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in 2014
littps://arcliive.org/details/newyorl<ermedizin4189unse
New Yorkier
Medicinische Monatsschrift
Organ für praktische Aerzte in Amerika
unter Mitwirkung von
Dr. A. F. Buechler, Dr. Geo. Degner, Dr. Max Einhorn,
Dr. Jos. W. Gleitsmann, Dr. Geo. W. Jacoby, Dr. F. Krug,
Dr. S. J. Meitzer, Dr. Willy Meyer, Dr. C. A. von Ramdohr,
Dr. A. Schapringer, Dr. A. Seibert.
Herausgegeben von
Dr. F. €. HEPPENMEIMER.
1892.
APR -1 1901
NEW YORK :
VERLAG DER MEDICAL MONTHLY PUBLISHING COMPANY.
Druck der Cherount Printing and Publishing Co.;
17 to 27 V^andewater Street, N. Y.
New Yorker Medicinische Monatsschrift.
Herausgegeben von Dr. F. C. Heppenheimek,
Inlialtsverzeicliiiiss von Band IV.
ORIGINALAKBEITEN :
Seite.
Anus, Die häufigsten Fremdkörper in ano. Von Dr. Fest 469
AsHEViiiLE, N. C, und seine Vorzüge als Curort für Lungenkranke. Von
Dr. J. W. Gleitsmann 449
Augenlid, Unwillkürliche Hebung des obern Augenlids bei bestimmten
Bewegungen des Unterkiefers. Von Dr. A. Schapringer 10
Augenpraxis, Mittheiiungen aus der Augenpraxis : 1. Polyp der Conjunc-
tiva ; 2. Krystalle in der Netzhaut. Von Dr. F. E. D'Oench. . . . . 184
AcHYLiA, Ueber Achylia gastrica. Von Dr. Max Einhorn .220, 267
Atropinintoxication, Eine Atropinintoxication nach epidermatischem
Gebrauch einer Belladonna-8albe. Von Dr. S. J. Meitzer 216
Bemerkungen, Bemerkungen zu dem Artikel des Herrn Gleitsmann : ,,Ein
neues und einfaches Verfahren zur Beseitigung der unangeneh-
men Folgezusfände nach Gebrauch der Galvanocaustik bei Hyper-
trophien der Nase. Von Dr. W. Freudenthal 15
Cellularpathologie, Der heutige Stand der. Von Dr. C. Heitzmann 378
Cholera, Die Aetiologie und Prophylaxis der Cholera Asiatica. Von Dr.
L. Heitzmann :i ^ ., <., 415
Cholera, Pathologie und Tb orftdiie' '<der <(<5h(Mer{i'<' Asiatica, Von Dr. L.
Weber ./. 422
Darmresection, Ueber Darmresection -bei cangränösön. Hbrniün. Von Dr.
CarlBeck 249
Dementia, Psn chologische Erscheinuögeli in Dementia Epileplica. Von
Dr. H. Engel ............. ^ 409
Desintection, Die Deslnfcctionsmcthö^e^ in BeJclii!".. tiii,d Hamb arg wäh-
rend der Cholera. Ein B>?nolLt'.' 'tön Di.:A. Seibert 460
DÜNNDARMKATARRH, Ucber die Vortheilhafte Wirkung einiger gerbsäure-
haltiger Arzneistoflfe beim chronischen nicht complicirten Dünn-
darmkatarrh. Von Dr. L. Weber 49
Eierstock, Zur Pathologie des Eierstockes. Von Dr. Franz Foerster 225
Erblindung, Ueber plötzliche einseitige. Von Dr. W. F. Mittendorf. 209
GANGRäN, Ein Fall von Gangrän der Hand nach doppelseitiger Pneumonie.
Von Dr. A. von Grimm 289
Gelenk, Die Pathogenese der gonorrhoischen Gelenkafifectionen. Von Dr.
H. S. Stark 335
Gelenk, Das permanente warme Bad bei Gelenkentzündung. Von Dr. A.
Rose 427
Harnröhre. Eine Haarnadel in einer männlichen Harnröhre. Von Dr. S.
J. Meitzer 264
Harnröhre, Ein verbesserter Catheter, sowie einige Bemerkungen betreffs
Behandlung der Harnröhre. Von Dr. C. Waechter 291
Hydbocele, Ein einfaches und sicheres Verfahren bei der Einspritzung
der Hydrocele mit Carbolsäure. Von Dr. L. Weber 52
Inhaltsverzeichniss. iii.
Seite.
Iritis, Ueber Iritis bei Eiterung der Nase nud ihrer Nebenhöhlen. Von
Dr. S. Ziem 177
Influenza, Soor des Hachens und der Nasenhöhle bei einejii Erwachse-
nen als Begleiterscheinung der Influenza. Von Dr. M Thorner . 53
Insol.itio, Ein Fall von Insolatio mit sehr hoher Temperatur. Von Dr. J.
Wohlfarth 339
Jod, Ein Fall von hämorrhagischem Exanthem nach Jodsalzeu. Von Dr.
Hoening 59
Koch, Ein Plaidoyer für die Koch'sche Lymphe. Von Dr. J. H. Tyndale.. 98
Kreosot, Ueber Kreosotvergiftung. Von Dr. W. Freudenthal 169
Labyrinth, Labyrinthnekrose und Facialislähmung. Von Dr. M. Toeplitz 369
Magen, Ueber die Anwendung des Sj^rays bei der Behandlung von Magen-
krankheiten. Von Dr. Max Einhorn 381
Oesophagus, Beitrag zur Kenntniss von Fremdkörpern im Oesophagus.
Von Dr. Carl Beck U2
Stuhlverstopfung, Ueber. Von Dr. I. Adler 129
Tripper, Beiträge zur Diagnose und Therapie des Trippers. Von Dr. H.
Goldenberg 1
Tuberculose, Ueber Guajacolbehandlung der Tuberculose. Von Prof. Dr.
Max Schneller Ifi
Tuberculose, Plan einer öffentlichen Heilanstalt für Tuberculose aus der
arbeitenden Klasse. Von Dr. A. Rose 379
Tuberkelbacillen, Lebensfähigkeit der. Von Dr. H. Heiman 149
TuBERCULOCiDiN, Ueber. Von Dr. Geo. W. Rachel 329
EDIT0RIELLE8 :
Chloroform, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Arztes bei Anwen-
dung des Chloroforms und anderer Inhalations-Anästhetica 103
Cholera, Das Umsichgreifen der 302.
Cholera, Die künstliche Schutzimpfung von Thieren gegen Cholera
asiatica, ^43
Erythromelalgie, Ueber 471
Influenza, Die Erreger der 61
Immunität, Die neuesten Anschauungen über das Zustandekommen der. . . 237
iMMUNiTäT, Ueber Immunität gegen Abdominaltyphus 392
Larynxcroup, Zur Aetiologie des primären 273
Pylorusstenosen, die chirurgische Behandlung der 24
Rabies, die Prophylaxis der 186
Todesstrafe, der Bericht des Komite's der ,,Medical Society of the State
of New York" über die 155
Wasserversorgung, Zur Frage der 435
KEFERATE.
Augenheilkunde. Referirt von Dr. A. Schapringer. . ..162 — 166, 188—189, 361
—363.
Chirurgie. Referirt von Dr. Geo. Degner .28 — 29
Chirurgie. Referirt von Dr. F. Torek. . .29-31 106—107, 241 -243, 348—350,
479-482.
Cibculation, Krankheiten der Circulationsorgane. Referirt von Dr. Max
Einhorn 158, 188, 277, 305, 393
Dermatologie. Referirt von Dr. H. Goldenberg 75, 306—307, 358—361
IV.
Inhaltsverzeichniss.
Seite.
Oynaekologie. Referirt von Dr. Beettauee 193—194, 278—279, 357—358,
440—142.
Innebe Medicin. lieferirt von Dr. Ad. Zederbaum 67—69, 157—158, 239—
241, 303—304, 345—348, 442—445.
Kindeeheilkuxde. Eeferirt von Dr. .Sara Welt. .31-32, 73—74, 110—112, 194
—196, 280—281, 363—365, 395—397.
NEEVENHErLKUNDE. Referirt von Dr. Geo. W. Jacoby 108—110, 190 - 191,
351 -356. 476—479.
Pathologie und Bakteeiologie. Referirt von Dr. Louis Heitzmann. .69 -72,
196-198, 307—809, 437—440.
Respieationsoegane. Referirt von Dr. J. W. Gleitsmann. . . .25—26, 159 -162,
472—476.
YEEDAruNG.sAPPAEAT. Kraniiheiten des. Referirt von Dr. Max Einhorn. 27 — 28,
159, 187, 277, 305—306, 394.
SITZUNGSBERICHTE :
Deutsche Medicisische Gesellschaft von New Yoek. .33 — 37, 76 — 81, 112 —
119, 244 -247, 282—286, 397—401.
Wissenschaftliche Zusammenkunft deutschee Aeezte in New Yoek. 40, 119
—120, 198 -204, 310—317.
Vebein dkutschee Aeezte zu San Feancisco.42, 125—126, 204—206, 317-319.
ALLERLEI. 46, 87-88, 127—128, 168, 208, 247—248, 287—288, 320—323, 365—
368, 401-405, 445—447, 482-485.
BRIEFKASTEN 86, 126, 319, 365, 407
:BUECHERTISCH . .44, 206—208, 323—328, 368, 405—407, 447—448, 485-488
FEUILLETON. Aerztliche Denkwürdigkeiten aus d em Feldzug Napoleons
von 1812 gegen Russland. Yon Dr. A. Rose 274, 293, 383
NEKROLOGE 45 84—85, 166—167, 323
PERSONALIEN 48, 128, 168, 208, 248, 288, 328, 368, 408, 448
AUTOKENREGISTER :
Seite
Adlek, J 129
Beck, Cael 142, 249
D'Oench, f. E 184
EiNHOEN, Max 220, 267, 381
Engel, H 409
Fest, Feanz T. B 469, 470
Foeester, F 225
Feeudenthal, W 15, 169
Gleitsmann, J. W 448—460
Goldenberg, H ... ... 1
Geimm, A. von . 289
Heiman, H 149
Heitzmann, C 378
Heitzmann, L 415
Hoening 59
Seite.
Meltzee, S. J 216, 264
MiTTENDOBF, W. F 209
Rachel, Geo. W 329
Rose, A 379, 427
Schuellee, Max , 18
Selbebt, A 460—468
Staek, H. S 335
Toeplitz, M 369
Thoenee, M 53
Tyndale,J. H 98
Waechtee, J. C 291
Webee, L 49, 52, 422
Wohlfaeth, J 339
Ziem, S 177
New Vorker
Medicinische Monatsschrift.
Organ für praktische Aerzte in Amerika
unter Mitwirkung von
Dr. A. F, Buechler, Dr, Geo. Degner, Dr. Max Einhorn, Dr. Jos. W. Gleitsmann,
Dr. Geo. W. Jacoby, Dr. F. Krug, Dr. S. J. Meitzer, Dr. Willy Meyer,
Dr. C. A. von Kamdohr, Dr. A. Schapringer, Dr. A. Seibert
herausgegeben von
Dr. F. C. HEPPENHEIMER.
Verlag der Medical Monthly Publishing Company, 17-27 Vandewater Street, N, Y«
Bd. IV. New York, 15. Januar 1892. No. 1
OEIGINALARBEITEN.
I.
Beitnöge zur Diagnose und Therapie des Trippers.
Vortrag, gehalten in der Deutsehen Medicinischen Gesellschaft von New York
am 7. Dezember 1891.
Von
Dr. HERMANN GOLDENBERG.
New York.
Es ist eine unter den Laien leider allzusehr verbreitete Ansicht, dass
der Tripper eine der nicht zu ändernden, alltäglichen Unannehmlichkei-
ten des menschlichen Daseins ist, eine harmlose Affection, der, sofern
sie den Träger nicht allzusehr belästigt, keine weitere Bedeutung beige-
legt wird. Leider ist diese Ansicht auch unter vielen Aerzten gang und
gäbe. Sie betrachten den Tripper als ein nothwendiges Uebel und glau-
ben ihre Schuldigkeit zu thun, wenn sie den Patienten mit Copaiva und
Aehnhchem so lange füttern, bis der Magen remonstrirt, oder eine der
vielen Inj ectionen, deren Zahl in umgekehrtem Verhältniss zu ihrem
respectiveu Werth steht, mit der Tripperspritze einspritzen lassen. Sie
glauben, dass der Tripper eine bestimmte Krankheitsdauer habe, die
durch die Behandlung nicht sehr viel abgekürzt werden könnte. Die
natürliche Folge dieses indifferenten Verhaltens, veranlasst durch eine
zu skeptische Anschauung, ist die, dass sich täglich die Zahl der chro-
nischen Tripperfälle mehrt, die nicht nur die Gesundheit des befallenen
Individuums dauernd stören können, sondern auch im socialen Leben
von eingreifender Bedeutung sind. Männer, die mit latenter oder mani-
fester Gonorrhoe in die Ehe treten, inflciren ihre Frauen und es entste-
hen dann die Ihnen Allen bekannten Erkrankungen des weiblichen Geni-
taltractus, auf die Noeggerath, als durch den chronischen latenten Trip-
per des Mannes veranlasst, zuerst hingewiesen hat.
Ich glaube durch die Arbeiten der letzten Jahre, auf die ich hier nicht
näher eingehen will, ist der Beweis erbracht, dass die Gonokokken die
Träger des Tripperkontagiums sind. Ich glaube an die pathogno-
monische Bedeutung der Gonokokken wegen der Constanz des Vor-
kommens, der, wenn auch spärlich, gelungenen Einimpfung und Züch-
tung auf menschlichem Blutserum.
Wer in dem Gonokokkus den ätiologischen Factor der Gonorrhoe sieht
und sich vor Augen hält, dass dieser Parasit im Anfang auf der Ober-
fläche der Schleimhaut gelegen ist und erst später in die Tiefe dringt,
dass er ferner in den ersten Tagen sich in viel geringerer Anzahl findet,
als gegen den achten bis zehnten Tag, darf sich die Gelegenheit nicht
entgehen lassen, ihn in geeigneten Fällen dann anzugreifen, wenn sich
die besten Chancen dazu bieten und mit Mitteln, die einerseits stark ge-
nug sind, um die Gonokokken zu tödten, andererseits aber keine ver-
derbliche Wirkung auf die Schleimhaut selbst ausüben. So läge denn
die Berechtigung für einen möglichst frühzeitigen und gründüchen Ein-
griff auf der Hand, falls derselbe mit dem alten hippokratischen Grund-
satz des -TpüTov öe TO fiTj ß7,ä-eLv nicht kollidirt. Ich habe mich, wie jedenfalls
die Meisten unter Ihnen, trotz des erwähnten wohl ganz logischen, the-
oretischen Eaisonements, doch lange abhalten lassen, die alte konser-
vative Behandlung zu Gunsten eines energischen Verfahrens aufzugeben,
weil ich eben befürchtete, dass der gleich zu schildernde Eingriff für den
Patienten mit akutem Tripper gefährlich sei. Seitdem habe ich mich in-
dessen in einer genügend grossen Anzahl von Fällen von der Grund-
losigkeit der früheren Bedenken überzeugt und führe die rückläufigen
Irrigationen in allen Fällen der Privatpraxis aus, wo es die äusseren
Verhältnisse erlauben. Ich beginne mit der Behandlung, sobald sich
die ersten objectiven Anzeichen des Trippers eingestellt haben. Nach-
dem der Patient urinirt hat, führe ich einen dünnen, weichen geknöpf-
ten Katheter, mit 4 rückläufigen Oeffnungen an dem Knopfe, 1-1^ Zoll
weit in die Harnröhre und irrigire dieselbe mit einer möglichst warmen
. Lösung von V3o,ooo-V2o,ooo Subhmat oder 'Aooo-Viooo Argentum nitricum
oder Kalium permanganicum. Nach einer Weile führe ich den Kathe-
ter allmählich tiefer in die Harnröhre ein, schliesslich bis zum Bulbus
derselben und beriesele so in langsamem, rückläufigem Strom die ganze
vordere Harnröhre.
Ich schicke als bekannt voraus, dass die Urethra durch den mus-
culus compressor urethrae in zwei Theile getheilt wird, und dass dieser
Muskel, der auch Schliessmuskel der Harnröhre genannt wird, das
tiefere Eindringen von Flüssigkeiten, die in den vorderen Abschnitt ein-
gespritzt werden, verhindert. Diese Behandlung wird täglich einmal
ausgeführt ; falls der Patient sehr empfindlich ist, nach vorheriger
Cocainisirung. Häufig beobachtet man schon nach 3-4 Tagen eine sehr
erhebliche Besserung, so dass sich der Patient für geheilt hält, aber
auch in diesen Fällen muss man die Behandlung noch wenigstens 5-6
Tage fortsetzen.
3
Fragen Sie mich nun, ob ich mit dieser Methode sämmtliche Patien-
ten kurirt habe oder kuriren zu können beanspruche, so antworte ich
„Nein", nicht Alle, aber doch fast Alle und zwar innerhalb 10-12 Tagen.
Jedenfalls habe ich damit ungleich bessere Resultate erzielt, als mit der
Tripperspritze, einem Instrument, das „endlich mit seinen beiden, gleich-
falls vom Irrigator verdrängten Schwestern, der Veginal- und Wund-
spritze die längst verdiente Ruhe als Antiquität im Instrumentenschrank
finden sollte." Unangenehme Nebenwirkungen habe ich bei dieser Be-
handlung nicht beobachtet; ich bin sicher, dass dieselben bei der nöthi-
gen Vorsicht und gehörigen Asepsis vermieden werden können.
Die Vorzüge der erwähnten Methode sind: sachverständige,
intensive und wirksame Applikation, die in die in der Harnröhre vorhan-
denen Krypten und Lakunen eindringen kann, Abkürzung der Behand-
lungsdauer, Beschränkung des Processes auf die vordere Harnröhre
und Verhütung der Gonorrhoea posterior, "einer weit häufigeren Folge-
erkrankung des Trippers, als man gewöhnlich annimmt.
Beiläufig bemerkt, bitte ich diese Methode nicht mit der neuerdings
in Frankreich wieder häufig angewandten Abortivkur zu verwechseln,
über die mir eigene Erfahrungen fehlen.
In den meisten Lehrbüchern über Gonorrhoe finden Sie die Ansicht
ausgesprochen, eine Betheiligung der hinteren Harnröhre am Tripper-
process trete nicht innerhalb der ersten 3 Wochen auf, und auch dann
nur in Folge äusserer Schädlichkeiten (Excess in baccho, Cöitu, Tanzen,
Reiten u. s. w.) oder in Folge skrophulöser und syphilitischer Diathese.
Der Schliessmuskel, von dem ich vorher gesprochen habe, wird von Vie-
len als eine Barriere angesehen, die das Fortschreiten des Trippers in
die hintere Harnröhre verhindert.
Die klinische Beobachtung lehrt uns indessen, dass dem nicht so ist.
Durch die auf Statistik begründeten Mittheilungen Letzel's, Rona's und
Heisler's auf das häufige Vorkommen von Gonorrhoea posterior auf-
merksam gemacht — nach Letzel in 92 % aller akuten Fälle, nach Heis-
LER in ca. 80% — habe ich mich hei zum ersten Male Inficirten davon
überzeugt, dass häufig schon am zehnten oder zwölften Tage die pars
membranacea mitafficirt ist, selbst bei Patienten, die nicht eiogespritzt
und sich nicht äusseren Schädlichkeiten ausgesetzt hatten. In diesen
Fällen, wo der Tripper nach hinten fortgeschritten ist, kann man von
einer Einspritzung, durch den Patienten ausgeführt, erst recht Nichts
erwarten, da er unter gewöhnlichen Verhältnissen den Widerstand des
m. compressor urethrae nicht überwinden kann. Deshalb tritt auch bei
der Urethritis posterior, und bei ihr erst recht, die vorher beschriebene
Behandlung in ihr Recht. Ich lasse den Patienten uriniren, passire nach
vorheriger Behandlung der vorderen Harnröhre, den m. compressor mit
einem dünnen, weichen Katheter und lasse unter massigem Druck ca.
300 cbcm. Argentum nitr. oder Kalium permang. V2000-V1000 durch die
ganze hintere Harnröhre hindurch in die Blase fliessen und darauf nach
Zurückziehung des Katheters den Patienten wiederum uriniren.
4
Bei manchen Patienten findet man einen beträchtlichen Widerstand von
Seiten des musculus compressor, es gelingt aber auch da meist in 1-2
Minuten die hintere Harnröhre zu entriren. Bei solchen, meist empfind-
lichen Patienten bediene ich mich an Stelle des gewöhnlichen weichen
Katheters eines Mercier.
Bei dem im Gefolge der akuten hinteren Gonorrhoe häufig auftreten-
den Harndrang und Harnzwang verschafft Nichts eine derartige Er-
leichterung als eine Irrigation der hinteren Harnröhre mit einer Höllen-
steinlösung, die weit besser und sicherer wirkt als alle Narcotica, gleich-
gültig in welcher Form die letzteren gegeben werden.
Herr Präsident und meine Herren! Ich wage nicht zu hoffen, dass ich
Sie nun mit meinen diesbezüglichen Bemerkungen sofort zu Anhängern
dieser, mit der alten konservativen Methode in Widerspruch stehenden
Behandlungsweise gemacht habe, aber ich bitte Sie, mit dem alten Dog-
ma, das, wie Nichts Anderes, dem Fortschritt in der Medicin sehr häu-
fig im Wege steht, zu brechen. Sie werden dann durch die Kesultate am
besten überzeugt werden.
Ist die akute Gonorrhoe nicht genügend oder unzutreffend behandelt
worden, so geht sie in das chronische Stadium über. Ich möchte indes-
sen keineswegs so verstanden sein, dass ich den Grund einer jeden chro-
nischen Gonorrhoe darin suche, dass der akute Tripper nicht nach der
erwähnten Methode behandelt wurde und andererseits auch nicht die
Behauptung aufstellen, dass eine sachverständige Behandlung im An-
fangsstadium stets die Chronicität verhindere. Hier spielt zweifellos
die Individualität eine grosse Kolle; in einem geschwächten oder zu
Katarrhen leicht geneigten Individuum ist der Tripper häufig hartnäcki-
ger, eine Erscheinung, die sich nicht auf das Einzelindividuum be-
schränkt, sondern zuweilen bei mehreren Mitgliedern einer Familie zu
konstatiren ist. Wenn wirklich zwischen den meisten Blutkörperchen^
den Phagocyten und den Gonokokken ein Kampf um's Dasein stattfin-
det, in welchem der Schwächere unterliegt, so könnte man eine Er-
klärung der erwähnten Individualität in einer grösseren oder geringe-
ren Lebens- und Widerstandsfähigkeit der Zelle finden.
Ist nun der Tripper aus dem einen oder anderen Grunde chronisch
geworden, so kommt es vor Allem darauf an, denselben zu lokalisiren.
Denn hier bedienen wir uns zur Behandlung differenterer Mittel, als
beim akuten Tripper und wir müssen uns bestreben, deren Anwendung
auf die afiizirten Stellen zu beschränken. Zur Feststellung der Loka-
lisation bediene ich mich dreier Methoden:
1) der Untersuchung des CJrines
2) der Knopfsonde
3) des Endoskopes.
Die beiden ersten dienen zur Bestimmung des Sitzes, die letztere zur
Bestimmung der Natur und der Ausdehnung der Erkrankung.
Die Untersuchung des Urines in zwei Gläsern, gewöhnlich die Thomp-
SEN'sche oder ULTZMANN'sche Urinprobe genannt, ist auf die, es sei schon
hier bemerkt, nicht richtige, Voraussetzung basirt, dass jegliches Secret
das vor dem Schliessmuskel liegt, nach vorne, Alles hinter ihm, also in
der hinteren Harnröhre Gelegene, nach hinten in die Blase abfliesst.
Enthält das erste Glas des am Morgen entleerten Urines Tripperfäden
oder Flocken, während der Urin im zweiten Glas klar ist, so schUesst
man daraus, dass nur eine Gonorrhoea anterior vorliegt; enthalten beide
Gläser trüben oder flockigen Urin, so besteht, sagt man, eine Gonorrhoea
posterior oder eine Cystitis und zwar die erstere, falls das erste Glas
trüber als das zweite ist, im umgekehrten Falle eine Cystitis.
Ich habe mich durch Untersuchungen überzeugt und in einem klei-
nen Artikel vor ca. 3 Jahren nachgewiesen, dass diese Urinprobe in der
geschilderten Form falsche Resultate liefert. Bei spärlichem Ausfluss,
wie wir ihn in den chronischen Fällen finden, fliesst das Secret nicht
aus der hinteren Harnröhre in die Blase, sondern bleibt ruhig in loco
nascendi liegen. Die erste Urinportion reinigt im Vorbeifliessen zunächst
die hintere, dann die vordere Harnröhre und eine Trübung oder Fäden
im ersten Glas, klarer Urin im zweiten Glas, beweist also weiter Nichts,
als dass nicht die Blase, sondern nur die Harnröhre afQcirt ist, gibt uns
aber keinen Aufschluss darüber, welche der beiden Harnröhrenhälften
betheiligt ist.
Führt man dagegen, ehe man den Patienten uriniren lässt, einen
weichen Katheter bis dicht vor den m. compressor urethrae ein und ir-
rigirt die vordere Harnröhre gehörig mit destillirtem Wasser oder einer
schwachen Borlösung, um sie von dem in ihren Buchten sitzenden
Schleim, Eiter und Detritus zu reinigen und lässt dann den Patienten in
2 Gläser uriniren, so erweist sich diese Probe als ein überaus zuverläs-
siger diagnostischer Behelf. Ist die Ausspülflüssigkeit klar, frei von
Tripperfäden, so ist die vordere Harnröhre gesund. Ist der Urin im
ersten Glas trübe und enthält er Tripperfäden, der im zweiten Glas klar,
so beweist dies eine Affection der hinteren Harnröhre bei gesunder Blase.
Trübung in beiden Gläsern beweist eine Cystitis oder Gon. post., je nach-
dem die eine oder andere Urinportion trüber ist, wie leicht verständlich.
Ich sehe zu meiner Freude, dass seitdem ich und später Jadassohn
auf den Vorzug dieser Modifikation aufmerksam gemacht haben, sie in
Deutschland allgemein in der angegebenen Verbesserung angewandt
wird.
Lassen Sie mich schon an dieser Stelle bemerken, dass die Urin-
untersuchung nicht nur für die Lokalisirung, sondern auch für die In-
tensität, den Grad der Erkrankung von Werth ist. Finden wir neben den
Tripperfäden — Gebilden, die aus Epithelien, Eiterkörperchen und ver-
bindendem Mucin bestehen — Trübung des Urines, so beweist dies eine
diffuse katarrhalische Affection des betreffenden Harnröhrenabschnittes,
während Tripperfäden in klarem Urin auf eine circumskripte, plaque-
förmige Affection hinweisen. In wie 'weit die mikroskopische Unter-
suchung der Tripperfäden von Werth ist, werde ich später zu zeigen
versuchen.
6
Die zweite TJntersuchungsmethode, über die ich mich kürzer fassen
will, ist die mit dem Bougie a boule, einer Knopfsonde aus Stahl oder
Hartgummi, und dem Oxis'schen Urethrometer. Sie geben uns Auf-
schluss über Empfindlichkeit, Lumen und Elasticität der Harnröhre. In
Fällen, wo das Secret so gering ist, dass es sich nicht spontan entleert,
kann es mit der Knopfsonde zu Tage befördert werden. Ich untersuche
zunächst die vordere Harnröhre, irrigire dieselbe darauf mit Wasser und
explorire erst dann den hinteren Abschnitt, um sicher zu sein, dass das
eventuell herausbeförderte Secret wirklich aus der hinteren Harnröhre
stammt und, um eine durch die Untersuchung veranlasste Verschlep-
pung des Secretes von der vorderen in die hintere Harnröhre zu ver-
hüten.
Die dritte und wichtigste Untersuchungsmethode, die leider noch
nicht allgemein die Beachtung und Anwendung findet, die sie verdient
ist die vermittels des Endoskopes.
Zwei Gründe stehen der Verbreitung und Verallgemeinerung der
okularen Untersuchung im Wege. Der beschäftigte Praktiker hat, so
sagt man, nicht die Zeit, seine Patienten zu endoskopiren und will sich
kostspielige, komplicirte Instrumente nicht anschaffen. Was die Zeit
betrifft, so muss ich sagen, dass, wenn man einigermassen Uebung hat —
und die muss sich jeder Arzt auch für die Untersuchung mit dem Kehl-
kopf- und Augen^iegel erst aneignen— das Endoskopiren nicht länger
dauert als das Larynkoskopiren oder eine exakte perkultorische und
auskultorische Untersuchung.
Kostspielige, komplicirte Instrumente, die viel Zeit und Geld kosten,
um sie im Stande zu halten, sind unnöthig. Der Bequemlichkeit halber
bediene ich mich des LEiTER'schen Endoskopes und der FoRü'schen
Storagebatterie, mit welch' letzterer ich überaus zufrieden bin, kann aber
ebenso gut mit gewöhnlichem guten Lampenlicht und einem Keflector
auskommen.
Wenn Specialisten das Endoskopiren für überflüssig halten, „weil
sie mit der Hand eben so gut zu sehen glauben als mit dem Auge," so
muss ich diesem unberechtigten Argumente die Behauptung gegenüber
stellen, dass es Fälle gibt, in denen es absolut unmögUch ist, die Diag-
nose durch irgend eine andere Untersuchungsmethode als die endos-
kopische, zu stellen. Ich habe drei Fälle von Harnröhrenpolypen be-
schrieben (New York Medical Journal, May 9, 1891 ; Medical Kecord,
November 4, 1891) und seitdem zwei weitere Fälle gesehen, die unter
dem Bilde des chronischen Trippers verliefen, objectiv sowohl als sub-
jectiv. Hier hätte keine andere Untersuchung die Diagnose ermöglicht.
Ich will aber keineswegs behaupten, dass das Endoskopiren eine
oder gar die einzige Untersuchungsmethode sei für alle Fälle von
Gonorrhoe, die eine gewisse Zeit, sagen wir 6 — 8 Wochen, gedauert haben.
Die Endoskopie soll die anderen Methoden nicht verdrängen, sondern
sie ergänzen. So sollte eine Untersuchung des Urins der endoskopi-
schen stets vorausgehen. Trüber Urin, der auf eine diffuse katarrhali-
7;
sehe Eatzüaduag hinweist, ist für mich eine Indikation nicht zu endos-
kopiren.
Ich will nun nicht versuchen, Sie mit der Schilderung des endosko-
pischen Befundes zu langweilen ; nur durch eigene Uebung kann man
erlernen, das, worauf es ankommt, zu sehen und das was man sieht,
richtig zu beurtheilen.
Erlauben Sie mir noch, die Behandlung des chronischen Trippers
einer kurzen Betrachtung zu unterziehen. Es kann nicht in meiner Ab-
sicht liegen, hier sämmtliche gebräuchliche Methoden und Instrumente
anzuführen, ich will mich vielmehr auf eine kurze Schilderung der
Principien beschränken, die für die einzuschlagende Therapie massgebend
sind.
Bei der diffusen mucösen chronischen Gonorrhoea, bei welcher man,
wie ich schon erwähnt habe, trüben, flockigen Urin findet, wende ich im
Anfang Irrigationen von Viooo übermangansauerem Kali oder i/iooo — Vsoo
Höllensteinlösung an, welche ich mit einer Bepinselung mit einer i — 2%
Höllenstein-, 1 — 2% Kupfer-, oder 2 — 4% Thallinlösung mittelst des Ultz-
MANN'schen Pinsels abwechsele. Für die hintere Harnröhre bediene ich
mich der ÜLTZMANN'schen oder GuYON'schen Spritze oder des Gschirr-
HAKL'schen Pinsels und der zuletzt erwähnten Medikamente. Bei
Applikationen in der hinteren Harnröhre lasse ich den Patienten iiicht, wie
wir es bei der akuten Gonorrhoe thuo, seine Blase vollständig entleeren,
um die instillirte und in die Blase fliessende Flüssigkeit zu verdünnen
und die erstere nicht unnöthig zu reizen.
Hat man es mit circumscripten Plaques in der Harnröhre zu thun,
so ist eine energische topische Behandlung nöthig, die auf die betreffende
Stelle lokalisirt werden muss, ohne die Nachbarschaft mitanzugreifen.
Das geschieht durch das Endoskop sowohl für die vordere, als auch
die hintere Harnröhre. Bei empfindlichen Patienten sehe ich von einer
häufigen endoskopischen Behandlung der hinteren Harnröhre ab, ich
bediene mich nach Festsstellung der Lokalisation der vorhergenannten
therapeutischen Methoden (ültzmann, Gshirrhakl, Güyon). Die Concen-
tration der Höllenstein,- Thallin-, Kupfer-, oder Jodlösungen, die ich
anwende, hängt von der Empfindlichkeit des Patienten und von der
Ausdehnung der Affection ab ; ich habe mich früher nicht gescheut
10—20% Höllensteinlösungen zu instilliren, komme aber von den starken
Lösungen immer mehr ab und gebrauche jetzt nur ausnahms-
weise eine 10% Höllensteinlösung, da ich mit schwächeren Lösungen
(bis zu b%) ebenso gut zum Ziele komme, ohne dem Patienten lästige
Keizerscheinungen zu verursachen. Thallinlösungen werden in einer
Stärke von 10—12% ohne alle Beschwerden ertragen, ob sie ebenso
wirksam sind, wie Höllenstein, vermag ich nicht zu sagen, da ich sie
noch nicht lange genug gebrauche. Gegen trachomartige Erkrankungen
und stärkere Granulationen bediene ich mich neuerdings der Trichlor-
essigsäurekrystalle vermittelst desselben Instrumentes, das von Dr.
Gleitsmann angegeben und gebraucht wird. Sie macht einen trockenen,
8
auf die applicirte Stelle beschränkten Schorf und ist jedenfalls dem
Höllenstein in Substanz vorzuziehen. Ueber die intraurethrale galva-
nokaustische Behandlung besitze ich noch nicht genügende Erfahrung,
um sie empfehlen oder verwerfen zu können. Neben diesen circum-
scripten Applikationen wende ich einmal wöchentlich ein Bougie an und
zwar mit YorUebe die BENNiguEsche Sonde, deren Krümmung genau
den anatomischen Krümmungsverhältnissen der Harnröhre angepasst
ist.
Ist das submuköse Gewebe in Mitleidenschaft gezogen und in Folge
dessen die Elasticität der Harnröhre herabgesetzt, so lege ich den Schwer-
punkt der Behandlung auf eine Sondenkur mit Massage der afficirten
Partieen. Zur lokalen Applikation im Endoskop verwende ich in
in diesen Fällen mit Vorliebe Jodpräparate, entweder Tinct. Jodi pur.
oder mit einer gleichen Menge Tinct. Gallarum gemischt, oder Jod mit
Jodkalium in einer .2 — 5% Lösung in Glycerin.
Bezüglich der Sondenkur will ich noch bemerken, dass ich kein An-
hänger der extremen Dilatation bis zu 40 F. bin, auf der anderen Seite
mich aber auch nicht damit begnüge, Sonden bis zu 26 der französischen
Skala einzuführen.
Um die gestörten Elasticitätsverhältnisse wieder herzustellen und
durch Druck resorbirend zu wirken, muss man Sonden passiren, die
die Harnröhre vollständig ausfüllen und so auf die Wände einen
genügend starken, aber doch nicht allzugrossen Druck ausüben. Eine
normale Harnröhre ist, falls der Meatus gross genug ist, meist für In-
strumente von 30—31 Charriere passirbar. Ich sehe desshalb keinen
Grund, weshalb ich Instrumente von dieser Grösse nicht auch in der
erkrankten Harnröhre gebrauchen soll. Der Meatus kann leicht bis zu
dieser Grösse blutig oder mechanisch erweitert werden. Damit die
Sonden, während sie in der Harnröhre liegen, keine allzugrosse Span-
nung des Meatus und dadurch Schmerzhaftigkeit hervorrufen, ver-
wende ich konische Sonden, deren, der äusseren Harnröhrenöffnung ent-
sprechender Theil, wenn in situ, um einige Nummern dünner als der Best
ist. Die Sonde soll nicht, wie es noch so oft geschieht, mit Vaselin oder
Gel, sondern mit Borglycerin bestrichen werden, da eine auf die Sondi-
rung folgende Applikation einer wässerigen Lösung auf die eingeölte
oder eingefettete Harnröhrenwand wirkungslos ist.
Ich beanspruche nun keineswegs hiermit die Therapie des chroni-
schen Trippers erschöpft zu haben, ich wollte Ihnen nur eine kurze
Skizze der Behandlungs-Principien geben, wie es in den Kähmen meiner
Arbeit passt.
Wie ist die Prognose einer chronischen Gonorrhoe zu stellen ? Eicord
sagt „Une chande pisse, passee ä l'etat chronique, peut mourir de vieil-
lesse, wozu ein anderer französischer Autor, dessen Name mir nicht ge-
genwärtig ist, bemerkt „Elle peut s'eterniser et durer jusqu' ä la fin de
la vie." Jedenfalls gibt es derartige Fälle, bei denen trotz allen Mitteln
eine restitutio ad integrum nicht zu erreichen ist.
9
Wie soll man sich bei der chronischen Gonorrhoe in Bezug auf die
diätetischen Vorschriften verhalten und soll man dem Patienten die
Ausübung des Beischlafes erlauben? Ich erlaube meinen Patienten
den massigen Genuss von Alcoholicis, anfänghch kleine Quanta,allmäh-
hch die Empfindlichkeit der Harnröhre abstumpfend. Patienten, die
Monate lang weder Bier noch Wein getrunken haben und dann als
geheilt entlassen werden, feiern dieses leider zu häufig gestörte Freu-
denfest durch einen abiisus in Baccho eventuell auch in Venere, dessen
Folgen nicht ausbleiben. Desshalb gestatte ich auch einem Patienten,
der nur noch eine am Morgen hie und da verklebte Harnröhre und Trip-
perfäden im Urin hat, den Beischlaf, wenn in den Tripperfäden Gonokok-
ken nicht mehr nachweisbar sind. Da wir aber nicht nur Pflichten
gegen den Patienten sondern auch gegen" die menschliche Gesellschaft
haben, so erlaube ich die Ausübung des Coitus zunächst mit Condom,
da trotz negativen Gonokokkenbefundes eine Infectiosität doch möglich
ist. Heirathskandidaten, die ich wegen chronischer Gonorrhoe behan-
dele, lasse ich der Sicherheit halber, nachdem sie sich vielleicht Monate
lang einer stricten Abstinenz befleissigt haben, den Beischlaf mit Con-
dom ausüben, um zu sehen, ob der sexuelle Verkehr auf die allem An-
schein nach geheilte Harnröhre irgend welche unangenehme Wirkungen
hat. Ich halte dies Experiment unter den genannten Umständen nicht
nur für erlaubt sondern für geradezu geboten, denn es ist in Bezug auf
die Frage, ob der Tripper geheilt ist, oft von grösserem Werth als die
mikroskopischen Untersuchungen.
Zum Schlüsse erL.uben Sie mir noch die in der Praxis überaus wich-
tige Frage zu erörtern, wann die Ansteckungsfähigkeit des Trippers
aufhört und wann man dem Patienten des Eingehen der Ehe gestatten
kann.
Leider hat die Untersuchung des oft spärlichen Sekretes oder der
Tripperfäden auf Gonokokken nur einen begrenzten Werth, insofern nur
ein positiver Befund beweiskräftig ist, ein negativer dagegen durchaus
nicht die Infectiosität ausschliesst. Die Gonokokken können sich
Monate lang in den Krypten der Harnröhre aufhalten, ohne im Secret
zu erscheinen, bis eine Steigerung des Processes eine vermehrte Seere-
tion und mit ihr ein Wiedererscheinen der bisher latent gebliebenen
Gonokokken verursacht. Ich rufe desshalb dem Vorschlage Neisser's
und Finger's folgend, eine künstliche Reizung und Secretion hervor
durch eine Einspritzung einer Sublimat- oder Höllensteinlösung und
untersuche dann das Secret auf Gonokokken. Findet man dann bei
einer nochmaligen sorgfältigen Untersuchung keine Gonokokken, so hat
man die Wahrscheinlichkeit, aber immer noch nicht die Geicissheit, dass
eine Infectionsgefahr nicht vorliegt. Die mikroskopische Untersuchut]g
der Tripperfäden gibt einen weiteren werthvollen Anhaltspunkt in der
Frage. Bestehen dieselben ausschliesslich aus Epithelien ohne Bei-
mengung von Eiterkörperchen und konstatirt man diesen Befund bei
einer mehrmaligen Untersuchung, so stehe ich nicht an, sie nicht mehr
10
als Zeichen eines noch bestehenden Trippers und einer noch vorhan-
denen Infectionsgefahr anzusehen. Sie beweisen vielmehr eine einfache
Epithelialdesquamation, die häufig von selbst aufhört, sobald man die
lokale Behandlung aussetzt.
Um ganz sicher zu sein, dass der Patient nicht Gefahr läuft, die In-
fection in die Ehe zu verschleppen, lasse ich ihn, wie schon vorher be-
merkt, ehe ich ihn als geheilt betrachte, den Coitus experimenti causa
ausüben. Falls dann keine Erscheinungen auftreten und die vorher
erwähnten Untersuchungen negativ ausgefallen sind, halte ich mich für
berechtigt, dem Patienten das Eingehen der Ehe zu gestatten. Nach
diesen Grundsätzen habe ich in mehreren Fällen gehandelt und habe
keinen Fall zu verzeichnen, in dem ich es zu bereuen gehabt hätte.
Wie vorsichtig man übrigens grade in der Beantwortung der soeben
erörterten Frage sein muss, zeigte mir ein Fall, den ich in den letzten
Monaten beobachtet habe. Der Patient war, als von einem chronischen
Tripper geheilt, entlassen worden. Als ich ihn 2 — 3 Monate später
wiedersah, klagte er über einen ihn belästigenden Wulst auf dem
dorsum penis. Bei der Untersuchung stellte es sich heraus, dass sich
in der Medianlinie eine erbsengrosse Schwellung der Vorhaut vorfand,
mit einer kleinen Oeffnung an der Spitze, aus welcher sich auf Druck
etwas Eiter entleerte, der Gonokokken enthielt. Mit einer Haarsonde
gelang es mir in einen etwa 1 cm. langen Hohlgang einzudringen, der
sich nach Spaltung, Auskratzen und Ausbrennen bald schloss. Dieser
Fall wird mir als Lehre dienen, Mass auch ausserhalb der Harnröhre,
am Penis Tripperaffectionen vorkommen, die mr erst ausschliessen
müssen, ehe wir den Patienten als geheilt ansehen können.
Dies, Herr Präsident und meine Herren, sind meine Erfahrungen,
die ich Ihnen, soweit es die Zeit erlaubte, mittheilen wollte.
Wenn ich dazu beitrage, Ihr Interesse für diese im socialen Leben
überaus wichtige, aber häufig stiefmütterlich behandelte Erkrankung
zu erwecken, dann ist der Zweck, der dieser kleinen Arbeit zu Grunde
lag, vollständig erreicht.
26 Ost 62. Strasse.
IL
Unwillkürliche Hebung des obern Augenlids bei be-
stimmten Bewegungen des Unterkiefers.
Von
Dr. A. SCHAPRINGER,
New York.
Tie Aufmerksamkeit der ärztlichen Welt wurde zuerst im Jahre 1883
durch Marcus Günn in London auf eine seltsame, an gewisse Bewegun-
gen der Kinnlade geknüpfte Bewegungserscheinung am oberen Augenlide
gelenkt. Die Erscheinung besteht in einer, mit der Contraction be-
11
stitiimter Gruppen der den Unterkiefer bewegenden Muskeln synch ro-
nischen, ruckweisen Hebung des einen Oberlids, in der Mehrzahl der
Fälle des linken. Die Majorität der seither bekannt gemachten Fälle
betrifft weibliche Individuen und das die abnorme Bewegungserschei-
nung darbietende Oberlid ist zumeist mit angeborener Lähmung behaftet.
Die Mittheilung Gunn's bezog sich auf ein 15j ähriges Mädchen,
welches er der Ophthalmological Society of the United Kingdom vor-
stellte, mit angeborener Ptosis am linken Auge, bei welchem jedesmal,
wenn das Mädchen den Unterkiefer nach rechts verschob, das gelähmte
Oberlid gleichzeitig in die Höhe ging. Die Pupille des mit Ptosis behaf-
teten Auges war enger als die des andern. Es wurde von der Gesell-
schaft eine Commission eingesetzt, bestehend aus Gowers, Stephen
Mackenzie, Abercrombie und William Lang, deren Aufgabe es war, den
Fall von Gunn genauer zu studiren. In dem Berichte dieser Commis-
sion wird zur Erklärung des merkwürdigen Phänomens angenommer,
dass aus dem Kerne des Trigeminus, dessen motorische Wurzel be-
kanntlich die Kaumuskeln innervirt, ausnahmsweise eine Anzahl Fasern
in die Bahn des Oculomotorius übergehe, während derjenige Theilkern
dieses letzteren Nerven, welcher zum Levator palpebrae superioris in
Beziehung steht, mangelhaft entwickelt sei.
Die nächste Mittheilung über diesen Gegenstand erfolgte im Jahre
1887 durch Helfreich in Würzburg. Nach dem Bericht über die 19.
Versammlung der ophthalmologischen Gesellschaft, Heidelberg 1887,
wo Helfreich den Gegenstand zur Sprache brachte, war bei zwei jungen
Mädchen im Alter von 14 und 17 Jahren auf je einem Auge zunächst
Ptosis vorhanden und blieb beim Blicke nach oben auch unter Inan-
spruchnahme des stärksten Willensimpulses, wie unter Mitwirkung des
Musculus epicranius frontalis, die Erhebung des betreffenden Oberlides
beträchtlich hinter der am andern Auge zurück. Wurde nunmehr der
Mund geöffnet, so erfolgte plötzlich und gewissermaassen ruckweise,
sowie ohne jegliches Anzeichen von Mitaction anderer Muskeln eine
weitere und zwar eine sehr erhebliche Emporziehung des vorher unge-
nügend gehobenen Augenlides an dem betreffenden Auge, während an
dem des andern nicht die geringste Bewegung bemerkbar war. Dieses
Emporschnellen des einen Oberlides bei der Oeffnung des Mundes trat
auch bei ruhigem Blicke gerade aus und nach abwärts ein und war
demgemäss vor Allem auch beim Kauen bemerkbar. Bei der einen
Patientin war neben der einseitigen Ptosis auch ein sehr defectes Lei-
stungsvermögen des Musculus rect. sup. auf dem gleichnamigen Auge
vorhanden. Die Bewegungsanomalie war seit der frühesten Jugend
bei den beiden Patientinnen beobachtet worden und die Annahme einer
hereditären Uebertragung wie auch einer pathologischen Entstehungs-
weise ausgeschlossen.
Aus einer Keihe von Gründen, welche Helfreich eingehend ent-
wickelte, geht es nicht an, das Phänomen auf eine sogenannte Mitbe-
wegung zurückzuführen. Der Bewegungsvorgang beruht vielmehr
12
offenbar auf einer Besonderheit der anatomischen Einrichtung für die
Innervation des Levator auf den betreffenden beiden Augen und ist an-
zunehmen, dass dieselbe dem genannten Muskel aus zwei Quellen zu-
geht. Neben dem gewöhnlichen Innervationsgebiete für den Levator
(Kern des Nerv, oculomot.) kommt noch jenes in Betracht, welches den
Muse, biventer versorgt (Kern des Facialis oder Trigeminus). Helfreich
nimmt an, dass, annähernd analog dem wechselseitigen Faseraustausche,
welchen die aus dem Kerne des Nervus oculomotorius und N. abducens
entspringenden Fibrillen bei ihrem Durchgange durch das sogenannte
hintere Längshündel der Medulla oblongata häufig zeigen, in den zur
Besprechung gebrachten beiden Fällen ausnahmsweise aus dem Kerne
eines der beiden Nerven, die sich zu dem Musculus biventer begeben
(N. focialis und N. trigeminus), eine gewisse Menge von Fasern in das
hintere Längsbündel und damit in die Oculomotoriusbahn übergeht,
ohne mit dem Oculomotoriuscentrum selbst in Beziehung zu treten.
Das Oculomotoriuscentrum für die betreffenden beiden Augen ist in
seiner lateralen und mittleren Partie als unvollkommen entwickelt an-
zunehmen. Mit Rücksicht auf die eigenthümliche anfängliche Verlaufs-
weise des Nerv, facialis hält Helfreich es für wahrscheinlich, dass aus
ihm die accessorischen Fasern für den betreffenden Muse, levator her-
vorgehen.
Der Erklärungsversuch Helfreich's stimmt mit dem von der früher
erwähnten englischen Commission aufgestellten überein, doch war
Helfreich unabhängig zu demselben gekommen, da ihm zur Zeit der
Commissionbericht noch nicht bekannt war.
Seit der Publication Helfreich's sind weitere einschlägige Fälle ver-
öffentlicht worden von Fuchs, Fraexkel (Chemnitz), Bernhardt, Just,
O. Bull (Christiania), v. Reuss, Uhthoff, Laqueur. Proskauer (Nürn-
berg) und Vossiüs. Die Fälle von Fuchs und Just unterscheiden sich
von den übrigen dadurch, dass bei ihnen von Ptosis keine Rede ist.
Bei Fraenkel handelt es sich um ein Tjähriges Mädchen mit ganz nor-
mal agirenden Augen- und Lidmuskeln, bei welchem jedesmal, wenn
bei gesenkter Blickebene gekaut wurde, das rechte Oberlid ruckweise
sich hob. Dieser, übrigens angeborene Zustand, hielt sich noch drei
Jahre, nachdem er zuerst in Beobachtung getreten war, später trat eine
mässige Ptosis ein und das in Rede stehende Phänomen trat nicht mehr
so deutlich hervor, wie früher, wo die abnorme Lidhebung die physio-
logische Wirkung des Levator weit übertroffen hatte. Bull beschreibt
den Fall eines 19jährigen Burschen, bei welchem angeborne rechtssei-
tige Ptosis bestand, ausserdem aber auch die Beweglichkeit des rechten
Augapfels sehr beschränkt war. Wenn er den Mund öffnete, wurde die
Lidspalte so weit, dass fast die ganze Pupille zu Tage trat. Ebensoweit
konnte er das Auge öffnen, wenn er das andere geschlossen hielt, weiter
wurde aber die Lidspalte nicht, wenn alsdann der Mund geöffnet wurde.
Anders war es bei dem Falle von v. Reuss. Bei ihm handelte es sich
um einen 18jährigen Mann mit angeborener Hnksseitiger Ptosis und
13
Schwäche des Rectus superior. Beim Oeffaen des Mundes, bei Eechts-
bewegung des Unterkiefers, sowie beim Vorschieben desselben erfolgte
weites Oeffnen der Lidspalte. Bei Verschluss des andern Auges war
eine massige Action des Levator möglich, welche aber, im Gegensatz
zu dem Falle von O. Bull, beim Oeffnen des Mundes noch eine Steige-
rung erfuhr.
Der Umstand, dass in der amerikanischen Journalliteratur bisher
noch kein einziger Fall dieser Art veröffentUcht ist, möge mir als Ent-
schuldigung dienen, wenn ich an dieser Stelle die Casuistik um einen
mir kürzlich untergekommenen Fall vermehre, obwohl ich demselben
neue Seiten abzugewinnen nicht in der Lage war. Der Zweck der Ver-
öffentlichung ist nur, die Aufmerksamkeit weiterer Kreise hierzulande
auf den Gegenstand zu lenken.
Dora S., eine 25jährige, aus Russland gebürtige, verheirathete Frau,
stellte sich mir am 19. November 1891 wegen gewisser Beschwerden vor,
welche mit dem gleich wiederzugebenden Befunde am rechten Auge in
keinerlei Beziehung standen und auf welche desshalb hier gar nicht
eingegangen zu werden braucht. Beim ersten Anblick der Patientin
fällt die Ptosis des linken obern Augenlids auf, nach Angabe der Pa-
tientin ein angeborener Zustand. Bei Prüfung der Beweglichkeit des
Augapfels ergiebt sich dieselbe als nach allen Eichtungen hier unein-
geschränkt, ausgenommen nach oben (Ausfall der Wirkung des Muse,
rectus superior und einer Theilwirkung des Muse, obliquus inferior).
Da mir das Vorkommen von einseitiger, unwillkürlicher Liderhebung
geknüpft an gewisse Bewegungen des Unterkiefers, gerade bei Fällen
von angeborener Ptosis, aus der Literatur bekannt war, Hess ich die
Patientin verschiedene Manöver mit dem Unterkiefer ausführen und
beobachtete dabei das Verhalten der oberen Augenlider. Beim Oeffnen
des Mundes, beim Vorstrecken des Kinns und bei Verschiebung des
Unterkiefers nach links verhielt sich das gelähmte Oberlid ebenso
wie das andere, unbeweglich, verschob jedoch die Patientin die Kinn-
lade nach rechts, so machte sich dabei ein ruckweises Erheben des
gelähmten linken Oberlids deutüch bemerkbar. Herr Dr. Henry
Koplik hatte auf mein Ersuchen die Freundlichkeit, sich von dem
Eintreten dieser Erscheinung durch eigene Beobachtung zu über-
zeugen. Die Patientin gab auch an, dass beim Kauen härterer
Speisen ein fortgesetztes Spiel des Hebens und Senkens des be-
treffenden Lids stattfinde. Da sie nicht des Auges halber Hülfe
suchte, gab sie sich zu den angestellten Versuchen nur unwillig her
und entzog sich denselben vorzeitig, so dass ich unter Anderem
auch keine Gelegenheit fand, das Verhalten des gelähmten Lids bei
Verschluss des andern Auges festzustellen. Es soll hier noch aus-
drückhch hinzugefügt werden, dass das Verhalten des rechten Ober-
lids und die MotiUtätsverhältnisse des zugehörigen Bulbus vollkommen
normal waren.
Die oben wiedergegebene GowERs-HELFREicn'sche Hypothese über
das anatomische Substrat der hier besprochenen Bewegungsanomalie
14
beschäftigt sich nur mit dem Oculomotorius einerseits und dem Trige-
minus und dem Faciahs andererseits ; der Sympathicus ist ganz aus
dem Spiele gelassen. Bedenkt man aber, dass eine Erhebung des obern
Augenlids nicht nothwendiger weise durch eine Zusammenziehung des
durch den Oculomotorius innervirten Muse, levator palpebrae superio-
ris bewirkt zu werden braucht, sondern dass der durch den Sympathi-
cus innervirte, aus glatten Fasern gebildete Heinhich MüELLER'sche
Orbitalmuskel eine ähnliche Wirkung hat, ferner dass im GuNN'schen
Falle eine verengerte Pupille auf der Seite der Ptosis bestand und in
dem Falle von Bernhardt ein Zurückgesunkensein des Augapfels, bei-
des Symptome von Lähmung gewisser, in der Bahn des Sympathicus
verlaufender Nervenfasern, so kann man das Bedenken nicht unter-
drücken, dass der Sympathicus bei den bisherigen Deutungsversuchen
etwas zu kurz gekommen ist.
Mit den hier angeführten Fällen zu analogisiren ist offenbar ein
merkwürdiger Fall von Adamük. Er beobachtete bei einer 4:0jährigen
russischen Nonne, dass bei jeder Kaubewegung beide oberen Augenlider
der Kranken sich stark aufwärts hoben und zurückzogen, während die
Augäpfel immer mehr hervortraten. Dadurch wurde der Gesichtsaus-
druck ein sehr auffallender und unangenehmer, da die Augen schliess-
lich so weit entblösst hervorstanden, dass kaum das hintere Drittel der-
selben von den Lidern bedeckt erschien. Als Patientin das Kauen ein-
stellte, gingen die Lider nach und nach in ihre normale Lage zurück,
so dass keine Spur ihres Hervorstehens oder der Ketraction der Lider
zurückblieb ; auch sonst boten die Augen der Patientin nichts von der
Norm Abweichendes dar. Adamük glaubt den Grund dieser abnormen
Erscheinung in einem eigenthümlichen topographischen Verhältnisse
der der Augenhöhle entstammenden venösen Gefässe zu den Kaumus-
keln suchen und das fragliche Phänomen als das Eesultat einer venö-
sen Stauung ansehen zu müssen. Dass dieser mechanische Erklärungs-
versuch nur wenig Einnehmendes für sich hat, liegt auf der Hand.
Nachtrag. — Seitdem das Obenstehende zum Druck befördert
wurde, habe ich Gelegenheit gehabt, einen weitern Fall dieser Art zu
beobachten. Er betraf einen 9jährigen Knaben, Charles Strafford, der
gegen Eude December 1891 auf die Abtheilung des Herrn Dr. E. Grue-
NiNG im Mount Sinai Hospital aufgenommen wurde, um wegen seit
frühester Kindheit bestehender Ptosis des rechten Auges operirt zu
werden. Herrn Dr. Gruening bin ich für die Erlaubniss, den Patienten
zu untersuchen und seiner hier Erwähnung zu thun, zu Dank verpflich-
tet. Der Knabe hat fünf Brüder und zwei Schwestern; alle Geschwister
erfreuen sich normaler BewegUchkeit der Augenlider. Patient soll im
Alter von 10 Wochen Convulsionen gehabt haben und das Herabhängen
des rechten obern Augenlids soll als Folge derselben zurückgeblieben
sein. Während die Beweglichkeitsverhältnisse der Lider und des Aug-
apfels der linken Seite vollkommen normale sind, hängt das obere Lid
des rechten Auges beim Blick geradeaus so weit herab, dass der grösste
15
Theil der Pupille verdeckt erscheint. Die Excursionsfähigkeit des rech*
ten Bulbus ist nach oben beschränkt, nach allen anderen Richtungen
jedoch frei. Hiermit im Einklang giebt der Knabe auch an, beim Blick
nach oben Doppelbilder zu sehen. Die rechte Pupille zeigt dieselbe
Grösse wie die linke und normale Beweglichkeit. Im Augenhintergrund
keine Abnormität. Refraction beider Augen mässig hypermetropisch.
Beim Öffnen des Mundes und bei Verschiebung der Kinnlade nach links
geht das gelähmte rechte Oberlid jedesmal ruckweise in die Höhe, so
dass die Lidspalte dieser Seite nun weiter geöffnet erscheint, als die der
gesunden Seite. Wird der Unterkiefer nach rechts verschoben, so ver-
hält sich das in Rede stehende Oberlied regungslos. Wird das linke
(normale) Auge mit der Hand verschlossen, so geht das gelähmte Augen-
lid ein wenig in die Höhe, und wird nun der Mund geöffnet, so hebt es
sich noch um ein Bedeutendes höher. Beim Kauen erfolgt jedesmal
wenn der Unterkiefer vom Oberkiefer entfernt wird, eine Hebung des
Lids, das sich beim Anstemmen der Kinnlade gegen den Oberkiefer wie-
der senkt, welches fortgesetzte Spiel einen seltsamen Anblick gewährt
Literatur.
Makcus Gunn: Lancet, 1883, Vol. II, No. 3. — Helfreich: Festschrift
f. A. von KöLLiKER, 1887. Auszugsweise im Bericht über die 19. Ver-
sammlung der Ophthalmol. Gesellschaft, Heidelberg, 1887. — Fuchs:
Discussion über Helfreichs Mittheilung in demselben Berichte. —
Frankel (Chemnitz): Zehender's klinische Monatsbl., November 1888.
— Just: Berhner klin. Wochenschr., No. 42, 1888. — Bernhardt: Cen-
tralbl. f. Nerv. XI, 5, 1888. — Uhthoff: Berliner Min. Woch., No. 36,
1888. — OLE Bull; Arch. of Ophthalm., XVIII, 2 p. 144, 1888. — v. Reuss:
Wiener klin. Wochenschr., No. 4, 1889. — Adamuek: ZEHEXDER'sche klin.
Monatsbl., Mai 1888. — Laqüeur: Centralbl. f. pr. Augenh., Oktober
1890. — Proskauer, Theodor: Centralbl, f. p;r. Augenh. April 1891. —
Vossius: Deutsche Med. Wochenschr., 29. Oki;9fo3r 1891 (Vorläufige Mit-
theilung). ' - ^
Bemerkungen zu .dem Artikel, des H^?^l:GLEITSMAN.^::
„ Ein neues? und einfiiftlies T erfahren .-^ur Beseitigung der unan-
genehmen Folgezustände nach Gebrauch der Gal-
vanocaustik bei Hypertrophien der Nase.'^
Von
Dr. W. Freudenthal,
New York.
Seitdem vor mehr als 8 Jahren von authoritativer Seite die Chrom-
säure emphatisch empfohlen worden war, wandte ich dieselbe in einer
Unzahl von Fällen chronischer hyperthrophischer und hyperplastischer
Zustände in der Nase wie im Halse an, und meine Erfahrungen lehrten
mich nach etwa 4^5 Jahren, das Mittel gänzlich aufzugeben, denn ich
habe nach Anwendung der Chromsäure nicht nur die allgemein bekann-
16
ten Reactions-Erscheinungen wie Mattigkeit, Benommenheit, Tonsillitis,
Angina etc. entstellen sehen, sondern ich beobachtete auch 2 Mal ganz
ausgesprochene Fälle*) von acutem Gelenkrheumatismus, ähnlich wie
dies auch schon Hack beschrieben hatte.
So kam es denn sehr erwünscht, als ein neues Mittel an Stelle der
Chromsäure empfohlen wurde. Dieses Mittel war die von Alexander
VON Stein zuerst in Anwendung gebrachte Trichloressigsäure. Ich wen-
de dieselbe auch seit mehr als einem Jahre in der Deutschen Poliklinik
an und kann nur allen denen beistimmen, welche dieselbe als recht gu-
tes Kausticum empfehlen in Fällen, wo man aiis Opportunitätsgründen
den Galvanokauter nicht benutzen kann. Für solche Fälle hat mir, wie
gesagt, die Trichloressigsäure recht gute Dienste geleistet, und ich be-
nutze dieselbe auch jetzt noch aus Opportunitätsgründen in der Deut-
schen Poliklinik. Sie ist entschieden der Chromsäure vorzuziehen.
Wenn aber Gleitsmann**) die Trichloressigsäure als ein neues und
einfaches Mittel „zur Beseitigung der unangenehmen Folgezustände
nach Gebrauch der Galvanocaustik bei Hypertrophien der Nase" auf
Grund von 80 so behandelten Fällen empfiehlt, so kann ich ihm darin
ganz und gar nicht beistimmen.
Doch bevor ich auf diesen Punkt weiter eingehe, möchte ich die Frage
auf werfen: Ist denn die Gefahr der Eeactionserscheinungen nach gal-
vanokaustischen Brennungen in der Nase überhaupt eine so grosse?
Man kann entschieden nicht ohne Weiteres mit „Ja" antworten. Ist
es doch merkwürdig genug, dass trotz des grossen Gefässreichthums
der Nase, und trotzdem sie beständig der Infection durch fortwähr-
enden Zutritt der atmosphärischen Luft ausgesetzt ist, die Eeactions-
erscheinungen in der Regel so auffallend gering sind. Aber ge-
rade in dem freien Zutritt^ qnfi^Jbesooders Inder fortwährenden Circu-
lation der Luft, ist, vfc^til.' dei; Gsrunil f \ir djese relative Immunität der
Nase gegen Infpctio^o gegeben (Treitel). ,Wiq ausserordentlich tole-
rant mitunter, die^Näse ist, habe ich^ vor kurzem jvieder durch ein sehr
eklatantes Beiepiel erfahren, auf d,aä ,i'jh hier leider nipht näher eingehen
kann. • ' ^ . < c , c,
Dochabgesehe.ii'y9i'SölGhen eu^nahmsweisc^nV^allen muss zugestan-
den werden, dass ein gewissöi', culerdbigs nurldeinef Procentsatz unserer
besonders galvanokaustisch behandelten Nasenfälle eine Reaction zei-
gen, sei es in der nächsten Umgebung der operirten Stelle oder in wei-
terabgelegenen Organen, wie im Pharynx oder in den Ohren. Wir
wissen nicht, weshalb in dem einen Falle eine Reaction eintritt und in
dem andern nicht, oder warum bei ein und demselben Patienten zu einer
Zeit starke Reactionserscheinungen auftreten, und das andere Mal gar
*) Nur einer der beiden Fälle ist veröffentlicht. Siehe Monatsschrift für
Ohrenheilkunde 1887. pag. 317.
**) Vergl. diese Monatsschrift No. 11, 1891 und Annais of Ophthalmology
and Otology No. 1, 1892.
17
keine. Thatsache ist, dass dieselben ohne unser Verschulden auftreten
und dass wir sie gerne verhindern möchten, wenn wir es könnten.
Ich begrüsste daher mit Freuden den oben citirten GLEiTSMANN'schen
Artikel, doch muss ich bekennen, dass ich nach der Leetüre desselben
noch nicht daran glauben konnte, dass das ganze Problem schon jetzt
gelöst wäre.
In einem früheren Artikel**-) über die Trichloressigsäure kommt
nämUch Gleistmann zu dem folgenden sehr richtigen Schlusssatz:
"Trichloracetic acid compares favorably with other caustics in hyper-
trophic conditions of the throat and nose, and is a valuable addition to
the remedies now in use."
Es ist also die Trichloressigsäure nach G's eigenen Erfahrungen ein
Kausticum. Wenn wir nun nach der Kauterisation mittels des electri-
schen Brenners, wie es G. empfiehlt, noch ein anderes Kausticum in Ge-
stalt der Trichloressigsäure hinzufügen, so musste ich aprioristisch an-
nehmen, dass diese beiden Kaustica zusammen nur noch eine stärkere
Reaction bewirken würden, als jedes von ihnen getrennt. Und die That-
sachen entsprachen auch wirklich den Voraussetzungen.
Um das GLEisTMAXN'sche Verfahren zu prüfen, untersuchte ich 2 Klas-
sen von Patienten: 1. Solche, die schon früher mit der Galvanokaustik
allein behandelt waren und 2. Solche, die noch nicht in Behandlung ge-
wesen waren. Von der ersten Klasse untersuchte ich 5 Patienten. Bei
dreien traten keine oder nur höchst geringe Reactionserscheinungen
auf. Bei den beiden anderen, die ich in meiner Privatpraxis behandelte,
war die Reaction aber so stark,wie man sie nur selten zu Gesicht bekommt
Der Kürze halber erwähne ich nur den einen Fall. Herr H. H. war
schon 4 Mal vorher kauterisirt worden und hatte nie eine Reaction ge-
zeigt. Am 19. December 1891 wurde er zuerst galvanokaustisch ge-
brannt, und dann wurde nach Gleitsmann eine Schicht Trichloressig-
säure über die ganze Parthie gelegt, Am 21. December sah ich ihn
wieder. Er hatte Schüttelfrost, Fieber und eine äusserst schmerzhafte
Tonsillitis. Die Nase war geröthet, geschwollen und ebenfalls sehr em-
pfindlich. Am 23. Dec. war das Fieber geschwunden, und auch die
übrigen Erscheinungen gingen in den nächsten Tagen zurück. Der Herr
verbat sich energisch jede fernere Trichloressigsäure-Behandlung.
Von der zweiten Kategorie, also solchen, die vorher noch gar nicht
behandelt waren, sah ich 15 Patienten. Abgesehen von ganz leichten
Reactionserscheinungen, die absolut keine Beschwerden machten, hatte
ich auch hier 4 Patienten (2 männlich und 2 weiblich), die eine starke,
und einen Patienten, der eine — sagen wir — mittelstarke Reaction
zeigte.
Wir haben demnach unter 20 behandelten Fällen 7 mit Reactions-
erscheinungen, oder 35% aller Fälle ! Dies ist nun ein Prozentsatz, den
wohl Alle als einen sehr grossen bezeichnen müssen, ja, der entschieden
grösser ist, als wir ihn sonst bei der einfachen Galvanokauterisation
***) Medical Record, March 14. 1891.
18
2u sehen bekommen. Doch ich gebe zu, dass bei meinen Experimenten
der Zufall eine starke Eolle gespielt hat, und dass der Procentsatz viel-
leicht nur ausnahmsweise so gross ist. Wie aber verhält es sich mit den
GLEiTSMANN'schen Zahlen ? Bei ihm waren von 80 Fällen 18 „von einem
oder dem anderen unangenehmen Symptom begleitet", d. h. also etwa
23% der GLEiTSMANN'schen Fälle zeigten eine deutliche Keaction. Nun
ich glaube nicht, dass dieses Kesultat ein so günstiges ist. Wie ich schon
oben bemerkte, verlaufen die meisten galvanokaustischen Brennungen
ohne jede subjectiv wahrnehmbare Eeaction. Wenn daher Herr Gleits-
MANN mit seiner neuen Methode immer noch 23%' Misserfolge zu ver-
zeichnen hat, so dürfte das wohl schwerlich als ein Fortschritt zu be-
trachten sein.
Nach meinen persönlichen Erfahrungen haben wir auch bei der ein-
fachen Kauterisation entschieden nicht mehr als 2S% mit nachfolgenden
Reactionserscheinungen (ich kann natürlich keine statistischen Daten
dafür beibringen). Wenn also Herr Gleitsmann diese Zahlen nicht
heruntersetzen kann, so muss ich sein Mittel wohl als ein neues, ab^r
keineswegs sicheres Verfahren zur Beseitigung der unangenehmen Folge-
zustände nach Gebrauch der Galvanokaustik ansehen. Ich kann es den
Herren Collegen nicht empfehlen.
1054 Lexington Ave.
IV.
lieber Guajaeolbehaudluiig der Tuberkulose.*
Von
Prof. Dr. Max Schneller
aus Berlin.
(A u tor ef er at.)
Nach einleitenden Dankesworten an den Herrn Präsidenten und die
Herren Collegen der Deutschen Medicin. Gesellschaft der Stadt New York
gab der Vortragende zunächst einen kurzen Ueberblick über die ge-
schichtliche Entwicklung der von ihm eingeführten Guajacolbehandlung
der Tuberkulose. Schon in den Jahren 1878 bis 1880 hat er durch zahl-
reiche Thierversuche und histologische Untersuchungen zuerst die
künstliche Erzeugung von Gelenktuberkulose und ihre Entstehungs-
weise dargethan, Versuche, welche neuerdings in allen wesentlichen
Punkten von verschiedenen Autoren durch gleiche Versuche mit Tu-
kerkel-Bacillen bestätigt worden sind. Er stellte schon damals mit
grosser WahrscheinUchkeit die aetiologische Zusammengehörigkeit von
Tuberkulose, Skrophulose und Lupus, sowie ihre Abhängigkeit von be-
stimmten Mikroorganismen fest, was durch die Entdeckung des Tuber-
kelbacillus erwiesen zu haben das ungeschmälerte Verdienst Kob. Kochs
*) Nach einem in der Deutschen Medicinischen Gesellschaft von NeM' York
am 4. Januar 1892 gehaltenen Vortrage.
19
ist. Zugleich machte der Vortragende damals zahlreiche therapeuti-
sche Versuche mit verschiedeDen Mitteln bei tuberkulös inficirten
Thieren (so mit Natr. benzoic, Extract. lign. Guajaci, Guajacol, Kreosot
etc., mit Pilocarpin, mit Chlorzink u. a. m., tlieils in Form einer Allge-
meinbehandlung, theils in localer Anwendung). Die Ergebnisse seiner
damaligen experimentellen Beobachtungen und histologischen Unter-
suchungen sind ausführlich mitgetheilt in seinem im Jahre 1880 erschie-
nenen Buche (ScHUELLER, Experimentelle und histologische Untersuchun-
gen über die Entstehung und Ursachen der skrophulösen und tuberku-
lösen Gelenkleiden, nebst Studien über die tuberkulöse Infection und
therapeutischen Versuchen. Mit 30 Abbild, im Texte. Stuttgart, F.
Enke, 1880, 236 Seiten). Doch hat er auch nach dem Erscheinen dieses
Buches einige Versuche durch seine früheren Schüler fortsetzen lassen,
welche in deren Dissertationsarbeiten erschienen sind.
Nach kurzer Darlegung der ihn bei seinen therapeuthischen Ver-
suchen leitenden Gesichtspunkte bemerkt er, dass er bei der Prü-
fung der verschiedenen Mittel an Menschen sehr bald dazu gekom-
men sei, dem Extract. Guajaci und dem Guajacol und auch dem Kreosot
vor den übrigen den Vorrang zu geben. Von diesen wirkte besonders
das vom Vortragenden zuerst experimentell und therapeutisch verwen-
dete Guajacol (ein Bestandtheil des Guajacholzes) schon in verhältniss-
mässig kleinen Mengen entwicklungshemmend auf Culturen aus tuber-
kulösen Gewebemassen ein. Es wurde auch nach neueren Unter-
suchungen mit Tuberkelbacillen sowohl im Keagenzglase wie am
Versuchsthiere eine nicht unbeträchtliche anti-bacilläre Einwirkung des
Guajacols festgestellt. — Der Vortragende hat diese Mittel seit dem
Jahre 1880 beim Menschen in Anwendung gezogen und seine Ergebnisse
bei Lungen-Tuberkulose, besonders aber bei den sogen, chirurgischen
Tuberkulosen im Sommer 1891 in einem besondern Buche mitgetheilt
(M. ScHUELLER, Eine neue Behandlungsmethode der Tuberkulose, beson-
ders der chirurgischen Tuberkulosen. Wiesbaden, bei J. F. Bergmann,
1891). Er giebt kurz die Zahlen und die sich bis zu 10 Jahren erstreckende
Beobachtungsdauer der dort besprochenen Fälle an und weist bezüglich
des Näheren auf die Arbeit selber. Seit dem Erscheinen dieses Buches
hat er Gelegenheit gehabt, die günstigen Erfolge der Guajacolbehand-
lung an einer grossen Zahl neuer Patienten zu beobachten und seine Er-
fahrungen hierüber zu erweitern. Auch sind sie schon von anderen Be-
obachtern bestätigt worden.
Der Vortragende schildert dann seine Anwendungsweise des Guaja-
cols bei verschiedenen tuberkulösen Erkrankungen.
Bei Lungentuberkulose lässt er von Kindern 2-3 Tropfen, von Er-
wachsenen 3-5 Tropfen des reinen Guajacols viermal täglich in einem
Glase mit Salzwasser, Milch, Bouillon, bei Erwachsenen auch je nach
Umständen mit Wein etc. verrühren und trinken. Das Guajacol, welches
jetzt auf Veranlassung des Vortragenden in der chemisch-pharmaceu-
tischen Fabrik von I. D. Kiedel in Berlin möglichst rein hergestellt
wird, ist wasserhell, relativ leicht löslich, schmeckt und riecht nicht un-
20
angenehm und ist bisher von allen Patienten leicht vertragen worden.
(Dasselbe wird hier durch die Herren Lehn & Fink, Vertreter von I. D.
Eiedel, geliefert werden können.)
Die Darreichung des Guajacols in Pillen hat der Vortragende gänz-
lich aufgegeben und hält sie für durchaus unzweckmässig. Auch das-
selbe in Kapseln zu geben hält er nicht für so praktisch, wie die oben ange-
gebene einfache Form. Soll es in Kapseln gegeben werden, so empfiehlt
er, stets unmittelbar vorher und nachher eine Flüssigkeitsmenge von im
Ganzem etwa einem gewöhnlichen Wasserglase voll zu nehmen. Sowie
es Vortragender oben angegeben hat, ist das Guajacol von seinen Pati-
enten viele Monate bis zu 1^ Jahr ohne Beschwerde genommen worden.
Der Vortragende lässt bei den Patienten mit Lungentuberkulose, wo es
erforderlich erscheint, neben dem Guajacol, welches nicht ausgesetzt
werden soll, gelegentlich Expectorantien, Digitalis, Fiebermittel
brauchen. Das ist besonders im Anfange der Behandlung erforderlich,
da das Guajacol erst nach längerem Gebrauche, und zwar in indirecter
Weise herabsetzend, auf das Fieber einwirken kann. In vielen Fällen
wendet er auch Inhalationen von schwachen Guajacolwasserlösungen
(5 : 3000 — 5000) oder Terpentinöl m. Campher u. a. m. an. Dieselben
müssen beständig vom Arzte controUirt werden, und vor allen Dingen
jede Ueberanstr engung beim Einathmen verhütet werden. Der Vortra-
gende hat in der Regel anfänglich eine vermehrte, aber zugleich eine
erleichterte Expectoration eintreten sehen ; dann eine allmähliche Um-
wandlung der geballten eitrigen Sputa in mehr schleimige, catarrhalische
Aufhellung der Dämpfung, Nachlass des Hustens, Hebung des Körper-
gewichts, Besserung des Allgemeinbefindens, endlich Verschwinden der
Tuberkelbacillen u. s. f. Vortragender führt die Krankengeschichten
einiger sehr eclatanter Fälle an, darunter mehrere, welche vorher ver-
geblich mit Tuberkulin behandelt worden waren. Bei einem der Patienten
wurden zugleich seit mehreren Monaten bestehende, wahrscheinlich auf
Darmtuberkulose beruhende profuse, zuvor jeder Behandlung trotzende
Diarrhoen schon etwa 8 Wochen nach Beginn der Guajacolbehandlung
dauernd beseitigt. Wenn er auch in mehreren Fällen gleich schon in
den ersten vier bis fünf Wochen eine ganz auffällige, geradezu über-
raschende Besserung aller Erscheinungen beobachten konnte, so bean-
sprucht die Behandlung mindestens sechs bis acht Monate. Er lässt
das Mittel aber auch nach dem Verschwinden der Tuberkelbacillen und
der localen Krankheitserscheinungen noch einige Monate fortsetzen und
hält es für selbstverständlich, dass es später sofort wieder gebraucht
wird, falls sich wieder Krankheitserscheinungen zeigen sollten. Er hat
bis jetzt 18 Patienten mit Lungentuberkulosen ausgeheilt, von denen
einige schon mehrere Jahre in Beobachtung und bei wiederholter Unter-
suchung vollkommen gesund erwiesen worden sind.
Bei den sogenannten chirurgischen Tuberkulosen, d. h. denjenigen tu-
berkulösen Organerkrankungen, welche mehr oder weniger, neuerdings
in immer grösserer Ausdehnung einer chirurgischen Behandlung zugäng-
lich sind, hat er gleichfalls die Allgemeinbehandlung mit Guajacol con-
21
sequent durchgeführt, und hält sie deshalb für zweckmässig resp. uner-
lässlich, weil einmal viele dieser Patienten thatsächlich gleichzeitig mit
der dem Chirurgen zunächst vorliegenden tuberkulösen Erkrankung
schon in einem oder dem andern Organe tuberkulöse Heerde, wenn auch
oft nur Initialerkrankungen haben, dann aber weil sie nicht selten
später — selbst nach Ausheilung ihres Localleidens — noch an Tuber-
kulose der Lungen, Meningen und anderer Organe oder an acuter
Mihartuberkulose erkranken.
In einer Reihe von solchen Fällen sah er Besserung und Heilung ein-
treten ohne operative Eingriffe, allein unter Anwendung der Guajacol-
behandlung. Viele dieser Patienten sind seit 2—10 Jahren gesund ge-
blieben, sehen blühend aus. Sogenannte chronische skrophulöse
Eczeme, in deren Secret vom Vortragenden mehrfach Tuberkelbacillen
nachgewiesen wurden, heilten in sehr kurzer Zeit definitiv aus, und
gingen danach auch die begleitenden Drüsenschwellungen zurück.
Aber auch grössere noch nicht verkäste tuberkulöse Drüsenanschwel-
lungen können binnen 3 — 6 Monaten zum Schwinden gebracht werden;
einfache Fälle von Gelenktuberkulose unter Aufhören der Schmerzen,
Zurückgehen der Schwellung, Beseitigung der Functionstörung zur
Ausheilung gebracht werden. Auch mehrere Fälle von Wirbeltuber-
kulose hat der Vortragende in verhältnissmässig kurzer Zeit zur Aus-
heilung gelangen sehen. Als ein besonders interessantes Beispiel führt
Vortragender die Krankengeschichte eines 6jjährigen Knaben mit Hals-
wirbeltuberkulose und Tuberkulose an andern Theilen des Skelets an,
bei dem, nachdem er schon vorher in der verschiedensten Weise behan-
delt worden war, im Winter 1890 auch längere Zeit Tuberkulinin jec-
tionen angewandt worden waren. Dabei waren stets sehr prompte Re-
actionen eingetreten, leider aber auch neue tuberkulöse Heerde an
anderen Knochen, sowie am Erkrankungsheerde der Halswirbelsäule
eine erhebliche Verschlimmerung, zunehmende Schwellung und Er-
weichung, erhöhte Schmerzhaftigkeit, Compressionserscheinungen unter
andauerndem Fieber entstanden, so dass schliesslich die Tuberkulinin-
jectionen wieder ausgesetzt werden mussten. Hier hörte schon nach
vierwöchentlichem Guajacolgebrauch das auch nach Aussetzen der
Tuberkulininjectionen seit einem halben Jahre beständig andauernde
hohe abendliche Fieber vollkommen auf, während im Weiteren die sehr
grosse Schwellung und Druckempflndlichkeit an den erkrankten Wir-
beln, sowie die heftigen ausstrahlenden Schmerzen in den Armen immer
mehr schwanden, so dass sechs Wochen nach Beginn der Guajacolbe-
handlung die bis dahin unentbehrliche Extensionslage aufgegeben werden
und Patient seitdem mit einem Korsettsich ausser Bett bewegen konnte-
Von den übrigen tuberkulösen Heerden des Patienten gingen kleinere
spontan zurück, 2 andere wurden operativ entfernt. Ferner sah Vor"
tragender auch eine seit etwa 14 Jahren bestehende tuberkulöse Caries
mit sehr bedrohlichen meningealen Erscheinungen unter dem Guajacol-
gebrauch zur Ausheilung kommen u. s. f. Vielleicht können so auch
einfache Fälle von Tuberkulose andrer Organe, z. B. der Nieren, aus-
22
heilen. Weniger scheint dafür Hodentuberkulose geeignet. Bei der
grossen Mehrzahl der chirurgischen Tuberkulosen hält er neben der
innern Guajacolbehandlung eine locale Behandlung, speciell ein chirur-
gisches Eingreifen für erforderlich. Die Gründe dieser Auffassung hat
er ausführlich dargelegt in seiner letzten Veröffentlichung (Wiesbaden,
1891) ; ebenso hat er dort seine eigenen localen Eingriffe und Operations-
verfahren ausführhch beschrieben und an zahlreichen Fällen, welche
seitdem durch neue erheblich vermehrt wurden, erläutert. Er verweist
auf das Studium dieses Buches und führt nur kurz noch einige neuere
Beispiele von Fällen an, welche die ausserordentliche Brauchbarkeit
seiner Methoden darlegen.
In der neueren Zeit hat er u. a. auch local an den Erkrankungsheerden
das Guajacol meist in wässriger Lösung oder in Verbindung mit 10%
Jodoformglycerinmischungen iujicirt. Beim Lupus wurden die Knöt-
chen und infiltrirten Stellen mit dem Thermokauter ausgebrannt, dann
wurde, jedoch nur auf Steilen von beschränkter Ausdehnung, subcutan
oder endermatisch in die Umgebung der Lupusknötchen Guajacol in-
jicirt. Darüber JodoformcoUodium verband. Diese Injectionen machen
stets eine sehr starke ödematöse Anschwellung, welche 1 bis zwei Tage
andauert, auch mit Schmerzen verbunden ist, dann rasch zurückgeht
und eine verhältnissmässig schnelle, glatte Heilung zur Folge hat. So
verfuhr der Vortragetide bei einem 4:7jährigen Fräulein aus Erlangen,
welches wegen hochgradigen Gesichtslupus schon seit Jahren in ver-
schiedener Weise behandelt worden war, im Winter 1890 auch 38 Tuber-
kulinin jectionen erhalten hatte, wonach aber eine sehr beträchtliche,
rapide weitere Ausbreitung des Lupus eingetreten war. Das ganze
Gesicht sah dickgeschwollen blauroth und braunroth aus, die Stirn-,
Wangen- und Kinnhaut war von Lupusknötchen durchsetzt, die Nase
und Oberlippe zum Theil zerstört, das rechte Ohrläppchen kirschengross
glasig aufgequollen, mit frischen Lupusknötchen. Desgleichen solche
im Zahnfleische und in der Schleiinhaut des harten Gaumens ; endlich
noch bohnengrosse Lupusheerde mit tuberkulöser Infiltration des um-
gebenden subcutanen Bindegewebes am linken inneren Fussrande und
in der Knöchelgegend. Zugleich bestand Bronchialcatarrh mit Tuber-
kelbacillen in den Sputis, aber keine Dämpfung. Es verdient wegen der
Sohwierigkeit des Bacillennach weises bei Lupus hervorgehoben zu wer-
den, dass in der beim Thermocauterisiren des rechten Ohrläppchens aus-
fliessenden wasserhellen serösen Flüssigkeit sehr schöne Tuberkelbacil-
len nachgewiesen werden konnten. Die oben beschriebene Lupusbe-
handlung wurde vom Vortragenden bei der Patientin Mitte September
begonnen. Von Woche zu Woche war eine zunehmende Abheilung
wahrzunehmen. Ende November, also nach 2i Monat, wurde die locale
Behandlung abgeschlossen. Das Gesicht war überall abgeschwollen,
sah viel schmäler und blässer aus ; der Lupus ist anscheinend ausge-
heilt, ebenso auch die tuberkulösen Heerde am Fusse. Doch soll die
Patientin wegen des noch bestehenden Catarrhes das Guajacol fortsetzen.
Auch bei Gelenktuberkulose hat Vortragender mit den Jodoformin-
23
jectionen solche von Guajacol in das Gelenk verbunden, und ist in hohem
Masse befriedigt von den Erfolgen. So hat er u. a. 4 Fälle von schwerer
Coxitis, welche früher sämmtlich hätten resecirt werden müssen, durch
solche Injectionen in die Knochenheerde, Kapsel und umgebende Ge-
webe, wie er es schon früher beschrieben, so vollkommen zur Ausheilung
gebracht, dass weder eine Verkürzung, noch eine Schmerzhaftigkeit,
noch eine Schwellung mehr nachzuweisen ist, während das Gehen ohne
Mühe möglich ist. Bei zweien ist sogar schon geringe Beweglichkeit
wieder bemerkbar. Er macht auf den beträchtUchen Fortschritt dieser
Behandlung gegenüber allen andern nicht-operativen Methoden wie
auch der Resection gegenüber aufmerksam, welche bisher gerade am
Hüftgelenke sehr unvollkommene Leistungen aufzuweisen hatten. Aber
auch bei allen Exstirpationen, Excisionen, Resectionen wegen tuberku-
löser Affectionen der Organe, welche er überall wo schon Verkäsung oder
ausgedehnte Zerstörung durch fungöse Granulationen vorhanden ist,
für geboten erachtet, hat er dadurch wesentlich bessere Resultate,
Heilung per primam ohne Fisteln, Fernbleiben von Recidiven u. s. f. er-
zielt, dass er gleich nach Vollendung der Operation in die Wände der
Wundhöhle (in die entblössten Knochen, in die Weichtheile, etc.) eine
Mischung von Guajacollösung und Jodoformglycerin injicirt. Dann
wird stets ohne Drainage sowie ohne Tamponade genäht und darüber
der Verband angelegt. Stets erfolgte Heilung per primam. So ope-
rierte Patienten mit Resectionen des Knies, des Fussgelenks konnten
mit ihrem resecirten Beine im Wasserglasverbande vollkommen
schmerzlos schon 14 Tage nach der Operation herumgehen. Bei allen
Patienten mit chirurgischen Tuberkulosen soll aber auch stets innerlich
Guajacol gebraucht werden, welches er auch nach operativen Eingriffen
für unerlässlich hält. Er hat durch seine vielfachen Beobachtungen
seit vielen Jahren die Ueberzeugung gewonnen, dass gerade auf dieser
von ihm eingeführten Combination des innerlichen Guajacolgebrauches
mit einer entsprechenden chirurgischen Localbehandlung die schönen
Heilerfolge beruhen, welche er bei seinen Patienten beobachtet hat, und
hofft, dass sich das Verfahren auch in den Händen seiner Collegen in
diesem Welttheile bewähren wird.
24
NEW YORKER MEDICINISCHE MONATSSCHRIFT.
Organ für praktische Aerzte in Amerika.
Redigirt von
De. f. C. HEPPENHEIMEK.
EDITORIELLE NOTIZEN.
15. Januar 1892.
Die chirurgische Behandlung der Pylorusstenosen.
Unter diesem Titel ist im Medical Record vom 7ten und 14ten
November 1891 eine ausgezeichnete Arbeit von N. Senn erschienen, und
wir sehen uns veranlasst, dieselbe hier einer genaueren Besprechung zu
unterziehen.
Pylorusstenosen zerfallen in solche, die bedingt sind durch narbige
Stricturen und solche deren Ursache ein Carcinom ist. Beide Arten
führen, sich selbst überlassen, sicher, wenn auch zuweilen langsam, zum
Tode; in beiden Fällen ist man imstande durch Operationen Hilfe zu
leisten. Bei den narbigen Stricturen werden Heilungen erzielt, bei den
Carcinomen erhebliche, wenn auch nur temporäre Besserungen geschaf-
fen. Es ist also die Aufgabe des Arztes, möglichst früh die Diagnose
auf eine Pylorusstenose zu stellen, denn je früher operirt wird, desto
sicherer der Erfolg.
Neben den klinischen Symptomen bietet die moderne Magenunter-
suchung Anhaltspunkte für eine diesbezügliche Diagnose. Untersucht
man den Magen des Patienten des Morgens im nüchternen Zustande
mit dem Schlauch und findet darin Speisen vom Tage zuvor, so wird so-
fort der Verdacht auf eine Pylorusstenose rege. Oonstatirt man das-
selbe Resultat bei wiederholter Untersuchung trotz zweckmässiger diä-
tetischer Behandlung, so kann man wohl aus diesem Befunde allein die
Diagnose auf eine Pylorusstenose stellen. Die Frage, welcher Natur
die Stenose ist, ob sie durch eine narbige Strictur oder durch Carcinom
bedingt ist, kommt erst, in Rücksicht auf eine Operation, in zweiter
Linie in Betracht, da man dieses nach Eröffnung der Bauchhöhle sicher
und leicht feststellen und danach das chirurgische Verfahren dann aus-
führen kann.
Allein auch klinisch ist es gröstentheils nicht schwer die Differential-
diagnose zu machen. Am entscheidensten ist der Nachweis eines
Tumors, ferner das stete Fehlen der Salzsäure im Mageninhalte für
Carcinom.
Für narbige Stricturen des Pylorus wird jetzt allgemein die von
Heinere und Mikulicz angegebene Pyloroplastik geübt ; die Operation
besteht darin, dass der Pylorus vorn längs gespalten, die Incision nach
dem Magen und Duodenum hin in gerader Linie verlängert und die
Schnittränder aneinander quer (d. h. quer zum Längendurchmesser des
Magens) angenähet werden ; auf diese Weise wird durch die Naht die
vordere Magenwand mit dem Duodenum direct vereinigt und ein neuer
25
Pyloruscanal gebildet. Senn hat nun in zwei Fällen diese pyloropla.
stische Operation ausgeführt und zwar mit dem besten Erfolge.
Bei den malignen Stenosen des Pylorus (fast immer Carcinom) kom-
men zwei Operationen in Betracht, nämlich die Pylorectomie und die
Gastroenterostomie. Erstere Operation lässt sich nur dann ausführen,
wenn das Carcinom um den Pylorus herum liegt, scharf abgegränzt ist
und noch keine Nachbartheile oder Drüsen mitergriffen hat, sonst wird
die Gastroenterostomie geübt, d. h. Anlegung einer neuen Oeffnung
zwischen Magen und Jejunum. Unter 21 Gastroenterostomien, die
Kockwitz aus der Literatur zusammengestellt hat, war die Mortalität
57,2%. BiLLROTH berichtet über 28 Operationen für maligne Pylorus-
stenosen, wo 14 infolge der Operation gestorben sind.
Diese hohe Mortalität ist erstens bedingt durch den grossen
Schwächezustand derartiger zur Operation kommender Fälle und zwei-
tens durch die lange Dauer der Operation selber.
Senn hat sich nun bei der Anlegung der Gastroenterostomien seiner
bekannten durchlöcherten entkalkten Knochenplättchen bedient und
hat dadurch die Dauer der Operation bedeutend verkürzt ; infolge dieser
Modification waren auch seine Kesultate besser, als die oben angeführ-
ten ; Senn berichtet in seiner Arbeit über 15 Magenoperationen (darunter
13 Gastroenterostomien wegen mahgner Pylorusstenose) mit einer Mor-
tahtät von 33,3^.
Es ist also auf diese Weise durch Senn ein grosser Fortschritt auf
dem Gebiete der Magenchirurgie zu verzeichnen.
REFERATE.
Krankheiten der Respirationsorgane.
Referirt von Dr. J. W. GLEITSMANN.
The etiology and treatment of atrophic rhinitis. J. Wright. (Medical
Kecord, Aug. 15, 1891.)
Nach ausführlicher Besprechung der Aetiologie und Pathologie der
Krankheit gibt W. die Grundzüge seiner Behandlung. Er betont die
unumgängliche Nothwendigkeit des Reinhaltens der Nase und spricht
dann über die 3 Methoden, welche er versucht hat, nämlich die mecha-
nische mittelst der GoTCSTEiN'schen Tawponade, die electrische mittelst
Galvanisraus und der Galvanocaustik mit leichter Eothglühhitze und die
medicinische oder chemische. Obwohl nicht ungünstig über die
ersten beiden urtheilend, hat er doch hauptsächlich die letztere und
von diesen vorzugsweise Thymol, Menthol und Aristol gebraucht.
Thymol gab ihm die besten Resultate und hat er dasselbe ohne Unter-
brechung die letzten 4 Jahre angewandt. Er findet, dass es ein gutes
Antisepticum ist, einen angenehmen Geruch hat, für Sprays genügend
löslich ist, die Schleimhaut stimulirt, nicht giftig ist und eine con-
trahirende Wirkung auf die Gefässe ausübt. Seine Vorschriften sind:
Thymol gr ^-gr ^f3 Alcohol und Glycerin an Aq ad 3 i.
Der Patient muss auf eine monatlange (4 bis 8 Monate) Behandlung
jeden 2. Tag sich gefasst machen und auch nachher ist ein einwöchent-
licher Besuch beim Arzte noch längere Zeit fortzusetzen.
26
A brief communicationon nasal Vibration (massage) with report of cases.
N. H Pierce. (Journ. Am. Med. Asso., Oct. 10, 1891.)
P. hat die Methode von Braun, über welche ein Keferat in dieser
Zeitschrift in der Januar- Nummer sich befindet bei sechs Patienten mit
foetider atrophischer Ehinitio in Chiari's Klinil^ in Wien angewandt und
ist zu Eesultaten gelangt, die nicht völlig mit denen von Braun über-
einstimmen. Die Patienten wurden mit Ausnahme Sonntags, täglich
vier Monate lang in der von Braux vorgeschriebenen Weise behandelt
und fand P., dass
1. Die Reinigung der Nase die Hauptursache des Verschwindens der
Secretion, der Krusten und des Foetors ist.
2. Die Vibrationen mögen durch Stimulirung des Lymph- und Ge-
fässsystems von einigem Vortheil sein, aber
3. sie haben keinen Einfluss auf die Atroptie selbst, die nach wie
vor vorhanden war.
A preliminary report on the treatment of atrophic rhinitis with
Ichthyol. D. Philipps. (N. Y. Med. Jour., May 16, 1891.)
Die Beobachtung, dass Ichthyol günstig in atrophischen Zuständen
und besonders in Hautkrankheiten wirkt, war Veranlassung, dass Ph.
das Mittel in atrophischer Rhinitis anwandte. Nach vielfachem Experi-
mentiren fand er, dass eine 5procentige Lösung in Kerolin die beste
Combination ist. Nach vollständiger Reinigung der Nase mittelst einer
alkäischen Flüssigkeit und deren Austrocknung mit Watte wird die
Lösung mittelst des Watteträgers anfänglich jeden zweiten Tag, später
in grösseren Zwischenräumen gründlich applicirt. Ausserdem gebraucht
der Patient eine Iprocentige Lösunor in 8 bis 5 Theilen Albolene Mor-
gens und Abends zu Hause nach Auswaschung der Nase.
Ph. hat bis jetzt 27 Fälle behandelt und meist schon Besserung nach
der zweiten Application, Sistirung der Krustenbildnng nach sieben bis
zehn Tagen beobachtet.
A Report of two cases of large sublingual dermoid cysts ; one case of
fatty tumor of pharynx and nasopharynx. Von I. A. Bach. ( Medi-
cal Age, May 25, 1891.)
Beschreibung des Verlaufs und der erfolgreichen Operation dieser
seltenen drei Fälle. Das Lipom des dritten Falles füllte den ganzen
Pharynx aus, hatte seinen Ursprung rückwärts von der rechten
EusTACHi'schen Röhre und bestätigte das Microscop die klinische
Diagnose.
Subcutaneous injections of creasote oil,in pulmonary phthisis. Von P.
Guerder, Paris. (Ibidem.)
G. benützt zu seinen Injectionen eine von ihm angegebene Modifica-
tion des GiiiBERT'schen Apparates. Er fand, dass er bei dieser Appli-
cationsmethode grössere Mengen Creosot dem Organismus beibringen
konnte, als sonst der Magen vertrug, wenn per os genommen. Er be-
ginnt mit 15 bis 30 Tropfen per diem und steigt täglich um 5 bis 10
Tropfen. Seine Maximaldose war 60 Tropfen bei einem Patienten. Da-
Oel wird mit 14 Theilen Mandelöl gemischt und können 8 bis 10 Drachs
men der Mischung in einer halben Stunde und länger injicirt werden.
A case of intrinsic Cancer of the larynx, treated by thyrotomy. Von
J. D. Grant, London. (New Orleans Medical and Surgical Journal,
May, 1891.)
Der Patient, 50 Jahre alt, nicht hereditär belastet, hatte bei seiner
Aufnahme im Central Throat and Ear Hospital folgende Erscheinungen:
27
Einer Erkältung vor acht Monaten folgte Heiserkeit mit allmählig
folgendem Verlust der Stimme. Schmerzen gegen das linke Ohr aus-
strahlend, traten erst in den letzten Wochen auf. Bei der Palpation
fühlte sich die linke Larynxhälfte voller an als die rechte und zeigte das
Laryngoscop die Umwandlung des linken Stiiiunbandes in eine knöt-
chenförmige, blasse Geschwulst und Unbeweglichkeit derselben während
Artieulation und Respiration. Die mikroscopische Diagnose eines ent-
fernten Stückes war Epitheliom.
Nach vorausgeschickter Tracheotomie und Spaltung des Schildknor
pels wurden, da auch das rechte Stimmband verdickt erschien, sämmt-
liche Schleimhäute und Periost mittelst Easpatorium und Scheeren
vom Innern des Larynx entfernt und die Knorpel bh^ssgelegt. Der
Wund verlauf war günstig; nach vier Tagen wurde die Trachealcanüle
entfernt, nach weiteren sechs war die Wunde geschlossen und eine
Woche später verliess der Kranke das Hospital. Sechs Monate nach-
her war noch kein Recidiv eingetreten und ging der Patient seiner ge-
wöhnlichen Beschäftigung nach. Die Larynxknorpel haben sich mit
Gewebe bedeckt und eine Falte, die gegen das Innere des Larynx vor-
springt, ermöglicht ein verständliches Flüstern.
Krankheiten des Verdauungsapparates.
Referirt von Dr. MAX EINHORN.
1. Eine operative Behandlung der Magenerweiterung. Von H. Bircher-
(Correspondenz-Blatt für Schweizer Aerzte, 1891 Nr. 23.)
In Fällen von Atonie der Magenmuskulatur, die mit einer anatomi-
schen Dilatation des Magens einhergehen, hat B. versucht, den Magen
durch Faltung desselben zu verkleinern. In drei geeigneten Fällen, wo
die Therapeutik für die Dauer nicht viel nützte, hat B. diese Operation
mit Erfolg ausgeführt. Dieselbe wird in folgender Weise vorge-
nommen:
Parallel dem 1. Rippenrand wird ein 15 cm. langer Schnitt durch
Haut, Fascien und Muskeln bis auf das Peritoneum geführt und nach
Stillung der Blutung auch dieses incidirt. Der Magen wird sodann aus
der Bauchhöhle hervorgehoben und ausgebreitet. Die vordere Magen-
wand wird mm durch Faltung verkleinert, indem der untere Rand der
grossen Curvatur mit dem oberen Rand der kleinen Curvatur der Länge
nach mit Seide aneinander genäht wird. Es hängt somit im Innern des
Magens eine der Längsaxe parallel gehende Falte von oben nach unten
herab. Die Bauchwunde wird geschlossen.
Der Magen wird also bei dieser Operation nicht geöffnet, und ist die-
selbe daher weniger gefährlich, wie eine etwaige Resection eines Ma-
genstückes.
[Wenn auch die angeführten Erfolge B.'s ziemlich gute waren, so er-
laubt sich Ref. doch die Frage, warum nicht die betreffende Operation
zunächst an Thieren genauer geprüft wurde; denn es sollte doch zu-
nächst festgestellt werden, ob die in den Magen hineinhängende Falte
nicht für die Dauer doch noch manche Schädlichkeiten mit sich bringt.]
2. Beiträge zur Methodik der Salzsaurebestimmung im Mageninhalt.
Von Th. Rosenheim. (Deutsch, med. Wochenschr. 1891, Nr. 49.)
Es ist wichtig, die Menge der freien Salzsäure (d. h. derjenigen Salz-
säure, welche nach Bindung der Eiweisskörper frei zurückbleibt) im
Mageninhalt zu bestimmen. Dieses wurde nun von Moerxer dadurch
ausgeführt, dass er dem Mageninhaltfiltrate solange '/lo Normalnatron-
lauge zusetzte, bis Congopapier nicht mehr gebläut wurde. Mintz be-
28
diente sich als Endreaction der Phloroglucin-Yanillinprobe. Letztere
Probe ist zwar sicherer, aber die Ausführung durch häufige Entnahme
der Tropfen etwas umständlich, — und Bosenheim sucht dies dadurch
zu verbessern, dass er aschenfreies Fhesspapier mit der Guenzburg'-
schen Lösung tränkte und trocknete. Dieses Reagenspapier in den
Mageninhalt getaucht und auf einer Schale verbrannt, lässt am Rand
bei Anwesenheit freier Salzsäure eine Rothfärbung entstehen. Dieses
Phloroglucin-Vanillinpapier ist ebenso empfindlich, wie die Lösung
selber.
3. Eine neue Methode zur quantitativen Bestimmung der Salzsäure im
Mageninhalt. Von J. Ltittke. (Deutsch, med. Wochenschr. 1891,
Nr. 49.)
Das Princip dieser neuen Methode stützt sich auf das verschiedene
Verhalten der organischen und anorganischen Verbindungen der Salz-
säure beim Verbrennen derselben. Die Verbindungen der Salzsäure
mit organischen Körpern werden in der Hitze zerlegt, und die freige-
wordene Salzsäure verflüchtet sich ebenso wie die ursprünglich schon
frei gewesene. Anders verhalten sich die anorganischen Verbindungen
der Salzsäure, die Chloride, die erst bei starker Rothgluth sich zer-
setzen und Chlor abgeben.
Das Verfahren besteht nun kurz darin, dass zuerst die gesammte
Chlormenge im Mageninhalt direkt nach der VoLHAKD'schen Methode
zur Bestimmung von Haloiden vorgenommen wird, und dann in einer
zweiten Portion erst nach Veraschung des Inhaltes die übrig gebhebene
(gebundene) Chlormenge festgestellt wird; zieht man nun die gebundene
Chlormenge von der gesamijnten Chlormenge ab, so hat man das Chlor
der Salzsäure, und danach wird die Salzsäure quantitativ berechnet.
Chirurgie. — Referirt von Dr. GEO. DEGNER.
The Treatment of Hydrocele by Carbolic Acid Injections. By S. E.
Milliken, M. D., New York. (Ann. Surgery, Vol. XIV, No. 4.)
M. erklärt die Carbol-Injection für eine sichere Behandlung der
Hydrocele. Von 57 Fällen erschienen 9 nach der ersten Injection, 5
nach der ersten Woche nicht wieder, 4 sind noch in Behandlung, 36
wurden geheilt. (Wie lange? Ref.) Unangenehme Nebenfolgen,
Schmerzen oder Abstossen von Geweben hat er nie gesehen. Er spritzt
5 — 15 m. an vertheilten Stellen ein, (2 — 3 m. pro Stelle) und massirt nach-
her leicht das Scrotum, um den Sack überall in Contact mit der injicir-
ten Flüssigkeit zu bringen.
Arthrodesen bei der Kinderlähmung. Von Prof. J. Dollinger. Pesth.
(Cbl. f. Chir., 1891, No. 36.)
Da DoLLiNGER bei der gewöhnlichen Methode der Arthrodese (glattes
Abschneiden der Gelenkflächen und möglichst genaue Apposition mit
Fixii ung) keine knöcherne Vereinigung erhielt, versuchte er nach dem
Vorgang Schede's durch aseptische Blutgerinnsel, die sich organisiren
sollen, den Vorgang einer subcutanen Fraktur möglichst nachzuahmen.
Den Knorpel entfernt er radical, und um den unebenen Bruchflächen des
Knochens möglichst nahe zu kommen, schneidet er in die glatten Kno-
chenschnittflächen unregelmässige Furchen, die sich mit dem Blut an-
füllen können, auch wenn die Knochenflächen aneinander liegen. Nach
Abnahme des EsMAKcn'schen Sehlauches näht er die Weichtheilswunde
sorgfältig, über dieselbe antiseptischer, über die ganze Extremität
Gyps- Verband. Natürlich raodiflcirt sich das Verfahren nach den ver-
schiedenen Gelenken. Zur Fixirung des durch Wegnahme des Knorpel-
29
Überzuges verkleinerten Schenkelkopt'es iu der ebenso vergrösserten
Pfanne, benutzte er eine Schraube die durcli Trochanter, Scheul^elhals
und Kopf und Pfanuengrund in's Becken gefüiirt, und durcii eine
Schraubenmutter am Trochanter, und durch eine andere an der Innen-
fläche des Beckens, die durch eine Incision unterhalb des Lig. Poupart.
und einwärts von der Spina ant. sup. extraperitoneal eingeführt wird.
In Zukunft wird er sich eines Silberdrahtes mit Metallplatten bedienen,
die er liegen lassen kann. So gelang es ihm in einigen Fällen knöcherne
Vereinigung herzustellen, bei denen die gebräuchliche Methode erfolg-
los gewesen war.
Zur Colotomia iliaca. Von D. M. Landow, Göttingen. (Cbl. f. Chir.,
1891, No. 30.
L. empfiehlt das MADELUNö'sche Verfahren, das abführende Darm-
ende zu vernähen und zu versenken, aufzugeben, und beide Darm-
lumina in den künstlichen After zu vernähen, da ausser den Gefahren,
die dem versenkten Darm (bei Kectalcarcinom) durch Ansammlung
jauchiger Massen oberhalb der Geschwulst drohen, nicht immer mit
Sicherheit festzustellen ist, welches das zu-, welches das abführende
Darmstück ist, wie sich bei 2 in der Göttinger Klinik operirteu Fällen
herausstellte.
Zur Technik der Magenfistelanlegung. Von Prof. 0. Witzel, Bonn.
(Cbl. f. Chir., 1891, No. 32.)
Um den unsicheren Verschluss bei Magenflstel, Ausfliessen des
Mageninhaltes u. drgl. zu vermeiden, schlägt W. vor, durch 2 parallele
Falten der Magenwand, die zu beiden Seiten des einzuführenden Drain-
rohres liegen und über demselben mit Lambert's Nähten vereinigt wer-
den, einen Kanal zu bilden in dem das Rohr festgehalten wird. Die
Oeffnung in der Magen wand für das Drain macht er möglichst klein.
Als Schnittführung empfiehlt er Hautschnitt fingerbreit von und paral-
lel mit Rippenbogen, Durchtrennung des M. Rectus und Transversus. ab-
dom. in der Richtung ihrer Fasern. So kreuzen sich die Ränder der
Haut, des Rectus und Transversus und fassen das Drainrohr wie eine
Kreuzklammer in sich. In 2 Fällen hat sich das Verfahren sehr gut
bewährt.
Chirurgie. — Referirt von Dr. F. TOREK.
The Treatment of the Graver Forms of Pelvic Suppuration by the Intra-
peritoneal lodoform Tampon. Von Charles K. Briddon, M. D. (N.
Y. Med. Journ., Vol. LIV, p. 561.)
Die Krankengeschichten von 8 Fällen eitriger Entzündung im Becken
werden erzählt, in denen B. sich der Tamponnade resp. Drainage mit
Jodoform-Gaze bedient hat. Es waren dies 7 Fälle von Pyosalpinx und
1 Ovarialabscess. In allen Fällen bestanden ausgedehnte Adhaesionen
mit den Nachbarorganen ; bei No. 7 und 8 gelang es, die Eitersäcke
ohne Ruptur zu entfernen ; bei No. 3 aspirirte B. ^ Liter stinkigen
Eiters und nähte dann die Tubenwand an das parietale Peritoneum ehe
er den Abscess öffnete ; in sämmtlichen übrigen Fällen platzten die Abs-
cesse während des Versuches, die Adhaesionen zu lösen. In allen,
ausser No. 3, wurde die Peritonealhöhle irrigirt. Die Jodoform-Gaze
legte Autor als Tampon um ein dickes Glasrohr herum ; in dem letzten
Falle führte er auch einen Streifen in das Rohr. Was die Resultate an-
betrifft, so starb ein Fall (No. 6) 3 Tage nach der Operation, 3 wurden
gänzlich geheilt (1, 7, 8), die übrigen 4 mit einem Fistelgang aus der
Behandlung entlassen. In seinem letzten Falle bediente sich B. der
TRENDEi*ENBURQ'schen Lage und spricht sich zu Gunsten derselben aus.
.^0
Besonderes Interesse bot Fall I, bei welchem etwas geschah, das
schon mehreren anderen Operateuren passirt war, wenn auch nicht
immer mit demselben günstigen Ausgang ; es riss nämlich bei dem
Versuch, die Adhaesionen zu lösen, das Rectum quer durch, B. nähte
das obere Darmende in die Wunde ein und machte 6 Wochen später die
Enterorrhaphie, die er in folgender Weise ausführte : Umschneidung
und temporärer Verschluss des Anus praeter-naturalis ; Bauchschnitt
von hier aus bis zum Nabel ; Lösung der Adhaesionen zwischen Rectum
und Peritonaeum parietale. Düren die Circumferenz des unteren Endes
des Rectum wurden dann J Dutzend Schlingen gelegt, deren Enden mit
einander verknüpft, durch das Darm-Lumen zum After hinausgeführt,
und dort als Zügel benutzt, um den Darm f Zoll weit einzustülpen, —
eine Methode, die von Lange angegeben wurde und die den Zweck hat,
eine breitere Contact- Fläche zu bieten. In den oberen Darmabschnitt
wurden ähnliche Schlingen gelegt und ebenfalls durch den After geführt;
mit Hilfe dieser wurde der obere Darmabschnitt telescopartig in den
unteren eingeführt und dann die circuläre Enterorrhaphie beigefügt.
Es erfolgte Heilung.
In den Schlussbemerkangen erklärt B., im Gegensatz zu Lawson
Tait's Ansicht, dass in vielen der schlimmeren Fälle von Pyosalpinx
nicht die ganze Eiter secernireude Fläche entfernt werden könne, dass
zuweilen ein Theil adhaerenter Tube zurückbleibe, und dass die Gene-
sung der Behandlung durch die offene Methode zuzuschreiben sei. Den
Tampon entfernt B. ungefähr am 5ten Tage, nachdem er zuvor das
Glasrohr herauszieht.
My Personal Experience wi^h Vaginal Hysterectomy. Von Florian
Krug", M. D. (American Journal of Obstetrics and Diseases of
Women und Children, Vol. XXIV, No. 7, 1891.)
Die Gegner dieser Operation behaupten : 1.) dass sie gefährlich,
2.) dass sie betreffs des Endresultats zu unzuverlässig sei. Des Ver-
fasser's Erfahrung stimmt hiermit nicht überein ; er verlor aus 15 Fällen
nur einen, und diesen Todesfall schreibt er dem Gebrauche von Klam-
mern statt Ligaturen zu. Was das Endresultat anbetrifft, so ist der
Autor ebenfalls mit der Operation zufrieden ; von seinen Fällen waren
12 zweifellos durch microscopische Untersuchung als mahgne befunden
worden ; den einen Todesfall abrechnend, ist von den übrigen 11 nur
einer recidivirt und gestorben, die übrigen erfreuen sich alle (den 23.
März, 1891) der besten Gesundheit. In den letzten 4 Fällen ist aller-
dings noch nicht ein Jahr seit der Operation verflossen. Als Erklärung,
warum die Statistiken vieler anderer Operateure weniger günstige Re-
sultate aufweisen, stellt der Verfasser folgende 3 Sätze auf : 1.) Dass
manche der Fälle sich zur Radical-Operation nicht eigneten, 2.) dass
nicht alles Krankhafte entfernt worden ist, 3.) dass die Technik fehler-
haft war. Um den ersten Puakt und somit auch die Möglichkeit des
zweiten zu bestimmen, untersucht K. alle diese Fälle unter Narkose.
Wo die Entfernung alles erkrankten Gewebes nicht möglich ist, wird die
Operation nicht empfohlen.
Die Technik des Authors ist folgende: Schon bei der Untersuchung
unter Narkose wird alles septische Material aus der Uterushöhle oder von
der Cervix mittelst Curette, Messer oder Scheere und dem scharfen Löffel
entfernt und mit dem Paquelin catuiersirt. Dann wird etwa eine Woche
lang die Scheide häufig ausgewaschen und manchmal Tannin und Jodo-
form applicirt, bis eine sauber aussehende Oberfläche erzielt wird. Vor
Beginn der Operation wird die Scheide gründlich mit lOprozentigem
Creolin-Mollin ausgebürstet und dann mit Sublimat ausgerieselt. Bei
der Exstirpation werden dieGefässe mit starken Seiden-Ligaturen ver-
sehen, deren Enden langgelassen werden, und nach Beendung der Ope-
31
ration wird die Peritonealhöhle mit Jodoform-Gaze ausgestopft,
während die Stümpfe der Unterbindungen zu gleicher Zeit etwas nach
der Scheide zu evertirt werden. Des Author's Einwände gegen den
Gebrauch der Klammern sind folgende; 1. Es ist unchirurgisch, eine
Klammer Hegen zu lassen, wo man unterbinden kann. 2. Es ist ein
Irrthum, zu glauben, dass durch den Gebrauch der Klammern viel
Zeit gewonnen werde. 3. Sind Ligaturen gebraucht worden und Asep-
sis beobachtet worden, so kann man die Jodoform-Gaze ruhig acht
Tage liegen lassen und findet dann die Peritonealhöhle gut abgeschlos-
sen, wogegen es andererseits gefährhch ist, schon nach 24 bis 30 Stun-
den die Wunde behufs Entfernung von Klammern zu stören.
Ueber eine Modifikation des Chloroformirens. Von Dr. Otto Zuckerkandl.
(Centralblatt für Chirurgie, 181)1, Nr. 43.)
Z. macht auf die von Demeter vorgeschlagene Methode aufmerksam,
das Chloroform in langsamem Tempo tropfenweise auf die Maske zu
träufeln. Er sagt, dass auf diese Weise weniger Chloroform gebrauclit
wird (durchschnittlich 0,6 g in der Minute), dass der Eintritt der Nar-
kose dabei nicht verzögert werde, und der Verlauf derselben ein ruhi-
gerer sei, ohne störende Nebenerscheinungen.
Kinderheilkunde. — Referirt von Dr. SARA WELT.
An unrecorded Symptom of Pertussis. (The Lancet, June, 1891.)
Dr. HüGüiN lenkt die Aufmerksamkeit auf ein bisher unerwähnt ge-
bliebenes Symptom im Stadium invasionis des Keuchhustens. Fast in
allen seinen Fällen (wie vielen ? Ref.) konnte Photophobie mit Dilatation
der Pupille constatirt werden, ohne dass zuvor irgend eine medicamen-
töse Behandlung vorausgegangen wäre. Mit Zuhülfenahme dieses pro-
dromalen Symptoms will H. im Stande sein, die Diagnose auf Pertussis
zu stellen, selbst wenn noch kein anderes für die Krankheit charakte-
ristisches Zeichen besteht.
Einige Bemerkungen über Diabetes mellitus bei Kindern. W. Kühl.
(ügeskrift f. Lager, Nov. 24, 1890. Der Kinderarzt, Heft 2, 1891.)
Nach den Angaben des Verfasser's befällt der Diabetes mellitus im
Kindesalter weit häufiger Mädchen als Knaben, während bekanntlich
bei Erwachsenen das Umgekehrte stattfindet. Aetiologisch spielt He-
redität eine Hauptrolle; sei es, dass D. m. schon bei den Eltern aufge-
treten war; oder es lassen sich Neuropathien in der Familie nachweisen.
K. betont besonders den starken Zuckergehalt des Urins, der sich in so
hohem Grade bei Erwachsenen nicht findet. Der Verlauf der Erkran-
kung ist bei Kindern ein sehr rapider und die Prognose absolut schlecht.
Die leichten Formen sieht K. als ein frühes Stadium des D. m. an und
glaubt, dass sie um so häufiger und schneller einen schweren Charakter
annehmen, je jünger die Patienten sind. Das öftere Vorkommen der
schweren Formen in den ärmeren Klassen führt Verf. darauf zurück,
dass das erste Stadium der Erkrankung bei ihnen übersehen wird.
Zur Behandlung des Prolapsus recti nach der Thure-Brandt'schen Me-
thode. Von Dr. J. Csillag. (Archiv für Kinderheilkunde, XIV. B.)
C. berichtet über vier Fälle von prolapsus recti, die nach Thure-
Brandt's Methode mit Massage und Gymnastik erfolgreich behandelt
wurden. Das Alter der Patienten schwankte zwischen sechs Monaten
und fünf Jahren. Der Prolaps, der sich in Folge von Enterocatarrh
entwickelt hatte, bestand jedesmal längere Zeit, ehe die Patienten in
32
Behandlung kamen; trotzdem konnte schon nach wenigen Sitzungen
ein Erfolg constatirt werden. Die ganze Behandlung dauerte zwei bis
drei Wochen und wurde während dieser Zeit eine vollständige und
dauernde Heilung des Prolapses erzielt.
Das eingeschlagene Verfahren bestand in:
1. ) Massage des Kectum und Spincter ani.
2. ) S romanum Hebungen, welche letztere nach Thure-Brandt fol-
gendermassen ausgeführt werden: „Patient liegt in Steinschnittlage.
Der Arzt stellt sich auf die rechte Seite desselben. Während der Arzt
nun seine Unke Hand auf die linke Schulter des Patienten legt, setzt er
seine rechte Hand medianwärts von der linken crista ilei an und schiebt
sie unter feinem Schütteln tief in's Becken hinein. Währenddessen
werden die Fingerspitzen gekrümmt und dann mit den Bauchdecken
unter gleichzeitigem Druck nach oben geführt.
3. ) Kreuzbeinklopf ung nach Beendigung der täglichen Sitzung; da-
durch sollen die zu den betreffenden Theilen gehenden Nerven erregt
werden.
Bei älteren Kindern wird ausserdem die Ausführung der Heilgym-
nastik empfohlen.
On the Complications of Mumps. By John B. Hellier, M. D. (British
Med. Journal, June, 1891.)
Die Mittheilung betrifft ein 15 Jahre altes Mädchen, welches von
ihrem jüngeren Bruder Mumps aquirirte. Beide Parotisdrüsen waren
ergriffen, besonders die linke; an welcher Seite sich auch eine partielle
Lähmung des Faciahs entwj^ckelte und erst nach dreiwöchentlichem Be-
stehen verschwand. Trotz der nahen Beziehungen zwischen Parotis-
drüse und Facialis sind Lähmungen dieses Nerven bei Mumps nur
selten beobachtet worden.
Es scheint, dass der Nerv dem Fortschreiten der Entzündung von
benachbarten Geweben, wie an anderen Körpertheilen, so auch hier,
Widerstand leistet.
Aus der inneren Abtheilung des Kaiser und der Kaiserin Friedrich
Krankenhauses. Croupose Pneumonie. Fieberverlauf und anti-
pyretische Therapie. Von Adolph Bag^insky. (Archiv für Kinder-
heilkunde, vol. XIII.)
Die interessanten und lehrreichen Beobachtungen erstrecken sich
über 30 Fälle von fibrinöser Pneumonie in Kindern bis zum 11. Jahre.
Die Mortalität war = 0. Erbrechen wurde häufig als Initialsymptom be-
obachtet; ebenso Schmerzen in der Abdonimalgegend; fast immer wurde
während der Dauer des entzündlichen Prozesses hohes Fieber constatirt;
doch wird ein l^jähriges Kind erwähnt, das eine physikalisch nachweis-
bare, rasch sich zurückbildende Pneumonie mit nahezu fieberfreiem Ver-
laufe durchmachte.
In relativ grosser Anzahl der Fälle stellte sich am Tage vor der
Krise, meist des Morgens, eine prokritische Eemission ein, welche Jedoch
von einer vorübergehenden starken Temperatursteigerung gefolgt wur-
de; dabei bestand gewöhnlich ein Zustand der Euphorie; doch nahm
die Frequenz des Pulses und der Respiration nicht in einer der niederen
Temperatur entsprechenden Weise ab. B. will diese prokritische Re-
mission strenge getrennt wissen von dem im Laufe von Pneumonie oft
beobachteten Temperaturabfall, welcher von tagelangem, hohem Fieber
wieder gefolgt sein kann; eine Beobachtung, auf die Henoch und Andere
die Aufmerksamkeit gelenkt hatten. Die Krise wurde, abgesehen von
den gewöhnlichen Merkmalen, häufig durch Colik -Attacken mit
Diarrhoe gekennzeichnet. Der tiefste Temperaturstand wurde nicht so-
33
fort am kritischen, sondern zumeist erst am nächstfolgenden Tage er-
reicht, wenngleich die Differenz nur einige Bruchtheile eines Grades be-
trug.
Bei der Anwendung der Antifebrilia warnt B. mit Recht vor der rück-
sichtslosen Unterdrückung der Teinperatursteigerung, da dadurch der
Organismus vielleicht des besten Schutzmittels und der ganzen Eigen-
hülfe gegenüber den feindlichen bacteriellen Einflüssen beraubt wird
und stellt hierüber folgende Sätze auf:
1) Die antipyretische Behandlung darf beim Kinde nur insoweit zur
Geltung gebracht werden, als mit der zu erstrebenden Herabsetzung der
Temperatur, eine Schwächung der Muskelkraft des Herzens nicht be-
dingt wird.
2) Von solchen antipyretischen Mitteln, welche in erheblichem Grade
eine feindselige Wirkung auf den Herzmuskel oder auf die Blutmasse
(Blutkörperchen) ausüben, darf bei Kindern nur mit der äussersten Vor-
sicht Gebrauch gemacht werden.
3) Entschliesst man sich zur Anwendung von antipyretisch wirken-
den Arzneien oder Eingriffen, so ist durch die gleichzeitige Darreichung
solcher Mittel, welche die Erhaltung der Muskelkraft des Herzens för-
dern, den schädlichen Nebenwirkungen der angewandten Antipyretica
vorzubeugen.
Von allen antipyretischen Mitteln gibt B. wegen der geringen schäd-
lichen Nebenwirkung auf das Herz sowohl, als des erfrischenden
Einflusses auf das Nervensystem, dem kalten Wasser den Vorzug, sei
es in der Form von Bädern (20—21° R.), oder Einwicklung in kalte
Decken, welches letztere er für die wirksamste Methode hält.
Diese Behandlung ist bei Kindern mehr zu empfehlen als bei Er-
wachsenen, weil die im Verhältniss zur Körpermasse grosse Hautober-
fläche zur Wärmeabgabe besser geeignet ist. Der wärmeentziehende
Effect ist nicht in allen Fällen gleich und kann sogar ganz ausbleiben;
im letztern Falle sind häufig auch innerlich angewandte Antipyretica
unwirksam. B. glaubt, dass man in dem Ausbleiben des antipyretischen
Effectes der Einpackung eine Handhabe zur Beurtheilung der Schwere
der Erkrankung hat; und ist die Prognose in diesen Fällen eine nicht
sehr günstige.
Deutsche Medicinische Gesellschaft von New York.
17 West 43. Strasse.
Sitzung vom 14. September 1891.
(Fortsetzung.)
Compression Hess sich, wie gesagt, in meinem Falle nicht anwenden.
Ligatur der ganzen Geschwulst stand bei einer Basis von sieben Zoll
Umfang ganz ausser Frage. Was die Behandlung durch Injection von
Jodtinktur anbetrifft, so ist das Kesultat jedenfalls noch schlechter, als
die Statistiken zeigen ; denn die Fälle, welche entweder direct nach der
Injection oder ein paar Tage später sterben, werden gewöhnlich nicht
berichtet. Ich entschloss mich also, die Geschwulst zu exstirpiren.
Da ich glaubte, dass die Umhüllung der Flüssigkeit zu einer einzigen
Lage verschmolzen wäre, und dass sich der Bruchsack nicht von seiner
Bedeckung lösen lassen würde, nahm ich mir vor, den ganzen Sack
längs zu spalten, die überflüssigen Theile abzutragen, und die Lappen
zu vernähen. Eine grosse Schwierigkeit schien mir der ausserordent-
liche Blutreichthum zu bieten, da kaum ein halber Quadrat-Cm. ohne
Blutgefässe zu sein schien. Ich hatte vor, die Blutung dadurch zu be-
wältigen, dass ich die Lappen temporär mit breiten Klammern fassen,
und dann durch die Naht genügende Compression der evertirten Lap-
penränder ausüben würde.
34
Am 3. September Operation unter Chloroform Narkose. Obgleich
ich vorhatte, den ganzen Sack zu spalten, machte ich dennoch erst sehr
Vorsichtig einen Hautschnitt längs über die Geschwulst und war hoch-
erfreut, als ich sah, dass sich dennoch zwei Lagen von einander trennen
Hessen, die eine der Bruchsack, die andere die Hautdecke. Adhäsionen
gab es viele, und die vorher beschriebenen Bänder mussten mit der
Scheere oder dem. Messer durchschnitten werden. Die Ablösung des
Bruchsackes Hess sich um so leichter bewerkstelligen, je näher ich an
die Bruchpforte kam. Beim Anfang der Arbeit schnitt ich, ohne es zu
beabsichtigen, ein Loch in den Sack zur linken Seite von der Mitte des-
selben. Ich liess die Flüssigkeit langsam heraus, fand jedoch, dass
sich nur ein Theil des Bruchsackinhaltes entleerte, und dass ich nur eine
Cyste geöffnet hatte. Es zeigte sich später, dass mehrere (ich glaube
vier) solcher Cysten sich in Verbindung mit der linken Hälfte und der
Kuppe der Geschwulst befanden, während die rechte Hälfte des Bruch-
sackes frei war. — Die Gegenwart dieser Cysten erklärt wahrscheinlich
auch den Umstand, dass es schon bei dem neugeborenen Kinde nicht
möglich war, die Geschwulst zu reponiren.^) — Den Hals des Sackes
löste ich mit dem Griff des Scalpells von der knöchernen Bruchpforte,
an welcher er haftete. Die Pforte mass höchstens ein und ein halb
Cm. im Durchmesser, war also viel kleiner, als ich erwartet hatte. Bei
Eröffnung des Sackes zeigte es sich, dass ein klein wenig Gehirnmasse
etwa einen halben Cm. weit aus der Pforte hervorlugte; nichtsdestoweni-
ger betrachteich die Geschwulst nicht als eine Encephalo-Meningocele,
sondern als reine Meningocele und erkläre mir diesen kleinen Prolaps da-
durch, dass das offenbar hydrocephalische Gehirn dem Druck von innen
an der Stelle, wo es keinen Gegendruck von aussen fand, nachgab. Es
liess sich sehr leicht reponiVen. Jetzt band ich den Sack, wie bei
Czerny's Hernien-Operation, mit starkem Catgut, das ich dreimal um
den Stiel legte, ab, stutzte die Hautlappen, und schloss die Wunde mit
Catgutnähten, liess jedoch eine ziemlich beträchtliche Oeffnung zum
Zweck der Drainage, wozu ich Jodoform-Gaze benutzte. Beim Abbin-
den des Sackes riss mir derselbe etwas ein, und das Gehirn lugte wieder
hervor ; doch ich hatte nicht Zeit, den Riss zu vernähen, da das Kind
bereits pulslos war und schon stark hypoderniatisch mit Brandy stimu-
lirt wurde. Die Operation dauerte 35 Minuten.
Ich liess den ersten Verband sechs Tage liegen, während welcher
Zeit das Kind leichte Temperatur-Erhöhungen hatte. Vor der Opera,-
tion war dieselbe ebenfalls etwas erhöht. Beim Verbandwechsel ein
paar Tropfen Secret. Temperatur jetzt normal. Später wieder einige
leichte Steigerungen ; vom 14. September an blieb die Temperatur nor-
mal. Die Wunde ist jetzt geschlossen, mit Ausnahme der Drainage-
Oefifnung, an welcher Stelle der gangränös gewordene Stumpf des Bruch-
sackes sich heraus arbeiten will. Das Kind hat trotz des schweren Ein-
griffes an Gewicht zugenommen, denn es wiegt jetzt, obgleich der
mindestens ein halb Pfund schwere Tumor entfernt ist, noch ebensoviel,
wie bei der Aufnahme ins Hospital, viz. 6| Pfund.
Inder Literatur sind drei Fälle von Meningocele verzeichnet, die operirt
worden sind. Ich beziehe mich hier nur auf Meningocelen, nicht auf
Encephalocelen. Ein Fall von MaeshallJ) starb vier Wochen nach der
Operation. Autopsie zeigte frische Entzündung auf der Gehirnober-
fläche. Ein Fall von TillmanI) wurde operirt und geheilt ; genaueres
über die Operation und den Fall weiss ich nicht, da mir die Original -
Beschreibung (in schwedischer Sprache) nicht zugänglich war und ich
*) In Mazzuchelli's Fall war die Geschwulst reponirbar.
X) Lancet, London, 1885, T, p. 890.
t) Hygiea, Stockholm, 1890, LH, 484—486.
35
auch kein Referat über den Fall ünde. Mazuschelli*) hatte das Glück,
einen sehr günstigen Fall zu operiren und zu heilen : Neun Monate
altes Kind, gesund, kräftig, mit kleinem, gänzhch reponiblem Tumor
(Längsdurchmesser 40 Cm., Querdurchmesser 3.} Cm.).
Mein Fall war in mehreren Hinsichten lehrreich. Erstens zeigte er
mir, dass selbst die papierdünne Hülle der Meningocele, die sich hier
bot, kein unüberwindliches Hinderniss zur regulären Bruchoperation
lieferte ; selbst hier Hess sich der Bruchsack von seiner Bedeckung lösen.
Ferner kann man nach dem Umfang der Basis des Tumors nicht auf die
Weite des Bruchsackhalses schliessen ; der Hals war hier viel enger, als
ich angenommen hatte. Endlich war noch das Verhalten der Blutge-
fässe lehrreich : wie gesagt, war der Bruchsack von einem dichten
Venennetz durchzogen, von dem ich mir sehr lästige Blutung und
somit bedeutende Verlängerung der Operationsdauer erwartet hatte ;
jedoch es waren erstaunlich wenige Unterbindungen nöthig ; die Gefässe
schienen zu collabiren und sich zu schliessen, sobald als die Spannung
im Sack durch Entleerung desselben gehoben war.
In Betreff der Operations-Methode wäre zu überlegen, ob man (wie
ich) eine Längsincision machen soll oder lieber die zwei seitlichen Lappen
sogleich bilden und somit ein ovaläres Stück Haut auf der Kuppe der
Geschwulst belassen soll. Ist der Stiel der Meningocele klein, so wird
man jedenfalls zwei seitliche gebogene Hautschnitte wählen, da dadurch
viel Arbeit des Loslösens erspart würde. Ist die Basis des Tumors
breit, so ist die Zeitersparniss durch zwei seitliche Incisionen fraglich ;
man muss sich dann nach dem einzelnen Fall richten ; sollte man die
zwei seitlichen Incisionen gewählt haben, so muss man sich die Lappen —
wenigstens bei starker Spannung der Haut — , ziemlich gross vorzeichnen,
da dieselben enorm schrumpfen, sobald die Spannung nachlässt. Wenn
man über die Natur der Geschwulst im Zweifel ist, wird man jedenfalls
eine Längsincision wählen. In meinem Falle war der Grund für die
Auswahl der Längsincision der, dass, wie oben gesagt, die Operation
ganz anders geplant worden war, als sie ausgeführt wurde.
Die Behandlung des Bruchsackes wird sich auch nacn dem einzelnen
Fall richten : man kann ihn entweder abtragen und die Oeffnung ver-
nähen, oder, wie ich, abbinden und dann abtragen. Ersteres ist sau-
berer, letzteres schneller.
Die Operation bietet jedenfalls keine aussergewöhnlichen Schwierig-
keiten und verdient, meiner Meinung nach, öfter ausgeführt zu werden.
Diskussion :
Dr. J a c o b i hebt hervor, dass das gewöhnliche Hinderniss bei
Ausführung der Kompression bei Meningocele der Umstand ist, dass
der Kopf m der Regel klein und daher zu wenig Raum für den Rücktritt
der Flüssigkeit vorhanden ist. Redner fragt, ob in dem vorgestellten
Falle keine Konvulsionen mehr vorhanden sind,
Dr. T o r e k erwidert, dass seit der Operation keine Konvulsionen
mehr vorhanden seien.
2. Dr. Jacobi stellt an Stelle von Dr. Willy Meyer, der
verhindert ist, zur Sitzung zu kommen, dessen Patienten vor, einen Fall
von Carcinoma oesophagi mit ausgeführter Gastrotomie nach Hacker.
Patient George Waitz, 70J Jahre alt, aus der Isabella- Heimath.
1. Carcinoma oesophagi (fast ganz obstruirend vor der Operation).
2. Operation im Deutschen Hospital am 6. April ds. J. Gastrotomie
nach VON Hacker durch Musculus rectus sinister. — Nahtl. Tamponade.
3. Am 8. April Eröffnung des Magens mit dem Messer: kleine Oeff-
nung, Niemals Danebenfliessen, niemals Ekzeme.
^) Gazz, med. lornb., Milano 1890, XLIX, 171—174.
36
Gewicht vor der Operation: Pfund 117,
am 4. Juni " 138,
" S.Juli " 136,
" 29. Juli " 127.
(Damals Magenbeschwerden.)
Patient ist noch fähig, Flüssigkeiten zu schlucken.
Discussion:
Dr. J a c o b i fragt, wie sich die HACKER'sche Methode zur alten
verhalte in Bezug auf ihre Kesultate.
Dr. Gerster beantwortet diese Frage dahin, dass die Resultate
schlecht sind. Da wo es sich nicht um Krebse handelt, sind die Resul-
tate besser, aber bei Carcinom schlecht, weil man nur durch die Fistel
ernähren kann. Das Resultat in dem von Dr. Meyer operirten Falle ist
jedoch ganz gut. Die Gewichtszunahme kommt nur da zu Stande, wo
kein Lecken des Magens stattfindet. Bei der alten Methode kam dieses
Lecken sehr oft vor. Die HACKER'sche Methode ist jedenfalls ein Fort-
schritt. Redner hat sie selber zweimal ausgeführt, allein jetzt sind
wieder manche dagegen, und zwar da hauptsächhch, wo die Muskeln
schwach sind. Jetzt ist eine noch neuere Methode aufgefunden worden
durch Einführung eines Drainrohres in die Magen wand und Einstülpung
derselben, so dass eine Art Tunnel entsteht. Redner wird selber bald
diese Methode bei einem Patienten anwenden und dann genau be-
sprechen.
Es folgt der angekündigte Vortrag von Dr. C. Heitzmann:
Wie gelangen die Trichinen in die Muskeln ?
Diskussion.
Dr. Einhorn meint, dass die HEiTZMANN'sche Erklärung der Auf-
nahme des Fetts im Darm durch besonders zu diesem Zweck vorhan-
dene Oeffnungen noch den Umstand ungerechtfertigt erscheinen lasse,
dass keine Aufnahme von feinen Kohlenpartikelchen oder anderen
kleinen Körperchen ausser dem Fett erfolgt, wie Dr. Heitzmann ja selber
in seinem Vortrag aus Experimenten, die von anderer Seite gemacht
wurden, angeführt habe.
Dr. S e i b e r t ist erfreut, dass durch seine Bemerkungen ein so in-
teressanter Vortrag veranlasst worden sei. In Bezug auf seine Erklä-
rung der Bahn, welche die Trichinen nehmen, möchte er hinzufügen,
dass, wenn die Trichinen die Muscularis reizen, im Dickdarm eine Ent-
zündung veranlasst wird und dadurch die Trichinen an dieser Stelle
leichter resorbirt werden.
Dr. J a c o b i : Dr. Heitzmann hat zwar hervorgehoben, dass man
die Embryonen nicht im Blut oder in der Lymphe finde; allein er habe
gelesen, dass sie doch dort gefunden worden sind. Nun wäre aber die
Erklärung jetzt leicht. Zur Zeit der Invasion ist der Darm wahrschein-
lich krank. Hier findet zuerst eine Hypersekretion (Diarrhoe) statt ;
Epithelien werden abgestossen, und so ist die Aufnahme in das Blut
leicht.
Dr. Heitzmann beantwortet in seinem Sehl uss wort die Frage
des Dr. Einhorn, warum die anderen festen Körperchen nicht auch in
den Darmepitheiien gefunden werden, dahin,dass sie durchfiltrirt werden.
Die Theorie des Dr. Jacobi sei zwar möglich, aber wir haben dieselbe
nicht nöthig. Gegenüber der Bemerkung des Dr. Jacobi, dass die
Trichinen im Darm an Stellen, wo Epithelien abgestossen sind, aufge-
nommen werden, möchte er betonen, dass die Diarrhoe erst die Folge
der Invasion ist, nicht die Ursache.
Dr. Jacobi bemerkt noch, dass ja die Lymphgefässe fast immer
klaffen. Sie werden zuweilen offen bis ins interstitielle Gewebe hinein
37
gefunden, und so dürften die Auseinandersetzungen Dr. Heitzmänn's
ganz gerechtfertigt sein.
Es folgt der angel^ündigte Vortrag des Dr. Max Einhorn:
Die direkte Galvanisation des Magens bei hartnäckigen Gastralgieen,
Als neue Mitglieder werden hierauf vorgeschlagen :
Dr. CoNSTANTiN BjERiiiNG, voo Dr. Georg Meyers ;
Dr. N. Mandelstamm, von Dr. Tyndale ;
Dr. A. Marcuse, von Dr. Tyndale ;
Dr. A. VON GRiaiM, von Dr. Edebohls.
Schlußs und Vertagung.
Dr. Max Einhorn,
Protokollirender Sekretär.
Sitzung vom 5. Oktober 1891.
17 West 43. Strasse.
Präsident: Dr. A. Jacobl
Das Protokoll der letzten Sitzung wird verlesen und angenommen.
Dr. F. T o r e k bemerkt zu seinem in der vorigen Sitzung vorge-
stellten Fall von Meningocele, dass das Kind in der Zwischenzeit ge-
storben sei. Eine Woche vor dem Tode trat eine Steigerung des Hydro-
cephalus ein. Bei der Sektion fanden sich beide Ventrikeln vollgefüllt.
Die Flüssigkeit sah trüb aus und war mit Fibrinflocken gefüllt. Die
Operation scheint somit gerechtfertigt gewesen zu sein.
Demonstration von pathologischen Präparaten.
Dr. L. Weber demonstrirt zwei Nieren mit ungemein grossen
Steinen und einem in den Darm hinein perforirten Abscess, von der
Niere ausgehend. Steinkrankheit war nicht in der Familie des betref-
fenden Patienten gewesen, dagegen war eine Striktur seit Jahren vor-
handen, welche zu Catarrh und wohl infolge davon Anlass zu dieser
Steinbilduug gab.
Philip D., alt 56, Kaufmann, aus gesunder, langlebiger Famihe stam-
mend, hier geboren, verheirathet, kinderlos, kehrte letzten Sommer von
Aachen, wo er wegen eines Syphilis recidivs zur Kur gewesen, hieher
zurück und stellte sich mir am 7. Juli 1891 vor. Patient, gross und
schlank, mager, mit leidendem, doch mehr kachectischem Gesichtsaus-
druck, hatte vor 12 Jahren Syphilis acquirirt, die ihm jedoch wenig zu
schaffen gemacht hatte und jetzt keine sichtbaren Symptome darbot.
Seit 20 Jahren aber, und angeblich in Folge von Gonorrhoeen, hatte
sich ein Blasencatarrh entwickelt, und Patient war mir denn auch
mit der Diagnose „Chronischer Blasencatarrh", der aller Behandlung
seit vielen Jahren getrotzt hatte, zugegangen. In den letzten 4 Jahren
hat Patient gelegentliche Anfälle von Erbrechen, ammoniakalisch
riechendem Athem und Schweiss bei vollständiger Appetitlosigkeit
und grossem Schwächegefühl gehabt, die sich 2 — 3 Wochen hinzogen
und ammoniämisch betrachtet wurden.
Patient hat nie Kreuzschmerzen, dagegen Paraesthesien und bren-
nende Schmerzen in der Harnröhre und Blasenhalsgegend bei und nach
der Urinentleerung. Harngries war nie bemerkt worden. Die Unter-
suchung wies nach eine weite, etwas elastische, wandständige Striktur,
5) Zoll vom meatus des ungewöhnlich langen Penis, eine etwas bilateral
vergrösserte Prostata, eine scheinbar grosse, schlaffe und glattwandige
Blase. Auffallend war mir, dass von Zeit zu Zeit, Tagsüber mit wenig •
Urin gemischter Eiter und dann wieder grössere Mengen eines trüben,
ammoniakalischen Urins entleert wurden. Patient konnte allerdings
uriniren, doch brachte er es der Blasenschwäche wegen nur sehr lang-
sam und mühevoll von Statten, bediente sich deshalb schon seit
längerer Zeit eines Merciers. Im Urinsediment fand ich Eiter und hie
38
und da Nierenepithelien, keine Cylinder. Etwas Schmerzhaftigkeit auf
Druck den R. Ureter entlang, keine Schmerzen bei Druck in der Nieren-
gegend.
Herr D. war im Begriffe nach dem Westen zu reisen und konnte von
einer genaueren Beobachtung zunächst keine Rede sein. Er wurde
instruirt seine Blase zweimal täglich mit ResorciDlösung auszuwascheu,
und versprach sich bei seiner Rückkehr im. Herbst wieder vorzustellen.
Am 20, December 1890 wurde Patient in ganz desolatem Zustande nach
hier zurückgebracht. Im hohen Grade abgemagert und kachectisch
bot er im Allgemeinen die Erscheinungen der Sepsis dar ; vollständige
Appetitlosigkeit, Erbrechen, Fieber, Apathie u. s. w. Von Zeit zu Zeit
bedeutende Massen Eiter aus der Blase per Katheter entleert. Bauch
aufgetrieben, in der Ileocoecal-Gegend eine teigige Anschwellung, mit
Druckempflndlichkeit daselbst und gegen Colon ascendens zu. Nach
Reinigung des Darms durch Klystire zeigt sich, dass gelegentlich etwas
Jauche den Darm herunter kommt.
D.: Pyelonephritis dextra purulenta chronica Abscessus ichorosus in
regione lateris posterioris Coeci, der den Darm perforirt hatte.
Exitus letalis 27. December.
Die Autopsie am 27. December musste auf das Abdomen beschränkt
werden und ergab : Beide Nieren sind von ausserordentlich dicken
Fettpolstern bedeckt (nahezu zwei Zoll), die R. Niere in einen Sack um-
gewandelt, der einen grossen rauhen Stein von Gewicht enthält. Pleura-
geschwürige Perforation der hinteren Wand der Cysten mit Bildungeines
Eiterganges, der von da gegen das coecuum herunterleitet und die
hintere Wand des col. asc. perfo^jirt und daselbst ein grosses Ulcus mit
dicken Rändern gebildet hat. Diesem ulcus gegenüber hat sich in der
vorderen Wand des betr. Darmstückes ein Geschwür entwickelt, das bis
zum Peritonelüberzug vorgedrungen war. Die L Niere war ebenfalls
zum grössten Theile in eine Eitercyste umgewandelt, in welcher drei
gegeneinander facettirte Steine liegen, zusammen mindestens so gross
als der Stein der R Niere.
Beide Ureteren weiter als normal, die Blase ungefähr doppelt so
gross als normal, dünnwandig mit Atrophie der Schleimhaut und mus-
cularis. Prostata wenig vergrössert, pars prostatica urethrae trichter-
förmig, weiter als normal, am peripheren Ende der p. membranacea ure-
thrae seitliche Verengerung, die No. 22, die ich eben zur Hand hatte
von vorn nach hinten leichter als umgekehrt passiren lässt. Der Magen
ist etwas dilatirt, schlaff, dünnwandig, Schleimhaut schiefergrau,
atrophisch.
Diskussion:
Dr. T o r e k fragt, ob nie Blut im Urin gefunden wurde.
Dr. L. Weber erwidert, er habe den Harn untersucht, aber weder
Blut noch Sand gefunden. Die Diagnose hätte bei weiterer Exploration
wohl gestellt werden können, allein der Patient habe sich keiner län-
geren Behandlung unterziehen wollen.
Dr. J a c o b i bemerkt, dass es sich hier zwar nur um eine relative
Striktur handle, aber doch muss dieselbe Ursache der Steinbildung ge-
wesen sein, denn hier sind in beiden Nieren Steine gefunden worden.
Man sollte noch nachsehen, ob das Centrum des Steines aus Harnsäure
bestehe. Die Grösse sei jedenfalls etwas ganz Seltenes.
Dr. L. Weber: Die Bemerkung Dr. Jacobi's ist richtig. Was das
Centrum des Steins betrifft, so besteht es aus Harnsäure, die Aussen-
seiten aus Phosphaten. Die Striktur ist eine faltenförmige gewesen.
Dr. T o r e k fragt, wie eine Striktur von No. 26 geschnitten werden
sollte. Er meine, dass sie alle erweitert werden müssen.
Dr. L. Weber beantwortet diese Frage dahin, dass es Strikturen
giebt, die sich bei gewisser Grösse nicht mehr dilatiren lassen.
39
Dr. C. Heitzmann verliest hierauf die Adresse, welche er zu
ViRCHOw's siebzigstem Geburtstag verfasst hat, und welche ursprüng-
lich zum Druck für die Medicinische Monatsschrift bestimmt war. Er
stellt den Antrag, dass diese Adresse mit dem Namen des Vereins ver-
sehen und an Virchow abgeschickt werden möchte.
Der Antrag wird nach längerer Debatte mit der Bestimmung ange-
nommen, dass der Verwaltungsrath ermächtigt wird, etwaige Veränder-
ungen in dem Wortlaut der Adresse vorzunehmen.
Dr. S e i b e r t stellt sodann den Antrag, ausserdem eine Kabelde-
pesche an Virchow abzuschicken.
Dieser Antrag wird ebenfalls angenommen.
Es folgt der Vortrag von Dr. C. A. von Ramdohr: Die
Indicationen für Craniotomie mit einschlägigen
Fällen.
(Abgedruckt in der Medicinischen Monatsschrift.)
Diskussion:
Dr. R i s c h fragt, ob 7 — 8 Züge und nicht mehr bei der Zange er-
laubt seien.
Dr. von Ramdohr erwiedert, dass, sobald die Zange angelegt
wird und man in Eile ist, dies genügen dürfte.
Dr. von Grimm fragt, ob man die Perforation nach der Wen-
dung machen könnte.
Dr. ^on Ramdohr bejaht diese Frage.
Demonstration von Instrumenten:
Dr. Foerster demonstrirt einen von ihm konstruirten Operations-
tisch.
(Abgedruckt in der Medicinische Monatsschrift.)
Die in der letzten Sitzung vorgeschlagenen Candidaten, Dr. Fergu-
son, Dr. BiERKiNGr und Dr. Marcuse, werden in der nun folgenden Ab-
stimmung als Mitglieder aufgenommen.
Als neue Candidaten werden vorgeschlagen :
Dr. L. Hiebe, von Dr. Tyndale ; und
Dr. RoMM, von Dr. W. Freudenthal.
Nach Schluss des wissenschaftlichen Theils der Sitzung ergreift Dr.
L. Weber das Wort, welcher mit Dr. Foerster das Committee
für den geselligen Theil des Sitzungsabends bildet. Er theilt mit, dass
der gesellige Abend im Juni .^45 gekostet habe, während der letzte
Abend infolge einer Aenderung nur $22 Kosten verursacht habe. Er
möchte bitten, dass aus der Mitte des Vereins der Antrag gestellt wer-
den möge, diese Kosten zu bezahlen.
Dr. Freudenthal stellt einen bezüglichen Antrag, welcher zur
Annahme gelangt.
Präsident Dr. A. Jacobi bittet vor Schluss der Sitzung noch
die Mitglieder, da im Anfang der Saison wenig Material da sei, früh-
zeitig Vorträge anmelden zu wollen.
Schluss und Vertagung.
Dr. Max Einhorn,
Protokollirender Sekretär.
40
Wissenschaftliche Zusammenkunft deutscher Aerzte in
New York.
(110 West 34. Strasse.)
Sitzung vom 25. September 1891,
Vorsitzender: Dr. Schottky.
Schriftführer : Dr. E. Fridenberg.
Vorstellung von Patienten.
L. W e i s s stellt eine Frau mit „Liehen ruber acuminatus*' vor.
Frau E. H., 33 Jahre alt, regulär menstruirt, bemerkte im Sommer
1890 einen Ausschlag, der sich damals auf beide Unterschenkel be-
schränkte. Derselbe verursachte ziemliches Jucken, besonders wäh-
rend des heissen Wetters uQd verschwand im darauffolgenden Winter.
Im April d. J. begann das Jucken wieder auf den Beinen sowohl als am
Körper und alsbald entwickelte sich die Eruption. Dieselbe begann an
den Fusssohlen und an den Zehen, schritt den Unterschenkeln entlang
weiter, überzog den Steiss, die Arme u. s, w. Merkwürdig ist es, dass,
trotzdem über das Jacken hauptsäclilich in der Hitze geklagt wird, Patien-
tin in der Nacht im Bette davon verschont ist. Jedoch stellt es sich wäh-
rend des Entkleidens ein und ist auch während des Ankleidens gegen-
wärtig. Es ist also gewiss, dass Temperatur-Unterschiede Jucken her-
vorrufen können. Bei erhitzender Arbeit stellt sich ebenfalls Jucken
ein. Das durch das Jucken hervorgerufene Kratzen macht Patientin
sehr matt. Sie wird magerer, ihr Allgemein-Beflnden ist nicht das
Beste, sie ermüdet schneller und ist weniger ausriauernd in der Arbeit.
Wir haben hier einen Fall von überaus reichlichem Auftreten der
Eruption. Der ganze Körper ist besäet von Lichenknötchen, die in
Reihen, entsprechend den normalen Hautfurchen, auftretend, zu Leisten
und in weiterer Folge zu grösseren Infiltraten confluiren. Die von
Hebra. beschriebene chagrinlederartige Beschaffenheit solcher Stellen
ist besonders an den Gelenkbeugen gut sichtbar. Fusssohleu und
Flachhand sind ergriffen und besonders erstere inflltrirt.
Der Pariser Dermatologen-Congress scheint die Lichenfrage keines-
wegs geordnet zu haben. Während Kaposi Liehen ruber und Pityriasis
rubra pilaris (Devergie) für identisch hält, erklärt Neuman in Wien, dass
man einen Liehen ruber acuminatus (Hebrae) anerkennen müsse und
daher dieser nichts mit Liehen ruber planus gemein habe. Gleichzeitig
ist er der Ueberzeugung dass der Liehen ruber von Hebra nicht iden-
tisch mit Pityriasis rubra pilaris sei.
V. Hebra jr. ist der Meinung, dass sein Vater diese beiden Formen
mit einander verwechselte. Während einer Sichtung der alten Kran-
kengeschichten in Wien konnte er die Acuminatus-Fälle, von solchen
von Pityriasis trennen.
BüLKLEY (N. Y.) erklärt sich für die Existenz eines Acuminatus, er
sowohl als Sherwell und Robinson halten die drei Formen auseinan-
der. Was die Behandlung anbetrifft, werden die reducirenden Mittel
äusserlich, besonders die UNNA'sche Carbol-Sublimat-Vaselin-Salbe
(20,0 : 0,5 — 1,0 : 500.0) und innerlich Arsenic zur Anwendung kommen.
(Bericht nach vier Wochen: Auf obige Behandlung trat bereits
Besserung ein. Die ganze Eruption ist im Schwinden begriffen.)
Discussion:
Goldenberg hält den Fall für „Liehen ruber planus." In dem
jetzigen akuten Stadium desselben würde er Arsenik nicht geben;
äusserlich empfiehlt er aber die UNNA'sche Salbe.
41
Oberitdorfer und Pollitzer halten den Fall ebenfalls für „Liehen
ruber planus."
L. W e i s s stellt eine Frau mit Tuberkulösem Syphilid serpiginösen
Charakters vor.
Frau R. J., 24 Jahre alt, Mutter von drei Kindern wovon Eines an
Bronchitis starb, bemerkte vor zwei Jahren am Kücken einen Aus-
schlag von der Grösse eines Centstückes; derselbe breitete sich, da eine
Behandlung nicht erfolgte, aus, und nimmt jetzt in grossem Halbkreis
und mit der Convexität nach aussen die rechte Nacken- und Rücken-
gegend ein. Die Läsion stellt ein Tuberculo-serpiginöses Syphilid vor,
welches reichlich mit Borken und sclimierigem Eiter belegt ist.
In der Mitte des Halbkreises sind bis halbdollargrosse, hellglänzende,
etwas strahlige Narben, die darauf hinweisen, dass die Eruption sich im
Centrum allmälig involvirte und sich nach der Peripherie hin ausbrei-
tete. Seit Monaten Cervicaldrüsenschwellung.
Auamnestisch wäre zu bemerken, dass Patientin vor drei Jahren
eine Periostitis der rechten Tibia hatte, die auf antiluetische Behand-
lung wich. Von den Schwestern der Patientin hat eine Lues nasi, die
Andere weist zahlreiche Drüsennarben am Halse auf. Sonstige Erschei-
nungen von Syphilis sind bei der Patientin nicht vorflndlich.
Der Anamnese nach hätte der Fall leicht für hereditäre Lues ange-
sehen werden können. Nämhch Vater und Mutter sollen vor Jahrzehn-
ten an einem Ausschlag gelitten haben, den sie von einem bei ihnen
wohnenden luetischen Verwandten acquirirten. Ob Patientin vor dieser
Affaire geboren wurde, Hess sich nicht feststellen. Da auch sonst here-
ditäre Lues gerne andere Prädilectionsstellen sich aussucht, wird der
Fall als einer von gewöhnlicher tertiärer Syphilis anzusehen sein.
(Bericht nach vier Wochen: Auf Jodkali innerlich, Hg. Pflaster äusser-
lich trat vollständige Vernarbung ein. )
D i s c u s s i o n :
L e V i s e u r: Das einseitige Auftreten der Eruption ist bemerkens-
werth. Er beobachtete bei einem inficirten Heizer einen auf die dem
Feuer ausgesetzte Seite des Patienten beschränkten Ausschlag.
Oberndorfer bezweifelt das Auftreten eines sorpiginösen
Syphilids bei hereditärer Lues nach dem fünfzehnten Jahre. Wenn
keine ganz deutlichen Symptome der hereditären Lues vorliegen, so
muss man eine Infektion annehmen, selbst wenn Primäraffektion nicht
nachzuweisen ist.
A. Jacobi: Die Ansteckungskraft so vieler syphilitischer Läsio-
nen, Gumma u. s. w., ist in der letzten Zeit bewiesen worden. Das sehr
spaete Auftreten der hereditären Syphilis wird dadurch noch^ zweifel-
hafter gemacht.
Pollitzer stellt einen Mann mit symmetrischem tuberkulösem
Syphilid des Rückens vor.
Dr. P. demonstrirt ferner einen Fall von tuberkulösem Syphilid an
einem Manne von 55 Jahren, der nie eine gründliche antiluetische Be-
handlung durchgemacht hat. Der Ausschlag besteht schon seit zehn
Jahren und ist bemerkenswerth wegen seiner Ausdehnung und Sym-
metrie. Er hat die Form von zwei Dreiecken, deren gemeinschaftliche
Grundlinie in der Mittellinie der Lendengegend und des Kreuzbeines
liegt, während die Spitzen in der rechten und linken Leistengegend er-
scheinen.
Pollitzer stellt einen Mann mit Xanthoma tuberosum multiplex
vor.
Der Kranke, den ich die Ehre habe, Ihnen heute Abend vorzustellen,
leidet an einer verhältnissmässig recht selten vorkommenden Hauter-
krankung. Er ist 31 Jahre alt, Baumeister, und mit Ausnahme einiger
42
kolikartiger Anfälle während der letzten 11 Jahre, die sein Arzt, ohne
dass jedoch Gelbsucht dabei auftrat, auf Gallensteine zurückführte,
erfreut er sich einer blühenden Gesundheit.
Die Hautaffection, die wir jetzt an ihm beobachten, besteht seit vier
Jahren. Es handelt sich um eine Eruption, welche die grossen Zehen,
die Fusssohlen, die Hände, Ellbogen, Hüften und Hinterbacken nach
der Keihe befiel. Seit zwei Jahren zeigt die Affection keine wesentliche
Veränderung.
Bei der näheren Untersuchung dieser Theile sehen Sie, dass es sich
um disseminirte Gruppen von Knötchen handelt ; dieselben besitzen
eine derbe Consistenz, sind hanfkorn- bis erbsengross, von citronengel-
ber Farbe und erheben sich zum grössten Theile ein wenig über das
Niveau der Haut, obwohl manche so tief liegen, dass ihre Anwesenheit
nur durch Palpation eruirbar ist. Jede Gruppe besteht aus 10 bis 35
Knötchen. Viele zeigen eine bestimmte Anordnung ; so ist dieselbe z. ß.
auf der Palmafläche der Haut annulär, auf dem Oberarme linear in zwei
parallelen Streifen.
{Fortsetzung folgt.)
Verein Deutscher Aerzte zu 8an Francisco,
Sitzung vom 1. September 1891.
Dr. EosENSTiRN hielt seinen angekündigten Vortrag über Wesen und
Therapie der Perityphlitis. (Der Vortrag wird anderweitig in extsnso
veröffentlicht werden.)
Diskussion : Dr. Cohn will nicht vom chirurgischen Standpunkt
sprechen. Der Vortrag hat nicht <li(' Frage beantwortet, welche die
Chirurgie der inneren Klinik schuldet. Nur vereinzelte Autoren haben
sich für absolutes Operiren in allen Fällen entschieden, während be-
sonders von deutschen Autoren einschränkende Indicationen gestellt
werden. Es giebt Fälle, wo ein operativer Eingriff absolut noth wendig
ist ; dass man aber bei jeder beginnenden Appendicitis kritiklos operiren
soll, ist von der Hand zu weisen. Nur ein Chirurg, der grosse Hospi-
talpraxis hat, kann in dieser Frage mit einiger Sicherheit entscheiden,
während dem Durchschnittsarzte in der Privatpraxis die Entscheidung
meist sehr schwer wird. Man nehme den conereten Fall : Ein junger
Mensch erkrankt am Fieber, Erbrechen, Schmerzen in der rechten Seite
des Hypochondrimus. Die Symptome werden bedrohlich, der Fall zieht
sich selbst zwei Wochen hin, um schliesslich unter zweckmässiger in-
terner Therapie (Eis und Opium) in Genesung überzugehen. Es ist
sehr schwer, hinterher zu sagen, worum es sich gehandelt hat, welcher
Art die anatomische Veränderung gewesen. Die Frage, ob ein seröses
Exsudat, eine eitrige Entzündung und drohende Perforation vorlag,
kann nur mit Wahrscheinlichkeit beantwortet werden. Die Antwort
hierauf sind die Chirurgen schuldig und selbst Körte in Berlin, dem, ge-
wiss nicht der Vorwurf der Messerscheu gemacht werden kann, hat zu-
gegeben, dass viele Fällen, in denen alle Symptome auf eine drohende
Perforation hindeuteten, unter der zweckmässigen internen Therapie ge-
nesen. Es wäre ungerechtfertigt und ungerecht, bei den Erfolgen,
welche die Chirurgie, seit Antisepsis resp. Asepsis sie begleiten, errun-
gen hat, sich der Vortheile, die ein operativer Eingriff bedeutet, zu
entäussern ; aber die Entscheidung, wo und zu welchem Zeitpunkt der
chirurgische Eingriff statthaben soll, ist oft schwer oder gar nicht zu
treffen' und das sogar selbst bei abgekapselten Eiterungen. Anderer-
seits muss der interne Arzt zugeben, dass manche Fälle noch kurz vor
dem Tode einen günstigen Eindruck machen, um plötzlich lethal zu
43
enden und den Vorwurf nahe zu legen, dass ein ev. operativer Eingriff
ein Menschenleben hätte retten können.
Dr. V. Hoffmann : Die Statistik Dr. Rosenstirn's ist irreführend. Sie
beweist, dass so und soviele Fälle von Perityi)hlitis gesehen worden sind;
man lernt aber aus ihr nicht den Prozentsatz der Mortalität zur Morci-
dität kenneu. Sehr viele Fälle von eigentlicher Typhlitis stercoralis
können überhaupt nicht geheilt werden. Die Erkrankungen des Wurm-
fortsatzes könnten geheilt werden, wenn man eine exacte anatomische
Diagnose stellen könnte. Es sind jedoch die differentiellen Symptome
zwischen Typhlitis stercoralis und Perityphlitis so undeutlich, dass die
Diagnose in vielen Fällen absolut unmöglich ist. Was die Operation
selbst anbetrifft, so liegt die Sache noch in der Kindheit. Man schnei-
det ein, ohne zu wissen, was man entfernen will, da man nicht genau
anatomisch vorher diagnosticiren konnte. Die meisten Fälle heilen
wohl ohne Operation und blos die mit der Anti- resp. Asepsis eingeris-
sene Kühnheit in operativen Eingriffen hat die Operationswuth unbe-
rechtigter Massen auf dieses Gebiet hingeleitet.
Dr. Kreützmann : Wir haben aus dem Vortrage viel gelernt und
manches Neue daraus erfahren. Vor Allem ist uns die Wichtigkeit und
Häufigkeit der Erkrankung anderen Krankheiten gegenüber vor Augen
geführt worden. In den meisten Fällen ist eine Erkrankung des Pro-
cessus vermiforis vorhanden und das richtige therapeutische Verfahren
ist oft sehr schwer zu finden. Soviel jedoch steht fest, dass das opera-
tive Eingreifen unter allen Umständen einen Fortschritt bedeutet. In
jedem einzelnen solchen Falle müssen wir von vornherein an die Opera-
tion denken. Einige Fälle machen vage Symptome, andere sind klar
und fordern gewisseimassen durch ihren Verlauf zur Operation auf.
Leider sind wir oft gezwungen, in extremis und daher ohne Erfolg zu
operiren. Aber oft ist der operative Eingriff sicherlich von Erfolg be-
gleitet, wo zu warten den Tod gebracht hätte. Die Scheu vor dem in-
traperitonalen Operiren ist heute, wie vielfache Erfahrungen gelehrt
haben, unberechtigt.
Dr. Kkotoszyner : Dr. Rosenstirn hat uns dankenswerther Weise in
seinem Vortrage reichliches statistisches Material geliefert, aus dem her-
vorgeht, dass, seitdem vor operativen Eingriffen nicht zurückgescheut
wird, durch das Messer viele Fälle, die sonst unrettbar verloren wären,
gerettet werden können. Auch die Tracheotomie wird nicht nur von
Laien, sondern selbst von messerscheuen Aerzten als nutzlos perhorres-
cirt; leider wird sie, wie Henoch klagt, meist zu spät vorgenommen und
sicherlich würde die Prognose der Perityphlitis eine günstigere sein,
wenn man von vornherein einen operativen Eingriff in Erwägung ziehen
und diesen, sobald die Indicationen dafür gegeben, ungesäumt ausführen
würde. Diese Anschauungen kamen auch in der vor beiläufig zwei
Jahren in der Berliner medizinischen Gesellschaft stattgehabten Debatte
über die Therapie der Perityphlitis zum Ausdrucke und bestehen heute
noch, unbeschadet der Erfolge der inneren Kliniker, zu Rechte. Dass
die anatomische Diagnose nie mit Wahrscheinlichkeit gestellt werden
kann, ist wahr ; wäre das nicht der Fall, so würde die ganze Diskussion
über diese Frage überflüssig sein. Desswegen erscheint es angebracht,
an das von Leyden und Israel angegebene, in diagnostischer Beziehung
sehr wichtige Symptom zu erinnern, nach dem Abcessbildung mit völli-
ger Sicherheit geschlossen werden kann, wenn bei Fällen, in denen zu-
erst mit der Operation gezögert wurde, nach Ablauf der typischen
Krankheitssymptome eine Fieberbewegung, Vermehrung der Pulsfre-
quenz, Zeichen der peritonitischen Reizung und Verschlimmerung des
Allgemeinbefindens zu konstatiren sind.
Dr. Rosenstirn : Nicht jeder leichte Fall von Perityphlitis soll operirt
werden ; in vielen Fällen sind jedoch die Indicationen für den operativen
44
Eingriff gegeben und da, wo die Abkapselung des Abcesses und circum-
scripter Peritonitis die Gefahr auftritt, dass der Eiter durchbricht, soll
und muss operirt werden. Bei wiederholten Attacken von Perityphlitis
ist die Operation in den freien Intervallen indicirt, da durch die fort-
währenden Anfälle der Lebensgenuss der Patienten so getrübt wird,
dass die Operation das Kleinere Uebel ist. Dass durch zurückbleibende
Adhsesionen nach erfolgter Operation oft auch Schmerzen auftreten, ist
keine Gegenindication, ebenso wie nach der Operation für Pyosalpinx
peritonitische Adhaesionen bleiben und den Erfolg trüben. Der Stand-
punkt, alle Fälle mit internen Mitteln heilen zu wollen, ist ebenso zu
verwerfen, wie das Operiren ohne strikte Indicationen. Sind diese aber
gegeben, so soll der innere Kliniker bei Zeiten das gefährdete Leben
des Patienten dem Messer des Chirurgen überantworten.
(Sbhluss der Sitzung.)
Dr. M. Keotoszyner,
protokollirende Secretär
BücheHiscb.
Fromme's Oesterreichischer Medicinal-Kalender mit Recepttaschenbuch
für das Schaltjahr 1892. 47. Jahrgang. Herausgegeben von Dr.
Theodor Wiethe. Elegant in Leinwand gebunden 1 fl. 60 kr., Brief-
taschen-Ausgabe 2 fl. 20 kr. Wien, k. u. k. Hofbuchdruckerei Carl
Fromme.
Der vor uns liegende Oesterreichische Medicinal-Kalender mit
Pveoepttaschenbuch pro 1892 ist besonders reichhaltig und schön ausge-
stattet. Der Kedacteur wusste auch diesmal gleichwie in den Vorgän-
gern eine Fülle von Artikeln, TabeUen u. s. w. zu bringen, welche alle
für den praktischen Arzt von grösster Wichtigkeit sind und von ihm
täglicl) zu Rathe gezogen werden. Aus dem reichen Inhalt des Kalen-
ders fällt ganz besonders das völlig uß?gearbeitete und dem Stande der
heutigen Wissenschaft in prägnanter Weise angepasßte Recepttaschen-
buch auf. Dem Redacteur stand hier augenscaeinlich eine Fülle des
interessantesten Materiales zu Gebote. Der wesentlich rectificirte
Schematismus der Aerzte Wiens ist auf jene in den nun mit Wien ver-
einigten Vororten wohnenden Aerzte ausgedehnt. Auch das Verzeich-
niss von der modernen Therapie entsprechenden Recepten, die Artikel :
Untersuchung des Harnes, Untersuchimg des Blutes, Balneologische
Uebersicht der Curorte, ferner die TabeUen : Maximaldosen für einen
Erwachsenen, Tropfen-Tabelle, Zeitrechnung der Schwangerschaft,
Incubationszeit für die wichtigeren Infectionskrankheiten werden dem
Besitzer des Kalenders gewiss willkommen sein. Die Ausstattung des
Kalenders ist wie die aller FEOMME'schen Kalender eine praktische und
durchaus gediegene. Wir können daher den Kalender allen Aerzten
nur auf das Wärmste zur Anschaffung empfehlen.
The Physician as a Business Man ; or How to Obtain the Best Financial
Results in the Practice of Medicine. By J. J. Taylor, M. D. (Phila-
delphia. The Medical World, 1520 Chestnut St. 1891.)
Der Grundgedanke des Buches ist, die flnanciellen Verhältnisse des
ärztlichen Standes zu heben.
Es werden im vorliegenden Werkchen vorzügUche Regeln und An-
weisungen gegeben, um die materiellen Verhältnisse des Mediciners zu
45
heben. Im Allgemeiaeii werden die ärztlichen Leistungen sehr schlecht
honorirt, verglichen beispielsweise mit den Leistungen des Advokaten.
Es wird im Buche vielfach hervorgehoben, wie nützlich und werthvoll
selbst ein winziger Rathschlag eines Arztes ist. Das Buch ist sehr inter-
essant geschrieben und ist dazu angethan, jedem Arzt beim Lesen des-
selben etwas Nützliches zu bringen.
Nekrol(»g.
Dr. ERNST HOFFMANN.
Plötzlich und unerwartet hat am 8. d. M. der Tod einem rastlosen,
unruhigen, die gewöhnlichen Bahnen menschlichen Lebens meidenden
Dasein die ewige Ruhe verliehen. Wenn auch keinen grossen Kreis,
wird doch so manchen Leser dieser Blätter die Kunde von Dr. E.
Hoffmann's jähem Daliinscheiden welimüthig berühren, denn rastlos
und unstät, wie er sein Leben gestaltete, in der Freundschaft, in der
Anhänglichkeit an diejenigen, die ihm näher getreten waren, in der Er-
kenntlichkeit für jede kleine Freundlichkeit, für jeden Liebesdienst,
den man ihm erwiesen, ist der nun Dahingeschiedene immer unwandel-
bar treu und gleich geblieben, und hat so in der kurzen Zeit, die er in
unserer Stadt verweilte, sich manchen Freund erworben, der sein An-
denken auch nach seinem Tode ihm noch treu bewahren wird.
Ernst Philipp Ludwig Hoffmanx, geboren in Worms a. Rh. am 28.
August 1839 und vorbereitet auf dem Gymnasium seiner Vaterstadt,
bezog 1857 die Universität Utrecht um dem driugenden Wunsch seiner
Eltern gemäss, entgegen seinen eigenen Neigungen und Willen,
Theologie zu studiren. Im Frühjahr 1860 Hess er sich in Giessen im-
matriculiren, um nach bestandenem theologischen Examen sowohl
Giessen wie auch der Theologie und auch dem väterhchen Hause Valet
zu sagen. Er fand eine Stelle im KLosE'schen Knabeninstitut in
Cannstadt, woselbst er zwei Jahre thätig war. 1863 bezog er die Uni-
versität Heidelberg, um dort Philologie zu studiren, widmete sich aber
mehr, seinen Neigungen folgend, dem Studium der Mathematik und
Naturwissenschaft. Nach einigen Semestern ging er wiederum nach
Giessen als stud. med., bestand sein erstes Examen (Philosophicum) mit
No. 1, begab sich aber nach einer wissenschaftliclien Centroverse mit
dem betr. Prof. der Zoologie und Entwickelungsgeschichte nach Halle,
um dasselbe Examen zum zweiten Male mit grosser Auszeichnung zu
bestehen. Nach einigen Semestern ging er nach Berlin, um dort die
Kliniken zu besuchen. Schliesslich siedelte er nach Freiburg i. B. über,
wo er im Jahre 1867 das Staatsexamen machte.
Nachdem er in verschiedenen kleinen Ortschaften der Oberpfalz
prakticirt, machte er als Schiffsarzt auf mehreren Linien Reisen, be-
sonders nach Südamerika, nahm dann in der Nähe von München eine
Landpraxis auf, um abermals als Schiffsarzt nach New York zu fahren.
1886 Hess er sich in New York nieder, ging 1887 nach Mendota, III., und
von da, wo er sich so lange sehr wohl gefühlt hatte, 1890 plötzlich nach
Amboy, Minn.. wo er am 8. Januar 1892 nach kurzer Krankheit uner-
wartet starb.
Krankheit und Krankheitsgefühl, die ihn immer verfolgten, ausser-
dem der Druck einer verfehlten, ihn in seinen Gesinnungen und Neigun-
gen widersprechende Bahnen ziehende Jugenderziehung, Hessen ihn
selten zu einem festen Entschluss kommen, und trugen zu dem wechsel-
vollen Verlauf seines bewegten Lebens unendlich viel bei.
Zu seinen Liebhabereien gehörte das Studium der Lehren Darwin's,
mit denen er sich frühzeitig und gründlich befasste. Er besass eine
ungewöhnliche philosophische Bildung, und war ein ebenso scharfer
46
Denker, als schlagfertig in der Debatte über irgend ein naturwissen-
schaftliches Thema.
So endet der Tod ein vielversprechendes Dasein, das aber durch die
Ungunst der Verhältnisse zu keinem fruchtbringenden geworden war,
doch werden die, die ihm näher standen, den guten, edlen Seiten seines
durch und durch ehrlichen, wenn auch manchmal sonderbar scheinen-
den Charakters liebevolles Angedenken bewahren, und ihm die Ruhe,
die er im Leben nicht finden konnte, gönnen. R. i. p.
Allerlei.
Folgende Einladung zum II. Internationalen Dermatologischen Con-
gress in Wien, 5.-10. September 1892, ist an uns ergangen:
Laut Beschluss des 1. Internationalen Dermatologischen Congresses
vom 10. August 1889, in Paris, wird der IL Internationale Derraatologi-
sche Congress im Jahre 1892 in den Tagen vom 5.-10. September in Wien
abgehalten werden.
Wir beehren uns hiermit Sie, geehrter Herr Collega, zur Theilnahme
an diesem Congresse höflichst einzuladen und zu bitten, möglichst bald
Ihren Beitritt zu demselben erklären zu wollen.
Die Statuten des Congresses, so wie das vorläufige Programm der
Verhandlungsthemata werden später bekanntgegeben werden.
Anmeldungen zum Beitritt, sowie von Vorträgen und Demonstra-
tionen nimmt entgegen der unterzeichnete Generalsecretär.
Das Organisations-Committee: Die Mitglieder: Prof. J. Neumakn;
Prof. E. Lang; Docent H. von Hebra, Prim. Docent M. Mraceck, Docent
Joseph Grünfeld (Wien); Prof. F. J. Pick; Prof. V. Janowsky (Prag);
Prof. E. Lipp (Graz); Prof. A. J arisch (Innsbruck ; Prof. A. Rosner
(Krakau); Prof. E, Schwimmer (Budapest). Prim. Docent G. Riehl,
Generalsecretär, 1/20, Bellariastrasse, 12, Prof. M. Kaposi, Präsident,
IX/2 Aiserstrasse 28, Wien.
Vom Organisations-Committee aufgestellte Themata.
1. Ueber lymphatische Erkrankungen der Haut, vompath.-anatom.
Standpunkte: Doc. R. Paltauf (Wien).
2. Ueber den gegenwärtigen Stand der Lepra in Europa: Dr. Arning
(Hamburg), Dr. Petersen (Petersburg).
3. Ueber Dermatomykosen, unter besonderer Berücksichtigung der
Verhältnisse in Frankreich: Dr. Feularrd (Paris).
4. Ueber tardive Syphilis, Neibiann (Wien).
5. Ueber Anatomie und Entwickelung des Oberhautpigments: Prof.
Jarisch (Innsbruck).
6. Ueber Psorospermosen: Prof. Neisser (Breslau), Prof. C. Boeck
(Christiania).
7. Ueber die Principien der Gonorrhöebehandlung. Prof. Neisser
(Breslau),
8. Ueber Lupus erythematosus: Dr. Malcoln Morris (London), Dr.
Th. Veiel, (Canstatt).
Zu Vorträgen haben sich gemeldet:
Die Herren; Besnier, Paris, Dermatologisehes Thema; Fournier,
Paris, Syphilis; Pick, Prag, Dermatologisches Thema; Doütrelepont,
Bonn, Dermatologisches Thema; Schwimmer, Budapest, Dermatholog.
Thema; Riehl, Wien, Dermathologisches Thema.
Gleichzeitig mit dem II. Internationalen dermatologischen Congresse
veranstaltet des Organisations-Committee in den Räumen des neuen
Universitäts-Gebäudes in Wien eine Ausstellung von die Pathologie und
Therapie der Hautkrankheiten und der Syphilis, sowie der verwandten
Fächer betreffenden Gegenständen, als: Wissenschaftliche Werke, Ab-
bildungen, Photographien, plastische Reproductionen (Moulages), ana-
47
tomische, histologische, bakteriologische Präparate, Mikroskope und
andere wissenschaftliche Apparate, alle zur Behandlung der Hautkrank-
heiten und der Syphihs dienenden Objecte, chirurgische Instrumente,
Verbandstoffe, chemische und pharmaceutische Präparate etc.
Die Morphiumsucht nimmt in Paris täghch zu und fordert immer
zahlreichere Opfer. Um dem steigenden Bedarf entgegenzukommen,
haben kürzhch spekulative Köpfe zwei Etablissements eröffnet, in welche
sich das Pubhkum drängt, um das Verlangen nach dem süssen Be-
täubungsmittel zu stillen. Das eine ist für Männer, das andere für
Frauen bestimmt. Die PoHzei kennt diese Häuser sehr gut, hat aber
keine Veranlassung zum Einschreiten, da alles geordnet und decent her-
geht. Die Wartesäle sind luxuriös ausgestattet und mit Büchern,
Zeitungen u. s. w. versehen. Für die erste Morphium-Injection werden
5 Frcs. verlangt, die folgenden kosten nur die Hälfte. Der grösste Theil
der Besucher — und das ist charakteristisch — besteht aus jungen
Männern und jugendlichen Frauen.
Wie Barroughs vor der „Brit. Pharm. Conf." mittheilte, ist die em-
pfehlenswertheste Form, Ricinusöl zu nehmen, eine Mischung mit glei-
clien Theileu Malzextrakt; letzteres verdeckt den Geschmack des Oels
vollständig.
Eine zweckmässige Verfügung ist im Herzogthum Sachsen- Meiningen
zur Verhütung von Missgriffen bei Arzneimitteln erlassen worden: es
sollen die zum innern Gebrauch verordneten flüssigen Arzneien nur in
runden Gläsern mit Zetteln von weisser Grundfarbe, die zum äusseren
Gebrauch verordneten flüssigen Arzneien dagegen nur in sechseckigen
Gläsern, an welchen drei nebeneinander liegende Flächen glatt und die
übrigen mit Längsrippen versehen sind, mit Zetteln von rother Grund-
farbe abgegeben werden dürfen. Die qu. Bestimmung tritt am I.Januar
1892 in Kraft.
Um dem Malthusianismus, welcher in Frankreich viel zur bedenk-
lichen Abnahme der Bevölkerungszahl beiträgt, entgegenzuwirken, hat
der bekannte Professor der Geburtshülfe an der Pariser medieinischen
Fakultät und derzeitige Präsident der ,,Academie de Medicine", Dr.
Tarnier, einen Preis von 100 Frcs. jeder Familie seiner Vaterstadt
Aresur-Tille (eines 10,000 Einwohner zählenden Ortes), ausgesetzt,
welcher im Laufe des Jahres 1892 — ein Kind geboren wird.
Das Lehnbach'sche Bild Rudolph Virchow's ist vorläufig in der Bi-
bliothek der Berliner Medieinischen Gesellschaft aufgestellt. Später wird
es seinen Platz im Langenbeck-Hause erhalten, das voraussichtlich im
nächsten Jahre seiner Bestimmung übergeben werden kann.
Ein Professor der Hygiene hatte jüngst in einem frankfurter Blatte
aus Anlass der Trichinosis in Alteno behauptet, die Trichinenschau
sei überflüssig, sowie ferner, dass bei amerikanischen Schweineproduc-
ten jede Trichinengefahr ausgeschlossen sei, da in dem amerikanischen
Fleischimport Trichinen lebend nicht mehr vorkämen. Bei der Wich-
tigkeit der Angelegenheit wandte sich die Redaction derAllgem.Fleischer-
Ztg. mit einer Anfrage an Virchow, der in liebenswürdigster Weise um-
gehend antwortete: „Es wäre mehr als thöricht, — lautet u. A. die Ant-
wort — wenn man auch nur darüber discutiren wollte, ob die mikros-
kopische Untersuchung wieder aufgegeben werden solle. Wenn dieselbe
keine absolute Sicherheit gewährt, so verkleinert sich doch die Gefahr
in einem so hohen Masse, als es durch menschliche Einrichtungen über-
haupt möglich ist. ... In Preussen sind im letzten Jahre (1890-91) allein
etwa 520 Schweine trichinös befunden worden. Welcher Schaden würde
dadurch angerichtet worden sein, wenn diese sämmtlich in den Handel
48
gelangt wären !" Was nun das Vorkommen lebender Trichinen in ameri-
kanischem Schweinefleisch betrifft, so hat Virchow im Jahre 1884 eine
umfassende Recherche in Deutschland veranstaltet. Das Ergebniss
derselben war in der Hauptsache negativ, doch kamen in Bremen auch
einige Fälle vor, die zu Bedenken Anlass bieten konnten. In Folge des-
sen bestand Virchow, wie er schreibt, darauf, dass auch das importirte
Schweinefleisch einer Untersuchung unterzogen werden müsse.
An Stelle des zum ordentlichen Professor für innere Medicin ernann-
ten Prof. von Schrötter ist der bekannte Laryngolog Prof. extraord. C.
Stoerk ^.um Direktor der laryngologischen KUnik an der Wiener Univer-
sität ernannt worden.
Die französische Gesellschaft für Hygiene bestimmt eine Goldme-
daille im Werthe von 200 Frcs., eine silberne Medaille und zwei Bronce-
medaillen den Autoren der besten Arbeiten über das Thema: „Welches
Verfahren ist am besten vor der Ankunft eines Chirurgen zu befolgen
bei Personen, welche die Opfer von Unfällen in Fabriken, oder auf öffent-
lichen Strassen geworden sind ? Näheres ist zu erfahren in der Office
der Gesellschaft, 39 Rue de Dragon, Paris.
Ein sicher wirkendes, von schädlichen Nebenwirkungen freies ört-
liches Anaestheticum, erzeugt durch Kälte, bildet die Anwendung flüs-
siger Kohlensäure, welche concentrirt werden kann in eine me-
tallene Klammer, — ein Haadstück, dem man eine beliebige Form, selbst
die der zartesten Sonde (Katheder-Form) geben kann, so dass eine Ver-
wendung auch für therapeuthische Zwecke geeignet erscheint. Welche
Bedeutung dieses Anaestheticum bei grösseren Operationen gewinnt, ist
jüngst im Marienkrankenhause zu Hamburg im Beisein mehrerer Aerzte
constatirt worden. Dr. Kümmel hat das Mittel mit dem besten Erfolge
bei einer Schenkeloperation an einem 13jährigen Knaben angewendet.
Derselbe sah ohne Zucken zu, wie der über 12 cm. lange und tiefe Ein-
schnitt angelegt wurde.
Man hielt bis jetzt flüssigen (durch Druck und Kälte konaensirten)
Sauerstoff für farblos. 0 1 s z e w s k y , dem es gelang, eine 30 Mm. dicke
Schicht desselben herzustellen, fand, dass er eine hell himmelbaue Far-
be hat.
Personalien.
Gestorben: Dr. Charles Vogler, aus Newark, N. J.
Verzogen: Dr. Wm. G. Mangold, nach No. 70 Seventh St.
Dr. Max. Einhorn.
; Stellvertretender Redacteur.
An die Lesei*.
Geschäftliche Zuschriften, Geldsendungen, Bestellungen u. s. w., sind
zu richten an : " Medical Monthly Publishing Co.," 17—27 Vandewater
Street, New York.
Manuscripte, Wechselblätter und Anfragen bezüglich des Inhaltes
sind an den Herausgeber zu richten.
Herr Karl Kahler, unser einziger Vertreter, ist eben im Interesse
unseres Blattes im Osten thätig.
New Yorker
Medicinische Monatsschrift
Organ für praktische Aerzte in Amerika
unter Mitwirkung von
Dr. A. F. Buechler, Dr. Geo. Degner, Dr. Max Einhorn, Dr. Jos. W. Gleitsmann,
Dr. Geo. W. Jacoby, Dr. F. Krug, Dr. S. J. Meitzer, Dr. Willy Meyer,
Dr. C. A. von Kamdohr, Dr. A. Schapringer, Dr. A. Seibert
herausgegeben von
Dr. F. C. HEPPENHEIMER.
Verlag der Me<lical Monthly Publishing Company, 17-27 Vandewater Street, N. ¥•
Bd. IV. New York, 15. Februar 1892. No. 2
ORIGINALAEBEITEN.
I.
Ueber die vortheilhafte Wirkung einiger gerbsäurehaltiger
Arzneistoffe beim chronischen nicht coniplicirten
Dünndarmcatarrh .*)
von
Dr. Leonard Weber.
Mein klinischer Beitrag für heute Abend umfasst die Betrachtung
der Wirkungsweise von extr. Monesiae, extr. rad Columbae und radix.
Rhatanhae, dreier Mittel, von welchen ich besonders die zwei ersten
eine Reihe von Jahren hindurch in der Behandlung des chronischen
nicht complicirten Dünndarmcatarrhs erfolgreich verwendet habe.
1. Extractum Monesiae, aus der Rinde von Chrysophyllum glyciphlo-
rum, einem in Brasilien heimischen Baum gewonnen, wurde, wie mir der
hier verstorbene Dr. Gescheidt, als er mich vor vielen Jahren auf das
Mittel aufmerksam machte, mittheilte, in den 40er und 50er Jahren ziem-
lich viel gebraucht, ist aber später in Vergessenheit gerathen. Hey-
denreich (1839) fand in dem Extract 52% Tannin und 36% einer süss-
lichen Substanz, wahrscheinlich Glycyrrhicin, die mit SO3 nicht
praecipitirte noch gährungsfähig war. Es kommt in den Handel in un-
regelmässigen dunkelbraunen Stücken, ist in Wasser löslich und hat
einen Anfangs süsslichen, adstringirenden später andauernd herben Ge-
schmack. In kleinen Dosen von l — ^ gramm stimulirt es den Magen,
in grösseren von 1-2 gramm stört es die Magenverdauung und ver-
stopft.
2. Die bekannte Ratanhawurzel, radix Krameriae, stammt von
einem Strauchgewächs aus den Gebirgen von Bolivia und Peru. Die
*) Vortrag gehalten in der Sitzung der Deutschen Medicinischen Gesell
Schaft von New York am 1. Februar 1892.
50
Payta Satanha soll besser sein als die Savanilla Varietät. "Wittstein
(1854) fand darin 18% Tannin, etwas Wachs, Gummi und ziemlich viel
nicht krystallisirbaren Zucker. Das Extract schmeckt schärfer als das
von Monesia, ist ihm in der Wirkung ähnlich, erzeugt aber leichter dys-
peptische Beschwerden und wird weniger gut vertragen.
3. Eadix Columbae, die Colombowurzel, hat den Namen von
Kolumb, die afrikanische Benennung der Wurzel. Sie entstammt
einem mächtigen Schlinggewächs, das in den Wäldern von Mozambique
und S. O. Afrika vorkommt. Boedeker und Buchner fanden darin
Columbin, Berberin, sodann eine der Wurzel eigene Säure, ziemlich
viel Stärke, etw^as Harz, Gummi und Wachs. Seit lange schon wird das
Extract und besonders die Tinctur als stomachicum gebraucht entweder
für sich oder wie Gentiana als Zusatz zu Mixturen. Eine besonders
adstringirende oder verstopfende Wirkung habe ich von diesem Mittel
nicht beobachtet, obschon es in Indien gegen Diarrhoe und Dysenterie
in Form von Aufguss oder Abkochung viel gebraucht wird.
Aus der ziemlich ansehnlichen Reihe von Fällen (ca. 30) von chroni-
schem uncomplicirten Dünndarmkatarrh bei Erwachsenen beiderlei
Geschlechts, welche ich in den vergangenen 25 Jahren mit diesen Mit-
teln, resp. mit Monesia oder Rhatanha mit Columba - Zusatz behandelt
habe, will ich nur jene herausgreifen und Ihnen kurz mittheilen, welche
schon lange bestanden und verschiedenen Behau dluugsweisen getrotzt
hatten, bevor jene Arzneien für sie verordnet wurden :
1. C. K , Kaufmann, alt 50, seit Jahren in New Orleans, U. S.
ansässig, litt jeden Sommer dort an Diarrhoen und kam im Herbst 1864
in kläglichem Zustande hierher, war ausserordentlich abgemagert und
hydropisch geworden, nicht mehr im Stande zu gehen. Chinin, Bis-
muth, Bleisalze und Opium etc., waren reichlich ohne jeden Er-
folg, mit und ohne Klimawechsel, lange Zeit gebraucht worden. Or-
ganische Erkrankung konnte mit grosser Wahrscheinlichkeit ausge-
schlossen werden. P. nahm die ersten 3 Wochen von extr. Monesiae 2
Gramm pro die mit Conserva. Rosarum und Honig in Form einer Lat-
werge gegeben, dabei 0.06 extr. Opii aqu. Morgens und Abends, um
der Hyperperistaltik des Darms Einhalt zu thun, die nächsten 3 Wochen
dieselben Gaben ohne Opium, die letzten 3 ein Gramm pro die und war
nach 3 Monaten wiederhergestellt.
2. Frau R , ca. 45 J., aus Georgia, acquirirt chronische Diarrhoe
im Anschluss an Malaria und Febris remittens. Als sie in meine Be-
handlung trat im Jahre 1872, bestand das Leiden schon nahezu 2 Jahre,
P. hatte verschiedene Kuren durchgemacht, wohnte schon seit langem
in gesunder Gegend, war malariafrei, konnte aber den Darmcatarrh,
der sie sehr herunter gebracht, nicht los werden. Mit Monesia Extract
in ziemlich derselben Weise wie Fall 1 behandelt (aber ohne andern Zu-
satz) wurde sie binnen 3 Monaten geheilt.
3. Frau L , Bäckersfrau, alt 48, war wegen chronischen Darm-
catarrh, der aus einem acuten hervorgegangen war, seit zwei Jahren
51
behandelt worden und kam im Jahre 1885 nicht geheilt zu mir. In 6
Wochen gelang es P. mit extr. Monesiae ohne andere Mittel von ihrem
Leiden zu befreien, und waren etwa 24 Gramm in Gaben von ^ Gramm
3 Mal täglich verbraucht worden.
In den nächsten 3 Fällen, welche ich noch mitzutheilen habe, und in
mehreren anderen verordnete ich das Mittel nicht mehr in Latwergen,
sondern Pillenform mit extr. Columb. Zusatz und zwar so : Extr. Mone-
siae, Columb, ca. 15.0. Extr. Gent, et Glycer. q. s. f. pil. 120. Die
Pillenmasse soll weich sein und mit Hilfe von Glycerin so erhalten wer-
den. Die Pillen können auch in Gelatinkapseln dispensirt werden.
Von diesen Pillen lasse ich 2-3-4 Stück 3 Mal täglich nehmen. Es
macht sich diese Art der Verordnung natürlich viel bequemer als die
Latwerge.
4. Herr C. W . . ., Kaufmann, 44 J., seit ca. 5 Jahren Neurastheniker,
ziemlich schwere Form, bekam während seines Aufenthaltes in Europa
vor 3 Jahren ziemlich heftigen Anfall von Verdauungsstörung, die in
Diarrhoe überging und trotz zweckentsprechender Diät und Arznei-
mittel verschiedener Art chronisch wurde. Auch in diesem Falle be-
währten sich die beiden Mittel, der Catarrh wurde mit etwa 4
Schachteln voll der genannten Pillen im Jahre 1889 zur Heilung ge-
bracht und ist es geblieben.
5. Frl. H. . . ., 40 alt, Köchin, früher gesund, fing an im Herbst 1890
ganz profus ex utero zu bluten und wurde ihr Zustand bald so bedenk-
lich, dass ein radikales Verfahren nothwendig wurde, um das Leben der
P. zu retten. Im Deutschen Hospital im letzten Winter aufgenommen
wurde sie von Herrn Dr. Krug operirt, resp. Uterus und Ovarien ent-
fernt.
Die Heilung und Wiederherstellung des P. ging gut von Statten.
Nachdem P. das Hospital verlassen, ging sie zur Erholung zu einer ihr
bekannten Familie in Far Bocka way, wurde dort bald dyspeptisch, und
fing an an Diarrhoe zu leiden. Als ich sie im Oct. v. Jahres wiedersah,
fand ich sie ausserordentlich heruntergekommen, die Diarrhoe nicht
geheilt. Da der Zustand 'doch eben subacut war, so glaubte ich mit
Bettruhe, stricter Diät und Bismuth, in Verbindung mit kleinen Dosen
Morphin zum Ziel zu kommen. Doch half das nicht, grössere Dosen
Opium und Bismuth auch nicht. Auch hier bewährten sich die Monesia
und Columbapillen und war P. bald durch dieselben geheilt, ist jetzt
wohl und im Stande zu arbeiten.
6. C. F. M. . . ., alt 42, Tabakshändler, hat früher viel getrunken und
geraucht und leidet seit ca. 3 Jahren an chronischer Diarrhoe, auf
wahrscheinlich nervöser Basis. P. ist noch nicht besonders herunter-
gekommen, sieht jedoch blass und angegriffen aus. Organische Erkran-
kung habe ich bis jetzt nicht nachweisen können, habe aber mit den
genannten Mitteln bis heute nur Besserung erzielt. P. ist jetzt 10
Wochen in Behandlung und hat ungefähr 30,0 von jedem Mittel in
Pillenform genommen. Es ist wahrscheinlich, dass in diesem Falle ein
52
complicirendes Moment vorliegt, welches mir bis jetzt bei der Unter-
suchung entgangen ist, das aber den Heilungsverlauf stört, vielleicht
vereitelt.
Wenn es die in diesen Mitteln enthaltene Gerbsäure ist, welche die
anerkennenswerthen Heilresultate geliefert hat, so könnten, wenn die-
selbe für sich gegeben würde, dieselben Wirkungen erzielt werden. Ich
habe das auch probirt aber dabei gefunden, dass es gar nicht lange
dauerte, bis nach Darreichung von nicht eben grossen Dosen Tannin
dyspeptische Beschwerden entstehen und das Mittel bei Seite
gelassen werden musste. Monesia und Columba zusammen machen
nicht nur keine Magenbeschwerden, sondern werden gut ver-
tragen und scheinen bei ihrer weiteren Aufnahme im Magen-Darm-
kanal die ihnen eigenen adstringirenden Principien in einer Weise
zur Entfaltung zu bringen, wie es Tannin für sich nicht im
Stande ist. Es ist auf diesen Umstand sowohl als auch beson-
ders darauf Gewicht zu legen, dass wir bei Behandlung mancher
chronischer Störungen ein positives Eesultat erhoffen dürfen, wenn
wir im Stande sind, gut wirkende Mittel lange genug zu geben,
ohne Gefahr zu laufen, durch unangenehme Nebenwirkungen die Heil-
kraft derselben aufzuheben. Sowohl die Beobachtungsreihe der Fälle
als die darüber hingegangene Zeit sind lang genug, um mir die Be-
rechtigung zu geben, genannte Mittel und deren Verbindungen Ihrer
gefälligen Beachtung zu empfehlen.
II.
Ein einfaches und sicheres Verfahren bei der Einspritzung der
Hydrocele mit Carbolsäure.*)
Von
Dr. L. Weber.
New York.
Die Mitglieder erinnern sich wohl, dass ich vor etwa 5 Jahren vor
dieser Gesellschaft vortrug über meine Modification der LEVis'schen
Methode der Einspritzung von 2,0 acid carbol. conc. in den
Hydrocelensack zum Zwecke der Erregung adhäsiver Entzündung und
Heilung der Hydrocele.
Nach Abfluss des Hydrocelenwassers spritzte ich durch die in situ
gebliebene Kanüle von einer Mischung von acid carbol. Alcohol und
Wasser aTa 2 bis 3 Unzen in den Sack, agitirte die Flüssigkeit ein paar
Minuten ähnhch wie bei Einspritzung mit LuGOL'scher Lösung und
liess sie dann möglichst vollständig wieder ablaufen. Die betreffende
Kanüle darf nicht weniger als 3 mm Querdurchmesser haben, und muss
dieHydrocelenflüssigkeit möglichst vollständigvorher entfernt sein, sonst
giebt es flockige Gerinnung und Schwierigkeiten bei der Entleerung der
*) Nach einer in der Deutschen Medicinischen Gesellschaft von New York
im December l.s91 gemachten Mittheilung.
53
eingespritzten Flüssigkeit. Icli sagte ferner, dass genannte Ein-
spritzung geradezu schmerzlos sei, und dass ich 7 Fälle nach dieser
Methode und ohne irgend üble Zufälle oder Recidiv geheilt habe. Eine
Anzahl CoUegen hier und an anderen Orten sind mit den Ergebnissen
dieser Behandlungsart der Hydrocele zufrieden gewesen in geeigneten
Fällen. Wenige Monate später publicirte Keyes von hier, dass er sich
nach Levis der concentrirten Carbolsäure zur Einspritzung des Hydro-
celensacks bediene und damit in einer grossen Reihe von Fällen vor-
zügliche und dauernde Heilresultate gehabt habe. Keyes geht in der
folgenden Weise vor. Im unteren Umfange der Geschwulst sticht er die
Hohlnadel eines kleinen Aspirators geschlossenen Hahnes ein, unmittel-
bar darauf etwa 1" — 1^" davon nach aufwärts inserirt er in den Sack
eine zweite Hohlnadel, durch welche er die Einspritzung macht. Jetzt
aspirirt er durch die erste das Exsudat, entfernt die Nadel und spritzt
durch die in situ gebliebene, obere Nadel eine Drachme mit Glycerin
flüssig gemachter Carbolsäure in den Sack, die nach sofortiger Entfer-
nung der Hohlnadel im Sack verbleibt, ohne jemals lokalen oder all-
gemeinen Schaden angerichtet zu haben, wie er mir kürzlich mittheilte.
Meine letzten 3 Fälle habe ich nun erfolgreich, und bis jetzt ohne
Recidiv, in folgender ganz einfacher und vom praktischen Arzte leicht
zu handhabender Weise operirt. Ich steche mit diesem 10 ctm langen
und 1 mm weiten Trokar tief ein und lasse das Serum vollständig ab-
laufen, was nur wenige Minuten in gewöhnlichen Fällen in Anspruch
nimmt, setze dann meine mit der Hohlnadel genau ins Trokarlumen
passende Spritze an, welche 1 Drachme Flüssigkeit hält und mit 2
Theilen Carbolsäure und 1 Theil Alcohol gefüllt ist, und spritze den
ganzen Inhalt derselben ein, entferne die Nadel sofort und mache, mit
der einen Hand die Leistengegend comprimirend, mit der anderen leicht
reibende Bewegungen über dem Hodensack, um die Flüssigkeit gut zu
vertheilen und die schmerzlose Operation ist beendet. Der Sack
schwillt in den nächsten Tagen wieder an, ohne Beschwerden zu machen,
verkleinert sich aber bald und kehrt im Laufe von 2 — 3 Wochen zur
Norm zurück. Alle dünnwandigen Hydrocelen serösen Inhalts eignen
sich für diese sowohl bequeme als nach jeder Beziehung gefahrlose
Behandlung. Die betreffenden Instrumente können von Tiemann, 107
East 28. Str., bezogen werden.
III.
Soor des Rachens und der Nasenhöhle bei einem Erwachsenen
als Begleiterscheinung der Influenza.
Von
Dr. Max Thorner,
Cincinnati, O.
Unter den Mycosen des Mundes und des Rachens hat der Soor
(engl.: thrush, französ.: muguet) bis vor Kurzem noch eine eigenartige
54
Stellung eingenommen; Einmal war es die Verschiedenheit der Mei-
nungen hinsichtlich der Natur des pathogenen Fungus, der von den
älteren Autoren als Oidiiim albicans bezeichnet, später aber als iden-
tisch mit dem Oidium lacüs angesehen wurde. Neuere Forscher clas-
sificirten ihn als Mycoderma vini (Grawitz), oder Saccharomyces albicans
(Rees), oder Monilia Candida (Plaut). Andererseits aber waren die
Ansichten hinsichtlich seines Vorkommens bei Erwachsenen, und
namentlich seine pathognomonische Bedeutung bei ihnen, sehr getheilt.
Im Allgemeinen kann man sagen, dass Soor am häufigsten bei jungen
Kindern, bei Säuglingen, angetroffen wird, und namentlich bei solchen,
die schlecht genährt oder aus anderer Ursache schwächlich sind, oder
die in ungeeigneten hygienischen Verhältnissen leben. Höchstwahr-
scheinlich geht der Ansiedelung des Pilzes eine Verletzung der
Schleimhaut voran. „Der einzige astiologische Factor, der von allen
Seiten zugestanden wird," sagt Forchheimer,^*) in seiner kürzlich er-
schienenen, vortrefflichen Monographie über die Krankheiten des
Mundes bei Kindern, „ist das Vorhandensein einer catarrhalischen
Stomatitis, entweder vor dem Auftreten des Soors, oder gleichzeitig
mit demselben." Uebrigens gibt derselbe Autor auch an, dass es
Fälle gibt, in welchen augenscheinlich vollkommen gesunde Säuglinge
mit Soor behaftet sind. Bei älteren Kindern, und namentUch bei Er-
wachsenen, ist Soor im Allgemeinen eine ziemlich seltene Erscheinung,
obwohl die meisten Autoren rückhaltslos zugeben, dass sich derselbe
in jedem Alter entwickeln kann. Doch selbst neuere Schriftsteller
legen besonderes Gewicht darauf, dass Soor bei Erwachsenen meistens
nur im Gefolge von chronischen und erschöpfenden Krankheiten ge-
sehen wird, obgleich einige Ausnahmen vorhanden sind. So beschreibt
EiCHHORST^) den Fall eines zwanzigjährigen Mädchens, die ein und ein
halb Jahr lang mit Soor der Zunge behaftet war. Sie war immer
bleich und schwächlich gewesen ; im Uebrigen konnte jedoch bei ge-
nauester Untersuchung nichts Abnormes entdeckt werden. Löri^)
berichtet über einen Fall, in welchem eine fünfzigjährige Frau ausge-
dehnte Auflagerungen von Soormassen auf der Schleimhaut des
Mundes, Pharynx, Oesophagus, der Epiglottis und den Aryepiglotti-
schen Bändern hatte. Die Frau war sonst völlig gesund und starb
nach sechs Monaten an Erschöpfung. Derselbe Autor sah ebenfalls
einen Fall einer kritisch endenden fibrinösen Pneumonie, bei welcher
mit dem am siebenten Tage stattfindenden Eintreten der Krise sich
ein schnell sich ausbreitender Soor zeigte, der sich über Mund,
Pharynx und Larynx erstreckte. In diesem Falle genas der Patient.
*>) The diseases of the Mouth in Children (Non Surgical). By F. Foech-
HEiMEE. Phila., 1892, p. 54 sequ.
^) Specielle Pathologie und Therapie. Wien.
2) Die durch anderweitige Erkrank, bedingt. Veränderung d. Rachens,
u. s. w. Stuttgart, 1885, p. 67. '
55
FoRCHHEiMER») thut ebenfalls der Thatsache specielle Emähnung,
dass wir bei Erwachsenen auch in acuten Krankheiten, die von grosser
Schwäche begleitet sind, Soor vorfinden können. Schech^) sagt,
dass Kachensoor auch bei gesunden Personen vorkommen kann ; dass
er aber hauptsächlich bei Erwachsenen sich bei schweren Krankheiten
und marantischen Zuständen findet. Die meisten Autoren sind jedoch
der Ansicht, dass Soor bei Erwachsenen sich fast ausschliesslich als
das Eesultat schwächender Krankheitsprocesse von langer Dauer, als
Phthisis pulmonum, Krebs, Diabetes, Leukämie, Typhus, chronische
Entero-Colitis u. s. w., zeigt. Einige Autoren sehen sogar das Auftre-
ten des Soors im Laufe dieser Krankheiten als ein prognostisch sehr
ungünstiges Symptom an. So schreibt Helmkampf^), dass man ihn
bis auf seltene Ausnahmen nur am Ende langwieriger, erschöpfender
Krankheiten auftreten, und deshalb dem tödtlichen Ausgange nahe
vorausgehen sieht. „Hier ist er deshalb prognostisch ein schHmmes
Zeichen." ^ Henry T. Butlin^) sagt: "It occurs almost only in
adults who are subjects of slowly progressive and fatal diseases."
Gleicher Ansicht ist Jules Simon^) : „Le muguet survenant ä la fin
des maladies consomptives, la phthisie par exemple, se montre comme
l'expression symptomatique d'une fin prochaine." In ähnlicher Weise
sprechen sich J. Solis-Cohen*^), Soltmaxn'), Leube^) und viele Andere
aus.
Der folgende Fall von Soor beansprucht ein gewisses Interesse,
weil er sich bei einem Erwachsenen, der sich vorher der allerbesten
Gesundheit erfreut hatte, während der vorherrschenden Influenza-Epi-
demie, nach dreiwöchentlicher Krankheitsdauer, entwickelte.
Am 18. Januar 1890, wurde ich spät Abends in grosser Eile zu
einem Patienten des Herrn Dr. Wm. Carson gerufen, um eine heftige
Nasenblutung zu stillen. Der Patient, ein junger Mann von 17 Jahren,
ausserordentlich kräftig entwickelt für sein Alter, hatte seit etwa drei
Wochen einen schweren Anfall von Influenza, An demselben Tage
hatte er schon einmal leichtes Nasenbluten gehabt ; während des
Abends wurde es sehr stark, so dass die Eltern mit gewöhnlichen
Mitteln dasselbe nicht stillen konnten. Ich fand den Patienten sehr
geschwächt, so schwach in der That, dass er bei dem Versuche vom
') loc. citat.
2) Die Krankheiten d. Mundhöhle, d. Rachens u. d. Nase, Aufl.,
Leipzig und Wien, 1888, p. 187.
^) Diagnose u. Therapie d. Erkrankung d. Mundes u. Rachens. Stuttgart,
1886, p. 134.
4) Diseases of the Tongue. London, 1885, p. 383.
•^) Nouveau dict. de Med. et de Chirurg, prat., Paris, 1877. Tome 23,
p. 173.
6) Pepper's System of Medicine. Vol. II., p. 332.
') Realencyclop. der ges. Heilk., 2. Aufl., 1877. Bd. xviii., p. 376,
Specielle Diagnose d. inn. Krankb., 2. Aufl., p. 2X6.
56
Bett zu einem Stuhle zu gehen, der nur wenige Fuss entfernt war, ohn-
mächtig wurde. Die rhinoskopische Untersuchung ergab eine Erosion
an der linken Seite des knorpeligen Septums, aus welcher man das
Blut herauströpfeln sah, und an der Stelle, wo man in der Mehrzahl
der Fälle von Epistaxis die Ursache derselben findet. Cocain- und
darauffolgende Chromsäure-Application schlössen die Erosion und
brachten die Blutung zum Stillstande. Einige Tage später fand eine
nochmalige, geringe Nasenblutung statt, bei welcher Patient jedoch
nur wenig Blut verlor.
Am 27. Januar ersuchte mich Dr. Carson, da er krank war, den jun-
gen Mann wegen einer intercurrirenden Halsaffection in Behandlung
zu nehmen, die sich am Tage zuvor eingestellt hatte. Der junge Mann
schien mir bei meinem Besuche noch schwächer als früher zu sein.
Er klagte über Schmerzen im Mund und Halse, ausserordentliche
Trockenheit in demselben. Seine Temperatur war etwas über der
Norm, der Puls schwach, jedoch regelmässig. Status jpi^aes.: Die
Schleimhaut des weichen Gaumens und des Eachens ist tief roth,
ausserordentlich glänzend und trocken. Auf beiden Mandeln befinden
sich zahlreiche weisse Flecken von verschiedener Grösse, die sich
ohne grosse Mühe entfernen lassen. Das Bild, das sich zeigte, war,
man möchte sagen, typisch für Tonsillitis follicularis. Ein einfaches,
antiseptisches Gurgelwasser wurde verordnet, und im Allgemeinen das
frühere regime des Hausarztes beibehalten. Am folgenden Tage war
folgende Veränderung wahrzunehmen : Anstatt einer grossen Anzahl
weisser, disseminirter Flecken war jetzt eine zusammenhängende,
membranähnliche weisse Auflagerung auf beiden Mandeln. Aehnliche
weisse Flecken, von kleinerem Umfange, waren auf dem weichen Gau-
men und dem Zäpfchen zu sehen, ein Bild, das dem der Diphtheritis
sehr ähnlich war. Gegen diese Diagnose sprach jedoch die Tempera-
tur und der allgemeine Zustand des Patienten. Am folgenden Mor-
gen konnte ich eine Ausdehnung des Processes auf die Seiten und die
hintere Rachenwand wahrnehmen, und zu gleicher Zeit feststellen,
dass der Process sich herdweise verbreitete, und dass die grossen,
plaques-ähnlichen Auflagerungen sich aus kleinen, circumscripten
Herden durch Confluiren derselben bildeten. Es war nunmehr augen-
scheinlich, dass hier eine Mycose vorlag. Es war nicht schwierig ein
Stückchen dieser Massen vom Pharynx zu entfernen, unter denen die
Schleimhaut tief roth, und von samtartiger Rauhigkeit war. Das ent-
fernte Stückchen wurde von mir und Herrn Dr. J. L. Krouse mikros-
kopisch untersucht. Es bestand aus zahlreichen Epithelzellen und
einem Gemisch von Pilzmassen. Untersuchungen in ammoniakalischer
Lösung und in Glycerin wurden gemacht, gaben aber kein so gutes
Bild als wir erhielten, wenn wir nach tüchtigem Zupfen mit Nadeln in
einfachem Wasser untersuchten. Es ergab sich dann, dass die Pilze
Oidium albicansi) waren. In der That waren die zur Untersuchung
1) Cf. Einleitung, bez. der botan, Classi^catlon dießes Pilzes,
57
gelangenden Präparate typisch ; man konnte neben den Epithelzellen
deutlich die schlanken, gegliederten Mycelfäden, die Kerne in ihren
langen cylindrischen Zellen, die Sporangien und einzelnen Sporen
unterscheiden.
Während der folgenden Tage ereignete sich etwas ganz Unerwarte-
tes. Der weisse, membranartige Belag dehnte sich allmählig nach
oben in den Nasenrachenraum aus, wobei er schliesslich das ganze
Kachendach und die Gegend der Tuba Eustachii einnahm. Der Patient
empfand dieses Fortschreiten des Processes in sehr unangenehmer
Weise, indem er nicht nur ein höchst belästigendes Gefühl von Fremd-
körpern im Nasenrachenräume und der Völle des ganzen Kopfes hatte,
sondern auch an Schwerhörigkeit und snbjectiven Geräuschen litt.
Es war leicht und zugleich sehr interessant, das Fortschreiten der
Pilzmassen mit dem rhinoskopischen Spiegel zu verfolgen, wie sie nach
und nach die Choanen erreichten und dann sich in beide Nasenhöhlen
fortsetzten. Zur Zeit, als die Mandeln, der Gaumen und der untere
Theil des Rachens schon keine Auflagerungen mehr vorzeigten, er-
schienen dieselben zuerst im rechten Nasenloche, während sie im lin-
ken erst am folgenden Tage auftraten. Bei dieser Gelegenheit sah
Dr. Krouse den Patienten, und einige Massen, die von der Nasenhöhle
entfernt wurden, zeigten unter dem Mikroskop dieselben histologi-
schen Eigenschaften wie das erste, vom Pharynx entfernte Specimen.
Während dieser Wanderung der Pilzmassen durch die Nase litt Patient
ausserordentlich an Verstopfung der Nase.
Die lokale Behandlung bestand hauptsächlich in Auswaschen des
Nasenrachenraums und der Nase mit einer Lösung vonNatr. bicarbon.
Die Dauer dieser Affection, von dem Tage an, wo sie zuerst bemerkt
wurde, bis zum Tage ihres Verschwinden von den Nasenlöchern, war
zwölf Tage. Während dieser Zeit war die Temperatur nie über 39,5°
gestiegen. Jedoch war Patient während der ganzen Zeit ausserordent-
lich schwach. In der That sah Dr. Carson ihn als denjenigen seiner
Patienten an, der am allermeisten die allgemeine Prostration nach In-
fluenza zu der Zeit zeigte. Seine Reconvalescenz ging sehr langsam
vor sich, und es bedurfte vieler Wochen und einer Reise nach Cid
Point Comfort und Florida, bevor er seine frühere Gesundheit wieder
erlangt hatte.
Wir haben es hier mit einem Falle von Soor beim Erwachsenen zu
thun, der in Folge eines ungewöhnlich heftigen Anfalls von Influenza
sehr geschwächt war. Der Punkt grössten Interesses scheint jedoch
die Lokalität zu sein, in welchem sich der Pilz entwickelte. Man mag
zugeben, dass die Pilzwucherung ihren Ursprung irgendwo an der
Zunge, dem gewöhnlichsten Sitz dieser Affection, genommen habe,
selbst einige Tage bevor die Halssymptome zur Untersuchung des
Halses aufforderten. Nachdem der Soor die Mandeln und die Rachen-
wand erreicht hatte, nahm er einen ganz ungewöhnlichen Verlauf, als
er von dort in den Nasenrachenraum fortwucherte und von dort in die
J^aseßliöhlen, bis er a» den ^^senlöcbern angelangt war uftd Wer durcli
58
die Epidermis am weiteren Fortschreiten verhindert wurde. Die
meisten Autoren sind der Ansicht, dass die Gegenwart von Pflaster-
epithel eine der Hauptbedingungen für die gedeihliche Entwickelung der
Soorpilze sei, und dass aus diesem Grunde die Nase beinahe immer
von der Ansiedelung dieses vegetabilischen Parasiten verschont bleibe.
So sagt Henoch') ; " Bemerkenswerth ist, dass der Soor, auch wenn
er im Pharynx noch so stark entwickelt ist, sich doch nie in die hintere
Partie der Nasenrachenhöhle hineinerstreckt." Eichhorst^) citirt
Keubold, dass Schleimhäute, die mit Cylinder- oder Flimmerepithel ver-
sehen sind, energischen Widerstand gegen das Wachsthum des Soors
bieten. Nur in Ausnahmefällen würde er im Magen, in der Nase
u. s. w. gefunden. Auch Bütlin^) und Vogel-*) sprechen von dem Auf-
treten des Soors als auf diejenigen Theile der Schleimhaut beschränkt,
die Plattenepithel haben. Jules Simon-^) sagt : „Rarementil s'etend ä la
face posterieure du pharynx et jamais on ne le voit se propager dans
la cavite des fosses nasales, ni dans la trompe d'Eustache." Ferner
sagen J. Solis-Cohex*^), Adolph Struempell") und andere, dass Soor
nie im Nasenrachenraum oder der Nasenhöhle beobachtet sei. Da-
gegen finden wir jedoch, dass Schech») und Moldenhauer^) von der
Möglichkeit sprechen, dass der Soorpilz vom Mund und Pharynx in
die Nase wandere, bei Kindern sowohl als auch bei Erwachsenen in
marantischen Zuständen, obwohl Flimmerepithel keinen günstigen
Boden für das Wachsthum des Pilzes abgebe. Soltmannw) schreibt :
„Wie nach unten, so wuchert umgekehrt der Mycel auch nach auf-
wärts, ohne sich durchaus nicht an die Pflasterepithelstätten zu hal-
ten; denn man findet bei Kindern mit angeborener Gaumenspalte auch
die Schleimhaut des Vomer und der Conchen mit Soormassen gefüllt.
Und Valentini'), in Bern, hat den Fall eines neunjährigen Mädchens
berichtet, bei dem der Soor sich über die Schleimhaut des harten
Gaumens, des Nasenrachenraums und der Gegend des Ostium tubae
Eustach. erstreckte, und wo der Pilz im Mittelohr gefunden wurde, wo
die Nase jedoch frei blieb. Und F. Förch heim er i-) spricht sich in die-
ser Beziehung so aus, dass „Plattenepithel eine sehr untergeordnete
Rolle in der Entwickelung des Soors spiele".
') Vorlesungen üb. Kinderkrankh., II. Aufl., Berlin, 1888. p. 80.
2) Loc. citat.
3) Loc. citat.
4) Ziemssen's Specielle Pathol. u. Therap., II. Aufl., Leipzig, 1878, vol.
