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Full text of "Nova acta Academiae Caesareae Leopoldino-Carolinae Germanicae Naturae Curiosorum"

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NOVA AUTA 


ACADEMIAE CAESAREAE LEOPOLDINO-CAROLINAE GERMANICAE 
NATURAE CURIOSORUM. 


TOMUS LXXIV. 
CUM TABULIS XVIL. 


Abhandlungen 


der 


Kaiserlichen Leopoldinisch-Carolinischen 
Deutschen Akademie der Naturforscher. 


74. Band. 


Mit 17 Tafeln. 


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Halle, 1899. 
Buchdruckerei von Ehrhardt Karras in Halle a. S. 


Für die Akademie in Commission bei W, Engelmann in Leipzig. 


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NOV 14 1899 


TUANTZ A Arme, 
NOVA ACTA 

ACADEMIAE CAESAREAE LEOPOLDINO-CAROLINAE GERMANICAE 
NATURAE CGURIOSORUM. 


TOMUS LXXIV. 
CUM TABULIS XVI. 


Abhandlungen 


der 


Kaiserlichen Leopoldiniseh-Carolinischen 
Deutschen Akademie der Naturforscher. 


74. Band. 


Mit 17 Tafeln. 


Halle, 1899. 


Buchdruckerei von Ehrhardt Karras in Halle a. S. 


Für die Akademie in Commission bei W. Engelmann in Leipzig. 


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Seiner Majestät 


Wilhelm II. 


Deutschem Kaiser und Könige von Preussen 
ihrem hohen Schirmherrn 


dem erhabenen Gönner und Beförderer aller wissenschaftlichen Arbeit 


des deutschen Volkes 


widmet die 


Kaiserliche Leopoldinisch-Carolinische Deutsche Akademie 
der Naturforscher 


diesen vierundsiebenzigsten Band ihrer Abhandlungen 
durch den Vorsitzenden 


Dr. Karl von Fritsch. 


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Inhalt des LXXIV. Bandes. 


I. L. Frobenius. Die Masken und Geheimbünde Afrikas . . 8. 1-—278 Taf. I-XIV. 
II. J. Wellstein. Zur Funktionen- und Invariantentheorie der 


binomischen Gebilde . S. 279—348. 
III. R. Heymons. Beiträge zur Morphologie und Entwicklungs- 
geschichte der Rhynchoten S. 349 —456. Taf. XV—XVIl. 


IV. L. Matthiessen. Theorie der atmosphärischen Refraetion und 
Totalreflexion der Schallwellen und ihre Bedeutung für 
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1. 


111. 


Vorstand der Kaiserlichen Leopoldinisch-Garolinischen Deutschen Akademie 
der Naturforscher, 


Gegründet am 1. Januar 1652. Deutsche Reichsakademie seit dem 7. August 1687. 


Präsidium. 
K. Freiherr von Fritsch in Halle a.S., Präsident. 


A. Wangerin in Halle, Stellvertreter. 


Adjuncten. 

. Kreis: J. Hann in Graz; | VI. 

E. Mach in Wien; IX. 

G. Stache in Wien. X. 
. Kreis: E. Wiedemann in Erlangen; XL 

R. Hertwig in München. X. 
. Kreis: ©. v. Liebermeister in Tübingen. XI. 
. Kreis: A. Weismann in Freiburg. | 
. Kreis: G. A. Schwalbe in Strassburg. | XIV. 
. Kreis: R. Lepsius in Darmstadt. | N 
. Kreis: E. Strasburger in Bonn. | 


Kreis: 
Kreis: 
Kreis: 
Kreis: 
Kreis: 
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Kreis: 
Kreis: 


. H. Bauer in Marburg. 

H. Ehlers in Göttingen. 
Karsten in Kiel. 

Wangerin in Halle. 
Schaeffer in Jena. 

. Carus in Leipzig; 

B. Geinitz in Dresden. 
Ladenburg in Breslau. 

. Virchow in Berlin; 

C. A. Jentzsch in Königsberg. 


BeHi<HPeHNE 


Sectionsvorstände und deren Obmänner. 

' VI. Zoologie und Anatomie: 

A. von Kölliker in Würzburg, Obmann; 
C. Gegenbaur in Heidelberg; 

F. E. Schulze in Berlin. 


Mathematik und Astronomie: 
J. Lüroth in Freiburg, Obmann; 
R. Helmert in Potsdam; 
G. Cantor in Halle. 

Physik und Meteorologie: 
G. B. Neumayer in Hamburg, Obmann; 
A. Oberbeck in Tübingen; 
E. Mach in Wien. 

Chemie: 
J. Wislicenus in Leipzig, Obmann; 
H. Landoldt in Berlin; 
J. Volhard in Halle. 


. Mineralogie und Geologie: 


H. B. Geinitz in Dresden, Obmann; 
K. Freiherr von Fritsch in Halle: 
F. Zirkel in Leipzig. 


. Botanik: 


H. G. A. Engler in Berlin, Obmann; 
S. Schwendener in Berlin; 
F. Buchenau in Bremen. 


VMH. 


NIE. 


Physiologie: 

C. von Voit in München, Obmann; 
F. L. Goltz in Strassburg; 

W. Engelmann in Berlin. 


Anthropologie, Ethnologie und Geo- 


graphie: 


R. Virchow in Berlin; 
F. Freiherr von Richthofen in Berlin; 
F. Ratzel in Leipzig. 


Wissenschaftliche Mediein: 

E. Leyden in Berlin, Obmann; 
R. Virchow in Berlin; 

M. von Pettenkofer in München. 


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NOVA ACTA. 
Abh. der Kaiserl. Leop.- Carol. Deutschen Akademie der Naturforscher 


Band LXXIV. Nr.]. 


Die 
Masken und Geheimbünde 
Afrıkas 


von 


L Frobenius. 


Mit 14 Tafeln. Nr. I-XIV und 33 Textfiguren. 


Eingegangen bei der Akademie am 3. Juni 1898. 


HALLE. 
” 1898. 


Druck von Ehrhardt Karras, Halle a. S. 


Für die Akademie in Commission bei Wilh. Engelmann in Leipzig. 


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Einleitendes 
I. Theil. Ethnographische Darstellung. 
1. Capitel. Die Abbildungen. 
a. Textillustrationen : 
b. Masken Süd-Afrikas, Ost- Afrikas and es Konee- Beckens 
& 5 der Loango-Ogowe-Völker 
d. ” Kamerun-Calabars 
e. H des Sudan : 
ik e Nord-Guineas und eneanhiens 
g- n unbekannter Herkunft . 
Nachtrag 
2. Capitel. Maskenverwendung und Bünde. 
a. Süd- und Ost-Afrika . 
b. Kongo-Becken ; 
ec. Die Nkimba und Ndembo 
d. Loango und Ogowe : 
e. Die Pubertätsweihe der Yannde : 
f. Kamerun und Calabar 
g. Yoruba und centraler Sudan 
h. Gold- und Sklavenküste nebst Inland (Teyhe) 
i. Liberia (Belli und Sandi ete.). Er: 
k. Völker zwischen Liberia und Senegambien (Simo ete.) 
1. Der Purrah . : B 
m. Westlicher Sudan, Mandingo (Munnhe ante se 
II. Theil. Ethnologische Darstellung. 
Einleitendes a oe I Eon le 
3. Capitel. Das Werden der Form. 
a. Allgemeines über div afrikanische Weltanschauung 
b. Baumverehrung und Waldursprung . 
e. Geisterhütte und Hüttenmaske . 
d. Schädelverehrung und Schädelmaske I: 
e. Geister- und Schädelpfahl; Ahnenfigur und alla ; 


1* 


Seite 


22 
23 


4 L. Frobenius, Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 


Seite 
TEAnmalstische@ Grund zu se  e  S  BerE  r r I 0) 
g. Solare Züge. . . 2.0 al ra Ben, MER REN Ve Er 9 
Kunstkritischer Vergleich der Formen ee ee ee ee ll 

4. Gapitel. Das Werden der Sitte. 
a. Manistische Grundzüge; Vergeistigung und Geistergewalt. . . . 2... 214 
psaverseistieunginwders Reiter N 
CE DIesSoCHalenwRrasen dern Stammes re 2217] 
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5. Capitel. Culturelle Beziehungen. 
a BeerifteuderaV/erwan dtsch after Er er 37 
b. Die Culturkreise Afrikas . . . 5 ee. 2039 
ce. Die inneren Beziehungen der eSikanchen Masken nd Bünde SE re arte) 
d. Die malajonigritischen Parallelen in Oceanien!) . 2 2 2 2 2 220.20. 251 
e. Der malajonigritische Ursprung der afrikanischen Masken . . . 2... 259 
Schluss ur a hi Hein, EEE 20 
Maskenverzeichniss (Bershanrst im Text) er Ah EN ee, 26 
Bachregistenst Ko a ee ce Me er re er ee 20 


!) Ein knapper Abriss der Entwicklung der oceanischen Geheimbünde und Masken 
ist in der „Leopoldina XXXIV, 1898“ zu finden. 


Einleitendes. 


Die erste Aufgabe einer jungen Wissenschaft ist es stets, die eigenen 
Probleme kennen zu lernen. Die Lösung dieser Aufgabe wird mit einem 
gewissen Sammeln eingeleitet werden müssen. Das Gruppiren der zu unter- 
suchenden Stoffe zeitigt die Erkenntniss der Fragen, die sich ganz von 
selbst ergeben. 

Infolge so regen Sammelns wie es Bastian, Taylor und auch Andree 
unternommen haben, zumal aber der Methode des ersten dieser Männer, ist 
die Völkerkunde verhältnissmässig schnell dem ermüdenden Stadium der 
Vorbereitungsarbeiten entwachsen. Uns Jüngeren ist es schon beschieden 
nach dem Wesen und Werden der Stoffe unserer Wissenschaft zu fragen. 
Uns eröffnen sich schon die Probleme. 

Wenn wir daher es unternehmen, einen Gegenstand der wissenschaft- 
lichen Untersuchung zu unterziehen, so sind Behandlungsweise und Er- 
gebnisse, Fragestellung und Beantwortung andersartig, als die der älteren 
Gelehrten. Das muss erwähnt werden, weil die Vorarbeiten Andrees und 
Bastians, dessen einen Lieblingsthema das der Masken, dessen anderen das 
der Geheimbünde in älteren Schriften war, sehr verschieden sind von den 
vorliegenden Studien. Die Abhandlungen dieser Männer gaben mir die 
Wegweisung. 

Die Reihe der Jahre, die theilweise ausschliesslich dem Studium der 
Masken und Geheimbünde Afrikas und Oceaniens gewidmet waren, zeitigte 
immer mehr die Erkenntniss, dass die Probleme der Masken und die der 
Geheimbünde untrennbar seien, dass fernerhin die musealen und litterarischen 
Materiale für eine eingehende Darstellung genügten. Auf Grund der sich 


6 L. Frobenius, 


entwiekelnden Anschauungsklarheit wurde die Abhandlung zweimal um- 
gearbeitet, wodurch sie die heutige Gestalt erhielt. So wie sie ist, sollte 
sie nach Möglichkeit Museumsbeamten ein Hülfsbuch für Bestimmung und 
Werthschätzung der Objeete, Quellwerk für weitere Studien auf den ent- 
sprechenden Gebieten und ein Beitrag zur Völkerkunde Afrikas, zur Ent- 
wicklungsgeschichte der Plastik, der Weltanschauung und der socialen Ein- 
richtungen der Naturvölker und endlich der prähistorischen Beziehungen 
auf der südlichen Hälfte des Erdballes sein. Ich sage „sollte“, denn es 
ist mir sehr wohl bewusst, dass ich diese hohen Ziele nicht so, wie ich es 
gewünscht hätte, erreicht habe. 


Infolge seiner naturgemässen Beschaffenheit zerfällt die Arbeit in 
zwei Theile: einen ethnographischen, beschreibenden und einen ethno- 
logischen, vergleichenden. Letzterer sucht die drei Fragen des Werdens 
der Form, des Werdens der Sitte und des Wesens der Verbreitung 
zu lösen. 


In vieler Hinsieht fusst die Arbeit auf anderen Publikationen. So 
das gesammte Gerüst der Weltanschauungsdarstellung auf dem Werke: 
„Weltanschauung der Naturvölker“ (1898), das vierte Capitel auf den Aus- 
fülrnngen in: „Der Kameruner Schiffsschnabel und seine Motive“ (Nova 
Acta, Bd. 70). Die Probleme der Malajonigritier und des westafrikanischen 
Kulturkreises sind zunächst in Arbeiten bei Peteımann, vor allem aber in 
dem Hauptwerke „Der Ursprung der Kultur“ Bd. I (1898) besprochen. 


Der Verfasser hat keine Mühe, Reise, und so weit es möglich war 
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auch Ausgabe gescheut, um dem Werke die Wiedergabe aller erreichbaren 

Masken aus den europäischen Museen beizufügen. Man bedenke, wenn die 

Anzahl der Stücke gering erscheint, dass die afrikanische Maske im all- 

gemeinen ein seltener Gegenstand ist. 


Um eine Uebersicht über die Beziehung zwischen den Abbildungen, 
dem ethnographischen und ethnologischen Theile zu gewähren, wird ein 
doppeltes Verzeichniss beigefügt, eines für die Tafelillustrationen und ihre 
Beziehung zum Text und eines für die Namen der Bünde, Masken, Bezeich- 
nungen. Im ethnographisehen Theile sind vor jeder Beschreibung der Vor- 
kommnisse eines Bezirkes, die diesem entstammenden Masken, die Text- 


Die Masken und Geheimbürde Afrikas. 7 


illustrationen und die Litteratur angegeben. — „No.“ bedeutet stets Text- 
illustration, „Fig.“ die Tafelillustrationen. 

Es ist mir eine grosse Freude, an dieser Stelle meinen warmen Dank 
für das Wohlwollen, Interesse und die Hülfe aussprechen zu können, die 
das Werk erfahren hat. An erster Stelle gebührt derselbe Herrn Dr. 
J. D. E. Schmeltz, d&r mir fast in jeder Hinsicht behülflich war. Ohne 
die Unterstützung der Museumsleitungen wäre die Abhandlung natürlich 
nicht zu dem Grade der Vollkommenheit des Illustrationsapparates gediehen. 
Besonders die Herren Prof. Dr. A. Bastian, Dr. von Luschan, Dr. Weule 
(Berlin), Dr. Serrurier, Dr. J. D. E. Schmeltz (Leiden), Prof. Dr. Max Buchner 
(München), Prof. Dr. Lampert (Stuttgart), Dr. W. Hein, Botstiber (Wien), Di- 
reetor Lüders, Dr. Hagen (Hamburg), Pleite (Amsterdam), van Bemelen 
(Rotterdam), Dr. Obst (Leipzig). Dr. Balfour (Oxford), Dr. W. Clark (Edin- 
bourgh), Direetor Kasser (Bern), Dr. Hjalmar Stolpe (Stockholm), Conser- 
vator E. Gosselin (Duai), Hansvater Käser (Basel), Louis Taeschler (St. 
Gallen) haben dieser Abhandlung Zeit, Wohlwollen und Mitarbeiterschaft 
zu Theil werden lassen. 

Um neue Quellen zu eröffnen, wurde eine umfangreiche Correspondenz 
geführt, die zum Theil ausserordentlich erfolgreich war. Zumal folgende 
Herren haben in grosser Bereitwilligkeit alle erwünschte Auskunft ertheilt: 
Prof. Dr. Max Buchner, Paul Reichard, Lieutenant Hutter, Prof. Dr. Georg 
Schweinfurth, Prof. Dr. Oscar Lenz, Paul Staudinger, Missionar Ramsayer, 
Hofrath Dr. Gerhard Rohlfs, Dr. Hans Meyer, Major von Francois, Missionar 


Steiner, Dr. Alfred Grandidier, Dr. Maeleau. — Herr Dr. Holub hat mir 
seine Original-Farbskizzen zur Verfügung gestellt. — Prof. Dr. Gerland ist 


in liebenswürdiger Weise auf alle Anfragen bezüglich seiner Karten im 
ethnographischen Atlas eingegangen. 

Bei den Illustrationen hat mich eine Reihe begabter Künstler unter- 
stützt; die Herren Zeichenlehrer E. Hugelshofer, Maler Hans Schulz, Archi- 
tect P. Fries, R. Raar, Dr. Lindner und mein Bruder, der Maier H. Frobenius 
haben sich in dieser Weise um das Werk verdient gemacht — die Herren 
cand. med. Carl Keller und Grossmann waren mir bei Uebersetzungen be- 
hülflich. 

Ihnen allen, denen ich mich verpflichtet fühle, meinen wärmsten Dank. 


8 L. Frobenius, Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 


Zum Schluss möge mir noch die Bitte erlaubt sein, noch unbekannte 
Formen afrikanischer Masken und Kameruner Schiffsschnäbel sowie Mit- 
theilungen über Sinn und Verwendung mir (unter der Adresse der Kaiserl. 
Leop. Carol. Akademie in Halle) einzusenden, da diese Arbeiten noch manches 


Nachtrages bedürftig sind. 


Basel, 21. September 1897. 


I. Theil. 


Ethnographische Darstellung. 


Nova Acta LXXIV. Nr.]. 


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1. Capitel.e. Die Abbildungen. 


Dass die Abbildungen, die wie die des vorliegenden Werkes auf den 
verschiedensten Wegen, aus den verschiedensten Sammlungen zusammen- 
geströmt sind von einem ganz verschiedenen wissenschaftlichen Werthe allein 
schon wegen der verschiedenen Grösse und der verschiedenen Abbildungs- 
weise sind, bedarf weiter keines Beweises. Es ist deshalb Pflicht, mitzu- 
theilen, welchen Grad der Genauigkeit sie besitzen, ferner die Quellen, 
Notizen über sie, Grössenverhältnisse ete. Leider kann nur in wenigen 
Fällen alles Wünschenswerthe angeführt werden. T'heils waren Grössen- 


angaben nicht zu erreichen, theils sind die Museumsnotizen und — ein nicht 
seltener Fall —- sogar die Quellenangaben mangelhaft, theils reicht das 


Gedächtniss nach einigen Jahren nicht mehr zurück zur Zeit der Museums- 
besichtigung. Und doch eröffnet sich das Verständniss erst am Ende langer 
Studien. Frst nach langem Studium des Materiales versteht man Einzel- 
heiten zu würdigen. Mit alledem mag die Mangelhaftigkeit der Angaben, 
die manchmal das Wichtigste unberücksichtigt lassen, entschuldigt werden. 

Es lag dem Illustrationsverfahren das Bestreben zu Grunde, mög- 
liehst von verwandten Formen gezeichnete, photographische und bunte Typen 
wiederzugeben. Jede dieser Darstellungsweisen hat ihre grossen unver- 
kennbaren Vorzüge, jede aber auch ihre Nachtheile. Wo es möglich war 
wurden auch bei den gezeichneten und bunten Illustrationen Photographieen 
berücksichtigt. 

Um das Nachschlagen zu erleichtern, lasse ich die Abbildungs- 
nummern vorspringen. 


12 


9a, 
10: 
pl: 
a2: 


Bl: 


'. 14. 


» 15. 
. 16a, b. Maskirung der Losango-Leute beim Todtenfest der Nkosi in Kamerun (nach 


'. 26. 


28, 


L. Frobenius, 


a. Textillustrationen. 

Maskentracht der Aba-Queta der Xosa-Kaffern am Beschneidungsfest (nach Photo- 
graphie). 

Desgleichen (nach Photographie). 

Der maskirte Sowa der Ganguela vor seinen Unterthanen tanzend (nach Serpa Pinto). 
— Die Abbildung ist nicht mit der Beschreibung Serpa Pinto’s (siehe 
weiter unten, Cap. 2) in Einklang zu bringen. 

Netzgewand eines Mukisch. Museum für Völkerkunde in Hamburg. Slg. Schütt men 
Photographie). 

Mukisch der Minungo (nach Wissmann, Pogge). 

Mukisch der Kioke (nach Capello und Ivens). 

Mukisch der Kioke (nach Cameron). 

Mukisch der Kioke (nach Capello und Ivens). 

b,c,d. Mukisch der Minungo (nach Max Buchner) — b, ce, d die verschiedenen Stel- 
lungen beim Tanze. 

Mukisch der Kioke (nach Max Buchner). 

Nkimba (nach Photographie). 

Federgewand eines Häuptlings in Cabinda. Museum für Völkerkunde in Hamburg 
(nach Photographie). 

Maskirung beim Tanze am Alima. — Verfasser sah diese Abbildung als Druck im 
Yachtelubmuseum in Rotterdam hängen. Die kurze Zeit erlaubte nur 
eine flüchtige Skizzirung. Es war nicht möglich, die Publikation, die 
französisch sein muss, festzustellen, da sie dem Director der Samm- 
lungen selbst nicht mehr erinnerlich war. 

Masken oder Ahnenbilder der Aduma (nach Jacques de Brazza) — vergl. Taf. II, 
Fig. 44—49. 

Tracht eines Ganga der Fan beim „Tamtam“ (nach Madame Crampel). 


Photographie). 
Ganga des Königs Takadu von Kpandu (nach Zeichnung von Hauptmann Kling). 
Maskirtes Sandi-Mädchen der Vey (nach Büttikofer) — vergl. auf Taf. VII, Fig. 115. 
Penda Penda oder Simo ginee der Bagas (nach Coffinerieres de Nordeck). 
Beschneidungstracht eines Fürsten-Knaben von Kaarta (nach Gray). 
Maskirter aus Senegambien (nach Raffenel). 
Kongeorong in Kayaye am Gambia (nach Gray). 
Umzug der Dou (nach Binger). 
Mokho Missi Kou (nach Binger). 
Zur Karnevalszeit maskirter Neger in Biskra (nach Originalphotographie). 


Textillustrationen des ethnologischen Theiles. 
Messingstab der Ogboni (nach Fr. Ratzel. Original im Britischen Museum in London). 
Der Stab Nyongoro aus Kamerun. Missionsmuseum in Basel. a. der ganze Stab, 
ca. !/, nat. Gr. b. die Verzierung der Spitze, ca. ®/, nat. Gr. 
Geisterhütten. a., b., ce. der Wanjamwesi in Urambo (nach Oskar Baumann), d. der 
Wasindja (nach Stuhlmann), e., f. der Wahha (nach Baumann), g. der 
Kalunda (nach Max Buchner). 


Fig. 


Fig. 


Fig. 
Fig. 


Fig. 


Fig. 


20: 
30: 
. 3la,b,ec. Hüte der Losango-Leute in Kamerun (Nkosi). Missionsmuseum in Basel. 


. 32. 


2. 


g: 


ig. 10. 


alla 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 13 


Schädeltänzer der Aschanti (nach Ramsayer). 
Gesichtsrandlinien von Masken. 


a., b. auseinandergenommen. 

Kopf der Mumie Setis 1. 

Amulett-Maske vom oberen Mongalla. Ethnographisches Reichsmuseum in Leiden. 
Ser. 958. No. 46. 


Tafelillustrationen. 
b. Masken Südafrikas, Ostafrikas und des Kongo-Beckens. 
(Fig. 1—23). 


Taf. III. Maske der Aba Queta der Xosa. Ethnographisches Museum in Herrnhut. 
a. Kopfmaske. b. Lendenbehang. — Nach Bleistiftzeichnung des Ver- 
fassers. 

Taf. III. Maske der Aba Queta aus der Nähe King Williamstown in British Caffraria. 
Museum für Völkerkunde in Berlin. III D. 1247. Museumsangabe: 
„Anzug der Aba Kweta, der in die Zahl der Männer aufgenommenen 
Kaffern (Ama Xosa) beim Uku-Tschila-Tanz“. Die Maske ist wie die 
vorige aus Stroh gebunden. — Nach einer Bleistiftzeichnung des Ver- 
fassers. 

Taf. II. Maske des Kischi-Tanzes. Nach einer Original-Aquarell-Skizze Dr. Holubs 
im Besitze des Czechischen Museums in Prag. 

Taf. I. Kischitänzer. Wie Fig. 2 nach einem Original-Aquarell Dr. Holubs im Be- 
sitze des Czechischen Museums in Prag. 

Taf. I. Maske vom Makonde-Plateau südl. Lindi. Museum für Völkerkunde in Leipzig. 
Die Maske besteht aus Holz. Wachs-(?)Masse auf Mund und Augen. 
Ohne Bemalung — nach Photographie. — Museumsangabe: Kleine 
Zaubermaske. 

Taf. I. Maske vom Makonde-Plateau südl. Lindi. Museum für Völkerkunde in Leipzig. 
Die Maske besteht aus Holz. Die Zähne sind eingesetzt. An Auge 
und Mund eine aufgeklebte Masse. Ohne Bemalung. — Nach Photo- 
graphie. — Angebl. kleine Zaubermaske. 

Taf. I. Maske vom Makonde-Plateau südl. Lindi. Museum für Völkerkunde in Leipzig. 
Die Maske besteht aus Holz. Ohne Bemalung. — Nach Photographie. 
— Museumsangabe: Kleine Zaubermaske. 

Taf. I. Maske vom Makonde-Plateau südl. Linde. Museum für Völkerkunde in Leipzig. 
Die Maske besteht aus Holz. Ohne Bemalung. — Nach Photographie. 
— Museumsangabe: Kleine Zaubermaske. 

Taf. III. Mukisch-Maske der Kioke. Nach Cameron. Doppelt vergrössert. 

Taf. III. Mukisch-Maske der Kioke. Nach Cameron. Dreifach vergrössert. 
Taf. III. Mukisch-Maske der Kioke. Nach Cameron. Doppelt vergrössert. 


14 L. Frobenius, [14] 


Fig. 12. Taf. I. Maske der Baluba. Museum für Völkerkunde in Berlin. III E. 2453. 
Sig. Stuhlmann. Höhe: 39 em. — Die Maske ward ohne Provinienz- 
angabe von Manjema in Tabora erworben. Der Vergleich mit Fig. 13 
Taf. II ergiebt aber die Möglichkeit, die Herkunft zu bestimmen. — 
Man kann unter den Augenlidern durchsehen. Die kleinen Löcher am 
Halse haben offenbar der Befestigung der theilweise ruinirten Quasten 
gedient. Vielleicht auch eines Faserbehanges. — Der Wiedergabe von 
Fig. 12a diente eine Photographie und eine Farbenskizze des Verfassers, 
Fig. 12b, dem Halstheile in Seitenansicht, eine Zeichnung und Farben- 
skizze zur Grundlage. 

Fig. 13. Taf. II. Maske der Wasära-Warua am Luapula. Museum für Völkerkunde in Berlin. 
IIIE. 1922a. Sig. P. Reichard.. Die Angabe „Tanzmaske“ scheint 
unmotivirt, da der Reisende nichts über die Maske erfuhr. Höhe: 
37 em. — Die Löcher liegen unter den Augen. — Vorlage: Photo- 
sraphie und Farbenskizze. Die Färbung der Fellstreifen ist nieht voll- 
kommen getroffen. 

Fig. 14. Taf. I. Maske vom Lomami. Museum für Völkerkunde in Berlin. IIIC. 1953. 
Sig. Pogge. Angabe : Kriegsmaske. (?) Höhe ohne den Bastbehang: 
46 em. Durch eine Lücke zwischen den Zähnen kann man sehen. — 
Als Vorlage diente eine Photographie und Farbenskizzen des Verfassers. 

Fig. 15. Taf. II. Maske der Bakuba. Museum für Völkerkunde in Berlin. Sig. L. Wolff. 
Museumsangabe: „geschnitzte und bemalte mit zwei Hörnern und mit 
Bart aus Raphiafaser versehene Maske“. Bemerkung des Sammlers zu 
der Abbildung im Reisewerk („Im Innern Afrikas“ S. 255): „Fetisch- 
Maske aus Holz geschnitzt, wird bei festlichen Gelegenheiten vom Vor- 
tänzer getragen“. — Der vordere Theil ist aus Holz, der hintere aus 
Stoff. Die schwarzen Punkte auf dem unteren Gesicht sind Löcher. 
Zwischen Kinn und Bart findet sich ein anscheinend beabsichtigter 
Zwischenraum, wahrscheinlich zum Durchsehen. — Als Vorlage dienten 
Abbildung bei Ratzel (Völkerkunde, zweite Auflage), Wissmann, Wolff 
und Farbenskizzen des Verfassers. Die Farbe der Abbildung weicht 
von der Wahrheit um einige Nüancen ab. 

Fig. 16. Taf. I. Maske der Baluba. Ethnographisches Museum in München. Angaben von 
Prof. Dr. Max Buchner: „Die Maske stammt von Gravenreuth und 
wurde wahrscheinlich durch diesen an der Küste von Händlern des 
Innern gekauft. Die Farbe ist ein schwärzliches Grau. Die Ein- 
schnitte sind mit weissem Kalk gefüllt. An der Stirne lassen sich 
Spuren von Indigoblau bemerken. Die Mundfalte war mit rothem 
Flanell garnirt, der aber jetzt von den Motten weggefressen ist. Die 
Maske hat ganz schmale Augenschlitze“. — Die rothe Flanellgarnitur 
möchte ich als Zunge deuten (siehe Loango-Masken). — Die Bestimmung 
der Maske ist nicht schwer. Typus, Gesichts- und Augenform sind 
ganz die der Baluba-Masken. Die Tätowirung, Kreise auf Schläfen 
und Wangen, drei Längsschnitte seitlich der Nase treffen wir auch bei 
der Baluba-Maske vom oberen Kassai Fig. 18 (Taf. I) wieder. Endlich 


[15] 


Fig. 17. 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 15 


sind die drei Ausläufer auf der Stirn Eigenthümlichkeit vieler Baluba- 
Sehnitzereien. — Abbildung nach Photographie. 

Tafel I. Maske aus dem Kassai-Gebiet. Museum für Völkerkunde in Berffn. III E. 
2452. Sig. Stuhlmann. Höhe 23 cm. Die Maske ist vom Sammler in 
Tabora von Manjema erworben. Augen- und Mund-Oeffnungen. Löcher 
am unteren Rande, wahrscheinlich für einen Faserbehang. — Für die 
Bestimmung der Maske war Folgendes maassgebend: Augen- und 
Nasenbildung ist die der Bakuba-Maske (Fig. 15, Taf. II). Die mit 
Löchern versehene Fortsetzung am Halse entspricht dem gleichen 
Theile an der Baluba-Maske Fig. 12 (Taf. II), die ausserdem vom 
gleichen Sammler in Tabora von denselben Händlern erworben worden 
ist. — Ausser einer kleinen als Vorlage dienenden Photographie sind 
Zeichen- und Farbenskizzen vorhanden. 


Fig. 18. Taf. I. Maske der Baluba vom oberen Kassai. Weltausstellung in Antwerpen 1894, 


Fig. 19. 


Fig. 20. 


Fig. 21. 


Fig. 22. 


Fig. 23. 


Topfmaske mit Augenöffnungen. Farbe: Augenlider, der Strich unter 
dem Mund, Backenringe, Streifen und Dreieck über den Augen und 
der Stirn weiss; obere Stirn und Gesicht von den Augen nach unten 
schwarz; Stirn über den Augen (also Untertheil der Stirn) roth. — 
Ausser den der Abbildung dienenden Photographieen liegen Skizzen 
des Verfassers vor. 

Taf. I. Maske vom oberen Mongallo. Ethnographisches Reichsmuseum. Ueber sie 
machte Schmeltz seiner Zeit folgende Mittheilung: „Volgens ontvangen 
mededeeling von den heer Greshoff zijn ook aan den Boven-Congo 
maskers in gebruik en werd door hem een exemplar angetroffen te 
Moleka + 50 mijlen boven Bangalla aan den mond der Mongalla — 
(of Ngala) -river, hetwelk van den boven Mongalla afkomstig is“. — 


Höhe: 36 em. Catalognummer des Museums 708/11. — Als Vorlage 
diente eine Photographie. — Vom oberen Mongalla stammt auch die 
Miniaturmaske Text No. 33. Dieselbe hat die gleichen durehbohrten 
Ohren. 

Taf. . Maske vom Aruwimi. Weltausstellung in Antwerpen 1894. Augen- und 
Mundöffnungen. Farbe: grau und weiss. — Ausser Photographien 
liegen Bleistiftskizzen vor. — Zähne eingesetzt. 


Taf. I. Maske vom Uelle oder Aruwimi. Weltausstellung in Antwerpen 1894. 
Farbe: weiss und dunkelgrau. Augen- und Mundöffnungen, Zwei 
Zähne sind eingesetzt. — Zeichnungen und Photographieen liegen vor. 

Taf. III. Maske der Wandumbo. Museum für Völkerkunde in Berlin. IIIE. 2593. 
Sig. Stuhlmann. Angabe des Sammlers: „Kriegsmaske“.(?) Höhe 
46 em. Breite: 20 em. — Gezeichnet nach Abbildungen bei Stuhl- 
mann und Ratzel. 

Taf. IV. Maske vom Sangha. Ethnographisches Reichsmuseum in Leiden. Nr. 299. 
SIg. Kovienan. Oeffnung nur in den Augen. — Die Maske ist an Ort 
und Stelle in !/, der natürlichen Grösse aquarellirt. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


8. 24. 


25. 


ig. 30. 


al: 


Taf. 


Taf. 


Taf. 


Taf: 


Taf. 


Maf. 


Taf. 


L. Frobenius, 


ce. Masken der Loango-Ogowe-Völker. 


. I. Loango-Maske. Musee de Douai. Nr. 6507. Höhe 27 cm. Museumsangabe: 


„Congo; masque de docteur“. — Augen- und Mundöffnungen. — Nach 
einer Photographie. 

I. Maske aus Cabinda. Museum für Völkerkunde in Hamburg. Augen- und 
Mundöffnung. — Abgebildet nach einer Photographie. 

I. Loango-Maske. Ethnographisches Reiehsmuseum in Leiden. Serie 945. 
Nr. 11. Länge: 41 cm. Löcher am Rande scheinen auf einen Körper- 
behang hinzudeuten. — Abgebildet nach einer Photographie. 

II. Loango-Maske. Museum des zoologischen Gartens in Rotterdam. Nr. 131. 
Ohne Provinienzangabe. Jedoch ist der Loangotypus unverkennbar. 
(Farben, Nase, Mund, Kinn ete.). Bemalung mit weisser Kalkfarbe; 
Streifen und Punkte graublau und roth. In den Augenlöchern sitzen 
Spiegel. Breite: 19cm, Höhe: 20 cm. — Abbildungsmaterial, Bleistift- 
und Farbenskizzen des Verfassers. 

II. Maske von Banana am Kongo. Museum für Völkerkunde in Berlin. 
IIIC. 3768. Höhe: 23 cm. — In den Augen Löcher. — Vorlage: 
Farbenskizze des Verfassers. 

II. Maske, am Kongo erworben. Museum für Völkerkunde in Berlin. IIIC. 3905. 
Höhe: 32 em. Museumsangabe: Maske, von Aerzten bei Kranken- 
besuchen getragen, gekauft von Joest bei einem Händler. — Vorlage: 
Aquarellskizzen des Verfassers. Die Zeugstreifen am Hintertheile sind 
nicht ganz deutlich. 

II. Loango-Maske. Ethnographisches Museum der ostschweizerischen, com- 
merciellen geographischen Gesellschaft in St. Gallen. Museumsangabe: 
Afrikanische Maske. Die Bestimmung ergiebt sich von selbst. Be 
malung in Kalkfarben, weiss mit schwarz und roth. — Material der 
Darstellung: Photographie, Farbenskizze von Louis Taeschler und 
Skizze des Verfassers. 

II. Loango-Maske. Museum für Natur-, Völker- und Handelskunde in Bremen. 
Länge: 60 em, Breite: 27 em. Museumsvermerk: „Fetischmaske (?) aus 
leichtem Holz gearbeitet und mit weisser Farbe bemalt. Der obere 
Gesichtstheil bildet eine ausgehöhlte Halbkugel, während der Gesichts- 
theil von der Stirne ab nach unten zu allmählich schmäler wird. 
Mitten auf der Stirn stehen zwei gewundene 15 cm lange durch Brennen 
geschwärzte Hörner empor. Die Augen bilden zwei ovale mit dunklen 
Rändern umgebene Löcher. Unterhalb der sehr grossen Nase sitzt der 
breite aus einem hervorspringenden Stück Holz geschnitzter Mund mit 
einer rothen Kittmasse ausgestrichen und die spitzen Zähne zeigend. 
An den beiden Seiten der Backen sind in durchgebohrten Löchern 
Büschel von Pflanzenfasern befestigt, welche den Bart vorstellen. Die 
Maske wird von den Fetischdoetoren (?) bei Todesfällen in Verbindung 
mit einem den ganzen Körper bedeckenden Gewande von grauen 
Federn getragen“. — Vorlage der Abbildung waren Photographie und 
Farbenskizzen des Verfassers. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


33. 


. 34. 


35. 


36. 


ig. 37. 


ig. 38. 


ig. 39. 


ig. 40. 


41. 


Tat. 


Taf. 


Tat. 


Taf. 


Taf. 


Taf. 


ar 


Taf. 


Taf. 


Taf. 


II. 


II. 


II. 


11. 


II. 


II. 


IV. 


Vz 


Ve 


Die Masken und Geheimbiünde Afrikas. 37, 


Loango-Maske. Museum für Völkerkunde in Berlin. IIIC. 3904. Höhe: 
30 em. Museumsangabe: Maske, von Aerzten bei Krankenbesuchen 
getragen; geschenkt von Prof. Joest, der sie am Kongo von einem 
holländischen Händler erwarb. Augen- und Mundöffnungen. — Vor- 
lage: Aquarellskizze des Verfassers. 

Loango-Maske. Museum für Völkerkunde in Berlin. IIIC. 3907. Höhe: 
25 em. Museumsangabe: Maske, von Aerzten bei Krankenbesuchen 
getragen; geschenkt von Prof. Joest, der sie am Kongo von einem 
holländischen Händler erwarb. — Als Vorlage diente eine Farbenskizze 
des Verfassers. 

Loango-Maske. Museum für Völkerkunde in Berlin. III C. 3908. Höhe: 
25 cm. Museumsangabe: Maske, von Aerzten bei Krankenbesuchen 
getragen; geschenkt von Prof. Joest, der sie am Kongo von einem 
holländischen Händler erwarb. Augen und Mundlöcher. b. die Skizze 
der Seitenansicht. — Nach Aquarellen des Verfassers gemalt. Das 
Fell der Hinterseite ist nicht ganz geglückt. 

Loango-Maske. Museum für Völkerkunde in Berlin. III C. 3906. Höhe: 
32 em. Museumsangabe: Maske, von Aerzten bei Krankenbesuchen 
getragen; geschenkt von Prof. Joest, der sie am Kongo von einem 
holländischen Händler erwarb. Zwei Löcher unter der Nase. Augen 
und Mundöffnungen. An der Hinterseite ein Fadengewebe. Am Kinn 
(Ziegen)fell mit Haaren als Bart. — Vorlage: Farbenskizze des Ver- 
fassers. 

Maske aus Loango Pequeno. Museum für Völkerkunde in Berlin. IM. 
C. 721. Museumsangabe: „Maske zum Federfetisch (?) N’Dungu ge- 
hörig. Güssfeld“. Höhe: 40 em. Augen- und Mundöffnungen. — Vor- 
lage: eine Bleistiftzeichnung des Verfassers. 

Loango-Maske. Museum für Völkerkunde in Leipzig. Museumsangabe: 
Maske vom Lukungu. Augen- und Mundöffnungen. — Gezeichnet nach 
einer Photographie. 

Maske von Cabinda. Museum voor Land- en Volkenkunde in Rotterdam. 
Nr. 3942. Museumsangabe: Maske der Fetischero (?), wenn sie Regen 
machen. Augenöffnungen. Stirn und Nase weiss, alles andere grau, 


Lippen braun. — Nach einer Skizze des Verfassers. 
Maske von Quillu. Ethnographisches Reiehsmuseum in Leiden. Nr. 300. 
Sig. Kovienau. — Die Maske ist an Ort und Stelle in !/, der natür- 


liehen Grösse aquarellirt. . 

Loango-Maske. Koninklijk Zoolog. Genootschap. Ethnographisches Museum 
in Amsterdam. Museumsangabe: „Tombela, Maske wird von Zauberern 
gebraucht beim Begräbniss eines Prinzen. Diese Masken sind schwer 
zu bekommen, gewöhnlich findet man nur eine solche Maske in jedem 
Dorfe von einiger Grösse“. Die Maske ist mit Oelfarben bemalt. — 
An Ort und Stelle in !/, der natürlichen Grösse aquarellirt. 

Maske vom Massabe-Fluss (Loango). Koninklijk Zoolog. Genootschap. 
Ethnographisches Museum in Amsterdam. Museumsangabe: „N’dunga, 


Nova Acta LXXIV. Nr.1. 3 


[0 ) 


L. Frobenius, 


Maske, sehr alt, wird gebraucht, um auszuforschen, wo sich Regen be- 
findet, wenn es lange trocken gewesen ist. Aus der Umgebung des 
Massabe-Flusses“. Augen- und Mundöffnungen. — Die Maske wurde 
an Ort und Stelle in !/, der natürlichen Grösse aquarellirt. 

g. 42. Taf. V. Maske von Massabi (Loango). Ethnographisches Reichsmuseum in Leiden. 
Doppelmaske mit Federgewand. a und b Vorder- und Rückseite. Eine 
genaue Beschreibung von Serrurier findet sich im „Internationalen 
Archiv für Ethnographie* 1888, Bd. I, S. 154ff. Die dort beigefügte 
Tafel ist hier verkleinert wiedergegeben, wobei mehr der allgemeine 
Typus als Einzelheiten der Federn berücksichtigt wurden. — Aehn- 
liche Doppelmasken der Loango-Küste befinden sich in dem ethno- 
graphischen Museum des Zoologischen Gartens sowohl Rotterdams als 
Amsterdams und auch im Museum für Völkerkunde in Berlin. Die- 
jenigen Amsterdams tragen fälschlich die Bezeichnung: „Angola- 
Masken“ und führen folgenden Vermerk: N’dunga-Masken aus Chio- 
sambo. Bei Leichenfesten eines verstorbenen Prinzen getragen. Der 
oberste Priester versteckt sich in solch eine Maske, und kann, weil 
alsdann legale Anarchie herrscht, alles sich zueignen, was ihm gefällt. 

Fig. 43. Taf. II. Maske vom Ogowe: „Historisches Museum in Bern. Höhe: 32 cm, Breite: 

19 em. Museumsangaben fehlen. Die Herkunft ergiebt sich jedoch 

sofort aus dem Vergleich mit Formen wie Fig. 52 —54 (Taf. VI). 

Augenlöcher. — Vorlagen: Photographie und Farbenskizze des. Ver- 

fassers, 

Fig. 44. Taf. III. Maske der Ondumbo. Trocadero Paris. — Gezeichnet nach einem Druck 

unbekannter Herkunft. 

Fig. 45. Taf. III. Maske der Ondumbo. Trocadero. Paris. Gezeichnet nach einem Druck 

unbekannter Herkunft. 

Fig. 46. Taf. II. Maske der Ondumbo. Trocadero, Paris. Gezeichnet nach einem Druck 

unbekannter Herkunft. 

Fig. 47. Taf. III. Maske der Ondumbo. Trocadero, Paris. Gezeichnet nach einem Druck 

unbekannter Herkunft. 

Fig. 48. Taf. III. Maske der Ondumbo. Trocadero, Paris. Gezeichnet nach einem Druck 

unbekannter Herkunft. 

Fig. 49. Taf. III. Maske vom Ogowe. — Gezeichnet nach einer Abbildung in: Le Tour 


du Monde. 

Fig. 50. Taf. VI. Maske der Gallois nördlL der Loangoküste. Museum für Völkerkunde in 
Hamburg, — Nach einer Photographie, die das weisse Kreuz mit den 
Flügeln auf Stirn, Augen, Mund und Kinn leider nicht ganz klar 
wiedergiebt. 

Fig. 51. Taf. VI. Maske der Gallois nördl. der Loangoküste. Museum für Völkerkunde in 
Hamburg. — Vorlage: Photographie. 

Fig. 52. Taf. VI. Maske der Ivili. University Museum in Oxford. Nr. 3315. a von der 
Seite b von vorn. Museumsangabe: „used in their dances“. — Nach 


Photographieen. | 


Fig. 


Fig. 


Fig. 56. 


Fig. 


53. 


8. 54. 


[S, 
ou 


57. 


. 58. 


&. 60. 


2. Öle 


Taf. VI. 


Matavi. 


MaraM 


MafVT. 


Taf. VII. 


ara, NAUIE 


RarSEVTE 


Taf. IX. 


10108 


AS DE 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 19 


Maske von Sette Kama. Free publie Museum in Liverpool. Sig. J. G. 


C. Harrison. Museumsangabe: „Mask, in wood painted white. — Nach 
Photographie, die die Umrandung nicht ganz klar erkennen lässt. 

Maske vom Ogowe. Museum für Völkerkunde in Hamburg. — Nach 
Photographie. 


d. Masken Kamerun -Calabars. 

Maske. Ngolo (Kamerun) Ethnographisches Museum in Stockholm. Nennes 
Sig. Nr. 16. Höhe: 29 cm, grösste Breite: 21 em. — Beschreibung 
H. Stolpes: „Die Maske ist schwarz, der Scheitel flach, mit zwei par- 
allelen Reihen viereckiger Löcher, hinten 9 vorn 8, wahrscheinlich zur 
Befestigung von Haaren. Auf der rechten Seite 5, auf der linken 
4 ähnliche Löcher“. — Die Maske ist die einzige derartige, aus 
Kamerun bekannt gewordene, weshalb das wichtige Stück in zwei An- 
sichten nach Photographie hier wiedergegeben ist. 

Maske aus Kamerun. Museum für Völkerkunde in Hamburg. Nr. 1310. 
Museumsangabe: „Kopfschmuck, Antilopenkopf aus Cabinda“. Die 
Provenienzangabe bedarf keiner Widerlegung. Die Maske ist wie die- 
meisten Kameruner Masken mit Oelfarbe übermalt (siehe bei Fig. 57). 
Die Zunge ist ein Eisenkeil. — Nach einer Photographie. — Ueber 
den Namen dieser Masken siehe Fig. 60. 

Maske aus Kamerun. Museum für Völkerkunde in Hamburg. Nr. 1745. 
Länge: 82 cm. Die Angabe Cabinda ist falsch. — Es ist dies ein 
interessantes altes Stück aus braunem Holz, das dadurch besonders 
wichtig ist, dass es beweist, wie wenig bedeutungsvoll die Bemalung 
für die Werthschätzung solcher Öbjeete ist. Sie ist nämlich, wie 
kleinere Reste es beweisen, mit grüner Farbe bemalt gewesen, die aber 
wieder entfernt ist. — Es liegen die Photographieen von zwei Seiten 
der Maske vor, sowie eine Federzeichnung des Verfassers. — Im Munde 
ein Eisenstück als Zunge. 

Maske aus Kamerun. Im Besitze des Missiönars Autenrieth. Name: 


Njati. — Als Vorlage diente eine Photographie. 
Maske aus Kamerun. Im Besitze des Missionars Autenrieth. Name: 
Njati. — Als Vorlage diente eine Photographie. 


Maske aus Kamerun. Museum- für Völkerkunde in Berlin. IIIC. 3752. 
Sig. Zintgraf. Museumsangabe: „Name ist Nyate; bei Leichenfeierlich- 
keiten getragen. Unbetheiligte ergreifen die Flucht.“ Länge: 82 cm. 
b zeigt die hintere Seite der Maske. d die Weise des Tragens. Im 
Munde ein Eisenstück als Zunge. — Nach Farbenskizze und Feder- 
zeichnungen des Verfassers. 

Maske aus Kamerun. Ethnographisches Museum in München. Museums- 
angabe: Ekongolo-Maske. Im Munde ein Eisentheil als Zunge. Als 
Vorlage dienten eine Photographie sowie eine Oelskizze von H. Frobenius. 

Maske aus Kamerun. Ethnographisches Museum in München. Museums- 
angabe: Ekongolomaske. — Nach einer Oelskizze von H. Frobenius. 


20 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


ig. 69. 


Fig. 


Fig. 71. 


63. 


65. 


70. 


Mat: 


Taf. 


Taf. 


Dar 


Taf. 


Ale 


Taf. 


Taf. 


Taf. 


\IG 


VI. 


\AR 


L. Frobenius, 


Maske aus Kamerun. Sammlung Späthe in Oels. Angabe des Sammlers: 
Tanzhut der Wurileute. Auch das Zungeneisen im Munde ist wie die 
ganze Maske mit Oelfarbe bemalt. — Als Vorlage diente eine Farben- 
skizze und Federzeichnung des Verfassers. 

Maske aus Kamerun. Ethnographisches Museum in München. Museums- 
angabe: „Ekongolo-Maske“. Im Munde ein Stück Eisen. — Als Vor- 
lage dienten eine Photographie und eine Oelskizze von H. Frobenius. 

Maske aus Kamerun. Museum für Völkerkunde in Berlin. IIIC. 1925. 
Länge: 56 cm. Museumsangabe: „Tanzhut.“ Aus gelbem Holz ge- 
sehnitzt. — Nach einer Farbenskizze des Verfassers. 

Maske aus Kamerun. Ethnographisches Museum in München. Museums- 
angabe: „Ekongolo-Maske“. — Diese Maske ist ausserordentlich werth- 
voll, da ausser einer im Leipziger Museum sich befindenden, bis jetzt 
die einzige, die Eidechse oder Krokodil in dieser Verbindung mit der 
Maske unverkennbar zeigt. — Zu Grunde liegen eine Photographie 
und eine Oelskizze von H. Frobenius. 


Maske aus Kamerun. Museum für Völkerkunde in Hamburg. Nr. 1746. 
Provenienzangabe: Kabinda, was falsch ist. Länge: 83 cm. — Als 
Vorlage: Photographieen, Federzeichnung und Farbenskizze des Ver- 
fassers. 

Aufsatzmaske aus Calabar. Museum für Natur-, Völker- und Handels- 
kunde in Bremen. Museumsangabe: Untere Niger. — Nach einer 
Photographie. 

Maske aus Neu Calabar. Ethnographisches Reichsmuseum in Leiden. 


8.845. Nr. 15. Länge: 44 cm. Hamburg besitzt ein vollkommen 
gleiches Stück unter Nr. 1541 mit der Bezeichnung Alt Calabar. Höhe 
derselben 44!/, em. 

Die Analogie der Stücke im Leidener und Hamburger Museum 
darf den Schluss zulassen, dass zweimal die vorkommenden Stücke 
systematisch gesammelt sind. Es stimmen nämlich überein: 

1. Diese Vorleg-Masken wie Fig. 69. 

2. Der Typus. Fig. 70 (Leiden) und Fig. 81 (Hamburg). 

3. Stammbaummasken Fig. 73 (Leiden) und Fig. 71 (Hamburg). 

4. Klappmasken Fig. 72 (Leiden) und Fig. 80 (Hamburg). 

5. Der Typus Fig. 74 (Leiden) und Fig. 82 (Hamburg). 
Thatsächlich scheinen damit die Haupttypen dieses wichtigen, vielleicht 
wichtigsten Maskengebietes in Afrika erschöpft. Berlin hat neuerdings 
ähnliche Masken wie Fig. 72 und 80 erhalten. 

Fig. 69 ist nach Photographie abgebildet. 

Maske aus Bugumar in Neu-Calabar. Ethnographisches Reichsmuseum in 
Leiden. 8. 845. Nr. 14. Höhe: 33 cm. Ohne Augenlöcher. Vergleiche 
bei Fig. 69 Gesagtes. — Nach Photographie. 

Maske aus Calabar. Museum für Völkerkunde in Hamburg. — Vergleiche 
bei Fig. 69 Gesagtes. — Nach Photographie. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


| 
I 


73: 


1 
[ot 


UT: 


80. 


. 81. 


82. 


Taf. 


Maß: 


Tat. 


Taf. 


Tat. 


Taf. 


Taf. 


Taf. 


Taf. 


"Taf. 


Taf. 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. Al 


VI. Maske aus Bugumar in Neu Calabar, Ethnographisches Reichsmuseum 
in Leiden. Höhe: 27 cm. Der Unterkiefer ist beweglich. Augen- 
und Nasenöflnungen. Ohren aus Fell. — Vergleiche bei Fig. 69 gesagtes. 

VI. Maske aus Calabar. Museum für Natur-Völker- und Handelskunde in 
Bremen. Angabe der Sammlung: „vom unteren Niger.“ — Nach einer 
Photographie. 

VI. Maske aus Neu-Calabar. Ethnographisches Reichsmuseum in Leiden. 
S. 845, Nr. 13. Länge: 32 cm. — Vergleiche das bei Fig. 69 gesagte. 
— Die Maske hat keine Augen. — Nach Photographie. 

VIII. Aufsatz-Maske aus Kamerun. Museum für Völkerkunde. in Berlin. 
III C. 3744. Höhe: 66 em. Museumsangabe: „Name: Ecala Buaba; 
bei Leichenfeierlichkeiten zu Ehren von Sklaven getragen.“ — Der 
oberste Vogel ist beweglich. Löcher finden sich im Halse des unteren 
Vogels, des Gesichtes und der hohlen Halbkugel. Daher ist anzunehmen, 
dass früher von dem Kopf des oberen Vogels ein Striek ausging, der 
durch den unteren Vogel, das Gesicht und die Halbkugel gezogen war. 
Durch Ziehen an demselben gerieth der Vogel in eine begattende Be- 
wegung. Der Strick ist durch eine punktirte Linie angedeutet. — 
Die Zeichnung ist nach einer Farbenskizze hergestellt und ist in Einzel- 
heiten nicht vollkommen fehlerfrei oder klar. 

VIII. Aufsatz-Maske aus Kamerun. Ethnographisches Museum in Basel. Slg. 
Späthe. Notiz des Sammlers: „Kopfputz der Abo-Leute.“ Vergl. Kameruner 
Schifisschnabel Taf. IV, Fig. 23 ab ec. — Gezeichnet nach Farbenskizzen. 

VII. Aufsatz-Maske aus Neu Calabar. Ethnographisches Reichsmuseum in 
Leiden. Serie 845, Nr. 16. — Gezeichnet nach einer flüchtigen 
Bleistiftskizze. 

VIII. Aufsatz-Maske aus Neu Calaber. Ethnographisches Reichsmuseum in 
Leiden. Serie 845, Nr. 17. — Gezeichnet nach einer flüchtigen Bleistift- 
skizze. — Vergl. das bei Fig. 69 Gesagte. 

VIII. Vorleg-Maske aus Bugumar, Neu Calabar. Museum für Völkerkunde in 

Hamburg. Nr. 1540. Höhe: 41'/, em. Hinten eine flache Aushöhlung. 
Sehr schwer an Gewicht. Augenöffnungen fehlen. — Nach einer Feder- 
zeichnung des Verfassers. 

VII. Maske aus Bugumar, Neu Calabar. Museum für Völkerkunde in Ham- 
burg. Nr. 1520. Höhe: 30 em; Breite mit Ohren: 32 em. ohne: 
15 cm. Unterkiefer klappbar. Ohren aus Fell, ebenso die Augenlider. 
Vergleiche das unter Fig. 69 Gesagte. — Seitenansicht nach Zeichnung 
des Verfassers, Vorderansicht nach Photographieen gezeichnet. 

VII. Maske aus Alt Calabar. Museum für Völkerkunde in Hamburg. Nr. 1542. 
Hinten eine starke Ausschaalung. Augenlöcher fehlen. Höhe: 31 em. 
Vergleiche das unter Fig. 69 Gesagte. — Abbildung nach Zeichnung 
und Photographie. 

VII. Maske aus Alt Calabar. Museum für Völkerkunde in Hamburg. 
Nr. 1543. Höhe: 32 cm; Breite: 9em. Hinten Ausschaalung. Augen 
nicht vorhanden. Löcher an den Seiten für einen Körperbehang. Ver- 


Fig. 


ig. 88. 


ig. 83. 


ig. 84. 


ig. 86. 


Taf. VIII. 


Taf. VI. 


Nafsavıll: 


Taf. VI: 


Barayınl 


Taf. VII. 


Taf: VII. 


L. Frobenius, 


gleiche das bei Fig. 69 Gesagte. — Gezeichnet nach Photographieen, 
Federzeichnungen und Farbenskizzen. 

Maske aus Alt Calabar. Museum für Völkerkunde in Hamburg. 
Nr. 1544. Höhe: 35 cm. Ohne Ausschaalung und Löcher. — Ge- 
zeichnet nach Farbenskizzen und Photographie. 


e. Masken des Sudan. 

Maske der Bali. Etlinographisches Museum in München. Sig. Hutter. 
Näheres siehe Cap. 2f. Museums-Notiz: „Wird beim Tanzen unter 
Gebrüll vor das Gesicht gehalten.“ Ohne Augenöffnungen und Mund- 
durehbruch. — Gezeichnet nach einer Photographie. 

Maske der Djuku (Flegel) oder Djikum (Passarge) Museum für Völker- 
kunde in Berlin. IITF. 1257. Höhe der Maske: 28 cm; Fasern hinten 
ca. 90 cm, vorn nur 20 cm. Museumsangabe: „Fetisch-Maske mit 
Faserbehang. In Wukari erworben. Sig. Flegel.“ — Die Vorder- 
ansicht a ist nach einer Photographie, die Seitenansicht b nach Skizzen 
des Verfassers und Passarge gezeichnet. 

Aufsatzmaske der Djuku (Flegel) oder Djikum (Passarge) Museum für 
Völkerkunde in Berlin. IIIF. 1254. Angabe des Museums: „Fetisch- 
Kopfputz aus Holz geschnitzt, roth und weiss bemalt, in Wukari er- 
worben. Sig. Flegel.“ Bei Passarge („Adamaua“ S. 362) abgebildet 
als „hölzerner Götze der Djikum“ (?). — Die Farbe des Holzes ist 
altholzgrau. Die aufgemalten Flecke sind fast verblichen. Hinten 
(Fig. 86b) geht ein Loch nach unten durch. Die Oeffnungen hinten 
(zwei in der Mitte und viele am Rande) deuten auf das Fehlen irgend 
eines Behanges, Federschmuckes ete. Jedenfallls haben wir es mit 
einem Bruchstücke eines eomplieirteren Gebildes zu thun, dessen Ana- 
logieen in Calabar aufzusuchen sein dürften. — Als Vorlage dienten 
Feder- und Bleistiftzeiehnungen sowie die Abbildung bei Passarge. 

Maske der Bongo. Museum für Völkerkunde in Berlin, Sig. Junker, 
III Ac 774. Höhe: 30 em. Museumsangabe: „Tanzmaske“. Die 
Zähne sind eingesetzt, Haare am Munde befestigt. Ebenda findet sich 
eine Wachsmasse. Die Form der Stirn, Scheitel und Einschnitt er- 
innert an die Ngolo-Maske, Fig. 55, Taf. VI. Eine mangelhafte Ab- 
bildung derselben (?) Maske bei Junker Bd. II. — Abbildung nach 
Federzeichnungen des Verfassers. 

Maske der Baja, Museum für Völkerkunde Berlin. IIIF. 465. Höhe: 
33 em. Museumsnotiz: „Maske aus Fell, Stroh und Wachs zusammen- 
gesetzt. In Ngaundere erworben. Sig. Flegel.“ — Auf ein Rohr- 
gestell ist Tuch gespannt, auf welches die Wachsmasse aufgeklebt ist. 
Die letztere ist sehr bröcklich. In Augen und Mund sind Oeffnungen. 
— Gezeichnet nach einer Photographie und einer Farbenskizze des 
Verfassers. 

Maske aus Nupe. Museum für Völkerkunde in Berlin. IIIF. 249, 250, 
251, 252, 253. Die Maske besteht aus folgenden Stücken: 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 2 


Fig. 89a. Museumsangabe: „Hut aus Gras gefloehten, zum Maskenfest für 


Fig. 


Fig. 


Fig 


Fig. 


Fig, 90. Taf. VI. 


Fig. 91. Taf. VII. 


die Erntefestspiele der Nupe. Angekauft in Kpatatschi, dem Grenzorte 
gegen Bussan. IIIF. 249. Flegel.*“ Maske von der Spitze bis zum 
Kinn 50 em; von der Spitze bis zum Ende des Strohbehanges 90 em. 
Maske und oberer Theil des Strohbehanges naturgelb. Mittlerer Theil 
des Strohbehanges rothbraun, unterer roth gefärbt. Löcher nur in den 
Augen. Durch daraufbefestigte Büschel sind die Ränder und Mund, 
Nase angedeutet. Der vom Kinn herabhängende Strohbehang reicht 
nur bis zur Grenze der rothbraunen und rothen Färbung. 

89b. Museumsangabe; „Jacke zum Maskenanzug für die Erntefestspiele 
der Nupe. III F. 250.“ Grösste Breite: 90 em; Länge: 60 em. Farbe 
des Flechtwerkes strohgelb, des Strohbehanges die rothe des Unter- 
theiles am Hutbehang. 

89e. Museumsangabe: „Schurz für den ete. IIIF. 251.“ Breite: ea. 
1m. Farbe des Behanges roth, des gepflochtenen Strickes dunkel- 
strohgelb. Länge des Behanges: ea. 50 em. 
8S9de. Museumsangabe: „Beinschienen für den ete. IIIF. 252ab.“ 
Länge; ca. 40 cm. Das Geflecht ist naturgelb, der Besatz roth, 

89f. Museumsangabe: „Armbüschel für den ete. IF. 253a—d“ 
Von den vier vorhandenen Büscheln ist nur einer wiedergegeben. 
Länge: ea. 30 em. 
89g soll das Aussehen der Strohfasern oder -halme wiedergeben: 
Fig. 89h die aufgenähten Verzierungen der Jacke; Fig. 89i das 
Flechtwerk des Hutes, Gesichtes und der Beinschienen; Fig. 89k das 
Flechtwerk der Jacke. 

Die Zeichnungen sind ausgeführt nach Farben- und Bleistift- 
skizzen des Verfassers. Die Wiedergabe der Strohbehänge kann nicht 
als gelungen bezeichnet werden, da sie mehr wie Haare, als wie Stroh 
aussehen (vgl. daher Fig. 89 g). 

Maske aus Kpatatschi in Nupe. Museum für Völkerkunde in Berlin. 
Sammlung Flegel. III F. 1653. Höhe von der Spitze bis zum Ge- 
sichtsbehang:: ca. 40 em, des Gesichtsbehanges: ca. 10 em. Bei Passarge 
(S. 452) abgebildet als: „Helm aus dem Sudan.“ Der Kopftheil be- 
steht aus Tuch. Auch die von rampunirten Federn geschmückte Spitze 
ist tuchumwunden. Das mit drei Löchern für Augen und Mund ver- 
sehene Gesichtsstück ist aus Leder und mit Fell besetzt. Ein Fell 
hängt hinten herab. Der Hut ist mit Kauris, Spiegeln und vorn einem 
Vogelkopf verziert. — Drei ähnliche Masken im Museum Umtauff (siehe 
Cap. 2). Provenienzangabe derselben: Porto-Novo. — Die Abbildung 
ist nach Skizzen des Verfassers und der Abbildung bei Passarge 
gezeichnet. 


f. Masken Nord-Guineas und Senegambiens. 
Maske aus Yoruba. Museum für Völkerkunde in Berlin. IIIC. 5442. 
Länge vom Kopf der Schlange bis zum Vorderrand: ca. 33 cm. Die 


Fig. 


92. 


93. 


ig. 97. 


93 


Taf. VII. 


Taf. VII. 


Taf. 


Taf. 


Taf. 


ig. 94. . Taf. VII. 


L. Frobenius, 


Maske ist wie alle anderen Kopfmasken aus Yoruba (Ausnahme ist 
Fig. 99, Taf. IX) mit europäischen Oelfarben bemalt. Wie es die 
Richtung der Löcher in den Augen und Nasen erkennen lässt, sowie 
aus der Kopfweite zu schliessen, werden die Masken nicht über den 
Kopf gestülpt, sondern mit dem Hinterrand auf den Kopf aufgelegt. — 
Gezeichnet nach Federzeichnungen des Verfassers. 
Maske aus Yoruba. Museum für Völkerkunde in Berlin. IIIC. 5441. 
Länge von der Spitze des Affen bis zum Vorderrand: ca. 30 cm. 
Löcher in den Augen und Nase (siehe Fig. 91). — Nach Feder- 
zeichnungen des Verfassers. 
Maske aus Yoruba. Museum für Völkerkunde in Berlin. IIIE. 211. 
Museumsangabe: „von Palma“. Die Maske hat keine Löcher. Die 
beiden äusseren Figuren der Maske fassen an die Brüste und haben 
getrennt geschnitzte Beine. Bei der mittleren ist dies nicht der Fall. 
Also Darstellung von zwei Weibern und einem Mann. — Gezeichnet 
nach einer Bleistiftskizze. Flüchtige Darstellung. 
Maske aus Yoruba. Koninglijk Zoologisch Genootschap in Amsterdam. 
Diese und eine ähnliche Maske wurden vom Museum mit der Be- 
zeichnung: „Geschnellte Köpfe der Dajak“ übernommen. Es sind die 
beiden ältesten afrikanischen Masken in europäischen Museen. Das 
Stück ist als solches sehr wichtig und wäre eine bessere Wiedergabe, 
als ich sie nach einer Reiseskizze geben kann, erwünscht. Der Ober- 
theil sieht weniger wie die Nachbildung einer Haartracht aus, als wie 
ein Schädel, dessen Decke entfernt ist, sodass das Gehirn zum Vor- 
schein kommt. 

Maske aus Lagos(?). Sammlung des Württembergischen Vereins für 


Handelsgeographie in Stuttgart. Nr. 31. — Aquarellirt nach dem 
Original. D 

Maske aus Dahome(?). Ethnographisches Museum in München. Muscums- 
angabe: „Tanzmaske“. — Nach einer Oelskizze von H. Frobenius. 


Maske aus Yoruba. Im Berliner Museum für Völkerkunde. IIIC. 2332. 
Museumsangabe: „made by Angbologe, an Egbodo.“ Sig. Lüderitz. 
Länge vom hinteren Unterrand bis zur Schnabelspitze: 54 cm. Aus 
sehr leichtem gelben Holz hergestellt. Ohne Bemalung. Im Munde 
sind drei Löcher zum Sehen und Athmen. — Als Vorlage dienten 
Photographie und Aquarellskizze des Verfassers. 

Maske aus Dahome(?). Museum für Völkerkunde in Berlin. IIIC. 1549. 
Löcher zum Sehen: Nasenöffnungen. Also nieht in den Augen. Durch- 
messer unten inel. des Randes, von vorn nach hinten gemessen: 28 cm. 
— Eine ganz ähnliche Maske im historischen Museum in Bern trägt 
den Vermerk: „Aus Addo; wird bei Belustigungen der Eingeborenen 
getragen.“ — Fig. 98 ist nach einer Farbenskizze des Verfassers 
gemalt. 

Maske aus Lagos(?). Sammlung des Württembergischen Vereins für 
Handelsgeographie in Stuttgart. Nr. 32. — Nach der Natur aquarellirt. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 
Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


100. 


101. 


102. 


103. 


104. 


105. 


106. 


107. 


108. 


109. 


110. 


Il: 


112. 


Taf. 
Taf. 
Tat 


Taf. 


Taf. 


Taf. 


Taf. 


"Taf. 


Daf. 


Nat; 


Taf. 


Dar: 


af: 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 25 


X. Maske aus Lagos(?). Musee de Douai. Nr. 749. Museumsangabe; 


„Masque de la danse du diable.“ Hauteur mesuree de la pointe 
superieure au menton: 3l em. — Nach Photographie. 

X. Maske der Yaboo. University Museum in Oxford. Nr. 679 und 3314. 
Museumsangabe: „From the Yaboo country near Lagos. — Warren 


Edwards.“ — Nach Photographie. 

X. Maske aus Yoruba, Musee de Döuai. Nr. 720. Angeblich vom Niger. 
Museumsnotiz: „Masque de la Dance du diable“ Hauteur: 24 em; 
hauteur totale avec la tige: 39 cm. — Nach Photographieen. 

X. Maske aus Yoruba. Museum of Science and Art in Edinburgh. 1885 — 
1100. Museumsangabe: „It was worn during the danse.“ Nach An- 
gabe Walter Clark’s zwar erst 10— 12 Jahre alt, aber mit einheimischen, 
nicht europäischen Farben bemalt. — Nach Photographie. 

X. Maske aus Yoruba. Musee de Douai. Nr. 756. Museumsangabe: „Mas- 
que de la danse du diable.“ Hauteur: 35 cm. Oben auf dem Hut 
findet sich ein Zettel mit der undeutlichen Aufschrift: „Cap used by 
A... ..ier at the Devils dance.“ — Näch Photographie. 

X. Maske aus Lagos (?). Musde de Douai. Nr. 750. Museumsangabe: 
„Masque de la danse du diable“ Hauteur mesuree de la pointe 
superieure au menton: 33 em. — Mach Photographie. 

X. Maske aus Porto Novo(?). Ethnographisches Reichsmuseum in Leiden. 
S. 945, Nr. 3. — Nach Photographie. 

X. Maske aus Yoruba. Ethnographisches Reichsmuseum in Leiden. 8. 945, 
Nr. 3. — Nach Photographie. 

X. Maske aus Yoruba. Collections de l’OEuvre de la Propagation de la 
Foi in Lyon. Sig. Planque. Nr. 633. Museumsangabe: „Masque 
Fetiche dont les negres de la Cöte de Guinee se parent dans leurs 
processions et leurs eeremonies.“ — Nach Photographie.“ 

X. Maske aus Abbeokuta. Colleetions de l’OEuvre de la Propagation de 
la Foi in Lyon. Sig. Brun. Nr. 744. Museumsangabe; „Masque 
servant dans les danses.“ — Nach Photographie. 

XI. Maske der Grebo. Ethnographisches Reichsmuseum in Leiden. S. 485, 
Nr. 6. Länge: 20 cm. Angeblich: „Beneden Congo.“ Ueber die 
richtige Bestimmung siehe unten Nr. 112. — Nach Photographie. 

XI. Maske der Grebo.. Museum für Völkerkunde in Hamburg. Angeblich 
Akkra. — Dass diese Bestimmung falsch ist, geht schon daraus hervor, 
dass eine der drei Hamburger Grebo-Masken (111, 113, 114) bei 
Zoeller auf einem Bilde der Festlichkeit der Kru-Leute abgebildet ist. 
— Nach Photographie. 

XI. Maske von Sassandre an der Elfenbeinküste. Musee de Douai. Nr. 675. 
Hauteur totale: 53 em. Museumsangabe: Fetich. St. Andre (Cöte 
D’Ivoire).“ Da es ein St. Andre auf der Elfenbeinküste nicht zu geben 
scheint, dürfte Sassandre die richtige Bestimmung sein. — Dieses Stück 
zeigt alle typischen Merkmale der Grebo-Masken, so dass durch sie 
auch die anderen (Fig. 110, 111, 113, 114) bestimmt werden können. 


Nova Acta LXXIV. Nr.l. 4 


26 


ig. 114. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


. 113. 


115. 


116. 


217: 


118. 


119. 


120. 


12% 


122} 


Taf. 


Taf. 


mar 


Mar 


mar 


Taf. 


Taf: 


Taf. 


Taf. 


Taf. 


L. Frobenius, 


Auch ohne dies Beweisstück deuten viele Merkmale auf einen nörd- 
lichen Ursprung hin (Stirn, Nase, Augen, Mund). Die auffallende Er- 
scheinung, dass fast alle Grebo-Masken falsch bestimmt sind, findet 
ihre Erklärung in der Verbreitung der Kru, die ihre Geräthe überall- 
hin mitnehmen. — In Akkra werden übrigens, wie langjährige Be- 
wohner der Stadt aussagen (Mann, Ramseyer, Steiner), nie Masken ge- 
braucht. — Nach Photographieen. 

XI. Maske der Grebo. Museum für Völkerkunde in Hamburg. Ueber die 
Angabe: „Akkra*, die zu verwerfen ist, siehe Fig. 111 und 112. Die 
Spitzenverziehung dürfte das Holzskelett eines früheren Strahlenkranzes 
sein. Auf dem Mund Perlmuttereinlage. — Nach Photographieen. 

XI. Maske der Grebo. Museum für Völkerkunde in Hamburg. Ueber die 
falsche Angabe: „Akkra*, siehe Fig. 111 u. 112. — Nach Photographie. 

VIII. Maske der Vey. Nach Büttikofer. Maske eines Sandi-Mädehens (vergl. 
Textabbildung Nr. 18). Solche Masken werden auch bei Leichenfeier- 
lichkeiten und Todtenfesten getragen. („Festen, zur Erinnerung an 
Verstorbene“). 

VIII. Maske aus Liberia. Museum für Natur-Völker- und Handelskunde in 
Bremen. Ohne Angabe der Herkunft, die aber aus dem Haarputz, 
den Augen, Nase und Mund, sowie dem ganzen Typus als „Liberia“ 
sich erweist. Darauf, oder wenigsten auf diese Gegend deuten auch 
die Blechbeschläge. — Nach Photographie. 

IX. Maske der Purrah. Museum für Völkerkunde in Berlin. Mit Blech- 
streifen verziert. — Gemalt nach einem Farbenbilde Sütterlin’s in 
Bastian: „Ethnologisches Notizblatt“ Heft 1. 

IX. Maske vom oberen Casamanka. Museum für Völkerkunde in Berlin. 
IIIC. 4293. Höhe von der Hörnerspitze bis zum Kinn: ca. 27 em; 
Weite zwischen den Hörnern: ca. 44 cm; Länge des Behanges: ca. 
70 em. Aus Stroh geflochten. — Nach Farbenskizzen des Verfassers. 

XI. Maske aus Senegambien. Kaiserl. Königl. Naturhistorisches Hofmuseum 
in Wien. Nr. 8347. Museumsangabe: „Maske der Djola, Senegambien; 
wird den Negerknaben nach der Beschneidung aufgesetzt, und mit 
derselben ziehen sie in die umliegenden Ortschaften. Geschenk des 
französischen Ministeriums der Marine und Colonien dureh Herrn A.L., 
Commissär der Ausstellung der französischen Colonien bei der Pariser 
Weltausstellung 1878.“ — Nach Photographieen. Der Behang ist nur 
bei der Seitenansicht wiedergegeben. 

XI. Maske der Mandingo. Ethnographisches Reichsmuseum in Leiden. 
S. 547, Nr. 12. Länge mit dem Behang: 85 cm. Der Behang ist 
nicht ganz wiedergegeben. — Nach Photographie. 

XI. Maske von Sedhion am Casamanka. Musde de Douai. Nr. 566. Hauteur 
totale: 1m 30 em. Angabe: „Beschneidungsmaske“. Der Behang 
ist nicht wiedergegeben. — Nach Photographie. 

Xl. Maske des Mandingo. Musde de Douai. Nr. 5859. Hauteur totale: 
118 cm. Angabe; „Beschneidungsmaske*. Der Behang ist nicht in 


[80) 
1 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 


seiner ganzen Länge wiedergegeben. — Nach Photographie. 
Vergl. Fig. 123—131, Taf. XII. 


g. Masken unbekannter Herkunft. 


Fig. 123. Taf. XII. Provineial-Museum in Hannover. Höhe: 15 em: Breite: 8 em. Siehe 
unten. — Nach Photographie. 


Fig. 124. Taf. XII. Museum für Völkerkunde in Hamburg. Nr. 1268. Höhe: 25 em. An- 
gabe: „Ost Afrika“. Siehe unten. — Nach Federzeichnung und 
Photographie. 

Fig. 125. Taf. XII. Free Publie Museum in Liverpool. 9* wide (ear to ear). Ueber die 
Herkunft ist nichts zu ermitteln. Die Maske besteht aus der Kopfhaut 
eines Thieres, vielleicht eines Leoparden. — Nach einer Photographie. 


Fig. 126. Taf. XII. Ethnographisches Reichsmuseum in Leiden. Höhe: 20 cm. Provenienz- 
angabe: „Südliches Congogebiet.“ Siehe unten. — Nach Photographie. 


Fig. 127. Taf. XI. Provinzial-Museum in Hannover. Höhe: 20 cm; Breite: 15 em. Ohne 
jede Angabe. Siehe unten. — Nach einer Photographie. 


Die Bestimmung von Fig. 123 und 124 erhält mancherlei Anhalts- 
punkte durch die Tätowirung, die sowohl in Calabar (vergl. Fig 80, Taf. VIII), 
als in Loango (Fig. 39, Taf. IV) und am Ogowe (Fig. 53, Taf. VI) heimisch 
ist. (Gegen Calabar spricht der ganze Typus, gegen Loango das Fehlen 
bunter Farben und das Herbe der Formen. Für Ogowe spricht aber alles, 
was oben angeführt wurde. Auch die Kopfzierathe erinnern an Vorkomm- 
nisse dieser Gegend. Die Zweifarbigkeit und die Form der Augen würden 
auch in die Ogowe Länder weisen. 

Für die Bestimmung der beiden letzten Masken Fig. 126 und 127 
lässt sich dagegen kein fester Anhaltepunkt gewinnen. Die Angabe Südl. 
Congogebiet ist vielleicht (?) richtig. Die Augenform weist aber nach 
Yoruba. Der aufgemalte Bart von Fig. 127 ist aufsehenerregend. Eine 
Zeit lang neigte ich zu dem Glauben, Fälschungen vor mir zu haben. 


4* 


ID 


L. Frobenius, 


Nachtrag. 

Seitdem das Manuskript der Akademie übergeben ist, erschien das 
Werk von Luchans: „Beiträge zur Völkerkunde der deutschen Schutzgebiete“. 
Berlin 1897, in welchem eine Taf. XLI: „Masken aus Oberguinea“ sich be- 
findet. Es ist dies das erste Mal, dass eine grössere Anzahl von afrikanischen 
Masken von einem Ethnologen veröffentlicht worden ist und deshalb recht 
bedauerlich, dass der Autor sich von seiner Ansicht, „Müssige Spekulationen“ 
müssten vermieden werden, hat verleiten lassen, seine Kritik allzusehr ein- 
zuschränken, so sehr, dass die Provenienzangabe sämmtlicher Stücke, und 


zwar folgendermaassen zu berichtigen ist: 


Fig. 1 statt Dahome —  Yoruba. 
2 Dahome —  Yoruba. 

= STR Lagos —  Yoruba. 

rl Lagos —  Ogowegebiet. 
5 Dahome —  Ogowegebiet. 

aHeAG a Lagos — Yoruba, wahrscheinlich Yebu. 
7 n Dahome — Liberia, wahrscheinlich Vey. 

8 4 Porto Novo — Yoruba. 

EEE Lagos —  Yoruba, wahrscheinlich Yebu. 
Kaya 5® Dahome — Liberia, wahrscheinlich Vey. 


Für Fig. 4: 5 und 7; 10 brauche ich weiter keine Belege zu erbringen, 
da die entsprechenden Darlegungen und Abbildungen des vorliegenden 
Werkes solcher Berichtigung nöthig machen. Dass die 4 Angaben „Dahome“ 
(Fig. 1, 2, 5, 10) falsch sind, geht aus dem Fehlen der Masken in diesem 
Lande hervor. Für die Verwerfung der Angabe „Lagos“ habe ich mich 
dureh neue zahlreiche Mittheilungen entschliessen müssen. Elton z. B. be- 
richtet, dass die Masken, welche in Lagos den Europäern zum Kaufe an- 
geboten wurden, entweder von den Yebu (eng. Yaboo, auf einigen Karten _ 
Jebu) mitgebracht oder nach dem Muster der Yebu-Masken angefertigt 
wurden. Und ganz ähnlich scheint es sich mit der Angabe Porto-Novo 
zu verhalten. Wie gesagt, ist es bedauerlich, dass von Luchan in allzu- 
grosser Furcht vor müssigen Spekulationen das Formstudium unterlassen 
und dadurch 4 schwere Fehler (Fig. 4, 5, 7, 10) in einem dem grossen Pub- 
likum vorgelegten Werke nicht vermieden hat. 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas 29 


Von den Abbildungen gebe ich einige wichtige auf der Taf. XIII 


wieder. Fig. 1 ist unsere Fig. 91; Fig. 2 unsere Fig. 92. 


Fig. 128. Taf. XIII. 


Fig. 129. Taf. XII. 


Fig. 130. Taf. XI. 


Fig. 131. Taf. XII. 


Maske aus, Yoruba; angeblich Lagos. Berliner Museum für Völkerkunde. 
III C. 6439. In der Mitte ein Reiter mit einem breitrandigen Hute; 
rechts und links drei Reiter und auch ein Fussgänger; bei v. Luchan 
HS 1ER, 1A, E) nk BEL 

Maske aus Yoruba; angeblich Lagos. Berliner Museum für Völker- 
kunde. IIIC. 6443. In der Mitte ein Reiter; rechts und links zwei 
Reiter; bei v. Luchan Taf. LXI, Fig. 6. 

Maske aus Yoruba; angeblich Porto Novo. Berliner Museum für Völker- 
kunde. IIIC. 6302. Bei v. Luchan Taf. LXI, Fig. 8. 

Maske aus Liberia; angeblich Dahome. Berliner Museum für Völker- 
kunde. III C. 6659. Bei v. Luchan Taf. LXI, Fig. 7. — Eine Doppel- 
gesichtsmaske wie Fig. 42, Taf. V. Um so interessanter, als Büttikofer 
in Liberia keine derartige Maske gesehen hat und sie daher als Selten- 
heit zu gelten hat. 


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2. Capitel. Maskenverwendung und Bünde. 


Alles Erreichbare und Verwendbare ist herangezogen worden. Dennoch 
ist die Darstellung eine lückenhafte geblieben. Vielleicht hat diese Be- 
schreibung aber die Folge eifrigen Studiums und Forschens. Dass mehr 
zu erfahren ist, als es gewöhnlich der Fall ist, geht daraus hervor, dass 
anderen wie z. B. Büttikofer, Spieth, Golbery, Zenker ausführliche Mit- 
theilungen möglich waren. Gerade die Deutsche Kolonie Kamerun ist ein 
aussichtsvolles Gebiet für Masken- und Bund-Forschung. — Bei dem 
Sammeln von Masken ist mehr auf die Namen zu achten und deren Be- 
deutung. Von den vielen Masken in europäischen Museen bieten die 
wenigsten einen Anhaltspunkt durch Erklärung. — Das Wort: „Fetisch- 
Maske“ ist nichtssagend (siehe Schluss) und zu vermeiden, wie es der Ver- 


fasser auch thut. 


a. Süd- und Ost-Afrika. 

Abbildungen. Tafel: Fig. 1—8. 
Text: Nr. 1—3. 

Litteratur. G. Fritsch: „Die Eingeborenen Südafrikas“ Breslau 1572. S. 109. 206fl. — 
A.Kropf: „Das Volk der Xosa-Kaffern“ Berlin 1889. S. 126. — Emil Holub: 
„Sieben Jahre in Südafrika“ Wien 1881. Bd. II. S. 196/7. 200ff. — Serpa 
Pinto: „Wanderungen quer durch Afrika“ Leipzig 1386. Bd.I. S. 219. — 
H. H. Johnsten: „Der Kilima-Njaro“ Leipzig 1886. S. 161/2. — Biriefliche 
Mittheilungen von Dr. Hans Meyer, Paul Reichard ete. — Hildebrandt in der 
„Zeitschrift für Ethnologie“ Bd. X. S. 358. Cameron. Bd. I. 


Im Süden beginnend, treffen wir zunächst die Aba Kweta der Ama 
Xosa an. Wenn die Pubertät erreicht ist, bereiten sich die Jünglinge in 


der Zurückgezogenheit auf das Fest der Mannbarkeit und die Aufnahme 


32 L. Frobenius, 


unter die Reihe der Männer vor. Sie geniessen in dieser Zeit eine fast 
völlige Freiheit von allen Gesetzen, besonders hinsichtlich des geschlecht- 
lichen Umganges. Ungestraft können sie sich jeden unverheiratheten Frauen- 
zimmers bemächtigen. Sie sind in der Nahrung beschränkt, können aber, 
wenn nicht auf der That ertappt, Vieh sogar aus dem elterlichen Kraale 
stehlen. Am Tage der Pubertätsweihe empfangen die aus der Wildniss 
heimkehrenden einen neuen, stark mit Fett eingeriebenen Stock, der Wunder- 
kraft besitzen soll und oft mit dem Greis in das Grab wandert. Die Tracht 
der Aba Queta, in der sie den Uku-Tehila tanzen, ist sehr eigenthümlich. 
Die aus trockenen Grashalmen zusammengebundenen Grasmasken sind die 
einfachsten aus Afrika bekannten Gegenstände dieser Art. Den Leib um- 
giebt ein krinolinenartiger Behang gleicher Herstellung, die auch bei dem 
weit abstehenden Halskragen wiederkehrt. Ein Stab in der Hand und 
einige Perlstickereien an Arm und Beinen vervollständigen das Costüm. 

Die Tracht der Bechuana-Mädchen schliesst sich anscheinend in for- 
maler Hinsicht eng an die Gewandung der Aba Questa an.  Folgender- 
maassen wird sie von Fritsch beschrieben: Es ist eine phantastische Um- 
hüllung von Röhricht und Schnüren von getrockneten Kürbiskernen. Die 
Röhre werden um die Lenden zu Schürzen zusammengefügt; sie um- 
ziehen den blossen Leib in dieken Wülsten, hängen locker um den blossen 
Hals und die Schultern hinab und selbst der Kopf trägt einen Aufbau von 
dem gleichen Material. 

Bei den Marutse traf Holub den sogenannten Kischi-Tanz der Ma- 
bunda. Er wird auf des Königs Geheiss getanzt und hat geschlechtliche 
Aufregung zum Zweck. Den Kischi tanzen je zwei oder vier Männer, von 
denen immer einer den Mann, der andere die Frau markirt. Als Begleitung 
wird die grosse Röhrentrommel geschlagen. Die Tänzer sind von einem 
Haufen junger Leute umgeben, die zum Trommelschlag singend in die 
Hände klatschen, und aus deren Mitte zuerst einzelne, dann zu zweien neue 
Tänzer hervorkommen und gegen den König gewendet ihren Körper - ver- 
drehenden Tanz beginnen. Ein Anlauf, ein Annähern von der einen, ein 
Zurückweichen von der anderen Seite ete. sind das Wesen und die gebräuch- 
lichsten Gesten des Tanzes. 


Die Costüme des Kischi-Tanzes sind königliches Eigenthum. Sie 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 99 


bestehen aus der Gesichtsmaske, dem Netzwerk und der Lendenumhüllung. 
Die Maske wird von Knaben aus Thon und Kuhdünger modellirt. Sie ist 
mit rothem Ocker und Kalk bemalt; sie sei, sagt Holub, ein ziemlich be- 
deutendes Produkt des Mabunda-Flusses. Dle Maske ist bedeutend grösser 


als der Kopf, den sie nebst 


dem Halse vollkommen  be- 
deckt. Sie ähneln einer mit 
niedergeschlagenem Visir ver- 


sehenen Helmhaube. Für die 


abe 
Augen und den Mund, seltener II 
für die Nase sind klene 8 Riem 


Spalten offen gelassen. Die 


scharf hervorragenden Züge 


der Maske sind den als Wasser- 
speier benutzten Zwerg- 
gestaltenähnlichunddieMaske 
am Cranium mit Buckeln ver- 
sehen, am mittleren "Theile 
sind in der Regel als Schmuck 
Schwanzhaare des gestreiften 
Gnu, an den übrigen Feder- 
büsche befestigt. Von den 
Lenden bis zu den Knöcheln 
reicht eine in Falten gelegte 
Wolldecke oder Carosse, 


welche die die Frau vor- 


stellende Maske trägt; über 
der letzteren wird noch Je Nr. 1. Maskentracht der Aba-Queta bei den Ama Xosa. 
ein Thierfell vorn und hinten (Nach Photographie). 

getragen. Bis auf emen um den Hals bandartig getragenen Strohwisch 
ähnelt die weibliche Maske der männlichen. Letztere zeigt auffallendere 
Haubenverzierungen. Am Stahlringe, der um die Hüften läuft, sind rück- 
wärts einige Glöckchen befestigt, die bei den leisesten Körperbewegungen 
erklingen. 


Nova Acta LXXIV. Nr.1. 


or 


34 L. Frobenius, 


Der Kischi-Tanz, der eine Anzahl von Zuschauern anlockt, wurde 
in Schescheke meist in vierzehntägigen Zwischenräumen aufgeführt. Kinder 
wurden nicht zugelassen. 

Wunderlich war die Tracht, in der der Sova Mowanda, Fürst der 
Ganguella vor seinen Weibern und Serpa Pinto tanzte: Sein ungeschlachter 
Körper steckte in einem Rahmenwerk aus Weiden geflochten, das mit schwarz 
und. weiss angepinseltem Zeug bedeckt war. Eine Art Rock aus Pferde- 
haaren und die Schwänze von Thieren vervollständigten seinen grotesken 
Aufzug. — Ich will ehrlich gestehen, dass es mir nicht gelungen ist, Text 
und Abbildung in Einklang zu bringen. Ich glaube jedoch, dass es sich 
um eine Variante der Akisch-Maskirung — siehe weiter unten — handelt. 
Ehe wir diesen Ausläufer aber an seine Quelle, in das Congo-Becken ver- 
folgen, sollen die östlichen Vorkommnisse, die Masken in Ost- Afrika be- 
sprochen werden. 

Cameron schrieb seinerzeit aus Kinjari am Tanganjika: Ein Ein- 
geborener im vollen Kriegsschmucke stolzirte vor mir herum, um sich von 
mir bewundern zu lassen. Er trug eine Mütze und eine ganz ausserordent- 
liche Maske aus Zebrahaut. — Es ist bei der Betrachtung ethnologischer 
Merkmale in dieser Gegend Afrikas stets auf die Aehnlichkeit des Cultur- 
besitzes im Osten und Westen des südlichen Tanganjıka hinzuweisen. So 
erinnere ich z. B. an die typische Sitte der Verwendung des Nasenklemmers. 
Die Warua-Waguhha saugen die Nase voll Tabakslauge und klemmen das 


gefüllte Organ mittelst einer Klammer zu. Solches wurde von Wissmann 


und — wenn ich nieht irre — auch von Thomson bei den östlichen Strand- 
sassen des Tanganjika ebenfalls bemerkt. — In gleicher Weise wie die 


Maske von Kinjari, müssen wohl die Masken der Makonde als Vorposten 
der Culturform des Kongo-Beckens bezeichnet werden. Es ist auch hier 
wieder an mehrere Beziehungen zu erinnern und zu beachten, dass die 
Wakonde des Niassa Palmfaserstoffe tragen; eine in Ostafrika nur noch 
einmal, nämlich nördlich des Pangani vorkommende Eigenthümlichkeit der 
Kongo-Völker. 

Die nördlichen Tanganjikavölker besitzen keine Masken. Stuhlmann 
schreibt, den Blick von der Ostküste des Kontinents dem Westen zu- 


wendend: Erst jenseits des Tanganjika finden sich Tanzmasken. — Dass 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 35 


auch die Wanjamwesi-Stämme die Maske nicht verwenden, bezeugt ausser 
einem negativen Erfolge verschiedener Reisender Forschung vor allem die 
Mittheilung eines so guten Kenners wie Paul Reichard, der sie ihnen rund- 
weg abspricht. 

Johnston hat behauptet, er habe bei den Wadschagga Krieger ge- 
sehen, „von denen nicht wenige am Kopfe Masken von abscheulicher Häss- 


lichkeit befestigt hatten, die mit einem doppelten Gesicht von vorm und 


hinten schauten“. — In seinem Buche über den Kilima Ndjaro hat sich 
Johnston verschiedene Extravaganzen geleistet, — vergl. Hans Meyers Werk: 
„Ostafrikanische Gletscherfahrten*! — so dass auch diese Bemerkung mit 


allergrösster Vorsicht zu verwenden ist. Reisende wie Rebmann, Höhnel, 
Baumann ete. hätten sicher etwas von „nicht wenigen“ Doppelmasken ge- 
sagt, wenn es sich hier nicht um ein Versehen ‚Johnstons handelte. 

Masken sind aus Ostafrika nur noch einmal bekannt geworden. Die 
Wakamba tragen im Kriege Ledermasken, sagt Hildebrandt. 

Die nördlichen Völker: die Waganda, Wakawirondo, Wanyoro, Waka- 
rague dürften wohl keine Masken verwenden. Wäre das der Fall, so wäre 
schon längst hierüber etwas bekannt geworden. Das gleiche gilt von 
Massai und Massaiverwandten, von den Usambarastämmen, Wagogo ete. und 


endlich von den westlichen Zulustiämmen Ostafrikas. 


b. Das Kongo-Becken. 
Abbildungen. Tafel: Fig. 9—23. 
Text: No. 4—10. ; 
Litteratur. Max Buchner: „Schorers Familienblatt“. Bd. V. S. 168ff. — Cameron: „Quer 


durch Afrika“ 1877. Bd. I. 8. 162ff. — Otto Schütt: „Reisen im südwest- 
lichen Becken des Congo“ 1881. S. 106, 116. — H. Wissmann: „Unter 


deutscher Flagge quer durch Afrika von West nach Ost“. 1889. 8.29, 380. 
— Stuhlmann: „Mit Emin Pascha im Herz von Afrika“. 1893. S. 558, 559, 
597. — „Internationales Archiv für Ethnographie“. 1889. 8. 53. — Capello 
and Ivens: „From Benguella to the territory of the Yaka“. London 1882. 
Bd. I. S. 296, 297. — F. Ratzel: „Völkerkunde“. 2. Auflage. 189 . Bd.1. 
S. 233. — Wolf, Wissmann: „Im Innern von Afrika“. 1888. S. 255. 


Im südöstlichen Kongo-Becken, bei Massongo, Minungo, Kioko treffen 
wir den Mukisch (Plur. die Akisch). Von ihm liegen mehrere Beobachtungen, 
Abbildungen, von Museumsinventar leider nur ein Netzgewand vor. Sehr 


5* 


36 L. Frobenius, 


wichtig ist es, dass die Beobachtungen und Bemerkungen der einzelnen 
veisenden sich in glücklichster Weise ergänzen. 

Buchner schreibt, es seien die Akisch auf Deutsch Waldteufel und 
sie repräsentirten eine ganz besonders interessante Art religiöser Ver- 
mummung, die er nur im Lande der Minungo angetroffen habe. Um die 
Schreckgespenster imaginärer Natur zu bannen, nehmen die Ganga dieses 
Stammes selber Schreckgestalten an. Da nun aber das Negergemüth nur 
hie und da zu düsteren Stimmungen hinneigt und das Bedürfniss ernster 
Zauberarbeit oft auf längere Zeiten gänzlich schlummert, so dienen die 
Ganga während solcher Pausen auch als Lustigmacher und Hanswürste, 
oder, sollten sie hierzu keine Neigung verspüren, so leihen sie wenigstens 
ihr Kostüm zu diesem Zweck an andere. 

Fast jeden Tag, so erzählt der Gelehrte, so lange wir im Lande der 
Minungo reisten, kamen ein oder zwei derartige Hanswürste zu uns an das 
Lager, um nach dem Takt einer Trommel vor meinen Leuten zu tanzen 
und der Ruf: „Mukisch!* eleetrisirte jedesmal die ganze Mannschaft. Unter 
fröhlichem Geschrei stob alles vor ihnen her, wenn sie zu laufen begannen 
und sicherlich lag ein Theil des Genusses, den sie boten, in dem Kitzel 
des Gruselns. Meine Träger benahmen sich ihnen gegenüber stets ausser- 
ordentlich freigebig- und beschenkten sie reichlich mit Tabak, Fleisch und 
Perlen, vielleicht um «die schauerlichen Wesen, die ihnen abergläubische 
Gefühle erweckten, sich geneigt zu machen. 

Die Textabbildungen Nr. 9a, b, e, d zeigen die am meisten charakte- 
ristischen Stellungen eines Mukisch. Die Vermummung besteht aus einer 
geschnitzten schwarz-weiss-rothen Gesichtsmaske, welche ein Strahlenkranz 
von Adlerfedern krönt, einem Zebraartigen quergestreiften Netztricot von 
brauner Farbe und einem kurzen Rock aus losem Schilfgras, der haupt- 
sächlich an zwei epaulettartigen Hüftklappen befestigt ist. Unter den 
Knieen sind je drei hohle Fruchtschalen, mit klappernden Steinchen gefüllt, 
an dem Trikot angeheftet; in der Hand wird ein zierliches Schmuckbeil 
geschwungen. 

Grleichfalls einen Mukisch, aber von anderer Form und Bedeutung 
stellt Nr. 10 dar. Diesen konterfeite Max Buchner im Lande der Kioko ab. 


Die ungeheure Kopfmaske war nach Art einer Fischreuse aus Längsstäben 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 37 


und Querstäben mit einer Füllung von Rindenzeug construirt; auch hier 


waren die verschiedenen Bestandtheile schwarz, weiss und roth gefärbt. 


Bart und Rock sind gleichfalls aus Gras hergestellt; die linke Hand hält 


Nr. 2. Maskentracht der Aba-Queta bei den Ama-Xosa. (Nach Photographie). 


eine eiserne Schelle. Das betreffende 
Individuum war Vorsteher einer Ein- 
siedelei, in welcher die Rnaben des 
Gaues sich auf gewisse Ceremonien 
vorbereiten, welche ihre Aufnahme in 
die Schaar der Jünglinge bezwecken, 
wobei sie sich die Zeit mit Singen 
und Trommeln vertreiben. 

Wissmann fiel im Lande der 
Minungo ein Mukisch auf, der durch 
seine Tänze, die in plumpen und geni- 
talen Hüftbewegungen bestanden, die 
Aufmerksamkeit der Zuschauer zu 


fesseln suchte. Er hat diesen Mukisch 


Nr. 2a. Maskentracht der Aba-(neta 
bei den Ama-Xosa. (Nach Photographie). 


38 L. Frobenius, 


ebenso wie Capello und Jvens die von ihnen angetroffenen abgebildet. 
Letztere haben auf ihre Fragen nach dem Wesen dieser Maskenträger 
Folgendes in Erfahrung gebracht: 

Das Amt eines Mukisch — (die Schreibweise des Reisenden ist: 
Mu-quiche) — scheint ein traditionelles zu sein, welches sieh bei vielen 
afrikanischen Stämmen in bestimmten Familien forterbt. Das Geheimniss, 
wer der jeweilige Träger desselben ist, wird streng gewahrt. Dieser treibt 
gelegentlich Zauberei, aber ohne Zweifel ist es eine seiner Hauptaufgaben, 
dem schädlichen Einflusse der Fetische (2) des Innern, die in Kioko so häufig 
sind, entgegen zu wirken, und die Leute vor der Plünderung dureh diese 
gewissenlosen Ränkeschmiede zu schützen. Es ist auch bekannt, dass er 
für schwere Vergehen schnelle Züchtigung ausübt, wenigstens sahen wir 
mehrmals am Cuanza eine solche Maske verschiedene Personen nnter grosser 
3efriedigung der Umstehenden und lebhaften Zurufen, wie: „es geschieht 
ihm recht!“ mit einer Peitsche bearbeiten. 

Man kann daher annehmen, dass der Mukisch, trotz seiner Eigen- 
schaft als Fetischmann (?) nützliche Verriehtungen ausübt, wie zum Beispiel 
die Züchtigung von Uebelthätern, die Bestrafung schamloser Frauen und 
die Anklage von Verbrechern. Seime Thätigkeit hat jedoch noch einen 
weiteren Spielraum und umfasst das Herbeiufen und Aufhalten des Regens, 
das Abwenden drohender Stürme und die Besorgung von Gegenzauber und 
Gegengiften für gefährliche Fetische (?)). 

Der Anzug des Mukisch wird irgendwo im Walde sorgfältig ver- 
steckt und seine Beschäftigung ist nur seinen nächsten Familienangehörigen 
bekannt. Wenn wir recht berichtet sind, ist der Mukisch mehr als einmal 
für besondere Zwecke als Spion verwendet worden und es ist sogar bekannt, 
dass Eingeborene das Gewand angelegt haben, um irgend eine wirkliche 
oder vermuthete Untreue ihrer Frauen zu entdecken. 

„M’Quichi* nennt Schütt diese Tänzer. Einen derselben beschreibt 
er folgendermaassen. Er war mit einem Tricot, bemalt mit gelben und 
braunen Linien bekleidet und trug vor dem Gesicht eine aus Binda ge- 
schnitzte, roth und braun angestrichene Larve. Sein Kopfputz bestand aus 
vielen hohen, geradeauf stehenden Federn und einem Gestell von Aesten 


reifartig getragen; um den Leib trug er einen Bast, von dem die einzelnen 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 39 


Strähnen herabhingen und so einen Schurz bildeten. Es war ein Hanswurst, 
der auf Geschenke spekulirte und die Leute lachten über ihn. 

Es wurde dem Reisenden gesagt, es sei dies ein Divindada, der bei 
der Audanda, der Beschneidung präsidire, nach welcher die etwa zehnjährigen 
Knaben drei Monate, die sogenannte Caecibo-Dauer, in dem Walde, in dem 
die Operation vorgenommen wird, ohne einen ihrer Verwandten zu sehen, 
verweilen müssen. Nach dieser Frist wird wiederum ein grosses Fest ver- 
anstaltet und wirkt an diesem der aufgeputzte Divindada ebenfalls mit, indem 
er solo tanzt. Die Jungen werden an diesem Feste mit neuen Fellen, die 
sie vom Leib vorn und hinten herabhängend tragen, bekleidet und gehen 
dann voll Stolz und Selbstbewusstsein in die Dörfer ihrer Eltern zurück, 
da sie ja von jetzt an courfähig sind. 

Einmal hatte Schütt das Glück, zwei solche Akisch in voller Thätig- 
keit beobachten zu können. Sie tanzten phantastisch, während die Leute 
der Expedition, in langer Reihe aufgestellt, zur Trommel sangen und reiche 
Gaben an Perlen, Pulver und Zeug schenkten. Unaufhörlich führten die 
beiden ihre tollen Sprünge aus, bittend die Hände ausstreckend. Immer 
von neuem rannten die Träger vor und verschenkten, was sie entbehren 
konnten. 

Zuletzt zeigte sich der eine Mukisch gar als Zauberer. Er hielt sich 
fern von den Leuten am Rande der Lichtung auf, wo er ein kleines Gehölz 
im Rücken hatte, und warf mit erotesken Geberden Blätter vor sich auf 


den Boden. „Plötzlich“ lag da ein nackter „Leichnam“, der natürlich schon 


© 
geraume Zeit unbeobachtet im Grase gelegen hatte; dieser — bei 600 Meter 
Entfernung war der Vorgang schwer zu erkennen — richtete sich auf und 


legte sich nieder. Alle Zuschauer fühlten sich durch dieses wunderbare 
Experiment aufs tiefste bewegt und jauchzten, mit der Hand auf den Mund 
schlagend. Der eine Mukisch tanzt nun wieder vor, kehrt dann um, und 
nachdem er Blätter auf den angeblichen Toten gestreut, erhebt sich dieser 
als Schaf und kriecht sehr unschafartig in den Wald. Die ganz gut er- 
kennbaren, hinten vorstehenden Beine störten die tiefe Ueberzeugung der 
staunenden und verwunderten Neger keineswegs und niemand von ihnen 
hätte sich getraut, das Wunder näher zu betrachten. Später setzte der 


Mukisch seine Zaubereien fort, indem er im Gebüsch Tote storchartig auf 


40 L. Frobenius, 


Stelzen herumsteigen liess und auch das Schafsfell noch einige Male zum 
Vorschein brachte. 

Cameron endlich beschreibt den Mukisch als einen Mann, gekleidet 
in ein Netz von einheimischer Arbeit, das sich eng an den ganzen Körper 
anschloss. Auf dem Kopf lag eine geschnitzte und bemalte Maske. Der 
Netzanzug war horizontal schwarz und weiss gestreift. Die Bekleidung der 
Hände und Füsse war an die der Arme und Beine angeknüpft und die 
Lücke zwischen dem Ober- und Unterleib mit einem Schurz aus geflochtenem 
(Gras verdeckt. Die Maske stellte das Gesicht eines alten Mannes dar mit 
sehr grossen Augenlöchern und hinten etwas grauem Pelzwerk statt der 
Haare. In der einen Hand hielt er einen langen Stab, in der anderen einen 
Schelle, mit der er beständig klingelte. Hinter ihm her ging ein kleiner 
Junge mit einem Sack zur Aufnahme der freiwilligen Gaben, die man ihm 
zukommen liess. 

Auf die Frage, was dieses seltsame Individuum vorstellen solle, be- 
lehrte man den Reisenden, es sei ein „Scheinteufel“ und als soleher habe 
es das Amt, die in den Wäldern hausenden Geister (statt Teufel) zu ver- 
scheuchen. 

Von (den Geistern in den Wäldern von Kibokwe heisst es nämlich, 
sie seien ebenso zahlreich als mächtig und jeder habe ein besonderes Revier 
inne; dabei seien sie sehr eifersüchtig auf einander und wenn einer einen 
gegnerischen Dämon in seinem Gebiet antreffe, so ärgere er sich dermaassen 
darüber, dass er fortziehe, um sich einen anderen Bezirk zu suchen, über 
den er unbestrittene Herrschaft ausüben könne. Nun glaubt man, Schein- 
geister (statt Scheinteufel) sähen genau wie wirkliche Geister aus; wenn 
sich daher ein Scheingeist in dem Revier eines wirklichen Geistes zeige, so 
veranlasse er letzteren dadurch, die Gegend künftig zu meiden und seinen 
Sitz anderswohin zu verlegen. Infolge dieses Glaubens (statt Aberglaubens) 
werden die Scheingeister von den Bewohnern der Dörfer gut bezahlt und 
da sie zugleich die Ganga (statt Fetischpriester) des Stammes sind, so er- 
freuten sie sich eines ganz erklecklichen Einkommens. 

Dem vielerfahrenen Pogge verdanken wir folgenden Bericht: 

Mukischi ist der Name gewerbsmässiger Tänzer, die nichts mit dem 


Cultus (statt Fetischwesen) zu thun haben und vorzüglich dazu da sind, das 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 41 


Volk zu amüsiren, und die für ihre Leistungen bezahlt werden. Der Mu- 
kisch trägt Maske und aus Baumfaser gefertigte Gewandung. Es giebt 
Meister und Lehrlinge in dieser Genossenschaft. In Kioko werden die 
Masken Mutue ua Mukuschi, d.h. Kopf des Mukuschi genannt; Muschimba 
ua Mukuschi heisst der Körper des Mukisch. 


Mukischtänze finden, wie 
es scheint, überall da statt, wo die Beschneidung mit Festlichkeiten ver- 
bunden ist. Wo dies nicht der Fall ist, wie bei den Bena Riamba (der 


Baschi-Lange) findet man auch keine solehen Tänze. 


Fig. 3. Der maskirte Sowa der Ganguela vor seinen Unterthanen tanzend. Nach Serpa Pinto. 


Neben den Tänzen, die bloss zur Belustigung des Volkes dienen, 
scheint die Institution des Mukischi, wie Pogge bei weiteren Nachforschungen 
erfuhr, doch noch eine tiefere Bedeutung zu haben und direet mit der Sitte 
der Beschneidung im engsten CUonnex zu stehen. Der Meister und Führer 
der Mukischi ist der Kakongo; er übt die Beschneidung aus. Die Lehrlinge 


Nova Acta LXXIV. Nr.1. 6 


42 L. Frobenius; 


und Assistenten heissen Mukisch. Aus ihnen geht der Kakongo hervor. Im 
(Gegensatz zu den Ganga kann der Mukisch nie ein Weib sein. 

Verweilen wir einen Augenblick bei der Betrachtung des Namens 
dieser Maskirten. 

Den Stamm des Wortes Mukisch haben wir schon in dem Namen 
des Mabunda-Tanzes, in Kischi angetroffen, desgleichen im Namen des 
Tanzes der Xosa Maskirten, im Uku Tschila. Die Heimath des Wortes 
dürfte aber an der Loango-Küste insofern zu suchen sein, als in der zahl- 
losen Menge der Mokisso, Mokissio, Nkissi ete. die nächsten und 
bekanntesten Verwandten der Akisch des Südens das Scepter im profanen 
und religiösen Leben führen. Die Herkunft des Mokisso ist leicht auf- 
zudecken. Es sind das die selbständig gewordenen Gegenstände, in denen 
die Ahnen früher hausend geglaubt wurden. Heute haben sie jeder eigene 
Kraft, das Vermögen, Besitz zu ergreifen resp. in Besessenheit zu versetzen, 
zu orakeln, zu beleben, sie sind rachsüchtig, eifersüchtig, gierig ete., kurz, 
es sind die ächten afrikanischen, manistischen Götterehen. Damit wird die 
Bedeutung der Akisch klar. Wir werden hierauf später zurückkommen. 

Im übrigen Kongo-Becken wissen wir noch recht wenig Bescheid und 
wir sind hier auf das Museumsmaterial fast allein angewiesen. 

Soweit wir Baluba verfolgen können, zeigen sich auch Spuren von 
Masken. Max Buchner erinnert sich — wie er freundlichst mittheilt — in 
der Mussumba bei einem Schwerttanze unter den Kriegern einen Prinzen 
mit einer unförmig grossen, hölzernen Maske vor dem Gesicht mittanzen 
gesehen zu haben. Scharpe traf neuerdings am Hofe des Kasembe eine 
Anzahl von Männern in Leopardenfellen mit grossen hölzernen Masken. 
Eine Maske der Wasära 


Paul Reichards in Berlin. Masken dieses Typus sind von den Araberwellen 


Stamm der Warua-Baluba — birgt die Sammlung 


mehrfach an die afrikanischen Küsten geschwemmt worden. 

Eine weitere schätzenswerthe Nachricht verdanke ich Paul Reichard: 
Am Tanganjıka fand dieser Reisende bei den um Mpala herumsitzenden 
Hollo-Hollo ebenfalls eme Maske. Es war ein aus Raphiafaser hergestellter 
Anzug für, soweit der Referent sich erinnert, zwei Personen eingerichtet 
und stellte einen Elephanten dar, der trotz der primitiven Formen lebhaft 


an das Thier erinnerte und dessen Bewegungen gut markirte. 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 43 


Es wurde, fährt Reichard fort, der Maskenscherz am Abend auf- 
geführt und kann ich nicht leugnen, dass die Sache für die Ausführenden 
wie für die Zuschauer etwas Geheimnissvolles hatte, obgleich ich andererseits 
den Eindruck hatte, dass eine tiefere Bedeutung, was die Darstellung selbst 
anbelangt, unmöglich innewohnen konnte. 

Im Norden schliesst sich an die Balubavölker ein Kreis von Stämmen 
an, deren nördliche resp. nordwestliche Herkunft ziemlich unbestreitbar sein 
dürfte. Da sind zunächst die Wakussu, von denen Stuhlmann sagt, sie hätten 
viele Tanzmasken. Dann ist die Maske vom Lomami zu erwähnen, die 
Wissmann in der Beschreibung seiner zweiten Durchquerung als Werk der 
Bena Lussambo bezeichnet. Ferner muss die Berliner Maske aus dem Bakuba- 
gebiet erwähnt werden. Sie gehört dem Cultus an (Fetischmaske!) und wird 
bei festlichen Gelegenheiten vom Vortänzer getragen. 

Die erste Nachricht von Masken am mittleren Kongo sandte Greshoft 
1589 nach Leiden. Bald folgte ihr das erste Belegstück. Wohl hat Stuhl- 
mann noch eine Maske vom oberen Ituri (Wandumbo) heimgebracht, wohl 
sind noch sonst Exemplare vom Aruwimi nach Europa gelangt, aber die 
wichtigen ausführlichen Begleitschreiben sind ausgeblieben. 


c. Die Nkimba und Ndembo. 
Abbildungen. Text Nr. 11. 


Litteratur. H. H. Johnston: „Der Kongo“ 1888. S. 377. — „Kongo Illustre“. Band I 
S. 3, VIII S. 59/60 und 62/63. — Oskar Baumann: „Beiträge zur Ethno- 
graphie des Kongo* 1887. S.5,6. — Herbert Ward: „Fünf Jahre unter 
den Stämmen des Kongo“ 1891. S. 31 32. — Meinhof im „Globus“ 1894. 
S. 118/19. — W. H. Bentley: „Dietionary and grammar of the Congo 
language“ 8. 506ff. — Büttner in: „Mittheilungen der afrikanischen Gesell- 
schaft in Deutschland“ 1839. Bd. V S. 188. — „Allgemeine Historien der 
Reisen“ Bd. V S.43. — 0. Dapper: Umbständliche und eigentliche Be- 
sehreibung von Afrika“ 1870. 8. 532. — A. Bastian: „Ein Besuch in San 


Salvador“ 1859. S. 82/83. — Derselbe: „Die deutsche Expedition an der 

Loangoküste“ 1875. Bd. II S. 15fl. — Briefliche Mittheilungen von Oskar 

Lenz und anderen. — C. Coquilhat: „Sur le Haut- Congo“ 1888. 8.59 ff. 

Am unteren Congo giebt es zwei Bünde, den Nkimba und den Ndembo. 

Viele haben sich mit der Erforschung dieser Institutionen beschäftigt und 
viel Werthvolles ist so an das Tageslicht gelangt. Die Mittheilungen wider- 
sprechen sich in einzelnen Punkten, weshalb hier eine eingehende Ver- 


6* 


44 L. Frobenius, 


gleichung des vorhandenen Materials am Platze zu sein scheint. Die Ent- 
wieklung dieser Geheimbünde im Inland einerseits und an der Loangoküste 
andererseits ist eine nicht ganz gleiche und mag es so am richtigsten sein, 


sich erst den ersteren Formen, dann denen der Küste zuzuwenden. 


Der Nkimba. 

Am Kongo in der Kataraktengegend (Wauters) landeinwärts bis 
Isangila (Johnston) oder Mbanza-Mateza (Baumann), jedenfalls nur im Mün- 
dungsgebiet und an den Ufern des Stromes hat sich der Nkimba- Brauch 
verbreitet. Bentley meint, die Institution stamme von der Küste und habe 
sich erst in junger Zeit eingebürgert. Dass ihr Einfluss im Rückgange 
begriffen ist, darüber scheinen sich alle Autoren einig zu sein. 

Im Alter von 12-15 Jahren (Johnston), 7—15 Jahren (Baumann) 
oder 10—12 Jahren (Lejeune, Slosse, Ward, Wauters) befinden sich die 
Knaben, wenn der Ganga erklärt, durch seinen Nkissi seien diese oder 
jene (etwa 10, 15 oder 20), die Einweihungseeremonien durehzumachen be- 
stimmt. Es scheint, als werde das als eine Ehre angesehen, die verhältniss- 
mässig nur wenigen zu T'heil wird (Wauters, Lejeune). „Jedenfalls giebt es 
verschiedene Grade oder Rangstufen (Johnston), die nur von einem Theile 
der Schüler alle durchlaufen werden (Slosse). 

Der Ganga zieht sich mit seinen Schülern in den Wald zurück. 
(Wauters, Lejeune). Unter seiner Obhut verweilen die Knaben daselbst 
'—2 Jahre (Ward und Bentley), 1 Jahr (Johnston und Slosse), 2 ‚Jahre 
(Ward und Wauters) oder auch nur 2 Monate (Lejeune). Dort wird dem 
Candidaten ein Trank oder eine Speise geboten, die ihm das Bewusstsein 
raubt, worauf er als tot erklärt wird (Bentley, Lejeune, Ward). Wenn der 
Jüngling aus der Ohnmacht erwacht, glaubt man, dass er alles Alte und 
und Frühere vergessen habe (Lejeune, Ward, Wauters). Die Dorfbewohner 
meinen, er sei von den Todten auferstanden (Ward). Er erhält nunmehr 
einen neuen Namen (Ward, Wauters, Baumann, Lejeune). Die gebräuch- 
lichsten sind Lutete, Saköla, Siku, Mavungu (Slosse). 

Nach seiner „Buschzeit“ darf niemand, auch kein Angehöriger seiner 
Familie ihn mit dem alten Namen benennen. Der Uebertreter dieses Ge- 


setzes muss sofort eine Busse zahlen und für den Fall er sich weigern 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas 45 


sollte, müsste der Nkimba in den Wald flüchten, einen Palmbaum besteigen 
und auf demselben verweilen bis die Strafe erlegt ist (Lejenue). 

Der Zusammenhang der Nkimba-Institution mit der Beschneidung 
ist nicht ganz klar. Nach Lenz wird dieselbe gleich nach der Aufnahme 
vorgenommen. Ward berichtet von der Ope- 
ration zur Zeit der Betäubung. Slosses und 
Johnstons Aussagen geben die Möglichkeit ver- 
schiedener Auslegung. Als eigentlichen Zweck 
aller dieser Ceremonien stellt nur Büttner Be- 
schneidung und Erregung der Sinnlichkeit hin. 
Endlich bringt Johnston diese Sitten mit einem 
am unteren Congo weiter verbreiteten Phallus- 
eultus in Verbindung. 

Die Kleidung der im Busche Lebenden 
ist sehr charakteristisch. Zunächst sind sie über 
und über weiss bemalt, bieten infolgedessen 
einen abschreckenden und, da sie sich nieht 
waschen, unappetitlichen und schmutzigen An- 
blick (Ward, Lenz, Wauters, Lejeune, Baumann, 
Johnston). Um die Lenden ist mittelst hölzernen 
Reifens oder Gurtes, „der oft wunderbar mit ein- 
geschnitzten Figuren geschmückt ist“ (Johnston), 
ein lang, bis auf die Füsse herabwallendes 
Grasgewand befestigt. Oft ist dasselbe durch 
ein innen befindliches Gerüst krinolinenartig aus- 


einandergehalten, so dass es unten vom Körper 


weit absteht (Ward, Lenz, Wauters, Lejeune, 
Nr. 4. Netzgewand des Mukisch. 


‚Johnston, Baumann). Häufig schmückt das (Museum tirVölkerkunde Hafabarg)! 


Haupt eine seltsame „Weidenkrone*, eine Art 

Käfig, an welchem kleine, fimmernde Streifen von  scharlachrothem 
Tuch oder auch die Federn glänzend befiederter Vögel befestigt sind (Bau- 
mann und auch Lejeune). Oft hängen auch Garben oder Bündel von Gras 
von den Schultern und dem Nacken herunter. Johnston glaubt, dass diese 


Zugabe die Erreichung eines höheren Grades des Nkimba-Bundes kennzeichne. 


46 L. Frobenius, 


Vor allen Dingen lernen nun die Jünglinge im Walde eine neue 
und mysteriöse Sprache, über die Bastian und Bentley Genaueres mittheilen 
(vgl. auch Johnston, Baumann, Wauters, Ward, Lenz). Der Nkimba-W ort- 
schatz, sagt Bentley, ist allerdings beschränkt und das Kimbwamvu, wie 
man die Sprache nennt, ist gekennzeichnet durch das System der allite- 
rirenden Uebereinstimmung. Einige Wörter sind nur aus Veränderungen 
der gewöhnlichen Congovokabeln entstanden, andere haben keine Aehnlich- 
keit mit dem Congo. — Jedenfalls scheint es, handele es sich im Kimb- 
wamvu um eine mehr oder weniger vollständig ausgebildete, selbständige 
Sprache (Meinhof). 

Strenge Zurückgezogenheit, besonders vollständige Trennung von 
Frauen und Kindern ist ein Hauptpunkt der Erziehungsgesetze. Wenn die 
Nkimba dureh die Strassen ziehen, stossen sie Janggedehnte plärrende Schreie 
aus wie: „Durrrrrr!'® Wehe denen, die nieht ausweichen! Der mitgeführte 
Stock ist schnell zum Schlage bereit (Johnston, Bently, Wauters, Lenz). 
Die Macht des Novizen geht soweit, dass sie sich jeden, einem Nichtein- 
geweihten gehörigen Gegenstand aneignen dürfen (Ward). Lenz sagt, dass 
manche Dörfer in der Zeit der Einweihung wegen der umherschwärmenden 
Nkimba geradezu unzugänglich seien, dass vom Felde oder Markte heim- 
kehrende Frauen der Hühner und Früchte beraubt würden, dass besonders 
Europäer der Verfolgung ausgesetzt seien und dass, wenn man Burschen in 
(diesem Zustand trifft es gut sein solle, die Arme kreuzweis zusammenzu- 
schlagen und die Hände im Handgelenk in drehende Bewegung zu versetzen, 
(dann sprechen «die Burschen in friedlichem Sinne. 

Etwas anders lautet der Bericht Bentleys. Demselben zufolge wan- 
dern sie Tags über im Grase, wo sie nach Wurzeln graben oder Nüsse im 
(rehölz suchen. Die ihnen begegnenden aber nicht ausweichenden Leute 
sind Schlägen ausgesetzt. Bei Nacht laufen die Nkimba herum, kreischen, 
schreien und stossen ihre wilden Triller aus. Wehe dem armen Manne, 
der sich zu irgend einem Zwecke in der Nacht aus dem Hause wagt; 
Schläge und schwere Strafe folgen gewiss. 

Nach Wauters tanzen die Nkimba im Mondenschein. Das erinnert 
an ältere Berichte über Sitten der Congovölker. Sie haben, lauten diese, 


einen Tanz, den Quimboara, bei welchem sie sagen, dass der Mokisso in 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 47 


einen von ihnen fahre und die Fragen, sowohl wegen vergangener als zu- 
künftiger Begebenheiten ihnen beantworte. — Gelegentlich der Besprechung 
des Mokisso Bumba wird der Tanz der Kimbos, jener Vermummten, die 
bei der Geistereitirung resp. Besessenheitsceremonie thätig sind, erwähnt. — 
In diesen beiden Namen @Quimboara und Kimbo ist der Stamm des Wortes 
Nkimba schon enthalten. Wir erhalten demnach einen Einblick in die Ver- 
hältnisse des Mittelalters. Wir erkennen, dass die Vergeistigungsceremonien 


die gleichen wie heute waren. Um die heutige Form der Vergeistigungs- 


sitten zu verstehen, muss der ganze Umfang der Enthaltungsgebote — die 
linguistischen und socialen lernten wir schon kennen — dargestellt werden. 


Ueber die Nahrung und Ernährungsweise gehen die Mittheilungen 
weit auseinander. Was schon Bentleys Bericht annehmen lässt, wird von 
Wauters bestätigt. Sie dürfen sich nur von Pflanzenkost ernähren. John- 
ston weiss zu erzählen, die Nkimba würden auf gemeinsame Kosten des 
Dorfes unterhalten, wozu Lenz bemerkt, sie erhielten die Nahrung „von alten, 
unkenntlich gemachten Weibern!® Während Ward erzählt, sie dürften jeden 
einem Uneingeweihten gehörigen Gegenstand, somit auch Nahrungsmittel stehlen, 
sagt Lejeune, der Ganga brächte ihnen selbst alle Speisen, welche sie nur 
jeden zweiten Tag geniessen dürften. Der Genuss aller von Frauenhand 
hergerichteten Kost ist den Novizen untersagt. Wauters führt als weitere 
streng eingehaltene Beschränkung an, dass die Nkimbajünglinge nicht in 
Hütten schlafen dürften. 

Am Schlusse eines jeden Jahres wird unter den begabteren Schülern 
eine Auswahl getroffen. Die Erkorenen bleiben noch länger im Busch, wo- 
gegen die anderen heimziehen. Aber hierüber wie über die Gradeintheilung 
werden nur Andeutungen aber keine Ausführungen gegeben (Johnston, 
Wauters, Slosse). Jedenfalls scheint das Versprechen, über alles Einschlägige 
zu schweigen, im Allgemeinen gut gehalten zu werden (Bentley, Wauters). 
Nach Zahlung der Kosten (Wauters, Lejeune, Bentley) tritt der Nkimba als 
„Longwata* (d.h. Eingeweihter, im Gegensatz zum „Mungwata* oder „Mung- 
wala“ d. h. Uneingeweihter) in das profane Leben zurück (Ward, Johnston). 
Beim Austritt bezeichnet nach Lejeune der Ganga dem Nkimba die ihm 
bestimmte Frau. Diejenigen, die diese Lehrjahre durchgemacht haben, sollen 


sehr angesehen sein (Wauters). 


48 L. Frobenius, 


An Absonderlichkeiten unter den Anschauungen und Sitten der 
Nkimba am Kongo ist noch zweierlei erwähnenswerth. 

Einmal behaupten die Nkimba, ihr Vater sei der Regenbogen, der 
jedesmal sich am Himmel zeige, wenn ein neuer Bruder eingeweiht und 
aufgenommen werde (Ward). — Dabei darf wohl daran erinnert werden, 
dass zu den Funktionen des Mokisso Bumba, mit dem auch die Ceremonie 
des Kimba-Tanzes verbunden ist, die Herbeiführung des Regengusses gehört. 

Zweitens hören wir von Bentley: Den gewöhnlichen Leuten wird 
erzählt, die Nkimba könnten Hexen fangen. 

Sehr interessant sind auch die Amulette der Nkimba, von denen 
Lejeune zwei erwähnt. Das eine — von Lejeune als Fetisch bezeichnet — 
heisst Masamputila; dieses ist aus einigen langen, zu einem Bündel vereinigten 
Palmblättern hergestellt, in deren Mitte der Ganga die Gegenstände anbringt, 
die dem Amulet (statt Fetisch) seine Kraft verleihen: Pemba oder weisse 
'Thonerde, kleine Körner, Kieselsteine ete. Die Blätter sind in der Weise 
zusammengefügt, dass sie an einem Ende eine Art Besen bilden, während 
das andere in nur zwei Stiele ausläuft, die wie ein Halsband um den Hals 
geschlungen werden. Das zweite Amulet der Nkimba trägt den Namen 
Konoengele und besteht aus einem Stücke Holz von der Dieke eines Hand- 
gelenkes und einer Länge von ca. 20 Uentimeter. Das eine Ende derselben 
höhlt der Ganga aus und steckt Federn, Pulver, Schlangenhäute ete. hinein, 
welche den Nkissi oder die Zauberkraft des Gegenstandes ausmachen. Die 
Eigenschaft dieses Talismanes ist merkwürdige. Wenn z. B. der Nkimba des 
Nachts in seiner Hütte schläft und ein böser Mensch, ein böser Geist, ein 
Ndoki kommt herein, um ihn zu töten oder zu bestehlen, so wendet sich 
der Konoengele sogleich gegen den Eindringling, macht es ihm unmöglich, 
vorwärts zu kommen und lähmt alle seine Bewegungen. Bei seinem Er- 
wachen am folgenden Morgen findet unser Nkimba den Ndoki am Boden, 
unfähig sich zu rühren und durch das wunderbare Instrument festgebannt. — 
Das gemahnt an Bentley’s Worte, die Nkimba könnten Hexen fangen. 

Der Name des Masamputila giebt Veranlassung zu einem kleinen 
Umblick. Der eine Theil des Wortes, sampu, ist eine in Südafrika und 
auch auf Madagaskar (sampi) wohl bekannte Benennung für Amulet, Zauber- 
oder Geisterkraft, Gottheit, Glück ete. Das tila dürfte mit dem 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 49 


Tschila in Uku-Tschila- Tanze der Aba-Queta (der Ama Xosa) zu identi- 
fieiren sein. 


Nunmehr ist ein Blick auf die Nkimbasitten der Meeresküste zu 
werfen. Unser Autor ist A. Bastian, der von Quimbe, Quimba, Que-imbe, 
Inquimbe ete. spricht. Folgen wir seinen Ausführungen. 

Der Kissan-Quimbe ist nach Bomma am Kongo aus Kongo oder 
Gross-Kongo gekommen. In Kongo findet sich gleichfalls ein Geheimorden 
Wiedergeborener, der nur dann, wenn eim Krüppel oder ein sonstiges Mon- 
strosum im Lande geboren wird, seine Reihen zur Aufnahme neuer Candi- 
daten öffnet. Wer nach Vollziehung der Weihen entlassen wird, geht 
Wochen und Monate stumm um- 
her, die Lippen mit der Hand 
schliessend; denn das vergangene 
Leben ist völlig vergessen und 
die Erinnerung kehrt erst all- 
mählich zurück. 

Wenn ein Fürst eine Quimba 
errichtet, treten ausser seinen ei- 
genen Leuten auch oft solche aus 
den benachbarten Dörfern ein. 
Diese müssen dann für den Unter- 
richt beim Ganga Inquimba Zah- 


lung leisten. Beim Verlassen der 
Quimba sind alle dick und fett, Fig. 5. Mukisch der Minungo. (Nach Wissmann, 
da sie sich in der langen Musse- Pogse.) 

zeit, in der keine andere Arbeit 

als Essen und Trinken vorlag, kräftigen konnten. Mitunter wird auch für 
Mädchen eine Quimba eingerichtet. Darein treten dann solche, die sich von 


langer Krankheit heilen oder gegen diese sich im Voraus schützen wollen. 


Allerdings gehen in Bomma oft mehrere Jahre hin, ohne dass eine 
@uimbe eröffnet wird. Wenn dieses daher in einem Dorfe geschieht, so 


strömen dort auch aus den umliegenden Dörfern alle die jungen Leute, die 
Nova Acta LXXIV. Nr.l. 7 


50 L. Frobenius, 


diese Weiheceremonie noch nicht durchgemacht haben, zusammen, so dass 
sich denn in einer und derselben Quimbe oft die verschiedensten Altersstufen 
von 8— 20 ‚Jahren vereinigt finden. Sehr regelmässig wird dagegen die 
Beschneidung geübt, bei der die Knaben im Walde zurückgehalten werden 
bis zur feierlichen Entlassung nach Vernarbung der Wunde, während man 
für die darauf folgende Wehrhaftmachung in der Inquimba (Kimba) ausser- 
halb des Dorfes ein langes Haus baut. 

Die darin für die Jünglingsweihe Eintretenden werden in Palmblatt- 
zeuge gekleidet, einer Reihe von Prüfungen unterworfen, in einen toten- 
ähnlichen Zustand versetzt und im Tempel (statt Fetischhaus) begraben. 
Wenn sie wieder zum Leben erweckt werden, haben sie das Gedächtniss für 
alles frühere, selbst für ihre Eltern, ihren Vater und ihre Mutter verloren 
und vermögen sich ihres eigenen Namens nicht mehr zu erinnern. Es werden 
ihnen daher je nach den Titeln oder Gaben, zu denen sie aufgestiegen sind, 
neue Namen gegeben wie Lusala, Lutete, Chinkele, Luvungu, Malanga, 
Lubele, Juka. Das Führen eines solchen Namens lässt erkennen, dass das 
Individuum die Quimba (des Mokisso Quimba) durchgemacht hat. 

Innerhalb der Quimba gehen die Zöglinge nackt, ausserhalb werden 
die Kleider, Palmblattkleider über einem Gestell von Rohrstäben, angelegt. 
Weder Hände noch Füsse sind zu waschen und es darf nicht von Tellern, 
sondern nur auf der Erde gegessen werden. Die von den Eltern täglich 
dem Mutinde oder Zuchtmeister überbrachten Speisen sind vorwiegend 
mästender Natur; viele Arten von Fleisch und Fisch sind jedoch verboten. 
Die Knaben lernen neben dem Verfertigen von Palmwein, Fischen und 
anderen Kunstfertigkeiten allerlei Geheimnisse, die sie durch einen Schwur 
beim Mokisso (statt Fetisch) verbunden sind, niemand zu verrathen. Damit 
sie sich untereinander verständigen können, ohne von Uneingeweihten be- 
lauscht zu werden, besitzen sie eine Geheimsprache, die von der gewöhnlichen 
abweicht. Bastian giebt eine Sammlung von Worten. 

In dieser Sprache, sowie in den Ceremonien Siquimba (des Mokisso 
[statt Fetisch] @uimba) unterrichtet der Mutende Anquimba (Inquimbo) und 
der Hültslehrer Baku als Assistent. Unser Autor führt ferner die Namen 
der Lehrer des heiligen Tanzes Sangula, Sangila oder Cochina auf (Ma- 


tundo, Malanda, Bondo, Kongo). Im Quimbahause finden sich verschiedene 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. Bl 


Mokissos, so Tafı, ein Holz mit zwei Figuren, nämlich Matunda und Malanda, 
ferner Bondo ete. Der Ganga des Quimba heisst Matando. 

In Bomma endet die Quimba unter Festlichkeiten und zwar stets 
mit einer Jahreszeit, während sie in Mayumba 4 Jahre und länger dauern 
mag. Das Haus der Quimba wird beim Verlassen am Ende der Saison 
verbrannt. 

Das so vor unseren Augen sich entrollende Bild der Nkimba in 
Bomma lässt die Institution an der Mündung des Kongo als einen Ausläufer 
mit all’ den Eigenschaften eines solchen, nämlich Unregelmässigkeit, Be- 


tonung der Nebendinge und phantastische Aussehmückung erscheinen. 


Der Ndembo. 

Bentley sagt, der Ndembo oder Nkita sei im Kongo sehr weit ver- 
breitet, sogar weit in den Inlandgebieten. Wenn jemand in das Ndembo 
eingeweiht werden soll, weist ihn der Ganga an, auf ein gegebenes Zeichen 
hin, sich plötzlich tot zu stellen. Dementsprechend stürzt der Novize auf 
irgend einem öffentlichen Platze ganz unerwartet nieder; man legt Begräb- 
nissgewänder über ihn und er wird zu einer Umzäunung ausserhalb der 
Stadt, die Vela heisst, hinweggetragen. Man sagt von ihm, er sei Ndembo 
gestorben. Die jungen Leute beiderlei Geschlechts folgen nach der Reihe; 
wenn alles gut geht, wird dieser vorgebliche plötzliche Tod oft zu einer 
Art Hysterie. Auf diese Art erhält der Ganga die genügende Anzahl für 
eine vollständige Einweihung, 20, 30 oder auch 50. 

Man nimmt nun an, dass die derart Gestorbenen in dem Vela ver- 
wesen und vermodern, bis nur noch ein einziger Knochen übrig geblieben 
ist. Den nimmt der Ganga an sieh. Nach einer gewissen Zeit, die an den 
verschiedenen Orten zwischen drei Monaten und drei Jahren schwankt, glaubt 
man, dass der Ganga diesen Knochen nimmt und dass er vermöge seiner 
Zaubermittel, jeden einzelnen vom Tode wieder auferstehen lässt. An einem 
bestimmten Tage glaubt man, dass die Auferstehung stattgefunden hat und 
die Ndembo-Gesellschaft kommt in Masse in feierlichem Aufzuge, mit feinen 
Kleidern und unter allgemeinem Jubel in die Stadt zurück. 

Wenn die Ndembo-Leute zurückgekehrt sind, thuen sie so, als 
seien sie aus einer anderen Welt gekommen. Sie haben neue Namen an- 


* 
1 


N 


52 L. Frobenius, 


genommen, welche dem Ndembo eigenthümlich sind. Sie geberden sich, als 
seien sie in dieser Erscheinungswelt ganz fremd, kennen ihre Eltern und 
Verwandten nicht, wissen nicht, wie man isst und brauchen einen, der für 
sie kaut; sie wollen alles haben, was sie sehen, und wehe dem, der das 
verweigert. Die Ndemboleute dürfen schlagen und tödten, wenn es ihnen 
passt, ohne die Folgen fürchten zu müssen. „Sie wissen’s nicht besser“, 
sagen die Leute in der Stadt. Sie betragen sich alle zusammen wie die 
Mondsüchtigen, bis sich die Erregung und das Interesse an der Betrügerei 
etwas gelegt hat. Wenn irgend jemand neugierige Fragen nach dem Lande, 
aus dem sie gekommen seien, an sie richtet, steeken sie einen Grashalm 
hinter das Ohr und thun so, als hätten sie keine Ahnung davon, dass man 
sie angeredet habe. 

Die, welche diese Ceremonien durchgemacht haben, nennen sich 
nganga, die Wissenden; die Uneingeweihten bezeichnet man mit vanga. — 
Während des Aufenthaltes in dem Vela lernen die Nganga eine Geheim- 
sprache, die den gewöhnlichsten Dingen phantastische Namen giebt. Sie 
hat indessen einen sehr unvollkommenen Wortschatz und ist daher nicht 
im praktischen Gebrauche wie die der Nkimba; sie wird weder ordentlich 
gelernt, noch behalten. 

Beide Geschlechter wohnen zusammen in dem Vela und angeblich 
werden hier die gemeinsten Unsittlichkeiten geübt. Hierin sind indessen 
einige Gegenden schlimmer als andere und der König des Kongolandes hat 
schon seit geraumer Zeit den Gebrauch in seiner Stadt verboten als etwas, 
was zu schändlich wäre, um erlaubt zu sein. Aus demselben Grunde ist 
der Ndembo in einigen anderen Städten verboten. Dies sind indessen nur 
geringe Ausnahmen. Die schändliche und sinnlose Sitte ist ganz allgemein. 

ös ist schwer zu beurtheilen, ob Bentleys scharfe Kritik ganz ge- 
recht oder seine Ausdrücke übertrieben sind. Die grosse Sinnlichkeit der 
Neger ist ein erwiesenes Faktum. Dass der Ndembo wie viele derartige 
Institutionen der Sinnlichkeit zum Theil seine Ceremonien widmet, wissen 
wir auch von Büttner. Ob der Missionar in seinen obigen Ausführungen 
diese Sinnlichkeit meint oder wirkliche Unsittlichkeit, muss dahingestellt 
bleiben. 

Ueber den Ndembo im Congo existirt noch ein Bericht. Es ist die 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 53 


beste Wiedergabe einer afrikanischen Anschauung. So unverfälscht wie 
hier Bastian fast mit den Worten der Neger selbst die Anschauung geboten 
hat, ist solches noch niemand gelungen. Nicht einmal der Bericht des alten 
Dapper über den Belli Paaro ist so trefflich. 

Der grosse Nkissi (statt Fetisch) lebt im Innern des Buschlandes, 
wo ihn niemand sehen kann. Wenn er stirbt, sammeln die Ganga sorgsam 
seine Knochen, um sie wieder zu beleben und ernähren sie, damit sie aufs 
neue Fleisch und Blut gewinnen. Es ist aber nieht gut, davon zu sprechen. 
Im Lande Ambamba muss jeder einmal gestorben sein, und wenn der Gang: 
(statt Fetischpriester) seine Kalebasse gegen ein Dorf schüttelt, so fallen 
diejenigen Männer und Jünglinge, deren Stunde gekommen ist, in einen Zu- 
stand lebloser Erstarrung, aus dem sie gewöhnlich nach drei Tagen auf- 
erstehen. Den aber, welchen der Nkissi 
(statt Fetisch) liebt, führt er fort in den 
Busch und begräbt ihn oftmals für eine 
lange Reihe von Jahren. Wenn er wieder 
zum Leben erwacht, beginnt er zu essen 
und zu trinken wie zuvor, aber sein Ver- 
stand ist fort und der Ganga (statt Fe- 
tischmann) muss ihn erziehen und selbst 
in jeder Bewegung unterweisen, wie das 
kleinste Kind. Anfänglich kann das nur 
mit dem Stock geschehen, aber allmäh- 
lich kehren die Sinne zurück, sodass sich 


mit ihm sprechen lässt, und nachdem 


seine Ausbildung vollendet ist, bringt 
ihn der Ganga seinen Eltern zurück. Nr. 6. Mukisch der Kioke. 
Dieselben würden ihn selten wiederer- (Nach Capello und Ivens.) 
kennen, ohne die ausdrückliche Versicherung des Ganga, der ihnen zugleich 
frühere Ereignisse ins Gedächtniss zurückführt. Wer die Procedur in Am- 
bamba noch nicht durchgemacht hat, ist allgemein verachtet und wird bei 
den Tänzen nicht zugelassen. 

Auch den Ndembo oder Nkita treffen wir an der Küste bei Bomma 


wieder. Es wird sogar versichert, der Ndembo habe sich von Bomma aus 


54 L. Frobenius, 


am Kongo aufwärts ausgedehnt. Hier wird der Mabiali-mandembo die 
männliche Hälfte des weiblichen Mokisso Queimba (mit der Ganga-Inquimba 
genannten Priesterin) genannt (Bastian). In wie weit der Cultus sieh hier 
erstreckt, welche Form er hat, ist unbekannt. Immerhin wirft diese Mit- 
theilung ein helles Lieht auf das Verhältniss des Nkimba und Ndembo. 

Mehr hören wir aus der Gegend der Dörfer Goello, Lungejhi und 

Tschima muinghu. Hier hat der vom Oberpriester oder Undundo geleitete 
Geheimorden des Mokisso Undembo seinen Sitz in unnahbarem Walde. 
Nur wenn eine Missgeburt vorkommt, öffnen sich die Reihen der Ein- 
geweihten für Aufnahme neuer Mitglieder. Die Candidaten werden, mit 
Takula beschmiert, für mehrere Jahre in abgelegenen Hütten des Waldes 
von ihren Verwandten, die täglich Speisen bringen, fern gehalten und haben 
bei der Rückkehr alles vergessen. Den Mund mit der Hand zuhaltend 
wandeln sie stumm dahin und bringen nur auf Geheiss eines älteren und 
oberen Bruders einige Worte hervor, denn ihre Zunge ist nur an fremde 
und heilige Sprache gewöhnt. Der Profane, der an nieht richtiger Beant- 
wortung eimer an ihn gerichteten Frage erkannt wird, verfällt dem Tode, 
so er innerhalb des heiligen Waldes und seines geweihten Umkreises be- 
troffen wird. 
Endlich hören wir von Coquilhat, dass auch die Bateke eine N’Dembo- 
Secte besitzen. Der Bericht stimmt fast wörtlich mit dem von Bentley 
überein, sodass wir annehmen dürfen, er stamme von diesem. Wenn der 
gewissenhafte Coquilhat ihn bei den Bateke wiederholt, so gestattet das den 
Schluss, dass die Bateke die Ndembo-Sitten im ganzen Umfange von den 
Muschi- resp. Ba-Kongo übernommen haben. 

Zum Schlusse darf wohl bemerkt werden, dass Ndembo und Nkimba 
fast gleiche oder ganz analoge Institutionen sind, die über einen weiten Raum 
mit allerdings wichtigen, aber für die genetischen Studien wenig belang- 
reichen Unterschieden verbreitet sind. 


d. Loango und Ogowe. 
Abbildungen. Tafel: Fig. 24—54. 
Text: Nr. 12—15. 
Litteratur. A. Bastian: „Loangoküste* a. a. O. Bd. I S.Slft., 221ff.; Bd. II S. 174 etc. — 
Dapper, a. a. 0. 8. 547. — „Allg. Hist. d. R.* a.a.0. Bd. IV S. 692, 654 ff. 


> 


ST 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 


— Degrandpre: „Reise nach der westlichen Küste von Afrika“ 1801, 8. 64 ff, 
— Ratzel: „Völkerkunde“ 1. Aufl., Bd. I S. 610. — „Internationales Archiv 
für Ethnographie* 1888, Bd. I S. 154fl. — L. Wilson: „Westafrika® 1862, 
S.290f. — Andree: „Ethnographische Parallelen und Vergleiche“ Bd. II 
S. 136. — Oskar Lenz: „Skizzen aus Westafrika“ 1878, S. 88, 110, 204, 207, 


211, 301ff, 318. — Paul Barret: „L’Afrique oceidentale“ 1888, Bd. II 
S. 168, 172. — „Katholische Missionen“ 1890, 8. 162 ff. !) 


Wir betreten nunmehr jenes Gebiet, aus dem die meisten Masken 
bekannt geworden sind, das Land der Mokissos: Loango. In diesen Land- 
schaften treten die Geheimbünde wie alle grossen Institutionen der Ueber- 
macht der Schöpfungen individualisirender Auffassungs- und Ausdrucksweise 
gegenüber zurück. Daher darf es nicht Wunder nehmen, wenn von den 
meisten der Masken der Loangoküste jede ihren eigenen Zweck hat. Leider 
wissen wir nur von den wenigsten der für Afrika auffallend verschieden- 
artigen Masken, deren reiche Fülle m Erstaunen setzt und stark an 
melanesische und nordwestamerikanische Produktivität erinnert, wozu sie 
gedient haben. 

Auf den Inseln der Kongomündung, in Bomma beginnt diese Masken- 
region. Von den Bewohnern dieser Gegend erzählt schon ein alter Reisender: 
sie sind grosse Zauberer, und reden mit dem Teufel von Angesicht zu An- 
gesicht. Wenn sie bei solehen Angelegenheiten sich versammelt haben, 
läuft einer von ihnen mit einer Maske herum. Dies währet drei Tage. 
Wenn diese Zeit vorüber ist, so brauchen sie eine andere Ceremonie und 


alsdann redet der böse Feind aus dem vermummten Manne. 


