er  der  Stimme  des  Misstrau- 
ens Gehör  schenkte.  In  seinem  Kreis 
war  auch  der  Profane  gezwungen,  we- 
nigstens auf  einen  Augenblick  bessere 
Gefühle  zu  hegen.  Er  ist  heimgegan- 
gen, aber  er  hinterliess  ein  grosses 
Vermächtnis.  Sein  Name  wird  in  der 
Geschichte  der  Medizin  unvergessen 
bleiben. 

Meine  Herren,  ich  fordere  Sie  auf, 
sich  zur  Ehrung  seines  Andenkens  zu 
erheben.  (Geschieht.)  Ich  danke  Ihnen. 
Vorträge. 

Dr.  H.  Wolf:  Die  Lehre  von 
der  Vasomotoren  Lähmung  als  Grund- 
lage der  Hydrotherapie  der  Infektions- 
krankheiten. 

(Der  Vortrag  wird  in  der  Monats- 
schrift als  Originalarbeit  publiziert  wer- 
den.) 

Diskussion.  Dr.  S.  B  a  r  u  c  h  :  Dem 
Kliniker  darf  es  eine  grosse  Genugtu- 
ung sein,  die  Ideen,  die  er  seit  Jahren 
als  Rationale  und  Basis  seines  thera- 
peutischen Handelns  benützt  hat,  von 
einem  so  tüchtigen  und  in  der  mo- 
dernen Literatur  bewandten  Kollegen 
vertreten  zu  hören.  Dass  ich  den 
Hauptpunkten  des  soeben  gelieferten 
Vortrags  beistimme,  ergeht  aus  dem 
Faktum,  dass  ich  seit  dem  Erscheinen 
meines  ersten  Buches  den  unzweifel- 
haften Einfluss  des  von  H  u  t  c  h  i  n- 
s  o  n  sogenannten  Hautherzens  betont 
habe.  Wie  jede  klinische  Wahrheit, 
ist  auch  diese  von  neuen  Forschern  be- 
stätigt worden.  Es  ist  treffend,  dass 
Sie,  meine  Herren,  eine  solch  klare 
und  lehrreiche  Darstellung  der  wahren 
Basis  der  Kaltwasserbehandlung  ge- 
hört haben,  die  einigen  hoffentlich  als 
Beweis  ihrer  Wirksamkeit  und  an- 
deren zur  Beseitigung  falscher  Ideen 
und  Vorurteile  dienen  wird.  Ich  kann 
dem  werten  Kollegen  nicht  ganz  in  der 
Erklärung  seiner  Theorie  der  Kapil- 
larenkontraktion durch  die  Hautmus- 
keln beistimmen,  wenn  er  behauptet, 
dass  diese  Zusammenziehung  der  Ge- 
fässe  auf  reflektorischem  Wege  durch 
das  Vasomotorenzentrum,  welches 
durch  den  Kältereiz  erregt  werden 
soll,  von    statten   geht.    Der  primäre 


Effekt  ist  eine  Kontraktion  der  Haut- 
muskeln durch  die  Kälte.  Diese  erhöht 
den  ,, Tonus"  in  der  Peripherie,  welcher 
durch  die  in  dem  Blute  zirkulierenden 
Toxine  herabgesetzt  worden  ist.  und 
unterstützt  auf  diese  Weise  die  Vasomo- 
torenzentren (die  kleinen  und  grossen) 
mit  Kraft.  Meine  Erklärung  der  Wir- 
kung des  kalten  Bades  ist  folgende : 