VII., p. 64.
Loc. citat.
6) Loc. citat.
7) Lehrb. d. speciell. Pathol. u. Therap., III. Aufl., Leipzig, 1886, vol. L,
p. 515.
s) Loc. citat.
9) Die Krankheit, d. Nasenhöhlen. Leipzig, 1886, p. 126.
1") Loc. cit.
Ji) Citirt von Sajous' Annais of the Univers, Med. öcienc 1889, vol. IV., c, 16.
ItQQ, citat,
59
Dieser Fall stellt demnach zwei Thatsachen fest: Erstlich, dass Soor
sich beim Erwachsenen im Gefolge acuter Krankheiten, die mit grosser
Schwäche einhergehen, einstellen kann, und dass sein Auftreten als
ein prognostisch nicht so absolut schlechtes Zeichen anzusehen ist, als
einige Autoren zu glauben scheinen; und zweitens, dass Soor, wenig-
stens in Ausnahmefällen, sich in der Nasenhöhle entwickeln kann, ein
Beweis, dass Flimmerepithel nicht ein unüberwindbares Hinderniss für
seine Entwickelung abgibt. Ob ähnliche Fälle während der letzten
drei InÜuenza-Epidemien beobachtet worden sind, konnte ich aus der
mir zur Verfügung stehenden Literatur nicht ersehen.
366 West Eighth strebt.
IV.
Ein Fall von haemorrhagischem Exanthem nach Jodsalzen.
Von
Dr. Hoening,
Hoboken.
Am 4. Mai 1891 kam Mr. E., 64 Jahre alt, wegen einer Infiltration
der Oberlippe in meine Behandlung. Ausser einem kurze Zeit dauern-
den Icterus vor drei Jahren ist er niemals ernstlich krank gewesen.
Er ist auffallend starkknochig und musculös. Organe gesund, ausser
beginnender Cataract des linken Auges und leichter Sclerose der Kadia-
lis und Temporaiis. Syphilitische Infection wurde geleugnet ; auf der
Haut, an Lymphdrüsen, Knochen und Schleimhäuten nichts für Lues
Beweisendes. Die ganze rechte Hälfte der Oberlippe wird von einer
knorpelharten ziemlich glatten Infiltration von Grösse und Form einer
halben Wallnuss eingenommen, welche innerhalb der letzten vier
Monate entstanden sein soll. Erst seit einigen Wochen besteht eine
frischrothe runde Erosion von etwa einem halben Centimeter Durch-
messer am Lippenrande, deren Grund weich ist und leicht blutet, wäh-
rend der Eand sich derb anfühlt und etwas erhaben ist. Die ganze
Anschwellung ist wenig schmerzhaft, die Lymphdrüsen des Mund-
bodens sind auf beiden Seiten gleich gross, weich und unempfindlich.
Die Operation wurde abgelehnt, und ich verordnete Kai. jodat., Natr.
jodat. aa 10,0 Aq. 150. Dreimal täglich 1 Theelöffel voll in 1 Glase
Wasser. Nach zwei Wochen schien mir die Geschwulst in der Peri-
pherie etwas weniger derb zu sein. Nachdem innerhalb zwanzig Tagen
vierzig Gramm Jodsalze verbraucht waren, erschien im Zeitraum von
zwei Tagen ein haemorrhagisches Exanthem von papulösem Character,
über den ganzen Körper verbreitet. Jucken und Brennen in der Haut,
leichte Fieberbewegungen (bis 38,3) und Stirnkopfschmerz begleiteten
die Eruption. Zugleich trat Heiserkeit und leichte Bronchitis auf.
Am Gaumenbogen beiderseits unregelmässig fleckige Köthe, Wangen-
ßchleimtiaut frei, Pie Untersuchung des Kehlkopfs w^r wegen starker
60
Brechneigung nicht ausführbar. Eine']Woche nach erfolgter Eruption
trat rechterseits eine plastische Iritis auf, sowie lästiges Kauschen in
den Ohren. Die Erosion nahm allmählich den Character eines Ge-
schwüres an, secernirte aber wenig. Eine Probeexcision ergab Epithe-
liom, und die ganze Geschwulst wurde exstirpirt. Heilung per primam,
bis jetzt kein Recidiv. Die Geschwulst bestand aus einer Epithel-
wucherung mit seichten Zapfen an der Stelle des Geschwüres; die
Hauptmasse bestand aus einem derben bindegewebigen Gerüste mit
reichlicher Einlagerung von Rundzellen, welche etwas kleiner waren als
Leukocythen. Keine necrotische Partien, keine Riesenzellen. Das
Exanthem verbreitete sich über die ganze Körperoberfläche, selbst über
den behaarten Kopf, in den Handtellern und Fusssohlen, zwischen den
Fingern, an Penis und Scrotum.
Zuerst erschienen derbe Quaddeln von Linsengrösse bis zur Grösse
eines Shillings, wenig prominirend. Diese erhoben sich in den näch-
sten Tagen deutlich über das Niveau der Haut und wurden dunkelroth
bis bläulich. Nach anhaltendem, kräftigem Druck erschien jede solche
Papel blaugrau. Die Streckseiten der Extremitäten waren bevorzugt.
Am rechten Arm bis zum Ellbogen zählte ich 32 solche Stellen. Am
Scrotum begannen mehrere der Papeln oberflächlich zu nässen ; Bor-
säurepuder beseitigte dies bald. Das Jucken und Brennen wurde durch
warme Bäder und Menthol- Vaseline gemildert. Die Iritis verlief unter
Atropin in schwach erhelltem Zimmer günstig. Heiserkeit und Ohren-
sausen verloren sich erst nach etwa sieben Wochen. Ein auffallendes
Verhalten bot der Puls dar, indem jeder vierte oder fünfte Schlag aus-
setzte, was zwei Wochen andauerte. Nach acht Wochen waren
die Erhabenheiten in das Niveau der Haut zurückgesunken. Die
grösseren Papeln, besonders an den Stellen wo die Cutis dünn ist, zeig-
ten feine weisse Abschilferung ; einige dieser Stellen an Handrücken
und Stirne sind noch jetzt gelbbraun. Der Allgemeinzustand ist gut.
Es handelt sich mithin um ein ächt haemorrhagisches Exanthem nach
mäsoigem Jodgebrauch. Die Haut war stark betheiligt, die Schleim-
häute weniger. Ob das Alter des Patienten und die bestehende Arterio-
sclerose die Gefässzerreissung begünstigte, oder ob dieselbe als Folge
einer speciflschen Arteriitis aufzufassen ist, wage ich nicht zu entschei-
den. Jedenfalls enthielt die excidirte Geschwulst nichts, was das Be-
stehen einer Syphilis bewiesen hätte.
192 Hudson Str.
61
NEW YORKER MEDICINISCHE MONATSSCHRIFT.
Organ für praktische Aerzte in Amerika.
Redigirt von
De. f. C. heppenheimer.
EDITORIELLE NOTIZEN.
15. Februar 1892.
Die Erreger der Influenza.
Die Deutsche Medicinische Wochenschrift vom 14. Januar 1892 bringt
drei wichtige Arbeiten, welche alle für die Aetiologie der Inßuema
grundlegend sind. R. Pfeiffer hat zunächst einen bei den Influenza-
kranken vorkommenden charakteristischen Bacillus entdeckt; Kit asato
ist es gelungen, Reinculturen von diesem Bacillus aus dem Sputum der
Influenzakranken anzulegen; und Canon hat schliesslich nachgewiesen,
dass dieselben Bacillen sich auch im Blute der Influenzakranken vor-
finden. Am bedeutungsvollsten ist die Arbeit von Pfeiffer, in welcher
Verfasser folgende Schlüsse aufstellt, die wir mit seinen eigenen Worten
hier wiedergeben möchten:
1. In allen Fällen von Influenza fand sich in dem charakteristischen
eiterigen Bronchialsecret eine bestimmte Bacillenart. Diese Stäbchen
waren in uncomplicirten Influenzafällen in absoluter Reincultur und
meist in ungeheuren Mengen nachweisbar. Sehr häufig lagen sie im
Protoplasma der Eiterzellen. Befällt die Influenza Personen, deren
Bronchien schon vorher anderweitig erkrankt waren, z. B. Phthisiker
mit Cavernen, dann findet man im Auswurf neben den Influenzastäb-
chen auch andere Mikroorganismen in wechselnder Menge. — Aus den
Bronchien können die Bacillen in das peribronchitische Gewebe ein-
dringen, und sie gelangen sogar bis auf die Oberfläche der Pleura, wo
sie im eitrigen Belage in zwei obducirten Fällen in Reincultur ange-
troffen wurden.
2. Diese Stäbchen wurden ausschliesslich bei Influenza gefunden.
Sehr zahlreiche Controlluntersuchungen ergaben ihre Abwesenheit bei
gewöhnlichen Bronchialkatarrhen, bei Pneumonieen und Phthisen.
3. Der Bacillenbefund hielt gleichen Schritt mit dem Verlaufe der
Krankheit, erst mit dem Versiegen der eiterigen Bronchialsecretion
verschwanden auch die Stäbchen.
4. Die gleichen Bacillen hatte ich schon vor zwei Jahren bei dem
ersten Auftreten der Influenza in Sputumpräparaten Influenzakranker
in derselben ungeheuren Menge gesehen und photographirt.
5. Die Influenzabacillen erscheinen als winzig kleine Stäbchen,
etwa von der Dicke der Mäusesepticämiebacillen, aber nur der halben
Länge derselben. Oefters findet man drei bis vier Bacillen kettenför-
mig aneinandergereiht. Mit den basischen Anilinfarben lassen sie sich
ziemlich schwierig färben. Bessere Präparate erhält man mit ver-
dünnter ZiEL'scher Lösung und mit heissem LoEFFLER'schen Methylen-
blau. Dabei sieht man fast regelmässig, dass die Endpole der Bacillen
62
den Farbstoff intensiver aufnehmen, sodass Bilder entstehen, die man
sehr leicht mit Diplokokken oder Streptokokken verwechseln kann.
Ich möchte in der That glauben, dass einige der früheren Beobachter
die von mir beschriebenen Bacillen gleichfalls gesehen haben, dass sie
aber, durch das besondere tinctorielle Verhalten getäuscht, dieselben
als Diplo- oder Streptokokken beschrieben haben. Der GRAM'schen
Färbung sind sie nicht zugänglich. Im hängenden Tropfen sind sie
unbeweglich.
6. Diese Bacillen lassen sich in Keincultur erhalten. Auf 1^%
Zuckeragar erscheinen die Colonieen als kleinste, oft nur mit der Lupe
wahrnehmbare, wasserhelle Tröpfchen. Die fortgesetzte Cultur auf
diesem Nährboden macht Schwierigkeiten und ist mir über die zweite
Generation hinaus bisher nicht gelungen.
7. Es wurden zahlreiche Uebertragungsversuche auf Affen, Kanin-
chen, Meerschweinchen, Ratten, Tauben und Mäuse vorgenommen.
Nur bei Affen und Kaninchen können positive Resultate erhalten wer-
den. Die übrigen Thierspecies verhalten sich gegen Influenza re-
fractär.
8. Ich halte mich nach diesen Ergebnissen für berechtigt, diese eben
beschriebenen Bacillen als die Erreger der Influenza anzusprechen.
9. Die Ansteckung erfolgt sehr wahrscheinlich durch den mit
Krankheitskeimen überladenen Auswurf, und es muss demnach in
prophylaktischer Beziehung die Unschädlichmachung des Auswurfs
Influenzakranker dringend gefordert werden.
FEUILLETON.
Der Uebergang der Arzneidispensirung in die Hände der
Aerzte.
Von
Dr. FR. HOFFMANN,
New York.
Wenn man die seit Jahren in der Fachpresse und in Vereinsver-
sammlungen geführten Diskussionen, Vorschläge und ,, Pläne " über
die in dem Vordergrund stehende Tagesfrage der sogenannten „ Preis-
schneiderei " summirt, so hat es den Anschein, als ob die Aufgaben
und der Zweck der Pharmacie hauptsächlich nur noch in dem Handel
mit Verkaufs- und gebrauchsfertig gelieferten Specialitäten {Froprietary
articleti), mit Geheimmitteln, mit allerhand Galanterie- und Luxus-
waaren, mit Tabak und Cigarren, und in dem Ausschank von Erfrisch-
ungsgetränken und Spirituosen bestände, und als ob das ursprüngliche
legitime Arbeits- und Erwerbsgebiet, die Arzneidispensirung auf
ärztliche Verordnung, die sogenannte Receptur, Nebensache geworden
oder abhanden gekomtnen sei. In Wirklichkeit ist wohl das eine wie
das andere der Fall. Bei den ausserordentlich ungleichen Zuständen
in den verschiedenen Theilen des Landes hinsichtlich der Herkunft
und ursprünglichen Nationalität, sowie der Vertheilung und der Dichte
der Bevölkerung, der Sitten und Gebräuche, sowie des ungleichen
Wohlstandes derselben, repräsentiren auch die mehr als 32,000 „ Drug-
stores'' nach ihrer Vertheilung auf dem Lande und in den mittleren
63
oder grösseren Städten, und in diesen in den verschiedenen Stadtthei-
len, ein sehr ungleichartiges Contingent hinsichtlich ihrer Geschäftsart
und ihres Geschäftsumfanges und Betriebes. Ein Bruchtheil derselben,
namentlich in den grösseren Städten mit reicheren Bevölkerungsklassen
und mit Aerzten in lucrativer Praxis, mag noch ein einträgliches Re-
cepturgeschäft nach altem Herkommen haben. Diese sind indessen
die Ausnahmen. In der grossen Mehrzahl unserer „ Drugstores
namenthch im Lande, bildet dasselbe nur noch einen geringfügigen
Factor im Geschäfts umsatz: ja die Zahl solcher Geschäfte, in denen,
ähnlich wie in England, das Erscheinen eines Receptes und die Anferti-
gung solcher ärztlicher Verordnungen, welche nicht nur ledighch in der
Angabe fertiger Artikel bestehen, zur Seltenheit wird, ist eine grosse
und ist stätig zunehmend. Als Beispiel wie weitgehend dieser Wandel
sich bereits vollzogen hat, genüge es, die Thatsache zu erwähnen, dass
in atlantischen und weit mehr noch in Inland- und den Golf-Staaten,
sowie an der Pacificküste Städte bekannt sind, welche bis zu 20 „ Dimg-
stores" haben, und darunter zuweilen solche in Händen tüchtiger
deutscher Pharmaceuten, in denen Receptur allmählig zur Mythe ge-
worden ist, weil alle Aerzte nicht nur selbst dispensiren, sondern auch
auf die Abgabe von Arzneien an ihre Patienten als einer durch Gewöh-
nung fest etablirten, vermeintlichen Prärogative und als wesentliche
Erwerbsquelle mit Argusaugen wachen.
Diese Erfahrung machen die Apotheker zunehmend im ganzen
Lande. Wo sich in mittleren und kleineren Orten der Gebrauch ärzt-
licher Verordnungen und deren Anfertigung in Apotheken theilweise
noch erhalten hat, da bezieht sich dies hauptsächlich auf die wohl-
habenderen Bevölkerungsklassen und auf wohlhabende ältere oder in
Europa gebildete Aerzte, oder auf solche, welche mit dem bevorzugten
Apotheker unter der Hand in gemeinschaftlicher Theilung des Ge-
winnes für die von ihnen gemachten und der betreffenden Apotheke
speciell zugewiesenen Verordnungen stehen. Indessen ist auch diese
sogenannte „ Receptur " im Laufe der Zeit und der Accommodirung
der Aerzte an die Gestaltung der modernen pharmaceutischen Fabrik-
industrie mehr und mehr der Art geworden, dass das manuelle Geschick
und die technische Fertigkeit der einstigen Apotheker k uns t dabei
wenig oder gar nicht zu Geltung kommen. Die Dispensirung besteht
vielmehr hauptsächlich nur noch in der Aufmachung von Verordnungen,
welche das Abmessen von dispensirfertig gekauften flüssigen Präpara-
ten (Elixire, Syrupe etc), öder das Abzählen ebenso erworbener über-
zogener Pillen, Tabletten, Suppositoria etc. erfordern.
In Folge dessen ist es nicht befremdend, dass die Zahl der jungen
Pharmaceuten, denen technische Fertigkeit und namentlich Uebung
und Gewandtheit in der eigenen Anfertigung dieser Arzneiformen sehr
oder völlig abgeht, stets zunimmt. Aus diesem Grunde und um den-
selben wenigstens eine flüchtige Kenntnissnahme dieser abhanden-
kommenden Kunst darzubieten, haben mehrere pharmaceutische
Fachschulen neuerdings begonnen, ihrem Unterrichtspensum eine Art
Practicum in der Receptur hinzuzufügen. Für die Mehrzahl der in
dieser Richtung unerfahrenen Studirenden hat der fragmentarische
EinbKck in diesen Theil der traditionellen Apothekerkunst indessen
nur theoretische Bedeutung, denn bei dem Rücktritt in die Geschäfts-
praxis bietet sich für deren Ausübung und Verwerthung stets geringer
werdende Gelegenheit dar.
Fragen wir nun nach den Ursachen des allmäligen Abhandenkom-
mens der Receptur und des Rückganges derselben in Apotheken, so ist
das Emporkommen und der massenhafte Gebrauch der Geheimmittel
und Specialitäten jedenfalls ein die ärztUche Arzneiverordnung wesent-
lich beschränkender Factor gewesen, und hat andererseits auch mitge-
1
64
wirktjdie Aerzte zum Selbstdispensiren zu veranlassen. Die hauptsächlicht
ste Ursache ist indessen wohl die Existenzfrage gewesen. Dafür sprich-
schon die aus der Statistik sich ergebende Thatsache, dass in den
Städten, ungerechnet der öffentlichen Dispensiranstalten und Hospitäler,
im Durchschnitt auf 800 bis 1200 Einwohner 1 Drugstore und auf 400
bis 600 Bewohner 1 Arzt kommen. Auf dem Lande mag sich dies Ver-
hältniss für beide Heilberufsarten etwas günstiger gestalten. Diese
Zahlen bekunden indessen, dass im Durchschnitt das legitime Geschäft
für Apotheker wie für Aerzte einen ausreichenden Erwerb nicht mehr
ergeben kann, so dass die Mehrzahl in beiden Berufszweigen andere
naheliegende Erwerbsquellen für ihre Existenz hinzuzuziehen hat.
Die Pharmacie hat das von jeher in ausgiebiger Weise gethan, ist
aber in der Annectirung von Verkaufsartikeln aus anderen Kleinhan-
delsbranchen so ziemlich an der Grenze angelangt. Anderseits sind
auch manche früher von derselben monopolisirten Waaren, wie z. B.
die Geheimmittel und Specialitäten, Parfüm erien, Seifen etc. mehr und
mehr in andere Handelsbranchen und in die modernen Waarenbazare
übergegangen und durch die im Detailhandel aller derartigen Artikel
eingetretenen Schleuderpreise unergiebige Verkaufsartikel geworden.
Daher die in der Existenz eines grossen Theiles der Apotheker einge-
tretene und zunehmende Calamität und die derzeitige Controverse über
Preissschneiderei und Unergiebigkeit im Geschäftsbetriebe.
Den Aerzen bietet sich ein beschränkteres Feld zur Aufbesserung
ihres Erwerbes dar. Nur die Minderzahl gelangt langsam und oftmals
erst in späteren Lebensjahren in eine befriedigend einträgliche oder
lucrative Praxis. Die grosse Mehrzahl müht sich in dürftiger Existenz
zur Erreichung dieses Zieles ab, greift aber mehr und mehr zu der
nächstliegenden Quelle eines Nebenerwerbes, der Selbstdispensirung
der Arzneimittel und wird damit auf dem legitimen Gebiete des Apothe-
kers dessen empfindlichster Conkurrent. Bei der einstmals spärlichen
Bevölkerung des Landes war die Führung und die Abgabe von Arznei-
en seitens der Aerzte früher ein Erforderniss, welches zur Haltung
gangbarer Hausapotheken der Aerzte und vielmals zur Etablirung ärzt-
licher „Drugstores" führte. Diese Verhältnisse gehören indessen längst
der Vergangenheit an, haben sich aber in umgekehrter Kichtung
neuerdings in so fern wieder eingestellt, als die Menge der von den
zur Zeit nahezu 160 ärztlichen Schulen alljährlich in's Land gehenden
Aerzte im Verhältniss zur Bevölkerungszahl derart angewachsen ist,
dass für die Mehrzahl derselben durch die Ausübung der abstracten
Praxis allein kein hinlängliches Arbeits- und Erwerbsfeld vorhanden
ist. Dieselben kehren daher für Existenz zu dem einstigen Modus des
Selbstdispensirens zurück und festigen diesen Brauch in der eigenen
Praxis und im Publikum. In vielen Gegenden und Orten ist das Pub-
likum schon in dem Maasse an die Arzneidispensirung an Kranke seitens
der Aerzte gewöhnt, dass man sich für die Anfertigung oder die Repe-
tition von Arzneien auf anderweitig oder auf Reisen erhaltener Recepte
nicht an die „Drugstores", sondern an den selbstdispensirenden Fami-
lienarzt wendet, weil jene vielfach nicht mehr als Anfertiger und Dis-
pensirer, sondern als Händler von verkaufsfertigen Arzneien gelten.
In Wirklichkeit ist ja auch in vielen Geschäften der Arzneibetrieb und
Handel der geringere Theil des Waarenlagers und des Umsatzes.
Der Brauch des ärztlichen Selbstdispensirens findet im Weiteren zu-
nehmend Förderung und Boden in den ärztlichen Schulen selbst, theils
aus Utilitäts- und humanen Rücksichten, theils aber auch in dem
Glauben, dass dem Interesse der Kranken und dem öffentlichen Wohle
damit besser gedient sei. Nicht nur die Mehrzahl der Professoren der
Materia medica und der Therapie befürworten und prägen den Studiren-
den der Medicin die Praxis sowie den Nutzen des Selbstdispensirens
65
ein, i) sondern auch die ärztliclien Fachblätter befürworten diesen
Brauch, und die CUnilcen und Post-graduate Schulen und deren ''Dispen-
saries " geben dafür theoretische und praktische Anleitung und Uebung.
Diese Praxis wäre aber, Angesichts einer so grossen Ueberzahl von
Apotheken, welche alle nach Absatz und Erwerb um jeden Preis rin-
gen, nicht leicht und biUig für jeden Arzt ausführbar, wenn nicht die
neuere Gestaltung des Arzneiwesens und der pharmaceutischen Fa-
brikindustrie die Wege dafür gebahnt hätte und alle Mittel in com-
pacter, dosirter, dispensir- und gebrauchsfertiger Form lieferte. Da-
mit wird den Aerzten das armamentarium meclicinae in ähnlich hand-
licher Form für Selbstdispensirung geliefert, wie es bisher nur die ho-
möopathischen Aerzte besassen und von vorneherein sich zu Nutze ge-
macht haben. Zur Führung der gebräuchlichsten Arzneimittel in der
Concentration der Fluidextrakte, der Pillen, der Tabletten für inneren
Gebrauch sowie zur Herstellung subcutaner Injectionen, der Supposi-
toria u. s. w. gehört nur ein geringer Raum im Consultationszimmer
und in dem Hand-Etui des Arztes. Dieser Praxis leisten Fabrikanten
und der En gros-Drogenhandel allen Vorschub, indem sie, ausser den
Apothekern, mehr und mehr auch die Aerzte durch Geschäftsreisende,
vielmals studirte Aerzte, für die Einführung und den Absatz ihrer
Produkte besuchen lassen, und durch Gratisproben in eleganten wohl-
gefüllten Etuis mit Gehalt- und Gebrauchsanweisung aller neuen Ar-
tikel, mit Umgehung der Apotheker, direkt durch die Aerzte Eingang
zu verschaffen wissen. Auch dient im weiteren dafür die Herausgabe,
an Aerzte gratis ausgesandter, instruktiver Kataloge, Prospekte und
Monatsschriften.
Die Aerzte werden somit von allen Seiten und in nachhaltiger Weise
zur Selbstdispensirung herangezogen ; die grosse Mehrzahl ergreift die
dargebotene Instruktion und die ergiebige Erwerbsquelle um so be-
reitwilliger und gewöhnt sich und das PubUkum daran, als dieses da-
durch desto fester an den Arzt gebunden wird, und sich nicht nur für
ärztliche Behandlung, sondern auch für Arzneibedarf vorzugsweise an
diesen hält.
Mag dieser Wandel, wie zuvor erwähnt, in den grössten und grösse-
ren Städten sich bisher für die Mehrzahl der Apotheker weniger fühl-
bar machen und mögen die besser situirten sich ihrer begünstigten
1) Wie weit diese Stellungnahme namhafter ärztlicher Lehrer und Autoren
geht, mag von vielen nur durch ein Beispiel aus einem der gebräuchlicheren
und besten Lehrbücher der ''Maieria medica. Pharmacy and Therapeuiics" von
Prof, Dr. L. O. L. Potter (2. Aufl. 1890, S. 434 und 444) bezeichnet werden:
"It is a fact familiär to every observer, that the old-time confidential re-
lations between the professions of physician and pharmacisthave almostpassed
into oblivion. The tendency of pharmacy of the present day is towards the
Position of a mere trade in drugs and nostrums. The drug störe has degene-
rated so far from its legitimate business, that physicians are compelled in seif
defense to dispense their own medicines, thereby protecting their patients as
well as their own interests. . . . If physicians take the dispensing of medicines
into their own hands the evils of the nostrum-nuisance and counter-practice
will largely be eliminated. There is nothing unprofessional or deragatory in the
dispensing of his own medicines by ihe physician. In England it has been the uni-
versal practice for centuries in all places except the largest cities . . It is high
time, that physicians assert their independence from the drug-store and make
use of those means which are recommended by their individuul judgment as
promotive of the best results to their patients and themselvs. To this end a
small stock of reliable fluid-extracts, of gelatine-coatedpills and compressedor
triturate-tablets is sufficient."
I
66
Stellung erfreuen und dem Abhandenkommen und dem Verfall der
Receptur im Lande mit Gleichgültigkeit oder Zweifel gegenüber-
stehen, so ändert dies nichts an der Thatsache, dass die vorstehende
Schilderung des allmähligen Ueberganges der Arzneidispensirung in
die Hände der Aerzte eine durchaus zutreffende ist und von der grossen
Mehrzahl qualificirter Apotheker des Landes vielleicht schwerer
empfunden wird, als in den grösseren Städten der Uebergang des Ge-
heimmittel- und Specialitätenhandels in die Bazare.
Dieser Gestaltung des Arzneidispensirwesens steht die Pharmacie
machtlos gegenüber. Die Zahl und die Macht der Aerzte sind zu
gross, um jemals auf legislativem Wege diesem theil weisen Ueber-
gange des Arzneidispensirens aus der Hand der Apotheker in die der
Aerzte Einhalt zu thun. Auch gehen das Interesse und das Eingreifen
der Staatsgewalt hier nicht weiter, als Bestimmungen für die gute
Qualität der Arzneimittel und für die Qualification der Dispen-
sirenden festzustellen und so weit als thunlich zu kontrol-
liren. Ob Apotheker oder Arzt diese Mittel an den Kranken abgeben,
ist dem Staate gleichgültig. Für die Qualität der fertig gekauften
Mittel ist in letzter Instanz der Darsteller derselben, der Fabrikant
verantwortlich. Diese üben bei grosser Konkurrenz, zur Zeit unter
sich eine strenge Kontrolle und leisten im Bestreben der Erhaltung
des guten Geschäftsrenommes eine weit sicherere Gewähr für die Güte
ihrer Produkte, als sie alle Gesundheitsämter herbeizuführen oder zu
erhalten vermögen. Das zuweilen gehörte Argument, dass Fabrikan-
ten an Aerzte theilweise weniger gute Präparate liefern, als an Apothe-
ker, ist ein willkürliches und unbewiesenes. Das Risiko für den Fa-
brikanten ist in dem einen wie anderen Falle das gleich grosse, und es
ist für Aerzte von nicht geringerem Interesse und ebenso leicht, wie
für Apotheker, sich gelegentlich und in Zweifelfällen von der Qualität
der Mittel selbst oder durch Andere zu überzeugen.
Mit der neuerdings angestrebten Modification der Pharmaciegesetze
in der Weise, dass Aerzte von der Haltung von Apotheken ausge-
schlossen oder nur dann dazu berechtigt sein sollen, wenn sie eine Prü-
fung vor einer Staats-Pharmacie-Commission bestanden haben, dürfte
für die Pharmacie für die Dauer weniger erreicht werden, als vielfach
angenommen wird, denn das Selbstdispensiren in der eigenen Praxis
kann den allopathischen ebensowenig wie den homöopathischen Aerz-
ten entzogen werden. Auch werden jedem dahin gehenden Versuche,
sowie jeder Verkürzung ihrer vermeintlichen Prärogative, immerdar
der gesammte Aerztestand, dessen Vereine, die ärztlichen Schulen und
deren Alumni- Associationen, sowie die ärztliche Presse in geschlosse-
ner Phalanx entgegentreten.
Mit diesen Factoren muss die Pharmacie in dem sich stetig zu-
spitzenden Existenzkampfe rechnen. Dieser wird sich, wie wieder-
holt in diesen Spalten erörtert, innerhalb der eigenen gewerblichen
Sphäre im Laufe der Zeit nolens volens durch grössere Sonderung der
beruflichen von der rein mercantilen Geschäftspraxis in ähnlicher
Weise wie in älteren Culturländern gestalten. Mag bei der Grösse,
dem Räume und den Ressourcen unseres weiten Landes, bei dessen
Entwickelungsfähigkeit und grösserem Wohlstande, sowie der Elasti-
cität, welche diese Prämissen und die Gewerbefreiheit in mancher
Richtung noch darbieten, diese Metamorphose sich weniger empfind-
lich und in längeren Zeiträumen, als es z. B. in England geschehen
ist, vollziehen, so bekunden die bezeichnete Ueberfüllung des Aerzte-
berufes und die Erfordernisse für ihren Erwerb und Existenz, die
Gestaltung des Arzneiwesens und -Handels, sowie die gewerbliche
Strömung der neueren Zeit unverkennbar, dass die Bahn der
67
legitimen Pharmacie sich stetig verengt und dass der Existenz-
kampf derselben kein geringerer, als auf anderen Handels- und Ge-
werbsgebieten ist und bleiben wird. Vor diesen hat die Phar-
macie allenfalls den Gewinn voraus, dass sie durch ihre traditionelle
Stellung im Heilberufe, durch die in derselben verbleibenden conserva-
tiven Elemente, durch ihre Fachschulen und durch den Bestand, die
■Weitergestaltung und Festigung der Pharmaciegesetze auf dem Wege
und in der Lage ist, den früher oder später unvermeidlichen Läute-
rungs- und Sonderungsprocess, allerdings nicht ohne Decimirung, wohl
zu bestehen.
Mag sich indessen das berufliche Gebiet des Pharmaceuten auch
für die Zukunft nicht erweitern lassen, mag es sich auf dem Lande in
mancher Weise anders als in grösseren Städten gestalten, für den um-
sichtigen, beruflich geschulteren und mercantil gebildeteren und ge-
wandteren Theil, welcher sich den modernen Anforderungen und den
Zeitverhältnissen anzupassen vermag, wird auf der Arena der Heil-
kunst und des Sanitätswesens auch für die Pharmacie nach wie vor ein
zustehendes Arbeitsfeld verbleiben.
REFERATE.
Innere Medicin. — Referirt von Dr. AD. ZEDERBAUM.
Ueber Sarcom mit sogenanntem chronischem Rückfallfieber. Von Dr.
C. Puritz in St. Petersburg. (Virchow's Arch., Bd. 126, Heft 2.)
W. Epstein beschrieb im Jahre 1887 eine „ neue " Infectionskrank-
heit, die sich durch einen eigenthümlichen klinischen Verlauf, haupt-
sächlich aber durch eine eigenartige typische Fiebercurve auszeichnet.
Die Krankheit wurde von ihm „ chronisches Rückfall fieber" benannt.
Aehnliche Fälle wurden seitdem von Pel, Renvers, Haiisek, Voelkeks
u. A. veröffentlicht. Der pathologisch-anatomische Befund bei sämmt-
lichen dieser zur Autopsie gelangten Fällen ergab, als Grundlage der
Krankheit, ein Neoplasma, u. z. ein malignes Lymphosarcom. P., der
ebenfalls einen solchen Fall gründlich zu studiren Gelegenheit hatte,
fand, dass die Fiebercurve keinen recurrirenden, sondern eher einen
wellenartigen Verlauf darstelle. Er stimmt mit E. überein, dass die
Krankheit auf eine sarcomatöse Neubildung in den lymphatischen
Drüsen oder in anderen Organen beruhe, und dass dieselbe einen
infectiösen Ursprung habe. Für letzteres spreche die eben eigenartige
Fiebercurve, die von sämmtlichen Beobachtern constatirt werden
konnte. Ein entsprechender Microbe ist zwar bis jetzt für die Krank-
heit noch nicht gefunden worden, doch giebt es ja bekanntlich eine
Reihe von anderen Krankheiten (Masern, Scharlach, Flecktyphus, Pest,
Gelbfieber etc.), die wir, nur auf Grund der klinischen Thatsachen, für
unbedingt infectiöse halten, ob zwar die Erreger derselben bisher noch
nicht entdeckt worden sind. In den Schnittpräparaten, die P. gleich
nach der Autopsie aus der Neubildung verfertigt und mit Methylenblau
gefärbt hatte,|fand er übrigens, im Protoplasma der Zellen, kleine Körn-
chen eingestreut, die viel intensiver gefärbt erschienen, als das übrige
Plasma. Diese Körnchen machten auf ihn den Eindruck von Parasiten,
welche vielleicht dem Reiche der Protozoa angehören. Doch legt P.
nicht darauf das Hauptgewicht, sondern vielmehr auf die wellenartige
Fiebercurve, welche, nach seiner Ansicht, vorkommendenfalls ein sonst
bei Lebzeiten nicht festzustellendes inneres Sarcom zu diagnosticiren
ermöglicht.
68
A case of so-called Laryngeal Vertigo. By Dr. I. Adler in New York. —
(The N. Y. Med. Journal, Jan. 80., 1892.)
Ein bis daiiin gesunder, kräftig gebauter 53jäiiriger Mann wird, im
Anschluss an eine Bronchitis,von heftigen, Anfangs selten, später immer
häufiger auftretenden Hustenanfällen befallen, welche im weiteren Ver-
laufe von kurzdauernder, jedoch absoluter Bewusstlosigkeit begleitet
tiind. Eine Aura pflegt diesem Zustande nicht voranzugehen : ohne
Aufschreien, ohne sonstige objectiv wahrnehmbare Veränderungen,
aber auch ohne jedwede subjective Sensationen stürzt P., inmitten eines
Hustenanfalles, zu Boden hin, um jedoch schon nach kürzester Zeit sich
von selbst aufzurichten, als ob gar nichts geschehen wäre. Nach Aus-
sage der Hausgenossen ist während dieser Anfälle das Gesicht des P.
roth und turgescent. P. selbst gibt an, dass er jedesmal die Empfin-
dung habe, als ob er ersticken müsse ; er habe das Bedürfniss zu husten,
sei aber nicht im Stande, einen Hustenstoss hervorzubringen. Interne
sowohl, als lokale Behandlung erwies sich vollständig erfolglos. Der
Zustand desP. verschlimmerte sich immer mehr, namentlich seitdem er
in der Zwischenzeit einen InfluenzaAnfall durchgemacht hatte. Und
doch konnte, trotz mehrmals vorgenommener sorgfältigster Unter-
suchung, nichts Derartiges entdeckt werden, was als direkte Veran-
lassung für diese sonderbaren und beängstigenden Anfälle angesprochen
werden könnte ! Eine Abnormität indessen, die Anfangs, wegen ihrer
geringen Bedeutung, wenig beachtet wurde, zog jetzt auf sich die Auf-
merksamkeit: das Zäpfchen erwies sich übermäsbig verlängert. Nach-
dem alle möglichen therapeutischen Massnahmen zu absolut keinem
Hesultat geführt hatten, entschloss sich A. das Zäpfchen zu kürzen.
Hatte doch Gleitsmann einen ähnlichen Fall durch Entfernung von
adenoiden Vegetationen am Zungengrunde geheilt, und Charcot durch
Cauterisation in einem Falle von granulöser Pharyngitis denselben
Effect erzielt! Der Erfolg blieb auch hier nicht aus; nach dieser Opera-
tion ereignete es sich zum ersten Male, dass P. zunächst in 24 Stunden
blos einen Anfall hatte. Von da ab verminderte sich die Zahl der Anfälle
stetig, bis sie zuletzt dauernd ausblieben. In welcher Weise das Zäpfchen
vorher die beschriebenen Anfälle auslöste, lässt sich mit Sicherheit nicht
erklären. Wahrscheinlich geschah dies durch direkte Reizung der Rima
glottidis. — Dieser Fall gehört in die Kategorie der zuerst von Chakcot
beschriebenen Laryngealky^isen. Charcot ist geneigt dieselben als eine
Krankheit sui generis, ähnlich der sogen. MENiERE'sehen Krankheit, auf-
zufassen. A. selbst sucht die von ihm geschilderten Symptome mit Hilfe
der bekannten WEBER'schen Experimente f olgendermassen zu erklären.
Die forcirten exspiratorischen Bewegungen des Thorax bei krampf-
haft geschlossener Glottis bewirkten im concreten Falle während einer
jedesmaligen Hustenattacke eine abnorme Steigerung des intrathoraci-
schen Druckes, welche schliesslich eine derartige Höhe erreichte, dass
nicht allein das Herz selbst, bis zu einem gewissen Grade, sondern in
erster Reihe auch die beiden Hohlvenen comprimirt wurden. In Folge
dessen wurde der Zufluss des Blutes zum Herzen erst vermindert und
später ganz abgesperrt; es stellte sich daraufhin im Gehirn eine
arterielle Isohaemie bei gleichzeitiger venöser Hyperaemie ein. Der
Puls wurde schwächer und verschwand zuletzt ganz und gar, das Herz
iiam zum Stillstand und würde in diesem Zustande verharren, falls
nicht jedesmal, noch bevor der Höhepunkt erreicht wurde, die Glottis
sich wieder eröffnen und normale Repiration sich von Neuem einstellen
würde. Dieser Vorgang sei es eben, der es verständlich macht, dass
«in heftiger Hustenanfall, wie im vorliegenden Falle, einen vorüber-
gehenden Zustand von completer Bewusstlosigkeit herbeiführen
Iconnte.
69
Nouvelles recherches sur Temploi de la teinture de coronille bigardee
en th<'rapeutique. Par le Dr. M. V. Poulet, de Plancher-les Mines. —
(Bull. Gen. de T[ierapeuti(iiie, 15 Dee. 1891. j
Verf. spricht von den Wirkungen dieses Präparates mit Begeiste-
rung. Er gebraucht dasselbe seit 2 Jahren und führt eine Reihe von
Krankengeschichten an, die in der That geeignet sind Interesse für
dieses neue Herzmittel zu erwecken. Frühere Aufsätze über denselben
Gegenstand sind von ihm im „Bulletin de la Sociele de med. pratique",
23 Oct. 1891, und in den „Bulletins et Memoires de la Soc. de med. pra-
tique " veröffentlicht. Zu seinen Versuchen bediente er sich bisher
ausschliesslich der Tinktur, hergestellt aus der Gesammtpflanze von
Coronaria varia („Schaflinsen," „bunte Peitschen," aus der Familie der
Papilionaceen). Da das Präparat durchaus keine kumulative Wirkung
zeigt, so kann dasselbe in grossen Dosen, bis 3 Gramm und darüber
pro die, ohne jedweden Nachtheil gegeben werden. Es erwies sich als
besonders nützlich und rasch wirkend in Fällen von paroxysmaler
Tachycardie, ferner bei den verschiedensten krankhaften Empfindungen
im Gefolge von Herzklappenfehlern. Bei kardialem Asthma soll seine
Wirkung zuweilen geradezu „zauberhaft " gewesen sein. Es erübrigt
noch hervorgehoben zu werden, dass die genannte Tinktur die Ver-
dauungsorgane nicht nur nicht angreift, sondern, im Gegentheil, sogar
günstig beeinflusst. Das wirksame Princip der Coronilla, ein Glycosid
CoronUlin, ist von den Chemikern Schlagdenhauffex und Reeb (Journ.
der Pharmacie von Elsass-Lothringen, Mai, 1888) hergestellt worden.
Ueber das Volumen der rothen und weissen Blutkörperchen im Blute
des gesunden und kranken Menschen. Von D. Judson Daland in
Philadelphia. — („Fortschritte der Medicin," 1891, No. 20 und 21.)
Die Benutzung der Centrifugal kraft zur Bestimmung des Volumens
der rothen Blutkörperchen stammt von Prof. Blix in Upsala (1885)
her. Hedin hatte darauf diese Methode für die Krankenuntersuchung
brauchbar gemacht und konstruirte zu diesem Zwecke ein besonderes
Instrument, welches er „Hämatokrit " benannte. Auf Veranlassung
von Prof. Jaksch hat nun D. es unternommen, die klinische Verwend-
barkeit dieses Instruments zu erproben. Zur Verdünnung des zu un-
tersuchenden Blutes bediente sich D. stets einer 2,5\ Kaliumbichro-
matlösung, welche er, nach zahlreichen und mühselij^en Experimenten,
als am besten für diesen Zweck geeignet findet. Um ein konstantes
Volumen der rothen Blutkörperchen zu bekommen, sind 100 Umdre-
hungen des grösseren Kades der Centrifuge nöthig : es gehören dazu
blos 66 bis 67 Sekunden. Centrifugirt man das Blut länger, also zwei
oder mehrere Minuten, so kann man nur sehr selten noch eine Ver-
minderung des Volumens erhalten. D. fand nun an einer Keihe von
Untersuchungen, dass das physiologische Volumen der rothen Blut-
körperchen bei jungen Männern in 100 Vol. Blut zwischen 4Ä und 66
schwankt. Die Bemühungen, das Volumen der weissen Blutkörper-
chen zu bestimmen, stiessen auf Schwierigkeiten, wegen des schmalen,
weissen Kinges, welchen diese Gebilde bei der Untersuchung liefern.
Die Volumina der rothen Blutkörperchen bei verschiedenen pathologi-
schen Zuständen sind vom Verf. in einer übersichtlichen Tabelle zu-
sammengestellt. Die Construktion des Hämatokrits und die Ge-
brauchsweise desselben können hier nicht näher dargestellt werden.
Pathologie und Bacteriologie. — Referirt von Dr. LOUIS HEITZMANN,
Beitrag; zur Aetiologie der katarrhalischen Ohrenentzündungen. Bak-
teriologische Beobachtungen von Dr. A. MAGGIORA und Dr. G.
70
GRADENIGO. (Centralbl. für Bakt. u. Parasitenkuude. Band X,
No. 19, 1891.)
Verfasser theileii ihre Untersuchungen in 3 Kategorien ein:
a) Bakteriologische Prüfung des Sekrets der Nasenhöhle, der Nasen-
Rachenhöhle und der Eustachi'schen Ohrtrompete in Fällen von
akuter und subakuter katarrhalischer Mittelohrentzündung.
b) Prüfung des Sekrets der Nasenhöhle, der Eustachi'schen Ohr-
trompete und der Trommelhöhle, erhalten durch Paracenthese
des Trommelfells in Fällen von katarrh. Mittelohrentzündungen.
c) Prüfung des Sekrets von Wunden, welche konsekutiv nach gal-
vanischer Kauterisation der Nasenschleimhäute entstanden sind.
Im Ganzen wurden 20 Fälle untersucht, wovon 16 mal in der Nasen-
Rachenhöhle oder im Mittelohr die Existenz von pathogenen Formen
nachgewiesen werden konnte und zwar in der ersten Kategorie von 9
Fällen einmal Staphilococcus pyogenes aureus, viermal Staphylococcus
pyogenes albus; in der zweiten Kategorie von 4 Fällen dreimal
Staphylococcus pyogenes aureus, einmal albus; in der dritten von 7 Fällen
fünfmal Staphylococcus pyogenes albus, zweimal aureus. Nur in 4 Fällen
der ersten Kategorie konnten mit Agar- und Gelatinekulturen keine
pathogenen sondern nur saprophyte Formen isolirt werden. In einem
handelte es sich um eine relativ alte Mittelohrentzündung; bei den an-
deren glauben V., dass die pathogenen Keime zwar vorhanden waren,
aber in so kleiner Menge, dass sie bakteriologisch nicht nachgewiesen
werden konnten. Sie kommen zu dem Schlüsse, dass die klinische
Eintheilung der Mittelohrentzündungen in eiterige und katarrhalische
vom bakteriologischen Standpunkte aus nicht gerechtfertigt ist, weil
beide Arten von Erkrankungen von denselben pathogenen Mikroorga-
nismen bedingt werden. Die Erscheinung, dass das Exsudat in einem
Falle katarrhalisch, in einem anderen eiterig ist, hängt wohl von
Differenzen im Zustande des Substrats und von der individuellen Kon-
stitution ab.
Weitere Mittheilungen über Panophthalmle-Bacillen. Von Professor 0.
HAAR. (Fortschritte der Medicin. Bd. 9, No. 19, 1891.)
Schon früher wurden aus Häab's KUnik in Zürich Mittheilungen ge-
macht, welche zeigten, dass bei vielen, vielleicht den meisten Fällen von
Panophthalmie nach Fremdkörperverletzung Bacillen die Entzündung
im Auge verursachen. Solche Bacillen hat V. nun rein gezüchtet und
verimpft und dabei wieder Panophthalmie erzeugt. Von einem solchen
Fall wurde der Bulbus sofort nach der Enucleation im Aequator mit
sterihsirten Instrumenten halbirt und der mit sehr zahlreichen kleinen,
rundlichen grau-gelben Eiterherden von vorn bis hinten dicht durch-
setzte Glaskörper und eine eitrige Schicht zwischen letzterem und der
Retina zu Deckglaspräparaten und zur Herstellung von Kulturen be-
nützt. Die Agar- Stichkulturen zeigen nach einigen Tagen an der
Oberfläche eine dicke runzelige, leicht bräunliche Haut und entlang dem
Stichkanal starkes Wachsthum in kurzen, radiären, dichten Streif chen.
Am oberen Ende ist der Stichkanal leicht kugelig angeschwollen und hat
einige wolkige Trübungen, die von der Oberfläche des Agar herabhän-
gen, um sich. Die Gelatine-Stichkulturen zeigen kein Wachsthum.
Die Agarplatten sind in grosser Ausdehnung von einem gelbbräunlichen
Rasen bedeckt, der fein gezackte Ränder hat. An einzelnen Stellen fin-
den sich kleine, runde, im Centrum fast weisse, nach der Peripherie mehr
gelb-braune Scheibchen.
Die Untersuchung sämmtlicher Kulturen ergibt Reinkulturen von
Bacillen, theils einzelne 0.5-0.7 m. dicke, durchschnittlich 2-3 m. lange
71
Stäbchen, theils Ketten solclier von 2-3 Stücken. Letztere enthalten
oft dunklere Körner. Kokken sind keine vorhanden. Einige Tage
später zeigen auch die Gelatine-Platten grauweisse in geringem Um-
kreis verflüssigende Pünktchen, nicht ganz hirsekorngross. Auf Kar-
toffeln wachsen die Bacillen rasch als braune, feuchtglänzende runzlige
Haut.
Die Verimpfung der Bacillen in den Glaskörper von Kaninchen- Augen
ergibt Iritis mit Exsudat im Pupillarbereich und rasche Infiltration des
Glaskörpers. Die mikroskopische Untersuchung ergibt dieselben Ba-
cillen im Glaskörper. Einbringen von Bacillen-Kultur in den Con-
junctivalsack eire3 Kan'ncheos ergiebt keine Conjunctivitis. Einreiben
solcher Kultur an einer Stelle der Kaninchenkornea, wo das Epithel ab-
gekratzt worden, ergibt keine Keratitis.
Ob wir es hier mit einem bereits bekannten Bacillus oder einer noch
nicht beschriebenen Art zu thun haben, kann noch nicht mit Sicherheit
bestimmt werden. Nach H.'s Beobachtungen können auch Bacillen,
welche als nicht pathogen gelten, z. B. der Wurzel-Bacillus, wenn in
den Glaskörper des Kaninchens gebracht, eine ganz ähnliche, wenn auch
schwächere Entzündung hervorrufen. Somit könnte dieser Bacillus
unter dem bereits bekannten nichtpathogenen möglicherweise figuri-
ren. Auffallend ist, dass er unter die Haut und in die kornea gebracht,
keine nennenswerthe Entzündung hervorruft.
Beiträge zur bakteriologischen Technik. Von Dr. Schill. (Centralblatt
für Bakteriologie und Parasitenkunde. Band X, No. 20.)
Da der allgemein übliche Verschluss der Reagenzgläser mit Watte
mancherlei Unbequemlichkeiten hat, die gründliche Deslnfection des
Wattepfropfens, und die Anfertigung des Pfropfens selbst viel Zeit und
Mühe in Anspruch nehmen, ferner sich auf der Oberfläche oft Bakterien-
und Schimmelkeime aus der Luft ablagern, welche hindurchwachsen
und den Inhalt des Reagenzglases verunreinigen können, verwendete
Schill statt des Wattepfropfens Doppel-Reagenzgläser, d. h. Reagenz-
gläser, auf welche ein zweites, etwas weiteres als Deckel aufgestülpt ist.
Dieselben sind aus etwas stärkerem Glase als die gewöhnlichen gefer-
tigt und haben keinen umgebogenen, sondern gerade auslaufenden
glatten Rand. Das untere Reagenzglas erhält als Deckel ein zweites,
welches im Verhältniss zum unteren um so viel weiter ist, dass es sich
leicht über das andere herüberschieben lässt, dass aber zwischen
Aussenwand des unteren und Innenwand des oberen Glases nur ein
papierdicker Zwischenraum bleibt. Das als Deckel dienende Reagenz-
glas hat Vs der Länge des unteren. Der Verschluss ist durchaus bak-
teriensicher. Bei dem längeren Aufbewahren der Nährböden ist die
Verdunstung eine sehr geringe, andererseits dringt für aerobe Bakterien
eine genügende Luftmenge ein. Eine grosse Bequemlichkeit bieten die
Gläser bezüglich des Signirens der Nährböden während der Sterihsation.
In der trockenen Hitze wie im Dampfstrom, fallen mit Gummi aufge-
klebte Papieretiquetten leicht ab. Hier wird ein dünner, nicht gummir-
ter Papierstreifen mit Bleistift beschrieben, ringförmig zwischen
Reagenzglas und Glasdeckel eingefügt. Wenn man zu bestimmten
Zwecken den Wattepfropf beibehalten will, so dient der Glasdeckel weit
besser zum Schutz desselben, als Gummihütchen.
Beim Filtriren von Nährgelatine, welches immer beträchtliche Zeit
in Anspruch nimmt, besonders weil die filtrirende Fläche in den ge-
bräuchlichen Filtrirtrichtern eine sehr kleine ist, kann man das Fil-
triren durch Vergrösserung der Bodenfläche bedeutend beschleunigen,
indem man sich eines Trichters bedient, in welchen in etwa i Höhe
vom oberen Rande eine siebartige, durchlochte Glasplatte eingelegt ist.
72
auf welcher das Filtrirpapier tellerförmig ausgebreitet wird. Noch
einfacher ist ein Apparat, welchen man sich mit Leichtiglceit aus einer
Konservebüchse selbst herstellen kann. Der obere Rand der Büchse
wird glatt abgeschnitten und der Boden mittelst einer Ahle in konzen-
trischen Ringen dicht mit Löchern versehen. Ueber diesen Trichter
wird ein den Boden um ca. 2 cm. überragendes Filtrirpapier, auf dieses
eine doppelte Lage entfetteten Mulls gelegt und diese Auflagerungen
nach Anstreichen der Ränder mittelst eines breiten, straff umgeleg-
ten Gummibandrings festgehalten. Eine noch grössere Beschleuni-
gung der Filtration kann man durch einen Apparat erzielen, bei wel-
chem eine Blech- oder Glasflasche am Boden mit zahlreichen Löchern
versehen und über den Boden Filtrirpapier und entfetteter Mull ge-
legt und befestigt wird. Der Flaschenhals trägt einen durchbohrten
Stöpsel, durch welchen ein Glasrohr bis fast unmittelbar zum Boden
der Flasche herabreicht, welche oben durch ein Stück Gummirohr
mit einem kleinen Trichter verbunden ist. Sobald eine dünne Schicht
der zu filtrirenden Gelatine den Boden bedeckt, drückt die in der
Flasche nun gänzlich abgesperrte Luft auf die ganze Oberfläche der
Gelatine im Apparat und treibt sie rasch durch das Filter. Man darf
nur nicht zu rasch nachgiessen, da der Druck sonst zu heftig wird und
die Filterlagen abgerissen werden können.
Uebertragungsversuche mit Sarkom- und Krebsgewebe des Menschen
auf Thiere. Von Dr. F. Fischel. — (Fortschritte für Medicin. Bd. X.,
No. 1, 1892.)
F. hat Uebertragungen von Carcinomen und Sarkomen auf 23 Rat-
ten vorgenommen. Er verwendete 3 Fälle von Scirrhus mammae, 9
Fälle anderer Carcinome. ein kleinzelliges Sarkom des Oberarms und
ein Melanosarkom der Drüsen. Sämmtliche Uebertragungen erfolg-
ten längstens \ Stunde nach Extirpation der Tumoren, und wurde in-
traperitoneal, unter die Haut und intravenös geimpft. Die Einheilung
sämmtlicher Tumoren erfolgte ohne Eiterung. In keinem der unter-
suchten Tumoren war vor oder nach der Implantation eine Bakterien-
invasion oder der Nachweis von Psorospermien durch Färbung mög-
lich. Impfungen auf die verschiedensten Nährmedien blieben ohne
Wachsthum irgend eines pathogenen oder nicht-pathogenen Mikro-
organismus.
In allen untersuchten Fällen war das Resultat in Bezug auf das an-
gestrebte Ziel der Uebertragung der Tumoren vom Menschen auf
Thiere ein negatives, jedoch ergaben die Untersuchungen einige er-
wähnenswerthe Beobachtungen. In allen Fällen fand eine beträcht-
liche, mit starker Durchfeuchtung der Tumormasse parallel gehende
leucocytäre Einwanderung in den Tumor statt. Die Zahl der nach-
weislichen Leucocyten im Centrum der Tumoren war im Vergleich zur
Masseninvasion an den periphergelegenenParthien eine verschwindend
kleine. Es scheint, dass die Leucocyten, je mehr dieselben gegen das
Centrum vorgedrungen sind, um so zahlreicher zu Grunde gehen. Die
Veränderungen sprechen sich makroskopisch in einer Durchfeuchtung
der Tumormasse, namentlich im Centrum, aus, welche bei länger ein-
geheilten Geschwulstmassen eine so hochgradige war, dass beim Ein-
schneiden die Schnittfläche von seröser Flüssigkeit überfloss. Dem-
entsprechend erschienen die eingeheilten Tumorpartikeln stark ver-
grössert und Hess sich als Ursache dieser Vergrösserung mikrosko-
pisch zum Theile das mechanische Auseinanderdrängen der zusammen-
setzenden Gewebstheile durch Wanderzellen, zum Theile auch ein Ge-
quollensein der zelligen Elemente nachweisen. Schon nach 20 Stun-
den war ein Undurchsichtigwerden und Trübung des Zellprotoplasmas,
73
sowie das Verschwinden der chromatophilen Substanz der Kernmem-
bran und der farblosen Kernfäden zu beobachten. Die Form der Zell-
liörper war ziemlich gut erhalten. Bei einem Melanosarkom war nach
3 Wochen die ursprünglich tiefschwarze Färbung der Geschwulst völ-
lig verloren gegangen. Es scheint, dass die negativen Resultate bei
diesen Uebertragungen von der chemischen Einwirkung des lebenden
Eattenblutserums auf die zelligen Elemente der implantirten Tumoren
abhängig sind.
Kinderheilkunde. — Referirt von Dr. SARA WELT.
Report of a Gase of Haematophilia, or a Family of Bleeders. By A.
Vanderveer, M. D. — (Archives of Pediatrics, Vol. VIII., No. 94.)
Die Mittheilung bezieht sich auf eine Bluterfamilie mit indirekter
Vererbung; wie gewöhnhch der Fall ist, kommt auch hier Prädisposi-
tion zur Hämophilie mehr den männlichen Familiengliedern zu, während
die Vererbung der Krankheit von den selbst gesunden Töchtern aus-
geht.
Zuerst machte sich die Affection im Grossvater bemerkbar, welcher
an häufigen Anfällen von Hämaturie litt, ohne dass tntra vitam oder
post mortem ein causales Moment hierfür nachweisbar war: er hinter-
liess mehrere gesunde Kinder; ein Sohn leidet häufig an Epistaxis; die
älteste Tochter verheirathete sich an einen gesunden Mann und hatte
7 Kinder; die beiden ersten, ein Knabe und ein Mädchen, sind keine
Bluter; das dritte, ein Sohn ging an einer Blutung zu Grunde nach
einer Verletzung der Zunge durch einen Fall. Das vierte Kind, ein
Knabe, starb im 20ten Monate an Verblutung nachdem 8 Tage zuvor
wegen Dentitionsbeschwerden das Zahnfleisch eingeschnitten worden
war. Das sechste, wieder ein Sohn, hatte nach einer kleinen Verwun-
dung am Finger eine schwer zu stiUende Blutung. Das siebente Kind,
ein Mädchen, litt zu verschiedenen Malen an Gelenkaffectionen, welche
von V. auf einen, von der hämorrhagischen Diathese abhängigen, se-
rösen Erguss in die Gelenke zurückgeführt werden.
Aus der Ehe der zweiten Tochter mit einem gesunden Manne ent-
stammten 4 Kinder. Ihr zweites Kind, ein kräftiger Knabe, ging nach
einer Verletzung an der Stirne durch Blutung zu Grunde. Ihr drittes,
wieder ein Knabe, ging ebenso zu Grunde, nachdem er sich zufällig
auf die Zunge gebissen hatte. Auch das vierte Kind starb in ähn-
licher Weise.
Die Anfordemngen der Gesundheitspflege an die Beschafienheit der
Milch mit Rücksicht auf die hier bestehende Kindermilchstation.
Von Stadtphysikus Dr. H. Engelbrecht. (Monatsblatt für öffent-
liche Gesundheitspflege, 1891, No. 12.)
Verfasser weist darauf hin, dass bei der Beurtheilung des Rohpro-
duktes, nicht diejenige Milch als die beste hingestellt werden soll, die
den grössten Gehalt an Nährstoffen, namentlich Eiweiss und Fett, hat,
sondern dass es besonders auf den „diätetischen Werth", die Qualität
der in der Milch vorhandenen Stoffe in Summa, ankömmt. Abgesehen
vom Zusatz von Chemikalien und dem Taufen der Milch wird die letz-
tere besonders minderwertig durch die Anwesenheit von Spaltpilzen.
Professor Lehmann in Dresden fand in 1 cctm. Marktmilch 1.2 — 1.5
Millionen Keime, und sogar in der unter allen antiseptischen Cautelen
74
gemolkenen Milch pro cctm. 100,000—500,000 Keime; erst die ganz zu-
letzt gemolkene Milch erwies sich als keimfrei, so dass also in den
Milchgängen des Kuheuters Spaltpilze in grosser Anzahl vorhanden
sein müssen.
Auf dieses gestützt, stellt E. die sehr zeitgemässe Forderung, dass
die amtliche Untersuchung der Marktmilchsich nicht auf den Nachweis
des Gehaltes an festen Bestandtheilen, besonders Eiweiss und Fett, be-
schränken soll: Milch, die irgend welchen unangenehmen Beige-
schmack hat, oder sichtbare Verunreinigungen enthält, sollte bean-
standet werden. Es sollen ferner zeitliche Grenzwerte für die zu for-
dernde Haltbarkeit der Milch bei einer gewissen Temperatur aufge-
stellt werden.
Im Anschluss schildert E. die in Braunschweig bestehende Kinder-
milchstation, die unter Aufsicht einer ständigen Commission des dor-
tigen ärztlichen Kreisvereins in Verbindung mit einem Thierarzt und
zwei Chemikern steht. Die Kesultate sind, sowohl was die Qualität der
Milch selbst betrifft, als mit Kücksicht auf ihre Bekömmlichkeit für die
kleinen Patienten sehr gute.
Cases of Concurrent Scarlatina and Measles. By N. Morrisson Mac
Farlane, M. D. (The Lancet May 16. 1891.)
Wegen des seltenen gleichzeitigen Vorkommens von Masern und
Scharlach in einem Individuum, sieht Verfasser sich zu seiner Mit-
theilung veranlasst. Diese ist um so interessanter, da drei Kinder
derselben Familie hinter einander efkrankten. Der erste Fall betrifft
«inen 4^jährigen Knaben, welcher an Scharlach litt ; am dritten Tage
nach dem Beginne der Affection stellte sich Conjunctivitis, Coryza und
Husten ein und bald darauf ein papulöses Masernexanthem. Patient
genas, nachdem er noch eine Lymphadenitis und Otitis media suppu-
rativa bestanden hatte. Im Laufe der nächsten drei Wochen erkrank-
ten zwei jüngere Brüder an Scharlach, dem am dritten respective vier-
ten Tage seines Bestehens eine characteristische Maserneruption
folgte. Beide Fälle verliefen letal.
The Administration of duinine to children. (Ibidem.)
Da es oft schwierig wird, Kindern Chinin, besonders in grössern
Mengen per os zu verabreichen, ist von einigen Kinderärzten die An-
wendung des Chinins in äusserlicher Application angerathen worden.
Um zu bestimmen, wieviel Chinin dabei absorbirt wird und in welcher
Form die percutane Administration die besten Erfolge erzielt, hat Dr.
Troitzky Untersuchungen an 50 gesunden Kindern angestellt. Dabei
erwiesen sich Salben, mit Vaselin, Fett oder Lanolin dargestellt, als
unbrauchbar. Mit mehr Erfolg wurden Chininlösungren angewendet.
(1 Theil Chinin, hydrochlorat. zu 30 Ph. spirit rectif.) Von dieser Lösung
wurde 1—1^ Theelöffel zweimal täglich in die Haut gerieben, bis sie
ganz trocken wurde. Der Urin wurde mit der Chlorwasser- oder Jod-
probe auf Chinin untersucht. Dabei zeigte es sich, dass Chinin zweifel-
los absorbirt wurde, doch war die absorbirte Menge unsicher und
ausserhalb jeder Controle.
T. glaubt, dass der gute Effect, der nach Einreibungen von Chinin-
lösungen in fieberhaften Zuständen beobachtet wurde, mehr auf die
abkühlende Wirkung des verbrauchten Spiritus zurückzuführen ist.
Case of acute, rapidly fatal, general Peritonitis in a child, associated
with Vulvo- Vaginal Catarrh. By John Lindsay Steven, M. D.
(The Lancet, May 30. 1891.)
75
Ein 4,jähriges, bis dahin gesundes Mädchen, wurde plötzlich von
heftigem Leibweh befallen und starb 24 Stunden später unter den
Zeichen einer acuten, diffusen Peritonitis. Bei der Untersuchung hatte
Patientin eine Stuhlentleerung und bei dieser Gelegenheit wurde ein
leucorrhoischer Ausfluss aus der Vulva bemerkt ; derselbe hatte nach
den Angaben der Mutter schon seit einiger Zeit bestanden, ohne dass
sie jedoch ihn weiter beachtet hätte. E. ist geneigt bei dem Mangel
eines andern Causalraomentes, den Vulvo-vaginalen Catarrh für die
Entstehung der Peritonitis verantwortlieh zu halten. Eine post mor-
tem Untersuchung wurde leider nicht gestattet.
Dermatologie.
lieber Wundbehandlung mit Dermatol von Dr. Victor v. Rogner. —
(Wiener Medicinische Presse, 1891, No. 33.) (Autoreferat.)
Dermatol wurde von Dr. v. Rogner auf der II. chirurgischen Ab-
theiluüg des K. K. Krankenhauses Wieden in Wien durch einen Zeit-
raum von mehr als 6 Wochen als einziges Trockenantiseptikum an
Stelle von Jodoform angewandt. Zur Behandlung kamen alle Arten
von Wunden : frische, eiternde, jauchende; ferner ausgedehnte Phleg-
monen, Verbrennungen, Verletzungen aller Art u. s. w.
Verwendet wurde das Dermatol : *)
1. Pur, als Streupulver (mit Pinsel aufgetragen).
2. In Salbenform; nach folgender Vorschrift. Rp.
Dermatol Hoechst 20,
Vaselin flav. 80,
M. f. Ungt.
3. In CoUodiumemulsion : Rp.
Dermat. Hoechst 15,«
Collod. 100,0
S. Aeusserlich.
4. Als 10-20^ Gaze (die vor dem Gebrauch zu sterilisiren ist).
Oberflächliche, wenig secernirende Wunden sind mässig dünn zu
bestreuen; stark eiternde dagegen sind mit ausgiebigen Mengen Der-
matol zu besorgen. Incidirte Abscesse, Phlegmonen u. s. w. sind vor-
her mit einem flüssigen Antiseptikum (Sublimat) gründlich zu reinigen
und mit Löffel und Scheere von nekrotischen Fetzen zu befreien ; dann
erst ist Dermatol einzupudern.
Mit Dermatol bestreute Wunden sind, zur Verhütung des Verkle-
bens mit dem Verbandstoff, je nach Bedarfsfall mit einem Silkfleck zu
bedecken.
Das Dermatol erwies sich in allen Fällen als vorzügliches adstrin-
girendes-sekretionsverminderndes Wundheilmittel. Kleine ober-
flächliche Wunden heilten unter Eintrocknen in kürzester Zeit. Bei
grossen Operationswunden wurde meist prima intentio erzielt. Stark
eiternde Wunden, incidirte Pflegmonen, gespaltene Anthraces reinig-
ten sich in überraschend kurzer Zeit; nach 1 — 2 Tagen schon war eine
schöne reine, wenig secernirende Wunde erzielt. Vorzüglich war die
Wirkung bei Verbrennungen I. und II. Grades, der Dermatolverband
übertrifft bei Verbrennungen das Jodoform; die Brandwunden sind ge-
ruchlos und trocknen äusserst schnell ein.
Unangenehme Erscheinungen (speckige Belege, Ekzeme u. s. w.)
*) Zuhaben bei Schultze-Berge, Koechl und Movius, 79 Murray St., N. Y,
76
fehlten durchaus; Vergiftungserscheinungen wurden niemals beobach-
tet. Dabei führt das Derrnatol — im Gegensatz zu dem Jodoform —
nie zu Keizerscheinungen in der Umgebung der Wunde; im Gegentheil
werden solche, wenn vorhanden, durch Dermatol rasch beseitigt. Ne-
ben der Ungiftiglceit und Reizlosigkeit besitzt das Dermatol vor dem
Jodoform den Vorzug absoluter Geruchlosigkeit. Diese vorzüglichen
Eigenschaften veranlassen den Verfasser, das Dermatol als derzeit
bestes Trockenantiseptikum hinzustellen.
Deutsche Medicinische Gesellschaft von New York.
17 West 43. Strasse.
Sitzung vom 2. November 1891.
Präsident: Dr. A.Jacobi.
Das Protokoll der letzten Sitzung wird verlesen und angenommen.
Vorstellung von Patienten:
Dr. Max Einhorn stellt einen Patienten mit Herpes zoster vor,
und zwar wegen des therapeutischen Interesses. Von dem Gesichts-
punkt ausgehend, dass vielleicht, wie Pfeifer annimmt, bei Herpes
zoster Protozoen die Ursache der Erkrankung sind, gab er dem Pa-
tienten Methylen-Blau innerlich. (Bekanntlich hat in der letzten Zeit
Ehrlich nachgewiesen, dass dasselbe die Malariaplasmodien, gleichfalls
zur Gruppe der Protozoen gehörige Organismen, tödtet.) Das Resultat
dieser Behandlung war bei dem Patienten von gutem Erfolg begleitet;
am zweiten Tage nach der Methylen- Blau-Einnahme hat Patient
sämmtliche Schmerzen verloren, und am 7. Tage der Behandlung waren
alle Herpes-Bläschen bereits verschorft und beinahe geheilt. Die Do-
sis war 0,2 täglich.
Demonstration von pathologischen Präparaten:
Dr. G. M. E d e b o h 1 s demonstrirt ein der Vagina und
Peritonealhöhle entnommenes Holzstäbchen. Das
Stäbchen ist rund, 11- cm. dick, 28^ cm. lang, mit einem schön abge-
rundeten und einem spitz-zackigen Ende. In' demselben, der Länge
nach, sind vier Nägel befestigt, je f cm. über die Oberfläche hervor-
stehend.
Das beschriebene Stäbchen fand seinen Weg in die Vagina und Pe-
ritonealhöhle auf folgende Weise: Frau C. B., eine 63jährige Wittwe,
versuchte am 7. October, 1891, von der Haustreppe durch's Fenster in
ihr Zimmer zu steigen, stürzte aber bei dem Versuche über das Gelän-
der in den drei Meter tiefer liegenden Hof. Ein Laden des Parterre-
Fensters stand halb geöffnet. Diesen riss sie im Fallen mit sich fort,
und demolirte ihn beinahe vollständig. Dabei wurde das oben be-
schriebene Holzstäbchen in die Vagina und, durch dieselbe durch, in
die Bauchhöhle gestossen. Die Frau erhob sich und ging mit dem
Stäbchen im Leibe durch's nächste Haus in ihr Zimmer, wo sie eine
halbe Stunde später Dr. P. J. Leyendecker besuchte.
Keine Schmerzen ; mehrmahges Frösteln, bedeutender Shock. Da
es Dr. L. nicht gelang, durch mässiges Anziehen den Stab zu entfernen,
ersuchte er um Zuziehung Dr. E.'s.
Die nach gründlicher Desinfection der Scheide vorgenommene Un-
tersuchung ergab Folgendes : Dei Stab hatte seinen Weg durch die
Scheide, ohne weitere Verletzungen des Eohres, gefunden, hatte das
vordere Lacquear dicht vor dem Uterus perforirt, die Blase abhebend,
und war in der Bauchhöhle bis zum Nabel, wo das obere Epde deutlich
77
palpirbar, vorgedrungen. Etwa 18 cm. Holz lagen in der Bauchhöhle,
10 cm. in der Scheide und ausserhalb der Vulva.
Vor der Extraktion wurde versucht, festzustellen, ob die Blase lae-
dirt, und zwar auf folgende Weise. Ein Catheter wurde eingeführt
und eine kleine Menge klaren Urins ohne Blutspuren, entleert. Da es
weiter nach sorgfältigem Suchen mit dem Catheter nicht gelang, eine
Oeffnung in der Blasenwand zu finden, durch die man das in Situ be-
lassene Holz zu touchiren vermochte, konnte eine Verletzung der
Blase ausgeschlossen werden.
Die Extraction gelang nun ohne grosse Mühe, nachdem festgestellt
wurde, dass ein hervorstehender Nagel, der die eine Lippe der Perito-
nealwunde fasste, das Hinderniss bei dem früheren Versuche abgab.
Der sorgfältig desinficirte Zeigefinger konnte nun bequem durch
die Wunde im vorderen Lacquear vaginae in die Peritonealhöhle ein-
geführt werden und die Gedärme deutlich fühlen. Es wurde nun noch-
mals versucht, den eingeführten Finger mit dem Catheter von der Blase
aus zu touchiren, was jedoch nicht gelang. Weder der extrahirte Stab
noch der im Peritoneum tastende Finger waren blutig, noch erweckten
dieselben bei Auge oder Nase den Verdacht der Berührung mit Darm-
contenta. Auch die Richtung, welche das Stäbchen durch die Perito-
nealhöhle verfolgte und das schön abgerundete eindringende Ende
Hessen annehmen, dass der Darm wahrscheinlich verschont geblieben.
Die Laparotomiefrage trat natürlich heran, wurde aber aus folgen-
den Gründen negativ entschieden: — Alter der Patientin ; ungünstige
Verhältnisse in Bezug auf Asepsis ; ausgesprochener nervöser Shock ;
Fehlen von Symtomen innerer Verblutung ; positiver Ausschluss von
Verletzung der Blase ; und grosse Wahrscheinlichkeit, dass die Därme
unversehrt geblieben.
Die Wunde in der Decke der Vagina und die Vagina selbst wurden
mit Jodoformgaze austamponirt und ein Dauer-Catheter in die
Blase gelegt.
Patientin starb an acuter Peritonitis — Contact-infection vom
Fremdkörper — nach 60 Stunden. Autopsie verweigert.
Von gynäkologischem Standpunkte ist das Eindringen des Ii cm.
dicken Stabes zwischen Uterus und Blase, ohne Verletzung Letzterer,
von besonderem Interesse. Der Schwerpunkt der Technik bei der va-
ginalen Hysterektomie liegt eben im Vermeiden der Perforation der
Blase bei Trennung Letzterer vom Uterus.
Dr. Edebohls deraonstrirt ferner einen beiderseitigen
Ovarialabscess mit chronischer interstitieller Salpingitis. Die
Tuben sind beiderseitig bis auf 2^ cm. im Durchmesser verdickt. Die
Proportionen vergrössert.en Lumina enthalten spärliches schleimiges
Sekret, keinen Eiter. Die Ovarialabscesse sind beide beinahe kugelrund;
der rechtsseitige misst 7 cm., der linksseitige 8 cm. im Durchmesser.
Eine 3 mm. dicke pyogene Membran kleidet die Innenwände beider
Abscesshöhlen aus.
Das Präparat wurde durch Laparotomie am 28. Oetober, 1891, ge-
wonnen, und entstammt einem 23jährigen Mädchen, welches angibt,
erst seit 4 Wochen mit Schmerzen im Unterleibe und Rücken zu krän-
keln. Die Untersuchung ergibt beträchtlich vergrösserte Tuben und
Ovarien beiderseits, den Beckeneingang so ziemlich ausfüllend und den
Uterus fixirend. Da die Probepunktion rechtsseitig Eiter ergiebt, wird
zur Salpingo-oophorectomie geschritten, bei der sich allseitige Ver-
wachsungen des Omentum, Dick- und Dünndarmes und Processus ver-
miformis mit den erkrankten Adnexen fanden. Der linke Ovarialabs-
cess wurde ohne Eiteraustritt entfernt ; der rechte riss ein und eine
geringe Menge Eiter ergoss sich in die Bauchhöhle. Aufwischen mit-
78
telst sterilisirter Gaze, Irrigation und Trocknen der Bauchhöhle.
Schluss ohne Drainage. — Soweit, 6. Tag, vollständiges Wohlbefinden.
(Den 10, November wird von Edebohls hinzugefügt, dass Patientin in-
dess ohne Zwischenfall genesen ist. E.)
Es ist dies das erste Mal, dass E. bei seinen Laparotomien einen
beiderseitigen Ovarialabscess angetroffen, auch finden sich dieselben in
der Literatur nur äusserst spärlich verzeichnet. Bei 29 wegen grösse-
ren Eiteransammlungen in Tuben und Ovarien von E. vorge-
nommenen Salpingo-oophorectomien fanden sich
Einseitige pyosalpinx 2 mal
Doppelseitige pyosalpinx 12 „
Doppelseitige tuberculöse pyosalpinx 3 „
Pyosalpinx und Ovarialabscess derselben Seite 2 „
Beiderseitige pyofealpinx und einseitiger Ovarialabscess 6 „
Abscess des einen Ovariums 3 „
Abscess beider Ovarien 1 „
Eine genauere Aufnahme der Anamnese in unserm Falle ergibt eine
deutliche Geschichte gonorrhoischer Infection. Eine bakteriologische
Untersuchung des Eiters ist leider versäumt worden. Die mikros-
kopische Untersuchung der Eiterhöhlenwandungen ergibt das
Fehlen jeder Spur einer epithelialen Bekleidung, womit die Deutung
des Befundes als vereiterte Ovarialcysten ausgeschlossen sein dürfte.
Von verschiedener Seite sind bereits vereinzelte Fälle berichtet, in
denen der Gonococcus im Eiter eines Ovarialabscesses nachgewiesen
wurde. In unserem Falle dürften Anamnese und Befund der Tuben
wohl den Kückschluss auf genorrhoischen Ursprung des Leidens ge-
statten.
Dr. Edebohls demonstrirt ferner eine kleine pyosalpinx
gonorrhoica, die dadurch'von Interesse, dass sie 34 Tage nach dem
inficirenden Coitus als pyosalpinx sicher erkannt, um zwei Tage darauf
durch Salpingo-oophorectomie entfernt zu werden.
Die Krankengeschichte, welche ein 19 jähriges Mädchen betrifft, ist
kurz gefasst folgende:
16. 4. 91. Coitus.
20. 4. 91. Urethritis gonorrhoica. Vulvitis, vaginitis und endome-
tritis gonorrhoica in rascher Folge.
26. 4. 91. Beginnende doppelseitige Salpingitis.
30. 4. 91. Pleuritis acuta sinistra, mit mässiger Exsudatbildung.
Kesorption in drei Wochen.
15. 5. 91. Pelvi-peritonitis acuta.
20. 5. 91. Probepunktion der leicht vergrösserten linken Tube er-
gibt Eiter.
22. 5. 91. Salpingo-oophorectomie. Frische pelveo-peritonitis mit
diffuser Schwartenbildung. Leichte Lösung und Ent-
fernung beider kranken Tuben. Linke Tube kleinfinger-
dick, enthält etwa 5 gramm Eiter. Abdominales Ende offen,
gestattet freien Austritt des Eiters in die Bauchhöhle.
Trockene Eeinigung der Beckenhöhle. Schluss ohne
Drainage. Glatte Heilung und sofortige Euphorie.
Der Fall kam in Behandlung, nachdem Infection der üterushöhle
bereits vollendete Thatsache war.
Dr. Edebohls demonstrirt ferner seinen aus Glas und galvanisir-
tem Metal angefertigten, mit besonderer Berücksichtigung der beque-
men Irrigation und der Bedürfnisse der TRENDELENBURG'schen Hoch-
lagerung des Beckens construirten combinirten gynaekologi-
schen Operations- und Laparatomietisch. Der Tisch
wird des Näheren im Medical Eecord beschrieben werden.
79
Dr. Florian Krug demonstrirt elf Präparate, eine Auswahl
aus beiläufig dreissig intraperitonealen Eingriffen, die er zwischen dem
15. September und 30. Oktober dieses Jahres vorgenommen hat.*)
1. Ein grosses multiples Fibromyom des Uterus inclusive Tuben
und Ovarien von den Bauch decken aus totaliter exstirpirt. Patientin
litt an vorgeschrittener Pott'scher Kyphose.
2. und 3. Carcinomatöse Uteri durch die Scheide entfernt. Dies ist
Krug's 16. und 17. Fall von vaginaler Hysterectomie. Er verlor nur
seinen 4. Fall, somit ist seine Mortalität nunmehr etwas über fünf
Procent.
4. Grosses doppelseitiges CoUoidsarkom der Ovarien ; Colloide De-
generation des Omentum majus ; hühnereigrosse CoUoidcyste des
Processus vermiformis. Sämmtliche durch Laparotomie erfolgreich
entfernt.
5. Carcinom des linken Ovariums und breiten Ligaments, das ganze
Becken ausfüllend. Laparotomie. Glatte Heilung.
6. Doppelseitige Pyosalpinx, abgekapseltes intraperitoneales Exsu-
dat und enorm grosser rechtsseitiger Ovarialabscess, der anderthalb
Quart stinkenden Eiters enthielt. Bauchschnitt. Glatte Heilung.
7. und 8. Doppelseitige Pyosalpinges mit ausgedehnten Adhäsionen
in Folge gonorrhöischer Infection. Laparotomie. Heilung.
9. Eine grosse Hydrosalpinx. Patientin litt an totalem Uterus-
prolaps. Amputatio cervicis; Colporrhaphia anterior, Salpingectomia,.
Ventrofixatio uteri. Drei Wochen später Colpo-perineorrhaphia. Völ-
lige Heilung.
10. und 11. Zwei Präparate von Extrauterin Schwangerschaft, beide
durch Laparotomie entfernt. Die erste Patientin genas ohne
Zwischenfall; die zweite starb an Lungenembolie — der einzige Todes-
fall in einer langen Keihe von complicirten Operationen.
Dr. Garrigues zeigt eine von ihm konstruirte Zange f ürUterus-
tamponade vor. Sie ist wie eine Uterinsonde gebogen und hat einen
Knopf wie diese, um Durchbohrung des Uterus zu verhindern. Die
Zange ist so schlank, dass sie oft ohne Erweiterung des Cervix ge-
braucht werden kann. Die Innenseite des letzten Zolls der Branchen
ist gerieft, um den Gazestreifen festhalten zu können. Zu demselben
Zwecke ist am hintern Ende ein Schluss.
Das Instrument erleichtert in hohem Grade die Einführung von
Gaze in den Uterus. Patientin ist in Kückenlage, Cusco's Spekulum
wird eingeführt, die Uterinzange wird, mit dem Ende des Gazestreif ens
armirt, geschlossen bis zum Fundus hinaufgeführt. Dann geöffnet und
bis zum Os herausgezogen. Hier ergreift sie eine neue Stelle, führt sie
zum Fundus hinauf u. s. w. bis die Uterushöhle voll ist. Dann lässt
man ein freies Ende in der Scheide hängen, um den Streifen heraus-
ziehen zu können.
Dr. J, M ount Bleyer demonstrirt:
1. Künstliche Respirationsröhre.
2. Canülenartige Kehlkopfelektrode.
3. Eine kombinirte Tracheotoraie- und Intubationscanüle.
Discussion:
Dr. Kammer er glaubt, dass man bei Stenosen das Instrument
sehr schwer werde einführen können.
Dr. Bleyer erwidert, dass sich das Instrument sehr leicht ein-
führen lasse.
*3 Siehe Originalartikel.
80
Dr. Einhorn bemerkt, dass O'Dwyer bereits auf dem letzten
Congress of American Physicians Canülen behufs künstlicher Respi-
ration vorgezeigt habe.
Dr. B 1 e y e r erwidert, dass er das Instrum ent bereits vor 1^
Jahren bei Windler in Wien habe machen lassen.
Die Abstimmung über die vorgeschlagenen Candidaten Hibbe, Fer-
gusson und Mandelstamm ergiebt die Aufnahme derselben als Mit-
glieder.
NominationvonBeamten.
Präsident: A. Jacobi — lehnt ab.
Lilienthal — lehnt ab.
C. Heitzmann.
F. Lange.
Newman.
Vieep räsi den|t : Caille.
G. W. Jacoby — lehnt ab.
Seibert — lehnt ab.
Rachel.
Protokoll. Sekretär:
Einhorn.
Stellvertretenderprot. Sekretär:
L. Heitzmann.
Freudenthal — lehnt ab.
Torek.
Korrespondir ender Sekretär:
" FreudenthaL
Schatzmeister: L. Weiss.
A uf nah me c 0 mmit t e e :
Willy Meyer.
L. Weber.
C. Heitzmann.
Garrigues.
A. Jacobi.
Foerster.
Edebohls.
Krug.
Seibert.
Kammerer.
Es folgt Vortrag von Dr. H. F. Risch: Eine Art der Be-
handlung der Diphtherie; ferner
Vortrag von Dr. L. Fischer: Frühzeitige Diagnose der
Diphtherie, mit Demonstrationen.
(Ist in der Monatsschrift abgedruckt worden.)
Discussion.
Dr. A. Jacobi bemerkt, dass es ihm scheine, als ob der Vortrag
von Dr. Risch eine Mittheilung sei, die er, Dr. Risch, nicht kritisirt
haben möchte. Was dagegen den Vortrag von Dr. Fischer zur Ver-
vollständigung der Diagnose betreffe, so sei derselbe an der Tages-
ordnung. Manches sei darin nicht richtig mitgetheilt worden; so zum
Beispiel habe Prüdden selber später angegeben, dass er die Loetfler'-
schen Bacillen findet.
Dr. Seibert erklärt, dass er sich über den Vortrag von Dr.
Fischer sehr freue; es sei ihm zwar nicht vergönnt gewesen, viel Bac-
teriologie zu treiben, gleichviel gelang es ihm schon vor einem Jahre,
81
die LoEFFLER'schen Bacillen in den Diphtheriemembranen direkt unter
dem Mikroskop durch Färbung mit Methylen-Blau nachzuweisen. Dr.
Jacobi hatte in der Kritik über seinen Vortrag noch angegeben, dass
Prudden den Loeffler- Bacillus nicht anerkennt. Was die Diagnose
betreffe, so sei dieselbe gewöhnlich schon ohne den Nachweis der Ba-
cillen sicher gestellt.
Dr. L. Fischer bezweifelt, dass Dr. Seibert die Diagnose ohne
weiteres machen könne; er glaube nicht, dass man die Membranen be-
hufs mikroskopischer Untersuchung auf streichen könne; nur der Be-
fund der Bacillen stelle die Diagnose sicher.
Dr. A. Jacobi fragt, ob Baginski und Fischer genügend Fälle
untersucht haben, um zu zeigen, wie viele der follikulären Anginen zur
Diphtherie gehören. Er war stets der Ansicht, dass viele davon Diph-
therie wären.
Dr. Fischer beantwortet die Frage dahin, dass die Mehrzahl
sich als diphtherisch erwiesen haben.
D r. A. Jacobi hebt hervor, dass dies seine alte Erfahrung bestä-
tige, dass nämlich die Mehrzahl der Fälle diphtherisch sind.
Dr. C. Heitzmann erwähnt, dass er vor einem Jahre bei Klein
den Diphtherie-Bacillus gesehen habe. Klein habe auch Impfungen
an Katzen vorgenommen und zwar mit Erfolg. Derselbe habe über-
haupt sehr schöne Arbeiten auf diesem Gebiete geleistet und daher
falle es ihm auf, dass der Vortragende seinen Namen nicht erwähnt
habe.
Dr. L. Fischer bedauert, dass er Klein's Arbeiten übersehen
habe.
Als neue Mitglieder werden vorgeschlagen:
Dr. Brettauer, von Dr. Freudenthal.
Dr. Alfons Mueller, von Dr. F. Torek
Schluss und Vertagung.
Dr. Max Einhorn,
protokoUirender Sekretär.
Deutsche Medicinische Gesellschaft von New York.
17 West 43. Strasse.
SitzuDg vom 7. December 1891,
Präsident Dr. A. Jacobi.
Das Protokoll der letzten Sitzung wird verlesen und angenommen.
Demonstration von Instrumenten.
Dr. L. Weber zeigt einen Hydrocelen Troikar und Spritze vor.
Discussion:
Dr. Roth fragt, ob die Spritze mit dem Troikar zusammen heraus-
gezogen werde.
Dr. A. Jacobi fragt, ob der Urin untersucht wurde.
Dr. Weber antwortet, dass er keine Veranlassung gehabt habe,
den Urin zu untersuchen.
Jahresberichte:
Der Jahresbericht des korrespondirenden Sekretärs, der Bericht des
protokoUirenden Sekretärs und des Schatzmeisters werden verlesen.
Bericht des protokolUrenden Sekretärs über das Vereinsjahr 1891.
Im verflossenen Vereinsjahre fanden 10 wissenschaftliche Sitzungen
statt.
In denselben wurden:
11 Patienten vorgestellt,
82
46 Präparate und 8 Apparate resp. Instrumente demonstrirt
und 23 Vorträge gehalten.
Letztere vertheilten sich auf die einzelnen Specialfächer folgender-
maassen:
Innere Medicin 12
Chirurgie 5
Histologie und pathologische Anatomie 2
Kinderheilkunde 1
Dermatologie 2
Gynaekologie 1
Dr. Max Einhorn,
protokollirender Sekretär.
Als ßevisions-Committee für die Kasse werden ernannt: Dr. C.
Heitzmann und Dr. L. Weber.
Dr. von der Goltz resignirt als Mitglied; die Resignation wird
angenommen.
Es folgen die angekündigten Vorträge:
Dr. H. G o 1 d e n b e r g : Beiträge zur Diagnose und Therapie des
Trippers. (Ist in No. 1, 1892, der Medicinischen Monatsschrift abgedruckt
worden.)
Discussion.
Dr. Newman bemerkt, dass, nach dem Vortrag zu schliessen,
die Behandlung des Trippers leicht erscheine. Er beschäftige sich 25
Jahre mit dieser Frage, auch mit dem Cystoskop, allein in frischen
Fällen könne man selten Sonden einführen, ebensowenig das Cystoskop.
Es gebe Tripper, die keine Gonokokken haben, und doch sei bei der
Behandlung die Wegschafifung der Gonokokken das Wichtigste.
Dr. C. Heitzmann hebt hervor, dass man eine Trennung zwischen
Tripper mit Gonokokken und Tripper ohne Gonokokken vornehmen
sollte. Letztere Form sollte als ein katarrhalischer Ausfluss bezeich-
net werden. Mit der Behandlung des Trippers müsse man sehr vor-
sichtig sein. Ein Arzt, den er lange wegen Nephritis behandelt hatte,
wollte sich verheirathen, und er rieth ihm dazu. Später kam Patient
zu ihm zurück und erzählte ihm, er habe 3mal versucht, seine Frau zu de-
floriren, jedesmal aber bekam er einen Tripper bei dem Versuch. Bum
habe nachgewiesen, dass in der Vagma der Micrococcus subflavus da
ist, der den Frauen nicht schadet, aber bei Männern in der Urethra
Gonorrhoe erzeugen kann. Diese Gonorrhoe sei also nicht durch
Gonokokken bedingt und müsse als eine Urethritis catarrhalis bezeich-
net werden.
Dr. Goldenberg bemerkt in seinem Schlusswort mit Rücksicht
auf die Ausführungen des Dr. Newman, dass er bei einem akuten
Tripper das Cystoskop nicht anwende. Neisser habe nachgewiesen, dass
die Gonokokken die Ursache der Gonorrhoe sind. Redner fragt, ob
nicht die Gonokokken und der Micrococcus subflavus identisch seien.
Dr. A. Jacobi meint, dass man sich daran gewöhnen sollte, einen
Ausfluss mit Gonokokken als Tripper zu bezeichnen und einen anderen
als katarrhalische Urethritis.
Die Abstimmung ergibt die Aufnahme der in der vorigen Sitzung
vorgeschlagenen Kandidaten.
83
Als neue Kandidaten werden vorgeschlagen :
Dr. H. A. Hkrrmann, 696 Madison Ave., von Dr. C. Heitzmann.
Dr. F. E. Sondern, 36 West 33. St. )
Dr. W. C. GuETH, 253 East 71. St. V von Dr. Franz Torek.
Dr. F. H. ZiTz, 596 7. Ave. )
Dr. Halpern, 230 Broadway, von Dr. M. Komm.
Dr. A. ScHüLMAN, 319 East 10. St., von Dr. Edebohls.
Dr. Ohas. A. Powers, 35 West 35. St., von Dr. Edebohls.
Dr. Sara Welt hält darauf den angekündigten Vortrag: Beitrag
zum Vorkommen von geistigen Störungen nach akuten Krankheiten im
Kindesalter»
Discussion.
Dr. G. W. J a c o b y hebt hervor, dass Kinderärzte und Neuro-
logen bei dieser Frage sehr interessirt sind. Ist denn ein Unterschied
zwischen den Psychosen bei Erwachsenen und Kindern überhaupt vor-
handen ? Redner ist der Ansicht, dass die Psychosen im Kindesalter
anders sind als bei Erwachsenen, glaubt jedoch nicht, dass diese be-
sprochenen Psychosen infolge der akuten Infectionskrankheiten ausge-
brochen seien. Man werde immer andere Momente finden, die für den
Ausbruch der Psychose verantwortlich sind.
D r. L. Weber hält es für wichtig, hier über die Epilepsie zu
sprechen. Diese sei gleichfalls eine Psychose, und er könne mehrere
solche Fälle anführen, wo Epilepsie nach akuten Infektionskrankheiten
entstanden ist. Der erste Fall betraf ein Mädchen, wo Epilepsie im
15. Lebensjahr nach bösen Masern eintrat. Im 2. Fall trat nach schwe-
rem Scharlach im 8. Lebensjahr Epilepsie im 14. Lebensjahr ein. In
beiden waren keine anderen Momente für die Entstehung der Epilepsie
vorhanden.
Dr. Rachel theilt mit, dass ein Knabe von 6 Jahren, der kürz-
lich „ Nerventieber Typhus abdominalis, gehabt, dann zänkisch und
widerspruchsfertig ward und versuchte, alles Papier und Leinen zu
kauen und zu verschlucken. Gleichzeitig bestand hochgradige Anorexie
und Darmkatarrh. Durch gehörige Behandlung besserte sich der
Magenkatarrh und gleichzeitig änderte sich der geistige Zustand
des Kindes. Redner meint nun, dass gewisse Ptomaine. die beim
Darmkatarrh entstehen und resorbirt werden, eventuell in dieser Weise
auf das Gehirn gewirkt haben mögen.
Dr. Einhorn glaubt, dass diese Erklärung insofern unwahrschein-
lich ist, als man sonst öfters bei den Magen-Darmkatarrhen der
Kinder ähnliche Erscheinungen beobachten sollte.
D r. R a c h e 1 erwidert, dass man in der That bei Kindern öfter
solche Erscheinungen finde.
Dr. A. J a c o b i : Wenn geistige Störungen nach akuten Krank-
heiten vorkommen, so werden verschiedene Gehirne gewiss für die
Entstehung von Psychosen prädisponirt gewesen sein. Ueberall müsse
etwas Prädisponirendes als Ursache da sein. Vor einer Reihe von
Jahren habe Seibert nachgewiesen, dass bei der Pneumonie in einer
grossen Anzahl von Fällen eine Bronchitis vorangegangen. — Die
Statistik leiste übrigens bei den Psychosen sehr wenig. Die betreffen-
den Kinder kommen nicht in die Anstalten. Idioten seien unter den
Kindern häufig, sie würden im Dispensary gesehen; dasselbe sei mit
den Geisteskrankheiten im Kindesalter der Fall. Neuralgien sind sehr
jaäufig, Hysterie nicht selten im Kindesalter. Im letzten Heft für
84
Psychiatrie berichtet Nolde über das Vorkommen von multipler Skle-
rose nach akuten Infectionskrankheiten. Redner hat selbst Gelegen-
heit gehabt, einige Fälle von akuter Psychose nach Infectionskrank-
heiten zu beobachten. Die Handbücher enthalten sehr wenig darüber,
am ausführlichsten sei der Gegenstand bei Struempell besprochen.
— Was ist nun die Ursache der Entstehung von Geisteskrankheiten
nach der Inf ectionskrankheit ? — Eine schwere Anaemie ist die Ur-
sache; anderseits kann ein entzündlicher Zustand vorhanden sein.
Meningitis ist bei Typhus und Rheuma vorhanden : warum soll sich
nun nicht hieraus später ein abnormaler Geisteszustand entwickeln ?
— Seine Fälle waren jedoch nicht so leicht verlaufen. Ein Fall von
Psychose trat nach Scharlach ein, und das Kind ist jetzt in einer An-
stalt. Der zweite Fall betrifft einen Knaben, der in seinem 2. Lebens-
jahr an tuberkulöser Meningitis litt. Später war er stets unartig und
ist jetzt in einem Irrenhause. Redner hat noch andere Fälle gesehen,
aber in allen diesen war Meningitis vorhanden.
Dr. G. W. J a c o b y fragt, ob Fälle vorkamen, wo Psychosen nach
akuten Krankheiten aufgetreten sind, ohne dass hereditäre Belastung
vorhanden war.
Dr. A. Jacobi erwidert, dass ihm Fälle, wie sie Dr. Welt be-
sprochen habe, nicht viele vorgekommen seien ; seine Fälle seien
grösstentheils erblich belastet gewesen ; auch die Fälle von Nolde
waren erblich belastet ; jedoch habe er selber Irrsinn in 2 Fällen ge-
sehen, wo keine erbliche Belastung vorhanden war.
Dr. Sara Welt hebt hervor, dass in zweien ihrer Fälle ebenfalls
keine hereditäre Belastung vorhanden war.
Es folgt nunmehr die Abstimmung über die Wahl der Beamten,
welche folgendes Resultat ergibt:
Dr. C. Heitzmann, Präsident;
Dr. G. W. Rachel, Vice-Präsident;
Dr. M. Einhorn, ProtokoUirender Sekretär;
Dr. F. Torek, stellvertretender prot. Sekretär;
Dr. W. Freüdenthal, Correspondirender Sekretär;
Dr. L. Weiss, Schatzmeister;
Aufnahme-Committee:
Dr. L, Weber ;
Dr. A. Jacobi ; __
Dr. F. Foerster; " . ]
■ Dr. F. Kammerer ;
Dr. Willy Meyer.
Schluss und Vertagung,
Dr, Max Einhorn,
^ _ • protokoUirender Sekretär.
Nekrologe.
Prof. Dr. ERNST WILHELM RITTER v. BRUECKE.
Der berühmte Physiologe, Prof. v. Bruecke, erlag der Influenza am
7. Januar d. J. Sein äusserer Lebenslauf war sehr einfach : geboren
zu Berlin am 6. Juni 1819 als Sohn des Portrait- und Historienmalers
Johann Gottfried B., studirte er Medicin in Berlin und Heidelberg,
promovirte 1842, wurde 1843 Assistent von Johannes Mueller, 1844
Privatdocent an der Berliner Universität, 1846 Lehrer der Anatomie
an der Berliner Academie der bildenden Künste, 1848 Extraordinarius
85
für Physiologie in Königsberg und endlich 1849 Professor der Physio-
logie und Histologie in Wien, wo er bis zur Niederlegung seines Lehr-
amtes im vorigen Jahre ununterbrochen wirkte. B. hat nicht ein
specielles Kapitel der Physiologie ausschliesslich oder mit besonderer
Vorliebe bearbeitet, sondern auf allen Gebieten der Biologie geforscht
und die jElesultate seiner Studien in einigen Büchern und in zahlreichen
Abhandlungen (nach Exner beläuft sich die Zahl derselben auf 127 !)
niedergelegt. Von Letzteren erschienen die meisten in „Mueller's
Archiv" und späterhin in den „Sitzungsberichten der Wiener Academie
der Wissenschaften.*' Einer grossen Verbreitung unter den Studiren-
den erfreuen sich noch bis heute seine gediegenen „Vorlesungen über
Physiologie" (zuerst 1873 erschienen), welche mehrere Auflagen erlebt
haben. Sein letztes Werk behandelt das Thema über „Schönheit und
Fehler der menschlichen Gestalt".
Prof. Dr. KARL L. LIMAN.
Der Professor der gerichtlichen Medizin in Berhn, Dr. Karl L.
LiMAN, ist am 22. November v. J. gestorben. Derselbe wurde 1842
promovirt, 1861 Privatdozent für gerichtliche Medizin, 1865 Professor
e. o. Seit vielen Jahren war derselbe gerichtlicher und Stadtphysikus
und leitete die praktische Unterrichtsanstalt für Staatsarzneikunde in
Berlin. Ausser zahlreichen kleineren Abhandlungen gab Liman
Ricord's „Briefe über Syphilis" in deutscher Uebersetzung heraus,
ferner seines Oheims J, L. Casper „Handbuch der gerichtlichen
Medizin" in neuer Bearbeitung und in mehreren Auflagen. Von seinen
grösseren Arbeiten heben wir hervor : „Zweifelhafte Geisteszustände
vor Gericht" (Berlin 1869).
Sir MORELL MACKENZIE.
Der hervorragende enghsche Laryngo- und Rhinologe, ein Schüler
Czermak's, Sir Morell Mackenzie, ist in London am 3. Februar d. J.
nach einem kurzen Krankenlager, an acuter Bronchitis gestorben.
Geboren in Leytonstone (Grafschaft Essex) im Jahre 1837, studirte
M. Medicin zuerst in London, später in Paris, Wien und Budapest.
Er practicirte in London seit 1862 und gründete dort im darauffolgen-
den Jahre das musterhafte " Hospital of the Diseases of the Throat."
Im selben Jahre erhielt er vom Royal College of Surgeons den „Jack-
sonian prize" für eine Abhandlung über die Krankheiten des Kehl-
kopfes. Ausser seiner umfangreichen schriftstellerischen Thätigkeit
auf dem Gebiete seines Spezialfaches, hielt M. auch Vorlesungen im
London Hospital. Sein Hauptwerk ist das bekannte, in zwei Bänden
erschienene Buch " Diseases of the Throat and Xose ", welches auch
in's Deutsche und Französische übersetzt wurde. M. war MitgUed
verschiedener wissenschaftlicher Gesellschaften in Europa und Ehren-
mitglied der American Laryngological Association. Bekanntlich hatte
M. den verstorbenen Kaiser Friedrich behandelt. Der Streit, der da-
mals zwischen M. und seinen deutschen Collegen entbrannte, ist noch
Allen in Erinnerung. Eine Vertheidigungsschrift (" The Fatal Illness
of Frederic the Noble"), die M., nach dem Tode des Kaisers, veröffent-
licht hatte, zog ihm die Feindschaft seiner Londoner Collegen zu und
veranlasste ihn, sein Lehramt am College of Physicians niederzulegen.
86
Briefkasten.
Elfter Congress für innere Medicin.
Wiesbaden, Januar 1892.
Sehr verehrter Herr Eedacteür !
Sie würden das unterzeichnete Committee zu dem wärmsten Danke
verpflichten, wenn sie die Güte haben wollten, die nachstehenden No-
tizen über den 11. Congress für innere Medicin in dem redactionellen
Theile Ihres geschätzten Blattes zu berücksichtigen.
Das Geschäftscommittee für innere Medicin.
Immermann. v. Ziemssen. BÄumler. Mosler.
Im Auftrage:
Emil Pfeiffer,
Ständiger Sekretär des Congresses.
Der elfte Congress für innere Medicin findet vom 20.— 23. April 1892
zu Leipzig im Deutschen Buchhändlerhause, Hospitalstrasse, unter dem
Vorsitze des Herrn Professor Curschmann (Leipzig) statt.
Die Themata, welche zur Verhandlung kommen sollen, sind:
Mittwoch, den 20. April: Die schweren anämischen Zustände. Refe-
renten: Herr Biermer (Breslau) und Herr Ehrlich (Berlin).
Freitag, den 22. April: Die chronische Leberentzündung. Referen=
ten: Herr Rosenstein (Leyden) und Herr Stadelmann (Dorpat).
Die nachstehenden Vorträge sind bereits angemeldet: Herr
Emmerich (München): Ueber die Ursache der Immunität und die
Heilung von Infectionskrankheiten. — Herr Peiper (Greifswald): Ueber
Urämie. — Herr Rob. Bins wanger fKreuzlingen-Constanz): Ueber die
Erfolge der Suggestiv-Therapie. — Herr Goltz (Strassburg): Ueber die
Folgen der Ausschneidung grösserer Stücke des Rückenmarkes (Bericht
über Beobachtungen, welche von den Herren Goltz und Ewald an Hun-
den angestellt wurden). — Herr Schott (Nauheim): Zur Aetiologie der
chronischen Herzkrankheiten. — Herr v. Jaksch (Prag): Thema vorbe-
halten. — Herr Fürbringer (Berlin): Zur Kenntniss der sogenannten
Leberkolik und Pseudogallensteine. — Herr Vucetic (Mitrovitz): Be-
handlung des Alkoholismus. — Herr Minkowski (Strassburg): Weitere
Mittheilungen über den Diabetes meUitus nach Pancreasexstirpation.
— Herr Ebstein (GöttiDgen): Thema vorbehalten, — Herr Adamkiewicz
(Krakau): Ueber die Behandlung des Carcinomes. — Herr Finkler
(Bonn): Die verschiedenen Formen der Pneumonie. — Herr Gerhardt
(Berlin): Thema vorbehalten. — Herr Geppert (Bonn): Thema vorbe-
halten: Herr Israel (Berlin): Ueber die secundären Veränderuncren der
Kreislaufsorgane bei Insufficienzder Nierenthätigkeit. — Herr Landois
(Greifswald): Ueber den therapeutischen Werth der Bluttransfusion
beim Menschen. — Herr Rütimeyer (Basel-Richen): Zur Pathologie der
Bilharziakrankheit. — Herr Grawitz (Greifswald): Ueber die hämorrha-
gischen Infarcte der Lungen. — Herr Klebs (Zürich): Ueber die Heilung
der Tuberkulose und die Biologie der Tuberkelbacillen. — Herr G.
Klemperer (Berlin) und Herr F. Klemperer (Strassburg): Untersuchun-
gen über die Ursachen der Immunität und Heilung, besonders bei der
Pneumonie. — Herr Buchner (München): Ueber Immunität gegen In-
fectionskrankheiten. — Herr v. Ziemssen (München): Ueber subcutane
Bluttransfusion. — Herr F. Wolff (Reiboldsgrün): Ueber das Verhält-
niss der Infectionsgefahr zum wirklichen Erkranken bei Tuberkulose.
Herr Löffler (Greifswald): Thema vorbehalten. — Herr Richard Stern
(Breslau): Ueber Darm-Desinfection. — Herr H. Leo (Bonn): Beobach-
tungen über Diabetes mellitus. — Herr Schreiber (Königsberg): Ueber
Circulationsstörungen in den Nieren.
87
FMit dem Congress ist eine Ausstellung neuerer ärztlicher Apparate,
Instrumente, Präparate u. s. w. verbunden. Anmeldungen für dieselbe
sind an den Lokal-Sekretär des Congresses, Herrn Privatdocenten Dr.
Krehl, Leipzig, Thalstrasse 31, zu richten.
Allerlei. »
Gelegentlich der Chicagoer Weltausstellung im Jahre 1893 ist von
dem Committee der Weltausstellung die Abhaltung eines internationa-
len hygienischen Congresses in Aussicht genommen. Das genannte
Committee hat sich bereits mit der ständigen Commission des internatio-
nalen hygienischen Congresses in Verbindung gesetzt, um eine Verein-
barung dahin -au treffen, dass der für das Jahr 1893 in Budapest abzu-
haltende VIII. Congress erst im Jahre 1895 daselbst stattfindet.
Der zweite internationale dermatologische Kongress wird vom 5.
bis 10. September 1892 in Wien abgehalten werden. Präsident des Or-
ganisations-Committees ist Prof. Kaposi. Das Committee hat bisher
folgende Themen aufgestellt : I. Ueber lymphatische Erkrankungen
der Haut, vom path.-anatom. Standpunkte : Doz. K. Paltauf (Wien).
II. Ueber den gegenwärtigen Stand der Lepra in Europa: Dr.
Arning (Hamburg), Dr. Petersen (Petersburg). III. Ueber Dermato-
mykosen, unter besonderer Berücksichtigung der Verhältnisse in
Frankreich : Dr. Feulard (Paris). IV. Ueber tardive Syphilis : Prof.
Neumann (Wien). V. Ueber Anatomie und Entwickelung des Ober-
hautpigments : Prof. Jarisch (Innsbruck). VI. Ueber Psorospermo-
sen : Prof. Neisser (Breslau), Prof. C. Boeck (Christiania). VII. Ueber
die Principien der Gonorrhöebehandlung : Prof. Neisser (Breslau).
VIII. Ueber Lupus erythematosus : Dr. Malcolm Morris (London),
Dr. Th. Veiel (Canstatt). Zu Vorträgen haben sich gemeldet: Bes-
nier (Paris), FouRNiER (Paris), Pick (Prag), Doutrelepont (Bonn),
Schwimmer (Budapest), Kiehl (Wien). Gleichzeitig mit dem Kongresse
findet auch eine Ausstellung von die Pathologie und Therapie der
Hautkrankheiten und der Syphilis, sowie der verwandten Fächer be-
treffenden Gegenständen statt. Anmeldungen nimmt entgegen der
Generalsecretär des Congresses, Dr. Riehl (Wien I., Bellariastr. 12).
Das erste Land, welches dem Missbrauch der Hypnose einen Kiegel
vorzuschieben sich bemüht hat, ist Belgien. Die Volksvertretung in
Brüssel hat einen Gesetzentwurf nachstehenden Inhalts angenommen :
§ 1. Wer ein durch ihn oder durch jemand Andern hypnotisirtes In-
dividuum zur öffentlichen Schau stellt, wird mit Haft von zwei Wochen
bis zu sechs Monaten und mit einer Geldbusse von 26 bis 1000 Francs
bestraft. § 2. Wer als Nichtarzt ein Individuum hypnotisirt, welches
das einundzwanzigste Jahr noch nicht erreicht hat oder nicht im voll-
ständigen Besitz seiner Geisteskräfte ist, wird mit Haft von zwei
Wochen bis zu einem Jahre und mit einer Geldbusse von 26 bis 1000
Francs bestraft, auch dann, wenn das hypnotisirte Individuum nicht
zur öffentUchen Schaustellung benützt wurde. In dem Falle, wenn
auch eine solche Uebertretung geschah, welche das die ärztliche
Praxis regelnde Gesetz gleichfalls ahndet, kann auch dieser Paragraph
angewendet werden. | 3. Mit Haft bestraft wird derjenige, der mit
der Absicht, zu betrügen oder zu schädigen, durch ein hypnotisirtes
Individuum eine solche Urkunde unterschreiben lässt, welche einen
Vertrag, eine Verfügung, Verpflichtung, Lösung oder Erklärung ent-
hält. Dieselbe Strafe trifft denjenigen, der jene Urkunde zu seinem
Nutzen verwerthet hat. ^ 4. Im Falle der Verletzung des vorliegenden
88
Gesetzes sind die Bestimmungen des im § 85 des Cap. VII. im I, Band
des Code penal in Anwendung zu bringen.
Das Wasserstoffsuperoxyd erfreut sich, besonders in den Vereinigten
Staaten, einer immer mehr zunehmenden therapeutischen Verwen-
dung. Es scheint in der That, dass diesem mächtigen Parasiticiden
eine grosse Zukunft bevorsteht, indem die günstige Wirkung desselben
bei verschiedenen Krankheiten, nach den zahlreichen Berichten com-
petenter Fachgenossen, eine noch mehr ergiebige Verwerthung dieses
Mittels erwarten lässt. Am zuverlässigsten scheint sich übrigens das
Ch. MARCHAND'sche „Peroxide of Hydrogen Medicinal " darge-
stellte W., weil sicher und unschädlich in seiner Wirkung, bewährt zu
haben. Derselbe Chemiker hat auch specielle Hand-Sprayapparate
zur Inhalation des W. hergestellt. Dass das W. früher von den Medi-
cinern so wenig beachtet wurde, erklärt sich wohl dadurch^ dass die
bisher gelieferten Fabrikate unzuverlässig und nicht haltbar waren,
und weil sie ferner in einer Form geboten wurden, die die Anwendung
des W. erschwerten. Das unverdünnte flüssige W. ist an sich höchst
unbeständig und zerfällt bei der mindesten Erschütterung, unter Ex-
plosion, in Wasser und Sauerstoff. Es wird daher zu praktischen
Zwecken stets in verdünnter Lösung gebraucht. Das für ärztliche
Zwecke von Marchand (28 Prince Street, New York) dargestellte
Präparat ist ein 15-Volumhaltiges W. (es enthält nämlich
das 15-fache seines Vol. an nascirendem Sauerstoff) und ist
eine wasserklare, fast geruch- und geschmacklose Flüs-
sigkeit, zu der, behufs besserer Haltbarkeit, etwas Salzsäure zugesetzt
ist. Es wird in Pint- Flaschen zu 9 Dollar das Dutzend geliefert. Die
Flaschen müssen kalt aufbewahrt werden, die Lösung darf nicht mit
metallenen Gegenständen in Berührung kommen, denn sie zersetzt
sich dabei sehr leicht. Die 15-Vol. Lösung ist zwar nicht giftig, doch
ist es immerhin besser, sie zu therapeutischen Zwecken zu verdünnen.
So z. B. genügt zur Irrigation des Mundes, der Nase, der Rachens eine
2-Volumhaltige Lösung. Man bereitet sich die Lösung selbst zu, in-
dem man zu 1 Pint Wasser 2 Unzen von der ursprünglichen Lösung
zusetzt. Zum Gurgeln (bei Scharlach, Diphtherie) eignet sich eine 3-
Volumhaltige, für Scheidenirrigationen (Krebs u. s. w.) eine 1- Volum-
haltige Lösimg.
Dr. Max Einhorn,
Stellvertretender Redacteur,
120 E. 64. St.
An die Leser.
Geschäftliche Zuschriften, Geldsendungen, Bestellungen u. s. w., sind
zu richten an : " Medical Monthly Publishing Co.," 17—27 Vandewater
Street, New York.
Manuscripte, Wechselblätter und Anfragen bezüglich des Inhaltes
sind an den Herausgeber zu richten.
Herr Karl Kahler, unser einziger Vertreter, ist eben im Interesse
unseres Blattes im Osten thätig.
New Yorker
Medicinische Monatsschrift.
Organ für praktische Aerzte in Amerika
•unter Mit-wirkung von
Dr. A. F. Buechler, Dr. Geo. Degner, Dr. Max Einhorn, Dr. Jos. W. Gleitsmann,
Dr. Geo. W. Jacoby, Dr. F. Krug, Dr. S. J. Meitzer, Dr. Willy Meyer,
Dr. C. A. von Kamdohr, Dr. A. Schapringer, Dr. A. Seibert
herausgegeben von
Dr. P. C. HEPPENHEIMER.
Verlag der Medical Monthly Publishing Company, 17-27 Yandewater Street, N, T.
Bd. IV. New York, 15. März 1892, No. 3.
ORIGINALARBEITEN.
I.
Wanderniere und Frauenkrankheiten.*)
Von
Dr. John Schmitt.
In einem Vortrage über Wanderniere beschwerte sich vor einiger Zeit
ein Arzt über einen Collegen, der die Eierstöcke einer mit beweglicher
Niere behafteten Patientin entfernte. „Die Eierstöcke büsste Patientin
wohl ein, die Wanderniere mit ihren quälenden Symptomen behielt sie."
Die Ueberlegungen, die sich an diese Beschwerde anschliessen, er-
geben so viele, interessante Punkte, dass ich es der Mühe Werth er-
achte, dieselben in zusammenhängender Form Ihnen vorzutragen.
, Wenn man es sich zur Aufgabe macht, alle Frauen, die wegen wirk-
licher oder vermeintlicher Sexualleiden zur Beobachtimg kommen, auf
Dislocation der Niere zu untersuchen, so ist man über die Häufigkeit
letzterer Erkrankung erstaunt. Ich übertreibe nicht, wenn ich be-
haupte, dass unter zehn Frauen mindestens eine mit einer mehr oder
weniger vorgeschrittenen Senkung meistens der rechten Niere behaftet
ist. Freilich darf man Zeit und Mühe, die eine gründüche Nierenun-
tersuchung erfordert, nicht scheuen. Ohne sie werden die Anfangs-
stadien der Nierensenkung, die sehr häufig vorkommen, leicht über-
sehen. Unter günstigen Bedingungen lassen sich die unteren Pole nor-
mal gelagerter, pathologisch nicht vergrösserter Nieren abtasten. Man
bedient sich am besten der bimanuellen Methode, indem man, während
Patientin mit gebeugten Ober- und Unterschenkeln auf den Rücken
oder die gesunde Seite gelagert ist, die eine Hand in der Lumbargegend,
die andere vorn unter dem Rippenbogen eindrückt. Sind die Batich-
*) Vortrag gehalten in der Sitzung der Deutschen Mediz. Geeellflchaft, vdn
New York, den 1. Februar 1892. Mit Vorstellung von Patienten.
,90
decken nicht zu fett, die Därme leer und stellen sich während der
Untersuchung keine partiellen Oontracturen der Bauchmuskeln ein,
dann gelingt es in den allermeisten Fällen, namentlich bei tiefer Inspi-
ration, den unteren Abschnitt normaler Nieren zu palpiren. Die An-
fangsstadien der Wanderniere, die in einer einfachen Nierenlockerung
bestehen, lassen sich mit dieser Methode unschwer erkennen. Sie tritt
bei der Inspiration über Gebühr herab, sie lässt sich auf der Höhe der
Inspiration festhalten und am Zurückschlüpfen während der Expira-
tion verhindern.
Von der einfachen Lockerung der Niere bis zur Lagerung im Becken
sind alle Zwischenstationen möghch. Im Allgemeinen senkt sie sich
retroperitoneal zwischen den Blättern des Mesocolon herab, bald mehr
nach innen unter demRippenbogen hervorragend, bald mehr nach aussen
das äussere Blatt des Mesocolon ausdehnend. In der Regel hat sie den
Darm vor sich, doch kann sie auch bei genügender Lockerung und
Ausstülpung des Peritoneum's direkt hinter die Bauchwand zu liegen
kommen. In den hochgradigen Fällen von Nierenwanderung findet
man die Niere entweder in der fossa iUaca oder am Eingang des kleinen
Beckens seitlich vom Promontorium.
Im Allgemeinen wird man nicht fehlgehen, einen in der seitlichen
Bauchgegend, hinter dem Darm gelegenen, ovalen, derben, leicht ver-
schieblichen, bei Druck empflndUchen Tumor als eine Wanderniere an-
zusprechen. Manchmal überrascht die Veränderlichkeit des Befundes:
man hat bei der ersten Untersuchung zweifellos eine Wanderniere ent-
deckt; bei der darauf folgenden kann man sie nicht finden. Ich rathe
in diesem Falle Patientin husten zu lassen, oder sie im Sitzen oder
Stehen zu untersuchen.
Ich erlaube mir Ihnen zwei Patientinnen vorzustellen, bei denen Sie
die abnorme Beweglichkeit der rechten Niere mit Zuhülfenahme der
oben erwähnten Untersuchungsmethode leicht feststellen können.
Bei der einen derselben wurde wegen nervöser Beschwerden der
rechte Eierstock entfernt, die Anwesenheit einer Wanderniere aber
ausser Acht gelassen. Mit demselben Rechte hätte man ihr die Wan-
derniere exstirpieren und den Eierstock belassen können. Denn die
Symptome, wie sie durch die Wanderniere hervorgerufen werden, sind
denjenigen durch gewisse Sexualerkrankungen verursachten ausser-
ordentlich ähnlich.
Kranke mit beweglicher Niere haben ein unangenehmes Gefühl von
Druck und Schwere im Leib, ein Gefühl von Ziehen, als ob ein Gewicht
in der Bauchhöhle sich nach abwärts senke, Sie klagen über Rücken-
schmerzen, meistens der Seite der Dislocation entsprechend. Anhal-
tende Arbeit, Bewegungen, Erschütterungen des Körpers verschlim-
mern, Ruhe, Rückenlage erleichtert die Beschwerden. Solche Patien-
ten fühlen am besten Morgens, wenn sie das Bett verlassen; Herum-
gehen und Aufnahme der gewohnten Beschäftigung bringt ihnen das
Leiden wieder in unangenehme Erinnerung. Nach längerem Bestehen
der Krankheit verschafft ihnen auch die Bettruhe nicht die gewünschte
191
Erleichterung. Sehr gewöhnlich sind Erscheinungen von Seiten des
Magens. Sie wechseln von dyspeptischen Beschwerden, Uebelkeiten,
Erbrechen, Druckgefühl bis zu den heftigsten Cardialgieen. Durch
Dehnung des Peritoneums können Heizerscheinungen von Seiten dieses
auftreten. Es können sich ausserdem theils durch directe Weiterver-
breitung theils durch Reflex Schmerzen in allen benachbarten und ent-
fernten Nervengebieten hinzugesellen. Man bedenke nur welch' wich-
tige Nervengebilde in der Nachbarschaft der Niere gelegen sind. Sie
werden durch die sich herabsenkende Niere gezerrt und gedrückt und
geben zu den mannigfachsten nervösen Störungen Anlass. Allmäh-
lich entwickelt sich bei solchen Patienten der ganze Symptomencom-
plex der Hysterie; selbst geistige Störungen können sich hinzugesellen.
Soweit habe ich Ihnen die Wanderniere nur in ihrem Einfluss auf
das Nervensystem geschildert; es liegt nicht in meiner Absicht Ihnen
ein erschöpfendes Krankheitsbild der beweglichen Niere sondern nur
jene Symptome zu schildern, die mit denen durch gewisse Sexual-
erkrankungen verursachten identisch sind. Aehnlich wie gewisse
uterine und ovarielle Leiden stellt die bewegliche Niere die Resistenz-
fähigkeit des Nervensystems in hohem Grade auf die Probe. Frauen
mit nervöser Schwäche, mag sie nun ererbt oder durch verfehlte Er-
ziehung, lang dauernde Erkrankungen, Sorgen u. s. w. erworben sein,
werden am verhängnissvollsten beeinflusst. Es giebt Individuen, bei
denen die bewegliche Niere gar keine Symptome macht. Bei andern
beschränkt sie sich fast nur auf eine einzige Erscheinung und in andern
Fällen tritt das ganze Heer aller möglichen Symptome zu Tage. Die-
selbe Erfahrung machen wir bei den Sexualerkrankungen. Dasselbe
Leiden, das die eine Patientin wenig oder gar nicht beläßtigt, kann die
andere zum körperhchen und geistigen Invaliden machen.
Man kann die Beziehungen, die Wanderniere und Sexualorgane zu
einander haben, ,von verschiedenen Gesichtspunkten aus beleuchten.
Einen Punkt, der sich mit der Aehnlichkeit der Symptome befasst, habe
ich bereits in Betracht gezogen. Der Vollständigkeit halber — ob-
gleich nicht zu meinem Thema gehörig — möchte ich hier kurz aus-
einandersetzen, in wie weit Wanderniere, Schwangerschaft, Geburt und
Menstruation sich gegenseitig beeinflussen.
Wandernieren, die im Becken gelagert sind, hat man gelegentlich
bei Schwangerschaften oder während der Geburt entdeckt. Sie haben,
soviel ich aus der mir zugänglichen Literatur ersehen kann, nie zur
Unterbrechung der Schwangerschaft oder zu Geburtsstörungen Ver-
anlassung gegeben. Im Becken fixirte Wandernieren können Anlass
zu diagnostischen Irrthümern geben, die in der Regel nach der Lapa-
rotomie aufgeklärt werden. Erworbene Wandernieren lassen sich —
von den seltenen Fällen einer späteren Fixation der Niere in Folge ad-
haesiver Peritonitis abgesehen — gewöhnüch von der Beckenhöhle nach
oben verschieben; während im Becken fixirte Nieren meistens oongeni-
taler Natur sind. Sie bieten auch die Form der Niere deutlicher, als
die congenitalen Nierendislocationen, bei denen Verändeningen der
92
Form, Anomalien der Gtefässursprünge nicht so selten sind. (Orth.)
Die Beschwerden der Wanderniere werden während der Schwanger-
schaft meistens gelindert; der in die Höhe wachsende Uterus drängt
die Niere nach oben und bildet für dieselbe eine natürliche Unter-
stützung. Doch giebt es auch Ausnahmen zu dieser Regel Ich be-
obachtete eine Schwangere, die von zeitweilig heftigen Schmerzen auf
der Seite der Wanderniere, selbst noch in den späteren Schwanger-
schaftsmonaten befallen wurde. Im Wochenbette können die Be-
schwerden wieder zurückkehren, selbst bevor die Patienten das Bett
verlassen. Wenigstens habe ich im Verlaufe des Wochenbettes, die
von einer rechtsseitigen Wanderniere abhängigen nervösen und dyspep-
tischen Beschwerden, die in der Schwangerschaft fast verschwunden
waren, wiederkehren sehen. Wahrscheinlich hatte die während der
Geburt längere Zeit in Anspruch genommene Bauchpresse die Rück-
kehr der Nierendislocation mit ihren Folgeerscheinungen verschuldet.
Was ich Ihnen sonst noch von dem Einfluss normaler oder physio-
logisch veränderter Genitalorgane auf die bewegliche Niere zu berich-
ten habe, ist wenig. Es giebt Aerzte, die behaupten, dass bei jeder
Menstruation auch eine Congestion zu den Nieren erfolgt. Diese
führe allmählig zu einer Erschlaffung und Lockerung der Befesti-
gungsmittel des Organs und schliesslich zur Nierensenkung. Es ist
dies selbstverständlich nur eine Hypothese, die Sie nach Belieben
glauben oder bezeifeln können. Sicher ist, dass die Beschwerden einer
Wanderniere sich bisweilen zur Zeit der Menstruation verschlimmern.
Sind die Beziehungen von Wanderniere zu normalen Sexualorganen,
die ich Ihnen soeben kurz auseinandergesetzt habe, von mehr unter-
geordnetem Interesse, so erweist sich das Thema, das die Beziehungen
der Wanderniere zu gleichzeitig bestehenden Sexualerkrankungen be-
leuchtet, ungleich fruchtbarer und interessanter. Ein Theil der Geni-
talerkrankungen steht in durchaus keinem Zusammenbang mit Wan-
derniere; sie stellen zufällig gleichzeitig bestehende Leiden dar. Ich
wüsste wenigstens nicht, welche Verwandtschaft eine Gonorrhoe oder
ein Pyosalpinx oder ein Cervicalriss mit einer Wandemiere haben
könnte. Andererseits giebt es aber eine Anzahl von Sexualerkrankun-
gen, die häufig mit Wanderniere zusammen vorkommen, so dass die
Annahme eines gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnisses und na-
mentlich einer gemeinschaftlichen Aetiologie gerechtfertigt erscheint.
Dahin gehören Rückwärtslagerung und Senkung der Gebärmutter,
Cysto- und Rectocele, sowie chronische Entzündungszustände des
Uterus und der Ovarien.
Um Ihnen den Zusammenhang dieser Leiden mit Wandemiere
verständlich zu machen, halte ich es zunächst für nöthig die Aetiologie
der Wanderniere Ihnen in's Gedächtniss zurückzurufen.
Manche Aerzte schreiben dem festen Schnüren, das indirect durch
Druck auf die Leber die Niere aus ihrer Lage drängt, einen Hauptan-
theU an dem Zustandekommen der rechten Wanderniere zu. Andere
lege» mehr Gwicht auf einen Schwund des Kapselfettes, das die Niere
93
umlagert und an die benachbarten Gebilde befestigt. Schwindet das
Fett in Folge von Krankheiten, dann tritt Lockerung und Senkung der
Niere ein. Anhaltender Husten, Pressen bei chronischer Constipation,
überhaupt alle Vorkommnisse, bei denen das Zwerchfell öfters und län-
ger in Inspirationsstellung verharrt, sind geeignet eine Dislocation der
Niere hervorzurufen. Wahrscheinlich spielen congenitale Verhältnisse,
Abnormitäten in der Befestigung der Niere insofern eine Rolle, als sie
Individuen zur Erwerbung der beweglichen Niere mehr disponirt
machen. Aus alledem geht aber hervor, dass die Ursachen, die zur
Wanderniere führen, nicht immer dieselben und für jeden einzelnen
Fall mittelst Untersuchung imd Anamnese zu ermitteln sind. In einem
Punkte scheint aber eine auffallende Uebereinstimmung zu herrschen,
dass nämlich Frauen, bei denen die Elasticität der Bauchdecken durch
Schwangerschaften, Tumoren, Laparotomien, Ernährungsstörungen
u. s. w. Noth gelitten hat, verhältnissmässig häufig an Wanderniere
leiden. Der Zusammenhang der Wanderniere mit Erschlaffung der
Bauchdecken ist leicht zu verstehen, wenn man die physiologische
Thätigkeit der Bauchwandungen sich vergegenwärtigt.
Das Bauchinnere ist eingeschlossen von elastischen Wänden :
Zwerchfell mit Lungen, unterer Theil des Thorax, Bauchwandungen
und Beckenboden. Der Druck, der von diesen Wänden auf die Bauch-
contenta und in erster Linie auf die elastischen Gedärme, den Magen
eingeschlossen, ausgeübt wird, erzeugt in der Bauchhöhle eine Span^
nung, die wir intraabdominalen Druck nennen.
Einen hervorragenden Antheil an dem Zustandekommen dieses
übernehmen die Bauchdecken. Einem elastischen Bande vergleichbar
umspannen sie die Baucheingeweide und passen sich den physiologi-
schen und pathologischen Volumsveränderungen der Bauchhöhle ver-
möge ihrer Zusammenziehungs- und Ausdehnungsfähigkeit an. Sie
stützen und halten die Bauchcontenta zusammen, sie üben auf diese
einen Druck aus, der neben den anatomischen Befestigungsmitteln ein
wesentliches Unterstützungsmittel zur Erhaltung der relativen Lage
der Bauch- und Beckenorgane ist.
Werden nun die Bauchdecken durch irgend welche Ursachen in-
sufficient, so ist die nächste Folge eine Herabsetzung des intraabdomi-
nalen Druckes. Mit ihr treten eine Reihe von Störungen in der Bauch-
höhle ein, die sich auf die Lage der Bauch- und Beckenorgane, auf die
Blutcirculation und auf die Verdauu7igsvorgänge beziehen. Die Störun-
gen der Lage bestehen in einer Senkung der Gedärme, der Leber, Nie-
ren, in einer Abflachung des Zwerchfelles ; ja man hat manche Fälle
von Magenerweiterung und Verlagerung des Quercolon im unteren
Bauchraum direct mit Insuöicienz der Bauchdecken, oder, was dasselbe
bedeutet, mit Verminderung der intraabdominellen Spannung in Zusam-
menhang gebracht. Die Lage des uterus ist nun nicht in so hervor-
ragendem Maase von der intraabd. Spannung abhängig, obgleich diese
gleichmässig in Bauch- und Beckenhöhle vertheilt ist. Hier müssen
erst noch andere Momente hinzutreten, um eine Dislocation anzubah-
94
nen. In der That ist mit Erschlaffung der Bauchdecken sehr häufig
eine Metritis und Erschlaffung des Beckenbodens gleichzeitig verbun-
den. Chronische Entzündungszustände des Uterus, des Endometriumus,
Metro- und Menorrhagieen können sehr wohl die Folge ungenügend
wirkender Bauchwandungen sein. Was nämlich für den energischen
Blut- und Lymphstrom in den Extremitäten die Thätigkeit der Mus-
keln, das ist für die Circulation und namentlich für den venösen Blut-
fluss in der Bauchhöhle das respiratorische Wechselspiel, das aber nur
dann seine volle Wirkung entfalten kann, wenn durch contractionsf ähige
Wände eine physiologische Spannung im Bauchinnern aufrecht erhal-
ten werden kann. Fehlt sie oder ist sie ungenügend, so kann eine
Ueberfüllung des Venensystems^ mit ihren Folgeerscheinungen leicht
Statt haben.
Es giebt noch eine Reihe von Symptomen, die sich alle auf dieselbe
gemeinsame Ursache der verminderten abdominalen Spannung in Folge
erschlaffter Bauchdecken zurückführen lassen. Dahin gehören chro-
nische Constipation, Verdauungsbeschwerden, Schmerzen in Folge
Zerrung am Peritoneum, den Nerven, Lumbarschmerzen u. s. w.
Hegar schreibt das Zustandekommen letzterer dem Umstände zu, dass
Frauen mit insufficienten Bauchdecken ihre Lendenwirbelsäule in Lor-
dose und ihr Becken in stärkere Neigung bringen, um ihren Schwer-
punkt weiter nach vorn zu verlegen. Die Rückgratsstrecker werden
in Folge dessen stärker gespannt ; ihre stärkere Anspruchsnahme er-
zeugt das Gefühl der Ermüdung, Zerschlagenheit und Schmerzen im
Rücken und Kreuz.
Nach allen diesen Auseinandersetzungen, werden Sie es, meine
Herren, erklärlich finden, dass manche Autoren die Wanderniere nicht
als eine selbstständige Erkrankung, sondern nur als eine Theilerschei-
nung der verminderten intraabdominalen Spannung in Folge In-
sufQcienz der Bauchwände auffassen. Die Baucheingeweide haben
einen Theil ihrer Stütze verloren ; die Leistung der anatomischen
Befestigungsmittel wird mehr als gewöhnlich in Anspruch genommen.
Durch Zerrung des mesenteriums, des Peritoneums werden — so be-
haupten sie — Störungen im Magen, den Eingeweiden und Nerven her-
vorgerufen. Diese Auffassung hat sicherlich für jene Fälle von be-
weglicher Niere ihre Berechtigung, bei denen eine ausgesprochene
Erschlaffung der Bauchdecken — also dünne, gefaltete Decken mit
schwacher Contractionskraft, Diastase der recti u. s. w. — gleichzeitig
vorhanden ist. Sie hält nicht Stich für jene nicht unbeträchtliche An=
zahl von Nierensenkungen, bei denen eine Ursache zur Erschlaffung
der Bauchdecken nicht vorausgegangen und demgemäss die Bauch-
wände straff und normal functionirend gefunden werden.
Ich habe Ihnen bis jetzt Nichts von dem Antheil des Dammes an
dem intraabdominalen Druck mitgetheilt. Er betheiligt sich an
der Erzeugung dieses in ähnlicher Weise wie die Bauchwände. Er
schliesst als eine elastische Wand die Bauchhöhle nach unten und hin-
ten ab und nimmt an den Athembewegungen Thejl; bei der Inspiration
95
wölbt er sich etwas vor, bei der Exspiration flaciit er sicli ab. Sein Ein-
fluss auf das Zustandelcommen des intraabdominalen Druckes ist frei-
lich nicht von so hervorragender Wichtigkeit, wie der der Bauchdecken»
da die Elasticität des Dammes sich in einem Winkel und mittelbar
durch die Zickzackformation von Uterus und Scheide, die wie eine
Feder wirkt, auf den Bauchinhalt geltend macht.
Mit Insufficienz des Dammes, wenn dieselbe unbedeutend ist, braucht
nicht eine Herabsetzung des intraabd. Druckes verbunden zu sein, da
Uterus, Scheide und Best des Dammes genügend elastische Wider-
stände bieten können. Sind diese jedoch ungenügend, dann ist eine
Abnahme der intraabdominalen Spannung die nothwendige Folge«
Dieselbe ist am grössten in der Beckenhöhle; die schädlichen Folgen
werden hauptsächlich die Beckenorgane betreffen und um so markan-
ter, wenn höher oben in der Bauchhöhle durch die Action normal
functionirender Bauchwände eine annähernd physiologische, nicht we-
sentlich verminderte, intraabdominale Spannung erzeugt wird. Diese
wirkt nach allen Seiten und wird im Becken, als dem Orte verminderten
Widerstandes zu Dislocationen der Beckenorgane, zu Descensus uteri,
Recto- und Cystocele Veranlassung geben. Ob Erschlaffungen und
Continuitätstrennungen des Dammes allein genügen, eine Lockerung
der Baucheingeweide und Senkung der Niere zu veranlassen, wage ich
nicht zu behaupten. Jedenfalls sind sie aber begünstigende Factoren,
die im Vereine mit insufQcienten Bauchdecken in hohem Grade geeig-
net sind, die Dislocation hervorzurufen.
Analog sind die circulatorischen Störungen im Becken. Die venöse
Hyperämie der Beckenorgane wird um so markanter auftreten, je
grösser die Differenz zwischen abdominalem und vaginalem Drucke
ist, ein Zustand, der bei Insufficienz des Dammes bei verhältnissmässig
gut functionirenden Bauchmuskeln besonders leicht eintreten kann.
Jedenfalls hat die Annahme, dass die Coincidenz von Wanderniere und
chronisch entzündlichen Zuständen der Genitalorgaue nicht zufällig
ist, sondern auf gemeinsame aetiologische Momente zurückgeführt
werden kann, durchaus nichts Gezwungenes.
Dass die Sachlage nicht immer so sein muss und dass namentlich
locale Verhältnisse gelegentlich die Hauptrolle spielen können, brauche
ich kaum hinzuzufügen.
Verschweigen darf ich aber nicht die von mancher Seite aufgestellte
Behauptung, dass Verschiebungen der Beckeneingeweide durch Zug an
den Ureteren eine Dislocation der Nieren verursachen können.
Es bleibt mir noch übrig, die Störungen in der Urinabsonderung bei
Erkrankungen der Sexualorgane, sowie bei Nierendislocation zu be-
sprechen. Beckenexsudate, Tumoren, Rückwärtslagerung der Gebär-
mutter können durch Compression oder Torsion des Ureters Stauungen
des Urins mit ihren Folgen hervorrufen und durch Hydronephrose und
entzündliche Zustände der Niere zur vermehrten Schwere und Senkung
dei5 Orgaös Verfinlftssung geben,
96
Andererseits kommen auch ohne Sexualerkrankmigen Urinstauungen
bei Wanderniere nicht selten vor. Sie entstehen durch Knickung des
Ureters und geben zu acuter Hydronephrose, heftigen Coliken, Fieber,
Erbrechen u. s. w. Veranlassung.
Nur Eins ist dabei auffällig, dass wir trotz der Häufigkeit von
Sexualleiden und Wanderniere so selten in die Lage kommen, die für
den Verschluss der Ureteren (oder eines derselben) charakteristischen
Folgen: Verminderung der Secretion, Blutharnen, vorübergehende
Albuminurie, Nierenkolik, am Krankenbette zu beobachten. Wahr-
scheinlich werden die in den Anfangsstadien der Hydronephrose auf-
tretenden Beschwerden verkannt, oder sie sind so unbedeutend, dass
selbst der Patient nicht auf sie achtet. Die Störungen der Urinpassage
gleichen sich durch den Druck des gestauten Urins in den meisten
Fällen von selbst wieder aus; ohne durch heftige Coliken, oder einen
palpabeln, wiederjverschwindenden Nieren-Tumor die Aufmerksamkeit
des Arztes zu erregen.
Bezüglich der Behandlung erscheint es fast überflüssig zu bemerken,
dass Derjenige die besten Erfolge haben wird, der beide Krankheiten
gleichzeitig zu heilen sucht. Wer wegen Lumbarschmerzen, dispepti-
schen und nervösen Beschwerden seine Behandlung ausschliesslich auf
Störungen im Bereiche der Genitalien richtet, ohne die Wanderniere
zu berücksichtigen, darf sich über einen halben Erfolg oder ein Fiasco
nicht wundern. Wer die Beschwerden einer Wandemiere durch eine
elastische Binde zu lindern sucht, ohne gleichzeitig die Festigkeit des
Beckenbodens wiederherzustellen, wird kaum mit seinen Kesultaten
zufrieden sein.
Ich habe schon Anfangs erwähnt, dass die durch Wanderniere und
Sexualerkrankungen hervorgerufenen ähnlichen oder gleichen Symp-
tome hauptsächlich nervöser Natur sind. Die Aehnlichkeit erstreckt
sich sogar auf die Behandlung. Man hat bei nervösen Zuständen, bei
Epilepsie die Wanderniere exstirpirt mit derselben Begründung, wie
man dislocirte Eierstöcke oder krankhafte Uterusanhänge bei Anwesen-
heit nervöser Symptome entfernt hat.
Die Berechtigung dieser Eingriffe ist wiederholt lebhaft erörtert
worden. Die Entfernung der gesunden Wanderniere ist mit Recht
verdammt und die der Uterusanhänge wesentlich eingeschränkt wor-
den. Wenn die Salpingo-Ovaritis purulenter Natur ist, ist 'die Entfer-
nung der erkrankten Theile vollständig gerechtfertigt. Ist sie soge-
nannter katarrhalischer Natur, macht sie aber durch Schmerzen und
recidivirende Peritonitis so viele Beschwerden, dass sie Lebensgenuss
und Erwerbsfähigkeit im hohen Grade beeinträchtigt, dann ist gegen
die Entfernung der Anhänge Nichts einzuwenden. Wer aber so ent
zündete Uterusanhänge in der Voraussetzung entfernt, mit den loca-
len, entzündlichen Zuständen auch allgemein nervöse Beschwerden
zum Verschwinden zu bringen, wird neben Erfolgen auch Enttäuschun-
gen zu verzeichnen haben. Wir haben bislang noch keine wissen-
schaftlich begründete Anhaltspunkte, auf die gestützt wir dem Patien-
97
ten im Voraus mit Bestimmtiieit die Heilung seiner nervösen Beschwer-
den durch die Operation versprechen können. Wer aber wegen dieser
Indikation operirt, sollte sicherlich vorher sich über eine etwa vorhan-
dene Wanderniere oder Insufficienz der Bauchwandungen vergewissern
und vorerst feststellen, in wie weit die nervösen Symptome durch eine
geeignete Behandlung günstig beeinflusst werden. Diese erstreckt
sich nicht allein auf die Wanderniere sondern auch auf die Kräftigung
der Constitution und des Nervensystems.
Die Beschwerden der Wanderniere lassen sich in den meisten Fällen
durch eine passende, elastische Leibbinde mildern. Der Erfolg ist da
am eclatantesten, wo gleichzeitig eine Erschlaffung der Bauchdecken
vorhanden ist. Derselbe ist zum mindesten zweifelhaft in den Fällen,
in denen die Niere in ihrer abnormen Lage fixirt ist.
Wahrscheinlich ist der günstige Erfolg einer elastischen Leibbinde
zum grössten Theile, wenn nicht ausschliesslich der Unterstützung der
Bauchdecken zuzuschreiben. Man hat wohl eine grosse Anzahl ver-
schiedener, zum Theil complicirter Bauchbandagen konstruirt mit der
Idee, die Niere reponirt zu halten. Wenn man aber bedenkt, dass ein
direkter Druck auf die Niere meistens [nicht möglich ist, da die Niere
hinter dem Darme liegt, so ist die Wirksamkeit solcher, mit Platten
und Federn ausgestatteter Apparate sehr fraglich. Starker Druck
wird nicht vertragen. Die Niere schlüpft gewöhnlich unter dem Ver-
bände wieder nach unten. Wir müssen uns begnügen indirekt durch
Druck auf die Bauchdecken und die Gedärme auf die Fixation der
Niere einzuwirken. Diesen Erfordernissen wird in der Regel durch
eine elastische Bauchbinde genügt, unter die ich rechts der Lage der
Niere entsprechend ein gepolstertes Kissen unterschieben oder an die
Binde befestigen lasse. Die elastische Binde bedeckt den ganzen vor-
deren Bauch bis zur Schossfüge und dem ligament. Poupartii und ist
um ein Rutschen zu vermeiden mit zwischen den Beinen durchgehen-
den elastischen Schnüren versehen.
Ausnahmsweise begegnet man Frauen, die von der Leibbinde keine
Beseitigung ihrer Beschwerden erfahren. Lässt auch eine allgemeine,
auf Kräftigung und Abhärtung des Nervensystems gerichtete Behand-
lung im Stich, und ist Wohlbefinden und Arbeitsfähigkeit im hohen
Grade beeinträchtigt, dann ist Nephro rrhaphie nach den jetzt vorlie-
genden Erfahrungen eine gerechtfertigte und segensreiche Operation.
Nur hat man dafür Sorge zu tragen, dass auch der eigentliche Zweck
der Operation — die Fixation der Niere — richtig erfüllt und durch
Spaltung der Capsula propria der Niere, Vernähen derselben sowie der
Niere mit den tiefen Schichten der Wunde eine innige Verwachsung
der Niere herbeigeführt und ein Recidiv verhindert wird.
Nach der Operation empfiehlt es sich, die Leibbinde auch fernerhin
tragen zu lassen.
125 2d Ave.
98
II.
Ein Plaidoyer für die Koch'sche Lymphe.*)
Von
Dr. J. Hilgard Tyndale.
In unserer vorigen Sitzung bekamen wir ein Loblied über die An-
wendung des Guajacol bei der Tuberkulose zu hören. Ich bin zu der
Ueberzeugung gelangt, dass es an der Zeit ist, der ziemlich allgemeinen
Verdammniss der Kocn'schen Lymphe entgegenzutreten und zwar mit
Thatsachen, die eine Widerlegung von vornherein ausschliessen. Ich
werde mich nur an die Lungen-Tuberkulose halten und zwar vom
Standpunkte des Klinikers.
Alle in das Bereich der inneren Medicin gehörigen Lungenkrank-
heiten, mit mehr oder weniger chronischem Verlauf, kann man unter
zwei Rubriken zusammenstellen:
1. Mechanische Processe. Dazu gehören die Produkte rein entzünd-
licher Vorgänge, ob als Ueberbleibsel von akuten Processen oder als
langsam fortschreitende Bindegewebsveränderungen: Peribronchitis
chronica (fälschlicher Weise als Bronchitis chronica bezeichnet) und
Pleuritis chronica adhaesiva. Beide Befunde sind als mechanische
Hindernisse für die Respiration zu betrachten und führen allmählich
zu bedeutender Beeinträchtigung der nöthigen Respirationsfläche und
ungenügender Oxygenation des Blutes.
2. Die Tuberkulose. Während wir es bei den mechanischen Hin-
dernissen mit chronischer Entzündung zu thun haben, haben wir in der
Tuberkulose eine Infection zu bekämpfen.
Gewisse „Veranlagungen" lassen sich beim Menschen nicht wegleug-
nen. Es gibt Veranlagungen zum destruktiven Stoffwechsel, — eiteri-
gem Zerfall — sowie solche zum konstruktiven Stoffwechsel — Wider-
standsfähigkeit der Gewebe, die sich in Bindegewebsbildung kund gibt.
Zu den Destruktiven gehört die Anlage zur Verkäsung (die alte Skrophu-
lose) und die sogenannten Bluter. Zu den Construktiven gehören
hauptsächlich die Rheumatiker.
Wir haben es heute Abend lediglich mit der Tuberkulose zu thun,
ob dieselbe in der Lunge als eine primäre Infection sich präsentirt oder
mit den schon existirenden oben erwähnten mechanischen Processen
als sekundäre Invasion auf günstigem Nährboden auftritt.
Welche Erwartungen knüpfen sich nun an das Tuberculin ? Koch
selbst sagte darüber:
„Das Mittel tödtet also, um es noch einmal zu wiederholen, nicht die
Tuberkelbacillen, sondern das tuberkulöse Gewebe. Damit ist aber
*) Vorgetragen in der Deutschen Medicinischen Gesellschaft von New York
am 1. Februar 1892,
99
auch sofort ganz bestimmt die Grenze bezeichnet, bis zu welcher die
Wirkung des Mittels sich zu erstrecken vermag. Es ist nur im Stande,
lebendes tuberkulöses Gewebe zu beeinflussen; auf bereits todtes, z. B.
abgestorbene käsige Massen, nekrotische Knochen u. s. w., wirkt es
nicht; ebensowenig auch auf das durch das Mittel selbst bereits zum
Absterben gebrachte Gewebe. In solchen todten Gewebsmassen können
dann immerhin noch lebende Tuberkelbacillen lagern, welche entweder
mit dem nekrotischen Gewebeausgestossen werden, möglicherweise aber
auch unter besonderen Verhältnissen in das benachbarte noch lebende
Gewebe wieder eindringen könnten."
Zwei Elemente sind bei der Behandlung der Lungentuberkulose ab-
solut auszuschliessen:
1. Das direkte Tödten der Tuberkelbacillen.
2. Die nachweisbare gänzliche Ausrottung des Bacillus aus dem
menschlichen Körper.
Daraus ergibt sich die Aufgabe der Therapie von selbst, und zwar
haben wir dafür zu sorgen, dass
1. Die Tuberkelknötchen theilweise eingekapselt werden, während
oberflächlich gelegene zerfallen und durch Expektoration entfernt
werden.
2. Der Widerstandsfähigkeit der Gewebe, resp. der allgemeinen Er-
nährung zu Hülfe zu kommen, d. h. der Fett- und Blutbildung. Zu er-
wähnen ist noch die Theorie, dass die Schädigung, welche die Gewebe-
zellen durch die parasitirenden Mikroorganismen erfahren vor Allem in
der giftigen Wirkung ihrer Stoffwechselprodukte besteht, wonach es also
ein Theil unserer Aufgabe wäre, diese Produkte zu neutralisiren, d. h.
unschädlich zu machen und es dadurch den Leucocyten im Körper zu
ermöglichen, im Kampf mit den Bacillen siegreich hervorzugehen. Ich
verweise auf die N. Y. Medicinischen Monatsschriften von August und
September 1891 (Hertwig's Theorie und Ein Erklärungsversuch der er-
worbenen Immunität gegen Infectionskrankheiten).
Wenn wir uns nun über diesen Punkt klar sind, so fragt es sich zu-
nächst, ob wir es mit einer örtlichen Infiltration der Lunge zu thun
haben — einerlei ob mit gutem oder schlechtem Allgemeinbefinden —
oder mit einer allgemeinen Bacillen-Invasion, welche die Lymphbahnen
beherrscht. Und hier gilt der Satz: Bei örtlicher Tuberkulose sollte
der örtliche Befund und der Allgemeinzustand einigermassen miteinan-
der Schritt halten. Bei Lymphbahnen-Tuberkulose ist die herunter-
gekommene Ernährung ausser allem Verhältnisse zu einem oft fast
negativen Befund. Gegen die Lymphbahnen-Invasion gibt es einst-
v^ilen kein Mittel. Davon liefert die ausgebreitete pleuritis tuberculosa
e.u Beispiel.
Also schreiten wir zur Inkapsulation, verbunden mit partieller Ab-
stossung, und wenn Sie, meine Herren, ausser Tuberculin ein Mittel
wissen, welches dies vollbringt, so bitte sagen Sie es jetzt. Zar Inkap-
sulation resp, Abstossung ^uf Oberflächen gehört vermehrte Vaskulari-
100
tät, d. h. massige nicht zu häufig angeregte Gefässtiiätigkeit. Ueber-
mässige oder zu häufig angefachte Vaskularität begünstigt ebenso
rasche Nekrose. In dem ersten Falle rücken wir, wie Siegmund ganz
richtig sagt, mit den gewehsernährenden Eigenschaften in's Feld; im
zweiten Falle — von grossen Gaben und kurzen Intervallen — be-
günstigen wir Zerfallprodukte, die, statt expectorirt, wieder incorporirt
werden.
Und Jetzt komme ich direkt zur Frage: Woran liegt es, dass die
KocH'sche Methode eine so allgemeine Verdonnerung erfuhr ? Ich will
es euch sagen :
Vor Allem sind daran Schuld, gründlich falsche Diagnosen und eben-
so falsche Indikationen für die Therapie. Zur richtigen Feststellung
der Diagnose gehören:
1. Subjectives Wohlbefinden — allgemeine Malaise — eine Ab-
weichung von der physiologischen Norm der verschiedenen Körper-
funktionen.
2. Objektiver Allgemeinzustand — Fettpolster und ob mässige oder
hochgradige Änaemie vorhanden.
3. Ausschluss von akuten Infektionskrankheiten (Typhus), chroni-
scher Infektion (Syphilis) und auf centrales Nervenleiden beruhende
Zustände (Diabetes.)
4. Oertlicher Befund in der Lunge.
5. Mikroskopische Untersuchung der sputa.
Nehmen wir nun an, dass der behandelnde Arzt den Allgemeinzu-
stand nebst Exklusion festzustellen weiss. Bei der Auskultation der
Lunge aber, behaupte ich jetzt, dass weitaus die grosse Mehrzahl der
Collegen einfach nach trockenen oder feuchten Rasselgeräuschen oder
cavernösem Athmen fahnden. Meine Herren ! Rasselgeräusche sind
nichts weiter als ein die tuberkulöse Infiltration „begleitender Catarrh**
(associated catarrh). Unendlich wichtiger sind die Respirationsverän-
derungen im Rhytmus, in der Tonhöhe (pitch) imd der Klang-Farbe,
Timbre (quality.)
2. Die Indikationen für den Gebrauch des Tuberculins.
3. Dosis und Intervalle. Diesen Punkt will ich gleich erledigen. Ich
fange stets mit 'Ao milligramm an und steigere nur dann die Gabe»
wenn nach Verlauf von circa 2 Wochen der örtliche Befund sich nicht
gebessert und der Allgemeinzustand damit Schritt gehalten.
Also zum letzten Capitel:
Welche Fälle eignen sich zur Behandlung mit Tuberculin ? Ueberall
da, wo die Untersuchung ergibt, dass bei ziemlich rascher Einkapsuli-
rung einerseits und Zerfall (Expectoration) andererseits, die Möglich-
keit geboten ist, dem Patienten ein für die Oxygenation des Blutes ge-
nügendes Lungenterritorium zu erhalten.
Um nicht zu viel Zeit in Anspruch zu nehmen, werde ich solche
Fälle, die sich zur Behandlung mit Tubercuün eignen, kurz zusammen-
fassen.
In Bezug auf die Feststellung der Diagnose bitte ich nochmals, fol-
101
gende Momente im Auge zu behalten. Es handelt sich also: In Bezug
auf den Ällgemeimustand um den subjectiven Befund (allgemeine
malaise) — eine Abnahme des subjectiven Wohlbefindens. Zweitens um
den objectiven Befund des Fettpolsters und der Anaemie.
Der örtliche Befund beruht auf dem Resultat der Auscultation und
Perkussion — nicht umgekehrt — der Lunge und dem Nachweis des
Tuberkelbacillus.
Mit Nachweis des Bacillus. Allgemeinzustand gut oder schlecht.
Oertlicher Befund: 1. Begrenzter sogenannter „Spitzenkatarrh; 2.
Ausgedehntere Infiltration, die mit oder ohne Cavernenbildung zur
Ausheilung gelangen; 3. Bereits bestehende Cavernen mit peripheri-
scher Infiltration. Der diese tuberkulöse Infiltration begleitende
Catarrh resp. Eiterung, wodurch mit Knötchen vermischter Eiter an
die Oberfläche befördert wird, ermöglicht die Demonstration des Ba-
cillus.
Ohne Nachweis des Bacillus, a. Allgemeinbefund: Subjective malaise^
Abnahme des Fettpolsters und fortschreitende Anaemie. Oertlicher
Befund: Vermischtes (unbestimmtes) Athmen oder Bronchialathmen
oder cavernöses Athmen; aber keine Rasselgeräusche, kein Sputum und
daher keine Möglichkeit den Bacillus nachzuweisen. Dämpfung oder
gedämpfter Schall. Hier kommt uns die Exklusion zu Hülfe. Dieses
sind also die Fälle in welchen Allgemeinzustand und örtlicher Befund
mit einander Schritt halten, gerade wie bei den zuerst erwähnten Fällen,
mit dem Unterschiede, dass keine sputa zu haben sind.
b. Jetzt kommen wir zu den Fällen, wo die Diagnose auf dem ört-
lichen Befund beruht, mit gutem oder mittelmässigem Ällgemeimustand.
Oertlicher Befund: Vermischtes Athmen oder tubuläres Athmen oder
spärliche trockene Rasselgeräusche bei Auskultation ; leicht gedämpf-
ter oder blos mässig hoher Schall (high pitched percussion note) bei der
Perkussion. Kein Auswurf.. Wiederum muss die Differential-Diagnose
(Exklusion) zu Hülfe genommen werden.
c. Zuletzt — last but not least — gibt es Fälle, deren es mehr gibt^
als in den Lehrbüchern steht und mehr als mancher College sich träu-
men lässt. Das Bild ist folgendes: Zunehmende subjective malaise;
objektiver Befund: Schwund des Fettpolsters — nicht gerade rasche
Abmagerung, wohl aber unaufhaltsam progressive; dazu hochgradige
Anaemie. Oertlicher Befund, negativ; höchstens eine Störung des Ath-
mungs-Rhytmus — staccato Inspiration — wie sie auch bei Neuras-
thenie vorkommen. Also haben wir es hier lediglich mit dem Allgemein'
zustand zu thun und zwar ist das der Befund, den ich in meinem Vortrag
vor der American Climatological Association beim letzten Congress in
Washington als den „pretuberkulären Zustand" bezeichnete. Ebenso
gut aber kann man ihn als eins der zwei ersten Stadien der Lungen-
tuberkulose bezeichnen. „Eins von den zwei Anfangsstadien", habe ich
gesagt, Anfänge die ein witziger College einst als „the commencement
of the beginning" bezeichnete. Und nun stelle ich die folgenden Sätze
auf;
102
Die allerersten Anfänge der Lungentuberkulose können allgemeiner
oder örtlicher Natur sein. Bei den „allgemeinen" braucht es nicht erst
einen örtlichen Befund, wenn eben keiner vorhanden. Bei dem auf ört-
lichem Befund beruhenden Anfang — ohne Rasselgeräusche und ohne
Sputum — brauchen wir nicht erst zu warten, bis der Allgemeinzustand
mit demselben Schritt zu halten beginnt.
Zweiter Satz: "Wenn ich den oben beschriebenen Allgemeinbefund
als „pretuberkulären Zustand'' bezeichne, so will ich damit nur gesagt
haben, dass er sowohl, wie der alleinstehende örtliche Befund eine nicht
durch das Mikroskop nachweisbare Tuberkulose ist.
48 East 3. St.
103
NEW YORKER MEDICINISCHE MONATSSCHRIFT.
Organ für praktische Aerzte in Amerika.
Redigirt von
Dr. f. C. heppenheimer.
EDITORIELLE NOTIZEN.
15. März 1892.
Die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Arztes hei Anwendung des
Chloroforms und anderer Inhalations-Anästhetica.
Unter obigem Titel ist von Dr. A. Kühner in der Berliner Klinik
soeben eine ausführliche Abhandlung erschienen, die ohne Zweifel all-
gemeines Interesse verdient.
Der Grundgedanke dieser Schrift ist der Nachweis, dass den Aerzten
eine gewisse Ausnahmestellung vor dem Gesetze zuzubilligen sei zum
Wohle der leidenden Menschheit, zum gedeihlichen Wirken der ärzt-
lichen Thätigkeit, die ohne diese Zubilligung erschwert, beschränkt
und aufgehoben würde. Die Aerzte wollen Niemanden an der Gesund-
heit schädigen, sie wollen heilen und hilfreich sein, sie wollen dem
Kranken, dem Verletzten den Schlaf verschaffen, der ihm Schmerzen
erspart, die das unumgängliche Instrument, die sachkundige Hand des
Operateurs verursachen muss. Um aber Tausende heilen zu können,
um vielleicht Hunderttausenden Schlaf anstatt unsäglicher Schmerzen
zu bringen, sind sie der Gefahr, Ja oft nur dem Argwohn ausgesetzt.
Jemanden an der Gesundheit, am Leben zu schädigen. Man darf wohl
angesichts der kolossalen Leistungen und Fortschritte der Naturwis-
senschaften in unserem Jahrhunderte fragen: Werden wir die Vor-
theile der Narcose missen können und wollen wir es in Anerkenntniss
der Thatsache, dass diese Neuerung, selbst bei gemessener Verwendung,
gelegentlich einmal Menschen schädigt ?
In jedem Falle, in welchem es sich um eine strafrechtliche Verant-
wortung eines Arztes bezüglich berechtigtermassen verwendeter Inha-
lationsanästhetica handelt, njöchte man doch bedenken, dass die Wohl-
that der allgemeinen Anästhesie dem zn explorirenden, oder zu operi-
renden Kranken zukommt. Als in Paris ein Arzt in der Chloroform-
narkose unter Beistand eines Eleven der Medicin eine Operation vor-
zunehmen im Begriff stand, bei welcher der Kranke, wie vom Bhtz ge-
troffen, beim ersten Athemzuge niederstürzte, rettete Velpeau die vom
ZuchtpoHzeigericht verurtheilten beiden Mediciner in der Berufungs-
instanz durch den Ausspruch : „Der Ausgang dieses Processes berührt
mehr die Gesellschaft als den ärztlichen Stand. Es ist einleuchtend,
dass, wenn im Augenbhck der Anwendung des Chloroforms der Arzt
104
die Möglichkeit eines Ereignisses bedenkt, welches für ihn eine gericht-
liche Verfolgung nachziehen kann, er alsdann, wie gross auch sein
Wunsch, dem Kranken Schmerzen zu ersparen sein mag, ohne Anwen-
dung eines anästhetischen Mittels operiren wird,"
Es giebt keine Art der Chloroformirung, die als Yollkommen sicher
und gefahrlos zu betrachten wäre und die Wahl des Verfahrens muss
auch jetzt noch, wie vor mehreren Jahren, dem Arzte überlassen bleiben.
Folgende Vorsichtsmassregeln sollten, wo es nur geht, stets be-
obachtet werden: 1. man sollte nie ohne Einwilligung des Kranken
oder seiner Angehörigen chloroformiren ; 2. die Zuziehung eines zwei-
ten Arztes ist stets erwünscht; 3. was die Wahl des Anästheticum an-
langt, so ist Chloroform als das energischste Inhalations-Betäubungs-
mittel zu betrachten; dass Aether weniger gefährlich wäre, ist vor-
läufig noch nicht nachgewiesen worden. Im allgemeinen sollte die
Aethernarcose nur bei Leuten vorgenommen werden, die dem Alcohol-
genuss in grösserer Menge und concentrirter Form abhold sind. Die
der Narcose vorausgeschickten Morphiumin jectionen in massigen
Dosen (bei Frauen 0,01, bei Männern 0,02, bei Trinkern 0,03—0,05) bie-
ten den Vortheil, dass sie eine geringere Menge Chloroform nöthig
machen, eine raschere und ruhigere Narcose erzeugen imd ihre Dauer
verlängern. 4. Das anzuwendende Chloroform muss gut und rein
sein und den, ihm eigenthümlichen, süssen angenehmen Geruch zeigen.
5. Das Chloroformiren möchte weder bei Gaslicht noch bei Petroleum-
beleuchtung vorgenommen werden, weil durch Zersetzung des Chloro-
forms bei genannter Beleuchtungsart für die Athmungsorgane schäd-
liche Gase entstehen, die schwere Gefahren unter Umständen mit sich
bringen können. 6. Die Menge des verbrauchten Chloroforms sowie der
Eintritt der Narcose sind nach der Individualität ganz verschieden,
und lässt sich eine normale Dosis keineswegs angeben. Manche,
namentlich jüngere und schwächliche Individuen sind nach 2 — 3 Minu-
ten in tiefster Narcose und haben dabei 8—15 Gramm verbraucht.
Andere, namentlich solche, die an den Genuss alkoholischer Getränke
gewöhnt sind, brauchen 8 — 10 Minuten bis zur tiefsten Narcose und
consumiren 60 — 120 Gramm und zuweilen noch mehr. Die bereits von
Simpson, dem Entdecker des Chloroformirens, angegebene Eegel, dass
bei der Anwendung des Chloroforms nicht dessen Quantität, sondern
die Wirkung entscheidet, — besteht auch jetzt noch. — 7. Während des
Chloroformirens muss der Kranke stets so gelagert sein, dass die
Athembewegungen vollkommen frei und ungehindert vor sich gehen
können. Während des ersten Zeitraumes des Chloroformirens, im
Stadium der Aufregung, soll der Kranke vor Selbstbeschädigungen ge-
schützt werden. 8. Als Vorbereitung des Kranken kann die Vorsieh ts-
massregel gelten, dass vor Beginn der Operation der Mund desselben
auf fremde Körper (falsche Zähne, Kautabak, Speisereste) untersucht,
ferner, dass der Kranke nie unmittelbar nach reichlichem Genuss von
Speisen und Getränken chloroformirt werde, vielmehr immer ein Zeit-
raum von etwa 3—4 Stunden dazwischen liegen soll, um das sonst
105
leicht eintretende Erbrechen und die damit verbundene Erstickungs-
gefahr zu verhindern.
Das wären die hauptsächlichsten Vorsichtsmassregeln, welche über-
all während der Narcose zu beobachten sind, — bei eintretender Gefahr,
d. h. sobald sich etwa Unregelmässigkeiten in der Respiration und im
Pulsschlage oder gar ein Sistiren beider sich plötzlich einstellt, sind
folgende Hauptpunkte für die Behandlung die massgebendsten;
1. Das Inhaliren des Chloroforms muss sofort ausgesetzt und durch
OefCnen der Fenster die chloroformhaltige Atmosphäre in der Umgebung
des Kranken gereinigt werden.
2. Alle etwaigen Respirationshindernisse, die den freien Ein- und
Austritt der Luft in den Kehlkopf und die Lungen stören, — müssen
vor Allem beseitigt werden; dazu dienen folgende Manipulationen: a)
Elevation des Thorax sowie Rückwärtssenkung des Kopfes und des
Halses; b) das Lüften des Unter-Kiefers; c) das Vorziehen der Zunge
und das Lüften des Kehldeckels mit dem Finger,
3. Als Cardinalmittel bei eintretender Gefahr eines Chloroformtodes
gilt die Einleitung der künstlichen Respiration, nach den bekannten
mechanischen Methoden; ausserdem sind zu diesem Zwecke Strychnin-
injectionen in die Herzgegend sehr wirksam; ferner die Applikation des
galvanischen Stromes rechts und links vom Kehlkopf, an dem Nervus
phrenicus. — Ist die Chlorof ormasphyxie bedingt durch einen etwaigen
Verschluss des Kehlkopfes, und gelingt die Einführung eines Katheters
nicht, so muss die künstliche Respiration mit der Laryngo- oder
Tracheotomie verbunden werden.
4. Bei eingetretenem Herzsti^stand ist Acupunktur eventuell die
Electropunktur zu versuchen.
5. Reizmittel, welche auf dem Wege des Reflexes die stillstehende
Respiration wieder in Gang bringen (Spritzen mit kaltem Wasser, star-
kes Frottiren der Herzgegend, wiederholtes starkes Schlagen auf den
Rücken etc.).
6. Die Inversion des Chloroformscheintodten, d. h. die Lagerung
desselben in der Art, dass der Kopf am tiefsten zu liegen kommt, bildet
eins der wirksamsten Belebungsmittel. —
Alle angegebenen Vorsichtsmassregeln und Hilfsmittel bei eintreten-
der Gefahr erweisen sich zuweilen als fruchtlos, und darin liegt gerade
die Hauptgefahr des Chloroformtodes, dass derselbe öfter plötzlich
ohne irgend welche Vorboten eintritt, — und jede Hilfe zu spät ist. —
Als Schluss seiner interessanten Abhandlung stellt Kühner folgen-
den Satz auf:
„Eine strafrechtliche Verantwortlichkeit bei Anwendung des Chloro-
forms und anderer Inhalations-Anästhetica kann nur anerkannt und
dem Arzt zugerechnet werden, wenn er bei dieser Anwendung die er-
forderliche Aufmerksamkeit durch einen groben Verstoss gegen die all-
gemein gültigen Vorsichtsmassregeln aus den Augen setzte und in
Folge Fahrlässigkeit nachweisbar den Tod bezw. eine Schädigung der
Gesundheit verursachte"
ti^ 106
REFEKATE.
Chimrgie.--Keferirt .ivon.'iDr. F4T0REK.
Erysipelbehandlung nach 'Lücke. Von Dr. ^Ernst Winckler. (Wiener
Med. Wociiensclirift, 1891, No. 46—48.)
^ In dieser trefQichen Arbeit^ berichtet ^W. über^ 22 Fälle,^— 2 davon
an seiner eigenen Person, — in weichen er sich des von Lücke empfoh-
lenen Ol. terebinth. bediente, und die sämmtlich durch diese Behand-
lung zum Stillstand gebracht wurden. Er führte die Behandlung in
folgender Weise aus: Vor der ersten Terpentinapplikation gründhche
Reinigung der erysipelatösen Haut mit bchwefelaether oder absolutem
Alkohol. Dann Einreiben mit Ol. terebinth. rectiücat. mit einem Pinsel
oder Wattebausch. Um Verschleppung der Keime zu verhüten wird
das Erysipel von der Peripherie aus nach dessen Mitte zu gerieben.
Ueber die gepinselte Hautstelle wird Verbandwatte gelegt und durch
eine Mullbinde üxirt. Die Pinselung wird, je nach der Ausdehnung des
Ealles, alle 2—4 Stunden wiederholt, und der alte Verband wird ver-
nichtet. Die vermuthete oder nachweisbare Eingangspforte der In-
fektion wird gründlich desinfizirt. Kleine Geschwüre werden von den
anhaftenden Borken befreit und mit Gottstein's Sublimatlauolin be-
deckt (Hydrarg. bichlorat, 0,25 auf Aq. 7,5 dann verrieben mit Lanolin
22,5 und Vasel. 2,5). Bei Gesichtserysipelen, besonders wenn verbunden
mit Ekzema narium, muss die Nasenhöhle sorgfältig untersucht wer-
den, um etwaige Läsionen, die entweder primär oder sekundär intizirt
worden sind, zu reinigen. W. braucht zu diesem Zwecke mit Vorliebe
Liq. Burowii, 5 — 20X- Exkoriationen au den Aperturen der Nasen-
höhlen werden nach gründlicher Reinigung mit Sublimatlanolin be-
deckt. Die Nähe der Augenlider wird bei den Pinselungen vermieden.
Sehr bald nach der ersten Einreibung stellt sich intensives Jucken
und Brennen ein, das aber nach mehrmals wiederholter Applikation
abnimmt. Das Gefühl der Spannung lässt nach ungefähr ö Applika-
tionen nach. Bei den beobachteten J^'ällen nahm der ürin schon nach
den ersten Einreibungen den bekannten Veilchengeruch an, den er
auch noch einige Tage nach Aussetzen der Behandlung beibehielt.
Albumin wurde nicht gefunden. Ealls der Urin schon vor der Behand-
lung Albumin enthielte, so wäre die Terpentinbehandlung nicht zu em-
pfehlen. W. hält zwar die antiseptische Behandlung, viz. Kraske's
Stichelungen oder Riedel's Incisionen, für die rationellbte, ist aber mit
der LüCKE'schen sehr zufrieden. Nach gründlicher Ausführung die-
ser fand in den 22 Eällen^ein Weiterschreiten des Erysipels nicht statt.
In 5 Eällen, wo das Erysipel Neigung zum Weiterschreiten offenbarte,
wurden auch WöLFLEK'sche Einschnürungen angewandt, doch erreichte
das Erysipel diese nicht. Nichtsdestoweniger hält Autor es für richtig,
in geeigneten Fällen sich dieser nebenbei zu bedienen. W. glaubt,
dass sich beim Gebrauch des Ol. terebinth. rectif. Sauerstoff entwickelt,
der die Erysipelkokken schädigt. (Ref. hat seit der Veröffentlichung
obiger Arbeit dreimal Gelegenheit gehabt, die beschriebene Behand-
lung anzuwenden, zweimal mit demselben günstigen Erfolg, wie W. in
seinen Fällen; beim dritten Fall jedoch schritt das Erysipel trotz strikt
durchgeführter Behandlung weiter und erstreckte sich fast über den
ganzen Körper. Der Pat. war ein äusserst geschwächtes Individuum,
22 Monate alt, das innerhalb 9 Tagen eine schwere Diphtherie, Pneu-
monie, Phlegmone am Hals von den Drüsen ausgehend und Augina
Ludovici bekam. Das Erysipel fand an der Operationswunde, die für
die Phlegmone gesetzt wurde, seinen Eintritt.)
107'
A Gase of Sacra! Hysterectomy. Von Fred. Kammerer, M. D. (Med.
Record, February 20th, 1892.)
35 Jahre alte Frau, die wegen fortdauernder Blutung einen Gynäko-
logen konsultirte, wurde von diesem, wahrscheinlich wegen Carcinom,
einer Cervix- Amputation unterzogen. Hierauf Besserung, die einige
Monate währte. Letzten September ging sie wegen erneuter Blutung
und stinkendem AusÜuss in's Hospital, wo sie in K.'s Behandlung kam.
Anämische, abgemagerte Person; Uteruskörper nicht beweglich; das
linke breite Ligament stark kontrahirt und in der Nähe des Lterus in-
ültrirt. K. beschloss, die sacrale Hysterectomie auszuführen. Pa-
tientin wird auf ihre rechte Seite gelegt mit den Beinen in leichter
Flexionsstellung, der linke Schenkel etwas stärker ilectirt, als der
rechte, incision vom Anus aus G Zoll lang in der Medianlinie. Nach
Ablösung der Weichtheile wird der unterhalb der dritten Foramina ge-
legene Theil des Sacrum mit der Knochenzange quer durchschnitten
und entfernt. Mit dem Imken Zeigefinger im Kectum wird dieses von
seineu Verbindungen losgeschnitten. Das Peritoneum lässt sich leicht
dadurch erkennen, dass es bei Druck auf das Abdomen sich bläht; es
wird incidirt. Es zeigte sich nun, dass der Tumor sich auf das Perito-
neum ausgedehnt hatte und au der Flexura sigmoidea durch eine
breite Adhäsion verbunden war. Die Krebsmasse schloss auch einen
Theil des linken Ureters ein; dieser wurde abgebunden und durch-
schnitten. Der Darm wurde vom Tumor abgelöst, und jetzt schien die
Entfernung des letzteren eine leichte Sache. Die Gefässe wurden ab-
gebunden, sobald sie durchschnitten waren, der Tumor wurde von
Blase und Kectum gelöst, nachdem die Vagina quer incidirt worden
war. Tamponnade der Peritonealhöhle mit J odotormgaze. Dauer der
Operation 2 Stunden. Am ersten und zweiten Tag nach der Operation
wurden je 2^ Unzen Urin entleert, am dritten Tage 20 Unzen, dann wie-
der weniger, da etwas von dem zerschnittenen Ureter in die Wunde ab-
lief. Am vierten Tage Symptome von Jodoform-Vergiftung. Ent-
fernung der Jodoform-Gaze. Am siebenten Tage Tod. Bei der Autopsiö
fand man noch einen Streifen Jodoform-Gaze zwischen den Eingewei-
den. Keine Peritonitis.
K. empfiehlt die beschriebene Seitenlage zur sacraleu Hysterecto-
mie und zwar soll die Patientin auf der üem infiltrirten Mutterbande
entgegengesetzten Seite liegen. Wenn es sich jedoch darum handelt
am Kectum zu operiren, zieht er die Knie-Ellenbogenlage vor. Was
die Incision betrifft, so gibt ihm die mittlere genügend Kaum. Zur
Durchtrennung des Knocliens bedienter sich einer Knochenzange, weil
diese nicht den Knochen zersplittert und ferner auch den Sacrallianal
schüesst und durch Compression die Blutung aus dem Knochen stillt.
K. empfiehlt die sacrale Methode der Uterusexstirpation in Fällen, in
denen der Tumor nicht mehr auf den Uterus beschränkt ist.
The Poro-plastic Feit Jacket, for Spinal Troubles. Von Ferd. King, M. D.
(International Journal of Surgery, November, 1891.)
Die Vortheile, welche das poröse plastische Filz-Corset dem Gyps-
Corset voraus hat, sind mannigfach; es ist leichter, mehr porös und
mehr resistent. Es schmiegt sich leicht mit der grössten Genauigkeit
an alle Unregelmässigkeiten der Oberfläche. Zur Verfertigung des-
selben musß man zuerst ein genau passendes Gyps-Corset haben, das
in der üblichen Weise angelegt wird. Pat. wird suspendirt und die
Gypsbinden über ein eng anliegendes Hemd applicirt; Breite der Bin-
den 2 — 3 Zoll, je nach der Grösse des Pat. ; 6 Binden von je 5 Yards
Länge genügen. Die ersten Touren sollten um die Hüften gehen min-
destens 2i " unterhalb der crista ilii ; auch sollte die untere Hälfte des
108
Gyps-Corsets erst ein wenig hart werden, um als Stütze für den oberen
Theil zu dienen. Das Corset soll gut hinauf in die Achselhöhle reichen.
Wenn das Gypscorset etwas hart geworden ist, so wird es der Länge
nach durchgeschnitten. K. thut dies indem er eine Einne aus Zink
unter das Hemd schiebt und auf dieser den Gyps mit einem scharfen
Messer durchschneidet. Die Känder des entfernten Corsets werden
sogleich wieder zusammen gebracht und mit einer Binde flxirt, bis der
Gyps vollständig gehärtet ist. Xun wird dieses Corset benutzt, um
einen Abguss des Körpers zu machen, und auf den Gyps-Rumpf wird
dann der Filz angepasst, der erst in heissem "Wasser erweicht worden
ist. Das hart gewordene Filz-Corset kann man dann nach Beheben
noch mit weiteren Lagen Filz verstärken; auch kann man zwischen die
Lagen Filz Stahlschienen legen. Die Eänder des Corsets werden mit
weichem Leder gesäumt. Vorn werden dann Oesen eingeschlagen,
durch welche die Schnürbänder gezogen werden. *
Nerven-Heilkunde. — Referirt von Dr. GEO. W. JACOBY.
The Natura and Cause of the Scleroses of the Spinal Cord. C. L. Dana.
(New York Medical Journal, January 9th, 1892.)
Dana theilt die spinalen Sclerosen ein in 1) primäre Degenerationen,
2) sekundäre Degenerationen, 3 j entzündliche und reparative Sclerosen,
4) gemischte Formen. Ueber die erste dieser Formen herrscht noch
die grösste Dunkelheit, und die Hauptaufmerksamkeit der neurologi-
schen Forscher ist ihr zugewandt. Die primären Sclerosen sind, Tabes
dorsalis, Seitenstrangsclerose, die kombinirten Strangsclerosen, mul-
tiple Sclerose, progressive Muskelatrophie, und ihre Modifikation die
amyotrophische Lateralsclerose. Es sind diese Sclerosen nicht mehr
als parenchymatöse Entzündungen aufzufassen, sondern sie sind als
ein Absterben und Tod der Nervenfasern und Zellen anzusehen. Die
Dähere Ursache dieses Absterbens ist noch unbekannt; diesbezüglich
bespricht D. die Toxine und die Senilität-Theorie; er selbst neigt sich
letzterer zu. Die Frage, ob diese sogenannte Sclerose nicht eine Gliose
sei, möchte Dana bejahend beantwortet wissen. Was die Auffassung
der entzündlichen Veränderungen, welche zu Sclerose fünren, anbe-
langt, so glaubt Yerf., dass die Neurologen eine ähnliche Klassifikation
annehmen dürften, wie sie von den allgemeinen Pathologen befürwor-
tet wird, und demnach diese Entzündungen in plastische, und infek-
tiöse eintheilen sollten. Primäre und chronische Myelitis wären hier-
nach zur Seltenheit zu rechnen, welches ja auch unseren klinischen Er-
fahrungen entspricht,
Ueber Mitbeweg^ungen und Ersatzbewe^ngen' ,bei Gelähmten. H.
Senator. (Berliner Klinische Wochenschrift, Jan. 4. 1892.)
Mitbewegungen oder Ersatzbewegungen, die unter pathologischen
Verhältnissen auftreten, theilt Verfasser in drei Gruppen.
1. Unwillkürliche Bewegungen, welche in willkürlich beweglichen
Muskeln auftreten, zugleich mit oder an Stelle von anderen gewollten
Bewegungen. 2. Unwillkürliche Bewegungen, welche in willkürlich
nicht beweglichen Muskeln, zugleich oder an Stelle von gewollten Be-
wegungen auftreten. 3. Unwillkürliche Bewegungen, welche zugleich
mit einer anderen unwillkürhchen Bewegung oder an deren Stelle auf-
treten. Tie Ursachen dieser Bewegungen und die näheren Vorgänge,
welche ihnen zu Grunde liegen, hat man in verschiedener Weise zu er-
klären versucht, ohne dass eine für alle Fälle befriedigende Erklärung
gegeben worden ist. In einem Punkt aber herrscht Uebereinstimmung
109
darin, dass der Ursprung jener Bewegungen in die Centraltheile des
Nervensystems zu verlegen sei; ob aber das Grosshirn, oder die tiefer
abwärts gelegenen Theile den Ausgangspunkt bilden, darüber herrschen
verscliiedene Ansichten. Die Erklärung von J. Müller sowohl wie die
Theorie von C. Westphal, welche auf den Auseinandersetzungen von
Müller basirt ist, sind nicht für alle Fälle ausreichend. Dem Ver-
fasser scheint die Ansicht Hitzig's, dass unterhalb des Grosshirns, im
Hirnstamm und Rückenmark anatomische Einrichtungen vorgebildet
sind, welche zur Zusammenfassung einfacher Bewegungen und dadurch
zur Bildung combinirter Bewegungen dienen, am meisten für sich zu
haben.
Welche Erklärung auch für die gegebene Mitbewegung oder Ersatz-
bewegung anzunehmen ist, so ist es bis Jetzt Niemandem eingefallen,
die Ursache dieser Bewegung in dem peripherischen Nervensystem zu
verlegen. Senator beschreibt nun hier einen Fall, bei welchem die
wesentliche Ursache der Mitbewegungen im peripherischen Nerven-
system gelegen ist, während die Centraltheile, entweder gar nicht oder
erst in zweiter Linie in Betracht kommen. Es handelt sich um einen
Fall von Hemiehorea posthemiplegica et Glossoplegia dextra mit eigen-
thümllchen Mitbewegungen in dem gelähmten Arm. Sobald die Zunge
herausgestreckt wird, wird der gelähmte Arm krampfhaft im Ellen-
bogengelenk gebeugt, und die Hand mit gestrecktem Zeigefinger in die
Höhe gecrhnellt. Es macht keinen Unterschied, ob die Zunge willkür-
lich von dem Patienten herausgestreckt oder passiv durch einen anderen
hervorgezogen wird. Das Hervorbringen des Reflexes durch passives
Hervorziehen der Zunge spricht dafür, dass ein grob mechanischer
Vorgang, etwa eine Zerrung der Armnerven den Anlass zu jener Be-
wegung gibt.
Diese Annahme wird auch dadurch bestätigt, dass ein Druck auf eine
empfindliche Stelle, am Halse unterhalb des Kieferwinkels, ebenfalls im
Stande ist, die krampfhafte Armbewegung hervorzubringen. Zum
Verständniss des Vorganges muss betont werden, dass bei dem Pati-
enten seit einem vor 12 Jahren erlittenen Trauma, eine Empfindlich-
keit in der Tiefe der rechten Halsgegend bestand, welche wahrschein-
lich von einem chronischen entzündlichen, mit Verdickungen und
Verwachsungen einhergehendem Prozesse, abhängig ist. Mithin
könnte eine Zwangsbewegung welche auf den Druck folgt, eine durch
Schmerzempfindung hervorgerufene Reflexbewegung sein, oder der
Druck könnte als centrifugaler Reiz direkt auf die motorischen Nerven
wirken und die Muskeln in Zuckung versetzen. Der Zusammenhang
der Zungenbewegung mit der Zwangsbewegung liesse sich dann so er-
klären, dass an Stelle des äusseren Druckes, eine Zerrung der ent-
zündlichen Verwachsungen der Nerven jener Gegend, welche mit dem
Herausziehen der Zunge verbunden ist, tritt.
ün Gas d'Acromegalie ; Autopsie. Gabriel Gauthier. (Progres Medical,
Jan. 2. 1892.)
Der Patient dessen Krankengeschichte in No. 21 des „Progres
Medical " für 1890 gegeben worden ist, starb am 11. April 1891, und der
Sectionsbefund wird jetzt beschrieben. Der Hauptbefund bestand bei
diesem, wie bei anderen Fällen von Acromegalie, in einer Hyperthropie
der Hypophyse. Der hier vorgefundene Tumor war etwa zwei Daumen-
gross, und verursachte durch seine Grösse verschiedene Druckerschei-
nungen.
Behandlung der Chorea St. Viti mit Exalgin. Hugo Löwenthal. (Berli-
ner Klinische Wochenschrift, Feb. 1. 1892.)
Pie Veranlassving dieser Arbeit war der Ausspruch Dujappiit-
110
Baumetz, dass Exalgin nicht nur schmerzstillend wirkt, sondern dass
die Wirkunsr sich auch auf das Cerebrospinalsystem erstreckt, und
dass krampfartige Zustände ^ünstiff beeinflnsst werden. L. behandelte
35 an Chorea leidende Patienten mit Exal^^in. Die Dosis betrug 0,02.
drei bis fünf Mal tätlich; das Alter der Patienten schwankte zwischen 3
und 18 Jahren, die Dauer der Behandluns: zwischen 8 Tasren und 4
Monaten. Besonders hervorgehoben wird die Wirkung des Mittels bei
psychischen Erregungen u. s. w. Auch übele Nebenwirkungen des
Mittels wurden selbst bei den kleinen' angewandten Dosen beobachtet.
Diese Nebenwirkungen waren Uebelkeit, Erbrechen, Schwindel, imd in
drei Fällen Icterus. Verf. ist aber der Meinung, dass diese Neben-
wirkungen uns nicht davon abhalten sollten die Exalginbehandlung
bei Chorea zu versuchen.
Zur Aetiolo^e des Acuten ansrioneurotischen** oder umschriebenen
Hautödems''. H. Bauke. (Berl. Klin. Wochenschrift, Feb. 8. 1892.)
Verfasser welcher Gelegenheit hatte viele Fälle von „umschriebenem
Hautödera" zu behandeln, hat sich von der rein nervösen Natur dieser
Krankheitserscheinungen überzeu^rt, \md sucht durch die hier ver-
öffentlichten Fälle den Beweiss hierfür zu führen. Beide Patienten
waren Nervenkranke, mit allgemeinen cerebralen und spinalen Beizzu-
ständen, bei denen iede andere Krankheitsursache und besonders Jed-
welche organische Erkrankung auszuschliessen war. Die Hautschwel-
lungen traten in Folge nervöser, psychischer Erregung in Verbindung
mit Neuralgien auf, und Besserung oder Verschlechterung des nervösen
Grundleidens, mit Häufigkeit und Intensität der Hauterscheinunfren.
Eine Betrachtung der von Anderen veröffentlichten Fälle, zeugt eben-
falls auf das Vorhandensein^ von Keizznständen im centralen Nerven-
system. Es wird aufmerksam gemacht auf Alkohol-Missbrauch als
ätiologisches Moment, sowie auf das Zusammentreffen von Urticaria
und dieses in Betracht stehende Hautödem.
Verfasser meint, dass es sich bei allen diesen Fällen um central be-
dingte, durch Störung des vasomotorischen Centrums, hervorsrerufene
Neurosen der Haut, die sich in Krampf oder Lähmung der Vasodila-
toren oder Vasoconstrictoren äussern, handeln müsse. Die verschie-
denen Arten des neuropathischen Oedems werden von der spasmodi-
schen oder paralytischen Natur dieser vasomotorischen Störungen a,b-
hänsrig sein. Die Behandlung wird immer die des Grundleidens, des
Nervenzustandes, sein müssen.
Kinderheilkunde. — Referirt von Dr. SARA WELT.
A Gase of Myositis Ossificans. Bv R. Gordon Mac Donald. (The
British Medical Journal, Aug. 29. 1891.^
Die Beobachtung betrifft ein vierjähriges intelligentes Mädchen,
welches, als sie 14 Monate alt war, an Keuchhusten litt, sonst aber
immer gesund wai. Die Erkrankung, die zwei Jahre zurück datirt,
raanifestirte sich zuerst durch das Auftreten und oft spontane Ver-
schwinden von harten Knoten an verschiedenen Theilen des Skeletes
fos frontale, beide scapulae, Processus spinosi einiger Wirbel.) Mit dem
Fortschreiten der Krankheit, stellte sich eine zunehmende Unbeholfen-
heit des sonst gesunden Kindes ein; zuletzt konnte der Kopf weder ge-
streckt noch rotirt werden, während die Ellbosren nicht weiter als 8"
von den Seiten entfernt werden konnten. Die Ursache dieses Zustan-
des lag in einer totalen oder partiellen Verknöcherung der Muskeln,
welche in sehr symmetrischer Weise beide Seiten des Bumpfes befiel,
III
Die Muskulatur der unteren Extrentiitäten blieb verschont, und an der
oberen Extremität waren nur die am Rumpfe entspringenden Muskeln
ergriffen.
Die Behandlung: mit grossen Dosen von Jodkali, 20 gr. 3mal täglich,
ebenso wie Einreibungen mit IJnguent. Hydrarg. einer, wurden auffällig
gut vertragen; doch konnten sie den Verlauf der Krankheit nicht be-
einflussen.
In Bezug auf das causale Moment, bestand Verdacht auf Lues.
Ringfworm in Elementary Schools. By Dr. Malcolm Morris. (The
British Med. Journal, Aug. 15. 1891.)
Zur Verhütung der Verbreitung dieser bei Schulkindern häufigen
Dermatomycose, deren Hartnäckigkeit, wenn sie die behaarte Kopf-
haut befallen hat. durch die Ansiedelung der Pilze zwischen den Wur-
zelscheiden der Haarfollikel bedingt ist, zum Theil aber auch durch die
Nachlässigkeit der Eltern, besonders in den ärmeren Klassen, empfiehlt
M., dass in .jeder Schule die Köpfe der Kinder in kurzen Zeitintervallen
von befähifirten Personen inspicirt werden sollten; ausserdem befürwor-
tet er die Etablirung von besonderen Schulen oder Klassenzimmern, in
denen die erkrankten Kinder isolirt und behandelt werden könnten; in
dieser Weise würde auch die Erziehung keine Unterbrechung leiden.
Scorbutus in Infants; American Cases. By William P. Northrup,
M. D. (Archives of Pediatrics I, 1892.)
In einer kleinen sehr interessanten Schrift veröffentlicht N. fll)
amerikanische Fälle von infantilem Scorbut. 2 davon sind eigene Be-
ol)achtungen ; 2 haben sich in der Litteratur gefunden ; die übrigen 7 sind
mit Aufwand von grosser Mühe aus mündlichen und schriftlichen Mit-
theilungen von Collegen gewonnen. Das Alter der kleinen Patienten
schwankte zwischen 11 Monaten und 6 Jahren. Als Ursache der Er-
krankung konnte in der Mehrzahl der Fälle ungenügende Ernährung,
bedingt durch den Gebrauch von Patentnährmitteln, nachgewiesen
werden.
Die Symptome des Scorbut waren oft nicht alle vorhanden, und
beschränkten sich zuweilen auf eine geschwollene, bei Berührung
schmerzhafte, untere Ertremität und sponga\s verändertes Zahnfleisch;
4 Fälle verliefen letal und konnte bei der Autopsie die intra vitam ge-
stellte Diagnose bestätigt werden. Bezüglich des essentiellen Wesens
der Krankheit wird nichts Neues mitgetheilt.
(Die Thatsache, dass die beschriebenen Fälle in den letzten 2 — 3
Jahren beobachtet wurden; ferner die Leichtigkeit mit der die Symp-
tome missdeutet werden können, wie in Fall 3, wo die Ablösung der
Epiphysen der humeri als eine traumatische angesehen wurde, und
die häufige Anwendung des einen oder andern Patentartikels für die
Ernährung der Kinder, lässt die Annahme berechtigt erscheinen, dass
der infantile Scorbut in Amerika nicht zu den sehr seltenen Krankheiten
gehört. Anm. v. Pvcf.)
Umbilical Faecal Fistula in an Infant cured by Radical Operation. By
Francis J. Shepherd, M. D. (ibidem.)
Ein 3 Monate alter gesunder Knabe, in welchem nach dem Abfallen
der ungewöhnlich dicken Nabelschnur am fünften Tage, das Entweichen
von flatus und fceces durch den Nabel, bemerkt wurde. Bei der Ope-
ration, die in Chloroformnarcose ausgeführt wurde, wurde die Bauch-
hohle eröffnet, wobei es sich herausstellte, dass es sich um ein vom
Dünndarm abgehendes Diverticulum handelte, welches mit der Koth-
fistel in unmittelbarer Verbindung stand. Nach Abtragung des
PivertikelSj hart am Darme, wurde der letztere mit einer doppelten
112
Reihe von Seidennäthen geschlossen; darauf Vernähung der Bauch-
wunde und Jodoformverband. Heilung per primam.
The -Cerebral Atrophies of Childhood. With Special Reference to the
Operation of Craniotomy for Imbecility, Epilepsy and Paralysis.
By M. Allen Starr, M. D. (Medical Eecord, January 23d, 1892.)
Gestützt auf pathologische Befunde einerseits und andererseits auf
die Resultate der Craniotoraie an 23 aus der amerikanischen, französi-
schen und deutschen Litteratur zusammengestellten Fällen, denen er
zwei neue, mit günstigem Erfolge operirte, zufügt, beschliesst er seine
sehr zeitgemässe Arbeit mit folgenden Sätzen.
1) Hemiplegie, Sinnesdefekte und Schwachsinn bei Kindern, mit
oder ohne Epilepsie, sind chronische Krankheiten, welche der internen
Behandlung unzugänglich sind.
2) Die pathologischen Zustände, welche diesen Symptomen zu
Grunde liegen, sind entweder grobe Defekte und Atrophieen des Ge-
hirns, oder beruhen auf einer Entwicklungshemmung in den Gehirn-
zellen, und ist dabei für das unbewaffnete Auge keine Veränderung
wahrzunehmen.
3) Es ist gegenwärtig unmöglich, in einem gegebenen Falle den pa-
thologischen Zustand ohne explorative Operation zu bestimmen.
4) Solche Eingriffe sind nicht gefahrlos; doch kann die Gefahr durch
vorsichtiges Eröffnen der dura mater und eine möglichst schnelle Be-
endigung der Operation vermieden werden.
5) Bei atrophischen Zuständen des Gehirnes ist die Operation er-
folglos; sie kann aber von günstigem Einflüsse sein, wenn es sich um
eine Entwicklungshemmung handelt; und die Aussieht auf Genesung
wird erhöht, wenn vorhandene Blutcoagula, Cysten oder Tumoren ent-
fernt werden. Hat man es mit einem mikrocephalen Schädel in Folge
von zu früher Vereinigung der Näthe zu thun, so mag der durch den
Eingriff geschaffene Raum das Wachsthum und die Entwicklung des
Gehirnes begünstigen.
6) Epileptische Anfälle werden oft nach der Craniotomie seltener,
und ihr Charakter modiflcirt; bleibt die Oeffnung im Schädel nur von
Weichth eilen bedeckt, so wirkt sie nach Art eines Sicherheitsventils, so
dass Veränderungen im intracraniellen Inhalte keinen Gehirn druck er-
zeugen.
7) Während Hemiplegie, Aphasie, Athetosis und Sinnesdefecte
durch die Operation gebessert wurden, ist es vorläufig unmöglich vor-
auszusagen, ob Schwachsinn dadurch beeinflusst werden kann.
8) Mittheilungen über Fälle von Craniotomie sollten ausführlich ge-
macht werden, doch nicht vor Ablauf von 6 Monaten nach der Opera-
tion, da es einer längern Beobachtung bedarf, um sichere Schlüsse zu
ziehen.
Deutsche Medicinische Gesellschaft von New York.
17 West 43. Str.
SitzuDg vom 4. Januar 1892.
Präsident Dr. A. Jaoobi.
Vorstellung von Patienten.
Dr. Louis Heitzmann stellt einen Fall von Tuberculosis ver-
rucosa cutis vor. Derselbe betrifft einen 29jährigen Mann der bis vor
etwa zwei Jahren ganz gesund war. Damals war er Farmarbeiter und
schnitt sich eines Tages einen tiefen Schnitt mit einer Sense in die
Dorsfe,lseite der linken Hand. Die Wunde heilte nur langsam zu und
113
bald nachher bemerkte er kleine Auswüchse, wie er sich ausdrückte,
an derselben Stelle, die immer grösser und grösser wurden. Behand-
lung von verschiedenen Aerzten blieb erfolglos. Als der Mann im
November letzten Jahres zuerst gesehen wurde, bot er an der Dorsal-
fläche der linken Hand das ganz characteristische Bild von der von
Riehl und Paltauff im Jahre 1886 zuerst beschriebenen TuherculosiH
veri'ucosa cutis dar. Der ganze Plaque war ungefähr 4 Cm. lang und
IJ breit. Der äusserste Eand war von einem erythematösen, nicht
elevirten Hof umgeben. Je näher dem Centrum, desto elevirter wurde
jedoch der Plaque und zeigte eine unregelmässig höckerige Oberfläche
mit warzigen Auswüchsen. Die Oberfläche war mit kleinen Krusten
bedeckt. Beim ersten Anblick iraponirte die Krankheit als Lupus
verrucosus wurde jedoch bald durch mehrere Punkte klar gestellt.
Der relativ kurze Bestand liess schon an und für sich die Diagnose
Lupus als zweifelhaft erscheinen. Was nun die Therapie anbetrifft, so
ist von einer einfachen localen Behandlung wohl wenig zu hoffen, ob-
wohl die Anwendung eines 10 bis 20 procentigen Salicylplasten, Acid
Salicyl 10—20, Empl. Diachyl. und Empl. Saponat aa 50.0 eine entschie-
dene Besserung hervorgerufen hat. Auskratzungen mit dem scharfen
Löffel mit nachheriger Aetzungoder die Anwendung des Galvanocauter
dürfte wohl dauernde Besserung oder sogar Heilung bewirken.
Discussion:
Dr. A. J a c o b i fragt, was Dr. Heitzmann von der Behandlung er-
warte ; man könnte vielleicht die Stücke excidiren, resp. cauterisiren.
Dr. Heitzmann erwidert, dass seine Behandlung da anzuwenden
sei, wo kein operativer Eingriff vorgenommen werden solle.
Dr. C. Beck stellt einen Patienten mit angeblicher Wirbelluxation
vor. Die Luxation besserte sich nach Jodkalium-Gebrauch.
Meine Herren ! Der Ihnen hier vorgestellte SOjährige Patient ist
dadurch interessant, dass er das äusserlich sichtbare Bild einer Wir-
belluxation nach vorn darbietet, ohne dementsprechende Folgeer-
scheinungen einer solchen, wenigstens nicht in ausgesprochenem Masse
zu zeigen.
Als er am 4. December vor. Jahres in meine Behandlung trat, gab er
an, vor 4 Wochen gefallen zu sein (18 Treppen hinab und Kopf vornüber).
Er will ^ Stunde bewusstlos gewesen sein und habe dann bemerkt, dass
sein Hals steif und jede Bewegung an demselben schmerzhaft war.
Ausserdem hatte er seither leichte Schwindelanfälle und eine auffal-
lende Schwäche in den Beinen. Ich fand ungefähr dasselbe Bild, wie
Sie es jetzt sehen, nur in viel intensiverem Grade.
Kopf zurückgebogen und vorderer Halstheil, namentlich Kehlkopf,
sehr hervorragend. Am Nacken, zwischen 5. u. 6. Halswirbel, eine
tiefe Furche, welcher entsprechend der in die Rachenhöhle eingeführte
Finger eine abnorme Perminenz fühlt. Das Schlucken macht Schwie-
rigkeiten. Bei dieser Gelegenheit sei zugleich erwähnt, dass die laryn-
goskopische Untersuchung durch Dr. FREmJENTHAL eine derartige
Verlagerung des Kehlkopfes ergab, dass er grosse Mühe bei der Spie-
gelung hatte.
Es fielen ferner auch der ängstliche Gesichtsausdruck (die Augen
erinnern an Exophthalmus) und die grosse Schmerzhaftigkeit der Um-
gebung der Halswirbelsäule auf.
Aufrichten und Emporheben des Kopfes lässt den Patienten cyano-
tisch werden, auch kommen sofort Ohnmachtsanwandlungen, so dass
vorläufig von weiteren Repositionsversuchen abgesehen wurde.
Da Patient vor Jahren an geschwürigen Processen am Oberschenkel
gelitten hat, so keimt in mir der Verdacht, dass er luetisch sein könnte
und schien es mir nicht unwahr^cheiöUeh, dass in Folge davon eine
114
geringere Resistenzfähigkeit, eine Art Relaxation der Ligamente einge-
treten wäre, welche ihn leichter zur Dislokation disponirt hätte.
Diese Theorie wurde bestärkt durch die auffallende Besserung,
welche eine kräftige vierwöchentliche Jodkalikur erzielt hat. Sein
subjektives Befinden ist seit don letzten Tagen gut. er kann schlucken,
hat keine Schmerzen, der Einschnittswinkel am Wirbel ist stumpfer
geworden und die Beweglichkeit der Wirbelsäule ist 'eine ganz
anständige.
Man ist gewöhnt, der Wirbelluxation ein sehr schlechtes Progno-
stikon zu stellen und betrachtet einen Fall wie diesen als ein äusserst
seltenes Vorkommniss, so dass der Zweifel, ob es sich um eine wirk-
liche Luxation oder bloss um eine Diastase handelt, sehr nahe liegt.
Auch hätte man an eine Neubildung denken können. Aber gegen letz-
tere sprach die Vorgeschichte des Traumas und gegen die Diastase
der tief eingeschnittene Winkel und die ganz convexe Prominenz des
larynx. Vorliegende Illustration hat mit dem Fall ziemliche Aehn-
lichkeit.
Discussion:
Dr. W. F r e u d e n t h a 1 hat Gelegenheit gehabt, den Patienten im
Anfang seiner Krankheit zu untersuchen. Das Larynxgerüst war
nach oben gerückt ; der Versuch, in den Kehlkopf hineinzusehen,
crelang nicht ; im Kehlkopf war eine Prominenz vorhanden, die auch
jetzt noch vom Munde aus mit dem Finger zu fühlen ist, wenn auch
nicht in so hohem Masse wie früher.
D r. A. J ac o bi bemerkt, dass hier eine antiluetische Behandlnn«?
vorliege, die von Erfolg gekrönt war; er habe im deutschen Hospital
einen ähnlichen Fall gehabt, wo eine Schwellung auf luetischer Grund-
lage am 2. Brustwirbel vorhanden war (keine Luxation) und der Patient
nach Jodkali besser wurde.
Dr. C. Beck demonstrirt die KRAMER'schen Universalschienen.
Ich erlaube mir die Aufmerksamkeit der Herren Collepren auf die
vorliegende, sogenannte KRAMER'sche Universalschiene, welche meines
Wissens in New York ziemlich unbekannt ist, zu lenken. Dieselbe besitzt
einen Grad von Modellirfähigkeit, wie er mir in ähnlicher Weise bei
keinem anderen Material bekannt ist, sie hat ferner den Vorzug leichten
Gewichtes und billigen Preises.
Speciell für den allgemeinen Praktiker, welcher den Gipsverband
nicht völlig zu beherrschen glaubt, dürfte dieses Ideal einer Schiene
eine willkommene Gabe sein.
Discussion :
Prof. Dr. Schnell e'r^fragt, was das'f ür ein Metall sei.
Dr. Beck kann es nicht genau angeben.
Demonstrati o n von Präparaten.
Dr. Willy Meyer demonstrirt den Uterus von einem Fall mit
Tubenschwangerschaft.
Dr. G. Räch el demonstrirt ein Herz, an welchem ein gemischter
Thrombus, in fettiger Degeneration begriffen, gefunden wurde. Das Fett
an der Herzspitze zeigrt nichts Pathologisches.
Das Präparat, welches ich mir vorzuzeigren erlaube, ist das Herz
eines fünfjährigen Mädchens, welches nach dreitägiger Erkrankung
starb.
Ich wurde am Nacli mittag des Danksaguugstages orerufen und fand
ein kräftig erebautes Kind in Convulsionen. Es wurde mir berichtet,
dass das Mädchen schon seit etwa einer Woche über Kopfschmerzen,
Gliedej^schm erzen und allgemeine Mattigkeit geklagt habe, dass sie
115
aber bis zum Vormittag desselben Tages sich nicht schlecht genug be-
funden habe, um zu Bette zu gehen. Erst gegen Mittag klagte sie so
sehr über Kopfweh und Hitze, dass die Mutter sie in's Bett steckte.
Kurz darauf begannen die Convulsionen und hielten mit geringrer Un-
terbrechung an, bis ich etwa um 2 Uhr kam. Alle Mu!=;keln des Körpers,
die des Gesichtes ebenfalls, nahmen an denselben Theil. Es bestand
bedeutende Dyspnöe, Cyanose und der Puls war unregelmässig, 160
etwa, die Temperatur 106^ F. Ich gab sofort eine subkutane Injektion
von '/3fin Gran (0,0001) Atropin und V,o Gran (0,005) Morphium. Nach
wenigen Minuten Hessen die Krämpfe nach und der Puls ward
kräftiger, wenn er auch noch ziemlich unregelmässicr, circa 140
Mal in der Minute schlug. Die Untersuchung des Herzens ergab
die bekannten klingenden Geräusche, wie sie bei subacuter Endo-
carditis auf rheumatischer Basis im Kindesalter stets zu hören
sind. Es bestand jedoch wie in dpr Mehrzahl der Fälle kein
wirklich blasendes Geräusch, das auf Klappenfehler hätte schliessen
lassen. — Der Urin war stets, wie ich hier einschalten möchte,
eiweissfrei. Ich Hess nun Atropin und Mornhium in denselben Dosen
zweistündlich geben, ordnete an, dass dem Kind, welches ganz kolossal
perspirirte, reichlich Flüssigkeit zugeführt, und dass ihm theelöffel-
weise Champagner und Fleischbrühe erereicht werde.
Abends um 9 Uhr snh ich das Kind wieder. Es waren keine Krämpfe
wieder aufgetreten, nur der intensive Kopfschmerz bestand weiter, aber
das Bewusstsein, welches auch in den Interwallen zwischen den Convul-
sionen stets wiederkehrte, war vollständig vorhanden. Die Tempera-
tur war 105°, der Puls 120. Ich verordnete nun Natr. Salicylicum mit
Digitalis-Infus.
Am anderen Morgen, am 27. November, war die Temperatur unter
104° gesunken, doch war der Allgemeinzustand nicht verändert: nur
der Kopfschmerz hatte sich gebessert. Die Therapie blieb dieselbe.
Am Abend war die Temperatur auf 103° gefallen, der Puls wahr-
scheinlich unter dem Einflüsse des Dijritalis auf 112 heruntergperangen.
Ich gab nun Natr. Salicyl. in Pulverform und Strophautus-Tinktur, 3
Tropfen zweistündlich.
Das Kind hatte eine ziemlich gute Nacht gehabt, doch gegen Mor-
gen begann die Dyspnöe zuzunehmen und die kleine Patientin warf
sich viel im Bette umher. Die Temperatur war um 10 Uhr am 28. Nov.
104°, der Puls sehr imregelmässig, 96 in der Minute. Die Picspiration
war sehr unregelmässig imd schwer, 40 in der Minute. An der Basis
beider Lungen zeigten sich leichte Rasselgeräusche, doch kein Cre-
pitus. Die Herzgeräusche waren während der ganzen Zeit dieselben
geblieben, kein Blasen war jemals zu hören.
Um 2 Uhr sah ich das Kind wieder, es war bewusstlos, T. 106°, P.
120, sehr unregelmässig und aussetzend. Um 5 Uhr trat der Tod ein,
nachdem die Cyanose nach der Schilderung der Eltern extrem gewor-
den war. Doch waren nirgends Ecchymosen weder im Leben noch im
Tode zu finden.
Dr. Geo. Lixdfamayr war so freundlich, die Sektion vorzunehmen,
welche sich auf Wunsch der Eltern auf das Herz zu beschränken hatte.
Es war wenig Serum im Porikardium, doch zeigte dasselbe, sowie
die Herzobfrfläche eine weissliche Verfärbung, welche offenbar von
fibrinösem Exsudate hf^rrührte.
Die Herzhöhlen selbst zeigten ebenfalls, dnss das Endocardium in
entzündlichem Zustande sich befand. Als direkte Todesursache erwies
sich jedoch ein grosser Thrombus, welcher die Oeffnung zwischen
rechtem Vorhof und rechtem Ventrikel und dieses selbst ausfüllte.
Derselbe hat die Form eines sogenannten Herzpolypen und zwar hat
er nicht ein, sondern zwei Stiele deren einer im rechten Herzohre und
116
der andere in den Papillarmuskeln der Trikuspidalklappe angeheftet
ist. Der Thrombus ist längHch-eiförmig und etwa 2^ cm. lang und 1^
cm. dick. Es befinden sich noch ausserdem in dem Netzwerk der
Muse, papillär, und Chord. tendin. zwei kleinere Thromben, deren einer
gegenwärtig noch festsitzt, während der andere sich bei der Unter-
suchung loslöste.
Dr. LiNDENMAYR war so freundlich von dem grossen Thrombus,
welcher zu den sogenannten weissen Thromben gehört, einige Schnitte
zu machen. Er berichtet darüber Folgendes:
Der äussere Theil ist gemischt. Erst finde ich aussen eine Auflage-
rung rother Schichten, dann eine Schicht weisser Auflagerungen, welche
durch Fibrinschichten getrennt sind. Dann finde ich weisse Blut-
körperchen, welche durch Fibrin in kerniger, meist in faseriger Form
getrennt sind. An zwei oder drei Stellen finde ich weisse Blutkörper-
chen im Zustande fettiger Degeneration.
Ich würde die Diagnose machen:
Gemischter Thrombus in fettiger Degeneration begriffen.
Das Fett an der Herzspitze zeigt nichts Pathologisches.
Discussion.
Dr. A. J a c o b i fragt, wie lange das Kind krank war. In 5 Tagen
hat der Blutfaserstoff Zeit gehabt, sich abzusetzen; was aber die ur-
sprüngliche Todesursache war, ist noch nicht eruirt.
Dr. Edebohls demonstrirt mehrere, bei drei Laparotomien
während des verflossenen Jahres gewonnene
Lipomata omenti majoris,
sämmtlich Kesultate der chronischen Pelveo-peritonitis darstellend.
Das erste Lipom, 10 cm. im Durchmesser, stammt von einem 24-
jährigen Mädchen, welches seit sechs Monaten an krampfartigen
Schmerzen im Unterleibe und atypischen Metorrhagien litt. Die Un-
tersuchung ergab eine noi mal grosse Uterushöhle, mit einem runden,
harten, 10 cm. grossen Tumor, der vorderen Corpuswand aufsitzend.
Beide Tuben waren beträchtlich verdickt und fest verwachsen im
Douglas zu fühlen. Ovarien leicht vergrössert, an's Becken Peritoneum
gelöthet. Die deutliche Adnexenerkrankung gab die Indikation zur
Laparotomie. Bei derselben ergab sich salpingo-oophoritis chronica
beiderseitig, chronische Pelveoperitonitis mit Bildung vieler kleiner
Peritonealcysten, und das vorgezeigte Lipom des unteren Endes des
grossen Netzes. Dasselbe sass in der plica vesico-uterina, mit dersel-
ben, der vorderen Fläche des Uterus und dem Fundus fest verwach-
sen. Lipom, beide Tuben und Ovarien wurden entfernt.
Im zweiten Falle handelte es sich um ein 23jähriges Mädchen, bei
welchem andererseits, wegen sonst unstillbaren Metrorrhagien, vor 6^
Jahren beide Tuben und Ovarien entfernt wurden. Seitdem kein wei-
terer Blutverlust. Das vorher äusserst magere Mädchen wurde nun
übermässig fett. Sie kam vor etwa drei Monaten mit Druckbeschwer-
den und Schmerzen im Becken in E.'s Beobachtung. Die Unter-
suchung ergab Abwesenheit der Tuben und Ovarien; eine etwas ver-
kleinerte Uterushöhle und vier, von 5 bis 15 cm. grosse, harte, dem
Uterus allseitig aufsitzende und mit demselben fest verwachsene Tu-
moren. Dieselben erwiesen sich bei der Laparotomie als die vorge-
legten derben Lipome des grossen Netzes. Die Verwachsung mit dem
Uterus war so intim, dass die Trennung durch die Corticalpartieen der
Tumoren selbst geführt werden musste.
Sämmtliche Tumoren wurden ausgeschält und sammt einer be-
trächtlichen Portion gesunden Omentums entfernt.
Das von der dritten Patientin stammende Lipom ist länglicher
117
Form, 10 cm. lang bei 6 cm. im grössten Durchmesser. Die 30jährige,
verheirathete Patientin, Mutter von 8 Kindern, wurde mir von Hn
Kollege W. Hassloch zur operativen Behandlung einer kurz nach ihrer
vor 7 Wochen erfolgten letzten Entbindung entdeckten, linksseitigen
Beckengeschwulst zugesandt. Die harte Geschwulst von der oben be-
schriebenen Grösse, lag dicht neben dem Uterus in der Eegion des
linken Parametrium. Linke Tube und Ovarium nirgends zu ent-
decken; rechtsseitige Adnexen normal. Bei der Operation fand sich
das Lipom fest um hnke Tube und Ovarium geschlungen, dieselben im
Centrum des Tumors beherbergend, und fest mit den Vorder- und
Hinterflächen des ligamentum latum verwachsen. Salpingo-oophoritis
sinistra ohne beträchtliche Vergrösserung der Adnexen. Entfernung
des Tumors mit den hnksseitigen Adnexen. Die normal aussehende
rechte Tube und Ovarium bleiben.
Glatte Genesung sämmtlicher Patientinnen. Die alten Beschwer-
den bleiben verschwunden.
Die Aetiologie der Tumoren ist in allen drei Fällen in der Pelveo-
peritonitis chronica zu suchen. Diese bedingte die Verwachsungen
des freien Bandes des Omentum mit den Beckenorganen. Die ver-
grösserte Blutzufuhr mittelst der Verwachsungen führte zu Hyper-
plasien, der anUegenden Omentalparthieen, die dann aUmählich zur
Dignität wahrer Lipomata heranwuchsen. Die Pelveoperitonitis war
die direkte Folge der Salpingo-oophoritis in zwei Fällen, beiderseitig
im ersten und einseitig im dritten t>erichteten Falle. In einem Falle
ist die Entstehungsweise der Pelveoperitonitis etwas unklar, wenn man
nicht annimmt, dass dieselbe der 6^ Jahre früher ausgeführten Sal-
pingo-oophorectomie folgte.
In Bezug auf die Diagnose wurden sämmtliche Tumoren vor der
Operation als Fibrome angesprochen. Im ersten Falle Hessen die
Symptomen und die harte, runde, mit der vorderen Uteruswand auf's
Innigste verbundene Geschwulst kaum eine andere Deutung übrig.
Im zweiten Falle täuschten die Geschwülste multiple Uterusfibrome
vor, obwohl viele der subjektiven Klagen fehlten. Im dritten Falle
Hessen Härte, Contour und Lokalisation des Tumors auf ein intraliga-
mentäres Fibrom schliessen, und das, trotzdem die Möglichkeit eines
Omentaltumors dem Untersucher deutlich vorschwebte.
Das Protokoll der letzten Sitzung wird verlesen und angenommen.
Ansprache des scheidenden Präsidenten.
Dr. A. J a c o b i : Es ist Sitte, dass der Präsident über die Ergeb-
nisse der Arbeiten während des verflossenen Jahres spricht. Er sei
mit den Vorträgen sehr zufrieden gewesen; er hebe nur beispielsweise
diejenigen von Lange, Heitzmann und L. Fischer hervor. Es sei ihm
ein Vorwurf daraus gemacht worden, dass er eine Wiederwahl zum
Präsidenten abgelehnt habe. Aber so lange ein Verein immer diesel-
ben Beamten wähle, bilde sich leicht eine Oligarchie aus, und der Ton
bekomme eine gewisse einseitige Richtung, was nicht geschehen solle.
Im Verein sollten alle vertreten sein, auch die jungen Kräfte. Der
Verein bilde keine Akademie im europäischen Sinne, obwohl wir einige
internationale Berühmtheiten unter unseren Mitgliedern haben, wie
Kjjapp, Lange, Heitzmann. Wir bilden jetzt keine Brücke mehr
zwischen Amerika und Europa; denn unter den Amerikanern sind jetzt
ohnedies viele vorhanden, die deutsch lesen und alles, was in Deutsch-
land vorgeht, selbst ausfindig machen können. Der Verein sei haupt-
sächlich der Ort für solche, welchen die englische Sprache nicht ganz
geläufig ist. Auch das ethische Leben finde hier weitere Ausbildung.
Kachdem der Verein über ein Dutzend Jalire klein gewesen, sei''er erst
durch Dr. Heitzma^n gross geworden; ihm seien die Mitglieder vor
allem zu Dank verpflichtet, wenn auch Dr. Webee sehr viel für den
Verein geleistet habe. Es gereiche ihm daher zu grosser Ehre, den
Vorsitz jetzt Herrn Dr. C. Heitzsiann zu überweisen.
Ansprache des neu erwählten Präside^nten.
Dr. C. H e i t z m a n n : Er habe seinerzeit, [als ihm seine Tochter
gestorben, Zerstreuung gesucht und sei unter anderem auch in den
Verein gegangen. Damais sei er Präsident geworden, in einer Sitzung,
in der nur 6 iViitgüeder anwesend waren, die sämmtlicn zu Beamten ge-
wählt wurden. Er habe nun damals zuerst gesucht, die deutschen
Aerzte unter einen Hut zu bringen. Die Schwierigkeiten waren grosse,
aber er habe sie überwunden. Nach Ablegung seines Amtes sollte
jeder ein väterliches Interesse für den Verein bewahren. Man könne
jetzt mit dem Verein wohl ziemlich zufrieden sein, allein es seien doch
noch bedeutende deutsche Aerzte hier, die dem Verein noch nicht an-
gehörten; dann seien auch deutsch sprechende Amerikaner vorhanden,
die ebenfalls herkommen könnten. Er möchte ferner fragen, ob nicht
das Material der jACOBi-Sitzungen hier auch verweithet werden könne.
Er habe eigentlich beabsichtigt, heute Abend über die Cellular-Patholo-
gie zu sprechen. Virchüw habe soeben eine Triumphrede gehalten,
worin er sagte, dass seine Cellularlehre nach so vielen Jahren fest da-
stehe. Er sei dagegen anderer Ansicht. Da indess noch viel für den
Abend vorliege, so wolle er die beabsichtigte Rede lieber ein anderes
Mal halten una jetzt das Wort Herrn Prot. Schueller ertheilen.
Es folgt der angekündigte Vortrag des Prof. Dr. Max.
Schuelier aus Berlin (als Gast): Ueber Guajacolbeiiandliuiy der
luberculose. (In der Monatsschrift abgedruckt.)
Discussion:
Dr. C a h e n fragt, wie es komme,^dass bei hypodermatischer Injek-
tion so wenig bei Phthisis erreicht werde. enn dies antibakteriell
wirke, warum wirke es nicht hypodermatisch, dagegen per os.