Es ist hier also die Maske Vergeistigungsmittel. An einigen Loka- 
litäten in Klein-Loango giebt es gewisse Ganga Nkissi, die bei Todesfällen 
berechtigt sind, ein ganz eigenthümliches Gewand anzulegen. Es besteht 
dies aus einer Federkrone, einer kolossalen Maske aus leichtem Holze und 
einem über den ganzen Körper fallenden Gewande aus grauen Adlerfedern. 
Man kann sich keinen eigenthümlicheren Eindruck denken als den, den das 


1) Bei R. Dennett: „Seven Years among the Fjort“ London 1887 findet sich ab- 
gebildet: S. 166 die Verabreichung des Kassagiftes durch einen Ganga; S. 67 die Verabreichung 
von Medizin ete. an den Kranken durch einen Ganga; S. 48 einige Masken von der Loango- 
küste. Letztere sind zu klein und zu unbedeutend zur Reproduktion; den ersteren fehlt 
dagegen offenbar Genauigkeit. 


6 L. Frobenius, 


unerwartete Erscheinen eines so vermummten, des Weges dahertanzenden, 
mit bauchrednerischer Stimme singenden und sprechenden Ganga macht. 

Mit dem Tode hängen die meisten Masken anscheinend zusammen. 
Gelegentlich der Besprechung einer Fürstenbestattung in Loango erwähnt 
Degrandpre einen Tanz eigenthümlicher Ausstattung. Die Tänzer waren 
in eine Art von Sack gekleidet, der mit weissen Federn besetzt und seltsam 
geflickt war und mit Mützen von eben der Art wie die Kleider. Das Gesicht 
hatten sie durch den Schnabel und den halben Kopf einer Löffelgans ge- 
schmückt. Der Tanz bezog sich hauptsächlich auf einen mächtigen Phallus, 
den sie mit grossem Gepränge herumführten. 

Auch unter den Masken in den europäischen Sammlungen finden sich 
solehe mit Bezeichnungen betreffend Totenfeste. Da ist eine Tombela-Maske 
in Amsterdam z. B., die von Gangas beim Begräbniss von Prinzen getragen 
wird. Ferner ist in Bremen eine solche, „die von den Ganga bei Todes- 
fällen in Verbindung mit einem, den ganzen Körper bedeckenden Gewande 
von grauen Federn getragen ward.“ Dann sind auch Masken, die von 
den Aerzten bei Krankenbesuchen getragen werden. Am häufigsten sind 
aber die Ndunga-Masken. Damit treten wir vor den Geheimbund in Angoy. 

Dass die Geheimbundsitten in diesen Gegenden auch sonst nicht fehlen, 
beweisen Battels Berichte über den Maramba, denen wir zunächst folgen 
wollen. Der Maramba ist in Mayumba heimisch. Er ist dargestellt in einem 
wie ein Bienenkorb hergestellten Korbe, der sich wiederum in einem Hause, 
dem Tempel, befindet. Bei allerhand Unternehmungen: auf Reisen, Fischen 
und Jagen, Heilung von Kranken und Auffinden von Mördern und Dieben 
wird Maramba herangezogen und seine Hülfe in Anspruch genommen. 

Diesem Maramba nun werden Männer, Weiber und Knaben von 
12 Jahren geweihet, was auf folgende Weise geschiehet. Sie begeben sich 
zu dem vornehmsten Ganga, der sie in ein finsteres Haus sperret und mit 
schlechten Speisen füttert. Darauf lässt er sie heraus mit dem Gebote, 
einige Tage nichts zu sprechen, möchte ihnen auch begegnen, was da wolle; 
also erleiden sie grosses Elend, ehe sie eingeweiht werden. Endlich bringt 
der Ganga die Novizen vor den Maramba. Nachdem ihnen zwei Zeichen 


in Gestalt eines halben Mondes in die Schultern geschnitten sind, werden 


bil 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 7 


sie bei dem Blute, das aus den Wunden quillt, beschworen, dem Maramba 
treu zu sein. 

Dem Eingeweihten ist es verboten, gewisse Arten von Speisen und 
Fischen zu essen; es sind ihnen auch noch andere Dinge auferlegt, die sie 
genau beobachten müssen, sonst werden sie krank und genesen nie wieder. 
Als Heiligthum des Maramba tragen sie eine kleine Büchse, die unter dem 
linken Arme um den Hals hängt. Dem Herrn von Mayumbe wird der 
Maramba stets vorangetragen und ihm opfert er vor jedem Grenusse Speise 
und Trank. 

In verschiedenen Ortschaften Angoy’s nun, 
wie in Nutchisi, Matamba, Mecono (Tumba), T'schin- 
sasa, sowie besonders in der Hauptstadt (Angoy) 
besteht der von Vater auf Sohn vererbte Geheim- 
bund Sindungo (Dungo im Sing.), die nur unter 
umständlichen Oeremonien einen Candidaten auf- 
nehmen und ausser den Regenbeschwörungen dem 
Könige als Executivtruppen dienen, wobei die Ver- 
mummung den Schrecken vermehrt. Die Sindungo 


stehen unter den Befehlen des Kuvukuta-Kanga- 


Asabi, eines Staatsbeamten, der sie auch bei ge- 


botenen Gelegenheiten in den Wald, in dem ihre Fig. 7. Mukisch der Kioke. 
Cameron, „Quer durch Afrika“ 


Sitzungen abeehalten werden, zusammenruft und 
Sitzungen gehalten we 5 i sinn alte, 


dort die grotesken Blättergewänder, die zur Ver- 
hüllung dienen, austheilt. Sobald indess die Sindungo ihr Rüstzeug empfangen 
haben, treiben sie den Kuvukuta-Kanga-Asabi mit Schlägen in das Dorf 
zurück, als symbolisches Zeichen, dass jetzt das gemeine Gesetz für eine 
Zeitlang suspendirt sei und das Walten der dunklen Vehme beginne. In 
ihrem phantastischen Aufputz und durch ihre Masken unkenntlich gemacht, 
durchziehen sie das Dorf. Sie eignen sich das ihnen Passende an und finden 
zumal in der Regenzeit hierbei wenig Widerstand. 

Das „Regenmachen“ scheint eine Hauptaufgabe der Sindungo zu sein. 
Eine der Masken auf den Tafeln, die vom Massabe-Flusse stammt, trägt 
den Vermerk: Ndunga, wird gebraucht um auszuforschen, wo sich Regen 


befindet. — Um Regen auf die Erde herabzuziehen, bedienen sich die 
Nova Acta LXXIV. Nr.1. Ss 


58 L. Frobenius, 


Sindungo des Mokisso Kokolo-Umkissie. Um sich seine Mitwirkung zu 
sichern, nehmen sie die Ceremonie des Nachts auf einem in der Mitte des 
Dorfes dafür hergerichteten Platze vor. Das Dorf wird so lange von den 
meisten Bewohnern verlassen; denn sollte jemand husten oder sonst durch 
einen Laut die Stille der Nacht durchbrechen, so würde er von den in sein 
Haus einstürmenden Sindungo lebendig zertreten werden. 

Nach einer anderen Mittheilung Bastians werden die phantastischen 
Maskereien der Dunga unter der Leitung des Mabobolo, des Gungiyu und 
des Luenje zwecks Regenmachens im Walde, im heiligen Walde des Dunga 
veranstaltet. Bei dieser Versammlung bekleiden sie sich mit den Masken 
(Bukus Kiendunga), bei deren Umkehr, von den Mokissie-insie Dungo (unter 
dem Ganga Mandunga-Andunga) kein Regen gegeben würde Für solchen 
Zweck müssen sie daher mit der Oefinung nach oben gestellt werden. 

Wer Schulden einzutreiben wünscht, wendet sich an den Kuvukuta- 
Kanga-Asabi, und dieser sendet die maskirten Sindungo aus, die, wenn sie 
keine Bezahlung erhalten, Hühner, Ziegen oder anderes Hausvieh töten, 
reife Bananen abschneiden oder sich sonstiges Eigenthum des lässigen 
Schuldners aneignen. Die Theilnehmer an solchen Expeditionen bleiben 
wegen der Bekleidung unbekannt, und wenn die Sindungo bei ihrer Rück- 
kehr aus dem Walde mit einem Bekannten zusammentreffen, haben sie die 
eine oder andere Ausrede fertig, ihre längere Abwesenheit und jetziges Vor- 
haben in unschuldiger Weise zu erklären. 

Eine weitere T'hätigkeit der Sindungo erkennen wir aus der Be- 
schreibung zweier hier nicht wiedergegebener Doppelmasken in Amsterdam: 
Name: „Ndunga*; sie werden beim Leiehenfeste eines verstorbenen Prinzen 
getragen. Der oberste Ganga versteckt sich in solch eine Maske und kann, 
weil dann legale Anarchie herrscht, alles sich aneignen, was ihm gefällt. 

In der Hauptstadt Angoy werden die inneren Angelegenheiten der 
Sindungo von dem Tschismbongo geleitet, dem der Mabobolo als Stell- 
vertreter dient mit dem Kombokutu, Suenji, T'schimmantscho, Tendekele, 
Tendekele- Munsumbi-Ibulu als Gehülfen. — In Mekono, wo die Sindungo 
als Soldaten des Königs gelten, zollen sie den Mokissos Lunga, Vemba, 
Lusunsu Verehrung. 


Bastian hatte einmal die Freude, einige Sindungo beobachten zu 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 59 


können. Es war ein sonderbares Schauspiel. Auf einem freien Platze raste 
ein sonderbar gestaltetes Ungethüm umher, unerkennbar an Kopf und Füssen, 
eine dieke und formlose Masse dürrer Palmblätter, die treppig übereinander 
herabhingen und vorstanden. Nachdem durch das wüste Gebahren desselben 
aller lose Sand zu Staub aufgewirbelt war, hockte es in dieser die Luft 
füllenden Wolke nieder, und nun trat zwischen den Palmblattumkragungen 
ein beweglich hin- und her wackelnder Punkt hervor, der sich beim weiteren 
Ausscheiden aus der niedersinkenden Hülle als eine übermenschlich-kolossale 
Maske grotesker Form erwies. Ausserdem fing noch etwas anderes an, sich 
zwischen den Blattmassen zu regen, und liess sich dann als ein Peitschen- 
stock erkennen, der von den unter der Umhüllung gehaltenen Händen ge- 
halten wurde. Kurz darauf kamen noch zwei andere, ähnlich travestirte 
Ungeheuer hinzu, und die drei führten nun in ungestalt plumpen Attitüden 
einen Tanz auf, vor dem das Volk bei der Annäherung stets nach allen 
Seiten entfloh. Dann kauerten sie in einer Reihe nieder, mit ihren riesigen 
Kopfmasken in komischer Weise nickend und schüttelnd, während in der 
Hand des Mittelsten eine Ruthe wedelte, in denen der anderen dünne Stöcke. 
Die Zuschauer liessen einen weiten Kreis offen, um sich vor einem plötz- 
lichen Anfahren zu wahren, und die Frauen und Kinder hielten sich in 
respectvoller Entfernung, aus der sie nur verstohlen herüber zu blicken 
wagten. Die Hauptkunst der Ungethüme bestand in unbehülflichen Sprüngen, 
wobei sie dröhnend mit den Füssen aufstampften, während die trockenen 
Blätter ihrer Verkleidung rasselten und rauschten. 

Es waren das Sindungo. Die Zahl derer, die gekommen waren, wie 
sie es auf Fragen in quiekendem und dröhnend resonirendem Stimmgetöse 
verkündeten, um den weissen Besucher zu schauen, vermehrte sich allmählich 
bis auf 8 oder 9, während sie sich in der Totalsumme auf 30 bis 40 be- 
laufen soll. 

Die meist monströsen Masken der Sindungo sind aus leichtem Holz 
angefertigt und mit verschiedenen Farben angemalt. Zu diesen Holzlarven 
gehören Trachten aus Palmblättern und Federn. — Den Namen der Ndungo 
treffen wir im Gebiet des Ogowe wieder, was daran erinnert, dass Loango 
ein Ausstrahlungscentrum der Masken ist. Die Bakuba-Wakussu Masken 
werden wir als nächste Verwandte in der Form kennen lernen. Ob die 


S* 


60 L. Frobenius, 


Masken des Alima und Ssanga eine ebenso direete Abstammung vom Loango- 
Typus besitzen, ist noch nicht nachweisbar, aber möglich. 

Die Schekiani, Bakele, Mpongwe, Aduma ete., die am Ogowe wohnen, 
haben zahlreiche Geheimbundinstitutionen. 

Die Schekiani und Bakele haben einen grossen Geist, den sie Mwetyi 
nennen. Er wohnt, wie man meint in der Tiefe, der Erde, kommt aber zu 
gewissen Zeiten, oder wenn er zu besonderen Zwecken eitirt wird, zur Ober- 
fläche empor. Ein in der Mitte des Dorfes erbautes grosses Haus von 
eigenthümlicher Gestalt und mit einem Dache von trockenen Pisangblättern 
dient diesem Geiste zum zeitweiligen Aufenthalte und von hier aus ertheilt 
er seine Orakelsprüche. Dieses Haus wird stets vollkommen dunkel ge- 
halten und darf nur von denjenigen betreten werden, die in die Geheimnisse 
des Ordens eingeweiht sind, zu welchen allerdings fast die ganze erwachsene 
männliche Bevölkerung des Dorfes gehört. Aus der dunklen Behausung 
dringen eigenthümliche Töne hervor, nicht unähnlich dem Brummen eines 
Tigers, welche von den Eingeweihten nach Belieben gedeutet werden. 

Die Frauen und Kinder werden durch die Anwesenheit dieses Geistes 
in beständiger Angst gehalten. Wilson sieht sogar als den Hauptzweck 
der mit den Besuchen des Mwetyi verbundenen Ceremonien darin, die Frauen 
und Kinder unterwürfig zu machen. Der Mwetyi ist demnach ein afrika- 
nischer Blaubart, an welchen jedes Weib uud jedes Kind im Lande nur mit 
Schrecken denkt. 

Jeder Knabe vom 14. bis zum 18. Jahre wird in alle mit diesem 
grossem Greiste verknüpften Geheimnisse eingeweiht. Die Lehrzeit dauert 
ein Jahr und darüber und müssen sich die Lehrlinge während dieser Zeit 
einer ziemlich harten Behandlung unterwerfen, die wahrscheinlich auf ihre 
physische und geistige Natur einen dauernden Eindruck machen und sie ab- 
halten soll, die Geheimnisse des Ordens auszuplauderın. Bei der Aufnahme 
muss ein Gelübde, z. B. sich einer gewissen Speise oder eines bestimmten 
Getränkes zu enthalten, abgelegt werden, das für das ganze Leben 
bindend bleibt. 

Wenn Mwetyi nach Erledigung seiner verschiedenartigen Vorriehtungen 
sich aus dem Dorfe entfernt, müssen alle Frauen und Kinder, sowie alle 


Fremden, die sich zufällig darin aufhalten, dasselbe verlassen. Die mit 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 61 


seinem Abzuge verknüpften Ceremonien sind daher nur dem Eingeweihten 
bekannt. Soll zwischen den verschiedenen Stämmen ein Vertrag abge- 
schlossen werden, so wird Mwetyi stets als Zeuge angerufen und mit der 
Obliegenheit betraut, an der Partei, die den Vertrag verletzen will, Rache 
zu üben. Wenn man dies unterlassen sollte, würden Bündnisse und Ver- 
träge wenig oder keine bindende Kraft haben. Wird ein Gesetz erlassen, 
dem man besondere Wirksamkeit zu geben wünscht, so wird Mwetyi als 
derjenige bezeichnet, der an den Ueber- 
tretenden Rache üben werde, und dies ist 
im Allgemeinen eine hinreichende Bürg- 
schaft für strenge Beobachtung des Gesetzes. 

Bei den Aduma wird ein Wesen 
Namens Mangongo als Flussgeist und zwar 
ausschliesslich von den Männern verehrt. 
Unter seinem Schutze stellen die Einge- 
borenen ihre häufigen Fahrten auf dem 
Flusse an. An gefährlichen Stellen beten 
die Neger zu ihrem Mangongo. Haben sie 
die schlimmsten Stromschnellen glücklich 
überwunden, so glauben sie, dass er ihnen 
geneigt gewesen sei. Bei Mangongo leisten 
die Aduma ihre heiligsten Schwüre. Hat 
er einmal dessen Namen genannt, so wird 


sein Wort unverbrüchlieh; er kann sich von 


demselben nieht mehr entbinden. 
Nur Männer können Mitglieder des Nr. 8. Mukisch der Kioke. (Nach 
Capello und Ivens). 
um den Mangongo entstandenen Bundes 
werden. Die Aufnahmefeierlichkeiten bestehen etwa in Folgendem.  Zu- 
nächst muss sich der Kandidat das Recht der Theilnahme von dem Mon- 
Ndonga (statt Fetischpriester) erkaufen; dann ergeht an ihn die Einladung, 
sich vor der Hütte des Mangongo einzufinden. Dieses Heiligthum unter- 
scheidet sich nur durch seine geringere Grösse von den übrigen Wohnungen. 
Vor dem Eingange ist eine hohe Stange aufgerichtet, die an ihrer Spitze 


durch eine Liane mit dem Tempelchen in Verbindung gehalten wird. Eine 


62 L. Frobenius, 


Frau darf niemals darunter hinschreiten; es ist heiliger Boden, den kein 
Uneingeweihter betreten darf. 

Zur bestimmten Stunde beginnen die Anrufungen Mangongos. Dieser 
verlässt sein feuchtes Element, fährt mit Getöse durch das Dorf und nimmt, 
zahlreiche Spuren hinter sich lassend von seinem Heiligthume Besitz. Nach 
ihm tritt der Aufzunehmende mit verbundenen Augen ein. Nun wird in 
einem Loche ein dieker Brei, eine Art Mörtel angerührt. Ein Eingeweihter 
packt den Candidaten und reibt ihm mit der erwähnten Masse, die mit 
Pfeffer untersetzt ist, die Augen. Während dieses Vorganges erhebt Man- 
gongo ein unmenschliches Geschrei. Draussen klatschen die Anwesenden in 
die Hände und singen das Lob des Geistes. Mit einem Male entflieht dieser; 
der Neuaufgenommene reisst die Binde von den Augen; Mangongo hat das 
Ufer wieder gewonnen. Noch für kurze Zeit sieht man eine schwere Masse 
sich in den Wogen wälzen, dann ist alles verschwunden. — Dem Ein- 
geweihten wird das Versprechen abgenommen, «den Weibern gegenüber 
Schweigen zu bewahren. 

Die Priester Mangongos, wie die Ngof’'s (siehe weiter unten) heissen 
Mon-Donga. In diesem Namen erkennen wir die Bezeichnung der Sindungo 
oder Dunga wieder. Grüne Zweige bilden das Abzeichen der Ndongawürde. 

Als die bemerkenswerthesten unter den Genossenschaften des Ogowe 
bezeichnet Wilson den Nda-Bund. Derselbe beschränkt sich auf die er- 
wachsene männliche Bevölkerung. An seiner Spitze steht ein Geist dieses 
Namens, der im Walde wohnt und nur bei ausserordentlichen Ereignissen 
erscheint wie bei dem Tode eines Bundesmitgliedes, bei der Geburt von 
Zwillingen oder bei der Einsetzung eines Mannes in sein Amt. Seine Stimme 
wird nur bei Nacht und nachdem die Leute zur Ruhe gegangen sind, ver- 
nommen. Er kommt von der Waldseite in das Dorf und ist so vollständig 
von Pisangblättern eingehüllt, dass so leicht in ihm niemand ein menschliches 
Wesen erkennen kann. Sein Gefolge bildet stets eine Anzahl junger 
Männer, die beim Zuge dureh die Strassen nach einer eigenthümlichen etwas 
klagenden Weise eines flötenartigen Instrumentes tanzen. Sobald es bekannt 
wird, dass er das Dorf betreten hat, eilen Frauen und Kinder fort und ver- 
bergen sich in ihren Gemächern. Sollten sie das Unglück haben, Nda zu 


erblicken, oder es wagen, ihn durch die Ritzen des Hauses zu beobachten, 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 653 


so würden sie fast tot geprügelt werden. Ndäa bleibt häufig vor dem Hause 
eines Mannes stehen, von welchem bekannt ist, dass er Rum besitzt, und 
fordert eine Flasche davon, die ihm unverweigerlich verabreicht werden 
muss. Die angesehenen Männer des Dorfes bezeigen der Macht des Ndaä 
die grösste Ehrfurcht, ohne Zweifel, um damit einen um so grösseren Ein- 
druck auf die Gemüther der Frauen und Kinder zu machen. Wenn ein 
ausgezeichneter Mann stirbt, stellt sich Nda überaus wüthend und erscheint 
in der nächsten Nacht mit einer grossen Schaar von Männern, um sich ohne 
Unterschied am Eigenthum der Dorfbewohner zu vergreifen. Er nimmt dann 
jederzeit soviel Schafe und Ziegen in Beschlag, als zu einem grossen Schmause 
erforderlich sind, und niemand hat das Recht, darüber Klage zu führen. 
Viele bedienen sich der Vorsicht, dass sie in der Nacht zuvor ihre Schafe 
und anderen Hausthiere in ihre Wohnhäuser verschliessen, und nur auf 
diese Weise können sie den Plünderungen dieses Waldungeheuers entgehen, 
deren Umfang sich nach der Wichtigkeit oder dem Range des Verstorbenen 
zu richten pflegt. Hauptzweck ist heute angeblich, die Frauen und Kinder 
in der erwünschten Unterwürfigkeit zu erhalten. 

Eine ähnliche Institution wie den Ndä finden wir als Ngor bei den 
Aduma; wir haben nachstehend den Bericht über eine Totenfeier dieses 
Geistes zu geben, die ausserordentlich an das vom Nda Erzählte erinnert. 
Der Dienst des Ngoi ist ein Geheimeult, um den Frauen und Kinder nichts 
wissen dürfen. In diesen Bund kauft sich der Novize ein. Hat er es an 
reichlichen Gaben für den Mon-Ndonga nicht fehlen lassen, so darf er sich 
den Leichenzügen anschliessen und an dem darauf folgenden Gastmahle 
theilnehmen. Es wird ihm unverbrüchliches Schweigen auferlegt. 

Der Ngoi-Cultus besteht angeblich zur Hauptsache in einem aus- 
gedehnten Kannibalismus. Folgen wir aber dem Bericht einer Bestattung 
der Neoi-Leute. 

Nachdem der Leichnam mit rother Farbe überzogen, in eine Matte 
gehüllt und eine oder mehr Nächte im Freien ausgestellt war, heben an dem 
für die Beisetzung bestimmten Tage weissbemalte Männer den entseelten 
Körper auf ihre Schultern und tragen ihn unter Gesang in das Dickicht 
des Waldes. Die Mitglieder des Ngoi folgen als Leichenzug. Nach dem 


Untergange der Sonne flammen immittten des Waldesdunkels grosse Holz- 


64 L. Frobenius, 


stösse auf. Ein Ndonga (statt Fetischpriester) steigt auf einen Baum; eine 
lange Liane wird herabgelassen, und alsbald schwankt der Leichnam in der 
Luft. Dazwischen wecken die dumpfen Wirbel des Tamtam ringsum das 
Echo. Trauergesänge schallen durch die Nacht dahin. Plötzlich wird die 
Leiche wieder heruntergelassen. Von allen Seiten stürzt man sich nun mit 
dem Messer auf dieselbe los und zerstückelt sie, um die Todesursache zu 
finden. Anscheinend werden die Fleischtheile von den Ngoi-Leuten verzehrt. 
Abseits brodelt in einem Topfe Schaffleisch, Hühner, Bananen und Maniok, 
angeblich die Speise des Ngoi selbst, in Wahrheit aber die Fortsetzung des 
kannibalisch begonnenen Mahles. Nach Beendigung dieser Feier packt man 
die menschlichen Gebeine zusammen und kehrt im das Dorf zurück. Die 
Knochen, die während der Feier in siedendem Wasser gebleicht worden sind, 
werden jetzt getrocknet und dann mit demselben rothen Stoffe, der schon 
zum Färben der Leichen gedient hat, überstrichen. In einer Art Urne ruhen 
sie dann in ‘der Hütte. Gesänge und Tänze beginnen von Neuem, bis die 
ersten Strahlen der Morgensonne die Spitzen der Hügel vergolden. Die 
Trauer dauert mehrere Monate und jede Nacht wiederholen sich die Toten- 
tänze und die Klagelieder. 

Wie gesagt sind auch von diesem Cultus die Frauen ausgeschlossen; 
sie dürfen nicht semen Namen aussprechen, und verstopfen sich die Ohren, 
wenn er ausgesprochen wird. Wenn Ngoi das Dorf betritt, sperrt sich die 
weibliche Bevölkerung in die Hütten ein. 

Vielfach ist behauptet worden, die Geheimbünde des Ogowe seien 
nur Erfindungen der Männer, die sich gegen das Ueberhandnehmen der 
weiblichen Macht schützen wollten. Darauf ist später einzugehen. Es würde 
das z. B. auch vom Kunkwi der Pongwe gesagt, der mit einer grossen, 
abschreckenden Maske auf Stelzen einherschreitet und vor dem Weiber und 
Kinder von dannen laufen. Barret hat diese Figur Okukue genannt; andern 
Ortes soll sie Yasi heissen. 

Eine solche Trennung der Gesehlechter scheint auch eine Sitte der 
Akelle anzudeuten. Lenz bemerkte bei ihren Tänzen, dass die tanzenden 
Männer und Frauen durch einen ausgespannten Strick getrennt waren, an 
dem Fetzen und frische Blätter hingen. Ueber den Strick hinaus durften 


die Frauen nicht tanzen, es wäre ihr Tod gewesen, denn auf der Seite der 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 65 


Männer tanzt angeblich ein Wesen, das darauf ausgeht, Weiber zu töten. — 
Diese Mittheilung giebt dem Kundigen an, in welcher Richtung der Ursprung 
auch dieser Sitten und ihr pri- 
märer Anschauungsgehalt aufzu- 
suchen ist. Der Strick mit den 
daran hängenden Blättern ist 
nichts anderes als die Leiter, an 
der der Geist, „das böse Wesen“, 
herabgestiegen ist. Doch hier- 
über unten mehr. 

Aber auch die Frauen haben 
ihren eigenen Cultus. Als Aerz- 
tinnen spielen sie eine grosse 
Rolle unter den Ogowe Völkern. 
Ist zum Beispiel ein Dorfbewohner 
erkrankt, so gehen sie in den 
Wald, um zu berathen; was sie 


da sprechen und treiben, weiss 


niemand, denn die Männer sind 


Nr. 9b, e, d. Mukisch der Minungo. (Nach Max Buchner.) 


von diesen Zusammenkünften streng ausgeschlossen. Wenn sie zurück- 


kommen, können sie sagen, ob der Kranke gesund wird oder stirbt. Bei 
Nova Acta LXXIV. Nr. 1. 9 


66 L. Frobenius, 


den Aduma haben die Frauen die eigene Gottheit, den Lisimbo, dem aller- 


dings auch Männer Verehrung zollen. 


Die Frauen des Pongwe-Landes jedoch haben einen eigenen Bund, 
den Njembe, der ziemlich das Gegenstück zu dem Nda-Bunde bildet. Ein 
Geist steht, so viel bekannt ist, nicht an der Spitze dieser Verbindung, 
wohl aber werden alle Bräuche und Verrichtungen desselben streng geheim 
gehalten. Die Frauen halten es für eine Ehre, dem Orden anzugehören 
und niemand kann ohne die Erlegung einer Einweihungsgebühr, die sehr 
bedeutend ist, darin aufgenommen werden. Die Ceremonie der Einweihung 
erfordert mehrere Wochen und es können Mädchen vom zehnten oder 
zwölften Jahre an zugelassen werden, sobald ihre Eltern die Kosten tragen. 
Während des Einweihungsprocesses bemalen alle zum Orden gehörigen 
Frauen ihren Körper mit phantastischen Farben. Gesicht, Arme, Brust, 
Beine werden mit rothen und weissen Flecken bedeckt, die zuweilen kreis- 
förmig sind, zuweilen gerade Linien bilden. In wohlgeordnetem Zuge und 
von der Musik einer halbmondförmigen Trommel begleitet, marschiren sie 
aus dem Dorfe in den Wald, wo alle ihre Ceremonien verrichtet werden, 
und wo sie, zuweilen unter den heftigsten Regengüssen ganze Nächte lang 
bleiben. Es wird zur Verherrlichung dieser Ceremonien eine Art vestalischen 
Feuers angezündet, das während der ganzen Dauer der Festlichkeiten nicht 
erlöschen darf. 

Die Njembe erfreuen sich eines grossen Einflusses und werden als 
Bund von den Männern wirklich gefürchtet. Sie geben vor, Diebe ent- 
decken und die Geheimnisse ihrer Feinde errathen zu können und gelten 
der Gemeinde, der sie angehören, als sehr nützlich. Als eigentlichen Zweck 
bezeichnet Wilson das Bestreben der Frauen, sich gegen die harte Behand- 
lung von Seiten ihrer Männer zu schützen, was auch durch den mysteriösen 


Deckmantel wirklich gelungen ist. 


Sehr wichtig ist es mir, festzustellen, dass auch die Beschneidungs- 
sitten die gleichen wie in den Kongoländern sind, also in einem engen 
Verhältniss zu den Geheimbund - Institutionen stehen. Die Jünglinge der 
Banschaka tanzen am Pubertätsfeste nach der Beschneidung mit weiss be- 


maltem Körper und mächtigen Büscheln von Laub auf dem Platze herum, 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 67 


auf dem an diesem Tage eine kleine Hütte, die die Ahnenbildnisse enthält, 
errichtet ist. 

Auf den Inseln des Ogowe und der Ogowe-Seen sind Heiligthümer, 
die von Gangas bewacht werden. Hier wohnen grosse Geister. Hier 
werden aber auch die Jünglinge, ehe sie unter die Schaar der Männer 
aufgenommen werden, erzogen. Näheres hierüber ist leider unbekannt. 

An Maskeraden sind noch die Vermummungen der Fan zu erwähnen, 


die sich in alle möglichen Thiere verwandeln. 


e. Die Pubertätsweihe der Yaunde., 


Litteratur: ©. Morgen: „Durch Kamerun von Süd nach Nord“ 1893. S. 50 ff. — G. Zenker: 
„Yaunde“ in „Mittheilungen von Forschungsreisenden und Gelehrten aus 
den Deutschen Schutzgebieten.“ Bd. VIII 1895. 


Ueber die eigenartige Pubertätsweihe der Yaunde, eines Fanstammes 
im südlichen Kamerun, erhielten wir zuerst durch Morgen Kenntniss. 
Neuerdings hat Zenker einen ausgezeichneten Bericht über die dazu ge- 
hörigen Feste geboten, wohl die beste Beschreibung religiöser Ceremonien 
der Afrikaner. Es scheint mir vollkommen in den Rahmen unseres Werkes 
eine solche Beschreibung zu passen. Ich nehme sie hier um so lieber auf, 
als durch sie die grosse Bedeutung derartiger Sitten für die Entwicklung 
der Geheimbünde sofort ersichtlich ist. 
Diese Feste beim Eintritt der Mannbarkeit bezw. bei der Aufnahme 
in den Stamm zerfallen in mehrere Theile und zwar: 
1. Majen infoun: Vorstellung vor dem Volke, 
2. Laa so: Mediein für den Ingium, 
9. Bita abok: Krieg dem Festgeber, 
4. Ingium eso: Aufrichtung des Bildes, 
5. So und Infoun minsam: Mediein und Infoun ins Haus, 
6. Mba: Eintritt in den Stamm. 


1. Majen infoun. 

Schon lange vor dem Festtag ertönen um die Mittagszeit die 
Trommeln, um auf diese wichtige Feier hinzuweisen, und so wird auch der 
Tag verkündet, an dem die zu markenden Knaben dem Volke in grosser 
Versammlung vorgestellt werden sollen. An dem so bekannt gegebenen 

a8 


68 L. Frobenius, 


Tage versammeln sich Verwandte, Freunde und Fremde im Festort, um die 
Jungen Leute zu sehen, an denen die Stammesmarkung vorgenommen 
werden soll. Nach einem Reihentanz, den die Familienhäupter, Weiber 
und Kinder aufführen, wird getanzt, gesungen und geschossen, worauf die 
Knaben vorgestellt werden. Dieses Vorfest dauert nur bis Mittag. Die 
Familienhäupter berathen im grossen Männerhause und bestimmen und ver- 


künden den Tag für den Laa so (eigentlich Maballa so). 


2, bean S0% 


Dieses Fest ist schon grossartiger und dauert zwei Tage. Der 
Zweck desselben ist die Weihe des Platzes, auf dem das Haus des Infoun 
errichtet wird. Die Mediein besteht in einer Antilope von Rehgrösse, die 
„so“ heisst. Die Hörner dieser Antilope dienen als Medieinbehälter, welche 
gegen Krankheit und Unglück verschiedener Art schützen sollen. Diese 
erhält jeder zu markende Knabe. Das Infounhaus wird stets in der Nähe 
des Dorfes, jedoch im Walde errichtet. Hierzu wird die Zwischenzeit 
zwischen dem ersten und zweiten Festabschnitt benutzt. Gelingt es jedoch 
nicht, eine Anzahl der so geschätzten Antilopen zu erlegen, müssen Ziegen- 
hörner benutzt werden. 

Am ersten Festtage kommt wiederum alles zusammen. Diesmal 
jedoch bringt jeder seine Reichthümer mit, um damit zu prunken. Die 
Familienoberhäupter haben einige Elephantenzähne, schöne Zeuge, viel 
Messing und Gewehre, andere haben Regenschirme, europäische Hemden, 
Ziehharmonikas, während die Weiber alle möglichen Kleinigkeiten, Spiegel, 
Porzellan- und Steingutsachen in den Händen tragen. Viele dieser Dinge 
wissen sie gar nicht zu gebrauchen; da sie jedoch von Weissen stammen, 
muss irgend eine geheimnissvolle Kraft darin verborgen sein. Es folet 
nun wieder ein Reihentanz; von Zeit zu Zeit wird mit möglichst starker 
Pulverladung geschossen, damit es recht knallt. Ein schwacher Schuss 
erregt Hohngelächter. Die vollführte Musik spottet jeder Beschreibung, 
mit Trommeln, Mingams (Marimba), alten Blechdosen ete. wird ein mög- 
lichst lauter Lärm gemacht; die muskulösen Gestalten, die merkwürdigen 


Frisuren, die verschiedenartigen Trachten, Zeuge, Felle von Leoparden etc., 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 69 


dazu der blaue Himmel und das Grün des Waldes, Alles vereinigt sich zu 
einem farbenprächtigen Bilde. 

Am ersten Tage ist das weibliche Geschlecht voll vertreten. An 
einer Stelle des Dorfes, die mit ‚Jagdnetzen abgesteckt ist, hat der Imbo- 
balla seine Stange aufgerichtet, um 
den Regen, den grossen Feststörer 
abzuhalten (Abi invong). Ist der 
Reihenmarsch vollendet, so giebt 
sich alles einer ungebundenen Fröh- 
lichkeit hin. Tanz, Gesang und 
Spiel vertreiben bis zum Einbruch 
der Dunkelheit dem Festpublikum 
die Zeit, worauf sich alle nach ihren 
Dörfern aufmachen. 

Am folgenden Tage kommen nur 


die Männer zusammen, um die Me- 


diein zu bereiten, mit welcher der ® 
abeesteckte Festplatz besprengt il Nr. 10. Mukisch der Kioke. (Nach Max Buchner.) 
Ist diese Ceremonie beendet, so werden Gewehrschüsse abgegeben; die 
Weiber und Kinder dürfen wieder in das Dorf, doch müssen sie den um- 


friedigten Platz meiden. 


3. Bita Abok. 


Es tritt nun eine längere Pause bis zum grossen Feste, dem Ingium 
eso und dem ihm vorhergehenden Scheinkrieg, dem Bita abok, ein. Einige 
Tage nach dem Laa so ziehen alle Männer aus den um den Festort herum- 
liegenden Weilern mit Trommelklang in den Wald, um die zur Umzäunung 
des Infounhauses nothwendigen Wedel der Weinpalme zu holen; dieselben 
werden geflochten und dann auf die Hütten des Festortes zum Trocknen 
gelegt. Am Anfang und Ende des Ortes wird je ein Palmwedel aufgesteckt, 
um jeden den Ort passirenden daran zu erinnern, dass hier die grossen 
Festtage begonnen haben. In den folgenden Tagen ertönen nun die 


Trommeln zur Mittagszeit im Festort und es herrscht eine fieberhafte 


70 L. Frobenius, 


Thätigkeit in allen in der Nähe befindlichen Weilern, welehe bis kurz vor 
dem Fest andauert. 

Die Weiber fischen und räuchern den Fang, die Knaben gehen mit 
ihren Armbrüsten auf die Vogeljagd, stellen Maus-, Ratten- und Vogelfallen, 
auch die Männer liegen der Jagd ob und der Festgeber zählt die Schafe 
und Ziegen seiner Heerde, welche er zum Feste opfern will. In diesem 
Feste gipfelt das grösste Vergnügen der hiesigen Bevölkerung. Schon Tage 
vorher kommen Freunde, Gäste und Fremde und quartiren sich in der Nähe 
des Festortes ein, jeder bringt etwas Esswaaren mit, jeder wechselt das 
Gastgeschenk; diese schöne Sitte heisst „Mavang*; „ha ma mavang* ist das 
erste Wort, was man hört. Am Vorabend des Festes tünen die Trommeln 
oft stundenlang, sei es um den Festgeber zu verherrlichen, sei es, um ihn 
zu necken. Letzteres thut man, um seine Eitelkeit herauszufordern, damit 
er das Fest so glänzend als möglich gestalte. 

Am Tage vor dem eigentlichen Feste nun ertönen die Alarmtrommeln 
in der Umgebung des Festortes. Krieg „treng, treng, treng, tang, tang, 
tang“ tönt es fast allerorts. Die Männer und jungen Leute versammeln 
sich, um den Festgeber zu bekriegen, halten feurige Reden, bis zuletzt alle 
aufbrechen, um ein regelrechtes Gefecht auszuführen. Der Festgeber mit 
den Seinen vertheidigt sein Dorf und so wird oft den halben Tag ge- 
schossen, oft beginnt am Abend die Sache von Neuem. Natürlich ist alles 
nur Scherz und wird nur Pulver verschossen. Nach Beendigung dieses 
Manövers zieht die Schaar, nicht ohne vorher im Festort unter allgemeinem 
‚Jubel einige Pisangpflanzen umgeschossen zu haben, unter 'Trommelschall 
in demselben herum, Chef auf Chef nebst Familie, um den Festgeber zu 


begrüssen. 


4. Ingium eso. 

Am Morgen des folgenden Tages findet sich wieder alles vollzählig 
am Festorte zusammen. Lange 'Trommelsignale und Schiessen eröffnen das 
Ingium eso. 

Zuerst thun sich die Festtheilnehmer an den mitgebrachten Nahrungs- 
mitteln gütlich. Darauf waschen sie sich im nahen Bache und reiben sich 


mit Rothholz ein und formiren sich familienweise zu dem Reihentanz. 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 71 


Alles prangt in höchstem Schmuck: die Häuptlinge in rother Kappe, Leo- 
pardenzahnkette, Leopardenfell als Mantel, neue bunte Lendentücher, Messing- 
spangen und Fussringe glänzend geputzt. Die Weiber haben sich ebenfalls 
mit Rothholz angemalt, tragen glänzend rothen oder schwarzen Hinter- 
schmuck, breite Kopfbänder, breite, aus Perlen hergestellte Schamgürtel, 
prächtige mit Palmöl gefettete Frisuren und wie beim Laa so die dort ge- 
nannten Gegenstände in den Händen. Dieser Reihenmarsch dauert etwa 
eine Stunde. Während dieser Zeit wird das Ingiumbild, welches bei jedem 
Feste eine andere Figur zeigt, aufgerichtet. 

Der Festgeber befindet sich mit semen Weibern an der oberen Seite 
des Platzes, Freunde und Bekannte begrüssend und Fremde willkommen 
heissend und lässt den Reihenmarsch an sich vorbeidefiliren; des öfteren 
springt der eine oder andere aus dem Zuge heraus und feuert ihm zu Ehren 
sein Gewehr ab. Nach und nach bilden sich Gruppen, die tanzen, singen 
oder spielen. Spassmacher mit grossen, Körben drängen sich durch die 
Menge und theilen Püffe aus. Sie werden mit Esswaaren beworfen, die 
sie in ihre Körbe sammeln. Letztere entleeren sie dann innerhalb des 
Weilers an einer bestimmten Stelle. 

Die Infounleute anderer Plätze vom vorhergehenden Jahre kommen 
an diesem Tage zusammen, sie haben den letzten Grad erreicht und sind 
an dem weissen Thonanstrich, der bloss bis an das Knie geht, leicht er- 
kennbar. Neue Infoun von andern Dörfern, mit langen Stöcken bewaffnet, 
unter Vorantritt ihres Imboballa (der Ganga der Yaunde), der zur Abwehr 
einen fliegenwedelähnlichen Büschel schwingt, aus dem ein weisses, zum 
Niesen reizendes Pulver fliegt, geben Tänze zum Besten und lassen auf 
ihren Flöten ganz melodiöse Töne erschallen. 

Die anwesenden Familienchets bereiten dem Gastgeber eine Ovation, 
wobei sich derselbe an die Spitze des Zuges stellt, der sich von einem 
Ende des Weilers bis an das andere bewegt. Dabei wird tüchtig ge- 
schossen. Bei solchen Festen versammeln sich zuweilen mehr als 1000 
Personen. Trotzdem geht alles ohne Streit ab; höchstens wenn jemand 
des Palmweims zuviel genossen hat, kommt es zur Schlägerei, die aber so- 
fort unterdrückt wird. Bei anderen Festen heisst es aber „Abok abole*, 


der Abok ist gebrochen. Denn der So würde den Störer des Festes tödten; 


2 L. Frobenius, 


aus diesem Grunde wagen auch zuweilen Mitglieder feindlicher Stämme 
solche Feste zu besuchen, und sich zu vergnügen. 

Lautes Schreien verkündet den Anfang der Ceremonie auf dem 
Ingium-Platz. Die Knaben, welche die Stammesmaske erhalten sollen be- 
finden sich in dem hinter dem Ingium-Bilde befindlichen Hause verborgen. 
Die Stammesmaske ist eine Tätowirung, die nur die Männer schmückt. 
Sie besteht aus drei Reihen Querstrichen von erhöhten Narben längs des 
Rückgrates, die am Nacken am breitesten sind und nach dem Kreuze zu in 
in einer Spitze auslaufen. Auf dem Platze ist eine primitive Tribüne für 
das aus vier bis sechs Trommeln zusammengesetzte Orchester errichtet. In 
der Nähe des Ingiumbildes sind an den Bäumen Querstangen angebracht, 
auf welchen Leute sitzen, die von Zeit zu Zeit Schüsse abgeben. 

Das Ingiumbild besteht aus einem langen, halbirten Stamme, der 
wagerecht auf zwei mit Büschen oben verzierten Gabeln ruht. Auf dem 
vorderen Ende sind zwei Figuren, das männliche und weibliche Prineip 
darstellend, hinter einander aufgestellt; das hintere Ende ragt in den mit 
Palmwedeln abgesteckten kreisrunden Platz, auf dem sich auch die Infoun- 
hütte befindet, die num «den neuen Stammesmitgliedern auf ein Jahr zum 
Aufenthaltsort dient und wo sie in die Geheimnisse des Stammes etc. ein- 
geweiht werden. 

Zunächst herrscht eine ungewöhnliche Ruhe, die aber plötzlich durch 
Schreien, Pfeifen, Trommeln und Schiessen unterbrochen wird. Darauf be- 
giebt sich ein grosser Haufe von Männern und Weibern mit Messern be- 
waffnet schnell nach einem anderen Platze, um mit Palmwedeln, grossen 
Blättern ete. zurückzukehren und dieselben nach dem Ingiumbild zu bringen. 
Dieser Vorgang wiederholt sich mehrmals. Es erscheinen nun in den 
Zwischenpausen die jungen Infounleute, welche gemarkt sind, auf der Gallerie 
des Bildes, um einen Tanz aufzuführen. Die Musik macht einen furcht- 
baren Lärm und die Schüsse krachen, als ob Pulver. kein Geld koste. Ist 
diese Ceremonie zu Ende, so kehrt alles in das Dorf zurück zu Tanz und 
allerlei Kurzweil. Die Alten sitzen indessen im Männerhaus um den Fest- 
geber in Unterhaltung versammelt und trinken dabei Palmwein, bis die 
Nacht der Festlichkeit ein Ende bereitet. 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 73 


5. So und Infoun nimsam. 

Nach einer Pause von wenigen Tagen feiert man den So. Dies ist 
ein Medieinschmaus; daher verschwinden 
Frauen und Kinder sowie die Ungemarkten 
für diesen Tag spurlos im Walde. Am 
frühen Morgen tönt eine bestimmte kleine 
Trommel und die Ceremonie beginnt. 
Ich selbst habe trotz aller Versuche da- 
rüber nichts in Erfahrung bringen können, 
nur weiss ich, dass bei dieser Gelegen- 
heit alle diejenigen Palaver ausgeklügelt 
werden, von denen die Allgemeinheit 
nichts wissen soll. 

Die Infounleute machen Umzüge 
nach den nahen Weilern, unter Anschlagen 
zweier zusammengebundener Glocken ihr 
Nahen verkündend, damit kein Unge- 
markter sie erblickt und Zeit hat zu ver- 
schwinden. Schiessen verkündet das Ende 
der Ceremonie. Die Infoun geberden sich 
zuweilen gleich Wilden und zerstören 


alles. Sie werden dann von ihrem Imbo- 


balla in das Infounhaus gesperrt, das sie 


nun für S—10 Tage nicht verlassen. Sie 


dürfen sich inzwischen nicht waschen, 


kein Schat- und Ziegenfleisch essen. Sie 
reiben ihren Körper mit weissem 'T'hon 
ein; ihre Haare werden abrasirt und bloss 
weisse Streifen von Thon deuten die bei 


Frauen übliche Kopffrisur an. 


Nr. 11. Nkimba. (Nach Photographie). 


6. Mba. 
Nach drei Monaten erhalten die Infoun die ersten Gradabzeichen und 


schmücken sich gleich den Frauen, jedoch alles in weissem "Thon, Hinter- 
Nova Acta LXXIV. Nr. 1. 10 


74 L. Frobenius, 


schmuck aus weissen Bananenfasern, Lendengürtel aus Stricken gleichen 
Materials, Holzperlenschnüre um den Hals, Holzarmbänder, Panspfeife und 
zweitönige Mingam. 

Der Penis wird mit einer kleinen Kappe versehen, die mit einer 
rothen Papageifaser geschmückt ist. Sie ziehen nunmehr in die umliegenden 
Dorfschaften, Tänze aufführend, singend und Flöte blasend. Sie erhalten 
von jedem ein kleines Geschenk, stehlen mitunter aber Feldfrüchte, Ziegen, 
Hühner und Schafe, was aber nicht bestraft wird. Nach weiteren drei Mo- 
naten erhalten sie wieder einen Grad mehr. Sie brauchen dann nicht mehr 
zu tanzen, kleiden sich mit einem weissen Lendentuche und einem Gürtel 
mit Schweif, an dessen Ende rothe Federn befestigt sind, und tragen die 
Kriegskappe auf dem Haupte. Der Körper wird bis an den Hals mit "Thon 
bemalt, während das Gesicht frei bleibt; nur um die Augen werden zwei 
Ringe gemalt. Nachdem wieder einige Monate vergangen sind, lassen sie 
die Haare wachsen, bemalen aber den Körper immer noch mit "Thon, bis 
zuletzt nur noch die Beine bis zum Knie diese Bemalung zeigen. Wird 
ein Ingiumfest angekündigt, so kommen sie zu dem Feste und werden dann 
nach nochmaliger Vorstellung in den Stamm aufgenommen. 

Kommt es jedoch schon vorher zu emem Feste und haben die Infoun 
jemanden getödtet, so sind sie bereits von dem Tage an ihres Schmuckes 
los und ledig und werden als volljährig betrachtet. Die Vorstellung heisst 
Mba; bei derselben werden den jungen Männern die weissen Lendentücher 
von Frauen abgerissen, während erstere den Frauen wiederum das deren 
Blösse bedeckende Pisangblatt wegreissen. Das alles geschieht unter grossem 
Geschrei, Geschiesse und Gejohle. Nach dieser Ceremonie ist den Infoun 
alles erlaubt; sie können sich mit den Frauen und Mädchen abgeben, Ziegen-, 


Schaf- und Wildfleisch essen ete. 


Aus dieser Schilderung Zenkers geht hervor, dass die Infoun bei den 
Yaounde dieselbe Stelle einnehmen wie die Aba Queta bei den Zulus, eine 
ähnliche wie die Nkimba bei den Kongovölkern. 


Die Gottheit So kennen wir auch von den Baja. 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. {29} 


f. Kamerun und Kalabar. 

Abbildungen. Tafel: Fig. 55—88. 
Text: Nr. 16. 

Litteratur. Max Buchner: „Kamerun“ 1887, 8. 26ff. — Thormählen in den: „Mittheilungen 
der geographischen Gesellschaft in Hamburg“ 1884. S. 332ff. — Pauli in: 
„Petermanns geographischen Mittheilungen“ 1885. 8. 21f. — Zoeller: 
„Kamerun“ Bd. II. 1885. S. 57/58. — Reichenow in den: „Verhandlungen 
der Berliner Anthropologischen Gesellschaft“ 1873. S. 180/81 — Die Missio- 
nare Scholten, Sehuler, Autenrieth, Keller ete. im: „Evangelischen Heiden- 
boten“ a. v. ©. — B. Schwarz: „Kamerun“ 1888. S. 210. — H. Christ und 


Autenrieth: „Ins Innere von Kamerun“ S.20, — Ratzel a.a. 0. 2. Aufl. 
Bd. II. S. 350. — A. Bastian: „Der Fetisch an der Küste Guineas“ 1854. 
S. 9#. — H. Goldie: „Dictionary of the Efik-Language“ 1862. 8.116. 117. 
129. 495. — Hutchinson: „Impressions of West Afrika“ 1868. S. 145/146 
u.a.a.0. — Briefliche Mittheilungen von Lieutenant Hutter, Dr. Zintgraff 
u.a. — Bastian: „San Salvador“ a. a. O0. S. 347, 


Man kann fast sagen, die Geheimbünde sprossten im nördlichen 
Kamerun wie die Pilze nach dem Frühlingsregen. Leider verschwinden sie 
auch eben so schnell wieder, ohne dass sie der Wissenschaft gerettet 
worden sind. Es sind ihrer zu viele und in ihrer degenerirten, abgeflachten 
Form zu wenig scharf ausgeprägte Züge, um genügendes Interesse und inten- 
sives Forschen anzuregen. Einer der Baseler Missionare hat über 40 Namen 
von Geheimbünden kennen gelernt, ein anderer noch mehr. — Es muss das 
vorausgesandt werden, um die verhältnissmässig geringen Kenntnisse der 
gerade in Kamerun in so wunderlicher Blüthenpracht prangenden Geheim- 
bünde verständlich zu machen. 

Im Süden und am Oberlauf des Wuri sowie im Quellgebiet des 
Sanaga sind die beiden Bünde Dschengu und Meli heimisch. Ersterer ist 
auch unter den Namen Jengo und Njengo oder Niengo bekannt. Dschengu 
soll „Wassernixe“* bedeuten. Dieser Bund vereinigt die freien Frauen; 
Sklavinnen sind ausgeschlossen. Das Niengokostüm ist durch einen weit 
abstehenden Gürtel von trockenen Palmblättern und eine Frisur, die das 
Haar in einem einzigen aufrecht stehenden Zopfe zusammenfasst, ausgezeichnet. 
Diese Tracht soll auch in einem fremden Gebiet vor jeder feindlichen Be- 
handlung schützen und wird deshalb in Kamerun von den aus verschiedenen 
Gauen zusammenströmenden Ringkämpfern getragen. Die Mitglieder des 
Dschengu sprechen ebenso wie die des Meli eine Geheimsprache. Bei den 

10* 


76 L. Frobenius, 


Bakoko findet sich statt des Dschengu der Lesimu, eine ähnliche Nixe, 
die sich aber auf dem Lande aufhält und die mit genitalen Tänzen ver- 
ehrt wird. 

Der Meli dagegen ist eine Verbindung der freien Männer, die sich 
offenbar wie die Orden der Ogowe-Völker um eine Einzelfigur, einen Geist 
gebildet hat. Dies geht aus einem Spottlied hervor, in dem es heisst: Es 
giebt keine Mengu (Mehrzahl von Dschengu) und Meli ist ein Mann, der 
im Busch redet. — Die Meli-Sekte scheint sich vielen Mordverpflichtungen 
zu unterziehen, denn es wird von den Eingeborenen selbst erzählt, dass 
dureh sie oft ganze Völker vernichtet seien. Der Meli der Missionare scheint 
mir verwandt oder bekannt vielleicht mit dem Male Buchners. Es soll das 
eine sehr schlimme Sache sein, eine Art Eidschwur zum Bündniss, bei dem 
ein Mensch lebend verbrannt werden muss. Nach glaubwürdigen Berichten 
hat im October 1884 als Folge der Deutschen Besitzergreifung noch ein 
derartiges Fest stattgefunden. Die englisch gesinnten Rebellengruppen ver- 
bündeten sich gegen ihren King Bell und uns, indem sie eine alte Sklavin 
so an eine Stange schnürten, dass sie sich nieht rühren konnte und sie 
dann über einem Feuer aus Holz und dünnen Bananenblättern langsam zu 
Asche verbrannten. Schliesslich wurde die Asche als Wahrzeichen des 
Schwures an alle Verbündete ausgetheilt. Es giebt allerdings auch noch 
mildere Formen des Male. Man zertheilt zum Beispiel eine lebende Ziege 
oder ein lebendes Huhn in zwei Hälften, verzehrt erst die Eingeweide ge- 
meinsam und nimmt dann das Uebrige mit nach Hause. Der Bruch eines 
Male zieht den Tod nach sich. Eine ähnliche Verbrüderung beschreibt der 
Missionar Schuler. Mitte 1892 begannen die Bakoko-Unruhen. Der Volks- 
stamm wollte die gesprengte Handelssperre wiederherstellen. Es wurde zu- 
erst den Boten der Dualla der Weg verlegt; nachher wurden dieselben aus- 
geplündert und allerhand Gewaltthaten ausgeführt. Nach dem Vertheilen 
der geraubten Waaren wurde, als es an das Trinken eines Schnapsfasses 
ging ein Bündniss getrunken, d. h. eine Verschwörung gemacht. Zum 
Zeichen dessen wurde einer Landschildkröte der Kopf abgeschnitten und 
deren Blut mit dem Schnaps vermischt. Jeder zur Verschwörung Gehörige 


musste trinken. Es bildete sich eine Gesellschaft des Todes aus den an- 


gesehensten Häuptern der Stadt, etwa dem Bestande der 35 —40 jährigen Männer. 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. u 


Nachdem der Dschengu- und Meli-Dienst von den Missionaren ver- 
drängt war, stellten sich neue Bundbildungen ein. Vor allem begann der 
alte Panga-Bund, der Isango Panga, neue Kraft und weitere Ausdehnung 
zu gewinnen. Isango heisst 
Cultus oder Orden. Plur. — 
Losango. Wir werden bei den 
Nkosie wiederum Losango-Leute 
treffen. — Autenrieth berichtet, 
dass der innere Gewalt des 
Isango-Panga ganz verloren 
gegangen sei. Allerdings muss 
man sich unter dem Panga 
irgendwelche Geistermächte vor- 
stellen, für deren Hauptsitz das 
Panga-Instrument gilt, und seine 
Anhänger wissen dem Volke 
viel von deren Macht zu er- 
zählen. Die Pangafeierlichkeit 
selbst giebt jedoch durchaus 
nicht den Anschein, als ob 
irgend welches religiöse Inter- 
esse dabei sei. Alles was bei 


dieser zu beobachten ist, ist 


Tanz und wilder Lärm; hierauf 


Nr. 12. Federgewand aus Cabinda. 
(Nach Photographie.) 


folgt Schnapsgenuss im Ueber- 
maass und ein freies Geschlechts- 
leben. Von Rechtswegen sollen beim Panga-Tanze auch Menschenschädel 
eine grosse Rolle spielen und so waren bis vor nicht langer Zeit durch 
Panga-Leute verübte Menschenmorde an der Tagesordnung. Der neuere 
Panga hat auf diese Sitte verzichtet. Dagegen besteht noch eine andere 
Ordensregel zu Recht, wonach jeder Panga-Mann das Eigenthum eines 
Nieht-Panga-Mannes angreifen darf. Auch sonst mag er verüben, was er 


will; er unterliegt nach der Ordensregel keiner Gerichtsbarkeit. 


78 L. Frobenius, 


Eine weitere in neuer Form auftretende Bundbildung ist der Almela- 
Bund. Dieser Geist, der Schnapsgeist Almela, ist von den Dualla einge- 
führt. Der Aufzunehmende muss einige begangene Schändlichkeiten nach- 
weisen. Die Aufnahme -Ceremonie selbst besteht in einem Untertauchen 
unter das Wasser. — Offenbar haben wir hierin eine Beeinflussung durch 
die Baptistenmissionare zu sehen, wenn ja allerdings „Taufen* auch in 
Afrika ebenso alt einheimisch sind (nach Endemann, Bohner, Steiner, 
Merensky u. a.) wie in Oceanien. Zur Annahme einer europäischen Neu- 
erung führt die Mittheilung, dass das Schnapsglas das Symbol des Bundes 
ist. Es ist klar, dass diese letztere Anschauung durch die Sitte der Sakra- 
mentsertheilung moditieirt ist. 

Ich betone hier das Wort „modificirt*. Schon öfters konnte ich 
darauf hinweisen, dass die Wildlinge europäische Formen und Anschauungen 
nur dann in den Kreis ihrer Sitten und als Vorbilder ihrer Erzeugnisse 
aufnehmen, wenn sie mit ihren eigenen alten Formen, Anschauungen und 
Gebräuchen irgend welche inneren oder äusseren Beziehungen aufweisen. 
Es ist diese Erkenntniss besonders deswegen wichtig, weil an deren Hand 
nur ein eigenes grosses Studiengebiet für die Völkerkunde zugänglich wird, 
nämlich das Gebiet des Ueberganges von den alten eingeborenen Formen 
zum europäischen Formschatz. Es wird durch diesen Satz fernerhin einem 
grossen Theile ethnologischer Sammlungen die verdiente Werthschätzung 
zu Theil, vor allem alle jene mit Oelfarben übermalten Gegenstände, welche 
noch immer von vielen Museumsbeamten in den Hintergrund als: Moderne 
Falsifikate(!) geschoben werden. Endlich ist es wichtig, dass durch die 
Aufklärung dieser Entwicklungserscheinungen eine grössere Beachtung auch 
den neueren Stücken aus jenen sich immer zahlreicher herausbildenden 
Ländern geschenkt wird, in denen für die Sammler Sammlungen hergestellt 
werden. So lange diese Fabrikanten unverfälschte Eingeborene und nicht 
Europäer sind, sind die Sachen immer noch beachtenswerth, wenn sie auch 
kaum in derselben Linie gezählt werden können mit Stücken aus der Zeit 
der Ländereröffnung. 

Es ist mir also eine gewisse Freude auch auf das Urbild und das 
einheimische Vorbild der Almela- Taufe hinweisen zu können. Es springt 


nämlich gelegentlich der Umzüge des Elung, Mungi und Dschengu ein mit 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 9 


Blättern um Hals, Hüften und Kopf bekleideter Mann, der in jeder Hand 
ein Plantain hält, ins Wasser, während andere ihm Laub und Frucht zu 
entreissen suchen (Pauli). — Das Schnapsglas als Symbol des Bundes darf 
aber wohl mit Recht auf die früher besprochenen Motive des Gefässkultus 
zurückgeführt werden. 

Ueber einen weiteren Bund, den Elung, weiss Buchner Mehreres zu 
berichten. Von ihm, sagt der Reisende, nimmt man am häufigsten etwas 
wahr. Vor der Thür irgend einer Hütte wird aus Palm- und Bananen- 
blättern ein diehter halbkreisförmiger Zaun aufgebaut und der Weg zu 
beiden Seiten durch einen Strick abgesperrt. Zuweilen hört man dann 
hinter dem Zaun eine Anzahl Männer, etwa zwanzig oder dreissig, beten, 
winseln, heulen, singen und trommeln. Diesen mysteriösen Uebungen näher 
zu treten, ist streng verboten und man wird schon von Weitem durch 
grobe, heftige Geberden und Scheltworte ermahnt, dem Heiligthume fern 
zu bleiben, oft ehe man es erblickt hat. In jeder Dorfabtheilung soll der 
Elung einen Hauptmann haben, dessen Hauptfrau dann auch als Mitglied 
(dazu gehört, während Weiber sonst ausgeschlossen sind. Jeder neu Ein- 
tretende hat dem Hauptmann für die Aufnahme und die Einweihung in das 
Mysterium ein Geschenk im Werthe eines Kru (etwa 13 Mark) und sämmt- 
lichen älteren Mitgliedern ein Essen zu geben. Der Elung ist immer nur 
des Morgens und beim Mondschein im Gang. Statt des Namens Elung 
hört man häufig auch das Wort Elomba, doch ist die Bedeutung desselben 
Buchner unklar geblieben. Bemerkenswerth ist fernerhin das Eigenthums- 
zeichen der Elung-Leute, das Reichenow beschreibt. Man sieht vielfach 
an Feldern, Häusern und Geräthschaften Bündel von Gras oder Bananen- 
blättern auch wohl Kürbistlaschen aufgehängt. Diese werden „ju-ju* ge- 
nannt und haben den Zweck, die betreffenden Gegenstände gegen Dieb- 
stahl zu sichern. Man glaubt, dass der, so diese gemarkten Gegenstände 
antastet, vom Elung geholt und eines qualvollen Todes sterben muss. Im 
Uebrigen fasst dieser Autor den Elung als eine Gottheit auf, zu dessen 
Ehren und dessen guter Laune zu Liebe in mondstillen Nächten Feste 
gefeiert werden. Dann soll er mit Geheul durch die Wälder und um die 
Ortschaften ziehen. Auch werden des Nachts unter grossen Bäumen Um- 


züge veranstaltet, wobei die Gottheit in Gestalt eines Bildnisses (statt 


s0 L. Frobenius, 


Götzen) herumgetragen wird. Den Weibern, Kindern und Sklaven ist es 
bei Todesstrafe verboten zuzuschauen und den Elung zu sehen. 

Die Angaben über diese Bünde lassen Züge erkennen, die uns von 
anderen Orten schon bekannt und als Wesenszüge der afrikanischen Ge- 
heimbünde vertraut sind. Zwei weitere, und es ist nieht zu leugnen, die 
wichtigsten Erscheinungen lernen wir aber jetzt kennen, wo wir über die 
Feste bei Begräbnissen und die Erziehung im Bunde hören. Alles vor- 
herige sind einzelne Thatsachen, die nicht durch bestimmte Merkmale als 
abgeschlossene Bilder gekennzeichnet werden. Sie sind ebenso gut Einzel- 
theile, aus dem Gesammtbilde herausgerissene Stücke, wie andere Nach- 
richten, dass zum Beispiel die Mitglieder eines Bundes sich an bestimmten 
Zeichen erkennen und im Kriege einander Schutz verleihen, oder dass die 
Sklaven aus dem Innern sich zu Landsmannschaften zusammenschliessen. 

In die Fundamente der Ordensinstitutionen dringen wir bei den Be- 
richten über den Ekongolo. Hier ist unser Autor wieder Max Buchner. 
Bei Tänzen und sonstigen Festlichkeiten zu Ehren eines Todten, der dem 
Ekongolo angehört hat, fahren hie und da Masken mit geschnitzten Anti- 
lopenhörnern auf den Köpfen unter die fröhliche Menge. Alles schreit 
dann: Ekongolo, Ekongolo! und stiebt kreischend auseinander. Diese Mas- 
ken, deren Körper mit europäischen und afrikanischen Zeugen behangen 
sind und deren Hörnerschmuck häufig nach vorne zu in eine eiserne Spitze 
endigt, mit der sie zustechen können, erhalten von den Festgenossen be- 
schwichtende Geschenke. Ab und zu mischen sie sich auch wohl ganz 
friedlich unter das Publikum und nur anfallsweise beginnen sie zu rumoren 
und mit weit gleich Flügeln ausgebreiteten Aermeln durch das Dorf zu 
rennen und die Menschen vor sich herzujagen. Solche Todtenfeste, an 
denen der Ekongolo sich betheiligt, dauern 9 Tage, dann geht der Ekongolo 
wieder nach Haus und die betreffende Familie hat ihm zum Abschied noch 
eine Belohnung zu zahlen. Pauli giebt an, dass diese Masken nur am dritten 
Tage des Todtenfestes ihre Tänze und Sprünge aufführen. — Als Name 
der Masken wird mir „Nyate*“ oder „Nyati* angegeben. 

Ueber eine Erziehung wird vom Mukuku und Muemba berichtet. 
Der Mukuku ist eine Art Noviziat der ‚Jünglinge, wahrscheinlich im Zu- 


sammenhang mit der Beschneidung, der sich die Knaben zwischen dem 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. s1 


sechsten und zehnten Jahre allgemein unterziehen müssen. Die jungen 
Leute wanderten — denn der Bund soll aufgegeben sein — auf ein Jahr 
in den Wald, um dort in Einsamkeit, unter Aufsicht eines Meisters, völlig 
nackt, nur mit weisser 'T'honerde eingesalbt, eine ganz andere eigene 
Sprache zu reden und hie und da nächtlicher Weile Einbrüche in die 
Dörfer zum Zwecke des Stehlens zu unternehmen. — Etwas ähnliches 
scheint Muemba zu sein. In 
Akwatown gab es einmal einen 
grossen Skandal, wobei es hiess, 

Muemba-Leute hätten ein 
Schwein todtgeschossen und 
fortgetragen und das Schwein 
sei infolgedessen unersetzbar 
verloren, denn Muemba - Leute 
dürfe und könne man nicht 
belangen (Max Buchner). 

Von Kalabar aus hat sich 
der Egbo nach Kamerun ein- 


geschlichen und hier festen 


Fuss gefasst. Er führt hier 
2 Lu 
den Namen Mungi, unter wel- ___- zz 


chem Worte allerdings auch 5 f 

WE 4 nr Nr. 13. Maskirter Tänzer vom Alima. 
andere Institutionen einbegriffen 
zu sein scheinen. Ehe ich jedoch diese Bünde erörtere, soll das Wenige, 
was wir über Maskenverwendung und Geheimbünde im Hinterlande Kamerun 


wissen, dargestellt werden. 


Als Schwarz durch das Bakwiri-Land marschirte, betrat er einst mit 
seinem Zuge eine weite Rasenfläche, die wie ein riesiger Tanzplatz anzu- 
sehen war. Da brachen plötzlich zwei wunderliche Gestalten aus den 
Büschen. Den Kopf zierten hohe Spitzhüte, die Gesichter wurden von 
(dunklen Masken verdeckt, welehe an Stelle der Augen eitronengelbe Früchte 
trugen. Der Leib stak in enganliegenden Trieots von dunkelbrauner Farbe 


Nova Acta LXXIV. Nr.l. 11 


82 L. Frobenius, 


mit gelben Streifen. Um die Hüften war ein bunter höchst zierlicher 
Faserschurz gelegt. Es waren nach Aussehen und Benehmen wahre Har- 
lekins. Jetzt schlugen sie die wunderlichsten Purzelbäume, dann rannten 
sie wieder wie besessen davon und scheuchten mit einer Art Pritsche, die 
sie in den Händen trugen, Weiber und Kinder, die da und dort aus den 
Hütten lugten, in diese hinein. Im nächsten Augenblick waren sie wieder 
bei der Expedition und bettelten auf den Knieen herumrutschend um Tabak. 
Die Maskencostüme waren von ausserordentlich feiner Flechtarbeit. 

Man erzählte Schwarz, dass sich ganz Aehnliches bei den Stämmen 
weiter im Innern, namentlich bei den Bakundu finde, doch ist nichts weiter 
bekannt geworden. 

Als die erste Basler Missionsexpedition auf ihrem Vormarsche in 
das Nkosidorf Nsuke emrückte, wurde hier gerade eine Todtenfeier abge- 
halten. Glänzend kostümirt führten die Losango-Leute, d.h. die Einge- 
weihten eines religiösen Geheimbundes nach dem Takte einer mark- 
erschütternden Instrumentalmusik einen kunstvollen, graciösen Trauertanz 
auf. Geschmiedete eiserne Schnallen an den Gürteln, eiserne Handtrommeln, 
auf denen eifrig von halbwüchsigen Jungen gerasselt wurde, treffliche 
Farben der feingewebten Zeuge zeigten eine weit entwickeltere Kunstfertig- 
keit dieses Waldvolkes an, als man sie an der Küste findet. Saitenspiel 
und Hörnerklang vervollständigten das Orchester. Die Tänzer hatten das 
(Gesicht mit einem leichten schwarzen Tuch bedeckt, an welchem hellgelbe 
Früchte in abschreckender Weise die Augen markirten. Ein thurmartiger, 
mit rothen Papageifedern dicht besetzter Helm liess die ohnehin hoch- 
gewachsenen Männer wie Enakskinder erscheinen. 

Viele Masken kommen fernerhin bei den Bali vor, von denen Lieu- 
tenant Hutter eine mit nach Europa gebracht hat (Fig. 84). Ueber diese, 
deren Verwendung und die Bali-Masken überhaupt hat der Reisende fol- 
gendes mitgetheilt: Die mitgebrachte Maske ist ziemlich roh, es giebt viel 
sorgfältiger gearbeitete. Ungleich besser als die Menschengesichts-Masken 
ist die Nachbildung von Schädeln der Büffel und Rinder, wobei sowohl die 
allgemeine Form als insbesondere die charakteristischen Unterschiede der 
beiden Köpfe sehr gut beobachtet und auch technisch vorzüglich zum Aus- 


druck gebracht sind. 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas 85 


Bei den Tänzen und Volksbelustigungen werden diese Dinge dann 
getragen, die Masken, wie die mitgebrachte, vor das Gesicht gehalten und 
dienen diese zugleich als Resonanzboden, um das Geschrei und das ge- 
sungene Lied oder richtiger gesagt den gleichmässig sich wiederholenden 
Refrain einer Reeitation lauter und schallender ertönen zu lassen. Ausser- 
dem tragen sie diese Masken auch bei Beerdigungen. 

Bei den Bali soll eine Art Geheimbund der Häuptlings- und Geheim- 
bundfamilien bestehen. Das Faktum ist ausserdem sicher, dass neben der 
allgemeinen Umgangssprache eine zweite Sprache besteht, welehe nur die 
Grossen verstehen und gebrauchen, wenn wichtige und geheime Palaver 
verhandelt werden, aber auch, wenn sie in ihrer gewöhnlichen Uonversation 
nicht von dem nebensitzenden Plebs verstanden werden wollen. Bezüglich 
der Aufnahme in diesen Geheimbund wurde erzählt, dass ein kleiner Knabe 
geschlachtet und sein Blut getrunken werde. 

Am Mittellaufe des Benue wohnen die Djuku oder Djekum, wie 
Passarge den Namen richtig gestellt hat. Von dort hat Flegel eine inter- 
essante Sammlung mitgebracht. Darunter findet sich ein Netzanzug, wie 
er von Kischi- Tänzern, Akisch, Losango-Leuten und den Maskirten der 
Bakwiri getragen wird. Er stammt aus Usebuhu, führt den Namen Adasa 
und ist als „Fetisch- Anzug“ bezeichnet, eine andere Maske aus Wukari 
als „Fetisch-Maske“, als „Fetisch-Kopfputz“ endlich noch eine weitere, die 
Passarge als „Götze* abbildet. 

Derselbe Reisende hat aus Ngaundere, dem Lande der Mbum eine 
Baja-Maske mitgebracht. Ueber einem Rohrgeflecht ist Tuch gespannt und 
darauf aus Stroh und Wachs das Gesicht ausgearbeitet. Sie führt die Be- 
zeichnung: „Von den Baja-Bettlern getragen“. 

Fern im Osten erwarb Wilhelm Junker bei den Bongo eine Holz- 
maske, über deren Verwendung nichts bekannt ist. Auch Schweinfurth 


weiss darüber nichts mitzutheilen. 


Der Egbo ist in Kalabar heimisch und von hier, sei es in alter, sei 
es in neuer Zeit nach Kamerun gebracht worden, wo er neben dem Namen 
Egbo den Namen Mungi führt. 

11* 


84 L. Frobenius, 


Ueber den Mungi schreibt Max Buchner; es müsse dieses eine ganz 
schlimme Geschichte sein. Zuweilen hört man vom Mungi, er werde in 
der Nacht durch das Dorf gehen und kein weibliches Wesen dürfe sich auf 
der Strasse blicken lassen. Für gewöhnlich scheint er aber im Walde zu 
hausen und dort von seinen Dienern verehrt zu werden, wobei früher auch 
Menschenopfer eine Rolle gespielt haben mögen. Denn der Mungi kann 
tödten, wen er will, was vielleicht vermittelst Vergiftung geschah. Auch 
ist er überall durch einen Hauptmann vertreten. Weiber können ihn aber 
nicht ansehen, ohne sofort zu sterben. Die Hauptleute gehen in den Wald 
und verwandeln sich in wilde 'Thiere. Dann schreien sie heraus: „Der 
Mungi ist da und sagt so und so.“ Was er gesagt hat, bleibt ein strenges 
Gesetz, gegen das kein Widerspruch gilt. „Der Mungi hat's gesagt“ ist 
das kräftigste Argument. — Reichenow erklärt Mungi für den bösen Geist. 
Er sagt, wenn ansteckende Krankheiten viele Menschen hinrafften, so glaube 
man, der Mungi hätte sie geholt um eine Mahlzeit zu halten. Im übrigen 
ist der Mungi eine grosse Verbindung, deren Mitglieder als Erkennungs- 
zeichen Kreise auf der Brust tätowirt haben. — Wenn der Mungo Thor- 
mählens der Mungi anderer Reisender ist, so ist dieser Forscher der An- 
sicht, dass der Mungi von den Aqua-Leuten, die sich am Egbo nicht be- 
theiligen dürften, mit Erfolg an dessen Stelle gegründet und gehandhabt sei. 

Ueber den Egbo in Kamerun berichtet Thormählen: Eine geheime 
Sprache sprechen gewisse Familien, wenn sie sich zu einer Versammlung 
vereinigen, welche sie Egbo nennen, wobei sie sich auch noch durch eine 
besondere Tracht auszeichnen, indem sie, wenn der Egbo heraus ist, wie 
sie es nennen, sich mit getrockneten Palmblättern bekleiden. Der Egbo 
wird anscheinend von einem möglichst gewandten Manne dargestellt, der 
mit allem möglichen Tand und Flitter herausgeputzt ist und eine Stellage 
auf dem Leibe trägt, durch die er seine Gestalt um das Doppelte ver- 
grössern kann, wie er sich denn auch durch Kriechen möglichst klein 
macht, grad’ wie es ihm gefällt. Alle Freien umgeben ihn mit einem wahren 
Höllenlärm und ziehen so durch die ganze Stadt und ihre nächste Um- 
gebung stets bei vollem Mondschein. Kein Wesen, welches nicht zum Egbo. 
gehört, darf sich blieken lassen, denn es wird sogleich von dem sinnlosen 


Haufen in den Wald geschleppt und verschwindet dort für immer. Es heisst 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. top} 


dann: „The Egbo chopped him“! Der Zweck des Egbo, der mit einem 
heiligen Nimbus umgeben ist, und der ausser bei Kriegen ete. nur bei Voll- 
mond stattfindet, ist der, auf Frauen und Sklaven, die in so grosser Ueber- 
zahl vorhanden sind, einen Druck ausüben zu können, der sie abschrecken 
soll, sich über ihren Herrn 
zu erheben; denn wenn sie 
dem Egbo in die Hände ge- 
rathen, verfallen sie ohne 
jede Rettung sofort dem an- 
gedeuteten Schicksal, welches 
der Leidenschaftlichkeit des 
Egbo immer neue Nahrung 
giebt. Passirte es doch so- 
gar, dass selbst ein eng- 
lischer Capitän dem Egbo 
zum Opfer fiel. Weisse 
werden im Allgemeinen ihrer 
Hautfarbe wegen als Mit- 
glieder des Egbo sehr ge- 
achtet. Hierüber später. 
Bastian hat in folgenden 
Zeilen seine und anderer Er- 
fahrungen über den Egbo 
vereinigt: Der Egbo-Orden 
oder Efik (Tiger) ist in elf 
Grade abgetheilt, von denen 
die drei obersten Nyampa, 


Obpoko oder der Messing- 


Grad und Kakunde für 
Sklaven nicht käuflich sind: Nr. 14. Masken oder Ahnenbilder der Aduma. 
E i (Nach Jacques de Brazza). 

andere Grade bilden oder 


bildeten der Abungo, Makaira, Bambim boko ete. Der gewöhnliche Weg 
ist, dass Eingeweihte sich in die höheren Stufen nacheinander einkaufen; 


das dadurch erlöste Geld wird unter den Nyampa oder Yampai vertheilt, 


86 L. Frobenius, 


die den inneren Bund bilden; dem König selbst kommt die Präsidentschaft 
zu, unter dem Titel Eyamba. ‚Jede der verschiedenen Stufen hat ihren 
Egbotag, an welchem ihr Idem oder ihre gespenstische Repräsentation eine 
absolute Herrschaft ausübt, wie sie die Römer dem Dietator in kritischen 
Zeiten übertrugen, und auch Glieder anderer Stufen des Egbo-Ordens, wenn 
er ihnen begegnen sollte, nicht verschont. Das Land befindet sich gleich- 
sam in einem permanenten Belagerungszustand, der durch die Ueberzahl 
der Sklaven und Frauen nöthig wird, indem die traditionellen Gebräuche 
des alten Herkommens durch die regelmässig einander folgenden Egbo- 
Tage und die damit verbundene Proklamirung des Kriegsgesetzes beständig 
ausser Kraft gesetzt und suspendirt werden. Sobald ein Egbotag verkündet 
ist, fliehen Sklaven, Weiber und Kinder nach allen Richtungen, da der 
Emissär der Idem mit seiner schweren Peitsche bewaffnet umgeht und durch- 
aus nieht skrupulös in ihrer Anwendung ist. Eine gelbe Flagge auf dem 
Hause des Königs verkündet den Tag des Brass-Egbo oder des Messing- 
Grades, an dem selbst von den Freien sich nur sehr wenige ausser dem 
Hause zeigen dürfen. So oft bei dem Egbo-Orden eine Klage anhängig 
gemacht ist, und der Missethäter bestraft werden soll, wird durch geheime 
(‘eremonien der im fernen Buschlande wohnende Idem eitirt, der dann mit 
einer phantastischen Kleidung aus Matten und Zweigen von Kopf bis zu 
Füssen bedeekt, und mit einem schwarzen Visir vor dem Gesicht erscheint. 
Am Kameroon werden die Glieder des Ordens selbst durch ein in einem 
künstliehen Knoten geschürztes Laubwerk vereinigt, sodass sie sich als eine 
zusammenhängende Masse bewegen. Ein jeder Mann, Frau oder Kind hat 
das Recht, die Hülfe des Egbo gegen seinen Herrn oder seinen Nachbar 
anzurufen, und dazu bedarf es nur, dass er ein Mitglied des Ordens auf der 
Brust berührt oder an die grosse Egbo-Trommel schlägt. Der Beanspruchte 
muss also gleich einen Convent zusammenberufen, wo die Klage untersucht 
und, wenn gerecht befunden, befriedigt wird. Erweist sie sich dagegen als 
unbegründet, so wird der Kläger bestraft; hat das Gericht ein Verdammungs- 
urtheil gefällt, so läuft der Beauftragte mit seiner schweren Peitsche in der 
Hand und von einem lärmenden Gefolge von Egbobrüdern umgeben, direkt 
nach dem Hause des Verurtheilten, aus dem sich niemand rühren darf, bis 


die Strafe vollzogen und gewöhnlich das ganze Haus zusammengerissen ist, 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 87 


sodass alle Einwohner mehr oder weniger Schaden nehmen. Während dieser 
Zeit, sowie überhaupt während der ganzen Dauer einer Egbositzung würde 
es für jeden nicht dabei Betheiligten der Tod sein, wenn er sich auf der 
Strasse sehen liesse, und erst wenn die Egbotrommel den Schluss des Ge- 
richts verkündet, können die Geschäfte des gewöhnlichen Lebens wieder 
begonnen werden. Mitglieder des Ordens sollen, wenn verurtheilt, das 
vecht haben, im Rausche zu sterben. Leute, die auf Reisen zu gehen ge- 
zwungen sind, stellen meistens ihr Eigenthum unter den Schutz des Messing- 
Egbo und ein gelbes Stück Zeug, das über der Thür angebracht ist, genügt, 
das Haus gegen jede Beschädigung zu schützen; der in den Messinggrad 
Einzuweihende wird am ganzen Körper mit einem gelben Pulver eingerieben. 
Am Kameroon ist ein Bündel grüner Blätter, der an einen Pfahl gebunden 
wird, das Zeichen, dass das Eigenthum unter dem Schutz des Egbo steht. 

Seine Entstehung soll der Orden der freien Egbos auf den Messen 
genommen haben, die auf einem grossen Oelmarkte des Innern, halbwegs 
zwischen Kalabar und Kameroon, abgehalten wurden. Da dort vielfache 
Unordnungen eimrissen, der europäische Handel aber zur Aufrechterhaltung 
des Credits eine genaue Eimhaltung der übernommenen Verpflichtungen 
forderte, so bildete sich dieses Institut als eine Art Hansa unter den an- 
gesehendsten Kaufleuten zu gegenseitiger Wahrung ihrer Interessen und 
gewann später die politische Bedeutung einer Vehme, indem es die ganze 
Polizei des Kalabar und Kameroon in seinen Bereich zog. Die Könige 
suchten sich stets die Grossmeisterschaft in diesem Orden zu sichern, da 
ohne dieselbe ihr Ansehen zu einem Schatten herabsinkt. Europäische 
Capitäne haben es mehrfach vortheilhaft gefunden, sich in die niederen 
(Grade einreihen zu lassen, um ihre Schulden leichter eintreiben zu können. 
Ein Mitglied des Egbo hat das Recht, den Sklaven seines Schuldners, wo 
immer er ihn finde als sein Eigenthum zu beanspruchen, indem er eine 
gelbe Schleife an das Kleid oder Tuch desselben befestigt. Der Charakter 
eines Egbo wird selbst im Innern noch geachtet und gefürchtet und ver- 
leiht eine gewisse Unverletzlichkeit, wie sie für ausgedehntere Handels- 
speeulationen in Afrika durchaus nothwendig ist. Als Vorbereitung für 
ihre Aufnahme unter die freien Egbos werden am Kameroon die auf- 


wachsenden Knaben für längere Zeit zu den Makoko, einem Buschvolk des 


88 L. Frobenius, 


Innern geschickt, bei denen sie nackend in den Wäldern leben und nur 
zeitweise, mit grünen Blättern behangen, hervorstürzen, um ein Bad im 
Fluss zu nehmen. Keine Frau und vor allem keine Sklaven, darf sich bei 
schwerer Strafe dem Walde nähern, in dem sie sich aufhalten. Um einen 
Besuch, vor allem einen europäischen, besonders zu ehren, pflegt man am 
Kameroon die Egbo-Ziege vorzuführen, deren Anblick dem Volke sonst nur 
selten gestattet wird. 

Holmann (bei Bastian) berichtet, das ganze Land Alt-Kalabar stehe 
unter der Herrschaft der sogenannten Egbo-Gesetze. Diese werden durch 
eine geheime Rathsversammlung, die Egbo-Versammlung, erlassen, welche in 
einem eigens für diesen Zweck errichteten Hause, dem Palaver-Hause, ab- 
gehalten wird; als Vorsitzender dieser Versammlung fungirt, kraft seiner 
Suveränität, der Herzog unter dem Titel Eyamba. Bei den Egbo-Mitgliedern 
giebt es verschiedene Rangstufen, die als Grade nacheinander erworben 
werden müssen. Holmann führt Engländer dafür an, dass Europäer in den 
‚gbo, ja sogar in den Yampai sich eingekauft haben, um so ihre Gelder 
leichter einzutreiben. Als Namen und Preise der Rangstufen des Egbo giebt 


er folgende an: 


1. Abungo 125 Bars 

2. Aboko am: 

3. Makaira 400 Kupferstangen 

4. Bakimboko 100 Bars 

5. Yampai S50 Kupferstangen, 
wozu noch Rum, Kleider, Membo ete. zu erlegen ist. — Die Jampaiklasse 
ist die einzige, deren Mitglieder Erlaubniss haben, im Rath zu sitzen. — Die 


für die verschiedenen Titel des Egbo bezahlten Summen werden ausschliess- 
lich unter die Yampai vertheilt, welche übrigens nicht auf einen einzelnen 
Antheil beschränkt sind, denn jeder Yampai kann seinen Titel so oft ver- 
vielfältigen als er Antheile hinzukaufen kann, und diese berechtigen ihn 
zum Empfang der entsprechenden Quoten aus dem Gewinne der ganzen 
Institution. 

Die Art ihrer Rechtspflege ist folgende: Wenn jemand eine Schuld- 


summe nicht eintreiben kann oder ihm ein persönliches oder anderes Un- 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 59 


recht zugefügt ist, so wendet er sich an den Herzog wegen der Egbo- 
Trommel und macht ihn mit der Natur seiner Klage bekannt. Bewilligt 
der Herzog die Bitte, so tritt die Egbo-Versammlung unverzüglich zu- 
sammen, und die "Trommeln werden in der Stadt geschlagen. Sobald die- 
selben zum zweiten Male ertönen, muss sich jede Frau in ihre Wohnung 
zurückziehen, bei Strafe, der Enthauptung für Zuwiderhandeln, und sie darf 
aus ihrer Einsperrung nicht eher hervorkommen, als die Trommeln zum 
zweiten Male ertönen als Zeichen, dass der Rath beendet ist. War die 
Klage gerechtfertigt, so wird der Egbo zu dem 
Uebelthäter gesendet, um ihn wegen seiner Schuld 
zu verwarnen und Genugthuung zu verlangen, 
wonach niemand das von -dem Schuldigen be- 
wohnte Haus verlassen darf, bevor die Sache nicht 
beigelegt ist. Geschieht dies nicht bald, so wird 
ihnen das Haus über dem Kopf niedergerissen, 
wobei einige Menschenleben gewöhnlich verloren 
gehen. Doch tritt der äusserste Fall nur selten 
ein, denn wenn der Schuldige nicht selbst im 
Stande ist, die Angelegenheit zu ordnen, so ge- 
schieht dies meist von seinen Verwandten und 
Freunden. 

Der Egbo-Mann, d.h. der mit der Voll- 
streckung Beauftragte, trägt eine vollständige Ver- 


kleidung, bestehend in einem schwarzen Netz- 


werk, welches vom Kopf bis zu den Füssen die Nr. 15. Tracht einer Ganga 
der Fan beim Tamtam. 


Haut bedeckt, einem Hut mit langer Feder, Hörner 
; 2 > ’ (Nach Madame Crampel). 


auf der Stirn, einer langen Peitsche in der rechten 
Hand, einer am unteren Theil des Rückens befestigten Glocke und ver- 
schiedenen kleineren an den Knöcheln. So ausgerüstet verlässt er das 
Egbo-Haus und läuft mit seinen tönenden Glocken durch die Strassen bis 
zum Hause des Uebelthäters, hinter ihm her ein halbes Dutzend unter- 
geordneter, phantastisch gekleideter Personen, von denen jeder ein Schwert 
oder einen Stock trägt. 

Nach Wadell (bei Bastian) ist der Egbo ein Greheimbund unter dem 


Nova Acta LXXIV. Nr.1. 12 


90 L. Frobenius, 


Schutze eines göttlichen Wesens. Eine Person, welche darin den höchsten 
Rang erhält, zahlt an jedes Mitglied eine Eintrittsgebühr, welche, wenn auch 
gering im Einzelnen, sich doch nahezu auf 100 £ beläuft, da etwa 1000 Mit- 
glieder existiren. Die Mysterien sind nur den Eingeweihten bekannt und 
dürfen bei Todesstrafe nicht verrathen werden. Alle Gesetze geniessen 
dasselbe heilige Ansehen. Der Bund besteht aus zehn an Ansehen und 
Macht verschiedenen Graden, von denen einige so tief stehen, dass Knaben 
und Sklaven sie erwerben können, andere wieder so hoch, dass sie nur 
Freien von alter Familie und hohem Range erreichbar sind. 

Die Gesetze des Egbo bezwecken nur das Wohl der eigenen Mit- 
glieder, wogegen die allgemeine Wohlfahrt nieht berücksichtigt wird. Die 
Gesellschaft besteht in Kalabar aus Edlen und Sklaven. Erstere sind mehr 
als frei; sie geniessen Privilegien, welche mit der Freiheit der Nieht-Mit- 
glieder des Egbo unverträglich sind. Sind freie Leute, welehe zu arm sind, 
diese Privilegien zu erwerben, in ihren Rechten gekränkt, so müssen sie 
einen Egbo-Edlen erkaufen, um ihre Sache vor ein Egbo-Gericht zu bringen, 
das, je nach dem Erfolge, einen grossen Gewinnantheil zu beanspruchen 
hat. Zuweilen ziehen solche Personen vor, sich selbst irgend einem mächtigen 
Häuptling zu verkaufen, und seinen Schutz auf Kosten ihrer Freiheit zu 
gewinnen. Gleich allen exelusiven Gemeinschaften will das Egbo nicht 
freiwillig die Vorrechte seiner Mitglieder zu Gunsten niedrig Stehender 
preisgeben. Was sie haben, halten sie fest. Das Egbo scheint namentlich 
bestimmt, Frauen und Sklaven in Abhängigkeit zu halten. Frauen, wenn 
sie nicht mächtige Väter oder Brüder haben, müssen sich die entwürdigendste 
Behandlung Seitens der Ehemänner gefallen lassen. Das einzige Gesetz, 
welches der Bund jemals zum Schutz der Sklaven erliess, wurde auf An- 
regung der Fremden gegeben. 

Die Könige von Duke Town und Creek Town wurden von den 
Ügbo-Autoritäten als solche nicht anerkannt. Sie besassen im Orden Macht 
als hohe Würdenträger, da jede Klasse ihr Haupt hat, aber nicht als Könige. 
Dieser Rang ist nicht erblich, sondern eingesetzt, um den Verkehr des 
Volkes mit den Fremden zu vermitteln. Thätsächlich sind die Städte in 


Kalabar eine Anzahl kleiner Republiken, jede mit ihrem eigenen Oberhaupt 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 91 


und Rath, und zusammengehalten lediglich durch die Egbo-Verbrüderung, 
soweit sie von dieser für gegenseitige Vertheidigung vereinigt sind. 

ös giebt noch eine andere Persönlichkeit, welche unter missbräuch- 
licher Anwendung des Titels „König von Kalabar* genannt wird. Es ist 
das Ueberbleibsel des grössten Mannes im Lande, annähernd ein Pontifex 
Maximus. Er hat das Amt eines Ndem Efik ‘oder Gross Calabar Juju. 
Ihm bezeugten die Häuptlinge des Landes tiefe Ehrerbietung, während er 
sich vor niemand verbeugte, und vor ihm und seinem Idol wurden die 
Familien- und Stammesverhältnisse durch Eid erhärtet. 

Der Ndem Efik Wadells heisst bei Hutchinson Idem Efik ebenso 
bei Goldie u. a. Er soll eine Gottheit sein, die sich zu Zeiten als Schlange 
sehen liesse. Vertreter auf Erden ist ein Priester, der gewöhnlich als König 
von Kalabar bezeichnet wird. Interessant ist die linguistische Zusammen- 
setzung. Idem heisst nämlich Körper. Wenn die Seele ihn verlassen hat 
spricht man von ikpök idem oder wie es klingt: ikpöhidem. Ikpo ist ausser- 
dem die Trauer um einen Todten, ikpök die Haut des menschlichen Körpers. 
Ekpo aber, aus dem wohl das Wort Egbo hervorgangen ist, heisst der Geist. 
— Damit ist ein klarer Lichtstrahl auf die Entstehung des Bundes gefallen, 
der nicht, wie so oft fälschlich angenommen ist, auf den Gedanken, den 
Willen oder die Anregung eines Menschen oder einer Generation ins Leben 
gerufen ist, sondern älter ist als diese; der Ursprung des Idem Efik und 
damit des Egbo ist im Manismus zu suchen. Die Bedürfnisse einer merkan- 
tilen Epoche haben dem alten Geheimbund die heutige Form gegeben. 

Goldie fügt noch hinzu, dass der Idem jeder Klasse des Egbo seime 
eigenen Abzeichen habe. — Zum ersten Male hörten wir von Egbo 1710. 
Snelgrave berichtet, dass die Leute Alt-Kalabars ein Kind ihrem Gotte Egbo 


zum Opfer brachten. 


ös ist noch, ehe diese Gegend verlassen wird, auf das Vorkommen 
maskenähnlicher Trachten auf Fernando-Po hinzuweisen. In einem phan- 
tastischen Strohkostüm führen die Bube wilde Tänze auf, deren Zweck eine 
Anknüpfung mit der Geisterwelt zu sein schemt (Bastian). 


92 L. Frobenius, 


g. Joruba-Völker und centraler Sudan. 

Abbildungen. Tafel: Fig. 89—109, 128—130. 

Litteratur. A. B. Ellis: „The Yoruba-speaking Peoples of the Slave-Coast of Westafrika* 
1894. 8. 107 ff. — Richard F. Burton: „Abeokuta and the Cameroons Moun- 
tains“ 1863. Bd.I. S. 195ff. — W. Hoffmann: „Abbeokuta“ 1859. S. 69. 
137. 169. 171. 172. 294. — Bastian: „Loangoküste“ a.a.0. Bd.]. S. 113. 
— Derselbe: „Geographische und ethnologische Bilder“ 1873. 8. 185. — 
Samuel Crowther: „A Vocabulary of the Yoruba-Language“ 1852. S. 80. 87. 
— 8. Crowther and John Taylor: „The Gospel on the Banks of the Niger“. 
1859. S. 215. — Clapperton: „Tagebuch der zweyten Reise des Capitän 
Clapperton in das Innere von Afrika“ 1830. 8.53 und 91ff. — Ratzel: 
„Völkerkunde“. 2. Aufl. Bd. li. 8.350. — Vogel in: „Zeitschrift für all- 
gemeine Erdkunde“. Berlin. 1. Folge. Bd. VI. 1856. 8. 485. — H. Barth: 
„Reisen in Afrika“. Bd. I. S. 622 — Gerhard Rohlfs: „Quer durch Afrika“ 
1874. Bd. I. 8. 175/6. — Bastian: „Allerlei aus Volks- und Menschen- 
kunde“ 1888. Bd. II. S. LVI. Catalog des Museums Umlauf? in Hamburg. 


Der grösste Theil jener in den Museen vielfach vertretenen „Tanz- 
masken aus Dahomey“ stammt aus den Yoruba-Ländern. Das Yoruba-Land 
kann und muss als eines der interessantesten vom ethnographischen Stand- 
punkte aus bezeichnet werden. Leider ist die Kigenart seiner Bevölkerung 
noch bei Weitem nicht genügend gewürdigt worden und wir wissen noch 
nichts Vollständiges über diese eigenartige Cultur, welche die schönsten 
Reliquien aus der Malajo-nigritischen Culturepoche birgt. 

Die Masken finden in Yoruba eine verschiedene Verwendung; von 
einer dreifachen wissen wir, nämlich bei der Darstellung der Verstorbenen, 
beim Bund und beim Schauspiel. 

Ueber die erstere Verwendung und ihren Sinn berichtet Ellis am 
Ausführlichsten. — Egungun heisst Knochen oder Sklelet und man nimmt 
an, dass der Egungun ein von den Todten auferstandener Mann sei. Es 
wird das durch einen mit langem, gewöhnlich aus Gras gefertigten Kleide 
und einer Maske versehenen Mann dargestellt. Die Maske ist gewöhnlich 
ein sehr hässliches Gesicht mit einer langen spitzen Nase und dünnen Lippen; 
manchmal ist es auch ein Thierkopf. 

Egungun erscheint in den Strassen zu verschiedenen Nacht- und 
Tageszeiten laufend, springend, tanzend und wunderlich stolzirend, wobei 
laute Schreie ausgestossen werden. Man glaubt, es sei dies ein aus dem 
Lande der Todten Zurückgekehrter, der sich danach umsehe, was im Be- 


reiche der Lebenden vor sich gehe. Seine Aufgabe sagt man, sei die, solche 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 95 


hinwegzuführen, die ihre Nachbarn durch ärgerliches Betragen störten. Er 
wird also als eine Art übernatürlichen Inquisitors angesehen, der von Zeit 
zu Zeit erscheine, um die allgemeine 
häusliche Aufführung des Volkes, zu- 
mal die der Frauen zu untersuchen 
und stratwürdige Handlungen zu ver- 
gelten. Obgleich es allgemein bekannt 
ist, dass Egungun nur ein auserlesener 
Mann ist, so wird doch im Volke ge- 
glaubt, dass ihn berühren, den Tod 
herbeiführen heisse. Die Menschen- 
menge steht daher immer in respekt- 
voller Entfernung und einer der Haupt- 


scherze des Darstellers ist es, mit einem 


Male gegen die Zuschauer zu springen, 


die dann in jeder Richtung auseinander- 


Nr. 16b. Maskirung der Losango-Leute beim Todtenfest der Nkosi. (Nach Photographie). 


94 L. Frobenius, 


stürzen, um der todtbringenden Berührung zu entgehen. Die Hand gegen 
den Egungun zu erheben, wird mit dem Tode bestraft und Frauen ist es 
bei Todesstrafe verboten, über ihn zu lachen, respektslos über ihn zu 
sprechen oder gar zu sagen, es sei nicht ein von den Todten Auferstandener. 

Egungun ist demnach eine Art Kobold, ein angeblicher Dämon, 
dessen Hauptaufgabe es ist zänkische Weiber, Ruhestörer und zudringliche 
Menschen zu erschrecken. Hervorgegangen ist er aber sicher aus einer 
Darstellung der Todten und somit aus dem Manismus. 

Im Juni jeden Jahres wird ein Fest für Egungun abgehalten. Es 
währt sieben Tage und ist Klagen um die Verstorbenen der letzten Jahre 
gewidmet. Es ist eine Art Allerseelen-Fest. Ausserdem erscheint Egungun 
in Verbindung mit Bestattungsceremonien. Ein paar Tage nach der Be- 
stattung erscheint ein Egungun mit einem Gefolge von Maskirten in den 
Strassen des Stadt, die er unter einem lauten Ausrufen des Namens des 
Verstorbenen durehschreitet. Ein eläubiger und halberschrockener Haufe 
folgt. Die Leute lauschen, ob eine Antwort auf die Rufe des Egungun er- 
folgt. Ein paar Tage später rückt der Egungun abermals mit einigem 
Gefolge zu dem Hause, in dem der Tod Einzug hielt und bringt den An- 
gehörigen Nachrichten von dem Verstorbenen; gewöhnlich erzählt er, dass 
dieser im Lande der Todten angekommen sei und sich wohl befinde. Zum 
Dank für die erfreulichen Nachrichten setzt die Familie Speise, Schnaps 
und Palmwein in einen Raum des Hauses und ladet den Egungun ein, zu- 
zugreifen. Sie selbst ziehen sich zurück; denn es bringt den Tod, wenn 
man den Egungun essen sieht. 

Wenn Egungun und seine Nachfolger genügend gespeist haben, hört 
man lautes Stöhnen von dem Raume her und das ist dann das Zeichen, 
dass er daran ist, sich zu entfernen; die Familie tritt wieder ein und ent- 
lässt ihn mit Botschaften an den Verstorbenen. 

Die Erfahrungen Burtons über Egungun sind ähnlich. Er traf einen 
solchen auf dem Marsche. Sein Gesicht war mit einem Geflecht von Netz- 
werk, sein Haupt mit ähnlichen Fetzen und Lumpen bedeckt, wie sie seine 
andere Kleidung darstellten. Auf dem Rücken zwischen den Schultern war 
ein deutscher Pfennigspiegel befestigt; die Füsse bedeckten Mokassins. Von 


ri . 


Egungun erzählt man ebenso, wie von den Europäern in alten Zeiten, dass 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 95 


sie keine Füsse hätten. Auch Burton wurde mitgetheilt, dass nach dem 
Glauben der Eingeborenen eine Berührung, selbst Seitens des Königs, den 
Tod herbeiführe. Nur die erwachsenen Männer und freigeborenen Knaben 
wissen, dass Egungun ein Sterblicher ist. Wenn aber ein Weib bei ihm 


falsch schwört oder sagt, es sei kein von dem Tode Erstandener, so müsste 


sie das Leben verlieren. — Missionar Hinderer erlebte es, dass eine Frau, 
die sich vergangen hatte — es war eine Häuptlings Frau — den Egungun 


übergeben wurde. Bald darauf erblickte der Missionar die hundert ver- 
larvten „Ezungun oder Aku“, das Haus des Häuptlings umtanzend, mit dem 
Kopfe der Sklavin spielend. Sie waren als Scharfrichter der Weiber aus 
allen T’heilen der Stadt zusammengerufen. 

Von den in Sierra Leone abgesetzten, befreiten Sklaven ist der Egun- 
gun-Brauch nach dort übertragen worden. Und so erscheint er denn in 
langem gedrucktem Baumwollkleid und als Maske einem mit zwei Augen- 
löchern versehenenen, den Kopf verhüllenden Lappen. Zwar schreeken die 
Umherstehenden noch zurück, wenn Egungun auf sie zuspringt, aber die 
Einwohner antworten auf die Frage nach dem Sinn dieser Darstellung, es 
sei Spiel. — Den Eg-gu-gu-man traf Bastian unter den Sherbros. Eine 
Stelle bei Bastian: „Aus dem Geheimbund (der Bondo) geht der Egugu (in 
Vermummungen um an der Goldküste“ — ist mir unverständlich. Masken 
und Geheimbünde sind trotz guter Kenntnis an der Goldküste noch nicht 
bekannt geworden. 

Der Geheimbund der Ogboni ist Entsender des maskirten Oro. Dieser 
Letztere ist die öffentliche Polizei, wenn man so sagen darf. Oro wohnt 
für gewöhnlich in den Wäldern der Nachbarschaft der Städte. Sein Nahen 
verkündet er durch ein surrendes, starkes Geräusch, welches er dureh das 
Schwirrholz hervorbringt. Sobald der Ton erklingt, müssen die Frauen 
sich in ihre Gemächer zurückziehen. Es ist ihnen bei Todesstrafe ver- 
boten, hinauszuschauen. Auch das Schwirrholz darf kein Weib erblieken. 
Die Verbreitung des Schwirrholzes ist eine ziemlich ausgedehnte in dieser 
(regend und scheint mit der des Oro Hand in Hand zu gehen. In Duffu, 
einem Orte im nordwestlichen Yoruba, schrieb Clapperton in sein Tage- 
buch: Diesen Abend ging der „Fetisch“ um, Diebe einzufangen. Diese 


Wächter machen ein Geräusch, dem ähnlich, das die Knaben machen, wenn 


D 


96 L. Frobenius, 


sie einen gekerbten, an einem Bande befestigten Stock um den Kopf 
schwingen. Sobald man diesen Ton hört, darf keiner bei Verlust seines 
Lebens das Haus verlassen. — Auf die Länder der Nigermündung bezieht 
sich anscheinend folgende Stelle bei Bastian: Weit verbreitet ist die dämo- 
nische Gewalt des Oro (Es tönt) als das schwirrend bewegte Holz des 
Baba-lano (Vater des Greheimnisses) genannten Priesters, in dessen Ton die 
Stimmen der abgeschiedenen Geister (Ennui) reden, und zwar dumpf, wenn 
die der Urgrossväter, leise dagegen, wenn kürzlich Verstorbener, indem bei 
jenen ein schweres, bei diesen ein leichtes Holz verwandt wird. Im Namen 
der Gottheit Oro wird auch der Baum zum Hinrichten aufgestellt und von 
ihr geht alles Urtheil aus. 

Der letzte Satz bezieht sich allerdings kaum auf den Oro allein; 
denn dieser tritt wohl nirgends selbständig auf. Der Oro ist die ausführende 
Macht der Ogboni. Das ganze Yaruba-Land wird durch diesen Bund oder 


r 


diese gesellschaftlich organisirte Obrigkeit verwaltet. Zum Tode verurtheilte 
Verbrecher werden vom Ogboni dem Oro übergeben. Solche Leute werden 
dann gewöhnlich nicht wiedergesehen. Nur die Kleider kann man in den 
Zweigen der Bäume hängend erblicken. Der Oro liess sie hier zurück, 
als er sich in die Lüfte erhob. Man erzählt in solehen Fällen, Oro habe 
die Leichen verschlungen. Selten findet man die Körper so Verurtheilter 
im Walde und es ist nicht gestattet, sie zu bestatten. Oro erscheint nur 
an einem Festtage, oder wie die Leute sagen, am „Oro-Tage“. An solchen 
hört man die Stimme des Oro vom Morgen bis in die Nacht und alle 
Frauen sind dann in die Hütte gebannt, während Oro in einem langen mit 
Schalen behängten Gewande und einer weissen Holzmaske mit blut- 
beschmierten Lippen, von einem zahlreichen Gefolge begleitet, die Stadt 
durchwandert. 

In Ondo wird Oro ein jährliches Fest, Oro Dako genannt, gefeiert. 
Es währt drei Monde, während welcher Zeit die Frauen jeden neunten Tag 
in die Hütten vom Tagesanbruch bis zum Mittag gebannt sind. Im dieser 
Zeit durcheilen die Männer die Stadt, das Schwirrholz schwingend, tanzend, 
singend, trommelnd und jeden verlaufenen Hund und jedes Huhn tödtend, 
um so eine Speise zu gewinnen. — Auf der Spitze eines Hügels in Abeo- 


kuta erhebt sich ein grosser Granitpfeiler. Dieser ist dem Oro heilig und 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 97 


niemand darf ihn besteigen. — Ellis glaubt, dass Oro, der jetzt nur noch 
als Wächter der öffentlichen Ordnung, wie Egungun der der privaten ist, 
ursprünglich der die Knaben-Erziehung leitende Geist war. 

Die enge Beziehung Oro’s zum Ogboni geht vor allem klar aus 
einem Berichte Bastians hervor. Die Stadt Ogbomascho wird gewöhnlich 
zweimal jährlich der Gewalt des Oro übergeben. Der Lärm beginnt, nach- 
dem den Frauen die entsprechende Warnung zugekommen ist, in kleinen 
Hütten, die abseits ausserhalb der Stadtmauer stehen und zu denen kein 
Zugang ist, als durch die Gebäulichkeiten der Stadtobersten. Während der 
ganzen Nacht geht dann der Geist der Vor- 
fahren mit einer mächtigen Bambuspeitsche um- 
her in einer Begleitung sonstiger Masken, die 
mehr oder weniger stereotyp sind oder werden. &% 
— Erwähnenswerth ist noch, dass den Ogboni “X 
das Recht der Bestattung zukommt. 

Die Ausdehnung der Ogboni-Oro- Institution 
scheint eine beträchtliche zu sein. Burton fand 
den Oro in Benin, wo er in Flor stand. Dort 
hat zumal im vorigen Jahrhundert der Ogboni 


ein grausames Regiment geführt. In der Niger- Bi ER 
; i 5 j . Nr. 17. Ganga des Königs Takadu 
mündung sind nach Bastian die „Fetische“ mit von Kpandu. (Nach Zeichnung von 
Namen „uru* heimisch. nur 
Der Name Oro wird verschieden gedeutet, von Ellis als Wuth, 
Grimm, Sturm, Anreizung, Berufung, von Bastian als „Es tönt“, von Burton 
als Marter und Strafe. Bedenkt man dazu, dass oru, olu, uru etc. bei Aku, 
Egba, Yoruba, Yagba, Eki, Dsumu, Owöro, Dsebu ete. Nacht heisst, nimmt 
dazu, dass ein Granitpfeiler Oro heilig ist und so weiter, so kommen wir 
der Annahme Burtons nahe, dass oro von orun „die Sonne“ abzuleiten ist. 
Die neuaufgefundene Anschauung, dass die Seele der Sonne folgt, weist 
den Weg der Entstehung und unterstützt den Bericht Bastians, dem zufolge 
Oro der Geist der Vorfahren ist. 


Clapperton verdanken wir einen eingehenden Bericht über ein Schau- 


spiel bei den Yoruba, dem wir hier wiedergeben wollen: 


wo 


Nova Acta LXXIV. Nr.1. 1 


98 L. Frobenius, 


So lange die Caboeirs in der Hauptstadt verweilen, werden Schau- 
spiele, Pantomimen oder wie man es nennen will, aufgeführt. Bei folgender 
Darstellung waren wir Zuschauer. Der Platz, der zu diesem Zeitvertreibe 
ausgewählt ist, ist der Garten des Königs, vor dem Hauptthore, wo der 
Gebieter meistentheils zu sitzen pflegt. Ein Tempel steht linker Hand, 
gegen Süd sind zwei sehr grosse, romantische Granitblöcke; an denselben 
steht ein alter verwitterter Baum. Gegen Osten sind einige schöne schattige 
Bäume, gegen Norden liegt des Königs Wohnung, wo er als Zuschauer 
seinen Platz hat. In der Mitte des Platzes sind zwei Gruppen schöner 
Bäume; in einer derselben steht eine hohe Fächerpalme, die weit über den 
Platz, der sieben- bis achthundert Ellen im Quadrat halten mag, hervorragt. 
Unter diesen Bäumen sassen die Schauspieler, ganz in Säcke gehüllt und 
die Köpfe mit bunten Streifen und Lappen von Seide und Baumwolle auf’s 
Phantastischste geschmückt. Die Leute des Königs geben Acht, dass kein 
Zuschauer in jenen Platz hinein kam, und Musikanten lärmten ohne Unter- 
lass mit Trommeln, Hörnern und Pfeifen. 

Der erste Act bestand darin, dass die Schauspieler in den Säcken 
tanzten und sprangen, was sie auf bewundernswürdige Weise thaten, wenn 
man bedenkt, dass sie nicht sehen und Hände und Füsse nicht frei ge- 
brauchen konnten. 

Im zweiten Act ward die Boa constrietor gefangen: Zuerst kam einer 
von den Sackmännern heran und kniete nieder auf Hände und Füsse, dann 
erschien eine grosse majestätische Figur, mit eimem Kopfputz und einer 
Maske, die man nicht beschreiben kann: sie war ganz pechschwarz; bis- 
weilen schien es ein Löwe zu sein, der über dem Kamme eines Helmes 
liegt, dann ein schwarzer Kopf mit einer grossen Perrücke; bei jeder Wen- 
dung änderte sich die Gestalt. Die Figur hielt in der rechten Hand ein 
Schwert, und nach der ausgezeichneten Kleidung und den Bewegungen war 
sie der Director der Vorstellung. Die Schauspieler sprachen kein Wort. 
Der Vorsteher, wie ich die grosse Gestalt nennen will, ging zu dem Manne, 
der in dem Sacke lag; ein anderer Sacktänzer ward in seinem Sacke her- 
beigebracht und nach einem Wink mit dem Schwerte bei dem Kopf oder 
den Füssen des anderen niedergelegt. Nachdem er die Enden beider Säcke 


aufgetrennt hatte, krochen beide Personen in einen. Dann schwang der 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 99 


Vorsteher sein Schwert gewaltig, ich glaubte, gewiss würde es nun ein 
Kopfabhauen geben, da alle Mitspielenden um die beiden im Sacke ver- 
sammelt waren; in wenigen Minuten waren sie aber fort bis auf den Vor- 
steher, der drei oder vier Hiebe mit dem Schwerte führte, als die Dar- 
stellung der Boa constrietor begann. Das T'hier steckte seinen Kopf aus 
dem Korbe, worin es lag, hervor und versuchte, den Vorsteher zu beissen; 
bei einem Streiche des Schwertes wendete es aber den Kopf nach einer 
anderen Seite, dem Hieb zu entgehen; dann kroch es allmählich aus dem 
Korbe und machte alle Bewegungen einer Schlange sehr natürlich nach, 
besonders das Auf- und Zumachen des Rachens, den der Schauspieler wahr- 
scheinlich durch seine beiden Hände bildete. Die Schlange war gegen vier- 
zehn Fuss lang und die Haut war gut nachgeahmt. Nachdem sie den 
Vorsteher eine Zeit lang durch den Park verfolgt und ihn zu beissen ver- 
“sucht hatte, was er dureh sein Schwert verhinderte, ward allen Schauspielern 
ein Zeichen gegeben, zu erscheinen und der Vorsteher stellte sich, als ob 
er mit dem Schwerte der Schlange in den Schwanz hiebe. Diese sperrte 
den Rachen auf, rollte sich zusammen und schien grosse Schmerzen zu 
leiden; als sie fast todt war, nahmen die Schauspieler sie auf die Schultern, 
indem sie noch immer den Rachen aufsperrte und zu beissen versuchte, und 
trugen sie im grossen Triumph in den "Tempel. 

Im dritten Act erschien der weisse Teufel. Als die Schauspieler in 
den Hintergrund der Scene traten, blieb einer zurück, und als sein Sack 
allmählich abfiel, erschien zuerst ein weisser Kopf, und das ganze Volk 
schrie laut auf; nach und nach ward der ganze Körper sichtbar und man 
sah eine weisse Gestalt, entsetzlich mager und vor Kälte schier vergehend. 
Die Gestalt nahm häufig Schnupftabak und rieb sich die Hände; wenn sie 
ging, geschah es mit dem linkischsten Anstande; sie trat auf, als wenn der 
weichlichste weisse Mann zum ersten Male mit blossen Füssen über Eis 
gehen sollte. 

Die Zuschauer fragten uns oft, ob die Darstellung nicht vortrefflich 
sei und baten, ich möchte ja hinsehen und Acht geben, was nun komme. 
Ich stellte mich, als ob mir die Carricatur eines Weissen ebensoviel Ver- 
gnügen machte als ihnen und gewiss, der Schauspieler spielte diese Rolle 
gut. Nachdem dies vorbei war, gingen die Schauspier alle in den Tempel. 

13* 


100 L. Frobenius, 


Zwischen jedem Acte sangen die Frauen des Königs und die versammelte 


Menge stimmte mit ein. 


Angrenzend an die Yaruba wohnen am Niger die Nupe. Diese ver- 
ehren, soweit sie nicht Mohamedaner sind, die Verstorbenen. _Dieselben 


werden nach Taylor wie in Yaruba von Maskirten dargestellt. Diese 


Maskentracht — Gumuko ist der Nupe-Name ist von bedeutender Höhe, 
von 12—15 Fuss. Sie wird hergestellt mit Hülfe von Bambus-Stäben. 
Der Maskenträger tanzt von Dorf zu Dorf und nimmt Geschenke von Kauris 
entgegen. Er übt eine gewisse tyrannische Macht während der Zeit seines 
Erscheinens aus. — Auch Flegel hat eine Maske aus Nupe mitgebracht, 
gebraucht „zum Maskenfeste für die Emmtefestspiele*. Sie ist in Kpatatschi 
erworben. 

Damit werden andere Maskentänze im Sudan leicht in Beziehung 
gebracht. Vogel weiss zu erzählen, dass die noch nicht zum Mohamedanis- 
mus bekehrten Stämme stets zur Erntezeit den Dodo darstellen. Em Mann, 
von dessen Kopf und Gürtel Durrhablätter (Safuhli) herabhängen, tritt von 
Trommelschlägen begleitet auf und beginnt zu tanzen, während Begleiter 
kleine Gaben für ihn einsammeln. — Im Lager H. Barth’s zu Taghelel 
(Damergu) tanzten eines Nachmittags zwei Magossaua d. i. Heiden den 
Teufelstanz Dodo „dem bösen Geist“ zu Ehren. Dodo ist nun  ver- 
schieden aufgefasst, von Barth als böser Geist, von Rohlfs als böses 
Prineip. Es mag heute wohl solche Rolle in der degenerirten und umge- 
formten Weltanschauung der Sudan-Völker einnehmen; sicherlich ist aber 
Vogels Auffassung, die bei den Stämmen südlich von Jakoba gewonnen ist, 
die richtigste: er nennt Dodo das Collectivum der Seelen aller Verstorbenen. 
Denn Passarge erwähnt einen Pfahl des Dodo, den er auch abbildet, und 
Vogel die kleinen heiligen Hütten. Das sind zwei Merkmale des Manismus. 

Die Neger wallen zwischen Sahara und Süd-Sudan hin und her, 
nehmen die Culturmerkmale des Nordens in die Heimat mit und tragen 
ihre Sitten in die Sahara. Da nimmt es wenig Wunder, wenn sogar in 
dem weit im Norden liegenden Mursuk Maskendarstellungen vereinzelt vor- 
kommen. Sie sind ohne Weiteres als südlichen Ursprungs zu bezeichnen. 


Eine solehe Aufführung erwähnt Rohlfs. In einem Festzuge war der Glanz- 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 101 


punkt ein aus Stäben und gelben Lappen verfertigtes Kameel, das von zwei 
Männern statt der Beine im nachgeahmten Kameelschritt fortbewegt wurde 
und in der "That komisch genug anzusehen war. 

In Kpatatschi hat Flegel noch eine, bei Passarge als Helm aus dem 
Sudan bezeichnete Maske erworben (Fig. 90). Im Katalog von Umlauf 
befinden sich unter Nr. 3237—-3240, 
wie ich mich überzeugen konnte, ganz 
ähnliche, mit der Provinienz-Angabe: 
„Porto Novo“ versehene, als „Fetisch- 
kappe* bezeichnete Stücke, deren erste 
folgendermaassen beschrieben ist: Eine 
25 cm hohe, zuckerhutförmige, dick- 
gefütterte Kappe ist mit rothem Zeug 
überzogen und mit dichten Reihen von 
Kaurimuscheln und kleinen in Blech 
gefassten Spiegeln benäht. Ueber das 
(resicht hängt eine lederne Maske 
herab, in welcher für Augen, Mund 
und Nase Oeffnungen geschnitten sind, 
während Backen-, Kinn- und Schnurr- 
bart durch Fell und angebundene 
Borstenbündel dargestellt sind. Den 


Kopf bedeckt ein rothes Stück Tuch. 
Nr. 18. Maskirtes Sandi-Mädchen der Vey. 


Auf der Spitze der Kappe ragt ein 
(Nach Büttikofer.) 


hoher Federbusch empor; die Vorder- 

seite des Kopftheiles nimmt ein Geierschädel mit aufgesperrtem Rachen und 
kleinen runden Spiegelgläsern an Stelle der Augen ein. — Ebenso sind die 
anderen Masken. Nr. 3240 ist statt mit einem Geier- mit einem Kranich- 


schädel versehen. 


h. Gold- und Sklaven-Küste nebst Inland (Jevhe). 

Abbildung. Text: Nr. 17. 

Litteratur. Briefliche Mittheilungen von Dr. Maclau, Major von Francois, Missionar Steiner, 
Missionar Ramsayer und anderen. Monrad: „Gemälde der Küste Guinea.“ 
S. 37. — Missionar Spieth im „Monatsblatt der norddeutschen Missions- 
gesellschaft.“ 1893. 


102 L. Frobenius, 


Bei den Tschi und Ewe kommen Masken nicht vor. Ob Geheim- 
bund-Institutionen an der Küste existiren, ist unklar aber unwahrscheinlich. 
Die vielen Masken mit der Angabe „Dahome*“ sind von den Yoruba einge- 
führt. Die Kopfbedeckung eines Ganga, wie ihn Kling gezeichnet hat, 
kann als Anfang oder Ausläufer einer Maske gedeutet werden. Eine Um- 
frage bei den besten Kennern dieser Gegenden hat aber bis auf eine Mit- 
theilung immer negative Resultate ergeben. Nur nordwestlich der Aschanti 
bei den Agni und Pakhalla, so schreibt mir Maclau, werden Masken ge- 
braucht im Culte des Sakarabro. Es sind das holzgeschnitzte Ochsenköpfe 
von natürlicher Grösse, die mit langen den ganzen Körper des Trägers 
bedeckenden Fransen aus Haaren versehen sind. 

Ueber eine ganz eigenartige Institution hören wir aber aus diesen 
Gegenden. Zuerst hat Monrad von ihr, dem Abbe-Bunde berichtet. In der 
Nähe der Dörfer Adda und Zuita (westlich und östlich der Volta, letzteres 
das heutige Quitta) giebt es Frauenzimmer, so erzählt Monrad, verheirathete 
sowohl als unverheirathete, die dem sogenannten Abbe-Fetisch d. i. der 
wichtigsten Gottheit im Lande geweiht sind. Auf den Fall, dass ein Mann 
eines von diesen Weibern heirathet, muss er ihre Oberherrschaft anerkennen. 

Wenn eine solche Frau sich von ihrem Manne oder sonst jemand 
für beleidigt hält, oder wenn es ihr einfällt, so stellt sie sich, als wenn 
sie wahnsinnig wäre. Sie überschmiert den ganzen Leib mit weisser Erde, 
Lehm oder Schlamm, wickelt Gras oder Schilfblätter um den Kopf und 
andere Theile des Leibes und wandert oder kriecht, wenigstens wenn es 
jemand sieht, auf allen Vieren von Dorf zu Dorf. Die Neger sagen von 
ihr, dass sie todt sei, und wenn man sie anredet, nickt sie wahnwitzig mit 
dem Kopfe, ohne zu antworten. Wenn sie zu einem Dorfe kommt, sucht 
sie Schutz in dem finsteren Schlupfwinkel irgend einer Hütte, am liebsten 
in der eines Ganga (statt Fetischpriester). Geht sie auf die Strasse hinaus, 
so ist sie gemeiniglich mit einem Knüttel in jeder Hand bewaffnet. Die 
Neger versammeln sich haufenweise um sie, während sie unter allerlei 
närrischen Geberden jauchzt, singt und tanzt. Zuweilen nimmt sie sich 
auch die Freiheit, die Umstehenden mit ihren Stöcken auf den Kopf oder 
wo sie treffen kann, zu schlagen. Dieses Unwesen treibt sie gemeiniglich 


bis der Mann oder derjenige, auf den sie zornig ist, sie durch Opfer für 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 103 


ihre Gottheit versöhnt. Dergleichen Opfer bestehen in den gewöhnlichsten 
Geschenken von Branntwein etc, wovon sie und ihre Mitschwestern den 
grössten Theil nehmen, und die ganze Geschichte wird mit frohen Tänzen, 
der Gottheit zu Ehren geendet. Diese Weiber versammeln sich oft in den 
Dörfern der Runde, um, wie sie sagen: „Fetisch zu tanzen“, d.h. sieh mit 
Tänzen der Gottheit zu Ehren zu belustigen. Sie überschmieren dann den 
ganzen Leib mit rother, das Gesicht aber mit weisser Erde und tanzen — 
wenn ich Monrad richtig verstehe — nackt im einem Kreise herum, die 
andere hinter der anderen, ohne einander bei den Händen zu nehmen. 

Ich vermuthe, dass der Abbe Monrads nichts anderes ist als der 
Jevhe Spieth, der über diesen als Bund einen ausgezeichneten und um- 
fassenden Bericht gegeben hat. 

Jevhe bedeutet eine Mehrzahl von Gottheiten, von denen jede ein 
eigenes Abzeichen und besondere Kraft besitzen soll. Die Namen der Gott- 
heiten sind: 1. So, der Besitzgott. Sein Abzeichen ist eine Axt, mit der er 
Bäume und Menschen spaltet. Im Blitze schleudert So durchlöcherte oder 
axtförmige Steine auf die Erde. Jeder davon getroffene lebendige Gegen- 
stand wird gespalten und stirbt; 2. der Voduda mit dem Abzeichen einer 
giftigen Schlange; 3. Avhleketi mit dem Abzeichen eines Haifisches; 4. Agbui 
mit dem Abzeichen eines anderen Seethieres, dessen Namen ich nicht er- 
fahren konnte. Sein am Lande errichteter Tempel soll aus den feinsten 
Kaurimuscheln gemacht sein. 

Das Heimathland des Jevhe ist das Dahomeyreich aus dem es nach 
Klein-Papo gekommen sein soll. Von dort aus machte er einen Vorstoss 
bis herauf nach Anglo und hat sich hier einen grossen Theil des Hinter- 
landes erobert. An der äussersten Grenze des Aveno-Gebietes musste er 
Halt machen. Seine vielen Versuche, sich auch die ackerbautreibende Be- 
völkerung des Innern dienstbar zu machen, scheiterte bis jetzt noch an dem 
gesunden Sinne der Ackerbauer, die ihre Freiheit nicht mit einer entehrenden 
Knechtschaft vertauschen wollten. Wenige Jahre sind erst verflossen, seit- 
dem die Jehve auch eines ihrer Klöster in Toda errichten wollten, welchem 
Ansinnen die dortigen Häuptlinge ein kräftiges „Nein“ entgegensetzten. 

Ein Jevhe-Kloster hat man sich etwa folgendermaassen vorzustellen. 


In der Mitte eines grossen, mit Zaun oder Erdmauer abgeschlossenen Platzes 


104 L. Frobenius, 


stehen eine oder mehrere Hütten, jede mit zwei Zugängen. In einer mit 
weissem Stoff bedeckten Schnapskiste werden in solch einer Hütte die so- 
genannten Blitz-(So)Steine aufbewahrt und verehrt. Dort steht auch ein 
mit Blut besprengter und weissen Hühnerfedern geschmückter Erdaltar. Im 
Dunkel dieses Jevhe-Heiligthums befinden sich ferner die geweihten Geräthe: 
zwei Trommeln und ein Eisen, Gongo genannt. 

Die Hütte ist durch eine Mauer der Länge nach in einen vorderen 
und einen inneren sehr düsteren Raum getheilt. In der Mitte dieser Scheide- 
wand ist ein zwei Meter hohes und ein Meter weites Rohr aus Erde fest 
eingemauert, an dessen unterem Theile sich eine Oeffnung befindet, die 
genau so weit ist, dass ein Mensch in das Rohr hineinkriechen kann. In 
dem vorderen Hüttenraume steht zuweilen ein aus Stäben errichtetes, tisch- 
ähnliches Gerüst, worauf eine Menge Knochen, Hölzchen, Kaurimuscheln 
und Aehnliches, wohl auch Opfergaben gelegt sind. Uneingeweihte dürfen 
dieses Gehöfte bei hoher Strafe nicht betreten, wenn sie nicht etwa im 
Sinne haben, sich den Jevhe-Verehrern als Mitglieder anzuschliessen. 

Die ‚Jevhe-Gemeinde besteht aus dem eigentlichen Priester, Hunuwo, 
Humbuno, Husunu, Husunukpe oder auch Soklohu genannt, und einer grossen 
Schaar männlicher und weiblicher „Hunde“, d. i. Kinder. Diese theilen sich 
in zwei Klassen, in eine, die der Jevhe-Gemeinschaft ganz angehört und in 
alle Geheimnisse eingeweiht ist und in eine zweite, die noch ferner steht, 
vor der man deswegen auch allerlei Angelegenheiten verborgen hält. Fragen 
wir nun zunächst nach den Beweggründen, welche die Einzelnen veranlassen, 
sich den Jevhedienern anzuschliessen, so finden wir: 

1. solche, die es freiwillig geworden, und zwar aus irgend welchen 
verwerflichen Gründen; 

2. solche, die dureh List gewonnen sind; 

3. solche, die geraubt wurden und 

4. solche, die schon durch Geburt Mitglieder sind. 

Das Verführerische dieser Klöster besteht darin, dass ihre Insassen 
ein ungebundenes, zügelloses Leben führen können, hauptsächlich aber, dass 
mit dem Betreten des geweihten Bodens alle Rechte der Aussenwelt an den 
Betreffenden sofort erlöschen. Der Gläubiger darf keine Schuld, der Mann 


keine Frau, die Eltern kein Kind mehr zurückfordern. Während sie alle 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 105 


Rechte an den Mitgliedern der Jevhe-Gemeinde verlieren, erwachsen ihnen 
hingegen eine Menge der weitgehendsten Pflichten, die sie nieht allein den 
im Kloster weilenden Familiengliedern gegenüber, sondern auch gegen die 
übrigen Jevhe-Angehörigen zu erfüllen haben. 

Dies bedarf noch weiterer Beleuchtung. Es ist bekannt, dass in 
Anglo sehr verschuldete Menschen von ihren Angehörigen nach der Haupt- 
stadt gebracht und im Auftrage des Stammeshäuptlings lebendig begraben 
oder im günstigsten Falle todt geschlagen werden. Solche verschuldete 
Menschen fliehen mit Vorliebe in das Jevhe-Heiligthum. Der Priester lässt 
dann öffentlich bekannt machen: N. N. ist vom Jevhe weggenommen worden. 
Wagt es der Gläubiger dennoch, seine Schuld bei dem Manne einzufordern, 

kommt er schlecht fort. Derselbe beginnt wild zu tanzen, giebt seinen 
Genossen ein Zeichen, und das Ende vom Liede ist, dass der Gläubiger 
statt Geld zu erhalten, gerade so viel als die Schuld, die er fordert, als 
Strafe an die Jevhe-Leute zu zahlen hat. 

Freiwillig treten ferner Männer ein, die dadurch eine Frau zu be- 
kommen hoffen. Mit vier Flaschen Branntwein geht ein solcher in Begleitung 
eines Hundes zum Hunuwo und 
trägt diesem sein Anliegen vor. 
Dieser giesst ein Gläschen des 

erhaltenen Branntweins als 
Opfergabe auf das Abzeichen 
der Gottheit und betet: „Hier 
ist der Stein, wenn Du ihn von 


mir annimmst, dann führe noch 


heute jemand in das Gehöft, 2 
der Fleisch, Wein und Mehl Nr. 19. Penda-Penda der Bagos. (Nach Coffinieres 
F # 3 de Nordeck). 

bringt“. Nach diesem Gebet 
verbindet er dem Neuling die Augen und spricht: „Dein Angesicht hat man 
verbunden und Jevhe hat den Wein getrunken; man mag nun frei reden, 
dass es alle hören; sagst Du es aber einem Uneingeweihten, dann musst 
Du sterben“. Gleichzeitig reicht er dem Manne eine Kalabasse geweihten 
Wassers, Hune genannt, zum Trinken, durch das Jevhe selbst in seinen 


Körper eingeht. Der Neuling bringt nun ein weisses Huhn als Opfer, das 
Nova Acta LXXIV. Nr.1. 14 


106 L. Frobenius, 


der Priester tödtet. Das rohe Fleisch wird in Stücke geschnitten, mit dem 
frischen Opferblut und etwas Mehl zu einem Brei geknetet und vom Priester, 
dem Neuling und einem älteren Hunde zusammen gegessen. Eine solche 
Speise heisst: „veve* d.i. Beissendes. Mit diesem Akte ist er ganz in die 
Gemeinschaft aufgenommen und es giebt fortan kein Geheimniss mehr vor 
ihm. Zu enthalten hat er sich nur des Fisches Adepe. Eine weitere Ver- 
pflichtung für den Neuaufgenommenen besteht darm, dass er drei Monate 
lang, so oft die Hundewo zum Spiel zusammen kommen, immer eine Flasche 
Branntwein beschaffen muss. 

Will ein Mädehen oder eine Frau Jevhe-Mitglied werden, so eilt sie 
nach dem Jevhe-Gehöft und wirft sich dort vor dem Priester nieder, worauf 
sie als Jevhe-Zögling angenommen wird. Vater, Mutter oder ihr Mann 
müssen ihr nun während der sechs Monate, die sie Kloster-Insasse ist, täglich 
kochen und die Speise durch einen älteren Hunde ms Gehöfte tragen lassen. 
Will der Mann bei seiner Frau sein, so wird ihm das nur unter der Be- 
dingung gestattet, dass er eine Kiste Schnaps giebt und sich selbst als Mit- 
glied aufnehmen lässt. 

Zu erwähnen sind ferner diejenigen, die durch List in das Kloster 
gelockt werden, was immer durch die älteren Hundewo geschieht, sei es, 
dass diese mit den Ausersehenen Freundschaft schliessen, ihnen von dem 
schönen Leben hinter den Jevhe-Mauern sagen, oder aber, dass sie dieselben 
gegen den Mann oder gegen die Eltern aufhetzen, so dass sie eines Tages 
zu Hause einfach verschwunden sind. Die Nachfrage seitens der An- 
gehörigen ergiebt endlich, Jevhe habe sie weggenommen. In den ersten 
Tagen, so lange die Frau von dem trauernden Manne gesucht wird, hält sie 
der Priester versteckt in dem oben beschriebenen Erdrohre, wo er sie nährt 
und pflegt. Will eine solche ihren Mann für immer los sein, so giebt sie 
dem Priester den Auftrag, ihn nicht in das Gehöft einzulassen, auch wenn 
er die übliche Gabe, den Branntwein, mitbringt. 

Eine dritte Klasse dieser Klosterzöglinge besteht aus solchen, die am 
Abend, während des Spieles, von den männlichen Hundewo plötzlich weg- 
geschleppt werden. 

Eine vierte Klasse endlich setzt sich aus den Kindern der Jevhe- 


Frauen zusammen, die schon durch Geburt Hundewos sind. Sobald das 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 107 


Kind etwas gewachsen ist, wird es von der Mutter in das Jevhe-Gehöft 
begleitet, wo es alles sieht und hört und wo es seine Nahrung zu sich 
nimmt. Von früher Kindheit an wird dem Kinde Schweigen zu strengster 
Pflicht gemacht. 

Hat ein Mann die’ Absicht, Jevhe-Priester oder Hunuwo zu werden, 
so sammelt er sich eine Anzahl So- oder Blitzsteime, was nicht immer ganz 
leicht ist, legt diese in einen Topf und giesst Wasser hinein. Der Topf 
wird nun sorgfältig verschlossen und draussen im Felde in den Boden ein- 
gegraben. Ist eine geraume Wartezeit verflossen, so legt der angehende 
Priester an diesem Platze seinen Anker an. Bei der Feldarbeit stösst er 
plötzlich, wie von unsichtbarer Hand geleitet, auf den eingegrabenen Topf, 
den er freudig überrascht öffnet. Noch unter dem ersten Eindruck seiner 
Ueberraschung eilt er zu einem älteren Jevhe-Priester und erzählt diesem: 
„Ich habe einen kleinen Topf gefunden! Komm schnell und sieh’ ihn für 
mich!“ Mit ermster Miene, die den Sachkundigen verräth, erklärt der Ge- 
rufene dem Manne: „Du hast ja den Jevhe gefunden; heute hast Du Dich 
mir geoffenbart*. 

Der Fund wird nun so lange geheim gehalten, bis der angehende 
Priester das nöthige Geld zur Einweihung des gefundenen Jevhe besitzt. 
Hierzu bedarf es eines Schafbocks, eines weissen Hahnes und 24 Flaschen 
Branntwein. Ist seine Vorbereitung in aller Stille vollendet, dann baut er 
eine kleine Hütte in seinem Hofe, in der er seiner Gottheit Bildniss, den 
Topf aufstell. Am fölgenden Morgen giesst er eine Kalebasse mit Mehl- 
wasser auf den Weg, der zur Hütte führt und betet: „Jevhe, Du, den ich 
gefunden, gieb, dass mein Fleisch stark bleibe, damit ich Dir diene*. 

Vor der eigentlichen Einweihung handelt es sich noch darum, eine 
Gemeinde zu gewinnen. Dies geschieht auf folgende Weise. Er macht 
sich einen starken Mann zum Freunde. In seiner Begleitung geht er zu 
irgend einem Nachbardorfe, um dort an den abendlichen Spielen Theil zu 
nehmen. Während die jungen Mädchen nun tanzen, springt sein Freund 
auf eine derselben, stopfte ihr, um sie am Schreien zu verhindern, ein Tuch 
in den Mund und trägt sie von dannen. Zu Hause steckt er sie in die 
früher beschriebene Erdröhre und ernährt sie dort so lange, bis sie von 
ihren klagenden Eltern gesucht und gefordert wird. Zu dem Jevhe-Gehöft 

14* 


108 L. Frobenius, 


bekommen die Eltern keinen Zutritt. Der Priester bedeutet ihnen aber, 
dass sie ihr Kind nach Bezahlung von zwei Mark Kauries und einigen 
Flaschen Branntwein sehen können, was sie gewöhnlich gerne thun. Auf 
einen bestimmten Tag verpflichtet er die Eltern noch, dass sie ihrer Tochter 
täglich kochen und die Speise in die Wohnung des Priesters bringen müssen. 
Jetzt erst führt er das Mädchen heraus, und die nächsten Familienmitglieder 
dürfen sie von einer ziemlichen Entfernung aus sehen. 

Ist ihm das alles nach Wunsch gelungen, so feiert er mit seinen 
geladenen ‚Jevhe-Gästen ein Fest. Während des Gelages, das sieben Tage 
dauert, werden bei Gesang und Tanz Schaf, Hahn und Branntwein auf- 
gezehrt. Die Federn des Hahnes taucht man in das Opferblut und drückt 
sie unter Gebet an die Aussenseite des Topfes, der den Jevhe birgt. In 
diesen sieben Tagen werden noch mehr Mädchen eingefangen und in der 
beschriebenen Weise behandelt. 

Sehen wir uns nun den Aufenthalt solchen Mädchens im Kloster des 
Näheren an. Ihre Weihe besteht darin, dass sie am ganzen Körper rasirt 
werden. Dann folgt ein kaltes Bad, worauf sie sich mit Oel salbt. Alle 
ihre früheren Kleiderstücke muss sie ablegen und dafür ein vom Priester 
erhaltenes Stück weissen Baumwollenzeuges verwenden. Letzteres wird 
häufig auch nur durch ein Bananenblatt ersetzt. Das Auffallendste ist, dass 
sie auch einen neuen Namen empfängt, der aus der Geheimsprache ge- 
nommen ist. Es steht schwere Strafe darauf, wenn der alte Name von ihr 
selbst oder ihren Angehörigen oder auch von irgend einem Fremden in den 
Mund genommen wird. Als äusseres Abzeichen wird ihr noch ein weisser 
Baumwollfaden um den Hals gebunden. 

Die Erziehung dieser Mädchen besteht einmal in dem Erlernen der 
ihnen bis dahin ganz fremden ‚JJevhe-Sprache, in der sie sich mit den 
Klostergenossen ausschliesslich unterhalten müssen. Die Sprache heisst 
Agbuigbe-Sprache. Sie soll, wie es heisst, heute noch in Avhleketi, einer 
Stadt nahe bei Dahome gesprochen werden, aus der auch der ganze Jevhe- 
Dienst stammen soll. Sodann haben sie förmliche, langandauernde Gesangs- 
übungen unter Anleitung älterer Frauenzimmer. Ein grosser Werth wird 
ferner auf das 


genaue Erlernen gewisser Ehrenbezeugungen und Gruss- 


formeln gelegt. Bevor sie grüssen, fallen sie auf die Knie, schlagen die 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 109 


Hände taktmässig aneinander und singen den Gruss ab. Diese Uebungen 
werden täglich im Beisein des Priesters gemacht. Während ihrer sechs- 
monatlichen Lehrzeit müssen sie sich ferner eine Kenntniss der wirksamsten 
Gifte aneignen. An Arbeit wird ihnen weiter nichts zugemuthet, als Matten 
und Körbe tlechten und spinnen. 

Erst wenn der Priester genügende Beweise hat, dass alle menschlich 


natürlichen Gefühle, wie Liebe 


und Anhänglichkeit zu der Fa- 
milie, zu Freunden und Bekann- 
ten erstorben sind, dann erst 
darf sie das Gehöft verlassen, 
um Wasser und Feuerholz zu 
holen. Trifft sie auf diesen 
Gängen eines ihrer Familien- 


glieder, so hat sie die strengste 


Weisung, sich ganz fremd gegen 
dieselben zu stellen, kein Wort 
mit ihnen zu sprechen und ihnen 
keinerlei Hülfe zu leisten. Durch 
Androhung harter Strafen wird 
dieses Ziel auch vollständig er- 
reicht. 

Nach Ablauf ihrer Ausbildung 
darf sie das Kloster wieder ver- 


lassen und zu den ihrigen zu- 
rückkehren. Ihr Austritt aus Nr. 20. Beschneidungstracht eines Fürstenknaben 
dem Kloster heisst: „dede le ee 
Jewe me“, d.h. Herausnahme aus Jevhe, auch: „dede ami me“ d. h. Heraus- 
nahme aus dem Fett (Oel), und wird sieben Tage hindurch festlich gefeiert. 
Der Mann des Mädchens muss dazu dem Priester 12 Mk. in Kauries und 
eine Kiste (24 Flaschen) guten Branntwein schenken. Ihr Vater giebt eine 
Ziege oder ein Schaf und sieben Hühner. Die Mutter bringt eine grosse 
Kalabasse Bohnen, einen halben Topf Palmöl, einen Sack Maismehl und einen 
Topf Maisbier. Nach Empfangnahme dieser Geschenke bestimmt der Priester 


110 L. Frobenius, 


einen Tag, an dem sie kommen und ihre Tochter „aus dem Fett“ nehmen 
dürfen. Dieser Tag wird auch der ganzen Stadtbevölkerung bekannt ge- 
geben. Zur bestimmten Zeit stellen die Eltern des Mädchens zwei Säcke 
mit Kauries auf den Festplatz. Die älteren Jevhe-Frauen setzen sich nun 
im Kreise herum, jede eine leere Kalebasse vor sich haltend. Die Eltern 
und Verwandten des Mädchens nehmen jeder eine Handvoll Kauries aus dem 
Sacke, tanzen an Priester und Priesterinnen vorbei und legen die Kauries 
in die vorgehaltenen Kalebassen. Dieser Tanz dauert die ganze Nacht hin- 
durch. Am Morgen, wenn die Geldsäcke geleert sind und die Kalabassen 
gefüllt, entfernen sich die Eltern, ohne jedoch ihre Tochter gesehen zu haben. 

Der Priester begiebt sich nun in das ‚Jevhe-Heiligthum zurück und 
taucht dort seinen Finger in das Blut eines als Opfer dargebrachten Huhnes, 
streicht es dem Mädchen auf den Scheitel und fährt ihr damit über den 
Kopf von einem Ohr zum andern. Ihr Haupt schmückt er mit einer mehr- 
farbigen Baumwollschnur und rothen Papageifedern, ihren Leib dagegen 
mit den von ihren Eltern gespendeten Kleidern. So führt er sie vor das 
auf der Strasse versammelte Volk, wo sie unter Jauchzen begrüsst wird. 
Während sie vor allen tanzt, werfen ihr ihre Angehörigen Kleider und 
Kopftücher als Geschenke zu. 