Es  ist  physiologisches  Gesetz,  dass 
Kälte  die  glatte  Muskulatur  kontra- 
hiert. Die  Muskulatur  der  Haut  wird 
also  zusammengezogen ;  die  Haut  wird 
gerunzelt  (Gänsehaut).  Die  Hautka- 
pillaren werden  auf  dieser  Weise  zu- 
sammengezogen, denn  sie  besitzen 
keine  Muskulatur.  Die  Haut  wird 
blass  und  anämisch,  wird  aber  durch 
die  Friktion  mässig  erwärmt.  Die 
Kontraktion  der  Muskulatur  wird  teil- 
weise beseitigt.  In  demselben  Mo- 
ment werden  die  kleinen  und  grossen 
Vasomotorenzentern  durch  den  sen- 
sorischen thermischen  Reiz  erregt  — 
erfrischt  —  und  sie  antworten  durch 
eine  Erhöhung  der  Herzkraft  und  der 
Spannung;  das  Blut  wird  mit  vermehr- 
ter Kraft  in  das  ganze  Gefässgebiet 
getrieben,  sodass  die  früher  anämisier- 
ten  Kapillaren  bald  von  arteriellem  Blut 
strotzen,  wie  Bier  in  seinen  Experi- 
menten bewiesen  hat.  Der  mechani- 
sche Reiz  —  die  Friktion  —  erwärmt 
die  kalte  Haut;  die  Ueberfüllung  mit 
arteriellem  Blut  erhöht  die  Tempera- 
tur derselben  und  die  abnorme  Kon- 
traktion der  Hautmuskulatur  lässt 
nach  und  kehrt  zu  ihrem  normalen  Tonus 
zurück ;  gerade  das  entgegengesetzte,  das 
nach  einem  warmen  Bad  geschieht. 
Die  Resistenz  der  Hautmuskulatur  ge- 
gen die  durch  das  stark  zuströmende 
Blut  wieder  dilatierten  Kapillaren 
bietet  dem  Herzen  den  nötigen  Wider- 
stand, der  in  einem  normalen  Zustand 
des  Vasomotorensystems  besteht.  Auf 
diese  Weise  wird  die  Herzschwäche 
und  die  sie  begründende  Erschlaffung 
der  peripheren  Gefässe  beseitigt,  wie 
es  von  keinem  Medikament  geschehen 
kann.  Auf  diese  Weise  ist  die  toni- 
sche Hyperämie  der  "Haut  nach  kalten 
Bädern  zu  erklären.  Ohne  die  direkte 
Zusammenziehung  der  Hautmuskeln 
und  ihre  später  der  Vasomotorener- 
regung  und    Friktion    folgenden  Er- 


388 


New   Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


wärmung  würde  die  Herstellung  ei- 
nes verbesserten  Zirkulationzustandes 
scheitern.  Ohne  Friktion  bleibt  die 
Hautmuskulatur  starr  und  die  Kapil- 
laren füllen  sich  nicht,  obgleich  auch 
die  Vasomotoren  erregt  worden  sind ; 
das  ist  klinische  Tatsache,  denn  der 
Patient  kollabiert,  wenn  er  im  kalten 
Bade  nicht  gerieben  wird.  Die  Frik- 
tion bleibt  deshalb  das  Hauptelement 
des  kalten  Bades.  Eines  der  wichtig- 
sten Regeln  der  Hydrotherapie  ist, 
dass  kaltes  Wasser  nie  ohne  Friktion 
angewendet  werden  darf.  Dass  die 
regelrechte  Kaltwasserbehandlung  des 
Fiebers,  wie  sie  B  r  a  n  d  befürwortet, 
nicht  Gemeingut  der  Aerzte  geworden 
ist,  erhellt  aus  einer  in  der  „Deutschen 
Klinik"  im  letzten  Sommer  erschie- 
nenen Umfrage  über  die  Behandlung 
des  Abdominaltyphus.  Und  dass  die 
Vernachlässigung  der  einfachsten 
Grundsätze  der  Hydrotherapie  daran 
schuld  ist,  erhellt  aus  den  Schriften 
und  Diskussionen  der  berühmtesten 
Aerzte  Deutschlands  —  vide  Cursch- 
m  a  n  n  in  Nothnage  Ys  Cyclopae- 
die,  Artikel  Typhus ! 

So  lange  wie  Brand  lebte  und  für 
die  präzise  Technik  seines  Bades 
kämpfte,  ging  die  Mortalität  des  Ab- 
dominaltyphus hinunter,  wie  aus  den 
Berichten  der  Militärbehörden  bewie- 
sen wurde.  Die  B  r  a  n  d'sche  Methode, 
die  ganz  auf  eine  Erhöhung  des  peri- 
pheren Blutlaufs  gestützt  ist,  wurde 
aber  nicht  von  deutschen  Professoren 
in  Zivilhospitälern  erprobt  und  fiel  des- 
halb ausser  Gebrauch.  In  unserem 
Lande  ist  es  anders  gegangen.  Seit- 
dem ich  die  Ehre  hatte,  die  B  r  a  n  d'- 
sche Methode  in  1889  hier  einzuführen 
(ich  spreche  nicht  von  der  Kaltwasser- 
behandlung, sondern  von  der  Methode 
Brand)  haben  klinische  Lehrer  wie 
F  1  i  n  t,  Alfred  L  o  o  m  i  s,  Dela- 
f  i  e  1  d,  Peabody,  Osler,  Bull 
und  andere  die  Technik  und  das  Ra- 
tionelle dieser  Prozedur  geprüft  und 
verbreitet.  Die  Antworten  auf  die 
oben  erwähnte  „Umfrage"  erwähnten 
kalte  Bäder  mit  Indifferenz  oder  Spott. 
Im  Gegenteil  hat  eine  von  mir  vor  eini- 
gen Wochen  angestellte  Umfrage  er- 
wiesen, dass  O  s  1  e  r's  Nachfolger  im 
Johns  Hopkins  Hospital,  Professor  Bar- 