Prof. Schuelier erwidert, dass Gilbert (Jreosotoel subcutan
gegeben und gute Resultate erzielt habe. Auch andere berichten das-
seibe. Wenn aber die subcutane Injektion wirklich weniger wirke, so
liege dies daran, dass dann die Ausscheidung aus dem Blut zu schnell
von statten gehe. Er glaube, dass die Wirkung nicht allein antibakte-
riell ist, sondern sich auch anderweitig geltend macht. Amidobenzoe-
säure mit Guajacol solle eine gute Verbindung darstellen. Allein er
sei mit seinem alten Präparate zufrieden.
D r. L. W e b e r hat mit Creosot, Guajacol und Benzolguajacol ge-
arbeitet; er habe 15 — 20 Fälle von Tuberculosis pulmonum in 4: Jahren
behandelt, und zwar habe er diese Mittel nach dem FRAENZEL'schen .
System gegeben; keiner von diesen Patienten sei am Leben. Mit
Guajacol habe er wenig Erfolg gehabt; die Wirkung bestehe in der
Hebung der Ernährung, und vielleicht werde der Nährboden für die
Bazillen schlechter. Benzoylguajacol habe nicht gut gewirkt.
Dr. Carl Beck fragt, ob Prof. Schueller die Fälle chirurgisch
behandelt habe.
Prof. Schueller erwidert, dass er in diesen Fällen in der letzten
Zeit Injektionen mache. Creosot wirke nicht so gut wie Guajacol; letzte-
res werde besser vertragen.
Dr. W. Freudenthal stellt den Antrag, dem Professor Schueller
für seinen interessanten Vortrag den Dank der Versammlung auszu-
sprechen. Dies geschieht.
119
Die in der letzten Sitzung voigcfcchiagenen Kandidaten werden zti
Mitgliedern gewählt.
Als neue Mitglieder werden vorgeschlagen:
Dr. S. M. Landsman, von Dr. L. Fischee.
Dr. I. E. Pastebnor, von demselben.
Dr. (Je. W. Tkscuner, von Dr. G. Kachel.
Schluss und Vertagung.
Dr. Max Einhorn,
protokollirender Sekretär.
Wissenschaftliche Zusaiunienkuut't deutscher Aerzte in
New York.
(110 West 34. Strasse.)
— Sitzung^vom 25. September 1891.
(Fortsetzung.)
Subjectiv fast keine Beschwerden. Der Handteller j uckt zuweilen,
die Fusssohlen sind manchmal schmerzhaft, besonders im Winter.
Wir können über die Diagnose nicht zweifeln, es handelt sich hier
um ein Xanthoma tuberosum multiplex, eine Erkrankung von der bis
jetzt nur etwa 45 Beobachtungen veröffenilicht sind. Ich kann hier
nicht auf die Pathologie dieser Affection eingehen ; ich möchte nur daran
erinnern, dass es sich bei diesen Knötchen um eine wirkliche Neubildung
handelt. Dieselbe gehört in die Kategorie der Naevi pigmentosi und ist
ähnlich wie diese microscopisch ein Endotheliom, welches sich aber von
den gewöhnlichen Malern dadurch unterscheidet, dass die Zellen der
Neubildung reichlich gelbes Pigment und grosse Quantitäten von Fett
enthalten. Die gelbe Farbe ist nicht allein auf das Pigment, sondern
nach TouTON, der sich am Eingehensten mit der Pathogenese dieser Af-
fection beschäftigt hat, hauptsächlich auf die in der Neubildung enthal-
tenen Fettmassen zurückzuführen.
Obwohl die Neubildungen höchst wahrscheinlich auf congenitaler
Anlage beruhen, müssen wir zweifellos Erkrankungen der Leber als
Gelegenheitsursache gelten lassen. In Vg der Fälle finden wir chronische
Gelbsucht, auf verschiedene Ursachen, so z. B. Gallensteine, Krebs u. s. w.
rückführbar, anwesend. Diesbezüglich sind die schon erwähnten An-
fälle von vermuthlicher Gallensteinkolik von Belang.
Ich habe einzelne der Knötchen excidirt und werde Ihnen nachher
die Schnitte demonstriren.
Was die Behandlung anbelangt, sind wir leider nicht in der Lage,
irgend etwas für unseren Patienten zu thun. Ich versuchte bei Dem-
selben einen mässigen und anhaltenden Druck auf einige Stellen auszu-
üben, da ich glaubte, dass man vielleicht dadurch eine Kesorption her-
beiführen könnte, und liess den Patienten daher starkdrückende „Com-
press-Gaiters " tragen. Der Patient behauptet, dass an der Achillesferse
die Geschwülste in der That kleiner geworden wären.
Noch ein Wort bezugs der Differential-Diagnose: Es ist mehrmals
vorgekommen, dass die makroscopische Diagnose auf Xanthoma ge-
stellt wurde, es sich dann aber unter dem Mikroscope herausstellte, dass
es sich nur um Atheromcysten handelte. Ich habe selbst einen Fall
von multipler Cystenbildung veröffentlicht, den ich in London sah und
welcher von verschiedenen Mitgliedern der London Dermatol. Soc. zur
Zeit als Xanth. tub. diagnosticirt wurde. Es handelte sich in diesem
Falle um circa 150 in kurzer Zeit entstandene Dermoidcysten' bei einer
24jährigeQ Frau,
120
D i s c u s s i o n.
L e V i s e u r behandelte einen ähnlichen Fall bei einem neunjährigen
Kinde, neun Monate lang im Randalls Island Hospital. Die Flecken
nahmen Arm, Rücken und Brust ein, waren so gelb wie bei Xanthoma
palpebrarum, verschwanden zum Theil spontan, und recidivirten nach
Exstirpation nicht. Therapie hatte keinen Erfolg.
Schapringer stellt einen Fall von Vaccine blepharitis vor.
Discussion.
A. J a c o b i schlägt therapeutisch die subcutane Einspritzung stär-
kerer Antiseptica vor.
Mittheilungen aus der Praxis.
Sara Welt beobachtete bei einem dijährigen Jungen in der Con-
valescenz nach akuter Krankheit Delirien. Dieselben traten in der Ab-
schuppungsperiode eines leichten Scharlachs bei dem blassen, anaemi-
schen Kinde zweimal, an konsekutiven Tagen auf, dauerten jedesmal
eine halbe Stunde, wurden als Inanition's oder asthenische Delirien ge-
deutet und mit Alcoholicis behandelt.
Discussion.
A. J a c o b i würde in solchen Fällen Amylnitrit oder Nitroglycerin
verschreiben.
Schluss und Vertagung.
Sitzung vom 23. Oktober 1891.
Vorsitzender: Caille.
Schriftführer: E. Fride?iberg.
Vorstellung von Patienten.
Toeplltz stellt einen jungen Mann mit symmetrischem Defect
im Gaumenbogen vor.
W. B., 23 Jahre alt, hat im fünften Jahre Scharlach mit Rachenbräune
durchgemacht, woran er ein Jahr lang gelitten haben will. Zu gleicher
Zeit hatte er eine doppelseitige Trommelfellentzündung und Zellge-
websentzündung auf beiden Brüsten, die durch Punktion, Entleerung
und Ausspülung geheilt wurde.
Bei der Inspektion des Rachens sieht man auf jeder Seite, parallel
dem Rande des vorderen Gaumenbogens je eine längsovale Oeflfnung
von ca. i Zoll Länge, die frei unterhalb des Bogens in die Rachenhöhle
münden. Die Ränder sind glatt, ohne Narben; nur in der Nähe der
rechten Oeffnung, etwas nach unten, erscheint die Schleimhaut etwas
naroig. — Keine Spur von ]\[andeln.
Ausserdem ist das rechte Trommelfell perforirt; beide Nasenhälften
enthalten Reste von Nasenpolypen. In dem Nasenrachenraum findet
sich Hypertrophie der Rachenmandeln.
Der Fall reiht sich den von Wolters, Felix Cohn, Chiari und Schap-
ringer beschriebenen an. Das symmetrische Vorkommen, die Abwesen-
heit der Mandeln, die Glätte der Ränder und, in andern, nicht in
unserem, das Fehlen eines vorausgegangenen entzündlichen Prozesses
machen den kongenitalen Ursprung des Zustandes sehr wahrscheinüch.
Discussion.
Schapringer stellte vor mehreren Jahren dieser Gesellschaft
einen ähnlichen Fall vor, in dem jedoch der vordere Schenkel sehr
schmal, beinahe strangförmig verlief, die Defekte jedoch bedeutend
121
grösser waren. Seitdem hat er einen zweiten Fall [mit sehr kleinen
Defekten beobachtet.
T o e p Ii t z stellt einen Mann mit hahnenkammälinlichem Granu-
lom des Larynx in Folge von Tuberknlose vor.
M. B., 27 Jahre alt, aus Ungarn, seit 19 Jahren hier, ist ein klinischer
Patient des „Montefiore Home", in welches er vor zwei Monaten
wegen hochgradiger Lungenschwindsucht aufgenommen wurde. Er
will schon seit 7 Jahren heiser sein, überhaupt an seinem Halse leiden,
hat jedoch erst vor zwei Jahren zum ersten Male Blut ausgeworfen.
Bei der Inspektion des Kehlkopfes, der uns hier am meisten inter-
essirt, fällt sofort eine Geschwulst auf, welche auf der vorderen Fläche
der hinteren Kehlkopf wand breitbasig aufsitzt, röthlich ist, von harter
fibröser Konsistenz, etwa ^ Zoll Länge, bei tiefer Inspiration frei in die
Glottis hineinragend, bei Phonation die beiden Aryknorpel ein wenig
überragend.
Vortragender hält die Geschwulst für ein Granulom und betont,
dass es nicht zu verwechseln sei mit den auch bei Kehlkopf tuberculose
vorkommenden Granulationen auf geschwürigem Grunde — also einen
selbständigen Tumor in Folge von Tuberkulose, wie sie höchst selten
vorkommen.
Die Behandlung besteht in der operativen Entfernung.
Discussion.
Felix Cohn stellte seiner Zeit einen ähnlichen Fall vor. Bis zum
Auftreten von Ulceration sei operatives Eingreifen contraindicirt.
Gleitsmann. Da die mikroskopische Untersuchung dieser Ge-
schwülste Bacillen ergeben hat, so solle man Tumor (und Bacillen) ent-
fernen.
Felix Cohn stellt einen Fall von luetischer Ulceration des
Zungengn^des vor.
Willy Meyer stellt einen Fall von Totalresektion des Ober-
kiefers wegen Spindelzellensarkom vor.
Ferner einen Fall von Dannobstruktion, durch vordere Colotomie
behandelt.
Beide Fälle wurden mit Anilinfarben behandelt.
Discussion.
E. Fridenberg behandelte ein Sarcoma Orbitae, welches sich 18
Monate nach Exstirpation eines gleichseitigen Thränendrüsensarcoms
einstellte, 6 Monate lang mit steigenden Dosen von Methylblau. Mit
0.1 bis in die anfangend, nahm der Patient zuletzt 0.6 bis in die ohne
Störung des Allgemeinbefindens. Das Wachsthum des Tumors wurde
entschieden verlangsamt, jedoch nicht verhindert und wurde derselbe
dann im Deutschen Hospitale durch Exenteratio orbitae entfernt.
J a c o b i hat nie mehr als OS pro die geben können. Einige können
nur ganz geringe Dosen mit Opium vertragen. Er hat die Ueberzeu-
gung gewonnen, dass in allen Fällen das Wachsthum des Neoplasma be-
deutend verlangsamt wird, und häufig das Abheilen maligner Ulcera-
tion beobachtet.
Willy Meyer stellt einen Fall von Entfernung der Tonsille,
der ganzen rechten Pharynxwand, der Epiglottis und der Zunge wegen
Sarkom vor.
Pathologische Präparate.
Goldenberg demonstrirt:
a) Drei Harnröhren-Polypen,
b) Blasensteine, durch den hohen Blasenschnitt gewonnen.
122
Dr. H. Goldenberg demonstrirt zwei weitere Polypen, die er in
den letzten Tagen aus dem hinteren Theile der männlichen Harnröhre
entfernte.
Der eine, ein gestieltes Papillom wurde mittelst des Oberlaender'-
schen Tamponecrasements aus dem prostatischen Theile der Harn-
röhre eines Patienten entfernt, dessen Symptome vollständig denen der
Urethritis posterior chronica entsprechen. Die Diagnose konnte in
dem Falle nur durch das Endosliop gestellt werden.
Im zweiten Falle handelte es sich um ungestielte breit aufsitzende
Papillome der pars membranacea urethrae, die durch die Polypenzange
und die erwähnte OsERLAENDER'sche Methode entfernt wurden.
Bei beiden Patienten war eine Genorrhoe vorausgegangen, dieselbe ist
jedenfalls in ätiologischem Zusammenhang mit den Polypen. Der Vor-
tragende bespricht dann die OsERLAENDER'sche Methode ausführlicher
und hält sie für die einfachste und ungefährlichste. Er macht ferner
auf die Nothwendigkeit der endoskopischen Untersuchung in allen
chronischen Fällen aufmerksam und sciiliesst aus der Thatsache, dass
er innerhalb 1^ Jahren 5 Polypen zu beobachten Gelegenheit hatte,
auf die Häufigkeit dieser gutartigen Tumoren der Harnröhre.
Dr. Goldenberg demonstrirt ferner zwei Steine, die er bei einem
50jährigen Patienten vor fünf Tagen durch den hohen Blasenschnitt
entfernt hat. Der Verlauf ist ein überaus günstiger, die Temperatur
normal. Die Operation war durch eine beträchtliche Skrotalhernie
erschwert, aber doch leicht ausführbar.
Zusatz: Die Wunde in der Blase war nach Verlauf von drei
Wochen vollständig geschlossen. Der Patient entleert seinen Urin zur
vias naturales.
Mittheilungen aus der Praxis.
Northrup berichtet über einige Fälle von nebeneinander er-
folgter Masern- und Scharlacherkrankung. (Abgedruckt in der Medic.
Monatsschrift.)
Discussion.
A. J a c o b i. Das Zusammentreffen acuter Exantheme kann speciell
dort, wo viele Kinder und viele Ausschläge zusammenkommen, beob-
achtet werden, also in grösseren Kinderheilanstalten. In der Privat-
praxis ist dieses Zusammentreffen selten. J. kann sich nur 2 ähnlicher
Fälle deutlich erinnern. Die Anzahl von veröffentlichten Fällen ist auch
eine beschränkte.
Goldenberg. Gilt dies auch von Masern und Röthein ?
A. J a c o b i ist noch im Zweifel, ob eine Krankheit „Röthein " exis-
tirt. Darin steht er nicht allein. Masern und Pocken, Vaccine und
Pocken kommen gelegentlich zusammen vor.
Schluss und Vertagung.
Sitzung vom November 1891.
Vorsitzender . Dr. D'Oench.
Schriftführer : Dr. E. Fridenberg.
Vorstellung von Patienten.
Dr. Goldenberg stellt vor 1) Ein Kind mit inficirter ritueller
Circumcisionswunde.
(Wird in extenso anderwärts veröffentlicht werden.)
Discussion.
Willy Meyer sah vor circa vier Jahren ein Kind, welches in
derselben Weise mit Tuberkulose inficirt worden war. Geschwüre tra-
123
ten nach acht Tagen auf. Später Schwellung der Inguinaldrüsen.
Dieselben wurden exstirpirt und enthielten Bacillen. Solcher Fälle
sind Viele schon veröffentlicht.
Schar lau hat vier ähnliche Fälle beobachtet. In dem einen
Falle war der Beschneider entschieden tuberkulös. Jedoch wird die
Infektion mittelst schmutziger Messer und Klemmen wahrscheinlich
öfters von anderen Kindern übertragen.
Dr. Goldenberg stellt vor 2) ein Kind mit überzähligen Fingern
und Zehen.
Dr. Max Einhorn stellt zwei Fälle von Atrophie der Magenschleim-
haut vor. Die klinischen Zeichen dieser Erkrankung sind das voll-
ständige Fehlen des Magensaftes oder vielmehr seiner specifischen
Elemente HCl, Pepsin, Lab.; findet man bei einem Patienten constant
das Fehlen aller dieser Substanzen, so ist man berechtigt, die Wahr-
scheinlichkeits-Diagnosie auf Atrophie zu stellen. Eine zweifellose
Diagnose auf Atrophie der Magenschleimhaut kann nur nach dem
Tode durch die Autopsie und den mikroskopischen Befund gemacht
werden. Es wäre jedoch angebracht, einen passenden Namen für den
Zustand zu haben, wo kein Magensaft geliefert wird, gleichviel welcher
Natur die pathologische Grundlage sein möge, und als solchen würde
Redner „Achylia gastrica" oder im Deutschen „Magensaftlosigkeit"
vorschlagen. Redner entnimmt bei beiden Patienten Proben ihres
Mageninhalts und zeigt darin das Fehlen des HCl. und des Labferments
ausserdem die grobe Beschaffenheit der einzelnen Speisestückchen.
Brettauer stellt einen Fall von Uterus snbseptus cum vagina
duplici vor.
Es handelt sich um 'eine 24iährige' seit zwei Jahren verheirathete
Frau, die wegen profuser Menstruation und dysmenorrhoischen Be-
schwerden leichtern Grades ärztlichen Rath in Anspruch nimmt ; in
Wirklichkeit aber scheint ihr die Kinderlosigkeit ihrer Ehe mehr Sor-
gen zu machen. Die Anamnese ist kurz : Aus gesunder FamiHe stam-
mend, besitzt Patientin nur eine Schwester, die schon mehrere Kinder
geboren. Mit 14 Jahren wurde Patientin menstruirt ; stets regelmässig
in vierwöchentlichen Intervallen, schmerzlos; 4 — 5 Tage dauernd,
reichlich. Letzte menses vor 12 Tagen. Vor 15 Monaten abortirte
sie nach ca. dreimonatlicher Schwangerschaft ; abgesehen von am
Tage zuvor verrichteter etwas härterer Hausarbeit, weiss Patientin
keine Ursache anzugeben. Eine ernstere Erkrankung mit Fieber be- '
gleitet, fesselte sie durch sechs Wochen ans Bett. Seit jener Zeit sind
die menses viel profuser von siebentägiger Dauer und oft schon nach
20—22 tägigen Intervallen wiederkehrend, verbunden mit leichter
Schmerzemptindung im Beginne, Trägheit der Darmfunktion. Stat. pr.:
Etwas anämische doch kräftig gebaute Frau, deren sonstige Organe
keine Abnormitäten nachweisen lassen.
Genitalbefund : Normale Vulva ; Introitus vag. durch eine in ihrem
vordem und hintern Ansätze den Columnen entsprechende Scheide-
wand getheilt, dieselbe verläuft durch die ganze Länge der Vagina und
setzt sich in den Cervix bis zu seiner Mitte fort. Von den zwei durch
dieselbe gebildeten Scheiden ist die rechte bedeutend weiter als die
linke, doch können in beide zwei Finger leicht eingeführt werden.
Beide sind ca. 8 Ctm. lang. Die Scheidewand ist am Uebergange in
den Cervix dünner und schlaffer als am Introitus, woselbst die beiden
Schleimhautflächen durch eine ziemlich dicke Lage von Zellgeweben
getrennt sind.
Beiden Scheiden entspricht ein eigenes orificium externum, die bei
eingeführtem Speculum leicht von einander zu unterscheiden sind
durch die Anwese^heit eines kleine» Schleimhautpolypen in dem rech-
124
ten orif . Das linke erscheint im Spiegelbild nicbt median sondern ganz
nach rechts gelegen.
Portio sehr kurz, breit, Cervix abnorm breit ; Uterus gross, ante-
flectirt, in seiner Beweglichkeit etwas beschränkt und durch Narben-
stränge in der Gegend des orif-intern. sich ansetzend in toto retropo-
nirt gehalten.
Zwei in die beiden Orificia eingeführte Sonden treffen sich erst in
einer Entfernung von zwei Ctm. und lassen sich leicht in eine acht Ctm.
lange Uterushöhle einführen. Die Diagnose nach dem Befunde wäre
also die eines Uterus subseptus. Doch zwingt uns das verhältniss-
mässig seltene Vorkommen dieses Zustandes gegenüber dem relativ
häufigen des Uterus septus, die Möglichkeit im Auge zu behalten, dass
es sich wahrscheinlich um einen Uterus septus ursprünglich gehandelt
habe, wo im Verlaufe der Schwangerschaft oder bei der vorzeitigen
Ausstossung des Eies oder endlich durch mögliche Eingriffe von Seite
eines Arztes während der Erkrankung der Patientin die Scheidewand
zerstört wurde und im Uteruscavum geschrumpft ist.
Es liesse sich dies vielleicht durch Dilatation und Abtastung ent-
scheiden, doch sind wir nicht berechtigt, den Eingriff vorzunehmen.
Was die Aetiologie dieses Zustandes betrifft, wissen wir, dass
zwischen der achten und zwölften Woche des Embryonallebens irgend
welche mechanische Einflüsse das Verschmelzen der beiden Mueller'
sehen Gänge behindert haben, welcher Art dieselben sind, sind wir nicht
im Stande anzugeben, glauben aber, dass das so oft bei Uterus bicornis
gefundene sog. ligamentum recto-vesicale für unsern Fall nicht in
Betracht kommen kann, zumal am Fundus nichts Abnormes con-
statirt werden konnte.
Diskussion.
Sara Welt beobachtete bei einer 26jährigen, acht Jahre lang
verheiratheten, steril gebliebenen Frau eine doppelte Vagina mit dop-
peltem Uterus ; rechts waren Vagiua und Cervix klein.
Willy Meyer beobachtete vor Kurzem einen dem WELT'schen
ähnlichen Fall, in dem der eine Uterus geboren, der andere jungfräu-
lich gebUeben.
Brettauer. Die von Welt beschriebene Hemmungsbildung ist
eine viel bedeutendere und datirt mindestens zehn Tage weiter zurück.
Doppelte Vagina ist häufig, Uterus subseptus sehr selten.
Kammerer stellt eine Frau vor, bei der er eine luetische Nekrose
der Stimme, durch Abmeisselung der Knochen behandelte, und den
Defekt mittelst unterminirter Hautlappen deckte.
Willy Meyer stellt vor. 1) Angeborenen Klumpfuss bei einem
17jährigen Jungen, durch PnELPs'sche offene Operation innerhalb zehn
Wochen geheilt.
2) Einen 53jähriger Mann bei dem er einen hinter der Prostata lie-
genden Blasenstein, welcher mittelst Sonden nicht zu fühlen war, mit
dem Cystoskop entdeckte und durch den hohen Blasenschnitt ent-
fernte. Demselben Patienten entfernte er mit dem Lumbalen Nieren-
schnitt einen grösseren Nierenstein.
Mittheilungen aus der Praxis.
A. J a c o b i hat in der letzten Zeit verschiedene Male bei Erwach-
senen, häufiger bei kleinen Kindern, Fiebererscheinungen mässigen
Grades aber längerer Dauer beobachtet, welche durch Constipation
bedingt waren. Die Thatsachen sind bekannt, müssen aber nicht ver»
gessen werden.
Sohluss und Vertagung,
125
Verein Deutscher Aerzte zu San Francisco,
SitzuDg vom 6. October 1891.
Dr. Barkan (Kranken Vorstellung): Dem Pat. ist am 3. Juli beim
Baumfällen ein Stück Stahl in's Auge geflogen. Kein Schmerz, keine
Reaction von Seiten des Auges; gutes Sehvermögen in den nächsten
Wochen. Nach ca. 4 Wochen trat am verletzten Auge Iritis auf, bald
darauf konnte Cataracta traumatica constatirt werden. Zwei Monate
nach der Verletzung wurde das Stahlstück vermittels des Elektro-
magneten entfernt. Dasselbe hatte im Glaskörper gesteckt. Jetzt
zählt Pat. Finger in Entfernung von 3'.
Sodann berichtet Dr. Barkan über einen ähnlichen zweiten Fall, wo
der Extraktionsversuch missglückte und die Exstirpatio bulbi ange-
schlossen werden musste. Der Fren dkörper wurde im hinteren
Theile der Sklera gefunden.
Schliesslich demonstrirt Dr. Barkan t inen Fall von operirtem Em-
pyem des Warzenfortsatzes mit Fistelbildung. Am Grunde der ge-
schaffenen ausgedehnten Höhle wurden Massen eines Cholecteatoms
erkannt und entfernt.
Hierauf bespricht Dr. Wagner die Pathologie und Therapie der
tonsillären und peritonsillären Entzündungen.
Besonders hervorhebenswerth sind die therapeutischen Bemerkun-
gen des Vortragenden, der mit den von Seibert in New York ange-
gebenen Sublimat- resp. Creolin-lnjektionen die besten Resultate er-
zielt hat und sie angelegentlichst empfiehlt. Wagner hält die Seibert'-
sche Methode für die beste Abortivbehandlung dieser Affectionen.
Hieran anschliessend bespricht der Vortragende die nach der Tonsil-
litis auftretende Allgemeininfection, welche auf Ptomainwirkung be-
ruht. Mehrere Male hat er nach Tonsillitis Lähmung des weichen
Gaumens gesehen. Die Ptomainwirkung würde ähnlich wie die nach
Diphtherie auftretenden Lähmungen zu erklären sein, weshalb Ver-
suche mit Strychnininjektionen, die bei diphtherischen Lähmungen so
wirksam sind, indicirt wären.
Dr. Rosenstirn zweifelt die therapeutischen Vorschläge des Vortra-
genden an. Eine Abscedirung wird nach den SEiBERT'schen Injectionen
nicht verhindert; wo nach den Injectionen keine Abscedirung eintritt,
bleibt der Zweifel bestehen, ob überhaupt auch ohne Injectionen eine
phlegijionöse Tonsillitis aufgetreten wäre. Nach Eröffnung des Ab-
scesses tritt regelmässig spontane Heilung ein. Die bakteriolog. Seite
dieses Gebietes lässt auf Vollständigkeit und üebereinstimmung von
massgebender Seite viel zu wünschen übrig. Sicher findet die Allge-
meininfection von Seiten der Tonsille als Eingangspforte öfters statt
als im Allgemeinen angenommen und gewürdigt wird.
Dr. Cohn : Es ist mir neu, dass man eine so typisch verlaufende
Krankheit so intensiv behandeln soll. Bettruhe und Eis heilen die
meisten Tonsillaraffectionen. Bildet sich Eiter, so wird breit eröffnet
und der Patient ist ohne jede Nachbehandlung genesen. Treten noch
hinterher Lähmungen auf, so ist Verdacht vorhanden, dass es sich um
Diphtherie gehandelt habe.
Schluss der Sitzung.
Dr. M. Krotoszyner,
Protokollirender Secretär.
Sitzung vom 1. Decemberl891.
Dr. Krotoszyner stellt einen Fall von Bulbaerparalyse vor»
(Der Fall ist bereits im März 1890 vorgestellt worden; cf. Med. Mo-
natsschrift, V. 1890.) Interessant ist die Feststellung des Weiter-
126
schreitens der durch den Krankheitsheerd gesetzten Lähmungen und
Athrophieen. Hervorhebenswerth ist : Starke Athrophie der beiden I.
Intercostalräume. An den Armen Muskeln stark athrophisch, ver-
dünnt. Fibrilläre Zuckungen. Mechan. Erregbarkeit deutlich er-
höht, besonders am Triceps. Der ganze Process links mehr ausge-
sprochen als rechts. Grobe Kraft links sehr herabgesetzt. Patellar-
reflex bedeutend erhöht. Kein Pussclonus. Auch an den unteren Ex-
tremitäten Zuckungen, die fibrillären ähnlich sind. Weicher Gaumen
total gelähmt. Profuser Speichelfluss. Schlucken sehr erschwert.
x4.throphieen im Bereiche des facialis, bypoglossus und recurrens be-
deutend zugenommen. Sprache vollständig unverständlich etc.
In der Discussion bemerkt Dr. Ne^\-:*iaek: Es scheint 2 Formen von
Bulbaerparalyse zu geben, eine athroph. und paralyt. Form. Hier
ist die paralyt. Form mehr ausgesprochen. Die Athrophie an den
Händen scheint auf Affection des Vorderhirnes schhessen zu lassen.
Man könnte annehmen, dass es sich um einen ähnlichen Process wie
bei amyothroph. Lateralsklerose handle.
Schluss der Sitzung.
Dr. M. Krotoszyner,
Protokollirender Secretär.
In der am 5. Januar 1892 stattgefundenen Sitzung wurden für das
Jahr 1892 folgende Beamten gewählt :
Präsident : Dr. Eosenstirn.
Vice-Präsident : Dr. Krotoszyneii.
Sekretär : Dr. Newmark.
Bibliothekar : Dr. Pirchl.
Schatzmeister : Dr. Stern.
Briefkasten.
Berlin, 12. Februar 1892.
An die Redaction der
„New Yorker medicinischen Monatsschrift"
New York.
Sehr geehrter Herr College!
In den politischen Zeitungen Amerika's, vornehmlich in denen
Cincinnatis, wird mit dem Namen Virchows folgender Missbrauch ge-
trieben :
In den genannten Zeitungen kündigt sich der „grosse deutsche Arzt"
Dr. Karl Virchow ScmcKAuan, dersoebenaus Berlin in den betr. Ort-
schaften angekommen ist und seine Consultationen eröffnet hat. Er
behauptet, dass er in der „Keimbehandlung chronischer Krankheiten"
wichtige Entdeckungen gennacht habe, und dass sein Recept von 806
Aerzten in Europa angewendet werde. Laut den amtlichen Verzeich-
nissen gibt es einen solchen weder in Berlin, noch in Preussen, noch
hat es je überhaupt einen solchen gegeben, auch nicht in den übrigen
Staaten des Deutschen Reiches. Die Absicht des betr. Herrn ist eine
ganz durchsichtige. Das grosse Publikum soll einfach durch den
Namen Virchows irregeleitet werden. Ich ersuche Sie, sehr geehrter
Herr College, in Ihrer Zeitschrift, sowie in den Ihnen zugänglichen
polltischen Zeitungen möglichst diesen Brief zu veröffentlichen, was
wohl den betr. Zeitungen genügend Anlass gibt, dem betr. Herrn ge-
bührend entgegenzutreten.
Mit vollkommenster Hochachtung
Ihr
ganz ergebenster
Dr. S. GüTTMANN, * "
Redacteur der „Deutschen medicinischen Wochenschrift.**
127
Von Dr. Tobias Siegel aus Detroit, Mich., ist folgender Brief mit
der Bitte um Aufnahme in diese Monatsschrift eingelaufen.
Zur ISelbstdispeiisatiüii.
Die Dispensation von Arzneistoffen durch die Aerzte selber wird
nicht nur wegen der Concurrenz, sondern Zwecks eigener Sicherstellung
und Erfolgssicherung in letzter Zeit für jeden Arzt geboten.
Schon im Engros-Geschäft beginnt die Substitution billigerer Medi-
cinen für theurere, und bei den Apothekern erreicht dieselbe ihren
Höhepunkt. Nur wenige Apotheker sind im Stande durch Einkauf
der neueren Präparate mit dem Fortschritt — Schritt zu halten — doch
werden alle Recepte effectuirt. Criminelle Substitutionen sind durch-
aus keine Seltenheit.
Wer nicht betrogen sein, Erfolg sehen und eine Praxis aufbauen
will, verwende Medizinen, auf die er sich verlassen kann. Da gangbare
Recepturapotheken selten sind, so sind die Droguen in denselben meist
veraltet und wirkungslos.
Allerlei.
Neue medicinische Zeitschrift. Vorigen Monat kam das erste Heft
des „International Medical Magazine" heraus ; dieses Blatt, welches
der medicinischen und chirurgischen Wissenschaft gewidmet ist, er-
scheint monatlich in Philadelphia unter der Redaction von Dr. Judson
Daland. — Das Heft ist schön aösgestattet und enthält mehrere ge-
diegene Originalarbeiten. — Wir wünschen der neuen Zeitschrift, auch
künftighin ähnhche Artikel zu bringen und sind sicher, dass das Blatt
grossen Erfolg haben wird.
Ueber die Niitzlichkeit der Circumcision citirt Hutchinson
(Archives of Surgery) die Thatsache, dass ihm nicht ein einziges Bei-
spiel von Carcinom des Penis bei Circumcisirten begegnet sei. Auch
wären die syphilitischen Schanker bei Personen ohne Präputium
ungleich seltener.
Die Londoner Buchhändlerflrma Luzac & Co. giebt eine neue Zeit-
schrift International Medical Bibliography heraus. Die erste Liefe-
rung enthält ein Verzeichniss der in den ersten drei Monaten dieses
Jahres erschienenen medicinischen Arbeiten.
Da Salol im Magensaft ungelöst bleibt, sich aber in Pankreassaf t löst,
so ist, anstatt des Keratinirens, dessen Verwendung als Ueberzug für
solche Pillen empfohlen worden, deren Lösung erst nach dem Passiren
des Magens bezweckt wird. Das Ueberziehen der Pillen geschieht
mittelst einer Lösung von 1 Th. Tannin und 4 Th. Salol in 20 Th.
Aether in ähnlicher Weise, wie Pillen mit Callodium- oder Harzlösun-
gen überzogen werden, nämlich durch wiederholtes Befeuchten und
Rollen der Pillen in der Lösung bis zum Trocknen. Da Salol indessen
im Darm in Salicylsäure und Carbolsäure zerfällt, so ist diese Art Pil-
lenüberzug nicht unbedenklich und nur dann statthaft, wenn wissent-
hch vom Arzte verordnet.
Der bekannte Berliner Chirurg, Prof. A. von Bardeleben feierte am
15. December v. J. sein öOjähriges Doctorjubiläum. Einen nachträg-
lichen Glückwunsch zu diesem Feste fand der Jubilar am Weihnachts-
abend auf dem Festtische vor. Die „Berhner Medicinische Gesell-
schaft " hatte nämlich dem verdienten Gelehrten, der am Jubiläums-
tage selbst fern von Berlin weilte, um sich allen Ovationen zu ent-
ziehen, eine vom Hofmaler Nahde künstlerisch ausgeführte Glück-
wunschadresse auf dem Weihnachtstische niederlegen lassen. Die-
selbe zeigt auf dem ersten Blatte zur Seite eine weibliche Figur, die
Hygiea darstellend, oben bekränzen Engelgestalten, in ornamentalen
Verzierungen stehend, das Portrait des würdigen Jubilars. Das zweite
Blatt enthält den ebenfalls vom Hofmaler Nahde in Schwabacher
128
S3hrift kalligraphirteri Text : ,,ü.o Bsrliaer Medicinische Gesellschaft
theilt mit Ihaea am heutigen Tage die Freude über die Jahre voll
Mühe und Arbeit, über die reichen Erfolge und über die wohlverdiente
Anerkennung, auf die Sie an Ihrem fünfzigjährigen Doctor-Jubiläum
blicken. Die Medicinische Gesellschaft ist stolz darauf, Sie als ihr
Mitglied zu kennen. Sie weiss, was Ihnen die deutsche Chirurgie
dankt, ist doch Ihr in sieben Auflagen erschienenes Lehrbuch das
beste bekannte Zeugniss für deren Entwickelung in der langen Zeit, da
Sie wissenschaftlich wirkten, Altes sammelten. Neues schufen und so
lebhaft als unermüdlich lehrten. Indem die Gesellschaft Sie zu dem
Geleisteten beglückwünscht, wünscht sie Ihnen noch lange die Frische
im Amte und die Freudigkeit im Berufe, die Sie auszeichnen."
Prof. Biermer in Breslau, seit 36 Jahren im akademischen Lehr-
berufe, ist beim Unterrichtsministerium um seine Entlassung aus dem
Lehramt nachgekommen. — In Göttingen hat der bekannte Anatom
Wilh. Krause seine Professur niedergelegt, nachdem er 30 Jahre lang
im Dienste der Georgia Augusta gestanden hat. Obwohl das Studium
des feineren Baues des Nervensystems und im weiteren Verlaufe das
der Sinnesorgane, besonders des Auges, stets Mittelpunkt seines For-
schens war, so hat er ausser der Physiologie und der pathologischen
Anatomie, auch die Anthropologie, die Frauenheilkunde, die öffent-
liche Gesundheitspflege und die Psychiatrie gepflegt, und die Zahl
seiner Veröffentlichungen übersteigt das Hundert beträchtlich. — In
Halle ist Prof. Graefe, der Begründer des augenärztlichen Unterrichts
an der dortigen Universität, von seiner Professur zurückgetreten. Zu
dem grossen Handbuch der Aagentieilkunde " verband er sich mit
Saemisch und zog die namhaftesten Augenärzte zu gemeinsamer Ar-
beit heran. Der berühmte Albrecht von Graefe war sein Verwandter
und Lehrer. — Privatdocent Dr. Thierfelder, der sich kürzlich, mit
einem Vortrag über Gährungen, als Privatdocent eingeführt, tritt beim
hygienischen Institut als Assistent des Professors Rubner ein. — Dr.
Rene du Bois-Reymond, ein zweiter Sohn des berühmten Physiologen
— der älteste ist Augenarzt und Privatdocent — hat als erster Assis-
tent von Professor Raoul Pictet wichtige Untersuchungen im phar-
makologischen Institut über die Frage angestellt, ob unreines Chloro-
form schädlich ist. Auf Grund eines schlagenden Beweismaterials
wird diese Frage bejaht und also SeoiLLOx's meist angezweifelte Lehre
bestätigt, dass die Gefahren der Chloroform-Narkose nicht zum klein-
sten Theil auf der mangelhaften Reinheit des Mittels beruhen. — An
Stelle von Prof. Dr. Klebs in Zürich ist Prof. Dr. Ribbert in Bonn beru-
fen.— Dr. Miller, Amerikaner von Geburt, vom Berliner zahnärzt-
lichen Institut der Universität, hat einen Ruf als Professor der Histo-
logie an die pennsylvanische Universität erhalten. Seit Begründung
jenes Institutes ertheilte er an demselben den Unterricht in der opera-
tiven Zahnheilkunde und beschäftigte sich hauptsächlich mit bakte-
riologischen Untersuchungen.
Der XIV. Balneologen-Kongress wird unter Vorsitz von Prof. Dr.
Liebreich vom 10. bis 13. März 1892 in Berlin stattfinden. Anmel-
dungen zu Vorträgen sind an Dr. Brock, Berlin, S. O., Schmidtstrasse
42, zu richten.
Personalien.
Herr Dr. Carl Beck hat soeben eine Specialabtheilung für „Chirur-
gische Krankheiten des Halses*' in der Deutschen Poliklinik, 78 7 St.,
errichtet, und wünschen wir ihm viel Glück zu diesem neuen Uui/ir^*
nehmen.
Verzogen: Dr. Max Rosenthal vom Montefiore Home nach
130 E. 82. St.
New Yorker
Medicinische Monatsschrift.
Organ für praktische Aerzte in Amerika
unter Mitwirkung von
Dr. A. F. Buechler, Dr. Geo. Degner, Dr. Max Einhorn, Dr. Jos. W. Gleitsmann,
Dr. Geo. W. Jacoby, Dr. F. Krug, Dr. S. J. Meitzer, Dr. Willy Meyer,
Dr. C. A. von Kamdohr, Dr. A. Schapringer, Dr. A. Seibert
herausgegeben von
Dr. F. C. HEPPENHEIMER.
Verlag der Medical Monüily Publishing Company, 17-27 Vandewater Street, X. T.
B(J. IV. New York, 15. April 181)2. No. 4.
ORIGINALARBEITEN.
I.
lieber Stuhlverstopfung.
Von
Dr. I. ADLER.
Es giebt kaum ein Kapitel der praktischen Medicin, in dem so viel
Unklarheit und Verworrenheit der Begriffe herrscht, im Laienpublikum
sowohl als unter den Aerzten, in dem so viel gesündigt wurde und
wird, als in der Lehre von der Stuhlverstopfung. Kaum eine Krank-
heit giebt es, deren Aetiologie nicht zu einer Zeit auf Obstipation zu-
rückgeführt wurde. Und auch heute noch ist der Laie gerne bereit,
seine sämmtlichen Gebrechen auf „torpid Uver," „biliousness" und
„ungenügende Stuhlentleerung" zurückzuführen. Ein jedes Fieber,
jeglicher Kopf- oder Gliederschmerz werden immer noch gerne von
der Volksmedicin mit Abführmitteln behandelt. Und auch unter den
Aerzten erfreut sich der alte Ausspruch „qui bene purgat, bene curat"
einer weitverbreiteten und kritiklosen Zustimmung. Die neueren For-
schungen über Darmfäulniss, Ptomaine, Autointoxikation, missver-
standen und zu voreilig auf die Praxis übertragen, werden vielfach
dazu benutzt, einen Schein von theoretischer Begründung und wissen-
schaftlicher Dignität dem zu verleihen, was eigentlich nur ärztliches
Vorurtheil und Bequemlichkeit ist.
Während so auf der einen Seite die Bedeutung und Tragweite der
Stuhlverstopfung weit überschätzt ist, wird sie andererseits in ihren
Ursachen und ihren Folgezuständen lange nicht allgemein genug, na-
mentlich in der täglichen Praxis des Arztes, gewürdigt. Es dürfte
daher nicht ganz ohne Interesse sein, einmal an dieser Stelle einige
Fragen auf diesem Gebiete, welches ja zur täglichen Arbeit des Arztes
gehört, einer kurzen Erörterung zu unterziehen. Es ist nicht meine Ab-
sieht, Ihneü heute Abend die Lehre von der Stuhlverstot)füng iü motio-
graphischer Bearbeitung vorzuführen; ich möchte nur an der Hand
langjähriger, auf dieses Gebiet gerichteter eigener und fremder Be-
obachtungen Ihnen einige wichtigere Punkte zur Discussion vorlegen.
Es muss leider von vornherein bekannt werden, dass trotzdem in
den letzten Jahren viel über diesen Gegenstand geschrieben und gear-
beitet wurde, trotzdem im Lichte der neuern chemischen, bacteriologi-
schen und experimentell-pathologischen Forschung viele neue Gesichts-
punkte in der Lehre von den Darmerkrankungen und der Stuhlver-
stopfung gewonnen wurden, immerhin die theoretischen, physiologi-
schen sowohl wie pathologischen Grundlagen unseres Wissens und
iSandelns noch äusserst dürftige sind, und dass ein hinreichend klares
Verständniss der hier massgebenden Verhältnisse noch lange nicht
erreicht ist.
Ehe wir auf die Pathologie der Stuhlverstopfung eingehen, werden
Sie mir vielleicht gestatten, mit einigen Worten an die physiologischen
Verhältnisse zu erinnern. Der vom Magen gelieferte Speisebrei wird
durch den Darm befördert vermittelst der Darmperistaltik. Man
stellte sich früher vor, dass diese Peristaltik in Gestalt einer fortlaufen-
den Welle vom obersten Darmabschnitt an verlaufe. Wir wissen jetzt,
namentlich durch die Untersuchung von Braam-Houckgeest und
Nothnagel, dass dem nicht so ist. Die Peristaltik besteht aus localen
Contraktionen mit dazwischen eingeschalteten Ruhepausen, so dass
der Darminhalt gewissermassen ruckweise in längeren und kürzeren
Zwischenräumen vorwärts geschafft wird und auf diese Weise dem
Darmchemismus und der Resorption genügende Zeit für ihre Thätig-
keit eingeräumt wird.
Normalerweise verläuft die Dünndarmperistaltik viel rascher als
jene des Dickdarms, so dass der Dünndarminhalt in verhältnissmässig
wenigen Stunden (5 bis 6) an der Bauhinischen Klappe anlangt. Dass
die Peristaltik von der Nerventhätigkeit beeiuflusst und regulirt wird,
lässt sich heute wohl kaum mehr bezweifeln. Es spricht dafür nicht
nur eine überwältigende Summe klinischer Erfahrungen, sondern auch
das physiologische Experiment. Der Versuch Engelmann's seine —
wie sich später herausstellte, auf irrthümlichen Voraussetzungen ba-
sirenden — Erfahrungen am Ureter, wonach die durch den mechani-
schen Reiz des Inhalts ausgelöste Contraktion der glatten Muskelzelle
ohne Mitwirkung des Nervensystems fortlaufend von Zelle auf Zelle
einfach übertragen werden soll, auch auf den Darm anzuwenden und
welcher seiner Zeit viele Anhänger fand, darf wohl jetzt als gänzlich
gescheitert angesehen werden. Wir dürfen ferner als sicher anneh-
men, dass es sich bei der Darmperistaltik um zweierlei Arten von Ner-
venthätigkeit handelt, von welchen die eine active Contraktionen der
Darmmuskulatur auslöst, die andere dagegen hemmend wirkt. In
welchen Bahnen diese beiden entgegengesetzten Nerventhätigkeiten
verlaufen, ist bis jetzt mit irgend welcher Sicherheit nicht auszusagen,
doch ist es höchst wahrscheinlicli, dass den in der Darm wand selbst
131
gelegenen Nervenelementen, dem MEissNER'schen und AuERBAcn'schen
Plexus, eine hohe Bedeutung bei diesen Vorgängen zukommt. Im
Dickdarm verläuft die Peristaltik viel langsamer als im Dünndarm, so
dass ganz allmälig die Kothmassen durch das S romanum in das Rec-
tum befördert werden.
Die Frage, warum der normale Mensch in der weitaus überwiegen-
den Mehrzahl der Fälle nur einmal in 24 Stunden eine Stuhlentleerung
habe, wird von Leichtenstern und Nothnagel dahin beantwortet, dass
die Darmnerven auf diese Periodicität beim Menschen gewissermassen
„eingestellt " seien. Folgende Betrachtung dürfte dies etwas genauer
präcisiren : Während es unzweifelhaft richtig ist, wie schon Traube
behauptet hat, dass von jeglicher Stelle des Verdauungstractus aus
durch Reize peristaltische Bewegungen ausgelöst werden können, so
scheint es doch höchst wahrscheinlich, dass die eigentlich austreiben-
den, kräftig nach abwärts drängenden peristaltischen Bewegungen
auf Reizungen des Rectums, resp. des untern Theils der Flexur ausge-
löst werden. Es spricht dafür neben vielen anderen klinischen Er-
fahrungen die Wirkung der gewöhnlichen Klystiere, die selten mehr
als die Ampulle füllen, der Seifenzäpfchen, der minimalen Glycerinein-
spritzungen u. dgl. m. Somit ist es wahrscheinlich, dass sich im un-
tern Theil des S romanum und im Rectum erst eine gewisse Menge
festen Kothes, also beim normalen Menschen etwa eine 24:Stündige
Menge, angehäuft haben muss, ehe der mechanische Reiz, welchen die-
selbe ausübt, gross genug ist, um die austreibende Peristaltik des un-
tern Darmendes auszulösen.
Aus dieser kurzen physiologischen Betrachtung ergeben sich schon
ohne Weiteres die verschiedenartipjen Bedingungen, welche zur Stuhl-
verstopfung führen können :
Erstens, die rein mechanischen Momente, Verlegung des Weges
durch das Darmrohr, durch Geschwülste, Lageveränderungen, Ab-
knickungen u. dgl. m.,
zweitens, Veränderungen im Darmrohr selbst, welche einmal die
Darmcontenta in ungünstiger Weise beeinflussen, oder aber auf die
austreibende Muskelkraft schwächend einwirken können, Entzündun-
gen, Catarrhe, Muskelatrophien etc. ,
drittens, rein nervöse oder functionelle Störungen, welche durch
spastische Contraktionen oder durch übermächtige Anregung der
Hemmungswirkung der Nerventhätigkeit die Stuhlentleerung behin-
dern oder unmöglich machen, und
schliesslich, Combinationen mehrerer oder sämmtlicher die-
ser Typen.
Für unsere Betrachtung wollen wir uns auf jene Arten von Stuhl-
verstopfung beschränken, welche catarrhahsch-entzündlichen und atro-
phischen Zuständen des Darms ihren Ursprung verdanken, sowie auch
auf jene, welche ohne nachweisbares anatomisches Substrat mehrfunc-
tioneller, d. h. nervöser Natur sind und gewöhnhch als habituelle
Obstipation bezeichnet werden.
m
Eine grosse Anzahl der dem Arzte zur Behandlung vorkommenden
Fälle von Obstipation beruht auf chronisch-catarrhalischen Processen
im Darmtractus, entweder nachweislich aus acuten catarrhalischen An-
fängen entstanden, oder in Folge von Unterdrückung des normalen
Stuhldranges allmählig herangebildet, oder auch ohne dass ein be-
stimmtes ätiologisches Moment zu eruiren wäre. Je nach der Locali-
sation und Ausdehnung der catarrhalischen Affection lassen sich auch
hier bestimmte Typen unterscheiden. Bei Dickdarmcatarrh sind die
Stühle meist sehr hart, oft in kleinen, schafkothähnlichen Ballen, in
dicken, glasigen Schleim eingehüllt. Ist der Mastdarm besonders
hochgradig afficirt, so kommt neben, manchmal bedeutendem, Stuhl-
zwang auch die Entleerung reinen Schleimes in grösseren oder kleine-
ren Klumpen vor. Ein natürlicher Stuhlgang erfolgt, wenn überhaupt,
nur alle zwei oder drei Tage, oft nach viel längerer Zeit, doch kann
auch Diarrhoe mit Stuhlverstopfung abwechseln. In vielen Fällen
müssen die Patienten immer zu künstlichen Mitteln behufs Stuhlent-
leerung greifen. Die subjectiven Besi'hwerden sind meist nicht sehr
bedeutend : Völle und Unbehaglichkeit im Leib, vermehrte Flatulenz,
gelegentlich Kopfschmerzen werden häufig geklagt.
Ist neben dem Dickdarm auch der Dünndarm betheiligt, so wech-
selt oft Stuhlverstopfung, bez. Stuhlträgheit mit Diarrhoe ab, oder es
besteht totale Stuhlverstopfung. Neben den mit Schleim bekleideten
Scybala kommen dann breiige, innig mit Schleim gemischte, oft un-
verdaute Speisereste enthaltende Stühle vor. Eine besondere Abart
dieser Form von Obstipation stellt folgender Symptomencomplex vor :
Es besteht eine Reihe von Tagen, manchmal auch Wochen, Stuhlver-
stopfimg, oder aber die Patienten haben anscheinend regelmässigen
Stuhl, meist jedoch ohne das Gefühl der vollkommenen Entleerung,
dann tritt nach Tagen oder Wochen ohne voraufgegangenen Diätfehler
oder sonstige schädliche Einwirkung das Gefühl allgemeinen Krank-
seins ein, Appetitlosigkeit, welche sich bis zum Ekel vor allen Speisen
steigern kann, Müdigkeit in allen Gliedern, Benommenheit und
Schwindel im Kopf, üebelkeiten, welche sogar bis zum Erbrechen
führen können, Herzklopfen, psychische Depression, zuweilen sogar
Ohnmachtsanfälle. Dazu kommt meistens auch aufgetriebenes Abdo-
men und die öftere Entleerung meist sehr übelriechender Darmgase.
Unter Kollern im Bauch und mehr oder weniger heftigen Leibschmer-
zen erfolgen dann eine Eeihe von dünnen, breiigen und wässrigen,
äusserst übelriechenden Stühlen, worauf vollkommene Euphorie ein-
tritt und der Cyclus abgeschlossen ist, um meist sofort wieder zu be-
ginnen. Es handelt sich in diesen Fällen um ausgebreitete chronische
Catarrhe des Dick- und Dünndarms mit abnormer Darmfäulniss, in
den späteren Stadien von Dilatation des obern Dickdarmtraktus be- \
gleitet, so dass die faulen, sich zersetzenden Fäcalmassen oft lange ,
Zeit im Coecum und Colon ascendens sich stauen können. Dabei j
kommt dann eine echte Autoinfection mit Ptomainen und sonstigen , j
Fäulnissproducten unter oben angegebenen Symptomen zustande. j
183
Im Ganzen selten sind die Formen von Verstopfung, welche als
Colitis mucosa oder Enteritis membranacea s. tubulosa beschrieben
worden sind. Es handelt sich um Fälle, welche wohl zu unterscheiden
sind von jenen rein nervösen, und jenen, welche auf intensiven Ca-
tarrhen des Mastdarms beruhen. Ich habe eine Anzahl Fälle sowohl
intra vitam, als auch auf dem Secirtisehe zu sehen Gelegenheit gehabt,
doch muss ich mir versagen, auf diese interessanten Befunde hier
näher einzugehen. Es handelt sich hierbei im Allgemeinen um inten-
sive Catarrhe des obern Dickdarmendes, vom Coecura an bis über die
Flexura hepatica hinaus, öfter mit bedeutender Atrophie der Musku-
laris und Muersa verbunden. Natürlicher Stuhlgang erfolgt selten,
sehr oft bestehen die Stuhlgänge ausschliesslich aus Fetzen, Mem-
branen oder röhrenartigen Gebilden, welche chemisch und mikrosko-
pisch sich als Schleim erweisen.
Die Enteritis membranacea ist vielfach, auch in der amerikanischen
Literatur von Woodward, Da Costa und anderen, beschrieben worden,
Zur Erklärung der Schleimmembranen und Köhren dürfte die Auf-
fassung Marchand's geltend gemacht werden, wonach die Schleimhaut
des leeren untern Dickdarmendes ^nd Mastdarms sich in schmälere
oder breitere Längsfalten legt und dadurch der hier von der normalen
oder catarrhalisch gereizten Schleimhaut abgesonderte Schleim die
eigenthümlichen Formen erhält.
Schliesslich sei noch einer Form der Obstipation Erwähnung
gethan, welche ausschliesslich auf Erschlaffung und verminderter
Keizbarkeit des Kectums beruht. Die Peristaltik und Absonderung
des Dünn- und Dickdarms ist hier vollkommen normal und die Faeces
werden in durchaus normaler Weise bis in das Rectum vorgeschoben,
hier aber stauen sich dieselben und können sich, zu steinharten Massen
ausgetrocknet, oft in unglaublicher Menge ansammeln. Es scheinen
eben in solchen Fällen die austreibenden Kräfte des Rectums voll-
kommen geschwunden zu sein. Hier helfen auch oft absolut keine
anderen Mittel als die manuelle Ausgrabung der Massen. Diese Form
der Stuhlverstopfung kommt meistens bei alten, marastischen Frauen
vor, nicht ganz so häufig bei Greisen, gelegentlich auch bei jüngeren
Leuten, besonders nach langen, erschöpfenden Krankheiten. Auch
habe ich einige Male ganz junge Kinder gesehen, bei welchen diese
Zustände in eclatanter Weise ausgebildet waren.
Wir kommen nun zu den functionellen, bez. rein nervösen Formen
der Stuhlverstopfung ohne nachweisliches anatomisches Substrat.
Es ist eine allgemein bekannte Thatsache, dass die Peristaltik, wie
kaum eine andere Function des menschlichen Körpers, von den viel-
seitigsten Nerveneinflüssen afficirt wird. Ein jeder kennt den Einfluss,
welchen Gewöhnung an Zeit und Ort auf die Regelmässigkeit der
Darmentleerungen ausübt. Ich kenne einen Herrn, dem es unmöglich
ist, irgendwo anders als in dem Closet in seinem eigenen Hause eine
Stuhlentleerung zu haben. Wir alle wissen, dass psychische Affecte,
plötzlicher Schrecken, wie plötzliche Freude, alle möglichen Emotionen,
134
zuweilen Diarrhoe, zuweilen auch Stuhlverstopfung hervorbringen
können. Darauf bezügliche Erfahrungen stehen jedem Arzte in
grosser Mannigfaltigkeit zur Gebote. Diese functionellen und nervösen
Obstipationen sind fast ausschliesslich ein Vorrecht der wohlhabenderen
und sogenannten gebildeteren Klasse. Die weitaus häufigste Form,
mit welcher der Arzt unter diesen Verhältnissen zu kämpfen hat, ist
etwa folgende : Die Patienten geben an, dass sie bis zu einer gewissen
Zeit, vor Wochen, Monaten oder Jahren, ihre regelmässige tägliche
Stuhlentleerung hatten. In Folge irgend eines psychischen Einflusses,
häufig jedoch weil die Patienten im DraDge der Berufs- oder gesell-
schaftlichen Pflichten versäumten, das natürliche Stuhlbedürfniss zu
befriedigen, wurde der Stuhl unregelmässig, d. h. er setzte einen oder
mehrere Tage aus. Dem wird mit Abführmitteln, mit Rhabarber, mit
Senna, mit Aloes, mit Bitterwässern abzuhelfen gesucht. Diese helfen
vielleicht auch kurze Zeit, vielleicht auch nicht. lieber Kurz oder
Lang kommt immer wieder eine neue Periode der Verstopfung, welche
auf ähnliche Weise behandelt wird, und es bildet sich allmälig ein
Zustand heraus, in dem die Leute, wie sie angeben, ohne Abführmittel
keine Stuhlentleerung mehr erzielen können. Solche Patienten sind
meist gut genährt und sonst kräftig, auch bei gutem Appetit und
guter Verdauung. Die Beschwerden, welche sie angeben, sind meist
etwas übertrieben, und sind namentlich was den Magen angeht, mehr
als Folge der Therapie als des Grundübels aufzufassen. Diese Klasse
von Patienten liefert ein grosses Contingent der Kurgäste von Karls-
bad, Kissingen, Saratoga u. s. w. Während der Dauer der Kur, oft
auch noch eine Zeitlang danach, sind sie von ihrem Uebel befreit, doch
kehrt dasselbe stets wieder. Oft genügt auch eine einfache Reise ohne
Brunnenkur, ein einfacher Ortwechsel. Ich kenne einen 21jährigen
jungen Mann, welcher durchaus gesund ist und seit früher Kindheit
mit dieser Form von Obstipation zu kämpfen hat. So lange derselbe
in der Stadt ist, kann er keinen natürlichen Stuhlgang bekommen und
hat im Laufe der Jahre schon alle erdenklichen Abführmittel durch-
probirt. Von dem Momente ao, dass er die Stadt verlässt — und
seine Geschäfte führen ihn auf, oft viele Wochen lange. Reisen — hat
er regelmässig täglichen Stuhlgang ohne jeghche künstliche Nach-
hülfe, ganz gleich, welche Unregelmässigkeiten in der Diät und
sonstigen Lebensweise er sich zu Schulden kommen lässt.
Dies ist in allgemeinen Zügen der Typus der sogenannten
habituellen Verstopfung. Die Einzelheiten variiren innerhalb weiter
Grenzen. Doch ist das Bild im grossen Ganzen genügend klar, um mir
das Eingehen auf Details zu ersparen. Ganz anders gestaltet sich
das Bild bei den Hypochondern und Neurasthenikern, bei Leuten, die
sich täglich dutzende Mal die Zunge beschauen, viele Stunden des
Tages auf dem Closet verbringen, ihre Stuhlgänge beschauen und
beriechen, die vor lauter Angst und Vorsicht nicht gehörig essen,
daher elend, schwach und abgemagert sind und dazu noch von dem
Heer von hypochondrischen und neurasthenischen Parästhesien und
135
psychopathischen Einflüssen geplagt werden. Leute, die an dieser
Form von Hypochondria oder Neurasthenia gastro-intestinalis leiden,
führen natürlich alle ihre Beschwerden auf den Zustand ihres Magens,
resp. Darms zurück, und es ist unter Umständen schwer, ja unmög-
lich, solche Patienten von ihren Ideen abzubringen. Doch muss man
Dunin vollständig beipflichten, dass in diesen Fällen, wenn anders
keine anatomische Läsionen vorliegen, die Stuhlverstopfung, sowie
die übrigen gastro-intestinalen Beschwerden, nicht Ursache, sondern
Folge, resp. Theilerscheinung des allgemeinen abnormen Nervenzu-
standes sind. Ich kann jedoch mit dem genannten Autor nicht über-
einstimmen, wenn er alle Fälle von habitueller Obstipation auf erwor-
bene oder hereditäre Neurasthenie zurückführen will.
Schhesslich sei noch kurz der rein hysterischen Obstipation
gedacht, denn es giebt eine solche ebenso gut, wie es eine hysterische
Diarrhoe gibt, und zwar acute, foudroyante Formen, die leicht eine
schwere Darmocclusion vortäuschen können, als auch chronische
Formen, welche der habituellen Obstipation ähnlich sind. Gestatten
Sie mir, Ihnen kurz einen solchen Fall von hysterischer Darmocclu-
sion, der ja ein recht seltenes Vorkommniss ist, vorzuführen : Ein
17jähriger Jüngling von deutscher Abkunft, in Frankreich erzogen,
zeigt von Kindheit an leicht neurotische Tendenzen und ist auch
hereditär neurotisch belastet. Derselbe will seit einigen Jahren
öfters an Colikanfällen gelitten haben, welche gekennzeichnet werden
durch Stuhlverstopfung, aufgetriebenen Bauch und Leibschmerzen.
Diese Colikanfälle werden manchmal auf Diätfehler zurückgeführt,
manchmal auch nicht. Leichte Abführmittel und die innerliche
Anwendung von Belladonna sollen dieselben stets nach einigen Tagen
unter reichlicher Stuhl- und Gasentleerung beseitigt haben. Der
junge Mann ist organisch vollkommen gesund, sieht wohlgenährt aus,
hat guten Appetit und gute Verdauung und täglich normale Stuhlent-
leerung. Da bekommt er plötzlich ohne nachweisbare Ursache
Schmerzen im Leib, verbunden mit Kollern und dem Gefühle von
Aufgetriebensein. Der Leib nimmt rasch an Ausdehnung zu und
erreicht nach 24 Stunden wahrhaft colossale Dimensionen. Das
Zwerchfell ist hoch hinaufgeschoben, die Hautdecken bis zum Zer-
platzen gespannt, der ganze Leib empfindlich auf Druck. Es besteht
kein Fieber, der Puls ist ruhig und nur mässig frequent, die Zunge
nicht belegt. Erbrechen nur ausnahmsweise, nach Aufnahme gewisser
Speisen. Der Urin normal, doch reich an Phosphaten. Die Blasen-
entleerung, wahrscheinlich in Folge des colossalen Meteorismus,
erschwert, so dass mehrmals catheterisirt werden muss. Es ist
unmöglich, einen Stuhlgang oder auch nur den Abgang eines einzigen
Flatus zu erzielen. Die verschiedensten Laxantien, innerlich verab-
reicht, werden entweder erbrochen oder erweisen sich als wirkungs-
los. Wassereinläufe in den Mastdarm werden nur in ganz kleinen
Mengen tolerirt nnd sofort ohne jeglichen Effect wieder ausgestossen.
Die Digitaluntersuchung des Rectums ergiebt stark erweiterte und in
136
die Höhe gezogene Ampulle, dermassen, dass der obere Sphincter mit
dem Fioger nicht zu erreichen ist. Sonst nichts Abnormes. Dieser
Zustand dauert fünf bis sechs Tage. Die verschiedensten Mittel,
innerliche sowohl als äusserliche, bleiben ohne Wirkung. Atropin,
selbst in minimalen Gaben, wurde nicht vertragen. Ganz plötzlich,
nach einigen wenigen Gaben von Calabarextract und Nux vomica,
erfolgte die Entleerung per anum von grossen Mengen Gas, mit
darauffolgendem reichlichen Stuhlgang. Und damit war mit einem
Schlag das anscheinend so schwere Krankheitsbild behoben und der
Patient wieder vollständig wohl. Einige Monate lang erfreute sich
der junge Mann vollkommener Gesundheit, da traten plötzlich wieder
dieselben Erscheinungen, nur noch in viel erschreckenderem Masse
auf. Innerhalb verhältnissmässig weniger Stunden erreichte die
meteoristische Auftreibung des Bauches wahrhaft unglaubliche
Dimensionen. Die Respiration war bedeutend behindert und der
Patient konnte unter grossen Qualen nur auf der Seite liegen. Diesmal
halfen auch Calabar und Xux vomica nichts und der wirklich
beängstigende Zustand des Patienten dauerte über eine "Woche. Dann
trat nach einem Warmwasserciystier, dem wenige Tropfen Baldrian
beigemengt waren, die Gasentleerung mit sofortigem Schwinden aller
krankhaften Symptome ein. Im Laufe der nächsten Monate traten
noch mehrere Anfälle ähnUcher Art auf, dann reiste Patient nach
Frankreich zurück und ich verlor ihn aus der Beobachtung.
Es ist wahrscheinlich, dass es sich in solch einem Falle wie der eben
beschriebene um eine wirkliche acute Darmobstruction spastischer
Natur handelt. Solche spastische Contractionen bei Hysterischen
sind ja auch an anderen Stellen des Verdauungsschlauches schon lange
bekannt, z. B. am Oesophagus, und wie Meltzer und neuerdings auch
Leichtensterx gezeigt haben, auch an der Cardia, ferner am Pylorus
u. s. w. Es giebt auch eine mehr chronische Form der hysterischen
Obstipation, die wahrscheinlich nicht auf spastischer Obstruction
sondern auf abnorm gesteigerter Hemmung beruht. Hysterische, die
sonst entweder normale Stuhlentleeruug hatten, oder die an Diarrhoe
litten, bekommen, meist im Zusammenhang mit anderweitigen hysteri-
schen Symptomen, Stuhl Verstopfung, welche Tage, ja Wochen, anhalten
kann. Meist besteht dabei ein mehr oder weniger ausgebildeter
Meteorismus, reichhches Kollern und mannigfache Schmerzen. Abführ-
mittel sind hier meist wirkungslos oder verschlimmern gerade den
Zustand. Mit Nachlass oder Veränderung der anderweitigen hysteri-
schen Zeichen tritt hier die Besserung meist ganz plötzlich ein.
Es ist neuerdings der Versuch gemacht worden, auch für die
habituelle Obstipation, wenigstens für eine grosse Anzahl hierher
gehöriger Fälle, bestimmte anatomische Verändernngen als Ursache
nachzuweisen. Schon vor fielen Jahren hat Virchow darauf aufmerk-
sam gemacht, dass Verlagerungen der Därme Stuhlverstopfung
bewirken können, namentlich wenn solche Verlagerungen durch alte
peritonitisohe Adhäsionen fisirt sind, und so Knickungen des Darm-
187
rohrs zustande kommen. Jacobi hat vor längerer Zeit schon darauf
hingewiesen, dass bei kleinen Kindern die Flexura sigmoidea, wenn
mit abnorm langem Mesocolon versehen, weit nach rechts. Ja bis in die
Fossa iliaca dextra verlagert sein kann und auf diese Weise zu hart-
näckiger Obstipation führe.
Vor einigen Jahren hat Glenard gewisse Verlagerungen der
Bauch eingeweide in ein neues System und in bestimmte Beziehungen
zur Stuhlverstopfung zu bringen gesucht. Nach Glenard kommen
gewisse Verlagerungen des Colons viel häufiger vor, als man zu
glauben bisher geneigt war. Durch Verlängerung der Ligamenta
colo-hepaticum und colo-lienale neigt das Colon transversum zum
Heruntersinken. Durch eine straffe Verbindung mit der Pylorus-
gegend des Magens, welche Glenard Ligamentum colo-pyloricum
nennt, wird an dieser Stelle das herabsinkende Colon aufgehalten,
gewissermassen abgeknickt. Hier sollen nun die sich vorwärts
bewegenden Kothsäulen ein Hinderniss finden und sich anstauen.
Als Folge davon erscheint die Colongegend rechts von diesem Liga-
ment verdickt, gefüllt und median wärts verlagert, links davon ist der
Querdarm zusammengefallen, contrahirt und leer und als derber,
meist etwas empfindlicher querer Wulst, als „corde colique trans-
verse" bezeichnet, abzutasten. Eine ähnliche Verlagerung soll an der
Grenze zwischen S romanum und Colon descendens stattfinden, wonach
wieder der untere Theil des S romanum, leer und zusammengezogen,
als Wulst — die „corde colique gauche" — zu fühlen ist.
Ich kann hier nicht in alle Einzelheiten der GLENARD'schen Lehre
von der Enteroptose eingehen. Seitdem mir die diesbezüglichen
Arbeiten bekannt wurden, habe ich an Lebenden und an Leichen dem
Gegenstand viel Aufmerksamkeit geschenkt und ich kann mich voll
und ganz den EwALo'schen Ausführungen anschliessen. Die Enterop-
tose, entweder nur einzelne Bauchorgane betreffend oder ganz allge-
mein mehr oder weniger alle Bauoheingeweide umfassend, ist häufiger
als man bisher glaubte und ist bei einiger Uebung, eventuell unter
Zuhülfenahme von Lufteinblasungen nicht allzuschwer zu constatiren.
Weitaus die meisten Fälle betreffen Frauen mit mehr oder weniger
ausgebildetem Abdomen pendulum. Die Deutung aber, die Glenard
diesen Verhältnissen gegeben, scheint eine irrige zu sein. Das Liga-
mentum colo-pyloricum hat sicherlich nicht die Bedeutung, welche
ihm Glenard zuschreibt. Rückt das Colon transversum nach unten,
so geschieht dies meistens im Bogen mit abwärts gerichteter Con-
vexität, und der Magen folgt dieser Bewegung nach (Gastroptose).
Die „corde colique transverse", wenn überhaupt fühlbar, ist mit
grosser Wahrscheinlichkeit als Pancreas anzusprechen. Die „corde
colique gauche" ist bei jedem Menschen mit schlaffen oder nicht allzu
fetten Bauchdecken ganz unabhängig von irgend welcher Verlagerung
zu fühlen. Auch das muss noch betont werden, dass Verlagerungen
der Därme, mögen dieselben noch so hochgradig sein, wohl kaum zu
Kothstauung führen können, so lange die verlagerten Därme frei
13.8
beweglich sind. Selbst die hochgradig verlagerten Därme, so lange
sie nur frei beweglich sind, setzen der Vorwärtsbewegung des Darm-
inhalts kaum grössere Schwierigkeiten entgegen, als dies normaler-
w'eise im Colon ascendens und an der Flexura hepatica geschieht.
Man denke nur daran, wie oft bei grossen Bauch- oder Scrotalbrüchen,
wo ein grosser Theil der Intestina ausserhalb der Bauchhöhle liegt,
die normale Defäcation ganz unbehindert vor sich geht. Ich kenne
einen Fall von completer Splanchoptose, wo neben beweglicher Leber
und beiderseits palpabler beweglicher Niere das Colon transversum
bis unterhalb des Nabels heruntergesunkeu ist, die kleine Curvatur
des Magens in der Mitte zwischen Processus xyphoideus und dem
Nabel steht, das Pancreas deutlich abzutasten ist, und dennoch keine
habituelle Verstopfung besteht. Die Darmverlagerung wird erst dann
zum Defäcationshinderniss, wenn in Folge von peritonitischen Ver-
wachsungen oder sonstigen Ursachen die Darmschlingen an einer oder
mehreren Stellen angeheftet sind, so dass dieselben der Peristaltik
nicht mehr vollkommen nachgeben können und es auf diese Weise
zu leichteren oder schwereren Abknickungen kommt.
Fragen wir nun nach der Bedeutung der Stuhlverstopfung für den
Gesammtorganismus, so ist es klar, dass dieselbe verschieden sein
muss je nach der dem Leiden zugrunde liegenden Ursache. Was
zunächst die habituelle Constipation anbetrifft, so scheint dieselbe in
ihrer Wichtigkeit überschätzt zu werden. Allerdings können durch
den rein mechanischen Reiz, welche lange im Dickdarm aufgestapelte
harte Fäcalmassen ausüben, Hyperämien, Catarrhe, in seltenen Fällen
wohl auch Druckdecubitus entstehen. Das Pressen und Drängen
beim Entleeren harter Kothballen kann, namentlich wo hereditäre
Anlage dazu besteht, zur Entwickelung von Hämorrhoiden führen.
Subjective Beschwerden mannigfaltigster Art können davon hergeleitet
werden. Das ganze Heer schwerer Erkrankungen jedoch, welche man
früher so leicht geneigt war, mit Stuhlverstopfung in causalen Zusam-
menhang zu bringen, wie Perityphlitis, Peritonitis u. dgl., sind jetzt
als mit Sicherheit unabhängig davon erkannt worden.
In neuerer Zeit ist viel von Autointoxication und Absorption von
Ptomainen durch den Darm die Rede gewesen. Senator und Litten
haben schwere Fälle von Selbstinfection beschrieben und die Infection
mit Gastrointestinalstörungen in Beziehung gebracht. Manche
Formen von Chlorose sind von Sir Andrp:w Clark und xlnderen als
Selbstinfection in Folge von Stuhlverstopfung aufgefasst worden.
In dieser Beziehung muss man daran festhalten, dass Intoxication
vom Darm aus nur bei flüssigem Darminhalt und bei gestörten
chemischen und anatomischen Verhältnissen stattfinden kann. Es ist
also wohl kaum denkbar, dass jene Fälle, welche man als habituelle
Obstipation bezeichnet, wo es sich um festen, trockenen Darminhalt
handelt und wo keine Catarrhe oder Ulcerationen der Schleimhaut
vorhanden sind, zur Autointoxication führen können. Auch muss ich
gestehen, dass jene Fälle von Chlorose, bei welchen Eisen angeblich
139
nicht zum Ziele führt und welche durch Abführmittel geheilt werden,
mir in ihrer Auffassung als Autointoxicationen nicht ganz eindeutig
erscheinen.
Anders liegen natürlich die Verhältnisse, wo es sich um Verstopfung
in Folge von Dick- oder Dünndarmcatarrhen handelt. Namentlich bei
jenen Zuständen, wo Verstopfung und Diarrhoe mit einander abwech-
seln, können Autointoxicationen sehr wohl vorkommen und sind
solche leichtern Grades, wie oben angedeutet, auch oft zu beobachten.
Aber auch ohne Autointoxication können jene Zustände zu schwerer
Schädigung des Organismus führen, sowohl durch locale Einwirkung
der gestauten Kothmassen auf den kranken Darm (Geschwüre, Atro-
phien, Dilationen u. dgl. m.), als auch durch Beeinträchtigung der
Dünndarmverdauung und Resorption und dadurch zu schwerer Schä-
digung der allgemeinen Ernährung. Vor einigen Jahren fand ich bei
einem Fall von acuter Darmocclusion mit Ileus post mortem als
alleinige Ursache des Darmverschlusses bei dem sonst ganz gesunden
Manne eine fest in die Bauhinische Klappe eingekeilte Kothmasse.
Die Zeit gestattet mir leider nicht, auf die interessanten diagnosti-
schen Details einzugehen bezüglioli der Frage, ob Catarrh vorhanden,
ob die Störung eine rein functionelle ist, und nach der Localisation der
Catarrhe. Ich muss auf die vortrefflichen Arbeiten Nothnagels in
dieser Richtung verweisen. Lassen Sie mich nur im Allgemeinen sa-
gen, dass die Entscheidung dieser Fragen nicht immer ganz leicht ist.
Das makroskopische Verhalten der Stühle, die Anamnese, die khni-
schen Bilder, die sorgfältigste Palpation des Unterleibs nebst Explora-
tion des Rectums liefern meist genügende Anhaltspunkte. Oefters
entscheidet die mikroskopische Untersuchung der Dejeetionen. Finden
sich gallig gefärbter Schleim und gallig gefärbte Cylinderepithelien, so
liegt mit Bestimmtheit ein Dünndarmcatarrh vor. Vermehrter Indi-
cangehalt des Harns tritt nie bei ausschliesslichem Dickdarmcatarrh
auf, kann aber auch bei intensivem Dünndarmcatarrh gänzlich fehlen.
Die Rossbach 'sehe Probe hat mir stets für alle Fälle von Dünn- und
Dickdarmcatarrh ein negatives Resultat ergeben.
Schliesslich noch einige Worte zur Therapie. Es ist Thatsache,
dass es Menschen giebt, welche nur alle zwei bis drei Tage eine Darm-
entleerung haben und dabei in jeder Beziehung vollkommen gesund
sind. Solche Menschen soll man überhaupt nicht behandeln, man
richtet da stets nur Schaden an.
Als oberstes Princip für die Behandlung aller Formen von Obstipa-
tion muss gelten : möglichste Einschränkung des Gebrauchs von Ab-
führmitteln und kann ich auf die Grundsätze verweisen, die Trousseau
in klassischer Weise aufgestellt hat. Es würde ins Unendliche führen,
wollte man nur einen Theil dessen, was für die Behandlung der Ver-
stopfung an Abführmitteln und sonstigen Kuren empfohlen worden ist,
einer Kritik unt'^irziehen. Auch will ich hier nicht auf die Behandlung
der Darmcatarrhe eingehen. Neben sorgfältiger Regelung der . Diät
und der allgemeinen Lebensweise sind hier sicherlich oft Brunnen-
140
euren (Karlsbad, Kissingen, Marienbad, Saratoga) von dauerndem
Nutzen, während dieselben bei den rein functionellen Obstipationen
selten bleibende Vorth eile bieten, wenn nicht geradezu schädlich
wirken.
Als weitaus rationellste und zuverlässigste Behandlungsmethode für
catarrhalische und habituelle Obstipationen möchte ich Ihnen auf das
Dringendste die Massage in Verbindung mit der ZAXDER'schen mecha-
nischen Behandlung, wo letztere nicht zu haben ist, die Massage allein
empfehlen. Contraindicirt ist diese Behandlungsweise nur in jenen
Fällen, wo überhaupt die Peristaltik nicht angeregt werden darf, bei
acuten Entzündungen im Abdomen, bei Eiterungsprocessen, bei malig-
nen Geschwülsten, bei Darmobstruktion durch Tumoren u. dgl.
Vielfach ist die Electricität, sowohl galvanische als faradische, em-
pfohlen worden. Meine Erfahrungen damit sind trotz einzelner Er-
folge, nicht ermuthigend. Die Methode ist umständlich, nicht immer
zuverlässig und wird von vielen Patienten nicht vertragen.
Ueber die neuerhch von Flataü empfohlene Einpuderung mit Bor-
säure habe ich keine Erfahrung. Glycerinklystiere und Glycerinsup-
positorien versagen sehr oft und wirken bestenfalls nur als vorüber-
gehendes Palliativum.
Ganz anders wirkt die mechanische Behandlung nach Zander.
Durch ihre mächtige Wirkung auf die Cirkulation im Allgemeinen und
auf den Stoffwechsel sowie durch Anregung der Peristaltik, Kräftigung
der Bauchpresse und Beförderung der Blutcirkulation im Unterleib ist
dieselbe in der That, besonders wenn mit zweckmässiger Massage ver-
bunden, ein rationelles Kurverfahren, welches die schönsten Erfolge
aufzuweisen hat. Wo die ZANDER'sche Methode nicht ausführbar ist,
genügt in fast allen Fällen eine 4 bis 6 wöchentliche Massagekur, doch
sind bei derselben als Conditio sine qua non eine Anzahl von Massre-
geln strengstens zu befolgen. Abführmittel irgend welcher Art sind
während der Kur auf's Strengste verpönt. Der Patient wird verstän-
digt, dass der Stuhlgang von selbst erfolgen muss, selbst wenn er 14
Tage oder noch länger ohne Stuhlentleerung sein sollte. Werden die
subjectiven Beschwerden zu gross, so kann ausnahmsweise durch ein
Clysma oder ein Glycerinsuppositorium nachgeholfen werden. Dies
ist jedoch nur in den allerseltensten Fällen nöthig, meist kommt schon
nach 2 bis 4 Tagen die erste spontane Stuhlentleerung, und die Pa-
tienten, welche auf eine 14tägige Verstopfung vorbereitet waren, sind
glücklich über den Erfolg der Kur.
Die Diät muss sorgfältig regulirt und solche Speisen ausgeschaltet
werden, welche massigen Koth oder viel Gase verursachen (Kartoffeln,
die verschiedenen Kohlsorten, Brot, Backwerk u. dgl.). Demnach be-
steht der Speisezettel hauptsächlich aus zarten, nicht fetten Fleisch-
sorten, Milchspeisen, Hafer, Reis etc., leichten Gemüsen und viel Obst,
daneben reichhches Getränk, hauptsächlich Wasser oder ein leichtes
Bier. Für reichliche Bewegung in frischer Luft muss gesorgt werden
und wird namentlich Eeiten empfohlen. Ein Hauptpunkt ist ferner,
141
wie schon Trosseau hervorhebt, dass der Patient täglich mit peinlich-
ster Gewissenhaftigkeit zur bestimmten Stunde den Abtritt besucht,
ganz gleichgültig, ob Stuhldrang besteht oder nicht.
Neben dieser allgemeinen diätischeu Behandlung wird innerlich
Nux vomica und Atropin, wo Letzteres nicht vertragen wird, Calabar-
extrakt gereicht.
Wass nun die Massage anbetrifft, so muss sie die ersten vier
Wochen täghch angewendet werden, mit Vorliebe am frühen Morgen
oder Abends vor dem Einschlafen. Es ist gleichgültig, von welchem
Punkte angefangen und nach welcher Richtung hin massirt wird, wenn
nur der Bauch gehörig kräftig dabei mit richtigen Griffen durchge-
knetet wird. Diese Bauchmassage soll mit allgemeiner Massage des
Körpers verbunden werden und wo keine ZANDER'sche Behandlung zu
haben ist, können zweckmässiger Weise schwedische Resistenzbewe-
gungen benutzt werden. Auf diese Weise gelingt es fast ausnahmslos,
selbst viele Jahre dauernde Obstipationen zu überwinden. Ich selbst
verfüge über eine recht grosse Anzahl, zum Theil sehr hartnäckiger
Fälle von Verstopfung, die alle auf diese Weise dauernd von ihrem
Leiden befreit wurden. Ob jemals, eine chronischer Darm catarrh wirk-
lich zur Heilung kommt, möchte ich sehr bezweifeln, sicher ist es je-
doch, dass man auch bei ausgedehnten chronischen Dünn- und Dick-
darmcatarrhen dauernd regelmässige Stuhlentleerung herbeiführen
kann und damit nicht nur dem Fortschreiten der catarrhalischen Af-
fection ein Ziel setzt, sondern auch die subjectiven Beschwerden ent-
weder ganz heben, oder auf ein Minimum reduciren kann.
Nachstehend die näheren Nachweise einiger der wichtigsten in Obigem an-
gezogenen Schriften.
Xoihnagel. Beiträge zur Physiologie und Pathologie des Darmes. BerUn,
1884.
Van Braam- Houckgeest. Pflueger's Arch, f. Physiol., IV. Bd.
Engelmann. Pflueger's Arch. f. Phys., II. Bd.
Leichtenstern. Ziemssen's Handbuch, VII. Bd
Lambl. Aus dem Franz-Josefs Kinderspitale in Prag, 1860.
Woodward. The Medical and Surgical History of the War o£ the Eebellion,
Part IL, Vol. I.
Da Costa. Am. Journal of Med. Sciences, 1871.
Trousseau. Clinique de l'Hotel Dieu, Bd. IH.
Litten. Ueber einen eigenthümlichen Symptomencomplex in Folge von
Selbstinfection bei dyspeptischen Zuständen. Zeitschrift f. khn. Med., Bd. VII.
Glenard. De l'enteroptose, 1889.
Nothnagel. Ueber habituelle Obstipation. Wiener med. Presse, 1890, No.
11 und 12.
Ewald. Ueber Enteroptose und Wanderniere. Berl. klin. Wochenschrift,
12 und 13, 1890.
Dunin. Ueber habituelle Stuhlverstopfung, deren Ursachen und Behand-
lung. Berliner Klinik, Heft 34, 1891.
Zuntz. Die Ursachen des Meteorismus. Deutsch, med. Wochenschrift,
No. 44, 1884.
142
II.
Beitrag zur Keuutniss von den Fremdkörpern im
Oesophagus.*
Von
Dr. CARL BECK.
Sitzung vom 3. Mai 1891.
Vor einer Woche wurde die 18 Monat alte, in Russisch-Polen,
geborene Deborah Lefkowitz auf meine Abtheilung in der Deutschen
Poliklinik gebracht unter der Angabe, dass sie beim Spielen v o r vi e r
Wochen ein Vierteldollarstück verschluckt habe.
Die alsbald herbeicitirten Aerzte machten vergebliche Extraktions-
versuche; sie Hessen die kleine Patientin erbrechen, bis Hirnsymptome
eintraten und riethen dann den fleissigen Genuss von Milch und
Kartoffelbrei in der Hoffnung, den Fremdkörper per vias naturales
abgehen zu sehen, eine Erwartung, welche sich trotz des ingeniösen
medicinischen Heilapparates als trügerisch erwies.
Flüssige Speisen werden schwer und unter Würgebewegungen
geschluckt, seit einigen Tagen aber regurgitiren auch diese und gleich-
zeitig treten Fieberbewegungen ein, wesshalb sich die auf dem Lande
wohnenden Eltern entschlossen, anderweitige ärztliche Hilfe zu
requiriren.
Als ich die Krankengeschichte hörte, klang sie mir fast wie ein
Märchen. Ich konnte an dem in relativ gutem körperlichen Allge-
meinzustand befindlichen Kinde nichts Aussergewöhnliches entdecken,
auch ergab insbesondere die Inspektion und Touchirung des Eachens
nichts Abnormes und mehr, um meiner Pflicht gerecht zu werden als
in der Erwartung weitere Aufklärung zu finden, führte ich einen
GRAEFE'schen Münzenfänger ein.
Ich muss hier bemerken, dass ich eigentlich nicht begreifen konnte,
wie ein so grosses Geldstück so lange Zeit im Oesophagus hätte ver-
weilen können und dachte, dass das Kind eher ein Opfer zahlreicher
curativer Massnahmen, als eines Fremdkörpers wäre. Als ich jedoch
den Isthmus passirt hatte, stiess ich auf einen starken Widerstand.
Instinktiv drehte ich mein Instrument, ich fühle, dass es festhakt
und ziehe, erst leise und dann stärker, bis ich ein Nachgeben des
Widerstandes fühle.
Dann wiederum tritt eine Hemmung ein, welche selbst nach stär-
keren Traktionsversuchen nicht zu überwinden ist. Nunmehr gehe
ich in den Rachen mit dem Zeigefinger ein und kann zu meiner Freude
das Geldstück fühlen, welches ich nun durch Gegendruck leicht her-
ausbefördern kann, dem vortrefflichen Rathe Langenbecks folgend,
das bereits in dem Pharynx sichtbare Ende des Münzenfängers gegen
die hintere Pharynxwand anzudrücken.
(* Anschliessend an einen vor der Deutschen Medicinischen Gesellschaft der
Stadt New York demonstrirten Fall.)
m
Wie Sie sich leicht überzeugen können, hat sich das Aussehen des
Geldstückes erhebhch geändert. An einigen Stellen ist eine dicke
Schleimkruste, wohl da, wo es in die Schleimhaut fest eingebettet
war, zu sehen und an anderen, wolil den freiliegenden Stellen, ist es
blank, wie von Säure beeinflusst.
Die Patientin gesundete alsbald und ihre Eltern waren so gross-
müthig, mir dieses Ihnen vorliegende Geldstück zum Präsent zu
mächen.
Meine Herren ! Ein Fall, wie dieser, steht meines Wissens einzig
in der Literatur da. Albert z. B. schildert den Fall Krishabers,
(Lehrbuch der Chirurgie und Operationslehre, 3. Aufl. Bd. L, p. 562.)
welcher einem vierjährigen Kinde ein F r a n k s t üc k , also
eine kleinere Münze, auszog, als etwas ganz Unerhörtes, während doch
mein Fall ein viel jüngeres Kind betrifft. Ferner ist der Umstand,
dass der grosse Fremdkörper ohne erheblichen Schaden vier Wochen
lang ertrageil wurde, schon an und für sich ein ganz aussergewöhn-
licher.
Die vielfachen und zum Theil ihrer grotesken Einfälle wegen
bewundernswerthen Versuche, welche ich nicht bloss bei der Chirurgia
rusticana, sondern auch bei anerkannt tüchtigen Collegen in urbe
beobachtet habe, machten mir den Eindruck, dass bei kaum einem
anderen Leiden so wenig Methode herrscht, als in der Fremdkörper-
therapie des Schlundes. Die Proceduren, welche der beklagenswerthe
arme oder reiche Schlucker auszuhalten hat, spotten zumeist aller
Beschreibung und erinnern an die schlimmsten Orgien der spanischen
Inquisition.
Ich halte es desshalb nicht für überflüssig, einige Bemerkungen
über Beurtheilung und Therapie der Fremdkörper im Oesophagus zu
machen.
Die üblichen Massnahmen, denen man zumeist begegnet, sind :
Würgen und Schlingenlassen, Wasserschlucken, weiche Bissen hinter-
drein, Finger in den Hals stecken, um Erbrechen zu erregen, Brech-
mittel in gewöhnlicher Weise oder nach vorhergegangener Darreichung
von sehr vielem Hühnereiweiss, Einspritzung von Tartarus emeticus,
Kitzelversuche mit borstigen Instrumenten und dergleichen. Solciie
Proceduren flndet man oft Tage lang fortgesetzt, was dem Käthe von
Laien oder einer sogenannten erfahrenen Levatrix wohl zu verzeihen
ist, nimmermehr aber von einem Arzte entschuldigt werden kann.
Diesem bleiben nur 3 Wege vorgezeichnet :
1. Die Extraktion durch den Mund,
oder 2. Das Hinabstossen in den Magen,
oder 3. Die Oesophagotomie.
Ob er extrahiren oder hinabstossen soll, muss er so sofort entschei-
den können, so dass er zielbewusst nach der einen oder anderen Rich-
tung hin seine Massnahmen treffen kann, nach deren Erfolglosigkeit
eben nur der Speiser öhremchnitt und nur dieser allein übrig bleibt.
Fremdkörper, welche noch im Bereich des Rachenraumes gesehen
144
oder mit Finger resp. Sonde gefühlt werden können, sollten ex ore ex-
trahirt werden. Sehr oft kann man grössere Gegenstände mit einer
Schlundzange oder mit dem gekrümmten Zeigefinger packen.
Sobald der Isthmus passirt ist, soll man hinabstossen; auch kann
man versuchen, weiche Fremdkörper, wie Fleisch oder Kartoffeln von
aussen hinabzustreichen. Sind Athembeschwerden vorhanden, so ist
es anzurathen, das Kinn des Patienten gegen die Brust zu drücken
oder den Larynx von der Wirbelsäule wegzuheben.
Du J ARDIN- liEAüMETZ (Bull. de la Soc. de Chir., Oct. 30. 1875), em-
pfiehlt namentUch bei Kindern, welche Geldstücke geschluckt haben,
den Patienten auf den Leib und glatt auf den Tisch zu legen, so dass
der Kopf über den Eand des Tisches hinausragt. Der Kopf wird von
einem Assistenten gehalten und nun wird ein Finger in den Mund ein-
geführt, um die Zunge niederzudrücken, worauf das Geldstück am
Finger lieruntergleiten soll. Das Verfahren ist gewiss bisweilen er-
folgreich, in den meisten Fällen hat aber das Geldstück kaum die Ge-
fälligkeit, in dieser Weise einem entgegenzukommen.
Sehr grosse Körper mit rauher Oberfläche, namentlich solche, die
mit Kanten und Spitzen versehen sind, wie Nadeln, Nägel, Knochen-
stücke, dürfen niemals hinuntergestossen werden, da hierbei ja jeg-
licher Wegweiser fehlt. Hierbei ist unter allen Umständen die Ex-
traktion zu versuchen und ist auch hierfür der Gräfe'sche Münzenfän-
ger zu empfehlen, welcher in meinem Fall so ausgezeichnete Dienste
geleistet hat.
Bei dieser Gelegenheit möchte ich nicht verfehlen, zu Lob und Preis
dieses vorzüglichen Instrumentes einen meines Wissens nicht zur Ver-
öffentlichung gelangten Fall zu erwähnen, welchen ich das Vergnügen
hatte, im Jahre 1876 auf der LANGENBECK'schen Klinik mitzubeobachteu.
Einem jungen BerUner, welcher an Rachencatarrh litt und dem
sein Arzt gerathen hatte, mittelst eines Drahtpinsels sich zu behan-
deln, reichte derselbe nicht tief genug in den Schlund hinab, wesshalb
er in einer Anwandlung von Heroismus den für den Einsatz von 2 Fin-
gern kreisförmig gekrümmten Theil des Drahtes aufdrehte, so dass
die Länge des Pinsels ungefähr derjenigen eines langen Bleistifts ent-
sprach. Nunmehr ging der schneidige Patient in seinem unstillbaren
Heiltrieb so tief hinab, dass er eine unwillkürliche Schluckbewegung
auslöste, worauf der Pinsel verschwand.
Langenbeck führte nunmehr den Münzenfänger unzählige Male ein,
konnte mit demselben den Draht deutlich fühlen aber nicht packen.
Nun wurde beschlossen, die Gastrotomie andern Tages vorzunehmen ;
da fiel es einem der jüngeren Assistenten des berühmten Meisters ein,
noch einmal vorher den Versuch mit einem anderen Münzenfänger zu
wagen, der an seiner Oese zerbrochen war (was, beiläufig erwähnt, von
ihm zufällig nicht bemerkt wurde). Und in diese zerbrochene Stelle
klemmte sich der Pinselstiel ein und wurde glücklich extrahirt !
Man muss alle Schlundinstrumente vor dem Gebrauch gut einölen;
bleibt ein solches irgendwo hängen, so geht man zunächst nicht weiter,
sondern manövrirt in loco ganz leicht und mehr lateral wärts.
145
Zum Hinabstossen eignet sich ganz besonders der Schlundstösset*
von WiTES, welcher aus ein Fischbeinstab, an dessen unterem Ende ein
Stück Schwamm festsitzt, hergestellt ist.
Zum Ausziehen wäre die CnARRiERE'sche Schnabelzange und der
WEiss'sche Schlundschirm zu empfehlen, der grade wie eine Bürste
zum Keinmachen der Flaschen das Lumen der Speiseröhre beim
Oeffnen ausfüllt, so dass in den Schweineborsten, aus welchem der
Schirm besteht, die Fremdkörper sich fangen.
Ein ingeniöses Verfahren hat Goldsmith (Bedford-Lancet, II, 17.)
ausgedacht um einen verschluckten Angelhaken herauszubefördern.
Er nahm ein Stück Ligaturseide, befestigte dieses an die Darmsaite
des Angelhakens, fügte dünnen Draht um dieselbe und führte
diese Leitungssonde .in den Oesophagus, wodurch es ihm gelang, des
Angelhakens habhaft zu werden.
Nach Balck (New York Med. Journal, 1875) wäre bei Fleischstücken
auch die künstliche Verdauung zu versuchen. Er berichtet Fälle, in
welchen Stücke Fleisch durch Salzsäure und Pepsin verkleinert
wurden und dadurch leicht hinabgestossen werden konnten.
Erwähnen möchte ich hierbei noch den Rath von Bourgeois (Bulletin
de Chir. C. IL), welcher empfiehlt, recht viel Eis schlucken zu lassen
und dann den Schlundstösser anzuwenden. Das Eis soll den Oeso-
phagus zu Contraktionen veranlassen und auch die Empfindlichkeit
abstumpfen.
Schlagen alle die genannten Versuche fehl, so ist ohne Aufschub die
Oesophagotomie zu unternehmen, welche heutzutage in weitaus der
grössten Mehrzahl der Fälle ein günstiges Resultat ergibt.
Um die Indikationen etwas genauer zu stellen und zu verstehen,
halte ich es für nöthig, über die Form und Art der Fremdkörper mich
etwas eingehender zu verbreiten.
Ich halte mich hier an die ausgezeichnete Eintheilung nach König,
welcher unterscheidet :
1) Körper mit rauhen, spitzen, schneidenden Oberflächen: Knochen-
stücke, Gräten, Pfeifenspitzen, Nadeln, Dornen, Nägel, Stacheln,
Sonden, Bolzen, Zinke, Grannen, Angelhaken, künstliche Gebisse und
Obturatoren, Münzen, Messer, Gabeln,
2) Körper mit mehr glatter Oberfläche: a) weiche, wie Fleisch-
stücke, lebende Thiere, Früchte, Eier, Kuchen, Tücher, Bälle, b) harte:
Steine, Ringe, Knöpfe, metallene Tassen, Fingerhüte, Schlösser, Löffel,
Holzstücke, Lederstücke,
3) Unbekannte Körper.
Nach den sub.I. bezeichneten FremdKörpern treten sofort sehr alar-
mirende Symptome auf. Der Patient merkt beim Schlucken, dass der
zu grosse Bissen nicht weiter ging. Er fühlt einen Druck auf Larynx
oder Trachia, bekommt Dyspnoe, wird cyanotisch und hat vielleicht
das Glück, durch Würgebewegungen den Körper nach oben oder unten
weiter zu spediren.
Sehr häufig aber tritt auch am Esstisch Erstickung ein, ehe noch
146
ärztliche Hilfe zur Hand ist, da der Fremdkörper die Epiglottis
bedeckt oder gar in den Larynx eindringt.
Uns Allen ist der unendlich tragische Fall noch frisch im Gedächt-
niss, welcher vor wenigen Tagen in unserer Nachbarstadt Brooklyn
sich zutrug.
Ein bekannter, in der Mitte der Dreissiger stehender Pastor will
seinem kranken Kinde einen Löffel voll Medicin verabreichen. Er hält
in der einen Hand den Esslöffel, in der anderen die Medicinflasche und
den Kork derselben zwischen den Zähnen.
üeber den Grimassen, welche der kleine Patient ob der bitteren
Arznei schneidet, muss der Papa lachen und hierbei geräth der Kork
in die Kehle. Die Beschwerden waren in den ersten Tagen so gering,
dass der sehr willensstarke Patient sogar noch predigte ; am fünften
Tage aber zeigten sich bronchitische Erscheinungen und steigende
Dyspnoe, so dass die Tracheotoraie vorgenommen wurde. Es gelang
hierbei wohl, in einen Bronchus eine Zange einzuführen, nicht aber den
Kork zu extrahiren, so dass der Patient der unausbleiblichen Broncho-
pneumonie erlag.
Selten ist Jemand so glücklich, solch ausgezeichnete Hilfe in unmit-
telbarer Nähe zu haben, wie der junge Neffe Langexbecks, welcher sich
im Garten damit amüsirte, einen kleinen Apfel in die Höhe zu werfen
und mit dem Munde aufzufangen.
Bei einem solchen Jougleurdebut gelangte der Apfel in den Rachen,
der Junge wurde sofort asphyktisch und stürzte zu Boden. Langen-
BECK befand sich zufällig wenige Schritte von ihm entfernt und steckte,
ohne dem Spiel Beachtung geschenkt zu habeh, instinktiv seinen
Finger in den Schlund und es gelang ihm wirklich, sich in den Apfel
einzuhaken und denselben zu extrahiren.
In Fällen, in denen ein Fremdkörper in den Larynx oder Trachea
dringt, wäre doch wohl die sofortige Tracheotomie anzurathen.
Man darf sich hier durch ein gewisses Wohlbefinden, das ausnahms-
weise sehr wohl vorübergehend eintreten kann, auch wenn der Fremd-
körper dicht vor der Stimmritze sitzt, nicht von diesem Grundsatz
abwendig machen lassen.
Bei Serie No. 2 der Fremdkörper wirken dieselben weniger durch
ihren Umfang, als durch ihre scharfen Ecken und Kanten, welche
schwere Verletzungen der Schleimhaut und der Nachbarorgane her-
vorbringen. Besonders zu fürchten sind Knochen und Gräten, welche
sich ausserordentlich leicht in den Falten der Schleimhautduplikaturen
einnisten.
Bei diesen Fällen sind also die primären Erscheinungen nicht sehr
fulminant, der Patient braucht während der Mahlzeit noch nicht ein-
mal zu verspüren, dass ein Knochen oder eine Gräte in der Speiseröhre
festsitzt und kann erst später dort eine Empfindung haben. Da die
Symptome nicht quälender Natur sein können, so liegt der Gedanke
nahe, dass es sich nur um eine Arrosion der Schleimhaut handelt —
wie es ja auch glücklicherweise oft genug der Fall ist — und dass das
117
corpus delicti weiter gegangen ist, so dass oft viele Wochen vergehen,
ehe die Ueberzeiigung vorhanden ist, ob eingekeilter Fremdkörper
oder \>\oss Verwundung beim Passiren desselben, bis entweder
dauernde Euphorie oder ein die Anwesenheit des Fremdkörpers ver-
rathender Folgezustand, beispielsweise Blutung oder Entzündung der
benachbarten Kespirationsorgane eintritt.
Von merkwürdigen Fällen dieser Art, welche keinerlei prägnante
Symptome zeigten, will ich bei dieser Gelegenheit einen Fall von
VoLTOLiNi citiren, in welchem dieser eine Nussschale mit Hilfe eines
von ihm construirten Spekulums aus dem Larynx eines lOjährigen
Knaben entfernte, dessen Sprache fast normal und dessen Stimmritze
vollständig durchgängig war. (Berliner klinische Woch. XII. 6.)
Einen noch merkwürdigeren Fall beschreibt derselbe Autor wie
folgt :
Er hatte einen Mann an Kehlkopfpolypen operirt. Dieselben waren
wieder gewachsen und da wegen des herrschenden strengen Winters
der Patient die weite Reise zu Voltolini scheute, wurde von einem
Spezialarzt die Entfernung der Wucherungen mittelst der von Tuerck
angegebenen Zange vorgenommen. Dabei brachen beide Mäuler der
Zange nebst Stiel in der Länge von 3j €entimeter ab und fielen in den
rechten Bronchus hinab.
Patient bekam Husten, Blutungen, Fieber, Schmerz in der rechten
Lunge, der Pertoralisgegend entsprechend und ertrug diesen Zustand
ungefähr f Jahre lang.
Er wurde dann immer kränker und bei einem so schweren Husten-
anfall, bei welchem er zu ersticken glaubte, so dass er sich zur Erde
legen musste, kam das Zangenfragment heraus, wonach der Patient
sich bald erholte.
Larynx, Trachea, Bronchien und Lungen können verletzt und com-
primirt werden. Sehr häufig ulceriren .die Wände, so dass eine Per-
foration Speisepartikel eintreten lässt. Ferner kann die Pleura affi-
cirt werden und Pyopneumothorax zur Folge haben oder Aorta, Caro-
tis und Arteria pulmonalis können arrodirt werden und zu lethaler
Blutung Anlass geben. '
Was die Prädilektionsstelle der verschiedenen Fremdkörper betrifft,
so findet man die grossen und scharfkantigen zumeist noch im Pharynx,
die übrigen dagegen an den 3 engen Stellen der Speiseröhre, als da
sind der Isthmus, die Durclilassstelle am Diaphragma und die Cardia.
Die Anamnese pflegt zumeist über die Form dös Fremdköri)ers
Aufschluss zu ertheilen und so auch den wahrscheinlichen Sitz zu erui-
ren, manchmal aber können die Patienten wirklich nichts angeben und
dann werden sehr häufig Fremdkörper von Geisteskranken verschluckt,
auf deren Angaben man sich selbstverständlich nicht verlassen kann.
Das untrüglichste Symptom bleibt dann die Dysphagie. Ausser-
dem ist noch übrig, zu lokalisiren entweder unter Spiegeluntersuchung
oder, wenn diese keinen Aufschluss ertheilt, mit der Sonde.
Trotz dieser Hilfsmittel gibt es nach der Beschreibung von Adel-
148
MANN (Prager Viertel] ahrsschrift, 1867), eine Menge von Fällen, in de-
nen der ganze diagnostische Apparat nicht im Stande ist, befriedigen-
den Aufschluss zu geben und erst eine verwegene Operation 9der die
Autopsie Klarheit bringt.
Es passirt wohl selten, dass ein Arzt Gelegenheit hat, so genau zu
beobachten, wie Dieffenbach, der, als er einer Dame gegenüber sass und
gerade ihre schönen Zähne einer kritischen Ocularinspektion unter-
zog, das doppelreihige Gatter bei einer ungeschickten Schluckbewe-
gung seiner Besitzerin verschwinden sah, worauf dieselbe alsbald
cyanotisch wurde.
Natürlich hatte der scharfe Beobachter dije Dislokation bald wieder
reponirt.
Man kann resumiren, dass also bei umfangreichen und weichen
Fremdkörpern eine grössere Augenblicksgefahr durch Suffokation
besteht, während bei den spitzen und harten Körpern die Gefahr erst
nach vielen Monaten noch durch Perforation nach Geschwürsbildung
eintreten mag.
Nicht gar zu selten tritt Naturheilung bei spitzen Körpern ein, so
sind z. B. schon Knochen, Fragmente einer Gabel, Nadeln und der-
gleichen aus allen möglichen Theilen des Körpers an das Tageslicht
gelangt.
Verschluckte Nadeln scheinen überhaupt nicht besonders verhäng-
nissvoll zu sein, haben doch die Thierexperimente von Omboni und
FOJA
(ViNCENzo Omboni, Annali. univers., pag. 517, Giugno, 1869.)
(Giovanni Foja, Gazz. Lombard. C. 186.)
bewiesen, dass von 127 an Thiere verfütterten Näh- und Stecknadeln
110 per rectum ausgeschieden wurden, ohne sichtbare Beschwerden an
den noch jungen säugenden Thieren (10 Katzen und 2 Kaninchen)
zu zeigen.
Eine Nadel wurde über dem Sphincter ani im Kectum frei, eine
andere ebenda eingestochen, vier frei im Magen und eine in denselben
eingestochen gefunden. Zwei fanden sich im processus vermiformis.
*Eine auffallende Eeaktionslosigkeit des Verdau ungstraktus wird
vielfach bei Geisteskranken gefunden. So erinnere ich mich, in einer
deutschen Heilanstalt einen Me]an<;holiker gesehen zu haben, welcher
zwei mit Schrauben versehene Kleiderhaken von mindestens vier Zoll
Länge durchpassiren liess, ohne zu klagen. Nur bei dem Defäkations-
act schien er sich weniger zu amüsiren.
Eine auffallende Erscheinung ist, dass das männliche Geschlecht
ein doppelt so grosses Contingent für Fremdkörper im Oesophagus
stellt, als das weibliche. Nur bei einen einzigen Fremdkörper lassen
sich die Frauen den Vorrang nicht streitig machen, nämlich bei der
Nähnadel, wie dies ja auch nicht gerade wunderbar ist.
Immerhin kann man wohl sagen, dass eine grosse Zahl von
Menschen alljährlich an Fremdkörpern des Oesophagus zu Grunde
geht, wenn auch der Procentsatz der Mortalität, welcher nach Adelmann
149
die erschreckende Ziffer von ein Drittheil beträgt, zweifellos über-
trieben ist.
Man muss freilich bedenken, dass viele Fälle gar nicht ärztlich be-
handelt werden, sondern dass ein sehr grosser Theil aller Fremdkörper
durch Erbrechen, Lachen, Niesen und Hinabrutschen in den Magen
entfernt wird.
Allerdings bleiben dann namentlich die Fälle übrig, welche nach
Tagen, Monaten und selbst nach Jahren noch lethal endigen und
welche bei frühzeitig vorgenommener Oesophagotomie zum aller-
grössten Theil bestimmt gerettet worden wären.
187 Secjond Avenue.
III.
Lebensfähigkeit der Tuberkelbacillen.
Eine einfache und schnelle Methode zum Färben dieser Organismen-
Die Wirkung einiger starken Antiseptica auf ihre chemische
Zersetzung.*)
Von
Dr. HENRY HEIMAN.
Es kann nicht meine Absicht sein, mich auf eine ausführliche Ar-
beit über die Tuberkelbacillen einzulassen. Eingehende Literatur
wurde bis jetzt darüber vom bakteriologischen, vom hygienischen und
in letzter Zeit besonders vom therapeutischen Standpunkt aus, ver-
öffentlicht.
Die Beobachtungen, die ich mir Ihnen vorzulegen erlaube, beziehen
sich :
1) Auf die Frage des Nachweises von Tuberkelbacillen ausserhalb
des Körpers, wenn sie der gewöhnlichen Zimmertemperatur ausgesetzt
sind,
2) auf eine einfache und schnelle Methode zur Färbung,
3) auf die Wirkung einiger stark desinficirenden Mittel betreffs
ihrer chemischen Zersetzung.
Meine Versuche datiren bereits vom 15. Januar 1891; im März d. J.
erschien eine Brochure ähnlichen Inhaltes von Dr. A. K. Stone,
Boston. ')
Leider musste ich alle meine Versuche in meiner Office ausführen
ohne Hilfe eines eigens für diesen Zweck eingerichteten Laboratoriums.
Meine Abhandlung mag Ihnen eine Zusammenfassung dieser müh-
samen und sorgfältigen Arbeit sein. Auf die vielen Fragen über die
Dauer der Möglichkeit, Präparate zu färben — ob Tage, Wochen oder
Monate nach ihrer Entnahme — konnte ich nicht mit Bestimmtheit
antworten.
*) Vortrag gehalten in der ,,Harlein Medical Association" am 7. October 1891.
1) American Journal of Medical Science.
150
Auf die verschiedenen Agentien, die ich zur Färbung anwandte,
werde ich später zu sprechen kommen, üm Ihnen vorweg eine
schnellere Uebersicht über die Färbeversuche im Betreff der Zeit-
dauer nach Entnahme des Sputum und Aussetzung desselben der
gewöhnlichen Zimmertemperatur zu geben, habe ich die Kesultate in
Tabellen zasammengestellt, von welchen ich mir nur einige anzufüh-
ren erlaube.
Präparat No. I.
Präparat No. II.
Präparat No, III.
Präparat No. IV.
Anzahl der gefunde-
Anzahl der gefunde-
Anzahl der gefunde-
Anzahl der
gefunde-
nen Bacillen.
nen
Bacillen.
nen Bacillen.
nen Bacillen.
1.
Januar 17. 1891 . .
.b
Januar 15. 1891...
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Januar 20. 1891 . .
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Januar 25.
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26.
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Schlüssel zur Tabelle: a. Sshr grosse Anzahl. b. Beträchtliche Anzahl,
c. Spärliche Anzahl, d. Garteiae. e. Gebrochenes Aussehen, f. In Gruppen.
Die Thatsache wird Ihnen sofort ins Auge springen, dass ich in
keinem einzigen Falle verfehlt habe, die Anwesenheit der Tuberkel-
bacillen nachzuweisen, nachdem ich deren Vorhandensein zum ersten
Male constatirt hatte. In höherem Masse wird Ihre Aufmerksamkeit
in Anspruch genommen durch den grossen Wechsel in der Zahl der
Bacillen, die sich bei einzelnen Fällen in denselben Präparaten vorfin-
den. Hierüber sei nur soviel erwähnt, dass sich melirere Theorieen
hinsichtlich dieses Punktes aufstellen lassen, deren wahrscheinlichste
nach meiner Meinung die ist, dass der Färbeprocess des Sputum beim
Absetzen der wässrigen Bestandtheile als Bodensatz die festen Theile
zusammen mit den Tuberkelbacillen zurücklässt. Ihre Anzahl variirt
desshalb im umgekehrten Verhältniss der Menge des übrig gebliebe-
nen Sputum und der mechanischen Handgriffe bei Entnahme und Aus-
breitung auf den Objektträger. Auch ist zu berücksichtigen, dass die
constante Abnahme der Tuberkelbacillen in einigen Proben auf die be-
ständige Entziehung tuberkulösen Materials zurückzuführen ist, und
ausserdem auch, weil die Tuberkelbacillen nur bei Bluttemperatur und
in mehr günstig angelegten Culturen als im gewöhnlichen Auswurf
wachsen und sich vermehren.
Die erfolgreiche Färbung meines ältesten Präparates fand an einer
Probe, die aus dem Besitz des Dr. E. Friede>'beeg stammt, am 5. März
1891 statt und, obwohl bereits 20 Monate vergangen waren, iand ich
die Bacillen bei jedem der 16 Versuclie vor. Um die Möglichkeit, dtass
Tuberkelbacillea von aussen in meine Versuchsflaschen gekommen,
auszuscheiden, liess ich bacillenfreies Sputum — eine Flasche sogar
unbedeckt — inmitten des tuberculösen stehen, war jedoch nach
mehrfacher Anstellung dieser Versuche nicht im Stande, Tuberkel-
bacillen in den Controllflaschen nachzuweisen. Auch bei dem ver-
suchten Nachweise der Bacillen in dem Sputum nicht an Tuberkulose
Leidender habe ich nur negative Resultate erzielt. Eben dies ist
gründlich von Koch') in seinem Meisterwerk dargestellt, wie auch von
Fraentzel und Balmer^) und von Ziehl^), die bei ihren zahlreichen
Versuchen zu demselben negativen Resultate gelangten.
Das Auffinden dieser lebenden virulenten Keime, wie Dr. Stone
gezeigt hat, halte ich vom praktischen Standpunkt aus für eine
eminent wichtige Thatsache. Cornet^) hat durch viele Versuche ein-
dringlich und sehr gerechtfertigt auf diesen Punkt hingewiesen und
betont besonders vom hygienischen Standpunkt die Wichtigkeit der
Füllung der Spuknäpfe mit Wasser, um eine Verbreitung der Tuber-
kelbacillen zu verhindern.
Aus den erhaltenen Resultaten können wir den Schluss ziehen, dass
die Tuberkelbacillen vermuthlich gemäss ihrer Sporenformation eine
ähnliche Lebensfähigkeit zeigen wie die anderen Bakterien. So sah
ich Koch mit einer Reinkultur von Milzbrandbacillen demonstriren,
die ihre Uebertra'gungsfähigkeit 18 Jahre beibehalten hatten. Was
die veränderte Färbung im Lauf der Zeit betrifft, so schienen sie
meines Dafürhaltens die Färbeagientien nicht in dem Masse anzu-
nehmen und eine mehr bräunliche Färbung zu zeigen.^)
Um das Vorhandensein der Tuberkelbacillen bei chirurgischer
Tuberculose nachzuweisen, habe ich die eitrigen Abgänge in 40 Fällen
untersucht, darunter Gelenkentzündung, kalte Abscesse, tuberculöse
Drüse, und für diesen Zweck 80 Proben vorbereitet. Nur in einer,
welche von einer tuberculösen (käsigen) Halsdrüse stammte, entdeckte
ich die Tuberkelbacillen ; indess glaube ich deren Vorhandensein auch
in allen anderen Fällen annehmen zu müssen. Koch'') erwähnt drei
Fälle frisch exstirpirter skrophulöser Drüsen, in deren zwei die Bacillen
enthalten waren, ausserdem vier Fälle tuberkulöser Gelenkentzündung,
in deren zwei ebenfalls die Bacillen vorkamen. Es ist eine bekannte
Thatsache, dass wir selten im Eiter die Bacillen finden, gewöhnlich
aber in käsigen Massen. Dr. Kanzler') berichtet von 31 Fällen skro-
phulöser Drüse, in deren 14 er aus 213 gewonnenen Präparaten die
Bacillen constatirte, und von 13 Fälle Knochentuberculose in deren
acht der Nachweis der Bacillen erfolgte.
1) Berliner Klinische Wochenschrift 1882, No. 15.
2) Berhner Klinische Wochenschrift 1882, No. 46.
3) Deutsche Medicinische Wochenschrift 1883, No. 4.
4) Berhner KHnische Wochenschrift 1889, No. 12.
5) Leitz Ocular I., Oelimmersion "/jj» A-bbes Condenser.
6) Berliner Klinische Wochenschrift 1882, No. 15.
7) Berliner Klinische Wochenschrift 1884. No. 2 und 3.
152
Um auf den Zweiten Punkt, die geeignetste und schnellste Methode
zur Färbung der Bacillen, zu kommen, so kann ich hier nicht alle
bekannten Methoden anführen oder auch nur alle diejenigen, welche
ich bei meinen Versuchen anwandte. Für einzelne Fälle benutzte ich
die Methode von Koch^), von Ehrlich^), von Biedert^) und von Gram") ;
in mehr als ^00 Fällen wandte ich Friedlaenders Methode an, wie sie
von Dr. W. Manges^-) beschrieben worden ist. In Folge der einfachen
Handhabung der letzteren war ich im Stande, die Arbeit schnell zu
Ende zu führen, da sie bei Reinlichkeit, Gewandtheit und Sicherheit
wenig Auslagen erfordert. An Stelle des Methylblau verwandte ich
Malachitgrün zwecks intensiverer Färbung und schnellerer Erkennung
der rothgefärbten Bacillen, als es bei Methylblau erfolgen kann.
Immerhin zeigen sich bei Anwendung von Friedlaenders Methode
einige Uebelstände in der Art und Weise das Sputum auf den Objekt-
träger zu bringen. Das beständige und durchgeführte Reiben verur-
sacht allzu schnelles Trocknen, wodurch eine grosse Anzahl kleiner
Partikeln losgelöst werden, welcher Umstand unser eigenes Respira-
tionssystem der Gefahr der Infection aussetzt. Weichselbaü]m6) hat
endgiltig festgestellt, dass nach Einathmen tuberkulösen Sputums
sich in den Lungen sowohl wie in den anderen Organen Bacillen vor-
finden. Auf diesen Punkt ist die besondere Aufmerksamkeit der-
jenigen zurichten, die, selbst prädisponirt zu Tuberkulose Unter-
suchungen darüber anstellen.
Nach Friedlaenders Methode gebrauchte ich sechs Minuten zur
Färbung und Untersuchung, besonders wenn das Sputum bereits alt
ist. Zu Ihrer Orientirung mögen einige Worte über diese ausgezeich-
nete Methode folgen. Um jede MögUchkeit eines Irrthums bei meinen
Versuchen auszuschliessen, verwandte ich nie alte Objektträger.
Indem ich das Sputum in kleinen Flaschen mit weitem Halse aufbe-
wahrte, hatte ich nicht nöthig, es auf ein ührschälchen zu übertragen.
Die Lösungen, die für diese Versuche gebraucht wurden, sind:
1) Ziehl's Solutio :
Fuchsin, 1,0
95% Alkohol, 10,0
5% Sol. Acid. carbol, 100,0
2) Entfärbelösung:
Acid. nitr. 5,0
9b% Alkohol, 85,0
Aqua Sest. 15,0
1) Berhner Klinische Wochenschrift 1884, No. 2 und 3.
2) BerUner Khnische Wochenschrift 1883, No. 1.
3) Virchows Archiv 1884 Bd. 98 S. 911.
4) Fortschritte der Medizin 1884, No. 2, S. 185.
5) Medical Record November 22, 1891.
6) Wiener Medicinische Presse 1883, S. 1574.
153
3) Färbelösang :
Concentrirte wässerige Malachitlösung, die in der Weise hergestellt
ist, dass übersättigte Lösung von Malachitgrün in Wasser zwei
Tage lang stehen gelassen und dann filtrirt wird.
Man reinige den Objektträger und sterilisire ihn, indem man ihn
langsam durch die Flamme zieht. Mit einem sterilisirten Platinhaken
nehme man sodann etwas Sputum auf und breite es inmitten des
Objektträgers ungefähr in der Grösse eines 1-Cent-Stückes aus, bis es
trocken ist und zieht das Objekt 10-20 mal durch eine Flamme. So-
dann gebe man mit der Pipette 15 bis 20 Tropfen ZiEHL'scher
Lösung, wodurch auch die getrennten Partikeln bedeckt werden.
Nachdem die Lösung fünf Minuten gewirkt, halte man das Objekt unter
Hinundherbewegen über eine kleine Spiritus- oder Bunsenflamme, bis
Dampf aufsteigt, wasche mit Wasser und trockene mit Filterpapier.
Sodann gebe man etwas von der Entfärbelösung, lasse dieselbe 30
Sekunden einwirken oder besser, bis fast jede rothe Färbung ver-
schwindet, wasche nochmals und trockne mit Filterpapier. Zum
Schlüsse bedecke man mit einigen Tropfen Malachitlösung das Objekt,
wasche nach circa 10 Sekunden und trockene mit Filterpapier. Giebt
man sodann einen Tropfen Cedaröl darauf, so ist das Präparat für die
Untersuchung fertig. Zur Aufbewahrung betröpfle man es mit Canada-
balsam und thue ein Deckglass darauf. Obwohl die Methode im An-
fang entmuthigend scheinen könnte, so erhält man nach wenigen Ver-
suchen eine schöne glatte Sputumfläche, die für erfolgreiche Unter-
suchung sehr wichtig ist.
Ueber die Wirkung einiger stark desinficirender Mittel auf die
Tuberkelbacillen konnte ich leider nur wenige Untersuchungen aus-
führen und auch diese nicht erschöpfend durchführen, da grosse
Schwierigkeiten meiner Arbeit im Wege standen. Zur exacten Aus-
führung dieser Versuche sind biologische Experimente und direkte
Uebertragung auf Lebewesen unumgänglich nothwendig, wozu mir das
Haupterforderniss eines für diesen Zweck eingerichteten Laboratori-
ums fehlte. Ich beschränkte mich deshalb auf die Beobachtung der
Wirkung einiger stark desinflcirend wirkender Mittel unter dem
Mikroskop.
Koch») hat bereits nachgewiesen, dass tuberculöses Sputum sogar
im trockenen Zustande noch nach zwei bis vier sogar bis zu acht
Wochen seine Uebertragungsfähigkeit behält ; schliesslich sterben die
Organismen oder werden in Sporen verwandelt und verlieren ihre
Fähigkeit sich zu färben. Im abgestorbenen Zustande nehmen sie
sicher Färbeagentien an bis zu ihrer chemischen Zersetzung, was ich
Ihnen auch vor Augen führen kann, wenn ich desinficirende Mittel in
Anwendung bringe. Fünfprocentige Carbollösung zerstört die che-
mische Natur der Bacillen nicht, da wir sie in der ZiEHL'schen Lösung
anwenden; deshalb gebrauchte ich zehnprocentige Carbolglycerin-
lösung, wobei ich eine Färbung der Bacillen erzielte. Schiller und
^^1) Berliner klinische Wochenschrift, 1882, No. 15.
154
Fischer!) stellten bei ihren Untersuchungen über die Wirkung der
desinficirenden Mittel durch Inoculation fest, dass die Tuberkelbacillen
durch eine dreiprocentige Carbollösung binnen 20 Stunden getödtet
werden.
A.Yersin^), ein f ranzösicher Beobachter, tödtete sie, wie er berichtet,
durch Erhitzen bis auf TO'^ Celsius während 10 Minuten. Pamponkes^')
in Athen erhitzte bis zu 120*^ 0. mit demselben Resultate, obwohl sie
die Färbeagentien annahmen.
Ich verwandte Sublimatlösung 1:1000 und 1:500 und war, nachdem
ich die Lösung mit tuberkulösem Sputum zusammen tüchtig geschüttelt,
im Stande die Bacillen zu färben.
Diese grosse Widerstandsfähigkeit gegenüber einer so grossen Hitze
und sogar gegen die stärkste desinücirenden Mittel zeigt uns diejenige
Art der desinficirenden Mittel, die zur chemischen Vernichtung ge-
eignet zu verwenden sind. Als letztes und stärkstes Mittel
gebrauchte ich Chlorlösungen 25%', 50% und in concentrirter Form, in
keinem einzigem Falle konnte ich nach Anwendung dieser starken
Lösungen die Anwesenheit von Tuberkelbacillen oder anderer orga-
nischer Substanzen im Sputum nachweisen. Ungeachtet seines unan-
genehmen und stechenden Geruches steht heute das Chlor als eines
der wenigen stark desinficirenden Mittel gegen diese gefährlichen
Keime obenan.
Diese Veröffentlichung möge hauptsächlich denjenigen Herren
Aerzten dienen, die fern von ihren Collegen wohnen, welche sich mit
klinischer Mikroskopie beschäftigen. Der Arzt sollte den Patienten
dazu anhalten, sein Sputum in eine stirilisirte Flasche mit weitem
Halse zu entleeren und mit einem Wattepfropfen zu schliessen ; am ge-
eignetsten ist es, das erste Sputum des Morgens zu sammeln, da der
Mucus im Laufe des Tages die Tuberkelbacillen verdünnt. Bei Ueber-
sendung dieser Probe an den untersuchenden Arzt lässt sich dasselbe
Resultat eruiren wie wenn das Sputum kurz vorher entnommen ist.
Zum Schlüsse spreche ich Herrn Dr. B. Stiefel meinen warmen
Dank für seine Unterstützung bei meinen Untersuchungen aus.
220 Ost 116. Strasse.
Central blatt für Bakteriologie und Parasitenkunde, HI., No. 18.
2) Centraiblatt für Bacteriologie und Parasitenkunde, III., No. 18.
3) Centralblatt für Bacteriologie und Parasitenkujide, 1891, IX., No. 139,
155
NEW YORKER MEDICINISCHE MONATSSCHRIFT.
Organ für^praktische Aerzte in Amerika.
Redigirt von '
Dr. f. C. HEPPENHEIMEK.
EDITORIELLE NOTIZEN.
15. April^l892.
Der Bericht des Comite's der jjMedical , Society of the State of New
York" über die Todesstrafe.
Die medicinisclie Gesellschaft des Staates New York hatte in der
Session von 1891 ein Comite zur Prüfung der Frage über die Todes-
strafe vom medicinischen Standpunkte aus ernannt ; dasselbe bestand
aus folgenden bekannten Aerzten :
A. Jacobi, New York, Präsident,
W. C. Wey, Elmira,
B. F. Sherman, Ogdensburgh.
Am 3. Februar d. J., hat das Comite seinen diesbezüglichen Bericht
der „Medical Society of the State of New York" vorgelegt, und es
erscheint uns von grossem Interesse, unsere Leser mit den Hauptpunk-
ten des in so mancher Hinsicht denkwürdigen Berichtes bekannt zu
machen.
Rücksichtlich der Bestrafung vermittelst Hinrichtung sind zwei
grosse Parteien vorhanden, die eine rechtfertigt dieselbe und stützt
sich vielfach auf die Bibel, — die andere negirt die Berechtigung einem
Mitmenschen wegen Verbrechens das Leben zu nehmen und dem nach-
zuahmen, was der Mörder selber gethan hat.
Das Comite hat die Todesstrafenfrage nicht vom philosophischen
Standpunkte aus beurtheilt, sondern vom rein wissenschaftlichen
und medicinischen.
Jedes Verbrechen ist die Folge eines bösen Impulses, der hätte
controllirt werden sollen ; als Controllmächte dienen die Hirnfunctionen
des Urtheils und Willens ; wer nun für seine Verirrungen und INIisse-
thaten als verantwortlich betrachtet wird, wird als Verbrecher be-
zeichnet und bestraft ; — wer dagegen als unverantwortlich angesehen
wird, wird nicht mehr als ein strafwürdiger Verbrecher sondern als ein
Irrsinniger bezeichnet, vor dem sich die Welt schützen muss. In der
That dient in der civilisirten Welt beides, — die Bestrafung des Ver-
brechens und die Incarceration des Wahnsinnigen, — ledigUch der
Selbstvertheidigung (oder sollte nur dazu dienen ; die Wiederver-
geltungs- und Rachetheorie wird vom humanen Standpunkte aus nicht
anerkannt).
156
Die Frage, ob jemand für eine schlechte Handlung verantwortlich
gemacht werden kann oder nicht, ist jedoch sehr oft schwer zu ent-
scheiden ; — und sind wir zuweilen nicht im Stande zu sagen, ob der
Missethäter als Verbrecher oder Irrsinniger bezeichnet werden muss.
— Die Entscheidung dieser Frage wird noch viel schwerer, wenn man
die Beobachtungen Benedict's zu Hilfe nimmt, wonach das Gehirn der
Yerbrecher eine Deviation vom normalen Typus aufweist.
Das Comite weist in seinem Berichte auf die vielfachen Ursachen,
welche zu einer Art Verbrechendisposition führen, — sie beruhen sehr
häufig auf abnormen Zuständen im Verhalten des Gehirns und Nerven-
systems, — und kommt im Ganzen zu folgenden Schlüssen :
„Es giebt viele Ursachen für eine Verkehrtheit des Urtheils und
des Willens.
Die Ursachen, welche durch die physikaUsche Beschaffenheit des
Körpers bedingt sind, sind entweder angeboren oder erworben. Sie
können erworben werden, sei es durch eine fortschreitende Entwicke-
lung einer ererbten oder angeborenen Disposition, oder durch da-
zwischenkommende Krankheiten, oder aber durch eine Störung der
Hirnentwickelung, durch schlechte Erziehung, schlechtes Beispiel und
sociale Einflüsse.
Die Verschiedenheit der Ursachen, sowohl der anatomischen wie
der functionellen, ist derart, dass eine exacte Diagnose äusserst
schwierig wird. Die unter Eid abgegebenen Meinungen der Sachver-
ständigen sind ziemlich oft widersprechender Natur. Hirnanomalien
und Hirnläsionen sind sehr häutig unseren Untersuchungsmethoden
unzugänglich.
Sobald in einem individuellen Fall von Verbrechen ein Zweifel be-
züglich der Verantwortlichkeit oder NichtVerantwortlichkeit entsteht,
ist es immer sicherer, den angeblichen Verbrecher als erkrankt zu be-
trachten, als den Kranken für einen Verbrecher auszugeben.
In vielen Fällen ist der Unschuldige und der anatomisch Kranke
der Todesstrafe unterworfen worden ; zuweilen haben sich zweifelhafte
Fälle gleich nach dem Processe als solche von vollständigem Wahn-
sinn entpuppt.
Die Kenntniss derartiger Vorkommnisse ist theilweise ein Grund
dafür, weswegen die Geschworenen einem Todesverdict abgeneigt
sind, weswegen ein so kleiner Procentsatz der Mörder hingerichtet
wird, und wesw^egen so viele frei kommen und eine stete Gefahr für
die Sicherheit des Publikums abgeben.
Die menschliche Gesellschaft und der Staat sollen zwar für den
Schutz und die Sicherheit Aller sorgen, dürfen aber dabei keinen Fehler
machen, es sei denn in der Richtung der Barmherzigkeit und Mensch-
lichkeit.
Der ärztliche Stand darf keine Fehler gestatten, die zu umgehen
sind. Die medicinische Gesellschaft des Staates New York drückt, — i
Anbetracht der Schwierigkeit, — trotz physiologischer Kenntnisse,
immer correct zu sein und in Anbetracht der absoluten Unmöglichkei
157
eine positiv sichere Diagnose in jedem Falle von angeblichem Yer-
brechen oder verdächtiger Hirnkrankheit oder Anomalie zu stellen,
— ihre Opposition gegen die Ausübung der Todesstrafe aus und giebt
sich der Hoffnung hin, dass man Mittel finden wird, die Gesellschaft
durch weniger unsichere und weniger unmenschliche Methoden zu
schützen."
REFERATE.
Innere Medicin. — Referirt von Dr. Ad. ZEDERBAUM:.
Ueber die Wirkung der Ureterenunterbindung auf die Absonderung-
und Zusammensetzung der Galle. —Von Dr. A. Michailow. (!Sr . Pe-
tersb. Med. Wochenschr., 1892, No. 2.)
Die Eesultate seiner Untersuchungen fasst Verf. folgendermassen
zusammen : Die Gallenmenge bei Thieren (Hunden) mit unterbun-
denen Ureteren nimmt im Allgemeinen im Vergleich mit unter gleichen
Bedingungen hungernden Thieren ab. Die Menge des festen Rück-
standes und das speciflsche Gewicht der Galle sinkt, ihre Eeaction
wird neutral (bei absolutem Hungern war sie alkalisch). Taurochol-
säure verschwindet aus der Galle, u. z. in kurzer Zeit. Harnstoff,
welcher in der normalen Galle in kaum merklichen Mengen oder gar
nicht gefunden wird, tritt in der Galle von Thieren mit unterbundenen
Ureteren in beträchlicher Quantität auf. Die Pigmentmenge nimmt
bedeutend ab, ebenso die Menge des Gesammtstickstoffs und des
Stickstoffs der Extractivstoffe.
Untersuchungen über den Einfluss hydrotherapeutischer Einwirkungen
auf den Widerstand der Muskeln gegen die Ermüdung. Von Dr. A.
Maggiora und Dr. G. S. Vinaj. — (Blätter für klin. Hydrotherapie,
Januar, 1892.)
Auf Grund ihrer zahlreichen Versuche gelangen M. und V. zu folgen-
den Schlüssen : Die hydriatischen Applicationen üben einen mächti-
gen Einfluss auf das Muskelsystem aus, welcher sowohl von der
thermischen als auch von der mechanischen Action der Procedur ab-
hängt. Was den thermischen Einfluss betrifft, so erhöht die Kälte die
Leistungsfähigkeit des Muskels, die Wärme hingegen (wenn sie nicht
gleichzeitig einen mechanischen Einfluss ausübt) schwächt die Muskel-
kraft. Wenn Wärmeeinwirkungen mit mechanischen Eingriffen verbun-
den sind, so können sie auch eine deutliche Steigerung der Leistungs-
fähigkeit der Muskeln bewirken, die jedoch stets geringer ist als jene,
die nur durch die mechanische Wirkung der temperirten Douche, oder
durch kalte (resp. Wechsel warme) Temperaturen zu erzielen ist.
Typhoid Fever — its Treatment by the Use of Water by the Mouth and
Rectum. — By Dr. G. G. Roy of Atlanta, Ga. — (Virginia Med.
Monthly, 1892, No. II.)
Verf. berichtet von vier sehr schweren Typhusfällen, in welchen er
die Wasserbehandlung mit ausgezeichnetem Erfolge consequent
durchgeführt hat. Er liess seinen Patienten grosse Mengen warmen
Wassers (J bis 1 Gallone) ein bis zwei mal täglich per Klysma einver-
leiben und gab ihnen ausserdem zum Trinken so viel kaltes Wasser,
als sie überhaupt vertragen konnten. Sämmtliche Kranken befanden
sich bei dieser Behandlung sehr gut.
158
The Treatmsiit of Malarial Fever with Methylene-Blue. By Dr.
Thayer in Baltimore. — (Bull, of tlie John Hopkins Hosp., 1892,
No. 19.)
Th. berichtet über sieben mit Methylenblau behandelte Malaria-
Fälle, darunter solche, die zu den schwersten chronischen Formen
dieser Krankheit gehören, bei welchen Chinin und Arsen meist im
Stiche lassen. Die Wirkung des Methylenblau wurde stets durch
sorgfältige microscopische Untersuchung des Blutes controllirt. In
den meisten dieser Fälle konnte in der That ein successives Abnehmen
der Plasmodien mit der Menge des verbrauchten Arzneistoffes con-
statirt werden, einige Fälle konnten schon nach kurzer Zeit als geheilt
entlassen werden. Es wurden Dosen von 0,1 Methylenblau fünfmal
täglich dargereicht.
Ein Fall von Cholangitis suppurativa. — Von Dr. B. Goldenberg in
Odessa. — (Deutsche Med. Woch., 1892, No. 5).
Im Jahre 1868 beschrieb Kussmaul, auf Grund eines von ihm
beobachteten Falles, eine „neue Erkrankung", bestehend in eitriger
Entzündung und sackförmiger Erweiterung der Gallengänge der
Leber, mit zahllosen, durch Concremente Im Ductus Choledochus
hervorgerufenen, abscessähnlichen Hohlräumen. Einen ähnlichen Fall
beschreibt nun G. Die Krankheitserscheinungen äusserten sich in
continuirlichem unregelmässigem Fieber, Icterus, Schmerzen in der
Lebergegend. Leberdämpfung nach unten vergrössert, die Leber
selbst lässt sich hinter dem Rippenbogen leicht abtasten. Die Func-
tion förderte zu Tage eine schmutzige, mit Blut untermischte und
Eiterkörperchen enthaltende Flüssigkeit. Für die Diagnose eines
Leberabcesses fehlte ein aetiologisches Moment, auch erinnerte die
durch die Function erhaltene Flüssigkeit am wenigsten an den dicken,
rahmigen Eiter eines Leberabcesses. Es wurde daher ein entzündlicher
Vorgang in der Leber diagnosticirt, der sicli vermuthlich in den
Gallengängen abspielte und die Bildung von multiplen Gallenabscessen
verursachte. Die Kranke (38jährige Frau) ging an Erschöpfung zu
Grunde. Die Section bestätigte vollständig die klinische Diagnc^se.
G. nimmt an, dass P. wahrscheinlich au Gallensteinen gelitten hatte,
von denen einer im Ductus liepaticus stecken geblieben war und zur
Dilatation des ganzen Gallengangsystems und zur eitrigen Entzün-
dung desselben führte.
Krankheiten des[Circulations- und Verdauungsapparates. Referirt von
Dr. MAX. EINHORN. .... ^
Zur Frage tiber Bradycardie. Von Dr. W. Opitz, sen. (Centralbl. f. klin.
Medicin 1892, Xo. 8.)
Verfasser beschreibt zwei Fälle von ausserordentlich langsamem
Pulse, wo sich keine Ursache für diese Anomalie hat nachweisen las-
sen. Der eine Fall betrifft einen kräftigen Handarbeiter, der wegen
einer Lungenentzündung in Behandlung kam; auf der Höhe der Er-
krankung war der Puls nur 60. Mit eintretender Genesung sank die
Anzahl der Herzschläge auf 10.
Der zweite Fall betrifft eine 78-jährige, wohlgenährte, für ihre Um-
gebung den Jahren entsprechende Theilnahme zeigende Frau; dieselbe
zeigte in den Monaten Juni, Juli, August 1891 für gewöhnlich 28 — 30
Herzschläge in der Minute. Als diese Frau einen ilagendarmkatarrh
hatte, sank die Pulszahl bis auf 20. Bei dieser niedrigen Zahl blieben
die Pulswellen der Radialis voll und kräftig, nur klagte die Kranke über
Schwindel und Kopfschmerz. Die Herzdänipfung zeigte sich nicht
159
vergrössert, die Herztöne waren rein, in regelmässiger Aufeinander-
folge. Ohne dass im Allgemeinbefinden eine wesentliche Aenderung
sich einstellte, stieg die Zahl der Herzschläge im December auf 80, und
war im Jahre 1892 das Herz bei dieser Leistung verblieben.
Treatment of Oesophageal Stricture by Permanent Tubage. By Walter
F. Chappell, M. D. (N. Y. Medical Record, Febr. 20. 1892.)
Bei malignen Stricturen des Oesophagus sind Dauercanülen, wie
allgemein bekannt, von Mackenzie und später von Renvers und Ande-
ren angewandt worden. Chappell hat nun in vier Fällen von dieser
Methode Gebrauch gemacht und spricht warm für dieselbe. Ch.
empfiehlt die Dauercanülen für alle Arten von Stricturen (maligne,
narbige und spastische).
(Die Litteratur des Gegenstandes ist nicht genügend angeführt, und
das Beweismaterial des Verfassers kein ausreichendes. Referent.)
Laparatomy for Perforating Round Ulcer of the Stomach. By Robert
F. Weir, M. D. (International Medical Magazine, February 1892.)
W. giebt eine ausführliche Zusammenstellung der meisten in der
Litteratur bekannten Fälle, wo bei perforirendem Magengeschwür die
Laparatomie ausgeführt wurde. Da die Erkennung eines Geschwüres
im Magen /.uweilen, selbst bei genauer Inspection, Schwierigkeiten
bieten kann, so empfiehlt es sich, da, wo wegen Gescliwür eine Opera-
tion vorgenommen wird, den Magen weit zu öffnen und denselben
handschuhförmig umzustülpen, damit s^ie ganze Innenfläche aufs Ge-
naueste betrachtet werden könnte. Hat man das Ulcus entdeckt, so
werden dessen Ränder an einander genäht, oder aber die ganze ge-
schwürige Stelle excidirt und dann erst die Ränder mit einander ver-
einigt; der Magen wird dann mit LEMBERT'schen Nähten zugenäht und
die Bauchwunde geschlossen.
Krankheiten der Respirationsorgane.— Referirt von
Dr. J. W. GLEITSMANN.
Die galvanocaustische Behandlung der Rachendiphtherie. Von M.
Hagedorn. (Der Aerztliche Praktiker, 11. Februar 1892.)
H. gibt der Galvanocaustik den Vorzug von allen anderen Mitteln in
Behandlung der Diphtherie, weil sie
1) das stärkste Antisepticum ist, das wir besitzen,
2) weil der aspetische Brandschorf dem Eindringen der Streptokok-
ken einen Damm vorsetzt, und
3) weil sie genau localisirt werden kann und dem Kranken nicht
schadet.
Nach Chloroformirung oder Cocainisirung wird die kalt eingeführte
Electrode auf dem Geschwür zum Glühen gebracht und nun wie mit
einer glühenden Curette der Geschwürsgrund vollkommen rein ausge-
kratzt. Mit der glühenden Fläche eines Flachbrenners wird dann die
Umgebung des Geschwüres im Umkreis von ca. 1 cm bestrichen, um
auch diese zu sterilisireu. Das Fieber soll meist nach 12 Stunden
fallen, die örtliche Reaction sei gering.
Bloebaum, welcher zuerst diese Methode gegen Diphtherie empfahl,
behandelte 40, Govis 3, Hagedorn 41 Fälle, im ganzen 84 Fälle, mit 3J
proc. letalem Ausgang. Die durchschnitthche Heilungsdauer bei Bloe-
baum betrug 3, bei H. 4^ Tage.
Bei Scharlachdiphtherie rathet er von der Galvanocausik ab. Die
neuerdings durch submucoese Injectionon erzielten günstigen Resultate
finden in dem Artikel keine Erwähnung.
leo
Symmetrical Congenital Defects in the Anterior Pillars of the Fauces.
M. TOEPLITZ. (Archives of Otology, Vol. XXI, Nr. 1, 1892.)
Der siebente in der Literatur beliannte Fall dieser seltenen Affection.
Der Patient erinnert sich der beiden symmetrischen Oeffnungen in
seinem Gaumensegel von der frühesten Kindheit an. Dieselben sind
ungefähr J Zoll lang und y^g ^^11 weit, und eliptisch in Form. Von
Narbenbildung ist keine Spur vorhanden.
A Gase of Intrinsic Epithelioma of the Larynx. By M. J. Asch. (N. Y.
Medical Journal, Feb. 27th, 1892.)
Patient, selbst Arzt, suchte im Herbst 1889 Hülfe wegen Heiserkeit.
Die laryngoscopische Untersuchung war schwer wegen der hängenden
Epiglottis, doch wurde eine Schwellung des linken Taschenbandes con-
statirt. Locale Applikationen besserten die Heiserkeit und der Patient
ging in seine Heimath im Süden zurück. Im Frühjahr 1890 war sein
sudjectives Befinden dasselbe, nur hatte die Schwellung -des linken
Taschenbandes zugenommen, und schien auch das rechte etwas verdickt.
Obwohl auf den möglicherweise ernsten Charakter seines Leidens auf-
merksam gemacht, war der Patient doch guten Muthes, hoffte Besse-
rung von milderem Klima und ging wieder nach Hause. Unerwartet
im März 1891 kam er nach New York zurück, diesmal mit beträcht-
licher Dyspnoe. Der Larynx war durch eine von beiden Seiten aus-
gehende Geschwulstmasse fast völlig geschlossen, und nur ein kleiner
Spalt für die Athmung sichtbar. Im linken Unterkieferwinkel befand
sich eine kleine geschwollene Lymphdrüse. Obwohl sich gegen die
Tracheotomie sträubend, musste er wegen zunehmender Athemnoth
sich derselben dennoch bald unterwerfen, und fühlte sich durch die-
selbe beträchtlich erleichtert. Bald nachher bekam er Influenza , von
der er sich nie ganz erholte und Anfang Juli starb er in einem Anfall
von Dyspnoe.
Die mikroscopische Untersuchung ergab Epithelioma, das den
ganzen Larynx verschlossen hatte, und sich noch unterhalb der
Stimmbänder in einem Zoll langen Fortsatz fortsetzte. Nach A.
ist die Ursache der Dyspnoe dunkel, doch wahrscheinlich auf die eben
erwähnte Geschwulstmasse zurückzuführen, da ähnliche Bildungen in
den Obern Luftwegen geeignet sind, asthmatische Anfälle zu veran-
lassen.
The Results of the Shurly-Gibbes Treatment of Tuberculosis at Asheville,
N. C. By H. S. Taylor. (Therapeutic Gazette, Dec. 15th, 1891.)
T. hat im verflossenen Jahre 22 Patienten mit Injectionen von Jod
und Goldcnlorid behandelt. Er injicirt die ersten 2 Wochen die Mini-
maldose von Vi2 gr. Jod und 1/30 Oold entweder täglich mit dem Mittel
.wechselnd oder eine Woche das erstere, die andere das zweite, und
steigert allmählig die Dose, bis 2 gr. Jod und Ve bis l gr. Gold erreicht
ist. Er findet bessere Resultate von öfters wiederholten kleinen, als
grossen Dosen, und beobachtete z. B. nach 1 gr. Jod Schwellung und
Oedem der aryepiglottischen Bänder. Seine Resultate sind folgende:
Keine Besserung in 6 oder 27 perc von bereits stark vorgeschrittenen
Fällen, Besserung in 8 oder 36 perc von Fällen derselben Categorie
und ebenso 8 Fälle von beträchtlicher Besserung bei beginnender oder
auch sehr ausgesprochener Erkrankung.
Er empfiehlt diese Methode in Combination mit dem bekannten
günstigen Clima Asheville's für alle Fälle.
Treatment of incipient phthisis by the Shurley-Gibbes method. Von
W. L. Bryan. (Medical Age, Sept. 10, 1891.)
Krankengeschichte eines Falles von Lungenphthise mit Tempera-
turen bis 102°, Nachtschweissen und Dämpfung an beiden Lungen-
ir,i
spitzen. Vier Tage nach Beginn der Injectionen begann die Tempera-
tur zu fallen und war sie normal nach zehn Tagen. Der Husten hörte
fast ganz, die Schweisse völlig auf, und bemerkenswerth war das Ver-
schwinden der feuchten Kasselgeräusche, Wie viele Injectionen
gemacht wurden und wie lange der Patient in Behandlung war, ist
leider nicht angegeben.
Is Tuberculin a failure? Von Karl von Ruck. Asheville. N. C.
(Soutliern Medical Eecord, Sept. 1891.)
Dr. R. sucht die Frage auf Grund seiner ausgedehnten Erfahrung
in seiner Heilanstalt für Schwindsüchtige in Asheville zu lösen. Er
war von Beginn seiner Experimente darauf bedacht, die von Andern
beobachteten unangenehmen Nachwirkungen zu vermeiden, und gab
demzufolge im Anfang blos kleine Dosen : V20 bis '/^o milhgramm.
Referent hat bei einem läng:eru Besuche der Anstalt während seines
Aufenthaltes in Asheville im verflossenen Herbst selbst die guten
Resultate dieser vorsichtigen Behandlung beobachtet. Ruck sagt in
den Schlussbemerkuugen seines Artikels, dass er Tuberkulin für ein
speciflsches Mittel für locale Reconstructionsprocesse hält, das
Atrophie und Absorption des tuberculösen Gewebes erziele, dass ferner
jede Gabe welche Fieber und constitutionelle Symptome hervorrufe,
eine zu grosse Dose sei, und schliesslich, dass neben Tuberculin auch
noch andere Heilmittel, Clima, passende Ernährung u. s. w. angewandt
werden sollen.
Respirationsorgane. — Referirt vbn Dr. W. FREUDENTHAL.
The Ganses for Failure in the Diagnosis of the Early Stage of Pulmonary
Tuberculosis. Von Karl von Ruck, Asheville, N. C. (Gaillard's
Med. Jour.)
Das wichtigste Mittel, um eine frühzeitige Diagnose zu ermöglichen,
ist: den Patienten zu untersuchen. So bekam Verf. einen
Patienten in Behandlung, der 8 Monate lang von einem anderen Arzte
wegen Husten behandelt war, ohne dass jemals seine Brustorgane un-
tersucht worden wären. (So traurig diese Thatsache auch ist, so dür-
fen wir uns doch nicht verhehlen, dass dieselbe auch in New York
möglich ist. Ref.) Die nächste Aufgabe ist : den Patienten genau
zu untersu(;hen und zwar jeden Patienten, der durch seine Anamnese
oder sonstige Erscheinungen auch nur entfernt an die Möglichkeit,
dass er Tuberkulose habe, erinnere.
Von den Mitteln, die Verf. hierzu empfiehlt, erwähnen wir nur, dass
er das von Ziemssen'sche Plessimeter anwendet, um die Lungen-
grenzen oberhalb der Clavicula zu bestimmen. Neben anderen be-
kannten Dingen empfiehlt er auch den häufigen Gebrauch des Spiro-
meters, um die Lungen-Capacität festzustellen.
Treatment of Laryngeal Phthisis. Von Robert Levy, Denver, Colorado.
(Repr. from the Meeical and Surgical Reporter.)
Verf. giebt eine ausführliche Uebersicht über die Literatur des Ge-
genstandes während der letzten 10 Jahre. Eingehender werden be-
sprochen die Behandlung mittelst Menthols, — worüber aber keine reinen
Versuche des Verf. vorliegen— Jodoforms und Milchsäure. L. ist ein
grosser Freund des Jodoforms und bläst dasselbe in- den Larynx ein
in folgender Mischung :
R. Morph, sulfur. 0,6.
Jodoform, pulv. 2,0.
Pulv. acaciae 8,0.
Auch die Milchsäure wendet L. in ausgedehntem Maasse an. Seine
Resultate sind höchst befriedigende. Bei der Besprechung der clima-
tischen Therapie kommt Verf. zu dem Schluss, dass während hochge-
legene climatische Kurorte nicht ebenso wohlthätig bei Larynx- als bei
Lungenphthise sind, sie dennoch nicht in nennenswerther Weise schäd-
lich sind !
The Cure of Pulmonary Tuberculosis. Von Karl von Ruck, Asheville,
N. C. (The Dietetic Gazette, November, 1891.)
Aus den Worten des Verf. spricht der erfahrene Praktiker, der
einen grossen Ueberblick über das jeden Arzt interessirende Gebiet
der Lungentaberculose gewonnen hat. Es würde aen Raum dieser
Zeitschrift überschreiten, wollten wir des Näheren auf jede vom Verf.
ventilirte Frage eingehen, wie z. B. die Tuberculin-Behandlung, oder
die Frage der inneren Darreichung von Medicamenten, von welch'
letzteren Verf. sich gar nichts verspricht — hervorgehoben sei jedoch,
dass für den Verf. die ganze Frage der Therapie bei der Lungeutuber-
culose in der zweckmässigen Ernährung des Individuums gipfelt.
„Der Schlüssel zum Stillstand oder zur Heilung der Lungentubercu-
lose ist in der Ernährung zu suchen, sowohl lokaler als allge-
meiner, und jedes Heilmittel steht und fällt, je nachdem es nützlich
oder schädlich für diesen Zweck ist. Die grössere oder geringere
Brauchbarkeit desselben hängt auch von dieser Erwägung ab".
The Treatment of Tuber cular Laryngitis. Von C. P. Ambler, Asheville,
N. C. (Therapeutic Gazette, May 15th, 1891.)
Von der Kocn'schen Behandlung sah Verf. nur in den Anfangs-
stadien Erfolge. Bei vorgeschrittener Erkrankung des Larynx war
dieselbe hingegen eher schädlich zu nennen. In solchen Fällen ist die
von Krause und Hering empfohlene Methode des Curettements u. s. w.
viel mehr von Vortheil. Verf. beschreibt mehrere Fälle, in denen er
diese Methode der chirurgischen Behandlung der Larynxphthise mit
Erfolg angewandt hat.
Asheville N. C, and its Climate. Von Karl von Ruck. (The Climatolo-
gist, September, 1891.)
A. ist auf einem von hohen Bergen umgebenen Plateau in einer
Höhe von 2350' über dem Meeresspiegel gelegen. Es ist in Folge seiner
climatischen Verhältnisse sowohl für den Winter als auch für den
Sommeraufenthalt geeignet, da die Hitze im Sommer nur selten 89° F.
erreicht, und im Winter die Kälte nicht so streng ist, dass die Patienten
nicht täglich ausserhalb des Hauses sein können. Da sich Berge und
Wälder Meilen weit erstrecken und keine Sümpfe oder dergl. in der
Nähe sind, so ist die Luft — und der hohe Ozongehalt derselben be-
weist es — absolut rein. Unter den Eingeborenen selbst soll Phthise
gar nicht vorkommen.
Augenheilkunde. — Referirt von Dr. A. SCHAPRINGER.
1. Further Contributions to Keratometry. Von Swan M. Burnett in
Washington. (Ther. Journal of the American Med. Assoc, Septem-
ber 5th, 1891.
Verf. benutzt das Ophthalmometer von Javal-Schjötz seit nunmehr
sieben Jahren. In Uebereinstimmung mit anderen Beobachtern findet
er in der überwiegenden Mehrzahl von Fällen eine gewisse Constanz in
dem Unterschiede zwischen dem mittelst dieses Instruments gemesse-
nen Hornhautastigmatismus und dem durch die Gläserprobe bestimm-
ten Totalastigmatismus des Auges. Dieser Unterschied, der durch
nichts anderes erklärt werden kann als durch astigmatische Wirkung
der Krystall-Linse, beträgt gewöhnlich eine halbe Dioptrie Brechungs-
zuwachs im horizontalen Meridian gegenüber dem verticalen. Be-
kanntlich ist die Hornhaut der Regel nach im verticalen Meridian stär-
103
ker gekrümmt als im horizontalen. Beträgt nun dieser Unterschied
gerade eine halbe Dioptrie, so wird sie durch den dasselbe Mass dar-
bietenden, aber entgegengesetzt wirkenden Linsenastipmatismus auf-
gehoben und der resultireude Totalastigmatismus ist gleich Null, Ist
das Krümmungsübermass des verticalen Hornhautmeridians stärker
als eine halbe Dioptrie, so ergiebt sich der Gesammtastigmatismus,
wenn man vom Cornealastigmatismus eine halbe Dioptrie abzieht.
Sind dagegen die beiden Hauptmeridiane der Hornhaut gleich stark
gekrümmt, so ist der Linsenastigmatismus allein wirksam und der Ge-
sammtastigmatismus beträgt die als unveränderlich anzusehende
Grösse des Linsenastigmatismus, nämlich eine halbe Dioptrie stärkerer
Brechung im horizontalen Meridian, Ist endlich, was selten der Fall
ist, der horizontale Hornhautmeridian der stärker gekrümmte, dann
wirken die beiden in Betracht gezogenen Componenten in gleichem
Sinne und der Gesammtastigmatismus erscheint als ihre Summe. G.
J. Bull (Paris) räth, als gewöhnlichen Werth des Linsenastigmatismus
0,75 D in Rechnung zu bringen, was VerL für einen zu hohen Werth
betrachtet. Bedingt wird der Liusenastigmatismus wahrscheinlich
durch Schiefstellung der Linse, dergestalt, dass man dieselbe um ihre
verticale Achse gedreht denkt. Der Gebrauch des Ophthalmometers
macht die Anwendung accommodationslähmender Mittel in den mei-
sten Fällen überflüssig, aber nicht in allen, wie das von mancher Seite
behauptet wird. Sobald der Totalastigmatismus um mehr als 0,5 D
vom Cornealastigmatismus verschieden ist, hält Verf. die Anwendung
eines Mydriaticums für angezeigt.
2. Onwillekeurige Medebeweging van een ptosisch Ooglid bij andere
Spierbewegingen. (Unwillkürliche Mitbewegung eines gelähmten
Obern Augenlids bei anderen Muskelbewegungen.) Von D. J. Blok.
(Sep.-Abdruck aus Nederl. Tijdschrift voor Geneesk., Jaarg. 1891,
2de Deel.)
Verf. hat zwei Fälle dieser seltenen und räthselhaften Anomalie im
Gasthuis voor Ooglijders in Utrecht zu beobachten Gelegenheit gehabt.
Sie betrafen zwei Brüder im Alter von 17 bez. 10 Jahren, beide mit
angeborner Ptosis der linken Seite behaftet. Bei beiden hebt sich das
gelähmte obere Lid, sobald der Unterkiefer nach unten oder nach
rechts bewegt wird. Am deutlichsten tritt die Erscheinung bei nach
unten gerichtetem BUck auf. Bei stark nach oben gerichteter Blick-
linie tritt die Mitbewegung nicht mehr auf, ebenso auch nicht bei ge-
schlossenen Augen. Bei dem Jüngern der beiden Brüder tritt sie auch
beim Schlucken, insbesondere auch beim Leerschlucken, sowie auch
beim Aufblasen der geschlossenen Mundhöhle ein. Sowohl Ptosis, wie
auch die abnorme Mitbewegung sind angeboren und haben in frühester
Jugend zugenommen, beim altern der beiden Brüder bis zum zehnten
Lebensjahr, bei dem Jüngern, zur Zeit der Beobachtung zehnjährigen,
war noch kein Stillstand in der Zunahme der Ptosis und der Mitbewe-
gungserscheinungen eingetreten. Verf. führt die Erklärung an, welche
die englische Commission (mit Gowers als Vorsitzendem) aus Anlass
der ersten Mittheil ung Gunn's über dieses merkwürdige Phänomen
aufstellte, und die im Wesentlichen damit übereinstimmenden Ansich-
ten Helfkeich's und Beknhardt's. Gegenüber Helfreich, der neben
dem Trigeminus — auch den Facialiskern als Quelle ansprechen
möchte, aus welcher die abnorme Innervation des vom Oculomotorius
in ungenügender Weise versorgten Lidhebers erfolgt, glaubt Bern-
hardt, dass man mit Inanspruchnahme des Trigeminuskerns allein aus-
kommen und den Facialiskern ganz gut aus dem Spiele lassen könne,
welcher Ansicht sich auf Verf. zuneigt, (Für Zusendung der vorste-
hend ref erirten Arbeit ist Kef . Herrn Prof, Snellen in Utrecht zu Dank
verpflichtet,)
164
3. A Contribution to the Histology of Some of the Rarer Forms of
Tumor of the Choroid. Von Ward A. Holden in New York.
(Archives of Ophthalm., Vol. XXI., No. 1, 1892.)
Anatomische Untersuchung drei pathologischer Augäpfel: 1)
Metastatisclies Carcinom der Chorioidea und der' Sclera. Bei der
histoloejischen Durchmusterung eines, einer Präparatensammlung
entnommenen Bulbus stiess Verfasser zufällig auf das Bild von Car-
cinomknoten, wovon zwei, ein grösserer, aber flacher, und ein ganz
kleiner in der hintern Parthie der Chorioidea sassen, ferner ein dritter
im hintern temporalen Abschnitt der Sclera. Obwohl die zugehörige
Krankengeschichte leider nicht mehr aufzutreiben war, steht Verfasser
nicht an, diese drei Geschwülste als metastatische Neubildungen anzu-
sprechen, und wohl mit Kecht. Der Typus des Scleraltumors, des
kleinern Chorioidealknotens sowie des äusseren Antheils der grösseren
Chorioidealgeschwulst war der des Carcinoma Simplex oder scirrhosum,
derjenige des Innern Antheils der letztern Geschwulst nahezu der des
Carcinoma medulläre oder molle. 2) TeleangiectatischeH Sar^com der
Chorioidea. Linkes Auge eines 42jährigen Mannes. Die histologischen
Details sind im Original nachzusehen. 3) Angiosm^com der CjLorioidea.
22jähriger Patient (Geschlecht nicht angegeben), rechtes Auge. Aus
der Hauptmasse des Tumors entspringen zahlreiche Blutgefässe,
welche in den Glaskörperraum hineinragen und denselben fast voll-
ständig erfüllen.
4. Monocular Diplopia. Von J. H. Thompson in Kansas City, Mo.
(The Journ. of the Amer. Med. Assoc, 12. Sept. 1891.)
Patientin, 35 Jahre alt, trug in einem Eisenbahnunfall anscheinend
blos eine leichte oberflächliche Verletzung in der linken Stirn-Schlä-
fengegend davon. Erst am folgenden Tage wurde sie einer Eractur
des Steissbeins gewahr, welche Verletzung sie dann vier Monate
(! Kef,) ans Bett fesselte. Gegen das Ende dieser Zeit trat binoculäre
Diplopie auf. Aus dem Verhalten der Doppelbilder schloss Verfabser
auf Parese des äussern und untern graden Augenmuskels der linken
Seite. Schadenersatzklage gegen die Eisen bahngesellschaft. Bei
einer erneuten Untersuchung stellte sich nun die höchst merkwürdige
(und die Skepsis in höchstem Masse herausfordernde, Kef.) Erschei-
nung der beiderseitigen monoculären Diplopie heraus, welche mittler-
weile neben der noch fortbestehenden binoculären Diplopie sich ent-
wickelt hatte. „Richtete Patientin in einem verdunkelten Zimmer
ihren Blick auf eine Kerzenflamme, so sah sie vier Flammen. Wurde
ein Prisma, mit der Basis nach unten, von unten her vor das eine Auge
geschoben, so wurden in dem Momente, wo die Prismenkante in das
Pupillarbereich eintrat, aus den vier Elammenbildern sechs." Auf
den Zeugenstand gerufen, giebt Verfasser seine Ansicht dahin ab, dass
die Parese der zwei graden Muskeln des linken Auges hystero-trau-
matischer Natur, und dass die beiderseitige monoculäre Diplopie als
Folge von Autosuggestion anzusehen sei. Die brechenden Medien
beider Augen zeigten keine Abnormität, welche als Anhaltspunkt zu
einer physikalischen Erklärung des Zustandekommens von Doppel-
bildern hätte dienen können. Verfasser bespricht die bisher in der
Journallitteratur niedergelegten Fälle von monoculärer cerebraler
Diplopie, welche theils hysterischer Natur sind, theils aber auf zwei-
fellosen organischen Veränderungen des Centrainervensystems
beruhen. Zu den letzteren gehören die Fälle von John Aberckombie
(London), bei welchem die Autopsie einen Abscess im linken Occipital-
lappen nachwies, Shaw (St. Louis) mit Tumor des Kleinhirns und
TiLLEY (Chicago), bei welchem es nicht zur Autopsie kam und die auf
Cerebralabscess gestellte Wahrscheinlichkeitsdiagnose vorläufig noch
ohne Bestätigung dasteht. Eine einigermassen befriedigende Erklä-
rung der nicht-hysterischen, monoculären cerebralen Diplopie ist bis-
her noch von keiner Seite aufgestellt worden. Auffallend ist. dass
diese krankhafte Erscheinung gewöhnlich mit Abducensparalyse
vergesellschaftet vorkommt.
5. Die Anwendung von Sublimat bei Trachom. Von Emil Bock in
Laibach. (Wiener klin. Wochensch r., 1891, Nr. 37, 38, 39.)
Trotz mancher erfreulichen Ei folge konnte Verfasser nicht zu der
Anschauung gelangen, Sublimat sei ein in allen oder wenigstens fast
allen Fällen von Trachom sicher wirksames Mittel. Es sind uns wie
bisher Argentum nitricum und Cuprum sulf uricum noch immer unent-
behrlich und werden es wohl auch bleiben. „Aber gerade in Fällen,
bei denen man sich vergebens mit unseren traditio]^ eilen Mitteln plagt,
eine Besserung zu erreichen, kann man mit Sublimat Resultate
erzielen, welche so ausgezeichnet sin I, dass man seine Anwendung nur
Wärmstens empfehlen kann." Verfasser begann in seiner Versuchreihe
mit Lösungen von 1 : 5000 und stieg bis zu 1 : 1000 und 1 : 500, je nach der
beobachteten Reaction in jedem individuellen Falle. Die Wirkung des
Sublimats bei Trachom ptäcisirt Verfasser nach seinen Erfahrungen
dahin : In frischen Fällen ist Sublimat meist wirkungslos, d. h. der
Process bleibt entweder stationär, oder aber das Trachom wuchert
trotz der Behandlung weiter, ja Stellen, welche nach Anwendung von
Blaustein schon normal zu sein schienen, bedecken sich wieder mit
Körnern. Ist aber eine Complication von Seite der Cornea vorhanden,
so übt in vielen Fällen Sublimat eine sehr günstige Wirkung aus,
indem unter Schwinden der so lästigen Lichtscheu sich das subjective
Befinden der Kranken bessert und sich auch die Cornea aufhellt.
Dieser Erfolg ist desto überraschender, als er sich meist bei Fällen
einstellt, deren Intoleranz gegen Lapis und Blaustein die Geduld des
Patienten und des Arztes ai,f die härteste Probe stellte, nachdem ja in
solchen unglücklichen Fällen oft der ganze oculistische Arzneischatz
vergeblich angewendet wird. In recenten, durch keine Hornhauter-
kraukung complicirten Fällen wird aber die bisher geübte Behandlung
mit Lapislösungen und Blaustein noch immer den Vorzug verdienen.
6. The Causes of Asthenopia. Von D. B. St. John Roosa in New York.
(Transactions of the Medical Society of the State of New York,
1891.)
Nach Verf.'s Ansicht giebt es keine sogenannte musculäre Astheno»
pie. Der Gebrauch dieses Ausdrucks verräth nach ihm blos unzu-
reichende Bekanntschaft mit den wirklichen Ursachen, welche den
asthenopischen Beschwerden zu Grunde liegen, und das sind Refrac-
^ tionsanomalien — Hypermetropie und Astigmatismus, vorzüglich hy-
' permetropischer Astigmatismus. Gegen sogenannte Insufficienzen
nützen nach seiner Erfahrung weder Prismen noch Tenotomien, son-
dern nur die vollständige Correction der Brechungsfehler. Die Be-
stimmung der Correction wird ungemein erleichtert durch Anwendung
des jAVAL'schen Ophthalmomet-^rs, mittelst dessen der Astigmatismus
rasch und sicher erkannt werden kann, wodurch die für den Pat so be-
schwerliche Atropineinträufelung entbehrlich wird. Ausser den Re-
fractionsfehlern wären noch krankhafte Allgemeinzustände, wie die
Neurasthenie, als Grundlage der Asthenopie anzuerkennen, aber In-
sufficienzen von einzelnen Muskeln niemals. Die Gleichgewichtsstö-
rungen der äusseren Augenmuskeln sind nur Folgen von Refractions-
anomalien; sind also nur relativ und verschwinden nach ausreichender
Correction der Refractionsfehler sofort.
166
7. A Gase of Disseminated Sclerosis, Presenting; the Clinical Aspect of
Primary Spastic Paraplegria, with Atrophy of Both Optic Nerves.
Von C. Zimmermann in Milwankee. (xirchives of Ophthalmologv,
Vol. XX., No. 3, 1891.)
In Uebereinstimmung mit dem Ausspruche Oppenheim's, dass,
wenn das klinische Bild der primären spastischen Paraplegie mit Atro-
phie der Sehnerven vergesellschaftet ist, man auf disseniinirte Sclerose
schliessen könne, war Verf. in einem, in allen Einzelheiten genau wie-
dergegebenen Falle im Stande, aus dem Befunde im Augenhinter-
grunde, zusammengehalten mit den Erscheinungen an den übrigen
Körpertheilen, welch' letztere eben das Bild der primären spastischen
Paraplegie zusammensetzten, die Diagnose der disseminirten Sclerose
zu stellen. Die Sehschärfe war nur auf ganz kurze Zeit, und nur auf
dem einen Auge, beeinträchtigt gewesen, sie wurde wieder normal trotz
ausgesprochenem Bilde der Selinervenatrophie. Es wird dieses Ver-
halten erklärt dadurch, dass blos die Markscheiden der Nervenfasern
dem Degenerationsprocess zum Opfer fallen, die Axencylinder aber da-
bei unversehrt bleiben. Der Fall betraf einen SOjähriffpn Anstreicher,
bei welchem die ersten Krankheitszeichen bis in die Kindheit zurück
datirten, indem Verf. das seit jener Zeit bestehende Stottern und die
überstürzte Sprachweise als Initialsymptoine der in Fragte stehenden
Krankheit ansieht. Verf. bekam Patienten zum ersten Mal in dessen
26. Lebensjahre zu Gesichte, als Pat. über Abnahme des Sehvermögens
und Doppeltsehen klagte. Es bestand Parese des M. rectus internus
des rechten Auges, Herabsetzung der S 'hschärfe auf dieser Seite und
Blässe der Schläfenseite beider Sehnervenköpfe. Die Sehschärfe
wurde wieder normal und die Lähmung des Muskels ging ebenfalls
zurück, die Blässe der Papillen blieb jedoch bestehen. Als Verf. den
Pat. nach einem Zwischenraum von etwa vier Jahren wiedersah, zeigte
Letzterer ein wohlausgeprägtes Bild der primären spastischen Para-
plegie mit der charakteristischen Gangart, den erhöhten Sehnenreflexen
und sonstigen motorischen, sensiblen und psychischen Störungen. Die
temporalen zwei Drittel beider Sehnervenpapillen sind noch immer
weiss verfärbt, die Sehschärfe dabei normal, ebenso das Verhalten der
Pupillen. Der vorliegende Fall schliesst sich einem von Gnauck und
vier von Uhthoff beschriebenen Fällen an, bei welchen ebenfalls die
Augensymptome die allerersten sich kenntlich machenden Zeichen der
sich ausbildenden disseminirten Sclerose waren.
Nekrolog**.
PROF. DR. CREDE.
Der berühmte Gynaecologe und ordentlicher Professor der medicJJ
Facultät zu Leipzigj^Dr. Karl Siegmund Franz Crede, ist am
14ten März d. J. aus dem Leben geschieden. Geboren zu Berlin am
28. December 1819, studirte er Medicin in Berlin und Heidelberg und
erwarb sich den Doctorgrad im Jahre 1842. Er unternahm darauf eine
grössere wissenschaftliche Reise durch Deutschland, Oestreich, Italien,
Frankreich u. s. w. 1843 trat er als Assistentsarzt bei der unter Prof.
Busch stehenden geburtshülflichen Klinik ein und behielt diese Stel-
lung bis zum Jahre 1848. Zwei Jahre nachher habilitirte er sich als
Privatdocent für Geburtshülfe an der Berliner Univei'sität und wurde
1852 zum Director der BerUner Hebammenschule und zum dirigirenden
Arzte der Gebärabtheilung, und bald darauf auch der von ihm zuerst
begründeten gynäcologischen Abtheilung der Charite ernannt. 1856
folgte er einem Rufe als Prof. Ord. undDirector der Entbindungsanstalt
IßT
und Hebaramenschule nach Leipzig, woselbst er eine geburtshülfliche
und gynäcologische PolikliDik begründete und auch eine Abtheilung
für Frauenkrankheiten in der Gebäranstalt einrichtete. Die grosse
Fülle des Lehrmaterials in sämratlichen diesen Anstalten machte die-
selben schon in kurzer Zeit zu einem hervorragenden Anziehungspunkte
für Studirende, nicht nur aus Deutschland, sondern auch aus dem Aus-
lande. C r e d e hat sich als academischer Lehrer, als Arzt und als
Schriftsteller grosse Verdienste um die von ihm vertretenen Disciplinen
erworben. Sein Hauptwerk aus der Berliner Zeit bildet das zweibän-
dige Buch, welches unter dem Titel „ Klinische Vorträge über Geburts-
hülfe" im Jahre 1853 erschienen ist. Dem schliesst sich ausser
mehreren academischen Gelegenheits Schriften, eine Reihe von Abhand-
lungen an, über einzelne Gegenstände seiner Wissenschaft, welche in
den „Verhandlungen der Gesellschaft für Geburtshülfe in Berlin", in
der „ Neuen Zeitschrift für Gel)urtskunde", im „ Archiv für Gynäcolo-
gie'' und in noch anderen Fachzeitschriften veröffentlicht worden sind.
Von 1853 bis 1869 redigirte er die von ihm mit B u s e h, von S i e b o 1 d,
H e c k e r, von R i t g e n und Martin herausgegebene „ Monatsschrift
für Geburtskunde von 1870 ab, in Verbindung mit Spiegelberg,
das „ Archiv für Gynaecologie Das im Königreich Sachsen amtlich
eingeführte, von G r e nte r verfasste „Lehrbuch dör Hebammenkunst"
wurde von C r e d e und W i n c k e 1 neu bearbeitet (3. Auflage, 1882).
Im April 1887 legte er, durch ernstliche Leiden veranlasst, die Leitung
der Klinik und das Lehramt nieder und beschränkte sich von nun an
auf die Redaktion des „ Archivs " und auf den Vorsitz in der Prüfungs-
commission für Aerzte.
PROF. DR. D. HAYES AGNEW.
Dr. Ag n e w, der berühmte amerikanische Chirurg, starb in Phila-
delphia am 22ten März d. J., im Alter von 74 Jahren. Als Sohn eines
s. Z. ebenfalls sehr bekannten Arztes, studirte A. Medicin an der
„ University of Pennsylvania " zu Philadelphia, der er auch später
seine pädagogische und wissenschaftliche Thätigkeit während eines
Zeitraumes von 35 Jahren widmete. Er bildete sich Anfangs zum
Anatomen aus und hat sich als Docent der Anatomie durch eine Reihe
gedankenreicher „Introductory Lectures", sowie durch mehrere weit
verbreitete Werke anatomischen Inhalts einen schrifistellerischen
Namen erworben. Seit 1863 beschäftigte er sich voi wiegend mit Chi-
rurgie. Im Jahre 1870 wurde er zum ordentlichen Professor der
Operativen Chirurgie an der Universität zu Philadelphia ernannt,
welche Stellung er bis an sein Lebensende behielt. Er erwarb sich
einen grossen Ruf als Forscher, Chirurg und Lehrer und hinterlässt
einen Namen, dessen seine Landesbrüder stets in Ehren gedenken
werden. A. war es auch beschieden, den durch Mörderkugel verun-
glückten Präsidenten G a rf i e 1 d zu behandeln und an ihm, behufs Ex-
traction des Geschosses, eine Operation zu vollziehen, die jedoch, wie
bekannt, das erwähnte Ziel nicht erreicht hatte.
Allerlei.
Dem Prof. Hertz in Bonn wurde für seine Studien über die Ueber-
tragang der elektrischen Kraft von der Turiner Akademie der Wissen-
schaften der Bressia-Preisim Betrage von 12,000 Francs verliehen.
Herr Dr. H. Tyndale ersucht uns nachträglich zu bemerken, dass er
für die Demonstration der zu seinem Vortrage ,, Ein Playdoyer für
Koch's Lymphe" gehörigen Tuberkelbacillenpräparate der vorge-
stellten Patienten Herrn Dß. Louis Fischer zu grossem Danke ver-
pflichtet ist.
1G8
Prof. F. Lbffler in Greifswald glaubt ein Mittel entdeckt zu haben
zur Beseitigung der verheerenden Feldmausplage. Die Abhilfe
soll dadurch erreicht werden, dass die schädlichen Nagethiere mit
dem Typhusbacillus inficirt werden. Die bisherigen Versuche
Löffler's mit der Züchtung der Bacillen in dem Dünger, welcher dem
Boden zugeführt wird, haben geradezu überraschende Resultate er-
geben.
Nach einer Reihe von Versuchen, den widerlichen Geschmack des
Ricinusoels zu verdecken, ist es Dr. Standke in Bremen gelungen, ein
Präparat herzustellen, welches allen Anforderungen genügen dürfte.
Dasselbe wird im Laboratorium von Töllnee und Bergmann in Bremen
folgeiiderweise zubereitet ; Feinstes Eicinusöl wird weiderholt mit
weichem Wasser behandelt, dann mit soviel Saccharin versüsst, dass
es wie ein dünner Syrup schmeckt. Minimale Mengen Aldehyd des
Ceylonzimmtöls und' ein wenig Vanillearoma verdecken die letzten
Spuren des ursprünglich kratzenden Geschmacks. „Ol. Ricini aroma-
ticu Ii''"' wird, wie Dr. St. versichern kann, von den Patienten ohne Be-
anstandung und ohne jenen gegen Eicinusöl fast allgemein bestehenden
Widerwillen eingenommen.
(D. Med. Woch., 1892, No. 4.)
Der Akademie der Medizin in Paris ist von Dr. Eoger eine Jähr-
liche Rente von 500 Francs gewidmet worden, aus der alle fünf Jahre
ein Preis von 2500 Francs für das beste Werk über die Behandlung von
Kinderkrankheiten geschaffen werden soll.
Personalien.
verzogen:
Dr. Fred J. Leviseur nach „Hoffman Arms", 640 Madison Ave.
Dr. A. Schapringer, von 130 E. 59th nach 131 E. 59th Str.
Dr. Max Einhorn wird seine OfBce im Mai nach 107 E. 65. verlegen
Dr. W. G. Mangold, No. 70 Siebente Strasse.
Dr. A. Seibert ist zum Visiting Physician im New York Infant
Asylum ernannt worden.
Dr. Max Einhorn,
Stellvertretender Redacteur,
120 E. 64. St.
An die Leser.
Geschäftliche Zuschriften, Geldsendungen, Bestellungen u. s. w., sind
zu richten an : „ Medical Monthly Publishing Co.," 17-27 Vandewater
Street, New York.
Manuscripte, Wechselblätter und Anfragen bezüglich des Inhaltes
sind an den Herausgeber zu richten.
Hei r Karl Kcüder, unser einziger Vertreter, ist eben im Interesse
unseres Blattes im Osten thätig.
Stellegesucli eines deutselien Arztes.
Ein in Deutschland graduirter Arzt sucht im Süden oder im mildern
Klima einen guten Platz.
Briefe adressire man an die „ N. T. M. Mo AiiUBi^in."
New Yorker
Medicinische Monatsschrift.
Organ für praktische Aerzte in Amerika
unter Mitwirkung von
Dr. A. F, Buechler, Dr. Geo. Degner, Dr. Max Einhorn, Dr. Jos. W. Gleitsmann,
Dr. Geo. W. Jacoby, Dr. F. Krug, Dr. S. J. Meitzer, Dr. Willy Meyer,
Dr. C. A. von Kamdohr, Dr. A. Schapringer, Dr. A. Seibert
herau.«gegeben von
Dr. F. C. HEPPENHEIMER.
Verlag der Medical Monthly Publishing Company, 17-27 Vandewater Street, ¥•
Bd. IV. N< w York, 15. Mai 18 )2. No, 5
ORIGINALARBEITEN.
I.
Ueber Kreosot-Tergiftung.
Yon
Dr. ^W.lFREUDENTHAL, ')
New York.
Die innere Darreichung von Kreosot hat seit der ersten Veröffent-
lichung Sommekbrodt's^), die sich auf 5000 Fälle stützte, einen sogrossen
Aufschwung genommen, und die Dosen, die Sommerbrodt selber An-
fangs gab, sind so bedeutend vermehrt worden, dass es fast merk-
würdig erscheinen könnte, dass bis jetzt noch nicht über einen Fall von
Kreosot-Vergiftung berichtet worden ist. Ja, es war uns unmöglich,
eine durch innere Darreichung von Kreosot erfolgte Intoxication in
der Literatur überhaupt aufzufinden.
Doch bevor ich über den einen Fall von Kreosot- Vergiftung be-
richte, den ich zu beobachten Gelegenheit hatte, möchte ich gleich hier
konstatiren, dass die Zeiten, in denen man 1 — 3 oder 5 Tropfen Kreosot
gab, und damit den armen Patienten zu helfen glaubte, vorüber sind.
Jetzt giebt es wohl nur wenig Aerzte mehr, die eine solche Dosis nicht
zu erhöhen wagen, die Majorität der Collegen weiss jedoch, dass wenn
Kreosot überhaupt etwas helfen soll, es in viel grösseren Dosen gege-
ben werden muss, als früher.
Der Erste nun, der Kreosot in grösserem Maassstabe anwandte,
war BoucHARD^). Seine Recept-Formel wurde von SoMMErBRODx An-
') Nach einem am 7. März, 1892 vor der Deutsch. Medicin. Gesellschaft von
New-York gehaltenen Vortrage.
^) Berl. Klinische Wochenschrift, pag. 258, 1887 und Ibidem 1891.
3) Bull. gen. de ther., 1877.
ITO
fangs angewandt, jedoch später aufgegeben. S. gab anstatt dessen
Kapseln von 0,05 Kreosot mit 0,2 Tolubalsam. Und so gross war anch
damals noch die Furcht vor grossen Kreosot- Gaben, dass er am Ende
seiner ersten Veröffentlichung emphatisch bemerkte, dass er es schon
bis auf 0,5 Grammes Kreosot pro die gebracht hätte 1
Eine grosse Anzahl von diesbezüglichen Artikeln folgte nun dieser
ersten Veröffentlichung Sommerbrodt's, und die meisten Autoren hoben
den grossen Werth dieses Mittels rühmend hervor. Unter diesen
möchte ich an erster Stelle FRäNTZEL nennen, der jedoch von grossen
Dosen abräth, ferner Peter K\atzer, v. Braun, Sqdziak aus Warschau
(Gaz. Jekarska, 1888), Kossow-Geronay, S. Engel, E. Holm, Schetelig
und besonders Driver aus Keiboldsgrün. J. Rosenthal empfiehlt das
Kreosot in kohlensäurehaltigem Wasser. Strümpell ist einer von den
sehr wenigen, die keine guten Resultate erzielten. Hopmann hingegen,
der dasselbe in einigen tausend Fällen versuchte, empfiehlt es sehr
warm. Er befürwortet grosse Gaben Kreosot und giebt es in der be-
kannten Form von 1 Kr. : 2 Tinct. gentianae. Dies ist die Formel, die
ich und wahrscheinlich auch noch viele andere Aerzte benutzte und
zwar benutzte ich sie bis zum Ende des vorigen Jahres. Ich gab diese
Mixtur in Wein, Whiskey, Brandy, Milch oder Wasser, hin und wieder
auch in Ol. jecoris aselli. Ich fing in der Regel mit 2 Tropfen 3 Mal
täglich an, und vermehrte dieselben jeden Tag oder jeden zweiten Tag
um einen Tropfen. Und zwar vermehrte ich die Tropfen so lange, als
es der Patient nur vertragen konnte, d. h. also so lange keine gastri-
schen Erscheinungen auftraten. Und ich bin zu der Ueberzeugung
Sommerbrodt's gelangt: Je mehr Kreosot der Patient ertragen kann,
desto besser ist es für ihn. So habe ich 30, 50, 80, ja auch 100 Tropfen
der HoPMANN'schen Lösung 3 Mal täglich gegeben, und die Patienten
ertrugen es, allerdings mit so manchen Ausnahmen, ganz ausgezeich-
net. Bis zu welchen ungeheuren Dosen es einige Patienten bringen
können, und wie doch andererseits durch plötzliche starke Steigerung
der Dosis eine Intoxication entstehen kann, mag der folgende Fall
lehren.
Derselbe ist kurz folgender :
Frau H. H., 30 Jahre alt, aus Ungarn gebürtig, wurde von ihrem
Hausarzte wegen Beschwerden im Halse zu mir geschickt. Ich sah
sie zum ersten Male am 24. Februar 1891. Sie ist srtt 10 Jahren ver-
heirathet und hat 9 Kinder geboren, von denen 4 noch am Leben sind.
Ihr Vater starb in seinem TOsten Lebensjahre an „Herzschwäche".
Ihre Mutter lebt noch. Sie selbst war stets gesund gewesen. Doch
hätte sie sich vor einem Jahre stark erkältet und huste seit 6 Monaten.
Seit dieser Zeit habe sie auch Schmerzen auf der Brust. Seit 3—4
Wochen fühle sie ein Kratzen im Halse, und seit einer Woche habe
sie besonders beim Schlucken starke Schmerzen. Wenn sie sich zu
Bett legt, „kocht es in ihrem Halse, wie Oel ".
Die Patientin hatte sich eine acute Pharyngo-laryngitis zugezogen,
die unter einer leichten Behandlung nach kurzer Zeit verschwand,
171
worauf ich den folgenden Status praesens aufnehmen konnte : Die
Schleimhäute des Pharynx und Larynx äusserst anaemisch, oberfläch-
liche Ulcerationen an der Uvula, und tiefere zahlreiche an der Epiglot-
tis und an den Stimmbändern. Die hintere Larynxwand stark infil-
trirt. Auf der Brust war vorne Dämpfung auf beiden Seiten bis zur
zweiten Rippe, L. H. O. Dämpfung, bronchiales Athmen, und zahlreiche
gross- und kleinblasige Rasselgeräusche über der ganzen Brust.
Patientin hatte wiederholt Haemoptoe gehabt, der Puls war rapide
und äusserst schwach, sie hustete fast beständig, hatte keinen Schlaf,
keinen Appetit, und ihr Kräftezustand war so gesunlcen, dass ich mit
dem Hausarzte übereinstimmen musste, der die Prognosis als eine
pessima hingestellt hatte. Und in Wirklichkeit machte Patientin den
Eindruck, als ob sie beinahe schon moribund wäre. Dies war gerade
zur Zeit, als die Kocn'sche Tuberculin-Behandlung unter ihrem Zenith
stand, und ich machte daher den Vorschlag, es doch noch mit den
KocH'schen Injectionen zu versuchen. Da zu dieser Zeit aber alle
hiesigen Hospitäler bis zum letzten Platze mit Phthisikern überfüllt
waren, so musste von dieser Behandlung Abstand genommen werden
und ich gab ihr faut de mieux Kreosot, indem ich mich absolut keinen
Illusionen in Bezug auf die Wirksamkeit desselben in diesem Falle
hingab. Sie bekam es nach der HoPMANN'schen Vorschrift, und ich
sagte ihr zugleich, dass je mehr Tropfen sie davon vertragen könnte,
desto eher könnte sie auf eine Besserung ihres Zustandes rechnen.
Als sie mich darauf fragte, ob diese Tropfen ihr überhaupt etwas hel-
fen würden, sagte ich ihr, es wäre allerdings meine innerste Ueber-
zeugung, dass wenn irgend eines von den uns bekannten Mitteln helfen
könnte, so wären es diese Tropfen. So kam es, dass sie bald ohne mich
zu fragen, die Anzahl der Tropfen aus freien Stücken vermehrte. Sie
nahm gemäss meinen Aufzeichnungen am
15. April 1891 bereits 60 Tropfen der Lösung 3mal täglich, also
im Ganzen GO Tropfen Kreosot pro die, welche sie sehr leicht vertragen
konnte. Sie fühlte sich schon etwas wohler. „Es kocht noch sehr
stark im Halse", aber nicht so wie früher. Ihr Husten ist auch etwas
besser, so dass sie schon verhältnissmässig gut schläft, indem sie nur
2—3 Mal Nachts aus dem Schlafe erwacht.
Ich möchte noch hier bemerken, dass unter anderen Verordnungen,
die ich der Patientin gab, auch die bestand, sich möglichst viel im
Freien zu bewegen, d. h. natürlich mit den nöthigen Vorsichtsmass-
regeln.
2 2. April 1891. „Es kocht noch immer im Halse", doch fühlte
sie sich verhältnissmässig gut. Sie nimmt jetzt 70 Tropfen der Lösung
t. i. d. Die Ulcera an der Uvula sind geheilt, ebenso die an der Epig-
lottis jedoch sind neue Ulcerationen an der letzteren entstanden.
5. J u 1 i 18 91. Patientin hatte schon 100 Tropfen 3 Mal täglich
genommen, als eines ihrer Kinder krank wurde, was sie veranlasste,
beständig im Zimmer zu bleiben. Und so gross war der Einfluss,
den die Zimmerluft auf sie ausübte, dass wenn sie zu dieser Zeit auch
172
nur 10 Tropfen nahm, sie sich doch schwindelig fühlte, und gerade so^
als ob sie betrunken wäre. Sie war daher gezwungen worden, die
Tropfen ganz aufzugeben, so lange sie im Hause bleiben musste.
12. August 1891. Patientin war nach Long Branch gegangen,
und „da sie dort im Stande war den ganzen Tag im Freien zuzu-
bringen", so nahm sie mit Leichtigkeit 100 Tropfen 3 Mal täglich. Im
Halse hat sie fast keine Schmerzen mehr.
6. Decemberl891. E. V. keine Dämpfung mehr. K. H. in der
Höhe der Spina scapulae Kasselgeräusche. L. V. und H. Kasselge-
räusche in den oberen Parthieen. Patientin hatte sich während des
Sommers sehr gut erhoit. Sie sieht jetzt besser aus und fühlt sich
wohler, als je zuvor. Sie nimmt 200 Tropfen aber nur 2 Mal täg-
lich, da sie nicht Zeit hat, so oft auszugehen.
Von jetzt ab nahm sie die Tropfen überhaupt immer nur 2 Mal
täglich, indem sie dieselben stetig vermehrte, so dass sie im Januar
dieses Jahres bereits 3 00 Tropfen 2 Mal täglich nahm, also 200
Tropfen Kreosot pro die.
Am 2 6. Januar 1892 nahm sie die Tropfen, die ich abgezählt
hatte, in meinem Sprechzimmer, und verliess dasselbe, um sofort ihren
Spaziergang anzutreten. Auch diese Dosis (von 300 Tropfen) vertrug
sie mit derselben Leichtigkeit, wie früher.
Am 2 9. Januar 1892 um 11 Uhr Vormittags nahm sie wiederum
ihre gewöhnlichen 300 Tropfen, und giog dann spazieren. Da sie sich
aber nicht wohl fühlte, kam sie bald zurück und trank ein Glas Wein^
Doch auch dieses half nichts, und da kam ihr der Gedanke, dass die
Tropfen ihr doch immer so gut gethan hätten, und dass sie doch eigent-
lich noch schneller gesund werden könnte. Sie nahm also sofort noch
eine Dosis von 300 Tropfen. Die Ereignisse, die sich jetzt abspielten,
waren höchst stürmischer Natur. Sie hatte kaum Kraft ^enug, um sich
nach dem Bette zu schleppen, wo sie bewusstlos hinfiel, und volle 8 — 9
Stunden bewusstlos dalag. Als ich sie Abends etwa 8 Stunden nach
diesem Vorfall sah, machte sie auf mich den Eindruck einer unter Nar-
kose befindlichen Person. Ihre Augen waren geschlossen und sie blies
bei der Exspiration fortwährend ihre Backen auf, gerade wie Leute in
tiefer Narkose es oft thun. Die Zähne waren fest aneinander gelegt,
so dass man die Kiefer gar nicht von einander bewegen konnte (inten-
siver ^Trismus). Puls 128, Kespiration etwa 30. Die Lippen waren
cyanotisch, die Pupillen contrahirt und reagirten nicht. Die Sensibilität
war erloschen, und es war eine Lähmung aller Keflexbewegungen ein-
getreten. Schon von weitem hörte man laute, grossblasige Rasselge-
räusche auf der Brust. Patientin Hess den Harn ins Bett gehen, aber
das Bettzeug ^wurde dadurch nicht gefärbt. Der Urin war hell ge-
wesen.
Nachdem ich die Patientin eine Weile beobachtet hatte, bekam ich
bald den Eindruck, dass die Attaque sich ihrem Ende nähere. Als ich
ihr dann Salmiak unter die Nase hielt, wandte sie ein klein wenig ihren
Kopf ab. Nachdem sie ein heisses Fussbad aus Senf und Eis-Umschläge
173
auf den Kopf bekommen hatte, erwachte sie bald, ohne irgend welche
Beschwerden zu fühlen. Auch im späteren Verlaufe der Krankheit
traten keinerlei Nachwirkungen der Intoxication ein. Es war leider
infolge eines Missverständnisses, dass ich weder den Harn von dieser
Nacht, noch auch den vom nächsten Tage erhielt. Der erste Urin, den ich
bekam, war vom zweiten Tage nach diesem Anfall. Doch darüber später.
Wenn wir die Krankengeschichte unserer Patientin überblicken, so
sind es 2 Punkte, die uns von Interesse zu sein scheinen : 1. Die
enorme Menge Kreosot, die Patientin zu nehmen vermochte, und 2.
Die Intoxications-Erscheinungen, gleich nachdem sie die an und für
sich schon grosse Dose plötzlich verdoppelte.
Wie man mir sagte, war das Kreosot in früheren Zeiten viel theurer,
als jetzt, und dies ist vielleicht ein Grund, weshalb es so häufig verun-
reinigt in den Handel kam. Unreine Carbolsäure ist diejenige Sub-
stanz, die am häufigsten an Stelle des Kreosots substituirt wurde, und
daher waren auch die Vergiftungserscheinungen gewöhnlich die der
Carbolsäure. Nachdem Kreosot wohlfeiler geworden war, lohnte sich
die Verimreinigung nicht mehr, und wir konnten ohne Gefahr zu
grösseren Dosen schreiten, natürlich immer vorausgesetzt, dass wir
das reine Buchenholz-Kreosot bekamen.
Die Wirksamkeit des Kreosots erinnert bei manchen Patienten sehr
an die des Alcohol. Es ist eine Substanz, an die sich der Organismus
langsam gewöhnen kann, ebenso wie man sich an grosse Dosen Alco-
hol, an Arsenik und Morphium gewöhnt, und die Accumulation dessel-
ben im Körper war, soviel mir wenigstens bekannt ist, nie von schlech-
ten Folgen begleitet. Als ich anfing, grössere Dosen zu verschreiben,
fürchtete ich, dass doch vielleicht die Nieren angegriffen werden könn-
ten. Aber wiederholte Untersuchungen bei Frau H, bewiesen, dass
davon absolut nicht die Rede sein konnte. Auch bei anderen Patien-
ten untersuchte ich den Harn öfters, aber stets mit einem negativen
Resultat. So geht denn meine Erfahrung mit Kreosot, welches ich
seit dem Jahre 1887 an mehreren hundert Patienten erprobte, von denen
alle mit einer oder der anderen Form von LarynxphthUe behaftet waren,
dahin, dass alle Patienten, die das Kreosot vertragen konnten, davon
günstig beeinflusst wurden, und je mehr sie davon nahmen, desto
wohler fühlten sie sich dabei.
Und nun müssen wir uns doch wohl die Frage vorw^erfen : Wie viel
Kreosot nahm denn eigentlich die Patientin dem Gewichtt nach ? Um
dies zu eruiren, liess ich mir von der Patientin ihren Tropfenzähler
geben und von Herrn Thomas Latham, aus dessen Apotheke die
Medicin geholt war, die Messung vornehmen. Zu meinem grössten
Erstaunen fand er Folgendes :
15 Minims = 45 Tropfen von dem Tropfenzähler (Pipette) der Patientin
1 " = ^ Min. Kreosot.
Specif. Gewicht von Kreosot etwa = 1,08
300 Tropfen von der Pipette der Pat. = 7,34: Grammes
Kreosot = l der Lösung = 2,40 Grammes.
174
Patientin hatte also in den letzten 2 Monaten 2,4 pro dosi, oder was
wahrscheinlicher ist 5 Grammes reines Kreosot pro die genommen.
Diese Zahlen überraschten mich als ausserordentlich klein, wie gross
sie auch immer erscheinen mögen im Vergleich zu unserer früheren
Praxis. Ich bat daher Herrn L. um ein anderes Tropfglas, und gar
bald fanden wir eins, bei dem dieselbe Anzahl von Tropfen genau die
doppelte Quantität Kreosot ergab. Mit dieser letzteren Pipette würde
also Patientin 9 — 10 Grammes Kreosot täglich genommen haben.
So allgemein bekannt diese Thatsachen auch sein mögen, so oft
vergisst man sie doch wieder, und ich hielt es darum für angebracht,
auf die Unzulänglichkeft dieser Ordinations-Methode abermals hin-
gewiesen zu haben. Seitdem mir dieses wiederum klar geworden ist,
hörte ich auch auf Kreosot in Tropfen zu verschreiben. Und ich
glaube, wir Alle sollten desgleichen thun, wenn wir Gewissheit in Bezug
auf die Quantität Kreosot, die wir den Patienten geben, haben wollen,
und wenn wir ferner Einmüthigkeit in unseren Versuchen und Gleich-
mässigkeit in unseren Eesultaten erzielen wollen.
Nachdem ich die verschiedensten Combinationen versucht hatte,
wie z. B. in Emulsion oder in Pillenform u. s. w., bin ich zu dem Eesul-
tate gelangt, dass es am Besten wäre, das Kreosot in Pillenform mit
Pulvis et succus liquiritiae zu verschreiben und diese etwas länglich
hergestellten Pillen noch in Kapseln thun zu lassen. Diese doppelte
Verpackung geschieht deswegen, damit das Kreosot sich nicht ver-
flüchtige, wie es schon beobachtet worden ist, wenn man es allein in
Pillen oder allein in Kapseln gab. Dass wir in dieser Form auch dem
Gescbmacke Kechnung tragen, und ausserdem ein viel genaueres
Maass haben, als mit der Pipette, sind Vorzüge, die ich nicht erst
hervorzuheben brauche. L. Weber giebt es in ähnlicher Form, die
ich aber nicht erprobt habe. Uebrigens muss ich constatiren, dass
diese Form einer ganz alten Verordnung entstammt, deren Autor mir
aber unbekannt ist.
Wenn wir nach dieser Vorschrift verschreiben und allmählich die
Dosis steigern, wird eine Intoxication wohl selten eintreten, und wir
können die Portion so lange steigern, so lange der Magen des Patien-
ten dagegen nicht revoltirt. Wie unbegründet aber die Furcht vorder
Kreosot-Vergiftung ist, beweisen die sehr wenigen und noch dazu
zweifelhaften Fälle, die in der Literatur berichtet sind. Denn mit Aus-
nahme zweier Fälle von Taylor und Manouvriz, in denen Kreosot nicht
als Medikament vom Arzte verschrieben war, konnte ich überhaupt
keinen klinischen Bericht über Kreosot-Vergiftung austindig machen.
Taylori) berichtet in seinem Handbuche den folgenden Fall : „Das
Oleum tartari (oil of tartar) ist ein starkes pflanzliches Gift. Im Jahre
1832 verursachten etwa 10 Drachmen desselben den Tod eines Herrn,
dem es irrthümlicher Weise anstatt einer schwarzen Mixtur geschickt
worden war. Der Apotheker, der es gesandt hat, wurde wegen Mordes
1) A. S. Tayloe : On Poisons, etc., Philadelphia, 1875. Pag. 212.
175
verklagt, jedoch freigesprochen. Die giftigen Eigenschaften des Oels
rühren von Kreosot, Carbolsäure und anderen Beimengungen her ".
Ich glaube, dass in diesem Bericht entweder ein Druckfehler oder ein
Irrthum seitens Taylor's vorliegt. Denn das oil of tartar ist eine starke
Lösung von Kai. earbon. und sal tartar. Die Lösung ist vollständig
farblos und nicht schwarz. Dahingegen dürfte aber das oil of tar
die hier erwähnten Eigenschaften haben. Wie dem auch sein mag, der
Fall ist mindestens unklar.
Auch der andere Fall von Anatole Manoüvriezi) nicht im
Stande viel Licht auf diese Frage zu werfen. Der Fall betraf ein elf-
tägiges Ziehkind, das Kreosot in seinen Mund bekommen hatte.
Einige Minuten später fand man es beinahe erstickt, stark nach
Kreosot riechend, blase und den Mund halb geöffnet. Es krümmte
sich und machte starke Anstrengungen zu athmen und zu husten. Yon
Zeit zu Zeit stiess es einen heiseren Schrei aus. Flüssigkeiten konnte
das Kind nicht schlucken, da dieselben wieder durch die Nase heraus-
kamen. Es starb nach elf Stunden, während welcher Zeit es nur ein
Mal im Stande gewesen war, zu schlucken.
Aus diesen beiden Fällen können wir natürlich keine sicheren
Schlüsse ziehen, da wir nicht wissen, wie viel Kreosot jedes Mal
gegeben wurde. Auffallend ist es, dass in dem MANOuvKiEz'schen
Falle das Kind den Mund halb geöffnet hielt, während meine Patientin
die Zähne fest auf einander geschlossen hielt. Doch kann man sich
aus den Verbrennungen, die sich bei der Section des Kindes im
Pharynx und Larynx vorfanden, die Athemnoth — und infolge dessen
das Offenhalten des Mundes — ebenso wie die Unmöglichkeit zu
schlucken wohl erklären, was ja bei meiner Patientin nicht zutraf.
Dass sich ferner das Kind fortwährend krümmte, ist ein Zeichen
starker kolikartiger Schmerzen, die bei meiner Patientin auch niemals
auftraten. Nur zur Zeit der Menstruation bekam sie in den letzten
Monaten der Behandlung leichte Schmerzen im unteren Theil des
Abdomens, so dass sie auf meinen Rath hin die Tropfen während dieser
Zeit ganz weg Hess. Ja als sie sogar s. Z. die 600 Tropfen auf ein Mal
genommen hatte, fühlte sie auch keine Schmerzen. Ich war daher
einigermassen erstaunt in Brünton's Pharmakology (pag. 69) die
folgende Bemerkung zu finden : „Grosse Dosen (d. i. von Kreosot)
innerlich genommen, verursachen Schwindel, Erbrechen, kolikartige
Schmerzen und Diarrhoe." Diese Bemerkungen scheinen in mehr als
einem Punkt unzutreffend zu sein. Denn wenn grosse Dosen, wie
Brünton behauptet, Erbrechen erzeugen, so würde doch der grösste
Theil oder alles Kreosot durch den Brechakt aus dem Magen entfernt
werden, und es ist nicht leicht zu verstehen, wie der Patient da noch
Diarrhoe und Kolik bekommen soll. Doch möchte ich hierbei
erwähnen, dass sich diese Idee vom Erbrechen nach grossen Dosen
Kreosot wie ein rother Faden durch die meisten Lehrbücher zieht.
1) Ann. d'Hyg., pag. 175, 1882,
176
(Vergl. unter Anderen auch das Lehrbuch 'der Toxikologie von L.
Lewin.)
Auch Diarrhoe hatte meine Patientin nicht. Ein weiterer Punkt
von der grössten Wichtigkeit ist der Urin, Als ich anfing grosse
Dosen Kreosot zu geben, war ich einigermassen besorgt, dass die
Patientin Nephritis bekommen könnte. Doch, wie ich oben schon
bemerkte, klagte sie weder über Schmerzen in der Nieren-Gegend,
noch war etwas Besonderes im Urin, den ich zuletzt alle vier Wochen
untersuchte, zu entdecken. Auch L. Weber hat bei seinen allerdings
kleineren Dosen nie Nephritis gesehen. Dagegen behandelte Dr.
MANGES,wie er mir vor Kurzem mittheilte, einen 25jährigen Mann, dem
er anfangs zehn Tropfen der HoPMANN'schen Lösung gab. Er ver-
mehrte dieselben jeden zweiten Tag um zwei Tropfen. Als Patient 150
Tropfen nahm — also 50 Tropfen Kreosot — bekam er Schmerzen in
der Nierengegend und hatte eine ausgesprochene Nephritis (albumen
und Cylinder, kein Blut), wie Dr. Manges nachzuweisen im Stande war.
Diese Nephritis verschwand drei Tage, nachdem das Mittel ausgesetzt
worden war. Der Harn war nicht dunkel gewesen. Dies ist der
einzige Fall von Nephritis, der mir nach dem Gebrauch von Kreosot
bekannt ist.
Wie ich ebenfalls schon oben erwähnte, wurde mir aus Versehen
der Urin, der gleich nach der Intoxication gelassen wurde, nicht zuge-
sandt. Aber eine Thatsache konnte ich mit aller Bestimmtheit consta-
tiren, dass der Urin niemals schwarz war, noch auch jemals dunkler
als der gewöhnliche. Auch in dieser Beziehung ist also keine Aehn-
lichkeit mit Carbolsäure zu entdecken. Selbst bis zum heutigen Tage
war der Urin stets hell, doch soll er, worüber allerdings Patientin und
ihr Ehemann uneinig sind, am Tage nach der Intoxication stark nach
Kreosot gerochen haben. Dasselbe soll auch am 13. Februar d. J. der
Fall gewesen sein, an welchem Tage Patientin, die immer noch an
heroische Dosen glaubt, drei Theelöffel der Mixtur genommen haben will
Den Harn, den ich am zweiten Tage nach der stattgehabten Intoxi-
cation erhielt, sandte ich an meinen Freund Dr. H. Schweitzer, der ihn
untersuchte und mir mittheilte, dass der betr. Harn weder Kreosot
noch dessen Transformationsproducte enthielte.
Und nun, meine Herren, gestatten Sie mir noch einige Bemerkungen
zur Therapie der Kreosot- Vergiftung. Als ich meine Patientin zur
Zeit als sie sich vergiftet hatte, sah, glaubte ich, dass zunächst nichts
gebotener erschiene, als die äusserliche Application von starken
Excitantien, der Erfolg dieser Methode war ja auch bald deutlich zu
sehen, da Patientin sehr kurze Zeit darauf erwachte. Ob dies blos
zufällig war oder nicht, wage ich nicht zu entscheiden. Sollten Ihnen
jedoch, meine Herren, Fälle vorkommen, wo diese einfachen Mittel
nicht zum Ziele führen, so möchte ich Sie darauf aufmerksam machen,
dass Harei) aus Philadelphia an Thieren experimentirt hat, die mit
1) University Med. Magazine, April 1889.
177
Kreosot vergiftet worden waren. Er fand, dass als Antidot ebenso
wie bei Carbolsäure so auch bei Kreosot die lösliciien Sulfate zu
empfehlen seien. Er wies ferner nach, dass sonst tödtliche Gaben von
Kreosot unschädlich waren, wenn man den Thieren genügende Mengen
dieser löslichen Sulfate gegeben hatte.
Zu der Kranken-Geschichte möchte ich noch nachtragen, dass
Patientin nach der Intoxication wieder ihr Kreosot aufnahm und dass
sie in der früheren Weise aufstieg und bald wieder ihre 300 Tropfen
übersehritten hatte. Sie hatte es schon bis auf 500 Tropfen zweimal
täglich gebracht, als sie eine linksseitige Pneumonia bekam, an der sie
noch darniederliegt. Sie befindet sich jedoch schon in der Eecon-
valescenz.
Ferner möchte ich nicht unerwähnt lassen, dass Patientin jedes
Mal nach dem Aussetzen des Mittels mit den Tropfen von vorne
anfangen musste, dass sie dann aber sehr schnell bis zu der vorher
erreichten Höhe ansteigen konnte.
Sie sehen also, meine Herren, dass das Kreosot zweifellos ein
starkes Gift ist, und dass es natürlich giftig wirken wird, wenn man
plötzlich eine grosse Menge davon nimmt, oder wenn man, wie es
meine Patientin that, eine grosse Dose, an die man sich schon gewöhnt
hatte, plötzlich sehr hoch steigert. Es giebt aber andererseits wenig
Mittel, an die man sich so gut gewöhnen kann, und die auf die Dauer
der Zeit so gut vom Organismus vertragen werden, wie das Kreosot.
Und im Gegensatze zu einer neulich von Beverley Kobinson aufge-
stellten und von Anderen unterstützten Behauptung, dass hier in den
Vereinigten Staaten grosse Dosen Kreosot nicht gegeben werden
können, im Gegensatze hierzu muss ich behaupten, dass unsere
Patienten das Kreosot ebenso gut vertragen können, wie die unserer
Collegen in Deutschland und ich möchte auch für Amerika den Satz
aufstellen, dass je mehr Kreosot ein Patient nehmen kann, desto besser
es für ihn sei.
II.
lieber Iritis bei Eiferimg der Nase und ihrer Nebenhöhlen.
Von
Dr. S. ZIEM,
Danzig, Preussen.
Die vor 5 Jahren von mir angeregte Frage von der Abhängigkeit
mancher oder so und so vieler Entzündungen der Kegenbogenhaut von
primären eitrigen Erkrankungen der Nase oder ihrer Nebenhöhlen'),
durch Verschleppung von Eiter mittelst der Venen oder Lymphgefässe
in den üvealtractus beziehungweise das Gewebe der Iris, hat sich
1) Centralbl. f. pract. Augenheilkunde von J. Hirschberg. 1887, S. 358.
178
vieler Zustimmung bisher nicht zu erfreuen gehabt und noch in einer
Ende des Jahres 1889 in der Gesellschaft der Aerzte in Wien stattge-
habten Verhandlung über die Eiterung der Oberkieferhöhle ist dieser
Zusammenhang der Dinge als unerwiesen bezeichnet worden. Mit Be-
stimmtheit eingetreten für meine Anschauung ist meines Wissens bis-
her nur Dr. Koenigstein in Wieni). Die Frage kann in zweifacher
Weise zur Entscheidung gebracht werden, entweder erstens durch
Massenuntersuchungen über das Zusammentreffen von Iritis mit
Nasenerkrankungen, wozu das mir selbst zu Gebote stehende Beobach-
tungsmaterial allerdings nicht ausreicht, oder zweitens durch genaue
Schilderung einzelner, -besonders prägnanter Fälle. Den letzteren Weg
habe ich schon früher eingeschlagen. Wenn ich vor 5 Jahren die Ge-
schichte eines Kranken mitgetheilt habe, der an rechtsseitiger Iritis
13 Tage lang mit Atropin und innerlich mit Calomel behandelt worden,
ohne dass jedoch und zwar trotz vollständigster Erweiterung der Pupille
die äusserst heftigen, die Nachtruhe so gut wie gänzlich raubenden
Schmerzen in der Umgebung des Auges und in der Stirngegend irgend-
wie gemindert worden wären, und der dann sofort nach dem Durch-
spülen der Nasenhöhle mittelst der Druckpumpe, wobei ein entsetzhch
riechender Eiter aus der rechten Nasenhälfte in reichlicher Menge sich
entleerte, eine bedeutende Erleichterung im Kopfe und Auge fühlte
und ohne weitere Anwendung von Atropin bei Kataplasmiren des
Auges mit Chamillen, Schwitzen mittelst Jaborandi und täglichem
Ausdouchen der Nase in 12 Tagen vollkommen hergestellt worden und
seit dieser Zeit auch durchaus augengesund geblieben ist, so weiss ich
in der That nicht, inwiefern die Bedeutung der gleichzeitigen Behand-
lung der jauchigen Eiterung in der Nase für die schnelle Ausheilung
des Prozesses hier in Abrede gestellt werden kann.
Ein zweiter, vor 2 Jahren von mir veröffentUchter^) Fall der Art sei
hier nochmals kurz mitgetheilt,
Im November 1889 wurde ich von einer hiesigen Dame consultirt
wegen einer bereits 5 Monate lang ärzthch behandelten recidivirenden
Iritis des rechten Auges, die zu vollständigem Abschlüsse der Pupille
mit schildbuckelförmiger Vortreibung der Iris, Spannungszunahme
und Amaurose des Auges geführt hatte, ohne dass der Krankheits-
process jedoch zur Euhe gekommen wäre : es bestanden hier noch
immer Schmerzen, ciliare Injection, Unmöglichkeit ohne Verband zu
gehen, selbst Druck im zweiten Auge bei jedweder Anstrengung des-
selben. Es wurde auch hier die Nase untersucht und wenn auch keine
das Lumen in irgendwie erheblicher Weise beeinträchtigende Schwel-
lung, so doch beim Ausspülen mittelst der Druckpumpe etwas, ent-
schieden eitriges Secret gefunden; auch hatte die Kranke schon seit
Jahren und zwar vor dem Auftreten des Augenleidens, an oft äusserst
heftigen Kopfschmerzen gelitten. Der Vorschlag, die rechte Kiefer-
1) Die Behandlung der häufigsten Augenkrankheiten u. s. w. Wien. Brau-
müller. 2. Heft.
2) Berliner Klinische Wochenschrift 1890, No. 36, 1891. No. 24.
179
höhle anzubohren, auf deren Erkranktsein auch das Vorausgehen von
Schmerzen in den oberen Backzähnen in früheren Jahren sowie eine
ansehnUche Verdickung im Bereiche der ehemaUgen Alveolen jener
schon längst entfernten Zähne hinzudeuten schienen*), dieser Vorschlag
hatte zur Folge, dass die Kranke zunächst ausblieb, um die einfache
Ausspülung der Nasenhöhle, welche ihr an und für sich schon eine
gewisse Erleichterung besonders im Kopfe gemacht, für sich allein zu
Hause fortzusetzen. Erst am 3. Februar 1890 trat sie wieder in meine
Behandlung, jetzt allerdings zu jener Operation entschlossen, weil der
Zustand des Auges sich noch nicht geändert hatte und das Tragen
eines Verbandes noch immer erforderte. Mit Hilfe des Schwungrades
wurde die Anbohrung alsbald vorgenommen, wobei zwei oder drei
Tropfen Blut geflossen sind und wonach einige Eiterflocken von schwe-
felgelber Färbung, die sich in der Schale zu Boden senkten, beim
Durchspülen der Kieferhöhle sich entleerten. Am nächsten Tage schon
war das Auge blasser und etwa 14 Tage später, bei täglicher Durch-
spülung des Sinus mit Salzwasser, eine so wesentliche Besserung einge-
treten, dass der 8 Monate lang getragene Verband weggelassen werden
konnte ! Das Gesichtsfeld des linken Auges, das noch am 12. Februar
eine ziemlich starke Einschränkung gezeigt hatte, war am 6. März so
gut wie normal geworden und Keinerlei Beschwerde seitens des Auges
mehr vorhanden. Ein Rückfall ist seitdem, d. h. seit 25 Monaten nicht
eingetreten.
Ein dritter hierhergehöriger Fall ist der Folgende :
Am 21. März d. J. tritt der 37-jährige Zimmermann Z. in meine Be-
handlung wegen einer, seiner bestimmten Angabe nach, erst seit
5 bis () Wochen bestehenden Erkrankung seines rechten Auges. Seit
dieser Zeit bemerkt er das Sehen verdeckende und in dem Auge herum-
flottirende Trübungen, die mehr und mehr zunahmen und seine bis-
herige Beschäftigung ihm endlich unmöghch machten. Schmerzen in
diesem Auge haben niemals bestanden. Auf dem linken Auge und nur
auf diesem hat er in seiner Kindheit eine Entzündung gehabt und seit-
dem ist es immer schwachsichtig gewesen. Objectiv findet sich Fol-
gendes : Beide Augen sind ohne rechten Glanz und von etwas starrem
Ausdrucke. Die Pupille eng, unregelmässig contourirt, beiderseits in
sehr geringem Grade auf Licht und Schatten reagirend und durch
*) Es ist hier natürlich nicht der Ort über die Diagnostik der eitrigen Er-
krankung der Oberkieferhöble mich eingehender auszvisprechen und es sei auf
Grund von 459 Eröffnungen der Kieferhöble in meiner Praxis nur das Eine be-
merkt, dass mit Hilfe der von einigen Autoren ja sehr überschätzten electri-
schen Durchleuchtung zwar in vorgeschrittenen Fällen der Erkrankung, bei
einem massigen Empyem, die positive Diagnose auf Anwesenheit von Eiter
öfters gestellt, in Anfangsstadien oder überhaupt bei wenig entwickelter Er-
krankung jedoch die Abwesenheit von Eiter nur und allein durch die Probe-
ausspülung nachgewiesen werden kann. Man vergleiche hierzu auch die Arbeit
von L. Lichtwitz in Bordeaux ; De l'empyeme latent de l'antre d'Highmore etc.
Anaales des maladies de' loreille et du larynx, No. 2, Fevrier 1892.
180
zahlreiche, offenbar ziemlich breite, graiiweissliche Verwachsungen an
die Linsenkapsel angeheftet; auch bei nachdrücklichem Atropinisiren
des rechten Auges in den nächsten Tagen wird die Pupille nur sehr
wenig und in un regelmässiger Weise erweitert, während in das linke
Auge Atropin überhaupt nicht eingetropft worden ist. Iris beiderseits
hyperämisch, nach vorn getrieben, Vorderkammer sehr eng. Mit dem
rechten Auge werden Finger auf 4 Meter, Zahlen von Nieden 7 (Snellen 4)
als kleinstes auf 18 Centim., mit dem linken Finger auf 3,5 Meter,
Zahlen von Nieden 8 (Snellen 5) auf 15 Centim. erkannt. Das Gesichts-
feld des rechten Auges ist mässig stark, das des linken stark einge-
schränkt. Ophthalmofecopisch : Trübungen der brechenden Medien.
IlmM
links \NSc>^!^I^;;^
Innen 21. März. Aussen 27. März.
Tafelzeichnnng auf 30 Ctm. Abstand. ^/^^ der natürl. Grösse.
Syphilis oder Gonorrhoe hat der Kranke nie gehabt, auch irgend
welche andere Infectionskrankheit in der letzten Zeit nicht durchge-
macht. Seine Wohnung ist gesund, durchaus nicht modrig.
Die stark verstopft klingende Sprache des Kranken war mir sofort
aufgefallen, weshalb denn eine Untersuchung der Nase vorgenommen
wird. Es findet sich hier erstens eine so gut wie vollständige Versper-
rung der linken Nasenhälfte durch Hereinragen der verbogenen
Nasenscheidewand, sodass das Einziehen von Luft durch diese nur
bei abgehobenem Nasenflügel möglich ist; zweitens eine mässig starke
Anschwellung der Schleimhaut am Hinterende der linken unteren
Nasenmuschel; drittens ziemliche Geräumigkeit der rechten Nasen-
hälfte, ohne, bei vorderer Khinoscopie, irgend wie sichtbare Ansamm-
lung von Eiter oder eitrigem Schleim in derselben, der aber und zwar
in ziemlich reichlicher Menge und von ausgeprägt schwefelgelber
Färbung sofort zum Vorschein kommt, sowie eine Durchspülung der
Nase mittelst der Druckpumpe vorgenommen wird. Zähne gut, im
oberen Alveolarbogen keine Zahnlücke.
In Ermangelung irgend welcher anderer hier in Betracht kommen-
der ätiologischer Momente war ich der Ansicht, dass die Eiterung der
181
Nase bei der Entstehung der Iritis auch hier von Bedeutung sei und
beschloss desshalb das Folgende zu thun : Es wurde nur das rechte,
nicht aber das linke erstbefallene, Auge atropinisirt, sodann zweimal
täglich die Nasenhöhle mit Salzwasser durchgespült, endlich und zwar
gleich am nächsten Tage jener Yorsprung des Septum mit einer
durch das Schwungrad getriebenen Stichsäge') abgesägt, wobei es
allerdings etwas geblutet hat und wodurch ein schöner Durchlass für
die Luft hergestellt und die Nasenathmung sehr viel freier geworden
ist.