Am siebenten Tage giebt der Priester seinen Leuten, den Hundewo, 
den Auftrag, die Gefeierte jetzt heim zu ihren Eltern zu bringen. Dort 
darf sie vier Monate lang kein Evhe sprechen. Acht Tage nach ihrer An- 
kunft im Elternhaus macht sie in Begleitung zweier Personen Besuche bei 
den Familiengliedern, eine mit Wasser gefüllte Kalabasse im der Hand 
tragend. In jedem Hause macht sie vorschriftsmässig ihren Kniefall, worauf 
sie in der Geheimsprache grüsst. Der Gegrüsste bietet ihr dann 3—4 Streng 
(5 Pfge.) in Kaurimuscheln an, die sie den Klosterregeln gemäss dreimal 
abweisen und zum vierten Male annehmen darf. Sie legt dieselben in die 
Kalabasse und dankt knieend. Der Verwandte taucht nun seine Hand in 
das von ihr mitgebrachte Wasser, besprengt ihr Haupt damit und sagt: 
„Du bist meine leibliche Schwester, Du wurdest Dienerin des Jevhe. Wenn 
ich Dich einmal mit Deinen alten Namen rufen sollte, so möge Jevhe es 
mit einem todten Ohre hören.“ In dieser Weise macht sie bei allen 


Familiengliedern die Runde. 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 111 


Ist die Zurückgekehrte eine verheirathete Frau, so kann sie jetzt 
wieder zu ihrem Manne unter der Voraussetzung zurückkehren, dass dieser 
ihr zwei gekochte Hühner und zwei Töpfe Landesbier im Beisein ihrer 
versammelten Verwandten zum Geschenke macht. Jetzt gehört sie wieder 
der Familie und dem Manne. Wie unsicher aber diese Grundlage der neuen 
"amilienzugehörigkeit ist, darüber noch einige kurze Bemerkungen. Ihre 
Beziehungen zum Jevhe-Priester und ihren Jevhe-Collegen, den Hundewo, 
sind weit inniger und lebhafter als diejenigen, die sie noch an Mann und 
Familie ketten. Häufig muss sie in’s Jevhe-Haus gehen und die Arbeiten 
in demselben, wie Kehren, Wasser und Holz holen, besorgen. Das führt 
selbstverständlich zu allerlei Missverständnissen und Streit mit dem Manne. 
Ist dies aber einmal soweit gekommen, so ist das schlimmer für den armen 
Mann. Das erzürnte Weib läuft nämlich zum Priester oder zu irgend einem 
ihrer sogenannten Brüder in einer Nachbarstadt, um bei diesem die nächsten 
zwei Monate zu bleiben. Die Verwandten und nächsten Angehörigen des 
Weibes gerathen infolgedessen in grosse Angst. Sie gehen zu dem Belei- 
diger und stellen ihm vor, er sei die Ursache, dass ihre Schwester verloren 
gegangen sei. Es solle ja alles thun, damit man die Verlorene doch wieder 
finde. Mit zwei Flaschen Branntwein und etwas Maismehl in der Hand 
eilt er zum Priester und bittet diesen, ihm doch für die Rückkehr seiner 
Frau behülflich zu sein. Innerlich darüber erfreut ruft dieser seine Collegen 
aus den Nachbarstädten zusammen, die feierlichst in ihren Jevhe-Gewändern 
erscheinen. Unter gewaltigem Trommeln, Singen und Tanzen versammeln 
sieh dieselben im Schatten eines Baumes auf offener Dorfstrasse und nehmen 
den Mann der beleidigten Frau in ein ernstes Verhör. Gewöhnlich lautet 
der Urtheilsspruch auf 100 Mk. Strafe, die er sofort bezahlen muss. Wollte 
er nicht gleich bezahlen, so würde dies die Summe nur verdoppeln und 
verdreifachen. So giebt er sich alle Mühe, das Geld augenblieklieh zu- 
sammen zu bringen. Nach Empfang dieses Geldes rennt der ganze Priester- 
schwarm in wilder Hast in den Busch hinaus, angeblich um die verlorene 
Frau zu suchen. Um sich ein schreckliches Ansehen zu geben, hat «die 
Frau ihren Körper mit rother Erde beschmiert und Gras in ihre losen 
Haare gestopft. Aus dem Busch wird sie so in’s Jevhe-Haus gebracht, um 


sich dort zu waschen und anzukleiden. Vom Jevhe-Haus kommend, wird 


11119 L. Frobenius, 


sie dann unter dem ‚Jubel der zuschauenden Menge begrüsst. Durch ein 
grosses Trinkgelage wird der Freude über ihre Rückkehr Ausdruck ver- 
liehen. Die Priester übergeben sie darauf ihrem Manne und der ganzen 
Familie. Zu Hause muss sie in den nächsten vier Monaten wieder aus- 
schliesslich Jevhe reden. 

Häufig kommt es auch vor, dass die Priester behaupten, die Frau 
wäre in’s Meer gesprungen und wohne auf dem Meeresgrunde. Als sicherer 
Beweis dafür schemt dem geprellten Manne zu gelten, dass man angeblich 
ihre Kleider und Schmucksachen am Meeresstrande liegend gefunden habe, 
während sie ganz gemüthlich unter dem Dache eines Hunde oder Hunuwo 
sitzt. Hat der Beschuldigte sich zu jedem Opfer bereit erklärt, so geht 
der Hunuwo scheinbar ganz absichtslos zum Fischen, wobei er die Ver- 
lorene in seinem Fischnetze gefangen und an’s Land gezogen haben will. 
Wenn ihr Mann Lust zeigt, sie wieder zum Weibe zu nehmen, so muss er 
sie von dem Priester zurückkaufen. 

Der Tod eines Jevhe-Gliedes belastet die Angehörigen wieder mit 
schweren Pflichten. Einem Ache (an die Luft Gesetzten, Uneingeweihten) 
ist es strengstens untersagt, den Todten anzurühren. Dieses Vorrecht steht 
den Hundewo allein zu; nur sie dürfen ihn auch beerdigen. Bevor sie 
aber von diesem Vorrecht Gebrauch machen, müssen die Angehörigen des 
Verstorbenen den Priester erst mit 12 Mk. und den Jevhe-Gott mit 1 Mk. 
20 Pfe. in der Hand unterthänigst um die Gunst bitten, dass sie ihren Ver- 
storbenen begraben dürfen. Ausser dem Gelde verlangt der Priester alle 
Kleider des Verstorbenen, die ihm auch bereitwillig eingehändigt werden. 
Für den üblichen Leichenschmaus müssen die Angehörigen Landesbier, 
einige Schafe und Maismehl beschaffen. Nach Verzehrung dieser Sachen, 
der natürlich das eigentliche Begräbniss vorausgeht, wälzen sich Priester 
und Priesterfrauen im Koth, welchem Ausdruck der Trauer ein längeres 
Spielgelage folgt. Den Abschluss der Leichenfeier bildet ein Gang nach 
dem Meere, in dessen Wogen sie sich baden. Von dort bringt jeder einen 
Topf Seewasser mit in’s Jevhe-Haus zurück, das der Priester unter Gebet 
an die Wände sprengt. Dem Geist soll dadurch die Rückkehr zu ihm un- 
möglich werden. Von der gewöhnlichen Todesart unterscheiden die Jevhe- 
Leute noch eine zweite, die als Ausdruck göttlicher Rache aufgefasst und 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 113 


behandelt wird. Hierzu gehört jede plötzlich eingetretene Todesart, z. B. 
dureh Blitzschlag oder Gift. Wer vom Blitz getroffen wurde, den hat der 
Zorn des Jevhe getödtet. Wurde von irgend einem Hunde bekannt, dass 
er Geheimnisse ausplaudere, so wird er mittelst Gift, das innerhalb 6—7 
Tagen den Tod bringt, aus dem Wege geschafft. Einen solchen hat eben- 
falls der Zorn des ‚Jevhe getödtet wegen Uebertretung der Gesetze. Solche 
Siinder werden nicht bei den anderen, sondern draussen im Busche unter 
Bäumen beerdigt, in die der Blitz geschlagen hat. 

Im Evhe-Lande herrscht über- 
all die Sitte, dass die Angehörigen 
unmittelbar oder 7 Tage nach dem 
Tode eines Familiengliedes zum 
Todtenbeschwörer gehen. Dieser 
muss den Geist des Verstorbenen in 
das Dunkel einer Hütte zitiren und 
ihn fragen, warum er diese Welt 
verlassen habe. Die Jevhe- Rinder 
“theilen diesen Glauben und Brauch 
mit den Achewo. Dem Priester, 
Hunuwo, liegt viel daran, dass er 
sich gleich nach dem Verscheiden 
eines Hunde mit dem Todten - Be- 
schwörer in’s Einvernehmen setzt. 
Die Angehörigen des Verstorbenen 


kommen nämlich zuerst zum Priester. 


Im Namen seiner Gottheit theilt er 


Nr. 21. Maskirter aus Senegambien. 
(Nach Raffenel). 


ihnen mit, warum ihr Bruder oder 
ihre Schwester gestorben sei. Um 


zu erfahren, ob diese priesterliche Auskunft die Richtige ist, gehen sie vom 


r 


Priester zum Todtenbeschwörer. Dieser muss den Geist des Todten selbst 


befragen. Stimmen nun seine Aussagen mit den von dem Hunuwo 


OP- 
gt 


machten überein, so wird dadurch das Ansehen des Hunuwo erhöht und 
die Angehörigen leisten seinen ferneren Anordnungen gern Gehorsam. 
Trotzdem der Todtenbeschwörer gewöhnlich zu den verachteten 


Nova Acta LXXIV. Nr.1. 15 


114 L. Frobenius, 


Achewo gehört, so liegt es also doch sehr im Interesse des gesammten 
‚Jevhe-Wesens, sich mit dieser Art Leute zu befreunden. Womöglich werden 
sie sogar in den Kreis der ferner stehenden, also halb eingeweihten Hun- 
dewo hereingezogen. 

Wie mit den Geisterbeschwörern, so pflegen sie auch mit der welt- 
lichen Obrigkeit die besten Beziehungen. Zumal die Häuptlinge suchen sie 
gewöhnlich nicht ohne Erfolg in ihre „Lichtsgemeinschaft“ hereinzuziehen, 
oder jedenfalls in eine von ihnen abhängige und damit untergeordnete 
Stellung zu bringen. In ganz Anglo und Aveno werden auch wenig Häupt- 
linge zu finden sein, die mit dem Jevhe nieht unter einer Decke spielen. 

Eime solche Politik ist durchaus nöthig für dieses Geheim-Wesen. 
Es wird dies aus der Schilderung des Gerichtswesens, soweit der Jevhe 
eingreift, erhellen. — Es giebt keine Stadt und kein noch so kleines Dorf 
an der Küste, wo nicht eine grössere Anzahl von Hundewo, Jevhekindern, 
leben. Neben anderen Aufgaben liegt ihnen auch die der Spionage ob. 
Infolgedessen sind sie auch mit allen Dorf- und Familienangelegenheiten 
aufs Beste vertraut. Bei ihren Zusammenkünften theilen sie sich ihre 
neuesten Erfahrungen eingehend mit, so dass alle Glieder mit allen Vor- 
gängen auf dem Laufenden bleiben. Von Streitigkeiten, bei denen Jevhe 
irgendwie im Spiele steht und die nicht selten von ihm angerichtet sind, 
erstatten die Hundewo dem Hunuwo Bericht. Dieser begiebt sich dann im 
Laufe der Nacht zum Dorfhäuptling. Ihm wird der Fall erzählt und sein 
guter Rath erbeten, den ihn der Häuptling auch gerne zu geben pflegt. 
Mit dem Urtheil des Häuptlmgs in der Tasche kann der Priester nun ruhig 
die anberaumte gerichtliche Untersuchung vornehmen. Nachdem er über 
den Schuldigen das Urtheil gesprochen und die Strafsumme von ihm er- 
halten hat, bringt er einen Theil dieser Einnahmen seinem politischen Rath- 
geber in der Stadt. Es stehen sich dabei beide Theile gut, Hunuwo und 
Häuptling. Letztere lässt sich seine guten Beziehungen entsprechend be- 
zahlen, die Priester aber können von den Häuptlingen unbehelligt ihre 
eigenen Wege gehen. 

Ihre Haupteinnahmequelle besteht in dem Eidschwur auf Jevhe. 
Wurde jemand, ein Ache, durch einen zweiten beleidigt, so sinnt der Be- 


leidigte darauf, wie er dem Beleidiger sein Unrecht auf die empfindlichste 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 115 


Weise zum Bewusstsein bringen könne. Unter den vielen und mancherlei 
Mitteln, die ihm hierbei zur Verfügung stehen, ist der Eidschwur auf Jevhe 
eines der wirksamsten. Dieser soll darin bestehen, dass der Eidschwörende 
aus den frischgewachsenen Blättern der Oelpalme und des Anyabaumes 
(auch Blitzbaum genannt) einen Ring bildet. Diesen wirft er bei Gelegen- 
heit dem Beleidiger wie eine Schlinge über den Kopf. Den Sinn wohl 
begreifend, bekommt dieser Angst und meldet sich selbst beim Jevhe. 

Mit Trommelschlag, Tanz und Gesang wird die priesterliche Gerichts- 
sitzung eingeleitet. Das Ergebniss der langen Sitzung ist immer die Ver- 


urtheilung desjenigen, auf den der Eid geschworen worden war. Das Straf- 


maass wird nicht durch die Bedeutung des Eides — denn dadurch wird nur 
der Priester gezwungen, die Sache zu der seinigen zu machen — sondern 


durch die Höhe der Klagesumme bedingt. Verlangt der Kläger z. B. 100 M. 
Sühnegeld, so wird der. Verurtheilte um 300 Mk. bestraft. Die sofortige 
Ausführung des Zahlungsbefehles wird durch grausame Folter erpresst. Auf 
dem Grerichtsplatze liegt ein Haufen zerstossener Palmnussschalen. Ihre 
Bruchflächen haben scharfe Kanten und Spitzen. Auf diesen Schalen muss 
der Verurtheilte von Morgen bis Nachmittags knieen. Der grausame 
Schmerz nöthigt ihm endlich die Bitte um Ermässigung der Schuld ab. 
Seine nächsten Familienglieder werden dadurch bewogen, Schafe, Ziegen 
und anderes rasch zu verkaufen, um das Geld sofort beschaffen und ihren 
gepeinigten Bruder von seinen Schmerzen erlösen zu können. 

Kann ein Gläubiger trotz wiederholter Mahnungen sein Guthaben 
nicht bekommen, so nimmt er seine Zuflucht zum Jevhe. Mit einem Ge- 
schenk, bestehend aus vier Flaschen Branntwein, geht er zu irgend einem 
Hunde, erzählt diesem den Sachverhalt und bittet ihn, er möge die Schuld 
für ihn eintreiben. Der Hunde bespricht sich hierauf mit seinen Kameraden. 
Der Schluss der Besprechung ist, dass sie von dem Manne zuerst eine Kiste 
Branntwein fordern. Erhalten sie das Gewünschte, so geben sie allen 
Hundewo den Auftrag, sich auf die Lauer zu stellen, um einen Bruder des 
Schuldners, nicht diesen selbst, festzunehmen. Gelingt diese List, so ist 
dem Schuldner die Pflicht auferlegt, seinen gefangenen Bruder wieder frei zu 
kaufen. Die Freikaufssumme fasst in sich 1) den Betrag der Schuld, 
2) die Kosten des Branntweins und 3) die Belohnung der Laurer. Die 


er 


15* 


116 L. Frobenius, 


Gefangennahme geschieht immer mit Lebensgefahr der Hunde und lässt er 
sich deswegen mit 24 Mk. und einem Schafbock bezahlen. Wird er dabei 
getödtet, so darf sein Leben von niemand gerächt werden. 

Nicht so liegt die Sache, wenn der Gläubiger die Schuld schon er- 
halten hatte und sie zum zweiten Male eintreiben will, sich also durch 
diese Maassregeln unrechtmässige Erpressungen erlaubt. Fällt der Hunde 
solch einem Erpressungsversuche zum Opfer, so wird sein Leben durch 
seine Familienglieder von dem Auftraggeber gefordert. 

Aus alle dem ist klar zu ersehen, dass die ‚Jevhe-Priester grosses 
Interesse daran haben, die Vertreter der weltlichen Obrigkeit in ihren Ver- 


band hereinzuziehen. 


In welchem Verhältniss zum Jevhe die von v. Francois erwähnte 
„Fetischgemeinde* steht, ist schwer feststellbar, da eingehendere Notizen 


fehlen. 


i. Liberia (Belli etc.) 
Abbildungen. Tafel: Fig. 111. — Fig. 116, Fig. 131. 
Text: No. 13. 
Litteratur. J. Büttikofer: „Reisebilder aus Liberia“, 1890. Bd. I. S. 264 ff. Bd. II S. 302 fi. 
„Allg. Hist. d. R.“ Bd. III S. 627. 630—632. 682. 689 und a. a. 0. Dapper 
a.a.0. 8. 397. 413—418. — Bastian: „Allerlei“ a.a. 0. Bd. I. S. 275/6. 
Schon zu Zeiten Barbot's und Dapper's sind über diese Gegenden 
eingehende Berichte bekannt geworden. Es ist sehr wichtig, dass «das, was 
damals (1665 
neuen Monographen dieser Gegend, dem  vortrefflichen Büttikofer, voll- 


1668) beobachtet und niedergeschrieben wurde, von dem 


kommen bestätigt worden ist. Die Aenderungen, die in Anschauung und 
Sitte vor sich gegangen sind, spielen gar keine Rolle gegenüber der voll- 
kommen gleich gebliebenen Basis. Vielleicht ist der ganze Unterschied auf 
ein verblasstes Verständniss zu reduciren, auf ein mit dem Vordringen der 
nordischen Cultur verbundenes Erschlaffen des Interesses an den eigenen 
Besitzthümern. 

Bei den Vey und Gola wird die eigenartige Institution des Greegree- 
bush und Medieine-bush angetroffen, die in enger Verbindung mit dem 
Belli-Bunde steht. Ich folge der Darstellung Büttikofers zunächst und 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 117 


füge die ergänzenden Angaben der älteren Texte an. Vorhersenden will 
ich noch, dass wir uns jetzt in das Gebiet der Mandingo-Völker begeben, 
zu denen die Vey schon gehören, jener Völker-Massen, die diesen Gegenden 
ihre Cultur und damit auch Liberia und dem gesammten Westsudan das 
Maskenwesen, die Geheimbünde ete. gegeben haben. 


Es giebt für Knaben und 


Mädchen je einen besonderen 
Greegreebusch oder Grigriwald 
(statt Zauberwald). Beinahe jede 
grössere Stadt oder Ortschaft be- 
sitzt je einen solchen, doch sind 
beide Institute weit von einander 
gelegen und stehen in keiner Be- 
ziehung zu einander. Diese 
Grigri-Wälder hat Büttikofer bei 
Vey, Kosso, Golah, Pessy, Queah 
und den westlichen Bassa ange- 
trofften. Ob sie sich auch bei 


den östlichen Stämmen finden 


ist noch unbekannt. 
Der Grigri-Wald, in dem 


die Knaben ihre Erziehung er- 


halten, heisst in der Vey-Sprache 


bery oder belly resp. belli. Die x. 22. 


Kongeorong in Kayaye am Gambia. 
Knaben, sowohl Freie als Sklaven (Nach Gray). 


werden etwa im 10. Altersjahre hingebracht und etwa em Jahr dort 


behalten. Der Ort ihres Aufenthaltes ist ein dafür angewiesener Platz im 
Walde in der Nähe eines Dorfes, wo zu diesem Zwecke Hütten errichtet 
sind. Keinem Uneingeweihten und ganz besonders keiner weiblichen Person 
ist der Eintritt in diesen Bezirk erlaubt und es wird allgemein behauptet, 
dass Zuwiderhandelnde durch die Bewohner oder deren Waldgeister ge- 
fangen und getödtet werden. Dem Reisenden wurde ein Fall bekannt, in 
dem die Frau des Häuptlings Dschuku von Caba, welche auf diese Weise 


in Gefangenschaft gerieth, durch Letzteren für eine bedeutende Summe los- 


118 L. Frobenius, 


gekauft wurde. Ebenso ist für die Männer das Betreten des weiblichen 
Grigri-Waldes auf das strengste verboten. Dies Verbot gilt auch für jeden 
Fremden. 

Der Zugang zu diesen Wäldern ist oft durch einen Zaun von Matten- 
geflecht, oft aber nur durch einen auf dem dorthin führenden Fusspfad 
liegenden Gegenstand (Grigri oder Vey buli) bezeichnet. Im Belli stehen 
die Zöglinge unter Aufsicht von alten Männern und werden von diesen im 
Gesang und Tanz, in der Handhabung der Waffen, namentlich von Speer 
und Schwert, überhaupt in den Künsten der Jagd und Kriegsführung unter- 
richtet. Es ist im ganzen eine echt spartanische Erziehung, welche die 
Knaben dort geniessen. Die Zöglinge werden systematisch gelehrt, Hunger, 
Durst und grosse Schmerzen ohne Klagen zu ertragen, im Gefecht und 
beim Erstürmen von Barrikaden grossen persönlichen Muth an den Tag zu 
legen und in allen Fällen als muthige Beschützer der Unterdrückten und 
Bekämpfer des Unrechtes aufzutreten. Dieser Pflege des Rechtsgefühls 
scheint viel Sorgfalt gewidmet zu werden. Ueberhaupt lehrt man diesen 
Jungen Leuten, sich in gerichtlichen und politischen Fragen rasch ein 
richtiges Urtheil zu bilden, sowie die von früheren Geschlechtern ererbten, 
politischen, religiösen und Rechtstraditionen genau zu kennen, um sich 
später an allen hierauf bezüglichen Palavern betheiligen zu können. Allein 
diese Gezeichneten (Tätowirten) dürfen an einem Palaver thätigen Antheil 
nehmen und über Landesangelegenheiten und andere Fragen ihre Meinung 
äussern. Diebstahl scheint, wenigstens für die Zöglinge des Grigri-Waldes 
als solche nicht als Vergehen betrachtet zu werden, denn es werden unter 
der Leitung ihrer Lehrer nächtliche Ueberfälle benachbarter Dörfer organi- 
sirt, wobei die Zöglinge unter Anwendung von List und Gewalt alles Brauch- 
bare wie Reis, Bananen, Hühner und andere Lebensmittel stehlen und nach 
ihren Wohnstätten im Walde schleppen. Uebrigens haben sie auch ihre 
eigenen Pflanzungen, welche ihnen die nöthigen Lebensmittel liefern. 

Während ihres Aufenthaltes in dieser eigenthümlichen Pension, der 
von einigen Monaten bis mehrere Jahre dauern kann, gehen die Zöglinge 
völlig nackt. Alle sind beschnitten. Die Cireumeision wird bei den Knaben 
gewöhnlich sehr früh, oft schon im ersten Lebensjahre mittelst einer Glas- 


scheibe ausgeführt und zwar in diesem Falle von alten Frauen. Knaben, 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 119 


bei denen das bisher nieht der Fall war, haben sich der Operation beim 
Eintritt in den Belli zu unterziehen. Sofort nach ihrem Eintritt erhalten 
die Zöglinge andere Namen, die sie auch bei ihrem Austritt behalten. Es 
wird ihnen der Glaube beigebracht, dass sie durch den Waldgeist beim Ein- 
tritt in den Wald getödtet und darauf zu neuem Leben erweckt werden. 
Es darf daher nicht befremden, dass sich die Kinder sehr vor dem Grigri- 
Wald fürchten und oft nicht anders als mit Gewalt oder List hineingebraeht 
werden können, zumal mit dem Eintritt auch die Tätowirung verbunden 
ist. Es geschieht oft, dass der Knabe, der nicht gutwillig in den Belli 
geht, durch einen sogenannten Teufel (in der Vey-Sprache Soh-bah) auf- 
gegriffen und nach dem Grigri-Wald gebracht wird, ohne dass jemand etwas 
davon weiss, obschon man es allgemein vermuthet. Fragt man die Mutter 
eines verschwundenen Knaben wo derselbe geblieben sei, so erhält man 
gewöhnlich die Antwort: „n’jana a ta ala“, „der Geist hat ihn weggeführt“, 
oder „n’jana a bih“, „der Geist hat ihn genommen“. Ob der Zögling (Vey: 
duanaba) durch ihre soh-bah, die Erzieher beim Eintritt in das Institut auf 
irgend eine Weise hypnotisirt wird, und nachher wirklich an eine Tödtung 
und Wiedererweckung glaubt, oder aber einem strengen Gelübde, das er 
abgelegt hat, zufolge, nur thut, als ob er wirklich getödtet und wieder er- 
weckt wäre, muss dahingestellt bleiben, da keiner, der selbst diese Schule 
mitgemacht hat, die nöthige Aufklärung geben wird, selbst dann nicht, wenn 
er geschlagen oder sogar mit dem Tode bedroht werden würde. Sicher ist 
aber, dass Knaben und auch Mädchen nach der sogenannten Wiedergeburt 
thun, als ob sie alle Erinnerung an ihr Leben verloren hätten, ihre früheren 
Bekannten nicht mehr kannten, und alles, was ihnen früher gut bekannt 
war, ganz aufs neue wieder lernen müssten. 

Alle Jahre einmal, gegen Ende der Regenzeit, wenn der Reis ein- 
geerntet und Ueberfluss an Lebensmitteln vorhanden ist, findet das Austritts- 
fest statt, das bis 14 Tage dauert und zu welchem die Leute von nah und 
fern zusammenströmen wie bei uns an einem ländlichen Kirchweihfeste. 

Die Knaben, die nun aus dem Wald wieder in das Leben hinaus- 
treten, werden mit Zeugen von Bastgeflecht gekleidet und mit Federn und 
allerlei Zierrath an Armen und Beinen geschmückt. Sie dürfen an diesem 


Tage nichts tragen, was von Baumwolle verfertigt ist. Es werden an 


120 L. Frobenius, 


diesem Tage die erlernten Tänze aufgeführt und die — nicht sehr de- 
centen — Grigri-Wald-Lieder (Belli-dong) gesungen, zum grossen Vergnügen 
der zahlreichen Menge. Die Soh-bah, die nieht erkannt sein wollen, ob- 
schon jedermann sie kennt, aber ihren Namen nicht zu nennen wagt, machen 
sich durch einen bis auf den Boden hängenden Blättermantel und eine über 
den Kopf gestülpte, hölzerne Maske unkenntlich und zeigen sich so dem 
Publikum, vor dem sie auch allerlei Tänze aufführen. Man hat überhaupt 
vor den Soh-bah sehr viel Respect, da man überzeugt ist, dass sie mit den 
Geistern der Verstorbenen in Verbindung stehen und einem allerhand 
Schaden verursachen könnten, wenn man sie nicht zum Freunde hielte. Am 
Schluss der Tänze werden die Kinder den Eltern vorgestellt, wobei die 
ersteren so thun, als ob sie dieselben wieder neu kennen lernen müssten. 
Ein solches Fest wird von den Liberianern devil-dances genannt. 

Wie gesagt, besteht ein ähnlicher Grigri-Wald auch für die Mädchen. 
Derselbe wird bei den Vey Sandy oder Sandi genannt; auch dies ist eine 
Art Pensionat, das auf einem dazu angewiesenen Platze im Walde, nahe 
bei der Stadt errichtet. Die Erzieherinnen, bei den Liberianern grigri-women 
oder devil-women genannt, sind alte Frauen, deren Oberhaupt gewöhnlich 
die älteste Frau des Häuptlings ist. Diese Frauen erkennt man an einem 
kleinem tätowirten Kränzchen auf jeder Wade. 

In den Sandi treten die Mädchen im 10. Jahre, manchmal schon 
früher und bleiben dort bis zu ihrer Heirathsfähigkeit, oft auch noch länger. 
Wie an die Soh-bah für die Knaben, so bezahlen die Eltern für die Mädchen 
eine gewisse Leistung an Naturalien an die Frauen, um es ihren Kindern 
an nichts fehlen zu lassen. Auch die Mädchen gehen im Walde nackt und 
haben beim Eintritt wie die Knaben die Verbands-Tätowirung anzunehmen 
und sich einer Beschneidung zu unterziehen, die in der Entfernung der 
Spitzen der Clitoris besteht. Diese letztere wird dann in em Läppchen ge- 
bunden, getrocknet und dem Mädchen als Zeichen der Jungfräulichkeit um 
den Hals gehängt. Das Betreten dieses Waldes für Frauen ist den Männern 
und uneingeweihten Frauen streng untersagt. Wie der Belli so ist auch der 
Sandi unter die Obhut von N’janas oder Geistern der Verstorbenen gestellt 
und wer es wagt, denselben zu betreten wird, wie man glaubt, durch ge- 


wisse wachsame N’janas sofort aufgegriffen und getödtet. 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 121 


Aeltere Frauen dürfen, wenn sie das Abzeichen des Grigri-Waldes 
tragen, ungehindert ihre Angehörigen besuchen. Doch sind sie verpflichtet, 
beim Eintritt ihre Kleider abzulegen und zurückzulassen. Auch dürfen die 
Mädchen gelegentlich ihre Verwandten zu Hause besuchen, doch beschmieren 


sie sich vor dem Austritt mit weissem 'T’hon, so dass sie wie Clowns in 


Nr. 23. Umzug der Dou. (Nach Binger). 


einem Cirkus aussehen, auch dürfen sie, ebensowenig wie die Knaben baunm- 
wollene Zeuge tragen. Sie kleiden sich beim Ausgehen mit einem Schürzchen 
aus Bastfasern oder Blattfasern der Weinpalme. 

In diesem Walde lernen die Mädchen Gesang, Spiel und Tanz, sowie 
zahlreiche Gedichte, von denen einige, wie schon bemerkt, und wie schon 


Dapper sich ausdrückt, manches enthalten, das nicht mit Ehren gesungen 
Nova ActxzBXXIV. Nr.]l. 16 


122 L. Frobenius, 


werden darf, obschon sie in ihren täglichen Gesprächen züchtig, keusch und 
schamhaft sind. Zudem lernen die Mädchen kochen, allerlei häusliche Ar- 
beiten verrichten, Netze strieken und dem Fischfang obliegen. Die in dieser 
Erziehungsstation sich befindlichen Mädchen werden von den Liberianern 
Gri-gri-bush-girls, bei den Vey sandy-ding, meist aber bony, im Sinne von 
virgo genannt. 

Auch der Sandy hat sein besonderes jährliches Austrittsfest. Dabei 
werden die austretenden Mädchen, nachdem der ganze Körper reichlich ein- 
geölt, von ihren Angehörigen mit oft sehr kostbarem Schmuck, wie silberne 
Halsketten, Armbänder, Beinringen und Schellen behangen, welche letztere 
um die Füsse gehangen werden, um beim Tanzen möglichst viel Lärm zu 
machen. An diesem Feste tragen die Soh und Soh-bah hölzerne Masken, 
die sogenannten devil-heads, Geisterköpfe (nicht Teufelsköpfe; bei West- 
afrikanern ist devil gleich Geist, das scheinen fast alle Uebersetzer noch zu 
übersehen). Diese sind mehr oder weniger kunstreich aus einem Stück 
Wollbaumholz geschnitzte Masken, von unten genügend ausgehöhlt, um den 
ganzen Kopf hineinzustecken. Eine solche Maske wird der Person für die 
sie bestimmt ist, auf Maass gemacht und so tief ausgehöhlt, dass die- 
selbe, wenn sie sie über den Kopf stülpt, durch die vorn an der Stelle der 
Augen angebrachten Oeffnungen bequem sehen kann. Die Masken der Soh- 
bah stellen Mannesgesichter, die der Soh Frauengesichter vor, bei welchen 
die eigenthümlichen Haarfrisuren sorgfältig nachgeahmt sind. Die schwarz 
gebeizten Masken sind meist einfarbig, manchmal aber auch auf eine phan- 
tastische Weise mit grellen Farben, besonders mit Weiss und Roth bemalt. 
Der untere Rand der Maske hat eine starke Einkerbung, um welche der 
oben beschriebene Blättermantel befestigt werden kann. Von dem in Nieder- 
guinea sehr beliebten Federschmuck findet sich an demselben keine Spur. 
— Die Masken werden ausserdem an den Festtagen des Gedächtnisses an 
die Verstorbenen getragen. 

Die weiblichen Maskirten pflegen unter ihrem Blättermantel oft euro- 
päische Mannesbeinkleider, Strümpfe, Schuhe oder Pantoffel zu tragen. Sie 
werden, sobald sie sich in der Oeffentlichkeit zeigen, von einigen Frauen 
begleitet, welche Matten bei sich tragen, um bei einem etwaigen Toiletten- 


unglück die Soh vor den neugierigen Blicken zu schützen. 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 123 


Um ihren Einfluss besser geltend zu machen, halten die Häuptlinge 
sehr darauf, dass die Jugend, besonders die männliche, eine gewisse Zeit 
im Gri-gri-Busch zubringt. Es gelingt ihnen das gewöhnlich leicht und 
zwar selbst in Fällen, wo junge Leute bei christlichen Liberianern oder 
auf Missionarstationen erzogen werden, sich durch Lernbegierde auszeichnen, 
und in jeder Hinsicht zu den schönsten Hoffnungen berechtigen. 

Sobald sie ein gewisses Alter erreicht haben, werden sie unter einem 
Vorwand, z. B. um die kranke Mutter zu besuchen oder der Beerdigung 
eines nahen Verwandten beizuwohnen, durch ihre Angehörigen auf einige 
Tage von den Pflegeeltern weggeholt. In Wirklichkeit aber bringt man sie 
in das betreffende Institut, um ihnen die althergebrachte Erziehung ange- 
deihen zu lassen. Oft kehrt das Kind gar nicht mehr zu seinen Pflegeeltern 
zurück, oder es lässt sich, wenn dies nach einigen Monaten doch geschieht, 
ohne Mühe durch gelegentliche Fragen der wirkliche Zweck des Wegbleibens 
herausfinden. Uebrigens zeigt sich bald eine auffällige Veränderung im 
Charakter des Zöglings, ein Hinneigen zu den Sitten der Eingeborenen, und 
die Lust, in die von den älteren Kameraden gesungenen Liebeslieder ein- 
zustimmen und sich an den wilden Tänzen der Erwachsenen zu betheiligen, 
sowie oft eine gewisse Abneigung gegen die Lehre des Christenthums. 
Wenn trotzdem viele Häuptlinge ihre Söhne und die Knaben des Stammes 
noch im den Missionsunterricht schicken, so geschieht dies hauptsächlich, 
um denselben Gelegenheit zu bieten, sich dort mit der englischen Sprache 
vertraut zu machen und etwas lesen, schreiben und rechnen zu lernen, oder 
nach der Ausdrucksweise der Eingeborenen „den Verstand der Liberianer 
mit dem eigenen zu vereinigen“. Die dort erworbenen Kenntnisse sind 
später im Verkehr mit den Faktoreien und zumal den liberianischen 
Zwischenhändlern von ausserordentlichem Werthe und werden nicht nur 
angewendet, um sich vor Betrug zu schützen, sondern auch, um weniger 
entwickelten Leuten im Handel überlegen zu sein. Allzu grosse Lern- 
begierde und Hinneigung zum Christenthum ist nicht immer erwünscht, 
und wird manchmal, wenn sie sieh bei jungen aus den Missionsschulen 
zurückgekehrten Leuten zeigt, von Seiten der Väter zu unterdrücken gesucht. 
Als Beleg für diese Behauptung möge Folgendes dienen. Büttikofer wurde 
bei der Durchreise durch eine Stadt am oberen Fischerman-Lake vom Sohne 


16* 


124 L. Frobenius, 


des Häuptlings empfangen, der im Jahre vorher aus der Schule bei Roberts- 
port entlassen war. Als der junge Prinz dem Reisenden die Hütte über- 
wies, es war seine eigene, zeigte er ihm alle seine Schulsachen und bewies 
durch Lesen und Sprechen, dass er etwas ordentliches in der Mission gelernt 
habe. Er war germ in der Mission gewesen, aber sein Vater habe ihn 
zurückgenommen, damit er nicht zu viel lerne und mit der Bemerkung, dass 
es für den Eingeborenen nicht gut sei, wenn er zuviel Bücherweisheit be- 
sitze. — ‚Jedenfalls ist der Belli eine gute Barrikade gegenüber dem „Zu- 
vielwissen“ und es ist für uns natürlich besonders interessant, ein neues 


Thätigkeitsgebiet der Geheimbünde hier zu entdecken. 


Diese Nachrichten Büttikofers werden durch die Berichte aus dem 
17. Jahrhundert in ausgezeichneter Weise ergänzt. Dieselben beziehen sich 
1. auf allgemeine Bedeutung; 2. auf die Erziehung; 3. die Gerichtsbarkeit. 
Besonders die letzten Angaben sind wichtig, da sie bei Büttikofer fehlen, 
was auf eine im Laufe zweier Jahrhunderte vor sich gegangene Um- 
wälzung schliessen lässt. Die Aenderungen auf diesem Felde setzen nicht 
in Erstaunen. Wir sind gewöhnt, die verschiedenen Funktionen der Geheim- 
bünde nicht auf den diesen Zwecken dienenden Schöpfungswillen, sondern 
ein den socialen Verhältnissen sich anpassendes Einschalten zurückzuführen. 

Die Belli- Institution wird in den alten Nachrichten als den Negern 
von Hondo, Manoro, Folgias, Gebbe, Sestro, Bulm, Silm und Sierra Leona 
eigen dargestellt. 

Vom Belli selbst heisst es, dass es ein Ding sei, das von dem Belli- 
Mo oder dem obersten Priester auf Befehl des Häuptlings aus einer Materie 
gemacht wird, die man knetet und wie Teig bearbeitet. Bisweilen hat es 
diese, bisweilen jene Gestalt, so wie die Umstände es erfordern. Der Belli- 
Mo bäckt es nachgehends und zwar wird es, wie Barbot meint, nachher 
gegessen. Es ist erstaunlich, was für einen Eindruck dies beim Volke 
macht, die es für heilig halten und glauben, es könne mit des Häuptlings 
Einwilligung, denn olme diese vermag es nichts, schreckliche Strafen anthun. 
— Diese Stelle ist unklar, scheint sich aber auf eine dem Ordale dienende 


Strafe zu beziehen. 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 125 


Die Aeltesten der Belli-Seete werden Sogones genannt, die Geister 
der Ahnen Jannanin, statt wie bei Büttikofer n’jana. Belli kehrt als Billi 
und Pilli wieder und wird als Gott bezeichnet. Geistern und Belli wird 
geopfert. An Stelle der Soh-bah erzählt Dapper von Sovah und zwar auch 
das wichtigste Folgende: 

Das Wort Sovah oder Sovach oder Suah bedeutet eine böse Ein- 
bildung oder Schwermüthigkeit oder böse Einfalt; ja alles Böse oder den 
Teufel selbst. Diese Schwer- 
müthigkeit plaget, wie sie 
sagen, und fechtet die ent- 
zückten u. halb wahnsinnigen 
Menschen dermaassen an, 
dass sie vielmals im Busche 
mit Klagen herumlaufen und 
ihr Gemüth in ihrem gegen- 
wärtigem  Glücke nicht be- 
friedigen können, sondern sie 
werden zur Rache und ihrem 
Nächsten zu Schaden durch 
den Neid gereizt. In diesen 
Gedanken erscheint ihnen 
Sovalı in Gestalt eines T’hieres, 
Baumes oder Krautes, wel- 
ches sie anredet und das Be- 


schädigen der Menschen 


lehret. Hierauf wird derselbe 


Nr. 24. Mokho Missi Kou. (Nach Binger). 


derartig verblendet, dass er 
die menschliche Vernunft ganz verliert und zuweilen die Menschen für Meer- 
katzen und Affen ansieht, ja keinen Unterschied ‚zwischen Freunden und 
Feinden macht, dergestalt, dass er ebenso leicht seinen nächsten Blutsfreund 
als einen Fremden tödtet. Auf diese That werden ihm dann die Augen 
geöffnet, also dass er alle Beschwerden überdenket. Auch lernt einer vom 
andern die Kunst, Kräuter, Zeichen und andere Dinge zum Tödten oder 


beschädigen eines andern zu gebrauchen. 


126 L. Frobenius, 


Offenbar haben wir hier einen jener Fälle, die im Süd-Guinea häu- 
figer als in Nord-Guinea sind, vor uns, die als Besessenheit zu deuten sind. 
Das Zustandekommen dieser Zustände ist noch immer schleierhaft. Derartige 
Menschen sollen über ganz ausserordentliche Kräfte verfügen, z. B. Bäume 
ausreissen können ete. Oft scheint derselbe durch Hypnotisiren, oft auch 
durch den Genuss bestimmter Pflanzen erreicht zu werden. Ein Geist, die 
Seele eines Verwandten oder Vorfahren, bewohne und lenke solche Menschen, 
berichten die Eingeborenen. Von den Soh-bah solches zu hören, ist wichtig. 
Wir ersehen daraus, dass (diese Priester auch durch den Vergeistigungs- 
process ihr Amt erwerben und ihre Bedeutung erhalten, dürfen also wieder 
auf engen Zusammenhang von Geheimbund und Manismus hinweisen. — 
Sovah-Belli werden Kräuter genannt, die diesen Besessenheitszustand her- 
vorbringen. — Im Namen des Belli scheint auch die Todtenbestattung vor 
sich zu gehen. 

Einen zweiten wichtigen Theil bilden Dapper’s Mittheilungen über 
die Bundeserziehung, die mit folgenden Worten beginnt: Neben der Be- 
schneidung haben sie noch eine andere Gewohnheit, welche sie Belli Paaro 
nennen, von der sie sagen, es sei ein Tod, eime Wiedergeburt und Einver- 
leibung in die Versammlung der Geister oder Seelen, mit denen der Ge- 
meine im Busche erscheint und das Opfer, welches man für die Geister zu- 
bereitet, essen hilft. — Das Zeichen Belli Paaro empfangen sie sehr selten, 
nämlich alle zwanzig oder fünfundzwanzig Jahre nur einmal. Und hiervon 
erzählen sie wunderliche Dinge, nämlich dass sie getödtet, gebraten und 
ganz verändert werden, dem altep Leben und Wesen absterben und einen 
neuen Verstand und Wissenschaft bekommen. Das gemalte Zeichen Belli- 
Paaro sind etliche Reihen Schnitte, welehe vom Halse über beide Schulter- 
blätter hingehen und eben also aussehen, als wenn sie mit Nägeln darauf 
gedrückt wären. Die also Tätowirten haben alle Rechte des freien Mannes, 
wogegen die Nichtgezeichneten, die Quolga heissen als Unreine, Unwissende, 
Unheilige und Unverständige, in keiner Versammlung zugegen sein oder 
mitreden dürfen. — Im Busche lernen die Knaben das Spiel Killing. Man 
schläget es sehr geschwinde und tanzet danach gebückt und mit bebenden 


Gliedern, dergestalt, dass sich alles bewegt, was am Körper ist. Dazu 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas 127 


lernen sie den Belli-dong, den Belli-Lobgesane und ausserdem alle Künste 
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des Lehrers. Angeblich fasten die Knaben im Busche. 


Die Masken werden von Dapper ebenfalls beschrieben: Im Anfange 


sind sie nach dem Austritt aus dem Grigri-Wald — ganz mit Vogel- 
federn oder Buschgewächsen bekleidet und haben Mützen von Bast gemacht 


auf dem Kopfe, welche so lang sind, dass sie vor das Angesicht hängen. 


Wenn sie etliche Tage in den Häusern — kleinen Hütten — gewesen sind, 
werden ihnen erst Kleider gegeben. — Eine tiefe Kappe, welche sie fast 


verblendet, und bunten Federputz am Leibe erwähnt auch Barbot. 


Wie die Männer das Zeichen Belli haben, so haben fast eben auf 
dieselbe Weise die Frauen ein Zeichen des Bundes, welches sie Nessoge 
nennen. Dieses hat seinen Ursprung in Gale genommen und ist jetzt auch 
in Folgia und Quoja gebräuchlich. Man bringt die 10 oder 12 und mehr- 
jährigen Töchter und Frauen in einen abgelegenen Wald, nicht weit vom 
Dorfe, in dem die Männer erst Wohnhütten gemacht, wonach aus Gola eine 
Frau mit dem Titel Soghwilly, weil sie die Oberste dieses Werkes im 
Tödten der Garnur oder Vala Sandyla, wie sie es nennen, ist, kommt. Die 
Soghwilly, welche eine Priesterin ist giebt der Versammlung Hühner zu essen, 
welche Hühner des Bundes, Sandy Latee, genannt werden, weil sie dadurch 
verbunden werden allda zu bleiben. — Hier werden sie dann beschnitten, 
lernen ihre Lieder und Tänze ete. (Hierüber das schon oben Vermerkte.) 

Zum dritten werden wir eingehend über die juristische Bedeutung 
und Thätiekeit des Belli unterrichtet. 

Eine Frau, die wegen Ehebruches angeklagt ist, muss auf den Belli 
Paaro schwören, dass der Geist sie hinrichten möge, wenn sie schuldig sei. 
Wird sie nachgehends eines falschen Schwures überzeugt, so führt sie ihr 
Ehemann Abends auf den Markt, wo der Rath sitzt. Die Leute des Ge- 
richts rufen zunächst die N’jana (statt jananin), bedecken darauf ihre Augen, 
(dass sie die Geister nicht sehen soll, die sie wegführen werden und ertheilen 
ihr einen strengen Verweis wegen ihres Lebens und schwere Drohung für 
die Zukunft. Dann wird sie von den N’jana wieder losgelassen und man 
höret ein verwirrendes Getöse von Stimmen: wenn ihr Vergehen auch sehr 


harte Strafe verdient habe, so solle es, da es das erste sei, doch noch ein- 


128 L. Frobenius, 


mal verziehen sein; nur müsse sie ein Fasten beobachten; man erwarte von 
ihr, sie würde so keusch leben, dass sie nicht einmal junge Knaben in die 
Arme nehme noch Mannskleider berühre. 

Verfällt die Frau danach dennoch wieder in das vorige Verbrechen, 
so kommen, nachdem sie davon überzeugt ist, der Belli-Mo oder einige von 
den Soggonos, in Begleitung verschiedener Leute, die ein Getön mit einer 
Art von Fidel machen, des Morgens in ihr Haus und bringen sie auf den 
öffentlichen Platz. Daselbst nöthigen sie dieselbe dreimal ringsherum zu 
gehen und machen beständig ein grosses Getöse, damit alle diejenigen, die 
von der Brüderschaft des Belli sind, sehen können, was vorgehe, und sich 
nach der Anzeigung richten. Diejenigen, die nicht dazu gehören, wagen 
es nicht, den Kopf zum Fenster hinauszustrecken, aus Furcht, die Njana 
würden sie wegführen. Darauf bringen sie die Verbrecherin nach dem 
heiligen Walde des Belli und von der Zeit hört man nichts mehr von ihr. 
Die Eingebornen sagen, die Waldgeister führten solche Frauen fort, ver- 
muthlich aber werden sie, um den Zorn des Belli zu besänftigen, hingerichtet. 

Wird einem Manne Diebstahl, Mord oder falscher Eid nachgesagt, 
und ist nur ein Verdacht wider ihn, oder er ist nieht genugsam überwiesen, 
so nimmt er die Reinigung des Belli. Diese macht der Belli-Mo mit der 
tinde eines Baumes und Kräutern, die auf der angeklagten Person Hand 
gelegt werden. Ist er schuldig, so wird ihm hierdurch die Hand weg- 
gehauen, im anderen Falle aber bleibt sie unbeschädigt. — Bisweilen da- 
gegen lässt der Belli-Mo einen starken Trunk von einem Getränk herstellen, 
das aus Rinden von dem Nelle- und Quonibaume gemacht wird und dick- 
flüssig ist. Man hält es für ein vollkommenes Gift. Ist er unschuldig, so 
bricht er es sogleich von sich, im anderen Falle aber schäumet es um 
seinen Mund herum und entdecket sein Verbrechen, welches alsdann mit 
dem Tode bestraft wird. Er wird hingerichtet, zerschnitten und sein Fleisch 
auf die Kehrichthaufen geworfen. Die Freunde des Verbrechers aber kochen 
den Kopf und trinken die Brühe aus; die Kinnbacken nageln sie an ihren 


Tempel. 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 129 


Es ist hier manches in der Sprache der alten Berichterstatter wieder- 
gegeben. Diese scheint in ihrer Unklarheit nicht übel zu solchen Beschrei- 


bungen zu passen; denn wir meinen, die Neger drücken sich auch nicht 


Nr. 25. Zur Karnevalszeit maskirter Neger in Biskra. 
(Nach Originalphotographie.) 
klarer aus und zumal das, was Dapper von Belli Paaro, dem Tod, der 
Wiederauferstehung und Einverleibung in die Versammlung der Geister 
sage, sei eine direkte Uebersetzung eines Negerberichtes. 


Nova Acta LXXIV. Nr.1. 17 


130 L. Frobenius, 


k. Völker zwischen Senegambien und Liberia (Simo etc.). 


Abbildungen: Text; Nr. 19. 

Litteratur: Dapper a. a. ©. 381/2. Allg. Hist. d. R. Bd. III. S. 267/8. Georg Gürich in: „Mit- 
theilungen der afrikanischen Gesellschaft in Deutschland“ 1886. Bd. V. 
S. 45—47. — a.a.0. 8.64. — Th. Winterbottom: „Nachrichten von der 
Siera-Leona-Küste und ihren Bewohnern“ 1805. S. 306/7. 183 — 185. — 
Caffinieres de Nordeck in: Le Tour du Monde, 1886. Bd.1. 8. 283/4. — 
Caillie: „Journal d’un Voyage a Temboctou et a Jenne“ 1830. Bd.I. S. 111ff., 
121. — Briefl. Mittheilung von Paul Staudinger. 


Die Elfenbein-Küste ist anscheinend eine grosse Lücke in der 
Masken- Verbreitung, nach Nordwesten zu mehren sich die Vorkommnisse 
zusehends. Den Masken der Kru, über deren Verwendung wir nichts wissen, 
reihen sich die der Vey an. Bei den Bullom, Temne, Susu, Bagos ete. 
sind wieder viele und tief eingreifende Masken- und Bund-Institutionen, kurz, 
wir stehen in einer weitern der kolonienartig an der Westküste auftretenden 
Gebiet mit reicheren Merkmalen der alten malajonigritischen Cultur Afrikas. 
Von den Bünden, die in diesen Theilen der Küste heimisch sind, werden 
zwei, der Purra und der hier auch wohl sich zeigende Mumbo-Jumbo später 
erörtert. Dieser Abschnitt ist den vereinzelten Vorkommnissen und dem 
bei Susu und Bagos heimischen Simo gewidmet. 

Bei den Kapez und Kumpass treten in den Gerichtsverhandlungen 
gewisse Sachwalter auf. Diese führen den Namen Troen und haben eine 
eigenartige Kleidung. Sie tragen eine Maske vor dem Gesicht, Castagnetten 
in der Hand und kleime Schellen an den Füssen. Ihr Kleid besteht in 
einem mit allerhand Federn gezierten Kittel, welcher ihnen mehr das Aus- 
sehen von Possenreissern und Lustigmachern, als gesetzverständigen Leuten 
giebt. Dapper fügt hinzu, in der Hand führten sie lange Pfeile, darauf sie 
sich während der Gerichtssitzung lehnten. 

Unter den Temne sollen verschiedene Bünde und geheime Gesell- 
schaften bestehen. Genaueres scheint nicht bekannt. Eine gewisse Bund- 
bildung hat die Bundu-Kassa-Sitte gezeitigt. Doch ist neben den Ceremo- 
nien der Verabreichung des Gifttrankes nichts uns sonderlich Interressirendes 


zu bemerken. Wichtiger ist die Attonga-Gesellschaft bei den Bullom. 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 131 


Die Mitglieder dieser aus Frauenspersonen bestehenden Gesellschaft 
haben es sich zur Pflicht gemacht, den Steinen, welche zum Andenken an 
die Verstorbenen aufbewahrt werden, von Zeit zu Zeit Reis zu opfern. In 
jenen Ortschaften nämlich, bei welchen sich öffentliche Begräbnissplätze 
befinden, steht neben dem Palaverhause noch ein anderes Haus, welches 
ebenso gebaut aber viel kleiner ist. Wenn nun jemand in einem solchen 
Orte stirbt, so wird dem Könige ein Stein gebracht, welchen er in dem 
verwahrlichen Hause niederlegt. Stirbt der König, so wird er in diesem 
Hause begraben, und man setzt ihn daselbst ebenfalls einen Leichenstein, 
der aber viel grösser ist als die anderen. 

Die Attonga-Frauen opfern diesen Steinen also von Zeit zu Zeit. 
Sie werfen sich vor den Steinen nieder, stemmen die Ellbogen auf die Erde 
und schlagen die Ellbogen auf den Nacken zusammen. Sie haben ihre 
eigene Vorsteherin, die ein Haus bewohnt, das in den Städten wo ein öffent- 
licher Begräbnissplatz ist, ausdrücklich für sie erbaut ist. Wenn ‚Jemand, 
der zu der Gesellschaft gehört, stirbt, so versammeln sich alle Attonga- 
Weiber dieses und aller benachbarten Orte in dem Hause der Vorsteherin 
und halten sich ein ganzes Vierteljahr bei ihr auf. Während dieser Zeit 
tragen sie zum Zeichen der Trauer schwarze Mützen und Halsbänder, die 
theils aus Kauries theils aus den schwarzen Samenkörmern der Pokkolo 
bestehen. Den Tutungi legen sie nicht an; auch tragen sie überhaupt keine 
Kleidungsstücke, durch die sie sich vor den andern auszeichnen. Nach dem 
Tode werden sie zwar auf dem allgemeinen Begräbnissplatz beerdigt, aber 
ihre Gedächtnisssteine dürfen nieht unter jene gebracht werden, bei welchen 
sich der des Königs befindet, sondern es ist ein besonderes Haus zur Auf- 
nahme derselben bestimmt, welches ganz nahe bei dem der Vorsteherin 
steht. Wenn sich der Fall ereignet, dass eine Mannesperson, es sei aus 
Unvorsichtigkeit oder Muthwillen, in das Attongahaus geht, so wird er, 
wenngleich wider seinen Willen, in die Gesellschaft aufgenommen und nach 
seinem Absterben darf der für ihn bestimmte Stein nicht unter die der 
anderen Mannspersonen gesetzt werden. Die Mütter nehmen zwar zuweilen 
ihre Jungen mit in das Attongahaus, wenn sie aber grösser werden, treten 
sie gemeiniglich aus dieser Gesellschaft, um wegen dieses heimlichen Ver- 
kehrs mit Weibern sich bei anderen Mannspersonen nicht lächerlich zu 


IT 


132 L. Frobenius, 


machen. Ungeachtet dieses Zurücktrittes muss aber ihr Leichenstein den- 
noch im Attongahaus beigesetzt werden. 

Die Attongafrauen legen für niemand die Trauer an, als nur für Personen 
weiblichen Geschlechts, die zu ihrer Verbindung gehören. Sie gehen auch 
nicht mit der Trommel vor den Thüren herum, sondern bedienen sich statt 
dessen der Schale einer Landschildkröte. Wenn ihre Vorsteherin stirbt, so 
kommt allemal diejenige an ihre Stelle, die am längsten in der Gesellschaft 
ist, ohne dass hierbei das Alter in Anschlag gebracht wird. Sie halten 
jährlich und zwar nach der Reisernte eine allgemeine Zusammenkunft ab, 
wobei sie sich von allen Orten und Enden zusammenfinden, um Reis zu 
opfern und der Vorsteherin ihre Achtung zu bezeugen. Wenn sie im Bei- 
sein anderer Leute mit einander sprechen, wissen sie die Landessprache 
dergestalt zu verdrehen und die Worte so zu versetzen, dass sie niemand 
versteht. 

Von der Aufnahme in diesen merkwürdigen Bund ist leider gar 
nichts bekannt. 

Auf der Tumbo-Insel machte die Flegel-Expedition die Bekanntschaft 
einer andern Institution des weiblichen Geschlechts. Wenn die Mannbar- 
keit eintritt, werden die Mädchen der Circumeision unterworfen. Das giebt 
Veranlassung zu lärmenden Festen zur Vollmondszeit. Die Festjungfrauen 
sind dann in ein enges Gewand gekleidet, das bis zu den Knöcheln herab- 
reicht. Vorn auf der Brust haben sie eine Art Latz, der dureh bunte, auf- 
gestickte Perlen in verschiedene Dreiecke getheilt ist. Hinten tragen sie 
eine Art Tournure, die mit Perlen und Kauries verziert und mit kleinen 
Schellen behängt ist. Ihr Kopfputz besteht aus einem Chignonähnlichen 
Aufbau. In der linken Hand haben sie einen Stecken, in der rechten ein 
Tuch. So führen sie einen Rundtanz auf. Allenthalben und zu allen Zeiten 
selbst in der ärgsten Mittagshitze trifft man die „Schellen-Damen* tanzend 
an. Die Tänze des Tages und die der Nacht sind verschieden. Es werden 
Abends Solotänze aufgeführt von Mädchen sowohl wie von älteren Frauen. 

Scheint einmal eine Pause einzutreten, so zeigt sich ein in ein zottiges 
Fell gehüllter Kerl mit einer abenteuerlichen Riesenmaske auf dem Köpfe, 
um die Tänzerinnen zur Fortsetzung des Tanzes aufzufordern, tanzt auch 


wohl selbst nieht ohne Geschiek. — Die Gewänder dieses Festes sind 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 133 


ausserordentlich schwer zu erreichen. Einem jungen Stationsvorsteher auf 
der Tumbo-Insel gelang es erst nach Jahren und da auch nur, weil er mit 


einer der Schönen ein Verhältniss hatte. 


Wir wenden uns jetzt dem Norden zu. 

Es besteht bei den Stämmen am Ufer des Rio Nunez eine geheime 
Gesellschaft. Sie hat einen Chef, den man Simo nennt. Er schreibt die 
Gesetze vor; sie werden auf seinen Befehl vollzogen. Dieser Mensch hält 
sich im Walde auf, er bleibt denen, die seinen Mysterien fremd sind, immer 
unbekannt. Er hat als Spiessgesellen junge Leute, die nur zum Theil in 
seine Geheimnisse eingeweiht sind. 

Diese Person nimmt verschiedene Verkleidungen an; bald zeigt er 
das Gesicht eines Pelikans, bald ist er in T'hierhäute eingehüllt, was ihn 
unförmlich erscheinen lässt. — Zu verschiedenen Zeiten im Jahre nimmt 
man Neulinge, Neu-Eingeweihte auf. Familien von verschiedenen Dörfern, 
die wünschen, ihre Kinder gehörten dieser Gesellschaft an, versammeln die 
Knaben von 12—14 Jahren und benachrichtigen den Simo. Dieser begiebt 
sich immer verkleidet zur bezeichneten Stelle um die Knaben zu beschneiden. 
Die Kandidaten allein können bei dieser Üeremonie, die immer von einem 
grossen Feste gefolgt ist, anwesend sein. Die Kosten des Festes werden 
von den Eltern je nach ihren Mitteln bestritten. 

Dieses Fest dauert manchmal 2—3 Tage. Nach der Ceremonie 
zieht sich der Simo in die Wälder zurück, indem er alle Neubeschnittenen 
mit sich führt. Von diesem Augenblicke an haben sie keine Gemeinschaft 
mehr mit ihren Familien. Das müssige Leben, das sie führen, ist sehr an- 
genehm; man liefert ihnen zur Genüge die nöthigen Lebensmittel; sie 
wohnen in kleinen Hütten, die aus Aesten verfertigt sind. Als einzige Be- 
kleidung haben sie einige gut angebrachte Palmblätter, die sie von den 
Hüften bis auf die Mitte der Schenkel bedecken; Kopf und Rest des 
Körpers sind völlig nackt. Sie lassen sich nicht gern sehen. 

Wenn die Eingeweihten oder der Simo jemanden im Walde begegnen, 


fordern sie das Losungswort. Wenn der Fremdling recht antwortet, wird 


© 


134 L. Frobenius, 


er aufgenommen, wo nicht, fangen der Simo und die jungen Leute, die stets 
mit Geisseln und Ruthen bewaffnet sind, an, ihn zu verfolgen, und lassen, 
nachdem er bis aufs Aeusserste verprügelt ist, ihn auch noch ein Lösegeld 
zahlen. Wenn ein unbeschnittenes Kind ihnen in die Hände fällt, vollziehen 
sie die Operation an ihm und behalten es da, um es einzuweihen. Sie sind 
unerbittlich den Frauen gegenüber, die sie mit Geisselhieben traktiren; man 
hat sogar versichert, sie trieben die Barbarei so weit, sie zu tödten. 

Die jungen Eingeweihten führen dieses Vagabundenleben während 
7—8 Jahren. Diese Zeit sei, erzählt man, nöthig für ihre Unterweisung. 
Wenn ihre Eltern sie aus dem Walde zurückzunehmen wünschen, verschaffen 
sie sich alles, was sie an Häuten erhalten können; sie machen einen schönen 
Gürtel daraus, den sie mit Kupferschellen schmücken. Diesen schicken sie 
ihren Kindern mit emem Geschenk an Tabak und Rum für ihr Oberhaupt. 
Nur dann erlaubt der Simo jedermann ihn zu sehen. 

Der Vorabend des Festes wird in den Wäldern gefeiert, wo er er- 
scheinen muss; er lässt durch Geheul wissen, dass er für jedermann sicht- 
bar sein werde. Ohne diese Benachrichtigung würde ausser den Ein- 
geweihten niemand wagen, ihn zu betrachten, denn sie glauben, dass dieser 
Anblick ihnen Unglück bringe. Wenn sie im Augenblick darauf sich un- 
wohl fühlen würden, würden sie das dem Anblick zuschreiben. 

Am Festtage zeigt der Simo immer seine Ankunft durch schreck- 
liches Geschrei. an, das von seinen Zöglingen mittelst Büffelhörnern nach- 
geahmt wird. Sie sind alle mit Peitschen bewaffnet, dem Zeichen ihrer 
Ueberlegenheit. Die älteren Eingeweihten der benachbarten Dörfer ver- 
sammeln sich, um an den Vergnügungen theilzunehmen. Sie ziehen an 
diesem Tage die schönsten Kleider an und marschiren hinter der Musik 
des Landes im Festzug einher. 

Nachdem sie den Simo begrüsst haben, machen sie ihm ein kleines 
Geschenk, dann geleiten sie ihn unter Triumph beim Klange des Tantams 
zum Dorfe. Die Anwesenden lassen dazu ihre monotonen Gesänge er- 
schallen und schiessen häufig ihre Flinten ab. Die Frauen eilen sogar 
singend herbei, jede mit einer Kalabasse voll Reis, den sie dem Simo ge- 
wissermaassen als Opfer unter Freudengeschrei und Tanzen zuwerfen. 


Diese Feste sind gewöhnlich sehr lustig. Man trinkt viel Palmwein 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 135 


und Rum, schlachtet Ochsen und Schafe und bereitet grosse Gelage, die 
mehrere Tage währen. Endlich, nachdem diese Genüsse vorüber, kehren 
die Kinder, deren Eltern nicht die Mittel haben dem Simo Geschenke zu 
machen, mit ihm in die Wälder zurück, um dort dasselbe Leben 7—8 Jahre 
weiter zu führen. Wenn sie jedoch das Alter haben, um sich nützlich 
machen zu können, gehen sie beim Nahen der Regenzeit, ihren Eltern bei 
der Feldarbeit zu helfen; danach kehren sie in die Wälder zurück, wo der 
Simo sie zur Bebauung seiner Ländereien verwendet. 

Wenn die Eingeweihten zurückgekehrt sind, pflanzen sie vor ihrer 
Thür einen Baum oder auch nur einen Pfahl auf, an dessen Ende sie ein 
kleines Stück Stoff anhängen, gewöhnlich von weisser Farbe. Dieser Baum 
oder dieses Holz ist ein Geschenk des Simo, der es ihnen als Gegengabe 
für die reiche Auslösungssumme der Eltern überreicht. Sie geben auch 
dem Baum oder der Stange den Namen Simo. Dieses Holz wird ihr Schutz- 
gott; sie verehren es mit grosser Ehrfurcht, gemischt mit Furcht; um zu 
verhindern, dass jemand einen Ort betritt, genügt es, diesen „Simo* dorthin 
zu pflanzen. Auch schwören sie bei ihm; sie glauben, dass der, der einen 
Meineid schwört, die Rache des geheimnissvollen Dämons auf sich lade. 

Wenn ihnen etwas geschuldet wird, oder etwas gestohlen ist, so 
wenden sie sich mit frommen Bitten an das Stück Holz, werfen als Opfer 
Reis, Honig oder Palmwein hin und feuern einen Flintenschuss zu seinen 
Füssen ab. Es ist das eine Art Klage, die sie dem Simo vorbringen, um 
sich Gerechtigkeit zu verschaffen. Wenn von diesem Augenblicke an ein 
Glied der Schuldnerfamilie krank wird, schiebt man dies der Rache des 
Simo zu und aus Furcht zahlen die Verwandten schnell die Schulden oder 
ersetzen die gestohlenen Gegenstände. 

Diejenigen, von denen man vermuthet, sie hätten etwas angestellt, 
werden sofort vor den Simo gestellt, der die oberste Gerichtsbehörde ist. 
Wenn sie bei der Untersuchung geständig sind, verurtheilt er sie zu einer 
Strafe. Halten sie aber aufrecht, dass sie unschuldig sind, so müssen sie 
sich einer Probe unterziehen, nämlich einen Trank zu sich nehmen, der aus 
einer Baumrinde hergestellt ist, die dem Wasser eine schöne rothe Farbe 
verleiht. Angeklagter und Kläger sind gezwungen, diese Mediein zu trinken. 


Es ist ein Gift. Beide müssen nüchtern sein und ganz nackt. Nur dem 


136 L. Frobenius, 


Angeklagten giebt man einen weissen Schurz um die Lenden. Man schüttet 
die Flüssigkeit in eine Kalebasse, lässt Kläger und Angeklagte gleich viel 
trinken und lässt nicht nach bis sie nicht mehr können, es ausspeien oder 
sterben. Erbrieht sich der Angeklagte, so ist er unschuldig; dann hat er 
das Anrecht auf eine Entschädigung. Geht es unten heraus, so ist er nicht 
ganz unschuldig; giebt er nicht alles sofort von sich, so ist er schuldig. 
Wegen der ausserordentlich grossen Dosis dieses Giftes kommen die Leute 
selten mit dem Leben davon. Wenn jedoch die Verwandten des Angeklagten 
gutwillig eine Busse erlegen, so erlässt man dem Manne die Fortsetzung, 
bringt ihn in em warmes Bad und setzt ihm beide Füsse auf den Bauch, 
sodass er das verschluckte Gift ausspeit. Dieses grausame Verfahren wird 
bei allen Arten von Verbrechen angewendet. Manche ziehen es vor, sich 
falscher Weise für schuldig zu erklären, nur um sieh nicht der Gefahr aus- 
zusetzen. 

In der Nähe des Wohnortes des Simo darf man sich weder zanken 
noch schlagen. Wenn die Umstände einen Krieg erfordern, benachrichtigt man 
ihn und er zieht sich mit seinem Gefolge zurück. Zuwiderhandelnde Stören- 
friede müssen ihm sofort ein Geschenk bringen. Dabei müssen sie ihm die 
Rücken zuwenden und die Hände vor das Gesicht legen. Der Simo em- 
pfängt «die Busse, murmelt ein längeres Gebet und bewirft sie zum Zeichen 
der Absolution mit ein wenig Erde. Danach kehren die Ruhestörer zu- 
frieden zurück. 

Auch Coftiniere de Nordeek sah im Lande der Bagos einmal den 
Simo oder vielmehr den Penda-Penda, die Frau desselben, den man auch 
als Simo guinde bezeichnete (guinde — Frau). Ein colossaler, an schwarzem 
Stoff befestigter Kopf, erhob sich über dem Bau aus Schilfgras, in dessen 
Innerem eine Person sich befand, die durch zwei Löcher in dem Sehilfdach 
(las Vermögen zu sehen erhielt. Tanzend, gefolgt von der Jugend, bewegte 
Penda-Penda sich durch die Strassen. 

Die Susu kennen den Simo ebenfalls. Da man aber alle bei dieser 
Institution gebräuchlichen Ceremonien äusserst geheim hält, so lässt sich 
nicht allzuviel darüber berichten. Man sagt aber, die alten Männer gingen 
zu den Novizen in die Wälder, ritzten ihnen an verschiedenen Theilen des 


Körpers, besonders aber am Unterleibe allerhand Figuren in die Haut, 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 137 


unterrichteten sie in einer Sprache, die ausser den Mitgliedern des Simo 
niemand versteht, und liessen sie schwere Eidschwüre ablegen, wodurch sie 
sich anheischig machten von den Geheimnissen, die man ihnen anvertrauen 
werde, nie das Geringste zu entdecken. 

Alsdann müssen sich die jungen Leute ein ganzes Jahr in den 
Wäldern aufhalten, und man glaubt, es sei ihnen gestattet, einen jeden 
zu tödten, der dem Walde naht und nicht in der Sprache des Simo 
unterrichtet ist. Wer aber diese geheiligte Sprache versteht, darf ohne Be- 
denken an dergleichen abgeschiedene Orte gehen und sich mit den jungen 
Leuten unterhalten. Das liebe Interesse mag wohl mitunter verursachen, 
dass man mit denen, die sich in den Wald wagen, nicht immer nach der 
Strenge des Gesetzes verfährt. 

Wenn die Zeit ihrer Einkerkerung zu Ende ist, gehen sie von einem 
Orte zum andern, tanzen und betteln, bald darauf verheirathen sie sich und 
finden um so eher Gelegenheit, eine vortheilhafte Partie zu treffen, da sie 
durch ihre Einweihung sich gewissermaassen in Credit gesetzt haben. Man 
will versichern, wenn eine Frauensperson das Unglück habe, den Simo in 
seinen geheimnissvollen Gebräuchen zu stören, so bringe man sie nicht nur 
ums Leben, sondern es würden ihr sogar die Brüste abgeschnitten und 
anderen zum warnenden Beispiele an beiden Seiten der Landstrasse zur 
Schau aufgehangen. Letzteres verdient um so weniger Glauben, da die 
Susu von dieser Institution gar zu gerne allerlei abenteuerliche und gräss- 
liche Dinge erzählen. So behaupten sie unter anderem, man schneide den 
Einzuweihenden die Kehle ab und lasse sie eine Zeit lang für todt liegen; 
nachher würden sie wieder von Neuem belebt und in die Geheimnisse des 
Institutes eingeweiht, und nun wären sie viel munterer und lustiger als zuvor. 

Es giebt noch eine Art von Simo, in welchen aber nur Mädchen 
aufgenommen werden und das mitunter Humbe genannt wird. Vor ihrer 
Einweihung wird zuweilen ein Colungee oder grosser Tanz aufgeführt. Ihr 
Novieiat dauert nicht gar lange. Ein Mann, der in den Mysterien des In- 
stitutes unterrichtet ist, und ein paar Weiber werden mit den Mädchen in 
ein Haus eingesperrt, und dies sind die einzigen Personen, die man zu ihnen 
lässt. Man unterrichtet sie hier in gewissen Dingen, welche das weibliche 
Geschlecht zunächst angehen. Man bestimmt ihnen eine Zeit, in deren Ver- 


Nova Acta LXXIV. Nr.1l. 18 


138 L. Frobenius, 


lauf sie mit keiner Mannsperson umgehen dürfen, und zwar nach Gutdünken 


der Matronen, von welchen sie ihren Unterricht erhielten. 


l. Der Purrah. 

Abbildungen. Tafel: Fig. 117. 

Litteratur. Silb. Meinr. Xav. Golberry: „Reise durch das westliche Afrika“. 1804. 8.41 
bis 47. — Winterbottom a. a.0. S. 130—183. — J. de Crozals: „Les Peulhs* 
1883. S. 243—245. — Samuel Walker: „Missions in Western Africa among 
the Soosoos, Bulloms ete.“ 1845. S. 23/24. — J. Matthews: „A voyage to 
the River Sierra Leona or the coast of Afrika“. 1788. 8. 82 —85. — 
©. F. Schlenker: „A Collection of Temme Traditions, Fables and Proverbes“. 
1861. S. XIII. — A. Bastian in: „Ethnologisches Notizblatt“. Heft 1. 1894. 
S. 37/38. — Derselbe in der „Anthrop. Gesellschaft in Berlin“ 15. Juli 1893. 
Derselbe in: „Loangoküste“ a. a. 0. Bd. 26/27. 

Zwischen dem Sierra-Leona-Fluss und dem Cap Monte leben fünf 
Völkerschaften von Fulhas-Susus, die miteinander eime verbündete Republik 
ausmachen. Jede Völkerschaft hat ihre eigne Obrigkeit und ihre besondere 
Regierung. Alle aber stehen unter einer Einrichtung, die Purrah genannt 
wird. Dies ist eine Gesellschaft, eine Verbindung mit Kriegern. 

Jede dieser fünf Völkerschaften hat ihren eigenen Purrah, welcher 
seine Oberhäupter und sein Tribunal hat, und dieses ist eigentlich der Purrah; 
aus den fünf Bezirkspurrahs aber bildet sich der grosse, der allgemeine 
Purrah, der oberste Purrah, der über die fünf Völkerschaften gebietet. Um 
in den Bund eines Bezirkspurrahs aufgenommen zu werden, muss man 
dreissig Jahre zählen; um Mitglied des grossen Purrahs zu werden, muss 
man fünfzig Jahre zählen. Die Aeltesten jedes Bezirkspurrahs sind Mit- 
glieder des Hauptpurrah. 

Ein Candidat wird nur unter der Verantwortlichkeit aller seiner 
schon mitverbündeten Anverwandten zur Probe in den Bezirkspurrah zu- 
gelassen. Diese schwören ihm den Tod, wenn er nicht in der Probe besteht 
oder wenn er nach seiner Aufnahme die Mysterien und Geheimnisse des 
zundes verräth. In jedem Bezirk, der zu einem Purrah gehört, giebt es 
einen geheiligten Wald, wo man den Candidaten hinführt; dieser muss sich 
an einer Stelle, die man ihm anweist, aufhalten; mehrere Monate muss er. 
in einer Hütte, wohin ihm maskirte Personen seine Nahrung bringen, ganz 


allein leben; er darf weder sprechen noch sich aus der Umgebung, die ihm 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 139 


angewiesen ist, entfernen; wagt er in dem Walde, der ihm umgiebt, weiter 
zu gehen, so ist er des Todes. 

Nach einigen Monaten von Zubereitungen wird der Candidat zu den 
Proben zugelassen. Diese sind angeblich schrecklich. Man macht von allen 
Elementen Gebrauch, um sich von seiner Entschlossenheit und von seinem 
Muthe zu überzeugen. Man versichert sogar, dass man sich bei diesen 
Mysterien gefesselter Löwen und Leoparden bediene; dass während der Zeit 
der Proben und Einweihung die geheiligten Wälder von schrecklichem Ge- 
heule wiederhallen; dass man daselbst während der Nacht grosse Feuer er- 
blicke; dass ehemals das Feuer diese geheimnissvollen Wälder in allen 
Richtungen durchlaufen habe; dass jeder Uneingeweihte, der sich aus Neu- 
gier hineinzugehen verleiten lasse, ohne Schonung aufgeopfert werde, dass 
Unbesonnene, die dahin eindringen gewollt haben, verschwunden seien, ohne 
dass man jemals von ihnen etwas wieder gehört habe. 

Hat der Candidat alle Proben überstanden, so wird er zur Einweihung 
zugelassen. Vorher aber muss er schwören, dass er alle Geheimnisse bei 
sich bewahren und ohne Verzug die Urtheile des Purrah seiner Völker- 
schaft und alle Beschlüsse des grossen Oberpurrah vollziehen wolle. Wenn 
ein Mitglied des Bundes diesen verräth oder aufrührerisch gegen ihn ist, so 
ist er dem Tode geweiht und dieser trifft ihn manchmal selbst im Schoosse 
seiner Familie. Wenn es der Strafbare am wenigsten erwartet, erscheint 
ein verkleideter, maskirter und bewaffneter Krieger und sagt zu ihm: „Der 
grosse Purrah schiekt dir den Tod!“ Bei diesen Worten weicht alles zurück, 
niemand wagt den geringsten Widerstad zu leisten, und das Opfer wird 
ermordet. 

Das Purrahtribunal jeder Völkerschaft besteht aus fünfundzwanzig 
Mitgliedern: und aus jedem dieser besonderen Tribunale wählt man fünf 
Personen aus, die den grossen Purrah oder das Obertribunal des allgemeinen 
Bundes ausmachen. Dieses besteht also auch aus fünfundzwanzig Personen, 
die aus ihrer Mitte das Oberhaupt ernennen. 

Der besondere Purrah jeder Völkerschaft untersucht die Verbrechen, 
die in seinem Bezirke begangen werden, richtet sie und lässt seine Aus- 
sprüche vollziehen. Er stiftet zwischen den mächtigen Familien Frieden 
und legt ihre Streitigkeiten bei. 


15* 


140 L. Frobenius, 


Der grosse Purrah versammelt sich nur bei ausserordentlichen Ge- 
legenheiten und sprieht das Urtheil über diejenigen aus, die die Mysterien 
und die Geheimnisse des Ordens verrathen oder die sich gegen seine Aus- 
sprüche ungehorsam erweisen. Gewöhnlich macht er aber auch den Kriegen 
ein Ende, die manchmal zwischen zweien, zu diesen Bünden gehörigen 
Völkerschaften entstehen. Wenn diese mit einander Krieg führen, so wünscht 
meist der eine oder andere Theil nach einigen Monaten von wechselseitigen 
Feindseligkeiten, wenn sie sich schon viel Schaden zugefügt haben, den 
Frieden. Die Völkerschaft nimmt heimlich zum grossen Purrah ihre Zu- 
flucht und fordert ihn auf, die Mittelperson zu sein und die Streitigkeiten 
beizulegen. 

Der grosse Purrah versammelt sich in einem neutralen Bezirke und 
sobald er beisammen ist, lässt er den kriegführenden Bezirken melden, dass 
er nicht zugeben könne, dass Menschen, die mit einander als Brüder, Freunde 
und gute Nachbaren leben sollten, einander bekriegen, sich einander die 
Ländereien verwüsten, plündern und verbrennen, dass es Zeit sei, (diesen 
Ausschweifungen ein Ende zu machen, dass der grosse Purrah die Ursache 
des Krieges untersuchen wolle; dass er verlange, dass diese aufhören und 
dass er befehle, alle Feindseligkeiten augenblicklich einzustellen. 

Es ist ein Hauptpunkt dieser Einrichtung, dass, sobald der grosse 
Purrah beisammen ist, um dem Kriege ein Ende zu machen, und bis dahin, 
wo er seinen Ausspruch gethan hat, es jedem Krieger der beiden im Streite 
begriffenen Bezirke verboten ist, einen Tropfen Blutes zu vergiessen; dies 
wird jedesmal mit dem Tode geahndet. Man hütet sich also sorgfältig, dies 
(Gebot zu verletzen und enthält sich aller Feindseligkeiten. 

Das Obertribunal bleibt einen Monat versammelt und zieht alle 
nöthigen Erkundigungen ein, um zu erfahren, welche Völkerschaft den An- 
griff und die Herausforderung veranlasst hat. Während dieser Zeit ruft es 
auch soviele Bundeskrieger zusammen, als zur Vollziehung des Urtheils, das 
es fällt, nothwendig sind. Wenn es endlich die gehörigen Nachrichten ein- 
gezogen und alles genau erwogen hat, so thut es den Ausspruch und ver- 
urtheilt die schuldige Völkerschaft zu einer viertägigen Plünderung. 

Die Krieger, die diesen Ausspruch vollziehen sollen, wählt man alle 
aus den neutralen Bezirken; sie brechen des Nachts von dem Orte auf, wo 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 141 


der grosse Purrah versammelt ist. Alle sind verkleidet, ihr Gesicht ist mit 
einer hässlichen Maske bedeckt; sie sind mit brennenden Fackeln und mit 
Dolchen bewaffnet; sie theilen sich in Banden von vierzig, fünfzig, sechzig 
und treffen alle unerwartet und vor Tagesanbruch auf dem Gebiete ein, 
das sie plündern sollen und rufen mit furchtbarem Geschrei den Beschluss 
(des Obertribunals aus. Bei ihrer Annäherung ergreift alles, Männer und 
Weiber, Kinder und Greise die Flucht; alle retten sich in ihre Häuser und 
wenn irgend jemand auf dem Felde, auf irgend einem Platze, auf den 
Strassen angetroffen wird, so wird er entweder getödtet oder mit fort- 
geschleppt; und man hört nie wieder etwas von ihm. 

Den Ertrag solcher Plünderungen theilt man in zwei Theile; den 
einen giebt man dem beleidigten Bezirke, den anderen aber dem grossen 
Purrah, der ihn mit den Kriegern theilt, die seinen Anspruch vollzogen 
haben. Dies ist der Lohn für ihren Eifer, ihren Gehorsam und ihre 
Treue. 

Wenn irgend eine Familie der Völkerschaften, die dem Purrah unter- 
worfen sind, allzu mächtig und allzu furchtbar wird, so versammelt sich 
deshalb der grosse Purrah und verurtheilt sie beinahe allemal zu einer un- 
vermutheten Ausplünderung, welche des Nachts und zwar von maskirten 
und verkleideten Kriegern vollzogen wird. Wenn die Oberhäupter einer 
solchen gefährlichen Familie Widerstand leisten, so werden sie getödtet oder 
weggeschleppt und tief in einen der geheiligsten und einsamen Wälder ge- 
bracht, wo sie der Purrah wegen ihrer Widersetzlichkeit richtet; fast stets 
verschwinden sie auf immer. 

So ist zum Theil diese ausserordentliche Einrichtung beschaffen. Man 
kennt ihr Dasein; man fühlt die Wirkungen ihrer Gewalt; man fürchtet 
sie; der Schleier aber, der ihre Absichten, Berathschlagungen und Beschlüsse 
bedeckt, ist undurchdringlich und erst im Augenblicke, da ein Geächteter 
den Todesstreich empfängt, weiss er, dass er verurtheilt ist. Der Ruf und 
die Macht des Purrah ist eine ganz gewaltige und zwar nicht nur in der 
Heimath, sondern auch in den umliegenden Ländern. Man spricht davon, 
der Purrah stehe mit den Geistern (statt dem Teufel) in Verbindung. 

Nach allgemeinem Glauben beläuft sich die Anzahl der eingeweihten 


und zum Purrah gehörigen Krieger auf über sechstausend. Indessen werden 


142 L. Frobenius, 


die Gesetze, die Geheimnisse und die Mysterien «dieses Bundes von semen 
zahlreichen verbündeten Mitgliedern, die sich einander durch Worte und 
Zeichen verstehen und erkennen, streng befolgt und beobachtet. 

Soweit der Bericht Golberry’s, den die meisten Autoren ihren Be- 
richten mehr oder weniger zu Grunde gelegt haben. 

Ueber die Ausbreitung des Purrah und seine Heimath gehen die 
Nachriehten sehr auseinander. Schlenker beobachtete den „Porro* bei den 
Temne. Er heisst dort am-poro, ein Mitglied a-ko-poro plur. a-ko-poro. 
Matthew hat ihn zumal am Sherbros angetroffen. Folgendermaassen aber 
berichtet Winterbottom von dem Purrah des Südens. 

Unter den Bullom am Sherbro existirt eine ganz eigene Art von 
geheimer Verbindung, Purrah (W. schreibt Purra) eenannt, deren Einrichtung 
zum Theil religiös, grösstentheils aber politisch ist. Sie hat einige Aehn- 
lichkeit mit der Freimaurerei, denn es werden keine Frauenspersonen darin 
aufgenommen und die Mitglieder müssen sich vermittelst eimes Eides, der 
wohl schwerlich jemals verletzt werden dürfte, verbindlich machen, Nie- 
mandem die Geheimnisse zu entdecken und ihren Obermn und Vorgesetzten 
ebenso schleunigen als unbedingten Gehorsam zu leisten. 

Man nimmt Knaben von 7 bis 8 Jahren auf; vielleicht müssen diese 
solange im Noviciat bleiben, bis sie das gehörige Alter erreicht haben. Mit 
Gewissheit lässt sich hierüber nichts sagen, da es nicht nur ausserordent- 
lich schwer ist, genaue Erkundigungen einzuziehen, sondern sogar zu be- 
fürchten steht, dass man sich durch allzu vieles Nachfragen einiger Gefahr 
aussetzt. ‚Jeder, der in die Gesellschaft eintritt, legt seinen alten Namen 
ab und nimmt einen neuen an; wer ihn bei seinem gewöhnlichen Namen 
nennen würde, würde Händel mit ihm bekommen. 

Sie haben ihren eigenen Chef, welcher der oberste Purrah-Mann ge- 
nannt wird und an der Spitze des Oberdireetoriums steht, dessen Befehle 
alle untergeordneten Stellen und einzelnen Mitglieder des Institutes unbedingt 
annehmen und befolgen müssen. Sie halten ihre Zusammenkünfte an ent- 
legenen Orten ab, mitten in der Nacht und ohne dass jemand das geringste 
davon erfährt. Wenn sich der Purrah in eine Stadt oder in ein Dorf be- 
giebt, was stets des Nachts geschieht, so verkündet er den Einwohnern 


seine Ankunft durch ein ganz entsetzliches Heulen und Schreien und den 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 145 


fürchterliehsten Lärm, den man sich vorstellen kann. Alle die, welche nicht 
zu dieser Verbindung gehören, flüchten dann eiligst in ihre Wohnungen; 
denn jeder, der sich auf der Strasse sehen liesse oder nur Miene machte zu 
sehen was vor sich geht, würde auf der Stelle um’s Leben kommen. Um 
der weiblichen Neugier Einhalt zu thun, müssen die Frauenspersonen so- 
lange in ihren Wohnungen bleiben und in die Hände klatschen, als sich 
der Purrah im Orte befindet. 

Diese Gesellschaft macht es sich, wie das Vehmgericht seiner Zeit 
in Deutschland, zum angelegentlichsten Geschäft, Verbrechen zu bestrafen, 
zumal Zauberei und Diebstahl, mehr noch aber die Widerspenstigkeit und 
den Ungehorsam der eigenen Mitglieder. Der Verbrecher wird so schnell 
und ganz heimlich in der Stille bestraft, dass man nie erfährt, wer es ge- 
than hat, ja, die Furcht vor der Institution geht so weit, dass man sich 
nicht einmal danach zu fragen getraut. 

Wenn zwei benachbarte Völkerschaften mit einander in Krieg ver- 
wickelt sind und man denselben zu beendigen wünscht, so droht man ihnen 
mit der Rache des Purrah, wofern sie die Feindseligkeiten nicht einstellen 
würden. Das Nämliche geschieht, wenn zwei Familien mit einander in 
oftener Fehde begriffen sind. 

“s wird niemand in dies Institut aufgenommen, für den sich nicht 
einige seiner Freunde, die bereits demselben angehören, sich durch einen 
Eid verbindlich gemacht haben, ihn auf der Stelle zu tödten, wenn er die 
ihm anvertrauten Geheimnisse verrathen oder während der Aufnahme zurück- 
treten werde. In jedem Diekicht, wo die Gesellschaft sich aufhält, hat sie 
ihren eigenen Wald, wo diejenigen, welche derselben beitreten wollen, hin- 
gebracht werden, und so lange sich aufhalten müssen, bis man sie wirklich 
initiirt. Wenn Jemand, es sei aus Unwissenheit oder Neugierde, in einen 
solchen Wald ginge, so würde man nicht das geringste Bedenken tragen, 
ihn zu tödten, und kein Mensch würde wissen, wo er hingekommen wäre. 

Der Purrah beschränkt sich meist nur auf die Gegenden am Sherbro; 
wenigstens erstreckt er sich gen Norden nicht bis Sierra Leona, und nicht 
einmal bis an den Fluss dieses Namens. Die dortigen Einwohner haben 
eine Abscheu vor dieser Gesellschaft, und wenn nur davon gesprochen wird, 


so sieht man es ihnen schon an, dass ihnen Angst und Bange davor ist. 


144 L. Frobenius, 


Sie glauben nämlich, die Mitglieder der Purrah ständen sammt und sonders 
mit den bösen Geistern im Bündniss, die ihren Befehlen gehorchen müssten. 
Der verstorbene Oleveland ist der Stifter des Purrah auf den Bananeninseln. 

Eine Beziehung zu dem Berichte Golberry’s ist wohl auch hier nach- 
weisbar. Desto interessanter sind die Abweichungen, die sich besonders in 
der Feststellung der geographischen Verbreitung äussert. Bekanntlich 
wohnen die Susu im Norden der Bullom und Sierra-Leonas. — Uebrigens 
ist Winterbottom ein sehr zuverlässiger Autor, auf dessen Berichte man 
sich unbedingt verlassen kann. Ich nehme an, dass ihm nieht Golberry’s 
sondern Matthew’s Bericht bekannt war. Golberry fusst auf Matthew, den 
er ergänzt. 

An Nennenswerthem über den Purrah ist nur noch weniges bekannt. 
— Die Mitglieder des Purrah sind durch eine Tätowirung ausgezeichnet, 
die in zwei parallelen um den Leib laufenden vorn in die Höhe sich wen- 
denden und in dem Munde sich treffenden Linien besteht. 

Bei Versammlungen des Purrah sind an verschiedenen Orten Zeichen 


angebracht, die alle verstehen. — An einigen Orten soll der Purrah will- 
kürlich im die Dörfer einfallen und plündern. — Nach einigen Autoren 


können Knaben, nach anderen nur dreissigjährige Männer Mitglieder des 
Bundes werden. — Am Purrah kann man sieh nieht rächen; Purrah-Männer 
mögen rauben, was sie wollen. 

Nach einigen steht der Purrah mit Geistern, nach anderen mit dem 
„leufel“ in Beziehung. Recht haben diejenigen, die behaupten, die Purrah- 


Männer seien vom Teufel besessen. 


m. Westlicher Sudan; Mandingo (Mumbo-Jumbo etc.). 
Abbildungen. Tafel; Fig. 118—122. 
Text; Nr. 20—25. 
Litteratur. Binger: „Du Niger au Golfe de Guinee par le Pays de Kong et le Mossi.“ 
1892, Bd. I. S. 106/7. S. 378/9. S. 401. — R. Caillie a a. O. Bd. I. S. 271. 
S. 274. S. 287. — Briefliche Mittheilung von Dr. Maclau. — William Gray and 
Dochard: „Travels in Western Afrika in the years 1818. 19. 20 and 21.“ 
1825. S. 383. 8. 55/6. S. 383. S. 82/3. — R. Andree: „Die Masken in der 
Völkerkunde.“ S.23. — Mungo Park: „Reisen in Westafrika.* 8. 47. — 
Wilson: „Westafrika.“ S. 52/3. — Golberry a. a. O. S. 151ff. „Allg. Hist. d. 
R.“ Bd. III. S. 222. S. 243/4. S. 168. S. 239/405. — Waitz: „Anthropologie 
der Naturvölker.“ Bd. I. S. 467. 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 145 


Die Gebiete, die wir jetzt betreten, stehen schon zum grössten Theil 
unter dem regen nordischen Einfluss der mohamedanischen Völker. Die 
Geheimbund-Masken sind hier in den Dienst der verschiedensten Ein- 
richtungen getreten, so dass eine Uebersicht der einzelnen Funktionen 
wünschenswerth ist. 

Zunächst treten die Vergeistigungssitten naturgemäss in regere Be- 
ziehung zur Beschneidung. Fernerhin ist eine grosse Gruppe von Gebräuchen 
bemerkenswerth, die dem Schutze der Gattenrechte gewidmet ist, in diesen 
verkehrsreichen Gegenden sicherlich eine erforderliche Institution. Am be- 
kanntesten ist der Mumbo-Jumbo geworden. Drittens endlich treten Mas- 
kirte als Wächter der öffentlichen Ordnung auf. Als Spassmacher geriren 
sich wohl die meisten afrikanischen Maskirten nebenbei. 

Welchem Volke hier die Verbreitung der Masken zugeschrieben 
werden muss, ist schwer zu sagen. Sicherlich hat nicht nur ein Volk dieses 
verursacht. Zersplitterte Trümmer alter Wanderepochen und Staaten wohnen 
hier überdeckt von den Fluthen der neueren Mandingo- und der neuesten 
Fulbe-Wanderung. Heute sind die Mandingo wohl die wichtigsten Träger 
der Geheimbund- und Maskensitte. Aber auch bei Bobo und Jolof finden 
sie sich. Es ist jedoch immer daran zu denken, dass im Norden sowohl 
wie im Süden Mandingostämme, nämlich Bambara, Susu, Vey etc. die wich- 
tigsten Stifter der Geheimbünde sind. 

Unter den Berichten über die Beschneidungsceremonien im westlichen 
Sudan muss derjenige Jobsons über den Horey trotz seiner oder vielmehr 
gerade wegen seiner phantastischen Klangfarbe als der beste bezeichnet 
werden. 

Jobson war zugegen als ein 16— 17 jähriger ‚Jüngling beschnitten 
wurde. Darauf ward ihm ein weisses Kleid übergeworfen; zwei Männer 
führten ihn zu einem umzäunten Orte, wo er mit anderen jungen Leuten, 
die mit ihm in gleichen Umständen waren, eingesperrt wurde. Den Eng- 
ländern, auch dem Wundarzte, ward der Zutritt untersagt. — Man erlaubt 
den jungen Männern „zur Linderung ihrer Schmerzen* um diese Zeit ein 
Hühnerhaus zu plündern oder einem armen Fulbe-Hirten ein Rind zu stehlen, 
um sich lustig zu machen. Die Gesetze würden in einem anderen Falle 
diese That streng ahnden. 


Nova Acta LXXIV. Nr.1l. 19 


146 L. Frobenius, 


Bei diesen Versammlungen ist allezeit eine gewisse Sache, die nie- 
mals fehlt; das ist der brüllende Horey oder Hore. Sein Geräusch gleicht 
der tiefsten Bassstimme. Man hört ihn allezeit in einer gewissen Weise 
brüllen und er dienet, die Knaben in Furcht zu erhalten. Wohl setzt man 
dem Horey unter einem Baume Speise hin, aber das genügt ihm nicht. Er 
schluckt die Knaben weg und behält sie solange in seinen Magen, bis sie 
durch anderes Futter daraus erlöset werden. Einige sollen 10 oder 12 Tage 
darinnen gewesen sein. Noch mehr! Das Opfer muss soviel Tage, als es 
in des Horey Wanste gewesen, stumm bleiben. ‚Jobson sah in einer Fulbe- 
stadt einen Knaben, der erst die vergangene Nacht aus des Horey Bauche 
gekommen; er konnte ihn auf keinerlei Weise bewegen, den Mund zu öffnen, 
worauf er seinen Finger hielt. Sie reden insgesammt von diesem Horey 
als einem sehr fürchterlichen Geiste, und es ist seltsam, mit was für Ge- 
wissheit sie behaupten, dass sie von ihm weggeführt und verschlungen 
werden. — Eine merkwürdige Angabe ist es, dass die Musikanten mit dem 
Horey in sehr intimen Verkehr stehen und dass sie deshalb nicht wie 
andere bestattet, sondern ihr Leichnam aufrecht in einen hohlen Baum ge- 
stellt wird. 

Am Gambia tragen die Neubeschnittenen zuweilen eine besondere 
Tracht, eine Mütze von wunderlicher Form mit ein Paar Ochsenhörnern 
daran. So bekleidet begehen diejenigen, die tiefer im Lande wohnen, grosse 
Unordnungen, erpressen Geld und nehmen sich die ausschweifendsten Frei- 
heiten. Die am Senegal sind weniger wild und begnügen sieh mit dem, 
was ihnen gegeben wird. Jannequin sagt, die Knaben Senegambiens hätten 
einen Monat lang nach der Beschneidung die Freiheit zu plündern und alle 
Arten von Gewaltthätigkeiten an den Jungfern zu begehen, nur nicht zu 
morden oder ihre Person zu rauben. Bei den Fulbe wohnen die Neu- 
beschnittenen vierzig Tage in einem Hause zusammen und erhalten eine 
Art Unterricht. Danach steht ihnen eine ungewöhnliche Freiheit zur Ver- 
fügung; sie dürfen stehlen und essen was ihnen gefällt. — Von den ge- 
tlochtenen mit Ochsenhörnern versehenen Masken der Beschnittenen sind 
mehrere in europäische Museen gelangt. — Bei den Bambara treffen wir 
diese Art der „Geistesfreiheit“ wieder. Im Betteln endet sie; solches be- 
richtet Caillie aus Timme. 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 147 


In Kaarta lernte Gray eine eigenthümliche durch einen jungen Fürsten 
dargestellte Ceremonie kennen. Dieser war jüngst beschnitten. In auf der 
Abbildung zu betrachtender Weise war er bekleidet; gefolgt ward er von 
einer Musikbande und einem Haufen junger Leute. So besuchte er ver- 


schiedene Dörfer, in denen er Contributionen an Nahrung und Geld ent- 


weder durch Stehlen — wofür er nicht gestraft werden konnte, da er in 
dieser Zeit nicht den Gesetzen unterworfen war — oder durch öffentliche 


Vorstellungen eintrieb. Er entriss nämlich den Zuschauern die Habe, indem 
er sie festhielt und sie mit Stössen seimer am Kopfe befestigten Hörner 
bedrohte, bis er Gaben empfing, die ihm nie vorenthalten wurden. Seine 
Gefolgschaft wedelte ihm mit Baumzweigen zu und suchte ihn zu beruhigen. 
Sie führten ihn zu einem Platze, wo er sich niederliess. So blieb er einige 
Minuten sitzen, um sich zu erholen, dann aber, gleichsam von einem neuen 
Anfall voll Wuth ergriffen, wieder das Spiel zu beginnen. Er setzte es 
mehrere Stunden fort, was infolge des Gewichtes der Maske und der heftigen 
Bewegungen sehr anstrengend ist. In dieser Weise wird die Scene einen 


Monat lang fortgesetzt. 


Das Beschneidungsfest ist bei den Einwohnern von Bambuk das 
grösste und feierlichste; man kündigt es zwei Monate vorher an; die jungen 
Knaben und Mädchen werden darauf durch Absonderung und Diät vor- 
bereitet und streng bewacht. Das entspricht den Enthaltungsgeboten. Am 
bestimmten Festtage ist das ganze Dorf mit Laubwerk und Blumen ge- 
schmückt, und die Luft ertönt von Freudengesängen. Auf einer Erhöhung 
befindet sich das Oberhaupt des Dorfes mit den Alten. Alle beschnittenen 
Männer können der Feierlichkeit beiwohnen, die Weiber aber sind davon 
ausgeschlossen. — Die jungen Leute, die beschnitten werden sollen, sind 
mit Blumen bekränzt und werden in Procession zwei und zwei, die Knaben 
zuerst, die Mädchen nachher, vorgeführt. Alles geschieht mit der grössten 
Feierlichkeit; die Ceremonie fängt mit den Knaben an; hierauf kommt die 
Reihe an die Mädchen. 


Die Gesänge der Bänkelsänger und Sängerinnen und der Lärm der 
Musikanten übertönen die Klagen und das Geschrei, das die jungen Opfer 


manchmal ausstossen. Da die Erhöhung, worauf das Oberhaupt und die 
19* 


148 L. Frobenius, 


Alten sich befinden, sehr hoch ist, so können sie und zwar sie allein die 
Operation sehen. 

Wichtig sind die Rechte der Beschnittenen. Vor allen Dingen dürfen 
die jungen Leute erst nach der Beschneidung heirathen. Es ist in Bambuk 
ein grosses Verbrechen die Freuden der Liebe zu geniessen, ohne noch 
beschnitten zu sein. Diese Operation scheimt aber die Freiheit, den Ge- 
brauch der natürlichen Rechte und die Erlaubniss zu ertheilen, sich will- 
kürlich ohne Gewissensbisse, ohne Scheu und ohne Scham, ja selbst ohne 
öffentliches Aergerniss und ohne Schande der Liebe zu überlassen. 

“in von alten Zeiten überkommener Gebrauch eiebt den Neu- 
beschnittenen das Recht, sich 40 Tage lang der Aufsicht der Eltern zu 
entziehen. Vom Sonnenaufgange an bis zum Sonnenuntergange darf der 
Knabe oder das Mädchen nach der Beschneidung die elterliche Hütte ver- 
lassen; so lange die Sonne über dem Horizonte steht, gehen die jungen 
neubeschnittenen Leute, wohin sie nur wollen und laufen auf den um ihre 
Dörfer liegenden Feldern umher. 

Sie können Speise und Trank verlangen, wo es ihnen gefällt; allein 
sie dürfen in keine Hütte gehen, es sei denn, sie werden dazu eingeladen. 
Sie müssen an der Thüre stehen bleiben und wenn man sie nicht zum Ein- 
tritt nöthigen will, so fordert doch der Gebrauch, ihnen mehrere Speisen 
zu reichen, die allemal sorgfältig zugerichtet sind. Zwischen den Mahlzeiten 
können sie aus den Dörfern herausgehen und auf den herumliegenden Fel- 
dern und in den Wäldern sich umhertummeln. 

Es ist aber den neubeschnittenen Knaben und Mädchen jede Art 
von Umgang mit einander oder irgend jemand in dem Dorfe ausser mit 
ihren Eltern aufs Strengste verboten. Um solche Vereinigungen zu ver- 
hindern, reiben sich einige Neger — die man für Zauberer und Diener. des 
Mumbo Jumbo (statt Mahamma Jamboh) hält, einer Institution der Mandingo 
— den Körper mit Thon, bedecken die Lenden mit Blättern oder Stroh, 
verhüllen das Angesicht mit schrecklichen Masken, bewaffnen sich mit einer 
dieken Peitsche und durchlaufen die Felder und das Dorf, um die Neu- 
beschnittenen beider Geschlechter auszuspüren und zu beobachten. 

Diese Diener einer nothwendigen Polizeiaufsicht machen ein schreck- 


liches Geheul und wenn sie irgendwo solche junge Mädchen und Knaben 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 149 


beisammen oder bei irgend einem anderen verdächtigen Gegenstande an- 
treffen, so geisseln sie dieselbe so stark, dass das Blut hervorquillt; die 
Furcht vor diesen Helfershelfern der Mumbo-Jumbo hält die Knaben von 
den Mädchen entfernt und verhindert Unordnungen, die nachtheilige Folgen 
haben könnten. 

Diese vierzig Tage von Zügellosigkeit hindurch erhalten diejenigen, 
welche sich derart der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung widmen, 
welches sie übrigens bloss auf Befehl der Oberhäupter und mit Einwilligung 
der Eltern der Neubeschnittenen thun, Geschenke, und werden besonders 
gut und herrlich beköstigt. Dieser Zeitraum endigt mit einem allgemeinem 
Feste, an welchem das ganze Dorf theilnimmt. Man schlachtet mehrere 
Ochsen, die die Gäste aufzehren, theilt in Menge mehrere Arten von Speisen 
und berauschenden Getränken aus, und die Feierlichkeit wird mit einem 
Tanze beschlossen. 

Wir hätten somit das Thätiekeitsfeld des Mumbo-Jumbo, einer der 
bekanntesten Figuren der afrikanischen Maskeraden betreten, und haben 
den Berichten über ihn zu folgen. 

Moore ist der erste, der von ihm Kunde gegegeben hat und zwar in 
folgender Weise. Der Mumbo-Jumbo soll eine geheimnissvolle Gottheit der 
Neger sein, eine Erfindung derselben zum Zwecke des Fürchtenmachens der 
Weiber. Diese halten ihn für eine Art wilden Mann. In der That wird 
niemand, als wer darum weiss, wegen seines schrecklichen Lärmens ihn für 
einen Menschen halten. Er ist in einen langen, aus Baumrinde gefertigten 
Rock gekleidet; oben ist ein Büschel Stroh daran; in allem ist er 8S—9 Fuss 
lang. Es wissen wenige von den Eingeborenen mit dem Lärmen, das er 
macht, künstlich umzugehen. Er lässt sich niemals hören, als in der Nacht. 
Wenn ein Mann sich mit seiner Frau zankt; so wird der Mumbo-Jumbo 
geholt, um den Streit auszumachen; gemeiniglich fällt das Urtheil dem 
ersteren zum Besten aus. 

Die Person, die sich in diesem Rock versteckt, kann alles befehlen, 
was sie will. Niemand darf mit bedecktem Haupte in seiner Gegenwart 
sein. Wenn die Weiber ihn kommen hören, laufen sie davon und verstecken 
sich. Wenn man aber mit dem Manne, der den Rock anhat, bekannt ist, 


so schieket er ihnen nach, dass sie herkommen, sich niedersetzen und singen 


150 L. Frobeniüs, 


und tanzen müssen, wie er es haben will. Wenn sie sich aber weigern, so 
schicket er ihnen Leute nach und lässt sie peitschen. 

Es giebt am Gambia wenig Städte, die nicht einen solchen Rock 
hätten. — Wenn jemand in diese Gesellschaft eintritt, so thut er den feier- 
liehsten Eid, dass er keiner Frau oder anderen Person, die noch nicht ein- 
geweiht ist, etwas verrathen will; die Jünglinge unter 16 Jahren werden 
nicht zugelassen. Das Volk schwört beim Mumbo-Jumbo und hält solches 
für einen heiligen Eid. — Moore erzählt als Beispiel der Strenge, dass ein 
Häuptling, der mit seiner Frau offenherzig über den Mumbo-Jumbo ge- 
sprochen hatte, von diesem öffentlich mitsammt der Gemahlin hingerichtet 
wurde. — Die Mandingo haben auch eine geheime Sprache, die aber nie 
Frauen und nur Mitglieder dieser Institution verstehen. 

Als Mungo Park in die Stadt Ealoe kam, fand er beim Eingange 
derselben auf einem Baume ein Maskeradenkleid hängen, das von Baum- 
rinde gemacht war, und das, wie er erfuhr, dem Mumbo-Jumbo gehörte. 
Dies, fährt er fort, ist ein sonderbares Schreckensbild, welches allen Man- 
dingostädten eigen ist und von den Einwohnern als ein Mittel gebraucht 
wird, ihre Weiber in Ordnung zu halten, zumal wenn unter ihnen Zank 
und Streit ausgebrochen ist. Mit einem Stocke und maskirt läuft er erst 
brüllend in den Wäldern umher und kommt bei hereinbrechender Dunkelheit 
in das Dorf. Aus dem Kreise der lustig Tanzenden und Singenden greift 
der Mumbo-Jumbo die schuldige Frau heraus, um sie unter allgemeinem 
Jubel zu züchtigen. 

Folgendermaassen berichtet Wilson: Kommt eine verheirathete Frau 
in den Verdacht ehelicher Untreue, so wird der Beistand des Mumbo-Jumbo 
in Wirksamkeit versetzt. Diese geheimnissvolle, von dem ganzen Geschlecht 
afrikanischer Matronen so gefürchtete Persönlichkeit ist ein grosser starker, 
in trockene Pisangblätter gemummter Mann mit einer Ruthe in der Hand, 
die er bei geeigneten Gelegenheiten mit der schonungslosesten Strenge 
handhabt. 

Er erscheint, wenn er von einem in seinen Rechten gekränkten Mann 
angerufen wird, zur Dämmerung in dem Dorfe und beginnt alle Arten von 
Pantomimen. Nach der Abendmahlzeit geht er in das Rathhaus der Ge- 
meinde, wo er allerlei Possen vornimmt und alle erwachsenen und weib- 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 151 


lichen Personen müssen hierbei anwesend sein, wenn sie nicht in den Ver- 
dacht kommen wollen, dass ein schuldiges Gewissen sie zurückhalte. Die 
Mummerei wird bis Mitternacht fortgesetzt, wo Mumbo plötzlich mit der 
Behendigkeit eines Tigers auf die Schuldige zuspringt und sie unter dem 
Gelächter der Anwesenden aufs kräftigste auspeitscht. Die Frauen pflegen 
in das Gelächter lebhafter einzustimmen als alle anderen, wahrscheinlich in 
der Absicht, den Verdacht ehelicher Untreue von sich abzuwenden. 

Der Maskirte ist oft der Gratte selbst, oft ein von ihm Angestellter. 

Eine ähnliche Figur wie der Mumbo Jumbo ist der Kongeorong, den 
Gray und Dochard in Kayaye am Gambia trafen und über den sie Folgendes 
mittheilen: Sie sahen eimen Mann, der war von Kopf bis Fuss mit kleinen 
Baumzweigen bedeckt. Er erschien am Nachmittage und gab Frauen und 
Mädchen kund, er werde ihnen nach Sonnenaufgang eine Aufwartung machen. 
Zur angekündigten Zeit erschien er im Dorfe. Trommler folgten ihm, die 
die Versammlung beriefen; alles war beisammen, ihn mit Musik und Gesang 
zu empfangen. Er begann, indem er sagte: er sei gekommen, die Frauen 
zu warmen, dass sie ja vorsichtig in ihrem Betragen gegen die Männer 
der Expedition der Weissen sein sollten. Darauf erzählte er einige Um- 
stände, mit denen er angeblich bekannt war, die wenig für sie sprechen. 
Aber, fährt er fort, da es die erste Zeit sei, wollte er keine Namen nennen, 
auch nicht die gewöhnliche Strafe, nämlich Stäuben, verhängen. Wehe 
ihnen aber, wenn sie durch eine unbedachte Handlung sein Wiedererscheinen 
heraufbesehwören sollten. — Darauf machte jede, die etwas zu fürchten 
hatte, dem Kongeorong ein Geschenk. 

Die dritte Gruppe der Maskirten beschäftigt sich zur Hauptsache mit 
polizeilicher Aufsicht. Es ist zunächst der Dou oder wie Caillie ihn nennt, 
der Lou zu erwähnen. 

Binger sah die Dou einst in den Dörfern der Bobo. Dort trieben 
sie sich allerorts herum, um die Hütten, unter den Bäumen auf den Feldern; 
sie tanzten, schlugen Rad, gingen auf den Händen und liefen von Zeit zu 
Zeit gegen die Zuschauer an. — Die Dou, so beschreibt sie der Reisende, 
sind lächerlich gekleidete Individuen, über deren Kleidung Dafou, das ist 
der einheimische Hanf, Blattrippen und Palmblätter genäht sind. Als Kopf- 


schmuck tragen sie eine in gleicher Weise mit Hanf bekleidete Mütze, die 


152 L. Frobenius, 


von einer Keule aus rothgefärbtem Holze gekrönt, zuweilen auch mit einem 
aus Holz geschnitzten Vogelschnabel geschmückt ist. Zwei Löcher sind für 
die Augen in der Kappe angebracht. 

Diese Dou werden von der sie begleitenden Bevölkerung mit Dolo 
tractirt. Tag und Nacht laufen sie in der Stadt und auf dem Felde umher 
und verprügeln die Buben und, wenn solche naiv genug sind, vor ihnen 
Furcht zu verspüren, auch die Erwachsenen. Ihre Kleidung erhitzt und der 
in Massen genossene Dolo berauscht die Dou zuweilen derart, dass sie in 
einer Art Trinkerwahnsinnes Leute mit Knüppelschlägen tödten. 

Es ist das eine Sitte des Bobo. Bei sinkender Nacht und beginnendem 
Tagesgrauen folgt die Menge den Dou, aus voller Kehle ein ernstes nicht 
unmelodisches Lied singend, das leider durch die vielen Schreie dieser Halb- 
wilden unterbrochen wird. Dieses Umgehen der Dou hat nur selten statt. 
Die Mandingo, welche nach Binger die Sitte nicht pflegen, konnten ihm 
keine Auskunft ertheilen; der Autor meint aber, dass diese (eremonien 
immer am Anfang der Regenzeit abgehalten werden. Für die Bobo mögen 
diese Processionen den Zweck verfolgen, übelmeinende Geister von den 
Feldern zu jagen oder den Regen heraufzubeschwören. 

Bei Bambara und Malink& am oberen Senegal finden sich die Dou 
ebenfalls, sind aber nieht von offensiver Natur. Gelegentlich eines abend- 
lichen Tantams in Komantara (Medine) bei Demba Sambala sah Binger 
zwei derartige Wesen, welche aber lediglich gekommen waren, um zu 
tanzen. Die Kassonk@ nennen sie Dou Mama, das sind „Vorfahren“. 

In einer Bambara-Stadt ward Caillie eines Abends aufgefordert, sich 
ruhig in seiner Hütte zu verhalten, da diesen Abend die Dou oder, wie 
Caillie sie nennt, die Lou die Ortschaft durchziehen würden. Im ganzen 
Bambara-Land soll es solche Dou geben. Tagsüber halten sie sich in 
kleinen aus Baumzweigen verfertigten Hütten im Walde auf. Hier unter- 
richten sie die kleinen Knaben in den Mysterien dieser Ceremonien. Alle 
Nächte verlassen sie die Gehöfte um, gefolgt von den eingeweihten Knaben, 
in die Dörfer zu ziehen und tausend 'Thorheiten, Verdrehungen zu treiben. 
Bei ihrer Annäherung verschliesst sich jeder in seiner Hütte, um ihnen zu 
entgehen. Nur die Eingeweihten fürchten sich nicht vor dem nächtlichen 
Zuge. Mit Geschenken versehen ziehen sie wieder in ihre Wälder. Auch 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 153 


hier bedenkt man sie reichlich mit Getränken (Bier), weshalb sie oft be- 
trunken sind. 

Am Abend also liess sich das Geheul im Umkreise des Ortes ver- 
nehmen. Caillie schloss sich in seine Wohnung ein, nahm aber wohl Be- 
dacht, einen Ausblick auf die Vorgänge zu gewinnen. Alsbald sah er einen 
Mann, dessen Kopf mit einem Lappen bedeckt und dessen Körper mit 
Schellen und kleinen Eisenstücken behangen war, sodass er ein höllisches 
Getöse verursachte. Er stiess greuliche Töne hervor, lief, ehe er ihn betrat, 
um den ganzen Ort und scandalirte gehörig. Ihm folgten eine Menge 
Kinder, die in der gleichen Weise wie der Mann gekleidet waren. Uaillie 
bemerkte drei oder vier vor den Hütten sitzende Greise, die dem Dou zu- 
schrieen, hier sässen Leute. Darauf nahm der Zug eine andere Richtung. 
Einen Theil der Nacht hindurch konnte Caillie wegen des Lärms nicht 
schlafen. 

Nach Maclau feiern die Mohamedaner in Kong und den Mandingo- 
staaten ein nächtliches Fest, dessen Hauptfiguren Dou genannt werden. Das 
bedeutet Polizei-Wächter. Sie veranlassen die Nachts auf den Strassen noch 
Umbherirrenden, in die Hütten zu gehen. Die Dou haben Masken von rothem 
oder schwarzem Stoff, an denen Hörner befestigt sind. Sie durcheilen die 
Strassen und vertheilen Stockschläge. 

Nehmen wir die Mittheilungen der Reisenden zusammen, so ist der 
Dou bei: Malinke, Sonik&e, Bambara, Mandingo, Kong und Bobo heimisch. 
Er wird also wohl ziemlich im gesammten westlichen Sudan anzutreffen sein. 

Als Cailliöes Karawane in Sienso einzog, bemerkte der Reisende 
unter einem grossen Boabab einen wunderlich gekleideten Mann. Man sah 
nichts als Hände und Füsse, die nackt waren. Seine Tracht war ganz 
schwarz, Hose, Jacke, Kopfputz, der gleichzeitig das Gesicht bedeckte, 
alles in allem ein Stück. Die Mütze war viereckig und mit weissen 
Straussenfedern geschmückt; die Stellen des Mundes, der Nase und der 
Augen waren in Scharlach garnirt. Diese maskirte Person war Zollbeamter 
und Obrigkeit. Sie trug in der Hand eine Peitsche. Sie hat bei den Ein- 
geborenen den Namen Naferi. Der Naferi empfängt den Strassenzoll. Alle 
Fremden der Umgegend zahlen ebenso wie die den Ort durchziehenden 


Karawanen diesen Tribut in Kauries. Männer und Frauen halten vor ihm 
Nova Acta LXXIV. Nr.l. 20 


154 L. Frobenius, Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 


an. Wenn jemand die verlangte Summe verweigern würde, nähme der 
Naferi seine Zuflucht zur Peitsche. — Hinter dem Naferi stand eine von 
einem Nichtmaskirten bewachte Tasche mit Kauries, anscheinend die schöne 
Einkunft des betreffenden Tages. 

Die Naferi sind gleichzeitig Polizei; sie bedenken die Kinder auf 
der Strasse, die ungebührlich lärmen, mit Stockschlägen; jedoch nur wenn 
sie in „Uniform“ sind steht ihnen diese Machtvollkommenheit zu. Caillie 
erblickte später mehrere derartig Maskirte auf den Strassen von Sienso. 

Endlich kommen wir zur letzten der uns bekannten Maskenfiguren 
dieser Gegenden, dem Mokho-missi-kou. Binmger sah ihn in Birayma. Er 
nennt ihn einen Spassmacher, einen Polichinello. Es ist dabei aber zu be- 
merken, dass die meisten Maskirten in bestimmten Zeiten den Narren spielen, 
wenn ihre wichtigste Eigenschaft auch die ernste Diensterfüllung” im all- 
täglichen Leben ist. Also braucht der Mokho-missi-kou kein beständiger 
Narr zu sein, wenn er auch in Bingers Gegenwart sich so benahm. — Er 
war von oben bis unten in Leinewand aus Baumwolle gehüllt. Die Kappe 


war borstig, was durch Befestigung von Kuhschwanzhaaren erreicht war. 


Vor das Gesicht fiel ein Zeugstreifen, der mit drei Oeffnungen — solche 
waren mit Kaurimuscheln eingefasst — für Augen und Mund versehen war. 


In einer an einem Bande getragenen Tasche trug er Schellen und Eisen- 
stücke. Klingeln waren auch unten an den Beinen und den Händen an- 
gebracht. In den Händen schwang er Kuhschwänze. 

Wie weit sich der Brauch des Maskirens von der Westküste aus 
verbreitet hat, ist aus dem Berichte Ibn Batutas (nach Andree) im Jahre 
1352 zu ersehen. Vor dem Könige von Melli sangen vermummte Barden, 
auf deren Masken Köpfe von Vögeln befestigt waren. Der alte Reisende 
giebt an, dass diese Sitte schon vor der Einführung des Mohamedanismus 
sehr alt gewesen sei. 

Weit im Norden treffen wir noch in einzelnen Vorkommnissen Aus- 
läufer. Die Maske in Mursuk ward schon erwähnt. Einen Maskirten aus 
Biskra und der Carnevalszeit stellt die Illustration Nr. 25 S. 129 dar. Doch 
das sind versprengte Vorkommen, die durch regen Verkehr und innige 


Beziehungen erklärt werden. 


I Theil. 


Ethnologische Darstellung: 


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Einleitendes. 


War es schon schwierig, die litterarischen Mittheilungen in einen 
Guss zu bringen, die Grenzen, und zwar sachlichen und geographischen, 
zwischen dem Innerhalb und Ausserhalb unseres Studiengebietes zu ziehen, 
so beginnt die eigentliche Schwierigkeit jetzt erst, wo es heisst, in klarer 
Weise das Werden der Sitten und Formen, deren Sprache und‘ die An- 
schauungsfundamente darzulegen. 

Zwei verschiedene Arten, die Fülle der Masken in Gruppen zu 
bringen und so eine Uebersicht zu ermöglichen, sind bekannt. Die eine 
richtet sich nach dem Sinne, die andere nach den Formen. Andree hat in 
folgender Weise die erstere Eintheilungsweise vorgenommen: 

1. Masken im Cultus. 

2. Kriegsmasken. 

3. Leichenmasken. 

4. Schauspiel- und 'Tlanzmasken. 

Diese Eintheilung hat den Nachtheil, dass sie die entwicklungs- 
geschichtliche Betrachtung nicht zulässt. Die Formen kommen gar nicht 
zur Geltung und die Sitten sind kulissenartig aufgebaut ohne Rücksicht 
auf die sie leitenden Anschauungsfundamente. Eine Gruppirung nach 
diesem System kommt weniger den Masken als den Sitten zu Gute, wenn 
die Beziehungen zwischen den einzelnen Gruppen aufgesucht werden. Eine 
ansprechendere weil anspruchslosere Ulassifikation hat Ratzel in Folgendem 
gegeben: 

A. Einfache Nachbildungen des menschlichen Antlitzes; 
1. rohe Werke, 
2. sorgfältige, naturtreue Nachbildungen, 


3. geometrisch stilisirt, theilweise in Anlehnung an die Tätowirung; 


158 L. Frobenius, 


B. Verzerrte Nachbildungen, Karrikaturen, Schreckbilder; 
4. Fratzengesichter, die Heiterkeit oder Schrecken erregen sollen, 
Tanz- oder Kriegsmasken; 
C. Thiermasken. 
D. Kopfaufsätze. 

Wie aus der Aufstellung zu ersehen ist, dient sie lediglich der Ein- 
theilung der Formen, aus deren Wesen nur hie und da auf ihren Sinn ge- 
schlossen wird. Es ist das eine ethnographische Uebersicht, die überall am 
Platze sein dürfte, wo der geographische Gesichtspunkt schon durchgeführt 
ist und nun nur noch die Formen eines Ortes, eines Bezirkes, einer Provinz 
zusammengefasst werden sollen. So wie z. B. Haddon sie gelegentlich der 
Besprechung der Masken Süd-Ost-Neu-Guinea aufstellt, sind solche Form- 
tabellen im Sinne Ratzels nur wünschenswerth. 

Für innere Aufgaben nun können diese Systeme überhaupt nicht zur 
Geltung kommen. Höchstens wäre es in einer Weise denkbar, die schon 
Dall angewandt hat und die nicht übel wäre, wenn man sich seiner Prä- 
misse, nämlich dass die Maske aus Schutzwaffen entstanden sei, anschliessen 
könnte. Dall giebt folgende Uebersicht: 

Type 1 — Masks'). 
A. For defense against physical violance, human or otherwise. Rela- 
tions individual. 


a) Passive Characterized by the purpose of offering a mechanical 


resistance to the opposing force, with ar without aesthetie modi- 
fication Transitional series from the simplest to the metallic helmet. 
b) Active — Characterized by the purpose of offering of exerting a 
moral influence on the agent of the opposing force by exerting 
terror, either by direet hideousness or by symbolizing superhuman ° 
1!) Folgendermaassen definirt Dall Maske, Maskette und Maskoid. 
1. The Mask — An opaque okject intended to be worn over the face, and to conceal or 
or defend it, normally with breathing and peep holes. 
2. The Maskette — An object resembling a mask, but intended to be worn above or below 
the face. Normally without perforations. 


3. The Maskoid — An object resembling a mask or face, but not intended to be worn at 
all. Normally, and allmost invariably, imperforate. 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 159 


agencies supposed to be friendly to the wearer. Transitional series 
from the ordinary war mask aesthetically modified, to that of the 
shaman or of the priest. 
B. Symbolical of social ageneies, associations, orders, professions, super- 
naturalism. Relations ordinal or tribal. 

a) Illustrative of the connection of the wearer with a particular 
association, order or profession, having a common relation to the 
rest of the community. 

b) Illustrative of special rites, irrespective of the individual acting 
in ritual. 

Type 2 — Maskettes. 
A. Symbolical of social agencies, as in subdivision B, sections a and b 
Dypere 
Type 3 — Maskoids. 
A Symbolical of relations with the supernatural. 

a) Of the Individual. 

b) Of the community. 

In jeder Zeile spricht hier der praktische Amerikaner. Charakte- 
ristisch ist zumal der Anfang. Die Annahme des Hervorwachsens der 
Masken aus einem Schutzmittel ist aber nicht annehmbar, zumal nicht hin- 
sichtlich der nordwest-amerikanischen, deren Ursprung anders zu erklären 
ist. Uebrigens ist das, was unter 1. B. und 2. 3. gesagt ist, weniger geist- 
reich, markant und klar, was man von den ersten Ausführungen sagen 
muss, auch wenn man deren Ideen nicht theilt. Immerhin hat Dall gezeigt, 
dass die Beziehungen der Formen und des Sinnes verschiedenartig aber 


eng sind. 


Jeder Kundige muss aus dem ethnographischen Theile ersehen haben, 
dass die afrikanische Maske kein einfaches Gebilde ist, dass Sitte und An- 
schauung ihre Form immer von neuem beeinflusst, sie umgestaltet und ent- 
wickelt. Sie ist an bestimmte Ceremonien gebunden. Immer wieder tritt 
sie bei den T'odtenfesten hervor. Da, wo die Geheimbünde sich auflösen, 
gewinnt sie an Mannigfaltigkeit (Camerun, Loango, Yoruba). Klar treten 


die zwei Theile Kopf- und Körpermaske hervor. Hier verschmelzen beide, 


160 L. Frobenius, 


dort erscheinen sie getrennt; wir sehen allerhand Ausläufer, so die buschigen 
Beschneidungstrachten: Kurz die afrikanische Maske gewinnt bei derartiger 
Ueberlegung immer mehr das Ansehen eines zusammengesetzten Gegen- 
standes, eines complieirten Entwicklungserzeugnisses, dessen einzelne Theile 
aus verschiedenen Quellen fliessen. 

Dazu gilt es auch hier unsern alten Satz zu berücksichtigen: Die 
Form entspricht dem Gehalt. Plastische Ausdrucksweise und Sitte sind die 
Formen, die dem Gehalte, der Anschauung ihr Dasein verdanken. Wenn 
diese Anschauungen nun von ihren Wurzeln aus im Entstehen und Auf- 
wachsen beobachtet werden, so muss sich ganz zwangslos auch das Ver- 
ständniss für die Einzelheiten unseres Studiengebietes herausstellen. 

Die Motive, die sich nachweisen lassen, deuten mehr oder weniger 
auf religiösen Ursprung hin, so dass hier an ältere Arbeiten, zumal die Vor- 
studien im „Kameruner Schiftsschnabel“, angeknüpft werden kann. Während 
nun aber die Wurzeln der Formen der Masken alle auf den Feldern der 
Weltanschauung gefunden werden, sind die Sitten mehr den Lebensverhält- 
nissen, dem socialen Leben entsprechend oder vielmehr unter deren Einfluss 
und Wirkung umgestaltet. Demnach beschäftigt sich der erste Theil mit 
dem Werden der Formen, der zweite mit dem Werden der Sitte. 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 161 


3. Capitel. Das Werden der Formen. 


Die Formen der Masken können nur als verständlich geworden an- 
gesehen werden, wenn es gelungen ist, ihr Emporwachsen aus den schöpfer- 
ischen Anschauungen und Sitten zu beobachten. Die Einzelzweige der 
Weltanschauung, die den Masken und Maskengebräuchen das Leben schenken, 
müssen sich für uns vom Gesammtbilde abheben. Daher vergegenwärtigen 


wir uns dieses und dessen Grundzüge in aller Kürze. 


a. Allgemeines über die afrikanische Weltanschauung. 

Die afrikanische Weltanschauung ist eine ausgezeichnet manistische. 
Das ist folgendermaassen zu verstehen: 

Die Fragen, die die Neger besonders interessiren, gipfeln alle in dem 
Forschen nach dem Einfluss und dem Wirken der Verstorbenen, deren Ein- 
greifen in das alltägliche Leben sie in allen vom Gewohnten abweichenden 
Ereignissen und auffallenden Absonderlichkeiten erblicken. Da der Cultus 
nur eine Folgeerscheinung dieser T'hatsache ist, muss, um die ganze Bedeu- 
tung einer derartigen Weltanschauung erfassen zu können, die alte nur die 
Wirkung berücksichtigende Bezeichnung Ahnencultus oder Ahnenverehrung 
durch ein neues den Sinn und Kern treffendes Wort ersetzt werden, welches 
ich in dem „Manismus“ gefunden zu haben glaube. Dieses hat den Vortheil, 
das Adjektiv „manistisch“ zuzulassen. 

Wo man die Meinungen der Afrikaner näher prüft, erkennt man die 
manistischen Züge. — So der fruchtbare Regen ausbleibt, wird den 'Todten 
geopfert; wenn einer erkrankt, ist ein unzufriedener Geist die Ursache; eine 
Pest, die das Vieh wegrafft, brachten missgünstige Verstorbene. Wenn 
Unklarheit herrscht, die Zukunft dunkel und gefahrbringend erscheint, ein 


Nova Acta LXXIV. Nr.1. 21 


162 L. Frobenius, 


Verbrechen aufgedeckt werden soll, wenden die Neger sich an ihre höchste 
Instanz: die Verstorbenen. Sie werden herabgerufen in die Ganga, die 
Leichen der Umgekommenen, in hölzerne Bildnisse und werden befragt. 
Aus allen möglichen Formen von Orakeln klingen ihre Stimmen. 

Doch noch mehr! Um geistergleich zu werden, nimmt der Neger den 
Geist eines Todten in sich auf. Er sucht ihn, den Mächtigeren, sich auf 
jede Weise dienstbar zu machen. In ein Bildniss, das auf seinem Grabe 
oder in einer Ecke der Hütte steht, wird der Ahn eitirt. Bildnisse an 
Thoren, auf Feldern, in den Jagdgründen bewohnen die Verstorbenen, um 
Stadt, Land und Wald zu schützen. Ein Zahn, ein Haarbüschel, ein Nagel 
oder ein Knochen genügen, um den Todten an sich zu bannen. Solche 
Gegenstände wandern mit dem Träger durch die weiten Länder, sie bieten 
ihm Schutz und Erleichterung. 

Ein derart intimer Verkehr hat die naturgemässe Folge, dass die 
Idee eines Jenseits sich nie herausklärt. Die Geister weilen ja stets in 
der Nähe des Menschen, verlangen und speisen die Opfergaben, spielen aller- 
hand Streiche, wenn nicht sorgfältig bedacht, thun hier gute Dienste und 
entfalten eine so vielseitige Thätigkeit auf Erden, dass an ein langes Weilen 
in einer bessern oder auch einer schlechtern Welt nicht zu denken ist. 

An der Vielseitigkeit des Einen und deren Vielfältigkeit erleidet 
aber auch der Begriff des Individuums Schiffbruch. „Die Geister“ ist ein all- 
gemeiner Begriff, dem die Bedeutung der Ahnen, Verstorbenen sehr oft ab- 
handen gekommen ist. Ferner summirt sich die Zahl der Toodten, die mit 
einem Orte in Beziehung stehen, in so hohem Grade, dass der Ort die all- 
gemeine Bedeutung der Heiligkeit, Unheimlichkeit, der Geisterwohnstadt 
annimmt, das Bewusstsein der Entstehung solchen Rufes aber verloren geht. 
So wird das religiöse Gemüth der Afrikaner nicht durch ein klares Bewusst- 
sein erzogen, sondern durch die übermässige Vertiefung in unklares Suchen 
verwirrt. Auf diesem Gebiete ist der afrikanische Neger mit einem Kranken 
wohl zu vergleichen, der statt die Ursache des einen Uebels zu erkunden, 
alle Aeusserungen der Krankheit ängstlich beobachtet, der so bald überall 
Leiden entdeckt und erdrückt von der Masse der Entdeckungen zu Grunde geht. 

So fluthen die manistischen Vorstellungen und Grübeleien verworren 


durcheinander und bedecken das All mit einem dichten Nebel, der einen 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 163 


freien Ausblick und ein unbefangenes Ausschauen unmöglich macht. Wenn 
wir dennoch ein bestimmtes System in dieser Weltanschauung und eine 
Uebersicht über deren einzelne Zweige erblicken zu können vermeinen, so 
ist das eben der Verschmelzung der Vorstellungen mit bestimmten Oertlich- 
keiten und einem dementsprechenden Cultus zu verdanken. Ohne Schwierig- 
keit können Wasser-, Baum-, Stein-, Schädel- ete. Cultus erkannt und aus 
ihren verschiedenen Formen Schlüsse auf die Entwieklung bestimmter 
Gruppen und Arten von Anschauungen geschlossen werden. 

Dies unreine Gebräu des afrikanischen Manismus lässt nun aber noch 
zweierlei bemerken: Reste aus älteren Zeiten und Zuflüsse einer jüngeren 
Epoche. Die Haupteigenschaft dieser Weltanschauung ist neben diesem 
sich selbst abflachenden Grundzuge die assorbirende Was auch hinein- 
geschleudert wird in diese Masse, es wird assorbirt und verliert seinen selb- 
ständigen Charakter. Die im 16. und 17. Jahrhundert in Angola ein- 
gebürgerten Heiligen der katholischen Kirche fristen als „Santos“ heute ein 
manistisches Dasein. 

Reste aus älteren Zeiten sind in den animalistischen Zügen zum Theil 
zu erblicken, in 'Totemismus, 'Thiermythe, Thierfabel ete. In jüngerer Zeit 
ward die solare und kosmogonische Mythologie hineingetragen. Ueber 
beide werden wir weiter unten einiges anzuführen haben. Eingehendes ist in 
anderen Schriften zu finden. („Die afrikanische Weltanschauung“ in der „Afrika.“ 
1896. „Die Weltanschauung der Afrikaner.“ „Kulturwerk.“ I. Bd. Cap. 12). 

Versuchen wir nunmehr zu erkennen, welchen Strömungen dieser 


Weltanschauung die Maske angehört. 


b. Baumverehrung und Waldursprung. 

In den Wäldern machen die Novizen des Simo, Belli, Nessoge (Sandi), 
Purra ihre Lehrzeit durch; im Walde werden die Sindungo vom Kuvukuta 
Kanga Asabi zusammenberufen; in den Büschen treiben sich die Nkimba 
umher; die Akisch werden als „Waldteufel“ bezeichnet; aus den Wäldern 
schreien die Mungi-Häuptlinge in Gestalt wilder Thiere ihre Befehle. Dem- 
nach dürfte in diesem Bereiche die ethnologische Untersuchung am ersten 
Erfolge erzielen. 

Die Baumverehrung ist durch ganz Afrika verbreitet. Im Allgemeinen 


24% 


164 L. Frobenius, 


wird angegeben, dass in ihnen Geister wohnten. So berichten Bosmann, 
Labarthe, Kling, Ramsayer, Jobson, Ellis, Barth, Baumann, Stuhlmann, 
Livingstone von heiligen Bäumen und Hainen in Senegambien, Ober-Guinea, 
Dahomey, Aschanti, bei Bismarcksburg, Yoruba, Marghi, von der Tanga- 
küste, den Wabondei, Wanjamwesi, Wasegua, Südafrikanern. Das Verständ- 
niss derartiger Verehrung bietet die Thatsache, dass an vielen Orten, so in 
Oberguinea, auf Fernando Po, an der Loangoküste, bei den Völkern des 
südlichen Kongobeckens die Verstorbenen in den Wäldern beigesetzt werden. 
Die Wabuma nahe der Kassaimündung bestatten ihre Fürstinnen auf einer 
Insel im Schatten eines aus mächtigen Bäumen bestehenden Haines. Nur 
Waldgethier besucht den erhabenen Ort und nur ein alter Mann ist Hüter 
dieses Stammesheiligthumes, dessen Ehrfurcht gebietende Stille Wolf, Wiss- 
mann und Stanley geschildert haben. — Es liegt also nicht fern, mit diesen 
Sitten und Anschauungen das Hervorkommen der Maskirten aus den Wäl- 
dern in Zusammenhang zu bringen, zumal wenn, wie wir dies vom Ogowe 
wissen, (Nda) der Bundgeist aus dem Walde zur Bestattung und Todtenfeste 
kommt. (Vergleiche auch Ngoi). 

So leben die n’jana (Liberia) und Dou od Lou (Mandingo), die beide 
als Ahnengeister bezeichnet sind, in den Wäldern. Wie die Novizen an- 
derer Bünde ziehen die Zöglinge des Egbo und Mukuku in die Wälder, 
um Kraft von der Stammesahnen-Gewalt zu gewinnen. Die Frauen-Bünde 
des Ogowe und Gabun und die Ganga der Okanda ziehen in die Wälder, 
um „Mediein“ zu brauen, Rath, Orakel und Zaubergewalt zu erlangen. 

Zwei Attribute der Maskirten sind Begleiter und Reste des Wald- 
ursprunges. Das eine ist das Schwirrholz, das andere der Zweig, die Stange, 
der Pfahl, der Stab ete., sagen wir kurz: „Der Geisterpfahl.“ 

Das Rauschen der Blätter, „das Geflüster im Walde“, stellt vielleicht(?) 
das Schwirrholz dar. Wir trafen es beim Ors. Aus seinem Tone, so sagt 
Bastian, reden die Stimmen der Abgeschiedenen und zwar dumpf, wenn die 
der Urgrossväter, leise dagegen, wenn kürzlich Verstorbener. Bei ersteren 
wird ein schweres, bei diesen ein leichtes angewandt. Clapperton lernte 
das Schwirrholz im nördlichen Yoruba, Zintgraff bei den Bali kennen. Zur 
Zeit der Ernte laufen die Vertrauensmänner des Bali-Häuptlings, also wahr- 
scheinlich die Mitglieder des von Hutter erwähnten Bundes, an langer Schnur 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 165 


ein Stück Holz, das Schwirrholz, durch die Luft sausen lassend, von Gehöft 
zu Gehöft, von Pflanzung zu Pflanzung, um bösen Geistern den Eintritt zu 
verwehren. Diese Männer dürfen von keinem Weibe gesehen werden. Im 
Uebrigen ist das Schwirrholz nur noch aus Südafrika bekannt geworden. 
Ob der Muana der Wakamba ein solches ist, erscheint zweifelhaft. (Vergl. 
„Kulturwerk* I. S. 259 ff.) 

Das Hervorwachsen des Greisterpfahles aus dem Waldeultus und 
seinen Anschauungen ist höchst interessant. Anstatt den Todten im Walde 
beizusetzen, wird ein Baum auf seinem Grabe gepflanzt. So steht der hei- 
lige Baum auf den Gräbern der Angoy-Fürsten. Aehnlich ist es bei den 
Latuka. Ein Bäumehen stützt die über den Gräbern der Usagarahäuptlinge 
errichtete Hütte. 

Es ist interessant, hier ein Seitengebiet der Entwicklung heranziehen 
zu können. Am Ogowe und unteren Kongo wird bei Neubegründung eines 
Ortes ein Baum gepflanzt. Grünt und sprosst er, so sieht das Dorf einer 
fröhlichen Zukunft entgegen. Im Gegentheile aber, das heisst wenn er ein- 
geht, dann entsteht Zagen und Bangen. Eilig wird die Stelle verlassen, 
um dem drohenden Unheile zu entgehen. An anderer Stelle wird das Glück 
von neuem versucht. In gleicher Weise ist das Leben des Dualla mit 
seinem Baume verknüpft. 

Der manistische Grundton derartiger Anschauungen und Sitten ist 
in anderen Gebräuchen noch deutlicher. Wenn zum Beispiel den Besessenen 
ein Geist ausgetrieben werden soll, hält man den Baumast für ganz be- 
sonders geeignet als Bannort. Ist es dem Ganga gelungen, den Geist in 
einen Zweig zu bringen, dann brechen starke Männer denselben vom Baume 
ab, und stellen ihn neben der Hütte auf. — Also der Ast als Theil nimmt 
die Bedeutung des ganzen Baumes an. Das mag durch ein weiteres Beispiel 
noch erläutert werden. Wenn in alten Zeiten in einem Dorfe der Gold- 
küste der Handel abzunehmen begann, weil die Schiffe der als Geister er- 
achteten Europäer ausblieben, so wendete der hierdurch besonders geschädigte 
Häuptling sich mit Opfern an seinen heiligen Baum. Der herbeigerufene 
Ganga wendete sich an den Baumgeist mit der Frage, wann die nächsten 
Schiffe anlangen würden. Mit seinen Weibern ging er zu dem Baume, er- 


richtete einen zugespizten Aschenhaufen und steckte einen abgerissenen 


166 L. Frobenius, : 


Zweig von dem Baume hinein. Nach mancherlei seltsamen Ceremonien be- 
strichen sich alle die Gesichter mit der durch den Zweig geheiligten Asche, 
worauf die Frage laut wiederholt und durch eine Stimme die Antwort ge- 
geben wurde. 

So ist es denn verständlich, wenn an Stelle des Baumes der Ast die 
Gräber schmückt. Trockene Büsche sind auf die Gräber der Verstorbenen 
in Angola gesteckt. Das Grab des Mandingo befindet sich unter dem Lieb- 
lingsbaume des Todten oder im Flur des Hauses und im letzteren Falle 
bezeichnet eine mit einem Lappen versehene Stange die Stelle ete. 

Der Geisterpfahl hat wie alle derartigen zum Amulet herabsinkenden 
Einzeltheile des Cultus eine doppelte Bedeutung, die des Angriffs und die 
der Vertheidigung. Bei den Lendu, Bali, Bakundu, Dualla, in Angola, an 
der Sierra Leonaküste stehen die Pfähle als Schutzmittel gegen Diebe auf 
den Feldern. Sie treten als Krankheitsschutz und als Abwehr gegen Hexen 
auf. Wir haben auf sie, besonders ihre Form, später noch zurückzukommen. 
Hier sollen nur kurz die Geisterpfähle der Maskirten und Bünde erwähnt werden. 

Wenn die Eingeweihten des Simo-Bundes in die Heimath zurück- 
kehren, empfangen sie vom Simo einen Zweig oder ein Bündelein. Dies 
hängen sie an einen Ast, der vor der Thür in die Erde gesteckt wird. Das 
Zeichen trägt den Namen des Bundes; das Holz wird ihr Schutzgeist. Man 
bringt ihm Ehrerbietung gemischt mit Furcht entgegen. Es genügt daher, 
an irgend einer Stelle einen Pfahl zu pflanzen, um jedes Eindringen zu 
verhüten. Opfer und Flintenschuss an der Stange rufen Hülfe und Gerichts- 
barkeit des Simo. — In Kamerun stellt der Egbo-Mann durch Errichten 
einer Stange, an deren oberen Ende ein Bündel grüner Blätter befestigt ist, 
sein Eigenthum unter den Schutz des Bundes. Diese in Kamerun und Ka- 
labar „juju‘* genannten Schutzmittel erwähnt Zintgraff ebenfalls, unterlässt 
aber jeden Hinweis auf die Beziehung zum Geheimbund der Bali. An der 
Küste herrscht allgemein der Glauben, dass derjenige, der derartig geschützte 
Sachen antastet, vom Elung geholt werde und eines qualvollen Todes sterbe. 

Konoengele, das sonderbare Zaubermittel der Nkimba ist oben ein- 
gehend geschildert; es ist jener kurze Holzstab, der z. B. nächtlicher Weile 
den in die Hütte sich Einschleichenden mit magischer Gewalt bannt. — 


„Lappenbäume*“ nennt Lenz die Geisterpfähle. Er fand sie oft zur Zeit der 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 


Beschneidungsfeste bei den Aduma. 


an den Hütten der Ganga. 


167 


Sie standen auf den Tanzplätzen und 


Wir werden diese Lappenbäume und ihre spe- 


cielle Bedeutung noch erwähnen. — Am Tage der Weihe empfangen die 


aus der Wildniss heimkehren- 
den Aba Kweta einen neuen, 
stark mit Fett eingeriebenen 
Stock, der Wunderkraft be- 
sitzen soll und oft erst mit 
dem Greis in das Grab 
wandert. 

Das mächtige Blätter-Gre- 
wand des Mumbo-Jumbo hängt 
Tags über am Pfosten vor 
dem Thore der Stadt. Abends 
steigt der Geist des Bundes 
aus dem Geisterpfahl und 
naht im Geistergewande dem 
Marktplatze, um über Treue 
oder Untreue der Frauen zu 
richten. Am Morgen hängt 
das Gewand wieder an seiner 
Stelle. 

An sonstigen Vorkomm- 
nissen dieser Art nenne ich 
zunächst den Messingstab der 
Aboni oder Ogboni, jenes 
Bundes der Yoruba, der im 
vorigen Jahrhundert auch in 
Benin eine grosse Rolle spielte, 
der seine Glieder durch Trin- 
ken von Menschenblut weihte, 


sie mit furehtbaren Eiden 


on 
nn no mu — = 65 ann mer Sinn var mn ER 0 FT As Yraheietgerrih imentee 


Ratzel). 


Nr. 26. 


Nr. 27a. 


Nr. 27b. 
Nr. 26 Messingstab des Ogboni-Bundes in Benin (nach 


Nr.27a u. b. Der Stab Njongoro aus Kamerun 
ca. !/ı, u. 3/, nat. Grösse. (Missionsmuseum in Basel). 


band, bei Todesstrafe jedes Eindringen Fremder verbot und durch "Todes- 


strafe, die seine Glieder stumm ausführten, eine wahre Schreckensherrschaft 


übte (Nr. 26). 


168 L. Frobenius, 


Aus Bombe in Kamerun hat M. Lauffer den in Nr. 27a und b ab- 
gebildeten Stab Njongoro (Ausspr.: Ndyongoro) mit einer längeren Erklärung 
übersandt. Aus derselben scheint mit Sicherheit entnommen werden zu 
dürfen, dass er das wichtige Besitzthum eines Geheimbundes war. Folgende 
Punkte der Erklärung sind bemerkenswerth: 

1. Einem nicht Eingeweihten ist es nicht gestattet einen solchen 
Stab mit sich zu führen oder auf Reisen zu nehmen. Wird jemand, der 
nicht zu diesem „Stab-Geheimbund* gehört, dabei ertappt, so wird ihm der 
Process gemacht. Die Strafe für das Vergehen besteht in Waaren im 
Werthe von ea. 20 Mk. 