k  e  r  in  Philadelphia,  die  Professoren 
Wilson,  Tyson  und  M  u  s  s  e  r  in 
New  York,  der  soeben  hingeschiedene 
Loomis  und  die  Professoren 
Thompson  und  James  dieses  Bad 
als  die  beste  Behandlung  des  Abdomi- 
naltyphus betrachten. 

In  seinem  in  1903  erschienenem 
Werke,  „Practice  of  Medicine,"  betont 
Gilman  Thompson  die  Tatsache, 
dass  die  Mortalität  in  den  New  Yorker 
Hospitälern  durch  die  Einführung  des 
regelrechten  Brau  d'schen  Bades  um 
die  Hälfte  reduziert  worden  ist. 

In  der  Technik  des  kalten  Bades 
spielt  der  Zustand  des  Vasomotoren- 
systems eine  grosse  Rolle.  Deshalb  ist 
der  Vortrag,  den  Sie,  meine  Herren, 
soeben  gehört  haben,  nicht  bloss  von 
akademischem  Wert.  Wie  kalt  das 
Wasser  sein  soll,  wie  lange  das  Bad 
dauern  soll  und  wie  oft  es  gegeben 
werden  soll,  hängt  ganz  von  der  In- 
tegrität des  V asomotorensystems  ab. 
Im  ersten  Stadium  zum  Beispiel  eines 
Typhus,  ehe  das  Nervensystem  die  Re- 
flexaktion betäubt  oder  abgeschwächt 
ist,  darf  und  soll  das  Bad  70  bis  65°  F. 
sein  ;  hier  ist  die  strikte  B  r  a  n  d-Me- 
thode  anzuwenden ;  in  der  zweiten 
oder  dritten  Woche  sind  die  Reflexe 
oft  so  deprimiert,  dass  kürzere  Bäder 
und  häufigere  angewandt  werden  müs- 
sen. 

Derjenige  Arzt,  der  die  Prinzipien 
der  Hydrotherapie  beherrscht  und  des 
wichtigen  Anteils  des  Vasomotorensy- 
stems in  der  Therapie  der  Infektions- 
krankheiten bewusst  ist,  wird  die 
meisten  Leben  retten. 

Dr.  H.  Wolf  (Schlusswort):  Ich 
habe  auf  die  Worte  des  Dr.  B  a  r  u  c  h 
zu  erwiedern,  dass  es  noch  nicht  sicher 
erwiesen  ist,  ob  der  Einfluss  der  Kälte- 
reize auf  die  glatten  Muskelfasern 
mittelbar  oder  unmittelbar  ist. 

Schulz  hat  nachgewiesen,  dass  die 
Wirkung  ausblieb,  wenn  er  den  Mus- 
kel mit  Kokain  benetzte. 

Was  nun  die  Friktion  anbetrifft,  so 
muss  ich  die  Notwendigkeit  derselben 
bei  kalten  Bädern  nochmals  mit  B  a- 
ruch  betonen ;  kein  kaltes  Bad  ohne 
mechanische  Einwirkung.  Ob  diese 
in  einer  Reibung  oder  in  dem  Druck 
(Dusche)  besteht,  ist  gleichgiltig. 


New   Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


389 


c)  Dr.  A.  H  e  r  z  f  e  1  d  :  Zur  Behand- 
lung der  Migräne. 

(Wird  als  Originalartikel  in  der  Mo- 
natsschrift veröffentlicht  werden.) 