Schon am folgenden Tage war das Sehen auf beiden Augen besser,
dieselben besitzen mehr Ausdruck und Glanz, die Vorderkammer ist
tiefer. Nach 6 Tagen, am 27. März, betrug die Sehschärfe rechts=V24,
links für deutsche Buchstaben=yg„, für Haken=V36 und es wurden mit
dem linken Auge Zahlen von Nieden 3^ S. (Snellen 1^/^) auf 11 Centm.
richtig erkannt. Auch das Gesichtsfeld zeigt beiderseits eine erheb-
liche Vergrösserung. Der Kranke lässt sich nicht davon abhalten,
seine Arbeit jetzt wieder aufzunehmen.
Von grossem Interesse an diesem Falle ist die bedeutende Besserung
des centralen (um 'V-)wie des peripherischen Sehvermögens andemschon
seit vielen Jahren schwachsichtigen linken Auge, obwohl hier örtlich
doch ganz und gar nichts vorgenommen worden war : nicht einmal
eine Schutzbrille war angewendet, sondern es war nur das rechte,
atropinisirte Auge mit einem Verbände versehen worden. Zwar hatte
bei der am 22. vorgenommenen Operation in der linken Nase eine,
allerdings nicht beträchtliche Blutung stattgefunden, welche bei
den zahlreichen Verbindungen zwischen den Gefässen des Sehorgans
und denen der Nase immerhin eine so und so grosse Entlastung der
hyperämischen Gefässe des Bulbus bewirkt haben mag. In dieser
Beziehung sei noch besonders bemerkt : Erstens, dass ich und zwar
schon vor 12 Jahren während meines Aufenthaltes in Alexandrien bei
vielen Augenkranken Blutentziehungen in der Nase mit oft auffallen-
dem Erfolge vorgenommen habe, unter Anderen bei einem durch
adhäsive Iridocyclitis im Gefolge von Variola bis auf Unterscheiden von
Hell und Dunkel erblindeten jungen Araber, bei welchem die vorge-
schlagene Iridectomie nicht zugelassen worden, welcher aber in der ge-
nannten Weise zum Selbstorientiren auf der Strasse und zum Erken-
nen grosser Gegenstände wie der Speichen eines Rades, ja selbst eines
unter ein Schriftstück gesetzten Stempels gelangt ist ; Zweitens, dass
solche Erfolge, die schon von Peter Frank und besonders von F.
Hyrt^l) gegebene Empfehlung, bei gewissen ihrer Natur nach unbe-
kannten, aber mit schönklingenden lateinischen und griechischen
Namen ausgestatteten Krankheiten des Kopfes und der Augen Blut-
entziehungen in der Nase versuchsweise vorzunehmen, durchaus recht-
1) Vergl. meine betr. Arbeit in Mr. Natier's Revue internationale de laryn-
gologie etc. No. 4. Avril 1892. Paris.
2) Hyrtl, Handbuch der topographischen Anatomie. B. Aufl., 1872, Bd. 1,
S. 64.
182
fertigen und zwar um so mehr, als drittens, in den Ciliarfortsätzen des
Auges ein richtiges, auf ein so und so Vielfaches ausdehnbares Schwell-
gewebe gegeben ist, wofür ich der vergleichenden Anatomie und Physio-
logie entnommene Beobachtungen und Argumente kürzlich beige-
bracht habe'). Aber es erscheint doch in hohem Grade zweifel-
haft, dass im obigen Falle die von Tag zu Tag fortschreitende
Besserung auf diese, zudem nur einmalige Blutentziehung allein zu-
rückgefülirt werden Rann; es ist vielmehr äusserst wahrscheinlich,
dass die wenigstens z. Th. bewirkte Wiederherstellung erstens der nor-
malen Nasenathmung in Folge der Operation wie auch der Durch-
spülungen der Nase, und in der des Oefteren von mir dargelegten Weise,
durch Vermehrung der Aspirationsgrösse der Lungen für das kreisende
Blut, somit auch zweitens des normalen Blutunilaufs in der Nase und
den Nachbarorganen einen sehr wesentlichen Einfluss hier gleichfalls
ausgeübt hat. Der Versuch würde in dieser Hinsicht allerdings noch
beweiskräftiger ausgefallen sein, wenn erstens irgend welche Blutent-
ziehung in der Nase nicht stattgefunden hätte und wenn zweitens auch
rechts, ohne jede Application von Atropin in das Auge, nur Durch-
spüluDgen der Nase gemacht worden und eine Besserung des Sehver-
mögens dennoch erzielt worden wäre. Das hier noch Fehlende und
aus meinen Arbeiten über intraoculare Erkrankungen bei Nasenleiden
überhaupt^), nicht von selbst sich Ergebende, werde ich an geeigne-
ten Fällen von Iritis gelegentlich nachholen. Denn offenbar ist nicht
jedweder Fall von Entzündung der Regenbogenhaut zu einem solchen
Versuche geeignet, da es bei acuter Erkrankung derselben natürlicher
Weise darauf ankommt, durch Anwendung eines Mydriaticum
erstens die Hyperämie der Iris und somit die Schmerzhaftigkeit der
Affection zu mindern, zweitens die Bildung von Synechien möglichst zu
verhüten, Indicationen also, welche in dem vorliegenden Falle bei der
bereits eingetretenen ausgiebigen Verwachsung der linken Iris über-
haupt nicht zu erfüllen beziehungsweise bei dem Mangel jeder Schmerz-
empflndung ja hinfäUig waren.
Mit Rücksicht hierauf ist es auch zu erklären, dass ich bei Durch-
sicht meiner Krankenbücher nur so wenig hier zu verwerthende Fälle
gefunden habe. Bei acuter Entzündung habe ich mich nicht für be-
rechtigt gehalten, von der schulgerechten Anwendung des Atropins
abzustehen— in dem ersten der hier mitgetheilten Fälle ist der weitere
Gebrauch desselben desshalb unterblieben, weil ja bereits maximale
1) Virchow's Archiv 1891. 126. Bd., S. 467.
2) Internationale Klin. Rundschau. Wien. 1888. No. 10 und 11.
BerUner Klinische Wochenschrift 1888, No. 37, 1889, No. 38.
Deutsche Medicinische Wochenschrift 1889, No. 5.
Monatsschrift iür Ohrenheilkunde und Nasenkrankheiten 1886, No. 4, S.
137, 1889, No. 7 und 8.
Arch. internation. de laryngologie etc., von Ruault & Luc, No. 3, 1892.
Paris.
Münchener Mediz. Wochenschr. 1892.
183
Mydriasis bestand — und es ist meistens auch noch eine Allgemeiü-
Behandlung, sei es bei luetischer Grundlage durch Quecksilbereinrei-
bungen, sei es bei nicht specitischer Erkrankung durch Ableitung auf
die äussere. Haut mittelst Jaborandi oder dergl. vorgenommen wor-
den, so dass die allerdings in fast jedem Falle gleichzeitig mit unter-
nommene Behandlung der Nase oder ihrer Nebenhöhlen eben nur ein
unterstützendes Heilverfahren dargestellt hat. Zwar sind durch
dieses combinirte Verfahren in einer Reihe derartiger Fälle sehr schnelle
Heilungen erzielt worden, desshalb wohl, weil bei Erkrankung der
Regenbogenhaut auch in Gefolge einer Allgemeininfection, wie Lues,
Variola und anderer, oder einer örtlichen Infection wie einer Gonorrhoe
der Sexualorgane und dergl. oder einer „ Erkältung " der Grund für
Locahsation jenes Virus oder jener Schädlichkeit gerade auf die Regen-
bogenhaut in manchen Fällen beider, in anderen sogar nur des einen
Auges oft oder vielleicht immer in der Präexistenz einer Circulations-
störung oder einer Eiterung in der nächsten Umgebung des Auges,
vornehmlich in der Nasenhöhle gefunden und diese letztere Schädlich-
keit durch entsprechende Behandlung dann beseitigt wird — : aber zu
breiterer Fundamentirung der ganzen Frage können natürlich nur den
oben mitgetheilten ähnliche Beobachtungen verwendet werden, in wel-
chen also, wiebesondersin Fall 2 und 3(links)wedereineörtlicheBehand-
lung des erkrankten Auges noch eine allgemein einwirkende Medication
Platz gegriffen hatte. Auch im ersten Falle war die nach der Durch -
Spülung im Kopfe und im Auge sofort eingetretene Erleichterung eine
so auffällige, dass jener doch w es e n tli c h er Antheil bei der schnel-
len Heilung zugeschrieben werden muss, w^enn schon erstens durch
Anwendung der feuchten Wärme auch eine örtliche Einwirkung auf
das Auge, zweitens durch die Schwitzkur auch eine allgemeine Ablei-
tung hier stattgefunden hat.
Dass die Besserung im Sehvermögen des linken Auges im dritten
Falle auf die Besserung des rechten Auges nicht allenfalls zurückge-
führt werden kann, ist selbstverständlich, da das linke 'Auge das erst-
ergriffene gewesen ist. Im Gegentheil dürfte di e Annahme eher zu-
lässig sein, dass die Entlastung der angeschwollenen Regenbogenhaut
und des Ciliarkörpers, besonders der Ciliarfortsätze des linken Auges
einen fördernden Einfluss auf die Ausgleichung auch der rechtsseitigen
Erkrankung ausgeübt habe, dass letztere somit als eine auf sym-
pathischem Wege, ginz schleichend angebahnte und durch irgden
welchen Umstand schliesslich stärker hervorgetretene anzusehen wäre.
Dass viele Augenärzte eine ein- oder doppelseitige Iridectomie in die-
sem Falle sofort vorgenommen haben würden, in der Absicht, eine breite
Verbindung zwischen der Vorderkammer und dem retroiritischen
Spalte, der sog. hinteren Augenkammer herzustellen und Pupillarab-
schluss zu verhüten, das ist sehr wahrscheinlich und steht ja auch in
Uebereinstimmung mit der augenblicklich noch herrschenden, aber
einseitigen Annahme, dass, abgesehen von dem zweifelhaften Werthe
der Mydriatica und Myotica, das allein wirksame Mittel zur Herab-
184
Setzung des intraocularen Druckes nicht sowohl die Herstellung oder
Anbahnung der physiologischen Circulationsverhältnisse in der näch-
sten Umgebung des Auges und somit auch im Binnenraume des Eulbus,
als vielmehr die Vornahme einer Iridectomie sei. Doch gibt die Rück-
sicht auf die Grundsätze Anderer eine Veranlassung natürlich nicht ab,
in einem concreten Falle ebenso zu handeln, wenn das Ziel den Kran-
ken wieder arbeitsfähig zu machen, auch auf nicht operativem Wege
erreicht werden kann, einfache und durch Berücksichtigung des ur-
sächlichen Zusammenhanges wahrscheinlich auch sicherer und gründ-
licher. In dieser letzteren Hinsicht sei noch besonders hervorgehoben,
dass in unserem zweiten Falle eine Ausheilung jener Iridocyclitis des
rechten und vollste Sehtüchtigkeit des linken Auges eingetreten ist,
ohne dass die nach den Ptegeln der Schule hier unerlässlich erschei-
nende Iridectomie am rechten Auge vorgenommen worden wäre. Und
wenn ein Rückfall bis heute hier nicht eingetreten ist, so ist das aber-
mals ein Beweis für die Richtigkeit der schon vor Jahren besonders
von C. Schweigger ausgesprochenen Ansicht, dass die Ursache der
Recidive bei Iritis nicht in dem Zurückbleiben von Synechien zu suchen
sei.
Miltheilungen aus der Augenpraxis.
Von
Dr. F. E. D'Oench,
New York.
Wegen ihres seltenen Vorkommens dürften die beiden folgenden
Fälle einiges Interesse bieten :
I. Polyp der Conjunctiva.
Frau A. L., 33 Jahre alt, hat seit etwa zwei Monaten einen kleinen
Tumor bemerkt, der sich auf der Conjunctiva des untern Lides, nahe
dem äussern Winkel des rechten Auges, entwickelt hat. Eine Ursache
dafür weiss sie nicht anzugeben. Bei gewöhnlicher Betrachtung ist er
nicht sichtbar, zieht man jedoch das untere Lid herab und lässt die
Patientin nach oben blicken, so springt eine läogliche, abgeplattete Ge-
schwulst hervor, die sich nur mit einiger Schwierigkeit reponiren lässt.
Sie sitzt mit einem sehr dünnen Stiele nahe dem äusseren W^inkel fest,
und blutet leicht beim Zusammenkneifen der Lider. Nach unten endet
sie mit einem scharfen Rande, nach oben ist sie etwas abgerundet.
Ihre Länge beträgt etwa 11, ihre Breite 8, ihre Dicke 4 mm., ihre Con-
sistenz ist härtlich. Nach ihrer Abtragung folgte eine ziemlich starke
Blutung, die aber bald aufhörte, und war der Ort, an welchem der
Polyp festgesessen hatte, nachher kaum aufzufinden. Vier Wochen
später kam die Frau wieder, es hatte sich ein zw-eiter Polyp von der-
selben Form wie der erste, aber nur von der halben Grösse, entwickelt,
der an genau derselben Stelle seinen Ursprung hatte. Er blutete sehr
leicht und heftig, und wurde mit der Scheere entfernt. Alsdann wurde
die Wurzel mit dem Silberstift und Glüheisen zerstört, und hat sich seit-
dem kein Recidiv gezeigt. j
185
II. K r y sjt'a IJl e in der Netzhaut.
Fanny C, 24 Jahre alt, klagt über Symptome, die sich auf eiüe
einfache Conjunctivitis zurückführen lassen. Mit ihrer Sehschärfe ist
sie zufrieden, obwohl sie ein wenig kurzsiclitig ist (etwa 1-50 D). Der
Augenhintergrund zeigt nichts Besonderes, bei scharfer Einstellung im
aufrechten Bilde sieht man jedoch nach unten und aussen von der
Papille eine Menge kleiner, glänzender Krystalle, die durch diesen
Theil der Netzhaut zerstreut sind, die Gegend der Macula jedoch frei
lassen. Dass sie sich in der Netzhaut befinden geht schon daraus her-
vor, dass sie auch auf den Blutgefässen zu sehen sind. Ihre Form ist
wegen ihrer Kleinheit nicht genau zu erkennen, doch sind an vielen
scharfe Kanten zu bemerken, wodurch sie sich als Krystalle und nicht
als drusige Gebilde zu erkennen geben.
Die Natur dieser Krj^stalle kann nur vermuthet werden. Im Allge-
meinen ist man geneigt, sie für Cholesterin zu erklären, da sie grosse
Aehnlichkeit mit den Krystallen dieser Substanz besitzen, die man bei
Synchisis scintillans im Glaskörper findet. Eine microscopisch-anato-
mische Untersuchung derselben liegt meines Wissens nicht vor.
186
NEW YORKER MEDICINISCHE MONATSSCHRIFT.
Organ für praktische Aerzte in Amerika.
Eedigirt von
De. f. C. HEPPENHEIMEE.
EDITORIELLE NOTIZEN.
15. Mai 1892.
Die Prophylaxis der Rabies.
Unter dieser üeberschrift erschien soeben in dem Bulletin general
de Therapeutique ein von dem bekannten Pariser KUniker Dr. Dujardin-
Beaujietz, dem dortigen Stadtratlie unterbreiteter Berieht über dieses
Thema. — Da der Sommer die Zeit ist, wo die meisten Fälle von Hunds-
wuth vorkommen, erscheint es zeitgemäss obige Frage hier zu erörtern
und den Hauptinhalt des Berichtes mitzutheilen. Letzterer enthält
statistische Daten über das Verhalten der Hundswuth seit dem Jahre
1881 bis 1891. Die Zalil der in Paris an Kabies verstorbenen Menschen
bildet in den verschiedenen Jahren eine Curve, delen Ascensions- und
Descensionslinie Schritt hält mit der Zahl der an Rabies erkrankten
Hunde, nur seit dem Jahre 1887 zeigt sich eine Ungleichheit im Verhalten
beider Curven ; die Todesfälle der an Rabies erkrankten Menschen
werden seltener, trotzdem die Zahl der an Rabies leidenden Hunde im
Jahre 1887 und 1888 im Zunehmen begriffen ist ; diese Ungleichheit
wird bedingt durch das Aufkommen der PASTEUR'schen Behandlungs-
methode. Dujardin-Beaumetz weist durch statistische Belege nach,
dass dieselbe die Mortalität der Rabieskranken bedeutend herabgesetzt
hat. Während nämlich nach Leblanc und anderen Autoren die Mortali-
tät der Rabies, wenn nicht nach Pasteur behandelt, etwa W% beträgt,
ist dieselbe bei den nach Pasteur Inoculirten nicht ganz 1%. Diese
Ziffern beweisen den Nutzen der PASTEUR'schen Behandlungsmethode
und legen die Durchführung derselben jedem ans Herii. — Obwohl aber
die PASTEüR'sche Methode im Stande war, die Mortalität der Rabies so
sehr herabzusetzen, — so ist doch einerseits die Zahl der Erkrankungs-
fälle dieselbe geblieben, andererseits sterben aber viele an der Rabies
infolge nicht erfolgter Behandlung, sei es, dass die betreffenden Indivi-
duen nicht gewusst haben, dass der Biss von einem tollkranken Hunde
herstammte, sei es, dass es ihnen infolge von Umständen nicht möglich
ist, sich der PASTEUR'schen Behandlung zu unterziehen. — Will man die
menschlichen Rabiesfälle ganz und gar von der Mortalitätsliste ent-
fernen, so könnte man dies nur dadurch erreichen, dass man zunächst
die Krankheitsursache beseitigt ; die Rabies rührt aber beim Menschen
stets vom Hunde her und letzterer wieder wird niemals spontan son-
187
dern durch Ansteckung von einem an Tollwuth leidenden Hunde krank.
Somit sollte man alle Mittel in Anwendung ziehen, welche dazu bei-
tragen, die Erkrankung der Hunde an Hydrophobie zu verhüten. Als
vorzügliches Mittel in dieser Hinsicht hat sich das Tragen des Maul-
korbes seitens der Hunde erwiesen. Das in Paris bestehende Gesetz
diesbezüglich lautet : 1. „Die administrative Behörde kann unter
Arrest anordnen, dass sämmtliche auf den öffentlichen Verkehrs-
strassen circulirenden Hunde entweder mit Maulkörben versehen sein
müssen oder an der Leine geführt werden". 2. „Sobald ein Fall von
Hydrophobie in einer Gemeinde constatirt worden ist, hat der Bürger-
meister für wenigstens sechs Wochen die Circulation der Hunde zu
verbieten, ausser wenn dieselben an der Leine geführt werden".
Duj ARDIN- Beaumetz wcist nun durch statistische Zahlen nach, dass unter
strenger Durchführung obiger Anordnungen in Paris die Zahl der
rabies-kranken Hunde abgenommen, und unter Nichtbeachtung der-
selben die Zahl wieder in die Höhe gegangen ist. D. weist ferner darauf
hin, dass in Preussen und einigen anderen Ländern, (Belgien, Holland)
wo obige Anordnungen seit einigen Jahren streng durchgeführt wer-
den, jetzt gar keine rabieskranken Hunde und somit auch keine
Hydrophobieerkrankungen unter den Menschen vorkommen.
Die Behörden Pari^' sowie ganz Frankreich's möchten auf die
strenge Durchführung jener zwei Anordnungen bestehen, dann ist die
Hoffnung da, dass auch aus diesem Lande die Hydrophobie ver-
schwinden wird.
Es erscheint uns sehr wichtig, dass auch die amerikanischen Behör-
den von den durch Dujardin-Beaumetz nachgewiesenen Thatsachen in
Bezug auf Hodrophobie Kenntniss nehmen, und gleich dem Pariser
Stadtrath, das Herumlaufen von Hunden auf den öffentlichen Verkehrs-
strassen ohne Maulkorb und ohne Leine streng verbieten sollten.
REFERATE.
Krankheiten des Circulations- und Verdauungsapparates.
Referirt von Dr. MAX EINHORN.
1. Ueber Farbenreaction des Mundspeichels. Von J. Rosenthal.
(Berlin, klin. Wochenschr. 1892, No. 15.)
Kosenthal hat die von Rosenbach unlängst angegebenen in dieser
Zeitschrift ref erirten Reactionen des Mundspeichels an einem grösseren
klinischen Materiale einer Nachprüfung unterzogen und kam zu fol-
genden Schlüssen :
1. Jeder Speichel giebt beim Kochen mit Salpetersäure und nach-
folgendem Zusatz eines Alkali eine Farbenveränderung, die der Xantho-
proteinreaction sehr ähnlich und wahrscheinlich mit ihr identisch ist.
2. Die Intensität der Reaction hängt von dem Eiweissgehalte des
Speichels ab ; sie ist am grössten einige Stunden nach dem Essen, hat
eine mittlere Stärke bei ganz nüchternem Magen und erscheint am
schwächsten kurz nach der Einnahme der Mahlzeiten, sowie bei
cachectisch-marastischen Individuen.
188
In gewissen Fällen tritt im Speichel bei Behandlung mit Salzsautö
ein Rosafärbung, bei Behandlung mit Salpetersäure eine schöne roth-
violette Farbe auf.
4. Die Bildung und Ausscheidung des Chromogens des letzter-
wähnten Farbstoffs, ist bei normalen Menschen ohne stärkere Reizung
der Speicheldrüsen nicht zu erzielen ; aie Farbenreaction ist in patho-
logischen Fällen von grösster Intensität bei Carcinom des Magens und
bei starker Nephritis ; bei Gesunden tritt sie nur bei besonderer Rei-
zung der Speicheldrüsen auf, z. B. beim Rauchen, beim Genuss von
Gewürz u. ä.
2. lieber die normaliter hei jeder Respiration am Thorax sichtbaren
Zwerchfellsbewegungen. Von M. Litten. (Deutsch, med. Wochen-
schr. 1892, No. Vö.)
Während die älteren Autoren annahmen, dass man die Contrac-
tionen des Zwerchfells nur in wenigen pathologischen Fällen sehen
kann, hat Litten die Beobachtung gemacht, dass man die Zwerchfells-
bewegungen als eine physiologische, ganz constante, bei jeder Respira-
tion wiederkehrende Erscheinung bei jedem gesunden Manne am
Thorax sehen kann, ebenso aber auch bei jedem Kranken, soweit es
sich nicht gerade um eine hochgradige Erkrankung des Respirations-
apparates handelt. Die Erscheinung läuft in Form einer Wellenbe-
wegung ab, welche beiderseits etwa in der Höhe des sechsten Inter-
costalraumes beginnt und als gerade Linie oder seichte Furche, bei
tiefster Inspiration mehrere Intercostalräume weit, zuweilen bis an die
Rippenbogen herabsteigt, um bei der Exspiration um das gleiche Mass
wieder in die Höhe zu steigen. Bei oberflächlicher Athmung schwankt
das sichtbare Spiel des Zwerchfells nur um 1 — 1^ Intercostalräume.
Diese sichtbaren Zwerchfellsbewegungen können lediglich im Liegen
wahrgenommen werden. Um die Erscheinung w^ahrnehmbar zu
machen, muss der zu Untersuchende so gelagert sein, dass er ins Licht
sieht, und dass das volle Licht, womöglich Tageslicht, auf den Thorax
fällt, während der Beobachter vorn und etwas seitlich steht. Die
Bedeutsamkeit des Phänomens liegt darin, dass es durch die Sichtbar-
machung der Zwerchfellsbewegungen bei tiefer Respiration zeigt, ob
die Athmung frei und ungehindert von statten geht.
Man kann hieraus Schlüsse machen auf die freie Beweglichkeit der
unteren Lungenränder, auf die Ausdehnbarkeit der unteren Lungen-
abschnitte und die Excursionsfähigkeit des Diaphragma. Bei pleuriti-
schem Erguss sind die sichtbaren Ausschläge des Zwerchfells auf der
erkrankten Seite sehr gering, während man auf der anderen Seite die
Bewegungen desselben in ganz normaler Weise sieht. L. hofft, dass
es ihm gelingen wird, die Excursionen des Zwerchfelis auch graphisch
in Form einer Curve darzustellen.
Augenheilkunde.— Referirt von Dr. A. SCHAPRINGER.
„La Grippe as a Cause of Retro-bulbar Neuritis and other Ocular
Nerve Lesions. Von John E. Weeks in New York. (The N. Y.
Med. Journal, 8. August 1891.)
Ein 24jähriger Mann wurde Ende Januar 1890 von der Grippe
befallen. Eine Woche darauf Sehstörung, welche bis Mitte März
zunahm und von einer ganzen Anzahl nacheinander zu Rathe gezo-
gener Augenärzte als Amblyopia ex abusu angesprochen wurde. Als
er Ende December 1890 in Verfassers Behandlung kam, bestand
beiderseits ein centrales Scotom mit unregelmässiger, nicht symmetri-
scher Begrenzung und allmäligem Uebergang in das sehtüchtige peri-
189
phere Gesichtsfeld. Papillen blass, besonders die temporale Hälfte
derselben. Urin normal. Syphilis, Rheumatismus, Tabes sind ausge-
schlossen. Behandlung: : Tonica. Im weitern Verlaufe war eine nur
geringe Besserung des Zustandes zu constatiren. Aus der vom Ver-
fasser mit Umsicht zusammengestellten Litteratur geht hervor, dass
von den 15 bisher bekannt gemachten Fällen von Neuritis optica ex
influenza neun Fälle weibliche und nur sechs Fälle männliche Indivi-
duen betrafen. Entzündungserscheinungen an der Sehnervenscheibe
wurden blos in vier Fällen beobachtet, bei den übrigen elf Fällen ist
von Abblassung der Papille die Rede. Annähernd vollständige Wieder-
herstellung des Sehvermögens trat nur in einem einzigen Fall ein, bei
allen übrigen war die mehr oder minder bedeutende Beeinträchtigung
des Sehvermögens eine bleibende. Die Affection tritt bald ein- bald
doppelseitig auf. Soweit die bisherigen Erfahrungen reichen, sind
alle Behandlungsarten wirkungslos. (Ref. constatirte Mitte Januar
1892 bei einer 28jährigen Frau, welche ihm durch die Güte von Dr. S.
Welt zugewiesen wurde und welche zwei Wochen vorher von der
Grippe befallen worden war, eine Entzündung des Sehnervenkopfes
und der unmittelbar angrenzenden Netzhautparthie des linken Auges.
Am neunten Tage nach dem Einsat z der Intluenzaattaque war Patien-
tin von starkem Stirnkopfschmerz befallen worden und den darauffol-
genden Tag trat Verdunkelung vor dem linken Auge auf. Der peri-
phere Theil des Gesichtsfeldes war erhalten. Das andere Auge war in
keiner Weise beeinträchtigt. Patientin stellte sich nach der ersten
Untersuchung nicht mehr wieder ein.)
A Gase of Orbital Cellulitis and Primary Mastoiditis Interna
Complicating Influenza; Opening^ of Mastoid Process; Recovery.
Von C. Zimmermann in Milwaukee. (Arch. of Otology, Vol. XXL,
No. 1, 1892.)
Ein lOjähriges Mädchen wurde gegen Ende März 1891 von Influenza
befallen nud bot schon am dritten Tage der Erkrankung das Bild einer
linksseitigen Orbitalphlegmone von mildem Character. Die Beweg-
lichkeit des Bulbus war nach oben und innen eingeschränkt und das
obere Lid gelähmt, woraus Verfasser schliesst, dass der obere Theil
der Orbitalhöhle der Sitz der Entzündung war. Es bildete sich keine
Chemosis, woraus zu folgern, dass die Entzündung nicht indenTenon'-
schen Raum vordrang. Unter Eisumschjägen gingen die Erschei-
nungen am Auge zurück, dagegen trat wenige Tage darauf heftiger
Schmerz im linken Warzenfortsatz auf. Gegen letztern wurde nun
auch mit Eisumschlägen angekämpft, anfänglich mit scheinbarem
Erfolg, später musste jedoch nichtsdestoweniger zur operativen
Eröffnung und Drainage des Proc. mastoideus geschritten werden.
Im äussern Gehörgang der betr. Seite zeigte sich zu keiner Zeit Eiter,
das Trommelfell und die Paukenhöhle waren also nicht wesentlich
angegriffen. Ausgang in Heilung. Sehr dankenswerth ist die vom
Verfasser unternommene kritische Zusammenstellung der Litteratur
über Orbitalphlegmone und Tenonitis nach Influenza.
On the Operative Treatment of Divergent Strabismus. Von E.
Gruening in New York. (American Ophthalmological Society
Transactions, 1891.)
Zur Heilung des primären, nicht auf Muskellähmung beruhenden
Auswärtsschielens, bei welchem also der Beweglichkeitsbogen unver-
kürzt besteht, ist die, dem Grade des jeweiligen Falles entsprechend
ausgeführte Rücklagerung der beiden Mm. recti externi vollkommen
ausreichenrl und die Vornähung der Interni immer entbehrlich. Letz-
teres Verfahren ist nux bei der Heilung paralytische^ Schielformen up-
190
umgänglich. Verf. tenotomirt beide Externi nach ausgiebiger Blossle-
gung ihrer Insertionsstellen immer in einer Sitzung. Beträgt die Di-
vergenz nicht über zwei Mm., so soll die Sehne genau an der Ansatz-
stelle abgelöst werden, beträgt sie Jedoch über zwei Mm., so durch-
trenne man die Sehne um so ferner von der Insertionsstelle, je höher
der Grad des Schielens. Beträgt die Schielablenkung z. B. fünf Mm., so
durchtrenne man die Sehne fünf Mm. hinter ihrem Ansatz an die Sclera.
Den Schluss der Operation bildet eine beide Augen adducirende Sutur,
welche über dem Nasenrücken geknüpft und 24 Stunden belassen wird.
Nerven-Heilkunde. — Referirt von Dr. GEG. W. JACOBY.
What can we expect from the Surgical Treatment of Epilepsy?
By B. Sachs. (New York Medical Journal, Feb. 20th, 1892.)
Epilepsie ist ein Symptom, nicht eine Krankheit, und häufig ist sie
nur ein Glied in der Eeihe von Symptomen, welche auf organische
Gehirnerkrankung hindeutet. Eälle von idiopathischer Epilepsie
kommen viel seltener zur Beobachtung als man früher annahm ; viele
Fälle, welche so aufgefasst wurden, müssen jetzt als abhängig von
secundärer Degeneration des Cortex angesehen werden. Es handelt
sich hierbei um eine schwer oder gar nicht zu erkennende Lesion mit
darauf folgender Degeneration. Praktisch wird es sich darum handeln,
die Entwickelung dieser Sclerose zu verhindern, oder wenn dieses nicht
möglich ist, um die Effecte zu neutralisiren ; diese erste Anforderung
ist allerdings eine sehr schwer zu erfüllende, da wir die genauen Ver-
hältnisse unter welchen sich die Sclerose entwickelt hat nicht erkennen
können ; der ursprüngliche Herd sollte aber vermindert oder aufge-
hoben werden. Dieses ist gleichbedeutend mit einer Anforderung in
traumatischen und organischen Fällen, sehr früh zu operiren. Ist die
Sclerose einmal entwickelt, wie soll sie neutralisirt werden ? Dieses
kann nur durch Excision der erkrankten Area geschehen.
Was die traumatischen Fälle von Epilepsie anbelangen, so verlangt
Verfasser, dass diese Fälle verhütet werden sollten, da ihre Heilung,
wenn sie einmal entwickelt sind, sehr schwer fällt ; es sollte von dem
behandelnden Arzt bei jedem Falle von scUwerer Schädel-Verletzung
sofort eine explorative Operation vorgenommen werden, um sich zu
vergewissern, ob eine Knochendepression besteht oder nicht. Weiterhin
geht Verfasser auf die Fälle von Epilepsie ein, welche mit cerebraler
Kinderlähmung verbunden sind ; diese Fälle sollen eine grosse Propor-
tion von allen Epilepsien abgeben, und in völlig 95 Procent dieser Fälle
ist die initiale Lesion in dem Cortex zu suchen ; demgemäss scheint
auch einfache Trepanation in diesen Fällen von mehr Erfolg begleitet
zu sein als in den traumatischen Fällen.
A Gase of Scirrhus of the Brain secondary to that of the Breast.
By Thomas Wilson. (The Lancet, February 27th, 1892.)
Dieser Fall bietet Interesse von verschiedenen Gesichtspunkten
aus ; es ist wahrscheinlich, dass Carcinom des Gehirns durchaus nicht
zu den Seltenheiten gehört, sondern dass viele Fälle von secundärem
Gehirn-Carcinom, und auch einige von primärem Carcinom sympto-
menlos verlaufen, und weil später die Schädelhöhle nicht untersucht
wird, vollständig übersehen werden. In dem vorliegenden Falle gab
die Gehirnerkrankung sich durch epileptiforme Anfälle und Hemiplegie
kund. Alle Symptome deuteten auf ein Tumor der rechten Hemi-
sphere, und da einige Zeit zuvor ein Carcinom der Brust bei derselben
Patientin entfernt worden war, lag es sehr nah, dass es sich im Gehirn
wohl auch um ein Carcinom handeln würde. Die Section erwiess die
Bichtigkeit dieser Vermuthung.
191
Convulsiva Tic; its Nature and Treatment. By Graeme M. Ham-
mond. (The Medical Record, Feb. 27th, 1892.)
Die Ansicht, welche zuerst von Demange ausgesprochen wurde, und
welche jetzt fast allgemein angenommen wird, dass die verschiedenen
Formen clonischer Krämpfe durch Erkrankung irgend welchen
Theiles der motorischen Gehirnbahn hervorgebracht werden können,
theilt Hammond nicht ; er glaubt, dass Lesion gewisser Theile der
motoiischen Bahn immer von tonischem Krampf und niemals von
clonischem gefolgt wird.
Indem ein grosser Unterschied in den Symptomen besteht, welche
durch Lesion der motorischen oder coordinatorischen Zellen einerseits
und Lesioneri der Leituiigsfasern andererseits hervorgebracht werden,
hat Hammond hierauf hin ein Studium der veröffentlichten Fälle vor-
genommen und kommt hiernach zu dem Schluss, dass alle Formen
clonischen Spasmus, einschliesslich des Tic convulsiv, von Lesionen
des motorischen Gehirn-Cortex, des Thalamus, des Streifenhügels und
der Zellen-Bezirke der Brücke und der Medulla abhängig sind. Die
Natur der Lesion muss eine irritative sem ; in jenen functionellen
Fällen von clonischem Spasmus, bei welchen Genesung entweder
spontan oder unter Behandlung eintritt, muss der irritative Process
ein nicht organischer sein. Der zweite Theil der Arbeit wird der
Behandlung des Tic convulsiv gewidmet ; hier hat H. die besten
Resultate von der innerlichen Anwendung von Conium und Atropin
gesehen und glaubt, dass die Heilwirkung dieser Mittel noch durch
das gleichzeitige Verabreichen von Brompräparaten gesteigert wird.
Zur Frage von der Aetiologie der peripherischen Facialislähmung.
Von M. Bernhardt. (Berliner klin. Wochenschrift, Feb. 29. 1892.)
Diese Untersuchung, welche eine Reihe von 71 Fällen betrifft,
ergiebt ungefähr dieselben statistischen Resultate als Bernhardt bei
früheren Arbeiten gewonnen hat. Ein Resume dessen, was über das
Vorkommen von peripherischer Faciahslähmung bei Diabetes, Lues,
im Puerperium, in dieser Arbeit gebracht wird, ergiebt das Resultat,
dass eine gewisse Anzahl von Facialisparalysen (abgesehen von den
durch Ohrenaffectionen und Verwundungen entstandenen) nicht ein-
fach auf refrigeratorische Einflüsse zurückgeführt werden kann. Ob
jedes Mal in den hier angeführten Beobachtungen eine wahre Neuritis
des N. Facialis vorgelegen, will Verfasser nicht behaupten, sondern er
glaubt, dass in vielen Fällen eine Betheiligung der Kernursprünge des
Facialis an dem pathologischen Process nicht von der Hand zu
weisen ist.
IJeber die Heilwirkung der Elektricität bei Nerven- und Muskel-
leiden. Von Dr. Friedrich Schnitze. (Wiesbaden 1892.)
Es wird hier in etwas veränderter Form ein Vortrag veröffentlicht,
welcher schon 1887 in Dorpat gehalten wurde.
Bei der Beurtheilung so schwieriger Fragen, wie derjenigen des
etwa herbeigeführten Heilerfolges bei Krankheiten des Nervensystems,
ist es sehr schwer unbeirrt und klar zu sehen, besonders wenn, wie es
vielfach geschieht, noch andere Mittel neben der Anwendung der Elec-
tricität benutzt werden. Indem wir nun aber eine genauere Kenntniss
der in Betracht kommenden Krankheiten haben und die Krankheiten
mit anatomischen Störungen von den sogenannten functionellen besser
trennen können, sollte die Frage eine immer leichter zu beantwortende
sein.
Von der Frage ausgehend, in wie weit der electrische Strom bei
Nervenkrankheiten heilen resp. bessern könne, geht Schultze zuerst
darauf ein, ob organische Erkrankungen, mit anatomisch nachweisbaren
192
Störungen verbunden, überhaupt durch den electrischen Strom beein-
flusst werden können oder nicht. Am einfachsten zu beurth eilen
wären klare und anatomisch gut studirte Fälle von peripherer Degene-
ration der Nerven ; wesentliche Aenderungen in der Heilung solcher
Erkrankungen wurden niemals beobachtet, auch wenn die electrische
Behandlung sehr frühzeitig begonnen wurde. Geringfügige Verände-
rungen unmittelbar nach einer Sitzung konnten gelegentlich beobachtet
werden, indessen hielten diese anscheinenden Besserungen nur ganz
kurze Zeit an und waren ohne Einfluss auf den Heilungsverlauf im
Allgemeinen. In dieser Erfahrurg befindet sich S. in Uebereinstim-
mung mit fast allen Neurologen und Electrotherapeuten. Ein directer
Einfluss auf die Wachsthumsvorgänge in den erkrankten Nerven kann,
von vornherein nicht abgeleugnet werden, jedoch fehlt hier jedwelcher
direkter Beweis. Was nun die Erkrankungen des Kückenmarks,
welche mit Degeneration und überhaupt mit anatomisch nachweis-
baren Veränderungen desselben einhergehen, betrifft, so hat man auf die
Wirksamkeit des electrischen Stromes, besonders bei der Poliomyelitis
und bei der Tabes, grosse Hoffungen gesetzt.
Bei der Behandlung der Poliomyelitis hat sich Verfasser grosse
Mühe gegeben, um gegen die schweren Folgezustände derselben anzu-
kämpfen, aber der Erfolg war ein sehr unbefriedigender. Bei der
sogenannten Poliomyelitis chronica werden allerdings bessere' Heil-
resultate angegeben, indessen ist ein grosser Theil der hierher gerech-
neten Fälle auf multiple Degeneration der peripheren Nerven zu
beziehen. Was weiterhin die Tabes betrifft, so ist ein allseitiges Ein-
verständniss vorhanden, dass eine specifische Heilwirkung der Elec-
tricität bei dieser Krankheit nicht existirt, bei einzelnen Symptomen
jedoch mag die Electricität von Nutzen sein.
Was die sonstigen acuten und chronischen Kückenmarkskrank-
heiten anbetrifft, so ersieht man aus einem Studium der Literatur, dass
nur bei solchen Erkrankungen, welche ihrer Natur nach an und für
sich Besserungen zulassen, über günstige Kesultate mittelst Anwen-
dungen des electrischen Stromes berichtet werden, während bei den
gleichmässig progressiven Zuständen niemals von Erfolg gesprochen
wird. Ganz ähnlich wie bei den auf groben anatomischen Verände-
rungen beruhenden Kückenmarkskrankheiten steht es mit den ent-
sprechenden Krankheiten des Gehirns.
Wenn demnach bei den anatomisch nachweisbaren groben Verän-
derungen des Nervensystems kein besonderer Heilerfolg mittelst der
Electricität zu erzielen ist, so sollte man meinen, dass bei den soge-
nannten functionellen Erkrankungen die Sache sich anders verhielt.
Diesbezügliche Betrachtungen fängt Schültze bei den Neuralgien an ;
hier ist eine Thatsache sicher zu constatiren, nämlich, dass es uns noch
nicht gelungen ist, den Chirurgen entbehren zu können. Bei den leich-
ten Neuralgien hingegen wird die Wirksamkeit des electrischen
Stromes nicht bestritten ; über die Behandlung der Ischias mit dem
electrischen Strome allein besitzt Verfasser keine Erfahrungen. Bei
den clonischen und tonischen Krampfzuständen hat S. nur äusserst
spärliche Kesultate erzielt, und über Behandlung der Psychosen mit
Electricität besitzt er" ebenfalls keine Erfahrungen. Was die allge-
meinen Neurosen anbelangt, so ist von der Electricität bei Paralysis
agitans nichts zu hoffen ; die Chorea minor schwindet auch ohne den
electrischen Strom und über Erfolge bei Morbus Basedowii sind die
Beobachtungen zu spärlich, um daraus Schlüsse ziehen zu können.
Entschieden wirksam entfaltet sich die Electricität bei der Hysterie.
Zum Schlüsse erwähnt S. noch der Einwirkung des electrischen
Stromes auf Erkrankungen der quergestreiften und der glatten Mus-
culatur ; bei Myalgien und akutem Muskelrheumatismus ist der Erfolg
193
mcht selten günstig und rasch, immerhin ist dieser Erfolg nicht immer
mit Sicherheit vorherzusagen ; die secundären Muskelatrophien nach
Gelenkerkrankungen sind gewiss (ebenfalls durch die Einwirkung des
electrischen Stromes günstig zu beeinflussen. Sehr günstig sind die
Erfolge der verscliiedenen Applicationsweisen des Stromes bei gewissen
Erkrankungen des Darmes, des Magens und der Blase.
Gynäkologie. — Referirt von Dr. BRETTAUER.
Palliative Behandlung des Carcinoma uteri mit Alkohol. Von Dr. Hein-
rich Schnitze. (Centralblatt f. G} näk., 1892, No. 13.)
Ueberzeugt von der baktericriden und eiweissgerinnenden Wirkung
des Alkohols — je nach der Auffassung der Aetiologie des Carcinouis —
begann Verf. seine Behandhmg der Carcinome. Es wurden 10 Fälle
behandelt, doch ist die Behandlung nur in zweien abgeschlossen, deren
Krankengeschichten ausfülirJich raitgetheilt werden (siehe Original).
Es wurden entweder täglich oder jeden andern Tag von 5 — lOCcm.
absoluten Alkohols direkt in die Substanz des Uterus injicirt und nach
45 resp. 48 Sitzungen eine bedeutende Schrumpfung der Geschwulst
constatirt. vorhandene ülccrationen sind geheilt, keine Blutungen
mehr aufgetreten und in beiden Fällen subjectives Wohlbefinden, das
im ersten Falle noch 4 Monate nach sistirter Behandlung andauerte.
[Trotz des speciell in den letzten Jahren so häufigen Auftauchens
neuer Carcinomtherapien und den damit verbundenen Enttäuschungen,
sowohl für die armen Patienten als auch für die ärztliche Welt, dürfte
diese Behandlung ihrer Einfachheit wiegen in den weitesten Kreisen
erprobt werden ; hoffenthch mit denselben Eesultaten, die uns vom
Verf. geschildert werden. Ref.]
Myomectomia in graviditate. Von Dr. Strauch, Moskau. (Petersb.
med. Wochensch., 1892, Xo. lO.j
Verf. fand bei einer 28jährigen im vierten Monate schwangern Frau
oberhalb der linken Uterusecke eine ca. gänseeigrosse harte Ge-
schwulst, die der Pat. heftige Schmerzen verursachte und für ein sub-
seröses Myom gehalten wurde. Nach dreiwöchentlicher Beobachtung
war die Geschwulst bis zur Grösse einer Mannesfaust gewachsen, an-
scheinend fluktuirend. Die Diagnose wurde auf Ovarialcyste gestellt
und da die Beschwerden sehr bedeutende waren, Laparatomie ge-
macht. Es fand sich ein gestieltes Myom. Dauer der Operation von
der Incision an gerechnet bis zum vollendeten Verbände, zwölf (12) Mi-
nuten. Heilung und unuoterbrochene Schwangerschaft.
[Ref. vermisst nähere Angaben über das Aussehn der Geschwulst
am Durchschnitte, speciell bezüglich ihres Blutreichthums, der die ge-
stellte Diagnose ja leicht erklären Hesse. Da Pat. schon mehrere
Jahre zuvor in Verf. Behandlung gestanden, wäre es wohl interessant
zu wissen, ob bei keiner der vorhergehenden Untersuchungen das Vor-
handensein eines kleinen Knotens constatirt wurde.]
Ventrofixation des Uterus mit absoluter Indication. Von Robert Asch.
(Centralbl. f. Gynäk., 1892, No. 13.)
Im Centraiblatte für Gynäkologie, 1885, p. 404, hat Heileri n einen
Fall beschrieben, bei dem Fritsch eine Episiokleisis ausgeführt hatte,
wegen einer Blasenscheidenfistel, die nach mehreren operativen Ein-
griffen nicht zur Heilung gebracht werden konnte. Nach Anlegung
und Umsäumung einer Scheidenmastdarmfistel wurde die Scheide in
sagittaler Richtung angefrischt und vernäht. Der Erfolg war ein voll-
kommener und fühlte sich Patientin durch fünf Jahre lang vollständig
194
wohl, uriairte und menstruirte durch die Analöffaung. Da begegnete
es ihr, dass sie auf einer Treppe ausgUtt und nur durch einen plötzUchen
Ruck nach hinten das Gleichgewicht erhalten konnte. Dies war die
Ursache von gleich nachher auftretenden Rückenschmerzen, Ueblich-
keit und Erbrechen. Als A. die Pat. sah, fand er einen grossen, sehr
empfindlichen retroflektirten Uterus. Aufrichtung in Narkose gelang
leicht, die Erscheinungen sistirten für einige Tage, um dann in
grösserer Intensität wieder aufzutreten. A. machte nun die Ventro-
flxation mit gleichzeitiger Entfernung der Aduexa. Der Verlauf war
ein durch mehrere Zufälle gestörter. Es entstand durch Einführung
des Katheters von einer Wärterin Cystitis, die Blasenausspülungen
nöthig machte, dann stiess sich aus dem Uterus ein membranöser Aus-
guss ab, der aus dem Scheidenblindsack per rectum entfernt werden
musste. Endlich war die Bauchwunde nicht vollständig geheilt; es
restirte nach 6 Wochen noch eioe Fistel aus der ein flacher (ca. 30 Ctni.
im Quadrat) Gasetupfer, entfernt wurde, der bei der Operation offen-
bar vergessen worden war. Von da ab schnelle Heilung, Pat. befand
sich 8 Monate nach der Operation vollständig wohl.
Pneumoniekokken im Eiter bei Pyosalpinx. Von Prof. Frommel, (Er-
langen.) (Centralbl. f. Gyuäk., 1892, No. 11.)
Leichte Auslösung eines ca. kleinapfelgrossen Tumors der rechten
Adnexe. Bei der Abbindung des uterinen Endes des Eileiters schneidet
die Ligatur durch, es treten einige Tropfen eines rahmigen Eiters aus,
von dem geringe Mengen trotz aller Vorsicht mit dem Peritoneum in
Berührung kommen. Exitus letalis nach 60 Stunden unter dem Bilde
einer schweren septischen Infektion. Obduktion ergibt keinen posi-
tiven Befund; in der Bauchhöhle kein Eiter, kein Exsudat, Amputa-
tionsstumpf nicht belegt; mässiges Lungenoedem. Die Sektion war
erst 48 Stunden p. m. gemacht, daher bakteriologische Untersuchung
der Bauchhöhle negativ.
Im Tubeneiter anscheinend eine Reinkultur von als Diplokokken
aneinander gereihten Kapselkokken, die den FRäNKEL'schen Pneumo^-
niekokken vollkommen entsprechen. Thiere, geimpft mit durch Plat-
tenguss-Verfahren gewonnenen Kulturen, gingen alle schnell zu
Grunde. Prof. FRäNKEL bestätigte die Identität mit Pneumoniekokken.
Kinderheilkunde. —Referirt von Dr. SARA WELT.
Haemorrhages in the New -Born. By Charles W. Townsend, M. D.
(Boston Med. and Surg. Journ., August, 1891.)
T. hatte Gelegenheit die Erkrankung an 32 Neugeborenen im Bos-
ton Lying-in Hospital zu beobachten und ist dabei zu folgenden
Schlüssen gekommen.
1) Haemorrhagie in neugeborenen Kindern ist fast immer eine acute,
vorübergehende Erkrankung, welche in den ersten 10 Tagen auftritt;
ihre Dauer beträgt 1 — 6 Tage.
2) Ihre Aetiologie wird vielleicht am besten durch die Infections-
theorie erklärt.
3) In sehr seltenen Fällen wird die Erkrankung durch wahre
HaemophiUe bedingt; manchmal liegt ihr Syphilis oder Septicämie zu
Grunde.
4) Die Mortalität der Erkrankung beträgt, was auch immer ihre
Ursache sein mag, etwa 7ö%.
5) Die Behandlung soll dem trausitorischen und vielleicht infectiö-
sen Charakter der Krankheit entsprechen.
195
Asphyxia Neonatorum. ByC.^W. M. Brown, K.[D. (Archives of Pcdia-
trics, January, 1892.)
Die Mittheilung betrifft ein schweres, nach einem protrahirten Ge-
burtsakte mit der Zanj^e entbundenes Kind. Seine Hautdecken waren
cyanotisch verfärbt, der P.ds unregelmässig und sehr verlangsamt,
während die Athmung scheinbar aufgehoben war. B. entzog zunächst
aus dem foetalen Ende der durchschnittenen Nabelschnur 2—3 Drach-
men Blut und wandte nach Reinigung der Mund- und Rachenhöhle,
kalte und warme Bäder, ebenso wie die Methoden von Sylvester und
ScHULTZE zur Einleitung der künstlichen Athmung an, ohne jedoch
irgend welchen Erfolg zu erzielen. B. versuchte nun Luft direkt in die
Lungen einznblasen, indem er seinen INlund an denjenigen des Kindes
anlegte. Der Thorax dehnte sich dabei aus und eine Exspiration er-
folgte. Dieses Verfahren wurde durch 1^ Stunden wiederholt, worauf
das Kind spontan und regelmässig zu athmen begann. [Der ange-
wandten Methode wäre wohl die Katheterisation der kindlichen Luft-
wege und nöthigenfalls das Einblasen der Luft durch den Katheter
vorzuziehen. Ref.]
Ein Fall von Makrosomia. Von Dr. Adolf Bruenaner. (Wien. Med.
Wochenschrift, No. 1, 1892.)
Während das Gewicht Neugeborener im allgemeinen zwischen
3200—3500 Gr. schwankt, wog der von grossen und kräftigen Eltern
kommende Knabe bei der Geburt 4800 Gr.; im fünften Monat hatte er
nahezu das Dreifache seines eigenen Gewichtes erreicht, 14,000 Gr.,
während gewöhnlich das Gewicht der Säuglinge im fünften Monat sich
nur verdoppelt. Seine Körperlänge betrug um dieselbe Zeit 71 Ctm.;
der Kopfumfang 43, und der Unterleib über dem Nabel 56.5 Ctm. Die
einzelnen Organe waren alle gesund und die geistige Perception nicht
zurückgeblieben. Der erste Zahndurchbruch erfolgte im dritten Monat
und im sechsten Monat hatte das Kind bereits 12 Zähne,
Auffällig war die verminderte Pulsfrequenz, welche B. mit der grösse-
ren Körperlänge in Verbindung zu bringen geneigt ist.
On Relapse or Recrudescence in Scarlet Fever. Two Cases, with a Note
on the Literatnre of the Subject. By G. P. Boddie. (Edinb. Med.
Journ., October, 1891.)
Wegen des relativ seltenen Auftretens eines wahren Recidiv's nach
Scharlach, sieht sich B. zu seiner Mittheilung veranlasst.
Ein 14jähriger Knabe, Reconvalescent nach einem mässig schweren
Scharlach; am 37. Tage nach dem Beginne der Erkrankung stellte
sich, nach einer vorausgegangenen Erkältung, unter Frösteln und
Kopfweh abermals Fieber ein; die Hautdecken aber wurden wieder von
dem charakteristischen Exanthem bedeckt, welches bald von starker
Desquamation gefolgt wurde. Das Recidiv dauerte 5 Wochen.
Der zweite Fall betrifft einen 9jährigen Knaben, bei welchem am 28.
Tage nach dem Auftreten eines wohl definirten Scharlachs unter stärke-
ren Fiebererscheinungen und Angina eine abermalige Eruption auf-
trat, an welche sich eine starke Abschuppung der Haut anschloss. Es
erfolgte Genesung. Zwischen der ersten und zweiten Invasion litt der
Pat. an Varicellen.
Ueber abnorm kurze Incubationszeit des Scharlachs. Von Doc. Dr.
Johann Bokai. (Archiv für Kinderheilkunde, XIV. Bd.)
Die Dauer der Incubationszeit des Scharlachs schwankt nach der An-
gabe der älteren Autoren zwischen 8 — 14 Tagen; nach neueren Daten
196
beträgt sie in der überwiegenden Häufigkeit kaum 4 Tage; ja Sören-
SEN beobachtete unter 38 Fällen 7 Male eine weniger als 24. Stunden
betragende Incubationsdauer.
B. berichtet über zwei den SöRENSEN'schen ähnliche Fälle; beide wa-
ren diptheriekranke Kinder unter 5 Jahren, welche wegen hochgradi-
ger Athembeschwerden in die Diphtherieabtheilung des Stefanie-Kinder-
spitales in Budapest aufgenommen wurden, während Scharlach da-
selbst endemisch war; bei beiden Patienten wurde wenige Stunden
nach der Aufnahme die Tracheotoraia superior ausgeführt; doch war
die darnach folgende Erleichterung nur von kurzer Dauer; bald traten
unter hohem Fieber erneuerte Athembeschwerden auf und nach kaum
24stündigem Spitalsaufenthalte zeigte sich bei beiden Kindern ein für
Scharlach charakteristisches Exanthem. Der Exitus letalis erfolgte
bei beiden weniger als 2 Tage nach der Aufnahme an Bronchitis crou-
posa. Die kurze Incubationszeit ist nach B. dahin zu erklären, dass
das Virus unmittelbar in die Blutbahn gelangte.
Gase of Imperforate Anus ; In^inal Colotomy. By Hamilton S. Lang-
will. (Edinburgh Med. Journ., November, 1891.)
Zwei Tage alter, gesund und plump aussehender Knabe; mit deut-
lich ausgesprochener Interglutealfurche; doch ohne Andeutung eines
Anus. Da bei der Ih" in die Tiefe reichenden Incision an dieser Steile
das untere Darm ende nicht gefühlt werden konnte, schritt L. sofort
zur Ausführung der Colotomia inguinalis sinistra; nach Eröffnung der
Bauchdecken wurde die Flexura sigmoidea sofort erkannt und mittelst
zahlreicher und tiefer Xähte an die Wundränder befestigt; aus dem
nun eröffneten Darme entleerte sich eine grosse Menge von Meconium.
Watteverband. Das Kind schien den Eingriff gut zu vertragen; doch
trat am fünften Tage nach der Operation Fieber auf und 2 Tage später
zeigte es sich, dass eine Anzahl der Nähte aufgegangen war; aus der
Wunde aber prolabirte ein mehr als 2' langes Stück des Darmes; trotz
aller Versuche konnte L. nachdem Patient chloroformirt worden war,
nicht mehr als die Hälfte reponiren. Tags darauf trat der Exitus
letalis ein. Bei der Obduction wurde der Magen sehr ausgedehnt ge-
funden; der künstliche Anus befand sich etwa 5" oberhalb des blinden
Darmendes, welches unmittelbar hinter dem Blasenhalse lag.
Bakteriologe. —Referirt von Dr. LOUIS HEITZMANN.
Ueber eine bewegliche Sarcine. Von Dr. G. Maurea. (Centraiblatt für
Bakteriologie und Parasitenkunde. Band XI., No. 8.)
Bei der mikroskopischen Untersuchung von langer Zeit in einem
Glasrohr enthaltener Ascitesflüssigkeit beobachtete M. Diplokokken
und Tetraden, welche mit einer raschen Eigenbewegung begabt waren.
Die einzelnen Kokken sind 1.5 u. dick. Auf der Gelatineplatte beginnt
am siebenten oder achten Tage eine Verflüssigung, wobei sich ein
Ziegelrothes Pigment bildet. Auf Agar zeigen die Organismen die Be-
wegung nur in den ersten Tagen. Dieser Mikroorganismus kann nicht
mit dem von Mendoza beschriebenen Micrococcus tetragenus mobilis
ventiiculi identifizirt werden, weil letzterer die Gelatine nicht verflüs-
sigt, ferner alte Kulturen Zuckerfarbe annehmen und nach Skatol
riechen ; ebenfalls nicht mit Micrococcus agilis weil er auf Kartoffeln
kein Wachsthum zeigt. Schon bei der Untersuchung in Bouillonkultur
glaubte M. eine Andeutung richtiger Sarcinepaokete zu sehen und um
sich zu überzeugen, säte er den Organismus auf Heuinfus aus. Schon
am zweiten Tage konnte er zahlreiche Packete nebt Diplokokken und
197
Tetraden bemerken, welche in lebhafter Bewegung waren. Dieses
Bakterium kann daher mit Recht Sarcina mobilis genannt werden, und
stammt wahrscheinlich aus der Luft her.
Ein kleiner Kniff zur Gram'schen Methode der isolirten Bakterien-
farbung. Von Dr. E. Botkin. (Ebenda.)
Jeder der sich mit der GRAM'schen Färbung beschäftigt, hat zuerst
mit Misserfolgen zu kämpfen und zwar missglückt hauptsächlich das
Entfärben, welches man erst durch gewisse Uebung bewältigen kann ;
entweder bleibt das Präparat diffus violett gefärbt oder es wird zu viel
entfärbt. Der Uebelstand wäre zu beseitigen, wenn man 1) das Präparat
nach dem Gentianaviolett und vor dem Jodjodkalium ausspülen und
2) die Entfärbung etwas ruhiger ausführen könnte. Den beiden
Zwecken schien Botkin das Anilinwasser als klare, die Anilinfarbe
lösende und als Beize wirkende Flüssigkeit theoretisch zu entsprechen.
Es erwies sich auch so in der That : die Schnitte oder Deckglasprä-
parate wurden in Anilinwasser-Gentianaviolett gefärbt, dann in reinem
AniHnwasser von der überflüssigen Farbe abgespült, und konnten so-
dann viel länger im Alkohol liegen bleiben als die nach dem gewöhn-
lichen Verfahren gefärbten, und kamen rein und zierlich heraus, wenn
sie auch inehr als drei Minuten in der Jodlösung verweilt hatten. Be-
sonders bei Milzbrandpräparaten waren die Stäbchen ganz gleichmässig
gefärbt. Aehnliche Erfolge wurden mit folgenden Bakterien erzielt :
Bacillus des malignen Oedems, Friedl^nder's Pneumococcus, Strepto-
coccus, Staphylococcus, Bacillus des Schweinrothlaufs, der Mäusesepti-
kämie, Micrococcus tetragenus und Actinomycesdrüsen.
Eine Methode zur Gewinnung von Reinkulturen der Tuberkelbacillen
aus dem Sputum. Von Dr. E. Pastor. (Ebenda.)
Die Herstellung von Reinkulturen des Tuberkelbacillus nach dem
von Koch angegebenen Verfahren nimmt sehr viel Zeit in Anspruch und
ist das Resultat wesentlich von bacillenreichem und ganz frischem
Tuberkelmaterial abhängig. Pastor ist es wiederholt gelungen, Rein-
kulturen direkt aus dem Sputum und dem Inhalte phthisischer Kaver-
nen zu erhalten. Das Prinzip des Verfahrens beruht auf der Platten-
kultur und ist folgendes : Nachdem man sich durch die mikroskopische
Untersuchung überzeugt hat, dass das Sputum sehr bacillenreich ist
und verhältnissmässig nur geringe Verunreinigungen mit anderen
Mikroorganismen aufweist, lässt man die Patienten wiederholt die
Mund- und Rachenhöhle mit sterilisirtem Wasser ausspülen und darauf
in ein sterilisirtes Reagenzglas expektoriren. Das so gewonnene
Sputum wird durch Aufschütteln mit sterilem Wasser fein emulgirt
und zur Entfernung von gröberen Partikeln durch ferne Gaze filtrirt.
Von dem bacillenreichen Filtrat werden einige Tropfen mit flüssiger
10%" Nährgelatine vermischt, jedoch so, dass die Nährflüssigkeit da-
durch nicht sehr getrübt wird. Die noch flüssige Gelatine wird sodann
auf Platten ausgegossen, die bei Stubentemperatur unter Glasglocken -
verschluss belassen werden. Nach Verlauf von 3 — 4 Tagen treten die
verschiedenartigen Kolonien der das Sputum verunreinigenden Bak-
terien auf. Mit der Lupe werden nun die zwischen den Kolonien klar-
gebliebenen Stellen aufgesucht, vorsichtig mit einem desinfizirten
Messer herausgeschnitten und auf die schräg erstarrte Oberfläche des
Blutserums gebracht. Von 10 auf solche Weise geimpften Blutserum -
Röhrchen wurden stets in einem, seltener in einigen, Reinkulturen von
Tuberkelbacillen erhalten. Die übrigen zeigten schon in den ersten
Tagen Verunreinigungen. Mit Kavernen erhält man noch bessere
Resultate.
198
Macaroni als fester Nährljoden. Von Prof. G. de Lagerheim. (Zeitschrift
für Bakteriologie und Parasitenkunde. Band XI, No. 5.)
Seit einigen Jahren werden bei Kartoffelkulturen bekanntlich meist
Kartoffelstücke in Eeagirgläsern verwendet, da dies Verfahren viel
handlicher ist. L. wendet nun statt Kartoffelstücke Macaroni an, und
hat sich dieser Nährboden sehr gut bewährt. Man verschafft sich mög-
lichst weisse Macaroni, die 5 mm. iin Durchmesser sind und ein Kaliber
von 3 mm. haben. Dieselben werden in Stücke von 4,5 cm. zerknickt und
in sterilisirte Reagenzgläser gethan. In die Eeagenzgläser thut man
so viel Wasser, dass es 1 cm. über das Macaronistück steht. Die
Macaronistücke werden jetzt so lange gekocht, bis sie angeschwollen
und weich sind, wozu ungefähr eine viertel Stunde nothwendig ist. Das
Wasser wird jetzt sorgfältig abgegossen, die Eeagirgläser werden mit
Wattepfropfen versehen und in der gewöhnlichen Weise sorgfältig
sterilisirt. Am Grunde des Reagenzglases bleibt etwas Wasser zurück,
was aber nicht schadet. Wenn die Macaroni fertig sind, haben sie eine
leicht gebogene Form. Sie sind fast ganz weiss und haben eine matt
glänzende Oberfläche. Dieser Nährboden ist schneller herzustellen als
der Kartoffelnährboden und beschmutzt nicht die Innenseite der Rea-
girgläser. Die Oberfläche ist ebener und weisser. Einige Bakterien
wachsen zwar auf Kartoffeln aber nicht auf Macaroni und können diese
Nährböden auch zum Diagnosticiren verwendet werden.
Wissenschaftliche Zusammenkunft Deutscher Aerzte in
New York.
(110 West 34. Strasse.)
Sitzung vom 22, Januar 1892.
Vorsitzender : Dr. Grüening.
Schriftführer : Dr. E. Fkidenberg.
Vorstellung von Patienten.
Dr. Fischer stellt vor ein 3^jähriges Kind mit Tripper und
demonstrirt ein Gonokokken-Deckglaspräparat.
Discussion.
Dr. Scharlau hat mindestens vier Fälle von Tripperinfektion bei
jungen Kindern beobachtet. Dieselbe rührt gewöhnlich von einer
Art Coitus her, zu dem tripperkranke Dienstmädchen und dergleichen
die Kinder missbrauchen, seltener von schmutzigen Instrumenten,
z. B. Cathetern.
Dr. Goldenberg hat mehrere Tripperinfektionen bei jungen
Kindern gesehen.
Pathologische Präparate.
Dr. Brettauer legt das Präparat einer geplatzten Tubar-
schwangerschaft vor.
Die 34iährig:e Patientin hatte Anfangs August die letzten Menses.
In der ersten Woche des Oktobers traten Schmerzen im ganzen Ab-
domen auf, bald wieder verschwindend. Nach fünf Tagen Schmerz
und Uterinblutung. Ein Arzt räumte in der Narkose den Uterus aus.
Trotz Tamponade, Ergot u. s. w. hört Blutung nicht auf. Im Spitale
constatirt man rechts vom etwas vergrösserten Uterus eine harte,
schmerzhafte, elastische faustgrosse Geschwulst, nur mit dem Uterus
beweglich. Aus dem Uterus konnte zur Feststellung der Diagnose
199
nichts ausgekratzt werden. Am 28. December neue starke Blutung.
(Der Urin, verschiedene Male untersucht, ergab eine Spur Eiweiss, 1022,
im Sedimente einige Eiterkörperchen). Am 31. December Laparotomie
und Entfernen einer geplatzten Tubarschwangerschaft. Die Operation
dauerte 40 Minuten. Kurz vor der Operation war der Puls 184, aber
nicht schlecht. Sieben Stunden später Patientin anscheinend in gutem
Zustande. Tags darauf Temperatur 100, Puls 178. Keine Auftreibung
des Abdomens. Keine Nachblutung. Am folgenden Tage Abdomen
etwas aufgetrieben. Eine Eöhre, in's Rektum eingeführt, entleerte viel
Gas. Um 12 Uhr, nach tiefem Athemzug, plötzlich und ganz unerwartet
Exitus. Autopsie ergiebt doppelseitige interstitielle Nephritis. Circum-
scripte Peritonitis an der Operationsstelle. Das Präparat zeigt einen
Embryo, der gegen Ende des zweiten oder Anfang des dritten Monates
abgestorben war. Tube bedeutend erweitert. Placenta oder Decidua
mikroskopisch nicht nachweisbar.
Discussion.
Dr. A. J a c o b i. Schon vor 25 Jahren behauptete Sims, dass solche
Todesfälle, bei denen Fieber und Peritonitis fehlen, während das Be-
wusstsein erhalten bleibt, auf akuter Sepsis beruhen.
Dr. Förster: Bei akuter Anämie, welche in diesem Falle beim
Exitus die Hauptrolle spielte, tritt Sepsis etwas verschieden auf. Die
Anämie war hier progressiv. Patientin blutete im Ganzen fünf
Wochen. Bei Tubarsch wangeren ist das Kurettiren sehr gefährlich,
da selbst ein geringer Reiz, wie das Einführen einer Sonde, Ruptur
veranlassen kann.
Dr. Oberndorfer: In einem Falle von accidenteller, äusserst pro-
fuser Blutung in der Wehenperiode starb nach vier Tagen die Mutter
mit ungeheuer schnellem Pulse, aber trotz fötiden Ausflusses ohne
Fieber.
Dr. Brettauer hat akute Sepsis ohne Fieber öfters beobachtet,
jedoch waren Gesiehtsausdruck und Puls charakteristisch und wurden
post mortem immer ausgesprochene Veränderungen an der Milz con-
statirt.
Dr. Willy Meyer stellt eine Patientin vor. Patientin, 52 Jahre,
im letzten Sommer. Alle Zeichen einer stricturirenden Mastdarm-
Neubildung. Nach vier Monaten war Tumor vereitert. Man konnte
in Narkose obere normale Schleimhaut fühlen. Vorbereit acht Tage
lang, (darauf zehn Tage lang kein Stuhl), Operation nach Keaske,
Bardenheuer in der Knieellenbogenlage. Nach Entfernen des Tumors,
mit doppelter Naht beide Enden vereinigt. Nach zehn Tagen erster
spontaner Stuhl. Prima intentio. Heilung mit trefflich functionirendem
Sphinkter.
Dr. Brettauer. Ein Fall nach HoHENECK'scher Methode ver-
heilte gut. Bei dem ersten Stuhl platzte der Darm und die ganze
Wunde musste wieder eröffnet werden.
A. J a c o b i legt ein Herz mit ulcerativer Endokarditis, herrüh-
rend von einem Falle von Septico-pysemie vor.
Ein seit 3 — 4 Wochen leicht kränkelndes Kind sah Jacobi vor 11
Tagen zum ersten Mal. T. 105 — 106°, Zunge normal. Kein erklärender
Befund. Puls ging bald in die Höhe, 130 bis 140. Später einige
Schmerzen in der Muskulatur. Alle Medikamente waren umsonst,
bis auf Natr. Salicylicum, welches die Temperatur herunterzu-
drücken schien. Probe war negativ. Am dritten Tage wurde
.über dem Herzen ein systoliches Geräusch gehört, welches nach 2
Tagen permanent verschwand. 6 Tage lang konnte Diagnose nicht
2ÖÖ
gestellt werden. "Dann bemerkte man eine leichte Anschwellung in
der Trochantergegend, welche bis zum folgenden Tage ohne viel
Schmerz zu einer bedeutenden Schwellung gediehen war. Also Ulce-
röse Endokarditis mit Osteomyelitis. Der Abscess wurde eröffnet. 2
Tage später Exitus. Als Eingangspforte der Infection fand man eine
kleine offene Stelle an der Wange, welche durch Kratzen mehrere
Wochen hindurch offen gehalten worden war.
Autopsie ergab: Eiter im Knochen. Epiphyse abgelöst. Alle
Organe normal bis auf linke Lunge (Intra vitam leichte Dämpfung),
an der pleuritischer Erguss, eine Reihe von Infarcten und pneumoni-
schen Infiltraten gefunden, und Herzklappen normal, aber in der
Scheidewand zwischen beiden Vorhöfen tiefes circuläres Geschwür,
(mit Kokken übersät). An Gelenken sowie im Unterzellgewebe keine
Veränderung.
A. J a c o b i legt ein Präparat von Lipomatosis des Bauchfells vor.
An dem 60-jährigen, an chronischen Diarrhöen stark herabgekom-
menen Patienten, fiel der gewaltig dicke Bauch auf. Die Diagnose
wurde auf Carcinom des Darmes gestellt. Sektion ergab grosse Fett-
massen des Bauchfells speciell der Appendices Epiploicae.
B. Sachs legt vor das Schädeldacheines 4-jährigen, idiotischen
und microcephalischen Kindes, an welchem nach einer von Gerster
im letzteu Frühliüg ausgeführten Kraniotomie eine mässige aber un-
verkennbare Verbesserung im geistigen Verhalten beobachtet wurde,
welches aber einer zweiten 5 Monate späteren Kraniotomie 12 Stunden
nach der Operation erlag. Die erste Schädelwunde ist mit ziemlich
straffem Bindegewebe ausgefüllt. Das Gehirn ist nach rückwärts von
der Präcentraifurche gut entwickelt, nach vorn schlecht. Dieser
Befund ist bei Idioten-Gehirnen recht häufig. Die Kraniotomie sollte
deshalb vorn in beiden Erontalbeinen und nicht, wie Lannelongue es
angiebt, ausgeführt werden. Die Operationsresultate sind nicht
günstig. Der Tod ist bei Kindern häufiger wie bei Erwachsenen. Je-
den microcephalischen Schädel zu operiren ist Unsinn. Nur solche
Fälle sind chirurgisch zu behandeln, in denen die mangelhafte Schädel-
bildung direkt die mangelhafte Gehirnbildung bedingt hat; so durch
prämature Synostose, aber auch durch congenitale Kleinheit des
Schädels.
Discussion.
S c h a r 1 a u hat sich nicht für die Berechtigung der Operation ent-
scheiden können. Im vorliegenden Falle besteht eine angeborene
mangelhafte Bildung der Frontallappen. Was nützt da die Operation.
Wenn es wachsen will, so treibt das Gehirn den Schädel auseinander,
wie z. B. beim Hydrocephalus.
A. J a c o b i. Lannelongüe's Berichte stempeln ihn als einen Enthu-
siasten, der nicht weiss, was Microcephalus ist. Microcephalus ist eine
Gehirnhemmungsbildung, bei der die grossen Hemispheren oder die
Basalganglien, oder beide— anstatt harmonisch klein zu bleiben— mehr
oder weniger defect sind. Die Stirn ist eng. Der Schädel in der Regel
dünn. Die Fontanelle bleibt lange offen. Die Fontanellenenden lassen sich
verschieben. Also kein Druck. Vor 35 Jahren veröffentlichte er seine
erste Arbeit über frühzeitige Schädelverknöcherung. Seitdem hat er
gewiss 1000 Microcephalenschädel untersucht. Die frühzeitige Ver-
knöcherung kann Kleinbleiben des Gehirnes bedingen. Da könnte die
Operation nützen.
Willy Meyer hebt die grosse Gefährlichkeit der Operation her-
vor. Er verlor einen Fall nach einfach linearer Kraniotomie an
Meningitis, einen anderen bei dem die Dura gespalten und Punktionen
gemacht wurden, trotz massigen Blutverlustes, nach 4 Stunden an
201
Schock. Peck in Buffalo hat guto üperationsresultate in einzelnen
Fällen monatelang beobachtet.
B. Sach s. Eine vorurtheilsfreie Sichtung der Berichte wird jeden-
falls die Berechtigung der Operation in sorgfältig ausgewählten Fällen
klar maclien. Bei dem microcephalischen Gehirne handle es sich nur
um Inhibition des Wachsthumes der höchsten Nervenelemente; die
von Jacobi beschriebenen gröberen Defekte kaemen in die liubrik der
Porencephalie. Dass im vorliegenden Fall die Frontallappen congenital
defekt waren, sei unerwiesen. Die praktische Schwierigkeit im einzel-
nen Falle ist, zu bestimmen, ob unter dem kleinen Schädel ein kleines
Gehirn steckt.
A. J a c o b i. Microcephalie ist im wissenschaftlichen Sinne ein
kleiner Schädel über dem kleinen Gehirne, Porencephalie ist ein ganz
anderer Vorgang. Man kann fast in jedem Falle feststellen, ob früh-
zeitige Verknöcherung oder mangelhafte Gehirnbildung vorliegt. Bei
Kindern von 4 — 8 — 12 Monaten bedeutet ein harter- Schädel immer früh-
zeitige Verknöcherung. Bei Kindern von 2 und mehr Jahren ist die
Sache etwas schwieriger. Die frühzeitige Verknöcherung befällt nicht
nur den Schädel sondern auch die Gesichtsknochen. So treten die
Zähne frühzeitig auf. Die ersten Zähne brechen schon im dritten oder
vierten Monate durch und zwar nicht in der gewöhnlichen Ptcihenfolge — ;
indem die oberen Incisoren zuerst durchkommen. Tritt Nichtpulsiren
des Kopfes als Symptom noch hinzu, so ist die Diagnose ganz sicher
gestellt. In solchen Fällen wäre eine Operation statthaft.
Schluss und Vertagung.
Sitzung vom 27. Februar 1892.
Vorsitzender: Dr. Balser.
Schriftführer: Dr. E. Fridenberg.
Vorstellung von Patienten.
Dr. D' O e n c h stellte ein ihm durch die Freundlichkeit von Dr. Caill^
zugewiesenes Mädchen mit folliculärem Trachom vor. Das linke
Auge ist durch Ausdrücken der Körner mit der Zange behandelt wor-
den, das rechte ist zum Vergleiche noch in seinem früheren Zustande
belassen worden. Er bespricht kurz die Anwendung der Methode,
und hält sie besonders für Fälle wie der vorliegende geeignet.
Diskussion.
Dr. E. Fridenberg hat eine grössere Anzahl Trachomfälle
mittelst Zangenexpression behandelt. Die Eesultate waren äusserst
günstige. Die Heilung erfolgt in einigen Wochen unter einfacher
Nachbehandlung. Die Infectiosität hört sofort auf; subjective Be-
schwerden verschwinden. Die Methode ist als entschiedener Fort-
schritt zu bezeichnen.
Dr. G. W. J a c o b y stellt einen 17 Jahre alten Patienten vor,
welcher an Diabetes, Epilepsie und einem eigenthümlichen Hautaus-
schlag leidet. Der Zusammenhang und die aetiologische Entstehung
dieser Symptome wurde von Dr. J. besprochen.
Diskussion:
Dr. Leviseur sah das Gegenstück zu dem vorgestellten Falle bei
einem Diabetiker, w^elcher längere Zeit mit Brom behandelt worden.
Der Ausschlag trat wieder auf, als Patient, welcher an Lues litt, Jod
nahm. Trotzdem dieser Ausschlag dem Molluskum contagiosum sehr
ähnlich ist, und in der Lokalisation sich von der Bromacne unterschei-
det, glaubt er, dass es sich um eine medikamentöse Hautkrankheit
handelt. In seinem Falle ging der Ausschlag auf Bäder und Aussetzen
der Medikamente zurück.
Dr. P o 1 i z e r hält den Fall nicht für Bromacne. Efflorescenzen
sowie die Lokahsation sprechen dagegen. Es fehlt papillomatöse
Wucherunec der grösseren Efflorescenzen. Es ist dies einer der
seltenen Fälle von Xanthoma Diabeticorum. Sechs solche Fälle sind
beschrieben. Einen hat er gesehen.
Dr. Goldenberg verwirft beide Diagnosen, ohne selbst eine
stellen zu wollen. Bromacne könne nicht vorliegen, da im Handteller
keine Talgdrüsen existiren. Beim Xanthoma Diabeticorum kommt es
nicht zum Zerfall.
Dr. Heitzmann entscheidet sich für Xanthoma Diabeticorum.
D r. A. J a c o b i hat blos einen einzigen Fall beobachtet, in dem bei
Diabetes Epilepsie auftrat, und zwar bei einem 16-jährigen Jungen.
Im vorgestellten Patienten sind Radialis, und scheinbar auch Carotis
sehr klein. Es wäre interessant die Arterien zu messen. Atheroma-
töse Entartung der Arterien stellt sich sehr früh ein bei Diabetes
mittleren Alters. Vielleicht hegt eine abnormale congenitale Anlage
der Gefässe vor und beruht der Hautausschlag auf Gefässstörung durch
congenitale Kleinheit bedingt."
Dr. Koller stellt ein Kind mit tuberkulöser Iritis vor.
Dr. Keller stellt einen Fall von Poliomyelitis und Polioencepha-
litis anterior superior acuta vor. Der Patient, ein 6-jähriger Knabe,
war vor 14 Tagen des Nachts aus dem Bette gefallen, von welchem
Vorfalle der Vater des Knaben sein Leiden datirt. Es bestand Schie-
len (Convergenzstellung der Augen), lähmungsartige Schwäche des
rechten Armes und auch des rechten Beines. Das linke Bein zeigt
gegenwärtig etwas erhöhte Temperatur, scheint aber sonst normal zu
functioniren, soweit es eine an der grossen Zehe vorhandene Onychie
zu beurtheilen gestattet. Der rechte Arm zeigt deutliche Herab-
setzung der Muskelkraft; Druck der Hand sehr schwach. Die Augen
stehen in Convergenzstellung, woran eine beiderseitige Lähmung des
Abducens Schuld trägt; weder das rechte noch das linke können über
die Mittelstellung hinaus nach aussen gedreht werden. Es soll auch
Sprachstörung vorhanden seih, wahrscheinlich articulatorische, doch
ist dies nicht mit Sicherheit zu ermitteln. Das früher lebhafte Kind
soll seit dem Bestehen der Affection an Intelligenz beträchtliche Ein-
busse erlitten haben.
In Anbetracht der Schwierigkeit, die gegenwärtig bestehenden
Symptome von einer Verletzung abzuleiten, ist der Vortragende geneigt,
den Fall aus dem Bette als secundär zu betrachten und die Affection
als eine rechtsseitige Poliomyelitis anterior acuta mit gleichzeitigem
Ergriffensein der Kernregion des Abducens beiderseits, also eine Polio-
encephalitis anterior superior acuta aufzufassen.
Discussion,
Dr. Schapringer stellte dieser Versammlung vor einigen Jahren
einen Fall von Miliartuberkulose der Iris vor. Eine lethale Prognose
wurde gestellt. Das Kind starb nach einigen Wochen.
Dr. B. Sachs stellte einen sehr deutlichen Fall Morvan'scher
Krankheit vor. Es handelte sich um einen Küchengehülfen im Alter,
von circa 38 Jahren, der vor 4 Jahren viel mit Soda zu waschen hatte.
Es sollen sich seit der Zeit die verschiedensten Veränderungen an den
Fingern, hauptsächlich an der linken Hand, entwickelt haben. Zuerst
Anschwellung, dann ein Panaritium an dem Zeigefinger, das schmerz-
los geöffnet wurde; seit der Zeit die deutlichsten Anschwellungen der
203
Haut, Verkrümmunj? der Nägel und Schwellung sämmtlicher Weich-
theile der Endphalangen, tiefe Sehrunden. Ausserdem Atroi)hie der
intorossei ; fernerhin wurden bei der Untersuchung die deutlichsten
Sensibilitätsstörungen constatirt. Verlust des Schmerzgefühls und des
Temperatursinns bei Erhaltung der lokalen Sensibilität. Muskelsinn
auch ganz normal. Die Aehnlichkeit zwischen dieser Erkrankung und
Syringomyelie sei eine sehr frappante, nur wäre bei der Morvan'sclien
Krankheit die periphere neuritis scheinbar der Ausgang der Erkran-
kung.
Präparate.
Dr. Scharlau demonstrirt einen Gehirntumor. Derselbe
stammt von einem 9-jährigen Kinde, welches vor G Monaten auf der
Strasse fiel, bewusstlos liegen blieb und eine rechtsseitige Hemiplegie
in Hemiparese übergehend zurückbehielt. Das Kind wurde im Mt. Sinai
Hospital behandelt. Ophthalmoskopisch wurde Stauungspapille nach-
gewiesen. Sonstige Symptome von Tumor fehlten. Ungleichmässige
Formation des Schädeldaches war ausgesprochen. Die Suturen waren
stark auseinander getrieben, ihre Decken nach aussen gewölbt. Die
Diagnose wurde auf intimen Hydrocephalus gestellt. Gerster ver-
suchte nach Trepanation den Unken Ventrikel zu punktiren. Flüssig-
keit wurde nicht entleert. Das Kind starb am folgenden Tage.
Sektion ergiebt einen halbzolllangen Osteophyten, daneben einen
enorm grossen Tumor, der vom Cortex bis in den Ventrikel hinein-
reicht.
Dr. Adler demonstrirt. a) Multiples Aneurysma. Der 59-jährige
Mann litt an hochgradigem chronischen Emphysem und an einem ge-
wundenen Aneurysma der rechten Carotis. Von inneren Aneurj^smen
keine subjectiven Symptome und wegen des Emphysems keine objek-
tiven Zeichen. Die Sektion ergiebt: Aneurysma bulbi et Arcus Aortae,
Seitliches sackförmiges Aneurysma der Bauchaorta.
b) Hochgradige atheromatös entartete Aorta eines 70-jährigen
Mannes. Derselbe litt an allgemeiner seniler Degeneration. Einige
Tage vor dem Tode traten an den unteren Extremitäten geröthete und
inflltrirte Stellen auf. Es bildeten sich Blasen, dann Gangraen. Dieser
Befund wurde als Thrombose resp. Embolie der Hautarterien durch
Verschluss mittelst atheromatoeser Partikel aus der Bauchaorta ge-
deutet, was durch die Section bestätigt wurde. Es fanden sich näm-
lich an Bauch und Brustaorta atheromatoese Geschwüre mit Fibrin-
gerinnsel bedeckt. In der Niere Abscesse zum Theil auf Embolien
zurückzuführen, zum Theil Folge einer eitrigen Cystitis.
c) Allgemeine akute Sarkomatose. Der 24-jährige Patient war 2
Wochen lang krank mit Anschwellung des Bauches und Dyspnoe. Man
fand bedeutende Ascites, Anasarca, Hydrothorax, Hydropericardium.
Hochgradige Anaemie.
Sektion ergab Sarkom in allen Organen des Bauches und der Brust-
höhle, besonders massenhaft in Mediastinum, Zwergfell, Bauchfell und
retroperitonealen Drüsen. Die Affektion verbreitete sich offenbar erst
über die serösen Häute und Lymphbahnen.
Mikroskopisch Exquisitis Lymphosarkom, i. e. Unmassen Lymph-
körperchen ohne Pteticulum oder Intercellularsubstanz.
Es handelt sich beim allgemeinen akuten Lymphosarkom wahr-
scheinlich um eine Systemerkrankung, wo infektives oder auch nicht, in
den Lymphkörperchen massenhaft gebildet und in den Geweben abge-
lagert werden.
ö) Prostata eines 57-jährigen Mannes. Derselbe erfreute sich in den
letzten Jahren der besten Gesundheit. Im November vorigen Jahres
traten Geschwüre im Nacken und an den Händen auf. Patient wurde
204
missmuthig, war appetitlos, fieberte leicht: Es folgten Geschwüre im
Mund, am Kiefer, nicht an den Zähnen. Die Geschwüre an den Fingern
wurden nie eitrig. Es bildeten sich Infiltrate, Blasen und dann ging
der Process zurück. Sämmtliche Geschwüre verschwanden. Nach 8
Tagen traten Blasenbeschwerden auf, und zwar öfters schmerzhaftes
Uriniren. Urin nicht verändert. T. 102'' — 104°. Der linke Prostata-
lappen war vergrössert, teigig, schmerzhaft auf Druck. Diagnose.
Eitrige Entzündung des linken Prostatalappens. Derselbe wurde von
Lange punktirt. Kein Eiter. Nach einer halben Stunde T. 107°. Am
folgenden Tage Freilegung der Prostata vom Eectum aus. Punktion
nach allen Seiten. Kein Eiter. T. 108^, Schüttelfrost. Tags darauf
Kollaps. Exitus.
Section ergab. Körper normal bis auf septische Milz und in dem
linken Prostatalappen multiple kleine Cysten mit jauchigem Inhalte.
Trotz der vielfachen Punktion waren die Heerde verfehlt worden.
In einem ähnlichen Falle würde Adler mit dem Paquelin durchschnei-
den. Wahrscheinlich bestand die Prostataaffection schon lange. Die
Geschwüre waren der Ausdruck der septischen Allgemeinerkrankung.
Diskussion:
Dr. Goldenberg. Der Patient gab an, dass er einige Wochen
vor dem Auftreten der Hautaffektion sich am Finger verletzt habe.
Yon dieser unscheinbaren Wunde wird wohl die Inf ection ausgegangen
sein.
Dr. K a m m e r e r hat 4 — 5 Prostataabscesse vom Perineum aus er-
öffnet, nachdem die Punktion Eiter ergeben. Einen ähnlichen Fall hat
er nicht gesehen.
Dr. Krug demonstrirt das Präparat einer Extra-uterinen Schwan-
gerschaft, welche intra vitam diagnosticirt und glücklich durch Lapa-
ratomie entfernt wurde.
Schluss und Vertagung.
Tereiii Deutscher Aerzte iu San Francisco.
Kegelmässige Sitzung vom 2. Februar 1892.
Vorsitzender : Herr Kosexstien.
Tagesordnung.
Diskussion über die letzte Influenzaepidemie.
Herr Krotoszyner kommt auf die Fälle zurück, deren
Besprechung in der vorigen Sitzung begonnen wurde. Es handelte
sich um drei Kinder in einer Familie, welche unter acuten Erschei-
nungen in zwei Tagen starben. Trotz der erhobenen Bedenken halte
er daran fest, dass hier eine schwere Influenzainfection vorgelegen
habe. Inzwischen hat Redner noch einen ähnlichen Fall beobachtet :
ein 4jähr. Knabe erkrankte am 5. Januar 1892 Nachmittags, um 9 Uhr
Abends wurde eine Temp. von 103°, Puls 128, Resp. 40 constatirt.
Patient war nicht benommen sondern im Gegentheil ziemlich munter,
eine halbe Stunde später aber wurde er etwas soporös. Am nächsten
Morgen Temp. 105,5, Puls unzählbar, Resp. 80. Sopor. Dr. Rosenstirn
wurde dann zur Consultation hinzugezogen. Temp. stieg auf 106.°
Am Thorax LHU. spärliche Rasselgeräusche und circumscriptes Bron-
chialathmen ; sonst nichts Besonderes an den Lungen. Die Pupillen
reagirten nicht, der Puls war unzählbar, das Abdomen war nicht ein-
gezogen. Um 1 Uhr Nachmittags Exitus. In derselben Stadtgegend
hat der Vortragende noch einen Fall ein paar Tage später beobachtet.
205
In den ersten drei Fällen wären Spuren von Eiweiss im Urin gewesen,
in den anderen Fällen wäre der Urin nicht erhalten worden. Aus
Mangel an sonstigen Symptomen müsse die Diagnose auf Grippe
lauten, Meningitis, Pneumonie, Unterleibsaffektion wären nicht anzu-
nehmen. Es sei hervorzuheben, dass alle Fälle in derselben Nachbar-
schaft vorkamen.
Herr Eosens tirn: Eine Meningitis sei in dem erwähnten
Falle als causa mortis docli nicht ohne weiteres abzuweisen. Die
Pupillenstarre, der schnelle Puls, der Sopor machten grade den Ein-
druck einer Meningitis ; aber diese Meningitis beruhte eben auf
Influenzainfection.
Herr Kreutzmann nimmt auch eine Erkrankung des Centrai-
nervensystems an, mahnt aber zur Vorsicht in der Deutung solcher
Fälle. Er habe in Deutschland während des Besteliens einer Masern-
epidemie Krankheitsfälle gesehen, wo, auch ohne dass ein Exanthem
vorhanden gewesen, bei sehr hohen Temperaturen der Tod bald
erfolgt sei. In der letzten hiesigen Grippenepideniie seien bei manchen
Fällen die typhösen Erscheinungen besonders ausgeprägt gewesen, so
dass die Diagnose Typhus fast gestellt worden wäre, doch haben sich
die Patienten schnell erholt.
Herr Stern: Bei allen Infectionskrankheiten kommen mitunter
foudroyante Fälle vor. Unter den Indianern auf den Keservationen
in Arizona hat die Grippe stark gewüthet ; überhaupt richten sonst
unschuldige Epidemieen, wie Morbilh, unter den Indianern Ver-
heerungen an.
Herr Kosenstirn: der besonders heftige Kopfschmerz bei
catarrhalischer Grippe sei während der letzten Epidemie auffällig
gewesen.
Herr Kreutzmann hat diesen heftigen Kopfschmerz auch in
den vorhergehenden Epidemieen beobachtet.
Dr. Newmakk,
Schriftführer.
Sitzung vom 1. März 1892.
Dr. Kreutzmann berichtete über die von ihm in 1891 im Deut-
schen Hospitale ausgeführten Laparotomien.
Es wurde an 10 Patienten 11 Mal operirt, ein Todesfall. Indication
war sechsmal Ovarialtumor, dreimal Pyosalpynx: einmal wurden die
Uterusanhänge entfernt, um anticipirten Klimax zu erzielen, einmal
Probeincision gemacht.
Im Einzelnen waren die Fälle folgende :
O V ;x r i o t o m i e während der Schwangerschaft im 3.
Monate. Mehrgebährende; uniloculäre Cyste der rechten Seite von der
Grösse des Kopfes eines Neugeborenen, leichte Operation, glatte Hei-
lung; Pat. erwartet ihre Niederkunft täglich.
Doppelseitige Ovariotomie. NuUipara; beide Tumoren
intraligamentär entwickelt, im Becken eingekeilt (Diagnose war auf
Uteruslibroid gestellt worden), mit Schwierigkeit ausgeschält. Tod am
vierten Tage p. op.; keine Autopsie. Es bleibt unentschieden, ob der
Tod verursacht war durch septische Poritonitis (kein Tympanites,
kein Erbrechen, Abgang von flatus und faeces),oder durch Bronchopneu-
monie (chron. Bronchitis, Trachealrasseln bald p. op.) in Folge der
Aetherinhalation.
Entfernung beider kleincystig entarteter Eier-
stöcke; Ventrofixatio uteri retroflecti (1 tiefe Seidennaht). Nullipara.
Genesung langsam, 5 Monate nach der Operation Ulterus vertical ge-
lagert.
206
Ovariotomie wegen kleiner intraligamentärer Cyste; Nullipara.
Glatte Heilung.
Bauchs clinitt wegen intraligamentärer Ovarialcyste.
Nullipara; Cyste wiederholt von der Vagina aus punktirt; blutige Zer-
setzung des Cysteninhalts. Pie Ausschälung gelang mit Schwierig-
keit, ein Stiel Hess sich nicht bilden, desshalb Fixirung des Cysten-
restes in der Bauchwunde. Glatte und rasche Heilung, völlige Gene-
sung von langjährigem Siechthum.
Bauchschnitt wegen intraligamentärer Ovarial-
cyste; Nullipara. Cyste kinderkopfgross, war von der Scheide aus
punktirt; Cysteninlialt Eiter; Därme unlösbar verwachsen, beim
Lösungs versuch wird der Darm auf 3 Centimeter weit aufgerissen;
LEMBERT'sche Naht; Cyste in Bauch wunde eingenäht. Langsame
Heilung ; Beckenexsudat, von Vagina aus eröffnet. Der Tumor
schrumpft, eine Fistel existirt noch, ebenso Schmerzen 5 Monate nach
der Operation.
Salpyngotomie wegen septischer linksseitigen Pyosalpynx;
Glatte Heilung.
Bauch schnitt zur Entfernung fistulösen Gewebes
nach doppelter Salpyngotomie wegen gonorrhoischer Pyosalpynx.
Es bildete sich ein abgekapseltes seröses Exsudat in der linken Seite,
für welches nochmals die Bauchhöhle geöffnet wurde, Drainage nach
der Scheide durchgehend. Langsame Heilung.
Entfernung der er k ran ktenAn hänge (chron. Pelveoperi-
tonitis) bei einer Melancholica mit profusester Menstruation zur Er-
zielung eines anticipirten Klimax. Trotz Erfolg bez. Menses führte
der Fall zur Irrenanstalt.
Pr o b ei n eis i o n , Diagnose: Pyosalpynx; es handelte sich um
einen Psoasabscess, der das Beckenperitoneum abhob und so eine
EiteransaramluDg im Peritouealraume vortäuschte. Glatte Heilung
von der Laparotomie. Anderseitige chir. Behandlung.
Der Vortragende erwähnt, dass er die Tkendelenburg'scIic Becken-
hochlagerung mit Vortheil häufig anwendet; neuerdings ist er wieder
zur Anwendung des Chloroforms zurückgekehrt. Nach seiner (und
vieler Anderer!) Erfahrung bedeutet eine „ glatte Heilung " nach der
Operation nicht immer eine Heilung der Beschwerden für welche die
Operation unternommen wurde, besonders in den Fällen, wo das
Beckenperitoneum durch infectiöse (septische oder gonorrhoische)
Vorgänge in Mitleidenschaft gezogen ist.
Hierauf demonstrirte Dr. Kreutzmann ein Präparat klein cystischer
Entartung der Ovaria bei Eetroflexio Uteri.
Schluss der Sitzung.
Dr. Newmark,
Schriftführer.
Biicliertisch.
Lehrbuch der Hebammenkunst von Dr. Bernhard Sigmund Schnitze»
Geheimen Hofrath. u. s. w. X. Auflage, Leipzig : Wilhehn Engel-
mann, pp. 380.
Eine neue Auflage dieses verdienten und so wohlbekannten Buches
kann, wenn auch ohne wesentliche Aenderungen herausgegeben, nur
mit Freuden begrüsst werden, da sie den zunehmenden Bedarf des
Werkes am Besten illustrirt.
Sollte irgend einer der CoUegen in die Lage kommen, ein Lehrbuch
der Hebammenkunst an Hebammen, Wärterinnen, oder sonst zu
empfehlen, so ist das ScnuLTZE'sche bei weitem das Beste.
207
Clinical Observations of Occipito-Posterior Vertex Presentations. By
S. Marx, M. D., N. Y. Autbors' repiiut froiu the Am. Journal of
Obstetrics, Vol. XXV, No. 2, 1892.
M., welcher 11 Fälle vou (primären) Vorderhauptlagen (III. und IV.
Schädellage) gesehen hat, hat nur viermal der Natur ihren freien Lauf
g< lassen mit gutem Erfolge. Er behauptet aber, man solle eingreifen,
wenn der Kopf sich nicht einstelle und zwar mit Forceps oder
manueller Beuge des Kopfes, und wenn der Kopf sich im Becken nicht
gedreht habe, durch „forcible" (künstliche) Kotation. Nur zweimal
hat er mit der Zange den Kopf niclit rotirt extrahiren müssen, beide
Male mit tiefem Dammriss.
Bei dieser Polypragmani fehlen leider die Kesultate bei Mutter und
Kind. [Das Studium des platten Beckens ist jedem Arzte zu emijfeh-
len, Ref.]
Zur Frage der inneren Desinfection Kreissender. Dr. E. Bumm,
Privatdocent in Wurzburg. Centraiblatt für Gynäkologie, No.
5. März 1892.
„Normales Scheidensekret enthält keine pathogenen Keime, es
schützt vielmehr direkt gegen die Ansiedlung solcher. Besondere
Massnahmen gegen dieses Sekret sind desshalb nicht angezeigt. Bei
eitriger Sekretbeschaffenheit (in ca. 40—50 Procent der Fälle) sind
Kokkenformen nachgewiesen, welche mit den Infektionsträgern der
menschhchen Sepsis identisch sind. Gerade diejenige Pilzform aber,
welche wir regelmässig bei der puerperalen Sepsis antreffen, — der
Streptococcus — ist im eitrigen Sekret nur vereinzelt gefunden worden.
Die pathogenen Kokkenformen der Scheide sind nicht im Zustande der
Virulenz. Dass diese Pilze bei normalem Geburtsverlaufe virulent
und damit schädlich werden können und desshalb ihre Ausschaltung
durch die innere Desinfektion Nutzen stiftet, ist durch die klinische
Beobachtung bis jetzt nicht bewiesen, ja nicht einmal wahrscheinlich
gemacht worden."
Bei operativen Eingriffen dagegen ist es geboten, den Scheidenkanal
vorher zu desinficiren wegen der möglichen Verschleppung der Fäul-
nisskeime in das Cavum Uteri. Ob die septischen Keime bei pathologi-
schen Geburten leichter virulent werden, ist noch nicht klargelegt.
C. A. Von Ramdohr.
The Pocket Pharmacy with Therapeutic Index, by John Aulde, M. D.
(New York, D. Appleton & Co. 1892.)
Die Tendenz dieses kleinen Werkchens ist, der Verabreichung von
fertigen Medicamenten durch den Arzt das Wort zu reden und beson-
ders die WYETH'schen Tabletten zu empfehlen. Das vorliegende
Buch erscheint uns keineswegs im wissenschaftlichen Tone geschrieben.
Dieses kann man leicht aus folgender Stelle der Vorrede ersehen :
„The author believes that it will prove especially useful to the recent
graduate who, while supposed to be intellectually rieh, is often tech-
nically poor. To write in a proper manner a complicated prescrvpüon
in tJie presence of a patient is Ukely to cause a mental strain not exceeded
in passing the examination inpractice or materia medica.'' Wollten die
Aerzte nach den Angaben des Verfassers handeln, so dürften sie wohl
niemals die Fertigkeit gewinnen, ein ordentliches Rezept zu schreiben.
Elektrotherapeutische Studien. Von Dr. Arthur Sperling. Leipzig.
Th. Grieben's Verlag (L. Fernau). 1892.
Verfasser glaubt an die Anwendung minimaler galvanischer
Ströme ; der Kern des kleinen Buches wird von der Thatsache gebildet,
dass ein galvanischer Strom von 0,5 M. A. auf eine Elektrodenfläche
von 50 Cm.2 vertheilt, also von einer Stromdichte von ^Vßo (Vioo) eii^ö
208
unzweifelhafte therapeutische Wirliuog (Ansicht des Verfassers) auf
krankhafte Zustände des Nervensystems ausübt, und zwar in so
günstigem Sinne, dass sich daraufhin eine aeue Methode der Eiel^tro-
therapie begründen lässt. Sperling ist der Ansicht, dass stärkere
galvanische Ströme (20 M. A.) dem Organismus zuweilen schaden.
Folgende Sätze sind für das Buch charakteristisch, und wir möchten
deswegen dieselben hier anführen :
„Ich sehe es voraus, dass man die vorstehenden Mittheilungen über
die schädUchen Wirkungen des elektrischen Stromes nur als eine
Ansichtssache wird gelten lassen und vollgültige Beweise verlangen
wird. Diese Aufgabe wird sich nur dadurch erfüllen lassen, dass
man an geeigneten Fällen experimentirt, und nachdem man durch
starke und energische Galvanisation den Menschen in irgend einen
Zustand versetzt hat, de/' scJdechtet^ ist wie der frühere, das neue Ver-
fahren versucld. Mir lulderstreben solche direkten Versuche, nachdem
ich durch sorgfältige Beobachtungen bereits die feste Ueberzeugung
gewonnen habe, dass es sich so verhält, wie ich nunmehr schon des
öftern hervorgehoben habe."
Wir haben selber, ebenso wie die meisten anderen Collegen, in der
Anwendung von galvanischen Strömen in einer Stärke von 15 — 25
M. A. in geeigneten Fällen keinen Schaden gesehen, und sehen uns
vorläufig nicht bewogen von der üblichen Methode abzugehen. E.
Allerlei.
Prof. Ernst Leyden feierte am 20. April d. J. seinen sechzigjährigen
Geburtstag, bei welcher Gelegenheit zu Ehren dieses verdienstvollen
und beliebten Klinikers von seinen zahlreichen Freunden und Schülern
Ovationen verschiedener Art veranstaltet wurden.
Auf eine einfache und dabei angeblich äusserst empfindliche Me-
thode des Eiweissnachweises im Urin macht Jolles (Zschr. f. anal.
Chemie) aufmerksam, Sie soll Vioo"o Eiweiss noch erkennen lassen :
10 Gern, des Urins versetzt man mit der gleichen Menge starker Salz-
säure. Ohne zu schütteln bringt man mit der Pipette 2 — 3 Tropfen
Chlorkalklösung hinzu. Ist Eiweiss zugegen, so tritt sofort eine weisse
Trübung im oberen Theil der Röhre ein.
In der Akademie der Wissenschaften in Paris berichtete Dr. Cheau-
VEAU kürzlich über die auch schon von anderen Autoren gemachten Be-
trachtungen, welche sich auf die Verbreitung der Tuber cu lose
durch Er d Würmer beziehen. Auf Grund sorgfältiger Unter-
suchungen und Experimente konnte constatirt werden, dass der
KocH'sche Bacillus in unglaublichen Mengen in solchen Erdwürmern
gefunden wurde. Die Versuche an Meerschweinchen mit der Injection
dieser Bacillen hatten sämmtlich den Tod der Versuchsthiere an Tuber-
culose zu Folge. Auch in den Secreten dieser Würmer hat man den
Tuberkelbacillus gefunden.
Personalien.
Verzogen : Dr. A. Schapringer, nach 165 Ost 60. St.
Dr. Waterman, nach 165 Ost 60. St.
Dr. Ad. Zederbaum, nach 179 Ost 109. St.
Dr. S. J. Meitzer, nach 66 Ost 124. St.
Dr. Max Einhorn, nach 107 Ost 65. St. ' .
Dr. Max Toeplitz, nach 123 Ost 62. St.
Dr. Ernst Schalck, nach 103 West 104. St.
Dr. C. H. Körner, nach 113 Ost 7. St.
Dr. Max Einhorn,
Stellvertretender Kedacteur,
107 E. 65. St.
New Yorker
Medicinisclie Monatsschrift.
Organ für praktische Aerzte in Amerika
unter Mitwirkung von
Dr. A. F. Buecbler, Dr. Geo. Degner, Dr. Max Einhorn, Dr. Jos. W. Gleitsmann,
Dr. Geo. W. Jacoby, Dr. F. Krug, Dr. S. J. Meitzer, Dr. Willy Meyer,
Dr. C. A. von Ramdohr, Dr. A. Schapringer, Dr. A. Seibert
herausgegeben von
Dr. F. C. HEPPENHEIMER.
Verlag der Medical Monthly Publishing Company, 17-27 Vandewater Street, X, Y*
Bd. IV. New York, 15. Juni 1892. No. 6
ORIGINALARBEITEN.
I.
lieber plötzliche einseitige Erblindungen.*)
Von
DR. MITTENDORF.
Auf die freundliche Einladung unseres Herrn Präsidenten hin, nehme
ich mir die Freiheit, Ihnen heute Abend einige Fälle von mehr oder
weniger plötzlicher Erblindung eines Auges mitzutheilen, die ich in
meiner Praxis in den letzten Jahren zu sehen Gelegenheit hatte. Ich
habe natürlich die Erblindung von directer Verwundung der Augen
ausgeschlossen und werde nur die Fälle anführen, bei denen äusserlich
auch nicht die geringsten Symptome oder Reizerscheinungen wahrzuneh-
men waren und darunter einige, bei denen auch mit dem Augenspiegel
selbst keinerlei Veränderungen vom normalen Zustande wahrzunehmen
waren. Bei diesen Beobachtungen muss natürlich die Untersuchung
mit dem Augenspiegel die grösste Rolle spielen. Ueberhaupt ist die
Anwendung dieses Instrumentes eine so wichtige und zugleich auch
leichte, aber doch von nur so wenig Aerzten geübte, dass ich nicht
umhin kann, Ihnen, meine Herren, es dringend ans Herz zu legen, die
Anwendung des Augenspiegels doch so oft als möglich zu benützen.
Dank der Einführung des Cocaines in die Ophthalmologie durch unser
Mitghed, Herrn Dr. Carl Koller, ist hierzu der Schlüssel gefunden
worden, der eine solche Untersuchung zu einer grossen Leichtigkeit
seitens des Arztes macht, und auch für den Patienten manches Beschwer-
liche entfernt, wie zum Beispiel die Unannehmlichkeit der Accom-
modationslähmung, in Folge des Atropingebrauches, und die unange-
nehme Reizung und Lichtblendung, die oft mit solchen Untersuchungen
zusammenhängen. Einige Tropfen einer Cocainlösung genügen, um
*) Nach einem in der Deutschen Medicinischen Gesellschaft von New York ge-
haltenen Vortrage.
210
die Pupille zu erweitern, und mit einem sctirägen Spiegel, wie sie die
meisten Ophthalmoscope jetzt haben, ist es so leicht das Innere des
Auges zu inspiciren, dass irgend ein Student dieses in fünf Minuten
lernen kann. Bei der Diagnose plötzlicher Erblindungen ist dieses von
grosser Wichtigkeit, damit durch promptes Einschreiten seitens des
Arztes oft grosses Unglück vermieden werden kann.
Die Ursachen plötzlicher Erblindung beruhen meistens auf plötzliche
Ernährungsstörung, durch Mangel, und selbst gänzliches Aufhören
der Blutzufuhr, oder auf Störung des Abflusses der Ernährungsflüs-
sigkeit aus dem Auge. In dem ersten Falle genügt es, dass sich ein
Embolus in dem Hauptstamm oder einem der Hauptzweige der Arteria
centralis retinae bildet, wovon ich vor einiger Zeit die Ehre hatte, Ihnen
einige Fälle mitzutheilen. Theilweise aber auch durch Veränderung
in den Blutgefässen selbst, die dann zu mehr oder weniger bedeutenden
Blutungen in der Retina und in selteneren Fällen sogar durch Eindringen
des Blutes in den Glaskörper das Sehen in dem betroffenen Auge ganz
unmöglich machen. Blutungen dieser Art sind für den allgemeinen
Arzt von grosser Wichtigkeit, da dieselben recht häufig nur die Vor-
läufer von Blutergüssen in anderen Theilen des Körpers und besonders
im Gehirn sind, und möchte ich Ihnen nur in Kürze zwei Fälle mitthei-
len, bei denen die Xetzhautblutungen in einem, respective in drei
Jahren, von apoplectischen Anfällen gefolgt wurden, die Lähmungen
und später den Tod des Patienten zur Folge hatten.
Im August des Jahres 1890 kam ein älterer Herr, der früher eine ein-
flussreiche Stelle in der Verwaltung der Stadt inne hatte, mit der
folgenden Krankheitsgeschichte zu mir : An einem heissen Morgen
hatte er mit einigen Freunden die Ersteigung eines bedeutenden
Berges unternommen. Kaum aber hatte er die Hälfte des Weges zu-
rückgelegt, als er plötzlich schwach und schwindelig wurde und. von
einem Freunde geleitet, den Bückweg antreten musste. Als er einige
Zeit darauf, nachdem er vorher einige Zeit in seinem Zimmer geruht
hatte, wieder ins Freie trat, fand er, dass sein linkes Auge ganz ver-
schleiert war, und er selbst grosse Gegenstände nicht erkennen
und auch natürlich mit dem Auge nicht lesen konnte. Sonst
fühlte er sich ganz wohl. Bei der Untersuchung, die am nächsten
Tage darauf stattfand, ergab es sich, dass der Glaskörper so mit Blut
durchsetzt war, dass vom Hintergrunde des Auges gar nichts zu sehen
war. Im Laufe der Zeit klärte sich der Glaskörper genügend und in
der Netzhaut wurden dann eine grössere und noch zwei weitere kleinere
Blutungen entdeckt. Die Ernährung der Netzhaut war aber, obgleich
die Blutungen verhältnissmässig klein waren, so gestört worden, dass
eine Neuritis nervi optici sich später dazu gesellte und das Auge fast
gänzlich erblindete. Im folgenden Jahre ist der Herr dann auch plötz-
lich in Folge eines apoplectischen Anfalles gestorben, nachdem er noch
am Tage vorher einen ihn besuchenden Freund zur Hausthür geleitet
und sich über seinen Zustand sehr befriedigend ausgesprochen hatte.
Ein anderer Fall betrifft einen korpulenten Herrn, der gleichfalls am
211
linken Auge plötzlich erblindete, und bei dem ich bei der ophthalmos-
kopischen Untersuchung eine ziemlich bedeutende Blutung in der
Nähe der Macula lutea fand, die aber mit der Zeit ziemlich schnell ver-
schwand und das Auge in ziemlich gutem Zustande zurückliess. Die-
ses ereignete sich beinahe vor vier Jahren. Letzten Sommer kriegte
der alte Herr, wie mir sein Sohn mittheilte, einen Schlaganfall mit
Lähmung, dem dann einige Monate später ein anderer folgte, der den
Tod des Patienten herbeiführte.
Ein ähnlicher nicht so schlimmer Fall, den ich vor einigen Monaten
sah, ist deshalb hier von Interesse, als der Patient, nachdem ich ihm
das Resultat der Untersuchung mitgetheilt hatte, mir antwortete: „Das
ist gerade was mein Vater in meinem Alter bekam und in zwei Jahren
darauf ist er in Folge eines Schlaganfalles gestorben; hoffentlich wird
es mir nicht ebenso gehen".
Glücklicherweise sind nicht alle Netzhautblutungen so ernster
Natur, und besonders bei jungen Leuten kann man eine ziemlich
günstige Prognose stellen.
Netzhautblutungen findet man auch und zwar gar nicht selten bei
Eheumatikern und sind es hier besonders Venen, die in Folge von
plötzlich gesteigerten Druckverhältnissen der Augen oft nachgeben.
Diese Blutergüsse sind meistens klein aber oft recht zahlreich. Ein Fall,
eine ältere Dame betreffend, die ich neulich sah, möge als Beispiel
dienen. Kurz vor dem Schlafengehen hatte die Patientin Stuhlgang,
der äusserst beschwerlich war; dieselbe litt oft an Verstopfung. Als
sie am nächsten Morgen aufwachte, fand sie, dass sie auf dem rechten
Auge ganz blind war. Bei der am zweiten Tage folgenden Untersu-
chung mit dem Augensjnegel bot sich mir ein überraschender Anblick
dar; an beinahe hundert kleinen Venen waren kleine runde Blutungen
zu sehen; die Netzhaut hatte ganz das Aussehen einer Weintraube.
Der Glaskörper war vollkommen klar und der Augennerv ganz ge-
sund. Diese kleinen Blutergüsse richten in der That nicht soviel Unheil
als die grösseren an, obschon sie zuweilen so zahlreich auf einmal auftre-
ten, und auch in diesem Falle waren in einigen Monaten fast alle An-
deutungen derselben verschwunden und die Sehkraft war fast bis zum
normalen, zu l nämlich, wieder gewonnen worden.
Blutungen, den Gefässen der Choroidea entspringend, unterscheiden
sich im klinischen Bilde von denen der Netzhaut dadurch, dass sie oft
sehr bedeutend sind und leicht zu Trübungen des Glaskörpers führen.
Die Blutzufuhr zum Auge oder vielmehr zur Netzhaut kann aber
auch nur temporär gestört sein, welches zu plötzlicher aber nur kurz
anhaltender Erblindung führt. Verdauungsstörungen und Herzleiden
sind dabei meistens ätiologische Factoren. Von grösserer Bedeutung
sind die, die durch grosse Dosen von Chinin und auch von Alkohol hervor-
gerufen werden, da dieselben zuweilen zu permanenter Blindheit führen.
Im Augenspiegel-Bilde findet man gewöhnlich wenig ins Auge tretende
Veränderungen. Nur erscheinen die Arterien klein und sehr blass, oft
sogar blutleer und die Venen zeigen sich meistens sehr dunkel und
212
Von ungleichem Caliber verschiedener Theile desselben Gefässes; zu-
weilen sind sie auch etwas geschlängelt.
Ein sehr interessanter Fall dieser Art betraf einen jüngeren Col-
legen, der in meine Office eilte und mich bat, sein Auge zu untersuchen,
das plötzlich erblindet wäre ; er hätte schon öfter solche Anfälle gehabt
aber nicht so bedeutend. Dieser Anfall hatte sich nach dem Essen
eingestellt vor ungefähr 10 oder 20 Minuten. Bei der Untersuchung
ergab es sich, dass er mit diesem linken Auge fast ganz blind war ; nur
einen ganz lileinen Theil meines Gesichtes konnte er zum Beispiel
sehen, so klein war das Gesichtsfeld. Das andere Auge war ganz
normal. Als ich ihn mit dem Augenspiegel untersuchte, fand ich, dass
die Arterien wie kleine weisse Fädchen aussahen und auch . durch
Druck auf den Augapfel konnte keine Circulation in denselben hervor-
gerufen werden ; die Venen dagegen erschienen beinahe normal.
Auf meine Anfrage wegen Verdauungsstörungen versicherte er mir,
dass er gewöhnlich nicht daran litte, dass er aber seiner Landlady zum
Trotz sehr viel gegessen habe, obschon er nicht darnach gefühlt hätte.
Sein Herz war normal, doch erschien der Puls etwas schwach, der
Magen aber war augenscheinlich sehr gut gefüllt und enthielt auch
viele Gase. Ich kam auf die Idee, dass das Herz in seiner Thätigkeit
durch den überfüllten Magen etwas gehindert sei, und Hess den
Patienten, d. h. den Doctor, einige Male recht tief aufathmen, während
ich das Auge ophthalmoskopirte, und siehe da, kurz darauf strömte
das Blut mit blitzartiger Geschwindigkeit in das Auge zurück uijd der
Patient sah so gut als zuvor. In diesem Falle möchte man an eine Stö-
rung der schon an und für sich schwierigen Circulation, der sich
mehrere Male im rechten Winkel biegenden Arteria centralis retinae
denken.
Spasmodische Contractionen der Arteria selbst sind unter dem
Namen Megrim oder Amblyopia fugens bekannt ; dieselben sind tem-
porär und können ein oder beide Augen betreffen. Die Sehkraft bleibt
selten geschädigt. Aber nicht immer verlaufen solche Fälle so
günstig und ich könnte Ihnen mehrere Fälle mittheilen, in welchen die
Ernährungsstörung bedeutend genug war, um zu einer Neuritis mit
nachfolgender Atrophie des Nervens zu führen ; hier nur einer : Herr
M., ein Buchführer, kam zu mir am 15. Januar dieses Jahres mit der
Klage, dass beim Schreiben er plötzlich eine Verdunkelung des rechten
Auges bemerkt habe, die Sehschärfe war ycc, die des linken 20/xxx
mit -1- 24 = 20/xx. Ophthalmoskopisch war weiter nichts Ungewöhn-
liches zu beobachten, als dass die Arterien sehr klein und die Venen
unregelmässig dick und sehr dunkel erschienen. Durch Massage des
Auges und Einathmen von Amylnitrate stieg die Sehschärfe auf s^yL.
Ich verordnete nun Senffussbäder, Cathartica und Massage in Form
von tüchtiger Einreibung des geschlossenen Auges mit Kosmarin-
spiritus u. s. w. Beim nächsten Besuche war die Sehschärfe auf
20/xxx -|- gestiegen. Der Fundus oculi erschien ganz normal und der
Mann kehrte zu seinen Büchern zurück. Ungefähr zehn Tage später
213
kehrte Patient zurück, über einen Rückfall klagend. Der Sehnerv sah
dieses Mal aber verschwommen aus und bleicher als normal, auch
verfehlten die angewandten Mittel ihre gute Wirkung, da die Sehschärfe
nur von Vcc. auf ^'^/gg. stieg. Dor Patient legte nun seine Stelle nieder
und ging aufs Land und machte sich viel Bewegung im Freien, aber
es entwickelte sich bald markirte Atrophie des betroffenen Auges und
hat derselbe jetzt nur Lichtempflndung in demselben. Der Patient
hatte kurz vor dem ersten Anfalle an der Grippe gelitten und mag
dieses von etiologischer Bedeutung sein. Netzhautblutungen sind
häufige Begleiter von Entzündungen der Netzhaut und des Sehnerven,
doch tritt in diesen Fällen die Erblindung selten plötzlich auf und leiden
meistens beide Augen zugleich. Es gehören diese Fälle also nicht zu
denen, die wir heute Abend besprechen.
In manchen von diesen Fällen von plötzlich eintretender Erblindung
eines Auges muss man durch Ausschliessung anderer Indicationen
auf Blutungen im retrobulbären Theile des Nerven selbst oder auf
solche in die Sehnervenscheide, nämlich in den Schwalbischen Raum
schliessen. Je nach dem Mitleiden der centralen Gefässe kann man
diese Hämorrhagien in dem vordem oder hintern Theile des Nervens
localisiren. Der folgende Fall ist in dieser Beziehung von Interesse.
Eine junge Dame, die sich auf einer Yacht befand, aber doch nur
wenig von der Seekrankheit gelitten hatte, bemerkte beim Essen, dass
nach einem unbedeutenden stechenden Gefühle des rechten
Auges, dasselbe sich plötzlich verdunkelte. Der so schnell als mög-
lich consultirte Augenarzt konnte auch nicht die geringste patholo-
gische Veränderung im Augenhintergrunde entdecken, aber die Seh-
kraft war vollständig verloren gegangen und dasselbe Resultat erzielte
auch ich, der ich die Dame nach einiger Zeit sah. Selbst ganz vor
Kurzem, also beinahe 18 Monate nach dem Anfalle, erschien die Seh-
nervenscheibe ganz normal, und obschon das Auge nur schwache
Lichtempfindung hatte, war von einer Atrophie der Pupille des Augen-
nerves nichts zu sehen, und muss die Läsion hinter dem Eintritte der
Arteria centralis retinae gelegen haben.
Man möchte hier an hysterische Erblindung des Auges denken,
aber alle angestellten Versuche beweisen wirkliche Blindheit des
Auges und keine Simulation. So interessant es auch ist, die verschie-
denen Methoden zu besprechen, die zur Entdeckung von simulirter
Blindheit des einen Auges führen, so ist die Zeit heute doch zu kurz
dazu. Von wirklich hysterischer Erblindung eines Auges allein habe
ich noch keinen Fall selbst beobachtet, und selbst ein Fall, den ich An-
fangs dafür hielt, stellte sich durch Heilung nach Entfernung eines
eiternden Zahnes als Reflex-Blindheit heraus. Da diese Erblindung
aber nicht plötzlich auftrat, gehört sie nicht unter unsere heutigen Be-
obachtungen. Ferner gehören nicht die Fälle von Chininerblindung
hierher, da sie meistens beide Augen betrifft.
Von grossem Interesse aber sind die Fälle von Amotio retinae, ob-
schon diese, da sie sonst immer mit einem Trauma in Verbindung
214
stehen, eigentlich auch nicht in diese Rubrik gehören. Erst letzten
Winter hatte ich einen Fall dieser Art unter Behandlung. Ein Knabe
erhielt einen Schneeball aufs linke Auge und klagte sofort über plötzliche
Erblindung desselben. Bei der Untersuchung fand ich etwas Blut in
der vorderen Kammer und auch der Glaskörper war durch etwas Blat
getrübt, aber nicht so sehr, um die plötzliche Erblindung zu erklären,
da man den Fundus oculi ziemlich deutlich durchschimmern sah, aber
leider nicht genug, um die milchige Trübung der Netzhaut mit Gewiss-
heit constatiren zu können. Innerhalb einer Woche hatte das Auge,
welches nur durch Tragen eines Druckverbandes behandelt wurde, seine
normale Sehkraft wiedererlangt, und alle Reste von Blutung, die jeden-
falls nur von den Gefässen der Iris herrührte, waren verschwunden
und der Augenhintergrund erschien vollkommen normal.
Gompression des Sehnerven von Blutergüssen in die Nervenscheide
habe ich schon früher erwähnt, und hierher gehören jedenfalls auch die
Fälle, die man nach dem Fallen oder nach Schlägen auf den Kopf beo-
achtet, und die mit Recht als Schädelfracturen, das Foramen opticum
implicirend, angesehen werden müssen. Ich habe in den letzten zwei
Jahren zwei sehr interessante Fälle dieser Art gesehen, von denen der
eine durch die Verhandlangen in den hiesigen Gerichten vielfach be-
kannt wurde; da aber Dr. Koller, wenn ich nicht irre, erst vor einiger
Zeit Ihnen zwei derartige Fälle mittheilte, werde ich zu der nächsten
Causalindikation übergehen, und dieses ist die Gompression des
Nervus opticus durch Blutergüsse in die Orbita. Diese Fälle sind un-
gleich seltener als die vorhergehenden und sind gewöhnlich traumati-
scher Natur oder treten in Folge von Necrosis der Orbita auf. Der fol-
gende Fall betraf einen mir befreundeten CoUegen, der an einer lästigen
Ozoena litt und sich einer Operation unterzog, um etwaige necrotische
Knochenreste, die als Grund derselben vermuthet wurden, zu entfer-
nen. Irrthümlicherweise ergriff nun der Operateur das Keilbein und
denkend, dass er es mit einem angegriffenen Seqestrum zu thun hätte,
versuchte er dasselbe herauszureissen. Eine ungeheure Blutung der
Nase verhinderte ihn daran, und nachdem diese gestillt und der Patient
erwacht war, bemerkte man, dass das linke Auge ungeheuer geschwol-
len und, in Folge der enormen Hervortreibung desselben, unbeweglich
und auch ganz blind war. Die Pupille war, als ich ihn zuerst sah, starr
und erweitert und der Sehnerv ganz atrophisch. Das Auge selbst war
vollständig blind und ist es auch geblieben.
Erblindung eines Auges durch Druck auf den Sehnerven, wenigstens
auf den intraoculären Theil desselben, durch eine allgemeine Druck-
steigerung im Innern des Auges, wie wir es bei den acut auftretenden
Fällen des Glaucomes haben, sind nicht sehr selten und brauche ich
kaum derartige Fälle aufzuführen, da dieselben Ihnen genügend be-
kannt sein werden.
Eine andere Art von plötzlicher Erblindung eines Auges ist im Ge-
gentheil zu dem vorigen, von einer Druckerniedrigung im Innern des
Auges begleitet, und hierher gehören in erster Linie die Fälle von
215
Ablatio retinae oder Netzhautablösung, die so leicht in kurzsichtigen
Augen nach Aufregung oder plötzlichen Kraftanstrengungen oder
Erschütterungen, aber auch zuweilen ganz spontan auftreten, und auf
Ergüsse von Blut oder Lymphflüssigkeit beruhen und mit Verflüssigung
des Glaskörpers und auch häufig mit Ruptur der Retina zusammen-
hängen. Es ist die sofortige Diagnose dieser Krankheit von grosser
Wichtigkeit, da die Prognose schon an und für sich ungünstig, durch
Verzögerung in der Behandlung ungleich schlechter wird. Der
folgende Fall ereignete sich im October vorigen Jahres. Frau H., die
im 6. oder?. Monate schwanger war, machte grosse Anstrengungen, um
einen vorüberfahrenden Omnibus zu erreichen. Kaum hatte sie in
demselben Platz genommen, als sie auch schon eine Verdunkelung des
linken Auges beobachtete, ohne dass sie irgend welche Schmerzen
empfunden hatte. Als sie am nächsten Morgen zu mir kam, consta-
tirte ich mit Leichtigkeit eine diffuse Netzhautablösung, dieselbe war
beinahe total, aber auf keiner Stelle sehr prominent und sackartig her-
vortretend. Durch Rückenlage und Behandlung mit Pilocarpin und
Infusum Jaborandi war nach sechs bis acht Wochen das Gesichtsfeld
fast ganz normal und die Sehschärfe beinahe so gut wie die des
anderen Auges, nämlich mit — 4 = ^/i.. Nach der Entbindung habe
ich die Dame nur einmal gesehen und glaubt sie noch einen dünnen
Nebel vor sich zu sehen, war aber ganz zufrieden so wie das Auge jetzt
war. Durch sehr plötzliche Druckverminderung im Innern des Auges,
wie wir dieselbe nach einer Iridectomie beim Glaukom zuweilen be-
obachten, können leicht heftige Netzhautblutungen und Verluste des
Auges folgen.
Eine sehr merkwürdige und allem Anschein nach auch ziemlich
plötzliche Erbhndung eines Auges hatte ich Gelegenheit ganz kürzHch
zu beobachten. Vor etwas mehr als einem Jahre wurde mir ein kleines
Mädchen von vier Jahren zugeführt, bei dem ich ein Gliom des
linken Auges diagnosticirte und dem Familienarzte sofortige Enuclea-
tion des Auges anempfahl. Die Operation wurde jedoch von Seiten
der Mutter verweigert und das Kind von einer Dispensary na(;h der
andern geschleppt, schliesslich wurde zur Enucleation geschritten im
November vorigen Jahres, aber leider zu spät, denn kurze Zeit darauf
folgte starke Drüsenaffection an der Seite des enucleirten Auges und
in der Orbita entwickelte sich bald eine Affection des dortigen Gewebes
mit grosser Schwellung und Infiltration der Augenlieder. Im Februar
wurde mir nun das Kind wieder vorgeführt, mit der Bemerkung, dass
das Kind einige Tage vorher auf dem guten Auge erblindete und beim
hellen Sonnenscheine die Mutter bat, das Licht anzuzünden, da es nicht
mehr sehen könnte. Bei der Untersuchung stellte es sich heraus, dass
das Kind auch nicht die geringste Lichtempfindung besass und doch
zeigte der Opticus und die Retina nicht die geringste Veränderung,
das Auge selbst war ganz normal. Der Vater sagte, dass das Kind
fast fortwährend über heftige Schmerzen an der Seite des enucleirten
Auges klage, die tief in den Kopf hineingingen. Es ist darnach an-
216
zunehmen, dass das Gliom schon vor der Enucleation den Augennerv
angegriffen hatte und in diesem dann weiter wanderte, bis auch das Chias-
ma angegriffen wurde und auf diese Weise die Blindheit des anderen Au-
ges lierbeif ührte, welches die Abwesenheit aller Entzündungssymptome
erklärte und auch zugleich die Möglichkeit der sympatischen Affection
des Auges ausschloss. Die Kichtigkeit meiner Diagnose hat später die
mikroskopische Untersuchung des Auges bestätigt.
Die Behandlung von einseitiger Erblindung muss, nach dem Vorher-
gesagten, eine den ätiologischen Momenten angepasste sein und die
Prognose ist im Allgemeinen, besonders wenn die Erblindung schon
einige Tage anhielt, keine sehr günstige.
140 Madison Ave.
IL
Eine Atropiu-Intoxication nach epiderniatischem Gebrauch
einer Belladonna-Salbe.
Von
Lr. S. J. MELTZER,
New York.
Die lange Controverse über die Resorbirbarkeit von nicht flüch-
tigen Medicamenten durch die intacte Haut ist noch keineswegs zur
Euhe gekommen. Von dem neuerdings eingeführten Lanolin als
Salbengrundlage verspricht man sich in klinischen Kreisen einen för-
dernden Einfluss auf die Resorption des beigegebenen Medicaments,
während Liebreich selbst, der Entdecker des Lanolin, eine Resorption
ausdrücklich in Abrede stellt und nur eine bessere locale Imprägnirung
in die Haut vom Lanolin erwartet ; ja, gerade darin soll nach Lieb-
reich eben der Vorzug des Lanolin sein, dass man mit seiner Hilfe
eine locale Sättigung mit einem differenten Mittel erzielen kann, ohne
die Nachtheile einer Allgemeinwirkung befürchten zu müssen.
Vollends wird neuerdings jede Resorption von der intacten Haut aus
ganz entschieden in Abrede gestellt in einer ausführlichen Arbeit von
Gainard (Lyon med. 1891, No. 36-38), dessen vielfältige und gründliche
Experimente (angestellt im Laboratorium des Prof. Arloing zu Lyon)
als einwandsfrei und überzeugend hingestellt werden. Dieser
bestimmten Verneinung gegenüber scheint mir die Publication von
solchen klinischen Beobachtungen angebracht zu sein, welche eine
gewisse Resorptionsfähigkeit der Haut zu demonstriren geeignet sind.
In den letzten Tagen habe ich einen einschlägigen Fall zu beobachten
Gelegenheit gehabt und will ihn daher hiermit kurz mittheilen :
Frl. L. klagte mir über eine Reihe von Beschwerden, von denen sie
seit 8-10 Tagen heimgesucht wird. Sie verspüre eine ausserordent-
liche Schwäche in den Beinen, so dass sie kaum gehen und stehen
könne, leide beständig an Schwindel, Kopfweh, Uebelkeit, bitterm
Geschmack, sehr trockenem Mund, Appetitlosigkeit. Die Patientin selbst
217
bezeichnete ihr Leiden kurzweg als ^Malaria. Eine objective Unter-
suchung ergibt nur einen frequenten Puls, aber kein Fieber und auch
sonst keinen greifbaren Anhaltspunkt für eine Diagnose. Ich entsann
mich, dass Patientin vor etwa 6 Wochen mich wegen pruritus ani con-
sultirt hatte und erkundigte mich nach ihrem jetzigen Zustande.
Damit ist es in Ordnung, meint sie, es gehe ihr viel besser, sie
gebrauche aber noch immer die Salbe, welche ich ihr damals ver-
schrieben habe, sie habe schon mehrere Töpfchen davon verbraucht,
sie verspüre eben, dass die Salbe ihr sehr „gut thue ". Nun hatte ich
meine Diagnose ; die Salbe enthielt Extr. belladonnae in Lanolin (1:30).
Ich constatirte auch gleich, dass die Pupillen dilatirt waren und frug
sie, ob sie gut sehen könne. Ach ja, die Hauptsache habe sie beinahe
ganz vergessen : sie könne manchmal fast gar nichts sehen, manchmal
wiederum sehe sie ganz absonderliche Dinge. Sie empfinde auch
einen starken Druck über den Augen, obschon der Hauptschmerz im
Hinterkopf sitze. Sie leide auch an Kratzen und starker Trockenheit
im Halse und sei oft ganz heiser. Stuhlgang habe sie jetzt sogar
leichter als früher, aber mit dem Wasserlassen will es oft nicht recht
gut gehen.
Die Patientin litt also an Muskelschwäche, Schwindel, Schmerz im
Hinterkopfe und in der Supraorbital-Region, gestörtem Sehen, dilatirten
Pupillen, frequentem Puls, Trockenheit von Mund und Hals u. s. w.
Dieser Symptomencomplex ist ganz characteristisch für Vergiftungen
mit mittleren Dosen von Atropin. Da die Patientin sonst keine Bella-
donna- oder Atropinpräparate gebraucht hatte, so nahm ich daher an,
dass die Einreibung der erwähnten Salbe alle Beschwerden verursacht
hätte. Um für meine Annahme einen weitern Beweis zu haben, ver-
ordnete ich der Patientin weiter nichts als die Weglassung der Salbe.
Nach vier Tagen berichtete mir Frl. L., dass alle Beschwerden sie
verlassen haben und dass sie nunmehr vollkommen wohl sei ; auch
Pulsfrequenz und Pupillenweite normal.
Es kann demnach wohl keinem Zweifel unterliegen, dass in diesem
Falle die epidermatische Einreibung einer dreiprocentigen Belladonna-
salbe eine charakteristische Allgemeinvergiftung hervorgebracht hat ;
die intacte Haut erwies sich in diesem Falle resorptionsfähig. Die
gewöhnhche Einwendung, dass es sich vielleicht gar nicht um eine
Hautresorption, sondern nur um Verdunstung und subsequente
Inhalation des eingeriebenen Medicamentes handele, kommt hier wohl
gar nicht in Betracht, da Belladonna nicht flüchtig ist ; und dann ist
auch die in Ptede stehende Localität durch Kleidung vor Verbreitung
flüchtiger Stoffe einigermassen ausreichend geschützt. Eine halt-
barere Einwendung könnte gemacht werden gegen die Voraussetzung,
dass es sich um eine intacte Epidermis handelte. Da die Patientin
über Pruritus klagte, so wäre es wohl denkbar, dass durch heftiges
Kratzen die Haut an verschiedenen Stellen von ihrer Epidermis ent-
blösst gewesen wäre, und somit würde es sich in diesem Falle gar
nicht um eine epi- sondern nur um eine endermatische Einreibung
218
gehandelt haben, von welcher eine Resorption selbstverständlich
erwartet werden könnte. Dem gegenüber muss ich zunächst betonen,
dass ich durch eine Inspection mich von der Intactheit der bezüglichen
Epidermis überzeugt habe. Ferner ist aber noch Folgendes zu beden-
ken : Das Jucken und somit auch das Kratzen waren gerade zu
Beginn der Einreibung am stärksten. Wenn nun die Vergiftung auf
die hypothetischen Kratzwunden zurückzufüliren wäre, dann müssten
die Vergiftungserscheinungen gleich zu Anfang am deuthchsten her-
vorgetreten sein. In Wirklichkeit jedoch zeigten sich Vergiftungs-
symptome erst vier Wochen nach Beginn der Einreibungen, zu einer
Zeit also, wann fast gar kein Jucken mehr da war.
Einige Umstände mögen indessen die Entstehung der Vergiftung
in meinem Falle besonders begünstigt haben, deren Hervorhebung
ein practisches Interesse haben dürfte, und vielleicht auch zur Lösung
des Widerspruches mit den experimentellen Ergebnissen Gainards
u. A. beitragen könnten, da die erwähnten Umstände bei den experi-
mentellen Untersuchungen möglicherweise noch nicht in Betracht
gezogen worden sind.
Als ein günstiger Umstand für die Resorption könnte die in meinem
Falle in Betracht kommende Localität angesehen werden. Wenn man
nämhch auch annimmt, dass Medicamente durch die intacte Haut
resorbirt werden können, so meint man keineswegs, dass die intacte
Epidermisschicht einfach durchlässig ist. Man stellt sich vielmehr
vor, dass die medicamentösen Stoffe durch die Poren der Talg- und
Schweissdrüsen in die knäuelförmigen und acinösen Höhlen derselben
eindringen und von da durch üebergang in die umgebenden Lymph-
und Capillargefässe in die allgemeine Circulation befördert werden.
Nun ist es aber bekannt, dass die Drüsen der Analgegend (Gl. circum-
ANALEs) dnrdi besondere Grösse ausgezeichnet sind. Somit dürften die
Drüsen gerade dieser Gegenden für die Vermittelung der Resorp-
tion besonders geeignet sein, indem sich eine grössere Quantität
Salbe in diese Drüsen einreiben Hesse. Dabei will ich erwähnen,
dass auch die Drüsen der AchselhöJde durch Grösse sich auszeichnen,
eine Region, die von Manchem in der That für eine resorbirende Ein-
reibung benutzt wird.
Als besonderes Hinderniss für das Eindringen von medicamentösen
Stoffen in die Drüsengänge werden die Anfüllungen dieser Gänge mit
Drüsensecret angesehen. In dem von mir angeführten Falle zeichnete
sich die ei'krankte Hautjyartie durch besondere Trockenlieit aus, die
wahrscheinlich auch die Ursache des Pruritus war. Man könnte
danach annehmen, dass die bezüglichen Drüsen nur wenig secernirten,
die Gänge nicht zu sehr ausgefüllt waren, was wiederum vielleicht als
ein begünstigender Umstand für die Resorption in diesem Falle bei-
getragen haben mag.
Ein beachtenswerther Punkt liegt ferner in der Thatsache, dass die
Verglftungssgmptonie erst 4 — 5 Wochen noch Beginn der Einreibung
aufgetreten sind. Bei einem andern Präparate, bei Digitalis z. B.,
219
könnten wir die lange Dauer auf eine cumulative Wirkung zurück-
f üiiren, man könnte sagen, dass die Resorptionsfähigkeit an sich immer
dieselbe bleibt ; nur bringt jede einzelne Einreibung blos minimale
Dosen in das System hinein, die noch nicht toxisch wirken. Erst nach
wochenlangen Einreibungen accumuliren sich die minimalen Quan-
titäten zu einem wirksamen Grade. Bei Atropin wissen wir jedoch,
dass es den Körper in kurzer Zeit wieder verlässt ; wir haben es ja
auch in unserm Falle gesehen, wie bereits nach vier Tagen alle Ver-
giftungszeichen verschwunden waren. Von einer auf Wochen sich
belaufenden Accumulation kann bei Atropin nicht die Rede sein, und
wir können demnach das späte Eintreten der Vergiftung unmöghch
auf eine langsame Accumulation des Giftes zurückführen. Ich. denke
mir vielmehr, dass die ResorptionsfäJdgkeit selbst mit der fortgesetzten
Einreibung sich stets verbessert habe. Zuerst drang vielleicht gar nichts
oder nur subminimale, nicht toxische Dosen bei jeder Einreibung in
das Blutsystem hinein. Bei der fortgesetzten Einreibung verbesserte
sich die Resorptionsfähigkeit immer mehr, so dass nach einigen
Wochen schUesslich eine ein- oder mehrmalige Einreibung genügte,
um einen toxischen ElTect zu bewirken und zu unterhalten. Es scheint
mir ganz plausibel anzunehmen, dass bei einem länger dauernden Hin-
einpressen von Salbe in die Hautdrüsen die Höhlen derselben stets mehr
lind mehr erweitert und die Epithehelloi der Drüsemcandungen ausein-
ander gedrängt werden, wodurch bessere Verbindungswege zwischen
der Drüsenhöhle und den die Drüse umgebenden Lymph- und Capil-
largefässen hergestellt werden. Ich bezweifle, ob diejenigen Unter-
sut'her, welche der Haut jede Resorptionsfähigkeit absprechen, auch
die Effecte einer langdauernden Einreibung in den Kreis ihrer Experi-
mente gezogen haben. Und doch hat meine Annahme, dass die
Resorptionsfähigkeit der intacten Haut mit der häufigen Wiederholung
der Einreibung wachse, eine eminent practische Bedeutung. Bei der
Fortsetzung der Einreibung könnte es auch dahin kommen, dass
schliesslich auch eine töltliche Dose auf einmal resorbirt werden wird.
Wenn ich z. B. in meinem Falle nicht sogleich auf die richtige Fährte
gekommen wäre, dann hätte die Patientin die Einreibungen sicherlich
fortgesetzt. Wer weiss, wie bald die Resorptionsfähigkeit auch die
Maximaldose überschritten hätte ! Dabei war meine Salbe nur eine
dreiprocentige. Gewöhnhch wird sie aber viel stärker gebraucht.
Ich habe Formeln verzeichnet gefunden, wonach Extr. belladonnae
geradezu die Hälfte der Salbe ausmacht ! Es ist anzunehmen, dass
dann die Intoxicationsgrenze viel früher erreicht wird. Und dennoch
habe ich nirgends eine Warnung gefunden.
220
III.
lieber Achylia gastrica.
Von
Dr. Max Einhorn,
Privatdozent an der N. Y. Postgraduate Medical School und Arzt am Deutschen
Dispensary von New York.
Die Achylia*) gastrica (Magensaftmangel oder Magensaftlosigkeit)
bildet das Hauptsymptom des bisher unter der Kubrik „ Magenatrophie "
beschriebenen Krankheitszustandes.
Während man nun in den meisten Krankheiten zuerst das klinische
Bild festgestellt hatte, und erst viel später die pathologisch-anatomische
Grundlage aufsuchte, war der Gang der Dinge bei der in Kede stehen-
den Krankheit, bei der „Magenatrophie" ein umgekehrter. Zuerst
fand man bei Sectionen Mägen mit Schwund der Drüsen (Fenwicki),
Lewy2), Ewald-^), Kinxicütt^); erst nachher hat man die für die Zustände
während des Lebens passenden Bilder vorgezeichnet und auch vielfach
gefunden.
Eine der ausführlichsten Arbeiten über diesen Gegenstand ist die
von George Meyek^), betitelt „Zur Kenntnlss der sogenannten Magen-
atrophie".
Ich kann um so eher von einer Besprechung der Litteratur dieses
Gegenstandes absehen, als dieselbe in einer gründlichen Weise in der
oben erwähnten Arbeit von Meyer angegeben ist.
Das khnische Bild der zuerst von Fenwick, später von Osler*^), Noth-
nagel") u. A. beschriebenen Fälle von Magenatrophie entspricht genau
dem der perniciösen Anämie.
Wenn nun angeführte Autoren aus dem Sectionsbefund (Atrophie
der Magenschleimhaut) schliessen, dass die Magenerkrankung die
Grundursache des Leidens, d. h. der Anämie ist, so ist dies allerdings
wohl denkbar, allein keineswegs bewiesen. Erstens fehlt der Nachweis,
dass jnan in allen perniciösen Anämien eine Atrophie der Magen-
schleimhaut vorfindet, andererseits findet man nicht bei allen Fällen
von Magenatrophie die Erscheinungen der perniciösen Anämie.
Vielleicht ist die Atrophie des Magens in diesen Fällen bedingt
durch den schlechten Ernährungszustand infolge der perniciösen Anä-
mie ?
*3 Abgeleitet von 6 ;i;)'Aoc=der Saft.
1) S. Fenwick, Atrophy of the Stomach. The Lancet, July 1877.
2) B. Lewy. Berliner klinische Wochenschrift, 1887, No. 4.
^) C. A. Ewald. Berliner kUn. Wochenschrift, 1886, No. 32.
KiNNicuTT. American Journal of Medical Sciences, October 1887.
■^) George Meyer, Zur Kenntniss der sogenannten Magenatrophie."
Zeitschrift für klinische Medicin, Bd. XVI., p. 366.
6) Osler. American Journal of Medical Sciences, April 1886.
') Nothnagel. Deutsch. Arch, f. klin. Medicin. Bd. 24., Heft 4 und 5.
221
Ewald und Jjkwy haben später genaue mikroskopische Bilder über
das Verhalten des atrophirten Magens gegeben. E. fand diesen Zu-
stand öfter beim Krebs des Magens und bei Leuten, die an „Alters-
schwäche" starben.
In all diesen Zuständen findet man nicht nur die Schleimhaut, son-
dern auch die anderen Theile des Magens angegriffen. Meyer sagt
daraufbezüglich :
„ Es ist aber auch bei der in Eede stehenden Affection meist die
Muscularis des Magens in einer Weise betroffen, dass auch die Motion
des Organs gestört ist. Dass bei der hochgradigen Veränderung der
Magenschleimhaut auch deren resorbirende Thätigkeit aufhört, ist
selbstverständlich. Es erlöschen also die drei Functionen des Magens
durch den Schwund des Parenchyms. Letzteren bezeichnet man bei
anderen Organen als Phthisis ; daher sehe ich keinen Grund ein, diesen
Namen nicht auch bei den in Rede stehenden Zuständen des Magens
anzuwenden, solange sie noch einen progredienten Character tragen,
während man den Zustand, den die Phthisis schliesslich erzeugt,
nämlich den ganzen Schwund des secernirenden Parenchyms mit seinen
Folgen, nach einem Vorschlag von Ewald als Anadenie des Magens
bezeichnen kann".
In Bezug auf die Symptomatik sagt Meyer :
„ Fasse ich die Symptome, aus denen auf eine Magenphthise unter
Umständen geschlossen werden kann, kurz zusammen, so ergeben sich
vorzugsweise die Erscheinungen der progressiven perniciösen Anämie,
wobei die Zeichen von Seiten des Verdauungstractus in den Vorder-
grund treten." . . . „ Die Dauer des Leidens scheint von mehreren
Monaten bis zu etwa zwei bis drei Jahren zu währen. In letzteren
Fällen tritt die Darmverdauung an die Stelle der Magenverdauung ;
jedoch hat die Dauer dieser vicariirenden Darmthätigkeit ihre Grenzen
und scheint nicht für allzulange Zeit zur Ernährung der betreffenden
Patienten auszureichen.''
In den meisten in der Litteratur angeführten Fällen von Magen-
atrophie handelt es sich somit um eine zum Tode allmählig führende
Krankheit, bei der sämmtUche Functionen des Magens gestört sind ;
der Name Magenphthise ist somit für dieselben sehr passend gewählt.
Es sind jedoch vereinzelte Fälle von Magenatrophie beschrieben wor-
den, wo die klinischen Symptome oder vielmehr die chemische Analyse
des Mageninhalts zu obiger Diagnose zwang, die keineswegs eine so
schwere irreparable Erkrankung darzubieten schienen ; in diesen
Fällen konnten Sectionen nicht gemacht werden, — und ist allerdings die
Atrophie des Magens hier anzunehmen, aber noch nicht bewiesen.
Fälle hierher gehörig sind von Grundzach'), Ewald^), Wolff'), Ja-
») J. Gbundzach. Berlin, klin. Wochenschr. 1887, No. 30.
2) C. A. Ewald. Ueber das Fehlen der freien Salzsäure im Mageninhalt«
Berl. klin. Wochenschr. 1887, No. 30.
3) L. Wolfe, ibidem.
222
woESKi'), BoAS2), RosE^'HEm='), Litten^) und mir^) beschriebeD worden.
Das Vorkommen dieser letzteren Kategorie hat Grundzach besonders
hervorgehoben. In seinen fünf Fällen war folgendes Verhalten zu
notiren :
„Mageninhalt : 1) Nüchtern stets leer. 2) Der Inhalt während der
Verdauung zeigte immer neutrale oder äusserst schwach sauere Reac-
tion. 3) Es fanden sich bedeutende Quantitäten Schleim. Trotz
Mangels von Salzsäure bleiben die Gährimgsprozesse weg."
Grundzach bemerkt, dass bei derartigen Kranken hervorragende
subjective Symptome öfters ausbleiben können, obwohl der Chemismus
der Magenverdauung so stark gestört ist.
„Ob solcher Zustand lange dauern kann, ob endlich die Muskelhaut,
in den Entzündungszustand hineingezogen, nicht mit der Zeit unter
dem Einfluss feindlicher Factoren Veränderungen erduldet, welche
ihr auf's Weitere die Erfüllung der mechanischen Function unmöglich
machen, darüber ist es schwer etwas Entscheidendes zu sagen."
Da ich Gelegenheit hatte, vier ausgesprochene Fälle dieser soge-
nannten Magenatrophie zu beobachten, darunter den bereits im Jahre
1888 mitgetheilten Fall, den ich 4 Jahre unter Beobachtung hatte,
schien es mir von Werth diese Fälle zu veröffentlichen, um an deren
Hand einige Punkte erörtern zu können.
Den Namen betreffend scheint mir bei diesen Fällen, — wo vorläufig
nur klinisch die Diagnose gemacht werden konnte und noch keine Ge-
legenheit zu Sectionen sich vorfand, „Magenatrophie", „Atrophie der
Magenschleimhaut", „Phthisis ventriculi" oder „Anad enia" ventriculi
nicht ganz gerechtfertigt zu sein ; denn in diesem Namen liegt nur der
Ausdruck für die pathologisch-anatomische Beschaffenheit des Ma-
gens,— die wir ja vorläufig noch nicht mit Sicherheit kennen, und nur
durch theoretische Gründe uns zu dieser Annahme veranlasst sehen.
Da wir es in diesen Fällen stets zu thun haben mit einem vollkom-
menen Mangel des Magensaftes, so glaube ich, dass „Achylia gastrica"
eine passende Ausdrucksweise für diese Erkrankungsform wäre; der
Name giebt genau das an, was man klinisch bei diesen Patienten vor-
findet.
Es sei mir gestattet der Reihe nach meine Fälle hier anzuführen :
Fall 1. Louis T., (beschrieben in der N. Y. med. Presse, September
1888). Es handelt sich kurz um einen 21jährigen Mann, der seit 1886
an hartnäckiger Verstopfung, Erbrechen und Kopfschmerzen litt.
Der am 26. November 1887 aufgenommene Status war : Zunge
stark belegt, Leib etwas aufgetrieben. Innere Organe bieten dem An-
^) Jaworski. Wiener med. Wochenschr. 1886, No. 49 — 52.
2) I. Boas. Münchener med. Wochenschr. 1887 No. 41 und 42.
3) RosENHEiM. Berlin, klin. Wochenschr. 1888, No. 51, 52.
4) M. Litten und Rosexgart, Zeitschr. f. klin. Medicin 1888, p. 573.
5) Max Einhorn, Ein Fall von continuirlichem Magensaftfluss und ein
Fall von vollständigem Fehlen der Salzsäure im Magen. New Yorker Medi-
zinische Presse, September 1888.
m
scheine nach nichts Abnormes dar; das Keimphänomen vorhanden;
keine Sensibihtätsstörungen. Farbe der Lippen und Wangen blass,
anämisch, doch ist Pat. nicht merkUch mager. Seine Hauptklage be-
stand damals darin, dass er nach dem Genüsse von Speisen jeder Art
brechen musste, besonders aber nach Fleisch. Die im Jahre 1887 im
Verlauf von 3 ^Monaten vielfach vorgenommenen Prüfungen des Magen-
inhaltes ergaben stets die Abwesenheit von Salzsäure und den Pepsin-
und Labfermenten. Es wurde damals die Diagnose auf Atrophie der
Magenschleimhaut mit aller WahrsclieinUchkeit gestellt. Die damals
eingeschlagene Behandlung hatte bewirkt, dass sich Patient besser
fühlte, und das Erbrechen weniger häufig auftrat als vorher. (Ge-
naueres über die Krankengeschichte dieses Patienten ist in der oben
angeführten Arbeit nachzulesen.)
Der Zustand des Patienten hat sich nun seitdem während der
ganzen Zeit nicht viel verändert. An Gewicht hat Patient etwas zuge-
nommen; seine Gesichtsfarbe ist jetzt gut; Farbe der Schleimhäute
roth. Patient konnte im Allgemeinen mehr essen, als in den ersten 2
Jahren seiner Krankheit. Die Stuhlverstopfung bestand noch in alter
Weise, und musste Patient die ganze Zeit hindurch zu Klystieren ab
und zu auch zu Purgantien Zuflucht nehmen. Häufige Klagen des
Patienten sind Kopfschmerzen und Gefühl von Vollheit und Unbehag-
lich keit in der Regio gastrica ; vor etwa 8 Monaten stellte sich ein
Gefühl von Brennen in beiden unteren Extremitäten ein; dieses Sym-
tom konnte weder durch Medicamente, noch durch Elektrisation
zum Stillstand gebracht werden ; nach halbjähriger Dauer ver-
schwand dieses Gefühl des Brennens von selber. Das Erbrechen war
in den letzten zwei Jahren äusserst selten aufgetreten.
Während der ganzen vier Jahre haben wir bei Patienten ungefähr
einmal monatlich Prüfungen des Mageninhalts vorgenommen.
Wir fanden stets folgendes Verhalten :
Im nüchternen Zustande Magen gewöhnlich leer, nur ausnahms-
weise einige cc. trüber, graiigrünlicher Flüssigkeit von alkalischer
Reaction ohne Schleimbeimengung.
Eine Stunde nach Ewald's Probefrühstück ;
Mageninhalt kommt durch die Sonde sehr schwer heraus, weil die
Sonde durch die gröberen Semmelstücke verstopft wird; der Magen-
inhalt zeigt im Ganzen folgende Beschaffenheit : Die Semmelstück-
chen sind beinahe gar nicht verändert; sie sehen so aus, als ob sie nur
einige Zeit im Wasser gelegen hatten; Schleim nicht vorhanden; Re-
action sehr schwach sauer (gewöhnlich etwa Acidität 2 — 4), Salzsäure
nicht vordanden; Milchsäure in Spuren vorhanden; Propepton sowie
Pepton nicht vorhanden; Labferment und Pepsin fehlen. Mageninhalt
nicht zersetzt.
Auch einige Stunden nach einem Probemittagbrod war im Ganzen
und Grossen obiges Verhalten zu notiren.
Fall 2. 15. August 1890. Isaac S., 35 Jahre, leidet seit 10 Jahren an
Erbrechen,welches zuweilen gleich nach dem Essen, gewöhnlich aber etwa
224
2 bis 3 Stunden nach dem Essen auftritt. Zuweilen hörte das Erbrechen
für eine Woche auf, dann stellte es sich aber regelmässig mit ver-
stärkter Macht wieder ein. Nie Appetit. Kopfschmerzen, am stärk-
sten des Morgens; nach dem Essen stellte sich stets das Gefühl ein, als
ob Patient brechen müsste, welches nach einiger Zeit verschwand.
Stuhlgang regelmässig. Schlechter Geschmack im Mund. Patient
fühlte sich immer schwach, müde und schläfrig.
St. praes.: grosser, schlank gebauter Mann, sieht ziemlich mager aus;
Farbe der Wangen blass; Schleimhäute anämisch. Brustorgane intact.
Magen nicht erweitert.
16. August 1890. 1 St.n. Fr.: HC1==0; Acid=; Lab=0; Pepsin=0;
Propept=0, Pepton=0, Achrood.=|= Erythrod=0. Die Zerkleinerung
recht grob.
18. August, 1890. Nüchtern: 20 CG. gründlich schleimiger Flüssigkeit,
keine Beimischung von Speisen; Keaction alkahsch. Diagnose: Achyha
gastrica. Th.: Magenausspülungen; HCl.; Kumyss; Fleischpulver,
Gymnastik. Kalte Abwaschungen.
Patien fühlt sich bedeutend besser, hat nicht gebrochen; Appetit gut;
keine Kopfschmerzen.
Den 20. August, 1890. Nüchtern: Magen leer. Ausspülung; 4 Eier
täglich zur früheren Kost.
Den 24. August, 1890. 1 St. n. Fr.: HC1=0; Acid=4; Lab^O; Pepton=0;
Propepton=0; Achrood.+ viel; Erythrod. kaum Spur; Pepsin: 5 CO.
Filtrat+ 2 Tropfen Acid mur.# Eiweiss nach G Stunden noch nicht
verdaut; am folgenden Tage die Scheibe durchsichtig aber noch vor-
handen. Das Filtrat enthält viele kleine Bröckelchen (wahrscheinlich
vom zerfallenen Eiweiss); die Flüssigkeit enthält auch jetzt kein Pepton
und kein Propepton. Pepsin daher abwesend.
Den 26. August, 1890. Durchspritzgeräusch vorhanden. Patient
wird 10 Minuten hindurch vom Magen aus faradisirt.
Im Oktober 1891 giebt Patient an, etwa 4 Pfund im letzten Jahre zu-
genommen zu haben. Patient hat während der ganzen Zeit nach den
ihm angegebenen Vorschriften gelebt, hat sich gut gefühlt und nie er-
brochen.
Eine Prüfung des Mageninhalts am 10. November 1891, eine Stunde
nach dem Probefrühstück ergiebt: Reaction schwach sauer, HC1=0;
Acid=4, Propet., Pept. nicht vorhanden; Lab und Pepsin fehlen; Achro-
odextrin+ viel; Erythrodextrin fehlt; keine SchleimbeimenguDg; Zerklei-
nerung grob; die Semmelstücke sehen so aus, als ob sie im Wasser auf-
geweicht wären.
Schluss folgt.
225
IV.
Zur Pathologie des Eierstocks.
Von
Dr. FRANZ FOERSTER,
Instructor in Frauenkrankheiten (New York Post Graduate School and
Hospital). Gynaecolog des Deutschen Dispensary der Westseite und des
East Side Dispensary.
Jedem Gynaecologen kommen, und zwar gar nicht selten, Fälle zur
Beobachtung, welche folgendes nahezu typische, klinische Bild darbie-
ten : Frauen im productionsfähigen Alter klagen über fast permanent
anhaltende Schmerzen in der Ovarialgegend, welche zur Zeit der
Menstruation sich wesentlich verschlimmern, und welche nur in den
direct auf die Menstruation folgenden Tagen eine massige Linderung
erfahren. Der Allgemeinzustand leidet bald unter dem beständigen
Gefühl des Unbehagens, sie magern ab und zeigen ein eigenthümliches,
cachectisches Aussehen, das Auftreten von hysterischen und neuralgi-
schen Symptomen vervollständigt das Bild. Wenig im Einklang stehend
mit den geschilderten schweren Sj^mptomen finden wir den khnischen Be-
fund. Die manuelle Untersuchung ergiebt nur selten Anhaltspunkte,
welche uns veranlassen könnten, einer fehlerhaften Lage oder Erkrankung
des Uterus einen Theil der Symptome zuzuschreiben; weitere Unter-
suchung jedoch zeigt uns, dass es sich um eine Erkrankung der
Adnexa, resp. der Ovarien handelt. Das eine oder auch beide Ovarien
finden wir dann gewöhnlich als eine — je nach der Intensität der
überstandenen Pelveo-peritonitiden — grössere oder kleinere Masse im
DouGLAs'schen Eaume, auf Berührung ist diese Masse ausserordent-
lich empfindlich und wird von unserer Patientin alsbald als der Aus-
gangspunkt all ihrer Leiden bezeichnet. Es gelingt uns dann noch
gewöhnlich, die Tuben als gewöhnlich mässig verdickte Stränge zu
erkennen.
In solchen Fällen wird die Diagnose in der Kegel auf chronische
Oöphoritis gestellt und palliative und roborirente Behandlung eingelei-
tet. Diese Behandlung lässt selbst, wenn Jahrelang fleissig forge-
führt, häufig im Stich, und man beginnt als ultima ratio an Oöpherec-
tomie zu denken. Von Seiten der Kranken stossen wir auf keinen
Widerstand betreffs eines dahin gehenden Vorschlags, denn längst
ist ihr ihr Zustand als kaum erträghch erschienen, ja sie mag durch ihre
Leiden bestimmt worden sein, zu versuchen, uns zur Vornahme einer
Operation zu bewegen, vordem wir uns noch selbst von der Noth-
wendigkeit einer solchen überzeugen konnten.
Bei der Operation finden wir dann häufig von Entzündungsproduc-
ten umgeben ein oder auch beide Ovarien, welche ihrem äussern nach
zu urtheilen nicht sehr dazu geeignet sind, uns den Eindruck so tief
gehender pathologischer Veränderungen zu machen, wie solche be-
standen haben müssen, um die geschilderten schweren Symptome zu
226
bedingen. Die Grösse der Ova^rien mag zwischen der normalen und
sechsfaclien schwanken, die kleineren fühlen sich derb an, die grösseren
zeigen gewöhnlich klein-cystische Degeneration, andere sind in eine
längliche, bandartige Masse umgewandelt. Beim unmittelbar nach der
Operation ausgeführten Längsschnitt finden wir in einigen Ovarien
durch das Stroma zerstreute verdichtete Bildungen, welche von ihrer
Umgebung nicht scharf abgegrenzt sind. In anderen mögen wir zu
unserem Erstaunen ein sog. Corpus luteum verum finden, trotzdem
die Patientin niemals schwanger war, oder doch Jahre seit letzter
Schwangerschaft verstrichen sind ; bisweilen, und zwar nicht selten,
finden wir im Ovarium ein Haematom von wechselnder Grösse.
Die Operirten erholen sich auffallend rasch und nehmen an Kräfte
und Körperfülle zu, so dass sie nach Verlauf einiger Monate sich
gewöhnlich wieder so wohl fühlen wie ehedem. Dieser günstige Aus-
gang trifft jedoch nur dann zu, wenn gleichzeitig beide Ovarien ent-
fernt werden. Lässt man aus Schonung und in Anbetracht der mög-
lichen Befruchtung eins zurück, so mag sich über kurz oder lang das
Krankheitsbild in dem nicht entfernten Organ repetiren.
Solch schwere klinische Symptome waren nach den bisherigen
Anschauungen nach dem Befund in den Ovarien nicht erklärlich. Man
betrachtete das Corpus luteum als Ergebniss der letzten Menstruation,
wobei man allerdings zugeben musste, dass eine scharfe Grenze
zwischen einem Corpus luteum spurium s. menstruationis und einem
Corpus luteum verum s. graviditatis nicht existirte. Fand man Haema-
tome, so hielt man diese entweder für apoplectische Herde, oder für
mit Blut gefüllte Cysten.
Das Ungenügende dieser Anschauungen veranlasste mich aus einer,
grösseren Anzahl von Oöphorectomien 25 solcher Ovarien auszuwählen,
welche makroskopisch die wenigsten ausgesprochen pathologischen
Veränderungen zeigten, und dieselben einer eingehenden mikroskopi-
schen Untersuchung zu unterwerfen. Herrn Dr. C. Heizmann, in dessen
Laboratorium ich diese Untersuchung ausführte, bin ich zu grossem
Dank verpflichtet für die freundliche Unterstützung, welche er mir hat
dabei zu Theil werden lassen. Ich bediente mich der Chromsäure-
Härtung, selbst dann, wenn die Ovarien in Alcohol gelegen hatten.
Ich färbte die mittelst Microtom gewonnene Serienschnitte mit Am-
moniac-Carmiu, die Präparate wurden in Glycerin montirt.
Dr. M. D. Jones hat auf pathologische Processe aufmerksam ge-
macht, welche ich mit verschiedenen ausgesprochenen Abweichungen
in meinen Präparaten wieder fand, und werde ich mich im Folgenden
der von ihm eingeführten Nomenclatur bedienen.
Die hier zur Besprechung kommenden pathologischen Befunde
lassen sich in drei Gruppen eintheilen :
1) Gyrome, 2) Endotheliome, 3) Hacmaiome.
1.) Gyrome.
Schon mit freiem Auge erkennt man sowohl in der Cortical- als auch
MeduUar-Substanz Knötchen von der Grösse eines Stecknadelknopfes
227
bis zu der einer Erbse von eigenthümlich seidenartigem Glänze, ohne
scharfe Grenze gegen das benachbarte Stronia. Grössere Knoten sind
von ausgesprochen derber Consisteiiz, Schnitte zeigen bei schwacher
Vergrösserung gewundene Gebilde, wachsartig infiltrirt, entweder
solid, oder mit einer centralen Höhle versehen. Für diese Bildung
wurde der Name Gyrom vorgeschlagen.
Ein solides Gyrom (siehe Fig. 1) ist von dünnen Bindegewebszügen
Fig. 1. No. 100.
Solides Gykom i n der Geenze von Cortex und Medulla.
G G— Gyrom mit zarten Bindegewebszügen.
C C— Entzündetes Bindegewebe.
A A — Arterien, massige Sclerose und hyaline Degeneration.
V — Vene im Querschnitt.
B — Capillaren.
durchsetzt, in welchen keine Blutgefässe zu erkennen sind. Diese
Züge theilen das Gyrom in gewundene Felder ab, indem sie stets in
der Mitte einer Windung verlaufen. Das Gebilde ist von der
Umgebung scharf abgegrenzt entweder von dichtem Bindegewebe oder
es ist von einer entzündeten Zone umgeben, in welcher zahlreiche
Blutgefässe auffallen. Bei hohlen Bildungen dieser Art treffen wir
Windungen wachsartig infiltrirt von verschiedener Breite, während das
Centrum entweder von myxomatösem Gewebe oder Blut ausgefüllt
wird.
228
Zunächst wirft sich die Frage auf, woher stammen diese eigen -
thümlichen Bildungen, welche man bisher als Endstadium eines
Corpus luteum betrachtet hat. Schon Dr. M. P. Jacoby hat sie als
etwas Pathologisches aufgefasst. Gyromata innerhalb des Cortex
stammen unbestreitbar aus der Wand eines geborstenen Follikels
(Siehe Fig. 2).
Bei der Ovulation berste ein Follikel und eine mässig verbreitete.
F
Fig. 2. No. 100.
Anfangsstadium der Entwickklung eines Gyeoms aus einer Follikel- Wand.
F F — Ueberreste coUabirter Follikel.
W — Wand des Follikels nicht erweitert.
G — Erweiterte Wand des Follikels, das zukünftige Gyrom.
M — Myxomatöses Gewebe des Innern des Follikels fullens.
I — Entzündungszone um den Follikel.
vielfach gewundene strukturlose Haut bleibt zurück, ohne sich weiter
zu verändern, um mit der Zeit durch Schwund zu einem unscheinbaren,
dünnen Band reducirt zu werden, wie wir solche in jedem gesunden
Ovarium zu Dutzenden zu beobachten Gelegenheit haben. Unter
pathologischen Verhältnissen erfolgt jedoch eine Verbeiterung dieses
structurlosen Häutchens, und indem die Wandungen erhalten bleiben,
wird daraus ein Gyrom. In der Abbildung sind zwei collabirte FolUkel
und auch das Anfangsstadium eines Gyroms sichtbar. In letzterem
fällt eine entzündliche Zone auf, welche augenscheinlich mit der Ent-
wickelung des Gyroms in ursächlichem Zusammenhange steht.
229
In der Medullar-Siibstanz des Ovariums geht die Entwickelung des
Gyroms wohl jedesmal aus durch Endarteritis obliterans und hyalin
infiltrirten Arterien hervor (siehe Fig. 3). Die Windungen dieser
Gyrome lassen sich ungezwungen aus der Thatsache erklären, dass die
Arterien des Eierstockes einen ausgesprochenen gewundenen Verlauf
nehmen. Die Wandung verstärkt sich dann beträchtUch, wenn ein
Solidwerden des Arterienrohres eintritt. Das ehemalige Lumem der
Arterie ist durch einen Bindegewebsstrang ausgefüllt, welcher selbstver-
ständlich die Mitte der Arterie resp. Gyroms einnimmt und das Vor-
Endarteeitis obliterans und Ateriosclerosis. Ein zukuenftiges Gyeom.
G— Gyrom C C. Entzündetes Bindegewebe.
M —Muskel im Querschnitt.
A — Arterie im Querschnitt.
handensein von sich verzweigenden Bindegewebszügen im Gyrom
erklärt.
Gyrome sind nicht selten von Pigmentkörpern durchsetzt, welche
entweder einen gelben oder gelbbraunen oder selbst dunkelbraunen
Farbenton aufweisen. Auch in der directen Umgebung der Gyrome
finden wir solche Pigmentablagerungen.
In einem Falle habe ich bei einem Gyrom, dessen Inneres von Blut
ausgefüllt war, reichliche Neubildung von Capillaren beobachtet (siehe
Fig. 4).
Schon bei schwacher Vergrösserung war ein stark verzweigtes
Protoplasmanetz in der Gyromwand zu erkennen, bei gleichzeitiger
Anwesenheit von rothen Blutkörperchen in den durchgängig gewor-
denen Capillarröhren. Starke Vergrösserungen lieferten die Ueber-
zeugung, dass die Neubildung der Capillaren in der Gyromwand auf
230
die bekannte typische Weise vor sich geht, indem innerhalb der wachs-
artig glänzenden Gyrommassen feine, zuerst solide, später vacuelirte
Züge auftreten (siehe Fig. 5). Die Wandungen der ausgehöhlten
Protoplasmazüge werden von Endothelien hergestellt, welche in der
Seitenansicht die bekannte Spindelform zeigen. Vielfach hingen die
soliden Züge mit den Pigmentklümpcheu zusammen, und aus dem
Umstand, dass auch in diesen Pigmentklumpen Vacuolen auftreten.
Fig. 4, No. 100.
PiGMENTIETES UND VASCULARISIRTES GyBOMA MIT EINEM IM CeNTRUM SICH
BILDEDEN HaEMATOM.
G G— Gyroma durchzogen von Pigmentklumpen und Capillarnetz.
E — Arteriole in der Wand des Gyroms.
H — Haematom .
O — Arteriole im Rande des Gyroms.
C — Entzündete Bindegewebe.
A — Sclerotische Arterie im Durchschnitt.
V — Vene und Capillaren in die Wand des Gyroms eintretend.
Hess sich der Schluss ziehen, dass auch die Pigmentklümpcheu an der
Gefässbildung theilnehmen ; rothe Blutkörperchen waren sowohl in
den Lichtungen der neugebildeten Capillaren, wie auch in den
Vacuolen der Pigmentklümpcheu nachzuweisen.
Ich habe schon früher bemerkt, dass Gyrome bisweilen in einem
231
Ovarium in grösserer Menge bis zu acht oder zehn eingestreut gefun-
den werden, und in der Regel von einem entzündeten Stroma umgeben
sind. In der letzteren Thatsache mochte ich den Grund der schweren
klinischen Symptome suchen, welche ja thatsächlich die einer chroni-
schen Oöpheritis sind. Zum Verständniss der klinischen Erschei-
nungen würde allerdings nothwendig sein, Nervenfasern in das Gyrom
Fig. 5, No. 500.
PiGMENTIRTES GyROMA MIT NEUGEBILDETEN CaPILLAR-BlUTGEFAESSEN.
G G— Leicht granulirte Basissubstanz des Gyroms.
P P — Sich verzweigende Pigmentklumpen.
C C — Capillar- Blutgefässe in Bildung begriffen.
H — Pigmentklumpen, Blutkörperchen enthaltend.
B — Augenscheinlich isolirte Bhitkörperchen.
hinein oder doch wenigstens in die nächste Umgebung desselben zu
verfolgen, indessen ist mir ein derartiger Nachweis von Nerven bisher
nicht gelungen.
2.) E n d o t h e 1 i o m e. '
Unter diesem Namen wurde eine Bildung beschrieben, welche in
einem Ovarium stets in einfacher Zahl auftritt und im Wesentlichen
mit der Structur eines Corpus luteum übereinstimmt. Ich habe eine
Anzahl von Ovarien der Kuh, des Schafes und des Schweins untersucht
und jedesmal bei vorhandener Schwangerschaft ein Corpus luteum
gefunden ; entsprechend der Zahl der im Uterus anwesenden Embry-
232
onen, traf ich auf 2, 3 oder 4 Corpora lutea in einem oder beiden Ovarien;
aucli beim Menschen ist unter solchen Verhältnissen das Bestehen eines
resp. zweier Corpora lutea eine unbestrittene^Thatsache. Nun muss es
doch recht auffallend erscheinen, wenn man einem solchen Corpus
luteum von Erbsen- bis Kirschengrösse in einem exstirpirten Ovarium
begegnet, von Frauen, welche niemals schwanger waren, oder bei
welchen die letzte Schwangerschaft vor 5 — 6 Jahren abgelaufen war.
In solchen Fällen wunderte man sich wohl betreffs der Grösse, doch *
Endothelioma, sogenanntes Corpus Luteum.
Fig. 6. lOO.
E — Convolutionen durch Endothelien aufgebaut, zwischen denselben be-
finden sich Blutgefässe.
C — Kai^sel des Endotbelioms, aus losen Bindegeweben bestehend.
F — Fibrinkem im Centrum des Endotbelioms.
V — Blutgefässe, tbeils venöse, theils Capillaren.
man nannte das Corpus luteum einfach Spurium sive menstruationis,
indem man von der Idee ausging, dass in Folge der Ovulation jedes
Mal ein Corpus luteum entstehen müsse. Zur Annahme dieser An-
schauungsweise hat Dalton viel beigetragen, indem er anscheinend
sorgfältige Studien über die Entstehung des Corpus luteum veröffent-
licht hat, vsrelche zur Zeit auch in Europa als richtig angenommen
wurden.
Ich bin überzeugt, dass diese Anschauung eine fehlerhafte ist, und
233
der von Dalton angeführte Fall einee jungen Mädchens, welche wegen
der Eingangs geschilderten Symptome operirt wurde, dürfte meine
Anschauung bestätigen.
Das Mädchen war nie schwanger, hatte in einem Ovarium ein
kirschengrosses Corpus luteum, und wurde durch die Operation von
ihrem jahrelangen Leiden vollständig befreit. Welche Bedeutung hat
nun ein solches Corpus luteum ? Vergleichende Untersuchungen
zwischen Menschen und Thieren ergaben eigenthümliche Unterschiede
in den anatomischen Verhältnissen der Corpora lutea.
Thatsächlich ist jedes Corpus luteum ein Endotheliom. Bei den
angeführten Thieren liegen die Endotheliome in einem durch Binde-
gewebe oder durch Capillargefässe hergestellten Fachwerk und sind
stets solid, d. h. nicht mit einem centralen Fibringerinsel versehen.
Beim Corpus luteum des Menschen ist die Anwesenheit eines solchen
Fibriukerns die Regel (s. Fig. 6). Die Endothelien sind häufig von
beträchtlicher Grösse und spindelförmig ausgezogen.
Ueberdies erreicht das menschhche Endotheliom bisweilen eine
beträchtliche, (bis Kirsch- und darüber) Grösse und ist von einer lockeren
Bindegewebskapsel umgeben, in welcher sich zahlreiche grösstentheils
venöse und capillare Blutgefässe vorfinden.
Offenbar ist das Corpus luteum spurium des Menschen das Resultat
einer intensiven localen Reizung, möghcherweise eines stärkeren fol-
liculären Blutgefässes, und das Product einer formativen Entzündung
von fast unbegrenztem Wachsthum, ohne auf die Bezeichnung eines
Tumors Anspruch machen zu können. Dieses pathologische Product
hat eine ausgesprochene Tendenz zur Neubildung von Blutgefässen
und ist die allergewöhnlichste Ursache des Haematoms, indem Blut-
ergüsse auf diesem Wege in das Innere des Endothelioms stattfinden.
Nach sorgfältiger Untersuchung von menschlichen und Thier-Eier-
stöcken habe ich gefunden, dass die normale Ovulation nur von einer
etwa stecknadelkopfgrossen Haemorrhagie gefolgt ist. Es können in
einem Ovarium mehrere haemorrhgische Herde vorhanden sein, welche
theilweise frisches Blut, theilweise desintegrirte rothe Blutkörperchen
aufweisen, stets wird aber nur ein einziges Endotheliom zu finden sein,
und zwar tast jedes Mal mit einem Fibrinkern.
Auf dieser Beobachtung beruht meine Aussage, dass das sog. Corpus
luteum spurium des Menschen wohl grösstentheils ein pathologisches
und zwar entzündliches Product sei, welches allerdings jedes Mal
seinen Ausgang von einem geborstenen Follikel genommen habe.
So würden sich die klinischen und mikroskopischen Befunde einer
chronischen Oöpheritis ungezwungen erklären lassen. Auch hier würde
die Anwesenheit gezerrter Nervenfasern viel zur Aufklärung des klini-
schen Bildes beitragen, indessen war auch hier mein Suchen nach
Nerven innerhalb des Endothelioms erfolglos.
Ich behalte mir weitere Mittheilungen über das Corpus luteum bei
Menschen und Thieren vor. Ich möchte jedoch jetzt schon darauf
hinweisen, dass für die anatomische Bildung des Corpus luteum
234
genügende Erklärung gefunden wird darin, dass wir das Endotheliom
als eine speeielle Art von myxomatösem Gewebe ansprechen. Im
myxomatösen Gewebe finden wir ein Bindegeweb-Netzwerk, dessen
Maschenraum mit myxomatöser Grundsubstanz erfüllt ist. Im
Centrum des myxomatösen Faches treffen wir häufig ein kernartiges
Gebilde. Wir brauchen nur die Vorstellung, dass die ursprüngliche
protoplasmatische Füllmasse des Faches in protoplasmatischeni
Zustand persistirt, dann haben wir sofort ein Bild der für das Corpus
luteum charakteristischen Endothelien. Fügen wir hinzu, dass das
C
Fig. 7. No. 500.
Myxomatöses Endotheliom.
C — Bindegewebszug, Capillar-Blutgetasse fiihrend.
T — Maschen von zartem Bindegewebe.
M— Myxomatöse Basis-Substanz.
N— Myxomatöse Basis-Substanz, Kerne führend.
V — Venen im Querschnitt.
Maschenwerk der Endotheliome sich häufig zu Capillaren entwickelt,
dann haben wir eine Erklärung des Corpus luteum wie es beim Schwein
in typischer Form auftritt. Diese Anschauungsweise findet eine
wesentliche Stütze in einem meiner Eierstockpräparate, in welchem ein
Endothehom thatsächlich von typischem myxomatösem Gewebe auf-
gebaut wird (siehe Fig. 7). In diesem Fall ist von der protoplasmati-
schen Füllung nur noch der Kern übrig und nur die gröberen Binde-
gewebszüge tragen capillare Blutgefässe. Ein Endotheliom kann sich
235
sicherlich aus der Wand eines geborstenen Follikel entwickeln ; bis-
weilen erfolgt jedoch diese Entwicklung aus einem Gyrom. Ich will
nicht bezweifeln, dass das Gyro:n ein Endstadium eines Endothelioms
darstellen kann, wie dies von anderen Forschern angenommen wird,
ich bin jedoch sicher, dass der umgekehrte Weg, nämlich die Umwand-
lung von Gyrom zu Endotheliom keineswegs selten ist ; wir sehen dann
im Gyrom blasse vieleckige Protoplasma-Körper auftauchen. Die
Entwicklung der Endothelien erfolgt mitten in der Grundsubstanz der
Fig. 8. No. 500.
Gyrom in Umwandlung in Endotheliom begriffen.
G G — Gyrom.
P P— Protoplasma, rothe Blutkörperchen führend.
Gyrome (siehe Fig. 8). Dann sehen wir Protoplasma in scharf wandigen
Höhlen, diese Protoplasma-Körper führen in der Regel grosse Kerne in
wechselnder Anzahl. SchliessUch sind von der Gyromsubstanz nur
noch spärliche Ueberreste vorhanden, und der grösste Theil des
früheren Gyroms ist zu Endotheliom oder eventuell Haematom umge-
wandelt.
3.) Haematom.
Nach dem Gesagten wird es klar, dass wir für Blutergüsse im Eier-
stock verschiedene Quellen nachweisen können. Zunächst geschieht
es wohl bei der Ligatur, dass die Venen, wenn auch nur für kürzeste
236
Zeit, eher comprimirt und abgeschürt werden als die Arterien, die
Folge davon muss eine Stauung des Blutstromes im Ovarium sein^
fügen wir dazu den durch Manipulation des Organes bedingten Druck,
so mag dies zur Berstung zahlreicher kleiner Blutgefässe führen. So
erkläre ich die bisweilen zahlreichen Infarcte im Ovariumgewebe und die
mit frischem Blut erfüllten Cystenräume. Hier haben wir es also mit
einem künstlich erzeugten Haematom zu thun.
Eine zweite Quelle von Haemorrhagien ist die Ovulation. Norma-
lerweise ist diese Blutung nur punktförmig, oder übersteigt kaum die
Grösse eines Stecknadelkopfes. Ausnahmsweise jedoch treffen wir
grössere Haemorrhagien sowohl im Räume des geborstenen FoUiculs,
wie auch in der Umgebung desselben. Die aufgerollten Ueberreste
der follicular Membran führen uns dann zur sichern Diagnose der
Quelle solcher Haematome.
Eine dritte Ursache finden wir in der eigenthümlichen Gefässanlage
der Ovarien. Arterien wie Venen verfolgen einen äusserst gewundenen
Gang, die Gefässe sind ausserdem denselben pathologischen Verände-
rungen unterworfen, wie in andern Theilen des Körpers. "Wir sehen in
Folge Varicositäten der Venen und anemysmatische Entartung der
Arterien, letzteres besonders schön in einem meiner Präparate ersicht-
lich, eine Ruptur kann unter solchen Umständen in irgend einem Theile
des Ovariums stattfinden.
Eine vierte und durchaus nicht seltene Veranlassung von Haema-
toma ovarii sind Endotheliome, welche nach vorausgegangener Bil-
dung von Blutgefässen zu solchen umgewandelt werden.
Diese Haematome treffen wir im Cortex des Eierstocks, entweder
an der Grenze zwischen Cortex und MeduUa oder an die freie Ober-
fläche in Form eines blutrothen Hügels hervorragend. Ich habe an
einigen Präparaten die Entwicklung des Haematoms mit stufenweiser
Verdünnung der Kapsel deutlich verfolgen können. Thatsächlich wird
die Kapsel schliesslich so dünn, dass ein leichter Druck auf das exstir-
pirte Ovarium genügt, um das Blut hervortreten zu lassen. Bis-
weilen erfolgt eine Ruptur des Haematoms mit lebensgefährlichem
Bluterguss in die Bauchhöhlen, wie auch ein Fall von Boldt berichtet
wurde. In zweien meiner Fälle erfolgte der Bluterguss in die Substanz
der breiten Ligamente mit Bildung eines Extravasats von Kleinapfel-
grösse. In beiden Fällen waren die Symptome ähnlich denen einer
Ruptur drohenden Tubarschwangerschaft, in Wirklichkeit operirte ich
den einen Fall unter dieser Diagnose.
Zum Schluss will ich bemerken, dass ich in meinem Aufsatz keines-
wegs erschöpfend sein wollte, ich wählte die 3 beschriebenen Krankheits-
formen, erstens, weil dieselben mit einander in Zusammenhang stehen»
und zweitens, ihre Erkenntniss noch verhältnissmässig neu ist.
Ich habe die Besprechung der sogenannten kleincystischen De-
generation vermieden, weil es sowohl meine, wie die Ueberzeugung
anderer Gynäcologen ist, dass dieses Bild ein nahezu normales Vor-
kommniss selbst bei Thieren ist und nicht zur Erklärung der Eingangs
genannten klinischen Erscheinungen herangezogen werden kann.
237
NEW YORKER MEDICINISCHE MONATSSCHRIFT.
Organ für praktische Aerzte in Amerika.
Redigirt von
Dr. f. C. heppenheimer.
EDITOBIELLE NOTIZEN.
15. Juni 1892.
Die neuesten Anschauungen über das Zustandekommen der Immunitat.
Nachdem die Immunitätslehre in Frankreich begründet und im
Pasteur'schen Institute durch viele geuiale Arbeiten und Thierexperi-
mente auf eine wisseuschafthche Basis gestellt war, hat dieselbe in den
letzten 2 Jahren auch in den anderen Ländern Europas, — vornehmlich
aber in Deutschland, in der Kocn'schen Schule, — eine weitere Ausbil-
dung und eine breitere praktische Bearbeitung gefunden.
Zunächst wurde die allgemein bekannte METSCHixiKOFF'sche Pha-
gocytenlehre geschaffen. Die weissen Blutkörperchen sollten als
Schutzwächter des Organismus dienen und denselben von jeder feind-
lichen Mikroorganismen-Invasion befreien ; bei jeder bacillären oder
Kokkenerkrankung des Organismus kämpfen die Leukocyten tapfer
mit dem Feind, indem sie denselben aufzufressen suchen ; gelingt ihnen
dieses, dann gesundet der Organismus, im widrigen Fall geht letzterer
unter. Ein Thier wird gegen eine Krankheit nach dieser Theorie da-
durch immun, dass die weissen Blutkörperchen eine grössere und
schnellere Fertigkeit bekommen gegen den Feind anzukämpfen, d. h.
die Mikroorganismen zu verzehren, — so dass bei beginnender feind-
licher Invasion der Kampf sofort mit Erfolg unternommen wird, — so
wird der Organismus von vornherein vor der l)etreffenden Erkrankung
geschützt.
Später wurde in Deutschland der Nachweis geführt, dass dem Blute
als solchem bactericide Eigenschaften zukommen. Auf dem letzten Con-
gress für innere Medicin hat H. Buchner in seinem Vortrage : „lieber
die Schutzstoffe des Serums" diese Verhältnisse genau geschildert.
Nach ihm kommt diese keimtödtende Wirkung dem Blutserum zu ;
letzteres übt aber auch auf andere lebende Zellen (rothe Blut-
körperchen gewisser Thierarten) dieselbe Wirkung aus. Blutserum
von normalen Hunden tödtet nicht nur Typhus-, Cholera-, Milzbrand-
und andere Bacterien, sondern es vernichtet auch die Blutzellen vom
Menschen, vom Pferd, vom Schaf, Kaninchen und Meerschweinchen,
überhaupt von fast allen Säugern in kurz'jr Frist, Beispielsweise Ka-
ninchenblutzellen werden bei Körperwärme von Hundeserum in 1 — 2
Minuten, jene des Meerschweinchens schon in weniger als 1 Minute, d.
h. beinahe augenblicklich zerstört. Diese „globulicide Action" ist seit
längerer Zeit, namentlich durch die Untersuchungen Landois' bekannt-
238
Diese Wirkung des Serums ist nicht etwa dem Concentrationsgrade
der in demselben enthaltenen Salze zuzuschreiben, denn man braucht
nur, wie es Buchner nachgewiesen hat, das Serum auf 55° C. zu erwärmen
und die „globulicide" wie „bactericide" Eigenschaft desselben bleibt
weg. Nach Büchner sind es gewisse in hohem Grade labile Eiweiss-
körper des Serums, an denen die Wirkung haftet. Nach Büchner's
Auffassung sind das nicht Eiweisskörper im gewöhnhchen Sinne, wie
die reine Chemie- oder die Ernährungsphysiologie das auffasst, nicht so
zu sagen todtes Eiweiss, sondern hochcomplicirte, in grösseren Mole-
cül verbänden angeordnete, gewissermassen organisirte Eiweisskörper.
Für diese wirksamen Eiweisskörper hat Büchner den Ausdruck
„Schutzstoffe" oder „Alexine" gewählt. Es handelt sich hier um eine
allgemeine Wirkung auf fremdartige Zellen überhaupt, also um eine
Art von genereller antiparasitärer Schutzeinrichtung. Die Immunität
kommt nach Buchner dadurch zustande, dass die Alexine, die durch
die Bacterien erzeugten Toxalbumine (gleichfalls sehr labile Eiweiss-
körper) zerstören.
Ende vorigen Monats hat die „Deutsche medicinische Wochen-
schrift" mehrere hochwichtige Arbeiten über die Immunitätslehre ge-
bracht. Die eine betitelt : „Ueber Immunität und Giftfestigung" von
Dr. A. Wassermann, macht einen scharfen Unterschied zwischen „im-
mun" welches meint, dass die Bacterien im betreffenden Organismus
nicht leben und sich weiter entwickeln können, und zwischen „giftfest",
welches bedeutet, äass die von den Bacterien erzeugten giftigen Pro-
ducte (Toxalbumine) für den betreffenden Organismus unschädlich
sind. Nach Wassermann enthält der Organismus selber Schutzstoffe
gegen Mikroorganismen, allein nicht gegen alle; die Immunität wird aber
dadurch erzeugt, dass die bereits vorhandenen Schutzstoffe eine speci-
üsche Wirkung gegen die Krankheitserreger, für welche das Thier im-
mun gemacht worden ist, erhält. W. nimmt an, dass die Bacterien
selber in ihren Leibern complexe Verbindungen tragen, welche jene
Specificität verleihen können. Wenn man, beispielsweise, eine drei-
tägige Typhusbouilloncultur durch Thonfllter jagt und so keimfrei
macht, dann behält man in dem Filtrate bekanntlich die Toxalbumine.
Behandelt man damit Thiere vor, dann erhält man beinahe gar keinen
Schutz. Filtrirt man dagegen nicht und spritzt die Bacterienkörper,
in todtem Zustande, mit ein, dann erreicht man einen hohen Schutz
gegen Typhus innerhalb 10—14 Tagen. Engt man eine derartige Cul-
tur im Vacuum auf etwa »Ao ihres Volums ein und incorporirt so die
Bacterienkörper concentrirt, denn erhält man dasselbe Resultat schon
in 24—48 Stunden. Man sieht also eine directe Proportion zwischen
Menge der Bakterienzells ubstanzen und Eintritt des specifischen
Schutzes. Das giftige Princip, welches in einer solchen Cultur ent-
halten ist, lässt sich, durch vorheriges Behandeln mit den antitoxischen
Thymuszellsubstanzen, unschädlich machen, und so kann man dann
grosse Mengen von den für die Krankheit specifischen todten Bacte-
rienzellen dem Organismus einverleiben und ihn dadurch immunisiren.
239
Eine andere sehr bedeutungsvolle Arbeit ist die von den Prof.
Brieger und Ehrlich, betitelt : „lieber die Uebertragung von Inunu-
nität durch Milch".
Diese Forscher haben nachgewiesen, dass Ziegen, welche durch eine
Thymus-Tetanus-Bouillon-Mischuug gegen den Wundstarrkrampf
imnumisirt waren, eine Milch lieferten, welche einen erheblichen
Schutzwerth enthielt ; so genügte die intraperitoneale Einführung von
0,1 cc. einer derartigen Milch, um Mäuse vor der Tetanuserkrankung
zu schützen. Es ist kaum nöthig die grosse Tragweite dieser letzten
Entdeckung zu betonen. Es eröffnen sich neue Gesichtspunkte und
neue Hoffnungen für die Therapeutik der Infectionskrankheiten, und
es scheint uns, als ob die Früchte dieser Arbeiten in naher Zukunft für
die Praxis reif sein werden.
REFERATE.
Innere Medicin.— Referirt von Dr. AD. ZEDERBAUM.
Ueber den praktisch-therapeutischen Werth der Antimon Verbindungen.
Von Prof. Dr. Erich Harnack. (Münchner Med. Wochenschrift,
No. 11, 1892.)
Die Werthschätzung des Antimons als Heilmittel war zu verschiede-
nen Zeiten eine sehr verschiedene und schwankende. Während noch
im Jahre 1830 nicht weniger als 21 Antimonpräparate officinell waren,
sind es heute nur zwei, u. z. der Brech Weinstein und der Gold-
schwefel. Den Brechweinstein hält H. für vollkommen entbehrlich:
als Emeticum wird er heutzutage überhaupt wenig gebraucht; über-
dies sind seine Nebenwirkungen zumal recht unangenehmer Art, da
er die Magen- und Darmschleimhaut (Durchfall !) reizt und auch vom
Blute aus bedrohliche ErscheinuDgen hervorrufen kann. Das Apo-
morphin ist als Brechmittel dem Tartarus stibiatus entschieden vor-
zuziehen. Nur darf es nicht in zu grossen Dosen gegeben werden, um
etwaigen Collapszuständen (Muskelcollaps !) vorzubeugen. Desgleichen
ist der Brechweinstein als hautreizendes Mittel, zum Zwecke
einer Ableitung auf die Haut, zu verwerfen. Er wirkt in dieser Hin-
sicht manchmal zu heftig und kann sogar zu Necrose der Haut und der
benachbarten Gewebe führen. Dieselbe „epispastische" Wirkung kann
zweckmässig durch Crotonöl, Chrysarobin, Euphorbiumharz, Resorcin
etc. erzielt werden. Auch als Diaphore ticum bedürfen wir des
Antimons nicht, da wir über geeignetere Mittel verfügen, und was die
Anwendung des Brechweinsteins als Fiebe r mittel anlangt, so hat
man dieselbe mit Recht gänzlich fallen lassen. Die letzte Indication
für die Antimonverbindungen ist ihre Anwendung als n a u s e o s e E x-
pectorantia. Für diesen Zweck benützt man insbesondere den
Goldschwefel, dessen Beibehaltung als Arzneimittel, namentlich in der
Kinderpraxis (PLUMMER'sches Pulver !) vielleicht eher begründet sein
dürfte. Allein auch in dieser Hinsicht vermag das Apomorpliin einen
Ersatz zu bieten.
The Treatment of Pulmonary Tuberculosis by Creosote. By Dr. George
H. Penrose in Washington, D. C. (Med. Record, No. 15, 1892.)
Verf. hatte Gelegenheit die Wirkung des Creosots in mehr als 200
Fällen von weit vorgeschrittener Phthise, als Arzt des „United States
240
Soldiers' Home", zu studiren und spricht sich über dieses Mittel in
enthusiastischer Weise aus. Es wurden mit C. nur solche Fälle be-
handelt, bei welchen alle klinischen Zeichen der Krankheit, sowie die
Gegenwart von Tuberkelbacillen, zuvor zweifellos nachgewiesen wor-
den sind. Es waren darunter Kranke, die buchstäblich nicht mehr
auf den Beinen stehen konnten und ins Hospital durch die Ambu-
lanz herübergebracht werden mussten. Das C. wird im genannten
Hospital in Form einer Emulsion mit'Leberthran gegeben; jede Drachme
der Emulsion enthält zwei Tropfen des Arzneimittels. Es wird mit
einem Theelöffel 3-mal tägUch angefangen, nach einer Woche wird die
Dose auf einen Theelöffel dreistündlich erhöht. Bei Eintritt von
üebelkeit wird P. veranlasst, in liegender Stellung etwa ^ Stunde lang zu
verweilen, was vollkommen ausreichend ist, um diese unangenehme
Nebenwirkung zu beseitigen. Mit der Besserung des Betindens des P.
wird auch die Tagesgabe des C. stufenweise erhöht, so dass schliess-
lich Gaben von 48 bis 60 Tropfen Creosot pro die verabfolgt werden.
Die Erfolge der Behandlung waren fast in sänimtlichen Fällen gerade-
zu überraschend. Auf die einzelnen Symptome der in jedem dieser
Fälle wahrgenommenen Besserung ist es überflüssig hier näher einzu-
gehen. Nebenwirkungen wurden soviel wie gar keine beobachtet. Es
hängt eben Alles von der Pveinheit des Präparates ab ! Im Hospital
wird ausschliesslich das MERCK'sche Creosot angewandt. In Fällen
von Larynxphthise werden heisse Inhalationen von C. mit Glycei in ver-
ordnet, welche vorzügliche Dienste leisten. Verf. behauptet keines-
wegs, dass seine Phthisisfälle durch C. vollkommen geheilt wurden;
er kann nur versichern, dass viele von seinen Kranken, die sicherlich
ohne diese Behandlung schon längst vielleicht todt wären, gegenwär-
täg ihr Brod durch körperliche Arbeit verdienen und sich eines sehr
befriedigenden Wohlbefindens erfreuen.
Zu den Beziehungen zwischen Erkrankungen der Gallenwege und
ulceröser Endocarditis. Von Dr. I. Levra in Zürich. (Deutsche
Med. Wocheusch., No. 11, 1892.)
Fälle von Erkrankungen der Gallenwege, complicirt durch ulceröse
Endocarditis, sind in der deutschen Literatur bisher nicht veröffent-
licht worden. Den Franzosen dagegen ist dieses Zusammentreffen
von Choletithiasis, Entzündung der Gallenwege und ulceröser Endo-
carditis schon eher bekannt. Verf. hatte Gelegenheit auf der Eichhorst'
sehen KUnik zwei Fälle zu beobachten, bei welchen die Annahme be-
rechtigt ist, dass die Endocarditis eine Folge der vorangegangenen
Gallensteinbildung war. Der erste Fall betraf eine Patientin, die an
typischen Gallensteinanfällen litt und plötzlich die Erscheinungen einer
ulcerösen Endocarditis bekam, der sie in kurzer Zeit erlag. Bei der
Section constatirte man verschiedene Steine im Ductus choledochus,
die denselben erweitert hatten, ebenso eine Erweiterung der grösseren
Gallengänge, daneben eine frische thrombotische Endocarditis der
Tricuspidalis. Im zweiten Falle wurde Patientin moribund ins Kran-
kenhaus gebracht. Bei der Untersuchung fanden sich die klinischen
Zeichen einer Mitralstenose vor. Durch den starken Marasmus, durch
die Schmerzhaftigkeit und Kesistenz in der Magengegend geleitet,
vermuthete man mit einiger Wahrscheinlichkeit ein Carcinoma ventri-
culi. Die Section erweiterte und änderte die Diagnose nicht un-
wesentlich, denn sie zeigte, dass auf dem Boden einer alten Mitralen-
docarditis eine frische thrombotische (recurrirende) Endocarditis sich
entwickelt hatte, dass Gallensteine und Erweiterung der Gallenwege,
ein Pancreasabscess und eine eitrige Meningitis sich vorfanden.
241
Ein seltener Fall von Empyem. Von Dr. Rudolph. (Ctrbl. f. klin. Med.,
No. 18, 1892.)
Dei; Fall ist insofern beachtenswerth, als sich bei dem hier in
Betracht kommenden IS-jährigen Patienten, im Anschluss an eine
Pneumonie, zwei i s o 1 i r t e, zu verschiedenen Zeiten operirte Empyeme
in einer Thoraxhälfte entwickelt hatten. Dass zwischen den beiden
Empyemhöhlen keine Communication bestand, ging daraus hervor,
dass der Eiter sich nicht durch die erste ofifene Empyemhöhle entleert
hatte und dass ferner beim Ausspülen die Spülflüssigkeit nur durch
die neu angelegte Oeffnung vorn oben zurückfloss. Der Eiter war
in beiden Höhlen von derselben Beschaffenheit, mässig dicklich und ge-
ruchlos. Das pathologisch Interessante ist hierbei noch die Bildung
einer Scheidewand, die das Dach des unteren und den Boden des oberen
Empyems darstellte. An etwa durch frühere Erkrankung entstandene
Adhaesionen war hier nicht zu denken, da P. nie vorher krank gewesen
war. Die Zwischenschicht musste eine sehr grosse Widerstandskraft
besessen haben, da bei dem Ausspülen der ersten Empyemhöhle, als
das zweite Empyem noch nicht operirt war, P. oft herausgehoben, nach
der Seite und nach vorn gedreht wurde, um ein besseres Ausfliessen
des Secrets und der Spülflüssigkeit zu ermöglichen, und dennoch kein
Durchbruch nach der unteren offenen Empyemhöhle erfolgte !
Chirurgie. — Referirt von Dr. FRANZ TOREK.
Electrolytische Behandlung der Strlkturen der Harnröhre und einiger
Dermatosen. Von Prof. Eduard Lang. (Klin. Zeit- und Streit-
fragen, V. Band, 6. Heft.)
Bei der electrolytischen Behandlung irgend eines Gewebes findet
eine derartige Zerlegung desselben statt, dass die Anode die electro-
negativen Bestandtheile, die Kathode die electropositiven zur Aus-
scheidung bringt, — an der Kathode sammeln sich die electropositiven
Basen, an der Anode die electronegativen Säuren. Bei schwacher
Stromesstärke auf begrenztem Gebiet angewendet und bei kurzer
Dauer der Application kann durch lie statthabende moleculäre Decom-
position eine einfache Verödung stattfinden ; anderenfalls kann die
Wirkung bis zur Mortiflkation, unter Bildung eines matschen
Schorfes, gesteigert werden. Als Beispiel beschreibt L. den Vorgang
bei der Enthaarung wie folgt: Man braucht nur schwache Ströme
(0,5 bis 2 M. A.) und stellt den Rheostaten so dass der Strom bei metal-
lischem Schluss in der Stärke von 2 bis 4 M. A. fliesst. Die Nadel-
elektrode wird mit dem negativen, die Schwammelektrode mit dem
positiven Pol verbunden, erstere in die Haartasche eingeführt, letztere
an einem indifferenten Punkt aufgesetzt. Meistens sieht man Wasser-
stoffgas in Form von Schaumbläschen hervortreten ; stets wird die
das Haar umgebende Haut bis zur Anaemie mit flüssigen und gasför-
migen Kationen infiltrirt.
Das Haar lässt sich nun leicht entfernen ; die weisse Quaddel ver-
schwindet in ein bis zwei Tagen. Die papilla pili ist auf diese Weise
der Verödung durch moleculäre Zersetzung anheimgefallen.
Bei grösseren Objecten, Warzen, u. s. w., ist gewöhnlich eine solche
Stromesstärke nöthig, dass das Gewebe zur Mortification gebracht
wird. Es werden hier mehrere grade oder gekrümmte Nadeln mit
dem negativen Pol in Verbindung gesetzt und in Distanzen von 1.5 bis
2 Mm. parallel zu einander durch die Basis des Gebildes gestochen.
Hierauf wird langsam in den Strom eingeschlichen, der, je nach der
Toleranz des Kranken auf 5—10 M. A. gesteigert wird, bis Schaumbil-
dung, Abblassen des Gewebes, und endlich Mortification desselben
eintritt.
242
Anstatt der beschriebenen unipolaren Methode kann auch die
bipolare angewandt werden. Man armirt dann den positiven Pol eben-
falls mit einer Nadel und zwar vorzugsweise mit einer Nadel aus Edel-
metall, da Stahl von den frei gewordenen Säuren oxydirt würde; Bei
kleineren Gewebstheilen genügen zwei Nadeln, die negative \md die
positive, welche an zwei gegenüberliegenden Theilen des Gewebes bis
in die Basis eingestochen werden ; bei grösseren sind mehrere Nadeln
erforderlich, und zwar führt man die positive durch die Mitte der
Basis, und zu beiden Seiten derselben werden die negativen Nadeln
eingestochen. Natürlich muss man vorsichtig sein, dass die positive
Nadel von keiner der negativen berührt wird.
Bei Acne rosacea und bei Angiomen gebraucht Autor nur den
negativen Pol local. In ersterer Erkrankung führt er die Nadel längs
der erweiterten Gefässe ein, parallel mit der Hautoberfläche. Auch
bei Lupusheerden lässt sich die electrolytische Behandlung erfolgreich
anwenden.
Von besonderem Werth findet L. die Elektrolyse bei Strikturen der
Harnröhre. Er bedient sich dreier Elektroden, der biegsamen, der
starren, gekrümmten, und der kurzen, graden Strikturenelektrode.
Die genauere Beschreibung dieser würde zu weit führen ; es genüge
zu sagen, dass sie bougieförmige Instrumente sind, bestehend aus
einem isolirten Hohlcylinder mit einer Griffplatte an dem einen Ende,
am anderen, einer sich vorn verjüngenden Olive, die Charriere No. 21
misst. Durch den Hohlcylinder lässt sich eine dünne Leitbougie, nicht
stärker als No. 7 einführen. Die Striktur muss zur elektrolytischen
Behandlung für Charriere 6 — 7 leicht passirbar sein, anderenfalls muss
dieselbe erst bis zu dieser Grösse erweitert werden. Die Harnröhre
wird desinficirt, der positive Pol, mit einer breiten, feuchten Elektrode
verbunden, an einem indifferenten Punkt applicirt, und, bei Anwen-
dung der biegsamen Elektrode, diese, bei zurückgezogener Leitsonde,
bis an die Striktur vorgeschoben ; die Leitbougie wird jetzt in die
Verengerung eingeschoben und die Strikturenelektrode mit dem nega-
tiven Pol verbunden. Hierauf schleiche man in den Strom ein bis auf
5, eventuell bis 30 M. A. und drücke zugleich die Olive sanft gegen die
Striktur an. Man fühlt deutlich das Vorrücken der Elektrode und ist
meist nach 10—15 Minuten jenseits der Striktur angelangt. Jetzt
zieht man die Elektrode wieder bis vor die Striktur zurück, schleicht
aus dem Strom aus, und entfernt die Elektrode. Sodann injicirt man
etwa 200 Gm. einer \ procentigen Zincum sulfocarbolicum-Lösung in
die Blase und lässt den Patient dieselbe entleeren, um das Opera-
tionsgebiet zu waschen.
Beim Gebrauch der starren, gekrümmten Elektrode, welcher der
Author den Vorzug gibt, ist das Verfahren dasselbe ; nur muss man
hier die Leitbougie zuerst in die Harnröhre einführen und nachher
dieselbe in die Strikturenelektrode einfädeln. Der Gebrauch einer
Leitbougie ist in allen Fällen anzurathen, da sich die Olive sonst in
einer seitlichen Nische oder Falte verfangen und so einen falschen Weg
bohren könnte.
Die Nachbehandlung besteht in Kuhe 3 bis 4 Tage lang, hierauf Ein-
führung von Metallsonden alle 3 bis 8 Tage, beginnend mit No. 19 und
aufsteigend, bis die gewünschte Weite erreicht ist ; dann ist die Sonde
immer noch von Zeit zu Zeit einzuführen, um einer neuerlichen Ver-
engerung vorzubeugen oder dieselbe früh genug zu entdecken. Die
elektrolytische Beseitigung der Striktur kommt dadurch zu Stande,
dass das strikturirende Gewebe zur Mortification gebracht wird, eine
Thatsache, von der sich Autor bei der Behandlung einer am Oriflcium
sitzenden Verengerung überzeugen konnte. Er räth jedoch vom
Gebrauch der Elektrolyse am Meatus ab, da dieselbe dort viel Schmerz
verursacht.
243
Gan^rene due to Carbolic Acid Solutions. Von F. C Husson, M. D.
(International Journ. of Surgery, Dec. 1891.)
Ueber vier Fälle wird bericlitet, bei welchen die Patienten wegen
preringfügiger Fingerverletzungen Carbolumschläge gebrauchten, deren
Concentration nicht genau festgestellt werden konnte. Das Ergebniss
war ein oberflächlicheres oder tiefergehendes Gangrän, welches hier
Amputation, da die Loslösung grösserer oder kleinerer gangränöser
Weichtheilsfetzen benöthigte.
Zur Casuistik der Stirnhöhlenosteome. Von Dr. R. Poppert. (Mün-
chener Med. Wochenschr., 1892, No. 3.)
Während Stirnhöhlenosteome überhaupt zu den selteneren Ge-
schwülsten zählen, so sind diejenigen Fälle besonders selten, in welchen
es gelang, die Neubildung durch operativen Eingriff radikal zu ent-
fernen. P. referirt daher folgenden in der Klinik zu Glessen von Prof.
Rose mit günstigem Resultat operirten Fall : 26 Jahre alter Mann ;
erstes Auftreten der Geschwulst vor 9 Jahren ; erst langsames, in den
letzten Ii Jahren jedoch schnelleres Wachsen derselben, besonders
nach der rechten Seite hin. Verdrängen des rechten Auges nach vorn,
aussen, und unten. Ausser Thränenträufeln und dem Auftreten von
Doppelbildern keinerlei Beschwerden. Ueber dem rechten Auge be-
findet sich eine halbkugelig prominirende Geschwulst, die sich vom
lateralen Rande der Orbita bis fingerbreit über die Medianlinie
erstreckt. Superorbitalrand verbreitert und nach unten verschoben.
Tumor ist knochenhart. Rechter Bulbus steht etwa 2 cm tiefer als der
linke und reitet auf dem unteren Augenhöhlenrande.
Operation : Querschnitt über dem oberen Orbitalrande. Zurück-
schieben des Periosts zeigt, dass der Tumor an mehreren Stellen die
obere Knochenlage durchbrochen und zum Schwund gebracht hat,
sowohl in der vorderen Stirnbeinplatte, als an der oberen und medialen
Wand der Augenhöhle. Die vordere Steinbeinplatte wurde jetzt in der
Ausdehnung des Tumor mit Meissel und Elevfftorium entfernt. Die
Geschwulst haftet immer noch fest durch Fortsätze in den linken Stirn-
sinus, die Orbita, und die Nasenhöhle. Abmeisselung der Fort«ätze
nach der linken Stirnhöhle und der Nasenhöhle. Hierauf Durch-
meisselung der Basis des Tumor mit vertikalen Hammerschlägen in der
Gegend des Septum. Nach Trennung des Stieles liess sich die Ge-
schwulst heraushebeln. Es zeigte sich jetzt, dass die hintere Platte
der Stirnhöhle nach der Schädelhöhle zu vorgedrückt und an mehreren
Stellen perforirt war. Ein zwischen diesen Lücken befindlicher Theil
der Platte wurde beim Hebeln mit dem Tumor zusammen entfernt, so
dass ein markstückgrosser Defect entstand ; auch wurde die Dura
leicht verletzt. Ein in der Nasenhöhle eingekeilter Auswuchs der
Geschwulst wurde mit der Sequesterzange entfernt. Diese grosse
Wunde, die mit der Nasen- und der Siebbeinhöhle communicirte, wurde
mit lodoform-Gaze ausgefüllt und durch einige Hautnähte verkleinert.
Heilungsverlauf normal. Entfernung des Tampon und Sekundärnaht
am 7. Tage. Resultat, völliges Verschwinden des Exophthalmus ; beim
Blick stark nach links treten noch Doppelbilder auf ; an dem Defect in
der rechten Stirnbeinplatte fühlt man das Gehirn pulsiren.
244
Deutsche Medicinische (Gesellschaft von New Yorli.
17 West 43. Strasse.
Sitzung vom 1. Februar 1892.
Präsident : C. Heitzmann.
Das Protokoll der letzten Sitzung wird verlesen und angenommen.
Vorstellung von Patienten.
Dr. Robert Newman stellt einen 52jährigen Patienten mit Ul-
cus rodens des linken Auges und der Augenlider vor.
Discussion :
Dr. L. Weber räth die Wunde mit trockenen antiseptischen
Mitteln (Aristol) zu behandeln.
Dr. Schmitt meint, dass entweder Pyoktanin oder Methylenblau
hier angewandt werden sollte.
Es folgt nun der Vortrag von Dr. L. Weber:
Gerbsäurehaltige Arzneistoffe beim chronischen, nicht complicirten
DünndarmkataiTh. (Abgedruckt in der „N. Y. Med. Monatsschrift"
von Februar 1892.)
Discussion :
C. Heitzmanx fragt, ob sich nicht zuerst ein Catharticum empfehlen
würde ; in Wien wurde sehr viel Rathania gegeben, hauptsächlich bei
Kindern.
L. Weber erwidert, dass er entschieden für einen derartigen Be-
handlungsplan wäre, um zuerst den Darm zu reinigen ; Rathania habe
er nicht angewandt, dagegen Monesia und Colombo.
Es folgt nun der Vortrag von Dr. J. Schmitt:
Wanderniere und Frauenkrankheiten, mit Demonstration von
Patienten. (Abgedruckt in der ,, Med. Monatsschrift".)
Discussion:
Edebohls hebt hervor, dass das vorliegende Thema vom grössten
Interesse sei ; die Wanderniere ist sehr häufig ; vieles in Bezug auf die
Symptomatologie ist sehr unklar, auch der Zusammenhang mit den
Geschlechtskrankheiten ist nicht klar. Redner hat in mehreren Fällen
durch Operation zunächst die Gebärmutterorgane in Ordnung gebracht,
allein es folgte kein Schwinden der Krankheitssymptome, später
Nephrorhaphie mit resultirender Heilung. Die „movable kidney" ver-
ursacht mehr Beschwerden, als die „floating kidney" (herumwandern
im ganzen Abdomen). Die Therapie betreffend hat Redner keinen Er-
folg von den Binden gehabt, dagegen von der Nephrorhaphie. Die
Operation muss gründlich gemacht werden ; die Capsula propria muss
gespalten, ^ Zoll voq der Niere getrennt werden und dann die Suturen
angelegt werden, auch ein Drainrohr ist einzufügen ; der Fettüber-
schuss muss abgetragen werden.
Einhorn bemerkt, dass die Wanderniere sich sehr häufig bei Frauen
mit Magendilatationen vorfindet ; er habe dieselbe in etwa X der Fälle
constatiren können ; in den meisten seiuen beobachteten Fälle hat die
Wanderniere an sich keine weiteren Krankheitserscheinungen hervor-
gerufen. Therapeutisch hält Redner das Tragen einer Binde von Be-
lang, da dadurch die erschlafften Bauchdecken eine Stütze bekommen.
L. Weber berichtet über 3 Fälle von Wanderniere, wo die Binde
nicht viel Nutzen zeigte ; der erste Fall betraf ein Mädchen von 24
Jahren, welches nach einem Trauma eine Wanderniere bekam, verge-
sellschaftet mit ürinbeschwerden ; es handelte sich um eine deplacirte
Niere ; durch Tragen der Binde konnte hier nichts genutzt werden.
Der zweite Fall betraf eine Frau, welche nicht geboren hatte ; die
Wanderniere rühjte walirscheinlich ypn zu festem Schnüren her ; hier
245
war Druckempfindlichkeit vorhanden ; Binde nutzte nicht. Auch in
einem dritten Fall hat die Binde nichts genützt. Die Binde nützt bei
wirklicher Wanderniere (floating kidney ?). Der erste Fall hatte viel
zu leiden, hier wurde der Vorschlag gemacht, die Niere anzunälien,
aber dies wurde verweigert ; später wurde die Mastkur nach Weir-
MiTCHELL vorgenommen ; Fat. behielt wochenlang die Rückenlage,
hatte eine Eisblase auf der Nierengegend und wurde ausserdem der
Mastkur unterworfen. Nach 3 ^Monaten kam sie nach New York zu-
rück ; die Niere war noch nicht am Flatze, aber die Beschwerden
waren weg.
C. Heitzmann bemerkt, dass Conrad vor einigen Jahren ähnliche
Fälle beschrieben habe ; in einem Falle wurden die Ovarien durch
Operation entfernt aber ohne Erfolg, dagegen nutzte eine Binde.
Schmitt bemerkt in seinem Schlussworte, dass die Weir-Mitchell'-
sche Kur natürlich in Bezug auf Beseitigung der nervösen Symptome
Einfluss haben kann, aber nicht auf die Localisation der Niere. Eine
richtige Binde, gut angelegt, nützt fast immer. Dass Metritiken u. s. w.
in Verbindung mit Wanderniere zusammen vorkommen, steht fest.
Es folgt sodann der Vortrag von Dr. J. H. T y n d a 1 e :
Ein Plaidoyer für die Koch'sche Lymphe. Mit Vorstellungen von
Fällen. (In der „Med. Monatsschrift" abgedruckt.)
Die Discussion wird wegen der vorgerückten Zeit verschoben.
Es folgt sodann die Verlesung des Protokolls der Verwaltungsrath -
Sitzung.
C. Heitzmann stellt den Antrag, dass der Verein beschliessen
möchte, die Summe zurückzuerstatten.
Wird angenommen.
Der Verwaltungsrath schlägt vor, die stetigen Lunch's abzuschaffen.
Rachel unterstützt den Antrag.
S e i b e r t macht das Amendement, dass der Verwaltungsrath einen
Saal finde, wo man nach den Sitzungen zusammenkommen möchte.
Angenommen.
Als Mitglieds-Candidat wird Dr. Degener von Dr. A. Seibert vor-
geschlagen.
C. Heitzmann theilt sodann der Versammlung mit, dass Ein-
horn sich für bereitwillig erklärt habe, die Protokolle selber anzuferti-
gen, und dass in Folge dessen der Stenograph abgeschafft wird, — wo-
durch dem Verein 100 Dollar jährhch erspart werden.
Schluss und Vertagung.
Dr. Max Einhorn,
protokollirender Sekretär.
Sitzung vom 7. März 1892.
17 West 43. St.
Präsident : C. Heitzmann.
Dr. A. Selb e rt demonstrirt seine zur Diphtheriebehandlung ange-
gebene, nunmehr verbesserte Spritze, ferner eine verbesserte Mund-
sperre.
Dr. M. T o e p 1 i t z demonstrirt seine, zum Vortrag gehörende,
kleine Patientin ; dieselbe hat Spuren einer deutlichen Facialislähmung.
Es folgt der von Dr. M. T o e p 1 i t z angekündigte Vortrag :
Labyrinthnecrose und Facialislähmung.
Dar Vortragende berichtet zunächst über einen selbstbeobachteten
Fall* von Labyrinthnekrose, weicher bei einem vierjährigen Mädchen,
*) Der Fall wird ia der April-Nutntner der ,,Archives of Otology", New
York, herausgegeben von Knapp und Moos uud in der Deutschen Ausgabe
derselben, der ,, Zeitschrift für Ohrenheilkunde", Wiesbaden, veröffentlicht
werden. Eine Literaturübersicht bis auf die Gegenwart wird später
erscheinen.
246
unmittelbar nach einem Scharlachanfall mit Facialislähmung,
darauffolgendem Ohrenfluss und Gleichgewichtsstörungen einsetzte.
Die Eiterung aus dem linken Ohre mit üppigen Polypenwucherungen
dauerte etwas über zwei Jahre fort. Mit der Entfernung zweier
Sequester durch den äusseren Gehörgang mittelst Schlinge und Löffel,
letztere Operation in der Narkose ausgeführt, endete der Prozess mit
Hinterlassung von kaum merklicher Gesichtslähmung und Taubheit
im linken Ohre. Ohrenfluss und Polypen sind seit der Operation nicht
wieder aufgetreten. Die Sequester bildeten Theile der Schnecke und
wurden nebst Abbildungen demonstrirt.