2. Wird eime Streitsache erörtert, so darf der Nichteingeweihte nicht 
stehend seine Sache vorbringen, sondern muss sitzen bleiben, wenn er spricht. 
Redet er dennoch stehend, so verfällt er einer Strafe von 10—20 Mark in 
Waaren. 

3. Hat ein „Geheimbündler* geheirathet und ein anderer verführt 
sein Weib, so straft die geheime Gesellschaft das Vergehen mit bis zu 
80 Mark. 

4. Ist der Besitzer eines solchen Stabes gestorben und hinterlässt 
einen Sohn, so muss dieser, wenn er erwachsen ist, den Stab einlösen. Er 
hat dem Geheimbund dafür zu zahlen: 2 Ziegen, 20 Hühner und Tuch im 
Werthe bis 40 Mark. 

5. Der Fremde und nicht Eingeweihte darf bei Strafe bis zu 12 Mk. 
zur Nachtzeit nicht laut und öffentlich jemanden mit Namen rufen. 

6. Ist jemand gestorben, so macht der Inhaber eines solchen Stabes, 
gewöhnlich ein Häuptling, bekannt, dass keiner der geheime Mediein habe, 
in das Haus gehen dürfe, in dem der Todte liege. 

Die Leute des geheimen Bundes haben sich keiner Strafe zu ver- 
sehen. Sie schalten und walten nach Belieben. — Ueber die eigenartige 


Form der beiden Stäbe wird weiter unten berichtet. 


c. Geisterhütte und Hüttenmaske. 


Die „Tempel“ der Afrikaner sind wenig charakterisirt durch beson- 


dere Eigenschaften, aus denen auf ihre Entstehungsweise geschlossen werden 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 169 


kann. Immerhin erhalten wir einige Andeutungen, auf welchem Wege wir 
zu forschen haben, wenn wir die Grabanlage betrachten. 

Die erste Art der Tempel findet in der verbreitetsten Form der Be- 
stattung, auf deren inneren Werth anderen Ortes eingegangen ist, ihre Er- 
klärung. Es ist die Bestattung in unterirdischen künstlichen Höhlen. Eine 
tiefe Grube wird ausgehoben, von der eine seitliche Gasse für die Auf- 
bewahrung des Leichnams in das Innere führt Hierin hockt er in der 
Stellung, die der Lage des Kindes im Mutterleibe entspricht. Durch vor- 
geschlagene Bohlenwände wird das Einfallen der Erde beim Zuschütten des 
Grabes verhindert. Keine Erdbestandtheile sollen auf dem Todten lasten. 
Auf dem Grabe wird ein Hügel aus Feldsteinen errichtet. Die beiden 
Merkmale dieser primitiven Bauwerke sind die der typischen Pyramide: ein 
Gang unter der Erde und ein Steinhügel. Diese hohlen Hügel sind anderen 
Ortes besprochen („Weltanschauung der Natur“, Capitel 16—17); besonders 
bemerkenswerth ist der Hügel Odentes: Auf einer Abbildung des Grabes 
eines Mujansi (siehe Baumann) ist er wieder zu erkennen. 

Die zweite Art der Tempel entspringt ebenfalls der Bestattung. 
Wenn jemand an der Loangoküste stirbt, wird eine kleine Hütte über 
seinem Sarge errichtet, unter welche beständig Speisen gesetzt werden. An 
der Nordguimea-Küste wird über dem Grabe eine kleine Hütte gebaut, die 
alles enthält, was der Lebende braucht. Auf der Goldküste fiel sie vielen 
auf. In Süd-Guinea, im Ogowe-Gabun-Gebiet verwahrt man sämmtliche 
Gebeine eines Vaters, einer Mutter oder Freundes, nachdem sie getrocknet 
sind, in einer hölzernen Lade und in einem besonders dazu errichteten 
kleinen Hause. Vogel fand auf den Gräbern der Tagale kleine Denkmale 
von Strohbündeln. Ein „Häuselein* deckt das Grab des Gola und des Susu; 
Hütten erheben sich auf den Gräbern der Sande und der Waganda-Fürsten. 
Wird der Häuptling der A-Lur nicht in der eigenen Hütte bestattet, so 
setzt man eine Hütte über seine Ruhestatt. Das Grab des Usagara-Häupt- 
lings befindet sich unter einer Hütte, die dureh einen kleinen Baum, meistens 
ist es eine Cactus-Art, gestützt ist. 

Den Weg der weitern Entwicklung hat Ratzel erkannt: Wenn Living- 
stone in den Dörfern der Mangaja kleine etwa zwei Fuss hohe Hütten fand, 
welche sorgfältig gedacht, verputzt und oft in grosser Zahl vorhanden waren, 


Nova Acta LXXIV. Nr.l. 22 


170 L. Frobenius, 


Hütten, die man beim Tode eines Kindes oder sonstigen Anverwandten er- 
richtete und in welchen man "Theile von besseren Speisen oder Getränken 
niederlegte, um die Seele des Entschlafenen zu erfreuen, so erinnert das zu 
auffallend an die Fetischhütten der Westafrikaner, als dass sie einer anderen 


Gruppe von Thatsachen zugewiesen werden könnten. 


N 


Nr. 28. Geisterhütten. 
a.,b.,c. der De ese in Urambo (nach Oskar Baumann), d. der Wasindja (nach Stuhlmann), 
‚f. der Wahha (nach Baumann), g. der Kalanda nach Max Buchner). 


In der That ist das Uebergangsgebiet der Formen zwischen Grab- 
hütte und Zauberhütte ein bedeutendes. Viele Züge derselben weisen rück- 
und vorwärts. Nicht nur über dem Grabe, sondern auch zum Andenken 
an fernere Orte sind die Hütten errichtet. Die Wanjamwesi bauen den 


Geistern der Verstorbenen, die den Lebenden im Traume erscheinen, kleine 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 171 


Hütten, in denen Opfer niedergelegt werden. Um einen Schutzgeist in der 
Nähe zu haben, fertigen die Loango spannhohe Hüttlein an; neben seiner 
’ to} lo) 

eigenen Hütte hat der Pongwe eine Wohnstätte eines Geistes, ein „Trempel- 
Oo ke) ) 

chen“. Ausgetriebenen Geistern werden derartige Unterkunftsstätten bereitet. 

{eo} oO 

Die Mezimo sind nach Burton Geisterhütten und Anfänge von Tem- 

peln. Muzimo sind bekanntlich die Ahnengeister. Mackay berichtet, jeder 

Muganda fast besitze eine oder mehrere Miniaturhütten, in denen die Lubari 
o ) = 

wohnen. Dieselben stehen san den Wegen. Ein Feldhäuschen der Kolla 

bildet Passarge ab. Walker traf stets in der Nähe der Temne-Ortschaften, 


nur 3 


400 Ellen von ihnen entfernt, kleine Häuschen, die Muschelschalen, 
Bildnisse und ähnliche Heiligthümer enthielten. Es war der Standort der 
Grigri, der die Wohnstätte des Menschen schützenden Geister. 

Die kleinen Zauberhütten der Wadoe, Wasagara, Wasegua, Wadigo, 
Wanjamvesi, Wasindja, Waganda, A-Lur, Kalunda, Bullern, Temne, Bube, 
der Völker von Oberguinea, Benin, Südguinea ete. dürfen wohl alle mit 
Recht als Abkömmlinge der Grabhütte bezeichnet werden. Ihre Form (vgl. 
Nr. 28) ist eine sehr verschiedene. Nun ist es allerdings Thatsache, dass 
sie sehr oft die dem Gebiet eigene Gestalt der Hütte in verkleinertem Maass- 
stabe darstellen, allein neben diesen kommen Gebilde vor, die eine eigene 
Gestalt besitzen, die mit der der Wohnhütten wenig oder gar nichts gemein 
haben (z. B. Nr. 23ab edge). Der Form nach bestehen sie in Kegel- oder 
Hörner-artigen, senkrecht stehenden oder wagerecht liegenden, aus Blättern 
oder Stroh geschichteten oder gedrehten Gestalten. Sie werden im Grebiete 
der südafrikanischen Rundhütten, der westafrikanischen Mattenhäuser, der 
ostafrikanischen Tembebauten ete. angetroffen, sind also in keiner Weise 
von der Form der jetzigen Wohnhütten abhängig. 

Ich werde später auf die ornamentale und plastische Ausschmückung 
der Grabhütten, Zauberhäuschen und Tempel, hier aber nur auf die Beziehung 
zwischen diesen Stätten und Objekten des manistischen Cultes und der 
Maskensitten und Formen eingehen. 

Unter dem 20. Mai 1888 ist in Kling’s Tagebuch (Manuskript) eine 
interessante Adeli betreffende Notiz verzeichnet: Der Geist (statt Fetisch) 
soll im Walde leben, nach welchem zwei Hütten Front machen, die je von 


einem Manne und einer Frau bewohnt werden. Diese verkehren mit dem 


22* 


72 L. Frobenius, 


(reiste und haben auch die Vergünstigung, die diesem gemachten Geschenke 
in Empfang zu nehmen. — Aus anderen Mittheilungen kann geschlossen 
werden, dass der Geist die in diesen Hütten wohnenden Menschen auch 
inspirire, von ihnen Besitz ergreife. Es ist demnach die enge Beziehung 
von Geist, Wald, Hütte und Vergeistigung geboten. Nun wissen wir nach 
Aussagen, dass die Maskirten Geister darstellen, aus dem Walde kommen 
und die Vergeistigung durchgemacht haben. Es fehlt das vierte Element: 
die Hütte. Aber auch die Geisterhütte findet in den Berichten über Bünde 
und Masken so oft Erwähnung, dass wir das Verhältniss zu ihr als tieferer 
Natur ansehen dürfen. 

So wohnen die Schüler des Simo in kleinen Hütten aus Baumästen 
im Walde. Die Ndembo werden in abgelegenen Hütten des Waldes erzogen. 
Das Haus des Mwetji ist von eigenthümlicher, abweichender Gestalt und 
ist mit trockenen Pisangblättern gedeckt. Darin wohnt der Geist und er- 
theilt seine Orakelsprüche. Das Heiligthum und die Wohnstätte des Man- 
gongo ist eine Hütte von ungewöhnlicher Kleimheit. Ehe der Jevhe-Priester 
sein Amt antritt, baut er eine kleine Hütte inmitten seines Hofes. 

Am wichtigsten aber ist die den Oro in Ogbomascho betreffende 
Bemerkung Bastians. Der Oro, der Geist der Vorfahren, wohnt für ge- 
wöhnlich in einer kleinen Hütte, die ausserhalb der Stadtmauer steht und 
zu der kein Zutritt führt, ausser durch die Gebäude der Stadtobersten, die 
als Ogboni den Oro aussenden. Die Hütte entspricht ihrer Lage nach also 
vollständig der Geisterhütte der Temne und dem Tags über am Stabe auf- 
gehängten Gewandmaske des Mumbo ‚Jumbo. Wenn also die Formbetrach- 
tung die Annahme bestätigt, darf es gewagt werden auszusprechen, dass die 
Masken nichts weiter sind, als eine Umgestaltung der Geisterhütten. Ver- 
gleichen wir dieses. 

Wir dürfen in diesem Falle zunächst nicht die in unseren Museen 
angesammelten Masken heranziehen, sondern die ganzen Körpermasken, von 
denen die Litteratur einige Beschreibungen und Abbildungen bietet. Zu 
dem grössten Theil der hölzernen Gesichtsmasken gehören nämlich noch 
die sehr selten nach Europa gekommenen aus pflanzlichen Stoffen bestehenden 
Körpermasken. So ist z. B. die nach Büttikofer gezeichnete Maske aus 
Liberia (Fig. 115) nur ein Theil der Maske. Erst die Abbildung des Tän- 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 75 


zers (Nr. 18) lehrte uns die ganze erkennen. Hier nun fällt sogleich die 
ausserordentliche Aehnlichkeit mit den Geisterhütten auf. Doch erörtern 
_ wir erst die Litteraturnotizen. 

Die Tracht des Mumbo-Jumbo wird verschieden beschrieben. Wäh- 
rend Wilson sagt, dass es ein in trockene Pisangblätter gehüllter Mann 
sei, berichtet Moore eingehender: Er ist in einen langen Rock, der aus 
Baumrinde gemacht ist, gekleidet. Oben ist ein Büschel Stroh und alles 
in allem ist er 8—9 Fuss lang. Das Strohbüschel wird später noch heran- 
gezogen werden. Der Simo, der in verschiedenen Trachten erscheint, ist 
manchmal auch von Kopf bis zu Füssen mit Baumblättern bedeckt, was 
ihm ein unförmiges Aussehen verleiht. Der Egbo trägt eine Stellage au 
dem Leib, durch die er seine Gestalt um das Doppelte vergrössern kann. 
Die den Idem auf seinen Wanderungen begleitenden Männer sind mit ge- 
trockneten Palmblättern bekleidet. Nach Bastian erscheint der Geist dieses 
Bundes bedeckt mit einer Kleidung aus Matten und Zweigen vom Kopf 
bis zu den Füssen. Vom Nda sagt Wilson: Er ist in Palmblätter gehüllt, 
so dass niemand in ihm so leicht ein menschliches Wesen erkennen kann. 

Charakteristisch ist die Beschreibung der Sindungo-Masken. Bastian 
nennt die tanzenden Sindungo sonderbar gestaltete Ungethüme, unerkennbar 
an Händen und Füssen, eine dieke formlose Masse dürrer Palmblätter, die 
treppich übereinander herabhingen und vorstanden. Der Autor spricht von 
Palmblattkragungen. 

Diese Berichte werden in trefflichster Weise durch unsere Text-Ab- 
bildungen ergänzt. Da sind die wirren Trachten des Kongeorong (Nr. 22) 
und des Dou (Nr. 23), die allerdings eine gewisse Anpassung der Blätter 
und Blattrippen (Bast) an die Körperformen zeigen. Simo oder Penda Penda 
(Nr. 19) zeigt, sobald der Kopf abgenommen ist, das Vorbild oder Motiv 
der Hüttenmaske fast ebenso deutlich, wie die Sandi-Maske aus Liberia 
(Nr. 18). Die sonderbare Maske vom Alima (Nr. 13) ist auch leicht ver- 
ständlich als abgewandelte Hüttenmaske. Die Federkleidung aus Kabinda 
wird ebenfalls keinem anderen Motive ihre Entstehung verdanken (Nr. 12). 

Können wir somit trotz mangelhafter Nachrichten und Belegstücke 


aus Sinn, Material und Form der Körpermasken einen Schluss auf ihre 


174 L. Frobenius, 


Entstehung und ihr Ursprungsmotiv wagen, so erlaubt uns eine weitere 
Betrachtung der Formen, bestimmte Entwieklungsreihen aufzustellen. 

Diese primitiven und ursprünglichen Gestalten sind mit die unbe- 
quemste Tracht, die man sich für einen Tänzer vorstellen kann. Bei Kong- 
eorong und Dou ist schon eine gewisse Anpassung an die Gestalt des Kör- 
pers bemerkbar. Diese lässt aber ebensowenig Bewegungsfreiheit zu, wie 
etwa die Maske des Sova Movanda (Nr. 3). Dieser ist auch in einem 
Rahmenwerk von Weidengeflecht eingeengt. Die Entwicklung der Kabinda- 
und Loango-Masken, deren älteste Formen durch Bastians Beschreibung 
bekannt geworden sind, deren weitere Entwicklung Nr. 12 und Degrandpres 
Darstellung lehrt, zielt auf ähnliche Formen. Ich verweise hier auf die 
Maske Fig. 42a und b (Leiden). Die wichtigste Umgestaltung, die wirklich 
erhöhte Bequemlichkeit erreicht, liegt in der Theilung der Maske. 

Das beste Objekt für die Betrachtung des Theilungsprocesses ist die 
von Flegel in Kpatatschi (Nupe) erworbene Maske für die Erntefestspiele 
(Fig. 8$9a-—k). Dieselbe besteht theils aus Flechtwerk theils aus Stroh- 
behang. Der Kopf ist in einen geflochtenen Triehter gehüllt, von dem zu 
den Seiten und hinten ein langer, vorn ein kurzer Strohbehang herabfällt. 
Den Oberleib bedeckt eine mit Strohgehänge versehene geflochtene Jacke. 
Ein Rahat-ähnliches Strohwerk umgiebt die Lenden. Die Unterschenkel 
sind mit geflochtenen Schienen, die Arme mit vier Strohbüscheln bedeckt. 
Die Auflösung der Hüttenmaske können wir bei den Akisch aber ebensogut 
beobachten. Den Kopf ziert die mächtige Spitze der Hüttenmaske (Nr. 10). 
Üin chrinolinenartiges (Nr. 5) oder epaulettenähnliches (Nr. 9) Gestell um- 
giebt den Unterkörper. Den Hals ziert ein abstehender Kragen (Nr. 5). 
Bei Aba Queta ist das gleiche Gewand bemerkbar: die mächtige Stroh- 
maske auf dem Kopfe und der chrinolinenartige Rock um den Leib (Fig.1 
und 2, Nr. 1 und 2). Den Grasrock beschreiben alle Autoren der Nkimba- 
Sekte, die Krone aus Weidengeflecht auf dem Haupte der Zöglinge nur 
Johnston (Nr. 11). Die Todtentänze der Nkosi (Nr. 16) haben Kopftracht 
und Kragen bewahrt. Das Niengo-Kostüm aus Stroh weist in das gleiche 
Abstammungsgebiet. Ebenso die geflochtenen Masken aus Senegambien 
(Fig. 118, 119, 120, 121 und 122). Die Maske der Egungun wird durch eine 


Grasgewandung ergänzt. Die Bube tanzen im phantastischen Strohcostüm 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 175 


bekränzt mit Laub und erhalten so ein bachantisches Aussehen (Bastian und 
Baumann). 

Zwei eigene Gebiete der Maskenformen, deren einer Ursprung von 
den Hüttenmasken allerdings zweifelhaft ist, verdienen nähere Erörterung. 
Das eine wird durch die „Bärte* gebildet, als welche die Faserbehänge von 
verschiedenen Masken öfter bezeichnet worden sind, trotzdem sie meist auf 
dem Rücken länger sind als vorne, wenn sie hier nicht ganz fehlen. Ich 
erinnere an die Faserbehänge der Masken vom Senegal, der Purra-Maske 
(Fig. 117), der Wukari-Maske (Fig. 85), der Bakuba-Maske (Fig. 15), der 
Lomanis-Maske (Fig. 14). Ob die Netztrieots der Kischi-Tänzer, Akisch, 
Bakwiri, Losango, Djekum, Ekbo, das ähnliche Gewand des Mokho Missi 
Kou als von der Hüttenmaske abstammend bezeichnet werden dürfen, ist 
durch entsprechende Zwischenglieder nicht genügend erwiesen (No. 4. 5. 6. 
TESNITLN. 16: 24: Hier): 

Verwandtschaftliche Beziehungen zur Hüttenmaske sind: ferner in den 
Beschneidungstrachten zu erkennen. Von einer direkten Abstammung wird 
aber absichtlich nicht gesprochen. — Die Tracht der Aba-Kweta- und 
Betschuanen-Mädchen ward erwähnt. An einem Orte der Basuto sah Ende- 
mann, dass die Mädehen in der Reifezeit Flechten von Gras, ähnlich den 
Strohseilen, wie Shawls um Hals und Brust gewunden trugen und zwar 
über der Brust gekreuzt und auf dem Rücken zusammengebunden. Mächtige 
Büschel von frischem Laub umgeben die Jünglinge der Banschaka am Be- 
schneidungsfest. Während den Okande-Knaben als Zeichen der Aufnahme 
in den Kreis der freien Männer „Laubwerk“ um die Hüften gebunden wird, 
reissen die Yaunde-Frauen den Infoun-Leuten die Laubtracht am Aufnahme- 
tage von den Hüften. 

Aber auch in mancherlei anderer Tracht erblicken wir Einflüsse der 
Hüttenmaske. Bei den Bullom und Temne giebt es reisende Tanzmeister. 
Diese sind auf merkwürdige Art gekleidet. Auf dem Kopfe tragen sie ein 
Machwerk von Bambusrohr, das einem Waschkorbe nicht wnähnlich sieht 
und mit Federn geschmückt ist. Um den Leib sind sie mit einem Rocke 
aus Gras gekleidet. Die Waganga von Urundi haben nach Burton folgende 
Kopftracht. Eine Mütze oder ein Kegel von langem weissem Stroh, das 


nur das Gesicht frei lässt, auf dem Nacken und über die Schultern aber 


176 L. Frobenius, 


lang herunterhängt, ziert das Haupt. Das erinnert auffallend an die Ganga- 
Tracht am Ogowe (No. 15). Bei den manistischen Austreibungsceremonien 
der Wasuaheli trägt alles die hohen, spitzen Feldstrohhüte, die mit farbigem 
Zeug ausgenäht sind, sodass sie wie Clownsmützen aussehen. Nach Mackay 
tragen die Scharfrichter Ugandas den ganzen Kopf mit einer Art gewobener 
Kappe verdeckt; über das Gesicht fallen lange Fransen, was einen doppelt 
schreekhaften Eindruck macht. In Dahome sind es nach Abbildungen 
Skerchleys die Opfer, Kriegsgefangene und leichte Verbrecher, die auf dem 
Haupte die spitze, kegelfürmige Mütze haben. Endlich erwähne ich noch 
die Kopftracht der beschnittenen Mandingo-Mädchen, die in einer ungeheuren 
spitzen Kappe bestehen, deren Ende nur durch ein bewegliches Holz im 
Innern in die Höhe gehalten wird und die den Trägerinnen das Aussehen 
von Riesinnen verleiht. 

Wenn wir in allen diesen Vorkommnissen Beziehungen zur Hütten- 
maske sehen, so berechtigt uns hierzu einmal, dass die Formen stets mit 
einem an die Maskenmotive und Maskengebräuche erinnernden Sinne ver- 
bunden sind, dass zum zweiten die Formen stets maskenähnlich sind. Aus 
diesem Grunde rechnen wir auch die von Bullom und 'Temne (Winterbottom 
und Matthew) und Herero (Josaphat Hahn) als Trauerzeichen getragenen 
Zipfelmützen, die zum "Theil vorn über die Augen reichen, in die Gruppe 
der Verwandtschaft der Hüttenmaske. 

Auf die Beziehung der hölzernen „Topfmasken* zur Hüttenmaske 


werde ich später eingehen. 


d. Schädelverehrung und Schädelmaske. 

In einer ausgezeichneten Arbeit hat H. Schurtz (vergl. „Deutsche 
geographische Blätter“ Bd. XIX, Heft 3) die verschiedenen Motive und Aeusse- 
rungsformen des Schädeleultus erörtert. Wir haben hier nur einen Ideen- 
kreis zu berühren, und überlassen einer anderen Gelegenheit die Darstellung 
des gesammten afrikanischen Schädeldienstes. 

Wie alle Völker der Erde üben die Afrikaner eine Art Reliquien- 
dienst, der sich zumal auf Haare, Nägel, Zähne, Knochen und unter diesen 
zumal den Schädel erstreckt. Man nimmt an, der Verstorbene äussere sich 


durch diese Trümmer seines Leibes. Der wichtigste Unterschied einer 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 177 


solchen primitiven und zum Beispiel der entwickelten katholischen An- 
schauung besteht darin, dass was dort als natürlich und selbstverständlich 
erscheint, hier als übernatürlich und als Wunder bezeichnet wird. Ausserdem 
ist die Vorstellung der Naturvölker intensiver. 

War der Todte eim grosser Jäger, so genügt es, ihm einen Zahn 
auszuziehen und ihn bei sich zu führen, um die Gewandtheit des Verstorbenen 
zu ererben. Zumal der Schädel aber ist die Reliquie, die jede Art der 
Communikation mit den Geistern gewährt, in der des Verstorbene noch 
haust und aus der er zur Besitzergreifung des Menschen gelegentlich in den 
Menschen selbst einkehrt. Es braucht nur einer geringen Anzahl von Bei- 
spielen, um diese Bemerkungen noch vollständiger zu verstehen. 

In Süd-Guinea werden die Schädel ausgezeichneter Menschen mit 
grosser Sorgfalt aufbewahrt. Es ist vorgekommen, dass man einem erst 
kürzlich verstorbenen, angesehenen Manne den Kopf abschnitt und denselben 
auf eine zu diesem Zwecke untergelegte Quantität Kreide austropfen liess. 
Man hält das Hirn für den Sitz der Weisheit und die Kreide saugt dieses 
angeblich ein, wenn man sie während des Zersetzungsprocesses unter den 
Kopf legt. Wer dann mit solcher Kreide seine Stirn bestreicht, in dessen 
Kopf dringt die Weisheit dessen ein, dessen Hirn die Kreide eingesogen 
hat. — In gleicher Weise ist das Verständniss für eine alte Sitte der Gold- 
küste ermöglicht. Wer dem Urtheil des Fürsten verfiel, wurde hingerichtet. 
Freunde und Anverwandte versammelten sich darauf, ihn zu betrauern. 
Diese Männer — also die Angehörigen — thaten das Haupt in einen Topf 
und kochten es, bis das Fleisch ausfiel, worauf sie dasselbe mit der Brühe 
verzehrten und die Hirnschale als Heiligthum aufhingen. 

Im Allgemeinen gehören alle derartigen Sitten und Anschauungen 
den Völkern des westafrikanischen Oulturkreises an. Einzelne Vorkomm- 
nisse sind aber auch ausserhalb desselben zu verzeichnen. So wird nach 
dem Tode eines Wadöe-Häuptlings von der jungen Mannschaft irgend ein 
Fremder mit tiefschwarzer Haut getödtet und in den Wald geschleppt, wo- 
selbst ein eigens dafür bestimmter Mann, dessen Amt vom Vater auf den 
Sohn übergeht, die Leiche weiter behandelt. Er schneidet ihr die Hände 
ab und muss deren Fleich, ungesehen von anderen, heimlich im Walde ver- 


zehren. Den Kopf bringt er mit ins Dorf, wo nach Reinigung des Schädels 
Nova Acta LXXIV. Nr.1, 23 


178 L. Frobenius, 


aus der Hirnschale ein Gefäss zum Biertrinken für das neue Stammesober- 
haupt hergestellt wird. Ein alter Bericht Krapfs bestätigt die neuere Nach- 
richt von Stuhlmann. 

Ueber die Schädelverehrung im Togo-Gebiet hat Herold Verschiedenes 
in Erfahrung gebracht. Die Sitte, erschlagenen Feinden mit Haumessern 
den Kopf abzuschneiden, ist im Hinterlande Togos allgemein üblich. Auf 
Kriegszügen ist diese Thätigkeit der allgemeine Vorzug und das traditionelle 
Recht der Aeltesten der einzelnen Familien. In einem Orte des Otschi- 
Sprachgebietes wird dem Hauptgotte Sia geopfert. Demselben muss jedes 
‚Jahr eine neue aus einem Menschenschädel angefertigte Trinkschale geopfert 
werden, weil er aus einer gewöhnlichen Kürbisschale nicht zu trinken pflegt. 
Naturgemäss wird mun jeder, der eine solche Trinkschale bringt, als ein 
besonders tapferer Mann angesehen. Vielfach werden nur die zu den Tänzen 
zugelassen, die sich in solehen Dingen hervorgethan haben. 

Die Verwendung der Hirnschalen als Trinkgefässe ist weit verbreitet. 
Die gefangenen Missionare beobachteten im Lager des Aschanti-Heeres, „wie 
ein Mann sich aus einem ganz frischen Schädel ein Trinkgefäss bereitete“. 
Der König Anga Anga am unteren Kongo trank Palmwein aus den aus- 
gegrabenen Schädeln seiner verstorbenen Feinde. Bei Cap. Corse verwendeten 
(zu Arthus Zeit) die Neger die Schädel der erschlagenen Holländer in der 
gleichen Weise. 

Das folgende Beispiel mag nun zeigen, in welcher Weise der Kreis 
dieser Sitten und Anschauungen auch für die Masken- und Geheimbund- 
Sitten von Bedeutung ist. Die Ceremonien bei Einsetzung des Gross-Jaga 
endeten mit einem Festmahle der grausigsten Art. Ein Mensch war er- 
mordet worden, sein Fleisch gekocht. „Jedem Fürsten des Volkes und 
Reiches, jedem Edlen und Kriegsrecken schob der neue Fürst selbst einen 
Bissen dieses Fleisches in den Mund. Das gemeinsame Mahl, der Geist, 
der unter ilmen allen rege war, vereinigte die Kriegerschaar mit ihrem 
Oberhaupte. 

Diese Ideenverbindung findet sich auch unter den Geheimbünden. 
Da ist der Male oder Meli; eine Art Eidschwur verbindet die Mitglieder. 
Ein Mensch wird lebend verbrannt; der Genuss der Asche kettet die Mit- 
glieder aneinander. Weiterhin wurden durch Trinken von Menschenblut 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 179 


die Mitglieder der Ogboni in Benin geweiht. Im Süden bei den Bakoko wird 
statt des Menschen eine Schildkröte verwendet; bei anderen Stämmen tritt ein 
Huhn ein. Interessant ist eine Notiz H. H. Johnstons über einen Eunuchen- 
verband zwischen Isangila und Manjanga, über dessen Zusammenhang mit 
den Nkimba er allerdings nur eine schwache Andeutung macht. Dieser 
Verband ist einem unbestimmten Phalluseultus anscheinend ergeben, mit 
welchem eine Anbetung des Mondes auf das engste verbunden ist. Sobald 


Nr. 29. Schädeltänzer der Aschanti. (Nach Zeichnung von Fr. Ramsayer). 


Neumond eintritt führen die Eunuchen Tänze auf und opfern ihm zu Ehren 
einen weissen Vogel und zwar stets einen Hahn. Der Vogel wird dabei 
in die Luft geworfen und in Stücke zerrissen, sobald er zur Erde fällt. 
Man sagt, dass in früheren Zeiten ein Menschenopfer bei solchen Gelegen- 
heiten dargebracht sei, was in letzter Zeit jedoch durch einen weissen Hahn 
ersetzt wurde. 


23*+ 


150 L. Frobenius, 


Nun haben wir gesehen, dass den Sitten stets bestimmte Theile und 
Formen der Maskentracht entsprechen, dem Waldursprunge der Stab in den 
Händen, den Geisterhütten die Hüttenmaske. Es haben auch die ver- 
schiedenen Züge des Reliquien- und Schädeldienstes in den Maskensitten 
ihre Aeusserungen und demnach dürften wir auch hier eine Beziehung in 
den Formen aufsuchen. Dieselbe ist nicht schwer im Schädeltanze zu er- 
kennen (vergl. Textabbildung No. 29). Ramsayer schrieb s. Zt. in sein Tage- 
buch: Von den zu Ehren des Yamsfestes ermordeten Freien nimmt der eine 
sich einen Finger, der andere einen Arm oder Fuss. Wer den Kopf er- 
halten hat, tanzt in wilder Freude, bemalt dessen Stimm roth und weiss, und 
küsst ihn auf den Mund, lachend und mit spöttischen Mitleidsworten, um 
ihn endlich sich um den Hals zu hängen oder mit den Zähnen zu fassen. 
— Kühne berichtet von einem Tanze der Brafo, die blutroth bemalt, ihre 
Kränze von Kinnladen und Gürtel von Menschenschädeln schüttelnd, mit 
ihren Messern nach allen Seiten hin fuchtelten und die Pantomime des 
Massakrirens und Kopfabschneidens ausführten. Manche hatten auch einen 
Schädel im Mund. Aehnliches ist auch anderen Ortes und von anderen 
berichtet worden. So schreibt Zimmermann von den Moraves: Haut sammt 
Haare werden vom Kopfe des todten Feindes gezogen und dienen dem 
Sieger als eine Art Perrücke, die er hernach bei den Tänzen aufsetzt. 

In den Bünden und Bundsitten kommen verwandte Erscheinungen 
vor. Beim Panga dient ein Schädel als wichtiges Attribut der Tänze. 
Missionar Hinderer war Zeuge, wie in Ibadan die Egungun mit dem Schädel 
einer ihnen übergebenen Frau beim Tanze spielten. Vor allen Dingen aber 
lassen sich unverkennbare Anzeichen des Schädels in den Masken selbst 
erkennen. Die Anschauungen des Schädeldienstes (dass aus der Reliquie der 
Geist in den Träger übergeht), die Sitten (dass die Tänzer den Schädel im 
Munde tragen) und die Maskenformen berechtigen uns zu der Annahme, 
dass die afrikanische Gesichtsmaske ähnlich wie neubrittanische und alt- 
peruanische aus der Schädelmaske hervorgegangen ist. 

Betrachten wir mit Zugrundelegung dieser Ideen die Maskenformen. 
Unter den- Masken kommen vor: vor das Gesicht zu Haltende oder zu 
Bindende, über den Kopf zu Stülpende (also Topfmasken), auf den Kopf zu 


Legende (Kamerun und Akisch) und auf den Kopf zu Steckende (vergl. 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 181 


Penda Penda, dann die Aufsteckmaske in Hannover (Fig. 123). Von diesen 
kommen als eventuelle Schädelmasken besonders die ersten Formen in 
Betracht. 

Das erste Merkmal der Schädelmasken bietet die Provinz Calabar. 
Unter den verschiedenen von hier stammenden Typen fallen jene zumal auf, 
die durch eimen klappbaren Unterkiefer ausgezeichnet sind. Solche befinden 
sich in Leiden (Fig. 72 Taf. VD, Hamburg (Fig. 80 Taf. VIII) und seit 
neuester Zeit auch in Berlin. An diesen Masken sind die Unterkiefer als 
eigene Bestandtheile unten befestigt. Die Art und Weise wie dieses vor- 
genommen ist, erinnert uns daran, dass die "afrikanischen Neger in vielen 
Sitten und Anschauungen bewiesen haben, wie sorgfältig sie es zu verhüten 
suchen, den Schädel lieber Angehöriger ohne Unterkiefer zu erhalten. Man 
erzählt, der 'Todte könne ohne Unterkiefer nicht speisen, oder er würde 
ewig unglücklich sein, oder aus dem Unterkiefer entständen neue Menschen, 
oder unterkieferbare Menschen würden nicht in der Todtenstadt aufge- 
nommen. Vielfach ist es Sitte ein Jahr oder mehrere Monde nach der Be- 
stattung den Leichnam wieder zu exhumiren und den Schädel sorgfältig 
aufzubewahren. Wird er nicht gefunden, so wird er durch den einer 
Ziege ersetzt. 

Demnach haben wir dem klappbaren Unterkiefer der Masken aus 
Neu-Calabar einen tieferen Sinn beizulegen. Hierzu sind wir um so mehr 
berechtigt, als die Erscheinung durchaus nicht vereinzelt ist oder gewesen 
ist, dass derartige Darstellungsweise vielmehr im gesammten Westafrika 
einst heimisch und gebräuchlich gewesen sein muss. Dies lässt sich aus 
einer anscheinend ornamentalen Linie, der Form des Mundes und des Kinnes 
leicht beweisen. 

Die Herstellungsweise der beiden fraglichen Masken ist leicht er- 
kennbar. Unter der Stirn ist ein tiefer Einschnitt in den Kopf gemacht 
und in weiter Bogenfläche das Holz ausgekehlt. Die Fläche setzt bei den 
Augen ein und geht bis zur Oberlippe. Als langer Streifen oder kurzer 
Stummel ist nur die Nase geblieben. Die zwei Kalabar- Masken (Fig. 74 
Leiden und Fig. 82 Hamburg) sind ganz gerade so gemacht, nur ist nicht 
der Unterkiefer daran befestigt. So läuft denn die Bogenfläche nicht in 


der Oberlippe aus, sondern als Kinn. Der Mund ist dann in Form einer 


182 L. Frobenius, 


Linie auf die eigentlich als Oberlippe zu verstehende Spitze gesetzt. Um 
mich verständlicher zu machen, habe ich die Verfolgung und Entwieklung 
der Erschemung in Textabtheilung Nr. 30 A—K in einigen Linien angedeutet. 
A zeigt die Gestalt der Kalabar-Masken mit klappbarem Unterkiefer. Im 
Profil gesehen ergiebt sich die Seitenansicht oder der Querschnitt B; Ü zeigt 
die zweite Form der Kalabar-Masken, bei denen der Unterkiefer nieht be- 


rücksichtigt ist. 


I) \ 
N 
Iyr a 
Ya HD, RS 


Nr. 30. Gesichtsrandlinien von Masken. 


Die Berliner Maske der Djikum (Fig. 85) weist den Weg der weiteren 
Entwicklung. Zwei erhabene Linien, die im Winkel zu einander liegend 
sich am Munde schneiden, laufen vom Schläfenbeine etwa aus nach dem 
unteren Theile des Gesichtes über die Backen. Unter denselben laufen 
von oben nach unten gerichtete Kerben etwa bis zum Ohr. So wird denn 
eine Linie gebildet (vgl. Nr. 30D), die aus dem Stirnrand und den beiden 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 185 


Leisten besteht und in dieser Gestalt dem „Gesichtsrande* der kieferlosen 
Kalabar-Maske entspricht. Die vertikalen Kerben würden als Reste der 
Zähne aufzufassen sein. 

Diese Gesichtsrandlinien sind auf Ogowe- (Fig. 52a), Loango- (Fig. 36 
und Fig. 40), Bakuba- (Fig. 15), Wakussu- (Fig. 14) und Baluba- (Fig. 16) 
Masken erkennbar. Ich habe diese Linien in Nr. 30 E—K abgezeichnet und 
zwar in der genannten Reihenfolge, sodass es nicht schwer ist, die Ent- 
wicklung zu verfolgen. Der Entwicklungsgang ist einmal wichtig, weil er 
die einschneidende Bedeutung anzeigt und zweitens werthvoll, weil er die 
geographische Ausdehnung beweist. (Die letztgenannten Linien stellen viel- 
leicht auch nur den Haarrand dar?) 

Der zweite Beweis für die Richtigkeit meiner Annahme der Ent- 
stehung aus Formen mit klappbaren resp. beweglichen Unterkiefern liegt 
in der Entwicklung des Kinnes. Die scharfe Spitze des aus der Oberlippe 
entstandenen Kinnes der beiden Kalabar-Masken (Fig. 72 und Fig. 50) zeigt 
schon die eigenthümliche Mundbildung der Kalabar-Masken Fig. 74 und 82. 
Das Kinn der Bremer Loango-Maske (Fig. 531), der Rotterdamer Loango- 
Maske (Fig. 27 b), der Berliner Loango- (Fig. 28) und Bomma-Masken (Fig. 
32), der Berliner Wandumbo-Maske (Fig. 22) und der Antwerpener Baluba- 
Maske (Fig. 185) sind ebenfalls auf das Hervorgehen aus derartiger Dar- 
stellungsweise des Oberlippenendes zurückzuführen. (Siehe darüber auch 
Abschnitt f.) 

Den dritten Beweis für dieselbe Annahme wie auch den vierten 
liefern die Mundformen. Dadurch, dass die ganze untere Kopfpartie fortfiel, 
nämlich der Unterkiefer, und dergestalt das Oberlippenende zum Kinn ward, 
ging der Mund verloren und es musste demgemäss ein neues Glied ein- 
gefügt werden. Dieses Problem hat die Kunst der Afrikaner verschieden 
gelöst, oft derart, dass aus der Schwerfälligkeit oder Sonderbarkeit der 
Ausführung die Entstehung noch zu erkennen ist. So ist der spitze Mund 
der Antwerpener Baluba- und der Kischi-Maske (Fig. 18 und Fig. 3) sehr 
charakteristisch. Man möchte meinen, diese kegelförmigen Münde und 
manche der kastenförmigen seien aufgeklebt. Sehr primitiv sind auch die 
Munddarstellungen auf den spitzen Enden unserer Ausgangs-Objeete, der 


beiden Kalabar-Masken Fig. 74 und Fig. 82. 


184 L. Frobenius, 


Auch den vierten Beweis liefern die Gestaltungen des Mundes. Wäh- 
rend bei den bis jetzt besprochenen Masken der angeheftete Unterkiefer 
fortgelassen wurde, verschmolz er bei anderen mit dem Gesichte, aber die 
klaffende Lücke des Mundwerkes, das schon mehr als Maul bezeichnet 
werden muss, lässt noch die einstige Kiefertrennung errathen. Das beste 
Beispiel dieser Art ist die Amsterdamer Loango-Maske (Fig. 41). Dieser 
schliesst sich die Berliner Loango-Maske (Fig. 34) an. Bei anderen wird 
die Mundöffnung immer menschlicher und naturentsprechender, bis sie end- 
lich einer natürlichen Form an Umfang entspricht. 

Das Anzeichen des lockeren Unterkiefers ist aber bei weitem nicht 
(das einzige die einstige Schädelmaske beweisende Merkmal. Für derartige 
Abstammung spricht vielmehr noch eine ganze Reihe von Thatsachen. Ich 
erwähne z. B. die eingesetzten Zähne, die die Bongo-Maske, die Maske in 
Hannover, die Wakonde-Maske ete. in Leipzig (Fig. 87, 123, 6) besitzen, 
dann viele Bildungen der Nase, die mehr einem Nasenbeine als einer Nase 
zumal einer Negernase ähnlich sind. 

Besonders wichtig ist mir aber die Augenbildung der Berliner Baluba- 
Maske (Fig. 17) und der Bakuba-Maske (Fig. 15). Diese letztere und die 
des Wissmann’schen Mukisch (Nr. 5) sind offenbar aus einer der ersteren 
gleichenden Form entstandene Variationen. Diese erstere Baluba- Maske 
der Wissmann’schen Sammlung (Fig. 17) ist aber deswegen ein so bemerkens- 
werthes Stück, weil an ihr alle Theile, die beim Todtenschädel 
besonders als Lücken im Schädel im Gegensatz zum Gesichte 
auffallen, erhaben gearbeitet sind. Da sind die Augenhöhlen, in die 
die Augen eingesetzt erscheinen. Statt der klaffenden Lücke zwischen den 
Kiefern verläuft über die ganze Maske eine verbindende Leiste. Dazu kommt 
der kleine Nasenstumpf und die weite Fläche zwischen Nase und Mund. 

Endlich mit das Beste der Beweisstücke: die Nupe-Maske der Flegel’schen 
Sammlung (Fig. 89). Bei diesen ist wenig Erörterung nöthig. Der Todten- 
schädel grinst aus dieser Maske heraus, um die Frage nach dem Vorbilde 
des Flechtwerkes aufkommen zu lassen. Zwischen den runden Augen- 
löchern sitzt das durch ein sehr kleines Strohbüschel dargestellte Nasenbein. 
Durch mehrere von einer Seite zur anderen gelegte Büschelreihen ist der 


Mund oder vielmehr die Kieferntrennung und die Zähne angedeutet. 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 185 


Die infolge der Verschiedenheit des Materials noch bestehende Lücke 
in der Entwicklungsgeschichte kann aber auch ausgefüllt werden. Von den 
Schädelbeinen respective der geflochtenen Darstellung zu der aus Holz ge- 
schnitzten Maske leiten die „modellirten* über. Die Masken der Kischi- 
Tänzer sind aus Thon und Kuhdünger hergestellt (Fig. 3 und Fig. 4). Fol- 
gendermaassen ist aber die Berliner Baja-Maske (Fig. SS) verfertigt. Auf 
ein mit Tuch übersponnenes Rohrgestell ist Wachs geklebt. Eine an die Form 
des Nasenbeins lebhaft erinnernde Nase erscheint viel zu klein zu sein, um 
thatsächlich die Nachbildung dieses Gesichtsgliedes sein zu können. Der 
Mund ist mit Holzsplittern (— es kann auch anderes Material sein; die Er- 
innerung lässt mich in Stich —) als Ersatz für die Zähne umgeben. Die 
Augenlöcher starren dem Beschauer als leere Höhlen entgegen. (Ueber auf- 
geklebte Wachsmassen Abschnitt h.) 

Nunmehr ist es nicht schwer die Bindeglieder in ihrem entwicklungs- 
geschichtlichen Zusammenhange zu verstehen. Zuerst tanzte der Neger mit 
dem Schädel oder Kopfe des Verstorbenen im Munde, von ihm Begeisterung 
erwartend. Mit Zugrundelegung des Knochengerüstes des vorderen Schädel- 
theiles, auf dem mit Wachs oder Kalk die das Gesicht ergänzenden Formen 
gebracht wurden, entstand die ursprüngliche Schädelmaske, die der Tänzer 
umband oder mit den Zähnen erfasste. Später ward an Stelle des Schädel- 
bein-Gerüstes ein solches aus Flechtwerk hergestellt, auf das in gleicher 
Weise die Gesichtsform aufmodellirt wurde. Endlich ward die Maske nicht 
mehr geklebt, sondern aus Holz geschnitzt. Aber auch aus den hölzernen 
Masken sprechen noch die Erinnerungen an die Schädel-Maske. 


e. Geister- und Schädel-Pfahl: Alınenfigur und Stammbaum. 

Den Geisterpfahl im Dienste der Maskensitten lernten wir schon 
erkennen. Jetzt gilt es noch seinen Einfluss auf die Maskenformen 
zu prüfen. 

Anderen Ortes habe ich die Entwicklung der afrikanischen Ahnen- 
bilder schon besprochen. (,„D. bildende Kunst d. Afrikaner“. Wien 1897. 
„Ursprung der Cultur* I Cap. 12.) Infolgedessen kann ich mich hier kurz 
fassen. Die innere Verwandtschaft der heiligen Pfähle der Afrikaner ist durch 
die gemeinsame Grundidee, dass der Geist eines Vorfahren oder irgend ein 


Nova Acta LXXIV. Nr.l. 24 


186 L. Frobenius, 


Geist sie belebe, geboten. Da sind zunächst die Zweige und Pfähle auf den 
Gräbern. Sie sind ein Theil der einst auf den Grabstätten stehenden Bäume. 
Die Entstehung der Ansicht, dass der Geist des Verstorbenen sie belebe, ist 
nicht schwer zu finden. Was aus diesen Stätten hervorkommt, sei es eine 
Eidechse, ein Käfer oder ein Pflänzlein, bringt immer der Vermuthung nahe, 
dass dieses junge Leben die neue Form des alten, der Seele des Todten sei. 

Der einfache Greisterpfahl ist bedeutend seltener wie heilige Pfähle, 
an denen andere Anschauungszweige, die Ideen von Nebengebieten sich 
äussern. Da sind zum Beispiel die bastumwundenen Stecken, die „Lappen- 
bäume* und deren Verwandte. Diesen Uycelus erörtern wir später. Ferner 
fallen die Kerbbäume auf. Auf den Feldern der Lendu- und Kongo-Völker 
stehen sie als Schutz gegen Geister und Diebe. In den kleinen Hütten 
neben den Häusern der Somrai steht der vier Fuss lange aus dem Holze 
der heiligen Habila geschnittene Pfahl, dessen Rinde in regelmässigen Ab- 
ständen ringförmig entfernt ist. Die Pfosten auf den Gräbern der Loango- 
küste sind mit Aufsätzen versehen. Die Herero versehen die Gräber mit 
Pfosten, an denen übereinander Rinderschädel befestigt sind. 

Die Bedeutung derartiger Ausschmückung bietet die Mittheilung 
Heuglin’s und Schweinfurth’s über den Sinn ebensolcher Grabpfähle der 
Bongo. Diese sind in gleicher Weise mit vielen Kerben und Eimschnitten 
verziert. ‚Jede dieser Kerben nun bezeichnet einen vom Verstorbenen im 
Kriege Erschlagenen. Es liegt also eine Art historischer Notirung ihnen 
zu Grunde. Das entspricht Notizen Ratzel’s, denen zufolge in Afrika Gläu- 
biger und Schuldner sich die Anzahl der geliehenen Wertheinheiten durch 
Einschnitte in einen Stock zu notiren pflegen und ebenso Kaufleute und 
Träger auf der Reise die Anzahl der Nachtlager auf dem Wanderstabe 
markiren. 

Schädel und Geisterpfahl werden in gleicher Weise als Wohnstätte 
des Geistes angesehen. So verstehen wir ihre Verbindung. An der Gold- 
küste wurden früher Verwandte und Befreundete eines Häuptlings bei dessen 
Tode umgebracht. Ihre Körper sanken mit in das Grab. Die Köpfe aber 
wurden auf Stangen über dem Grabhügel aufgerichtet „als eine Zierde, die 
dem Todten zur Ehre gereicht.“ So ragen in allen Theilen Afrikas auf den 
Gräbern der Fürsten und Vornehmen die auf Stangen befestigten Schädel 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 187 


derer empor, die den Edlen in’s Jenseits begleiteten. Die weitere Entwiek- 
lung der Menschenfigur ist leicht zu verfolgen. Der Schädel wird am 
Geisterpfahle erst mit einigen Kerben, dann vollkommener und endlich 
mühsam und sorgfältig angedeutet und angeschnitzt. Weiterhin erscheinen 
dann Anzeichen von Gliedmaassen. Merkmale dieser Entstehungsart giebt 
es mannigfache. Das wichtigste ist der Hals, aus dessen Länge und Ver- 
zierung mit Ringen noch die alte Gestalt des Kerbpfahles spricht. 

Ein gewisses Summiren, Zahlenmerken, Sammeln verräth aber nieht 
nur die Kerbbuchung, sondern auch das Aufhäufen von Schädeln der Ver- 
storbenen (siehe Schurtz), dann Ahnenbildern, der am Opfer- oder Todten- 
feste geschlachteten Viehschädel ete. Während aber einmal die Ahnen- 
figuren zusammengebunden werden, stellt man sie ein anderes Mal unter 
anderen Verhältnissen übereinander. So sind zum Beispiel die Grabpfeiler 
der Loango-Fürsten mit übereinanderstehenden Menschenfiguren geschmückt, 
sodass ohne weiteres angenommen werden kann, dass zwischen jenen Kerb- 
stöcken der Bongo und diesen Grabpfeilern der Loango Beziehungen be- 
stehen, die dahin gedeutet werden können, dass die Grabpfähle ursprünglich 
wohl eine Buchung der Verwandtschaft, Abstammung oder Ahnen enthielten. 
Aus diesem Grunde werden wir stets in solehen Fällen von Stammbaum- 
Bildungen sprechen dürfen. 

Diese Verhältnisse müssen wir kennen und berücksichtigen, um die 
entsprechenden Vorkommnisse unter den Formen und Ornamenten der Mas- 
ken zu verstehen. Sie sind durchaus nicht selten. Soweit sich aber Spuren 
dieser Art an den afrikanischen Masken nachweisen lassen, deutet die Zu- 
sammensetzung auf eine Abstammung von der Hüttenmaske hin. Bei dem 
Vorbilde derselben, der Geisterhütte, hätten wir uns demnach nach Parallel- 
erscheinungen umzusehen. 

Wir sahen den heiligen Kerbpfahl neben der Wohnung in einem 
Hüttlem stehen. Die Grabhütte der Wagogo-Häuptlinge wird von einem 
Bäumehen gestützt. Die Geisterhütten der Wanjamwesi in Urambo (Nr. 28a be) 
zeigen eine Verzweigung der Spitze, die eine innige, durch diese eben ge- 
nannten T’hatsachen noch schärfer gekennzeichnete Beziehung der Geister- 
hütte zum Geisterpfahle auch in der Form beweisen. Aus einer Reihe von 
Tempelformen sind ähnliche Verhältnisse herauszulesen. Einen Kameruner 


24* 


158 L. Frobenius, 


Tempel bildet Zöller ab. Menschenfiguren tragen das Dach, das der Geister- 
pfahl ziert. Die Krönung emes Häuptlingshauses der Tupende findet sich 
bei Wissmann. Auf den Köpfen mehrerer knieender Figuren steht eine 
grössere. Aehnliche Schnitzerei auf einem Tempel der nördlichen Baluba 
resp. Baschilange erwähnt Wolf. Die Königsgräber in Dahome, die Skerchley 
abbildet, zeigen auf den Dachspitzen (bei Rundhütten) oder Dachfirsten (bei 


den Hütten mit abgewalmtem Satteldach) etagenweise übereinandergesetzte 


Menschenpaare und Thiergestalten. 


FL ED 


E #, 


"31, Zwei Hüte der Losango-Leute in Nkosi. b—e auseinander genommen. Basel, Missionsmuseum. 


Die Tempelpfosten, die Dachstützen liefern eime zweite verwandte 
Gruppe. Gräberhütten vom oberen Kongo, aus der Nähe der Stanley-Fälle 
und der Bajansi, weiterhin die Hütten vornehmer Haussa in Bida ete. zeigen 
ausgeprägte Kerbbäume als Stützen. Der Kameruner Tempel (Zölleri) wird 


von Menschenfiguren getragen. Eine Hütte in Bomma — es kann sowohl 
ein Versammlungshaus als eine Grabhütte sein — hat eine Dachstütze, die 


mit fünf übereinanderhockenden Figuren geziert ist. 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 189 


Diese zwei Entwicklungsreihen im den Geisterhütten und Tempeln 
haben ihre Analogien an den Masken. Ueber den Masken der Aba Queta 
ragen, wenn sie ganz erhalten sind, stets einige Strohbüschel hoch hinauf 
(Nr. 1 und 2). Nach der Beschreibung Moore’s ziert die Spitze der Mumbo- 
Jumbo-Maske ein Strohbüschel. Die Textabbildung Nr. 15 zeigt einen mas- 
kirten Fan-Ganga. Statt die Gesichtsmaske zu tragen, ist er weiss bemalt. 
Sonst ist er in die Hüttenmaske gehüllt. Dieselbe läuft oben im ein Knäuel 
von Blättern aus. In gleicher Weise werden die Kpatatschi-Maske (Fig. 90) 
und die des maskirten Negers in Biskra (Nr. 25) von Aufsätzen gekrönt. 
Ueber eine andere Beziehung dieser beiden letzten Formen wird im letzten 
Capitel gesprochen werden. 

Zwei der eigenartigen Hüte, welchen die Losangoleute beim Todten- 
tanze in Nkosi tragen (vergl. Nr. 16), befinden sich im Basler Missions- 
museum. Wie aus Abbildung Nr. 31, auf der der eine zusammengelassen, 
der andere (b e) auseinandergenommen ist, zu ersehen ist, bestehen dieselben 
aus zwei Thheilen, nämlich der geflochtenen Kappe, die als Rest der Hütten- 
maske anzusehen ist, und dem eingefügten, an der Spitze geschmückten 
Stabe, dem Reste des Geisterpfahles. 

Die Masken der Dou (nach Binger Nr. 23) und die Erndtefestmaske 
aus Nupe (Fig. 89a) zeigen die Stäbe noch viel deutlicher. Während aber 
die ersteren nur ein Tellerehen auf der Spitze haben, ist der Stab der Nupe- 
Maske mit mehreren Ringen umgeben, so dass in auffallender Weise an die 
Kerbpfähle erinnert wird. 

Des weiteren nehmen die sechs Masken der Ondumbo (Fig. 4449) 
unser Interesse in Anspruch. Die Abbildung Nr. 14 nach Jacques de Brazza 
nöthigt zum Vergleiche. Ich halte diese eigenthümlichen Gebilde für Mas- 
ken, obgleich es auch durch Maskenformen beeinflusste Ahnenbilder sein 
können. ‚Jedenfalls ist der Fasernbehang auf die Hütten-Maske, der lange 
Hals aber auf den heiligen Stab zurückzuführen. Nicht nur die Länge 
spricht gegen eine Halsdarstellung, sondern auch die Ringe der 6 Ondumbo- 
masken, die als Kerben aufzufassen sind. Noch klarer ausgebildet ist aller- 
dings der Kerbpfahl an der Maske von St. Andre in Douai (Fig. 112a und b). 
Dies ist ein prächtiges Belegstück für Stammbaum-Masken in Afrika. 


Vermittelst dieser Stücke verstehen wir die Entwicklung der Aufsetz- 


190 L. Frobenius, 


masken leicht. Aus der Geisterhütte- Hüttenmaske ragt oben der heilige 
Stab. Auf ihm ist, wie es an den Tempeln auch öfters erwähnt wird, oben 
der Schädel aufgesetzt. Einen hübschen Beleg für diese Annahme bieten 
die Ahnenfiguren der Bagos und unsere Abbildung der auch bei diesen 
heimischen Penda Penda (No. 19). Es muss jedem auffallen, dass der über- 
aus dünne, bei Ahnenbildern oft sehr lange Hals nicht regelrecht unter der 
Mitte des Kopfes sitzt, indem dass der Kopf am hintersten Theile sich vom 
Halse abhebt. Das kann kaum anders gedeutet werden, als dass der Schädel 
ursprünglich mit dem Hinterhauptsloche auf den Stab aufgesetzt sei. 

Weiterhin sind die Masken — es sind wieder Aufsetzmasken, — 
von Kalabar bemerkenswerth. Die Verbindung zweier Gesichter (Fig. 73, 131) 
entspricht dem Zusammenbinden von Ahnenbildern und Schädel, das Ueber- 
einandersitzen (Fig. 78 und Fig. 71) der Gesichtspaare der uns nun schon 
vertrauten Stammbaumbildungen. — Auch die Loango-Maske Fig. 42a und 6 
zeigt eine gleiche Verbindung zweier Gesichter. Vergl. auch Fig. 131. 

Die beachtenswerthesten Stücke dieser Art sind aber die Masken 
des Yoruba-Gebietes. Auf der Douai-Maske (Fig. 102a und b) ragt der 
Stab in die Höhe. Das Leidener Exemplar (Fig. 106) ist mit 4 oder 5, — 
es ist aus der Abbildung nicht ganz klar zu ersehen und ich habe mir 
keine entsprechende Notiz gemacht, — durch einen Horizontalstreifen ver- 
bundenen Kerbstäben gekrönt. Diesen Kerbstäben entsprechen drei knieende 
Figuren auf der Berliner Maske (Fig. 95). Neuerdings hat das Berliner 
Museum für Völkerkunde ausserdem weitere hier zu erwähnende Masken 
dieser Gegend erhalten. Fig. 128 und 129. Die eine ist mit 7 Reitern 
besetzt, von denen der eine, der mittelste, auf den Beschauer zu reitet, je 
drei aber in einer Linie nach aussen, nach rechts und links sehen. 

Die zweite Gruppe dieser Art Masken aus Yoruba wird durch die 
Lagos-Maske Fig. 104 repräsentirt. Gleich den Trägern der Tempeldächer 
stützt hier das Dach der Maske ein Menschenpaar. 


f. Animalistische Züge. 
Die animalistischen Züge wurden oben als zum "Theil einer älteren 
Epoche der Cultur und Weltanschauung angehörig bezeichnet. Das ist 
ziemlich leicht erklärlich. Heute noch bildet der Kampf mit der Thierwelt 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 191 


um Nahrung und Raum für die primitivsten Völker eine wichtige Existenz- 
frage. Derselbe wirkt nicht nur fördernd auf den materiellen Cultur-Besitz 
sondern beansprucht und erfordert auch eine intensive Anspannung der 
geistigen Kräfte, die es ermöglichen sollen, den Feimd zu durchschauen. 
Es ist eine wichtige und hierhergehörige Notiz, wenn berichtet wird, ein 
Busehmann könne einen Büffel insofern nicht vom Menschen trennen, als 
er ihm seine eigenen Kräfte beilege und es ihm wohl zutraut, dass er mit 


Pfeil und Bogen schösse, wenn er solche besitze. 


Die Uebung in solchem geistigen Kampfe und Sichmessen hat denn 
auch zur Folge, dass die Weisheit in animalistischem Gewande zu Tage 
tritt. So klingt noch aus den Fabeln hoch entwickelter Völker das Echo 
der primitivsten Weltanschauungsepoche, deren krause Mythen und Dieh- 
tungen mehr vom 'T'hiere zu erzählen wissen, als vom Menschen, der Erde 
oder irgend einem anderen Gegenstande oder Theile der Welt, in der noch 
alles gesetzloser Beweglichkeit fähig erscheint. Da verkörpert der Mond 
sich im Thiere, der Baum im Steine, der Mensch im Kothe, das 'T’hier im 
Menschen und jedes kann jede Gestalt wieder annehmen. Der Mensch 
kennt nieht seine Fähigkeiten, geschweige denn die anderer Lebewesen und 
Erscheinungen. Das ist die Mythologie nicht nur, sondern der Grundzug 


aller primitivsten Weltanschauungen zumal auch der der Buschmänner. 


Wenn nun auch eine weitere Culturepoche den Existenzkampf zwischen 
Mensch und T'hier entscheidet, an Stelle des unstäten der sesshafte Lebens- 
wandel tritt, die Ergebnisse der Jagd durch die des Ackerbaues oder der 
Viehzucht ersetzt werden, so werden doch die tief in das Geisterleben ein- 
gepflanzten animalistischen Züge immer von neuem gespeist; denn noch 
huscht Schlange und Eidechse dureh Gebüsch und über Dächer, noch steigt 
der Vogel auf zur Sonne, noch schallt in nächtlicher Stunde das Klage- 
geheul der Hyäne und immer wieder schnappt ein gieriges Krokodil ein 
Kind beim Baden weg. Wenn daher eine Umbildung vor sieh geht in der 
animalistischen Anschauung, mag die eigenthümliche Anhänglichkeit des 
Menschen an die Erinnerung ferner schwerer, überwundener Tage die be- 
deutende Wirkung ausüben. Die Anschauung wird nieht mehr durch grausige 


Nähe und tödtliche Schrecken, sondern durch märchenhafte Erinnerung an 


192 L. Frobenius, 


die Erzählungen der Alten und Vorfahren und ein wohliges Gefühl einer 
gewissen Sicherheit und Entfernung genährt. 

Des Ferneren wäre es falsch alle animalistischen Züge als in den 
einfachsten Formen menschlicher Weltanschauung entstanden, sich vorzu- 
stellen. Vielmehr tritt ein erhöhtes Bewusstsein erst in späteren Epochen 
ein, klarere Bilder und Beziehungen sind erkennbar und die reichere Er- 
fahrung, ein weiterer Blick und ruhigere Ueberlegung lassen Vieles Neue 
hinzutreten. Man wird aber niemals das in jüngeren Epochen Erworbene 
von den Errungenschaften älterer Zeiten sondern können, am wenigsten in- 
mitten einer Weltanschauung und Mythologie wie der der Afrikaner, die 
alles Alte in den Sumpf eines abgetlachten Manismus zieht, aus dem auch 
alles Junge daneben emporsprosst. 

Thierische Elemente scheinen in den Maskenformen Afrikas auf 
den ersten Blick Seltenheiten zu sein. Aber selbst da, wo sie noch vor- 
handen sind, d. h. in alter Klarheit zum Vorschein kommen, sind sie 
nicht in fröhlicher Entwicklung begriffen. Wir werden Anzeichen des Aus- 
sterbens kennen lernen. Unklarheit in der Verwendung der thierischen 
Motive entspricht dem. Den animalistischen Weltanschauungen fehlt die 
Klarheit des Bewusstseins überhaupt. Nur seltene Mischungen, wie z. B. 
sie in Nordwestamerika vor sich gegangen sind bewirken eine systematische 
Auskrystallisirung. 

Daher ist nicht zu erwarten, dass Maskenformen und Maskensitten 
allein Verständniss gewähren. Es müssen Vorstudien herangezogen werden, 
wie sie in dem Kameruner Schiftsschnabel niedergelegt sind. Totemismus 
einerseits und eine Fülle verschiedener, nicht zusammengehöriger Mythen 
andererseits sind für Afrika nachgewiesen. 'Totemismus und Stammeseinthei- 
lung auf Grund animalistischer Weltanschauung. Das Totem-Thier ist In- 
eorporations- oder Inmcarnationsform der Ahnen. Daher ist der Fleisch- 
genuss und in gewisser Hinsicht auch Tödtung der Angehörigen verboten. 
Menschen gleichen Totems, wenn auch verschiedenen Stammes dürfen nicht 
heirathen. Das würde gleichbedeutend mit Blutschande sein. Am Aus- 
geprägtesten ist der Totemismus bei den Betschuanen und den Völkern der 
Goldküste erhalten. Aber an der ganzen Westküste liessen sich Spuren 


(Speiseverbote, Heiratsgesetze etc.) nachweisen. Im Loangogebiet ist weit- 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 193 


gehende Zergliederung und Zersetzung von Sitte und Anschauung zu ver- 
merken. 
An einzelnen und vereinzelten Mythen ist besonders des Kreises der 


r 


Vögel zu gedenken. „Der Vogel führt die Seele im Tode der Sonne nach 
ins Jenseits.“ Das ist das Hauptmotiv. Jedoch ist dem Vogel auch jede 
Art der Belebungskraft zugesprochen. Wie er den Geist ins Jenseits führt, 
so auch wieder herab zur Ende in das Ahnenbild, den Vergeistigten ete. 
Er ist der Befruchtende. In dem allgemeinen gültigen Begriff „Totenvogel“ 
schneiden sich die Linien der Bedeutung. Er ist ebensowohl Bote der 
Naturwelt, als Beschützer des Todten und kann sogar den Todten repräsen- 
sentiren. Zuletzt ist es einfach das Orakelthier. 

Eidechse und Schlange sind oft verwechselt. Es besteht eine scharfe 
Trennung wohl überhaupt in der Anschauung nicht. Mehr im Cultus. 
Beide 'Thiere sind Erscheinungsformen der Todten, werden Brüder und 
Grosseltern genannt. Bei der Eidechse mag Zutraulichkeit und Aehnlich- 
keit mit dem Krokodil anregend, bei der Schlange die Fähigkeit sich zu 
häuten — daher die Mythe vom ewigen Bestehen, — maassgebend ge- 
wesen. Vielfach finden sich Beziehungen zur Fananymythe, der Sage vom 
Seelenwurm. 

Nun wären noch einige Einzelheiten zu erwähnen. Die Menschen- 
ähnlichkeit anthropomorpher Affen hat zu verschiedenen Meinungen Ver- 
anlassung gegeben. Es sind verstossene Seelen, Ahnen ete. Der räuberische 
Leopard ist überall die Verkörperung von Zauberei. Krokodile wurden all- 
gemein verehrt. Die Spinnenmythen, die hier nicht in Betracht kommen, 
stehen mit den solaren Anschauungen in Zusammenhang. — Die Fische 
sind an der nördlichen Guineaküste in den Kreis der totemistischen An- 
schauungen und Verbote gezogen. 

Totemistische Gestalten unter den Masken sind nieht unbedingt 
nachweisbar. Allerdings tanzt der Muchuana sein heiliges Thier. Von 
einer Maske aber wissen wir nichts. Vielleicht aber steht die Thierhaut an 
der Kischi Maske damit in Zusammenhang. In Urua tragen die Häuptlinge 
nämlich die Haut ihres Stammesthieres als Abzeichen. Die „Maske aus 
Zebrahaut“, die Cameron in Kingari sah, mag in den Kreis der totemistischen 
Thatsachen zu nehmen sein. Es erinnert das an Verwandtes bei den Kaffern 


Nova Acta LXXIV. Nr.1. 25 


194 L. Frobenius, 


(siehe Ratzel: „Völkerkunde“ 2. Bd. II Tafel: „Südostafrikanische Waffen 
und Geräthe* No. 15). Die Hauptleute des Mungi ziehen sich in den Wald 
zurück und reden als wilde Thiere. In Yoruba wäre noch am ersten ge- 
naueres zu erfahren. Die Egungun-Masken, also die der Todtendarsteller 
sind manchmal 'Thierköpfe. Zwei unserer Masken (Fig. 91 und Fig. 92) 
sind von Schlange und Affe gekrönt. Eine Lagos-Maske des Berliner 
Museums stellt einen Eberkopf dar, unsere Fig. 97 ein Thier. Welches, ist 
aber unklar. Also hier häufen sich die verschiedenen Thiere neben ein- 
ander. Das deutet auf 'T'otemismus, vielleicht allerdings auch nur auf Aus- 
läufer eines solchen. Noch wichtiger sind Mittheilungen über den Jevhe. 
Deren zweite, dritte und vierte Gottheiten sind Schlange, Haifische und ein 
drittes Seethier. Dazu ist den Mitgliedern des Bundes der Genuss des 
Fisches Adepe untersagt. Das an emer Küste, die das Heimathland des 
auf Fischgeschlechtern aufgebauten Totemismus ist. 

Formen des Todtenvogels sind häufiger. Auch spricht hier der Sinn 
der Sitte. Beim Todtenfeste an der Loangoküste erscheint ein Verlarvter, 
dessen Maske der Kopf einer Löffelgans ist. Kleider von Federn sind in 
dieser Gegend häufig. (Textabbild. No. 12 und Fig. 42a und b.) Die 
Maskenbeschreibung hat Federkleider mehrmals erwähnt. In Kamerun und 
Kalabar sind Vogelfiguren nicht selten. „Bei Todtenfesten von Sklaven 
zu tragen“ trägt eine Maske als Vermerk, deren Spitze mit zwei eifrig be- 
gattenden Vögeln geschmückt ist (Fig. 75). Dass die merkwürdige Gestalt 
am Kopf von Fig. 76 als stilisirter Vogel anzusehen ist, wurde im „Schiff- 
schnabel* nachgewiesen. Auch an anderen Aufsatzmasken fehlen Vögel 
nicht. An der Maske (Fig. 90) von Kpatatschi ist ein Vogelkopf befestigt, 
in gleicher Weise an Masken des Museums Umlauf mit der Marke „Porto 
Novo“. In der Maske des Pelikan erscheint zu Zeiten der Simo. Die 
Sänger in Melli traten vor dem Fürsten in der Vogelmaske auf. 

Die wichtigsten Maskenformen haben aber die gehörnten Thiere ge- 
liefert. Die Kameruner Masken brauche ich nicht einzeln aufzuführen. “Es 
sind die Nyati-Masken. Hutter erwähnt die Ochsen- und Büffel-Masken der 
Bali, Macleau ebensolche der Pakhalla und Agni. Textabbildung No. 20 
zeigt eine Maske, deren Hörner auf einen Ochsen, deren Zähne auf einen 


Eber schliessen lassen. 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 195 


Gehörnte Masken sind häufig. Der Kreis dieser Erscheinungen ist 
interessant und leicht verständlich. Die Maske im Besitze Autenrieths 
Taf. VIII Fig. 58 ist das Uebergangsglied von Ochsen- und Menschenkopt. 
Das Ausschlaggebende ist die Nasenform, die mehr menschlich als thierisch 
genannt werden kann. Ein zweites Bindeglied ist im Berliner Museum. 
Der Kopf ist so lang gestreckt wie der eines Thieres, die Nase lang. Der 
Mund ist ganz unten, man kann sagen auf dem Kinn gelegen. Dieser nörd- 
liche Einfluss erklärt die übermässige Ausdehnung der Bremer Loango-Maske 
(Fig. 31) nach unten und deren Hörner. Das spitze Kinn ward oben ge- 
deutet. Aber noch südlicher sind gehörnte Masken heimisch bei Bakuba 
(Fig. 15) und Kioke (Fig. 11). Nach Norden weist wieder die Maske aus 
Kalabar (Fig. 83). Hollmann erwähnt die Hörner an der Maske der Egbo. 
Auch an die heilige Egbo-Ziege ist zu denken. Elfenbeinküste (Fig. 114) 
Senegambien (der geflochtenen Masken Fig. 119, 120, 121, 122, 118) bieten 
ähnlichen Formen. Theils sind die Hörner aus Holz, theils sind es solche 


von Antilopen, teils von Ochsen. 


Die Ochsenköpfe der Dualla weisen auch die meisten Eidechsen- 
figuren auf. Ausgangsstück ist die Münchner Maske (Taf. IX Fig. 66), Kopf 
und Schnauze haben sich in mehreren stilisierten Formen erhalten. Wie 
diese Völker einen Kopf stilisiren, ist aus Fig. 76 zu ersehen. Der Hals 
des Vogels dieser Maske läuft in ein Rund aus, das durch Radien in 
4 Felder getheilt ist. Kopf und Schnauze der Eidechse, und zwar der Kopf 
in dieser Weise gezeichnet findet sich auf Fig. 56 (Hamburg) wieder, der 
Kreis allein auf Fig. 59 (eingesetzt) und Fig. 67 (erhaben). Auch Fig. 57 
(Hamburg) zeigt den kreisförmigen Kopf mit der stabförmigen Schnauze. 
Diese Eidechsenschnauze hat augenscheinlich Veranlassung zu der verkürzten, 
oben erwähnten Nase und damit dem Einlenken in menschenähnliche Formen 
gegeben (Fig. 31). 


Ueber die Entstehung einiger dieser thierischen Masken klärt die 
Textabbildung No. 17 (Ganga in Kpandu) und Tafelfig. 125 auf. Das eine 
ist ein aufgesetzter Thierkopf, das andere eine überzustülpende Thierhaut. 
Anders die Entstehung des Eidechsenbildes, das als Ornament schon gestickt 
auf südafrikanischen Stirnbinden erscheint, am Kongo an. Kopfkörbehen 


25* 


196 L. Frobenius, 


in natürlicher Gestalt. Wahrscheinlich ist es ein Erbtheil der Hüttenmaske. 
Der geschnitzte Vogel schwebt über der Maske. 

Das Material an thierischen Elementen in den Masken ist nicht 
reich. Die Formen klingen ebenso aus wie die Anschauungen des Ani- 


malismus. 


g. Solare Züge. 

Die solaren Elemente in der afrikanischen Weltanschauung würden 
oben als junge Beimischungen bezeichnet. Jung ist immmerhin noch prae- 
historisch im vorliegenden Falle. Es ist hier weder unsre Aufgabe zu prüfen, 
wie gross der Umfang der solaren Motive sei noch von wo sie stammen. 
Dieses ist im mythologischen Hauptwerk erledigt („Weltanschauung“). 

Dass die solaren Züge erst in jüngster Zeit entdeckt wurden, beweist, 
wie wenig sie im Vordergrund stehen. Einst müssen sie aber in Süd- und 
West-Afrika lebenskräftiger gewesen sein. Das geht aus dem Weiterbestehen 
ihrer Bruchstücke in alter Form, wenn auch neuen Sinnes, hervor. Wie 
weit zur Zeit seiner Blüthe der Sonnendienst ausgebildet war, wird schwerer 
festzustellen sein als das „wo“. Alle Merkmale deuten nach Südosten. Die 
Basuto besitzen noch heute Sonnenmythen. Die Hottentotten besassen sie 
als sie noch an der Ostküste wohnten. Hier im Osten sind auch Trümmer 
von Steintempeln gefunden, deren Anlage auf Sonnendienst schliessen lässt. 

Die solare Mythologie der Afrikaner birgt wenig unverkennbare 
Sonnenhelden. Am besten erhalten sind noch Hubeane bei den Basuta und 
Schango in Joruba. Die Basuto erzählen, einst sei die Erde stark bevölkert 
gewesen. Bis auf ein Weib, das sich versteckt hatte, wurden alle ver- 
schlungen von einem gewaltigen Ungeheuer. In der Verborgenheit wurde 
das Weib Mutter. Ihr Kind, ein Knäblein, hatte schon bei der Geburt ein 
köstliches Geschmeide um den Hals. Daher der Name Chobane oder Hu- 
beane Kaum geboren war der Knabe schon zum starken Manne heran- 
gewachsen. Er zog aus, das Ungeheuer zu töten. Aber dieses verschluckte 
den Helden. Er jedoch durchschnitt den Magen des Thieres, worauf alle 
Verschluckten wieder an das Tageslicht kamen. — Es ist dies das Bild 
der Sonne die von der Nacht verschlungen wird. Mit goldenem Strahlen- 


glanze erhebt sie sich aus der Dunkelheit. 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 197 


Die Schango-Mythen sind noch klarer. Von ihm erzählen die Yoruba: 
er sei ein König gewesen, ein reicher Herrscher, der einen aus Messing er- 
bauten Pallast bewohnt habe. Er starb nicht, sondern stieg in die Tiefe, 
wo er noch heute im Reiche der Toten gebietet. Viele jener Abenteuer, 
die mit seinem Namen verbunden sind, sind Schilderungen der Sonnenbahn. 
So auch folgende. Eines Tages stahl ihm sein Weib in der Unterwelt von 
seiner Mediein. Sie floh damit. Er folgte ihr, stieg auf der Sonne empor 
und lief hinter ihr her den ganzen Tag. Am Abend kam er zur Lagune. 
Hier hatte das Weib einem Fischer von der Mediein gegeben, so dass er 
zum Orischa (Gott) wurde. Beim Sonnenuntergange kam Schango mit 
Brausen zornig und wüthend da an, wo der Fischer Huisi zum Kampfe 
bereit harrt. Die beiden kämpfen erst mit Boot und Baum als Keule; dann 
ringen sie. Der rasende Schango merkt, dass er überlistet ist und seine 
Kräfte nachlassen. Beide sinken in die Tiefe. — Die Bilder sind leicht zu 
verstehen. Der grausame Fürst im strahlenden Messingpalast und die 
glühende Mittagssonne der Tropen. Das Emporsteigen Schangos und das 
Aufgehen der Sonne. Die Wanderung des Herrschers über den Himmel 
von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang und die Bahn der Sonne. Der 
Kampf des zormsprühenden Schango und seine Fahrt in die Tiefe einerseits 
und das Versinken der Sonne, die den Himmel weithin in feurigem Roth 
erglühen lässt, andererseits: das sind so vollkommene Analogien, dass sie 
nicht erörterungsbedürftig sind. 

Was diese Erscheinungen der Mythologie doppelt interessant macht, 
das ist die nahe Beziehung zum manistischen Grundstock. Die wichtigste 
Mythe unter den solaren der Afrikaner ist: die Seelen der Sterbenden folgen 
im Tode der Sonne in die Unterwelt. Reisende der Westküste haben in 
alter und neuer Zeit sie vorgefunden. Cada Mosto war wohl der erste, dem 
sie auffiel (vergl. die französische Ausgabe von Leo Afrikanus), Bastian 
der letzte, der auf sie hinwies. Aber die ursprüngliche einfache Fassung 
ist weniger wichtig, wie das immense Einflussgebiet der Anschauung. Man 
kann sagen der afrikanische Manismus sei vom Netz der solaren Fäden 
ebenso durch- und überzogen, wie der oceanische. 

Hier haben wir diesen Beziehungen so weit nachzugehen, als sie 


Maskenformen und -Sitten erklären. 


198 L. Frobenius, 


Die grosse Wucht der unscheimbaren Mythe von der Seelen-Sonnen- 
Folge beruht darin, dass die Sonne einerseits antropomorphisirt wird und 
andererseits den Verstorbenen nun alle Eigenschaften der Sonne sowie deren 
Schicksale zugeschrieben werden. Die wiedergegebenen Mythen von 
Schango und Hubeane zeigen Spuren dieser gegenseitigen Beeinflussung. 
Einmal ist Schango die Sonne, Herrscher der Todten in der Unterwelt, zum 
andern ist das Schicksal der Menschen gleich dem der Sonne; sie werden 
verschlungen. 

Was in diesen Mythen als einmaliges Ereigniss geschildert ist, ist 
also das Schicksal aller Sterbenden und Todten. Wie Hubeane und die 
Menschen damals, wie die Sonne jeden Abend, so wird auch die Seele jedes 
Verschiedenen am Eingange in die Unterwelt, da wo die Sonne versinkt, 
von irgend einem Zauberer verschlungen. Somit verstehen wir es, wenn 
die Novizen vom Horrey verschlungen werden, eine Zeit lang in seinem 
Bauche bleiben und dann wieder an’s Licht kommen. Es ist diese Art der 
Vergeistigung die solare Form des Themas: Tod und Wiedergeburt, das in 
allen Melodien der Geheimbund-Institutionen wiederkehrt. 

Die eigenartigste Folgeform der Mythe ist die von der Himmelsleiter. 
Man nimmt an, dass die Sonne auf einer Bahn wandele. Als Baum, Brücke 
und Strick steigt der Sonnenheld empor, geht er am Himmel entlang und 
lässt er sich hinab. Daher kommt es, dass Schango, als er die Erde ver- 
liess und zu den Todten hinabstieg, er in die Tiefe eine Kette herabliess. 
Ein Theil, das Ende, ragt noch heute empor. Die Todten gelangen an 
Strieken in die neue Heimath. Will man einen Geist eitiren, so bindet man 
in die Spitze des Tempels einen Strick, der dem unten Knieenden auf den 
Rücken fällt. An diesem Strick steigt der Verstorbene in den Ganga hinab. 
Auch der Trauerstrick gehört hierher. Allerdings scheint seine ursprüng- 
liche Bedeutung vergessen. Von der Sierra Leona-Küste wird aber noch 
berichtet, die Angehörigen eines Todten trügen die Perlketten, damit der 
Geist des Verstorbenen noch mit ihnen verkehren könne. Weiterhin ist die 
grosse Menge der Strickamulette durch dieses Motiv zu erklären. 

Hierunter zu rechnen ist das Masamputila genannte Amulett der 
Nkimba. Es besteht aus einem Bündel Palmblätter. Sie sind in der Weise 


zusammengefügt, dass sie an einem Ende eine Art Besen bilden, während 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 199 


das andere in nur zwei Stiele ausläuft, die wie ein Halsband um den Hals 
geschlungen werden. Das erinnert lebhaft an den „bandartig um den Hals 
getragenen Strohwisch“ der Kischi- Tänzer, der auf Taf. II Fig. 4 zu er- 
kennen ist. Die Todtenleiter erkenne ich aber auch in dem Strick, der am 
Ogowe die tanzenden Männer und Frauen trennt. Ein Ueberschreiten des- 
selben bringt den Tod. Ferner ist an die Mangongo-Hütte zu erinnern. 
Diese ist klein. Vor dem Eingange ist eine hohe Stange errichtet. Eine 
Liane verbindet die Spitzen des Pfahles und der Hütte. Diese Verbindung 
ist deutlich. Auf der Schnur gelangt der Geist aus dem Geisterpfahl in 
die Geisterhütte. Wir werden später eime interessante Analogie kennen 
lernen (vgl. Capitel 5d). Die Jevhe-Mädchen erhalten bei den Einweihungs- 
ceremonien Fäden um Hals und Kopf. Also Wiederkehr südlicher Vor- 
kommnisse. Wichtig ist der Eidschwur des Jevhe. ° Das Schlingenfangen 
als Variation des Strickfesselns ist auch sonst in Afrika nachgewiesen. Eine 
aus den Blättern der Oelpalme und des Blitzbaumes gefertigte Schlinge, die 
dem Beleidiger über den Kopf geworfen wird, überliefert ihn der Gewalt 
des Jevhe. 

Untergangsorte der Sonne, Eingänge in die Unterwelt spielen in 
allen solaren Mythologien eine hervorragende Rolle. Für Inselvölker liegt 
das Seelenland im Meere oder Jenseits desselben, für Continentalvölker im 
Innern der Erde. Beim Versinken kehrt die Sonne in einer Höhle ein. 
Das ist die Sonnenhöhle, in der auch die Todten leben. Die Verstorbenen 
werden daher in seitlichen Höhlen beigesetzt; nicht in Gruben, sondern in 
Gängen. Diese Gräber sind daher Bauwerke, die oft mit einem Hügel, 
einem Steinhaufen bedeckt sind. Die gleichen pyramidenähnlichen Bauten 
sind Heiligthümer der Sonnengötter. So des O-Dente, in dessen Dienst sie 
am bekanntesten wurden. Das hohle Innere des O-Dente-Hügels birgt ein 
stehendes Menschenopfer. Das ist gleichsam eine Miniaturausgabe der 
solaren Unterwelt. Beim Jevhe finden wir Verwandtes. Einmal nämlich 
in dem mit Blut besprengten und weissen Hühnerfedern geschmückten Erd- 
altar, dann in dem zwei Meter hohen und ein Meter breiten erdgemauerten 
Rohre, in dem die Jevhe-Zöglinge Aufnahme finden. 

Der mit Blut besprengte und weissen Hühnerfedern geschmückte 


Erdaltar gemahnt an die heiligen Farben der solaren Anschauung. Weiss 


200 L. Frobenius, 


und Roth sind die Farben Schangos; es ist das Weiss der Mittags-, das 
Roth der Morgen- und vor allem der Abendsonne. Weil der Sonne folgend, 
im Gefolge der Sonne lebend sind die Geister gleichwie alle Sonnenhelden 
weiss. Und daher sind die die Vergeistigung Durchmachenden weiss, so 
die Infun-Leute, die Sandi-Mädchen, die Nkimba und Ndembo (Nr. 11). Weiss 
sind daher auch viele Masken. Das weisse Gesicht der Fan-Ganga (Nr. 15) 
ist die einfachste Maskirung. Weiss ist die Grundfarbe z. B. folgender 
Masken Marutse: Taf. II Fig. 3 und 4. Loango: Taf. I Fig. 26, Taf. II 
Fig. 27, 30, 31. Ogowe: Taf. II Fig. 43, Taf. VI Fig. 50—53. Kamerun: 
Taf. IX Fig. 61. Kalabar: Taf. VI Fig. 68, 71—73. Taf. VIII Fig. 78, 80. 
Incerta: Taf. XII Fig. 123, 124, 126, 127. Eine stattliche Reihe. Mit Weiss 
wurden die Europäer vielfach als Geister Verstorbener begrüsst und auch 
Gegenstand der Maskendarstellung (z. B. Yoruba: Taf. IX Fig. 98). Aber 
auch Roth kehrt nicht selten wieder (z. B. Loango: Taf. II Fig. 29 und 31. 
Ogowe: Taf. II Fig. 49). 


Aber es scheinen noch andere Eigenthümlichkeiten der Masken auf 


solare Züge zu deuten. Im Innern der Loangoküste ist als Bildniss der 
verehrten Sonne ein mit Pfeilen umsetztes Gesicht in einer Capelle auf- 
gestellt. Ehe der Jäger auszieht, steckt er einen seiner Pfeile in den 
Strahlen-Nimbus, um ihn nach Tödtung eines 'Thieres wieder auszuziehen. 
Aehnlich war das Bild des Angoya in Weida mit Pfeilen bekränzt. Angoya 
war offenbar ein Verwandter Akotias, der von einem Sonnenhelden ab- 
stammt oder in besseren Zeiten selber ein solcher war. Auf derartige Pfeil- 
und Federkränze ist eine ganze Reihe von Formen zurückzuführen. Unter 
den Masken möchte ich besonders die der Grebo Taf. XI Fig. 111 und 114 
mit den solaren Strahlenkränzen in Verbindung bringen. Fig. 113 wird 
einen gleichen Federnimbus gehabt haben. Heute ist nur noch das Holz- 
skelett erhalten. Auch Formen des Südens sind hier zu erwähnen. So der 
Stirnkranz der Kischi-Maske Taf. II Fig. 3, der an der Akisch-Maske Nr. 6 
wiederkehrt. Auch an Federkränze wie Nr. 8,9 und Taf. III Fig. 9 ist zu 
denken. Bei letzterer Maske fällt noch die Nimbusbildung auf, die der an 
den Grebo-Masken fast vollkommen gleicht. Die Ogowe-Masken Taf. III 
Fig. 44—49 zeigen getheilte Formen. Der Nimbus ist in Stirnkrönung und 
Ohren aufgelöst. Gleiche Riesenohren haben die Masken Taf. VI Fig. 72 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 201 


und Taf. VIII Fig. SO aus Calabar. Ob die Haarbildungen an Ogowe- 
“ Masken wie Taf. IV Fig. 39 und Taf. VI Fig. 52 und 53 auf das gleiche 
Motiv zurückzuführen sind, erscheint zweifelhaft. Es dürften phantastische 
Haarschmucke und Frisuren sein. Immerhin wird man bei der Behandlung 
der oftmals halbsymbolischen Haartrachten die solaren Beziehungen ebenso- 
wenig aus dem Auge verlieren, wie bei einem durch reichere Materialien 
erleichtertem Studium der Maskenformen. 

Der durch die solar-manistische Verwandtschaft leicht erklärliche, 
weitgehende Einfluss der solaren Anschauungen auf die Masken und Masken- 
sitten findet aber seinen wichtigsten Ausdruck im Namen und Sinn der 
Bundesgötter. Oro, den Geist der Ogboni, besprach ich schon. Ihm ist 
ein Granitpfeiler heilig, ein Merkmal, das fast stets auf solare Beziehung 
hinweist. Sein Name ist mit Burton auf orun die Sonne zurückzuführen. 
Wir haben die zürnende, rächende, strafende Gewalt der Sonne oder des 
Sonnengefolges vor uns. Andere Bundesgötter haben sicher einst gleichen 
Sinn gehabt. Man darf nicht übersehen, dass die meisten Sonnengötter 
Nordguineas heute Gewittergötter sind. Der typische Schango ist der Gott 
des Donners. Der Hauptgott des Jevhe ist So, der Blitzgott. Sein Ab- 
zeichen ist eine Axt, mit der er Bäume und Menschen spaltet. Im Blitz 
schleudert So durchlöcherte oder axtförmige Steine auf die Erde. Priester 
des Jevhe kann nur der werden, der Blitzsteine findet und die in einem 
Topfe ausgräbt. Der Topf ist das Symbol mehrerer Sonnengötter, so auch 
in dieser Gegend das des Lissa. (Lissa ist der Sonnengott der Dahome, 
Dahome das Heimathland der Jevhe). — So ist ferner die „Medizin“ und der 
mystische Medieinschmaus der Infoun. 

Alles in allem wird es sehr schwer halten, den ganzen Umfang des 
solaren Einflusses zu erkennen, um so schwerer, als wir es nur mit unbe- 
wusst bis in die Gegenwart herübergebrachten Resten aus alten Zeiten zu 


thun haben. 


h. Kunstkritischer Vergleich der Formen. 
Die Motive, die Quellen kennen wir. Die Maskenformen haben jetzt 
den Eindruck der Einförmigkeit verloren. Fast ein jeder Zug, jede Einzel- 


heit lässt auf lange Entwicklung schliessen, verräth Beziehungen und spricht 
Nova Acta LXXIV,. Nr.1. 26 


202 L. Frobenius, 


von einem mannigfaltigen Geistesleben. Mit der Analyse ist der erste Theil 
der Formbesprechung erledigt. Der zweite nimmt die Erörterung des Zu- 
sammentretens der Einflüsse, den Vergleich der sich entwickelnden Formen 
in Anspruch. Der ethnologischen muss die kunstkritische Betrachtung folgen. 

Auszugehen hat diese Studie von der Erkenntniss, dass die afrika- 
nische Maske nicht einem Bestreben, das Menschengesicht nachzubilden, ent- 
standen ist. Sie ist em Produkt der steigenden Culturkunst (vgl. „Bildende 
Kunst der Afrikaner“ S. 16). Unwillkürlich wird die natürliche Form ge- 
wonnen. Die Kunst geht aber aus von Gebilden, die durch das Bewusst- 
sein der geistigen Motive zu etwas anderem werden, als sie sind. So wird 
die wandelnde Geisterhütte zum wandelnden Geiste nur durch den Sinn, 
der in sie hineingelegt wird. Es muss daher zunächst kurz wiederholt 
werden, inwieweit jenen ersten Stücken Vorlagen dienten, inwieweit die 
Entwicklung von den schöpfenden Vorstellungszweigen im Banne des Stili- 
sirens gehalten wurde, welches also die Hindernisse waren, die genommen 
werden mussten, ehe eine naturalisirende Kunstrichtung in der Beobachtung 
des Menschengesichtes und der Darstellung desselben sein Ziel sah. In den 
ersten Gebilden wurden Gedanken zum Ausdruck gebracht, in den letzten, 
entwickeltsten natürliche Formen. Das sind die Grenzen zwischen denen 
die Formen und unsere Untersuchungen sich bewegen. 

Die Anfänge der Bildung von Masken treten gesondert auf. Die 
weisse Bemalung ist die einfachste Form der Maskirung. Im Hinterlande 
Angolas wenden sich die, die ein Unglück getroffen hat, an den Ganga. 
Dieser beschmiert sich zum Zeichen, dass ein Geist aus ihm spreche, weiss. 
Bei den Ganga-ÜCeremonien der Ogowe-Völker spielt die weisse Farbe eine 
ähnliche Rolle. Wenn die Ganga an der Goldküste sich mit den in den 
Bäumen hausenden Geistern verständigen wollen, so bemalen sie sich mit 
weisser Asche. Die Entwicklung dieser Sitten endet in dieser Richtung in 
der Weissbemalung der Masken. 

Die Hüttenmaske ist das zweite wichtigere Element der afrikanischen 
Maske. Die primitivste Form in Gestalt gebundener Strohmasken findet 
sich bei den Aba Queta der Ama Xosa (Taf. III Fig. 1 und 2). Zweierlei 
ist an diesen Masken besonders bemerkbar; einmal der Uebergang der ge- 


bundenen zur geflochtenen Form; dann die Auflösung des Gebäudes in ein- 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 203 


zelne Theile. Die Masken der Akisch (Nr. 5—10) sind die besten Beispiele. 
Ferner ist an die weitverbreiteten Netzanzüge zu denken, die wohl eben- 
falls auf die Hüttenmaske zurückzuführen sind. Auch die Federkleider der 
Loangoküste (vgl. Nr. 12 die Nase) sind auf Netzwerk aufgearbeitet. 

Das dritte wichtigste Element, weil Ausgang der Formen, ist die 
Schädelmaske, deren .naturalistisch-drastische Gestalt in Afrika nicht wie in 
Oceanien erhalten zu sein scheint. Heute dient statt der Schädelbeine ein 
Geflecht- oder Stabgerüst der Wachs- oder Kalkmasse als Unterlage (vgl. 
Taf. II Fig. 3, 4. Taf. VII Fig. 88). Diese geklebten Masken haben zuerst 
die menschlichen Gesichtsformen dargestellt, aber wohl zu beachten, nicht 
die des Lebenden, sondern die des Todten. 

Nicht übersehen werden darf das vierte, thierische Element, welches 
ebenfalls nicht nur die Menschenmaske beeinflusst hat, sondern auch in sie 
ausgelaufen ist. Zuerst werden Thierköpfe aufgesetzt und Häute über- 
gezogen (vgl. Nr. 17 und Taf. XII Fig. 125). Später werden sie aus Holz 
geschnitzt und vor das Gesicht gehalten. Auch geflochtene scheint es zu 
geben. Hutter lobt die Büffel- und Ochsenköpfe der Bali.  Geschnitzte 
Vögel und andere Thiere krönen die Masken von Kalabar. 

Sehen wir nunmehr die geflochtenen Masken an. Da ist die Frage 
zu erörtern, ob diese alle. Menschengesichter darstellen. Taf. VII Fig. 89 
lässt keinen Zweifel aufkommen, wohl aber die Senegal-Masken Taf. IX 
Fig. 118, Taf. XI Fig. 119—122. Man kann sagen, dass dem Norden zu 
im Verhältniss zum Vorkommen der menschlichen die thierischen Masken 
bedeutend überwiegen. Dazu gemahnen die Hörner dieser Senegal-Masken 
an Ochsenköpfe als Kopfmasken, die auch im diesen Gegenden nicht selten 
sind. Die aufgenähten Streifen deuten in keiner Weise ein Menschengesicht 
an. Interessant ist die röhrenförmige Gestaltung, die das grössere Alter 
der Strohmasken andeutet; denn an hölzernen kehrt sie zwar zunächst auch 
als Augendarstellung wieder (Taf. XI Fig. 111—115), weiter südlich aber, 
in Kalabar (Taf. VI Fig. 72) als unverstandener Stirnschmuck über den 
Augen. 

Im Gegensatz zu diesen ist an der Nupe-Maske (Taf. VII Fig. 89) 
das Menschengesicht unverkennbar. Aber es erinnert mehr an den Schädel, 
als an das Antlitz des Lebenden. Die einfache Weise, in der hier eine 


26* 


204 L. Frobenius, 


unverkennbare Wirkung erzielt, ist merkwürdig. Vergleichen wir damit 
Nr. 10. Hier ist alles gewaltsam zusammengefügt: Hut, Augen, Nase, Mund. 
Der Unterschied ist so zu erklären, dass die Nupe-Maske ein vollendetes 
Werk der Flechtindustrie, die Kioke-Maske aber das unbeholfene Produkt 
einer Uebergangszeit ist. 

Weiterhin wichtig als dritter Beweis höheren Alters ist es, dass an 
Stelle des Schädelgerüstes Flechtwerk getreten ist. Dadurch ist eine ge- 
wisse Gleichaltrigkeit von Schädelmaske und Hüttenmaske angezeigt. Erst 
später ist eine Verbindung beider eingetreten, die vor allem die Bildung 
der hölzernen Helmmasken zur Folge hatte. Geschnitzte Helmmasken fin- 
den wir bei den südlichen Congo-Völkern (Taf. I Fig. 18, Taf. II Fig. 14), 
den Wandumbo (Taf. III Fig. 22), Djen (Taf. VII Fig. 85) und in. Liberia 
(Taf. VII Fig. 115, 116 und 131). Hierzu kommen die Yoruba-Masken. Eine 
andere Verbindung von Hüttenmaske und Gesichtsmaske führte zur Bildung 
der Aufsatzmasken, die zumal in Kalabar heimisch sind (Taf. VI Fig. 68, 
71, 73, Taf. VIII Fig. 75—78), aber auch im Süden (Taf. XII Fig. 123) 
und im Norden (Nr. 19). — Im Allgemeinen bedeuten diese Helm- oder 
Topfmasken keinen sonderlichen Fortschritt. Ausgenommen sind die Yoruba- 
Masken, auf die später zurückzukommen sein wird. Auch die Aufsatz- 
masken haben keine besonders glückliche Entwicklung genommen. Am 
freiesten sind die Vorleg-Masken. 

Thhatsächlieh ist die anfängliche Verbindung mit der Hütten-Körper- 
Maske von der tiefsten Bedeutung für die Entwicklung der Gesichtsmaske 
gewesen. Dieser Zusammenhang ist derart gewesen, dass das Gesicht in 
den primitiven Formen nur als ein wenig markirter Theil der Körpermaske 
behandelt wurde. Mit einer leichten wenn auch geschickten Charakterisirung 
der Gesichtszüge, wie an der erwähnten Nupe-Maske, beginnt die Befreiungs- 
entwicklung. Sie hat geendet mit der freien Gestaltung des Gesichtes und 


der Verdrängung der Körpermaske. Während Anfangs also das Gesicht 


ein wenig betonter Theil — in den primitivsten Formen Taf. III Fig. 1 u. 
2 fehlt er noch ganz — der Körpermaske war, ist dieser am Ende der 


Entwicklung der herrschende. Die Körpermaske ist nur noch als Faser- 
behang oder als Andeutung von Flechtwerk (vergl. den Rand der Baluba- 
Maske Taf. II Fig. 12b) an der hölzernen Gesichtsmaske vorhanden. 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 205 


Die hölzerne Gesichtsmaske ist in ihrem Werden zu beobachten. 
Ihre Entwicklung hatte grosse Schwierigkeiten zu überwinden und zwar 


zumal folgende: 


1. den Einfluss der Hütten-Körpermaske, 
2. den Einfluss der Schädelmaske, 
3. technische Schwierigkeiten, 


4. den Einfluss thierischer, verwandter Formen. 


Oft treffen fremde Einflüsse zusammen, noch öfter mögen sie sich 
dem Auge des Forschers entziehen, Jedenfalls ist die Hauptaufgabe des 
kunstkritischen Betrachtens darin zu suchen, die Ueberwindung und Eigen- 
artigkeit der Schwierigkeiten zu erkennen. Ich möchte hier bemerken, 
dass es ein Irrthum ist, wenn man den afrikanischen Maskenschnitzern das 
Bestreben schreckhafte oder fratzenhafte Gesichter zu bilden, zuschreibt. 
Es mag dies hier und da mitwirken, hat aber auf keinen Fall einen dureh- 
greifenden Einfluss auf die Gesichtsbildung ausgeübt. Die Maskenkunst ist 
viel zu ernst und zu schwerfällig, um solchen Launen Raum zu geben. 
Vielmehr wird man mit der Zeit den Ursprung und die Abhängigkeit jedes 
Gesichtszuges erkennen lernen. Vorliegende Zeilen mögen in diesem Sinne 


anregen. 


Der Einfluss der Schädelmaske hat auch technische Schwierigkeiten 
hervorgerufen. Es scheint fast, als habe es eine Maskenform gegeben, die 
nur noch in ihren Ausläufern zu erkennen sei, als habe es einstmals auch 
geklebte Masken mit einer Holzunterlage gegeben. Die der Baja und 
Marutse sind durch Flechtwerk und Stabwerk zusammengehalten. Meine 
Ansicht wird durch gewisse Spuren unterstützt. Die Makonde-Maske Taf. I 
Fig. 5 hat am Auge und auf der Stimm Reste aufgeklebten Wachses oder 
einer ähnlichen Maise, die mit Haaren durchsetzt ist. Taf. I Fig. 6 zeigt 
das Gleiche am rechten Auge und am Mund. Spuren derselben Art besitzt 
die Bongo-Maske Taf. VII Fig. 87. Aber noch anderes deutet auf eine der- 
artige Entwicklung. So die vertieften Augenbrauen der Sangha- Maske 
(Taf. IV Fig. 23) und der Ogowe-Maske (Taf. VI Fig. 53), die erklärlich 
werden, wenn man annimmt, dass sie oder ihre Vorbilder einst durch eine 


derartige Masse ausgefüllt gewesen seien. Vielleicht deutet die Bildung der 


206 L. Frobenius, 


Augenbrauen von Taf. IV Fig. 41 etwas ähnliches an. Hier sind Streifen 
aufgestiftet. 

Die Einwirkung der zusammengesetzten Formen auf die späteren 
vollendeten, ganzen zeigt sich auch in der Zahnbildung. Masken der Baja 
(Taf. VII Fig. 88) Bongo (Taf. VII Fig. 87) der Wakonde (Taf. I Fig. 6) 
des nördlichen Kongo (Taf. I Fig. 19—21) und eine der Incerta (Taf. XII 
Fig. 123) haben eingesetzte Zähne, solche der Ogowe- Kassai- und Loango- 
Völker dagegen angeschnitzte. 

Ist unsere oben erwähnte Annahme richtig, dass ein Theil der 
Holzmasken nämlich aus der Holzunterlage hervorgegangen sei, so hätten 
wir eine doppelte Entwicklungsrichtung der Holzmasken anzunehmen. Da 
ausserdem einige Holzmasken offenkundig aus den geflochtenen hervorge- 
gangen sind, so reibt sich diesen beiden Formen eine dritte an. Diese dritte 
wird durch die Grebo-Masken vertreten, die den Senegalmasken entstammen. 
Dies zeigt nicht nur die röhrenförmige Bildung der Augen (Taf. XI Fig. 110 
bis 114) indem auch die Linie auf Stirn- und Strahlenkranz (Fig. 111, 112, 
114), vor allem auch die Hörner auf Fig. 114. 

Reste der zuerst erwähnten Entwicklungsrichtung sind unter den 
flachen, solche der Zweiten unter den gewölbten Masken zu suchen. Die 
merkwürdigste unter den flachen Masken ist die vom Sangha (Taf. IV Fig. 23). 

Die Herstellungsweise ging also von verschiedenen Gestalten des 
Materialstückes aus. Man kann einen grossen Theil der einfacheren Formen 
nach diesen Gestalten des Materials in Gruppen bringen. Die einfachsten 
gehen vom Brette aus. Der hauptsächliche Zug des alten Herstellungs- 
verfahrens, möglichst viele Punkte der Oberfläche in eine Fläche zu bringen, 
ist an ihnen am ausgeprägtesten. Die Leidener Maske Taf. XI Fig. 110 
und auch andere von der Elfenbeinküste zeigen nur zwei Oberflächen auf 
deren vorderen Mundspitze, Nasenspitze, Augen und Stirnhöhe liegen. Alles 
andere ist bis zur zweiten Fläche ausgekerht. 

öin zweites Verfahren geht von Kalabar aus. Stimm und Mundspitze 
liegen ebenfalls auf einer Fläche. Vom unteren Stirnrand ist ein wage- 
rechter Schnitt in den Klotz gesenkt. Von der Mundspitze ist der Zwischen- 
raum bis zum Ende des Schnittes im versenkten Bogen ausgekerbt. Nur 
Nase und Augen bleiben stehen (vgl. z. B. Taf. VI Fig. 68, 71—73; 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 207 


Taf. VIII Fig. 77—80, 82a.) Diese Technik ist bis weithin gen Süden zu 
verfolgen. Die Loang-Maske Taf. I Fig. 26 entspringt dem. gleichen Ver- 
fahren, für welches das Auslaufen der Bogenrandlinie im Mund charakte- 
ristisch ist. So auch Taf. I Fig. 17 die Baluba-Maske. Auch die Her- 
stellungsweise der Ondumbo- (Taf. III Fig. 44—49) und Wandumbo- (Taf. III 
Fig. 22) Masken, d.h. das Auskerben vom Gesichtsrande aus nach innen, 
ist auf diese Methode zurückzuführen. Bei den sechs ersteren liegen Ge- 
sichtsrand, Augen, Nase, Mund auf der gleichen Fläche. 

Eine dritte Gruppe von Maskenformen entstammt dem halbeiförmigen 
Klotze. Fig. 21 (Taf. D) zeigt, wie dem Klotzstücke diese Form gegeben 
wurde, aber so roh, dass noch die Kanten an der vollendeten Maske er- 
kennbar sind. Von der Nasenspitze bis zum Kinn ward dann ein Stück 
abgeschnitten. Daher liegen Mund und Nasenspitze auf einer Fläche. Eine 
rohe Auskerbung durch wagerechten Einschnitt unter der Stirn und senk- 
rechten vom Mund aus, wobei die Nase stehen blieb, vollendete das Werk, 
dem nur noch das Durehbohren der Augen und des Mundes ermangelte. In 
gleicher Weise ist Taf. I Fig. 20 entstanden. Eine Abrundung gab der 
Maske eine gefälligere Form. Die Baluba-Masken Taf. II Fig. 12, 13; 
Taf. I Fig. 16 und die Mongalla- Maske Taf. I Fig. 19 entspringen eben- 
falls der halbeiförmigen Materialgestalt. Aber hier ist ven oben nach innen 
und zwar von allen Seiten aus gearbeitet. Die letztgenannte Maske ist noch 
die roheste. Eine Kerbe für den Mund und eime für den Nasen-Oberlippen- 
schnitt, ferıfer eine flache Auskerbung der Augenparthie. Der Einschnitt 
unter der Nase ist auch auf Fig. 16 erkennbar; aber die Nase hebt sich 
hier schon empor durch eine seitliche Auskerbung, die noch weitergeführt 
zu Formen wie Taf. II Fig. 12 führt. Den Augen ist rege Sorgfalt ge- 
widmet. Alle Gesichtstheile entsprechen der besseren Technik zufolge den 
natürlichen Verhältnissen. 

Jedenfalls geht aus alle dem die ausserordentliche Beeinflussung durch 
die Technik hervor. Während an einigen Masken die Schwerfälligkeit des 
Schnitzereiverfahrens und die unbeholfene Form auffällt (z. B. Taf. I Fig. 5 
bis 7) zeigen andere eine gewisse Geschmeidigkeit der Gestaltung (z. B. 
Taf. IV Fig. 40 und 39) und nur wunderliche Linien und Ornamente legen 


noch Zeugniss davon ab, mit wieviel mannigfaltigen Schwierigkeiten und Ein- 


208 L. Frobenius, 


tlüssen die Entwieklung zu kämpfen hatte. Zwei dieser merkwürdigen 
Resterscheinungen mögen wenigstens betont werden. Ogowe-Maske Taf. VI 
Fig. 52b gehört zu den ausgezeichnetsten Arbeiten. Em Blick auf die 
Profilgestaltung Fig. 52a zeigt aber, dass die Zweiflächentechnik immer 
noch in gewisser Härte durchleuchtet. Auf der äusseren Fläche liegen 
Mund-, Nasenspitze, Stirmhöhe. Auf der versenkten dagegen Nasenwurzel, 
der Raum zwischen Nase und Mund und endlich das Kinn. Die Yoruba- 
Masken auf Tafel X und XIII zeigen theilweise gute Mundbildungen. Bei 
eingehender Untersuchung erkennt man jedoch, dass in ihnen zum Theil 
noch die kastenförmige Mundbildung der Grebo-Masken nachklingt, die am 
besten noch in den zwei Stücken Fig. 91 und 92 (Taf. VIID) erhalten ist 
(vgl. hiermit Taf. XI Fig. 110, 113, 114). 

Wie weit bei dieser Methode technischen Stilisirens die Kunst sich 
von der wissenschaftlichen Naturbeobachtung fern hielt, geht aus vielen Zügen 
und Einzelheiten hervor. So aus der Augenbildung. So hat Taf. XI Fig. 111 
neben den Röhren-Augen solche zum Durch- 
schauen, Fig. 113 zwei Paar Röhren-Augen, 
von denen eins zum Durchschauen bestimmt 
zu sein scheint. Bei der Stockholmer Ka- 
merun-Maske Taf. VI Fig. 55 ist das Un- 
geheuerliche geschehen, dass statt unter der 
Stirnwölbung die Augen unter der Nase 


stehen. 


Die gewaltigsten Hindernisse, die Fes- 


seln, die überwunden und durchbrochen 

Nr. 32 Kopf der Mumie Setisl. werden mussten, wenn es der plastischen 
Darstellungsweise gelingen sollte, ein naturgetreues Bildniss des Menschen- 
gesichtes zu schaffen, sind jetzt zum grössten Theil bekannt. Es handelt 
sich nunmehr darum, eingehend Art und Einwirkung des Modelles kennen 
zu lernen. Das Modell wurde schon besprochen. Es ist nicht der Kopf 
des lebenden, sondern der des todten Menschen. 


Hier wird absichtlich nicht von der „Schädelmaske* ausgegangen. 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 209 


Auch der Neubritannier verwendet nicht lediglich die Schädelbeine als Maske. 
Vielmehr füllt er die durch Verwesung des Fleisches entstandenen Lücken 
mit einer Masse aus. Er ergänzt die Knochen ebenso zum Gesicht, wie 
Baja und Marutse das Flecht- und Stabgerüst, andere die Holzunterlage. 

Es tragen allerdings weniger entwickelte Formen unter den Masken 
noch Spuren der „Schädelmasken“, die nachgehends zu besprechen sind. Aber 
das Ziel der plastischen Kunst der Afrikaner ist ebenfalls die Wiedergabe 
des Menschengesichtes. Demnach folgt zunächst eine Stufe, die als Studien- 
stufe bezeiehnet werden kann. Sie lehrt den Aufbau der Formen, führt 
aber durchaus nicht direkt zur Vollendung. Vielmehr hat sie eine Ver- 
langsamung zur Folge. Erst nachdem der Neger die Epoche und damit 
die Erkenntniss des Schädelgerüstes und der Verhältnisse der Gesichtstheile 
überwunden hat, konnte er ganz naturgetreue Menschengesichter und Menschen- 
Masken herstellen. 

Formtheile, die zunächst vom geraden Wege der Entwicklung ab- 
lenkten, sind in Kiefergestaltung, Mund, Nase, Augen zu erblicken. Wie 
oben erwähnt, wurden anfangs vielfach klappbare Unterkiefer gebildet 
(Taf. VI Fig. 72; Taf. VIII Fig. 82). Beim Wegfall des Unterkiefers ward 
zunächst der Mund auf die weit nach vorn ragende Opperlippe gesetzt 
(Taf. VI Eig. 74; Taf. VIII Fig. 87a, 77, 79 ete.). Infolge dessen zieht sich 
an der Wukari-Maske Taf. VII Fig. 85b vom Munde bis zum Ohr noch 
eine Zahnreihe. Andererseits wird das Gesichtsende weit nach vorn ge- 
schoben (z. B. Taf. I Fig. 18b; Taf. II Fig. 27b; Taf. XI Fig. 112b). 
Drittens entspringt diesem Verfahren die merkwürdige oben besprochene Ge- 
sichtsrandlinie. 

Die Nase des Schädels ist unbedeutend klein. Vor allen Dingen 
fällt das Fehlen der Flügel auf. Daher die kleinen Nasenstumpen (Taf. VII 
Fig. 85; Taf. I Fig. 17; Taf. IV Fig. 50, 51, 53), die sehr wenig mit einer 
Negernase gemeinsam haben. Merkwürdig aufgestülpte Nasen wie auf Taf. Il 
Fig. 34 werden dem flügellosen Septum ihren Ursprung verdanken. Dann 
aber, als die Nasenflügel „neu entdeckt“ wurden, fand die Plastik einen Ge- 
fallen daran, gewaltige Riechorgane zu produeiren. Wenn die Negerkunst 
eine neue Entdeckung gemacht hat, hat sie immer, was früher gar nicht 
oder falsch dargestellt wurde, übermässig gebildet. Jetzt entstehen auf den 


Nova Acta LXXIV. Nr.l. 27 


210 L. Frobenius, 


Seiten der Masken dicke Knoten (vgl. Taf. II Fig. 27; Taf. VI Fig. 69 
und 70; Taf. VIII Fig. 95 die verschiedenen Yoruba-Masken auf Taf. X ete. 

Die Augen der Schädelmaske sind einfache Löcher. Solche sind 
lange beibehalten worden (vgl. Taf. I Fig. 5—8, 20, 21, 24; Taf. II Fig. 31, 
32, 34; Taf. III Fig. 36; Taf. IV Fig. 23,41; Taf. VI Fig. 55, 72). Wenn 
nicht Kieferntrennung ist auch der Riesenrachen als ein Ausfluss der Schädel- 
maske zu bezeichnen (vel. Taf. I Fig. 24; Taf. VI Fig. 55). Auch die 


viereckige Mundgestaltung führe ich auf das gleiche Vorbild zurück (vgl. 
Taf’ Fig.'6, 25; Taf. I-Fie=-145 Taf. VII Fig? 8%7%ete): 

Das sind Nachwirkungen der Studienepoche, Spuren des Ankämpfens 
gegen die drastische Gewalt des Schädelgerüstes. Dagegen drängen sich 
die Merkmale des eigentlichen Vorbildes des Kopfes des Todten mit mehr 
Aussicht auf glückliche Bahnen hervor. Um für das Studium dieser ein 
geeignetes Vorbild zu gewinnen, ist der Kopf einer Mumie im Text (Nr. 32) 
wiedergegeben. Das charakteristische dieses Kopfes ist zugleich der Unter- 
schied des Lebenden und Todten. 

Zumal die Augen fallen auf. Tief versenkt ruhen die stark ge- 
wölbten Lider in einer Schale. Genau die gleiche Gestalt kehrt auf 
Tafel I Fig. 17, der Kassai-Maske wieder, aber nicht nur hier. Die Bakuba- 
Maske Tafel II Fig. 15 zeigt die gleiche Form, die aus zwei halb oder 
ganz geschlossenen, stark gewölbten Lidern bestehenden Augen, die ich als 
Zeichen des Todten deute, finden sich an ausserordentlich vielen Masken. 
Diese Augenform herrscht im Süden und verschwindet in Kamerun (vgl. 
Taf. I Fig. 16—18, 25; Taf. II Fig. 12—16, 29, 35, 49, Taf. IV Fig. 39, 40; 
Taf. VI Fig. 50, 52—54; Taf. IX Fig. 64; Taf. XII Fig. 124). Viele Ueber- 
gänge leiten zu anderen Formen über. 

Der Mund des Mumienkopfes ist leicht geöffnet, mit schmalen Lippen 
versehen und breit. Auf Taf. III Fig. 37 finde ich ihn wieder. Diese 


Loango-Maske fordert ausserdem zum Vergleich des unteren Randes 
mit dem Unterschied des eingefallenen Unterkiefers des Mumienkopfes 
heraus. Beide stimmen auch hierin, wie in der Backengestaltung so über- 
ein, dass man fast geneigt sem könnte solchen Kopf als Vorbild solcher 
Masken anzusehen. Die Nasen sind nicht vergleichbar, denn die der Mumie 


ist angesetzt. 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. Zul 


An dieser Stelle ist auch eine bedeutungsvolle Ausnahme zu er- 
wähnen. Die Yoruba-Masken (vgl. Taf. VIII Fig. 91—94; Taf, IX Fig. 95 
bis 98; Taf. X Fig. 100— 109) und auch die zwei merkwürdigen Masken 
unbekannter Herkunft (Taf. XII Fig. 126 und 127) haben die weitgeöffneten, 
durch Färbung noch mehr charakterisirten Augen der Lebenden, letztere 
ausserdem noch die naturalistischen, wulstigen Negerlippen. Ferner sind es 
dieselben Yoruba-Masken, die mit Ohren versehen sind, die den mensch- 
lichen möglichst ähnlich gestaltet sind. Im Allgemeinen wiegen einfache 


Schalen oder rohe Andeutungen über. 


Es ist nur noch auf wichtige Beziehungen zu thierischen Elementen 
unter den Maskenformen hinzuweisen. Die Eidechse ist besonders erwähnens- 
werth. Die Kameruner Maske Taf. IX Fig. 66 zeigt, wie schon betont, 
dies T'hier auf dem Kopfe der Ochsenmaske. An anderen Kameruner 
Masken ist das 'T'hier oder vielmehr sein Kopf auf einen Stirnknoten und 
einen Nasenstreifen zusammengeschrumpft (vgl. Taf. VI Fig. 56; Taf. VIII 
Fig. 57). Taf. IX Fig. 67 zeigt nur noch den Knoten, Taf. VIII Fig. 59 
nur noch ein eingeritztes Kreisornament. An anderen Masken ist die 


Schnauze der Eidechse vollkommen zur Nase des Ochsen geworden. So 


an Fig. 58 (Taf. VII). Weit im Süden — (die Zwischenglieder sind wohl 
vorhanden, aber waren für die Publikation nieht erhältlich), — finden wir 


die Ausläufer dieser Erscheinung. Die letztgenannte Maske ist schon der 
Uebergang von der thierischen zur menschlichen Maske. Die Loango- 
Maske Taf. II Fig. 531 zeigt ein Endglied der Entwieklungsreihe. Schon 
ist es ein unverkennbares Menschengesicht geworden. Aber die Maske 
trägt auch noch ebenso laut sprechende Zeichen ihrer Abkunft in den 
Hörnern, dem langen Unterende, dem augenscheinlich hülflos darauf ge- 
setzten Mund, der langen Nase. Die gleichen Merkmale finde ich auf 
Kassai-Masken vertheilt, die Hörmer an der Bakuba-Maske Taf. II Fig. 15, 
die Nase an der Lomami-Maske Taf. II Fig. 14, die Bildung des Unter- 
endes an der Bakuba-Maske Taf. I Fig. 15b. — Was für uns von be- 
sonderem Werthe ist, ist eine Erklärung für die oft merkwürdige Kinn- 
bildung — eine andere ward oben erkannt, — ‘und die Deutung der 


manchmal auffallend langen Nasen. 


212 L. Frobenius, 


Ferner treffen wir das Kreuz nicht allzuselten an Masken. So als 
weisse Bemalung auf Taf. VI Fig. 50, als Ornamentik des Mittelblattes und 
Ausdehnung bis auf den getheilten Nimbus an den Ondumbo-Masken Taf. III 
Fig. 44—49. Da auf der Stirne sonst nur die Eidechse vorkommt und das 
Kreuz als ein Entwieklungsprodukt des Eidechsen-Ornamentes erkannt 
worden ist, so ist dieses Kreuz der Ogowe-Masken nicht schwer verständlich. 


Die letzte Entwicklungserschemung gewinnt für die Erklärung der 
Loango-Masken Werth; diese sind oftmals bunt bemalt. Streifen- und Kreuz- 
form liegt der Farbenvertheilung fast stets zu Grunde (vgl. z. B. Taf. II 
Fig. 29, 35; Taf. V Fig. 42). — Ganz anders die polychrome Kunst der 
Yoruba, die in den meisten Fällen europäische Oelfarben herangezogen hat. 
‚Jedoch kommen auch Erdfarben vor. 

Da nun oftmals diesen Yoruba-Masken Werthlosigkeit gerade wegen 
dieser Bemalung zugeschrieben worden ist, mögen sie kurz betrachtet werden. 
In ihrer Reihe können ohne Schwierigkeit solche älterer, feinerer Arbeit 
und Masken flüchtiger, geschmackloser Arbeit erkannt werden. Man ver- 
gleiche die Kinn- und Nasenbildung der Tafel X zusammengestellten Stücke 
und wird die Unterschiede schnell erkennen. Die einen sind vielleicht für 
den Verkauf gearbeitet, vielleicht auch bei nachlassendem Interesse für den 
althergebrachten Kultus lässiger, jedenfalls sind es die mangelhaften Stücke. 
Andere, und an ihrer Spitze ist Taf. X Fig. 105 zu nennen (dann auch 
Taf. X Fig. 100), sind auch ganz hervorragende Leistungen der Negerkunst. 

Das bringt uns darauf, von einem allgemeinen Gesichtspunkte aus 


die Masken auf ihre Entwicklungshöhe hin zu prüfen. Ohne viel Besinnen 


kann da gesagt werden, dass dem Süden zu — die Culturinsel Yoruba sei 
ausgenommen — die Kunstfertigkeit sich steigert, dass der Norden, also 


die Elfenbeinküste und Senegambien, dann Kalabar und Kamerun wenig 
erfreuliches bieten. Dagegen treten im Ogwegebiet schon fein abgewogene 
Formen auf (man vergleiche das Gesichtsoval von Taf. VI Fig. 53, den 
Ausdruck von Taf. VI Fig. 50). Wohl bietet die Loangoküste die besten 
Stücke (z. B. Taf. III Fig. 37), aber im Kassaibecken hat die Kunst am 


meisten ihren strengen, ernsten Stil und Typus bewahrt. 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 213 


Im Grossen und Ganzen kann aber festgestellt werden, dass die 
Schwierigkeiten zwar gewaltige sind, die die Kunst zu überwinden hatte, dass 
aber auch die Leistungen Zeueniss ablegen von einer schätzenswerthen Eigen- 
schaft des Negergeistes, Zähigkeit und Ueberwindungskraft. Als Kunst- 
erzeugnisse primitiver Völker sind die afrikanischen Masken sehr hoch- 
stehend; vielleicht und wahrscheinlich sind es Zeichen eines wenn auch 
schwerfälligeren, so doch künstlerischeren Volkes als die Oceanier es sind, die 
über Ornamentik und Stilisirung die Hauptsache meist vergessen, die den 
Afrikanern nieht mehr fremd ist, nämlich — Naturwahrheit. 


4. Capitel. Das Werden der Sitte. 


Im dritten Capitel sahen wir die Geisterwälder als Wohnstätten der 
Maskirten und der Bund-Novizen, das Hervorwachsen der Körpermaske aus 
der Geisterhütte, der Schädelmaske und Gesichtsmaske aus dem Schädel 
der Ahnen, sahen die engen Beziehungen zwischen Maske einerseits, Greister- 
pfahl, Ahnenfigur, Stammbaum andererseits, sahen die Bedeutung anima- 
listischer Züge für die Masken, kurz erkannten, dass alle Quellen der 
Formen im Bereiche des Manismus, der Ahnenverehrung und dessen Neben- 
gebieten lagen. In diesem Gebiete muss also auch die Darstellung des 
Werdens der Sitte fussen. — Was von Einschlägigem früher besprochen 


wurde, wird hier nur kurz wiederholt. 


a. Manistische Grundzüge; Vergeistigung und Geistergewalt. 


Mehrmals wird uns direet gesagt, dass die Maskirten die Ahnen- 
geister oder vielmehr von solchen besessen seien. Das hat aber wenig In- 
teresse, wenn es nicht gelingt, die vollkommen manistische Grundlage fest- 
zustellen. Dass die Maskirten bei den Todtenfesten erscheinen, wie wir 
das vom Ogowe, aus Loango, Kamerun und Liberia wissen, ist sehr be- 
deutungsvoll. Der Ndäa erscheint beim Tode eines Bundesmitgliedes; die 
Ngoi übernehmen die schauerlichen Bestattungs-Ceremonieen; die Attonga- 
Weiber haben die Bewahrung der Leichensteine als einzige Pflicht; das 
Recht der Ogboni ist das Beisetzen der Verstorbenen. Beim Todtenfeste 
äussert sich auch die Geistergewalt. Der Ndä raubt beim Todtenfeste alles, 
was ihm erreichbar ist, dem maskirten Ganga steht nach dem Absterben 
der Fürsten an der Loangoküste das gleiche Recht zu. Wenn die mit den 


Nyati Verhüllten in Kamerun sich beschenken lassen und hierzu durch An- 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 25 


stürmen und scheinbaren Zorn zwingen, ist das gleichfalls eine wenn auch 
degenerirte Form der Geistergewalt. 

Ueber die Geistergewalt verfügen nur die Vergeistigten. Der Ver- 
geistigungszustand wird durch Enthaltungsgebote erreicht. Diese Enthaltungs- 
gebote stellen die Einleitung in jenem Process vor, den Dapper treffend 
als: Tod, Wiederauferstehung und Einverleibung in die Versammlung der 
Geister bezeichnet. Die Ahnen wurden im Walde bestattet. Daher ziehen 
auch die Novizen dorthin, in das Gebiet der Schatten. Wie dem Geiste 
der materielle Genuss von Speise, Weib und sonstigem Umgang nicht zu- 
steht, so müssen auch die Jünglinge sich dieser Dinge enthalten; einsam, 
spärlich beköstigt, ohne Obdach und Schutz leben sie das Leben der Geister 
in den Einöden, aus denen sie auch in deren Grestalt, weiss, mit Vogel- 
federn und der Hüttenmaske resp. deren Endgestalten, hervorgehen. 

Von den Nkimba und Ndembo wird uns berichtet, wie sie getödtet 
und wieder belebt werden. Von dort und den Jüngern des Belli ist es am 
Besten beschrieben. Die Aba Queta müssen Hunger leiden. Enthaltungs- 
geboten unterziehen sich die Jevhe-Mitglieder und die des Mwetyi. Den 
Simo-Schülern soll die Kehle abgeschnitten werden. Das bedeutet das 
Gleiche. Wenn vom Horey gesagt wird, er verschlucke die Jugend, so ist 
das nur die solare Auffassung des gleichen Gedankens. 

Da sie hier gestorben sind, empfangen nachher die Novizen einen 
anderen Namen, so die Ndembo-, Nkimba- (resp. Quimbe-) und Jevhe-Zög- 
linge. Es ist verpönt, den alten Namen wieder zu nennen. Die Geister 
rächen das. Auch wird eine andere Sprache erlernt. Wir hören das aus 
Berichten über die Bali- und Ogowe-Bünde, von den Schülern des Dschengu, 
Meli, Jevhe, wissen es von den Egbo und Mitgliedern des Mumbo-.Jumbo. 
Diese Geheimsprachen sind noch nicht genügend erforscht, scheinen auch 
verschiedenartig zu sein. Sie sind aus Afrika auch sonst bekannt. Bau- 
mann erwähnt eine Geheimsprache bei den Bube, Francois im Hinterlande 
des Ewe. Der Geist Quingures ward in alter Sprache, die nicht mehr, 
nicht einmal mehr den Ganga der Jaga bekannt und verständlich war, eitirt. 

Da sie gestorben sind, gehen die Jünglinge nach der Zeit im Walde 


stumm einher (Nkimba, Ndembo, Horey). Sie müssen von Neuem essen, 


216 L. Frobenius, 


arbeiten, gehen lernen. Die Belli-Schüler erfahren diesen Unterricht allein, 
die Ndembo-Zöglinge beim Ganga und mittelst des Stockes. 

Die Geistergleichen, Vergeistigten verfügen aber vor allen Dingen 
über die Geistergewalt. Die Aba Queta fallen heisshungrig. über den elter- 
lichen Kraal her und rauben Vieh, misshandeln die Weiber und thuen sich 
am Malle gütlich. Die umherstreifenden Nkimba machen die Dörfer unzu- 
eänglich. Der Kuwukuta-kanga-Asabi wird durch die von ihm selbst zu- 
sammenberufenen Sindungo, wenn sie erst maskirt sind, mit Schlägen heim- 
getrieben. Die Geistergewalt der am Todtenfeste Auftretenden ward schon 
erwähnt. 

In Kamerun darf jeder Panga-Mann das Eigenthum eines Nicht- 
Panga stehlen. Was Muemba-Leute gestohlen haben, ist unersetzlich. Die 
Novizen des Mukuku fallen in nächtlicher Stunde in die Dörfer ein. Die 
Infoun-Leute geberden sich manchmal rein toll. 

Zumal in den heimathlichen Dörfern im Walde herrscht die Geister- 
gewalt. Wehe dem, der die Wälder des Belli, Sandi, Purrah, Simo betritt. 
Wenn Egbo, Oro, Dou durch die Strassen ziehen, dann flüchtet alles, zumal 
Frauen und Kinder. Mit Stockschlägen nicht nur, nein, angeblich sogar 
mit dem Tode wird das Erscheinen vergolten. 

Wenn die Beschnittenen der Mandingo-Länder dahinziehen über die 
Felder, durch die Weiler und die Büsche, dann rauben sie nach Herzens- 
lust. Hier aber können wir auch am besten die Abwandlung der Sitte ver- 
folgen. Manchenorts gehört es zum guten Ton, sie zu beschenken. So 
wird die Sitte vielerorts gedämpft, sie verliert ihre rauhe Aussenseite, damit 
aber auch ihren Sinn, wenn die Beschnittenen von Räubern zu Bettlern 
werden. Bettelnd ziehen die Beschnittenen Timne’s einher, bettelnd troddelt 
der Mukisch in den Gehöften der Kioke, Minungo und Maschinsche dahin. 
Die Bajabettler bei Ngaumdere trugen eine Maske. 

Während so die Sitte und deren Sinn nach einer Seite im Lande 
verläuft, treibt sie gewaltige Sprossen andererseits; Geheimbund und staat- 
liche Obrigkeit entwachsen anderen Ortes den Enthaltungsgeboten, der Ver- 
geistigung und der Geistergewalt. 

Wenn also die Basis aller dieser Maskenbräuche sich auf derartigen 


Manismus erhebt, dann interessirt es hochgradig, wenn die Maskirten des 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. alt 


Sudan, Gunuko und Dodo, die der Belli und der Dou als Vorfahren, Ahnen- 


geister oder Seelen Verstorbener angesehen werden. 


b. Vergeistigung in der Reife. 

Die Frage, wieso sich die Zeit des Noviziates in einer gewissen 
Weise nach der Geschleehtsreife richtet, verdient entschieden eine ein- 
gehende Betrachtung, um so mehr, als wir auf diesem Wege am leichtesten 
die Pforte des Familienlebens, soweit es vom Geheimbund berührt wird, 
erreichen. 

Ueber den Grund und die Entstehung der Beschneidungs- Sitte ist 
vie] gestritten worden. Dapper berichtet, die Jolof danach befragt, hätten 
geantwortet, „dass sie anders keme Kinder zeugen könnten.“ Gleiches geben 
andere Völker an. Es fällt das mit der Annahme von Ploss zusammen, 
dass in der Sitte ein naiver Versuch zu erblicken sei, die Befruchtung zu 
erleichtern. 

Diese Ansicht scheint mir- der Wahrheit am nächsten zu kommen. 
Da dieselbe dem ganzen Anschauungskreise einen verständlichen Boden ver- 
leiht, soll sie noch weiter begründet werden. — Ellis machte die Beobach- 
tung, dass bei den Völkern der Elfenbein- und Sklavenküste die Verbreitung 
des Phalluseultus mit der Cireumeision Hand in Hand gehe, dass die Be- 
schneidung in enger Beziehung zum Dienste Legbas, des geschlechtssegnen- 
den Gottes stehe. Es ist sehr bemerkenswerth, dass die Tischi weder Be- 
schneidung noch Phalluseultus üben; bei den Ga wird nur theilweise die 
Cireumeision vorgenommen und partieller Phalluseultus beobachtet. Die Ewe 
aber sind alle beschnitten und huldigen durchgehends dem Geschlechts- 
segnenden. Dazu kommt die Bedeutung einiger Speiseverbote. Mit der 
Beschneidung hört bei den Baele die Erlaubniss, Hühner und anderes Ge- 
flügel, Fische und Eier zu essen, auf. Auch in benachbarten Ländern des 
Sudan gelten diese Nahrungsmittel auch für Männer unziemlich (Nachtigal). 
Wenn besonders Vögel und Eier in derartigen Bestimmungen genannt 
werden, ist an die befruchtende Eigenschaft, die dem Gesetze der Umkehrung 
zufolge in entgegengesetzte Gestalt übergeht, zu denken. Nach Livingstone 
dürfen wohl die Manjema-Männer, nieht aber deren Frauen das den Ahnen 
geopferte Ziegenfleisch geniessen; ausserdem steht nur ganz alten Leuten 


Nova Acta LXXIV. Nr.1. 25 


218 L. Frobenius, 


(der Genuss vom Fleische der Papageien zu. Man nimmt an, dass die Kin- 
der junger sich nicht an die Regel kehrender Männer den wackelnden Gang 
dieser Thiere erhalten. Bakwiri-Weibern sind Hühner und Eier untersagt. 
Von der Goldküste erwähnt Villault: Sie enthalten sich einer gewissen Art 
Speise oder Getränkes. Gemeiniglich thun sie dieses Versprechen bei dem 
Antritt ihrer Ehe. 

Es treten also die Enthaltungsgebote in ganz bestimmten Zusammen- 
hang mit dem Geschlecht. Die durch sie in dieser Beziehung gewonnene 
Vergeistigung wäre demnach dahin zu deuten, dass eine gewisse Kraft ge- 
wonnen werden muss, um dem Kinde Leben zu schenken. Diese Kraft 
muss daher vor der Hochzeit gewonnen werden. Man nimmt also einmal 
(die Beschneidung vor, zum anderen Enthaltungsgebote auf sich, um mit. 
übersinnlichen und sinnlichen Kräften ausgestattet, die Fähigkeit zu erlangen, 
Leben und Geist erwecken zu können. Prüfen wir diese Ansicht. 

Sobald an der Tanga-Küste ein Jüngling das Alter erreicht hat, 
welches ihn befähigt, in den Kreis der erwachsenen Leute zu treten, hat 
er die Ceremonie des Galo durcehzumachen, deren wesentlicher Bestandtheil 
in der Anbringung der Stammesmarke besteht. Der Ganga, der die be- 
treffende Operation vollzieht, verbindet dem jungen Manne die Augen und 
sagt ihm, dass die Vögel kämen, ihn zu ritzen. Sobald dies geschehen ist, 
begeben die Knaben sich mit dem Ganga in die Wildniss, errichten kleine 
Hütten und bringen in diesem Galo eine gewisse Zeit von einigen Tagen 
bis einem Monat zu. Tanzen und Singen scheint hier ihre wichtigste Be- 
schäftigung. Es darf kein Küstenzeug getragen werden, sondern nur ein- 
heimischer Rindenstoff. Der Körper wird mit Kalk oder Asche weiss be- 
schmiert. Die nothwendigste Nahrung wird von den Angehörigen am Wege 
nach ihrem Aufenthaltsorte aufgestellt. Diese Sitte muss jeder durehmachen, 
der in die Reihe der Männer treten will. Anderen Falls werden seine 
etwa geborenen Kinder als unrechtmässig betrachtet und ge- 
tödtet. In dieser Schlussbemerkung Baumann’s ist der oben angedeutete 
Zweck dieser Sitte und der ihnen zu Grunde liegende Gedankengang mit 
einem gewissen Bewusstsein ausgesprochen. — Die Jünglinge der Baluba, 
Kioke und Wambuba müssen im Alter des Ueberganges vom Knaben zum 


Manne ebenfalls in den Wäldern eine Zeit der Abgeschlossenheit, die mit 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 219 


der Beschneidung verbunden ist, verbringen. Kein Weib darf in ihr Revier 
dringen; das ist auch hier strenges Gebot. — Auf einer Insel des ausge- 
dehnten Sees Eliva Jonanga befindet sich das Heiligthum eines mächtigen 
Geistes. Ganga bewachen es und liegen dessen Dienste ob. Ausser diesem 
Tempel befinden sich auf der Insel nur noch wenige Hütten. Hier halten 
sich die zum Manne heranreifenden Jünglinge auf. 

In Südafrika begegnen wir ähnlichen Sitten bei Ama Xosa und 
Betschuana. Die Nkimba, Belli-, Purrah-, Simo-, Sandi-, Humbe-Zöglinge 
geniessen eine gleiche Erziehung. Die Beschneidung und Fernhaltung der 
Frauen spielt eine hervorragende Rolle nach den meisten Mittheilungen. 

Nun Madagaskar! In den Segenswünschen, die der Hova-Fürst den 
zu Beschneidenden zuruft, findet sich der Satz: „Mögest Du empfangen!“ 
Bei den Tanala muss die Mutter des Kindes kurz vor der Beschneidungs- 
zeit sich gewisser Speisen und anderer Dinge enthalten. Nach Cauche hat 
die Beschneidung den Hauptzweck der Austreibung eines bösen Geistes aus 
den jungen Leuten, welche nach achttägigem Fasten vorgenommen wird. 
Es ist letztere eine jener wichtigen und interessanten Erscheinung, die durch 
das Gesetz von der Umkehrung erklärt werden. Anstatt emen Geist zu 
empfangen, wird ein solcher ausgetrieben (vgl. „Weltanschauung“ Cap. 21). 

Es ward schon früher auf die Bedeutung der weissen Farbe für die 
Masken und Geheimbünde hingewiesen. Das Tünchen des Körpers ist das 
äussere Zeichen der Vergeistigung. So wird diese Sitte auch wieder ein 
Beweis für die Bedeutung der Ceremonieen vor der Hochzeit. Mit Kalk 
und Asche bestreichen sich die Jünglinge des Galo; weiss malen sich die 
beschnittenen Banschaka an; weiss sind die Mädchen des Sandi, die Aba 
Queta, Infoun-Leute und Nkimba. Vor allen Dingen aber hören wir auch, 
dass es den Jünglingen und Mädchen der Mandingo streng verboten ist, vor 
der Beschneidung in engeren Verkehr zu treten, obschon nach dieser Zeit 
ein Vergehen hierin nicht gesehen wird. 

Es ist stets im Zustande der Erreetion, dass der Mensch mit dem 
Göttlichen zu communieiren glaubt, sagt Bastian. Der Komfo der Odsehi 
tanzt sich in die Besessenheit durch Begeisterung; das heisst also 


den Vergeistigungszustand durch Tanz erreichen. 


220 L. Frobenius, 

Hören wir hierüber Cruikshank: 

Eine der vornehmsten Eigenschaften, die einem Novizen nöthig sind, 
ist eine grosse Ausdauer im Tanzen, welches einen hervorragenden Theil 
des Dienstes der Ganga bildet. Denn von einem ungefügen Tanze zum 
Schall der Trommeln erwartet er Begeisterung. Durch diese heftige 
jewegung regen sie sich bis zum Wahnsinn auf, bis dass der Geist (statt 
Fetisch) sich ihrer bemächtigt, wobei sie dann alle Zurechnungsfähigkeit 
verlieren, sich wild umherwerfen, am ganzen Leibe zittern und gleich Be- 
trunkenen taumeln. In furchtbaren Krämpfen mit rollenden Augen, schäu- 
mendem Munde und allen Zeichen gänzlicher Unbewusstheit dessen, was 
um sie vorgeht, bestätigen sie vollkommen den Glauben der sie Anstaunen- 
den, dass sie nämlich ihrer selbst nicht mehr mächtig seien, sondern unter 
dem Einflusse eines Geistes ständen, der sie treibt, wohin er will, bis end- 
lich die Natur diese Ueberspannung ihrer Kräfte nicht länger auszuhalten 
vermag und sie in einem Zustande vollständiger Erschöpfung zu Boden 
sinken. ‚Je grösser die Körperkraft eines solchen Menschen ist, um so 
länger ist er im Stande, seine Anstrengungen auszuhalten und je natürlicher 
und ungezwungener er sie erscheinen zu lassen vermag, desto besser ist er 


zum Ganga geeignet. 


Bei Gelegenheit eines grossen Festes in Aschuka im Okande-Gebiet 
lernte Lenz ähnliches in noch ausgedehnterem Umfange kennen. Der Klang 
des Tam-Tam, so schreibt er, hat für den Neger etwas Aufregendes. Schon 
bei der Aufführung des Kriegstanzes während des Festspieles waren einige 
junge Leute durch den Ton dieses Instrumentes krank geworden; sie 
stürzten plötzlich aus den Reihen heraus, liefen auf allen vieren wie T'hiere 
auf der Wiese umher und fingen an zu rasen. Sie konnten nur mit Mühe 
bewältigt und bei Seite geschafft werden. Im Dorfe bei den schrecklichen 
Tänzen der Ganga wollten diese Anfälle gar kein Ende nehmen; wohin 
man bliekte wälzte sich einer der Unglückseligen auf der Erde und die 
älteren Männer und Frauen hatten vollauf zu thun, dieselben in den Hütten 


unterzubringen. 


Also kann die Besessenheit auch durch Tanz und Musik erreicht 


werden. Besessene sind auch die Maskenträger, die Leute des Maramba 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 22 


und die Sobah. In die Besessenheit tanzen sich aber auch die Maskirten 
auf den Inseln der Zaire-Mündung. 

Diese Vorbemerkungen machen wir hier, weil die Tänze der Mas- 
kirten und Novizen ganz verschiedene Bedeutung haben. Nachdem die Be- 
sessenheitstänze herausgeschält und abgetrennt sind, kann ich mich der hier 
wichtigeren Gruppe der Geschlechtstänze zuwenden. Ueberall, wo Novizen 
als Männer und Mitglieder des Obrigkeitskörpers in den Waldungen ver- 
schlossen wohnen und beschnitten werden, wird getanzt, tanzen gelernt. 
Und wenn dann der Weihetag der Aufnahme stattfindet, wenn die Cacibo- 
Dauer überwunden ist, dann zeigen die Zöglinge, was sie gelernt haben. 
Wir hören vom Belli-Tanze, vom Quimboara, vom Uku Tschila, vom Rischi. 
Die Akisch lernen und lehren, wenn nicht ein besonderer Tanzmeister da 
ist, einen Tanz. Sangula ist der Tanz der Inquimbe an der Loangoküste 
oder in Bomma. 

Wie werden solche Tänze aussehen und welchen Werthmesser haben 
wir an sie zu legen? Von einigen Tänzen wissen wir es, von anderen wird 
es angedeutet, von dritten können wir es aus Begleitumständen ersehen, 
dass hier das Motiv der geschleehtlichen Verbindung herrscht. Die Kischi 
tanzen mit einem Phallus und ebenso die Maskirten an der Bahre des ver- 
storbenen Loango-Prinzen. So kommen hier noch Züge zum Durchbruch, 
deren Entstehung wir im 'Thierreiche beobachten können. 

Wenn nun vom Ndembo noch gesagt wird, dass er nur der Erregung 
der Sinnlichkeit diene, vom Gesange »der sonst züchtigen und keuschen 
Sandi-Mädchen, dass manches darin enthalten sei, dass sich für ein ehrbares 
Frauenzimmer nicht passe, so können wir diese Erscheinungen in einer 
Gruppe als Beitrag zur Bestätigung unserer Ansicht fügen, dass ein grosser 
Theil dieser Erziehungs-Institutionen dazu diene, gemeinsam mit Beschnei- 
dung und sexualen Enthaltungsgeboten die Basis für ein geeignetes Ge- 


schleehtsleben zu bilden. 


Wenn wir nun zunächst nach dem Einflussgebiet und der Entwick- 
lung dieser Wesenszüge und Erziehung im afrikanischen Familienleben 
fragen, so gilt es vor allen Dingen eine Beurtheilung desselben zu er- 


möglichen. 


DDR. L. Frobenius, 


Seit dem Schöpfer der Matriarchatsidee, Bachofen, ist es vor allem 
Post, der der „Geschlechtsgenossenschaft* seine Arbeit gewidmet hat. In 
den Werken dieser Gelehrten ist die Begründung des Mutterreehtes durch- 
geführt. Wenn in der Behauptung der Weibergemeinschaft auch manches 
liegt, dem widersprochen werden könnte, so ist doch für die Vergangenheit 
eine Perspeetive gewonnen. Schlimmer steht es mit der Schätzung der 
gegenwärtigen Zustände Es sind Versuche gemacht worden, die gyno- 
kratischen Institutionen sowie manche anderen Erscheinungen als Ausläufer 
des Matriarchates überall zu bezeichnen, womit das Charakteristische der 
Verhältnisse übersehen wird. 

Die Ansichten über das jetzige Familienleben schwanken ebenso hin 
und her wie dessen Variationen. Während ein warmherziger Beobachter 
wie Barth sagt: man wisse in der That in Europa wenig davon, wie freund- 
schaftliceh in diesen Ländern Mann und Weib mit einander lebten, ver- 
dammen andere die laxen Eheauffassungen von Grund aus. 