Diskussion.  Dr.  Jos.  Fraenkel: 
Ich  kann  nur  unterschreiben,  dass 
man  individualisieren  muss,  und 
dass  die  Migräne  keine  Erkrankung 
sui  generis  ist,  keine  Erkrankung,  die 
eine  definitive  pathologische  Anatomie 
hat,  denn  das  ist  es  wohl,  was  wir  bis 
jetzt  Morbus  sui  generis  nennen,  und 
dass  wir  eingestehen,  dass  wir  weder 
eine  genaue  Pathogenese  noch  eine  ge- 
naue Pathopbysiologie  oder  pathologi- 
sche Anatomie  der  Migräne  haben. 
Nichtsdestoweniger  möchte  ich  die 
Ausführungen  von  Dr.  H.  Herzfeld 
etwas  wärmer  befürworten,  und  zwar  aus 
folgenden  Gründen :  Wir  geben  zu,  dass 
es  für  die  Majorität  der  Migränefälle 
keine  definitive  pathologische  Basis 
und  demnach  auch  keine  definitive 
allgemeine  giltige  in  jedem  Falle  anzu- 
wendende Therapie  gibt,  aber  wenn 
wir  doch  an  der  Hand  aller  früheren 
Erfahrungen  und  unserer  eigenen  Er- 
fahrungen uns  ein  Bild  von  der  Häu- 
figkeit und  den  häufigen  Formen  der 
Migräne  entwerfen,  so  kommen  wir 
zu  folgendem  praktischen  Resultat: 
Wenn  wir  unter  Migräne  folgenden 
Symptomenkomplex  verstehen :  einen 
auf  hereditärer  Basis  sich  entwickeln- 
den, in  gewissen  bestimmten  Perioden 
wiederkehrenden  Symptomenkomplex, 
der  sich  zusammensetzt  aus  den  Phä- 
nomenen, wie  sie  Dr.  H  e  r  z  f  e  1  d  be- 
schrieben hat,  aus  gastrointestinalen, 
vasomotorischen  und  cerebrospinalen 
Symptomen,  so  kann  man  das  eine  Mi- 
gräne nennen.  Nun  wenn  wir  diese 
Definition  auf  unsere  praktische  Er- 
fahrung anwenden,  so  würde  ich  sagen, 
dass  das  die  Majorität  der  Fälle  von 
einseitigem  Kopfschmerz  deckt,  die 
uns  in  der  Klinik  und  Praxis  begegnen. 
Die  sehr  viel  selteneren  Fälle,  die  erwähnt 
wurden,  sind  eine  sehr  rare  Form  der 
Erkrankung,  und  es  ist  sehr  fraglich,  ob 
sie  überhaupt  derjenigen  Migräne  zuzu- 
rechnen sind,  die  Dr.  H  e  r  z  f  e  1  d  heute 
hat  zur  Diskussion  bringen  wollen.  Ich 
muss  sagen,  dass  ich  selbst  in  einer  Reihe 
von  Jahren  kaum  mehr  als  zwei  Fälle 
von    Migraine    ophthalmoplegique  ge- 


sehen habe.  Wo  wir  die  Fälle  von 
Migraine  ophthalmoplegique  hinsetzen, 
ist  für  den  Moment  unentschieden. 
Die  Entscheidung  des  pathogeneti- 
schen Verhältnisses  der  gastrointesti- 
nalen zu  den  cephalen  Symptomen  ist 
selbstverständlich  äussert  schwer.  Es 
kann  kein  Mensch  sagen,  ob  die  gastro- 
intestinalen Symptome  das  primäre 
und  die  cephalen  das  sekundäre  sind 
oder  umgekehrt.  Meine  eigene  Erfah- 
rung steht  unter  dem  Einfluss  der  Auf- 
fassung, wie  sie  Dr.  H  e  r  z  f  e  1  d  vor- 
getragen. Dass  die  meisten  Formen 
der  reinen  Migräne  und  der  analogen 
Formen  von  Nervenaffektion  hervor- 
ragend von  irgend  einer  gastrointesti- 
nalen oder  ,,Stoffwechsel"-Ursache  be- 
dingt sind,  ist  mir  zur  Ueberzeugung 
geworden.  Ich  habe  die  Sache  seit 
drei,  vier  Jahren  genauer  verfolgt,  und 
jeder  einzelne  meiner  Migränefälle 
wird  daraufhin  gründlich  geprüft.  Ich 
will  das  an  ein  paar  Beispielen  erläu- 
tern. Ich  habe  gegenwärtig  unter  Be- 
handlung zwei  Fälle,  einen  Zahnart 
und  einen  Bruder  des  Herrn.  Der 
Zahnarzt  hat,  was  man  typische  An- 
fälle von  Migräne  nennt.  Alle  3,  4,  6 
Wochen  bekommt  dieser  Herr  einen 
Anfall,  der  manchmal  mit  einer  opti- 
schen Aura  einherläuft,  manchmal  mit 
Erbrechen  oder  ohne  dasselbe.  Bei 
diesem  Herrn  fand  sich  regelmässig 
einige  Tage  vor  dem  Anfall  eine  mäch- 
tige Anhäufung  von  Indikan  im  Harne, 
sodass  mein  Laboratoriums- Assistent 
mir  im  vorhinein  sagte,  was  vorgeht. 
Gleichzeitig  war  damit  ein  mächtiger 
Krampf  im  ganzen  Dickdarm  assoziert, 
der  sich  dann  in  der  Form  des  Stuhles 
zeigt.  Unter  solchen  Umständen  löst 
sich  der  Anfall  aus.  Eine  auf  diese 
Verhältnisse  gerichtete  Therapie  hat 
den  Herrn  die  letzten  drei  Jahre  mi- 
gränefrei gehalten.  Der  Bruder  dieses 
Herrn  leidet  an  Anfällen,  die  ins  Gebiet 
des  Petit  mal  gehören.  Der  Befund  im 
Darm  ist  analog  dem  bei  seinem  Bruder, 
und  die  in  derselben  Weise  eingeleitete 
Therapie  hat  eine  ganz  unstreitige  Bes- 
serung im  Zustande  des  Patienten  be- 
wirkt. 