Der Vortragende verbreitet sich dann über das Vorwiegen der
Erkrankung beim männlichen Geschlecht und im Kindesalter und
geht näher auf die Aetiologie der Krankheit ein, bei welcher die akuten
Exantheme eine Hauptrolle spielen. Die Dauer des Prozesses beträgt
mindestens ein Jahr, meist noch länger, oft über zwanzig Jahre. Die
Affektion tritt meist einseitig ; in zwei von ca. G5 in der Literatur ange-
führten Fällen (Grüber, Emanuel Max) trat sie doppelseitig auf. Die
Nekrose entwickelt sich meist sekundär im Verlaufe einer Mittelohrer-
krankung, in drei Fällen ergriff sie das Labyrinth p?-i??iä/' (Christinnek,
Trautmaxn, Toeplitz). Der Ausfluss ist stets koatinuirlich und profus ;
Fötor ist stets vorhanden. Schmerzen sind ganz konstant sowohl bei
der Demarkation im Labyrinth, als auch beim Durchtritt durch das
Mittelohr. Fieber und Schüttelfröste sind nur durch Komplikationen
bedingt. Polypen kommen in allen Fällen vor. Gleichgewichtsstö-
rungen sind nur in wenigen Fällen beobachtet, weil die Bogengänge
von denen der andern Seite, ausserdem durch die Hautsensibilität,
dem Muskelgefühl und dem Gesichtssinn kompensirt werden. Sie
treten daher bei den doppelseitigen Fällen um so mehr hervor. Sub-
jektive Gehörsstörungen flnden sich vor der Ausstossung des
Sequesters nur ausnahmsweise. Daher sind sie nicht als Reizzuetand
des N. Acusticus aufzufassen, sondern ihr Sitz ist weiter centralwärts
zu suchen.
Der Redner erläutert bei der Hörprüfung die gegensätzlichen
Ansichten über Perzeption durch die Schnecke, und er neigt sich, ent-
gegen Gruber und Stepanon, der Ansicht zu. dass mit der Zerstörung,
auch nur eines Theiles der Schnecke, das Geliör aufhöre. Wo noch
Perzeption auf dem schneckenlosen Ohre beobachtet sei, da lässt sich
das gesunde Ohr nicht ausschulten, die Lokalisation sei abhanden
gekommen, oder es bestehe Selbsttäuschung. Der Verlauf des N.
Facialis wird dann von dem Redner vom Eintritt in den Porus Acus-
ticus Internus bis zum Austritt aus dem foramen stylomastoideum
genau besprochen und sein Verhalten zur L-ibyrinthnekrose auch an
Präparaten demonstrirt. Daraus geht hervTjr, dass in jedem Falle
von Facialisparalyse, die neben länger dauernder Mittelohreiterung
besteht, wenigstens mit grosser Wahrscheinlichkeit nicht eine einfache
Oberflächeneiterung, sondern ein schwerer destruktiver Knochen-
prozess, meist im Labyrinth zu vermuthen ist. Auch das Verhalten
der Chorda und das N. Petrosus Superficialis Major wird erläutert.
Mit kurzer Berührung der Prognose und Therapie der Erkrankung
schliesst der Vortrag.
Discussion :
Dr. CowAN hat einen ähnlichen Fall beobachtet ; es handelte sich
um ein Kind von 4 Jahren, wo die Sonde, in den Gehörgang eingeführt,
auf entblössten Knochen stiess ; das Kind hatte auf derselben Seite
eine Facialislähmung. Redner operirte, indem er die Muschel ablöste,
und nahm mit dem scharfen Löffel sämmtliche necrotische Knochen-
stücke weg ; Pat. genas nach 4 Wochen, allein es entstand eine Stenose
des Gehörganges ; die Facialislähmung blieb zurück.
247
C. Heitzaiann fragt, wer als der eigentliche Entdecker der
Schneckengänge als Efiuilibrirorgane gilt ?
M. ToEPLiTZ : Flourens war der Entdecker dieser interessanten
physiologischen Thatsachen. Cowan's Fall betreffend, so möchte Red-
ner erwähnen, dass kein Operateur die Muschel zum Zwecke der
Operation abgelöst habe ; alle haben bis zur Loslösung des Sequesters
gewartet.
F. Cohn : Es giebt manche Fälle von Labyrinthnekrose, wo kleine
Knochenstücke bei der Ausspülung abgehen, ohne dass dieselben be-
merkt werden ; diese Fälle können dann auch so zuheilen.
ToEPLiTz glaubt gleichfalls, dass derartige Fälle häufiger vorkom-
men ; allein Labyrinthnekrose ist doch sehr charakterisch, und kann
da wohl ein Sequester kaum unbemerkt abgehen.
Dr. Gleitsmann bemerkt, dass Dr. Toeplitz sein Thema in
klarer, übersichtlicher Weise behandelt habe, und ist mit seinen An-
sichten vollkommen einverstanden.
Bezüglich der Schwierigkeiten, die Dr. Cowan in einem Falle wegen
der Enge des Gehörganges erfahren, sagt er, dass eine derartige Stenose
ihm vor zwei Jahren bei einer Patientin mit Ohrenpolypen begegnet
wäre. Dieselbe war schon längere Zeit von einem Ohrenarzt behandelt
worden, ohne Heilung zu erzielen, und dabei mancherlei Eingriffen,
Aetzungen etc. ausgesetzt gewesen. Hinter der wahrscheinlich durch
diese Proceduren herbeigeführten narbigen Stenose war ein Polyp zu
sehen, dem aber auf dem gewöhnlichen Wege nicht beizukommen war.
Er benützte zur Dilatation das schon früher (,,N. Y. Medical Journal",
Nov. 9, 1889) von ihm angegebenen Tupelo-Holz, und erzielte durch
liessen zweimalige Introduction eine derartige Erweiterung, dass der
Polyp in einer Masse entfernt werden konnte. Darnach trat per-
manente Heilung ein.
Es folgt Verlesung des Protokolls der letzten Sitzung.
Die Abstimmung ergiebt die Aufnahme der vorgeschlagenen Can-
didaten als Mitglieder.
(Schluss folgt.)
Allerlei.
Den 28. vorigen Monats wurde das 35jährige Bestehen des Deut-
schen Dispensary der Stadt New York in der Beethoven-Mänuerclior-
halle von den Mitgliedern und Mitarbeitern dieses Institutes sowie von
den Mitgliedern des Deutschen Hospitals und dessen Verwaltungsrath
gefeiert. Der einzige auswärtige Gast war Herr Ottendorfer, der
bekanntlich sich um das Dispensary in so hohem Masse verdient
gemacht hat ; neben ihm sassen auf der einen Seite Herr Carl H.
Schultz, das älteste Privatmitglied des Deutschen Dispensary, auf der
anderen Seite Herr Kilian, Präsident des Deutschen Hospitals. Das
Festcommittee bestand aus den Herren : Geo. W. Jagoby, Geo.
Degner und A. Seibert.
Die Reden wurden von den Herren Geo. W. Jacoby, G. Degner und
Dr. Zinszer (aus Wiesbaden) in geistreicher Weise gehalten. Die
Festlieder waren witzig und gediegen. Nach dem Abendbrod wurde
ein Theaterstück von den Mitgliedern des Deutschen Dispensary unter
Mitwirkung des Schauspielers Lube aufgeführt. Der Hauptinhalt des
Stückes war „Scenen aus der Dispensary-Krankenbehandlung". Alle
Anwesenden haben sich in der köstlichsten Weise amüsirt.
Die Medicinisghe Monatsschrift gratulirt dem Deutschen Dispen-
sary, diesem so segensreichen Institute, von Herzen und wünscht ihm
ferneres Gedeihen und viele, viele glückliche Feste.
Dr. George M. Goüld aus Philadelphia hat in seinem vorzüglichen
Artikel ,,The Etiology, Diagnosis and Treatment of the Prevalent
248
Epidemie of Quackery*' abgedruckt in den Medical News (May 7. 1892)
einen Preis von 100 Dollar aufgestellt für die beste Arbeit, welche in
einfacher und klarer Weise zeigt, wie lächerlich die Pretensionen der
modernen Homöopathie, nach geschichtlicher und wirklicher Beleuch-
tung, ausfallen. Arbeiten über diesen Gegenstand können bis zum 1.
Januar 1893 an Dr. Gould, Philadelphia, eingesandt werden.
Professor Theodor Billroth feierte den Ablauf von 25 Jahren seit
seiner Berufung an die Wiener Universität unter der grossartigsten
ßetheiligung seiner Schüler und Bewunderer.
Professor Löfiler aus Greifswald, der in Thessalien mit Hülfe des
Mäuse-Typhusbacillus gegen die Feldmäuseplage operirte, wurde in
Athen ein grossartiger Empfang bereitet.
Die Leitung der medizinischen KUnikin Jena hat an Stelle von Prof.
Rossbach, der von seinem Lehramt zurückgetreten ist, zunächst auf-
tragsweise Prof. Stintzing übernommen, dem seit 1890 die Führung
der dortigen medizinischen Poliklinik und die Ertheilung des klinisch-
propädeutisf'hen Unterrichts oblag.
Fräulein Dr. Bayer, die erste Staatsärztin in Oesterreich, wurde in
Dolny-Tuzla in Bosnien nach Ablegung des vorgeschriebenen Beamten-
eides installirt. Der mohammedanischen weibhchen Bevölkerung
Bosniens, welcher Sitte und Religion verbieten, einen männlichen Arzt
zu konsultiren, hat die Regierung durch die Ernennung einer Staats-
ärztin eine grosse Wohlthat erwiesen. Fräulein Dr. Anna Bayer ist die
Tochter eines Brauereibesitzers in Böhmen. Nach schweren Kämpfen
setzte sie es durch, in Zürich Medizin studiren zu dürfen. In Bern
wurde sie zum Doktor der Medizin promovirt. Sie entschloss sich
auch, das ärztliche Staatsexamen zu machen, und musste vorher an
einem Schweizer Gymnasium nochmals die Maturitätsprüfung ablegen.
Schon früher hatte sie in Dresden an der Entbindungsanstalt und an
Pariser Kliniken Studien gemacht. In Bern war sie als Aerztin thätig,
bis sie die Stelle in Bosnien annahm.
Nach den neuesten Statistiken beträgt die jährliche Sterblichkeit
auf der ganzen Welt 33 Millionen, und zwar sterben durchschnittlich
täglich 91,554, stündlich 3,730 und in der Minute 62. Die Durchschnitts-
dauer des menschlichen Lebens beträgt etwa 38 Jahre. Ein Viertel der
Menschheit stirbt vor erreichtem siebenten Jahre, die Hälfte vor dem
siebenzehnten. Auf hunderttausend Menschen kommt einer, der
hundert Jahre alt wird. Die Verheiratheten leben meistens länger
als die Unverheiratheten. Unter 1000 Personen, welche das Alter von
70 Jahren erreichen, sind 43 Geistliche und Staatsbeamte, 40 sind
Landwirthe, 33 sind Handwerker, 32 Soldaten, 29 Advocaten und
Ingenieure, 27 Lehrer und nur 24 Aerzte.
Personalien.
Unser verehrter Mitarbeiter, Herr Dr. Willy Meyer, ist zum Pro-
fessor of Surgery an der N. Y. Postgraduate Medical School ernannt
worden, wozu wir ihm die herzliohsten Glückwünsche entgegenbringen.
Verzogen : Dr. Edward Fridenbergf, nach 2019 5. Ave.
Dr. J. H. Tyndale, nach 91 2. Ave.
Dr. Max Einhorn,
stellvertretender Redakteur, 107 E. 65. St.
Billig zu verkaufen.
"Woods Complete Medical Library, 100 Volumes" gebunden und
neu. Nähere Auskunft ertheilt,
Medical Monthly Publ. Co.
27 Vandewater Str.
New Yorker
Medicinische Monatsschrift.
Organ für praktische Aerzte in Amerika
unter Mitwirkung von
Dr. A. F. Buechler, Dr. Geo. Degner, Dr. Max Einhorn, Dr. Jos. W. Gleitsmann,
Dr. Geo. W. Jacoby, Dr. F. Krug, Dr. S. J. Meitzer, Dr. Willy Meyer,
Dr. C. A. von Kamdohr, Dr. A. Schapringer, Dr. A. Seibert
herausgegeben von
Dr. F. C. HEPPENHEIMER.
Verlag der Medical Monthly Publishing Company, 17-27 Van de water Street, T«
Bd. IV. New York, 15. Juli 1892. No, 7.
ORIGINALARBEITEN.
I.
lieber Darmresection bei gangränösen Hernien.
Von
Dr. CAEL BECK,
New York.
Vortrag, gehalten in der Deutschen Medizinischen Gesellschaft der Stadt New
York, am 6. Juni 1892.
Herr Präsident ! Meine Herren ! Seitdem es dem Genie eines Czerny
vorbehalten war, die erste Darmresection an der gangränösen Hernie
einer 48-jährigen Frau mit unbestrittenem Erfolg vorzunehmen,
schwankt die Frage, ob anus praeternaturalis oder Primärresection
„von der Parteien Gunst und Hass verwirrt" in der Geschichte der
Darmchirurgie.
Die glänzenden Erfolge Czerny's und ebenso Kocher's, später
Schede's, Nicoladoni's, König's, Eydygier's und Anderer (der voranti-
septische Fall Ramdohr's ist nicht völlig unanfechtbar) waren um so
höher anzuschlagen, als sie schon im Jahre 1878 erzielt wurden, also zu
einer Zeit, wo die Antisepsis noch in ihrem Embryonalstadium lag und
gerade die wichtigsten Principien derselben, ihr Sündenregister unter
dem Deckmantel des allbakterientödtenden Carbolsprays bergend,
noch sehr lauwarme Beachtung fanden.
Man hätte nach diesen Glanzleistungen und der späteren eminenten
Ausbildung der antiseptischen Methode erwarten sollen, dass der anus
praeternaturalis zum chirurgischen Gerümpel geworfen werden wür-
de und nur noch eine antiquarische Rolle so zu sagen hätte spielen
Bollen. Diese Erwartung hat sich aber vorläufig durchaus nicht be-
stätigt.
250
Hat doch sogar kein Geringerer als Hahn noch vor wenigen Jahren
(Eugen Hahn, Berliner klinische Wochenschrift 1888, No. 26) mit Be-
dauern erklärt, dass er sich in Folge eigener ungünstiger Resultate
und übereinstimmender Berichte anderer Autoritäten veranlasst gese-
hen hätte, die primäre Darmresection mit nachfolgender Enteror-
rhaphie aufzugeben und zur Anlegung eines anus praeternaturalis nach
der schon von Proxagoras (Caelius Aurelianus, lib. III. pag. 17) geübten
uralten Methode zurückzukehren.
Zu diesen trostlosen Erfahrungen stehen die herrlichen Erfolge der
oben erwähnten Operateure in grossem Gegensatz. Liest es sich doch
beinahe wie eine Mirakel, dass Kocher, seitdem er ganz strenge Anti-
sepsis übt, unter 13 Darmresectionen wegen brandiger Brüche nur 2
Todesfälle zu verzeichnen hat.
Wenn ich mich freilich nicht für berechtigt halte, meine Fälle mit
denen der Paladine unserer heutigen Operationstechnik in Vergleich
zu bringen, so dürften dieselben Ihnen, meine Herren, namentlich vom
obeubezeichueten Standpunkte betrachtet, wie ihn Halin beispielsweise
vertritt, immerhin einiges Interessante bieten.
Zunächst erlauben Sie mir, Ihnen die Geschichte des am heutigen
Abend gegenwärtigen und völlig geheilten Falles einer doppelten
Darmresection nach gangränöser Hernie vorzutragen :
Patient, die 57- jährige Wittwe Frau Lauterwasser, leidet seit unge-
fähr 30 Jahren an einem Nabelbruch. Dr. Georg Stiebeling, welcher
seit ebensoviel Jahren als ihr Hausarzt fungirt, konnte mehrmals im
Lauf der letzten 20 Jahre die Hernie reduziren, welche von der
äusserst nachlässigen Patientin nur unvollkommen durch ein Band
controUirt wurde und desshalb wiederholte Excursionen machte.
Seit den letzten Jahren hatten mehrfache Entzündungsvorgänge
stattgefunden, welche konsequenter Weise die Bildung von Adhäsionen
zuliessen, sodass der schliesslich zu der enormen Grösse des Kopfes
eines Erwachsenen entwickelte Bruch überhaupt nicht mehr in der
Bauchhöhle zurückgehalten werden konnte.
Ende vorigen Jahres, nach dem gewaltsamen und erfolglosen Ver-
such einer Stuhlentleerung, füllte der Bruch sich weit auf, es traten
heftige Schmerzen, Uebelkeit und wiederholtes Erbrechen, kurz, die
Symptomenreihe der Incarceration ein, welche von der Patientin in
Folge der vielen vorangegangenen gleichartigen Anfälle nicht als
solche aufgefasst wurde, sodass erst der übliche allgewaltige Kamillen-
aufguss in seinen verschiedenen Spielarten versucht wurde.
Als Dr. St. am nächsten Tage gerufen wurde, war an eine auch nur
partielle Reposition nicht mehr zu denken, und bei der alsbald statt-
gehabten Consultation präsentirte sich mir folgender Befund :
Normal und kräftig gebaute Frau von eher kleiner als mittlerer
Statur. Entwickelter Panniculus adiposus. Gewicht 170 Pfund. In
der Umbilikalgegend ein kugliger, mehr als kopfgrosser Tumor, theil-
weise mit der äusseren Haut verwachsen, welch letztere an einigen
Stellen stark geröthet ist. Seit den letzten zwei Stunden war mehr-
251
maliges, fäkulent riechendes, Erbrechen eingetreten. Die Temperatur
betrug 102,3 (in ore), der äusserst schwache Puls 135.
Es wurde die sofortige üeberbringung nach dem St. Marks
Hospital angeordnet, woselbst ich alsbald, spät am Weihnachtsabend
die Herniotomie vornahm. Nachdem der Magen ausgespült und die
Operationsgegend mit Seife und Bürste, Aether und einer zwei pro
mille Sublimatlösung gründlich gereinigt und mit Jodoformaether
benetzt worden war, wird zur Narkose geschritten, und des schwachen
Pulses wegen Aether verabreicht.
Es wird, dem grösseren Breitedurchmesser entsprechend, ein Quer-
schnitt über die ganze Geschwulst hinweggeführt. Sogleich nach
Durchschneidung der Haut, welche stellenweise sammt Bruchsack der
Dicke eines Kartenblattes gleichkommt, zeigt sich aufgeblähter,
hyperämischer Darm. Es fliessen ungefähr zwei Esslöffel voll einer
bräunlich verfärbten, übelriechenden Flüssigkeit aus.
Eine Orientirung ist der vielen Adhäsionen wegen unmöglich, so
dass erst der Deckel der Geschwulst, bestehend aus Haut und Bruch-
sack, abgelöst werden muss.
Nunmehr liegt ein Convolut von gashaltigen hyperämischen
Därmen vor mir, getrennt von einander durch eine Reihe fibröser
Stränge, in seiner Anordnung der Samenkapsel einer Dolde im Kleinen
nicht unähnlich.
Ich sah nunmehr keine andere Möglichkeit, mir die Einklem-
mungsstelle, welche von dieser adhärenten Därmemasse bedeckt war,
zugänglich zu machen, als dieselbe erst zu mobilisiren, was mir nach
langer und mühevoller Arbeit gelang, indem ich eine ungefähr yard-
lange Pteihe von Massenligaturen (Jodoformseide) anlegte. Hinter
diesen konnte ich dann die Durchtrennung vornehmen. Vorher war
die Haut der Umgebung, soweit sie mit den Därmen in Contakt kom-
men konnte, mit einer drei procentigen Salicylsalbe bestrichen worden.
Ich muss noch hierbei bemerken, dass ich in Folge des völligen
Aussetzens des Pulses beständig in der Angst lebte, eine „nicht mehr
nöthig gewordene" Operation auszuführen.
Es war nunmehr ein Leichtes geworden, an den Bruchring zu
gelangen und den eingeklemmten Darmtheil zu besichtigen. Derselbe
war tief dunkelroth gefärbt und nur eine, der Grösse eines fünf Cent-
stücks entsprechende Stelle, hatte ein mehr blauschwarzes Colorit.
Ich hielt es nun für gerathen, die Bauchhöhle mit Jodoformgaze
abzuschUessen um eine additioneile Infektion zu vermeiden und die
nunmehr zu applicirende Sublimatirrigation auf die extraabdominal
liegenden Darmtheile lokalisirt zu halten.
Ich bemerke hierzu, dass ich furchtlos eine Lösung von ^pro
mille zur Desinfektion des Darmes verwende mit der allerdings uner- -
lässUchen Yorsichtsmassregel, gleich hinterher mit TniERscH'scher
Solution nachzuspülen, von dem biUigen Grundsatze ausgehend, dass,
wenn man sclwn einmal Desinficiren will, man dies aiiclt geling thun
soll.
252
Da ich bei einer nicht unerheblichen Zahl von Ijaparotomien und
Herniotomien in diesem Sinne zum Schrecken manches Collegen im
Sublimatregen geschwelgt habe, ohne nachher solche Symptome
gewahr zu werden, welche sich auf Merkurialgebrauch hätten zurück-
führen lassen, so halte ich mich wohl zu der Ansicht berechtigt, dass
die Mercuriophobie in dieser Hinsicht grösstentheils eine Chimäre ist.
Wenn man absolut etwas zu fürchten haben muss, so soll man doch
lieber seine Furcht auf eine Desinfektion concentriren, welche nicht
ganz energisch durchgeführt wird, als auf eine Sublimat Vergiftung.
Nach dieser Keinigung also, wie geschildert, wird der verdächtige
Darmtheil genauer inspicirt und bei dem Versuch, denselben hervorzu-
ziehen und mittelst Streichens von seinem Inhalt zu entleeren, erfolgte
ein Eiss an der oben beschriebenen verfärbten Stelle.
Sofort trat übelriechender Darminhalt aus, welcher glücklicher-
weise noch rechtzeitig aufgefangen w^erden konnte.
Zur Vorsorge wird ein aseptisches Scbälchen untergeschoben.
Nunmehr stand ich am Scheideweg ! Darmnaht oder anus prae-
ternaturalis ? Ich entschloss mich zur ersteren und umschnitt, nach-
dem ich im Hinblick auf die Möglichkeit der Beschmutzung von vorhin
nochmals das Operationsterrain mit Sublimat überfluthet hatte, ein
Stück aus dem Darm, bis ich anscheinend gesundes Gewebe vor mir
zu haben glaubte und legte dann eine CzERNY'sche Doppelnaht mit fein-
ster Jodoformseide an. Währenddem waren beiderseits die Eydygier'-
schen Compressorien angelegt worden.
Hierauf erfolgte nochmalige Desinfection mit Sublimat und Borsa-
licyllösung.
Die Keposition des während des ganzen Operationsverlaufes extra-
abdominal gelagerten Darmstückes gelang nunmehr ohne nennens-
werthe Schwierigkeit.
Die Nahtstelle wird mit zwei feinen Catgutnähten am Bruchring be-
festigt, eine Sicherheitsmassregel, welche bei Separation der Nähte das
sofortige Auffinden der resp. Stelle ermöglichen soll, sodass man einige
Tage nach der Operation immer noch die Chance hat, die Entwickelung
eines anus praeternaturalis zu begünstigen.
Der Bruchsack, eine grosse, zumeist collabirte Höhle darstellend,
glich in seinem Aussehen nunmehr einem entleerten Uterus post partum.
Ich exstirpirte den ganzen Sack nebst dem grössten Theil der abun-
danten äusseren Haut und legte in beide Wundwinkel, bis an den Brach-
ring hinreichend, mehrere Jodoformdochte, welche als Saugdrainage
allem mir bekannten Material, speziell auch den Jodoformgaze-
streifen weit überlegen sind.
Hierauf folgte die Vereinigung der Hautwunde durch die Naht und
ein Corapressivverband A^on Jodoformgaze. Darüber eine Eisblase.
Operationsdauer 2 Stunden.
Patient war sehr coUabirt, kühl am ganzen Körper, Puls kaum per-
ceptibel. Es waren ungefähr 30 Injectionen, theils aus Strophantus-
tinctur, theils aus Campher und Cognac bestehend, gemacht worden.
253
Am anderen Morgen hatte sich die Qualität des Pulses etwas gehoben
und die Frequenz war auf 108 gesunken, nachdem während der Nacht
wiederholt Stimulantien subkutan verabreicht worden waren.
Erbrechen erfolgte nur fünf Mal ; auch war ein flatus als hochwill-
kommener Gast erschienen.
Ordination: Mehrstündliche Morphiuminjectionen subkutan zur Be-
einflussung der Peristaltik, ferner heisses Wasser in Theelöffeldosen per
OS. Alle fünf Stunden ein Weinklystier mit Zusatz von Fleisch exträct.
Die Temperatur schwankt zwischen 101 und 102, der Puls beträgt
durchschnittlich 100 und ist einen Tag nach der Operation schon quali-
tativ besser.
Am 3. Tage Verbandwechsel. Die Hautwundränder sind gut ver-
einigt, die Umgebung geröthet. Die Jodoformdochte sind mit bräun-
licher Absonderung bedeckt. Beim Herausziehen folgt eine grössere
Menge übelriechender Sekretion.
Ausspülung mit Sublimat, Erweiterung der Drainhöhle an dem
einen Wundwiukel und erneute Ausstopf ung, diesmal mit einer grösse-
ren Menge Jodoformdochte.
Am nächsten Tage Darminhalt in der Wunde. Es werden nekro-
tische Fetzen entfernt. Seitdem ist die Temperatur beinahe immer
normal gebUcben, der Puls jedoch blieb schwach und war trotz wieder-
holten Digitalisgebrauches nicht unter 90 herabzudrücken. Eine
Woche nach der Operation waren ungefähr ft der grossen Wunde per
primam inteutiunem geheilt, das andere Drittheil war von einem wohl-
etablirten, etwa fünfmarkstückgrossen anus praeternaturalis einge-
nommen, aus welchem beständige Ausscheidung stattfindet.
Es ist interessant, das Spiel der Sehleimhaut zu beobachten, welches
an ein vor dem Wind herwogendes Aehrecfeld erinnert.
Stuhlgang per Vias naturales findet v^n nun an nicht mehr statt. Die
Ernährung, welche nunmehr so kräftig als möglich ist, geschieht per os.
Der weitere Verlauf wurde durch bronchitische Beschwerden und
die beständige Furcht vor einer hypostatischen Pneumonie etwas
getrübt. Es bildete sich in weiter Umgebung der Wunde ein schmerz-
haftes Eczem, welches, mit Zinksalicylsalbe behandelt, nur mangelhaft
heilt.
Für die Bedeckung des Anus praeternaturalis wurde Salicylgaze
und darüber eine dicke Schicht Neustrelitzer Moospappe gebraucht,
welch letztere ich bei dieser Gelegenheit wiederum Anlass nehme, Ihnen
ihrer unerreichbaren Saugkraft wegen auf das Wärmste zu empfehlen.
Zwei Monate nach der Operation wurde Patientin trotz ihres Drän-
gens nach einer plastischen Operation aus dem Hospital entlassen, da
ihr schwacher Puls mich fürchten Hess, dass sie vorläufig eine so
eingreifende Operation, als der plastische Verschluss des anus praeter-
naturalis doch ist, schwerlich überstellen würde und so vertröstete ich
sie auf später, nachdem sie sich zu Hause erholt haben würde.
Die Erholung trat jedoch nach vierwöchentlichem Aufenthalt zu
Hause nicht ein, so dass ich schliesslich dem Drängen der Unglück-
254
liehen, deren Dankbarkeitsgefühl für ihre Lebensrettung, beiläufig
gesagt, ein sehr limitirtes war, nachzugeben mich entschloss.
Am 7. April umschnitt ich nach gehöriger Vorbereitung die Darm-
fragmente und löste sie von der schon beinahe knorpelhart gewor-
denen Umgebung.
Ich entfernte dann mit dem scharfen Löffel einige Granulationen
in der Umgebung der Darmschleimhaut und bediente mich zum völ-
ligen Abschluss der Darmlumina der EYDYGiER'schen Compressorien,
welchen ich vor den anderen Klemminstrumenten, namentlich auch
den grossen PEAN'schen Zangen den Vorzug einräume.
Dieselben, welche bekanntlich aus zwei mit desinflcirten Gummi-
röhren überzogenen Fischbeinstäbchen bestehen, werden senkrecht
zur Axe des Darms gelegt und ihre vorstehenden Enden durch Gummi-
fäden vereinigt. Von allen Fasszangen haben sie, wie Kydygier sehr
richtig sagt, den Vorzug, dass ihre parallelen Branchen den Darm
gleichmässig comprimiren, während jene, je näher dem Schloss liegend,
desto grösseren Druck ausüben.
Demnach könnte an der einen Seite des Darms der Druck zu stark
sein, so dass er zur Gangrän der betreffenden Stelle führen könnte,
während an dem entgegengesetzten Theil derselbe eben noch aus-
reicht, um keinen Darminhalt ausfliessen zu lassen. Dahingegen legen
die parallel wirkenden Compressorien die Darm Wandungen glatt anein-
ander und erhalten sie in der gegebenen Lage, wodurch das spätere
genaue Nähen sehr erleichtert wird. Auch brauchen sie nie ihre Lage
zu ändern, während es wenige Assistentenhände gibt, welche während
der ganzen Operationsdauer unverrückt ihre Finger nebeneinander
halten können. Auch nehmen die Klammern weniger Raum ein, als
die Assistentenfinger.
Einem hiesigen hervorragenden Chirurgen, welcher in seinem aus-
gezeichneten Lehrbuch die RYDYoiEK'sche Klammer für unpraktisch
erklärt, weil man doch nicht bei jeder Herniotomie an das Mitnehmen
derselben denken könne, möchte ich erwidern, dass ich keine beson-
dere Schwierigkeit darin sehe, dieses vorzügliche Instrument bei jeder
Unterleibsoperation bei mir zu haben.
Der Darm wird nunmehr von der äusseren Haut emporgezogen,
und die Desinfektion und der Abschluss des Cavum abdominis nach
den oben erläuterten Grundsätzen angestrebt.
Vom zuführenden Ende werden ungefähr 2, und vom abführen-
den Ende etwa Zoll mit der Scheere in schräger Richtung abge-
tragen.
Das Mesenterium wird gefaltet und nichts davon resecirt. Auf
die genaueste Coaptation wird das grösste Gewicht gelegt.
Es werden ungefähr 40 Jodoformseideligaturen nach Czerny ver-
wendet ; nach innen wird die Kürschnernaht gewählt.
Nach nochmaliger Desinficirung folgt Reposition des Darms. Die
Nahtstelle wird wiederum prophylaktischer Weise mit zwei Catgut-
fäden an der Bauchwand befestigt.
255
Sodann folgt Naht der inneren Oeffnung mit Jodoformseide dickster
Nummer.
Die Spannung der Bauchdecken ist bedeutend. Darüber folgt
dann eine zweite Etagennaht und zum Schluss die Vereinigung der
Hautwunden, welche zuerst mit Messer und Scheere zurechtgestutzt
werden müssen.
In beide Wundwinkel waren, wie bei der ersten Operation, drei
Stränge Jodoformdochte gelegt worden.
Ich muss nachträglich hinzufügen, dass sobald ich den elliptischen
Schnitt um die Lippen des Darms geführt hatte, die Patientin puls-
und respirationslos wurde.
Ich musste desshalb die Operation auf fünf Minuten sistiren, bis
nach der Anw^endung von Stimulantien der Puls wieder fühlbar wurde.
Ich vollendete nunmehr die ganze Operation, welche I2 Stunde
dauerte, ohne weitere Anaesthetika zu verabreichen, was die äusserst
geduldige Patientin verhältnissmässig leicht ertrug.
Der Verlauf war ein idealer. Die Temperatur stieg nie über 99^.
Der Puls blieb 90 und schwach, aber regelmässig.
Die ganze Ernährung fand per rectum durch Wein- und Fleiscli-
extraktklystiere statt. Mundausspülungen durften nach Belieben ge-
macht werden, dagegen wurde erst vom 3. Tage an das Schlucken von
heissem Wasser in Theelöffeldosen erlaubt.
Am dritten Tage wurden die von seröser Sekretion leicht durch-
tränkten Jodoformdochte ausgezogen. Am 8. Tage, beim 2. Ver-
bandwechsel war iie Wunde per primam geheilt. Erst vom 8. Tage
ab wurde peptonisirte Milch, später Bouillon und Beeftea per os ver-
abreicht, wonach Pat. sich überaus schnell erholte, so dass ich die
Freude hatte, sie nach 3 Wochen aus dem Hospital zu entlassen und sie
am 2:3. Tage nach der Operation schon meinen Zuhörern in der New
York Postgraduate Medical School als völlig geheilt vorführen konnte.
Ich gedenke hier noch einer Episode, welche sich am 17. Tage
nach der Operation zu meinem nicht geringen Schrecken ereignete.
Als die Krankenwärterin auf einen Augenblick den Saal verlassen
hatte, bat Pat. eine Eeconvalescentin, ihr ein Glas Trinkwasser, zur
Hälfte mit Wein vermischt, zu reichen. Die thörichte Patientencolle-
gin ergriff jedoch unbegreiflicher Weise eine in der Ecke stehende
Sublimatflasche (1 : 1000) und kredenzte den gefährhchen Trank, der
wegen des Weinzusatzes nicht am Geschmack sogleich wahrgenommen
wurde, so dass die ganze giftige Mischung getrunken wurde. Zum
Glück erbrach Patientin sogleich heftig und kam ohne weitere Störung
über diesen Zwischenfall hinweg.
Wie Sie heute, 6 Wochen nach der Entlassung, sehen können, ist
das Wohlbefinden der Patientin, ein ungetrübtes geblieben. Sie hat
alle Speisen genossen und keine Verdauungsbeschwerden gehabt ;
auch ist die Stuhlentleerung normal. Eine erhebliche Verbesserung
der Cirkulationsverhältnisse manifestirt sich durch eine kräftigere und
langsamere Pulsaktion.
256
Sie sehen, meine Herren, dass unter den denkbar ungünstigsten
Verhältnissen eine zweimahge Eeselition mit schUesslichem Erfolg vor
genommen werden konnte.
Nach der erstmaligen Operation trat allerdings derselbe Zustand
ein, wie er auch nach der Bildung eines anus praeternaturahs sich eta-
blirt haben würde. Hierdurch ist der Patientin kein Nachtheil erwach-
sen. Würde aber die Primärnaht gelungen sein, so wäre diess allein
schon im Hinblick auf die Gefahr einer zweiten gefährlichen Operation
für die Patientin ein grosser Gewinn gewesen.
Erlauben Sie mir, dass ich zur Hlustration meiner weiter unten zu
erläuternden Ansichten noch folgende Fälle erwähne, welche ich im
Laufe der letzten 2 Jahre operirt habe, seit welcher Zeit ich die ganz
strenge und energische Desinfektion bei Darmoperationen adoptirt
habe. Es sind dies noch 4 Fälle, unter welchen sich ein vor einem
Jahre geheilter Fall von nicht complicirter Darmresektion, 2 lethal
verlaufene Fälle von Bildung eines anus praeternaturalis und ein
ebenfalls tödtlich verlaufener Fall von Herniotomie befindet, bei wel-
chem, wie die Autopsie kund that, Gangrän eingetreten war.
Fall 2. Darmresection, Heilung. John Dreher, ein 45- jähriger,
kräftig genährter Mann, seines Zeichens ein Kohlenträger, seit etwa
vier Jahren mit einer kleinen rechtsseitigen hernia inguinalis behaftet,
stolperte auf der Treppe und fiel. Wenige Stunden darauf stellten
sich heftige Schmerzen und Erbrechen ein. Der herbeigerufene Haus-
arzt verordnete Eisblase und Opium, worauf „leider" vorübergehende
Besserung eintrat.
Am nächsten Tage, 17. Mai 1891, Herniotomie. Bruchsack übelrie-
chend, kein Bauchwasser. Beim Eröffnen des sehr dünnen Bruch-
sackes stürzen hochrothverfärbte Darmschlingen hervor. Die einge-
klemmte Stelle zeigt ein blauschwarzes Colorit und fühlt sich weich
(matsch) an. Es wird eine fünf Zoll lange, zweifellos gangränöse Darm-
schlinge resecirt und 27 CzERNY'sche Jodoformseidenälite angelegt.
Irrigation und SubHmat.
Keine Mesenterialnaht. Operationsdauer 1^ Stunden. Keine Zwi-
schenfälle von Bedeutung. Prima intentio mit Ausnahme der Stellen,
wo die Jodoformdochte einlagen. Heilung nach vier Wochen. Patient
ist seither ununterbrochen gesund gewesen und trug nur bis Anfangs
dieses Jahres eine Pelotte.
Fall 3. Anus praeternaturalis. Exitus. Mrs. Tarlow, 76 Jahre alt,
seit 20 Jahren mit einer kleinen, linksseitigen hernia femoralis behaf-
tet, welche sie kaum belästigte, sodass sie kein Bruchband trug. Beim
Wohnangsumzuge hatte sie sich überangestrengt. Tags darauf hef-
tige Ohnmachtsanfälle, Schmerzen, Erbrechen.
Patientin weigerte sich von dem herbeigerufenen Hausarzt eine Lo-
kaluntersuchung vornehmen zu lassen, sodass erst Tags darauf, als
trotz dargereichter Narkotika sich Ileus einstellte, die Diagnose ohne
Inspection klar wurde. Am 3. Mai, zwei Tage nach erfolgter Einklem-
mung, Herniotomie,
257
Patientin zeigte bedenkliche Collapsersclieinungcn, sodass die Nar-
cose nur unvollkommen unterhalten werden konnte.
Die Herniengeschwulst war gänseeigross und stark geröthet. Aus
dem Bruchsack fliesst ein Esslöffel voll trüben, dünnflüssigen, übelrie-
chenden Serums.
Die dunkel verfärbte eingeklemmte Darmschlinge reisst beim Her-
vorziehen ein, jedoch erst, nachdem die Compressorien angelegt
waren. Der Incarcerationsring war sehr eng.
Der Darm wird nach dem Debridement weiter hervorgezogen und
nun mit TmEKScn'scher Lösung irrigirt. llesection eines 8 Zoll langen
Stück Darmes, welches durch einige Sublimatseidenähte in der Wunde
fixirt wird. Operationsdauer Stunde.
Am nächsten Tage bedeutende Besserung, etwas Kothabgang durch
die Wunde. Puls 88, Temperatur 101. Tags darauf erneutes Er-
brechen, Collaps. Temperatur subnormal. Am folgenden Tage
exitus. Keine Obduction.
Fall 4. Anus praeternaturalis. Exitus. Mrs. Schnee, 43 Jahre alt,
seit zwei Jahren an einem rechtsseitigen Schenkelbruch leidend, hatte
bis vor wenigen Tagen ein Bruchband getragen. Beim Heben einer
schweren Last weites Hervortreten der Hernie, Erbrechen und
Diarrhöe. Letzteres sistirte am nächsten Tag.
Seither keine Defäkation mehr. Kepositionsversuche, vom Haus-
arzt in Narkose vorgenommen, fruchtlos.
Herniotomie Tags darauf am 20. December 1890. Nach Eröffnung
der unter dem rechten ligamentum Poupartii hegenden, gänseei-
grossen Geschwulst, über welcher die Haut diffus geröthet ist, fliessen
einige Esslöffel voll nicht riechenden, blutig serösen Bauchwassers ab.
Das subkutane Zellgewebe ist ödematös und emphysematös. Darm in
der Ausdehnung von ungefähr H Zoll gangränös. Bildung eines Anus
praeternaturalis ; nachdem sorgfältige Irrigation mit Borsalicyllösung
stattgefunden hatte. Operationsdauer Ii Stunde. Exitus nach 28
Stunden. Bei der Obduction findet sich das prävesikale, sowie das in
nächster Umgebung des Bruchsacks befindliche Zellgewebe mit übel-
riechender, sterkoraler Flüssigkeit durchsetzt. Das Bauchfell des
Dünndarms ist weithin injicirt und mit klebrig eitrigen Belägen ver-
sehen. Im Cavum peritonei kein Koth.
5.) Reposition. Exitus.
Philipp Strohe], 24 Jahre alt, Uhrmacher, will erst seit wenigen Mo-
naten eine rechtsseitige Skrotalhernie bemerkt haben, welche ihm nie-
mals Beschwerden verursacht haben soll. Beim Baseballspiel trat
der Bruch heraus und wurde irreponibel. Gegen das Erbrechen und
die Obstipation wurde nun 3 Tage lang das thörichte Armamentarium
domesticum in's Feld geführt — natürlich mit dem schlechtesten Er-
folg. Nun erst wurden durch einen herbeigerufenen Arzt zu spät Taxis-
versuche angestellt. Am vierten Tage nach geschehener Incarceration
Herniotomie.
258
Nach Eröffnung der faustgrossen Bruchgeschwulst findet sich nir-
gendwo blauschwarz verfärbter Darm. Kein übler Geruch. Keine
Spur von Bruchwasser. Zwischen Darm und Bruchsack einige lockere,
leicht zu trennende Verkiebungen. Nach erfolgtem Debridement lässt
sich der Darm, nur mit Borsalicyliösung bespült, leicht manipuliren
und zurückschieben. Naht mit Sublimatseide. In beide Wundwinkel
kommen Jodoformgazestreifen.
Dauer der Operation 30 Minuten. Am Tag nach der Operation
war das Befinden leidlich. Temperatur 101. Puls 110. Trotz Opium-
gebrauches am dritten Tage Diarrhöe, später Erbrechen. Collaps.
Exitus. Die Obduktion ergibt eine centgrosse Perforationsstelle, der
incarcerirt gewesenen Darmportion entsprechend. Diese selbst ist in
der Länge von mindestens 12 Zoll gangränös.
Meine Herrn ! Wo Fälle reden, müssen Theorien schweigen und
dem „Post hoc, ergo propter hoc" wohnt, wenn es auch nicht einwand-
frei ist, ein gut Theil der Weisheit inne, welche der Amerikaner treffend
mit dem Wort „Common Sense" bezeichnet.
Sie werden zugeben, dass, wenn ich bei den 2 Fällen, welche nach
der Bildung eines Anus praeternaturalis starben, mir doch, wenn ich
die Darmresektion versucht hätte, auch nichts Schlimmeres, als der
Exitus hätte passiren können.
Wer kann mir aber beweisen, dass beide Fälle, wenn ich die Darm-
resektion ausgeführt hätte, nicht noch am Leben wären ?
Oder gesetzten Falles, ich hätte bei den geheilten Kesektionsfällen
segleich einen Anus praeternaturalis gebildet, würde dann die Frater-
nität nicht geradeso gut haben vermuthen können, dass die Heilung
nur dem Umstand zu danken gewesen wären, dass ich den unange-
nehmen, aber sicheren Weg der Bildung eines widernatürlichen Anus
eingeschlagen hätte ? Bei dem Fall, in welchem ich die Keposition des
Darmes ausführte, in der irrigen Voraussetzung, dass derselbe noch
lebensfähig sei, hätte ich vielleicht auch Heilung erzielen können, wenn
ich mit der mir damals — vor 2 Jahren— noch nicht bekannten Me-
thode vertraut gewesen wäre, den Darm zur BeobachtuDg ausserhalb
der Bauchhöhle in geeignetes Verbandmaterial eingehüllt, liegen zu
lassen, um ihn erst später zu reponiren oder zu reseciren.
Dem Jahresbericht (1889) einer der hervorragendsten chirurgischen
KUniken entnehme ich die Notiz, dass unter 5 mit Gangrän compli-
cirten Hernien 2 Mal die Darmresektion ausgeführt und 2 Mal ein anus
praeternaturalis gebildet wurde, und dass im 5. Fall die Kepositions-
versuche fruchtlos ausfielen. Alle diese Fälle starben.
Wie sind diese traurigen Eesultate mit den VeröffentlichuDgen von
Kocher z. B. in Einklang zu bringen, welcher ein Mortalitätsverhältmss
von nur 15 Prozent bei der Darmresektion wegen gangränöser Hernie
angibt?
Beim letztjährigen Chirurgencongress klagte Professor Helferich
in Greifswald : „Das Operationsverfahren bei notorisch gaugränöser
Darmschlinge ist vöUig verschieden, indem von Vielen die Anlegung
259
eines anus praeternaturalis, von Anderen die sofortige Darmresektion
principiell bevorzugt wird." (Vgl. Helferich, Langenbeck's Archiv
für klinische Chirurgie, 41. Band, pag. 337.)
Eine zufriedenstellende Lösung dieser Frage könnte nur geschehen,
wenn wir eine in die Hunderte gehende Statistik hätten, welche mög-
lichst viele gleichartige Fälle unter gleichartigen Verhältnissen (nament-
lich auch vom gleichen Operateur gehandhabt) theils durch Kesection,
theils durch Bildung eines anus praeternaturalis behandelte. Da dies
noch ein pium desiderium ist, so habe ich schon im Jahre 1878 daran
gedacht, die Frage durch das Thierexperiment beantworten zu lassen,
indem ich bei 69 Katzen versuchte, die durch behinderten venösen Ab-
fluss erzeugte Compressionsgangräne künstlich nachzuahmen, indem ich
eine beliebige Darmschlinge mit einem dicken desinficirten Seidenfaden
constringirte. Durchschnittlich 2 Tage später resecirte ich dann in
der einen Hälfte der Fälle die zumeist blauschwarz verfärbte Darm-
schlinge und vollzog die Enterorraphie, und legte bei der anderen
Hälfte einen anus praeternaturalis an. Bei der Darmresection hatte
ich eine Mortalität von 33%, bei der Bildung eines anus eine solche von
56% zu verzeichnen.
Mehrere Todesfälle beim anus paeternaturalis, welche erst später
eintraten, waren meist auch auf Kosten der Inanition zu setzen, da
ich die Operationsstellen zufällig weit oben im Dünndarm gewählt
hatte.
Wenn sich die in meinen Versuchen gewonnenen Kesultate auch
nicht ohne Weiteres auf den Menschen übertragen lassen, so ist daraus
doch manche gute Lehre zu schöpfen, die, ivenn erst beim Menschen nach
melirmaligen Irrthümeim gewonnen, doch zu theuer erkauft wäre.
Jedenfalls beantworten meine Versuche die Frage in ihr'em Verhält-
niss untereinander in einer Weise, wie dies beim Menschen auch heute
noch nicht möglich ist, und da die Experimente unter ganz gleichen
Bedingungen ausgeführt wurden, so sollte die geringere Mortalität bei
der Darmresektion gegen den alten Grundsatz sprechen, dass „der anus
praeternaturalis der zwar traurige aber einzige und verhältnissmässig
ungefährlichere Ausweg wäre."
Man sollte doch auch nicht vergessen, dass die heutzutage bei der
Behandlung von Schusswunden allgemein massgebenden Grundsätze
nur durch den Thierversuch gewonnen wurden, und während noch vor
wenigen Jahren der consultirende Chirurg die Weisheit des Hausarztes,
bestehend in Eisblase und Opium, auch nicht um ein Atom chirurgi-
scher Erleuchtung überstrahlen konnte, zögert er heutzutage keinen
Augenblick mit der oft lebensrettenden Laparotomie.
Es ist vor Kurzem in dieser Gesellschaft auf die ausgezeichneten
Thierexperimente von Nicholas Senn in Milwaukee hingewiesen
worden, welche gewisse lebenswichtige Fragen, speciell die Art der
Darmnaht und die Todesursachen nach der Operation betreffen, beson-
ders auch mit Kücksicht auf Gangrän des Darmes bei innerer Ein-
klemmung, zu beantworten suchen.
260
Es wurde bei dieser Gelegenheit behauptet, dass Senn das grosse
Verdienst gebühre, zueilst kitzliche Probleme der Darmchirurgie durch
den Tliierversuch der Entscheidung näher gerückt zu haben.
Wenn ich auch gerne zugebe, dass wir keinem einzigen amerikani-
schen Chirurgen mehr Licht in der Darmchirurgie verdanken, als Senn,
so muss ich doch für meine Person das Verdienst in Anspruch nehmen,
zu allererst das Thierexperiment in diese Frage hineingezogen zu
haben. Gcmz speciell nehme ich für mich die Idee in Anspruch, den
patJtologischen Zustand des Darmes künstlich diuxh mein Verfahren nach-
geahmt zu haben, wie dies auch von Professor Kydygier') in Krakau
anlässlich seiner eigenen Thierversuche bereitwilligst anerkannt wurde.
Vergleiche ferner König's^) Lehrbuch und Sonnenbukg^) hierüber.
Meine Experimente wurden im Jahre 1878 vorgenommen und sind
im 25. Band des Langenbeck'schen Archiv's für klinische Chirurgie
veröffentlicht, während Dr. Senn's'*) Publikationen im J ahre 1888 er-
schienen.
Ich wollte zu meinen Thierversuchen ausserdem bemerken, dass
dieselben zur Zeit der oberflächlichen Carbolantisepsis stattfanden und
auch nicht in einem wohlequipirten Hospital, sondern privatim unter
Assistenz von Laien, so dass manches Unvollkommene damals mit
untergelaufen ist.
Schliesslich habe ich aus meinem Beobachtungsmaterial die üeber-
zeugung gewonnen, dass die Primärresektion bei gangränösen Hernien
nicht bloss das einfachere, sondern auch das iceniger gefährliche Ver
fahren ist.
Ich bedaure lebhaft, dass ich durch namhafte Chirurgen beinflusst,
mich mehrere Male zur Bildung eines anus praeternaturalis verleiten
Hess, da so viele Stimmen über die Misserfolge der Besection in den
letzten Jahren wieder laut geworden waren.
löh habe aber mehr und mehr die Ueberzeugung gewonnen, dass die
Quelle dieser Misserfolge nicht in der Methode, sondern in der mangel-
haften Ausführung, speziell zu schwacher Antiseptik und falscher Technik
zu suchen sind.
Liefert doch Kocher eine sprechende Illustration hierzu, wenn er
selbst zugiebt, in der Zeit der Carbolsprayperiode unter 12 Darmresec-
tionen 9 Todesfälle gehabt zu haben, während er jetzt bei grösserer
Uebung und Sublimatantisepsis unter 13 nur 2 Todesfälle zu verzeich-
nen hat. Unter diesen Erfolgen befladet sich eine Kesection von einem
80 cm. langen Stück Darm und eine dreifache Darmresection (s. Kocher,
Correspondenzblatt der Schweizer Aerzte, Jahrgang 1889).
1) Eydtgiee. Berliner Klinische Wochenschrift, Jahrgang 1881, pag. 621.
2) KÖNIG. Lehrbuch der speziellen Chirurgie für Aerzte und Studirende,
Berlin, 1885. 2. Band, pag. 348 u. 349.
3) SoNNENBUEG. Centralblatt für Chirurgie, Jahrgang 1880, Seite 317.
^) NicHOLAS Senn. An expeiimental Contribution to intestinal Surgery.
St. Louis, 1888.
261
Nehmen wir nun selbst den Fall im, dass alle diese glücklich Ope-
rirten auch bei Bildung eines anus praeternaturalis am Leben geblie-
ben wären, mit welch' erbärmliclien Zustand hätten sie dann ihr bloss
vorläufig gerettetes Leben vertauscht. Zu der ekelhaften beständigen
Beschmutzung gesellt sich die Eiterung mit den Gefahren der Sen-
kungsabscesse, die Plage des Eczems und die Möglichkeit der Aussicht,
bei einer zweiten Operation einen Misserfolg zu haben oder das Leben
doch noch einzubüssen, fürwahr eine Perspective, welche bei einem
noch so resistenten Nervenapparat ein Gefühl tiefster seelischer De-
pression auslösen muss. Nach gelungener Darmresection erfreut sich
der Patient durchschnittlich nach 3 bis 5 Wochen völliger restitutio ad
integrum. Die Behandlung mit der DupuvTREN'schen Darmscheere ist
auch ganz und gar nicht ungefälirlich und nach dem heutigen Stand-
punkte der Chirurgie überhaupt kein würdiges Verfahren mehr.
Ich kann auch nicht einsehen, warum die Anlegung eines anus
praeternaturalis die Infectionsgefahr auf ein Minimum reduciren soll.
Wenn man keine genügende Desinfection hat ausüben können, dann
tritt ja doch Sepsis ein und hat man gründlich desinflcirt, dann hätte
man ja gerade so gut reponiren können.
Wenn alle Todesfälle nach Anus praeternaturalis übrigens ver-
öffentlicht werden würden, so dürfte dessen Statistik sich zu Gunsten
der viel seltener ausgeführten Darmresektion auch gewiss bedeutend
verschlechtern.
Zum Schluss gestatten Sie mir folgende Thesen :
1) Bei gangränverdächtigem Darm ist derselbe vor die Bauch-
wunde zu ziehen, dort in geeignetes Verbandmaterial zu hüllen (Salicyl-
gaze), um ihn zu controlliren und nach eins bis zwei Tagen zu reponi-
ren oder reseciren. Dasselbe Verfahren findet bei schon eingetretener
Peritonitis statt.
2) Bei positiver Gangrän, welche sich durch blauschwarz verfärbte
Stellen und in meisten Fällen durch den Geruch manifestirt, ist eine
ausgedehnte Darmresektion auszuführen, welche selbst durch eine
bereits bestehende Perforation niclit contraindicirt ist, vorausgesetzt,
dass das anliegende Peritonium noch ein gesundes Aussehen hat.
3) Das Haupterforderniss eines Erfolges liegt in der sichereren
Behinderung jeglicher Infektion.
Dieselbe wird erreicht.
a) Durch gründliche Desinfektion der Umgebung.
b) Durch sorgfältige Vermeidung des Austrittes von Darminhalt
in die Bauchhöhle.
4) Die Resektion darf nur in gesundem Gewebe stattfinden, so dass
man solche Wundflächen erhält, welche zu einer primären Verklebung
geneigt sind. Es kann sehr leicht passiren, dass Darmparthieen ver-
einigt werden, an deren Wandungen die Cirkulation bereits gestört ist
und scheint mir die mangelhafte Beachtung dieses Umstandes der
häufigste Grund des Nichthaltens der Naht zu sein.
262
Auch sollte man schräg schaeiden, so dass breite Flächen mit
einander in Berührung kommen. Von dem concaven Darmtheil lasse
man mehr stehen, als vom convexen.
5) Die Blutzufuhr vom Mesenterium muss auf das Sorgfältigste
erhalten bleiben und ist desshalb keine Keilexcision vorzunehmen.
6) Zur Verhütung des Kothaustrittes sind die KYDYGiER'schen Com-
pressorien zu verwenden.
7) Zur Enterorraphie ist die einfache LEMBERT'sche Naht nicht
zuverlässig genug, wesshalb die CzERNY'sche Naht vorzuziehen ist mit
der Modifikation, dass zur inneren Nahtreihe die Kürschnernaht
gewählt wird. Es ist dies im Interesse rascherer Vollendung zu
empfehlen, ein Umstand, welcher gerade bei dieser Operation beson-
ders schwer ins Gewicht fällt.
Die SENN'schen Platten würde ich speziell da, wo schon so viel
Disposition zu Gangrän besteht, nicht empfehlen, da sie durch ihre
Compression derselben Vorschub leisten.
Die Naht, wie sie Czerny beschreibt, wird folgendermassen vorge-
nommen : Man sticht mit einer möglichst feinen Nadel 2 bis 3 Milli-
meter vom Wundrand entfernt in die Serosa ein und dicht vor der
Schleimhaut aus. Am anderen Wundrand sticht man dicht vor der
Schleimhaut ein und 2 bis 3 Millimeter weit von der Serosa aus. Wenn
man diesen Faden knüpft, so liegen an der Innenseite des Darmes die
Wundränder der Schleimhaut dicht aneinander und es berührt sich die
wunde Fläche nebst einem 2 bis 3 Millimeter breiten Serosastreifen.
Diese erste Reihe von Nähten liegt in Zwischenräumen von 3—4 Milli-
metern.
Die Fäden werden ganz kurz abgeschnitten und darüber, aber dicht
anliegend, ja theilweise noch die erste Reihe mitfassend, wird eine
zweite Reihe von Kürschnernähten angelegt, welche nach Art der Lem-
bert'schen Nähte die serösen Flächen in breite Berührung bringt. Es
genügt, wenn die Nähte der zweiten Reihe in Zwischenräumen von i
Centimeter und darüber liegen. Auch diese Fäden werden gleich nach
der Anlegung geknüpft und kurz geschnitten.
Es ist von der grössten Wichtigkeit, dass Serosa genau an Serosa passt.
Senn hat, eine gute Bedeckung für sehr essentiell haltend, den Vor-
schlag gemacht, die ganze Nahtstelle in ein Netzstück einzupacken.
Es lässt sich diese vorzügliche Idee gewiss in manchen Fällen ver-
werthen ; im Allgemeinen jedoch dürfte man mit einer auf das Exak-
teste angelegten Naht auskommen.
8) Zum Nähen ist die Jodoformseide dem Catgut als einem zu nach-
giebigen Material vorzuziehen.
9) Die Ba,uchhöhle muss während der Operation mit antiseptischer
Gaze abgeschlossen werden, so dass das Operationsterrain vollständig
extraabdominal gehalten ist.
10) Der Bruchring ist möglichst ausgedehnt zu dilatiren.
263
11) Die Desinfection des ausserhalb liegenden Darmstückes hat mit
einer 2 pro mille Sublimatlösung zu geschehen, welcher eine Xach-
spülung mit Thiersch'scher Solution folgt.
12) Die Darmnahtstelle ist zur Sicherheit am Bruchring mit einigen
Catgutnähten zu befestigen, damit sie leicht gefunden wird, falls die
Symptome der Separation auftreten und die Bildung eines anus prae-
ternaturalis nicht mehr zu vermeiden ist.
Ist der Verlauf ein normaler, so wird der Heilungsprocess durch
diese Nähte später nicht gestört, was man von der in diesem Sinne pro-
ponirton Fadensclilinge nach .Tobert nicht behaupten kann.
In die Wundwinkel sind Jodoformdochte zu legen, welche nach drei
Tagen wieder entfernt werden können.
13) Auf den Deckverband, aus Jodoformgaze und Gummipflaster
bestehend, kommt eine Eisblase, welche nicht blos ihrer gewöhnlichen
Eigenschaften wegen, sondern auch, weil compressiv nach Art eines
Schrotbeutels, günstig wirkt.
14) Die Ernährung hat die ersten 7 Tage einzig und allein per
rectum durch Fleischextract und Wein zu erfolgen. Die ersten 2 Tage
werden nur Mund Waschungen gestattet, die folgenden 5 Tage heisses
Wasser in Theelöffeldosen per os.
Bei günstig verlaufenden Fällen, welche sich schon am nächsten
Tage durch ihren zufriedenen Gesichtsausdruck als solche prophezeien,
ist das Durstgefühl durchaus nicht erheblich. Die Darmperistaltik
wird durch Morphiuminjektionen beeinflusst.
15) Die Technik der Darmresektion ist eine so enorm schwierige
und mit der einer gewöhnhchen Laparotomie nicht im entferntesten zu
vergleichen, so dass kein Chirurg dieselbe vornehmen sollte, bevor er
sich nicht am Thier die nöthigeUebung verschafft hat. Man kann im
Stande sein, eine Fussgelenksresektion summa cum laude auszuführen
und kann eine Darmresektion recht primitiv vornehmen. Dann hat
man freilich auch nur primitive Erfolge zu erwarten, die man dann gar
zu gern der Methode an Stelle seiner eigenen mangelhaften üebung in
die Schuhe schieben möchte. Wie leicht kann man jene durch das
Thierexperiment erlangen. Und wenn 1000 Katzen ihr durchlauchtiges
Herzblut verspritzen, um ein Menschenleben zu retten, so ist dieses
Opfer wahrlich nicht zu theuer erkauft.
187 Second Avenue.
264
IL
Eine Haarnadel in einer männlichen Harnröhre.
Von
Dr. S. J. MEITZER,
New York.
Eine Haarnadel in einer Harnröhre eines erwachsenen, geistig
gesunden Mannes ist gewiss ein sehr seltener Befund und verdient
registrirt zu werden.
Die Mutter von Frank T., eines 17jährigen jungen Mannes, hatte
Blutflecken auf dem von ihrem Sohne benutzten Bettlaken entdeckt ;
sie fand auch bald aus, dass der Harn des jungen Mannes mit Blut
vermengt war. Ich wurde um Rath gefragt. Da war auch eine lange
verleitende Anamnese. Der junge Mensch kränkelte seit seiner Kind-
heit, und zwar wäre der Sitz seiner Leiden stets im Uro-genital.
Apparate gewesen, ein Chirurg habe schon vor vielen Jahren da eine
Operation ausführen wollen. Auf Befragen gab der Patient an, dass er
Urin ganz unbehindert lassen könne, er habe nur Schmerzen beim
Uriniren ; dabei komme zuerst das reine Blut und nachher ein klarer
Harn. Die letzte Angabe deutete darauf hin, dass die Ursache der
Beschwerden in der Urethra ihren Sitz haben muss. Bei der Inspection
des Penis fiel sofort die ungewöhnliche Länge und der gestreckte
Zustand desselben auf, was einerseits auf Onanie, andrerseits aber auch
auf einen Fremdkörper hinzudeuten schien, der den nicht eregirten
Penis künstlich gestreckt hielt. Der Versuch, den Penis zu beugen,
stiess auf einen gewissen mechanischen Widerstand und verursachte
Schmerzen. Bei der Palpation der untern Fläche des Penis Hess sich
deutlich die Anwesenheit eines Körpers in der Urethra erkennen, der
die Form und die Grösse einer Stopfnadel hatte. Die Spitze dieser
Nadel konnte zur Seite des Frenulum nicht nur durch Palpation,
sondern auch mittelst Inspection deutlich wahrgenommen werden.
Der junge Mensch leugnete jede Kenntniss, wie die Nadel da hinein-
gerathen wäre und vermuthete, dass seine Mutter beim Repariren
seiner Hosen die Nadel daselbst vergessen haben mochte, die dann un-
bemerkt in seine Harnröhre hineingeschlüpft wäre.
Ich dachte zunächst, die Extraction der Nadel auf dem natürlichen
Wege zu versuchen. Zu diesem Behufe ging ich mit einer Kornzange
in die Urethra hinein, es gelang mir auch bald die Nadel zu fassen ; sie
konnte jedoch weder nach vorn noch nach hinten bewegt werden, dabei
verursachte die Procedur ziemlich heftige Schmerzen. Ich beschloss
daher, den Patienten zu narcotisiren und zunächst denselben Versuch
nochmals zu wiederholen, und sollte er misslingen, dann den durch die
Nadelspitze angedeuteten Weg zu betreten, nämlich die Nadel durch
265
die Wand zu forciren. Zuvor jedoch habe ich den jungen Mann
privatim vorgenommen und presste nunmehr von ihm das Geständnifcs
heraus, dass er selber die Nadel hineingeschoben hatte, und zwar war
es eine Haarnadel ! Ich versuchte nunmehr auch den andern Schenkel
der Nadel herauszufühlen ; es war aber nicht recht möglich, die Nadel
lag in der Urethra offenbar mit beiden Schenkeln senkrecht über
einander, wobei der obere Schenkel in die Furche zwischen den Schwell-
körpern hineingepresst war. Beim Versuche jedoch, den Penis über
semen Rücken zu beugen, trat das runde Ende der Haarnadel an der
untern Fläche der Urethra deutlich hervor, wodurch die Angabe des
Patienten nunmehr auch objectiv festgestellt werden konnte. Unter
diesen Umständen nahm ich von jedem Versuche Abstand, die Nadel
per vias naturales entfernen zu wollen oder, wie ich es zuerst vorhatte,
die fühlbare Spitze durch die Wand zu forciren. Ich entschloss mich,
die äussere Urethrotomie zu machen, und zwar benutzte ich
das hintere runde Ende der Haarnadel, welches bei der oben erwähnten
Beugung des Penis genügend hervortrat, als Sonde, um darauf einzu-
schneiden. Eine kleine Oeffnung ermöglichte die Extraction der Nadel.
Der Heilungsverlauf war normal.
In diesem Falle bin ich also nur durch das erpresste Geständniss
des Patienten auf den richtigen Weg geführt worden. Ohne diese
Beichte, die wohl nicht immer zu erlangen ist, wäre ich auf die gewiss
recht fern liegende Möglichkeit, dass es sich um eine Haarnadel
handeln könne, vielleicht gar nicht gekommen. Ich wäre dabei ge-
blieben, dass ich eine einfache Nadel vor mir habe und hätte versucht,
dieselbe zunächst durch die Harnröhren-Mündung und dann durch eine
Oeffnung neben dem Frenulum zu entfernen, und hätte wahrscheinlich
nach langem Herumwühlen und Zerfleischen meinen Versuch aufgeben
müssen. Der Grund für meine irrthümliche Voraussetzung lag darin,
dass ich nur einen Schenkel und nur eine Spitze fühlen konnte, der
andere Schenkel lag eben in der Furche zwischen den corporibus
cavernosis versteckt, d. h. weil in meinem Falle die Schenkeln der
Nadel vertical über einander lagen. Es will mir indessen scheinen, —
und darauf will ich hauptsächlich hinaus, — dass die Lage der Haar-
nadel in meinem Falle keine zufällige war ; dass vielmehr in allen
Fällen, wo eine Haarnadel in eine männliche Harnröhre gelangt, die
Position der Nadel dieselbe sein müsse, wie ich sie in meinem Falle
angetroffen habe. Es liegen meines Erachtens gewisse Umstände vor,
welche einen sozusagen typischen Modus bedingen, sowohl für das
Eindringen der Haarnadel als auch für die bleibende Lage derselben
innerhalb der Harnröhre. Diese Umstände verdienen besonders her-
vorgehoben zu werden, und ich will sie daher im Folgenden näher
detailiren.
1. Jede Haarnadel wird wohl stets mit dem runden Ende in die
Harnröhre eingeführt ; dies braucht kaum eine besondere Begründung.
Sollte es aber auch einmal passiren, dass die Nadel zuerst mit den
Spitzen eingeführt wurde, dann würde sie schwerlich ganz in die Urethra
266
eindriagen können, die Spitzen der Nadel würden sich bald in die
Schleimhaut der Urethra, namentlich in den Mündungen der Drüsen
(Gland. Littriianse und Laccunae Morgagnii) fangen.
2. Die Haarnadel muss stets mit senkrecht über einander gelagerten
Schenkeln in die Harnröhre eingeführt werden, weil die Spalte des
Oriflcium externum senkrecht gerichtet ist.
3. Die am offenen Ende der Haarnadel weit auseinander stehenden
Schenkel derselben werden beim Passiren durch das enge Oriflcium
zusammengepresst ; sobald jedoch der äussere Zwang aufhört, werden
die Schenkel durch ihre federnde Kraft das Bestreben haben, wieder
auseinander zu gehen. Nun befindet sich bekanntlich unmittelbar
hinter dem engen Oriflcium die Fossa navicularis, eine weite und
nachgiebige Stelle der Urethra. Die Schenkel der Nadel werden
daher, sobald deren Spitzen die enge Stelle passiren, sofort sich federnd
erweitern und die Harnröhre in senkrechter Richtung gespannt er-
halten ; und da die obere Wand der Glans nur wenig nachgiebig ist, so
wird der federnde Druck sich hauptsächlich an der untern Wand
bemerkbar machen. Die Haarnadel muss demnach durch die eigene
federnde Spannung in derselben Position verbleiben, in welcher sie
während des Durchtritts durch die äussere Harnröhren-Spalte sich
befand. Es ist ferner zu erwarten, dass erstens die Nadel durch ihre
gespannte Stellung verhindert sein wird, noch tiefer in die Urethra zu
wandern, und zweitens, die Spitze des untern Schenkels sich stets an
der untern Seite der Glans stark fühlbar machen wird.
4. Die Haarnadel wird in der eben erlangten Position um so eher
verharren, als höchst wahrscheinlich jeder Mensch, erschreckt durch
das Verschwinden der Nadel, sofort den Versuch macht, die Nadel
wieder herauszubefördern, indem der Penis von hinten nach vorn mas-
sirt wird, wodurch aber die Nadelspitzen nur noch tiefer in die Schleim-
haut eingegraben werden.
Demnach ist a priori zu erwarten, dass jede Haarnadel stets mit
ihren beiden Schenkeln vertical über einander gerichtet in der männ-
lichen Urethra zu flnden sein wird. Ferner wird das runde Ende stets
nach hinten gerichtet sein, während die spitzen Enden wahrscheinlich
stets innerhalb der Glans penis, der Fossa navicularis ent-
sprechend, verharren werden und zwar federnd gespannt und meistens
in die Schleimhaut eingegraben.
Von jeder Haarnadel würde man demnach stets nur den untern
Schenkel fühlen. Nun glaube ich aber jetzt, dass gerade das leichte
und deutliche Fühlen eines Schenkels an eine Haarnadel mahnen soll,
da eine einfache Nadel doch leicht ausweichen und in die Furche
zwischen den Schwellkörpern sich verstecken kann. Mehr aber noch
als das deutliche Fühlen des Schenkels muss das Prominiren der Spitze
desselben durch die Haut für eine Haarnadel sprechen, weil bei einer
einfachen Nadel nicht recht einzusehen ist, welche Kraft die Spitze
stark nach aussen drängen soll.
267
Am leichtesten freilich dürfte die differentielle Diagnose dadurch
gemacht werden, dass man den Penis über sein Borsum beugt, wodurch
das runde Ende der Haarnadel deutlich hervortritt.
In der Litteratur des letzten Jahrzehnts finden sich zwei einschlägige
Fälle verzeichnet, der eine ist von Güyon», der andere von Reginald
Bailey-, beschrieben. Guyon hatte die Haarnadel wohl durch einen
ähnlichen Schnitt entfernt, wie ich ihn gemacht habe. Bailey hingegen
sagt : " I cut down upon one point, and after this was able to force the
other through the glans ; then, by nipping off one of the arms as low
down as possible and gently twisting the other succeeded in getting
the remaining part quite free." Ich glaube nicht, dass diese Methode
zur Nachahmung herausfordert.
III.
Ueber Achjlia gastrica.
Von
Dr. Max Einhorn,
Privatdozent an der N. Y. Postgraduate Medical School und Arzt am Deutschen
Dispensary von New York.
(^Schluss.)
Fall 3. 1. October 1891. Frau Caroline P., 50 Jahre alt, leidet seit 20
Jahren an Magenbeschwerden (hatte zuerst Magenkrämpfe), später
kam Erbrechen hinzu; gewöhnlich trat das Erbrechen alle 3 Jahre
periodisch auf; seit einem Jahre brach sie beinahe jeden Tag und hatte
Schmerzen im Epigastrium. Appetit niclit gut. Stuhlgang angehalten.
Status praesens : ziemlich gut genährte, stattlich gebaute Frau ;
Farbe der Lippen und Wangen frisch und gesund. Zunge nicht belegt.
Brustorgane intact; am Magen lassen sich keine Klatschgeräusche
erzeugen. Epigastralgegend auf Druck schmerzhaft.
Den 5. Oktober 1891. 1 St. n. Probefr.: Der Mageninhalt kommt
schwer heraus, weil sich die Sondenfenster häufig mit Semmelstückchen
verstopfen; Reaction schwach sauer; HC1=0; Acid=^4; Milchsäure
kaum nachweisbar; Propepton wie Pepton nicht vorhanden; Lab und
Pepsin fehlen ; kein Schleim ; Achroodextrin # viel ; Erythrodextrin
= 0.
In Anbetracht des langjährigen Bestehens des Leidens und des
charakteristischen Mageninhaltsbefundes wurde gleich die Diagnose
auf „Achylia gastrica" mit aller Wahrscheinlichkeit gestellt, und diese
Diagnose durch das weitere Verhalten der Patientin bekräftigt.
1) Guyon, Corps etranger de l'urethre (epingle ä cheveux chez rhomme),
Journal de Med. et de Clin, practique, 1889.
2) Balley, Impaction of a Hairpin in the Male Urethra. Brit. Med. Journal,
1887.
268
Die später viele Monate hindurch (etwa einmal oder zweimal
monathch) vorgenommene Untersuchung des Mageninhalts ergab stets
das nämliche Resultat: Fehlen von Salzsäure, sehr geringe Acidität;
kein Pepton, kein Propepton, weder Lab noch Pepsin; keine Schleim-
beimengung; die Semmelstückchen ganz unverändert.
Die Behandlung bestand zuerst in der Darreichung von Condurango,
HCl und Chloralhydrat bis zum 29. October 1891, allein das Erbrechen
war nicht verschwunden. Seit dem 30. October einmal wöchentlich
directe Faradisation des Magens, seitdem kein Erbrechen. Appetit
noch immer nicht gut, aber doch besser als vorher.
In Bezug auf die Diät wurde Patientin angewiesen, die Nahrung
möglichst fein zu zerkleinern; sie nahm Kumyss, Fleischpulver, ge-
riebene Krackers und Eier in Brühe durchgeschlagen.
Während des Winters haben sich die Schmerzen, über die Patientin
zu klagen pflegte, beinahe ganz verloren, und sie konnte mehr essen;
an Gewicht hatte Patientin weder zu- noch abgenommen, aber der All-
gemeinzustand war so gut, dass von der Elektrisation abgesehen
werden konnte.
Am 10. April 1892 war das Resultat der Magenuntersuchung, eine
Stunde nach dem Probefrühstück, genau wie oben angegeben.
Fall 4. Achyliagastrica, complicirt mit R u m i n a t i o.
August B., 52 Jahre alt, Schreiner, war stets gesund und hat seit 20
Jahren keinen Arzt gebraucht, litt als Junge an häufigen Kopf-
schmerzen, Leibweh und Abweichen bis zum 20. Lebensjahre; als
Grund für die Leibschmerzen giebt Patient den Umstand an, dass er
unter erbärmlichen Verhältnissen auferzogen wurde, — er hatte gewöhn-
lich wenig zu essen, — ab und zu jedoch arbeitete er bei Bauern auf dem
Lande, wo es viel des Guten zu essen gab, und hier pflegte Patient
seinen Magen zu überladen.
Fleisch hatte Patient als Knabe vom 5. bis zum 14. Lebensjahre nicht
bekommen ; seine Hauptnahrung bestand aus : Kartoffeln, Mehlsuppe,
Brod, Wassersuppe nur als Extra ; Fleisch bekam er nur, wenn er
gelegentlich bei Verwandten zu Besuch war ; Buttermilch, Kaffee hatte
Patient nicht gern ; sobald er jedoch bei seinen Geschwistern zu
Besuch war, pflegte er etwas Kaffee zu trinken, damit er den Zucker
bekomme, der mit demselben servirt wurde.
Seit Patient sich erinnern kann, pflegte er oft nach dem Essen (etwa
eine halbe Stunde später) das Genossene wieder heraufzubringen, zu
kauen und wieder zu verschlucken ; er pflegte Kirschen zu essen, und
erst später beim Hochbringen aus dem Magen in den Mund die Kerne
auszuspucken.
Dieses Heraufbringen der Nahrung pflegte Patient hauptsächlich
dann zu thun, wenn er sich gut fülilte ; beim zweiten Male des Kauens
hat er denselben Genuss wie beim ersten ; oft kommt das Essen bissen-
weise hoch, ohne dass Patient viel daran gedacht hat. Erbrechen hat
Patient fast niemals, nur wenn er sich betrinkt, — was etwa zweimal
269
während seines Lebens vorgekommen ist, — war Erbrechen da, ebenso
auf einer Seereise nach Deutschland, sonst nie.
Patient pflegt schnell zu essen, und die harten Sachen kaut er dann
später ordentlich durch.
Patient kann die Rumination zu jeder Zeit hervorbringen, ausser
wenn der Magen nur sehr wenig enthält, oder beinahe leer ist.
Wenn Patient die Rumination ausül^t, macht er es so, dass es
Niemand merkt ; er pflegt dies Niemand zu sagen, und selbst seine
Frau weiss nichts davon.
Status praesens : kräftig gebauter Mann von kleiner Statur, ist
sehr gut genährt und mit reichlichem Fettpolster versehen: Brust-
organe intact ; Magen dilatirt, untere Grenze reicht bis 1 Finger breit
oberhalb des Nabels. Patient hat keinerlei Klagen, hat guten Appetit,
regelmässigen Stuhlgang und fühlt sich in jeder Hinsicht gesund.
Das Einzige, was ihm auffällt, und weswegen er lange Zeit in
Deutschland behandelt wurde und später zu mir kam, ist seine belegte
Zunge.
Den 27. October 1891. 1 St. n. Probefr.: Patient bringt spontan eine
kleine Menge Inhalts herauf (etwa 20 cc). Mit dem Schlauch kann
gleichfalls nur eine geringe Menge (20 cc.) gewonnen werden. Die
Semmelstücke sind nicht fein zertheilt und beinahe unverändert.
HCl = 0 ; Acid = 2 ; Milchs. ? ; Lab = 0 ; Propepton = 0 ; Pepton
= 0 ; Erythro dextrin = 0.
Meltzer's Schluckgeräusche : Patient trinkt Wasser ; beim ersten
Schluck hört man sofort das Durchschlürfen des Wasser (Darchspritz-
geräusch) ; beim zweiten Schluck (der nach etwa 1 bis 2 Minuten aus-
geführt wurde) hört man das Durchpressgeräusch nach etwa 8 Secun-
den ; beim dritten Schluck hört man sofort das Durchspritzgeräusch
und nach 10 Secunden ein Durchpressgeräusch.
Während dreier Monate hatte ich Gelegenheit Prüfungen des
Mageninhalts bei Patienten vorzunehmen, und fand immer das oben
beschriebene Resultat.
Dieser letzte Fall ist in vieler Hinsicht hochinteressant. Zunächst
sehen wir, dass sich die Achylia gastrica bei einem finden kann, der
seitens seines Verdauungstractus sich keinerlei Beschwerden bewusst
ist und sich vollkommener Gesundheit erfreut.
Die anamnestischen Daten, die uns Patient liefert, scheinen darauf
hinzuweisen, dass die Magenanoraalie in seiner frühen Jugend entstan-
den ist ; denn nur damals schien er Beschwerden gehabt zu haben, —
später hat er jedoch gar keine Krankheit durchgemacht. Dieses würde
somit deutlich zeigen, dass die Achylia gastrica 40 Jahre hindurch
bestehen kann, ohne die Lebensfunctionen des Organismus zu ge-
fährden.
Aetiologisch von Wichtigkeit ist die Angabe des Patienten, dass er
in seiner frühesten Jugend gar kein Fleisch oder sonstige eiweissreiche
Nahrung gegessen hatte ; da der Magen im Sänglingsalter einen Saft
270
absondert, der nicht reich an Salzsäure ist (s. meine Arbeit') im Y.
Medical Journal" : The time required for the Stomach Digestion of
different Foods in Infancy.), so wäre es denkbar, dass sich bei unserem
Patienten diese Eigenschaft des Magens, einen sauren Saft zu liefern,
nicht weiter entwickelt hat, — weil der saure Saft bei der spärlichen
hauptsächlich aus Vegetabilien bestehenden Kost des Patienten, wo sich
fast ausschliesslich Amylaceen vorfanden, nicht nur von keinem Nutzen,
sondern eher nachtheilig für die Verdauung wäre (bekanntlich wird die
Stärkeumwandlung in Zucker durch eine massige Menge Säure gestört),
so würde der Magen in den ersten Jahren des Knabenalters nur wenig
HCl. geliefert haben, und später event. noch durch Hinzukommen
anderer störender Einflüsse (acute Magenkatarrhe etc.) ganz und gar
seine Secretionsfähigkeit eingebüsst haben. Das Wiederkäuen Hesse
sich hier ätiologisch durch die früh entstandene Achylia gastrica oder
Magensaftlosigkeit erklären. Denn bei der Achylia bleiben die vege-
tabilischen Speisestückchen, dadurch, dass das einhüllende Pflanzen-
ei weiss nicht gelöst wird, unzerkleinert im Magen liegen, wie dies
Reichmann2) angegeben hat; die Stärkekörnchen, deren Hüllen noch
nicht mechanisch im Munde geöffnet worden sind, entgehen so der Um-
wandlung in Zucker ; es ist also das feine Zerkleinern der Speisen das
beste Mittel, um diesem Uebelstande Abhülfe zu thun.
Vielleicht hat sich hier so aus teleologischen Gründen das Wieder-
käuen—wodurch der Patient in Stand gesetzt wird — eine feine Zer-
kleinerung der Speisen beim abermaligen Kauen vorzunehmen, aus-
gebildet.
Betrachtungen.
Gehen wir von neuem kurz die angeführten Fälle von Achylia
gastrica durch, so finden wir, — falls wir von dem vierten, zuletzt be-
schriebenen Fall, in dem keinerlei Beschwerden sich vorfanden, ab-
sehen, — dass die Klagen der betreffenden Patienten Bezug hatten auf
häufiges Erbrechen, Appetitlosigkeit und Gefühl von Völle oder
Schmerzen in der Epi- und Gastraigegend.
Das Aussehen der Pat. war ein gutes, d. h. sie waren gut genährt
und keineswegs mager oder krank aussehend, mit Ausnahme von Fall
2, der aber seit begonnener Behandlung nichts am Körpergewicht ein-
gebüsst hatte.
Im nüchternen Magen fand sich im Fall 1 und 2 in der ersten Zeit
eine kleinere Menge trüber Flüssigkeit von alkalischer Eeaction vor,
welche viele zerstörte Epithelzellen enthielt, — nach kurzer Behand-
lungszeit war der Magen leer ; in den beiden anderen Fällen war der
Magen nüchtern leer.
In allen vier Fällen hatte der Mageninhalt eine bis 1^ Stunden nach
Ewald's Probefrühstück folgende Eigenthümlichkeiten :
1. Die Semmelstückchen nicht fein zerkleinert und unverändert.
1) Max Einhobn. The Time required in the Stomach Digestion of Different
Foods in Infancy. N. Y. Medical Journal, July 20th, 1889.
?) Reichmann, Deutsche med. Wochenschr. 1889, No. 7.
271
2. Keaction sehr schwach sauer oder neutral, gewöhnlich betrug die
Acidität 4 (d. h. 100 cc. Mageninhalts-Filtrat werden durch 4 cc. Vio
Normalnatronlauge gesättigt).
3. Salzsäure war nicht vorhanden.
4. Milchsäure in Spuren yorhanden, aber erst nachweisbar nach
Aetherausschüttelung.
5. Weder Propepton, noch Pepton vorhanden.
6. Die Pepsin- und Labfermentproben fallen negativ aus.
7. Der Mageninhalt riecht nicht schlecht und zeigt auch sonst keine
Erscheinungen der Zersetzung.
Die oben angeführten klinischen Punkte in Verbindung mit dem
Ergebniss der Magenuntersuchung machen die Diagnose auf Achylia
gastrica sehr leicht.
Die Behandlung hat ihren Hauptschwerpunkt auf die feine mecha-
nische Zerkleinerung der Nahrung vor dem Genüsse zu legen, — da
der Magen selber durch den Wegfall der Eiweiss lösenden Kraft, wie
bereits oben erwähnt wurde, nicht im Stande ist, das die Stärke-
körnchen umgebende Eiweiss zu öffnen.
Tonisirende Mittel des Magens, wie Ausspülungen und directe
Faradisation erweisen sich von Nutzen.
HCl. erwies sich nur in einem der Fälle von Vortheil, in den anderen
schien es nicht viel Einfluss zu haben. Pancreatin, welches von Keich-
MANN, Ewald') und Boas empfohlen worden ist, habe ich nur in einem
Fall angewandt ohne entscheidende Wirkung.
Den Verlauf der Krankheit seit der Behandlung betreffend, scheint
es mir, als ob der Nutzen, der durch die Diätregulirung eintritt, ein
bedeutender ist. In den drei Fällen wo Beschwerden bestanden hatten,
gelang es, das Erbrechen für die Dauer zu coupiren und auch die
sonstigen Klagen der Patienten herabzusetzen.
In allen Fällen von Magensaftlosigkeit vollzieht sich der Verdau -
ungsact vornehmlich im Darm ; ich sage nicht ausschliesslich, weil die
Stärkeumwandlung in Zucker, soweit die Stärkekörnchen frei sind,
im Munde begonnen und im Magen gerade hier beinahe zu Ende
geführt wird ; wohl aber muss alles Eiweiss auf seine Verarbeitung bis
zur Ankunft in den Darm warten. Sind die Speisen recht fein zer-
kleinert, so tritt die vicariirende Darmthätigkeit leichter ein, und die
Ernährung des Organismus kann so unbeeinträchtigt von statten
gehen. Schafft der Magen seinen Inhalt zur rechten Zeit nach dem
Darm, und ist letzterer im Stande, die von ihm jetzt verlangte ver-
grösserte Arbeit zu leisten, so ist hiermit ein Compensationszustand
vorhanden, und der Organismus wieder im Gleichgewicht ; in diesem
Falle können die betreffenden Individuen viele Jahre hindurch selbst
ohne Beschwerden leben.
Wenn wir vom Falle 4 Schlüsse ziehen dürften, so würde es
scheinen, als ob die Compensation in der frühen Jugend leichter ein-
1) C. A. Ewald, Klinik der Verdatningskrankheiten.
272
treten und eine vollständigere sein kann. Denn, während alle drei
anderen Fälle sich nach der ihnen vorgeschriebenen Diät zu richten
habcD, um sich im Gleichgewicht zu erhalten, ist dies bei Patienten 4
nicht der Fall ; er isst alles und verträgt es gut ; das Wiederkäuen
allein dürfte wohl nicht diesen Unterschied bewirkt haben, sondern
unterstützt mit der sehr früh eingetretenen Gewöhnung des Darms,
die Magenfunctionen zu ersetzen.
Nach obigen Auseinandersetzungen kann somit die Achylia gastrica
nach eingetretener Compensation unbeschränkt viele Jahre hindurch
bestehen (Fall 4 befindet sich wohl in diesem Zustand seit seiner
frühesten Jugend, also etwa 40 Jahre ; Patient L. T. hat sich in den
vier Jahren nach begonnener Behandlung nicht verschlechtert). Diesen
Punkt möchte ich deswegen besonders hervorheben, als bisher in der
Litteratur sich keine Angaben darüber finden.
Pathologisch-anatomisch dürfte man eine vollständige Atrophie der
Magenschleimhaut in allen Fällen von Magensaftlosigkeit mit ziem-
licher Sicherheit annehmen, obwohl dies noch nicht thatsächlich fest-
gestellt worden ist.
Die Aetiologie der Achylia gastrica ist gleichfalls noch nicht mit
Sicherheit bekannt. Es wird angenommen, dass schwere katarrhalische
Zustände des Magens zur Atrophie und somit zur Achylie führen.
Jaworski und Boas') haben deswegen die Form des Magenkatarrhs,
welche mit einer erheblichen Herabsetzung der Salzsäureausscheidung
und ohne Schleim bildung einhergeht, als die atrophische Form bezeich-
net: „Catarrhus chron. atrophicans". Ich selber hatte Gelegenheit,
mehrere Fälle von Magenerkrankang, wo Krebs mit Sicherheit aus-
geschlossen wurde, mit stetem Fehlen der Salzsäureausscheidung aber
mit Vorhandensein des Pepsin- und Labfermentes zu beobachten,
ferner eine Dame ohne irgend welche Beschwerden von blühendem
Aussehen, welche dasselbe Verhalten des Magens zeigte. Diese Fälle
habe ich^) in meiner Arbeit „ Therapeutic Kesults of Direct Electriza-
tion of the Stomach " genau beschrieben. Würde man die Beobachtung
machen, dass in diesen Fällen von Salzsäuremangel mit der Zeit auch
die Fermente für immer verschwinden, so wäre damit die Entstehung
der Achylia gastrica aus den schweren Formen des Magenkatarrhs
gegeben.
Vorläufig liegen derartige Beobachtungen noch nicht vor, und
würde es sich empfehlen in Zukunft auf diese Punkte zu achten.
1) I. Boas. 1. c.
2) Max Einhorn. Therapeutic Eesults of Direct Electrization of the
Stomach, N. Y. Medical Record, January 30th and February 6th 1892.
273
NEW YORKER MEDICINISCHE MONATSSCHRIFT.
Organ für praktische Aerzte in Amerika.
Redigirt von
Dr. f. C. heppenheimer.
EDITORIELLE NOTIZEN.
15. Juli 1892.
Zur Aetiologie des primären Larynxcroup.
Unter diesem Titel erschien soeben in der deutschen medicinischen
Wochenschrift eine Arbeit von Eng. Fraenkel (Hamburg), welche allge-
meines Interesse in Anspruch nehmen muss. Während nämhch hin-
sichtlich der Aetiologie des sogenannten primären Rachencroup, d. h.
der mit Exsudation fibrinöser Pseudomembranen auf den Gebilden des
Rachens einhergehenden, sehr häufig auf Larynx und Trachea über-
greifenden, als genuine Rachendiphtherie oder Synanche contagiosa
bezeichneten acuten Infectionskrankheit, fast allgemeine Einigkeit dar-
über besteht, dass der Klebs-Löffler'sche Bacillus als der Erreger die-
ser Affection betrachtet werden muss, — ist die Frage nach der Ur-
sache der auf die Luftwege beschränkten, die Rachenorgane freilassen-
den, gleichfalls pseudomembranösen Entzündung, welche als primärer
Larynxcroup bekannt ist, noch keineswegs als abgeschlossen zu be-
trachten, insofern dieses Leiden noch von Vielen als ein von dem
genuinen Rachencroup principiell verschiedenes aufgefasst wird. — F.
hat nun an drei tödtlich verlaufenen Fällen von primärem Larynxcroup,
wo die Section gemacht werden konnte und ein vollkommenes Intact-
bleiben der Rachenorgane aufgefunden wurde, nachgewiesen, dass die
den Larynx und Trachea überziehenden Pseudomembranen den
Klebs-Löffler'schen Bacillus enthielten. Die Identität der gefundenen
Bacillen mit dem Klebs-Löffler'schen wurde durch das Mikroskop,
durch Anlegung von Culturen, durch ihre Reaction auf Bouillon (dieser
Bacillus machte nämlich Bouillon ijach zweitägigem Wachsthum in
dieser sauer und nach weiteren 2 — 3 Tagen wieder alkalisch, eine Eigen-
thümlichkeit, welche nach Verfasser nur den echten Diphtheriebacillen
zukommt) und durch das Thierexperiment nachgewiesen. Durch diese
Ergebnisse seiner Untersuchungen hält sich Fraenkel für berechtigt,
in Bestätigung der von einzelnen früheren Autoren bezüglich dieser
Frage erhaltenen Forschungsresultate, den idiopathischen Croup des
Kehlkopfes ätiologisch als identisch mit dem die genuine Rachendiphtherie
so häufig begleitenden Croup der Luftwege zu erklären, d. h. ihn als durch
den Effect des Klebs- Löffler'schen Bacillus entstanden aufzufassen.
274
FEUILLETON.
Aerztliche Denkwürdigkeiten ans dem Feldzug Napoleons von 1812
gegen Rnssland.
Von
Dr. A. ROSE.
Die Litteratur der Denkwürdigkeiten aus der Kriegszeit zu Anfang
unseres Jahrhunderts ist, wenn sie auch in den letzten 25 Jahren kaum
noch eine wesentliche Bereicherung erfahren hat, sehr umfangreich.
Neben den Werken, welche Aufschlüsse über grosse Fragen der
Kriegsgeschichte und Politik jener Zeit geben, verdienen manche Auf-
zeichnungen der Erlebnisse einzelner Theilnehmer jenes Feldzuges die
Beachtung eines jeden, der die Geschichte jener denkwürdigen Zeit
kennen lernen will.
Unter den vielen derartigen Veröffentlichungen fiel mir wegen
ihrer schlichten, den Eindruck der Wahrheit machenden, und ergrei-
fenden Darstellung eine von Ch. Jo. von Scherer (Reg. Ord. civil merit.
eques Stuttgardtianis) im Jahre 1820 der medicinischen Facultät,
Präsid. F. G. Gmelin, pro graduDoct. Medic. eingereichte Dissertation:
Historia morborum, qui in expeditione contra Russiam anno 1812 facta
legiones Wuerttembergicas invaserunt, praesertim eorum, qui frigore
orti sunt, auf.
In der Voraussetzung, dass diese Dissertation wohl wenigen bekannt
sein dürfte, will ich einen x4.uszug aus derselben geben, und im Anschluss
daran noch andere, aus verschiedenen ärztlichen Memoiren über jenen
Feldzug von 1812 zufügen.
Die Krankheiten, von denen die Soldaten in Russland befallen wur-
den, dehnten sich zwar über die ganze Expedition aus: v. Scherer
spricht jedoch nur von den Bemerkungen, die sich ihm namentlich
unter den Württembergern (14 — 15 tausend Mann stark), bei denen er
in diesem Feldzuge theils beim Regiment, theils in Spitälern als Arzt
war, darboten.
Die im Jahre 1812 gegen Russland ausgerüstete Expedition war in
10 Divisionen abgetheilt, deren jede 50—60 tausend Mann zählte; alle
gesunde, kräftige und zum grössten Theil durch langen Dienst körper-
lich und geistig erstarkte Leute. Die Württemberger standen unter
dem Infanterie-General Grafen von Scheeler und dem französischen
Geueral Marchand; den Oberbefehl führte Ney. Anfang Mai kam das
Heer an den Grenzen von Polen an, von da betrat es nach beschwer-
lichen Eilmärschen in der Glitte des Juni die Ufer des Niemen, der die
Grenze zwischen Polen und Litthauen bildet. Eine ungeheure Solda-
tenmasse stiess bei der Stadt Kowno zusammen, ging am 18. Juni auf
zwei Schiffsbrücken über den Fluss, und stellte sich auf dem jenseitigen
Ufer, unter den Augen des Kaiser's, in unabsehbaren Reihen in
Schlachtordnung.
Aber schon der mühsame Tag und Nacht fortgesetzte Marsch durch
das sandige Polen, die beinahe afrikanische Sonnenhitze bei Tag, die
Kälte bei Nacht in Verbindung mit Gewittern aus Norden, das Bivoua-
kiren oft auf blosser durchnässter Erde, der überhandnehmende
Mangel an reinem Wasser und frischen Lebensmitteln, die aus dt m
Sande auf dem Wege aufgejagten ungeheuren Staubmassen, die gleich
einer schwarzen Wolke den Zug auf viele Meilen bedeckten, alles dies
hatte die Kräfte der Soldaten schon am Anfang des Feldzugs ge-
schwächt. Viele erkrankten, noch ehe sie über den Niemen kamen.
275
Der Zug durch Litthauen wurde ebenso beschleunigt, wie der durch
Polen, der Mangel an Lebensmitteln nahm zu, das Fleisch von erbeu-
tetem, theils durch Hunger, theils durch Ermüdung gefallenem Vieh,
war lange das einzige Nahrungsmittel der Soldaten, welches, zumal da
es nicht gehörig gekocht wurde, den erschöpften Kräften der Soldaten
nur sehr wenig aufhalf. Mehl und Brod fehlten ganz, und selten nur
konnte man etwas Branntwein erhalten. Die ungeheure Hitze, der
eingeathmete brennende Sand trockneten beinahe alle Feuchtigkeiten
des Körpers aus; umsonst verlangte der Durstende nach einem er-
quickenden Trünke Wassers, oft gewährten Pfützen und stinkende,
von Würmern wimmelnde Teiche die einzige Gelegenheit zur Löschung
des Durstes. Die gemeinen Soldaten Hessen sich beim Vorbeigehen
an einem Sumpfe nicht abhalten, haufenweise auf das unreine Wasser
zu stürzen und es ohne Maass \md Ziel zu verschlucken.
So betrat das Heer, im höchsten Grade ermüdet und die Anlage zu
Krankheiten in Folge von Ueberanstrengungen und Mangel an Lebens-
mitteln in sich tragend, den feindlichen Boden.
Noch dauerten die Eilmärsche während der Tageshitze fort, durch
brennenden Sand und staubschwangere Luft; jetzt folgte auf die
drückende Hitze schlechtes Wetter, Kegen und kalte Winde in seinem
Geleite.*)
Mit dem unbeständigen Wetter trat zuerst eine allgemeine Diarrhöe,
die sich schon nach dem Uebergang über den Niemen grezeigt, heftiger
auf. Schnell wurden sehr viele davon befallen, unzählige traten, mit-
ten auf dem Marsche, aus den Reihen. Von dem am Morgen verlasse-
nen bis zu dem am Abend bezogenen Lager war der Weg, den das Heer
nahm, von den fortwährenden stinkenden Ausleerungen solcher Kran-
ken verunreinigt. Die Zahl derselben war zu gross, als dass alle, na-
mentlich nach eingetretenem Mangel an Gegenmitteln, ordnungsmässig
hätten behandelt werden können. Viele, die nicht weiter konnten,
blieben am Wege liegen und erhoben sich nur mit grosser Anstren-
gung, um dem Zuge sich nachzuschleppen ; einige, bei denen sich zur
Diarrhöe noch ein anhaltendes Fieber gesellt hatte, starben schon in
den ersten acht Tagen. Bei ihrer Sektion fand sich im Darmkanal
nichts Besonderes.
Indess stemmte sich der grössere Theil des Heeres muthig gegen
das umgreifende Uebel ; doch umsonst. Bald erlag auch die stärkste
Constitution, entblösst von aller Hülfleistung, besonders von vegetabi-
lischer, namentlich mehliger Nahrung, aller Pflege und allen Arznei-
mitteln ; so dass das Uebel, dem keine Schranken mehr gesetzt werden
konnten, zumal da auch das übrige Ungemach gleichmässig fort-
*) Ein Gewitter aus jener Zeit beschreibt Larrey in seinen Memoiren.
Am 10. Juli sollte bei VVilua um 4 Uhr Nachmittags eice Kevue stattfindeD,
zu der Larrey mit seinem Sanitätscorps befohlen war. Sie begann erst um 6
Uhr. Das Wetter war heiss und ruhig, aber schwere Wolken bedeckten den
Himmel und drohten mit einem Sturm, welcher in der That bald ausbrach.
Als die Trompeten das Zeichen des Eintreffens des Kaisers Napoleon gaben,
ertönte zugleich der Donner ununterbrochen, ein entsetzlicher Sturm erhob
sich, der Himmel war so verdunkelt, dass man sich aus sehr kurzer Entfernung
nicht erkennen konnte, ausser beim Leuchten des Blitzes. Ein starker Hagel,
durch heftige Winde getrieben, verursachte, dass die Keihen gebrochen wurden
und zwang die meisten Reiter abzusteigen, um nicht abgeworfen zu werden.
Die erschreckten Pferde suchten zu fliehen und warfen sich aufeinander.
Durch Ströme Kegen und Hagel waren wir im Augenblick durchnässt. Die
Kavue musste abgebrochen werden. Napoleon und sein Stab war genöthigt,
nach der Stadt zurückzukehren. Larrey sagt, dass er niemals einen solchen
Sturm erlebt und fragt sich, ob dies wohl die Warnung vor dem die Armee
erwartejiden Unglück gewesen sei?
276
dauerte, bald den höchsten Grad erreichte. Die anfänglich einfache
und mehr rheumatische Diarrhöe ging bald in völhge Ruhr über, die
jedoch nicht den gewöhnlichen, sondern mehr einen faulen Character
hatte. Allgemein griff diese um sich, so dass, als das Heer an dem Ufer
der Düna angelangt war, schon Tausende von den Württembergern in
den Feldlazarethen lagen, und viele starben. Auf dem Wege, den das
Heer nahm, besonders da, wo man des Nachts das Lager aufschlug,
war die Luft durch die flüssigen, blutigen und aashaften Ausleerungen
weithin verpestet. Auch die mit möglichster Strenge angeordnete Ab-
sonderung der Gesunden von den Kranken in den nächtlichen Lagern
konnte dem Umsichgreifen des Uebels keinen Einhalt thun. Jeden
Morgen fanden sich unter dem kleinen württembergischen CJorps oft 30
und darüber, die über Nacht gestorben waren, und das nicht nur
solche, welche schon krank angekommen waren, sondern auch viele,
die man am Abend noch unter die Gesunden gezählt hatte. Jedes
Nachtlager Hess sich an den vielen Todtenhügeln erkennen. Bei vielen
für kräftig gehaltenen Leuten trat plötzlich auf dem Wege Nerven-
erschoepfnng ein. Sie waren nicht mehr im Stande, sich von der Stelle
zu bewegen : eine völlige Lähmung hatte sie ergriffen. Jetzt folgten
plötzlicher Schwindel, unauslöschlicher Durst, Schmerzen über den
Augen. Ohne Fieber, mit ganz langsamem Pulse und ohne irgend einen
Schmerz im Unterleibe starben sie schnell, oft im Augenblicke und mit
völliger Besinnung.
Bei der Oeffnung derer, welche an der Ruhr gestorben waren,
fanden sich mehr oder weniger Störungen in den Ernährungs-
organen ; der Magen und die dicken Gedärme, namentlich der Mast-
darm waren entzündet, die innere Haut des Magens, des Zwölf-
fingerdarms, zuweilen des ganzen Darmkanals völlig erschlafft und
welk. Bei einigen kamen kleine Geschwüre mit gezacktem Rande im
Magen, besonders dessen Grunde, und im Mastdarm zum Vorscheine;
bei anderen hatte die Ruhr so um sich gegriffen, dass sich ziemlich
grosse Geschwüre, die von dem Magen in die dünnen, und vom Mast-
darme in die dicken Gedärme sifh erstreckten, von der Grösse einer
Linse bis zum Durchmesser eines halben Zolles gebildet und beim Zu-
nehmen der Krankheit die innere Haut, die eigenthümliche und die
Muskelhaut, höchst selten aber die vom Bauchfelle herkommende
Haut durchlöchert hatten ; bei vielen zeigten sich auf dem Grunde des
Magens und im Verlauf des Darmkanals brandige Stellen. Der gänz-
lich zersetzte Magensaft roch scharf sauer : die sehr häufig miss-
farbige Leber enthielt eine bläuliche Flüssigkeit, die Gallenblase war
in der Regel leer, oder enthielt nur wenig Galle ; der untere Theil der
Leber war meist verhärtet und bläulich. Die Gekrösdrüsen waren meist
entzündet, bisweilen eiterig, die Gekrös- und Eingeweide-Gefässe oft
wie in Blut getaucht.
In dieser Periode der Krankheit litten die Kranken bisweilen an
Bauchschmerzen, zeigten grosse Begierde nach Nahrung, besonders
vegetabilischer ; waren aber gerade in diesem Zeiträume schnell und
gänzlich ohne Fieber. Oft gingen sie mit Tornister und Waffen munter
dahin, setzten sich aber plötzlich nieder und gaben den Geist auf. Um
eben diese Zeit verfielen viele, und zwar die kräftigsten, in Melancholie,
und legten Hand an sich selbst. Auffallend schnelles Verderben be-
reitete auch der unmässige Genuss des Branntweins.
Der schädliche Einfluss desselben zeigte sich namentlich bei einigen
württembergischen Abtheilungen, die in den ersten Tagen des Juli,
während des Marsches, auf Requisition ausgeschickt worden waren
und eine grosse Menge dieses Getränks auf den Edelhöfen entdeckt,
sich ausser der ihnen zugemessenen Portion noch eine grössere Quan-
tität verschafft und unmässig getrunken hatten.
277
Wer sich dem Braantweitigeausse zu sehr ergab, hatte den Tod um
so gewisser und schneller zu erwarten. Sehr oft erfolgte dieser plötz-
lich, und bei Eröffnung der Leichname ergab es sich, dass die Eingeweide
meistentheils völlig destruirt waren.
Die Zahl der Erkrankten betrug allein in der württembergischen
Armee auf dem Wege vom Niemen bis zur Düna dreitausend Mann, die
man in den Lazarethen von Malaty, Wilna, Disna, Strizzowan und Wi-
tepsk zurückgelassen hatte. Die Zahl der Todten nahm mit der Krank-
heit von Tage zu Tage zu. Auch die Anzahl derer, die auf dem Marsche
starben, war nicht gering. Die Zahl der in den einzelnen Spitälern
Gestorbenen kann, da die Namenslisten verloren gingen, nicht genau
angegeben werden ; mit Ausnahme dessen von Strizzowan, dessen Be-
sorgung von Scherer sechs Wochen lang oblag. In diesem starben
von 902 Kranken in den ersten 3 Wochen 310, in den folgenden 3
Wochen, während welcher die Kranken eine bessere Pflege genossen,
nur 36, im Ganzen also 34G, worunter 2 Oöiziere.
(Fortsetzung folgt.)
REFERATE.
Krankheiten des Circulations- und Verdauungsapparates.
Referirt von Dr. MAX EINHORN.
1. Die Ernährung mit Kohlehydraten und Fleisch oder auch mit Kohle-
hydraten allein. Von Eduard PÄüger. (Arch. für Physiologie, Bd.
5'2, Heft 5 und 6.)
In einer sehr ausführlichen Arbeit über obiges Thema kommt
Pfloeger zu folgenden Ergebnissen :
1. Sehr oft reicht das zersetzte Eiweiss nicht aus, um das neugebil-
dete Fett zu erklären, während nur Stärke oder Fleisch und Stärke ge-
füttert worden ist.
2. Mastfett bildet sich nur, wenn ein Nahrungsüberschuss von
Kohlehydraten vorhanden ist. Ist diese Bedingung nicht erfüllt, so
entstellt selbst bei grösster „Ueberschwemmuug" des Körpers mit
Kohlehydrat kein Fett. Das neugebildete Fett ist von gleichem
Kraftinhalt wie der aus Kohlehydraten bestehende Nahrungsüber-
schuss.
3. Mastfett entsteht nicht bei noch so grossem Ueberschuss von
Eiweissnahrung, wenn keine Kohlehydrate gleichzeitig gereicht werden.
4. Bei Eniälirung mit Fleisch und Stärke oder allgemein mit ge-
mischtem Futter hängt die Menge des neugebildeten Fettes in keiner
Art davon ab, wie viel Eiweiss sich zersetzt, sondern nur wie gross der
aus Kohlehydraten bestehende Nahrungsüberschuss ist.
Selbst dann findet noch Fettmast aus Kohlehydraten statt, wenn
gar kein Eiweiss gefüttert) wird und der Stoffwechsel deshalb auf
Kosten eines Theiles des Körpereiweisses mit unterhalten wird.
2. Hämatometrische Untersuchungen zur Kenntniss des Fiebers.
Von Dr. H. Stein. (Centralbl. f. Klin. Med. 1892, No. 23.)
5. suchte vermittelst der letzthin erfundenen Methode der Dichtig-
keitsbestimmung des Blutes (Hammerschlag) die von Maragliano und
Anderen erörterte Frage, ob im Anstieg der Fiebertemperatur, bei
spontaner oder künsthcher Entfieberung, und ob ferner unter dem Ein-
278
fluss gefässerweiternder Mittel Veränderungen im Blute selbst auf-
treten.
S. kam nun zu folgenden Kesultaten :
Schwankungen der Körpertemperatur gehen mit Schwankungen der
Getassweite und in der Mehrheit der Fälle auch mit Veränderungen
der Blutdichte einher.
Hinsichtlich der arzneilichen Erweiterung der Gefässe beim nicht
fiebernden Menschen waren die Ergebnisse nicht so klar. In der
Mehrheit der Fälle wurde jedoch auch hier mit dem Eintritt der Ge-
fässerweiterung Abnahme der Blutdichte constatirt.
Gynaecologie. Referirt von Dr. BRETTAUER.
The Operative Treatment of Retro-Displacement of the Uterus. By
C. C. Frederick, M. D. (Buff. M. & S. J., 1892, No. 10.)
Nach einer kurzen Einleitung, in der Verf. der Rückwärtslagerun-
gen der Gebärmutter als einer der Ursachen des bei so vielen Frauen
gestörten Allgemeinbefindens erwähnt, wird speciell auf die Gefahren
des retroflectirten schwangern Uterus aufmerksam gemacht. Die
Fälle bei denen operatives Eingreifen indicirt ist, werden in zwei Cate-
gorien getheilt.
1. Solche bei denen der reponirte Uterus nicht durch ein Pessar in
seiner normalen Lage erhalten werden kann, und 2. solche, bei denen
die Aufrichtung nicht gelingt.
Verf. führt verschiedene Operationsmethoden an, hat aber selbst
nur die Annähung des Uterus an die vordere Bauchwand ausgeführt.
Es werden folgende Schlüsse gezogen :
1. Bei Rückwärtslagerungen combinirt mit Cervix- oder Perinaeal-
Rupturen sollten die letztern unbedingt auch operirt werden.
2. Retroflexionen, die im Douglas fixirt sind, können nicht (?) manuell
aufgerichtet werden, wenn die Adhäsionen alte sind ; es muss (?) La-
parotomie gemacht werden.
3. Keine Verlagerung erheischt operatives Eingreifen, wenn sie
keine Beschwerden macht.
The Treatment of Posterior Displacements of the Uterus with the
Utero-Vaginal Ligature. By Dr. H. J. Boldt. (The Med. News,
April 25th, 1891.)
In dieser kleinen Arbeit tritt Verf. sehr für die von Dr. A.
ScHüCKiNG im Central blatt für Gynäkologie, 1888, No. XII, vorgeschla-
gene Operation ein. Leicht beweglicher retroflektirter Uterus, der
entweder durch ein Pessar nicht in normaler Lage gehalten wird, oder
der nur durch beständiges Tragen des Pessars in derselben bleibt, die
Patientin aber von dem Uebel vollständig geheilt sein will, wird als
Indication angegeben. Es folgt in Kurzem die Beschreibung des Ope-
rationsvorganges, wobei auch die von Thieme und Zweifel empfohle-
nen Modificationen Erwähnung finden. Selbst hat Verf. die Operation
neun Mal ausgeführt, wovon zwei erfolglos blieben.
Die Hauptgefahr bei dieser Operations weise, d. i. die Verletzung der
Blase beim Durchführen der von Schücking angegebenen Nadel durch
den Uterus, hält Verf. für sehr gering, ja gleich Null bei hinlänglicher
Vorsicht. Ihm selbst passirte es im ersten Falle, in Folge der Anwen-
dung einer nicht geeigneten Nadel.
Zum Schlüsse wird die Anzahl der von verschiedenen Operateuren
ausgeführten Operationen und deren Erfolge angeführt, im Ganzen 103
für statistische Zwecke verwerthbare Fälle, darunter acht Misserfolge.
279
Leichenversuche über das ^Schiicking'sche Verfahren der vaginalen
Fixation**. Von Dr. E.'Glaeser, Breslau. (Centralbl. f. Gynaek.,
1892, No. 21.)
Bei einer nach der ScHüCKiNo'schen Methode operirten Patientin
traten am nächsten Tage unerträgliche Schmerzen in Blasen- und
Nierengegead auf, so dass die Ligatur entfernt werden musste. Dieser
Umstand veranlasste Verf. die Operation an geeigneten Leichen auszu-
führen, um über die eventuell möglichen Nebenverletzungen Kenntniss
zu erlangen. Es wurde die Operation zehnmal genau nach der Angabe
Schücking's ausgeführt und dabei einmal die Blase durchbohrt und
einmal der rechte Ureter verletzt. Wenn auch die Verletzungen der
Blase, wie die klinischen Beobachtungen verschiedener Operateure be-
weisen, an und für sich nicht lebensgefährlich sind, so glaubt sich Verf.
doch veranlasst, gegen diese Operationsmethode, als vollständig harm-
los, aufzutreten. Nach seiner Ansicht ist es dem Operateur viel leich-
ter, die Gefahren der Ventrofixation zu vermeiden, als die der vaginalen
Ligatur.
Thirty-two Unselected Abdominal Sections. By Dr. Thomas Opie,
Baltimore, Md.
In tabellarischer Anordnung theilt Verf. seine Erfahrungen mit, die
er an 32 vom Vn 9Ö — ^'Ao 92 ausgeführten Bauchschnitten gemacht.
Es sind drei Todesfälle an septischer Infection, einer an Shock ange-
führt. Der Tabelle folgen kurze Bemerkungen über die einzelnen Er-
krankungen, die die Operation indicirt hatten. Von besonderm In-
teresse sind wohl die 6 Fälle, die unter der Rubrik „Chronische Oophori-
tis" einzeln erwähnt werden, von denen einer an Sepsis gestorben, zwei
von ihren frühern Beschwerden nicht geheilt und einer noch in Be-
handlung ist.
Erwähnung verdient ferner ein Fall von cystischer Degeneration
des Eierstockes, der durch eine übersehene Schwangerschaft im zwei-
ten Monate complicirt war. Nach Eröffnung der Bauchhöhle wurde
der Uterus vergrössert gefunden, und um die Ursache auszuflnden, so-
gleich die Cervix dilatirt, ein ca. sechs wöchentlich es Ei entfernt und
dann die beiderseitigen Ovarien entfernt. In der verdickten Wand des
linken Eierstockes wurde eine wallnussgrosse Cyste entdeckt.
In neun Fällen war die Heilung durch Eiterung der Stichkanäle ge-
stört, ohne jedoch dem Endresultate Eintrag zu thun. Verf. ist ent-
schieden gegen das zu häufige Auswaschen und Drainage der Bauch-
höhle ; er sah sich in nur drei Fällen genöthigt zu drainiren.
Perimetritic Cysts of Inflammatory Origin. By J. Schmitt, M. D. (Am.
J. Obst., Vol. XXV, No. 1, 1892.)
Unter dem Namen „Perimetritic Cyst" versteht Verf. die abgekap-
selten Exsudatreste nach sero-flbrinöser Pelveoperitonitis. Nachdem
S. kurz die Pathologie der Bauchfellentzündung: mit serös-flbrinösem
Exsudate erwähnt, befasst er sich eingehender mit der circumscripten
Entzündung des Beckenperitonasum. Dieselbe, selten acut im Puer-
perium oder bei Gonorrhoe, meistens durch chronisch entzündliche
Adnexenerkrankungen bedingt, kann ebenso wie die Primärerkrankung
infektiöser Natur sein, oder aber durch schädliche Einflüsse während
der Menstruation, Sondiren des Uterus, vaginale Ausspülungen u. s. w.
hervorgerufen werden. Den wohl hinlänglich bekannten Symptomen
Fieber, Schmerz, Erbrechen und Tympanitis, fügt Verf. als seltenes
Vorkommen noch die Ausscheidung von fibrinösen Massen aus dem
Uterus hinzu. In den meisten Fällen wird nach Ablauf des akuten
Stadiums das Exsudat resorbirt und nach einiger Zeit ist von der mit
280
so stürmischen Symptomen einsetzenden Erkrankung nicht die ge-
ringste Spur zurückgeblieben.
In andern Fällen kommt es nicht zur vollständigen Resorption, das
flüssige Exsudat ist von der Umgebung durch eine fibrinöse Wand ge-
schieden, die letztere wird dicker, die ganze Masse fühlt sich cystisch
an und kann jetzt die grössten Schwierigkeiten bei Feststellung der
Diagnose bereiten. Die Probepunktion wird als wichtiges Mittel für
die Differentialdiagnose angerathen, und speziell das erhöhte spezifi-
sche Gewicht der hellgelblichen klaren Flüssigkeit zur Unterscheidung
von Transsudaten verwerthet, was jedoch bei abgekapselten Exsuda-
ten tuberculösen Ursprunges nicht Anwendung finden kann. Beinahe
sichern Aufschluss gibt die Function, sollte es sich um die Differential-
Diagnose zwischen abgekapseltem Exsudatreste einerseits und eines
Beckenabszesses oder einer Haematocele retrouterina andrerseits
handeln.
Die Punktion der, Cyste oder wenn nöthig die Incision derselben an
der entweder der Scheide oder den Bauchdecken zunächst gelegenen
Stelle, hat die schnelle Heilung zur Folge. Die guten Erfolge die Verf.
von der Anwendung des Ichthyols bei der Behandlung der Pelveo-
peritonitiden gesehn, müssen erwähnt werden.
Kinderheilkunde. Referirt von Dr. SARA WELT.
Note sur un cas de recidive de coqueluche. Par P. Le Gendre. (Revue
des Mal. de L'Enfance, 1891.)
Bei der herrschenden Ansicht, dass ein einmaliges Befallenwerden
von Keuchhusten eine fast absolute Immunität dieser Krankheit ge-
genüber zur Folge hat, ist der berichtete Fall von Interesse.
Ein 25jährigeö Mädchen, welches in ihrem zehnten Jahre eine wohl
definirte Attaque von Keuchhusten durchmachte, erkrankte mit
Husten, Abmagerung und abendlichen Fieberbewegungen. Da die
Patientin einer .phthisischen Familie entstammte und Verdacht auf Er-
krankung der Luugen vorlag, wurde das Sputum auf Tuberkelbacillen
untersucht ; doch war das Resultat ein negatives. Bald jedoch ver-
änderte sich der Charakter des Hustens und langgedehnte Inspira-
tionen wurden von convulsivischen Hustenstössen während der Exspi-
ration gefolgt. Die Diagnose konnte nun mit Leichtigkeit auf Keuch-
husten gestellt werden, um so mehr, da im gleichen Hause kurze Zeit
zuvor, ein Kind an mit Pneumonie complicirtem Keuchhusten zu
Grande gegangen war. Die Patientin genas vollständig nach Ablauf
von 6 Wochen.
A Seeon d Attack of Varicella after an Interval of Ten Days. By
Richard Neale, M. D. (The Lancet, November, 1891.)
Die Beobachtung betrifft einen 5i Jahre alten Knaben, bei dem Va-
ricellen mit allgemeiner Eruption und den gewöhnlichen Beschwerden
auftraten ; 10 Tage nach dem Verschwinden der acuten Symptome er-
folgte ein abermaliger Ausbruch des Exanthems ; dabei waren die
Pusteln zahlreicher vorhanden, als in der ersten Attaque, während die
constitutionellen Störungen nur sehr leichte waren.
Fatal Rupture of an Ovarian Cyst in an Infant. By George B. Beale,
M. D. (Brit. Med. Journ., 1891, 11.)
Ein 6 Wochen altes Kind, welches mit mässigem Fieber, Erbrechen
und Schwellung des Leibes erkrankte ; die Diagnose wurde auf Perito-
nitis gestellt und der Exitus letalis trat nach 4 Tagen ein. Bei der
Obduction fand sich eine ziemliche Menge einer purulenten Flüssigkeit
281
im Abdomen. Nach der Herausnahme des Uterus und seiner Ädnoxa
wurden beiderseits Ovariencysten von Haselnussgrösse gefunden ;
recliterseits aber befauden sich überdies die Reste einer rupturirteu
Cyste ; und hält B. die Ruptur für die Entstehung der Peritonitis ver-
antwortlich.
Empyema in Children. By L. Emmet Holt, M. D. (Archives of Pedia-
trics, May, 1892.)
Bei bestehendem Verdacht auf Empyem räth H. zur frühzeitigen
Ausfülirung der Probepunktion, die er nöthigenfalls an 10 — 12 ver-
schiedenen Stellen des Thorax macht ; mitunter werden die Patienten
zuvor oberflächlich chloroformirt. Bezüglich des operativen Eingriffes
stellte sich in seinen Fällen die einfache Incision mit nachfolgender
Drainage als die leichteste, schnellste und wirksamste Methode heraus;
meistentheils erwies sich hierfür die locale Anaesthesie als hinreichend;
die Rippenresection führte er in seinen Fällen nur dort aus, wo nach
vorhergegangener Incision continuirlich hohes Fieber auf ungenü-
gende Drainage schliessen liess. Ausspülungen der Pleurahöhle hält
er nur bei fötidem Inhalte für angezeigt ; und wendet er hierfür ge-
kochtes Wasser an.
Fatal Haemorrhage in an Infant after Scarification of the Coniunctiva.
By J. A. Shirley, M. D. (N. Y. Med. Jour., Jan., 1892.)
S. berichtet über ein G Wochen altes hereditär luetisches Mädchen
mit Blennorrhoe der Conjunctiva. Wegen der sehr beträchtlichen
Schwellung der Lider wurden an beiden Augen ausgiebige Scarifici-
rungen der Schleimhaut in den Uebergangsfalten vorgenommen. Da-
bei war die Blutung aus den Einschnittsstellen anfangs nur eine
mässige. Als S. das Kind 3^ Stunden später wieder sah, blutete es
noch immer und besonders stark aus den Uebergangsfalten der oberen
Lider. Nach Ectropionirung der Lider wurden heiese Schwämme auf
die blutenden Flächen gedrückt ; und da die Blutung trotzdem anhielt,
hintereinander Eis und Liquor, ferri persulf. applicirt, ohne jedoch
damit irgend welchen Erfolg zu erzielen ; erst durch das Anlegen von
Umstech ungsnähten konnte die Blutung beherrscht werden. Ergot in
kleinen Dosen und Stimulantien wurden dargereicht ; doch trat der
Exitus letalis bald darauf ein.
S. spricht bezüglich des causalen Momentes den Verdacht aus, dass
es sich in diesem Falle um echte Haemophilie gehandelt haben mag.
(Da keine Angabe über andere Bluter in der Familie besteht,
könnte wohl für die Erklärung dieser protrahirten und schwer zu
stillenden Blutung eine durch Lues bedingte haemorrhagische Diathese
zu Hilfe gezogen werden. Anm. v. Ref.)
On the Function of the Tonsils. By G. Lovell GuUand. (Edinb. Med.
Journ., 1891.)
G. kommt am Schlüsse seiner interessanten Arbeit zu folgenden
Resultaten.
1. Die Tonsillen und zwar sowohl der Fauces als auch der Zunge
und des Pharynx sind Organe, welche die Reproduction von Leucocy-
ten befördern.
2. Diese Reproduction findet besonders in den Keimzentren ver-
mittelst mitotischer Theilung von preexistirenden Leucocyten statt.
3. Diese jungen Leucocyten werden zum Theil in den Lymphge-
fässen nach dem Gefässsystem überführt ; theilweise aber verbleiben
sie in den Tonsillen als stationäre Zellen ; oder sie wandern nach vor-
hergegangener Perforation des Epitheiiums nach den Krypten.
282
4. Von da gelangen sie an die Oberfläche der Tonsillen und nehmen
Fremdkörper, besonders Microorganismen in sich auf, welche sonst
über die Tonsillen hinweggleiten würden.
5. Im Menschen bilden die Tonsillen der Fauces und der Zunge im
Vereine mit der diffusen leucocytischen Infiltration an der ünterfläche
des Velum palati eine schützende Zone zwischen der an Microben
abundirenden Mundhöhle einerseits und dem Beste des Tractus ali-
mentarius andererseits ; während die Pharynxtonsille und die leucocy-
tische Infiltration an der obern Fläche des Velum palati und den
Tubenöffnungen eine ähnliche Zone im obern Theile des Tractus respi-
ratorius bilden.
6. Es liegt kein Grund für die Annahme vor, dass die Tonsillen
Absorptionsfähigkeit besitzen. Die Reproduction von Leucocyten ist
in der Eegel hinreichend lebhaft, um eine continuirliche nach aussen
gerichtete Strömung dieser Zellen zu erhalten, und den Eintritt von
Fremdkörpern in die Tonsillen zu verhüten.
7. Unter gewissen Umständen, wie bei allgemeiner Debilität, welche
die Activität der Leucocyten hemmen, mögen pathogene Organismen
aus dem Munde in die Tonsillen eindringen ; diese Microben können
die Ursache eines localen oder allgemeinen infectiösen Prozesses
werden.
Deutsche Jledicinische Gesellschaft von New York.
17 West 43. St.
Sitzung vom 7. März 1892.
(Schluss.)
Sodann folgt der Vortrag von Dr. A. S e i b e r t :
Syphilitische Bronchostenose im Kindesalter.
Discussion:
F. Lange fragt, in welcher Weise man sich die syphilitische Affec-
tion einer Stenose vorstellen soll.
Seibert : Es bilden sich Gummata. Infiltrationen u. s. w., welche die
Stenose bedingen.
Freudenthal wurde zu einem Kinde mit ähnlichen Anfällen, wie sie
der Vortragende gi'schildert iiat, gerufen ; hier war zum Unterschiede
auf der einen Seite in der Lunge gar kein Athmen zu hören. Redner
erklärt sich diesen Zustand, als durch einen pendelenden Polypen be-
dingt.
Gross hat Gelegenheit gehabt, die SEiBERT'schen Fälle zu sehen ; in
einem Falle, den Fischer intubirt hat, erwies sich dieser Eingriff als
nicht von Nutzen ; später stellte sich Pneumonie ein, und -das Kind
ging zu Grunde. Redner glaubt, dass zuweilen nicht alle Symptome,
die Seibert geschildert hat, an wissend sein müssen ; er habe subacute
Fälle beobachtet, wo die stenotischen Erscheinungen stetig vorhanden
waren ; in einem Falle, wo gleichfalls stets stenotische Erscheinungen
vorhanden waren, hustet ; das Kind ein kleines Stückchen Eierscliale
aus und genas.
Gleitsmann hat 2 Fälle von Bronchostenose, durch Syphilis bedingt,
bei Erwachsenen gesehen, die Laryngostenosen sind nicht selten ; ein
Fall wurde von Redner durch innere Mittel geheilt ; in diesem Falle
sass das Hinderniss unterhalb der Stimmbänder, dieselben verdeckten
bei ihrem Schluss die Anschwell ung ; durch Jodkali trat Heilung ein.
283
L. Weiss führt einen Fall au, wo bei einoin Kinde nach Masern
stenotische Erscheinungen auftraten ; man dachte an Pseudocroup,
tracheotomirte, allein das Kind starb, und die Section ergab einen
Lymphknoten, der in der Gegend der Bifurcation auf die Luftröhre
drückte.
F. Cohn sah vor Kurzem einen Fall, wo er Syphilis ausschliessen
musste ; zuerst wurde die Diagnose auf Croup gestellt und die Intuba-
tion für 8 Tage hindurch durchg(4"ülirt ; nach Herausnalime der Tube
waren keine stenotischen Ersclieinungen, allein etwas später stellten
sich dieselben ein ; im Larynx waren dabei keine Stenosen.
C. HErrz:\iANN erwähnt, dass Vikchow vor längerer Zeit die Behaup-
tung aufgestellt habe, dass das Lungenemphysem ausserordentlich
selten sei ; Virchow bezeichnet die Fälle, wo sich oben an den Lungen
eine Ausdehnung der Alveolen findet, als Lungenblähung.
Seibert hebt in seinem Schlusswort hervor, dass der Freudenthal'
sehe Fall von klinischem Interesse sei.
Es folgt sodann der Vortrag von Dr. W. F r e u d e n t h a 1 :
Kreosotvergiftung.
(Abgedruckt in der Medicinischen Monatsschrift.)
Als Mitglieds-Candidaten werden vorgeschlagen :
Dr. Guido Katzenmayer, von Dr. C. Heitzmann.
Dr. Georg Schoeps, von Dr. Alfons Müller.
Dr. G. A. Kletzsch, von Dr. G. M. Edebohls.
Schluss und Vertagung.
Dr. Max Einhorn,
protokoUirender Sekretär.
Sitzung vom 4. April 1892.
Präsident : C. Heitzmann.
Dr. J. Adler hält seinen Vortrag :
Ueber Stuhlverstopfung.
(Abgedruckt in der Medicinischen Monatsschrift.)
Discussion :
Dr. L. Weber erwähnt 3 Fälle, in denen ihm der aramoniakalische
Geruch des Athems aufgefallen ist. Der erste dieser Fälle war Jahrelang
für chronischen Magencatarrh behandelt worden. Patient hatte eigent-
lich keine Stulilbeschwerden bis wenige Tage vor seinem Tode, als
enorme Massen Stuhl entleert wurden. Patient starb an Lungenin-
farkten ; die Autopsie ergab chronischen Darmcatarrh in der oberen
Hälfte des Colon. Der zweite Fall, ein Junge von 10 Jahren, der unter
den Erscheinungen der Sepsis starb, war auch für Magencatarrh be-
handelt worden ; es fanden sich catarrhalische Veränderungen im Co-
lon ascendens und der Flexura hepatica. Der dritte Fall zeigte eine
enorme Erweiterung der Flexura sigmoidea bis nach der rechten
Darmbeinschaufel. Da in allen diesen Fällen der ammoniakalische
Geruch aus dem Munde wahrzunehmen war, so empfiehlt W., auf dieses
Symptom zu achten, damit man sich klar werde, ob es diagnostischen
Werth habe.
Langmann stellt die Frage auf, ob es wirklich physiologisch ist, in
je 24 Stunden eine Stuhlentleerung zu haben. Er glaubt, es sei dies
nur Gewohnheitssache und weist darauf hin, dass bei Kindern und un-
civilisirten Völkern dies nicht der Fall sei. Er ist der Meinung, dass
284
man nicht absolut darauf dringen soll, dass alle 24 Stunden eine Stuhl-
entleerung eintritt. Er hat einen Fall gehabt, einen Sljährigen Mann,
der trotz aller Behandlung keinen regelmässigen Stuhl hervorbringen
konnte. Dieser hatte auf einer 14tägigen Segeltour regelmässigen
Stuhlgang ohne irgendwelche Behandlung. Bei seiner Rückkehr ans
Land stellte sich die alte Unregelmässigkeit wieder ein. Langmann hat
gefunden, dass die relative Dämpfung und leichte Empfindlichkeit ein
Fingerzeig sei für die Lage der Kothmassen und für die Stelle, an
welcher Massage ausgeführt werden solle.
Krug weist darauf hin, dass die Anamnese oft regelmässige Stuhl-
entleerung ergibt und bei der rectalen Untersuchung dennoch eine
Kothsäule oberhalb des Sphincter tertius zu finden ist. Was die Thera-
pie dieser Verstopfungen betrifft, so hat er durch die bipolare Faradi-
sation von der Scheide aus gute Erfolge erzielt.
Klotz ist es nicht verständlich, warum Auto-Intoxication nicht
ebenso gut von festen, wie von flüssigen Stühlen ausgehen soll.
Rachel hat mehrere Fälle gesehen, in denen das Abdomen pendu-
lum acut bei Primiparen entstanden ist und bei denen sich Stuhl Ver-
stopfung einstellte.
Brettauer fragt, ob der Vortragende die unterbrochene Galvanisa-
tion versucht hat. Er hat gute Erfolge davon gesehen. Bezüglich des
vom Vortragenden beschriebenen Falles mit acutem Auftreten
schwerer Symptome mit Auftreibuog des Leibes, u. s. w. frägt er, ob
nicht Narkose in der Ordnung gewesen wäre.
Weber hebt hervor, dass ärmere Leute sich nicht massiren lassen
oder in ZANDER'sche Institute gehen können. Bei diesen ist das Extr.
Cascarae fi. zu empfehlen, besonders bei motorischen Paresen, in Quan-
titäten von etwa gtt. X. 3mal täglich.
Im Schlussworte sagt Adler, dass er Cascara vielfach gebraucht
hat ; es leistet in manchen Fällen Gutes, jedoch in vielen Fällen war es
nutzlos. Ueber Electricität von der Scheide aus hat er keine Erfah-
rung ; die anderen Methoden sind in manchen Fällen von Nutzen, in
anderen nicht. Was Auto-intoxication betrifft, so glaubt er, dass der
normale Darm Toxine nicht aufnimmt, sondern dass die Schleimhaut ver-
letzt sein muss. Dämpfung in der Flexura sigmoidea ist normal ; Re-
sonanz in dieser Gegend ist abnorm und ist der Entwickelung von
Gasen zuzuschreiben ; über dem Colon transversum und der Flexura
hepatica jedoch ist Dämpfung stets pathologisch.
Das Protokoll der letzten Sitzung wird verlesen und angenommen.
' Es folgt der von Dr. F. Foerster angekündigte Vortrag :
Zur Pathologie des Eierstockes.
(Abgedruckt in der Medicinischen Monatsschklft.)
Discussio n :
Krug : Manche Frauen, deren Krankheitssymptome auf die Ovarien
deuten, werden nach der Exstirpation nicht geheilt. Leider können
wir die microskopische Diagnose an der Patientin eben nicht machen.
Er hat übrigens wenig Erfahrung in der Entfernung makroscopisch
normal aussehender Ovarien.
Brettauer fragt, ob Dr. Foerster das aus dem Gyrom entstandene
Endotheliom als ein malignes ansieht.
C. Heitzmann ist der Ueberzeugung, dass durch Entzündung ein
Haematom entsteht, das sich weiter verändert, aber nicht maligner
Natur ist.
Foerster, im Schlussworte : Das Endotheliom ist nicht malign.
Das beschriebene Krankheitsbild ist das einer chronischen Oophoritis ;
285
die Anamnese ergibt längere erfolglose Behandlung ; der Befund, Tu-
moren kleineren Calibers, die beim Coitus u. s. w. Schmerzen verur-
ursachen. Wir können zwar die microskopische Diagnose nicht
machen, jedoch die einer chronischen Oophoritis, dann folgt monate-
lange Behandlung ; wenn diese erfolglos bleibt, greifen wir zur
Operation.
Abstimmung über den vorgeschlagenen Candidaten ergibt dessen
Aufnahme.
Schluss und Vertagung.
Dr. Franz Torek,
Stellvertretender protokollirender Secretär.
Sitzung vom 2. Mai 1892.
Präsident : C. Heitzmann.
Demonstration von Präparaten und Instrumenten.
Dr. Louis Heitzmann zeigt ein Präparat von Tuberkulose der
rechten Lunge complizirt mit nicht tuberkulöser Pleuritis.
Ein 32jähriger homöopathischer Arzt wurde vor drei Jahren in
Philadelphia von Hasmoptoe befallen. Da sich die Lungenblutungen
wiederholten, Hess er sein Sputum bakteriologisch untersuchen und
wurden Tuberkelbacillen nachgewiesen. Er magerte ab und wurde
Mitte des vorigen Jahres von einer schweren rechtsseitigen Pleuritis
befallen, die ihn so sehr herunter brachte, dass er in seine Heimath
Utica reiste, um dort zu sterben. Dr. M. O. Terry in Utica aspirirte
die rechte Pleurahöhle und sandte das aspirirte Exsudat zur Unter-
suchung, ohne zu erwähnen, dass Verdacht auf Tuberkulose vorliege.
Die mikroskopische Untersuchung ergab nebst spärlichen Eiterkörper-
chen eine ziemlich reichliche Menge von Fibringerinsel, und da die
Eiterkörperchen eine nur mässig heruntergekommene Constitution
erwiesen, wurde die Pleuritis als eine nicht tuberkulöse erklärt und
Hoffnung auf Heilung gemacht. Indessen sammelte sich stets mehr
Flüssigkeit im rechten Pleuraräume an, so dass schliesslich Resection
zweier Rippen vorgenommen werden musste. Der Patient magerte
rasch ab. Abermals wurde pleuritisches Exsudat zur bakteriologischen
Untersuchung eingesandt, und trotz sorgfältiger Untersuchung konnte
ich keine Tuberkelbacillen nachweisen. Ende December vorigen Jahres
starb Patient an Erschöpfung und bei der Obduktion fand man die
rechte Lunge komprimirt in eine mässig derbe, pleuritische Schwarte
eingehüllt. In der Substanz der Lunge fanden sich in dem Mittel-
lappen etwa ein Dutzend zerstreute, erbsen- bis haselcussgrosse,
käsige Herde vor, demnach unzweifelhaft Tuberkel. Ein über hasel-
nussgrosser, käsiger Herd des Mittellappens war hart an die Pleura
vorgedrungen und hatte die Pleuritis verursacht, was um so bestimmter
ausgesprochen werden konnte, da an dieser Stelle die Pleura bis zu drei
Millimeter verdickt gefunden wurde, während an allen übrigen Stellen
die pleuritische Schwarte die Dicke eines Millimeters nicht übertraf.
In dieser Schwarte konnten nirgends käsige Herde oder Miliar- Tuber-
kel nachgewiesen werden. Die linke Lunge enthielt nur im Oberlappen
einige käsige Herde von Erbsengrösse. Das Herzfleisch war mässig
verfettet, die Leber zeigte das Bild der Muskatnuss mit gelben Inseln
auf dunkelrothbraunem Grunde, demnach leicht fettig degenerirt.
Beide Nieren waren im Zustande massiger chronischer interstitieller
Nephritis.
Das Interesse des Falles konzontrirt sich auf die Thatsache, dass
ein an die Pleura vordringender Tuberkel Pleuritis hervorrufen kann,
welche selbst nicht tuberkulöser Natur ist. Noch vor 10 Jahren hat
man alle in einem tuberkulösen Individium auftretenden Entzündungen
286
als tuberkulös aufgefasst ; heute dagegen sind wir durch Bakterien-
untersuchung dahin gelangt, Entzündungsprozesse tuberkulöser Indi-
dividaen, wenn sich Taberkelbacillen nicht nachweisen lassen, als nicht
tuberkulös bezeichnen zu müssen.
Florian Krug demonstrirt einen von ihm angegebenen Vagi-
nalinjector für den localen Gebrauch des Ichthyols. (Siehe Original-
arbeit.)
Discussion:
Goldenberg fragt, ob Krug nicht Eczem nach Ichthyol beobachtet
habe, ferner, ob das Glycerin, das damit verabfolgt wird, nicht auf den
Stuhlgang wirkt.
Krug erwidert hierauf, dass er niemals Eczema danach beobachtet
habe,
Verlesung des Protokolls der letzten Sitzung. Dann findet die Ab-
stinuuung über die Candidaten : G. Katzenmayer, G. A. Kletzsch und
G. ScHOEPS statt, welche deren Aufnahme als Mitglieder ergiebt.
C. Heitzmann verliest den von der N. Y. Academy of Medicine an den
Verein übersandten Dankesbrief für die ihr geschenkte Virchow-
Medaille.
C. Heitzmann bringt dann den Antrag F. Lange's „dass der Verein
Herrn Prof. Thiersch zum 70jährigen Geburtstage eine Depesche sen-
det, zur Abstimmung, welche die Annahme des Antrags ergiebt.
Hierauf folgt der Vortrag von Dr. W. F. M i 1 1 e n d o r f :
Ophthalmologische Mittheilungen.
(Abgedruckt in der Medicinischen Monatsschrift.)
Discussion:
Carl Koller könnte nur einen Fall von retrobulbärer Affection an-
führen.
C. Heitzmann fragt, ob nicht Koller einen Fall von Netzhaut-
ablösung mit Pilocarpin behandelt habe.
Mittendorf hat Pilocarpin mit Jaborandi combinirt.
Sodann folgt der Vortrag von Dr. A. Kose:
Das permanente warme Bad bei Gelenkentzündung.
D iscus sio n :
F. Kammerer hat den Fall behandelt ; Eedner habe eine Anchylose
befürchtet ; er habe jedoch den Fall nur eine Woche behandelt. Es
ist die Aufgabe des Cüirurgen, die entstandenen Anchylosen zu behan-
deln, nicht aber die rheum itischen Affectionen. In diesem Falle habe
er keine absolut ungünstige Prognose gestellt ; die warmen Bäder
haben jeien falls hier etwas Gutes geleistet,
Dkgner's Erfahrungen sind in Bezug auf Anchylosen ungünstig ;
das hier von Dr. Rose erreichte Resultat regt zu weiteren Experimen-
ten an.
C. Heitzmann fragt, was die Herren von der Massage halten ; er
habe günstige Erfolge bei seiner Frau, welche eine chronische Synov-
itis hatte, gesehen.
Rose hat absichtlich von der Massage abgesehen ; er habe darüber
nicht viele Erfahrungen ; ausserdem sei das Bad billiger.
Schluss und Vertagung.
Dr. Max Einhorn,
Protokollirender Secretär.
287
Allerlei.
Zur Feier der Entdeckung? Amerika's wird in New York während des
nächsten Oktober im Madison Square Garden eine Nahrungsausstellung
abgehalten werden. Damit verbunden wird eine Ausstellung der
nationalen Molkereiprodukte stattfinden, welche unter der Aufsicht
des Prof. James Cheesman stehen wird.
Wie Dr. Weyl in der „Deutschen Gesellschaft für öffentliche
Gesundheitspflege" berichtete, erki'ankte in Berlin eine ganze Familie,
bestehend aus Eltern, Kindern und Dienstpersonal unter akuten Ver-
giftungssymptomen (Kopfschmerz, Brechen, Durchfall etc.). Als Ur-
sache ergab sich nach vergeblicher Untersuchung der als Speise
genossenen Materialien ein emaillirter Kochtopf, dessen Glasur stark
bleihaltig war. Bei der häufigen Verwendung emaillirter Geräthe in
den Ver. Staaten ist Vorsicht beim Gebrauch dringend geboten !
Pater Testevuide, Gründer des Leprahospitals auf dem Berg Fusi,
Japan, ist gestorben. Derselbe hat für Japan dieselbe Bedeutung, wie
seiner Zeit Pater Damjen für die Sandwich-Inseln. Im Jahre 1886
gründete der verstorbene Missionär, da in Japan die Leprakrankeu
keine Theilnahme von Seiten der Kegierung und des Volkes fanden,
aus gesammelten Geldern das erwähnte Hospital, dessen Organisation
und Leitung er bis zu seinem Ende durchführte. Nach seinem Auf-
treten haben auch Andere sich der Leprakranken angenommen, und
gegenwärtig findet man drei Anstalten für Leprotische, wo vor 15
Jahren noch keine einzige war.
Der financielle Ueberschuss des Virchowjubiläums beträgt 23,550
Mark, 20,000 Mark sind von dem Festcomite erspart worden aus den
reichen Erträgen der grossen Sammlung, und die 3550 Mark sind das
Buchhändlerhonorar für die Beiträge zur Festschrift, deren Mitarbeiter,
die Freunde und früheren Assistenten Virchow's, ihrerseits auf die An-
nahme dieses Honorars verzichtet haben. Der gesammte Ueberschuss
ist zunächst der Kudolph Virchow-Stiftung überwiesen worden, welche
bekanntlich den Zweck verfolgt, wissenschaftliche Unternehmungen zu
unterstützen, und die bisher über ein Vermögen von 97,000 Mark ver-
fügte. Allerdings werden einige Tausend Mark wieder zurückzuzahlen
sein, da das Festcomite unter Zustimmung Virchow's beschlossen hat,
eine grössere Anzahl Bronzeabgüsse der grossen Festmedaille an die
hauptsächlichsten Vertreter dei- entsprechenden Wissenschaft in
Europa und an die bei der Feier betheiligten Körperschaften zu ver-
theilen.
Dr. Bloebaum in Coblenz und auf seine Anregung Dr. Hagedorn in
Hamburg hab(m die von dem Galvanokauter gelieferte Gluth zur Be-
kämpfung der Dyphtherie in frühen Stadien zur Anwendung gezogen
und mit ihrer Hilfe bemerkensw^ertlie liesultate erzielt. Fie theoreti-
schen Gründe für eine solche Wirksamkeit sind ungefähr folgende :
Die Glühhitze ist das sicherste Antisepticuni. Sie zerstört jeden Pilz
ohne Ausnahme, vmd man kann sieher sein, dass nach ihrer Applica-
tion an der befallenen Stelle, besonders wenn noch das gesund erschei-
nende, thatsächlich aber sehr oft schon inficirte Grenzgebiet in den
Bereich der Wirkung gezogen wird, kein entwickelungsfähiger Bacillus
zurückbleibt. Ausserdem aber wird von der Glühhitze die in Angriff
genommene Stelle getödtet, so dass alle Stoffe, dio sich in ihr befinden,
festgehalten werden. Die Gifte, welche die Bacillen hier niedergelegt
haben, können in Folge dessen dem Körper nicht mehr gefährlich
werden, und mit Hilfe des Galvanokauters, der noch den Vortheil hat,
dass man seine Wirkung sowohl in Breite als Tiefe auf das genaueste
288
berechnen kann, wird die gebrannte Stelle in einen Zustand versetzt,
der sie zur weiteren Ansiedelung von Bacillen ungeeignet macht. Das
genannte Verfahren erfährt insofern eine Einschränkung, als es bei der
Dyphtherie des Kehlkopfes nicht anwendbar ist, desto leichter aber
kann man es bei derjenigen der Mandeln, des Zäpfchens und des
weichen Gaumens verwerthen, den Gebilden, an denen sich die Seuche
am meisten und auch fast immer zuerst zeigt.
Das ,,Langenbeck-Haus in Berlin" ist nunmehr bis zur Fertigstellung
des Rohbaues gediehen. Das Haus, welches von der „Deutschen
Medicinischen Wochenschrift" zum Gegenstand einer sehr eingehenden,
mit anschaulichen Plänen ausgestatteten Beschreibung gemacht wird,
liegt inmitten Berlins, an der Spree, welcher es seine 28 Meter lange
Front zukehrt, zwischen Weidendammer Brücke und Kupfergraben,
mit dem Zugang von der Ziegelstrasse her. Durch einen fast vier
Meter breiten Thorweg gelangt man in einen geräumigen, für Garten-
anlagen reservirten Hof, an dessen Hintergrund sich das hier 31.5
Meter breite, ein Erdgeschoss und zwei Stockwerke umfassende Lan-
genbeck-Haus erhebt. Die inneren baulichen Einrichtungen des
Hauses werden der Bestimmung desselben, ärztlichen Vereinen ein
Heim und wissenschaftlichen Arbeiten eine Sammelstelle zu bieten, in
glücklichster und technisch bestgelungener Weise gerecht. Ausser dem
grossen Auditorium oder Hauptsitzungssaale enthält der Bau noch
vier Säle stattlicher Grössenverhältnisse, von denen zwei die Bibliothek
der medicinischen Gesellschaft aufnehmen sollen, einer zum kleinen
Sitzungs- oder Demonstrationssaal bestimmt ist, während der vierte
die Präparatensammlung der Gesellschaft bergen wird. Dass der Bau
so rasch in Angriff genommen worden und fortschreiten konnte, ist in
erster Linie dem Geschenk des Kaisers zu danken, der sofort zur Ver-
fügung gestellten Summe von 100,000 Mark. Die Beschaffung der noch
fehlenden Mittel erscheint gesichert. Auch sind dem Langenbeck-
Hause bereits viele und kostbare Geschenke zugegangen, bezw. stehen
solche noch in Aussicht.
Personalien.
Verzogen : Dr. Charles L. Allen nach 19 E. 61 Strasse.
Dr. Max Einhorn,
Stellvertretender Redakteur, 107 E. 65. St.
An die Leser.
Geschäftliche Zuschriften, Geldsendungen, Bestellungen u. s.w., sind
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ManiLscHpte, Wechselblätter und Anfragen bezüglich des Inhaltes
sind an den Herausgeber zu richten.
Herr Karl Kahler, unser einziger Vertreter, ist eben im Interesse
unseres Blattes im Osten thätig. Da derselbe dieses Jahr nicht reisen
wird, so erweisen uns die geehrten Abonnenten einen grossen Gefallen,
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neu. Nähere Auskunft ertheilt.
Medical Monthly Pübl. Co.
27 Vandewater Str.
New Yorkeir
Medicinische Monatsschrift.
Organ für praktische Aerzte in Amerika
nnter Mitwirkung von
Dr. A. F. Buecbler, Dr. Geo. Degner, Dr. Max Einhorn, Dr. Jos, W. Gleitsmann,
Dr. Geo. W. Jacoby, Dr. F. Krug, Dr. S. J. Meitzer, Dr. Willy Meyer,
Dr. C. A. von Ramdohr, Dr. A. Schapringer, Dr. A. Seibert
herausgegeben von
Dr. F. C. HEPPENHEIMER.
Verlag der Medical Monthly Publishing Company, 17-27 Yandewater Street, N. T.
Bd. IV. New York, 15. August 1892. No. 8
ORIGINALARBEITEN.
Ein Fall von Gangrän der Hand nach doppelseitiger
Pneumonie.*)
Von
Dr. A. VON GRIMM,
New- York.
Patient, 62 Jahre alt, erkrankte Anfangs November v. J.
Mitte November wurde ich von dessen Angehörigen ersucht, densel-
ben zu besuchen.
Ich fand ihn an einer doppelseitigen Lungenentzündung erkrankt.
Herz normal, doch Herztöne rauh. Chemische und mikroscopische
Examinaiion des Ürines ergab : Chr. Nephritis.
Der Zustand des Kranken war äusserst precär, so dass ich eine
zweifelhafte Prognose stellte. Patient verblieb in Behandlung seines
Familien-Arztes.
Ende November wurde ich abermals zu Patienten gerufen, mit dem
Ersuchen, dessen Behandlung zu übernehmen.
Ich fand ihn als Eeconvalescenten vor. Er erzählte mir, dass er
seit 8 Tagen ein eigenthümliches Krabbeln in den Fingern der rechten
Hand verspüre, dass dieselben wie eingeschlafen fühlten. Er habe
dasselbe Gefühl für einige Stunden auch in der grossen Zehe des rech*
ten Fusses verspürt, doch sei dies vergangen.
Ich fand des Patienten rechten Vorderarm etwas, die Hand bis zur
Grenze der Möglichkeit geschwollen und mit Ausnahme des Daumens
von tief braunrother Farbe, sowie äusserst schmerzhaft.
*) Vorgetragen in der Deutschen Medicinischen Gesellschaft von New York
am 6. Juni 1892.
m
Nähere Untersuchung ergab Abwesenheit eines Pulses unterhalb
der Axillar- Arterie. Examination des Femoral-Pulses des rechten
Beines ergab vermindertes Volumen im Vergleich zur anderen Seite.
Die Extremität selbst war in keiner Weise verändert.
Ich leitete ein tonisirendes Verfahren ein und suchte die Circulation
durch warme Breiumschläge zu beeinflussen.
Unter dieser Behandlung besserte sich der Zustand des Armes und
der Hand zusehends, nur die Finger mit Ausnahme des Daumens nah-
men eine dunklere fast schwarze Färbung an — so dass der Verlust der
vier Finger unvermeidlich schien.
Mitte December jedoch begann sich eine Demarcationslinie ober-
halb des Metacarpo-phalangeal-Gelenkes des Zeigefingers und 1 Zoll
unterhalb des mittleren Gelenkes des Mittelfingers zu formiren. Die
Geschwulst liess nach und die anderen Finger nahmen ein mehr natür-
liches Aussehen an.
Ich consultirte nun die Herren Collegen Drs. W. G. Mangold, F.
ToREK, später auch Dr. F. Lange. Diese Herren riethen mir, in der
Behandlungsweise fortzufahren, jedoch mit der in Aussicht genomme-
nen Amputation noch etwas zu warten.
Ende December war der Zeigefinger und die zwei letzten Gelenke des
Mittelfingers vollständig mumificirt.
Am 4. Januar exarticulirte ich den Zeigefinger und rundete den
Metacarpal-Knochen ab. Den Mittelfinger amputirte ich genau in der
Demarcationslinie. Ich benutzte Aether, da ich annahm, dass des Pa-
tienten erkrankte Nieren eher diesen als sein geschwächtes Herz
Chloroform vertragen würde.
Ich wandte weder künstliche Blutleere noch Näthe an. Blutung
war gering. Die Wunden heilten per Granulationen, doch wurde die
Heilung durch entzündliche Processe in den Sehnenscheiden als auch
dadurch, dass ich keine Lappen machen konnte, sehr verzögert. Auch
heute — 6 Monate nach der Operation — sind die Wunden noch nicht
ganz geheilt.
Was nun die Pathologie dieses Falles anbelangt, so ist meiner An-
sicht nach anzunehmen, dass Vegetationen der Herzklappen sich loslös-
ten, die Axillar- Arterie vollständig und permanent, die Femoral-Arterie
theilweise und temporär occludirten, zweifellos unterstützt durch den
atheromatösen Zustand der Arterien.
DieCollateral-Circulation wurde in überraschend kurzer Zeit herge-
stellt und glaube ich den Verlust der beiden Finger secundären Em-
boH zuschreiben zu müssen. Ich habe Ihnen, meine Herren, den Pa-
tienten mitgebracht.
Wenn Sie ihn untersuchen, so werden Sie finden, dass die rechte
obere Extremität auch heute noch pulslos ist, dass der Arm und die
Hand etwas steif doch brauchbar sind, dass also ein anschemend hoff-
nungsloser Fall, was nämlich die Hand resp. Finger betrifft, sich zur
Zufriedenheit des Patienten und Arztes ammendirte.
31 First Street.
291
IL
Ein veHiesserter Catheter sowie einige Bemerkungen betreffs
Behandlung der Harnröhre.
Von
Dr. C. WAECHTER,
New York.
Bei chronischen Erkrankungen der Harnröhre finden wir — abge-
sehen von Strikturen — gewöhnlich den hinteren Theil der Harnröhre,
besonders die pars prostatica, als den Sitz des Leidens ; der vordere
Abschnitt ist meistens nur wenig in Mitleidenschaft gezogen, und es ist
in Folge dessen nutzlos, mit einer gewöhnlichen Spritze Injectionen
vornehmen zu lassen, welche die erkrankte Stelle nicht erreichen. Die
Behandlung der chronischen Gonorrhoe z. B. bietet desshalb häufig
Schwierigkeiten, die vermehrt werden, wenn man starke Adstringentien
gebrauchen will, welche im vorderen Theil der Harnröhre bedeutende
Schmerzen verursachen.
Es war daher seit längerer Zeit mein Bestreben, ein Verfahren aus-
zufinden, welches ohne grossen Zeitverlust gestattet, nur den hin-
teren Theil der Harnröhre mit starken Lösungen zu behandeln, denn
solche sind zur Heilung gewöhnlich unerlässlich. Die zu diesem
Zwecke vorhandenen Instrumente, z. B. Utzmann'sche Eöhre, Endo-
scope u. s. w. genügten mir nicht. Nach manchen missglückten Ver-
suchen ist es mir jetzt gelungen, einen einfachen Catheter herstellen zu
lassen, welcher sich vortrefflich bewährt.
Die vorstehende Zeichnung lässt die Einrichtung leicht ersehen.
Die bei „a" eingespritzte Flüssigkeit läuft durch eine dünne Röhre bei
„b" durcii rüclswärts laufende Oeffnungen in die Harnröhre, berührt
daselbst die erkrankte Schleimhaut und läuft bei „c" durch die Innen-
wand des Catheters und schliesslich bei „d" wieder ab, so dass der
vordere Theil der Harnröhre nicht berührt wird ; man kann in Folge
dessen starke Adstringentien — von denen ich das Argent. nitr. allen an-
deren vorziehe — anwenden, ohne dass der Patient bedeutende Schmer-
zen empfindet.
Es möge mir gestattet sein, einige Worte über meine Behandlung
hinzuzufügen. Stellt sich ein Patient mit einer chronischen Erkrankung
der Harnröhre vor, so nehme ich zunächst eine vorsichtige Unter-
suchung des erkrankten Organs durch Knopfsonde oder Endoscop
292
vor, und untersuche gleichzeitig deu Uria. Handelt es sich um eine
längere Zeit bestehende Gonorrhoe, die ihren Sitz in der pars prostatica
hat, so irrigire ich vorerst den Kanal mit einer schwachen antiseptischen
Lösung wie Bor-Säure, oder das in neuerer Zeit von Prof. Winternitz
(Blätter für klinische Hydrotherap.) empfohlene und sich gut bewäh-
rende Heidelbeer-Decoct (Fructus myrtilli). Treten nach der ersten
Untersuchung nur geringe Keizerscheinungen auf, so wiederhole ich
am nächsten Tag die Irrigation, führe bis zum Blasenhals ein elast.
Bougie ein, und beginne mit einer schwachen Lösung von Argent. nitr.
(Vi6 gran p. Unze); ich lasse die Einspritzung den ganzen Kanal entlang
laufen, um gleichzeitig im vorderen Theil die Empfindlichkeit undEeiz-
barkeit zu mindern. Bei jeder folgenden Einspritzung wird die Lösung
um das Doppelte verstärkt, ausserdem wende ich Sonden an, lasse
Sitzbäder gebrauchen und empfehle zweckentsprechende Diät, inner-
lich Alkalien u. s. w. Der Patient wird angewiesen, in der Zwischenzeit
1 bis 2 Mal täglich tiefe Einspritzungen mit Heidelbeer-Decoct vor-
zunehmen. Sobald es die Eeizbarkeit der Schleimhaut gestattet, wende
ich starke'Lösungen von Argent. nitr. mit oben beschriebenem Catheter
an, indem ich bis zu 15 oder 20 gran p. Unze steige, und jeden zweiten
oder dritten Tag eine Einspritzung vornehme ; dieselben werden in der
Eegel gut ertragen, ohne beträchtlichen Schmerz zu verursachen. Auf
diese Weise gelingt es mir meistens, selbst hartnäckige, seit Jahren be-
stehende Fälle, herzustellen.
Es empfiehlt sich, sobald der Catheter eingeführt ist, eine Ausspülung
von lauwarmem Wasser vorauszuschicken, wenn man die Harnröhre
nicht erst irrigiren will. Während der Einspritzung drehe ich den Ca-
theter langsam seitlich, um sicher zu sein, dass die ganze hintere
Schleimhaut berührt wird.
Besonders gut bewährt sich dieser Catheter bei der Behandlung der
Spermatorrhoe, hierbei gebrauche ich schliesslich Lösungen von Ar-
gent. nitr. bis zu 60 gran p. Unze, ohne dass die Patienten über be-
trächtliche Schmerzen klagen ; ganz anders verhält sich dagegen die
Sache, wenn man so starke Lösungen den ganzen Kanal entlang laufen
lässt. Die sonstige Behandlung der fragl. Erkrankung besteht in der
Anwendung von umstimmend und anregend wirkenden hydropathi-
schen Prozeduren, Massage, Electricität u. s. w.
Bei dieser Gelegenheit möchte ich bemerken, dass die Sperma-
torrhoe nach meiner Erfahrung häufiger vorkömmt, als im Allgemei-
nen angenommen wird. Untersucht man bei Patienten, bei welchen die
Prostata seit längerer Zeit erkrankt ist, und welche in Folge dessen an
sexueller Schwäche, Neurasthenie oder Rückenmarkreizung leiden,
den Urin, während der Defaecation gelassen, (am besten denselben
filtriren) so wird man häufig den Grund des Leidens i. e. Sperma-
tozoen finden. Selbst ein geringer unnatürlicher Samenverlust ver-
anlasst häufig beträchtliche Störungen des Nervensystems.
Ich werde in nächster Zeit Versuche anstellen, ob sich ähnlich con-
struirte Instrumente für Uterus und Rectum gebrauchen lassen.
293
Der fragl. Catheter ist aus hartem Gummi, ebenso die dazu pas-
sende Spritze, ersterer ist in 3 Theile zerlegbar, leicht zu reinigen, und
wird in verschiedenen Grössen angefertigt. Derselbe ist durch Instru-
mentotimacher Otto Kloppe, 197 Avenue A, New York, zu beziehen.
220 Ost 10. Str.
FEUILLETON.
Aerztliche Denkwürdigkeiten aus dem Feldzug Napoleons von 1812
gegen Russland.
Von
Dr. A. ROSE.
(Fortsetzung.)
Arzneimittel fanden sich in den, während des Marsches in mittel-
losen Orten in Eile eingerichteten Lazarethen entweder gar nicht, oder
in unzulänglicher Menge vor. Was Boden und Klima darboten wurde
von den Aerzten gebraucht, so Heidelbeere und Tormentillenwurzel im
Spital zu Witepsk. Als v. Scherer nach Einrichtung des Spitals in
Strizzowan im Schlosse daselbst, in der Scheune und zwei Ställen eine
grosse Anzahl von Kranken mit Mühe untergebracht und bei gänz-
lichem Mangel an Erfrischung für dieselben nicht ohne Anstrengung
und Gefahr aus der Umgegend die zunächst nothwendigen Lebens-
mittel sich verschafft hatte, wandte er in den ersten 3 Wochen theils als
Arznei, tbeils als Nahrung folgende häufig daselbst wuchernde Pflan-
zen, zum Theil mit wirklich günstigem Erfolge an :
1. Kohes Meerrettiglöffelkraut, cochlearia armoracea.
2. Kalmus, acorus calamus.
3. Knoblauch, allium sativum.
4. Rettig, raphanus sativus.
5. Blätter von Fieberklee, menyanthes trifoliata.
G. Salbeikraut, salvia offlcinalis.
Im Laufe der folgenden drei Wochen erhielt er einige Tausend Gul-
den mit der Weisung von Seiten des General's Grafen von Scheeler,
damit den unter seiner Aufsicht stehenden Soldaten Linderung zu
schaffen ; er erwarb denn auch aus weiter Entfernung, nämlich aus den
polnischen Städten Mohilew, Minsk und Wilna, Lebens- und Arznei-
mittel aller Art.
Die nun ermöglichte passende Diät in Verbindung mit Arzneimitteln
war von vortrefflicher Wirkung. Dies ergiebt sich aus der schon er-
wähnten verminderten Anzahl der Sterbefälle in den letzten 3 Wochen.
^Manche von den Geheilten hatten auf unbedeutende Veranlassung hin
Rückfälle, zu diesen Veranlassungen gehörte der Genuss von Kar-
toffeln. Sie wuchsen in der Gegend des Lazareths reichlich und wur-
den von den Reconvalescenten heimlich oft in Menge genossen. Viele,
die schon auf dem Wege der Besserung gewesen waren, starben daran ;
bei den übrigen blieb lange eine grosse Schwäche des Darmkanales
zurück.
Wunderbar war die Steigerung oder Verminderung der Krankheit
in Folge heftiger Gemüthsbewegungen. Grosser Schreck oder grosse
Freude bewirkte bei einigen schwer darnieder Liegenden plötzliches
Aufhören der Ruhr. Oberarmeechirurg v. Kohlreuter war während
und nach der Schlacht bei Smolensk Zeuge von dem grossen Einflüsse,
den das Gemüth auf die Heilung des Körpers hatte. Voji viertausend
294
Württembergern, die Jener Schlacht beiwohnten, waren nur sehr wenige
von der Ruhr gänzlich frei. Matt und niedergeschlagen schwankte das
Heer einher ; als aber der Soldat aus dem noch entfernten Kanonen-
donner den Beginn einer Schlacht erkannte, ermannte er sicii plötzlich
aus seinem Schlummer ; die vorher traurige Miene drückte jetzt
Freude und Heiterkeit aus ; freudig und mit seltener Tapferkeit nahm
er am Treffen Antheil ; Hoffnung auf Befreiung von dem drückenden
Mangel belebte den Körper und Geist. Während der vier Tage, welche
die Schlacht dauerte, und auch noch einige Tage nachher, war die Ruhr
wie durch magische Kraft verschwunden, kehrte aber bald in höherem
Grade zurück, und mit ihr befiel den Soldaten bei fortdauerndem Man-
gel völliger Stumpfsinn.
Eine grosse Magerkeit hob sich bei vielen Reconvalescenten nur
sehr langsam ; noch auffallender war eine Art Sehwermuth oder viel-
mehr Geistesträgheit, welche bei den Kranken zurückblieb ; selbst bei
Offizieren, die v. Scherer als energische und heitere Männer gekannt
hatte, liess sich lange Zeit ein mürrisches Wesen und eine auffallende
Trägheit wahrnehmen. Alles behandelten sie langsam und oberfläch-
lich, bisweilen sogar mit einer gewissen Bosheit, es zeigte sich ein
Hang zum Stehlen oder etwas Unerlaubtes zu gemessen. Sie konnten
oft nur mit Mühe zu einer Bewegung vermocht werden. Von Scherer
sah sich veranlasst, den Reconvalescenten zu ihrer Erheiterung einen
täglichen Spaziergang in Begleitung einer Wache zu verordnen ; und
es erschien um so nöthiger, da fast bei Allen, welche immer regungslos
auf ihrem Lager blieben, an den äussersten Theilen des Körpers sich
Oedeme entwickelten, die bei einigen in völlige Wassersucht über-
gingen.
Wie schädlich auch für diese Kranke der unmässige Genuss geisti-
ger Getränke war, geht aus dem traurigen Schicksale dreier bereits
hergestellter, aber noch schwacher Soldaten des v. Scherer'schen Ho-
spitals hervor. Diese hatten sich aus dem Yorratliskeller des Spitals
einige Flaschen mit Branntwein heimlich zu verschaffen gewasst und,
um sich einen vergnügten Tag zu machen, denselben auf einmal ge-
trunken. Bald stellten sich die gefährlichsten Symptome ein : grosse
Schmerzen im Unterleibe, Reiz zum Erbrechen und Erbrechen selbst ;
bald darauf erfolgte ein Thränen der hervorgetriebenen und entzünde-
ten Augen. Besinnungslos fielen sie nieder ; in diesem Zustande er-
folgten flüssige und höchst übelriechende Ausleerungen und am Ende,
ungeachtet aller angewandten Gegenmittel, nach 6 Stunden der Tod.
Am Unterleibe, Hals, Brust und namentlich an den Füssen der
Leichname fanden sich Brandflecken von verschiedener Grösse, ein
deutlicher Beweis, dass diese schnell entstandene Entzündung, Brand
und Fäulniss zunächst in der übermässigen Reizung des höchst ge-
schwächten Körpers ihren Grund hatte. Eine Oeffnung der Leichname
gestatteten die Umstände nicht.
Diese Leichenbefunde von an Alcoholintoxication Gestorbener stim-
men mit Beobachtungen überein, die in einer anderen mir vorliegenden
Dissertation : Consideration generales sur la congelation pendant
l'ivresse, observee en Russie en 1812 par Marin Bunoust, Paris 1817,
niedergelegt sind. Bunoust hat in seiner Arbeit darzulegen gesucht,
dass der physiologische Effect der Trunkenheit mit dem des Frostes
auf den Organismus identisch ist.
Bei der Armee, die in Eilmärschen (v. Scherer begleitete sie nach
Aufhebung des Spitals von Strizzowan) über Ostrowon, Witepsk und
Smolensk den Feind auf der Strasse nach Moskau verfolgte, hielt die
Ruhr in hohem Grade an. In den Lazarethen von Smolensk, Wiasma
und Gziat traf v. Scherer ausser denen, welche in den Treffen von
Krasnog, Smolensk und Mosaisk verwundet worden waren, eine grosse
295
Anzahl Ruhrkranker an. Viele erlagen auf dem Marsche ; das Ganze
bot einen höchst kläglichen, und die Lebensverachtung der Soldaten
einen Grausen erregenden Anblick dar. Mit wilder und alles mensch-
li(^he Gefühl verläugnender Freude fochten die Soldaten im Treffen von
Mosaisk,*) gleich Rasenden stürzten sie sich auf den Feind, wo er am
dichtesten stand, bei Eroberung einer Batterie wollte jeder der erste
sein, unbeweglich gaben sie sich dem Feuer unzähliger Kanonen Preis,
und über Leichenhügel hin erstürmten sie die feindlichen Batterien.
Dies war wohl nicht das Werk der GesundJieit und Körperstärke, nicht
besonnener Tapferkeit, sondern des höchsten Grads der Verzweiflung.
In dein Treffen von Mosaisk wurd» n ungefähr 1000 Wüittemberger
verwundet. Bei vielen mussten chirurgische Operationen vorgenom-
men werden. Bemerkenswert!! ist hier, dass bei diesen ohnedies im
höclisten Grade geschwächten und entkräfteten Verwundeten die be-
deutendsten Operationen bei weitem leichter von statten gingen und
weit mehr Verwundete gerettet wurden, als unter den günstigsten Um-
ständen der Fall zu sein pflegt. So machte von Kohlreuter, der dama-
lige Oberarmeechirurg, die Bemerkung, dass im russischen Feldzuge
die Exstirpation des Armes in Hinsicht des Blutverlustes weit leichter
als in den sächsischen und französischen Feldzügen bewerkstelhgt
worden sei, in welchen der Soldat noch rüstig, wohlgenährt und mit
allen Hülfsmitteln reichlich, ja im Ueberflusse versehen war. Bei die-
sen setzte, ungeachtet aller angewandten Vorsichtsmassregeln, der
Blutverlust oft der ärztlichen Behandlung Hindernisse in den Weg und
verursachte einen ungünstigen Ausgang, während im russischen Feld-
zuge die meisten schweren Operationen, namentlich die Exstirpation
des Armes, trotz dem Mangel an allen Hülfsmitteln und dem, für die
Unterbringung der Kranken und Verwundeten so ungünstigen Terrain,
glücklich abliefen und die Verwundeten zum grössten Theil geheilt
wurden.
In Moskau, wo die Armee nach dem schrecklichen Treffen von
Mosaisk (Borodino) 5. und 7. September, durch Hunger und Elend im
höchsten Grade erschöpft, den 11. September ankam, war die Zahl der
an der Ruhr leidenden Württemberger, für die man in einer Zucker-
rafflnerie ausserhalb Moskau ein Spital errichtet hatte, überaus gross.
Viele starben hier, der bei weitem grössere Theil wurde bei dem Rück-
züge seinem Schicksale überlassen.
Das bis zum 19. October in Moskau dauernde Standquartier ver-
besserte den Zustand des Heeres nur wenig. Vom Hunger verzehrt,
von allen Bedürfnissen entblösst, war man angekommen, und die
schreckhche Feuersbrunst der ungeheuren Stadt hatte die Hoffnung
auf einen beque / en Aufenthalt und reichliche Genüsse sehr herabge-
stimmt. Obgleich die dem Feuer entrissenen Lebensmittel den Sol-
daten überlassen und denselben während ihres mehrwöchentlichen
Aufenthalts daselbst Wein, Thee, Kaffee, Fleisch und Brod, aUes ge-
sund und in reichlichem Maasse, zugetheilt wurde, so dauerte doch die
Ruhr fort und hatte bereits bei dem grösseren Theile einen höchst ty-
phösen Character angenommen. Ueberdies war im Heere jetzt auch
der wahre Typhus aufgetreten ; sehr häufig zeigte sich ferner Gelb-
sucht mit heftigen Magenschmerzen und fieberhaftem Pulse ; der Ty-
phus selbst, der sich schnell durch Ansteckung verbreitete, führte bald
grosses Verderben herbei und steigerte das Elend der Armee bis zum
höchsten Gipfel. Die grosse Anzahl der Kranken, welche oft an
schlechten Orten aufgehäuft wurden, der Geruch der unermesslichen
Menge menschlicher und thierischer, nicht begrabener und von Fäul-
*) Diese entsetzlichste aller Schlachten wird bekanntlich auch Schlacht von
Borodino und Schlacht an der Moskwa genannt.
296
niss ergriffener Leichname, die nicht allein auf den Schlachtfeldern,
sondern auf allen Wegen, welche die Armee genommen hatte, oder gar
in den Strassen von Moskau selbst umherlagen, namentlich der Geruch
einiger Tausende kriegsgefangener und niedergemachter Küssen, die
man auf den Strassen hatte liegen lassen, in Verbindung mit dem schon
so lange erduldeten Hunger und Mangel an allen Lebensmitteln — alles
dieses hatte endlich einen pestartigen Typhus hervorbringen müssen.
Nachdem der Eückzug von Moskau beschlossen war, wurde noch
einige Tage vor dem Abzüge der Armee Alles, was von so vielen Tau-
senden von Kranken fortgeschafft, werden konnte, auf Wagen unter
starker Bedeckung vorausgeschickt. Die Kranken führte man auf dem
nächsten Wege Mosaisk zu, während die Armee die Strasse von Kaluga
einschlug. Einige Tausende, welche vom Typhus angesteckt waren,
liess man in Moskau zurück. Mit Ausnahme weniger kamen, nach
später erhaltenen Nachrichten, diese Alle um. Von denen, welche, ob-
gleich von der Krankheit schon ergriffen, doch noch so viel Kraft hat-
ten, um sich auf Wagen fortführen zu lassen, wurden viele auf dem
Wege wieder hergestellt, um nachher ein Raub der Kälte zu werden.
An Körper und Geist entkräftet, brach das Heer bei hellem Wetter
aber kalten Nächten am 18. und 19. October von Moskau auf, und
schlug in fiilmärsctien den Weg nach Kaluga ein. Bei Maloijoroslawez
stiess man auf den Feind, der den Weg versperren wollte : ein hart-
näckiges Treffen entspann sich, wobei die französische Reiterei stark
Noth litt. Zwar wurde die russische Schlachtlinie durchbrochen und
der Weg frei gemacht, aber die französische Armee hatte ihren To-
desstoss bekommen. Die Ordnung, die das Heer bisher zusammenge-
halten hatte, war erschüttert, dagegen rissen Unordnungen aller Art ein.
Man schlug jetzt den Rückzug nach der Richtung von Mosaisk, Gziat
und Wiasma ein ; die nämliche Strasse, die man im Herwege genom-
men hatte, die schon zerstört und völlig menschenleer war. Anführer
und Gemeine sahen, bei der schon jetzt eingetretenen Hülfslosigkeit,
gleich hoffnungslos einer schrecklichen Zukunft entgegen.
Ueberau vom Feinde umzingelt, der es heftig bedrängte, musste
sich das Heer einzig auf der Landstrasse halten ; wer dieselbe ver-
liess, setzte sich unvermeidlichem Tode oder Gefangenschaft aus. Auf
dem unermesslichen, verwüsteten Landstriche von Moskau bis
Wilna sah man auf viele Tagereisen keinen Eingeborenen, kein Stück
Vieh ; Städte und Dörfer waren in Rauch aufgegangen. Täglich
nahm das Elend zu. Die wenigen Nahrungsmittel, die man von Mos-
kau mitgenommen hatte, gingen auf der Flucht nach dem Treffen von
Maloijoroslawez, noch ehe das Heer Mosaisk erreichte, sammt den
Wagen verloren ; was jeder Einzelne bei sich hatte, war in den ersten
Tagen verzehrt, und so trat völliger allgemeiner Mangel an allen Le-
bensmitteln ein. Die Pferde, welche kein Futter bekamen, fielen in
grosser Anzahl kraftlos am Wege iiin ; Kanonen und unzählige Wagen
mussten, nachdem man sie zerstört, zurückgelassen werden.
Von den letzten Tagen des October bis in die Mitte December, zu
welcher Zeit das Heer in Wilna anlangte, war Pferdefleisch die einzige
Nahrung des bei weitem grössten Theils der Soldaten ; viele bekamen
nicht einmal dies, sondern staroen schon vor dem Eintritt der grossen
Kälte vor Hunger. Das Fleisch selbst aber, welches die Uebrisrgeblie-
benen genossen, war entweder von ermüdeten und kranken Pferden,
die nicht weiter hatten gehen können, oder von solchen, die längst todt
am Wege gelegen waren. Mit der höchsten Gier warfen sie sich auf
das todte Thier, und mit unmenschlicher Wuth schlugen sich, ohne
Unterschied des Ranges, und alle militärische Zucht bei Seite setzend,
Offiziere und Gemeine, um das Hirn, Herz und Leber der todten Thiere,
als um die wohlschmeckenderen Theile : der Schwächere musste mit
207
Jeglicher Portion zufrieden sein. Viele verschlangen das Fleisch roh,
andere spiessten es an, röstoten es am Feuer und genossen es so ohne
alle Zugabe, oft mit vielem Wohlbehagen.
So traurig sah es aus, als die einbrechende Kälte das Unglück auf
den höchsten Gipfel brachte. In den letzten Tagen des Octobers, als
das Heer kaum Mosaisk erreicht hatte, erhoben sich plötzlich kalte
Nordwinde. Am 26. October fiel der erste Schnee. Dieser machte den
Weg für das entkräftete Heer im höchsten Grade beschwerlich. Die
Kälte nahm von jetzt an täglich zu ; und bereits war das Zubringen der
Nacht unter freiem Hiuünel für viele schrecklich ; den meisten, die
weder init Feuer noch Kleidern sich sciiützen konnten, erfroren ein-
zelne Glieder. In den ersten Novembertagen war allmäiich das Ther-
mometer bis auf minus 12 Reaumur gefallen. Als verderbliche Wir-
kungen dieser Kälte kamen bereits Geistesstörungen zum Ausbruch.
Die erste und bei allen bemerkbare Wirkung der Kälte auf das Hirn
war auch bei Starken und Gesunden der Verlust des Gedächtnisses.
Gleich zu Anfang sah v. Scherer viele, welche die Namen der bekann-
ten und alltäglichen Dinge, ja sogar der so heiss ersehnten Lebens-
mittel entweder gar nicht, oder nur falsch angeben konnten, viele ver-
gassen ihren eignen Namen und erkannten die nächsten Kameraden
und Freunde nicht mehr. Andere sah man völlig geistesschwach, in
der eranzen Miene drückte ihr Stumpfsinn sich aus.
Wer in Folge stärkerer Constitution an Körper und Geist frei von
den schädlichen Einflüssen der Kälte geblieben war, dem verursachte
es neben dem eignen Ungemach grossen Schmerz und Schauer, wenn
er die Geisteskräfte der trefflichsten und vordem willenskräftigst^M.i
Männer bald langsam, bald schneller sich vermindern, nach und nach
in völligen Wahnsinn übergehen, hier und da für einige Augenblicke
wieder aufblitzen, bald wieder hinabsinken sah.
Die grosse Kälte schwächte zuerst das Gehirn derjenigen, deren
Gesundheit schon vorher Noth gelitten hatte, namentlich derjenigen,
welche von der ansteckenden Ruhr befallen gewesen waren : bald aber
äusserte sich bei ihrem täglichen Steigen ihr Einfluss auf Alle. In
Folge der Einwirkung der Kälte wurden die inneren Gefässe, besonders
des Gehirns und der Lungen überfüllt, bei vielen so, dass alle Lebens-
thätigkeit aufhören musste.
Bei der Leichenöffnung waren die Hirn- und Lungen-Gefässe und
die rechte Seite des Herzens aufgedunsen und ausgespannt ; bei einer
Leiche waren die einzelnen Gefässe des Gehirns zerrissen und ziemlich
viel Blut zwischen die Hirnhäute und das Hirn ergossen, bei den
meisten hatte sich mehr oder weniger Wasser in den Höhlen gesam-
melt. Die Leichname waren weiss wie Schnee, während die Centrai-
organe bei jeder Section voll Blut gefunrlen wurden. Anfangs, da die
Kälte noch erträglich war, hatte der Andrang der Säfte von der Ob<-r-
fläche des Körpers nach den Centraiorganen nur unbedeutende
Störungen der Functicmen jener Organe herbeigeführt, z. B. erschwertes
Athmen, Geistesschwäche, in bald höherem, bald niederem Grade,
Unempfindlichkeit, Verachtung aller Aussendinge, kurz was man
damals den ru-Hsl^chen Simpd nannte. Jetzt waren alle Handlungen
dieser Menschen Zeugen völliger Geisteslähmung und des höchsttMi
Grades von Fühllosigkeit. Man kaim diesen Zustand mit dem des
höchsten Greisenalters vergleichen, wenn Geist und Körper wieder in
den Stand der Kindheit zurücktreten. Auch die Körper der durch
Kälte stark Leidenden waren ausgemergelt und ruiizlich. Männer,
früher voll Körper- und Geisteskraft, im Kriege erstarkt, schwankten
auf einen Stab gestützt, gleich Kindern jammernd und wehklagend,
auf dem Wege daher, bettelten um ein Stück Brod, und reichte man
ihnen etwas zu essen, geriethen sie in eine wahrhaft kindische Freude
298
und vergossen nicht selten Thränen. Das Gesicht dieser Unglück-
lichen war, je nachdem sie mehr oder weniger gelitten hatten, leiclien-
blass, die Züge derselben sonderbar entstellt. Jünglinge glichen 80-
jährigen Greisen und sie boten einen wahrhaft cretinenartigen Anblick
dar. Die Lippen waren bläulich, die Augen matt, glanzlos und
beständig thränend, die Venen sehr klein und kaum sichtbar, die
äussersten Theile kalt, der Puls weder am Kadius noch an den
Schläfen fühlbar, ein beinahe unüberwindhches Bedürfniss des Schlafs
allgemein. Oft trat im Augenblick des Hinsinkens eine Lähmung der
unteren Gliedmassen ein,kuiz darauf zeigten einige Blutstropfen aus
der Nase den nahebevorstehenden Tod an. Gelöst waren alle Bande
brüderlicher Liebe, erloschen alles menschliche Gefühl, auf den, der
erschöpft am Wege hinsank, stürzton sich Unzählige, ja die besten
Kameraden und Blutsverwandten, bemächtigten sich seiner Kleider
und übrigen Habseligkeiten, nackt Hess man ihn im Schnee liegen,
dem nun unvermeidlichen Tode preisgegeben; einzig lebte nur noch
der Trieb der Selbsterhaltung.
In der letzten Hälfte des Novembers, besonders aber in den ersten
Decembertagen, namentlich aber am 8., 9, und 10., als das Heer in
Wilna ankam, war die Kälte auf das Höchste gestiegen. In der Nacht
vom 9. auf den 10. zeigte das KEAUMUR'sche Thermometer minus 32°.
Die kalte Luft verursachte heftigen Augenschmerz, ähnlich wie durch
einen starken Druck erzeugt. Die Augen, welche bisher schon durch
den anhaltenden Anblick des Schnees sehr geschwächt waren, litten
ungemein durch diesen Umstand. Viele waren so geblendet, dass sie
keinen Schritt vorwärts sahen, nichts erkannten, und mit einem vorge-
haltenen Stabe den Weg sachten. Unzählige fielen auf dem Zuge hin'
und erstarrten sogleich.
Während dieses Zeitraums bemerkte v. Scherer, dass wenn solche,
die ohnedies schon genug von der Kälte gf'litten hatten, unglücklicher
Weise auf den hart gefrorenen und mit Eis überzogenen Boden hin-
fielen, bald starben, indem auf die durch die Erschütterung unzweifel-
haft hervorgebrachte Verletzung des Rückenmarkes plötzlich eine all-
gemeine Lähmung der unteren Gliedmassen, der Harnblase und des
Darmkanals und ein unwillkürlicher Abgang des Urins und der
Excremente erfolgte. Auch wenn sie nicht gefallen, also keine Erschüt-
tefung erlitten, starben viele an fortschreitender Lähmung, die an den
unteren Theilen begonnen hatte. Bei anderen trat völlige Hemiplegie
ein, während die Geisteskräfte bis auf den letzten Augenblick ungestört
blieben.
Der Regimentsarzt von Keller theilte v. Scherer folgenden Fall
mit : „ Ich lag in der Nähe von Wilna zu Anfang Decembers, in einer
der kältesten Nächte, mit mehreren deutschen Offizieren am Wege an
einem Feuer, als sich ein Militärbedienter näherte und um die Edaub-
niss bat, seinen Herrn, einen französischen Gardeoffizier, an unser
Feuer bringen zu dürfen. Gern wurde dies gestattet, und zwei Gar-
disten brachten einen grossen und starken etwa 30 Jahre alten Mann
herbei, und setzten ihn zwischen sich auf die Erde. Als der Franzose
die Anwesenheit eines Arztes erfuhr, erzählte er, es sei ihm etwas ganz
besonderes zugestossen. Ungeachtet des grossen Elendes sei er bis
dahin fröhUch und gesund gewesen, vor einer halben Stunde aber
plötzlich von Erstarrung der Füsse und dem Unvermögen, weiter zu
gehen, befallen worden, und habe bereits vom Schenkel bis zu den
Zehen keine Empfindung. Ich hatte mich durch genaue Unter-
suchung von dem Character dieses Uebels überzeugt: Die Füsse
waren völlig starr, marmorweiss und eiskalt, indess der Offizier gut
gekleidet und, obgleich in so traurigem Zustande, heiterer war als ich
und meine Kameraden. Bald wurde er von einem heftigen Drange zu
299
Uriniren, befallen, den er vergeblich zu befriedigen suchte. Mit gröss-
tem Wohlbehagen verzehrte er ein grosses Stück ara Feuer gebratenen
Pferdefleisches, klagte aber bald über grosses Uebelbeflnden ; seine bis
jetzt fröhliche Stimmung ging plötzlich in die höchste Niedergeschla-
genheit über. Der Harnabgang unterblieb einige Stunden, was ihm
heftige Schmerzen verursachte, den übrigen Theil der Nacht aber ent-
ledigte er sich unwillkürlich der Excreniente und vielen Harns. Er
schlief viel und der Athem war bis daher frei ; als aber der Tag graute,
verfiel er plötzlich in kraftlosen Zustand und mit Tagesanbruch, noch
ehe wir unser Feuer verliessen, war der starke vor 8 — 10 Stunden noch
gesunde Mann ein Opfer des Todes."
Die trefflichsten und geistreichsten Männer im besten Alter litten
alle mehr oder weniger von der Kälte. Mit Ausnahme weniger, waren
bei allen die Sinne, wo nicht gänzlich zerrüttet, doch immerhin
geschwächt. Den längsten zum Theil gänzlichen Widerstand leisteten
der Kälte diejenigen, welche immer fröhlich und wohlgemuth waren,
besonders diejenigen, welche sich durch das frühere grosse Elend und
den grossen Mangel an den nothwendigsten Lebensbedürfnissen nicht
hatten entmuthigen lassen, welche Pferdefleisch mit Wohlbehagen
speisten und sich überhaupt in die Umstände fügten.
Ein mit tüchtigen militärischen Kenntnissen ausgestatteter würt-
tembergischer Offizier wurde wenige Tagereisen vor Wilna von einer
solchen Sinn- und Fühllosigkeit befallen, dass er mehr vegetirte als
lebte, und maschinenartig im Zuge sich fortbewegte. Er war nicht
krank, hatte kein Fieber, war noch ziemlich bei Kräften, hatte vorher
nie, oder nur selten Mangel gelitten, und doch war sein ganzes
Empfindungsvermögen im höchsten Grade von der Kälte angegriffen.
Von ScHKRER sah ihn nach seiner Ankunft in Wilna in einer Schenke
durch Wärme und Speise etwas hergestellt ; er geberdete sich jedoch
ganz kindisch, die dargereichte Speise verzehrte er mit schreckhcher
Geberde, während er ass, weinte und lachte er oft mehrere Minuten
lang. Mit zerrüttetem Körper, doch zeitig wieder ziemlich hergestellt,
kehrte er in das Vaterland zurück, brauchte aber zu seiner völligen
Herstellung lange Zeit. Alle Spuren des Uebels verschwanden
schliesslich, und eben so thätig wie früher, nahm er seinen Posten
wieder ein.
Ein anderer Offizier, mit welchem v. Scherer einige Tage lang
zwischen Krasnoy und Orscha reiste, hatte bis daher noch keinen
Mangel gelitten ; er fuhr in einem wohlverschlossenen Wagen mit
ziemlich rüstigen Pferden, hatte zwei Soldaten zu Bedienten, war gut
gekleidet und empfand deshalb, die Kälte, die Ihm weniger als anderen
zusetzte, abgerechnet, nichts von all dem grossen Elende, war aber
dennoch so verstört und sinnlos, dass er weder v. Soherer, der einige
Jahre in freundschaftlichen Verhältnissen mit ihm gestanden war, noch
den einen von seinen Bedienten beim Namen nennen konnte ; beständig
lief er neben dem Wagen her und behauptete, derselbe gehöre aeiu
französischen Kaiser, dessen Bewachung ihm übergeben sei. Nur
wenn er schlief, oder mit Gewalt, konnte v. Scherer ihn mit Hülfe
seiner Bedienten in den Wagen bringen. Da seine Geistesschwachheit
täglich zunahm, verliess v. Schereu, für sein eigenes Leben besorgt,
ihn. Er kam nach Wilna, wurde aber gefangen und starb nachher.
Mehr oder weniger, doch der Hauptsache nach, den zwei angeführ-
ten Beispielen ähnlich sind alle von v. Scherer beobachteten Fälle.
Aehnliche Beobachtungen über die Wirkung der Kälte machten
auch andere Armeeärzte,
Oberarmeearzt v. Schmetter war beim Zuge gegen Russland mit
dem Kronprinzen von Württemberg in Wilna zurückgeblieben. Er
erinnerte sich vieler der Unglücklichen, die er in Wilna aufgenommen
300
hatte, welche durch Kälte und Elend aller Art so herabprekommen waren,
dass die einst kräftigsten Männer ein wahrhaft knabenhaftes Aussehen
hatten und geistig zerrüttet waren. Ein Eeiter aus dem Regimente Her-
zog Louis, der im Februar 1813 in das nämliche Lazareth, an stillem
Wahnsinn leidend, gebracht worden sei, habe immer etwas gesucht,
ohne indess fieberhaft zu sein. Hände und Füsse seien stark erfroren
gewesen. Bald sei er von dem herrschenden Typhus angesteckt wor-
den und habe 14 Tage in mehr oder minder heftigen Delirien zuge-
bracht. Nachdem die Wuth der Krankheit sich gelegt, habe er wieder
angefangen etwas ängstlich zu suchen, und, nachdem ihn das Fieber
gänzlich verlassf^n, erKlärt, mehr als 30,000 Gulden in Gold, die er mit-
gebracht, seien ihm gestohlen worden. Indess habe man in Erfahrung
gebracht, dass der Reiter unter denjenigen gewesen sei, welche mit
Depeschen an Murat abgeschickt worden seien, und denselben in der
Schlacht bei Mosaisk tapfer vertheidigt hätten, weswegen er ihnen auf
dem Rückzüge einen mit Gold beladenen Wagen zur Plünderung über-
lassen habe. Auf den Reiter seien mehr als 30,000 Gulden gekommen,
die er auf vier Pferden transportirt habe ; da aber diese aus Mangel
an Futter und vor Kälte unter ihrer Last endlich zusammengesunken,
seien diese den Kosaken in die Hände gefallen. Der Mann sei ganz
ausser sich gekommen, als man ihm während seiner Wiedergenesung
gesagt, er habe kein Gold in das Lazareth gebracht ; nur nach und
nach habe er von diesem Wahne sich abbringen lassen und endlich
erklärt, er erinnere sich durchaus nicht, dass er auf dem Rückzüge ge-
plündert worden sei, obgleich dieses durch Zeugen, denen das nämliche
begegnet war, bestätigt wurde. Zwei Jahre erst nachdem er das Laza-
reth und den Dienst verlassen, als er völlig wieder gesund und bei
Kräften war, habe er sich erinnert, dass er in Polen während der hefti-
gen Kälte von den Kosaken gefangen und halb nackt im Schnee besin-
nungslos liegen gelassen worden sei, und dass er nicht wisse, wie und
wann er in das Spital nach Vaihingen gebracht worden sei, indess
dränge sich ihm öfters der Wahn auf, er habe das Geld mit in das Spi-
tal jjeb rächt.
Ein anderer Reiter aus dem Regimente König sei mit vielen ande-
ren aus Russland im höchsten Gra le stumpfsinnig nach Mergentheim
gekommen, Hände und Füsse erfroren, gangränös. Er habe bald
polnisch, bald russisch, bald deutsch untereinander gesprochen ; wie
ein Kind habe man ihn ernähren müssen, weder seinen Namen noch
Geburtsort habe ernennen können. Er starb an Erschöpfung 8 Tage
nach der Aufnahme in das Hospital. Nach Eröffnung des ganz runz-
lichen L'^ichnams, fanden sich die Gehirngefässe voll Blut, die Ventrikeln
voll Wasser, auf der Oberfläche des Gehirns zwischen diesem und den
Hirnhäuten mehrere grössere und kleinere Säcke voll gelber Lymphe,
die Rückenmarkshöhle voll Wasser, im Rückenmark selbst deutliche
Spuren von Entzündung. In den Lungen viel schwarzes geronnenes
Blut, der rechte Ventrikel des Herzens ausgedehnt und ebenfalls voll
Blut, desgleichen die Hohladern. Im Magen und Gedärmen viel Nar-
ben, die Gekrösdrüse und die Bauchspeicheldrüse sehr entartet und
mit Eiter gefüllt, im Mastdarm viele Narben und mehrere Geschwüre.
Ausser der oben beschriebenen wurden im Lazareth zu Mergent-
heim noch 8 Leichen secirt, von mehr oder minder stumpfsinnig und
von Kälte aufgeriebenen, aus Russland zurückgekommen und dort
aufgenommenen Soldaten. Bei allen sei der Befund ein dem beschrie-
nen ähnlicher gewesen.
Oberarmeearzt v. Köhlreuter beobachtete einen Infanterie-Offizier,
der zu Inorawlow in Polen, wo der Rest der württembergischen Armee
sich sammelte, ohne besondere Krankheit und Fieber ankam. Er ver-
fiel in völlige Geistesabwesenheit. Grosse Geistesschwäche blieb ihm
301
längere Zeit, verliess ihn zuletzt aber gänzlich, Von einem anderen
Stabsoffizier, der ihm nach jenem fatalen Eückzuge zur Behandlung
übergeben worden war, erzählt K., dass er gerast, dass er aber später
geistig gänzlich wieder hergestellt worden sei, er starb auf seinem
Rückwege an der sächsischen Grenze an Entkräftung.
Ein Infanterie-Offizier war erst später in der Heimath eine Zeit lang
völlig des Verstandes beraubt. Er brauchte längere Zeit zu seiner
Wiederherstellung, genas aber doch ohne besondere ärztlicYve Hülfe.
Die Heilung der Wahnsinnigen leistete die Zeit, mildes Klima, der
längere Umgang mit Anderen, nährende Speise ; die meisten erlangten
schon auf ihrem Wege durch Deutschland, noch ehe sie in ihre Hei-
math kamen, ihre völligen Geisteskräfte wieder, und nur eine geringe
Anzahl brauchte längere Zeit und Arzneimittel zu ihrer Wiederher-
stellung.
DerEinfluss der grossen Kälte auf die Wunden war sehr stark.
Heftige Entzündung, ungeheure Anschwellung, kalter Brand wegen
Mangels an allen Gegenmitteln. Grössere Wunden konnten auf dem
Rückzüge oft gar nicht verbunden werden, und beim Anhalten der Kälte
folgten Brand und Tod schnell aufeinander. Dieser Einfluss äusserte
sich zum Theil eben so stark auf längst geheilte und vernarbte Wun-
den, wie auf frische. Sehr schnell war der Verlauf, besonders bei Ver-
wundung der äussersten Gliedmassen. Auffallend war der Einfluss
nur mässiger Kälte auf verwundete Glieder durch schnelle Entzündung
und kalten Brand. Erhöhte Kälte war von den schrecklichsten Folgen
für die verwundeten äussersten Theile, wenn die Wunde auch längst
geheilt und vernarbt war.
V. Harpprecht, Offizier im Regimente Louis, war in der Schlacht von
Mosaisk am 7. September von einer Kanonenkugel getroffen worden.
Obengenannter Dr. v. Köhlreuter nahm ihm bald nach Empfang der
Wunde, seiner Gesundheit unbeschadet, den Schenkel ab. Ziemlich
stark und vergnügt kam er wohlbehalten bis zur Berezina. Der Ueber-
gang über diese war bekanntlich mit vielen Gefahren und Strapazen
verbunden und, so war v. Harpprecht lange, ehe er hinüber kam,
grosser Kälte ausgesetzt. Bald, nachdem er glücklich hinüber gerit-
ten war, sagte er, ihm sei, wie wenn er den Stumpf seines amputirten
Fusses verloren hätte, indem er gar kein Gefühl darin habe. Unvor-
sichtiger Weise, was sich von ihm nicht hätte erwarten lassen, liess er
sich bereden, an ein Feuer zu gehen ; bald aber fühlte er heftige
Schmerzen im Stumpfe; es erfolgte eine heftige, weit sich erstreckende,
mit starker Geschwulst verbundene Entzündung und wenige Tage
darauf der kalte Brand, und endlich starb er, ungeachtet aller passen-
den Mittel, bald nach seiner Ankunft in Wilna.
So zogen sich die, welche von der Kälte nicht in hohem Grade ge-
litten, sondern an den nächtlichen Feuern die verwundeten Glieder ge-
wärmt hatten, gewöhnlich den kalten Brand zu, der, immer typhus-
artig, meist schnell den Tod herbeiführte.
(Fortsetzung folgt.)
302
NEW YORKER MEDICINISCHE MONATSSCHRIFT.
Organ für praktische Aerzte in Amerika.
Redigirt von
dk. f. c. heppenheimer.
EDITORIELLE NOTIZEN.
15. August 1892.
Das Umsich^eifen der Cholera.
Gegen Ende vorigen Jahres trat die Cholera epidemisch in mehre-
ren Orten Syriens, so in Damascus und Bairut auf, und wurde von hier
Anfang dieses Jahres nach Persien und Afglianistan verschleppt. Yon
Meshed aus, einem in Persien gelegenen Wallfahrtsorte, wurde die
Cholera Anfang Juni, wo sie täglich 100 — 250 Opfer daselbst forderte,
von den Pilgern überall hin verschleppt und so auch nach den Orten,
die an der trans-kaspischen Eisenbahn liegen, gebracht. Von dem
kaspischen Meere aus wanderte die Cholera schnell zu Wasser und zu
Lande und trat zunächst in Baku und Astrachan auf. Baku ist be-
kanntlich eins der grössten Petroleumcentren Russlands und mit
Eisenbahnen nach mehreren Richtungen hin versehen ; so wurde von
hier die Cholera weiter nach Tiflis transportirt. Yon Astrachan aus
nahm dagegen die Cholera ihren Weg der Wolga entlang. So war denn
die Cholera in dem ungeheuren Russland vorhanden und fand hier,
wo das Land durch die lange Hungersnoth und die sonstigen zerrütte-
ten Verhältnisse, so zu sagen, für die Entwickelung aller schlechten
Keime vorbereitet war, einen fruchtbaren Boden. Die Cholera schrei-
tet nun mächtig überall hin, nach dem Westen und Norden, unaufhalt-
sam fort. Im Juni, wurde noch von der russischen Regierung das
Vorhandensein der Cholera im europäischen Russland, geläugnet ; An-
fang Juli wurde nur von vereinzelten Fällen von Cholera gesprochen ;
gegen Ende Juli dagegen liefen Nachrichten von den verschiedenen
Centren Russlauds über den schweren Auftritt der Cholera und über
die grosse Anzahl von Todesfällen ein. Am 26. Juli lautete der Re-
gierungebericht Russlands über das Verhalten der Cholera, wie
folgt .
Astrachan, 46 Fälle, 42 todt ; Voronesh, 15 Fälle, 10 todt ; Kasan,
9 Fälle, 7 todt ; Samara, 120 Fälle, 74 todt ; Saratoff, 91 Fälle, 61 todt ;
Simbirsk, 68 Fälle, 38 todt ; Rostofif, 106 Fälle, 69 todt ; Taganrog, 5
Fälle, 4 todt ; Charkoff, 15 Fälle, 3 todt ; Orenburg, 9 Fälle, 6 todt ;
Tsarizyn, 48 Fälle, 29 todt. In Warschau sind 4 Todesfälle an Cholera
vorgekommen. Die Zahl der im gesammten russischen Eeiche am 3.
und 4. August neu aufgetretenen Cholerafälle war, laut Regierungs-
*) Kabeldepescbe im N. Y. Herald vom 29. Juli 1892.
303
bericht aus Petersburg, 6741 mit 3694 Todesfällen. (N. Y. Tribüne, 8.
August 1892.)
Es ist selbstverständlich, dass diese Berichte noch lange nicht den
Sachverhalt klar darstellen, sondern, dass die Cholera in Wirklichkeit
noch weit mehr Opfer fordert.
Ueber das Auftreten von einzelnen Cholerafällen in Frankreich, so
in Paris ist bereits vor längerer Zeit berichtet worden, — allein es
scheint doch, dass trotzdem, wenigstens bis jetzt, keine Weiterverbrei-
tung der Cholera daselbst stattgefunden hat. — Am 31. Juli wird das
Vorkommen von Choleraerkrankungsfällen in Oesterreich (Pressburg)
gemeldet.
Die Cholera hat in allen früheren Epi- und Pandemien ihren Weg
von Asien durch Kussland nach den übrigen Ländern Europa's und
theilweise auch nach Amerika genommen : diesmal ist das Fortschrei-
ten der Cholera durch die neuen Eisenbahnen im fernen Osten Euss-
lands beschleunigt worden. Hoffen wir jedoch, dass es den verbesser-
ten hygienischen und sanitären Massnahmen der letzten Jahrzehnte
gelingen wird, — die Cholera vom westlichen Theil Europa's und von
unserem amerikanischen Boden fern zu halten.
REFERATE.
Innere Medicin.— Referirt von Dr. AD. ZEDERBAÜM.
Die Behandlung der Pleuritis. Von Prof. Germain See in Paris.
Autorisirte Uebers. nach einem in der Acad. de Med. in Paris
gehaltenen Vortrage. (Allg. Wiener Mediz. Zeitung, No. 18 u. 19,
1892.)
Seine eingehenden Betrachtungen über die Behandlung der Pleuritis
fasst Verfasser in folgenden Sätzen zusammen : 1) Die innerlich ver-
abreichten Mittel, und zwar die Antirheumatica (Salic. Natron), Diuretica
(Digitalis), Sudorifera (Pilocarpin), die drastischen und salinischen
Purgantia, haben auf das Exsudat keinerlei Einfluss. Die Milch, sonst
ein mächtiges Diureticum, spielt hier nur die Rolle eines leicht ver-
daulichen und assirailirbaren Nahrungsstoffes. Das Pleura-Exsudat
ist viel reicher an Albumin, Fibrin, Leucocythen, viel ärmer an Wasser,
als die Transsudate. Durch den Aderlass wird die Affection ungünstig
beeinflusst. Die einzig rationelle Methode ist die exspectative, denn
die serös-librinöse Pleuritis durchläuft in zwei bis drei Wochen regel-
mässige Phasen ; bis dahin ist jede Medication überflüssig. 2) Die
Pleuritis ist fast nie eine essentielle Affection, sondern in 68 von 100
Fällen praetuberculös oder tuberculös ; aber selbst in diesen Fällen
bleibt das Exsudat sero-fibrinös, ohne eitrig zu werden. Ueber-
impf ungen des Exsudats auf tuberculisirbare Thiere erzeugten in mehr
als 50 Prozent der Fälle Tuberculose. Die sero-fibrinöse Pleuritis wird
ferner häufig durch Typhusbacillen, Pneumokokken und pneumonische
Streptokokken erzeugt. Revulsivmittel sind unter allen Umständen
contraindicirt und dienen nur dazu, Nephritiden und schwere Intoxica-
tionen hervorzurufen. 3) Bleibt das Exsudat nach drei Wochen sta-
tionär, so soll man punctiren, gleichviel, ob es sich um eine infectiöse
Pleuritis handelt oder nicht. l3ie mit antiseptischen Cautelen ausge-
f
304
führte Punction ist gefahrlos und regt keinerlei Umwandlung des
Exsudates au. Ein Empyem entwickelt sich von Beginn an als solches.
Die Function ist sofort vorzunehmen, wo hochgradige Dyspnoe mit
Cyanose besteht. Eine Dyspnoe ohne Cyanose kann thermischen,
vasomotorischen, circulatorischen, psychischen, nervösen oder reflec-
torischen Ursprungs sein und eine drohende Gefahr vortäuschen, ohne
dass die Operation nöthig wäre.
Cremasterreflex als ein neues dyspnoetisches Phänomen. Von Dr.
H. Leibiinger in Brody. (Wiener Mediz. ^Yochenschr., Xo. 21,
1892.)
Der Cremasterreflex wurde vom Verfasser bisher in nachfolgenden
Affectioneu des Eespirationsorgans beobachtet : 1) Bei der Capillar-
brouchitis, der Catarrhalpneumonie und beim Glottisoedem, bei welchem
die Dyspnoe zeitweilig exspiratorisch ist ; 2) In denletzten Stadien der
Phthise als Begleiterscheinung der denkbar stärksten Dyspnoe ; 3) Bei
der acuten Miliartuberkulose, bei welcher in der Kegel Hustenparoxys-
men vorkommen und eine Respirationsfrequenz von 40, 60, ja 70 Athem-
zügen in der Minute beobachtet wird ; 4j Bei den verschiedenen Formen
des Bronchialastlima's, während der auffallend verlängerten und
forcirteu Exspiration ; 5j Beim Emphysem, bei welchem bekanntlich
die höchsten Grade von exspiratorischer Dypsuoe vorkommen. Der
Cremasterreflex wird bei der exspiratorischen Dyspnoe durch rein
reflectorische Einflüsse ausgelöst ; durch die energische Wirkimg der
Bauchpresse werden die angrenzenden Hautpartien an der Innenfläche
der Oberschenkel — Stellen der leichtesten Erregbarkeit für den
Cremasterreflex — gereizt, von welchen aus Letzterer erst geweckt wird.
Ebenso wird beim Husten, infolge des Druckes der Bauchpresse, das
Blut mit grosser Intensität aus den Bauchvenen in die Vena femoralis
gedrängt, was möglicherweise zur Uebertragung des Reizes auf die ent-
sprechenden Hautpartien beiträgt.
On the Value of Methylene-Blue in Malarial Fever. By Dr. W. S.
Thayer in Baltimore. (Bulletin of the Johns Hopkins Hospital,
Xo. 22, 1892.1
Ermuntert durch die ersten erfolgreichen Versuche mit Methylen-
blau bei Malaria (siehe diese Monatsschr., Xo. 5, 1892), wurde dieses
Mittel auf der Prof. OsLER'schen Abtheiluug des John Hopkin's Hospi-
tals in noch weiteren 7 Fällen einer Prüfung unterzogen. Die Fälle wur-
den derart ausgesucht, dass bei denselben eine Besserung durch Chinin-
Behandlung mit Sicherheit erwartet werden konnte. Th. sieht sich nun
berechtigt, auf Grund seiner bisherigen Erfahrungen Folgendes über
das Methylenblau auszusagen : 1) Das Methylenblau beeinflusst das
Malariafieber in unzweifelhafter Weise, indem es die specifischen
Organismen, die diese Krankheit bedingen, vernichtet, doch ist es in
dieser Beziehung weniger zuverlässig als das Chinin, welches oftmals
noch sehr wirksam erscheint in Fällen, wo das Methylenblau ohne
jedweden Xutzen verordnet wurde. 2) Die Wirkung des Methylenblau
scheint eine sehr rasche zu sein, da Schüttelfröste und Fieber in den
von ihm günstig beeinflussten Fällen schon in wenigen Tagen zu ver-
schwinden pflegen. Wo jedoch im Organismus bei sonst gebessertem
Zustande durch Methylenblau eine genügende Anzahl von Malaria-
Erregern noch zurückgebheben sind, scheinen dieselben merkwürdiger-
weise, gerade unter dem Einflüsse des Mittels, sich mit erneuerter
Kraft zu vermehren, so dass bereits in sehr kurzer Zeit die Krankheits-
erscheinungen wiederum zum Vorschein kommen. 3) Aus dem Vor-
hergesagten ergibt sich, dass das Methylenblau keine Vortheile vor
dem Chinin darbiete.
305
Krankheiten des Circulations- und Verdanungsapparates. Referirt
von Dr. MAX EINHORN.
1. Die Zusammensetzung des Blutes in einem Falle von hochgradiger
Anämie und einem solchen von Leukämie. Von F. Krüger.
(St. Petersburg. Medic. Wochenschr., 1892, No. 21.)
Verf. hat nach der Methode der Blutanalyse von Al. ScnrnDT, —
welche darin besteht, dass man den Proceut Trockenrückstand erst
im Gesammtblute, dann aber im Serum, und den Blutkörperchen
getrennt feststellt, und so das ^'e^llält)liss der Blutkörperchen zum
Serum berechnet ; — in einem Falle von hochgradiger Anämie infolge
eines Magenulcus und in einem Falle von Leukämie ausführliche
Blutuntersuchungen vorgenommen. Das Blut wurde bei beiden.
Patienten durch Venäsection gewonnen. K. kommt Grund seiner
Untersuchungen zu folgenden wichtigen Schlüssen :
1. Im Blute Anämischer sind die rothen Blutkörperchen als solche
gar nicht oder nur äusserst wenig in ihrer Zusammensetzung von der
Norm verschieden, sodass die Veränderung des Blutes hauptsächlich
auf einer Verminderung der Menge derselben beruht. Das speciüsche
Gewicht ist bedeutend geringer als normal, und der Trockenrückstand
gleichfalls niedriger wie beim Gesunden. Das ganze Blut ist wässeri-
ger geworden.
Das anämische Blut ist demnach charalderisir-l durch eine Verminde-
rung der Menge der rotlten Blutkörperchen, hei normaler Zusammen-
setzung derselben, und durch gleichzeitige Verdümuing seines Serum.
2. Das leukämische Blut ist in Bezug auf die Mengenverhältnisse
seiner vorwiegendsten Bestandtheile — der Blutflüssigkeit und der in
ihr suspendirten körperlichen Elemente (rothe Blutkörperchen) — nicht
gestört, dagegen haben diese selber eine Veränderung erlitten, welche
sich dadurch kennzeichnet, dass das Serum reicher, die Blutkörper-
chen ärmer an festen Bestandtheilen geworden sind, wobei letztere
namentlich eine Abnahme an Hämoglobin aufweisen. Das speciüsche
Gewicht des leukämischen Blutes ist nicht niedriger, als normal.
2. Zur Diagnose und Therapie der Krankheiten des Verdauungs-
tractus. Ein Fall chronischer Secretionsunttichtigkeit des
Magens. (Anadenia ventriculi ?) Das Benzonaphtol. Von C.
A. Ewald. (Berl. Khn. Wochenschr., 1892, No. 26 und 27.)
Wie allgemein bekannt, ist man in den letzten Jahren davon zurück-
gekommen, den Nachweis der freien Salzsäure bei der Diagnosen -
Stellung, Magencarcinom oder nicht, als ausschlaggebend zu betrachten.
Ewald hat nun auch das Verhalten des gebundenen HCl geprüft, und
auch hier zeigte es sich, dass das negative Resultat für die Diagnose
Carcinom nicht mit Sicherheit verwerthet werden kann. E. führt einen
Fall von chronischer „ Secretionsuntüchtigkeit des Magens " an, wo
eben vollständiger Mangel der Salzsäure, sowohl der freien, wie der
gebundenen bestand, ferner Mangel des Pepsins und des Labferments,
und wo Carcinom mit Bestimmtheit ausgeschlossen werden konnte.
[Dieser Fall gehört zu der Reihe von Magenaffectionen, die ich soeben
unter dem Namen „ Achylia gastrica " in der letzten Nummer der
Monatsschrift beschrieben habe. Referent.] Die Schwierigkeit
Magencarcinom auszuschliessen demonstrirt E. an einem anderen
Falle, wo bei einor 52jährigen Dame eine Zeit lang Dysphagie bestand,
der Schlauch aber ohne jeglichen Widerstand in den Magen gelangte ;
nachdem Patientin sah, dass keine wirkliche Verengerung der Speise-
röhre vorliegt, konnte sie nunmehr bald gut essen, und die meisten
Symptome besserten sich ; daraufhin wurde die Diagnose : „ Krampf-
306
zustand der Speiseröhre event. auf hysterischer Basis " gemacht.
Nach etwa ferneren sechs Wochen trat Verschlimmerung ein, und man
konnte nun deutlich einen Tumor mit allen charakteristischen Zeichen
des Carcmoms in der Magengegend fühlen, E. bespricht dann genau
die Therapie dieser Fälle von Secretionsuntüchtigkeit oder Achylia ;
zwei Aufgaben sind zu erfüllen : 1. Die Motilität des Magens zu kräf-
tigen ; 2. Zersetzungen im Magen hmtanzuhalten. Die erste Aufgabe
wird am besten durch die directe Faeradisation des Magens erfüllt, die
zweite durch Darreichung von Salzsäure in grossen Mengen. Als ein
ausgezeichnetes desinflcirendes Mittel des Magens und Darmes sieht
Ewald das in letzter Zeit von französischer Seite empfohlene Benzo-
naphtol an. Dasselbe hat keinen schlechten Geschmack und reizt in
keiner Weise die Schleimhäute ; es kann in Dosen von 3 — 5 grm. täg-
lich gegeben werden. E. giebt es gewöhnlich in Verbindung mit
Kesorcin und Bism. salicyl. ^& sowie Beimengung eines Pflanzenpulvers
als Schachtelpulver, zweistündlich ein Theel. zu nehmen.
3. Ueber den Einfluss körperlicher Anstrengung auf die Ausnützung
der Nahrung. Von S. ßosenberg. (Pflüger's Arch., Bd. 52, p. 40L)
K. hat eine Hündin erstens gleich nach dem Essen, zweitens aber
etwa drei Stunden nach der eingenommenen Nahrung, mehrere Stunden
hindurch laufen lassen und hat dann vergleichende Untersuchungen in
Bezug auf die Ausnutzung der Nahrung in der Rahe und während der
Arbeit vorgenommen. Verfasser kommt zu dem Schluss, dass beim
verdaiiungsgesunden Hunde die Ausnützuug der Nahrung ganz unab-
hängig davon ist, ob das Thier sich während der Verdauung in Ruhe
befindet, oder eine sehr energische Arbeit leistet.
4. lieber neue Calciumsalze in der Therapie. Physiologische und
diätetische Behandlung der Magenkrankheiten. Von Germain
See in Paris. (Deutsche med. Wochenschr., 1892, No. 22.)
Germain See rühmt die Wirkung des Chlorcalciums, als eines
leicht absorbirbaren Körpers, auf den Organismus. Er giebt das
Chlorcalcium in Mengen von 1—5 grm. pro die in einer grossen Anzahl
von Magenkrankheiten (hauptsächlich Magenkatarrh und Carcinom,
wo das Labferment oft fehlt, und durch das Chlorcalcium das Labzy-
mogen in das betreffende Ferment umgewandelt wird).
Dermatologie.— Referirt von Dr. H. GOLDENBERG.
Der Streptobacillus des weichen Schankers. Von P. G. Unna.
(Monatshefte für pract. Dermatologie, 1892, No. 12.)
Unna fand in fünf hintereinander untersuchten reinen Fällen von
weichen Schankern, die ausgeschnitten, in absolutem Alkohol gehärtet,
mit alkalischer Methylenblaulösung gefärbt resp. überfärbt und mit-
telst Glycerinäthermischung entfärbt waren, einen kleinen kurzen
Streptobacillus, der in Form von Ketten wächst. Die letzteren ver-
laufen ausnahmslos in den Lymphspalten zwischen den Gewebszellen.
Trotz noch nicht vorgenommener Impfversuche hält U. die
pathogenetische Bedeutung dieses Streptobacillus für erwiesen, weil
sich derselbe konstant und ausschhesslich in den nicht behandelten
frischen Fällen von weichem Schanker vorfand, dagegen bei anderen
Geschwürsformen speciell bei syphilitischen, herpetischen und varicoe-
sen Geschwüren fehlte. (Jedenfalls ist der Bacillus mit dem von
Ducrey im Öecrete weicher Schanker nachgewiesenen identisch.)
so?
Un cas de Reinfection Syphilitique par R. Pauly. (Annales de Der-
matologie et Syphiligraphie, June 1892.)
Patient hatte vof 15 Jahren ein^n Schanker am frenulum und ein
Ulcus durum der Unterhppe, Lymphadinitis, plaques muqueuses im
Mund und Anus sowie speciflsche Alopecie Hospitalsbehandlung mit
Hg. Acht Jahre lang symptoraenfrei.
Gegenwärtig oberflächliche pkKiues muqueuses im Mund, aus deren
Aussehen der Verfasser schliesst, dass sie Symptome einer 6 — 12
Monate alten, unmöglich einer 15 Jahre alten Syphilis sein könnten.
Ausserdem fand er Papeln an der Nasolabialfalte, plaques muqueuses
am Scrotum und Anus und eine Pigmentsypnilis am Hals mit allgemei-
ner Adenopathie. Die Initialeffecte sassen an der linken Wange, es
finden sich daselbst noch zwei characteristische Narben auf einer infil-
trirten Basis. Daneben besteht beträchtliche Schwellung der Sub-
maxillardrüsen der linken Seite.
(Die wenigsten der bisher beschriebenen Fälle von syphilitischer
Keinfection können einer strengen Kritik Stand halten, wesshalb Ke-
ferent auf diesen Fall näher eingegangen ist. Pospelow hat neuer-
dings einen unwiderleglichen Fall von Keinfection mitgetheilt.)
Pathologie und Bakteriologie.— Referirt von Dr. LOUIS HEITZMANN.
1. Ueber die Struktur des Bindegewebes und deren Bedeutung ftir
die Histologie der Entzündungsvorgänge. Von Prof. Paul
G-rawitz. (Berliner klinische Wochenschrift, No. 6, 1892.)
2. Ueber die schlummernden Zellen des Bindegewebes und ihr Ver-
halten bei progressiven Ernährungsstörungen. Von demselben.
(ViRCHOw's Archiv., Band 127.)
3. Ueber die Gewebsveränderungen bei der Entzündung und ihre
biologische Bedeutung. Von demselben. (Originalreferat in der
Berliner klini-.chen Wochenschrift, No. 28, 1892.)
Drei interessante Arbeiten; in welchen Verfasser bestätigt, was
schon seit beinahe 20 Jahren bekannt ist, obwohl er glaubt neue Ent-
deckungen gemacht zu haben. In dem ersten, vor der HuFELANo'schen
Gesellschaft am 21. Januar d. J. gehaltenen Vortrage, zeigt Grawitz
dass es ausser der Theilung fixer Bindegevvebszellen und der Aus-
wanderung farbloser Blutzellen noch eine Möglichkeit für die Ent-
stehung von Bindegowebszellen giebt, welche, wie er behauptet, bisher
übersehen worden ist, obgleich sie eine sehr ausgiebige und bei
manchen chronischen Entzündungen. (Endoarteriitis deformans)
vielleicht die einzige Qaelle der Zellenbildung ist, nämlich die Bildung
von Zellen aas der Intercellularsiüjstanz.
Das Hervortreten dieser neuen Zellen und Kerne neben den fixen
Bindegewebszellen vollzieht sich nach ihm, in einer bestimmten Keihen-
folge. Ein Theil der Zellen entsteht ganz evident innerhalb von Spal-
ten. Bei der Vergrösserung der Zellen erweitert sich der Spalt, in ihm
werden Kerne sichtbar, dann Zellsubstanz ; die fertige Zelle liegt als-
dann in einem Saftkanal, wie es im losen Bindegewebe die sogenannten
fixen Bindegewebskörperchen thun. Eine zweite Gruppe wird sicht-
bar an der Wand des Saftkanals ; auch hier erscheinen zunächst
Kerne, dann Spindelzellen, der vorher kernlose Spalt oder Kanal stellt
nunmehr ein Rohr dar, welches ähnlich einer Capillare von endothel-
artigen Zellen ausgekleidet ist. Eine dritte Reihe von Kernen
erscheint neben diesen zellig gewordenen Saftkanälen in den Fasern
selbst. Wenn man diese Vorgänge ungestört, das heisst ohne Einwan-
derung weisser Blutkörperchen, ablaufen sieht, kann man sich über-
808
zeugen, dass wir bisher im derben Bindegewebe, z. B. der Cutis, kaum
mehr als 5 oder 10 Prozent der Bindegewebszellen gekannt haben, dass
dagegen die übrigen 90 oder 95 Prozent sich in einem Zustande
befunden haben, welcher unseren Kernfärbungsmitteln nicht zugäng-
lich ist, und den G. als den Schliimmerzustand der Bindegewebszellen
bezeichnet.