Seien wir gerecht! Ein Familienglück kann nur im sesshaften und 
friedlichen Zustande gefunden werden. Der Wanderkrieg ist aber das noth- 
wendige Uebel der inner- und ostafrikanischen Kultur. Was das Weib 
sich im Frieden erobert, und man ‘darf das auf keinen Fall unterschätzen, 
das verliert es im Kriege. Weder die Jaga-Horden noch die Regimenter 
Chakas konnten Kinder im Heereslager gebrauchen. Und doch zogen 
Weiber mit von Land zu Land. Dagegen jene Bassonge-Staaten, in denen 
der Mann die Arbeit verrichtet und die Frau nur der Familiensorge lebt. 
Oder man wende sich gen Norden. Welche schöne Stellung geniesst die 
Mangbattu-Frau! Welch’ liebliche Bilder zeichnet Junker! Auf seinem 
Schoosse wiegte er die kleinen Kinder, händeklatschend und freudig - stolz 
stand die Mutter daneben und schmunzelnd betrachteten die Männer die 
Gruppe. 

Und wenn man noch einen Beweis für das Verständlichwerden des 
Familiengedankens erbracht haben will, so erinnere ich an die Institution 
jener Weiber, die nie das heilige Feuer der Vesta geschürt haben. Wo die, 
wie im Innern Afrikas und dessen Westen, vorhanden ist, da ist auch ein 
Verständniss und ein feineres Gefühl für die Heiligkeit der Ehe und das 


Problem der Familie aufgegangen. 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 223 


Ausser dem Kriege wirkt aber noch eines schädigend auf die ruhige 
öntwieklung der Ehe, das ist der Handel. Dieser tritt in Afrika nämlich 
stets in die rohe Form der gemeinen Erwerbslust, wenn der Europäer mit 
seinen Waaren eingreift. Ich erinnere hier an die Barrieren des 
Zwischenhandels, jene Zonen, die zu durchbrechen hoffentlich bald überall 
gelungen ist. Wie oft wird uns des Ferneren nieht berichtet, dass der 
Negeragent mit einem Vorschuss im Innern des Erdtheils erschienen sei, 
um nicht eher wieder zu erscheinen, bis der Gläubiger todt ist. Die Atmo- 
sphäre macht sich auch im Familienleben bemerkbar. Ekelhafte Zustände 
stellen sich ein. Der Mann schickt seine Frau in das Lager der Fremdlinge, 
dass sie ihnen die Hand reiche, während er hinter der 'Thüre steht, um 
nachgehends auf Ehebruch und Schadenersatz zu klagen. Und noch Ge- 
meineres kommt in diesen Regionen zum Vorschein. 

Zu diesen schwankenden Verhältnissen tritt aber noch ein Faktor, die 
Ueberproduktion an Frauen. In der Polygamie ist ein Uebelstand eigener 
Art gegeben; mag auch in den meisten Ländern eine Frau die Oberherr- 
schaft über die anderen haben. Auch werden die Frauen möglichst in 
eigenen Hütten untergebracht. Wie des Marchais und andere berichten, 
widmet sich der Mann den Frauen abwechselnd, „um Frieden unter den 
Weibern zu erhalten“. In diesem Schlusssatze ist denn auch das schwierigste 
Problem- des westafrikanischen Familienlebens geboten. 

Aus diesen wenigen Andeutungen lässt sich schon ein gewisser Ueber- 
blick über das gewinnen, was berücksichtigt werden muss. Nicht alle jene 
synokratischen Erscheinungen sind direkte Abkömmlinge aus der Zeit des 
Matriaschates, sondern die schwankenden und unter vielerlei Einfluss sich 
beständig ändernden Zustände liessen hie und da wieder eine Frauenherr- 
schaft zur Reife kommen. Die Afrikaner, so können wir den Schlusssatz 
aussprechen, neigen im Westen, wo die friedlichen Elemente vorherrschen, 
zur Degeneration der Männergewalt und dem Aufkeimen der Weiberherr- 
schaft; im Osten und Süden aber, wo das kriegerische Handwerk blüht, 
herrscht die rauhe Macht des Mannes, und die Frauen dienen. 

Das sind die Zustände, die berücksichtigt werden müssen, um die 
Entwicklung der Geheimbünde und Geistergewalt zu verstehen, soweit sie 


die Entwicklung der Familie und ihre Form beeinflussen. 


224 L. Frobenius, 


Das Problem, das hier zu erörtern ist, wurde schon folgendermaassen 
ausgelegt: die Bünde sind in der Hauptsache den Frauen gegenüber gebildet 
und daher stehen den männlichen Geheimorden die weiblichen gegenüber. 
— Dieser Satz zeigt an, dass nach der Ansicht des Autors die Bünde ge- 
schaffen und wissentlich organisirt seien mit dem Zwecke, die schwierige 
Familienfrage zu lösen. Es ist nun aber eine alte Erfahrung so ausgeprägt, 
dass die Entwicklung der Formen und Anschuungen in bestimmte Bahnen 
zielt, dass es allerdings oft so erscheinen mag, als sei dieses Ziel der Zweck 
der Entwicklung, wogegen es sich doch nur um eine Anpassung handelt. 
Ich erinnere an die Entwicklung des Menschenbildnisses, des Bartes an den 
Masken ete. So gilt es denn auch hier die Mündung des Quellstromes zu 
erkennen, d. h. aufzufinden, von wo die Strömung herkommt, die vielerorts 
als Geschleehtsbünde sich in den Familieninstitutionen äussern. 

Wie den Männern, so wird auch den Mädehen vor der Ehe ein Lehr- 
kursus zu Theil. Naturgemäss bezieht sich dieser Unterricht auf die Dinge 
des Geschlechtslebens. Die Hauptzüge sind die gleichen, die wir schon bei 
Besprechung der Jünglings-Noviziate kennen lernten. Es ist also schon vor 
dem Auftreten der Greeheimbünde eine Trennung und Scheidung der Ge- 
schlechter durchgeführt. Dieselbe wird dadurch charakterisirt, dass Jünglinge, 


und vice versa Mädchen nieht mit dem anderen Geschlechte verkehren können. 


Nun müssen wir die Entstehung der Bünde überhaupt im Auge be- 
halten. Dieselben sind nichts anderes als eine Folgeform der Erziehung. 
Dadurch, dass gewisse Gruppen sich bestimmten Verfügungen zur Zeit der 
Vergeistigung, also den Enthaltungsgeboten unterwerfen, werden sie zu- 
sammengeführt und verbunden, so dass gesagt werden könne, das Bindende 
der Bünde liege zunächst in den Enthaltungsgeboten, die alle Mitglieder 


gleichartig machen. Es entsteht ein Innen und Aussen. 


Dieses Innen und Aussen, dieses Zusammenhalten durch die gemein- 
samen Erziehungsmotive muss in jeder Richtung als Fundament der Ent- 
wieklungslinie angesehen werden. Demnach haben wir die Urformen der 
Geschlechterbünde in der Trennung zur Zeit des Noviciates zu suchen. 
Während die Enthaltungsgebote der grauen Vorzeit einer geringeren Be- 


völkerung und niedrigeren Culturstufe angehören mögen, bilden die Bünde 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 225 


mit dem Prineip der geschlechtlichen Ordenskriege sich erst in den Zeiten 
der Ueberzahl der Weiber und der daraus entstehenden Zwiespalte. 

Die stillen Kriege, die dem Schwanken zwischen andokratischer und 
gynokratischer oder patriarchalischer und matriarchalischer Uebermacht ent- 
sprechen, äussern sich naturgemäss auch ausserhalb der Bünde, zumal in 
Form von Enthaltungsgeboten. Weit verbreitete Sitte ist es, dass die Frauen 
den Männern beim Essen nicht zusehen dürfen. Die Frauen dürfen die 
Ahnenbilder und die in heiliger Hütte aufgestellten Geisterpfähle nicht er- 
blicken, sie dürfen innerhalb der Dorfumzäunung keinen Reis stampfen u. s. w. 
Und umgekehrt haben auch sie ihre Einrichtungen. Wissmann hatte einst 
eine höchst aufgeregte Scene im Lager, als die Träger die Frauen heimlich 
bei der Oelbereitung beobachtet hatten, was diese nicht zulassen wollten. 
Wir haben gesehen wie bei den Tänzern der Akelle der Geisterstriek Frauen 
und Männer trennt, sicher ein interessantes Beweisstück dafür, dass hier ein 
Zusammenhang mit der Vergeistigung besteht. 

Der wichtigste unter den gegen die Frauen gerichteten Bünden ist 
der Mumbo Jumbo. Der Bericht Goldberrys gewährt einen trefflichen Aus- 
blick in seine Vergangenheit. Wir sahen dass die Funktionen des Mumbo 
Jumbo mit der Familienjustiz nicht abgeschlossen sind. Gerade hier 
hören wir, dass die Vermummten in der Zeit des Noviciates 


darauf zu achten haben, dass Knaben und Mädehen nicht ehe- 


lich verkehren. — Vom Üongeorong ist anzunehmen, dass er mit dem 
Mumbo Jumbo identisch sei. — Von der Akisch sagten Capello und .‚vens, 


sie dienten auch dem Nachspüren ehelicher Untreue. Anderweitig haben 
wir gehört, dass die Maskirten bei der Beschneidung und in der Zeit der 
Enthaltungsgebote eine obrigkeitliche Aufsicht führten. — Wir sehen also, 
(dass hier unverkennbare Spuren zu den Quellen dieser Sitten führen, die 
nirgends anders fliessen als in den Gebieten der Enthaltungsgebote in der 
Zeit des Noviciates, welches würdig für die Ehe vorbereiten soll. 

Eine wichtige Bedeutung für das Familienleben haben fernerhin die 
Bünde des Ogowe angenommen. Vom Nda sagt Wilson: Die Einsetzung 
hat den Zweck, Frauen, Kinder und Sklaven in Unterwürfigkeit zu erhalten. 
Ich hörte einst von einem zum Orden gehörigen Manne das Bekenntniss 
aussprechen, dass es einen derartigen Mann nieht gäbe — „aber, fügte der- 


Nova Acta LXXIV. Nr.1 29 


226 L. Frobenius, 


selbe. hinzu, wie sollten wir unsere Frauen und Sklaven im Zaume halten, 
wenn wir bei ihnen den Glauben an das Dasein eines solchen Wesens ver- 
gehen lassen wollten?“ — Aehnliches wird vom Mwetyi, Kunkwi, Mangongo, 
Ngoi ausgesagt. Aber ein Erwägen des sonst von diesen Institutionen Aus- 
gesagten lehrt auch hier Entstehungsweise und heutigen Endzweck unter- 
scheiden. Das Auftreten beim. Todtenfest giebt schon der Ansicht Raum, 
dass wir es mit manistischen Anschauungen und Sitten entsprossenen Insti- 
tutionen zu thun haben. Wir hören ferner von Einweibungsceremonien, die 
mit strengen Enthaltungsgeboten verbunden sind, von einem Eingreifen in 
staatliche Organisationen u. s. w., so dass die Geschlechtertrennende Bedeutung 
der Ogowe-Bünde ebenfalls in der Entwicklung als nebensächlicher und 
sekundär erkannt und bezeichnet werden kann. 

Und wie hier so verrathen. auch unverkennbare Züge des Belli, Purra, 
Oro, Egbo, Simo ete., von denen allen gesagt wird, dass die Frauen die 
Maskirten nicht oder nur bedingungsweise schauen durften, den primären 
Sinn und den sekundären Zweck. Es ist das die Ausdehnung und Ver- 
schärfung der Geistergewalt nach einer bestimmten Seite, nicht aber eine 
neugeschaffene Sitte. 

Als gleichwerthige und gleichartige Gegenströmung müssen auch die 
Frauenbünde bezeichnet werden. Was vom Dschengu, Nessoge oder Sandi, 
Attonga, Humbo erzählt wird, entspricht den analogen Zügen durchaus. 
Es ist naturgemäss, dass im Ogowe-Becken, dem Hauptgebiete der Ge- 
schlechter-Orden, auch im Frauenbunde, dem Njembe das kriegerische, ab- 
schliessende, trennende Element vorwiegt. 

Zum Schluss ist noch des Jevhe zu gedenken. Derselbe kann nur 
verständlich werden, wenn die degenerirten Verhältnisse dieser Gegenden 
verständlich geworden sind. Diese sollen noch weiter unten erörtert werden. 
Hier verweise ich nur auf die Merkmale, welche unbedingt als Reste älterer, 
besserer Zustände und Merksteine auf dem Wege der Entwicklung zu be- 
trachten sind; dies sind die Erziehung der Mädchen, die Aufbewahrung in 
köhren, die der Vergeistigung entspricht, das Dominiren der weiblichen 


(Gewalt und die Enthaltungsgebote. 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 227 


c. Die socialen Fragen des Stammes. 

Nicht nur um taugliche Ehemänner, sondern auch um gute Staats- 
bürger zu werden, besuchen die Jünglinge die Waldeinsamkeit. Die Gruppe 
derart gemeinsam Erzogener nimmt dann leicht den Charakter und die Be- 
deutung staatlich organisirter Körperschaften an. Das ist der Lauf der 
Sitte, der in diesem Abschnitt erörtert werden soll. 

Von den Jünglingen im Grigri-Wald des Belli sagt Dapper: In den 
Häuselein werden sie unterwiesen; nämlich in Sachen, welche die Rechte, 
den Krieg und die Herrschaft des Dorfes betreffen, ja in allen Dingen, 
welche ein Mann, der das Amt eines Rathsherrn bedienen soll, wissen muss. 
— Und weiter sagt der Autor von den Gezeichneten des Belli: Dieselben 
halten sich selbsten für verständig, und mögen, wenn sie alte Leute sind, 
in allen Versammlungen und Berathschlagungen über des Landes Sachen, 
auch wenn jemand zum Tode verurtheilt wird, erscheinen und ihre Meinung 
darüber sagen. Dagegen haben die Ungezeichneten, welche sie Quolga 
nennen, d. i. Unreine, Unheilige, Nichtwissende, Unverständige, in keinen 
Versammlungen etwas zu sagen und müssen sich schämen, einigen Rath- 
schlägen beizuwohnen. — Gleiches berichtet Bastian von den Ndembo. Wer 
die Procedur der Wiedergeburt in Ambamha noch nicht durchgemacht hat, 
ist allgemein verachtet und wird bei den Tänzen nieht zugelassen. 

Es sind nicht nur Belehrungen sondern auch Erziehung im Ertragen 
schwerer Schmerzen und starker Schrecken, die den Geweihten zu Theil 
wird und die sie für das spätere Leben zu bevorzugten Mitgliedern des 
Stammes erheben. Die Verbindung der Vergeistigung mit derartiger Be- 
lehrung ist sowohl bei den Bünden Nordwestafrikas (Simo, Purra, Belli), 
als auch in den Erziehungsinstituten Südafrikas (Ama Xosa und Bechuana) 
Sitte. Die Entstehung dieser Verschmelzung ist leicht begreiflich. Der 
ledige Geist, der im der Vergeistigung erworben wird und in jeder Hinsicht 
der im Menschen gefesselten Seele überlegen ist, weiss auch mehr, ist ge- 
scheuter. Wenn also der Mann einmal den Körperballast abschüttelt, dann 
wachsen auch seine Gaben, und die wichtigen Kenntnisse in der Staats- 
wissenschaft werden bedeutender. 

Naturgemäss sind zumal die Fürsten einer Erziehung auf Grund 


dieses Gedankenganges unterworfen. Der Muata Jamvo musste acht Tage 


I9* 


228 L. Frobenius, 


in der Einsamkeit bei der Leiche seiner Vorgänger verweilen, ehe er die 
Regierung antreten konnte. Der Grossjaga wurde ein Jahr lang in der 
Wildniss von den grausamen Ganga erzogen, auf das alles menschliche 
rühren in seiner Brust erstürbe. Die Herrscher von Bormmu und Wadai 
müssen sich vor ihrem Regierungsantritt sieben Tage in ein heiliges Haus 
zurückziehen. Diese Hütten sollen von Geistern bewohnt sem und sind 
streng tabuirt. Vogel ist von dem Herrscher Wadais ermordet worden, 
weil er sich an das Verbot, die Hütte zu betreten, nicht kehrte. — Damit 
ist es vielleicht auch zu erklären, wenn viele Fürsten schon zu Lebzeiten 
als Halbgötter geehrt werden, wie der Mani Kongo, der Attah von Egarra, 
der Muata Jamvo, die Fürsten von Loanga, Angola ete. 

In sehr vielen Gegenden und Sitten hat dies Motiv, dass nämlich 
vor allem die Herrscher möglichst geistergleich sein müsen, die eigenartigsten 
Enthaltungsgebote gezeitigt. Im Wantse, einem Dorfe Togos, wird der 
Häuptling“ in Hauptmann Klings Tagebuch „Fetischmann* genannt. Dies 
ist ein Beweis dafür, in welch hohem Grade der Mann im Geruch der 
Heiligkeit steht und dass seine Macht nicht nur das profane Leben be- 
herrscht. Dafür darf er aber auch aus seiner Hütte nicht herausgehen, um 
den Himmel zu schauen und alle Welt muss seine Hütte gebückt und 
rückwärts gehend betreten mit alleiniger Ausnahme eines alten Weibes, das 
stets freien Eintritt hat und aufrecht hineinschreiten darf. Einige Fürsten 
des südliehen Kongo dürfen nicht das Meer sehen, andere nur einheimische 
Stoffe tragen. Dem Könige Loangos ist es auferlegt, weder das Wasser 
eines Flusses, noch das des Meeres zu schauen; sie dürfen nur Landes- 
erzeugnisse geniessen, nur in einer Strohhütte wohnen und nur barfuss gehen. 
Die Fürsten Angoy’s dürfen, um nur eine ihrer Verpflichtungen zu nennen, 
keinen Weissen sehen. Eine schwere Last ist den Königen Baghirmi’s auf- 
erlegt und die Erde zu berühren ist den Fürsten Saumes verboten. Der 
Häuptling der Bube darf keinen Weissen und nicht das Meer sehen und 
während mit der Würde der einzelnen Dorfchefs nur das Verbot, Bananen 
und Koko zu essen, verbunden ist, berichtet man von diesem Oberhäuptlinge, 
dass er mit gefesselten Beinen sein Leben in einer dämmerigen Hütte ver- 
bringe. Und doch sind das alles nur Spielereien im Verhältniss zu 


den geradezu unglaublichen Verpflichtungen, denen der sich unterziehen 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 229 


muss, der den unvernünftigen Wunsch hat, Herrscher von Angoy zu werden. 
<in halbes Menschenleben voll Mühsaal und Entbehrungen gehört dazu 
und zuletzt kann eine Fliege, die sich nach dieser Zeit auf die Haut solches 
Mannes setzt, die Aussicht vereiteln. Unter solehen Umständen ist es kein 
Wunder, wenn die Fürsten Bomma’s gezwungen werden müssen, die 
„Krone* zu übernehmen. 

Die Richtung derartiger Entwicklung der Quixille (der Enthaltungs- 
gebote) ist eine ungesunde; denn sie legt die Macht in die Hände des Theiles 
der Bevölkerung, der doch nieht selbstlos, frei und organisatorisch herrschen 
kann, das sind die Ganga —, während sie den an sich schon sehwächlichen 
Fürsten (es handelt sich um Westafrika) die Möglichkeit einer zielbewussten 
energischen Regierung raubt. Diese ausserordentliche Wucherung der Qui- 
xille ist alterdings nur den nördlichen Provinzen des einstigen Kongo-Reiches, 
in Angoy, Loango, Kakongo, Songo, Bomma eigen und hier erscheint sie als 
Reflexbewegung. Aber die Richtung der Entwicklung ist an der ganzen West- 
küste die gleiche. Wenn sie nicht noch vielerorts sondern höchstens an der 
Goldküste diese Höhe erreicht, so liegt das an den starken Völkerzuflüssen aus 
dem Innern, das den Bemühungen der Ganga entgegenwirkt; ein freunschaft- 
liches Verhältniss erörtert Winterbottom z. B. mit folgenden Worten: Die 
meisten Häuptlinge sind ebenso gläubig (statt: abergläubig) wie die, welche 
unter ihrer Botsmässigkeit stehen. Die Ganga (statt: Aerzte oder Zauberer) 
machen sich die grosse Leichtgläubigkeit des grossen Haufens zu Nutzen, 
um den Chefs immer mehr Macht und Ansehen zu verschaffen und werden 
dafür ansehnlich von ihnen belohnt. 

Mit der Entwicklung dieser Zustände ist auch schon angezeigt, in 
welcher Weise zunächst die politische Bedeutung der Bünde sich gestalten wird. 
Wenn die rohen Gewalten der Geisterfreiheit statt in die Luft hinaus zu ver- 
puffen, von den entscheidenden Faktoren in Dienst genommen werden, so wird 
die jeweilige Uebermacht entscheiden, nach welcher Seite diese oft ausschlag- 
gebende Wucht sich entwickelt. So sehen wir einerseits oftmals die Bünde unter 
dem Einfluss der Ganga. Das wird überall da hervortreten, wo ein Maskirter 
auftritt. Ich erinnere hier an die Bünde des Ogowe, aber auch an Simo, 
Ndembo, Nkimba. Andererseits aber ist der Herrscher des Dorfes oder 


Landes der Leiter der Bundesgewalt und hier ist es, wo wir das eigentliche 


230 L. Frobenius, 


Eingreifen als Justizgewalt klarer erkennen. Die Fürsten Angoys berufen 
den Sindungo; als Oberhaupt des Belli wird der König genannt. 

Am wichtigsten ist aber der dritte Fall: Neben der alten Herrscher- 
familie und neben dem Gangathume wächst der Geheimbund auf als dritte, 
selbständigste und vor allen Dingen aussichtsvollste Gewalt. Ich sage „aus- 
sichtsvollste“, denn wir müssen wohl bedenken, dass in dem kriegerischen 
Nord-, Ost und Südafrika eine energische Herrscherhand ein Segen ist, dass 
im friedlichen Westafrika aber eine solche sich in blutiger, dem eigenen 
Volke Unheil bringender Weise äussert, dass der Priester nirgends ein guter 
Volksleiter ist, zumal nicht in Afrika, an der Grenze einer Weltanschauung, 
deren Siegesmarsch ihn bei der ersten Berührung zu Betrug, Schurkerei 
und Gemeinheit zwingt. So ist es denn nur mit Freude zu begrüssen, wenn 
das Volk genug Anpassungsvermögen und Elastieität besitzt, um den neuen 
Verhältnissen der europäischen Nachbarschaft Rechnung tragend aus dem 
eigenen Schoosse eine Institution hervorzubringen, die allen Anforderungen 
Rechnung zu tragen fähig ist. 

Vergleichen wir von diesen Gesichtspunkten aus die Masken- und 
Bund-Gebräuche. 

Zunächst irren die Maskirten, Novizen, Vergeistigten auf den Strassen 
umher und züchtigen die, welche sich auf den Wegen blicken lassen. Wir 
haben die Form dieser rohesten, ungeregelten Geistergewalt bei Dou oder 
Lou, Simo guine, Egungun, Oro, Ekongolo, vor allem bei Nkimba, Ndembo 
und Aba Queta kennen gelernt. Dann aber hörten wir auch wie die mas- 
kirten Troen als Sachwalter vor dem Könige in Masken auftraten und frei- 
müthig in der Gerichtssitzung sprachen. Vor allem erstreckt sich die ge- 
regelte Anwendung der Geistergewalt auf eine Bewachung der Moral und 
des Schuldwesens. 

Mumbo ‚Jumbo, Congeorong, Akisch beaufsichtigen die Sittsamkeit 
der Frauen. Aber auch die Egungun bewachen die eheliche Treue, wie 
Missionar Hinderer es in Ibadan mit Schaudern beobachten musste. In 
gleichem Sinne ist auch das Belli-Gericht thätig. 

Unter dem Einflusse des Handels mit Europa hat sich in Kalabar 
und Kamerun eine Reorganisation der Staatsgewalt auf Grund und Boden 


der neuen Verhältnisse eingestellt. Nicht nur, dass die Häuptlingsgewalt 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 231 


hierbei vollständig ruinirt ist — denn diese haben nur noch Gewalt, wenn 
sie in den Yampai des Egbo aufgenommen sind —, sondern auch die hie- 
rarchische Gewalt des Bundes ist zusammengebrochen. Ferner haben wir 
hier das interessante Schauspiel vor uns, dass auch der geistige Leiter, der 
Idem Efik, früher eine gewaltige und einflussreiche Person im Staate, zum 
Schatten geworden ist, gegenüber dem Tribunal der Geldherrschaft. So 
sehen wir hier in einem Institut die Spuren dreier Epochen der Monarchie, 
der Hierarchie und der Plutokratie. — Nicht nur der Egbo ist hier zu 
nennen; auch der Sindungo nimmt sich der Gläubigen an. Das Verhältniss 
ist aber ein ganz anderes. Der Fürst beruft zwar die Maskirten. Bei ihrem 
Auftreten ist aber seine Macht vorbei und der Bund herrscht in dieser Zeit 
der Ausnahmegesetze. — Der Nafıri ist hier insofern zu erwähnen, als er 
für eine prompte Erlegung der Strassenzölle sorgt. 

Das gewaltige Ansehen der Bünde und Noviziate ist vollkommen 
genügend, um eine Ausdehnung der Macht nach allen Seiten zu ermöglichen. 
Schon der beleidigte Nkimba flieht hinaus in den Wald, steigt auf einen 
Baum und wirft sich also dem Greiste seines Bundes in die Arme. Ebenso 
der Jünger des Simo, der das Gericht des Geistes durch den Schuss am 
Fusse des Geisterpfahles heraufbeschwört. — Uebergangsformen, die die 
Vielseitigkeit eines Bundes verrathen, sind nicht selten. Vom Mumbo Jumbo 
wissen wir, dass er dem Eheschutz und der Moral der Novizen gewidmet 
ist. Eine Erzählung Moore’s aber lehrt uns, dass er mit energischer Hand 
auch den Fürsten niederbeugt und ihn mordet, wenn er die Gesetze des 
Bundes nicht achtet. Daher nimmt es nicht Wunder, wenn die Häuptlinge 
selbst ihre Zuflucht zu diesem Institut nehmen. Es ist vollkommen  ver- 
ständlich, wenn die Kameruner Häuptlinge in den Wald gehen, sich in 
Thiere verwandeln und ihren Willen als Gesetz des Mungi in die Welt 
hinausrufen. Der Ogboni sendet den Oro, der Egbo den Idem. 

So wirken denn die Bünde direkt und indirekt bald auf diesem bald 
auf jenem Gebiete. Seine grösste Bedeutung in politischer Hinsicht gewinnt 
der Bund jedoch erst dann, wenn er „international“ wird. Dann vermag er 
nicht nur die zersplitternden Wirren der Kleinstaaterei, sondern in freierem 
Aufschwunge auch die naheliegenden egoistischen Bestrebungen eines ein- 


zelnen Standes zu überwinden. Hier ist einer Function der Mwetyi und 


282 L. Frobenius, 


vor allem des Purra zu gedenken. Wenn zwischen zwei Stämmen des 
unteren Ogowe em Bündniss abgeschlossen werden soll, so wird Mwetyi 
als Zeuge berufen und die Vereinbarung unter seine Obhut gestellt. Man 
sagt, diese Inschutznahme genüge stets. Im Falle des Uebertretens über- 
nimmt der Geist des Bundes die Rache. 

Das Ideal einer Regierung für die afrikanischen Verhältnisse ist aber 
der Purra. Für uns ist er um so wichtiger, als in ihm, trotzdem er die 
edelste Blüthe afrikanischer Staatsverwaltung und Bundbildung ist, in 
prächtiger Klarheit alle Merkmale seiner Entwieklung erhalten sind, die 
Erziehung, Vergeistigung, Greistergewalt, Maskirung ete. 

Noch mancherlei anderes ist aus den Bundinstitutionen herauszulesen. 
Der Eidschwur auf Jevhe deutet auf die kümmerliche Entwicklung eines 
kräftigen Volksorganismus in den Ländern seiner Heimatl. — Den Bund 
der „Vornehmen* der Bali treffen wir an der Grenze friedlicher Küsten- 
und kriegerischer Inland-Stämme. — Um dem allzuschnellen Umsichgreifen 
der europäischen Oultur vorzubeugen, senden die Häuptlinge Liberias ihre 
Sprösslinge in den Wald des Belli, in dem sie wieder den Sinn und die 
Sitte der Ahnen erwerben mögen, die ihnen im Dienste der Europäer allzu- 
arg beschnitten wurden. 

So klingen aus den einzelnen Melodien der afrikanischen Geheim- 
bünde alle Motive des socialen Lebens. Im Egbo ward Despotismus und 
Hierarchie vom Kaufmanne verdrängt. Der Purrah wandte sich gegen die 
Kleinstaaterei. Kokette Frauen treibt der Mumbo Jumbo vor sich her. Der 
Belli erzieht gute Ehemänner, Bürger und Soldaten. Die Ganga gehen als 
Maskirte in den Loango-Reichen einher. Im Jevhe ist ein Denkmal der 
hässlichen Uebergangsform gegeben, die sich da äussert, wo die christliche 
und europäische Weltanschauung den Wildling zum Betruge zwingt, weil 
er seiner Väter Sitte und Anschauung nicht lassen und doch seine eigene 
Art nicht mehr würdigen kann. Von keiner dieser Strömungen kann man 
sagen, dass sie einem Geheimbunde das Leben gegeben hätten. Nur be- 
einflusst wurde die Richtung der in voller, kräftiger Entwicklung begriffener 
Orden durch sie. ‚Jene rohe, urwüchsige Kraft, die Geistergewalt ward 
gezügelt und erzogen, bis sie als treibendes Moment der Staatsmaschine ein 


wirkungsreiches nnd weitverzweigtes Thätigkeitsfeld erhielt. 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 233 


Man kann sagen, die Entwicklung der afrikanischen Bünde lege den 
besten Beweis für die Entwicklungsfähigkeit des Negers auch unter neuen 


Verhältnissen, und solche zwingt ihm Europa auf, ab. — 


d. Das Schauspiel. 

üs ist doch eine eigene Sache, dass die Maske so verschiedenen 
Herren bei verhältnissmässig beengter Grundbedeutung dient. Hier tritt 
der Maskirte im Cultus, wie Buchner sagt: bei ernster Zauberarbeit auf, 
dort bei Tanz und Spiel. Die Masken der Schergen des Bundes erscheinen 
beim Todtenfest. Im Schauspiel treffen wir sie wieder. 

Der Umfang dieser Verwendung und Bedeutung wird durch den 
Begriff und die Eigenart der Weltanschauung der Naturvölker erklärt. 
Dieselbe wird nieht dureh religiöse Züge charakterisirt, wie wir sie hegen 
neben der durch naturwissenschaftliche Erkenntnisse geklärten Weltanschauung 
oder als ideale Veredlung einer solchen, sondern das ganze Wissen und 
Meinen ist eine eimheitliche Weltanschauung, in der die religiösen und 
profanen Gebiete durch die gemeinsamen Zuflüsse aus einer Quelle genährt 
werden. Da diese Völker, die Westafrikaner, nun dureh den Besitz einer 
ausgeprägt manistischen Weltanschauung ausgezeichnet sind, so kann es 
nicht in Erstaunen setzen, dass die vollkommen manistische Maske überall 
auftritt, wo diese Grundlage der Anschauung den Boden für ein ferneres 
Gedeihen bietet. 

Wenn damit nun aber auch ein Verständniss für ein Auftreten der 
Maske im Bund, im Cultus ete. geboten wird, so ist doch damit das Er- 
scheinen im Schauspiel nicht erklärt. Vielmehr ist das Problem der Schau- 
spielmaske ein ganz anderes. Hier handelt es sich darum, wo der Glaube 
aufhört, wo an Stelle der Ueberzeugung der Betrug tritt. Das Spiel der 
Akisch, wie es Schütt schildert, giebt zu dieser Frage besonders Anstoss. 
Die Bedeutung des Problemes wird noch klarer werden, wenn der treffliche 
Bericht Max Buchners über eine Todtenfeier bei den Bangala (dem Lunda- 
Stamme) herangezogen wird. 

Es war das ein sehr grosses Fest, denn der Todte war der Sohn 
des Häuptling. Unter anderem wurde die anderweitig näher besprochene 
Todtenbefragung vorgenommen. Die Leiche ward auf einen Tragbaum 


Nova Acta LXXIV. Nr.]l. 30 


234 L. Frobenius, 


gebunden und so zwei jungen Männern auf die Schultern gelegt. Der Ver- 
storbene sollte selbst Kunde geben, was die Ursache seines Todes gewesen 
sei. Feststehen der Träger bedeutete: nein, Vorwärtsschwanken: ja. Nun 
wollte aber im vorliegenden Falle die Sache gar nicht recht klappen; die 
Antworten waren ungenügend und widersprechend. Die zwei Träger wurden 
ohnmächtig und zwei andere Jünglinge traten heran. Diesen hatten vorher 
eifrig und erregt einige Alte geheime Weisung ertheilt und zwar öffentlich 
und vor aller Augen. Ja selbst als sie bereits den Tragbaum auf ihren 
Schultern hatten und nach der Mitte des Platzes traten, sprang ein Mann 
vor, um ihnen noch einiges in das Ohr zu flüstern. Allein auch jetzt wollte 
der Todte nicht sogleich antworten. Die Versammlung wurde nun unwillig 
und begann über den eigensinnigen Todten zu schelten. Die folgenden 
Ausrufe bezeichnet Buchner als wörtlich: „So rede doch und halte uns nicht 
länger auf. Willst Du denn, dass wir hier noch einen Tag sitzen bleiben? 
Bereits zieht ein Gewitter herauf, Regen kommt und wir werden alle nass 
werden. Du selber stinkst auch schon so fürchterlich (I!!! — die Leiche 
war mehrere Tage alt und roch sehr stark —), dass wir es kaum mehr 
ertragen können. Also mach’ nicht lange Umstände und rede!“ Die Träger 
geriethen in einige Schwankungen und standen wieder still. Da sprang 
ungeduldig ein hässlicher Greis vor, ergriff das vordere Ende des Trag- 
baumes mit der Hand und stiess und zog ihn hin und her und hielt ihn 
fest, je nachdem auf die Fragen geantwortet werden sollte und die beiden 
Träger thaten willig, was ihnen dermaassen angedeutet wurde. Bemerkt 
muss werden, dass die Menge hierin nichts Unordentliches sah, vielmehr 
vollkommen einverstanden war, trotzdem diese Apellation an den Todten 
eine Anklage auf Zauberei und den Giftbecher, also den Tod eines Menschen 
herbeiführen musste. 

Aus dieser Erzählung ist der grosse Vortheil eimes guten Berichtes 
sogleich zu erkennen. Die Bezeichnung „Betrug“ will uns nicht auf die 
Zunge. Hier müssen andere Worte gefunden werden, um die Wesenszüge 
eines religiösen Lebens und einer Anschauung, wie sie der Reisende schil- 
dert, zu charakterisiren. Diese Gemüthlichkeit, mit der sich der Neger mit 
einem Todten unterhält, dieses thatkräftige Eingreifen bei augenscheinlicher 


Nachlässigkeit Seitens des Verstorbenen, das naive Handeln und das naive 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 235 


Zuschauen lehren uns, dass hier eine wunderliche Ueberzeugungskraft alles 
beherrscht, die lediglich dureh eine traditionelle Erziehung, ein merkwürdiges 
Verwachsensein mit der Vergangenheit erklärt werden kann. Das ist das 
Bild von einer echten primitiven Weltanschauung, die noch keinen Unter- 
schied von Mythe und Wahrheit, Religion und Wissenschaft, Glauben und 
Wissen kennt. Sicherlich ist es hier am Platze, wieder einmal das Stich- 
wort Suggestion heranzuziehen. 

Und doch kennen wir auch Fälle augenscheinlichen Betruges. Wir 
treffen solchen da an, wo eine Klasse von Menschen in egoistischer Weise 
nach der Herrschaft über das Volk ringt. Das Mittel ist die geistige Unter- 
drückung der Masse, zu der auch die Obrigkeit zählt. Bilder derartiger 
Priesterherrschaft und, so kann hinzugefügt werden, des Verfalles hat Boh- 
ner in seinem ausgezeichneten Büchlein: „Im Lande des Fetisch“ gezeichnet. 
Auch der Jevhe giebt Zeugniss corrumpirender Anschauungen und Ver- 
hältnisse. Herrschsucht, Habgier und Verfall sind die Stichworte auf 
dieser Seite. 

Ist es demnach leicht für die beiden Extreme Beispiele und Bezeich- 
nendes zu finden, so ist es doch ungemein schwer ein richtiges Urtheil 
über die Stufenleiter der unzähligen dazwischen liegenden Erscheinungen 
zu gewinnen. Die grobe und plumpe Beschreibung der Berichterstatter, 
denen leider meistens der feme Takt eines Max Buchner und Wilh. Junker 
abgeht, erschwert die Kritik dieser so wichtigen Fälle obendrein noch 
ausserordentlich. Immerhin wird man sieh schwer entschliessen müssen, 
oft von gemeiner Betrügerei zu sprechen, und alle Verhältnisse, die Nähe 
und Form des christlichen Einflussgebietes, Jugend und Alter des Volkes 
u. s. w. berücksichtigen müssen. 

Wir haben mit dieser Ueberlegung wenigstens einen Anhaltepunkt 
gewonnen für die Beantwortung aller der wichtigen Fragen, die am Ende 
eines Uapitels über das Werden der Maskensitten übrig sind oder sich ge- 
meinsam hervordrängen. Es handelt sich um das von anderer Seite auf- 
gestellte Problem: Glauben die Neger in den Maskirten Geister zu sehen 
oder von Geistern Besessene? Und ferner: Halten sich die Maskirten selbst 
für Geister resp. Besessene oder betrügen sie das Volk? 

Wenn derartige Probleme bis jetzt gar nicht oder falsch gelöst sind, 


30* 


236 L. Frobenius, 


so liegt das an der falschen Fragestellung Ich kann hier auf die Aus- 
führungen in der „Bildenden Kunst der Afrikaner“ verweisen. Für den 
Culturforscher und Ethnologen ist die wichtigste Erscheinung des geistigen 
Lebens der Völker die verschiedene Schärfe und Begrenztheit des Denkens 
und der Gedanken. Die Stufenleiter von unserem überkritischen Denken 
abwärts führt uns von der logischen bis zu einer Denkweise hinab, die 
nieht anders als die instinetive bezeichnet werden kann, womit die ihr 
eigene Unklarheit, Kürze der Verbindungen und Ketten und das Fehlen 
der Absicht zu Denken angedeutet sein soll. 

In solch’ primitivem Denken die Fragen unserer Grübeleien aufzu- 
suchen, ist natürlich verfehlt. 

Wenn also einerseits die Frage nach Glauben oder Wissen, anderer- 
seits nach dem klar ausgeprägten Vorstellungsleben in Weefall kommt, so 
sinken auch die erwähnten Probleme und es ist nunmehr nicht schwer, auf 
Grund dieser Erkenntniss einen lohnenderen Weg der Betrachtung einzu- 
schlagen. Gerade die vorliegende Abhandlung mag zeigen, dass, wie ver- 
schieden die Motive, Formen, Sitten, Anschauungen sich auch äussern mögen, 
sie dennoch einen innigen Verwandtschaftszug tragen. Die Extreme der 
Erscheinungswelt der Völkerkunde haben gemeinsame Ursprungsquellen. 
Was eine Sitte oder eine Form nicht lehrt, kann aus einer Gruppe erkannt 
werden. Kurz und gut, die Uebergangsformen werden als Entwicklungs- 
reihe immer zum Verständniss führen. Also aus den Gruppen der Erschei- 
nungen erhoffen und erzielen wir Erkenntniss. Nun, für das Wesen dieser 
Entwicklungen kommt es auf die Frage nach dem Betruge eines Individuums 
weniger an als auf sein Einflussgebiet. Und dieses Einflussgebiet verbindet 
stets beide Seiten des Lebens. Es ist dieselbe Lust, die im Ernstfalle, wenn 
die gespenstige Maskenfigur drohend vor ihm steht, im Neger erweckt wird 
und die, welche eine Maskenvorstellung im Dämmerlicht, eine Mummerei, 
Spielerei in ihm hervorruft. 

Weshalb uns das so ganz nicht verständlich ist? Nun, bei uns kommt 
sogleich der grübelnde Sinn mit der Frage heran: Ist das Gruseln berech- 
tigt? Jenen wird die Frage nicht vorkommen und darin liegt der Unter- 
schied. Und dasselbe natürliche, naturfrische und nie analysirte Gruseln ist 
es, das der ernsten, tragischen Sitte ebenso das Leben giebt wie dem 


Schauspiel. 


5. Capitel. Culturelle Beziehungen. 


Die lückenhafte fast auf eine Seite ‘des Erdtheiles beschränkte 
Verbreitung der Maske, die Schwankungen im Vorkommen einzelner Merk- 
male, die Häufigkeit hier und die Seltenheit dort, die Unterschiede in der 
Feinheit ete. verlangen eine Erklärung. Die Frage nach dem Werden und 
Sinn der geographischen Verbreitung ist die dritte, grosse des ethnologischen 


Theiles, der wir uns nunmehr widmen wollen. 


a. Die Begriffe der Verwandtschaft. 

Jedem, der ohne Voreingenommenheit das erste Mal ein Museum für 
Völkerkunde durchwandert, fällt eine grosse Einförmigkeit als Hauptmerkmal 
auf. Der reisende Philologe verweist in seinen Beriehten immer wieder auf 
augenscheinliche Analogien zwischen den alten Griechen und Römern einer- 
seits und z. B. einem Indianervolke andererseits. Jeder Missionar hat noch 
mit Verwunderung die charakteristischsten Züge israelitischer Tradition und 
christlicher Religion bei den Negern entdeckt. Und in der That ist die 
Gleichförmigkeit des menschlichen Culturbesitzes eine so weitgehende, all- 
seitige und fundamentale, dass sie der ganzen Wissenschaft, der Völkerkunde 
den Weg weist, der von der Einheit auszugehen und auf sie stets zurück- 
zuführen hat. 

Wenn demnach von der Idee einer allgemeinen Verwandtschaft 
auszugehen ist, so liegen alle Probleme dieser Seite der Wissenschaft in 
der Art und dem Grade der Verwandtschaft und eine erfreulichere und 
hoffnungsvollere Behandlung als bisher wird erst zu erwarten sein, wenn 
die Begriffe klarer gestellt sind. Diesen müssen demnach einige Zeilen 


gewidmet werden. 


238 L. Frobenius, 


I. Descendentale Verwandtschaft. — Der erste Fehler 
bei der Beurtheilung derartiger Fragen wird begangen, wenn die zwei 
Zweige der Völkerkunde verwechselt werden: die Anthropologie und die 
sthnologie. Erstere erkundet lediglich die Verwandtschaft der Menschen, 
der Rassen ete., letztere die der Cultur. Verwandtschaft der Menschen 
nenne ich descendentale oder Bluts-Verwandtschaft. Sie geht die Ethnologie 
nur insofern etwas an, als sie die Resultate der Anthropologie auf diesem 
Boden berücksichtigen muss, indem also diese ihr manchen wichtigen 
Fingerzeig bieten. 

U. Verwandtschaften der Cultur. — Gleichheit oder Un- 
gleichheit der Culturmerkmale deuten auf eine doppelte Verwandtschaft 
hin. Es ist aber auch ein doppelter Gesichtspunkt zu berücksichtigen, 
zumal sobald Mythologie und Cultus in Betracht kommen; dies sind 
a) ideelle Verwandtschaft — infolge Gleichheit des Sinnes oder Gehaltes 
der Motive. — b) formale Verwandtschaft — infolge Gleichheit der Formen 
und Ausdrucksweise. Formale und ideelle Verwandtschaft gehen nicht immer 
Hand in Hand. Derselbe Sinn kann mehrere Sitten ins Leben rufen und 
dieselben Sitten können verschiedenen Sinn haben. Wenn auf diesem Boden 
die Einzelheiten geprüft sind, kommen folgende Fälle in Betracht. 

l. Genetische oder ursprüngliche Verwandtschaft. — 
Der gleiche Boden der Cultur, z.B. Jagd und Fischerei, Ackerbau, 
Viehzucht, Industrie oder Insel-, Festland-, Hochland-, Wüsten-, Gebirgs-, 
agunen-, Wald-Leben ete. werden gleichen Sitten, Institutionen, Ge- 
räthen, Waffen, Anschauungen etc. das Leben geben. Insofern sprechen 
wir dann von genetischer und ursprünglicher Verwandtschaft. Mit 
klarem Auge hat zum Beispiel Stuhlmann eine Gruppe von Völkern 
im Innern Afrikas unter „Waldvölker“ zusammengefasst. Der grosse 
Forscher in diesen Dingen ist aber Fr. Ratzel, der in seiner Anthropo- 
geographie die genetische Verwandtschaft, wie wir sie nennen, nach 
allen Seiten geprüft hat. 
2. Die culturelle oder stoffliche Verwandtschaft. — 
Die Beziehungen zweier Völker ergeben eine gegenseitige Beeinflussung 
der Cultur, der Sitten, Anschauungen, Gebräuche, Waffen ete., die sich 


in der Uebernahme bestimmter Formen oder in der Umwandlung, 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 239 


Anpassung etc. des eigenen Besitzthumes äussert. Es muss erwähnt 
werden, dass die Cultur ein, wenn auch sehr begrenztes, selbständiges 
Wandervermögen besitzt, sie „sickert“, ohne dass die Völker sich bewegen. 

3. Die linguistische oder sprachliche Verwandtschaft. 
— Da die Sprache als ein Theil des Culturbesitzes betrachtet werden muss, 
so haben wir es eigentlich in der linguistischen Verwandtschaft, die 
Völker mit gleicher Sprache verbindet, mit einer Unterabtheilung der 
eulturellen Verwandtschaft zu thun. Da aber die Sprachforschung einen 
der ältesten und selbständigen Zweige der Ethnologie bildet und es 
wünschenswerth erscheint, sich solange von ihr fern zu halten, bis die 
andern Zweige genügend gefestigt sind, um unbefangen den Werth und 
die Wichtigkeit der linguistischen Erkenntnisse beurtheilen zu können, 
so mag die linguistische Verwandtschaft selbständig aufgeführt werden, 
wodurch das Gewünschte ermöglicht wird.. Dass die Ethnologie hierzu 
vollkommen berechtigt ist, dafür bietet Afrika eine Reihe der treffliehsten 
Beispiele. Hier sind Völker vernichtet, verdrängt und aufgesogen 
worden, ihre ganze Cultur ward vernichtet, aber ihre Sprache bestand 
weiter. Dementsprechend haben wir auch Beispiele dafür, wie siegreiche 
Stämme die Sprache von ihnen vernichtete Völker übernommen haben 
(z. B. das Sesuto). 

Aus dieser oberflächlichen Zusammenstellung und Ausführung ist 
schon zu ersehen, dass das so einfach erscheinende Problem der Aehnlichkeit 
alles menschlichen Cultur-Besitzes im Grunde genommen recht eomplicirt 
ist, und dass ein feiner Takt dazu gehört, die einzelnen Fälle richtig zu 


beurtheilen, vergl. Einleitung und Programm im „Ursprung der Kultur“ 1. 


b. Die Culturkreise Afrikas. 


Die Erkenntnisse der Verwandtschaften einzelner Formen berechtigen 
selten ohne Weiteres zur Annahme einer culturellen Verwandtschaft. Es 
müssen mehrere Uebereinstimmungen zusammen können. Da sich nun aber 
die Gesammtheit einer Culturform fortbewegt, wobei Einzelheiten nur die 
alte Form behalten, Einzelheiten verschwinden und Einzelheiten umgestaltet 
werden, da fernerhin auf ein Gebiet immer mehrere Ströme der Cultur 


münden und ihm so Elemente oft von den entgegengesetzten Seiten zufliessen, 


240 L. Frobenius, 


so bietet die Erde das Bild der buntesten Mischung und jede Culturform 
Merkmale der verschiedensten Zeiten und Einflüsse. Wenn es nun aber 
auch die Wissenschaft aufgegeben hat, oder vielmehr hat aufgeben müssen, 
ihr Ziel in einer Eintheilung der Rassen zu erblicken, so wird doch der 
Wunsch seine Berechtigung behalten, sich nicht nur mit der Erkenntniss 
der einzelnen Beziehungen zu begnügen, sondern grosse Gruppen aufzustellen, 
die eine gewisse Uebersicht und eine historische Perspective ermöglichen. 

Dies zu erreichen, hat Schurtz den ausgezeichneten Vorschlag gebracht, 
die Zonen der Verbreitung festzustellen. Mit Leichtigkeit klären sich so 
die Beziehungen heraus. Zum Beispiel finden wir bei den Nordwest- 
amerikanern zwei Arten von Trommeln. Die eine ist die der Schamanen, 
die Gong-artige der Ostasiaten. Die zweite ist ganz aus Holz, kistenartig; 
es ist die trogartige Trommel der Mexikaner (das Teponatztli, das noch heute 
in einer abgelegenen Gegend Mexikos im Gebrauch ist) und die der östlichen 
Melanesier. So erkennen wir mit einem Fingerzeige die Richtungen, aus 
denen die Elemente dieser eigenthümlichen Cultur flossen. 

Nun lagern die Zonen der Verbreitung, die wir auf den Karten 
zeichnen aber nicht nur schlechtweg aufeinander. ‚Je mehr ein Gebiet durch 
seine Lage zur Abgeschlossenheit und Verarbeitung geeignet ist, desto mehr 
verschmelzen, accomodiren und ergänzen sich die Elemente, so dass die Cultur 
desselben als ein Entwicklungsprodukt zwar, aber auch als ein im Innern 
homogenes, in der Ausdrucksweise selbständiges Ganzes erscheint. Ein 
solches Gebiet ist als Provinz oder als Culturkreis zu bezeichnen. 

Ein Culturkreis ist nicht an ein Volk gebunden. Von aussen mögen 
Völker hineinströmen, sie mögen neue Einzelheiten mitbringen, die wieder 
mit dem alten Besitz verschmelzen, aber im Laufe der Zeit verlieren sie 
ihre Eigenart und die Provinz bietet wieder ein, wenn auch vielleicht be- 
reichertes neues aber selbständiges Bild. Es ist also die Aufgabe der 
Ethnologie in dieser Hinsicht im Gegensatze zur alten Anthropologie (die 
alle Zweige der Wissenschaft umfasste) nicht die Rassen, sondern die 
Culturkreise, ihre Elemente und die Gesetze, denen sie ihr Werden verdankt, 
und die stets wieder wirken werden, zu erkennen. 

Eine vollkommene und eingehende Erörterung der ideellen, formalen, 
genetischen und eulturellen Verwandtschaft der afrikanischen Maske setzt 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 241 


daher die Kenntniss der Culturkreise Afrikas voraus und die Aufgabe dieses 
Capitels ist es demnach, ihre Beziehung zu diesen aufzusuchen. 

Im Folgenden fasse ich die Ergebnisse einer Reihe von Studien über 
die Bogen, Trachten, Hütten, Schilde, Trommeln, Saiteninstrumente der 
Afrikaner (vgl.: „Der westafrikanische Cultur-Kreis“ in „Petermanns geo- 
graphischen Mittheilungen“ 1897/95) kurz zusammen. Die Zonen der Ver- 
breitung dieser Gegenstände haben alle das gleiche Resultat gezeigt, wodurch 
ein verhältnissmässig sicherer Boden und eine klare Aussicht gewonnen 
worden ist. 

Die Hauptelemente der afrikanischen Oultur sind: 

1. Die nigritische Cultur. Diese ist eine Jäger-Cultur der 
primitivsten Form, die ihren wichtigsten Vertreter in Australien hat. Durch 
ein unstätes Wanderleben, Holz- und Steinindustrie, eine vorwiegend anima- 
listische Weltanschauung, Hordenleben und schwache Familiengestaltung 
ist sie charakterisirt. 

2. Die ältere westasiatische Cultur. Ackerbau, Viehzucht 
und Eisenarbeit sind ihre vorzüglichsten Merkmale. Aber auch die Ver- 
wendung von T'hiersehnen, Därmen etc. ist ihr wie manches andere zu- 
zuschreiben. Sie ist noch nicht genügend erforscht. 

3. Die malajonigritische Cultur. Dieselbe bevorzugt in der 
Industrie die Pflanzenstoffe, neigt zu künstlerischer Ausschmückung der 
(reräthe. (Ornamentik, Menschen- und Thiergestalten.) Die Weltanschauung 
ist eine manistische mit Betonung der solaren Züge. 

4. Die jüngere westasiatische Oultur. Die wichtigsten Pioniere 
derselben sind Mohamedaner, die Träger zeiehnen sich durch Abwendung 
von der afrikanischen Weltanschauung und einem Hinneigen zur niederen 
Mythologie aus. Bevorzugung der Lederindustrie und energische Staaten- 
bildung sind wichtige Merkmale. 

Die Wirkungskraft dieser vier Culturformen, ihre noch lebenden 
Merkmale und deren Verbreitung sind nun ganz verschiedener Art. Die 
nigritische Cultur ist von einigen versprengten kleinen Völkchen getragen. 
Die asiatische ältere Cultur hat dem gesammten Völkerleben den un- 
vertilgbaren Charakter verliehen. Die malajonigritische Cultur ist auf 
einen schmalen Streifen und eine Inlandregion zurückgedrängt und selbst 


Nova Acta LXXIV. Nr. 1. 31 


242 L. Frobenius, 


hier arg modifieirt und die jüngere westasiat'ische Cultur zieht siegreich 
über Afrika hin. 

Wenn jede dieser Culturformen nun auch ihren eigenen Charakter, 
ihr eigenes Gebiet und ihre eigene Geschichte hat, so sind diese 
dennoch durch die geographische Lage bedingt. Vergegenwärtigen wir 
uns diese! 

Drei Momente sind bei jeder Beurtheilung des Nordens der afrikanischen 
Culturkreise zu berücksichtigen: 1. Afrika ist ein Continent, wie es keinen 
zweiten mit allen Eigenarten und Merkmalen eines solchen ausgestatteten 
giebt. Er ist mit keiner Gebirgsbarriere versehen. Der Fiächencharakter 
ist vorwiegend. Diese Gestaltung der Oberfläche hat den Völkern jenen 
absorbirenden Charakterzug verliehen, der alles im Laufe der Zeit in der 
Einförmigkeit untergehen lässt. 2. Afrika ist zweiaxig, ist mit zwei gewaltigen 
Völkerstrassen versehen. Die eine verbindet den Nil mit Senegambien, die 
andere den Nil mit der Südspitze. Daher wohnen die jungen, kriegerischen, 
staatenbildenden Völker in dieser Nordregion und in dieser Ostregion. Die 
alten Völker aber werden an die Westküste und in das Kongo-Becken 
gedrängt. 3. Afrika bietet den grossen von Nordosten und Osten heran- 
drängenden Völkermassen Asiens seine Breitseite, ist im Westen Rand der 
Oekumene (naturgemäss immer ohne Rücksicht auf die grosse europäische 
Culturepoche) und ist auch im Norden nur schwach (durch die Sahara) gegen 
die den Nordrand entlang strömenden Culturwellen Asiens begrenzt. 

Nunmehr fällt es nicht schwer, die Culturkreise zu erkennen. 

Im Norden wohnen die Völker des semitonigritischen Culturkreises, 
nördlich des Sudan und östlich des Nils und Rudolf-Sees. Sie bewohnen 
das ganze Osthorn. Die Träger des nigritischen Culturkreises leben als 
versprengte Horden in Süd- und Innerafrika. Im Westen und im Kongo- 
Becken sind noch die reinsten und reichsten Merkmale der malajonigritischen 
Cultur erhalten (der westafrikanische Culturkreis),. Ost- und Südafrika 
bewohnen die Neger der echt afrikanischen Cultur, d.h. alle fremden und 
alten Bestandtheile sind in diesem ostafrikanischen Culturkreise vollkommen 
absorbirt. Sudan-, Nil- und Völker des nördlichen Seeenbeckens (z. B. Wahuma, 
Massai) sind Träger des innerafrikanischen Culturkreises, welcher vom ost- 
afrikanischen nur infolge stärkeren, wenigen vollkommen absorbirten semito- 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 243 


nigritischen Einflusses abweicht. (Kartographisch ist dies Bild bei Petermann 
und im Kulturwerk wiedergegeben. 

Die Frage, welchem Culturkreise nun die Masken und Geheimbünde 
angehören, ist dahin zu beantworten, dass sie der geographischen Verbreitung 
und dem starken Hervortreten der manistischen Grundzüge zufolge entschieden 
zumal im westafrikanischen Culturkreise heimisch, also als Reste der älteren 
malajonigritischen Cultur Afrikas zu betrachten sind. 

Um aber ausschlaggebende Antwort geben zu können, muss noch 
einmal der Formenreichthum darauf hin untersucht werden, ob die Entwicklung 
im Continente irgend eine Andeutung auf Wanderung und Beziehung giebt 
und zweitens inwiefern ideelle und formale Verwandtschaft die afrikanischen 
Bünde und Masken mit denen der Malajonigritier Oceaniens verbündet. 


€. Die inneren Beziehungen der afrikanischen Masken und Bünde. 

Die Unterschiede der Culturen liegen weniger in den sie leitenden 
Anschauungen und Triebkräften, als in deren Ausdrucksweise. Daher 
werden bei der Frage nach eulturellen Beziehungen immer die Formen der 
Geräthe, Sitten und Institutionen beweiskräftiger erscheinen und sein als 
Mythen, Sagen, Anschauungen. Wenn wir uns jetzt also den eulturellen 
Beziehungen zuwenden, werden wir weniger die Motive, als die Formen zu 
berücksichtigen haben. Es muss auf die Entwicklung der Formen zurück- 
gegriffen werden, weniger aber auf deren Wesen als die Wanderung, soweit 
sie der Formentwicklung entspricht. 

Die Strohmasken bieten in ihrer verschiedenen Gestaltung schon 
einen guten Anhaltepunkt für Gruppirung. Die des Südens (Taf. III Fig. 1 
und 2) sind gebunden, die des Nordens (Taf. IX Fig. 118, Taf. XI Fig. 119 — 
122 und Taf. VII Fig. 89) sind vorwiegend gebunden. Also ergiebt sich 
eine Süd- und eine Nord-Gruppe. Gretlochten sind nun allerdings auch 
südliche Gebilde, so wahrscheinlich die Wahollo-hollo Elephantenmaske und 
auch die kioke Maske Nr. 10. Aber das Bemerkenswerthe ist, dass die 
südlichen Masken weniger Einfluss auf die Gestaltung der Holzmasken 
haben, wie die nördlichen. So kehren in der nördlichen Gruppe die röhren- 
förmigen Angen der Senegal-Masken an Masken der Elfenbeinküste als 
Augen (Taf. X Fig. 110 —114) an Calabar-Masken als Auge (z. B. Taf, VIII 


Slz 


244 L. Frobenius, 


Fig. 79) und als Stirnschmuck (z. B. Taf. VI, Fig. 72 und Taf. VIII, Fig. 79) 
nieder. Vielleicht wirkt diese Strömung noch im Congo-Becken nach. 
Mundformen an Baluba- (Taf. I, Fig. 18) und Marutse- (Taf. II, Fig. 3) 
Masken scheinen dafür zu sprechen. 

Demnach stellen die nördlichen geflochtenen Masken das Echo der 
südlichen Strohmasken dar, dessen Schall zurückzuklingen scheint bis in 
das südliche Congo-Becken. Diese Entwicklung erklärt zur Genüge die 
merkwürdige Erscheinung, dass nämlich diese primitivsten Formen an den 
beiden Enden des Verbreitungsgebietes liegen. 

Die Verbreitung der zusammengesetzten Masken, d. h. die Reste der 
Schädelmaske liegen soweit sie bekannt sind, an der Ostgrenze des Ver- 
breitungsgebietes der Holzmasken. Baja- (Taf. VII, Fig. 88) und Marutse- 
(Taf. I, Fig. 3,4) Masken sind aus Dünger, Kalk und Wachs über Stab- 
und Flechtwerk gearbeitet. Die Holzplatten-Masken der Bongo (Taf. VII, 
Fig 87) und Makonde (Taf. I, Fig. 5 und 6) zeigen noch Spuren einer 
früheren Wachsbekleidung. Lage an der Grenze ist an ihnen das wichtigste. 

Nun die Holzmasken. Auch sie bieten hochcharakteristische trennende 
Merkmale. Vorherrschen der thierischen Motive geht gemeinsam mit 
primitiven, einfachen, unbeholfenen Darstellungen des Menschengesichtes. 
Solehes vereinigt die Masken der Nordgruppe, die bis an die Südgrenze 
Kameruns reicht. Ein breiter Grenzstreifen roher Werke leitet von Norden 
nach Süden in das Gebiet der besseren Holzmasken der südlichen Gruppe 
über. Charakteristische rohe Masken der Uebergangszone sind (von Westen 
nach Osten): die der Ondumbo (Taf. III, Fig. 44—49), die vom Sangha 
Taf IV, Fig. 23), die vom Mongalla (Taf. II, Fig. 19), die vom Aruwimi 
(Taf. I, Fig. 20 und 21), die der Wandumbo (Taf. III, Fig. 22). Ogowe-, 
Loango-, Kuillu-, Bakuba-, Wakussu-, Baluba-, Kioke-, Makonde- (Taf. I, 
Fig. 8 z.B.) Masken zeigen Merkmale höchster Ausbildung. Ich glaube, 
dass aber auch zwischen den nördlichen Uebergangsstufen und diesem 
südlichen Hauptgebiete Masken vorkommen, was durch Punktirung auf der 
Karte angedeutet ist. 

Die Lage der versprengt vorkommenden zusammengesetzten Masken 
zum Südgebiete der Holzmasken ist beachtenswerth. Sie umgeben es. Sie 
stellen die Schwemmgrenze mit den archaistischen Formen dar. Von diesem 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 245 


Gesichtspunkte aus betrachtet, gehören aber auch die ältesten Calabar-Formen 
in den Schwemmgürtel. Es sind die den zusammengesetzten gleichwertigen 
Masken mit beweglichem Unterkiefer gemeint. Einmal bis zu dieser 
Erkenntniss vorgedrungen, ist es nicht schwer, das Verhältniss der nördlichen 
Gruppe der Holzmasken zur südlichen zu verstehen. Es ist die selbstständig 
gewordene Ausdehnung des Schwemmgürtels nach Westen. 

Eine Umschau im Innern der beiden Gruppen führt schnell an das 
Ziel vollkommener Aufklärung. 

Im Norden ist eine doppelte Strömung bemerkbar. Die südlich 
vorkommenden, naturalistisch gebildeten Ochsen- und Büffelköpfe, deren 
Naturwahrheit bei den Bali Hutter lobt, finden ihr Echo in den geflochtenen 
Hörner-Masken der Senegalstämme. An diesen findet sich auf dem Gesichts- 
theil, da, wo etwa die Nase zu vermuthen wäre, ein Streifen aus Schilf. 
Es kehrt auf den Grebomasken (Taf. XI, Fig. 111, 112, 114) als erhabene 
Leiste, an der Purrah-Maske (Taf. IX, Fig. 117) als Blechstreifen, an der 
Kamerun-Maske (Taf. IX, Fig. 61) als schwarzer Strich wieder. Taetto- 
wirungslinie ist es bei diesen Völkern nicht. Ein zweites Merkmal der 
Rückströmung ist die eben erwähnte Erscheinung der Röhren - Augen. 
Die Verwandtschaft der Vey- und Grebo-Masken geht aus der Augenbildung 
hervor (vergl. Taf. XI, Fig. 112 und Taf. VIII, Fig. 116). Dieser Gruppe 
gehört auch die Purrah-Maske an, was schon durch die Blechverwendung 
charakterisirt ist. Wir haben also hier im äussersten Westen eine enge 
Verwandtschaft. Die Formen sind alle sehr roh und unbeholfen. Im 
Gegensatz dazu bietet der Westen in den Yoruba-Masken die höchste 
Vollendung der Nordgruppe. Und doch sind diese Masken Abkömmlinge 
der westlichen Plumpheit. Der Haarputz kommt schon an der Liberia-Maske 
Taf. VIII, Fig. 115 vor. Der Hauptbeweis liest aber im Munde. Die 
Masken der Elfenbeinküste (Taf. XI, Fig. 110, 111, 113, 114) sind ausser- 
ordentlich plump in ihrer viereckigen Gestalt. Die Lippen sind viereckige 
Brettehen. Dass aus gleicher Gestaltung die theilweise garnicht übeln 
Lippen der Yoruba-Masken hervorgegangen sind, beweist z. B. Taf. X, 
Fig. 104, 107, Taf. XII, Fig. 91 und 93. An der Leidener Maske (Taf. X, 
Fig. 106) ist sogar das Kinn noch als drittes, vorspringendes Brett gebildet. 


Demnach haben wir folgende Bewegungen festzuhalten. 


246 L. Frobenius, 


1. Vorströmung. [Merkmale: 1. Hörner-Masken, a) Kamerun, 
b) Senegambien. 2. Bildung des Gesichtsendes, a) Calabar (z. B. Taf. VIIL, 
Fig. 79), b) Grebo (z.B. Taf. XI, Fig. 112b), 3. Stammbaumbildung, a) Calabar 
(z. B. Taf. VI, Fig. 71, Taf. VII, Fig. 78), b) Grebo (z.B. (Taf, XI, Fig. 112)]. 

2. Rückströmung. [Merkmale: 1. Röhrenaugen, a) Senegambien 
und Grebo (z. B. Taf. XI, Fig. 119a und Fig. 111), b) Calabar (z. B. Taf. VI, 
Fig. 72), 2. Kastenmund, a) Grebo (z. B. Taf. XI, Fig. 110), b) Yoruba (z. B. 
Fig. 91 und 93), 3. Haartur, a) Vey (z. B. Taf. VIII, Fig. 15), b) Yoruba, 
4, Stammbaumbildung a) Grebo (z. B. Tafel XI, Fig. 112), b) Yoruba 
(z. B. Taf. X, Fig. 102)). 

Im Uebrigen dürfen nördliche Einflüsse hier nicht übersehen werden. 
Die Kpatatschi-Maske Taf. IV, Fig. 90 erinnert in ihrer ganzen ‚Gestalt 
ausserordentlich an die Sudanhelme (vgl. Junker, Bd. Il, S. 38. Ratzel: 
„Völkerkunde“ 2. Aufl., Bd. II, S. 409, 511). In gleicher Weise fast die 
des Negers im Biskra (No. 25). 

Die Südgruppe mit dem grossen Uebergangsstreifen im Norden und 
dem ebenda gelegenen Schwemmgürtel macht es wünschenswerth in den 
einzelnen Gebieten erst Umschau zu halten, da das Verhältniss zur Aussen- 
region schon besser bekannt ist. 

Vor allem stelle ich die nahe Verwandtschaft der südlichen Gruppen 
fest. 1. Kischi- und Akischmaske haben den gleichen Strahlenkranz (vergl. 
No. 6 und Taf. II, Fig. 3) 2. Bakuba- und Akisch-Maske die gleiche Radial- 
streifung der Augenschale (Taf. II, Fig. 15 und No. 5) dazu noch die 
schalenförmige Lagerung der versenkten, gewölbten Augen (vergl. auch 
Taf. I, Fig. 17), 3. Kischi-Maske und Baluba-Maske haben den gleichen 
spitzen Mund (vergl. Taf. II, Fig. 3. Taf. I, Fig. 18b), 4. Bakuba-, Baluba- 
und Wakussu-Masken haben die gleiche gewölbte Augenbildung (vergl. 
z.B. Taf. II, Fig. 13, 14, 15). 

Zum zweiten ist die Verwandtschaft der Ogowe-Quillu-Loango-Typen 
bemerkenswerth. Sie ist auf den ersten prüfenden Blick klar. Die Maske 
Taf. IV, Fig. 39 könnte eine Ogowe-Maske sein; Augen, Haarbildung, Mund, 
Taettowirung, vor allem der Gesichtsschnitt beweisen das. Man vergleiche 
sie mit Taf. VI, Fig. 53. Die nahe Beziehung von Ogowe- und Loango- 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 247 


Typen geht unter anderem aus Gesichtsschnitt (vergl. Taf. II, Fig. 35 mit 
Taf. VI, Fig. 52), Ohrenbildung (vergl. Taf. II, Fig. 35- mit Taf. VI., Fig. 52), 
Mund (vergl. Taf. II, Fig. 28 mit Fig. 43) ete. hervor. Aber beide Gebiete, 
das der Ogowe-Kongo-Mündung und das der Kassai-Kongo-Quellen zeigen 
sehr grosse Uebereinstimmungen in den Maskenformen. Ich verweise auf 
die Ohren (vergl. Taf. II, Fig. 15, Fig. 35, Taf. IV, Fig. 39 ete.), Nase (vergl. 
Taf. I, Fig. 12—14, Taf. VI, Fig. 52), Augen (vergl. die gleichen und Taf. IV, 
Fig. 39, 40, Taf. VI, Fie. 53, 45). 

Also ausserordentlich nahe Beziehungen im Innern. Der Aussenwelt 
zu dagegen Abhängiekeit. Ich will das, soweit dies nach Calabar zielt 
nur durch Erinnerung an zwei Merkmale oder vielmehr Entwicklungslinien 
vergegenwärtigen. 1. Die Schnitzweise der Calabar-Masken ergab die Lage 
des Mundes auf dem Gesichtsrand (vergl. Taf. VII, Fig. 79). Die gleiche 
Erscheinung wirkt an der Loango-Maske Taf. I, Fig. 26 und der Baluba- 
Maske Taf. I, Fig. 17 nach. 2. Die Eidechsenschnauze auf der Ochsenmaske 
(Taf. IX, Fig. 66) ergab in Kamerun merkwürdige Gebilde thierischen 
Ursprungs und menschlichen Ausdrucks. Auffallend an ihnen ist das lange 
Gesicht, die schmale Nase und das Hörnerpaar (vergl. Taf. VIII, Fig. 58). 
Uebergangsglied zur Bremer Loango-Maske (Taf. II, Fig. 31) ist eine nicht 
abgebildete Ogowe-Maske. Hörner, Nase und Gesichtsende und in einer 
Weise auch der unbeholfene aufgesetzte Mund beweisen den Ursprung. Im 
Süden kehren die Merkmale wieder: die Hörner an der Bakuba - Maske 
(Taf. II, Fig. 15) die wunderliche Nase an der Lomami-Maske (Taf. II, Fig. 14), 
der Gesichtsend-Vorsprung an der Baluba-Maske (Taf. I, Fig. 15b). Ausser- 
dem haben Calabar-, Quillu- und Ogowe-Masken die gleiche Stirn- und 
Schläfen-Tättowirung (vgl. Taf. VIII, Fig. 80, Taf. VI. Fig.53, Taf. IV, Fig. 39 
und "Taf. XII, Fig. 123 und 124). — Endlich möge erwähnt werden, dass das 
vertiefte Auskerben der Calabar-Schnitzer bei Ondumbo und Wandumbo 
(Taf. III, Fig. 44—49, Fig. 22), also im nördlichen Uebergangsgebiet der 
südlichen Holzmasken, ein eigenes Stilisiren hervorgerufen hat. Vielleicht sind 
nicht nur dem Namen und der Schnitzerei-Methode nach diese Völker verwandt. 
Uebrigens kehrt die Art und Weise des Auskerbens an einer mir bekannten 
Holzfigur der Mangbattu wieder. Ebenso ist sie auch der Sangha-Maske 


eigen, so dass das ganze Uebergangsgebiet durch sie charakterisirt ist. 


248 L. Frobenius, 


(Auf Taf. IV, Fig. 23 liegen Gesichtsrand, Augenbraunen und Nase anscheinend 
auf der gleichen Aussenfläche.) 

Vereinigen wir diese kleineren Züge zu einem Gesammtbilde. Vom 
Siiden, wo noch Kischi-Maske und Aba-Queta-Tracht heimisch sind, geht 
die Entwieklung und Verhütung aus. Der Schwemmgürtel geht vom 
Calabar-Kamerun-Baja-Gebiet zu dem DBongo. Von Calabar aber 
geht die Rückströmung aus, die im Kongo-Becken verklingt. Also wie 
im Süden. 


1. Vorströmung (Südafrika — Niger-Nil-Becken) 
2. Rückströmung (Calabar — Oongo-Becken). 


Vereinigen wir nun beide Gebiete, so erhalten wir folgende Ent- 
wieklungsgeschichte (Man vergleiche die kleine Nebenkarte auf der 
Hauptkarte). Die Ausgangspunkte liegen im südlichen Afrika. Die erste 
Ausdehnung erstreckte sich von hier, wo Kischi- und Aba-Queta-Masken 
noch Reste der ältesten Formen sind, bis in das Niger-Nil-Becken. Reste 
sind in Calabar, im Nigergebiet (Baja-Masken) und bei den Bongo erhalten. 
Von Calabar aus ging die Verbreitung bis Senegambien vor sich. Das sind 
die ältesten Perioden. In jüngerer Zeit ging die Strömung rückwärts. 
War die Maske in der älteren Epoche noch ein Fremdling, so war sie 
jetzt einheimisch. Daher sind die Blüthen der Entwicklung an den Grenzen 
dieser Rückströmung heimisch, in Yoruba und im Süden und Westen des 
Congo-Beckens. 

Daher ferner an den beiden Grenzen immer die primitivsten Formen 
neben den besten. Westlich vom Calabar- Gebiet liest Yoruba, nördlich 
von den Kalk-Dünger-Masken der Marutse sind die feinen Baluba-Masken 
heimisch. Dagegen an den entgegengesetzten Enden Uebergänge Den 
Masken Senegambiens (geflochten) folgen auf der hückströmungsbahn die 
der Liberiaküste und der Grebo. Auf den breiten, nördlichen Schwemm- 
gürtel der Südgruppe folgt das breite Uebergangsgebiet des nördlichen 
Congo-Beckens. Hier zeigt noch ein kleines Beispiel das Verschwinden 
der drastischen Darstellungsweise im Schwemmgürtel dem Süden zu. 
Während nämlich im Norden und Osten (also im Schwemmgürtel) es 
üblich ist, den Masken Zähne einzusetzen (vergl. Ostafrika Taf. II, Fig. 6 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 249 


Bongo Taf. VII Fig. 87, Baja Taf. VII Fig. 88), ebenso im Uebergangsgebiet 
(Taf. I Fig. 19—21) sind, so weit ich es erkennen kann, alle Masken der 
Loango-Baluba-Kassai-Stämme mit angeschnitzten Zähnen versehen. Das 
beweist, dass die Stücke echt afrikanisch sind. Denn „der Neger ist mehr 
für das aus einem Holz schnitzen als für das Zusammensetzen“. 

Es ist übrigens nicht schwer noch mehrere Beweise für diese doppelte 
Entwicklungsrichtung zu erbringen. Die Unterscheidung der älteren Vor- 
strömungen und der jüngeren Rückströmungen ist leicht. Das Wesen und 
der Sinn der Formen beweist überall Ursprungsmotiv und Ursprungsrichtung 
gleichzeitig. Die Jugend der Rückströmungen geht aber stets aus der 
Lebenskraft der Kimmerformen, der unverstandenen Ausläufer hervor. In 
Afrika, wo sich alles Originelle so schnell abschleift, verschwinden solche 
verlaufenden, an sich unberechtigten Eigenschaften, wie sie sie z. B. der 
Wegfall des Unterkiefers, oder die Umgestaltung der Eidechsenschnauze, oder 
die Röhrenform der den geflochtenen entstammenden Holz-Augen verhältniss- 
mässig schnell. Solche Resterscheinungen beweisen ungemein viel und sicher. 

Werfen wir nun noch einen prüfenden Blick auf die Bünde und die 
Entwicklung der Sitte vom anthropogeographischen Standpunkt. — Der 
Geheimbund erwies sich als ein ausserordentlich complicirtes Gebilde, dessen 
verschiedene Formen den localen Verhältnissen entsprechen. Ausserdem 
wird, wenn sie überhaupt erfreuliche Früchte zeitigen kann, die Forschung 
durch die mangelhafte positive Kenntniss gehemmt. Immerhin dürfte doch 
ein Charakterzug auffallend und sogar maassgebend genannt werden. 
Nämlich die staatlich wirkungskräftigen, in die Staatsmaschinerie ein- 
greifenden Geheimbünde kommen wohl vereinzelt (so Sindungo) im Süden vor, 
gewinnen aber an grosser Bedeutung durch einen gut organisirten Zu- 
stand doch erst im Calabar-Gebiet. Hier im Norden treffen wir Egbo, 
Ogboni (in älterer Zeit wahrscheinlich ein Bund), Purrah, Simo, Mumbo- 
Jumbo, Belli ete. Mit einem Wort, im Süden wiegt der Familiendienst, 
im Norden der Staatsdienst über. Aber den Grund dieser Erscheinung 
dürfen wir nicht falsch deuten. Im Süden sind grosse Staaten mit guter 
Organisation (z. B. Baluba-Staaten, Reich des Muata Jamvo). Ferner 
wohnen hier junge Eroberer (z. B. die Fan-Stämme). Wir sehen aber auch 
hier auf dem Boden zusammengebrochener Staaten Bünde sprossen. So 


Nova Acta LXXIV. Nr.l. 32 


250 L. Frobenius, 


durcheilen die Nkimba- und Ndembo-Horden das alte Kongo-Land. Dem 
entspricht die Küstenregion des Nordens im staatlichen Zustande. Wo die 
Volksinstitutionen zusammengebrochen sind, die Staatsgewalt im Sinken 
begriffen ist, gewinnt der Bund an Macht. Es ist charakteristisch, dass in 
den eigentlichen Aschanti- und Dahome-Staaten Bünde fehlen, dass bei den 
Höfen der Fürsten die Sachwalter mit Masken auftreten (die Troen!). Das 
erklärt das Fehlen der Masken und Bünde im Norden, Osten und auch im 
Süden. Für ausgedehntere Cultur haben die kriegerischen Völker keine 
Zeit; daher keine Masken. Die Bünde aber sind nicht von Nöthen. Die 
harte Erziehung der jungen Krieger ersetzt die Bunderziehung. 

Die eigentliche Bundinstitution wird überhaupt die Lösung der inner- 
oder ausserafrikanischen Entstehung unserer Sitten nicht herbeiführen können 
ohne ein Sondiren der Vergeistigungsanschauung. Die Parallelen zu dieser 
wären also aufzusuchen. Zunächst wenden wir uns daher in die andere 


Hauptprovinz der Malajonigritier, nach Melanesien. 


d. Die malajonigritischen Parallelen in Oceanien. 

Es ist naturgemäss meine erste Aufgabe in diesem Abschnitt, ein 
3ild der oceanischen Masken und Bünde zu entwerfen. Dann erst können 
eingehendere Vergleiche gezogen werden. Da grössere Arbeiten über diese 
Dinge in Vorbereitung liegen, deren Vorstudien das internationale Archiv 
in Form von Mittheilungen bringt, so kann ich mich verhältnissmässig 
kurz halten. 

I. Grundzüge der oceanischen Bünde. — Wie seiner Zeit 
für Afrika ist auch für Oceanien es bisher nicht gelungen, die Mittheilungen 
über die Bünde in Einklang zu bringen. Man hat sich aus dem Studium 
einzelner Erscheinungen Lösung der Entwicklungsprobleme versprochen. 
Und doch kann nur die Uebersicht über ganze Reihen solche bieten. Erst 
im Laufe der letzten zwei Decennien ist eine eingehende Kenntniss der 
Geheimbünde Melanesiens erworben worden. Und gerade Melanesien bietet 
die Schlüssel der oceanischen Erscheinungswelten. 

Die Binde Oceaniens äussern sich in der T’hat so ausserordentlich 
verschieden, dass ihre Verwandtschaft auf den ersten Blick sehr fraglich 
erscheint. Der Duk-Duk auf Neubritannien wird durch Feste gekennzeichnet. 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 251 


Die Areoi Tahitis leben einem alle Familienbande verspottenden Geschlechts- 
genuss. Das Tödten der Kinder drängte sich allen alten Reisenden als 
merkwürdigste Thatsache auf, obgleich dieser Zug ganz nebensächlich ist. 
Die beiden Bünde der Molukken, Uli-Lima (auf Gross-Seram Pata-Lima) 
und Uli-Siwa (auf Seram-Pata-Siwa oder Kakean) scheinen nur zwei 
feindliche Parteien zu repräsentiren. Die „Geheimorden“ der Samoaner 
endlich sind rein totemistischer Natur. Auf Ponape wird durch die Häupt- 
linge und deren Auserwählte der Geheimbund der Dziamoron gebildet. 

Um nun im aller Kürze einen Ueberblick über die Vorkommnisse 
zu gewinnen, wollen wir versuchen, deren Entwicklung an der Hand der 
für Afrika gültigen Entwieklungsgeschichte zu verfolgen. 

Schon im Namen der Bünde und Masken liegt eine Andeutung 
des Sinnes. Auf den Banks ist der Name der Gesellschaften „Geister“. 
„Duka“ ist auf Sta. Crux ein Geist, paluduka auf Florida, die Methode 
Geister zu befragen. Das erklärt den Sinn des Duk-Duk zur Genüge. 
Auf den Fischerinseln ist der Name. gewisser Masken Lavui. Vui sind 
auf den Banks Geister, vermuthlich zunächst die Verstorbener, später die 
der Halbgötter. Danach wären also die Maskirten Geister und liegt die 
Frage nahe, ob wir den afrikanischen Sitten und Anschauungen entsprechende 
Vergeistigungsgebräuche nachweisen können. D.h., ob das Fundament der 
Bünde das Gleiche sei. 

Allerdings können wir die durch Enthaltungsgebote bedingte, 
die Geistergewalt verleihende Vergeistigung aus vielen Sitten herausschälen. 
Auf den Fidji werden die mannbaren Knaben nach Fasten und Kasteiungen 
beim Niembe-Fest durch die Beschneidung im den Kreis der Männer auf- 
genommen. Williams berichtet über die Zeit ihrer Zurückgezogenheit ein- 
gehend. Am Strande wird für die Jugend eine rohe Gittereinfriedigung 
und eine Miniaturhütte errichtet. Die Götter lassen sich hier zu ihnen 
hinab. Auch im östlichen Melanesien hat jeder, um die Zulassung zu irgend 
einer der Gesellschaften zu erlangen, eine Fastenzeit durchzumachen. Auf 
Ureparapara muss der Novize 100 Tage fasten und dann 100 Tage den 
Ofen bewachen. Während der ersten 100 Tage darf er sich nicht waschen. 
Um auf den Neuhebriden Mitglied des Qatu zu werden, verweilen die Novizen 


in einer Umzäunung, sind dreissig Tage ungewaschen und schlecht genährt 


328 


252 L. Frobenius, 


und haben eine Folterung zu ertragen. Ferner hören wir, dass ein @Qatu- 
Zögling das Getränk aus einer Erdgrube schlürfen muss. Im Süden von 
Aurora, wo derselbe Bund den Namen @eta führt, bleibt den Eingeweihten 
das Verbot Fisch zu speisen. 

Dass durch diese Erziehung die Vergeistigung erzielt wird, geht 
schon aus der weitverbreiteten Sitte des gleichzeitigen Namenswechsels 
hervor. Dieses erfolgt auf den südlichen und nördlichen Neuhebriden und 
Neubritanien. Auf Grossseram kehrt der Novize aus der Zurückgezogenheit 
gänzlich „hülflos“ in die Heimath zurück, was ausserordentlich an die 
afrikanischen Formen der Vergeistigung erinnert. 

Von der durch die Vergeistigung erzielten Geistergewalt wäre 
viel zu erzählen. Im östlichen Melanesien wird das Eigenthum der Un- 
eingeweihten gepfändet, dieselben werden geschlagen und bedrückt, wenn 
die Mysterien in Gang sind. Jede Ordnung und 'Thätigkeit ist über den 
Haufen geworfen. Wenn die Feste des Tamate beginnen, ist das Land 
sozusagen geschlossen. Keiner wagt die Pfade entlang zu gehen. Er läuft 
Gefahr vom Tamate geschlagen zu werden. Die Tamate-Leute maassen 
sich die grösste Gewalt an, indem sie alles, was sie wünschen, an sich 
nehmen, indem sie Gärten berauben und Obstbäume plündern. Die Beute 
dient dem Feste. Zumal Gegner des Bundes haben arg zu leiden. Die 
Geister in ihrer Verkleidung stürzen sich in die Dörfer, jagen die erschreekten 
Weiber und Kinder fort und schlagen, wen sie erwischen. Auch dem Duk- 
Duk steht jede Gewalt zu; er kann nach Weisser jeden tödten, sich jeden 
Unfug und jede Willkür erlauben, ohne dafür anders als gefürchtet zu 
werden. Die Vergeistigung erklärt diese Geistergewalt. Wenn William 
erzählt, die Areoi könnten ohne Bedenken nehmen, was ihnen gefällt, indem 
sie die Hand auf die Brust schlagen und ausrufen: Harre! gieb!, sie arbeiteten 
niemals und nähren sich bloss vom Plündern, so darf man andererseits nicht 
vergessen, was Ellis mittheilt, dass nämlich nur langes Noviziat, Ent- 


behrungen, Prüfungen der Tauglichkeit und endlich Vergeistigung — bei 
der heiligen Salbung lassen die Götter sich in den Novizen herab, — zu 


solchem Vermögen verhelfen. 
Die Novizen lernen in ihrer Zurückgezogenheit eigentlich nur 
Tänze und Gesänge. So lernen die Neueingetretenen des @Qatu einen 


Die Masken und Geheimbünde Afrikes. 253 


schwierigen Tanz, der viel Uebung erfordert, nicht der complieirten Figur, 
sondern der Schnelligkeit und der Exaetität der Schritte halber. Jeder 
Geheimbund des östlichen Melanesiens hat seinen eigenen Tanz. Man sagt 
daher z. B.: den Qatu tanzen. — Aus den Gesängen und Tänzen wie denen 
Melanesiens, die, wie unscheinbar Text, Melodie und Tanz auch ist, dennoch 
den Eingeborenen Melanesiens hochbedeutungsvoll und wichtig erscheinen, 
müssen wir uns die dramatischen Vorstellungen, die (Gesellschaften des 
östlichen Polynesiens aufführen, hervorgegangen denken. 

Am beachtenswerthesten unter diesen Tänzen ist aber der Ge- 
schleehtertanz. Codrington nennt manche der Tänze und Gesänge Ost- 
Melanesiens nichtswürdig. Maskenfeste der Neuirländer hat Parkinson 
beschrieben. Zunächst treiben sich zwei Masken recognoseirend auf dem 
Platze umher. Wie zufällig kommt aus dem benachbarten Gebüsche eine 
einzelne Maske hervor. Aus den Sprüngen und dem Gestikuliren der ersten 
zwei ist bald zu ersehen, dass die dritte Maske ein Weib darstellt, das die 
ersten nun jeder für sich zu gewinnen sucht. Die Pantomine endet in 
naheliegender drastischer Weise. Haddon schildert, wie bei den Todten- 
tänzen auf den Inseln der T'orresstrasse (drei Maskirte auftreten, zwei Merkai 
und ein Ipikamerkai. Ersteres sind Männer, letzteres ein Weib. (Ebenso 
Tubuwan und Duk-Duk.) 

Damit werden auch die Geschlechterbünde verständlich. Bei 
den Festen und in den Noviziaten sind Weiber ausgeschlossen. Das bringt 
nieht nur das in Oceanien überall weiberfeindliche Tabu mit sich, sondern 
auch die Pubertätsweihe. Frauen sind auch vom Suge ausgeschlossen. Sie 
haben aber ihren eigenen Suge. Mitglieder desselben zeichnen sich durch 
soeiale höhere Stellung aus, haben auch pecuniäre Vortheile. Das Problem 
der Frauen- und Männerbünde ist hier ebenso zu lösen wie in Afrika. 

Bedeutungsvoll ist nun die durch Vergeistigung und Bundesmitglied- 
schaft erworbene sociale Stellung. So ist auch aus diesem Grunde ein 
junger Mann da, wo diese Gesellschaften blühen, nämlich im östliehen 
Melanesien, der nicht Mitglied einer solehen ist, auch nicht verheirathet, 
nicht wie versichert wird, obgleich vielleicht mit Unrecht, allein weil die 
Einverleibung Vorstufe zur Hochzeit, sondern weil seine Stellung es ihm 
nicht erlaubt. Ein Mann von guter socialer Stellung würde es für seine 


254 L. Frobenius, 


Pflieht halten, dieselbe Stellung für seinen Sohn zu sichern, indem er ihn 
in den gleichen Club eintreten lässt, dem er selbst angehört. 

Die sociale Stellung wird am besten durch die Gradabstufungen 
der Bünde charakterisitt. Man denke an die sieben Grade des Areoi. 
Tättowirung, Kleidung, Beschäftigung und vor allen Dingen die stufenweis 
zunehmende Heiligkeit unterscheidet die Mitglieder derselben. Die des 
ersten geniessen göttliche Verehrung, sie gelten als überirdische Wesen. 
Die Gradeintheilung des Suge auf den Banks entspricht dem vollständig. 
Mit grossen Schwierigkeiten und Kosten ist das Errmgen einer höheren 
Stufe verbunden. 

Die juristische Bedeutung der Bünde entspricht deren grosser 
Macht. Mörenhout und andere haben von Vorstellungen der Areoi Bericht 
erstattet, die sie nur angesichts dieser exclusiven Stellung wagen dürfen. 
Zu den Befugnissen nicht nur, sondern auch den Pflichten des Duk-Duk 
gehört die Bestrafung von Uebelthätern. Er ist die Regierung der einzelnen 
Distriete. Was in den Augen der öffentlichen Meinung als Unrecht ver- 
dammt wird, das nimmt der maskirte Duk-Duk in die Hand. Auf geheimem 
Wege geht dem Frevler eine Mahnung zu und wenn der Duk-Duk sich 
mit seinem Gefolge naht, dann wird ihm gewöhnlich schon lange vor Er- 
reichung des Bestimmungsortes die verlangte Sühne in Gestalt von Muschel- 
geld dargebracht. In einzelnen Fällen verhängt auch der Duk-Duk Todesstrafe. 
(Parkinson.) Daher auch die innige Beziehung von Duk-Duk und 'Tambu, 
die Hübner andeutet. Nach Weisser legt der Duk-Duk zwar das Tambu 
auf, dieser aber wird vom Häuptling zur 'T’ributerhebung und Bestrafung 
ausgesandt. Das der Tamate in gleich energischer Weise das Regiment 
auf den Banksinseln führt, dafür liegen Belege vor. 

Im Uebrigen ist Machtstellung, Ausdehnung, Organisation und Be- 
deutung der Bünde eine ebenso mannigfaltige, wie in Afrika. Einigen Ortes 
scheinen sie gar nicht vorhanden, so bescheiden ist ihr Dasein, anderen 
Ortes giebt es mehrere, wie im östlichen Melanesien, neben einander. Aber 
allen liegt das hier kurz skizzirte Gerüst zu Grunde. 

Il. Die Grundzüge der oceanischen Masken. Aus dem 
eben ausgeführten geht schon soviel hervor, dass der Manismus auch diesen 
Institutionen und Anschauungen das Leben gegeben hat. Die Masken und 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 255 


Geistergewandung, Name und Sinn entspricht dem. Die Form werden wir 
jetzt prüfen. Die Verbreitung beweist das Gleiche. Wir wissen, dass im 
Osten, im eigentlichen Polynesien, die solaren Züge überwiegen, in Mela- 
nesien dagegen die manistischen. Mit der Zone der vorwiegend manistischen 
Weltanschauung deckt sich die der ausgedehnteren Maskenverwendung. In 
Melanesien sind ausserdem die ältesten Formen der Masken heimisch. 
Spüren wir diesen nach. 

Die Geisterhütten spielen in Oceanien eine hervorragende Rolle. 
Chalmers, Gill und Finsch beschreiben und bilden kleine Miniatur-Häuschen 
auf Gräbern ab. Auf den Fidji-Inseln bauen die, die einen Zauber von 
sich abwenden wollen, kleine Häuschen. Eine kleine Hütte steht inmitten 
der Umfriedigung, die den Knaben als Aufenthalt zur Zeit der Zurück- 
gezogenheit vor der Pubertätsweihe dient. Auf Neu-Irland werden die 
kleinen Mädchen im Alter von 6 oder 8 Jahren bis zur Geschlechtsreife 
in einer grossen Hütte, die vollständig tabu ist und unter der Aufsicht 
eines alten Weibes steht, eingeschlossen. Im Innern derselben befindet 
sich eine Art konischer Bauten. Diese sind 7 bis S Fuss hoch und nahe 
dem Ende von 6 bis 12 Fuss Umfang. In Anbetracht ihrer spitzen Form 
haben sie das Aussehen riesiger Lichtlöscher. Sie sind aus Pandanusblättern, 
die dicht aufeinanderliegen und dem Lichte keinen Zutritt in das Innere 
gestatten, construirt. Eine Thür aus den Blättern der Cocospalme schliesst 
den Eingang. In je einer dieser Bauten wird ein junges Mädchen so lange 
eingesperrt, bis deren Brüste sich gut entwickelt haben. (Hübner). 

Für die Bedeutung derartiger Miniaturhütten ist der Gebrauch des 
Pepe ausserordentlich wichtig. Dieser wird geübt, wenn es sich darum 
handelt von den Geistern zu erfahren, welche Anordnungen beim Duk- 
Duk-Feste erforderlich sind ete. Die Aingiet präpariren die Pepe-Suhtanz. 
Diese Bündelchen werden alsdann unter solche Bäume gelegt, die den 
Geistern als Wohnsitz dienen. Die T'heilnehmer bauen gleichzeitig kleine 
Hütten unter den verschiedenen Bäumen. Kauen alsdann die Männer die 
3üindelchen des Pepe und sie verschlucken, verfallen sie in einen tiefen 
Schlaf. Unter dem Geisterbaume offenbart sich dann der Geist dem Manne. 
Auch sonst werden diese Pepe- oder Popo-Häuschen errichtet. Es sind 
zierliche mannshohe Hüttehen von Bambusstäben, die mit Farrnkräutern 


256 L. Frobenins, 


und buntgefärbten Rattanbändern umwunden sind. Auf ihnen ruht das 
kegelförmige Grasdach. Die Spitze desselben bildet ein langes, schwankes, 
mit bunten Federn geschmücktes Bambusrohr, von dem eine bemalte Holz- 
figur, eine Menschen- oder Vogelgestalt, herabhängt. Die Decke im Innern 
besteht aus straffgespanntem weissen Rindenzeug, und ist mit grotesken 
Menschenfiguren in Roth und Schwarz bemalt. Ein verzierter Stab reicht 
von ihrer Mitte bis auf den Fussboden. (Parkinson). 

Der Stab ist mit vielen oceanischen Vorkommnissen zu vergleichen. 
Es ist ein Ahnenstab. Ebenso hängt weisser Stoff von solchen Hütten auf 
den Fidji bis zum Boden. Der Geist lässt sich an ihnen hinab. Also 
Vergeistigungsstätten und Geisterwohnstatt. 

Diesen Geisterhütten entsprechen die Hüttenmasken. Die 
bekanntesten unter diesen sind die Duk-Duk-Hüte, deren Beschreibung ich 
hier nach Kleinschmidt gebe. Die Duk-Duk-Maske besteht gewöhnlich 
aus zwei Theilen, dem konischen Hut oder Thurm und dem wulstigen 
Hüftenbehang aus Blättern. Zu dem unteren Blätterüberwurfe oder Rock 
werden Blätter einer palmenähnlichen stachligen Rohrart verwendet, die 
sich im Forste bis hoch in die Baumkronen hinaufrankt. In dieke Packen 
zusammengeschnürt, werden diese Blätter oft von weit hergebracht, da sie 
nicht überall wachsen. Hierauf werden sie auf den Stengel einer Liane 
oder ein Rohr nebeneinander festgebunden und nun in Ringen übereinander 
befestigt. Am oberen Ende des derartig gebildeten Blätterrockes sind zwei 
Bügel aus demselben Rohr für das Durchstecken der Arme angebracht, an 
denen dann der Rock von den Schultern über den Leib herabhängt. Einige 
solcher Blätterringe sind auch am unteren Rande der thurmartigen Masken 
befestigt um die Arme zu verdecken. Sollten auch diese noch nicht genügen, 
so werden zuvor noeh einige lose Blätterringe auf dem Oberrand des Rockes 
herumgelegt, damit Thurm und Blätterrock gut auf einander schliessen und 
die Arme des Trägers genügend verdeckt werden. Das Gestell oder Gerüst 
des Thurmes, des Kopfes der Duk-Duk wird aus den abgeschabten Blatt- 
rippen der Angeleb-Palme verfertigt, deren dünne Enden nach oben hin zu 
einer langen Spitze verbunden werden und als Verzierung derselben einen 
rothen, bunten Dracaena-Blätter- oder Feder-Busch tragen. Der untere, 
fischkorbähnliche Theil wird mit langen, weissen Stammfasern der Asi-Palme 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 257 


in geschickter Weise durchwoben nnd nun folgt nur noch nach Geschmack 
eine Bemalung oder Ausschmückung der Spitze. Oftmals sind solche Duk- 
Duk-Tänzer abgebildet und der Anblick solcher Gestalten beweist die 
Abkunft dieser Hüttenmasken besser als lange Beschreibungen. 

Diese merkwürdigen Masken sind sehr weit verbreitet. Die Lano- 
und (@uat-Hütte sind nichts anderes. Holrung fand solche thurmartigen 
Masken in Finschhafen; Merkai und Ipikamerkai auf den Inseln der Torres- 
strasse sind fast ebenso gekleidet. Ein Schilfhut verdeckt Kopf und Gesicht, 
gekreuzte Geflechte den Körper, ebensolehe Gehänge die Lenden und Ober- 
schenkel. Zu den phantastisch geschnitzten Masken aus Neu-Irland gehören 
reifrockartige Unterkleider aus Blättern. Hut und Körperrock kehren auf 
den Neuhebriden wieder. Die Holzmasken Neukaledoniens sind zuweilen 
mit einem bis auf den Boden reichenden Faserbehang versehen. 

Der zweite Quell oceanischer Masken entspringt dem Schädeldienst: 
die Schädelmaske. Bezeichnend ist der Zusammenhang mit der Geister- 
hütte. John erzählt, dass auf Borneo, bei den Dajak die Schädelhäuschen 
rund und mit komischem Dach versehen seien. In einer Mythe von den 
Inseln der Torresstrasse fand Upi ein Häuschen mit zwei Merkai-Leichen 
Verstorbener. Er ergriff deren Schädel. Diese liessen ihm Rath und Kraft 
zu Theil werden, so dass ihm Macht des Geistes und Rettung ward. Ueber 
Kinakinau berichtet Parkinson. Dies sind über Theilen von Menschen- 
schädeln gebildete Gesichter, Diebsamulette der Neubritannier. Bastian giebt 
an, in Neubritannien würden mit Lehm aufgekleisterte T'heile der mensch- 
lichen Kinnbacken an einem Gehänge im Munde von denjenigen getragen, 
die von dem Häuptlinge das Recht erhalten hatte, ungestraft zu stehlen. 
Damit sind wir bei den merkwürdigen Schädelmasken des Neubritannier 
angelangt. Ueber sie schreibt Finsch: Sie sind aus der vorderen Hälfte 
eines menschlichen Schädels verfertigt, an welcher die Fleischtheile durch 
eine aufgeklebte Masse ersetzt sind. Das auf diese Weise hergestellte 
Gesicht wird in der üblichen Weise des Festschmuckes bemalt und häufig 
mit natürlichem Kopf- und Barthaar versehen. An der Rückseite ist ein 
(uerholz angebracht, mit welchem der Tanzende die Maske zwischen den 
Zähnen vor dem Gesicht hält. Diese Art Masken wurden früher aus dem 
Schädel Angehöriger angefertigt und dienten der Todtenverehrung. 


Nova Acta LXXIV. Nr.]l. 33 


258 L. Frobenius. 


Merkwürdiger Weise ist in jüngster Zeit diese Bedeutung von 
teisenden geleugnet worden. Bloss weil die Eingeborenen sie nicht kannten. 
Als ob das Vergessen der Beweggründe nicht überali zu beobachten wäre. 
Und doch ist der Brauch der Schädelmasken so ausserordentlich drastisch 
und selbstredend. Spricht doch ausserdem aus gar vielen Sitten die gleiche 
Anschauung. Wenn auf Mabiae zum Beispiel nach einigen Monaten des 
Todten Knochen wieder ausgegraben werden, tritt der Häuptling mit dessen 
Schädel in den Kreis der Männer. Nun ist ilm alles, selbst Todtschlag 
erlaubt. Er hat die Gewalt der Verstorbenen. Das ist der gleiche Sinn. 

Auch die Verbreitung der Schädelmasken hat man übersehen und 
nicht erkannt, dass sie einst sehr viel weiter sich erstreckt haben muss, 
denn damals, als die ersten Ansiedler ihr Verschwinden auf Neubritannien 
gerade noch beobachten konnten. Auf Canoe-Island am Fly-River fand 
D’Albertis eine Halbmaske die durch Aufkleben von Wachs auf einem 
Menschenschädel gebildet war. Und in Ambrym ward auf einem geheimen 
Platze eine richtige Schädelmaske, nämlich eine auf Schädel geformte 
mit einem Haarbüschel und Eberzähnen verzierte Maske gefunden worden. 

An die Stelle der Schädelmasken traten die zusammengesetzten 
Masken. Zumal in Neubritannien sind sie nicht selten. Wir hören von 
grotesken Masken, die aus Baumrinde bestanden und mit Harz und Kitt- 
masse zu Gesichtern umgebildet waren, die durch schiefe Mäuler, Nasen in 
allen Formen, Warzen und Auswüchsen von der abenteuerlichsten Gestalt 
und Bemalung in verschiedenen Farben ein wunderliches Aussehen erhielten. 
Auch der Kopftheil der berühmten Helmmasken Neuirlands ist aus Rohr, 
Kalk etc. zusammengesetzt. An das Auffinden einer Schädelmaske auf 
Ambrym erinnern die zusammengesetzten, &geklebten, mit Eberzähnen 
geschmückten Masken der Neuhebriden. 

Endlich ist der Thiermasken zu gedenken (vergl. die Mittheilungen 
im Internationalen Archiv für Ethnographie 1897 und 1898). Im Bismark- 
archipel lagern die wichtigsten Verbreitungsgebiete fast aller Urformen der 
oceanischen Masken, im Süden (auf Neubritannien) das der Schädelmasken, 
in der Mitte (auf Neubritannien und Neuirland) das der Hüttenmasken des 
Duk-Duk, im Norden (auf dem nördlichen Theile Neuirlands) das der Thier- 
masken. Hinsichtlich letzterer sind wir fast ganz auf die Untersuchungen 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 259 


der Formen angewiesen, denn fast alle Mittheilungen sind nichtssagend, nur 
wenige sind bedeutungsvoll und diese sind dann wieder zu kurz. Es ist 
wohl sicher, dass die Eingeborenen selbst nichts rechtes mehr wissen. Die 
Formuntersuchung hat interessante Ergebnisse gezeitigt. Da ist zunächst 
jene grosse Gruppe von Menschengesichtsmasken mit Hakennasen, die auf 
Vögelköpfe zurückzuführen sind. ‘ Daher die der Nase entwachsenden 
Schlangen. Ich möchte diese Formen mit der Vogelmythe — der Vogel 
trägt die Schlange, die Seele ins Jenseits (vgl. Weltanschauung, Cap. I) — in 
Einklang bringen. Allerdings sind heute die Vögel auf diesen Inseln zu 
totemistischen T'hieren geworden. Totemistischen Ursprunges sind dagegen 
wohl die aus Fischen entstandenen Ohren. Unter den animalistischen Masken 
steht auf Neu-Guinea die der Eidechse, auf östlichen Inseln die des Haies 
anscheinend im Vordergrund. — Im Uebrigen finden wir auf Neuirland noch 
die aus übereindergesetzten Menschenköpfen gebildeten Stammbaummasken, 
auf Tahiti die mit mächtigem Strahlenkranze versehenen solaren Masken. 


e. Der malajvnigritische Ursprung der afrikanischen Masken. 
Aus der Darstellung des letzten Abschnittes geht die Gleichheit der 
Masken und Bünde Oceaniens und Westafrikas hervor. Thatsächlich ist 
die Uebereinstimmung vielerorts und in allen Dingen erstaunlich. In aller 
Kürze soll noch auf einige Einzelheiten hingewiesen werden. 
Die Maskirten der Bünde tragen hüben und drüben Geisternamen. 
Ihr manistischer Ursprung ist aus Form, Bedeutung und Brauch ersichtlich. 
In das sprachliche Gebiet fällt die Uebereinstimmung des Wortes Doki 
(Westafrika) und Duka (Sta. Crux) für Geist. Im Uebrigen werden linguistische 
Uebereinstimmung der malaischen und afrikanischen Sprachen anderen Ortes 
besprochen. Oro ist der rächende Geist der Ogboni, Oro der polynesische 
Gott und Fürst der Todten, Herr und Gründer des Areoi. 


Die Enthaltungsgebote führen zur Vergeistigung. Die solare Form 
derselben als das „Verschlungenwerden “ bietet in Afrika der Horrey. In 
Oceanien auf Grossseram lernte Rosenberg eine vollkommen analoge Ver- 
geistigungsform kennen. Der Novize des Kakeanbundes wird nämlich zur 
Nachtzeit in das Kakeanhaus geschoben durch eine Oeffnung in Gestalt 


33* 


260 L. Frobenius, 


eines aufgesperrten Krokodilsrachens oder Kasuarschnabels. Es heisst dann 
von ihm der Setan-besaar, der Teufel habe ihn verschlungen. 

Der Vergeistigung entspricht die Geistergewalt. Einerseits artet 
diese in roher Gewalt aus, andererseits mündet sie im eine segenbringende 
Gerichtsbarkeit. Wir sehen sie zumal in der Hand der Bundnovizen. 
Weibern und Fremdlingen gegenüber wird sie in gleicher Weise ausgeübt. 

Die Tänze und Gesänge deuten auf das Geschlechtsleben hin. Das 
gesammte Melanesien bietet hierfür Beispiele. Dem entsprieht der Kischi- 
Tanz und der Sang der Sandimädchen. Im Jevhe und im Areoi feiert der 
freie Geschlechtsgenuss seine Triumpfe. Aber auch sonst steht den Bund- 
novizen hierin weitgehende Freiheit zu. 

Interessant ist die Stellung einiger Frauen zum Bunde. Mitglied 
des Elung ist die Frau des Häuptlings, sonst sind Weiber ausgeschlossen. 
Die maskirte Penda-Penda war die Frau des Simo. Etwas ähnliches be- 
richtet Weisser vom Duk-Duk. Während Frauenzimmer bei Todesstrafe 
keine Duk-Duk-Tempel betreten dürfen, ebenso beim Passiren mit ab- 
gewandtem Gesicht niederkauern müssen und sozusagen von allen damit 
verbundenen Sachen ausgeschlossen sind, giebt es doch einen Fall, in dem 
bei einer Duk-Duk-Ceremonie eine Frau im Tempel zugegen sein darf. 
Dieser Fall tritt ein, wenn ein Knabe in der Familie etwa das achte Lebens- 
jahr erreicht und behufs der Namengebung ein Familienfest beim Duk-Duk 
veranstaltet wird. Bei dieser Ceremonie wird ein Knabe gleichsam den 
Menschen zugesprochen und unter allerlei Ceremonien wird auch eine breite 
Windel über ihm ausgeschüttet, zum Zeichen, dass die erste Zeit der Kindheit 
vorüber ist. Dieses Amt verrichtet eine alte Frau, gewöhnlich die Gross- 
mutter der Familie oder der nahen Verwandtschaft. — Alle diese Sitten 
sind wohl als Reste des Mutterrechtes aufzufassen. 

Die Gradstufen des Tamate und Areoi entsprechen denen des Egbo. — 
Nun die Masken. 

Wir haben gesehen, dass die beiden Hauptmotive der Masken Geister- 
hütte und Menschenschädel sind. Die Geisterhütten und die Hüttenmasken 
entsprechen im Osten und \esten einander. Wir haben in Oceanien zwei 
Formen, die geflochtene des Duk-Duk und die gebundene der Merkai. Die 
Merkai-Masken sind Analogien zu denen der Aba Queta. Auch die Theilung 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 261 


ist die gleiche. Die Duk-Duk-Maske erkennen wir beim Mukisch (Nr. 10) 
und der Erndtefestmaske aus Nupe wieder. Uebrigens begegnet uns in 
Oceanien auch ein Ausläufer der Hüttenmaske, nämlich die Trauermaske. 
Für Afrika ward sie oben besprochen. 

Für die Schädelmasken ist es mir besonders wichtig: ihr Zurück- 
weichen und Verschwinden auch in Oceanien festgestellt zu sehen. Schädel- 
masken sind in Afrika nicht nachgewiesen. Wohl aber an deren Brauch 
erinnernde Sitten und Anschauungen. Auch in Oceanien gehen sie in 
zusammengesetzte Masken über. Diese nun gleichen den afrikanischen 
Vorkommnissen ganz ausserordentlich. Die Construction ist die gleiche. 

Thiermasken stehen in Oceanien theilweise im Vordergrund. Hierin 
finden sich mancherlei gleiche Züge. Da ist vor allen Dingen die Eidechse 
auf Masken Neuguineas, deren Schwanz zur Nase des Menschengesichtes 
wird. In Afrika (Taf. IX Fig. 66) spielt die Eidechse eine gleiche Rolle. 
Hier ward die Schnauze zur Nase. 

Der zur Mensehennase umgestaltete Vogelschnabel von Neuirland hat 
in Afrika ebenfalls seine Analogie. Ich brauche das hier nicht nachzu- 
weisen, da die Masken keine derartigen Bildungen zeigen. Vögel treten 
auf den Masken Calabars häufig auf. Der Vogelschnabel befindet sich auch 
auf der Kpatatschi-Maske (Taf. VII Fig. 90). 

Endlich kehren die Eberkopf-Masken Neuirlands in Yoruba wieder 
(Fig. 130). Vielsagend ist hier die Identität der die Schweineseelen betreffenden 
Anschauungen in Oceanien und Afrika. Nach tahitischem Glauben entstanden 
die Schweine aus den sieh im Manneskörper bei der Verwesung bildenden 
Würmer. Die Malaien auf Borneo und die Alfuren nehmen an, dass die 
Seelen der Menschen in Schweine übergehen. Aus dem Herzen der Schweine 
und dessen Bewegungen lesen Hawaier, Alfuren und Dajak das Opfer. 
Wenn dem Novizen des Duk-Duk der Ritterschlag ertheilt wird, der ihn 
zum Bundglied macht, wird Boro! d. i. Schwein, ausgerufen. Auf Vate wird 
den lebendig begrabenen Alten ein Schwein an den Arm gebunden, das 
beim Todtenfeste verzehrt wird. Den Duk-Duk-Männern ist der Genuss des 
Schweinefleisches untersagt. Oestliche Melanesier erzählen, dass, wer kein 
Schwein getödtet hat, auch nicht zu den Vätern kommt. Die auf den 
Markesas den Schweinen beim Mahle des Todtenfestes abgeschnittenen 


262 L. Frobenius, 


Köpfe fallen den Göttern anheim: „damit sie den Todten eine sichere und 
ruhige Fahrt in die Unterwelt gestatten mögen.“ So werden die Unterkiefer 
der Schweine auch zu Amuletten und Zaubermitteln. 

Mit einem Worte: das Opferthier ward zum Seelenträger. Fbenso 
in Afrika. In Congo wird die Ceremonie des Mutamba von den Verwandten 
angestellt, um den umherflatternden Seelen Ruhe zu verschaffen. Bei Unter- 
lassung fällt die Seele dem in der Unterwelt herrschenden Kadiampembe 
anheim. Gewöhnlich wird ein Schwein geschlachtet, dessen Kopf man in 
den Fluss wirft, um von demselben fortgeschwemmt zu werden. Die Walesse 
berichten, dass die Zwerge nach ihrem Tode Schweine würden. Die Igbo 
in Abo besitzen durchweg Amulette von 
Schweineunterkiefern. Theilweise Nach- 
bildungen in Holz. Ihr Name ist Ofuru, 
was vielleicht mit Boro verwandt ist. — 
Zu diesen Uebereinstimmungen gesellen 
sich die Eberkopfmasken. 

Dazu kommen nun die Stammbaum- 
masken. Wie in Afrika kommen in 
Melanesien die (reister aus heiligen 
Wäldern, den Wohnstätten der Geister. 


Nr 3 Oak al Rute won Der Tabupfahl, der Schädel- und der 
Mongalla. (Ethnographisches Reichs- Kerbpfahl kehren in gleicher Bedeutung 
a ee und in gleicher Anwendung wieder. 
Stammbaumbildungen schmücken nicht nur Tempel und Gräber, sondern 
auch die Masken. Formen, wie die der Grebo und Yoruba (Taf. XI Fig. 112, 
Taf. X Fig. 110, XIII 128, 129) deuten auf oceanische Ideen und Ausdrucksweise, 

Das interessante Vorkommen von Miniaturmasken, die zumal in Neu- 
guinea heimisch sind, wiederholt sich in Afrika, wie die kleine Maske 
(Text Nr.33) vom Mongalla beweist. — Die Grebo-Maske (Taf. XI Fig. 113) ist 
mit Perlmuttereinlage verziert, was zumal an eine auf den Salomonen blühende 
Teehnik erinnert. — Eine ausgestreckte Zunge zeigen viele Masken Neu- 
irlands und so auch der Loangoküste (Taf. I Fig. 25, Taf. II Fig. 34, 
Taf. III Fig. 36) und Kamerun-Calabars (Taf. IX Fig. 60. 61. 63. 64, 
Taf. VII Fig. 57. 77). — Die Strahlen der afrikanischen Masken (z. B. 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 263 


Taf. XI Fig. 111/114, Taf.V Fig. 42, Taf. III Fig. 9) lassen sich auch an 
oceanischen Masken, zumal denen Tahitis, nachweisen. 

Unter den merkwürdigen Gebräuchen der Bünde möchte ich nur 
noch auf die verschiedenen Gestalten der Geisterstricke und Schlingen hin- 
weisen. Die Ausgangsmythe, dass die Seelen an den Strieken zur Sonne 
empor und zur Erde hinabgelangen, ist in den Fragmenten eingehend be- 
handelt. — Auf Nias nun wird im Falle schwerer Krankheit vor dem Hause 
eine mit Palmblättern verzierte Stange aufgerichtet, von deren Spitze eine 
Kette mit gleichem Schmucke nach einem von dem Priester auf dem Dache 
des Hauses befestigten Troge läuft. Der Ere nimmt nun ein Schwein, 
bringt dasselbe auf das Dach und bietet es dem Geiste als Sühnopfer an. 
Er tödtet es und lässt es von dem Dache herunterfallen. Der nach dem 
Schwein begierige Geist lässt sich an der Kette herunter und der betreffende 
gute Geist sorgt dafür, dass er nieht wieder heraufkommt. Das ist die 
gleiche Idee wie die des Mangongo. Vor der Hütte steht der Pfahl. Pfahl- 
spitze und Hüttenspitze sind durch die Schnur verbunden, an der der Bundes- 
geist aus dem Pfahl in die Hütte gelangt. — In Polynesien werden die 
Geister in Schlingen gefangen. Tangaroa, der in diesem Falle an Mauis 
Stelle getreten ist, hält die Falle in der Hand. Die Priester Puka-Puka’s 
stellen die Schlingen in Bäumen. Auf Aitutaki ward eine solche Schlinge 
den Missionaren übergeben. Daher die Kranzschlinge des ‚Jevhe-Eides. 
Melanesische Bünde haben ähnliche Sitten. Wenn jemand unbefugter Weise 
die Blume des T’amate trägt, kündigt ihm ein Büschel Blumen und Laub 
auf dem öffentlichen Platze, wie dem Jevhe-Beleidiger der Blätterkranz, die 


Rache des Bundes an. 


Also die Entwicklung in Afrika, die Bedeutung und die Formen der 
afrikanischen Masken und Bünde deuten in gleicher Weise auf oceanische 
Quellen hin. Das scheint uns den Beweis zu erbringen, dass wir es in 
ihnen mit Merkmalen und Theilen der malajonigritischen Cultur zu thun haben. 
Alles Weitere wolle man aus dem Culturwerke Bd: I: „Ursprung der afrika- 
nischen Culturen“ ersehen. 


Schluss. 


Es soll nicht behauptet werden, dass mit dem vorliegenden Werke 
das Thema erschöpft wäre. Immerhin ist bisher eine so weitgehende 
Behandlung den Masken keines Naturvolkes zu Theil geworden. Aus dem 
Grunde kann die Arbeit eine gewisse Nachsicht beanspruchen. Wer auf 
ungebahnten Pfaden wandelt wie wir es hier mussten, dem ist oft durch 
die schwere Pionierarbeit die Hand zu rauh geworden für feinere Arbeit. 
Daher steht noch manche Frage offen und daher mag mancher Fehler 
begangen worden sein. 

Im allgemeinen dürfte aber ein Fortschritt zu verzeichnen sein, der 
für die afrikanische Völkerkunde nicht belanglos ist. Ich meine nicht die 
Erkenntniss der malajonigritischen Verwandtschaft, denn für den Beweis 
derselben haben wir hier nur einen Baustein beigebracht. Völker- oder 
Cultur-Verwandtschaften beweist man aber nicht mit so geringen Mitteln, 
wie sie Masken- und Geheimbünde bieten. Die eigentlichen Beweise dieser 
Verwandtschaft haben anderweitig Platz gefunden. 

Also das ist nieht gemeint. Es handelt sich vielmehr um die Frage 
der Beziehungen einzelner Formen und Sitten. Es wird nicht einmal unter 
den Geräthen einen Gegenstand geben, der überall die gleiche Verwendung 
findet, der nicht in wechselseitiger Beeinflussung auf andere Dinge umge- 
staltend eingewirkt hat oder von anderen modifieirt worden ist. Am aller- 
wenigsten wird man aber Gegenstände des Cultus mit Zugrundelegung einer 
Form des Objeetes analysiren können, weder auf Form noch auf Sinn. 
Die ungeheure Beweglichkeit ethnologischer Beweisstücke macht das 


unmöglich. Auf diese Beweglichkeit wollte ich noch hingewiesen haben; 


189) 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 265 


es scheint das um so berechtigter als sie sehr oft missverstanden worden 
ist. Auch ganz besonders in der afrikanischen Völkerkunde. 

Man kann ihretwegen, deren Einfluss ebensowohl auf die Cultur als 
die Rassen sich erstreckt, weder Grenzlinien der Verbreitung eines 
Gegenstandes, noch eines Kulturkreises, noch eines Volkes ziehen. Thut 
man es dennoch, — und man ist oft dazu gezwungen, dann soll man sich 
über seine wahre Natur im Klaren bleiben. 

Man darf derselben Beweglichkeit wegen nicht die Angaben der 
Reisenden mit denen des Ethnologen verwechseln. Denn der eine spricht 
von einem oder einigen Facten, der Ethnologe aber von dem gemeinsamen 
Entwieklungszuge der Dinge. Das Vergessen der Beweggründe und das 
Aussterben einzelner Merkmale sind so häufige Erscheinungen, dass man 
nicht systematisch eintheilen kann ohne befürchten zu müssen, mit rauher 
Hand die feinen oft wichtigsten Beziehungen zu durchreissen. 

Ausserdem wiederhole ich hier meinen schon oft geäusserten Wunsch, 
jene leidigen Bezeichnungen von der Tagesordnung der Wissenschaft zu 
streichen, die ein Vorwärtskommen so sehr erschweren. Worte wie Zauberer, 
Fetische, sind thatsächlich überflüssig. Ihr Bestehen giebt den Forschern 
ganz naturgemäss ein falsches Bild der Wissenschaft. Sie glauben ihrer 
Pflicht dadurch genügt zu haben, dass sie das Fetischthum eines Gegen- 
standes bestätigt haben. Ich kann hier eine Erfahrung erwähnen. Ich 
klärte hier einige Missionare darüber auf, dass mit dem Worte Fetisch 
absolut nichts wünschenswerthes gesagt sei. Die Herren forschten darauf 
nach der Bedeutung der vielen an der Westküste als Fetisch bezeichneten 
Amulette. Und siehe da: Seitenlange Beschreibungen und Erklärungen über 
Sinn und Verwendung trafen ein. Es war damit der Beweis erbracht, dass 
mein Begehren ein berechtigtes sei. — Das wird an dieser Stelle erwähnt, 
weil die Bezeichnung Fetischmaske eine sehr häufige ist, die den Wissenden 
schmerzlich berührt, da hier wieder das leidige Wort die Schuld mangelnden 
Forschens nach Sinn und Verwendung trägt. Ich erinnere daran, dass von 
der grossen Menge „Dahome- (obgleich anscheinend durchweg aus Yoruba 
stammend) Masken“ nicht eine mit einem Vermerk versehen ist, der 
Aufschluss über Sinn und Verwendung giebt. Höchstens heisst sie „Tanz- 
maske“ und das bedeutet auch so viel wie nichts. 


Nova Acta LXXIV. Nr.l. 34 


266 L. Frobenius, Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 


Es scheint so, als seien die Probleme der afrikanischen Weltanschauung 
oder meinetwegen Religion so durchgearbeitet, dass sie erschöpft und lang- 
weilig geworden wären. Und doch haben die vielen dieken Bücher über 
Fetischismus und die Religion der Afrikaner nicht viel mehr als feinsinnige 
aber wenig ethnologische Ansichten gezeitigt. Erst jetzt fängt es an, Licht 
zu werden und das Licht zeigt sehr merkwürdige und unerwartete Erscheinungen. 
Zur Klarheit können wir aber nur vordringen, wenn auch in Afrika auf 
den neuen Wegen geforscht wird. 

Es ist ein Zweck dieser Arbeit hierzu anzuregen. Es soll und kann 
mich nur freuen, wenn Forscher und Ethnologen die Arbeit zerzausen und 
Fehler und Irrthümer entdecken: Nur zu! Der ethnologische Theil wird 
auch dann berechtigt, wenn er nur zu eifriger Mitarbeiterschaft und energischem 
Vorwärtsstreben Veranlassung bot. 


Verzeichniss 
der Beziehungen auf die Tafelfiguren im Text. 


Die erste Seitenzahl giebt stets Hinweis auf die Angaben über Herkunft, Sammlung, Ab- 
bildungsmaterial, Grösse ete. im ersten, beschreibenden Capitel. 


Fig. (Taf. III) Seite 13; 31 f£.; 174, 202, 204, 243. 
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Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 269 


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L. Frobenius, 


(Taf. VIII) Seite 23/24; 92 ff.; 194, 208, 210, 211, 245, 246. 


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Sach - Verzeichniss. 
Mit besonderer Berücksichtigung der Namen ‚der Bünde. 


Aba Kweta oder Aba Queta (Ama Xosa) S. 32, 167, 174, 215, 219, 230. 
Masken der Aba Queta S. 13, 174 ff., 248, 260. 

Abbe (Goldküste) S. 102 ft. 

Akisch Plur. von Mukische siehe dort. 

Almela (Kamerun) 8. 78 ft. 

Animalismus (animalistische Züge ete.) S. 163, 190 ff. 

Areoi (Tahiti) S. 251, 254, 260. 

Attonga-Gesellschaft (Sierra Leona) S. 130 ff., 214, 226. 


Baumkultus S. 163. 

Belli oder Belly (Liberia) 116 ff, 124 ff, 163, 215, 216, 217, 219, 221, 226, 
227, 230, 232, 249. 

Belli Paaro „Tod, Wiedergeburt und Einverleibung in die Gemeinschaft der 
Geister“ S. 126 ft., 215. 

Culturelle Beziehungen S. 237 ft. 

Culturelle Verwandtschaft S. 237 ft. 

Culturkreise Afrikas 8. 239 ff. 

Dodo (centraler Sudan) S. 100, 217. 

Doki = Geist in Westafrika S. 48, 259. 

Dschengu (Kamerun) S. 75 ff., 174, 215, 226. 

Dou oder Du S. 151 f#., 164, 173, 189, 216, 217, 230. 

Duka, Geist auf Sta. Crux S. 251, 259. 

Duk Duk (Neubritanien) S. 250, 251, 252, 254, 256, 260. 


Nova Acta LXXIV. Nr.l. 35 


274 L. Frobenius, 


Dungo siehe Sindungo. 


Dziamoron (Ponape) 8. 251. 


Egbo (Calabar und Kamerun) S. 81, 83 ff., 164, 166, 173, 216, 226, 231, 
249, 260. 

Egungun (Yoruba) S. 92 ff., 174, 180, 230. 

Ekongolo (Kamerun) S. 80, 200, 230. 

Elomba (Kamerun) 8. 79. 

Elung (Kamerun) S. 79 ff., 166. 


Fetisch S. 264. 


Ganga — Priester der Afrikaner. 
Geisterfreiheit S. 252. 
Geistergewalt S. 214 ft. 
in Oceanien S. 252. 
Geisterhütte S. 168 ft. 
in Oceanien 8. 259. 
Geisterpfahl S. 185 ff., 256. 
Greegreebusch = Grigri-Wald. 
Grigri-Wald (Liberia) S. 117 ft. 
Gunuko; Geistermasken (Nupe) 8. 100. 
Horey (Mandingo in Senegambien) S. 145 ff., 198, 215, 259. 
Hunde plur. Hundewo (Mitglieder des Jevhe) S. 104. 
Hunuwo; ‚Jevhe-Priester S. 104 ff. 
Humbe; Simo der Frauen (Susu) 8. 137, 219, 226. 
Hüttenmaske 8. 172 ff., in Oceanien 8. 256 ft. 


Idem Efik (Calabar) S. 86, 91 ff., 173, 231. 

Infun (Kamerun) S. 67 ff., 216, 219. 

Ingium (Kamerun) S. 70 ff. 

Inquimba siehe Nkimba. 

Imboballa-Ganga der Yaunde 8. 67 ff. 

Ipikamerkai (Torres-Strasse) S. 257. 

Isango plur. Losango = Cultus oder Orden (Kamerun) 8.77, 82, 189. 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 


Jengo siehe Dschengu. 


275 


Jevhe (Gold- und Sklavenküste) S. 103 ff., 172, 199, 215, 226, 232. 260. 


Kakean (Molukken) S. 251, 259. 

Kakongo (Baluba) S. 41 ft. 

Kerbpfahl 3. 186 ft. 

Kimbo (Kongomündung) S. 49 ff. (Tanz: Kimbos S. 47.) 
Kimbwamvu, Sprache der Nkimba S. 46. 
Kischi-Tanz (Marutse) S. 13, 32, 42, 221. 
Kissan-Quimbe siehe Nkimba. 

Kongeorong (Mandingo) S. 151, 173, 225, 230. 
Konoengele, Amulet der Nkimba S. 48, 166. 
Kunkwi (Ogowe) 8. 64 ft., 226. 
Kuvukuta-Kanga-Asabi (Loango) S. 57, 163, 216. 


Lavui, Maskenform auf der Fischer-Insel S. 251. 
Lesimu (Kamerun) 8. 76 ft. 

Losango (siehe Isango) S. 82. 

Lu oder Lou siehe Dou oder Du. 


Mahamma a Jambo siehe Mumbo-Jumbo. 

Male (Kamerun) S. 76 ft., 178. 

Mangongo (Ogowe) S. 61 ff., 226. 
Mangongo-Hütte S. 61 ff., 172, 199. 

Manismus S. 161 ft., 214 ft. 

Maramba (Loango) S. 56, 220. 

Masamputila; Amulet des Nkimba 8.48, 198 ft. 
Matando, Ganga der Nkimba S. 51. 

Mba (Kamerun) 8. 73 ff. 

Meli (Kamerun) S. 75 ft., 215. 

Merkai (Toorresstrasse) S. 25 
Mokho Missi Kou (westl. Sudan) S. 154. 

Mokisso oder Mokissie (Loango) S. 42, 46, 54, 58. 


Mo-Ndonga, Ganga der Bünde am Ogowe 8. 61, 62. 


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M’Quichi siehe Mukisch. 
Mueinba (Kamerun) S. 81, 216. 


276 L. Frobenius, 


Mukisch (Kioke, Minungo) 8. 35 ff., 13, 163, 216, 221, 230. 


Mukischi — Mukisch. 
Mukuku (Kamerun) S. 80, 164, 216. 


Mumbo-Jumbo (Mandingo) S. 130, 148, 149 ft., 167, 172 


231, 232, 249. 
Mungi (Kamerun) S. 81, 84 ff., 163. 
Mungwata, Nichteingeweihte der Nkimba S. 44 ft. 
Muquiche siehe Mukisch. 
Muschimba ua Mukuschi 8. 41. 
Mutinde, Zuchtmeister der Nkimba 8. 59 ff. 
Mutua ua Mukuschi S. 41. 
Mwetyi (Ogowe) S. 60 ff., 172, 215, 226, 231 ft. 


Naferi (Mandingo) S. 153 ff., 231. 
Nda (Ogowe) S. 62, 164, 173, 214, 229. 


Ndembo (am unteren Kongo) 8. 43 ff., 51 ff., 172, 215, 216, 221, 227, 


229, 230. 
Ndoki siehe Doki. 
Ndunga-Masken (Loango) S. 56, 57, 17, 18. 
Nessoge (Liberia) S. 120 ff., 26, 163, 226. 
Neanga, Eingeweihte des Ndembo 8. 52. 
Ngoi (Ogowe) S. 62, 63, 164, 214, 226. 
Niengo siehe Dschengu. 


Njampa siehe Yampai. 


Njana, Geister der Ahnen (Liberia) S. 119 ff., 127 #£., 164. 


Njembe (Ogowe) 8. 66 ff., 226. 

Njengo siehe Dschengu. 

Njongoro (Kamerun) S. 168. 

Nkimba (am unteren Kongo) S. 43, 44 ff., 179, 215, 219, 
Nkissi (Loango) S. 42, 48, 53, 55. 

Nkita — Ndembo. 

Nyati-Masken (Kamerun) S. 19, 80, 214. 


Ogboni (Yoruba-Benin) S. 95 ft., 167, 172, 179, 214, 231, 
Okukue siehe Kunkwi. 


229, 230. 


249. 


Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 


Oro (Yoruba) S. 95. fi, 172, 216, 226, 230, 231, 259. 
Oro, Gott der Areoi 8. 259. 

Panga (Kamerun) 8. 77, 180, 216. 

Pata Lima siehe Uli Lima. 

Pata Siwa siehe Rakean. 

Penda-Penda (Bagos) S. 136, 173, 181, 190, 230, 260. 
Pepe (Neubritanien) S. 255. 

Purrah (Fulbe, Susu) S. 130, 138 ff., 26, 163, 


tt. 


216, 219, 


Quatu (Neuhebriden) S. 251 ft., 252 
(Jueta siehe Quatu. 
(Juimba siehe Nkimba. 
Quimboara-Tanz (Kongomündung) 5. 46, 221. 
Sakarabro (Pakhalla) S. 102. 
Sandi (Liberia) S. 120 ff., 26, 163, 173, 216, 219, 221, 
Schädeldienst 8. 176 ff. 
Schädelmaske S. 180 ft. 
in Oceanien 8. 
Schauspiel S. 233 ff. 
in Oceanien S. 
Schwirrholz S. 164 ff. 
Simo (Susu, Bagos ete.) 
RE PR, Ban a) 
Sindungo (Loango) 8. 57, 69, 
So (Yaunde) S. 68 ft., 74. 
So, Blitzgott der Jevhe S. 104. 
Sogones, Dappers Bezeichnung für 
Soh-bah, Erzieher des Belli S. 119 


Solare Anschauungen und Formen 


SCH 


233 fi. 


231, 249. 


die Soh-bah. 
fi., 221. 

8. 1163, 196. 
Suque (Neuhebriden) S. 2553. 
Stammbaumbildungen S. 185 ff., 259. 

Tamate (Banks-Inseln) S. 252. 

S 3006 Alf 


Tongwata, Eingeweihte der Nkimba S. 44 ff. 


Tombela-Maske (Loango) 


S. 130, 133 f£, 163, 166, 173, 215, 216, 219, 


277 


226. 


278 L. Frobenius, Die Masken und Geheimbünde Afrikas. 


a 


Totemismus 8. 192 ff., 259. 
Troen (Sierra Leona) S. 130, 230. 
Uku Tschila, Tanz der Aba Queta S. 32, 42, 49, 221. 
Uli Lima (Molukken) 8. 251. 
Uli Siwa siehe Kakean S. 259. 
Vanga, Niehteingeweihte des Ndembo S. 52. 
Vela, Umzäunung des Ndembo 8. 51 ff. 
Vergeistigung 8. 214 ff., 217 ff. 

in Oceanien S. 252. 
Vui, Geister auf den Banks-Inseln S. 251. 
Yampai, oberster Grad des Egbo S. 85 ff, 231. 
Yasi (Ogowe) S. 64. 


Zonen der Verbreitung S. 240. 


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Masken, Ostafrika Fig, 5-8. Kongogebiet Fig. 16-2, Loango 2426. 


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Frobenius: Die Masken und Geheimbünde Afrikas. Taf. 3. 


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Frobenius: Die Masken und Geheimbünde Afrikas. Taf 6. 


Masken, Ogowegebiet Fig 50-54. Kamerun Fig, 55-56. Kalabar Fig.68 HM. 


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Frobenius: Die Masken und Geheimbünde Afrikas, Taf. 7. 


Benue-Nigergebiet.(rie. 53—Fig. 90.) 


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Frobenius: Die Masken und Geheimbünde Afrikas. Taf. 8. 


Kamerun(Fig. s—Fie. ;o) Kalabarksig. 75-3) Yorubalriz. 91—Fig. 94) Liberia(Fi. 115-Fig. 116) 


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Frobenius: Die Masken und "eheimbünde Afrikas. Taf. 10. 


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Masken, Elfenbeinküste Fig. HU I4. Senegambien Fig. 19-122. 


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Frobenius: Die Masken und Geheimbünde Afrikas. Taf: 13. 


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NOVA ACTA. 
Abh. der Kaiserl. Leop.-Carol. Deutschen Akademie der Naturforscher 


Band LXXIV. Nr. 2. 


/ur 


Funktionen- und Invarianten-Theorie 


der binomischen Gebilde. 


Von 


J. Wellstein 


Strassburg i. E. 


Eingegangen bei der Akademie am 2. Juli 1898, 


H A LLE. 
1899. 


Druck von Ehrhardt Karras, Halle a. S$. 


Für die Akademie in Commission bei Wilh. Engelmann in Leipzig. 


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Die T'heorie der binomischen Funktionen ist in ihrem algebraischen 
Theile so weit entwickelt,') dass man es wagen darf, nun auch den trans- 
scendenten in Angriff zu nehmen. Zu Transscendenten, welche mit den 
algebraischen Gebilden organisch verbunden sind, scheint die Invarianten- 
theorie zu führen, und so stellt sich denn die folgende Arbeit die Auf- 
gabe, die Invariantentheorie der binomischen Kurven allseitig auszubilden. 
Da die projektiven Eigenschaften dieser Kurven weniger auffällig sind als 
speciell die affinen, so beschäftigen wir uns nur mit der Invariantentheorie 
der affınen 'T’ransformationen, oder, indem wir die binomischen Kurven in 
die Normalform 

fala)—1 
bringen, wo f eine binäre Form von z,, x, ist, mit der binären Invarianten- 
theorie. Dann lassen sich die Integrale erster und zweiter Gattung dar- 
stellen in der Form 

/$ (& | %) do, 


wo die g ganze rationale Binärformen sind und &® = — f(xdx) ein ausge- 
zeichnetes Integral erster Gattung bedeutet, welches, wenn man x, ©, als 
Absecisse und Ordinate aufträgt, die anschauliche Bedeutung eines Kurven- 
sektors hat. Die Invarianteneigenschaft von © bei affinen 'Transformationen 
ergiebt sich daraus unmittelbar. 

Die Vermittlung zwischen Formen- und Funktionentheorie bildet 
nun der Satz, dass die Derivirte nach » einer Form 9 = y: auf f=1 bis 


auf einen Zahlenfaktor gleich der ersten Ueberschiebung von g über f ist. 


!) Vergl. Piek und Ungar, Sitzungsber. d. Wien. Akad. 1880. — Otto Biermann, 
ebd. 1883. — W.F.Osgood, Dissertation, Erlangen 1890. — Appell et Goursat, Theorie 
des fonctions algebriques, 1895, chap. V. 


36* 


282 J. Wellstein, [4] 


Fortgesetzte Ueberschiebung ergiebt daher höhere Derivirten nach ®, In- 
rarianten und Kovarianten setzen sich in Differentialausdrücke, Invarianten- 
und Kovariantenbeziehungen also in Differentialgleichungen um. Wir er- 
halten deren unbegrenzte Schaaren. Unter diesen sind besonders bemerkens- 
werth die Differentialgleichungen der Wurzeln und Koeffizienten der durch 


eine Tschirnhausen-Transformation in die „typische“ Normalform 
Du ame 2 rn u 0 


gebrachten Grundform. Aus diesen Gleichungen entspringen dann viele 
andere, die, wie in einer späteren Arbeit gezeigt werden soll, als brauch- 
bare Ansätze zur Definition passender 'Transscendenten der binomischen 
Funktionenklassen dienen können. Insbesondere gelingt es, die Weier- 
strass’sche 9-Funktion zu verallgemeinern. 

Aber auch vom rein formentheoretischen Standpunkte dürften die 
folgenden Ausführungen von Interesse sein, da sich die verschiedensten 
Zweige der Invariantentheorie auf dem Gebilde f=1 in innigen Zusammen- 
hang bringen lassen. Nach Vorausschickung einiger Definitionen der Grund- 
begriffe und einer Erklärung der Clebsch-Aronhold’schen Symbolik 
könnte die folgende Arbeit geradezu als eine Neudarstellung der binären 
Formentheorie gelten. 

In dem Endziele berührt sich unsere Arbeit mit den merkwürdigen 
Untersuchungen Piek’s,') während Methode und Hilfsmittel ganz andere sind. 
Was die Ansätze Pick’s im Bereiche der binomischen Funktionen betrifft, 
so bewegen sich dieselben in ganz anderer Richtung als die unsrigen; doch 
ist es nicht schwer, von den folgenden Untersuchungen aus an die Pick- 
schen (Math. Ann. 1898 pg. 392, $ 8) Anschluss zu gewinnen. 


!) Georg Pick „Ueber invariante Processe auf binären Gebieten höheren Geschlechts“, 
Göttinger Nachrichten 1894 und „zur Theorie der zu einem algebraischen Gebilde gehörigen 
Formen,“ Math. Ann. 1898. 


[5] Zur Funktionen- und Invariantentheorie der binomischen Gebilde. 283 


s1. 
Die Normalgleichung der binomischen Funktionen. 
Als „binomisch“ kann man allgemein diejenigen algebraischen Funk- 
tionen definiren, welche verzweigt sind wie die m“ Wurzel s einer rationalen 
Funktion von «: 


m 


Ss funet. rat (x) , m POS. ganze Zahl. 


Stellt man diese rationale Funktion als Quotient zweier ganzen Funktionen 
dar, so wird: 
1 US Da Eee 
12 ga) _ VI@a)ham1 
seli7 ,s = = 
/ h(&) h(x) ? 
und da der aus dem Wurzelzeichen geschiedene Ausdruck unverzweigt ist, 


so kann man als Verzweigungsfunktion einfacher wählen: 


ma en. m 
s= VIA" — Yhr@) > 
wo f.(a) eme ganze Funktion ist; » sei ihre Ordnung. Setzen wir noch 
voraus, dass alle Verzweigungspunkte von s im Endlichen liegen, was 
nöthigenfalls durch eine vorausgegangene Substitution erster Ordnung der 
Variabeln erreicht werden konnte, so ist » ein Vielfaches von m; wenn um- 
gekehrt letztere Bedingung erfüllt ist, so hat s nur im Endlichen gelegene 
Verzweigungspunkte und möge dann eine „normale“ Verzweigungsfunktion 
heissen. Ist » eine Primzahl, so gehört zu f,(«) nur die eine normale 
Irrationalität s= yf, (0); lässt sich n hingegen als Produkt von Primzahlen 
ausdrücken: n — mn" ny”? ...n,", den Faktor 1 ausgeschlossen, so gehören 
zu f„ folgende normalen Verzweigungsfunktionen: 


NG z en HA vo—/a va—hy 
SRG), wer nn 3 0 LE 


und A, Ay,..., A, beliebige ganze positive Zahlen mit der Einschränkung 
r>1. Es ist aber: 


n 


SR 1 SW As l 
ia. I) — (A "); und - rn: 


, 


also ist 52, 7,...a, eine positive ganze Potenz von 


SI Y L,® 8 


284 J. Wellstein, [6] 


So folgt: 
Auf der wie s= y [„(&) verzweioten Riemann’schen Fläche sind sämmt- 
liche zu f„(&) gehörige normale binomische Funktionen eindeutig. 
Man könnte sich daher, wenn es sich um die Untersuchung aller 
zu einer ganzen Funktion f,(2) gehörigen binomischen Klassen mit normal 
verzweigter‘) Fläche 7 handelt, unbeschadet der Allgemeinheit auf den Fall 


s—\//,@ 


beschränken. Ist n eine Primzahl, so ist s überhaupt die einzige in Be- 
tracht kommende Irrationalität; ist n zusammengesetzt, so würde man z. B. 
die elliptische Klasse 
j u 
g= A) zu untersuchen haben auf s, = f.®) 
was, falls nur eine "Theorie der elliptischen Funktionen beabsichtigt 
würde, nicht eben zweckentsprechend wäre, bei gleichzeitiger Untersuchung 
ee All ner n = 
der elliptischen und der zu Sı — \/f,(®) gehörenden Klasse dagegen das 
allein Richtige ist. Wir beschränken uns nun im Folgenden thatsächlich 
n/ = . . ’ IN es ’ 
auf den Fall s—=/1(@, wo also die Riemann’sche Fläche gerade so viel 


Blätter als Verzweigungspunkte hat. Implieite aber erledigen wir auch noch 


N TRRER ci E A/AR NIT R 
den Fall = |/f,@, wenn n — 2» ist, indem die für s = |//,@) abeeleiteten 
2 , n > 


Formeln durch die Substitution s— yo alsdann in rationale Formeln von 
x und 6 übergehen, wenige spezielle Formeln ausgenommen.) 


Sei nun 


(1.) f@) = » 2) ende — \ f@), 


v—0 
so führen wir die Funktionen 


(2 ) 2 — % I ZE 


2.) > 12} 
S S 


“lm 


als neue homogene Variabeln ein; dadurch gewinnt die Formen- und Funk- 


tionentheorie auf dem Gebilde 5” — f(@) —0 ganz erheblich an Einfachheit 


!) d.h. mit normaler Verzweigungsfunetion, 
?) Da Formen gerader Ordnung nur gerade Kovarianten haben, so werden, wie sich 


zeigt, nur gerade Potenzen von s— |/o vorkommen, also die Wurzeln fortfallen. 


[7] Zur Funktionen- und Invariantentheorie der binomischen Gebilde. 285 


und Sehönheit. Die Gleichung f(@) = s” geht dann über in: 


v—n 

. x /n ) 

(3.) ar a) al wor |) > (")a Lu, 
v—) 


und man kann die Sachlage nun auch so auffassen, dass vermöge (3.) die 


Grösse x, als Funktion von z, definirt wird; für die Zwecke der Funktionen- 


theorie ist es dabei aber vortheilhaft, auf s — 12 f(x 1) zurückzugehen, da 
die Verzweigungsstellen von s als Nullpunkte von f(=|1) bereits bekannt sind. 
Die Integrale erster Gattung lassen sich linear zusammensetzen aus 


Fundamentalintegralen von der Form 


® (a) de = N dx 
— Pun X > = Q,n X %) 7 
ur Pun a) Pın l s2’ 
. . 


wo man für 9 @ |) der Reihe nach «+1 linear unabhängige Binär- 
formen « Ordnung Po, Pal, -, Pau, = 12,...n — 3, (90 —1) zu be- 
nutzen hat; die Nullpunkte von /(z | 1) sind dabei allerdings als von eim- 
ander getrennt liegend vorausgesetzt; sind Nullpunkte höherer Ordnung 
vorhanden, so hat das nur zur Folge, dass die 9,, nicht mehr beliebige, 
sondern passend bestimmte Binärformen sein müssen. 