Davon  unterscheidet  sich  klinisch 
eine  andere  Klasse  von  Fällen.  Da  ist 
ein  Vater  und  zwei  seiner  Söhne,  die 


390 


New   Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


alle  drei  Migräneanfälle  haben,  ein 
Herr,  40  Jahre  alt,  und  ein  Junge  von 
10  und  einer  von  17  Jahren.  In  diesen 
drei  Fällen  konnte  dieselbe  Therapie 
gar  keinen  Erfolg  zeigen,  und  die  ganz 
genaue  Untersuchung  des  Stuhls  hat 
gar  keine  Anhaltspunkte  ergeben.  Das 
ist  ein  Typus,  der  sich  jedenfalls  von 
der  Migräne  ablöst  und  pathologisch 
nicht  erkennbar  ist.  Ebenso  - ist  der, 
welcher  Störungen  wie  vorübergehend 
leichte  Hämoplegien  oder  Augenmus- 
kelstörungen hat,  praktisch  nicht  zu 
berücksichtigen  bei  der  Pathogenese 
der  gewöhnlichen,  praktisch  häufigen 
Migräne.  Ich  glaube  mit  der  Bemer- 
kung schliessen  zu  können,  dass  für  die 
häufigen  Formen,  die  wir  in  der  Praxis 
sehen,  die  von  Dr.  H  e  r  z  f  e  1  d  skiz- 
zierte Auffassung  wohl  gegenwärtig 
vom  praktischen  Standpunkt  aus  die 
richtigste  ist. 

Dr.  G.  M  annheimer:  Ich  glaube, 
dass  zum  Zustandekommen  der  Mi- 
gräne zwei  Dinge  gehören,  eine  Prädis- 
position und  auslösende  Momente.  Die 
Migräne  ist  ja  häufig,  wie  Dr.  F  r  a  e  n- 
k  e  1  sagt,  Familienkrankheit.  Eine 
sehr  häufige  Prädisposition  ist  die 
gichtische. 

Trousseau  erwähnt  mehrere 
charakteristische  Beispiele,  wro  bei 
demselben  Menschen  in  der  Jugend 
Migränanfälle  bestanden,  die  späterhin 
von  Gichtanfällen  abgelöst  wurden; 
oder  wo  Asthma  und  Migräne,  Haut- 
ausschläge und  Gichtanfälle  abwechsel- 
ten. Auslösende  Momente  können  bei 
Leuten,  die  zu  Migräne  prädisponiert 
sind,  Verdauungsstörungen  sein,  Auf- 
regungen, Ueberanstrengungen  oder 
irgend  ein  anderes  Moment.  Wenn 
aber  Dr.  H  e  r  z  f  e  1  d  auf  Magenatonie 
ein  so  grosses  Gewicht  legt,  so  wird  es 
sich  doch  empfehlen,  für  die  betreffen- 
den Fälle  etwas  genauere  Angaben  zu 
machen.  Besteht  denn  wirklich  Ato- 
nie?  Ich  verstehe  unter  Atonie  mo- 
torische Insuffizienz  des  Magens. 
Wenn  man  bei  einem  Migränefall  ver- 
mutet, dass  motorische  Störungen  das 
auslösende  Moment  sind,  so  muss  man 
der  Sache  auf  den  Grund  gehen.  Man 
untersucht  den  Chemismus  und  die 
Motilität  des  Magens.    Daraus  wird 


sich  etwas  Bestimmtes  für  die  Behand- 
lung ableiten  lassen. 