Am Schluss sagt Grawitz dass, obwohl im Einzelnen noch zahl-
reiche Untersuchungen nothwendig sein werden, das Eine doch schon
jetzt sowohl für die Bindesubstanzen als für Muskeln und das peri-
pherische Nervengewebe als ein durchgehendes Gesetz aufgestellt
werden kann, dass alle diese Gewebe sich aus ursprünglich embryo-
nalen Zellen aufbauen, und dass sie alle, eventuell nach Verlust ihrer
charakteristischen Bestandtheile (Intercellularsubstanzen, Fett,
Myosin, Myelin) in denselben zelligen Zustand zurückkehren, und end-
lich wieder durch Uebergang der Zellen in den Schlummerzustand zu
faserigem Bindegewebe oder Schleimgewebe umgewandelt werden
können.
Die zweite Arbeit bringt die Definition der „ schlummernden Zellen",
wie oben angegeben. Die Schlummerzelle entspricht der Bindegewebs-
faser, welche direkt durch Umwandlung aus der Zelle, nicht als Ab-
scheidung entstanden ist. Die „ erwachten Zellen " sind ein wichtiger
und reichlicher Bestandtheil der entzündlichen Infiltration. Der eigent-
liche Bindegewebseiter entsteht gerade durch diese Vorgänge, indem
durch Zunahme der zelligen Elemente auf Kosten der Fibrillen eine
Verflüssigung des Gewebes eintritt. Der Anfang ist bei allen progres-
siven Processen im Bindegewebe im Princip derselbe, eine active Thä-
tigkeit der Zellen und librillärer Intercellularsubstanz ; es ist also nur
der weitere Verlauf dafür entscheidend, ob wir den Vorgang als Hei-
lung, Hypertrophie, acute oder productive Entzündung oder als Ge-
schwulstwucherung bezeichnen.
Den dritten Vortrag hielt Grawitz vor dem Chirurgen-Congress in
Berlin am 9. Juni d. J. Derselbe ist meist eine Wiederholung des oben-
gesagten. Er schliesst mit folgenden Worten : " So lässt sich also
aus den vergleichenden Beobachtungen der verschiedenen Gewebe das
Gesetz ableiten, dass alle Ernährungsstörungen einen Kückgang der
Grundsubstanz bewirken in ein Stadium, welches zur Zeit der Ent-
wicklung die Gewebe einmal durchlaufen haben ; die Entzündung ist
ein Glied in der Keihe dieser rückbildenden Vorgäoge, und nicht von
dem Beginne, sondern erst von dem letzten Ergebnisse hängt es ab, ob
die neuentstandenen Zellen zur Kegeneration, zur Geschwulstbildung,
zur eitrigen Schmelzung oder zum dauernden Untergang bestimmt
sind." In der Discussion zu diesem Vortrag bemerkt Gussenbaüer,
dass vor mehr als 20 Jahren bereits Stricker mit den damals viel ein-
facheren Methoden zu demselben wissenschaftlichen Ergebniss wie
Grawitz gekommen ist, dass nämlich die Intercellularsubstanz befähigt
ist, sich umzuwandeln und in embryonalen Zustand zurückzukehren.
Auch die Auffassung der Participation der Gewebszellen bei Ernährungs-
störungen, insbesondere der Geschwulstbildung, sei Stricker's alte
Lehre.
Es ist sehr erfreulich, dass ein ausgezeichneter Mikroskopiker wie
Grawitz durch unabhängige Arbeit zu diesen oben angegebenen Kesul-
taten gelangte. Nicht sehr erfreuhch aber ist es, dass ihm die Litteratur
der letzten zwanzig Jahre über diesen Gegenstand so fremd geblieben
ist. In Carl Heitzmann's Mikroskopischer Morphologie, 1883, befindet
sich eine durch Abbildungen erklärte Darstellung des Entzündungs-
und Eiterungsprozesses, wie er dies im Jahre 1873, also vor fast 20
Jahren, in den Sitzungsberichten der k. Akademie der Wissenschaften
in Wien dargestellt und seither unverändert festgehalten hat. Stricker
309
hat sich erst im Jahre 1880 zu der neuen Lehre bel<:ehrt, und hat damals
in einem in den „Wiener Medizinischen Blättern*' veröffentlichten Auf-
satze offen erklärt, dass es ihm eine sechsjährige Arbeit gekostet hatte,
bevor er sich von der Ei(;htigkeit der Anschauungen Carl Heitzmann's
überzeugen konnte. Was Grawitz j<*tzt sagt, dass nämlich alle Er-
nälirungsstöiungen einen Rückgang der Grundsubstanz bewirken, in
ein Stadium, welches zur Zeit d<^r Entwicklung die Gewebe einmal
durchlaufen haben, und dass die Entzündung ein Glied in der Reihe
dieser rückbildenden Vorgänge ist, stimmt vollständig mit Carl Heitz-
mann's Lehre überein. Solange man sich indess mit dem Namen
„Zelle" abquält, wofür keine richtige Definition vorhanden ist, ferner
solche . Ausdrücke wie „Schlumnierzelle" gebraucht und zu dem
Resultate kommt, „dass bei ruhip^era Ablauf pathologischer Vorgänge
woti lausgebildete grosse Zellen entstehen, bei stürmischem Ablauf hin-
gegen Abortivformen, welche den mehrkernigen Leucocyten zum Ver-
wechseln ähnhch sind," so lange ist ein Erfassen des Prozesses der
Entzündung und Geschwulstbildung nicht zu erwarten.
Ueber die Verwerthung des Fleisches von tuberculösem Schlachtvieh.
Von Prof. E. Perroncito. (Centralblatt für Bakteriologie und
Parasitenkunde. Band XI., No. 14.)
Verfasser hat in den Jahren 1889-90-91 eine Reihe von Versuchen
an Meerschweinchen, Kaninchen, Schweinen und Hornvieh angestellt,
um festzustellen, ob das Fleisch von tuberkulösem Schlachtvieh ohne
Gefahr für die Uebertragung der Tuberkulose benützt werden könne.
Das Fleisch betraf Hornvieh, welches in verschiedenen Stadien der
Tuberkulose befunden wurde. Mehr als 200 Kaninchen und ebenso
vielen Meerschweinchen wurde der Fleischsaft subkutan oder in die
Bauchhöhle eingespritzt. Diese Thiere ergaben, eineinhalb, zwei, drei
oder mehr Monate nach der Impfung getödtet, auch nicht eine Spur
von Tuberkulose. Zwei Rinder wurden mit dem Fleischsafte subkutan
geimpft, und als sie nach mehr als sechs Monaten getödtet wurden,
zeigten sie keine Spur einer tuberkulösen Läsion. Eine Menge Ferkel
w^urde Monate lang mit dem Fleische tuberkulöser Rinder genährt, ohne
dass sie bei der Autopsie tuberkulöse Veränderungen dargeboten
hätten. Denselben Ferkeln wurden später Eingeweide mit Tuberkel-
knötchen zum Fressen gegeben und waren sie bei der Autopsie vollkom-
men gesund. V. stellte am Schlüsse die Frage auf, wie es käme, dass
Schweine, unter den schlechtesten hygienischen Verhältnissen gehalten,
bei einer infizirten Ernährung gesund blieben, während jene, die nie
Tuberkelknötchen noch tuberkulöses Fleisch zu sehen bekamen, einen
beträchtlichen Prozentsatz zum Kontingent der furchtbaren Krankheit
liefern ?
Schützt die durch Milzbrandimpfung erlangte Immunität vor Tuber-
kulose ? Von Prof. E. Perroncito. (Ebenda.)
Mehrere Viehzüchter, die alljährlich Fälle von Milzbrand und einen
nicht unerheblichen Ausfall durch Tuberkulose zu verzeichnen hatten,
machten von der Milzbrandimpfung Gebrauch und erzielten dadurch
nicht nur das Verschwinden des Milzbrandes, sondern es schien sogar,
als ob mit dem Milzbrande auch die Tuberkulose aufhöre. In der
Absicht, festzustellen, ob die für Milzbrand erlangte Immunität im
Stande sei die Entwicklung des tuberkulösen Processes zu hf-mmen,
oder doch zu erschweren, stellte P. Versuche an Kühen an, welche durch
Impfung und Sättigung mit Milzbrandvirus gegen Milzbrand immun
gemacht wurden. Diese Rinder wurden mit Tuberkelbacillen aus Rein-
kulturen geimpft. Zwei und einen halben Monat später konnte man
310
bei der Schlachtung der Rinder entsprechend der Impfstelle eine leichte
Hyperplasie des Bindegewebes finden. Sämmtliche Eingeweide waren
vollkommen gesund. Eine abgemagerte Kuh mit diffuser Tuberkulose
der Brust und Baucheingeweide, wurde mit Milzbrand virus geimpft und
gesättigt. Nach zwei Monaten wurde das Thier getödtet und fand man
die meisten Tuberkelknötchen verkalkt. Impfungen, welche mit den
jüngeren Knötchen angestellt wurden, ergaben ein negatives Ilesultat.
Wissenschaftliche Zusammenkunft Deutscher Aerzte in
New York.
(HO West 34. Strasse.)
. Sitzung vom 25. März 1892.
Vorsitzender : Dr. H. J. Boldt.
Schriftführer : Dr. E. Fridenberg.
Vorstellung von Patienten.
H. Goldenberg stellt einen Patienten mit Ulcus durum des
linken unteren Augenlides, seit circa 3 Wochen in Beobachtung, vor.
Patient suchte ärztliche Hülfe wegen einer schmerzhaften An-
schwellung des unteren Augenlides. Dr. A. Strouse, der den Patienten
zuerst sah, vermuthete eine specifische Affection. Um sicher zu sein,
dass es sich nicht um ein Hardeolum handele, machte er eine Incision
mit, wie erwartet, negativem Kesultat. Patient wurde darauf der
Hautabtheilung des Vortragenden überwiesen. Bei der Untersuchung
fand sich in der Mitte des unteren Augenlides, am Uebergang der
Schleimhaut in die äussere Haut, eine scharf umschriebene, oberfläch-
liche Ulceration, etwa von der Grösse eines 10 Cents-Stückes, auf einer
indurirten Basis. Daneben Anschwellung der Praeauricular- und Sub-
maxillar-Drüsen der befallenen Seite. Unter lokaler Behandlung mit
rother Präcipitatsalbe ist die Ulceration nahezu verheilt, die Induration
indessen noch so deutlich, dass an der Diagnose kein Zweifel möglich
ist. Daneben Anschwellung der Praeauricular- und Submaxillar-Drü-
sen und maculo-papulöses Exanthem.
Quelle der Infection : Vermuthlich ein Handtuch. Patient ist Kell-
ner in einem Hotel, in welchem 150 Keilner beschäftigt sind. Gemein-
same Benutzung der Handtücher ist übUch.
Vortragender macht darauf aufmerksam, dass eine Anschwellung
der Praeauricular- und Submaxillar-Drüsen stets bei Schankern des
Augenüdes gefunden werde.
In allen Fällen, die in der Literatur mitgetheilt sind, sei die er-
wähnte Thatsache nahezu konstant beobachtet worden.
(Zusatz ; Die anatomische Erklärung für dies Verhalten ist die fol-
gende : Die Lymphgefässe von der inneren Seite des Augenlides er-
giessen sich in das ganglion submaxilare, die der äusseren Partie in die
ganglia parotica, deren hauptsächlichstes das ganglion praeauriculare
ist. Diese Adenopathie ist nahezu konstant, indessen können in Folge
von Anastomosen zwischen den Lymphgefässen, eventuell ausnahms-
weise auch andere Lymphdrüsen ergriffen werden.)
Discussion.
Schapringer behandelte vor 1 Jahre einen ähnlichen Fall.
Das rechte obere Lid geschwellt. Beim Umklappen speckig belegte
Stelle der Lidbindehaut. Präaurikular- und Submaxillardrüse ge-
schwellt. Später maculöses Syphilid. Die Art der Infektion war nicht
311
zu eruireD. Das Belecken des Auf^es wird nicht nur für Fremdkörper,
sondern auch für andere Augenaffektionen geübt und führt häufig zur
Infektion.
Klotz. Bei harten Sohankern in dieser Gegend fehlt oft die
A'leaitis Submaxillariti und Mentalis.
A. N. St ro use. Die primären Sklerosen am Auge kommen ge-
wöhnlich an den Winkeln, speziell am inneren Winkel vor. Hier zu Lande
sind sie sehr selten. Als dieser Fall in der opthalmologischen Sek-
tion der Akademie of Medicine vorgestellt wurde, konnten von den
Anwesenden nur 8 ähnliche Fälle citirt werden. Die Infektion findet
ausser auf schon erwähnten Wegen öfter dadurch statt, dass syphili-
tische Hebammen den mit Speichel benetzten Finger zum Eröffnen
zugeklebter Kinderaugen anwenden. Die Adenitis Praeauricularis
ist pathognomonisch.
S c Ii a p r i n g e r. Bei Vaccineinfektion des Lides findet man auch
Adenitis praeauricularis. Die letztere ist also bei der Diffentialdiag-
nose nicht ausschlaggebend.
Kiliani stellt ein Kind mit Fraktur beider Vorderarmknochen
ohne Schmerzen vor.
Das anämische, mässig ernährte Mädchen M. S., 12 Jahre alt. müt-
terlicherseits tuberculär belastet, kommt am Id. März 1892 ins German
Dispensary, „weil ihr rechter Arm so „komisch" stehe und sie die Hand
nicht gut drehen könne, seit sie am 3. März von einem laufenden
Manne auf der Strasse umgerannt und mit dem rechten Arm aufs
Pflaster gefallen sei."
Die Untersuchung ergiebt eine subcutane Fractur des Vorderarmes,
die in unreponirter Stellung in Consolidation begriffen ist. Und zwar
ist der Eadius am oberen (proximalen) Drittel gebrochen. Die Frag-
mente bilden einen auffallenden, stumpfen Winkel nach innen von
ungefähr 155°, dessen Schenkel in die Horizontalebene fallen — bei
reehtwinkheh flectirtem Unterarm und pronirter Stellung der Hand, der
ganze Arm in der Sagittalebene gehalten.
Die Ulna ist in der Mitte fracturirt. Die Bruchenden bilden einen
stumpfen Winkel nach unten von ungefähr 165°, dessen Schenkel
in die Sagittalebene zu liegen kommen.
Die Hand steht in voller Pronation, Supination fast null. An den
beiden Bruchstellen ist deutlicher Gallus zu fühlen; die Schwellung des
zarten Armes gering.
Das Kind hat nun im Momente der Fractur und im weiteren Ver-
laufe so wenig Schmerz geäussert, dass sie den Arm nicht einmal ein-
wickelte oder in der Schlinge trug, täglich dreimal auf der frischen
Fractur mit „Liniment" eingerieben wurde und mit dem Arme
schrieb. Sie glaubt auch jetzt nicht, dass der Arm gebrochen war,
sonst wäre sie gleich gekommen, aber sie „habe absolut keine Schmer-
zen gehabt".
Ich fracturirte nun beide Knochen wieder (wegen der fehlerhaften
Stellung — die Deformität war auffallend) ohne Narcose, wobei das
Kind mich ruhig ansah und keinerlei Schmerz äusserte.
Der Arm ist nun, drei Wochen nach der Fractur, in richtiger Stel-
lung geheilt, Pro- und Supinationfrei.
Dass hier eine wirkliche Fractur beider Vorderarmknochen und
nicht etwa eine Infraction bestand, geht aus der oben beschriebenen
Stellung der Fragmente deutlich hervor, indem bei einer Infraction die
Winkel der infracturirten Knochen erfahrungsgemäss in Farallelebenen
liegen, da ja auch die Gewalt auf beiden Knochen in derselben Rich-
tung einwirkt und Muskelzugwirkung der noch bestehenden Continui-
tät wegen ausgeschlossen ist. Ausserdem, wenn man die Schmerzlo-
sigkeit der Verletzung durch Infraction erklären wollte, so lässt diese
312
Erklärung vollständig im Stich bei der absoluten Schmerzlosigkeit der
Eefracturirung, die, wie oben erwähnt, ohne Narcose oder Hypnose
vorgenommen wurde.
Es muss also eine abnorme Unempfindlichkeit vorliegen.
Die Annahme einer schweren Hysterie würde hierfür am ungezwun-
gensten eine Erklärung abgeben, obwohl, soweit mir bekannt, kein
derartiger Fall bis jetzt beschrieben wurde. Es lässt sich hierfür bei
diesem Mädchen aber nicht der geringste Anhaltspunkt finden und
insbesondere lässt sich keinerlei Anästhesie im Armnervengebiet nach-
weisen.
Ich muss desshalb eine Erklärung dieses eigenthümlichen Falles
schuldig bleiben, den ich wegen seiner enormen Seltenheit vorstellen
wollte.
He im an stellt eine 26 -jährige Frau vor. Dieselbe seit einem
Jahre verheirath et ; keine Kinder oder Abortus. Leidet seit 6 Mona-
ten an klonischen Krämpfen im rechten Arm, im Daumen und Zeige-
finger anfangend, dann den ganze Arm befallend, 2 bis 5 Minuten an-
haltend. Anfangs wurde Patientin bewusstlos, blss sich in die Zunge,
es stand Schaum am Munde. Schmierkur und Jodkali hatte keinen
Erfolg, nach Bromkali sofortige Besserung. Positive Diagnose zu
stellen, sei wohl unmöglich, jedoch glaube er, dass es sich um eine
cortikale Epilepsie handle.
Discussion.
Koller hat 3 verschiedene Male ophthalmoskopirt, aber einen
negativen Befund constatirt.
A. J a c o b i. Die strenge Lokalisation der Anfälle und der Erfolg
der Brombehandlung deuten auf cortikale Epilepsie.
F. C o h n demonstrirt einen Patienten mit Carcinoma Tonsillae sin.
Goldenberg stellt (für L. Weiss) einen Mann mit ungewöhn-
lich grossen Paketen von Condylomata acuminata Glandulae Penis vor.
Golde nberg stellt ein 8 Monate altes Kind mit universeller
Urtricaria pigmentosa vor und bespricht an der Hand dieses Falles das
klinische Bild und das Wesen der Erkrankung.
Präparate.
Willy Meyer demonstrirt a) eine Niere, die er durch rechtsseitige
Nephrektomie nach Czerny entfernte. Es trat später absolute Harn-
retention ein, welches durch Nephrotomie glücklich bekämpft wurde.
b) Eine ektopische Schwangerschaft. Eine 28J-jährige Frau, seit 4
Jahren verheirathet, verlor 1888 zum ersten Male ihre Menses. Alle
Symptome der Schwangerschaft waren vorhanden. Sie wurde wegen
Abdominalschmerzen zuerst an Oophoritis behandelt. Als sich später
Uterusblutung einstellte und eine Eihaut sich abstiess, wurde die
Diagnose auf ektopische Schwangerschaft gestellt und mittelst Laparo-
tomie die linke trächtige Tube exstirpirt. Anno '90 wurde Patientin
abermals schwanger. Eine Geschwulst bildete sich rechts. Ohn-
machtsanfälle. Blutabgang. Kolik. Diagnose. Ektopische Schwan-
gerschaft. Laparotomie und Abbindung der rechten trächtigen Tube.
Genesung. Patientin war überhaupt nur 2 Mal schwanger, jedes Mal
tubenschwanger; 2 Mal Laparotomie mit Genesung. Keine Zeichen
der Salpingitis wurden gefunden. Wahrscheinlich liegt Strictur des
uterinen Tubarendes vor.
Kammerer demonstrirt 2 Processus Vermiformes. .
a) Der eine stammt von einem 29-jährigen Manne, der am vierten
Tage einer akuten circumscripten Perityphlitis operirt worden. In
demselben befand sich der übliche längliche Kothstein. Unkomplizirte
Heilung.
318
h) Der Zweite stammt von einem Fall von allgemeiner Peritonitis.
Am achten Tage des Anfalles wurde nach aussen vom Rectus die
Laparotomie ausgeführt. Das Peritonaeum parietale war mit dem
Colon verwachsen, und so wurde die Bauchhöhle nicht eröffnet. Foscie
und Peritonaeum parietale wurden gangränös und stiesseu sich ab.
Ein zweiter Abscess in der Lumbaigegend musste incidirt werden.
In einem dritten Falle trat trotz Eröffnung von vier Abscessen Exitus
an allgemeiner Peritonitis ein; während in einem vierten tödlich ver-
laufenden Falle trotz Rektaluntersuchung ein tiefliegender Abscess
nicht entdeckt wurde.
Brettauer demonstrirt.
a) Pyosalpinx.
b) Ovarialcyste
Dr. Brettauer zeigt das Präparat einer lang gestielten „Parova-
rialcyste".
Die 24 Jahre alte Frau hatte zweimal geboren, einmal abortirt vor
circa drei Monaten, menstruirt regelmässig, klagt jedoch seit dem
Abort über Schmerzen auf der linken Seite. Bei der ersten Untersuchung
der sonst gesunden Frau fand sich unmittelbar vor dem etwas zurück-
gesunkenen Uterus eine circa kindskopfgrosse, nach allen Richtungen
frei bewegliche cystische Geschwulst, die für eine gestielte linksseitige
Ovarialcyste gehalten wurde. Die Frau wurde in's Spital geschickt,
die Operation für den 8. März festgesetzt. In der Nacht vorher ward
Patientin plötzlich von heftigen Schmerzen im ganzen Unterleibe be-
fallen ; üebelkeit, eine Temperatur von 103, Puls 120 waren die Begleit-
erscheinungen.
Ruptur der Cystenwand, der erste Gedanke, musste ausgeschlossen
werden, da per vaginam die Cyste deutlich gefühlt werden konnte, und
zwar mehr nach links. Eine Stieldrehung wurde als Ursache der
Symptome betrachtet, Eisbeutel auf das Abdomen und Opium gegeben.
Nach 48 Stunden war die Temperatur normal, Puls 96, Schmerz geringer.
Laparotomie am 12. März. Die Cyste war vollständig im ligamentum
latum gelegen, liess sich jedoch so leicht entwickeln, dass der Stiel
genau so behandelt werden konnte, wie der einer einfachen Ovarial-
cyste. Heilung. Der Stiel war nicht gedreht, wohl aber ausgezogen,
so dass die Cyste, die vom rechten Parovarium ausging, auf die linke
Seite zu liegen kam. Dass eine Störung in der Circulation der Wand
stattgefunden, zeigten die zahlreichen Ecchymosen in derselben, sowie
der schwarz-flüssige Inhalt.
Ferner zeigt uns das Präparat, wie leicht es gewesen wäre, das liga-
mentum latum zu spalten, die Cyste auszuschälen und Ovarium und
Tube zu erhalten.
Dr. Brettauer demonstrirt ferner das Präparat einer „tubercu-
lösen Salpingitis" mit Tubo-ovarialabscess.
Dasselbe stammt von einer 21 Jahre alten Frau, deren Anamnese
keine Anhaltspunkte für Tuberculose ergeben. Intensiver Schmerz
links und profuse Metrorrhagien waren die Beschwerden. Die Unter-
suchung ergab einen grossen, retroflectirenden Uterus mit normal
grossen, tiefer gelegenen, rechtsseitigen Adnexen und einem über
hühnereigrossen, elastischen, unbeweglichen Tumor links, der in Nar-
kose als Pyosalpinx angesprochen wurde.
Am 10. März. Laparotomie mit Beckenhochlagerung. Aeusserst
schwierige Auslösung der mit Därmen fest verwachsenen Geschwulst.
Drainage, da bei der Entfernung ausgedehnte Wundflächen geschaffen
und käsige Massen in die Bauchhöhle gerathen waren. Heilung.
Das Präparat zeigt deutlich, wie die Abscesshöhle entstanden, näm-
lich durch Durchbruch des mit käsigen Massen erfüllten, stark erwei-
terten abdominellen Tubenendes in eine der zahlreichen Cysten des
314
Ovariums, welches durch ältere Adhaesionen inDig mit dem ersteren
verlöthet war. Die Tube geschlängelt, ihre Wandung enorm verdickt,
mit einzelnen Einschnürungen ; Uterinende verschlosseo, Tuberkel-
bacillen konnten weder in der Tuben- noch in der Abscesswand nach-
gewiesen werden.
Adler demonstrirt eine sehr kleine Leber.
Patient ein 26-jähriger Mann, der massigen Alkoholgenuss zugiebt,
sonst aber nicht belastet, wurde nach dreiwöchentlichem Uebelbeünden
Anfangs Januar ins Deutsche Hospital aufgenommen. Er litt an
Unbehagen, Magenbeschwerden, Stuhlverstopfung. Ikterus nahm
allmählig zu bis Patient schwarzgrün aussah. Gelegentliches Fieber
102° — lOS"" — 104°, dann wochenlang norjnale oder subnormale Tempera-
turen. Im Harn eine Spur Eiweiss, durch eine floride Gonorrhoe be-
dingt. Kein Zucken, dagegen Leucin und Tyrosin. Leberdämpfung
anfangs etwas vergrössert, dann verkleinert. Profuse übelriechende,
thonCarbige Diarrhöen. Kein Blut. Milz weder perkutorisch noch
postmortem vergrössert. Pat. stirbt unter Delirien und Coma. Das
klinische Bild deckt sich mit keiner der bekannten Krankheitsformen
ganz, weder mit Lebercirrhose noch mit akuter Cholaemie, am nächsten
kommt es der akuten gelben Leberatrophie. Sektion. Viscera verfärbt,
sonst normal. Nur die Leber ist klein, schlaff und weich, zeigt gelbe
und rothe Partieen.
Di s c u SS i o n.
A. J a c o b i. Ikterus war gleich sehr stark. Die Leber war zuerst
etwas vergrössert, am unteren Eaude leicht schmerzhaft. Einfacher
schwerer Ikterus wird als Ursache der akuten gelben Leberatrophie
angegeben. Nach Gallenstauung tritt Anf üUung der Gallengänge bis in
die kleinsten Verzweigungen auf. Der Druck bringt das Leberparenchym
zur Atrophie.
Adler. Stauungsatrophien unterscheiden sich deutlich von dem
vorliegenden Befunde. Hier sind die Gallencapillaren nicht erweitert.
Die Gallenblase ist leer.
A. Jacobi. Im Anfange bestand unbedingt Gallenstauung. Der jetzt
constatirte Zustand mag in den letzten Wochen eingetreten sein.
Adler demonstrirt ein Carcinom der Blasenmuskulatur, einen
zufälligen Befund bei der Section eines 75-jährigen marastisch zu
Grunde gegangenen Mannes. Derselbe litt an allgemeiner Schwäche und
leichten Beschwerden beim Uriuiren. Die Prostata schien vom Rek-
tum aus vergrössert.
Sektion ergab allgemeine Atherose, sonst normaler Befund. Die
Blase aber war klein. Schleimhaut normal, und intakt, in derbe
Carcinommasse eingehüllt. Der eine Ureter in der Masse festeinge-
keilt, an der entsprechenden Seite Hydionephrose. Das Carcinom
kann nur von den Samenbläschen ausgegangen sein.
Sara Welt demonstrirt ein Präparat von membranöser Dysmen-
norrhoe.
Das Präparat, dass ich mir zu demonstriren erlaubte, wurde
während der Menstruation eines 25-jährigen, sonst gesunden Mädchens
ausgeschieden. Es hat die Gestalt eines dreizipfligen Sackes, und
schliesst einen Kanal ein; die drei Enden aber entsprechen den beiden
Tubenöffnungen und dem os interuum uteri; ein mikroskopischer
Schnitt zeigt das Bild der interstitiellen Endometritis. Die Menses, die
bei der Pat. im 15ten Jahre sich einstellten, sind immer profuse und
mässig schmerzhaft gewesen. In den letzten 5 Jahren haben sich die
Beschwerden bedeutend gesteigert; der Schmerz, der 1 — 2 Tage vor
dem Erscheinen des Blutes einsetzt, nimmt an Heftigkeit bis zum 4 — 5
Tage zu, an welchem gewöhnlich mit dem Abgehen von Stücken, die
315
Fat. für geronnenes Blut ansah, die Beschwerden bedeutend nachlassen.
Dabei war natürlich in der letzten Zeit das Allgemeinbeünden sehr ge-
stört; es bestanden heftige Herzpalpilationen, Schlaflosigkeit und
Müdigkeit, auch Schmerzen im Kreuze und den Seiten.
Ich sah die Patientin im letzten Herbst und fand bei der Unter-
suchung per vaginam, einen etwas vergrösserten, retroflectirten, nicht
leicht beweglichen Uterus ; die Umgebung des os externum erodirt und
bei Berührung mit dem Sondenknopfe äusserst empfindlich ; das linke
ovarium stand tiefer, war vergrössert und die Berührung sehr
schmerzhaft; die bei der Menstruation ausgeschiedenen Stücke aber
erwiesen sich als Theile der Uterusschleimhaut in mehr oder weniger
zusammenhängender Gestalt.
Das therapeutische Verfahren bestand in der unter antiseptischen
Cautelen vorgenommenen Auskratzung des Endometrium's, nachdem
zuvor die Dilatation des Uterus vorausgegangen war, darauf wurde
des Cavum uteri mit reiner Jodtinctur ausgewischt, und gegen die Ver-
lagerung ein Thomas' Ketroflexionspessarium eingelegt. Der Eingriff
wurde mässig gut vertragen ; die nächste Menstruation verlief völlig
schmerzfrei, mit geringem Blutverlust ; eine Membran wurde nicht aus-
gestossen. Das Allgemeinbefinden war sehr bedeutend gebessert und
die Schmerzen im Kreuze und den Seiten Hessen nach ; doch sollen bei
der folgenden Periode einige fadenförmige Fetzen abgegangen sein.
Schluss und Vertagung.
Sitzung vom 22. April 1892.
Vorsitzender: Dr. Oberndoefer.
Schriftführer : Dr. E. Fridenberg.
Vorstellung von Patienten.
Goldenberg stellte einen Jungen mit PHca Polonica vor.
R o s e n t h a 1 stellte einen Mann mit MoRVAN'scher Krankheit vor,
Kamm e r e r stellt eine Patientin vor, die er im Deutschen Hospi-
tal wegen eines Tumor abdominis operirt hatte. Der Tumor nahm
■ den ganzen Abdomen ein und wuchs seit 3 Jahren. Die Uterussonde
drang 6 Zoll weit hinein. Es bestanden starke Blutungen; systolisches
Herzgeräusch, Anämie. Die Diagnose lautete Fibroma Uteri. Ein
Medianschnitt bis zur Cortilago ensiformis legte ein grosses subseroeses
Fibroid blos, welches mit vieler Mühe nach starkem Anziehen und nach
stumpfer Durchtrennungen enucleirt wurde. Der sehr grosse Stiel
wurde extraperitoneal fixirt. Am dritten Tage Fieber, Erbrechen,
Puls 140. Patientin schien an einer schweren septischen Peritonitis zu
leiden. Frische Laparotomie. Zwei Tassen eitrig seröser Flüssigkeit
entleeren sich. Tamponade mit Jodoformgaze. Es entleert sich einige
Tage lang viel seröse Flüssigkeit. Der Stumpf zieht sich in den
Bauch zurück. Nach 14 Tagen Wandtrichter. Als die elastische Liga-
tur entfernt wurde, ergoss sich Urin. Derselbe stammte aus dem
rechten Ureter, resp. der rechten Niere, denn man fand in der rechten
Lumbaigegend einen Tumor, der auf Druck eitrigen Urin aus dem
Stumpfe austreten Hess, während der durch die Blase entleerte Urin
klar war, und beim Einspritzen in die Blase keine Flüssigkeit aus dem
Stumpfe austrat. Der eitrige Urin trat auch zeitweise durch den
Cervix und die Vagina aus. Fieber 101—102'* Nephrektomie. Jetzt
Urinmenge normal 1500—1800. Die Verletzung ist hier durch den
Schlauch erfolgt. Gewiss seitliche Oeffnung in dem Ureter, weil zwei
Wochen lang durch die Blase entleert wurde. Bei Vagina-Ureteren
und Uterus-Ureterenfistel ist Nephrektomie angezeigt. Plastische
Operationen mit Schluss der Scheide geben schlechte Resultate. Inder
überbleibenden Niere findet Neubildung von secernirendem Gewebe
statt.
#
816
Discussion :
Kilian i empfiehlt das permanente Wasserbad bei Ureteren- und
Blasenfisteln. Dasselbe kann sehr einfach hergestellt werden, indem
der Patient auf eiuem über eine Badewanne gespaQQteu Leintuche
liegt und mit wollenen Decken bedeckt wird. Mit einem grossen Heber
wird das Wasser abgezogen. Auch für Dekubitus empfiehlt sich das
Wasserbad. Eine Patientin blieb in demselben ein und drei viertel
Jahre liegen.
A. Jacob i. Das permanente Wasserbad wurde in New York von
NoEGGERATH eingeführt und zwar vor ungefähr 15 Jahren im Mount
Sinai Hospital.
Präparate.
Kammerer demonstrirt einen Processus Vermiforis. Derselbe
stammte von einem Ißjährigen Mädchen, welches am fünften Tage der
Erkrankung operirt wurde. Es bestand hohes Fieber. Druckschmerz,
Tumor. Der Schnitt wurde nach aussen vom Rectum durch die Muskel
geführt und eröffnete die noch nicht infizirte Bauchhöhle. Der Tui;nor
bestand aus verklebten Därmen, und wurde sofort geöffnet. Von 16
Laparotomien wurde seclismal die freie Bauchhöhle eröffnet. Einmal
wagte Kämmerer nicht, den Abscess zu eröffnen. Patientin starb an
Pneumonie, ehe die weitere Operation ausgeführt werden konnte. Bei
dieser Operation werden die gesunden Därme durch Schwämme ge-
schützt, die Patientin auf die rechte Seite gelagert, der Abscess nach
sorgfältigem Auseinanderschieben der verklebten Därme eröffnet, ent-
leert, und die Abscesshöhle tamponirt oder dränirt. Die 5 Fälle ge-
nasen.
Discussion:
A. J a c o b i. Die alte Operationsmethode in 2 Zeiten, i. e. Abscess-
eröfifnung, 3, 4, 5 Tage nach dem ersten Schnitte, welche vor Jahren
von Sands längere Zeit hindurch befolgt und dann aufgegeben wurde,
wird wiederum von Sonnenberg in Fällen, wo man nicht leicht auf den
Abscess kommt, empfohlen. Die einzeitige Operation ist vorzuziehen.
Kammerer. Die zweizeitige Operation ist gefährlich. Die Ab-
scesse brechen nicht immer nach Aussen durch.
L. Stieglitz demonstrirt einen
Cysticercus der Mamma.
Discussion.
Schapringer. In Süddeutschland sind Cysticerken im Auge
sehr selten, in Norddeutschland häufig.
G o 1 d e n b er g. Cysticerken im Auge werden in Berlin nicht mehr
so häufig gefunden, seitdem die Fleischsehau strikter ausgeführt
wird. Lewin und Hirschberg glauben an Autoinfektion von juckenden
Hämorrhoiden aus. Auch können die Taenia durch rückläufige Peri-
staltik in den Magen gelangen. Diese Infektionsmethode erkennt
auch ViRCHOw an.
Gleits mann demonstrirt eine grosse hintere
Muschelhypertrophie,
die er durch die Nase mit der Schlinge entfernt.
Ferner die von ihm angegebene Platin um-Iridium Drahtschlinge-
Instrumente.
A. Kose demonstrirt eine eiserne Vollkugel für Selbst-Bauch-
massage nach Salice Beru. Mit derselben können die Patienten alle
Massagebewegungen ausführen. Bei chronischer Stuhlverstopfung
erzielte er günstige Resultate.
317
Discussion.
A. J a c o b i hat zu diesem Zwecke Kegelkugeln gebrauchen lassen
und war mit dem Erfolg zufrieden.
L. Fi sc h e r demonstrirt den von Fiebig modificirten Einhorn'schen
Saccharometer.
Discussion.
Einhorn hat diesen Apparat ausprobirt. Derselbe ist nur für
zehnfach verdünnte Harne berechnete Bei schwachzuckerhaltigen
Urinen ist dies ein Nachtheil, üeberhaupt hat diese Modifikation
seines Apparates keine Vorzüge.
Fälle iius der Praxis.
A. Jacobi bespricht die nicht-operative Behandlung von Blutun-
gen bei Uterusenyomeu. Seine Erfahrungen stammen hauptsächlich
aus der vor-operativen Zeit und hat er durch diätetische Behandlung,
durch Regelung der Cirkulation mittelst Digitalis, auch wenn einfache
Anämie vorlag, verbunden mit intrauterinen Jod oder Chrombepinse-
lungen häufig gute Resultate erzielt. J. warnt vor Chlorzink.
Discussion.
A. Rose empfiehlt aus theoretischen Rücksichten längere Voll-
bäder, durch welche das Blut nach der Oberfläche gezogen wird.
Brettauer hatte mit Hydrastinin 0.15 per os. ti. d. oder 0.1
subkutan, in 2 Fällen einen eklatanten Erfolg, in 17 Fällen keinen Er-
folg— mit dem galvanischen Strom dagegen in den meisten Fällen,
selbst nach wenigen Sitzungen Besserung, in vereinzelten Fällen Ver-
schlimmerung.
Von R a i t z hat seit 2 Jahren mit Elektrizität gearbeitet und öf-
ters seine Patientinnen geheilt.
Schluss und Vertagung.
Verein Deutscher Aerzte zu San Francisco.
Regelmässige Sitzung vom 3. Mai 1892.
Dr. Stern: ,,Zur cosmetischen Chirurgie der Nase.
Vor etwa 5 Wochen consultirte mich ein junger Mann, der vor 2
Jahren durch einen Fall eine Fractur der Nase erlitten hatte. Die
Fractur war gut geheilt, nur zeigten sich an der Bruchlinie, dicht über
der Verbindung der knorpeligen und knöchernen Nase, über den untern
lateralen Enden der Nasenbeine, 2 knöcherne Protuberanzen, welche
die sonst wohlgeformte Nase des Patienten entstellten. Von diesen
„entstellenden Höckern" wollte der junge Mann befreit werden. Im
ersten Augenblicke dachte ich, durch einen medianen Schnitt und
Zurückpräpariren der Weichtheile die Exostosen abzumeisseln. Dann
erinnerte ich mich eines Artikels des Dr. John Roe von Kovester, der
für derartige Deformitäten an der knöchernen Nase meines Wissens
nach zuerst die subcutane Operationsmethode ersann und ausführte.
Nachdem ich eine halbe Pravaz'sche Spritze einer 4% Cocainlösung
über dem Nasenrücken an 3 verschiedenen Stellen eingeführt hatte
und auch einen in 4% Cocainlösung getauchten Wattebausch häufig
in das rechte Nasenloch eingebracht hatte, machte ich, nach Dr.
Roe, einen linearen Einschnitt durch das Dach des rechten Nasen-
zwischenloches, Nasenbein und cartilago triangularis. Von diesem
Einschnitte präparirte ich die Nasenschleimhaut seitlich bis zur
m
Mitte der Nase herab. Hierdurch eröffnete ich mir genügenden
Kaum zur Einführung der nöthigen Instrumente. Mit einem dünnen
gelcnöpften Messer trug ich dann den ganzen Nasenrüclcen bis zu der
hintern Grenze der Exostosen, fast bis zur Nasenwurzel, von der
Icnöchernen Unterlage ab und reducirte die l^nöchernen Protuberanzen
unter Controlle des von aussen aufgelegten Fingers mit Leichtigkeit
und Exquisität auf das gewünschte Niveau iierab. Ausspülen mit
Carbolwasser und Einblasen von Jodoform vervollständigte die Opera-
tion. Nach Zurückschlagen der abgelösten Nasenschleimhaut konnte
man kaum etwas von einem operativen Eingriffe im Naseninnern er-
kennen. Mit einem Heftpflasterstreifen quer über den Nasenrücken
drückte ich die abgelösten Weichtheile leicht an die knöcherne Unter-
lage an und führte einen Wattebausch in das rechte Nasenloch ein.
Das Abtragen der Weichtheile des Nasenrückens von dem Knoclien
geht überraschend leicht von Statten, nur muss man über den Exosto-
sen vorsichtig sein, da hier aus begreiflichen Ursachen eine engere
Verwachsung der Weichtheile mit der knöchernen Unterlage statt-
gefunden hatte. Die etwa 20 Minuten dauernde Operation wurde ohne
jede Empfindung von Seiten des Patienten ausgeführt und selbst das
Abtragen der knöchernen Deformitäten verursachte nicht den gering-
sten Schmerz.
In 3 Tagen war die Wunde per primam geheilt und das Kesultat
ein ganz vorzügliches.
Dr. Kr eutzmann demonstrirte eine Anzahl Präparate die durch
Laparotomie in den letzten Wochen gewonnen wurden.
1. (a.) Linksseitige Hydrosalpynx mit Colloidcysten der Tube und
des Ovariums; wurde frisch vor derOounty Medical Society demon-
strirt.
(b.) Rechtsseitige Pyosalpynx, linksseitige Hydrosalpynx mit Entar-
tung beider Eierstöcke. Die Präparate in beiden Fällen dienen als Be-
leg, was Alles versucht wird durch die Emmet'sche Operation zu hei-
len; beide Frauen haben geboren und bei der Geburt einen physiologi-
schen Excess in dem Muttermund erworben, ihre Leiden wurden durch
den Cervixriss bedingt erklärt und derselbe durch die Naht geschlossen,
ohne natürlich das Leiden zu heben. Im ersten Falle rasche, im zwei-
ten Falle etwas verzögerte Heilung nach dem Bauchschnitt.
2. Vier Fälle von Pyosalpynx und gleichzeitig Ovarialcysten.
(a.) Doppelseitige Pyosalpynx, doppelseitige Ovarialcysten,
hühner- resp. gänseeigross in frischem Zustande vor der California
Academy of Medicine demonstirt. Starke Blutung von der flachen
Lefte, Adhäsionen im Douglass'schen Baume; Jodoformgazetampo-
nade, durch die Bauchwunde geführt. Heilung durch einen Abscess in
der linken Bauchwand gestört.
(b.) Rechte Uterusanhänge entfernt in New York vor 8 Monaten;
linke Pyosalpynx, Eierstock in ein orangegrosses Kystom umgewan-
delt; Genesung langsam; Patient ist sehr anaemisch.
(c.) Rechtsseitige Pyosalpynx und geschrumpfter Kystomrest. Vor
sechs Monaten war die vereiterte Eierstockscyste, da ihre Entfernung
nicht gelang, in die Bauchwunde eingenäht worden; Secretion und
Schmerzen bestanden weiter; Abdomen wiedergeöffnet, Cystenrest und
Tube entfernt, 10 Tage nachher Abgang von faeces durch die Bauch-
wunde, spontaner Schluss der Fistelnach einigen Tagen; sechs Wochen
später Abgang von fäculent riechendem Schleim durch die Fistel für
einige Tage; schliesslich Heilung.
(d.) Doppelseitige Pyosalpynx, linksseitige Ovarialcyste in Abscess
umgewandelt. Langdauernde Operation; Tod am nächsten Tage in
Folge von Shok.
3. Multiloculäre Ovarialcyste von einer im zweiten Monate schwan-
319
geren Patientin; Stiel war gedrelit, Blut in die grössere Cyste ergossen.
Glatte Heilung.
4. Doppelseitige Pyosalpynx; Glatte Heilung.
Mit Ausnahme von la und 3 waren alle Operationen äusserst
schwierig in Folge ausgedehnter fester Verwachsungen der Ge-
schwülste mit Eingeweiden, Gebärmutter, breiten Bändern, Beckenbo-
den.
Schluss der Sitzung.
Newmark, Schriftführer.
ßi-iefkasteii.
Rochester, N. Y., 2. August 1892.
97 Chatham Str.
An die Redaktion der New Yorker Medicinischen Presse,
23 Vandewater Str., New York.
Der Redaktion der New Yorker Medicinischen Presse übersende ich
einliegend ein Circular der philosophischen Fakultät der Hochschule
in Bern vom 10. Juli 1890, welches ich eben erst durch Vermittelung
eines der Berner Professoren erhielt.
Es betrifft die gewerbsmässige Fälschung Berner Doktordiplome
mit Hülfe des gestohlenen Universitätssiegels durch den früheren Do-
centen der Musikgeschichte, L. von Gauting. Die Diplome waren in
Ungarn gedruckt und fanden einige derselben zu 700 Francs Absatz.
Als die österreichische Polizei den Schwindler in Wien fassen wollte,
war er bereits nach Amerika entflohen, wahrscheinlich um hier sein
unsauberes Handwerk fortzusetzen.
Eine Veröffenthchung des beifolgenden Oirculars in Ihrem geschätz-
ten Blatte, mit der Aufforderung an andere Zeitungen zum Abdruck,
dürfte indessen genügen, um das ärztliche, wie das allgemeine Publi-
kum vor weiteren Betrügereien durch den etc. Gauting zu bewahren.
Mit collegialischem Grusse
Franz Muecke, M. D.
Das betreffende Circular lautet wie folgt:
Die philosophische Facult^t der Hochschule in Bern.
Hochgeehrte Herren ! Die philosophische Fakultät der Universität
Bern hat in Erfahrung gebracht, dass ein gewisser L, v. Ganting aus
Bern, der sich später in Wien aufhielt und Anfang 1890 wegen verschie-
dener Betrügereien flüchtig geworden ist, mit Hülfe eines gestohlenen
Siegels der Universität Bern gewerbsmässig Doktordiplome der philo-
sophischen Fakultät fälscht. Zwei solche Falsifikate wurden einge-
zogen ; andere befinden sich noch im Umlauf. Die Fakultät warnt da-
her Jedermann vor dem Ganting und weist daraufhin, dass ihr Doktor-
titel nie durch Vermittlung irgend welcher Personen und auch nie an-
ders als in Bern selbst durch ein Examen vor der Fakultät erworben
werden kann.
Wir erlauben uns, Ihnen, hochgeehrte Herren, hiervon Kenntniss
zu geben und Sie höflichst zu ersuchen, im redaktionellen Theil Ihres
Blattes hiervon kurz Notiz nehmen zu wollen.
Hochachtungsvoll,
im Namen der philosophischen Fakultät der Universität Bern,
Der Dekan :
Prof. Dr. Hermann Hagen.
Der Sekretär :
Prof. Dr. Ed. Brueckner.
Bern, den 10. Juli 1890.
320
Allerlei.
Der zweite Sohn des Zaren, Grossfdrst George, der krankheitshalber
von seiner indischen Reise zurückkehren musste und sich seitdem
ununterbrochen wegen Lungenleidens in ärztlicher Behandlung befindet,
soll, wie die „Times" auf Grund eines Privatberichts aus Abbas-Tuman
im Kaukasus schreibt, in dieser Stadt, wo er den Winter verbracht hat,
eine höchst sonderbare Cur durchmachen. Die Gemächer seiner
Wohnung haben kahle und untapezirte Wände, ihre Einrichtung be-
steht aus einfachen Holz- und Rohrraöbeln ohne irgend welche Polster
oder Bezüge, und er schläftauf einer sehr dünnen Matraze. Während
des ganzen Winters hat in seinen Zimmern nur ein dürftiges Feuer
gebrannt bei geöffneten Fenstern. Sein Gefolge hat unter der Kälte
schwer leiden müssen. Die Aerzte hielten diese Art der Behandlung
jedoch für geeignet, die Bacillen zu vernichten und die Tuberkelbildung
zu verhüten. Dieselben behaupten, die Krankheit sei zum Stillstand
gebracht und hoffen, falls die Cur fortgesetzt werde, den Patienten in
zwei Jahren vollständig wiederhergestellt zu sehen.
In Brüssel wird ein internationaler Congress von Gynäkologen und
Geburtshelfern vom 14. — 19. Sept. d, J. stattfinden. Mit demselben
wird eine Ausstellung von Instrumenten und Apparaten, die auf diesen
Zweig der Medicin Bezug haben, verbunden werden. Es werden alle
Behörden, Stadtverwaltungen, Universitäten, Schulen und gelehrten
Gesellschaften aufgefordert, sich an diesem Congress durch Delegirte
za betheiligen. Das Oiganisations-Comite besteht aus den Prof essoren
Kufferath (Präsident), Debaisieux (Vicepräsident), Fraipont, Desquin
und Tournay und dem Generalsecretär Dr. Jacobs. Etwaige Anfragen
sind an letzteren unter der Adresse : „ Monsieur le Dr. Jacobs, 12 Rue
des Petits Carmes ä Bruxelles " zu richten.
Berliner Blätter melden, dass die Höchster Farbwerke von Meister,
Lucius und Brüning die Fabrikation des verbesserten" Koch'schen
Präparates, dessen Specificum nunmehr festgestellt, erworben und
bereits Einrichtungen für Herstellung desselben getroffen haben.
Auf dem diesjährigen Chirurgen-Congress in Berlin stellte Prof.
Julius Wolff einen Patienten vor, dem er wegen einer bösartigen
Geschwulst den Kehlkopf herausgenommen und den von Prof. Brüns
angegebenen künstlichen Kehlkopf eingesetzt hatte. In der ersten •
Zeit functionirte dieser sehr gut, später aber stellten sich Unzuträg-
lichkeiten ein, die den Patienten häufig nöthigten, den künstlichen
Kehlkopf zu entfernen. Dem Vortragenden undProf. du Bois-Reymond,
sowie einem Mechaniker ist es gelungen, nun einen Kehlkopf anzufer-
tigen, der diese Unzuträglichkeiteu nicht mehr hat ; er kann über halbe
Stunden lang, ohne zu ermüden, sprechen und zwar mit Stimmmodu-
lationen. Die Vorführung dos bisher gesund gebliebenen Patienten,
der sehr wohl aussieht, erregte Aufsehen, noch grösseres Staunen
aber bemächtigte sich der Gesellschaft als derselbe mit lauter, ver-
ständlicher und klangvoller Stimme Tell's Monolog vortrug und selbst
das „Gaudeamus igitur" sing. Prof. Wolff betonte, dass dieser
glänzende Erfolg zum grossen Theil der eigenen Anstrengung des
Patienten selbst zu verdanken sei. Er hat unermüdlich daran gear-
beitet, um mit dieser Vollkommenheit zu sprechen und zu singen.
Die Verbesserung des Kehlkopfs besteht vor allen Dingen darin, dass
verhindert wird, dass Speichel und Schleim in die Phonationsstelle
gelangt ; ferner wird durch Verlängerung der Kanüle eine Verstär-
kung der Tonresonanz hervorgei ufen. Durch Einrichtungen anderer
Art erzielt man eine Tiefer- und Höherstellung der Stimme.
321
Die Zahl der an der Pariser Universität studirenden Frauen ist von
152 im Jahre 1890 auf 252 gestiegen. Der Faculte de medecine gehören
18 Französinnen, G Engländerinnen, 3 Rumänierinneu, 2 Türkinnen,
eine Griechin, eine Amerikanerin und 103 Russinnen an ; die Zahl der
Französinnen in der Faculte des sciences beträgt 5, die der Fremden
14 ; in der Faculte des lettres dagegen stehen 15 Fremden 82 Fran-
zösinnen gegenüber.
Maass hat durch eine Modifikation der KöNia'schen Methode der
Wiederbelebung bei Herztod nach Chloroformeinathmung zwei Per-
sonen das Leben gerettet. Diese Methode besteht in der raschen
Kompression der Herzgegend. Der Arzt tritt auf die linke Seite des
Kranken, das Gesicht dem Kopfe desselben zugewandt, und drückt
mit raschen, kräftigen Bewegungen die Herzgegend tief ein, indem der
Daumenballen der geöffneten rechten Hand zwischen die Stelle des
Spitzenstosses und den linken Sternalrand gesetzt wird. Die Häufig-
keit der Kompressionen beträgt 120 und mehr in der Minute. Bei so
raschem Tempo muss man in der Regel wohl mehr für genügenden
Kraftaufwand bei den einzelnen Bewegungen Sorge tragen, als dass
man fürchten müsste, zu stark zu drücken. Etwas Erleichterung
bringt es, wenn gleichzeitig die linke Hand die rechte Thoraxseite des
Kranken umgreift und den Körper üxirt. Die Wirksamkeit der
Bemühungen ist kenntlich an dem Idinstlich erzeugten Karotidenpuls
und der Pupillen Verengerung. Kraft und Schnelligkeit der Bewegungen
muss dementsprechend bemessen werden. CJm den Effekt zu kontro-
liren und gleichzeitig für das Freibleiben der Athemwege zu sorgen,
tritt Jemand an das Kopfende des Kranken. So lange der Zustand
sich nicht wesentlich gebessert hat, ist es zweckmässig, möglichst
wenige und kurze Pausen zu machen. Später kann man jedesmal
nach vollständiger Verengerung der Pupillen so lange warten, als diese
klein bleiben und die spontanen Athemzüge andauern. Vorbedingung
für den Erfolg ist natürlich eine gewisse Elasticität des Thorax ; sie
fehlt jedoch nur selten. (Berl. klin. Wochenschrift 1892, No. 12.)
Die politischen Blätter erzählten neulich, welches Unheil ein rus-
sischer Ingenieur, Namens Gutschkowsky, mit einem geheimnissvollen
Heilmittel, welches er „Vitalin" benannte, in der Hauptstadt des
Czarenreiches anrichten konnte. In den sogenannten besten Kreisen
Petersburgs schwärmte man seit Wochen vom Vitalin, dem man Ver-
jüngung und Heilung aller Krankheiten zuschrieb. Nachdem aber
zwei hohe Persönlichkeiten, darunter der Stadthauptmann von St.
Petersburg, General Gresser,, diesen Injectionen zum Opfer fielen, ist
man bestürzt und schämt sich seiner Leichtgläubigkeit. Und nun
erklärt der Erfinder selbst, dass „Vitahn" nichts anderes sei, als
Borax und Glycerin — also etwas recht Unschädliches. Im Mittelalter
war es das Aurum potabile der Alchemisten, dem man die Kraft
zuschrieb, ewige Jugend und Heilung aller Krankheiten verleihen zu
können ; dann faselte man von der göttlichen Springwurzel, dann
wieder von anderen Dingen, bis herab zu den elektro-homöopathischen
Geheimmitteln des Conte Mattei und zu dem Kräuterschatze des Pfar-
rers Sebastian Kneipp. Zu jeder Zeit und in aller Welt gelang es,
resp. gelingt es noch heute, auf die Unvernunft und Schwäche der
Menschheit zu speculiren und diese eine Zeitlang auszubeuten.
In London wüthete kürzlich eine Ekzemepidemie, die einzig in ihrer
Art war. Sie betraf hauptsächlichst Greise. Von 350 in den Spitälern
konstatirten Fällen starben 60. „British medical Journal" hat eine
Enquete zum Studium dieser Epidemie einberufen, aus deren Publika-
tion man Näheres über diese merkwürdige „Epidemie" erfahren dürfte.
f
322
Ein periodischer internationaler Congress für Gjmäkolo^e und
Geburtshilfe wird auf Veranlassung der gynäkologischen Gesellschaft
in Brüssel dortselbst am 14. September 1892 zusammentreten und bis
19. d. M. tagen. Auf der Tagesordnung stehen : 1. Beckeneiterungen.
Keferent P. Segond, Paris. 2. Extrauterinsch-wangerschaft. Keferent
A. Ma-Rtin, Berlin. 3. Placenta praevia. Eeferent Berry Hart, Edin-
burgh. Der Congress soll alle vier Jahre abwechsend in Belgien und
der Schweiz zusammentreten. Mit dem diesjährigen ist eine Ausstel-
lung von gynäkol. und geburtshilfl. Instrumenten und Apparaten ver-
bunden. — Einmahger Gründerbeitrag 300 Eres., Jahresbeitrag 30 Eres.
Auskünfte ertheilt der General-Secretär Dr. Jacobs, 12 rue des Petits
Carmes ä Bruxelles.
Wozu das Tabakrauchen nützlich ist, das hat erst jüngst Dr. v.
Tassinari, ein anerkannter Hygieniker in Rom, des Näheren erörtert.
Tassinari führt uns vorerst die Namen zahlreicher Aerzte an, welche
das Tabakrauchen als bestes Prophylacticum gegen Infectionskrank-
heiten hielten und citirt sodann die Versuche von Miller, New York
und Vassiii, Neapel, welche lehrten, dass der Tabakrauch die Entwick-
lung pathogener Mikroorganismen hemme, resp. ganz aufhebe. Zu
den zahlreichen Versuchen, welche Tassinari selbst anstellte, benützte
er die Mikroben der Cholera, des Anthrax, der Pneumonie u. s. w. Er
nahm kleine Ballons, strich deren Innenflächen mit Gelatine an, welche
bacterienhaltig war, und liess nun 10—30 Minuten lang den Tabak-
rauch durch diese Ballons durchstreichen. Da zeigte sich dann die
überraschende Thatsache, dass die Bacillen der echten asiatischen
Cholera, resp. die Friedländer'schen Diplokokken, nach einer gewissen
Einwirkungszeit des Tabakrauches völlig zerstört waren, einerlei, welche
Tabaksorte hierbei zu Verwendung kam. Die Gelatine wurde durch
den Tabakrauch geradezu sterilisirt. Der Anthraxbacillus wider-
stand dem Rauche schon besser und der Typhusbacillus wurde hierbei
kaum beeinflusst. Gegen Caries der Zähne schützt das Rauchen ge-
wiss, was schon vor Tassinari viele andere Aerzte behauptet haben.
Es ist selbstverständlich nicht einerlei, ob man die auf eine dünne Ge-
latinfläche ausgesäten Bacterien durch längere Einwirkung von Tabak-
rauch unschädlich macht, oder ob man es versuchen will, die in den
menschlichen Organismus bereits eingedrungenen krankmachenden
Mikroorganismen auf dieselbe Weise zu vernichten, da eine solche
Durchräucherung unseres Körpers unmöglich ist.
Für alle naturwissenschaftlichen und medizinischen Lehranstalten
ist es von Wichtigkeit, zu wissen, dass die in den Ver. Staaten beste-
henden Bestimmungen über Befreiung von Alkohol von Steuern im
letzten November zu Gunsten wissenschaftlicher Lehranstalten abge-
ändert wurden. Sekt. 3297 der revidirten Statuten der Ver. Staaten
bestimmt, dass der Schatzsekretär autorisirt ist, irgend einem inkor-
porirten oder „chartered" College oder wissenschaftlichen Institut Er-
laubniss zu ertheilen, Alkohol in spezifizirten Quantitäten frei von
Steuer zu beziehen, vorausgesetzt, dass derselbe zu Zwecken der Kon-
servirung von Präparaten, oder im chemischen Laboratorium dienen
soll. Das Gesuch um Erlaubniss zum Bezug steuerfreien Alkohols
muss vom Präsidenten oder Curator der Anstalt ausgestellt sein, der
einen Kontrakt auf den doppelten Betrag der Steuer auf den zu bezie-
henden Alkohol unterzeichnet mit zwei genügenden Sicherheiten,
welche von dem Kommissär für „Internal Revenue" zu billigen sind.
Sollte der Alkohol ganz oder theilweise zu andern, als den angegebenen
Zwecken verwendet werden, so hat jener Beamte oder seine Gewährs-
leute, die Steuer auf den gesammten Alkohol zu bezahlen, nebst einem
gleichen Betrag als Strafe. Diese fürchterhche Drohung wird jeden-
falls jeden Versuch einer Defraudation im Keime ersticken.
323
Nekrologe.
Professor^ Biermer.
Der namhafte Breslauer Kliniker, Prof. Dr. Anton Biermer, starb
im Maison de Saiite zu Berlin, nach langwierigem Leiden, am 24. Juni
d. J. Geboren am 18. October 1827 in Bamberg, absolvirte B. seine
Studien in Würzburg als Schüler Yirchow's nnd doctorirte im Jahre
1851. Er widmete sich darauf ganz der inneren Klinik und war zu-
nächst als Privatdocent für dieses Fach in Würzburg seit 1855 thätig.
Seine Berufung als ordentl. Professor nach Bern erfolgte 1861, nach
Zürich 1867, nach Breslau 1874. Seine bedeutendsten wissen-
schaftlichen Publikationen sind : „Die Lehre vom Auswurf", „Bronchial-
krankheiten", ,, lieber die Ursachen der Volkskrankheiten, insbeson-
dere der Cholera", „lieber Asthma bronchiale", „Heber progressive,
perniciöse Anaemie" etc.
Professor Meynert.
Am 1. Juni d. J. verschied in Wien der berühmte Psychiater und
Psychologe Prof. Theodor Meynert. Er wurde geboren am 15. Juni
1833 in Dresden, absolvirte die Universitätsstudien in Wien im Jahre
1861, ward 1865 zum Docent daselbst, 1866 zum Prosector des Wiener
Irrenhauses, 1870 zum Vorstand der dortigen psychiatrischen Khnik
und ausserordentlichen Professor der Psychiatrie und endlich 1873 zum
ordentlichen Professor der Nervenkrankheiten ernannt. Er hat sich
sehr grosse Verdienste durch seine gediegene Forschungen namentlich
auf dem Gebiete der Anatomie und Physiologie des Gehirns erworben
und die Resultate derselben in einer sehr grossen Anzahl von Abhand-
lungen niedergelegt, deren ausführliches Verzeichniss im „Biograph.
Lexicon der hervorragendsten Aerzte", von Prof. Hirsch, zu finden ist.
Der Verstorbene war u. A. Redakteur des „Wiener Jahrbuchs der
Psychiatrie" und Mitherausgeber des Berliner „Archivs für Psychiatrie
und Nervenheilkunde".
Professor Demme.
Der bekannte Pädiater, Prof. Dr. Rudolf Demme, geboren als Sohn
eines Arztes in Bern im Jahre 1836, starb daselbst am 16. Juni d. J. Er
begann seine medicinischen Studien in seiner Vaterstadt und hatte
darauf seine Ausbildung auf seinen Reisen in Wien, Paris und London
vervollkommt. Nachdem er 1859 den Doctorgrad erlangt hatte, war
er zuerst anatomischer Assistent bei Prof. Valentin, später klinischer
Assistent bei Prof. Biermer, und wurde im Jahre 1862 zum Chefarzt
des „Jenner'schen Kinderhospitals" in Bern und zum Professor der
Klinik und Poliklinik der Kinderheilkunde daselbst ernannt. Von sei-
nen grösseren Arbeiten sind zu verzeichnen : „Ueber Myocarditis und
perniciösen Icterus", „Jahresberichte des Jenner'schen Kinderhospi-
tals" (von 1862 an), „Erkrankungen der Schilddrüse", „Anaesthetica"
(beide letztere Arbeiten erschienen im GERHARDx'schen „Handbuch der
Kinderheilkunde"). Eine seiner letzteren Arbeiten war die Schrift
„Ueber den Einfluss des Alcohols anf den kindlichen Organismus".
Bttchertisch.
The Diseases of the Stomach. By Dr. C. A. Ewald. Authorized trans-
lation from the second german edition, with special additions by
the author, by Morris Manges, A. M., M. D. With thirty Hlustra-
tions. (New York, P. Appleton & Co. 1892.)
324
In der Vorrede zu dieser im Englischen erscheinenden Auflage des
Buches sagt Ewald : „ I am greatly indebted to Dr. Manges f or the
excellent manner in which he has performed his task. At the same
time I wish to State that I have caref ully read his manuscript, and have
made many additions to it. In this way, I beheve, I have included the
very latest investigations on this subject. Hence the volume is not
merely a rendering of the second German editlon, hut it practically repre-
sents the third German edition, which will soon appear."— So haben wir
denn hier eine neue verbesserte Auflage des klassischen Werkes „Khnik
der Verdauungskrankheiten" vor uns und können dieselbe nur mit
Freuden begrüssen. Das Buch ist prachtvoll ausgestattet, und liest
sich, trotz der schwersten Themata, die darin abgehandelt werden, wie
ein Koman.
Das Buch zerfällt in 12 Abschnitte : die beiden ersten Kapitel be-
handeln die Untersuchungsmethoden bei den Magenkrankheiten.
Das dritte und vierte Kapitel haben zum Thema : „Die Stenosen und
Stricturen der Cardia und des Pylorus." Das fünfte Kapitel bespricht
den Magenkrebs, das sechste das Magengeschwür, das siebente und
achte die acuten und chronischen Entzündungen der Magenschleimhaut
(acuter und chronischer Magenkatarrh) ; Kapitel neun, zehn und elf
behandeln die Neurosen des Magens, und Kapitel zwölf die Wechsel-
beziehungen zwischen Magen und anderen Organerkrankungen, und
ausserdem den praktischen Werth der modernen chemischen Proben.
In diesem letzten Kapitel äussert sich Ewald folgendermassen über
diese wichtige Frage des Werthes der modernen Untersuchungs-
methoden :
„Wir haben im Verlauf dieser Vorlesungen die Magenkrankheiten
mit steter Berücksichtigung der Erfahrungen besprochen, welche uns
die neueren Untersuchungsmethoden, vornehmlich die Untersuchung
des Chemismus des kranken Magens, an die Hand geben und haben so
alt bekannte nosologische Thatsachen mit den neu gewonnenen diag-
nostischen und therapeutischen ErgebDissen verbinden können. Es
bleibt uns die Frage zu erörtern, welche Stellung der chemischen Un-
tersuchungsmethode in der Diagnostik der einzelnen Magenaffectionen
zukommt, wie weit sie zu bindenden Schlüssen auf die Natur des vor-
liegenden Leidens berechtigt. Sind es speciflsche, charakteristische,
dem Einzelfall als solchem stets und ausschliesslich angehörige Func-
tionsstörungen, die wir mit Hülfe von Sonde und Reagensglas auf-
decken, in dem Sinne, dass sie sich ausschliesslich und allein bei einer
bestimmten Erkrankungsform vorfinden und für die Diagnose bestim-
mend sind, wie etwa das Vorkommen von Tuberkelbacillen im Sputum
oder von hyalinen Cylindern im Harn, oder sind es Zeichen mehr all-
gemeiner Bedeutung, die mit einem specifischen Krankheitsprocess
nichts zu thun haben? Sie wissen, dass man in letzter Zeit bereits so
weit gegangen ist, die Magenkrankheiten einzutheilen in solche mit er-
höhter Salzsäuresecretion, mit verminderter und mit fehlender Secre-
tion, und einige von Ihnen haben es vielleicht vermisst, dass ich um
„recht modern zu sein" unser Thema nicht in diesem Sinne angeordnet
habe. Dies liegt mir ebenso fern, als es mir beifallen würde ein Lehr-
buch der speciellen Pathologie zu schreiben, in dem die Krankheiten
in solche mit Wassersucht und ohne Wassersucht, mit und ohne Gelb-
sucht, mit oder ohne Eiweissharn u. s. w. eingetheilt wären. Vielmehr
können wir aus unseren heutigen Erfahrungen, wenn wir uns von einer
Ueberschätzung ders-^lben fern halten und auf dem Boden der That-
sachen bleiben wollen, nur folgendes Facit ziehen :
Es giebt zwei grosse Gruppen chemischer Befunde, welche vom nor-
malen Verhalten der Magensecretion abweichen : einmal das unzeitige
325
Vorkommen organischer Säuren, das andere Mal die Veränderungen
des eigentlichen Verdauungssaftes, also der Salzsäure-, der Pepsin-
und der Labsecretion, der Resorption und Motion des Organs.
Die organischen Säuren, vor allem die Milchsäure, sind, wenn sie
während einer Phase der Verdauung auftreten, in der wir sie mit dem
Ihnen bekannten Verfahren in der Norm nicht nachweisen können, im-
mer für bestimmte pathologische zu subjectiver Empfindung des
Kranken gelangende Processe charakteristisch und beruhen auf ab-
norm verlaufenden Zersetzungs- resp. Gährungsvorgäugeu, deren Ur-
sachen mvannigfaltiger Natur sein können, aber stets mit einem krank-
haften Zustande, insofern wir darunter nicht nur einen abnormen che-
mischen Befund, sondern mehr oder weniger erhebliche Beschwerden
der betreffenden Individuen verstehen, verbunden sind. Darin liegt
die Bedeutung des Nachweises der Milchsäure und der Fettsäuren,
dem es keinen Abbruch thut, dass man mit umständlichen, der täg-
lichen Praxis unzugänglichen Methoden der Persistenz geringer Men-
gen von Milchsäure während der ganzen Dauer der normalen Ver-
dauung nachgewiesen haben will, so wenig es die aus dem Zuckerge-
halt des Urins gezogene Diagnose auf Diabetes beeinträchtigt, dass
auch in normalem Urin Spuren von Zucker vorkommen. Da nun
diese Gährungsproducte stets mit einem abnorm langen Aufenthalt
der Ingesta im Magen, meist mit einer absolut oder relativ verminder-
ten Salzsäureproduction verbunden sind, so können wir schon hieraus
die Diagnose nach einer bestimmten Richtung präcisiren.
Viel complicirter gestalten sich die Verhältnisse, wenn es sich um
die Verwerthung der Aenderungen der speciflschen Magensecretion
handelt. Da das Verhalten der Pepsin- und Lababsonderung im
Grossen und Ganzen mit der Abscheidung der Salzsäure Hand in
Hand geht — geringe, für die allgemeine Betrachtung nicht maass-
gebende Abweichungen ausgenommen — , so möge der Gang der Salz-
säureabsonderung für die folgenden Betrachtungen als Paradigma
dienen.
Ich bin nun der Ansicht, dass das Viel oder Wenig der Salzsäure-
secretion eine Erscheinung ist, welche allerdings mit den verschiedenen
Krankheitstypen insofern in Relation steht, als die einen entschieden
mehr die Tendenz haben, die Säuresecretion zu steigern, die anderen
mehr die Herabminderung oder das vollständij?e Fehlen derselben ver-
anlassen, aber doch nvir in dem Maasse, als die verschiedenen Krank-
heitsprocesse anatomische functionelle Störungen mit sich bringen,
die naturgemäss eine Alteration der Salzsäureproduction benöthigen,
so dass es ganz von der Ausdehnung dieses Factors in dem Krank-
heitsgang abhängt, in wie weit davon die Säuresecretion berührt wird.
Allerdings dürfen wir sagen, dass eine bestimmte Gruppe von Affec-
tionen niemals zu einer Steigerung der Säuresecretion führt, vornehm-
lich alle diejenigen Formen, in welchen eine ausgedehntere organische
Zerstörung oder Veränderung des secernirenden Drüsenparenchyms
statt hat. Wenigstens ist uns von einer vicariirenden Steigerung der
etwa restirenden Drüsenzellen nichts bekannt. In diese Kategorif»
würde nun die carcinomatöse Degeneration, die chronische Gastritis
mit ihrer Consequenz, der Atrophie der Magenschleimhaut, die schlei-
mige Degeneration der Magendrüsen, vielleicht noch gewisse Gefäss-
erkrankungen chronischer Art,wne z. B. die amyloide Degeneration ge-
hören. Ja es dürfte sich, wofür bereits einige Erfahrungen zu Gebote
stehen, bei weiterer umfänglicher Beobachtung herausstellen, dass
auch noch andere, zu chronischen Schwächezuständen führende Pro-
cesse, wie tiefe Anämie, Tuberkulose, Herzfehler, Diabetes und ähn-
liche Krankheitszustände zum Versiegen der freien Salzsäure führen.
Aber schon wenn wir diesen Satz umkehren und sagen wollen, dass ge-
rn
326
wisse Krankheitsformen stets eine gesteigerte Secretion veranlassen,
würden wir zu weit geiien. Die gesteigerte Secretion ist immer eine
fnnctionelle Erscheinung, eine Reizerscheinung. Aber jede derartige
üeberproduction l^ann bekanntlich auch in das Gegentheil umschlagen,
ich meine nicht nur als Effect der Ermüdung nach einer vorhergegan-
genen Hypererregung, sondern von Anfang an als Depressionserschei-
nung. So kann es kommen, dass wir einen Zustand, der gewöhnlich
mit einem starken Reiz der absondernden Elemente einherzugehen
pflegt, wie das Ulcus ventriculi, gelegentlich auch ohne diesen antreffen.
So kann eine Xeurose das eine Mal sich so äussera, dass nur während
der eigentlichen Digestionsarbeit ein Ueberschuss an Säure producirt
wird (Hyperacidität). das andere Mal so, dass ein andauernder Abson-
derungsTciz stattfindet und eine Hypersecretion die Folge ist. Ebenso
gut aber kommen Fälle vor, in denen eine Erschlaffung und Herab-
setzung der Secretion in der Art besteht, dass die Salzsäure andauernd
auf ein Minimum heruntergedrückt ist.
Nach alledem werden Sie mir zustimmen, wenn ich aus der nackten
Thatsache eines höheren oder geringeren oder scheinbar normalen
Aciditätswerthes, vorausgesetzt, dass wir denselben nicht auf andere
Säuren, wie freie Salzsäure zu beziehen haben, im Allgemeinen keinen
diagnostisch zwingenden Schluss gründe, sondern solche Erhebungen
nur als einen wenn auch sehr wesentlichen Beitrag zur Abrundung und
Erkenntniss des gesammten Krankheitsbildes betrachte. Ich möchte
nicht missverstanden werden und betone ausdrücklich, dass ich keines-
wegs mit dieser Betrachtung den Werth unserer Untersuchungen her-
absetzen will — im Gegentheil, wir können sie nicht mehr entbehren
und fühlen uns in allen Fällen unsicher und des festen Bodens baar,
wo sie Umstände halber nicht auszuführen sind. — Sie finden, an jeder
Stelle unserer bisherigen Besprechungen den Beweis dafür, wie sehr
sich UQser ärztliches Können und Erkennen auf Grundlage der neueren
Forschungsmethoden vertieft und erweitert hat. Aber gegen eine ein-
seitige Ueberschätzung derselben glaube ich andererseits angesichts
mancher Erscheinungen der jüngsten Zeit Einspruch erheben zu sollen.
Nur die sorgfältigste und eingehende Berücksichtigung und Erwägung
aller Erscheinungen des Krankheitsverlaufes mit allen
Hülfsmitteln der Diagnostik kann uns die Erkenntniss des
bestehenden Leidens bringen und wir haben auch in der genauesten
Exploration des Chemismus des Magens nicht die Wünschelruthe in
Händen, die aus dem harten Gestein dunkler Symptome den klaren
Quell der Erkenntniss hervorzaubert. Noch heute gilt das alte Wort
mit Recht :
Uti ratio sine experimentis mendax,
Ita experientia sine ratione fallax."
[Dem Dr. Manges muss das Verdienst zuerkannt werden, eine recht
gute Uebersetzung des EwALn'schen Buches geliefert zu haben.
Dr. Mauges hat das Ewald'sche Buch mit mehreren Anmerkungen
versehen ; davon sind manche ganz brauchbar, manche überflüssig
und manche nicht ganz der Wahrheit entsprechend. So sieht sich M.
veranlasst, an der Stehe, wo Ewald den von mir angegebenen „Magen-
eimer" bespricht (S. 11), hinzuzufügen : „Its use is condemned by Boas,
loc. cit, 2d ed., p. 112. Tr." Boas sagt allerdings an der betreffenden
Stelle : ,Jch vermag in dem Apparat weder einen gefahrlosen, noch für
den Kranken angenehmen Ersatz der Magensonde zu erblicken." Allein
ich glaube nicht, dass es so besonders wichtig war, dieses dem Ewald'-
schen Buche beizufügen,— als ob Ewald dieses nicht hätte zufügen
können, falls er es für nothwendig gefunden hätte. — Hier im Lande,
wo das Mageneimerchen so vielfach angewandt wird, brauche ich wohl
327
nicht weiter liinzuzufügen, dass das, was ich in meinem Artikel darüber
seiner Zeit geschrieben habe, sich vollkommen bestätigt hat, und dass
von irgend einer Gefahr bei der Anwendung des Mageneimers keine
Rede sein kann.
Auf Seite 63, wo mein Gastrodiaphan erwähnt wird, befindet sich
wieder unten die Anmerkung: „The Instrument is condemned by
Boas, loc. cit., S. 100. Tr." Ich vermag im Boas 'sehen Buche keine
Verurtheilang des Gastrodiaphan vorzufinden ; nachdem Boas auf Seite
100 seines Buches die Gastrodiaphanie genau beschreibt, sagt er auf
S. 101 : „ Ohne den weiteren Erfahrungen des Verfassers vorgreifen zu
wollen, möchte ich schon jetzt darauf hinweisen, dass sicherlich das
Verfahren Einhorn's, wie die Durchleuchtung der Körperhöhlen
überhaupt vor der directen Beleuchtung und Inspection derselben
schon wegen des hierbei in Anwendung kommenden einfachen Appa-
rates den Vorzug verdient. Indessen möchte ich besonders mit Rück-
sicht auf die wenig ermuthigenden Erfahrungen Gottstein's über die
VoLTOHNi'sche Kehlkopfdurchleuchtung auch der Gastrodiaphanie,
wenn überhaupt, so einen nur beschränkten diagnostischen Werth zu-
erkennen." — „Wenn Einhorn mit dem Gastrodiaphan vor Allem die
Grösse und Lage des Magens zu exploriren beabsichtigt, so möchte ich
dem gegenüber bemerken, dass wir durch eine sorgsame Inspection,
Percussion und Palpation eventuell Aufblähung, also immerhin durch
einfachere Manipulationen dieses Ziel gleichfalls in den allermeisten
Fällen in zufriedenstellender Weise erreichen." — Diese Bemerkungen
Boas's enthalten eine sachgemässe kritische Besprechung aber doch
keine Verwerfung des Gastrodiaphans.] Dr. Max Einhorn.
The Principles and Practica of Medicine. Designed for the Use of
Practitioners and Students of Medicine by William Osler, M. D.,
New York. (D. Appleton & Co. 1892.)
Verfasser dieses schön ausgestatteten Werkes, dem, wie jedermann
bekannt, die reichste Erfahrung auf dem ganzen Gebiete der Medicin
zur Verfügung steht, hat im vorliegenden Buche alle Kapitel der
Medicin nach den gegenwärtig herrschenden Gesichtspunkten behan-
delt, und dabei fast immer seine eigenen Ansichten und Erfahrungen
mit eingeflochten. Im Kapitel über Tuberkulose, dem, nebenbei gesagt,
73 Seiten gewidmet sind, werden alle Formen dieser Erkrankung aufs
Gründlichste geschildert, und die Tuberkelbacillen nach allen Seiten
hin aufs genaueste beschrieben. Im Kapitel über die Erkrankungen
des Magens werden die chemischen Punkte behufs Diagnosenstellung
eingehend auseinandergesetzt und die modernen Hilfsmittel der Be-
handlung der Magen affectionen geschildert.
Das Buch zerfällt in folgende Abschnitte :
■ I. Specific Infectious Diseases.
II. Constitutional Diseases.
III. Diseases of the Digestive System.
IV. Diseases of the Respiratory System.
V. Diseases of the Circulatory System.
VI. Diseases of the Blood and Ductless Glands.
VII. Diseases of the Kidneys.
VIII. Diseases of the Nervous System.
IX. Diseases of the Muscles.
X. The Intoxications ; Sun-stroke ; Obesity^
XI. Diseases due to Animal Parasites.
Der Comfort des Kranken. Von Dr. Martin Mendelsohn, Arzt in
Berlin. (Zweite Auflage. Berlin, 1892. Verlag von AuausT
Hirschwald.)
828
Das kleine 68 Seiten umfassende Werkchen ist äusserst spannend
geschrieben, und enthält zahlreiche nützliche Winke bei der Kranken-
behandlung. Es wird hier den Aerzteu ans Herz gelegt, für den Comfort
des Kranken zu sorgen, und dabei genau angegeben, wie solcher Com-
fort zu verschaffen sei. Als Motto auf dem Büchlein stehen die Worte
Hippokrates': „Es gibt auch Annehmlichkeiten für den Kranken."
Standesfragen. Betrachtungen eines Landarztes. Von Dr. med. Emil
Mory. (Zweite Auflage. Basel. Verlag von Carl Sallmann. 1892.)
Obgleich das vorliegende Buch hauptsächlich die ärztlichen Ver-
hältnisse der Schweiz schildert und dieselben zu bessern sucht, ist doch
dasselbe auch für Nicht-Schweizer mehr als lesenswerth. Die Schreib-
weise ist spannend und interessant, und es dürfte wohl jeder Arzt aus
dem Werkchen etwas Gutes und Nützliches lernen. Verfasser schildert
eingehend die Verhältnisse des Landarztes, — der doch ebensoviel ge-
lernt hat, wie der Stadtarzt,— und weist darauf hin, wie dessen Stellung
nicht nur von der Bevölkerung als eine niedrigere betrachtet, sondern
auch von manchen Stadtärzten als solche gehalten wird. Die Stadt-
ärzte könnten aber viel thun, um das Ansehen ihrer Collegen auf dem
Lande zu heben. Verfasser tritt für die Selbstdispensation, haupt-
sächlich für die Aerzte auf dem Lande, ein. E.
Die chronischen Erkrankungen der oberen Luftwege und Unterleibs-
brtiche. Von Dr. W. Freudenthal, New York. (Berlin, 1892,
Neuwied. Heuser's Verlag.)
Eleventh Annual Report of the State Board of Health of Illinois.
[Being for the Year ended December 31, 1888. | With an
Appendix containing the Official Register of Physicians and Mid-
wifes, 1892. (Springfleld, Iii. H. W. Rokker, State Printer and
Binder, 1892.)
On the Respiratory Changes of the Intrathoracic Pressure, measured
in the Mediastinum Posterior. By Dr. S. J. Meitzer. (Reprinted
from the Journal of Physiology. Vol. XIII., Nos. 3 u. 1, 1892.)
Personalien.
Verzogen : Dr. Albert Lipmax nach 787 Lexington Ave.
Dr. Max Einhorn,
Stellvertretender Redakteur, 107 E. G5. St.
An die Leser.
Geschäftliche Zuschriften, Geldsendungen, Bestellungen u. s.w., sind
zu richten an : " Medical Monthly Publishing Co.," 17—27 Vandewater
Street, New York.
Manuscripte, Wechselblätter und Anfragen bezüglich des Inhaltes
sind an den Herausgeber zu richten.
Herr Karl Kahler, unser einziger Vertreter, ist eben im Interesse
unseres Blattes im Osten thätig. Da derselbe dieses Jahr nicht reisen
wird, so erweisen uns die geehrten Abonnenten einen grossen Gefallen,
wenn sie ihren Abonnements-Beitrag einsenden.
Billig zu verkaufen.
" Woods Complete Medical Library, 100 Volidies " gebunden und
neu. Nähere Auskunft ertheilt.
Medical Monthly Publ. Co.
27 Vandewater Str.
New Yorker
Medicinische Monatsschrift.
Organ für praktische Aerzte in Amerika
unter Mitwirkung von
Dr. A. F. Buechler, Dr. Geo. Degner, Dr. Max Einhorn, Dr. Jos. W. Gleitsmann,
Dr. Geo. W. Jacoby, Dr. F. Kxn^, Dr. S. J. Meitzer, Dr. Willy Meyer,
Dr. C. A. von Ramdolir, Dr. A. Schapringer, Dr. A. Seibert
herausgegeben von
Dr. F. C. HEPPENHEIMER.
Verlag der Medical Montlily Publisliinj? Company, 17 27 Vandewater Sti-eet, N, ¥•
Bd. IV. New York, 15. September 1892. No. 9
ORIGINALARBEITEN.
I.
lieber Tuberculocidi ii . )
Ton
Dr. GEO. W. RACHEL,
Lehrer der Kinderheilkunde an der N. Y. Polyclinic, Inspizirender Arzt am
St. Mark's Hospitale und Kinderarzt an der Deutschen Poliklinik.
Die Geschichte des KocH'schen Tuberculin's ist uns Allen noch so
frisch im Gedächtnisse, dass ich mir wohl eine Kekapitulation dersel-
ben ersparen kann. Wie ein Meteor erschien dasselbe am Firmamente
der Medizin, um nach kurzem Aufleuchten ebenso schnell wieder zu
erlöschen und in Dunkelheit zu vergehen. Und wie ein Meteor einen
glühenden Aschenstreifen hinterlässt, der die Astronomen in den
Stand setzt, seine Bahn zu bestimmen und die Kichtung, welche er ge-
nommen, festzustellen, so haben auch die Jünger der Medizin durch
den Lichtstreifen, welchen jenes Meteor zurückliess, gelernt, welches
die richtige Bahn ist und in welcher Richtung sie weiter zu forschen
haben.
Ohne auf die von Liebreich angegebene Methode der Injektion von
cantharidinsaurem Kali einzugehen, welches nur eine Eigenschaft des
Tuberculin besitzt — nämlich diejenige, Entzündung zu erzeugen —
wollen wir uns gleich zu den Arbeiten derjenigen Forscher wenden,
welche das Kocn'sche Mittel selbst zur Grundlage ihres Studiums ge-
macht haben. William Hunter f) war der erste, der die Zusammen-
*) Vortrag gehalten in der Deutschen Medicinischen Gesellschaft der Stadt
New York am 12. September 1892.
t) British Med. Journ., July, 1891.
330
Setzung des Tuberculias genauer studirte und die besonderen Wirkun-
gen seiner einzelnen Bestandtheile, nachdem er sie isolirt hatte, ex-
perimentell feststellte. Das von ihm gefundene Resultat lässt sich im
Allgemeinen dahin präcisiren, dass das TubercuUn vier Gruppen orga-
nischer Substanzen enthält, welche in der complizirtesten Weise zusam-
menarbeiten, um die verschiedenen Hauptwirkungen der KocH'schen
Lymphe zu erzeugen. Und zwar isolirte Hunter, ausser den minerali-
schen Salzen und dem Lösungsmittel Glycerin, folgende vier Gruppen :
1. Albumosen,
2. Alkaloide,
3. Extraktivstoffe und
4. Mucin.
Für den Kliniker ist das Ergebniss am wichtigsten, dass die wirk-
liche Heilwirkung, welche H. dem Tuberculin auf das Positivste vindi-
zirt, ganz unabhängig von denjenigen Substanzen ist, die das Fieber,
die Entzündung und verschiedene Störungen des Allgemeinbefindens
verursachen. Die Substanz nun, welcher er die spezifische Heilwirkung
zuschreibt, ist eine Albumose, von der er annimmt, dass sie dem
Plasma der Tuberkelbacillen entstammt und nicht ein Produkt der
Entzündung ist, welche diese in den Geweben hervorrufen. Es würde
zu weit führen, die in Gemeinschaft mit Cheyne ausgeführten Unter-
suchungen hier eingehend zu besprechen. Es soll nur erwähnt wer-
den, dass die Beobachtung der Wirkungen ihrer Präparate auf ver-
schiedene Fälle von Lupus für die englischen Forscher massgebend
war, weil dieselbe sie in den Stand setzte, alle Veränderungen deutlich
wahrzunehmen.
Die günstigen Berichte, welche ausser in England auch hier in
Amerika ^) über die Anwendung des von Hünter modifizirten Tubercu-
lins veröffentlicht worden sind, scheinen die Ansicht zu unterstützen,
dass hiermit der richtige Weg eingeschlagen worden ist, um die Ent-
deckung Koch's im Dienste der leidenden Menschheit wirksam zu
machen.
Auf ganz ähnliche Weise und von denselben Grundanschauun-
gen ausgehend, hat Klees den eigentlich wirksamen Bestandtheil des
Tuberculin isolirt. Er verwendet ausschliesslich das von Libbertz
dargestellte Rohtuberculin, welches er durch Ausfällen der Alkaloide
und Extrahiren mit Wasser in die von ihm Tuherculocidin genannte
Substanz umwandelt. Den Namen wählte er desshalb, weil er sich
durch Thierversuche davon überzeugte, dass dasselbe eine die Tuber-
kelbacillen tödtende Eigenschaft besitzt, f)
In einer Broschüre X) nun, welche vor Kurzem erschien, veröffent-
lichte Klebs eine Reihe von 75 Fällen von Lungentuberkulose, welche
*) KiNNicuTT, Med. Kecord, May 21st, 1892.
t) D. Med. Wochenschr., No. 45, 1891. J) Die Behandlung derTubercnlose
mit Tuherculocidin, 1892, Verlag von Leopold Voss, Hamburg.
331
er mit Tuberculocidin behandelt hat und welche folgende Resultate er-
gaben :
Ist nun auch diese Versuchsreihe viel kleiner, als dies wünschens-
werth wäre, so sind die Resultate doch ermuthigend genug, um bei
unserer noch so unsicheren^Therapie gegenüber der Lungenseuche zu
weiteren Versuchen anzuspornen.
Die Zahl der Fälle, die im St. Mark's Hospital und ambulant be-
handelt wurden, beläuft sich auf neun :
I. Fall. J. A., 36 Jahre ; Kutscher, wurde am 1. August 1891 ins St.
Mark's Hospital aufgenommen. Er berichtete damals von einem seit
7 Wochen bestehenden Husten mit gelblichem Auswurfe. Nacht-
schweisse und Gewichtsabnahme. T. 101.8° ; P. 104. Gewicht : 143 Ibs.
I>r. LiNDEXMEYR coustatirtc die Anwesenheit von characteristischen
Tuberkelbacillen.
Die physikalische Untersuchung ergab ausgebreitete Spitzen-
catarrhe auf beiden Seiten.
Unter Guaiacol-Behandlung verbunden mit entsprechender Diät
u. s. w. besserte sich Patient in sehr befriedigender Weise. Die loka-
len Symptome zeigten eine unzweifelhafte Rückbildung des Krank-
heitsprocesses an und das Gewicht stieg ebenfalls auf 148 Pfund. Die
Nachtschweisse hörten vollständig auf und Husten, sowie Auswurf
wurden minimal. Das war im December. Im Januar änderte sich
das Bild ohne sichtbaren Grund. Die Temperatur, welche zumeist
unter 100° geblieben war, nie 101° überschritten hatte, fing an bedeu-
tende Exacerbationen zu zeigen, bis zu 103° ; Nachtschweisse traten
wieder ein. Husten und Auswurf nahmen zu und es entwickelte sich
links oben und vorn eine Caverne.
Am 29. Januar wurde mit Injektionen von Tuberculocidin begonnen,
von 5 mg. langsam zu 150 mg. aufsteigend. Anfang März bekam er
täglich 200 mg., dann 250 mg., im April 300 mg., im Mai 3 — 4 mal
wöchentlich, erst 300 mg., dann 400 .'mg., und Ende Mai (bis zum 27.)
500 mg. Gesammtmenge des verbrauchten T. ca. 17 Gm. Da die Tu-
berkulose, unbekümmert um die Behandlung, langsam aber stetig wei-
tere Fortschritte machte, die Abendtemperaturen von 103° bis 105^? be-
trugen, so wurde von weiterer Anwendung des Tuberculocidin Abstand
genommen. Erwähnenswertii ist, dass Patient stets berichtete, dass
er an den Injektionstagen keine Nachtschweisse, später überhaupt nur
sehr leichte, gehabt habe und dass auch der Husten geringer war.
Diese Beobachtung wurde von den meisten andern Patienten ebenfalls
gemacht.
Vollständig geheilt
Gebessert
Nicht gebessert
Gestorben
14 Fälle = 18.6%.
45 " = 60.2 "
.14 " = 18.6 "
2 " = 2.6"
75
100 "
332
II. Fall. C. J., 24 Jahre alt, Mautelschneider, wurde am 5. Februar
im St. Mark's Hospital aufgenommen. Seit zwei Monaten Fieber,
Husten, Auswurf und Nachtschweisse ; bei der Aufnahme T. 103^, P.
126. Gewicht : 128 Pfund.
Auf der linken Seite wurde alles normal befunden, während rechts
eine die Hälfte der Lunge einnehmende Infiltration hinten, sowohl wie
vorn nachweisbar war. Tuberkelbacillen im Sputum.
Auch hier hielt das in steigender Dosis angewandte Tuberculocidin
den Fortschritt der Krankheit nicht auf. Die Nachtschweisse wurden
zwar anfänglich durch dasselbe auf ein Minimum beschränkt ; doch
blieben Husten und Auswurf nahezu unverändert. Die Maximalmenge
von 500 mg. wurde am 22. März erreicht und jeden zweiten Tag bis
zum 20. Mai weiter eingespritzt. Gesammtmenge des verbrauchten
T. ca. 15 Gm. Da aber der Krankheitsprozess unentwegt weitere
Fortschritte machte, die Temperatur öfters bis auf 105° anstieg und
die Tuberkelbacillen keine Verminderung resp. Veränderung zeigten,
so wurde von weiterer Anwendung des Tuberculocidin Abstand
genommen.
III. Fall. J. M., 35 Jahre alt, Schriftsetzer, wurde am 8. Februar
ins St. Mark's Hospital aufgenommen.
Hat seit drei Jahren an einem linken Spitzencatarrh gelitten ; war
im Jahre 1891 sechs Monate lang in Dr. Meuer's „Koch Sanitarium" in
Denver City, Col., unter Behandlung gewesen. Der sehr intelligente
Patient berichtete, dass er anfänglich keine Reaction auf die Lymph-
injektionen zeigte bis die Dosis über 5 mg. stieg. Dann konnte er
aber keine weiteren Injektionen vertragen, so dass er zuletzt nur zwei
mg. ohne Reaktion bekommen konnte. Die Lymphe wurde nicht mehr
angewandt und bei fortwährendem Aufenthalte im Freien besserte
sich sein Allgemeinzustand in befriedigender Weise ; er nahm über
sechs Pfund zu.
Bei der Aufnahme T. 100.°8, P. 94 imd Gewicht 133 Pfund.
Es fand sich bei dei; Untersuchung, dass rechts vorn und hinten
eine mässige Spitzeninfiltration nachweisbar war, während links nur
vorn an der Spitze etwas Dämpfung und beginnendes Bronchialathmen
bestand. L. H. normale Verhältnisse. Tuberkelbacillen im Sputum,
welches nur leicht gelblich tingirt ist.
Er wurde während eines Monates mit Tuberculocidin in steigender
Dosis behandelt bis zu 200 mg. während der letzten fünf Tage.
Gesammtmenge des Tuberculocidin 2085 mg. Schon nach der fünften
Injektion hörten die Nachtschweisse auf und Husten sowie Auswurf
wurden bald merklich geringer. Leider verliess Patient wegen Fami-
lienverhältnissen— wie er mir brieflich mittheilte— das Hospital heim-
lich am 9. März und es gelang mir erst nach einigen Monaten seiner
habhaft zu werden. Er bedauerte es selbst sehr, dass er dies gethan
und berichtete, dass er im Stande sei, die Hälfte bis Zweidrittel der
Arbeitszeit hinter dem Setzkasten zu stehen, was ihm seit drei Jahren
nicht anhaltend möglich gewesen.
333
Sein Gewicht, welches während des Hospitalaufenthaltes auf 131
Pfund gefallen, war auf 139 Pfund gestiegen, eine Zunahme von acht
Pfund. Husten und Auswurf gering; selten Nachtschweisse. Die
linke Lunge hatte sich vollständig restituirt, während rechts noch ein
massiger Spitzenkatarrh bestand. Leider hat Patient sein Ver-
sprechen, sich ambulant behandeln lassen zu wollen, nicht eingehalten.
Wie ich höre, hat er die Stadt verlassen.
IV. Fall. F. W., 26 Jahre alt, Zimmermann ; wurde am 29. März in's
St. Mark's Hospital aufgenommen.
Ich will Ihre Zeit nicht mit diesem Falle länger als nöthig in An-
spruch nehmen. Seine Krankheit begann im Januar ; beide Spitzen
infiltrirt und Tuberkelbacillen im Sputum nachweisbar. Da Patient
am 28. April eine Nephritis bekam, welche bald in der intensivsten
Weise auftrat, so wurde Mitte Mai kein Tuberculocidin mehr injizirt.
Er starb am 18. Mai und konnten wir leider keine Sektion bekommen.
Im Urin konnten keine Tuberkelbacillen gefunden werden.
V. Fall. H. E., 24 Jahre alt, Zuschneider ; wurde am 2. Mai in's St.
Mark's Hospital aufgenommen.
Seine Krankheit datirt angeblich von einer Erkältung im Frütijahr
1891. Husten, Auswurf und gelegentlich Nachtschweisse. Hat gegen-
wärtig namentlich über Brustschmerzen und Athemnoth zu klagen.
T. 100°, P. 9G, Gewicht 130 Pfund.
Er hat beiderseitig Spitzenkatarrh, rechts ausgesprochener wie
links ; doch sind am hinteren Thorax die Verhältnisse normal. Tuber-
kelbacillen im Sputum. Am 2, Mai wurde mit Injektionen von Tuber-
culocidin begonnen von 25 mg. an in schnell steigender Dosis ; bis zum
16. Mai war die Maximaldosis von 500 mg. erreicht und wurde damit
bis zum 4. Juni täglich fortgefahren, dann jeden zweiten Tag. Ge-
sammtmenge des verbrauchten T. ca. 16 Gm.
Seit Ende Mai ist Patient im Stande einen halben Tag täglich zu
arbeiten ; den Nachmittag bringt er im Freien zu. Die einzige unan-
genehme Wirkung des T. ist die, dass das Sputum gelegentlich mit
Blut tingirt ist. Da Klebs angiebt, dass man diejenigen Fälle, welche
sich eklatant bessern, nach Verwendung einer grösseren Menge von
T. ca. einen Monat lang sich selbst überlassen soll, so habe ich dem
betr. Patienten erlaubt, auf einige Wochen auf das Land zu gehen.
Die lokalen Symptome hatten sich entschieden gebessert ; nament-
lich war auf der linken Seite nur noch etwas scharfes Athmen vorn an
der Spitze zu hören. Kechts leichte Dämpfung bis zur 5. Kippe.
Scharfes, aber nicht tubuläres Athmen, feines Rasseln stellenweise.
Auch bei ihm beeinflusst das T. die Nachtschweisse in sehr günstiger
Weise ; Appetit und Allgemeinbefinden sind befriedigend. Er wiegt
gegenwärtig 138 Pfund, eine Zunahme von sieben Pfund.
Dr. LiNDENMAYR berichtete, dass die Tuberkelbacillen gegen früher
spärlich vertreten und desintegrirt seien.
VI. Fall. N. S., 27 Jahre alt, Maschinen-Schneider (Operator), wurde
am 5. Mai in's St. Mark's Hospital aufgenommen.
334
Dieser Patient hatte früher auch unter Behandlung mit Kocn'scher
Lymphe gestanden. Er hatte seit Herbst 1889 an Spitzencatarrh mit
gelegentlichem Bluthusten gelitten und wurde am 2. April 1891 im
Hospital aufgenommen.
Er wurde damals drei Wochen lang mit Kocn'scher Lymphe behan-
delt und besserte sich sein Zustand derartig, dass er nach Verlauf
dieser Zeit wieder zur Arbeit gehen konnte und daher das Hospital
verliess.
Bei seiner zweiten Aufnahme, also am 5. Mai d. J., berichtete er,
dass er sich durch den Sommer und Herbst ziemlich wohl befunden
habe. Erst im Winter sei Husten und Auswurf zurückgekehrt. Er
habe liur einmal Blut aufgehustet.
Bei der Untersuchung findet sich auf der rechten Seite ein vorn und
hinten nachweisbarer Spitzencatarrh ; die Dämpfung und das rauhe
Athmen geht bis zur 5. Kippe herab. Links vorn leichte Dämpfung,
etwas verstärkte Stimmresonanz und Vocalfremitus, sehr wenig ver-
schärftes Athmen. T. 100°, P. 90, Gewicht 128 Pfund. Tuberkelbacil-
len im Sputum. Am 5. Mai wurde mit Injektionen begonnen in schnell
steigender Dosis. Die Maxiraaldosis von 500 mg. wurde am 15. Mai
erreicht und dann erst täglich, hierauf vom 20. Mai ab einen Tag um
den andern gegeben. Gesammtmenge des verwendeten Tuberculoci-
dins ca. 10.5 Gm.
Das Allgemeinbefinden dieses Patienten sowie die lokalen Symptome
besserten sich während der ersten zwei Wochen schon, so dass er seit-
her etwas leichte Arbeit fast täglich verrichten kann. Er hat keine
Nachtschweisse mehr und auch bei ihm zeigte sich das Sputum einige
weni^ Male blutig tingirt.
Er berichtete am 6. Juni, dass er nur sehr selten noch huste und in
der letzten Woche keine Blutstreifen mehr im Sputum gesehen habe,
wie während der ersten Wochen gelegentlich. Er ging dann auf's
Land und sprach im Juli gelegentlich vor, um eine Einspritzung zu
bekommen. Lokale Symptome sind fast verschwunden. Gewicht 134
Pfund. Offenbar verursacht das Tuberculocidin — ausser der von
Klebs ihm zugeschriebenen Tuberkelbacillen tödtenden Wirkung —
einen erhöhten Blutzufluss, d. i. die EntzünduDgserreger, welche
Hunter's Modifikation B enthält, müssen zum Theil noch darin ent-
halten sein.
Ueber die übrigen drei Fälle möchte ich gegenwärtig nichts mit-
theilen, da sie noch in Behandlung sind ; doch wird in zwei ein
günstiges Kesultat sicher zu erwarten sein.
Um nun zum Schluss einen kurzen Kückblick zu geben, möchte ich
mich zuerst entschuldigen, dass ich mit einer so beschränkten Anzahl
von Fällen vor Sie trete. Doch glaubte ich, der Aufforderung unseres
Präsidenten nachgeben zu müssen, um zu weiteren Versuchen mit dem
verbesserten Tuberculin Anregung zu geben. Vor der Lymphe selbst
hat das Tuberculocidin den grossen Vortheil, dass es fast niemals
irgend welche Reaktion oder sonstige unangenehme Nebenwirkungen
335
im Gefolge hat, weil eben die delotären Stoffe — Alkaloide und Ex-
traktivstoffe — daraus entfernt sind.
Dass es in schweren Fällen ebensowenig Einfluss auf den Krank-
heitsprocess hat, wie die Lymphe, beweisen die beiden Fälle L und III,,
während die Fälle II., V. und VI. eine günstige Einwirkung ganz
unzweifelhaft demonstriren. Wie lange dieselbe anhält, resp. wie oft
man nach dem Vorgange von Klebs bei den betr. Patienten noch eine
erneute Injektionskur vornehmen muss und wie weit eine dauernde
Heilung zu erzielen ist, bin ich natürlich nicht im Stande zu sagen.
Immerhin aber sind die von Klkbs veröffentlichten Beobachtungen
ermuthigend und sollten von Seiten der Collegen Nachahmung finden,
damit bei grösserem Materiale auch sicherere Schlüsse gezogen werden
können.
325 Ost 19. Sm
II.
Die Pathogenese der gonorrhoischen Oelenkaffectionen.
Von
HENRY S. STARK, A. M. M. D.,
Arzt am Mt. Sinai Hospital Dispensary und N. Y. Lying-in-Asylum.
Gewiss ist von allen Complicationen im Verlaufe der Gonorrhoe
die Affection der Gelenke eine der selteneren, und deren Entstehung
noch nicht vollkommen begründet und deren Behandlung noch vieles
zu wünschen übrig lässt.
Eigentlich hätte man erwarten sollen, dass die rege Thätigkeit auf
dem Gebiete der Bakteriologie uns die noch dunklen Punkte in der
pathologischen Anatomie dieser Gelenkerkrankung aufzuklären im
Stande gewesen wäre. Leider jedoch sind bis heute unsere Hoffnungen
in dieser Richtung nur theilweise erfüllt.
Von der Zeit an, in der dieser Gegenstand zum ersten Male gründliche
Forscher beschäftigt hatte, bis zum heutigen Tage waren eine Anzahl
von Theorien in Geltung über ihre Entstehung und den Zusammenhang
mit der Blennorrhoe. Die Entdeckung des Gonococcus brachte einige
zu Falle, während sie andere, die auf der Kenntniss von pathogenen
Mikroorganismen basirt waren, befestigte.
Seitdem jedoch der Zusammenhang zwischen Gonorrhoe und Gono-
coccus als über jeden Zweifel erhaben sichergestellt ist, werden die
Untersuchungen nur mit dem einen Zielpunkte weitergeführt, nämlich
die pathologische Anatomie der Gelenksentzündungen im Anschlüsse
an Gonorrhoe auf die Anwesenheit von specitischen Mikroorganismen
in dem Sekrete der Gelenke zurückzuführen.
Nach unsern heutigen Auffassungen muss also jede Theorie, die
diesen genetischen Zusammenhang unberücksichtigt lässt, als der
modernen Medicin wiedersprechend fallen gelassen werden. Neben der
336
noch zweifelhaften Pathologie dieser Complication der Blennorrhoe,
sind es noch andere wichtige und charakteristische Eigenschaften, die
für den Gegenstand mehr als gewöhnliches Interesse in Anspruch
nehmen. Das seltene Auftreten, in vereinzelten Fällen die Intensität,
die Endresultate, als Ankylose und Hydrops articuli, das gewöhnhche
Kecidiviren bei nachfolgenden Trippern, das Auftreten bei anscheinend
sicherer Abwesenheit von Gicht und rheumatischer Diathese, die Eigen-
thümlichkeit auf die gebräuchlichen Antirheumatica nicht zu reagiren ;
alles das begründet das Dunkel in dem sich dieser Gegenstand noch
befindet, trotz des Eifers und der Arbeit, die zur Aufhellung schon
angewendet worden sind.
Ohne auf die verschiedenen Stadien, die die Ergründung dieses
Gegenstandes vom Beginne an durchgemacht, eingehen zu wollen,
genügt es zu constatiren, dass erst in neuerer Zeit wirkliche Erfolge
darin errungen wurden. Ein historischer Rückblick zeigt uns, dass
schon im 16. Jahrhundert das Bestehen dieser Complication bekannt
war, ihre Natur jedoch, wie die damals aufgestellten Theorien beweisen,
nicht verstanden wurde.
Bis auf den heutigen Tag sind bereits Experimente in grosser Zahl
ausgeführt und klinisches Beweismaterial in Menge gesammelt worden,
um Aufschluss über die Pathologie zu geben, und diese Bemühungen
sind durch den Erfolg einer Umwälzung der Meinungen und der Be-
handlungsweise seitens der medicinischen Welt gekrönt worden. Im-
merhin haben die Schwierigkeiten bei der Pathogenese dieser Compli-
cation viele Mühe verursacht. Warum sich bei manchen Personen
eine verhängnissvolle Prädisposition zeigt, während andere sich einer
verhältnissmässigen Immunität erfreuen ; warum das Uebel in einer
grossen Anzahl von Fällen mit seiner früheren Virulenz und Stärke
neue Anfälle von Urethritis wieder hervorruft — das Alles sind medici-
nische Fragen ebenso dunkel wie das Räthsel der Sphinx und mysti-
scher als der Ausspruch der Sibylle.
In meiner Inauguralthese „Die Ursachen des Tripperrheumatis-
mus" vom Jahre 1886, kam ich auf Grund persönlicher Analyse von
8 Fällen zu dem Resultat, dass Septicäinie die richtige Erklärung
dieser pathologischen Erscheinung sei.
Auch heute im Besitze ausgebreiteter Erfahrung und nach eifrigem
Studium dieses Gegenstandes kann ich nicht umhin derselben Ueber-
zeugung, wiewohl ein wenig modiflcirt, Ausdruck zu verleihen, dass
nämlich das Uebel von der Resorption eitrigen Secrets durch die Adern
der Harnröhre und die Lymphbahnen hindurch verursacht wird. Mit
anderen Worten halte ich den Tripperrheumatismus für eine metasta-
tische Krisis, die auf Verschleppung des Krankheitsstoffes von dem
ursprünglichen Sitz der Krankheit zurückzuführen ist.
Um meine Schlussfolgerungen logisch zu beweisen, wird es nöthig
sein folgende Stadien zusammenzufassen : Erstens wird es nothwendig
werden, die giftigen Grundursachen von der ursprünglichen und me-
tastatischen Krankheitsgegend zu isoliren, sodann aber wird die un-
337
leugbare Identität hinsichtlich des Characters und Auftretens dieser
toxischen Elemente bewiesen werden müssen. Wieweit die Arbeiten,
die einen Parallelismus der Microben der ursprünglichen Krankheit
und dieser Complication zu beweisen suchen, vorgeschritten sind, er-
kennen wir, sobald wir die wichtigen Ereignisse der modernen Ge-
schichte dieses Uebels am Auge vorüberziehen lassen. Wir sehen, dass
diese Krankheit und ihre Complication in ursächlicher Beziehung zu
den das Leiden verursachenden Bacterien stehen, die übereinstimmend
in Grösse, Gestalt, Auftreten, Anordnung und Earbe, mit anderen
Worten vollständig identisch sind.
Der erste Schritt war die Entdeckung des specifischen Tripper-
giftes auf Grund bacteriologischen und klinischen Beweismaterials.
Der zweite Schritt war die Auffindung derselben Gonococcen im Exsu-
dat von Patienten, die an blennorrhoischen Gelenkcomplicationen litten.
Bis auf den heutigen Tag ist eine grosse Anzahl solcher Entdeckungen
zu verzeichnen. So waren Hall, Wyszemski, Volkmann, Smirnoff,
Petrone, Horteloup, Kammerer, Hartley u. A. im Stande die Anwesen-
heit von Gonococcen in dem Pas nachzuweisen, das bei der Punction
und durch Einschnitt in die blennorrhoischen Gelenke entnommen war.
Immerhin fehlt noch ein Glied in der Kette, um die Identität der
Coccen der Blennorrhoe und derjenigen, die in den blennorrhoischen
Gelenkerkrankungengefunden wurden, unzweifelhaft nachzuweisen, das
ist die Thatsache, dass kein Experimentator, der die Gonococcen im
Exsudat des gonorrhoischen Gelenksecrets fand, Culturen anlegte und
den Virus inocuUrte. Ist dieser Schritt mit Erfolg ausgeführt worden,
dann ist vernünftigerweise kein Zweifel mehr hinsichtlich der Natur
des Tripperrheumatismus und der Art und Weise seines Zusammen-
hangs mit Tripper ; denn dann werden alle Bedingungen, welche den
Bacteriologen zu Folge existiren müssen, bevor eine Krankheit einem
specifischen Organismus zuzuschreiben ist, voll erfüllt sein.
So ist denn genügend Grund zu der Annahme vorhanden, dass die
toxischen Elemente des Trippers und des Tripperrheumatismus
identisch sind ; aber die Thatsache, dass noch andere pathogenetische
Organismen in dem Exsudat sich demonstriren lassen, nämlich die
characterischen eitererzeugenden Coccen, scheint meine Schlussfolge-
rungen etwas zweifelhaft zu lassen.
Kann wirklich die Anwesenheit der Streptococcen in den Exsudaten
den Beweis abschwächen? Ich glaube im Gegentheil darin einen ver-
stärkten Beweis sehen zu können, dass meine Voraussetzungen und
Schlussfolgerungen logisch richtig sind ; denn wir wissen, dass der
beliebteste Aufenthalt der Gonococcen in den Eiterzellen oder Leuco-
cyten ist, dass diese Eigenthümlichkeit aber ausschliesslich den Gono-
coccen eigen ist und das wesentliche biologische Moment derselben
darstellt. Es besteht sozusagen eine unzertrennliche Verbindung
zwischen Gonococcen und Streptococcen ; mit anderen Worten, blen-
norrhagische Processe gehören in die Keihe der „Misch-Infectionen'*
und es ist deshalb wahrscheinlicher, dass der secundäre Process der
338
Blennorrhoe zur selben Art der Infection gehört. Biologisch interes-
sant ist auch — wenn wir die Pathogenese dieser Complication studi-
ren — die Tendenz dieses Diplococcus die Intercellularsubstanz der
Schleimhaut zu durchdriogen nach dem subepithelialen Gewebe, wo er
auf dem Wege der Lym^hbahnen Eingang finden dürfte in die allge-
meine Blutbahn und eine Ausgangspforte in oder um ein Gelenk.
Diese längstbekannte Wanderung des Gonococcus erklärt sein Auftre-
ten in verschiedenen und von einander entfernten Theilen des Körpers,
Dieses biologische Factum zwingt uns zur Annahme, dass der Gono-
coccus das lebende Agens der blennorrhagischen Gelenksaffectionen
ist. Einen weiteren Beweis dafür, dass blennorrhagische Gelenks-
affectionen entfernte Localisation des spezifischen Giftes des ursprüng-
lichen Trippers sind, gibt die unläugbare Thatsache, dass nur nach
wirklicher Blennorrhoe und nie nach einem pseudo-blennorrhoischen
Processe (gutartige Urethritis oder nach Balanitis) eine blennorrhoi
sehe Arthritis auftritt.
Pathologisch unterscheidet sich die Arthritis gonorrhoica von an-
deren Arthritiden nur durch das specifische Gift ; sie liefert dieselben
Entzündungsprodukte — Fibrin, Serum, Eiter, Leukocyten, Mikroorga-
nismen, Epithel, Knochen und cartilaginöse Ablagerungen im Ge-
lenke— die wie gewöhnlich zu Stande kommen, Adhäsionen mit dem
Gelenke schaffen und dadurch beträchtlich, ja selbst dauernd die nor-
male Function des ergriffenen Gelenks hemmen.
[Wir haben hier auch dieselben' Stadien der Entzündung: die An-
schoppung, die Exsudation und die Organisation, d. h. das Exsudat
formt sich entlang den Conturen des ergriffenen Gelenks.]
In den günstigen Fällen werden die Entziindungsprodukte wieder
resorbirt und damit endet der Entzündungsprocess, die schweren Fälle
gehen in Eiterung aus mit theilweiser Zerstörung des knöchernen und
knorpeligen Gelenks.
In einigen Fällen überwiegt das Serum — Hydrarthrosis, in anderen
Eiter — Pyarthrosis. In zahlreichen Fällen, die ich beobachtet habe,
trat Verdickung der gelenkigen Enden der Knochen ein, mit dem
Nachlass der acuten Symptome ; die Hypertrophie blieb bestehen
und erzeugte dauernde xinkylose. Die typische Arthritis und Periar-
thritis gonorrhoica stimmt in Form und Wesen vollkommen überein
mit den Arthritiden anderen Ursprungs, als Trauma, Septicämie,
Pyämie, Syphilis und Tuberculose ; wir haben hier ebenso acute, sub-
acute und chronische Formen und es kann ein Gelenk oder auch meh-
rere erkrankt sein.
Es würde nun kein anderes pathognomonisches Zeichen für die Dif-
erential diognose der blennorrhoegischen Gelenksaffectionen geben als
die Anwesenheit des Gonococcus; und doch sind wir im Stande klinisch
und aetiologisch ein ganz bestimmtes klinisches Bild der Arthritis
gonorrhoica zu entwerfen — selbe gehören nicht in den Bereich unseres
Artikels. Ich habe absichtlich Verschiedenes in Bezug anf Ursprung
und Entwicklung der gonorrhoischen Gelenksaffectionen unerörtert
339
gelassen, weil sie nur den Stempel des Alters tragen, jedoch nicht
nachgewiesen sind durch die Bakteriologie — den Prüfstein der mo-
dernen Pathologie.
Eine dieser Lehren, die vaso-motorische Theorie, erklärt die Com-
plication als eine reflectorisch wirkende vaso-motorische Störung, deren
Ausgangpunkt die entzündete Urethra ist ; nach einer anderen Ansicht
spielt die rheumatische oder gichtige Diathese bei gewissen Individuen
eine Rolle und daher die Complication im Gelenke, welche also mit
anderen Worten nur zufällig auftritt. Dass solche Theorien hinfällig
sind, liegt auf der Hand und müssen selbe als veraltet angesehen wer-
den im Lichte der heutigen Wissenschaft, die experimentell und auf
dem Wege der Erfahrung lehrt, dass einzig und allein der Gonococcus
der massgebende und entscheidende Factor ist.
Die Infectiou bei typischer acuter Blennorrhoe bleibt keineswegs
in der männlichen Urethra oder in der Vagina stehen, sondern greift
zumeist auch auf andere Organe und Gewebe über, daher sprechen
Autoren von Endocarditis blennorrhoica, blennorrh. Exanthemen,
blennorrh. Opthalmie, Iritis, Scleritis blennorrh. und Adenitis blenn.
Die einzige Erklärung für dieses Uebergreifen in wenigen Fällen
müssen wir in der Natur des Gonococcus selbst suchen, in seiner vita-
len Kraft und Fähigkeiten, ferner ob derselbe den günstigen Nähr-
boden hat und andererseits, dass eine gewisse Idiosynkrasie des be-
fallenen Individuums vorliegt. Nur so erklärt sich eine eigenthüm-
liche Immunität gewisser Individuen und eine besondere Prädisposi-
tion Anderer. In Ermangelung genügend beobachteter Thatsachen ist
das Gebiet heute noch lange nicht abgeschlossen.
270 Ost 7. Str.
III.
Ein Fall von Insolatio mit sehr hoher Temperatur.
Von
Dr. J. WOHLPARTH,
New York.
Am 12. August d. J., Nachmittag gegen 4 Uhr, wurde ich von einem
Unbekannten ersucht, sogleich mitzukommen seinen sterbenden Freund
Patrick G., in der, einige Blocks entfernten Wohnung, zu sehen. Der
Bote berichtete, sein Freund sei besinnungslos, konnte im Uebrigen
keine nähere Auskunft ertheilen, drängte zur Eile und ich folgte dem
vorauseilenden Hiobsboten so gut es die drückende Schwüle des
feuchtwarmen Tages gestattete.
Im Hause angelangt, fand ich im zweiten Stockwerk in einem schat-
tigen Zimmer einen grossen muskulös gut entwickelten, theilweise an-
gekleideten Mann auf dem Bette ausgestreckt liegen. Der Patient
war vollständig bewusstlos, mit tief cyanotischem Gesicht, die Pupillen
340
stecknadelkopfgross zusammengezogen, auf Lichtreiz nicht reagirend,
die Conjunctive stark injizirt, die entblössten Körpertheile bei Berüh-
rung trocken und brennend heiss ; die Halsadern pulsirten gewaltig ;
die Athmung war langsam, unregelmässig, forcirt, stertorös ab und zu
stöhnend ; Herzimpuls mit 116 Schlägen per Minute, regelmässig aber
so gewaltig forcirt, dass man dieselben in einiger Entfernung vom
Körper hören konnte und die breite kräftige Brust bei jedem Herz-
schlag sichtlich erbebte; im Verhältniss zu diesem enormen Herzschlag
war der Kadialpuls schwach ; für sich selbst betrachtet jedoch kräftig
und hart. Das inzwischen in der Axilla placirte Thermometer zeigte
110° F. (43,33° C). Diese Temperatur, die Steifheit der Muskeln, sowie
des Fehlen von Lähmungserscheinungen indicirten einen voraussicht-
lich letal verlaufenden Fall von Insolatio stenotischer Natur.
Während ich mit dem spärlich herbeigebrachten Eis und Wasser
und einigen zusammengesuchten Tüchern Umschläge auf alle entblöss-
ten Körpertheile machte, war die einzige mir zu Gebote stehende Hülfs-
person, der Freund, welcher mich gerufen hatte, spurlos verschwunden,
nachdem ich ihm auf Befragen gesagt hatte, dass der Kranke wahr-
scheinlich sterben würde, um in kurzer Zeit mit einem Diener der
Kirche wiederzuerscheinen und während dem Sterbenden die letzte
Oelung applicirt wurde, erschien (vermuthlich auf Veranlassung der
Hauswirthin) ein Polizist in Begleitung eines Ambulanzarztes des Har-
lem Hospital, welchem ich die weitere Pflege des Kranken um so lieber
abtrat, als es unmöglich war hinreichend Eis für kalte Umschläge ge-
schweige denn Uebergiessungen und Einwickelungen, im Hause aufzu-
treiben und mir der Ambulanzarzt versicherte, dass sie (?) schon Fälle
mit so hoher Temperatur durchgebracht hätten. Kurz vor Erscheinen
der Ambulanz war die Temperatur auf 108° F. (42,22° C.) gefallen, doch
berichtete ich dem Arzt die vorhergefundene Temperatur von 110 F.
Als ich am nächsten Tag in dem Hospital vorsprach, wurde mir der
freilich nicht unerwartete Bescheid, dass Patrick G. auf dem Wege
nach dem Hospital gestorben sei, zu Theil.
Der Fall interessirte mich hinreichend, um Erkundigungen über
das Verhalten des Verstorbenen vor dem Anfall einzuziehen, und er-
mittelte ich von dessen Hauswirthin, dass Patrick G. in den Stallungen
einer Express-Compagnie als Geschirr- und Wagenreiniger angestellt
war, tlieils Tag- und theils Nachtdienst thuend ; er war Potator, jedoch
nicht übermässig und mit vorzüglichem Appetit, welcher jedoch wäh-
rend einiger Tage vor dem Tode nicht so gut wie gewöhnlich war, trotz-
dem nahm er am Morgen des Sterbetages ein ziemlich gutes Frühstück
zu sich, arbeitete bis Mittag, kam nach Hause, beorderte um 4 Uhr
Nachmittags geweckt zu werden und begab sich auf sein Zimmer, wo
man ihn gegen 4 Uhr in dem beschriebenen Zustande antraf.
Es dürfte überflüssig erscheinen über einen Fall, wie diesen, noch
dazu mit letalem Ausgange zu schreiben, wenn nicht derartige Fälle in
der Privatpraxis verhältnissmässig selten vorkämen und gerade ein
aus der Privatpraxis berichteter Fall dürfte zu Vorschlägen über die
341
Behandlung, wie solche ausserhalb des Hospitals ausgeführt werden
kann, besonders anregen, sei es gestützt auf praktische Erfahrung
oder theoretische Grundsätze.
Die Pathogenese des Sonnenstichs ist noch sehr in Dunkel gehüllt
und die Physiologie hat bis jetzt noch keine bestimmte Erklärung der
plötzlich ansteigenden hohen Temperatur geben können ; dass eine
Störung resp. Zerstörung des Wärme -Reg ulations Centrums stattfindet,
wird zwar vermuthet aber nicht bewiesen.
Unter dem Kapitel über Aufspeicüerung der Wärme im Körper,
sagt L.\NDOis in seinem Lehrbuch der Physiologie : „Wird die Körper-
temperatur durch und durch um etwa 6° C. erhöht, so tritt der Tod ein,
wie beim Hitzschlag oder dem Sonnenstich. Es scheint bei diesem
Wärmegrade eine molekuläre Decomposition der Gewebe vor sich zu
gehen."
Aronsohn und Sachs, ebenso Richet haben durch direkten Reiz des
Wärme-Centruins im Hirn von Kaninchen vorübergehende Tempera-
tursteigerung des Körpers erzielt, Jedoch nicht hoch genug um Er-
scheinungen zu erzeugen, wie sie beim Sonnenstich beobachtet wurden
und bei wiederholten Reizen trat bedeutende Temperaturerniedrigung
ein mit tödtlichem Ausgange, während bei Sonnenstich, wie später zu
erwälinende Beispiele zeigen, der Tod bei steigender Temperatur statt-
finden kann.
Die in neuester Zeit von Maas an Thieren angestellten Versuche
veranlassten die Annahme der Anhydrämie-Theorie, doch vermag die-
selbe besonders die Fälle stenotischer Natur nicht zu erklären, da
dieser Theorie gemäss eine hochgradige Verminderung des Tonus der
Blutgefässe und somit ein lebensbedrohendes Absinken des Blut-
druckes bedingt wird. Otto Huebner fühlt sich in seinem ausführ-
lichen Aufsatz über Hitzschlag in Eqlenburg's Real Encyclopaedie der
gesammten Heilkunde, nach Auseinandersetzung der MAAs'schen
Theorie und der darauf basirten Behandlung zu folgendem Ausspruch
bewogen :
„Aber einen Punkt klärt auch die MAAs'sche sinnreiche Theorie
nicht auf. Bei seinen Versuchen trat mit der Anhydrämie neben dem
Absinken des Blutdruckes zugleich eine erhebliche Erniedrigung der
Temperatur und selbst bei künstlicher Ueberwärmung des Thieres nur
ein unerhebliches Ansteigen derselben auf. Dagegen sind die Körper-
temperaturen beim Hitzschlag meistens excessiv, oder zum Mindesten
recht hoch."
Der im Medical Record (1889, Vol. 36, No. 11) von Dr. R. Ellis er-
wäimte Fall von Genesung bei einer Aftertemperatur von 109° F., Puls
von 160, blassem Gesicht, schweissbedecktem Körper u. s. w. war nicht
stenotischer Natur, so dass das kalte Bad und diverse Herztonica in
diesem Falle zur Bekämpfung ausreichten.
Fünf Fälle mit Genesung, von Dr. H. A. Haubold im Medical Record
von 1891 (Vol. 38, No. 18) rapportirt, waren stenotisch, dieselben wur-
den im St. Vincent Hospital aufgenommen, mit Phlebotomie und
342
kaltem Bad behandelt und daraufhin empfiehlt Dr. Haubold Phleboto-
mie in allen derartigen Fällen ; er betrachtet Phlebotomie als Rettungs-
mittel sine qua non ; da jedoch gleichzeitig Eisbäder angewendet
wurden, dürfte der Blutentnahme per se wohl kaum der Rang einge-
räumt werden, welcher für dieselbe beansprucht wird, war ja auch in
meinem Falle in ca. zehn Minuten die Temperatur bei nur theilweiser
Befeuchtung des Körpers von 110° F. auf 108° F. gesunken. Von
guten Autoren (z. B. Loomis) wird vor Venaesectio gerade in derartigen
Fällen gewarnt.
Dr. L. Bremer in The Medical Fortnightly, [Vol. II., No. 4], nimmt,
gestützt auf persönliche Beobachtungen, „ Anhydrämia" und „Supercar-
bonization" wenn auch nicht als ausschliessliche Hauptfaktoren, so
doch als Zustände von höchster Wichtigkeit an ; die Anhydrämia
bekämpft er nach der MAAs'schen Theorie mit Zufuhr von physiologi-
scher Kochsalzlösung, per os, per rectum und intravenös ; Venaesectio
combinirt er mit Flüssigkeitszufuhr in desperaten Fällen.
Die „Supercarbonization" behandelt Bremer mit Sauerstoff-Einath-
mung und in allen Fällen Abkühlung nach rationellen Methoden. In
seinen Fällen mit letalem Ausgange, Fälle in welchen paralytische
Symptome vorherrschten, schreibt er den Tod den von vorneherein
stattfindenden Verletzungen der Respirations- und Herz-Centern zu.
Otto Hüebxer befürwortet irgend eine schnell ausführbare Abküh-
lung durch kaltes Wasser oder Eis, reichliche Flüssigkeitszufuhr,
künstliche Respiration. Gegen Herzschwäche subcutane Injektionen
von Camphor oder Aether, innerlich wenn möglich Cognac u. dergi.
Samuel nimmt unter dem Kapitel „Heilung" in Eulenbürg's En-
cyclopaedie 44° C. als todbedingende Temperatur bei Sonnenstich an ;
nur wenn diese Maximal-Temperatur noch nicht erreicht ist, erfolgt bei
Fortfall des erhitzenden Einflusses Reconvalescenz unter raschem Ab-
sinken der Eigenwärme.
Den mündlichen Mittheilungen des Herren Dr. F. W. Stone ver-
danke ich die Auskunft über den Verlauf von fünf Fällen von Sonnen-
stich, die unter der Vermuthung von Trauma in den Jahren 1890 und
1891 in der chirurgischen Abtheilung des Bellevue Hospitals Aufnahme
fanden.
In allen Fällen war das Eiswasserbad ausreichend die Temperatur
in kurzer Zeit auf 102^ F. und 103° F. herabzusetzen und drei der
Patienten, welche mit Erniedrigung der Temperatur das Bewusstsein
zurückerlangten, konnten sehr bald als genesen entlassen werden,
während zwei der Patienten mit Rectal-Temperaturen von 110° F. oder
vielleicht noch mehr, da 110° F. das limitum der Thermometerscala
war, bei Herabsetzung der Temperatur im Bade, das Bewusstsein nicht
wiedererlangten und unter sehr schneller Wiederansteigung der Tem-
peratur verschieden und zwar fuhr die Temperatur fort zu steigen
noch kurze Zeit nach dem Tode.
121 Ost 128. Str.
343
NEW YORKER MEDICmiSCHE MONATSSCHRIFT.
Organ für praktische Aerzte in Amerika.
Kedigirt von
De. f. C. heppenheimer.
EDITORIELLE NOTIZEN.
15. September 1892.
Die künstliche Schutzimpfung von Thieren gegen Cholera asiatica.
Jetzt, wo die Cholera in so vielen Ländern unseres benachbarten
Continents wüthet, darf diese Infectionskrankheit und noch mehr deren
eventuelle Behandlung wohl mit Eecht das höchste Interesse sämmt-
licher Mediciner für sich in Anspruch nehmen. Brieger und Wasser-
mann ist es gelungen durcli Injectionen von mit Thymusdrüsen-
extract vorbehandelteuCholeraculturen, später einfach durch Injection
von bei 65° C. fünfzehn Minuten lang erwärmten Choleraculturen, bei
Meerschweinchen Immunität gegen Cholera hervorzubringen. Die
Arbeit darüber findet sich in der „Deutschen Medicinischen Wochen-
schrift," (1892, Nr. 31), und wir halten dieselbe für wichtig genug, sie
der Hauptsache nach hier zu citiren. Brieger und Wassermann be-
schreiben ihre Versuche, wie folgt :
„Alle unsere Versuche wurden mit einer aus Massauah stammenden
Cultur ausgeführt, und zwar arbeiteten wir zunächst mit den Thymus-
auszügen weiter. Wir verfuhren dabei in der Weise, dass wir Cholera-
bacillen 24 Stunden lang auf dem Thymusnährboden wachsen Hessen,
alsdann bei 65° C. fünfzehn Minuten lang oder auch bei 80° C. während
zehn Minuten erwärmten und die so präparirte Cultur 24 Stunden im
Eisschrank stehen liessen und alsdann damit die Thiere der Vor-
behandlung unterwarfen. In der Regel verabreichten wir den Thieren,
ausschliesslich Meerschweinchen, intraperitoneal 4 ccm. dieser Flüssig-
keit innerhalb vier aufeinanderfolgenden Tagen. Die Thiere wurden
alsdann, wie wir schon früher beschrieben haben, besonders nach der
ersten Injection von mehr oder minder schwerem Unwohlsein befallen,
welches aber am nächsten Tage bereits verschwunden war. Die Körper-
temperatur zeigte in dieser Zeit gewisse auffällige Schwankungen. In
den ganz leichten Fällen reagirten die Versuchsthiere 3—5 Stunden
nach Beginn der Vorbehandlung mit erhöhter Eigenwärme bis zu40°C.
Die Normaltemperatur von Meerschweinchen liegt zwischen 38—39° C.
Traten indessen schwerere Allgemeinsymptome bei den Meerschwein-
chen auf, so ging die Körpertemperatur für einige Stunden auf
2—3° C. unter die Norm herunter. Alle diese Thiere befanden sich
jedoch am nächsten Tage wieder völlig wohl. Bei Wiederholung dieser
Injection machten sich die gleichen Erscheinungen, aber in viel ge-
ringerem Maase^von neuem bemerklich.
344
Derart vorbehandelte Thiere erwiesen sich sofort nach der letzten
Injection, d. h. am 4. — 5. Tage nach der ersten Injection, widerstands-
fähig gegenüber den Cholera Vibrionen. Und zwar ertrugen dieselben
von der für nicht vorbehandelte Thiere innerhalb 12—15 Stunden tödt-
lich wirkenden Dosis das dreifache.
Gleich nach der Injection solcher vollvirulenten Choleraculturen
stieg bei den vorbehandelten Thieren die Temperatur um einen Grad
über die Norm, um alsdann im Verlaufe von zwei bis drei Stunden um
zwei bis drei Grade zu fallen.
Die Controllthiere dagegen lagen zu dieser Zeit bereits schlaff auf
der Seite, häufig von Krämpfen durchzuckt, und die Temperatur war
bis auf 32° C. gesunken. Kurz darauf starben diese Thiere, während
die vorbehandelten Meerschweinchen am nächsten
Morgen sich wieder völlig erholt hatten.
Weiterhin haben wir untersucht, welche Minimaldosis dieser Schutz-
flüssigkeit erforderlich ist, um ein Meerschweinchen gegen die sicher
tödtliche Gabe vollvirulenter Choleraculturen widerstandsfähig zu
machen. Nach unseren Erfahrungen genügt schon je ein Cubikcenti-
meter der oben beschriebenen Schutzflüssigkeit, an zwei auf einander
folgenden Tagen injicirt, um für ein Meerschweinchen von 300 — 400 gr.
das gewünschte Resultat zu erzielen.
Da indessen diese Methode wegen der hierzu nothwendigen Ver-
arbeitung von Thymus gewisse Schwierigkeiten bietet, suchten wir auf
Veranlassung von Herrn Geheimrath Koch Wege zu finden, welche auf
einfachere Weise gleich günstige Erfolge geben.
Am zweckentsprechendsten erwies es sich, Choleravibrionen in der
gebräuchlichen Fleischwasserpeptonbouillon zu züchten und diese
Culturen dann am folgenden Tage fünfzehn Minuten lang auf 65° C. zu
erwärmen. Mit dieser Flüssigkeit wurden dann die Thiere in analoger
Weise, wie oben erwähnt, behandelt.
Sämmtliche derart vorbehandelte Meerschweinchen haben die
doppelt tödtliche Dosis vollvirulenter Choleraculturen ertragen, wäh-
rend die Controlthiere ausnahmslos an Cholera zugrunde gingen.
Die geringste Dosis von erhitzten Bouillonculturen, welche noch
Schutzkraft verleiht, betrug auch hier 2 com. Dieser Schutz trat bereits
48 Stunden nach der ersten Injection ein und hielt mit Sicherheit noch
nach circa zwei Monaten vor, entsprechend den Angaben in unserer
ersten Arbeit.
So haben wir Thiere am 12. Mai dieses Jahres nach dieser Methode
vorbehandelt, und am 14. Mai, also nach 48 Stunden, vollvirulente
Choleraculturen injicirt. Diese Thiere blieben völlig gesund und
erhielten nun am 6. Juli dieses Jahres nochmals die doppelt tödtliche
Dosis. Die Controlthiere waren am nächsten Tage todt, während
die vorbehandelten Thiere auch gegen diese zweite Injection mit den
vollvirulenten Culturen sich völlig widerstandsfähig zeigten und auch
jetzt noch ganz wohlauf sind.
Da es hiernach den Anschein gewinnt, als ob die Cholerabacillen
345
allein schon durch Erhitzen so verändert werden, dass die giftige
Wirksamkeit derselben zurücktritt, ihre immunisirende dagegen
bleibt, und man gegen unsere früheren Methoden den Einwand erheben
konnte, dass die Hitzewirkung alloin massgebend sei, so haben wir den
Versuch noch in der Weise angestellt, dass wir zu dem Thymusextract
von Agarcultaren abgekratzte Choleravibrionen zusetzten und auf
Eis mehrere Tage Hessen. Mit dieser so vorbehandelten Flüssigkeit,
die nicht erwärmt wurde, haben wir Immunität in gleichem
Umfange erreicht und damit wiederholt den Beweis geliefert, dass der
Extract der Thymusdrüse an und für sich die von uns in unserer
früheren Arbeit geschilderte specifische Wirkung hat.
Die näheren Angaben, worauf diese Widerstandsfähigkeit beruht,
sowie die ausführliche Mittheilung und die Protokolle über weitere
Versuche werden in einer späteren Publication erfolgen."
REFERATE.
Innere Medicin— Referirt von Dr. AD. ZEDERBAUM.
Herzkrank oder Magenkrank ? Ein Beitrag zur Kenntniss der Inner-
vationsstbrungen des Herzens. Von Dr. Th. Kirsch. (Deutsche
Med. Wochenschr., Nr. 32, 1892.)
Verfasser beschäftigt sich in seiner Arbeit nur mit solchen Fällen ge-
störter Herzinnervation, bei denen diese Störung zwar im Vordergrunde
steht, jedoch als eine secundäre Erscheinung anerkannt werden muss,
während das primäre Leiden im Magen begründet liegt. Die hier
in Betracht kommende gestörte Herzfunktion äussert sich entweder als
reine Tachycardie (enorme Pulsbesclileuniguug), oder als vollständige
Arhythmie bei regelloser Folge der Pulse, oder endlicli als Intermittenz
bei sonst regelmässigen Pulsvvollen. Die vom Verfasser in der Littera-
tur über „ Herz- und Magenkrankheiten " gefundenen diesbezüglichen
Fälle liefern unzweifelhaft den Beweis des intimen Zusammenhangs
irregulärer Herzthätigkeit mit gestörter Verdauung. Die objectiven
Krankheitserscheinungen pflegen bei diesem Leiden derart zu sein,
dass der Patient durch die ihn alarmirenden und beunruhigenden Herz-
l)alpitationen auf den Gedanken geleitet wird, dass er herzkrank sei.
Eine sorgfältige Untersuchung des Herzens, sowie anamnestische Daten,
verbunden mit einer längeren Beobachtung führen jedoch sehr bald zur
richtigen Diagnose. Die in solchen Fällen von den Verdauungsorganen
ausgehende gestörte Herzthätigkeit äussert sich entweder als paroxys-
male (acute) oder als habituelle (chronische) Erkrankung.
Veifasser schildert nun eingehend das Krankheitsbild bei
beiden Formen und sucht die hierbei in den Vordergrund treten-
den Symptome genauer zu erklären. Als constante Begleit-
erscheinung der irregulären Herzthätigkeit ist hier stets eine mehr
oder weniger starke tympanitische Auftreibung des Magens und Colons
infolge Ansammlung von Gasen (Atonie) zu verzeichen, so dass also,
neben der reflectorischen Störung der Nerventhätigkeit des Herzens,
auch eine rein mechanische Beeinflussung des Letzteren von Seiten des
Magens, die einen schädigenden Einfluss auf die Herzbewegung ausübt,
angonoinnien werden kann. Für die Abhängigkeit der Herzsymptome
vom Verdauungsapparat und für die Annahme einer primären Er-
krankung des Magens eventuell Darmes fällt ins Gewicht, dass die
346
Uaregelmässigkeit immer zuerst im Abdomen auf tritt, während bei den
primären Herzerkrankungen, die ja auch mit Pulsarliythmie, Athem-
besch werden, Aufgetriebensein des Leibes, Drang zur Defäcation, ein-
hergehen, stets die Ei'sclieinungen der Angina pectoris den Abdominal-
erscheinungen vorangehen. Die Prognose ist nicht ungünstig, da die
EntWickelung eines organischen Herzleidens aus einer Herzneurosu,
soweit bislier bekannt, nicht vorkommt. Entscheidend bleibt natürlich
für die Prognose der Umstand, in wie weit das Grundleiden (der dys-
peptische resp. atonische Magen) gebessert oder ganz beseitigt werden
kann. Die Therapie wird natürlich den Hebel an der mangelhaften
resp. gestörten Verdauung anzusetzen haben, da die sogenannten Herz-
mittel hier selbstredend nutzlos sein würden. Sie hat sich nach den
besonderen Verhältnissen zu richten und vor Allem die allgemeine
Hyperaesthesie des Kranken zum Zielpunkt zu nehmen.
The Salts of Strontium. By Dr. Harry L. Clayton in Middletown, Del.
(„The Times and Register", 1892, No. 23.)
In ihrem chemischen Verhalten den Bariumsalzen sehr nahe stehend,
unterscheiden sich jedoch die Salze des Strontiums, schon durch ihre
Ungiftigkeit, wesentlicli von Ersteren. Baryt und Strontian kommen
in der Natur stets nebeneinander vor, und es ist sehr schwer ein baryt-
freies Strontiumsalz darzustellen. Dies mag wohl die Ursache sein,
dass das Strontium bisher in der Therapie keine Verwendung gefunden
hatte. In letzterer Zeit haben namentlich die Franzosen ihre Aufmerk-
samkeit dem Strontium zugewandt und eine Reihe von Arbeiten ver-
öffentlicht, die sowohl die Ungiftigkeit der Strontiumsalze, sogar in
grösseren Dosen und bei längerem Gebrauch, bestätigen, als deren viel-
seitigen therapeutischen Wertli demonstriren. Auch C. gelangt, auf
Grund seiner Experimente an Thieren und an sich selbst, zu denselben
Resultaten und prophezeit dem Strontium eine Zukunft als therapeu-
tisches Mittel. Er fand, dass die Strontiumsalze verdauungsbef ordernd
und appetiterregend wirken, uud dass sie sich besonders für Fälle von
Verdauungsstörungen eignen, welche mit Flatulenz und Hyperacidität
des Magensaftes einhergehen. Das Strontium bromid leistet dasselbe
wie das Bromkalium und ist, namentlich bei Epilepsie, letzterem vor-
zuziehen, da es den Magen nicht angreift und gut vertragen wird. Das
Strontiumlactat hat entschieden diuretische Wirkung und verdient an-
gewandt zu werden in Fällen, wo eine Steigerung der Diurese erwünscht
ist. Die Strontiumsalze sollen auch die Albuminurie günstig beein-
flussen, sowie überhaupt von guter Wirkung bei Nephritis sich erwiesen
haben. Eine richtige Bedingung bei Anwendung der Strontiumsalze ist
ihre chemische Reinheit. Beimengungen von Baryt werden nachgewie-
sen durch doppeltchromsaures Kali, welches selbst in sehr grosser
Verdünnung mit Barytsalsen einen Niederschlag giebt, der bei reinen
Strontiumsalzen ausbleibt. Auf diese Weise kann man eine Verun-
reinigung der Strontiumsalze durch 1/2000 Baryt nachweisen.
Sur l'emploi de la Solanine dans les Affections de l'estomac avec predo-
minance de 1' element gastralg^que. Par le Dr. Desnos ä Paris.
(Bull. Gen. de Therap., 30 Juin 1892.)
D. empfiehlt das Solaniu als sicher wirkendes Beruhigungsmittel bei
denjenigen Affectionen des Magens, die von anhaltenden Schmerzemp-
findungen begleitet sind, und versichert, dass dasselbe in dieser Bezie-
hung viel zuverlässiger sei, als Cocain, Chloroformwasser uud das
neuerdings in Frankreich aufgekommene Strontiumbromid. Zwar ist
der Preis des Solanin noch sehr hoch, so dass es vor der Hand nur für
reiche Leute zugänglich ist, doch ist dies nur so lange der Fall, als das
Mittel für therapeutische Zweckenoch wenig gebraucht wird. Er selbst
347
hatte Gelegenheit, es in einer grossen Anzahl von Fällen (Gastralgie,
schmerzhafte Dyspepsie, alcoholische Gastritis, mit und ohne Magendi-
latation, etc.) zu erproben, und war stets mit den Resultaten ausseror-
dentlich zufrieden. In einem Falle von Magengeschwür, einhergehend
mit ßluterbrechen, erzielte er mit Solanin eine rasche Besserung der
subjectiven Empfindungen. Derselbe Erfolg war zu constatiren bei
einem Kranken mit Pyloruskrebs, complicirt durch oftes Erbrechen.
Das Solanin wird von ihm in Dosen von 2 Grau in Pillen form ver-
schrieben, da hypodermische Einspritzungen desselben zu schmerzhaft
sind. Er lässt gewöhnlich eine Pille etwa eine halbe Stunde vor der
Mahlzeit nehmen. Pro die sollen höchstens 2 Gran gegeben werden.
Das Solanin ist bekanntlich in den Keimen den Kartoffeln enthalten.
Es wird von manchen Chemikern als Alkaloid, von Anderen hingegen
als Glucosid betrachtet, welclies, bei Bearbeitung mit Säuren, sich in
Glucose \md Solanidin spaltet.
Zwei mit Syzygium Jambolanum behandelte Falle von Diabetes melli-
tus. Von Dr. Wold. Gerlach" in Dorpat. (St. Petersb. Med. Woch.,
'^^ 1892, No. 19).
Die hier beschriebenen Fälle sind insofern von Interesse, als sie in
keiner Weise den Erwartungen entsprechen, die man in letzter Zeit von
verschiedener Seite auf die antidiabetische Wirkung des Jambul ge-
setzt hat. Beide Fälle gehörten in die Kategorie der leichteren und
besserungsfähigen Diabetesformen, Im ersteren trat auf Syzygium
(20—40 Gramm pro die der in toto pulverisirLen Frucht) keine Besse-
rang ein, im, zweiten (Tagesgaben von 30 bis 60 Gramm !) konnte sogar
eine unzweifelhafte Verschhmmerung coustatirt werden. Einen Vor-
zug hat übrigens das Jambul : das ist seine grosse Ungefährlichkeit,
da selbst 60 Gramm des gepulverten Samens nur vorübergehende
Uebelkeit und leichten Schwindel zu erzeugen vermochten. — Trotz
dieses ungünstigen Resultates ist Verfasser nicht geneigt, das Syzygium
ganz zu verwerfen. Ueberblicken wir nämlich die Resultate einiger
neuer Arbeiten über die Entstehung der Zuckerharnruhr, so finden
wir, dass jedenfalls mehrere genetisch verschiedene Diabetesformen
anzunehmen sind. So entsteht z. B. der experimentelle Phlorizin-
diabetes offenbar durch eine Läsion in den Nieren, welche dieses Organ
für Zucker durchlässiger macht, und es ist gerade bei dieser Form, bei
der die günstige Wirkung des Jambul zuerst erzielt wurde. Wie sich
die Verhältnisse bei den anderen Diabetesformen, und namentlich bei
der durch Pankreasexstirpation erzeugten, viel schwereren Zucker-
harnruhr in Bezug auf Jambul gestalten, wird vom Verfasser nicht
näher erörtert. Er nimmt dIos an, dass seine zwei Fälle möglicher-
weise zu derjenigen Form des Diabetes gehörten, welche für die Jam-
bulbehandlung überhaupt ungeeignet sind, während in anderen Fällen
und Formen eine günstige Wirkung des Mittels wohl denkbar ist.
Experimentell ist für das Syzygium bisher, ausser einer günstigen
Wirkung auf den Phlorizindiabetes, in neuerer Zeit jedenfalls eine hem-
mende Einwirkung auf die zuckerbildende Kraft des Blutes, Speichels
und Pancreassaftes festgestellt worden.
Urinary Troubles in Advanced Life Relieved by Phenacetine. By Dr.
Traill Green in Easton, Pa. (University Med. Mag., June 1892.)
Bei häufigem Harndrang der alten Leute , namentlich in der Nacht-
zeit, hat Verfasser, durch Zufall geleitet, in mehreren Fällen als sehr
wirksames Gegenmittel das Plienacetin angewandt. Eine Einzeldose
von 10 Gran vor dem Schlafengehen pflegt diesen Zustand für die
1^ ganze Nacht zu beseitigen und dem Patienten eine ungestörte Ruhe zu
sichern.
348
lieber das Piperazin. Erfahrungen bei Gicht und Nierensteinleiden.
Von Dr. Biesenthal in Berlin, (Fischer's Verlag, 1892.)
Verf. hat sich am eingehendsten von den praktischen Aerzten mit
Piperazin beschäftigt und bereits früher von seinen Erfahrungen mit
demselben in der .,Berl. klin. Woch." berichtet. Er empfiehlt auch
jetzt das P. auf's wärmste, da es zum ersten Male alle von einem harn-
säurelösenden Heilmittel geforderten Eigenschaften erfülle. Frei von
jeder ätzenden Wirkung, übt es selbst bei grossen und lange fortge-
setzten Gaben keinen schädigenden Einfluss auf Magen, Herz und Ge-
hirn aus. Die grosse Lösungskraft für Harnsäure, die es im Keagens-
glase aufweist, behält es auch im menschlichen Organismus, sowohl
bei kleinen Dosen per os, als bei kleinsten subcutan. Das P. zeigt
seine heilende Wirkung auch in den ältesten Fällen. Verf. ist für das
P. so eingenommen, dass es für ihn geradezu zum diagnostischen
Hilfsmittel geworden ist : wo es seine Wirkung versagt, dort liegt für
ihn kein Gichtfall vor. — Den Berichten über seine eigenen Krankheits-
fälle fügt Verf. noch einige Krankheitsgeschichten hinzu, die ihm von
befreundeten Collegen (Dr. Pfeiffer in Wiesbaden, Dr. v. Herget in
Kralup, Dr. Eitter in Dresden, Prof. Schweninger in Berlin, welch'
Letzterer über mehr als 150 erfolgreich mit Piperazin behandelte
Gichtfälle verfügt) zugegangen sind.
Chirurgie.— Referirt von Dr. FRANZ TOREK.
Die operative Behandlung der Diphtherie in Fürth, 1874—1892. Von
Dr. Wilhelm Mayer. (Münchener Med. Wochenschrift, 1892, No. 14.)
M. hat alle in der angegebenen Zeit in Fürth gemachten Tracheo-
tomien zusammengestellt, im Ganzen 316 Fälle, von denen er 126 selbst
operirt und bei weiteren 50 zugegen war. Geheilt wurden 103, = 32.5
Proc. Indication war stets die Erstickungsgefahr, Was das Alter an-
betrifft, so dringt er schon vom 1. Jahr ab auf die Operation. Die Zeit
ist, wegen des Widerspruchs der Eltern, mit wenigen Ausnahmen stets
das letzte Stadium der Erstickung gewesen, viele Fälle wurden sogar
in directer Agoue operirt. 12 Kinder blieben todt auf dem Tisch.
Während eine Frühoperation selten erreichbar ist, so soll man andrer-
seits die Operation ja nicht hinausschieben. Es ist wohl sicher, dass
bei dauernder Stenose der oberen Luftwege die Blutüberfüllung Ate-
lectase und entzündliche Infiltration besonders der unteren Lungen-
partien hervorrufen muss. Emphysem der oberen Partien der Lunge
durch Kückstauung der Luft in der Exspiration ist dagegen vielfach be-
schrieben. Zuweilen sieht man auch, was Cnopf beschrieben hat, dass
die Lungengrenzen sich beträchtlich tiefer stellen, ein Zeichen emphy-
sematöser Ausdehnung auch der unteren Partien.
In lichtarmen Räumen operirt M. bisweilen am von der Tischplatte
herabhängenden Kopf um besser zu sehen und den Hals gut anzuspan-
nen. Bei der Tracheotomiasuperior wird nach der Bose'schen Methode
die Fascie auf dem Ringknorpel quer durchschnitten ; dann fasse man
mit zwei anatomischen Pincetten breit das Gewebe zu beiden Ssiten des
Knorpels und ziehe so die Drüse nach unten ; jetzt öffne man die oberen
Tracheairinge. Die Inferior ist leicht bei wenig Fett, wenig vollen Ge-
fässen und längerem Hals, in der Mehrzahl der Fälle ist sie jedoch be-
deutend schwerer, als die Superior. Ist die Trachea geöffnet, so lässt
man sich zur Einführung der Canüle Zeit bis die Luftröhre frei von
Häuten, Schleim, etc., ist. Zur Beseitigung dieser genügt fast stets
kräftige künstliche Respiration. Der Catheter ist nur selten nöthig ;
ausnahmsweise mag eine langgestielte Curette mit stumpfer Oese von
349
Nutzen sein, besonders bei Nachoperationen. Die Hautwunde wird
vernäht.
Das Inhaliren hat Autor aufgegeben ; feuchte Luft im Krankenzim-
mer, Bedeclcen derCanüle mit feuchter Gaze genügen. Den Hals jedoch
pinselt er mit einer stärkeren desintlcirenden Lösung ; vorübergehend
braucht er 1 pro mille Sublimat, für längeren Gebrauch die Rotter'schen
Pastillen, 1 : 250,0 zum Gurgeln, 1 : 125,0 zum Pinseln.
Die Entfernung derCanüle geschieht, wenn eine an beiden Köhrchen
gefensterte Canüle vorn verschlossen etwa 1 Tag lang die Kehlkopf
athmung ermöglichte ; dies geschieht gewöhnlich in den ersten beiden
Wochen. Ausnahmsweise erfordern Schwellungszustände oder Granu-
lationsbildungen einen weiteren Eingriff; meist bringt langes Zuwarten
an's Ziel (in einem Falle l Jahr lang).
Von der Intubation ist der Autor nicht erbaut. Seine Erfahrung be-
schränkt sich auf 9 Fälle. In zweien dieser Fälle wurde die Intubation
in der Nachbehandlung nach der Tracheotomie angewendet als die
Canüle in der dritten Woche entfernt wurde. Diese verliefen günstig,-
die ül)rigen sieben, jedoch starben entweder oder machten mindestens
eine Tracneotomie nöthig. Er führt an, dass das Einführen der Tube
und noch mehr das Heraushohm derselben einer sehr gründlichen
üebung bedarf. Das Widerstreben der Kinder Hess ihn bald auf die
Intubation ohne Narkose verzichten. Bei einem Fall hatte er die Tube
verkehrt gestellt. In zwei Fällen ergab die Section disseminirte pneu-
monische Herde, eine bessere Gelegenheit zu Schluckpneumonie sei ja
auch gar nicht zu denken. Eine Tube wurde verschluckt. (Es braucht
wohl kaum erwähnt zu werden, dass Fehler in der Ausführung, welche
vermieden werden können, nicht als Einwand gegen das Verfahren der
Intubation gelten dürfen, ferner, dass die Auffindung disseminirter
pneumonischer Herde noch lange nichtbeweisend für Schluckpneumonie
ist. Somit erscheinen des Autors Einwände gegen die Intubation schon
bei 4 aus 7 Fällen als ungenügend. — Ref.) Ein Fall hielt ihn in stän-
digem Trab wegen Aushustens der Tube. Zweimal wurden mit der
Tube Membranen in die Trachea geschoben und erforderten schleunigst
die Tracheotomie. Die Vermeidung der Infection der Wunde unter-
schätzt der Autor nicht, doch sind nur ganz wenige Kinder dieser
Wuüddiphtherie direct erlegen. Die Leichtigkeit der Ausführung der
Intubation wird unangenehm ilankirt durch die Not eventuell der miss-
lungenen Intubation die Tracheotomie anschliessen zu müssen. Sehr
richtig bemerkt M., dass er es für vermessen halte, wenn ein Arzt ohne
Instrumentarium zur Tracheotomie an die Intubation ginge und ohne
vollständig geübt in dem Luftröhrenschnitt zu sein.
Das Pental in der chirurgischen Praxis. Von Dr. Victor Rogner.
(Wiener Med. Presse, 1891, No. 51.
Pental (C, H,,,), so genannt weil es im Molecül 5 Kohlenstoffe enthält,
wird als sicheres und ungefährliches Anaestheticum empfohlen. Es
ist in Fläschchen zu 15,0 Gm. vorräthig, und diese Quantität stellt die
Einzeldose dnr. Vorbereitungen zur Narkose sind dieselben, wie bei
der Chloroform narkose, doch muss, wegen der Kürze der Narkose,
Alles zur Operation fertig, das Terrain schon gereinigt, Operateur und
Assistenten am Platze sein. Eist unmittelbar vor der Narkose wird
das Pentalfläschchen geöffnet und der ganze Inhalt desselben auf ein-
mal in eine mit Watte ausgekleidete Esmarch'sche Maske gegossen.
Diese wird wie üblich vor den Mund gehalten, und um das Verflüchtigen
zu verlangsamen, wird noch eine mehrfache Compresse darübergelegt.
Nach 60 bis 70 Sekunden kann die Incision gemacht werden, obgleich
meist der Cornealreflex nicht erlischt. Die Narkose tritt ohne jedwedes
Excitationstadium ein, und verläuft ohne Erbrechen, etc. Das Er-
350
wachen fängt zu Beginn der 4ten Minute an und ist nach der 7ten
Minute vollkommen wiedergekehrt. Die Pentalnarkose ist begleitet
von vollständiger Empfindungslosigkeit bei theilweise nur im Anfange
vorhandenem Bewusstsein und meist vollständig aufgehobener Willens-
thätigkeit. Die Narkose kann auch durch nochmaliges Aufgiessen ver-
längert werden. Es wird dem Pental absolute Gefahrlosigkeit nachge-
rühmt.
(Prof. Gurlt, im Deutschen Chirurgen-Congress meldete 1 Todesfall
aus 219 Pentalnarkosen. — Eef.)
Pentalnarkosen. Von Prof. HoUaender in Halle a. S. (Deutsche Med.
Wochenschrift, 1892, No. 33.)
H. bedient sich des Junker'schen Apparates, die er der Esmarch'-
schen Maske vorzieht. Es muss bei der Narkose für genügenden Luft-
zutritt gesorgt werden. Langsames Einführen des Pental in die Lungen
sichert eine gute Wirkung. Es genügen 10 ccm. zur Narkose ; bisweilen
sind nur 3 ccm. nöthig. Die Narkose tritt in 1 — 3 Minuten ein, und
wird gekennzeichnet durch Hintenüberneigen des Kopfes, weit offene
Augenlider gewöhnlich mit weiter Pupille, oder durch Schlaffheit der
Extremitäten. Eine selbst geringe Aufregung ist äusserst selten.
Uebelkeit und Erbrechen sah H. nie. Herzthätigkeit und Athmung
werden kaum beeinflusst. Sehr aufgeregte, stark anämische Personen
mit schlaffer Herzthätigkeit, mit altem Bronchialcatarrh, ertragen das
Pental nicht so gut wie Gesunde. Unter etwa 900 Narkosen hat H.
keinen Todesfall gehabt. Von anderer Seite seien in neuerer Zeit 2
Todesfälle berichtet worden, jedoch ohne Angabe von Einzelheiten.
Einmal sah er Larynxstenose mit starkem Kribbeln in Händen und
Füssen, einmal Opisthotonos. Häufig stellt sich nach der Narkose ein
Heisshunger ein.
Die Urogenitalblennorrhoe (Gonorrhoe) der kleinen Mädchen. Von Dr.
Cahen-Brach in Frankfurt a. M. (Deutsche Med. Wochenschrift,
1892, No. 32.
Die Beobachtungen wurden an 21 Kindern im Alter von 2 — 10 Jahren
gemacht. Neben bekannten und allgemein angenommenen Thatsachen
hebt C. hervor, dass die Urethra der Haupt- und Lieblingssitz der go-
norrhoischen Infection ist, dass eine Ausdehnung derselben in den
Uterus oder bis in das Peritoneum äusserst selten ist, und dass man
bei der Therapie die Vagina gar nicht zu berücksichtigen braucht, wenn
die Eiterung nicht besonders profus ist. Folgendes sind die Schlus-
sätze seiner Arbeit :
I. Die unter dem Namen ,, Vulvovaginitis" bekannte, mit eiterigem
Ausfluss aus den Genitalien einhergehende Affection der kleinen Mäd-
chen stellt zumeist 'eine Gonorrhoe dar.
2. Letzteres Leiden, dessen Natur aus der Gegenwart fast stets
höchst zahlreicher Gonococcen erkannt wird, entsteht ziemlich häufig
durch indirekte Ansteckung, wennsrleich auch die direkte (geschlecht-
liche) Vermittelung nicht zu den Seltenheiten gehört.
3. Als typischer, geradezu pathognomonischer Sitz der gonor-
rhoischen Entzündung erwies sich die wegen der oberflächlichen Lage
ihrer äusseren Mündung einer Infection besonders zugängliche Harn-
röhre, deren Secretion für die Dauer des Ausflusses gewöhnlich den
Ausschlag gab.
4. Demgegenüber trat die specifische Betheiligung der Vulva und
Vagina mitzunehmendem Lebensalter so sehr zurück, dass die Bezeich-
nung „Vulvovaginitis" für vorhegende Erkrankung unzutreffend er-
scheint.
5. Ein Fortschreiten des Processes nach dem Cervicalcanal und wei-
351
terhin nach den Tuben und dem Peritoneum wurde nie mit Siclierheit
beobachtet, und mag die Ursache hierfür in dem festen Schlüsse des
äusseren Muttermundes zu suchen sein.
6. Wegen der Seltenheit dieser Ausbreitung ist die Prognose der
Gonorrhoe bei kleinen Mädchen wesentlich günstiger, als nach Eintritt
der Pubertät, indem die das ganze Krankheitsbild beherrschende
Urethritis innerhalb einiger Monate spontan abzuheilen pflegt. Ander-
weitige Complicationen, wie Blasencatarrh, Gelenkergüsse, Ophthalmo-
blennorrhoe kommen zuweilen vor.
7. Therapeutisch haben sich alle gegen die Entzündung der Urethral-
schleimhaut gerichteten örtlichen Eingriffe als unzweckmässig heraus-
gestellt. Der günstigste und relativ kürzeste Ablauf wurde durch ein-
fache Reinhaltung der Genitalien und Bettruhe bei allenfallsigem
innerlichem Gebrauch von Balsamicis erzielt.
Nerven-Heilkunde— Referirt von Dr. GEO. W. JACOBY.
Ein Fall von linksseitiger Hemiplegie begleitet von linksseitiger
homonymer lateraler Hemianopsie und Hemianaesthesie. Von Paul
Brasche. (St. Petersburger Medizinische Wochenschrift, 21. März
(2. April), 1892.)
Der Veröffentlichungen über „Hemiplegie mit gleichzeitiger Hemi-
anopsie und Hemianaesthesie bei Gehirnblutung", giebt es nur wenige.
In dem hier beschriebenen Falle handelt es sich um einen 57jährigen
Mann, welcher plötzlich ohne Bewusstseins-Verlust von einer Hemi-
plegie befallen wurde ; die linksseitige Lähmung combinirte sich mit
einer vollkommenen Hemianaesthesie derselben Seite, und dieser ge-
sellte sich noch eine linksseitige Hemianopsie hinzu. Das Vorkommen
von Hemianopsie bei schweren Gehirnblutungen ist nicht selten ; die-
selbe pflegt aber meist rasch wieder zu verschwinden und muss somit
als indirectes Herdsymptom aufgefasst werden. Wie die Hemianopsie,
so kann auch die Hemianaesthesie in einer grossen Zahl der Fälle
Seilwinden und es bleibt dann nur die motorische Störung zurück. In
dem hier veröffentlichten Falle verhielt es sich umgekehrt ; schon in
den ersten Wochen trat eine bedeutende Besserung in den hemiplegi-
schen Erscheinungen ein, während die Hemianaesthesie sich weniger
besserte, und die Hemianopsie unverändert bis zum Tode des Patienten
fortdauerte. Es musste desswegen auch angenommen werden, dass
die Hemianopsie hier ein direktes Herdsymptom sei. Was die topi-
schc Diagnose des Sitzes der Zerstörung anbelangt, so könnte der Herd
im hinteren Theil des Thalamus (Pulvinar), in der Marksubstanz des
Hinterhauptlappens und im hintersten Drittel des Hinterschenkels der
cai)sula interna, oder endlich in der grauen Rinde des Occipitallappens
liegen. Aus evidenten Gründen nahm Verf. die zweitgenannte Locali-
sation als die allein möglich richtige an. Die Autopsie ergab auch die
Richtigkeit dieser Annahme. Das Interesse des Falles ist darin zu
suchen, dass eine permanente Hemianopsie, wenn sie mit Hemianaes-
thesie derselben Seite und vollends mit hemiplegischen Störungen
verbunden ist, die Annahme einer Herderkrankung in der Markmasse
des Hinterhauptlappens gestattet.
Ueber die Behandlung der Tabes. Von E. Leyden. (Berliner klin.
Wochenschrift, 25. April und 2. Mai 1892.)
In diesen vor der Hufelandschen Gesellschaft gehaltenen Vortrag
giebt Leyden seine Anschauungen und Erfahrungen über die Behand-
lung der Tabes. Die wissenschaftliche Therapie im Allgemeinen wird
vielfach zu streng r.nd 2u pessimistisch aufgefasst, und indem nur die
352
mechanische und chemische Localtherapie anerkannt wird, werden für
die innere Medizin vornelimlich specifische HeiJ mittel gefordert. Von
diesem Standpunlit aus sind lieine glänzenden Kesultate erzielt worden,
und der nachtheilige Pessimismus hat entschieden au Boden gewonnen.
Die Aufgaben der Therapie sind mannigfaltig ; Alles, was dem Patien-
ten nützlich ist, was seinen Zustand bessern und erleichtern kann, ge-
hört in das Bereich der Therapie. Es hat lange gedauert bis aner-
kannt wurde, dass eine richtige Ernährung des Kranken ein wesent-
licher Tlieil der Therapie ist, und so scheint es auch lange zu dauern
bis anerkannt wird, dass psychische Behandlung zu einer Stellung in
der wissenschaftlichen Therapie berechtigt ist. In der Therapie müs-
sen Wissenschaft und Kunst stets vereinigt sein. Diese Betrachtungen
finden bei der Behandlung der Tabes eine direkte AnwenduQg. Durch
eine üebersicht über die Entwickelung der Therapie der Tabes zeigt
L., dass der absolute Pessimismus von früher einem erfreulicheren
Optimismus gewichen ist. Die Besprechung der einzelnen Behand-
lungsmethoden beginnt Verf. mit den specifischen Mittel q ; hierunter
liaben sich Argentum nitricam, Jod Kali, Aureo natrium chloratum,
Arsen, Seeale, Strychnin u. a. m. einen besonderen Ruf erworben, sind
aber alle nicht im Stande in irgend welcher Weise einen Effect auszu-
üben. Bei Besprechung der Quecksilberbehandlung geht L. näher auf
den Zusammenhang zwischen vSyphilis und Tabes eiu, und bezeichnet
der Satz : ,,Ich gehöre zu denjenigen, welche den syphilitischen Ur-
sprung unbedingt in Abrede stellen" sehr klar und deutlich die Stel-
lung, welche er in dieser Frage noch immer einnimmt. Neue Argumente
für diese Meinung werden nicht angeführt. Die von verschiedener
Seite angedeutete Idee, es könne sich bei der Tabes um Entwickelung
eines Toxin, welches den Grund zu der Veränderung der Nerven ab-
giebt, handeln, ist L. sehr sympathisch, doch ist man noch nicht im
Stande eine solche Theorie bestimmt formuliren zu können und sie zur
Basis einer therapeutischen Methode zu machen.
Die Bädertherapie ist bei der Tabes nicht zu unterschätzen, doch
fasst sich Verf. hierüber sehr kurz, weil er nichts Neues zu bringen
vermag. Was die Elektrotherapie der Tabes anbelangt, so meint L.,
dass trotz aller Kritik die Elektrotherapie auch heute ein unentbehr-
licher Theil in der Behandlung der Tabes bleibt. Die Electricität wirkt
allerdings nicht durch Einfluss auf den anatomischen Process im
Rückenmark, sondern durch Erregung der sensiblen Nerven, durch
Einfluss auf die Muskeln und schhesslich durch ihren psychischen
Eindruck. Die Massage-Behandlung der Tabes ist eine vollständig
illusorische. Der Suspensionsmethode und anderen mechanischen
oder chirurgischen Behandlungsmethoden steht Verf. nicht sehr
freundlich gegenüber. Auf gymnastische Behandlung hingegen legt
er grossen Werth ; es handelt sich hier um eine compensatorische
Therapie, und die Ataxie wird ermässigt oder beseitigt, indem die
ausgleichenden Potenzen, die Function der Muskeln, gestärkt und be-
fördert werden. Die Leyden'sche Theorie der Ataxie macht eine
solche compensatorische Beliandlung der Tabes vei ständlich.
Bei Besprechung der Behandlung der Complicationen der Tabes,
bezieht sich L. hauptsächlich auf die neuralgischen Schmerzen und die
verschiedenen Crisen. Vor dem Gebrauch von Morphin wird streng-
stens gewarnt ; die neueren Mittel, Phenacetin, Antipyrin u. s. w.
nutzen hier und da, lassen aber gewöhnlich im Stich.
Schliesslich werden noch zwei Fragen kurz berührt, die Prophy-
laxe der Tabes und die ethische, ob und wie weit wir berechtigt sind,
dem Kranken Aufschluss über die Natur seiner Krankheit zu geben.
353
Zur Theorie des Schlafs. Von Dr. Goldscheider. Gesellscliaft der
Charito Aerzte. Sitzun<j: vom 17. Dezember 1891. (Berliner
klioische Wochenschrift, 9. Mai 1892.
Goldscheider stellt ein 21.iähriges Mädchen vor, welches am ganzen
Körper anästhetisch ist ; Hautoberfläche sowie Schleimhäute sind
gleich empfindungslos. Gesichts- und Gehörssinn nicht verändert ;
Geschmack und Geruch herabgesetzt ; Muskelsinn sehr stark herab-
gesetzt. Werden dieser Kranken die Augen verbunden und die Ohren
verstopft, so schläft sie ein. G. hält den Geisteszustand der Patientin
für einen ganz normalen und da sie, obgleich hypnotisirbar, nicht sug-
gestionsfähig ist, so glaubt er berechtigt zu sein in diesem Falle einen
Beweis der PFLUEGKR'schen Annahme, dass das Gehirn, wenn alle
Beize entfernt werden, in Schlaf versinkt, zu finden.
In der Discussion, welche der Demonstration folgte, sprach sich
SiE:srERLiNG dahin aus, dass es sich hier nicht um wirklichen Schlaf,
sondern um einen hypnotischen Zustand handle.
Dementia Epileptica. Improvement of this form of mental impair-
ment following: linear Craniotomy. By Hugo Engel. (Medical
Record, N. Y., June 4, 1892.)
Schnelle und oft staunenerregende Besserung lässt sich mittelst
linearer Craniotomie bei der Dementia Epileptica erzielen, vorausgesetzt
dass die Diagnose eine richtige ist. Mit dieser Diagnose werden nur
solche Fälle bezeichnet welche folgende Eigenschaften und Verlauf
darbieten. Das Kind ist bis zu einem gewissen Alter geistig und kör-
pei lich normal entwickelt ; ohne premonitorische Symptome stellen
sich starke, lang dauernde fast tonische Krämpfe ein. Gleichzeitig
tritt die geistige Schwäche ein ; die Geschichte und Ursache der Er-
krankung geben sich durch Inspection des Schädels kund, denn hier
zeigt sich eine abnorme und erhöhte Knochenbildung, welche dem
Schädel eine abnorme Form giebt. Körperliche Missbildungen fehlen.
Etiologie du Tabes Dorsalis. Von F. Raymond. (Progres Medical,
Juni 11., 1892.)
Dieser Vortrag über die Etiologie der Tabes, bezieht sich haupt-
sächlich auf den Zusammenliana* zwischen Syphilis und Tabes, und
obgleich ausser einer Statistik von 13 Fällen bei welchen 12 unzweifel-
haft syphilitisch waren, nichts neues gebracht wird, so ist der Vortrag
als Zeichen der französischen Ansicht über diesen Punkt von Werth.
Wenn R. im grossen Ganzen sich als Anhänger der syphilitischen
Theorie beweist, so ist er doch in seinen Aussprüchen etwas moderirter
als Erb es neuerdings gewesen ist. Raymond sagt: „Es ist nicht
bewiesen, aber es ist höchst wahrscheinlich dass die Syphilis einen
direkten oder indirekten Einfluss, bei der Entwickelung der Tabes aus-
übt, wenn diese Krankheit sich bei einem Syphilitischen zeigt." „Es ist
sicher dass das Vorhergehen von Syphilis zur Entwickelung der Tabes
nicht nothwendig ist."
La sommeil provoque par Tocclusion des oreilles et des yeux chez les
individus affectes d'anesthesie generalisee. Von G. Ballet.
(Progres medical, Juni 25., 1892.)
Der hier mitgetheilte Fall betrifft einen 36jährigen Mann, welcher
seit 1886 an verschiedenen Symptomen leidet, und bei welchem seit
1887 zwei Neurosen constatirt wurden, nämlich Hysterie undBasedow'-
sche Krankheit. Das Hauptsymptom seiner Hysterie und hierum han-
delt es sich in diesem Vortrag, besteht in einer "allgemeinen Anästhesie.
Die ganze Hautoberüäche und alle zugänglichen Schleimhäute sind
354
vollkommen empfindungslos. Muskelsinn fehlt ebenfalls. Geschmack
und Geruchsinn fehlen vollständig, Gehörsinn ist herabgesetzt und
beiderseits besteht eine Einschränkung des Gesichtsfeldes. Demnach
steht Patient in Verbindung mit der Ausseuwelt, allein durch seinen
Gehör- und Gesichtssinn, welche beide aber sehr herabgesetzt sind.
Wird nun dieser Zusammenhang mit der Aussenwelt vollständig abge-
schnitten, indem die Augen verbunden und die Ohren mit Watte ver-
stopft werden, so tritt bei dem Patienten sofort ein Zustand von tiefem
Schlaf ein.
Aehnliehe Fälle sind von Struempell, Raymond und Anderen
beschrieben worden. Es besteht eine Meinungsverschiedenheit
darüber, ob sich dieser Schlafzustand als normaler Schlaf oder als
Hypnose bezeichnen lässt. Offenbar ist die Entscheidung dieser Frage
von Wichtigkeit, denn, handelt es sich um normalen Schlaf, so hätten
wir hier ein Experiment an Lebenden welches viel zur Theorie des
Schlafes beitragen würde.
Ballet fasst den Zustand bei diesen Patienten als einen hypnoti-
schen auf, und begründet diese Auffassung auf folgende Umstände :
Der Patient kann während dieses Schlafes Sachen ausführen, weiche
ihm im wachen Zustande suggerirt werden ; er ist während des schla-
fenden Zustandes empfänglich für Suggestionen, welche er später, nach
dem Erwachen, ausführt.
Da Patient in dieser Hypnose seiner sämmtlichen Sinne beraubt ist,
ist letztere Thatsache eine sehr befremdende, und sucht Verfasser sie
dadurch zu erklären, dass er annimmt dass die während des Wachens
constatirte Anästhesie, keine wirkliche sondern nur eine imaginäre
(? Referent) Anästhesie ist,
On the diagnostic and prognostic value of tendon reflexes. By John
Fer^son. (Medical Record, New York, July 2, 1892.)
Verfasser widmet diese Arbeit dem diagnostischen und prognosti-
schen Werthe der Sehnenreflexe. Für fast alle Aeusserungen werden
Belege aus persönlichen Erfahrungen angefülirt. Was die Physiologie
der Sehnenreflexe anbelangt, so ist F. der Ansicht dass die spinalen
Centren welche den Muskeltonus erhalten, ihrerseits unter cerebralem
und cerebellarem Eiufluss stehen, so dass die Sehnenreflexe auch durch
Störungen dieser Theile beeinflusst werden.
Wird durch Blutung, Tumor, Degeneration oder einen epileptischen
Anfall die cerebrale Controlle aufgehoben, so steigert sich die Muskel-
erregbarkeit und die Sehnenreflexe werden erhöht. Der Erniediigung
oder dem Fehlen der Sehnenreflexe nach plötzlicher Gehirnblutung ist
keine prognostische Bedeutung beizulegen, da diese Umstände von
Localisation und Intensität der Blutung und nicht von ihrer Extensität
abhängig sind. Inden meisten Fällen von cerebraler Blutung kehren
die Sehnenreflexe bald wieder, wo dieses nicht der Fall ist, wird der
Umstand wohl von Druck auf das Cerebellum abhängig sein. Bei
Kleiiihirntumoren fehlen die Patellar-Sehnenreflexe gewöhnlich.
Grösse und Localisation des Tumors werden diese zum Theil beein-
flussen. Ueber die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Er-
höhung der Sehnenreflexe und absteigender Degeneration nach Gehirn-
läsionen, theilt Verfasser diejenige Ansicht, welche dieses Zi sammen-
treffen nur als ein zufälliges betrachtet.
In Fällen von Verletzung des Rückenmarks ist das Fehlen der
P. S. Reflexe, besonders nach Verlauf von einigen Wochen, als ein sehr
bedenkliches Zeichen anzusehen. Es bedeutet vollständige Zermal-
mung des Rückenmarks, und macht die Prognose zu einer hoffnungs-
losen. Auch in allen Fällen von transverser Mj'elitis, Blutung im
Rückenmark und Trauma, ist eine ungünstige Prognose zu stellen,
355
wenn die Sehnenreflexe fehlen. In allen Erkrankungen oder Ver-
letzungen der motorischen Gehirnpartieen und der motorischen Bah-
nen, ist eine schlechtere Prognose zu stellen, je früher eine Erhöhung
der Sehnenrellexe eintritt. Bei Eotwickelung von Dementia Paraly-
tica sollen die Sehnenreflexe genau beobachtet werden. Je früher
liier eine Erhöhung eintritt und je schneller diese fortschreitet,
desto schlechter muss die Prognose gestellt werden. Aus beobach-
teten Fällen von Gehirn-Erschütterung zieht Verfasser die Schlüsse :
1. Je mehr die Patellar Sehnen reflexe gesteigert sind, desto grösser
ist die Verletzung der Gehirnrinde. 2. Die allmälige Steigerung der
Reflexe ist ein ungünstiges Symptom. 3. Die Wiederherstellung der
normalen Reflexe ist ein günstiges Zeichen. Die prognostische Wichtig-
keit der Sehnenreflexe bei Erkrankungen des Rückenmarks selbst, sowie
auch bei der ^Multiplen Neuritis bespricht F. und geht dann auf das
Fehlen der Patellar Sehnenreflexe bei allgemeinen Zuständen,
Diphtherie, Asphyxie nach Kohlengas und Alcohohsmus ein.
Schliesslich wiid betont, dass der Patellar Sehnenreflex bei voll-
kommen gesunden Männern nur äussert selten fehlt. Bei 200 der-
artigen Untersuchungen hat Verfasser den Reflex immer vorhanden
gefunden. Bei zwei dieser Fälle musste der jENDKASsiK'sche Kunst-
griff benutzt werden, um den Reflex auszulösen ; diese künstliche Er-
höhung des Reflexes tritt nur dann ein, wenn die Herabsetzung durch
keinen pathologischen Process bedingt ist ; ist eine Verminderung des
Reflexes durch Erkrankung bedingt, so bringen Iceine Kunstgriffe eine
Verstärkung des Reflexes hervor.
Outline of a plan for an epileptic colony. By F. Petersen. (N. Y,
Med. Journal, July 23, 1892.)
Bei Einrichtung einer Colonie für Epileptiker müssen folgende
Pimkte beachtet werden. Die Gebäude müssen veieinzelt dastehen
und mit eigenen Gärten versehen sein. Das Ziel der Colonie ist, ein
Heim, eine Schule, eine Gewerbeschule, und ein Hospital, zu bilden.
Die Colonie muss 300-400 Acker Land haben, welches sich für Acker-
bau u. s. w. eignet. Die Anlage sollte in der Nähe einer grossen Stadt
geschehen. Die Gebäude sollen aus einem Haus für den Verwalter, einem
Hospital, Wohnhäusern für Frauen ; Wolinhäusei n für Männer, Schulge-
bäuden, Stallungen, Arbeitsstätten für die verschiedenen Handwerke,
Küche, Wasch-Küche und schliesshch einem pathologischen Laborato-
rium bestehen.
Verschiedene Empfehlungen betreffs Einrichtung der einzelnen Ge-
bäude, Ventilation u. s. w., werden vom Verfasser gemacht. Der Plan
entspricht vollständig jenen, welche in Europa schon in Anwendung
gebracht worden sind.
Combination von Tabes dorsalis und Paralysis agitans. Von S. Placzek.
(Deutsche Med. Wochenschrift, 7. Juli 1892.)
Zur seltenen Combination zweier unheilbarer Krankheiten, Tab es
und Paralysis agitans, liefert P einen Beitrag, indem er einen solchen von
ilmi beobacliteten Fall beschreibt. Beide Krankheiten sind durch die
für sie characteristischen Symptome gekennzeichnet und ist die Dia-
gnose einer jeden leicht zu stellen. In Anbetracht unserer mangel-
haften Kenntnisse über die Pathologie der Paralysis agitans, ist jetzt
noch nichts als ein zufälliges Zusammentreffen in dieser Combination
zu sehen.
Ein Fall von Akroraegalie mit bitemporaler Hemianopsie. Von Rein-
hold Boltz. (Deutsche Med. Wochenschrift, 7. Juli 1892.)
Die interessante Erscheinung der bitemporalen Hemianopsie, wie
sie bei dem hier beschriebenen Fall vorkam, ist bis jetzt noch bei
356
keinem untersuchten Fall von Akromegalie notiit worden. Zur Er-
klärung dieses Plieuoinens muss eine Affection der im Chiasma nervi
optici gekreuzten inneren Fasern des N. opticus angenommen werden,
beim intactbleiben der äusseren ungelcreuzten Fasern. Dass Erlcran-
kungen des Cliiasma, beruliend auf einem Trauma oder einem Tumor
bitemporale Hemianopsien bedingen, ist bel^annt. Bedenkt man ferner,
dass bei den bis jetzt zur Autopsie gelangten Fällen von Akromegalie
eine Vergrösserung der Hypophysis cerebri gefunden worden ist, so
dürfte man annehmen, dass es sich hier auch um einen Tumor der
Hypophysis handelt, welcher durch seine Wucherung nach vorn, die
inneren gekreuzten Fasern des Chiasma zur Atruphie gebracht hat.
Ueber einen Fall von Migräne Ophthalmique mit transitorischer epi-
leptoider Geistesstörung. Von Th. Sacher. (Berliner klin. Wochen-
schrift, 11. JuU 1892 )
Während die Beobachtungen über die verschiedenartigsten Störun-
gen auf motorischem, sensiblem und sensoriellem Gebiete als Begleit-
erscheinungen der Migräne, in den letzten Jahren ziemlich zahlreich
geworden sind, scheinen Störungen auf psychischem Gebiete im Ge-
folge von Migräne sehr selten zu sein. In dem hier mitgetheilten Fall
handelt es sich um ein hereditär stark belastetes von Jugend auf
neuropathisches Individuum, das in seiner Kindheit an Krämpfen g
litten hatte, und bei welcliem im 14. Jahre Zustände von Schlafwandeln
auftraten. Zu Anfang des Jahres 1890, stellten sich, nachdem Patient
zuvor die Influenza durchgemacht hatte. Zustände geistiger Störungen
ein. Diese periodisch auftretenden, depressiv-erregbaren Zustände,
dauerten nur mehrere Stunden, stellten sich fast inmier Abends vor
dem Schlafengehen ein und gingen allmälich in Schlaf über, aus wel-
chem der Kranke ohne jegliche Erinnerung an den Anfall aufwachte.
Diese Zustände geistiger Störung schlössen sich stets an stärkere
Migräneanfälle an. Es bestanden hier zwischen den Migräneanfällen
und den Zuständen psychischer Störung sehr nahe Beziehungen, die
sehr an die Verhältnisse erinnern, welche bei der Epilepsie gefunden
werden. Fast könnte man diese Störungen als epileptische bezeichnen.
Es drängt sich demnach die Frage auf, ob man es nicht in diesem
Falle mit eine Form der Epilepsie zu thun habe, ob nicht die Migräne-
anfälle selbst, wie Fere es annimmt, als sensorielle Epilepsie aufzufas-
sen sind. Die pathologischen Vorgänge in diesem Falle glaubt Verf.
zu erklären durch die Annahme vorübergehender vasomotorischen
Störungen im Gehirn.
Contribution clinique ä l'etude de la nevrite paludeenne. Von Dr.
Combemale. (Progres Medical, 16 Juillet, 1892.)
Der Zusammenhang zwischen IMalaria und Neuritis ist nur wenig
berücksichtigt worden, doch sollen Fälle von echter Neuritis infolge
von Malaria-Infection häufiger vorkommen, als man nach der Litera-
tur hierüber, anzunehmen berechtigt wäre. Wenn man aber bedenkt,
dass die Malaria parasitärer Natur ist, so ist es leicht verständlich, dass
eine solche Neuritis nicht weniger häufig vorkommen sollte als jede
andere Toxische Neuritis. Verf. theilt hier ausführlich die Geschichte .
eines 42jährigen Mannes mit, welcher jahrelang an Wechselfieber litt
und bei welchem sich eine Multiple-Neuritis entwickelte. Per exclu-
sionem kommt C. zu der Ansicht, dass die ^lalariainfection ätiologisch
in direktem Zusammenhang mit der Neuritis stehen müsse.
357
Gynaekologrie.— Referirt von Dr. BRETTAUER.
The Limitations for Vaginal Hysterectomy in Malignant Diseases of
the Uterus. By J. E. Janorin, M. D. (Med. Ree, July 9th, 1892.)
Seitdem A. Martin im Jahre 1887 so energisch für die vaginale Total-
exstirpation des Uterus in die Schranken getreten ist, und deren Be-
rechtigung nicht nur, sondern auch deren grossen Werth in allen jenen
Fällen gezeigt hat, bei denen der krankhafte Process noch nicht auf die
benachbarten Gewebe übergriffen, hat wohl für alle Operateure die
alleinige Erkrankung des Uterus die Kichtschnur gebildet, nach der sie
ihre Fälle zur Operation bestimmten.
Es ist nun um so erfreulicher, wenn von so massgebender Seite diese
Grenze erweitert und die Berechtigung dazu durch die Erfahrung des
Verfassers ausser Frage gestellt wird. Diese besteht allerdings nur in
einem Falle, in dem das Carcinom sich auf die Schleimhaut der Vagina
erstreckte. Anstatt den Cervix zu umschneiden und in typischer Weise
vorzugehen, begann J. die Operation mit der Umsclmeidung und
Ablösung der Vnguia circa einen halben Zoll von der erkrankten
Partie. Die Frau ist heute, drei Jahre nach der Operation, ohne
llecidiv.
Grösserer Uterus oder engere Scheide bilden keine Gegenindication,
dieselben werden durcii seitliche Einschnitte behoben. Fixation des
Uterus, wenn dieselbe nur entzündlicher Natur, ist ebensowenig eine
Anzeige zur Unterlassung der Operation, die allerdings sehr dadurch
erschwert wird.
Vaginal Hysterectomy for the Relief of Malignant Disease. By Alex.
J. C. Skene, M. D. (Med. Ree, July 9th, 1892.)
Nach S. ist vaginale Totalexstirpation indieirt, wenn die Erkrankung
kurz vor oder nach der Menopause auftritt (Ref. wohl die engste Grenze,
die aufgestellt worden ist) ; wenn der Process im Endometrium, oder
besser gesagt im Uteruskörper begonnen hat ; wenn die Diagnose
gesichert ; wenn die Erkrankung weder Scheide noch Tuben nennbar
ergriffen.
Wird die Operation vor demClimakterium unternommen, so werden
die Patienten, bei Wegnahme der Ovarien, durch die frühzeitige Meno-
pause derart in ihrem Allgemeinbefinden gestört, dass dadurch Recidiv
begünstigt wird. Werden jedoch die Ovarien zurückgelassen, so wird
die künstliche Amenorrhoe den Patienten grosse Leiden verursachen.
Exulcerirtes Carcinom des Cervix ist, unter allen Umständen, nicht
passend für diese Operation, wegen der Unmöglichkeit aseptisch zu
operireu.
Bei gestörtem Allgemeinbefinden (spez. Chlorose) wird, auch wenn
die localen Bedingungen die möglichst günstigen sind, von jedwedem
chirurgischen Eingriff abgerathen.
Kolik und tetanusartiger Anfall nach Injection von Jodtinktur in die
Uterushöhle. Von M. Gordes. (Centralbl. für Gyn., 1892, Nr. 25.)
Bei einer 27 Jahre alten Patientin wurde wegen chronischer Endo-
metritis dieUterushühle curettirt. Sechs Tage blieb Patientin zu Bette;
nach einer angestrengten Bewegung leichte Blutung. Am nächsten
Tage Injection von 0,5 gr. Jodtinktur mittelst Braun'scher Spritze.
Gleich darauf heftiger Schmerz, ängstlicher Gesichtsausdruck, kleiner
Puls, 12G, das Bevvusstsein war erhalten, Steifheitsgefühl im ganzen
Körper, Bekle . mung in der Herzgegend, Spannung im Kiefcrgelenke,
Unbewcglichkeit des Zeige- und Mittelfingers beiderseits, dieselben
waren extendirt, die übrigen Finger gebeugt. Nach Verabfolgung
358
von 0,01 Morphin subcutan, langsame Besserung aller Symptome,
Puls 82. Am nächsten Morgen beträchtliche Menge Eiweiss im Harn.
Verfasser glaubt, dass dieser Zustand nicht durch Aufnahrae von
Jodlösung in den Kreislauf, sondern durch einen reüectorischen Vor-
gang zu erklären ist.
Ueber Ventrofixatio uteri. Von Dr. F. Spaeth. [Aus der Prochownick'-
schen Privat-Klinik.J (Münch. Med. Wochenschr., 1892, Nr. 27.)
In einem Aufsatze, der vor drei Jahren erschienen (siehe „Deutsche
Med. Wochenschr.," 1889, Nr. 37) berichtet S. über 15 Annäherungen
des Uterus an die vordere Bauchwand, über deren Endresultate wir
heute Näheres erfahren. Die Krankengeschichten von 10 neuen Be-
obachtungen werden kurz angeführt, und nun die 25 Fälle bezüglich
ihres Ausganges analysirt. Nur bei 7 Fällen war die Ketrodeviation der
Gebärmutter die alleinige ladication zur Operation. Nachdem alle
25 Patienten den Eingi-iff bestens überstanden, sind drei derselben
accessorischen Krankheiten längere Zeit hernach erlegen und konnte
eine Frau nicht eruirt werden. Von 21 restirenden Fällen, deren
Beobachtungsdauer zwischen 6y^ Jahren und 7 Monaten schwankt,
sind 17 ideale Erfolge zu verzeichnen ; in 4 Fällen nahm der Uterus
nachträglich wieder seine fehlerhafte Lage ein.
Von den verschiedenen Operationsniethoden kam die von Czerny
angegebene in der Mehrzahl der Fälle in Anwendung. Dieselbe besteht
in Anlegung der Fixirungsnähte nur durch Peritonaeum und Fascie
und Versenkung derselben. Gleichzeitig kam eine von Schede einge-
führte Modification der Bauchnaht in Anwendung, deren Haupteigeu-
schaft darin besteht, dass Bauchfell und Rectusscheide mit dünnem
Silberdraht genäht und die Nähte unter einer mit dickerem Drahte
durch die ganze Dicke der Bauchwand in ca. 3— 4 cm. langen Zwischen-
räumen geführten Sutur verhenkt werden. Diese Vereinigung der
Bauchwände soll dem Entstehen von Bauchhernien am sichersten vor-
zubeugen im Stande sein, selbst ohne Tragen einer stützenden Bauch-
binde.
Unter den vier Misserfolgen waren drei nach Czerny's Methode,
jedoch mit Catgut behandelt, weshalb Verfasser sich berechtigt glaubt,
resorbierbares Nähmaterial als nicht ausreichend zu verpönen.
Dermatologie.— Referirt von Dr. H. GOLDENBERG.
Beiträge zur Behandlung des chronischen Trippers. Von Dr. Trzcinski.
(Ergänzungshefte zum Archiv für Dermatologie und Syphilis, 1892,
II. Heft.)
Der Verfasser schliesst sich bezüglich der Häufigkeit der Gonor-
rhoea posterior den Anschauungen der meisten neueren Autoren an.
Die Zahl der Fälle von Urethritis post. beträgt mindestens 90 Prozent
der allgemeinen Zahl der Trippererkrankungen. Die Gon. post. ist
nicht als Complication, sondern als die natürliche klinische Fortsetzung
der gonorrhoischen Erkrankung des vorderen Harnröhre nabschuittes
anzusehen. Im acuten Stadium empfiehlt er exspectative Behandlung.
Er unterzieht die verschiedenen gebräuchlichen Behandlungsweisendes
chronischen Trippers einer Kritik und bemerkt (mit Recht, Ref.), dass
mit den Guyon'schen Instillationen ein Missbrauch getrieben wird.
Das Schmerzgefühl, das für die Lokalisation der Erkrankung bestim-
mend ist, wird meist an zwei Stellen (m. compressor urethrae und
sphincter vesicae externus) angegeben, die gewöhnlich gar nicht afificirt
sind.
359
Als weitere Schattenseite dieser Methode wird die grosse Schmerz-
haftiglceit angegeben. In seinem absprechenden Urtlieil über diese
Metliode geht Verf. so weit, dass er behauptet „auch nicht einen ein-
zigen Fall von chronischem Tripper durch die Guyon'sche Methode ge-
heilt gesehen zu haben". Er verwirft ferner (mit Recht, Ref.), die Cauteri-
sationsbougies und spricht sich skeptisch über tlen Werth der Sonden-
behandlung aus. Er will deren Anwendung auf wirkliche Stricturen
beschränkt sehen und behauptet, dass man den genetischen Zusam-
menhang der Stricturen der Harnrölire und des Trippers gewöhnlich
überschätze. Der eudoscopischen Behandlung legt er keinen grossen
Werth bei und meint, dass ,,das Endoscop allmählich den Credit ver-
loren hat und heute als therapeutisches Instrument in Europa der
Vergessenheit anheim gefallen ist". D igegen ist er ein warmer An-
hänger der Neisser'scJien Irrigationen der vorderen und hinteren
Harnröhre, mittelst eines weichen Nelaton'schen Katheters, nur findet
er die von dem genannten Autor empfoiüenen Höllensteiulösungen
CAdOfl— V2000) z^i stark und bedient sich einer Lösung von Vk.ooo— Vcooo
anfangs täghch, später alle 2—3 Tage.
Gegen Epididymitis gonorrhoica empfiehlt er eine 10-prozentige
Höllensteinsalbe, auf Leinwand aufgestrichen, 24 Stunden lang aufge-
legt. Darauf Einwicklung des erkrankten Hodens in trockener Watte
und später Langlebert'sches Suspensorium.
(Der Verf. gibt nicht an, ob er sich von der Nutzlosigkeit resp. Ge-
fährliciikeit einer eingreifenden Behandlung beim akuten Tripper
überzeugt hat. Sollte dies indessen der Fall gewesen sein, so muss
ihm Ref., gestützt auf hinreichende diesbezügliche klinische und mi-
kroscopische Untersuchung auf Gonococcen entschieden widersprechen.
Neuerdings sind von Frankreich aus Irrigationen mit Kalium hyper-
mang. warm für den acuten Tripper empfohlen worden. Ref. hat seine
Ansicht über den Werth und die Uiigefährlichkeit dieser Methode
früher in dieser Zeitschrift ausgesprochen. Was nun das Urtneil über
die Guyon'sche Methode betrifft, so glaubt Ref., dass der Verf. in
seinem Eifer zu weit gegangen ist. Sie dient allerdings nicht zur Lo-
kalisirung des erkrankten Theiles, besitzt aber entschieden einen
grossen Werth in vielen Fällen. Mit der vom Verf. behaupteten
Schmerzhaftigkeit ist es nicht so schlimm und wenn er behauptet, dass
„der Patient schweissbedeckt und stöhnend einige Tropfen häufig blutig
tingirteu Harnes abgibt", so ist eben vom Verf. die Application nicht
lege artis gemacht worden. Ref. lä^sst den Patienten vor der Instilla-
tion niemals die Blase vollständig entleeren, grade um den vom Verf.
abgegebenen Missstand zu verhüten. Unsere CoUegen in Frankreich
bedienen sich der Methode Guyon's fast ausschhesshch und würden
sich jedenfalls für die Insinuation bedanken, dass sie niemals einen
ohron. Tripper damit geheilt hätten. Ref. glaubt ferner behaupten zu
dürfen, dass giüklicherweise das Endoscop als diagnostisches und the-
rapeutisches Hülfsmittel einer besseren Zukunft entgegen sieht als
der ihm vom Verf. prophezeiten. Der gerügte Nachtheil, dass es reize
und dass das Gesichtsfeld zu klein sei, wird hinfällig, wenn man zu in-
dividualisiren gelernt hat und ein mittelgrosses Endoscop (etwa 24 —
26 F.) einzuführen versteht. Ref. glaubt auch an dieser Stelle noch-
mals darauf aufmerksam machen zu müssen, dass papillomatöse Poly-
pen ziemlich häufig vorkommen und dass dieselben meist durch keine
andere Untersuchungsmethode diagnosticirt werden können. Auch
über den Zusammenhang von Stricturen und chron. Tripper und über
die Werthloslgkeit der Sondenbehandlung beim letzteren, ist Ref. ent-
schieden entgegengesetzter Ansicht. Im Uebrigen ist es dem Ref.
nicht verständhch, wie der Verfasser mit einer Höllenstemlösung von
Viuooo tiefgreifende circumscripte ACfectioaen der Harnröhre heilen
konnte.)
360
Ueber intraurethrale Sclerose. Von Dr. Georg Berg. (Monatshefte^für
pract. Dermatologie, Band XV., No. 1.)
Verf. tlieilt einen Fall mit, bei dem acht Tage post coitum serös
eiteriger, Gonococcen enthaltender Ausfluss konstatirt wurde. Sub-
jective Beschwerden und objective Veränderungen am orificium ex-
ternum wie bei einer Gonorrhoe.
Unter Injectionsbehandlung mit zwei prozentiger Kesorcinlösang
bessern sich die subjectiven Beschwerden, während Secretion, Köthung
und Schwellung anhalten. Achtzehn Tage nach der ersten Visite kon-
statirt Verfasser Eintrocknung des Eiters in feste Borken um das Ori-
ficium, Kesistenz hinter der fossa navicularis, „als ob ein Fremdkörper
in der Harnröhre stecke." Die damals gestellte Wahrscheinlichkeits-
diagnose wird etwa drei Wochen später durch die endoskopische
Untersuchung bestätigt. Drüsenschwellung und Roseola folgten.
Heilung der Sclerose durch Schmierkur. Jedenfalls handelte es sich
um eine doppelte Infection, Lues und Gonorrhoe.
(Fälle von intraurethraler Sclerose sind in der Praxis nicht allzu selten.
Man trifft sie meist direct hinter dem meatus und in der fossa navicu-
laris. Referent hatte Gelegenlieit einen Fall zu beobachten, der dem
des Verfassers in so fern entsprach, als Gonorrhoe und intraurethrale
Sclerose combinirt waren. Die beiden Contagien waren im Falle des
Referenten bei einem Coitus acquirirt worden, dementsprechend zeigte
sich die Sclerose erst drei Wochen nach Beginn des Trippers. Die In-
duration, die man in der Harnröhre fühlt oder zu fühlen glaubt, führt
oft irre. Lymphstränge, w^ie man sie beim Tripper findet, geben zu-
weilen Pseudoinduration. Das Secret beim Schanker, der nicht mit
Gonorrhoe complicirt ist, ist dünn serös, meist blutig uud frei von
Gonococcen. Finden sich beide zu gleicher Zeit so ist die Diagnose oft
recht schwer. Meist kann man in diesem Falle selbst unmittelbar,
nachdem der Patient urinirt hat, durch Druck auf eine bestimmte
Stelle, welch' letztere der Sclerose entspricht, blutig seröses Secret zu
Tage befördern. Ref.)
Die Fortschritte in der Dermatologie. Von Dr. G. Arnheim. (Der
ärztliche Praktiker, 1892, No. 29.)
Der Verfasser lässt die Veröffentlichungen auf dem Gebiete der
Dermatologie vom Jahre 1891 Revue passiren. Bezüglich der Wirkung
des Tuberkulins auf Lupus kommt er zum Resultat, dass nach Abküh-
lung der ursprünglichen Begeisterung sich die Mehrzahl der Autoren
absprechend verhält. Bei Leprösen wirkt es direct schädlich, ähnlich
wie die Jodpräparate. Jedenfalls findet ein Zerfall der leprösen Herde
statt und durch Freiwerden und Uebergang der Bacillen in die Blut-
bahn werden neue Herde gebildet.
Auf bakteriologischem Gebiete erwähnt Verfasser die Arbeiten über
Trichophyton- und Favuskulturen. Die von einer Gelatinekultur an-
gelegten Bouillonkulturen von Trichophyton ergaben ein positives Re-
sultat. Bezüglich des Favuspilzes bestätigten die bakteriologischen
Untersuchungen die klinisch schon lange gekannte Möglichkeit einer
Uebertragung von Thier auf Mensch. Er bespricht ferner Unna's
Untersuchungen über Plasmazellen und Jarisch's und Kaposi's Arbei-
ten über das normale und pathologische Pigment. Der letztgenannte
Autor sieht für viele Pigmentationsvorgänge die Ursache in dem Hämo-
globin resp. Hämatin der rothen Blutkörperchen, für andere in der
chromatopoetischen Function der basalen Retezellen.
Auf physiologischem Gebiete sind besonders die Arbeiten über die
resorbironde Thätigkeit der Haut interessant. Traube kommt zum
Resultat, dass die Hornschicht bis zum Stratum granulosum für
Lösungen durchgängig ist.
361
Von den klinisch interessanten Fällen geschieht u. A. des Falles von
ScHAPRiNGKR übor Vaccineblepharitis Erwähnung, der in dieser Zeit-
schrift ausführlicher mitgetheilt ist. Erwähnenswerth ist der Fall von
NEALEeines Varicellenrecidives, zehn Tage nach der ersten Erkrankung.
Bezüglich der Psorospermien glaubt Verfasser wie die meisten
neueren Autoren, dass die parasitäre Natur dieser bei der DARiEii'schen
Erkrankung und dem Molluscum contagiosum vorkommenden Gebilde
nichts weniger als erwiesen ist. Sie sind jedenfalls nichts anderes als
tlegenerirte Epidermiszellen.
Referent kann auf eine Reihe anderer klinisch interessanter Fälle
hier nicht näher eingehen und verweist diesbezüglich auf das Original.
A few stray histological and bacteriological facts concerning some
skin diseases. By A. E. Regensburger. (Faciflc Medical Journal,
June 1892.)
Der Artikel bringt nichts Neues. Der Verfasser betrachtet Lupus
vulgaris als eine localisirte Tuberculose der Haut, Lupus erythematodes
als eine dfivon verschiedene entzündliche Affection des Coriums, An-
sichten, zu denen sich die meisten neueren Autoren bekennen.
Bezüglich der Ansteckungsgefahr der Lepra bekämpft Verfasser
die von Bulkley neuerdings wieder ausgesprochene Noncontagiosität
und plädirt für stricte Verhütungsmassregeln.
Alopecia areata ist nach dem Verfasser eine Trophoneurose. Die
parasitäre Natur der Erkrankung wird von ihm nicht anerkannt, da
der Parasit weder einwandsfrei gezüchtet noch inoculirt worden ist.
(Die Frage bezüglich der Aetiologie der Alopecia areata ist noch sub
judice. Referent glaubt, dass es eine parasitäre und eine neurotische
Alopecia areata gibt.)
Augenheilkunde.— Referirt von Dr. A. SCHAPRINGER.
A case of Palimptosis, alternating with Proptosis, following In-
jury. By H. Davison Schwarzschild. (New York Med. Record*
14. Mai 1892.)
Der rechte Augapfel des sich vorstellenden 20jährigen Mannes liegt
um sechs Mm. tiefer in der Orbita als der linke. Dieser Zustand der
PaUmptosis (Enophthalmus) verwandelt sich in den entgegengesetzten
der Proptosis (Exophthalmus), sobald Patient sich nach vornüber
beugt, so zwar, dass dann der rechte Bulbus um sechs Mm. mehr vor-
steht als der Unke, die gesammte lineare Excursion dieses „wandern-
den" Augapfels also 12 Mm. beträgt. Aetiologisch wird festgestellt,
dass Patient im achten Lebensjahre von einem Wagen gestürzt war
und sich die Stirne verletzt hatte, wovon noch eine Narbe in der rech-
ten Supraorbitalgegend Zeugniss ablegt. Ausser der Lageanomalie
des rechten Augapfels besteht auch noch eine auffallende Asymmetrie
des Gesichtes und des Schädels, indem die Knochengebilde der rech-
ten Seite gegenüber denen der linken Seite im Wachsthum zurückge-
blieben sind.
On Vaccine Blepharitis. By C. Zimmermann, Milwaukee. (Archives
of Ophthalmology, Vol. XXI., No. 2, 1892.)
Verfasser theilt einen neuen Fall von zufälliger Uebertragung von
Vaccine auf die Augenlider mit. Er betraf einen zwölfjährigen Knaben,
an dessen rechtem unterm Augenlid zwei Geschwüre sassen,u. z. am
freien Rande in der Nähe des äusseren Canthus. Ein jüngeres
Schwesterchen, mit welchem Patient zusammen in einem Bette zu
schlafen pflegte, war einige Tage vorher am linken Arme geimpft wor-
den. Es entwickelten sich heftige Entzündungserscheinungen, doch
362
wurde die Hornhaut nicht angegriffen und die Erkrankung heilte ohne
irgend welche Folgen zu hinterlassen. (Vgl. die vom Eef erent in dieser
Monatsschrift, November 1890 und November 1891 mitgetheilten Fälle
dieser Art.) Nicht unerwähnt darf die vom Verfasser mit anerkenneus-
werther Sorgfalt zusammengestellte Litteraturübersicht gelassen
werden.
A case of Dermoid Cyst of the Orbit By John Dunn. (Kichmond,
Va. The American Journal of Ophthalmol., Febr. 1892.)
Im Innern Augenwinkel (ob rechts oder links, wird nicht ange-
geben— Eeferent) eines 16jährigen Mädchens sitzt eine kleine, resistente
Geschwulst, um deren Entfernung Verfasser angegangen wird. Sie
hatte sich zuerst im dritten Lebensjahre der Patientin bemerklich
gemacht, war viele Jahre von Grösse gleich geblieben und hat der
Patientin nie Sc!imerz verursacht. Letzthin ist sie jedoch gewachsen,
namentlich schwillt sie bei jedem Schnupfen der Patientin merklich an
und wird dabei dunkelroth. Dieser letztere Umstand führte, obwohl
nicht über Thräuenträufeln geklagt wurde, zu der, wie sich später her-
ausstellte, irrthümlichen Annahme, dass der Tumor mit den Thränen-
ableitungswegen in Verbindung stehe. Es wurde demgemäss der
obere Canaliculus geschlitzt und. von da aus durch den Thränensack
ein kleines Messer in die Geschwulst vorgestossen. Es entleerte sich
ein halber Theelöffel einer fettig-krümeligen Masse, deren Aussehen
das Irrthümliche in der gestellten Diagnose klarlegte. Zwei Wochen
nach der Incision begann die Cyste wieder sich zu füllen und sich
durch den Thränennasengang zu entleeren. Es bildete sich ein Abs-
cess, welcher durch die äussere Haut eröffnet wurde, worauf anschei-
nend vollständige Heilung erfolgte. Die Geschwulst zeigte sich jedoch
bald wieder, wuchs binnen Jahresfrist zu Haselnussgrösse und begann
schmerzhaft zu werden. Unter Cocainanästhesie wurde nun der sich
als ziemlich derb erweisende Balg herauspräparirt, wobei mehrere
straffe Adhäsionen durchtrennt werden mussten.
Zur Simulation concentrischer Gresichtsfeldeinengan^en mit Be-
rücksichtignng der traumatischen Neurosen. Von H. Schmidt-
Rimpler. Göttingen. (D. Med. Wochenschr., 16. Juni 1892.)
Verfasser opponirt der Meinung Oppenheim's, dass die Simulation
concentrischer Gesichtsieldeineugungen entweder überhaupt nicht oder
nur von einem besonders geschickten und geradezu geschulten Betrü-
ger gemacht werden könne. Um sich vor Täuschungen zu schützen,
soll man die Gesichtsfeldmessungen nicht nach der gewöhnlichen
Schablone am Perimeter anstellen, sondern campimetrisch in verschie-
denen Entfernungen prüfen. Man ergänze die Prüfung durch einen
vom Verfasser angegebenen Prismen versuch. Dieser beruht darauf,
dass man mit einem starken Prisma, z. B. von 30°, das Bild des peri-
pher, augeblich eben erst gesehenen Probeobjectes auf eine noch weiter
peripher gelegene Netzhautpartie wirft, welche angeblich nicht mehr
empfinden soll. Handelt es sich um die Prüfung der temporalen Seite
des Gesichtsfeldes, so hält man die Basis des Prismas nasalwärts, han-
delt es sich um die nasale Seite, temporalwärts vor das Auge. Bei
dieser Versuclisanordnung hat man beide Augen öffnen zu lassen, damit
der Fixirpunkt durch das freigelassene andere Auge festgehalten
werde. Das Nähere über die Ausführung des Versuchs ist im Origi-
nale nachzusehen. Es wird auch ein Fall ausführlich mitgetheilt, bei
welchem nach einem Trauma aDgeblich bedeutende Einschränkung
des Gesichtsfeldes eingetreten war, was aber durch die Prismenprobe
leicht als Täuschung nachgewiesen werden konnte.
3G3
A new Operation for the speedy ripening of Immature Cataracts.
By Boerne Bettmann. Cliicago. (Medical Record, 30, Juli 1892.)
B. hat das FoERSTER'sche Verfahren zur künstlichen Reifuug lang-
sam fortschreitender Altersstaare derart modificirt, dass er die Linse
nicht mittelbar durch Streichen der Hornhaut massirt, sondern dieses
Manöver durch einen in die Vorderkammer eingeführten und mit der
vordem Linsenkapsel in Berührung gebrachten Spatel direkt ausführt.
Eine Reihe mitgetheilter Fälle zeigen den Erwartungen entsprechende
günstige Resultate. Bei den früheren Fällen sandte B. der Massage,
ebenso wie Foerster, die Iridectomie voraus, bei späteren führte er
das Verfahren bei intakt gelassener Regenbogenhaut aus.
Kinderheilkunde.— Referirt von Dr. SARA WELT.
Die Anwendung: von Jodum trihromatum gegen Diphtherie. Von Dr. E.
Kraus. (Archiv für Kinderheilkunde, V. 1892.)
Auf Grund seiner Erfahrungen, die K. in einigen Fällen von Rachen-
diphtherie mit dem Mittel machte, ist er zu folgenden Resultaten ge-
kommen :
1. Dem Jodum tribromatum muss eine die Pseudomembranen lö-
sende, antiparasitäre und antiseptische Eigenschaft zugeschrieben
werden.
2. Es geht sehr rasch in den Blutkreislauf über, wenn es als Inhala-
tion fleissig gebraucht wird.
8. Eoen deshalb sind die Lungen des Patienten sorgsam zu über-
wachen, und bei bedenkhohen Erscheinungen mit den Inhalationen zu
sistiren.
4. Das Jodum tribromatum scheint einen coupirenden Einfluss auf
das Fieber auszuüben.
5. Es wird von den Patienten ohne jedes Widerstreben in allen
Formen der Anwendung gebraucht.
6. Soll es günstig wirken, so muss es gleich von Beginn der Krank-
heit in Gebrauch genommen werden. Bei schon ausgebreitetem Pro-
cess und vorgeschrittenem Leiden versagt es. Das Jodum tribroma-
tum (J2 + SBr, = 2 JBra) stellt eine dunkelbraune Flüssigkeit
dar, von starkstechendem und unangenehmem Gerüche, die unter Ent-
wicklung von die Athmungsorgane reizenden Dämpfen sich rasch ver-
flüchtigt. Es wurde in wässeriger Lösung (1:300) für Inhalationen,
Gargarismen und Ausspritzungen ordinirt.
Ueber Nervosität und Psychosen im Kindesalter. Von Dr. M. Fried-
mann. (Münch. Med. Wochenschrift, Mai 1892.j
Die bisher vorliegenden statistischen Berichte über Kinderpsychosen
sind aus auf der Hand liegenden Gründen nicht ganz zuverlässig.
Anders als für die geistigen Km nkheiten der Erwachsenen, sind die
]5'niclite von Anstalten hierfür nicht massgebend, weil eben geistes-
kranke Kinder nur in seltenen Fällen nach Anstalten gescliickt und
Mufgeiiommen werden ; häufig auch werden die Symptome von geisti-
ger Eikrankung bei Kindern anders gedeutet und verkannt ; und zu-
letzt auch von den Angehörigen verheimlicht. Um so wünschens-
werther sind daher Berichte von einzelnen Aerzten, wenn sich auch da-
liei Fehlerquellen nicht gänzlich ausschliessen lassen. F. berichtet
iW^Y 115 Fälle von Nervenerkranknngi-n bei Kindern ; darunter waren
4 Psychosen (ohne Idiotie) und 66 functionelle Neurosen, während der
Rest organische und periphere Erkrankungen begreift ; so dass sich
also unter den Nervenleiden übei haupt 3^—4 Procent, und unter den
functionellen Allgemeinneurosen 6 Procent Psychosen finden ; bei den
364
während der gleichen Zeit behandelten Erwachsenen aber bildeten die
Psychosen 16 Procent der Nervenkranken überhaupt und 27 Procent
der functionellen Allgeineinneurosen.
Bezüglich des Causalmomentes konnte 'unter 70 Fällen von func-
tionell nervösen Allgemeinerkrankungen bei Kindern 37 mal ein an-
geborenes nervöses Naturell constatirt werden ; in 8 Fällen bildeten
acute fieberhafte Krankheiten, und Ueberanstrengnng in der Schule
9 mal die Hauptursache.
F. hatte häufig Gelegenheit den nervösen Habitus bei Kindern zu
beobachten, ehe derselbe zu einer spezifischen Neurose sich entwickelt
hatte ; den Kernpunkt bildet dabei, nach seiner Ansicht, die psychi-
sche Abnormität, fast stets die psychische Hyperaesthesie ; während
im Allgemeinen eine Verwandtschaft mit dem neurasthenischen Zu-
stand besteht, unterscheidet sich der nervöse Habitus bei Kindern
wesentUch durch das Ueberwiegen der somatischen über die psychi-
schen Reizerscheinungen ; und hält er mit Beard die Neurasthenie bei
Säuglingen und Kindern für sehr selten.
Was nun die verschiedenen Formen der functionellen Neurosen an-
langt, so bestand in einem Drittheil der Fälle Chorea minor ; er betont
die Bedeutsamkeit der angeborenen nervösen Disposition für die Ent-
stehung der Chorea und glaubt, dass die Mehrzahl der nervösen Kinder
die Tendenz dazu in sich trägt.
Ein noch häufigerer Symptoraencomplex war die Schulnervösität.
Aetiologisch handelt es sich dabei um Ueberanstrengung in intellectuel-
1er Beziehung bei nervenkräftigen Kindern, verbunden mit den Hem-
mungen, welche das Schulsitzen der körperlichen Entwicklung auflegt.
Ihre Prognose ist eine eminent günstige ; bei nervös disponirten Kin-
dern aber ist der Einfluss der Schulanstrengung ein viel bedeutenderer
und mag als eine Gelegenheitsursache für die Entwicklung von schwe-
ren Neurosen wirken.
In 12 von den beobachteten (66) Fällen bestand Hysterie ; und zwar
stellt sie eine der schwersten Ausgestaltungen der nervösen Anlage
dar ; sie tritt durchschnittlich mit schweren Symptomen auf und wird
oft in das spätere Leben mitgenommen ; F. glaubt, dass eine Tendenz
des Kindesalters auch zu hysterischen Symptomen besteht.
In Bezug auf die psychischen nervösen Symptome machte sich die
Häufigkeit der passageren Störungen bemerkbar ; und zwar äusserten
sie sich hauptsächlich als Hallucinationen und Zwangsvorstellungen ;
sehr selten aber traten Störungen von continuirlicher Dauer oder mit
beständiger Wiederholung auf und sind letztere durch geistige Tor-
pidität characterisirt.
Gase of Hysterectomy in a Child of Nine. By E. H. Bradford, M. D.
(Archives of Pediatrics, July 1892.)
Bericht über ein scheinbar gesundes, 9 Jahre altes Mädchen mit
grossem Abdominaltumor ; derselbe hatte schon längere Zeit bestan-
den, war aber erst in den letzten 3 Monaten rasch gewachsen und
machte gar keine Beschwerden.
Bei der Operation stellte es sich heraus, dass der Tumor die Grösse
eines Kopfes eines ausgetrag<^nen Foetus hatte ; an der einen Seite
wurden Tube und Ovarium intact gefunden, während an der anderen
Seite die Geschwulst über einen Theil der Tube gewuchert war und nur
ihr Ende frei Hess. Erst nachdem zahlreiche Adhäsionen mit dem Darrae
gelöst und die Ligamenta lata durchschnitten worden waren, konnte
der Tumor aus der Beckenhöhle gehoben und mit dem Ecraseur vom
Stiele getrennt werden; extraperitoneale Befestigung des Stieles.
Das Kind genas und ist bisher (4 Monate nach der Operation) kein
Becidiv eingetreten.
365
Die mikroskopische Untersuchung des Tumors ergab ein Cystoma
papilläre.
Pericardial Effusion in an Infant. By Michael Th. Sadler, M. D. (The
Brit. Med. Journ., Nov. 1891.)
Ein 5 Monate altes, scheinbar gesundes Kind, bei dem nach einem
leichten Stosse in der Gegend der linken Schläfe Convulsionen auftra-
ten, von welchen es sich jedoch bald erholte; 2 Tage später aber wie-
derholten sich die Krämpfe und kam das Kind ad exitum. Bei der 24
Stunden später vorgenommenen Autopsie wurde keine nennenswerthe
Veränderung am Geliirn wahrgenommen. Das Pericardium aber war
stark ausgedehnt und enthielt etwa 2 Unzen einer klaren serösen
Flüssigkeit ; die linke Lunge war collabirt ; an den andern Organen
wurde niciits abnormes gefunden.
Diphtheria from Rags after Nine Years. By L. J. Rhea, M. D. (The
Medical Brief, January 1892.),
K. theilt einen Diphtherie-Fall bei einem Sjährigen Kinde mit,
weicher im Laufe von 10 Tagen von 5 anderen Fällen gefolgt wurde.