Nun ist: 


Ge) = (ia, Obiy en, ch) — = d FL E SL ul .) — —_ 3 


Ss S 


8 x Ä = ade p ordern 
und somit nimmt das Integral erster Gattung JS; folgende einfache Form an: 


(4.) Di; = [= — fd) ’ 


und es wird 


(9.) ya —— fm (2 | ©) (ade) = f om (2 | 2.) do;, 


wo also die ursprünglichen Variabeln x, s völlig herausgegangen sind. 
Es folgt: 
Wenn die Nullpunkte der Funktion f(w | 1) sämmtlich von einander 
verschieden sind, so kann man auf dem alvebraischen Gebilde 
a 


die Fundamentalintegrale erster Gattung darstellen wie folot: 


286 J. Wellstein, [5] 


Um — /9w (2 | 22) (ed) — Sp (2, | x,) do;, 


wo man für Pw der Reihe nach u+1 linear unabhängise, aber sonst 
& u EI} 


beliebige Binärformen uw” Ordnung einzusetzen hat: 


Pu, Pury "> Puuz 4 — Ren m 38 I Ik, 


Das sind also 


(6.) p=1+2+353+...+n— 2 = 


(n 1) (n — 2) 


wm 


Integrale erster Gattung; da die binomische Fläche unter der gemachten 
Voraussetzung n je n— 1 mal zählende Verzweigungspunkte hat, so ist ihr 
: : 1 z E 
Geschlecht in der That gleich »=5 [nn — ) —2(n — 1)\. Diese Voraus- 
setzung hinsichtlich der Verzweigungspunkte werden wir jedoch für die 
Folge fallen lassen. Das Integral », verliert übrigens, wie die Ausdrucks- 
form 0, — f de erkennen lässt, seinen Charakter als allenthalben stetiges 
I a 
Integral erst, wenn f(= | 1)—0 einen »-fachen Nullpunkt mit 2» > n besitzt. 
Stellt man =, , als Jartesius’sche rechtwinkelige Koordinaten dar, 
so erhält das Integral erster Gattung &; = — /'(eda) eine anschauliche geo- 
metrische Bedeutung. Sind nämlich z und y zwei 
Punkte der Kurve f(x, |) —=1 und x, x, bezw. yı, % 
ihre Koordinaten, so ist der Flächeninhalt des 


Kurvensektors x0y gleich dem Integral: 


2 il 
Y ME ee 
Z = Ss =—;/ (ed) — lo, — @.!. 
7 

Das Abel’sche Theorem giebt dann interessante Sätze über diese Sektoren, 
worauf jedoch nicht näher eingegangen werden soll.') 

Nieht minder elegant lässt sich das Integral dritter Gattung dar- 
stellen; wir benutzen die gelegentlich schon von Weierstrass, allgemein 
aber von Christoffel?’) eingeführte Modifikation desselben. Das Christoffel- 


!) Vergl. Appell et Goursat, Theorie des Fonetions algebr. chap. X, art. 235. 
2) Annali di Matematica, II? Band IX. 


[9] Zur Funktionen- und Invariantentheorie der binomischen Gebilde. 287 


sche Integral R(o'e) wird in e logarithmisch unstetig mit dem Gewichte 1 und 
in den » unendlich fernen Punkten der Fläche 7 je logarithmiseh unendlich 


; 5 1 - - . 5 i 
mit dem Gewichte „ Diese letzteren Unstetigkeiten verlegen wir, um 
eine covariante Normirung des Integrals zu erzielen, ins Endliche. Dann 
erhalten wir: 


1 1| (2%) (2%)? | (@y) 
ta) Ja-(ae || A) = 1 SEE. 7 2/22 
(7.) (2 | 9) je + u) (a) Ar Är (ey | (em) a 


und wenn man die Identität 


(zy) (ed) + (yx) (zdix) + (@2) (ydz) — 0 


berücksichtigt: 


ee 2X)" 
1 (zy)" | (ya) (zd.) \ 
8. z\x — = — —ö —— = 
(8) R.@|9 fi ns (2x) | (y%) (ex) |? 
(zy) 
woraus man ersieht, dass R; (@ |) nur folgende Unstetigkeiten hat: 
1. für =y: R.&@|y = In(yx) + funet. cont., 
20 ; 1 5 
2. für 5; = 4%: R.&@| y)) = — n In (22) + funct. cont., 
ni 
woi=1,3;0=en, x—=132,....» zu Setzen ist. Schliesslich ist: 
(9.) I,,7.& — R.&@ |) = R&@|m) 


das gewöhnliche Integral 1. Gattung mit den Unstetigkeitspunkten (7) und @7)). 


un 
D 


Schwesterformen. 

Die Variabeln z,, 2, haben uns u. A. den grossen Vortheil gebracht, 
dass die Derivierten der Fundamentalintegrale der 1., 3. und auch 2. Gattung 
nach » sich als binäre Formen von z,, x, darstellen, und dass überhaupt 
alle Formen von &, % 


zugleich auch Funktionen der Klasse sind, während 
umgekehrt alle algebraischen Funktionen der Klasse rationale, aber nicht 
nothwendig homogene Funktionen von x, 2, sind. Dafür müssen wir freilich 
auch unendlich grosse Werthe dieser Variabeln zulassen, nämlich in den 
Verzweigungspunkten von s— / f@|», d.h. den Nullpunkten von f@| 1). 


Nova Acta LXXIV. Nr. 2. 37 


288 J. Wellstein, [10] 

Es versteht sich nun von selbst, dass man zur weiteren Untersuchung 
dieser Formen die Mittel der Invariantentheorie flüssig machen wird. Für 
unsere Absichten erweisen sich die Schwesterformen oder assoeiirten Formen 
als besonders nützlich, und wir wollen, wegen der im vorliegenden Falle 
eintretenden Besonderheiten, das Wichtigste über diese 'T’heorie hier zu- 
sammenstellen.:') 3 

Seien 


h 
h h-v ı h r 
p (&ı | 2) = > ( ) Py % = 9, (symbolisch) 


| 
| 
Une 
| 
(Ü 


irgend welche Binärformen, etwa Integranden erster Gattung, welche auf 


N 


N—ip: v n 
(2.) rien |) = >23 6) a, %ı nen el 
v 


v—0 
in Betracht gezogen werden sollen. Wir führen dann „typische“ Veränder- 
liche &, & ein durch die Substitution: 
(8.) a—härnh | Rehi u, WO 


(4.) a7" —1 und ı = % u, n=4" @, also 


Die Determinante ist 
(8.) A nn 1 
und die Inversion: 
(6.) & = 7 & = (al). 
Nach (3.) ist für jedes a, &: 


(7.) g—&Sı + (a) &. 


!) Vergl. Clebsch, binäre Formen, $ 81 fl — Faa di Bruno-Walter, binäre 


Formen, $ 21 ff. 
2, Die Gleichung r, —1 stellt offenbar die Tangente der Kurve a —1lind, b 


dar; 7,, 7, sind also inhomogene Linienkoordinaten. 


11] Zur Funetionen- und Invariantentheorie der binomischen Gebilde. 289 


Indem man nun c, als symbolischen Linearfaktor von f, bezw. g oder 
deutet und dementsprechend zur »'”, bezw. h“" oder %'" Potenz erhebt, erhält 
man die bekannte 


typische Darstellung von f, 9, %,...: 


N N—V v v N—v 
8 I1= fa |wW)= a" — > () u, Sı 5, wow=(a) % , 
v=0 
k %o—]}, u —I9 
h 
h — /h Ava . Di 
oa m) N W v5 8 wwy,=(p) 9, , 
v—0 


v 


k 
k k ke 3] 
(0b) (2, | 2) = v, =—— y ( ) W, $ı ? &, wo w, = (pr)' un ; 


| 
(9) | 
| 
| 


Zwischen einer Covariante!) //(a,, 9,, ®y,... | Xı, %) der Formen (1.), (2.) 


und der Transformirten 2/(u,, v,, w,,...|Sı, 5) besteht wegen (5.) die Be- 
ziehung: 


(10) 7W,r,%,...|5,)=(- DI I, 9,9%... | 2, ©) 


um 


wo g das Gewicht von I; d. h.: 

Um eine Covariante der Formen (1.), (2.) typisch darzustellen, ersetze 
man Ay, Pr, dyy... | 2, 22 durch Uy, %y, Wy,...|Sı, 52 und gebe dem entstan- 
denen Ausdruck positives oder negatives Zeichen, je nachdem die Covariante 
gerade oder schief ist. 


Lässt man &, & mit &, & zusammenfallen, so wird s=1, &=0, also 


(11.) I (u,, VW... | 1, 0) — (= 1,9 u (@,, 9, de... tı, bh), d..h.: 


Eine in den Variabeln tı, t, geschriebene Covariante der Formen (1.), 
(2.) erhält man aus ihrem Leitgliede bis aufs I orzeichen, indem man darın 
die Cofficienten 4,, Py, %y, ... durch die Schwesterformen %,, %y, Wy,... 
ersetzt, v—0,1,2...; das Vorzeichen aber ist positiv oder negativ, je 
nachdem die Covariante gerade oder schief ist. 


Das Leitglied einer Invariante ist natürlich die Invariante selbst. 


1) Invarianten werden hier und in der Folge stets als Covarianten der Ordnung 
null aufgefasst. 


37* 


290 J. Wellstein, 112] 


Durch den letzten Satz gewinnt das symbolische Rechnen mit 
Leitgliedern, wie es von M. Roberts’) in die Invariantentheorie eingeführt 
ist, auf unserem algebraischen Gebilde reale Bedeutung, wofern man nur 
die Leitglieder mit den Coeffizienten der typisch dargestellten Urformen, 


also mit den Schwesterformen «,, ®,, @,,.... bildet. 


Differentialgleichungen der typischen Variabeln &, > und 
der Schwesterformen. 


Nach Formel (4.) des $ 2 ist 


(1.) u wo. Glare 192. 
Es ist also: 4” —1, und die Derivirte hiervon nach & = — /(tdt) demnach: 
r din 2 
a Or 0, wo &;—= er E20 aber dos; — — (tat), ak = — (tt), so- 


dass man mithin zur Bestimmung von *,t, die Gleichungen hat: 


(2.) anni a —0 und = —1 oder: 
T, v + T3 tz 0) | t; iR = t, t', = Jg 
Daraus folgt: 
: rd: RE 
(3.) A 7 T. 


m . . D Dale) 2 .D 
Bedeutet also 9 = 9, symbolisch irgend eine Binärform m‘” Ordnung, so ist: 


—1l _m—1 


IE (pa) n 
— m (pa a, 9, ’ 


BR. mom (dp 
do; go: pP; Pr Ze f 9, 


und es ergiebt sich der wichtige Satz: 


N er 5 
Au a, —1 kommt das Differenziren von Formen nach = — a) (tdt) 


. - 55 . . n . . . m 
einer einmaligen Ueberschiebung über a, gleich, ist symbolisch P=9Y, , so 


hat man 


1 _ n—l 1 


ap M— 1 —— 
(4.) Be: — m (Ya) ; q, — m(gpr) p, 


Hier beginnt nun das Integral © seine ausgezeichneten Eigenschaften zu 


1) Quart. J. IV (1861), S. 168—178, 324—328. Zwischen den Leitgliedern bestehen 
bekanntlich dieselben Beziehungen wie zwischen den Kovarianten, welche sie symbolisch 
repräsentiren. 


13] Zur Funktionen- und Invariantentheorie der binomischen Gebilde. 291 


offenbaren. Für eine Linearform A = 4; ist nach (4.): 


di n—1 ”. n ‚n 
TE (Aa)a, , also, wenn a, =a‘, —=];: 
d22 ) n .m-1 
do — (2a) (n—1) a, (aa‘) a’, 

n—1 —2 —2 

= (aa‘) a, a‘ (Aa) a — (Aa‘) ay} 
n—1 nd n—2 mn 2 2 
>= 5, ai 70 t 


Hier tritt ein zweites, im Folgenden sehr wichtiges Gebilde auf, die Hesse- 
. n D .. 

sche Covariante von fl |%)=a,, welche wir aus erst später zu recht- 

fertigenden Gründen folgendermaassen bezeichnen: 


B n—1 „2 _n—2 nn 
(3.) — (a) a, ad, =—r. 


Es gilt dann der Satz: 
- „ n .. st B . 
Jede Linearform »— 4 auf a, —1 genügt der Differentialsleichung') 


d?2 
(6.) do 1 Ar 30% 
Nach $& 2, (6.) ist & — (et), also ist nach (3.): 
ds; 
= (xt) — Tz — 58 ferner folgt aus (6.) für A = ze 


EWR 
dor +7T&,=0, d.h.: 


Die typischen Variabeln Sı,5 genügen den Differentialgleichungen 


„ ds = d’S; R dsı z 
(7.) di, Wi 7,5 bes, 0 Fe ESG 


Es ist demnach: 
dee _ 1 


eK oder anders geschrieben: 

day) n—1 n Er : 

Tre? a,, falls a«,—=1 und a, —1; also: 

d (yx) u n—1 d (zy) n—1 . 

de una, oder Ze a, 4y; folglich: 
d: (2) I nl _ Play) 


n— 
a 4 
— (aa‘) a, 4 


don, do, y do,da,' 


!) Die Kenntniss derselben verdanke ich Herrn Prof. Christoffel. 


292 J. Wellstein, [14] 


Nun ist aber: 


NEN Em I EN a N n—\ n—1 
(aa‘) a, @ 5 (ey) = (a, a, —aya,)a, @ a 
day) day) I 


n m Di Du 
= ou, —N a a a. = 
RE? Wo el Zi a, 
Bean) 


den, : day’ es folgt: 


I y—L+ 


Die partielle Differentialoleichung 
aa oe’ V 
(8) Vs 0807 0 on 


wird integrirt durch V= (xy) = (a yp — 22 Yı), wo 


1 


{1 
= — g Ic Zu) h = 1 . SERERE N 
| S Jeda), wenn a, und die Binärform 4, 


(9.) 
| n=— SuM, » Be | sonst willkürlich bleibt. 


Soleher partiellen Difterentialgleichungen könnte man leieht noch mehrere 
aufstellen; wir gehen jedoch nunmehr über zur Herleitung von Differential- 


gleichungen für die Schwesterformen. 


Es war nach $ 2, (8.) und (9.): 


My 


v n 
U, — (ar) a, tl, m —0, 
se Go De v—p 
(10.) L v 7 t ul) 
N v k-v : 
w, — (vr) vv ; wu e 
Nach S 3, (3.) ist aber „ = i,, ,=4", also folet aus (10.): 
rl ) > 
vn—v 4 v h-v : v k-v 
11) „= Au 4, Vy — Pu Pr w,—y.%, | 
Differenzirt man diese Formeln nach ®;, so ergiebt sich, da nach (6.) für 
beliebige Linearformen 44 = — 4; ist: 
1 nv +1 nv—1 
| Un, — —D a, a, a 1, + (n—v) u a, i — (n—») uU,rı —PTU,1, 
Our, v—1l h—v+1 v+1 hv—1 i 
| v,—=—vp, 9, T+thr)gpu 9, — (h—)o,ı1 -vrv, |, 


(giltig auch für v—n, bezw. v —h, indem n—v)u,+, bezw. h—v) v,+, fortfallt.) 


15] Zur Funktionen- und Invariantentheorie der binomischen Gebilde. 293 


Das sind 


dıe recurrenten Differentialeleichungen der Schwesterformen: 


( du, 
j “ en y . = — ul 5 = 
(n—») u,ı, —=Ww, + vru,_ 1; W —1, u 0; u, — day 
dv, 

—v) v, — DEV, 1: u =—=g Bo — = 

(12.) | (h—2) v,+1 u 7 doy 
dw, 

| (k—) w,yı =Ww, tr vw, 1, W—Y ee des; 


welche für die Funktionen- und Invariantentheorie auf unserem algebraischen 
Gebilde von ganz hervorragender Bedeutung sind. Besonders wichtig sind die 
Gleichungen für die «, denn sie ergeben: R—1) » —=r und W„+nru,_,—0, 
woraus wir eine fundamentale Differentialgleichung für 7 ableiten werden. 
Die Gleichungen (12.) für die « sind Analogien zu den Rekursionsformeln, 
welche Clebsch,') dessen Untersuchungen über die typische Darstellung 
von Covarianten dem vorangegangenen Abschnitte zum Vorbilde dienten, 
für seine „assoziirten* Formen abgeleitet hat. Dividirt man die von Clebsch 
angegebenen Rekursionsgleichungen') durch solche Potenzen von s— / fix, |x,), 
dass sie in z,, ©, zur Ordnung null homogen werden, so gehen sie nach 
einer leichten Umformung in die Gleichungen (12.): R—») u,_, = uw, + vru,_; 
über, nur dass unseren Variabeln x, 2, bei Clebsch - = entspricht. 
Auf diesem Wege wurde die Formel (r—») u, = w,+ vru,_, zuerst von 
Herrn Christoffel erhalten, welcher dieselbe auch in einer Vorlesung mit- 
getheilt hat. Der oben eimgeschlagene Weg führt jedoch kürzer zum Ziel 
und zwar auch bei den » und we, für welche bisher keine Rekursionsformeln 
vorhanden waren. Zur Erleichterung der folgenden Rechnungen empfiehlt 
es sich, statt der Grössen %,, ?,, @,,... einzuführen: 
n! h' P k! 


(dep) BU — en a — Bern v,, W, = ): Moos 


wo U = 1,0, 0, Una DY)wm—ne hu 9, 


1) Algebra der binären Formen, $ 83 am Ende. 


294 J. Wellstein, [16] 
Es wird dann nämlich: 


= e TI = 
U, - U, HVn I DrU,, ı 3 RU 0% 


(14) | ar =P, +r7—v+ eV, ,N=9=g), 
Wa Walk 9 1), m 9— v, 


sodass also jetzt nur noch ein Glied mit einem Zahlenfaktor behaftet ist. 
Theilt man die erste Formel der Gruppe (14.) dureh », so ergiebt sich 


i & D,. i 
durch wiederholte Anwendung dieser Formel, da — ist, folgende Tabelle: 


1 
DE a , 
| „Uo=r 


= U,d)=7T7+3(m—2)T 
1 


(15.) | 


= U, cd) =TH + 2(5n—12)T! 
1 : 2 
= U, = t!F + (15n — 44) tr?! + (10n — 24) TI + 15 (mn — 2) (n — 4) 73 


sırm 


— 


wo durch römische Ziffern das Differenziren nach &; = — Sat) angedeutet 
ist. Die Buchstaben U, sollen in dieser Tabelle Symbole für die auf den 
rechten Seiten stehenden auf 7 erstreckten Operationen bedeuten; daher das 
beigeschriebene Argument. Schreibt man ebenso V,(9) für V,, so ergiebt 
sich ganz analog aus (14.) für 9" — = „vg: 

N.) = Y' 

| @=y"+hrip 

(16.) V;(p) = p“ + EhB)ty +hr'p 
| V,(p) =“ + (6h-8) 7 9" + (dh 2) 7/9 + hlr“ +3 (h--2) 72) p 


Die rekurrenten Formeln (14.) definiren an sich unbegrenzte Reihen von 
Formen U, Uı, U:,... bezw. V),Vı,V2,... Da aber die erste Formel (12.) 
für »—=n ergiebt Oo =w,+nru,_ı, so ist die Grösse U„+ı, die durch (13.) 


nicht definirt wird, identisch Null; ebenso Y,+1 = 0. Versteht man unter 


U-(t) — gr (2aln— 74) rel + (35n— 92)r/7!! + 3(15(7—2) (n—4) + 4n—5) (dn—12)) Tr? 


[17] Zur Funktionen- und Invariantentheorie der binomischen Gebilde, 295 
U,+1, Pn+ı,... die Differentialausdrücke, die man durch wiederholte An- 
wendung von (14.) erhält, so folgt: 


’ n—1 2 n—2 mn h k E 
Die Formen T = a (aa‘) a, a, und P=9,, v—=u, genügen 


auf a, —1 den Differentialoleichungen'): 
(17.) HI, MıuıW—0,..., 


wo die linken Seiten nach (14.) oder (15.) und (16.) zu berechnen sind. 


. pp . . . Dee . . . BU 
Diese Differentialgleichungen sind für die Funktionentheorie auf «,—1 von 
grosser Bedeutung und stehen mit fast allen invariantentheoretisch wichtigen 


Differentialgleichungen in imniger Beziehung. 


S4. 
Ueber einwerthige Lösungen der Differentialgleichungen 
U,+1 G)—0, Phrı (9) —I. 

Es giebt eine ganze Reihe von Fällen, in denen die Differential- 
gleichung Un+ı Od = 0 die Grösse 7 als einwerthige Funktion von ® 
definirt. 

I. Fall. n—3. Die zu a’ —1 gehörige Differentialgleichung U) — 0. 
Nach $ 3, (15.) ist in diesem Falle: 
1.) "+30. 
Offenbar ist 7’ ein integrirender Faktor dieser Gleichung und 
(2.) t'? + 273 — const. 
Diese Constante muss mit der einzigen Invariante von @°, nämlich der Dis- 
kriminante 
R = (ayd3 — 4,43)? — 4 (aya, — a?) (a,d3 -— 32) = Us? + 4 u,3 
[efr. $ 2, (10.)] bis auf einen Zahlenfaktor identisch sein; nun ist 
u; — : U;, = > U,, also: 
;u+ 6 U - («2 + 27°), in Uebereinstimmung mit (2.) daher 
1) Für A—=1 und 2 hat die Gleichungen V,(p) = 0 bezw. V,(Y) zuerst Herr 


Christoffel gefunden, jedoch auf ganz anderem Wege. 


Nova Acta LXXIV. Nr. 2. 38 


296 J. Wellstein, [18] 


(3.) 2 +27 —4R, 
oder mittels der Substitution 
(4.) = = A 3 (aa)? a; , = — / (td): 
(5) (zZ) te+R,ahı, 
In diesem Falle ist die Wererstrass’sche p- Funktion mit den speciellen 
Invarianten a—=I, 9 = — R Lösung von U, (t) = 0, nämlich: 
(6.) 2 = plo) , T— — 2p(o). 


Ist R von null verschieden, so ist das Geschlecht der vorliegenden 
Funktionenklasse nach $ 1, (6.) gleich 1, und die Substitution (4.) vermittelt 
dann den Uebergang zu den elliptischen Funktionen. 


II. Fall. n—4. Die Gleichung Uny @)—=0 für af —1. 

Diese Klasse umfasst auch die elliptischen Funktionen, insbesondere 
ist © — — /(ada) — Be das elliptische Integral erster Gattung, wo s—Y/(a,t), 
4=9,% 1. Die Gleichung Y%+ı = 0 giebt hier: 

(7) U W—r“ + 1rr—0, also 

(8.) z“ + 872 = const — a. 


Hiervon ist 7‘ ein integrirender Faktor: 


4‘ “4 2 ‘ 4 1 2 8 er 
Tat aBee) a are, 
= \ N 3 3 p 
wo b eine Constante. Setzt man = — 7 2, so folgt: 
dz\? 
a yrsc ep 
(9) ee al 


wo A, B constant sind. Dann ist 
4 
(10.) eo, teh (0). 


Das war vorauszusehen, denn 


3 3 
(11.) Tr = — 7 Dr 3 (a a’)? Ay: a’? 


19] Zur Funktionen- und Invariantentheorie der binomischen Gebilde. 297 


ist nichts anderes als die Hermite’sche') Substitution zur Ueberführung 
eines Differentials erster Gattung in die Normalform von Weierstrass; 
man hat nur zu beachten, dass unsere Variabeln x,, x, dort ersetzt sind durch 


RE E . . . 
‚s— \/faı |), sodass also in den Hermite’schen Variabeln 


2 3 (aa‘)? a2? a2? 
2 fa |) 


ist. Von einer Berechnung der Constanten A, B dürfen wir daher absehen 
und begnügen uns damit, hervorzuheben, 
dass auch in diesem Falle die Weierstrass’sche p-Function die Lösung 
der Differentialgleichung Um+ı — 9 15t. 
III. Fall. Binärformen, welche durch das Verschwinden gewisser 
Dmwarianten oder Covarianten als specielle Formen charakterisirt sind. 
Zur Behandlung derartiger Formen benutzte man bisher den Satz 
von Faa di Bruno’), 


N 


n 
- . ei a 
dass eine Covariante C einer Form fix, |x) — K 


v—0 


bis aufs Vorzeichen aus ihrem Leitgliede C, hervorgeht, wenn man darın dıe 


) OD 


Coefficienten Qy, Ay, Qy... Am ersetzt durch die nicht homogenen Derivirten 


REP ; i 1 1 1 i 
I nein oe Da es N — n a5 — as = N nA) 


!) Crelles Journal, Bd. 52. 

2) Comptes rend. Bd. 90, 8. 1203ff.; Crelles Journ. Bd. 90, 3.186; Am. J. II. 8.154 
‘Math. Ann. (1881) S. 230—288. 

3) Nach dem Meyer’schen Berichte „über den gegenwärtigen Stand der Invarianten- 
theorie“ zu urtheilen [Jahresbericht der deutschen Mathematiker-Vereinigung Bd.I, 8. 211], 
scheint man bis jetzt noch nicht beachtet zu haben, dass dieser Satz nur ein Speeialfall des 
allgemeinen, für assoeiirte Formen giltigen Satzes ist. Wendet man nämlich auf die Variabeln 
Yı, Y, der Form 


Yyı |y) = dl! = Se aYyı"  Yı 
y Y ul \V : y 


die ganz specielle Transformation 


= 2) 
—=% —— 8: == — Sn 
Yı sh (za) ln -ms + (22) > 
mit der Determinante — 1 und der Umkehrung 5, = er (yo) ann son wird 
= (= az ce Q 
%, Z 4% St + (28) S2 » also 


298 J. Wellstein, [20] 


Stellt man nämlich die für f charakteristische Invarianten- oder Co- 
variantenrelation nach diesem Satze mittelst der f, dar, so giebt das un- 
mittelbar eine Differentialgleichung für /, denn 


RENTE 


n! da” 


f, ‚ f=f@|D. 

Dieses Verfahren hat besonders Hilbert‘) in Anwendung gebracht 
und weiter ausgebildet. Ganz dieselben Dienste kann nun offenbar unser 
System von Schwesterformen $ 3, (15.) und (16.) leisten. Denn ist das 
algebraische Gebilde a4” —1ı durch eine Covarianten- oder Invariantenrelation 
6 — 0 charakterisirt, so drücke man o nach $ 2, (11.) aus durch die Schwester- 
formen %g, 24, ..., %n und letztere nach $ 3, (13.) und (15.) dureh die Derivirten 


— (aa‘)? a7"? a"? nach ®— — / (tal. Dann erhält man eine 


Differentialgleichung 6 —0 für r, wozu noch die Gleichung U, (d) — 0 


Von 


tritt ($ 3, (17.)), sodass sich aus o —0 alle höheren Derivirten als -r—2 eli- 
miniren lassen — denn Un+1 (7) 0 ergiebt einen Ausdruck für z”—-1) durch 
t, U), 70), ..., x" 2. Dieses Verfahren hat gegenüber dem Bruno-Hilbert’- 
schen ersichtlich den Vorzug, dass es mit homogenen Grössen zu arbeiten 
gestattet und ohne Weiteres auf den funktionentheoretischen Kern des 
Problems führt. 


IV. Fall. Die Polyöderformen.’) 


Diese Formen sind charakterisirt als Binärformen, deren vierte Ueber- 
schiebung über sich selbst identisch verschwindet. 


n in a, > h 

fü |) = SE >e) a, 5 - &, won d,— 
Für jede Covariante // (a), @,.-, @, | y, Y,) von f mit dem Gewichte y gilt also die Relation: 

(a, ı,..., &, | 91: %) — CN) Ua, ai, ..., an |Sı. 8), 
und wenn man %, %, mit x, ©, zusammenfallen lässt: 

Io, anr2.,.0, | 25%) — GET a0): 
Für 2, —= 0 ist das der Satz von Bruno, Seine Ausdehnung auf mehrere Stammformen ge- 
schieht nach demselben Verfahren. 
!) Diss. Königsberg (1885); Math. Ann. 30, S. 15—29 (1887). 


2) Vergl. etwa Klein, Vorl. ü. d. Ikosaeder. 


[21] Zur Funktionen- und Invariantentheorie der binomischen Gebilde. 299 


ee! za 


NN R 
Isa 8 ( ) a, x," 2,” eine solehe Form, also (aa)? a, = ; 


ER 
so gehen wir zu der entsprechenden normalen binomischen Gleichung 4" — 1 
über, und es ist auf diesem Gebilde: 

(12.) LOHE a N 


Zur Darstellung dieser verschwindenden Covariante mittels Schwester- 
formen “, würde man von dem Satze $ 2, (11.) Gebrauch machen können; 


vortheilhafter ist es jedoch in diesem und ähnlichen Fällen, die Identität 
® 


(13.) ar a’yı — Ayı a4; = (aa‘) (tt) = — (aa‘) [$ 3, (2.)] 


3 dt, 

zu benutzen, worin {,= —°, v—=1,2, bedeutet. 
day 
Dann ist 


(aa)! — az! . at — 4a ay.a4y® ay+6 ap Qy2 042 a2 —A a; 04° .alua? + au°.al, 


und da nach $ 3, (11.) hierin a, a" = “4, ist, so hat man: 


(aa ar A at — um +6, m — 4m + U u, also: 
(14.) in I Bl) 
h (nm—4)! ,, n— 4)! R T 
Aber UNE — ST ) U = nr T"+ Bl — 2) T? : Un a ‚ vergl. 
8 3, (13.) und (15.); daher 
ze e 2 a)! 
’ ae — = EN SL Be ee) 
u + 3 U Ga ” +3 (n ) zw + n— 1: mg | 
(n — 4)! | Me), 
== == „ 6 = on 2 
@—Di]l a er D 
und so ergiebt sich die definirende Gleichung der Formen der regulären 
Körper: 
2 r — 2)? 
(15.) Fr+l2e=l, B= (n= a 
a—l 


Als integrirenden Faktor dieser Gleichung erkennt man r“. Daher: 
(16.) 21 4%7°—= constt—=a, 
vorausgesetzt, dass nicht 7 —=0 war; in letzterem Falle würde aber = 
const = c folgen, wo entweder e=0 oder c=+#+0 ist. Da r als Hesse’sche 
Covariante eine Form 2» — 2)ter Ordnung in 4, t, ist, so muss auch ce sich 


300 J. Wellstein, [22] 


als Form dieser Ordnung darstellen lassen, und zwar als geeignete Potenz 
7 n sao 20 ) sodass 9 9 Isc 4 fr man 
von 4"—1, sagen wir r—c.1?, Sodass »R—2(n — 2), also n — Se ver = 


giebt 2—0, n— 2, wo thatsächlich die Hesse’sche Form eine Invariante ist, 
und 3—1,n=4; dann ist, wie wir später sehen werden, a,* Potenz einer 
linearen oder quadratischen Form. Ist hingegen #0, so gilt die 
Gleichung (16... Auch sie muss sich auf beiden Seiten in t, 4 homogen 
machen lassen, indem man zu a eine Potenz (a)? = ı*— ı als Faktor fügt'); 


die linke Seite ist aber von der Ordnung 6 —2), daher nA = 6(n—2) und 
” 


12 


”— 5 Diese Diophantische Gleichung hat die Lösungen: 


ıi—0|12|3/4|5. 


(17.) Zolen hehe: 


Lassen wir die Fälle a—=2 und »—3 bei Seite, in denen eine vierte 
Ueberschiebung überhaupt nicht möglich ist, so enthält die Tabelle (17.) die 
einzigen Ordnungen, bei denen [f, fl, = sein kann. 


Für = — folgt aus (16.): 
x 
dz\? % 
| G ) — 423 — A, wo A eine Constante 

18 a0, 
(523) | (n — 2): 

undez> — x oo) © 

n—1. 


Wiederum ıst die Weierstrass’sche »- Function die Lösung von 


Un+ı d —°. 


Die wirkliche Darstellung der drei in Betracht kommenden Formen 
von den Ordnungen 4, 6 und 12 können wir übergehen.) Es sind bekannt- 
lich die Formen des Tetraeders, Oktaeders und Ikosaeders. 

Gegen die Fälle I und II dieses $ liegt hier insofern etwas Neues 
vor, als das Geschlecht 

der Tetraederklasse 53 = 3, 
der Oktaederklasse #2 = 10, 
der Ikosaederklasse $ = 55 


1) Vorausgesetzt, dass a,“ nicht selber als Potenz einer Form von niedrigerer Ordnung 
darstellbar ist. 
2) Vergl. etwa Klein, Ikosaeder. 


[23] 


Zur Funktionen- und Invariantentheorie der binomischen Gebilde. 301 
® 

ist ($ 1, (6.)). Gleichwohl lässt sich das Integral ©, wie wir sahen, ein- 

deutig umkehren.) 


Von besonderem Interesse ist in den Polyederklassen die Difterential- 
gleichung der Linearformen $ 3, (6.): 


Mr a—0, 


der nach $ 3, (7.) insbesondere auch die typische Variabele &5 genügt. Nach 


(18.) ist = — = 2—= — 5 9(o), also: 
(19.) 2 ap (@), wo A =, 
do? x x 


Zur Integration dieser Lam&’schen Differentialgleichung setzen wir: 


ea ar en, \a,; 
0 de do. .da ° I GE De 


also nach (19.): 


Aber nach (18): #?= 43—A, also 2" = 62? und 


(20.) (423 — A) g2 + 622 ae al. 


dz? de x 


Diese Gleichung lässt sich leicht in die hypergeometrische über- 
führen, denn setzt man: 


(21.) 423 — Az, also = — 7 23 7 so wird 
dı dı z da d?ı x? a et 36 d?2 34 di 
ee de nr A et A 


also nach (20.): 


A@—) = FA@ yet ren. — 


dx? dx 
und hier fällt z durch Division heraus; daher: 


36 2(@ — 1) — + > 


de 


72 
(242 — 4 182) — 7, also: 
x 


!) Im Falle II mit der Grundgleichung at —=1 ist zwar p— 3, aber @, in der 
Form ©; -/% geschrieben ($ 1, (4.)) offenbar ein elliptisches Integral 1. Gattung. Die 
beiden anderen Integranden 1. Gattung genügen der Lame&’schen Differentialgleichung 


7 —! u (0). Vergl. oben den folgenden Text. 


302 J. Wellstein, [24] 


“ 


d22 To AAN: 1 
(22.) ee = Be a 30 


Durch Vergleichung mit der Differentialgleichung der hypergeome- 


trischen Reihe 


| 2(<—1) . ae larat dee} & + aby=0 
I n=Fapleld—Foaleleı In 
y-ay tray 
%=Fla+1—-o,b+1—c|2—c|on).a—| 
7 1 

folgt: Ita+b=/|e-, Bi also: 
1 0 1 REN 

a a an se ns 


Das giebt zwei Lösungen a=d,b=d, oder a=d,b—=d,, wo 


1 1 1 1 1 
24. = NEE EN 
\ ) dı 6 er eo 


denen aber wegen der Vertauschbarkeit der beiden ersten Argumente von F 
nur eine Lösung der Differentialgleichung entspricht. Man findet: 


1 2 L 1 1 2 
| 1-aFlgtn—r e)tamrlg tn, —rzle) 
2 1 4 4x3 4 
25. J = —  — 2 — Ye, > Y 
(23.) | v 6n_— 2)’ an TEE 7? (9}). 
—_ op 
| #= —_ - ; c, & constant nach x. 


Die Bestimmung der ce mittels Specialwerthen macht dann weiter keine 
Schwierigkeiten. Auch & ist nach $ 2, (7.) in der Form (25.) darstellbar, 


ds ds» dx 4 ds, 


und man findet dann & — — ann I Rine eine 
z do; de " doy A a5; P@o- Eine ein 


| 


fache Rechnung giebt schliesslich noch A = s (n—2)8.j, wo 


(26.) 3= (aa)? (a’ a")! (a a)? at aa A= ——j 


V. Fall. Die vierte Ueberschiebung einer Grundform f über sich 
selbst stimme mit der Form f selber bis auf einen constanten Factor c 
überein. 


Auf dem binomischen Gebilde f — a7 —= 1 ist dann (aa‘ af" a" — 


‘ 


[25] Zur Funktionen- und Invariantentheorie der binomischen Gebilde. 303 
sodass dieser Fall gleich hinter den der Polyederformen einzuordnen ist, 
denen c=0 entspricht. Nach (15.) ist also: 

(27.) z“ + 6x72?—=(, wo (C eine Üonstante. 

Ist a} nicht Potenz einer Form niedrigerer Ordnung, so folgt, wenn 


man © mit (a?) = 1* — 1 multiplieirt und so (27.) auf beiden Seiten homogen 


8 EI , : } 
macht: 2.20 - = An, n=,— Die Lösungen dieser Diophantischen 
Gleichung sind 

A072, |73: 

n— 2) 278: 


Nur die letzte bietet Neues und ist mit anderen Hilfsmitteln zuerst 
von Brioschi') untersucht worden, führt aber nach Hilbert’) auf eine 
Hexaederform. — Aus (27.) folgt: 

1? + 4x3 — 20 — D, also für «or = — z: 
(28.) 2? — 423 — jy2 — ja, WO j,, Constante, 
und wiederum wird die Differentialeleichung durch die %- Function 
integrirt, 


(29.) 


— —. xt — p(0)- 


Ü 


Diese Beispiele dürften die Vorzüge unserer Methode hinreichend 
dargethan haben. Auch an die Schwarz’schen Untersuchungen über die 
algebraischen Integrale der hypergeometrischen Differentialgleiehung”) lässt 
sich mit den Hilfsmitteln dieses Paragraphen leicht anknüpfen. 


5 
S U. 
Neue Systeme associirter Formen. Potenzinvarianten. 
Aus $ 3, (15.) und (16.) folgt mit Rücksicht auf $ 2, (10.) und (11.): 
(1.) Ale Invarianten und Covarianten auf ay — 1 lassen sich dar- 
stellen als rationale ganze Functionen von 1,1‘, T",..., an 2) sowie von 
9, 9, 9", ...,gM, vw... wM,..., Jals 9 = go. vd — wi „... die Grund- 
') Chelini, Coll. math. ete., Seite 213—219, und Comptes rend. (1883) 8. 1689 —92. 
2) Math. Ann. 28, 445. 
3) Crelles J., 75, 292—335. 


Nova Acta LXXIV. Nr.2. 39 


304 J. Wellstein, [26] 


Formen sind. Die n— 2) ersten Derwirten von, die h ersten von g, u. 5. w. 
bilden also ein System assocurter Formen. 

Ein Vorzug desselben ist sein einheitlicher Aufbau aus Derivirten 
von r-und den Grundformen, d. h. aus fortgesetzten Ueberschiebungen über 
a, —1. Das identische Verschwinden einer dieser Formen, etwa von 7%) 
oder g®), zieht stets tiefgreifende Folgen für a? — 1 nach sich; man hat 


z.B. in den erwähnten Fällen: 


N —. — N) 
Te a TC, or ao 2. eat 


mit constanten ce und a; dann kann aber »® kein Integral 1. Gattung mehr 
sein, und a. —0 muss folglich nach der Bemerkung gegen Ende des $ 1 
einen o-fachen Nullpunkt mit 22 >n haben. Umgekehrt folgt daraus: 


(2.) Wenn © ein Integral erster Gattung ist, so verschwindet keine 


Derwirte von T, 9, y,... zdentisch. 


Natürlich auch keine der höheren Derivirten, welche nicht als asso- 
ciirte Formen Verwendung finden. Die Grössen 7, g, w... und ihre Deri- 
virten aller Ordnungen bilden also eine unbeschränkte, nie abbrechende 
Reihe von Covarianten auf a — 1; sie mögen die Elementareovarianten 
heissen. Dieselben zeigen ein merkwürdiges Verhalten, wenn die Grund- 
gleichung f— a? —1 selber Potenz einer anderen F—a/—=1 ist, etwa f—= F#, 
also n— wu», oder wenn f—=1 ersetzt wird durch eine positive ganze Potenz 
f- = 1, die wir wieder F nennen wollen, also F—f%=1. Sei nun, um beide 
Fälle zu umfassen entweder f eine Potenz von F, oder umgekehrt, und sym- 
bolisch = =1, F=«a =1, seien ferner ı(f) und z(F) die zugehörigen 
Hesse’schen Covarianten, wo also z(f) nur ausführlicher geschrieben das 
frühere 7 bedeutet. Benutzt man nur die x vielen Werthsysteme 4, t,, die 
den beiden Gleichungen f=1, F—1 zugleich genügen, so gehört zu beiden 
Gleichungen auch dasselbe &; — Sat). Ist aber A=4 eine beliebige 
Linearform, so ist nach $ 5, (6.) 


a 
day? ur a m 1 day? 


ee 


4 
und so ergiebt sich die bemerkenswerthe Gleichung: 


(3.) tf)= ur), also auch <)(f) = z)(F), d.h. 


[27] Zur Funktionen- und Invariantentheorie der binomischen Gebilde, 305 


(4.) Zsf eine der Gleichungen f—=1, F=1 eine volle Potenz der 
andern, so, gehört zu beiden Gleichungen dieselbe Reihe von Elementar- 
covarıanten T,C',T",... 

Wir wollen das auf anderem Wege verifieiren. Ist F=f“ und 
F=a*, also «= nu, so besagt (3.), dass: 


n—1 
2 


Ser, er x—1 92 er oe 
(aa)? ap” 2 al 2 — (ae) 4% 2 ay* 2 ist. 
Dafür kann man schreiben: 


n—1 a ER x—1 ü u 
_— (aa')? Ge 00 20: ru Er 5 (ca)? a8 2 a, 


wo jetzt beide Seiten in &,t, homogen sind, sodass also diese Formel auch 
für willkürliche, an keine Gleichung gebundene 4,4, gelten muss. 


Aus &* = [ar]® folgt aber: 1 a, = [are —1 a1 a, 


(«—1) 2%? pr —= [a1 (n—1) a"? Ay” + (u—1) [4] 2m." Ay. Be a’, 


— 1 [ar]? Are 


3 u a2 a + m—1) a’? a? + 2n(u—1) ara, a‘ a’ 


y 


oder, da 24; a,.ay a, = aa‘? + ay’ a — (aa)? (ty)? ist, 2x —1) a‘? ay? 


— [a;" a a2 Ir —1+n@—))] (a,? a? + a',? a2) — n(u—1) (aa‘)? (ty)? } 
an [4"] u—2 h ! 2 (nu —1) ae Ay Ä [a”] — m) (aa‘)? Rn TE (2). 


L; . . . " ” 
Wir setzen yı = eh, 9» —=— «a, wo a*= a“, und multiplieiren mit 
au. das giebt: 9 (x en 1) t (aa)? On a 


—[a4"] = [2(nu — 1) a4” .(ao)? a4" 2? 4% ?— n(u— 1) (aa)? 4"? ayr 2. ay* \ 


Andererseits folgt aus der vorigen Formel für yı =«@%s, 9 —=— «a, nach 


Multiplication mit «y"? die Gleichung: 2@— 1) (aa)? a? a"? 


— [4 2. ! 2(nu—1) a". (aa‘)? een Tr n(u—1) (aa)? PN a2 { a"! 
u [nu — 2 an n] [a] R (aa’)? Oz aumz 
also, da x — nu ist, 2(«—1) (aa)? a2 a %-2 


— [a]? ! 2 + n) (ar) N (aa')? ayn 2 — (x—n) (aa)? az ET N ar) 


— [a]? 0. ! x—2+n—xtn (aa)? aa 


— Bar ‚2m—]). (aa’)? A CHR also 


39* 


306 J. Wellstein, [28] 


“—l1 
2 


sale ER n—1 e K . 5 
(aa)? af Ze = ——, "pe . (aa’)? a DR 


was zu beweisen war, daher in der That 
(D.) Amen 


Wir haben es hier also mit einer neuen Art von Invarianz zu thun, 
aber nicht mit Invarianz gegenüber linearen Transformationen der Variabeln, 
sondern mit Invarianz gegenüber dem Zerfallen der Grundform f in eine 
ganze Potenz einer Form niedrigerer Ordnung oder gegenüber der Sub- 
stitution irgend einer ganzen, positiven Potenz von f an Stelle von f. 
Funktionentheoretisch gesprochen handelt es sich also um Formen auf f=1, 
die von der Redueibilität oder Irredueibilität der Gleichung f=1 nicht ge- 
troffen werden. 

Solche von einem beliebigen Argumente x abhängige Ausdrücke 2x), die 
ihren Werth nicht ändern, wenn man » durch irgend eine positive ganze 


Potenz von x ersetst, 


(6.) 2x) — 2x2) = U) =... , 
nennen wir Potenzinvarıanten von &. 


Wir wollen hier nur einige Angaben ohne Beweise machen, um zu 
zeigen, in welcher Richtung sich der Gegenstand weiter verfolgen lässt. 
Analytische Functionen des Argumentes wird man unter den Potenzin- 
yarianten natürlich nicht suchen. Es handelt sich vielmehr um Differential- 
operationen 2, die an dem Argumente auszuüben sind, und man kann die 2 
dann eintheilen nach der Anzahl der Veränderlichen, nach denen differenzirt 


wird. Die potenzinvarianten Differentialoperationen 2, welche nur die Deri- 


virten nach einer Veränderlichen enthalten — sie möge x heissen, das man 
nicht mit dem Argumente in (6.) verwechseln wolle — lassen sich ab- 
leiten aus: 

- y“ Re dy d2y 

.) KeIK) —g— _— + Wo y' — x 4 — —_ 

( ) (Y) y y’ Y dr? dx?’ 


Sämmtliche Derivirten von 2(y) nach x sind dann Potenzinvarianten, 


welche, wie das 2 der Nummer (7.) selbst, die Gleichung 


2) = 2) 


[29] Zur Funetionen- und Invariantentheorie der binomischen Gebilde. 307 


für jedes beliebige von Null verschiedene 2 erfüllen. Dasselbe gilt von 


der Potenzinvariante 


3 Bl (yiN\. .. 1 Luna 


deren beiden ersten Glieder die Schwarz’sche') Reeiprokante darstellen. 
Derivirten nach zwei Veränderlichen enthält die Operation 2, durch 
welche die Hesse’sche Form r erhalten wird; bezeichnet nämlich 6 die 


Operation 
| 0 fe) 
OR IR: ar, +b- in,’ 
so ist: 
an or. 
O1? a2 | at, db, 


| zT O(MEWO:r Of) — 


vooo a) 
wos 0,2 


(10). 


ei OR ı of 38 3.8 
Da do; de, äh  dao;,dh mdt, di m Ah dh Sch 


so ist für beliebiges 2: 


(11). _ _dhöh Bat 


und da wir f—=1 voraussetzen, so sieht man leicht, dass für beliebiges von 
Null verschiedenes 2: 


aaa hofoe of 02 
(12) 4 Oh dh Ah Aa A, Ah 
fr df 

ist, wodurch nun auch der formale Beweis erbracht ist, dass auf f—=1 die 
Derivirten von Potenzinvarianten nach ©; wiederum Potenzinvarianten sind, 
insbesondere also die unbegrenzte Reihe 7,7%, 1“, r“,... Ganz anders ver- 
halten sich die Schwesterformen Up, Uj,..., Un, die sich zwar durch z, r‘, r“,.... 
darstellen lassen ($ 3, 15.)), aber selbst keine Potenzinvarianten sind. Denn 
ist F—=/"—1, und » = nu; sind ferner, in ausführlicher Bezeichnung;’) 

(13) U die zu f=1, UM die zu F=1,v—=0, 12... 


DL Crelle’s7J.. 75,300. 


?) Eine Verwechslung der Klammerexponenten mit Derivirtenindices ist nicht zu 
befürchten. 


308 J. Wellstein, [30] 


gehörigen Schwesterformen, wo also u”) das frühere U, ist, so gelten mit 
Rücksicht auf (5.), (11.) und (12.) nach $ 3, (14.) die Differentialgleichungen: 


| um) auy” En R) 
N ir, U —u 


u) 
| N == en + v(m—v+1l)t um, . um) — L, U7 — (I) 


Mithin ist U® von U) verschieden. Ist umgekehrt — F“—1 und 
n = mu, und sind wiederum um), »—0,1,... die zu F gehörigen Schwester- 
formen, so genügen diese wiederum den Gleichungen (14.). Wir bilden nun 
diese in (14.) definirten Formen um) auf alle Fälle, auch wenn f=1 irre- 
dueibel ist, und zwar für alle positive ganzzahlige m. Da die Gleichungen 
für uw) und 7”) sich mur durch die Buchstaben » und m unterscheiden, so 
folgt sofort aus $ 3, (15.) 


1 um) nd 


m zT" +3(m—2) T? 


i U (m) 2 


= t +2 (öm— 12) me’ 
D 


- 


- 5 (Mm) _ zum 4 (15m — 44) rt“ + (Om — 24) 7? + 15(m—2) (m) r3 


(5) R 
u G —rY + (21m — 74) tr“ + (35m — 92) T’T" + 3[15 (m — 2) (m—4) 
+ 4(m— 5) (dm — 12)| 7? r‘ 
I: 
Wir bekommen so eine unbegrenzte Reihe von Formen, und zwar 
sind es, wie wir sehen werden, lauter Covarianten. Ihre Bedeutung erhellt 
aus folgender Untersuchung. Nach $ 2, (8.) ist: 


n n ı(n) 
wo x ()% &, np “X BE. 2 ey Er—g" y' 0, (ey 
a BER A; T er 
v= m v—o v!(n v)! Sı v—0 k Sı 
also: 
1 n um 


(16.) 


[31] Zur Funktionen- und Invariantentheorie der binomischen Gebilde. 309 


Nun ist 1 — 5:5, = (tl): a”! a, als Function von 2,2, auf f=1 


in der Umgebung von 4, t, stetig, $°' — 1:7"! a» ebenfalls; folglich lässt 
sich &7' und jede ganze Potenz davon in eine nach ganzen Potenzen von 
o—g7! aufsteigende Potenzreihe entwickeln, die wir, an (16.) anlehnend, 


in der Form ansetzen: 


1 x Fa) 
(17) 2. —N, 9, wo die 7’ von 2,2, unabhängig. Durch Diffe- 
&m u 
E er 


rentiation nach © erhalten wir dann, aus $ 3 die Formeln (7.) 
alsoe 2 2 
t S 


benutzend: 


Te x 1 ar) 
——Yjf) „eo — Er ee 2 
+ av 9 — TO-) 


0 
oo a) 
l z Syvı ei v NIE (m) r—1 2 
we gm a u 1 des; Te ama, © satz 
S v0 


oder, nach Einführung neuer Summationsindices in der zweiten Summe: 


®, ” e 
in 1 a3 IT | 1 an, . DI DAE 18 r) P) | nr x Ze r®%) 7 
gm ie — | v! dog Fe | Ge 


und indem wir links die Reihenentwicklung einsetzen: 


ar”) 


oo r® d re) 
RT 2 a ee I ER EL 7» TE (m) 
mt - 8 — db; a da N 


© . 
%y hı dl 2 zn) Tl m) Be 
— |»! dos; Gral @—1)! | 


Dureh Vergleichung gleich hoher Potenzen von 6 entnimmt man daraus: 


arm rm) 
en N. 7”), und für „=3,3...: 
do; dos; 
ne an”) v+1 (m) v—1 PD) 


MT - - — r —— IT 
E—I)! vi. do, Bee 


310 J. Wellstein, [32] 


Mithin genügen die 7 den rekurrenten Differentialgleichungen 


d a) d r®) 
r) zuge N R« (m) +(m) en CE 
(18) h v+1 des; en a day 
N 
| 5 ee dl un (m) 
|? 3... - — use 


Lässt man x, x, mit Z,, t, zusammenfallen, so wird 3—0, 5 —1, 06—0 


» 
also nach (17.): 1 — 9, und wegen (18.): 70” —o. Die Differentialgleich- 
ungen der 7”) stimmen demnach mit denen der vu der Nummer (14.) in 
der Form und den Anfangsbedingungen überein, folglich ist 79 — u. 
Beachtet man noch, dass m nur als ganze Zahl vorausgesetzt war, natürlich 
als reelle, so ergiebt sich der Satz: 

Für positives und negatives ganzzahliges m gilt für 2 Mm als Function 


von a,,%, ın der Umgebung von t, t, die Reihenentwicklung 


oo um) pe 
’ 3. 5“ v I {= S 5 
Ag). at, ae: sm —_ N ar Er = m—0,+1, +2... 
vo >2 


deren Entwicklungscoefficienten durch die Differentialgleichungen (14.) oder 
die Tabelle (15.) definirt sind. 


Die aus der typischen Darstellung von a abgeleitete Formel (16.) 
ist dann nur ein besonderer Fall dieser allgemeinen Entwicklung. Diese 
merkwürdige Reihenentwicklung wird uns in einer später folgenden Unter- 
suchung ein ausgezeichnetes System von Integranden erster Gattung liefern. 

Die 00” waren ursprünglich definirt als die zur Form m'= Ordnung F 
gehörigen Schwesterformen, wenn F entweder eine positive ganze Potenz 
von f, oder f eine solche von F ist. 

Im ersteren Falle ist aber nach $ 3 (17.) stets De 0 damals- 
dann F=f oder f? oder f? oder..., so folgt: 

Ist f=1 irreducibel, so ist: 


(20) U) 0,0 0 u, 


Im zweiten Falle dagegen, wo » ein Vielfaches von m ist, hat man 


nach $ 3, (17.) ebenfalls U en —0, aber nach (14.) dieses $ nun auch et) 


u), =0,..., sodass also: 5 


[33] Zur Funktionen- und Invariantentheorie der binomischen Gebilde. ll 


m um) m uw) 
u — N %y' Le. En 1l— y v & M—V =V 
> Pr] p! 3 pP} v! SI s2 
r—0 20 
wird. Ist umgekehrt letzte Gleichung erfüllt, so ist auch uw, —0=«dh% 
Das identische Verschwinden von um), 2st für m<n die hinreichende 


und nothwendige Bedingung dafür, dass unsere Grundgleichung a" — 1 


eine Potenz einer Form miedrigerer Ordnung m ist, deren typische Dar- 


stellung 
m (m) 
v ae, , 
(21.) 1 =)» — Er 
v—o 


st; m ein Theier von n. 


Für die Formen u der beiden wichtigen Sätze (20.) und (21.) 
entnehmen wir aus (15.) folgende Tabelle, die wir mit hierhergehörigen 
Untersuchungen von Hilbert!) vergleichen wollen: 


um =r 

u N 

UM — tr: 
u®) — 7! + 1677° 


u — ae + 3lrr" + 26r'2 + 75rT3 


or im Pplm vIlHm BDIm Ilm 


22. | 
(22.) 
(6) Vv 77 AT 2.1 
07’ — r° + 5272 + 118770 + 576727 
Die Bedingungen für die Darstellbarkeit der Grundform f als Potenz 
einer linearen oder einer quadratischen Form lauten bei Hilbert 1. e.: 
(23). A=[f, fh =0 bezw. T=[H, fı = 
übereinstimmend mit (22.). Damit f Potenz einer kubischen Form sei, muss 
nach Hilbert die Covariante 


(24.) |% = 3(@n— 3) Fn_ Sy ARINO Hm a) he 
| | A (qy a — 4a, Ad; + 3a,,) 2,9 ER 


1) Math. Ann. 27, 158—161. 
Nova Acta LXXIV. Nr. 2. 40 


® 


312 J. Wellstein, [34] 


verschwinden. Nach einem früheren Satze ($ 2, am Ende) ist auf f—=1: 


GC, — 3(2n — 3) [to U — u?]? — (n — 2) [ü u — 4uı Uz + 3U22] 
— 3(2n — 3) u? — (n—2) (u, + 3u3?) = 3(n — 1) u? — (n — 2) u, 
$ T? (n— 4)! 37? nt" + 3n (n — 2)T? 
a energy me ep Se EN um 
re) (n — 1)? Ver U n—1 n.n—1) m—3) 
— 37? —T" U,® 
mas Een), 
# 7,3) 
also: (25.) (, = 0 


 3m—1) n—3)' 
Ebenso findet sich bei Hilbert statt 7,“ die Form 
(26,) CO, = 4(83n — 4%) HT— (n— 3) Bf}, W0 T—(ay? a; — 3a, a, a + 2a) a TP+..., 


| B=(a,? a,— 5a, a; a4 + 2% A, Q3; + 8a,? a3 — 6a, a2?) "+... 


Auf f=1 ist einfacher: 


O0, = — 4(3n — 4) Up Us + (n— 3) (u, + 2u, 3) = (m — 3) u; — 10 (n — 1) u; u, 
\4r nm —5)! >. (n — 2)! (m — 3)! 
—= (nn —3) U, - Arterluee 10%» —1) U, U; Fe also: 


di 1 
(n — 1) (n — 2) (n )G—, U,—10(n— 4). U, U,—T"+ 2050 — 12) 1°’ 10(m—A)rr‘, 


1 
(n — 1) (n— 2) (n—4) CO, =E“ + 1677‘ — 7 U,® daher: 


(274) «nn —) (n—2) n— 9 =U,®, 
und so finden sich diese nach ganz verschiedenen Methoden') abgeleiteten 
Formeln in schönster Uebereinstimmung. Weiter als bis ©, dem unser U,” 
entspricht, reicht die Hilbert’sche Tabelle nicht. 

Zur Anwendung der um, und der Potenzinvarianten wollen wir den 
bei der Ableitung der regulären Körper übergangenen Fall besprechen, wo 
die Gleichung f=1 Potenz einer anderen ist, etwa von F=1, wo F von 
der Ordnung m, und n—u.m ist. Dar als Potenzinvariante sowohl Hesse’sche 
Form von f als auch von F ist, so ergibt sich aus der Definitionsgleichung 


der regulären Körper [$ 4, (15.)] 


!) Man kann übrigens das Hilbert’sche Verfahren auf f—= 1 mit der Modifikation 
anwenden, dass nach & statt © differenzirt wird. 


[35] Zur Funktionen- und Invariantentheorie der binomischen Gebilde, 315 


analog wie bei Ableitung von $ 4, (16.) für m die Einschränkung 
m 2, 3]; 4, 6, 12: 

Die illusorischen Fälle m — 2,3 übergehend wenden wir uns zu m—4, 
won—4u und f eine Potenz einer biquadratischen Form ist; daher ist U,” —0, 
sodass also z den beiden Gleichungen genügt: 

(28.) €" + 6x7? —=0 und €“ + 1677" —0. 

Aus der ersten folgt x“ + 12x7r7’—0, und durch Vergleich mit der 
zweiten x — = Diese Gleichung hat aber nur die eine ganzzahlige Lösung 
n—4, sodass wir es also mit dem, Tetraeder zu thun haben. Aehnlich in 
den übrigen Fällen m = 6 und m — 12. 

Es erübrigt nun noch, die Schwesterformen Po, Fı, Pr, ..., V, einer 
Form 9? auf f=1 von dem Gesichtspunkte dieses $ aus zu untersuchen. 
Die Differentialgleichungen der Y zeigen sofort, dass die sämmtlichen V7 
Potenzinvarianten von f sind, was sich übrigens fast von selbst versteht. 
Wichtiger ist folgende Diskussion der Gleichung Yn+1 (9 = 0 des $ 5, (17.), 
welcher 9 genügt. 

Wenn g den Faktor f= a} abzuspalten gestattet, etwa A mal, so ist 
gy wegen f—=1 in Wirklichkeit eine Form » von der Ordnung k—= h — An 
und genügt folglich der Differentialgleichung Yr+ı ®) = 0 der Formen 
= Ordnung; und wenn umgekehrt irgend eine einwerthige analytische 
Funktion » von t,t, der Gleichung Y7;+ı @) —=0 der Formen A Ordnung 


genügt, so ist » eine ganze Form 4 Ordnung. Denn ist pk stetig in &, &, 
k 
so kann man In das dort ebenfalls stetig ist, folgendermaassen entwickeln: 


sı 
(29.) ” — > = e,0 — S2, C nach x, x, constant. 
51 v=o #P- Sı 
Wir differenziren nach © = — /tdt); 
—k Yz a — > nn e—v _ o—1(1+70%) | 
S } ö 


und bekommen, ganz ebenso wie oben mit den 7’ verfahrend: 
(30.) C,1 = (k — 9 + 1) vT (ER + C', s (0% —— VD, C, — 0% 


Dann ist aber O1, identisch mit Y7-ı @), und einzeln 0,—V,(p), also, da 


40* 


314 J. Wellstein, [36] 


V,ıı @)=09 ist, nach (30.) auch O42 =, Cp43 —9,...; die Entwicklung 
(29.) brieht dann im Endlichen ab und » erweist sich in der That als ganze 
Funktion A Ordnung. So folgt: 

(31.) Jede ganze Form kr Ordnung g genügt auf f—\ der Differential- 
gleichung Vrzı = 9 des 8 3, (17.), und wenn umgekehrt von einer ein- 
werthigen analytischen Funktion auf f— 1 bekannt ıst, dass sie der 
Gleichung Vy+ı (9) genügt, so ist p eine ganze Form kr Ordnung. 

(32.) Damit eine Form h Ordnung p den Factor f abzuspalten ge- 
gestattet, etwa A mal, sodass k=h— m>0, muss p der Differential- 
gleichung Vr+1 (9) = 9 der Formen k'" Ordnung genügen, und diese Bedingung 
reicht auch aus. 

(33.) Zt f=aı — Lund f=9Y.w irgend eine Zerfällung von f, 9— gl, 


RD — ur, so Ist: 
1 1 
(nl) = min) 


Ist m eine ganze Zahl, so hätte man statt (29.) ersichtlich ansetzen 


können: 
k 14 m 
VD. “ [0% ) 0?’ 
— | 
gr 3 v 


und würde dann erhalten haben: 


ca, — cm) + om —v + 1)t m; cr) = uh, d.h. 


In der Umgebung von th, t, gilt die Entwicklung: 


4) van - U, 59, =, va 
v=0 
wo 
ar) k 
5) Ve + mr + =, 


des $ 3, (16.), und da vr, vE. iE ur .fd.:- f= a1) ganze Formen 
von der Ordnung k, k+n, k+ 2n,... sind, so ı5t: 


a k+2 
(36.) RUN ee N A a ar 


[37] Zur Funktionen- und Invariantentheorie der binomischen Gebilde. 318 


Man überzeugt sich leicht, dass zur Ableitung der Formeln (34.) 
und (35.) nur die Eigenschaft von »(« |z,) benutzt wurde, in 4, i, ein- 
deutig und stetig zu sein, und so folgt allgemein der wichtige Satz: 

Ist D (x, |x,) eine beliebige analytische Funktion ihrer Argumente,') 
welche in tı, t, auf dem binomischen Gebilde a, —1 eindeutig und stetig st, 
so gilt in der Umgebung von tı, t, die convergente Reihenentwicklung : 


oo cm) 


[ R 
al)". Y I 5’, 5— 2, wo: 
eo >2 
(87.) \ ac) 
| a z PER an 9 O — Pl |) 
| 


=), el ae are ao GR 
vorausgesetzt, dass D (x |x,) nıcht auch von tı, t, abhängt. 


Da & insbesondere auch gleich eins sein kann, so schliesst diese 
Entwicklung alle vorangegangenen in sich, und man kann umgekehrt die 
vorangegangenen Sätze leicht aus dieser einen Entwicklung ableiten, wie 
dies in einem Auszuge dieser Arbeit in den Mathematischen Annalen ge- 


schehen ist. 


S 6. 
Die Differentialgleichungen der Schwesterformen 
im Zusammenhange 
mit den Cayley-Aronhold’schen Differentialgleichungen. 


Wir haben in den vorangegangenen Abschnitten unbegrenzte Reihen 
von Formen gebildet, über deren Invarianten- oder Covariantencharakter 
wir uns noch Gewissheit verschaffen müssen. Nach $ 3, (14.) ist 

| u, — (ar)? BE v, = (pr)? eh w” — (pr)? Dr ae 
4.) 


wora,.u— 1, el W—T, a? a,=r, und 


9 —= pi", V= wir; Rr—)w=r u 0, u, IL, 


1) ® braucht also nicht in z,, &, homogen zu sein. 


316 J. Wellstein, [38] 


Demnach ist 
v, vom Gewichte v, 


(2.) von der Ordnung ö=-vm—)+h—v—vmn—2Y)+h, 


in f vom Grade v, in g vom Grade 1. 


Die Ordnung von «, wäre dann ebenso d=»(n— 2) +n, die von %, 
also d=2 (rn —2)+n; da aber r — 1) v,—r, also von der Ordnung 2 (nr — 2) 
ist, so gestattet “, die Abspaltung des Faktors 4” —=1. Dasselbe gilt dann 


aber auch von %,, %,,...; denn setzt man ,—=f.%,, wo f=a# — ı, so ist 
” =- also nach $ 3, (12.): 

n—») a. f=W,ftevr af, 
und da die Abspaltung bei #, möglich ist, so ist sie es wegen obiger Formel 
allgemein. Wir dürfen daher unter %,, «,, “,,... immer die vom Faktor f=1 
befreiten Schwesterformen %,, @,, @,,... verstehen. Dann folgt: 


62) 


(3.) u, 252 vom Gewichte v, von der Ordnung v(n — 2) und in f 


vom Grade v. 


Bildet man nun aus den ,, ®,, ?v, mittels numerischer Faktoren «,, @,... 
eine isobare Form, die sowohl in den “, als auch den v, und w, homogen 
ist, also etwa 


II, (u, v,, @,, ...) mit dem Gewichte 2 (Summe der unteren Indices) 


Grad in %, %, 4, U... : Iu 
Er ” LIR ’, Vs, V,;, Sara. 3 Iv; etc. 
DI, (%,, d,, %,,...) = 0% Ug Ug U, ... 9% %y dp... WoWg... + 0%... 
a 
Iu Iv Iw Faktoren, 


so ist nach (2.) und (3.) die Ordnung gleich: 
2=am—2) + Bn—2) + Yn—2)+... +2” n —2)+um—2)+ ... tom —2) +6(n—2)+... 
+ 9h + 9w-k 
= (a +P+..) RR Y)+nh+ Gut. - =AMm—2) +9 + gukt--- 
Dann ist Z/, nach (2.) und (3.) 
in den Coefficienten von 9 ebenfalls vom Grade 9, 


, 
” " „ „© ” ” ” Iw 


[39] Zur Funktionen- und Invariantentheorie der binomischen Gebilde. 317 


aber in den Coefficienten von f vom Grade 
e+B+..+0+60+..)=4 
also = A, 9, = 9 9 = Iw und 
2=n —2)+ ht akt --- 
2— gen — 21 + 99 h+g,k+ lan A_INH I h+gyk+ gu 
Es folgt: 

Eine ganze isobare Funktion II, (u, v, w,...) der uv,w,... mit 
numerischen Coefficienten, welche ın den u sowohl als auch ın den v 
und w homogen ist, ist auch in t,t, homogen; ist sie in den u vom 
Grade 9, in den v vom Grade 9,..., u.s. w, und ıst } das Gewicht, 


so ist die Ordnung gleich 


(4.) Sen HH gukt... 
und es ist y= 4, go In Ivy — Iw daher auch 

(3.) 2LHBEKNLIg-R+gy-k+...) 

Unterwirft man die Grundformen f, 9, ®,... nebst ihren Covarianten 
%,, d,, %,,... einer linearen Transformation, so unterscheiden sich die 
Schwesterformen der transformirten Grundformen von %,, ?,, ,,... nur dureh 
den Faktor P, wo A die Substitutionsdeterminante, daher ist die Trans- 
formirte von m gleih 4*. 1, d.h. ; 


Die Form I, des vorigen Satzes ıst eine Covariante und 1 ıhr 
Gewicht. 
Ist umgekehrt irgend eine Covariante von f= a" —1, ", w,... ge- 
geben, so lässt sie sich stets nach $ 2, (11.) mittels der «,v, w als Funktion 
N, darstellen, die die Eigenschaften der letzten beiden Sätze hat. Es folgt: 


(6.) Jede Covariante von 


ei elgenh wenn 


D 


1st eine ganze homogene und isobare Function on U U, U... Up, Yo Yan. 


Y, WW... Wr... mil numerischen Coefficienten, und umgekehrt ist jede 


!) In Uebereinstimmung mit bekannten Formeln, Faaä di Bruno-Walter, binäre 
Formen, $ 14, 3. 


318 J. Wellstein, [40] 


Funktion mit letzteren Eigenschaften eine Covariante. Eine Invariante 
; : d 
genügt ausserdem noch der Gleichung il: 
t 
Sei jetzt Ila,, 9, %,... | %ı, 22) eine in den Variabeln 21, 2, geschriebene 
Covariante unserer Stammformen, so ist nach $ 2, (10.), wenn g das Gewicht 
bezeichnet, 
Il(a,, P,, dyy... | %, )—= (19 IKu,, %,, WW... | Sı, 82). 


Obwohl also die einzelnen Glieder des rechts stehenden Ausdruckes 
die Veränderlichen 4, t, enthalten, so ist derselbe dennoch von &, &, oder 


was dasselbe ist, von © — — /(fdt) unabhängig. Sei jetzt umgekehrt 
II@u,, ®,, %y,...| 81, &) eine beliebige von ©; unabhängige Funktion der 


4,0,%,...,$,&. Wir lassen ı, % mit ©, 2. zusammenfallen und bezeichnen 
die Formen, welche alsdann aus %,, ®,, ®@,,... entstehen, mit %,(), ®,(@), 
w,(@),..., erstere ebenso mit %,(d, v,(, w,@). Dann wird ı =1, 3—=0 und 
IKu,, v,, w,,...| 51, &) = Hu,(@), v,(@), w,(@),...|1 0, giltig wenn 4" —1, a,"—1. 
Damit also 7 eine Covariante sei, muss es in seiner rechts stehenden Dar- 
stellungsform einfach den Bedingungen des Satzes (6.) genügen, nur, dass 


die v,(®, v,&... von (6.) mit u,(@), v,(@),... vertauscht sind, d.h. 
(7.) Jede ganze Form U mit den Coefficienten U,, d,, Wy,... und den 
Variabeln 51, $, deren Leitghied in den U,, v,, W,,... 2sobar und homogen 
(bei numerischen Coefficienten) ist, ist stets und nur dann eine Covariante 
wenn Sie von % — — IN (tdt) unabhängig, also Z —()) a 
094 


Diese merkwürdig einfachen Bedingungen sind äquivalent mit den 
Cayley-Aronhold’schen Differentialgleichungen. Ist nämlich allgemein 
I 77T I(u,, V,, W,, ... | Sı, 5) 
irgend eine Funktion der %, ®,...,Sı,&, und nur durch diese von 4, & ab- 


hängig ist, so ist‘) 


h 
dH cur are ol _” öl „”, 
da, a ee Zum ee De 
v—Z vo 
also nach $ 3, (7.) und (12.): 
a ea m on By 
ee SE a Su un 
day u Öl, Va ee > ou, An 05, “> 05, Si 
v—2 v—2 


1) Mit Rücksicht auf u, —1, u, =. 


[41] 


Zur Funktionen- und Invariantentheorie der binomischen Gebilde, 


319 
Wir bezeichnen mit Hilbert') 
N 3 h 3 
Bi 2 
DD m, DD m 
v0 v—0 
(8) 
n h 
| u 
Au — N (rn — v) U,r1 EP „>= > (h — v) n 
v—0 


er 


ferner, da in unserem Falle «, — 1, u, —=0 ist und diese Grössen demnach in 7 
formell nicht ersichtlich zu sein brauchen, 


n 
d 
(9.) Di, = > vu, 7 


N 
r ö 
VE T LRPR R HA, 
zu ER zu 
v—2 7) 
Dann ist: 
day u DU + ee ee: 
daher der Hülfssatz: 


na. 51 

st 05, ° ’ 

/st H— I (u,, v,, W,, | 5, &) zrgend eine Funktion der u,, v,, W,, 
1,8, und nur durch diese von tı, tı abhängıg, so Tst 


..r 


dll ; LO) 
m Mtktdr. &5)2 
(10.) : 
| —z(Du+ Da + Det... — 6) 0 
r : . dl 5 
Wenn nun, wie wir oben voraussetzten, TER 0 ist, so hat man 
nach (10.): 
80 fe) 
(11) (4 un 1) I :(Du+ De &-) m 


Durch Vergleichung gleich hoher Potenzen von Sı, & links und rechts 
folgen daraus Relationen von der Form 

Bd, (u, vWw,..) =-T.P,Wvw,..); = 0871 or 
Setzen wir nun noch voraus, dass die « in Z nicht vorkommen, so 
sind sie auch in den 2 und 7 nicht enthalten, 


P,(W,w,...)—=tT 
letzteres nach $ 3, (13.). 


.7,0,%,..)=@—-)w #,(,%,...) 


Wäre dann nicht 7, und #2, für sich identisch 
null, so könnte auch nicht, wie obige Relationen doch verlangen, die Gleichung 
1) Math. Ann. XXX, 15—29. 


Nova Acta LXXIV. Nr.2 


41 


320 J. Wellstein, [42] 


P,Ww,w,..) - r —-)m #,(@,w,..., = 0 
identisch erfüllt sein, weil , nach Voraussetzung in ?, und #7, nicht ent- 


E . . ö B en 
halten ist. Da aber die Operationen D und $, PER das Gewicht ohne Störung 
l 


e 5 - 0) : 
der Homogenität um eins vermindern, 4 und $, ög, 5 um eins vermehren 


[nach (8.) und (9.)], so ist auch (11.) beiderseitig isobar und homogen, falls 72 
es war, folglich auch 2, — (r —1) u, #,. Dann wäre aber ?#,— (r— 1) u, P,—0 
nach (6.) eine Covariantenrelation zwischen den ®, ®,... und %. Da dies 
aber nur bei specieller Wahl der f, 9, v vorkommt und sonst nicht, so 
müssen, um einen Widerspruch zu vermeiden, die 2,, 7, identisch null sein; 


folglich auch 


{0 
| (4, En 32) I (wo, w, | 5 I, 

(12.) = 
| (D. +D.+ oo 32) I(v, w, 5 &) — 0 


Das sind aber die bekannten Cayley-Aronhold’schen Differential- 
gleichungen der Covarianten; man schreibt sie gewöhnlich: 


ou 


e e oll 
13) h+MmMrt..)I=5 DE, 


(D, ar ID), AP 5% N) HZ, d&r 


Da diese Gleichungen in den Coefficienten identisch erfüllt sein müssen, 
so gelten sie auch ohne die Einschränkung f=1. 
(14.) Somit sind die Cayley- Aronhold’schen Differentialgleichungen in 
der That eine Folse des Satzes (T.) und der Gleichungen $ 3 (12.). 


Da =" (am)? ap? ay"2 das Gewicht 2 hat und das Diffe- 


renziren nach ®; vermöge (10.) das Gewicht um 1 erhöht, so ist = vom 
Gewichte 3, 7“ vom Gewichte 4, u. s. w. In diesem Sinne sind dann die 
Ausdrücke U, 7) der früheren $8 isobar. 
Aus (3.) und $ 3, (15.) folgt dann: 
(15.) Die Derivirte 12 ist vom Gewichte v, in f vom Grade v und 
in t,t, von der Ordnung vn — 2). 
Ein in z, 7‘, 7“,... isobarer Ausdruck ist daher in den Coeffieienten 


von f homogen und in 4, i, ebenfalls. 


[43] Zur Funktionen- und Invariantentheorie der binomischen Gebilde. 321 


Nach $ 3, (4) kommt aber das Differenziren nach ®©; einer Ueber- 
schiebung über f gleich. Folglich ist z#-2 eine Covariante und » ihr Ge- 
wicht. Daraus schliessen wir: 

(16.) Jeder in T,t',T",... isobare Ausdruck, der nur mittels der 
T,tT,t“,...von tt, abhängt, ist eine Covariante von f= ap" —1; Gewicht 
von ı®) gleich v +2 gesetzt. 

Denn covariant in jenem weiteren Sinne, bei Transformationen sich 
nur um einen Faktor zu ändern, ist der Ausdruck schon wegen der Isobarie, 
da z®) den Faktor P+? ausscheidet, wenn 4 die Determinante der Trans- 
formation ist; und homogen in 4, %& und den Coefficienten von f ist der 
Ausdruck vermöge der obigen Bemerkungen über Grad und Ordnung 
von 102, 

(17.) Jede mittelst 7 ‚wu ‚ı", T",... dargestellte Invariante von f genügt 

der Differentialgleichung 


ö 
IN As ET 
u dr) = 


\ ; hr : d 
Denn sie genügt auch der Gleichung 7, 
a0 
Ganz analoge Ueberlegungen führen zu dem Satze: 
Lo) Lo) oO 
WS ee ine ann org, pr URWw WDn,.... 250bawer amd in 
‚ den 9,%,..., homogene Ausdruck, dessen Coefficienten von tı, tz unab- 
hängig sind, ist eine Covariante; das Gewicht von g®) wird dabei nach 
$ 3, (16.) glerch v angesetzt. 


Ordnung und Grade dieser Uovarianten wären leicht auszurechnen. 


87. 
Invarianten und Covarianten als integrirende Faktoren 
von Uneeg ——z0r Vn+i —(. 
Die Sylvester’schen „Keime“ (germs). 
Die Hesse’sche Covariante 7 sowie jede beliebige Binärform 9 = gr" 
der 4 Ordnung auf f—=1 genügen, wie wir nun wiederholt gesehen haben, 
den Differentialgleichungen 


Hd 0I, Mr) 
41* 


322 J. Wellstein, [44] 


des $ 3, (17.), deren Bedeutung für die Invariantentheorie wir weiter unter- 


suchen wollen. Man übersieht ohne Weiteres: 


(1). Jede Invariante von a" liefert, durch t, x, ı",..., ıR) dargestellt 
[$ 5, (1.)], eine Integratgleichung von Un @) — 9. 

(2.) Jede Syzygie der Imvarianten und Covarianten von f ist eine Inte- 
gralgleichung von Un+ı = 9, wenn man die darın vorkommenden Co- 
varianten durch 7, U, 1", ,. , RD, die Invarianten aber durch die Coeffi- 
cıienten von f ausdrückt. 

Würde man auch die Invarianten der Syzygie durch r, ?‘, 7“, ..., a) 
darstellen, so müssten sich alle Glieder identisch fortheben, da unter Voraus- 
setzung allgemeiner Coeffieienten von f zwischen den 7, t‘, 7“, .. , 72) keine 
isobare, d. h. [nach $ 6, (16.)] invariante Beziehung bestehen kann. Für die 
Differentialgleichung Yr+ı (9) = 09 gelten ganz ähnlich lautende Sätze. 

Sind die Coeffieienten von f nicht speciell gewählt, so hat f stets 
(» —2) Invarianten, zwischen denen keine rationale Beziehung besteht. Stellt 
man nun diese Invarianten A, R,..., Jn—2 mittelst 7, 7‘, ..., ”2 dar [8 5, (1.)], 
so kann man aus diesen » — 2 Gleichungen 7“, 7“,..., ”2 eliminiren und 
erhält dann eine Gleichung zwischen z, 7’ und I, J,..., Jun, d.h. 

(3.) Die Gleichung Un+ı (r) kann mit Hilfe der Imvariantentheorie so 

oft integrirt werden, dass die resultirende Integralgleichung 
F(t, «| J,, JS, Be) In) = 
nur noch von der ersten Ordnung tst. 

Sie wird aber i. A. nicht linear sein. Diese Gleichung F= 0 kann 
in gewissem Sinne als eine Normalform der Grundgleichung &” gelten, 
indem sie nur von den Imvarianten von f abhängt und als Definitions- 
gleichung der Klasse f—=1 dienen kann. Man hat dann 

(4.) Dy — fs1 dr, 

dt 
wo F(z, s| I, I,.:, In) = I, also: $s— Fa 
Die Differentialgleichung Unzı = 9 1st also mit algebraischen Hilfs- 
nultteln nach der willkürlichen Veränderlichen ©; auflösbar. 
Diese Normalform des algebraischen Gebildes f=1 ist aufs engste 


verwandt mit derjenigen, welche Christoffel für die allgemeinen al- 


[45] Zur Funktionen- und Invariantentheorie der binomischen Gebilde. 323 


gebraischen Klassen angegeben hat,') ohne jedoch damit identisch zu sein. 
Indessen könnte man eine Reihe von Resultaten der Christoffel’schen 
Arbeit auf die Gleichung F = 0 übertragen. So übersieht man z. B., dass 
die Gleichung F = 0, nach Potenzen von s entwickelt, die erste Potenz 
von s nicht enthalten wird.’) — Die allgemeine Lösung von Ur Od —0 
ergiebt sich aus der besonderen (4.) offenbar, wenn man in der Gleichung 
F=0 die Grössen J,J,... „3 unbestimmt lässt und berücksichtigt, dass 
© noch eine willkürliche Integrationskonstante enthält. 

Eine eigenartige Definition der Invarianten von f erhält man ver- 
möge $ 6, (6.) und (16.) durch Umkehrung des Satzes $ 6, (17): 


(d.) Feder in z, t', 1“,..., {R2) zsodare ganzrationale Ausdruck, welcher 


n—2 e 
»r Gleic PINS en re NER 
der Gleichung ze) 36) 9 genügt, ist eine Invariante. 
v—U 


Ebenso lässt sich $ 6 (18.) umkehren. So erhalten wir demnach die 
Invarianten von f bald als Integrationskonstanten der Differentialgleichung 
n—2 
7 5 ER . Ex See, 
U„,+1 (©) = 0, bald als isobare Lösungen der Gleichung (5.): V' +) 
v—() 
schliesslich auch, wie wir nun zeigen wollen, als integrirende Faktoren 


ö 
- — —0; 
de) 
von U„+1 (7) —— 0. 
Ist nämlich & irgend eine in den Variabeln £, , geschriebene oder 


mittels U,, U,,..., U„ dargestellte Covariante von f, so ist: 


dd Dee om od L 
do; >> DU, Un z I oe T >> 27, 2 DEU 
v—2 De) v—ı 
0 7 a \ 
4 ou, . Un+ı +2 (U,, Ur 2 UM F 


E - R h E IP n 
wo 2 das Glied U„+ı nicht enthält. Da U„ı1 =, so ist Er —2. Wenn 


man also eine beliebige Covariante 2 differenzirt, so bleibt schliesslich 
3B kur OD - 
U, ° U„+17 = 9 übrig; dann ist su, integrirender Faktor von Uy+1 = 9, 


und P?=®(U,, U,,..., U,) das Integral unter der Voraussetzung, dass 


1) E. B. Christoffel, Ueber die kanonische Form der Riemann’schen Integrale 
1. Gattung. Annali di Mat., Ser. 2, t. IX. 240-301. 
2) cfr. Raffy, Annales de l’Ecole Normale, Ser, 2, t° 12, (1883). 


324 J. Wellstein, [46] 


ID e op N a 
En —0, also auch 20 ist; denn aus z77 Un+ı = 9 folgt jetzt, indem man 
n 


. 5 z % oD ,, ; 
noch das identisch verschwindende 2 zufügt: U U„n11+2=0; das ist aber 
n 
nach dem Vorangegangenen die Derivirte von ®, und P(UD,,..., U) = const. 


5 d® > 
das Integral. Die Voraussetzung „, — ° hat nach $ 6, (6.) die Bedeutung, 


ß . . q 0. : 
dass ® speciell eine Invariante ist; „77 ist nach demselben Satze eine Co- 
N 


variante, und zwar die Evektante von ®. Denn, mit Variabeln 5, & ge- 
schrieben, würde die Evektante E(®) von ® lauten:') 


= ($) — x od — 1)? a EN 
S u du, Se ae 
v—0 
RUE TERE od OD R 
ihr Leitglied ist demnach ( In, - —(- 1j%n! ——, und in Variabeln {, 4 
j Un OU, 
lautet die Evektante: 
op 
E; (D) — OU, 
indem wir vom Zahlenfaktor absehen. Es ist auch: 
Ruh, A 88, Un aD. 
ae) U, dr) De du, 
e Ber 2 e > i ou, 
indem 2% 2 in U, 1, Una,... nach $ 3, (15.) nicht vorkommt und Scale 
T 


ist. So folgt: 

(6.) Die erste Eveklante jeder beliebigen Imvariante von f ist ein inte- 
grirender Factor der Differentialgteichung Unyı —°. 

(7.) Stellt man eine Invariante I mittelst der U,, oder der u,, oder der 
1®) dar, so erhäll man ihre Evektante, indem man die entstandenen Aus- 
drücke bezw. nach Un, Un oder «md dhfferenzirt: 

n,» Un / 


a 1 84 


OU, Am) m! dm, 
Man findet ebenso: 


(8.) Die erste Evektante jeder Invariante J von 9 ist ein integrirender 


Faktor von Vn+1 (9) —0 und wird erhalten durch die Operationen: 


1) Faa di Bruno-Walter, Einl. i. d. Theorie d. bin. Formen, $ 15, 7. 


[47] Zur Funktionen- und Invariantentheorie der binomischen Gebilde. 325 


a ar Ds 
MT, Mh on 


E(J) 


Es giebt noch andere Systeme integrirender Faktoren, doch würde 
die Herleitung zu weitschweifig sein. — Der Process der Evektantenbildung 
ist übrigens nicht nur auf Invarianten anwendbar, man beweist vielmehr leicht: 

(9) Die Evektante einer Covariante von $ ist die Derwirte der Co- 

varıante nach vy. 

Durch wiederholte Anwendung dieses Verfahrens erhält man so zu 
jeder Invariante oder Covariante eine schliesslich einmal abbrechende Reihe 
von Eveectanten; die letzte ist der Faktor der höchsten Potenz von v7. 

Das ist aber der Sylvester’sche‘) 


und somit steht die Integration von F,+1ı =0 im engsten Zusammenhang 


„germ“ der Covarıante C, 

mit der Lehre Sylvester's von den germs oder „Keimen“ der Covarianten, 
d.h. den kleinsten, einfachsten Elementen, aus denen man die Covariante 
noch eindeutig reproduciren kann. Sylvester operirt allerdings nicht mit 
Schwesterformen, sondern mit Seminvarianten der Coefficienten der Urform. 
Doch sind die mittels der Schwesterformen dargestellten Covarianten in 
dieser Darstellungform ja auch Seminvarianten. Die Sylvester’sche Theorie 
wird demnach auf f = 1 sehr klar und anschaulich. Schliesslich noch ein 
Beispiel. Im Falle = gr, h = 2 bilden wir die Invariante D = (pp)?. Nach 
83,2) ist @W)=—1, also: 


Ne il 2) 


Dim eeelnnz - 


— 5 p” + 279°, 2D — 299" — 92 + 4rp?, 
Daraus durch Differentiation: 
(10.) 2p (p + 2T/p + dp) — 0, 
in Uebereinstimmung mit Y3; = für =2, $& 5, (16.). 
Nun ist aber D=2 (vw, %» —vı?), und die Evectante hiervon > —2u—29p, 


wie es nach (10.) sein muss.?) 


!) Die Litteratur darüber (s. b. Fr. Meyer, Bericht ete., Jahresbericht d. D. Math.- 
Vereinigung, Bd. I, Seite 246—247) war mir nicht zugänglich. 

2) Wie zu $ 3, (17.) bereits angemerkt, rührt die Differentialgleichung 9” + 2T'p 
+ 4zo' — 0 von Herrn Christoffel her, dem ich auch die Kenntniss ihres integrirenden 
Faktors verdanke. In ganz anderem Zusammenhange tritt diese Gleichung übrigens zuerst bei 
Lie, bezw. Engel auf, Math. Ann, 27, Seite 26. 


326 J. Wellstein, [48] 


Ss 8. 


Beziehungen zu den Reziprokanten und Differentialinvarianten. 


Unter den Funktionen auf a) — 1 sind diejenigen von ganz beson- 
derem Interesse, welche in 2, 2 homogen zur Dimension null sind und 
folglich von der Einschränkung der &,, # durch @,—= 1 nicht berührt werden; 


£ i ; N : ER s x 
es sind also rationale Funktionen der ursprünglichen Veränderlichen & = = 


2 
des $ 1, (2). Wir wollen hier die Differentialgleichungen aufsuchen, denen 
diese Formen als Funktionen von ®, = — Jede) genügen. 

R £ @& Ur 5 
l. Die Form 5 = 7, =73;%B Inmear. 
[3 Br 


Nach $ 3, (6.) ist, wenn wir die Derivirten nach ® mit Accenten 
andeuten: 


(1.) ea" +az—0|P"+PBz—0, wenn 
z u! 2 n—2 _ın—2 
(2.) SE oe (aa‘)” a”, Bi 


und die simultane Invariante von «, $ ist: 

(3.) D — (aß) = — (aß) (xx) = — a, By + Ay BR = — Pat ea. 

Um eine Differentialgleichung von £ zu bekommen, hat man offenbar 
eine hinreichende Reihe von Derivirten von £ zu bilden und «, $ daraus zu 
eliminiren. Es ist: 


; Bein u D 
a) 1@ == 2 == p?’ 
L2 — las B u — _— 2 [27 ß' Se PIE- p* lag (5) 
oder nach (1.) und b): 
1 gu 1 ei 202 
? [U Na ERS 92 Hpl ZI S- PIE 
G) & SF er 3 &) 48 5 Str S 4 {2 D) z ir [a 


also: 


be 3 (an 2 
(4.) 2 — v = (&) — [I], 


wo allgemein 


d’y d’y ? 
8 ds 3 [al 
dx da 


[49] Zur Funktionen- und Invariantentheorie der binomischen Gebilde. 327 


die Schwarz’sche Differentialinvariante‘) bedeutet, die den Ausgangspunkt 
der Sylvester’schen Reeiprokantentheorie?) bildet. Bekanntlich ist: 


das] 
(6.) Bi, — E [Yl», also 
Sr EkE IE role 
(79) 22 — [a = — #4 Lo]: — a 
dd 
Die bekannte Beziehung 
een re 
(8.) A — R ge: AR wenn (pg) # 0, 
lässt sich auf folgende einfache Weise ableiten: Die Grösse 5 — 2 hängt 
u Mer = I 
mit jeder analog gebildeten © —- = =: für welche («»)=#0, durch eine Sub- 
2 x 


mSsta 
mStq’ 


(aß) Ux — (up) ag (ua) Br | (@P) Hs — (vB) a. (we) By, 


woraus folet: 


stitution 1. Ordnung 9 = (pq) #9 zusammen, denn es ist: 


ae (uß) Se 
v. (vB) &— (ve) 


Umgekehrt liefert die Substitution 9= (9 °+4):9 +9), wenn 

> a’. 20 . . . 3 . 

man © 7; einsetzt, für © den Quotienten zweier Linearformen, und dabei 
ist (pgd) = — (uB) (ve) + (wa) (vB) = (ur) (aß) +9. 


Da nun 22 =[P],, so ist: 


(9.) 22 


[do = F ae a) , wenn p)-+ 9, 
womit auch (8.) bewiesen ist. 

Durch die Formel (9.) gewinnen wir Anschluss an die Gruppen- 
theorie, insbesondere an die Untersuchung von Lie über die „Alassofirkatıon 
und Integration von gewöhnlichen Differentialgleıchungen, die eine Gruppe von 
Transformationen gestatten, Math. Ann. 32, Seite 213 


nur verweisen wollen. Durch (7.) ist z als Reeiprokant definirt; die Formen- 


281, worauf wir hier 


reihe 2, 2‘, 2“,... ist also auf das Innigste verknüpft mit den Untersuchungen 


!) Journ. f. Math. 75, 300. Das Symbol [y]. stammt übrigens von Klein. 
2) Comptes rendus: (CI, p. 1042—1045, 1110—1111, 1225—1229, 1460— 1464. 


Nova Acta LXXIV. Nr. 2. a2 


328 J. Wellstein, [50] 


Sylvester’'s und Halphen’s über Reeiprokanten und Differentialinva- 
rianten,') Es würde zu weit führen, darauf näher einzugehen. 
Da die Formen z, z, z“,...., 22 nach $ 5, (1.) ein associirtes System 
bilden, so schliessen wir aus (7.): 
(10.) Die Derwirten 
j 0, 0", 0... OM+1) von w nach t 
IE en El 
bilden ein System assocürter Formen von fia)= a, —1, und zwar lässt 


sich jede Covarıante und Imvariante von f, mit einer passenden Potenz 


o' 5 en = . ©‘ ONER 
von ) mulbiplieırt, als rationale ganze Funktion von S®’ darstellen; 


\ & \ ee (a er 
0 = — [(xda) 173 =, («ß) =0 | u € 
® 9 9x” 5 
I. Die Frmy= =, 55 9, ® quadratısch. 
v Ve“ 


Sind 9, w zwei quadratische Formen mit den Invarianten 
(11) Dyp = Ip, pl, Dyv = [P,Yl2, Dyy — [p vb, 


so ist das Quadrat der Funktionaldeterminante bekanntlich: 


. 1 
(12.) [9; v]; == 3 { Dygp . 2 = 2Dpwy op + Di B gel. 
Aber da @)— — 1 ist [$ 2, @)]: 
[p, v]ı = (9%) Pr d%r = — (PY) (8X) Pr dr = — [9x dar — dr Pr] 9x dr — 
1 d dw 
V. Pa Pr —P. Yard —z Wp' — PYp), wo pP = a De . 


ee 9 [9 vl also nach (12.): 


Nun ist „= S Y 


v y’ 
1 1 5 5) 2 
(13) @yl = 7 = — 5% (Dog — 2Dpw.Y + Dyy.y*} oder 
(14.) wy2—=—21D,g — 2DyyY + Dow}; 


: ; y ug Bd er 
eine Gleichung, die nebenbei die Auswerthung des Integrals / „ ermög- 


licht, denn: 
dy I 


do ) 
153) Q = = = =: —— === . 
( x Vene „ V—21Dgpg —2DywY + Duw 9?) 


SEITE Mievenal..c. 


[51] Zur Funktionen- und Invariantentheorie der binomischen Gebilde. 329 


Nach (14.) lässt sich ® durch y und y‘ ausdrücken; daraus erhält man 
dann auch ® und w“, dargestellt durch y und seine Derivirten. Setzt man 
diese Ausdrücke ein in') 

(16.) 2.Dyy — 2yy" — y? + 4y? 2, 


so resultirt nach etwas umständlicher Rechnung: 


dı 
2, | PRoo(an) = 2 Don — 2 Dre u + Dis sr)? lo — 2 
) wo Roy = Dyy Dow — Dgw die Resultante von 9 und w. 
Gemäss dieser merkwürdigen Differentialgleichung kann man das 
Integral: 
18. 2) (yo — 221 “Y 
(18) /V2} Wo — 22} do = / om, Dog 2D TED: 
durch Logarithmen auswerthen. 


Dureh Vergleichung von (14.) und (17.) kommt: 


(d:33) Roy = wty” Yo — 22). 
: Fr 3 R 1 5 
Substituirt man in (16): # = 5, so folgt: 
ER z 95 ION: 
(20) Dytg— ze) 2 
n Bee a) it ee 
Nach (15.) ist aber: =, om daher nach (20.) 
R va kn) 
(21.) Q "0 Diyw a [Yo Tr 22, Q fi w 
oder nach (6.) 
do\? 
(22). Div — [ola 2 (9). 


Man würde nun in ähnlicher Weise den Quotienten zweier kubischen 
Formen in Angriff zu nehmen haben, dann biquadratische Quotienten u. s. w. 
Die Rechnungen werden aber immer verwickelter, und es lässt sich auch 
der tiefere Grund dieser Thatsache einsehen. Wenn nämlich die beiden 
quadratischen Formen 9, ® einen Linearfaktor gemeinsam haben, so ist 


pP. J a . a 3 z R e a, 
A 0 Wirklichkeit vom Charakter des linearen Quotienten S= —, und 


Id 


es muss [ya —22=0 werden, wie in (4) [Ju —22=0 war. Das ist aber, 


da R,, als Resultante nunmehr verschwindet, nach (17.) thatsächlich der 


I) Vergl. $ 7 am Ende. 


42* 


330 J. Wellstein, [52] 


: i £ hr, 
Fall. Diese Schlussweise gilt offenbar auch für den Quotienten Y, = Pr, 
Vz 


zweier Formen »'“ Ordnung. Wenn die Resultante von % und % verschwindet, 
muss die Differentialgleichung für y übergehen in die eines Quotienten %_ı 
1‘ Ordnung. Mithin muss die Differentialgleichung für 


zweier Formen ® 
Y, die Resultante von % und % enthalten, und die Ermittelung dieser Gleichung 
ist wesentlich von gleicher Schwierigkeit wie das Problem der Resultanten- 


bildung von %, k in invarianter Gestalt. 


III. Ausarbeitung der Gleichung 22 = (I, aus (9). 
Diese Differentialgleichung leidet noch an dem Mangel, dass sie die 
Hesse’sche Covariante 


de m Allan), arg a 


ie ae la ar 1] 
als Funktion von &, &, nicht von & enthält. Um diese Form als Funktion 
von & darzustellen, geht man am einfachsten aus von der Identität 
(a?) a, + (Ba) @, + (ac) Bz — 0, woraus für (aß) =D folgt: 
Da, — (aß)« — (ac) 8 — $ |(aß) 5 — (ae)] 


in der Bezeichnungsweise des Abschnittes I dieses Paragraphen. Daher 


v_N 
23) D’=-D" = > (— 1)r 6) A, on , pn, wo A, (aa)? (an, 
vl 
Schreibt man 
v_n 
(24.) >33 (— 1)r © o eh, In—v == Fü), wo As — (ae)r (aByR—v, 


= 
so ist: Dr = F().P”, also durch Differenziren nach ®: 


0—= Fl) Er + Fo)ngrip, 0= 0% S+n‘ eo, 


& = p 1 & as u 4 ER 
nach (3)b ist NER also: 0 — F‘&) > > Fo oder 


u 7ER wu ER IhE 2 
nö" — 2,02. = folglich n" = at + 20% > — 20% ) 


2 2 EN a: 
= 5 (F) u, ( el demnach 


F F 


FT 
T 
— 


a ru 4 F' F 3 
2 dl, = lo — :(&)} = — (8 — 2n) 5° (F) + 2n &? a 4L 


2 12 
\ 


— 42 | = =: si u 
=» |” F (n 1) Pf 


[53] Zur Funktionen- und Invariantentheorie der binomischen Gebilde. sol 


Setzt man noch FQ —=nFQ&, FO nm — FO, so wird: 
n? [Co — 2n? (n — 1) L*. = Br 
2; I als Gleichung für &. Dazu 


nehmen wir noch aus der vorstehenden Ableitung: n&“ — 2... E So folgt: 


[24 
XL ee - 
genügt als Function von © = — fi (vd) auf a —1 
x 


Die Grösse5= 
Px 


den Differentialgleichungen 


* FE PETE RR 
(25.) de: KO) 2 (2) FQO=%0 
und 

96 et dc FO RO— (FO) 

(26.) [lo = 2(r — 1) a) Eee 
während umgekehrt ® als Function vnn 5 nach (R.) die Differential- 
gleichung 

=; Fo E60 — (F!O) 

(27.) [a]. + 2m —1) AOet az oO) 


erfülll. Dabei ı1st 

28) Ko=% und »MHO=F&, nn —d) Ro) — FO. 

Der Zähler des zweiten Gliedes in (27.) ist die Hesse’sche Co- 
variante von F. Diese Gleichung spielt bekanntlich in der 'T'heorie der 
automorphen Funktionen eine hervorragende Rolle!) und lässt, wie von 
Klein gezeigt wurde’), eine interessante Umformung zu. Zu dem Zwecke 


hat man zu setzen: 


\ 2 de de 
29. o@— wo ol o|\ 22 9, — ıS. 
) 2,’ a do 
Dann genügen 2, und 2, wie eine leichte Rechnung zeigt, der 
De 2 1. i a 1) eh 
J EFT oe 20 NAG « ed Ss oe = als ie SI 
Gleichung de? +5 2lok . Nach (@.)a) ist ” also 2, a VD. 
(DDR ! Ä | er 
& =. Setzt man in der Gleichung 75 + 5 2lelk = für [ok den 


B 

Werth aus (27.) ein, so folgt, da man die Lösungen 2,, 2, superponiren darf: 
1) Cfr. die Arbeiten von Klein und Ritter, Math. Ann. 21 und 41. 
2) Vergl. insbesondere die autographirten Vorlesungen. 


332 J. Wellstein, [54] 


: e Da DIN. >. 5 a BE 
Die Funchonen 4 = 2, VD und 2, — , - sind Zweige einer „binaren 
x in 
Functionenschaar“ 


2=a12, +%82, [C,% const. nach L], 
welche der linearen Differentialgleichung 


22 ASENSEEE IE) 
ee : 
de: (n 2 Pro 


\ $ Er N 
mit vatıonalen Coefficienten geniügt.‘) 


(30.) 


IV. /nhomogene Variabeln. 
Unter den Funktionen der Klasse, welche durch < — x dargestellt 
x 
werden, befindet sich auch «= = also die nicht homogene Veränderliche, 
von der wir in $ 1 ausgegangen sind. Daher gelten die für 5 aufgestellten 
Difterentialgleichungen auch für x, wobei F(&) übergeht in unser ursprüng- 
liches fl®) = ( 


%&=1 ist ferner D=(aß)—1. Mit der ursprünglichen Veränderlichen 


RW 


u a, 20 des $ 1, (1); für &=a, aloo a —=1, &=0, 9 —0, 


& ä oe Er i a 
kommt natürlich auch wieder 5 = /fi«) = in die Formeln. Wir nehmen 
2 


daher Veranlassung, das allgemeinere 


Be 
(31.) = 5, 
heranzuziehen. Dann ist nach (1.) 
d23 d26 1 ) d2s ( dis \ 
ee ee a nn, 
p [N 0- Ss S- 
Da 2, z%..., 2”%72, oder in anderen Variabeln geschrieben, z, 7‘,..., 22 


ein System assoelirter Formen bilden, so folgt aus (32.): 


Auf a) — 1 /assen sich alle Covarianten und Imvarianten der Grund- 
u “ 
/orm a,, mit einer passenden Potenz 9 bezw. Ss multiplicirt als ganze 
Functionen von 


do  d?o d”6 RN DS Ads d”s 

(Di 3 AR = IEZW. VON >, = a > 
do’ do? do” do‘ de? do 
darstellen. 


I) Cfr. Ritter, Math. Ann. 41, p. 17 und des Weiteren Klein’s autographirte Vor- 
lesungen über Differentialgl. II. O. 


[55] Zur Funktionen- und Invariantentheorie der binomischen Gebilde. 333 


do do d£ 
Nun ist aber = — 3 — Do?, en — — = — — 
See 
in ee a nz = = —= — Do Te also 
| | D.o —/fS = speciell: & — ne 
D | 20 os — SR me a ae 
de? dx? 2 = © 


2 
2 


Die elegante Formel 2 = s’ — rührt von Herrn Christoffel her, 
welcher sie durch direkte Rechnung mit der ursprünglichen unhomogenen 
Variabeln x ableitete. Sie diente dann ihrerseits zur Ableitung der Diffe- 
rentialgleichungen V3 = 0, V,—=0 einer linearen und einer quadratischen Form 


von 2, %, also, in unhomogenen Veränderlichen z, s ausgedrückt, von Funk- 


4 7), % + As “x + 20, c+o; a . 
onen der Borm A — _ — undgo-— __, _ _: Setztman allgemein 
BEIT IE EEE Du 
% nr h 3 


S 
so gründet sich das von Christoffel angegebene Verfahren darauf, 
a+1 (st nn) 
dah+1 
gleichung in eine andere mit der unabhängigen Veränderlichen ® erfolgt 


dass: — 0 ist. Die Umformung der so erhaltenen Differential- 


dann mit Hilfe der Beziehung = —s2 n vergl. (33.). Der Zusammenhang 
der so resultirenden Gleichung V7+1| (9) = 0 mit den Schwesterformen, sowie 
überhanpt der invariante Inhalt dieses Problems tritt bei dieser Methode 
nicht zu Tage. Dagegen ist es bei der oben gewählten Darstellungs- 
weise nicht ohne Reiz, dass sich schliesslich wieder die ursprüngliche 
schlichte Veränderliche & als zweckmässig erweist, und zwar auch vom 


Standpunkte der Invariantentheorie. 
V. Eine formelle Eigenschaft der Reciprokante. 


Zur Umformung von Reciprokantenausdrücken kann eine schöne 
Formel’) dienen, die wir nun ableiten wollen. Es bedeutet 


!) Sie rührt, wie ich nachträglich bemerke, von Klein her, Autographirte Vorlesungen 
über Difigl. II 6. 


334 J. Wellstein, [56] 


day day)? 
das 3 | da? 

[y)e — a er 
da dx 


Wir betrachten nun % als Funktion einer Variabeln 7, diese als ab- 
, 
hängig von 2. Dann ist: 


U 
de dn das 
ay _d@y 2) day din 
da? dm?  \de dn da? 
ya (+ EEE EL 
de® dı? \da dn? da da? ° dn  da> 
also: 
Ay d2y d’n 
daß dn\? d® den das 
We a ° az: ya} m 
dn dn da 
d2y)? d2y an)’ 
en N A an 3, |de 
2° |dy|  \de dy da 2 |dn 
dn dn dx 
dn\? 
[Y, (=) + [Yy]», also 
34 [le — Ile = lol, - (22) 
(34.) Ye le 


Das ist die gewünschte Formel. Zu ihrer Anwendung gehen wir aus von 


(9) und (17.) 


| 
wm 
IS 
13 
= 
tr 
e 
10} 
01 
Es 
” 


wo 
do 


& 2 dyN\® 
Kl — 22, 3 ze 2) = 


d— Dog — 2 Dyv 4 + Dyw P. 


2 Iy\® 
Dann ist: 3R,, () — 242 I! yo — [&Ülo}, also nach Formel (34.): 


5 By A m 
3Ryw. (&) — 24? [y]: (2): oder: 


dy\? rn Ä , h h 
3Ryy & — 242, |yl-, wo & der Quotient zweier linearer, y der 


(39.) Quotient zweier quadratischer Formen, und A Dyg — 2Dyy 4 + 
Diyy 2 25t. 


[57] Zur Funktionen- und Invariantentheorie der binomischen Gebilde. 335 


Vermöge (6.) schliesst man daraus: 


(36.) SRyy = — 2.1 Dyg — 2Dgyy + Da Pr? [Ey 
Soleher Differentialgleichungen liessen sich noch viele ableiten.‘) Wir geben 


nur noch — ohne Beweis — die folgende: 


Wenn Yı, ya und m, N2 beliebige von %ı, % unabhängige Grössen sind, 


so gen ugt: 


n—1 
[47 [47 
7) ==, (#1) 
A GM 
der Differentialgleichung: 
2 Pre | e Are N 
(38.) 2 — Ip em) a Jade), EL — (aa)* a, x a 2 
und 
e EN : day yn d’z 
CD FE Zu ) ee 
Man findet daraus nach (34.): 
2 n—1 >, 19 NR „Nn—?2 
(40) [lz=;, wo Z — f 2doo — al (aa)? a" " a” " (ade). 
sg: 
Beziehungen zu den Wurzelwerthen und den symmetrischen 
Funktionen. 


Es ist nach dem Vorangegangenen zu erwarten, dass auf dem bino- 
mischen Gebilde a” — ı sich auch die Beziehungen zwischen den Cova- 
rianten und den Wurzelwerthen von a” und ihren symmetrischen Funktionen 
in besonders einfacher Form werden darstellen lassen. Vor allem interessant 
sind die Eigenschaften der Wurzelwerthe der typisch dargestellten Formen, 
bezüglich derer wir auf die schönen Untersuchungen von Kohn’) verweisen 
können. Im Folgenden wollen wir uns auf die Darlegungen beschränken, 
welche nöthig sind, um an die genannten, von ganz anderem Standpunkte 
aus unternommenen Untersuchungen Anschluss zu gewinnen. 


\) Ist /7 ein Quotient zweier ganzer Formen , y, so ist, wie sich leicht zeigen lässt, 
[Mo stets eine Covariante von 9, pw und f—1. 


2) Beriehte d. Wiener Akad., Juli u. Okt. 1891; efr. Sylvester, Comptes rendus, 
LXXXVI, 448—50; Am. Journ. I, 118— 124. 


Nova Acta LXXIV. Nr. 2. 43 


336 J. Wellstein, [58] 
Ausser der Grundgleichung fi) = a —1 nehmen wir wieder die be- 

liebige Grundform g(z) des $ 2, (1) auf. Sei in Linearfaktoren zerlegt: 

1) | fa e Di AN Su 

.: | syn) (nD)... (m, = oh. 

Nach $ 2 substituiren wir für #, 2, die typischen Variabeln Sı, $2: 


ja N— a 
SE e atV: : als ehss tn 


N 
Een, een j % A, va —|1. 
23=ad)|n — a; Gm —bS —- U 


Aus fd = (ad) (ed)... (en) = 1 folgt durch Polarenbildung: 


(En) BES (ex) 


an (eı2) (es) 


an er er) ee 
(3.) | ö = (ei 2) (eat) zu wor (et) ud (et) 
| TE Ne >2 — 


wo die Summation über alle e zu erstrecken ist. 


Vermöge (2.) ist: 
[= & (2 d> Ze 
Nu —le). (&—e%), wo e— 5 


T,. 


»—(rl). (Sı = 08), wo 0 — 0) 


Un 


| WW) FE 
Daher nach (1.): 


€ 


fi) = Il(ex) = Ike) . U —e8)— fl) . Ile — e&) 
e e € 

y(2) = Il(ra) = Ir) . D(& — 0) =yl) . D(äı — 02), 
? 7, € 


oder, da fd —=1 ist: 
| T®=1=H6& —e8)=(&ı — &ı 8) ($ı — 282) --- (&ı — & &) 
€ 


(3.) 


Hält man hiergegen die Gleichungen $ 2, (8.) und (9.), nämlich 


a 6) 1, N), ae, 


v 
so kann man die Schwesterformen %,, ®, leicht durch die Wurzelwerthe 
&, & 22 &n5 01 O1 :-.,Q7 der nach (5.) typisch dargestellten Grundformen aus- 
drücken. Wir verzeichnen nur: 


en En en Er 7) (Gıt+@+t-..+9%)=hu; 


[59] Zur Funktionen- und Invariantentheorie der binomischen Gebilde. 337 


h tler h! { ? dg(t) in 
nach $ 3, (13) ist: Y, = Em un = En le 
Zr N FE Ey EN 
( ) = € 0, _ o= m vo 9 gt), p den; 


Um die Nullwerthe der typischen Grundformen durch die e bezw. r 
auszudrücken, ecombiniren wir (3.) und (4.): 


Jen (e, &) Te, a (e; &) 
NT. = _ —h i 
& ud (et) | eyt n(e,t) ud (e,t 
ee) (eu) (u (ed 
woraus: 
In 
1 1 7. Cu) 
nn Zen a 
Eu n (ed: - ed) und ebenso 
Ar 
(8.) 


ei 1 Es Jen (ru) 
Or n Fu t) — (e, 
= 


folgt. Zur Berechnung der Wurzeldifferenzen gehen wir aus von: 


un 1 T. (rt) — (ei) Er (er) 


ee dd — ed 


denn es ist identisch 
en), + de, rar, I, u —l. 


Daher ist: 
(er) 


en ‚ und ebenso: 
ar (et) (rd) A 
N (&,, e,) 
(Ce En (ed (e,d) 
rn En 
One 09. — = EN. 
ORG) 


Die zweite Formel von (8.) lässt sich vermöge der ersten aus (9.) schreiben: 


1 Jen 1 
SI; \ 
Um — N > (Ou Pr &) — 0, n >23 &, 0, 
7—| 


was zur Kontrolle der Rechnung dienen möge. 

Die hier abgeleiteten Formeln reichen aus, um die erwähnten Unter- 
suchungen Kohn’s mühelos auf das binomische Gebilde «a, =1 zu über- 
tragen; wegen der Gleichung I/(& — 88) =1 der Nummer (5.) werden dabei 


43* 


338 J. Wellstein, [60] 


die Formeln viel einfacher als die der Kohn’schen Untersuchung, worauf 
wir jedoch nicht weiter eingehen wollen. 
An ein anderes Gebiet der Algebra gewinnt man Anschluss durch 
folgende einfache Betrachtung. Nach (3.) ist: 
a > 2). 
x t ._ (ex) 


Aber wegen ti; —= 1 ist identisch: 


(ea, + (ta) er + @)t, — 9, (en) = (et) Tr, — ()T,, also 


nA N DEN Di LES den 
x a ae) ar (er ee 
wenn &-1 — us =2 bedeutet und e nach (4.) definirt ist; man hat demnach: 
r Tg Sı 
m D\ 1 a) £& &2 


Ele — 


€ 


92 
-. 
je 
+ 
=} 

[0 je) 


. Ur r T 4 nn Pe» 3 
‘ für grosse Werthe von z, oder, da g — m) ist, für solche Werthe von 
> E x 


%, %, die von 4, t nur wenig verschieden sind; es folgt jetzt: 


P3: IE? >> 
n. (a a) : (a7! a.) —n+ € Ju ® S4 a TE mA 
wo links die Klammern angewandt sind um Zweideutigkeit der Symbole 
zu verhindern. Rechts treten die Potenzsummen der 2» Wurzeln &, &,... &, 
auf. Es folet: 


Liegen dıe Punkte &ı, ©, und tı, ı der Curve a,— 1 hinreichend nahe 


bei eimandler, so lässt sich das Produkt der beiden binären Polaren 


ni pe £ © H 
ar! a,und a) "a, nach fallenden Potenzen von 8 —*' entwickeln: 
{ S 


a0) n.(et a). (tert. 
Ss 
wober die Entwicklungscoefficienten die Potenzsummen der n Wurzelwerthe 
Een, sand: 
11) so =’ ++... +5 sm ad) — |. 


Analog findet man aus 


er =nd in... m 


dureh Bildung der Polaren zunächst: 


[61] Zur Funktionen- und Invariantentheorie der binomischen Gebilde. 339 


Rd 
(1%) 


h—1 


- ®) DS, 
er en one 


+ ...-+ — 


5 (72%) 2) 


2), 


9, = 9@) ( 
und daraus mittelst der Identität 


(DR ren) 0 N 


weiter: 
‚h—1 NR () _ a nel. a, 
hy, PE— y«) ui (rt) LT, — (zt) Ge ZZ 92) ul ( e) 
r Or Wi = 
S 


vergl. (4). Mithin gilt, ähnlich wie oben, der Satz: 


Liegen die Punkte &, % und tb, bı der Curve W—1 hinreichend nahe 


bei einander, so gilt die convergente Reihenentwicklung: 


s 5 
12) A. RE, 9. an u,= g" s(0) + 0 + se) +: N; 
S) > 
deren Entwicklungscoefficienten die Potenzsummen der h Wurzeln 91, 0», ..., 9% 
sind: 
(13.) SO = 0r +0» +...+ 09; Hl) — N. 


Diese beiden Reihenentwicklungen (10.) und (12.) vermitteln in höchst 
einfacher Weise den Zusammenhang zwischen der Invariantentheorie auf 
a — 1 und der Lehre von den symmetrischen Funktionen der Wurzeln einer 
Gleichung; man vergleiche besonders $ 1 der Theorie der binären Formen 
von Faa di Bruno — Walter; unsere Formel! (10.) ist die Bruno’sche 
Formel $ 1, (12.) in homogener Gestalt. Unsere Formel (12.) ist eine 
wesentliche Verallgemeinerung der Bruno’schen Formel $ 1, (46.), und 
überdies homogen in den Variabeln. 

Es erübrigt noch, für die Wurzeln & und e die Differentialgleichungen 
aufzustellen, denen sie als Funktionen von & = — /tdt) auf a? —=1 genügen. 
Aus (4.) und Satz (10.) stellen wir zusammen: 


T T 


e ih 


(14.) ee Sn 


um | 


(a) 
Als Funktionen von 4, & zeigen diese Grössen wesentlich gleiches 
Verhalten. Nun ist nach $ 3, (7.): 


s E n—1 : . 
— GE — ——$, = oa (aa)? ayn—?2 ayn—2, 


340 J. Wellstein, [62] 


Daher: 

dg EN 759 &? af 2 

day 5 ur 5 2a, aa 
5 ee ET, 
Bü dog do; dog 0 2 


Das sind die verlangten Differentialgleichungen.') Aus derjenigen für & er- 
giebt sich durch Summation über alle & folgende einfache Darstellung der 
Hesse’schen Kovarianten ?: 


de u k 
>23 Aa, wu >= 2 +nT—S(e) + nt, und da 3e = ist: 
3 € 
(16.) t—=— ss) —- I +t&2+--.-+ en } 
woraus sich bekannte Schlüsse auf die Realitätsverhältnisse der Wurzeln 


n—1 Den De. DE \ 
der Hesse’schen Form 7 = gr (aa) 4 a ziehen liessen. 


NEAR ee ld PBraimiE> din (xt) N 
Da Sı da, 50 ist & = Sn one a ebenso 
ee also: 
des; 


1) Es sind Riecati’sche Differentialgleichungen; fasst man e und e als Partikular- 
lösungen der Gleichung —&° + auf, so hat man ein instruktives Beispiel für die all- 
gemeinen Sätze, welche die Gruppentheorie zur Lösung derartiger Gleichungen an die Hand 
giebt. Vergl. „Vorlesungen über continuirliche Gruppen“ von Lie-Scheffers, Kap. 24, $ 1. 
Der Satz 1. e. Seite 768, dass das Doppelverhältniss 
Sie 0IF HE 
8 —0ı 2 
von ©; unabhängig ist, wird bestätigt, indem vermöge (9.) offenbar: 


(& 01 & 02) = 


1 —0 &—- 9 er (e& Y3 er er: 
(& 01 & @) a nn a) 
8-0 &7& (ar) (eı 9) (ar) (&) 


ist. Die nach 1. e., 768 (4.) mögliche Transformation ist in unserem Falle: 


ven! 
E— 0 
de 1 a) e 
nd: — — I y—— = Ze le E 
u = ee ne = (+0) 
sodass also: In& — SE + 0) do ist, übereinstimmend mit 1. c., Seite 770, Satz 2. Die 
nach 1. c., Kap. 24, $2 mögliche Zerfällung von $ wird geleistet durch & — =u und das 
2 
simultane System für &,, &, (l. e. Seite 772, (7.)) lautet: 
ds, 2 ds; & 
—a— 3055, = SS 
do Se in = 


[63] Zur Funktionen- und Invariantentheorie der binomischen Gebilde. 341 


din DEE ans: 


din («0 din (et) din (rt) 
day do k ; 


dos; Benz do; 


U 


Auch die Potenzsummen genügen bemerkenswerthen Differential- 


gleichungen: 
sa=- Le, u Det ed Det ruDet 
€ day F € 
also: 
ds, (&) ds, ( 
(18.) A, == vS,11 (&) + vr Sy—1 (e) | a >= vS,11 (0) nn vVT Sy—1 (0). 
102: 


Summirt man die dritte Formel (17.) über alle A Wurzeln 0, so kommt: 


Der De ding) day 
(19.) s 0) = do = — 77 


übereinstimmend mit (7.). 

Die Formeln (16.) und (19.) können dazu dienen, die Formen 7, 9 
und ihre Derivirten nach ©; als Funktionen der Potenzsummen darzustellen. 
Deutet man die Differentiation nach ® durch Striche an, so ist nach (18.) 
und (18.) 


Se =, rl) — - 30,8, 10, 
also: 
| "—_ > — ee Sl 83,le), 
(20.) 
E at 3! 3! 
Ti Oli eh (I m (e) 5, (&), 


u.s. w. Ebenso hat man, da 


,e()=rs,41 (0) + Prs,_ı (0) = Pr Ss,21 (0) — - S, (€) s,_1 (0) 


ist, vermöge (19.) 
In NRZ TR), 
ei | 9"— — $(s, (0) + hr) — Y*.5, (9. (Sı (0)? — 5, (0) — hr), I, 


u.s. w., man sieht, dass alle Derivirten von 9 den Faktor 9 ausscheiden ; 
sie werden erhalten als Funktionen der s(e) und der s(o. Es gilt der Satz: 
Die Invarianten von P sind solche Funktionen von 9, $', 9", 9",..., 

aus welchen sich, wenn man 9,9, 9",... nach (21.) durch die Potenz- 


summen 5 (0), S(E) ausdrückt, alle Potenzsummen der € herausheben. 


342 J. Wellstein, [64] 


Denn jede Invariante von 9 lässt sich nach früheren Sätzen durch 
2%, %ı,..., vn ausdrücken, letztere Grössen sind, wie ein Vergleich von (5.) 
und (6.) zeigt, symmetrische Funktionen der e und als solche nach einem 
bekannten Satze der Algebra, rationale Funktionen der Potenzsummen; also 
sind alle Invarianten von 9, dividirt durch eine passende Potenz von 9, 
rationale Funktionen von sı (0), 52 (0), 53 (0), ... Die Division durch eine Potenz 


von 9 ist nöthig, weil man die », nach (5.) und (6.) in der Form 


h h—v X 
5)» =.) > 01 02... % 
erhält, wo Y die symmetrische Funktion bedeutet. Der Exponent jener 
Potenz ist offenbar gleich dem Gewichte der Invariante. Das giebt den 
bekannten Satz: 
Jede Invariante I von p ist darstellbar in der Form 
J— gt. funct. rat. (S} (0), 5, (0), - - -, 53 (0), 
wo A das Gewicht von I ist. 
Bezeichnet man diese rationale Funktion mit IZ, so ist: 
dI 
’ do 9 
DES EN oda 
Ar oo den ipdn ud do 


J=g4.N 0, also: 
(+) + ApHTl gt. I 


indem 2 die Grösse 9 explieite nicht enthält. Es ist also: 


2, ‚10 07 eg: 

) = Y 2 48 & 

0 DEE ran. tıel2., 

o o > 

Nach (7.) ist n — 5, (g); setzt man noch g*7 — J ein, so kommt: 

Sy 0 17 

zo en ee en 

0 f 

i 1 s Fe ze, : 

Da man in r=—-s() die e als willkürliche Veränderliche be- 


N 
trachten kann, so ist die vorstehende Identität nur dadurch möglich, dass 
das Glied mit 7 sich heraushebt. Dann ist einzeln: 


5: y 0J 4 x" e) 0J iR 14 
(22.) re % Er u. 


Das sind die bekannten Differentialgleichungen,') denen die Invarianten als 


1) Brioschi, Annali di Tortolini, Bd. V. 


[65] Zur Funktionen- und Invariantentheorie der binomischen Gebilde. 343 


Funktionen der Wurzeln genügen. Es ist nicht schwer, diese Betrachtung 
auf simultane Invarianten und Covarianten auszudehnen. Wie die Cayley- 
Aronhold’schen Differentialgleichungen der Covarianten als Funktionen der 
Coefficienten eme Folge der Differentialgleichungen 
du, 
DEE Va ($ 3, (14.)) 

sind, denen die Coefficienten selber genügen, so sind die Brioschi’schen 
Differentialgleichungen der Covarianten als Funktionen der Wurzeln — und 
darum haben wir dieselben abgeleitet oder ihre Ableitung angedeutet — 
weiter nichts als eine Folge der Differentialgleichungen (15.). 

Den Brioschi’schen Difterentialgleichungen (22.) fügen wir ein 
weiteres Paar hinzu. Ist eine Invariante J von 9 nach obigem Satze dar- 


gestellt in der Form 


J —— gr . I, 
wo I eine rationale Funktion von s, (@), 2 (@),... sn (0) ist, so folgt, da 
dI a 
m 0, vermöge (18.) 
NIT Se : 
so da te Are, 
und nach einem ähnlichen Schlusse wie oben: 
v—h 27 v-h 27 
a le On) 
2 08,00) er 


als Differentialsleichungen, denen eine Invariante J der Form 9 go mat 


dem Gewichte 4, als Funktion der Potenzsummen genügt. 


$ 10. 
Das binomische Analogon der elliptischen #-Funktion. 


Die Differentialgleichung ® —1)‘* Ordnung U„41@ 0, welcher 


—1 —2  n—: 
=" 5 Ge a ar 
als Funktion von & — — /(eda) genügt (vergl. $ 3, (17.)), hat in vielen 


Einzelfällen, wie wir in $ 4 sahen, die Weierstrass’sche #-Funktion zur 
, * 2) 
Lösung. Diese Thhatsache legt es nahe, z auch im allgemeinen Falle als 
Nova Acta LXXIV. Nr. 2. 44 


344 J. Wellstein, [66] 


Funktion von ® zu betrachten, obgleich dieselbe unendlich - vieldeutig sein 
wird. Als Funktion von 2%, 2 wird 2 unstetig nur in den Verzweigungs- 
punkten &, &, &, ..., %. DBezeichnet ®, den Werth von ® in e,, so folgt: 
z wird als Funktion von ® unendlich nur für = @,,@,...,®©,. Es fragt 
sich, zu welcher Ordnung. Sucht man eine Zahl A so zu bestimmen, dass 
lim z2(@— @,)* weder 0 noch © wird, so findet man, wie wir nun verifi- 
eiren wollen, 2 = 2. 
Nach $ 8, (26.) und (28.) ist nämlich einerseits: 
ds\ 2 
= (n—1) (do) .(EB— E29), FE); 


andrerseits ist nach $ 8, (33.) ne = zo und nach der auf $ 8, (24.) folgenden 


Formel: D® — gr. F, also, indem man das 6 des $ 8, (31.) einführt: 


a FE Ee 
Be ee 
Daher: 
Do? \? N n—1 I x 
=D (I) ER-89 = han (go) FR 
und 


5 5 n—1 @ — ©, 
I, = lim 2 (0 — ®,)? — lim ( 


D?@-1) —— (FR — 2). 


Hierin nimmt 


o — ©, 
m 
! u 0 er 
die Form 9 an. Es ist also: 
d a ) 1 
lim ar lim a = — lim Do? — as lim ——- 
u CE (m—2) 003 do (n—2) D or ds 
dc dE d£ 
Aber: o* DR — Fo, also: 
2 lo IF L 
WD 0 "= — os — nE#,(&) 
und 
00, 1 ’ D" N Dr—1 j 1 


lim - lim — 


on—2  m—2)D un F,( er) Fu 


Da F in e, verschwindet, so ist im F— 0, daher: 


[67] Zur Funktionen- und Invariantentheorie der binomischen Gebilde. 345 


n— 1 DEIN 
—] 2 — 2 — i e We 2 
l,—= lim 2 (® — o,,) IC lim (5 7) (FF, — F}) 
Fe im Ale a 
(n — 2)? F? (n— 2)? 
ei 1 . A D 
sodass also ıL =h=..=h=— m 57; Ist. Es folgt: 
Bezeichnet man 
—— 5 (n— 2)? SINE. 1 BERONZ n2 „Nn—2 „ın—2 
1) P@)=—2. el 3 (n — 2)” (aa‘) a, an 


so folet: #(@) wird als Funktion von ® nur in den n Stellen © — o, 
©,...,@, umendlich, welche den Verzweigungspunkten der Riemann’schen 
Fläche entsprechen, und zwar ist 


1 


2 In ee 
(2.) ın @,: 9(@) Bea: 


+ /unct. cont. (®), 


in Uebereinstimmung mit der Weierstrass’schen #(®)- Funktion. Im 
Falle »— 4, also im Falle elliptischer Funktionen, muss daher das in (1.) 
definirte # mit der Weierstrass’schen #-Funktion geradezu identisch sein; 
nach $ 4 trifft das auch zu. 

Ueberhaupt ist das nach (1.) definirte 9(@) in allen Fällen mit der 
Weierstrass’schen #- Funktion identisch, wo die Differentialeleichung 
U, = eime einwerthige Funktion von © zur Lösung hat. 

In ganz speciellen Fällen wird dieselbe auch degeneriren können. 
(Vergl. $ 4. 

Macht man einen Verzweigungspunkt zum Anfangspunkt des Integrals 
©, so ist dort @—=0, daher in diesem Falle: 


1 
für o=V : (eo) — RE Junct. cont. (0), 


wie bei der Weierstrass’schen Funktion. Nach $ 6 ist die Differential- 
gleichung U,+1 (=, die in $ 3, (15.) als U„+1 (2) berechnet ist, in 7, =‘, “,... 
isobar, wenn man 7®—2 das Gewicht » beilegt. Die Summe der Differen- 
tiationsexponenten jedes Gliedes von U„+1(@) =0 ist daher entweder eine 
gerade, oder eine ungerade Zahl, jenachdem r eine ungerade oder gerade 
Zahl ist. Vertauscht man daher © mit —®, so ändert sich die Differential- 
eleichnung nicht, indem entweder alle Glieder das Vorzeichen beibehalten 


oder alle es umkehren: 
44* 


346 J. Wellstein, [68] 


Die in (1.) definirte Funktion 9 (@) ist eine gerade Function, 


(3.) #0) — (0). 


Setzt man jetzt n @—=0 genauer an: 


1 
®—=0 .: p(o) = — 


2 R 
Ge Ne, 02%, 


/=0 
so kann man die Coeffieienten €, mittels der Gleichung U,+1(@) = 0 nicht 
vollständig bestimmen. Wählt man » —2 von einander unabhängige Inva- 
rianten I, I, ..., /n 2 aus, so kann man diese zunächst durch 2, 2, 2“, ... 
ausdrücken, dann statt #2 die Funktion # nebst ihren Derivirten einführen 
und schliesslich die Reihenentwicklung einsetzen. So werden alle bestimm- 


baren Coeficienten €, ermittelt. 


Wie wir später zu zeigen gedenken, lässt sich das Querschnittsystem 
der binomischen Riemann’schen Fläche von f=1 stets so anlegen, dass 
die Periodieitätsmoduln von ® sich wesentlich auf » — 2 redueiren, während 
die übrigen sich im Zahlenkörper 9” — ı linear durch jene darstellen lassen. 
Nimmt man diese Periodieitätsmodulen als Invarianten I, S,, ..., In, so ist 
bei linearer Transformation der Variabeln x, 2, mit der Determinante «: 


a J 
= {47} y e 
z= u. ©o—=-, also auch 5 — z W122...) 


ü 


Schreibt man also ausführlicher: 


[@) (©) —=49) (® | I; J,, 8 J,, DR 


, 


so ist: 
{ ON: ’ 
(4.) e( | 1: 2 = 2 -9(o|Jı, 4, -..) 
Bl au, 
entsprechend der Gleichung 
910 9; ’ 
o( | ar a) — u2.p(o|®,, ®) 
a 


der Weierstrass’schen Funktion. Aus der Differentialgleichung 
p2 —Ap2 gyp —eg; 


der letzteren folgt: # — 12p9‘, das Analogon zu U„ı1ı @=0. Das Analogon 


zur Weierstrass’schen Differentialgleichung 9? = 4p° — 99 — 9, ist da- 


gegen die Gleichung (3.) des $ 7. 


[69] Zur Funktionen- und Invariantentheorie der binomischen Gebilde. 347 


Es gilt indessen auch im Falle binomischer Funktionen eine Diffe- 

rentialgleichung von der Form: 
pr = 4p3 — n.P — G;, 
nur mit dem Unterschied, dass bei » > 4 die Formen @,, @, nicht Invarianten, 
sondern Covarianten von 2,2, sind. Zerlegt man dann 
P2—=4p— E)@— E)(@ — B,), 

so zeigen Yp— E,, Yp—E,, Yp—E, viele ähnliche Eigenschaften wie die 
modernen elliptischen Funktionen Yp— e, Yp—e» YP — &- 


Es liegt nach alledem nahe, in #(®| I, %...) das vollständige Ana- 
logon der Weierstrass’schen #-Funktion zu erblieken. Als Funktion 
von ® allein ist dieses # allerdings unendlich vieldeutig. Man steht daher 
vor der Wahl,,# entweder als Funktion von ® eindeutig zu machen, oder 
als Funktion sämmtlicher Integrale I. Gattung darzustellen, als welche » 
eindeutig ist. 


Strassburg i. E,, 22. Mai 1898. 


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NOVA ACTA. 


Abh. der Kaiserl. Leop.- Carol. Deutschen Akademie der Naturforscher 


Band LXXIV. Nr. 3. 


Beiträge 


Morphologie und Entwicklunesgeschichte 
der Rhynchoten. 


Von 


Dr. Richard Heymons, 


Privatdocent und Assistent am Zoologischen Institut in Berlin. 


Mit 3 Tafeln. No. XV—XVI. 


Eingegangen bei der Akademie am 4. März 1899. 


HALLE. 
1899. 


Druck von Ehrhardt Karras, Halle a. S. 


Für die Akademie in Commission bei Wilh. Engelmann in Leipzig. 


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Inhaltsübersicht. 


Einleitung . : 5 
I. Heteroptera Cryptocerata. 
1. Die Embryonalanlage . . ri 
2. Die Bildung des Kopfes und Ge Mundtheile er ol Men Er 116) 
3 D1e@BildunswdesWENhoTax ee re 
A DiewBildungzdespAndomensgerE Fr 
II. Heteroptera Gymnocerata. 
A. Untersuchungen an Cimex dissimilis. 
l. Die embryonalen Entwicklungsvorgänge . . . N Te a Er 
2. Die Bildung des Kopfes und der Mndwerksenge Ds a ach 
3 DiesBildungsyonethoraxund@Ahdomene 2 Erb, 
B. Untersuchungen an Pyrrhocoris apterus . . I ee ar 9 


III. Zusammenfassung unter Berücksichtigung früherer Arbeiten über Heteropteren. 
A. Kopf und Mundtheile der Heteropteren . . . a eo os) 
B. Zusammensetzung des Thorax und Abdomens bei dan Hotarapfaren 0 


IV, Homoptera. 


A. Beschreibender Theil . . . . ee u, Mar Ta a 7) 

B. Uebersicht über die früheren Hreohniane A ra ER ne Rh ai dell) 
VEREhyStophthirestkna er. er RE le, ae ee el 
VI. Allgemeiner Theil. 

A. Ueber die Organisation der Rhynchoten . . . EA 377 

B. Verwandtschaftsverhältniss der Rhynchoten zu Kodsren Tnsokten Ch) 
Tntferatusverzeichnissam ee. a ers 


Brklarun ad enPAbDIldungen Wa Er 0 


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Der Umstand, dass gerade in der Morphologie der Rhynchoten noch 
eine Anzahl ungelöster Fragen und Controversen zu entscheiden sind, hat 
die Veranlassung zu vorliegender Bearbeitung geboten. Dieselbe kann gleich- 
zeitig als Fortführung und weiterer Ausbau der früher von mir veröffent- 
lichten beiden Abhandlungen „die Segmentirung des Insektenkörpers (1895) 
und „Grundzüge der Entwicklung und des Körperbaues von Odonaten und 
Ephemeriden“ (1896) gelten. 

Der bei der Untersuchung eingeschlagene Weg ist jedenfalls bei 
der gegenwärtigen Arbeit der gleiche geblieben, indem ich mich bemüht 
habe, dureh das Studium der Entwicklungsgeschichte vom Ei resp. Embryo 
anfangend zunächst über den Körperbau der Larve und hierauf über die 
Organisation des ausgebildeten Insektes Klarheit zu gewinnen. 

So selbstverständlich es ist, dass die entwicklungsgeschichtliche 
Untersuchungsmethode natürlich nicht zur Lösung aller morphologischen 
Probleme den Schlüssel liefern kann, so dürfte doch auch in entomo- 
logischen Fachkreisen sich mehr und mehr die Ueberzeugung Bahn brechen, 
dass die Kenntniss der Jugendstadien für die richtige Beurtheilung der 
Zusammensetzung des Insektenkörpers von grosser Wichtigkeit ist, indem 
in vielen Fällen z. B. hinsichtlich der Gliederung, der Segmentzugehörig- 
keit bestimmter Anhänge u. a. die Entwicklungsgeschichte unter gleichzeitiger 
Berücksichtigung der vergleichend-anatomischen Verhältnisse allein sicheren 
und einwandsfreien Aufschluss zu gewähren vermag. Die ältere Methode, 
die allerdings noch jetzt von manchen Autoren fast ausschliesslich an- 
gewendet wird, lediglich die äusseren Harttheile ausgebildeter Insekten mit- 


einander zu vergleichen und darauf Homologien und mehr oder minder 


354 tichard Heymons, Beiträge zur Morphologie der Rhynehoten. [6] 


weittragende Hypothesen zu bauen, kann dagegen nur als eine durchaus 
unzulängliche bezeichnet werden. 

Meine Beobachtungen bezogen sich ursprünglich nur auf einige Wasser- 
wanzen (Uryptocerata). Von Landwanzen (Gymnocerata) fügte ich später 
die Gattungen Cimex und Pyrrhocoris hinzu, und als ich durch die Liebens- 
würdigkeit von Dr. L. OÖ. Howard, Director der entomologischen Abtheilung 
des Department for Agrieulture in Washington U. S. A., in den Stand gesetzt 
wurde, auch die Entwicklung der amerikanischen Cikade (Cicada septem- 
decim L.) zu studiren, zog ich auch Homopteren in den Kreis der Unter- 
suchungen hinein. Einige kurze Angaben über die Phytophthiren, sowie 
einige Bemerkungen allgemeinen Inhaltes bilden den Schluss der vorliegenden 


Mittheilungen. 


I. Heteroptera Uryptocerata. 


Untersuchungen an Naucoris ceimicoides L., Notoneeta glauea L. und 


Nepa ceinerea L. 


1. Die Embryonalanlage. 

Die drei Formen, welche ich zur Untersuchung verwendete, zeigen 
in ihrer Körperbildung nur sehr geringe Unterschiede. Sowohl bei Nepa, 
wie bei Notoneeta und Naucoris legt sich der Keimstreifen am hinteren 
Ende des Eies an und wächst, gerade wie dies schon für zahlreiche andere 
Insekten beschrieben worden ist, an der Dorsalfläche des Eies entlang, so 
dass er bald den vorderen Eipol erreicht. Die Orientirung ist nunmehr in 
ganz typischer Weise eine derartige, dass das Kopfende des Embryonal- 
körpers nach dem hinteren, das Hinterende desselben nach dem vorderen 
Eipole gerichtet ist (Fig. D). Erst durch den Umrollungsprocess erlangt der 
Embryo die entgegengesetzte Lage im Ei, welche er dann bis zum Aus- 
schlüpfen beibehält. Während bei Notonecta und Naucoris der von den 
Embryonalhäuten umgebene Keimstreifen vollkommen an der Oberfläche des 
Eies verbleibt, so ist bei Nepa die Embryonalanlage auch ventralwärts von 
einer dünnen zwischen Amnion und Serosa befindlichen Dotterschicht um- 
hüllt. In dieser Hinsicht weist Nepa ein Verhalten auf, welches auch für 
gewisse Gymnoceraten noch zu erwähnen sein wird. 

Auffallend frühzeitig gelangen bereits an der Embryonalanlage die 
hauptsächliehsten Körperregionen zur Absonderung. Dieselben sind schon 
vor dem Eintreten der eigentlichen Segmentirung zu unterscheiden (Fig. 8). 
Auf das durch zwei auffallend grosse Scheitellappen gekennzeichnete Vorder- 
ende folgt ein halsartig verjüngter Abschnitt (Kf), der den hinteren Kopf- 


356 Richard Heymons, [5] 


segmenten entspricht. Der sich hieran anschliessende Abschnitt (Th) enthält 
das Bildungsmaterial für den Thorax und die Beine, während der schmalere 
Endtheil des Embryonalkörpers (Abd) späterhin zum Abdomen wird. 

Bei den hier untersuchten Embryonen, besonders deutlich bei Noto- 
necta, tritt somit die Erscheinung einer sog. primären Segmentirung des 
Keimstreifens deutlich zu Tage. Letztere beruht darauf, dass vor dem Ein- 
treten der definitiven Segmentirung die hauptsächlichen Körperregionen sich 
bereits daran erkennen lassen, dass sie entsprechend ihrer späteren Ent- 
faltung schon von vornherein einen grösseren oder geringeren Umfang be- 
sitzen. Dass es sich hier aber nicht um eine echte Segmentirung oder um 


Vent D 


Fig. I. Längsschnitt durch ein Ei von Notonecta glauca mit Keimstreif. 
am — Amnion, amhl — Amnionhöhle, D — Dotter, Dors — Dorsalseite des Eies, H — Hinter- 
ende, ser — Serosa, V — Vorderende, Vent — Ventralseite. 


einen Zerfall in „Macrozoniten“ handelt, beweist der Umstand, dass das 
Mesoderm in dem betreffenden Stadium noch unsegmentirt ist und ohne 
Grenze von dem einen zum anderen Abschnitt hinüberzieht. 

Die echte Segmentirung und Extremitätenbildung folgt erst später 
nach, und zwar geht sie zuerst im Brustabschnitt vor sich. Es zeigen sich 
an den Seiten desselben sechs zapfenförmige Vorsprünge, je drei grössere 
und drei kleinere. Die ersteren sind die Anlagen der 'Thoraxbeine, die vor 
den grösseren Zapfen befindlichen kleineren werden zu den Tergiten oder 
Rückenplatten der Segmente (Fig. 6). 


Bald nachdem sich im Thorax die besprochene Gliederung vollzogen 


[9] Beiträge zur Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Rlıynchoten. 357 


hat, erscheinen im Kopfabschnitt die Kieferanlagen. Die hinteren Maxillen 
eilen in der Entwicklung den übrigen Mundtheilen voraus. Aehnlich wie 
im Thorax tritt auch vor ihnen eine, nur etwas kleinere, Tergitanlage auf 
(Fig. 17 Terg. mx,). Im vorderen Maxillarsegment legt sich das Maxillen- 
paar in entsprechender Weise an, die Tergitanlagen sind indessen hier viel 
kleiner und nicht mehr deutlich gesondert. Die Mandibeln kommen zuletzt 
zum Vorschein, sie sind die kleinsten unter den genannten Gliedmassen- 
anlagen, stimmen in ihrem Habitus mit den letzteren aber in jeder Hinsicht 
vollkommen überein. 

In einem etwas späteren Stadium tritt vor der Mundöffnung die An- 
lage des Ulypeus und der Oberlippe hervor. Sie ist unpaar und zeigt an 
ihrem nach hinten gerichteten freien Rande eine Einkerbung. 

Während das hintere Maxillenpaar im wesentlichen eine beinartige 
Gestalt gewinnt und in seiner Form an die Thoraxextremitäten erinnert, so 
geht an dem vorderen Maxillenpaar eine eigenthümliche Veränderung vor 
sich. Die betreffenden Gliedmaassenhöcker werden auffallend breit, und es 
macht sich an ihrem distalen Ende eine von vorm nach hinten ziehende 
Furche bemerkbar, die beim weiteren Wachsthum schliesslich zu einer 
vollkommenen Durchschnürung des ursprünglich einheitlich angelegten 
Kiefers führt. 

Die Durchschnürung ist in dem in Fig. 29 dargestellten Stadium 
noch keine ganz vollständige, d. h. die beiden T'heilhälften hängen noch an 
der Basis miteinander zusammen. Man kann aber jedenfalls von nun ab 
zwei Abschnitte an den vorderen Maxillen unterscheiden, einen lateralen 
grösseren und einen medialen kleineren. Der laterale Abschnitt (Fig. 29 Mxp.) 
besitzt eine höckerförmige Gestalt und mag dementsprechend als Maxillar- 
höcker bezeichnet werden. In morphologischer Hinsicht entspricht der 
letztere der Hauptmasse der Maxille resp. ihrem Stammtheile, während der 
zapfenförmig gestaltete mediale Abschnitt (Mxl) die morphologische Bedeutung 
einer von dem Maxillenstamm secundär abgetrennten Lade (Lacinia oder 
Lobus maxillaris) besitzt. Dass diese Auffassung die zutreffende ist, scheint 
mir daraus hervorzugehen, dass der Maxillarhöcker noch die primäre Rich- 
tung der ursprünglich einfachen Gliedmaassenanlage nach der lateralen Seite 
beibehalten hat. Der Maxillarhöcker verhält sich hiermit homostich zu den 


Nova Acta LXXIV. Nr. 3. 46 


358 Richard Heymons, [110 


hinteren Maxillen und den folgenden Beinpaaren, er liegt in derselben Linie 
und in gleichen Abständen von der Medianlinie wie diese. Die vom 
Maxillarhöcker abgegliederte zapfenförmige Lade dagegen ist mit ihrer Längs- 
achse dorsoventral gerichtet, sie liegt unmittelbar hinter den Mandibeln, mit 
denen sie in Lage und Richtung vollständig übereinstimmt. 

Wichtig für die eben vorgetragene Auffassung ist ferner die Ver- 
theilung des Mesoderms. Sowohl der Stammtheil wie der Ladentheil der 
vorderen Maxillen enthalten solches. Doch ist zu berücksichtigen, dass der 
erstere Theil oder Maxillarhöcker die eigentliche auf das Cölomsäckchen 
zurückzuführende Hauptmasse des Mesoderms umschliesst, von der sich ge- 
wissermassen nur ein Ausläufer in die mediale Maxillarlade hinein erstreckt. 