Den  Autointoxikationen  vom  Darm- 
kanal aus  legt  man  heutzutage  alle 
möglichen  Zustände  zur  Last.  Man 
spricht  von  Toxinen,  die  im  Darm  er- 
zeugt werden  und  bei  mangelhafter 
Xieren-  und  Lebertätigkeit  in  den 
Kreislauf  übergehen.  Ich  habe  die 
Frage  in  der  letzten  Zeit  genau  stu- 
diert und  habe  mich  überzeugt,  dass 
sehr  wenig  Tatsächliches,  Greifbares 
dahinter  ist.  Ob  im  Urin  etwas  mehr 
Indikan  oder  Phenol  ist,  das  macht 
nicht  viel  aus.  Es  handelt  sich  ja  auch 
nicht  bloss  um  die  Untersuchung  des 
Urins  sondern  auch  des  Kotes  und  des 
Lungengaswechsels.  Eine  Lntersuch- 
ung  des  Urins  auf  Indikan  und  Azeton 
etc.  ist  doch  noch  keine  Stoff wecnsel- 
untersuchung.  Wir  Praktiker  können 
diese  Untersuchungen  nicht  machen, 
aber  viele  Forscher  haben  das  oft  ge- 
nug getan,  und  aus  deren  Ergebnissen 
schliesse  ich,  dass  von  der  sogenann- 
ten Autointoxikation  wenig  sicheres 
übrig  bleibt. 

Dr.  H  e  r  z  f  e  1  d  hat  kalte  Bäder  ge- 
folgt von  kalten  Abreibungen  für  die 
Behandlung  empfohlen.  Das  ist  eine 
etwas  vage  Vorschrift  und  ich  zweifle 
nicht,  er  wird  seinen  Patienten  etwas 
genauere  Direktionen  geben.  Jeden- 
falls ist  die  Hydrotherapie  eines  der 
mächtigsten  Mittel,  um  die  Diathese, 
die  der  Migräne  zu  Grunde  liegt,  im 
Intervall  zu  bekämpfen.  Ich  habe  seit 
einigen  Jahren  Migräne-Patienten  im 
Intervall  Natrium  salicylicum  mit  Xa- 
triumbromat,  eine  Dosis  abends  vor 
dem  Schlafengehen,  gegeben,  und  zwar 
mit  Erfolg,  da  wo  die  Ursache  der  Mi- 
gräne nicht  zu  ergründen  war.  S  e- 
gu  i  n  hat  die  Behandlung  mit  Canna- 
bis  Indica  für  das  Intervall  sehr  warm 
empfohlen. 

Dr.  A.  Herzfeld  (Schlusswort): 
Ich  habe  gleich  im  Anfang  meines 
Vortrages  die  Bemerkung  gemacht, 
dass  ich  in  allen  Fällen  der  Migräne 
diese  Behandlungsmethode  angewandt, 
in  den  meisten  Fällen  mit  gutem  Er- 
folg. Dass  die  Migräne  nur  ein  Symp- 
tomenkomplex ist  und  kein  morbus 
sui    generis,    habe    ich    ebenfalls  er- 


New   Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


39i 


wähnt,  desgleichen,  dass  eine  neuro- 
pathische  Veranlagung  nötig  ist  und 
häufig  der  auslösende  Reiz  vom  Ma- 
gendarmkanal  ausgeht.  Weiter  habe 
ich  nichts  zu  sagen. 

Präsident  Dr.  Carl  Beck:  Ich 
habe  Ihnen  noch  eine  wichtige  Mitteil- 
ung zu  machen.  Ende  nächsten  Mo- 
nats wird  kein  geringerer  als  Prof. 
Robert  Koch  nach  New  York 
kommen.  Es  ist  doch  selbstverständ- 
lich, dass  vor  allen  Dingen  die  Deut- 
sche Medizinische  Gesellschaft  daran 
ein  Interesse  nimmt.  Ich  glaube,  Sie 
werden  alle  mit  mir  darin  eins  sein, 
dass  die  starke  Indikation  vorliegt, 
von  der  Anwesenheit  Robert 
Kochs  Notiz  zu  nehmen.  Wir  haben 
ihn  oft  genug  in  unseren  Versammlun- 
gen erwähnt.  Ich  möchte  Sie  bitten, 
Vorschläge  zu  machen,  welche  dahin 
gehen,  wie  man  ihn  feiern  kann,  ob 
durch  ein  Bankett  oder  etwas  derarti- 
ges. 

Nach  kurzer  Debatte  beschliesst  die 
Versammlung,  dem  Verwaltungsrat 
Vollmacht  zu  geben,  eine  Robert 
K  o  c  h-Feier  einzuleiten. 