Bei der Eruirung, wie die Krankheit contrahirt wurde, stellte es sich
heraus, dass 3 Tage vor der ersten Erkrankung der Yater des Kindes
einen mit alten Lumpen gefüllten Sack von einem Nachbar kaufte,
welche vor 9 Jahren aus einem Diphtheriehause entfernt wurden; wäh-
rend der ganzen Zeit hatte der Sack unberührt in einem Nebenhause
gelegen. Die Kinder eröffneten den Sack und spielten mit den in ihm
enthaltenen alten Sachen.
Biiefkasteo.
New York, 5. September, 1892.
An die Redaktion der New Yorker Medicinischen Monatsschrift.
In seiner Besprechung meiner Uebersetzung des EwALo'schen
Buches sah Herr Dr. Einhorn sich veranlasst zu bemerken, dass : ,,Dr.
Manges hat das EwALo'sche Buch mit mehreren Anmerkungen ver-
sehen ; davon sind manche ganz brauchbar, manche überflüssig und
manche nicht ganz der Wahrheit enti^prechemV (N. Y. Med. Monatssch.,
Aug. 1892, S. 326).
In Erwiderung dieser zum mindesten etwas unüberlegten Aeusse-
rung möchte ich nur hervorheben, dass Herr Prof. Ewald nicht allein
mein Manuscript durchlas, sondern in einem Brief, den ich vor einigen
Wochen erhielt, ausdrücklich erwähnte : " I am very much indebted for
the additional foot-notes, as theu concnr nearly everywJiere icith my op'in-
ion and bring the book up to the latest Standard of science."
Hochachtungsvoll,
Dr. Morris Manges.
Allerlei.
In der jüngsten Sitzung der „Societe de Biologie" in Paris machte,
nach einem Berichte der „Deutschen Med. Woch.", Dr. Gamaleia
die Mittheilung, dass die Hunde für das Choleragift empfindlicher
seien, als die meisten anderen Thiere, welche für die Experimente im
Laboratorium in Betracht kommen. G. hat vornehmlich die intrave-
nöse Injection der Cholerabacillen bei Hunden studirt — , u. z. wurden
entweder hochvirulente Cuituren oder Bacterien, welche in ihrer Wirk-
samkeit durch Passage von Thier zu Thier eine erhöhte Giftigkeit er-
langt haben, benutzt. G. formulirt, auf Grund seiner mannigfachen
Experimente, folgende Schlusssätze : Die Cholera beim Hunde bietet
366
die ^rösste Analogie mit der des Menschen dar ; sie ist characterisirt
durch die sauguinolenten oder reisförmigen Stuhlgänge und vornehm-
lich durch das stundenlang anhaltende Erbrechen. Bei der Autopsie
finden sich die characteristischen Veränderungen der Schleimhaut des
Verdauungstractus. Ausserdem ist sehr bemerkenswerth die Schnel-
ligkeit, mit welcher die Hunde Immunität gegen die Cholera erlangen.
Injicirt man einem Thier eine Dosis des Giftes, welche nicht hinreicht
dasselbe zu tödten, wohl aber die anderen Erscheinungen der Cholera,
als Hinfälligkeit, Erbrechen, Diarrhoe, etc., herbeiführt, so werden sie
bereits am folgenden Tage selbst gegen die stärksten Quantitäten des
Giftes refractär.
Nach den kürzlichen Untersuchungen, die Dr. H-\ffkine aus
Russland im Laboratorium des Institutes Pasteur in Paris mit Meer-
schweinschen, Kaninchen und Tauben gemacht, übt die Einimpfung
von Anticholeravaccine — aus den Eeinculturen des Komma bacil-
lus nach der PFEiFFER'schen Methode je in Verstärkung und Ab-
schwächung bereitet — auf Thiere verschiedener Art dieselbe Wirkung
aus. Die Versuche auf den Menschen übertragend, machte zuerst sich
H. selbst in die linke Weiche eine subcutane Injection von der soge-
nannten ersten Art der Anticholeravaccine, und zwar in einer höheren
als für die Thierimpfung gebrauchten Dosis. Das Unwohlsein, welches
durch diese Impfung entstand, dauerte ca. 24 Stunden und bestand in
einer Temperaturerhöhung um etwa 1 Grad mit leichten fieberhaften
Symptomen (Kopfschmerz, Trockenheit im Munde, Harntrübung), ohne
Beschwerden von Seite des Verdauungscanales. Als Localreaction
bestand Schmerz an der Einstiehstelle mit leichter Anschwellung der
Haut und der entsprechenden Drüsen ; der Schmerz war am 5. Tage,
die Anschwellung in allmählicher Abnahme erst am 9. Tage verschwun-
den. 6 Tage nach der ersten Einimpfung liess sich H. eine zweite in die
rechte Weiche machen und zwar mit dem verstärkten Choleravirus
(No. 2 der Vaccine). Es folgte wieder Temperaturerhöhung, bis auf
38,6^\ localer Schmerz, aber keine Schwellung, der Allgemeinzustand
nach 28 Stunden wieder normal, der Schmerz nach 3 Tagen verschwun-
den, keine Verdauungsstörungen. Die folgende Impfung, die bei einem
Arzte aus St. Petersburg vorgenommen ward, verhef ebenso wie bei
Haff k ine, die Impfung mit dem verstärkten Virus bheb jedoch bei-
nahe reactionsios ; dasselbe war der Fall bei einem Arzte aus Tiflis,
welcher bloss Vs der vorher angewandten Dosis erhielt. Dieselbe
Menge ward einem Ingenieur aus Moskau, der einige Tage lang an
leichter Diarrhoe gelitten hatte, subcutan am linken Arm injicirt, die
Temperatur stiee: bis auf 38,5c», nni nächsten Tages wieder auf 37,4:"
zurückzugehen, Schwellung und Schmerzan der Injectionsstelle hielten
noch 4 Tage an ; die Diarrhoe war am Tage nach der ersten Impfung
ausgeblieben. Die Einimpfung dieser beiden Arten von Anticholera-
vaccine, deren Schutz für das Thier experimentell festgestellt ist, ist
ohne Gefahr für den Menschen und Haffkine hegt die sichere
Hoffnung, dass der Organismus des Menschen 6 Tage nach der Impfung
die vollständigste Immunität gegen jede Cholerainfection erlangt haben
wird. (Müuchener Med. Woch., 9. Aug., 1892).
Zur Behandlung von Cholerakranken gab die Societe de thera-
peutique in der Sitzung vom 13. Juli d. J. folgende Instruktionen : Zur
Stimulation empfiehlt sich die Verabreichung warmer Getränke, Alko-
hol, Thee oder Eum, leichter Kaffee, sodann Abreibungen, Wärm-
flaschen u. s. w. Gegen die Diarrhoe wird die Milchsäure empfohlen :
Rp. Acid. lactic 10,0
Syrup. spl 20,0
Tinct c. aurant 2,0
367
S. Das Ganze in einen Liter Wasser zu schütten und dem Kranken
viertelstündlich drei EsslöffelvoU zu geben.
Das beste Anti-Emeticum ist das Menthol, ferner kleine Eisstück-
chen, in kohlensäurehaltigen Getränken von Zeit zu Zeit verabreicht.
Gegen das Erbrechen von Cholerakranken haben sich die Tropfen von
Laussedat sehr bewährt :
Kp. Tinct. Yalerianae aether 5,00
Laudani Sydenhami 1,00
Ol. Menthae aeih gutt. V
Liquor. Hoffmanni 5,00
Gegen Cholera infantum verordnet Sonnenberger (Allg. Med.
Centralztg. Nr. 99, 1891) mit bestem Erfolge das Resorcin, und zwar bei
Kindern in den ersten Lebensmonaten 0,1—0,12, bei älteren 0,15—0,2
pro die, mit oder ohne Zusatz von Opium. S. empfiehlt folgende
Formel :
Rp. Resorcini 0,1—0,25
Inf. Chamom (15,0) 70,0
(Tinct. Opii simpl . gutt. I— II.)
Syrup. cort. auraut ... 20,0
MDS. 1— 2stündlich 1 Theelöffel.
Dr. Green (University Med. Magazine, June 1892) berichtet über
einige Fälle von sehr häufigem Harndrang bei älteren Leuten, in
welchen eine prompte Besserang durch Phenacetin (10 Gran vor dem
Schlafengehen) von ihm erzielt wurde. Die Wirkung des Mittels war
eine anhaltende, so dass auch während des darauffolgenden Tages die
Zahl der Blasenentleerungen bedeutend reducirt erschien. Nach einer
kurzen Zeit konnte das Phenacetin weggelassen werden, ohne dass die
krankhaften Erscheinungen wiederum zum Vorschein kamen.
Berlin. Bei der am 1. August vollzogenen Wahl des Rectors und
der Dekane des Studienjahres 1892-93 wurde zum Rector der Univer-
sität Prof. Dr. YiRCHOw und zum Dekan der medicinischen Facultät
Professor Dr. Jolly gewählt.
Unter den zahlreichen, werthvollen Hülfsmitteln der Therapie,
welche die Fabriken von Fr. Bayer & Co, in Elberfeld lieferten, ver-
dient das Europhen spezielle Aufmerksamkeit. Nachdem sein Werth
als antiseptisches Verbandmittel von verschiedenen Seiten zweifellos
erwiesen war, äussert sich jetzt auch Dr. Petersen in der russischen
med. Wochenschrift „Vratsch " dahin, dass nach seinen Beobachtun-
gen Europhen in der kleinen Chirurgie und bei weichen Schankern ein
gutes Ersatzmittel des Jodoforms sei, das vor Allem nicht den unan-
genehmen Gerufh des letzteren besitzt.
The American Therapist. Unter diesem Namen erscheint seit dem
1. Juli unter der Redaktion von Dr. J. Aulde in New York ein monat-
liches Blatt über die modernen therapeutischen Hilfsmittel.
Aus Paris schreibt man der „ Allg. Wiener Med. Zeitung " : „ Auf
die, alle Kreise unserer Bevölkerung durchdringende Erkenntniss, dass
die Zunahme unserer Bevölkerungszahl zu dem alljährlichen naturge-
mässeu Abgange nicht in richtigem Verhältnisse stehe, ist die Bildung
eines neuen Vereins zurückzuführen, der sich „ Socield pour la propa-
gation de l'allaitement maternel *' nennt. Der grossen Sterblichkeit,
die bei uns wie in aller Welt unter den künstUch erzogenen Neugebo-
renen herrscht, soll in der Weise abgeholfen werden, dass man es den
Müttern erleichtert oder überhaupt möglich macht, ihre Kinder selbst
an der Brust aufzuziehen. Die Societe verfügt bereits über reiche
868
Geldmittel und hat erst vor einigen Tagen in der Avenue du Maine ein
Gebäude feierlich eröffnet, in welchem jährlich circa 700 schwangere
Frauen circa einen Monat lang unentgeltlich verpflegt werden. Die
medizinische Facultät hat für dieses Wohlthätigkeits-Institut ebenfalls
ein grosses Interesse, was die Professoren Tarxier und Pinard bei
der Eröffnungsfeier in ihren Keden öffentlich bekundeten."
Laut einem an uns gerichteten Schreiben beabsichtigen Armour
& Co., Chicago, während der nächsten Columbia- Weltausstellung in
Chicago ein Auskunftsbüreau für Aerzte und Pharmazeuten einzu-
richten, wo man sich über alles in der Ausstellung Vorgehende leicht
unterrichten könnte. Bei dieser Gelegenheit ladet obige Firma die
Aerzte ein, ihre verscliiedenen Laboratorien und ihre weltbekannten
Schlachthäuser in Anschau zu nehmen.
Hüchertisch.
Eingesandt :
Cholera, Brechdurchfall und ihre verwandten Krankheiten. Von Dr.
Gr. F. Wachsmuth. Schutzmassregeln und hygienisch-rationelle
Behandlung, illustrirt durch die Statistik von Berlin nach amt-
lichen Quellen. Mit Anhang : Ministerielle Bekanntmachung über
das während der Cholerazeit zu beobachtende Verhalten. (Leipzig,
Verlag von H. Härtung & Sohn [G. M. Herzog] 1892.)
Munchener medicinische Abhandlungen. München. Verlag von J. F.
Lehmann, 1892. II. Reihe, Heft 5 : Ein Fall von Aneurysma der
Arteria basilaris. Von Dr. W. Oppe. III. Reihe, Heft 2 : CJeber
die Wirkung des Tuberculinum Kochii bei Lupus. Von Dr. K.
Port. V. Reihe, Heft 3 : Acht Thesen gegen die Münchener
Schwemmkanalisation. Von Dr. Max von Pettenkofer. VI.
Reihe, Heft 5 : Die Prostitution. Von Dr. E. Miller. VII. Reihe,
Heft 1 : Die Lendennerven der Affen und des Menschen. Von Dr.
A. Utschneidek.
Personalien.
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herausgegeben von
Dr. F. C. HEPPENHEIMER.
Verlag der Medical Monthly Publishing Company, 17-27 Tandewater Street, N# T#
Bd. IV. New York, 15. October 1892. No. 10,
ORIGINALARBEITEN.
I.
Labjrinlhnekrose und Facialis] älimung.
Von
Dr. Max Toeplitz,
New York.
Vortrag gehalten am 7ten März, 1892, im Deutschen Medicinischen Verein von
New York.
Bei der Seltenheit der Labyrinthnekrose und bei dem damit verbun-
denen, nicht nur für den Ohrenarzt, sondern auch für den Neurologen
und Physiologen höchst interessanten Verlaufe mag es gerechtfertigt
erscheinen, Ihnen, meine Herren, heute Abend eine zusammenhängende
Darstellung des Gegenstandes zu geben.
Zunächst will ich Ihnen über einen selbstbeobachteten Fall,! mit
Demonstration des Patienten, und des entfernten Sequesters berichten
und daran meine weiteren Bemerkungen anschliessen.
Demonstration.
Mamie Kaiser, 6^ Jahre alt, erkrankte gegen Mitte April 1889 an
schwerem Scharlach mit einem, eine Woche dauernden Exanthem und
leichter Halsaffektion. Am 6ten Mai bemerkte die Mutter, dass das
Gesicht, besonders beim Lachen nach rechts verzogen war, und dass
das Kind das linke Auge nicht schliessen konnte. Erst einige Tage
später wurde sie auch auf einen reichlichen Ohrenfluss aufmerksam.
Das Mädchen lag fünf Wochen lang im Bett, weil es ihm nach der
» Der Fall ist bereits in der April-Nummer der ,,Archives of Otology", 1892,
herausgegeben von Knapp u. s. w., veröffentlicht.
870
Krankheit unmöglich war 2u stehen. Sie musste erst wieder gehen ler-
nen, wozu sie über drei Wochen brauchte. Anfangs brachte sie die ge-
ringste Bewegung in die Gefahr zu fallen. Am 17. Juni 1889 (also 9
Wochen nach Beginn der Erkrankung), stellte sich Patient zuerst im
New York Ophthalmie and Aural Institute vor und der behandelnde
Arzt (McMahon) notirte als Diagnose : Linke Facialisparalyse, Ohren-
polypen (? Caries des Promontoriums ?), und entfernte noch an demsel-
ben Tage mehrere Polypen. Später hat er noch häuflge Entfernungen
mit dem scharfen Löffel vorgenommen und dabei waren auch mehrere
kleine Knochenpartikel abgegangen, die jedoch formlos waren. Das
Ohr entleerte fortwährend Eiter, und polypöse Granulationen bildeten
sich immer wieder. Die Patientin hatte seit Beginn der Erkrankung
niemals über Schmerzen und Ohrensausen geklagt.
Am 29ten Januar, 1891 bekam ich die Patientin zum ersten Male auf
meiner Abtheilung des „New York Ophthalmie and Aural Institute" zu
sehen. Von der Facialisparalyse war im ruhigen Zustande des Gesichts
nichts zu bemerken, nur beim Lachen verzog sich das Gesicht nach
rechts. Ich fand den linken äusseren Gehörgang mit Polypen angefüllt
und entfernte noch an demselben Tage mehrere mit der i<calten Schlinge.
Am 26ten Februar und 3ten April sind wieder Polypenentfernungen no-
tirt. Dieselben wucherten trotz scharfen Löffels und Chromsäure immer
noch fort. Anfang Juni 1891 bemerkte ich bei Sondenberührungen
eine starke Kesistenz im knöchernen Gehörgang, die sich mir als rauher
Knochen präsentirte. Ein Entfernungsversuch mit scharfem Löffel
misslang wegen grosser Schmerzen, und weil der Sequester noch zu fest
eingekeilt war.
Am 9ten Juli 1891 war derselbe bereits so locker geworden, dass es
mir gelang, denselben mit dem Schlingenschnürer zu entfernen, wobei
die spitzen Kanten der Patientin beim Durchtritt Schmerzen verursach-
ten. Zwei Tage vor der Entfernung beklagte sich die Patientin zum
ersten Male über kontinuirlicne Schmerzen, welche bis zum Tage nach
der Entfernung des ersten Sequesters dauerten. Der Ohrenfluss hielt
jedoch immer noch an, und Polypen waren auch noch spärlich vor-
handen.
Am 6ten August 1891 wurde im äusseren Gehörgang wieder eine
Resistenz entdeckt und sogleich in der Narkose mit dem Löffel ent-
fernt.
Am 7ten August hörte der Ohrenfluss auf, um nie wieder zu erschei-
nen.
Die beiden Sequester, welche hiermit demonstrirt werden, und wel-
che Herr Dr. Ward A. Holden zu zeichnen die Freundlichkeit hatte
gehören dem Felsentheile des Schläfenbeines an, u. z. sind beide Theile
der Schnecke.
Der zuerst entfernte Sequester is ca. Vie Zoll lang und i Zoll breit ;
er ist von einer fast runden Oeffnung durchbrochen, um die sich an einer
Seite eine gekrümmte Furche anschliesst, deren Krümmung i Kreis ent-
spricht.
371
Der zweite, kleinere Sequester, Vi« Zoll lang und i Zoll breit, zeigt
zwei Oeffnungen, die in aufeinander zu laufende, gekrümmte Köhren
endigen. Die beiden Sequester passen an den erodirten Stellen anein-
ander.
Die von Herrn Dr. B. Sachs auf mein Ersuchen am Slten December
1891 freundlichst ausgeführte elektrische Untersuchung des N. Facialis
ergiebt folgendes Kesultat :
„Es sind nur noch die Eeste einer Lähmung in allen Gebieten des N.
Facialis voriianden. Das Auge kann gut geschlossen werden. Der
Mundwinkel wird nur bei Anstrengungen und beim Lachen verzogen.
Keine Deviation der uvula. Auch die elektrischen Reactionen sind wie^
der fast normal. Der Nerv ist durch starke faradische Ströme erreg-
bar, aber natürlich bei 'weitem nicht in dem Maasse wie der gesunde
Facialis.
Der Facialis der linken Seite antwortet auf sehr starken galvanischen
Reiz (erste K. S. Z. bei 10 M. A.) ; während die Muskeln auf weniger
starke Ströme reagiren (Orbicularis Oris. Erste K. S. Z. bei 6 M. A
Erste A. S. Z. bei 8 M. A.). Auf der rechten Seite ist die erste K. S. Z.
schon mit 3,5 M. A. zu erreichen. Es ist also nur noch eine Andeutung
der früheren Störung der elektrischen Reaktion vorhanden. Am Tage
der Untersuchung war keine Entartungsreaktion da. Vollkommene
Heilung steht binnen kurzer Zeit in Aussicht."
Bei der Gehörprüf ung giebt die Patientin merkwürdigerweise an,
dass sie die hohe und tiefe Stimmgabel sowohl durch Luftleitung, als
durch Knochenleitung höre, aber sie hört auch die auf den rechten pro-
cess. mastoid. aufgesetzte Stimmgabel nur auf dem 1. Ohre, auch bei
verschlossenem r. Ohre.
Es ist aber nicht anzunehmen, dass noch Perzeption im 1. Ohre vor-
handen ist, da bei der Jugend der Patientin eine genaue Lokalisation
ausgeschlossen ist, und die Angabe einer Perzeption im 1. bei aufgesetz-
ter Gabel auf dem normalen r., verschlossenen Ohr den physiologischen
Thatsachen widerspricht. Die Sprache wird nur gehört, wenn sie ganz
laut ins 1. Ohr geschrien wird, wobei Perzeption des r., wenn auch ver-
schlossenen Ohres nicht ausgeschlossen ist.
Otoscopie des 1. Ohres zeigt, dass die Paukenhöhle mit einer gleich -
mässig zarten Narbe bedeckt ist, die man als ein Pseudotrommelfell
ansprechen muss.
Die Literatur über unsern Gegenstand ist von Bezold bis zum Jahre
1886 zusammengestellt. Seitdem sind etwa 20 neue Fälle veröffentlicht
worden, im Ganzen also seit der ersten Veröffentlichung von Toynbee,
1830, ca. 65 Fälle.
Das männliche Geschlecht zeigt eine gewisse Prädisposition zur
Labyrinthnecrose. Im ersten Jahrzehnt scheint eine besondere Prä-
disposition vorhanden zu sein, welche sich zum Theile aus der Neigung
zu Mittelohrprocessen insbesondere nach den acuten exanthematischen
Erkrankungen in diesem Alter erklärt. Ferner hat das Labyrinth
beim Neugeborenen bereits seine normale Ausdehnung erreicht ; es re-
372
präsentirt also im kindlichen Organismus etwa die l6-fache Grösse
gegenüber dem des Erwachsenen. Das kindliche Labyrinth ist ausser-
dem durch die Gefässe der fossa subarcuata in seinen knöchernen
Wandungen viel reichlicher mit Gefässen versorgt als das des Er-
wachsenen.
In den weiteren Jahrzehnten entspricht die Abnahme der Zahlen
der successiven Verminderung der Individuenzahl mit dem wachsen-
den Alter. Der älteste Patient war in dem von Blake und Spear
berichteten Falle 72 Jahre alt.
In der Aetiologie spielen die acuten Exantheme, darunter der Schar-
lach, eine Hauptrolle bei der Entstehung der Xecrose, welche in der
Eegel zu den erst nach Jahren hervortretenden Nachkrankheiten des
Scharlachs gehört. Zuweilen entsteht sie nach Morbillen, selten bei
Scrophulose und Miliartuberkulose, nach Variola (Eman. Max), nach
Eiterung in Folge von Nasenpolypen und Adenoiden Vegetationen
(Erskine). In drei Fällen beruhte die Otorrhoe auf vorausgegangener
traumatischer Einwirkung. Erscheinungen von Syphilis sind in keinem
Falle angegeben.
Die Dauer des Krankheitsprocesses berechnet man am besten vom
ersten Auftreten der Otorrhoe an, da es nur in wenigen Fällen möglich ist
den Zeitpunkt zu bestimmen, in welchem der Entzündungsprocess auf
das Labyrinth selbst übergegriffen hat. Danach hat der Process nach
der BEZOLD'schen Zusammenstellung, mit Ausnahme von 4 Fällen, die
weniger als ein Jahr bis zur Ausstossung des Sequesters brauchten,
bei den meisten Kranken mindestens ein Jahr, meist aber noch viel
länger, bei 21 Fällen über 4 Jahre, in 8 Fällen über 20 Jahre be-
standen.
In der grossen Mehrzahl der beobachteten Labyrinthnecrosen
kommt der Necrotisirungsprocess erst secundär im Verlaufe einer
Mittelohreiterung zur Entwickelung. Eine Ausnahme hiervon bilden
drei Fälle, 1. der von Christixnek aus der Poliklinik von Schwartze
mitgetheilte Fall, der durch seine Dauer und Verlauf bemerkenswerth
ist. Die Eiterung hatte bis zum Erscheinen der necrotischen Schnecke
im Gehörgange nur zwei Monate gedauert. Der Patient wurde von
plötzlichem Schwindel und Mattigkeit, mit Schmerzen in der rechten
Kopfhälfte und Erbrechen, welches drei Tage anhielt, befallen. Kein
Verlust des Bewusstseins. Zwölf Wochen später trat eine Eiterung
aus dem Ohre ein, worauf Nachlass der Schmerzen erfolgte ; acht Tage
später Facialislähmung.
2. Fall von Trautmann (Berl. Naturforsch. Versamml. 1886). Patient,
45 Jahre alt, erkrankt unter meningitischen Erscheinungen ; nach sechs
Wochen Ohreiterung mit Granulationen, nach deren Entfernung die
nekrotische Schnecke extrahirt wurde. Vernarbung. | Jahre später
Cholesteatombildung, Operation, Heilung mit Facialisparalyse.
3. In meinem vorher beschriebenen Falle war das Lrbyrinth gleich
von Anfang an affizirt. Die Facialisparalyse als Initialsymptom, mit
drauffolgender Eiterung und gleichzeitig bestehenden^ Gleichgewichts-
373
Störungen deuten entschieden darauf hin. Der weitere Verlauf war
allerdings ein langsamer.
Wir müssen also in diesen drei Fällen eine primäre in Nekrose
endende Entzündung des Labyrinths annehmen.
Der Ausfliiss ist während der Entwicklung und des Ablaufs des
Nekiotisirungsprocesses stets continuirlich und profus. Fötor fehlt in
keinem Falle und wird auch durch antiseptische Behandlung bis zur
Ausstossung des Sequesters nicht beseitigt.
Schmerzeri begleiten die Affection fast konstant, ein schmerzloser
Verlauf, wie der in unserem Falle, ist selten. Die Schmerzen sind nicht
nur vom Labyrinthprocess selbst, sondern auch von den Mittelohrpro-
cessen abhängig, sind daher oft von jahrelanger Dauer. Sie betreffen
oft die ganze Kopfhälfte. Bei Komplikationen vom Warzenfortsatz ist
Druckempflndlichkeit desselben vorhanden. Die Demarkation und die
Wanderung des Sequesters verursachen während der letzten Monate
Schmerzen, die der Ausstossung vorausgehen, besonders wenn der Se-
quester den mit sensiblen Nerven reich versehenen knöchernen Gehör-
gang erreicht hat. Mit der Entfernung des Sequesters sind, wo keine
Komplikationen vorhanden sind, die Schmerzen abgeschnitten, oft
schon mit der Entfernung der Polypen, ^wodurch dem Eiter freier Ab-
fluss geschaffen wird,
Fieber und Schüttelfröste sind meist durch Komplikationen von
Seiten der Meningen, Sinuse, Proc. Mast, bedingt.
Polypöse Wacher imgen fehlen wohl in keinem Falle. Sie kommen oft
vor der Labyrinthaffektion durch die Mittelohreiterung zu Stande, ent-
stehen aber immer sicher während der Wanderung des scharfkantigen
Sequesters durch die Paukenhöhle und Gehörgang. Die Wucherungen
sind sehr üppig und erneuern sich, wenn der Sequester in ihnen einge-
bettet ist, schon wenige Tage nach der Abtragung. Ihr Wachsthum
hört nach Entfernung des Sequesters auf, worauf rasch eine Involution
der zurückbleibenden Reste erfolgt, In Folgendem schliesse ich mich
den lichtvollen Ausführungen von Eman. Max an :
GleicJtgewichtsstörungen werden nach Bezold nur bei einem Bruch-
theile der Beobachtungen erwähnt, und bei diesen traten sie nur vorüber-
gehend im Beginn der Erkrankung auf. Nach Floürens und bes. Goltz
stehen die Bogengänge der Erhaltung des Gleichgewichts vor. W^enn
ein oder alle Bogengänge der einen Seite ausgeschaltet ist, so überneh-
men, nach Analogie, die intakten Bogengänge der anderen Seite ganz
oder theilweise die Funktion. Treten die Bogengänge der einen Seite
allmälig ausser Funktion, so wird das unversehrte Organ Gelegenheit
haben, durch Anpassung an die gesteigerten Anforderungen gleichsam
compensatorisch die Ausfallserscheinungen zu verdecken. Unterstützt
wird es darin durch die Hautsensibilität, das Muskelgefühl und den
Gesichtssinn.
Die Störungen treten deshalb bei einseitigen Labyrinthaffektionen
weniger in den Vordergrund. Sie werden sehr erhöht, wenn die andere
Seite afficirt ist, wie es bei dem von Em. Max erst voj: 2 Monaten be-
374
richteten Falle eintrat. Ich möchte hier nun einschalten, dass dieser
Fall, mit dem von Gruber, die einzige Beobachtung von doppelseitiger
Labyrinthnekrose darstellt, und deshalb, wie durch sein eingehendes
Studium, mit zu den lehrreichsten Beispielen von Labyrinthnekrose in
der Literatur gehört. Die Gleichgewichtsstörungen in dem MAx'schen
Falle waren, weil doppelseitig, anfangs sehr stark. Der Patient konnte
nicht die geringste Bewegung machen, ohne in die Gefahr des Fallens
zu gerathen. Die Störungen nahmen zwar allmälig ab, ohne jedoch
vollständig zu schwinden, da eine Wendung des Kopfes, rasches Gehen
oder Bücken, oft auch keine äussere Ursache, die Anfälle sofort aus-
lösen,
Die Bogengänge haben also nicht das Monopol der Erhaltung des
Gleichgewichts, und es ist möglich, dass andere Sinne den Ausfall kom-
pensiren.
Der Einwand, dass einzelne Abschnitte der halbzirkelförmigen
Kanäle noch funktionsfähig bleiben können, ist nicht haltbar, da bei
einer monatelangen Eiterung in einem allseitig communizirenden
System von Hohlräumen mit nekrotischer Ausstossung eines grösseren
Theiles der andere Theil nicht funktionsfähig bleiben kann.
Siihjective Gehörsempfindungen werden bei allen pathologischen
Prozessen des Ohres, die vom äusseren Gehörgang bis zum nervus
acust. verlaufen, angetroffen. Sie werden als Keaktion eines auf den
nervus acust. wirkenden Kelzes aufgefasst. Daher sollte sie bei der
Labyrinthnecrose sehr häufig zu fiüden sein. Doch hier finden sie
sich nur ausnahmsweise vor der Ausstossung des Sequesters nach
Bezold in zwei von 46 Fällen. Ausserdem sind sie bei Thies als vor
und nach der Ausstossung auftretend angegeben. Bei Emanuel Max
traten sie auf dem rechten Ohre nach Entfernung der Schnecke, inter-
mittirend auf, auf dem linken Ohre bereits vor Beginn der Schmerzen
als Initialsymptom, anfangs kontinuirlich, später intermittirend, dann
aber immer seltener werdend.
Das Fortbestehen der subjektiven Empfindung nach Zerstörung
des Labyrinths lässt es aber nicht zu, ihrer Auffassung als Eeizzustand
des Endapparates allgemeine Gültigkeit zuzuschreiben ; ihr Sitz ist
vielmehr weiter centralwärts zu suchen, entweder in dem der Degene-
ration anheimfallenden Nervensystem oder in dem im verlängerten
Marke befindlichen Akustikuskern.
Hörprüfung. Die Schnecke ist nach Helmholtz der eigentliche
schallperzipirende Theil des Labyrinthes, der peripherische Endapparat
des nervus acusticus im engeren Sinne. Die Wahrnehmung der verschie-
denen Töne wird durch die quergestreifte membr. basilaris vermittelt,
welche in Folge der ungleichen von der Basis gegen die cupola stetig
zunehmenden Breite, ein System von aneinander gereihten Saiten dar-
stellt, deren jede einzelne durch den ihr entsprechenden Eigenton in
Erregung versetzt wird. Der Sitz für die hohen Töne befindet sich im
unteren, für die tiefen im oberen Theile der Schnecke, und diese
Theorie ist durch Baginsky und Corradi experimentell, durch Moos
375
und Steixbrüegge, Habermann und Schwabach klinisch gestützt wor-
den. Dieser Theorie steht eine candere gegenüber, dass nicht jeder
einzelne Querstreifen der menibr. biisilaris bestimmten Tönen diene,
dass vielmehr jedem Nervenelement der Schnecke die Perzeption aller
Töne zukomme.
Daran knüpft sich nun die Frage, ob neben der Schnecke noch
andere Theile des Labyrinths zur Perzeption von Schalleindrücken
befähigt seien. Die Experimente ergeben nach Zerstörung der Schnecke
vollkommenen Gehörsverlust. Die Sektionsbefunde, welche sich bloss
auf die Schnecke beschränken, wobei die anderen Labyrinthgebilde voll-
kommen intakt wären, sind beim Menschen nicht gemacht worden.
Die Argumente beschränken sich blos auf Beobachtungen an Patien-
ten. Nach den Erwägungen von Em.\nüel Max, wäre ein Bestehenblei-
ben der Funktion denkbar, wenn nur die mediale Paukenhöhlenwand
affizirt wäre, dann wird die Ablösung und Ausstossung des Sequesters
von der membranösen Unterlage und dem angrenzenden normalen
Knochen besorgt und das Knochengeschwür heilt. Wenn aber der
Nekrotisirungsprozess einen Theil des Labifrinthgehäuses z. B. die
Schnecke, im Ganzen, so dass der Sequester ein ganzes Rohr darstellt,
ergreift, so muss auch das darin eingeschlossene membranöse Laby-
rinth ausgestossen und die häutige Kapsel eröffnet werden. Die Endo-
lymphe fliesst frei ab und der Eiter dringt frei in die kommunizirenden
Hohlräume. Die Endothelien werden vernichtet. Die Knochenwunde
heilt durch Bildung von Binde- resp. Knochengewebe. Eine Funktion
des so veränderten Labyrinthes ist natürlich undenkbar.
Trotz Alledem bestand bei Grüber und Stepanow, Perzeption der
Stimmgabeln bei Knochenleitung und sogar noch Sprachverständniss
auf dem sohneckenlosen Ohr.
Dagegen ist Folgendes einzuwenden : Das normale Ohr lässt sich
nicht vollständig eliminiren. Den Patienten ist die Sicherheit der
Lokalisation abhanden gekommen. Das Prüfungsresultat beruht
auf Selbsttäuschung, und schliesslich sind die Prüfungsresultate der
Stimmgabeln nicht über allen Zweifel erhaben. Ein vollständig siche-
rer Beweis für die aus dem Schneckenverlust resultirende absolute
Taubheit können wir an Fällen mit doppelseitiger Ausstossung dersel-
ben erhalten. Solche Fälle sind von Grubee und Emanuel Max be-
obachtet worden.
In dem ersten bestand beiderseits vollständige Taubheit für
Sprache mit Hörrohr, Geräusche und Töne verschiedener Instrumente,
Zungenwerke, Pfeife und Stimmgabel ; nachträghch entwickelte sich
bei dem 12jährigen Knaben Taubstummheit.
In dem MAx'schen Falle besteht Verlust des Gehörs auf beiden
Ohren. Jede Perzeption der Töne und Geräusche fehlt. Das Vibriren
der Stimmgabel wird gefühlt.
Dass nach Rohrer der Akustikusstumpf noch für Schallwellen lei-
tungsfähig sei, wird durch Ewald's Experimente widerlegt, welcher
bei Säugethieren eine Degeneration des Akustikusstammes nach Aus-
376
bohrung der Schnecke feststellt ; nur bei Tauben bleibt der Acus-
ticus intakt.
Selbst wenn beim Menschen keine oder nur späte Degeneration des
Nerven einträte und derselbe für Schallwellen erregbar bliebe, so ist
nur die Perzeption einer ganz unbestimmten, nicht spezifischen
Gehörswahrnehmung zu erwarten.
Die Erkrankung des N. Facialis gehört zu den häufigsten Sympto-
men der Labyrinthnekrose, was aus dem Verlauf des Facialis leicht
zu erklären ist. Man kann, nach Bezold, den Verlauf des Facialis im
Schläfenbein, mit Eücksicht auf die Gefährdung des Nerven bei Aus-
stossung von Labyrinththeilen, in vier Abschnitte theilen :
TJieil I. Innerhalb des porus acusticus.
Theil II. Nur wenige mm. lang, vom Eintritt aus dem porus acust.
intern, in den Canalis Fallopiae bis zu seinem Knie. Diese ganze
Strecke liegt oberhalb der Schnecke, indess verläuft der Nerv gleich
nach dem Eintritt in den Canalis Fallopiae sehr nahe über dem obersten
Theile der ersten Schneckenwindung. Die knöcherne Zwischenwand
zwischen dem oberen Ende der ersten Schneckenwindung und dem
Anfang des Canals beträgt etwas weniger als l mm.
Theil III. Vom Knie horizontal rückwärts zuerst über der media-
len Wand der knöchernen Tuba, dann der inneren Pankenhöhlenwand
entlang bis zur zweiten bogenförmigen Umbiegung in der vertikalen
Eichtung.
Iheil IV. Von der zweiten Umbiegung bis zum foramen stylo-
mastoideum.
Was den ersten Theil innerhalb des Porus acust. int. betrifft, so wird
er durch die Ausstossung des Porus acust. intern, der Facialis und
Acusticus in der Function vernichtet.
Der zweite Theil wird trotz der innigen Nachbarschaft mit der
Cochlea durch die Necrose derselben nur ausnahmsweise dauernd,
meist nur vorübergehend in der Function bedroht.
Der dritte Theil ist in seinem Verlauf in der Nähe der Schnecke
ziemlich geschützt. Die Necrose wird aber für das in der inneren
Paukenhöhlenwand verlaufende Stück dieser Strecke gefährlich. Eine
Ausstossung grösserer Bezirke der knöchernen Vorhofswandungen,
insbesondere in Verbindung mit den Bogengängen oder auch nur ihren
Anfängen, muss den Facialiscanal selbst necrotisiren. Eine Umgehung
des Canals nach rückwärts wäre nur durch Ausstossung des Sequesters
durch das Antrum mastoideum möglich. Daher sind auch in Fällen
von Unversehrtheit des Facialis das vestibulum und die Bogengänge
nie ausgestossen worden. In Fällen von Necrose des ganzen Laby-
rinths ist jedoch der Faciahs dauernd gelähmt gewesen.
Die vierte Strecke des Canalis Fallopiae, von seiner zweiten Umbie-
gung bis zum foram. stylomastoid., braucht durch die Demarkation des
Labyrinths nicht primär zerstört zu werden, kann aber bei der Wande-
rung des Sequesters, besonders durch das Antrum, in Mitleidenschaft
gezögen werden. Ebenso wenn die Necrose sich auf die hintere Wand
377
der Paukenhöhle, den centralen Theil der Warzenzellen oder auf die
hintere knöcherne Gehörgangswand erstreckt. Der Sequester braucht
den Facialis nicht direct beim Durchtritt zu drücken oder zu zerreissen,
sondern die Compression der den Sequester umgebenden Granulationen
genügt, wie Schwartze nachgewiesen hat, um die Leitung zu unter-
brechen.
Vorübergehende Paresen oder Paralysen des Facialis kommen auch
durch einfache Fortpflanzung einer Jahre lang dauernden putriden
Eiterung durch eine Lücke des Canalis Fallopiae zu Stande. Läh-
mungen, welche durch einfache, nicht mit destructiven Knochenpro-
cessen einhergehenden Eiterungen erzeugt werden, sind sehr selten.
Da nun eine Facialislälimung in der grossen Mehrzahl der Fälle von
Labyrinthnecrose verzeichnet ist, so ist man berechtigt, in jedem Falle
von Facialis paralyse, die neben länger dauernder Mittelohreiterung
besteht, wenigstens mit grosser WahrscheinHchkeit nicht eine einfache
Oberflächeneiterung, sondern einen scJiweren destructiven Knochen-
proceas zu vermuthen, welcher wohl in der Mehrzahl der Fälle das
Labyrinth betrifft.
Die Clionla begleitet den Facialis nicht nur auf seinem ganzen Weg
durch das Schläfenbein, sondern läuft auf einem nicht viel kürzeren
Wege durch die Paukenhöhle wieder zurück. Daher wird sie auch in
allen Fällen mit durchtrennt sein, in welchen die Elimination und Wan-
derung des Sequesters zur Continuitätsunterbrechung des Facialis-
stammes führt. Häufig wird sie aber auch auf ihrer isolirten Bahn
durch Eiterung, Granulationen und durch direkte Verletzung des Se-
questers leiden. Die Chorda ist also noch viel häufiger als der Facia-
lis von der Labyrinthnecrose betroffen, obwohl die Autoren auf ihr
Verhalten wenig Rücksicht nehmen.
Die seltene Betheiligung der N. petros. superf. major, die sich im
Schiefstand der uvula nach der gesunden Seite hin zeigt, lässt sich in
seinem Verlaufe mit dem Facialis, d. h. nur im Poms acust. intern, und
im ersten kleinen Stück des Canalis Faliopiae, erklären.
Die Prognose der Labyrinthnekrose ist, wenn man die versteckte
Lage und die gefährliche Nachbarschaf t des Erkrankungsherdes, ferner
die schwere therapeutische Zugänglichkeit und die Schwierigkeit der
Sequesterelimination berücksichtigt, sowohl quoad vitam (15% Todes-
fälle) als auch quoad curam eine ganz unerwartet günstige.
Die Therapie richtet ihr Augenmark vor Allem auf die Entfernung
der Granulationen, um dem Sequester und dem Eiter möglichst Luft
zu schaffen. Dies geschieht am besten mit der kalten Schlinge und
Eingiessungen von Alkohol.
Ausserdem behandle man das Ohr mögHchst antiseptisch.
Bei Betheiligung des Warzenfortsatzes muss dieser eröffnet werden,
um den Sequester, wenn möglich, auf diesem Wege zu entfernen. Sonst
warte man ruhig, bis der Sequester sich von selbst ausstösst.
123 Ost 62. Strasse.
378
II.
Der heutige Stand der Cellularpathologie.*)
Von
Dr. C. HEITZMANN.
Redner bespricht seine Entdeckung des reticulären Baues des Pro-
toplasmas vor 20 Jahren. Trotzdem S. Stricker in Wien, vor 2 Jahren
diesen Bau in einem „grobgranulirten" farblosen Blutkörperchen auf
photo-mikrographischemWege bei 2500-facher Vergrösserung illustrirt
hat, wird jetzt noch von „Mastzellen", „grobgranuhrten Zellen", „intra-
cellulären Körnchen" u. s. w. gesprochen. Der Begriff der Zelle wurde
vom Redner vor 20 Jahren als ein unhaltbarer hingestellt, seitdem er
nachgewiesen hatte, dass in den Geioehen des Thierkörpers sämmtliche
„Zellen" unter einander durch lebende Materie verbunden sind, weil
die Grund- und Kittsubstanzen genau denselben netzförmigen Bau be-
sitzen, wie das Protoplasma. Kürzlich ist es hier in New York Herrn
Max Toch gelungen, das Netz im pflanzlichen Protoplasma und in der
Grundsubstanz des menschlichen Dentin photographisch darzustellen-
(Die Photographien werden demonstrirt). Der Kernpunkt der Cellu-
larpathologie, dass die Zellen allein leben und prohferationsfähig sind,
wird dadurch über den Haufen geworfen. Bei allen Neubildungen,
Entzündung, Geschwulstbildung u. s. w. proliferirt ausschliesslich
die lebende Materie, nicht nur der „Zellen", sondern auch der Grund-
substanz, selbstverständlich, nachdem letztere verflüssigt wurde.
Anfang dieses Jahres hat Prof. GRAWiTZ,in Greifswalde, behauptet, dass
bei der Entzündung des fibrösen Gewebes aus der Grundsubstanz
Elemente entstehen, welche er „Schlummerzellen" nannte, indem er
sich vorstellt, dass die Bündel des fibrösen Gewebes aus Zellen aufge-
baut werden, welche bei der Bildung der Grundsubstanz verschwinden
und in einen Schlummerzustand gerathen, um bei der Entzündung
wieder aufzutauchen. Shakespeare in Philadelphia beansprucht
Priorität für den Ausdruck „Schlummerzellen". Kürzlich ist Prof.
Weigert in Frankfurt den Anschauungen von Grawitz energisch ent-
gegengetreten, indem er sagt, dass die Intercellular-Pathologie mit
der Cellularpathologie unvereinbar sei. Weigert ist ein Anhänger der
CoHNHEOi'schen Emigrationslehre, und hat von der Proliferation der
Zellen im Sinne Virchow's keine Ahnung, da er die Bilder der Prolifera-
tion durch Einwanderung farbloser Blutkörperchen in die Gewebs-
zellen zu erklären versucht. Obwohl für die neuen Anschauungen des
Redners noch keine Majorität zu gewinnen war, hofft er auf deren
Sieg.
*) Autorreferat eines am 12. September 1892 in der Deutschen MediciniU
sehen Gesellschaft von New York gehaltenen Vortrages,
379
III.
Plan einer öffentlichen Heilanstalt für Tuberculose aus der
arbeitenden Classe.*)
Von
Dr. A. ROSE,
New York.
Rem in medio ponam, quae tantum habet ipsa gravitatis, ut neque
mea (quae nulla est) neque cujusquam, ad inflammandos vestros
animos, eloquentia requiratur. Cicero.
Die vorgeschrittene Erkenntniss der Krankheitsursachen, die Fort-
schritte auf dem Gebiet der Gesundheitspflege und der medicinischeii
Wissenschaften überhaupt erzwangen und erzwingen einen vollständi-
gen Umschwung in der Einrichtung unserer Krankenhäuser und Heil-
anstalten.
Der modernen besseren Erkenntniss des Wesens der Tuberculose
gegenüber jedoch fehlt es an Heilanstalten, in denen nicht bloss Bemit-
telte, sondern auch alle weniger Bemittelten, die besten Bedingungen
der Heilung finden können.
Nach dem Stand unserer Kenntnisse handelt es sich hier um clima-
tis(3he Behandlung.
Den Gedanken die Einrichtung einer öffenthchen Heilanstalt für
Tuberculose aus der arbeitenden Classe, gross genug, dass sie für die
Kranken aus weiten Länderstrecken ausreiche, anzuregen, fasste ich
vor einigen Monaten. College Tyndale kam mir bei Ausarbeitung des
Planes mit seinen Kenntnissen der climatischen Verhältnisse der Ver-
einigten Staaten zu Hülfe, und hier ist das Resultat unserer gemein-
schaftlichen Arbeit.
Es wird vorgeschlagen eine Heilanstalt für Tuberculose nach fol-
genden drei Grundsätzen ins Leben zu rufen :
1. Den Kranken die Vortheile der climatischen Behandlung in Ver-
bindung mit den als besten anerkannten anderen Methoden zu gewäh-
ren. Es soll sich hier nicht um eine solche Anstalt handeln, in
welcher die Heilung in zweiter Linie steht und in welcher ein tödtlicher
Ausgang der Krankheit vorausgesetzt wird. Es ist anzunehmen, dass
80 Prozent aller Tuberculosen heilbar sind.
2. Die climatischen Bedingungen für Heilung der Tuberculose sind
Trockenheit, Bodenhöhe, gleichmässige Temperatur. Es handelt sich
demnach um einen Platz der weit genug vom Ocean, der grossen
Quelle für Feuchtigkeit der Atmosphäre, entfernt ist, der nicht weniger
als 1500 und nicht mehr als 5000 Fuss über dem Meeresspiegel, und um
einen solchen, der mehr oder weniger südlich gelegen ist, um die
Gleich mässigkeit der Temperatur zu bieten, frei von ungewöhnlich
niederen Kältegraden im Winter.
*) Nach einem in der Deutschen Medicinischen Gesellschaft von New York
am 12. September 1892 gehaltenen Vortrag.
380
3. Unbedingt nothwendig ist eine Heilanstalt in grossem Massstabe
für Kranke mit beschränkten Mitteln. Die Wahl sollte auf einen
solchen Platz fallen, der von allen grossen Städten der atlantischen
Seeküste leicht erreichbar ist.
Einzelheiten des Vorschlags.
1. Die Heilanstalt ist vor Allem bestimmt für Kranke mit be-
schränkten Mitteln. Der Preis für Kost, Pflege und Behandlung sollte
etwa fünf Dollars per Woche nicht überschreiten. Im Laufe der Zeit
könnten besondere Einrichtungen für wohlhabende Kranke in Betracht
gezogen werden.
2. Es ist anzunehmen, dass sich viele Kranke aus den grossen
Städten der atlantischen Küste, Boston, Providence, New York, Brook-
lyn, Philadelphia, Baltimore, Washington, Richmond und des Südens
einfinden werden.
3. Die Lage sollte nicht nördlicher als die AUeghany und Blue Ridge
Mountains von Virginia und West Virginia sein. Es wäre die Gebirgs-
gegend zu wählen, welche die Grenze bildet zwischen Virginia und
West Virginia und welche nördlich sich nach Maryland erstreckt.
Alle anderen Gebirgsgegenden nördlich von den soeben beschrie-
benen, in welche an Tuberkulose Erkrankte von ihren Aerzten ent-
weder in bestehende Sanitarien, oder sich selbst überlassen, geschickt
werden, sind aus folgenden vier wichtigeu Gründen ungeeignet :
1. Die Plätze sind zu kalt im Herbst and Winter.
2. Nicht billig genug, die billigen nur für beschränkte Zahl von
Kranken.
3. Zu weit von der Heimath entfernt für die meisten Kranken.
4. In den meisten fehlt es an systematischer Behandlung.
Um diesen Nachtheilen zu begegnen werden folgende Bedingungen
an die Wahl des Platzes gestellt :
In Bezug auf Clima. Warm aber nicht heiss im Sommer: kühl
aber nicht kalt im Winter. Verhältnissmässige Trockenheit der At-
mosphäre in Folge hinreichender Entfernung vom Ocean. Bodenhöhe
1,500-2,500 Fuss über dem Meeresspiegel ; diese Höhe bedingt vermin-
derten atmosphärischen Druck und trägt gleichzeitig zur relativen
Trockenheit der Atmosphäre bei. Entsprechende Bodenhöhe sichert
gegen übermässige Sommerhitze und südliche Lage gegen übermässige
Winterkälte.
4. Die Theilnahme der Aerzte an der Ausführung des Planes ist
durch die medicinischen Gesellschaften und die medicinische Presse
anzuregen.
5. Eine Verbindung von climatischer Behandlung mit den anderen
gegenwärtig vorgeschrittenen Methoden muss Resultate ergeben,
welche grosses Interesse und Genugthuung sicheren.
6. Einer grossen Anzahl von Kranken rauss, um die Kosten der
Anstalt zu verringern, hauptsächlich aber um diese Kranken von
Trübsinn abzuhalten, Beschäftigung gegeben werden. Zu diesem
Zweck sollte ein Stück Land erworben werden, gross genug um die
881
nöthigen Bodenerzeugnisse, Gemüse, Früchte für die Anstalt zu gewin-
nen und Geflügel und Viehzucht für den Hausbedarf zu betreiben.
Es ist dies ein doppelt wichtiger Punkt, einerseits die Anstalt mit
besten frischesten Producten zu versehen, anderseits Kranken Be-
schäftigung zu geben.
Besondere Aufmerksamkeit ist dieserhalb in der Wahl des Platzes
zu beobachten dass es nicht an fruchtreichem Boden fehle.
Die einstweilen vorgeschlagene Gegend hat den Vortheil nur 12
Stunden Eisenbahnfahrt von New York entfernt zu sein.
Günstige Plätze finden sich entlang der Chesapeake und Ohio RR.
Afton und White Sulphur Springs möchten in dieser Beziehung erwähnt
werden.
Nachdem ich obigen Plan niedergeschrieben fand ich in einer täg-
lichen deutsch-amerikanischen Zeitung folgende Mittheilung, die ich
in Anschluss an meinen Vortrag wiedergebe :
Asyl fiir Tuberkulose.
„Im Kanton Bern wird seit längerer Zeit die Errichtung eines Asyls
für Tuberkulose angestrebt. Gönner und Förderer des Projekts sind
besonders die ökonomische und gemeinnützige Gesellschaft, der Ver-
ein für kirchliche Liebesthätigkeit und die medizinisch-chirurgische
Gesellschaft des Kantons Bern. Der nach Pavillonsystem projektirte
Bau soll auf Golderen (Hasliberg bei Meiringen) in sanitarisch äusserst
bevorzugter Lage errichtet und mit dem Beginn so bald als nur möglich
vorangegangen werden. Zur Ausführung des Projektes sind gegen-
wärtig 22,000 Fr. vorhanden. Die medizinisch-chirurgische Gesellschaft
des Kantons Bern hat kürzlich in ihrer ordentlichen Sommersitzung zu
Langenthal beschlossen, neuerdings einen Jahresbeitrag von 1000 Fr.
zu votiren. Natürlich genügt das vorhandene Kapital nur für die ersten
Anfänge. Dagegen ist die Hoffnung eine berechtigte, dass die Ausfüh-
rung des ganzen Projekts, das besonders den ärmeren Tuberkulösen
zu Gute kommen soll, nicht nur auf keine Schwierigkeiten stossen, son-
dern durch Legate und Geschenke von mildthätigen Privaten, Genossen-
schaften und Behörden in kürzester Zeit möglich sein werde."
lY.
lieber die Anwendung des Sprays bei der Behaudlun;? von
Magen-Krankheiten.
Von
Dr. Max Einhorn,
Privatdozent an der N. Y. Postgraduale Medical School und Arzt am Deutschen
Dispensary von New York.
Die moderne Therapie hat ihren Hauptaufschwung vielfach der lo-
calen Behandlungsmethode zu verdanken.
Auch bei der Behandlung der Magenkrankheiten sind mehrere
Wege eingeschlagen worden, um diesen Apparat direct zu beeinflussen;
382
dieselben bestehen in der Anwendung der Magenausspülungen mit
oder ohne medicamentösen Zusatz, und in der directen Application des
electrischen Stromes. Jeder Versuch die locale Behandlung des Ma-
gens zu erweitern, dürfte bei der Knappheit der Mittel, die uns dabei
zur Verfügung stehen, willkommen sein.
Vermittelst des Sprays ist man im Stande mit verhältnissmässig
geringen Flüssigkeitsmengen eine Berieselung grösserer Flächen vor-
zunehmen ; man vermag auf diese Weise differente Mittel direct zu
appliciren ohne Intoxicationserscheinungen hervorzurufen. Die
grösste Ausbeute dieser Methode ist, wie allgemein bekannt, mit viel
Erfolg bei der Behandlung der Halskrankheiten geschehen.
Es erschien mir von Wichtigkeit den Spray auch bei der Behand-
lung von Magenkrankheiten heranzuziehen. Der gewöhnliche Spray-
apparat kann in der Weise modiücirt werden, dass anstatt des Hart-
gummiarms des gewöhnlichen Apparates, ein solcher (allerdings viel
längerer) aus w^eichem Gummi geschaffen würde. Der Magenspray-
apparat besteht daher aus einem gewöhnlichen Sprayapparat, an dem
zwischen dem Hartgummisprayende (C) (1 Ctm. lang) und dem zur
Flasche laufenden Arm (A) aus Hartgummi ein weicher Nelaton'scher
Schlauch (Bj von 70 Ctm. Länge eingeschaltet ist, durch dessen Innere
ein zweiter dünner Schlauch läuft und mit dem Hartgammiende des
Capillarrohres verbunden ist.*) (S.beistehende Zeichnung.) Da der Spray
dadurch erzeugt wird, dass die durch den Ballon getriebene Luft sich
mit der Flüssigkeit vor ihrem Austritt innig vermengt und dieselbe in
Staubpartikelchen mit sich mitschleppt, so wird die benutzte Flüssig-
keit überall hinkommen müssen, wo die hineingedrängte Luft gelangt.
Ist der Magen leer, so muss beim Sprayen durch die hineingelangte
Luft eine Auftreibung des Organs stattfinden ; die hineingetriebene
Luft schleppt aber die gebrauchte Lösung überall hin mit sich fort,
und so wird das ganze Mageninnere von der Flüssigkeit getroffen.
*) Der Magensprayapparat wird von J. Reynders & Co., 303 4. Avenue,
New York, verfertigt.
383
Die Verwendung des Sprays in der Magentherapeutik dürfte viel-
leicht eine geeignete Form sein, um folgende Aufgaben zu erfüllen : 1.
Die Magenschleimhaut zu desinficiren ; 2. auf dieselbe adstringirend
zu wirken und 3. bei Gastralgien, die localer Xatur sind, (Ulcus oder
Narbe oder Carcinom) eine Analgesie hervorzubringen.
Methode.
Man kann den Magen natürlich nur in seinem leeren Zustande
besprayen ; man wird daher am besten im nüchternen Zustande des
Patienten, oder nach einer vorherigen Magenausspülung die Be-
sprayung vornehmen. Eine vorgehende Ausspülung wird stets noth-
wendig sein, sobald es sich darum handelt, desinflcirend oder adstrin-
girend zu wirken, um so zuerst die etwaige Schleimschicht und die
darin lagernden Mikroorganismen zu entfernen. Um analgesirend zu
wirken, dürfte die Ausspülung eventuell weggelassen werden können.
Nachdem man das Fläschchen des Apparates mit der gehörigen
Lösung und der einzuführenden Menge versehen hat, taucht man das
Schlauchende in warmes Wasser und führt dasselbe in den Magen des
Patienten ein ; am besten ist es, die Besprayung zu beginnen, sobald die
Entfernung des eingeführten Schlauchendes von den Schneidezähnen
des Patienten etwa 45 Ctm. beträgt ; ist die Oeffnung des Apparates
nicht von der Magenwand verdeckt, so hört man zuweilen bereits in der
Nähe des Patienten, sonst wenn man das Ohr an dieMagenwand anlegt bei
der Besprayung, den letzterer charakteristischen Ton ; sobald aber die
Oeffnung verdeckt ist, so geht gewölinlich kein Spray durch, und muss
man den Schlauch etwas weiter hineinschieben. Auch da wo der
Spray, von vorneherein gut arbeitet, wird es zweckmässig sein eine
weitere Hineinschiebung des Schlauches vorzunehmen, um so die Be-
sprayung von verschiedenen Punkten aus zu bewerkstelligen.
Ich habe nun in mehreren Fällen von dieser Methode therapeutisch
Gebrauch gemacht, und kann nur sagen, dass die Anwendung dersel-
ben leicht und gut von statten geht.
Ueber die erreichten Resultate behalte ich mir vor später, wenn ich
genügende Erfahrung über diese Behandlung gesammelt habe, Mit-
theilung zu machen.
FEUILLETON.
Aerztliche Denkwürdigkeiten aus dem Feldzug Napoleons von 1812
gegen Russland.
Von
Dr. A. ROSE.
(S c h 1 u s s.)
So weit von Scherer's Dissertation.
Unter der von mir gesammelten Literatur über den russischen
Feldzug von 1812 finden sich Aufzeichnungen des weiland königlich
preussischen Oberstlieutenants Johann von Borcke aus dem Krieger-
leben von 1806 — 1815. Es sind dies nicht eigentlich ärztliche Denk-
384
Würdigkeiten, trotzdem aber im Anschluss an die Erzählung (eines
Arztes) der Schicksale des württembergischen Korps wohl hierher ge-
hörig, indem ich das, was für Aerzte von Interesse sein kann, aus
V. Borcke's Mittheilungen über die Geschicke des westphälischeii
Korps während des russischen Feldzuges anführen will.
Johann von Borcke hat viel erlebt, gut beobachtet und Erfahrungen
gesammelt. Er befand sich gleich unserem von Scherer in unterge-
ordneten Stellungen und deshalb bringen auch seine Aeusserungen
keine Aufschlüsse über grosse Fragen der Kriegsgeschichte und Politik
seiner Zeit. Er schildert lebendig eine Fülle ewig denkwürdiger Er-
eignisse.
Er gehörte zu der grossen Zahl derjenigen Männer, welche durch den
Jähen Zusammenbruch des preussischen Staates aus gesicherten Le-
bensbedingungen in völlige Ungewissheit ihres Schicksals, in Noth und
schwere Sorge versetzt und gezwungen wurden, ihr Vaterland zu ver-
lassen, um in die Dienste eines ihnen aufgezwungenen neuen Landes-
herrn, der ein Verbündeter des französischen Unterdrückers war, zu
treten.
Von Borcke erbat und erhielt vom König von Preussen nach der
Schlacht bei Jena den Abschied als Premierlieuteuant und trat im Jahr
1808 in westphälischen Dienst, in welchem er bis zum Ende des west-
phälischen Reiches verblieb.
Ich empfehle das Lesen der v. Borcke'schen Aufzeichnungen den-
jenigen, die sich für Kulturgeschichte der westphäUschen Zeit inter-
essiren.
In den ersten Tagen des März setzte sich das zur Vereinigung mit
der grossen französischen Armee bestimmte westphälische Korps von
Kassel, woselbst die Truppen sich vorher vereinigt hatten, in Marsch.
Zwei Regimenter, das 1. und 8., waren schon im Frühjahr 1811 nach
Danzig marschirt; das 1. Linien-Regiment stiess später zum X. Armee-
korps unter Macdonald und machte den Feldzug in Kurland mit, das
8., welches nach Russland nachgeschickt wurde, erreichte das Korps
erst während des Rückzuges und ging gleich den anderen Truppen zu
Grunde. Das 4. Linien-Regiment blieb vorläufig im Lande, ging später
ebenfalls nach, traf erst, als der Rückzug bis Wilna gekommen war, bei
der Armee ein und ward hier gleichfalls vernichtet.
Das westphälische Korps bestand aus zwei Divisionen; die eine
kommandirte General v. Ochs, die andere General Tharreau. Später
tauschten die beiden Generäle mit ihren Divisionen, und als General
Tharreau bei Borodino gefallen war, führte General v. Ochs alle west-
phälischen Truppen. Die Artillerie befehligte Divisionsgeneral AUix.
Die Brigadegeneräle waren bei der Infanterie Damas, von zur Westen,
Graf Wellingerode, Danloup Verdun (kam erst in Moschaisk zum
Korps), bei der Kavallerie Wolf, v. Hammerstein, v. Lepel.
23,747 Mann westphälischer Truppen gingen nach Russland, von
diesen sind höchstens 300 OMann zurückgekehrt.
Am 24. März zog das westfälische Korps über die Elbe und richtete
seinen Marsch auf Glogau. v. Borcke litt damals an Wechselfieber und
folgte seinem Korps, indem er an Fiebertagen im Quartier blieb, an
fieberfreien nachging. Von Glogau ging er über die polnische Grenze.
Mit dem Eintritt in Polen hörte jeder Ueberüuss der Verpflegung auf
und selbst die wohlbesetzten Tafeln der Generäle verschwanden.
Schon trat Mangel ein, weil nirgends Magazine vorhanden waren. Un-
ordnung und Indisciplin begann bei den an strenge Manneszucht ge-
wöhnten Truppen sich zu zeigen, als dieselben bei armen polnischen
Bauern, die nichts geben konnten, einquartiert waren. Kein Mensch
vermochte den vielen einlaufenden Klagen abzuhelfen und schon jetzt
begann ein gefährliches Requisitionssystem im Grossen, indem ein
385
Tagesbefehl die Truppen ermächtigte, sich mit Lebensmitteln und Vieh
zum weiteren Marsch zu versehen. „Nur mit trüben Blicken," sagt
V. Borcke, „vermochte man unter solchen Umständen in die Zukunft zu
schauen. Noch war der Krieg nicht erklärt und schon liefen wir Gefahr,
zu verhungern." Die polnische Armee hatte bereits vor der Ankunft
der Westfalen ihr eignes armes Land so ausgesogen, dass für die
Nachfolgenden fast nichts mehr vorhanden war und das wenig vor-
handene mit unerbittlicher Strenge genommen werden musste.
Die Soldaten wurden auf reichere Gegenden jenseits der Weichsel
vertröstet. Diese Vertröstung, verdoppelte Strenge und Anregung des
Ehrgefühls hielten die Bande der Disciplin noch zusammen. Dazu
kam das allgemeine felsenfeste Vertrauen auf die Grösse des Feld-
herrn, der die augenblicklichen Schwierigkeiten wohl herbeigeführt, der
aber für fähig gehalten wurde, noch viel grössere mit Leichtigkeit zu
überwinden.
Mit Hülfe von Chinin war v. Borcke von seinem Wechselfleber
befreit worden, als die Westfalen Mitte Mai an der Weichsel ankamen;
Um diese Zeit traf König Jerome in Warschau ein und übernahm den
Oberbefehl über sein eignes Armeekorps, den er schon am 16. Juli,
in Folge von Zerwürfnissen mit Napoleon, niederlegte, um nach West-
falen zurückzukehren.
Am 5. Juli überschritt das westfälische Korps auf einer Ponton-
brücke den Niemen. Es sollte mit den Polen zusammen den russischen
linken Flügel unter Bagration verfolgen und Bagration den Weg nach
dem Dnjeper verlegen. Die Westfalen marschirten bei grosser Hitze
und unzulänglicher Verpflegung mit der grössten Anstrengung, ohne
dass es Jerome gelang, mit dem Gros den Feind zu erreichen. In Folge
dieser anstrengenden Märsche und der schlechten Verpflegung befand
sich das Korps bei der Ankunft am Dnjeper in höchst bedenklichem
Zustande, denn die Bataillone waren auf die Hälfte der Stärke zusam-
mengeschmolzen. Viele Soldaten waren wegen Krankheit und Ermat-
tung zurückgeblieben. Nun wurden Olficiere nach rückwärts geschickt,
um sie zu sammeln. Da es den anderen Armeekorps nicht besser ge-
gangen war, und sich gewiss alle aufgelöst hätten, wenn die Bewegungen
noch weiter fortgesetzt worden wären, so liess Napoleon einen allge-
meinen Stillstand des Vormarsches eintreten. Ein Tagesbefehl ordnete
an, dass die Korps sich sammeln, die Verluste an Material, Munition
und Pferden ersetzen und mit Lebensmitteln sich versehen sollten.
Dieser Befehl tönte aus hundert Kehlen wieder, und hundert Federn
schrieben ihn aus, aber seine Ausführung war unmöglich. Der General
wurde von den Kommandeuren täglich und stündlich mit Anfragen be-
stürmt, wo sie dies und jenes hernehmen, wie sie dies und jenes an-
fangen sollten, um den Befehlen nachzukommen. Er selbst fragte
wiederum bei den höheren Befehlshabern an, jagte die Adjutanten
halb todt, erhielt aber nie eine befriedigende Antwort, und konnte so
auch den Truppen keine geben und ihnen ebenso wenig helfen.
In den letzten Julitagen fiel ein anhaltender Kegen und der voraufge-
gangenen Hitze folgte eine so rauhe Witterung, dass die Soldaten vor
Frost zitterten und dazu in dem weichen Boden des Lagers einsanken.
Um Lebensmittel herbeizuschaffen,wurdenaus allen Waffen zusammen-
gesetzte Abtheilungen vier bis fünf Meilen weit in die Umgegend ge-
schickt, die oft einige Tage ausblieben. Gelang es diesen Kommandos
auch Lebensmittel aufzutreiben, so verzehrten die ausgehungerten Sol-
daten unterwegs schon einen bedeutenden Theil derselben, ehe sie in's
Lager zurückkamen, und wenig blieb für die Truppen übrig, besonders
da Mangel an Beförderungsmitteln die Fouragirungen erschwerte. Da
die Ausbeute derartiger Unternehmungen unzulänglich war, nahm die
386
innere Ordnung der Truppen immer mehr ab ; das durch die Noth ent-
standene Kequisitionssystem artete in Plünderung und Zerstörung aus.
Der Flecken Orscha, nach dem die Westfalen kamen, war, wie viele
Ortschaften, von seinen Bewohnern, ausser einigen Judenfamilien, ver-
lassen. Die Generale mit ihren Stäben, die Verwaltungsbeamten und
Alles, was mit oder ohne Kecht sich meist im Lager aufhielt, quartierte
sich in dem elenden Neste und einigen benachbarten, gleichfalls ver-
lassenen Klöstern ein. "Wer das Glück hatte, einen Wirth, der dann
kein Anderer als ein Jude war, zu finden, der war geborgen und in
einer beneidenswerthen Lage. Dem General v. Ochs und seinen Adju-
tanten gelang es in einem solchen Judenhause unterzukommen. Der
Wirth, ein ehrlicher, guter Mann, schaffte mehr aus Furcht und Gut-
müthigkeit, als aus Habsucht, so lange Rath zu unserem Unterhalt, als
es nur irgend möglich und etwas aufzutreiben war. Er gab, was er
hatte, und wir lernten während des ganzen Aufenthalts den wahren
Mangel nicht kennen. Als ganz zuletzt auch dem General der Mangel
fühlbarer wurde und der Jude nichts mehr geben wollte oder konnte,
da wurde dieser arme Teufel, der bis dahin mit seiner Einquartierung
in Frieden gelebt hatte, etwas hart behandelt, seine versteckten Vor-
räthe wurden ihm mit Gewalt genommen und die Leute des Generals
peinigten diesen Mann, der offenbar ihr Wohlthäter gewesen war.
Der Mangel an ausreichender und ordnungsmässiger Verpflegung
der grossen Armee, welcher mit dem Ueberschreiten der Weichsel be-
gonnen, seitdem immer sichtbarer geworden und am Dnjeper bereits
bis zum allgemeinen Elend gestiegen war, legte jedem Denkenden die
Ansicht nahe, dass in diesem Kriege kein Heil zu erwarten sei.
Am 12. August, nach mehrwöchentliche tn Aufenthalt, brach das
Westfälische Corps von Orscha auf und bewegte sich in der Richtung
auf Smolensk, Man marschirte wie im tiefsten Frieden, ohne etwas
von den Russen zu sehen. Die Verheeruog machte sich mit jedem
Schritte mehr bemerklich, die Einwohner in den Ortschaften wurden
immer seltener, so dass nicht einmal die nothwendigsten Wegweiser zu
erlangen waren. Was die russische Armee nicht zerstört hatte, was von
den mit ihr geflüchteten Einwohnern nicht mitgenommen war, das
wurde jetzt zum wilden Raube und zur Beute von den nachziehenden
hungrigen Westfalen. Ganze Dörfer r»nd ansehnliche Städte wurden
dabei eingeäschert.
Die beiden russischen Armeen, deren Vereinigung Napoleon bisher
zu verhindern gesucht, hatten Anfangs August bei Smolensk Fühlung
genommen und so nahm man an, dass es liier zur Schlacht kommen
würde. Das Westfälische Corps war bestimmt an diesem Treffen theil-
zunehmen, kam aber, da der Führer desselben, der Herzog von Abran-
tes, das Unglück hatte einen falschen Weg einzuschlagen, zu spät.
Dies war der zweite Fall, in welchem der Führer des westfähschen
Korps Napoleons Erwartungen nicht entsprochen hatte. Ein dritter
ähnlicher Fall trat in Folge der schlechten Führung des Herzogs von
Abrantes, der die ersten Spuren von Geisteskrankheit zu zeigen begann,
bald darauf ein.
Grauenhaftes Niedermetzeln eines westfähschen Bataillons im
Treffen bei Valutina und anderes Unheil war der Unfähigkeit dieses
Führers zuzuschreiben.
Vom 20. August bis 6. September folgten die Westfalen den weiteren
Bewegungen der Armee auf der grossen Landstrasse. Staub und über-
grosse Hitze machten diese Märsche höchst beschwerlich. Dabei waren
die Nächte kühl, und täghch erkrankte eine Menge Menschen und
blieb zurück, ohne dass man sich um sie kümmerte. Der Mangel an
Lebensmitteln nahm mit jedem Tage zu, da die ganze russische Armee
und sämmtliche französische Korps auf der einzigen grossen Strasse
887
sich bewegten, wobei die Westfalen sich am weitesten rückwärts be-
fanden.
Brand und Verwüstung nahmen mehr und mehr zu, die Landstriche
zwisclien Smolensk und Warschau wurden in der Breite von mehreren
Meilen gänzlich verheert.
Die Westfalen kamen durch die ziemlich bedeutenden Städte Doro-
gobusch, W.iasma und Gschatsk, die menschenleer, ausgeplündert und
niedergebrannt waren. In Dorogobusch fand v. Borcke in einem
Hause einen schwer verwundeten preussischen Husarenoffizier, schlecht
verbunden und an Allem Noth leidend. Er liess einen Wundarzt her-
beiholen und nahm sich nach Kräften des Kameraden an. Gross war
seine üeberraschung, als er, sich nach seinem Namen erkundigend,
erfuhr, dass es ein Lieutenant v. Borcke, ein Verwandter von ihm war.
Es war ein Officier, der sich durch grosse Tapferkeit ausgezeichnet
liatte ; er verlor einen Fuss, lebte aber noch im Jahre 1842 als Post-
meister.
Am 6. September Abends kamen die Westfalen auf dem Punkte an,
von welch'^m sie am andern Morgen zur Schlacht von Moschaisk oder
Borodino vorgingen. Sie brachten die ungemein kühle Nacht vom 7.
ruhig in zusammengedrängter Stellung zu. Mit Tagesanbruch kam
der Befehl, den Paradeanzug anzulegen uud sich zur Schlacht vorzu-
bereiten. Nachdem Officiere und Soldaten mit erstarrten Händen in
dem nebligen Morgen Toilette gemacht, so Mancher zum letzten Mal,
ordneten sich die Truppen und rückten vor. Der Tag sah in seinem
Verlauf die denkwürdige Schlacht, welche nach der Meinung der Fran-
zosen das Schicksal Kusslands besiegeln und das eigne Elend aufheben
sollte. Die Westfalen standen nicht mehr unter dem unmöglichen
Herzog von Abrantes, sondern unter dem Oberbefehl des Marschalls
Ney.
Die Gräuel dieser Schlacht haben die Leser schon aus den v.
Scherer'schen Schilderungen kennen gelernt. Am Abend derselben
war das westfälische Korps auf etwa 1500 Mann zusammengeschmol-
zen. Napoleon Destimmte diese zur Deckung des Schlachtfeldes, um
die Unterbringung und Zurückbeförderung der ungeheuren Massen
von Verwundeten zu besorgen, während das Heer gegen Moskau
weiter zog.
Das, was für die unglücklichen Verwundeten geschehen konnte, war
sehr wenig, denn es gebrach an allen Anstalten zu ihrer Hülfeleistung.
Es war schlecht mit dem Lazarethwesen bestellt. Die Wundärzte der
Truppen und der fliegenden Feldlazarethe verbanden und amputirten
zwar während der Schlacht wie in den folgenden Tagen eine grosse
Menge Verwundeter, aber Tausende blieben ohne Verband liegen und
starben. Es fehlte an Beförderungsmitteln, sie fortzuschaffen, denn in
den verheerten und verlassenen Ortschaften Hessen sich Wagen nicht
auftreiben ; deshalb blieben auch die meisten derjenigen, welche bereits
verbunden waren, liegen und kamen um. Die leicht Verwundeten und
die, welche nur einigermassen kriechen konnten, schleppten sich den
Truppen nach oder gingen auf gut Glück zurück, bis sie irgendwo eine
elende Hütte oder gleichfalls den Tod fanden. Viele suchten in den
seitwärts des Schlachtfeldes liegenden oft meilenweit entfernten Ort-
schaften Unterkunft, wo sie später von den umherscb wärmenden Ko-
saken aufgegriffen wurden.
Die Westfalen standen einige Tage, von Leichen und Sterbenden
umgeben, auf dem Schlachtfelde, mussten aber des Geruchs wegen
mehrmals den Platz wechseln. Die Scenen des Jammers und Elends,
die sich hier auf Schritt und Tritt darboten, spotteten jeder Beschrei-
bung, das Aechzen und Stöhnen der Verstümmelten und Sterbenden,
das die Wächter auch dann noch verfolgte, als sie sich etwas weiter cAt-
m
fernten, und das besonders bei Nacht schrecklich für das Ohr war, er-
füllte das Herz mit Grausen, v. Borcke sah, dass Soldaten solchen
Unglücklichen, die weder leben noch sterben konnten, auf ihr Bitten
mit abgewandtem Gesicht durch eine Kugel den Tod gaben. Bald be-
trachteten sie das als eine Pflicht des Mitleids und wurden von den
Offizieren dazu angeregt, solche, die nicht mehr zu retten waren, aufzu-
suchen und von ihren Qualen zu befreien. Als v. Borcke am fünften
Tage abermals das Schiachtfeld beritt, fand er Unglückliche neben
Pferdeleichen liegen, an deren Fleisch sie nagten. Nachts sah man
einzelne matte Flammen auf diesen Gefielden des Todes emporleuchten;
sie rühirten von Feuern her die von Verwundeten, die zusammengekro-
chen waren, angezündet worden, um sich vor der Kälte der Nacht zu
schützen oder ein Stück Pferdefleisch zu rösten.
Am 12. September rüclvten die Westfalen in Moschaisk ein, welches
von allen Einwohnern verlassen, ganz ausgeplündert und zur Hälfte
abgebrannt war. Während der Schlacht hatten sich mehrere Tausend
verwundete Rassen hierher geflüchtet, die nun theils todt, theils lebend,
alle Häuser des Ortes anfüllten. Verkohlte Körper lagen auf den Brand-
stätten, die Eingänge in den Ort waren fast damit verstopft. Die ein-
zige Kirche, die auf dem Marktplatz mitten im Orte stand, füllten meh-
rere Hundert Verwundete und vielleicht ebenso viele seit Tagen Ver-
storbene an. Ein Blick in diese verpestete Kirche — das Haar sträubte
sich empor, und die schon abgestumpften Gefühle erstarrten. Die
Aerzte eilten hinein, die Todten wurden auf dem Platze vor der Kirche
aufgeschichtet, so den Leidenden die erste Hülfe gebracht, Ordnung
geschaffen und nach und nach eine Art Lazareth eingerichtet. Aus den
Häusern und den Strassen mussten durch kommandirte Soldaten und
gefangene Russen die Leichen weggeschafft werden, und eine gründ-
liche Reinigung des ganzen Ortes war nöthig, ehe derselbe von den
Truppen in Besitz genommen werden konnte. Obgleich er ausser einem
einzigen steinernen, nur etwa hundert hölzerne Gebäude umfasste, so
nahm er doch jetzt das ganze Westfälische Korps auf. Nur die beiden
Husarenregimenter und das Garde-Chevauxlegers Regiment, die zusam-
men aber nicht über 300 Mann stark waren, hatten von einem benach-
barten Kloster Besitz genommen. Die beiden Kürassier Regimenter
waren mit den Franzosen nach Moskau gezogen.
Mit dem Einrücken in Moschaisk trat nun auch für die Westfalen
eine Ruhezeit ein, während in Moskau die bekannten Ereignisse sich
vollzogen. Das Schicksal der in Moschaisk gebliebenen war nicht be-
neidenswerth, aber die Reste des zerstörten Ortes boten bei dem heran-
nahenden Winter und den kalten Nächten ein Obdach, was nach den
durchgemachten Entbehrungen ungemein zur Erholung der Soldaten
beitrug. Täglich kamen Genesene und Zurückgebliebene an, eine
Menge leicht Verwundete wurde wieder dienstfähig, und so wuchs die
Stärke des Haufens auf 4500 Mann.
Als der Rückzug schon angetreten war, stiess wenige Märsche von
Moschaisk in Gscliatsk das 8. Regiment zum Korps, welches, wie schon
erwähnt ist, von Danzig aus nach Russland nachgeschickt worden war.
Es war noch gut im Stande und zählte 1000 Mann. Das Leben in Mo-
schaisk war ein beständiger Kampf um den Unterhalt. Einwohner gab
es nicht, nicht ein einziger Hund oder irgend ein anderes lebendes Thier
war zurückgeblieben ; zwar fanden sich in Häusern und Villen oder an
abgelegenen Orten vergraben noch einige Vorräthe, die aber nur dem
Finder zu Gute kamen, indessen das Städtchen für die Masse der Hun-
gernden eine Wüste war. Kleine Kommandos mussten Lebensmittel
aus der Umgegend herbeischaffen. In der ersten Zeit hatte diese Mass-
regel guten Erfolg, und mittelst der gesammelten Vorräthe fand eine
regelmässige Verpflegung statt. Aber schon längst gewohnt nur dem
389
Triebe der Selbsterhaltung zu folgen, dachte Jeder an sich ; die einzel-
nen OfiQciere schickten unter der Hand Leute zur Einholung von Le-
bensbedürfnissen aus, wobei es nicht selten zu Mord und Todtschlag
kam. So trug sich jeder möglichst viel Vorräthe für den nahenden Win-
ter zusammen. Marketender und Spekulanten begaben sich nach Mos-
kau, um aus der allgemeinen Plünderung Nutzen zu ziehen und sich in
den Besitz feinerer Bedürfnisse wie Kaffee, Zucker, Thee, Wein u. s. w,
zu setzen. Ganz grosse Vorräthe von Esswaaren, feinen Gunussmitteln
und Luxusgegenständen aller Art waren, trotz der Zerstörung von Mos-
kau, den Franzosen noch in die Hände gefallen und übten ihre Wirkung
bis in das 8 Meilen entfernte Moschaisk aus. v. Borcke war so glück-
lich einen Vorrath von Kaffee, Thee und Zucker sich zu verschaffen, so
dass er während des ganzen Aufenthaltes daran keinen Mangel litt.
Anderen davon abgeben konnte und beim Abmarsch noch für einige
Wochen genug hatte. Fleisch und besonders Brod war jedoch für die
Masse der Soldaten keineswegs hinreichend vorhanden. Es waren
vielleicht 10 Tage vergangen als die Lage derer in Moschaisk zu einer
misslicheren sich gestaltete, als nämlich die Verbindung zwischen ihnen
und Moskau durch Kosacken und bewaffnete Bauern unterbrochen
wurde, Ordonanzen blieben aus, es kamen keine Genesene mehr an,
die Nachrichten wurden immer seltener, und nach Lebensmitteln aus-
ge-^chickte Abtheilungen wurden ganz oder theilweise aufgehoben.
Am 19. Oktober begann der Eückzug der französischen Armee, der
Schlussact des grossen Trauerspiels. Am 28. langte Napoleon mit seinen
Garden, von Browsk kommend, in Moschaisk an. An deinselben Tag
brach das Westfälische Korps von Moschaisk auf und verliess den Ort
auf dem wohlbekannten Weg über das Schlachtfeld, wo das grosse
Hospital gewesen und mehrere Tausend Verwundete und Kranker la-
gen. So betraten die Westfalen, 5000 Mann stark, als Vortrab der
Franzosen wieder die unglückliche Strasse, auf welcher sie vor zwei
Monaten gekommen waren, auf der sie die grässlichsten Spuren der
Verwüstung zurückgelassen, und Elend und Entbehrungen aller Art
ertragen hatten. Der Herzog von Abrantes hatte den Befehl erhalten
das Hospital im Kloster Kolozkoje aufzuräumen, alle reisefähigen
Kranken mitzunehmen und in Ermangelung von Wagen sich derjenigen
des Korps zu bedienen. Dies geschah, soweit die Ausführung des Be-
fehls möglich war. Die grössere Zahl der Schwerverwundeten blieb lie-
gen. Was von diesen nur irgend kriechen oder sich mitschleppen
konnte und keinen Platz fand, hängte sich eine Zeit lang an Wagen
und Geschützen an, bis am Ende Alle ohne Ausnahme, der Eine früher
der Andere später, durch die zunehmende Noth, durch Hunger, Kälte,
und Entartung des Gefühls ihrer Kameraden im Stiche gelassen, umka-
men oder den Russen in die Hände fielen.
Der Zug der Westfalen langte, als Vortrab der Franzosen, nament-
lich seit dem Eintritt der grossen Kälte am 4 November, täglich mehr
mit Hunger und Kälte kämpfend, unter all dem so vielfach beschriebe-
nen Schrecknissen, am 9. November in Smolensk an. Mit Smolensk
war das Ziel der verheissenen Winterquartiere erreicht, hier erhoffte
man Ruhe und Erholung ; das bis dahin getragene Elend war beinahe
vergessen. Diese Täuschung war nur von kurzer Dauer. Napoleon
kam am 10. mit den Garden in Smolensk an, überzeugte sich aber bald
dass hier seines Bleibens nicht sein konnt»^. Es fehlte zwar nicht an
Lebensmitteln, und die Truppen erhielten Befehl, zum Empfang zu
schicken, aber die Vertheilung geschah ohne Ordnung. Die Masse der
stets nachrückenden Truppen imd der Nachzügler war zu gross; es
traten Störungen in der Vertheilung ein, welche die Beamten veranlass-
ten die Vertheilung zu unterbrechen, in der Hoffnung, dass sich Ordnung
wieder hersteUeQ würde. Nur ein kleiner 'fheil der Truppen hatte et-
390
was Mehl, Branntwein und ein wenig Brot erhalten, die grosse Mehrzahl
aber nichts. Die Folge war, dass in der Nacht vom 11. zum 12. die
Magazine geplündert wurden.
Am 12. setzten die auf 1700 Mann zusammengeschmolzenen Westfalen
den Kückmarsch nach Krasnyi fort. Napoleon mit den Garden folgte
am 13. Hinter Smolensk war eine Anhöhe zu überwinden, welche für
Bagagewagen und Geschütze des Glatteises wegen sich als unersteigbar
erwies. Die Pferde waren zu matt und zu schlecht beschlagen, um einer
solchen Anstrengung noch fähig zu sein. Alles westfälische Geschütz
und fast alle Bagage ging hier verloren. Kälte und Hunger machten
nun täglich weitere grässlichere Fortschritte ; auf dem Marsch sah
man Soldaten, die anscheinend gesund in Keihe und Glied marschierten,
plötzlich stehen bleiben, einige Augenblicke wie betrunken hin und her
schwanken und dann erstarrt zusammenstürzen. Der Kamerad, der
Freund beraubte im Augenblicke des Todes den fallenden, erstarrten
Freund, den er bis dahin mit sich fortgeschleppt hatte, um ein Klei-
dungsstück oder die wenigen Esswaren die der Gestürzte etwa bei sich
trug, zu erlangen. Bald sah man die Gräben der Landstrasse mit
nackten menschlichen Körpern angefüllt.
lieber Ljadi und Dombrowna gelangten die Westfalen am 19. bei Or-
scha an den Dnjeper. Es war für sie ein neues Schauspiel Einwohner in
ihren Häusern zu finden als sie die Grenze des alten Russlands endlich
hinter sich Hessen. Unbeschreiblich war der Eindruck der jeden, über-
haupt noch empfindungsfähigen überkam, als das Auge, welches seit
Monaten nur Ruinen gesehen, menschliche Behausungen erblickte, als
der Fuss, der bis dahin nur über Brand, Trümmer und Leichen ge-
schritten, jetzt auf litthauischem Boden stand, wo noch Menschen wohn-
ten. Gleichzeitig Hess die Kälte nach, es trat Thauwetter ein. Bei
Orscha waren zwei Brücken über den Dnjeper geschlagen, hier standen
frisch angekommene Truppen, und die Brücken waren vonGensdarmen
bewacht, welche beauftragt waren die Ordnung beim Uebergang zu
handhaben. Bald vermochten die Gensdarmen das Heer verhungerter
Menschen, welches in immer dichter nachdrängenden Haufen mit wahn-
sinnigen und verzweifelten Geberden die Brücken bestürmte, nicht mehr
aufzuhalten. Sie wichen scheu und mit Entsetzen vor diesen Massen
zurück, welche eher die Brücken zertrümmert und die sich ihnen ent-
gegenstellenden in den Staub getreten hätten, bevor sie sich hätten auf-
halten lassen.
In Orscha gab es reiche Magazine, frische Truppen und bespannte
Geschütze. So schien es, als ob mit einem Mal der grässliche Winter,
das Elend und der Hunger, ja für einzelne, die so glücklich waren, in
den Hütten des Ortes Unterkunft zu finden, die Biwaks aufhören soll-
ten. Aber das Alles war eine kurze Täuschung ; noch war das Mass
der Leiden nicht voll. Tausende von Denen, die sich bis hierher gerettet,
sollten noch fallen und der Wuth der grässlicher wiederkehrenden
Kälte, dem Schwerte des Feindes und dem furchtbarer als bisher heran-
brechenden Elend erliegen, von Borcke, in Begleitung des Generals
von Ochs, fand den Juden wieder, dessen Hütte sie im August mehrere
Wochen beherbergt hatte.
Der Rest der grossen Armee, mit dem Napoleon in Orscha einrückte,
mochte an Streitbaren noch 10 bis 12 Tausend Mann, grösstentheils
Garden, betragen. Von den Westfalen befanden sich vielleicht noch
400 Mann unter dem Gewehr. Einige 50 Tausend Unbewaffnete
schleppten sich mit der Armee fort, der Tross hatte sich verringert,
doch kam in Orscha neuer hinzu. Am 20. November wurde Orecha ver-
lassen.
Dumpf schweigend, mit zur Erde gesenktem Blick schritt der Haufe
sterbender Menschen gleich einem Leichenzug von Orscha der Beresina
301
Äu. Nur mit sich beschäftigt, im geschwächten Körper den Todeskeim
fühlend, allein durch den Erhaltungstrieb daran erinnert, dass man
noch Mensch sei, war man keiner Unterhaltung, keiner Mittheilung
gegen Kameraden und Freunde mehr fähig. Der Geist war so abge-
stumpft, dass man zum Thier herabgesunken war.
Jedermann kennt aus der Geschichte die Schreckenstage des Ueber-
ganges über die Beresina.
Nach dem Uebergange kehrte der Winter mit grösserer Strenge als
Je zuvor wieder. Wieder kennzeichneten sich die verlassenen Biwaks
durch erfrorene Menschen und Pferde. Vom 8. Dezember an stieg die
Kälte auf eine grässlicbe übernatürliche Höhe. Die Gesichter uncl lan-
gen Bärte waren ganz mit Eis überzogen, jede Bewegung der Gesichts-
muskeln verursachte Schmerz, es war kaum möglich einen Augenblick
still zu stehen, um ein Naturbedürfniss zu befriedigen. Manchem, der
dazu genöthigt war, brachte dies den Tod. Die quälende Kälte, der ver-
zehrende Hunger trieb die Soldaten zu thierischen Handlungen.
' Am 9. Dezember wurde Wilna erreicht.
Die Tage von Wilna waren kaum weniger schrecklich als die von der
Beresina.
Am 16. Dezember kam von Borcke mit seinem General von Ochs nach
Schirwind, zum ersten Mal wieder in eine preiissische Stadt.
Sie erhielten in einer der besten Häuser, bei der Wittwe eines preussi-
schen Offiziers Quartier angewiesen. Diese Dame sah die beiden mit
grossen Augen an, als sie ihr Haus betraten, imd als sie hörte, dass ein
General mit seinem Adjutanten, durch kein äusseres Abzeichen erkenn-
bar, sondern in Schafpelze und Lumpen gehüllt, voller Schmutz, vom
l^uch der Biwaks geschwärzt, mit langen Bärten, mit erfrorenen Glie-
der, ihre Gäste sein sollten. Selbstverständhch gewöhnte sich der Kör-
pern erst allmälig an das neue Leben.
Am 2. Januar 1813 langten von Borcke mit seinen Kameraden in
Thorn an, wo sie sich aus dem grossen Schiffbruch gerettet betrach-
teten.
Epidemische Krankheiten brachen in Thorn und in allen Orten an
der Weichsel aus, wohin die Trümmer der Armee kamen. Die Laza-
rethe waren überfüllt, kein Haus ohne Kranke, und der Tod hielt eine
furchtbare Nachlese. Ein Nervenfleber ergriff gleich in den ersten Ta-
gen den General v. Ochs, so dass man an seinem Aufkommen zweifeln
musste. Sein Sohn dagegen, der den ganzen Eückzug verwundet und
mit derselben Krankheit (Abdominal Typhus) belastet mitgemacht, den
der General und sein Adjutant in einem Wagen unter unglaublichen
Schwierigkeiten von Moschaisk mitgebracht, erholte sich, so dass er
seinen Vater pflegen helfen konnte.
Alles was sich von Truppen des westfälischen Korps in, Thorn ver-
sammelte, waren kaum noch 1500 Mann.
Von Thorn gelangten die Westfalen nach Krossen, demjenige Ort
an der Oder der den Trümmern des westfälischen Korps zum zweiten
Sammelpunkt bestimmt war. Hier fand sich auch der Eest der Kaval-
lerie unter General v. Hammerstein ein. Während seines Aufenthalts
in Krossen war von Borcke Zeuge der geistigen Bewegung, welche der
denkwürdigen Erhebung Preussens voranging, als die Konvention des
Generals York bekannt wurde.
Ich will hier abbrechen.
In meiner Sammlung von Aufzeichnungen solcher, die den russischen
Feldzug mitgemacht, findet sich noch Vieles das des ärzthchen Inte-
resses würdig ist, doch muss ich mir, durch andere Arbeiten verhindert,
weitere Fortsetzungen der Denkwürdigkeiten, vorausgesetzt dass die-
selben gewünscht werden, auf eine spätere Zeit versparen,
392
NEW YORKER MEDICINISCHE MONATSSCHRIFT.
Organ für praktische Aerzte in Amerika.
Eedigirt von
De. f. C. heppenheimer.
EDITORIELLE NOTIZEN.
15. October 1892.
; lieber Immunität gegen Abdominaltyphus.
Unter diesem Titel erschien eben in der „Deutschen medicinischen
Wochenschrift" eine hochinteressante Arbeit von Dr. E. Stern. G.
und F. Klemperer hatten belianntlich gezeigt, dass das Blutserum d'er
Pneumoniker nach der Krise die Eigenschaft besitze, die Pneumococ-
cenkrankheit des Kaninchens zu heilen, resp. diesem Thier Immunität
gegen -dieselbe zu verleihen. Die auf Grund dieser Thatsache ange-
stellten Versuche, die Pneumonie des Menschen durch lujection von
Serum immunisirter Kaninchen oder Blutserum resp. Exsudatflüssig-
keit von Pneumonikern nach der Krise therapeutisch zu verwerthen,
haben bereits in einigen Fällen beachtenswerthe Kesultate ergeben.
Sich anlehnend an diese erfolgreichen Versuche der Herren Klemperer
und von demselben Gedanken ausgehend, dass nämlich nach dem
kritischen Ueberstehen einer infectiösen Krankheit im Organismus
immunisirende Stoffe gegen die eben überstandene Krankheit vorhan-
den sein müssen, hat nun Stern das Verhalten des Blutes nach einge-
tretener Krise im Typhus abdominalis geprüft. Stern unterwarf fol-
gende drei Fragen einer eingehenden Prüfung :
1. Lässt sich im Blute des Menschen nach überstandenem Abdomi-
naltyphus eine erhöhte bacterientödtende Kraft gegenüber dem
Typhusbacillus nachweisen ?
2. Hat dieses Blut die Eigenschaft, auf die bei Thieren durch den
Typhusbacillus verursachte Krankheit heilend einzuwirken?
3. Vermag dieses Blut die von Typhusbacillus producirten Gifte
unschädhch zu machen?
Zu seinen vielfachen Versuchen bediente sich Stern des Blutes von
7 Typhusreconvalescenten und kam zu folgenden sehr beachtens-
werthen Kesultaten.
1. Das Blut der nach Ablauf des Typhus untersuchten Personen
hat, verglichen mit gewöhnlichem Blut, nicht nur keine gesteigerte, son-
dern in der Regel eine auffallend geringe bacterientödtende Wirkung
gegenüber dem Typhusbacillus.
2. Das Blut der Typhusreconvalescenten zeigte die Eigenschaft,
Mäuse vorder Wirkung von Typhuskulturen zu schützen.
3. Da die Wirkung der Typhusbacillen bei den Versuchsthieren, wie
allgemein angenommen wird, im wesentlichen eine toxische ist, so wird
die schützende Kraft des Serums nach überstandenem Typhus nicht
393
auf einer Abtödtung der Bacillen beruhen, sondern vielmehr in einer
speciellen Wirkung auf die Toxine, sei es, dass dasselbe diese zerstört
oder den Organismus gegen dieselben unempfindlich macht.
Stern schliesst seine Arbeit mit der Bemerkung, dass nach seinen
Versuchen, — wie bei der Pneumonie — so auch beim Typhus die
Transfusion des Blutes von Menschen, welche die Krankheit über-
standen haben, von tJierapeutischem Nutzen sein dürfte. „Für derartige
Versuche wird es allerdings zunächst immer nothwehdig sein, sich
vorher durch Thierexperimente von der Wirksamkeit des zu trans-
fundirenden Blutes zu überzeugen".
REFERATE.
Krankheiten der Circulations- und Verdauungsorgane.
Referirt von Dr. MAX EINHORN.
1. lieber Titration des Blutes. Von Dr. A. Loewy. (Centralblatt für
klin. MediciD, 1892, No. 34)
Die gewöhnliche Titration des Blutes wird bekanntlich so vorge-
nommen, dass zuerst das Blut in neutrale concentrirte Lösungen von
Mittelsalzen {NaßO^ oder MgSO^) eingetragen wird und dann die
Alkalescenz dieser Mischungen durch eine organische Säure, z. B.
Weinsäure, bestimmt wird. L. weist nun darauf hin, dass er in vielen,
nach dieser Methode vorgenommenen Prüfungen, einen zu geringen
Alkalescenzgrad vorgefunden habe; alle beobachteten Weithe blieben
mehr oder weniger hinter dem wirklichen Alkalescenzgrad zurück. L.
schlägt daher vor das Blut im lackfarbenen Zustande zu untersuchen;
zu diesem Behufe wird das Blut zuerst entweder in Eiswasser oder
noch besser in Glycerin eingeleitet, durchgemischt und in diesem
Menstruum mit Weinsäure titrirt ; als Reagenzpapier diente Lack-
moid.
2. Experimenteller Beitrag zur Lehre von der alimentären Glykosurie.
Von Dr. R. Kolisch. (Centralbl. für klin. Medicin, 1892, No. 35.)
K. hat die Function des Darmes hinsichtlich der Assimilation
von Kohlenhydraten einer directen experimentelJen Prüfung unter-
zogen. Es gelingt bekanntlich leicht Darmtheile ausser Function zu
setzen, indem die Gekrösarterien unterbunden werden. K. hat nun in
der Narkose bei vielen Hunden die Arteria meseraica sup. unterbunden
und dabei constatirt, dass in allen einzelnen Experimenten, in welchen
die Ligirung gelungen war, etwa 2 — 3 Stunden nach der gleich nach
der Operation vollbrachten Einführung von Zucker in den Mai.-'en eine
reichliche Zuckerausscheidung durch den Harn auftrat, welche 2—3
Stunden anhielt und dann wieder aufhörte. K. konnte auf diese Weise
nach Unterbindung der Arter. meser. eine bedeutende Herabsetzung
der Assimilationsgrenze für Traubenzucker nachweisen.
3. lieber einen Fall habitueller und paroxystischer Tachycardie mit
dem Ausgange in Genesung. Von Dr. P. Hampeln. (Deutsch,
med. Wochenschr. 1892, No. 35.)
H. berichtet über einen äusserst interessanten Fall von paroxysti-
scher Tachyoar die mit Ausgang in Heilung. Es handelt sich um einen
47jährigen Mann, der vor 15 Jahren nach einem acuten Gelenkrheu-
•
394
matismus eine schwere fibrinös-seröse Pericarditis durchmachte.
Seitdem war sein Puls regelmässig, aber beschleunigt, er betrug für
gewöhnlich 160-140 ; erst im Sommer 1877 ging der Puls nach einem
längeren Aufenthalte des Patienten im Kurort Nauheim auf 120 herun-
ter. Der Zustand des Patienten bUeb nun unverändert bis zum Jahre
1887, wo sich zu dieser habitutllen Tachycardie erstens Anfälle von
nervösen Herzpalpitationen, zweitens aber Attaquen im Typus von
Tachycardieparoxysmus hinzugesellten. Die Herzpalpitationen kenn-
zeichneten sich durch Beschleunigung und grössere Heftigkeit des
Herzschlages und traten nach jeder körperlichen Anstrengung ein ;
die Pulsfrequenz war dann 160-180. In einigen Secunden, oder Minu-
ten trat jedoch immer wieder Beruhigung ein. Die Anfälle von Tachy-
cardieparoxysmus traten ohne sichtbare Ursache ein ; ihr Charakter
war folgender : „Als sicheres Signal ging stets eine kurzwährende
Verminderung der Pulsfrequenz auf 100 pro Minute unter Beklem-
mungsgefühlen voraus. Plötzlich stieg dann die Frequenz auf 240,
260, ja 280 in der Minute. Dabei bemächtigte sich des Kranken leb-
hafte Angst, eine verzweifelnde Stimmung, Schweiss trat auf die Stirne.
oft stellte sich Brechneigung ein. Das Herz pulsirte regel- und gleich-
mässig, doch so heftig, dass der ganze Thorax, die Bekleidung, der
Kopf an den Erschütterungen betheiligt erschienen. Die Respiration
hingegen verlief völlig ungestört. Nachdem der Anfall, während
Patient regungslos auf seinem Lager ausharrte, 2-4-8 Stunden getobt
hatte, sank, wiederum plötzlich, wie mit einem Ruck, die Pulsfrequenz
von 240-280 auf 90 in der Minute ; das Todesgefühl wich der Empfin-
dung der Befreiung und Erlösung ; und noch eine geringe Beklem-
mung beschloss den Aufall, wie sie ihn eingeleitet hatte. Auch diese
schwand, nachdem in wenigen Minuten der Puls seine gewöhnliche
Geschwindigkeit von 130 pro Minute erreicht hatte."
Solche Anfälle hatte Patient in jedem Jahre, besonders häufig
jedoch seit dem Winter 1886-87, den er in Mentone verbrachte. Patient
erlebte dort die schreckliehe Erdbebenkatastrophe, und letztere wirkte
auf ihn derart deprimirend, dass er hypochondrisch wurde. Auf Ver-
anlassung von Hampeln wurde Patient im Sommer 1890 zum längeren
Aufenthalt nach einer Anstalt für Nervenkranke geschickt. Patient
kam etwas gebessert zurück. Nach einem schweren ^Anfall von Tachy-
cardieparoxysmus im April 1891 kehrte der Puls zu seiner Norm zurück
und blieb seitdem 74-76 pro Minute. Alle Beschwerden sind seitdem
verschwunden, und Patient konnte als vollkommen genesen betrachtet
werden.
Zur Erklärung dieses merkwürdigen Falles nimmt H. an, dass die
bei der Pericarditis zurückgebliebenen Synechien keine vollständigen
Contractionen des Cor zuliesseu, die habituelle Tachycardie hatte dann
die Bedeutung eines mechanisch compensirenden Vorganges, um die
durch das Herz in einer Zeiteinheit getriebene Blutmenge zu ver-
grösseren. Die Herzpalpitationen und die Tachycardieparoxysmen
betrachtet H. als Neurosen, für welche durch die erhöhte Leistung
sämmtlicher zum Herzen gehörenden nervösen Apparate der Boden
vorbereitet wurde.
Das Zustandekommen der Genesung erklärt H. durch eine stattge-
fundene Losreissung der Synechien.
4. Ueber die Verschiedenheit gewisser Aetzwirkungen auf lebendes und
todtes Magengewebe. Von E. Harnack ; Berl. klin. Wochenschr.
1892, No. 35.).
H. macht darauf aufmerksam, dass die Magenschleimhaut im leben-
den Organismus sich vielen ätzenden Giften gegenüber anders verhält,
als die Magenschleimhaut eines frisch verstorbenen Thieres. Er belegt
395
diese Ansicht mit folgendem an zwei Katzen gemachten Experiment:
Die eine Katze wurde stark chloroformirt, so dass sie in Folge der
Narkose bald verschied ; derselben wurde sofort 5 Cc. reinen Phenols
per Schlundsonde in den Magen gebracht. Die andere Katze wurde
weniger tief chloroformirt, und während der Narkose gleichfalls 5 Cc.
reinen Phenols per Sonde in den ]\ragen gebracht; in etwa Ii Stunden
starb das Thier unter den charakteristischen Symptomen einer Phenol-
vergiftung. Bei dem ersten Thiere war nun die ganze Schleimhaut des
Magens in eine zähe, structurlose, todte, unelastische Schorfmasse ver-
wandelt, etwa von der Beschaffenheit zähen Leders; sie war gelb
gefärbt, in starren Falten und roch intensiv nach Phenol. Die Magen-
schleimhaut des zweiten Thieres dagegen zeigte nur eine starke
sammtene Schwellung und uugleichmässige Hyperämie. Von ganz
ähnlicher Beschaffenheit war die Darmschleimhaut, ein Phenolgeruch
war an diesen Theilen nicht zu bemerken. Aus diesem Versuch ist so-
mit zu ersehen, dass die lebende Magenschleimhaut einen bestimmten
Schutz gegen die local-ätzende Wirkung verschiedener Gifte besitzt.
Kinderheilkunde. — Referirt von Dr. SARA WELT.
Injections sous-cutanees d'eau salee dans la gastro-enterite des petits
enfants. Von Dr. Paul Demieville. (Journ. de Med. de Paris,
July 1892.)
Bericht über ein 4^ Monate altes, an Gastro-enteritis erkranktes
Kind, welches mittelst subcutaner Injectionen einer sLerilisiiten, sechs
i)rozentigen Salzlösung in die beiden unteren Extremitäten geheilt
wurde. Die Menge der injicirten Flüssigkeit betrug etwa 150 Gim.
Das manuelle Verfahren ist ein sehr einfaches. D. bediente sich dabei
eines Irrigateur's mit IJm. langem Gummischlauche und einer Dieu-
lafoy'schen Nadel.
Die Menge der zu injicirenden Flüssigkeit hängt ab von dem Volu-
men der untern Extremitäten und dem Körpergewichte der Patienten ;
nöthigenfalls kann auch die Haut des Abdomens für die Einstichstelle
benutzt werden. Nach Beendigung der kleinen Operation sollen, zur
bessern Vertheiiung der Flüssigkeit, die Theile massirt werden ; und
ist letzteres für die Patienten etwas schmerzhaft.
D. ist der Ansicht dass dieses Verfahren auch bei Diphtheriekran-
ken benutzt werden sollte ; der Organismus würde dadurch besser
befähigt, den itifectiösen Elementen Widerstand zu leisten.
Die gonorrhoische Erkrankung der Mundhöhle bei Neugeborenen. Von
Dr. Dohm. (Münch. Med. Wchschrft, 1891.)
D. beobachtete diese Erkrankung bei einem reif geborenen, 8 Tage
alten Kinde. Die Kieferränder, der Zungenrücken und die hinteren
Partieen des harten Gaumens zeigten erodirte Stellen, mit graugelbem
Belag. Da die Mutter des Kindes ausgesprochene Zeichen von Gonor-
rhoe hatte und das Kind an Ophthalmo-blennorrhoe litt, wurde auch die
Erkrankung der Mundhöhle als eine gonorrhoische angesehen. Die Un-
tersuchung excidirter Stückchen Hess im Gewebe Gonococcen erkennen,
die von Fraenkel identiflcirt wurden. Nach 4 Wochen heilten die Erosio-
nen ohne weitere Behandlung ab. D. glaubt, dass die Erkrankung
schon gewiss früher gesehen wurde ; doch ist der Nachweis des gonor-
rhoischen Ursprunges hier zum ersten Male erbracht worden.
lieber die Behandlung des Laryngospasmus. Von Dr. Kuert. (Wien.
Min. Wochenschr., No. 22, 1890.).
K. machte bei einem Kinde, das im Verlaufe d-es Keuchhustens von
schweren Convulsionen und Stimmritze ukrämpfen befallen wurde, die
396
Entdeckung, dass er durch Keizung der Endfasern des trigeminus
hemmend auf den nervus laryngeus recurrens einwirken konnte. Er
machte davon beim Laryngospasmus der Kinder Gebrauch, und zwar
wurde im Beginn des Anfalles sowohl, als auch in der anfallsfreien Zeit
das in ein Gemenge von Chinin und Zucker getauchte Bartende einer
Kielfeder in eine Nasenöffnung geführt, wodurch nahezu momentan
jeder Anfall coupirt wurde. Diese Methode hatte auch eine curative
Wirkung, indem die Anfälle darnach überhaupt erloschen. Doch lässt
er, wenn auch die Anfälle sistiren, das Verfahren mehrmals des Tages,
noch durch beiläufig zwei Woclien hindurch anwenden.
Congenital Absence of both Patellae. Dr. Railton. — (Brit. Med. Journ.,
May, 1892.)
Ein neun Monate altes Mädchen, in welchem beide Kniescheiben
vollständig fehlten. Linkerseits bestand genu valgum, und eine Nei-
gung des Fusses zur Varusstellung ; und konnte das Bein so gedreht
werden, dass die Fussspitze nach hinten sah. Das Kind war leicht
rhachitisch, sonst aber vollkommen gesund.
Menstruation during Measles in a girl aged 9. By W. Gemmell. (Brit.
Med. Journal, March, 1892.)
Die Ausscheidung von Blut aus der Scheide stellte sich während der
Blüthe des Exanthems ein, und dauerte 5 Tage. Die mikroskopische
Untersuchung des Excretes ergab, dass es vorzüglich aus rothen Blut-
körperchen, Plattenepithel und Detritus zusammengesetzt war. Bei
der digitalen Untersuchung konnte weder eine Laceration, noch irgend
welche Abnormität der Scheide nachgewiesen werden. Das Mädchen
war für ihr Alter gross und stark entwickelt.
Seitdem hat sich ein blutiger Ausfluss aus der Vagina nicht wieder
eingestellt.
Zur Behandlung der Verbrennung im Kindesalter. Von Dr. Wertheimer.
(München, Mediz. Wochenschr., Aug. 1892.)
Was auch immer als die Todesursache nach Verbrennungen gelten
mag; ob es sich dabei um einen Zerfall der rothen Blutkörperchen und
Thrombosenbildung, oder ob es sich, nach den neueren Anschauungen,
um die Resorption von auf den Organismus giftig wirkenden Ptomainen
liandelt; so viel steht fest, dass die Gefahren nach Verbrennungen in
kindlichen Individuen in Folge ihrer erhöhten Sensibilität und Reflex-
erre^barkeit erhöhte sind. Um so wichtiger wird ihre Behandlung.
W. rühmt nach seinen Erfahrungen in einer Anzahl zum Theil sehr
schwerer Fälle die Anwendung der SxAHL'schen Brandsalbe (AquaCalc.
und Ol. lini oder Ol. oliv. die er dahin modiflzirt, dass er V20 bis Vio
Prozent Thymol hinzusetzt, und fand er, dass beider Anwendung dieser
thymolisirten Salbe die Wundflächen geruchlos blieben, bald eine Ten-
<lenz zur Heilung zeigten und nur wenig sichtbare Narben hinterliessen.
Wegen seiner „schmierigen Beschaffenheit" vertauscht W. das Lini-
ment in der zweiten Woche mit einer Wismuth-Borsalbe (Bismuth. sub-
niir. 9.0, Acid. boric. 4.50, Lanolin 70.0, Ol. oliv. 20.0), welche den Heilungs-
process ebenso günstig beeinflusst. Innerlich verabreicht er dabei Seda-
tive, warnt aber vor ihrer Anwendung in grossen Dosen, die leicht
coilapsähnliche Zustände herbeiführen können.
Von der Anwendung des Jodoforms hat W. wegen der Intoxications-
gefahr gänzUch Abstand genommen; er gibt aber zu, dass die als
Intoxicationssymptome gedeuteten Erscheinungen auch als Folgezu^.
ßtäncle der Verbrennung auftreten können,
397
Beobaditungen über Keuchhusten. Von Br. Berthold Ullman.
(Archiv für Kinderhlk., IV. Band, I. und II. Heft.)
Um die verschiedenen Behandlunp^smethoden des Keuchhustens
zu prüfen, hat U. Beobachtungen an 66 Kindern mit Pertussis ange-
stellt ; besondere Aufmerksamkeit wurde der Behandlung mit Bromo-
form und schwefliger Säure zugewendet. Dabei konnte er die Angaben
von Stepp utid Loewenthal über die Wirkung der neuen Mtitel nicht
bestätigen. Er fand, dass die unter Behandlung mit schwefliger Säure
oder Bromoform vorkommenden Besserungen sich auch bei der An-
wendung anderer Mittel zeigen. Die Dauer der Krankheit wurde
durch sie nicht verkürzt und das Auftreten von Kezidiven nicht ver-
hindert. Complicationen jeder Art traten auch bei ihrer Anwendung
auf und die Mortalität wurde nicht beeinflusst ; hingegen glaubt er,
dass die Inhalationen und Eäucherungen mit schwefliger Säure
manchmal Verschlimmerungen hervorrufen. Bei kleinen Kindern
mag Bromoform als Narcoticum das Allgemeinbefinden ungünstig
beeinflussen.
Hyperpyrexia in Influenza. By G-eo. 'B. Beale. (Brit. Med. Journal,
March, 1892.
B. beobachtete bei einem 18 Monate alten Kinde, das an Influenza
erkrankt war, eine Temperatur von 110°. Fat. befand sich in einem co-
matoesen Zustande. Die Athmung war rapide und oberflächlich. Nach
Anwendung von kalten Einwicklungen und Verabreichung von Anti-
febrin sank die Temperatur auf 103° ; es bestanden noch während der
nächsten & Tage leichte Fieberbewegungen ; das Kind genas.
Deutsche Medicinische Gesellschaft von New Yoik.
17 West 43. St.
Sitzung vom 6. Juni 1892.
Präsident : 0. Heitzmann.
Vorstellung von Patienten.
W. FßEUDENTHAL Stellt einen Fall von Larynxpolypen vor.
Carl Beck stellt einen Fall von Elephantenfuss vor.
Im Hinblick auf die Seltenheit des Vorkommens der Elephantiasis^
in den Vereinigten Staaten erlaube ich mir, Ihnen einen Elephanten-
fuss vorzustellen. Derselbe gehört einem 35 Jahre alten, sonst gesund
gewesenen Barbier an, bei welchem die Schwellung des rechten Unter-
schenkels die natürliche Circumferenz des linken gesunden Beines um
das nahezu dreifache übertraf. Seiner Mittheilung nach war ihm ver-
schiedentlich die Amputation angerathen worden; ich versuchte jedoch
vor sechs Wochen die Unterbindung der Feuioralarterie nach Carno-
chan, welche, wie Sie sehen, die Schwellung fast auf den Normalzustand
reducirt hat. Ob dies von Dauer ist, wird die Zukunft noch zu lehren
haben. Jedenfalls ist sehr viel Aussicht dazu vorhanden.
Discussion:
Oberndorfer fragt, wie denn der Druck auf eine Arterie eine Ver-
kleinerung zustande bringen könnte; eher hat hier einfach die Bettlage
gewirkt.
A. Seibert : Kammerer hat einen Fall von Elephantiasis zu amputi-
ren gehabt ; das Gewicht des Unterschenkels betrug etwa 50 Pfund,
und war dort die Amputation deswegen angezeigt, weil so hohe Be-
m
398
sch werden bestanden hatten; er freue sich, dass Beck nach Unterbin-
dung der Hauptarterie ein so schönes Resultat zu erreichen vermochte.
Oberndorfer hat einen Patient mit Erisypel des Kopfes beobachtet;
der Zustand am Kopfe war derselbe, wie er sich hier am Fusse vor-
findet.
Beck. Patient leidet bereits seit 8 Jahren, allein durch Bettlagen
ist niemals dieses Resultat erzielt worden. Der Druck auf die Femo-
ralarterie genügt vollkommen zur Erklärung der Geschwulstabnahme,
und es sind mehrere Fälle von Heilung nach dieser Behandlungs-
methode berichtet worden. Im Seibert'schen Falle musste natürlich
zur Operation geschritten werden.
Beck stellt ferner einen Patienten mit operirten Atheromen an der
Kopfhaut vor. Er hat die Entfernung der Atherome durch Spaltung
der Haut und Ausschälung der Atherome vorgenommen. Die Opera-
tion in dieser Weise ist äusserst leicht und die Narben kaum zu
bemerken.
Dieser Patient, aus dessen Kopfhaut ich vor 6 Wochen acht
Atherome entfernte, soll dazu dienen, Ihnen meine, vor 6 Jahren in der
„N. Y. Medicinischen Presse" veröffentlichte Methode der „subkutanen
Exstirpation" zu veranschaulichen.
Ich habein diesem Fall zwei gleich grosse Tumoren (beide von der
Grösse eines kleinen Hühnereis) ausgewählt und den einen mitteist
breiten Sclmittes, den andern nach memem Verfahren ausgeschält.
Sie werden kaum im Stande sein, trotz der verhältnissmässig
kurzen Frist, an der nach meiner Methode operirten Stelle, eine Narbe
zu entdecken, während an dem durch den breiten Schnitt eröffneten
Operationsterrain noch eine sehr dicke Narbe wahrzunehmen ist.
Meme Publikation hat wohl nur aus dem Grunde nicht die gebüh-
rende Beachtung gefunden, weil ich das Verfahren damals nicht de-
monstrirt habe und man sich schwer, ohne Augenzeuge bei der Opera-
tion zu sein, vorstellt, wie eine grosse Cyste durch eine so kleine Oeff-
nung durchgezogen werden kann.
Und doch verdiente es die Gunst der Collegen, namentlich da, wo
geringe Adhäsionen vorhanden sind und es sich um kosmetische Rück-
sichten, speziell z. B. um das Gesicht einer jungen Dame handelte.
Die Ausführung des Verfahrens, will ich noch einmal kurz skizziren.
An irgend einer Stelle des Tumors wird ein Einstich mittelst eines
Skalpels gemacht, gerade gross genug, um eine Sonde oder eine feine
Pean'sche Zange durchzulassen. Das Anstechen des Grützbeutels
selbst wird vermieden. Dann wird eine Sonde um die ganze Cirkum-
ferenz desselben geführt, um ihn von seinen Adhäsionen zu lösen.
Fühlt man, dass er frei gemacht ist, so sticht man den Grützbeutel mit
einer Pean'schen Zange an, fasst ihn derb mit derselben und übt mit
der einen Hand an ihr einen langsamen Zug aus. Zugleich quetscht
man mit der anderen Hand aus, gerade wie man den Uterus beim
Crede'schen Handgriff entleert. So kann man dann die Cyste in der-
selben Weise, wie man eine grosse intraabdominal erst verkleinerte
Ovarial Cyste durch die Bauchwunde herauszieht, den ganzen nach und
nach entleerten Beutel entwickeln. Die Höhle wird dann mit SubU-
mat irrigirt, und ein Druckverband angelegt. Nach 2, längstens 5
Tagen ist völlige Heilung eingetreten, welche bei der herkömmlichen
Methode manchmal Wochen lang in Anspruch nimmt.
Narbenbildung ist kaum erkennbar und Blutstillung und Naht sind
absolut unnöthige Dinge.
A. Seibert demonstrirt eine diphtherische Pseudomembran, die aus
der Nase herauskam, und in der Millionen von Löffler- Bacillen sich
befanden. Redner habe seit Jahren nach einem Mittel gesucht, um
Membranen auflösen zu können; in der letzten Zeit ^habe er ein solches
399
Mittel gefunden; 'es ist das Javelle- Wasser, darin löst sich eine Diph-
theriemembran in 15 Minuten vollständig auf ; untersucht man dann
das Gemisch mikroskopisch, so findet man, dass die Bacillen nicht
mehr da sind, dagegen ündet man noch Koccen. Kedner braucht vor-
läufig das JaveÜe-Wasser, um nach Behandlung von Diphtherie-
patienten seine Hände darin zu waschen.
Anknüpfend an das mikroskopische Präparat der Diphtheriemem-
bran, macht Seibert folgende Bemerkungen: Baginski übt die Methode
zur Untersuchung von Diphtherie, indem er mit den Membranstück-
chen Culturen anlegt. In Boston ist kürzlich ein Mädchen an Diph-
therie gestorben, bei der keine Bacillen gefunden worden sind. Redner
hat viele Culturen angelegt, zuweilen bekam er Stäbchen, zuweilen
Koccen. Wie kann dann der praktische Arzt aus den Culturen die
Diagnose machen ? Er habe deswegen die Culturen aufgegeben, und
untersucht deswegen die Membranen selber, nach Art der Tuberkel-
bacillen-Untersuch ung.
C. Heitzmann weist darauf hin, dass die wenigen Worte, welche Dr.
Seibert geäussert hat, von ungemein hohem praktischen Werthe seien.
Es folgt darauf die Verlesung des Protokolls vom 2. Mai, ferner das
Protokoll der letzten Verwaltungsrathssitzung.
Brettauer demonstrirte : 1) einen Ausguss der Vagina von einer
Frau, welche nach einer Blutung mit Liq. Ferr. sesquichlorat. behan-
delt worden war.
2) Ein durch Hysterectomie entferntes Uterusfibrom.
Es folgt der Vortrag von Dr. Carl Beck : „Vorstellung eines Falles
von Darmresection, nebst Bemerkungen über eingeklemmte Brüche".
(Abgedruckt in der „N. Y. Med. Monatsschrift").
Darauf der Vortrag von Dr. A. von Griäim : „Ein Fall von Gangrän
nach doppelseitiger Pneumonie, mit Vorstellung des Patienten". (Ab-
gedruckt in der August-Nummer der „N. Y. Med. Monatsschrift").
Discussion:
ToREK. Die Ursache, weswegen zu einem längeren Abwarten ge-
rathen wurde, ist die, dass früher die Schwellung grösser war, als zur
Zeit der Untersuchung; es musste hier eine Thrombose angenommen
werden, und in einem solchen Falle müsse man stets warten, damit
sich eventuell eine collaterale Circulation bilden kann. Es ist nicht
nöthig hier eine secundäre Embolie anzunehmen.
Beck betont gleichfalls, dass man mit der Amputation nicht rasch
bei der Hand sein soll, da sich eine CoUateralcirculation erst spät bil-
den kann.
Rose meint, dass das permanente Bad bei Gangrän das beste Mittel
ist, um die Circulation wieder herzustellen.
Von Grimm meint, dass die angewandten Bfeiumschläge dem per-
manenten Bade entsprechen.
Der Vortrag des Dr. Rachel wird für die nächste Sitzung ver-
schoben.
Zu neuen Mitgliedern werden vorgeschlagen :
Dr. B. Stiefel, 1186 Lexington Ave., von Dr. F. Torek, und
Dr. KiLiANi, 143 East 21. St., von Dr. C. Heitzmann.
Schluss und Vertagung.
Dr. Max Einhorn,
protokoUirender Beere tär.
400
Sitzung vom 12. September 1892.
17 West 43. St.
Präsident : C. Heitzmann.
Vorstellung von Patienten.
Dr. Tyndale stellt in Abwesenheit von Dr. Degner, einen Fall von
geheilter Tuberculose vor. Patient hatte tuberculöse Drüsen und eine
taberculöse Affection der rechten Lungenspitze : Bacillen in den Drü-
sen und im Sputum nachgewiesen. Tyndale hat nun Pat. mit Tuber-
culocidineinspritzungen behandelt, während Degner die Drüsen unter
Narkose entfernt hat. Seitdem ist der Infectionsherd verschwunden
und Patient befindet sich im geheilten Zustande, d. h. es ist ein Arrest
des Processes eingetreten; keine Expectoration.
Disc US s i o n :
Dr. Müller bemerkt, dass noch Drüsen vorhanden sind.
Dr. ToREK. Es lässt sich zwar nicht nachweisen, ob die vorhande-
nen Drüsen tuberculös sind; — dies könnte man nur nach Ausschnei-
dung derselben darthun ; — allein wenn man Drüsen in der Nähe eines
tuberculösen Herdes hat, kann man wohl annehmen, dass dieselben
tuberculös sind; ausserdem ist die ringförmige Anordnung derselben
dafür charakteristisch.
Dr. MÜLLER fragt, wieviel Tuberculocidin eingespritzt wurde ?
Tyndale. Er fing mit 0,005 an und stieg bis 0,15. Gewöhnlich ge-
nügt 0,05. Was die Drüsen anbelangt, so ist das Fühlen der Drüsen
kein Beweis, dass dies tuberculöse Herde sind.
Dr. Stürmdorf. Bei der Auscultation hört man R. H. U. feuchte
Rasselgeräusche; dies weist auf eine frische Infiltration hin.
Tyndale erwidert, dass es sich hier um frische pleuritische Adhä-
sionen handelt; er wende in solchen Fällen Jod oder Quecksilber an.
Es folgt sodann der Vortrag von Dr. Geo. Rachel :
lieber Tuberculocidin.
(Abgedruckt in der Septembernummer der „Med. Monatsschrift".)
Disc ussion :
Dr. Tyndale : Es handelt sich um 3 Momente : 1. entzündungs-
erregend, 2. heilend, 3. giftige Eigenschaften. Er steige nicht rasch;
da, wo Anämie da ist, die Ernährung keine Fortschritte macht, steige
er nicht höher. Oertliche Tuberculose kann geheilt werden, aber nicht
Aligemeintuberculose (Verdauungsstörung bildet die Hauptbeschwerde
des Patienten). Redner hat 49 Fälle von Tuberculose mit Tuberculoci-
din behandelt und gute Erfolge erzielt.
Dr. Freudenthal fragt, ob Dr. Rachel Erfahrungen hat über die
Wirkung: des Tuberculocidin auf Larynxphthise ?
Dr. Rachel bemerkt in seinem Schlusswoit, dass seine Patienten
keine Larynxphthise hatten. Redner freue sich, dass Ty^ndale eine so
grosse Erfahrung über diese Behandlungsmethode hat. Man möchte
jetzt nicht zu gering vom Tuberculocidin denken. Was die Quantität
des Tuberculocidin anbelangt, so sei er der Ansicht, dass grosse Do-
sen, wie sie von Klebs empfohlen worden sind, gebraucht werden
möchten. Es handelt sich hier um einen fortwährend fortschreitenden
Process, wo giftige Stoffe sich im Körper vorfinden; deswegen die
Nothwendigkeit grosser Dosen.
Verlesung und Annahme des Protokolls der letzten Sitzung.
Abstimmung über die vorgeschlagenen Candidaten ergiebt deren
Aufnahme als Mitglieder.
401
Es wird der Antrag gestellt, dass der nächste Sitzungsabend der
Cholera gewidmet wird. (Dieser Antrag wurde von Dr. Webek schrift-
lich eingereicht). Angenommen.
Es folgt der Vortrag von Dr. A. Rose :
Plan einer öffentlichen Heilanstalt für Tnberculose aus der
arbeitenden Classe.
(Siehe diese Nummer, Seite 379.)
D is cuss i o n :
Dr. Tyndale : Punkte dafür, die Sache ist eine edle und nützliche;
dagegen, die wirklich gute Gegend liegt in Arizona, da dort die Luft
vollkommen trocken ist. Arizona ist jedoch sehr weit entfernt, daher
ist der Plan Rose's vollkommen zu billigen.
Dr. Rose. Er glaubte, dass die Discussion eine regere sein würde !
Es handle sich natürlich nicht um eine Geschäftssache.
Als neue Mitglieder werden vorgeschlagen :
Dr. Alex. Koch, 1130 Herkimer St., Brooklyn, von Dr. C. Heitzmann.
Dr. J. WoHLFARTH, 121 East 128. St., und Dr. J. Sachs, 207 East
Broadway, von Dr. Max Einhorn.
Dr. D. Robinson, 22 Rutgers St., von Dr. M. Romm.
Sodann folgt der Vortrag von Dr. C. Heitzmann :
Der heutige Stand der Cellularpatholog^e.
(Siehe diese Nummer, Seite 378.)
Vorsitzender : Dr. Lilienthal.
Schluss und Vertagung.
Dr. Max Einhorn,
protokollirender Secretär.
Allerlei.
Die ,, American Electro-Therapeutic Association" hat soeben in der
Academy of Medicine ihre zweite jährliche Zusammenkunft vom 4.-6.
dieses Monats abgehalten. Das Programm war ausserordentlich
reichhaltig und am meisten Interesse beanspruchten die Vorträge von
Dr. W. J. Morton [Electric Cataphoresis ; Its üses in General Medicine]
und Prof. E. J. Houston [The Physics of Cataphoresis]. Von den
übrigen Vorträgen möchten wir folgende hervorheben :
The Use and Abuse of Electricity in Medicine. By Dr. A. D. Rock-
well, of New York.
The Present Status of Electrolysis in the Treatment of Strictures.
By Dr. Robert Newman, of New York.
Some Forms of Rheumatism and their Treatment. By Dr. F. von
Raitz, of New York.
Rotary Transformers for Medical Use. By Dr. R. L. Watkins, of
New York.
The Relative Foeticidal Value of the Galvanic and Faradic Cur-
rents in Ectopic Gestation, wurde in Form einer Discussion von den
Herren Rockwell, Lusk, Skene, Martin, Goelet, Smith, Brothers,
McLean, McGinnis und Backmaster eingehend besprochen.
Gleichzeitig mit der Versammlung wurde eine Ausstellung von
elektrischen Batterien und Instrumenten der bekanntesten hiesigen
Firmen abgehalten.
Wir erhalten soeben ein vorläufiges Programm des bei der nächsten
Weltausstellung in Chicago im Mai 1893 abzuhaltenden Kongresses
402
über medicinische Klimatologie. Unter den aufgestellten Thetnata
heben wir folgende hervor :
The Leading Characteristics of the CUmates of the Various States,
Countries and Sections of the World.
Relation of Climate to Consumption.
Changes of Climate Due to Cultivation. The Effects of the Destruc-
tion of Forests, and other Changes Incident to Civilized Life.
Geography of Carcinomatous and Sarcomatous Disease.
Das Comite dieses Congresses besteht aus den Herren :
T. C. DuNCAN, Präsident.
I. N. Danforth, Vice-Präsident.
L. B. Hayman, Secretär.
J. D. Hartley.
A. K. Crawford.
F. D. Marshall.
J. B. S. King.
J. A. EOBINSON.
S. A. Mc Williams.
A. L. Clark.
Ueber die Entdeckung der Wirksamkeit der antirabietischen
Impfungen bei Epilepsie durch Pasteur wird der „Wiener Med. Woch."
aus Paris geschrieben : „Im Jahre 1891 wurden zwei junge Epileptiker
von wüthenden Hunden gebissen und im Pasteur'schen Institute
behandelt. Die Behandlung war im doppelten Sinne erfolgreich, denn
die Patienten wurden auch von ihrer Epilepsie geheilt. Pasteur
theilte diese Entdeckung Charcot mit, und dieser sandte ihm vor
einigen Wochen einen veralteten Fall von Epilepsie bei einem 12jährigen
Individuum, der allen Behandlungsmethoden bisher getrotzt hatte. Es
wurden einige abgeschwächte Impfungen vorgenommen, mit dem
Erfolg, dass sechs Tage nach Beginn der Behandlung die bisher sehr
häufigen Anfälle geschwunden waren. — Es muss im ersten Momente
befremden, dass ein Zusammenhang zwischen einer Neurose, wie die
Epilepsie, und einer Krankheit herrschen soll, die durch den Eintritt
von bestimmten Mikroben ins Blut entsteht. Allein schon Vulpian hat
behauptet, dass die epileptischen Anfälle von einer erhöhten Erregbar-
keit der MeduUa oblongata abhängen, und wir wissen auch, dass die
Inkubationszeit der Hydrophobie verschieden lang ist, je nach der
Entfernung der Impfstelle von der Medulla."
Ueber einen plötzlichen Todesfall durch Eindringen eines erbroche-
nen Spulwurms in die Trachea berichten die „Archives de medecine
etc. militaires" Folgendes: Ein ganz gesunder, seit 7 Monaten im
Dienste stehender französischer Soldat klagte über Colikschmerzen und
mehrtägige Verstopfung. Ein salinisches Abführmittel wurde er-
brochen. Nach Genuss von etwas Kaffee trat neuerdings Erbrechen
auf und wenige Minuten nachher war Patient todt. Die Sektion ergab :
Alle Organe durchaus gesund. Im Dünndarm absoluter Verschluss
des Lumens durch einen colossalen aus Spulwürmern bestehenden
Ballen. — In der Trachea, unterhalb der geschwollenen Glottis, liegt
ein Spulwurm.
In Brüssel hat der Kaufmann Solvay, der bereits ein physiologisches
Laboratorium für die Brüsseler Universität auf seine Kosten erbaut
hat, neuerdings 500,000 Francs zur Errichtung eines Laboratoriums für
medizinische Physik und physiologische Chemie bei der genannten
Universität gespendet.
403
Es ist eine grosse Zahl voq namhaften Gelehrten aller Nationen z\l
dem Zweclc zusammengetreten, eine Sammlung zur Errichtung eines
Denkmals für den grossen Physiologen Prof. Ernst v. Brücke, der
bekanntlich im Beginn dieses Jahres verstarb, einzuleiten. Das Denk-
mal soll im Arkadenhofe der Wiener Universität, an welcher der Hin-
geschiedeue mehr als 40 Jahre gewirkt hat, aufgestellt werden. — Zu-
sendimgen sind bis Ende Juli d. J. an Prof. S. Exner, Wien, IX.,
Schwarzspanierstrasse 17, zu richten.
Prof. Klebs hat die Berufung nach Chicago abgelehnt. Derselbe
praktizirt gegenwärtig in Zürich und beabsichtigt im Herbste d. J. nach
Karlsruhe überzusiedeln.
Die Gefahren des Genusses der Milch kranker Thiere und ihre
Vorbeug^ngsmassregeln behandelt Baum in einer sehr ausführlichen,
auf zahlreiche Versuche sich stützenden und die gesammte bisherige
Litteratur (232 Nummern) vervverthenden Arbeit, welche im „ Arch. für
Thierheilk." (1892, Bd. 18, Heft 3) erschienen ist. Die Milch stellt einen
ausserordentlich günstigen Nährboden für Mikroorganismen der ver-
schiedensten Art dar, und es können durch sie alle Infectionskrank-
heiten übertragen werden. Was zunächst die Maul- und Klauenseuche
betrifft, so ruft der Genuss ungekochter Milch von an dieser Affection
erkrackten Thieren bei anderen Hausthieren die gleiche Erkrankung
oder eine heftige Gastroenteritis oder seltener eine Kombination beider
hervor. Beim erwachsenen Menschen wird durch eine derartige Milch
und den aus ihr gewonnenen Produkten eine Erkrankung mit folgenden
Symptomen erzeugt: mässiges Fieber, allgemeine Körperschwäche,
Jucken in den Händen und Fingern, Schwellung der Mundschleimhaut,
Auftreten kleiner, gelblich-weisser, schmerzhafter Bläschen im Munde,
die bald platzen und kleine, in einigen Tagen verheilende Geschwüre
hinterlassen. Seltener : ein ähnlicher Bläschenausschlag an den Hän-
den und Fingern oder sonstwo am Körper, brennende Schmerzen im
Munde, heftiger Durst und Diarrhoen. Viel häufiger als bei Erwachse-
nen ereignen sich naturgemäss derartige Infectionen bei Kindern. Die
Krankheitserscheinungen sind hier ähnlich denen bei Thieren und
bestehen entweder in einem Bläschenausschlag der Mundhöhle oder
einer Gastroenteritis oder seltener in einer Kombination beider. Durch-
gehend erkranken aber Kinder viel schwerer als Erwachsene oder
erliegen auch nicht selten dem Leiden. Durch gekochte Milch findet
keine Infection statt. Zeigt die Milch maul- und klauenseuchekranker
Thiere aber bereits ein verändertes Aussehen und gerinnt sie beim
Erwärmen bald, so werden die Keime nicht mit Sicherheit durch das
Kochen zerstört, solche Milch ist daher ebenfalls vom Genuss auszu-
schliessen. Von grösserer Gefahr ist die Tuberkulose der Thiere. Wie
Impfversuche des Verfassers ergeben haben, hat sich die Milch tuber-
kulöser Kühe in 60 — 70 Prozent aller Fälle als infectiös erwiesen.
Nahezu in allen Fällen war die Milch infectiös von Kühen mit genereller
Tuberkulose oder mit Tuberkulose des Euters. Die Infectionsfähigkeit
geht auch auf die Produkte der Milch über. Geringer erwies sich die
Infectiosität bei Fütterungsversuchen, woraus hervorgeht, dass die
Gefahren des Genusses tuberkulös inficirter Milch nicht ganz so grosS'
sind, wie man a priori annehmen würde. Immerhin ist die Möglichkeit
einer Infection auf diesem Wege vorhanden und in vielen Fällen auch'
erwiesen. Diese Gefahr ist um so grösser, je weniger wirkungsfähig
der Magensaft und je wenigsr widerstandsfähig der Verdauungskanal
ist, denn der Magensaft und die im Darrnkanal sich abspielenden Fäul-
nissprocesse hemmen die Lebenskraft der Tuberkelbacillen. Da, wie
Versuche ergeben haben, das Kochen nicht immer die Virulenz der
Milch tuberliulOsej: Thiejre vernichtet, 90 |§t auch die gekochte Milc^:
Äolcher Thiere vom Genuss auszuschliessen. Jede Milchkuh soll, bevor
sie als solche eingestellt wird, mit Tuberkulin geimpft werden. Tritt
danach eine Temperaturerhöhung von 0,6° auf, so ist das Thier als
tuberkulös verdächtig von dem genannten Zweck auszuschliessen.
Auch eine Uebertragung von Milzbrand und Tollwuth durch die Milch
ist erwiesen, von Lungenseuche wahrscheinlich. Die Thiere scheiden
ferner in der Milch gewisse Giftstoffe aus, die ihnen als Arznei ver-
abreicht worden sind, z. B. Arsenik, Blei, Jod, Kupfer, Quecksilber,
Opium, Morphium, etc. Die Milch von Thieren, die mit derartigen
Medikamenten behandelt werden müssen, ist ebenfalls vom Genuss
auszuschliessen. Die Milch kann auch schädlich wirken infolge Ver-
änderung ihrer chemischen Beschaffenheit. Eine solche Veränderung
wird herbeigeführt durch alle Eutererkrankungen, alle Krankheiten des
Verdauungskanal, alle fieberhaften Affectionen, die Zeit vor und nach
dem Kalben (die sog. Biestmilch, fünf Tage vor und fünf Tage nach dem
Kalben). Es ist dringend nothwendig, dass polizeilicherseits die Mass-
regeln zur Verhütung der Gefahren, die aus dem Genuss der Milch von
kranken Thieren entstehen können, in dem bei den einzelnen Abschnitten
angedeuteten Sinne festgestellt, resp. erweitert und ergänzt werden.
Privatim ist durch Belehrung dahin zu wirken, dass die Milch stets nur
in gekocktem oder sterilisirtem Zustand genossen wird, und dass
niemals die Milch einer einzigen Kuh, sondern stets ein Gemisch von
Milch mehrerer Thiere, sog. Sammelmilch zur Verwendung gelangt.
Der zweite Jahresbericht des unter Leitung von Dr. P. Gibier
stehenden hiesigen „Pasteur-Instituts" zum Schutz gegen Hydrophobie
ergiebt, dass anti-hydrophobische Behandlung in 113 Fällen ange-
wandt wurde, nachdem die Hydrophobie der betreffenden Thiere
erwiesen war. Bedürftige wurden gratis behandelt. Von den 298 im
Institute in den letzten zwei Jahren Behandelten starben nur drei an
Hydrophobie, was 0,66 Prozent entspricht.
Im Gegensatz zu der gewöhnlich geübten Chloroformnarkose mit-
telst grosser Gaben in Zwischenräumen, befürwortet Gisevius die ste-
tige und tropfenweise Anwendung des Chloroforms. Auf eine gewöhn-
liche Flanellmaske, die Nase und Mund gleichmässig bedeckt, wird
langsam tropfenweise aus einem Tropffläschchen ununterbrochen
Chloroform geträufelt. Die Maske wird nicht gelüftet. Nach 5 bis 10
Minuten tritt Narkose ein, die beliebig lange durch Auftröpfeln gerin-
ger Mengen in mässigen Zwischenräumen unterhalten werden kann.
Ausserordentlich wichtig ist es dabei, dass der Patient vor dem Er-
löschen der Reflexe vollkommen unberührt gelassen werde und dass
im Operationssaal absolute Ruhe herrsche. Die Vorzüge dieser
Methode bestehen zunächst im Beginn der Narkose in dem Wegfallen
der für den Kranken so lästigen Reizungen der Schleimhäute (kein
Husten, keine Salivation) und im Nichtvorhandensein eines eigent-
lichen Excitationsstadiums. Auch das Stadium der tiefen Narkose,
welche mit sehr geringen Mengen Chloroform unterhalten wird, ver-
läuft ruhiger und gefahrloser. Die durchschnittliche Menge des bei
dieser Methode verwendeten Chloroforms ist bedeutend geringer, als
bei der alten Methode (früher etwas über 1,0 in der Minute, jetzt nur
0,6). Der Zustand beim Erwachen aus der Narkose ist viel ange-
nehmer. Alle Beschwerden treten viel milder auf, bes. fehlt das fast
unstillbare Erbrechen. Gerade bei langdauernden schweren Opera-
tionen treten die Vortheile dieser Methode besonders hervor, da in den
weiteren Stadien der Narkose minimale Mengen von Chloroform
genügen. Deorepide Personen vertragen grössere Operationen bedeu-
tend leichter, als früher. Auch bei den Potatornarkosen fehlt bei die-
405
ser Methode die E^citation oder dieselbe ist sehr gering, auch die
Gefahr etwa eintretenden Collapses ist nicht so gross. Endlich macht
diese Methode der Narkose die vorläufige Injection von Morphium
überflüssig.
G. Sticker empfiehlt in der Wiener klin. Wochenschr. 1891 bei der
Abortivtherapie der Gallensteinkrankheiten die Belladonna als Mittel,
welches neben einer schraerzen-lindernden Wirkung in der Kolik die
der Steinwanderung entgegenstehenden activen Widerstände des
Organismus eliminirt. Die Belladonna hebt die der Steinwanderung
entpregenstehenden Sphincterverschlüsse durch Lähmung der Sphincter-
muskeln auf, ohne die treibenden Kräfte, vor allem ohne die Detrusor-
wirkung der Gallenblase zu schwächen. Verf. benutzt statt der ein-
fachen Morphiumlösung eine Morphiumlösung mit Atropinzusatz (im
Verhältniss von 0,01 Morph. 0,001 Atropin). Die Linderung soll dal)ei
zuverlässiger und freier von üblen Nebenwirkungen und Nachwir-
kungen eintreten. Als Bedingungen für die Anwendung der Belladonna
sieht St. folgende an:
Eintreten oder Herannahen einer Kolik, oder auch mehrtägige Ein-
klemmung des Steines mit häufigen Kolikanfällen ; Abwesenheit jedes
Symptomes, welches auf die Complication der Kolik mit tieferen Ge-
websläsionen, also auf einen atypischen Verlauf derselben schliessen
Hesse ; Abwesenheit von Collapserscheinungen, wie sie infolge zu
grosser Schmerzen auftreten. Als Hilfsmittel der Belladonna dienen
warme Getränke, warme Umschläge auf die Gallenblasengegend, mit-
imter ein warmes Bad oder auch Zusatz von Spirit aeth. nitrosi zum
Bei ladonnarecept.
Der Belladonnadarreichung (per os) muss häufig ein Abführungs-
mittel folgen oder combinirt werden (Ricinusöl, Rheum, Senna).
Innerlich wendet Verf. das Infus der Blätter oder die wässrige
Lösung des Extracts an. Die Dosis der Folia Belladonna ist 0,5 — 1.5
G. (!) in 6—12 Stunden derart, dass vor Beginn des Kolikanfalles alle
^ — 1 Stuuden ein Esslöffel des Infuses von 1,0—1,5:150,0 gereiclit wird.
Die Menge des Extractes entspricht dem zehnten Theil der Gabe von
den Blättern, also 0,05—0,15 im Tage oder 0,005—0,015 pro dosi.
Auf Grund seiner mit Lysol angestellten Versuche kommt W. Ger-
lach zu folpreuden Schlüssen :
1) Das Lysol ist nicht allein in Reinkulturen, sondern auch in Bak-
teriengemischen wirksamer als Carbolsäure und Creolin.
2) Die Desinfection der Hände gelingt bei ausschliesslicher Verwen-
dung einer 1 procentigen Lysollösung ohne Anwendung von Seife.
3) Zum Keimfreiraachen infectiöser Sputa und Stühle leistet es bei
Weitem mehr als alle übrigen Desinfectionsmittel.
4) Durch Besprengen der Wände mittelst 3 procent. Lösung werden
dieselben keimfrei gemacht.
5) Das Lysol ist von den Antisepticis, welche sich bezüglich ihrer
Wirksamkeit mit demselben vergleichen lassen (bes. Carbolsäure,
Creolin, Sublimat) das bei weitem ungiftigste.
Büchertisch.
Zur Aetiologie der Cystitis. Von Dr. Julius Schnitzler. (Aus dem
Institut für pathologische Histologie und Pathologie in Wien.
Wien und Leipzig, Wilhelm BraumuUer, 1892.)
Der Zusammenhang zwischen Infection des Blaseninhaltes und
Entzündung der Blasen wand bildet den Gegenstand einer Reihe von
406
Arbeiten, von welchen als die letzte und inhaltsreichste die des däni-
schen Chirurgen Rovsing zu nennen ist. Nach ihm ist jede Blasen-
entzündung, abgesehen von den durch Medicam ente hervorgerufenen
Irritationszuständen, durch Microben verursacht. Neben dem Ein-
dringen der Microben ist eine mechanische Läsion der Blasenschleim-
haut oder eine Retention des Urines zum Znstandekommen der Cysti-
tis nöthig. Was nun die Microben betrifft, so muss, nach Rovsing, Jede
Bacterienart, die Blaseukatarrh hervorrufen kann, die Fähigkeit
besitzen, Harnstoff in kohlensaures Ammoniak zu zersetzen.
Nur der Tuberkelbacillus macht davon eine Ausnahme, insofern er
eine eiterige Cystitis anregen kann, ohne Harnstoff zersetzende Eigen-
schaften zu besitzen. Daraus folgt, (wenn die Prämisse richtig wäre)
dass jede eitrige Cystitis mit sauerem Urin, tuberciilöser Natur ist.
Die Untersuchungen des Verfassers betreffen 25 Fälle von Cystitis
mit ammoniakalisciiem Harn, der unter antiseptischen Kautelen ent-
nommen, in sterilisirten Gefässen aufgafangen und unter Watte ver-
scliluss, sodass, falls der Urin nicht schon ammoniakalisch entleert
wurde, die nach einigen Stunden aufgetretene Entwicklung des kohlen-
saueren Ammoniaks nur auf Rechnung der rnit dem Urin bereits ent-
leerten Bacterien gesetzt werden kann.
Auf die Details der Untersuchungen bedauert Ref. nicht eingehen
zu können.
In 17 Fällen gelang es dem Verfasser als Erreger der Cystitis einen
Bacillus, raeist in Reincultur, aus dem Urin zu züchten, dessen Iden-
tität mit dem Proteus Hauser er nachweist.
Ueberimpfungen auf Kaninchen, Meerschweinchen und weisse
Mäuse zeigen, dass dem genannten Bacillus infectiöse Eigenschaften
bei Thieren zukommen.
Wenn auch beim Menschen eine strenge infectiöse Wirkung im
Sinne Koch 's nicht einwandsfrei bewiesen ist, so spricht nach dam Ver-
fasser der Umstand, dass der Proteus von ihm 17 mal gezüchtet wurde,
dafür, dass diesem Bacillus eine aetiologische Rolle bei der eiterigen
Cystitis zufällt.
Der Proteus Hauser ist kein habitueller Urethralbewohner, zer-
setzt den Harnstoff im Urin sehr rasch und fällt in Folge dessen der
pilztödtenden Eigenschaft, die nur dem saueren Urin zukommt, nicht
zum Opfer.
Bezüglich der anderen Bacterienarten, die Verfasser bei der Cystitis
fand, glaubt er, dass sie keine derartige Aehnlichkeit mit den bisher
bekannt gewordenen Urethralbacterien haben, dass ihr Ursprung aus
der Urethra sichergestellt wäre.
Jedenfalls kann auch durch Bacterien, die den Harnstoff nicht zer-
setzen, z. B. durch den Streptococcus pyogenes, eiterige Cystitis ent-
stehen. Sauerer Harn bei Cystitis beweist keineswegs stets die tuber-
culöse Natur des letzteren. Ziemlich abrupt stellt Verfasser als das
Resultat seiner Untersuchunoren den Sat;; auf, dass zum Entstehen
einer Cystitis ausser der Einführung der Bacterien nicht immer eine
mechanische Verletzung oder eine Retentio urinae nöthig sei. Unter
gewissen Umständen, namentlich wenn die Bacterien sich rasch in der
Blase vermehren, kann auch ohne die beiden erwähnten Hülfsmomente
die Einführung der Bacterien allein eine eiterige Blasenentzündung
hervorrufen.
Symptomatologie und Histologie der Hautkrankheiten. Von Leloir
und Vidal. (In deutscher Bearbeitung von Schiff. Hamburg und
Leipzig : Leopold Voss.
Den Inhalt der zweiten Lieferung bilden Atrophie der Haut, Beule
der warnten Länder, Camties, iß^cteridieu, Milzbrand, Keloid, Colloid-
'407
Milium, Hühnerauge, Hauthora, Cystitercus und Dermatitides afolia-
tivae.
Die beigegebenen sechs Tafeln sind musterhaft ausgeführt. Refe-
rent bedauert, dass zwischen dem Erscheinen der ersten und zweiten
Lieferung zwei volle Jahre verflossen sind. Da das Werk in neun Lie-
ferungen erscheinen soll, so ist wohl zu wünschen, dass die folgenden
Lieferungen in rascherer Folge kommen. Goldenberg.
Tabellen zum Gebrauch bei mikroskopischen Arbeiten. Von Wilhelm
Behrens. (Zweite neubearbeitete Auflage. Braunschweig. Harald
Bruhn, 1892.)
Diese Tabellen sind für den Mikroskopiker und Arzt sehr nützhch.
Es ist eine Art Lexicon für alle bei mikroBkopischeu Arbeiten in Be-
tracht kommenden Fragen. Man findet darin die Löslichkeitsverhält-
nisse verschiedener Stoffe, namentlich aber von Farben, Balsamen,
Harzen etc. Genau angegeben sind die verschiedensten Tinctions-
mittel und Tinctionsmethoden, ferner die mikrochemischen Reagentien
und Reaktionen. Ein Abschnitt behandelt „Vorschriften für Mikro-
photographie."
Klinische Zeit- und Streitfragen. Herausgegeben von Prof. Dr. J.
Schnitzler. Bd. IV., Heft 1 und 2 : üeber Erfolge und Misserfolge
in der medizinisch-chirurgischen Praxis. Von Dr. A. Kuehner.
Heft 3 : üeber Neuralgien und neuralgische Affectionen und deren
Behandlung. Von Prof. Dr. Moriz Benedikt. Heft 4 : Die Heil-
wirkung der Elektricität bei Nervenkrankheiten. Von Dr. med-
DarmWicHMAN. Heft 5 und 6 : Klinische Mittheilungen über
RALFocclusionen. Von Prof. Dr. Hofmokl.
Briefkasten.
New Havbn, Conn., 28. Sept., 1892.
Werther Herr Collega!
Als Folge einer einberufenen Versammlung der deutschen Aerzte
im Staate Connecticut wurde am 27ten September a.c. in New Häven
die „Deutsche Medizinische Gesellschaft des Staates Connecticut" ge-
gründet. Zweck der Gesellschaft ist :
Vereinigung der Aerzte deutscher Schule im Staate zur Pflege der
medizinischen Wissenschaft durch Vorträge, entsprechende Mitthei-
lungen aus der Praxis, Berichte über die Fortschritte in der Heilkunde
und gesellschaftliche Zusammenkünfte zur Wahrung der Standesinte-
essen.
Die in der Versammlung gewählten Beamte sind : Präsident, Dr. R.
Clemens, Bridgeport ; Secretär, Dr. W. Sprenger, New Häven ; Qusestor,
D. E. L. Weiss, Ansonia. Censoren : Dr. Otto Niedner, Danbury ; Dr.
H. Steudel, Birmingham.
Naturgemäss ist die Mitgliederzahl noch eine geringe, doch haben
wir begründete Hoffnung auf stetigen Zuwachs.
Die Versammlungen finden am 2ten Freitag jedes Monats statt.
Mit coUegialem Grusse, zeichne
Dr. Sprenger, Secretär.
Wir wünschen der neu gegründeten Deutschen Medicinischen Gesell-
schaft des Staates Connecticut viel Glück und Erfolg und hoffen mit
wissenschaftlichen Beiträgen derselben oft beehrt zu werden.
Redaotion.
408
Personalien.
Verzogen : Dr. Herman Koenig, nach 705 Lexington Ave., zwischen
57. und 58. Strasse.
Dr. M. Komm nach No. 117 7. Strasse.
Dr. H. Lilienthal nach No. 43 Ost 29. Strasse.
Dr. JuL. Hoffmann nach No. 238 Ost 53. Strasse.
Dr. Max Einhorn.
Stellvertretender Redakteur, 107 E. 65. St.
An die Leser.
Geschäftliche Zmchriften, Geldsendungen, Bestellungen u. s. w., sind
zu richten an : " Medical Monthly Publishing Co.," 17 — 27 Vandewater
Street, New York.
Manuscripte, Wechselblätter und Anfragen bezüglich des Inhaltes
sind an den Herausgeber zu richten.
Herr Karl Kahler, unser einziger Vertreter, ist eben im Interesse
unseres Blattes im Osten thätig. Da derselbe dieses Jahr nicht reisen
wird, so erweisen uns die geehrten Abonnenten einen grossen Gefallen,
wenn sie ihren Abonnements-Beitrag einsenden.
Billig zu verkaufen.
"Woods Complete Medical Library, 100 Volumes'* gebunden und
neu. Nähere Auskunft ertheilt.
Medical Monthly Pübl. Co.
27 Vandewater Str.
New York:er
Medicinische Monatsschrift.
Organ für praktische Aerzte in Amerika
unter Mitwirkung von
Dr. A. F. Buechler, Dr. Geo. Degner, Dr. Max Einhorn, Dr. Jos. W. Gleitsmann,
Dr. Geo. W. Jacoby, Dr. F. Krug, Dr. S. J. Meitzer, Dr. Willy Meyer,
Dr. C. A. von Ramdohr, Dr. A. Schapringer, Dr. A. Seibert
herausgegeben von
Dr. P. C. HEPPENHEIMER.
Verlag der Medical Monthly Publisliing Company, 17-27 Vandewater Street, N. Y^
Bd. IV. New York. 15 November, 1892. ^0. 11.
ORIGINALARBEITEN.
1.
Psychologische Erscheinungen in Dementia Epileptica.
Von
HUGO ENGEL. A. M., M. D.,
Mitglied der Am. Aeademy of Medicine, " etc.
Die epileptische Dementia, eine Krankheit, auf die ich schon vor
einigen Monaten die Aufmerksamkeit der Kollegen richtete,*) hat
besondere sie kennzeichnende Merkmale. Im Kindesalter entsteht
eine rapide Verknöcherung der Schädelknochen, welche der natürlichen
Ausdehnung des Gehirns in der wichtigsten Lebensperiode einen un-
überwindlichen Widerstand leistet. Das Leiden wird dadurch erkannt,
dass in einem bisher normal entwickelten Kinde plötzlich Convulsionen
von dem Character der epilepsia gravier auftreten und dass zu gleicher
Zeit (ein Fachmann würde schon lange vorher eine träge geistige
Thätigkeit beobachtet haben) ein Stillstand jeder weiteren intellektuel-
len Entwicklung eintritt, welche beiden abnormalen Zustände schliess-
lich zu dem Symptomen-Complex der vollständigen epileptischen
Dementia führen. Für das Bild der letzteren, die diagnostischen
Hauptpunkte und die chirurgische Behandlung muss ich auf die er-
wähnten Artikel verweisen. Hier gedenke ich allein eine eigenthümliche
Störung des psychischen Daseins näher in Betracht zu ziehen, nachdem
ich die Knochenerkrankung etwas eingehender erwähnt habe.
* Mental Improvement following Operation on the skull. ,,Med. News,»*
April 23d, 1892, und Dementia Epileptica, ,, New York Med. Kecord," June 4th,
1892.
410
Die Krankheit beruht auf einer Bildungsstörung. Sie entwickelt sich
stets im Kindesalter und hat am häufigsten ihren Anfang zwischen dem
zweiten und siebenten Lebensjahre, Nach meiner Ueberzeugung, deren
Bestimmtheit mit meiner wachsenden Erfahrung zunimmt, ist die erste
und alleinige Bedingung für den Ausbruch der Krankheit eine patholo-
gische Veränderung in dem Wachsthum der Schädelknochen. Ob diese
auf einer allgemeinen Nahrungsstörung beruht oder ganz lokaler
Natur ist, mag schwer zu entscheiden sein. Auf der einen Seite ist es
befremdend, dass eine allgemeine Ernährungsstörung, die Knochen-
gebilde betreffend, sich allein in den Schädelknochen äussern soll, und
doch sind die Fälle häufig, in denen eine allgemeine Störung der Art
ihren Ausdruck nur in einer Verdickung einer oder mehrerer Epiphysen,
manchmal nur der der Vorderarmknochen oder der des Schlüsselbeines
findet, während kein einziger anderer Knochen die geringste Spur einer
pathologischen Formation zeigt. Es mag deshalb wohl der Fall sein,
dass die hier besprochene Knochenerkrankung von einer allgemeinen
Nahrungsstörung abhängt. Ebenso ist es möglich, dass gewisse cen-
trale Vasomotor-Erregungen die lokale Entwicklung des Leidens in
den Schädelknochen bedingen.
Wie dem auch sei, der pathologische Zustand, der uns zuerst in die
Augen fällt, und der in den allerjüngsten Fällen seine Vollkommenheit
schon erreicht hat, ist eine eigenthümliche Aenderung in den gesamm-
ten Knochen des Cranium. Die Knochensubstanz ist arm an organi-
schen Substanzen, während die mineralischen Bestandtheile im Ueber-
schusse vorhanden sind. Der Knochen ist deshalb kreidiger Natur
und sehr verdickt. In einzelnen von meinen Fällen war diese Ueber-
wucherung der erdigen Masse im Knochen so stark, und hatte so früh
begonnen und sich so schnell verbreitet, dass sie gegen Ende des
zweiten Lebensjahres die grosse Fontanelle In eine massive und über
den Kest des Cranium hervorragende kreidige Knochenplatte umge-
wandelt hatte. Hier muss der Anfang des Leidens vor dem Schlüsse
der Fontanelle stattgefunden haben. Beim gesunden Kinde finden wir
stets, ungefähr im siebenten Lebensjahre, an Stelle der früheren
grossen Fontanelle eine Vertiefung, und die Knochenhülle daselbst ist
sehr zart und dünn und enthält gewöhnlich die organischen Substanzen
im Ueberschuss, so dass an diesem Orte nur eine einzige glatte lamina
ohne Diploe zu bestehen scheint, von deren Mitte aus die etwas hervor-
tretenden Nähte radiiren. Bei der Krankheit, die wir hier betrachten,
hat die verdünnte und gesenkte Stelle den Charakter eines dicken her-
vortretenden Höckers angenommen, so dass der Schädel hier den Ein-
druck einer gewissen Starrheit macht ; er sieht aus, als ob von Nach-
geben keine Spur wäre und als ob statt umgebenden Veränderungen
sich anzupassen, der Theil den Zweck hätte, alles ,WachsthUm der
unter ihm liegenden weichen Hirnmasse zu verhüten und jeder Aus-
dehnung der letzteren einen unüberwindlichen Widerstand zu setzen.
Dieser Punkt, d. h. diese abnorme Knochenentwicklung und diese
Starrheit, hauptsächlich in der Gegend der grossen Fontanelle, ist von
411
Wichtigkeit in diagnostischer sowohl als in prognostischer Beziehung.
Nach meiner allerdings nicht massgeblichen Meinung ist die hier
berührte Krankheit nicht gegenwärtig, wenn dieser pathologische
Knochenbestand abwesend ist. Wir haben es dann mit einem anderen
Leiden zu thun.
Obgleich nun diese abnorme Knochenwucherung in der angedeuteten
Region ihren stärksten Ausdruck hat, habe ich sie doch überall am
Cranium vorgefunden, wo ich behufs einer Operation am Gehirne eine
Oeffnung im Schädel machen musste. Einmal vorhanden, an einer
Stelle beobachtet, dann ist das Leiden auch über sämmtliche Schädel-
knochen verbreitet ; aber am mächtigsten entwickelt, am weitesten
vorgeschritten wird man es stets am Orte der grossen Fontanelle
finden.
Wie erwähnt, entwickelt sich dieser pathologische Zustand in den
Schädelknochen sehr früh, vor Verknöcherung der Näthe und wahr-
scheinlich stets vor Schluss, der Fontanelle, während sein weiterer
Gang, obgleich meistens ein rapider und schnell zur Erstarrung des
ganzen Cranium führender, in den verschiedenen Fällen sehr variirt
und deshalb manchmal langsamer, manchmal rascher seinem Ziele
zustrebt, und zu den betreffenden Symptomen — gestörte geistige Thätig-
keit und epileptische Anfälle — Anlass gibt, sobald die Krankheit, die
fortschreitende Verknöcherung, einen gewissen Grad erreicht hat. In
seltenen Fällen ist der Fortschritt des pathologischen Zustandes so
schleichend, dass das die Ausdehnung des Gehirns verhütende Hinder-
niss seine bemerkbare Wirkung erst gegen das zehnte Lebensjahr hin
auszuüben scheint, obgleich ich der Ueberzeugung bin, dass in allen
diesen Fällen ein aufmerksamer Beobachter Störungen im Intellect des
Kranken schon früher entdeckt haben würde. Aber ob der weitere
Gang des Leidens ein langsamer oder schneller, die unmittelbaren
Folgen der einmal vollendeten Verknöcherung sind immer dieselben.
Die Natur hat alle nur möglichen Massregeln getroffen, der Hirn-
masse Raum zu schaffen, und während sie den Sitz unseres Denk-
vermögens durch die knöcherne Hülle zu schützen sucht, hat sie die
letztere in den ersten Lebensjahren so eingerichtet, dass dem Gehirne
Gelegenheit zum weiteren Wachsthum und genügend Raum zur Aus-
breitung und Entwicklung gegeben sind. Die Fontanellen, die offenen
Näthe, die eigenthümliche Struktur der letzteren, die Zusammensetzung
der Knochen selbst im jugendlichen Alter, das lange Hinausschieben
der Verknöcherung der endlichen letzten Stelle, der sella turcica, bis
etwa zum 25. Lebensjahre und das Vorkommen von Höhlen, die wie die
der Stirne zum Nachgeben speciell eingerichtet sind : alle diese deuten
den gemeinsamen Zweck an : dem Gehirn so viel wie möglich Raum zu
schaffen und seine Entwicklung zu befördern, aber demselben dennoch
genügend Schutz gegen etwaige Verletzungen zu verleihen.
Dieser weise Zweck der Natur, in so manigfacher Richtung hin
wirkend, wird in der in Rede stehenden Krankheit vereitelt. Gerade
um die Zeit, wenn die ersten Eindrücke von der Aussenwelt dem Ge-
•
412
hirne den ersten Eeiz geben, wenn jeder neue Schritt vorwärts der
letzteren eine bestimmte Richtung anweist ; wenn der Keim sich zu
entfalten beginnt, da erhebt sich ein Widerstand ; starr und unbeweg-
lich gleich einer Mauer stellt sich die feste Knochenmasse aller Aus-
dehnung entgegen ; gehemmt ist aller Fortschritt ; verhütet der Urplan
der Natur, und alle die schweren Folgen einer Hemmung in der Ent-
wicklung des Hauptorgans des Systems machen sich alsbald bemerk-
lich.
So klar schien diese Ansicht mir in manchen Fällen erwiesen, dass
ich sie nicht mehr Theorie, sondern eine Thatsache, ein festgestelltes
Factum der Wissenschaft nennen musste. Fälle sind unter meine Be-
handlung gekommen, wo ich z. B. in einem zwölfjährigen Knaben genau
feststellen konnte, bis zu welchem Jahre die normale Entwicklung des
Gehirns unbehindert fortgeschritten war; wie dann von der Zeit an
bis zu wieder einer bestimmten Periode dieser Entwicklung sich mehr
und mehr ein Hinderniss entgegengestellt und wie endlich die starre
Obstruktion jede weitere Entwicklung von einem gewissen Zeitpunkte
an bis zur Jetztzeit absolut verhütet hatte.
Die unausbleiblichen Folgen eines solchen Hemmnisses sind nicht
allein ein Stillstand jeder weiteren intellektuellen Entwickelung, nicht
allein ein Verharren im Status quo, sondern noch ein viel gefährlicherer
Zustand. Aus keinen Krankheitsfällen können wir das Bestehen von
regulirenden Hemmungscentren besser ableiten, als aus denen der
epileptischen Demention. Um wieder mit dem schon einmal citirten
Beispiele zu illustriren, was ich zu deuten wünsche, will ich erwähnen,
dass bei diesem Knaben sein Intellekt sowohl wie sein Gemüth bis zu
dem ersten Stadium in der Entwicklung des Hindernisses seinen Eltern
Freude bereiteten. In der zweiten Periode, während welcher nur we-
nige Fortschritte gemacht wurden, machte sich eine eigenthümliche
Gereiztheit kund. Der Knabe wurde launisch, und die frühere un-
schuldige Freude, die er am Spiele hatte, seine Lust zu Vergnügungen,
Aeusserungen der Anhänglichkeit und der Dankbarkeit hörten mehr
und mehr auf. Aber in dem letzten Zeiträume zeigte es sich klar, wie
allen schlechten Leidenschaften die Zügel genommen waren. Der ge-
meine Gesichtsausdruck, der Gebrauch gemeiner Schimpf worte, das
patzige Benehmen, die Neigung zum Stehlen und Betrügen, das gänz-
liche Verschwinden jeder Offenbarung edler Triebe und Gefühle, das
totale Erlöschen des Gemüthes, alle deuteten nur zu klar an, dass die
Hemmungscentren zu existiren aufgehört hatten. In der Brust Aller
schläft Etwas von thierischer Natur ; da liegen so manche leidenschaft-
liche Regungen begraben ; aber Erziehung, der veredelnde Einfluss des
Umganges mit guten Menschen errichten einen Zaun um jene, und es
sind die Hemmungscentren, die uns verhindern, unseren Leidenschaf-
ten freien Lauf zu lassen.
Hier ist ein junger Mann allein mit einem anständigen Mädchen ;
der thierisehe Trieb erwacht in ihm, und doch bändigt er denselben ;
das Mädchen ist der Gefahr entronnen ! Trotzdem die gelegentliche
413
Ausübung des „Lyach"-Gesetzes solchen „Viechern" eine Warnung
sein sollte, wie oft hören wir nicht, dass ein brutaler Neger seine
Leidenschaft nicht zu bändigen wusste. Der an einem Baumzweige
oder Laternenpfahle befestigte Strick, an dem er am Halse hängt, ist
die Strafe für seine Attacke auf ein weisses Mädchen ! Wie schwach
war bei ihm die Hemmungs-Funktion?
Wenn in Folge von Unglücksfällen oder von wilder Spekulation das
Haupt einer alten Firma den Sturz der letzteren kommen sieht und der
Drang zum Selbstmorde stärker und stärker sich fühlbar macht,
warum geben Einzelne dem Drange nach, während Andere mit Auf-
bietung ihrer Willenskraft die schon erfasste Pistole unbenutzt von
sich schleudern ?
A. und B. sitzen in einer Gesellschaft zusammen und ergötzen sich
an der edlen „Johannisberger Auslese". Da fängt A. an, die Wirkung
zu spüren ; er gedenkt aller möglichen Folgen, des Schadens an seiner
Eeputation oder der Gardinen-Predigt, falls er nachgiebt und zu viel
trinkt, und Nichts kann ihn bewegen, einen Schluck mehr zu nehmen,
während B., dem vielleicht auf einen Augenblick dieselben Gedanken
durch sein Gehirn flogen, der Welt Trotz bietet und sich „vollsäuft".
A. wird auf eine kurze Zeit in einem Zimmer allein gelassen, in wel-
chem auf einem Tische viele Dollars zerstreut umherliegen. Der Ge-
danke, das Geld anzurühren, entweder steigt gar nicht in ihm auf oder
ein Etwas hält ihn ab, sich einen Cent von dem anzueignen, was ihm
nicht gehört. B. dagegen kann der Versuchung nicht widerstehen,
einige Dollars finden den Weg in seine Tasche, und wenn unentdeckt
gebheben, macht er sich später keine Gewissensbisse, oder, je nach
seinem Charakter, das Gewissen wird der Mahner !
Was in diesen Fällen uns abhält, Unrecht zu thun ; was, wenn
schwächer in uns entwickelt, oder wenn überwunden durch zu heftige
Neigungen uns das Unrecht begehen lässt ; die cerebralen Funktio-
nen, die das entscheiden, liegen in den vorderen Hirnlappen. Und
wenn deren Entwickeluog behindert ist, dann werden diese Hem-
mungscentren geschwächt und zuletzt, mit dem Erlöschen ihrer Funk-
tionen, gewinnen die thierischen Leidenschaften und alle Laster die
Oberhand.
Der geistige Zustand bei den an epileptischer Dementia leidenden
Kranken liefert einen klaren Beweis dafür. Während der die weitere
Hirnentwicklung beeinträchtigende Widerstand mehr und mehr zu-
nimmt, werden hier in umgekehrter Weise die Hemmungseinflüsse
stetig schwächer, bis sie endlich total aufhören, und der Mensch, dem
Thiere ähnlich, sich hauptsächlich durch seine Zügellosigkeit aus-
zeichnet.
Das Kesultat der Behandlung bestärkt diese Ansicht noch mehr.
Sobald das Hinderniss entfernt und damit den am Wachsthum verhin-
derten Centren die Gelegenheit zur erneuerten Entwicklung wieder-
gegeben ist, treten die Hemmungseinflüsse auch sofort in ihre Funk-
tionen wieder ein. Derselbe Weg, der einst abwärts den Kranken dem
414
Abgrunde gänzlicher Versumpfung zuführte, bringt ihn jetzt schnell
den Berg hinauf, bis die Spitze wieder erreicht ist.
Eine sehr interessante Frage, deren Erledigung uns hier zu weit
führen würde, ist die : ob die erwähnten Funktionen nicht vielleicht
durch Vasomotor-Centren regulirt werden, ob nicht eine Funktion
„zügellos" wird und zur Leidenschaft ausartet, wenn das regulirende
Centrum eine grössere Menge arteriellen Blutes den betreffenden
Zellen in der grauen Kinde zuströmen lässt, während bei normaler
Ausübung der Funktion des Centrum die Zufuhr von Blut beschränkt
wird, ob nicht vielleicht bei zu starker Reizung einer Zelle — Erwachen
der Leidenschaft — das betreffende Vasomotor-Centrum in einem in
Folge dessen durch Rückwirkung gereizten Zustande die Blutzufuhr
abschneidet und dadurch die Explosion verhindert — das Gewissen
erwacht ! Die Frage ist dann : ist der regulirende Reiz ein rein
mechanischer oder wo ist der Theil, der ein solches Vasomotor-Cen-
trum regulirt ? Mögen Andere die Beantwortung versuchen !
Es mag sein, dass bei der metaboUschen Thätigkeit der Zelle diese
Thätigkeit selbst, oder vielmehr der Grad der Intensität derselben, je
nach dem Verbrauche oder Bedarf e die Quantität der Blutzufuhr be-
stimmt, und dass sobald eine Zelle oder eine zusammenwirkende An-
zahl von Zellen auf solche Weise einen grösseren Reichthum an
arterieller Zufuhr beansprucht, das regulirende Vasomotor-Centrum
sofort den dann wo anders im Gehirn entstandenen und durch Störung
des Gleichgewichts hervorgerufenen Mangel spürt, und dass die Wir-
kung des letzteren den Reiz ausübt, welcher die Abschneidung der
Zufuhr bedingt : die Anregung in uns wird mächtig, aber das Gewissen
— der centrale Hemmungseinfluss und die resultirende mangelnde
Zufuhr — verhindert uns, der Regung nachzugeben. Die Nahrung-
Zufuhr bleibt aus ; der metabolische Process steht still, und die
Thätigkeit der Zelle, die eben noch so stark zu f unktioniren versprach,
— und mit ihr die Leidenschaft — erlischt !
Die epileptische Dementia und der oft wunderbare Erfolg der behufs
Heilung in geeigneten Fällen unternommenen Operation illustriren das
Gesagte. Der durch die starre Knochenmasse ausgeübte Druck ist am
stärksten in der Gegend der vorderen und oberen Theile der Vorder-
lappen des Gehirns ausgeprägt. Wenn das von der Krankheit befallene
Individuum nicht mehr im Stande ist, seine thierischen Impulse zu
zähmen, und wenn es seinen lasterhaften Neigungen freien Lauf lässt,
dann können wir den Process schwer durch die Annahme von der Bil-
dung neuer Centren erklären. Nur eine Theorie kann hier die richtige
sein : dass die Ausübung der Funktionen der regulirenden Hemmungs-
centren durch den starren Widerstand der alles Wachsthum des Ge-
hirns verhindernden Knochenmasse verhütet ist. Die Entfernung der
Obstruktion, wenn zeitig genug vorgenommen, gestattet das Erwachen
der eingeschlafenen Centren ; und die Funktionen der letzteren, die
Ausübung der regulirenden und den zügellosen Lauf unserer Leiden-
schaften verhindernden Hemmungseinflüsse treten in ihre alte Thätig-
415
keit wieder ein. Und da diese Einflüsse sich gewöhnlich schon binnen
einer Woche nach der erfolgreichen Operation auf's Neue kundgeben,
kann auch hier nicht von erneuerter Erziehung die Rede sein.
Nur in einer Beziehung müssen diese Annahmen vielleicht be-
schränkt werden : die Leistungsfähigkeit der hier in Betracht kom-
menden Verbindungsfasern (associating) mag die Störung erlitten ha-
ben, während das Centrum unberührt, sein Impetus nur nicht weiter
geleitet ist. Für praktische Zwecke wäre dieser Unterschied nicht
gross. Aber die Gegenwart von epileptischen Anfällen weist auf einen
Druck der Eindensubstanz hin, weshalb wir eher eine Störung von
Zellenfunktion, denn eine solche von Nervenleitung anzunehmen be-
rechtigt sind.
Philadelphia, October 1892.
II.
Die Aetiologie und Prophylaxis der Cholera Asiatica.*
Von
Dr. LOUIS HEITZMANN,
New York.
Bis zum Jahre 1884 als Egbert Koch seine bald über die ganze
Welt bekannt gewordene Arbeit über die Spirillen der Asiatischen
Cholera veröffentlichte, war die Aetiologie der Krankheit in Dunkel
gehüllt. Schon bald nach dem ersten authentischen Auftreten der
Cholera in Europa, welches um das Jahr 1830 stattfand, wurden
Theorien übör deren Entstehung laut, welche zur Zeit viele Anhänger
fanden.
Eine der bekanntesten damaligen Arbeiten war die " Theorie der
orientalischen Cholera" von Dr. C. Grueneberg, welche im Jahre 1836
erschien. Es ist sehr interessant wie das Entstehen der so gefürch-
teten Krankheit gedeutet wurde. Dieser Autor sagt : „Die Krank-
heitsursache steht auf irgend eine Art mit der Atmosphäre in Verbin-
dung und gehorcht dem Gesetz der Schwere. Desshalb ist diese
Krankheitsursache ein Stoff, und zwar ein ganz neuer, eigenthümlicher,
mit der Luft verbundener, ponderabeler ; dieser Stoff, keiner der bis-
her bekannten Urstoffe, muss durch einen chemischen Prozess ent-
standen sein, und da kein chemischer Prozess ohne einen elektrischen
gedacht werden kann, und zugleich zur Zeit des ersten Entstehens der
Cholera in Ostindien viele Erscheinungen nur durch ein gestörtes Ver-
hältniss der atmosphärischen Elektricität hervorgebracht werden
konnten, so kann man daraus folgern, dass auch die elektrische Materie
sich mit dem ponderabelen Stoffe verbunden hat und besteht das
* Vortrag gehalten in der Deutschen Medicinischen Gesellschaft der Stadt
New York am 3. Oktober 1892.
416
Wesen der Cholera demnach in einer Yerkohlstoffung des Organismus
und einer Störung der normalen Verhältnisse seiner Elektricität, her-
vorgebracht durch den ihm mitgetheilten, mit negativer Elektricität
verbundenen Kohlenstoff." „Der negativ elektrische Kohlenstoff oder
das Choleramiasma kann sich durch die Kespirationswege, Schlund,
Darmkanal oder Hautoberfläche dem Organismus mittheilen und zwar
als kohlensaures Gas, Kohlenstoffoxyd gas, oder Kohlenwasserstoffgas
und dadurch die verschiedenen Hauptformen der Krankheit bedin-
gen „Gelegenheitsursache ist bei der Cholera Alles, was die Er-
zeugung des Kohlen- und Wasserstoffes ausserhalb des Organismus
begünstigt und das normale Verhältniss der atmosphärischen Elek-
tricität stört, daher Feuchtigkeit des Bodeus, bedingt durch Nähe von
Flüssen, Sümpfen, stehenden Wassern; Zusammenleben vieler Men-
schen an einem Orte ; Misswachs und gestörte Vegetation, Hitze, Süd-
und Westwind, Fäulniss vegetabilischer Substanzen, Erdbeben, vul-
kanische Ausbrüche, Kegen, Nebel und Lichtmangel."
Jahrelang wurde die Lehre von dem Choleragas als die richtige
anerkannt. In 1854 jedoch sagte der berühmte Wiener Lehrer Skoda :
„Es dürfte sich kühn behaupten lassen, dass das Cholera- Agens keine
Gasart sei, dass weder das Wasser noch die Nahrungsmittel ein
solches bergen, dass endlich die bisher gemachten Beobachtungen
über Elektricität i:;^d Magnetismus nichts konstantes und haltbares
gezeigt haben. Die Ursache der Cholera ist entweder eine Potenz, für
welche bisher unter allen uns bekannten Kräften kein Analogen
existirt, oder ein organisches Miasma, oder am wahrscheinlichsten ein
organisches Contagium, welches in seiner Wirkungsweise dem Blat-
terncontagium ähnelt."
Im darauffolgendem Jahre 1855 erschien die bahnbrechende Arbeit
von Pettenkofer „Untersuchungen und Beobachtungen über die
Verbreitungsart der Cholera", in welcher er die Beschaffenheit des
Bodens als wichtigen Faktor bei dem Entstehen der Cholera in Mün-
chen bespricht und erklärt. Er sagt : Ueberblickt man den Gang der
Cholera-Epidemie, so gewinnt man die Ueberzeugung von dem wich-
tigen Einflüsse, welchen die Terrainverhältnisse auf die Entwickelung
und Ausbreitung der Epidemie äusserten, wie namentlich hoch und
trocken gelegene Orte in weit geringerem Masse litten als tief und
feucht gelegene. Von besonderer Wichtigkeit war, dass diejenigen
Häuser und Strassen zunächst und am meisten litten, welche in Mul-
den gelegen sind und deren lockeres Erdreich von der aus den defek-
ten Kloaken oder Unrathsgruben ausgesickerten und in Zersetzung
begriffenen Flüssigkeit reichlich getränkt war. Hierzu gehört ein
zweiter Faktor, die speciflschen Cholera- Ausleerungen." Pettenkofer
stellte folgende Theorie auf : „Nicht die den Cholera-Keim tragenden
Exkremente an sich vermitteln bei ihrer Aufnahme in den Organismus
die Cholera-Genese, sondern die Exhalationen, welche sich aus dem in
porösen Boden gedrungenen und fein vertheilten Ausleerungen bei
dem stetig fortgehenden Fäulniss- und Verwes ungsprocesse ent-
417
wickeln, und eben hier durch den specifischen Cholera-Keim eigen-
thümlich modifizirt neben den übrigen Ausdünstungen als Cholera-
Miasma hervortreten. Es ist dabei vollkommen gleichgültig, welcher
Substanz der Keimboden angehört, wesentlich ist nur dass er feucht
und mit verwesenden Cholera-Ausleerungen imprägnirt ist, und unter
dieser Voraussetzung kann poröses Holz, Leinwand und ähnliche
Stoffe ebenso wie ein Haufen Erde einen Keimboden für das Cholera-
Miasma abgeben."
Schon seit Anfang der 50er-Jahre also wurde ein spezifischer Cho-
lera-Pilz als Ursache der Krankheit vermuthet, doch führte keiner der
zahlreichen Versuche zu einem sicheren Eesultat. Es wurde allge-
mein angenommen, dass dieser Pilz zu den Protomyceten, wahrschein-
lich zu den mehr kugeligen gehöre, welcher sich sowohl in der Luft
wie besonders im Wasser stark vermehre, obgleich die Verbreitung
durch die Luft nicht als Hauptmoment betrachtet wurde. Ferner
wurde schon damals angenommen, dass selbst eine reiche Entwickelung
des Pilzes, besonders im Wasser, durch Ueberwucherung von unschäd-
lichen Fäulniss- und Gährangs-Bakterien vollständig zerstört werden
könne, bevor eine ausgiebige Berührung mit dem menschlichen Or-
ganismus stattgefunden hat. Dadurch versuchte man die auffallende
Thatsache zu erklären dass an manchen Plätzen trotz scheinbar gün-
stigen Umständen die Entwickelung der Seuche nicht recht zu Stande
kommt. Genauer wurden Mikroorganismen bei Cholera von Pacini
im Jahre 1854 und Klob in 1867 beschrieben.
So standen die Sachen als Robert Koch, welchen die deutsche
Reichsregierung an die Spitze einer im Jahre 1883 zur Erforschung
der Cholera nach Egypten und Indien entsandten Commission gestellt
hatte, ein der echten Cholera eigenthümliches Bakterium in seinem
Kommabacillus der Cholera Asiatica nachweisen konnte. Er fand in
der Darmwand selbst, im submucösen Gewebe und im Inneren der
tubulösen Drüsen, Bacillen, welche schon nach ihrem regelmässigen
Vorkommen in unzähligen beobachteten Fällen mit den Krankheitser-
scheinungen in festem Zusam nenhange zu stehen schienen, jedoch
legte er zuerst kein Gewicht auf eines ihrer her vorstechendsten Merk
male, die Krümmung. Bald fiel ihm aber dieses Kennzeichen auf und
richtete er sofort seine schärfste Aufmerksamkeit auf diese besondere
Gestalt der Mikrobe. Zahlreiche Untersuchungen und Autopsien,
besonders bei der heftigen Epidemie in Calcutta, führten ihn bald zu
der Ueberzeugung, dass diese Mikroben immer in gewissen Perioden
der Krankheit vorhanden sind, und gelang es ihm durch künstliche
Züchtung dieselben zu isoUren und in Reinkultur darzustellen. Die
Lehre Koch's, dass in seinem Kommabacillus der Cholera Asiatica die
einzige Ursache der Krankheit zu erbhcken sei, wurde zuerst von nur
sehr wenigen Forschern als richtig anerkannt ; jedoch zahlreiche
Nachuntersuchungen ergaben bald die Richtigkeit seiner Behauptung,
und neutigen Tages wird wohl kaum Jemand daran zweifeln, dass der
Kommabacillus die einzige Ursache der so gefürchteten und doch leicht
418
zu verhindernden Krankheit ist. Im Blut oder anderen Organen ausser
dem Darm konnten die Kommabacillen trotz sorgfältigster Unter-
suchung nie nachgewiesen werden.
Durch die mikroskopische Untersuchung allein ist es nicht möglich
das Spirillum der asiatischen Cholera mit Bestimmtheit zu erkennen,
da andere Spirillen, zum Beispiel der Finkler und PRiOR'sche Komma-
bacillus der Cholera nostras, der von Gamaleia, im Darminhalt des
Hausgeflügels gefundene Vibrio Metchnihjf, oder das von Denecke
aus altem Käse cultivirte Spirillum tyrogenum, selbst für das geübteste
Auge zuweilen von den echten Kocn'schen Kommabacillen nicht zu
unterscheiden sind. Dazu sind Kulturen nöthig und wächst das
KocH'sche Spirillum ganz charakteristisch in Gelatinkulturen, so zwar
dass dieselben mit nichts anderem verwechselt werden können.
Zum Nachweis der Kommabacillen werden entweder frische Dejec-
tionen benützt, womöglich solche von mehlsuppenartiger Beschaffen-
heit, oder Wäsche die mit Dejectionen beschmutzt ist, oder der bei der
Section entnommene Inhalt des Ileums. Koch hat beobachtet, dass
auf feuchter Leinwand oder feuchter Erde zuerst gewöhnlich eine
starke Vermehrung der Spirillen eintrat, und erst nach mehreren Tagen
dieselben von anderen Bakterien überwuchert werden. Daher sind
Betttücher und Unterwäsche, selbst wenn schon einige Zeit aufbewahrt,
in der Regel noch gut zum Nachweis der Spirillen geeignet.
Die mikroskopische Untersuchung erfolgt dadurch, dass ein Tropfen
der Dejection, am besten eines der kleinen Schleimflöckchen, die ge-
wöhnlich in grosser Menge in der trüben Dejectionsflüssigkeit enthal-
ten sind und die Kommabacillen am reichlichsten beherbergen, auf
einem gereinigten Deckglase mittelst Platindrahtes ausgebreitet, ge-
trocknet, dreimal durcn die Flamme gezogen und mit einer der ge-
wöhnlichen Anilinfarben, am besten einer wässerigen Fuchsin- oder
alkalischen Methylenblaulösung, gefärbt wird. Die für manche Ba-
cillen sehr geeignete GRAM'sche Färbung kann für die Cholera-Bacillen
nicht angewendet werden, da dieselben dabei die Farbe verlieren.
Wenn die Kommabacillen nur spärlich vorhanden, oder wegen der
grossen Anzahl anderer Bakterien nicht zu erkennen sind, empfiehlt
sich das von Schottelius angegebene Verfahren zur Isoliruug : Man
vermengt 100 — 200 Ccm. der verdächtigen Dejecta mit etwa der dop-
pelten Menge leicht alkalischer Fleischbrühe, rührt das Ganze um und
schüttet es in ein offenes hohes Glassgefäss, welches man 12 Stunden an
einem warmen Orte, bei 30—40*^ C. aufbewahrt. Die sehr beweglichen
Kommabacillen haben sich nach dieser Zeit an der Oberfläche der
Flüssigkeit angesammelt und stark vermehrt, so dass man sie fast aus-
schliesslich in Eeinkulturen erhält.
Unter dem Mikroskope sehen wir die Choleramikrobien hauptsäch-
lich in Form leicht gekrümmter Stäbchen, welche etwa ^ oder | so laug
wie die Tuberkelbacillen, aber dicker als diese, sind. Die jüngsten
Spirillen zeigen nur eine sehr geringe oder gar keine Krümmung ; die
älteren erscheinen deutlich gekrümmt, bald nur einen flachen Bogen,
419
bald einen förmlichen Halbkreis bildend. Oft begegnet man den S
Formen, welche dadurch entstehen, dass zwei mit entgegengesetzter
Krümmung versehene Kommabacillen mit einander verbunden bleiben^
Ich zeige Ihnen unter dem Mikroskope bei einer Vergrösserung von
800 ein solches Präparat, einer frischen Eeinkultur entnommen«
Ausser den erwähnten Bildungen trifft man auch mehr oder weniger
lange fädchenförmige Verbände, die aus 10 oder 20 engen Windungen
bestehen können. Diese Verbände trifft man weniger in gefärbten Prä-
paraten als im lebenden Zustande bei der Beobachtung im hängenden
Bouillontropfen im hohlen Objectträger, wo sie sich als ganz typische
Schraubenformen erweisen. In einem Bouillontropfen untersucht,
sehen wir, dass die Mikrobien eine lebhafte Eigenbewegung besitzen,
welche mit Hilfe von endständigen Geissein erfolgt, von denen jedes
Stäbchen ein einziges besitzt. Diese Geissein können besonders nach
der LöFFLER'schen Beizungsmethode, Ferrotannat und Campecheholz-
abkochung, mit Anilinwasserfuchsin gefärbt, schön dargestellt werden.
Sporen, wenigstens endogene Sporen, besitzen die Kommabacillen
nicht. Die in gefärbten Präparaten von älteren Kulturen beobachteten
hellen, centralen Stellen, sind gewiss nicht als Sporen aufzufassen, da
Kulturen, welche solche Formen in Menge besitzen, nicht im gering-
sten resistenzfähiger sind als ganz frische, welche frei von ihnen sind.
Untersucht man ein Präparat von einer Kultur, welche am Absterben
ist, so bekommt man die wunderlichsten Formen, oft rundliche oder
ovale oder flaschenförmige Gebilde, die sogenannten Involutions-
formen.
Wenden wir uns nun zu den kulturellen Merkmalen der Komma-
bacillen, welche, wie schon oben erwähnt, von der grössten Wichtigkeit
sind, da die mikroskopischen Bilder nicht genügen, um dieselben mit
Sicherheit von anderen, gleichgeformten Bakterien zu unterschei-
den, so sind es hauptsächlich die Gelatin-Kulturen, welche hier in
Betracht kommen, da diese Kultur, das zuverlässigste Mittel ist, um
die echten Cholerabacillen von anderen zu unterscheiden. Wie gewin-
nen wir Keinkulturen der Choleraspirillen ? Wir verwenden dazu eine
10- oder 15prozentige Nährgelatine, wie dieselbe schon seit vielen
.Jahren in Gebrauch ist. Man vermengt ein Pfund fein gehacktes von
Fett befreites Rindfleisch mit der doppelten Quantität destillirten
Wassers und presst dasselbe nach 24 Stunden vollständig aus. Zu
diesem trüben Fleischwasser setzt man 1% Peptonum siccum h% Koch-
salz und 10, 15 oder 20% fein geschnittene Gelatine, lässt dieselbe eine
halbe Stunde quellen, und löst sie dann im Dampfapparat vollständig
auf, macht sie mit Natrium-Carbonat leicht alkalisch, da die Bakte-
rien auf saurem Nährboden nicht wachsen, kocht eine Stunde lang
und filtrirt. Da die 10% Gelatine bei einer etwas höheren Temperatur
leicht verflüssigt wird, empfiehlt es sich in unserem Klima während der
Monate April — October eine 15 bis 20prozentige Gelatine anzuwenden.
Selbst da ist es anzurathen, die Gelatine an dem kühlsten Orte zu hal-
ten, nicht über 2i oder 25° C, indem es sonst leicht ^passirt, dass die
420
fertigen Stich-Kulturen durch Verflüssigung der Gelatine ruinirt wer-
den. Die klare Gelatine wird in mit Watte versehene ßeagensgläser
gefüllt und mittelst discontinuirlicher Sterilisation 4 Dis 5 Tage jedes
Mal 10 Minuten im Dampf ap parat sterilisirt.
Der nächste Schritt ist Plattenkulturen anzulegen. In ein mit ver-
flüssigter Gelatine gefülltes Keagensglas mengt man eine geringe
Quantität der zu untersuchenden Dejecta, macht davon zwei Verdün-
nungen und giesst dieselbe auf Platten aus. Die Verdünnungen sind
nöthig, da auf der ersten Platte die Anzahl der sich entwickelnden Co-
lonien gewöhnlich eine zu grosse ist, um für die nachherige Abimpf ung
in Stichkulturen brauchbar zu sein. Schon nach 18 bis 24 Stunden
entwickeln sich die Colonien der Kommabacillen und erscheinen bei
schwacher Vergrösserung als kleine blasse Tröpfchen, welche aber
nicht, wie die meisten anderen Bakterien-Colonien völlig kreisrund,
sondern mit unebenem, rauhem oder höckerigem Ptande versehen sind.
Bald nehmen die Colonien ein granulirtes Aussehen an, welches immer
deutlicher wird. Die Granula erhalten dann einen starken Glanz, so
dass die Colonien sich wie „Häufchen von Glasbröckchen" ausnehmen
Allmählich beginnt nun die Verflüssigung der Gelatine, so dass sie, wie
man schon mit blossem Auge sieht, an den Stellen wo Colonien liegen,
etwas einsinkt ; später bildet sich hier ein kleiner mit Flüssigkeit,
erfüllter, scharfrandiger Trichter aus, auf dessen Grund die Colonie
liegt. Mikroskopisch ist der Band des Verflüssigungstrichters kreis-
förmig, dann folgt eine graue ringförmige Zone, während in der Mitte
die Colonie als gelbbraune, matte, unregelmässig granulirte Scheibe
mit undeutlicher Begrenzung erscheint. Die Verflüssigung breitet
sich nur sehr langsam aus.
Aehnliche Verhältnisse lassen sich bei der Entwickelung der Stich-
kultur in der festen Gelatine beobachten. Nach 24 Stunden entsteht
längs des Stichkanals ein feines weisses, nach der Einstichsstelle hin
sich allmähhg verdickendes Fädchen, und nach und nach beginnt eine
von oben langsam nach abwärts schreitende Verflüssigung. An der
Stichöffnung entsteht durch das Herabsinken der Kultur in die er-
weichte Gelatine und Verdunstung der obersten Theile eine trichter-
förmige Einsenkung, welche sich nach unten in einen immer schmäler
werdenden Verflüssigungszapfen fortsetzt. Da der Hohlraum des
Trichters durch Luft ausgefüllt wird, gewinnt die Kultur in diesem
Stadium das Aussehen als schwebe über ihr eine Luftblase. Die Kultur
selbst bildet nach mehreren Tagen nicht mehr einen zusammenhängen-
den Faden, sondern ist in einzelne Theile zerfallen. Erst nach vier bis
sechs Tagen geht die Verflüssigung so weit, dass sie an der Oberfläche
den Band des Beagenzglases erreicht.
Die soeben beschriebenen Merkmale sind für die Choleraspirillen
äusserst charakteristisch. Bei den FiNKLER-PRiOR'schen Komma-
bacillen der Cholera nostras, die übrigens auch im normalen Darm ge-
funden wurden, schreitet die Verflüssigung viel rascher vorwärts, wie
Sie an diesen, zu gleicher Zeit hergestellten, Kulturen mit Leichtigkeit
421
sehen können. Mikroskopisch sind diese letzteren nur sehr schwer
von den echten Choleraspirillen zu unterscheiden, obwohl sie etwas
dicker und kürzer sind. Der ÜENECKE'sche Commabacillus, welcher
aus altem Käse gezüchtet wurde, und der von Gamaleia aus dem
Hühnerdarm gezüchtete Vibi'io Metschnikof sind beide kulturell zu
unterscheiden, da die Verflüssigung auch hier rascher fortschreitet als
bei den KocH'schenKommabacillen, obwohl nicht so rasch wie bei den
FiNKLER-PRiOR'schen. Auf Kartoffeln wächst Koch's Spirillum nur bei
höherer Temperatur, Finkler-Prior s bei gewöhnlicher Zimmertem-
peratur und Denecke's überhaupt nicht. Auf Agar ist das Wachsthum
nicht charakeristisch. Das früher als charakteristisch angesehene so-
genannte „Choleraroth", welches nach Einwirkung von Mineralsäuren
in Kulturen auftritt, ist nichts weiter als eine gewöhnliche Indol-Eeak-
tion, welche auch anderen Bakterien zukommt, allerdings nicht in so
hohem Masse wie bei den Cholerakulturen. Charakteristische Toxine
konnten bis jetzt nicht mit Sicherheit nachgewiesen werden.
Was nun die Wachsthumsbedingungen der Kommabacillen anbe-
langt, so sind sie hinsichtlich der Qualität der Nährstoffe wenig an-
spruchsvoll. Bei geeigneter Temperatur, nicht unter 16° und nicht
über 40° C, gedeihen sie auf allen künstlichen Nährböden, falls diesel-
ben neutral oder leicht alkalisch reagiren ; auf sauren Nährböden
wachsen sie gar nicht. Eine Zufuhr von Sauerstoff ist ferner für gute
Entwickelung unbedingt nöthig. Durch Austrocknen werden die
Kommabacillen sehr rasch, schon nach mehreren Stunden getödtet, und
ist eine Vermehrung und Ansteckung durch die Luft gänzlich ausge-
schlossen. Durch Ueberwucüerung von Saprophyten wird ihr Wachs-
thum leicht beeinträchtigt. Die Lebensdauer der Bacillen, falls schäd-
liche Einflüsse fehlen, beträgt fünf bis sechs, ja sogar zehn Monate,
und so können sie sich auf feuchter Wäsche oder an gewissen Stellen
des Bodens, wo sie vor Austrocknung geschützt sind, lange halten.
Niedrige Temperatur beeinträchtigt das Wachsthum der Spirillen nicht,
wohl aber hohe Temperatur, und bei einer Hitze von 60° C. sterben sie
im Wasser nach spätestens 10 Minuten gänzlich ab. Eine Abtödtung
wird ferner am sichersten durch Sublimat 1:2000 bis 2:1000, Carbol-
säure i bis 3 oder 5 Prozent, Schwefelsäure oder Chlorkalk erzielt
wodurch sie schon nach wenigen Minuten entwicklungsunfähig gemacht
werden.
Bezüglich der Prophylaxe kann ich mich wohl kurz fassen. Die drei
wesentlichsten Punkte sind :
1. Vermeidung aller gastrischen Störungen. Der menschliche Orga-
nismus schützt sich selbst gegen Cholera-Infection und ist der wirk-
samste Schutz durch ungestörte Thätigkeit des Verdauungstraktes
gegeben. Da die Kommabacillen auf saurem Nährboden nicht
wachsen, so ist es bei leichten dyspeptischen Beschwerden in Cholera-
zeiten gewiss angezeigt, irgend eine Säure, wie Salz- oder Gerbsäure,
in unschädlichen Dosen als Prophylacticum zu gebrauchen. Dass ferner
alle Momente zu vermeiden sind, welche die Funktion des Magens
422
stören oder heruntersetzen können, wie zum Beispiel Genuas unver-
daulicher oder ungewohnter Nahrungsmittel, Uebergenuss alkoho-
lischer Getränke u. s. w., dürfte sich wohl von selbst vei^tehen.
2, Gründliche Keinigung der Hände und Keinhaltung der Nahrung
und des Wassers, also ausschliessliche Verwendung gekochten
Wassers zum Waschen sowohl wie zum Trinken.
3. YermeiduDg der Berührung und desinflzirende Behandlung der
Dejectionen mit Carbolsäure, Sublimat oder Chlorkalk, und der be-
schmutzten Objeete, welche entweder verbrannt werden sollen, oder
eine halbe Stunde lang der Einwirkung von strömenden Dämpfen aus-
gesetzt werden müssen.
Die hauptsächlichsten Momente zur Verhütung der Krankheit sind
gewiss durch diese drei Punkte gegeben. Die Anzahl der von der
einen oder anderen Seite empfohlenen desinüzirenden Mittel ist unge-
mein gross, jedoch sind die oben angegebenen entschieden die verläss-
lichsten und sichersten.
III.
Pathologie und Therapie der Cholera asiatica.
Einleitendervortrag zur Discussion in der Deutschen Medicinisehen Gesellschaft
von New York am 3. October 1892.
Von
Dr. LEONARD WEBER.
New York.
Meine Herren ! Sie erinnern sich, dass ich in der letzten Sitzung un-
serer Gesellschaft den Vorschlag einbrachte, die Cholera asiatica für
heute zur Discussion zu bringen. Die Herren C. und L. Heitzmanx waren
so liebenswürdig das Thema der Pathologie und Bacteriologie und
Prophylaxe zu übernehmen, jedoch hat sich zunächst kein College
gefunden, der in der Kichtung der Quarantäne die Hauptsätze zur
Discussion stellte. Nun, am Ende haben wir Alle so überreichlich
in Bezug darauf in den letzten 4 Wochen gehört und gelesen, dass die
Discussion derselben schon längst vorbereitet ist und sich wohl Jeder
seine Meinung gebildet hat. Bevor ich zu meinem Thema der Therapie
der Cholera komme, erlaube ich mir, die Cholera asiatica betreffend»
darauf aufmerksam zu machen, dass im Jahre 1874 in Wien ein inter-
nationaler med. Congress speciell zur Erörterung der Cholera und
ihrer Bekämpfung gehalten wurde.
Die Besten und Erfahrensten waren anwesend und in ihren ziemlich
einstimmig gefassten Beschlüssen besonders darüber klar geworden^
dass prompte Isolirung und Desinfection genügend und eine lang aus-
gedehnte Quarantäne und Detention unnöthig sei. Spätere Erfah-
rungen haben die Richtigkeit des Satzes bestätigt, England hat nach
demselben gehandelt und ist gut dabei gefahren. Wenn auch die
Verhältnisse im hiesigen Hafen in Folge der Masseneinwanderung
423
nicht so günstig liegen wie in Liverpool und London, so ist doch die
barbarische Behandlung von Hunderten von gesunden Passagieren
eines nur massig inflcirten Schiffes, wie wir das hier kürzlich erlebt
haben, ganz verwerflich und nicht zu entschuldigen. Der dirigirende
Quarantäne-Arzt musste in jeder Weise vorbereitet und ausgerüstet
sein, und er musste und konnte die Mittel haben, um allen Anforde-
rungen der modernen Quarantäne gerecht zu werden. Wenn dem nicht
so war — und es war nicht so gewesen — nun dann geschehe ohne viel
Säumen, was schon längst hätte geschehen sollen, nämlich, die so
wichtige Frage der Quarantäne, resp. der Desinfection und Isolirung
der Nationalregierung zu übergeben.
Oder glaubt vielleicht Jemand, dass, nachdem der Schrecken vor-
über, die Politiker des Staates New York in solch wichtigen Fragen der
öffentlichen Gesundheit fortab nur nach Gewissen und bestem Ermessen
handeln werden, so dass nur die das Amt verwalten werden, die des
Amtes würdig sind? Wenn man sieht, wie leicht mit einem Bruchtheil
des Geldes, das seit vielen Jahren hier zu andern als Quarantänezwecken
verwendet worden und in der letzten Zeit der Noth in freigebiger
Weise für Extra-Einrichtungen bezahlt worden ist, der Staat schon
längst an der South Beach von Staten Island die nothwendigen
Baulichkeiten u. s. w. in Verbindung mit den schon bestehenden
Quarantäne- Anstalten hätte haben können, so kann sich wieder ein-
mal das Rechtsbewusstsein des taxpaying Citizen empören.
Kann auch die stricteste und lang fortgesetzte Quarantäne die
EinschleppuQg einer Seuche wie die Cholera nicht verhindern, so
scheint es doch nicht schwer zu sein, in einer Stadt, die mit gutem
Trinkwasser versorgt und rein gehalten wird, die Ausbreitung der
Krankheit durch Isolirung und Desinfection zu verhindern. Das hat
unser Board of Health jetzt wieder gethan, und hat es auch schon im
Jahre 1866 und 1876/77 fertig gebracht.
Der Erfolg der HAYEM'schen intravenösen Injectionen, wie dieselben in
Paris gebraucht worden sind, ist ein ganz momentaner. Es ist klar^
dass die subcutane Infusion bei noch so schneller Resorption mit der
intravenösen an SchneUigkeit nicht concurriren kann. Hieraus ergiebt
sich die Indication für die Wahl dieser oder jener von selbst.
In der Frage nach einer rationellen Therapie der Cholera ist zu-
nächst in Betracht zu ziehen, dass die Cholera eine eminent contagiöse
acute Infectionskrankheit ist, deren Gift einen mehr oder minder
heftig ausgeprägten Catarrh der Darmschleimhaut vom duodenum
bis zum Colon erzeugt, mit auffallend heftiger und häufig deletärer
Rückwirkung auf Gefäss- und Nervensystem. Das Virus ist in den
faeces, selten im Erbrochenen enthalten ; einfache Berührung ist
nicht ansteckend, so dass es sogleich klar ist, warum Aerzte und
Wärter viel seltener als Waschfrauen angesteckt werden. Der Com-
mabacillus braucht ein feuchtes Medium zu seiner Entwickelung,
wuchert bei einer Temp. von 30-40° C, lebt noch bei— 10° C, stirbt rasch
ab in trockner Hitze oder Dampf hitze. Er wird nur gefunden im
424
Darminhalt und den schlauchförmigen Drüsen, sehr selten im Er-
brochenen und gar nicht im Blut, Speichel, Schweiss, Urin oder Aus-
athmungsluft.
Die Infection ist der Art nach dieselbe, dem Grade nach sehr ver-
schieden. Patienten mit einfachem Choleradurchfall können herum
gehen, ohne sich krank zu fühlen und stecken direct und indirect
Andere an. Die Cholerine characterisirt sich schon durch Erbrechen
und Durchfall und mehr oder minder entwickeltes Krankheitsgefühl
Im ausgebildeten Choleraanfall haben wir die ominösen Eeiswasser-
stühle, die ausserordentlich schmerzhaften Muskelkrämpfe, den
Collaps, und, wenn sich die Betroffenen zunächst wieder erholen, das
bedenkliche Choleratyphoid.
Die Incubationsperiode wird von wenigen Stunden bis zu 2-3 und
5 Tagen berechnet. Die localen Epidemieen haben zumeist 4-6 Monate
gedauert.
Hier zu Lande habe ich Cholera zu behandeln nicht die Gelegenheit
gehabt, habe aber als angehender Mediciner in der heftigen Münchener
Epidemie von 1854-1855 Cholerabehandlung gesehen, und so verzeihen
Sie es mir wohl, wenn ich zur Einleitung der Diskussion nach der Kich-
tung das Wort ergriffen habe. Schon damals hatte Pfeiffer in
München richtig erkannt, dass die Magendarmschleimhaut im Anfall
nichts resorbirt, mithin die Wirkung der meisten Mittel illusorisch
gemacht wird. Immerhin stellte es sich damals bald heraus, dass das
von ihm empfohlene Calomel möglichst frühzeitig gegeben, seine des-
inflcirenden Eigenschaften bewährte und manchem Patienten zur Ge-
nesung verhalf.
Es wurden stündlich bei Erwachsenen 0,30, bei Kindern 0,10-0.15
gegeben und 0,60-2,0 pro die verbraucht. Patient lag im Bette in Seiten-
oder Bauchlage, Wärmflaschen um ihn, und trank heisse Getränke bis
zum Eintritt der Keaction, Während die Kesultate der Opium-, Bismuth-
u. s. w. Behandlung durchweg schlecht waren, so waren die nach
Calomel ziemlich gut, und wahrscheinlich noch besser als die, welche
englische Aerzte in jenen Zeiten mit Oleum Kicini erreicht zu haben
mittheilten.
In der Besprechung der Cholerafrage in einer ausserordentlichen
Sitzung des ärztlichen Vereins von Hamburg vom 30. August — also
14 Tage nach dem Ausbruch der Cholera in Hamburg — berichtet Herr
Bieder aus dem allgemeinen Krankenhause, dass die Patienten daselbst
pulslos oder moribund — also im Stadium algidum der Cholera — ein-
gebracht wurden, dass die behandelnden Aerzte sehr bald von Calomel,
Ricinusöl, Opium u. s. w. als nutzlos Abstand nahmen und zu den sub-
cutanen oder vielmehr intravenösen 0,6 prozentigen Kochsalzinfusionen
1500-2000 Cc. ein- oder mehrmals gemacht, ihre Zuflucht nahmen. Auf
letztere hin rasche und auffallende Besserung der schweren Erschei-
nungen, Rückkehr des Bewusstseins, der Stimme u. s. w., aber nur in
wenigen Fällen hielt die Besserung an, resp. entwickelte sich dieselbe
zur Genesung, sondern die meisten so behandelten Patienten verfielen
wieder und gingen scheinbar urämisch zu Grunde.
Nun, zunächst beweist diese Beobachtung, dass die Kränken leider
recht spät ins Spital kamen, und dass die spärlichen günstigen Kesul-
tate wohl wesentlich diesem bedauerlichen Umstände zuzuschreiben
sind. Sie beweisen aber ferner, dass die Salzwasserinfusionen zwar
kein specifisches Heilmittel der Cholera sind, aber doch geeignet
manchem Patienten die Chance zu geben sich aus dem tödtlichen Col-
laps zu erholen und eventuell zu genesen.
Haben wir überhaupt Mittel, mit welchen wir den cholerakranken
Darm behandeln, seine gestörten Functionen heben, denselben für den
Bacillus untauglich machen und dem das Leben vernichtenden arteriel-
len Spasmus erfolgreich begegnen können ?
Prof. Hugo Schulz, „Deutsche Med. Woch.*', 8. Sept. '92, meint, ja.
Zwei Arzneistoffe sind es, sagt er, über deren Werth in der von uns ge-
wünschten Kichtung die praktische Medicin schon ihr Urtheil abgege-
ben hat, die aber, als heutigen Anschauungen nicht recht entsprechend,
unbeachtet geblieben sind : Veratrin und Arsen.
„Zunächst das Yeratrin. Bereits im Jahre 1885, „Deutsche Med.
Woch." No. 7, habe ich in Bezug auf seinen Werth bei Cholera nostras
und Asiatica auf Grund der in der Literatur angegebenen praktischen
Beobachtungen mich geäussert. Gestützt auf die mit Grawitz gemein-
sam ausgeführten Versuche, konnte ich den Nachweis erbringen, dass
das Veratrin den Bacillen gar nichts thut, seine ganze Heilkraft da-
gegen lediglich das kranke Organ als solches betrifft. Ich referire hier
in Kürze das für uns heute Wichtigste."
Markbreiter 1856 : Tritt bei cholerakranken Kindern Erbrechen
ein und sinkt die Hauttemperatur, so giebt er als souveränes Mittel :
Tinct. veratri (Norwood's) gtt. 2
Aqu. dest. 30,0
^— Istündhch ein Theelöffel voll.
Das Mittel wirkte beinahe immer günstig. Aehnlich gute Erfah-
rungen haben Hübeny 1857, Koehler 1868 und Bloedan 1884 über dies
Mittel berichtet. Letztere Autoren sind übrigens der Ansicht, dass
dies Mittel ähnlich wie andere im asphyctischen Stadium der Cholera
versagen wird.
Mit minimalen Dosen Arsen in catarrhalisch-entzündlichen Darm-
erkrankungen hat der Amerikaner Aulde in den Jahren 1887 — 89 zahl-
reiche Versuche angestellt und viel Günstiges berichtet. Aulde ver-
wendete das arsenigsaure Kupfer, Schulz, in seiner Nachprüfung, acid.
arsenicos. oder Fowl. sol. ars., da das cupr. arsenic. zu wenig löslich ist.
Wenn Sie mich nun fragen, wie würde ich einen gegebenen Fall von
Cholera Asiatica behandeln, so antworte ich so :
In einem frischen Fall ohne Collapserscheinungen Calomel 0,10 —
0,30 pro dosi stündlich, schwachen heissen Thee mit und ohne Cognac,
Eispillen, Zuführung von trockener Wärme unter den Bettdecken.
Gegen stärkere Leib- und Muskelschmerzen subcutane Morphium-
injectionen. Im v arger ückten Stadium, heisere Stimme und Anomalie
des Pulses sofort die SAMüEL'schen siibcutanen Salzwasser-, oder die
•
SAYEM*schen intravenösen Salz-Glaubersalz Infusionen, subcutane
Campher- und Aether-Injectionen, nach Bedürfniss. — Sollte ich mich
nach Beobachtung einiger Fälle überzeugen, dass das Calomel in Bezug
auf die Darmerkrankung nichts leistet, so wäre ich geneigt, in frischen
Fällen Veratrin zu versuchen.
Gewiss betrachte ich es als ganz rationell, bei einfacher Cholera-
diarrhoe oder bei leichter Cholerine nach einmaliger Calomel-Dosis
eine Mixtur von Salzsäure und schwachen Dosen Opium zu geben und
nebenbei strenge Diät und ruhiges Verhalten zu verordnen.
Die subcutanen Infusionen in Cholerabehandlung gewannen erst
ihre grosse praktische Bedeutung durch die Mittheilung von Saiviuel
im Jahre 1883, welche die nothwendige Continuirlichkeit, Wahl der
Injectionsstelle und Zeitpunkt betonten.
Cantani veröffentlichte bald darauf die Eesultate, welche er mit
dieser und der Darminfusion mit Tanninlösungen in der Behandlung
der Cholera 1884 in Neapel erzielt hatte.
Die subcutane Injection ist zu machen, sobald der Puls anormal
wird, am besten zunächst in der fossa infraclavicularis, beiderseits
alternirend, oder in der Weichengegend. Die Infusion ist continuirlich —
natürlich immer unter Abwartung der Resorption — während der ganzen
Dauer des enterisch-asphyctischen Stadiums nicht nur, sondern auch
tief in das Typhoidstadium hinein fortzusetzen . Da das Salzwasser gute
harnfähige Stoffe mit sich bringt, und die Pflege der Urinsecretion zur
Ueberstehung des Typhoids von grosser Wichtigkeit ist, so ist nicht
mit der Infusion beim ersten Eintritt der Urinsecretion aufzuhören.
Wenn auch minder continuirlich, ist sie während des ganzen Typhoids
fortzusetzen.
Die Flüssigkeit besteht aus 4,0 Salz auf 1000,0 gekochten Wassers,
bei einer Temperatur von 39 — 40 Grad C. Von Apparaten zur Infusion
sind die einfachsten der EsMARCH'sche Irrigator mit Schlauch und
Hahn, der BRAATz'sche Apparat, welcher über Jede Flasche gestülpt
werden kann, und der sinnreich construirte CoLLiN'sche Transfuseur,
der sich besonders zu intravenösen Injectionen vortrefflich eignet.
lieber den unmittelbaren Erfolg sagen Samuel und Keppler fol-
gendes :
Der augenblickliche Erfolg ist so überraschend, dass er auch dem
Laien auffällt. Zuerst kehrt der Pnls wieder, gewöhnlich schon in der
ersten halben Stunde ; das starre Auge belebt sich wieder, die Athem-
noth schwindet und macht langsam einem immer mehr zunehmenden
Wohlbefinden Platz ; die Gesichtsmuskeln werden beweglich, die Haut
erwärmt sich, leichter Schweiss stellt sich ein, die Cyanose löst sich
allmählig, die Stimme wird klangvoll ; zuletzt, selten vor der 18ten
Stunde, kommt die Urinsecretion wieder zu Stande. Möglichst früh-
zeitige Infusion ist der beste Schutz vor der Nephritis, der häufigsten
Nachkrankheit der Cholera.
R. KuTNER giebt in der Deutsch. Med. Woch., 1. September 1892,
folgenden Rath: SAMUEL'sche subcutane Infusion von Kochsalz-
427
lösung das ganze enterisch-asphyctische Stadium hindurch bis zu
8 — 12 Liter, möglichst früh zu beginnen ; HAYEM'sche intravenöse Infu-
sion bestehend aus : Natr. chlor. 5,0 Natr. sulfur. 10,0. Aqu. dest. 1000,0
bei unmittelbar drohendem oder schon eingetretenem Collaps, 2—2^
Liter, in die ven. saphena oder mediana-basihca. In seinem Bericht
aus den Pariser Spitälern sagt R. Kütner, dass die intravenöse Injec-
tionen dort ausschliesslich mit dem neuen CoLLiN'schen Transfuseur
gemacht werden und gute Resultate geben."]
25 West 46. Str.
lY.
Das permanente w.arnie Bad bei Gelenkentzündungen.*)
Yon
Dr. A. ROSE,
New York.
i In der December-Sitzung des Jahres 1889 habe ich vor unserer Ge-
sellschaft über [die Anwendung des permanenten warmen Bades bei
Erysipel der Extremitäten gesprochen, um zu zeigen, welchen mächti-
gen Einfluss das warme Bad auf diese infectiöse Entzündung ausübt,
wie die Körpertemperatur dabei schnell zurückgeht und zugleich der
ganze Krankheitsverlauf sofort die günstigste Wendung nimmt.
Ich suchte mir die Thatsache zu erklären, indem ich annahm, dass
in erster Linie das permanente, nur verhältnissmässig warme, in Wirk-
lichkeit einige Grad weniger als Blutwärme messende Wasser die Tem-
peratur herabsetzend wirke, dass die längere Zeit im Wasser befind-
lichen geschwollenen Theile nicht mehr die Fähigkeit besässen, pyro-
gene Stoffe zu resorbiren, weil die Bindegewebsmaschen ausgefüllt, die
Anfänge der Lpmphgefässe verlegt seien, dass der erysipelatösen In-
fection auf dem^Wege der Lymphbahnen Einhalt geboten werde, indem
der Infectionsherd abgeschlossen, dass die pathogen en Stoffe auf dem
Wege der vermehrten Blutcirkulation entfernt werden.
Im Anschluss an jene Mittheilung wünsche ich heute an einer Be-
obachtung zu zeigen, welche Wirkung das permanente Bad bei Gelenk-
entzündung auszuüben vermag, und welchen Einfluss es dabei auf
Innervation, Cirkulation und Stoffwechsel hat, welch' vorzüglich
Schmerz stillendes und Resorption beförderndes Mittel es ist.
Was die Verwendung des permanenten warmen Bades zu therapeu-
tischen Zwecken betrifft, so sind noch allgemeine Gesetze aufzubauen,
und was bekannt ist, noch nach manchen Richtungen hin zu ergänzen.
Für manche verlässliche empirische Thatsache ist eine wissenschaft-
liche, eine physiologische Basis zu suchen. Von der Hydrotherapie
*) Nach einem am 2, Mai 1892 in der Deutschen Medicinischen Gesellschaft
von New York gehaltenen Vortrag.
428
überhaupt lässt sich sagen, dass viele rationelle, wissenschaftlich be-
gründete Thatsachen festgehalten werden würden, wenn zahlreiche,
einstweilen unvermittelt dastehende segensreiche Erfahrungsthat-
sachen nach ihrem Werth gewürdigt worden wären, anstatt dass sie
rasch wieder dem Gedächtniss und der Praxis entschwanden.
„Nicht den Heilmitteln, sondern der Heilmethode gehört die Zu-
kunft," sagt ZiEMSSEN ; auch die Hydrotherapie wird mehr und mehr
eine rationelle, wissenschaftliche Heilmethode werden, aufgebaut auf
den Grundlagen der Physiologie.