Unberücksichtigt habe ich bisher die Anlage des Abdomens gelassen. 
Die Gliederung in isolirte Segmente tritt im Hinterleibe später ein als in 
den beiden vorangehenden Körperabschnitten (Fig. 17) und erfolgt wieder 
in der Richtung von vorn nach hinten. Die Gliederung ist aber im Ab- 
domen insofern eine etwas ungleichmässige, als sich zunächst nur neun 
deutliche Abdomimalsegmente abgrenzen, an welche hinten ein unsegmentirter 
Endabschnitt sich anschliesst. Letzterer zerfällt später abermals in zwei 
Segmente, sodass dann elf typische Abdominalsegmente vorhanden sind. Der 
Ausdruck typisch rechtfertigt sich insofern, als in sämmtliehen Segmenten 
Bestandtheile des späteren Bauchmarks (Ganglienzellen) angelegt werden. 
In den ersten zehn Segmenten ist es nicht schwer, die Ganglionanlagen 
schon an Totopräparaten ohne Weiteres zu erkennen. Beim letzten Ab- 
dominalsegmente ist dies nieht mehr möglich, weil hier kein vollständiges 
Ganglion mehr ausgebildet wird. Doch ergeben Sehnittserien, dass inner- 
halb des 11. Abdominalsegmentes wenigstens noch eme geringe Anzahl von 
Ganglienzellen in der Nähe der Medianlinie von der oberflächlichen Hypo- 
dermisschicht aus zur Absonderung gelangt (Fig. 21). 

Die Aftereinstülpung tritt nicht im 11. Abdomimalsegmente, sondern 
hinter diesem auf. Ein selbständiges Analsegment oder Teelson kommt aller- 
dings nur in ganz rudimentärer Weise zur Ausbildung, es besteht bei den 
zur Untersuchung verwendeten Wanzen lediglich aus einer schmalen, den 
Afterrand bildenden Zellenschicht. 

Die Bildung von eigentlichen Abdominalextremitäten bleibt auf das 


[11] Beiträge zur Morphologie der Entwicklungsgeschichte der Rhynchoten. 359 


erste Abdominalsegment beschränkt (Fig. 17). Hier treten zwei knopfförmige 
Höcker hervor, welche anfangs an die Mandibeln jugendlicher Keimstreifen 
in ihrer Form erinnern. Sie treten unmittelbar zu den Seiten der Ganglion- 
anlage auf, lateral von ihnen befindet sich der breite Segmentrand, welcher 
als Tergitanlage aufzufassen ist. 

Obwohl in den folgenden Abdomimalsegmenten (2.—11.) von selb- 
ständigen Extremitätenbildungen nicht mehr gesprochen werden kann, so 
kommen doch noch in ihnen paarweise wulstförmige Höcker zur Ausbildung, 
welche man zunächst geneigt sein könnte, ohne weiteres als die Rudimente 
abdominaler Gliedmassenanlagen anzusprechen. Dies ist aber nur theilweise 
der Fall, denn die paarigen Wülste stellen grösstentheils die schon beim 
Embryo stark verdiekten Medianränder der Tergitanlagen dar. Ich will sie 
kurz als Tergitwülste bezeichnen (Fig. 1 Tergw). Nach einer genauen 
Untersuchung kann es aber nicht zweifelhaft sein, dass in der medialen 
Parthie eines jeden Tergitwulstes auch noch der Ueberrest des entsprechenden 
abdominalen Gliedmassenhöckers eingeschmolzen ist. Dies zeigt die Lage 
der Stigmen an. Letztere befinden sich im T’horax lateral von den Beinen, 
medial von den hier ebenfalls wulstförmig verdiekten Tergitanlagen. Da 
nun im Abdomen die Stigmen nicht medial von den Tergitwülsten liegen, 
sondern vorn und auf denselben angebracht sind, so folgt daraus, dass man 
die medial (und hinter) dem Stigma gelegene Parthie des Tergitwulstes als 
eingeschmolzenen Gliedmassenrest deuten kann. Hierfür sprechen ferner 
gewisse, noch zu erwähnende Beobachtungen an Gymnoceraten, welche in 
dieser Hinsicht klarere Verhältnisse erkennen lassen, sowie endlich der Um- 
stand, dass die medialen Theile der Tergitwülste in der gleichen Lage- 
beziehung zu den Cölomsäckchen stehen, wie dies bei den weiter vorn 
befindlichen thorakalen Gliedmassenanlagen der Fall ist. 

Am ersten Adominalsegmente wandeln sich die Gliedmassenanlagen 
zu den schon bei zahlreichen Insektenembryonen aufgefundenen drüsigen 
Organen um (Wheeler 89). Sie sinken bereits bei älteren Keimstreifen 
unter Ausscheidung einer Sekretmasse unter die Körperoberfläche ein (Fig. 1 
u. 5 Abx,), erhalten sich aber daselbst und sind selbst noch bei jungen 
Larven an der bezeichneten Stelle erkennbar. 

Inzwischen sind im Bereiche des hinteren Maxillensegmentes zwei 

46* 


360 Richard Heymons, [12] 


tiefe Eimstülpungen aufgetreten. Dieselben befinden sich medial am Hinter- 
rande der Kiefer und liefern später die grossen im 'T'horax der Wanze 
gelegenen Speicheldrüsen. 

In den soeben beschriebenen Stadien lassen die mittlerweile lang 
ausgewachsenen Thoraxbeine die ersten Spuren der beginnenden Gliederung 
erkennen (Fig. 5). Es werden an ihnen durch Einkerbungen zunächst vier 
Abschnitte von einander gesondert. Ein breites und relativ langes basales 
Stück entspricht im wesentlichen der Coxa, die übrigen Stücke stellen die 
aufeinander folgenden Anlagen von Femur, Tibia und Tarsus dar. 

Es ist interessant, dass ungefähr zu gleicher Zeit an den hinteren 
Maxillen eine ganz ähnliche Gliederung sich bemerkbar macht. Auch hier 
markiren sich jetzt vier Abschnitte, die allerdings anfänglich noch durchaus 
nicht so scharf und deutlich wie bei den Thoraxextremitäten abgesetzt sind. 
Die Basaltheile, die mit den Coxen sich etwa vergleichen liessen, sind bei den 
hinteren Maxillen ebenfalls relativ breit, während die übrigen Stücke all- 
mählich nach dem distalen Ende hin sich verjüngen. Das proximale Basal- 
glied der Maxillen mag als Glied 1, die folgenden entsprechend als Glied 2, 
3 und 4 bezeichnet werden. Ist die Gliederung eingetreten, so krümmen 
sich die T'horaxextremitäten und wenden unter Einknickungen der einzelnen 
Glieder sich nach der Medialseite hin (Fig. 1). Die Knickungen haben 
augenscheinlich nur den Zweck der Drehbewegung innerhalb des geringen 
zur Verfügung stehenden Raumes zwischen Amnion und Körperoberfläche 
überhaupt zu ermöglichen. Sobald die Drehung von der lateralen zur 
medialen Seite vollzogen ist, strecken die einzelnen Glieder sich wieder 
aus, und die Beine liegen alsdann in gerader Richtung von vorn nach hinten 
verlaufend, der Körperfläche an (Fig. 5). 

Der gleichen Drehung unterliegen bald darauf die hinteren Maxillen. 
Nur vermisst man an ihnen eine Einkrümmung, und zwar augenscheinlich 
deswegen, weil die Glieder noch nicht scharf genug abgesetzt und überdies 
hinreichend kurz sind, um ohne Weiteres eine Wendung ausführen zu können. 
Die hinteren Maxillen gehen somit ebenfalls aus der lateralen in eine mediale 
Stellung über, ihre beiderseitigen Basalglieder rücken dabei aneimander und 
legen sich zusammen, womit dann der hintere Abschluss des Kopfes gegen 


den Rumpf gegeben ist. 


[15] Beiträge zu" Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Rhynchoten. 5361 


Die vorderen Maxillen sind noch ziemlich unverändert «eblieben, 
Ihre Laden erscheinen nur in der Längsrichtung etwas verlängert, wie dies 
auch bei den Mandibeln der Fall ist. Die Stammtheile des ersten Maxillen- 
paares zeigen sich als zwei breite kräftige Fortsätze, nächst den hinteren 
Maxillen stellen sie die compaetesten Bestandtheile der Mundwerkzeuge dar. 

Das Abdomen hat währenddessen eme eigenthümliche kahnförmige 
Gestalt gewonnen, welche dadurch hervorgerufen wird, dass die Tergit- 
wülste stärker hervortreten und sich nach der Medianseite biegen, sodass 
die letztere etwas vertieft erscheint. Diese kahnförmige Gestalt habe ich 
in dem bezeichneten Stadium am deutlichsten bei Keimstreifen von Nepa 
ausgeprägt gefunden (Fig. 5). 

Hierauf kommt es zur bekannten Umrollung des Keimstreifens, in 
Folge deren der Körper nach dem Riss der Embryonalhüllen an die ventrale 


Fläche des Eies gelangt. 


2. Die Bildung des Kopfes und der Mundtheile. 

Betrachtet man den Kopf eines jungen Embryo nach der Umrollung, 
so fällt zunächst auf, dass die hinteren Maxillen sich jetzt in ihrer ganzen 
Länge in der Medianlinie aneinander gelegt haben und dort verwachsen sind. 
Von der Verschmelzung bleiben anfangs nur die distalen oder vierten Glieder 
ausgeschlossen. Mit der Verwachsung der Maxillen ist das Labium (Schnabel, 
Proboseis oder Rostrum) der Wanze angelegt. Da die Maxillen sich unter 
einem Winkel aneinander gefügt hatten, so besitzt das Labium von vorn 
herein die Gestalt einer flachen Rinne mit nach vorn gerichteter Concavität. 

Während des weiteren Entwicklungsverlaufes macht sich ein Con- 
eentrationsprocess der Mundtheile geltend, welcher in einer Verschiebung 
der Kiefer nach vorn besteht. Dieser Vorgang ist bei allen Hemipteren 
sehr stark ausgeprägt und führt zu einer Zusammenschiebung der medialen 
zwischen den Basaltheilen der Kiefer befindlichen Hautpartie, aus welcher 
der Hypopharynx hervorgeht. Verglichen mit dem entsprechenden Organ 
anderer Insekten ist aber der Hypopharynx der Wanzen von Anfang an 
relativ klein und unscheinbar, obwohl es keine Schwierigkeiten macht, ihn 


bei sorgfältiger Präparation oder auf Schnitten zu Gesicht zu bekommen. 


362 Richard Heymons, 14] 


Er hat bei den hier besprochenen Formen im wesentlichen die Gestalt eines 
Kegels mit distalwärts gewendeter Spitze (Fig. 16 Hyp.). 

An der Basis des Hypopharynx, in der Tiefe der sattelförmigen Ein- 
stülpung, die sich zwischen ihm und dem Labium befindet, macht sich als- 
bald eine ectodermale Einstülpung (Splx) bemerkbar. Die letztere liefert 
das Material für einen eigenartigen Druck- und Pumpapparat, den man als 
„Wanzenspritze* bezeichnet hat, und dessen anatomischer Bau bereits von 
Geise (83) und Wedde (85) ausführlich beschrieben wurde. 

Der betreffende Apparat dient zum Ausspritzen des Speichels. Seine 
Construction ist derart, dass in einer Chitinkapsel em kolbenartiger Stempel 
auf- und niederbewegt werden kann. Bei Zurückziehung des Stempels durch 
einen Muskel tritt in die Kapsel Speichel ein, welcher bei Erschlaffung 
des Muskels durch den wieder vorwärts schnellenden Stempel ausge- 
spritzt wird. 

Dieser Apparat bildet sich schon frühzeitig beim Embryo aus. Die 
Ectodermeinsenkung liefert die Kapsel, welche ungefähr glockenförmig 
gestaltet ist. Der centrale Klöppel, der sich auf dem Boden der Kapsel 
erhebt, wird zu dem die Pumpbewegung vermittelnden Stempel. Letzterer 
erhält gegen Ende des Embryonallebens eine sehr starke Chitinbedeekung. 
An der Spitze des Stempels entsteht abermals eine tiefe und sehr enge 
Einstülpung, deren Lumen mit Chitin ausgefüllt wird. Der Chitinstrang 
stellt die Sehne des den Stempel bewegenden Musculus retractor dar. 

Auf den Ursprung der Speicheldrüsen wurde bereits oben hingewiesen. 
Von den zwei Drüseneinstülpungen, die anfänglich an der Basis der hinteren 
Maxillen sich befinden, wuchert eine umfangreiche zellige Masse ins Innere, 
die sich in mehrere Schläuche und Divertikel theilt und den eigentlichen 
Drüsenkörper nebst dessen Ausführungsgängen liefert. Die primären Drüsen- 
einstülpungen werden bei der Bildung des Labiums mit in das Bereieh der 
oben erwähnten Eetodermeinstülpung hinein gezogen und münden daher 
später in die Kapsel des Spritzapparates ein. 

In morphologischer und genetischer Hinsicht ist der eben beschriebene 
Spritzapparat mit dem unpaaren Speichelgange anderer Insekten zu ver- 
gleichen, der bei den Wanzen (und den übrigen Rhynchoten) somit eime 


sehr eigenthümliche Umgestaltung erfahren hat. 


[15] Beiträge zur Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Rhynchoten. 3693 


Mit der Beschreibung des Spritzapparates, dessen Ontogenie bisher 
noch unbekannt war, ist in der Schilderung des Entwicklungsverlaufes etwas 
vorgegriffen worden. Es ist zunächst nothwendig, wieder auf ein früheres 
embryonales Stadium (zur Zeit der Umrollung) zurückzugehen. 

Die Aufmerksamkeit wird während dieser Entwicklungsperiode durch 
Umgestaltungen der Mandibeln und Maxillen in Anspruch genommen. Die 
ersteren, sowie die abgegliederten Laden der letzteren sind zu langen stab- 
förmigen Organen geworden, deren distales Ende verdickt ist. Im Innern 
sind einige wenige strangförmig angeordnete Mesodermzellen anzutreffen. 

Am Kopf machen sich gleichzeitig Wachsthums- und Verschiebungs- 
processe bemerkbar, durch welche die Untersuchung ungemein erschwert 
wird. Nahezu die gesammte postorale Kopfparthie, soweit sie Träger der 
Mandibeln und Maxillenladen ist, zieht sich in eine Art Atrium zurück, 
welches kapuzenförmig von der vorderen präoralen Kopfparthie überdeckt 
wird. Die Ueberwallung wird durch die Oberlippe eingeleitet, welche als 
ein Fortsatz der CUlypeusanlage zu betrachten ist, der bei Nepa zu einem 
schmalen lancettförmigen Gebilde auswächst, ferner sind es die vorderen 
und seitlichen Parthieen des Kopfes, die namentlich bei Naucoris und 
Notoneeta in Form einer Duplicatur nach hinten sich ausdehnen. 

Die Mandibeln und Maxillenladen verschwinden auf diese Weise 
gänzlich von der Oberfläche, und erst bei genauerer Untersuchung bemerkt 
man, dass sie sich in tiefe, taschenartige Höhlungen zurückgezogen haben, 
die weit in den Binnenraum des Kopfes hineinreichen. Noch während des 
Einsinkens scheidet sich an ihrem distalen Ende Chitinsubstanz ab. Je tiefer 
nun die betreffenden Kiefertheile in das Körperinnere gelangen, desto inten- 
siver wird die Produetion von Chitin, sodass schliesslich vier lange Chitin- 
gräten resultiren, zwei mandibulare und zwei maxillare, welche die bekannten 
Stechborsten darstellen. Die Matrix der letzteren ist also in den am Grunde 
der vier Kiefertaschen verborgenen kleinen Mandibeln und Maxillenladen 
zu erblieken. Die Stechborsten sind anfänglich sehr zarte farblose Chitin- 
gebilde, die ihre spätere characteristische dunkelbraune Färbung erst kurz vor 
dem Abschluss der Embryonalentwicklung gewinnen. 

Das Einsinken der erwähnten Kiefertheile in ihre Taschen findet am 


frühesten bei Nepa statt, während sie bei Notonecta am längsten ober- 


364 Richard Heymons, [16] 


flächlich verbleiben und erst zur Zeit, wenn das kugelige von der Serosa 
gebildete Dorsalorgan in den Dotter gelangt, von den Kiefertaschen auf- 
genommen werden. 

Hinsichtlich der Form der letzteren ist zu bemerken, dass sie bei 
der beträchtlichen Länge, die sie ziemlich rasch erreichen, unmöglich in 
gerader Richtung in das Innere des Kopfes hneimwachsen können, sie sind 
vielmehr gezwungen, nach der lateralen Seite sich umzubiegen und rollen 
sich dabei posthornförmig ein. Man kann hierbei beobachten, dass das den 
Mandibeln angehörende Taschenpaar von vornherein weiter ventralwärts 
liegt und kleiner bleibt, als das maxillare Taschenpaar. 

Hiermit ist ein sicheres Unterscheidungsmittel zur Hand, welches es 
gestattet, ohne Schwierigkeit auch im weiteren Entwicklungsverlauf die 
Kiefertaschen von einander zu unterscheiden. Ein solches Merkmal ist um 
so wichtiger, als es eine bestimmte Entscheidung der mehrfach diseutirten 
Frage ermöglicht, welches Stechborstenpaar der ausgebildeten Wanze den 
Mandibeln und welches den Maxillen anderer Insekten gleich zu setzen sei. 
Im Bereiche des Labiums treten bekanntlich die medianen Stechborsten zur 
Bildung eines unpaaren Saug- und Speichelrohres zusammen, während die 
lateralen Borsten isolirt bleiben. Im Hinblick auf die oben angegebene 
Lagerung der Kiefertaschen lässt es sich mit Bestimmtheit feststellen, dass 
die medianen Borsten den maxillaren, die lateralen dagegen den mandibularen 
Kiefertaschen angehören. 

Es sind jetzt noch einige Worte über das Labium nachzutragen. 
Wie oben gesagt, setzt sich dasselbe aus vier Gliedern zusammen. Von 
denselben sind das erste und vierte am deutlichsten abgegliedert, während 


die beiden mittleren bis gegen Ende der Embryonalentwicklung inniger 


Leite) 
zusammenhängen. 

Das basale Glied stellt bei Notoneeta den breitesten und kräftigsten 
Abschnitt dar. Seine lateralen Parthien wölben sich so stark hervor, dass 
zwischen ihnen eine tiefe Furche zur Aufnahme der in das Labium ein- 
tretenden Stechborsten zurückbleibt. Diese Furche wird von der dreieckigen 
Oberlippe zugedeckt. 

Bei Naucoris ist das Verhalten ein ganz ähnliches. Nur wird das 


hier sehr kurze basale Glied so vollständig von der breiten Oberlippe 


17] Beiträge zur Morphologie und Entwieklungsgeschichte der Rhynchoten. 365 


überdeckt, dass das Labium von Naucoris bei flüchtiger Betrachtung drei- 
gliedrig erscheint. Nepa schliesst sich in dieser Hinsicht an Naucoris an,') 
weist aber noch eine besondere Eigenthümlichkeit auf. 

An der durch die Rinne ausgezeichneten Vorderseite des Labiums 
treten bei Nepa am distalen Ende des dritten Gliedes zwei tasterähnliche 
Fortsätze auf, die ich als Appendices Labii bezeichnen will. Sie sind bei 
der Imago schon seit längerer Zeit bekannt (Fig. 34 Appl). 

Die Entstehung der Appendices Labii fällt in diejenige Embryonal- 
periode, welche unmittelbar der Umrollung des Keimstreifens vorangeht. 
Sobald die hinteren Maxillen sich zur Bildung des Labiums an einander 
legen, vertiefen sich die trennenden Einschnitte zwischen den Rüsselgliedern 
und zwar besonders zwischen dem 1. und 2. und dem 3. u. 4. Gliede. Die 
lateralen Partieen des 3. Gliedes schieben sich hierbei an der Vorderseite 
des Labiums etwas über das 4. Glied hinüber, sie sind anfänglich dem 
letzteren aufgelagert, erheben sich aber später und werden, indem sie sich 
abgliedern, zu den oben erwähnten Appendices. Diese letzteren sind somit 
ontogenetisch auf die vorstehenden distalen Spitzen des 3. Labialgliedes 
zurückzuführen. Das distale Ende des 3. Gliedes hat durch die Appendices 
eine gewisse Aehnlichkeit mit dem distalen Ende des 4. Gliedes erhalten. 
An dem letzteren kann man ebenfalls zwei isolirte frei vorstehende Spitzen 
unterscheiden, zwischen denen eine mediane Zunge, die Fortsetzung der 
Rüsselrinne sichtbar wird. 

Die vorstehenden, jedoch nicht abgegliederten Spitzen des Endgliedes 
entsprechen den Appendices Labii, die mediane Zunge demjenigen Theile 
des dritten Gliedes, welcher den Anschluss an das vierte vermittelt. 


Wenn somit die Mundwerkzeuge im wesentlichen schon innerhalb 

!) Es ist mehrfach angegeben (ef. Fieber 61) und als systematisches Merkmal ver- 
wendet worden, dass das Labium von Nepa und Naucoris dreigliedrig sei. Dies ist indessen 
nicht zutreffend und gilt weder für Embryonen noch Imagines. Von der thatsächlichen Vier- 
gliedrigkeit des Labiums kann man sich am besten überzeugen, wenn man letzteres von der 
Unter-(Ventral-)Seite her betrachtet. Ich bemerke bei dieser Gelegenheit, dass ventralwärts 
zwischen dem 1. und 2. Labialgliede bei Notoneeta sich eine Art Gelenkverbindung ausgebildet 
hat, indem vorspringende Chitinknöpfe in entsprechende Vertiefungen eingreifen. Die gleiche 
Eigenthümlichkeit ist an der entsprechenden Stelle auch bei Nepa und Naucoris vorhanden. 
Es spricht dies ebenfalls zu Gunsten der hier vertretenen Auffassung. 


Nova Acta LXXIV. Nr.3. 47 


366 tichard Heymons, [18] 


des Eies fertig gestellt werden, so tritt vor Abschluss der Embryonal- 
entwicklung dem Beobachter doch noch ein fremdartiger Bestandtheil ent- 
gegen. Es handelt sich um die Maxillenhöcker, die als breite Fortsätze zu 
beiden Seiten des Labiums hervorragen. 

Bei genauerer Untersuchung ergiebt sich, dass an dem Maxillarhöcker 
inzwischen eine Differenzirung eingetreten ist. Man kann einen platten- 
artigen medialen und einen erhabenen lateralen Theil unterscheiden. An 
dem letzteren ist die Hypodermis verdiekt, während der mediale Theil das 
gesammte Mesoderm des Maxillarsegmentes enthält. Mit Rücksicht auf den 
letzteren Umstand wird man den medialen Abschnitt als den eigentlichen 
Grund- und Basaltheil des Maxillenstammes aufzufassen haben, während der 
erhabene laterale Abschnitt nur eine distale Fortsetzung des Stammes dar- 
stellt. Des leichteren Verständnisses wegen gebe ich den genannten Ab- 
schnitten besondere Namen und bezeichne den medialen Theil des Maxillar- 
höckers als Lamina maxillaris, den lateralen als Processus maxillaris. 

Im weiteren Entwicklungsverlauf ändert sich die Gestalt der soeben 
beschriebenen Theile, die in einem frühen Stadium in Fig. 16 (Lamx und 
Proex) abgebildet sind. 

Die Lamina maxillaris wird zu einem einfachen plattenartigen Ge- 
bilde, dessen Aussenfläche mit Chitin bedeckt ist. Die Lamina bleibt in- 
dessen nicht oberflächlich liegen, sondern wird von der kapuzenartig vor- 
wachsenden vorderen Kopfpartie vollständig überwölbt und ist bei der 
Larve und dem ausgebildeten Insekt ohne Präparation dann überhaupt nicht 
mehr sichtbar. 

Erst wenn man den vorderen, eine Duplicatur darstellenden "Theil 
der Schädeldecke der Wanze abgesprengt hat, stösst man auf zwei kleine 
mit farblosem Chitin versehene Platten, die Laminae maxillares, welche die 
Ueberreste des rudimentär gewordenen Maxillenstammes repräsentiren. 

Die Laminae maxillares sind in Fig. 7 (Lamx) dargestellt, sie sind 
bei Notoneeta von mehr rundlicher, bei Naucoris von nahezu dreieckiger 
Gestalt und liegen stets zur Seite der aus dem Kopf austretenden Stech- 
borsten. 

Die Processus maxillares (Fig. 7 Proex) stossen unmittelbar an den 


lateralen Rand der Lamina an, sie sind aber nicht wie diese vom Vorder- 


19] Beiträge zur Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Rhynehoten. 367 


kopf überdeckt, sondern liegen oberflächlich. Man bemerkt sie an der Basis 
des Labiums an der Seitenfläche des Kopfes. 

Fig. 32 zeigt die Processus maxillares eines von hinten gesehenen 
Kopfes der Imago von Notonecta. Sie haben bei diesem Insekt eine an- 
nähernd fünfeckige Gestalt. Ihre Seitenflächen stossen an die laterale Kopf- 
wand, an den Clypeus, an die Antennengrube, sowie an die als Gula be- 
zeichnete Unterfläche des Kopfes an. In Form einer Duplicatur überdeceken 
ferner die Processus maxillares ein wenig das Basalglied des Labiums. Da 
es sich bei den erwähnten Gebilden um flache Platten und nicht um Fort- 
sätze oder Processus handelt, so erscheint die letztere Bezeichnung allerdings 
nicht glücklich gewählt, sie rechtfertigt sich aber im Hinblick auf gewisse, 
bei Nepa und anderen Rhynehoten noch zu beschreibende Verhältnisse. 

Die vorstehende Schilderung hat im Wesentlichen auch für Naucoris 
Gültigkeit. Bei Nepa liegt das Verhalten schon ein wenig anders. Die 
Trennung des ursprünglichen Maxillarhöckers in Lamina und Processus 
maxillaris ist bei diesem Insekt keine so ausgeprägte wie bei den andern 
beiden Formen. Beide Theile bleiben bei Nepa in continuirlichem Zu- 
sammenhang. Es findet auch keine Ueberwallung der Laminae maxillares 
statt. Dagegen entwickelt sich der Processus maxillaris jederseits zu einem 
voluminösen, in seiner Gestalt an eine Zwiebelschale erinnernden Gebilde. 
Der Processus ist aussen convex, innen eoncav und umschliesst und verdeckt 
vollständig die kleine rechteckige Lamina maxillaris. Die beiderseitigen 
Processus schliessen sich bei Nepa eng an den zwischen ihnen liegenden 
Clypeus an. Da sie ihre konvexe Seite nach aussen wenden, so sehen sie 
äusserlich betrachtet wie zwei Halbkugeln aus. In Fig. 34 ist der linke 
Processus maxillaris in seiner natürlichen Lage dargestellt, der rechte ist 
etwas aufgebogen, um die Lamina theilweise erkennen zu lassen. 

Es hat sich somit gezeigt, dass die vorderen Maxillen der in Rede 
stehenden Heteropteren in höchst eigenartiger Weise umgestaltet werden. 
Medialwärts gliedert sich schon frühzeitig von den Maxillen eine umfang- 
reiche Partie als Lade oder Lobus ab, und zieht sich in eine taschenartige 
Höhlung tief in das Innere des Kopfes zurück, um daselbst eine der medialen 
Stechborsten (Setae maxillares) zu produeiren. Der eigentliche Maxillen- 
körper selbst bewahrt noch eine Zeit lang die typische Gestalt eines Höckers 

47* 


368 Richard Heymons, [120] 


oder Zapfens, verliert aber schliesslich vollkommen seine Extremitätennatur. 
Mehr oder weniger deutlich zerfällt er darauf in einen medialen (Lamina 
max.) und einen lateralen Abschnitt (Processus max.). Beide Abschnitte 
werden zu einfachen plattenförmigen Gebilden, beide fügen sich in die 
Schädelwandung ein. 

Es fragt sich nun, in welcher Weise die genannten 'Thheile mit ein- 
ander in Verbindung stehen und welche Anzeichen ihrer dereinstigen Zu- 
sammengehörigkeit beim ausgebildeten Insekt sich noch nachweisen lassen. 

Dass der Processus nur ein Fortsatz der an ihn direkt noch an- 
stossenden Lamina ist, wurde schon oben gesagt, es handelt sich also 
speciell darum, die Zusammengehörigkeit der letzteren mit der in der Kiefer- 
tasche befindlichen Lade herauszufinden. Hier giebt das Verhalten des 
Mesoderms im Maxillensegmente werthvollen Aufschluss. Sobald die Lade 
ins Innere versinkt, folgt ihr das Mesoderm in Form emes strangfürmigen 
Gebildes und wandelt sich in einen Muskel um. Letzterer, der das Vor- 
stossen der maxillaren Stechborsten zu besorgen hat und demnach als Pro- 
tractor zu bezeichnen ist, reicht von dem Grunde der Maxillentasche bis 
zum vorderen Ende der Lamina maxillaris (Fig. 7 Petrmx.). Da die Maxillar- 
taschen bis über die Kopfmitte sich nach hinten erstrecken, so ist der Muskel 
natürlich gezwungen, sich eben so stark auszudehnen. Der Musculus pro- 
tractor maxillaris ist einer der längsten Kopfmuskeln, er ist deswegen von 
Interesse, weil er zwei Theile miteinander vereinigt, die beim entwickelten 
Insekt zwar weit von einander entfernt liegen, die aber ursprünglich zu- 
sammengehörten und neben einander sich befanden. 

Auch die Mandibulartaschen sind selbstverständlich mit einem Mus- 
eulus protraetor versehen. Der letztere geht aus einer kleinen dem Mandi- 
bularsegment angehörenden Mesodermgruppe hervor, die, wenn die Mandibel 
verlängert und zapfenförmig geworden ist, ein wenig vor dieser liegt. An 
der betreffenden Stelle gewinnt der Muskel dann einen Ansatzpunkt. Die 
Insertionsstelle der mandibularen Protractoren befindet sich bei der Larve 
und ausgebildeten Wanze am vorderen Kopfrande, genauer gesagt an der 
vorderen Partie der als Backe oder Jugum zu bezeichnenden Kopfparthie, 
und zwar dort, wo diese sich an die davor befindliche Lamina maxillaris 


anschliesst. In Fig. 7 ist die betreffende Stelle zu erkennen. 


[21] Beiträge zur Morphologie und Entwieklungsgeschichte der Rhynchoten. 369 


Eigenthümlich ist die hintere Endigung des in Rede stehenden Muskels. 
Meine ursprüngliche Voraussetzung, dass er sich ähnlich wie der maxillare 
Protraetor an die zugehörige Kiefertasche anheften würde, erwies sich bei 
genauerer Untersuchung als unzutreftend. Der mandibulare Protractor heftet 
sich vielmehr an eine grosse gabelförmige Chitinsehne an, von welcher ein 
Ast sich mit der Mandibulartasche verbindet (Fig. 7 Chmd.). Es liegt hier 
ein Hebelapparat vor. Contrahirt sich der Muskel, so wird durch Drehung 
des Chitinstückes auf die Mandibulartasche eine Zugwirkung ausgeübt, durch 
welche die lateralen Stechborsten hervorgetrieben werden. 

Den betreffenden Hebelapparat habe ich bei allen von mir unter- 
suchten Cryptoceraten angetroffen. Er ist auch schon eimmal beschrieben 
worden und zwar von Geise (83) für Notonecta. Greise ist aber dabei in 
den Fehler verfallen, den ganzen eigenartigen Bewegungsmechanismus an- 
statt den Mandibeln den Maxillen zuzuschreiben, von denen er meint, dass 
sie sehr weit vorgestossen werden mussten. Letzteres ist auch vom physio- 
logischen Standpunkte nicht ganz zutreffend, indem bekanntlich beim Stechen 
der Wanze zuerst und mit grosser Energie die mandibularen Stechborsten 
hervorgeschnellt werden, um die zum Saugen nothwendige Verwundung des 
Beutethieres herbeizuführen.') 

Abgesehen von den Protractoren sind die Mandibel- und Maxillen- 
taschen auch mit Retraetoren versehen. Letztere gehen ebenfalls aus dem 
Mesoderm der betreffenden Kiefersegmente hervor. Die Mesodermelemente, 
welche zu den Rückziehmuskeln werden, stellen die unmittelbare Verlänge- 
rung des im Lumen der Mandibel- resp. Maxillenlade befindlichen Meso- 


derms dar. Die Insertionsstelle befindet sich anfangs lateral von den ge- 

!) Der Irrthum Geise’s wurde wohl zum Theil dadurch hervorgerufen, dass dieser 
Autor sich allzusehr auf das Studium von Schnittserien verlassen hat. Genügenden Einblick 
in die etwas verwickelten topographischen Verhältnisse des Rhynchotenkopfes kann man aber 
am besten durch die allerdings mühsame Präparation mittelst Pincette und Nadel gewinnen. 

Ich bemerke der Vollständigkeit wegen, dass ich an der Maxillartasche von Naucoris 
einen Chitinbalken angetroffen habe, der von der hinteren seitlichen Kopfwandung ausgeht und 
den Grund der Tasche umgreift. Dieser Chitinbalken dient indessen keineswegs zur Anheftung des 
Protractor, sondern hat offenbar nur den Zweck, eine laterale Verschiebung der Kiefertasche 
innerhalb des Kopfes unmöglich zu machen. Ob eine solche Sicherung auch bei Notonecta 
vorkommt, vermag ich nicht bestimmt zu sagen, bei Nepa ist jedenfalls eine ähnliche Ein- 
richtung vorhanden. 


370 Richard Heymons, [22] 


nannten Kiefertheilen an der Hypodermis. Wenn die letztere später zur 
Bildung der Kopfkapsel nach hinten und dorsal ausgewachsen ist, so be- 
findet sich die Insertionsstelle der Retraetoren an der hinteren Kopfwandung. 
Das entgegengesetzte Ende der genannten Muskeln steht direet mit dem 
srundtheile der entsprechenden Kiefertasche in Zusammenhang (Fig. 7 Retrmd 
und Retrmx). Bei den Mandibeln von Naucoris habe ich zwei Rückzieh- 
muskeln nachweisen können, indem ausser dem grossen Retractor noch ein 
sehr viel kleinerer vorhanden ist, der sich mittelst einer langen dünnen 
Chitinsehne an den Grund der Mandibeltasche anheftet. 

Hinsichtlich der Bildung der eigentlichen Schädelkapsel ist zu er- 
wähnen, dass sich die Wandungen der letzteren hauptsächlich auf den Clypeus 
und die primären Kopflappen, sowie auf das Antennensegment des Keim- 
streifens zurückführen lassen. 

Die Tergite der Kiefersegmente betheiligen sich dagegen nur in ge- 
ringem Maasse an dem Aufbau des Kopfes, sie liefern die hinteren seitlichen 
Partien desselben, an denen die Retractoren der Kiefertaschen inseriren. 

Aus den Kopflappen geht der Hauptbestandtheil der oberen Schädel- 
decke hervor, besonders die Stirn und ferner die umfangreichen Facetten- 
augen. Trotz des übereinstimmenden Ursprungs dieser Theile setzt sich 
aber das die Augen enthaltende Feld durch eine deutliche Nahtlinie gegen 
die Stirn ab (Fig. 34). Es ist dies ein Beweis dafür, dass durch die Naht- 
linien nicht immer die Grenzen primärer Körperabschnitte markirt werden, 
sondern dass die Nähte oft nur die Bedeutung secundärer Stützleisten oder 
Insertionslinien von Muskeln besitzen. 

Die Theile des Antennensegmentes, welche von vorn herein mit dem 
Kopflappen bezw. der Stirn in Zusammenhang stehen, liefern abgesehen 
von den Antennen selbst noch die seitlichen vorderen Partien des Schädel- 
daches. Diese Theile pflegen bei den Hemipteren als Iuga bezeichnet zu 
werden. Bei Naucoris und Notonecta sind letztere mit dem Ulypeus ver- 
wachsen und überwölben die Laminae maxillares. 

Bei Nepa sind die Iuga deutlich ausgebildet und zwar treten sie in 
Form von zwei halbkugeligen Vorsprüngen auf. Es werden von ihnen die 
hinteren der vier rundlichen Ausbauchungen gebildet, die bei Betrachtung 
eines Nepakopfes sogleich auffallen (Fig. 34 Iu). 


[23] Beiträge zur Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Rhynchoten. an 


Die vorderen Ausbauchungen entsprechen den oben beschriebenen 


Processus maxillares. 


3. Die Bildung des Thorax. 

Die Anlage des Brustabschnittes und die sich hieran anschliessenden 
ersten Entwicklungsphasen sind bereits in einem vorhergehenden Abschnitt 
besprochen worden, und es wurde bereits auf die drei Paar von auffallend 
grossen Tergitanlagen hingewiesen. 

Die letzteren sind im etwas späteren Stadien nicht mehr so deutlich 
zu unterscheiden. Sie werden dann nämlich zum Theil von den breiten 
Basaltheilen der Beine überdeckt. Dies Verhalten ändert sich, sobald die 
Thoraxextremitäten die oben beschriebene Drehung von der lateralen nach 
der medialen Seite ausführen. Ist dies geschehen, so treten die Tergiten- 
anlagen wieder deutlich hervor, liegen dann aber nicht wie früher vor, 
sondern lateral von der Ansatzstelle der Beine (Fie. 1). 

In diesen Stadien sind bereits Stigmen zu bemerken, die am vorderen 
Rande des Meso- und Metathorax zwischen Extremität und Tergitanlage 
aufgetreten sind. 

Auf die Gliederung der Beine ist bereits früher hingewiesen worden. 
Später gliedert sich am proximalen Ende des Femur und der Coxa abermals 
ein weiteres Stück ab. Das erstere ist der bekannte Schenkelring, Trochanter, 
das zwischen Rumpf und Coxa befindliche Stück bezeichne ich als Subcoxa 
(Fig. 15 Subx). 

Ueber die Bildung der Bauchplatten in den Thoraxsegmenten ist nicht 
viel zu berichten, indem die ganze median zwischen den Beinen gelegene 
Fläche die entsprechenden Sternite liefert. Einiges Interesse bietet jedoch 
noch die weitere Entwicklung der Tergitenanlagen. Dieselben sondern sich 
nämlich noch vor der Umrollung des Keimstreifens in zwei Abschnitte. Der 
eine Theil (Fig. 15 Tergw) ist schmal und bleibt unmittelbar neben der 
Ansatzstelle des Beines zurück, während der andere Theil (Fig. 15 Terg), 
welcher sich stark ausdehnt, den Dotter umwächst, mit der gegenüber- 
liegenden Tergitanlage in der dorsalen Medianlinie sich vereinigt und mit 
dieser zusammen dann die eigentliche Rückenplatte (Tergit) im engeren 


Sinne bildet. 


372 Richard Heymons, [24] 


Der schmale, lateral von der Ansatzstelle der Extremität zurück- 
gebliebene Theil der Tergitenanlage liefert den ventralwärts umgebogenen 
Seitenrand der Rückenplatten. Dieser Rand betheiligt sich demnach bei 
der Larve an der Herstellung der Ventralfläche des Körpers, er entspricht 
bestimmten Chitinstücken, die auch im Abdomen auftreten und welche ich 
Paratergite nennen will. Es ist hervorzuheben, dass im Thorax Tergite 
und Paratergite nicht abgegliedert sind, sondern dass eine Grenze zwischen 
ihnen lediglich durch den scharfen Seitenrand des Körpers hergestellt wird. 

Die im Thorax zur Entwicklung gekommenen Stigmenpaare erleiden 
in der Folge eine Verschiebung. Das dem Mesothorax angehörende Paar 
nimmt nämlich eine intersegmentale Lage zwischen Meso- und Prothorax 
ein und gelangt schliesslich noch während der Embryonalzeit vollkommen 
in den hinteren Abschnitt des letzteren. In ähnlicher Weise tritt das dem 
Metathorax zuzurechnende Paar in den Mesothorax hinüber. Gewissermaassen 
als Ersatz dafür schliesst sich das erste abdominale Stigmenpaar dem Hinter- 
rande des Mesothorax an. Die T'horaxsegmente sind durch diese Vorgänge 
in den Besitz von Stigmen gelangt, die ihnen ursprünglich nicht angehören. 
Natürlich erfolgt bei diesen Wachsthumsprocessen nicht nur eine Ver- 
schiebung der eigentlichen Stigmen selbst, sondern mit diesen tritt gleich- 
zeitig auch die das Stigma unmittelbar umgebende Hypodermispartie hinüber. 
Die letztere bezeichne ich als Stigmenträger oder als Pleurit. 

üs liegt nicht in meiner Absicht, die Ausbildung der einzelnen Chitin- 
stücke und ihre Formen bis ins Detail hinein zu beschreiben, ebensowenig 
kann hier auf die weitere Ausbildung der Extremitäten eingegangen werden. 
Nur in den wichtigsten Grundzügen mag noch die spätere Gestaltung des 
Thorax bei den zur Untersuchung verwendeten Insekten eine Berücksich- 
tigung finden. 

An den Larven von Naucoris (Fig. II) bemerkt man bei einer Ansicht 
von der Ventralseite, dass im Metathorax sich die Coxalglieder der Beine 
an das Hinterende einer keulenähnlich geformten Chitinplatte anheften. Die- 
selbe (Subx III) befindet sich zwischen dem Metasternum und dem um- 
gebogenen Rand des Rückenschildes (Paratergit), während sie sich vorn an 
den Hinterrand der Mesothorax anschliesst. Diese Platte entspricht zwar 


nicht vollkommen, aber doch zum Theil der embryonalen Subcoxa des 


[25] Beiträge zur Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Rhynehoten. 373 


Beines, welche also nicht, wie man ihrer Genese nach eigentlich hätte er- 
warten sollen, zu einem bleibenden Glied der Extremität geworden ist. Die 
Subcoxa hat vielmehr bei der Bildung der ventralen Rumpfwand Verwendung 


Fig. II. Männliche Larve von Naucoris eimicoides, von der Ventralseite betrachtet. 
Die 6 Thoraxbeine sind amputirt, die noch stehen gebliebenen coxalen Stümpfe derselben der 
Deutlichkeit wegen punktirt worden. Die Umrisse der drei vordersten Stigmenpaare, welche 
etwas verborgen liegen, sind nur durch Punkte angegeben. Die 3 dunklen Flecke im Bereiche 
des 9. Abdominalsternites markiren die Anlagen der Genitalanhänge. 
Abs —= Abdominalsegment, Parat — Paratergit, St; — erstes Stigma, Stg 


— achtes Stigma, 
Subx = Lamina subeoxalis. 


gefunden, indem sie an der Herstellung einer Chitinplatte Antheil nahm, die 
ich dementsprechend Subecoxalplatte nennen will. 


Im Mesothorax, wo das embryonale Subcoxalglied ebenfalls in die 


Nova Acta LXXIV. Nr.3 48 


374 Richard Heymons, [26] 


Rumpfwand einschmilzt, liegen die Verhältnisse ganz ähnlich. Die Subeoxal- 
platte (Subx I) ist hier aber bedeutend kleiner, weil der mediale Abschnitt 
derselben mit dem Mesosternum verwachsen ist, während der laterale Theil 
frei bleibt und wie im Metathorax als distinktes Sceletstück deutlich er- 
kennbar ist. Im Prothorax endlich hat die Vereinigung zwischen dem Sub- 
coxalgliede und der Sternalpartie noch;weitere Fortschritte gemacht. Selbst- 
ständige Subeoxalplatten fehlen in Folge dessen, nur die lateral und vor 
der Hüfte gelegene Partie des Prosternum lässt sich auf dieselbe beziehen. 

Bei der Imago von Naucoris ist das Verhalten noch ein ganz ähn- 
liches, jedoch hat sich im Metathorax die laterale Partie der Subeoxalplatte 
in Form einer schuppenförmigen Duplicatur nach hinten verlängert, und be- 
deckt theilweise das Hüftglied. 

Am Hinterrande des Prothorax findet man (besonders deutlich bei 
der Larve) zwei annähernd elliptische Chitinstücke, in denen sich die Stigmen 
(St,) befinden. Die betreffenden Theile sind genetisch als die Pleurite des 
Mesothorax aufzufassen. Im Meso- und Metathorax haben die Stigmen eine 
etwas verborgene Lage, vor bezw. hinter den "Hinterhüften. 

Die lateralen Theile der Teergite (Paratergite) verlängern sich in den 
beiden zuletzt erwähnten Segmenten bei älteren Larven und werden, indem 
sie nach hinten auswachsen, zu den Flügeln der Imagines. 

Bei den jungen vor kurzem ausgeschlüpften Larven von Notonecta 
ist die Zusammensetzung des T'horax eine sehr ähnliche wie bei Naucoris, 
abgesehen natürlich von der etwas abweichenden Form der einzelnen Scelet- 
stücke. 

Die Rückenschilder besitzen einen ventralwärts umgeschlagenen Seiten- 
rand, der mit Haaren besetzt ist. Vor den sehr starken Hüften der Hinter- 
beine liegen die Subeoxalplatten, medialwärts in eine zipfelförmige Spitze 
auslaufend. Im Mesothorax ist der mediale Theil der Subeoxalplatte mit 
dem Mesosternum vereinigt, der laterale läuft ebenfalls hinten in ein Zipfelehen 
aus. Dem lateralen und hinteren Rande der genannten Platte genähert, ist 
das Stigmenpaar angebracht. 

Im Prothorax sind die Seitentheile des Tergites nicht so weit ventral- 
wärts umgeschlagen, sie reichen bei älteren Larven nur bis zum Körper- 
rande selbst hin. Lateral von den Vorderhüften befinden sich die nur un- 


[27] Beiträge zur Morphologie und Entwieklungsgeschichte der Rhynchoten, 375 


deutlich abgesetzten, etwas erhabenen und ebenfalls zipfelföürmig ausgehenden 
Subeoxalstücke. Dem Hinterende des Prothorax genähert zeigt sich endlich 
das vorderste Stigmenpaar in der Region der dort eingeschmolzenen (meso- 
thoracalen) Pleurite. 

Während der laroalen Entwicklungsperiode findet hauptsächlich eine 
Vergrösserung und weitere Entfaltung der Subcoxalplatten statt. Dieselben 


I n, 


Fig. II. Abdomen und die beiden hinteren Thoraxsegmente einer Larve von Nepa cinerea, 
Abs — Abdominalsegment, Parat — Paratergit, Pleur = Pleurit, St = Stigma, 
Stern — Sternit, Subx — Lamina subeoxalis. 

werden zu schuppenförmigen Gebilden, die mit langen schwarzen Haaren 
besetzt sind. Diejenigen des Metathorax sind besonders stark entwickelt 
und überdecken bei der Imago die Basis der Hinterbeine. 

Die Gattung Nepa nimmt in mancher Hinsicht eine etwas isolirte 
Stellung ein. An den drei Thoraxsegmenten sind bei der Larve die Seiten- 
theile der Rückenschilder überhaupt nicht ventralwärts umgeklappt, sondern 


48* 


376 Richard Heymons, [28] 


überragen lateral nur ein wenig den Körperrand. Vor den Coxen der 
beiden hinteren Beinpaare liegen die Subcoxalstücke (Fig. III Subx), sich 
an der Bildung der ventralen Körperwand betheiligend. Im Prothorax 
weisen die nicht mehr deutlich abgegrenzten Subceoxalpartieen der nach 
vorn gewendeten Stellung der Raubbeine wegen die umgekehrte Lagerung 
auf, d.h. sie liegen hier hinter den Vorderhüften. 

Am Hinterrande des Prothorax ist das vorderste Stigmenpaar anzu- 
treffen. Die folgenden befinden sich in der weichen Verbindungshaut an der 
Seite des Mesothorax. Vor den letzteren Stigmen erhebt sich ein zipfel- 
förmiger Fortsatz mit frei nach hinten gewendeter Spitze. Dieser Fortsatz 
(Fig. III Pleur) entspricht den metathorakalen Pleuriten, deren Verschiebung 
an die bezeichnete Stelle hin während der Embryonalentwicklung sich ver- 
folgen lässt. 

Die in Rede stehenden zipfelförmigen Pleurite sind bei der jungen 
Larve sehr klein und lassen sich erst bei genauerer Untersuchung unter 
dem freien Rande der Rückenplatte auffinden. Schon bei den nächstfolgenden 
Häutungen werden sie aber zu langen sichelförmig gekrümmten Gebilden, 
deren Spitzen sogar die Hinterbeine von der lateralen Seite her umgreifen. 
Diese sichelförmigen Pleurite sind eine charakteristische Eigenthümlichkeit 
älterer Nepalarven. Bei den Imagines sind sie zwar noch vorhanden, aber 
bei weitem nicht mehr so auffällig; sie liegen noch lateral von den Coxen 


der Mittelbeine und gehen hinten in eine kleine dreieckige Spitze aus. 


4. Die Bildung des Abdomens. 

Bezüglich der Bildung des Abdomens ist bereits oben darauf hin- 
gewiesen worden, dass sich beim Keimstreifen 11 deutliche Segmente an- 
legen, während ein selbständiges Telson fehlt. Noch beim Keimstreifen 
treten in den ersten acht Abdominalsegmenten Stigmen auf. Nach der Um- 
rollung geht dann die Bildung der Rücken- und Bauchplatten vor sich. 

Jedes Sternit entwickelt sich aus drei Theilen, und zwar zeigt sich 
diese primäre Zusammensetzung dann besonders deutlich, wenn beim Embryo 
(die Concentration der Bauchganglienkette vor sich geht. Die Verkürzung 
(des Bauchmarkes ist bei den Rhynchoten bekanntlich eine besonders weit- 


[29] Beiträge zur Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Rhynchoten. DIE 


gehende und führt schon während des Embyronallebens zu einer vollständigen 
Entblössung des Hinterleibes von Bauchganglien. 

Sobald die Zusammenziehung erfolgt, bemerkt man, dass die medianen 
Partien des 1.—10. Abdominalsegmentes, in denen die Ganglienanlagen sich 
befinden, stark sich emporwölben und damit deutlich von den vertieft er- 
scheinenden lateralen Theilen der Segmente sich abheben. In diesem Stadium 
besteht dann jedes Sternit aus drei Hypodermisplatten, einer erhabenen 
medianen, welche die Ganglienanlage enthält (Medianfeld) und zwei lateralen, 
die von der ersteren zum Tergit reichen (Lateralfelder). 

Die geschilderte Entstehungsweise der Bauchplatten entpricht ganz 
der von mir dargelegten primären Zusammensetzung der Sternite bei 
Orthopteren (95). Während nun aber bei diesen Insecten sehr häufig 
(Blattiden) die laterale Hälfte jeder Bauchplatte fast vollkommen von der 
Gliedmaassenanlage gebildet wird, so betheiligen sich letztere beiden Hemipteren 
nur in äusserst geringem Maasse an der Herstellung der Seitentheile der 
Bauchplatten. Nur die unmittelbar an das Stigma angrenzende Partie 
kann auf Gliedmaassenreste zurückgeführt werden. 

Die Entwicklung der Tergite vollzieht sich in bekannter Weise 
indem die beiderseitigen Anlagen den Dotter umwachsen und sich dorsal 
vereinigen. Ein typisches abdominales Tergit besteht alsdann gerade wie 
ein thorakales aus einer dorsal gelegenen Partie und aus zwei kleinen 
lateralen Abschnitten, welche ventralwärts umgeklappt sind und sich grössten- 
theils auf die eben erwähnten Tergitwülste zurückführen lassen. Auf diese 
Weise kommt auch im Abdomen ein scharfer Körperrand zu Stande. Am 
1. Abdominalsegment ist jedoch das Tergit eine einfache schmale Spange, 
an welcher ventralwärts umgebogene Seitenstücke vermisst werden. 

Nach diesen allgemeinen Vorbemerkungen wende ich mich zu einer 


speciellen Betrachtung der einzelnen von mir untersuchten Formen. 


a) Naucoris. 

Die Bestandtheile des 11. Abdominalsegmentes verschmelzen schon 
beim Embryo zur Bildung eines kegelförmigen Zapfens, der die Bezeichnung 
Analkonus führen mag. Tergit und Sternit des 10. Abdominalsegmentes 
werden zu einem Ring, der den Analkonus umgreift. 


378 Richard Heymons, [30] 


An der Fig. 4, welche das Hinterende eines männliehen Embryo von 
Naucoris wiedergiebt, schimmern durch das Sternit des 10. Abdominalsegmentes 
zwei laterale dunkle Flecken (Amp) hindurch. Letztere werden hervor- 
gerufen durch die ampullenartig verdickten Enden der Vasa deferentia, welehe 
sich an dieser Stelle an die Hypodermis anheften. 

Der Analkonus ist vom 10. Abdominalringe durch eine an der Ab- 
bildung als dunkele Zone angegebene Intersegmentalhaut getrennt. Bei 
genauerer Untersuchung ergiebt sich, dass der Analkonus aus zwei kon- 
eentrischen eng mit einander verbundenen Ringen zusammengesetzt ist. 
Der äussere Ring ist ventralwärts stärker entwickelt, der innere, welcher 
möglicherweise die Andeutung eines Analsegmentes darstellt, bildet die 
eigentliche Umwallung der Afterspalte (A). Die Grenze zwischen den 
beiden Ringen ist in der Figur stärker angegeben, als es der Wirklichkeit 
entspricht. 

Bei der Larve (Fig. II) zeigt sich zwischen den schmalen ventralwärts 
umgeklappten Seitentheilen der Rückenplatten und den Sterniten keine Nahıt- 
linie. Erstere unterscheiden sich von letzteren aber dadurch, dass ihnen 
der dichte Haarbesatz mangelt, ein Verhalten, welches auch noch für die 
Imago zutreffend ist. In Fig. II sind die Grenzen zwischen den Seiten- 
theilen der Rückenplatten und den Sterniten schematisch durch Linien an- 
gegeben worden. Die abdominalen Stigmenpaare (2.—8.) liegen bei der Larve 
im Bereich der Sternite. Besondere Pleurenplatten sind demnach im Abdomen 
nicht zur Entwickelung gekommen. 

Bei den Imagines von Naucoris zeigt sich die auffallende Erscheinung, 
dass im 3.—8. Abdominalsegmente die Bauchplatten sich je in einen mittleren 
und zwei laterale Theile gegliedert haben. Der erstere "Theil mag als 
Sternit s. str. bezeichnet werden. Die seitlichen Theile wurden von Verhoeff 
(93) als „untere Pleuren“ gedeutet, da sie indessen (bei Naucoris nicht einmal 
sehr scharf) abgetrennte Seitenstücke der Sternite sind, so wende ich für 
sie den Namen Parasternite an. Die Stigmen, welche schon früher dem 
lateralen Rande der Bauchplatten genähert waren, finden sich in den be- 
zeichneten Abdominalsegmenten jetzt in den Parasterniten vor. 

Das 7. Sternit überdeckt im weiblichen Geschlecht, welches ich zuerst 
besprechen will, grösstentheils die an der 8. und 9. Bauchplatte zur 


[31] Beiträge zur Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Rhynehoten. 379 


Entwicklung gekommenen Geschlechtsanhänge (Gonapophysen). Während 
bis zum 7. Segmente die Parasternite von dem eigentlichen Sternit nur 
durch eine feine schmale Linie abgegrenzt sind, so trennen sich im 8. Ab- 
«dominalsegment die stigmentragenden Parasternite (Fig. 9 Parast,) vollkommen 
von dem aus zwei Hälften bestehenden Sternum ab und betheiligen sich 
an der Bildung der beiden flossenförmigen zur Seite des Hinterleibsendes 
befindlichen und nach hinten gewendeten Fortsätze. 

Die Rückenfläche dieser flossenförmigen Fortsätze wird von den 
Seitentheilen des 8. Tergites gebildet. Da dieselben von dem mittleren 
Theile des 8. Tergites durch eine Nahtfurche, welche in Fig. 9 durchschimmert, 
sich absetzen, so kann man sie entsprechend als Paratergite (obere Pleuren 
nach Verhoeff) bezeichnen. 

Das 9. Sternit besteht aus zwei schmalen Plättchen, die mit dem von 
den vorderen Gonapophysenpaaren gebildeten Legestachel in Verbindung 
stehen. Das 9. Tergit setzt sich aus zwei flügelförmigen Stücken zusammen, 
deren verschmälerte Theile in der dorsalen Medianlinie an einander stossen. 

Die Bestandtheile des 10. Abdominalsegsmentes sind nicht mehr als 
solche zu erkennen. An dem Analkonus fällt einmal die bedeutendere Grösse 
im Vergleich zu den larvalen Stadien auf und zweitens zeigt sich an seinem 
distalen Ende dorsalwärts eine lancettförmige Verlängerung, welche man 
auf ein 11. Tergit beziehen kann. Diese Verlängerung überragt die ab- 
gerundete ventrale Platte (11. Sternit). 

Im männliehen Geschlechte liegen die Verhältnisse im allgemeinen 
ähnlich wie im weiblichen. Am 5. und namentlich am 6. Tergit ist eine 
Theilung in eisen mittleren und zwei seitliche Stücke erfolgt. Die flossen- 
förmigen Seitentheile des 8. Tergites besitzen die entsprechende Gestalt wie 
beim Weibchen, ich fand sie aber beim Männchen nicht so deutlich ab- 
gesetzt. Das 8. Sternum bleibt im männlichen Geschlecht ungetheilt. 

Das 9. Segment ist stark chitinisirt und hat dadurch eine eigen- 
thümliche Form gewonnen, dass sich seine ventrale Partie sehr stark ver- 
längert hat und das Ende des kielförmig auslaufenden Abdomens_ bildet. 
Der Dorsalfläche des 9. Segmentes sitzt der kleine Analkonus auf, an dem 
eine so starke Entwicklung des 11. Tergums, wie sie beim Weibchen hervor- 


tritt, vermisst wird. — 


380 Richard Heymons, [32] 


Meine Ergebnisse weichen von den von Verhoeff (95) für das Abdomen der 
weiblichen Imago von Naucoris gemachten Angaben hauptsächlich in zwei 
Punkten ab. Dem genannten Autor zufolge soll zunächst der Analkonus 
aus dem 10. Tergit und Sternit zusammengesetzt sein, eine Auffassung, die 
indessen deswegen unhaltbar wird, weil sich bei der Larve das 10. Abdominal- 
segment noch deutlich in Form eines den Analkonus umgebenden Ringes 
zeigt (Fig. II u. 22). Erst bei der Umwandlung zur Imago wird das be- 
treffende Segment rückgebildet. 

Ferner beschreibt Verhoeff zwei ‚eigenartige Fortsätze: „Ausserhalb 
der 9. und 10. Dorsalplatte lagert jederseits ein sehr reich beborsteter, im 
Innern von Tracheen durchzogener Kegel, welcher sich an seiner inneren 
Basis an die 9. Dorsalplatte anlegt. Diesem Konus ... lege ich die Be- 
zeichnung Pseudostylus bei.“ Hinsichtlich der morphologischen Natur des- 
selben giebt Verhoeff an, dass der „Pseudostylus“ den „Pleuren* (also 
Paratergiten oder Barasterniten) des 9. Abdominalsegmentes entspreche. 
Letztere Auffassung dürfte wohl dadurch entstanden sein, dass der erwähnte 
Autor sich nur auf die Untersuchung des weiblichen Geschlechtes beschränkt 
hat. Bei Berücksichtigung auch des anderen Geschlechtes ergiebt sich aber 
sogleich, dass beim Männchen die entsprechenden kegelförmigen Anhänge 
nicht vorkommen, und dass die Pseudostyli somit Gebilde darstellen, die 
speciell dem Weibehen eigenthümlich sind. Ueber ihre wahre Bedeutung 
liefern ebenfalls entwicklungsgeschichtliche Untersuchungen Aufschluss. Es 
zeigt sich nämlich, dass die „Pseudostyli“ aus Hypodermiswucherungen der 
9. Bauchplatte hervorgehen. Entsprechende Wucherungen in demselben und 
in dem vorhergehenden Sternit gestalten sich zu den Gonapophysen um, 
und es kann daher keinem Zweifel unterliegen, dass die angeblichen Pseudo- 
styli oder Pleuren der weiblichen Imago nichts anderes als das laterale 
Paar der hinteren (am 9. Segment entstehenden) Gonapophysen sind. In 
Fig. 22 sind die zu den Genitalanhängen das Weibchens werdenden larvalen 
Hypodermisverdiekungen dargestellt worden. Mit den vier medianen Anlagen, 
welche die spätere Legeröhre zu liefern haben, stimmen die beiden lateralen 


hinteren Hypodermiserhebungen vollkommen in ihrem Aussehen überein. ') 


!) Im Interesse etwaiger Nachuntersuchungen sei bemerkt, dass jugendliche Individuen 
am besten geeignet sind, um constatiren zu können, dass die erwähnten sechs Anlagen that- 


[33] Beiträge zur Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Rhynehoten., 381 


Die betreffenden lateralen Geschlechtsanhänge des 9. Segmentes haben 
allerdings nichts mit der Bildung der eigentlichen Legeröhre zu thun, sondern 
scheinen mehr die Bedeutung von Tastorganen zu besitzen. Solche sind 
vermuthlich für die Weibchen von Naucoris um so wichtiger, als dieselben 
ihre Eier in das Parenchym von Wasserpflanzen zu versenken pflegen. 

Es sind also bei Naucoris im weiblichen Geschlechte nicht zwei, 
sondern wie bei zahlıeichen anderen Inseeten drei Gonapophysenpaare vor- 
handen, von denen das laterale hintere Paar mit Sinneshaaren besetzt ist, 
während die anderen beiden Paare stark chitinisirt sind und den Lege- 
stachel bilden. 


b) Notonecta. 

Das Abdomen ist bei den Embryonen und Larven in ganz ent- 
sprechender Weise wie bei Naucoris gegliedert. Die Abdominalstigmen 
(2.—8.) sind bei der Larve ebenfalls in den Lateraltheilen der Sternite an- 
zutreffen. Die Seitentheile der Tergite sind ventralwärts umgeschlagen, 
und ihr medialer Rand ist daselbst mit langen schwarzen Grannen versehen. 
Im Gegensatz zu Naucoris tritt daher die Grenze zwischen den umgeklappten 
Seitenstücken der Tergite und den Sterniten ausserordentlich scharf hervor. 

Das hinterste Ende des spitz auslaufenden Abdomens wird von dem 
9. Tergite gebildet. Umgeben von dem 9. zeigt sich das schmale ring- 
förmige 10. Segment. Innerhalb des letzteren befindet sich durch eine weiche 
Intersegmentalhaut getrennt der Analkonus, an dessen distalem Ende die 
dorsale Verlängerung kürzer als die ventrale bleibt. 


3ei den Imagines trennen sich im 3. 


7. Abdominalsegment durch 
Absetzung der stigmentragenden Seitentheile der Sternite gegen den medialen 
Theil der Bauchplatten wieder besondere Parasternite ab. Dieselben sind 
mit den umgeklappten Seitentheilen der Tergite (Paratergite) zwar verwachsen, 
doch markirt sich, abgesehen von der verschiedenartigen Färbung, die 


Grenze auch noch durch den schon bei der Larve erwähnten Haarbesatz. 
sächlich das Bildungsmaterial für die Gonapophysen enthalten. Untersucht man dagegen Larven, 
welche kurz vor der Umwandlung zur Imago stehen, so sind unter der Larvenhaut bereits 
die Körpertheile der Imago (Legeröhre ete.) erkennbar, letztere decken sich dann aber nicht 
mehr mit den larvalen Anlagen. Selbstverständlich hat dies nicht allein für Naucoris, 
sondern auch für andere Formen Gültigkeit. 


Nova Acta LXXIV. Nr.3. 4) 


382 Richard Heymons, [34] 


Vom 8. Abdominalsternit haben sich ebenfalls die stigmentragenden 
Lateraltheile abgegliedert. Sie verschmelzen indessen im weiblichen Geschlecht 
mit den Paratergiten, während im männlichen das 8. Stigmenpaar in die 
weiche Bindehaut zwischen Rücken- und Bauchplatte gelangt. 

Bezüglich der Tergite ist hervorzuheben, dass dorsalwärts ihre 
Seitentheile die Neigung zeigen, von dem mittleren Theile sich abzutrennen. 
Hierdurch bilden sich wieder Paratergite aus, die im 7. und 8. Segmente 
zur Entstehung von flossenförmigen Anhängen Veranlassung geben. 

Im 9. Segment ist das Tergit beim Männchen zu einer schmalen, 
quer gelagerten Chitinspange geworden, beim Weibchen besteht es aus zwei, 
nur durch eine enge mediane Brücke verbundene Hälften. Das 10. Segment 
ist bei der Imago rückgebildet. Am Analkonus ist die dorsale Platte breiter 
als die ventrale. 

Bezüglich der Gestaltung der weiblichen Genitalsegmente kann ich 
auf die eingehendere Beschreibung Verhoeft’s (93) verweisen und bemerke 
nur, dass hinsichtlich der von ihm erwähnten Pseudostyli dasselbe gilt wie 
für Naucoris. Die von Verhoeff beschriebenen „Styloide* treten gleichfalls 
erst bei der Imago auf, sie sind als Fortsätze der 9. Ventralplatte zu 
betrachten, eine Homologie zwischen ihnen und den Styli niederer Inseeten 


(Thysanuren) ist jedenfalls aber nicht vorhanden. 


ec) Nepa. 

Schon bei den Embryonen von Nepa fällt die sehr starke Ent- 
wicklung der abdominalen Tergitwülste auf, die im 2.—9. Segmente gelegen 
sind (Fig. 5). Hiermit steht in Verbindung, dass nach der Umrollung die 
auf die Tergitwülste zurückzuführenden Seitentheile der Tergite sowohl im 
8. wie im 9. Segmente sich in sehr beträchtlicher Weise nach hinten ver- 
längern. Diese Seitentheile, welche man entsprechend wieder als 8. und 
9. Paratergite bezeichnen kann, bilden, indem sie sich an das gleichfalls 
verlängerte 9. Tergit anlegen, einen eigenthümlichen schaufelförmigen Fort- 
satz. Letzterer gewinnt bereits während des Embryonallebens eine derartige 
Länge, dass er, wegen des beschränkten Raumes in der Eischale, gezwungen 


ist, sich dorsalwärts umzuklappen. 


[55] Beiträge zur Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Rhynchoten. 385 


Ich übergehe eine eingehende Beschreibung der genannten Theile 
beim Embryo, deren Entwicklung von mir Schritt für Schritt verfolgt 
werden konnte, und wende mich zu einer Betrachtung des Abdomens bei 
der Larve, bei welcher die einschlägigen Verhältnisse sehr viel klarer und 
übersichtlicher erscheinen. 

Die Abdominalschaufel ist bei der Larve gerade nach hinten aus- 
gestreckt und zeigt sich deutlich aus den oben genannten Thheilen zusammen- 
gesetzt. Ein medianer Streifen, der vorn breiter ist, hinten sich verschmälert, 
entspricht dem verlängerten hinteren Abschnitt des 9. Abdominaltergites. 
Durch zwei helle Nahtlinien davon getrennt erscheinen die zu seinen Seiten 
liegenden bandförmigen Paratergite desselben Segmentes. Am vorderen 
Ende dorsal vereinigen sich diese drei Stücke zur Bildung des 9. Tergites 
s. str. Die beiden ventralwärts umgebogenen Lateraltheile der Abdominal- 
schaufel werden von den Paratergiten des 8. Abdominalsegmentes gebildet. 
Letztere sind durch helle Lmien von den 9. Paratergiten abgesetzt und gehen 
vom in ein deutlich differenzirtes bogenförmiges Tergit über. Die Para- 
tergiten des 7. Abdomimalsegmentes stellen den Uebergang der Abdominal- 
schaufel zum Rumpftheil dar. Betrachtet man das larvale Abdomen von 
der Ventralseite, so zeigt sich, dass die Ränder der tief ausgehöhlten halb- 
rohrförmigen Abdomimalschaufel mit langen Haaren besetzt sind, welche die- 
selbe zu einem Rohre ergänzen, durch welches die Luft zu dem am Grunde 
befindlichen Stigmen (des 8. Segmentes) hingeleitet werden kann. 

Das 10. Abdomimalsegment stellt bei der Nepalarve nicht einen kurzen 
Ring dar, in dessen Höhlung der Analkonus eingefügt ist, sondern das 
eylindrische 10. Segment und der Analkonus folgen aufeinander und sind 
auch ungefähr gleich lang. Das 10. Segment ist zwar relativ schwach 
ehitinisirt, aber mit Borsten besetzt und gliedert sich vorn und hinten 
deutlich ab (Fig. IIND.) 

Die ventralwärts umgeklappten Seitentheile der Tergite (Tergitwülste) 
sind vom 2.—6. Abdominalsegment bei der Nepalarve gut entwickelt, medial 


enden sie mit breitem umgebogenen Rand, in dessen Mitte vom 3.—6. Segment 


!) Abgesehen von der selbstverständlich schematischen Fig. III kann ich auf eine 
früher veröffentlichte Zeichnung (Morphol. Jahrbuch Bd. 24. Tafel I, Fig. 3) hinweisen, welche 
gerade die betreffende Partie bei einer älteren weiblichen Nepalarve genau wiedergiebt. 


49* 


384 Richard Heymons, [36] 


je eine weite mit Haaren ausgekleidete Grube (Sinnesgrube) liegt. Lateral 
reichen sie bis zum Körperrand und gehen dort ohne Grenze in das zu- 
gehörige Tergit über. 

Die Stigmen befinden sich dicht am lateralen Rande der Bauchplatten. 

Bei der Umbildung der Larve zur Imago vollzieht sich sowohl eine 
Veränderung der Bauchplatten wie der Rückenplatten. Im 2.—6. Abdominal- 
segment setzen sich die stigmentragenden Lateraltheile der ersteren ab, so 
dass damit Parasternite entstehen. Mit Ausnahme des 6. Abdominalsegmentes 
reichen dieselben jetzt bis zum Körperrand, indem bei der Umbildung 
zur Imago die bisher ventralwärts umgeklappten Seitentheile der Tergite 
grösstentheils rückgebildet worden sind. Dorsal treten Paratergite auf, die 
sich deutlich gegen das Tergit abgrenzen, sie reichen aber im 2.—5. Ab- 
dominalsegment nur noch bis zum scharfen Körperrand hin. 

Von besonderem Interesse sind die Umwandlungen am Hinterrande, 
welche zur Bildung der bekannten langen Athemröhre führen. 

Untersucht man Larven, welche unmittelbar vor der Metamorphose 
zur Imago stehen, so zeigt sich, dass im Innern der oben beschriebenen 
Abdominalschaufel nur theilweise eine Neubildung der Chitinkutikula statt- 
gefunden hat. Im mittleren Streifen der Schaufel, welcher sich auf das 
verlängerte 9. Tergit zurückführen liess, ist die Hypodermis verödet, und 
es hat sich daselbst die Chitinhaut nicht mehr ergänzen können, während 
letzteres in den lateralen Theilen der Abdominalschaufel, welche von den 
Paratergiten des 8. Segmentes gebildet werden, der Fall ist. In den Para- 
tergiten des 9. Segmentes ist die Hypodermis sleichfalls grösstentheils zu 
Grunde gegangen, doch erhält sie sich im vordern Theile, und in einzelnen 
Fällen schien es mir, als ob sie sich in Form eines sehr schmalen Streifens 
längs des 8. Paratergites sogar bis zum hinteren Ende der Schaufel hin 
erstrecke. 

Durch die Rückbildung der Hypodermis im medianen Theil ist die 
Schaufel somit in zwei laterale Hälften zerlegt, welche sich sobald das 
geschlechtsreife Insect aus der Larvenhaut ausschlüpft, zur Bildung der 
Athemröhre aneinander fügen. Das Athemrohr besteht somit im wesentlichen 
aus den Paratergiten des 8. Abdominalsegments. Der dorsale Nahtstreif in 


welchem die beiden Hälften der Athemröhre sich der Länge nach aneinander 


[37] Beiträge zur Morphologie und Entwieklungsgeschichte der Rhynehoten. 389 


schliessen, ist möglicherweise auch auf die 9. Paratergiten zurückzuführen, 
Jedenfalls verbreitern sich letztere vorn und betheiligen sich an der Bildung 
der breiten Basis der Athemröhre. Wenn von Verhoeff (93) angegeben ist, 
dass das Athemrohr von Nepa von den Paratergiten („Pleuren“) des 8. Ab- 
dominalsegmentes gebildet werde, so ist also zu berücksichtigen, dass jeden- 
falls der Grundtheil derselben theilweise auch auf Bestandtheile des 9. Seg- 
mentes zurückgeführt werden muss. 

Das 8. Tergit ist bei beiden Geschlechtern, vielleicht in Folge der 
Entwicklung des Athemrohres rückgebildet worden und verschwunden. Das 
9. Tergit ist beim Weibehen noch in Form eines schmalen, quergelagerten 
Chitinstreifens nachzuweisen, welcher mit den zugehörigen Paratergiten 
(Athemrohr) nicht mehr im Zusammenhang steht. Beim Männchen ist das 
betreffende Tergit häutig geworden. 

Die Bestandtheile des 10. und 11. Segmentes bleiben auch bei der 
Imago in ihrer ursprünglichen larvalen Form bei beiden Geschlechtern fast 
unverändert erhalten. Das schwach chitinisirte 10. Abdominalsternit unter- 
scheidet sich besonders durch seine andersartige Behaarung von dem 
11. Sternit (Fig. 36). 

Das 10. Tergit der Imago ist zart und häutig geworden, es grenzt 
sich aber sowohl vorn deutlich ab, wie es auch hinten von dem im vorderen 
Theile mit einer hellen medianen Linie versehenen und stark chitinisirten 
11. Tergit deutlich abgesetzt ist. 

Bei Nepa sind somit noch bei der Imago die Bestandtheile der 
11. Abdominalsegmente erkennbar. Von früheren Beobachtern sind das 
10. Segment und 11. Segment (Analkonus) nicht von einander unterschieden, 
sondern als ein Segment (Endsegment) aufgefasst worden. Durch die Ent- 
wicklungsgeschichte der genannten Theile ist aber leicht der wahre Sach- 


verhalt klar zu stellen. 


386 Richard Heymons, [38] 


11. Heteroptera Gymnocerata. 
A. Untersuchungen an Cimex dissimilis Fab. 
1. Die embryonalen Entwicklungsvorgänge. 


Die jüngsten von mir untersuchten Stadien liessen bereits den Keim- 
streifen deutlich erkennen. Die Orientirung desselben im Ei befindet sich 
in einem gewissen Gegensatz zu der Lage des Keimstreifens, welche für 
die meisten niederenInseeten (Orthopteren, Odonaten etc.) als typisch an- 
zusehen ist. Während im letztere Falle der Keimstreifen gewöhnlich an 


7 
[i 
Pi Vent \ 
um f amıl 
a 
Fig. VI. Längsschnitt durch das Ei von Cimex dissimilis. 
am — Amnion, amhl — Amnionhöhle, D — Dotter, Dors —= Dorsalseite, H — Hinterende, 


ser — Serosa, V — Vorderende, Vent — Ventralseite. 


der dorsalen Seite des Eies liegt und dorsal gekrümmt ist, befindet sich die 
Embryonalanlage von Cimex umgekehrt an der Ventralseite des Eies und 
besitzt eine konkave Bauchseite und eine konvexe Rückseite. Der Keim- 
streifen ist hierbei allseitig von Dottersubstanz umgeben und gehört dem- 
nach in die Gruppe der „immersen“ Insectenkeimstreifen hinein. Hierbei ist 


allerdings zu berücksichtigen, dass nur eine sehr dünne Schicht von 


[39] Beiträge zur Morphologie der Entwieklungsgeschichte der Rhynchoten. 387 


Dottersubstanz die Rückenfläche der Embryonalanlage von der Ventralfläche 
des Eies resp. von der dieselbe bekleidenden Serosa trennt. Diese immerhin 
aussergewöhnliche Lage des Cimexkeimstreifens, welche ich in Fig. IV 
schematisch wiedergegeben habe, ist ohne Zweifel durch eine frühzeitige 
Inversion der gesammten Embryonalanlage herbeigeführt. 

An dem Keimstreifen sind bereits die Gliedmaassenanlagen von Kopf 
und Thorax zu unterscheiden. Es zeigt sich, dass die Thoraxbeine und 
Antennen in ihrem Wachsthum etwas voraneilen, während die Maxillen und 
namentlich die Mandibeln im Vergleich hierzu ein wenig langsameres Tempo 
einschlagen. Einen Keimstreifen, der die erwähnten Anhänge bereits deutlich 
erkennen lässt, stellt Fig. 14 dar. Am Vorderende fallen die verhältniss- 
mässig (im Vergleich zu Orthopteren und anderen Inseeten) nicht grossen 
Kopflappen auf. Die Mundöffnung stellt eine flache Grube dar und befindet 
sich zwar grösstentheils im Bereiche des Antennensegmentes, doch reicht 
der vordere Mundrand noch über die Region dieses Segmentes nach vorn 
hinaus. Es ist dies bei Cimex noch eine Andeutung der primären postoralen 
Lagerung der Antennen, welche bei niederen Inseeten deutlicher hervortritt. 

Vor der Mundöffnung fallen zwei Höcker auf, in denen die paarige 
Anlage des Ulypeus und der Oberlippe zu erblicken ist. In dem in Rede 
stehenden Stadium (Fig. 14) sind allerdings die beiden, namentlich vorn 
verdickten Höcker bereits durch eine schmale mediane Verbindungsbrücke 
mit einander in Zusammenhang getreten. In der hinter dem Munde folgenden 
Körperregion lassen sich die Verhältnisse leicht übersehen. Die Mandibeln 
und vorderen Maxillen sind nahezu von gleicher Grösse, die hinteren Maxillen 
bereits etwas länger. An dem 1. Abdominalsegment fallen zwei deutliche 
zapfenähnlich gestaltete Gliedmaassenanlagen auf, die aber im Gegensatz zu 
den Kopf- und Thoraxextremitäten nicht nach der lateralen Seite gewendet 
sind, sondern sich senkrecht über der Ventralfläche des Körpers erheben. 
Bei älteren Embryonen sinken sie unter Ausscheidung eines Secretes in das 
Innere des Körpers ein. 

Das Abdomen lässt anfangs 9 deutliche Segmente erkennen, die von 
vorn nach hinten eine allmähliche Grössenabnahme aufweisen. Der an das 
9. Segment sich anschliessende Abschnitt ist grösser als die vorhergehenden 
und besteht, wie die spätere Entwieklung lehrt, aus dem 10. und 


388 Richard Heymons, [40] 


11. Abdominalsegment. Die Afteröffnung liegt am hintersten Ende, befindet 
sich aber nicht in der gleichen Ebene wie der übrige Körper (der Keimstreifen 
in ausgebreitetem Zustande gedacht), sondern ist um einen Winkel von 90° 
verschoben). so dass der sich entwickelnde Enddarm parallel mit der Dorsal- 
fläche des Abdomens nach vorn wächst. 

Die folgenden Entwieklungsprocesse führen zu einer Verkürzung des 
Körpers in der Längsrichtung, welcher statt dessen an Breite gewinnt. Ein 
völlig verändertes Aussehen weist dann besonders die Anlage des Ulypeus auf. 
Zum besserem Verständniss habe ich daher noch ein Zwischenstadium in 
Fig. 30 abgebildet. Man sieht, dass die beiden primären Bildungshöcker 
vollkommen mit einander verwachsen sind und zwar namentlich m Folge der 
Ausbreitung des an ihrem vorderen Ende befindlichen Bildungsmateriales. 
Der Clypeus stellt dann eine quergelagerte Platte dar, die sich über die 
Mundöffnung hinüberzuschieben beginnt. 

In Fig. 3 ist dieser Process zum vorläufigen Abschluss gediehen. 
Die Mundöffnung ist bei Betrachtung von der Ventralseite nicht mehr zu 
erkennen. Sie wird begrenzt von zwei Vorsprüngen, den Resten der beiden 
primären Bildungshöcker des Clypeus. Dieser selbst geht jetzt vorn in 
eine Spitze aus und erhebt sich deutlich über das Niveau der angrenzenden 
Körperpartien. Am hinterem Rande der Kopflappen ist eine tiefe Einkerbung 
eingetreten, wodurch sich diese Theile scharf von der dahinter folgenden 
Region des Antennensegmentes abgrenzen. Die Seitenhälften des Antennen- 
sesmentes heben sich in Folge dessen sehr deutlich ab und treten wulst- 
förmig neben der Mundöffnung hervor, sie mögen als laterale Stirnlappen 
bezeichnet werden. Unter den lateralen Stirnlappen hefindet sich der Ur- 
sprung der Antennen, welche jetzt nicht mehr wie früher nach hinten, 
sondern mit ihrem distalen Ende nach vorn gewendet sind. Diese Lage- 
veränderung hängt mit der Zusammenziehung des vorderen Körperendes 
zusammen, bei welcher die Antennen auf ihrer Unterlage ruhen blieben, 
natürlich aber dabei nach vorn umgedreht wurden. 

Auch in der Kieferregion sind jetzt wichtige Umgestaltungen zu 
konstatiren. Während die beinähnlichen hinteren Maxillen in der Median- 
linie näher aneinander treten, haben die vorderen Maxillen und Mandibeln 
die Gestalt von länglichen Zapfen gewonnen. An der lateralen Seite der 


[+41] Beiträge zur Morphologie und Entwieklungsgeschichte der Rhynchoten. 389 


maxillaren Zapfen zeigt sich ein Maxillarhöcker. Wie bei den Uryptoceraten 
ist es somit auch bei Cimex zu einer Spaltung der einheitlich angelegten 
vorderen Maxillen gekommen. Der laterale Maxillarhöcker, welcher noch 
den beträchtlichsten Theil des primären Gliedmaassenmesoderms umschliesst, 
kann im wesentlichen wieder als Ueberrest der primären Gliedmaassenanlage 
angesehen werden, während das mediale zapfenähnliche Stück die morpho- 
logische Bedeutung einer Maxillenlade besitzt. 

Bei Fig. 3 war die rechte Mandibel abpräparirt worden, um die 
Gestalt des Maxillarhöckers besser zeigen zu können. Ferner ist daselbst 
rechts die hintere Maxille abgenommen, so dass die Oeffnung der Speichel- 
drüse (Splo) sichtbar wird. Endlich ist noch auf die wulstförmig erhabene 
Sternalregion der Kiefersegmente hinzuweisen, die zum Hypopharynx wird. 

Von der Drüseneinstülpung, die sich am hinteren Rande der hinteren 
Maxillen befindet, wuchert wie bei den Cryptoceraten ein Säckchen ins 
Innere, welches sich alsbald in zwei Theile gabelt. Der eine Theil er- 
weitert sich an seinem Ende blasenförmig und liefert den eigentlichen 
secernirenden, später sehr voluminösen Körper der Speicheldrüse nebst deren 
Ausführungsgang. Der andere Theil der Drüseneinstülpung wird zu einem 
blind endigenden, röhrenförmigen Gang, auf dessen Existenz bei Pyrrhocoris 
schon von P. Mayer (74) hingewiesen wurde. 

Die folgenden Entwicklungsprocesse schliessen sich auch an die bei 
Uryptoceraten geschilderten Erscheinungen an. An den Abdominalsegmenten, 
abgesehen von dem ersten, kann man bei Cimex ebenfalls nieht von eigent- 
lichen Gliedmaassen sprechen. Die Reste der letzteren sind nur in den 
medialen Rändern der verdiekten Tergitwülste zu erblicken. Immerhin 
zeigen bei Cimex diese Gliedmaassenreste insofern noch eine etwas grössere 
Selbständigkeit, als sie in Form kleiner höckerförmiger Zipfel ausgebildet 
sind, die medianwärts überhängen. Dass es sich bei letzteren Gebilden 
thatsächlich um Gliedmaassenrudimente handelt, kann im Hinblick auf ihre 
Stellung nicht zweifelhaft sein. Wie bei den Uryptoceraten befinden sich 
nämlich die betreffenden Höcker immer medial von den Stigmen und ent- 
sprechen also in ihrer Lage ganz den Thoraxextremitäten. Der Umrollungs- 
process durch welchen der Embryonalkörper aus dem Dotter heraus und 
an die ventrale Fläche des Eies gelangt, bietet nichts bemerkenswerthes, 


Nova Acta LXXIV. Nr. 3. 50 


390 Riehard Heymons, [42] 


Der Kopf eines Cimexembryo nach der Umrollung ist in Fig. 33 dargestellt. 
Die hinteren Maxillen haben sich zur Bildung des Labium vereinigt, das 
in zwei distale Spitzen ausläuft und eine mediane Rinne besitzt. An der 
Basis desselben zeigt sich in Form einer unpaaren Ektodermeinstülpung die 
Anlage für den Ejakulationsapparat der Speicheldrüsen. h 

Der Clypeus (Fig. 33 Cl.) hat sich hinten in einen schmalen lancett- 
fürmigen Fortsatz verlängert, in dem die Anlage der Oberlippe zu erblicken 
ist. Die Antennen haben bei der Umrollung ihre frühere Lage eingebüsst 
und sind jetzt mit ihren distalen Enden nach hinten gewendet. Die Ge- 
stalt der Mandibeln und vorderen Maxillen geht aus der Abbildung zur 
Genüge hervor. 

Zu Fig. 20 habe ich endlich noch die hintere Körperpartie eines 
Cimexembryo nach der Umrollung dargestellt, die Gestalt der Abdominal- 
segmente ist bis zum 9. Segmente hin eine ziemlich übereinstimmende. Man 
erkennt die paarigen Tergitanlagen und die Sternite, die aus einem er- 
habenen, dem Ganglien enthaltenden Medianfelde und zwei vertieften Lateral- 
feldern bestehen. Im 10. Abdominalsegmente ist die Sternitanlage nur schwer 
nachzuweisen, weil sie verhältnissmässig tief liegt und von den Bestandtheilen 
des 11. Segmentes überdeckt wird. Letztere setzen sich hauptsächlich aus 
zwei zur Seite der Afteröffnung befindlichen Zapfen zusammen, die an die Cerei 
anderer Inseetenembryonen etwas erinnern und nach hinten gewendet sind. 
Im weiteren Entwiekelungsverlauf werden diese Zapfen immer undeutlicher, 
sie umgreifen den After, fügen sich aneinander und werden schliesslich zur 


Bildung des 11. Tergums und Sternums aufgebraucht. 


2. Die Bildung des Kopfes und der Mundwerkzeuge. 

Wie dies bereits für Uryptoceraten beschrieben wurde, ziehen sich 
auch bei Cimex noch während des Embryonallebens die zapfenförmigen 
Mandibeln und Maxillenladen in taschenartige Höhlungen zurück. Sie ver- 
schwinden hierbei unter den lateralen Stirnlappen, bleiben aber nicht etwa 
unterhalb derselben liegen, sondern gelangen durch weiteres Einwachsen 
bis im den Hinterkopf hinein. 

üs fragt sich nun, was aus den beiden Maxillarhöckern wird, in 


denen, wie schon oben dargelegt wurde, der Hauptbestandtheil der primären 


[43] Beiträge zur Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Rhynchoten. 91 


Maxillenanlagen zu erblicken ist. Da die Kiefertaschen unter den lateralen 
Stirnlappen in die Tiefe treten, so ist es leieht verständlich, dass die Maxillar- 
höcker ebenfalls an diese Stelle gelangen müssen. Es erfolgt hierauf eine 
Verwachsung zwischen Stirnlappen und Maxillarhöckern, und zwar in der 
Weise, dass die letzteren sich an die untere (ventrale) Wand der ersteren 
einfügen und mit dieser verschmelzen. Die Stirmlappen werden damit zu 
den als „Iuga* bekannten lateralen vorderen Kopfpartien, die man bei Be- 
trachtung des Wanzenkopfes von der Dorsalseite zur Seite des „Tylus“ 
liegen sieht (Fig. 13 Iu). Der sog. Tylus (Cl) ist vollkommen homolog mit 
dem Clypeus anderer Insecten, auf seine Bildung ist bereits oben ein- 
gegangen worden. 

Die Maxillarhöcker werden zu den als „Genae* bezeichneten Theilen, 
die sich an der Unterseite der Inga befinden. Indem der mediale Rand der 
Gena, welcher an die Basis des Labiums angrenzt, in Form einer Längs- 
falte sich emporhebt, wird die Veranlassung zur Entstehung der sog. Buceula 
oder Wanzenplatte gegeben, welche indessen gerade bei Cimex dissimilis 
keinen besonders hohen Grad der Ausbildung erkennen lässt. 

Aus dem Gesagten geht hervor, dass die Genae von Cimex mit den 
am Kopfe der Uryptoceraten von mir Laminae maxillares genannten Theilen 
homolog sind, obwohl sie keime scharf umschriebenen Stücke darstellen, 
sondern hinten ohne Grenze in die Gula übergehen. Auch die „Buceulae* 
sind keine fremden Gebilde, sondern entsprechen den bei Uryptoceraten als 
Processus maxillares von mir beschriebenen Abschnitten. In Fig. 28 (Procx) 
sind diese Processus maxillares (Buceulae) abgebildet worden, allerdings 
nicht von Cimex, sondern von Syromastes marginatus, weil sie bei letzterer 
Form stärker entwickelt sind. 

Der frühere Zusammenhang zwischen den Laminae maxillares (Genae) 
und den maxillaren Stechborsten giebt sich auch bei Gymnoceraten durch 
eine dauernde mesodermale Verbindung zu erkennen. Dieselbe gestaltet 
sich in die Protractormuskeln um, welche vorn an den Laminae entspringen 
und in fast gerader Richtung nach hinten zu verlaufen, wo sie sich an die 
erweiterte Basis der Stechborste resp. an die mit letzterer in Zusammenhang 
stehende Wand der Kiefertasche anheften (Fig. 13 Petrmx). Die maxillaren 
Stechborsten werden innerhalb der Kopfhöhle in ihrer Lage noch dureh je 


50* 


392 Richard Heymons, j [44] 


eine kräftige Chitinspange von glasheller Färbung fixirt, die hinter dem 
Auge von der seitlichen Kopfwand ausgeht und die Kiefertaschen an der 
Stelle umgreift, an der die Basis der Stechborste sich befindet. 


Aehnlich verhält es sich mit den mandibularen Stechborsten. Schon 
bei jungen Embryonen, noch vor der Umrollung, kann man sich davon 
überzeugen, dass das Mesoderm des Mandibelsegmentes nicht nur unterhalb 
resp. in der Gliedmaassenanlage vorhanden ist, sondern dass es sich bis in 
die lateralen Theile dieses Segmentes hinein erstreckt. Die betreffende 
laterale Partie des Mandibelsegmentes liegt unmittelbar vor dem Maxillar- 
höcker, wird aber nicht wie dieser zur Bildung der Lamina maxillaris ver- 
wendet, sondern verschmilzt bei dem Eintritt der Kiefertaschen in das Innere 
des Kopfes mit Abschnitten des Antennensegmentes. Mit letzterem zusammen 
formirt es dann die oben erwähnten Iuga. Es ist zu berücksichtigen, dass 
aber nur die vorderste Partie der Iuga von Bestandtheilen des Mandibular- 
segmentes aufgebaut wird. Diese Partie ist dadurch charakterisirt, dass an 
ihr die mandibularem Protraetoren entspringen. Letztere haben keinen ganz 
geraden Verlauf, sondern konvergiren etwas nach der Medianseite und 
inseriren an einem besonderen Chitinhebel (Fig. 13 Chmd.), welcher mit der 
Mandibulartasche in Verbindung steht. In Folge der Kraftübertragung 
durch den Hebel kann dann eine sehr viel energischere Aktion der ver- 
hältnissmässig nicht starken mandibularen Protraetoren erzielt werden. 

Die Retractoren der Stechborsten gehen aus denjenigen Mesoderm- 
theilen hervor, welche im Innern der Mandibeln resp. der Maxillenladen 
zurückgeblieben waren. Sie heften sich direkt, ohne Vermittelung einer 
Hebeleinrichtung, an die Kiefertaschen an und nehmen ihren Ursprung 
von der hinteren lateralen Fläche des Kopfes (Fig. 13 Retrmd). 

Die Insertion der Retraetoren findet nicht, wie man vielleicht er- 
warten könnte, an der Basis oder an dem hintersten blinden Ende der 
betreffenden Kiefertasche statt, sondern befindet sich weiter vorm an der 
Wandung der Kiefertasche und zwar bei den maxillaren Taschen dicht 
hinter der Insertion der Protractoren. 

Es zeigt sich hierin eine sehr sinnreiehe Einriehtung, die mit der 


periodischen Regeneration der Stechborsten in Zusammenhang steht. 


[2} 


[45] Beiträge zur Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Rhynchoten. 395 


Bei jungen kürzlich aus dem Ei geschlüpften Thieren oder auch bei 
älteren Larven, die kurz vor einer Häutung stehen, zeigt sich, dass die 
Stechborsten durch Muskelwirkung vorgestreckt und zurückgezogen werden 
können. Sie sind demnach funetionsfähig, ob sie bei den jungen T'hieren 
thatsächlich zum Nahrungserwerb bereits benutzt werden, lasse ich dahin- 
gestellt und halte es nicht einmal für sehr wahrscheinlich, da ich niemals 
das Saugen bei jungen Wanzen vor der ersten Häutung beobachtet habe, 
welche in diesem Stadium auch noch über einen reichlichen Dottervorrath 
im Innern verfügen. 

Thatsache ist jedenfalls, dass selbst vor einer Häutung der Saug- 
apparat noch actionsfähig ist, obwohl bereits die Neubildung von vier 
zum Ersatz dienenden Stechborsten im Gange ist. Zu diesem Zwecke hat 
sich der hinter der Insertion der Retraetoren liegende Theil der Kiefertaschen 
stark nach hinten verlängert und umschliesst bereits die neue noch aus farb- 
losem Chitin bestehende Stechborste (Fig. 13 Se.). 

Es liegt auf der Hand, dass eine solche, zur Neubildung der Chitin- 
gräten unumgänglich nothwendige Verlängerung der Kiefertaschen bei gleich- 
zeitiger Functionsfähigkeit der alten Stechborsten nur dann möglich ist, 
wenn die Retractoren nieht am hintersten Ende der Kiefertaschen inseriren. 
Denn wäre dies der Fall, so würden die Muskeln nach Anlage der neuen 
Stechborsten nieht mehr das Zurückziehen der alten herbeiführen können. 
Eine entsprechende Einrichtung ist übrigens auch bei CUryptoceraten vor 
handen. 

Ueber die Zusammensetzung des auch bei Cimex viergliedrigen Labiums 
ist nichts besonderes zu bemerken. 

Die Kopfkapsel verdankt wie bei ÜUryptoceraten ihren Ursprung 
zwar grösstentheils den embryonalen Kopflappen, doch geht bei Cimex 
die hintere dorsale Fläche des Kopfes nicht aus diesen, sondern aus einer 
Hautpartie hervor, welche beim Embryo in Gestalt einer selbständigen 
Verdiekung hinter den Kopflappen und vor dem Pronotum auftritt. Diese 
Verdiekung hat anfangs eine ellipsoide Gestalt, gewinnt aber später die 
Form eines Dreiecks mit nach vorn gerichteter Basis. Von der betreffenden 
Hypodermis wird ein eigenthümlicher Chitinapparat ausgeschieden, der zum 
Abheben des Deckels der Eischale dient. Wenn nach dem Ausschlüpfen 


394 Richard Heymons, [46] 


der Larve aus dem Ei der Chitinapparat abgestreift worden ist, so gleicht 
sich an der erwähnten Stelle die Hypodermisverdickung aus, und das von 
letzterer ausgeschiedene Chitin wird gemeinsam mit dem von den Kopflappen 
produeirten Chitin zur Bildung der oberen Schädeldecke verwendet. Eine 


Grenze zwischen den beiden heterogenen Theilen des Schädeldaches existirt nicht. 


3. Die Bildung von Thorax und Abdomen. 

Im Vergleich zu der complieirten Entstehungsweise des Kopfes geht 
die Bildung der hinteren Körperregionen in sehr viel einfacher und leicht 
verständlicher Weise von statten. 

Die Thoraxbeine wachsen stark in die Länge und krümmen sieh 
beim Embryo über dem Bauch derartig zusammen, dass immer die rechte 
Extremität die entsprechende linke von hinten her umgreift. Auf die 
Gliederung der Beine gehe ich hier nicht ein und bemerke nur, dass von 
der embryonalen Coxa ein kleines Subeoxalglied sich abgrenzt, welches indessen 
mit dem zugehörigen Sternum verwächst ohne dass es zur Entwicklung 
einer eigenen Subcoxalplatte kommt. Es ist stets der lateral von der In- 
sertion des Beines gelegene 'T'heil des Sternums, der sich auf das Subecoxal- 
slied zurückführen lässt. Dieser Theil ist bei der jungen Larve noch 
deutlich erhaben, und von ihm entspringt die zur Bewegung der Hüfte 
dienende Muskulatur. 

Die Stigmen erleiden im Thorax eine ganz entsprechende Ver- 
schiebung, wie sie oben für Uryptoceraten geschildert wurde. 

Ist das junge Thier aus dem Ei ausgeschlüpft, so macht sich am 
Thorax und auch am Abdomen eine charakteristische Gestaltveränderung 
bemerkbar, zu welcher der Anfang übrigens schon während des Embryonal- 
lebens gemacht war. Es tritt nämlich in den Seitentheilen der Tergite 
eine scharfe Knickung ein, so dass die lateralen Partien derselben voll- 
kommen an der Ventralseite verbleiben. Der Körper der Wanze gewinnt 
auf diese Weise die bekannte abgeflachte Gestalt mit scharfen Körperrändern. 

Innerhalb des Abdomens betheiligen sich die Extremitätenwülste vom 
2. Segmente anfangend an dem Aufbau der Sternite, sie thun dies aber nur 


in sehr geringfügigem Maasse, indem immer nur der unmittelbar medialwärts 


[47] Beiträge zur Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Rhynchoten. 395 


an das Stigma sich anschliessende Theil aus dem Gliedmaassenhöckerchen 
hervorgeht. Die Reste des unter die Oberfläche eingesunkenen 1. abdominalen 
Gliedmaassenpaares (Pleuropoden), welche nicht zur Bildung des sich voll- 
kommen rückbildenden 1. Sternites verwendet werden, sind noch nach dem 
Ausschlüpfen bei jungen Larven nachweisbar. 

In den Tergitanlagen des Abdomens werden noch beim Embryo die 
Stinkdrüsen angelegt. Im dritten und sechsten Abdominalsegment entsteht 
jederseits eine kleine und im vierten und fünften Segment jederseits eine 
grosse und weite schlitzförmige Hauteinstülpung die für die betreffenden 
Drüsen das Material liefert. Da die Einstülpungen hart am hintern Rande 
der erwähnten Segmente erscheinen, so lässt es sich schwer entscheiden, 
ob sie noch den betreffenden Segmenten zuzurechnen sind, oder ob man 
sie als primär intersegmentale, Bildungen aufzufassen hat. Die erstere 
Auffassung scheint mir indessen die zutreffendere zu sein, zumal bei den 
Larven die Drüsenpori in den bezeichneten Segmenten liegen. Bei den 
Imagines habe ich das Drüsenpaar des sechsten Segmentes nicht mehr 
aufgefunden.') 

Tergite und Sternite fügen sich im Abdomen so fest aneinander, 
dass nach dem Ausschlüpfen der jungen Wanzen eine Grenze zwischen 
ihnen überhaupt nicht mehr erkennbar ist. Die ursprüngliche Trennungs- 
linie zwischen den Bauchplatten und den umgeklappten Rückenplatten wird 
nur durch die Reihe der Stigmen markirt, die im 2.—8. Abdominalsegment 
sich ventralwärts vorfinden und noch von embryonaler Zeit her ihre an- 
fängliche Lage beibehalten haben. 

Einige Zeit nach dem Ausschlüpfen färben sich sowohl dorsal wie 
ventral in geringen Abständen von den Körperrändern die Seitentheile der 
Tergite dunkel (Fig. 26 Parat.). Diese Erscheinung beruht anfangs nur auf einer 
stärkeren Chitinisirung der betreffenden Stücke, welche offenbar den Zweck 
hat, dem Körper Festigkeit und gleichzeitig an einer etwas exponirten 
Stelle besseren Schutz zu verleihen. In späteren Stadien gewinnen aber 
schon die dorsal gebogenen, schwarz gefärbten Seitentheile der Rückenplatte 


eine grössere Selbstständigkeit und gliedern sich dann schliesslich bei der 


1) Nach Verhoeff befinden sich die Drüsenöffnungen bei den weiblichen Imagines 
im vierten, fünften und sechsten Abdomialsegmente. 


396 Richard Heymons, [48] 


Imago durch eine Naht gegen den Mitteltheill des Tergums ab. Die 
dorsal abgegrenzten Seitentheile der Tergite können wieder als Paratergite 
bezeichnet werden, ventralwärts sind dieselben nach wie vor mit dem 
Sternit verschmolzen. 

Eine besondere Besprechung verdient endlich noch der hinterste 
Theil des Abdomens bestehend aus dem 8.—11. Segmente. 

Die Entwicklung des 8. und 9. Segmentes schliesst sich noch ganz 
an diejenige der vorhergehenden Segmente an, ihre Gestaltung wird aber 
im späterem Larvenleben und hauptsächlich bei der Imago erheblich be- 
einflusst durch die Ausbildung der äusseren Genitalanhänge. Da die Be- 
schreibung der letzteren indessen ausserhalb des Ranmens dieser Arbeit liegt. 
und sie für das Weibchen überdies schon von WVerhoeff (95), für das 
Männchen zum Theil von Sharp (90) bearbeitet worden sind, so gehe ich 
auf diesen Punkt nicht weiter ein. 

Für die weibliche Imago vertritt Verhoeff (93) die eigenthümliche 
Ansicht, dass das 9. Sternit verschwunden sei. Er sagt: „Als einen 
sehr bemerkenswerthen und im offenbaren Zusammenhang mit der Meta- 
morphosirung der Ovipositoren stehenden Umstand habe ich das Verschwinden 
der eigentlichen 9. Ventralplatte hervorzuheben.“ Die 9. Bauchplatte der 
Pentatomiden muss vielmehr, wie Verhoeff angiebt, „als sekundäre 9. Ventral- 
platte bezeichnet werden.“ 

Zu einer derartigen Bezeichnungs- und Anschauungsweise ist indessen 
bei Cimex dissimilis jedenfalls kein Grund vorhanden. Die betreffende 
Bauchplatte (Fig. 37 Stern.) entsteht bei der Imago ontogenetisch gerade 
wie die vorhergehenden Bauchplatten aus dem entsprechenden larvalen resp. 
embryonalen Sternit. Es liegt mithin kein Grund vor, hier von einer 
sekundären Neubildung zu sprechen. 

Die Bestandtheile des 10. Abdominalsegmentes, Tergit und Stermnit 
vereinigen sich schon beim Embryo zu einem Ringe, der das 11. Segment 
umschliesst. Letzterer setzt sich aus einer dorsalen grösseren (Tergit) und 
einer ventralen kleineren Platte (Sternit) zusammen, welche zusammen die 
quergestellte Afterspalte zwischen sich fassen. 

Während der Larvenzeit prägt sich der 10. Abdominalring (Fig 26 
Abs,,) stärker und deutlicher aus. Das 11. Tergit und Sternit gewinnen eine 


[49] Beiträge zur Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Rhyncehoten. 397 


übereinstimmende Gestalt, sie sind an ihrem distalen Ende mit einer ganzen 
Anzahl buckelförmiger Verdiekungen besetzt, von denen jede eine Chitin- 
borste trägt. Die geschilderte Zusammensetzung des Hinterendes bleibt im 
übrigen aber erhalten. 

Bei der Imago wird beim Männchen der hintere Theil des 9. Segmentes 
zu einem stark chitinisirten, einem unvollkommenen Hohlkegel ähnelnden 
Gebilde, welches die Kopulationsorgane trägt. In der Höhlung des 9. Seg- 
mentes findet sich das röhrenförmige 10. Segment vor, dessen dorsale Partie 
stärker chitinisirt und mit Haaren besetzt ist. Das 11. Tergit und Sternit 
haben bei der männlichen Imago ihre frühere (larvale) Form beibehalten 
und sind meist etwas zurückgezogen. Von Verhoeff ist das etwas schwächer 
entwickelte 10. Segment des weiblichen Abdomens als „Annulus“ bezeichnet 
worden. Umgeben von dem Annulus (Fig. 37 Terg,, u. Stern.) erkennt 
man beim ausgebildeten Weibchen gerade wie beim Männchen noch das 
11. Tergit und Sternit als zwei quere mit Borsten besetzte Platten, zwischen 
denen der After liegt. Von Verhoeff wurden diese beiden Platten mit 
einem eigenen Namen belegt und als „Diademplättchen* beschrieben. Ihre 
morphologische Natur ist ihm jedoch nieht klar geworden, er deutet sie 
vielmehr in einer erheblich abweichenden, unten noch näher zu erwähnen- 
den Weise. 


B. Untersuchungen an Pyrrhoeoris apterus L. 

Wiewohl Cimex und Pyrrhocoris systematisch bekanntlich zu zwei 
ganz verschiedenen Gruppen von Gymnoceraten gehören, so hat sich doch 
gezeigt, dass bei beiden Inseeten die Entwicklung eine sehr ähnliche ist. 

Die Bildung des Keimstreifens geht bei Pyrrhocoris wieder vom 
hinteren Eipole aus. Die Orientirung zwischen vorn und hinten ist ähnlich 
wie bei Cimex um so leichter, als am vorderen Pole des Eies sich die 
Micropyleaufsätze erheben.) 

Die am Hinterende sich anfangs bildende Blastodermverdiekung 


wuchert in Form eines zelligen Bandes nach innen. Während dieses 


1) Leuekart (55) und Mayer (74) geben übereinstimmend als Regel das Vorhanden- 
sein von 5 Micropyleaufsätzen am Pyrrhocorisei an. Ich habe bei den von mir untersuchten 
Eiern in den meisten Fällen 6—8 und mehrfach sogar 9 soleher Aufsätze angetroffen. 

Nova Acta LXXIV. Nr.3. 51 


398 Richard Heymons, [50] 


Vorganges wird auch schon das Mesoderm angelegt und zwar entsteht es 
mittelst einer medianen Einstülpung, deren Boden und Seitentheile sich in 
Mesoderm umgestalten. Fig. 24 zeigt ein von der Ventralseite gesehenes 
Pyrrhocorisei, an dem die Lagerung des Keimstreifens leicht zu verstehen 
ist. Man erkennt, dass der vorderste Theil der Embryonalanlage dem 
Dotter aufgelagert ist und noch oberflächlich liegt. Hinter dieser vordersten 
Partie; aus der späterhin besonders die Kopflappen hervorgehen, folgt eine 
scharfe Umbiegung und es schliesst sich dann erst der eigentliche band- 
förmige Keimstreifen selbst an, der in den Dotter eingewachsen ist und 
somit bei Pyrrhocoris wieder als ein immerser bezeichnet werden kann. 
Die Lage im Ei entspricht hierbei derjenigen des Cimexembryo, indem die 
Dorsalseite des Embryonalkörpers dicht an der Ventralseite des Eies liegt 
oder doch nur durch eine dünne Lage von Dotter von dieser geschieden 
ist, während die Ventralfläche des Körpers nach der Hauptmasse des Dotters 
resp. gleichzeitig nach der Dorsalseite des Eies gewendet ist. 

Der auswachsende Keimstreifen besitzt schon in diesen frühen Stadien 
wellige Konturen, welche indessen noch nicht als der Ausdruck eigentlicher 
Segmentirung gelten können. Die hellere Färbung innerhalb der Median- 
linie, welche auch in Fig. 31 markirt ist, wird hervorgerufen durch die 
oben erwähnte mediane Invagination des Mesoderms, welche vorn schmal 
und tief ist, während sie hinten durch ihre verhältnissmässige Breite auf- 
fällt. Bei dem in Fig. 24 abgebildeten Ei befindet sich die Konkavität der 
Einstülpung an der dem Beschauer abgewandten Seite. 

Wendet man sich der Betrachtung eines etwas älteren Keimstreifens 
zu, so zeigt es sich, dass einmal die mediane Einstülpung nach Abtrennung 
des Mesoderms vollständig verschwunden ist und das zweitens die schon 
vorhin erwähnten welligen Konturen mit grösserer Deutlichkeit und Schärfe 
im Vergleich zu früher hervortreten. An den Seitenrändern sind besonders 
in der vorderen Hälfte des Keimstreifens paarige lappenartige Vorsprünge 
entwickelt, die durch entsprechende Einkerbungen von einander getrennt 
sind. Obwohl das Mesoderm in diesem Stadium noch nicht in Ursegmente 
aufgetheilt ist, eine innere Segmentirung also noch fehlt, so wird doch 
schon jetzt durch die erwähnten Lappen eine äussere Metamerie bedingt. 
Hierbei ist allerdings zu berücksichtigen, dass durchaus nicht immer ein 


[51] Beiträge zur Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Rhynchoten. 399 


Paar von Vorsprüngen ein (definitives) Segment repräsentirt, sondern dass 
je zwei aufeinanderfolgende Paare einem Körpersegment zugehören, indem 
die vorderen Vorsprünge zu den Tergitanlagen, die hinteren zu den Ex- 
tremitäten werden. Eine ähnliche Gliederung der embryonalen Segmente 
ist oben für Cryptoceraten beschrieben worden. Bei Pyrrhocoris findet sich 
eine derartige provisorische Zweiteilung der Segmentanlagen sowohl in der 
Kieferregion, wie im Thoraxabschnitt, innerhalb des Abdomens habe ich sie 
dagegen nicht mehr mit Deutlichkeit nachweisen können. 

Bemerkenswerth ist an dem Keimstreifen von Pyrrhocoris die eigen- 
artige Stellung der Kopflappen, welche durch die oben erwähnten Ein- 
wachsungprocesse bedingt worden ist. Die Kopflappen sind beinahe um 
einen Winkel von 180° zur Körperaxe gedreht und müssen daher in Fig. 18, 
bei welcher der Keimstreifen von der Ventralseite gezeichnet ist, von der 
Dorsalseite erscheinen. Zwischen die divergirenden Kopflappen schiebt 
sich eine von Blastoderm bekleidete, zapfenähnlich gestaltete Dotterpartie 
ein, deren Spitze nach der Knickungsstelle des Körpers gerichtet ist 
(Fie. 31 Blast). 

Das nächstfolgende Stadium (Fig. 12) ist bereits durch Ausbildung 
aller Körpersegmente und ihrer Anhänge charakterisirt. Unter den letzteren 
lenken besonders die Antennen die Aufmerksamkeit auf sich. Im sehr ausser- 
gewöhnlicher Weise sind sie nämlich in gerader Richtung nach vorn aus- 
gestreckt. Sie entspringen genau an der Stelle, an welcher die Seitentheile 
des Keimstreifens in die Kopflappen umbiegen. In dem von ihnen gebildeten 
Winkel liegt die Mundöffnung, die sich also gerade an der Knickungsstelle 
des Körpers vorfindet. Vor derselben, d.h. also wie die Kopflappen schon 
dorsal gelegen und auf der Dotteroberfläche erhebt sich ein paariger Wulst, in 
dem die erste Anlage von Labrum und Clypeus zu erblicken ist. Die Ganglien- 
anlage des Intercalarsegmentes tritt bei Pyrrhocoris mit grosser Deutlichkeit 
hervor, ein Umstand der durch die eigenthümliche Stellung der Antennen 
und ihres Segmentes bedingt wird. Indessen bleibt auch bei Pyrrhocoris 
das Interealarsesment gliedmaassenlos. Eine detaillirte Beschreibung der 
folgenden Kopf- und Brustgliedmaassen übergehe ich hier, weil sie im Ver- 
gleich zu denen von Cimex kaum Unterschiede erkennen lassen. 

Das Abdomen setzt sich beim Keimstreifen von Pyrrhocoris (Fig. 12) 


51* 


400 Richard Heymons, [32] 


aus 11 Segmenten zusammen, hinter denselben liegt die Afteröffnung, deren 
hintere Wandung in die Amnionfalte übergeht. 

In den folgenden Stadien tritt eine Verkürzung des Körpers in der 
Längsrichtung ein, welche dahin führt, dass die Mundöffnung und die vor 
ihr befindliche Clypeusanlage gänzlich an die Ventralseite des Körpers ge- 
langt, während freilich die beiden Kopflappen unverändert ihre ursprüng- 
liche Stellung beibehalten. 

Die übrige Entwicklung des Körpers bis zur Umrollung, die Theilung 
der vorderen Maxillen in Maxillarhöcker und in ein Ladenpaar, die Aus- 
bildung des Abdomens u. a. vollziehen sich in einer Weise, die es beinahe 
gestattet, die Entwicklung von Pyrrhoecoris ein genaues Abbild derjenigen 
von Cimex zu nennen. Die Unterschiede sind namentlich in der Bildung 
der Mundtheile sehr geringfügig, sie beruhen beispielsweise auf der bei Pyrr- 
hocoris früheren Entwicklung der Stechborsten, welche schon beim Embryo, 
noch ehe das Labium zu Aufnahme bereit ist, als 4 parallele, in Abständen 
neben einander liegende Chitingräten aus dem Kopfe hervortreten. Bei der 
Entwicklung des Kopfes erscheint bei Pyrrhocoris nicht die für Cimex er- 
wähnte Hypodermisverdickung, welche den Apparat zum Abheben des Ei- 
deckels liefert und schliesslich an dem Aufbau des Hinterkopfes noch theil- 
nimmt. Bei dem ersteren Inseet wird vielmehr der hintere Theil des Schädels 
nur von Derivaten der Kopflappen und die hinteren und seitlichen "Theile 
ausserdem noch von den Tergiten der Kiefersegmente hergestellt. 

Obwohl ein complieirter Mechanismus zum Oeffnen der Eischale 
fehlt, so ist Pyrrhocoris doch im Besitze eines typischen „Eizahns“, wie 
ich ihn in ähnlicher Weise auch bei Forficula (95a) beschrieben habe. Der 
Eizahn ist bei Pyrrhocoris ein spitzer Chitinfortsatz, welcher am Vorder- 
rande einer zwischen den Hälften der Stirn befindlichen schmalen Chitin- 
leiste sich erhebt. 

Die Zusammensetzung des Abdomens bei der Larve ist bei Pyrr- 
hocoris so wenig von derjenigen von Uimex verschieden, dass ich hier 
nicht genauer darauf einzugehen brauche. Zu erwähnen ist, dass auch an 
dem larvalen Abdomen die ursprüngliche Elfgliedrigkeit sich mit grosser 
Deutlichkeit zeigt. In dem ringförmigen 10. Abdominalsegment befinden 
sich ein etwas grösseres 11. Sternum und ein etwas kleineres 11. Tergum, 


[53] Beiträge zur Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Rhynehoten. 401 


die meistens zurückgezogen sind, gelegentlich aber auch weit vorgestülpt 
werden, wobei dann die dünne Intersegmentalhaut zwischen dem 10. und 
11. Segmente stark ausgespannt wird. Letzteres Verhalten veranschaulicht 
Fig. 2. Das 11. Tergit ist aus 2 symmetrischen Hälften zusammen gesetzt 
und wie das einfach halbmondförmig bleibende 11. Sternit mit Haaren besetzt. 

Die Gestaltung des weiblichen Abdomens bei der Imago ist schon 
von Verhoeff (93) beschrieben worden. Letzterem ist freilich hierbei ent- 
gangen, dass seine beiden „Diademplättehen“ nur die Bestandtheile eines 
11. Abdominalsegmentes sind. Von dem Hinterleibsende einer männlichen 
Pyrrhocoris gebe ich in Fig. 27 eine Abbildung. An das tief ausgehöhlte 
9. Segment, welches der Träger der (in ‘der Figur abgestutzten) Genital- 
anhänge ist, schliesst sich ein kurzeylindrisches 10. Segment an, welches das 
11. Tergum und Sternum umgiebt. 

Bei Pyrrhoeoris ist somit die primäre Elfgliedrigkeit selbst noch bei 


der Imago deutlich erkennbar. 


III. Zusammenfassung unter Berücksichtigung früherer Arbeiten 
über Heteropteren. 
A. Kopf und Mundtheile der Heteropteren. 

Da es nicht in meiner Absicht liegt, eine erschöpfende Litteratur- 
zusammenstellung zu geben, so beschränke ich mich darauf, hier nur die- 
jenigen Arbeiten namhaft zu machen, welche für die Morphologie des 
Hemipterenkopfes in erster Linie in Betracht kommen. 

Der allgemeine Bauplan der Hemipterenmundtheile hat durch Savigny 
(16) eine im wesentlichen bereits durchaus zutreftende Deutung erfahren. 
Savigny fasste den Schnabel (Rostrum) der Wanze als Labium auf und 
betrachtete das mediale Paar von Stechborsten als Maxillen, das laterale 
als Mandibeln. Hinzu tritt noch das Labium, welches die Basis des Labiums 
sammt den Stechborsten von oben her bedeckt. Der Anschauung von 
Savigny haben sich die namhaftesten Entomologen wie Burmeister (39), 
Newport (39) u. a. bis in die neueste Zeit hinein angeschlossen. 

Im Gegensatz hierzu gab jedoch Kräpelin (84) eine abweichende 
Erklärung. Gestützt auf seine mustergiltigen Untersuchungen an Musciden 


402 Richard Heymons, [54] 


und Siphonapteren glaubte er umgekehrt die medialen, zur Bildung eines 
tohres vereinigten Stechborsten als Mandibeln, die lateralen als Maxillen 
in Anspruch nehmen zu sollen. Zweifellos ist dies ein Punkt, der sich 
allein durch anatomische Untersuchungen nicht ohne Schwierigkeit klar 
stellen lässt. Erst vor einigen Jahren hat Schmidt (91) nach eingehenden 
Untersuchungen an Nepiden und Belostomiden die Frage nach der Deutung 
der Kiefer noch als offen bezeichnet, indem „zur sicheren Entscheidung auf 
die embryonale Entwicklung zurückgegangen werden müsste.“ 

Die in dieser Arbeit enthaltenen entwicklungsgeschichtlichen That- 
sachen dürften nun aber jedenfalls hinreichend beweisen, dass wir in der 
Deutung der Mandibeln und Maxillen Kräpelin nicht folgen können, sondern 
dass die ältere Anschauung von Savigny zu Recht besteht. 

Wenn somit die morphologische Deutung der Hemipterenmundtheile 
im grossen und ganzen keine Schwierigkeiten macht, so bereitete doch die 
Auffassung der Mundwerkzeuge im einzelnen und namentlich ihre Zurück- 
führung auf die bei anderen Inseeten vorkommenden Bestandtheile um so 
mehr Verlegenheiten. In dieser Hinsicht sind denn auch die Ansichten 
bisher noch sehr weit auseinandergegangen. An den Mundtheilen der 
Hemipteren vermisst man bekanntlich vor allem eine deutliche Absonderung 
von Palpen, von Maxillen- und Labialtastern, und ferner fehlt an beiden 
Maxillenpaaren eine deutliche Sonderung in Innen- und Aussenladen (Lobi 
interni und externi). 

Kann man auch die Umbildung einer einfachen höckerförmigen 
Mandibel kauender Insecten in eine spiessförmige Gräte bei Hemipteren 
begreiflich finden, so muss doch die Umwandlung eines so reich gegliederten 
Gebildes, wie es die (vordere) Maxille in der Regel zu sein pflegt, in eine 
gerade wie die Mandibel gestaltete einfache Gräte, mit Recht Befremden 
erregen. 

Gleichwohl hat es auch hier nicht an Erklärungsversuchen gefehlt. 
Namentlich Chatin (97) sucht neuerdings, gestützt auf seine umfassenden 
Untersuchungen an den Mundwerkzeugen verschiedenster Inseeten, die 
Maxillen der Hemipteren auf diejenigen kauender Insecten zurückzuführen. 
Ich eitire wörtlich: Une analyse minutiöse permet d’etablir que, speeialement 


pour la mächoire, c’est la region galdaire qui constamment y prend une 


[55] Beiträge zur Morphologie und Entwieklungsgeschiehte der Rhynehoten. 405 


part pr@e&minente, le galea subissant une &longation considerable. La base 
du stylet, conformee en crosse du fusil, est formee par le sous-maxillaire 
et le maxillaire. Elle porte la lame, proprement dite, r&pondant au galca. 

Der französische Forscher verfällt hierbei indessen in einen Irrthum, 
den auch zahlreiche andere Entomologen bereits begangen haben: man 
pflegt ohne weiteres die Stechborsten mit den Mandibeln resp. mit den 
Maxillen oder wie Chatin thut, sogar mit den Lobi externi von letzteren 
zu vergleichen. Die Stechborste an sich enthält aber überhaupt kein 
lebendes Gewebe, sondern ist weiter nichts als eine Chitinausscheidung, 
die in enormer Quantität von dem tief im Kopf verborgenen Kiefertheil produeirt 
wird. Nur dieser letztere kann also als eigentliches Vergleichsobjeet in 
Frage kommen, während die chitinöse Stechborste von untergeordneter Be- 
deutung ist, ein Umstand, der leider sehr vielfach ausser Acht gelassen wurde. 

Der im Kopfinnern verborgene Kiefertheil zeigt niemals eine Spur 
von Gliederung, sodass die von Chatin vorgeschlagenen Vergleiche mit 
Cardo, Stipes und Lobus externus hinfällig werden. 

Mit dem Fehlen von Tastern (Palpen) an den Maxillen hat man sich 
verhältnissmässig schnell abgefunden. Geise (83) spricht sich in dieser 
Hinsicht folgendermaassen aus: „Ein Taster am Maxillenkörper selbst war 
eben eine mechanische Unmöglichkeit und mit der fortschreitenden Aus- 
bildung der Kiefer zu glatten in Röhren auf- und niedergleitenden Stiletten 
mussten die Taster schwinden.“ Wedde (85) sagt: „Taster fehlen den 
Maxillen vollständig. In dieser Thatsache kann ich durchaus nichts be- 
fremdendes finden; es ist doch sehr gut denkbar, dass ein rings einge- 
schlossenes und umhülltes Gebilde, wie in unserm Falle die Maxillen, An- 
hänge die funktionslos geworden sind, verloren hat.“ Andere Autoren 
begnügen sich einfach, das gänzliche Fehlen der Maxillartaster zu constatiren 

Meine entwicklungsgeschichtlichen Untersuchungen haben zu dem 
Ergebniss geführt, dass die primär angelegte Maxille eine eigenartige Theilung 
in der Längsrichtung erfährt, wodurch zwei nebeneinanderliegende Stücke 
zur Ausbildung gelangen. Das mediale zapfenförmige und kleinere Stück 
sinkt in die Tiefe und produeirt die Stechborste. Dieser letztere "Theil, 
welchen man gewöhnlich als „Maxille“ zu bezeichnen pflegt, besitzt nur die 
morphologische Bedeutung einer Maxillenlade (Lobus internus- Laeinia). 


404 Richard Heymons, [56] 


Der lateral verbleibende Stamm nnd Haupttheil der Maxille flacht 
sich dagegen ab und findet bei der Bildung der Schädelwandung Verwendung. 
Der Maxillenstamm liefert eine bestimmte Partie des Kopfsceletes, welche 
ich als Lamina maxillaris bezeichne. Letztere ist bei den von mir unter- 
suchten Uryptoceraten eine verhältnissmässig gut umschriebene Platte, während 
sie bei Gymnoceraten in stärkerem Maasse mit anderen Theilen der Kopf- 
wandung (namentlich der Gula) vereinigt ist. 

Die Lamina maxillaris bleibt in den meisten Fällen nicht einfach, 
sondern an ihr erhebt sich häufig ein mehr oder weniger deutlich abgesetztes 
Anhangsgebilde, welches in morphologischer Hinsicht von Bedeutung ist. 
Dieses Gebilde, das bei Cryptoceraten meines Wissens bisher nieht beachtet 
wurde, habe ich als Processus maxillaris beschrieben. Ausser bei Crypto- 
ceraten kommt das entsprechende Gebilde auch bei Gymnoceraten vor und 
ist dort schon lange unter dem Namen Buceula oder Wangenplatte (Fieber 61) 
bekannt. 

Die Buceulae der Gymnoceraten sind entweder durch eine Furche 
von den Laminae maxillares abgesetzt, oder sie gehen unmerklich in diese 
über. Eine genauere Untersuchung, die ich an verschiedenen Formen an- 
stellte, ergab, dass im Innern der Buceulae keine Muskulatur enthalten ist. 
Sie stellen einfache häutige Erhebungen oder, richtiger gesagt, Fortsetzungen 
der Laminae maxillares dar. 

In dieser Hinsicht documentirt sich also ohne weiteres eine Ueber- 
einstimmung der Buceulae mit den Processus maxillares der Uryptoceraten, 
welche ontogenetisch ebenfalls als laterale Fortsätze der Laminae entstehen 
und niemals zum Ansatz von Muskeln dienen. 

Wenn ich thatsächlieh nicht zögere, die Buceulae und Processus 
maxillares zu homologisiren und auch auf erstere die letztere Bezeichnung 
anwende, so sind hierbei nicht nur anatomische und entwicklungs- 
geschichtliche Gründe maassgebend gewesen, sondern es fällt auch noch 
die ganz entsprechende Lagerung der beiden Theile ins Gewicht. Man 
braucht sich nur vorzustellen, dass die Laminae mit dem lateral daran an- 
stossenden Processus max. eines Notonectakopfes von der Dorsalseite an 
die Unter- resp. Ventralseite des Kopfes geschoben wurden, und sich dort 


in der Richtung von hinten nach vorn etwas verlängern, um sogleich die 


[97] Beiträge zur Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Rhynchoten. 405 


ganz entsprechende Lagerung von Genae (Laminae max.) und Bueeulae 
(Processus max.) bei Gymnoceraten wiederzufinden. 

Hat man in den Laminae maxillares den beim Embryo noch deutlich 
gliedmaassenförmigen, später aber vollkommen rudimentär werdenden Maxillen- 
stamm zu erblicken, welcher wahrscheinlich Cardo und Stipes anderer 
Insektenmaxillen entspricht, so sind die Processus maxillares der Hemipteren 
in morphologischer Hinsicht für die Homologa der Palpi maxillares anzusehen. 
Zu Gunsten der letzteren Auffassung sprechen ausser den entwicklungs- 
geschichtlichen Ergebnissen besonders gewisse, bis jetzt aber unrichtig inter- 
pretirte Befunde von anderer Seite. 

Im Jahre 1887 beschrieb Leon bei einer nicht näher bestimmten, 
aus Ceylon stammenden Tingide zwei an der Basis des ersten Schnabel- 
gliedes befindliche dreigliedrige Anhänge, die er als Labialtaster deutet. 
Die von Leon gegebene Abbildung lässt deutlich erkennen, dass dasjenige 
was Leon für Labialpalpen hält, den Processus maxillares (Buceulae) anderer 
Hemipteren entspricht. Leon ist auf diese Uebereinstimmung mit Buceulae 
selbst aufmerksam geworden und erklärt daraufhin die Buceulae der Hemip- 
teren für verwachsene „Tasti labiales“. 

In einer späteren Veröffentlichung (92) beschreibt derselbe Autor ein 
leider ebenfalls nicht bestimmtes „Hemipteron“, das er in der Umgebung von 
Jassy fand. Dieses T'hierchen wies gleichfalls Tasteranhänge auf, die denen 
der soeben genannten Form entsprechen. 

Da, wie auch Leon hervorhebt, an der Homologie der von ihm auf- 
gefundenen Taster mit den Buceulae anderer Wanzen keim Zweifel obwalten 
kann, und da ich ferner den entwicklungsgeschichtlichen Nachweis erbringen 
konnte, dass die Buceulae nicht zum Labium, sondern zu den Maxillen ge- 
hören, so folgt daraus, dass die bei Tingiden gefundenen Taster 
auch keine Labialtaster sein können, wie man bisher annahm, 
sondern dass es sich hier um Palpi maxillares handelt.) 

Dieser Deutung steht auch die Angabe von Leon nicht im Wege, 


!) Von Tingiden habe ich selbst Monanthia cardui L. untersucht, die mir von Herrn 
Dr. Babor in Prag freundlichst zur Verfügung gestellt wurde. Bei der genannten Form 
zeigten sich die Processus max. in ganz entsprechender Weise ausgebildet wie bei Vertretern 
anderer Heteropterenfamilien (Pentatomiden, Coreiden, Pyrrhocoriden). 


Nova Acta LXXIV. Nr.3. 


©. 
[3 


406 Richard Heymons, [58] 


dass die betreffenden Palpen mit der Basis des Labiums zusammenhängen. 
Letzteres erklärt sich zur Genüge aus der oben ausführlich beschriebenen 
3ildungsweise des Kopfes. 

Wenn also, woran wohl nicht zu zweifeln ist, die thatsächliche 
Richtigkeit der Leon’schen Befunde dureh spätere Untersuchungen bestätigt 
wird, so ergiebt sich, dass wenigstens in vereinzelten Fällen, z. B. bei 
gewissen Tingiden, noch echte Maxillartaster vorkommen, wenngleich 
diese letzteren auch bei der überwiegenden Mehrzahl der Heteropteren nur 
noch in rudimentärer und modificirter Form als einfache Platten oder in 
Gestalt von Erhebungen (Processus maxillares) hervortreten. 

Wenn man bisher auch noch nicht bei den (vorderen) Maxillen nach 
Ueberresten von Tastern gesucht hat, so sind doch schon vielfach Be- 
mühungen gemacht worden, bald in diesem, bald in jenem Theile des Wanzen- 
schnabels die Labialpalpen anderer Insekten wiederzuerkennen. Eine Einigung 
in dieser Hinsicht ist hierbei aber nicht erzielt worden. 

Nach Burmeister (39) ist das Grundglied des Labiums die „wahre 
Unterlippe‘. Die distalen Glieder entsprechen den miteinander verwachsenen 
Tastern. Nach Gerstfeld (53) sind indessen die Palpen an der Bildung des 
Labiums der Hemipteren überhaupt nicht betheiligt. 

Geise (83) schliesst sich der Auffassung von Gerstfeld an, wogegen 
nach Kräpelin (84) das Basalglied des Labiums dem Submentum und Mentum 
homolog sei, während die übrigen Glieder den in der Medianlinie zu einer 
Rinne miteinander verwachsenen Palpen entsprechen. Auch Wedde (85) 
meint, dass das Labium aus Cardo, Stipes und Palpi besteht, welche Theile 
sämmtlich zu einem unpaaren langgestreckten Organ verwachsen seien. 

Leon (92) stimmt mit Gerstfeld überein, während nach Chatin (97) 
die distalen Glieder des Hemipterenlabiums von den verschmolzenen Palpen 
gebildet werden. 

In neuerer Zeit haben namentlich gewisse Versuche, nieht im Schnabel 
selbst sondern in bestimmten Fortsätzen desselben die Palpi labiales zu 
erkennen, die Aufmerksamkeit auf sich gelenkt. 

Es gebührt besonders Schmidt (91) das Verdienst, auf gewisse An- 
hänge an dem Labium von Nepiden und Belostomiden hingewiesen zu 
haben, welche schon von einigen älteren Autoren (Savigny u. a.) beschrieben 


[59] Beiträge zur Morphologie und Entwicklungsgeschiehte der Rhynchoten. 407 


wurden, seitdem aber in Vergessenheit gerathen waren. Die Anhänge be- 
stehen aus zwei kleinen, deutlich abgegliederten Zapfen, die an der Dorsal- 
seite des dritten Labialgliedes sich erheben. Die Entstehungsweise dieser 
von mir Appendices Labii genannten Anhänge habe ich oben beschrieben. 
Schmidt deutet sie als Lippentaster.') 

Ferner hat Leon (97) Anhänge, die den eben genannten Appendices 
labii gleichen, ebenfalls bei Belostomiden (Benacus, Zaitha) und auch bei 
Gerris und Velia beschrieben. Er hält die von mir in einer kurzen vor- 
läufigen Mittheilung (96a) ausgesprochene Meinung, dass das Labium der 
Rhynchoten eigentliche Palpen nicht besitze, für fraglich, und betrachtet 
die genannten Anhangsgebilde als Taster. 

Wenn es mir nieht möglich ist, mich der Auffassung von Leon resp. 
der älteren von Schmidt anzuschliessen, so beruht dies auf mehreren Gründen, 
von denen ich die folgenden hervorhebe. 

Die Leon’sche Auffassung basirt auf der Voraussetzung, dass die 
Labialanhänge der oben genannten Wanzen Fortsätze des zweiten (vorletzten) 
Gliedes eines dreigliedrigen Labiums sein. Leon homologisirt nämlich das erste 
Glied (Basalglied) des Wanzenrüssels mit dem Submentum (sous-maxillaires), 
das zweite mit dem Mentum (maxillaires) bei kauenden Insekten. In diesem 
Falle würde also der Palpus ähnlich wie bei kauenden Insekten dem 
Mentum aufsitzen. Diese Homologisirung wird aber bereits erschüttert, wenn 
die Labialanhänge am dritten Gliede eines viergliedrigen Labiums vorkommen, 
wie es z. B. bei Gerris zutrifft und nach meinen Untersuchungen auch bei 
Nepa der Fall ist. 

Ueber die Art und Weise, wie man nun hier homologisiren soll, 
lässt sich aus der Leon’schen Veröffentlichung leider keine Klarheit gewinnen. 


!) An die Veröffentlichung von Schmidt knüpft sich ein Aufsatz von Leon (94) an, 
welcher ersterem zum Vorwurfe machte, dass er seine Arbeiten nicht berücksichtigt hätte, 
und sich das Verdienst zuschreibt, selbst schon früher die erwähnten „Labialtaster“ (bei 
Tingiden) beobachtet zu haben. Offenbar befindet sich Leon hierbei in einem Irrthum, denn 
seine Befunde an Tingiden haben nichts mit denjenigen von Schmidt zu thun. Handelt es 
sich bei den von Leon (87, 92) untersuchten Insekten um Gebilde, die an der Basis des 
Labiums sich befinden und welche, wie oben gezeigt wurde, aus vergleichend-anatomischen 
Gründen, mit ziemlicher Sicherheit als Maxillartaster angesehen werden können, so gehören 
umgekehrt die von Schmidt (91) beschriebenen Auhänge einem der distalen Glieder des 
Labiums an. 


52% 


408 Richard Heymons, [60] 


Leon hebt nämlich als Resultat seiner gesammten Untersuchungen hervor, 
dass, wie es bereits von Gerstfeld (53) angegeben wurde, das 3. und 4. Labial- 
glied bei den Hemipteren den vereinigten Laden entsprechen solle. Ist 
diese von Leon demnach als richtig anerkannte Meinung zutreffend, so 
wird aber jedenfalls der gewünschte Vergleich mit den Palpi labiales der 
Orthopteren hinfällig, denn bei letzteren sind die Laden bekanntlich niemals 
Träger der Palpen, während bei einem viergliedrigen Rhynchotenschnabel 
die fraglichen Anhänge dem bereits mit der Lade verglichenen dritten Grliede 
aufsitzen. Es scheint indessen, dass man im vorliegenden Falle lieber ein- 
mal eine Ausnahme machen und erst das dritte Glied als Mentum deuten 
möchte. Eine solche Deutung wird wenigstens von Leon dem dritten 
Labialgliede von Gerris beigelegt. Abgesehen davon, dass es sich hier 
anscheinend um eine Art Verlegenheitsmittel handelt, hätten wir aber gleich- 
zeitig dann den exceptionellen Fall eines zweigliedrigen Submentums vor 
Augen, der sich wiederum mit dem ÖOrthopterenschema (Blatta, Gryllus) 
nicht vereinigen lässt.) Auch andere Auskunftsmittel aus diesem Dilemma, 
etwa das überschüssige dritte Glied als gliedförmige Squama palpigera 
aufzufassen, können natürlich einen wissenschaftlichen Werth wohl kaum 
beanspruchen. Die Wahrheit ist eben nur, dass bei einer gewissen Gruppe 
nachher noch näher zu charakterisirender Wanzen oberflächlich an Taster 
erinnernde Anhänge immer am vorletzten Gliede eines drei- oder vier- 
gliedrigen Labiums vorkommen. 

Die Ontogenie liefert für die Richtigkeit der Leon’schen Auffassung 
keine Belege. Im Hinblick auf die Voraussetzung, dass die Orthopteren 
die Stammform der Hemipteren seien (87), sucht der genannte Forscher das 
Labium der letzteren von den einzelnen Bestandtheilen des Labiums der 
ersteren abzuleiten. Die Entwicklung geht nun aber in beiden Fällen un- 
verkennbar in differenter Weise vor sich. Bei den Embryonen der Orthopteren 

1) Die hier erwähnte Schwierigkeit ist Schmidt (91) nicht entgangen. Wenn dieser 
Autor meint, dass das Grundglied des Wanzenrüssels vielleicht garnicht den eigentlichen 
Mundtheilen zuzuzählen sei, indem nach seinen Beobachtungen es sich nicht an der Rinnen- 
bildung zur Aufnahme der Stechborsten betheilige, so ist das für die überwiegende Zahl der 
Heteropteren jedenfalls nicht zutreffend, wie leicht an beliebigen Landwanzen zu constatiren 


ist. Ausserdem sprechen die Ergebnisse der Entwicklungsgeschiehte entschieden gegen eine 
solche Erklärung. 


[61] Beiträge zur Morphologie und Entwieklungsgeschichte der Rhynchoten. 409 


bildet sich der Palpus labialis sehr frühzeitig, er besitzt von vornherein 
eine beträchtliche Grösse und zeigt sich als direete Fortsetzung des hinteren 
Maxillenstammes, während die Laden im Vergleich hierzu zurücktreten. 
Bei den Heteropteren (untersucht sind von mir Nepa und Ranatra) bleibt 
dagegen der hintere Maxillenstamm zunächst einfach, erst gegen Ende der 
Embryonalperiode hin, nachdem das eigentliche Labium durch Verwachsung 
der hinteren Maxillen schon fertiggestellt ist, erscheinen an ihm die kleinen 
Labialanhänge, die aber nicht in der Verlängerung des Maxillenstammes 
liegen, sondern secundäre, ungegliedert bleibende, dorsale Auswüchse des- 
selben darstellen. 

Die von Schmidt und Leon beschriebenen Labialanhänge treten stets 
in gleicher Form und zwar immer als eingliedrige zapfenartige Vorsprünge 
auf. Diese Uebereinstimmung in Lage und Gestalt deutet auf Anpassung 
an eine bestimmte Funetion (Geschmacks- oder Geruchsorgane?) hin. 
Handelte es sich hier wirklich um rudimentäre Gebilde, so würde man 
wohl noch eine grössere Variabilität in ihrer Gestalt voraussetzen können 
(ähnlieh den Processus maxillares).. Es müsste vor allem der Nachweis 
geführt werden können, dass die Anhänge wenigstens noch gelegentlich in 
einer Form auftreten, die an diejenige typischer gegliederter Taster erinnert 
(ähnlich den Maxillartastern einiger Tingiden). Derartige Fälle sind indessen 
noch niemals aufgefunden worden. 

Die fraglichen Labialanhänge kommen lediglich bei einer bestimmten 
kleinen Gruppe von Heteropteren vor, fehlen aber nicht nur bei weitem 
der Mehrzahl der letzteren, sondern vor allem, soviel man bisher weiss, 
auch sämmtlichen Homopteren. Die Labialanhänge sind bisher überhaupt 
nur bei solchen, zum Theil sehr nahe verwandten, Wanzengattungen ge- 
funden worden, die sich an den Aufenthalt im Wasser oder in nächster 
Nähe desselben angepasst haben. Diese biologische Seite verdient jedenfalls 
Berücksichtigung, denn das Vorkommen der Anhänge speciell bei Wasser- 
inseeten scheint darauf hinzudeuten, dass sie eine ganz bestimmte Aufgabe, 
vermuthlich das Aufspüren der Beute im feuchten Elemente, oder doch 
eine ähnliche Funetion haben. Da nun die Rhynchoten urprünglich un- 
zweifelhaft echte Landthiere gewesen sind (Osborn 95), so liegt es sehr nahe, 


dass die Appendices labii erst in Anpassung an eine bestimmte Lebensweise 


410 Richard Heymons, [62] 


secundär entstanden sind, es ist sehr wahrscheinlich, dass ihrer Entwicklung 
bei gewissen Wasserwanzen nur physiologische Momente zu Grunde liegen, 
dass man aber in diesen Gebilden nieht rudimentäre Organe von bestimmter 
phylogenetischer Bedeutung vor Augen hat.') 

Abgesehen von den Appendices labii homologisirt Leon (97) auch noch 
einige andere Anhänge und. Vorsprünge, die er an der Spitze des Labiums 
der von ihm studirten Wasserwanzen fand, mit den Lobi interni und 
externi des Labiums beissender Insekten. Die letzteren Anhänge habe ich 
selbst bei Gerris untersucht, bin jedoch der Ansicht, dass es vorläufig 
jedenfalls sehr gewagt sein würde, derartige Gebilde allem auf eine noch 
sehr entfernte äussere Aehnlichkeit und ihre noch sehr fragliche Ueber- 
einstimmung in der Lage hin mit bestimmten Körpertheilen anderer Insekten 
in Verbindung zu bringen. 

Es ist selbstverständlich nicht ausgeschlossen, dass die zu erwartende 
ausführliche Arbeit von Leon noch bestimmtes T’hatsachenmaterial, welches 
zu Gunsten seiner Annahme vielleicht sprechen könnte, bringt. Die bis 
jetzt vorliegenden Ergebnisse gestatten jedenfalls aber nur 
den Schluss, dass die Existenz von Palpi labiales bei den 
Heteropteren, welche den Lippentastern kauender Insecten 
homolog sind, bisher wenigstens in keinem Falle mit Sicherheit 
erwiesen ist. 

%s ist schliesslich noch mit einigen Worten auf den Hypopharynx 
hinzuweisen. Die Existenz desselben ist gerade vielfach bei den Wanzen 
in Frage gezogen worden. Leon (87) sagt, dass er auf Schnitten durch 
die Mundwerkzeuge der Hemipteren den Hypopharynx weder als besonderes 
Organ noch als Rudiment entdecken konnte. Er ist der Meinung, dass 


1) Leon (97) wirft die Frage auf, wie es möglich sei, dass ein Organ (Labialpalpen), 
welches wegen Functionsmangel geschwunden sei, nachher bei anderen Formen wieder an 
demselben Orte (in diesem Falle richtiger gesagt, an einer ähnlichen Stelle!) auftreten könne, 
ohne dass hier eben eine Homologie vorläge. Ich glaube, dass hierfür aber bereits genug 
Beispiele vorhanden sind und brauche nur an die Rückenflosse der Fische und Rückenfinne 
der Wale zu erinnern. In Anpassung an eine bestimmte Lebensweise hat sich bei letzteren 
ein flossenartiger Fortsatz auf dem Rücken ausgebildet, den man aber natürlich doch noch 
nicht deswegen für das Homologon einer Rückenflosse von Teleostiern erklären wird, sondern 
der gerade wie die horizontale Schwanzflosse der Wale erst innerhalb dieser Ordnung von Säuge- 
thieren erworben wurde (vgl. Gegenbaur, Vergleichende Anatomie der Wirbelthiere. Bd. 1 1898). 


[63] Beiträge zur Morphologie und Entwicklungsgeschiehte der Rhynchoten. 411 


bei den genannten Insekten der Hypopharynx weiter nichts sei, als die bei 
einigen Arten stark verdickte „untere Rinne des Pharynx.“ 

Meinert (91) fasst seine Ansicht in den Worten zusammen: Rhynehota, 
ut inter homines doctos eonstat, hypopharynge omnino earent. Ich bedaure, 
dass ich mich hiernach wohl nicht zu der bezeichneten Kategorie rechnen darf, 
denn bei den von mir untersuchten Heteropteren habe ich den Hypopharynx 
sicher nachweisen können. Er entsteht in derselben Weise wie ich früher (95) 
für Orthopteren beschrieben habe, bleibt allerdings bedeutend unansehnlicher 
als bei den letzteren Insekten. Am deutlichsten tritt der Hypopharynx bei 
Embryonen hervor, aber auch bei Larven von Wanzen habe ich ihn 
auf Schnitten noch in vielen Fällen erkennen können. Der Hypopharynx 
erscheint als medianer Zapfen oder Höcker uud befindet sich an der 
Basis des Labiums, dorsal von der Ausmündung des Spritzapparates für 
die Speicheldrüsen. 