Präsident  Dr.  CarlBeck:  Im  An- 
schluss  an  die  Zeitschriftenangelegen- 
heit möchte  ich  noch  um  Ihre  Instruk- 
tion bitten.  Nach  unserer  Geschäfts- 
ordnung sollten  derartige  Fragen  am 
Schluss  der  Vorträge  behandelt  wer- 
den. Aber  Sie  sehen,  wie  es  geht. 
Wenn  es  10  Uhr  geschlagen  hat,  d?na 
gehen  die  meisten  Kollegen  fort.  Da 
Sie  nun  beschlossen  haben,  dass  die 
Angelegenheit  lh.der  nächsten  Srföuhg. 
vorkommt,  so  sind  wir  eventuell  in 
prekärer  Lage.  Instruieren  Sie  mich 
deshalb  gefälligst,  welcher  Platz  dieser 
Diskussion  angewiesen  werden  soll. 
Nach  der  Vorstellung  von  Patienten 
etwa,  oder  wollen  Sie  eine  bestimmte 
Zeit  festsetzen,  sodass  wir  nicht  wie- 


der gehindert  sind  dadurch,  dass  der 
eine  oder  andere  noch  nicht  da  ist  oder 
nicht  länger  bleiben  kann. 

Dr.  Carl  Pfister:  Da  die  Sache 
bekannt  gemacht  wird,  so  wird  wohl 
jeder,  der  ein  Interesse  daran  hat,  hier 
bleiben ;  aber  ich  glaube,  wir  müssen 
uns  strikt  an  die  Geschäftsordnung 
halten,  die  vorschreibt,  dass  derartige 
Sachen  nach  dem  Vortrag  behandelt 
werden. 

Präsident  Dr.  CarlBeck:  Wir  ha- 
ben in  der  nächsten  Sitzung  vier  Vor- 
träge ;  es  wird  also  sehr  spät  werden. 

Dr.  G.  M  ann heimer:  Dr.  Pfis- 
ter bemerkt  ganz  richtig,  dass  die  Ge- 
schäftsordnung vorschreibt,  dass  spe- 
ziell geschäftliche  Angelegenheiten 
nach  der  wissenschaftlichen  Diskus- 
sion folgen  sollen.  Das  wird  aber  nicht 
gehen,  wenn  vier  Vorträge  gehalten 
werden.  Ich  stelle  daher  den  Antrag, 
dass  nur  zwei  Vorträge  auf  das  Pro- 
gramm kommen  und  zum  Schluss  die 
I '.esprechung  des  Verhältnisses  der  Ge- 
sellschaft zur  Monatsschrift  auf  Grund 
des  Komiteeberichts. 

Die  Versammlung  beschliesst  die- 
sem Antrag  gemäss. 

Präsident  Dr.  Carl  Beck:  Herr 
Dr.  Tombo  hat  gebeten,  seinen  Ge- 
halt als  Stenograph  zu  erhöhen.  Er 
hat  sehr  grosse  Arbeit.  Der  Verwal- 
tur.gsrat  ist  dafür,  dass  diese  Frage  in 
Verbindung  mit  der  Frage  der  Unter- 
1  Stützung  der  Monatsschrift  behandelt 
wird. 

Aaf  Antrag  aus  der  Mitte  der  Ver- 
I  Sammlung  erklärt  sich  diese  mit  dem 
Vorschlag  des  Verwaltungsrats  einver- 
standen. 

Hierauf  tritt  Vertagung  ein. 
Schluss  der  Sitzung  um  10:15  Uhr. 
Dr.  J.  Heckmann, 

Prot.  Sekretär. 


Therapeutische  und  klinische  Notizen. 


— ■  Trockcnbchandlung  der  Gonorrhöe.  Zum 
Einhlasen  von  Pulvern  in  die  Urethra  bedient 
sich  Zeuner  in  Berlin  eines  von  W  i  n  d- 
1  e  r,  Berlin  N.,  Friedriclistr.  No.  133  a,  herge- 
stellten, Pulveral  genannten  Pulverbliisers. 
Nachdem  durch  Urinieren    die  Schleimhaut 


von  Sekret  gereinigt,  das  Orificium  gut  abge- 
trocknet worden  ist,  wird  die  zur  Aufnahme 
des  Pulvers  bestimmte  Schaufel  gestrichen 
voll  beladen,  das  Glasrohr  in  das  sich  an- 
schliessende Hartgummirohr  fest  eingescho- 
ben, die  Ansatzspitze  in  das  Orificium  einge- 


392 


New  Yorker  Medizinische  Monatsschrift. 