Delia G., die Patientin, die ich Ihnen hiermit vorstelle, eine Irlände-
rin von 24 Jahren, bisher gesund und überaus muskelkräftig, erkrankte
gegen Ende des Monats September 1891 an Kheumatismus des linken
Ellenbogengelenks mit ungewöhnlich heftigen Entzündungserscheinun-
gen, namentlich grossen Schmerzen. Verschiedene Antirheuraatica
hatten wenig oder gar keinen Erfolg, selbst Antipyrin vermochte nicht
den Schmerz zu lindern und Schlaf für die Nacht zu sichern. Das
Beste leistete noch der Gypsverband, den ich einmal 14 Tage und ein
zweites mal 10 Tage lang tragen Hess. Ich entfernte denselben, wenn
ich annahm, dass die Entzündungserscheinungen, Schwellung, Schmerz,
Temperaturerhöhung verschwunden waren, und in der That war das
jedesmal bei Abnahme des Verbandes der Fall. Bald nachdem ich den
ersten Verband entfernt, stellten sich wieder Entzündungserscheinun-
gen ein, nach Abnahme des zweiten Verbandes blieb Gelenksteifigkeit
zurück, and nur in der Chloroformnarkose gelang es mir, den Arm zu
biegen und zu strecken. Bei diesen gewaltsamen Beugungen und
Streckungen liess sich Eeibegeräusch, das Symptom der Synovitis
fibrinosa deutlich vernehmen.
Die forcirte Beugung und Streckung in der Chloroformnarkose
hatte keinen dauernden Erfolg, im Gegentheil nahm nach derselben
der Erguss von Flüssigkeit in die Sj^novialhöhle zu und alle Beweglich-
keit wurde aufgehoben. Auch die perisynovialen Weichtheile infiltrir-
ten sich stark und trugen zum Bewegungshemmniss bei.
Patientin konnte oder mochte um diese Zeit nicht länger mit der
Familie bleiben, von der sie angestellt gewesen die Hausarbeiten zu
verrichten, und begab sich am 30. November 1891 nach dem hiesigen
St. Francis Hospital.
Dr. Kammerer, einer der Aerzte dieses 'Hospitals, theilte mir auf
mein Befragen über die Patientin mit, dass, seiner Ansicht nach, die
Prognose in Bezug auf Gebrauchsfähigkeit des Armes eine sehr unge-
wisse sei, und dass die Behandlung im Hospital darin bestehe, das Ge-
lenk, das nur mit Mühe in den rechten Winkel zu bringen sei, durch
graduirte Verbände allmäUg in den spitzen Winkel zu zwingen. Die
Patientin gab an, dass sie keinerlei Medicin im Hospital bekommen
habe.
Am 12. December 1891 verliess sie das Hospital.
Ich fand nun den Arm in einer gerade so ungünstigen Verfassung
wie vorher, d. h. vor der Aufnahme in's Hospital. Das Gelenk aus dem
429
stumpfen in den rechten Winkel zu bringen verursachte schon erheb-
liche Schmerzen, und weitere Bewegungen zu forciren, schien mir
gewagt.
Am 15. December 1891 Hess ich den Arm in ein warmes Bad legen,
als Badewanne diente ein länglicher Waschkessel. Ich verordnete,
dass das Wasser von Stunde zu Stunde durch Ausschöpfen eines
Theiles des Inhalts der Wanne und Nachgiessen heissen Wassers auf
solcher Temperatur erhalten wurde, wie sie der Patientin gerade noch
erträglich erscheinen würde. Für die Nacht sollten dann feuchte, mit
trocknem Flannell bedeckte Umschläge substituirt werden.
Vorerst keinerlei Medicin.
Patientin hatte meine Anordnung mehr als gewissenhaft befolgt,
sie hatte das Wasser am ersten Tage so heiss genommen, dass sie sich
Hand und Arm verbrühte, dass sich Epidermis-BIasen in grosser An-
zahl gebildet hatten. Ich legte diesem Zufall kein grosses Gewicht bei,
weil nach meinen Erfahrungen das fortzusetzende warme Bad das Heil-
mittel gegen die Folgen des zu heissen Bades sein würde, und als
solches stellte es sich auch im weiteren Verlauf heraus. Keinerlei
Schmerzen oder Nachtheile haben sich eingestellt.
Der Erfolg des permanenten Bades war ein glänzender. Aller
Schmerz, der vorher bestanden, hörte sofort auf. Von Tag zu
Tag konnte man ergiebigere Beugungen und Streckungen des
Armes vornehmen, ohne der Kranken so heftige Schmerzen wie bei
früheren Versuchen zu verursachen. Die verhältnissmässig geringen
Schmerzen, die Ich bei den Beugungen und Streckungen jetzt verur-
sachte, verschwanden bald, wenn der Arm wieder im warmen Wasser
ruhte.
Am dritten Tage des permanenten Bades, am 18. December, konnte
Patientin selbst das Gelenk bis zum rechten Winkel biegen, am 19.
konnte sie dies thun, ohne dabei Schmerzen zu empfinden. Am 20.
December Biegung bis zum spitzen Winkel, am 25. und 26. Biegung bis
zur normalen Grenze.
Seit dieser Zeit verrichtet Patientin wieder ununterbrochen Tag für
Tag ihre Hausarbeiten, sie vermag die grosse Wäsche allein zu thun
und das Gewaschene Tags darauf zu bügeln. Leider ist sie noch immer
denselben Causalmomenten ausgesetzt und es treten von Zeit zu Zeit
wieder rheumatische Entzündungserscheinungen im Ellenbogengelenke
auf. Ich wünsche zu betonen, dass ich während des Badens, d. h.
während der Zeit vom 15. bis 26. December keinerlei Medicin nehmen
liess. Seitdem habe ich bei erneuerten Rheumatismusanfällen Nutzen
von Salipyrin zu sehen geglaubt. Ich liess übrigens, wenn sich wieder
Schmerzen und sonstige Entzündungserscheinungen einstellten,
Abends, nach der Tages Arbeit, den Arm für ein bis zwei Stunden in
das warme Bad bringen, immer mit dem Erfolg, dass die Schmerzen
gehoben wurden.
Wie Sie sehen, kann der Arm jetzt noch nicht ganz so weit wie der
gesunde gebogen werden, Sie sehen, dass auch noch eine minimale
43Ö
Schwellung des Ellenbogengelenkes besteht, doch bin ich überzeugt,
dass wenn meine Patientin von anstrengenden Arbeiten absehen, und
wieder Tage lang das warme Bad gebrauchen könnte, und vor allen
Dingen von allen Gelegenheitsursachen des Rheumatismus entfernt
würde, auch diese geringen Residuen verschwinden würden.
Zur Zeit, als ich diesen Fall behandelte, war mir nicht bewusst, dass
diese Methode schon geübt worden, und auch jetzt, nachdem ich mich
in der mir zugänglichen Literatur umgesehen, finde ich dass nur wenig
darüber veröffentlicht worden ist. Dr. A. Jagobi, dem ich meine Be-
obachtung zuerst mittheilte, machte mich auf die der meinigen ähnliche
Behandlungsmethode, die im Bad Leuk waltet, aufmerksam, Was ich
darüber beschrieben fand, ist folgendes:
Leuk, im Kanton Wallis, 1415 M. über dem Meeresspiegel in einem
Bergkessel in grossartiger Alpennatur gelegen, ist das höchste der
Wildbäder. Das Wasser der zwischen 41-5 und 51° C. warmen Quellen
enthält schwefelsauren Kalk, schwefelsaure Magnesia un andere
Salze, nebenbei eine geringe Spur freier Kohlensäure ; als Bad ist es zu
den indifferenten Thermen zu zählen, indem der Gyps weder resorbirt
wird, noch in der vorhandenen Quantität als besonderes Reizmittel für
die Haut gelten kann.
Im Durchschnitt werden 25 Tage auf die Kur gerechnet, während
welcher Zeit man einen Tag um den anderen, oder täglich ein bis zwei-
mal badet. Die Dauer des Bades wird allmählig von ^ Stunde bis zu 5
bis 8 Stunden, auf den Vormittag oder Nachmittag vertheilt, ausge-
dehnt, dann nach 8 bis 12 Tagen wieder in umgekehrter Weise ver-
ringert. Herren und Damen baden gemeinschaftlich in Bassins für
ungefähr 20 Personen, die sich durch Unterhaltung, Lesen und Domino-
spielen (auf schwimmenden Brettchen) die Zeit vertreiben. Des Mittags
werden die Bassins theilweise, des Abends vollständig abgelassen und
wieder gefüllt ; während der Nacht kühlt sich dann das Wasser auf
ungefähr 35° C. ab. Die Krankheiten, welche auf solche Weise behan-
delt werden, sind gichtische und rheumatische Exsudate, chronische
Exantheme, Psoriasis, Eczema, Prurigo.
HuETER [empfiehlt bei Polyarthritis synovialis acuta (Rheumatis-
mus articulorum acutus) nach Ablauf der acuten Stadien, und bei Poly-
Panarthritis (Arthritis deformans) eine resorptionsbefördernde Rich-
tung der Therapie durch Anregung der Circulation und hebt als bestes
Mittel prolongirte warme Bäder, entweder localer Anwendung in Arm-
und Bein- Wannen, oder auch als Vollbäder, je nach der Art des Falles,
hervor. Nach zahlreichen Erfahrungen versichert er, dass bei Polyar-
thritis synovialis chronica wie bei Poly-Panarthritis diese Therapie nicht
Unübertreffliches aber Unübertroffenes bietet. Er sagt ; „Von Poly-
Panarthritis ist es Ja bekannt, dass kein Mittel durchgreifend wirkt,
und das thun auch die Bäder nicht, aber sie leisten doch mehr als die
anderen Mittel." Ihre Erfolge sind ihm zuweilen überraschend gute
gewesen.
431
RiEss*) empfiehlt permanente warme Vollbäder bei Gelenk- und
Muskelrheumatismus ; er lässt ein Badelaken wie eine Hängematte
über der Badewanne ausspannen, so dass der Kranke in diesem
Laken in der Wanne liegen kann. Der Kopf ruht auf einem Gummikranz.
Dass permanente warme Vollbäder meist gut vertragen werden, ist
bekannt. Als Beleg und als Kuriosum will ich hier einen Auszug aus
der BAELz'schen Mittheilung*^) über permanente Thermalbäder der
Japanesen einschalten ; „Der Japanese badet in indifferenten oder
leicht salzigen Thermen von 42—48° C. bis zu 10 oder 15 Mal täglich.
Ganz besonders interessant ist ein primitives tief in den Bergen einer
Provinz Dzooshin gelegenes Bad Namens Kawanaka. Es ist eine
indische Therme von 36-2. Hier nun bleiben die Patienten Tage
und Wochen lang bei Tag und Nacht im Bad, das sie nur gelegent-
lich verlassen, um ihre Nothdurft zu verrichten, oder um sich ein
wenig zu bewegen. Der Körper befindet sich in halb liegender, halb
sitzender oder sonst bequemer Stellung, der Hinterkopf und Nacken
lehnen sich an den Kand des hölzernen, allen Patienten gemeinschaft-
lichen Badebeckens. Damit im Schlaf der Körper nicht an die Ober-
fiäche kommt, legen sich die Badenden einen mehr oder weniger
grossen Stein auf den Schooss. Der Besitzer des Bades, ein 70-jähriger
Greis, bringt fast den ganzen Winter im Wasser zu, und fühlt sich so
ohne Kleider und Ofen behaglich und warm, während draussen der
Schnee 4 oder 5 Monate nicht schmilzt. Seine Functionen und Befinden
sind normal."
Um die therapeutische Bedeutung des prolongirten warmen Bades
vollständig zu machen, werden wir die Elementarwirkung der warmen
Bäder uns vergegenwärtigen.
Während das kalte Bad die Muskeln und Capillargefässe der Haut
und derjenigen Gewebe, auf welche sich die unmittelbare Einwirkung
der Kälte erstreckt, zur Contraction bringt, und nach dem Aufhören
des Kältereizes die Contraction von einer Erweiterung derselben, die
locale Anämie von einer Hyperämie ausgelöst wird, verläuft der
mechanische Vorgang bei der örtlichen Einwirkung der Wärme in ent-
gegengesetzter Weise : die Gewebe erschlaffen, die Capillare dehnen
sich aus und füllen sich anfangs, bei starker und langdauernder Ein-
wirkung selbst bis zur passiven Stase, und dann folgt nach dem Auf-
hören des Wärmereizes die Contraction der Gefässe und die erneuerte
Beschleunigung des Blutlaufes. Die Erfahrung an badenden Körper-
theilen und die Beobachtung des Blutlaufes in der Schwimmhaut der
Frösche bestätigen gleichmässig den Unterschied dieser beiden Vor-
gänge : in der Kälte vorübergehende Contraction und nachfolgende Er-
weiterung, in der Wärme vorhergehende Erweiterung und nachfolgende
Contraktion.
*) Berl. Klin. Wochenschr., 1887, 29.
**) Berlin. Klin. WocheDScbr., 1884, 48.
432
Wird ein Glied längere Zeit im warmen Bade gelassen, so schwellen
die Weichtheile an, es tritt eine ganz erhebliche Yolumszunahme ein,
und nach Herausnahme aus dem Bad ist die Haut des gebadeten
Gliedes heisser, oft ganz hochroth, und die höhere Färbung schwindet
erst nach mehreren Tagen.
Winternitz hat in dem Institute für experimentelle Pathologie des
Professor Stricker in Wien Versuche über die Yolumveränderungen
der Extremitäten unter dem Einflasse von Bädern von differenten
Temperaturen gemessen, und hat sich zu diesem Zwecke eines sinn-
reichen Apparates bedient. Er vermochte an dem im Wasser im Appa-
rat suspendirten Arm Yolumsvergrösserungen za messen, die mit dem
Puls synchronisch entstanden, und die durch die mit jeder Herzsystole
in den Arm getriebene Blutwelle bewirkt wurden, ebenso Volumsver-
minderungen, die der während der Intervalle zwischen zwei Systolen
abfliessenden Blutmenge entsprachen. Er konnte feststellen, dass die
Volumsveränderung des in Wasser von 8° C. getauchten Armes, im
Vergleich mit jener, die man erhält, wenn der Arm in Wasser von
38° C. oder 40*^ C. getaucht wurde, eine sehr verschiedene Gestalt
haben. In dem ersten Falle vermag jede Herzsystole nur verhältniss-
mässig wenig Blut in den im kalten Wasser befindlichen Arm hinein zu
pressen. Es kann dies nur bedingt sein, da die Herzkraft während des
Versuchs doch keine beträchtliche Veränderung erlitten haben kann,
durch den grösseren Widerstand, den die durch den Kältereiz contra-
hirten Gefässe der eindringenden Blutwelle entgegensetzten.
Die weitaus grösseren Volumsschwankungen von dem in warmes
Wasser eingetauchten'^Arm lassen wohl nur die Deutung zu, dass die
längere Einwirkung des warmen Bades eine Gefässerweiterung und
Erschlaffung bedingt hatte. Mit jeder Herzsystole wird jetzt, auch
hier die gleiche Herzkraft vorausgesetzt, wegen des geringen Wider-
standes der Gefässwände mehr Blut in den Arm getrieben, die Gefässe
werden beträchtlicher ausgedehnt. Daraus ist die grössere Volums-
zunahme erklärlich.
Winternitz konnte also durch seine Experimente ad oculos demon-
striren, dass bei Eintauchung eines Körpertheiles in warmes Wasser
viel grössere Blutmengen mit jeder Herzsystole in denselben hinein-
strömen, dass in den Intervallen viel mehr Blut aus dem betreffenden
Theile durch die Venen abfliesst.
Uebrigens lassen nach Jacob*) auch indifferente Bäder die Circu-
lation nicht ganz unbeeinflusst. Gewöhnlich ist die Haut um 5 bis 10°
C. kühler als die Achselhöhle, die gewöhnliche Indifferenztemporatur
des Bades von 35-36° C. erhöht nun die Hauttemperatur bis nahezu
zu der der inneren Kegionen, indem diese gewöhnUch um 0.5-P C.
fällt und jene um mehrere Grade steigt, so dass die Differenz zu
Gunsten des Centrums oft nur 0.5° C. beträgt. Dieses Sinken der
Innen- und Steigen der Aussentemperatur bedeutet Beschleunigung
*) ViRCHOw's Archiv Bd. XCVI,
43a
des Blutlaufs, welche meist von einer gewissen Verminderung der
Pulsfrequenz begleitet ist, eine Entspannung der Muskeln und eine
Belebung der Tastnerven und Beruhigung der Wärme- und Schmerz-
nerven zur Folge haben muss.
Indem das warme Bad die Haut mit einem überall gleich mässig
temperirten Medium umgiebt, nimmt es dem Wärmeverlust das zeit-
lieh und räumlich Schwankende und wirkt so beruhigend, und dies ist
eine therapeutisch zu verwendende Eigenschaft. Vermuthlich findet
auch hier das für motorische Nerven gültige Gesetz, wonach Qaellung
der peripherischen Nervenendigungen ihre Erregung herabsetzt, Yer-
trocknung sie steigert, seine Anwendung. Wenigstens hält csHeyman*)
für mögüch, dass der beruhigenden Wirkung der warmen Bäder die
durch das Auflösen der Perspiration im Bade bedingte Zurückhal-
tung der Feuchtigkeit und dadurch hervorgerufene Quellung der
KiiAUSE'schen Endkolben und der MEissNER'schen Tastkörperchen zu
Grunde liegt, wodurch eine Sistirung der Molekularbewegung in den
Nervenendigungen und dadurch der Anstoss zu einer allgemeinen
Beruhigung des Nervensystems hervorgerufen wird.
In dem Eingangs erwähnten Vortrag führte ich als Illustration das
Beispiel Napoleon's an, der auf St. Helena, als die Einförmigkeit seines
Lebens fast nur durch die Schmerzen, die ihm sein Krebsleiden verur-
sachte, unterbrochen wurde, Erleichterung fand, indem er Stunden, ja
ganze Tage lang im warmen Bad blieb.
Es ist anzunehmen dass das permanente Bad auch gegen Ischias
sich bewähren wird.
Man kennt zahlreiche physiologische Facta, welche die Anschauung
stützen, dass eine Wasserentziehuog die Nerven erregt, langsame
Wasseraufnahme die Reizbarkeit herabsetzt. Hierher gehört auch die
anaesthetische Wirkung der hypodermatischen Wasserinjectionen,
Der thermische Nervenreiz, während er die Schmerzempfindung
herabsetzt, regt zugleich eine reflectorische Mehrzersetzung vor-
waltend im Muskel an. Für schmerzhafte Muskelermüdung nach
heftigen Anstrengungen giebt es kein besseres Mittel als ein warmes
Bad. Selbst hohe Wärmegrade wirken erfrischend. Die Müdigkeit
der Muskeln beruht auf der übermässigen Ansammlung der Producte
ihrer Function, zu deren weiterer Oxydirung und Ausscheidung ein
Mass des Stoffwechsels erfordert wird, wie es die ermüdete Muskel-
faser nicht mehr leisten kann. Die specifische Wirkung des warmen
Bades ist die augenbhckliche Erleichterung der Oxydation. Ohne das
warme Bad würde diese Erleichterung erst nach einer körperlichen
Ruhe von Stunden oder Tagen erzielt werden. Ich weiss auch hierfür
kein passenderes Beispiel als das Napoleon's, welcher nach einem
Schlachttage anstatt der Bettruhe und des Schlafes ein warmes Bad
zu nehmen pflegte, um in der Nacht den Marsch fortzusetzen und am
anderen Tag die zweite Schlacht zu liefern. Als er am Morgen des
*) ViBCHOw's Archiv Bd. L.
m
21. Juni 1815 direct vom Schlachtfelde von Waterloo im Hofe des
Elisee ankam und aus dem Wagen stieg, stützte, er sich, ganz erschöpft
auf den Arm Caulaincourt's und verlangte nach einem warmen Bad.
Er war sechs Tage lang fast beständig zu Pferde gewesen. Während
er im Bad war kam Davout zweimal zu ihm, ihn zu drängen sich zu
den versammelten Ministern zu verfügen. Da war keine Zeit für
längere Euhe gegeben, das warme Bad allein vermochte ihn zu sofor-
tigen weiteren Anstrengungen zu befähigen.
Die Veränderungen des physicalischen und chemischen Zustandes
der Gewebe, die Steigerung der organischen Functionen, die Beschleu-
nigung des Blutkreislaufs, die Erweiterung der Gefässe, alles dies
beruht auf einer speciüschen Wirkung des warmen Bades auf die
Innervation. Der durch thermischen Eeiz in den Nervenendigungen
hervorgebrachte Effect macht sich an der Contactstelle in den von den
abgehenden centripetalen Bahnen und im Centraiorgan selbst, sowie
von dort aus fortgeleitet centrif ugal in motorischen Bahnen geltend.
Dieser Reiz bedingt aber auch Veränderungen der Innervation an
der Contactstelle selbst wie in allen zu dieser in Beziehung stehenden
motorischen und tropischen Fasern sobald sie durch Fortleitung oder
Keflex in das Reizungsgebiet fallen. Es darf übrigens der Einfluss
auf die motorischen Fasern nicht blos als ein reflectirter betrachtet
werden, denn auch an der Applicationsstelle finden sich überall zahl-
reiche Gangliengeflechte, so dass die Vermuthung nahe liegt, dass
diese Ganglien als eben so viele peripherische Centra fungiren kön-
nen, welche die von ihnen versehenen Gebilde direct beeinflussen, ohne
eines höheren Impulses vom Gehirn und Rückenmark zu bedürfen.
Der thermische Reiz wird, wie wir gesehen haben, wie jeder andere
Nervenreiz nicht nur die Innervation erhöhen, also direct reizend
wirken, sondern vermag auch den entgegengesetzten Effect hervorzu-
bringen, die Reizbarkeit herabstimmeu, beruhigen. Dies geschieht je
nach der Stärke oder Dauer ein und desselben Agenses, wobei es
sich in manchen Fällen um Uebermüdung oder um Erregung von
Hemmungsnerven handeln kann.
Kälte sowohl als Wärme können auf den Stoffwechsel einen ver-
langsamenden aber auch beschleunigenden Einfluss ausüben.
Der Grad der primären Stoffwechselbeschleunigung unter Wärme-
entziehungen — während anhaltender Temperaturherabsetzung tritt
Verlangsamung des Stoffwechsels ein — ist abhängig von dem Grade
des reflectorisch erregten Muskeltonus oder der so erregten Muskel-
contraction. Je grösser, innerhalb gewisser Grenzen der thermische
Nervenreiz ist, desto beträchtlicher wird unter sonst gleichen Umstän-
den die reflectorische Beschleunigung des Stoffwechsels sein.
Wenn ich eine erschöpfende Abhandlung geben wollte, würde ich
noch sehr ausführlich die Wirkung der warmen Bäder auf den Stoff-
wechsel besprechen müssen, ich würde von der vermehrten Harnstoff-
bildung unter ihrem Einfluss, der veränderten Oxydation bei den ver-
schiedenen Temperaturen der Bäder, über , das was uns die angesteil-
435
ten Stofifwechseluatersuchungen gezeigt, zu berichten haben. Ich
wünsche mich jedoch nicht soweit zu ergehen und will nur erwähnen,
dass, obwohl klinische Thatsachen feststehen, es dennoch viel an
Stoffwechseluntersuchungen fehlt. Die Resultate der verschiedenen
Stoffwechseluntersuchungen sind von Leichtenstern in seinem Hand-
buch der Balneotherapie, welche einen Theil des Handbuchs der allge-
meinen Therapie von Ziemssen bildet, zusammengestellt und kritisch
beleuchtet worden. Wir wollen festhalten dass die durch die Bäder
hervorgerufenen Erregungen der peripherischen Nerven, wie wir an
unserem Falle gesehen haben, günstig auf die Resorption abgelagerter
krankhafter Producte durch Vermehrung der Blutfülle der Haut und
Entlastung der blutüberhäuften tiefer gelegenen Theile, und durch
Beschleunigung der Circulation wirken.
NEW YORKER MEDICINISCHE MONATSSCHRIFT.
Organ für praktische Aerzte in Amerika.
Eedigirt von
Dr. f. C. heppenheimer.
EDITORIELLE NOTIZEN.
15. November 1892.
Zur Frage der Wasserversor^ng.
Das Trinkwasser hat von jeher eine grosse Rolle in der Aetiologie
der Infectionskrankheiten gespielt; doch ist diese Frage noch mehr
in den Vordergrund getreten, seitdem durch R, Koch die Cholera-
bacillen entdeckt wurden und von demselben Forscher im Wasser von
einem Tank aus Saheb-Bagan zur Zeit einer Choleraepidemie constatirt
wurden.
Die letzte Choleraepidemie hat geradezu experimentell den Nach-
weis geliefert, dass wirklich das Flusswasser der Hauptträger der
Cholerakeime sei. Das Experiment war folgendes : Hamburg und Al-
tona sind kaum als von einander getrennte Städte zu betrachten ;
beide liegen dicht bei einander und sind durch Handel und Verkehr mit
einander eng verknüpft ; der einzige Unterschied besteht in der Art der
Wasserversorgung ; Hamburg bezieht sein Wasser direkt aus der Elbe
ohne Filter Vorrichtung. Altona dagegen wird vom selben Fluss mit
Wasser versorgt, jedoch -unter Zuhilfenahme eines Sandfilters. In
Hamburg lüar eine schwere CJioleraepideynie, in Altona kamen nur ein-
zelne, wahrscheinlich verschleppte, Choleraerkrankungsfälle vor-
Durch diesen Umstand wurden zwei Punkte klar gestellt : 1. Das
Elb Wasser in Hamburg war die Ursache der Choleraepidemie ; 2. Das-
selbe Wasser war nicht mehr schädUch nach Passirung der Altonaer
Filtrirwerke.
436
Trotz dieses gutea Resultates der Sandflltervorrichtung sieht sich
Prof. C. Eraenkel veranlasst, in der Deutschen Medicinischen Wochen-
schrift (1892, No. 41) auf seine und Piefke's Versuche hinzuweisen,
welche zeigen, dass eine Sandfiltervorrichtung nicht immer genügt,
um alle pathogenen Keime zurückzuhalten. — Nach den Versuchen
Fraenkel's und Piefke's geht bei ordnungsmässiger Handhabung
der Filter, namentlich bei gehörig herabgesetzer Filtrationsgeschwin-
digkeit (ungefähr 100 mm. in der Stunde) nur etwa der tausendste
Theil der im Schmutzwasser vorhandenen Mikroorganismen durch die
Filter hindurch. Dadurch wird die Gefahr im gegebenen Falle ausser-
ordentlich verringert, aber keineswegs aufgehoben.
Die Flusswasserversorgung hat ausser diesem von Fraenkel be-
tonten Fehler noch einen anderen, nämlich die hohen Temperatur-
schwankungen. Das Trinkwasser soll stets den Charakter eines Ge-
nussmittels haben, und um dieser Aufgabe gewachsen zu sein, muss
dasselbe einen guten Geschmack haben ; dieser letztere wird bedingt
1. durch den Härtegrad, 2. durch geringe Mengen absorbirter Kohlen-
säure, 3. hauptsächlich durch die rechtmässige Temperatur desselben.
Das entscheidende Moment für den Wohlgeschmack eines Trink-
wassers ist seine Temperatur, welche nicht viel über 9° C. sein darf.
— Das Oberflächenwasser würde sonach, selbst in gereinigtem Zu-
stande, nicht seine Aufgabe als gutschmeckendes Trinkwasser erfüllen
können, da dasselbe im Sommer einen zu hohen Wärmegrad hat.
Mit Eücksicht auf all diese Punkte tritt C. Fraenkel für den Ge-
brauch des Grundwassers ein, das frei von allen angeführten Mängeln
sei. Dieser Bakteriologe äussert sich über das Grundwasser und
dessen praktische Einf ülirung folgendermassen : „Das unter unseren
Füssen im Boden aufgespeicherte Grundwasser ist schon in verhält-
nissmässig geringer Tiefe völlig steril, d. h. von lofectionsstoffen unbe-
dingt frei, und bedarf also keiner weiteren Reinigung ; es ist ein hartes
und die mittlere Jahrestemperatur des Entnahmeortes, bei uns etwa
9°, aufweisendes und desshalb ausserordentlich schmackhaftes Wasser.
Warum wird es nicht ganz allgemein an Stelle des Oberflächenwassers
benutzt? Einmal kommt hier wohl in Betracht, dass man lange Zeit
hindurch gerade das Grundwasser in unmittelbare Beziehungen zur
Entstehung der gefürchtetstenlnfectionskrankheiten gebracht hat, und
dass deshalb in vielen, namentlich den älteren Köpfen häufig noch ein
sehr lebhaftes Misstrauen gegen das Grundwasser überhaupt spukt.
Dann wird bezweifelt, dass das Grundwasser in ausreichender Menge
vorhanden sei, um grössere Ansprüche zu befriedigen, und Herr Gill
beispielsweise äussert sich dahin, dass „die competenten geologischen
und hydrologischen Autoritäten sich dahin ausgesprochen haben, dass
für eine Stadt wie Berlin auf die Gewinnung genügenden Wassers aus
dem Untergrund der weiteren hiesigen Umgegend für die Dauer nicht
zu rechnen sei," Nun sind die Gründe, welche die kompetenten Auto-
ritäten zu dieser Anschauung veranlasst haben, aber rein theoretischer
Natur und auf dem Papier, aus einer Berechnung der jährlichen
Niederschlagsmengen, des Niederschlagsgebietes u. s. w. aufgebaut.
Die Praxis scheint jedoch gerade das Gegentheil beweisen zu wollen.
Ich kenne einfache Röhrenbrunnen (Flachbrunnen) mitten in den beleb-
testen Theilen Berlins, welche Wasser genug liefern, um die Dampf-
spritze ohne jede Unterbrechung speisen zu können ; ich habe einem
derartigen Brunnen nahezu 10 Stunden hindurch unausgesetzt Wasser
entnehmen lassen, ohne dass der Spiegel desselben im Brunneurohr
auch nur um 1 mm. gefallen w^äre ; und endlich, und das ist wohl das
entscheidendste, es ist nahezu kein einziger Fall bekannt geworden, wo
eine eigentliche Grundwasserversorgung selbst bei grösseren Städten
hinsichtlich ihrer quantitativen Leistung versagt hätte. Wenn z. B.
Leipzig aus den 140 Brunnen seiner Grundwasseranlage täglich 30,000
cbm. Wasser ohne Schwierigkeit entnimmt, wenn z. B. Frankfurt a. M.
eine neue grossartig ausgeführte Grundwasserversorgung mit einer
täglichen Production von 15,000—18,000 cbm. besitzt, so sollte man
meinen, dass die Möglichkeit, auch an anderen Orten ähnlich günstige
Verhältnisse zu schaffen, immer und immer wieder in Betracht gezogen
werden müsste."
REFERATE.
Pathologe und Bakteriologie. Referirt von Dr. LOUIS HEITZMANN.
Versuchsresultate über die Wirkung des Tuberculins auf die Impftuher-
culose des Meerschweinchens und Kaninchens. Von Dr. K. Yama-
giwa. (Virchow's Archiv, Band 129, Heft 2.)
Y. hat bei 15 Meerschweinchen und 17 Kaninchen Versuche über
die Wirkung des Tuberculins auf die Impftuberculose angestellt.
Sämmtliche Thiere bekamen je eine Platinöhse der Eeincultur von Tu-
berkelbacillen am Bauche subkutan eingeimpft ; mit der subkutanen
Einspritzung von Tuberculin wurde vom 7. bis zum 28. Tage nach der
Impfung angefangen. Die Kesultate seiner Versuche fasst V. folgen-
dermassen zusammen :
1) Der tuberculöse Prozess bei der Impftuberculose des Meer-
schweinchens und des Kaninchens kann ohne Rücksicht darauf, ob das
Thier mit Tuberculin (und zwar frühzeitig) behandelt worden ist oder
nicht, ruhig weiter fortschreiten. Anders ausgedrückt : die Ein-
spritzung des Tuberculins ist nicht im Stande, das Thier vor der
weiteren Infection der Organe zu schützen ; doch wird die Verbreitung
.des tuberculösen Prozesses innerhalb des thierischen Körpers durch
Tuberculinbehandlung nicht besonders begünstigt.
2) Was directe Beeinflussung des Tuberculins auf Localheerde an-
betrifft, konnte nirgends eine sofortige Wirkung desselben im Sinne des
Nekrotisirens beobachtet werden. Nur in dem tuberculösen Gewebe
der Milz der behandelten Meerschweinchen scheint die Kalkinflltration
früher einzutreten, als bei Controlthieren. Auch Ablagerung vom
braunen Pigment im tuberculösen Gewebe der Milz, konnte bei sämmt-
lichen Versuchsthieren der ersten Versuchsreihe beobachtet werden.
3) Wenn auch nicht immer auffallend, so schien doch die Rund-
zelleninfiltration um und auch in Tuberkelheerden, welche schon eine
gewisse Grösse erreicht hatten, bei behandelten Thieren stärker zu
sein.
•
438
4) Die einzige Thatsache, welche vielleicht als günstige "Wirkung des
Tuberculins betrachtet werden dürfte, ist die, dass die Impfstelle bei
zwei behandelten Kaninchen bis zum fast geheilten Zustande gekom-
men ist.
5) Tuberkelbacillen im metastatischen Heerde der Lunge (eines
behandelten Kaninchens) waren im Stande, nach Uebertragung auf ein
Meerschweinchen, sich weiter zu entwickeln.
Ein neuer Fall von Hermaphrodismus verus. Von Dr. Messner.
(Virchow's Archiv, Band 129.)
Es handelt sich um eine Zwitterbildung bei einem 31 Jahre alten
und seit 7 Jahren in anscheinend glückhcher Ehe als Mann verheira-
theten Menschen. Ein Kind, welches der Ehe entsprosste, starb im
dritten Lebensjahre. Der Zwitter wurde als Knabe getauft und erzo-
gen. In seinem 15. Jahre entwickelten sich die Brüste in ganz exces-
siver Weise. In seinem 21. Jahre stellten sich spontane Blutungen
aus der Harnröhre, mit heftigen Schmerzen im Leibe, richtige Molimina
menstrualia, ein, welche seither alle 4 Wochen wiederkehren und Jedes-
mal 3 — 4 Tage andauern. Der nackte Körper würde bei verdeckten
äusseren Genitalien von Jedem nach seinem Habitus als ein weiblicher
bezeichnet werden. Die äusseren Genitalien hingegen bieten einen
ganz männlichen Typus, indem sie das Aussehen eines mit Hypospadie
und Ectopia testiculorum behafteten Individuums haben. Nur die
Art der Behaarung des Möns veneris erinnert an das weibliche Ge-
schlecht. Unterhalb des Schambogens tritt in der Mitte ein ziemlich
gut entwickelter hypospadischer Penis hervor, dessen Länge von der
Wurzel bis zur Spitze 6 Cm. beträgt. Dieser Penis ist erectionsfähig ;
er wird dann 9 — 10 Cm. lang und noch einmal so dick als im schlaffen
Zustande. Die 2 Cm. lange Eichel wird theilweise von einer Haut-
duplicatur bedeckt, welche ohne Weiteres als Präputium aufgefasst
werden darf. Das Erenulum spaltet sich an der unteren Fläche der
Eichel in zwei Schenkel, welche als flache Wülste die Geschlechtsfurche
einfassen. Die eigentliche äussere Oeffnung der röhrenförmigen
Urethra, bezw. des Sinus urogenitalis, befindet sich 3 Cm. nach hinten
von der Spitze der Eichel an der unteren Fläche des Penis. Derselbe
hat deutliche Corpora cavernosa. Ein eigentlicher Hodensack existirt
nicht ; die Hoden sitzen über dem Penis rechts und links davon im
Leistenkanal. Der rechte ist gut entwickelt. In der linken Inguinal-
gegend ist das dort liegende Gebilde viel kleiner und kann nicht mit
Sicherheit als Hoden angesprochen werden ; möglicherweise stellt es
ein Ovarium dar. Durch combinirte Untersuchung vom Rectum und
von aussen konnte das Vorhandensein einer normalen Prostata con-
statirt werden. Bei weiterem Vordringen des untersuchenden Fingers
gelangt derselbe auf der rechten Seite hinten im kleinen Becken an ein
plattgedrücktes, etwa kirscheugrosses ovaläres Organ, welches deut-
lich abgetastet werden kann, und konnte V. mit grosser Wahrschein-
lichkeit annehmen, dass dieses Organ nach Grösse, Lage und Form als
rechtsseitiges Ovarium anzusprechen ist. Auf der linken Seite konnte
etwas Aehnliches nicht gefunden werden ; ebensowenig irgend etwas
das als rudimentärer Uterus hätte gedeutet werden können. Das
Sperma hat ein vollkommen normales Aussehen, nur fehlt der
charakteristische Geruch und mikroskopisch waren keine Spermatozoen
nachzuweisen. Hoden und Eierstock haben in diesem Fall einen hohen
Grad der Entwicklung erreicht, wie er sonst bei Zwittern nicht vor-
kommt.
m
iTeber Epidemien unter den im hygienischen Institut zu Greifswalde
gehaltenen Mausen und über Bekämpfung der Feldmausplage.
Von Prof. F. Loeffler. (Centralblatt für Bakteriologie und Parasi-
tenkunde. Band XL, No. 5.)
In einem 45 Mäuse enthaltenen Behälter im hygienischen Institute
zu Greiswald starben im Laufe von vier Wochen 31 davon. Fast alle
todten Mäuse wurden angefressen gefunden, und dieser Umstand er-
weclfte den Verdacht, dass die Infection durch Aufnahme des Krank-
heitserregers per OS entstanden und fortgepflanzt sei. Bei der Ob-
duktion zeigte sich fast konstant ein Milztumor ; die Leber war meist
parenchymatös getrübt, zeigte gewöhnlich einen starken Fettgehalt
und bot iiin und wieder kleine gelbliche Flecken dar ; auch Magen und
Darm zeigten vielfach Veränderungen. Die bakteriologische Unter-
suchung ergab bei sämmtlichen Mäusen ein übereinstimmendes Ergeb-
niss. Ls fanden sich in Ausstrichpräparaten von Leber und Milz zahl-
reiche kurze Bacillen, welche in ihrem Verhalten an die Typhusbacillen
erinnerten. Mit Hülfe der Kulturmethode wurde aus sämmtlichen
Mäusen der gleiche Bacillus gewonnen, welchen L. Bacillus typhi murlum
nennt. Der Zeitraum von der Infection bis zum Tode der Maus wurde
experimentell auf 1—2 Wochen festgestellt. Durch Experimente wurde
erwiesen, dass die Feldmaus, Arvicola arvalis, mindestens ebenso
empfänglich für den Bacillus ist, wie die weisse Hausmaus, und hält V.
eine wirksame Bekämpfung der Feldmäuse mittelst des von ihm ge-
fundenen Bacillus für leicht durchführbar. Alle anderen mit dem Ba-
cillus geimpften Thiere, Katzen, Ratten, Singvögel, Tauben, Hühner,
Meerschweinchen, Kaninchen u. s. w., erwiesen sich unempfänglich.
Wie die Epidemie entstanden ist, war nicht zu ermitteln.
Die Feldmausplage in Thessalien und ihre erfolgreiche Bekämpfung
mittels des Bacillus typhi murium. Von Prof. F. Loeffler. (Central-
blatt für Bakteriologie und Parasitenkunde. Band XII., No. 1.)
Von der] griechischen Regierung aufgefordert, die Vertilgung der
Myriaden von Feldmäusen, welche in der Ebene von Thessalien die
gesammte Ernte bedrohten, mittels seines Bacillus typhi murium zu
versuchen, bereitete L. eine grössere Anzahl von Agarkulturen des
Bacillus und machte sich mit einem Assistenten auf den Weg nach
Griechenland. Obwohl er die Versicherung erhalten hatte, dass die in
Thessalien lebende FeMmaus die Arvicola arvalis sei, welche Gattung
allein sich als empfänglich für den Bacillus erwiesen hatte, sah er auf
den ersten Blick, dass die thessalischen Feldmäuse verschieden waren.
Sofort angestellte Experimente jedoch zeigten, dass diese Mäuse noch
empfänglicher für den Bacillus waren, als die Arvicola arvalis, indem
alle geimpften und gefütterten Mäuse schon nach einigen Tagen star-
ben. Bei den Versuchen in Greifswalde hatten sich Abkochungen von
Hafer- und Gerstenstroh als sehr geeignet für die Kultur erwiesen und
Hessen sich durch Zusatz von 1 Proc. Pepton und ^ Proc. Traubenzucker
zu diesen Dekokten sehr geeignete Nährsubstrate gewinnen. Es wur-
den vier grosse, milchkannähnliche Gefässe von je 60 Liter Inhalt aus
Weissblech angefertigt, in diese die Strohabkochung gefüllt, neutrali-
sirt und sterilisirt, sodann mit einer Reinkultur der Bacillen inficirt.
Nach zwei Tagen waren die Bacillen in reichlicher Menge zur Entwick-
lung gelangt. Es wurden ebenfalls 412 Röhrchen mit Agarkulturen
hergestellt. Loeffler's Plan war der, mit den bacillenhaltigen Kultur-
flüssigkeiten flngergliedgrosse Stücke trockenen, womöglich weissen
Bredes zu tränken, und diese Brodstücke in die Mäuselöcher einzubrin-
gen. Prassen die Mäuse das Brod, so mussten sie verenden, durch die
bacillenhaltigen Dejectionen und Anfressen der todten Mäuse musste
#
440
dann die Krankheit weiter übertragen werden. Das Resultat war ein
glänzendes. Schon nach wenigen Tagen lief von allen Seiten die Nach-
richt ein, dass das Brod aus den Löchern verschwunden sei, und einige
Tage später hörten die Zerstörungen auf den Feldern auf. Bald wur-
den todte Mäuse ausserhalb der Löcher oder auch in den Löchern
stecliend gefunden ; auch halbtodte Mäuse wurden angetroffen. Alle
untersuchten Mäuse boten die pathologisch-anatomischen Veränderun-
gen des Mäusetyphus dar und enthielten in ihren Organen die charak-
teristischen Bacillen in reichlicher Menge. Somit war die Infection
der Mäuse mit Sicherheit konstatirt. Nach einigen Wochen zeigte es
sich, dass der Erfolg ein vollkommener war.
Die Mischinfektionen bei den akuten Eiterungen. Von Dr. Sergi
Trombetta. (Centraiblatt für Bakteriologie und Parasitenkunde.
Band XII., No. 4.)
Um die Frage zu beantworten, inwieweit die Mitbetheiligung von
Bakterien verschiedener Art die pathogenen Eigenthümlichkeiten der
pyogenen Bakterien beeinflusst, stellte V. bei Kaninchen eine Reihe
von Versuchen an und gelangte zu folgendem Resultat : Mischinfektio-
nen begünstigen die Eiterung in allen Fällen. Wenn die Bakterien, die
zusammen wirken, attenuirte Pyogenen sind, so erzeugen sie Absce-
dirung, die allerdings von jedem Mikroben resp. nicht veranlasst wer-
den könnte. Die nicht pathogenen Mikroorganismen geben dem
attenuirten Staphylococcus seine Wirksamkeit wieder. Die Wirksam-
keit dieser Mikroben nimmt bei Mitbetheiligung dieser Saprophyten
ersichtlich zu. Diese Zunahme äussert sich dadurch, dass die Abscesse
in diesem Falle viel rascher und leichter vor sich gehen. Die specifi-
schen pathogenen Bakterien (Typhus-, Tuberkelbacillen, Erysipel) be-
günstigen ebenso die Eiterungsprocesse.
Ein einfaches Verfahren zum Nachweis der Tuberkelbacillen im Aus-
wurf. Von Dr. P. Kaufmann. (Ebenda.)
K. bedient sich des siedenden Wassers zur Entfärbung statt der
Säuren. Das auf dem Deckglas angetrocknete und in Alkohol oder
über der Flamme fixirte Sputum wird mit heissem Carbolfuchsin ge-
färbt. Sodann werden die Deckgläschen 1^ bis 3 Minuten in sieden-
dem oder 98 bis 99 Grad C. heissem Wasser hin- und hergeschwenkt.
Man kann nun, falls man nicht Kontrastfärbungen, die sehr gut gelin-
gen, vornehmen will, ohne Weiteres im Wasser untersuchen und findet
die Tuberkelbacillen dunkelroth auf grauweisslichem Grunde. Auf
tuberkulöse Gewebe ist diese Methode wegen der mit derselben ver-
bundenen starken Quellung resp. Koagulirung der Gewebstheile nicht
anwendbar.
Gynaecologie.— Referirt von Dr. BRETTAUER.
Zur Behandlung der chronischen Beckeneiterungen : Die Resektion
des Uterus. Von Dr. Theodor Landau. (Centralbl. für Gyn., 1892,
No. 35.)
Vor einigen Jahren hat Pean den Vorschlag gemacht, bei allen
chronischen Beckeneiterungen die vaginale Totalexstirpation des
Uterus auszuführen. Second ist dem Rathe gefolgt und theilt eine
Reihe von so operirten Fällen mit, deren Resultate befriedigende wa-
ren. Dessenungeachtet fand Pean's Vorschlag keine allgemeine Auf-
nahme, vielmehr sprachen sich die Mehrzahl seiner Landsleute dagegen
aus, d. h. zogen die Inangriffnahme per laparotomiam vor. L. erwähnt
nun der Incision von der Vagina aus als einer Methode, die in einzelnen
441
Fällen als die einzig richtige erscheint, und zwar bei der Scheide an*
liegenden, entzündlichen Tumoren, die, wenn einkammerig, nach In-
cision und Drainage überraschend schnell zur Heilung gelangen.
Liegen jedoch zwischen Abscesshöhle und Vagina dicke Schwarten, so
ist die^ vaginale Eröffnung, wenn auch nicht absolut ausgeschlossen,
doch sehr schwierig und das Offenhalten der Incisionswunde oft nicht
möglich. Die Gefahren der Laparotomie werden nun auch erheblich
vermehrt durch die Nothwendigkeit, das schützende Dach von Darm-
schlingen zu zerstören, und damit eine günstigere Bedingung für In-
fection vom Bauchfelle aus herzuslellen. Für diese Fälle nun empfiehlt
Landau die Resection des Uterus, d. h. soviel vom Uterus zu entfernen,
dass die Abscesse zu den Seiten des Uterus frei mit der Yagina commu-
niciren.
Die Operation beginnt mit der Abtragung des Gervix, worauf, je nach-
dem es sich um ein- oder doppelseitige Affection handelt, mittelst
Morcellement entlang einer oder beider Uteruskanten soviel vom Uterus
entfernt wird, bis die Eröffnung des Abscess mittelst Scheere und Finger
möglich wird.
Eventuelle Blutungen werden durch liegenbleibende Klammern ge-
stillt und die Nachbehandlung den Principien der Offen-Wundbehand-
lung gemäss ausgeführt.
Verfasser gibt nun die Krankengeschichten von zwei nach dieser
Methode operirten und geheilten Fällen, bezüglich derer auf das Ori-
ginal verwiesen wird.
Die Lage der Ovarialdermoide zum Utems. Von Dr. Hermann W.
Freund. (Centralbl. für Gyn., 1892, No. 31.)
Küster theilte eine Beobachtung mit, der zufolge eine kleine Der-
moidcyste des Ovariums oberhalb der Symphyse, vor dem Uterus zu
fühlen war, sich leicht bewegen liess, doch jedesmal sofort in ihre ur-
sprüngliche Lage zurücksank. Ahlfeld, der ähnliche Fälle beobach-
tete, hält diese Erscheinungen für wichtige diagnostische Behelfe zur
Erkennung von Dermoiden, und nennt das Zurückschnellen des Tumors
das „Küster'sche Zeichen".
Freund sucht nun die beiden Symptome zu erklären und nimmt 3
Möglichkeiten an, wie die abnorme Lage des Tumors zu Stande kom-
men kann.
Entweder wird das degenerirte Ovarium während einer Schwanger-
schaft dislocirt und durch entzündliche Adhäsionen am Zurücksinken
verhindert, oder es wird ein normales Ovarium aus demselben Grunde
verlagert, und degenerirt später. Die dritte ist eine angeborene Ver-
lagerung wie es sich ähnlich den Abnormitäten in der Lage des Hodens
auch beim Descensus ovariorum leicht ereignen kann.
Gelegentlich der Behandlung von prolabirten Ovarien hat Freund
die Beobachtung gemacht, dass dieselben bei Repositionsversuchen
einen spiraligen Gang von innen nach aussen beschrieben und dann
plötzlich an ihren angestammten Platz zurückschnellen.
Er deutet nun diese eigenthümlichen Symptome des Küster'schen
Falles so, „dass diese Dermoide angeborener Weise ihren Sitz vor dem
Uterus haben, während die befallenen Organe ihre natürlichen Eigen-
schaften noch nicht so weit verloren haben, um nicht bei gewaltsamen
Dislokationen immer wieder an ihren alten Platz zurückzuschnellen".
Three Cases of Extrauterine Pregnancy. Ligation of , Ureter. By'Geo.
Erety Shoemaker, M. D. (Ann. of Gyn. and Paed., Vol. V., No. 11,
1892.)
Verf. gibt ziemlich ausführlich die Krankengeschichten von drei
operirtea Fällen von extrauteriner Schwangerschaft. Beim ersten Falle
442
handelte es sich um eine Tubargravidität im frühesten Stadium. 16
Tage nach Ruptur des Sacl^es wurde erst operirt; die Blutung hatte
aufgehört und der Sack war durch ein altes Coagulum das in der Riss-
stelle steckte, vollständig abgeschlossen von der Peritonealhöhle, in der
sich eine grössere Menge älterer Gerinnsel fanden. Heilung.
Im zweiten Falle wurde wegen vermutheter Salpingitis operirt und
dabei ein geschlossener Fruchtsack der rechten Tube entfernt, dessen
mikroskopische Untersuchung mit Sicherheit Placentargewebe nach-
weisen Hess. Foetus wurde nicht gefunden. Linksseitiger Haemato-
salpinx. Heilung.
Von grösserm Interesse ist jedoch der letzte Fall, bei dem die
Diagnose in Narkose sicher auf nicht rupturirte rechtsseitige Tubar-
gravidität gestellt wurde. Die Operation wurde auf den nächsten Tag
verschoben. Wahrscheinlich in Folge der Untersuchung platzte der
Sack, bevor der zur Operation festgesetzten Stunde. Bei derselben
zeigte es sich, dass schon viel früher eine Ruptur in das Ligamentum
latum stattgefunden hatte, und der Riss in die Peritonealhöhle noch
blutete. Ausschäl ang des Sackes war mit grossen Schwierigkeiten
verbunden, gelang jedoch, dabei wurde wie es sich bei der Sektion
zeigte, der rechte Ureter abgebunden. In den ersten 24 Stunden nach
der Operation wurden 41* Unzen Urin entleert, dabei war die Patientin
in einem beständigen Aufregungszustand, der bis kurz vor dem nach
72 Stunden erfolgten Tode angehalten hatte.
Ovariotomy during Pregnancy. Report of two successful cases. By
Henry Kreuzmann, M. D. (Am. Jour. of Obstetrics, XXVI, No. 2,
1892.)
K. berichtet über zwei Fälle von Gravidität im zweiten Monate
complizirt durch grosse Ovarialcysten, die er operirte. Die eine der
Frauen wurde am normalen Schwangerschaftsende entbunden, und
die andere war zu Zeit als K. den Fall veröffentlichte schon so lange
nach der Operation, dass von einem Einflüsse derselben auf den schwan-
geren Uterus keine Rede mehr sein kann.
Nach kurzer Besprechung aller in Frage kommender Umstände
entscheidet sich Verf. entschieden für Entfernung von Ovarialcysten
auch während der Schwangerschaft, bemerkte jedoch, dass sich die
Behandlungsweise nicht nach der Schablone, sondern nach dem ein-
zelnen Falle richten müsse.
Innere Medicin.— Referirt von Dr. AD. ZEDERBAUM.
Ueber das Wesen und die Behandlung der Peritjrphlitiden. Von Prof.
Sahli in Bern. (Corresp. Bl. f. Schweizer Aerzte, 1892, No. 19.)
Nach der Auffassung des Verfassers haben alle jene Entzündungen,
die man mit dem Ausdruck der Perityphlitis im weiteren Sinne des
Wortes zusammenfasst, das gemeinsam, dass sie auf einer Infection
der Wand des Coecums and seiner Nachbarschaft vom Darmcanal aus
beruhen. Die Verschiedenheit des Verlaufes und des Befundes bei der
Untersuchung seien wesentlich Differenzen des Virulenzgrades der Ent-
zündungen. Einen principiellen Unterschied zwischen Typhlitis ster-
coralis und Appendicitis erkennt Verfasser nidd an, indem, nach seiner
Ueberzeugung, die erstere als solche nicht existire und wahrscheinlich
in den meisten Fällen nichts anderes sei, als eine wenig virulente Ap-
pendicitis. Alle Autoren, die eine Typhlitis stercoralis annahmen,
setzten stillschweigend voraus, dass jener bekannte Tumor, welchen
man entsprechend der Form und Lage des Coecums constatirt, wirk-
443
lieh aus Kotli besteht, doch hat Niemand den Beweis hierfür erbracht»
weil diese Fälle eben nicht operirt werden. Dieser Tumor setzt sich»
nach S., zusammen aus der resistenten, zu solider Abkapselung führen-
den Infiltration von Darmwand und Peritoneum, vielleicht mitunter
auch aus kleinen abgekapselten Abscessen und serösen Exsudaten,
möghcherweise zum Theil aus Fibrin. Der oft beobachtete spontane
günstige Ausgang bei den verhältnissmässig wenig virulenten Formen
komme zustande entweder durch Kesorption des Abscesses — nach-
dem die Entzündung zum Stillstand gekommen ist, — oder durch
günstige Perforation desselben nach aussen, in Darm, Blase u. s. w.,
und nicht in das Peritoneum, wie bei den schwer virulenten und stür-
misch verlaufenden Perityphlitiden, wo eine Neigung zur Abkapselung
vorhanden ist. Bei der Behandlung gilt für alle Fälle in erster Linie
das wichtige Princip der Schonung der lädirten Theile, was erreicht
wird durch absolute Ruhe und strenge Diät. Patienten mit Perityphli-
tis sollen in der ersten Zeit nicht per os, sondern durch Klijstlere er-
nährt werden (1 — 3 mal täglich ein Klystier von 200 Ccm. Fleischbrühe,
2—3 gut damit verrührten ganzen Eiern, einem Esslöffel pulverförmi-
gen Peptons, ausserdem auf jedes Ei ein Gramm Kochsalz). Zur
Stillung des Durstes soll Patient in der Zwischenzeit nach Bedürfniss
auch noch Wasserklystiere von 300 Ccm. auf 40° erwärmten Wasser
erhalten. In ganz schwierigen Fällen infundirt S. den Patienten in die
Venen entsprechende Mengen von physiologischer Kochsalzlösung.
Abführmittel, sowie hochgehende Klystiere sollen unter keinen Um-
ständen angewendet werden. Einen sehr wichtigen Platz in der Peri-
typhlitis-Behandlung weist S. dem Opium an, welches nicht nur symp-
tomatisch, sondern auch curativ wirkt. Er empfiehlt es Anfangs in
grösseren Gaben darzureichen, so dass P. möglichst rasch schmerzfrei
wird, dann aber die Dosis sofort so zu mässigen, dass keine intensive
Narcose, sondern bloss die Schmerzlosigkeit erhalten und das Er-
brechen möglichst unterdrückt wird. Daneben ist die äussere Appli-
cation von Kälte oder Wärme sehr zu empfehlen, und zwar für die
früheren Stadien Eis, für die späteren, warme Umschläge, aber beides
nur unter der Bedingung, dass P. damit nach seinem subjectiven Be-
finden einverstanden ist. Was endlich die Indication zur operativen
Behandlung anbetrifft, so ist die Operation in denjenigen Fällen in Be-
tracht zu ziehen, wo der Arzt unter Berücksichtigung aller Symptome
den Eindruck erhält, dass er durch die interne Therapie allein nicht
zum Ziele kommt. Zu operiren sind : 1) Stürmische Fälle, wo man
den Eindruck erhält, dass sich eine allgemeine Peritonitis oder Sepsis
vorbereitet ; 2) Fälle, die durch das Ausbleiben eines deutlichen Er-
folges der Therapie ihre Virulenz verratheu ; 3) Fälle, welche, ohne
stürmisch zu verlaufen oder progressiv zu sein, eine gewisse Virulenz
durch das Auftreten häufiger und schwerer Recidive vermuthen lassen,
und endlich 4) Fälle, wo ein oberflächlicher Abscess durch die physi-
kalische Untersuchung sichergestellt ist.
On Some of the Factors Contributing to the Development of Bright's
Disease. By Dr. L. Bremer, in St. Louis. (The Med. Fortnightly,
Jauuary 15th, 1891.)
Verf. beschäftigt sich hier ausschliesslich mit derjenigen Form der
Nephritis, deren anatomisches Substrat die sogenannte rothe Schrumpf-
niere bildet. Die Anfänge dieser schweren Krankheit sind meistens so
schleichend und die Symptome so mannigfaltig, dass das Grundleiden
von Aerzten nur zu oft übersehen wird, bis schliesslich ein unerwarteter
urämischer Anfall in mehr oder weniger ernster Weise das Leben des
Patienten auf einmal in grosse Gefahr versetzt. Durchmustert man
die lange Reihe der verschiedenen Leiden, unter welchen sich diese
444
verhängnissvolle Krankheit im Anfange maskirt (Kopfschmerzen, Neu-
ralgien, Asthma, Herzklopfen, dyspeptische Beschwerden, Epistaxis,
Amblyopie, Ohrenleiden, rheumatoide Schmerzen u. s. w. u. s. w.) und
berücksichtigt man noch den wichtigen Umstand, dass bei dieser Ne-
phritisform oftmals im Beginne Hydrops fehlt und auch kein Albumen
im Harne nachzuweisen ist, so ist es begreiflich, dass P. nicht selten
gegen Leiden behandelt wird, die mit seiner Grundkrankheit gar nichts
zu thun haben. Und gerade weil die Krankheit verkannt wird, ge-
schieht es, dass P. nicht rechtzeitig und energisch dazu angehalten
wird, sich vor der weiteren Entwickelung derselben zu schützen und
seine Lebensweise — die ja in diesen Fällen eine so wichtige Rolle
spielt — entsprechend zu modificiren. Die Klagen des P. werden mit
„Neurasthenia", „Nervöser Dyspepsie" und anderen derartigen Namen,
„die eine Anzahl von diagnostischen Sünden" decken, belegt : man
schickt ihn in's Gebirge, oder in's Seebad, lässt ihn turnen, fischen,
auf die Jagd gehen, entreisst ihn dem geregelten häuslichen Leben,
welches er mit dem Wandern von Hotel zu Hotel verwechselt — Alles
Dinge, die gerade für seinen Zustand so schädlich sind und die weitere
Entwickelung seiner Krankheit fördern. Leider handelt es sich dabei
gewöhnlich um Personen, die im besten Alter stehen — zwischen 40 und
45 Jahren. Wenn hier nicht rechtzeitig der richtige Weg eingeschlagen
wird, so ist das Schicksal des P. besiegelt. Es ist daher von der aller-
grössten Wichtigkeit, in Fällen, wo die Klagen des P. vager Natur sind,
sorgfältig seine Gesundheit zu prüfen und möglichst früh eine richtige
Diagnose zu stellen, und ferner, nach streng wissenschaftlichen Princi-
pien die Behandlung von Yorne herein — in hygienischer, diätetischer
und rein therapeutischer Beziehung — derart zu leiten, dass einem
weitern Umsichgreifen der Krankheit entgegengesteuert werde. Letz-
teres kann, nach B.'s Erfahrungen, sicherlich in einer grossen Anzahl
von Fällen erreicht werden.
The Analo^y "between Acute IdiopatMc Pleuritis and Acute Articular
Rheumatism. By Dr. E. L. Shurly, in Detroit. (The Journal of the
Amer. Med. Ass., July 30th, 1892.)
Auf die Verwandtschaft der genannten Krankheiten hat bereits
Vallieux im Jahre 1854 aufmerksam gemacht. Von anderen Autoren
hat besonders Davis in London aiese Identität mehrmals hervorgeho-
ben. Die theoretische Grundlage für diese Annahme stützt sich,
erstens, darauf, dass sowohl die Pleura, als die Synovialmembranen
der Gelenke entwickelungsgeschichtlich aus dem Mesoblast stammend,
welches das Material für die endotheliale Auskleidung aller geschlosse-
nen Körperhöhlen liefert, und, zweitens, darauf, dass ein gewisser Zu-
sammenhang in der Entstehung dieser beiden Krankheiten in den
meisten Fällen nachzuweisen ist. Pleuritis sowohl, als Pericarditis
treten sehr oft neben rheumatischen Affectionen auf; sie werden leicht
übersehen, wenn der Gelenkrheumatismus durch seine klinischen
Symptome mehr in den Vordergrund tritt. Es ist ja überhaupt be-
kannt, dass speciell Pleuritis sehr oft lange oder auch gar nicht er-
kannt wird, wenn nämlich ihr Verlauf nicht stürmisch ist und dem P.
keine Beschwerden verursacht. Nicht immer sind auch die physikali-
schen Zeichen so ausgeprägt, dass man mit Sicherheit die Diagnose
stellen kann. Der Zufall spielt auch hier manchmal eine Rolle, wie es
in einem Falle von Sh. war : nachdem er erfolglos bei einem Rheuma-
tiker die ganze Brust mehrere Mal untersucht hatte, legte er noch sein
Ohr an die intraclaviculare Gegend an und entdeckte hier ein leichtes
pleuritisches Reiben. Der weitere Verlauf des Falles bestätigte voll-
kommen den ursprünglichen Verdacht auf Pleuritis. Aber auch die
Resultate der Behandlung sprechen dafür, dass Pleuritis und Gelenk-
445
rheumatismus aus einer Quelle entstammen : man sieht nämlich nicht
selten, dass mit der Besserung der Gelenkkrankheit der pleuritische
Erguss und die sonstigen Zeichen der Brustfellentzündung mit erstaun-
licher Rapidität verschwinden. In einem Falle von Sh., wo fast die
gesammte linke Pleura und das Pericard erkrankt waren, stellten sich
erst am zehnten Tage Erscheinungen von Gelenkrheumatismus ein :
eine energische Behandlung mit Natr. salicyl. besserte gldcJizeitig beide
Zustände ! Köster (Ther. Monatshefte, Mai 1892) betonte erst neulich,
dass es wünschenswert!! wäre, pleuritische Ergüsse öfters als es bisher
geschieht mit Salicylpräparaten zu behandeln ; namentlich in frischen
Fällen sollen letztere Vorzügliches leisten. Ein weiterer Umstand,
der für die Verwandtschaft der hier behandelten Krankheiten spricht,
ist der, dass Beide merkwürdigerweise in gewissen Gegenden mit der-
selben Häufigkeit vorkommen : wenigstens hat Verf., auf Grundseiner
Nachfragen, entschieden sich überzeugen können, dass in Districten,
wo der Gelenkrheumatismus vorherrscht, auch sehr viele Fälle von
Pleuritis beobachtet werden.
Zur Aetiologie der Cystltis. Von Dr. Johannes Müller in Würzburg.
(Virchow's Arch., Bd. 129, Heft II.)
M. stellte sich zur Aufgabe, durch Versuche die Frage aufzuklären,
ob wirklich der Ammoniakproduction eine fundamentale Rolle in der
Aetiologie der Cystitis zugesprochen werden müsse. Er kommt zu
dem Schlüsse, dass in der überwiegenden Mehrzahl der Cystitiden die
pathogenen Mikroorganismen nicht mit harnstoffzersetzenden Eigen-
schaften ausgestattet sind, dass ferner in den relativ seltenen Fällen
von ammoniakalischer Harngährnng innerhalb der Blase dem Am-
moniakgehalte des Urins nur die Stelle eines gleichzeitigen begleiten-
den Umstandes, aber keine ätiologische Bedeutung zugeschrieben
werden darf, und dass schliessHch die durch Bacterieninvasion hervor-
gerufenen Blasenveränderungen von noch nicht näher bekannten
Stoffwechselprod ucten abhängig gemacht werden müssen, welche, je
nach der Wirkung der betreffenden Microorganismen, eine Cystitis
leichteren oder schwereren Grades hervorrufen.
Allerlpi.
Der "berühmte Chirurg am Hotel Dieu in Paris, Prof. Verneuil beab-
sichtigt in nächster Zeit von seinem Posten aus Altersrücksichten (er
steht im 69. Lebensjahre) zurückzutreten. Prof. Verneuil, welci.er eine
glänzende Laufbahn hinter sich hat, darf fast alle jüngeren Chirurgen
der französischen Schule zu seinen Schülern rechnen. Er war auch
einer der Ersten in Frankreich, welche die antiseptische Methode dort
zur Geltung brachten. Als sein Nachfolger wird der bekannte Chirurg
am Hospital Pitie, Prof. Lefort, genannt.
Nach einer Mittheilung von Dr. E. G. West in Boston, hat sich das
Antipyrin als unübertreffliches Mittel gegen Nasenbluten bewährt. In
akuten Fällen sättigt er einen Baumwollenpfropf mit Antlpyrinlösung
oder Pulver und bringt ihn in das Nasenloch. Dies half in ailen Fällen
sofort, ohne die Bildung jener lästigen Blutgerinnsel, wie sie die Appli-
kation von Eisenlösung bewirkt.
Am 17. Dacember d. J. wird die Deutsche Medicinische Gesellschaft
der Stait New York im Arion ein Stiftungsfest— mit Damen und
Gästen— ablialten. Das Couvert (ohne Wein) beträgt $1.50. Die Mit-
446
glieder werden eingeladen, sofern dies nicht schon geschehen ist, ihre
Namen und die Zahl der Couverts in den, während der Sitzung aufge-
legten Subscriptions-Bogen einzutragen. Anmeldungen übernimmt
auch der correspondirende Sekretär, Dr. W. Freudenthal, 1054 Lex-
ington avenue.
Das Wingah Sanitarium für Tuberkulöse (in Asheville, N. C), ge-
leitet von Dr. Karl von Kuck, wird am 20. dieses Monats von neuem
eröffnet werden, und wünschen wir dieser Anstalt das beste Gedeihen.
Laut einer uns zugegangenen Mittheilung von Herrn Prof. Dr.
Max Schueller aus Berlin, hat derselbe im dortigen neueingerichteten
Friedrich Willielm-Kurhaus, Berlin, W., Friedr. Wilh.Str., die Leitung
einer chirurgischen Abtheilung übernommen, welche wesentlich der
Chirurg. Behandlung von Knochen- und Gelenkleiden, chirurg. Tuber-
kulosen, plastischen Operationen u. s. w. gewidmet sein soll. Es stellt
das Friedr. Wilhelm-Kurhaus ein mit allen modernen Einrichtungen
auf das Eleganteste ausgestattetes für Privatpatienten bestimmtes
Sanatorium dar, in welchem Anlagen für alle möglichen Bäder, für
electr. Behandlung, ein medico-mechan. Institut, Operationssälen. 75
Zimmer vorhanden.
Prof. Hermann Helmholtz feierte am 2. November sein öOjähriges
Doctorjubiläum. Seitens der Universität war ihm bei dieser Gelegen-
heit eine glänzende Ovation zugedacht ; auch die Studentenschaft,
besonders die Angehörigen der philosophischen und medizinischen
Facultäten, hatten einen solennen Kommers mit vorausgehendem
Fackelständchen vor dem physikalisch-physiologischen Institut ge-
plant. In seiner bekannten zurückhaltenden Bescheidenheit hat aber
der berühmte Jubilar all' diese Pläne durchkreuzt, indem er eine Keise
nach auswärts angetreten und dadurch die beabsichtigten Huldigun-
gen vereitelt hat.
Am achten Oktober fand in Wien in dem Hörsaale von Professor
Billroth die Feier seines vierzigjährigen Doktoren- und 25,iährigen
Professorenjabiläums statt. In dem Saale, der zu einem förmlichen
Garten umgewandelt war, fanden sich nahezu alle Hörer Billroth's
ein. Als Professor Billroth den Saal betrat, erhoben sich alle An-
wesenden von den Plätzen. Nun begrüsste Professor Czerny aus Hei-
delberg den Meister mit folgender Ansprache : „Hochverehrter und
innigstgeliebter Meister ! Vierzig Jahre sind es, seitdem Sie auf dem
Gebiet der Medizin stets fruchtbringend thätig sind. Durch das tiefe
Eindringen in das Wesen der Wundbehandlung, der Heilung der Ge-
schwülste, deren Aetiologie der Verbanrllehre und durch das Einführen
der Statistik haben Sie die Chirurgie, welche bis dahin nur eine empi-
rische Kunst war, zur Höhe der Wissenschaft im vollkommensten
Sinne des Wortes erhoben. Fünfundzwanzig Jahre sind's, dass mit
Ihnen an der Wiener Hochschule ein neuer Geist einzog, eine neue
Richtung, ein neues Ziel steckten Sie uns vor. Tausende Schüler ver-
folgten Ihre segensreiche Thätigkeit mit Bewunderung. Weit über die
Grenzen des Vaterlandes, über Europa hinaus in die ganze wissen-
schaftliche Welt drang der Name Billroth's, tausende von Menschen,
denen Sie Heilung brachten, preisen ihn. Dauernd bleibt Ihr Verdienst,
in Ewigkeit wird Ihr Name in der Geschichte der Medizin mit goldnen
Lettern prangen, verewigt sein in der Kulturgeschichte der Mensch-
heit. Und wir, denen Sie gestatteten, in Ihren Geist einzudringen,
können nur in Ihrem Sinne für das Wohl der Menschheit wirken und
hierdurch auch nur Ihren Namen heben. Nun will ich, als ältester
Ihrer Schüler, der erste der unter Ihrer direkten Leitung herangebil-
det wurde, das Produkt der Thätigkeit Ihrer Schüler, den ersten Band
unseres Werkes Ihnen als Festband übergeben Bedeutend
bleibt Ihr persönlicher Einfluss auf uns, denn das Gute, Wahre,
Menschliche und Edle prägten Sie in unser Gemüth ein. Von Nah und
Fern kamen wir, der Freude Ausdruck zu verleihen, an diesem Tage
unseren geliebten Meister sehen zu können. Wie gerne wären die
Vielen da, die schon die kalte Erde deckt ! Ein Wunsch begeistert
uns alle, mögen Sie noch lange, sehr lange als Führer uns die Fahne
voran tragen und noch sehr lange durch Ihre so reichlich fruchtspen-
dende Thätigkeit auf dem Felde der Medizin glänzen." — Nach diesen,
mit stürmischem Beifall aufgenommenen Worten erhob sich Professor
Billroth zu folgender Erwiderung: „Kollegen, Schüler und Freunde!
Wie schön ist es, dass Sie heute wieder herkamen an die Stätte, wo
Sie als Schüler, Zöglinge und Assistenten wirkten. Viele unter Ihnen
sind seitdem berühmte Lehrer geworden. Nehmen Sie alle meinen
Dank dafür, dass Sie kamen, Ihren alten Lehrer zu sehen." Der Red-
ner brach hier in Thränen aus und es dauerte eine ziemliche Weile, bis
er wieder sprechen konnte. „Die Chirurgie ist gediehen," sagte er
weiter, „aber nicht weil wir vielleicht geschicktere Hände hätten, son-
dern nur durch traditionelle Uebergabe des Gefundenen von Meister
auf Schüler und vice versa. Die gründliche, gewissenhafte Erfor-
schung der einzelnen Richtungen in unserem Gebiete sicherte uns Fort-
schritte. Human und gewissenhaft in unserem Thun, nicht die ge-
ringste Kleinigkeit ausser Augenmerk zu lassen, war stets unsere
Pflicht, denn es schwebte uns immer vor Augen: Was wir thun, ist
für die gesammte Menschheit gethan. Ihr Buch erinnert mich an die
schönsten Tage meiner Jugend." Der Gefeierte reichte sodann jedem
der Anwesenden die Hand und verliess mit Thränen in den Augen den
Saal.
ßüchertisch.
Eingelaufen :
Münchener medicinische Abhandlungen.
Heft 31, Die puerperalen Todesfälle der Münchener Frauenklinik,
1887/91. Von Dr, Max Madlener,
Heft 32. Beiträge zur Casuistik der traumatischen Trommelfell-
rupturen. Von Dr. J. Veith,
Heft 33. Münchens Tuberculosemortalität in den Jahren 1814-1888.
Von Dr. M. Weitemeyer.
Heft 34. Zur Kenntniss der Phosphor-Nekrose. Von Dr. J. Nau-
mann.
Heft 35. Bacteriologische und khnische Beobachtungen über Na-
trium chloro-borosum als Antisepticum. Von Dr. J. Büller.
Heft 36. lieber die Entwicklung von Milz und Pankreas. Von
Prof. Dr. C. v. Kupffer.
Heft 38. Ueber die vicariirende Hypertrophie der Leber bei Leber-
echinococcus. Von Dr. M. Dürig.
Heft 28. Ueber das Vorkommen offener Schlundspalten bei einem
menschlichen Embryo. Von Dr. E. Tettenhamer.
Veber die Lebensweise der Zuckerkranken. Von Professor Dr.
Wilhelm Ebstein. Wiesbaden. Verlag von I. F. Bergmann, 1892.
Im vorliegenden Buche legt Ebstein seine Anschauungen über die
den Zuckerkranken zu empfehlende Lebensweise klar. Das Werk
fäDgt mit einer historischen Uebersicht über die Entwickelung der
Behandlung der Zuckerharnruhr unter besonderer Berücksichtigung
der diätetischen Massregeln an. Der zweite Abschnitt enthält eine
kritische Würdigung der verschiedenen diätetischen Behandlungs-
methoden der Zuckerharnruhr unter Zugrundlegung der Erfahrungen
des Verfassers. Ebstein vertritt die Ansicht, dass die Diät eines
Zuckerkranken von vorneherein so eingerichtet werden müsse, dass
letzterer stets danach leben könnte ; d. h. E. huldigt nicht dem Princip,
dass man beim Auffinden von Zucker im Harn gleich eine rein anima-
lische Kost einführen sollte. Nach E. muss die Entziehung des Koh-
lenhydrates bei dem Zuckerkranken besonders der Schwere der Krank-
heit angepasst werden. Bei Patienten, welche von dem diabetischen
Coma bedroht sind, ist die plötzliche Einführung einer vorzugsweisen
Eiweissdiät sehr bedenklich. E. gestattet seinen Diabetikern geringe
Mengen Kohlenhydrate. Das Aleuronat, ein, von Hundhausen darge-
stelltes, Fabrikat pflanzlicher Eiweisskörper, lässt sich sehr gut in der
Diabetesdiät verwerthen ; man kann aus gleichen Theilen Weizenmehl
und Aleuronat ein Brot herstellen, das ganz besonders reich an
Eiweiss ist und doch sehr gut schmeckt. Neben der Diät legt E. viel
Gewicht auf Förderung der Muskelarbeit und Leben im Freien ; das
Hochgebirgs-Klima an sich ist gleichfalls von gutem Einfluss auf die
Zuckerkrankheit. Das vorliegende Buch ist äusserst interessant und
lehrreich und ist dasselbe aufs beste zu empfehlen. M. E.
Personalien.
Verzogen : Dr. Edward Pisko, nach No. 151 E. 78. Street, nahe
Lexington Ave.
Dr. Carl Koller, nach 32 E. 60. Street.
Dr. Max Einhorn.
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An die Leser.
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sind an den Herausgeber zu richten.
Herr Karl Kahler, unser einziger Vertreter, ist eben im Interesse
unseres Blattes im Osten thätig. Da dei'selbe dieses Jahr nicht reisen
wird, so erweisen uns die geehrten Abonnenten einen grossen Gefallen,
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Medical Monthly Pübl. Co.
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New^ Yorkier
Medicinische Monatsschrift.
Organ für praktische Aerzte in Amerika
unter Mitwirkung von
Dr. A. F. Buechler, Dr. Geo. Degner, Dr. Max Einhorn, Dr. Jos. "VV. Gleitsmann,
Dr. Geo. W. Jacoby, Dr. F. Krug, Dr. S. J. Meitzer, Dr. Willy Meyer,
Dr. C. A. von Kamdohr, Dr. A. Schapringer, Dr. A. Seibert
herausgegeben von
Dr. F. C. HEPPENHEIMER.
Verlag der Medical Monthly Publisliing Company, 17-27 Vandewater Street, T«
Bd. IV.
New York, 15. Becember 1892.
No. 12.
Asheville, N. C. und seine Vorzüge als Curort für
Lungenkranke.*)
Yon
Dr. J. W. GLEITSMANN
Professor der Laryngologie und Rhinologie an der N. Y. Polyclinic, Präsident
der Deutschen Medicinischeu Gesellschaft der Stadt New York, etc., etc.
Der Aufforderung unseres geehrten Herrn Präsidenten ent-
sprechend, erlaube ich mir, Ihnen heute Abend einige Mittheilungen
über einen Curort zu machen, dessen Kuf in den letzten Jahren sowohl
in den ärztlichen Kreisen wie dem Laienpublikum sich stetig verbrei-
tert hat. Ich thue diess um so lieber, als ich selbst an dem Orte
mehrere Jahre gelebt und auch vor einem Jahre mehrere Wochen dort
zugebracht habe, so dass ich in der Lage bin, Ihnen eine wahrheits-
getreue, auf eigener Erfahrung und Beobachtung basirte Schilderung
zu geben.
Ehe ich auf die detaillirte Besprechung des Curortes eingehe, ge-
statten Sie mir, einige kurze Allgemein bemerkungen, die meiner An-
sicht nach uns in der Wahl eines Platzes für Lungenkranke leiten
sollen. Es dürfte eine solche Betrachtung bei der uns jetzt bevor-
stehenden kälteren Jahreszeit um so mehr am Platze sein, als binnen
wenigen Wochen eine grosse Anzahl solcher Kranken aus ihrer Hei-
math fortgeschickt und viele derselben längere oder kürzere Zeit aus
dem Kreise ihrer Angehörigen, ihrer Familie, verbannt werden.
Diess ist kein zu unterschätzender Factor bei der Anweisung, die
wir dem Patienten geben, da eine wenn auch temporäre Veränderung
des Domicils dem Kranken viele Eutbehrungen des Geistes wie Ge-
müthes, sowie auch finanzielle Opfer auferlegen. Wir müssen bei der
*) Vortrag gehalten in der Deutschen Medicinischen Gesellschaft der Stadt
New York am 7. November 1892.
450
Wahl eines Curortes um so vorsichtiger, um so gewissenhafter sein,
als wir im Frühling eine verhältnissmässig grosse Proportion Kran-
ker ungebessert oder in schlechterem Zustande zurückkehren sehen,
die bei sorgfältigerer Untersuchung ihres Zustandes, bei genauerem
Yertrautsein mit den verschiedenen Eigenschaften des gewählten Cur-
ortes hätten gebessert werden können. Das jeweilige Befinden des
Kranken, der locale Lungenbefund, seine Allgemeinconstitution sind
natürlich von vorneweg für die Wahl massgebend. Kranke in vorge-
rücktem Stadium, anämische oder solche die von kaltem Wetter oder
dem kleinsten Witterungswechsel unangenehm oder nachtheilig afii-
cirt werden, werden wir nicht in kalte Regionen, wie die Adirondacks,
Minnesota hier zu Lande, oder die Höhencurorte in der Schweiz, wie
Davos oder das Engadin, schicken. Für solche sind temperirte Zonen
die geeignetsten. Trotzdem sehen wir Kranke der verschiedensten
Art, in allen möglichen Stadien ihrer Affection, an Curorten mit dem
heterogensten Klima überwintern. Wir finden sie in unserem Conti-
nent entlang der Californischen Küste bis San Diego und an den west-
lichen Abhängen der Sierra Nevada, in dem Hochplateau und Thälern
der Rocky Mountains in New Mexico und Colorado, sowie in Minnesota,
im nördlichen Theil unseres Staates, und in allen östlichen Küsten-
Staaten von North Carolina bis Florida und Texas.
Bei der grossen Anzahl der existirenden Carorte ist die richtige
Wahl oft recht schwer, zumal wir wissen, dass die Natur allein manch-
mal auch unter den ungünstigsten Verhältnissen eine Heilung erzielt.
Der verstorbene Dr. Brehmer erzählt in seinem Buche über chroni-
sche Lungenschwindsucht ein so drastisches Beispiel einer solchen
Naturheilung, dass ich es Ihnen in Kürze wiedergebe. Ein seiner
Krankheit wegen nach London gekommener Gutsbesitzer consultirte
Dr. Stokes, der Erweichungsheerde in der Lunge constatirte, welchen
Befund ein zweiter hinzugezogener College bestätigte. Beide Aerzte
stimmten überein, dass für den Kranken nichts mehr gethan werden
könne, und riethen ihm, wieder auf seinen Landsitz zurückzukehren.
Nach circa ein und ein halb Jahren betrat ein grosser, gesund aus-
sehender Mann von mindestens 170 Pfund Gewicht Dr. Stokes Ordi-
nationszimmer. Der Ausdruck seiner Züge hatte etwas unsäglich
Spöttisches und Komisches, als er den Doctor fragte, ob er ihn wieder-
erkenne. Als Stokes diess verneinte, sagte er, er wäre dasselbe Indi-
viduum, über das die Aerzte voriges Jahr den Stab gebrochen hätten.
Bei der sorgfältigsten Untersuchung zeigte sich jedes Krankheits-
symptom verschwunden. Auf Befragen nach seiner Lebensweise
während dieser Zeit, sagte der Kranke, dass er da er geglaubt habe, er
müsse doch sterben, seine alte Lebensweise fortgeführt und gegessen
und getrunken habe, was ihm eben in den Weg kam. Sein Haupt-
getränk war gewöhnlicher Punsch, von welchem er in der Regel sieben
Gläser vor dem Schlafengehen trank. Er war ein grosser Jagdlieb-
haber, und so oft er ausgehen konnte, ging er auf die Entenjagd.
451
Als ihn Stokes fragte, ob er sich dabei nicht oft die Füsse vernässt
hätte, antwortete er : um die Füsse habe er sicli nicht sonderlich ge-
kümmert, da er manchen schönen Wintertag 4 bis 5 Stunden lang bis
an die Hüften im Wassijr watete, wenn er den Vögeln nachging.
Solche Naturlieilungen gehören jedoch zu den seltensten Ausnah-
men, und wir müssen uns nicht fragen, wo und wie ein oder der andere
Kranke geheilt wurde, sondern welche klimatischen und hygienischen
BedinguDgen der Mehrzahl derselben die beste Aussicht auf Besserung
oder Heilung gewähren. Die Anforderungen, welche an einen Curort
für Lungenkranke gestellt werden, sind vielseitig und nicht so einfach,
als man aus der grossen Anzahl der Plätze schliessen möchte, die sich
als solche ausgeben.
Die drei climatischen Hauptfactoren sind Barometerdruck, Tempe-
ratur und Feuchtigkeit, und von diesen abhängend eine Anzahl anderer,
wie Ozone, Electricität, Insolation, Wind, ßegen, ßeinheit der Atmo-
sphäre etc. Wir wollen nur die drei ersten in Kürze analysiren, die
andern bei Besprechung des Clima von Asheville erwähnen.
Die ersten Aufzeichnungen in der Neuzeit über den wohlthätigen
Einfluss des Höhenclimas auf Lungenkranke finden sich in den 50er
Jahren bei Fuchs und Muehry, denen bald Joürdanet mit seinen Unter-
suchungen über Mexiko folgte, Ihnen schlössen sich Hirsch in seinem
grossen Handbuch der historisch-geographischen Pathologie, Herr-
mann Weber in London, Küchexmeister und die verstorbenen Bier-
mann und Brehmer an. Wie mit manchen neuen Ideen führte auch hier
der Enthusiasmus der Anhänger dieser Theorie einige derselben zu
weit, und haben sich namentlich zwei aufgestellte Sätze nicht in dem
ursprünglichen Umfang bestätigt. Es sind dies die Behauptungen ein-
mal, dass die Schwindsui;ht unter der Bevölkerung proportional mit der
zunehmenden Höhe abnehme, ferner, dass Immunität gegen Phthise in
südlicheren Breitegraden eine im entsprechenden Verhältniss höhere
Elevation erfordere. Wenn auch der letztere Satz insofern richtig ist,
als wir in südlichen Breiten erst bei höherer Elevation Abnanme
von Phthise bemerken, die wir nördlich schon bei geringerer Höhe
beobachten, so stehen doch diese beiden Faktoren nicht in directem
proportionalem Verhältniss, sondern sind vielen Schwankungen unter-
worfen. Trotzdem ist der günstige Einfluss von Elevation von den
meisten Authören anerkannt, wozu vielfach die Veröffentlichungen von
Dr. Müller*) und Joürdanet beigetragen haben. Ersterer publicirte
das Resultat von Untersuchungen über Vorkommen von Schwindsucht
in der Schweiz, welche von der dortigen Naturforscherversammlung
in's Werk gesetzt worden waren und sich über 5 Jahre erstreckten.
Die erlangten Resultate sind in Kürze folgende:
1) In der Schweiz ist mit zunehmender Höhe eine Abnahme der
Häufigkeit der Schwindsucht sicher wahrzunehmen.
*) Die Verbreitung der Lungenschwindsucht in der Schweiz von Emtl
MüLLEE, Winterthur, 1876.
452
2) Phthise kommt auch in den höchst bewohnten Gegenden, wenn
auch hier selten vor.
3) Im Durchschnitt haben die niedrigsten Lagen doppelt soviel
Schwindsucht als die höchsten, nach Abzug der auswärts erworbenen
Fälle aber bedeutend mehr.
4) Abnahme der Phthise mit zunehmender Höhe ist weder constant
noch in regelmässiger Proportion, und die bisher zu Tage tretenden
Unregelmässigkeiten sind hauptsächlich durch sociale Bedingungen,
Beschäftigung etc. bedingt.
JouBDANET, der längere Zeit in Mexico lebte, sagt in seinem Werke :
1) Schwindsucht ist in Mexico bei einer Elevation über 2000 Meter
sehr selten.
2) Unter der besser situirten Bevölkerung herrscht fast absolute
Immunität.
3) Disposition zur Phthise in der Jugend anderswo acquirirt, ver-
schwindet als Kegel bei Aufenthalt in höheren Kegionen.
4) Vollständige Heilung wurde oft bei Patienten beobachtet, die in
Frankreich erkrankt waren.
Wir sehen demzufolge eine stetige Zunahme von derartigen Cur-
orten in Europa, und sind dieselben durchschnittlich in einer Elevation
von 2000 bis 4000 Fuss gelegen. Eine Ventilation der Frage, auf welche
Weise die Elevation auf die kranken Lungen wirkt, ob durch vermin-
derten Barometerdruck allein, ob durch grössere Keinheit der Luft,
durch verstärkte Insolation, durch die in Folge der kühleren Tempe-
ratur nothwendiger Weise resultirende geringere absolute Feuchtigkeit
— würde uns zu weit führen, und begnügen wir uns mit der Thatsache,
dass das Höhenclima einen günstigen Einfluss auf Plithise ausübt.
Es sind noch nicht viele Jahre her, dass die Temperatur die Haupt-
rolle in der klimatischen Behandlung der Phthise spielte, und schickte
man die Kranken nach Gegenden mit gleichmässigem, warmem Wetter.
Seitdem ein tonisches, roborirendes Verfahren befolgt wird, ist die
Temperaturfrage der Elevation untergeordnet worden, und sind sogar
Orte mit excessivem Temperaturwechsel empfohlen worden. Ich habe
vor mehreren Jahren eine Zusammenstellung der Differenzen des
höchsten und niedrigsten Thermometerstandes innerhalb 24 Stunden
von mehreren Orten Colorado's und Asheville gemacht^) und gefunden,
dass im Jahre 1873 in Asheville blos einmal eine tägliche Temperatur-
differenz von über 35 Grad stattfand, während in Colorado City dies 129
Mal der Fall war und der grösste tägliche Unterschied von 55 bis 60
Grad sich zweimal ereignete.
Gegen solche grosse Unterschiede kann sich der Kranke schwer
schützen, und ziehen dieselben leicht frische Erkrankungen und Rück-
fälle nach sich. Eine mittlere, mässige Temperaturdifferenz ist aber
allen Binnenclimaten, besonders höher gelegenen Kegionen eigen, und
*) Westeru North Carolina as a Health Kesort. Philadelphia Medical and
Surgical Beporter, February, 1876.
453
sehen wir solche auch in unserem Wohnort besonders an den klaren,
wolkenlosen, erfrischenden Herbst- und Wintertagen. Eine gleich-
massige Temperatur im Allgemeinen bedingt grösseren Wassergehalt
der Luft, und dies bringt uns zu dem letzten climatischen Factor, der
Feuchtigkeit.
Ueber die Frage des Vorzuges einer trockenen Lokalität gegenüber
einer feuchten für Schwindsüchtige, ist das ärztliche Publikum einig.
Der verstorbene Bowditch von Boston hat besonders in seinen lang-
jährigen Untersuchungen über das Vorkommen von Phthise in Massa-
chusetts, die in den Berichten des dortigen State Board of Health von
1873 und 1874 niedergelegt sind, gezeigt, wie Schwindsucht durch
Bodenfeuchtigkeit oft veranlasst oder gefördert wird. Bei der Beurthei-
lung der Trockenheit einer Gegend sind zwei Momente in Betracht zu
ziehen, von denen der eine vielfach übersehen wird. Es sind dies die
relative und die absolute Feuchtigkeit. Ersteregibt die Proportion der
m der Luft thatsächUch enthaltenen Feuchtigkeit zu der Quantität,
welche die Luft enthalten würde, wenn sie vollständig gesättigt wäre.
Die absolute Feuchtigkeit giebt das Gewicht des in einem bestimmten
Quantum der Luft enthaltenen Wasserdampfes. Warme Luft kann
viel mehr Wasserdampf in sich aufnehmen als kalte, ohne dass Nieder-
schläge, wie Regen, Schnee, Thau eintreten, und so kömmt es, dass
manche Orte mit gleicher relativer Feuchtigkeit grosse Unterschiede
in der absoluten zeigen. Beobachtungen von Waters*) ergaben, dass
im Januar 1870 bei gleicher relativer Feuchtigkeit von 86 Procent die
Luft in Davos, Schweiz, 2.59 grammes und in Cannes, Frankreich, 7.34
grammes Wasserdampf im Cubicmeter enthielten. Wir werden dem-
nach unter gleichen sonstigen Verhältnissen Orte mit geringerer abso-
luter Feuchtigkeit vorziehen.
Wenden wir uns nun nach diesen allgemeinen Betrachtungen zu
unserem speciellen Gegenstande, so wird uns nicht schwer fallen zu
zeigen, in wie weit Asheville den Anforderungen entspricht, die wir au
einen Curort für Lungenkranke stellen müssen.
Asheville liegt in dem hohen Tafellande, das von den südlichen
Ausläufern der Blue Ridge gebildet wird, die den ganzen östlichen
Theil unseres Continents von Nordost nach Südwest durchläuft. Die
Gebirgskette erreicht daselbst ihre höchsten Elevationen, und zählte
schon Professor A. Guyot vom Princeton College, N. J. 51 Berge,
deren Spitzen sich über 6,000 Fuss über das Meer erheben mit dem
Black Dome als höchstem Gipfel 6,707 Fuss hoch. Die Blue Ridge
bildet zugleich die Wasserscheide zwischen dem Atlantischen Ocean
und dem Mexikanischen Golf. Westlich derselben laufen die Gewässer
in den Mississippi, östlich davon erreichen sie als Küstenströme nach
kurzem Laufe den Ocean. Dieses Tafelland bildet den westlichsten
Theil von Nord-Carohna, wird auch Western N. C. genannt und grenzt
*) Klimatologisciie Notizen über den Winter im Hochgebirge. Arthur Wm,
Watebs, F, G. S., London, J871,
454
im Norden an Virginien, im Westen an Tennessee, im Süden an
Georgia und Süd-Carolina. Die östliche Grenze bildet die Blue Ridge,
von der aus wieder mächtige Gebirgsketten das Land transversal
durchsetzen und dadurch so sehr zur Abwechslung und Schönheit der
Landschaft beitragen. Eine natürliche Folge dieser mannigfachen
Gebirgszüge ist eine unregelmässige, mit höheren und niedrigeren
Bergen durchsetzte Bodenfläche, die deshalb auch eine vorzügliche,
natürliche Drainage hat. Marschland, Sümpfe sind nirgends anzu-
treffen, und der Gegenden sind wenige, welche vollkommen eben sind.
Malaria mit seinen Folgezustäuden ist deshalb nicht einheimisch,
und der Aufenthalt den daran Leidenden dringend zu empfehlen.
Es sind erst wenige Jahre her, dass das grössere Publikum, beson-
ders die Touristen, auf Western Nord-Carolina aufmerksam gemacht
wurden. Es geschah dies im Jahre 1876 durch einen Artikel von
Christian Reid im Appleton Journal, „The Land of the Sky" betitelt,
der auch in weiten Kreisen Verbreitung fand. Derselbe schildert die
Mannigfaltigkeit und Erhabenheit des Landes mit lebhaften Farben,
und es ist nicht zu läugnen, dass auch für den mit den Schönheiten
der Alpenwelt Vertrauten diese Gegend ihre grossen Reize hat. Der
Schreiber dieses hat dies ganz besonders im letzten Jahre empfunden,
als er eine einwöchentliche Rundtour durch die Berge machte. Punkte
wie Caesars Head an einem steilen Vorgebirge mit seiner blos durch
die Seekraft des Auges beschränkten Fernsicht, seinem angeblich 2,000
Fuss hohen senkrechten Abfall, seinen zahlreichen malerischen Was-
serfällen in unmittelbarer Nähe, ferner Whiteside Mountain mit seinen
kolossalen Felsabstürzen, sind selten wiederzufinden. Dabei finden
sich besonders in den westlichen Counties meilenweite Strecken von
primitivem Urwald, die noch keines Menschen Hand berührte. Die
Vegetation ist überaus reichhaltig und luxuriös und wachsen nach
dem Berichte des früheren Staatsgeologen Prof. Kerr mehr Speeles
einer Gattung von Bäumen in Nord-Carolina als in irgend einem
andern Staate östlich der Rocky Mountains, so z. B. von 22 Arten
Eichen finden sich 19 vertreten. Die immergrünen Rhododendrum- und
Lorbeerbäume sehen wir entlang der Flussläufe und auch auf den
Bergen, von welchen einer derCraggyMt. bis an seinen Gipfel mit den-
selben bedeckt ist. Man kann stundenlang durch Rhododendrum-
Büsche reiten, die, wenn im Frühsommer in den reichsten Farben
blühend, einen reizenden Anblick gewähren.
Western Nord-Carolina hat einen Flächeninhalt von ungefähr 5,000
englischen Quadratmeilen, ist demzufolge grösser als der Staat Con-
necticut und giebt sechs Flüssen ihren Ursprung, deren einer der
Tennessee River selbst. Dieselben haben im Allgemeinen eine nord-
westliche Richtung und durchbrechen die hohe Kette der Smoky
Mountains, welche die westliche Grenze gegen Tennessee bilden. Die
Flussthäler sind durchschnittlich 2,000 bis 3,000 Fuss hoch, und in dem
Thale eines derselben, des French Broad, liegt Asheville auf einem
gegen den Fluss sanft abfallenden Hügel.
455
Asheville liegt nach den neuesten Messungen 2,350 Fuss über der
Meeresfläche und unter 35^ 3G' nördUcher Breite, demnach mehr
südlich und höher als die beiden bestgekannten deutschen Lungen-
curorte Görbersdorf und Falkenstein. Ein natürliches Ergebnlss
seiner günstigen Lage ist, dass vermöge seiner südlichen Breite die der
Elevation entsprechende Wintertemperatur gemässigt wird, während
andererseits die Höhe über der Meeresfläche die Sommerhitze mildert.
Es ist deshalb einer von den wenigen Curorten, an denen der Kranke
mit Vortheil das ganze Jahr hindurch verweilen kann, ohne mit Ein-
tritt einer andern Jahreszeit seinen Aufenthalt wechseln zu müssen,
was sich bei nälierer Betrachtung der Temperaturverhältnisse leicht
nachweisen lässt.
Es sind im Sommer besonders die hohen Hitzegrade, die wir an
unserer östlichen Küste oft so schwer empfinden, von welchen Ashe-
ville verschont ist. Eine Vergleichung mit 51 canadischen Wetter-
stationen im Jahre 1874:*) zeigte, dass 47 Plätze in Canada mit niedri-
gerer, mittlerer Sommertemperatur mehrere Male Maximumsommer-
temperaturen über 90° zeigten, während das Thermometer in Asheville
nur einmal auf 88° ging. Während derselben Periode wurden Tem-
peraturen über 90° in Sandy Hook und New York 3 respective 5mal
beobachtet, in Denver 50mal mit Maximum von 102°, Colorado
Springs 39mal mit Maximum von 101° und in St. Paul, Minn., 25mal
mit Maximum von 99°. Ich könnte Ihnen ähnliche Zahlenreihen für
die Wintermonate anführen, aber ich will sie mit solchen nicht weiter
belästigen. Die Wintermouate zeigen dasselbe Verhältniss nur in umge-
kehrter Ordnung, so dass Orte mit gleicher oder ähnlicher mittlerer
Temperatur niedrigere absolute Minima haben. Ich habe Ihnen ab-
sichtlich diese Zahlenreihen gegeben, weil ich an ihrer Hand am besten
den Vorzug des Climas von Asheville für Heilzwecke während des
ganzen Jahres beweisen zu können glaubte. Mir sind in unseren Brei-
ten keine Orte mit gleicher Elevation bekannt die bei gleich niedrige-
ren Sommertemperaturen solche geringe Kälteextreme im Winter
aufweisen. Die Temperatur steigt während des Tages mit wenigen
Ausnahmen im Winter bis 50° und an geschützten Plätzen, wo Patien-
ten sich aufhalten bis 70° und 80° in der Sonne in Folge der der Eleva-
tion entsprechenden stärkeren Insolation. Als Durchschnittstem-
peraturen werden von Dr. von Ruck für die Zeit von Mai bis October
65° mit mittlerem Maximum von 75°, für die anderen sechs Monate 49°
mit mittlerem Maximum von 60° angegeben.
Messungen der absoluten Feuchtigkeit besitze ich nur für die
Monate von August 1875 bis April 1876. Dieselbe ist 3.05 Grammes
und vergleicht vortheilhaft mit der von bekannten, trockenen Curorten
wie Aiken, S. C. Die relative Feuchtigkeit für das Jahr endigend 30.
Juni 1876 war im Mittel 69.1 Prozent mit dem niedrigsten Durch-
schnitt von 61.7 Prozent für das erste Quartal 1876, was für Kranke in
*) Lpco citato,
456
den Wintermonaten von grosser Wichtigkeit ist. Das Mittel der
Niederschläge für 8 Jahre ist 40.2 Zoll, von welchen die grössere
Menge wieder auf die Sommermonate entfällt, in denen die in süd-
lichen Breiten oft so heftigen Gewitterschauer vorkommen. Dabei
ist auffallend, dass nach dem Berichte des Staatsgeologen mit nur
einer Ausnahme sämmtliche 18 meteorologischen Stationen von Nord-
Carolina grössere jährliche Eegenmengen haben, speciell solche in
Western Nord-Carolina von 48.5 bis 72.8 Zoll, im Mittel für diesen
Landstrich 58.2 Zoll. Asheville macht demnach auch in Bezug
auf die Niederschläge eine vortheilhafte Ausnahme.
Ich bedauere des Oefteren gezwungen zu sein Ihnen meteorologi-
sche Daten älteren Datums zu geben, da die neueren Beobachtungen
durch einen Brand zerstört wurden. Ich kann jedoch für deren Cor-
rectheit einstehen, da die Observationen von mir selbst, mit vom Sig-
nal Service Bureau in Washington empfohlenen Instrumenten, gemacht
worden sind.
Messungen von Ozon wurden während der letzten drei Jahre von
Dr. von Kuck vorgenommen, und ein Durchschnitt von 50 bis 75 Pro-
zent gefunden, während er in seinem früheren Aufenthaltsort in Ohio
nur ein Mittel von 5 Prozent gefunden hat.
Bis vor wenigen Decennien war Asheville bloss als Sommerfrische
bei den Südländern bekannt und beliebt, und nur wenige Leidende
besuchten den Ort ihrer Gesundheit halber. Doch auch schon zu die-
sen Zeiten sehen wir manche in ihrer Heimath wohlbekannte Persön-
lichkeit krankheitshalber in Asheville ihren permanenten Wohnsitz
nehmen. So siedelte in den 60ger Jahren der vielbekannte und hoch-
geschätzte Dr. Cain von Charleston, S. C, dorthin über, und wer, wie
ich selbst, oft das Vergnügen hatte mit dem liebenswürdigen Manne zu
verkehren, konnte ihn seine kräftige gesunde Constitution bis an sein
Lebensende bewahren sehen. Der Bürgerkrieg, der so viele südliche
Existenzen ruinirte, beeinflusste auch den Zustrom der früher wohl-
habenden Baumwollen- und Zuckerplantagen Besitzer zum Nachtheile
Asheville's, und erst gegen die 70er Jahre hin begannen wieder Fremde
in grösserer Anzahl — darunter auch einzelne Leidende vom Norden,
die von dem gesunden Klima gehört hatten — sich einzufinden.
Asheville zählte damals nur wenig über 2,000 Einwohner. Sein Name
war zu der Zeit blos wenigen Aerzten bekannt, doch machte schon
1870 ein homöopathischer Arzt aus Wisconsin, Dr. Gatchell einen
Versuch, eine nach seinen Principien geleitete Heilanstalt für Lungen-
kranke zu etabliren.
Ungenügende Wohnungsverhältnisse, die Schwierigkeit den Platz
zu erreichen, Hessen das Unternehmen nicht emporblühen. Als der
Schreiber im Jahre 1875 die Idee fasste, ein Sanitarium nach europäi-
schen Principien von Brehmer zu errichten, und zu diesem Zwecke
eingehende climatische Studien der verschiedenen Gegenden unseres
Oontinentes, sowie mehrere Reisen zur persönlichen Besichtigung
457
machte, wurde seine Aufmerksamkeit von einem Kranken auf Aslie-
ville gelenkt. Derselbe kann wohl ohne Ueberhebung sagen und wird
diess auch von Allen zugegeben, die mit der Sache näher vertraut sind,
dass durch seine Bemühungen und Publicationen seit seinem Aufent-
halt in Asheville, der sich auf 6 Jahre erstreckte, der Platz auch in
weiteren Kreisen bekannt und seine Vorzüge gewürdigt werden, und
insbesondere, dass seit dieser Zeit die Vortheile, die das Asheviller
Clima im Winter den Lungenkranken bietet, von dem ärztlichen sowie
Laienpublikum anerkannt werden.
Was die commerciellen, socialen und hygienischen Verhältnisse von
Asheville betrifft, so ist vor Allem hervorzuheben, dass in den letzten
10 Jahren der Platz einen ungewöhnlich raschen Aufschwung genom-
men hat. Derselbe hat jetzt 4 Eisenbahnlinien, und ist sowohl vom
Süden als Norden und Westen direkt mit der Bahn zu erreichen. Von
New York gehen via Philadelphia, Baltimore und Washington täghch
2 Züge, einer von welchen einen durchgehenden Schlafwagen hat und
nach circa 25 Stunden dort ankömmt. Dabei bildet der Anstieg auf
die Blue Kidge über den Swananoa Pass, welche Linie noch vor vielen
Jahren mit der geringen Steigung von 2 Procent tracirt worden war,
ein so mannigfaltiges und grossartiges Bild eines kühnen Eisenbahn-
baues und pittoresker Gebirgslandschaft, wie sie ähnlich auf der öst-
lichen Seite unseres Continentes schwer wieder zu fluden sein wird.
Die Eisenbahnen haben natürlich die Bevölkerung vermehrt und
den Handel bedeutend gehoben. Asheville zählt jetzt 12,000 Einwoh-
ner, und im Centrum von Western North Carolina gelegen, ist der
Hauptstapel- und Vertheilungsplatz für den Handel und Verkehr des
ganzen Gebietes. Es sind daselbst Schulen für alle Altersklassen,
Kirchen jeglichem Glaubensbedürfuiss entsprechend, mehrere vorzüg-
liche Hotels und eine grosse Anzahl Privathäuser, die den Fremden
Unterkunft zu den verschiedensten Preisen gewähren. In den letzten
Jahren hat die im Allgemeinen für solche Einrichtungen etwas weniger
empfängliche und langsamer voranschreitende Bevölkerung den Be-
dürfnissen und Anforderungen des modernen Fremdenverkehrs
Rechnung getragen. Es existirt jetzt ein Board of Health, die Draini-
rung der Stadt ist vollkommen, sie hat eine vorzügliche Wasserzufuhr,
einem Gebirgsfluss 5 Meilen oberhalb des Ortes entnommen, und die
Hauptstrassen sind gepflastert. Vier electrische Linien vermitteln
den Personenverkehr nach den verschiedenen Richtungen, die Strassen
sind electrisch beleuchtet. Vor einigen Jahren hat auch Vanderbilt»
von New York, einen grossen Landcomplex in der Umgegend von
Asheville angekauft und ist jetzt mit dem Bau einer luxuriösen Villa
beschäftigt.
Während sonach für die Bedürfnisse und auch die verschiedensten
finanziellen Anforderungen des Touristen genügend Sorge getragen
ist, so finden auch Kranke eine Anzahl tüchtiger Aerzte, und ist ausser-
dem seit 4 Jahren eine Anstalt ins Leben gerufen, die sich die aus-
458
schliessliche Behandlung von Phthisikern nach der in Goerbersdorf
utid Falkenstein geübten Methode zur Aufgabe gemacht hat. Dr. Von
EüCK, der schon in seinem früheren Wohnorte in Ohio Phthisiker in
seinem Privathospitale in kleinem Massstabe behandelte, wünschte ein
grösseres Feld für seine Thätigkeit, und nach dem unumgänglichen
Desideratum, einem passenden, günstigen Clima suchend, eröffnete er
im Jahre 1888 sein Winyah Sanitarium, in dem mit der Hinzufügung
von 27 Zimmer, 1890, jetzt 100 Personen beherbergt werden können.
Eine Ventilation der Frage der Vorzüge einer Anstaltsbehandlung
von Schwindsüchtigen gegenüber der sogenannten offenen Behand-
lung, bei der der Kranke sich selbst überlassen ist, und nur nach eigenem
Gudünken den Arzt consultirt, gehört nicht in den Eahmen dieses
Vortrages. Da ich jedoch selbst darüber mehrjährige Erfahrung be-
sitze und immer ein Anhänger der Anstaltsbehandlung gewesen und
auch noch bin, werden Sie mir einige Bemerkungen darüber erlauben.
Schon der allbekannte, verstorbene Felix Niemeyer sagt in seiner Ab-
handlung über Lungenschwindsucht*) betreffs der Behandlung : „Die
Hauptsache bleibt es jedenfalls, dass die Kranken, wo sie sich befin-
den, verständig leben und unter der Aufsicht eines verständigen und
strengen Arztes stehen." Wenn wir bedenken, dass zur erfolgreichen
Behandlung der Schwindsucht eine gänzliche Veränderung der Um-
gebung, der Lebensweise und Gewohnheiten des Patienten, eine Um-
stimmung des gesammten Ernährungsprocesses des Patienten erfor-
derlich ist, können wir leicht begreifen, wie sehr der Kranke stets der
leitenden, rathenden Hand des Arztes bedarf. Es ist nicht ein einzel-
nes Mittel, selbst das Clima nicht, das eine Panacee gegen Schwind-
sucht ist, sondern nur eine vorsichtige und continuirliche Anwendung
einer grossen Anzahl von verschiedenen Agentien, dem einzelnen In-
dividuum entsprechend angepasst, verspricht gute Kesultate. Pa-
tienten wissen in der Kegel nicht, was ihnen nützt oder schadet. Sie
bedürfen steter Fürsorge und Comfort, ihre Diät muss sich nach ihren
jeweiligen Verdauungsk-räften richten, viele wenn bereits kräftiger
und auf dem Wege zur Besserung, erleiden Kückfälle durch körper-
liche Ueberanstrengung. Clima allein schützt nicht gegen fehlerhafte
Handlungen oder Indiscretionen, entweder unbewusst oder aus Mangel
von Selbstcontrolle von Patienten begangen. Eine solche detailirte
Ueb erwachung, die sich auf die kleinsten Einzelheiten zu erstrecken
hat, kann aber von dem Arzte nur ausgeübt werden, wenn der Patient
sich ständig in seiner Umgebung, d. h. in einer Anstalt befindet.
Erlauben Sie noch zum Schlüsse, Ihnen eine kurze Beschreibung
des Winyah Sanitarium zu geben. Ich thue dies um so lieber, als ich
selbst im vorigen Herbst einige Wochen dort zugebracht und seit
meinem Verlassen von Asheville (1881) keine persönlichen Interessen
dort mehr habe.
*) Zweite Auflage, Berlin, 1867. August Hirschwfild,
459
Das Sanitarium liegt an der Stadtgrenze fern von den Hauptstrassen
des Ortes in einem kleinen, mehrere Morgen umfassenden Parke, der
mit alten Bäumen bewachsen und mit Blumenbeeten ausgelegt ist und
eine gegen die Strasse sanft abfallende Oberfläche hat. Das Haus hat
eine 12 Fuss weite und 400 Fuss lange Veranda, die, nach den ver-
schiedenen Richtungen des Compass um das Haus gelegen, fast bei
jedem Wind den Patienten Schutz gewährt. Es finden sich daselbst
Badeeinrichtungen und nimmt ausserdem ein geschulter Badediener
die jeweiligen vom Arzte vorgeschriebenen Abreibungen und der-
leichen vor. Die Nahrung ist reichlich, gut gekocht und den Zwecken
des Hauses adaptirt. Schwerkranke, sowie solche die durch Husten
oder andere unangenehme Eigenschaften der Gesammtzahl im Ess-
zimmer lästig werden dürften, erhalten ihre Mahlzeiten auf ihren
Zimmern.
Die Leitung des Hauses steht unter der alleinigen Controlle des
Doctors, welchem seine Frau thatkräftig zur Seite steht. Derselbe
führt auch die ärztliche Controlle über seine Patienten aus, nimmt
sämmtliche physikalischen Untersuchungen vor und dirigirt die ver-
schiedenen Phasen der Einzelbehandlung mit seinem Assistenten, Dr.
Ambler. Der Letztere hilft vornehmlich bei Gebrauch des pneumati-
schen Cabinets, das bei geeigneten Patienten eine rationelle Anwendung
erfährt, und leitet, seit er im Jahre 1890 meine Curse in der New
York Polyclinic genommen, die laryngologische Behandlung. Be-
sondere Aufmerksamkeit wird der Untersuchung der Sputa zuge-
wandt und von jedem Patienten beim Eintritt in die Anstalt und in
gemessenen Zwischenräumen Präparate gefertigt und aufbewahrt, die,
mit einander verglichen, wichtige Aufschlüsse über den Krankheits-
verlauf zu geben im Stande sind. Dr. von Euck ist unermüdlich in
seinen Bestrebungen zum Wohl der Patienten und sehr vorsichtig in
seinem Handeln. Als Tuberculin empfohlen wurde, war er der erste,
der seine Anwendung in so kleinen Dosen empfahl, dass keine fieber-
hafte Reaction mehr eintrat. Seine Erfahrungen und Resultate darüber
hat er im vorigen Jahre veröffentlicht.*) Tuberculocidin wurde eben-
falls in diesem Jahre gegeben. Ich betrachtete es als einen guten Beweis
für die Führung der Anstalt und die Befriedigung der Patienten mit
ihrer Behandlung, dass ich mehrere derselben vorfand, die viele Mo-
nate daselbst zubrachten und gewillt waren, zu bleiben, so lange sie
Hoffnung auf Besserung oder Heilung hatten.
Dr. VON Ruck's Resultate, publicirt im „Climatologist". vom Sep-
tember 1891, sind : Von den von ihm behandelten 605 Fällen war er im
Stande nachträglich Erkundigungen bei 457 einzuziehen und waren
darunter 67 Heilungen, 70 mit Stillstand der Krankheit und gutem All-
gemeinbefinden, 258 mit wesentlicher Besserung und 62, in denen hoff-
nungslose Kranke eingeschlossen sind, mit Verschlechterung. Diese
*) Koch's Method and che Rasults of its Application in 25 Cases. Therapeutic
Gazette, June 15th, 1891.
460
Daten sind so günstig, dass sie keines weiteren Commentars
bedürfen.
Meine Herren ! Es soll mich freuen, wenn es mir durch vorstehende
Schilderung gelungen ist, dem schönen Lande neue Freunde gewonnen
und den armen Leidenden einen Fingerzeig gegeben zu haben, wo und
wie sie ihre verlorene Gesundheit am besten wiederzuerlangen im
Stande sind.
IL
Die Desiiifectionsniethoden in Berlin und Hamburg während
der Cholera.*)
Ein Bericht
Von
Dr. A. SEIBERT,
New York.
„Im Frieden muss man den Krieg vorbereiten". Diesen Aus-
spruch Moltke's citirte Herr Verwaltungsdirektor Merke vom Moabiter
Krankenhaus in Berlin, als er mich Anfangs September in den Des-
infectionsbetrieb dort zuerst einweihte. Um dieses „Vorbereiten zum
Kampf" gegen endemische und epidemische Infektionskrankheiten zu
fördern, habe ich mich auf Wunsch des New York Health Department,
welches ich in Berlin und Hamburg vertrat, dazu verstanden, den dem-
selben schon früher abgelieferten Bericht den hiesigen Collegen durch
die folgenden Bemerkungen näher zu bringen. Nicht Alles wird
Ihnen neu sein, muss aber wegen des Zusammenhanges erwähnt wer-
den. Dass aber rationelle Wohnungsdesinfection den meisten prak-
tischen Aerzten ein noch etwas vager Begriff sein muss, beweisen wohl
die erst Mitte Oktober in Berlin eingerichteten Kurse für praktische
Aerzte, in welchen dieser Gegenstand theoretisch und praktisch ge-
lehrt wird. Was ich in Folgendem berichte, habe ich selbst in Berlin
und Hamburg gesehen. Der Kürze halber werden die Einrichtungen
zusammen gefasst berichtet.
Der Zweck jeder Desinfection ist die Zerstörung von Kranklieits-
keimen. Man kann sagen, dass jede Fläche, welche direkt oder indi-
rekt mit einem inflcirten Gegenstand in Berührung gekommen ist,
jetzt selbst inflcirt ist. Auf dieser Annahme, welche als feststehende
Tliatsache betrachtet werden muss, ruht die moderne Desinfections-
lehre, sowohl bei der Handhabung von Fussböden, Wänden und
Faekalien, wie bei der Keinigung der Bauchfläche vor der Laparotomie.
*) Vorgetragen in der deutschen Med. Gesellschaft von New York, Dec, 5,
1892,
4G1
I.
Desinfection der Wohnung.
Ehe die Diagnose einer infectiöseti Erkranliung gestellt wird, und
selbst ehe der Arzt am Krankenbett erscheint, können Kloaken, Ab-
tritte und Latrinen inflcirt sein. Die Latrinen (privy cesspools), welche
wir ja noch bei vielen älteren Miethkasernen antreffen, werden mit
Kalkmilch derartig desinfleirt, dass letztere wenigstens 2 Procent des
Inhaltes ausmacht. Nachträglich werden dann täglich 1 — 2 Quart der
Kalkmilch hinzugefügt, also etwa 1 Prooent der täglich zukommenden
Faekalien. Die Kalkmilch muss von frischgelöschtem Kalk herge-
stellt werden, der nicht mehr denn 2 Procent Unreinliclikeiten enthält.
Der Latrineninhalt muss sauer reagiren. Umrühren des Inhaltes ist
überflüssig.
Faekalien, Er'brochenes, Sputa, Speichel und Harn werden in dem
Aufnahmegefäss _mit gleichen Theilen Kalkmilch gemischt, gut um-
gerührt, 30 Minuten stehen gelassen und dann in die Kloake gegossen.
Alle im Krankenzimmer übriggebliebenen flüssigen Speisereste wer-
den ebenso behandelt. Feste Speisen werden verbrannt.
Essgeschirr, Löffel, Messer, Gabeln und andere Gegenstände, welche
im Krankenzimmer waren, sollten vor dem Verlassen des Raumes in
einer grösseren Blechschüssel in 6% Carbollösung derartig gelegt
werden, dass die Flüssigkeit die Gegenstände vollständig bedeckt.
Alle Personen desinflciren ihre Hände vor dem Verlassen des Kran-
kenzimmers mittelst grüner Seife und b% Carbollösung. Das Wart-
personal lässt den getragenen leinenen Ueberrock im Krankenzimmer.
Die Schake werden mittelst langhaariger Bürste und 5% Carbollösung
oben und unten desinfleirt. Im Ganzen muss streng darauf gesehen
werden, dass kein Gegenstand und keine Person in das Krankenzim-
mer gelangen, die nicht absolut dort nöthig sind, und dass Niemand
und Nichts das Krankenzimmer verlassen (vom Arzt herunter bis zu
einer Zeitung oder einem Spazierstock) ohne vorherige gründliche
Desinfection.
Faekalien und Erbrochenes, welche auf den Fassboden kamen,
werden sofort mit genügenden Mengen von Kalkmilch bedeckt und
nachträghch aufgewaschen, und wie oben angegeben weiter behandelt.
. Wischlappen, Handtücher, Taschentücher, Hemden, Strümpfe, Unter-
kleider, Kvisenüberzäge, Betttücher und andere waschbare Gegenstände
werden in einem Fass (oder Waschkessel) auf wenigstens 6 Stunden
im Krankenzimmer in desinflcirender Lösung eingeweicht, und nach-
träglich einige Stunden lang abgekocht.
Der Patient wird rein gehalten. Ein Wachs- oder Gummituch unter
dem Betttuch schützt die Matratze. Die Haut des Patienten wird mit
grüner Seife und 2% Carbollösung von Faekalien häufig gereinigt.
Im Genesungsfalle werden alle behaarten Theile mit besonderer Sorg-
falt erst desinfleirt, dann wird Patient gebadet und nachher in einem
Nebenzimmer in sterile Kleider gesteckt. Tritt der Tod ein, so wird
462
die Leiche sofort in ein mit 1:500 Sabliinatlösung getränktes Laken so
gehüllt, dass alle Theile bedeckt sind und zwar ohne vorheriges Ab-
waschen des Körpers. Letzterer wird sofort in den Sarg gelegt.
Nach Entfernung des Patienten wird die Desinfection des Kranken-
zimmers und anderer inficirter Wohnräume vorgenommen. Bei der
Beschreibung dieser Zimmerdesinfection richte ich mich genau nach
der Methode, die ich in den Wohnräumen von Cholerapatienten zu
beobachten Gelegenheit hatte, und welche in Berlin seit 1890 obliga-
torisch bei Infectionskrankheitsfällen geübt wird. Vier geschulte Des-
infectoren betreten kurz nach Verlassen des Kranken das Haus. Auf
einem Handkarren befinden sich ihre Unifortnen und die nöthigen
Geräthschaften. In einem Nebenzimmer werden die aus grauer Lein-
wand gefertigten Arbeitsauzüge angezogen. Dieselben bestehen aus
einem langen Kittel, der am Hals und an den Handgelenken fest an-
schliest, hohen leinenen Stiefeln mit hölzernen Sohlen und einer Kappe,
welche den Kopf und die Schultern bedeckt. Mund und Nase sind
durch einen ovalen, dünnen, angefeuchteten Schwamm bedeckt, der
mittelst Gummiband hinter den Ohren befestigt ist. Die abgelegten
Strassenkleider der Desinfectoren (Hut, Rock, Kragen etc.) werden nun
in einen mit 5 % CarboUösung getränkten (trockenen) Sack placirt und
dort bis zum Verlassen des Hauses aufbewahrt. Nun wird heisses
Wasser herbeigeschafft. Eimer bringen die Leute selbst mit. Das
inflcirte Zimmer wird jetzt erst betreten. Alles Bettzeug, Matratzen,
Vorhänge, Teppiche, Tücher und gepolsterte, transportable Möbel wer-
den in carbolisirte Säcke und Umschlagtücher gewickelt, und so durch
den Hausflur in die sogenannten uiireinen Transportwagen (ähnlich
unseren Furniture-Vans) placirt und nach einer der städtischen Desin-
fectionsanstalten gefahren. Die vier Desinfectoren öffnen nun ihre
Handtaschen. Dieselben sind aus Eisenblech und haben die Form von
Handkoffern. Jede Tasche enthält 48 Gegenstände. Eine zusammen-
legbare, aus Gasröhren gefertigte, mit Gummienden versehene Leiter,
laughaarige Bürsten verschiedener Grössen und Muster, Messer und
Holzplatten zum Brotschneiden, Kratzer, Tücher, Putzleder für die
Fenster, Hammer, Nägel, Schraubenzieher, Kitt und Blechgefässe mit
Carbol und zum Abmessen. Eine 2 % und eine 5 % CarboUösung und
Kalkmilch werden nun hergestellt.
Bilder, Spiegel und alle übrigen Möbel werden erst in die Mitte des
Zimmers zusammengestellt. Die Decke des Zimmers wird dann mit
einem langhaarigen weichen Besen sorgfältig trocken abgekehrt. Darauf
entnimmt jeder Desinfector einen grossen länglichen Laib Schwarzbrot
aus dem unerschöpflichen Bauch der Handtasche, und schneidet mit
einem eigens dafür konstruirten grossen Messer auf dem platten
Schnittbrett ein grosses, etwa zwei Zoll dickes Stück Brot ab. Nach
Entfernung der Kruste passt das Stück genau in die Handfläche. Hier-
mit bewaffnet steigt nun jeder Arbeiter auf seine Leiter, und fängt in
der linken oberen Ecke seiner Wand an, letztere in gleichmässigen
403
^ügea von Oben nach Unten fest abzureiben. Das Brod ist genau 24
Stunden alt. Die Demarkationslinie zwischen der so gereinigten und
der noch schmutzigen Wandfläche ist weit sichtbar. Der der Wand
anhaftende Schmutz mischt sich so mit der untersten Lage des reiben-
den Brotes und fällt zum kleinen Theil als Krümel auf den Fussboden.
Nachdem die unterste Lage des Brotstückes eine gewisse Portion
Schmutz aufgenommen hat, schneidet der Mann diese dünne Lage ab,
lässt dieselbe auf den Boden fallen, und arbeitet mit dem verdünnten
Stück weiter. Nachdem so die Wand gereinigt ist, werden die Brot-
reste in eine Blechbüchse zusammengekehrt, später mitgenommen und
in der Anstalt verbrannt. Alle tapezierten und angestrichenen Wände
werden mit Brot gereinigt, und dann mittelst langhaariger, in 2% Car-
boilösung angefeuchteten, Bürsten abgekehrt. Getünchte Wände
werden mit 5 % Carbollösung abgewaschen und mit Kalkmilch nachge-
strichen.
Holzmöbel, Bilder und Femterr ahmen, Thüren und Einfassungen
werden nun in Angriff genommen. Polirte und geschnitzte Flächen
werden mit weichen Tüchern und 2 % Carbollösung abgewaschen und
gleich trocken abgerieben. Andere Flächen werden zweimal nach
einander so nass und nachher gleich trocken abgerieben. Sichtbare
Schmutzflecke werden erst mit grüner Seife entfernt.
Bilder ohne Glasbedeckung werden trocken abgerieben. Oelgemälde
werden mit 2 % Carbollösung und gleich darauf trocken abgerieben.
Metallene Flächen werden ebenso behandelt.
Gepolsterte Möbel werden vorsichtig mittelst langhaariger Bürsten
und 5 % Carbollösung abgebürstet. Alle Ledersachen werden mit der-
selben Lösung gewaschen. Spielsachen werden verbrannt oder in der
Station mittelst Dampf sterilisirt.
Der Fusshoden wird nun zuerst mit heissem Wasser und grüner
Seife aufgewaschen. Dann nochmals mit 5 % Carbollösung und dann
trocknen zu lassen. Parquetböden werden mit 2 % Carbollösung und
weichen Lappen und gleich darauf trocken abgerieben.
Nachträglich werden Bilder und Möbel wieder an Ort und Stelle ge-
bracht, und damit ist die Arbeit, welche meist zwei Stunden in An-
spruch nimmt, beendet.
Alle Desinfectionsgeräthe werden darauf mit 5 % Carbollösung des-
inflcirt. Die Arbeitsanzüge werden mit angefeuchteten carbolisirten
Bürsten abgekehrt und in die carbolisirten Säcke gesteckt. Gesicht,
Hände, Nägel, Bart und Kopfhaare werden mit viel Wasser und grüner
Seife sorgfältig gereinigt, die Strassenkleider werden angezogen und
können nun die Arbeiter zu Fuss oder auf Extrawagen nach der Station
zurückkehren. (Selbstverständlich werden Gänge u. s. w. im Haus
ebenfalls desinficirt.) Personen, welche mit den Kranken in Berührung
kamen, werden in den Stationen oder in dem Hospital desinficirt und
beobachtet.
464
II.
Desinfections-Anstalten.
Alle Sachen, welche durch die „unreinen" Wagen nach der Desin-
fectionsanstalt gebracht wurden, werden auf der „unreinen" Seit« des
Gebäudes entladen. Das Desinfectionsgebäude ist aus Stein, besteht
wesentlich aus einer die Längsachse durchziehenden dicken steinernen
Scheidewand, welche drei grosse Sterilisationsöfen enthält, von wel-
chen jeder ungefähr acht Fuss hoch, 5| Fuss breit und 10 Fuss tief ist.
Diese eisernen Oefen sind eingemauert, sind luftdicht verschliessbar
und sind mit allen Zu- und Abfuhrleitungen für trockene und feuchte
Hitze iü ausgiebigster Weise versehen. Thermometer, Regulatoren
u. s. w. sind selbstverständlich. Grosse eiserne Gestelle, welche in die
Oefen passen und leicht aus denselben auf stationären Schienen heraus-
oder hineingerollt werden können, werden mit den zu desinficirenden
Gegenständen derartig beladen, dass der im Ofen circulirende Dampf
überall durchkommt. Besondere Vorschriften beim Beladen verhü-
ten Schädigung der Sachen. Ein Arbeiter kann die Gestelle in den
Ofen schieben und die Thüre schliessen. Zuerst wird dann auf 5-10
Minuten trockene Hitze in den Ofen gelassen, damit alle Gegenstände
sich über 212° F. erhitzen ehe der heisse Dampf einströmt. Der heisse
Dampf durchströmt nun den Ofen unter einem Druck von mindestens
Vio Atmosphäre, ohne, dass sich so die in demselben suspendirte
Feuchtigkeit niederschlägt, was nur in niederer Temperatur geschieht.
Nach 45 Minuten langer Einwirkung des Dampfes wird derselbe wie-
der ab- und die trockene heisse Luft wieder auf fünf Minuten ange-
dreht, um etwaige kleinere Feuchtigkeitsniederschläge noch zu besei-
tigen. Etwaige Schädigung von Kleiderstoffen wird durch dieses
Verfahren vollständig vermieden. Nach Beendigung der Desinfection
gibt ein elektrisches Glockensignal von der „unreinen" nach der „rei-
nen" Seite hin, den dortigen Arbeitern das Zeichen zum Entleeren
des Ofens. Die so sterilisirten Gegenstände können in reinen Vor-
rathskammern der Anstalt so lange aufbewahrt werden bis die Woh-
nung der Patienten desinficirt ist.
Vier solcher Oefen können die Kleider von etwa 500 neuen
Cholerakranken täglich sterilisiren, vorausgesetzt, dass die Mann-
schaften von sieben Uhr Morgens bis sechs Uhr Abends arbeiten. Die
Hospitäler Berlin's sind alle mit derartigen Oefen' versehen. Das
Moabiter Krankenhaus hat allein vier. Die Sterilisationsapparate,
welche mir in Hamburg gezeigt wurden, waren alt und klein, und
meist nur für trockene Hitze eingerichtet. Berlin hat seit 1887 zwei
grosse städtische Desinfectionsanstalten und wird bald vier haben.
Jede Anstalt hat drei grosse Oefen. Die Desinfectoren sind alle
geschulte Leute. Von allen Theilen des Reiches werden Mannschaften
von vorsorglichen Stadtbehörden zur Ausbildung in die Berliner
Desinfectionsanstalten geschickt. In Hamburg war man derartig
nicht so vorbereitet, als die Cholera auftrat. Die Desinfectoren
mussten neu angewiesen werden. Welchem System der Vorzug zu
geben ist, ist klar. Die Arbeit der Desinfectoren wird stets durcli
einen Kontrolleur inspicirt. Die Leute sind streng angewiesen, höflich
und zuvorkommend gegen das Publikum zu sein, und sind sie dadurch
beliebt und nicht gefürchtet. Die erste Desinfectionsanstalt wurde
schon 188G in Berlin in Betrieb gesetzt. Wohnungsdesinfection besteht
seit dem 7. Februar 1887, und ist dieselbe bei allen Fällen von Cholera,
Blattern, Kemittens, Flecktyphus, Diphtherie, Scharlach, Dysenterie
und gelegentlich bei Abdominaltyphus seit dem 24. J all 1890 oblirja-
toriscli.
Die Berliner Desinfectionsarbeiten haben sich glänzend bewährt,
denn trotz der häufigen von Hamburg eingeschleppten Fälle von
Cholera, erkrankte auch nicht ein Mensch weiter in den desinflcirten
Wohnungen. Einen vergleichenden Massstab an Hamburg zu legen,
ist unmöglich, da die eigentliche Infectionsquelle hier im Trink- und
Waschwasser bestand.
III.
Desinfection in Hospitälern.
Der Vollständigkeit halber will ich hier die Instructionen folgen
lassen, welche mir von Herrn Prof. Kitvipf, dem Direktor des alten und
neuen städtischen Krankenhauses in Hamburg, bei meinem Besuch
dort selbst übergeben wurden : 1. In dem Krankenzimmer oder dem
Vorräume sind ein oder mehrere Behälter aufzustellen, welche mit
einer desinflcirenden Lösung soweit gefüllt sind, dass die hineingeleg-
ten Sachen von der Lösung bedeckt werden. Lösungen : a. 2 Pro-
zent Carbol., b. 1 Vo« Sublimat, c. 1 Prozent Lysol. 2. In diese Lösung
werden alle ausser Gebrauch genommenen Wäschestücke der Kran-
ken hineingelegt und bleiben darin völlig bedeckt vier Stunden.
3. Nach der Herausnahme aus dieser Lösung wird die Wäsche in einem
zuvor mit SubHmatlösung getränkten Sack zum Desinfectionsofen
gebracht und dort nochmals desinflcirt. 4. Unbrauchbare Wäsche-
stücke kommen in den Verbrennungsofen und werden in ein Sublimat-
tach eingehüllt dorthin transportirt. 5. Mit Erbrochenem oder Koth
beschmutzte Stücke sind wie drei und vier zu behandeln. 6. Freige-
wordene Bettstellen werden mit 1 Prozent Lysollösung abgewaschen.
7. Fussböden werden mit obigen Lösungen gewaschen. 8. Die Kleider
des Kranken werden in ein Sublimattuch geschlagen und nach dem
Desinfectionsofen gebracht. 9. Speisen dürfen in dem Krankenzimmer
nicht aufbewahrt werden. Ueberbleibsel werden verbrannt oder nach
Desinfection begraben. 10. Aerzte und Wartpersonal müssen sich
beim Verlassen des Krankenraumes die Hände sorgfältig desinflciren.
11. Das Wartpersonal darf im Krankenraum unter keinen Umständen
Speise zu sich nehmen. Dasselbe nimmt seine Mahlzeiten in beson-
deren Speisesälen, vor deren Betreten sorgfältige Desinfection der
Hände nothwendig ist. Ebenso bedürfen alle anderen Körpertheile
und Kleidungsstücke, welche mit Ausleerungen der Kranken oder
466
beschmutzter Wäsche in Berührung gekommen sind, der Desinfectioh
mit Sublimat oder Lysol. Mund und Mundhöhle müssen vom An-
steckungsstoff freigehalten werden. 12. Besuche der Kranken sind
nicht gestattet. Die Benutzung von ungekochtem Wasser zum Trin -
ken oder Waschen ist streng verboten.
Diese letztere Anordnung ist in einem Hospital leicht, in Privat-
wohnungen sehr schwer durchführbar. Wer das nicht glauben will,
der versuche das nur 'mal zu Hause durchzuführen. Bei der Ent-
nahme des Wassers aus der Leitung kommen selbst geschulte Leute
mit dem ungekochten Wasser in Berührung, wie viel mehr ungeschulte
Personen. Man denke nur an die Milchsterilisation und male sich
dann aus, wie hier in New York bei inficirter Wasserzufuhr obige An-
ordnung befolgt würde. Jeder, der auch nur die geringste praktische
Erfahrung besitzt und vorurtheilsfrei hierüber nachdenkt, wird sich
nicht (wie es hier mündhchund schriftlich so oft in den letzten Monaten
geschah) hinstellen und dem lieben Gott danken, dass wir Amerikaner
nicht so dumm und so schmutzig sind wie andere Menschen, namentlich
aber nicht wie die Hamburger.*)
Hamburg ist eine sehr reine Stadt. In zwanzig Jahren war ich
sechsmal dort, manchmal auf Wochen. Ich kenne die schönsten und
die kleinsten Strassen. In ganz Hamburg ist keine Strasse nur halb so
schmutzig wie die Dritte Avenue, auch wenn nicht gepflastert wird, von
unseren älteren Arbeiterdistricten gar nicht zu reden, denn die sind
ausserhalb und innerhalb der Häuser unerreichbar in Schmutz, im
Vergleich zu irgend welcher deutschen Stadt. Die Hamburger selbst
sind reinlich, auch wenn sie arm sind. Ihre Kleider sind geflickt, aber
reinlich, was mir wiederum aufflel. Die Epidemie trat dort nach
Wolter (Berl. KUn. Woch. No. 43, p. 1094) zuerst bei Hafenarbeitern
auf, die in neuen Arbeiterquartieren in der Gegend der oberen Elbe
wohnten, und wurden die neuen Wohnungsquartiere ebenso schwer be-
troffen wie die älteren, obgleich der Unterschied ein sehr grosser ist.
Alle neuen Berichte zeigen auf das Wasser als Träger der Infection.
Das nur nebenbei.
In Berlin zieht man Kalkmilch, grüne Seife und 5 % Carbollösung
dem Sublimat vor. Die Desinfectionsvorrichtuugen in den 36 Pavil-
lions des Eppendorfer Krankenhauses in Hamburg waren vorzügliche.
Ruhe, Reinlichkeit und Ordnung traf ich überall. Circa 40 neue Zelte
standen leer. Vertuscht wurde nichts in Hamburg. Die politische
Presse brachte viele Unwahrheiten. Ihre Berichterstatter flunkerten
meist aus sicherer Ferne. (Zum Beweis nur das Beispiel, dass die
„New Yorker Staats-Zeitung" vom 9. September berichtete, dass ich
von Hamburg aus dem New York Health Department telegraphirt
habe, dass die Behandlung der Cholerakranken in Hamburg mangel-
haft sei. Nach meiner Ankunft hier bat ich den City Editor selbst.
*) Im Medical Brief, Oct. 1892, lesen wir : " Hamburg is a eity where dirt
is king, to whom all pay homage.
467
diese Angabe zu berichtigen, da ich die Behandlung der Cholera-
lfranken nie erwälint hätte. Er versprach es und es geschah nicht.) —
Herr Prof. Rumpf hat öffentlicli erklärt, dass der erste Fall von Choler^
in Hamburg erst am 18. August klinisch und erst am 22. bakteriologisch
diagnosticirt werden konnte. Vor der Choleraepidemie waren viele
Personen während der ausserge wohnlichen Hitze in Deutschland an
Cholera morbus erkrankt, was von französischen und amerikanischen
Berichterstattern als Vertuschungsbeweis gebracht wurde. Der „Med-
ical Record" behauptete in der Nummer vom 10. September, dass die
Seuche volle zwei Wochen in Hamburg verheimlicht worden wäre, und
beschuldigt die dortigen Behörden „krimineller Unfähigkeit, Nach-
lässigkeit und des Betrugs". In der letzten Sitzung der Academie de
Medecine in Paris wurde officiell zugestanden, dass der erste Fall von
Cholera in Havre am 5. Juli und zwar von Paris eingeschleppt war,
und dass von den ersten 50 Fällen in Havre 96 % starben. In No. 43
der „Gazette Hebdomadaire" wird berichtet, dass vom 4. April bis zum
15. Oktober 3184 Personen in Frankreich an der Cholera gestorben
sind, und zwar im April 65, im Mai 28, im Juni 107, im Juli 466 und im
Angust 841, also weit über 1000 Todesfälle, ehe nur die Seuche in Ham-
burg auftrat. Dabei wurde die Existenz der Cholera in Frankreich von
den Behörden stets geleugnet. Trotzdem habe ich noch keinen Commen-
tar zu diesen Thatsachen im „Record" finden können, ebensowenig im
„New York Herald".
IV.
Desinfection und duarantäne.
Herr Professor RobepwT Koch hatte die Güte mir im hygienischen
Institut in Berlin folgende Ansichten über diesen Gegenstand zu
diktiren :
1) Jede Einwanderung aus inficirten Ländern sollte während der
Dauer der Cholera untersagt werden. Es kann nicht vorher gesagt
werden ob die Seuche an demselben Ort im Frühjahr wieder aus-
brechen wird. Ebenso wenig weiss man wie lange sich die Cholera-
bacillen in schmutzigen Kleidern oder Lumpen erhalten können, und
desshalb sollte sich das Einwanderungsverbot auf eine genügend
lange Zeit erstrecken, um die Möglichkeit der Einschleppung auszu-
schliessen.
Der deutschen Regierung wurde von Koch in einer Kommissions-
sitzung im Frühjahr gerathen, den russischen Auswanderern nicht
einmal die Durchreise durch Deutschland zu gestatten. Der Rath
wurde nicht befolgt.
2) Wird die Einwanderung aus inficirten Ländern nicht aufgehoben,
so müssen die Kleider, das Gepäck und die Körper solcher Einwande-
rer in der Quarantäne desinficirt werden. Eine Quarantäne, in welcher
nicht jedes Kleidungsstück der Einwanderer einzeln derartig durch
heissen Dampf sterilisirt wird, dass jeder Zoll Fläche erreicht wird, ist
Unsinn. Die Kommabacillen können sich unter günstigen Umständen
468
ebenso leicht 24 Tage wie 24 Stunden halten. Russische Auswanderer
brachten die Keime an der Wäsche früherer Cholerakranker mit aus
Russland nach Hamburg, Diese Leute waren von der Grenze bis zum
Dampfer stets isolirt. In den von der Packetfahrtgesellschaft herge-
stellten Baracken öffneten dieselben ihre Bündel und brachten ihre
Hände und das Wasser der Elbe mit dem schmutzigen und inücirten
Inhalt in Berührung. Die ersten Fälle von Cholera erschienen 24 — 48
Stunden nach Abfahrt der Dampfer. Man hatte also von der russischen
Grenze bis zum Dampfer strenge Quarantäne gehalten (denn auf der
Eisenbahn waren die Auswanderer in den Waggons eingesperrt), man
beging aber einen „Kardinalfehler" (wie Koch es nannte) man desinfi-
cirte in Hamburg diese Leute und ihr Gepäck nicht.
3) Inficirte Schiffe müssen bei der Ankunft sofort evacuirt werden,
die Kranken in Hospitäler und die gesunden Passagiere in Beobach-
tungsquartiere. Die von inflcirten Schiffen kommenden Passagiere
müssen wenigstens noch 3 Wochen nach dem letzten unter ihnen ent-
standenen Fall in Quarantäne bleiben. Auswanderer auf nicht inflcir-
ten Schiffen können nach gründlicher Desinfection ihrer Habe und
ihrer Person gleich eingelassen werden.
Bemerkung : Um das Gepäck von täglich 500 Einwanderern durch
Dampf einzeln zu sterilisiren bedürfte der täglichen Arbeit von allein
16 Sterilisationsöfen, wie sie oben beschrieben wurden, ohne die Arbeit
des Badens und Desinflcirens der Einwanderer selbst. Schwefel-
räucherungen sind absolut werthlos. Werthlose Desinfection ist ge-
fährlicher als gar keine, weil dadurch trügerische Sicherheit vorge-
täuscht wird.
4) Bisher ist kein Fall bekannt, dass Passagiere der ersten oder
zweiten Kajüte die Seuche verschleppt hätten.
5) Kaufmannsgüter und Postsachen haben noch niemals die Seuche
verschleppt.
6) Die grösste Gefahr liegt in der Möglichkeit, dass die Wasser-
zufuhr (also bei uns das Gebiet des Croton River) inficirt wird. Die
Faekalien eines Cholerakranken im Anfang der warmen Witterung
genügen dazu. Die scrupulöseste Reinlichkeit der Wohnungen und
der Menschen würde in dem Fall eine Epidemie nicht verhindern,
denn die eine und hauptsächlichste Infectionsquelle blieb auf. Die
Gefahr der Verbreitung der Cholera von ein paar Dutzend einge-
schleppten Fällen durch direkten Kontakt ist, bei einiger Massen gründ-
licher Hausdesinfection, sehr gering, wie das Beispiel Berlin's zeigt.
Zum Schluss möchte ich mich auch hier noch für die Zuvorkommen-
heit und Aufmerksamkeit bedanken, welche mir in Berlin und Ham-
burg von unserer Gesandtschaft, dem Polizeipräsidium, dem Director
des kaiserl. Reichsgesundheitsamtes und den Hospitalvorständen zu
Theil wurden, und erwähnen, dass ich dem Herrn Oberstabsarzt
Dr. Pfeiffer und Herrn Geheimrath Robert Koch zu besonderem Danke
verpflichtet bin.
469
III.
Die häufigsten Fremdkörper in Ano»
Von
Dr. FRANZ T. B. FEST,
Sand Hill, Mich.
Ein in der allgemeinen Praxis zu häufig übersehener Umstand ist
die Wirkung von gewissen Fremdkörpern in Ano in Beziehung auf
Pruritus, Fissura, Erösio und Intertrigo. Dass thierische Parasiten
durch Reiz Pruritus und auch Erosionen hervorrufen, ist bekannt, und
dieser Pruritus wird ja auch bei der Diagnose benutzt. Sehr selten
hingegen — und erwähnt finde ich es nirgends — sucht man die Ur-
sache unleidlicher Beisymptome in zu langen Afterhaaren. Eine bei
mir sehr beliebte Ordinationsweise ist die durch Suppositoria, Kapseln
oder Enema. Hierbei sammelte ich Erfahrungen, die nicht ohne Be-
deutung für die allgemeine Praxis sind. So fand ich in zu langen
Crines ani die Ursache von Tenesmus, Pruritus und Intertrigo. Bei
harten und häufigen Stühlen drückt sich leicht das Ende des Rectum
heraus, und der Afterring bleibt einige Augenblicke offen. Durch das
Reinigen|werden die Haare an die Schleimhäute angedrückt und haften,
wenn sie lang genug sind, in den Schleimhautfältchen. Gehen die
Sphincter nun in ihre natürliche Lage zurück, so werden die Haare
eingeklemmt und gespannt. Der mechanische Reiz nun verursacht
das Gefühl von Tenesmus, und die Spannung Schmerz an den Haar-
wurzeln. Reiben und Jucken vermehrt natürlich den Reiz, und an-
dauernde Irritation muss Intertrigo oder Erosionen in Folge haben.
Z. B.:
H. H., aet. 28, Farmer, klagte seit lange über Jucken und Wundsein
im After. Er wusch ihn täglich mehrmals mit kaltem Wasser, und ge-
brauchte Carbolvaselin, doch ohne bedeutende Linderung. Die In-
spection ergab sehr lange Haare am After, von denen einige einge-
klemmt waren. Die Behandlung bestand in vollständiger Entfer-
nung der Haare, und Application von Carbolvaselin. Seit der Zeit hat
sich das Gefühl von Stuhlzwang nicht mehr eingestellt.
Auf das gründliche Entfernen der Haare ist stets Gewicht zu legen,
besonders aber bei Arbeitern, die gezwungen sind, sich im Staube auf-
zuhalten ; denn hier dürfte es schwer fallen ohne Entfernung der
Haare eine Reinhaltung des Anus zu erzielen, wie sie zur Heilung von
Intertrigo doch nothwendig ist.
Zu wenig Aufmerksamkeit wird ferner den unverdaulichen Bestand-
theilen der Nahrung geschenkt, wie Schalen von sweet corn, Körner
von Trauben, Beeren, Aepfeln, Tomaten u. s. m. Ist bei einem Kranken
sehr dünner Stuhl vorhanden, und sind solche Stoffe durch Darnieder-
liegen des ganzen Digestionsapparates nicht durchaus aufgeweicht
und zersetzt, so bleiben sie leicht im After zurück und wirken als
470
Fremdkörper, besonders durch ihre eonstante Keizung, wenn sie in
den Fältchen des Afterringes eingeklemmt sind. Paraproctitis und
Rectal-Fisteln verdanken ihnen ihr Bestehen.
I. B., aet. 18, Symptome einer Paraproctitis. Der geölte Finger ent-
deckte in der Geschwulst einen harten Gegenstand. Nach der Ent-
fernung erkannte ich in ihm einen HolzspUtter, der ins Kectum einge-
stochen war. Der junge Mann hatte die Gewohnheit, seine Zahnstocher
zu zerkauen.
Mrs. D., aet. 35, klagte bei einem Besuch über Hämorrhoiden, seit
der Geburt ihres letzten Kindes (etwa 4 Monate). Sie hatte schon
mehrere Aerzte zu Käthe gezogen, und eine Keihe Patent-Medizinen
gebraucht, doch vergebens. In der Unterhaltung stellte sich heraus,
dass von keiner Seite der leidende Theil untersucht worden war. Da
ich mich weigerte, ohne Untersuchung irgend etwas zu administriren,
verstand sie sich dazu. Yon Hämorrhoiden keine Spur, wohl aber
eine tiefe Fissur nach dem Peritonäum zu. In ihr fand ich eingebettet
den Kern einer Orange oder Citrone. Da ihr Leiden bei der Geburt
begann, glaube ich, dass der Kern im After eingeklemmt war, und
beim Durchschneiden des Kopfes in den Sphincter gedrückt wurde.
Nach Entfernung des Kerns heilte die Fissur leicht.
Ch. M., aet. 14 Monate, hatte am Morgen einige dünne Ausleerungen,
seitdem ist er unruhig, schläft nicht und schreit viel. Die Eltern,
besorgt, riefen mich. Nirgends war etwas Abnormes aufzufinden.
Auf Grund früherer Erfahrungen brachte ich den kleinen Finger in den
Anus, und entfernte einige Tomatenkörner, herrührend von einer Tags
vorher genossenen rohen Frucht. Alsdann führte ich ein kleines
Cocainsuppositorium ein, und das Kind hatte Kuhe.
Wohl meistens werden die Reste beim nächsten Stuhl entfernt ;
aber bis dahin bleibt das Gefühl von Tenesmus, wenigstens hält es
einige Zeit an, und darum sollte nie bei Kindern die Untersuchung des
Anus ausbleiben ; denn wird der Tenesmus beseitigt, so ist das Allge-
mein-Befinden gehoben und etwaigen, wenn schon seltenen, Consequen-
zen vorgebeugt.
471
NEW YORKER MEDICINISCHE MONATSSCHRIFT.
Organ für praktische Aerzte in Amerika.
Eedigirt von
Dr. f. C. heppenheimer.
EDITOKIELLE NOTIZEN.
15. December 1892.
lieber Entliromelali»ie.
In der Berliner klinischen Wochenschrift vom 7. November d. J. er-
schienen gleichzeitig drei Artikel über obiges Thema, und zwar von
Gerhardt, Senator und Bernhardt. Wir möchten hier ein Kesume
dieser Arbeiten geben.
Der Name „Erythromelalgie" (Röthung und Schmerz der Glieder)
stammt von Weir-Mitchell, der diese Affection als selbstständige
Krankheit zuerst im Jahre 1872 und dann im Jahre 1878 auf
Grund von sechs eigenen und fünf in der früheren Literatur
von ihm aufgefundenen Beobachtungen von Graves, Paget
u. A. zusammenfassend beschrieben hat. Nach ihm ergreift
das Leiden vorzugsweise Männer, beginnt gewöhnlich nach
einem leichten fieberhaften Unwohlsein, oder einer starken Körper-
anstrengung, mit heftigen Schmerzen in einem oder beiden Füssen,
seltener in den Händen. Die Schmerzen können sich centralwärts bis
zu den Hüften ausbreiten, bleiben jedoch in der Regel auf die Füsse
oder einzelne Stellen derselben beschränkt. Der Schmerz wird durch
aufrechte Stellung und Wärme vermehrt, daher ist der Sommer für die
Patienten die schlimmste Zeit. Horizontale Lage und Kälte lindern
die Schmerzen. Nach einiger Zeit gesellt sich eine congessive Röthung
der betroffenen Stellen hinzu, welche in leichteren Fällen nur vorüber-
gehend auftritt, nach Anstrengungen, bei aufrechter Stellung, in
schwereren und chronischen Fällen aber in wechselnder Stärke be-
stehen bleibt und zeitweise stärker hervortritt mit sichtbarer Schwel-
lung der Venen, Pulsiren der Arterien und Temperaturerhöhung an
den oetreffenden Stellen. Die Krankheit verläuft äusserst chronisch
während vieler Jahre mit Schwankungen von Besserung und Ver-
schlechterung.
Die Autoren, welche seit 1878 über diess Affection geschrieben
haben, sind : Lannois, Seeligmüller, Woodnut, Auche et Lepinasse
und Morgan. Alle stimmen darin überein, dass es sich in den typi-
schen Fällen von Erythromelalgie nicht um einen durch äussere oder
innere Reize hervorgebrachten entzündlichen Process handelt, sondern
dass Röthung und Schwellung auf einer Hijjperämie durch active Gefäss-
erweiterang beruhen, d. h. auf einem Vorgang, den man gewöhnlich auf
eine Lähmung der die Gefässe verengenden Nerven bezieht, und als
472
Angioparälyse bezeichnet. Es handelt sich sonach um eine vasomotori-
sche Neurose.
Die Behandlung dieser Fälle anlangend, so konnte bisher die Hei-
lung durch kein Mittel erzielt werden. Duchenne empflehlt die Fara-
disation ; Senator hat bei seinem Patienten zuerst den faradischen,
und dann den constanten Strom in wechselnder Anordnung, Monate
lang in zweimal wöchentlichen Sitzungen angewandt, aber keine objec-
tive Veränderung danach eintreten sehen. Am nützlichsten scheint die
Application] der Kälte zu sein, wodurch die Schmerzen grösstentheils
gelindert werden ; Antipyrin hat sich zu diesem Behufe gleichfalls als
besonders effectvoU im GEKHARDx'schen Fall bewiesen.
Obgleich Erythromelalgie eine seltene Affection ist, zweifeln wir
doch nicht daraa, dass auch in unserer Stadt derartige Fälle bald zur
Beobachtung gelangen, und in den medicinischen Gesellschaften eine
Besprechung finden werden.
REFERATE.
Krankheiten der Respirationsorgane.
Referirt von Dr. J. W. GLEITSMANN.
Treatment of Hypertrophie Rhinitis by Electrolysis. By W. Schleppe-
^ell. (New Orleans Medical and Surgical Journal, Septem-
ber, 1892.)
Da Verfasser mit dem Resultat der chemischen Caustica bei hyper-
trophischer Rhinitis nicht befriedigt war, und unangenehme Nach-
wirkungen der Galvanocaustik vermeiden wollte, versuchte er Electro-
lyse. Er sagt, er gebrauche eine Batterie mit 50 Volts mit geeignetem
Rheostat und einen Strom von 10 Milliamaperes für die Dauer von 10
Minuten. Sehr grosse Hypertrophien ausgenommen, sei eine Applica-
tion für je eine Muschel genügend, und die meisten Fälle zeigten eine
vollständige Reduction des Gewebes nach 8 bis 10 Tagen.
Er gebraucht eine trockene Silberchloridbatterie, setzt die eine
breite Kupferelectrode in der Regel auf den Xacken, sticht die andere,
eine IJ Zoll lange Platinumnadel, in das submucöse Gewebe, und be-
streicht nach vollendeter Operation die Einstichstelle mit Collodium.
Er hat 44 Fälle in dieser Weise behandelt, und in der Mehrzahl gute
Erfolge erzielt.
A Contribution to the Study of Atrophie Rhinitis. By H. M. Wilson.
(N. Y. Medical Journal, November 12th, 1892.)
Der Autor wendet sich gegen Bosworth's Auffassung der Entste-
hung der atrophischen aus einer vorhergegangenen purulenten Rhinitis,
deren eintrocknende Secretion eine festauf den Schwellkörpern sitzende
Decke bilde, welche durch Behinderung des Blutzuflusses Schrumpfung
d. h. Atrophie hervorrufe. Darnach seien trockene, staubige Gegen-
den der Entstehung und Häufigkeit dieser Erkrankung günstig.
Nach W.'s Beobachtungen ist aber durch den alkalischen Staub und
die trockene Luft das Vorkommen der Krankheit in Colorado, ihrem
Wohnsitz, nicht zu erklären. Er hat keine vorhergehende purulente
Rhinitis gesehen, wohl aber glaubt er, dass die reizende Luft die
473
Schwellkörper übermässig reize, Hypertrophie derselben hervorrufe,
und welche dann, wenn sie auf den continuirlichen Reiz nicht mehr
reagiren können, collabiren und schrumpfen. Er führt drei Beispiele
aus eigener Praxis an, bei welchen keine Nasenerkrankung vorherging,
ein, mit hypertrophischer in einem, atrophischer Rhinitis im andern
Nasenloch, und citirt Clinton Wagners Fall, bei welchem dieser ver-
lässige Beobachter während mehrerer Monate Observation eine
hypertrophische in eine atrophische Rhinitis sich umbilden sah.
Laryngeal Tubercle and Tuberculin. By A. J. Erwin. (Journal Am.
Med. Association, October 15th, 1892.)
Erwin behandelte 26 Schwindsüchtige, von welchen 7 Larynxtuber-
culose hatten, mit Tubercuhn. Ein Fall blieb gut nach 54 Injectionen,
ein anderer wurde besser, verbrachte den folgenden Winter in relati-
vem Wohlbefinden, und eine wiederauftretende Infiltration des Ary-
knorpels wurde und blieb gut nach 6 Injectionen. Ein dritter Patient
wurde nach 45 Injectionen besser, verschlechterte sich aber nachher,
und wurde nicht wieder injicirt. Die andern 4 Patienten blieben in
statu quo.
E. schliesst daraus, dass Tuberculin einzelne Fälle von Larynxphthise
heile, dass diese aber von dem Mittel weniger beeinfiusst werde, als
Lungenphthise, ferner, dass die Behandlung viel länger fortgesetzt wer-
den muss, als gewöhnlich angenommen wird, schliesslich, dass Tuber-
culin bloss in Frühstadien von Nutzen sei und bei Recidiven die Be-
handlung ohne Zögern wieder aufgenommen werden soll.
Von allen 2G Kranken sind 5 jetzt ohne Krankheitssymptom, 4 ge-
bessert (2 davon starben später, 2 andere nahmen die Behandlung
wieder auf), 17 wurden nicht gebessert. Im Ganzen wurden 522 In-
jectionen gemacht, ohne je von einem Abscess gefolgt zu werden.
Report of Gase of Papilloma of the Larynx, Intubationtnbe worn four
Years. By F. E. Waxham. (Ibid., October 22d, 1892.)
Ein Knabe von 21- Jahren war heiser seit 8, aphonisch seit 2 Mona-
ten, ebenso lange sind Respirationsbeschwerden vorhanden. Larynx-
papilloma wurde diagnostizirt, und wegen zunehmender Dyspnoea
intubirt. In der Hoffnung durch den Druck der Canüle das Papillom
zur Absorption zu bringen, wurde Intubation, auch zweimal mit Belag
der Canüle von Collodium und Chromsäure, wiederholt ausgeführt.
Während W.'s Abwesenheit in Europa wurde tracheotomirt und fand
er nun nach seiner Rückkehr den Larynx durch Adhäsionen gänzlich
geschlossen. Durch Laryngotomie wurden Geschwulstmassen ent-
fernt, später unter Chloroform eine Sonde und dann kleinste, später
immer grössere Intubationsröhren introducirt. Eine Neubildung an
der Basis der Epiglottis verhinderte im weitern Verlaufe die Athmuug
durch die Intubationscaniile, und recidivirend, musste mehrere Male
operativ entfernt werden. Nach zwei Jahren wurde die Tracheal-
canüle entfernt, und befindet sich der Knabe, jetzt 6i Jahre alt und die
Intubationscanüle tragend, ganz wohl.
W. hofft, dass wenn in der Pubertätsperiode der Larynx sich er-
weitert, genügend Raum für die Athmung vorhanden sein wird.
Spontaneous Cure of Multiple Papillomata of the Larynx after Tracheo-
tomy. By J. A. White. (Ibidem.)
Ein 5jähriger Knabe hatte Dysphonie und Dyspnoe in Folge von
Papillomen am linken Stimm- und Taschenband und Intraarytenoidal-
raume, die W. im Juni 1886 endolaryngeal entfernte. Als die Erschei-
nungen im October wiederkehrten, zeigte sich Ausdehnung des Tumors
474
auf die rechte Seite, wie auch eine einzelne Geschwulstmasse am Kehl-
deckel. Wiederum endolaryngeale Entfernung und microscopische
Untersuchung, die den papillomatösen Character feststellte. Wachs-
thum des Tumor zum dritten Mal, jetzt die ganze Apertur des Larynx
bedeckend, theilvveise Entfernung im Januar 1887, 12 Tage darauf
Tracheotomie wegen Apnoea. Fernere Operationen der Tumoren
waren resultatlos, und active Behandlung wurde aufgegeben. Im
Herbst 1889 war Verkleinerung der Geschwulst ohne ,iegl. Behandlung
mit Ausnahme. des Sprays zu constatiren, und nahm dieselbe stetig ab,
bis 1892 bloss eine kleine Hervorragung an der Epiglottis und ein Rest
unter der vordem Commissur in der Trachea zu sehen war. Der
Knabe spricht vollkommen gut und deutlich.
In der Analyse des Falles sagt W., dass sein Fall der erste eines
Papillom der Epiglottis, und der sechste sei, in dem spontane Heilung
von multiplen Papillomen nach Tracheotomie beobachtet wurde.
Ueber die Diagnose und Behandlung des Kehlkopfkrebses. Von Gold-
stein. (Deutsche medizinische Wochenschrift, 12. Mai 1892.)
Für die Diagnose des Kehlkopfkrebses kommt in Betracht : 1) das
laryngoscopische Bild, 2) die microscopische Untersuchung der ent-
fernten Geschwulstfragmente und 3) die begleitenden Umstände.
In vorgeschrittenen Fällen ist auch für den weniger Geübten die
laryngoscopische Diagnose nicht schwer. Das Emporwachsen un-
regelmässiger, knotiger Bildungen aus stark inültrirtem Gewebe ist
für Garcinom characteristisch. Maligne Tumoren scheinen bei voll-
ständig normal aussehendem Boden äusserst selten vorzukommen.
Doch giebt es Fälle, in denen die carcinomatöse Infiltration der eigent-
lichen Neubildung vorangeht und giebt G. die Krankengeschichte eines
seiner eigenen Patienten, in dem er Infiltration drei Jahre vor der
TumorbilduDg beobachtete.
Die microscopische Untersuchung ist bloss von Werth, wenn sie den
positiven Nachweis der Malignität liefert, ein negativer Befund schliesst
letztere nicht aus. Die für die Untersuchung entfernten Theile sollen
aus der Tiefe der Geschwulst entnommen werden.
Die begleitenden Umstände sind weniger massgebend, am ersten
noch das Alter. Lymphdrüsenschwellungen können auch bei Tuber-
culose, Syphilis vorkommen. Die Stimmstörung ist äusserst variabel
und kann selbst bei ausgedehnter Infiltration gering sein.
G. tritt ganz entschieden für die Totalexstirpation des Kehlkopfes
ein, und räth, dieselbe nach gesicherter Diagnose möglichst früh-
zeitig zu machen, wenn Eecidive vermieden und gute Resultate er-
zielt werden sollen.
Two Cases of Laryngectomy for Adeno-Carcinoma of the Larynx. By
J. Solis-Cohen. (N. Y. Medical Journal, November 12th, 1892.)
Zwei hochinteressante Fälle für den Laryngologen wie Chirurgen.
In dem einen machte Cohen die von ihm angegebene modiflcirte
LaryngccLomie-Spaltung^des Larynx,'gründliclie Entfernung der kran-
ken Theile im Innern mit Belassung des knöchernen Gerüstes, in dem
andern eine complete Entfernung des Larynx.
Die beiden Krankengeschichten sind kurz wie folgt. Bei einem Pa-
tienten, dem Referenten von einem der beschäftigsten Aerzte New
York's zugewiesen, zeigte das Laryngoscop eine Geschwulst der linken
Larynxhälfte, von der nach vierwöchentlicher erfolgloser antiluetischer
Behandlung zwei Stücke entfernt, und microscopisch untersucht, als
Krebs erkannt wurden. Dr. Cohen, von dem ihm befreundeten Kran-
ken aufgesucht, bestätigte die Diagnose und operirte denselben in Ge-
475
gen wart des lieferenten. Nach vorausgegangener Traclieotomie wurde
der Larynx vorne gespalten, ungefähr J Zoll der Schildknorpelplatte,
und alle erkrankten Weichtheile des Larynx vollständig entfernt. Der
Kranke überstand die Operation gut, fühlte sich verhältnissmässig
wohl, starb aber in der vierten Nacht nach der Operation an Pneumonie.
Bei dem zweiten Patienten war 16 Jahre ehe ihn Cohen sah ein
Papillom an der linken Larynxliälfte exstirpirt worden. Zehn Jahre war
Patient nachher gesund geblieben, dann kehrte die Geschwulst wieder
und brach auch nach aussen durch. Als der Patient zu C. kam, waren
zwei Tumoren an der linken Seite sichtbar, die, als Papillom betrachtet,
nach vorausgeschickter Traclieotomie wegen Dyspno(?, endolaryngeal
theilweise entfernt wurden. Als die Untersuchung dieselben als Sar-
com erkannte, wurde zuerst die modificirte (wie oben) und nach einer
Wiederkehr des Tumor, vier Wochen später, die wirkliche complete
Laryngectomie vorgenommen. Fünf Monate nach der Operation war
noch kein Recidiv eingetreten.
C. spricht sich dahin aus, dass er nicht an die Umwandlung eines
gutartigen Papilloms in eine maligne Geschwulst in diesem Falle
glaube, da der Kranke zehn Jahre lang in vollständigem Wohlbefinden
lebte. Doch ist es immerhin möglich, dass das Narbengewebe, vom
ursprünglichen Tumor herrührend, eher eine Veranlassung zu maligner
Nachbildung abgab, als die gesunde Schleimhaut.
Treatment of Diseases of the Respiratory Organs by Butcher's direct
Contact Method. By F. M. R. Spendlove (Montreal). (The Medical
Age, September 26th, 1892.)
Im Gegensatz zur indirekten Methode — dem Einführen von Medi-
cinen in den Magen — befürwortet S. die directe Methode, viz. die Ein-
athmung von gasförmigen Medicamenten mittelst eines Ammonia-
inhalers. Die Luft streicht zuerst über den Säurebehälter, dann durch
Ammonia, und schwängert sich dann mit den in der Flasche enthaltenen
medicamentösen Stoffen. Er empfiehlt eine Mischung, die er „A" Mix-
tur nennt, und Thymol, lodine und Eucalyptusöl in Theerwasser sus-
pendirt enthalten soll, ohne aber deren genauere Zusammensetzung zu
geben. Auch Pyoktanin, Guajacol, lodoform vverden hinzugefügt.
Dem Referenten ist der Vorzug dieses Apparates vor andern ähn-
lichen nicht ganz klar, und noch weniger, welchen Einfluss diese Me-
thode auf Tuberkelbacillen haben soll, obwohl S. sogar bei einem
Kranken mit Erweichungsheerden bedeutende Besserung gesehen
haben will.
Cantharidin and its Effects üpon Tubercular Lung Disease. By A.
Zeh. (Merck's Bufietin, September, 1892.)
Zeh's Experimente erstrecken sich auf 12 Fälle, Wenn auch die Zahl
der Kranken klein ist, so gewinnen die Beobachtungen doch an Werth,
da genaue physikalische Untersuchungen der Lungen, der Sputa und
des Urins vorgenommen wurden. Die Resultate sind nicht vielver-
sprechende für diese Behandlungsmethode, da blos ein Patient, der
dritte Fall, nach 14 lujectionen, trotz einer nachher auftretenden
Haemorrhagie, später sich bedeutend besserte und wieder fähig wurde,
zu arbeiten. Drei Fälle stellten sich nach mehreren Injectionen nicht
mehr ein, andre drei opponirten weiteren Injectionen. Bei der Mehrzahl
war der Lungenbefund und auch das Allgemeinbefinden weniger
günstig, wie beim Beginn der Behandlung.
Die Zahl der Injectionen mit Ausnahme der erwähnten sechs Kran-
ken variirte von 10 bis 21 an der Zahl mit dem kürzesten Intervall von
zwei Tagen. Die Initialdose war gran, die Maxim uqidose Vsoo gran,
doch betrachtet Zeh V450 gran als Norm für letztere.
476
The Treatment of Pulmonary Tuberculosis by Creosote. By E., E. Gra-
ham. (Therapeutic Gazette, October 15th, 1892.)
G. wandte Creosot bei 228 Patienten an, von denen 192 in einer Dis-
pensary, 36 in seiner Privatoffice behandelt wurden. Die Beobach-
tungen erstreclcten sich über 11 Monate, das Mittel wurde bei Dispen-
sary-Kranken blos per os, bei den andern auch mittelst Inhalation
gegeben. Die Dose war im Beginn 1 Tropfen, dann steigend bis 15, bei
manchen 40, bei einem Patienten 72 Tropfen täglich 3 Mal. Heilung,
d. h. Wohlbefinden der Patienten, Sputum bacillenfrei, gesunder Lun-
genbefund bei physikalischer Untersuchung, erfolgte bei Dispensary-
Kranken im ersten Stadium in 10 Procent der Fälle, bei Privatpatienten
in 57.8 Proeent. Den Unterschied in beiden Klassen erklärt G. durch
die höhere Intelligenz der Privatkranken und deren bessere Ueber-
wachung und hygienischen Verhältnisse.
Von den einzelnen Symptomen fand G., dass der Husten in allen
Krankheitsstadien abnehme, ebenso die Quantität der Sputa, und ge-
wöhnlich auch die Nachtschweisse. In der Mehrzahl der Fälle zeigte
sich auch die Menge der Bacillen vermindert. Bei vorhandenem Fieber
giebt G. kein Creosot. Er hält Creosot für ein werthvolles Mittel in
Phthise, wenn es auch den von Sommerbrodt angegebenen Erwartun-
gen nicht entspricht.
Pneumonia Treated by Ice-Cold Applications. By W. F. Jackson.
(Ibidem.)
J. wickelt den Thorax seiner Patienten in ein grosses, in Eiswasser
getauchtes und ausgerungenes Handtuch ein, über welches ein trocke-
nes befestigt wird. Das kalte Tuch wird so oft gewechselt, als Schmerz
oder Temperatursteigerungen es erheischen, manchmal alle 5 oder 10
Minuten. Gesicht und Beine "werden mit in Eiswasser getauchtem
Schwämme oft gebaden. Liquor Ammonii acetici, Spiritus aetheris
nitrosi nebenbei gegeben, sollen die kritische Perspiration befördern.
Er hat in dieser Weise 25 Patienten behandelt, die sich alle mit zwei
Aufnahmen schnell erholten. Der eine von den Beiden hatte vorher
Grippe und acquirirte auch Pleuritis, der andere starb in Folge von
Complication mit Nierenleiden.
Er giebt vier kurze Krankengeschichten, bei denen die Krankheit
schon nach 2 bis 4 Tagen abgelaufen war.
Nervenheilkunde.— Referirt von Dr. G. W. JACOBY.
Ueber Hysterie von Kindern. Von F. Jolly. (Berliner klinische
Wochenschrift, 22. August 1892.)
Es ist nicht die Absicht des Verfassers mit diesem Aufsatze wieder
einmal nachzuweisen, dass die Hysterie bei Kindern vorkommt; dafür
sind in der Literatur zahlreiche Belege vorhanden. Weil aber die Seele
des Kindes verhältnissmässiger einfach und leichter zu studiren ist, so
müsste man durch Beobachtung der Hysterie bei Kindern einige Auf-
schlüsse über das Wesen der Krankheit bei Erwachsenen bekommen.
Alle localen Erscheinungen der Hj^sterie, sowie die Anfälle und
Geistesstörungen der Hysterischen kommen bei Kindern vor.
Bezüglich der localen Erscheinungen werden sehr häufig hart-
näckige Schmerzen, welche öfters mit spastischen Zuständen, gelegent-
lich mit Paralysen und Anaesthesien verbunden sind, beobachtet.
Häufig auch combiniren sich diese Erscheinungen mit Tremor, oder
dieses tritt selbständig ein. Krämpfe der Athmungs- und Stimm-Mus-
477
kulatur, sowie Störungen der Sprache in Form von Stammeln, Lis-
peln etc. sind nicht selten. Der hysterische Anfall tritt bei Kindern in
Form der ungewöhnlichen, gesteigerten und zeitlich verlängerten
Affectäusserungen auf. Schreikrämpfe, Weinkrämpfe, Lachkrämpfe
mit Zuckungen in den Extremitäten, Tremor oder Convulsionen sind
nicht selten. Bei diesen Zuständen besteht gewöhnlich eine gewisse
Alteration des Bewusstseins, so dass die Kinder sich in traumartigen
Vorstellungen bewegen, irgend eine Rolle zu spielen glauben, in deren
Sinne sie handeln. Derartige Zustände sind gewöhnlich leicht zu be-
seitigen, wenn auch eine Anstaltsbehandlung oft erforderlicli ist. Hier
wird es sich um einfache Isohrung handeln, oder, wenn dieses nicht
genügt, werden kalte Uebergiessungen und starke Faradisation noch
zu Hilfe gezogen. Hierbei handelt es sich nicht um eine Behandlung
der Hysterie, sondern nur um die Beseitigung der einzelnen Symptome.
Auf die Frage nach den Resultaten, die sich aus dem Studium der
Hysterie bei Kindern ergeben, geht Verfasser näher ein. Erstens er-
giebt es sich, dass die H. nicht vom Uterus stammt. Geschlechts-
reizungen können unter Umständen auch bei Kindern bei der Entwick-
lung der H. eine Rolle spielen, aber es wird diesem Factor vom Ver-
fasser keine grosse Bedeutung beigelegt. Wichtiger in etiologischer
Beziehung ist eine ererbte Disposition zur Neurose oder das Bestehen
einer erworbenen Krankheitsdisposition. Die Momente, welche auf
Grund dieser vorhandenen Disposition auslösend wirken, sind die
acuten körperlichen Krankheiten ; ferner Schuleinwirkungen, wobei es
sich nicht um Ueberbürdung handelt, sondern um Einschüchterung
seitens der Lehrer, und Ehrgeiz, Erregbaiiceit und Empfindlichkeit
seitens der Schüler. Etiologisch von Wichtigkeit ist die physiologische
Lebhaftigkeit der Phantasie bei Kindern ; diese begünstigt die Ent-
wicklung hysterischer Erscheinungen, unter Mitwirkung patliologischer
Zustände. Nehmen wir es als erwiesen an, dass es sich bei der Hysterie
um eine wesentlich psychische Affection handle, so fragt es sich weiter,
wie wir sie als solche näher characterisiren können.
Verfasser meint, dass die von Moebiüs gegebene Definition, „alle
durch Vorstellungen verursachten körperlichen Krankheitszustände"
werden als hysterisch bezeichnet, gehe zu weit. Mehr gefällt ihm die
Auslegung von Charcot, welcher hysterische Symptome als solche be-
zeichnet, die durch Einbildung entstehen ; aber die Auffassung Oppfn-
heim's wird wohl die richtigste sein. Hiernach handelt es sich bei der
Hysterie zunächst um Zustände reizbarer Schwäche ; . dass infolge
dieser reizbaren Schwäche alle Affectwirkungen und Reflexwirkungen
in ungewöhnlicher Stärke, oder in ungewöhnlicher Form sich einstellen
können, und dass auf Grund dieser Reactionsweise des Nerven-
systems die allgemeinen anfallsartigen, wie die Lolvalerscheinungen
der Hysterie zu Stande kommen. Will man aber alle verschiedenen
Erscheinungen der H. zufriedenstellend erklären, so muss man doch
beide Theorien, die CnARCOT'sche und die OppENHEiM'sche, zu HiKe
nehmen.
Localized Transient Oedema. By M. Allen Starr. (N. Y. Medical Jour-
nal, September 17th, 1892.j
Als Beitrag zur Casuistik des acuten Angeio-neurotischen Oedems,
liefert Starr, drei Krankengeschichten. Der erste Fall betraf eine 28-
jährige Frau, welche seit zwei Jahren ohne nachweisbare Ursache, ab
und zu an Oedem der rechten Gesichtshälfte litt. Unter Massage-
behandlung, besserte sich der Zustand derart, dass während sechs
Monaten der Anfall ausblieb. In dem zweiten Falle, handelte es sich
um eine 37jährige Frau deren Hände oedematös anschwollen sobald sie
478
in kaltes Wasser gesteckt wurden ; andere Körpertheile verhielten sich
der. kalten Luft gegenüber, ähnlich. Während eines solchen Oedem-
anfalles fand Starr, dass die Temperatur des befallenen Theiles all-
mähhg mit Zunahme der Schwellung, stieg. So wurde z. B. die linke
Hand eine Minute in kaltes Wasser gesteckt ; nach Herausnahme war
die Temperatur iiier 87.5° F. wälirend sie an der rechten Hand nur
78^ F. betrug ; nach Verlauf von 9 Minuten zeigte das rechts angelegte
Thermometer 85.5° und das links angelegte 93°. Die vorher geprüft
und mit einander verghchenen Thermometer waren in jeder Beziehung
gleich.
Der dritte Fall betraf eine 54jährige Frau, und zeichnete sich da-
durch aus, dass das Oedem der linken Hand stationär blieb, während
bei anderen Fällen immer Intermissionen eintraten.
Schlafattacken und hypnotische Suggestion. Eduard Hitzig. (Berliner
klinische Wochenschrift, 19. September 1892.)
Verf. theilt hier einen einzelnen Fall von hysterischem Schlaf, wel-
cher mittelst hypnotischer Suggestionen erfolgreich bebandelt wurde,
mit. Die Mittheilung geschieht, nicht nur um diese Behandlungs-
methode zu demonstriren, sondern wegen einiger Beobachtungen die
über Stoffwechsel, vor, während und nach den Schiafättacken gemacht
werden konnten.
^ Die Tliatsaclien, welche H. hierüber mittheilt, weichen in einigen
Punkten von den Beobachtungen Anderer ab. Bei dem hier beschrie-
benen Patienten trat Abnahme des Körpergewichts schon vor den An-
fällen im prodromal Stadium ein, und diese Abnahme wurde unter
Behandlung stetig vor jedem Anfall geringer. Die Abnahme des
Körpergewichts während der Anfälle verhielt sich umgekehrt, denn
anstatt geringer zu werden, nahm sie mit jedem Anfall mehr und
mehr zu.
Auch die Stickstoffausscheidung zeigte schon während der Pro-
drome, erhebliche Veränderungen, indem die Ausscheidung von
Harnstoff stark vermehrt wurde. Während des Schlafes nahm die
Ausscheidung von Harnstoff ab, und nach den Anfällen wieder zu,
aber nicht in so erheblichem Maasse als vor den Attacken.
Die Frage nach der Ernährung während des hysterischen Schlaf-
anfalles ist demnach, mit der Formel, ,,Die hysterischen Verbrennen
während des Anfalles, wenig nur zum Theil beantwortet".
Electrodes and their Appliances in Electrocution. By Geo. E. Fell.
(The Journal of the American Medical Association, Sept. 24, 1892.)
Die Electroden, welche bei der ersten elektrischen Hinrichtung
benutzt wurden, bestanden aus einer flachen DoiDpelelectrode für die
Füsse, und einer concaven Electrode für den Kopf. Besondere Vorrich-
tung um die Electroden nass zu halten bestand nicht. Die nächst
gebrauchte Einrichtung wurde dahin modificirt, dass die eine Electrode
der Wirbelsäule und dem oberen Theil des Schädels angepasst wurde.
Die allerletzte Modiflcation der Electroden Anwendung besteht darin,
dass ein nasser Schwamm am Schenkel und einer an der Stirne
befestigt werden.
F. ist dafür, dass in Zukunft eine derartige Einrichtung getroffen
wird, dass der Strom mit voller Intensität über die Herzgegend appli-
cirt wird.
Discussion of Electrical Execution. By A. D. Rockwell. (Journal of
the American Medical Association, Sept. 24, 1892.
Bei Handhabung von Verbrechern ist das Streben der Civihsation
nach humanen Methoden, und jene Form der Hinrichtung, welche am
479
schnellsten wirkt, und unsere ethischen Gefühle am wenigsten ver-
letzt, ist diejenige, welche ,'i.ngew;indt werden S(dlte. Wenn das Gehirn
'/25 Secunde gebraucht, um einen Eindruck zu empfangen, und '/„
Öecunde, um von dem Empfang dieses Eindruckes kund zu geben, so
kann, wenn wir uns die Schnelligkeit vergegenwärtigen, mit welcher
der electrische Strom fortgeleitet wird, das Gehirn, keinen Schmerz-
eindruck bei der electrischen Hinrichtung, empfangen. Dieser Vor-
theil kommt der Guillotine und der Garote auch zu, aber deren
Gebraucli wird vom Verfasser wegen Verletzung unserer ethischen Ge-
fühle, verworfen. Vergiftung, als Hinrichtungsniethode, hat sehr viel für
sich ; ist man aber auf die engere Wahl zwischen Hängen und „Elec-
trocution" angewiesen, so ist letztere unter allen Umständen vorzu-
ziehen. Es werden die Experimente mitgetheilt, welche zur Erörte-
rung dieser Frage von der Staatlichen Commission angestellt wurden.
Grosse Thiere, Pferde und Ochsen, erlagen sofort einem einzigen
Schlag von 1,000 Volts. Respiration und Herzschlag waren gleich
nach Stromesunterbrechung erloschen, und alle Methoden um künst-
liche Bespiration einzuleiten, blieben erfolglos.
Bei der ersten Hinrichtung stellte es sicli aber heraus, dass der
menschliche Körper, dem electrischen Strom gegenüber mehr Wider-
standskraft besitze als das grösste Hausthier, denn ein einzelner
Schlag von 1,700 Volten war nicht im Stande die Herz- und Respira-
tlons-Thätigkeit vollkommen aufzuheben. Verfasser meint, dass der
psychische Zustand des Hinzurichtenden hierzu beiträgt ; dass die
„Nervöse Spannung" der Wirkung des electrischen Stromes direct
entgegentrete. Als Beweis hierfür soll der Umstand dienen, dass
einzelne Personen, accidentell durch eine geringere, als die oben
genannte, Anzahl Volten den Tod erlitten.
Die ethische Frage ob sich der Arzt nicht von solchen Hinrichtun-
gen vollständig fern halten soll, wird verneinend beantwortet, denn
meint Verfasser es ist Sache des Arztes den Tod, wenn er nicht fern zu
halten ist, wenigstens so weit als möglich zu lindern.
Chirurgie.— Referirt von Dr. FRANZ TOREK.
Operative Therapie der angeborenen Hüftverrenkung. Von Prof. Dr.
Adolf Lorenz, Wien. (Centralbl. für Chir., 1892, No. 31.)
Das Verdienst, eine rationelle operative Therapie der angeborenen
Hüftverrenkung inaugurirt zu haben, gebührt A. Hoffa. Dieser em-
pfiehlt folgendes Verfahren : Blosslegung des dislocirten Kopfes durch
den LANGENBECK'schen Resektionsschnitt von hinten her, subperiostale
Loslösung der Gelenkkapsel und aller in die Trochanteren inserirten
Sehnen, Abhebung des Kopfes vom Darmbein durch maximale Beu-
gung und Adduktion des Oberschenkels, künstliche Vertiefung der
Pfanne, eventuell Tenotomien an der Spina ant. sup. und in drr Knie-
kehle, worauf die Einrenkung in die künstliche Pfanne möglich wird.
L. wandte diese Methode in einem Falle an. Er fand die Reposition
sehr schwierig ; die Operation dauerte 1^ Stunden, der Wundverlauf
war kein reiner, und die Luxation stellte sich bald wieder ein. L. ist
der Meinung, dass die pelvitrochanteren Muskeln nicht das Haupt-
hinderniss zur Reposition sind, sondern diejenigen, deren Verlaufs -
richtung mit der Femurachse am besten übereinstimmt (besonders
Semitend., Semimemb., Biceps und Rectus). Er hat daher folgende
Methode ersonnen und in vier Fällen erfolgreich ausgeführt : Kräf-
tigste Extension und Contraextension mittelst dicker w^ollener Strähne ;
subcutane Myotomie der Adduktoren und — durch dieselbe Oeffnung
480
— der Tubermuskeln vom Sitzknorren ; nun unter gleichmässig fort-
dauernder Extension 6 — 7 cm. langer Hautschnitt von der Spina ant.
sup. direkt nach abwärts ; Auseinanderziehung der Wundränder und
Durchtrennung der Fascia lata, des Tensor fasc. lat., des vorderen
Randes des Glut, med., und des Sartorius in querer Richtung ; Vor-
dringen in die Tiefe zwischen Sartorius und Tensor; Durchtrennung der
Rectussehne knapp unter der Spina ant. inf.; Freipäparirung der vor-
deren Gelenkkapsel, unter welcher man den der Pfanne schon gegen-
überstehenden Kopf tastet ; Spaltung der vorderen Kapsel mittelst
Kreuzschuitte ; nun Unterbrechung der Extension und Luxiren des
Kopfes mittelst Beugung, Adduktion und Hinaufschieben der Femur.
Nun werden uuter Leitung des Zeigefingers mittelst eines Knopfmes-
sers stark gespannte Kapselpartien gelöst, und mit dem HoFFA'schen
Bajonettlöffel, ebenfalls unter Leitung des Fingers, wird die Pfanne ver-
tieft, worauf der Kopf reponirt und das Bein in leichter Abduktions-
stellung fixirt wird.
Die operative Behandlung der angeborenen und anderer Hüftver-
renkungen. Von Dr. Karewski, Berlin. (Centralbl. für Chir., 1892,
No. 36.)
K. berichtet über 5 Fälle kongenitaler, 1 Fall von Spontanluxation
und 8 paralytische Verrenkungen. Indem er sich auf die Arbeiten von
HoFFA und die oben beschriebene von Lorenz bezieht, ist er, im Gegen-
satz zu deren Ansicht, der Meinung, dass nicht nur die Verkürzung der
Muskeln, sondern vor allen Dingen die Schrumpfung der lateralen
Theile der Gelenkkapsel und des Lig. ileofemorale das Repositions-
hinderniss bilden. K. schickt stets eine mehrwöchentliche Extensions-
behandlung der Operation voraus. Tenotomien sind bisweilen nöthig,
bisweilen nicht. Die Retention des Kopfes in der Pfanne ist bei kon-
genitaler Luxation deswegen schwierig, weil die Pfanne nie normal, zu-
weilen nur durch eine kleine Delle angedeutet ist und gleichzeitig
Schenkelkopf und Schenkelhals pathologisch gestaltet sind, ersterer
zuckerhutförraig, letzterer bisweilen fast ganz fehlend. K, bedient sich
des LANCiENBECK'schen Resectionsschnittes. Bei Luxationen nach vorn
hält er den vorderen Resectionsschnitt für geeigneter. Die Pfanne er-
weitert er mit Hohlmeisseln, schneidet den Limbus cartilagineus senk-
recht ein, und wo er dennoch fürchtet, dass sich aer Kopf wieder nach
oben luxirt, schafft er durch palissenartig in den Pfannenrand einge-
schlagene Nägel 6 — 8 Tage lang einen künstlichen Wall. In den ersten
drei Wochen der Nachbehandlung wird ein Gipsverband angelegt,
welcher die ganze operirte Extremität, sowie das Hüftgelenk der an-
deren Seite fixirt und bis zur Achselhöhle hinaufreicht. Dann passive
Bewegungen nebst Extension ; nach acht Wochen Gehversuche in Ex-
tensioDsschiene ; Massage, Electricität.
Das Endresultat der Operationen war eine ausserordentliche Verbes-
serung, aber keine restitutio ad integrum. Das Resultat wurde um so
besser, je länger die orthopädische Nachbehandlung dauerte. Die
besten Erfolge sind bei der traumatischen Luxation zu erzielen.
Tubercular Empyema with Resection. Von S. F. Johnson, Los Angeles.
(Southern Calif. Pract. Vol. VII, No. 9.)
Der Autor meint es jedenfalls gut mit dem Leser, da er zu dessen
Erheiterung, wo es nur thunlicli ist, Witze und Possen reisst, ja sogar
Verse schmiedet. Zum Beispiel wie er besehreibt, dass eine College
seinem Empyem-Falle ein Löchlein zwischen die Rippen gestossen und
ein gänsekieldickes Drainage-Rohr eingeführt hat, sagt er, dass das
arme RöhrcheU; nachdem es sich einen Tag lang redlich abgeplackt
481
hatte, durch Ueberarbeitung und schlechte Aussichten entmuthigt»
ganz leise, aber dennoch eilig, hineingeschlüpft sei, und
" By the dawn's early light
The smootli little tubelet was plumb out of sight,
Having gone to join McGinty the previous night."
Und so weiter. Der beschriebene Fall ist übrigens an und für sich von
Interesse. Die Resection einer Rippe wurde lege artis vorgenommen,
und im Eiter fand man einige Erdbeer-Körner. Bei der nächsten Aus-
waschung, und auch bei jeder folgenden, wurden immer wieder Speise-
reste vorgefunden, bis der Patient eine Zeit lang per rectum ernährt
wurde. 67 Tage nach der Operation starb der Patient. Autopsie
zeigte die ganze linke Lunge und einengrossen Theil der rechten tuber-
culös. Im Magen keine Perforation. Im O-^sophagus, gegenüber dem
dritten Brustwirbel, eine etwa 1 Zoll lange und 3 — 4 Linien breite Oeff-
nung, die als tuberkulöse Ulceration durch die Pleura in den Oeso-
phagus betrachtet wurde.
Radical Surgery the Best Surgery in the Treatment of Extensive
Lacerated and Contused Wounds of the Extremities. Von E. H.
Richardson, Atlanta, Ga. (Fort Wayne Journ. of Med. Sc, Vol.
XIL, No. 7.)
Wie der Titel besagt, spricht sich R. gegen übertriebenen Conserva-
tismus in der Chirurgie aus. Er hält denselben für äusserst gefährlich
bei ausgedehnten Riss- und Quetschwunden wegen der Möglichkeit
des Tetanus, der bei Amputationen fast ausgeschlossen ist. Leider sind
die von ihm angeführten statistischen Beläge absolut werthlos, um
seinen Standpunkt zu erhärten, da dieselben weit in die vor-antisep-
tische Zeit hineinreichen. Die Arbeit wird nur deswegen referirt, weil
der Titel derselben selbstverständlich Aufmerksamkeit und Neugierde
erweckt.
An Experimental Inquiry concerning Elastic Constriction as a Hae-
mostatic Measure. Von Nicholas Senn, M. D., Ph. D., Chicago. III.
(Fort Wayne Journ., Med. Sciences, Vol. XII., No. 9.)
In dieser Arbeit theilt S. seine klinischen Erfahrungen über
elastische Konstriktion der Extremitäten und die Resultate von Expe-
rimenten an 15 Hunden mit, welche die Konstriktion von 2 Stunden 25
Minuten bis zu 21 Stunden trugen. Er stellt am Schluss der Arbeit
folgende Sätze auf :
1. Der Gebrauch der elastischen Binde, um ein Glied blutleer zu
machen, sollte verworfen werden, da die Kompression der betroffenen
Theile eine mechanische Verbreitung bösartiger Geschwülste und durch
Mikroorganismen erzeugte Krankheiten zur Folge haben kann.
2. Die Blutleere sollte man durch Hochheben des Gliedes vor An-
legung der Konstriktionsbinde erzielen.
3. Die Konstriktion sollte mit genügender Kraft gemacht werden»
um sogleich sowohl die arterielle als die venöse Circulation zu unter-
brechen.
4. Venöse Stase verhindere man, indem man schnell konstringirt
und an derjenigen Seite des Gliedes mit dem Druck beginnt, wo die
Hauptblutgefässe liegen.
5. Man vermeide lineäre oder zu feste Konstriktion, da diese zu
Muskelverletzuiigen und zu temporärer oder permanenter Lähmung
in Folge schädlichen Druckes auf einen grossen Nervenstamm führen
kann.
482
6. Elastische Konstriktion eines Gliedes sollte sich über ein ring-
förmiges Areal von mindestens 2 Zoll Breite erstrecken und kann am
gefahrlosesten mit Hülfe eines zu diesem Zweck konstruirten elasti-
schen Bandes -oder mit einer gewöhnlichen Gummibinde gemacht
werden.
7. Die cirkuläre Konstriktion eines Gliedes sollte womöglich an
einer Stelle geschehen, wo die grossen Nervenstämme gut von darüber
liegenden Muskeln geschützt sind ; falls dies nicht möglich ist, sollte
man eine dicke Gaze-Kompresse zum Schutze derselben überlegen.
8. Die Lebeosfähigkeit der von der Cirkulation ausgeschlossenen
Gewebe wird gefährdet, wenn man den ischaemischen Zustand auf 3 bis
4 Stunden ausdehnt ; bei noch längerer Dauer kann sich Gangrän ein-
stellen.
9. Der Vorgang der Karyokinesis in Geweben, die vom Kreislauf
durch elastische Konstriktion ausgeschlossen wurden, wird ungünstig
beeinflussL, wenn letztere länger als zwei Stunden gedauert hat.
Allerlei.
In der am 5. d. M. stattgefundenen Sitzung der Deutschen Medici-
nischen Gesellschaft von New York wurden folgende Beamten für das
Jahr 1893 gewählt :
Präsident : J. W. Gleitsmann.
Vice-Präsident : Geo. W. Kachel.
Protokollirender Secretär : Max Einhorn.
Stellvertretender protok. Secretär : F. Torek.
Korrespondirender Secretär : A. Kose.
Schatzmeister: L. Weiss.
Aufnahme-Komite :
F. Lange, C. Heitzmann, C. A. von Ramdohr, H. Krollpfeiü'er, G. M.
Edebohls.
Das am 17. d. M. im Ari<jn stattfindende Fest dieser GesellscLaft
verspricht ganz besonders lebhaft und prunkvoll zu werden. Es sind
bereits über 150 Couverts belegt worden, und unter den Gästen hat
auch Herr Carl Schurz seine Theilnahme am Diner zugesagt.
Ende November fand die Grundsteinlegung für das neue, an der
Ecke der Zweiten Avenue und 20. Strasse zu errichtende Gebäude des
,,New York Post Graduate School and Hospital" statt. In Folge des un-
günstigen Wetters beschränkte sich die Feier hauptsächlich auf einein
dem bisherigen Hospital-Gebäude No. 226 zwanzigste Strasse abgehal-
tene Versammlung, bei welcher Gelegenheit die Herren Professor Dr. T.
Gaillard Thomas, Kev. Professor Dr. Marvin K. Vincent und Kev. Dr.
Henry Y. Satterlee mit vielem Beifalle aufgenommene Ansprachen
hielten, in welchen die Kedner auf die Thätigkeit des Institutes hin-
wiesen. Nach den vorliegenden Berichten wurden in dem genannten
Hospital im Laufe des Jahres 888 Hauspatienten behandelt, und zwar
301 Kinder und 587 Erwachsene. Im Dispensary fanden 15,832 Patien-
ten Behandlung und es fanden 51,002 Besuche statt. Namentlich in
der Abtheilung für Kinder hat sich schon seit längerer Zeit ein
empfindlicher Raummangel bemerkbar gemacht, und so wurde das
Bedürfnis nach einem Neubau immer dringender, bis endlich der Ent-
schluss gefasst wurde, einen solchen an der genannten Ecke zu errich-
ten. Das Publikum kam diesem geplanten Unternehmen mit grosser
Opferwilligkeit entgegen, und die Subskription hatte einen überaus
günstigen Erfolg, so dass der lange gehegte Plan nunmehr zur Aus-
483
führung gelangen soll. Nach dem entworfenen Plane soll das neue
Gebäude nicht nur die Hospitalräunie umfassen, sondern auch die
geeigneten ünterrichts-Eäumliclikeiten für das praktische Studium
der Medicin und für die Ausbildung geschulter Wärterinnen enthalten.
Auch die sich immer mehr vergrössernde Bibliothek soll ein geeigne-
teres Unterkommen finden, als bisher in den alten engen Eäumen.
(N. Y. Staats-Ztg.).
Dr. M. Simmonds, Prosektor, am Alten allgemeinen Krankenhause
in Hamburg, macht in der „Deutschen Medizinischen Wochenschrift"
interrossante Mittheilungen über die Rollo, welche Fliegen bei der
Choleraübertragung spielen. Bei der bakteriologischen Untersuchung
einer, in dem Choleraleichen enthaltenden Sektionsraume gefangenen
Fliege fanden sich viele Kommabacillen. Als S. die Leichen möghchst
rasch nach der Autopsie zunähen und die Tische gut abspülen liess,
verschwanden die Bacillen. Dass nicht etwa, wie man zunächst erwar-
ten könnte, die gegen Eintrocknung so sehr empfindlichen Cholera-
keime an den Fliegen beim Fluge bald absterben würden, davon über-
zeugte sich 8. durch mehrere Versucue ; selbst nach l^stündiger Dauer
halten sich noch Cholerakeime an fliegenden Insekten, und so begreift
man, dass die Fliegen durch Infektion von Speisen, Suppen, Milch u. s.
w. sehr wohl zur starken Verbreitung der Cholera beitragen können.
— Als praktische Folgerung aus diesen seinen Versuchen empfiehlt
Verf. alle mit Choleradejektionen beschmutzten Gegenstände bis zur
Desinfektion sorgfältig gedeckt zu halten und an inficirten Orten aufs
peinlichste dafür zu sorgen, dass Flieg<^n feuchte und flüssige Speisen
nicht berühren können.
Ueber einen Fall von Antipyrinvergiftung berichtet Dr. Guttmann,
Direktor des Krankenhauses in Moabit in den „Therap. Monatsh."
Dieser Fall ist deswegen von Int^eresse, weil einige der Vergiftung-
symptome Aehnlichkeit zeigten mit dem Bilde des asphyktischen
Stadiums der Cholera — eine Aehnlichkeit, w^elche die Veranlassung
war, dass dieser Kranke als cliolera verdächtig in das Krankenhaus
eingeliefert wurde. Der betreffende Kranke hatte kühle Extremitä-
ten, Wadenkrämpfe, Erbrechen, die Stimme war heiser, Augen tieflie-
gend dunkel umrändert ; der Puls war nicht fühlbar die Temperatur
31,5° — nur der Stuhlgang war normal. Zur Beseitigung heftiger
Kopfschmerzen hatte die betreffende Person Antipyriupulver äl Grm.
zweimal täglich genommen. Im Ganzen waren 10 Grm. Antipyrin
eingeführt, worauf sich unter allmählicher Steigerung das oben be-
zeichnete Krankheitsbild entwickelte.
Menthol-Chloroform gegen Zahnschmerzen wird von „Prager
Rundsch." empfohlen. Man bereitet sich hierzu eine Lösung von
Menthol 5 : 8 Chloroform, die man auf Watte in die gut gereinigte
Zahnhöhle bringt.
Die Direktoren des St. Mark's Hospitals, dessen segensreiche Wir-
kung sich von Jahr zu Jahr steigert, haben das Grundstück No. 177
Zweite Avenue zum Preise von .530,000 für Hospitalzwecke angekauft.
Die Selbsteinschätzung der Berliner Aerzte zeigt einen so tiefen
Stand der ärztlichen Erwerbsthätigkeit, wie man es kaum für möghch
gehalten hätte. Wie das Korrespondenzblatt der brandenburgischen
Aerztekammer berichtet, hat von den 1747 Aerzten und Zahnärzten
Berlins nahezu die Hälfte noch nicht 3000 Mark Jahreseinkommen
aus ihrer Berufsthätigkeit. Rechnet man indessen noch diejenigen
geprüften Aerzte hinzu, welche aus irgend welchen Gründen die ärzt-
liche Beschäftigung nicht ausüben, so stellt sich die Ziffer noch un-
484
p^üQStiger. Ein Jahreseinkommen von mehr als 8000 Mark haben etwa
250, von mehr als 10,000 Mark nur etwa 170 Aerzte. Man ersieht also
aus diesen Zahlenangaben, dass von einem auch nur mässigen Wohl-
stand unter den Berüoer Aerzten nicht die Eede sein kann. Unter sol-
chen Verhältnissen kann es nicht Wunder nehmen, wenn in den
meisten ärztlichen Familien eine wirkliche Noth ausbricht, sobald der
Ernährer stirbt oder erwerbsunfähig wird. Der Arzt vermag aller-
meist nicht aus seinen Berufseinnahmen die Zukunft seiner Hinter-
bliebenen auch nur einigermassen sicher zu stellen. Grosse Lebens-
versicherungssummen sind sehr selten. Oft genug sind Aerzte gar
nicht versichert ; in den meisten Fällen zeigen die Steuererklärungen
200 bis 300 Mark an Versicherungsprämien auf. Auf Unfallversiche-
rungen verwenden dagegen die Berliner Aerzte ziemUch hohe Beträge.
150 — 250 Mark derartiger Prämien begegnet man in den Selbstein-
schätzungslisten recht häufig. Im Vergleich mit den Aerzten sind die
Berliner Rechtsänwälte im allgemeinen besser gestellt. Unter diesen
weisen mehr als 80 Procent ein jährliches Einkommen von mehr als
3000 Mark auf.
Unter den zahlreichen Vorschlägen zur Prüfung von Harn auf seine
beiden häufigsten pathologischen Bestandtheile verdient das Verfah-
ren von Dr. B. Laquer den entschiedensten Vorzug, indem es sich mit
derselben Harnprobe in demselben Reagensglas bequem in 3 — 4 ^linu-
ten ausführen lässt. Die Eiweissprobe ist die gewöhnliche : Der klare,
d. h. filtrirte Urin wird in Vs gefülltem Reagensglas bis zum Aufwallen
gekocht ; dann wird Vio ^oi- verdünnte Salpetersäure auf einmal, nicht
tropfenweise, hinzugesetzt und nicht mehr aufgekocht. Der etwa ent-
entstehende resp. bleibende flockige Niederschlag ist Eiweiss. Bleibt
der Urin klar, so setzt man sofort zu demselben Reagensglas Vio — Vio
Vol., d. h. 10 — 20 Tropfen Almen'sche Lösung hinzu und kocht den
Urin 1 — 2 Minuten lang auf. Wenn eine tiefbraune bis schwarze Fär-
bung entsteht, so ist der Urin zuckerhaltig. War der Urin dagegen
eiweisshaltig, so lässt man den Niederschlag in der Kälte koaguliren,
filtrirt den Urin und behandelt mit Almen'scher Lösung. Letztere
stellt man sich dadurch her, dass man 4 Grm. Rochellesalz in 100 Th.
Natronlauge, enthaltend 10 Prozent NaHO, löst, dann mit der Flüssig-
keit auf dem Wasserbad 2 Grm. Wismuthsubnitrat digerirt, bis so viel
als möglich davon gelöst ist. Sie ist klar, und in dunklen Fläschchen
aufbewahrt, jahrelang haltbar. (D. Med. Ztg.)
Dulcin ein neuer Süssstoff. Die chemische Fabrik J. D. Riedel in
Berlin bringt unter diesem Namen ein chemisches Produkt in den Han-
del, das vermöge seiner grossen Süssigkeit und der von medizinischen
Autoritäten festgestellten völligen UnschädUchkeit berufen zu sein
scheint, dem Saccharin ernstliche Konkurrenz zu machen. Es handelt
sich um das p-Phenetolkarbamid,
( NH— CsH,. OC^Hs
(nh,
welcher Körper bereits im Jahre 1883 von Berlinerblau dargestellt und
als Süssstoff erkannt wurde, dessen kostspielige Gewinnungsmethoden
aber bisher ein Hinderniss für den allgemeinen Gebrauch waren.
Nachdem es der chemischen Fabrik J. D. Riedel nunmehr gelungen ist,
nach einem in den meisten Kulturstaaten zum Patent angemeldeten
neuen Verfahren die Darstellung des Präparats aus dem p-Phenetidin
auf das leichteste zu bewirken, wird das unter der trade mark Dulcin
eingeführte Präparat wohl bald auf einen ausgedehnteren Gebrauchs-
485
kreis im Haushalte und im Arziieischatze rechnen können. Die von
maassgebender Seite in nächster Zeit zu erwartenden Veröffentlichun-
gen über vergleichende Versuche zwischen Dulcin und Saccharin dürf-
ten allgemeines Interesse beanspruchen.
(Deutsch- Amerik. Apoth.-Ztg.)
Die kürzlich vollendete Katalogisirung der im Besitz des „Royal
College of Surgeons" in London befindlichen Kunstwerke hat durch
die Reichhaltigkeit der aufgezählten Schätze selbst Diejenigen über-
rascht, welche die künstlerische Hinterlassenschaft des grossen Chirur-
gen John Hünter, im Besitz des Londoner chirurgischen Instituts, zu
kennen glaubten. Die meisten der in dem stattlichen Katalog aufge-
zählten Werke beanspruchen neben dem Interesse, welches die porträ-
tirten Persönlichkeiten für die Geschichte der medicinischen Wissen-
schaft darbieten, eine hohe Schätzung wegen des ihnen innewohnenden
Kunstwerthes. Das kostbarste Stück ist ein ziemlich grosses, liguren-
reiches Gemälde : „Henry VIII. verleiht den Bartscheeren und Wund-
ärzten Korporationsrechte." Dasselbe wird wohl nicht mit Unrecht
Hans Holbein d. J. zugeschrieben. Es wurde von dem „College" im
Jahre 1786 für 50 Guineen erworben. Von John Hunter selbst besitzt
das Institut nicht weniger als 11 Bildnisse, darunter ein Meiserwerk
von Reynolds. Auch Hogarth und Richardson sind durch Original-
werke vertreten. William Harvey, der Entdecker des Blutkreislaufes,
ist ebenso wie Edward Jenner durch unbekannte Künstler verewigt
worden. Die dem Katalog beigegebenen biographischen Notizen über
die porträtirten Aerzte liefern werth volles Material für eine Geschichte
der medicinischen Wissenschaft in England.
ßücheriisch.
Münchener Medizinische Abhandlungen. Münchens Tuberculosen
Mortalität in den Jahren 1814-1888. Max Weitemeyer. Verlag:
I. F. Lehmann, München 1892, pp. 20.
W. hat es sich zur Aufgabe gemacht, auf wenigen Seiten und in
gedrängter Kürze ein umfangreiches statistisches Material zu bearbei-
ten und sich dabei zahlreichen und mühevollen Berechnungen unter-
zogen. Die Arbeit basirt auf dem offlciellen Polizeisterberegister der
Stadt München, das bis 1814 zurückreicht, und begreift in sich nicht
blos Lungenerkrankung, sondern auch Todesfälle in Folge Tuberculose
anderer Organe, wobei besonders in den ersten zwei Dezennien die viel-
fachsten Benennungen — 72 an der Zahl — vorkommen.
In den besprochenen 75 Jahren sind von 329,862 Sterbefällen 47,282
an Tuberculose erfolgt, oder 14.33 Prozent. Das Verhäitniss der an
Tuberculose Verstorbenen zur Einwohnerzahl ist 4.7 per mill. und
sind vom Jahre 1839 bis 1888 mit Ausnahme der drei Jahre 1871, 1872,
1873 (6.2 pro mill) nur Differenzen von zwei Zehntel (4.6 bis 4.8). Eine
Erklärung für die hohe Zahl während dieser drei Jahre wagt Verfasser
nicht zu geben, denkt aber an die möglichen Folgen des Krieges.
W. analysirte auch das Verhalten der Tuberculose-Mortalität in
den einzelnen Monaten und giebt zur Uebersicht graphische Darstel-
lungen. Er fand dass die höchste Sterblichkeit im Frühling erfolgte,
und stieg die Curve der Monatsmittel des 753ährigen Durchschnitts
vom Minimum im September und October allmähhg in sechs Monaten
bis zum Maximum im April und Mai, um von da in vier Monaten wieder
bis zum Minimum abzufallen. Seine Resultate sind im Einklang mit
den Untersuchungen des Referenten, die das Jahr 1873 umfassen.
(Statistics of Mortality from Pulmonary Phtliisis in the United States
m
and Europe. Baltimore, Turnbiill Bros. 1875). Auch er fand bei einer
Sterbezalil von 17,237 in 56 Städten der Ver. Staaten die höchste Pro-
zentzahl (27.89) im Frühhng, und nur eine Abweichung des Maximum
im Monat, viz. März, anstatt wie W. im April und Mai. W. erörtert
des Weitern, wie nach seiner Ansicht der lange Aufenthalt im Winter
in geheizten, geschlossenen, schlecht ventilirten, oft mit Bacillenkeimen
gefüllten Räumen die bereits vorhandene Erkrankung ungünstig
beeinflusst, und dadurch die höhere Sterblichkeit im Frühling bedingt.
Atlas der Kehlkopfkrankheiten. Robert Kkieg. Stuttgart. Ferdi-
nand Enke 1892.
Kkieg, Arzt in Stuttgart, hat in vorliegendem vorzüglichen Atlas
345 Figuren auf 37 Tafeln in Farbendruck und 23 Zeichnungen nach
durchweg persönlichen Beobachtungen und mit eigener Hand abgebil-
det. Der Vortheil, dass Maler und Arzt in einer Person vereinigt sind,
wird Jedem einleuchtend sein, der je an eine ähnliche Aufgabe her-
angetreten ist. Krieg hat sich bestrebt nicht bloss diagnostisch
typische, sondern auch Uebergangsformen darzustellen, wie sie z. B.
bei Syphilis und Tuberculose, Papillom und Pachydermie vorkommen.
Ausserdem ist des Oefteren ein und derselbe Fall in seinen verschie-
denen Phasen abgebildet, z. B. vor und nach einer Operation, auch als
Leichenpräparat. Jede Zeichnung ist mit kurzem, erläuterndem Text
versehen, der wesentlich zur Klarstellung beiträgt.
Von den 17 Tafeln ist die erste dem normalen Kehlkopf gewidmet,
die nächsten 11 enthalten die verschiedenen catarrhalischen und ent-
zündlichen Formen, Lähmungen und gutartige Neoplasmen, je drei
das Carcinom und Tuberculose, vier sind für Syphilis, je zwei für Ste-
nose des Larynx und Exantheme, und je eins für Lupus, Stenose der
Trachea und Fremdkörper.
Der Atlas ist einer der besten Darstellungen von Larynxkrankhei-
ten die dem Referenten je zu Gesicht gekommen sind.
Atlas der Krankheiten der Mund- und Rachenhöhle. Von Mikulicz,
Breslau und Michelsohn, Königsberg. (Zwei Theile. Berlin,
August Hirschwald, 1891 und 1892.)
Referent ergreift mit Vergnügen die Gelegenheit des vor Kurzem
erfolgten Erscheinens der zweiten Hälfte auf dieses in seiner Art einzig
darstehende Werk aufmerksam zu machen. In Vorzüglichkeit dem
eben besprochenen Atlas gleichkommend und ihm auch ähnlich in der
Ausschliessung theoretischer Erörterungen, und lediglich mit erläu-
ternden Bemerkungen zu den einzelnen Zeichnungen versehen, ist
doch die Anordnung des Stoffes von dem vorhergehenden verschieden.
Während Krieg ein und dieselbe Krankheit im Zusammenhang und in
allen ihren Phasen darstellte, sind hier verschiedene Erkrankungen
neben einander zum Zweck die Differentialdiagnose zu erleichtern, ab-
gebildet. So finden wir auf einer Tafel Syphilis und Tuberculose,
ferner Leukoplakia und Epithelialkrebs, phlegmonöse Angina und
Rachendiphtherie, auch öfters Affektionen, die differentialdiagnostisch
keine Beziehungen zu einander haben, zusammengestellt. Auf dieses
Arrangement wird von den Verfassern auch in der Vorrede hinge-
wiesen, indem nicht die Pathogenese, sondern die Localisation der
Processe zum Eintheilungsprincip gewählt wurde. So lehrreich dieser
Vorgang einerseits ist, so erschwert er doch etwas die Uebersicht, und
finden wir z. B. Syphilis auf 8 Tafeln, von der zweiten bis zur vier-
zigsten.
Wie auch von den Autoren betont, ist das Werk einzig in seiner
Art und existirte bisher noch nicht in der Literatur. Es ist ein wohl
•IST
gelungener Versuch, das Gesammtgebiet der Krankheiten derMund-
und Rachenhöhle durcli eine Anzahl ausgewählter Krankheiten zu
bildlicher Darstellung zu bringen. Einbegriffen sind die Krankheiten
der Mundhöhle vom Lippenroth bis zu den Fauces, des Pharynx vom
Fornix bis zur Höhe des Kehlkopfseinganges, ebenso Spiegelbilder
von nicht direct der Besichtigung zugänglichen Theilen. Der Tafeln
sind 44, mit 3 oder 4 Abbildungen meist in Farbendruck. Einzelnes
hervorzuheben ist bei der Fülle des Materials unmöglich, man sieht
deutlich mit welcher Liebe und Hingebung die Betheiligten gearbeitet
haben, und die Ausstattung macht der rühmlich bekannten Verlags-
handlung alle Ehre. Dr. J. W. Gleitsmann.
Die Mikroorganismen der Mundhöhle. Die örtlichen und allgemeinen
Erkrankungen, welche durcli dieselben hervorgerufen werden.
Von Dr. W. D. Miller, Professor am zahnärztlichen Institute der
Universität Berlin. Mit 134 Abbildungen im Texte und 18 Photo-
grammen. Zweite umgearbeitete und stark erweiterte Auflage.
Leipzig, Verlag von Georg Thieme, 1892.
Dieses für Zahnärzte und Aerzte geschriebene Werk ist äusserst
interessant und auf dem behandelten Gebiete grundlegend. Nach
einer eingehenden Schilderung der Morphologie und Biologie der
Bacterien im Allgemeinen, werden die im Munde vorhandenen Nähr-
stoffe für dieselben auseinandergesetzt und zugleich das Vorkommen
der vielen Arten von Bacterien sowie ihre Wirkung dargestellt. Die
meisten Untersuchungen auf dem Gebiete der Mund bacterien sind
grösstentheils vom Verfasser selber gemacht und dadurch viele Fragen
klar gelegt worden. So ist beispielsweise nach M. der Zahnstein nicht
ein Product der Bacterien, sondern wird aus dem im Speichel vorhan-
denen Calciumphosphat nach Freiwerden von Kohlensäure gebildet.
Die Ursachen der Zahncaries dagegen führt M. in letzter Instanz auf
die Wirkung von Bacterien zurück. Nach Verfasser ist die Zahncaries
ein chemisch parasitärer Vorgang, bestehend aus zwei deutlich aus-
geprägten Stadien : der Entkalkung resp. Erweichung des Gewebes,
und der Auflösung des erweichten Rückstandes ; beim Schmelz jedoch
falle das zweite Stadium fort ; die Entkalkung des Schmelzes bedeutet
die vollkommene Vernichtung desselben.» Dui;ch Gälirung von Kohle-
hydraten in der Mundhöhle, — welche stets* ili/rcl/ Mikroorganismen
veranlasst wird, — wird' vorwiegend Miichm'Hr's gebildet; dieselbe
greift das Zahngewebe an und bringt, ^die Entkatküng,- desselben
zustande. '•.>' .
Im höchsten '?lra<de 'belehrend ist das Kapitel : Einflusä d€ir> /Civili-
sation auf die Zällne. ' ' > , '
M. äussert sich folgendermassen : „Es" nitht d^ir-^^n zu zweifeln,
dass mit dem Fortschreitea d-^i Ci srilisfiytiön zu^rjei'^h.' überall eine Ver-
schlechterung des Zustandes der Zähne stattfindet^ liiid zwar aus viel-
fachen Gründen. Die Lebensweise der meisten unciviiisirten Racen
bringt nicht allein einen festgebauten gutentwickelten Körper mit sich,
sondern es zeigen auch das Knochensystem und somit auch die Zähne
denselben kräftigen Bau und vor allen Dingen eine compacte Structur.
Ein ludividuum, welches von frühester Jugend an ohne jede Beschrän-
kung der körperlichen Freiheit stets im Freien gelebt hat, wird einen
in allen Theilen besser entwickelten Körper erwarten lassen als eins,
welches dieselbe Zeit hindurch auf den Bänken der modernen Schule
gesessen hat." Nach Verf. ist die chemische Beschaffenheit der Nah-
rung von grossem Einfluss auf die Entstehung und Verbreitung der
Zahncaries; nach ihm ist „keine ('ar'ies ohne Säure" und wird ein
Mensch, der nur solche Nahrungsmittel geniesst, die iu der Mundhöhle
keine Säuregährung eingehen, wie Fleisch, rohe Pflanzentheile, Wur-
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zeln u. s. w., verhältnissmässig weni*:^ von der Zahncaries geplagt wer-
dea. Die Gauclios, ein die Pampas von La Piata bewohnender Stamm,
der sich mit Viehzucht beschäftigt und von Fleisch lebt, sind als frei
von Caries bezeichnet worden, während ein verwandter Stamm in
Cliile, der von Brot, Bohnen, Fleisch u. s. w. lebt, 19.3 Prozent Caries
aufwies.
D^r zweite Abschnitt des Buches behandelt die pathogenen Mund-
bacterien und giebt an, auf welche Weise und was für Krankheiten
durch dieselben entstehen können. Besonders wichtig sind Miller's
Untersuchungen über den Zusammenhang von Verdauungsstörungen
mit Mundbacterien der Mundhöhle ; erstens können dieselben durch
eine locale Wirkung im Munde Störungen allgemeiner Natur hervor-
rufen, zweitens können dieselben nach dem Magen und von da auch
nach dem Darm wandern und Störungen anrichten. Nach M. ist die
Tliatsache, dass ein Bacterium im künstlichen Magensaft (0,2 Prozent
HCl enthaltend) in kurzer Zeit zu Grunde geht, durchaus kein Beweis
dafür, dass dasselbe nicht den Darm entwickelungsfähig erreichen
kann, da erstens die zu Anfang einer Mahlzeit verschluckten Bacterien
nicht etwa in einen mit Magensaft angefüllten, sondern in einen meist
neutral oder alkalisch reagirenden Magen gelangen, wo überhaupt
erst nach Ablauf von l-l^ Stunden freie Salzsäure in nachweisbaren
Mengen auftritt.
Das vorliegende Buch wird jedem Mediciner und Zahnarzt eine
Fülle genussreicher Belehrung bieten. Max Einhoen.
Meyer's kleines Conversationslexikon beginnt in fünfter vollständig
umgearbeiteter Auflage zu erscheinen. Dieses alle Gebiete des Wis-
sens und Könnens umfassende kleine Lexikon, welches in seinen bis-
herigen Auflagen die weiteste Verbreitung gefunden hat, orientirt in
kürzester Zeit und in concisester Weise über alle Gebiete und giebt
ein beredtes Zeugniss für die sorgfältige Redaction dieses überaus
nützlichen Hausbuches.
The Physician's Visiting List for 1893, (Lindsay & Blakiston's).
42d year of its publication. Philadelphia. P. Blakiston, Son
& Co.
Dt^r vorliegende ärz,tli,che Taschenkalender ist besonders schön
ausgestattet und . praktisch ein^ericlVr^t. Unter den in kurzer und
G^edrängter I[Qi*m,dbgehänd'elteii TbeÄten ^heint uns das von Dr. J.
Daland (Ex/i'nn«]f^üibn' of urine) als besonders niUzlich hervorgehoben
werden ^tiep^ü^en. Dr. Max '''Einhorn, stellvertretender Redacteur,
, ^* ' : ' ■ ^ ,^''10:7 Ost 65. Str.
GescliäftliM.ZlifibJiMfMn, Geldsendungen, Bestellungen u. s.w., sind
zu richten an : " Medical Monthly Publishing Co.," 17—27 Vandewater
Stroet, New York.
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sind an den Herausgeber zu richten.
Herr Karl Kahler, unser einziger Vertreter, ist eben im Interesse
unseres Blattes im Osten thätig. Da derselbe dieses Jahr nicht reisen
wird, so erweisen uns die geehrten Abonnenten einen grossen Gefallen,
wenn sie ihren Abonnements-Beitrag einsenden.
Billig- zu yerkaufeii.
"Woods Complete Medical Library, 100 Volumes" gebunden und
neu. Nähere Auskunft ertheilt.
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