B. Zusammensetzung des Thorax und Abdomens bei den 
Heteropteren. 

Ueber den Bau des Thorax der Wanzen sind die eingehendsten 
Arbeiten bisher von Fieber (52, 61) veröffentlicht worden. Derselbe hat 
zum ersten Male darauf hingewiesen, dass bei vielen Wanzen, namentlich 
bei Cryptoceraten, die Bauchplatten der drei Thoraxsegmente (Pro-, Meso- 
und Metasternum in vulgärem Sinne) nicht einfach bleiben, sondern aus einer 
Anzahl von Stücken zusammengesetzt sind. Da ein ausführliches Eingehen 
auf die Fieber’sche Beschreibung über den Rahmen dieser Abhandlung 
hinausgehen würde, so beschränke ich mich darauf, nur die wichtigsten 
Punkte seiner Ergebnisse hervorzuheben. 

1. Das Mittelbruststück (Mesostethium) kann aus dem unpaaren Meso- 
sternum (Sternum mesostethii) und zwei seitlichen Schulterstücken (Scapula) 
bestehen. 

2. Das Hinterbruststück Metastethium kann aus einem mittleren 
Stück, Metasternum (Sternum metastethii) und zwei Seitenstücken (Pleurum) 
zusammengesetzt sein. 


412 Richard Heymons, [64] 


3. Bei Corixa findet sich hinter jedem Pleurum ein lappenförmiges 
Seitenstück (Parapleurum). 

4. Die Gelenkpfannen für die Mittelbeine werden durch einen Aus- 
schnitt am Hinterrande des Mesostethiums und der seitlichen Scapula ge- 
bildet, diejenigen der Hinterbeine werden vom Metasternum und den Pleuren 
begrenzt. 

Meine entwicklungsgeschichtlichen Untersuchungen haben zu folgendem 
Resultat geführt. An jedem der drei Thoraxsegmente des Embryo sind 
zu unterscheiden: 

1. Die Sternitanlage (Pro-, Meso- und Metasternum), 2. die paarigen 
Beinanlagen, 3. die paarigen Anlagen der Tergite. 

Während sich die Tergitanlagen zur Bildung des Pro-, Meso- und 
Metanotum vereinigen, tritt an den Beinanlagen zunächst eine undeutliche 
Gliederung in vier Abschnitte ein, die im wesentlichen Coxa, Femur, Tibia und 
Tarsus entsprechen. Von dem proximalen Theil des Femur gliedert sich später 
der Trochanter ab, und von dem proximalen Theil der Coxa ein Stück, 
welches ich als Subcoxa bezeichnet habe. Die Subcoxa bildet den Uebergang 
zum Rumpfe, ist genetisch, aber als noch zum Beine gehörig zu betrachten. 
Im weiteren Entwicklungsverlauf schmilzt die Subcoxa in das Sternum des 
zugehörigen T’horaxsegmentes ein und stellt mit diesem zusammen erst die 
„eigentliche Bauchplatte* dar. Die Verschmelzung zwischen Subcoxa und 
Sternum kann eine derartige sein, dass zwischen beiden eine Grenze über- 
haupt nicht erhalten bleibt. Dies pflegt namentlich im Prothorax der Fall 
zu sein, gilt aber auch für Meso- und Metathorax zahlreicher Landwanzen 
(Cimex). Bei Pyrrhocoris sind die Subeoxen zwar ebenfalls mit den 'Thorax- 
sterniten verwachsen, doch sind als Reste von ihnen noch deutlich wulst- 
förmige Erhebungen an der Basis der Beine erkennbar. 

Bei den Wasserwanzen (CUryptoceraten) findet zwischen Meso- 
und Metasternum einerseits und den Subcoxen andererseits in der Regel 
keine so innige Vereinigung statt, sondern diese letzteren erhalten sich 
noch mehr oder weniger deutlich in Gestalt selbständiger durch Nähte 
oder Furchen abgegrenzter Stücke als Laminae subcoxales. Die sowohl bei 
Larven wie bei Imagines nachweisbaren Subcoxalplatten befinden sich theils 
an der lateralen Aussenseite der Beine, theils liegen sie vor den Mittel- und 


[65] Beiträge zur Morphologie und Entwieklungsgeschichte der Rhynchoten. 413 


Hinterhüften, sie entsprechen nicht vollkommen den embryonalen Subeoxen 
(weil die Nähte niemals eine absolut genaue Grenzbestimmung primärer Be- 
standtheile ermöglichen), lassen sich aber doch mindestens theilweise, oder 
überhaupt noch im wesentlichen auf die ersteren zurückführen. Der Zu- 
sammenhang zwischen den Subeoxalplatten und den Beinen giebt sich in 
vielen Fällen noch dauernd darin zu erkennen, dass von der Subeoxalplatte 
aus ein Theil der in das Bein eintretenden Bewegungsmuskulatur ihren 
Ursprung nimmt. Hat eine völlige Vereinigung zwischen Sternum und der 
Subeoxa stattgefunden, so entspringen natürlich die betreffenden Muskeln 
von demjenigen Theile des Sternums, in welche die Hauptmasse der embry- 
onalen Subcoxa eingeschmolzen ist. 

Die von mir beschriebenen Subeoxalplatten sind im Mesothorax 
identisch mit den Seapulae, im Metathorax mit den Pleuren der von Fieber 
gegebenen Terminologie. Statt dieser mir nicht sehr zweckmässig er- 
scheinenden Namen habe ich in meiner Bezeichnungsweise die wechselseitige 
Uebereinstimmung der genannten Theile in den verschiedenen Brustsegmenten 
und vor allem ihre genetische Beziehung zur Coxa des Beines zum Ausdruck 
zu bringen versucht. 

Während die stigmentragenden Seitenplatten (Pleurite) an der Zu- 
sammensetzung des Thorax bei den Wanzen meist keine wesentliche Rolle 
spielen, so entwickeln sich bei der Nepalarve die Pleurite des Metathorax 
zu zwei auffallenden langen, sichelförmig gekrümmten Fortsätzen, welche 
ich bisher noch nicht erwähnt oder beschrieben gefunden habe. Nur die 
von Fieber bei Corixa als Parapleuren bezeichneten Stücke lassen sich 
möglicherweise mit derartigen Pleuriten vergleichen. 

Bezüglich der Entwieklung der Flügel ist zu bemerken, dass die- 
selben bei den Wanzen als nach hinten gerichtete Auswüchse der Seiten- 
"änder von Meso- und Metanotum angelegt werden. 

Der Bau des Abdomens hat bei den Heteropteren von Seiten früherer 
Autoren bereits eine viel gründlichere Untersuchung gefunden, als dies hin- 
sichtlich des Thorax der Fall ist. Bei weitem die beste und genaueste 
Beschreibung dieser Art ist Verhoeff (93) zu verdanken. Da in der Ver- 
hoeff’schen Arbeit die ältere Litteratur bereits eine Berücksichtigung ge- 
funden hat, so gehe ich hier nicht auf dieselbe ein. 


Nova Acta LXXIV. Nr. 3. 93 


414 Richard Heymons, [66] 


Die Repräsentanten von nieht weniger als 18 verschiedenen Heterop- 
terenfamilien haben das Material für die Untersuchungen Verhoeff’s geliefert. 
Derselbe giebt eine minutiöse und grösstentheils auch durchaus genaue Be- 
schreibung von den einzelnen Chitinstücken, die er an dem weiblichen 
Abdomen angetroffen hat. Zu bedauern bleibt nur, dass er seinen Be- 
schreibungen keine Abbildung beigefügt hat. Der Hinterleib männlicher 
Wanzen wurde von Verhoeff nicht untersucht. Einige geringfügige Diffe- 
renzen zu denen mich eigene Untersuchungen im Vergleich zu den Angaben 
dieses Autors geführt haben, sind bereits im speciellen Theil erwähnt 
worden. Hier gehe ich nur auf Fragen prineipieller Bedeutung ein, in denen 
ich nicht der Verhoeff’schen Auffassung beipflichteu kann. 

Verhoeff geht von der Voraussetzung aus, dass die Zahl der Ab- 
dominalsegmente bei den Wanzen 10 betrage. Den „Nachweis der All- 
gemeinheit der Zahl 10* bezeichnet er geradezu als einen Zweck seiner 
Untersuchungen. Da sich nun aber in Wirklichkeit bei einigermassen 
sorgfältiger Präparation an zahlreichen ausgewachsenen Heteropteren sowohl 
im männlichen wie im weiblichen Geschlechte die Bestandtheile von 11 Ab- 
dominalsegmenten deutlich nachweisen lassen, und diese Bestandtheile natürlich 
Verhoeff nicht entgehen konnten, so hat sich letzterer, um nicht selbst mit 
seiner Theorie in Widerspruch zu geraten, zu eigenartigen Deutungen ver- 
anlasst gesehen und Theile bei verschiedenen T'hieren miteinander homo- 
logisirt, welche verchiedenen Abdominalsegmenten angehören, so dass 
schliesslich seine gesammte Auffassung der hinteren Körpersegmente bei 
Heteropteren (und Homopteren) zu einer irrthümlichen geworden ist. 

Ich gehe hier nicht auf Einzelheiten ein, sondern bemerke nur, dass, 
soviel sich aus meinen Untersuchungen ergeben hat, der von Verhoeff als 
„Annulus“ oder 10. Tergit beschriebene Theil der Gymnoceraten dem 
10. Tergit + 10. Sternit entspricht. Diesem Stück soll nach Verhoeff ein 
löffelähnlicher Theil bei Cryptoceraten entsprechen, welcher sich indessen 
nur als ein 11. Tergit entpuppt hat. Das 10. Sternit kommt Verhoeff zufolge 
bei Uryptoceraten immer vor, ich fand es dagegen gerade mehrfach rück- 
gebildet, konnte jedoch niemals, wie Verhoeff angiebt, constatiren, dass es 
eine Afterklappe bildet, was vielmehr für das 11. Sterit zutreffend ist. Der- 
jenige Theil, welcher bei den Gymnoceraten von Verhoeff als „oberes 


[67] Beiträge zur Morphologie und Entwieklungsgeschichte der Rhynchoten. 415 


Diademplättchen“ oder als „Terminalschuppe“ beschrieben ist, stellt das 
11. Tergit dar. Dasselbe soll bei den Uryptoceraten kein Homologon be- 
sitzen, während es dort in Wirklichkeit sich sehr viel stärker ausgebildet 
zeigt. Das „untere Diademplättchen“ ist nach Verhoeff als 10. Sternit auf- 
zufassen, es lässt sich indessen unschwer nachweisen, dass es dem 11. Sternit 
angehört u. a. m. 

Um meine eigenen Ergebnissen kurz zu recapituliren, so habe ich 
bei Uryptoceraten und Gymnoceraten, beim Embryo wie bei 
der Larve stets 11 Abdominalsegmente nachweisen können. 
Zieht man die Imagines in Betracht, so ergiebt sich, wenigstens an den 
von mir untersuchten Formen, zwischen Cryptoceraten und Gymnoceraten 
ein recht auffallender Unterschied. Bei den ersteren zeigt sich eine aus- 
gesprochene Neigung, die Bestandtheile des 10. Abdomimalsegmentes rück- 
zubilden und zu unterdrücken, während das stark chitinisirte 11. Segment, 
welches die Afteröffnung enthält, in Form eines deutlich hervortretenden 
Analkonus sich erhält. Nur bei der Imago von Nepa konnte ich noch 
die Bestandtheile des 10. Segments nachweisen, während dieselben bei 
Naucoris und Notoneeta gänzlich weichhäutig geworden sind. 

Gerade umgekehrt liegen die Verhältnisse bei Gymnoceraten. Hier 
wird das 10. Hinterleibssegment zu einem stark chitinisirten röhrenförmigen 
Gebilde („Annulus“), in dessen Tiefe die Afteröffnung liegt, welche noch 
von zwei ziemlich unscheinbaren kleinen Plättchen („Diademplättchen“) um- 
rahmt wird. Die betreffenden Plättchen stellen die verhältnissmässig kümmer- 
lichen Ueberreste des 11. Tergites und Sternites dar. 

Offenbar liegt bei den Gymnoceraten die Tendenz vor, gewisser- 
maassen zu Gunsten des 10. Segmentes, welches zum Schutz der Darm- 
öffnung umgestaltet ist, das nächstfolgende, nunmehr zwecklose 11. Segment 
zu unterdrücken. Letzteres ist, wie ich aus den vergleichenden Unter- 
suchungen von Verhoeff entnehme, denn auch bei einer Anzahl von Formen 
theilweise bereits erfolgt. Nach Angabe dieses Autors zeigt sich bei Antho- 
coriden, Saldiden und Aradiden lediglich nur noch 1 Diademplättchen 
(11. Tergit) entwickelt, während bei den Hydrometriden umgekehrt das 
11. Tergit (Terminalschuppe) in Fortfall gekommen ist. 


In der Auffassung der einzelnen Abschnitte, die an den Abdominal- 


Bo 


416 Richard Heymons, [68] 


segmenten der Heteropteren zu unterscheiden sind, habe ich mich Verhoeff 
nicht angeschlossen. Derselbe spricht von oberen (dorsalen) und unteren 
(ventralen) „Pleuren“. Meine Untersuchungen haben indessen ergeben, dass 
es sich hier jedenfalls nicht um eigentliche Pleuralbildungen (im Sinne 
anderer 'Tracheaten) handelt, sondern nur um die gelegentlich mehr oder 
weniger deutlich abgegliederten Seitentheile der Rücken- bezw. Bauchplatten. 
Die abgetrennten Seitentheile der ersteren habe ich Paratergite, die der 
letzteren Parasternite genannt. 

Die primäre Zusammensetzung der Abdominalsegmente ist bei den 


Heteropteren wie bei anderen Inseeten die folgende. 


Man unterscheidet ein chitinöses Tergit, ein ebenso beschaffenes 
Sternit und ein Paar meist häutiger Pleuren, in denen sich die Stigmen 
befinden. 

Während bei vielen Insekten (Orthopteren) diese Zusammensetzung 
der Hinterleibssegmente sich dauernd erhalten kann, bilden sich bei den 
Heteropteren keine häutigen Pleuren aus, und Tergit und Sternit gelangen 
auf diese Weise in enge Verbindung, sie verschmelzen miteinander. Hier- 
durch wird bei den Heteropteren die Eigenthümlichkeit bedingt, dass sich 
später bei den Imagines und zwar hauptsächlich in den mittleren Abdominal- 
segmenten besondere Stücke, nämlich die oben genannten Paratergite oder 
Parasternite durch Nahtfurchen absetzen oder sogar vermittelst Bindehäute 


von den betreffenden Rücken- oder Bauchplatten abgliedern können. 


Nach der Entwicklungsgeschichte zu urtheilen markiren die Stigmen 
noch im grossen und ganzen die ursprüngliche zwischen Rücken- und Bauch- 
platten vorhandene Trennungslinie. Es zeigt sich nun schon beim Embryo, 
dass bei den Heteropteren die Rückenplatten dominiren, sie sind sehr viel 
grösser als die Sternitanlagen und betheiligen sich in den meisten Fällen, 
indem ihr lateraler Rand ventralwärts umgeschlagen bleibt, auch an der 
Bildung der ventralen Rumpfwand. 

Letzteres Verhalten tritt besonders klar bei den Uryptoceraten zu 
Tage, und gilt namentlich für die Larven derselben. Bei den Imagines ist 
der umgeklappte Theil der Rückenplatte meist erheblich kleiner, verschwindet 


auch wohl in einzelnen Segmenten vollständig (im 2.—5. Abdominalsegment 


[69] Beiträge zur Morphologie und Entwicklungsgeschiehte der Rhynchoten. 417 


von Nepa), bleibt aber gelegentlich (Notoneeta) selbst dauernd durch ab- 
weichende Färbung u. s. w. erkennbar. 

Bei den Imagines von Uryptoceraten (selbstverständlich habe ich 
hierbei in erster Linie immer die von mir untersuchten Familien im Auge) 
kommt es ferner zur Bildung von Parasterniten, die sich medial von dem 
Sternit s. str. absetzen, das Stigma in sich enthalten und lateral noch eventuell 
mit dem umgeklappten Theil des Tergites verwachsen sind, während sie 
andernfalls bis zum Körperrande reichen. Dorsalwärts können auch Para- 
tergite auftreten (Nepa, andeutungsweise auch bei Notonecta). 

Bei den Gymnoceraten ist es im allgemeinen schwerer die umgeklappten 
Lateraltheile der Tergite an der Ventralseite des Körpers zu erkennen, doch 
gelingt dies beispielsweise bei Larven von Cimex noch ziemlich leicht, da 
hier die betreffenden Theile durch ihre dunkle Färbung im Gegensatz zu 
den Sterniten sich auszeichnen. Bei den Imagines der Reduviiden (Harpactor) 
sind die in Rede stehenden umgeklappten Seitentheile der Tergite ventral- 
wärts sogar durch eine Nahtfurche von den stigmentragenden Bauchplatten 
geschieden. Für die Imagines fast aller Gymnoceraten ist ferner das Auf- 
treten von Paratergiten an der Dorsalseite charakteristisch, die sich daselbst 
durch eine Naht von dem medianen Tergit s. str. abgrenzen. 

Während somit bei den Heteropteren im allgemeinen die eigentliche 
Grenze zwischen hücken- und Bauchplatten, resp. zwischen den ersteren 
und den Parasterniten, an der Ventralseite des Körpers zu suchen ist, so 
machen die Lygaeiden in dieser Hinsicht eine Ausnahme, indem bei ihnen 
die stigmentragenden Parasternite dorsalwärts umgeklappt sind um sich an 
der Bildung der Rückendecke zu betheiligen. 

Besondere Pleurite, d. h. selbständige Stücke, die zwischen Rücken- 
und Bauchplatte liegen und das Stigma umgeben, fehlen, wie aus dem oben 
gesagten hervorgeht, ausnahmslos in dem Abdomen der Heteropteren. Die 
Stigmen gelangen in diesem Körperabschnitt stets an den lateralen Rand 
der Bauchplatten, und, wenn sich die Lateraltheile der Bauchplatte als 
Parasternite absondern, natürlich in diese letzteren hinein. 

Die geschilderten Verhältnisse geben sich klar und deutlich zu er- 
kennen, sobald man bei der Untersuchung die verschiedenen Entwicklungs- 


stadien berücksichtigt. Verhoeft, der die Morphologie der Abdominalsegmente 


418 Richard Heymons, [70] 


nur bei weiblichen Imagines studirt hat, gab zwar eine eingehende Be- 
schreibung, durch welche indessen der wahre Zusammenhang der einzelnen 


Theile noch in keiner Hinsicht klar gelegt wurde. 

Diejenigen Abschnitte, welche von Verhoeff als „obere Pleuren“ bei 
den Pentatomiden (und anderen Gymnoceraten) beschrieben wurden, sind 
Paratergite (Seitentheile der Rückenplatten), die Theile, welche von ihm 
mit gleichem Namen bei Lygaeiden belegt wurden, sind dagegen Parasternite 
(Seitentheile der Bauchplatten). Seine unteren „Pleuren“ hat man bei Nepiden 
als Parasternite aufzufassen, während die gleichnamigen Abschnitte bei 
Reduviiden Paratergite darstellen, und die Verhoeff’schen „unteren Pleuren“ 
bei Notonectiden theils zu den Paratergiten, teils zu den Parasterniten ge- 
hören. Obwohl im letztgenannten Falle Verhoeff selbst von einem „oberen 
und unteren Theil“ der unteren Pleuren spricht, so ist doch die heterogene 
Natur derselben von ihm nicht erkannt worden. 


IV. Homoptera. 
A. Beschreibender Theil. 

Als Untersuchungsmaterial verwendete ich hauptsächlich die ameri- 
kanische Cikade, Cicada septemdeceim Fahr. die folgenden Angaben beziehen 
sich daher sämmtlich auf dieses Insekt, sofern nicht ausdrücklich andere 
Formen genannt sind. 

Die jüngsten Stadien, welche mir zur Verfügung standen, zeigten 
bereits den in Folge einer dorsalen Krümmung vollständig in den Dotter 
eingesunkenen Keimstreifen. Letzterer ist, wie Fig. 10 erkennen lässt, nur 
selten ganz gerade gestreckt. In den meisten Fällen zeigt das Hinter- 
ende eine bald mehr, bald weniger deutliche spirale Krümmung um die 
Längsachse. 

Am Vorderende des Körpers fallen zwei umfangreiche Kopflappen 
auf, welche sammt den an ihrem Hinterrande entspringenden Antennen 
dorsalwärts umgebogen sind, so dass sie bei Betrachtung von der Ventral- 
seite nur unvollständig sichtbar sind. Das Vorkiefersegment bleibt ex- 


tremitätenlos, auch die übrigen Kopf- und Rumpfsegmente sind ähnlich wie 


[71] Beiträge zur Morphologie und Entwicklungsgeschiehte der Rhynchoten. 419 


bei den Heteropteren gebildet. Im hinteren Abdominaltheil ist in dem be- 
zeichneten Stadium die Segmentirung noch nicht vollendet. 

Ein weiter fortgeschrittenes Stadium (Fig. 11) weist schon die An- 
lagen aller Körpersegmente und der entsprechenden Anhänge auf. Besonders 
auffallend ist am Kopf die Grösse des CUlypeus, der zu einem helmartigen, 
namentlich nach vorn überhängenden Fortsatz geworden ist. Eine Ober- 
lippe fehlt noch. Die Lage und Gestalt der Mundgliedmaassen erklärt Fig. 11 
besser als es eine lange Beschreibung vermag. In Uebereinstimmung mit 
den Heteropteren ist auch bei Cicada an den vorderen Maxillen eine Trennung 
in ein laterales Stück, den Maxillenhöcker, und in einen medialen Zapfen 
eingetreten, welcher letzterer wieder als „Lade“ gedeutet werden kann. 

Eine geringfügige Differenz im Vergleich zu den Heteropteren giebt 
sich dagegen in der Lage der hinteren Maxillen zu erkennen. Dieselben 
fügen sich nämlich nicht dem vorhergehenden Kieferpaare an, sondern be- 
finden sich auffallend weit hinten, dieht am vorderen Rande des Prothorax- 
segmentes. 

Schon in diesem früheren Entwicklungsstadium macht sich also die 
für Homopteren charakteristische Tendenz zur Verwachsung der hinteren 
Maxillen (Labium) mit dem Prothorax geltend, eine Eigenthümlichkeit, 
welche bekanntlich bereits zur Aufstellung der systematischen Gruppe der 
Gulaerostria (Homoptera und Phythophthires) Veranlassung gegeben hat im 
Gegensatz zu den Frontirostria (Heteroptera), bei welchen später das Labium 
vorn am Kopf inserirt. 

An den Thorax schliesst sich auch bei Ciecada ein deutlich elfgliedriges 
Abdomen an (Fig. 11). Am 1. Abdominalsegment begegnet man den Pleuro- 
poden, welche die Form von kugeligen, aus grossen Zellen zusammengesetzten 
Körpern besitzen und bereits in das Innere des Keimstreifens einzusinken 
beginnen. 

Die folgenden Abdominalsegmente zeigen paarige, wulstförmige nach 
der Medianseite gewendete Verdiekungen (Tergitwülste), an deren Aufbau 
die Gliedmaassenrudimente in gleicher Weise betheiligt sind, wie dies oben 
für die Heteropteren beschrieben wurde. Die Tergitwülste treten im vorderen 
Abdominalabschnitt deutlicher hervor, während sie hinten mehr und mehr 
undeutlich werden. Das letzte (11.) Abdominalsegment geht in zwei nach 


420 Richard Heymons, [72] 


hinten gerichtete Vorsprünge aus, welche die vordere Begrenzung für den 
After bilden. 

Endlich ist zu erwähnen, dass in dem in Rede stehenden Stadium 
auch die Stigmen angelegt sind und am Meso- und Metathorax sowie den 
ersten 8 Abdominalsegmenten sich vorfinden. 

Bei der Umrollung haben die Mandibeln und die Laden der vorderen 
Maxillen schon die charakteristische zapfenförmige Gestalt angenommen. 
Auch die Maxillarhöcker sind bei Cicada auffallend lang und gehen in eine 
nach hinten gerichtete Spitze aus (Fig. 35 Mxp). Endlich trifft man noch 


Fig. V. Kopf von Cieada (Imago) von vorn gesehen. Copie einer von Marlatt (95) gegebenen 
Figur unter Veränderung der Bezeichnungen. 
Cl = Clypeus, Fr = Frons, Lab; .;, = 2. (3.) Labialglied, Lambd — Lamina mandibularis, 
Lamx — Lamina maxillaris, Ob = Labrum, S, = Seta mandibularis, S; — Seta maxillaris. 


zwischen den genannten Theilen in der Medianlinie einen gleichfalls nach 
hinten gerichteten spiessförmigen Fortsatz an. Letzterer entspricht dem 
Hypopharynx, der auch bei Cicada wie bei anderen Insekten dureh Aus- 
wachsen der Sternitanlagen der Kiefersegmente gebildet wird. Die hinteren 


[73] Beiträge zur Morphologie und Entwicklungsgeschiehte der Rhynchoten. 421 


Maxillen haben sich in diesem Stadium zur Bildung des Labium an ein- 
ander gelegt, an welchem schon die spätere Dreigliedrigkeit hervortritt. 

Die Bildung des Kopfes und der Mundtheile vollzieht sich über- 
einstimmend mit der für Heteropteren angegebenen Weise. Die Abweichungen, 
welche sich zu erkennen geben, sind nur auf die verschieden starke Ent- 
wicklung gewisser Theile zurückzuführen. In erster Linie ist das Wachs- 
thum der Kopflappen auffallend und der bedeutende Antheil, den sie hiermit 
an der Bildung des Kopfes nehmen. Aus ihnen geht der blasenartig auf- 
getriebene und beim Embryo wie bei der jungen Larve etwa kegelförmig 
gestaltete Vorderkopf hervor. Dieser Theil entsprieht der Stirn, Frons, an 
deren Innenfläche die Pharynxmuskulatur angeheftet ist. Den embryonalen 
Kopflappen verdankt auch noch der Scheitel oder Vertex seinen Ursprung, 
mit Ausnahme der hinteren lateralen Theile, in welche die Tergite der 
Kiefersegmente eingeschmolzen sind, und an denen die Retraetoren der Stech- 
borsten inseriren. 

An das Vorderende der Stirn schliesst sich der Clypeus an Fig. 11 
u. Fig. V CD), durch Auswachsen des vorderen Randes des letzteren entsteht 
die Oberlippe, welche sich indessen bei Cieada ziemlich spät bildet und bei 
Larven wie Imagimes relativ schwach entwickelt ist. 

Die unteren Seitentheile des Kopfes werden bei den Cikaden ge- 
wöhnlich als Verlängerungen der „Wangen“ oder Genae angesehn und meist 
auch noch als solche bezeichnet. Ontogenetisch sind sie grösstentheils auf 
die oben erwähnten Maxillarhöcker zurückzuführen, sie entsprechen demnach 
völlig den Laminae maxillares der Heteropteren und enthalten in ihrem 
vorderen Theile die Ansatzstellen des Musculus protraetor maxillaris, der 
dort mit mehreren neben einander liegenden Köpfen entspringt und zur 
Basis der Kiefertasche zieht. 

Von Interesse ist, dass die Laminae maxillares bei Cicada an ihrem 
distalen Ende in einen kurzen, spiessförmigen Fortsatz übergehen. Dieser 
Fortsatz ist bereits beim Embryo nachweisbar und ist homolog dem bei 
Heteropteren beschriebenen Processus maxillaris. (Bucceula oder Palpus). 
Der Processus maxillaris der Cikaden entspringt an der Stelle, wo die 
maxillare Stechborste aus dem Kopf hervortritt und ist zwar nicht ab- 
gegliedert, aber doch deutlich von den Laminae maxillares abgesetzt. 


Nova Acta LXXIV. Nr.3. 54 


422 Richard Heymons, [74] 


An dem Cikadenkopf sind ferner noch zwei Theile bemerkenswerth, 
die in der Regel als „Lora“ oder Zügel beschrieben werden. Bei Cicada, 
ähnlich wie bei den meisten übrigen Homopteren, handelt es sich um zwei 
halbmondförmige Platten, die an den Seitentheilen des Kopfes zwischen 
Frons und den Laminae maxillares eingeschaltet sind. Diese sog. Lora sind 
in entwicklungsgeschichtlicher Hinsicht keine ganz einheitlichen Bildungen, 
indem sie sowohl auf Bestandtheile des Antennensegmentes wie auf solche 
des Mandibelsegmentes zurückzuführen sind. Aus letzterem Umstande erklärt 
es sich, dass in ihr Bereich mandibulares Mesoderm zu liegen kommt, 
welches zu den Protractoren der mandibularen Stechborsten wird. 

Da die Lora bei den Homopteren selbständige, deutlich von der Stirn 
abgegrenzte Sceletstücke sind und da sie in derselben Beziehung zu den 
Mandibeln stehen, wie die Laminae max. zu den vorderen Maxillen, so 
können die „Lora* entsprechend als Laminae mandibulares bezeichnet 
werden. Die Protractoren entspringen an der ganzen Innenfläche dieser 
Laminae mandibulares, sie heften sich dann aber nicht direkt an den Grund 
der Mandibulartasche an, sondern an einen scheidenartigen Chitinstab, 
welcher mit der chitinösen Basis der Kiefertasche verwachsen ist. 

Die Entstehungsweise des Thorax habe ich bei Cieada nicht im 
speciellen untersucht, ich bemerke nur, dass auch hier die für Heteropteren 
beschriebenen Subecoxalplatten zur Entwicklung gelangen. Dieselben sind 
bei der Larve an der Seitenfläche des Thorax, dorsal von der Insertion der 
Coxen leicht zu erkennen. 

Bezüglich der Bildung des Abdomens verdient erwähnt zu werden, 
dass die Tergitwülste, welche gerade wie bei Heteropteren zu embryonaler 
Zeit in den Seitentheilen der Segmente aufgetreten waren, beinahe un- 
verändert in die Larvenperiode übernommen werden. Die paarigen wulst- 
förmigen Verdiekungen, welche an der Ventralseite des 3.—8. Abdominal- 
segmentes bei den jungen Cicadalarven erkennbar sind, lassen sich auf die 
in Rede stehenden embryonalen Bildungen zurückführen. Es kommt hierdurch 
an der Unterseite des Adomens eine tiefe Rinne zur Ausbildung. Tergit- 
wülste fehlen nur in den vordersten (1.—2.) und hintersten (10.—11.) Ab- 
dominalsegmenten. 

Die Gliedmaassenrudimente des 1. Abdominalsegmentes sinken voll- 


[75] Beiträge zur Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Rhynchoten. 425 


kommen unter das Körperniveau ein. In den folgenden Segmenten be- 
theiligen sich die unscheimbaren Gliedmaassenanlagen kaum an der Bildung 
der Bauchplatten, indem wie bei den Heteropteren nur die unmittelbar an 
das Stigma angrenzende Partie des Sternites sich auf Gliedmaassenreste 
zurückführen lässt. 

Gerade wie 11 Bauchplatten vorhanden sind, so lassen sich bei den 
jungen Larven auf 11 typische Rückenplatten nachweisen. Die geschilderte 
Zusammensetzung erleidet indessen bei Cicada im Verlaufe des Larvenlebens 
gewisse Veränderungen. Dieselben werden einmal durch die Ausbildung 
der Gonapophysen bedingt und zweitens durch eine damit Hand in Hand 
gehende Umgestaltung der hintersten Segmente. 

Bei ausgewachsenen männlichen Larven von Tettigia orni L. (anderes 
Material hatte ich nicht zur Verfügung) präsentirt sich namentlich das 
9. und 10. Segment des Hinterleibes in abweichender Form. Das 9. Sternit 
tritt nur wenig hervor und ist durch den Besitz von 2 Höckern ausgezeichnet, 
das zugehörige Tergit ist dagegen ausserordentlich umfangreich geworden 
und läuft hinten in einen dreieckigen Fortsatz aus, der fast bis zum 
Körperende reicht. Umgekehrt verhält es sich mit dem 10. Segmente, bei 
welchem die Bauchplatte buckelförmig geworden ist, während die Rücken- 
platte zu einer schmalen Spange reduzirt wurde, die erst durch Wegnahme 
des 9. Tergites sichtbar gemacht werden kann. Das 11. Segment hat die 
Gestalt eines Ringes, dessen ventrale Partie stärker als die dorsale ent- 
wickelt ist, erstere steht hinten frei vor und ist der dreieckigen Spitze des 
9. Tergites opponirt. 

Bei anderen Cicadiden sind ebenfalls noch in älteren Larvenstadien 
die 11 Abdominalsegmente deutlich erkennbar. Zur Erläuterung verweise 
ich auf Fig. 38, welche das Hinterende einer weiblichen Larve von Aphro- 
phore salicis Deg. von der Ventralseite gesehen, wiedergiebt. Bemerkenswerth 
sind die Tergitwülste, die bei der Aphrophoralarve an den ersten 9 Abdominal- 
segmenten hervortreten. Das 9. Abdominalsternit erstreckt sich bis hinter 
die sogleich zu erwähnenden Gonapophysen. Das 10. Sternit besitzt hinten 
zwei seitliche flügelförmige Erweiterungen, die sich deutlich von dem vorderen 
Theil der 10. Bauchplatte abgrenzen, sodass hiermit eine Theilung des 
10. Sternites in 2 hintereinander liegende Stücke angedeutet ist. Das 

54° 


424 Richard Heymons, [76] 


10. Tergit ist eine schmale Spange. Das ringförmige 11. Segment bildet 
dorsalwärts eine rundliche, die Afteröffnung von oben überdeckende Platte. 
Im männlichen Geschlecht ist die Segmentirung eine ganz entsprechende. 

Die Gonapophysen treten bei männlichen Larven als höckerartige 
Erhebungen im 9. Segmente auf. Bei weiblichen Individuen zeigt sich da- 
gegen ein Gonapophysenpaar im 8., und zwei weitere nebeneinander liegende 
Paare im 9. Segmente, sodass die Gresammtzahl der weiblichen Geschlechts- 
anhänge 6 beträgt, ein Verhalten, welches in Fig. 35 veranschaulicht ist. Es 
ist besonders zu bemerken, dass die Gonapophysen dicht neben der Median- 
linie sich erheben. Diese Lage ist deswegen von Wichtigkeit, weil sie bei 
Beurtheilung der morphologischen Natur der Gonapophysen in Betracht 
kommt. Bei dem Ciecaden ist wie bei den Heteropteren nur der laterale, 
unmittelbar an das Stigma oder den Tergitwulst grenzende Theil der 
Bauchplatte auf den embryonalen Extremitätenhöcker zurückführen, während 
die gesammte mediane Partie des Sternites sicherlich nichts mit Gliedmaassen 
zu thun haben kann, ebensowenig wie dies etwa mit dem mittleren Theil 
eines Thoraxsternites der Fall ist. Da nun die Gonapophysen unmittelbar 
zu den Seiten der Medianlinie aus der mittleren Partie der Bauchplatte 
hervorgehen, so folgt daraus, dass die Geschlechtsanhänge den Beinen nicht 
homostich sind, dass sie deshalb nieht von Gliedmaassen abstammen, sondern 
lediglich die Bedeutung von Hypodermiserhebungen besitzen können. 

Der Bau des Abdomens bei der Imago ist von mir aus Mangel an 
Material nicht an Cieada selbst, sondern an der nahestehenden Form Tibieina 
tomentosa Oliv. untersucht worden.') Ich. hebe nur einige wenige Punkte 
hervor, zumal Verhoeff (93) wenigstens für das Weibehen sehon genauere 
Angaben gemacht hat. 

Die bei Larven an der Ventralseite des Abdomens vorhandenen 
Tergitwülste sind bei den Imagines als solche nieht mehr zu erkennen, 
vielmehr sind sie hier zu Platten geworden, die medialwärts von den Sterniten 
durch eine Naht getrennt sind, während sie lateralwärts bis zum scharfen 
Körperrande reichen. Man hat diese Platten als Paratergite aufzufassen. 
Die Stigmen sind im Abdomen jetzt vorn am lateralen Rande der Bauch- 


!) Das Material habe ich Herrn Dr. W. Stempell (Greifswald) zu verdanken, der 
mir die betreffenden aus Kilikien stammenden Exemplare seiner Sammlung überlassen hat. 


[77] Beiträge zur Morphologie und Entwicklungsgeschiehte der Rhynehoten. 425 


platten anzutreffen. Das 8. und 9. Segment beim Weibehen, sowie das 9. 
und 10. Segment des Männchens sind ferner durch die Entwicklung der 
äusseren Genitalien charakterisirt. 

Die Gestalt des 10. Segmentes beim Weibchen beschreibt Verhoeft 
folgendermaassen: „Auch bei den Cicadiden reichen die Flanken der 10. Dorsal- 
platte weit hinab, ohne jedoch in der Ventralmediane zu verschmelzen.“ 
Verhoeff nennt nicht die von ihm untersuchte Cicadenart, so dass eine 
Controlle nicht möglich ist. Bei der von mir untersuchten Tibieina bildet 
aber jedenfalls das 10. Abdominalsegment im weiblichen Geschlecht einen 
vollständigen Ring. Im männlichen Geschlecht ist das ebenfalls ringförmig 
gestaltete 10. Segment ventralwärts mit dem langen penisartigen Kopulations- 
anhang verbunden. 

Die Bestandtheile des 11. Abdominalsegmentes sind bei beiden Ge- 
schlechtern von Tibieina auch im imaginalen Zustande noch sehr deutlich 
ausgebildet und zwar unterscheidet man ein dorsales unpaares Stück, zwei 
kleine laterale und schliesslich noch einen verhältnissmässig grossen un- 
paaren ventralen Theil. Die genannten vier Stücke sind stark chitinisirt 
und durch dünnhäutige Partieen von einander geschieden. Ihre Gestalt 
und Lage ist im Fig. 25 dargestellt. 

Die unpaaren Stücke wird man unzweifelhaft als ein 11. Tergit und 
Sternit ansprechen können, zumal die gleichen Theile auch bei Heteropteren 
entwickelt sind. Die beiden paarigen Platten lassen sich entwieklungsgeschicht- 
lich auf die lateralen Theile der ventralen Partie des 11. larvalen Abdominal- 
ringes zurückführen, sie können demnach als Parasternite bezeichnet werden. 

Verhoeff hat die soeben erwähnten Theile zwar genau beschrieben, 
sie jedoch in einer nicht zutreffenden Weise gedeutet, indem er vor allem 
das 11. Sternit für das 10. hält. Das 11. Tergit bezeichnet er als „T'erminal- 
filum“ und die Parasternite werden von ihm als „Cerei“ bezeichnet. Hinsicht- 
lich des letzteren Punktes, auf welchen Verhoeff vom theoretischen Standpunkt 
aus ein grösseres Gewicht legt, verweise ich auf den folgenden Abschnitt. 

Nach Beschreibung der Körperbildung von Cicada septemdeeim habe 
ich noch zu erwähnen, dass sämmtliche von mir untersuchte Eier dieses 
Insects ein eigenthümliches Gebilde im Innern enthielten. Dasselbe ist 
von eiförmiger Gestalt und befindet sich bei jungen Eiern, d.h. solchen die 


426 Richard Heymons, [78] 


sich noch im Blastodermstadium befinden, dicht unterhalb des hinteren Eipoles 
im Eidotter vor (Fig. VI. Das fragliche eiförmige Gebilde setzt sich aus 
einer grossen Masse kleiner Kigelchen oder Körnchen zusammen, die 
vollkommen homogen erscheinen und sich mit den 
gebräuchlichen Kerntinktionsmitteln (Hämatoxylin, 
Karminfarbstoffe) nicht färben lassen. Zwischen den 
kleinen sind einige etwas grössere Körner von 
polygonaler Gestalt eingestreut. Die ganze Masse, 
welche den Eindruck einer feinkörnigen Dotter- 
substanz macht, ist endlich noch von einer sehr 
zarten Membran umgeben, durch welche die äussere 
Begrenzung gegen den Nahrungsdotter gebildet wird. 

Bezüglich der Herkunft dieser Membran 
glaube ich nicht fehl zu gehen, wenn ich sie als 
ein Derivat des den Nahrungsdotter durchsetzenden 
plasmatischen Netzwerkes betrachte. Sie entspricht 


demnach der Membrana vitellina. Gerade wie letztere 


den Nahrungsdotter nach aussen hin begrenzt, so 

Fig. VI wird der Dotter durch eine entsprechende Membran 

Ei von Cicada septemdecim, 

Bl=Blastoderm, D=Dotter, 
K = Körnchenmasse. 


auch an dem direeten Contaet mit der Körnchen- 
masse gehindert. Man erkennt leicht, dass einige 
Dotterzellen sich an die Oberfläche der Membran 
anlegen und sich auf derselben ausbreiten, so dass die Körnchenmasse hiermit 
eine äussere zellige Bekleidung erhält. 

In etwas späteren Stadien trifft man die Körnchenmasse nicht mehr 
am Hinterende des Cicadaeies, sondern in der Nähe seines vorderen Eipoles 
an. Es handelt sich hierbei offenbar um eine rein passive Verschiebung. 
Der Transport bis zur genannten Stelle wird durch den Keimstreifen be- 
wirkt, dessen Hinterende sich um die Körnchenmasse krümmt und diese in 
den Nahrungsdotter mit hineinzieht. Von diesem Zeitpunkt an bleibt das 
Gebilde mit dem Hinterende des sich entwickelnden Cicadaembryo in 
Zusammenhang und liegt zunächst an dem proximalen blinden Ende des 
Enddarmes. 

Bei der Umrollung wird die Körnchenmasse aus dem Dotter heraus- 


[79] Beiträge zur Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Rhynehoten. 427 


gezogen und in den hinteren Theil des Abdomens eingeschlossen. Zu dieser 
Zeit vollzieht sich auch eine wesentliche Veränderung. Zunächst erfolgt 
eine T'heilung der ganzen Masse in zwei gleiche Hälften, die sich symmetrisch 
auf die beiden Körperseiten des Embryo vertheilen. Sie sind hierbei zwischen 
dem Enddarm und den dorsoventralen Muskelzügen eingeschlossen (Fig. 23K), 
und ihre Längsachse ist parallel zu derjenigen des Embryo gerichtet. 

Während die Theilung sich vollzieht, wandern Zellen aus der Fett- 
körperanlage in die Körnchenmasse ein und vertheilen sich daselbst 
zwischen den im Innern liegenden Körnchen und Kügelehen, andere Zellen 
bleiben auch auf der Oberfläche der Körnchenmasse zurück. 

3ei etwa einer Woche alten Larven von Cicada liessen die in Rede 
stehenden Gebilde keine wesentliche Veränderung, abgesehen von einer 
geringen Zunahme der im Innern befindlichen (Fettkörper-) Zellen, erkennen. 
Die weitere Entwicklung konnte von mir nicht verfolgt werden, weil die 
jungen Cicadalarven abstarben. 

Es ist mir nieht möglich, eine positive Ansicht über die Natur der 
beschriebenen Körnchen zu geben. Zu einer sicheren Beurtheilung wurden 
durehaus Untersuchungen an frischem Material, namentlich an älteren Larven 
und Imagines des betreffenden Insectes nothwendig sein, die mir nicht zur 
Verfügung standen. So viel scheint indessen festzustehen, dass es sich bei 
der Körnchenmasse um ein normal im Eidotter vorkommendes Einschluss- 
gebilde handelt, welches möglicherweise dann erst später bei der Larve 
zur Resorption gelangt. Ein Vergleich mit den bereits bei verschiedenen 
Inseeten beobachteten und auch von mir (95a) bei mehreren Blattidenspecies 
beschriebenen baecterienartigen Körperchen dürfte wegen der durchaus ab- 
weichenden Gestalt derselben wohl kaum möglich sein, obwohl diese 
letzteren bekanntlich ebenfalls unmittelbar durch Vererbung übertragen 
werden, indem sie in den Dotter des unreifen Eies und später aus diesem 
in das Fettkörpergewebe des jungen Thieres gelangen. Ich bemerke 
hierzu, das ich in Ovarialeiern von Tibieina tomentosa die fraglichen 
Einschlussgebilde bereits constatiren konnte, so dass wenigstens hinsichtlich 
des frühzeitigen Auftretens thatsächlich ähnliche Verhältnisse wie bei den 
Blattiden obzuwalten scheinen. Da jedoch bei dem Erhaltungszustand 
meiner Cikadaeier die Anwendung feinerer Untersuchungsmethoden ergebnisslos 


428 Richard Heymons, [80] 


blieb, so muss die Entscheidung späteren Untersuchungen an günstigerem 
Materiale überlassen bleiben. 


B. Uebersicht über die früheren Ergebnisse. 

Die Struetur der Mundtheile und die Zusammensetzung des Kopfes 
ist gerade bei den Cikaden schon verhältnissmässig seit langer Zeit bekannt 
und durch Wort nnd Bild erläutert worden. Letzteres ist erklärlich, da 
es sich bei diesen Thieren meist um grosse und der Untersuchung leicht 
zugängliche Formen handelt. 

Von den älteren Autoren sind besonders Burmeister (39) und West- 
wood (40) zu nennen. Namentlich der erstere hat eine genaue, auch mit 
Abbildungen versehene Darstellung von den Kiefern und der dazu gehörenden 
Muskulatur bei der Cikade gegeben. Ich kann die Burmeister'schen An- 
gaben, soweit sie die Muskeln der Mandibeln betreffen, vollkommen be- 
stätigen und verweise in dieser Hinsicht auf das oben Gesagte. 

Die Protractormuskeln der maxillaren Stechborsten sind aber von 
Burmeister in eimer nicht ganz zutreffenden, zum mindesten in einer nicht 
verständlichen Weise geschildert worden. Er sagt: „Der Senker (Protractor) 
entspringt theils von einem an der Aussenecke der Grundplatte befindlichen 
Fortsatz, theils von einem Hornstück, das mit der Grundplatte (Basis der 
Kiefertasche) gelenkt und frei nach aussen hervorragt.* Es handelt sich 
hier jedoch nicht um einen Senker, sondern um zwei verschiedenartige 
Muskeln. Der zuerst erwähnte ist der eigentliche Protractor maxillaris, 
dessen Verlauf ich oben beschrieben habe. Der andere Muskel entspringt 
nicht an dem Chitinstab (Hornstück) wie Burmeister angiebt, sondern un- 
mittelbar neben demselben an der Innenfläche der Lamina maxillaris, von 
dort zieht er in schrägem Verlaufe nach vorn zur Ventralfläche der chitinösen 
Scheide, welche mit der Mandibulartasche zusammenhängt. Kontrahirt sich 
dieser letztere Muskel, so wird einerseits die Lamina maxillaris etwas gehoben 
und ferner durch den erwähnten Chitinstab, welcher an seinem proximalen 
gabelförmigen Ende mit der Maxillartasche zusammenhängt, die maxillare 
Kiefertasche nebst ihrer Stechborste etwas nach vorn verschoben. Dieser 


Muskel von dem ich ein Homologon bei den Heteropteren nicht angetroffen 


[81] Beiträge zur Morphologie und Entwieklungsgeschichte der Rhynehoten. 429 


habe, unterstützt also noch das hauptsächlich aber durch den oben be- 
schriebenen Protractor bewirkte Hervorstossen der maxillaren Stechborsten. 

In neuerer Zeit hat die Morphologie des Kopfes von Cicada septem- 
deeim durch den bekannten amerikanischen Entomologen Marlatt (95, 98) 
eine sorgfältige Beschreibung gefunden. Marlatt bestätigt im wesentlichen 
die älteren Angaben und weist mit Recht eine von Smith (92) gegebene 
Deutung der Homopterenmundtheile als irrig zurück. 

Die wichtigsten Ergebnisse von Marlatt sind die folgenden: Das 
Schädeldach wird gebildet vom Ulypeus, an den sich vorn eine zweigliedrige 
Oberlippe anschliesst. An den Seitentheilen des Kopfes befinden sich die 
Mandibeln und Maxillen, und zwar unterscheidet Marlatt an jeder derselben 
einen äusseren Theil, selerite, und einen inneren, die Stechborste oder Seta, 
die mit einer „bulbous, fleshy expansion* beginnt. 

In der Deutung der Sceletstücke an der Oberseite des Kopfes kann 
ich Marlatt nicht ganz folgen, indem der von ihm als Ulypeus beschriebene 
Theil der Stirn anderer Insekten homolog ist und daher als Frons bezeichnet 
werden muss, während der basale Theil der von Marlatt beschriebenen 
Oberlippe den Namen Ulypeus verdient. 

Der Zusammenhang zwischen den Stechborsten und gewissen äusseren 
Kopfbestandtheilen ist von dem amerikanischen Forscher richtig erkannt 
worden, ohne dass freilich hierbei die in erster Linie wichtige Anordnung 
der Muskulatur berücksichtigt wurde. Eine morphologische Erklärung der 
Cikadenmundtheile und einen Vergleich derselben mit den Mundtheilen 
anderer Insekten hat Marlatt nicht gegeben. In dem allgemeinen "Theil 
der vorliegenden Abhandlung werden diese Verhältnisse besprochen werden. 

Die Mundwerkzeuge der Cikaden hat endlich auch Chatin (97) be- 
rücksichtigt. Letzterer deutet das von mir Processus maxillaris genannte 
Gebilde als Palpus. 

Die Körpersegmentirung ist bei den Uikaden von Verhoeff (93) 
studirt worden, welcher namentlich die Gliederung des weiblichen Abdomens 
untersucht hat. In drei wesentlichen Punkten bin ich indessen zu anderen 
Resultaten wie der genannte Autor gelangt. Diese Punkte betreffen 1. die 
Zahl und Zusammensetzung der Körpersegmente 2. die Zahl der Gonapophysen 
und 3. das angebliche Vorhandensein von Cerci bei den Cikaden. 


Nova Acta LXXIV, Nr. 3. Ö) 


[>11 


430 Richard Heymons, [82] 


Da Verhoeff die Zehngliedrigkeit des Insektenabdomens für die ty- 
pische hält, so hat er auch bei den Homopteren 10 Hinterleibssegmente 
nachzuweisen versucht, obwohl gerade bei diesen Insekten vom Embryo bis 
zur Imago hinauf die thatsächliche Elfgliedrigkeit des Abdomens nicht 
schwer erkennbar ist. Ich habe letzteres Verhalten im vorigen Abschnitt 
bereits ausführlich hervorgehoben, so dass ich hier nicht mehr darauf ein- 
zugehen brauche. 

Hinsichtlich der Zusammensetzung der Abdominalsegmente habe ich 
zu bemerken, dass die oben von mir Paratergite genannten Stücke, bereits 
von Verhoeff unter dem Namen Pleuren beschrieben worden sind. Diese 
Paratergite sind bei den Cikaden abgesonderte Seitentheile der Rücken- 
platten. Die Aufgabe der Verhoeff’schen Nomenklatur und die Anwendung 
einer präcisen Benennungsweise wird nun deswegen erforderlich, weil Verhoeff 
auch gewisse Theile bei Fulgoriden als Pleuren angesehen und als solche 
beschrieben hat, die im Gegensatz zu den eben erwähnten Paratergiten 
jedoch abgegliederte Abschnitte der Bauchplatten sind und morphologisch 
demnach als Parasternite aufgefasst werden müssen. Bezüglich des zweiten 
Punktes (Zahl der Gonapophysen) ist zu erwähnen, dass Verhoeff an dem 
9. Abdominalsegmente weiblicher Cikaden sogenannte Styloide beschreibt. 
Offenbar ist es ihm hierbei aber entgangen, dass diese Styloide die gleichen 
Gebilde sind, welche er schon bei gewissen Wasserwanzen mit dem Namen 
„Pseudostyli“ belegt hatte. 

Man wird diese Namen, durch welche leicht eine Confusion ent- 
stehen kann,') am besten fallen lassen, denn die Styloide der Cikaden sind 
wie die Pseudostyli der Uryptoceraten nur die lateralen Gonapophysen des 
9. Abdominalsegmentes. Dieselben sind bei der Larve oben von mir be- 
schrieben worden. Die betreffenden Gonapophysen betheiligen sich indessen 
später nicht wie die medialen Gonapophysen des 9. Segmentes an der Herstellung 
des Legestachels, sondern sie bilden bei Cicada, indem sie sich aneinanderlegen, 
eine Art Futteral, welches die distale Partie des Legestachels aufnehmen kann. 

Den weiblichen Cikaden kommen also nicht wie von Verhoeff an- 
gegeben wurde 2, sondern 3 Paar von Geschlechtsanhängen zu. 


!) Die Verwirrung wird dadurch noch erheblich grösser, dass Verhoeff bei den 
Wasserwanzen ausser den Pseudostyli auch noch Styloide beschreibt. 


[83] Beiträge zur Morphologie und Entwieklungsgeschichte der Rhynchoten. 451 


Eine eingehendere Besprechung verlangt endlich noch das von Verhoeff 
angegebene Vorhandensein von „deutlichen und unzweifelhaften Resten von 
Cerci bei Cikaden“. Als solche werden von dem genannten Forscher zwei 
laterale Stücke des Endsegmentes bezeichnet, welche ich oben als die Para- 
sternite des 11. Abdomimalsegmentes beschrieben habe. 

Wenn ich in dieser Hinsicht der Verhoeff’schen Auffassung ebenfalls 
nicht zu folgen vermag, so liegt es mir doch jedenfalls vollkommen fern 
die Verhoeff’sche Meinung etwa direet als unriehtig hinstellen zu wollen, 
denn es lässt sich nieht verkennen, dass die Parasternite des 11. Abdominal- 
segmentes bei den Cikaden in ihrer Lage mit den Cerei anderer Insekten über- 
einstimmen, sodass in dieser Hinsicht wenigstens ein Vergleich immerhin 
berechtigt wäre. 

Eine andere Frage ist es jedoch, ob die erwähnten Parasternite nun 
auch wirklich als rudimentär gewordene ehemalige Cerei anzusehen sind, 
oder ob sie nicht lediglich einer secundär eingetretenen Gliederung der 
Bauchplatte ihren Ursprung verdanken. 

Die bei niederen Insekten vorkommenden Cerei sind mehr oder weniger 
deutlich abgegliederte Fortsätze, welche im Innern eine Höhle zur Auf- 
nahme von Blutflüssigkeit, von Nerven etc. enthalten. Bei den fraglichen 
T'heilen der Cikaden (Tibieina) ist hiervon aber keine Spur zu bemerken, 
sondern es handelt sich bei diesen eben lediglich um einfache Chitinplatten, 
die am Hinterende des Körpers liegen und natürlicherweise der Wölbung 
desselben entsprechend, eine convexe Aussenfläche besitzen. Die Cerci der 
Insekten hat man in morphologischer Hinsicht bekanntlich als umgewandelte 
Extremitäten aufzufassen. Gliedmaassen treten jedoch an dem in Rede 
stehenden 11. Segmente der Cikaden überhaupt nicht, weder während der 
embryonalen, noch während der postembryonalen Entwicklung hervor. 
Dagegen lässt sich der Nachweis führen, dass die Parasternite lediglich 
vermittelst Abgliederung von der mit einem Sternit zu vergleichenden ven- 
tralen Partie des larvalen 11. Segmentes entstehen. 

Würde es sich thatsächlich bei den Cikaden um Ueberreste von Cereci 
handeln, so würde man ferner erwarten können, diese Gebilde bei irgend 
einem anderen Homopter wenigstens noch in ähnlicher, vielleicht sogar in 
besserer Weise entwickelt zu sehen. Dies scheint aber nicht der Fall zu 


5* 


or 


432 Richard Heymons, [84] 


sein. Verhoeff meint zwar, das bei Jassiden und Cereopiden durch die 
10. Bauchplatte „schwache Höcker hindurchschimmern“, die er als Ueber- 
reste von Üerei auffassen möchte. Meine eigenen Untersuchungen haben 
aber in dieser Hinsicht zu einem negativen Ergebniss geführt, bei Aphro- 
phora fand ich nicht die geringsten Anhaltspunkte, die für das ehemalige 
Vorhandensein cerciartiger Bildungen sprechen könnten. 

Die lateralen Parasternite des 11. Segmentes scheinen lediglich bei 
der Familie der Cieadiden vorzukommen. Ihre Abtrennung vom medianen 
Theil des zugehörigen Sternites dürfte wohl allein durch physiologische 
Gründe (grössere Dilatationsfähigkeit des Afters) verständlich zu machen 
sein, ohne dass man dabei an die Vererbung von verkümmerten Schwanz- 
fäden thysanuren- oder orthopterenartiger Vorfahren zu denken braucht. 

Mein Ergebniss fasse ich dahin zusammen, dass, soviel 
man bisher weiss, bei den Homopteren weder Gerei vorkommen 
noch Gebilde vorhanden sind, die sich mit einiger Wahrschein- 


lichkeit als Rudimente von Cerei deuten lassen. 


V. Phytophthires. 

Als Vertreter des Phytophthires wählte ich Dryobius roboris L.') 
Ich habe mich jedoch darauf beschränkt an dieser Form nur einige ana- 
tomische Beobachtungen anzustellen, weil einerseits der Körperbau der 
Blattläuse bereits ziemlich genau untersucht ist, und auch die Entwieklungs- 
geschichte der Phytophthiren durch die Arbeiten von Metschnikoff (66) 
besonders aber durch diejenigen von Witlaezil (82, 84) schon hinlänglich 
bekannt geworden ist. 

Betrachtet man den Kopf von Dryobius, so fällt sogleich der blasig 
aufgetriebene Vorderkopf auf, welcher vor dem die Antennen und Augen 
tragenden Scheitel liegt. Dieser Vorderkopf ist homolog der Stirn der 


!) Das Material sammelte ich in der Gorge du Chaudron bei Montreux, und zwar 
wurde die ungefligelte Art von mir nach Altum (78) als Lachnus exsiecator Alt. bestimmt. Im 
Anschluss an Mordwilko (Arbeit. Zoolog. Labor. Univ. Warschau 1896, ef. Zoolog. Centralblatt 
1897 p. 253) betrachte ich aber L. exsiccator als identisch mit Dryobius roboris und wende 
deshalb diesen älteren Namen an. 


[85] Beiträge zur Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Rhynchoten. 433 


Cikaden und kann daher wieder als Frons bezeichnet werden. An die 
Stirn schliesst sich vorn der Clypeus und an letzteren das Labrum an. 

Während bei den Cikaden die Stirn lediglich auf die Oberseite des 
Kopfes beschränkt bleibt, so besitzt sie bei Dryobius zwei seitliche Er- 
weiterungen, die an der lateralen Begrenzung des Kopfes sich betheiligen 
(Fig. 19 In). Unter und vor diesen Erweiterungen trifft man zwei grosse 
und wohl umgrenzte Chitinplatten an, die bis zur Seite des Ulypeus reichen. 
Diese Chitinplatten (Fig. 19 Lamx) sind hinten schmaler und besitzen vorn 
einen breiten abgerundeten Rand. 

Die Deutung der genannten Theile ist nicht schwierig. Die seitlichen 
Erweiterungen der Stirn entsprechen den Laminae mandibulares der Cikaden 
(und den Tuga der Heteropteren) während die ventral von ihnen befindlichen 
abgegrenzten Chitinplatten den oben bei Homopteren und Heteropteren von 
mir beschriebenen Laminae maxillares homolog sind. Etwas der Median- 
linie genähert geht am Vorderende jeder Laminae maxillaris ein spiess- 
fürmiger Fortsatz aus, der als Processus maxillaris zu deuten ist und daher 
wieder als Tasterrudiment aufgefasst werden kann. 

Dass die soeben gegebene Deutung eine zutreffende ist, geht wieder 
aus der Anordnung der Muskulatur hervor. Von dem ventralen Theil der 
seitlichen Stirnfortsätze oder Laminae mandibulares, dort wo dieselben an 
die Laminae maxillares grenzen, entspringt ein zartes etwas abgeplattetes 
Muskelbündel. Letzteres stellt den für das Hervorstossen der mandibularen 
Stechborsten bestimmmten Protractor dar, der sich, soviel ich ermitteln 
konnte, an einen mit den letzteren in Zusammenhang stehenden Chitin- 
hebel anheftet. Die Protractoren der maxillaren Stechborsten entspringen 
dagegen von der vorderen ventralen Partie der Laminae maxillares und 
gehen direkt zum Grunde der Maxillentasche. Selbstverständlich sind für 
beide Stechborstenpaare auch besondere Retraetoren vorhanden. 

Das Labium von Dryobius ist ebenfalls in Fig. 19 dargestellt. Be- 
sonders bemerkenswerth ist seine Zusammensetzung aus 4 Glieder. Die 
Artikulation zwischen dem 1. und 2. Gliede unterscheidet sich insofern von 
derjenigen der folgenden Glieder, als das 2. Labialglied mittelst eines kolben- 
förmigen Fortsatzes in das basale Glied eingelassen ist. Wenn es hiernach 


auch nicht ausgeschlossen ist, dass in diesem Falle das basale Glied nicht 


434 Richard Heymons, [86] 


eigentlich zum Labium hinzugehört, sondern eine Verlängerung des Rumpfes 
darstellt, so ist doch andererseits wieder zu berücksichtigen, dass das basale 
Glied sehr scharf und deutlich von dem Körper abgesetzt ist. 

Aus diesen Beobachtungen ergiebt sich, dass der hier besprochene 
Repräsentant der Phytophthiren gewissermaassen eine Mittelstufe zwischen 
Heteropteren und Homopteren (Cikaden) einnimmt. Wie bei den ersteren 
sind die zur Insertion der mandibularen Protractoren bestimmten Theile mit 
der Stirn verschmolzen, obwohl sie noch deutlich als laterale Auswüchse 
(Laminae mandibulares) derselben erscheinen. Wie bei den Homopteren 
dagegen finden sich die Laminae maxillares als selbständige Platten an den 
Seiten des Kopfes vor. 


Der in den vorstehenden Mittheilungen skizzirte Bau der Dryobius- 
mundtheile stimmt im wesentlichen mit den von Mordwilko im Zoologischen 
Anzeiger (95) veröffentlichten Angaben überein. Mordwilko beschreibt da- 
selbst, dass die Mundöffnung von Trama troglodytes Heyden von den Seiten 
und von unten her „durch besondere Fortsätze des Vorderkopfes“ verdeckt 
werde. Diese Fortsätze entsprechen, wie aus der vom Autor beigegebenen 
Abbildung leieht zu entnehmen ist, den oben erwähnten Laminae maxillares 
und Processus maxillares.. Mordwilko macht im Anschluss hieran ferner 
die Mittheilung, dass sich an die Seiten- und Vorderränder der erwähnten 
Fortsätze des Vorderkopfes die Muskeln, Protractores der Kieferborsten, 
anheften. Diese Beobachtung ist insofern zutreffend, als, wie oben von mir 
angegeben wurde, die Laminae maxillares thatsächlich die Insertionsfläche 
für die Protractoren der Maxillen abgeben. Die mandibularen Protraetoren 
gehen dagegen nicht von den Laminae maxillares aus, sondern entspringen, 
wie bereits gesagt, an den lateralen Erweiterungen der Stirn (Laminae 
mandibulares.) 

Die entwicklungsgeschichtlichen Untersuchungen, die Witlaezil (82, 84) 
an einigen Aphiden, besonders an Aphis pelargonii Kalt. sowie an Chaito- 
phorus populi L. angestellt hat, tragen ebenfalls durchaus zur Bestätigung 
der von mir gegebenen morphologischen Erklärung bei. Witlaczil beschreibt 
nämlich das Auftreten von besonderen „Maxillartastern“ an den embryonalen 


[87] Beiträge zur Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Rhynchoten. 455 


Maxillen, dieselben legen sich später jederseits an den Vorderkopf an, um 
mit letzteren zu verwachsen. Ich bemerke, dass ich diese Angaben an 
Embryonen von Siphonophora rosae L. kontrollirt habe und an den vorderen 
Maxillen das Auftreten eines Maxillarhöckers konstatiren konnte, welcher 
nicht allein dem „Maxillartaster“ Witlaezils entspricht, sondern auch den 
oben beschriebenen Maxillarhöckern der Heteropteren und Homopteren voll- 
ständig homolog ist. Auch die Witlaczil’sche Angabe, dass dieses Gebilde 
mit dem Vorderkopf verwächst und die Seitentheile desselben bildet, worauf 
auch Mordwilko aufmerksam macht, habe ich durch eigene Befunde be- 
stätigt gefunden. 

Gerade wie bei den Homopteren und Heteropteren, so liefert auch bei 
den Phytophthiren der Maxillarhöcker die Lamina maxillaris sammt ihrer 
vorderen Verlängerung, dem Processus maxillaris. 

Es geht hieraus hervor, dass die Mundwerkzeuge der Phytophthiren 
in der gleichen Weise wie diejenigen anderer Rhynchoten angelegt werden, 
und dass auch an dem Kopfe ausgebildeter Aphiden die einzelnen Bestand- 
theile sich ohne Schwierigkeit mit den Theilen des Kopfes von Heteropteren 
und Homopteren homologisiren lassen. 

Bezüglich der Bildung des Abdomens bemerke ich nur, dass nach 
Witlaezil (84) die definitive Zahl der Hinterleibssegmente bei den Phytoph- 
thiren 10 betragen soll. Da bei anderen Rhynchoten das Vorhandensein 
von 11 Segmenten von mir constatirt worden ist, so ist es nicht unwahr- 
scheinlich, dass auch bei den Embryonen der Pflanzenläuse die primär 
angelegte Zahl der Hinterleibssegmente 11 beträgt. Es ist dies indessen 
eine Frage, die sich nur auf vergleichendem Wege und an der Hand eines 
grösseren Materials als mir zur Verfügung stand, lösen lässt. 


VI. Allgemeiner Theil. 
A. Ueber die Organisation der Rhynchoten. 
War es auch schon seit langer Zeit bekannt, dass in dem Körperbau der 
verschiedenen Rlıynchoten untereinander eine ziemlich weitgehende Aehnlich- 
keit zu Tage tritt, so können die in dieser Arbeit mitgetheilten entwicklungs- 


456 Richard Heymons, [58] 


geschichtlichen und vergleichend-anatomischen Befunde doch noch als weitere 
Belege hierfür dienen. In der embryonalen Segmentirung, in der Differenzirung 
der ursprünglich angelegten Mundtheile und in der Gestaltung der 'Thorax- 
und Abdominalsegmente zeigt sich bei Heteropteren und Homopteren eine 
Uebereinstimmung, die geradezu auffallend erscheint. Auch die Phytoph- 
thiren schliessen sich im Bauplan ihres Körpers dem allgemeinen Schema 
unverkennbar an, wenngleich bekanntlich gerade in dieser Gruppe vielfach 
Modifikationen einzutreten pflegen, die oft sogar zu extremen Umgestaltungen 
führen können. 

Die Rhynchoten stellen somit eine durch bestimmte Eigenthümlich- 
keiten wohl charakterisirte, in sich abgeschlossene Insektenabtheilung dar. 
Die Schwierigkeit beruht hauptsächlich darin, die einzelnen Bestandtheile 
des Rhynchotenkörpers auf die entsprechenden Theile anderer Insekten zu 
beziehen. Die entwicklungsgeschichtliche Untersuchungsmethode vermag 
indessen gerade in dieser Hinsicht zur Klärung etwas beizutragen. Ich 
gehe zunächst auf den Kopf und seine Anhänge ein, weil besonders in der 
Deutung dieser Theile noch gegenwärtig die grössten Kontroversen herrschen. 

In seiner Arbeit über die Hemipterenmundtheile spricht sich Marlatt 
folgendermaassen aus: The striking similarity between the upper and lower 
jaws discourages the applying of names to the parts in the maxilla which, 
in the biting insects, are known only in the maxilla, and im this case 
would have to apply to both jaws. Diese Aeusserung kennzeichnet die 
Schwierigkeit des Vergleiches zur Genüge, denn man kennt in der "That 
keine andere Insektengruppe, wo Mandibeln und Maxillen so konform wie 
bei den Schnabelkerfen sind. 

Die Entwicklungsgeschichte hat nun gezeigt, dass der herkömmlich 
bisher als Maxille bezeichnete Theil bei den Rhynchoten in Wirkliehkeit 
nur der Lade (Lobus internus) der vorderen Maxillen entspricht. Bei allen 
von mir untersuchten Rhynchoten kommt es während der Embryonalzeit zu 
einer Theilung der primären vorderen Maxillen in ein kleines mediales und 
ein grösseres laterales Stück. Das erstere Stück sinkt als „Lade* gerade 
wie die Mandibel in die Tiefe, das letztere, der eigentliche Maxillenstamm, 
wird rudimentär und betheiligt sich an der Bildung der Kopfwandung. Es 
ist also nieht richtig, bei den Rhynchoten die Mandibeln mit den Maxillen 


[89] Beiträge zur Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Rhynchoten. 437 


in toto zu vergleichen, die ersteren entsprechen eben nur der Innenlade 
der letzteren. 

Die morphologische Beziehung zwischen Lade und Stammtheil an 
den Kiefern der Insekten dürfte sich meiner Auffassung nach etwa folgender- 
maassen erklären lassen. Die Entwicklungsgeschichte niederer Insekten 
besonders der Thysanuren (Lepisma) und Orthopteren (Gryllotalpa) deutet 
darauf hin, dass den Laden im Vergleich zu den übrigen Theilen des 
Kiefers verhältnissmässig eine geringere morphologische Wichtigkeit zukommt. 
Die Laden treten erst nach Anlage des Maxillenstammes auf und erscheinen 
relativ spät als Auswüchse medialwärts an der Basis desselben. Als die 
direkte Fortsetzung und Verlängerung des Maxillenstammes hat man nicht 
die Laden, vielmehr den Palpus anzusehen. Der letztere erinnert bei den 
genannten Insektenembryonen in Gestalt „und Habitus durchaus an den 
distalen Abschnitt eines Thoraxbeines. Es liegt sehr nahe, ihn mit dem- 
selben zu vergleichen und in dem mit dem Stamm (Cardo, Stipes) vereinigten 
Palpus überhaupt die primären Bestandtheile der Kopfextremität zu er- 
blicken. Die Lobi stellen dagegen phyletisch jüngere Gebilde dar, die 
vermuthlich ursprünglich die Form von Kaufortsätzen besassen. Ich habe 
bereits in einer früheren Arbeit (97) die Lobi der Insektenmaxillen mit den 
Coxalfortsätzen der Mundgliedmaassen von Limuliden und Scorpionen ver- 
glichen. Wenn man auch bei den Insekten die Laden nicht als eigentliche 
Coxalfortsätze oder als Anhänge des Basalgliedes deuten kann, und eine 
eigentliche Homologie mit den genannten Gebilden der Arachnoiden selbst- 
verständlich nicht vorliegt, so sprechen doch jedenfalls die embryologischen 
Befunde dafür, dass die Laden bei den Insekten ursprünglich eine den Coxal- 
fortsätzen anderer T'hiere ähnliche Gestalt und Funktion gehabt haben mögen. 

Hierfür spricht auch der Umstand, dass gerade an den vorderen 
Maxillen niederer Insekten mit kauenden Mundtheilen (Orthopteren, Dermap- 
teren und auch noch ‘manche Hymenopteren) die Palpen entschieden eine 
dominirende Stellung einnehmen. Erst bei höheren Insekten treten, wie 
dies namentlich Chatin (97) durch vergleichende Untersuchungen klar gezeigt 
hat,'!) die Lobi (namentlich die Aussenladen) mehr und mehr in den Vorder- 


!) Wenn Chatin die Ansicht ausprieht „que le palpe n’est, ä tout prendre, qu'un 
organe secondaire“, so beruht dies eben darauf, dass dieser Autor gerade das Verhalten bei 


Nova Acta LXXIV. Nr.3. >56 


458 Riehard Heymons, [90] 


grund, während der Taster verkümmert und schliesslich, z. B. bei manchen 
Insekten mit saugenden Mundtheilen, dann gänzlich verschwindet. Hiermit 
ist dann der Endpunkt der phylogenetischen Entwicklungsreihe erreicht 
worden. 

Die Entstehung der Palpen bei den Insekten hätte man sich dem- 
nach also möglicherweise derartig zu erklären, dass mit der stärkeren und 
kräftigeren Ausbildung, welche die Kaufortsätze oder Laden im Laufe der 
Zeit erlangten, eine allmähliche Reduktion der Endglieder des Extremitäten- 
stammes vor sich gegangen ist, welche schliesslich zu einem einfachen 
Taster degradirt wurden, unter Aufhebung ihrer ursprünglichen lokomo- 
torischen Bedeutung. 

An dem vordersten Kieferpaare, den Mandibeln, dürfte dieser Ent- 
wicklungsverlauf am weitesten .bereits fortgeschritten sein. Hier ist der 
gesammte distale Abschnitt des Extremitätenstammes überhaupt zu Grunde 
gegangen, und es hat sich nur ein allerdings um so grösserer und kräftigerer 
Kaufortsatz erhalten. Die Mandibel würde demgemäss also im wesentlichen 
nur noch die morphologische Bedeutung einer „Lade“ besitzen. 

Betrachtet man nach diesen theoretischen Erörterungen, welche bei 
dem gegewärtigen Stande unserer Kenntnisse natürlich nicht mehr als einen 
rein hypothetischen Werth beanspruchen dürfen, die Mundtheile der Rhyn- 
choten, so ist es nicht schwer das Verständniss für die ganz übereinstimmende 
Ausbildung der Mandibeln und Maxillenlobi zu finden. Die ersteren können 
nach dem Gesagten eben nur mit Laden verglichen werden. Auch in dem 
Einsinken von Mandibeln und Maxillenlobi in tiefe Kiefertaschen und in 
der damit in Zusammenhang stehenden Ausscheidung von Stechborsten 
(Setae) kann ein prinzipieller Unterschied zwischen Rhynehoten und anderen 
Insekten nicht erblickt werden. Ein ähnliches, wenn auch keineswegs so 


den Insekten im Allgemeinen ins Auge fasste, und auch die mit saugenden Mundwerkzeugen 
versehenen extremen Formen (Lepidopteren, Dipteren etc.) in vollem Umfange hierbei in 
Betracht gezogen hat. Basirt man dagegen die morphologische Beurtheilung in erster Linie auf 
anatomische und ontogenetische Thatsachen bei niederen Insektentypen, so wird man kaum 
umhin können, in dem Palpus maxillaris die eigentliche „piece direetrice* des Kiefers zu 
erblieken. Untersuchungen an den Mundtheilen der Chilopoden, die ich demnächst zu ver- 
öffentlichen gedenke, haben mich zu ganz entsprechenden Ergebnissen geführt. 


[91] Beiträge zur Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Rhynehoten. 439 


weitgehendes Zurückziehen der Kiefer kommt auch bei anderen Insekten- 


formen z. B. bei entognathen Thysanuren vor. 
© ü 


Von grosser Wichtigkeit scheint mir aber ein anderer Umstand zu 
sein, welcher bisher sowohl bei Homopteren (Cikaden) wie bei Heteropteren 
gänzlich unbekannt geblieben war, nämlich die bei den vorderen Maxillen 
sich vollziehende Abtrennung des eigentlichen Maxillenstammes, welcher 
sich an der Bildung des Schädelsceletes betheiligt. Den abgetrennten 
Maxillenstamm betrachte ich als dem Lobus externus + Palpus maxillaris 
anderer Insekten homolog. Eine derartige Verwendung der genannten 
Theile steht allerdings sehr exceptionell da, lässt sich aber bei den Rhyn- 


ehoten mit Bestimmtheit nachweisen. 


Bei den von mir untersuchten eryptoceraten Heteropteren flacht sich 
der Maxillenstamm ab und liefert nebst zugehörigen T'heilen des Maxillen- 
segmentes eine wohl umschriebene Platte, welche ich Lamina maxillaris 
genannt habe. Bei den gymnoceraten Heteropteren und Homopteren ist der 
homologe Bestandtheil in dem von den meisten Autoren als Gena beschriebenen 
Kopfabschnitt, und zwar namentlich in der vorderen Partie desselben, zu 
erblicken. Letzterer könnte deshalb ebenfalls Lamina oder Pars maxillaris 


genannt werden. 


Obwohl sich Lobi externi bei ausgebildeten Rhynchoten an den 
Maxillen nicht mehr nachweisen lassen, so triftt dies doch noch gelegentlich 
für den Palpus zu. Rudimente des Palpus maxillaris stellen beispielsweise 
die bekannten Buceulae. oder Wangenplatten der Wanzen dar, welche, soviel 
aus den Angaben von Leon zu ersehen ist, bei gewissen Tingiden noch als 
thatsächliche kleine gegliederte Taster (von Leon als Labialtaster beschrieben) 
auftreten können. Die den Bucculae oder Tasterrudimenten der Gymno- 
ceraten homologen "Theile erscheinen bei den Uryptoceraten vielfach als 
schalen- oder schuppenförmige Gebilde, die ich Processus maxillares genannt 
habe. Endlich kommen derartige Tasterrudimente oder Processus maxillares 
auch bei Homopteren (Cicada) und Phytophthiren (Dryobius u. verschiedene 
Lachninen) vor, bei denen sie die Gestalt von zapfenähnlichen stets un- 
gegliederten distalen Fortsätzen der Laminae maxillares besitzen. 

An den Laminae maxillares der Rhynehoten entspringen die Protraetor- 


56* 


440 Richard Heymons, [92] 


muskeln für die Lobi interni der Maxillen. An die Processus maxillares 
(Buceulae oder Palpen) heften sich dagegen keine Muskeln an. 

Ausser den Laminae maxillares können auch besondere Laminae 
mandibulares vorhanden sein, welche bei Heteropteren allerdings mit der 
Stirn verwachsen sind und den bisher als Iuga beschriebenen Theilen ent- 
sprechen. Diese Laminae mandibulares gehen aus Bestandtheilen des Mandi- 
bularsegmentes hervor. Vom anatomischen Standpunkte lassen sie sich 
deswegen mit den Laminae maxillares vergleichen, weil sie wie diese die 
Insertionsfläche für die Protraetormuskeln (mandibulare Protraetoren) ent- 
halten. Entwicklungsgeschichtlich habe ich dagegen nicht den Nachweis 
führen können, dass an dem Aufbau der Laminae mandibulares sich auch 
noch die Extremitäten des Mandibularsegmentes betheiligen. 

Am meisten Schwierigkeiten hat bisher die morphologische Deutung 
des Labiums bei den Rhynehoten bereitet. Es liegt jedenfalls die Annahme 
nahe, dass die Schnabelkerfe von Insekten abstammen, an deren Labium 
sowohl Palpi labiales wie Lobi interni und externi differenzirt waren. Ein 
derartiges Verhalten zeigt sich wenigstens bereits bei zahlreichen apterygoten 
Insekten. Nach dem oben Ausgeführten ist es nicht unwahrscheinlich, dass 
frühzeitig eine Reduktion der Palpi labiales eintrat und die Lobi, welche 
gleichzeitig zur Stütze der vorderen Kieferpaare verwendet wurden, sich 
dann um so stärker ausbildeten. Bereits bei Campodea sind die Lobi 
interni viel kräftiger entwickelt als die übrigen Theile des Labiums. 

Das Labium der Rhynchoten betrachte ich hiermit als ein Ver- 
wachsungsprodukt zwischen den beiderseitigen Stammgliedern und den 
Laden der hinteren Maxillen- Die Stammglieder dürften wahrscheinlich die 
beiden Basalglieder (1. und 2. Glied) des Labiums gebildet haben, welche 
wahrscheinlich dem Submentum und Mentum an der Unterlippe anderer 
Insekten entsprechen. Aus den Laden sind dagegen die beiden distalen 
Endglieder des Rhynchotenlabiums hervorgegangen, welche sich mit der. 
Subgalea und den untereinander verwachsenen Laden vergleichen lassen 
dürften. 

Mit dieser Erklärung steht auch die schon von Gerstfeld (53) ge- 
gebenen Deutung vollkommen in Einklang. Die Viergliedrigkeit des Labiums 
der Rhynchoten betrachte ich als das ursprüngliche Verhalten, das drei- 


[93] Beiträge zur Morphologie und Entwieklungsgeschiehte der Rhynehoten. 441 


gliedrige Labium ist hiervon durch Reduktion des Basalgliedes (Submentum) 
abzuleiten. Eine solche Reduktion ist vielfach nur dadurch bedingt worden, 
dass das Labium nach hinten rückte, „kehlständig* wurde und mit dem 
Prothorax in engere Verbindung trat. Hiermit findet die Dreigliedrigkeit 
des Labiums bei den Gulaerostria ihre Erklärung.') 

Es sind in neuerer Zeit Versuche gemacht worden, gewisse Vor- 
sprünge oder zapfenartige Anhänge, die sich an dem Labium einzelner 
Heteropteren vorfinden, mit den Loben oder Paipen an dem Labium kauender 
Insekten zu vergleichen. An einer anderen Stelle dieser Arbeit habe ich schon 
darauf hingewiesen, dass diese besonders von Leon (97) vorgeschlagene Deutung 
sich nicht mit der von Gerstfeld und mir vertretenen Auffassung des Labiums 
vereinigen lässt, oder das letzteres doch höchstens nur in sehr gezwungener 
Weise ermöglicht werden kann. Abgesehen von den verschiedenen, oben 
bereits ausführlicher erörterten Gründen, scheint es mir aber überhaupt 
nicht rathsam zu sein, die Homologisirung verhältnissmässig unscheinbarer 
kleiner Zapfen und Vorsprünge, bei den verschiedenen Insektenordnungen 
allzuweit zu treiben. Man hat sich daran zu erinnern, wie leicht bekanntlich 
gerade bei den Arthropoden in Anpassung an eine bestimmte Funktion 
oder Lebensweise derartige Anhänge und Fortsätze an beliebigen Körper- 
stellen entstehen können, ohne dass sie doch immer von den Vorfahren 
vererbt seien und einen morphologischen Werth besitzen müssen. 

Sofern daher nicht durch spätere Untersuchungen noch bestimmte 
Anhaltspunkte zu Gunsten der Leon’schen Hypothese sich ergeben sollten, 
wird man nur den Schluss ziehen können, dass den Rhynchoten Palpi labiales, 
welche denen anderer Insekten homolog sind, gänzlich fehlen. 

Abgesehen von der eigenartigen, für die Rhynchoten charakteristischen 
Umgestaltung der Mundtheile bietet die Zusammensetzung des Kopfes bei 
diesen Insekten kaum etwas besonders bemerkenswerthes dar. Gerade wie 
bei Orthopteren und anderen Formen kommen am Vorderende des Embryo 
ein primäres Kopfsegment, ein Antennensegment und ein gliedmaassenloses 
Intercalarsegment (Vorkiefersegment) zur Anlage. Aus diesen Segmenten baut 


1) Gelegentlich kann aber selbst bei den Gulaerostria, wie das oben erwähnte Beispiel 
von Dryobius beweist, das Labium aus vier Gliedern zusammengesetzt sein. 


442 Richard Heymons, [94] 


sich im Verein mit den Kiefersegmenten der Kopf auf. Es verdient besonders 
hervorgehoben zu werden, dass, wie ich schon früher mitgetheilt hatte (97 b), die 
Kopfnähte am ausgebildeten 'Thiere durchaus nieht immer den Grenzen 
der primären embryonalen Bezirke entsprechen, indem Nähte auch an Stellen 
auftreten können, wo beim Embryo keine Segmentgrenzen vorhanden waren. 

Ein Hypopharynx legt sich bei allen von mir untersuchten Rhyn- 
chotenembryonen an. Während er bei den Heteropteren klein und unscheinbar 
bleibt, wird er bei Cicada zu einem verhältnissmässig umfangreichen zapfen- 
ähnlichen Organ, das bereits früheren Beobachtern aufgefallen war. Es ist 
nicht zulässig, im Hypopharynx der Rhynchoten die verschmolzenen Anhänge 
eines besonderen Kopfsegmentes zu erblicken, er entspricht in morphologischer 
Hinsicht nur den umgewandelten Sterniten der Kiefersegmente. Diese Be- 
funde stehen gleichfalls in Einklang mit meinen früheren Ergebnissen an 
Orthopteren, Thysanuren, Ephemeriden etc. 

Auch in der Bildung der beiden am Grunde des Labiums aus- 
mündenden Speicheldrüsen schliessen sich die Rhynehoten den genannten 
Insekten an. Der eigenartige Spritzapparat („Wanzenspritze*) der Rhyn- 
choten ist homolog dem unpaaren Speichelgange anderer Insekten. 

Bei vielen Rhynchoten (Uryptoceraten, Pyrrhoeoris) zeigt sich die 
Eigenthümlichkeit, dass sowohl die hinteren Kopfsegmente wie besonders 
die Thoraxsegmente bei ihrer Anlage ursprünglich eine äusserliche Theilung 
in zwei hinter einander folgende Abschnitte erkennen lassen. Beide Abschnitte 
sind durch zwei laterale Lappen ausgezeichnet. Die Lappen des vorderen 
Segmentabschnittes werden zu den Tergitanlagen, diejenigen des hinteren 
zu den Extremitäten. Diese Bildungsweise ist als eine exceptionelle an- 
zusehen und bisher bei den Insekten noch nicht beschrieben worden, ich 
möchte ihr aber keine tiefere Bedeutung beimessen, da es sich hierbei 
offenbar nur um eine frühzeitige Vertheilung und entsprechende Anordnung 
des zum Aufbau der verschiedenen Abschnitte eines Segmentes bestimmten 
plastischen Materials handelt. 

Hinsichtlich der weiteren Entwicklung des Thorax hat sich das 
Resultat ergeben, dass die basalen Beinglieder an der Zusammensetzung 
der ventralen Brustwand Antheil nehmen. Beim Embryo theilt sich das 
Grundglied des Beines in einen proximalen und in einen distalen Abschnitt. 


[95] Beiträge zur Morphologie und Entwieklungsgeschichte der Rhynchoten. 445 


Der letztere wird zu Coxa, dem Hüftglied des Beines, während der erstere 
Abschnitt, der von mir Subcoxa genannt ist, sich abflacht und denjenigen 
Theil der Thoraxwand bildet, mit dem das Bein artikulirt oder von dem 
einige der Beinmuskeln entspringen. Die Subeoxa gestaltet sich hierbei 
in vielen Fällen zu einem selbständigen, vor oder lateral von der Hüfte 
gelegenen Sceletstück um, das selbst noch bei der Imago erkennbar ist 
und welches ich Subeoxalplatte genannt habe. Wenn auch die durch 
Furchen oder Nähte abgegrenzte Subcoxalplatte in ihrem ganzen Umfange 
nicht ganz genau dem subeoxalen Beingliede entspricht, so lässt sie sich 
doch noch theilweise oder auch im wesentlichen auf dieses zurückführen. 
Auf die Verschiedenheiten, welche sich hierbei im einzelnen zu erkennen 
geben, bin ich oben ausführlich eingegangen. 

In den soeben geschilderten Verhältnissen könnte vielleicht eine 
bemerkenswerthe Differenz im Körperbau der Rhynchoten und demjenigen 
anderer Insekten erblickt werden. Dies ist jedoch nieht der Fall. Auch 
bei den Blattiden zeigt sich etwas Aehnliches. Ventralwärts finden sich 
hier vor dem Hüftgliede des Beines zwei kleine Sceletstücke vor, die dureh 
Furchen wieder in mehrere Unterabtheilungen zerlegt werden und welche 
man bisher als Episternum und Epimerum bezeichnet hat. An diesen 
Sceletstücken entspringt ein T'heil der in die Hüfte eintretenden Muskulatur, 
und es kann im Hinblick hierauf wie auch besonders in Rücksicht auf die 
übereinstimmende Lage kein Zweifel sein, dass die betreffenden Theile der 
Blattiden den Subeoxalplatten der Rhynchoten homolog sind. 

Jedenfalls ist es ausgeschlossen, dass die beschriebenen Subeoxal- 
platten umgewandelte Theile der Pleuralhäute (Pleurite) darstellen. Dies 
wird vielfach schon durch ihre Lage bewiesen und ferner können ausser 
(den Subeoxalplatten auch noch besondere Pleurite vorhanden sein (Nepa- 
larve). Unentschieden muss ich freilich die Frage noch lassen, ob es zu- 
lässig ist, die Subcoxalplatten oder die ihnen entsprechenden Theile anderer 
Insekten nun wirklich für die Reste ehemaliger eigentlicher Beinglieder zu 
halten, die nachträglich in den T'horax eingeschmolzen sind, vielleicht um 
letzteren grössere Festigkeit zu verleihen. Zu Gunsten dieser Meinung 
scheint vorläufig die Entwieklungsgeschichte zu sprechen, und ausserdem 


verdient noch der Umstand Beachtung, dass selbst noch jetzt bei manchen 


444 Richard Heymons, | [96] 


Insekten, denen wie z. B. den Odonatenlarven besondere Subeoxalplatten 
vollkommen fehlen, das Coxalglied (Hüftglied) des Beines durchaus nicht 
einfach ist, sondern aus mehreren aufeinanderfolgenden Gliedern zusammen- 
gesetzt wird. Da es sich indessen hier um Verhältnisse handelt, welehe 
bisher fast gänzlich unberücksichtigt geblieben sind und über welche mitlın 
noch kein ausreichendes Beobachtungsmaterial vorliegt, so ist definitive 
Klarheit erst auf Grund weiter ausgedehnter und an verschiedenen Insekten 
vergleichend ausgeführter Untersuchungen zu erwarten. 

Das Abdomen setzt sich bei den Insekten, wie durch entwicklungs- 
geschichtliche Untersuchungen bekanntlich festgestellt ist, ursprünglich aus 
12 Segmenten zusammen, von denen das letzte oder Telson die Afteröffnung 
enthält. Wenn auch das Telson der Insekten, verglichen mit denjenigen 
anderer Arthropoden z. B. Myriopoden, im Allgemeinen in Rückbildung und 
Verkümmerung begriffen ist, so sind doch die Bestandtheile des Telson 
noch bei den Imagines zahlreicher anderer Insektenformen (Orthopteren, 
Ephemeriden, Odonaten, Plecopteren u. a.) deutlich und unverkennbar nach- 
zuweisen. Anders verhält es sich nun bei den in vieler Hinsicht überhaupt 
schon viel complieirter gebauten Rhynchoten. Bei letzteren ist das Telson 
bereits gänzlich in Fortfall gekommen. Es tritt wenigstens bei den von mir 
untersuchten Formen kaum noch vorübergehend während der Embryonalzeit 
auf. Auf seine einstige Existenz kann eigentlich nur insoweit geschlossen 
werden, als die Afteröffnung beim Embryo nicht innerhalb des 11. Abdominal- 
segmentes, sondern erst hinter demselben zur Anlage kommt, während der After 
später freilich vollkommen in das Bereich des genannten Segmentes selbst 
hinein gelangt. 

Bei allen von mir untersuchten Rhynchotenembryonen fand ich nur 
11 deutliche Abdominalsegmente vor, und es liess sich der Nachweis führen, 
dass diese Zahl in vielen Fällen erhalten bleibt, indem selbst noch bei der Imago 
11 Tergite und 11 Sternite das Abdomen zusammensetzen. In dieser Hin- 
sicht sind allerdings bemerkenswerthe Unterschiede zwischen Uryptoceraten, 
Gymnoceraten und Homopteren zu constatiren, die bereits schon oben ein- 
gehend erörtert sind. 

Abdominale Gliedmaassenanlagen sind beim Embryo nur am 1. Ab- 
dominalssegment ausgebildet, sie treten bei den hier zur Untersuchung ge- 


[97] Beiträge zur Morphologie und Entwieklungsgeschichte der Rhynchoten. 445 


langten Formen stets in übereinstimmender Weise auf und gleichen den 
auch bei Embryonen von Orthopteren, 'Thysanuren (Lepisma) u. a. vor- 
kommenden und von Wheeler unter dem Namen Pleuropoden beschriebenen 
Anhängen. Bei den Rhynchoten sind diese Pleuropoden von drüsiger 
Natur, sie scheiden eine Sekretmasse nach aussen ab, höhlen sich hierbei 
napfförmig aus und sinken schliesslich unter die Körperoberfläche ein. 

An allen folgenden Abdominalsegmenten (2.—11.) kommt es dagegen 
nicht mehr zur Ausbildung von typischen Extremitätenanlagen, letztere sind 
nur noch als kümmerliche Reste an der medialen Kante der Tergitwülste 
nachweisbar. Da Extremitätenrudimente auch am 11. Abdominalsegmente, 
weder während der embryonalen noch während der larvalen Entwicklungs- 
periode hervortreten, so erklärt sich das Fehlen der Oereci. Letzteres gilt 
auch für die Imagines, so dass nach meinen Untersuchungen die Rhynehoten 
in allen Fällen der Cerei gänzlich entbehren. 

Von anderen Abdominalanhängen kommen besonders die Gonapo- 
physen in Betracht. Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass diese An- 
hänge bei den Rhynchoten ebenfalls der Rückbildung entgegen gehen. 
Zahlreichen Scehnabelkerfen fehlen im männlichen wie im weiblichen Ge- 
schlecht die Gonapophysen bereits vollständig, bei anderen sind sie nur 
noch in rudimentärer Weise vorhanden. Während bisher die Ansicht ver- 
treten wurde, dass die weiblichen Rhynchoten überhaupt höchstens vier 
Genitalanhänge besässen, so gelang es mir den Nachweis zu führen, dass 
sowohl bei den Homopteren, wie bei den Heteropteren 3 Paare von 
Geschlechtsanhängen vorkommen können. 

Die Zahl 6 der Gonapophysen ist für die weiblichen Rhynchoten 
jedenfalls als die primäre anzusehen, und die gleiche Zahl ist bekanntlich 
auch die typische für die Vertreter zahlreicher anderer Insektengruppen. 
Von den Geschlechtsanhängen der Rhynchoten gehört ein Paar dem 8. und 
zwei Paare dem 9. Abdominalsegmente an. Die Gonapophysen des 8. und 
die medialen Gonapophysen des 9. Segmentes werden zur Bildung des 
eigentlichen Legeapparates verwendet, während das noch übrige Paar von 
Geschlechtsanhängen, das bisher in seiner wahren Bedeutung nicht erkannt 
worden ist und welches das Homologon der beiden oberen Scheidenklappen 
einer Heuschreckenlegeröhre darstellt, nicht an dem Aufbau der Legeröhre 


Nova Acta LXXIV. Nr.3. 57 


446 Richard Heymons, [98] 


direet betheiligt ist. An den genannten Gonapophysen der von mir untersuchten 
weiblichen Rhynchoten war in keinem Stadium irgend eine Art von 
Gliederung zu bemerken.) 

Diese Ergebnisse sind deswegen von Wichtigkeit, weil die Rhynehoten 
sich hierdurch eng an die übrigen flügeltragenden Insekten, soweit dieselben 
im Besitze von Gonapophysen sind, anschliessen, während sie sich gleich- 
zeitig von den Thysanuren, denen nicht mehr als vier Gonapophysen zu- 
kommen, entfernen. 

Die Anlage der Gonapophysen bei der Larve, vor allem der Ort 
ihres Auftretens in der Nähe der Medianlinie der Bauehplatten sprechen 
durchaus dagegen, dass in den Genitalanhängen der Rhynehoten modifieirte 
Abdominalgliedmaassen vorliegen. Es hat sich namentlich bei Cicada mit 
Bestimmtheit der Nachweis führen lassen, dass die embryonalen Gliedmaassen- 
anlagen zur Bildung der Seitentheile der Bauchplatten verwendet werden. 
Da nun die Gonapophysen niemals wie die Extremitäten in den Seiten- 
theilen der Sternite entstehen, sondern zum Theil unmittelbar neben der 
Medianlinie auftreten, so können sie auch nur die morphologische Bedeutung 
von Hypodermiserhebungen besitzen. 

Zum Schluss sei noch auf eine Eigenschaft hingewiesen, welche 
wenigstens für die Mehrzahl der Rhynchoten als charakteristisch angesehen 
werden kann. Dieselbe besteht darin, dass die weichen zwischen Tergit 
und Sternit befindlichen Pleuralhäute in Fortfall kommen, während Rücken- 
und Bauchplatte mit einander verschmelzen. Hierbei vereinigen sieh die 
das Stigma umgebenden Theile (Pleurit) mit dem Sternit des betreffenden 
Segmentes oder mit demjenigen des vorhergehenden, so dass gleichzeitig in 
den meisten Abdominalsegmenten die Sternite zu den Trägern der Stigmen 


werden. 

!) Bei weiblichen Insekten ist die Gliederung der Genitalanhänge (Ovipositoren) über- 
haupt eine sehr seltene Erscheinung, welche nur auf gewisse Thysanuren beschränkt zu sein 
scheint. Zum ersten Male ist ein solches Verhalten von mir bei Nicoletia (97) nachgewiesen 
worden, und ich habe mich jetzt davon überzeugt, dass auch bei Lepisma, wo ich früher die 
Gliederung nicht bemerkt hatte, eine wenn auch nur sehr schwach ausgeprägte Gliederung der 
Legeröhre vorhanden ist. Das Gleiche gilt für Lepismina. Für die Beurtheilung der morpho- 
logischen Natur dieser Anhänge kann natürlich, wie ich schon früher dargelegt hatte, das 
Vorhandensein oder Fehlen der Gliederung nicht in Betracht kommen. 


[99] Beiträge zur Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Rhynehoten. 447 


Mit diesem Verhalten steht eine andere Eigenthümlichkeit im Zu- 
sammenhang, welche wohl den Zweck verfolgen dürfte, dem Körper die 
namentlich für die Imago während der Reifung der Geschlechtsproduete 
nothwendige Ausdehnungsfähigkeit zu bewahren. Bei den Rhynehoten be- 
sitzen nämlich die mit einander verwachsenen Tergite und Sternite die 
Neigung zu einer weiteren, secundären Gliederung. Entweder an den 
Rückenplatten oder an den Bauchplatten oder sogar an beiden können die 
Lateraltheile sich absondern oder durch Furchen sich mehr oder minder 
deutlich von dem Mittelstück absetzen. Diese abgegrenzten Seitentheile der 
Rücken- und Bauchplatten habe ich als Paratergite und Parasternite beschrieben. 

Das primäre Verhalten, welches sich bei den von mir untersuchten 
Insekten im Embryonalstadium verwirklicht zeigt, besteht darin, dass die 
Seitentheile der hückenplatten sehr stark entwickelt sind und häufig in 
Form von Wülsten (Tergitwülste) bis zur Ventralseite reichen, so dass 
hierdurch eine eigenthümliche kahnförmige Gestalt des Körpers (mit aus- 
eehöhlter Ventralfläche) bedingt wird. Diese charakteristische Gestalt bleibt 
selbst bei den Larven der Cicadinen und denen mancher Cryptoceraten 
noch deutlich erkennbar. Bei den Imagines flachen sich die Paratergite 
zwar ab, doch pflegen sie noch an der Bildung der ventralen Körperwand 
Antheil zu nehmen. Letzteres gilt namentlich für die Mehrzahl der Homop- 
teren, bei denen deutlich abgegrenzte Paratergite sich an der Ventralseite 
des Abdomens vorfinden, zum Theil trifft dies auch noch für einige CUrypto- 
ceraten zu. Bei den Gymnoceraten sind die Seitentheile der Rückenplatten 
schon von vornherein weniger entwickelt, sie reichen hier zwar auch bis 
an die Ventralseite, gliedern sich aber bei der Imago als Paratergite nur 
dorsal deutlich ab. In extremen Fällen (Lygaeiden) können endlich sogar 


noch die stiementragenden Parasternite an die Dorsalseite eelangen. 
> to) fo} to} 


B. Verwandtschaftsverhältniss der Rhynchoten zu anderen 
Insekten. 
Es ist nicht schwer in dem Körperbau der Rhynchoten dieselben 
grundlegenden Organisationsverhältnisse wieder zu erkennen, welche auch 
für andere paurometabole oder hemimetabole Insektengruppen als typisch 


57* 


448 Richard Heymons, [100] 


und charakteristisch anzusehen sind. Denn wenn auch der Bau der er- 
wachsenen Rhynchoten manche Eigenthümlichkeiten besitzt, so lehrt doch 
gerade die Entwicklungsgeschichte, dass in der Anlage der Kopf- und 
Rumpfgliedmaassen, in der Bildung der Segmenttheile und in der gesammten 
Körpersegmentirung keine wesentlichen Verschiedenheiten vorhanden sind. 

Hinsichtlich der Gliederung des Abdomens hat sich beispielsweise 
der Nachweis führen lassen, dass bei den Rhynchoten nur das Telson nebst 
den zugehörigen Laminae anales rückgebildet worden ist, wodurch das 
primär zwölfgliedrige Insektenabdomen in einen elfgliedrigen Hinterleib ver- 
wandelt wurde, welcher nunmehr den Schnabelkerfen im allgemeinen eigen- 
thümlich ist. 

Auch in der inneren Organisation kommen solche prinzipielle Ueber- 
einstimmungen mit anderen niederen Insekten zum Ausdruck. Ich mache 
hierbei besonders auf die mesodermalen Geschlechtsgänge (Ovidukte, Vasa 
deferentia) aufmerksam. Bei allen von mir entwicklungsgeschichtlich unter- 
suchten Homopteren und Heteropteren reichen die Geschlechtsgänge anfänglich 
beim Weibehen bis zum Hinterende des siebenten, beim Männchen dagegen bis 
zu dem des neunten oder zehnten Abdominalsternites. Das gleiche Verhalten 
trifft nun nach Untersuchungen von mir auch für Thysanuren (Campodea und 
Lepisma) Orthopteren, Plecopteren, Odonaten und Ephemeriden zu, während 
bei anderen, und zwar namentlich bei komplizirter organisirten Insekten 
Dermapteren) bereits im Embryo abweichende Verhältnisse obwalten. 

Schwierigkeiten ergeben sich erst dann, wenn man den Versuch 
macht, im einzelnen Vergleiche durchzuführen und bestimmte verwandt- 
schaftliche Beziehungen zwischen den Rhynchoten und dieser und jener 
Insektengruppe herauszufinden. 

Während man früher namentlich die Pediceulinen vielfach in nähere 
Verbindung mit den Rhynchoten gebracht hat, so ist nach Meinert (91) 
gerade die Organisation der Mundwerkzeuge bei den beiden Gruppen eine 
so differente, dass an eine engere Verwandtschaftsbeziehung wohl kaum noch 
gedacht werden kann. 

Unter den typischen flügellosen Insekten (Apterygoten) lassen die 
Mundwerkzeuge bei der Abtheilung der Entognatha (Collembola, Campodeidae, 
Japygiden) wenigstens in der Art und Weise ihrer Anordnung und in ihrer 


[101] Beiträge zur Morphologie und Entwieklungsgeschiehte der Rhynchoten. 449 


Verbindung mit der Kopfkapsel noch eine gewisse Annäherung an die 
Mundtheile der Rhynehoten erkennen. 

Meinert (67) hat hierauf zum ersten Male aufmerksam gemacht, 
und Grassi (85) hält es darauf hin wie auch aus anderen Gründen nicht 
für ausgeschlossen, dass entotrophe (entognathe) Thysanuren die Vorläufer 
der Rhynehoten gewesen sein mögen. Smith (97) geht in neuerer Zeit 
in dieser Hinsicht aber noch weiter. Allen anderen flügeltragenden Insekten, 
den „Mandibulata“ stellt er die Rhynchoten (und T'hysanopteren) als „Hau- 
stellata* gegenüber und spricht ihnen in Hinblick auf den Bau ihrer Mund- 
theile nicht nur eine ganz isolirte Stellung im Insektensystem, sondern auch 
einen selbständigen und ganz unabhängigen Ursprung von thysanurenartigen 
Formen zu.') Im Gegensatz hierzu sind jedoch von anderen Seiten wieder 
vielfache Versuche gemacht worden, die Rhynehotenmundtheile von den 
kauenden Mundtheilen der Orthopteren abzuleiten. In den Orthopteren glaubt 
Le&on (87) geradezu die Stammgruppe der Hemipteren zu erkennen. 

Soweit die bisherigen anatomischen und entwicklungsgeschichtlichen 
Kenntnisse ein Urtheil gestatten, so dürfte jedenfalls kein Grund zu der 
Annahme vorliegen, dass eine engere verwandtschaftliche Beziehung zwischen 
den entognathen Apterygoten und den Rhynchoten vorhanden sei, wenn 
man auch die letzteren mit gewissem Rechte immerhin als entognathe Ptery- 
goten bezeichnen könnte. Denn obwohl bei den genannten beiden Gruppen 
in der Stellung der Mandibeln und vorderen Maxillen, in der Entwicklung 
der letzteren und in dem theilweisen oder völligen Einsinken der Kiefer 
in das Innere des Kopfes eine Annäherung sich ausspricht, so giebt es doch 
auch zahlreiche und sehr wesentliche Differenzen. 

Bei den Thysanuren fehlt eine von der Unterlippe gebildete Schnabel- 
scheide und eigentliche Stechborsten, es fehlen vor allem die Flügel. 

Nach meinen Untersuchungen und auch namentlich nach denjenigen 
von Uzel (98) hat sich ergeben, dass den entognathen Tihysanuren ein 
Amnion nicht zukommt, während sich letzteres bei allen bisher untersuchten 
Rhynehoten und zwar ganz in der für die flügeltragenden Insekten typischen 


1) Der leitende Gesichtspunkt von Smith ist hierbei aber jedenfalls ein irriger. 
Smith geht nämlich vor der eigenartigen Vorstellung aus, dass die „Haustellata“* überhaupt 
keine Mandibeln besitzen sollten. 


450 Richard Heymons, Beiträge z, Morphol. u. Entwicklungsgesch. d. Rhynehoten. [102] 


Weise entwickelt. Den entognathen Thysanuren scheinen, wie ich bereits 
früher hervorgehoben habe (97a), Vasa Malpighi durchweg zu fehlen, oder 
es zeigen sich doch wie bei Campoden höchstens nur Rudimente von solchen, 
während bei den Rhynchoten, wenigstens bei den von mir entwicklungs- 
geschichtlich untersuchten Formen, die Malpighi’'schen Gefässe sogleich in 
Vierzahl angelegt werden, ein Verhalten, welches bekanntlich gerade auch 
für eine sehr grosse Zahl pterygoter Insekten charakteristisch ist. 

Auch zwischen ectognathen Thysanuren (Lepismiden, Machiliden) und 
Rhynehoten sind bemerkenswerthe Unterschiede vorhanden. Abgesehen von 
dem bekanntlich sehr abweichenden Bau der Mundtheile, weise ich hier auf 
die weiblichen Geschlechtsanhänge hin. Bei den Thysanuren beträgt die 
Zahl der letzteren 4, bei den flügeltragenden Insekten und auch bei den 
Rhynehoten ist dagegen die Zahl 6 als die typische und die primäre 
anzusehn. 

Aus den erörterten Gründen kann ich nicht denjenigen Autoren 
folgen, welche eine selbständige Herkunft der Rhynehoten von apterygoten 
Urformen annehmen und damit die Meinung eines diphyletischen Ursprungs 
der Rhynchoten und der Mehrzahl der übrigen flügeltragenden Insekten 
vertreten. 

Da andrerseits die eigenartige Richtung, welche gerade die Ent- 
wieklung der Mundtheile bei den Schnabelkerfen genommen hat, ferner 
das Fehlen des Endsegmentes und der Cerei, die starke Coneentration der 
Ganglienkette und andere Merkmale unmöglich es gestatten, eine nähere 
Beziehung zwischen Rhynchoten und Orthopteren oder zwischen jenen und 
irgend einer anderen der jetzt existirenden Insektengruppen anzunehmen, 
so bleibt mithin nur die Annahme übrig, dass die Rhynchoten ausser- 
ordentlich frühzeitig bereits von einem gemeinsamen Stamme sich abgezweigt 
haben, dem vermuthlieh auch die meisten der gegenwärtigen flügeltragenden 
Insekten entsprungen sind. 


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Erklärung der Abbildungen. 


Tafel l. 


Fig. 1. Keimstreif von Naxeoris eimicoides nach Anlage des Labiums und Aus- 
bildung der Tergitwülste im Abdomen. Das rechte Hinterbein ist grösstentheils entfernt, um 
die Anhänge des 1. Abdominalsegmentes zu zeigen. Vergr. 60. 

Fig. 2. Hinterende einer Larve von Pyrrhocoris apterus von der Ventralseite ge- 
sehen. Das den Anus umgebende 11. Sternit und zweilappige 11. Tergit sind hervorgestülpt. 
Vergr. 58. 

Fig. 3. Kopf eines Keimstreifens von Cimex dissimilis. Die rechte Mandibel und die 
dahinter liegende 2. Maxille sind abgenommen. Vergr. 60. 

Fig. 4. Hinterende eines männlichen Embryo von Naucoris nach der Umwachsung des 
Dotters. Im 10. Segmente schimmern durch die Körperwand die Terminalampullen (Amp) 
der Vasa deferentia hindurch. Dorsalwärts im 9. Segmente ist das hintere Ende des Rücken- 
gefässes erkennbar. Vergr. 130. 

Fig. 5. Keimstreifen von Nepa einerea, ungefähr gleichaltrig mit dem in Fig. 1 ab- 
gebildeten Embryo. Das 10. und 11. Abdominalsegment sind dorsalwärts umgebogen und 
daher in der Figur nicht mehr sichtbar. Vergr. 60. 

Fig. 6. Vorderende eines Keimstreifens von Notoneeta glauca. Bemerkenswerth ist 
die embryonale Segmentirung. Vergr. 45. 

Fig. 7. Vorderer Kopftheil von Notoneeta (Imago) von der dorsalen Seite gesehen. 
Von oberflächlich liegenden Theilen sind zu erkennen: die basalen Labialglieder (Lab), die 
Öberlippe (Ob) und die seitlich gelegenen Processus maxillares (Proex). Die obere Schädel- 
deeke ist entfernt, so dass die Laminae maxillares sichtbar geworden sind. Links ist die 
mandibulare Stechborste nebst dem dazu gehörenden Muskelapparat, rechts die maxillare 
Stechborste mit ihren Muskeln dargestellt worden. Vergr. 25. 

Fig. 8. Ei von Notoneeta mit oberflächlich gelegenem Keimstreifen im Stadium der 
sog. primären Segmentirung.,  Vergr. 45. 

Fig. 9. Hinterende einer weiblichen Imago von Naucoris. Ansicht von der Ventral- 
seite. An der linken Seite der Figur ist die Gonapophyse des 8. Abdominalsegmentes zur 
Hälfte entfernt. Rechts ist (bei Abs,) die laterale Gonaphyse des folgenden Segmentes ab- 
genommen worden. Vergr. 21. - 

Fig. 10. Ei von Cicada septemdeeim mit Keimstreifen im Dotter. Vergr. 45. 

Nova Acta LXXIV. Nr. 3. 58 


454 Richard Heymons, [106] 


Fig. 11. Keimstreifen von Cicada. Aelteres Stadium als das der vorigen Figur. Die 
rechte Antenne und das rechte Hinterbein sind abgenommen. Vergr. 60. 

Fig. 12. Keimstreif von Pyrrhocoris nach beendeter Segmentirung. Die Kopflappen 
sind dorsal umgebogen, die Antennen stehen am Vorderende In den Abdominalsegmenten 
treten bereits die als laterale helle Flecken erscheinenden Tergitwülste hervor. Vergr. 60. 

Fig. 13. Kopf einer Pentatomidenlarve (Cimex?). Links ist das gesammte Schädel- 
dach abgetragen, um die Stechborsten und ihren Muskelapparat zu zeigen. Die Iuga (Iu), 
Laminae maxillares (Lamx) und die hintere Kopfwandung sind links nur in Umrissen an- 
gegeben. Das Thier befand sich kurz vor einer Häutung. In der spiralig aufgerollten 
Kiefertasche (Kt) ist bereits eine neue Stechborste (Se) angelegt. Die maxillare Kiefertasche 
und die zugehörigen Retractoren sind nicht eingezeichnet worden. Vergr. 45. 


Tafel 2. 


Fig. 14. Keimstreif von Cimex dissimilis in eine Ebene ausgebreitet. Vergr. 45. 

Fig. 15. Rechtes Mittelbein eines Embryo von Naueoris, ungefähr in dem in Fig. 1 
dargestellten Stadium befindlich. Man erkennt die primäre Gliederung des Beines nnd nament- 
lich die embryonale Subeoxa (Subx). Ausser der Tergitanlage ist auch die Hälfte des 
mesothorakalen Sternites (Stern) abgebildet. Die hellere Partie in dem letzteren kennzeichnet 
die Ganglionanlage. Vergr. 200. 

Fig. 16. Kopf eines Embryo von Naucoris nach der Umrollung. Clypeus und 
Öberlippe sind abgetragen, um den Hypopharynx (Hyp) und die Anlage der „Wanzenspritze“ 
(Splex) zu zeigen. Vergr. 90. 

Fig. 17. Keimstreif von Naucoris. Die Segmentirung ist im Abdomen noch un- 
vollständig. Vergr. 45. 

Fig. 15. Junger, aus dem Dotter herauspräparirter Keimstreif von Pyrrhocoris. Die 
Kopflappen (Kbl) sind von der Dorsalseite, der Rumpf von der Ventralseite gesehen. Die 
Körperregionen sind bereits angedeutet. Vergr. 45. 

Fig. 19. Vordere Kopfpartie nebst Labium von Dryobius roboris von der linken 
Seite gesehen. Die Stechborsten (Set) sind aus dem proximalen Theil des Labiums künstlich 
etwas hervorgezogen. Vergr. 50. 

Fig. 20. Hinterende eines Embryo von Cimex nach der Umrollung. Jede Sternit- 
anlage besteht aus drei Theilen, indem ein medianes erhabenes Feld (Sternum), das die 
Ganglienanlage enthält, sich von zwei lateralen Feldern (Sternl) absetzt. Vom Enddarm 
gehen vier Vasa Malpighi aus, welche durch die Tergite hindurchschimmern. Die distalen 
Enden der beiden längeren Vasa (Malp) treten hervor. Vergr. 120. 

Fig. 21. Sagittalschnitt durch das Hinterende eines Keimstreifens von Naucoris. 
Auch im 11. Abdominalsegment sind noch Ganglienzellen erkennbar. Vergr. 355. 

Fig. 22. Hinterende einer weiblichen Larve (Nymphe) von Naucoris von der Ventral- 
seite gesehen. Vergr. etwa 40. 

Fig. 23. Transversalschnitt durch eine Larve von Cicada septemdeeim. Vergr. 200. 

Fig. 24. Ei von Pyrrhocoris von der Ventralseite gesehen. Man erkennt im Innern 
den Keimstreifen, dessen Kopflappen noch oberflächlich liegen, während der Rumpf seine 
Dorsalfläche dem Beschauer zuwendet. Die dunkle Färbung in der Medianlinie wird durch 
die Invagination des Mesoderms hervorgerufen. Vergr. 45. 


[107] Beiträge zur Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Rhynchoten. 455 


Fig. 25. Hinteres Körperende eines Männchen von Tibieina tomentosa. Von dem 
Kopulationsanhang (Gon) ist nur die basale Partie angegeben. Vergr. 20. 

Fig. 26. Abdominalende einer Larve von Cimex von der Ventralseite gesehen. Das 
plättehenförmig gestaltete 11. Tergit und Sternit liegen eingezogen im 10. Abdominalringe. 
Am Körperrande treten die dunkel gefärbten Seitentheile der Tergite hervor (Parat), welche 
ventral umgeklappt sind. Vergr. 30. 

Fig. 27. Hinterende einer männlichen Imago von Pyrrhocoris. Die Gonapophysen 
sind nur unvollständig angegeben, um die letzten Abdominalsegmente sichtbar zu machen. 
Vergr. 30. 


Tafel 3. 

Fig. 28. Vorderkopf von Syromastes marginatus von der Ventralseite gesehen. An 
der medialen Kante der Laminae maxillares (Lamx) treten die Processus maxillares oder 
„Bueeulae* (Prox) hervor. Vergr. 40. 

Fig. 29. Kopf und Thorax eines Keimstreifen von Naucoris. An den vorderen 
Maxillen ist eine Spaltung eingetreten. Vergr. 60. 

Fig. 30. Vorderende eines Keimstreifen von Cimex. Etwas älteres Stadium als in 
Fig. 14. Vergr. 45. 

Fig. 31. Junge Embryonalanlage von Pyrrhocoris, aus dem Dotter herauspräparirt. 
Mit Ausnahme der Kopflappen ist der Körper von der Ventralseite betrachtet. In der 
vorderen Rumpfhälfte ist noch die Invaginationsrinne (R) für das Mesoderm erkennbar. 
Zwischen die aus einander weichenden Kopflappen schiebt sich ein vom Blastoderm bekleideter 
zapfenförmiger Fortsatz des Dotters (Blast) ein. Vergr. 90. 

Fig. 32. Kopf von Notoneeta (Imago) von hinten gesehen. An der rechten Seite 
der Figur sind die an der Gula und dem Processus maxillaris befindlichen Borsten entfernt 
Vergr. 18. 

Fig 33. Kopf nebst Speicheldrüsen eines Embryo von Cimex. Das gleiche Stadium 
wie in Fig. 20. Vergr. 60. 

Fig. 34. Kopf einer Larve von Nepa, von der Dorsalseite gesehen. Rechts ist der 
Processus maxillaris künstlich aufgebogen, so dass die unter ihm verborgene kleine Lamina 
maxillaris sichtbar wird. Vergr. 24. 

Fig. 35. Hintere Kopfpartie eines Embryo von Cicada nach der Umrollung. Man- 
dibeln, Maxillen, Hypopharynx und Unterlippe sind erkennbar. Vergr. 145. 

Fig. 36. Analpartie einer weiblichen Imago von Nepa. Die rechte Hälfte des 
8. Sternites ist entfernt, desgleichen die Gonapophysen mit Ausnahme der lateralen des 
9. Segmentes, Von den letzteren ist die rechte Gonapophyse nur zur Hälfte eingezeichnet, 
um das 10. Sternit vollkommen siehtbar zu machen. Vergr. 30. 

Fig. 37. Abdominalende einer weiblichen Imago von Cimex von hinten gesehen. 
Umgeben von dem ringförmigen 10. Abdominalsegment sind das 11. Tergit und Sternit er- 
kennbar. Vergr. 43. 

Fig. 38. 5.—11. Abdominalsegment einer weiblichen Larve von Aphrophora salicis, 
von der Ventralseite gesehen. Vergr. 65. 


Erklärung der Buchstaben. 


A = Anus 

Abd — Abdomen 

Abs), — Abdominalsegment (1.—11.) 

Abx, — Gliedmaassenanhänge des 1. Abdominal- 
segmentes 


am — Amnion 

amhl — Amnionhöhle 

Amp — Terminalampulle der Geschlechtsgänge 

Ant — Antenne 

Appl — Appendices Labii 

Blast — Blastoderm 

C — Herz, Rückengefäss 

Chmd — Chitinhebel zum Bewegen der mandi- 
bularen Stechborsten 

Cl —= Clypeus 

Cx — (Coxa, Hüfte 

D—Dotter 

Deut = Ganglion des Antennensegmentes 

Ed — Enddarm 

ekt — Ektoderm 

Fa — Facettenauge 

Fe —= Femur, Oberschenkel 

Fr = Frons, Stirn 

Foroe — Foramen oceipitale 

ggl ab,_,, = Abdominalganglion (1.—=11.) 

gglz = Ganglienzellen 

Gon — männliche Genitalanhänge 

Gon; —= Gonapophysen des 8. Abdominalseg- 
mentes 

Gon lat, = laterale |) Gonapophysen des 9. Ab- 

Gon med, — mediale | dominal segmentes 

Gul = Gula 

Hyp — Hypopharynx 

Int — Intersegmentalhaut 

Ju = Juga (Laminae mandibulares) 

K = körnehenförmige Einschlüsse im Dotter 

Kbl = Kopflappen 

Kf — Kieferregion 

Kt = Kiefertasche 

Lab —= Labium 

Lab,_; = 1.—4. Glied der Unterlippe 

Lamx — Lamina maxillaris 

Malp — Vasa Malpighi 

Md — Mandibel 

mes — Mesoderm 

msk — Muskeln 

Mx,_, — vordere resp. hintere Maxille 

Mxl—= Lade (Lobus internus oder Laecinia) der 
vorderen Maxille 


Mxp — Maxillarhöcker 
0 —= Mundöffnung 


Ob — Labrum 

Parast, _, = Parasternit des 1.— 9. Abdominal- 
segmentes 

Paratı,_ınm. = Paratergit des 1.—3. Thorax- 
segmentes 

Parat,_9 = Paratergit des 1.—9. Abdominal- 
segmentes 


Phsk — Chitinscelet des Pharynx 

Procx — Processus maxillaris (Buceula) = Ru- 
diment des Palpus maxillaris 

Ptrmd = Musculus protraetor mandibularis 

Ptrmx — Musculus protractor maxillaris 

R == Invagination des Mesoderms 

Rtrmd — Musculus retraetor mandibularis 

Rtrmx — Museulus retractor maxillaris 

Se — Seta, Stechborste 

Semd — Seta mandibularis 

Semx — Seta maxillaris 

Spl = Speicheldrüsen 

Spld — Speichelgang 

Splex — Spritzapparat der Speicheldrüsen resp. 
Anlage desselben 

Splo — Einstülpung für die Speicheldrüsenanlage 

Stı_9 = Stigma (1.—10) 

Stern = Sternit 

Stern), — Sternit des 
segmentes 

Sternl = laterales Feld der Sternitanlage 

Sternm — medianes Feld der Sternitanlage 

Ta — Tarsus 

Tergr._11. = 1.—3. thorakales* Tergit 

Terg,_,, = 1.—11. abdominales Tergit 

Tergmx, — Tergit des hinteren Maxillarsegmentes 

Tergw — Tergitwulst (verdickter, an der Ventral- 
seite verbleibende Seitenrand der Tergit- 
anlage). 

Tergwı._rı. = Tergitwulst des 1.—3. Thorax- 
segmentes 

Tergw, _,, = Tergitwulst des 1.11. Abdominal- 
segmentes 

Th = Thorax 

Thxı._ıı. = Thoraxbeine 

Ti — Tibia 

Tr = Trochanter 

Trit — Ganglion des Interealarsegmentes 

Ne Vortex 


1.—11. Abdominal- 


Haymons et Ralsnamen del 


Stern, 


.C1.C6.Nat. Car. VoLLXKI. 


“9. 


i Abs, 
HERR "fon 
Gon lat, ! ı Öonmed, : 


; N 
Stern, Tex, 


er 


ad 


Abs, 
Terg, 


Absz“ h abs, 
E Su/nt 


Stern, 


©. 


Terg mix; — 


Terg, 


INN, ‚PFOCKX--=--- 


a = k-  humx 
E Pelrmd----- N j 

re (e 

= Verdi, Chmd---- = 4 = nt | 
R -_ —-Petrmx 
Als; 

Semd--———-—--—. Ä ’ 
nn. Semx 


Retrind----- 


10. 


= SÜFNE 
| Petrnd ---— 


Chmd--.. 


Petrmx---— 


De rer 


Semä ----— ir. 


BGE 


Pärat, 


Heymons: Rhynchoten. Tafl. a ; 


, 

RM 

2 
. Er 


Sr 


“ 


Terg, Term, 
i } 
H i 


\ 


subr 


= 
"Snlex 


IT Tren An: 


amlıl 


lern, Stern,, Stern, Terg, 27. 
Abs Terg, Stern, 
OS H ei 
26. 


Stern, 


Heymans st Kühsanmen. del 


Heymons: Rhynchoten. Taf. 2. 


Nova Acta ‚Acad. C1.C0.Nat. Cu VoL.LXXIV. 


Sterns Terg, 


bon latzs--- 


Tergy-- kann 


en 


| Parat, — Parat; 


077777 


Gon lat, 


m SEEN 


Tarp r RINAR \hLhhı 2 A an Stern, 


ID Dun 


Parast,; 


Ju. IV : 35. 


Mn Hyn 


DEU: 


I 


Stern, 


Stern I Sterng 


Parast, 


38. 


Stern,  Tergw, 


bon lat, 


Heymons: Rhynchoten. Taf 5. 


NOVA ACTA. 


Abh. der Kaiserl. Leop.-Carol. Deutschen Akademie der Naturforscher 


Band LXXIV. Nr. 4. 


Theorie der atmosphärischen Refraction 
und Totalreflexion der Schallwellen 
und ihre Bedeutung für die Nautik. 


Von 


Ludwig Matthiessen 


Rostock. 


Eingegangen bei der Akademie am 5. Mai 1899. 


HALLE. 
1899. 


Druck von Ehrhardt Karras, Halle a. S. 


Für die Akademie in Commission bei Wilh. Engelmann in Leipzig, 


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Die Theorie der atmosphärischen Refraction der Schallstrahlen lässt 
eine analoge Behandlung zu, wie die Theorie der astronomischen Refraection 
der Lichtstrahlen nach Laplace und Bessel, wenn man von der Annahme 
ausgeht, dass die Atmosphäre aus homogenen, concentrischen Schichten be- 
steht, deren Temperatur mit der Höhe nach gewissen einfachen Gesetzen 
abnimmt. Wenn man nämlich wie bei der astronomischen Strahlenbrechung 
voraussetzt, dass die Atmosphäre frei von Wasserdampf und die thermische 
Höhenstufe eonstant sei, so ist die Refraetion der Schallstrahlen nur ab- 


74 


c 


hängig von der Temperatur, dagegen unabhängig vom Drucke. Wir nehmen 
an, wie in der T'heorie der astronomischen Refraetion von Bauernfeind'), 
die thermische Höhenstufe betrage 176 m für 1°C.; alsdann wird die 
Trajeetorie eine ebene, in der Verticalebene des Erregungscentrums liegende 


nach oben concave Curve sein, und es lassen sich sowohl die Differenzial- 


I!) Astronom. Nachr. 62. Bd. S. 209; 67. Bd. S. 33. 


460 L. Matthiessen, [+] 


oleichungen der Aberration in irgend einem Punkte der Trajectorie, als 
auch die Differenzialgleichung der Trajectorie selbst ableiten. 

Es sei (Fig. 1.) C das Erdeentrum, /7 das Erregungscentrum, Z sein 
Zenith, ? ein Punkt der Curve, y sein Abstand von C, PA gleich 7 die 
Höhe desselben, $ der Centriwinkel PC, ı, der Winkel Z77O der Trajec- 
torie mit der Vertiecalen 77Z, e, der Winkel ZPC der Trajeetorie mit der 
Verticalen 7,2, endlich £ die scheinbare Höhe //Z des Punktes 2. 

Denkt man sich nun die Schallstrahlen von // nach 7?’ in der Riehtung 
der positiven Coordinaten bewegt, so handelt es sich bei der astronomischen 
Strahlenbrechung wesentlich um die Bestimmung der Zenithdistanz 5, indem 
man dieselbe aus dem Integral von ö£ zwischen den Grenzen SZ und Ir, 
zu bestimmen sucht. Wir gehen dabei aus von den Beziehungen, welche 
sich aus der Figur ergeben, 

S=e +%, 06 —=de, + 08, 


I 
tan e, = . 


Nun gilt nach Laplace') für jedes Refractionsgesetz in eoncentrischen 
Kugelschichten die Gleichung 

(1) ny sin e, — const. — Njr sin Ty. 

Durch Differenzirung derselben erhält man 
on _9y 


— cot e, da = — 


n Y 
und wenn man hieraus de, in die vorigen Gleichungen einsetzt, 


oder 


Das angenommene Refractionsgesetz für die Temperatur-Differenz t 
zwischen 7/7 und / ist nun 
n—=\1-+ at—= /1 + 0,003665 t, 


und wenn man die thermische Höhenstufe = 7:176—n:h substituirt, 


1) Mee. eel. Livre X. Chap. I, No. 10 und Matthiessen, Die Phoronomie der Licht- 
strahlen in anisotropen, unkrystallinischen Medien im Allgemeinen und in sphärischen Niveau- 
flächen im Besonderen. Exner’s Rep. d. Phys. 25. Bd, 8. 664. 1889. 


[3] Theorie der atmosphärischen Refraetion und Totalreflexion der Schallwellen. 461 


DE 
(3) = la 
Da ferner y=r+n und 


on = — a aan 


h yı + al 

h 
ist, so wird 5£ als Function von 7 bestimmbar, wenn es gelingt, die Gleichung 
(2) zu integriren. Wir wollen jedoch hiervon Abstand nehmen, da es für 
unser Ziel von grösserem Interesse ist, die Gleichung der Trajeetorien der 
Schallstrahlen zu bestimmen, besonders zur Erklärung der Erscheinungen 
der Totalreflexion des Schalles in der Luft bei klarem Himmel, wie sie zu- 
weilen auf dem Meere beobachtet worden ist. 

Von Professor Dr. H. Mohn in Christiania ist zwecks „Studien über 
Nebelsignale*') unter der beschränkten Annahme, dass die von Schallstrahlen 
durchlaufenen Luftschiehten sich wenig über dem Meere erheben und die 
Schallgeschwindigkeit gleichförmig mit der Höhe nach oben abnimmt, ge- 
funden, dass die Trajeetorien Kreise, also (theoretisch) in sich zurück- 
laufende Kurven seien. Da der Schall aber auch aus bedeutenden meilen- 
hohen Entfernungen wahrgenommen wird, z. B. von explodirenden Meteo- 
riten, so wollen wir die T'heorie in dieser Riehtung zu erweitern suchen. 

Um die Gleichung der Trajeetorie /7Z?, indem wir die Schallquelle 


in 7/7 annehmen, zu finden, so ist für ein Bogenelement derselben in ? 


also 
(€) a=n—h—4, 
wo 2 die Aberration bezeichnet. Dabei ist e, der Einfallswinkel des Schall- 
strahles in 7, welcher kleiner ist als der Einfallswinkel 7, in ZZ Diese 
Verminderung ist also eine zweifache und zwar einmal wegen der Drehung 
% des Einfallslothes und sodann noch wegen der Variation des Index n. 
Dies giebt sich nun auch kund in dem Werthe des totalen Differenziales de,, 
welches aus zwei partiellen besteht, wie folgende Betrachtung ergiebt. Wir 
fanden oben 
— cot &, de, — an Eu 


n Y 


!) Annalen der Hydrographie ete. der Deutschen Seewarte in Hamburg. Jahrg. 1892. 
8. 85. 117; 1893, S. 249; 1895, S. 185. 226. 264 u. 362. 


462 L. Matthiessen, [6] 


oder 
de, — — tan e, & + =) 
n Yy 
Da der Kreisbogen 7/7, = r$ und AP=y$ —(r + »)$ ist, so wird 
weiter 
de, — —y0% = + =) 
oY n Y 
und weil &y — ön ist, 
ag 
ge — nee: 0% 
non 


oder endlich 


(5) 0 — 5, on + (5 .) 08; 


welche Gleichung die beiden partiellen Differenziale enthält. Integriren wir 
die vorhergehende Gleichung zwischen den Grenzen /7Z und 7, so resultirt 


eı 
ee Be + on. 
non 
I, 


also entsprechend der Relation @ 


Hieraus folgt dann, dass die Aberration des Schallstrahles gefunden 


wird aus 
“ 
(6) = : 


Es mag an dieser Stelle bemerkt werden, dass in der Theorie der 

astronomischen Refraction die entsprechende Gleichung von (4) lautet 
ge =u—I+,, 

also das dritte Glied auf der rechten Seite einen positiven Werth. hat, wo- 
gegen bei der akustischen Refraction das dritte Glied einen negativen Werth 
besitzt; dass ferner im ersten Falle 2 sehr klein gegen 9, im anderen Falle 
9 verschwindend klein gegen 2 bleibt. 

Die Refraetionsgleichung (4) wollen wir dazu benutzen, die Gleichung 
der Trajectorie in Polarcoordinaten y und $ zu suchen. Da nämlich 


gG 


ist, 


Theorie der atmosphärischen Refraetion una Totalreflexion der Schallwellen. 463 


n 


e, — are cot N 
a yoH 
so wird die Differenzialgleichung der Trajeetorie 
3 
f on + mn) on „ 
7 are ct —— —  —T D2 = ob. 
Y & (r+nme6% g F nen 


0 


Hierin ist zunächst das Refraetionsgesetz (3) zu substituiren, nämlich 


wodurch die Ordinate 7 sich als eine Function von # ergeben muss. Um 


eine Vereinfachung des Integrales zu erhalten, beachten wir, dass, wenn in 


dem Bereiche unserer Untersuchungen die Ordinate 7 höchstens bis zu einer 
Höhe von etwa 15000 Meter aufwärts steigt, bei dem Halbmesser der Erd- 
kugel r = 6366000 Meter 


r+n= ‚(1 = -) — 1,0023, 
\ 


dagegen der Divisor des dritten Gliedes bis zum Werthe 


anne een 
h 176 


wächst. Wir können deshalb innerhalb jenes Bereiches vorläufig setzen 


also 


07 ron 
arc cot Be a cd 
r+n)0o# non 


r [3 0% 
(8) A520; 4 IE Br — 
2 USE 8 


woraus hervorgeht, dass immer nahezu e = r,— 4 bleibt, indem # gegen 2 


verschwindend klein bleibt. Desungeachtet wollen wir einstweilen noch 


das $ der rechten Seite beibehalten und der Kürze wegen „— 9=z, also 


6% — — 62 setzen. Alsdann lässt sich die Differenzialgleichung (7) in gonio- 


metrischer Form schreiben 


464 L. Matthiessen, [S] 


— on A 42 cot2 423 (1+2 cos 2?) 
2 60te, = ch a 2 
(r + n) 82 Di Ph sin 2? * sin 2? 3 sin 2# 


9) 


Durch Integration zwischen den gegebenen Grenzen wird nun 


IS 


A zZ 4 


1 

n . r 

[077 02 cob2 , 

1 en NT eotäide A — We ns: 
RSch sin 22 sin 2° 


av or en 7 


Daraus resultirt 


z 
ler fra: a 
7 sin 7 sin 2? Binz eu 
Ge 2 


sin z 
Die Gleichung der Trajeetorie ist somit 
a) sin 7 


sin T 102 sinT ve cotz 
10 — ; N L ss; 
MDR ER sin (1 — F) | } sin 2 sin 22 sin z sin 22 ß 


Un U 


% 


Für «0, also »n—1, wird demgemäss die Trajectorie in die Gerade 


xEn8 sin To 1) 
sn (— #9) 


übergehen müssen, welche den Punkt / mit ZZ verbindet. Nach Potenzen 


von # bis zu incl. 9? entwickelt, ist diese Gleichung in Polareoordinaten 


(11) n=r»cotry l +% 2° Conan: +9 G + eot 2) +. a 


2 c0t 7Ty | 

So lange also z, von 0° verschieden bleibt, werden wir in erster 

Annäherung setzen können 
n=(r #) cot To. 

Nach der Figur ist r$ die sphärische Abseisse 7774, —=x und wir 
werden sehen, dass die Integrale sich in convergente Reihen nach steigenden 
Potenzen vor r9 oder x, beziehungsweise von $ entwickeln lassen. Um 
den Gang der Entwicklung zu illustriren, wollen wir wegen der relativen 
Kleinheit der Glieder höherer Ordnung hier nur noch die Glieder von der 
Ordnung =° berücksichtigen und da ferner $ immer eine gegen 7, ver- 
schwindend kleine Grösse bleibt, so lange 7, verschwindend klein gegen r 
und z, messbar verschieden von 0° ist (senkrechte Incidenz), so können wir 
vorläufig 7, für z setzen und bei einer genaueren Entwicklung der Integrale 


beachten, dass 


[9] Theorie der atmosphärischen Refraction und Totalreflexion der Schallwellen. 465 


sin T 


1 
(12) Its ont (gtetm?)+.... 
sın zZ 


A 
z 


Zunächst bestimmen wir das erste Integral in (10) 


z 3 


sin T 102 r 
— = 0. 1,100: 
sin 2 sin 2? sin 7? 
® 


% ü) 


In Berücksichtigung der Gleichung (8) kann man setzen 
3 9 


D2 
r 99 
ine 2 fs 1: a fir jr = a\ 
x 2hs 
" 0 N) Unser 


Um „ durch $ auszudrücken, substituiren wir aus (11) den Näherungs- 
werth 7 = (r#) eotr, und erhalten somit 
3 3 


4 
r & A rod 
ar I 1 ie F & E aaa iı 
sin Ty al 0” SINEONN ze 
A ” l+a 1 ro 


=) {i 


Die zweimalige Integration ergiebt das Integral 


2 cot 
er RE 


4h sin To: 12h? sin 7y? 
Das nächstfolgende Integral ist mindestens von der Ordnung (r9)’ 
und weitere Glieder der Gleichung (10) von noch höherer Ordnung. Das 
zweite Integral in (10) ist nun aber 
9 


eot Ty [ro AN a? cot To seen 


sin Tg? 12h? sin T, 
0 


Fügen wir diesen Werth dem vorigen hinzu, so erhalten wir als 
Gleichung der Trajeetorie 
(12) NL eo tr - = — x 
4 sin Ty> 
Wenn wir keine Grössen vernachlässigen, so wird die Gleichung der 
Trajectorie von folgender Form 


[64 


(13) „=etun +49 +DB9°+..)2+ (1+49%+B9+..) 22 
0 


7.8 12B,9212.)23 3 u B Pt)... 


Wir werden demnach zu der Gleichung (12) gelangen müssen, bei 


Nova Acta LXXIV. Nr. 4. 60 


466 L. Matthiessen, [10] 


der Annahme horizontaler, ebener Schichten der Atmosphäre und recht- 
winkliger Coordinaten. In diesem Falle redueirt sich die Gleichung (1) auf 
» sine —N, Sin 7%, 


und wenn wir rechtwinklige Coordinaten einführen 
© ’ 


ER) PR ph 1 
0x) N?sinz2 : 


Mit Hilfe der Gleichung (3) erhalten wir die Differenzialgleichung 


der Trajeetorie 
7 x 


f sin To 07 f# 
v cos m: + ar =” 


0 0 


woraus sich die Gleichung (12) unmittelbar ergiebt. Wir gelangen also 
auch zu derselben, wenn wir in (13) $—0 setzen; sie gehört offenbar einer 
Parabel an mit verticaler Axe und es ist unschwer, über die physikalische 
Bedeutung derselben zu discutiren. 

Da die Funetion ein Minimum besitzt, so entspricht dem simultanen 
Werthe von 7 der Punkt der totalen Reflexion an einer Luftschicht, nach 
welcher die Trajeetorie symmetrisch wieder nach oben verläuft. Verlegt man 
die Coordinaten in diesen Punkt, so muss die neue Gleichung der Trajeetorie 
lauter gerade Potenzen von x enthalten. Dies gilt offenbar auch von der 
allgemeinen Gleichung (13) und die gegenseitigen Beziehungen der Functionen 
An, Dm U.$s. w. müssen von der Art sein, dass nach der Verrückung des 
Coordinaten dieselbe folgende Form annimmt 

(aa Vera MS N Re (Ua ea 

Wir wollen zunächst für die einfachere Form der Parabel die Lage 
des Minimums bestimmen; es ist 


on @ 
= 30 2606 or One? x, 
a ( 


(br 


folglich 


2snmeanmh _ eos Ty2 h 
(15) me— IT DaF 
& 2 [04 


Dies sind die Coordinaten der Totalreflexion; sie sind beide negativ 
und liegen also unterhalb der Niveaufläche /7 ZZ. Bei unveränderlichem 
Winkel der Ineidenz 7, haben x, und n, relativ verschiedene Maxima und 


Minima, nämlich 


1 1] Theorie der atmosphärischen Refraction und Totalreflexion der Schallwellen. 467 


0» 0) — N :@ 
450 — h:a — h:2« 
909 0) 0 


Verlegen wir das Coordinatensystem in den Punkt (x, 7.) und be- 


zeichnen die neuen Coordinaten mit X und Y, so wird 


2 2 sinzy costu h come 
ww — X ——— m =, n=Y — —- 2 , 
und die Scheitelgleichung der Trajeetorie 
: = a al 
(16) R2—Asin Ty2 = Yi 
a 


Der Parameter hat sein Maximum für 7, — 90° d. h. für horizontal 
auslaufende Schallstrahlen und der Scheitel liegt in 77 Der Ort aller 
Scheitelpunkte der Parabeln ist eine Ellipse, deren horizontale Axe doppelt 
so gross ist, als die Verticale, nämlich 


7 Da h 2) 
(17) x = 4,4") 


. 

Es ist nun von besonderem Interesse, für bestimmte Höhen 7 des 
Erregungscentrums den Hörraum zu bestimmen, welcher wegen der Total- 
reflexion an den tiefer liegenden Luftschiehten von den Schallwellen über- 
haupt nicht getroffen wird. Für einen nach unten unbegrenzten Raum 
wird der Hörraum begrenzt durch die Enveloppe aller parabolischen Trajec- 


torien. Nach (12) ist 


@ n BB weotTt, . oU 
RT rn arg A ME re = — —0, 
4h sin To sin Ty2 Oh sin Tu: o% 


Eliminirt man aus beiden Gleichungen z,, so erhält man die Gleichung 


der Enveloppe 


h [7 
— ——- %* (Parabel 
[2 4h ( 
Diese Parabel ist congruent der parabolischen Trajeetorie, welche 

von der Schallquelle /7 horizontal ausläuft. 
Wenn die tiefer liegenden Luftschichten durch eine horizontale Fläche 
o° 

begrenzt werden, z. B. durch die Meeresfläche, so wird der todte Hörraum 

60* 


468 L. Matthiessen, [12] 


(Schallschatten) noch erweitert, da alle die Meeresfläche treffenden Schall- 
strahlen in den oberen Schallraum reflectirt werden, und sich nicht an der 
ünveloppe betheiligen können. Um dies an concreten Beispielen zu erläutern, 
wollen wir die Coordinaten der Scheitelpunkte der Parabeln für einige 
wenig von 7, —= 90° abweichende Incidenzwinkel berechnen. 


90° Om Om 
899 Zi E 17a, || = 14,6 „ 
Bez ae 
870 — 5020 „|— 1315 „ 
86° — 6684 „ |— 233,7, 
56° 1 44500 „ | 15000 

450 — 48000 „ | — 24000 , 
0° 0 + | - 


Hieraus geht hervor, dass Schallwellen bei senkrechter Incidenz 
(= 0°) wegen der Totalreflexion überhaupt nicht tiefer in die Atmosphäre 
eindringen können als 48000 Meter (6,4 geogr. Meilen). Um diese Ver- 
hältnisse weiter zu verfolgen, so treffen bei Windstille, wenn die Schall- 
quelle (Glocke, Nebelhorn, Brown’sche Sirene) z. B. 131,5 Meter über der 
Meeresfläche sich befindet, die Schallstrahlen die Meeresfläche nicht mehr 
bei grösserer Entfernung als 5020 Meter (?/; geogr. Meilen). Denn die vor 
diesem Punkte die Meeresfläche treffenden Schallstrahlen werden sämmtlich 
nach oben in den Schallraum refleetirt. Diese T’hatsache scheint von ausser- 
ordentlicher Bedeutung für die Nautik zu sein, da wiederholt die Beobachtung 
gemacht ist, dass Schallsignale nicht an Bord, wohl aber im Mastkorb oder 
in den Bramstengen gehört wurden. Denken wir uns diesen letzteren 
Beobachtungsort etwa 15 Meter über der Meeresfläche, so würde in dem 
gewählten concreten Falle das Signal an Bord (5 m) nicht mehr gehört 
werden bei (5020 + 1000) m = 6020 m, wohl aber noch in den Bramstengen 
bei (5020 + 1680) m = 6700 m Entfernung. Nun werden aber in den 
meisten Fällen die Verhältnisse noch ungünstiger liegen, wenn die thermische 
Höhenstufe dieht über der Meeresfläche abnimmt, also 7 einen kleineren 


[13] Theorie der atmosphärischen Refraetion und Totalreflexion der Schallwellen. 469 


Werth annimmt z. B. die Hälfte 88 m. Alsdann erhält man folgende 


simultane Werthe: 


zu | T, | 71 

90° Om Om 
89° — 838 „ |— Tder 
88 — 1675 „| — 293, 
87° — 2510 „| — 69.00, 
86° — ie I 
on — 355402 131,5, 
45° — 24000 „ | — 12000 „ 
0 0 „| —- 24000 „ 


Wenn dann die Schallquelle 131,5 Meter über der Meeresfläche sich 
befindet, würde das Signal an Bord nicht mehr gehört werden bei 4250 Meter, 


wohl aber in den Bramstengen noch bei 4720 Meter Entfernung. 


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dureh die Buchhandlung von Wilh. Engelmann in Leipzig zu beziehen: 


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