führt  und  durch  viermaliges  kräftiges  Aus- 
drücken des  Gummiballons  die  ganze  Pulver- 
menge eingeblasen.  Die  eingetriebene  Luft 
entweicht  bald  wieder.  Dass  das  auf  diese 
Weise  eingeblasene  Xeroform  bis  in  die 
Pars  bulbosa  in  bester  Verteilung  und  in  reich- 
licher Menge  gelangt,  konnte  auch  Professor 
P  o  s  n  e  r,  dem  Verfasser  sein  Verfahren 
demonstrierte,  mittels  Endoskops  konstatieren. 
Das  vom  Verfasser  bevorzugte  Xeroform,  das 
austrocknend,  schmerzstillend,  reizlos  und 
keratoplastisch    wirkt,    haftet    gut    an  der 


Schleimhaut,  reduziert  die  Eiterproduktion 
schnell  und  kann  durch  Förderung  der  Ueber- 
häutung  ohne  Narbenbildung  Strikturen  ver- 
hindern. Die  durch  die  Lufteinblasung  ver- 
ursachte Dehnung  der  Urethra  kann  das  bei 
narbiger  Verengerung  schwierige  Durchführen 
von  Sonden  und  die  Urinentleerung  ohne  Ka- 
theter erleichtern.  Die  neue  Behandlungsme- 
thode verdient  gewiss  Beachtung.  Die  Pul- 
verbehandlung ist  auch  bei  Frauen  durchführ- 
bar. (Berliner  klinische  Wochenschrift,  No. 
2S>  1907- ) 


Kleine  Mitteilungen. 


—  Geheimrat  Carl  v.  Voit  ist  am  31. 
Januar  gestorben.  Der  Gelehrte  hatte  noch 
nach  Ablauf  der  Weihnachtsferien  seine  Vor- 
lesungen wieder  aufgenommen.  Doch  machten 
sich  schon  bald  darauf  Krankheitserscheinun- 
gen geltend,  die  ihn  zum  Entschluss  brachten, 
um  die  Enthebung  von  seinem  Lehramt  nach- 
zusuchen. Von  da  an  machte  der  Verfall 
rasche  Fortschritte.  Die  Sektion  ergab  als 
Todesursache  Miliartuberkulose.  Der  Tod 
Voit's  trifft  die  Universität  München,  mit 
der  er  45  Jahre  hindurch  aufs  engste  verbun- 
den war,  schwer.  Nicht  nur  weil  sie  ihren  be- 
rühmtesten Forscher  und  Lehrer  mit  ihm  ver- 
liert, sondern  auch  weil  Voit's  Persönlichkeit 
mit  ihrer  Verkörperung  aller  guten  Charakter- 
eigenschaften, ihrer  Erfahrung,  i  Pflichttreue, 
Rechtlichkeit  im  Rate  des  Senats  und  der  Fa- 
kultät schlechthin  unersetzlich  ist.  Die  Mün- 
chener Aerzte  sind  zum.  grösste-i  Teil'  Vi)  i  t/9 
Schüler.  Sie  bewahren  ihm  ein*  dankbares  und 
unauslöschliches  Andenken.  (Münchener  med. 
Wochenschr.) 


—  Erschliessung  einer  neuen  Thcrma  quelle 
in  Karlsbad.  Anlässlich  der  Sanierungsarbei- 
ten im  Quellengebiete  in  Karlsbad  wurde  bei 
Neufassung  des  Mühlbrunnens  eine  Therme 
von  besonders  hoher  Temperatur  und  grosser 
Ergiebigkeit  erschlossen.  Dieselbe  dürfte  die 
gleiche  sein,  welche  schon  gegenwärtig  den 
Mühlbrunnen  speist.  Die  Temperatur  der 
Quelle  beträgt  500.  Ob  bei  Au  rindung  der 
Quelle  nicht  etwa  der  unterirdisch  Zuleitungs- 
weg einer  schon  lang  erschlossenen  Quelle  an- 
gefahren wurde,  muss  abgewa. 'et  werden. 
Ein  abschliessendes  Urteil  wird  trst  möglich 
sein,  wenn  die  neu  erschlossene  Quelle  ge- 
tl'ume.  Zeit  hindurch  in  bezug  auf  Ergiebig- 
keit,' Steighöhe  und  Temperatur  konstant 
bleibt  und  dfe  übVigen  Quellen  unberührt  lässt. 
<  Allgemeine  Wiener  Cied.  Zeitung.) 

—  Der  37.  Kongrcss  der  Deutschen  Gesell- 
schaft für^  Chirurgie  rindet  vom  21.  bis  24. 
Apr>i!,  der  /  Kongress  der  Deutschen  Gesell- 
schaft für  orthopädische  Chirurgie  am  25. 
April  d.  J.  im  Langenbeckhause  in  Berlin  statt.